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German Pages 370 [371] Year 2023
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 378
Kündigungsschutz für Whistleblower im Wandel
Von
Laura Feldner
Duncker & Humblot · Berlin
LAURA FELDNER
Kündigungsschutz für Whistleblower im Wandel
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 378
Kündigungsschutz für Whistleblower im Wandel
Von
Laura Feldner
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany
ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-18853-6 (Print) ISBN 978-3-428-58853-4 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit zum Themenkomplex Whistleblowing wurde im Sommer 2022 von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Das Promotionsverfahren habe ich Ende August 2022 erfolgreich abgeschlossen. Ich habe die Arbeit Anfang Dezember 2021 noch vor Ablauf der Umsetzungsfrist der für diese Arbeit anlassgebenden sog. Whistleblower-Richtlinie (RL (EU) 2019/ 1937) sowie vor Vereidung der amtierenden Bundesregierung aus SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP (20. Legislaturperiode) zur Annahme eingereicht. Bis zu diesem Zeitpunkt erschienene Rechtsprechung und Literatur sind berücksichtigt. Das danach seit April 2022 von der Bundesregierung zur Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie in Gang gesetzte und bislang noch andauernde Gesetzgebungsverfahren für ein deutsches Hinweisgeberschutzgesetz konnte ich daher nicht mehr einbeziehen. Insoweit verweise ich auf den beigefügten Annex, in dem ich diese jüngste Entwicklung darstelle und zum aktuellen Gesetzentwurf kurz Stellung nehme. Unbeschadet der anstehenden Verabschiedung eines Umsetzungsgesetzes ist die von mir vorgenommene Analyse der Schutzvorgaben der Whistleblower-Richtlinie schon im Hinblick auf die zukünftig gebotene richtlinienkonforme Auslegung der neuen Regelungen von erheblicher Aktualität und Brisanz für das deutsche (Arbeits-) Recht. Da der Gesetzentwurf zudem nicht alle Fallkonstellationen des Whistleblowings abdeckt, bleibt meine umfassende Analyse des bisherigen Kündigungsschutzes für Whistleblower im deutschen Recht weiterhin von direktem praktischen und wissenschaftlichen Nutzen. Im Hinblick auf die Anfertigung dieser Arbeit gilt mein besonderer Dank zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Oliver Mörsdorf, der mich fachlich wie menschlich vertrauensvoll und gewinnbringend zu jeder Zeit meiner Promotionsphase unterstützt und gefördert hat. Herrn Prof. Dr. Stefan Greiner danke ich für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Besonders und ganz herzlich bedanke ich mich bei meinen Eltern, Sieglinde Feldner und Falko Jeuthe, für ihren unverzichtbaren emotionalen wie fachlichen Beitrag in jeder Phase meiner akademischen Ausbildung. Ihr tiefes Vertrauen in meine Fähigkeiten hat mir stets den erforderlichen Rückhalt und Mut für meinen Weg gegeben.
8
Vorwort
Auch meiner Schwester, Jana Feldner, und meinem Schwager, Wolfgang Behl, sowie meinen kleinen Nichten, Lotta und Ella, danke ich von Herzen für ihre wertvolle Begleitung während meiner Promotion. Weiterhin bedanke ich mich bei meinen KollegInnen des Münchener Arbeitsrechts-Teams der Kanzlei Noerr für ihre herausragende fachliche und persönliche Unterstützung während der Erstellung dieser Arbeit. Dabei sind vor allem meine Kollegin Frau Angelika Schmid und mein Kollege Herr Dr. Wolfgang Schelling hervorzuheben, die durch ihre außerordentliche Förderung meines Promotionsvorhabens die Vollendung dieser Dissertation erst möglich gemacht haben. München, im Februar 2023
Laura Feldner
Inhaltsübersicht Teil 1 Einleitung, Gegenstand und Aufbau der Untersuchung
23
Teil 2 Das Phänomen Whistleblowing
27
A. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Sozioökonomischer Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 C. Förderung der Meldebereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
Teil 3 Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower
53
A. Nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 B. Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
Teil 4 Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
100
A. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 C. Gesamtabwägung („zweite Prüfungsebene“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 D. Prozessualer Status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 E. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Teil 5 Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
207
A. Kündigungsschutz für Whistleblower im Lichte der Whistleblower-Richtlinie . . . . . . 208
10
Inhaltsübersicht
B. Umsetzungsaufgaben für den deutschen Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
Teil 6 Fazit und Ausblick
329
Annex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
Inhaltsverzeichnis Teil 1 Einleitung, Gegenstand und Aufbau der Untersuchung
23
Teil 2 Das Phänomen Whistleblowing
27
A. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Sozioökonomischer Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I.
Missstände in der Privatwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Beispiele Steuerhinterziehung und Korruption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Korruption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
II.
2. Gesellschaftlicher Vertrauensverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Instrument effizienter Rechtsdurchsetzung und Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . 38 1. Externes Whistleblowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Internes Whistleblowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3. Enthüllungen in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Gesundheitsgefährdende Missstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
C. Förderung der Meldebereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 I. II.
Abschreckungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Förderansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Direkte und indirekte Anreizfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Förderung im amerikanischen und unionalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Whistleblowingrecht in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 b) Whistleblowingrecht in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
12
Inhaltsverzeichnis Teil 3 Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower
53
A. Nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 I.
Einfaches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
II.
Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Grundrechte des Whistleblowers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 aa) Schutzumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 bb) Meinungsäußerung durch Whistleblower . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 cc) Anonymes Whistleblowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) Staatsbürgerliches Anzeigerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 c) Sonstige Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Grundrechte des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Unternehmerfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Sonstige Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3. Konventionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Bedeutung im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Konventionsrechte des Whistleblowers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 aa) Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 bb) Sonstige Konventionsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 c) Konventionsrechte des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4. Doppelfunktion der Grundrechte des Whistleblowers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
B. Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I.
Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Privatrechtsrelevanz der Unionsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Unionsgrundrechte des Whistleblowers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Sonstige Unionsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3. Unionsgrundrechte des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 a) Unternehmerische Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Sonstige Unionsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4. Konventionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
II.
Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Unionale Regelungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 c) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Inhaltsverzeichnis
13
2. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Auslegung im engeren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 aa) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 bb) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 cc) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 dd) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 ee) Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 ff) Primärrechtskonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Auslegung im weiteren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3. Richtlinie als maßgebliche Handlungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Umsetzungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 aa) Gestaltungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 bb) Transparenzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 cc) Umsetzungsspielraum zur Regelungsintensivierung . . . . . . . . . . . . . . . 92 dd) Überschießende Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Auslegungseinfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 aa) Regelungen im Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 bb) Überschießende Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 c) Grundrechtlicher Kontrollmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 aa) Unional vollständig determiniertes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 bb) Unional nicht vollständig determiniertes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 cc) Unional nicht determiniertes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
Teil 4 Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
100
A. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I. Gesellschaftliche Haltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 II.
Systematik des Kündigungsschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 I.
Fallgruppen der Rücksichtnahmepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Pflicht zur Wahrung des Betriebsfriedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
II.
3. Pflicht zur Vermeidung von Geschäfts- und Rufschädigungen . . . . . . . . . . . . . 109 Gesetzgeberische Auflösung des Interessenkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Einheitliche Kündigungsschutznorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Arbeitsrechtliches Maßregelungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3. Sektor- und bereichsspezifische Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Strafrechtliche Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
14
Inhaltsverzeichnis b) Spezialgesetzliche Schutznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Geschäftsgeheimnisgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 aa) Bedeutung für arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht . . . . . . . . . . 113 bb) Geschäftsgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (1) Fehlende Bekanntheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (2) Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (3) Schutz illegaler Betriebsinterna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (a) Wirtschaftlicher Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (b) Berechtigtes Geheimhaltungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (c) Unionale Schutzvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 (aa) Wortlaut und Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (bb) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (cc) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (dd) Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (ee) Primärrechtskonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (d) Richtlinienkonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 cc) Zulässige Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 (1) Vorrangige Sonderregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 (2) Whistleblowing-Schutznorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (a) Wortlaut und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (b) Historie und Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (c) Richtlinienkonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (aa) Geeignetheit vs. Absicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 (bb) Sonstige Schutzvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 (d) Interessenabwägung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 d) Bewertung des gesetzgeberischen Status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 III. Rechtsprechung zum Whistleblowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Chronologischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 a) Rechtsprechung im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 b) Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) Urteile des BAG aus den Jahren 2003 und 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 d) Urteil des EGMR aus dem Jahr 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 aa) Wesentliche Entscheidungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 bb) Prüfkriterienkatalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 cc) Bedeutung für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 e) Urteile des BAG aus den Jahren 2012 und 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2. Prüfkriterienkatalog der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . 148 a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 aa) Whistleblowing-Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
Inhaltsverzeichnis
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bb) Sachnahe Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (1) Drohung mit Whistleblowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (2) Verwendung von Geschäftsunterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 c) Berechtigung der Meldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 aa) Wissentlich falsche Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 bb) Leichtfertig falsche Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (1) Abstrakter Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (2) Konkretisierung in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 cc) Konventionsrechtliche Schutzvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 d) Motivation des Whistleblowers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 aa) Verwerfliche Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 bb) Berechtigte Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 cc) Mischmotivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 e) Innerbetrieblicher Abhilfeversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Stufenverhältnis zulässiger Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 bb) Konventionsrechtliche Schutzvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 cc) Fallgruppen der Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (1) Gesetzliche Anzeige- oder Meldepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (2) Schwerwiegende Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (3) Arbeitgeber oder gesetzlicher Vertreter als Verursacher . . . . . . . . . 175 (4) Absehbare Erfolglosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (5) Selbstbetroffenheit des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (6) Sonstige Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (a) Von Weisungen zu strafbarem Verhalten bis zur Eigenverursachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (b) Interne Meldekanäle und Meldepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 f) Sonstige Prüfkriterien einer Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 aa) Art und Weise des Whistleblowings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 bb) „Falscher“ Meldeadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (1) Interne Meldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (2) Externe Meldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 g) Öffentliches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 aa) Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Auswirkungen auf die Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3. Bewertung des richterrechtlichen Status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 C. Gesamtabwägung („zweite Prüfungsebene“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. Schaden und Auswirkung der Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II.
Gewicht der Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
III. Verschuldensgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
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Inhaltsverzeichnis IV. Einfluss der Prüfkriterien der „ersten Prüfungsebene“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 V.
Sonstige Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
D. Prozessualer Status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I.
Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
II. Versteckte Maßregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 III. Rechtstatsächliche Auswirkungen eines Kündigungsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 E. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Teil 5 Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
207
A. Kündigungsschutz für Whistleblower im Lichte der Whistleblower-Richtlinie . . . . . . 208 I. Mehrstufiges Richtlinienziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 II.
Harmonisierungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
III. Unionale Regelungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Kompetenzgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 3. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 IV. Umsetzungspflicht in deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 V.
Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Umfasstes Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Verhältnis zu bestehendem Sekundärrecht und nationalen Vorschriften . . . 221 aa) Sektor- und bereichsspezifische Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 bb) Schutz hochsensibler Informationen und Vertrauensverhältnisse . . . . . 222 c) Vorliegen eines Verstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 aa) Rechtswidriges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 bb) Rechtsmissbräuchliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 cc) Begangene und künftige Verstöße sowie Verschleierungsversuche . . . . 227 d) Vorliegen einer Meldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 e) Erweiterung auf Maßnahmen vor und nach der Meldung . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
VI. Umsetzungsvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Schutzvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Berechtigung der Meldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 aa) Wissentlich falsche Meldungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 bb) „Hinreichender Grund zu der Annahme“ der Richtigkeit . . . . . . . . . . . 234 (1) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (2) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Inhaltsverzeichnis
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(3) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 (4) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 (5) Primärrechtskonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 cc) Zukünftige Verstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 b) Motivation des Whistleblowers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 aa) Konventionsrechtliche Schutzvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 bb) Verhältnismäßiger Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 c) Mitteilungswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 aa) Beschränkung auf bestimmte Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (1) Interne Meldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (2) Externe Meldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (3) Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 bb) Meldung an „falsche“ Meldeadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (1) Interne Meldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (2) Externe Meldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 cc) Stufenverhältnis zulässiger Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (1) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (2) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (3) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (4) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (5) Primärrechtskonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (a) Konventionsrechtliche Schutzvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 (b) Verhältnismäßiger Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 dd) Förderung internen Whistleblowings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (1) Staatliche Anreize . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (a) Finanzielle Belohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (b) Pflicht zur Aufklärung anonymer interner Meldungen . . . . . . . 271 (2) Betriebliche Anreize . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 ee) Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 (1) Mittelbare Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 (a) Geeignete Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 (b) Schutz irrender Whistleblower . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (c) Ungeeignete Folgemaßnahmen nach Ablauf der Rückmeldefrist 276 (2) Direkte Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (a) Unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (b) Absehbare Erfolglosigkeit einer externen Meldung . . . . . . . . . . 279 d) Anonymes Whistleblowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 e) Ergänzende Schutzvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 aa) „Notwendigkeit“ der Informationsweitergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
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Inhaltsverzeichnis bb) Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 2. Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 a) Kündigungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 b) Gewährleistung der Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 aa) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (1) Kausalität zwischen Kündigung und Whistleblowing . . . . . . . . . . . 289 (a) Voraussetzungen der Beweislastumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (b) Widerlegung der Kausalitätsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 (2) Kündigungsgrund und Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 bb) Vermeidung einer Abschreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 cc) Schadenskompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 c) Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 VII. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
B. Umsetzungsaufgaben für den deutschen Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 I. Art der Umsetzung – Artikelgesetz vs. Stammgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 II.
Mindestgeltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
III. Zwingende Umsetzungsvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 1. Schutzvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 2. Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 3. Umsetzungsspielraum zur Regelungsintensivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 a) Ausweitung schutzauslösender Meldeadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 aa) Interne Meldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 bb) Externe Meldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 b) Schutz irrender Whistleblower . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 c) Sonstige Regelungsintensivierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 d) Folgen fehlender Regelungsintensivierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 IV. Überschießende Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 1. Ausdehnung auf weitere nationale Rechtsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 a) Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 aa) Drohende Zweiteilung des Schutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 bb) Beeinträchtigung des Gleichheitssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 cc) Folgen einer Mindestumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 b) Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 2. Ausdehnung auf Aufdeckung „sonstigen Fehlverhaltens“ . . . . . . . . . . . . . . . . 326 a) Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 b) Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
Inhaltsverzeichnis
19
Teil 6 Fazit und Ausblick
329
Annex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
Abkürzungsverzeichnis AfD BAG BGH BVerfG bzw. CDU CSU Dax DDR-Regime ders. dies. EGMR EMRK ErwGr. EU EuGH EU-Parlament EUR Euratom EWSA FDP gem. GeschGehG GeschGehRL
GRC HinSchG-E
HUDOC ICIJ i. E. KMU Kommission LAG MDK
Alternative für Deutschland Bundesarbeitsgericht Bundesgerichtshof Bundesverfassungsgericht beziehungsweise Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlich-Soziale Union in Bayern Deutscher Aktienindex Zeit der Deutschen Demokratischen Republik (1949 – 1990) derselbe dieselbe/dieselben Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention Erwägungsgrund Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäisches Parlament Euro Europäische Atomgemeinschaft Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss Freie Demokratische Partei gemäß Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 08. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-Hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung Charta der Grundrechte der Europäischen Union Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, 19. 09. 2022, Deutscher Bundestag Drucksache 20/3442, in einer vom Rechtsausschuss geänderten Fassung, Beschlussempfehlung und Bericht vom 14. 12. 2022, Deutscher Bundestag Drucksache 20/4909 Human Rights DOCumentation (Datenbank des EGMR) Internationales Netzwerk Investigativer Journalisten im Ergebnis Kleine und mittlere Unternehmen Europäische Kommission Landesarbeitsgericht Medizinischer Dienst der Krankenkassen
Abkürzungsverzeichnis Mio. Mitgliedstaaten Mrd. NSA NS-Diktatur o. D. o. S. Rat sog. SPD st. Rspr. u. u. a. Unionsrecht USA USD v. VDW Verf. V-WBRL WBRL Ziff.
21
Millionen Mitgliedstaaten der Europäischen Union Milliarden National Security Agency Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland (1933 – 1945) ohne Datum ohne Seite Rat der Europäischen Union sogenannte/r/s Sozialdemokratische Partei Deutschlands ständige Rechtsprechung und und andere Recht der Europäischen Union United States of America US-Dollar vom Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V. Verfasserin Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, 23. 04. 2018, 2018/0106(COD) Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden Ziffer
Im Übrigen wird verwiesen auf Kirchner, Hildebert (Begr.), Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 10. Auflage, 2021.
Teil 1
Einleitung, Gegenstand und Aufbau der Untersuchung Spätestens seit den Enthüllungen Edward Snowdens im Jahr 2013 über Überwachungs- und Spionagetätigkeiten amerikanischer und britischer Geheimdienste, die hierzulande die sog. NSA-Affäre auslösten,1 ist das Phänomen „Whistleblowing“ in der Öffentlichkeit angekommen und Gegenstand zahlreicher Diskussionen über die Aufdeckung gemeinschädlicher Praktiken staatlicher Stellen oder privater Unternehmen. Während die breite Bevölkerung bei dem Begriff „Whistleblower“2 daher wohl in erster Linie an Snowden sowie vielleicht noch an Chelsea Manning (vormals Bradley Manning), die der von dem bekannten Investigativ-Journalisten Julian Assange betriebenen Enthüllungsplattform WikiLeaks im Jahr 2010 unter anderem zahlreiche vertrauliche Informationen über mutmaßliche Kriegsverbrechen der amerikanischen Streitkräfte im Irakkrieg zuspielte,3 oder aus aktuellem Anlass an Frances Haugen, die der Facebook Inc. jüngst öffentlich allgemeingefährdende Praktiken aus Profitsucht vorwarf,4 denken dürfte, werden die meisten Menschen selbst öffentlichkeitsintensive Skandale wie etwa „Lux Leaks“ oder „Panama Papers“ schon kaum mehr mit Whistleblowern in Verbindung bringen. Zudem dürfte die Aufdeckung von Missständen außerhalb solch spektakulärer Enthüllungen, bei denen die Sympathie regelmäßig noch auf Seiten des Whistleblowers liegen wird, in kleineren Zusammenhängen, etwa bei Rechtsverstößen in mittelständischen Unternehmen, durchaus eine ambivalente Empfindung auslösen – einerseits Zuspruch zum Bekanntwerden etwa gemeinschädlicher rechtswidriger oder gar strafbarer Handlungen, andererseits (aber auch) Ablehnung eines solchen „undankbaren und unsolidarischen Denunziantentums“ gegenüber dem eigenen Arbeitgeber oder Kollegen. Der potenzielle Nutzen und Mehrwert des Whistleblowings zur Stabilität und Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung und des gemeinschaftlichen Miteinanders sowie die dem Whistleblower drohenden Repressalien, etwa sein Arbeitsplatzverlust oder seine strafrechtliche Verfolgung wie im Fall der Whistleblower 1
Vgl. hierzu etwa Redder, WB, S. 33; Heide/Heide, WB, S. 4; Niesen, in: Spiegel v. 16. 02. 2017. 2 Zur besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit die männliche Form für die Bezeichnungen bestimmter Personen oder Personengruppen verwendet – natürlich ist aber die weibliche Form sowie jede andere Art von Geschlechteridentität stets mitumfasst. 3 Etwa Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12; Sterz, in: Deutschlandfunk v. 21. 10. 2020; Leyendecker, in: SZ v. 06. 08. 2013; Handelsblatt, Artikel v. 04. 06. 2013. 4 Für viele Havertz, in: ZeitOnline v. 05. 10. 2021; Beutelsbacher/Meyer, in: Welt v. 05. 10. 2021.
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Teil 1: Einleitung, Gegenstand und Aufbau der Untersuchung
Snowden und Manning, treten in der öffentlichen Wahrnehmung schnell in den Hintergrund und sind vielen Menschen nicht bewusst. Auf internationaler Ebene wird allerdings bereits seit Jahren durch verschiedene Organisationen, Interessenvertretungen und auch in transnationalen Abkommen nachdrücklich auf die besondere Bedeutung des Whistleblowings für die Bekämpfung großer wie kleiner Missstände im staatlichen wie im privaten Sektor und für die Stabilität und Transparenz der Demokratie und des Rechtsstaates hingewiesen und ein besserer Schutz durch gesetzliche Regelungen gefordert, um Abschreckungsfaktoren und Meldehemmnisse abzubauen.5 Auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wurde die Thematik des Whistleblowings in den vergangen Jahren bereits aus unterschiedlichsten Perspektiven näher beleuchtet.6 Die am 16. 12. 2019 in Kraft getretene Richtlinie des Europäischen Parlaments (EU-Parlament) und des Rates der Europäischen Union (Rat) zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, sog. Whistleblower-Richtlinie (WBRL),7 gibt aktuell konkreten Anlass zu einer vertieften Hintergrundbeleuchtung und Standortbestimmung des Umgangs mit dem Phänomen Whistleblowing im deutschen und unionalen Recht. Es stellt sich die Frage nach dem konkreten Nutzen des Whistleblowings, der diese besondere „Schutzinitiative“ rechtfertigt sowie nach dem bisherigen deutschen Schutzniveau für Whistleblower und den Auswirkungen auf diesen Status quo durch die verpflichtende Umsetzung der WBRL in nationales Recht. Diese Untersuchung ist umso mehr von aktueller Brisanz, als ihre Umsetzung an sich bis zum 17. 12. 2021 erfolgen muss, aber das Gesetzgebungsverfahren aufgrund von Differenzen in der derzeit (noch) kommissarisch amtierenden Bundesregierung im April 2021 ins Stocken geriet und aufgrund der Bundestagswahl im September 2021 beendet wurde, wodurch der Umsetzungsprozess vorerst zum Stillstand gekommen ist.8 Insbesondere vor dem Hintergrund jüngster Wirtschaftsskandale wie „WilkeWurst“ oder „Wirecard“,9 die hierzulande den Ruf nach einem stärkeren „Einsatz“ von Whistleblowern zur rechtzeitigen Aufdeckung illegaler Praktiken in privaten Unternehmen (wieder) lauter werden ließen, beschränkt sich der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit dabei auf das Whistleblowing eines Arbeitnehmers in der Privatwirtschaft und seinen Schutz vor einer hierdurch veranlassten Kündigung. Unter Zugrundelegung des Arbeitnehmerbegriffs im Sinne des § 611a Abs. 1 S. 1 BGB werden daher in persönlicher Hinsicht nur Personen erfasst, die durch einen 5
Vgl. hierzu etwa Fischer-Lescano, AuR 2016, 4, 7 ff.; Forst, EuZA 2013, 37, 44 ff.; Reufels, in: FS Moll, S. 565, 566 f.; Siemes, WBRL, S. 44; DGB, Stellungnahme v. 05. 07. 2018, S. 2; CoE, CM/Rec(2014)7; PACE, Resolution 1729 (2010). 6 Etwa aus verfassungsrechtlicher (Redder, WB (2020)), rechtsvergleichender (Gerdemann, WB (2018)) oder gesellschaftlich-rechtsstaatlicher Perspektive (Kreis, WB (2017)). 7 Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden. 8 Für viele Gloeckner/Metzner, CCZ 2021, 256; Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 432; Siemes, WBRL, S. 123; SZ, Artikel v. 28. 04. 2021. 9 Vgl. hierzu noch in Teil 2, B.I.
Teil 1: Einleitung, Gegenstand und Aufbau der Untersuchung
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Arbeitsvertrag „im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet [werden]“.10 Gerade der Verlust ihres Arbeitsplatzes stellt einen zentralen Abschreckungsfaktor für meldewillige Arbeitnehmer dar und der Schutz vor dieser besonders einschneidenden Maßnahme ist deshalb auch ein wesentliches Anliegen der WBRL. Nachfolgend wird zunächst zur allgemeinen Einbettung eine generelle Begriffsbestimmung des Phänomens „Whistleblowing“ bzw. „Whistleblower“ vorgenommen (Teil 2, A.). Die anschließende Untersuchung des sozioökonomischen Nutzens des Whistleblowings als Hintergrund der durch die WBRL forcierten Schutzinitiative erfolgt hingegen entsprechend des eingegrenzten Untersuchungsgegenstandes nur im Hinblick auf die Privatwirtschaft (Teil 2, B.), während die Einordnung des betrachteten Kündigungsschutzes als Mittel zum Abbau von Meldehemmnissen zum besseren Verständnis in das Verhältnis zu anderen Anreizfaktoren gestellt wird (Teil 2, C.). Eine Darstellung der Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower im nationalen einfachen Recht und Verfassungsrecht sowie im unionalen Primär- und Sekundärrecht einschließlich ihrer jeweiligen Bezüge zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) wird „vor die Klammer gezogen“ (Teil 3, A. und Teil 3, B.), um auf diese dogmatisch-rechtssystematischen Erkenntnisse in den nachfolgenden Untersuchungen zurückgreifen zu können. Die Analyse und Bewertung des bisherigen Status quo des deutschen Kündigungsschutzes für Whistleblower in der Privatwirtschaft beginnt mit einem kurzen Blick auf die hiesige gesellschaftliche Haltung ihnen gegenüber (Teil 4, A.I.) und auf die Systematik des nationalen Kündigungsschutzrechts (Teil 4, A.II.). Sodann befasst sie sich eingehend mit der in erster Linie für den Kündigungsschutz eines Whistleblowers maßgeblichen Zulässigkeit seines Whistleblowings (Teil 4, B.), wobei hier neben nur sektor- und bereichsspezifischen gesetzlichen Regelungen (Teil 4, B.II.) die von der Rechtsprechung entwickelten Ansätze und Prüfkriterien im Mittelpunkt stehen (Teil 4, B.III.). Nach Erörterung der Gesamtabwägung auf zweiter Ebene der Rechtmäßigkeitsprüfung einer Kündigung (Teil 4, C.) und der prozessualen Situation des Whistleblowers im Kündigungsschutzverfahren (Teil 4, D.) werden die so gefundenen Erkenntnisse zum bisherigen nationalen Kündigungsschutzniveau in einem zweiten Schritt mittels einer Auseinandersetzung mit deren Richtlinienziel, Harmonisierungsgrad, Rechtsetzungsgrundlagen, Umsetzungsbefehl und Anwendungsbereich (Teil 5, A.I. – Teil 5, A.V.) sowie ihren einzelnen Schutzvoraussetzungen und Schutzmaßnahmen (Teil 5, A.VI.) an den unionsrechtlichen Umsetzungsvorgaben der WBRL gemessen. Dadurch lassen sich die anstehenden Auswirkungen und Veränderungen im deutschen Recht aufzeigen und zudem konkrete Vorschläge für die unmittelbar bevorstehende Umsetzung der WBRL in deutsches Recht herleiten, die anschließend nochmals zusammengefasst (Teil 5, B.I. – Teil 5, B.III.) und um Empfehlungen zu einer überschießenden Umsetzung ergänzt werden (Teil 5, B.IV.). Abgeschlossen wird die vorliegende Un10 Vgl. hierzu für viele etwa ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 8 ff.; Jauernig/Mansel, § 611a BGB, Rn. 3 ff.
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Teil 1: Einleitung, Gegenstand und Aufbau der Untersuchung
tersuchung mit einem Fazit und Ausblick (Teil 6), bei dem insbesondere der offene Ausgang des neu einzuleitenden Gesetzgebungsverfahrens durch die künftige Bundesregierung angesprochen wird.
Teil 2
Das Phänomen Whistleblowing Unbeschadet der vorliegenden Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes bedarf es zunächst einer terminologischen Verortung des inzwischen allgegenwärtigen Phänomens des „Whistleblowings“. Erst danach ist der Frage seines sozioökonomischen Nutzens und der Notwendigkeit seines gesetzgeberischen Schutzes bzw. seiner gesetzgeberischen Förderung nachzugehen.
A. Begriffsbestimmung Der Begriff „Whistleblowing“ bzw. „Whistleblower“ entstammt dem angloamerikanischen Sprach- und Rechtsraum.1 Er ist im deutschen Recht weder legaldefiniert noch existiert in der rechtswissenschaftlichen Literatur eine einheitliche Begriffsbestimmung. Trotz zahlreicher ambitionierter Versuche der Übersetzung,2 hat sich im deutschen Sprachraum auch kein wirklich treffendes Begriffspendant gefunden. Am ehesten könnte zwar auf die Übersetzung des „Alarmschlagens“ oder „Hinweisgebens“ zurückgegriffen werden; der Begriff Whistleblowing hat sich aber zum einen auch hierzulande mittlerweile im (rechtswissenschaftlichen) Sprachgebrauch etabliert und zum anderen ist nicht der Begriff selbst, sondern das damit umschriebene Verhalten maßgeblich.3 Der Begriff des Whistleblowings hat sich in den letzten Jahren dynamisch und anpassungsfähig gezeigt und umfasst inzwischen weit mehr als die „klassische“ Fallkonstellation eines Arbeitnehmers, der illegale Verhaltensweisen seines Arbeitgebers bei einer (zuständigen) Behörde oder der Presse anzeigt, um eine
1
Für viele etwa und jeweils m. w. N. Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 194; Müller, NZA 2002, 424, 426; Gerdemann, WB, Rn. 3; Redder, WB, S. 26; Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111 f. 2 Beispielhaft etwa Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1498; Rottenwallner, VR 2020, 189, 190; Bauschke, öAT 2019, 250; Ullrich, NZWiSt 2019, 65; Eufinger, NZA 2017, 619; Simon/ Schilling, BB 2011, 2421; Müller, NZA 2002, 424, 426 („Pfeifer/Pfeifenbläser“, „Aufpasser“, „Schiedsrichter“ oder auch „Abpfeifer“). 3 Daher verwendet auch die vorliegende Arbeit statt eines deutschen Begriffspendants ebenfalls den Begriff „Whistleblowing“ bzw. „Whistleblower“ (Person, die „Whistleblowing“ betreibt).
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Teil 2: Das Phänomen Whistleblowing
Rechtsverfolgung und Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes zu erreichen.4 Diese Begriffsdefinition ist insgesamt zu eng, weil sie nicht die Realität widerspiegelt und ihr überdies häufig eine unrealistisch-idealistische Vorstellung eines moralisch einwandfrei und allein altruistisch handelnden Arbeitnehmers zugrunde liegt. Richtigerweise beschreibt der Begriff Whistleblowing aber allgemein die Mitteilung einer Person an betriebsinterne Stellen oder externe Adressaten, etwa Behörden oder die breite Öffentlichkeit, über vorhandene oder potenzielle Missstände, das heißt illegales oder unethisches Fehlverhalten, von denen sie im Zuge ihrer Arbeitstätigkeit Kenntnis erlangt hat.5 Der Begriff ist mithin denkbar weit – jede Person kann ganz unabhängig von ihrer gesellschaftlichen oder beruflichen Position zum Whistleblower werden.6 Whistleblowing setzt weder ein Handeln aus altruistischen oder redlichen Motiven voraus7 noch muss es sich bei der meldenden Personen zwingend um einen abhängig beschäftigten Arbeitnehmer des betroffenen Unternehmens handeln.8 Vielmehr umfasst der Begriff auch eine Meldung von Missständen aus unredlichen Motiven, also zum Beispiel aus Rache am Arbeitgeber oder reiner Schädigungsabsicht, oder etwa durch einen selbständigen Lieferanten, der mit dem betroffenen Unternehmen zusammenarbeitet und im Zuge dieser Tätigkeit von den später gemeldeten Missständen erfährt. Es reicht also, dass der Meldende von den Missständen in seinem Arbeitsumfeld Kenntnis erlangt. Des Weiteren ist das Phänomen des Whistleblowings nicht auf Missstände in der Privatwirtschaft beschränkt, sondern kann auch den staatlichen Bereich erfassen, wie die bereits erwähnten Fälle der Whistleblower Snowden oder Manning oder auch des deutschen Staatsbediensteten Erwin Bixler zeigen, der im Jahr 1998 als Revisor beim Landesarbeitsamt Rheinland4 Vgl. zu einer solchen Begriffsdefinition des Whistleblowings BeckOK-ArbR/Stoffels, § 626 BGB, Rn. 128; LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 553; KR-KSchG/Rachor, § 1 KSchG, Rn. 462; BeckOK-BGB/Plum, § 626 BGB, Rn. 21; Eufinger, NZA 2017, 619; Stück, CCZ 2013, 224; Müller, NZA 2002, 424, 426. 5 So oder sehr ähnlich etwa SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 1; NK-ArbR/Frieling, Art. 5 GG, Rn. 25; MAH-ArbR/Dendorfer-Ditges, § 35, Rn. 128; Khan/Howe, Journal of Business Ethics 2021, 325, 326; Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1498; Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 423; Krause, SR 2019, 138; Johnson, CCZ 2019, 66; Bauschke, öAT 2019, 250; Richter, ArbRAktuell 2018, 433; Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 116; Zimmermann, ArbRAktuell 2012, 58; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 194; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 659; Hauser/Hergovits/Blumer, WB-Report 2019, S. 78; CoE, CM/ Rec(2014)7, S. 6, lit. a; noch weitergehend Simon/Schilling, BB 2011, 2421; Gerdemann, WB, Rn. 4; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 19, die jeweils keinen Bezug zur Tätigkeit des Whistleblowers für die Kenntnis von Missständen voraussetzen. 6 DDZ/Däubler, § 1 KSchG, Rn. 727. 7 Vgl. auch Rottenwallner, VR 2020, 189, 194; Zimmermann, ArbRAktuell 2012, 58; Gerdemann, WB, Rn. 4; Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 112; a. A. Redder, WB, S. 28 f. 8 So auch Rottenwallner, VR 2020, 189, 191; Schmolke, ZGR 2019, 876, 881; Johnson, CCZ 2019, 66; Gerdemann, WB, Rn. 4; Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 113; a. A. Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 1; Redder, WB, S. 26.
A. Begriffsbestimmung
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Pfalz/Saarbrücken manipulierte Vermittlungsraten von Arbeitslosen an das Bundesarbeitsministerium meldete.9 Whistleblowing kann neben Rechtsverstößen auch Verstöße gegen Moral- und Wertvorstellungen betreffen, so dass der Begriff des Missstandes letztlich jede Form des Verstoßes gegen unsere gesellschaftlichen „Spielregeln“ umfasst.10 Auch die Verhaltensweisen, die als Meldung11 angesehen werden können, sind denkbar vielseitig und nicht abstrakt und abschließend bestimmbar; eine solche dürfte unter Beachtung des jeweiligen Gesamtkontextes und Schwerpunktes einer Äußerung immer dann vorliegen, wenn (auch) bestimmte Sachverhalte, also konkrete, überprüfbare Tatsachen, über Missstände und nicht allein reine Meinungen über betriebliche Zustände oder den Arbeitgeber als Person oder das Unternehmen als solches mitgeteilt oder sonst offenbart und weitergegeben werden12 oder wenn sich unter Wahrung einer gewissen (privaten) Vertraulichkeit nur „ratsuchend“ an eine staatliche Stelle, einen Kollegen oder sonst einen Adressaten gewandt wird.13 Adressat einer Meldung kann sowohl eine betriebsinterne Stelle sein, zum Beispiel der Arbeitgeber oder dessen gesetzlicher Vertreter, als auch ein etwaiger externer Ansprechpartner, wie die Strafverfolgungsbehörden, eine sonstige staatliche Stelle oder die breite Öffentlichkeit.14 Je nach Adressat handelt es sich um sog. internes oder
9 Vgl. hierzu Falter, in: Transparency, Scheinwerfer, S. 10, 11; vgl. zum Whistleblowing im öffentlichen Dienst auch etwa Prantl, in: SZ v. 12. 08. 2014. 10 Vgl. auch SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 1; LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 553; Rottenwallner, VR 2020, 189, 191; Schmolke, ZGR 2019, 876, 880; Johnson, CCZ 2019, 66; Simon/Schilling, BB 2011, 2421; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 194; Müller, NZA 2002, 424, 426; Gerdemann, WB, Rn. 4; Hauser/Bretti-Rainalter/Blumer, WB-Report 2021, S. 118 f.; a. A. BeckOK-ArbR/Joussen, § 612a BGB, Rn. 15a; NK-ArbR/Frieling, Art. 5 GG, Rn. 25; Eufinger, NZA 2017, 619. 11 Statt von einer „Meldung“ wird in der Literatur oder Rechtsprechung auch von einer „Mitteilung“ oder „Anzeige“ von Missständen gesprochen – hierbei handelt es sich in der Regel allein um eine terminologische Feinheit; in dieser Arbeit wird primär der Begriff „Meldung“ bzw. „melden“ verwendet. 12 Vgl. insoweit etwa BAG, Urteil v. 05. 12. 2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 646, 654, Rn. 92 ff.; ähnlich BAG, Urteil v. 31. 07. 2014 – 2 AZR 505/13, NZA 2015, 245, 251, Rn. 64; vgl. so auch Rottenwallner, VR 2020, 189, 196. 13 Vgl. hierzu etwa HWK/Thüsing, § 611a BGB, Rn. 534; KR-KschG/Fischermeier, § 626 BGB, Rn. 120, 431; DDZ/Däubler, § 1 KSchG, Rn. 753; in diese Richtung, aber i. E. offenlassend LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 07. 11. 2013 – 10 Sa 1230/13, juris, Rn. 40 f.; a. A. noch LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 20. 10. 1976 – 6 Sa 51/76, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8. 14 Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 1; NK-ArbR/Frieling, Art. 5 GG, Rn. 25; MAH-ArbR/Dendorfer-Ditges, § 35, Rn. 127; Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29; Rottenwallner, VR 2020, 189, 193; Schmolke, ZGR 2019, 876, 881; Bauschke, öAT 2019, 250; Eufinger, NZA 2017, 619; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 194; Müller, NZA 2002, 424, 426; Redder, WB, S. 29 f.; Gerdemann, WB, Rn. 5; ungenau BeckOK-ArbR/Stoffels, § 626 BGB, Rn. 128; Stück, CCZ 2013, 224, die jeweils nur von einer Meldung an die „Öffentlichkeit“ sprechen.
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Teil 2: Das Phänomen Whistleblowing
externes Whistleblowing.15 Letzteres wird – insbesondere bei einer Meldung an die Presse oder sonstige Medien – auch als „Flucht in die Öffentlichkeit“ bezeichnet.16 Irrelevant ist zudem, ob die Meldung anonym oder namentlich erfolgt.17 Nach dieser weiten Begriffsbestimmung können die unter Whistleblowing fallenden Fallkonstellationen zahlreich und vielgestaltig sein. Nicht jedoch dazu gehören solche Handlungen, die selbst keine Meldung von Missständen sind, sondern nur damit im Zusammenhang stehen, wie etwa die vorbereitende Beschaffung oder Sammlung belastender Unterlagen oder die sich an die Meldung anschließende Aussage als Zeuge in einem durch das Whistleblowing ausgelösten behördlichen Ermittlungsverfahren. Aufgrund des vorliegend auf den Kündigungsschutz für Missstände meldende Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft begrenzten Untersuchungsgegenstandes wird der Begriff „Whistleblowing“ bzw. „Whistleblower“ unbeschadet dieses grundsätzlich umfassenden Begriffsverständnisses nachfolgend allein auf diese Fallkonstellation bezogen.
B. Sozioökonomischer Nutzen In der rechtswissenschaftlichen Debatte scheint der sozioökonomische Nutzen des Whistleblowings häufig als gegeben angesehen und dessen Förderung deshalb unstreitig als notwendig unterstellt zu werden.18 Die Untersuchung seines tatsächlichen Nutzens ist aber zwingende Voraussetzung und Grundlage dieser Debatte, weil sich ohne einen sozialen, gesellschaftlichen, rechtstaatlichen oder wirtschaftlichen Mehrwert des Whistleblowings ein Bedarf für eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Phänomen nicht ergibt. Deshalb wird in der vorliegenden Arbeit ein solcher Mehrwert im Hinblick auf die Privatwirtschaft (näher) untersucht und hierbei unter anderem auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Veröffentlichungen anderer Fachdisziplinen, etwa der Wirtschafts- und Politikwissenschaft sowie Medienberichte zurückgegriffen.
15 Für viele Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 1; MAH-ArbR/Dendorfer-Ditges, § 35, Rn. 128; Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1498; Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29; Schmolke, ZGR 2019, 876, 882; Eufinger, NZA 2017, 619; Bauschke, öAT 2019, 250; Gerdemann, WB, Rn. 5. 16 Etwa MüHdb-ArbR/Reichold, § 55, Rn. 20; NK-ArbR/Frieling, Art. 5 GG, Rn. 25; Bauschke, öAT 2019, 250 („Going Public“); ders., öAT 2012, 271, 272. 17 Rottenwallner, VR 2020, 189, 192; Gerdemann, WB, Rn. 5; Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 119. 18 Etwa Schmolke, ZGR 2019, 876, 879; Fischer-Lescano, AuR 2016, 4; Leuchten, ZRP 2012, 142; Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 329.
B. Sozioökonomischer Nutzen
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I. Missstände in der Privatwirtschaft Der sozioökonomische Nutzen des Whistleblowings kann aufgrund der Komplexität dieses Phänomens indes nicht anhand bestimmter positiver Effekte oder gar weniger Zahlen dargestellt werden. Er lässt sich vielmehr umgekehrt – wenn auch hier nicht umfassend und abschließend – am besten mittels einer beispielhaften Betrachtung bestehender Missstände in der Privatwirtschaft und deren sozioökonomischen Folgen deutlich machen, die durch Whistleblowing aufgedeckt, geahndet und idealerweise langfristig verhindert werden könnten. Die Liste der Missstände in der privaten Wirtschaft, die zu finanziellen Einbußen, aber auch zu Nachteilen für vitalere Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit führten, lässt sich Jahr für Jahr erweitern. Als Beispiele der jüngeren Vergangenheit seien die schon erwähnten aktuellen „Facebook-Enthüllungen“ der Whistleblowerin Haugen über (angeblich) profitgetriebene Geschäftspraktiken, insbesondere zulasten des seelischen und körperlichen Wohlbefindens junger Menschen,19 sowie der im Jahr 2020 die Finanzwelt erschütternde „Wirecard-Skandal“ um den (bisher) im Dax gelisteten Zahlungsdienstleister Wirecard AG aus Aschheim bei München, der zu einem Milliardenschaden bei Anlegern und einer weltweiten Blamage des gesamten Finanzstandortes Deutschland geführt hat,20 und der „Wilke-Wurst-Skandal“ um die inzwischen geschlossene nordhessische Wurstfabrik Wilke Waldecker Fleisch- und Wurstwaren GmbH & Co. KG und ihre listerienverseuchten Wurstwaren aus dem Jahr 201921 genannt. Die Quantifizierung von Wirtschaftsskandalen und Wirtschaftskriminalität ist aufgrund ihrer Vielseitigkeit, ihrer zahlreichen direkten und indirekten Folgen, etwa auch für die Umwelt oder das Vertrauen der Bevölkerung in rechtmäßiges Wirtschafts- und Staatshandeln, und auch aufgrund ihrer hohen Dunkelziffer schwer möglich.22 Deutlich wird dies etwa anhand des allseits bekannten „Dieselskandals“ (auch „Dieselgate“).23 Seine Auswirkungen waren nicht 19
Vgl. hierzu die Quellenangaben in Teil 1 Fn. 4. Die Wirecard AG hatte ihre Bilanzen durch „Luftbuchungen“ in Höhe von circa EUR 1,9 Mrd. „geschönt“ und so einen Schaden für Kreditinstitute und Kleinanleger in Höhe von schätzungsweise bis zu EUR 3,2 Mrd. verursacht, wodurch der gesamte Finanzstandort Deutschland mitsamt seinen Finanzinstituten, Aufsichtsbehörden, Politikern und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften erheblich blamiert wurde, vgl. hierzu Holtermann, in: Handelsblatt v. 17. 09. 2020; ZeitOnline, Artikel v. 28. 08. 2020; Neuhaus, in: Handelsblatt v. 25. 06. 2020; vgl. auch Cappel, Newsdienst Compliance 2020, 120005, o. S. 21 Die unhygienischen Zustände in der Wurstfabrik kosteten mindestens zwei Menschen das Leben und gefährdeten zahlreiche weitere Personen in ihrer Gesundheit, vgl. hierzu Koerth, in: Spiegel v. 28. 10. 2019; Liebrich, in: SZ v. 10. 10. 2019; Terpitz, in: Handelsblatt v. 09. 10. 2019. 22 Vgl. etwa auch HdB-WiStrafR/Bannenberg, 13. Kap., Rn. 22, 24, 28. 23 Im Jahr 2015 kamen Manipulationen bei den Abgaswerten von Dieselfahrzeugen mittels einer Motorsteuerungssoftware durch die Volkswagen AG zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben an die Öffentlichkeit; außerhalb des Prüfstandes – also im öffentlichen Verkehr – schieden die Fahrzeuge tatsächlich deutlich höhere Emissionen aus: diese systematische Manipulation von Emissionswerten betraf letztlich nicht nur die Volkswagen AG, sondern 20
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Teil 2: Das Phänomen Whistleblowing
nur wirtschaftlicher Natur,24 sondern schlugen sich daneben sowohl im Bereich des Umwelt- und Gesundheitsschutzes25 als auch im Vertrauen der Bevölkerung in die Automobilindustrie26 und in das Funktionieren des Rechtsstaates und seiner Institutionen27 negativ nieder. Trotz der erkennbar praktischen Schwierigkeiten bemühen sich wissenschaftliche Untersuchungen und Studien um einen fundierten Überblick und eine Bezifferung der Missstände und ihrer sozioökonomischen Auswirkungen. Laut des sog. Whistleblowing-Reports, einer von der EQS Group AG gemeinsam mit der Fachhochschule Graubünden bereits mehrfach durchgeführten repräsentativen Studie zu internen Meldestellen für Whistleblower, hatten im Jahr 2020 etwa 37 % und im Jahr 2018 etwa 43 % der befragten deutschen Unternehmen mit Missständen zu kämpfen, durch die allein für 26,9 % (2020) und 17,8 % (2018) dieser Unternehmen ein Gesamtschaden28 von jeweils mehr als EUR 100.000 verursacht worden ist, wobei hiervon insbesondere große Unternehmen mit mehr als 249 Mitarbeitern betroffen waren.29
weitere Automobilkonzerne (zum Beispiel Audi AG); vgl. hierzu m. w. N. Koch/Hofmann/ Reese-UmweltR/Mielke/Pache/Verheyen, § 14, Rn. 60; Bratzel, Abgasskandal, S. 6 f.; Rechnungshof der EU, Diesel-Skandal, S. 13. 24 Hierunter fallen sowohl unmittelbare (zum Beispiel Schadenersatz- oder Bußgeldzahlungen der Automobilkonzerne) als auch mittelbare wirtschaftliche Folgen und Kosten (zum Beispiel Steuereinbußen des Fiskus, Wertminderung von Dieselfahrzeugen); vgl. insoweit etwa für Bußgelder Rechnungshof der EU, Diesel-Skandal, S. 21; für geschätzte Steuerverluste in Höhe von EUR 1,2 Mrd. nur für das Jahr 2016 wegen zu niedriger KfZ-Steuer Mühlauer, in: SZ v. 10. 03. 2018; für direkte und indirekte Kosten der Volkswagen AG selbst Bratzel, Abgasskandal, S. 11 f. 25 Koch/Hofmann/Reese-UmweltR/Mielke/Pache/Verheyen, § 14, Rn. 58 f., 197 ff.; Faßbender, NJW 2017, 1995, 1996 ff.; Rechnungshof der EU, Diesel-Skandal, S. 7 ff. 26 Ernst, ZUR 2018, 125; Faßbender, NJW 2017, 1995, 1996; Bratzel, Abgasskandal, S. 19 ff.; mit deutlichen Worten zur Sittenwidrigkeit des Handelns der Autobauer OLG Koblenz, Urteil v. 12. 06. 2019 – 5 U 1318/18, NJW 2019, 2237, 2240, Rn. 41 ff. (bestätigt durch BGH, Urteil v. 25. 05. 2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, 1963, Rn. 16). 27 Ernst, ZUR 2018, 125; Bratzel, Abgasskandal, S. 21 ff. 28 Als Gesamtschaden werden alle „finanziellen Aufwendungen für die Unternehmen, die aufgrund der Missstände direkt oder im Zuge deren Aufdeckung und Aufarbeitung entstanden sind, inklusive sämtlicher materieller und immaterieller Konsequenzen“ definiert, Hauser/ Hergovits/Blumer, WB-Report 2019, S. 14; ähnlich Hauser/Bretti-Rainalter/Blumer, WBReport 2021, S. 18. 29 Hauser/Bretti-Rainalter/Blumer, WB-Report 2021, S. 15, 18 f. (Gesamtschaden in Höhe von EUR 10.000 – 99.999 für 30,6 %, EUR 1.000 – 9.999 für 18,5 %, EUR 1 – 999 für 12,0 %, EUR 0 für 12,0 %); Hauser/Hergovits/Blumer, WB-Report 2019, S. 11, 14 f. (Gesamtschaden in Höhe von EUR 10.000 – 99.999 für 28,9 %, EUR 1.000 – 9.999 für 19,7 %, EUR 1 – 999 für 15,8 %, EUR 0 für 17,8 %).
B. Sozioökonomischer Nutzen
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1. Beispiele Steuerhinterziehung und Korruption Das Ausmaß der Missstände für unsere Volkwirtschaft soll anhand zweier repräsentativ ausgewählter und branchenübergreifend auftretender Missstände mittels studienbasierter Zahlen besser (be)greifbar gemacht werden, nämlich anhand der Steuerhinterziehung, die begrifflich die „Steuerverkürzung“ und die „Steuervermeidung“ umfasst,30 und anhand der Korruption31 auf europäischer und nationaler Ebene. Dabei können die nachfolgenden Zahlen, die auf wissenschaftlichen Schätzungen bzw. Hochrechnungen beruhen oder das Ergebnis repräsentativer Umfragen und Erhebungen sind,32 natürlich nur einen Überblick geben. Eine Darstellung der tatsächlich verursachten Schäden ist nicht zuletzt aufgrund der hohen Dunkelziffer dieser „Heimlichkeitsdelikte“ praktisch nicht möglich.33 a) Steuerhinterziehung Die Zahlen zu Schäden durch Steuerhinterziehung beziffern nur die direkten finanziellen Einbußen der jeweiligen Staatskasse. Der gesamtgesellschaftliche Schaden ergibt sich zusätzlich aus dem damit verbundenen Investitionsstau sowie aus der ungleichen Steuerbelastung rechtstreuer und illegal agierender Unternehmen, was zu Wettbewerbsverzerrungen (auch) über nationale Grenzen hinweg führt.34 Seit 30 „Steuerverkürzung“ ist insbesondere die Nichtzahlung von Steuern aufgrund einer strafbaren Handlung im Sinne des § 370 AO, „Steuervermeidung“ beschreibt hingegen das Ausnutzen legaler Steuerlücken zur Steuerersparnis, vgl. WDBT, Steuervermeidungsmodelle, S. 4 ff.; mangels insoweit allgemeingültiger und feststehender Begriffsdefinitionen wird auch auf die Begriffsverwendungen der jeweiligen Quellen und Studien verwiesen. 31 „Korruption“ beschreibt nach BKA, Bundeslagebild Korruption 2019, S. 4 grundsätzlich den „Missbrauch eines öffentlichen Amtes, einer Funktion in der Wirtschaft oder eines politischen Mandats zugunsten eines anderen, auf dessen Veranlassung oder Eigeninitiative, zur Erlangung eines Vorteils für sich oder einen Dritten, mit Eintritt oder in Erwartung des Eintritts eines Schadens oder Nachteils für die Allgemeinheit (in amtlicher oder politischer Funktion) oder für ein Unternehmen (betreffend Täter als Funktionsträger in der Wirtschaft)“; vgl. auch HdB-WiStrafR/Bannenberg, 13. Kap., Rn. 4 f.; Enste, APuZ 2021, 28, 29; ders., IWKurzbericht 54/2019, o. S.; EPRS, Kosten Korruption, S. 8. 32 Den Studien und Umfragen können die jeweils zugrundgelegten Berechnungsmethoden und/oder erhobenen (repräsentativen) Daten, die zum jeweiligen Ergebnis geführt haben, entnommen werden, etwa EPRS, Corporate Tax Planning, S. 4, 41 ff. (Annexes); PolDepBudg., Panama Papers, S. 19 ff.; Murphy, European Tax Gap, S. 16 ff.; BKA, Bundeslagebild Korruption 2019, S. 4; BKA, Bundeslagebild Korruption 2018, S. 2. 33 Vgl. insoweit etwa HdB-WiStrafR/Bannenberg, 13. Kap., Rn. 22, 24 ff.; Enste, APuZ 2021, 28; ders., IW-Kurzbericht 54/2019, o. S.; BKA, Bundeslagebild Korruption 2019, S. 25, 28; BKA, Bundeslagebild Korruption 2018, S. 13, 23; Murphy, European Tax Gap, S. 3, 9 f.; EPRS, Corporate Tax Planning, S. 4; WDBT, Steuervermeidungsmodelle, S. 17 f. 34 Etwa Impact Assessment der Kommission V-WBRL, SWD (2018) 116 final, S. 19; PolDep-Budg., Panama Papers, S. 12, das nach einer „konservativen“ Schätzung davon ausgeht, dass 1,5 Mio. Arbeitsplätze europaweit allein durch die verlorenen Steuereinnahmen aufgrund der Steuervermeidungspraktiken à la „Panama Papers“ hätten geschaffen werden können.
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Steuervermeidungspraktiken großer Konzerne, schwerreicher Privatpersonen oder auch von Politikern unter anderem durch die „Lux Leaks“ (2014)35, „Panama Papers“ (2015/2016)36 oder jüngst die „Pandora Papers“ (2021)37 die internationale Öffentlichkeit entsetzt haben, wird eine Debatte über eine dringend erforderliche Herstellung von Steuergerechtigkeit geführt, die hierzulande nicht zuletzt auch durch den Skandal um „Cum-Ex-Geschäfte“ intensiv befeuert wurde.38 Dringenden Handlungsbedarf offenbaren insoweit die Zahlen einer Untersuchung des Wissenschaftlichen Dienstes des EU-Parlaments aus dem Jahr 2015, nach welcher den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Mitgliedstaaten) durch „Steuersparmodelle“ mittels Gewinnverschiebungen von Unternehmen Steuereinnahmen in Höhe von EUR 50 – 70 Mrd. pro Jahr entgehen, wobei der Verlust unter Einbeziehung weiterer potenzieller Steuervermeidungspraktiken, spezieller Steuerregelungen oder auch Ineffizienzen bei der Steuereintreibung sogar auf EUR 160 – 190 Mrd. pro Jahr geschätzt wird.39 Eindrucksvolle Zahlen liefert auch eine Studie des Policy Department for Budgetary Affairs des EU-Parlaments aus dem Jahr 2017 anlässlich des Skandals rund um die „Panama Papers“. Danach ist den Mitgliedstaaten allein durch die aufgedeckten Steuerverschiebungspraktiken von Unternehmen und Privatpersonen ein geschätzter Schaden in Höhe von EUR 109 – 237 Mrd. entstanden.40 Nach jüngsten Zahlen haben die Enthüllungen der „Panama Papers“ allein in Deutschland bisher jedenfalls zu zusätzlichen (Steuer-)Einnahmen in Höhe von circa EUR 72 Mio. geführt.41 Ein Gutachten aus dem Jahr 2019 wiederum beziffert den jährlichen Gesamtschaden durch Steuerverkürzungen von Unternehmen und Privatpersonen für die Mitgliedstaaten auf schätzungsweise EUR 750 – 900 Mrd. pro Jahr, wobei die Steuerlücke für Deutschland als eine der größten innerhalb der Europäischen Union (EU) auf jährlich circa EUR 118 – 132 Mrd. geschätzt wird.42 Jüngste Forschungsergebnisse des ifo Instituts – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V., die sich mit dem Steuerverlust des deutschen Fiskus durch Gewinnverlagerungen deutscher multinationaler 35
Für viele Mühlauer, in: SZ v. 11. 01. 2018; Krol, in: Planet Wissen v. 15. 08. 2018. Statt vieler PolDep-Budg., Panama Papers, S. 11; Krol, in: Planet Wissen v. 15. 08. 2018. 37 Für viele Obermaier, in: SZ v. 03. 10. 2021; Mitteilung der Redaktion beck-aktuell v. 04. 10. 2021 (online abrufbar: https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/brisante-finanz dokumente-koennten-politiker-in-erklaerungsnot-bringen, Abruf: 27. 11. 2021). 38 Vgl. hierzu Ackermann u. a., in: ZeitOnline v. 08. 06. 2017; WDBT, Steuervermeidungsmodelle, S. 12 ff. 39 EPRS, Corporate Tax Planning, S. 4; vgl. auch WDBT, Steuervermeidungsmodelle, S. 18 f. 40 PolDep-Budg., Panama Papers, S. 12. 41 Vgl. etwa für viele ZeitOnline, Artikel v. 16. 02. 2021; andere Quellen beziffern die zusätzlichen Einnahmen „nur“ auf EUR 38,4 Mio., vgl. Mitteilung der Redaktion beck-aktuell v. 04. 10. 2021 (Quellenangabe in Fn. 37). 42 Murphy, European Tax Gap, S. 3, 9; vgl. zu weiteren Zahlen und m. w. N. zu Schäden durch Steuerhinterziehung in Deutschland etwa WDBT, Steuervermeidungsmodelle, S. 19 (circa EUR 160 Mrd.). 36
B. Sozioökonomischer Nutzen
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Großkonzerne beschäftigen, beziffern den hierdurch jährlich entstehenden Einnahmeverlust auf EUR 1,6 Mrd., der sich durch Einbeziehung kleinerer deutscher Unternehmen sowie hiesiger Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen auf EUR 5,7 Mrd. erhöht.43 Obgleich sich die Schäden durch Steuerhinterziehung in Deutschland und der EU damit zwar nicht auf den letzten Euro beziffern lassen, so vermitteln die dargelegten Zahlen doch einen Eindruck darüber, dass die Steuerhinterziehung, gerade auch durch Unternehmen, jährlich einen finanziellen Schaden in Milliardenhöhe verursacht. b) Korruption Noch schwerer als die Schäden durch Steuerhinterziehung lassen sich die Auswirkungen allgegenwärtiger Korruption in Zahlen messen. Sie hat viele Facetten und Formen, strafrechtlich etwa als Vorteilsannahme oder Bestechlichkeit im Amt (§§ 331 und 332 StGB) sowie als Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr oder Bestechlichkeit im Gesundheitswesen (§§ 299 und 299a StGB), und verursacht die unterschiedlichsten direkten und indirekten Schäden, etwa durch einen Verlust an Steuern oder ausländischen Investitionen bzw. durch Wettbewerbsverzerrungen, Verlangsamung des Wirtschaftswachstums oder Vertrauensverlust in Staat und Wirtschaft, die teilweise überhaupt nicht in Geld messbar sind.44 Das finanzielle Ausmaß von Korruption wird in den allermeisten Studien nicht allein für die Privatwirtschaft, sondern gesamtgesellschaftlich für alle am Gesellschafts- und Wirtschaftsleben beteiligten Akteure gemessen, denn an ihr sind häufig staatliche Funktionäre als Teil der öffentlichen Verwaltung beteiligt, die jedenfalls hierzulande das begehrteste Ziel korrupter Machenschaften ist.45 Die Zahlen liefern dennoch einen recht fundierten Überblick (auch) für die Privatwirtschaft, die (fast) immer auf der „Geberseite“,46 aber auch als „Nehmerin“ beteiligt ist, denn sie ist der zweitbegehrteste Zielbereich korrupter „Geber“.47 Nach einer Schätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des EU-Parlaments aus dem Jahr 2016 liegen die durch Korruption verursachten Schäden in der EU unter Einbeziehung direkter und indirekter „effects“ bei EUR 179 – 990 Mrd. pro Jahr, 43
Fuest/Hugger/Neumeier, ifo Schnelldienst 1/2021, 38, 42. Etwa HdB-WiStrafR/Bannenberg, 13. Kap., Rn. 24 ff.; Enste, APuZ 2021, 28, 30 ff.; EPRS, Kosten Korruption, S. 9; BKA, Bundeslagebild Korruption 2019, S. 28; BKA, Bundeslagebild Korruption 2018, S. 23; Dowideit, in: Welt v. 16. 03. 2012. 45 BKA, Bundeslagebild Korruption 2019, S. 24 (49,9 %); BKA, Bundeslagebild Korruption 2018, S. 12 (73 %). 46 BKA, Bundeslagebild Korruption 2019, S. 20, wonach im Jahr 2019 in 69,8 % registrierter Korruptionsstraftaten die „Geber“ aus der Wirtschaft stammten (2018: 74,4 %). 47 BKA, Bundeslagebild Korruption 2019, S. 24, wonach die Wirtschaft mit inzwischen 39,3 % (2018: 17,9 %) nach der öffentlichen Verwaltung mit 49,9 % (2018: 72,6 %) das Ziel von „Gebern“ ist. 44
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wobei die große Spannweite Folge unterschiedlicher Annahmen der kurz-, mittelund langfristigen Reduzierung von Korruption in den Mitgliedstaaten ist.48 Die Europäische Kommission (Kommission) wiederum schätzte im Jahr 2018 den jährlichen Einnahmeausfall, also die direkten Schäden, zulasten des EU-Haushalts durch Betrug und Korruption auf EUR 179 – 256 Mrd.,49 während eine fraktionspolitische Veröffentlichung aus dem gleichen Jahr unter Bezugnahme auf die oben erwähnte Schätzung aus dem Jahr 2016 den Schaden durch Korruption für Deutschland auf EUR 104 Mrd. pro Jahr bezifferte.50 Diese Zahl erscheint auch recht realistisch, denn obgleich Deutschland im internationalen Vergleich bei der Korruptionsbekämpfung einigermaßen gut dasteht und inzwischen auf Rang 9 des Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International Deutschland e.V. rangiert,51 kursieren in wissenschaftlichen Quellen alarmierende Zahlen für materielle Schäden durch Korruption in Höhe von EUR 250 Mrd. pro Jahr in Deutschland.52 Auch die Privatwirtschaft selbst erleidet hohe Schäden durch Korruption. So schätzt das Institut der Deutschen Wirtschaft e.V. in einer Studie von 2019 aufgrund einer repräsentativen Unternehmensbefragung, dass den deutschen Unternehmen im Jahr 2017 durch Korruption konkurrierender Unternehmen Umsatzeinbußen in Höhe von insgesamt EUR 412 Mrd. entstanden sind.53 Angesichts dieser wissenschaftlich fundierten Zahlen dürfte es insoweit auch unerheblich sein, dass der aufgrund von Korruptionsstraftaten hierzulande konkret ermittelte Schaden für die Jahre 2015 bis 2019 im Durchschnitt mit EUR 161 Mio. deutlich hinter diesen Zahlen zurückbleibt, denn das Bundeskriminalamt verweist zum einen auf das große Dunkelfeld polizeilich nicht bekannter Korruptionsstraftaten und zum anderen darauf, dass nur in den wenigsten Fällen bekannter Straftaten überhaupt ein konkreter monetärer Schaden ermittelt werden konnte (2019: 21,1 %, 2018: 22,5 %).54 2. Gesellschaftlicher Vertrauensverlust Ausweislich der vorstehenden Ausführungen führen Missstände in der Privatwirtschaft nicht nur zu erheblichen direkten und indirekten finanziellen Schäden in schwindelerregenden Höhen, sondern können auch die Beeinträchtigung und Zer48
EPRS, Kosten Korruption, S. 9. Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 11. 50 Grüne/EFA, Kosten Korruption, S. 4, 26. 51 Korruptionswahrnehmungsindex 2020, Transparency International Deutschland e.V. (online abrufbar: https://www.transparency.de/cpi/cpi-2020/cpi-2020-tabellarische-rangliste/, Abruf: 27. 11. 2021). 52 HdB-WiStrafR/Bannenberg, 13. Kap., Rn. 24 unter Verweis auf Dowideit, in: Welt v. 16. 03. 2012. 53 Enste, APuZ 2021, 28, 29 f.; ders., IW-Kurzbericht 54/2019, o. S. 54 BKA, Bundeslagebild Korruption 2019, S. 25, 28; BKA, Bundeslagebild Korruption 2018, S. 13, 23; vgl. zur hohen Dunkelziffer auch Enste, APuZ 2021, 28, 29. 49
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störung unserer Lebensgrundlagen als nicht monetär messbare ökologische Schäden nach sich ziehen. Es ist offensichtlich und auch bereits öffentlich thematisiert worden, dass Missstände wie Steuerhinterziehung oder Korruption und insbesondere ganz konkrete, namentlich zuordenbare Wirtschaftsskandale wie „Wilke-Wurst“, „Wirecard“ oder „Dieselgate“ zudem tiefe Spuren im Vertrauen der Öffentlichkeit in die Funktions- und Handlungsfähigkeit staatlicher Behörden sowie in die Integrität staatlichen und unternehmerischen Handelns hinterlassen.55 Konkrete Zahlen besagen etwa, dass durch den „Dieselskandal“ das Vertrauen der Bevölkerung in Integrität und Glaubwürdigkeit der Automobilindustrie von 61 % im Jahre 2015 auf 35 % im Jahr 2018, also um 26 % gesunken ist.56 Weitere Untersuchungen und Studien belegen allgemein ein fehlendes bzw. sinkendes Vertrauen in die deutsche Wirtschaft. So haben laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft e.V. aus dem Jahr 2020 gerade einmal 29 % der deutschen Bevölkerung ein (sehr) großes Vertrauen in große Unternehmen und Arbeitgeberverbände57 und auch Führungskräfte beklagen laut einer Befragung aus dem Jahr 2020 gesunkene Moralvorstellungen, fehlendes Wertebewusstsein und eine zu hohe kriminelle Energie bei zu wenigen Kontrollen und zu hohen Gewinnerwartungen und Zielvorgaben in der Privatwirtschaft.58 Das Vertrauen anderer Industrienationen in deutsche Unternehmen ist seit 2014 erheblich zurückgegangen – ohne dass der jüngste Skandal um die Wirecard AG hierbei bereits berücksichtig ist.59 Auch den Staat betrifft das schwindende Vertrauen. Zwar haben die Deutschen ein (sehr) großes Vertrauen in Justiz und Gerichte (66,8 %) sowie allgemein in unsere Demokratie (über 95 %), der Bundesregierung vertrauen sie aber in der Mehrzahl weniger oder gar nicht (59,9 %).60 Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2019 des dbb beamtenbund und tarifunion halten 61 % der Bundesbürger den Staat mit seinen Aufgaben für überfordert und beklagen 34 % eine Abnahme seiner Leistungsfähigkeit in den vergangenen Jahren.61 Missstände in der Privatwirtschaft führen damit nicht nur zu sozialschädlichen (messbaren) sozioökonomischen Schäden auf nationaler wie europäischer Ebene, sondern stellen darüber hinaus eine ernstzunehmende Bedrohung für die Stabilität unserer Rechtsordnung dar, weil sie langfristig gewichtige und tiefsitzende Zweifel an der Wehrhaftigkeit des Rechtsstaates und unserer Demokratie hervorrufen und 55 Statt vieler HdB-WiStrafR/Bannenberg, 13. Kap., Rn. 28a; Enste, APuZ 2021, 28, 32 f.; Cappel, Newsdienst Compliance 2020, 120005, o. S.; Koerth, in: Spiegel v. 28. 10. 2019; Mühlauer, in: SZ v. 11. 01. 2018. 56 Bratzel, Abgasskandal, S. 20, der unter Rückgriff auf verschiedene Umfragen/Untersuchungen zum Vertrauensverlust in die Automobilindustrie aufgrund des Dieselskandals noch weitere ähnliche Zahlen liefert. 57 Enste/Suling, Vertrauensindex 2020, S. 7. 58 Weinen, CB 2020, 110, 111 f. 59 Enste/Kürten/Schwarz, Vertrauen in Unternehmen, S. 8. 60 Enste/Suling, Vertrauensindex 2020, S. 7; Enste, APuZ 2021, 28, 32. 61 dbb, Bürgerbefragung 2019, S. 4, 7.
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mithin eine Erosion des Zusammenhalts und Vertrauens in unserer Gesellschaft verursachen können.
II. Instrument effizienter Rechtsdurchsetzung und Rechtsentwicklung Die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen von Missständen in privaten Unternehmen offenbaren einen dringenden Handlungsbedarf für eine bessere Rechtsdurchsetzung und dynamische Rechtsentwicklung. Die jüngsten Wirtschaftsskandale und die beispielhaft dargelegten hohen Schadenssummen durch Steuerhinterziehung und Korruption belegen ein illegales und evident unethisches Handeln zu Lasten der Allgemeinheit sowie eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber unserer Rechtsordnung aus Gründen der Profitmaximierung bis in die höchsten Managementebenen von Unternehmen. Die Notwendigkeit eines klaren und konsequenten staatlichen Handelns – auch gegenüber großen und einflussreichen (internationalen) Konzernen – zur Bekämpfung, Beseitigung und Verhinderung von Missständen sowie nicht zuletzt zur Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs ist vor diesem Hintergrund unverkennbar. Whistleblowing kann hier einen entscheidenden Beitrag leisten. 1. Externes Whistleblowing Eine effektive und funktionsfähige (Straf-)Rechtspflege liegt im Allgemeininteresse und soll gewährleisten, dass Verstöße aufgedeckt, geahndet und zukünftig möglichst verhindert werden.62 Neben der repressiven Aufarbeitung geht es präventiv auch darum, aufgedeckte Defizite staatlicher Kontroll- und Aufsichtsmechanismen und gesetzlicher Regelungen zu beseitigen.63 Das Aufdecken von Missständen hilft dem Staat, dynamisch und anpassungsfähig auf Lücken und Defizite der „Spielregeln“ zu reagieren und Marktgerechtigkeit herzustellen. Staatliche Stellen befinden sich allerdings häufig in dem Dilemma, dass sie zwar aufgrund des Gewaltmonopols des Staates das Recht und die Pflicht zum Eingreifen, gleichzeitig aber häufig keine Kenntnis von bestehenden Missständen haben. Dies ist neben ihren begrenzten personellen und sachlichen Ressourcen nicht zuletzt auch Ausfluss der 62
Vgl. etwa BVerfG, Beschluss v. 20. 10. 1977 – 2 BvR 631/77 (Fall Pohle), NJW 1977, 2355, 2356; LAG Hessen, Urteil v. 27. 11. 2001 – 15 Sa 411/01, NZA-RR 2002, 637, 638; Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1498; Klaas, CCZ 2019, 163. 63 Vgl. insoweit beispielhaft zu den aufgedeckten Lücken staatlicher Regelungen und Reaktionen auf die „Facebook-Enthüllungen“ Havertz, in: ZeitOnline v. 05. 10. 2021; Beutelsbacher/Meyer, in: Welt v. 05. 10. 2021; zu Skandalen wie „Lux Leaks“, „Wirecard“ oder „Dieselgate“ Cappel, Newsdienst Compliance 2020, 120005, o. S.; Neuhaus, in: Handelsblatt v. 25. 06. 2020; Krol, in: Planet Wissen v. 15. 08. 2018; Mühlauer, in: SZ v. 10. 03. 2018; in diese Richtung auch Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1498.
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unserem Grundgesetz immanenten Gewährleistung von Privatsphäre und des Vertrauens in rechtskonformes Handeln des Einzelnen sowie der grundrechtlich garantierten unternehmerischen Freiheit, mit der Folge beschränkter staatlicher Überwachungs- und Eingriffskompetenzen. Staatliche Stellen verfügen häufig nur über ein sehr beschränktes Wissen hinsichtlich des Handelns privatwirtschaftlicher Unternehmen, insbesondere wenn diese global agieren. Dieses Wissensdefizit des Staates bedingt ein Rechtsdurchsetzungsdefizit.64 Hier zeigt sich der repressive und präventive Nutzen des Whistleblowings, weil Whistleblower diese Wissensdisparität vermindern und so eine effektive Rechtsdurchsetzung und dynamische Rechtsentwicklung ermöglichen können.65 Arbeitnehmer befinden sich in der privilegierten Situation, Wissen über unternehmensinterne Vorgänge oder Zustände zu erhalten, die den Behörden und der Öffentlichkeit verborgen bleiben.66 Gerade die Illegalität komplexen und grenzüberschreitenden unternehmerischen Handelns ist für Behörden häufig ohne einen entsprechenden Hinweis von „innen“ nicht erkennbar. Zudem mag staatlichen Institutionen ein heimlich „ausgetüfteltes“ kriminelles Steuersparsystem oder die technische Manipulation von Produkten ohne konkrete interne Informationen und die Einholung entsprechender Fachexpertise nicht ohne Weiteres als relevantes Fehlverhalten offenbar werden. Soll oder kann das staatliche Wissensdefizit nicht durch eine verstärkte staatliche Regulierung und Kontrolle verringert bzw. beseitigt werden, stellt das Whistleblowing zur Herstellung einer Informationsparität das weit weniger einschneidende Instrumentarium dar; dafür sind die staatlichen Stellen aber auf das Wissen der Whistleblower und die Weitergabe ihrer Informationen als außerstaatliche Aufklärer angewiesen.67 Zuletzt hilft Whistleblowing auch in Fällen, in denen Behörden bei der Rechtsdurchsetzung versagt haben oder gar mit dem unrechtmäßig handelnden Unternehmen kollaborieren und eine Aufklärung verhindern, denn durch die Weitergabe 64 So auch Schmolke, ZGR 2019, 876, 888; ähnlich Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1498; Heide/Heide, WB, S. 27. 65 Vgl. auch KR-KSchG/Rachor, § 1 KSchG, Rn. 462; Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 87; Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1498; Häußinger, EuZA 2021, 368, 373 f.; Rottenwallner, VR 2020, 189, 194 f.; Schröder, ZRP 2020, 212, 213; Schmolke, ZGR 2019, 876, 887 f.; Klaas, CCZ 2019, 163; Krause, SR 2019, 138, 140 f.; Buchert, CCZ 2013, 144, 145; Müller, NZA 2011, 424, 425; Gerdemann, WB, Rn. 12. 66 Etwa EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 63; EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 72; Buchert, CCZ 2013, 144, 145; Müller, NZA 2011, 424, 425; Heide/Heide, WB, S. 10, 27; CoE, CM/ Rec(2014)7, S. 12, Ziff. 55; vgl. etwa auch zu „betriebsinternen Mitwissern“ bei der Wirecard AG Holtermann, in: Handelsblatt v. 17. 09. 2020. 67 Vgl. etwa BVerfG, Beschluss v. 25. 02. 1987 – 1 BvR 1086/85, NJW 1987, 1929; LAG Düsseldorf, Urteil v. 24. 09. 2012 – 9 Sa 1014/12, juris, Rn. 130; ähnlich Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 87; Schmolke, ZGR 2019, 876, 887 f.; Buchert, CCZ 2013, 144, 145; Redder, WB, S. 53 f.; Heide/Heide, WB, S. 27; kritisch Melot de Beauregard, DB 2019, M4, M5, der hierin eine abzulehnende „Teil-Privatisierung der Rechtsdurchsetzung“ sieht.
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der Informationen an die Öffentlichkeit, etwa die Presse, kann der Druck erhöht und eine Einhaltung der „Spielregeln“ langfristig erzwungen werden.68 Mithin kann Whistleblowing dazu dienen, auch mächtigen und einflussreichen Personen und Institutionen genauer „auf die Finger zu schauen“ und durch „Kontrolle“ deren rechtmäßiges und gemeinwohlorientiertes Handeln zu fördern. 2. Internes Whistleblowing Neben dieser Unterstützung insbesondere der staatlichen Rechtsdurchsetzung besteht ein evidenter Nutzen von Whistleblowing aber gerade auch für die Privatwirtschaft selbst, der durch unternehmensinterne Missstände erhebliche (finanzielle) Schäden entstehen können, etwa durch empfindliche Strafen oder Bußgelder, Schadenersatzzahlungen oder sonstige finanzielle Repressionen sowie durch Reputations- und Vertrauenseinbußen (Stichwort „Dieselgate“), die im Extremfall sogar existenzgefährdend werden können (Stichwort „Wilke-Wurst“). Hier hilft ein effektives innerbetriebliches Fehlermanagement und eine professionelle Fehlerkultur, um Missstände frühzeitig zu erkennen und Schäden zu verhindern sowie die Belegschaft für rechtmäßiges und ethisch korrektes Verhalten langfristig zu sensibilisieren.69 Hierdurch wird letztlich auch ein Beitrag zur Stabilität und Achtung der geltenden Rechtsordnung geleistet, der aus Unternehmersicht nicht zuletzt aus Reputationszwecken sinnvoll und wünschenswert ist. Gerade großen Unternehmen geht es häufig nicht viel anders als dem Staat – auch bei ihnen besteht bisweilen, etwa auf Ebene der Unternehmensleitung, ein Wissensdefizit über bestehende Missstände. Whistleblowing kann solchen Wissensasymmetrien abhelfen und eine Beseitigung der Missstände ermöglichen, bevor sie öffentlich werden und zu größeren Schäden und Skandalen führen.70 Grundlegende Voraussetzung 68 Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1498; ähnlich auch Krause, SR 2019, 138, 140; vgl. etwa zur Rolle staatlicher Behörden in den bereits angesprochenen, vergangenen Wirtschaftsskandalen – „Pandora Papers“, „Wilke-Wurst“, „Wirecard“, „Lux Leaks“, „Panama Papers“ und „Dieselgate“: Obermaier, in: SZ v. 03. 10. 2021; Liebrich, in: SZ v. 10. 10. 2019; Koerth, in: Spiegel v. 28. 10. 2019; Neuhaus, in: Handelsblatt v. 25. 06. 2020; Krol, in: Planet Wissen v. 15. 08. 2018; Mühlauer, in: SZ v. 11. 01. 2018; ders., in: SZ v. 10. 03. 2018. 69 Vgl. auch Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 86; Homann, CB 2021, 336 f.; Erlebach/Veljovic, KriPoZ 2021, 165, 170; Brinkmann/Blank, BB 2021, 2475; Schmolke, ZGR 2019, 876, 887 f.; Buchert, CCZ 2013, 144, 145; Zimmer/Seebacher, CCZ 2013, 31, 33; Simon/Schilling, BB 2011, 2421; Reufels, in: FS Moll, S. 565, 579; Heide/Heide, WB, S. 17; CoE, CM/Rec(2014)7, S. 12, Ziff. 8 f.; vgl. auch BKA, Bundeslagebild Korruption 2019, S. 28; BKA, Bundeslagebild Korruption 2018, S. 23; Hauser/Bretti-Rainalter/Blumer, WBReport 2021, S. 61, 67 ff. zur Effizienz von internen Meldungen in deutschen Unternehmen und ihrem nicht monetären Nutzen. 70 Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 86; Brinkmann/Blank, BB 2021, 2475; Schmolke, ZGR 2019, 876, 887; Klaas, CCZ 2019, 163, 165; Buchert, CCZ 2013, 144, 145; Simon/Schilling, BB 2011, 2421; Reufels, in: FS Moll, S. 565, 579; Gerdemann, WB, Rn. 12; vgl. auch zum Potential des internen Informationsflusses durch Whistleblowing Freshfields, WB-Survey 2020, S. 3.
B. Sozioökonomischer Nutzen
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hierfür ist aber natürlich der Wille zu rechtskonformem Verhalten seitens der Unternehmensführung selbst, an dem es teilweise wohl mangelt, wie vergangene, beispielhaft bereits genannte Wirtschaftsskandale lehren.71 Die Meldung von Missständen durch Arbeitnehmer schafft mithin dort Transparenz, wo die zuständigen internen Stellen keine Kenntnis von ihnen haben und/ oder Behörden und die Öffentlichkeit ohne konkreten Anlass regelmäßig an einem Einblick in die unternehmensinternen Vorgänge gehindert sind. Aufgrund seines repressiven und präventiven Mehrwerts bei der Bekämpfung von Missständen kann Whistleblowing daher als Teil eines „gesellschaftlichen Frühwarnsystems“ vor sozialschädlichen Missständen dienen72 und das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat und seine Funktionsfähigkeit sowie die Rechtmäßigkeit und Integrität unternehmerischen Handelns stärken.73 3. Enthüllungen in der Praxis Dieser hohe sozioökonomische Nutzen des Whistleblowings bei der Aufdeckung und Beseitigung wie auch der Verhinderung sozialschädlicher Missstände ist nicht bloße Theorie, sondern wurde in der Praxis bereits mehrfach unter Beweis gestellt. Whistleblower haben in der Vergangenheit durch zahlreiche Enthüllungen großer wie kleiner Missstände von nationaler und internationaler Bedeutung das Ausmaß unternehmerischen Fehlverhaltens sichtbar gemacht und eine Aufarbeitung ermöglicht. Die Betrachtung dieser Enthüllungen zeigt, dass die frühzeitige Meldung von (potenziellen) Missständen durch Arbeitnehmer als Insider und Aufklärer entweder schon ihr Entstehen verhindern oder aber das Ausmaß sozialer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Schäden sowie wettbewerblicher Verzerrungen durch rechtzeitiges internes oder externes Einschreiten reduzieren kann. Möglicherweise hätten durch (früheres) Whistleblowing auch die umfangreichen Schäden in den Fällen von „Wilke-Wurst“, „Wirecard“ oder „Dieselgate“ auf ein Minimum reduziert oder sogar gänzlich verhindert werden können.
71 Vgl. insoweit zu „Wilke-Wurst“, „Wirecard“ und „Dieselgate“: Terpitz, in: Handelsblatt v. 09. 10. 2019 zu dem „Klima der Angst“ bei der Wilke Waldecker Fleisch- und Wurstwaren GmbH & Co; Holtermann, in: Handelsblatt v. 17. 09. 2020; ZeitOnline, Artikel v. 28. 08. 2020; Hank, in: FAZ v. 28. 01. 2017; auch Korruption findet nachweislich in der Regel auf (höchster) Führungsebene statt, vgl. BKA, Bundeslagebild Korruption 2019, S. 17, 21; BKA, Bundeslagebild Korruption 2018, S. 16, 20; vgl. auch zu gesunkenen Moralvorstellungen bei zu hohen Gewinnerwartungen und Zielvorgaben in der privaten Wirtschaft Weinen, CB 2020, 110, 111. 72 DHSW/Däubler, § 611a BGB, Rn. 485; ähnlich Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 86; Reufels, in: FS Moll, S. 565, 579 („private Vollstrecker“ des Gemeinwohls). 73 Vgl. auch Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1498 f.; Rottenwallner, VR 2020, 189, 195; ähnlich Schmolke, ZGR 2019, 876, 888; Buchert, CCZ 2013, 144, 145; Simon/Schilling, BB 2011, 2421; Müller, NZA 2002, 424, 425; Heide/Heide, WB, S. 3.
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Teil 2: Das Phänomen Whistleblowing
a) Steuerhinterziehung Aufgrund seines sozioökonomischen Nutzens wird die Förderung des Whistleblowings auch in vielen der in dieser Arbeit verwendeten Untersuchungen und Studien als wichtiger Baustein zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Korruption empfohlen.74 Die Sinnhaftigkeit dieser Empfehlung und das Erfolgspotential des Whistleblowings lässt sich im Bereich des Steuerrechts besonders deutlich durch Enthüllungen der jüngeren Vergangenheit aufzeigen. Im Jahr 2007 deckte der amerikanische Staatsbürger Bradley Birkenfeld das „Geschäftsmodell“ seiner Arbeitgeberin auf, der schweizerischen UBS Group AG, die schwerreiche (Groß-)Kunden durch illegale Steuertricks bei der systematischen Steuerhinterziehung zulasten des amerikanischen Fiskus unterstützte. Er läutete damit nicht zuletzt den Anfang vom Ende des Schweizer Bankgeheimnisses ein, das bis dahin zahlreiche Steuersünder rund um den Globus schützte.75 Nach diesen Enthüllungen, die weltweit Empörung auslösten, schienen Whistleblower ermutigt, denn es „purzelte“ Steuerskandale: So waren es etwa die Whistleblower Antoine Deltoure und Raphaël Halet, die im Jahr 2014 den bereits angesprochenen „Lux Leaks-Skandal“ auslösten, indem sie Dokumente, auf die sie bei ihrer Arbeitgeberin, der PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, gestoßen waren, an das Internationale Netzwerk Investigativer Journalisten (ICIJ) weitergaben. Diese belegten abenteuerliche und von den luxemburgischen Finanzbehörden tolerierte Steuerpraktiken zahlreicher internationaler Konzerne, durch die diese Steuerzahlungen in Milliardenhöhe vermieden.76 Auch der „Panama Papers-Skandal“ wurde durch Enthüllungen eines Whistleblowers öffentlich, dessen Identität und berufliche Position allerdings nicht bekannt ist. Er spielte dem ICIJ ebenfalls Dokumente zu, die illegale Steuerpraktiken, Geldwäsche, Korruption und Betrug durch Unternehmen, Politiker und schwerreiche Privatpersonen ans Licht brachten.77 Zuletzt seien in dieser beispielhaften Aufzählung die ebenfalls bereits erwähnten „Cum-Ex-Geschäfte“ genannt, die als der „größte Steuerraub“ der bundesdeutschen Geschichte bezeichnet und höchstrichterlich als Steuerhinterziehung bewertet 74 Etwa EPRS, Kosten Korruption, S. 12; Grüne/EFA, Kosten Korruption, S. 5; PolDepBudg., Panama Papers, S. 10; allgemein zu Compliance-Strukturen BKA, Bundeslagebild Korruption 2019, S. 28; BKA, Bundeslagebild Korruption 2018, S. 23. 75 Die Enthüllungen spülten circa USD 15 Mrd. Steuernachzahlungen und weitere USD 980 Mio. Strafzahlungen der UBS Group AG in die amerikanische Staatskasse und brachten Birkenfeld selbst USD 104 Mio. als Belohnung ein, Krol, in: Planet Wissen v. 15. 08. 2018; Buchter, in: ZeitOnline v. 05. 04. 2017; vgl. auch Gerdemann, WB, Rn. 4. 76 Gerdemann, RdA 2019, 16, 23; Krol, in: Planet Wissen v. 15. 08. 2018; Mühlauer, in: SZ v. 11. 01. 2018; vgl. hierzu auch EGMR, Urteil v. 11. 05. 2021 – 21884/18 (Halet/Luxemburg), HUDOC, Rn. 4 ff., das allerdings aufgrund einer Verweisung an die Große Kammer v. 06. 09. 2021 noch nicht rechtskräftig ist. 77 Krol, in: Planet Wissen v. 15. 08. 2018.
B. Sozioökonomischer Nutzen
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werden.78 Zahlreiche Unternehmen, institutionelle Anleger und Banken stehen im Verdacht, die Steuerfreiheit von Dividendenzahlungen für deutsche Unternehmen ausgenutzt zu haben, um die nur einfach entrichtete Kapitalertragssteuer doppelt vom deutschen Fiskus rückerstattet zu bekommen.79 Auch hier haben Mitarbeiter der in diesen Skandal verwickelten schweizerischen Privatbank J. Safra Sarasin AG durch die Weitergabe belastender Unterlagen die beschwerliche Ermittlungsarbeit und die zähe Beweisführung der deutschen Finanzbehörden erheblich erleichtert und verhindert, dass zahlreiche Fälle und Steuerhinterzieher unentdeckt blieben.80 b) Gesundheitsgefährdende Missstände Auch außerhalb dieser weltweit relevanten und Aufmerksamkeit erregenden Enthüllungen im Steuerrecht haben Whistleblower hierzulande Missstände bei ihren Arbeitgebern aufgedeckt, die fundamentale Rechtsgüter wie Leib und Leben betrafen. Der Whistleblower Miroslaw Ricard Strecker etwa enthüllte im Jahr 2007 einen der bisher größten Lebensmittelskandale in der Fleischindustrie. Er meldete die Umetikettierung von Schlachtabfall zu Frischfleisch in der bayerischen Fleisch- und Wurstfabrik Wertfleisch GmbH an die Behörden, wodurch nach umfangreichen Ermittlungen ein gewerbsmäßiger Lebensmittelbetrug aufgedeckt wurde. Die zuständigen Behörden schlossen den betroffenen Betrieb, die Verantwortlichen wurden strafrechtlich verfolgt und gesetzliche Regelungen überarbeitet, um das Inverkehrbringen von Gammelfleisch zukünftig zu verhindern.81 Die wohl bekannteste deutsche Whistleblowerin, die Altenpflegerin Brigitte Heinisch, machte gegen alle Widerstände Anfang dieses Jahrhunderts Pflegemissstände, die auch durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) zuvor bemängelt worden waren, bei ihrer Arbeitgeberin, der Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH, publik – zuerst durch eine interne Meldung, dann durch eine Strafanzeige und zuletzt auch durch öffentlich verteilte Flugblätter.82 Diese Meldung
78 BGH, Urteil v. 28. 07. 2021 – 1 StR 519/20, DStR 2021, 2453, 2462, Rn. 82; Ackermann u. a., in: ZeitOnline v. 08. 06. 2017. 79 Durch diesen systematischen Steuerbetrug ist weltweit wohl ein milliardenschwerer Schaden in Höhe von etwa EUR 150 Mrd. entstanden, von dem schätzungsweise EUR 36 Mrd. zulasten des deutschen Fiskus gereichen, Spiegel, Artikel v. 21. 10. 2021. 80 Willmroth, in: SZ v. 25. 07. 2019. 81 Vgl. hierzu Mengel, CCZ 2012, 146, 153; DokZentrum ansTageslicht, Artikel v. 07. 01. 2019; der „Wilke-Wurst-Skandal“ offenbart indes, dass hier noch (gesetzgeberischer) Handlungsbedarf besteht (vgl. hierzu in Teil 2, B.I.). 82 Zimmer/Seebacher, CCZ 2013, 31; Schlachter, RdA 2012, 108, 109; Mengel, CCZ 2012, 146, 152; vgl. etwa auch die Whistleblower Preisträger der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V. (VDW) (online abrufbar: https://vdw-ev.de/whistleblower-preistraeger/, Abruf: 27. 11. 2021); vgl. zum Fall Heinisch noch in Teil 4, B.III.1.d).
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offenbarte die Folgen des hohen Kostendrucks im Gesundheitswesen und die Wirkungslosigkeit der Kontrolle durch den MDK. Schockierendes Fehlverhalten zeigte im Jahr 2016 der Whistleblower Martin Porwoll bei den Strafverfolgungsbehörden an. Er verdächtigte seinen Arbeitgeber, Krebsmedikamente gestreckt bzw. abgelaufene Medikamente umdeklariert und so weitestgehend wirkungslose Medikamente an krebskranke Patienten zum Originalpreis verkauft zu haben. Dieser Verdacht bestätigte sich – sein Arbeitgeber hatte systematisch das Leben zahlreicher schwerkranker Menschen aufs Spiel gesetzt und einen Millionenschaden verursacht.83
C. Förderung der Meldebereitschaft Dem großen Interesse und Bedarf an „Insiderinformationen“ steht häufig allerdings eine mangelnde Meldebereitschaft der Arbeitnehmer gegenüber. Zwar mag einem Arbeitnehmer, der von Missständen an seinem Arbeitsplatz erfährt, deren Meldung auf den ersten Blick als einzig richtige Konsequenz erscheinen. In der Realität sieht er sich aber mit einer Gemengelage widerstreitender Interessen konfrontiert, die zwangsläufig einen erheblichen Interessen- und Loyalitätskonflikt auslösen. Nicht selten verzichtet er deshalb auf eine Meldung, weshalb sich die Frage aufdrängt, welche Mittel zur Förderung seiner Meldebereitschaft bestehen, um Whistleblowing als Bestandteil einer effektiven Rechtsdurchsetzung und Rechtsentwicklung zu etablieren.
I. Abschreckungsfaktoren Bei externem Whistleblowing steht dem Interesse der Allgemeinheit und der staatlichen Institutionen an der Meldung von Missständen durch Arbeitnehmer das Arbeitgeberinteresse an der Geheimhaltung betrieblicher Informationen gegenüber. Der Arbeitgeber wird die „Flucht in die Öffentlichkeit“ in aller Regel als Akt der Illoyalität und Denunziation und als Verstoß gegen Rücksichtnahmepflichten bewerten. Die Enthüllung von Betriebsinterna kann nämlich zu negativen Auswirkungen auf die Reputation, Vertrauenswürdigkeit und Authentizität des jeweiligen Unternehmens führen, die Ertragseinbußen bis hin zur Existenzgefährdung nach sich ziehen können – selbst dann, wenn sich die gemeldeten Missstände nicht oder nicht
83 Es soll ein Gesamtschaden in Höhe von EUR 56 Mio. entstanden sein, Süße, Newsdienst Compliance 2018, 21003, o. S.; vgl. zum Fall Porwoll auch ArbG Gelsenkirchen, Urteil v. 14. 06. 2017 – 2 Ca 2166/16, juris; Falter, in: Transparency, Scheinwerfer, S. 10, 11; vgl. auch die Whistleblower Preisträger der VDW (Quellenangabe in Fn. 82).
C. Förderung der Meldebereitschaft
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gänzlich bewahrheiten.84 Gerade eine Strafanzeige kann umfangreiche behördliche Ermittlungen auslösen und letztlich zu empfindlichen Strafen oder Bußgeldern führen. Auch das interne Whistleblowing kann trotz der positiven Effekte auf die Selbstregulierung betrieblicher Missstände zu einer Missbilligung durch den Arbeitgeber führen – er wird den Hinweis seines Arbeitnehmers nicht selten als Belastung, unangenehmes Querdenken oder als Gefährdung des Zusammenhalts und des Betriebsfriedens wahrnehmen.85 Zudem werden die Arbeitskollegen das Whistleblowing häufig als Verletzung der betrieblichen Gemeinschaft und als Verrat empfinden, weil es den (unternehmerischen) Erfolg und damit auch den eigenen Arbeitsplatz gefährden kann. In Unternehmen findet sich bisweilen eine Mauer des Schweigens und eine unausgesprochene Pflicht zur absoluten Verschwiegenheit über interne Vorgänge als Ausdruck des Zusammenhalts und der Identifikation mit dem Unternehmen.86 Die interne Stigmatisierung des Whistleblowers, der diese Prinzipien durchbricht, als „Denunziant“, „Kollegenschwein“ und „Petze“ ist vorprogrammiert. Den Whistleblower dürfte regelmäßig sein Interesse an der Beseitigung von Missständen am Arbeitsplatz sowie an der rechtlichen Verfolgung verantwortlicher Personen antreiben, insbesondere bei einer Gefahr für Leib und Leben, weshalb er sich häufig bereits aus ethischen Gründen und staatsbürgerlicher Verantwortung zu einer Meldung verpflichtet fühlen wird.87 Bisweilen kann ihn aber auch persönliche Antipathie gegenüber seinem kriminell handelnden Arbeitgeber oder Kollegen oder sogar ein Gefühl von Rache und Vergeltung antreiben, etwa wenn er seinen eigenen Ruf oder seine Gesundheit durch bestehende Missstände in Mitleidenschaft gezogen sieht.88 Andererseits werden ihn gerade seine Rücksichtnahmepflichten und sein Loyalitätsempfinden gegenüber seinem Arbeitgeber und seinen Kollegen vor einer 84 Melot de Beauregard, DB 2019, M4, M5; ähnlich auch Fuhlrott/Oltmanns, DB 2017, 2354; Fischer-Lescano, AuR 2016, 4; Simon/Schilling, BB 2011, 2421, 2422; Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 112. 85 Vgl. etwa HWK/Quecke, § 1 KSchG, Rn. 220; Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 32; Simon/Schilling, BB 2011, 2421; vgl. auch zum Fall „Wilke-Wurst“ Terpitz, in: Handelsblatt v. 09. 10. 2019. 86 Vgl. Khan/Howe, Journal of Business Ethics 2021, 325, 327 ff. („Black Sheep Effect“); Heide/Heide, WB, S. 40; insoweit zum „Wilke-Wurst-Skandal“ Terpitz, in: Handelsblatt v. 09. 10. 2019; zum Fall „Wirecard“ Holtermann, in: Handelsblatt v. 17. 09. 2020; zu „Dieselgate“ Hank, in: FAZ v. 28. 01. 2017. 87 Khan/Howe, Journal of Business Ethics 2021, 325, 327 f.; Rottenwallner, VR 2020, 189, 195; vgl. etwa im Fall Heinisch: EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/ Deutschland), HUDOC, Rn. 82; im Fall Porwoll: Falter, in: Transparency, Scheinwerfer, S. 10, 11; im Fall Strecker: Mengel, CCZ 2012, 146, 153; DokZentrum ans Tageslicht, Artikel v. 07. 01. 2019; oder im Fall Deltoure: Mühlauer, in: SZ v. 11. 01. 2018. 88 Vgl. für viele Khan/Howe, Journal of Business Ethics 2021, 325, 327; Buchert, CCZ 2013, 144, 146; Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 330; vgl. im Fall Birkenfeld: Gerdemann, WB, Rn. 4; Krol, in: Planet Wissen v. 15. 08. 2018; Buchter, in: ZeitOnline v. 05. 04. 2017.
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Meldung zurückschrecken lassen. Er will zeigen, dass er treu und zuverlässig und kein Verräter ist.89 Diese Gemengelage unterschiedlichster Interessen macht das Spannungsfeld deutlich, in dem sich der Whistleblower bewegt, und offenbart dessen persönliches Dilemma zwischen staatsbürgerlicher Verantwortung und Zivilcourage einerseits und seiner Loyalität gegenüber Arbeitgeber und Arbeitskollegen andererseits.90 Seine emotionale Zwangslage wird praktisch durch drohende Repressalien als Reaktion auf die Meldung von Missständen verstärkt, denn der Arbeitnehmer muss sich darauf einstellen, dass sein Arbeitgeber – insbesondere bei externem Whistleblowing – unabhängig von der Richtigkeit der Meldung mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen, regelmäßig mit einer (außerordentlichen) Kündigung auf das unerwünschte „Querulantentum“ bzw. den Verrat reagiert, um den unbequemen Whistleblower loszuwerden und ruhigzustellen oder zumindest wieder „auf Linie“ zu bringen.91 Zusätzlich zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen drohen ihm weitere rechtliche Konsequenzen, etwa eine schadenersatz- oder strafrechtliche Haftung wegen des Verrats von Geschäftsgeheimnissen, Verleumdung oder falscher Verdächtigung sowie persönliche Folgen durch soziale Isolation und Reputationsverlust als „Nestbeschmutzer“ oder „Querulant“.92 Obgleich auf den ersten Blick kaum vorstellbar, muss ein Whistleblower schlimmstenfalls sogar fürchten, bedroht oder tyrannisiert zu werden, denn als Insider kann er ganze Weltkonzerne mit brisanten Informationen zu Fall bringen. Soweit die Enthüllung von Missständen damit insgesamt mit nicht zu unterschätzenden psychischen, sozialen und finanziellen Risiken und Belastungen verbunden ist, stellt sich gerade der drohende Verlust des Arbeitsplatzes als tragende 89
Für viele Khan/Howe, Journal of Business Ethics 2021, 325, 327 f., 339 f. Statt vieler Khan/Howe, Journal of Business Ethics 2021, 325, 327 f., 341; Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1500; Rottenwallner, VR 2020, 189, 193 f.; Schmolke, ZGR 2019, 876, 883; Buchert, CCZ 2013, 144, 145; Leuchten, ZRP 2012, 142; Simon/Schilling, BB 2011, 2421, 2422; Gerdemann, WB, Rn. 6; Heide/Heide, WB, S. 40; m. w. N. Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 112. 91 Für viele Khan/Howe, Journal of Business Ethics 2021, 325, 327; Erlebach/Veljovic, KriPoZ 2021, 165, 170; Teichmann, GA 2021, 527, 528; Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 30; Colneric, SR 2018, 232; Zimmer/Seebacher, CCZ 2013, 31; Simon/Schilling, BB 2011, 2421, 2422; so etwa im Fall Heinisch und Strecker: Mengel, CCZ 2012, 146, 152 f.; vgl. hierzu auch schon in Teil 2, B.II.3.b); vgl. auch Freshfields, WB-Survey 2020, S. 3, wonach 17 % der befragten Personen damit rechnen, dass die Meldung von Missständen eine Kündigung nach sich zieht. 92 Erlebach/Veljovic, KriPoZ 2021, 165, 170; Teichmann, GA 2021, 527, 528; Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 333; Dilling, CCZ 2019, 214; Buchert, CCZ 2013, 144, 145; Zimmer/ Seebacher, CCZ 2013, 31, 32; Zimmermann, ArbRAktuell 2012, 58; Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 329; Gerdemann, WB, Rn. 8; HaMoL/Buchert, § 42, Rn. 93; auch die Whistleblower im „Cum-Ex-Skandal“ mussten sich wegen Wirtschaftsspionage, Geheimnisverrats und anderer Delikte vor einem schweizerischen Gericht verantworten, vgl. Willmroth, in: SZ v. 25. 07. 2019; juristisch ebenso verfolgt wurden Deltoure und Halet, vgl. Krol, in: Planet Wissen v. 15. 08. 2018; Mühlauer, in: SZ v. 11. 01. 2018; vgl. zur sozialen Ächtung auch den Fall Porwoll, Falter, in: Transparency, Scheinwerfer, S. 10, 11, oder den Fall Strecker, Mengel, CCZ 2012, 146, 153. 90
C. Förderung der Meldebereitschaft
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Säule persönlicher Daseinsvorsorge und sozialen Ansehens als besonders einschneidende Repressalie dar. In der Praxis besteht deshalb die Gefahr, dass meldewillige Arbeitnehmer vor einer Offenbarung ihres Wissens, insbesondere vor einer „Flucht in die Öffentlichkeit“ zurückschrecken und das so wichtige „Insiderwissen“ in ihren Köpfen verbleibt.93 Regelmäßig wird sich ein Arbeitnehmer auf den finanziellen, beruflichen und sozialen „Selbstmord“ und den Kampf „David gegen Goliath“ nicht einlassen wollen, sofern er nicht ausreichend vor diesen Konsequenzen geschützt ist oder ein Ausgleich stattfindet.
II. Förderansätze Soll die Aufklärung betriebsinterner Missstände durch den „Einsatz“ von Whistleblowing verbessert werden, so gilt es Anreizfaktoren zu schaffen oder zu verstärken, um diese Meldehemmnisse zu überwinden. 1. Direkte und indirekte Anreizfaktoren Zur Förderung von Whistleblowing werden verschiedene direkte gesetzgeberische Regulierungsmaßnahmen diskutiert, sog. harte Anreize.94 Es kann dabei zwischen passiven und aktiven Anreizfaktoren unterschieden werden.95 Als passiver Anreizfaktor steht der bessere rechtliche Schutz des Whistleblowers vor etwaigen Repressalien im Fokus, insbesondere vor einer Kündigung, während als aktive Fördermaßnahmen vor allem die strukturelle Kanalisierung der Meldewege durch die verbindliche Einrichtung interner wie behördlicher Meldestellen sowie die finanzielle Belohnungen, sog. Incentives, in Betracht kommen.96 Ein wesentlicher und nicht zu unterschätzender indirekter Anreizfaktor liegt in einer positiven gesellschaftlichen Wahrnehmung des Phänomens Whistleblowing, die für einen meldewilligen Arbeitnehmer durch erhöhtes soziales Ansehen in seinem sozialen Umfeld unmittelbar spürbar ist und sich positiv auf seine Meldeentscheidung auswirkt.97 Dieser Anreizfaktor kann durch gesetzgeberische Maßnahmen 93
Vgl. auch Erlebach/Veljovic, KriPoZ 2021, 165, 170; Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1500; Schmolke, ZGR 2019, 876, 888; Leuchten, ZRP 2012, 142; CoE, CM/Rec(2014)7, S. 12, Ziff. 5; Freshfields, WB-Survey 2020, S. 6 zur abnehmenden Bereitschaft der (internen) Meldung von Missständen befragter deutscher Personen (nur noch 38 % statt 48 % in 2017, 9 % halten es für besser, gar nicht zu melden). 94 Vgl. insoweit Schmolke, ZGR 2019, 876, 886 f. 95 Gerdemann, RdA 2019, 16, 17; ähnlich Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 30. 96 Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 30; Gerdemann, RdA 2019, 16, 17; Schmolke, ZGR 2019, 876, 889 f. 97 Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1502; Schmolke, ZGR 2019, 876, 885.
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Teil 2: Das Phänomen Whistleblowing
zwar nicht direkt gesetzt, aber mittelbar gefördert werden. Gesetzliche Regelungen sind nämlich einerseits regelmäßig das Abbild der gesellschaftlichen Wahrnehmung, können diese andererseits aber auch im Sinne einer Wechselwirkung verändern.98 Durch eine klare Rechtsetzung kann daher die Einstellung der Bürger im Sinne einer positiven Haltung gegenüber Whistleblowern beeinflusst werden. 2. Förderung im amerikanischen und unionalen Recht Bevor näher auf die jüngsten Entwicklungen zur Förderung von Whistleblowing auf unionaler Ebene und die in der WBRL eingesetzten Anreizfaktoren eingegangen wird, lohnt sich ein – jedenfalls kurzer – Blick über den Atlantik in die USA, dem „Mutterland“ des modernen Whistleblowings mit seiner fast 150-jährigen Entwicklungsgeschichte zum Umgang mit diesem Phänomen.99 Das dortige Whistleblowingrecht bietet eine gute Orientierung zur Regelung dieser Thematik und kann dabei einerseits Vorbild und andererseits mahnendes Beispiel für Fehlerquellen sein. a) Whistleblowingrecht in den USA Der bessere rechtliche Schutz für Whistleblower, insbesondere vor dem (im Fokus dieser Arbeit stehenden) Verlust des Arbeitsplatzes, ist ein wesentlicher Grundpfeiler des Whistleblowingrechts in den USA, das aufgrund einer langjährigen Rechtsentwicklung und zahlreicher Gerichtsentscheidungen inzwischen eine Vielzahl unterschiedlichster bundes- und landesrechtlicher Rechtsquellen umfasst.100 Nach einer umfassenden Analyse von Simon Gerdemann,101 auf die zur Straffung der vorliegenden Ausführungen ausdrücklich verwiesen wird, existiere zwar eine große Zahl arbeitsrechtlicher Schutznormen für Whistleblower, trotzdem bestehe eine teils erhebliche Rechtsunsicherheit, weil der jeweils geltende Schutz gesetzlich nicht einheitlich und konsistent geregelt sei, etwa hinsichtlich des zulässigen Meldegegenstandes und der Berücksichtigung persönlicher Motive des Whistleblowers. Letztere befänden sich als Schutzvoraussetzung in der Rechtspraxis inzwischen aber durch einen verstärkten Fokus auf Whistleblowing als Instrument zur Überbrückung staatlicher Informationsasymmetrien „auf dem Rückzug“ und würden nur noch als Korrektiv für eine als unbillig empfundene Einzelfallentscheidung herangezogen.102 Zudem sei die Rechtslage zwar auch hinsichtlich des jeweils zulässigen externen 98 Schmolke, ZGR 2019, 876, 886 („expressive function of law“); ähnlich CoE, CM/ Rec(2014)7, S. 12, Ziff. 6. 99 Gerdemann, RdA 2019, 23, 27; ders., WB, Rn. 221; Paschke/Jessen, RdTW 2015, 1; ähnlich Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 134; Müller, NZA 2002, 424 f. 100 Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43; ders., WB, Rn. 15, 55, 221 f.; vgl. zur historischen Entwicklung auch ders., SR 2021, 1, 3 f. 101 Gerdemann, WB, Rn. 1 ff. 102 Gerdemann, RdA 2019, 23, 27 f.; ders., WB, Rn. 57, 59, 64 f.
C. Förderung der Meldebereitschaft
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Adressaten noch recht unübersichtlich, gerade in modernen gesetzlichen Regelungen sei aber inzwischen allein eine konkrete behördliche Meldestelle als Adressat benannt.103 Auch die Regelungen zum Schutz internen Whistleblowings seien bisher uneinheitlich, aber neuere Bundesgesetze schützten dieses ausdrücklich neben dem externen Whistleblowing und schafften so eine Gleichwertigkeit beider Meldewege.104 Trotz der inkonsistenten Rechtslage identifiziert Gerdemann in einigen Punkten eine einheitliche(re) gesetzgeberische und richterrechtliche Linie. So entfalle ein Schutz erst bei einer vorsätzlich oder grob fahrlässig unzutreffenden Meldung, um irrende Whistleblower nicht aufgrund der Unwägbarkeit der späteren Beweisbarkeit eines Missstandes von einer Meldung abzuschrecken, so dass allein ein objektiv vernünftiger Glaube an die Richtigkeit der vorgetragenen Behauptungen ausreiche.105 Flächendeckend habe sich zudem eine für den Whistleblower günstige Beweislastumkehr für die Kausalität zwischen Whistleblowing und erlittener Benachteiligung wie einer Kündigung durchgesetzt, nach welcher er zum Teil nicht einmal mit einem Anscheinsbeweis im Sinne einer „überwiegende[n] Wahrscheinlichkeit“ belastet werde. Allein die Darlegung eines rudimentären Anscheinsbeweises für eine (Mit-)Ursächlichkeit des Whistleblowings reiche aus, um den Arbeitgeber mit dem Nachweis einer zweifelsfreien Widerlegung des Kausalzusammenhangs zu belasten.106 Zuletzt existiere ein einheitlicher Wille, den Whistleblower für unrechtmäßig erlittene Nachteile umfassend zu entschädigen, wobei sich die Art der Kompensation unterscheide – von einer vollumfänglichen Naturalrestitution (inklusive Schmerzensgeldanspruch) bis hin zu pauschalierten Kompensationszahlungen.107 Neben diesen klaren Förderansätzen durch den passiven Anreizfaktor des Schutzes vor Repressalien greift das amerikanische Recht insbesondere in sensiblen und störanfälligen Bereichen auch auf aktive Anreizfaktoren zurück. So setzt der amerikanische Gesetzgeber seit dem Sarbanes-Oxley Act aus dem Jahr 2002 – jedenfalls für börsennotierte Unternehmen – zur Förderung der Meldebereitschaft auf die gesetzlich verpflichtende Einrichtung interner Meldestellen, sog. Whistleblowing-Systeme, statt die Unternehmen durch mittelbar-regulatorische Maßnahmen, wie etwa der Verbesserung des Schutzes für externe Meldungen, zur freiwilligen Einrichtung solcher Kanäle anzuhalten.108 Weltweit beispiellos dürfte die aktive Förderung durch eine finanzielle Belohnung für die Meldung von Missständen sein, wie 103
Gerdemann, WB, Rn. 60, 221. Gerdemann, RdA 2019, 23, 27; ders., WB, Rn. 60 f., 224. 105 Gerdemann, WB, Rn. 58. 106 Gerdemann, RdA 2019, 23, 27; ders., WB, Rn. 62. 107 Gerdemann, WB, Rn. 63. 108 SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 2; Zimmer/Seebacher, CCZ 2013, 31, 32; Simon/Schilling, BB 2011, 2421; Gerdemann, WB, Rn. 224; Moosmayer, Compliance, § 4, Rn. 181; Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 112. 104
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Teil 2: Das Phänomen Whistleblowing
sie heute als fester Bestandteil des amerikanischen Whistleblowingrechts zum Einsatz kommt, etwa im Bereich des Kapitalmarktrechts.109 So erhielt etwa der Whistleblower Birkenfeld für seine Hinweise auf den massiven Steuerbetrug zulasten des amerikanischen Fiskus nicht weniger als USD 104 Mio. als Belohnung.110 Diese passiven wie aktiven Förderansätze im amerikanischen Recht korrelieren auch – anders als in Kontinentaleuropa – mit einer insgesamt recht positiven kulturellen Haltung der amerikanischen Bevölkerung gegenüber Whistleblowern,111 wobei sich diese als durchaus ambivalent in Bezug auf „staatliche Whistleblower“ offenbart, wie sich deutlich in den Fällen Snowden und Manning gezeigt hat – insbesondere im Vergleich zur aktuellen Reaktion auf die Enthüllungen der „Facebook-Whistleblowerin“ Haugen.112 b) Whistleblowingrecht in der EU Die ersten Maßnahmen zur direkten Förderung der Meldebereitschaft von Whistleblowern auf unionaler Ebene erfolgten als Reaktion auf die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009.113 Für eine erfolgreiche strengere Regulierung des Finanzdienstleistungssektors setzte der Unionsgesetzgeber damals auch auf die „Insiderinformationen“ durch Whistleblower und brachte sowohl passive wie aktive Anreizfaktoren zum Einsatz. Die erlassenen Rechtsakte enthielten neben Regelungen für einen besseren Schutz vor Vergeltungsmaßnahmen auch Vorgaben zur Schaffung spezieller Verfahren für die Meldung bestimmter Verstöße zur verbesserten Steuerung und Kanalisierung der Meldewege.114 Wenngleich nicht ver109 SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 8; Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 30 f.; Paschke/Jessen, RdTW 2015, 1; Buchert, CCZ 2013, 144, 146; Reufels, in: FS Moll, S. 565, 575. 110 Vgl. hierzu die Quellenangaben in Fn. 75. 111 SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 2; Schmolke, ZGR 2019, 876, 878, 883, 915; Eufinger, WM 2016, 2336, 2341; Simon/Schilling, BB 2011, 2421; Müller, NZA 2002, 424, 425; Redder, WB, S. 37; vgl. hinsichtlich monetärer Anreizfaktoren auch Freshfields, WBSurvey 2020, S. 8. 112 Vgl. auch Hank, in: FAZ v. 28. 01. 2017 („amerikanische Doppelmoral“); Leyendecker, in: SZ v. 06. 08. 2013; Handelsblatt, Artikel v. 04. 06. 2013; Haugen wird hingegen wohl überwiegend als „Heldin“ angesehen, vgl. etwa Havertz, in: ZeitOnline v. 05. 10. 2021. 113 Vgl. etwa ErwGr. 1 Verordnung (EU) 2015/2365 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über die Transparenz von Wertpapierfinanzierungsgeschäften und der Weiterverwendung sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012; SWKArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 2. 114 Etwa Art. 32 Abs. 2 lit. a), b) und ErwGr. 74 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission; Art. 37 der Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/
C. Förderung der Meldebereitschaft
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bindlich vorgegeben, regte der Unionsgesetzgeber nach amerikanischem Vorbild darüber hinaus zur Bekämpfung von Marktmissbrauch sogar eine finanzielle Belohnung für Whistleblower an.115 Damit legte er zwar bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts den Grundstein für eine europaweite Förderung der Meldebereitschaft zur Bekämpfung staatlicher Informationsdefizite und erkannte den Nutzen des Whistleblowings zur Aufdeckung sozialschädlicher Rechtsverstöße ausdrücklich an. Indes beschränkte er seine Förderansätze allein auf bestimmte sensible binnenmarktbezogene Regulierungsbereiche anstatt sektor- und bereichsübergreifend direkte Anreizfaktoren für meldewillige Arbeitnehmer zu schaffen. Trotz möglicher lehrreicher Fehlerdiagnostik jenseits des Atlantiks übernahm der Unionsgesetzgeber damit zunächst einen wesentlichen Schwachpunkt des amerikanischen Whistleblowingrechts – die zersplitterte Regelung der Schutznormen zulasten der Rechtssicherheit aller Beteiligten. Das bisherige Recht der Europäischen Union (Unionsrecht) zeichnet sich daher vor allem durch einen fragmentarischen und teils lückenhaften Regelungsansatz aus, der sich neben der sektor- und bereichsbezogenen Rechtsetzung auch aus den jeweils unterschiedlichen Vorgaben zum geschützten Personenkreis oder den zu erfüllenden Schutzvoraussetzungen ergibt.116 Eine einheitliche und bereichsübergreifende Förderung der Meldebereitschaft von Whistleblowern oblag daher bisher den Mitgliedstaaten selbst, die dies in ganz unterschiedlicher Weise verwirklicht haben – so besteht insbesondere in Frankreich und Großbritannien117 ein recht weitgehender (arbeits-)rechtlicher Schutz für Whistleblower,118 während es in vielen anderen Mitgliedstaaten überhaupt keine oder nur (wiederum bedingt durch die fragmentarischen unionalen Vorgaben) sektorspezifische und lückenhafte WhistleblowingSchutznormen gibt.119 Im Jahr 2016 erließ der Unionsgesetzgeber mit der Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (GeschGehRL)120 überdies zunächst einen Rechtsakt, der – trotz 2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission; Art. 24 Abs. 2 lit. a), b) VO (EU) 2015/2365. 115 Art. 32 Abs. 4 und ErwGr. 74 VO (EU) Nr. 596/2014; hierzu Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 32; Eufinger, WM 2016, 2336, 2340; Pascke/Jessen, RdTW 2015, 1, 6. 116 Impact Assessment der Kommission V-WBRL, SWD(2018) 116 final, S. 13 f.; Siemes, WBRL, S. 43. 117 Mitgliedsstaat der EU bis zum 31. 01. 2020. 118 Vgl. hierzu etwa Forst, EuZA 2013, 37, 47 ff., 54 ff. – zu einer indes zum Teil überholten Rechtslage in Frankreich; Heide/Heide, WB, S. 62 f.; WDBT, Regelungen EU, 4 f., 9 ff. 119 Impact Assessment der Kommission V-WBRL, SWD(2018) 116 final, S. 12 f.; vgl. auch m. w. N. Vogel/Poth, CB 2019, 45; Siemes, WBRL, S. 45; WDBT, Regelungen EU, 5 ff.; PACE, Resolution 2300 (2019), Ziff. 6. 120 Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 08. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-Hows und vertraulicher Geschäftsinformationen
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Teil 2: Das Phänomen Whistleblowing
einer speziellen „Whistleblowing-Schutznorm“ – nach seinem Regelungsziel jedenfalls dem Grunde nach der Offenlegung betriebsinterner Missstände diametral zuwiderläuft. Gleichwohl und ohne das grundsätzliche Interesse am Geheimnisschutz in Frage zu stellen, sah er – alarmiert durch die jüngsten Wirtschafts- und Steuerskandale – nunmehr einen dringenden Handlungsbedarf für einen europaweit verbesserten, einheitlichen und bereichsübergreifenden Schutz für Whistleblower.121 Am 23. 04. 2018 legte die Kommission daher einen Vorschlag für eine Richtlinie zum Schutz von Personen vor, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (V-WBRL)122 und verwies zur Begründung darauf, dass sich bestehende unionale und mitgliedstaatliche Regelungen als nicht ausreichend erwiesen hätten und es nicht zu erwarten sei, dass alle Mitgliedstaaten entsprechend internationaler Empfehlungen ihre gesetzlichen Regelungen zum Whistleblowing vereinheitlichten und verbesserten oder solche überhaupt verabschiedeten.123 Nach langen Verhandlungen und der Durchführung eines sog. informellen Trilogverfahrens zwischen Kommission, EU-Parlament und Rat erließ der Unionsgesetzgeber am 23. 10. 2019 die WBRL, die im Wesentlichen bis zum 17. 12. 2021 in mitgliedstaatliches Recht umzusetzen ist. Sie soll zur Steigerung der Durchsetzung von Unionsrecht in einem breiten sektor- und bereichsübergreifenden Anwendungsbereich die Meldebereitschaft von Whistleblowern durch einen Schutz vor jeder Form von Repressalien sowie durch eine verpflichtende Einrichtung von internen und externen Meldekanälen erhöhen. Eine finanzielle Belohnung als aktiver Anreizfaktor ist hingegen nicht vorgesehen. Präferiertes staatliches Regulierungsinstrumentarium bleibt daher – wie im amerikanischen Recht –124 vor allem der verbesserte Schutz vor Repressalien wie einer Kündigung. Mit dem Erlass der WBRL geht der Unionsgesetzgeber damit deutlich über den nach der Wirtschafts- und Finanzkrise eingeschlagenen Weg einer direkten Förderung des Whistleblowings lediglich in bestimmten, besonders sensiblen und störanfälligen Regulierungsbereichen hinaus und gibt so seine bislang eher zurückhaltende gesetzgeberische Haltung im Umgang mit dem Phänomen Whistleblowing auf. Er ebnet dadurch auch den Weg für einen europaweiten Kulturwandel hin zu einem besseren Image von Whistleblowern.125
(Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung. 121 Vgl. Mitteilung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 214 final, S. 1; Impact Assessment der Kommission V-WBRL, SWD(2018) 116 final, S. 3, 20. 122 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, 23. 04. 2018, 2018/0106(COD). 123 Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 2018 final, S. 7. 124 Vgl. hierzu Teil 2, C.II.2.a). 125 Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1502; Schmolke, ZGR 2019, 876, 878; Siemes, WBRL, S. 124.
Teil 3
Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower Vor einer Untersuchung der Auswirkungen dieser jüngsten unionalen Schutzinitiative auf den Kündigungsschutz für Whistleblower im deutschen Recht ist es geboten, die relevanten Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower im nationalen und unionalen Recht und ihr Verhältnis zueinander darzustellen und zu strukturieren, um auf diese dogmatisch-rechtssystematischen Erkenntnisse an entsprechender Stelle zurückgreifen zu können. Die aufgrund des fortschreitenden europäischen Integrationsprozesses in nahezu allen Rechtsbereichen zunehmende Verflechtung mitgliedstaatlichen Rechts und unionaler Vorgaben umfasst inzwischen auch den Bereich des Whistleblowings, obwohl sich der Unionsgesetzgeber hier lange Zeit bedeckt gehalten und die Regulierung weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen hat. Spätestens die GeschGehRL mit ihrer expliziten „Whistleblowing-Schutznorm“ läutete aber endgültig die Ankunft dieses Themenkomplexes im verschachtelten Mehrebenensystem des mitgliedstaatlichen und unionalen Rechtsgefüges ein, wie auch die WBRL nunmehr nachdrücklich und unverkennbar bestätigt. Der Kündigungsschutz für Whistleblower findet seine maßgeblichen Rechtsquellen daher nicht nur im nationalen einfachen Recht und Verfassungsrecht, sondern auch im unionalen Primär- und Sekundärrecht.1 Die methodisch-dogmatische Strukturierung dieser Rechtsquellen, die auch den Einfluss des völkerrechtlichen Konventionsrechts berücksichtigt, wird deshalb der Analyse des bisherigen Status quo des Kündigungsschutzes im deutschen Recht und seiner anstehenden Veränderungen durch die WBRL vorangestellt, gerade auch um angesichts der Komplexität der mitgliedstaatlichen und unionalen Rechtsverflechtung die Bewältigung dieser Thematik praktisch zu erleichtern.
1
Dies gilt unbeschadet sonstiger Einflüsse auf den Rechtsschutz für Whistleblower durch internationale Abkommen oder Verträge (vgl. hierzu die Quellenangaben in Teil 1 Fn. 5), die sich indes bislang nicht erkennbar auf den Kündigungsschutz für Whistleblower im deutschen Recht ausgewirkt haben und daher in der vorliegenden Arbeit nicht gesondert besprochen werden.
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Teil 3: Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower
A. Nationales Recht Anknüpfungspunkt für den Kündigungsschutz meldewilliger Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft sind im nationalen Recht zunächst die einfachgesetzlichen Vorschriften des allgemeinen Kündigungsschutzrechts sowie die allgemeinen und spezialgesetzlichen Regelungen zur Reichweite zulässigen Arbeitnehmerverhaltens. Im ranghöheren deutschen Verfassungsrecht ergeben sich die maßgeblichen Rechtsquellen aus den Grundrechten der Arbeitsvertragsparteien unter Beachtung des Einflusses der EMRK.
I. Einfaches Recht Die Suche nach den einschlägigen Rechtsquellen im einfachen nationalen Recht führt zu § 1 Abs. 2 KSchG2 und § 626 Abs. 1 BGB, welche allgemein die Zulässigkeit einer ordentlichen und außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber regeln. An deren Rechtmäßigkeit werden im deutschen Recht hohe Anforderungen unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gestellt, weil sie zum Verlust des für den Arbeitnehmer existenziellen Arbeitsplatzes führt und damit die schärfste arbeitsrechtliche Maßnahme (ultima ratio) darstellt, auch wenn sie grundsätzlich keine Sanktion für ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers, sondern das Ergebnis einer negativen Prognoseentscheidung über die mögliche weitere (vertrauensvolle) Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist.3 Es kommt entscheidend darauf an, ob das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers im Ergebnis überwiegt, weil ihm dessen Weiterbeschäftigung nicht mehr zumutbar ist.4 Sowohl die ordentliche wie auch die außer2 Aufgrund des weiten Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG), der nur Kleinbetriebe im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG ausschließt, bedarf es für die allermeisten ordentlichen Kündigungen des Arbeitsgebers eines Kündigungsgrundes im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG; vgl. zum Anwendungsbereich des KSchG im Einzelnen BeckOK-ArbR/ Volkening, § 23 KSchG, Rn. 3 ff.; MüKoBGB/Hergenröder, § 23 KSchG, Rn. 5 ff.; außerhalb des KSchG schuldet der Arbeitgeber aufgrund der zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB nur ein „Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme“, st. Rspr. BAG, Urteil v. 19. 10. 2017 – 8 AZR 847/15, BeckRS 2017, 144136, Rn. 19 f.; BAG, Urteil v. 23. 04. 2009 – 6 AZR 533/08, NZA 2009, 1260, 1263, Rn. 32; BAG, Urteil v. 21. 02. 2001 – 2 AZR 15/00, NZA 2001, 833, 836; Ruffert, JuS 2020, 1, 3. 3 Vgl. etwa BVerfG, Beschluss v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888, 889; st. Rspr. BAG, Urteil v. 13. 12. 2018 – 2 AZR 370/18, NJW 2019, 1161, 1163, Rn. 29; BAG, Urteil v. 20. 11. 2014 – 2 AZR 651/13, NZA 2015, 294, 296, Rn. 21; BAG, Urteil v. 21. 11. 1996 – 2 AZR 357/95, NZA 1997, 487, 490; vgl. auch jeweils m. w. N. SWK-ArbR/Biester, Außerordentliche Kündigung, Rn. 4; BeckOK-BGB/Plum, § 626 BGB, Rn. 17. 4 St. Rspr. BAG, Urteil v. 07. 05. 2020 – 2 AZR 619/19, NZA 2020, 1022, 1023, Rn. 15; BAG, Urteil v. 19. 04. 2012 – 2 AZR 186/11, NZA 2013, 27, 29, Rn. 22; BAG, Urteil v. 30. 05. 1978 – 2 AZR 630/76, NJW 1979, 332, 333; HaKo-KSchR/Pfeiffer, § 1 KSchG, Rn. 177; BeckOK-ArbR/Rolfs, § 1 KSchG, Rn. 66; MüKoBGB/Hergenröder, § 1 KSchG, Rn. 128.
A. Nationales Recht
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ordentliche Kündigung setzen in aller Regel einen Kündigungsgrund voraus, der sich beim Whistleblowing aus einem schuldhaften Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Rücksichtnahmepflicht ergeben kann.5 Wie jedes andere synallagmatische Schuldverhältnis ist auch das Arbeitsverhältnis von wechselseitigen Haupt- und Nebenpflichten geprägt und verlangt nach § 241 Abs. 2 BGB insbesondere eine gegenseitige Rücksichtnahme auf die „Rechte, Rechtsgüter und Interessen“ der jeweils anderen Partei.6 Diese Rücksichtnahmepflicht, die das Integritätsinteresse der Parteien schützt, gilt für die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer besonderen persönlichen und existenziellen Verbindung in erhöhtem Maße und führt zu zahlreichen Schutz- und Aufklärungspflichten.7 Der Arbeitnehmer ist mit Eintritt in das Arbeitsverhältnis daher nicht nur zur Erbringung seiner Arbeitsleistung verpflichtet, sondern darf sich gegenüber dem Arbeitgeber auch nicht illoyal verhalten oder dessen schutzwürdige Interessen verletzen. Soweit eine potenzielle verhaltensbedingte Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers durch die Meldung von Missständen Anlass für das arbeitgeberseitige Beendigungsinteresse ist, stellen demnach all diejenigen einfachgesetzlichen Normen, die Reichweite und Umfang dieser Rücksichtnahmepflicht im Hinblick auf die Meldung betriebsinterner Missstände festlegen oder konkretisieren, relevante Rechtsquellen für den Kündigungsschutz für Whistleblower dar. Neben § 241 Abs. 2 BGB als dogmatischem Ausgangspunkt der gegenseitigen Rücksichtnahmepflicht im bipolaren Arbeitsvertragsverhältnis kommen als maßgebliche Rechtsquellen daher insbesondere spezialgesetzliche Regelungen in Betracht, die diese konkretisieren, etwa § 17 ArbSchG, §§ 13 Abs. 1 S. 1 und 27 Abs. 1 AGG, § 4d Abs. 1, 6 FinDAG, § 3b Abs. 1, 5 BörsG, §§ 48 und 53 Abs. 1, 5 GwG, § 34d Abs. 12 GewO, § 23 Abs. 1, 3 WpHG oder § 84 BetrVG, oder die jedenfalls zu ihrer Konkretisierung herangezogen werden können, etwa §§ 3 Abs. 2 und 5 Nr. 2 GeschGehG oder §§ 138 und 164 StGB.
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St. Rspr. BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, Rn. 11, 14; BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 429; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15. 04. 2019 – 3 Sa 411/18, juris, Rn. 67; ArbG Gelsenkirchen, Urteil v. 14. 06. 2017 – 2 Ca 2166/16, juris, Rn. 70; für viele ArbR-Hdb/Linck, § 127, Rn. 66; SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 15; Zimmer/Seebacher, CCZ 2013, 31 f.; vgl. allgemein zum Verstoß gegen § 241 Abs. 2 BGB als Kündigungsgrund st. Rspr. BAG, Urteil v. 07. 05. 2020 – 2 AZR 619/19, NZA 2020, 1022, 1023, Rn. 15; BAG, Urteil v. 26. 11. 2009 – 2 AZR 751/08, NZA 2010, 823, Rn. 10; BAG, Urteil v. 02. 03. 2006 – 2 AZR 53/05, NZA-RR 2006, 636, 638, Rn. 21. 6 Etwa SWK-ArbR/Altenburg, Arbeitsvertrag, Rn. 23, 36; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 639, 708; Röller/Küttner/Kreitner, Treuepflicht, Rn. 1; Fuhlrott/Oltmanns, DB 2017, 2354. 7 Für viele m. w. N. MüHdb-ArbR/Reichold, § 53, Rn. 15; zum geschichtlichen Hintergrund der treuerechtlichen Verbindung der Arbeitsvertragsparteien m. w. N. ArbR-Hdb/Linck, § 53, Rn. 1 f.
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Teil 3: Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower
II. Verfassungsrecht Eine bedeutsame Rechtsquelle des Kündigungsschutzes für Whistleblower liegt zudem im ranghöheren Verfassungsrecht, namentlich in den jeweils zum Schutz der divergierenden Interessen der Arbeitsvertragsparteien einschlägigen Grundrechte. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe sind als grundlegende objektive Wertentscheidungen des Grundgesetzes bei der Auslegung jeder Norm des einfachen Rechts zu berücksichtigen, wobei insbesondere unbestimmte Rechtsbegriffe oder Generalklauseln sog. Einbruchstellen darstellen.8 So entfalten die grundsätzlich staatsbezogenen Grundrechte auch im Privatrecht eine richtungsgebende Ausstrahlungswirkung und führen zu einer sog. mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte gegenüber Privaten, weil im multipolaren Rechtsverhältnis widerstreitende und gleichberechtigt nebeneinander stehende Grundrechte durch eine umfassende Abwägung in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden müssen, sog. praktische Konkordanz.9 Soweit sich die nachfolgenden Grundrechte des Whistleblowers und des Arbeitgebers bei einer kündigungsauslösenden Meldung betriebsinterner Missstände gegenüberstehen, muss ihnen mithin im Rahmen der Prüfung der Kündigung dadurch Geltung verschafft werden, dass sie bei der Anwendung und Auslegung einfachgesetzlicher Normen, insbesondere zur Konkretisierung normativer Spielräume, berücksichtigt und mittels Abwägung in Einklang gebracht werden. 1. Grundrechte des Whistleblowers Das interne und externe Whistleblowing kann vom Schutzbereich verschiedener Grundrechte des Arbeitnehmers umfasst sein. a) Meinungsfreiheit Die Meldung unternehmensinterner Missstände fällt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, die auch im Arbeitsverhältnis ge-
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St. Rspr. BVerfG, Beschluss v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 (Recht auf Vergessen I), NJW 2020, 300, 305, Rn. 76; BVerfG, Urteil v. 15. 01. 1958 – 1 BvR 400/57 (Lüth), NJW 1958, 257 f.; für viele Herzog-GG/Herdegen, Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 74; ArbR-Hdb/Linck, § 3, Rn. 2; Ruffert, JuS 2020, 1, 2; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 195. 9 St. Rspr. BVerfG, Beschluss v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 (Recht auf Vergessen I), NJW 2020, 300, 305, Rn. 76 f.; BVerfG, Beschluss v. 11. 04. 2018 – 1 BvR 3080/09 (Stadionverbot), NJW 2018, 1667, 1668, Rn. 32; BVerfG, Beschluss v. 19. 07. 2011 – 1 BvR 1916/09 (Verbreitungsrecht des Urhebers), NJW 2011, 3428, 3432, Rn. 86; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 195; vgl. zur bis heute umstrittenen dogmatischen Herleitung der mittelbaren Drittwirkung jeweils m. w. N. NK-ArbR/Frieling, Art. 3 GG, Rn. 50; Wank, RdA 2020, 1, 5; Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492, 493 f.; Redder, WB, S. 59; Kreis, WB, S. 68.
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schützt ist10 und grundsätzlich das Recht gewährleistet, eine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und nach außen kundzutun. aa) Schutzumfang Der Begriff „Meinung“ wird verfassungsrechtlich weit ausgelegt und schützt alle Äußerungen, die durch das „Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens“ geprägt sind, also Werturteile enthalten.11 Dabei wird als Meinung die persönliche, subjektive Auffassung über Umstände oder Tatsachen ganz unabhängig davon geschützt, ob ihr eine allgemeine Werthaltigkeit zugesprochen werden kann, aus welchen Motiven sie geäußert wird, welches Medium der Äußernde verwendet oder welchem Adressaten er sich offenbart.12 Aufgrund der elementaren Bedeutung der Meinungsfreiheit für unsere Demokratie fallen selbst schmähende oder formalbeleidigende Äußerungen noch in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, wenngleich sie regelmäßig eine Abwägung mit widerstreitenden Grundrechten zur Rechtfertigung eines Eingriffs entbehrlich machen, weil sie die Meinungsfreiheit hinter diese zurücktreten lassen.13 Von Werturteilen zu unterscheiden sind reine Tatsachenbehauptungen, die streng genommen kein wertendes Element enthalten, weil sie allein einem Beweis zugängliche Umstände mitteilen.14 Auch sie sind aber durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt, „da und soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind“.15 10 St. Rspr. BAG, Urteil v. 05. 12. 2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 646, 654, Rn. 93; BAG, Urteil v. 31. 07. 2014 – 2 AZR 505/13, NZA 2015, 245, 249, Rn. 42; BAG, Urteil v. 24. 11. 2005 – 2 AZR 584/04, NZA 2006, 650, 652, Rn. 24; HWK/Thüsing, § 611a BGB, Rn. 532. 11 St. Rspr. BVerfG, Beschluss v. 19. 12. 2020 – 1 BvR 704/18, ZUM 2021, 345, 347, Rn. 21; BVerfG, Beschluss v. 17. 09. 2012 – 1 BvR 2979/10, NJW 2012, 3712, 3713, Rn. 25; BVerfG, Beschluss v. 22. 06. 1982 – 1 BvR 1367/79, NJW 1983, 1415 f.; für viele und jeweils m. w. N. Kersten, JuS 2017, 193, 196; Redder, WB, S. 42. 12 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 27. 08. 2019 – 1 BvR 811/17, ZUM-RD 2020, 18, 19, Rn. 16; BVerfG, Beschluss v. 09. 10. 1991 – 1 BvR 1555/88, NJW 1992, 1439, 1440; BVerfG, Beschluss v. 14. 03. 1972 – 2 BvR 41/71, NJW 1972, 811, 813; für viele und jeweils m. w. N. ErfK/Schmidt, Art. 5 GG, Rn. 5, 9 ff.; DHSW/Becker, Art. 5 GG, Rn. 3; BeckOK-GG/ Schemmer, Art. 5 GG, Rn. 9; Klaas, CCZ 2019, 163, 168. 13 St. Rspr. BVerfG, Beschluss v. 16. 10. 2020 – 1 BvR 1024/19 („dämliches Grinsen“), NJW 2021, 301, 302, Rn. 14; BVerfG, Beschluss v. 10. 10. 1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92 und 1 BvR 221/92, NJW 1995, 3303, 3304; BVerfG, Beschluss v. 26. 06. 1990 – 1 BvR 1165/89, NJW 1991, 95, 96; BeckOK-GG/Schemmer, Art. 5 GG, Rn. 4; Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492, 495; anders (noch) im Hinblick auf Formalbeleidigungen BVerfG, Beschluss v. 19. 04. 1990 – 1 BvR 40/86, 42/86, NJW 1990, 1980, 1981; Herzog-GG/ Grabenwarter, Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 GG, Rn. 61 f.; a. A. ErfK/Schmidt, Art. 5 GG, Rn. 5; DHSW/Becker, Art. 5 GG, Rn. 2. 14 BVerfG, Beschluss v. 04. 08. 2016 – 1 BvR 2619/13, BeckRS 2016, 50714, Rn. 13. 15 St. Rspr. BVerfG, Beschluss v. 27. 08. 2019 – 1 BvR 811/17, NJW 2019, 3567, 3568, Rn. 16; BVerfG, Beschluss v. 22. 06. 2018 – 1 BvR 2083/15, NJW 2018, 2861, Rn. 14; BVerfG, Beschluss v. 09. 10. 1991 – 1 BvR 1555/88, NJW 1992, 1439, 1440.
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Diese meinungsbezogenen Tatsachenbehauptungen verlieren den Schutz der Meinungsfreiheit erst dann, wenn sie nichts mehr zur Meinungsbildung beitragen, weil sie bewusst oder erwiesen unrichtig sind.16 Dabei werden keine überzogenen Anforderungen an die Richtigkeit der Tatsachen gestellt, um den Schutz der Meinungsfreiheit insgesamt nicht zu untergraben, denn bisweilen kann die Abgrenzung zwischen einer reinen Tatsachenbehauptung und einem Werturteil schwierig sein – regelmäßig vermischen sie sich und machen erst gemeinsam den Sinn der gesamten Äußerung aus. Im Zweifel ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit daher weit auszulegen, um ihn nicht verfassungswidrig zu verkürzen.17 bb) Meinungsäußerung durch Whistleblower Auf den ersten Blick weisen Whistleblower durch die Meldung betriebsinterner Missstände allein auf beweisbare Tatsachen hin, so dass der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG fraglich erscheint. Diese Meldung ist aber auch stets Ausdruck einer subjektiven Bewertung der Tatsachen als eines mitteilungsbedürftigen Missstands, das heißt als eines rechtswidrigen oder zumindest unethischen Umstands. Der Arbeitnehmer beurteilt die ihm bekannten Tatsachen aufgrund seines subjektiven Rechtsempfindens und entsprechend seiner Moralvorstellungen. Die Meldung von Missständen ist mithin nicht allein auf eine reine Informationsweitergabe beschränkt, sondern ihr ist vielmehr ein Werturteil des Whistleblowers immanent, so dass sie grundsätzlich vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst ist.18 cc) Anonymes Whistleblowing Aus Angst vor Repressalien und zum Schutz der eigenen Identität melden Whistleblower Missstände bisweilen anonym. Wenngleich eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 1998 nahelegt, dass anonyme Äußerungen den Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG genießen, hat das Gericht diese 16 St. Rspr. BVerfG, Beschluss v. 27. 08. 2019 – 1 BvR 811/17, NJW 2019, 3567, 3568, Rn. 16; BVerfG, Beschluss v. 25. 06. 2009 – 1 BvR 134/03, NJW-RR 2010, 470; BVerfG, Beschluss v. 03. 06. 1980 – 1 BvR 797/78, NJW 1980, 2072, 2073; Herzog-GG/Grabenwarter, Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 GG, Rn. 49; NK-ArbR/Frieling, Art. 5 GG, Rn. 4; kritisch hierzu ErfK/ Schmidt, Art. 5 GG, Rn. 7. 17 St. Rspr. BVerfG, Beschluss v. 19. 12. 2020 – 1 BvR 704/18, ZUM 2021, 345, 347, Rn. 21; BVerfG, Beschluss v. 04. 08. 2016 – 1 BvR 2619/13, BeckRS 2016, 50714, Rn. 13; BVerfG, Beschluss v. 09. 10. 1991 – 1 BvR 1555/88, NJW 1992, 1439, 1440; BAG, Urteil v. 05. 12. 2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 646, 654, Rn. 94; allgemein kritisch zum Ausschluss von Tatsachen aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG Payandeh, JuS 2016, 690, 691. 18 So auch st. Rspr. BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 14; BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430; vgl. auch für viele Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1498 f.; Klaas, CCZ 2019, 163, 164; Fahrig, NZA 2010, 1223; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 196 f.; Redder, WB, S. 42 f.; so auch, aber kritischer Schlachter, RdA 2012, 109, 110; Becker, DB 2011, 2202, 2204; Müller, NZA 2002, 424, 430.
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Frage letztlich offengelassen und lediglich ein Recht auf Nennung des eigenen Namens postuliert: „Zur Meinungsfreiheit gehört das Recht des sich Äußernden, für seine Äußerung diejenigen Formen und Umstände zu wählen, die ihr eine möglichst große Wirkung sichern. Die Wirkung einer Äußerung auf Dritte hängt aber wesentlich davon ab, ob ihr Urheber erkennbar ist oder nicht. Anonymen Äußerungen fehlt häufig dasjenige Maß an Authentizität und Glaubhaftigkeit, welches ihnen erst den gewünschten Einfluß verleiht oder Reaktionen hervorruft.“19 [Hervorhebung durch Verf.]
In der fachgerichtlichen Judikatur wird der Schutz anonymer Meinungsäußerungen mangels klarer verfassungsrechtlicher Vorgaben unterschiedlich beurteilt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat zum externen Whistleblowing durch eine anonyme Strafanzeige ausgeführt: „Zwar unterfallen Arbeitnehmeranzeigen und Beschwerden grundsätzlich dem Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG. Dies kann aber nicht für eine anonym erstattete Anzeige, bei der der Anzeiger ungenannt bleibt und gerade nicht seine persönliche Meinung kundtun will, gelten. Eine solche anonyme Anzeige fällt nicht in den Schutzbereich des Art. 5 I GG. Ihr fehlt es gerade an dem konstituierenden Element der Subjektivität.“20 [Hervorhebung durch Verf.]
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Zusammenhang mit anonymen Äußerungen im Internet hingegen festgehalten: „Eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können, ist mit Art. 5 I 1 GG nicht vereinbar. Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde […] die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern. Dieser Gefahr der Selbstzensur soll durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung entgegen gewirkt werden.“21 [Hervorhebung durch Verf.]
Letzterer Auffassung ist zuzustimmen. Es ist nicht überzeugend, dass es für die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG darauf ankommen soll, ob das entäußerte Werturteil einer bestimmten Person zugeordnet werden kann. Die Meinungsfreiheit schützt die Äußerung als Ergebnis eines subjektiven, wertbildenden Abwägungsprozesses des Urhebers unabhängig von ihrer Zuordnung zu seiner Person.22 Durch die Anonymisierung ändert sich weder der Inhalt des Abwägungsergebnisses noch die darin zum Ausdruck kommende Wertung. Insbesondere verhindert sie auch nicht, dass die Äußerung einen Beitrag zur (allgemeinen) Meinungsbildung leisten kann, denn sie führt allenfalls zu einer Einbuße an 19
BVerfG, Beschluss v. 24. 03. 1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889, 2890. BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430. 21 BGH, Urteil v. 23. 06. 2009 – VI ZR 196/08, NJW 2009, 2888, 2892, Rn. 38; bestätigend BGH, Urteil v. 23. 09. 2014 – VI ZR 358/13, NJW 2015, 489, 493, Rn. 41. 22 So auch Klaas, CCZ 2019, 163, 164; Redder, WB, S. 48; vgl. insoweit zur Pressefreiheit BVerfG, Beschluss v. 08. 10. 1996 – 1 BvR 1183/90, NJW 1997, 386, 387. 20
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Glaubhaftigkeit des Werturteils und an Glaubwürdigkeit seines Urhebers.23 Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG umfasst danach mit der wohl herrschenden Auffassung auch anonyme Meinungsäußerungen.24 Die gegenteilige Auffassung kann letztlich eine Abschreckungswirkung haben und bisweilen zu einem Verzicht auf die Entäußerung eines Werturteils führen, sog. chilling effect, und damit etwa verhindern, dass Arbeitnehmer Missstände in ihrem Unternehmen melden. Dies stünde im Widerspruch zur besonderen Bedeutung der Meinungsfreiheit in unserem demokratischen Rechtsstaat und ist verfassungsrechtlich gerade nicht gewollt.25 b) Staatsbürgerliches Anzeigerecht Bei externem Whistleblowing gegenüber Strafverfolgungsbehörden nimmt der Arbeitnehmer zudem sein grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG geschütztes staatsbürgerliches Anzeigerecht wahr, welches das BVerfG aus dem staatlichen Gewaltmonopol sowie dem Allgemeininteresse an einer funktionsfähigen Strafrechtspflege herleitet.26 Um eine effektive Arbeit der Strafverfolgungsbehörden zur Erhaltung des Rechtsfriedens und zur Aufklärung von Straftaten zu 23 Vgl. insoweit etwa BVerfG, Beschluss v. 24. 03. 1998 – 1 BvR 131/96, NJW 1998, 2889, 2890 f.; Klaas, CCZ 2019, 163, 164; Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 132 ff., der von einem Wert der Glaubhaftigkeit anonymer Meldungen von 50 % ausgeht; vgl. zur Pressefreiheit auch BVerfG, Beschluss v. 22. 03. 2007 – 1 BvR 2007/02, ZUM 2007, 463, 466; kritisch und eine Einbuße an Authentizität ablehnend Kersten, JuS 2017, 193, 196 f.; Redder, WB, S. 48. 24 BGH, Urteil v. 23. 09. 2014 – VI ZR 358/13, NJW 2015, 489, 493, Rn. 41; BGH, Urteil v. 23. 06. 2009 – VI ZR 196/08, NJW 2009, 2888, 2892, Rn. 38; OLG Frankfurt a. M., Urteil v. 08. 03. 2012 – 16 U 125/11, NJW 2012, 2896, 2897; OLG Hamm, Beschluss v. 03. 08. 2011 – I-3 U 196/10, ZUM-RD 2011, 684, 685; OLG Hamburg, Urteil v. 04. 02. 2009 – 5 U 180/07, ZUM 2009, 417, 420; OLG Köln, Urteil v. 27. 11. 2007 – 15 U 142/07, MMR 2008, 101, 104; LG Münster, Urteil vom 11. 10. 2010 – 8 O 224/10, juris, Rn. 28; LAG Hamm, Urteil v. 21. 07. 2011 – 11 Sa 2248/10, juris, Rn. 101, 103; ArbG Gelsenkirchen, Urteil v. 14. 06. 2017 – 2 Ca 2166/16, juris, Rn. 7, 70; m. w. N. Herzog-GG/Grabenwarter, Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 GG, Rn. 86; Klaas, CCZ 2019, 163, 164; Kersten, JuS 2017, 193, 196; Kühling, NJW 2015, 447, 448; Redder, WB, S. 48; ausdrücklich für die Pressefreiheit BVerfG, Beschluss v. 08. 10. 1996 – 1 BvR 1183/90, NJW 1997, 386, 387; a. A. NK-ArbR/Frieling, Art. 5 GG, Rn. 25; Rottenwallner, VR 2020, 189, 195; Rudkowski, CCZ 2013, 2014, 205, Fn. 37; Simon/Schilling, BB 2011, 2421, 2422, Fn. 18; Becker, DB 2011, 2202, 2204, Fn. 16; Stein, BB 2004, 1961, 1963; Kreis, WB, S. 69; wohl auch Schlachter, RdA 2012, 108, 110; Heide/Heide, WB, S. 37. 25 BGH, Urteil v. 23. 06. 2009 – VI ZR 196/08, NJW 2009, 2888, 2892, Rn. 38; HerzogGG/Grabenwarter, Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 GG, Rn. 86; Klaas, CCZ 2019, 163, 164; Kersten, JuS 2017, 193, 197; Kühling, NJW 2015, 447, 448. 26 BVerfG, Beschluss v. 02. 10. 2001 – 1 BvR 1372/01, NZM 2002, 61; BVerfG, Beschluss v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888, 889; BVerfG, Beschluss v. 25. 02. 1987 – 1 BvR 1086/85, NJW 1987, 1929; kritisch zur dogmatischen Herleitung Redder, WB, S. 54 f.; einfachrechtlicher Ausfluss dieses verfassungsrechtlich geschützten staatsbürgerlichen Anzeigerechts sind unter anderem § 158 StPO und § 77 StGB; eine allgemeine Anzeigepflicht existiert im deutschen Recht – mit Ausnahme des § 138 StGB – hingegen nicht, Zimmermann, ArbRAktuell 2012, 58.
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gewährleisten, sind danach sowohl die initiale Anzeigeerstattung des Arbeitnehmers als auch seine „freiwillige“, das heißt auf „eigene[m] Antrieb“ beruhende, sowie seine verpflichtende Beteiligung als Zeuge im Strafverfahren verfassungsrechtlich geschützt.27 Das BVerfG konstatiert, dass die Beteiligung des Bürgers an Strafverfahren als Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte eine „von der Rechtsordnung erlaubte und gebilligte Möglichkeit“ darstelle und das Verbot der Privatgewalt und die Verstaatlichung der Rechtsdurchsetzung ausgleiche, auf die der Rechtsstaat nicht verzichten könne.28 Der Schutzbereich des staatsbürgerlichen Anzeigerechts dürfte auch anonyme Strafanzeigen umfassen, denn die Anonymität schmälert nicht den verfassungsrechtlich geschützten und für den Rechtsstaat unabdingbaren Beitrag zur Funktionsfähigkeit der Strafverfolgung und zum Rechtsfrieden durch die Anzeige von Missständen.29 Das BVerfG selbst hat den Schutz des Arbeitnehmers durch dieses allgemeine staatsbürgerliche Anzeigerecht ausdrücklich zwar nur für Strafanzeigen bei den Strafverfolgungsbehörden entwickelt, es dürfte aber auch bei Meldungen von Missständen an sonstige staatliche Stellen einschlägig sein.30 Das zu seiner Herleitung herangezogene Allgemeininteresse gilt nicht nur für eine funktionsfähige Strafrechtspflege, sondern gleichermaßen für die Rechtsdurchsetzung durch den gesamten Staatsapparat und bezieht sich auf die Mitwirkung der Bürger bei behördlicher Ermittlungsarbeit zur Aufdeckung und Ahndung von Missständen.31 Für außerstaatliche Stellen, etwa die Presse, gilt dies zweifelsfrei nicht.32
27 BVerfG, Beschluss v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888, 889 f.; BVerfG, Beschluss v. 25. 02. 1987 – 1 BvR 1086/85, NJW 1987, 1929; Müller, NZA 2010, 424, 430; Redder, WB, S. 54, 56. 28 BVerfG, Beschluss v. 25. 02. 1987 – 1 BvR 1086/85, NJW 1987, 1929. 29 Vgl. insoweit für den Fall einer anonym erstatteten Strafanzeige BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 135/02, NZA 2004, 427, 429; LAG Hamm, Urteil v. 21. 07. 2011 – 11 Sa 2248/ 10, juris, Rn. 102; ArbG Gelsenkirchen, Urteil v. 14. 06. 2017 – 2 Ca 2166/16, juris, Rn. 70. 30 So auch LAG Hessen, Urteil v. 27. 11. 2001 – 15 Sa 411/01, NZA-RR 2002, 637, 638 („Anzeigen und Beschwerden bei Behörden“); Rudkowski, CCZ 2013, 204, 205; Redder, WB, S. 54; Kreis, WB, S. 47, 72 f.; in diese Richtung auch BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 37 („Anzeigen bei Strafverfolgungsbehörden oder anderen zuständigen Stellen“); vgl. auch LAG Köln, Urteil v. 05. 07. 2012 – 6 Sa 71/12, juris, Rn. 16 (Anzeige beim Jugendamt); i. E. folgt dies auch aus der Entscheidung des BVerfG v. 02. 07. 2001 selbst, denn das BVerfG führt in dieser aus, dass „verfassungsrechtlich unbedenklich […] noch der vom LAG aufgestellte Rechtssatz [sei], welcher sich auf ,Anzeigen und Beschwerden bei Behörden‘ bezieht“, BVerfG, Beschluss v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888, 889. 31 So oder ähnlich Rudkowski, CCZ 2013, 204, 205; Redder, WB, S. 54; ausführlich hierzu Kreis, WB, S. 44 ff.; wohl auch Klaas, CCZ 2019, 163, 164. 32 Ebenso Redder, WB, S. 54.
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Teil 3: Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower
c) Sonstige Grundrechte Whistleblowing gegenüber Behörden kann weiterhin durch das Petitionsrecht aus Art. 17 GG geschützt sein, sofern die Meldung schriftlich erfolgt.33 Eine solche Meldung enthält in der Regel auch das erforderliche Begehren des Arbeitnehmers auf ein Eingreifen staatlicher Stellen zur Ahndung oder Beseitigung eines Missstandes.34 Auch anonyme Petitionen dürften unter den grundrechtlichen Schutz fallen, denn für dieses Begehren kann es letztlich nicht auf die Namensnennung des Petenten ankommen.35 Zudem kann auch der Schutzbereich der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1, 2 GG eröffnet sein, sofern der Meldung der Missstände im Einzelfall deren Bewertung als „gut“ oder „böse“ zugrunde liegt.36 Im Schrifttum werden zwar noch weitere durch das Whistleblowing potenziell wahrgenommene Grundrechte des Arbeitnehmers angeführt, etwa Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG oder auch Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG.37 Ihre Berücksichtigung dürfte aber im Einzelfall nicht zu einem anderen Abwägungsergebnis als unter Rückgriff auf die Meinungsfreiheit und/oder das staatsbürgerliche Anzeigerecht führen.38 In der einschlägigen arbeitsgerichtlichen Judikatur werden all diese sonstigen Grundrechte daher wohl auch nicht einmal erwähnt oder ihre Einschlägigkeit letztlich offengelassen.39
33 Etwa BAG, Urteil v. 18. 06. 1970 – 2 AZR 369/69, juris, Rn. 15; Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1499; Klaas, CCZ 2019, 163, 164; Rudkowski, CCZ 2013, 204, 205; Becker, DB 2011, 2202, 2204; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 197; Stein, BB 2004, 1961, 1963; Müller, NZA 2002, 424, 430; Redder, WB, S. 52; Kreis, WB, S. 71; offenlassend BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430; vgl. allgemein zu Art. 17 GG BVerfG, Beschluss v. 15. 05. 1992 – 1 BvR 1553/90, NJW 1992, 3033; Herzog-GG/Klein/Schwarz, Art. 17 GG, Rn. 42 ff. 34 Klaas, CCZ 2019, 163, 164; Müller, NZA 2002, 424, 430; Redder, WB, S. 52. 35 Ebenso und m. w. N. zum Meinungsstand Redder, WB, S. 52 f.; a. A. Stein, BB 2004, 1961, 1963; Heide/Heide, WB, S. 38. 36 Vgl. auch ErfK/Schmidt, Art. 4 GG, Rn. 73; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 197; Redder, WB, S. 49; Heide/Heide, WB, S. 36 f.; vgl. allgemein zu Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG BAG, Urteil v. 24. 02. 2011 – 2 AZR 636/09, NZA 2011, 1087, 1090; BeckOK-GG/Germann, Art. 4 GG, Rn. 19 f., 87 ff. 37 Etwa HWK/Thüsing, § 611a BGB, Rn. 536; Klaas, CCZ 2019, 163, 165; Fahrig, NZA 2010, 1223; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 197; Müller, NZA 2002, 424, 431; Redder, WB, S. 56 ff.; bisweilen wird auch Art. 3 Abs. 1 GG als potenziell einschlägiges Grundrecht angeführt, vgl. Klaas, CCZ 2019, 163, 165, was aber jedenfalls für die Kündigung eines Whistleblowers wegen ihrer einzelfallbezogenen Beurteilung verfehlt erscheint, vgl. insoweit auch BAG, Urteil v. 16. 07. 2015 – 2 AZR 85/15, NZA 2016, 161, 168, Rn. 76. 38 Ähnlich Becker, DB 2011, 2202, 2204; Redder, WB, S. 49; Kreis, WB, S. 71, 73. 39 Etwa BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2016, 703, 704, Rn. 14; BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1066, Rn. 22; BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 429 f.
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2. Grundrechte des Arbeitgebers Die der Ausübung dieser Grundrechte durch den Arbeitnehmer entgegenstehenden Arbeitgeberinteressen genießen ebenfalls grundrechtlichen Schutz, der sich vor allem aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG ergibt. a) Unternehmerfreiheit Der Arbeitgeber kann im Falle des Whistleblowings auf den Schutz des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG40 verweisen, das unter anderem die unternehmerische und wirtschaftliche Betätigung schützt und insoweit allgemein als Unternehmerfreiheit bezeichnet wird.41 Es gewährleistet die Freiheit, unabhängig von der jeweiligen Größe ein Gewerbe zu betreiben und ein Unternehmen zu gründen und zu führen.42 Als sog. Wirtschaftsgrundrecht ist die Berufsfreiheit Garant für eine freiheitliche Wirtschaftsverfassung und schützt den Zugang und die Teilhabe an Wettbewerb und Wirtschaftsleben, das heißt grundsätzlich jedes erwerbswirtschaftliche und berufsbezogene Verhalten am Markt.43 Geschützt ist damit insbesondere das unternehmerische Interesse am Unternehmenswohl, an der Aufrechterhaltung der innerbetrieblichen Ordnung und auch an der Geheimhaltung betriebsinterner Vorgänge und Informationen.44 Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem verfassungsrechtlichen Schutz sog. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu, also dem Schutz technischen und kaufmännischen Wissens, das „nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich [ist] und an [dessen] Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat“, weil es für
40 Zur Anwendbarkeit auf juristische Personen des Privatrechts gem. Art. 19 Abs. 3 GG vgl. st. Rspr. BVerfG, Beschluss v. 27. 04. 2021 – 2 BvR 206/14 (Zulassung eines britischen Konkurrenz-Tiergenerikums), NVwZ 2021, 1211, 1214, Rn. 48; BVerfG, Beschluss v. 26. 06. 2002 – 1 BvR 558/91 u. a. (Glykolwein), NJW 2002, 2621, 2622; BVerfG, Urteil v. 01. 03. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/79, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699, 707 f.; Herzog-GG/Scholz, Art. 12 GG, Rn. 106 f.; BeckOK-GG/Ruffert, Art. 12 GG, Rn. 38. 41 Etwa BVerfG, Beschluss v. 30. 07. 2003 – 1 BvR 792/03 (Kopftuch), NZA 2003, 959 f.; BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 429 f.; ErfK/Schmidt, Art. 12 GG, Rn. 14; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 195. 42 BVerfG, Urteil v. 01. 03. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699, 708; m. w. N. Kreis, WB, S. 69. 43 St. Rspr. BVerfG, Beschluss v. 27. 04. 2021 – 2 BvR 206/14 (Zulassung eines britischen Konkurrenz-Tiergenerikums), NVwZ 2021, 1211, 1214, Rn. 48 f.; BVerfG, Urteil v. 21. 10. 2014 – 2 BvE 5/11, NVwZ 2014, 1652, 1657, Rn. 155; BVerfG, Urteil v. 01. 03. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/79, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699, 707 f.; BeckOK-GG/Ruffert, Art. 12 GG, Rn. 12; Herzog-GG/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 116. 44 Vgl. insoweit BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430; Redder, WB, S. 114 f.; Kreis, WB, S. 69.
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eine erfolgreiche unternehmerische Betätigung am Markt elementar und existenzsichernd ist.45 Der verfassungsrechtliche Schutz unternehmensinterner Vorgänge und Informationen vor einer Offenlegung dürfte dabei nicht auf „legale“ Betriebsinterna begrenzt sein, also solche, die weder durch Verstoß gegen gesetzliche Regelungen zustande gekommen sind noch rechtswidrig verwendet werden, sondern umfasst grundsätzlich auch „illegale“ Vorgänge und Machenschaften des Unternehmens oder einzelner Angestellter. Der Verfassung selbst kann keine Beschränkung des Schutzbereichs des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG auf die Geheimhaltung allein legaler Wirtschaftsbetätigung entnommen werden, weil ihr Schutz vielmehr unabhängig von jeder einfachgesetzlichen Bewertung als „legal“ oder „illegal“ gewährt wird.46 Es widerspräche dem Vorrang der Verfassung, könnte der Gesetzgeber durch einfachgesetzliche Normen die Reichweite des verfassungsrechtlichen Schutzes determinieren.47 Ein absoluter Schutz besteht deshalb aber nicht, weil der Schutz illegaler Betriebsinterna gegebenenfalls zugunsten widerstreitender Rechtspositionen einzuschränken ist; dies verfassungskonform zu prüfen und festzulegen, ist Aufgabe des Gesetzgebers und Rechtsanwenders auf einfachgesetzlicher Ebene.48 b) Sonstige Grundrechte Für den verfassungsrechtlichen Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen wird neben Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG bisweilen auch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG als einschlägiges Grundrecht angeführt,49 obgleich das BVerfG diese 45
St. Rspr. BVerfG, Beschluss v. 27. 04. 2021 – 2 BvR 206/14 (Zulassung eines britischen Konkurrenz-Tiergenerikums), NVwZ 2021, 1211, 1214, Rn. 50; BVerfG, Urteil v. 21. 10. 2014 – 2 BvE 5/11, NVwZ 2014, 1652, 1657, Rn. 156, 1661, Rn. 182; BVerfG, Beschluss v. 14. 03. 2006 – 1 BvR 2087/03 u. a., NVwZ 2006, 1041, 1042, Rn. 81, 87. 46 Redder, WB, S. 117 ff., 125 f.; Kreis, WB, S. 69; wohl auch MüKoLauterkeitsrecht/ Brammsen, § 17 UWG, Rn. 24; i. E. zwar offenlassend, aber jedenfalls in diese Richtung BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430; m. w. N. zum Sach- und Streitstand Brockhaus, ZIS 2020, 102, 107. 47 Vgl. insoweit BVerfG, Urteil v. 28. 03. 2006 – 1 BvR 1054/01 (Oddset), NJW 2006, 1261, 1262, Rn. 82 f.; BeckOK-GG/Ruffert, Art. 12 GG, Rn. 42; Redder, WB, S. 119; Kreis, WB, S. 69. 48 So i. E. auch Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 332; Redder, WB, S. 127 f. 49 Etwa BAG, Urteil v. 15. 06. 1993 – 9 AZR 558/91, NZA 1994, 502, 505; BVerwG, Beschluss v. 05. 03. 2020 – 20 F 3.19, ZD 2020, 373, 374, Rn. 11; Reinbacher, KriPoZ 2018, 115; Schmitt, RdA 2017, 365, 366; Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 333; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 100; Reinfeld, GeschGehG, § 1, Rn. 15; Wodtke/ Richters, Betriebs- und GeschGeh, § 4, Rn. 98, 100; wohl auch Herzog-GG/Scholz, Art. 12 GG, Rn. 133; NK-UWG/Stier/Hasselblatt, Vorbemerkungen §§ 17 bis 19 UWG, Rn. 6; Kreis, WB, S. 68; i. E. offenlassend, aber m. w. N. zum Sach- und Streitstand Brockhaus, ZIS 2020, 102, 107; Redder, WB, S. 124 ff.; zudem wird Art. 14 Abs. 1 GG zum Teil unter Rückgriff auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zum Schutz der Arbeitgeberinteressen angeführt, etwa Klaas, CCZ 2019, 163, 165; Kreis, WB, S. 69; Heide/Heide, WB,
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dafür soweit ersichtlich nicht heranzieht.50 Daneben kann der Schutz der Unternehmerfreiheit als Ausdruck wirtschaftlicher Entfaltungs- und Dispositionsfreiheit grundsätzlich auch aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet werden, der die allgemeine Handlungsfreiheit umfassend und unabhängig von einem Wettbewerbsbezug schützt.51 Eines Rückgriffs hierauf bedarf es aber neben spezielleren Grundrechten, insbesondere Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG, in der Regel nicht.52 Im Einzelfall kann zudem für eine natürliche Person als Arbeitgeber auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG einschlägig sein, welches grundsätzlich Schutz vor rufschädigenden Äußerungen gewährt und mithin den sozialen Geltungsanspruch des Einzelnen schützt.53 Unternehmen als juristische Personen genießen hingegen über Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG nur insoweit Schutz, als die jeweilige Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts sich nicht aus dem besonderen Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG herleitet.54 Dies ist bei Äußerungen hinsichtlich der geschäftlichen Stellung als Arbeitgeber oder Wirtschaftsunternehmen am Markt, wie beim Whistleblowing, zwar nicht der Fall. Auch in diesen Fällen dürfte aber Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verdrängen, sofern es um den Schutz vor wettbewerbsstörenden, geschäftsschädigenden Äußerungen geht. In der arbeitsgerichtlichen Praxis zum Whistleblowing spielen – wohl im Ergebnis mangels zusätzlicher Abwägungsrelevanz neben Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG – weder Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG noch Art. 2 Abs. 1 GG eine Rolle. 3. Konventionsrecht Da die Vorgaben der EMRK als Fundament europäischer Grundrechtsarchitektur und wesentlicher Garant für einen europaweiten grundrechtlichen Mindestschutz bei der Anwendung deutscher Grundrechte zu berücksichtigen sind, ist das Konventionsrecht im Rahmen des nationalen Verfassungsrechts ebenfalls als potenzielle S. 35; das BVerfG hat dessen Schutz als „Eigentum“ bis heute allerdings offengelassen, vgl. hierzu jeweils m. w. N. Herzog-GG/Papier/Shirvani, Art. 14 GG, Rn. 200; BeckOK-GG/Axer, Art. 14 GG, Rn. 52. 50 Etwa BVerfG, Urteil v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11, NVwZ 2018, 51, 57, Rn. 234; BVerfG, Beschluss v. 14. 03. 2006 – 1 BvR 2087/03 u. a., NVwZ 2006, 1041, 1042, Rn. 81; vgl. hierzu m. w. N. zum Meinungsstand BeckOK-GG/Axer, Art. 14 GG, Rn. 50. 51 BVerfG, Beschluss v. 14. 11. 1995 – 1 BvR 601/92, NZA 1996, 381, 383; Herzog-GG/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 126; Klaas, CCZ 2019, 163, 165. 52 Herzog-GG/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 126; BeckOK-GG/Ruffert, Art. 12 GG, Rn. 157 ff.; ErfK/Schmidt, Art. 12 GG, Rn. 15; NK-ArbR/Hanau, Art. 12 GG, Rn. 60. 53 NK-ArbR/Hanau/Wall, Art. 2 GG, Rn. 15 ff.; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50; Kreis, WB, S. 69; m. w. N. Redder, WB, S. 120 f.; Seifert, Solidarität ArbV, S. 225. 54 St. Rspr. BVerfG, Urteil v. 07. 11. 2017 – 2 BvE 2/11, NVwZ 2018, 51, 58, Rn. 237; BVerfG, Beschluss v. 13. 06. 2007 – 1 BvR 1550/03 u. a., NJW 2007, 2464, 2471, Rn. 149 ff.; BVerfG, Beschluss v. 26. 02. 1997 – 1 BvR 2172/96, NJW 1997, 1841, 1843 f.; Klaas, CCZ 2019, 163, 165; Redder, WB, S. 121 f.
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Teil 3: Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower
Rechtsquelle des Kündigungsschutzes für Whistleblower in die Betrachtung einzubeziehen. Dies hängt allerdings maßgeblich von seinem Einfluss und seiner Wirkung im deutschen Recht ab. a) Bedeutung im nationalen Recht Die EMRK hat im deutschen Recht zwar (nur) den Rang einfachen Bundesrechts,55 ihr kommt allerdings aufgrund der Europa- und Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, die aus Art. 1 Abs. 2, 23 Abs. 1, 24, 25, 26 und 59 Abs. 2 GG folgt, eine verfassungsrechtliche Bedeutung als „Auslegungshilfe“ für die nationalen Grundrechte zu, die stets „im Lichte der EMRK“ auszulegen sind.56 Dadurch haben auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) eine „Orientierungs- und Leitfunktion“, so dass sie trotz ihrer gem. Art. 46 EMRK beschränkten Rechtskraftwirkung über den jeweiligen Streitgegenstand hinaus auch für nationale Parallelfälle eine „faktische[] Präzedenzwirkung“ entfalten.57 Dabei verbleibt aber ein gewisser Beurteilungsspielraum über die Vergleichbarkeit der Sachverhalte, sog. aktiver Rezeptionsvorgang.58 Zudem bedarf es keiner kritiklosen und wortgleichen Übernahme der Rechtsprechung des EGMR, weil eine konventionskonforme Auslegung nationalen Rechts mangels Verfassungsrangs der EMRK nur soweit erfolgen kann, als sie „methodisch vertretbar und mit den Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar ist“.59 Die Rechtsprechung des 55
St. Rspr. BVerfG, Urteil v. 12. 06. 2018 – 2 BvR 1738/12, 2 BvR 1395/13, 2 BvR 1068/ 14, 2 BvR 646/15, NJW 2018, 2695, 2699, Rn. 126; BVerfG, Beschluss v. 26. 03. 1987 – 2 BvR 589/79 u. a., NJW 1987, 2427; statt vieler FGO/Schubert, Art. 1 EMRK, Rn. 90; Fornasier, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 4, Rn. 4.26; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 3, Rn. 8; Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2020, 1022, 1026; Redder, WB, S. 141. 56 St. Rspr. BVerfG, Beschluss v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 (Recht auf Vergessen I), NJW 2020, 300, 303, Rn. 58, 61; BVerfG, Urteil v. 04. 05. 2011 – 2 BvR 2365/09, 740/10, 2333/08, 1152/10, 571/10, NJW 2011, 1931, 1935, Rn. 88; BVerfG, Beschluss v. 26. 03. 1987 – 2 BvR 589/79 u. a., NJW 1987, 2427; für viele Herzog-GG/Walter, Art. 93 GG, Rn. 173; ArbR-Hdb/ Linck, § 6, Rn. 1; Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2020, 1022, 1026; Payandeh, JuS 2016, 690; Simon/Schilling, BB 2011, 2421, 2426. 57 St. Rspr. BVerfG, Beschluss v. 18. 09. 2018 – 2 BvR 745/18, NJW 2019, 41, 43, Rn. 41; BVerfG, Urteil v. 04. 05. 2011 – 2 BvR 2365/09, 740/10, 2333/08, 1152/10, 571/10, NJW 2011, 1931, 1935, Rn. 89; BVerfG, Beschluss v. 14. 10. 2004 – 2 BvR 1481/04, NJW 2004, 3407, 3409; vgl. auch BAG, Urteil v. 20. 10. 2015 – 9 AZR 743/14, NJW 2016, 1034, 1035, Rn. 13. 58 BVerfG, Beschluss v. 18. 09. 2018 – 2 BvR 745/18, NJW 2019, 41, 43, Rn. 42; BVerfG, Urteil v. 12. 06. 2018 – 2 BvR 1738/12, 1395/13, 1068/14, 646/15, NJW 2018, 2695, 2700, Rn. 131; Haug, NJW 2018, 2674, 2676; Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492, 498 f. 59 BVerfG, Beschluss v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 (Recht auf Vergessen I), NJW 2020, 300, 303, Rn. 58, 62 („Inspiration“ durch Interpretation überstaatlicher Grundrechtskataloge); BVerfG, Urteil v. 12. 06. 2018 – 2 BvR 1738/12, 1395/13, 1068/14, 646/15, NJW 2018, 2695, 2700, Rn. 135 („Rechtsprechung des EGMR möglichst schonend in das vorhandene, dogmatisch ausdifferenzierte nationale Rechtssystem [einpassen]“); BVerfG, Beschluss v. 14. 10. 2004 – 2 BvR 1481/04, NJW 2004, 3407, 3410 ff.; vgl. zu den Grenzen konventionsfreund-
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EGMR ist daher vor allem „Entscheidungshilfe“, die eine Unterschreitung des konventionsrechtlichen Mindestschutzniveaus verhindert.60 Da die Implementierung der EMRK in nationales Recht nur einen europaweit einheitlichen grundrechtlichen Mindestschutz sicherstellen soll, verlangt sie keinesfalls eine Schwächung des nationalen Grundrechtsschutzes, sondern steht (wie Art. 53 EMRK ausdrücklich klarstellt) einem höheren nationalen Grundrechtsschutz nicht entgegen, so dass den Konventionsstaaten insoweit „Luft nach oben“ verbleibt.61 Das daraus für den jeweiligen Grundrechtsträger abgeleitete „Günstigkeitsprinzip“ betrifft das Vertikalverhältnis „Bürger – Staat“.62 Im mehrpoligen Rechtsverhältnis, in dem noch eine dritte Person mit kollidierenden Grundrechtspositionen hinzutritt, besteht indes die Gefahr eines „Rezeptionshemmnis[ses]“, weil die Gewährleistung eines „Mehr“ an Freiheit auf der einen Seite stets zu einem „Weniger“ auf der anderen Seite führt.63 Die strikte Anwendung des Art. 53 EMRK ließe hier letztlich kaum einen Spielraum für eine konventionskonforme Auslegung deutschen Rechts und führte insbesondere bei einem der nationalen Wertung widersprechenden Ausgleich kollidierender Grundrechte durch den EGMR zu einem Unterschreiten des konventionsrechtlichen Mindestschutzniveaus für einen der Grundrechtsträger.64 Vor dem Hintergrund der Konventionsfreundlichkeit des Grundgesetzes und des Zuschnitts der EMRK auf das Vertikalverhältnis „Bürger – Staat“ erscheint daher schon die Anwendung des Art. 53 EMRK auf mehrpolige Rechtsverhältnisse zweifelhaft, jedenfalls kann er aber eine konventionsfreundliche Auslegung der Grundrechte im mehrpoligen Rechtsverhältnis (etwa im gesamten Arbeitsrecht) nicht gänzlich ausschließen.65 Vielmehr verstehen sich zahlreiche
licher Auslegung auch BAG, Urteil v. 20. 10. 2015 – 9 AZR 743/14, NJW 2016, 1034, 1037, Rn. 25 f.; ArbR-Hdb/Linck, § 6, Rn. 1; Fornasier, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 4, Rn. 4.30; Haug, NJW 2018, 2674, 2475 f. 60 Forst, NJW 2011, 3477, 3480; ähnlich Haug, NJW 2018, 2674, 2477. 61 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 18. 09. 2018 – 2 BvR 745/18, NJW 2019, 41, 42, Rn. 40; BVerfG, Urteil v. 12. 06. 2018 – 2 BvR 1738/12, 1395/13, 1068/14, 646/15, NJW 2018, 2695, 2700, Rn. 134; ArbR-Hdb/Linck, § 6, Rn. 1; FGO/Schubert, Art. 1 EMRK, Rn. 93; NK-ArbR/ Sagan, Art. 8 EMRK, Rn. 14; Haug, NJW 2018, 2674, 2476; Klein, NVwZ 2010, 221, 223. 62 Fornasier, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 4, Rn. 4.31 f.; Klein, NVwZ 2010, 221, 223; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 4, Rn. 9. 63 St. Rspr. BVerfG, Urteil v. 12. 06. 2018 – 2 BvR 1738/12, 1395/13, 1068/14, 646/15, NJW 2018, 2695, 2700, Rn. 134; BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 – 2 BvR 661/12, NZA 2014, 1387, 1394, Rn. 129; BVerfG, Urteil v. 04. 05. 2011 – 2 BvR 2365/09, 740/10, 2333/08, 1152/10, 571/10, NJW 2011, 1931, 1936, Rn. 93; vgl. auch BAG, Urteil v. 20. 10. 2015 – 9 AZR 743/14, NJW 2016, 1034, 1035, Rn. 14. 64 Fornasier, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 4, Rn. 4.31; Buchholtz, NJW 2016, 1034, 1038; Klein, NVwZ 2010, 221, 223; Grabenwarter, EuGRZ 2006, 487, 489; Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492, 499; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 2, Rn. 16, § 4, Rn. 9. 65 Vgl. Fornasier, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 4, Rn. 4.31 f.; Buchholtz, NJW 2016, 1034, 1038; Klein, NVwZ 2010, 221, 223; Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492, 499; so auch i. E. BAG, Urteil v. 20. 10. 2015 – 9 AZR 743/14, NJW 2016, 1034, 1035, Rn. 16 ff. (im kon-
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Teil 3: Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower
Konventionsrechte nicht nur als (negative) Abwehrrechte des Einzelnen gegen staatliche Eingriffe, sondern ihnen ist zugleich eine (positive) Schutzverpflichtung der Konventionsstaaten auch im privaten Rechtsverhältnis immanent, die – vergleichbar der im deutschen Recht anerkannten mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte – zu einer Wirkung der Konventionsrechte auch im Horizontalverhältnis führt und einen schonenden Ausgleich kollidierender Rechte im mehrpoligen Rechtsverhältnis erforderlich macht.66 Es ist daher bei einem Eingriff in Konventionsrechte zum Schutz widerstreitender Grundrechte im Privatrechtsverhältnis durch Auslegung sicherzustellen, dass auf beiden Seiten der konventionsrechtliche Mindestschutz – auch zur Vermeidung einer Konventionsbrüchigkeit – eingehalten wird, was im deutschen Recht im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen und durch den EGMR kontrolliert werden kann.67 Innerhalb dieser „äußerste[n] Grenze[n]“ kann ein höherer nationalstaatlicher Grundrechtsschutz gewährleistet werden, sog. Entscheidungskorridore, als Folge des weiten konventionsstaatlichen Abwägungsspielraums (margin of appreciation).68 Das BVerfG als Wächter der deutschen Grundrechte hat bislang offengelassen, welche konkreten praktischen Konsequenzen es für die Anwendung der EMRK in mehrpoligen Rechtsverhältnissen aus der Gefahr eines Rezeptionshemmnisses zieht.69 Soweit die EMRK die widerstreitenden Interessen der Arbeitsvertragsparteien schützt, ist sie mithin ebenfalls Rechtsquelle des Kündigungsschutzes für Whistleblower, weil sie als „Auslegungshilfe“ der einschlägigen deutschen Grundrechte heranzuziehen ist. Dies stellt die Einhaltung des erforderlichen konventionsrechtlichen Mindestschutzes im vorliegenden mehrpoligen Rechtsverhältnis von „Whistleblower – Staat – Arbeitgeber“ im Rahmen der verfassungsrechtlich gebokreten Fall aber ein „Rezeptionshemmnis“ bejahend); NK-ArbR/Sagan, Art. 8 EMRK, Rn. 14; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 3, Rn. 10, § 4, Rn. 9. 66 FGO/Schubert, Art. 1 EMRK, Rn. 42 f.; dies., EuZA 2020, 302, 303, 314 f.; Fornasier, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 4, Rn. 4.18; Payandeh, JuS 2016, 690, 692; Forst, NJW 2011, 3477, 3480; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 19, Rn. 8 f.; vgl. zur Lehre von den „positiven Schutzpflichten“ („positive obligations“), st. Rspr. EGMR, Urteil v. 05. 02. 2020 – 11608/15 (Herbai/Ungarn), HUDOC, Rn. 37; EGMR, Urteil v. 03. 02. 2011 – 18136/02 (Siebenhaar/ Deutschland), NZA 2012, 199, 200, Rn. 38; EGMR, Urteil v. 13. 06. 1979 – 6833/74 (Marckx/ Belgien), HUDOC, Rn. 31. 67 Fornasier, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 4, Rn. 4.32; Schlachter, RdA 2012, 108, 109; Klein, NVwZ 2010, 221, 223; Schlachter, RdA 2012, 108, 109; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 2, Rn. 16. 68 Fornasier, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 4, Rn. 4.32; NK-ArbR/Sagan, Art. 8 EMRK, Rn. 14; FGO/Schubert, Art. 1 EMRK, Rn. 105; Herzog-GG/Walter, Art. 93 GG, Rn. 176 f.; Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492, 497, 499; Klein, NVwZ 2010, 221, 223; i. E. Payandeh, JuS 2016, 690, 693 f.; vgl. insoweit auch EGMR, Urteil v. 21. 09. 2016 – 79972/12 (Soares/ Portugal), HUDOC, Rn. 42. 69 Vgl. etwa BVerfG, Urteil v. 12. 06. 2018 – 2 BvR 1738/12, 1395/13, 1068/14, 646/15, NJW 2018, 2695, 2700, Rn. 134 ff.; BVerfG, Urteil v. 04. 05. 2011 – 2 BvR 2365/09, 740/10, 2333/08, 1152/10, 571/10, NJW 2011, 1931, 1936, Rn. 93 ff.; ähnlich NK-EMRK/MeyerLadewig/Renger, Art. 53 EMRK, Rn. 3.
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tenen Interessenabwägung zur Herstellung einer praktischen Konkordanz der konfligierenden Grundrechte sicher. b) Konventionsrechte des Whistleblowers Für den Whistleblower streitet (wie auch im deutschen Recht) insbesondere die Meinungsfreiheit, hier aus Art. 10 Abs. 1 EMRK. aa) Meinungsfreiheit Art. 10 Abs. 1 EMRK schützt die freie Meinungsäußerung als einen der elementaren Grundpfeiler demokratischer Gesellschaften und hat einen weiten Schutzbereich, der die Entäußerung sowohl von Werturteilen als auch (anders als Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) von reinen Tatsachen unabhängig vom Mittel, der Art und Weise oder der Wahrheit der Äußerung erfasst.70 Aufgrund dieses weiten Schutzbereichs dürften auch anonyme Meinungsäußerungen – entsprechend den oben bereits zu Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG angeführten Argumenten –71 geschützt sein, obgleich sich der EGMR dazu soweit ersichtlich bislang noch nicht geäußert hat.72 Der EGMR hat bereits ausdrücklich bestätigt, dass die Meldung von Missständen durch einen Arbeitnehmer in den Anwendungsbereich des Art. 10 EMRK fällt, der auch am Arbeitsplatz gilt und dessen Schutz im privaten Arbeitsverhältnis durch die Konventionsstaaten sicherzustellen ist.73 bb) Sonstige Konventionsrechte Whistleblowing kann grundsätzlich auch vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 EMRK umfasst sein, der die Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit schützt. Der EGMR hat indes weder dieses noch andere Konventionsrechte in seinen bis70
St. Rspr. EGMR, Urteil v. 08. 11. 2016 – 18030/11 (Magyar/Ungarn), HUDOC, Rn. 187; EGMR, Urteil v. 02. 10. 2012 – 57942/10 (Rujak/Kroatien), HUDOC, Rn. 27; EGMR, Urteil v. 12. 09. 2011 – 28955/06, 28957/06, 28959/06, 28964/06 (Palomo Sánchez/Spanien), HUDOC, Rn. 53; EGMR, Urteil v. 23. 05. 1991 – Nr. 6/1990/197/257 (Oberschlick/Österreich), NJW 1992, 613, 615, Rn. 57, 63; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 23, Rn. 4 f.; FGO/Schubert, Art. 10 EMRK, Rn. 6; NK-EMRK/Daiber, Art. 10 EMRK, Rn. 8, 10, 13 f.; Payandeh, JuS 2016, 690, 691 f. 71 Vgl. hierzu Teil 3, A.II.1.a)cc). 72 In diese Richtung EGMR, Urteil v. 16. 06. 2015 – 64569/09 (Delfi AS/Estland), NJW 2015, 2863, Rn. 59, 2868, Rn. 157; offenlassend EGMR, Urteil v. 30. 01. 2020 – 50001/12 (Breyer/Deutschland), NJW 2021, 999, 1000, Rn. 62. 73 St. Rspr. EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), NJW 2021, 2343, 2344, Rn. 47; EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 44; vgl. auch EGMR, Urteil v. 05. 02. 2020 – 11608/15 (Herbai/Ungarn), HUDOC, Rn. 36 ff.; FGO/Fest, Art. 1 RL (EU) 2019/1937, Rn. 3; Schubert, Art. 10 EMRK, Rn. 7.
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Teil 3: Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower
herigen Entscheidungen zum Whistleblowing erwähnt, so dass insoweit weitergehende Ausführungen entbehrlich sind, zumal es ohnehin fraglich erscheint, ob ihre Berücksichtigung im Einzelfall zu einem anderen Abwägungsergebnis führen würde als unter alleinigem Rückgriff auf die Meinungsfreiheit. Ein dem deutschen staatsbürgerlichen Anzeigerecht vergleichbares Grundrecht kennt die EMRK nicht. c) Konventionsrechte des Arbeitgebers Die unternehmerische Freiheit wird (anders als im nationalen Verfassungsrecht) in der EMRK nicht ausdrücklich und umfassend geschützt.74 Partiell leitet sich ihr Schutz aber zumindest aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ab, dessen Schutzbereich der EGMR sehr weit auslegt und sich auf berufliche und geschäftliche Tätigkeiten sowie auf den guten Ruf auch juristischer Personen erstreckt.75 Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse dürften als „Erworbenes“ überdies Schutz durch Art. 1 Abs. 1 S. 1 Zusatzprotokoll zur EMRK erfahren.76 Der EGMR selbst hat in einschlägigen Urteilen zum Whistleblowing ohne nähere Ausführungen zu einschlägigen Konventionsrechten als gegenläufige schützenswerte Rechtspositionen des Arbeitgebers gem. Art. 10 Abs. 2 EMRK dessen geschäftlichen Ruf und seine Interessen herangezogen.77 4. Doppelfunktion der Grundrechte des Whistleblowers Das öffentliche Interesse an der Meldung von Missständen durch Arbeitnehmer ist zwar bereits angesprochen worden, inwieweit dieses außerhalb des bipolaren Arbeitsverhältnisses liegende Interesse indes in die Abwägung der grundrechtlich geschützten Positionen der Arbeitsvertragsparteien (insoweit wird auch von einer „Interessentriangulation“ gesprochen)78 als Abwägungsfaktor einzubeziehen ist, liegt nicht ohne weiteres „auf der Hand“. Teilweise wird hierzu vertreten, dass das öffentliche Interesse entpersonalisiert, das heißt losgelöst von den Interessen und Grundrechten der Arbeitsvertragsparteien 74
Vgl. für viele FGO/Schubert, Art. 10 EMRK, Rn. 37; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 51; dies., RdA 2017, 365, 368; Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 356; Forst, NJW 2011, 3477, 3480. 75 EGMR, Urteil v. 16. 07. 2002 – 37971/97 (Société Colas u. a./Frankreich), HUDOC, Rn. 40 f.; EGMR, Urteil v. 16. 12. 1992 – 72/1991/324/394 (Niemietz/Deutschland), NJW 1993, 718, 719, Rn. 30 f.; m. w. N. Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 22, Rn. 4, 10, 12, 22; NKEMRK/Mayer-Ladewig/Nettesheim, Art. 8 EMRK, Rn. 7, 89; so i. E. auch Schmitt, NZABeilage 2020, 50, 51; dies., RdA 2017, 365, 367; Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 356. 76 So. i. E. auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 25, Rn. 3, 5; NK-EMRK/Meyer-Ladewig/ Raumer, Art. 1 Zusatzprotokoll zur EMRK, Rn. 21; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 51; dies., RdA 2017, 365, 367; Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 356. 77 St. Rspr. EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), NJW 2021, 2343, 2344, Rn. 51; EGMR, Urteil v. 21. 01. 2015 – 73571/10 (Matúz/Ungarn), HUDOC, Rn. 30; EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 49. 78 Gerdemann, WB, Rn. 248; ähnlich Kreis, WB, S. 109 („Interessen-Dreiecksverhältnis“).
A. Nationales Recht
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als eigenständiges Abwägungskriterium zur Lösung des dreidimensionalen Interessenkonflikts durch eine Konkretisierung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht systemgerecht eingebracht werden könne, weil sich das Arbeitsrecht zunehmend für öffentliche Interessen und Belange geöffnet habe.79 Hiergegen spricht allerdings, dass es sich bei dem betroffenen Arbeitsverhältnis um ein bipolares, privatrechtliches und enges persönliches Verhältnis im Sinne einer Sonderverbindung zwischen zwei Vertragsparteien handelt, auf das die Regelung des § 241 Abs. 2 BGB nach ihrem Sinn und Zweck und dem gesetzgeberischen Willen ohne jeden kollektiven Bezug zugeschnitten und beschränkt ist.80 Eine von den grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien losgelöste, allein im Allgemeininteresse liegende Einbeziehung des öffentlichen Interesses in diese grundsätzlich gegenseitige Interessenabwägung mit der Folge einer Einschränkung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers bedarf daher grundsätzlich einer gesetzlichen Regelung, wie sie etwa allgemein im Arbeits-, Umwelt- und Datenschutzrecht zu finden ist. Hieraus allerdings zu folgern, dass das öffentliche Interesse außerhalb solcher gesetzlichen Regelungen, bei denen es als eigenständiger Abwägungsfaktor schon bei der Gesetzeslegung berücksichtigt worden ist, sich nicht auf die bipolare Interessenabwägung im Falle der Meldung von Missständen durch den Arbeitnehmer auswirkt, wäre verfehlt und stellte eine nur unzureichende Beachtung der verfassungs- und konventionsgerichtlichen Rechtsprechung zum Whistleblowing dar. Aus dieser ergibt sich die Einbeziehung des öffentlichen Interesses in die Abwägung der widerstreitenden Grundrechte der Arbeitsvertragsparteien aufgrund einer Doppelfunktion der Grundrechte des Whistleblowers. So verweist das BVerfG auf das Allgemeininteresse an der Wahrnehmung des staatsbürgerlichen Anzeigerechts als elementaren Baustein zur Erfüllung der staatlichen Verpflichtung, eine funktionsfähige Strafrechtspflege zu gewährleisten.81 Hierdurch spricht es das öffentliche Interesse am Whistleblowing als Instrument der Rechtspflege an, weil das staatsbürgerliche Anzeigerecht auch die initiale Anzeigeerstattung schützt. Korrelierend hiermit betont auch der EGMR nachdrücklich das öffentliche Interesse an der Ausübung der Meinungsfreiheit durch die Offenbarung von Missständen gegenüber Behörden und dürfte hierbei vor allem deren effektive Aufklärung und Beseitigung entsprechend des jeweils geltenden (Straf-)Rechts im Blick gehabt haben.82 Neben 79
Kreis, WB, S. 92 ff., 108 f.; andeutungsweise auch Krause, SR 2019, 138, 146 („Anreicherung des Abwägungsmaterials um öffentliche Interessen“ im Kündigungsschutzverfahren); Heide/Heide, WB, S. 26 ff.; Gerdemann, WB, Rn. 246, 248. 80 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 125 f.; insoweit für viele MüKoBGB/Bachmann, § 241 BGB, Rn. 3, 48 f.; MüHdb-ArbR/Benecke, § 34, Rn. 1 f.; vgl. hierzu auch schon in Teil 3, A.I. und noch in Teil 4, B.I. 81 BVerfG, Beschluss v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888, 889; vgl. hierzu schon in Teil 3, A.II.1.b). 82 Vgl. etwa in EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), HUDOC, Rn. 73; wohl auch EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 71; vgl. hierzu Krause, SR 2019, 138, 145.
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Teil 3: Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower
dieser Hervorhebung des Whistleblowings als Mittel der Rechtsdurchsetzung verweist er aber gleichermaßen auf das öffentliche Interesse an der Aufdeckung von Missständen gegenüber der Öffentlichkeit, um zur Sicherstellung eines öffentlichen Diskurses über Fragen und Belange der Allgemeinheit beizutragen und spricht insoweit die Bedeutung des Whistleblowings zur präventiven Bekämpfung und Verhinderung von Missständen durch Rechtsentwicklung als Ausfluss einer angestoßenen gesellschaftlichen Debatte an.83 Mit diesen Verweisen auf das öffentliche Interesse an der Ausübung der Grundrechte des Whistleblowers hat die verfassungs- und konventionsgerichtliche Rechtsprechung die Doppelfunktion der auf Seiten des Arbeitnehmers im Wege der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte (bzw. aufgrund der positiven Schutzverpflichtung) in die Interessenabwägung einzustellenden Grundrechtspositionen angesprochen.84 Mithin gewähren das staatsbürgerliche Anzeigerecht und die Meinungsfreiheit dem einzelnen Whistleblower nicht nur subjektive Rechte und Schutz bei ihrer Ausübung, sondern weisen auch eine öffentliche Komponente für die Funktionsfähigkeit von Demokratie und Gesellschaft auf.85 Diese kollektive Dimension gerade der Meinungsfreiheit, die über den Schutz des externen Whistleblowings an staatliche Stellen hinausgeht, können die Rechtfertigungsanforderungen für ihre Einschränkung erhöhen, insbesondere bei der Aufdeckung von gesellschaftlich besonders bedeutsamen Missständen und ihrer Einführung in die Rechtspflege bzw. den öffentlichen Diskurs.86 Zur Lösung des durch Whistleblowing ausgelösten Interessenkonflikts im Arbeitsverhältnis ist daher über die gesellschaftlich-kollektive Komponente des staatsbürgerlichen Anzeigerechts und der Meinungsfreiheit das öffentliche Interesse an der Meldung von Missständen in die Interessenabwägung auf Seiten des meldenden Arbeitnehmers einzubeziehen und kann dabei ein erhebliches – auch fallentscheidendes – Gewicht haben.87
83
Vgl. etwa EGMR, Urteil v. 21. 01. 2015 – 73571/10 (Matúz/Ungarn), HUDOC, Rn. 37; EGMR, Urteil v. 08. 04. 2013 – 40238/02 (Bucur u. Toma/Rumänien), HUDOC, Rn. 101 ff.; EGMR, Urteil v. 19. 02. 2009 – 4063/04 (Marchenko/Ukraine), HUDOC, Rn. 52; EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 88; i. E. auch in EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 71. 84 Ähnlich FGO/Schubert, Art. 10 EMRK, Rn. 41; Krause, SR 2019, 138, 143 f. (vgl. insoweit aber auch Fn. 79); Oetker, ZESAR 2017, 257, 262; Schmitt, RdA 2017, 365, 367; Rudkowski, CCZ 2013, 204, 206; Redder, WB, S. 175, 177; andeutungsweise auch Häußinger, EuZA 2021, 368, 373 f.; Schlachter, RdA 2012, 108, 112; kritisch Becker, DB 2011, 2202, 2203. 85 Vgl. auch ErfK/Schmidt, Art. 5 GG, Rn. 28; Payandeh, JuS 2016, 690; Becker, DB 2011, 2202, 2203 f.; Redder, WB, S. 178 f. 86 Vgl. auch Payandeh, JuS 2016, 690, 691, 694; Redder, WB, S. 178 f. 87 So i. E. auch Krause, SR 2019, 138, 146; Schmitt, RdA 2017, 365, 367; Schlachter, RdA 2012, 108, 112; Becker, DB 2011, 2202, 2204; Redder, WB, S. 178 f.
B. Unionsrecht
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B. Unionsrecht Für einen im deutschen Recht mit seinem Zusammenspiel von einfachem Gesetzesrecht und Verfassungsrecht beheimateten Rechtsanwender ergeben sich – wie bereits angedeutet – besondere Herausforderungen durch Fallkonstellationen, die (inzwischen) im komplexen Mehrebenensystem aus nationalem Recht und Unionsrecht angesiedelt sind. Dies mag zwar vor allem aus bisweilen (noch) ungeklärten und umstrittenen dogmatischen und methodischen Fragestellungen zum interunionalen Verhältnis zwischen Primär- und Sekundärrecht einerseits und zum integrativen Verhältnis der unionalen und mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen andererseits resultieren. Die Schwierigkeiten dürften allerdings häufig schon damit beginnen, die unionsrechtliche Einbettung einer Fallkonstellation überhaupt zu erkennen und sodann nicht nur das konkret rechtsgestaltende Sekundärrecht als direktem Ausdruck unionalen Regulierungswillens, sondern auch das ranghöhere Primärrecht als dessen Grundlage und Maßstab in den Blick zu nehmen. Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend (anders als zuvor im nationalen Recht) zunächst die hier relevanten Rechtsquellen des übergeordneten unionalen Primärrechts und erst anschließend diejenigen des Sekundärrechts dargestellt.
I. Primärrecht Grundstein des Primärrechts und Verkörperung der europäischen Idee sind die Verträge der EU, namentlich der Vertrag über die Europäische Union und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union.88 Unbeschadet ihrer Bedeutung als Ausgangspunkt allgemeiner Grundprinzipien des unionalen Rechts und insbesondere als Rechtsgrundlage etwaiger sekundärrechtlicher Regelungen zum Umgang mit dem Phänomen Whistleblowing stehen als primärrechtliche Rechtsquelle für den Kündigungsschutz für Whistleblower jedoch die einschlägigen Grundrechte der Arbeitsvertragsparteien nach der gem. Art. 6 Abs. 1 EUV rangidentischen Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) im Mittelpunkt. 1. Privatrechtsrelevanz der Unionsgrundrechte Die grundsätzlich gem. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC staatsbezogenen Unionsgrundrechte gelten „für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“. Ihre Bindungswirkung zwischen Privaten ist im Unionsrecht (anders als im deutschen Recht) bislang zwar nicht umfassend geklärt, sie können aber nach inzwischen einhelliger Auffassung – unmittelbar oder mittel-
88 Vgl. Art. 1 Abs. 3 EUV; statt vieler auch Streinz-EUV/AEUV/Pechstein, Art. 1 EUV, Rn. 18; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.22; Streinz, EuropaR, Rn. 454.
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Teil 3: Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower
bar – auch im Horizontalverhältnis Wirkung entfalten und mithin von Privatrechtsrelevanz sein.89 Als ranghöheres Recht stellt das Primärrecht für alle untergeordneten sekundärrechtlichen Regelungen des Unionsrechts den entscheidenden Prüfungsmaßstab dar.90 Ausfluss dieses normhierarchischen Vorrangverhältnisses ist die primärrechtskonforme Auslegung auch privatrechtsgestaltenden Sekundärrechts, weshalb dieses insbesondere an den grundrechtlichen Vorgaben der GRC zu messen und stets „im Licht“ dieser auszulegen ist.91 Hierdurch strahlen die Unionsgrundrechte in die betreffenden Privatrechtsverhältnisse aus und entfalten eine der deutschen „mittelbaren Drittwirkung“ vergleichbare (negative) Wirkung, auch wenn dem Unionsrecht diese dogmatische Kategorisierung (bislang) fremd ist.92 Im deutschen Recht entfaltet sich die horizontale (Ausstrahlungs-)Wirkung der unionalen Grundrechte in erster Linie durch diese grundrechtskonforme Auslegung des – im nationalen Recht unmittelbar geltenden oder mittelbar wirkenden –93 unionsrechtlichen Sekundärrechts bzw. der in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallenden nationalen Regelungen, etwa zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe oder Generalklauseln.94 Eine privatrechtsgestaltende Wirkung kommt den Unionsgrundrechten auch insoweit zu, als ein Verstoß gegen sie zur Nichtigkeit privatrechtsgestaltender sekundärrechtlicher Regelungen95 bzw. zur Unanwendbarkeit nationalen Privat-
89 Vgl. etwa jeweils m. w. N. Pötters, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 3, Rn. 3.331 ff.; FGO/Schubert, Art. 51 GRC, Rn. 45; Jarass, GRC, Art. 51 GRC, Rn. 36, 70; ders., ZEuP 2017, 310, 330 ff.; wohl auch Calliess/Ruffert/Kingreen, Art. 51 GRC, Rn. 21. 90 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 28. 02. 2018 – C-518/16 („ZPT“ AD), BeckRS 2018, 1958, Rn. 29; EuGH, Urteil v. 01. 04. 2004 – C-1/02 (Privat-Molkerei Bergmann), EuZW 2004, 505, 506, Rn. 30; EuGH, Urteil v. 13. 12. 1983 – 218/82 (Kommission/Rat), BeckRS 2004, 72356, Rn. 15; für viele Leible/Domröse, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 8, Rn. 7, 29; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.91; Wank, RdA 2020, 1, 2; Streinz, EuropaR, Rn. 633. 91 Vgl. st. Rspr. EuGH, Urteil v. 24. 04. 2018 – C-353/16 (MP/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2018, 1784, 1786, Rn. 44, 1817, Rn. 58; EuGH, Urteil v. 13. 05. 2014 – C-131/12 (Google Spain), NJW 2014, 2257, 2261, Rn. 68; EuGH, Urteil v. 20. 05. 2003 – C-138/01, C139/01, C-465/00 (Österreichischer Rundfunk u. a.), BeckRS 2004, 77378, Rn. 68; statt vieler auch FGO/Schubert, Art. 6 EUV, Rn. 33; Jarass, GRC, Einleitung, Rn. 62, Art. 51 GRC, Rn. 38; Roth, ZIP 2020, 2488, 2489. 92 Vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 (Recht auf Vergessen II), NJW 2020, 314, 322, Rn. 97; Jarass, GRC, Art. 51 GRC, Rn. 36; Schubert, EuZA 2020, 302, 303, 314; Kühling, NJW 2020, 275, 278. 93 Vgl. hierzu noch in Teil 3, B.II., insbesondere etwa Teil 3, B.II.3.b)aa). 94 Vgl. auch FGO/Schubert, Art. 51 GRC, Rn. 45; dies., EuZA 2020, 302, 312; Pötters, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 3, Rn. 3.33; Jarass, GRC, Art. 51 GRC, Rn. 38 f.; ders., ZEuP 2017, 310, 320, 332; NK-GRC/Schwerdtfeger, Art. 51 GRC, Rn. 59. 95 So etwa in EuGH, Urteil v. 01. 03. 2011 – C-236/09 (Test-Achats), NJW 2011, 907, 909, Rn. 32 f.; vgl. hierzu Köndgen/Mörsdorf, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 6, Rn. 45; Jarass, GRC, Art. 51 GRC, Rn. 40; ders., ZEuP 2017, 310, 317; Mörsdorf, JZ 2019, 1066, 1069.
B. Unionsrecht
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rechts in ihrem Anwendungsbereich96 führt.97 Soweit sich im Rahmen der grundrechtskonformen Auslegung privatrechtlicher unionaler oder nationaler Regelungen Unionsgrundrechte gegenüberstehen, sind diese im Wege praktischer Konkordanz miteinander in Einklang zu bringen; zwischen ihnen ist unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gem. Art. 52 Abs. 1 S. 2 GRC ein „angemessenes Gleichgewicht“ herzustellen.98 Für den Einzelnen wird die (negative) Wirkung der Unionsgrundrechte im Horizontalverhältnis hier durch die damit einhergehende Beschränkung der Ausübung seines Grundrechts zugunsten der Grundrechtsposition der anderen Person spürbar. Die eben dargelegte Wirkung der Unionsgrundrechte auf Privatrechtsverhältnisse durch die primärrechtskonforme Auslegung oder Nichtigkeit bzw. Unanwendbarkeit unionaler und nationaler Regelungen ist von der Frage zu trennen, inwieweit diese Grundrechte eine (positive) Bindungswirkung für Private entfalten und sich dadurch (unmittelbar) im Horizontalverhältnis auswirken.99 Obwohl eine grundsätzliche abstrakt-fallübergreifende Klärung des Umfangs und der Einzelheiten einer solchen Bindungswirkung bislang noch fehlt, ist inzwischen durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) geklärt, dass die unmittelbare Pflicht Privater zur Einhaltung einzelner Bestimmungen der GRC trotz des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC nicht „kate96
Vgl. insoweit st. Rspr. EuGH, Urteil v. 19. 04. 2016 – C-441/14 (Dansk Industri), EuZW 2016, 466, 468, Rn. 35, 37, 469, Rn. 43; EuGH, Urteil v. 19. 01. 2010 – C-555/07 (Kücükdeveci), NJW 2010, 427, 429, Rn. 50, 430, Rn. 54; EuGH, Urteil v. 22. 11. 2005 – C-144/ 04 (Mangold), NJW 2005, 3695, 3698, Rn. 75, 77 f.; EuGH, Urteil v. 17. 04. 2018 – C-414/16 (Egenberger), NJW 2018, 1869, 1873, Rn. 82; abgelehnt in EuGH, Urteil v. 15. 01. 2014 – C176/12 (AMS), NZA 2014, 193, 195, Rn. 45 f., 48; hieraus folgt allerdings keine unmittelbare (positive) Bindungswirkung der Unionsgrundrechte für Private, sondern allein eine auf dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts beruhende (mittelbare) Drittwirkung aufgrund unionsrechtswidriger mitgliedstaatlicher Rechtssetzung bzw. fehlender mitgliedstaatlicher Schutzmaßnahmen, vgl. insoweit und zum Teil kritisch zu diesen Urteilen Köndgen/Mörsdorf, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 6, Rn. 49; Leible/Domröse, § 8, Rn. 41; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. Methodenlehre, § 1, Rn. 1.164; Pötters, § 3, Rn. 3.29; FGO/Schubert, Art. 51 GRC, Rn. 36; dies., EuZA 2020, 302, 303, 308 ff.; Jarass, GRC, Art. 51 GRC, Rn. 40; ders., ZEuP 2017, 310, 319, 322; Roth, ZIP 2020, 2488, 2491; Mörsdorf, JZ 2019, 1066, 1071 f.; ders., ZIP 2009, 1483, 1494 ff.; ders., EuR 2009, 219, 232 ff.; Kainer, NZA 2018, 894, 895 f.; a. A. Wank, RdA 2020, 1, 5, 11 f., der (wohl) von einer unmittelbaren Bindungswirkung/Drittwirkung ausgeht. 97 Vgl. auch FGO/Schubert, Art. 51 GRC, Rn. 36, 45; dies., EuZA 2020, 302, 312; NKGRC/Schwerdtfeger, Art. 51 GRC, Rn. 58; Jarass, GRC, Art. 51 GRC, Rn. 40; ders., ZEuP 2017, 310, 332. 98 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 15. 07. 2021 – C-804/18, C-341/19 (IX/WABE e.V. u. Müller Handels GmbH/MJ), BeckRS 2021, 18431, Rn. 84; EuGH, Urteil v. 16. 07. 2015 – C-580/13 (Coty), BeckRS 2015, 80946, Rn. 34 f.; EuGH, Urteil v. 29. 01. 2008 – C-275/06 (Promusicae), NJW 2008, 743, 746, Rn. 65 f.; statt vieler Jarass, GRC, Art. 51 GRC, Rn. 43, Art. 52 GRC, Rn. 43; ders., ZEuP 2017, 310, 319, 324 f.; Pötters, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 3 Rn. 3.46 f. 99 Zu dieser Differenzierung zwischen der privatrechtlichen Wirkung und Bindung der Unionsgrundrechte auch FGO/Schubert, Art. 51 GRC, Rn. 47; dies., EuZA 2020, 302, 312; Kainer, NZA 2018, 894.
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gorisch ausgeschlossen“ werden kann.100 Der EuGH hat auch bereits für einzelne Grundrechte, etwa Art. 21 Abs. 1 GRC und Art. 31 Abs. 2 GRC, eine Bindungswirkung Privater bejaht, indem er festgestellt hat, dass diese dem Einzelnen unmittelbar gegenüber einer anderen Privatperson durchsetzbare individuelle Rechte bzw. Ansprüche verleihen.101 Hieraus allerdings auf eine Bindungswirkung aller Unionsgrundrechte für Private zu schließen, erscheint zu weitgehend, zumal der EuGH eine solche für Art. 27 GRC wohl ablehnt.102 Für die vorliegende Untersuchung des Kündigungsschutzes für Whistleblower kann eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dieser (umstrittenen) dogmatischen Frage dahinstehen. Die insoweit einschlägigen Freiheitsgrundrechte der Arbeitsvertragsparteien wirken sich jedenfalls (mittelbar) durch die unionsrechtlich gebotene primärrechtskonforme Auslegung oder potenzielle Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit betreffenden unionalen wie nationalen Rechts auf das privatrechtliche Arbeitsverhältnis aus und sind – wie auch im Fall einer unmittelbaren Bindung – gegeneinander abzuwägen. 2. Unionsgrundrechte des Whistleblowers Wie schon im deutschen Verfassungsrecht und in der EMRK wird das Verhalten des Whistleblowers auch in der GRC vor allem durch das klassische Grundrecht der freien Meinungsäußerung geschützt. a) Meinungsfreiheit Das Unionsgrundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 11 Abs. 1 GRC gewährleistet die Äußerung einer Meinung und die Weitergabe von Informationen unabhängig von Empfänger, Kommunikationsmedium oder -weg.103 Dabei ist der Schutz 100
EuGH, Urteil v. 06. 11. 2018 – C-596/16, C-570/16 (Bauer, Willmeroth), NZA 2018, 1467, 1473, Rn. 87; EuGH, Urteil v. 06. 11. 2018 – C-684/16 (Max-Planck-Gesellschaft), NZA 2018, 1474, 1479, Rn. 76. 101 EuGH, Urteil v. 22. 01. 2019 – C-193/17 (Cresco), NZA 2019, 297, 301, Rn. 76 f.; EuGH, Urteil v. 06. 11. 2018 – C-596/16, C-570/16 (Bauer, Willmeroth), NZA 2018, 1467, 1473, Rn. 85, 89; EuGH, Urteil v. 06. 11. 2018 – C-684/16 (Max-Planck-Gesellschaft), NZA 2018, 1474, 1479, Rn. 74, 78; EuGH, Urteil v. 17. 04. 2018 – C-414/16 (Egenberger), NJW 2018, 1869, 1872, Rn. 76 f.; vgl. hierzu Jarass, GRC, Art. 21 GRC, Rn. 4, Art. 31 GRC, Rn. 3, Art. 51 GRC, Rn. 41; Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2020, 1022, 1025; Kainer, NZA 2018, 894, 897 f.; Streinz, EuropR, Rn. 784; kritisch FGO/Schubert, Art. 51 GRC, Rn. 40 ff.; dies., EuZA 2020, 302, 303, 312 ff.; Köndgen/Mörsdorf, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 6, Rn. 50 ff.; Wank, RdA 2020, 1, 7 f.; Mörsdorf, JZ 2019, 1066, 1072 f. 102 EuGH, Urteil v. 15. 01. 2014 – C-176/12 (AMS), NZA 2014, 193, 195, Rn. 47, 49; vgl. hierzu auch Streinz-EUV/AEUV/Streinz/Michl, Art. 51 GRC, Rn. 30; FGO/Schubert, Art. 51 GRC, Rn. 39; Wank, RdA 2020, 1, 9; Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2020, 1022, 1025; eine allgemeine Ausdehnung der (positiven) Bindungswirkung der Unionsgrundrechte für Private ablehnend Schubert, EuZA 2020, 302, 318; Kainer, NZA 2018, 894, 899. 103 Vgl. jeweils m. w. N. Jarass, GRC, Art. 11 GRC, Rn. 13; GSH/Augsberg, Art. 11 GRC, Rn. 7; Streinz-EUV/AEUV/Bernsdorff, Art. 11 GRC, Rn. 12.
B. Unionsrecht
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der für einen demokratischen Willensbildungsprozess konstitutiven Meinungsäußerung als so umfassend zu verstehen, dass weder zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen zu unterscheiden ist noch „kritische“ oder sogar beleidigende Äußerungen per se ausgeschlossen sind.104 Hinsichtlich anonymer Meinungsäußerungen kann auf die Ausführungen zu Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG verwiesen und ein Schutz auch durch Art. 11 Abs. 1 GRC bejaht werden.105 Zwar hat sich die unionsgerichtliche Rechtsprechung bislang nicht mit der Frage des grundrechtlichen Schutzes der Meldung von Missständen durch einen Arbeitnehmer befasst; an dem Schutz durch Art. 11 Abs. 1 GRC, für den (anders als im deutschen Verfassungsrecht) nicht einmal zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen differenziert wird, dürfte allerdings kein Zweifel bestehen.106 b) Sonstige Unionsgrundrechte Auch im Unionsrecht kann das Meldeverhalten des Arbeitnehmers zudem dem Schutzbereich anderer Grundrechte unterfallen, etwa der durch Art. 10 Abs. 1 GRC gewährleisteten Freiheit der religiösen und weltanschaulichen Auffassung,107 ohne dass dies indes zu einem anderen Abwägungsergebnis führen dürfte als unter alleinigem Rückgriff auf die Meinungsfreiheit. Ein dem deutschen staatsbürgerlichen Anzeigerecht vergleichbares Grundrecht kennt hingegen auch die GRC nicht. 3. Unionsgrundrechte des Arbeitgebers Die Interessenposition des Arbeitgebers beim Whistleblowing wird (ähnlich dem deutschen Recht) im unionalen Primärrecht insbesondere durch das Wirtschaftsgrundrecht der unternehmerischen Freiheit geschützt. a) Unternehmerische Freiheit Unternehmerische Betätigung genießt in der GRC einen weitgehenden grundrechtlichen Schutz, der sich hier (anders als im deutschen Verfassungsrecht) nicht aus 104 Vgl. insoweit EuGH, Urteil v. 06. 03. 2001 – C-274/99 (Conolly), EuR 2001, 542, 545, Rn. 39; für viele jeweils m. w. N. GSH/Augsberg, Art. 11 GRC, Rn. 6; Jarass, GRC, Art. 11 GRC, Rn. 10 f.; NK-ArbR/Heuschmid/Lörcher, Art. 11 GRC, Rn. 10; vgl. zur besonderen Bedeutung der Meinungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft auch jüngst EuGH, Urteil v. 06. 10. 2020 – C-511/18, C-512/18, C-520/18 (La Quadrature du Net u. a.), NJW 2021, 531, 535, Rn. 114. 105 Vgl. hierzu in Teil 3, A.II.1.a)cc). 106 Vgl. insoweit auch statt vieler Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 12; NK-ArbR/Heuschmid/Lörcher, Art. 11 GRC, Rn. 10; Colneric, AuR 2021, 419, 422; Schmitt, RdA 2017, 365, 371; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 669. 107 Etwa Schmitt, RdA 2017, 365, 371; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 669.
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Teil 3: Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower
der durch Art. 15 Abs. 1 GRC geschützten Berufsfreiheit, sondern aus dem insoweit spezielleren Grundrecht des Art. 16 GRC ergibt.108 Dieses schützt die selbständige wirtschaftliche und geschäftliche Tätigkeit am Markt umfassend und unabhängig von Art, Umfang und Rechtmäßigkeit der Betätigung sowie von Rechtsform, Größe oder Finanzierung des Unternehmens.109 Dadurch erfährt jedes unternehmensbezogene Wirken und Treiben in all seinen Ausprägungen grundrechtlichen Schutz – von der Gründung über das Führen bis hin zur Beendigung des Unternehmens.110 In den Schutzbereich fallen auch das durch die Meldung von Missständen durch einen Arbeitnehmer vor allem betroffene Arbeitgeberinteresse an der Vertraulichkeit betriebsinterner Vorgänge und Informationen, insbesondere von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen,111 ebenso wie die Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit.112
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So auch Jarass, GRC, Art. 15 GRC, Rn. 4, Art. 16 GRC, Rn. 4; Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 15 GRC, Rn. 4; FGO/Schubert, Art. 15 GRC, Rn. 8; GSH/Wollenschläger, Art. 15 GRC, Rn. 10; Pötters, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 3, Rn. 3.82; Streinz, EuropaR, Rn. 799 f.; a. A. NK-GRC/Bernsdorff, Art. 15 GRC, Rn. 12; der EuGH hat das Verhältnis der beiden Grundrechte bislang nicht abschließend geklärt, insbesondere der explizite Schutz der unternehmerischen Freiheit im Sinne einer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit durch Art. 16 GRC spricht aber insoweit für eine Verdrängung des Art. 15 GRC, der dadurch vor allem für unselbständig tätige natürliche Personen von Bedeutung ist, vgl. zu (ersten) konkreten Abgrenzungsbemühungen EuGH, Urteil v. 30. 06. 2016 – C-134/15 (Lidl), BeckRS 2016, 81408, Rn. 26. 109 So i. E. st. Rspr. EuGH, Urteil v. 15. 04. 2021 – C-798/18, C-799/18 (Anie/GSE), NVwZ 2021, 1601, 1605, Rn. 56, 62; EuGH, Urteil v. 30. 06. 2016 – C-134/15 (Lidl), BeckRS 2016, 81408, Rn. 28; EuGH, Urteil v. 22. 01. 2013 – C-283/11 (Sky Österreich), BeckRS 2013, 80140, Rn. 42 f.; für viele und jeweils m. w. N. Jarass, GRC, Art. 16 GRC, Rn. 8 f.; FGO/ Schubert, Art. 16 GRC, Rn. 8 f.; Pötters, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 3, Rn. 3.80; Streinz, EuropR, Rn. 800; vgl. zur Anwendbarkeit auf juristische Personen des Privatrechts statt vieler Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 16 GRC, Rn. 3; GSH/Wollenschläger, Art. 16 GRC, Rn. 6; Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2020, 1022, 1025. 110 Vgl. auch NK-GRC/Bernsdorff, Art. 16 GRC, Rn. 11; Jarass, GRC, Art. 16 GRC, Rn. 10. 111 EuGH, Urteil v. 23. 11. 2016 – C-442/14 (Bayer CropScience), EuZW 2017, 112, 118, Rn. 99; Jarass, GRC, Art. 16 GRC, Rn. 10; GSH/Wollenschläger, Art. 16 GRC, Rn. 8; überdies ist der Schutz von Geschäftsgeheimnissen ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, vgl. st. Rspr. EuGH, Urteil v. 19. 06. 2018 – C-15/16 (BaFin/Baumeister), NJW 2018, 2615, 2618, Rn. 53; EuGH, Urteil v. 14. 02. 2008 – C-450/06 (Varec SA/Belgien), NVwZ 2008, 651, 653, Rn. 49; EuGH, Urteil v. 19. 05. 1994 – C-36/92 (SEP), BeckRS 2004, 76725, Rn. 37. 112 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 15. 04. 2021 – C-798/18, C-799/18 (Anie/GSE), NVwZ 2021, 1601, 1605, Rn. 56 f.; EuGH, Urteil v. 22. 01. 2013 – C-283/11 (Sky Österreich), BeckRS 2013, 80140, Rn. 42; für viele GSH/Wollenschläger, Art. 16 GRC, Rn. 8; NK-GRC/Bernsdorff, Art. 16 GRC, Rn. 13, 15; FGO/Schubert, Art. 16 GRC, Rn. 9 f.
B. Unionsrecht
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b) Sonstige Unionsgrundrechte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse unterfallen als erworbene Vermögenswerte zudem regelmäßig auch dem Eigentumsrecht aus Art. 17 GRC.113 Zudem können die geschäftliche Tätigkeit sowie der gute Ruf des Arbeitgebers und insbesondere die betriebliche Kommunikation bisweilen von Art. 7 GRC erfasst sein, der diese in vertraulichen Zusammenhängen auch in Geschäftsräumen schützt und insoweit aufgrund einer vergleichbaren Schutzbedürftigkeit nicht nur natürlichen Personen, sondern auch juristischen Personen zugutekommt.114 Eine besondere bzw. im Vergleich zu Art. 16 GRC andere Abwägungsrelevanz dürfte diesen Grundrechten – soweit sie überhaupt anwendbar sind –115 in Fällen des Whistleblowings indes nicht zukommen, so dass – wie auch im deutschen Recht –116 für den Arbeitgeber die unternehmerische Freiheit aus Art. 16 GRC die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung maßgebliche grundrechtliche Rechtsquelle im unionalen Recht darstellt. 4. Konventionsrecht Als Fundament eines gemeinsamen europaweiten Grundrechtsschutzes stellen die Schutzvorgaben der EMRK (wie auch im nationalen Recht) einen wichtigen (Auslegungs-)Maßstab für den unionalen Grundrechtsschutz dar. Zwar ist die EU selbst – anders als ihre Mitgliedstaaten – bislang (noch) nicht der EMRK beigetreten, so dass Letztere im Unionsrecht nicht unmittelbar verbindliche Rechtsquelle ist.117 Als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts (Art. 6 Abs. 3 EUV) ist sie bei der Anwendung und Auslegung der Unionsgrundrechte aber dennoch als grundrechtliche Rechtserkenntnisquelle heranzuziehen, um die Einhaltung ihres vorgegebenen Mindestschutzes sicherzustellen.118 Soweit die Unionsgrundrechte in der EMRK eine 113 EuGH, Urteil v. 23. 11. 2016 – C-442/14 (Bayer CropScience), EuZW 2017, 112, 118, Rn. 99; vgl. hierzu auch Jarass, GRC, Art. 17 GRC, Rn. 10; GSH/Wollenschläger, Art. 17 GRC, Rn. 16; Ohly, GRUR 2019, 441, 448. 114 Vgl. insoweit EuGH, Urteil v. 14. 02. 2008 – C-450/06 (Varec SA/Belgien), NVwZ 2008, 651, 653, Rn. 48; GSH/Augsberg, Art. 7 GRC, Rn. 5, 8, 10; Jarass, GRC, Art. 7 GRC, Rn. 13, 16 f.; NK-GRC/Bernsdorff, Art. 7 GRC, Rn. 19, 22. 115 Vgl. zu Grundrechtskonkurrenzen Jarass, GRC, Art. 7 GRC, Rn. 9, Art. 17 GRC, Rn. 4. 116 Vgl. hierzu Teil 3, A.II.2.b). 117 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 02. 02. 2021 – C-481/19 (DB/Consob u. a.), NZG 2021, 295, 296, Rn. 36; EuGH, Urteil v. 26. 02. 2013 – C-617/10 (Åkerberg Fransson), NJW 2013, 1415, 1417, Rn. 44; statt vieler Calliess/Ruffert/Kingreen, Art. 6 EUV, Rn. 7; Jarass, GRC, Art. 52 GRC, Rn. 64; NK-GRC/Schwerdtfeger, Art. 52 GRC, Rn. 64. 118 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 17. 12. 2020 – C-336/19 (Israëlitisch Consistorie van België), NVwZ 2021, 219, 221, Rn. 56; EuGH, Urteil v. 15. 03. 2017 – C-528/15 (Policie Cˇ R’), NVwZ 2017, 777, 778, Rn. 37; EuGH, Urteil v. 26. 02. 2013 – C-617/10 (Åkerberg Fransson), NJW 2013, 1415, 1417, Rn. 20, 44; vgl. auch Calliess/Ruffert/Kingreen, Art. 6 EUV, Rn. 7, 20 f., Art. 52 GRC, Rn. 19, 21; Streinz-EUV/AEUV/Streinz, Art. 6 EUV, Rn. 25; NK-GRC/Schwerdtfeger, Art. 52 GRC, Rn. 64; Fornasier, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 4, Rn. 4.12; Jarass, GRC, Art. 52 GRC, Rn. 63 f.; Buchwald, ZESAR 2021, 69, 72; Colneric, AuR 2021,
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Entsprechung finden, haben sie gem. Art. 52 Abs. 3 S. 1 GRC die „gleiche Bedeutung und Tragweite“ wie die Menschenrechte der EMRK, ohne dass hierdurch allerdings ein weitergehender unionaler Grundrechtsschutz ausgeschlossen wird. Ähnlich wie im nationalen Verfassungsrecht stößt dieses unionsgrundrechtliche Günstigkeitsprinzip im mehrpoligen Rechtsverhältnis an seine Grenzen, weil hier eine Wechselwirkung zwischen dem jeweiligen grundrechtlichen Schutzniveau der betroffenen Privatrechtssubjekte besteht.119 Auch im Unionsrecht kann daher ein im Vergleich zur EMRK intensiverer Grundrechtsschutz für den Einzelnen im mehrpoligen Rechtsverhältnis nur dann gewährt werden, wenn der konventionsrechtliche Mindestschutz auf der anderen Seite hierdurch nicht beeinträchtigt wird, sondern durch einen schonenden Ausgleich der Grundrechtspositionen sichergestellt ist.120 Zur Gewährleistung des konventionsrechtlichen Mindestschutzes ist daher bei der Auslegung und Anwendung der unionalen Grundrechte zu berücksichtigen, ob sich der EMRK oder der Rechtsprechung des EGMR Grundsätze zur Reichweite des Grundrechtsschutzes und insbesondere auch zum Ausgleich widerstreitender Grundrechtspositionen in mehrpoligen Rechtsverhältnissen entnehmen lassen. Bei der Auslegung der beim Whistleblowing einschlägigen Unionsgrundrechte, also vor allem Art. 11 Abs. 1 GRC und Art. 16 GRC, sind folglich die konventionsrechtlichen Mindestschutzvorgaben zu gewährleisten, wie sie sich aus den – zumindest partiell – entsprechenden Konventionsrechten, namentlich Art. 10 Abs. 1 EMRK samt seiner Doppelfunktion in Bezug auf das öffentliche Interesse am Whistleblowing einerseits und Art. 8 Abs. 1 EMRK sowie Art. 1 Abs. 1 S. 1 Zusatzprotokoll der EMRK andererseits, und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EGMR ergeben.121
II. Sekundärrecht Zum unionalen Sekundärrecht zählen alle auf der Grundlage des grundsätzlich abstrakt gehaltenen Primärrechts durch die unionalen Organe erlassenen Rechtsakte und Maßnahmen, die konkrete Vorgaben zur Regelung unterschiedlicher Lebens-
419, 422; Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 356; Trebeck/Schulte-Wissermann, NZA 2018, 1175, 1178; Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1003; Schmitt, RdA 2017, 365, 368. 119 Vgl. dazu eingehend in Teil 3, A.II.3.a). 120 So auch Jarass, Art. 52 GRC, Rn. 62; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 4, Rn. 9; Buchwald, ZESAR 2021, 69, 72; wohl auch NK-GRC/Schwerdtfeger, Art. 52 GRC, Rn. 66; ähnlich, aber i. E. enger FGO/Schubert, Art. 52 GRC, Rn. 18. 121 So auch für viele Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 356; Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1003; Schmitt, RdA 2017, 365, 368; vgl. zur Berücksichtigung der sich aus der – mangels eines eigenen Konventionsrechts zum Schutz der Unternehmerfreiheit – weiten Auslegung des Art. 8 Abs. 1 EMRK sowie des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Zusatzprotokoll der EMRK (vgl. hierzu in Teil 3, A.II.3.c)) ergebenden konventionsrechtlichen Vorgaben im Rahmen des Art. 16 GRC Jarass, GRC, Art. 7 GRC, Rn. 13, Art. 62 GRC, Rn. 62; NK-GRC/Schwerdtfeger, Art. 52 GRC, Rn. 62.
B. Unionsrecht
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sachverhalte oder Fallkonstellationen enthalten.122 Dabei ergeben sich aus Art. 288 AEUV die maßgeblichen Handlungsformen sekundärrechtlicher Regulierung, von denen für das Privatrecht insbesondere Verordnung und Richtlinie bedeutsam sind.123 Diese beiden Handlungsformen unterscheiden sich vor allem darin, dass der Verordnung gem. Art. 288 Abs. 2 AEUV im mitgliedstaatlichen Recht unmittelbare Geltung – auch zwischen Privaten – zukommt, während die unionale Richtlinie gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV nur für die Mitgliedstaaten selbst und nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels, nicht jedoch hinsichtlich Form und Mittel verbindlich ist. Der Erlass einer Richtlinie setzt daher einen zweistufigen Rechtsetzungsprozess in Gang, auf dessen zweiter Stufe die adressierten Mitgliedstaaten die Richtlinienvorgaben innerhalb einer (meist zweijährigen) Umsetzungsfrist in ihr mitgliedstaatliches Recht überführen und ihnen so innerstaatliche Wirksamkeit gegenüber dem Einzelnen verschaffen müssen.124 1. Unionale Regelungsbefugnis Unabhängig von ihrer unterschiedlichen Wirkung im mitgliedstaatlichen Recht bedarf es für den Erlass dieser beiden Rechtsetzungsinstrumente stets einer unionalen Regelungsbefugnis, deren Vorliegen anhand der nachfolgenden Kriterien zu prüfen und gerade auch bei der im Fokus dieser Arbeit stehenden WBRL insbesondere aufgrund der Vielzahl der für ihren Erlass benannten Kompetenzgrundlagen zu hinterfragen und näher zu untersuchen ist.125 a) Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Anders als die Mitgliedstaaten hat der Unionsgesetzgeber keine allumfassende Gesetzgebungskompetenz, sondern kann nur insoweit gesetzgeberisch tätig werden, als ihm die Mitgliedstaaten unter Einschränkung ihrer eigenen gesetzgeberischen Souveränität Kompetenzen eingeräumt haben, Art. 5 Abs. 2 EUV. Die einschlägige primärrechtliche Kompetenzgrundlage mitsamt ihren verfahrensrechtlichen Vorgaben und inhaltlichen Einschränkungen hinsichtlich der zulässigen unionalen Regelungsreichweite und -intensität bestimmt sich dabei zuvörderst nach dem Regelungsziel und dem Inhalt des jeweiligen Rechtsaktes.126 Verfolgt der Unionsge122 Streinz-EUV/AEUV/Schroeder, Art. 288 AEUV, Rn. 23 f.; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.27. 123 Ähnlich Köndgen/Mörsdorf, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 6, Rn. 53; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.27. 124 Für viele Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.113; Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 288 AEUV, Rn. 23; Kubitza, EuZW 2016, 691. 125 Vgl. hierzu im Rahmen der Analyse der WBRL eingehend in Teil 5, A.III. 126 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 20. 11. 2018 – C-626/15 (Kommission/Rat), BeckRS 2018, 29023, Rn. 76; EuGH, Urteil v. 23. 10. 2007 – C-440/05 (Kommission/Rat), NStZ 2008, 703,
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Teil 3: Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower
setzgeber mehrere Zielrichtungen, ist diejenige Rechtsgrundlage zu wählen, die das wesentliche oder überwiegende Ziel stützt – ausnahmsweise können jedoch auch mehrere einschlägige Rechtsgrundlagen herangezogen werden, sofern mit dem Rechtsakt gleichzeitig „mehrere Zielsetzungen verfolgt oder mehrere Komponenten umfasst [werden], die untrennbar miteinander verbunden sind, ohne dass eine von ihnen ein Nebenaspekt der anderen ist“.127 Der Rückgriff auf eine doppelte Rechtsgrundlage ist allerdings dann unzulässig, wenn die in den Kompetenzgrundlagen vorgesehenen Verfahren miteinander unvereinbar sind.128 Dieses Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung bedingt naturgemäß – wie etwa im bisherigen unionalen Whistleblowingrecht – eine fragmentarische und lückenhafte Rechtsetzung in vielen Rechtsbereichen unionaler Regulierungspolitik.129 So fehlt es auch im Arbeitsrecht an einer umfassenden unionalen Regelungskompetenz, vielmehr erlaubt das Unionsrecht sekundärrechtliche Regulierung nur für bestimmte Rechtsetzungszwecke, insbesondere zur Verwirklichung sozialpolitischer Ziele, Art. 153 Abs. 1 AEUV.130 b) Subsidiarität In Abhängigkeit vom jeweiligen in Art. 3 und 4 AEUV abstrakt benannten Politikfeld gliedern sich die unionalen Rechtsetzungsbefugnisse in ausschließliche und – als Regelfall unionaler Zuständigkeit – geteilte Zuständigkeiten. Bei Letzterer können die Mitgliedstaaten gem. Art. 2 Abs. 2 AEUV nur gesetzgeberisch tätig werden, „sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat“, wobei wiederum der Uniongesetzgeber zum Schutz der mitgliedstaatlichen Souveränität nur verbindlich Recht setzen darf, sofern und soweit die Ziele des jeweiligen Rechtsaktes durch die Mitgliedstaaten – auf zentraler, regionaler oder auch lokaler Ebene – nicht ausreichend verwirklicht werden können, sondern wegen ihres Umfangs und ihrer Wirkung auf unionaler Ebene besser zu erreichen sind, Art. 5 Abs. 3 EUV. Die Beachtung dieses Subsidiaritätsgrundsatzes verlangt daher zum einen eine unzureichende oder fehlende mitgliedstaatliche Rechtsetzung zur Erreichung des jeweiligen Regulierungsziels (sog. Negativkriterium) und zum anderen eine effek704, Rn. 61; EuGH, Urteil v. 26. 03. 1987 – 45/86 (Kommission/Rat), BeckRS 2004, 73137, Rn. 11; vgl. auch EuGH, Gutachten v. 06. 10. 2021 – Avis 1/19, BeckRS 2021, 31816, Rn. 284. 127 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 20. 11. 2018 – C-626/15 (Kommission/Rat), BeckRS 2018, 29023, Rn. 77 f.; EuGH, Urteil v. 19. 09. 2002 – C-336/00 (Huber), BeckRS 2004, 76526, Rn. 31; EuGH, Urteil v. 11. 06. 1991 – C-300/89 (Titandioxid-Abfälle), BeckRS 2004, 76145, Rn. 13, 17; vgl. auch EuGH, Gutachten v. 06. 10. 2021 – Avis 1/19, BeckRS 2021, 31816, Rn. 285. 128 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 06. 11. 2008 – C-155/07 (Parlament/Rat), BeckRS 2008, 71147, Rn. 37; EuGH, Urteil v. 11. 06. 1991 – C-300/89 (Titandioxid-Abfälle), BeckRS 2004, 76145, Rn. 17 ff.; vgl. auch EuGH, Gutachten v. 06. 10. 2021 – Avis 1/19, BeckRS 2021, 31816, Rn. 288. 129 Ähnlich Köndgen/Mörsdorf, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 6, Rn. 58. 130 Statt vieler Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.45, 1.52 ff.
B. Unionsrecht
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tivere Zielverwirklichung durch unionale Regulierung unter besonderer Berücksichtigung ihrer grenzüberschreitenden Wirkung (sog. Positivkriterium oder Mehrwerttest).131 Der EuGH stellt bei rechtsangleichenden Richtlinien insoweit keine allzu hohen Anforderungen, sondern hält die relativ allgemeine Begründung der unzureichenden Verwirklichung des Regelungsziels auf mitliedstaatlicher Ebene oder der besseren Erreichung auf unionaler Ebene regelmäßig für ausreichend.132 c) Verhältnismäßigkeit Der Unionsgesetzgeber ist bei der Ausübung seiner Rechtsetzungskompetenz zudem durch das Gebot der Verhältnismäßigkeit beschränkt, wonach die gesetzgeberische Maßnahme inhaltlich wie formal nicht über das hinausgehen darf, was zur Zielerreichung erforderlich ist, Art. 5 Abs. 4 EUV. In Ergänzung des Subsidiaritätsgrundsatzes muss er daher unter Beachtung der mitgliedstaatlichen Interessen möglichst schonend Recht setzen, etwa im Hinblick auf die Handlungsform, die Regelungsdichte oder auch die mit der Maßnahme verbundenen Kosten, wobei dem Unionsgesetzgeber insgesamt eine weite Einschätzungsprärogative zusteht.133 Der EuGH stellt auch hier keine überhöhten Anforderungen, sondern lässt es regelmäßig ausreichen, dass eine Maßnahme nicht „offensichtlich ungeeignet“ zur Verwirklichung des angestrebten Ziels ist.134 2. Auslegung Um das Ziel, die Reichweite und den Inhalt unionaler Rechtsetzungsakte richtig zu erfassen, sind die Vorgaben des betreffenden Sekundärrechts regelmäßig auszulegen, wobei der Grundsatz der autonomen und einheitlichen Auslegung des
131
Für viele jeweils m. w. N. Streinz-EUV/AEUV/Streinz, Art. 5 EUV, Rn. 26, 29 f.; GSH/ Kadelbach, Art. 5 EUV, Rn. 33, 35 ff. 132 Vgl. insoweit EuGH, Urteil v. 18. 06. 2015 – C-508/13 (Estland//Parlament u. Rat), BeckRS 2015, 80780, Rn. 46 ff.; EuGH, Urteil v. 08. 06. 2010 – C-58/08 (Vodafone), EuZW 2010, 539, 543, Rn. 77 f.; EuGH, Urteil v. 10. 12. 2002 – C-491/01 (British American Tobacco), BeckRS 2004, 77482, Rn. 180 ff. 133 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 30. 01. 2019 – C-220/17 (Planta Tabak-Manufaktur), GRUR 2019, 309, 311, Rn. 51 f.; EuGH, Urteil v. 06. 12. 2005 – C-453/03, C-11/04, C-12/04, C-194/ 04 (ABNA u. a.), BeckRS 2005, 70934, Rn. 68 f.; EuGH, Urteil v. 10. 12. 2002 – C-491/01 (British American Tobacco), BeckRS 2004, 77482, Rn. 122 f.; für viele Streinz-EUV/AEUV/ Streinz, Art. 5 EUV, Rn. 48, 50; Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV, Rn. 46; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.43. 134 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 08. 06. 2010 – C-58/08 (Vodafone), EuZW 2010, 539, 541, Rn. 52 f.; EuGH, Urteil v. 20. 05. 2010 – C-365/08 (Agrana Zucker), BeckRS 2010, 90605, Rn. 31; EuGH, Urteil v. 12. 07. 2001 – C-189/01 (Jippes), EuZW 2001, 728, 733, Rn. 83; kritisch hierzu Streinz-EUV/AEUV/Streinz, Art. 5 EUV, Rn. 50 f.
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Teil 3: Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower
Unionsrechts zu beachten ist.135 Dies gilt insbesondere auch für unbestimmte Rechtsbegriffe oder Generalklauseln, sofern der Unionsgesetzgeber hier nicht ausdrücklich auf das nationale Recht verweist oder sonst Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine einheitliche unionsrechtliche Anwendung ausnahmsweise entbehrlich ist.136 Anders als im deutschen Recht wird im Unionsrecht terminologisch und methodisch-dogmatisch nicht ausdrücklich zwischen den Interpretationsinstrumenten der Auslegung und der Rechtsfortbildung einer Rechtsnorm unterschieden, obschon der EuGH beide Formen der Gesetzesanwendung praktiziert.137 Insoweit kann die Rechtsfortbildung als Auslegung im weiteren Sinn klassifiziert werden. a) Auslegung im engeren Sinn Als Auslegung im engeren Sinn ist demnach die Interpretation einer Rechtsnorm anhand der auch im deutschen Recht üblichen Auslegungsmittel anzusehen, also insbesondere anhand ihres Wortlauts, ihrer Historie, ihrer Systematik und ihres Telos.138 aa) Wortlaut Auch im Unionsrecht ist stets der Wortlaut einer Norm als unmittelbarer Ausdruck des gesetzgeberischen Regelungswillens zu ihrer Auslegung heranzuziehen. Anders als im deutschen Recht erfährt die Aussagekraft der grammatikalischen Auslegung im unionalen Recht indes eine entscheidende Abschwächung durch die grundsätzlich gebotene Berücksichtigung aller Sprachfassungen, so dass eine starre Orientierung an dem Wortlaut etwa der deutschen Sprachfassung einer Richtlinie
135
St. Rspr. EuGH, Urteil v. 09. 09. 2021 – C-277/20 (UM), ZEV 2021, 717, 718, Rn. 29; EuGH, Urteil v. 22. 10. 2009 – C-116/08 (Christel Meerts), NJW 2010, 1582, 1583, Rn. 41; EuGH, Urteil v. 18. 01. 1984 – 327/82 (Ekro), BeckRS 2004, 70817, Rn. 11; für viele ArbRHdb/Linck, § 4, Rn. 20; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.76; Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 10, Rn. 6; Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV, Rn. 13. 136 Vgl. für st. Rspr. statt vieler EuGH, Urteil v. 07. 08. 2018 – C-61/17, C-62/17, C-72/17 (Bichat u. a.), EuZW 2018, 953, 954, Rn. 29; vgl. auch Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 10, Rn. 4 ff.; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.77; GSH/ Gaitanides, Art. 19 EUV, Rn. 43; Streinz, EuropR, Rn. 633. 137 Vgl. insoweit Möslein/Röthel, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 11, Rn. 11; Neuner, § 12, Rn. 2; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.103; Roloff, § 2, Rn. 2.21; FGO/Höpfner, Art. 267 AEUV, Rn. 9; Streinz, EuropaR, Rn. 629. 138 Vgl. hierzu st. Rspr. EuGH, Urteil v. 04. 03. 2021 – C-473/19, C-474/19 (Föreningen Skydda Skogen), NVwZ 2021, 545, 546, Rn. 32; EuGH, Urteil v. 01. 07. 2015, C-561/13 (BUND/Deutschland), NVwZ 2015, 1041, 1042, Rn. 30; EuGH, Urteil v. 17. 11. 1983 – 292/ 82 (Merck), BeckRS 2004, 72980, Rn. 12; statt vieler ArbR-Hdb/Linck, § 4, Rn. 20; Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 10, Rn. 12; MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil IV., Rn. 27; Streinz, EuropaR, Rn. 632.
B. Unionsrecht
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ausscheidet.139 Vielmehr ist an sich stets auf den Wortlaut aller Sprachfassungen abzustellen, wobei ein sich daraus ergebendes gemeinsames Verständnis wegen der sprachlichen Hürden nur ein Indiz für eine bestimmte Auslegung sein kann, die mittels der übrigen Auslegungsmethoden zu verifizieren ist.140 Der grammatikalischen Auslegung kommt im Unionsrecht daher zwar eine wichtige, aber eine geringere Bedeutung zu als im nationalen Recht.141 bb) Historie Eine zentrale Rolle spielt hingegen die historische Auslegung, für die insbesondere auf die normativ unverbindlichen Erwägungsgründe (ErwGr.) zurückgegriffen werden kann, die integraler Bestandteil eines jeden unionalen Rechtsaktes und inzwischen häufig von erheblichem Umfang und erstaunlicher Detailliertheit sind.142 Zur Ermittlung des gesetzgeberischen Willens können zudem weitere veröffentlichte Gesetzgebungsmaterialien herangezogen werden, etwa die Stellungnahmen der im Gesetzgebungsverfahren anzuhörenden Ausschüsse oder der Gesetzesvorschlag der Kommission.143 cc) Systematik Im Rahmen der systematischen Auslegung ist vorrangig zu prüfen, ob die Stellung der auslegungsbedürftigen Norm im strukturellen Aufbau des jeweiligen Rechts-
139 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 24. 03. 2021 – C-950/19 (A), NZG 2021, 601, 603, Rn. 37; EuGH, Urteil v. 13. 06. 2013 – C-125/12 (Promociones y Construcciones), BeckRS 2013, 81207, Rn. 22; EuGH, Urteil v. 12. 11. 1969 – 29/69 (Stauder), BeckRS 2004, 72956, Rn. 3; vgl. auch Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV, Rn. 13; MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil IV., Rn. 29; GSH/Gaitanides, Art. 19 EUV, Rn. 43. 140 Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 10, Rn. 15; Sagan, in: Preis/ Sagan, Europ. Methodenlehre, § 1, Rn. 1.85; ähnlich MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil IV., Rn. 27. 141 Für viele auch Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV, Rn. 13; MüKoLauterkeitsrecht/ Leible, A. Teil IV., Rn. 31; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. Arbeitsrecht, § 1, Rn. 1.87. 142 MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil IV., Rn. 33; Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 10, Rn. 32, 35; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.97; Alexander/Jüttner, JuS 2020, 1137, 1138; etwas anders GSH/Gaitanides, Art. 19 EUV, Rn. 47; vgl. insoweit etwa die Berücksichtigung der ErwGr. in EuGH, Urteil v. 04. 03. 2021 – C-273/19, C-474/19 (Föreningen Skydda Skogen), NVwZ 2021, 545, 546, Rn. 39; EuGH, Urteil v. 07. 08. 2018 – C-61/17, C-62/17, C-72/17 (Bichat u. a.), EuZW 2018, 953, 954, Rn. 34 ff.; EuGH, Urteil v. 01. 03. 2016 – C-443/14, C-444/14 (Warendorf), NVwZ 2016, 445, 446, Rn. 30 f. 143 Vgl. Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 10, Rn. 34, 36 f.; Calliess/ Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV, Rn. 14; MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil IV., Rn. 34 f., 37.
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aktes Aufschluss über ihren konkreten Regelungsinhalt gibt.144 Als Teil des unionalen Gesamtrechtssystems können sich Schlussfolgerungen aber auch aus dem Verhältnis zu anderen unionalen Rechtsakten und ihrer Regelungsstruktur ergeben.145 dd) Telos Eine herausragende Rolle spielt auch im Unionsrecht naturgemäß die teleologische Auslegung, da durch sie die effektive Verwirklichung des Regelungsziels und damit seine praktische Wirksamkeit (effet utile) als wesentlicher Grundsatz des Unionsrechts sichergestellt bzw. bestmöglich gefördert werden kann, was für den europäischen Integrationsprozess als übergeordnetes Ziel der EU von elementarer Bedeutung ist.146 Der Sinn und Zweck einer konkreten Regelungsnorm wie auch des Sekundärrechtsaktes insgesamt lässt sich dabei regelmäßig anhand der ErwGr. ermitteln.147 ee) Rechtsvergleichung Neben diesen üblichen Auslegungsmethoden kann überdies – aufgrund der Autonomie des Unionsrechts aber allenfalls ergänzend – eine rechtsvergleichende Auslegung anhand mitgliedstaatlichen Rechts vorgenommen werden.148
144
Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.89; MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil IV., Rn. 38; Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 10, Rn. 23; vgl. so etwa in EuGH, Urteil v. 06. 10. 2020 – C-511/18, C-520/18 (Quadrature du Net), ZD 2021, 520, 522, Rn. 97; EuGH, Urteil v. 13. 06. 2013 – C-125/12 (Promociones y Construcciones), BeckRS 2013, 81207, Rn. 23. 145 Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 10, Rn. 24; MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil IV., Rn. 38 f.; Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV, Rn. 15; GSH/Gaitanides, Art. 19 EUV, Rn. 46; vgl. insoweit auch EuGH, Urteil v. 06. 10. 1982 – C-283/81 (C.I.L.F.I.T.), BeckRS 1982, 108239, Rn. 20. 146 Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV, Rn. 16; MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil IV., Rn. 44 ff.; GSH/Gaitanides, Art. 19 EUV, Rn. 42, 44 f.; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.100; Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 10, Rn. 45; Streinz, EuropaR, Rn. 632; vgl. insoweit auch die st. Rspr. EuGH, Urteil v. 15. 07. 2021 – C-325/20 (BEMH u. CNCC), BeckRS 2021, 18329, Rn. 25, 27; EuGH, Urteil v. 18. 10. 2011 – C-34/10 (Brüstle), GRUR 2011, 1104, 1106, Rn. 50; EuGH, Urteil v. 04. 12. 1974 – 41/ 74 (van Duyn), BeckRS 2004, 71134, Rn. 12. 147 Für viele Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV, Rn. 16; MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil IV., Rn. 44. 148 Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV, Rn. 17; MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil IV., Rn. 47; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.99.
B. Unionsrecht
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ff) Primärrechtskonformität Von besonderer Bedeutung ist zudem die – bereits angesprochene – primärrechtskonforme Auslegung abgeleiteten Unionsrechts, die Ausfluss des normhierarchischen Vorrangs des Primärrechts gegenüber dem Sekundärrecht ist und diesen praktisch sicherstellt.149 Methodologische Konsequenz ist eine interpretatorische Vorrangregelung zugunsten der primärrechtskonformen Auslegung.150 Unter mehreren möglichen ist stets das primärrechtskonforme Auslegungsergebnis zu wählen, selbst wenn anhand der übrigen (primärrechtsautonomen) Auslegungsmethoden auf sekundärrechtlicher Ebene eine gegenläufige Interpretation quantitativ überwiegt.151 Die primärrechtskonforme Auslegung bildet das elementare Bindeglied der verschiedenen Ebenen des Unionsrecht und verhindert die Anwendung primärrechtswidriger Sekundärrechtsakte. Nachrangiges Unionsrecht ist ungültig, wenn es nicht in Übereinstimmung mit dem sich regelmäßig durch wörtliche und teleologische Auslegung feststellbaren gesetzgeberischen Willen primärrechtskonform ausgelegt werden kann.152 Anders als bei der verfassungskonformen Auslegung im nationalen Recht scheint im Unionsrecht keine einhellige Meinung über die Einordnung der primärrechtskonformen Auslegung im System der erörterten unionalen Auslegungsmethoden zu bestehen. Sie wird von der wohl überwiegenden Auffassung unter Berufung auf das rangsystematische Verhältnis zwischen Primär- und Sekundärrecht der systematischen Auslegung zugeordnet.153 Es erscheint indes dogmatisch überzeugender, sie außerhalb des „klassischen“ – auf die jeweilige Rangebene bezogenen – Auslegungskanons zu verorten, da sie allein Folge der interunionalen Normenhierarchie ist.154 b) Auslegung im weiteren Sinn Aus Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV leitet sich überdies die Berechtigung des EuGH zur Rechtsfortbildung des Unionsrechts her, durch die planwidrige Regelungslücken
149
Vgl. hierzu bereits in Teil 3, B.I.1. Leible/Domröse, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 8, Rn. 27. 151 Leible/Domröse, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 8, Rn. 7, 27; vgl. auch MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil IV., Rn. 41; Jarass, ZEuP 2017, 310, 320. 152 So etwa in EuGH, Urteil v. 08. 04. 2014 – C-293/12, C-594/12 (Digital Rights Irland), NJW 2014, 2169, 2173, Rn. 69, 71; EuGH Urteil v. 01. 03. 2011 – C-236/09 (Test-Achats), NJW 2011, 907, 909, Rn. 32 f.; vgl. auch zur Nichtigkeit mangels Rechtsgrundlage EuGH, Urteil v. 06. 05. 2014 – C-43/12 (Kommission/Parlament), BeckRS 2014, 80829, Rn. 50 f. 153 Leible/Domröse, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 8, Rn. 28; Riesenhuber, § 10, Rn. 24; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.91; Wank, RdA 2020, 1, 2; tendenziell auch FGO/Schubert, Art. 6 EUV, Rn. 33. 154 So auch Streinz, EuropaR, Rn. 633; FGO/Höpfner, Art. 267 AEUV, Rn. 9, Art. 288 AEUV, Rn. 4; wohl auch Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 288 AEUV, Rn. 9; tendenziell MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil IV., Rn. 41. 150
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sekundärrechtlicher Rechtsakte geschlossen werden können.155 Lässt sich durch Auslegung einer Rechtsnorm kein bestimmter Regelungsgehalt ermitteln, so ist für das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke zunächst zu prüfen, ob die Rechtsnorm eine abschließende Regelung trifft oder gar (was insbesondere bei Richtlinien bedeutsam ist) nur unvollständig erscheint, weil sie den Mitgliedstaaten einen Spielraum einräumt.156 Bestehende Lücken können (ähnlich der deutschen Rechtsdogmatik) durch eine analoge Anwendung geschlossen werden.157 Die Grenze einer Analogie liegt aber dort, wo sie zu einer Ersatz-Rechtsetzung contra legem führt, primärrechtswidrige Normen vor der Nichtigkeit „rettet“ oder kompetenzrechtliche Grenzen zulasten der mitgliedstaatlichen Souveränität überschreitet.158 3. Richtlinie als maßgebliche Handlungsform Auch wenn der Unionsgesetzgeber im Rahmen des bisherigen – bereits dargestellten – fragmentarischen sektor- und bereichsbezogenen Regelungsansatzes zum Umgang mit dem Phänomen Whistleblowing sowohl auf das sekundärrechtliche Regulierungsinstrumentarium der Verordnung als auch das Instrument der Richtlinie zurückgegriffen hat, beispielsweise in Art. 32 VO (EU) Nr. 596/2014 oder Art. 37 RL (EU) 2015/849,159 fokussiert sich diese Arbeit auf die jüngste, bereichsübergreifende und die vorliegende Untersuchung veranlassende unionsrechtliche Schutzinitiative für Whistleblower in Form der WBRL. Im Folgenden soll daher ausschließlich die hierfür vom Unionsgesetzgeber gewählte Handlungsform der Richtlinie als Rechtsquelle des Kündigungsschutzes für Whistleblower im Hinblick auf ihre Auswirkung auf das nationale Recht näher betrachtet werden, wobei auf die – im Unterschied zur Verordnung – fehlende unmittelbare Wirkung einer Richtlinie im nationalen Recht bereits hingewiesen worden ist. Die ausnahmsweise im vertikalen „Bürger-Staat-Verhältnis“ geltende unmittelbare Wirkung bei einer fehlenden fristgerechten mitgliedstaatlichen Umsetzung ist mangels Bedeutung für das Horizontalverhältnis der Arbeitsvertragsparteien vorliegend nicht näher zu erörtern.160 155 Vgl. jeweils m. w. N. Möslein/Röthel, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 11, Rn. 11; Neuner, § 12, Rn. 8; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.103; StreinzEUV/AEUV/Huber, Art. 19 EUV, Rn. 16; Streinz, EuropaR, Rn. 329 f. 156 Vgl. hierzu m. w. N. Neuner, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 12, Rn. 30 f. 157 So etwa in EuGH, Urteil v. 19. 11. 2009 – C-402/07, C-432/07 (Sturgeon), NJW 2010, 43, 45, Rn. 48; vgl. hierzu Leible/Domröse, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 8, Rn. 35; Neuner, § 12, Rn. 33 ff. 158 Neuner, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 12, Rn. 17 f., 47 ff.; Sagan, in: Preis/ Sagan, Europ. ArbR, § 1 Rn. 1.104; Roloff, § 2, Rn. 2.21; Streinz, EuropaR, Rn. 631. 159 Vgl. hierzu in Teil 2, C.II.2.b) (Fn. 113 und 114) und noch in Teil 4, B.II.3.d) (Fn. 150). 160 Vgl. hierzu st. Rspr. EuGH, Urteil v. 17. 03. 2021 – C-585/19 (Academia de Studii), NZA 2021, 549, Rn. 66; EuGH, Urteil v. 24. 01. 2012 – C-282/10 (Dominguez), NZA 2012, 139, 141, Rn. 33; EuGH, Urteil v. 04. 12. 1974 – 41/74 (van Duyn), BeckRS 2004, 71134, Rn. 12; statt vieler Streinz-EUV/AEUV/Schroeder, Art. 288 AEUV, Rn. 86 ff.; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.124 ff.; Jarass, ZEuP 2017, 310, 314 f.; vgl. zur Ableh-
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a) Umsetzungspflicht Ausfluss des durch den Erlass einer Richtlinie in Gang gesetzten zweistufigen Rechtsetzungsprozesses ist die zielgebundene mitgliedstaatliche Umsetzungspflicht aus Art. 288 Abs. 3 AEUV, die allerdings erst zum Ablauf der jeweiligen Umsetzungsfrist erfüllt werden muss, weil zuvor trotz in Kraft gesetzter Richtlinie ein von unionalen Zwängen freier Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten zur Suche nach dem passenden Umsetzungsmodell besteht.161 Unionsrechtlich wird dieser Freiraum nur durch das sog. Frustrationsverbot eingeschränkt, wonach die Mitgliedstaaten vor Ablauf der Umsetzungsfrist jedenfalls keine Maßnahmen ergreifen dürfen, die geeignet sind, die Zielerreichung zum Zeitpunkt des Fristablaufs „ernstlich zu gefährden“.162 Die sich daraus ergebende Vorwirkung einer Richtlinie im nationalen Recht bedarf in der vorliegenden Arbeit allerdings aufgrund des unmittelbar bevorstehenden Ablaufs der Umsetzungsfrist der WBRL am 17. 12. 2021 keiner weiteren Erörterung, zumal sich hieraus hinsichtlich des Kündigungsschutzes für Whistleblower im deutschen Recht nicht etwa eine legislative oder judikative Handlungspflicht vor Ablauf der Umsetzungsfrist ergibt und insoweit bislang auch keine Maßnahmen zur Anpassung der noch geltenden Rechtslage ergriffen worden sind.163 aa) Gestaltungsspielraum Für die Erfüllung der zum Fristablauf greifenden Umsetzungspflicht steht den Mitgliedstaaten gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV grundsätzlich ein Gestaltungsspielraum hinsichtlich Form und Mittel der Richtlinienumsetzung zu. Dieser wird allerdings durch grundlegende unionale Prinzipien teilweise begrenzt; so muss der nung einer unmittelbaren Wirkung zwischen Privaten st. Rspr. EuGH, Urteil v. 06. 11. 2018 – C-684/16 (Max-Planck-Gesellschaft), NZA 2018, 1474, 1478, Rn. 66 f.; EuGH, Urteil v. 19. 01. 2010 – C-555/07 (Kücükdeveci), NJW 2010, 427, 429, Rn. 46; EuGH, Urteil v. 26. 02. 1986 – 152/84 (Marshall), NJW 1986, 2178, 2180, Rn. 48; hierzu für viele Köndgen/Mörsdorf, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 6, Rn. 68 ff.; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.135; Roth, ZIP 2020, 2488, 2489; Wank, RdA 2020, 1, 3, 10; Kainer, NZA 2018, 894, 896 f. 161 Vgl. insoweit EuGH, Urteil v. 04. 07. 2006 – C-212/04 (Adeneler), NJW 2006, 2465, 2468, Rn. 114 f.; EuGH, Urteil v. 18. 12. 1997 – C-129/96 (Inter-Environnement Wallonie), EuZW 1998, 167, 170, Rn. 43, 48 f.; MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil III. A., Rn. 175; FGO/Höpfner, Art. 288 AEUV, Rn. 59; Hofmann, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 15, Rn. 7, 18. 162 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 11. 02. 2021 – C-760/18 (MV u. a./OTA), NZA 2021, 333, 337, Rn. 73; EuGH, Urteil v. 22. 11. 2005 – C-144/04 (Mangold), NZA 2005, 1345, 1348, Rn. 67; EuGH, Urteil v. 18. 12. 1997 – C-129/96 (Inter-Environnement Wallonie), EuZW 1998, 167, 170, Rn. 45; vgl. hierzu für viele Streinz-EUV/AEUV/Schroeder, Art. 288 AEUV, Rn. 68; GSH/Geismann, Art. 288 AEUV, Rn. 43; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.115; Steinmann, WRP 2019, 703, 705; Kubitza, EuZW 2016, 691 f.; Kühling, DVBl. 2006, 857, 863, 866. 163 Vgl. hierzu später eingehender in Teil 5, A.IV.
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nationale Umsetzungsakt die praktische Wirksamkeit einer Richtlinie im nationalen Recht bestmöglich gewährleisten und den Erfordernissen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit genügen.164 Dabei ist aufgrund dieses Effektivitäts- sowie des sog. Äquivalenzgrundsatzes insbesondere darauf zu achten, dass Verstöße gegen Unionsrecht in sachlich und verfahrensrechtlich gleichwertiger Art und Weise verfolgt und geahndet werden wie ähnliche Verstöße gegen innerstaatliches Recht und dass die rechtliche Durchsetzung eingeräumter Ansprüche nicht erheblich erschwert oder gar unmöglich gemacht wird.165 Die Auswahl und Festlegung geeigneter Abhilfemaßnahmen unterliegt aber zumeist – mangels entsprechender Richtlinienvorgaben und aufgrund des Grundsatzes der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten – dem mitgliedstaatlichen Ermessen.166 Neben dieser Gewährleistung einer effektiven Rechtsdurchsetzung durch entsprechende verfahrensrechtliche Regelungen müssen die Mitgliedstaaten zudem die materiell-rechtliche Sanktionierung von Verstößen gegen Unionsrecht sicherstellen, wobei der Unionsgesetzgeber regelmäßig darauf verzichtet, konkrete Sanktionen selbst festzulegen und sich darauf beschränkt, die Ergreifung verhältnismäßiger, wirksamer und abschreckender Sanktionen vorzuschreiben.167 Diesen Anforderungen dürften Sanktionen dann genügen, wenn sie effektiv und ohne erhebliche Hindernisse durchgesetzt werden können, in einem angemessenen Verhältnis zum sanktionierten Verhalten stehen, sprich weder zu „leicht“ noch zu „schwer“ sind, und nicht nur eine spezial-, sondern auch eine generalpräventive Wirkung entfalten.168 Sie sollten mithin zum einen den Verursacher von einer Wiederholung und zum 164 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 15. 10. 2015 – C-137/14 (Kommission/Deutschland), NVwZ 2015, 1665, 1668, Rn. 51; EuGH, Urteil v. 11. 09. 2014 – C-277/13 (Kommission/Portugal), BeckRS 2014, 82281, Rn. 43; EuGH, Urteil v. 30. 05. 1991 – C-59/89 (Kommission/ Deutschland), BeckRS 2004, 77592, Rn. 24; Streinz-EUV/AEUV/Schroeder, Art. 288 AEUV, Rn. 75 f.; Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 288 AEUV, Rn. 26; Payrhuber/Stelkens, EuR 2019, 190, 202 f.; dies., NVwZ 2018, 195, 196 („Erfolgsverpflichtung“); Streinz, EuropaR, Rn. 490. 165 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 03. 06. 2021 – C-726/19 (Instituto Madrileño de Investigación), NZA 2021, 1239, 1242, Rn. 47; EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011 – C-177/10 (Rosado Santana), NZA 2011, 1219, 1225, Rn. 89; EuGH, Urteil v. 16. 12. 1976 – C-33/76 (ReweZentralfinanz), BeckRS 2004, 70834, Rn. 5; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.121, 1.123; Streinz-EUV/AEUV/Schroeder, Art. 288 AEUV, Rn. 75 f.; Payrhuber/Stelkens, EuR 2019, 190, 203 f. 166 Vgl. insoweit für st. Rspr. statt vieler EuGH, Urteil v. 03. 06. 2021 – C-726/19 (Instituto Madrileño de Investigación), NZA 2021, 1239, 1242, Rn. 47; m. w. N. Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.120. 167 Vgl. auch Köndgen/Mörsdorf, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 6, Rn. 67; so etwa auch in der WBRL, vgl. Art. 23 WBRL. 168 Ähnlich Streinz-EUV/AEUV/Satzger, Art. 325 AEUV, Rn. 18 f.; vgl. auch Sagan, in: Preis/Sagan, Europ ArbR, § 1 Rn. 1.122; Grünberger/Husemann, § 5 Rn. 5.271; vgl. hierzu auch EuGH, Urteil v. 10. 06. 2021 – C-303/20 (Portfolio Investment), BeckRS 2021, 13366, Rn. 30, 32, 36 f.; EuGH, Urteil v. 25. 04. 2013 – C-81/12 (ACCEPT), EuZW 2013, 469, 473, Rn. 63; EuGH, Urteil v. 10. 04. 1984 – C-14/83 (Colson und Kamann), BeckRS 2004, 71617, Rn. 23.
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anderen generell von der Begehung eines solchen Verstoßes abhalten sowie das grundsätzliche Bewusstsein der Verbotswidrigkeit schärfen. Unbeschadet dieser Einschränkungen kann der mitgliedstaatliche Umsetzungsspielraum zudem sachlich bei inhaltlich sehr detaillierten und kaum auslegungsbedürftigen Richtlinienvorgaben nahezu entfallen, weil ihre richtlinienkonforme Umsetzung zur wirksamen und effektiven Integration in nationales Recht dann in aller Regel zwar keine wörtliche, aber doch eine weitgehende inhaltliche Übernahme erfordert.169 bb) Transparenzgebot Mangels allgemeinen Gesetzesvorbehalts als Ausfluss dieses Gestaltungsspielraums und der Wahlfreiheit über Form und Mittel kann die ordnungsgemäße Richtlinienumsetzung grundsätzlich auch durch eine Auslegung bestehender nationaler Rechtsgrundsätze oder Generalklauseln erfolgen.170 Der Umsetzungsspielraum erfährt hier aber eine Einschränkung durch das aus dem Gebot der praktischen Wirksamkeit und der Loyalitätspflicht der Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 3 EUV) abgeleitete und in seinen Anforderungen besonders strenge unionale sog. Transparenzgebot. Hiernach müssen die Mitgliedstaaten zur Umsetzung einer Richtlinienvorschrift, die Ansprüche oder Rechte des Einzelnen begründen soll, sicherstellen, dass die nationale Rechtslage insoweit „hinreichend bestimmt und klar ist und die Begünstigten in die Lage versetzt werden, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und sie gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen“.171
169
Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.118; Streinz-EUV/AEUV/Schroeder, Art. 288 AEUV, Rn. 74; GSH/Geismann, Art. 288 AEUV, Rn. 41; Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 288 AEUV, Rn. 25; vgl. zur grundsätzlich fehlenden Pflicht einer wörtlichen Übernahme st. Rspr. EuGH, Urteil v. 22. 02. 2018 – C-336/16 (Kommission/Polen), BeckRS 2018, 1649, Rn. 120; EuGH, Urteil v. 19. 12. 2013 – C-281/11 (Kommission/Polen), BeckRS 2013, 82377, Rn. 60, 65; EuGH, Urteil v. 28. 02. 1991 – C-131/88 (Kommission/Deutschland), NVwZ 1991, 973, Rn. 6; m. w. N. Alexander/Jüttner, JuS 2020, 1137, 1140. 170 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 22. 02. 2018 – C-336/16 (Kommission/Polen), BeckRS 2018, 1649, Rn. 120; EuGH, Urteil v. 30. 05. 1991 – C-59/89 (Kommission/Deutschland), BeckRS 2004, 77592, Rn. 18; EuGH, Urteil v. 23. 05. 1985 – 29/84 (Kommission/Deutschland), BeckRS 2004, 72968, Rn. 23; Streinz-EUV/AEUV/Schroeder, Art. 288 AEUV, Rn. 78; GSH/ Geismann, Art. 288 AEUV, Rn. 44; Alexander/Jüttner, JuS 2020, 1137, 1140; Streinz, EuropaR, Rn. 490; zu den Grenzen etwa EuGH, Urteil v. 10. 05. 2001 – C-144/99 (Kommission/ Niederlande), EuZW 2001, 437, 438, Rn. 21. 171 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 10. 06. 2021 – C-303/20 (Portfolio Investment), BeckRS 2021, 13366, Rn. 34; EuGH, Urteil v. 09. 07. 2015 – C-144/14 (Tomoiaga˘ ), BeckRS 2015, 80893, Rn. 35; EuGH, Urteil v. 23. 05. 1985 – 29/84 (Kommission/Deutschland), BeckRS 2004, 72968, Rn. 23; für viele und jeweils m. w. N. Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.119; Streinz-EUV/AEUV/Schroeder, Art. 288 AEUV, Rn. 78, 81; Calliess/Ruffert/ Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 56; Ruffert, Art. 288 AEUV, Rn. 32.
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cc) Umsetzungsspielraum zur Regelungsintensivierung Am Ende des durch den Erlass einer Richtlinie ausgelösten zweistufigen Rechtsetzungsprozesses steht die Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in Bezug auf den jeweiligen Regelungsgegenstand, um das Richtlinienziel europaweit bestmöglich zu erreichen. In Abgrenzung zum Anwendungsbereich der Richtlinie, der ihre „Regelungsbreite“ festlegt, geht es bei dieser Rechtsangleichung um das unional verbindlich vorgegebene Regelungsniveau für die von diesem Anwendungsbereich erfassten Sachverhalte, folglich die „Regelungstiefe“.172 Das Unionsrecht kennt zwei Methoden der Rechtsharmonisierung – die Voll- und die Mindestharmonisierung. Während die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen durch mindestharmonisierende Richtlinienvorgaben als verbindliche Mindeststandards „nur“ angeglichen werden und den Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich der Richtlinie ein Umsetzungsspielraum zur Regelungsintensivierung „nach oben“ verbleibt, werden sie durch eine Vollharmonisierung aufgrund der vollständigen inhaltlichen Verbindlichkeit des Regelungsniveaus gänzlich vereinheitlicht, ohne dass die Mitgliedstaaten hiervon abweichen dürfen.173 Der Harmonisierungsgrad einer Richtlinie ist stets durch Auslegung zu ermitteln, sofern er sich nicht ausdrücklich aus ihrem Entstehungskontext ergibt oder explizit geregelt ist.174 Dem Unionsgesetzgeber ist es auch grundsätzlich unbenommen, eine Kombination aus voll- und mindestharmonisierenden Regelungen vorzusehen, so dass der Harmonisierungsgrad nicht zwingend für alle Richtlinienvorgaben identisch sein muss.175 Die Entscheidung über den jeweiligen Harmonisierungsgrad ist zwar regelmäßig auch eine politische, sie ist aber maßgeblich von der zur jeweiligen Zielerreichung erforderlichen Regelungsdichte sowie dem Grundsatz eines möglichst schonenden Eingriffs in die mitgliedstaatliche Souveränität determiniert und bisweilen auch durch die einschlägige Kompetenznorm vorbestimmt, etwa wenn diese nur die Festlegung von Mindeststandards gestattet, wie etwa Art. 169 Abs. 4 und 153 Abs. 2 lit. b) AEUV.176
172
Vgl. auch FGO/Höpfner, Art. 288 AEUV, Rn. 69 f.; Köndgen/Mörsdorf, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 6, Rn. 60; Kuhn, EuR 2015, 216, 220. 173 Köndgen/Mörsdorf, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 6, Rn. 60; Habersack/ Mayer, § 14, Rn. 17; GSH/Classen, Art. 114 AEUV, Rn. 16 f.; Streinz-EUV/AEUV/Schröder, Art. 114 AEUV, Rn. 46 ff.; Alexander/Jüttner, JuS 2020, 1137, 1139; Kuhn, EuR 2015, 216, 220. 174 GSH/Classen, Art. 114 AEUV, Rn. 24; Köndgen/Mörsdorf, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 6, Rn. 62; Alexander/Jüttner, JuS 2020, 1137, 1139; Payrhuber/Stelkens, EuR 2019, 190, 201; dies., NVwZ 2018, 195, 196. 175 GSH/Classen, Art. 114 AEUV, Rn. 21; Alexander/Jüttner, JuS 2020, 1137, 1139. 176 Vgl. auch Köndgen/Mörsdorf, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 6, Rn. 62; GSH/Classen, Art. 114 AEUV, Rn. 17; Payrhuber/Stelkens, EuR 2019, 190, 201.
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dd) Überschießende Umsetzung Von der mitgliedstaatlichen Entscheidung über eine unional zulässige Regelungsintensivierung für vom Anwendungsbereich einer Richtlinie erfasste Sachverhalte ist die Entscheidung über eine sog. überschießende Umsetzung strikt zu trennen. Sie betrifft nicht die Frage der „Regelungstiefe“ des Umsetzungsaktes, sondern dessen „Regelungsbreite“ und liegt vor, wenn der Mitgliedstaat das Normprogramm der Richtlinie im nationalen Recht auf Sachverhalte ausdehnt, die außerhalb ihres Anwendungsbereichs liegen.177 Die Entscheidung hierüber ist ebenfalls rein national, kann durch den Unionsgesetzgeber weder vorgegeben noch unmittelbar beeinflusst werden und ist unabhängig vom Harmonisierungsgrad einer Richtlinie.178 Selbst vollharmonisierende Richtlinienvorgaben, die keine Regelungsintensivierung zulassen, stehen einer überschießenden Umsetzung durch die Mitgliedstaaten nicht entgegen.179 b) Auslegungseinfluss Die Zielbindung des Art. 288 Abs. 3 AEUV schlägt sich im mitgliedstaatlichen Recht neben der Verpflichtung zur Umsetzung einer Richtlinie auch in deren Berücksichtigung bei der Auslegung des nationalen Rechts nieder. aa) Regelungen im Anwendungsbereich Soweit nationale Regelungen unional überformt sind, das heißt in den Anwendungsbereich einer Richtlinie fallen, sind sie nach Ablauf der Umsetzungsfrist richtlinienkonform auszulegen.180 Folglich sind insbesondere diejenigen Normen, die unmittelbar zwingende mindest- oder vollharmonisierende Richtlinienvorgaben umsetzen, aber auch solche nationalen Regelungen richtlinienkonform auszulegen, die über die Mindeststandards der Richtlinie hinausgehen.181 Hierfür muss die na177
Vgl. auch Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 14, Rn. 1, 11 f., 18; FGO/Höpfner, Art. 288 AEUV, Rn. 69; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.165; Alexander/Jüttner, JuS 2020, 1137, 1139; Payrhuber/Stelkens, EuR 2019, 190, 195, die insoweit von „unechte[m] Gold Plating“ sprechen; dies., NVwZ 2018, 195, 196; Johnson, CCZ 2019, 66, 69 f.; Mittwoch, JuS 2017, 296; Kuhn, EuR 2015, 216, 220. 178 Vgl. auch EuGH, Urteil v. 12. 07. 2012 – C-602/10 (România S.A.), WM 2012, 2049, 2053, Rn. 52; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 14, Rn. 18; Payrhuber/Stelkens, EuR 2019, 190, 201; Mittwoch, JuS 2017, 296; Kuhn, EuR 2015, 216, 219. 179 Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 14, Rn. 18; vgl. auch GSH/Classen, Art. 114 AEUV, Rn. 25; Kuhn, EuR 2015, 216, 219 f. 180 Vgl. FGO/Höpfner, Art. 288 AEUV, Rn. 59, 69 f.; Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 13, Rn. 11; Habersack/Mayer, § 14, Rn. 4, 26; Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 288 AEUV, Rn. 80, 83; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.166; Mittwoch, JuS 2017, 296; Kuhn, EuR 2015, 216, 217, 220, 235; Herresthal, JuS 2014, 289, 290. 181 Vgl. auch FGO/Höpfner, Art. 288 AEUV, Rn. 70; Herresthal, JuS 2014, 289, 290.
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tionale Staatsgewalt, also insbesondere auch die Rechtsprechung, diese nationalen Regelungen „so weit wie möglich anhand des Wortlauts und Zwecks der fraglichen Richtlinie [auslegen] […], um das darin festgelegte Ergebnis zu erreichen und so Art. 288 III AEUV nachzukommen“.182 Für die Auslegung Letzterer können die betreffenden Richtlinienvorgaben allerdings regelmäßig wenig beisteuern, weil der Unionsgesetzgeber sich in diesem Bereich ja gerade mit Regelungen oder Wertungen zurückhält.183 Durch die richtlinienkonforme Auslegung innerstaatlichen Rechts entfalten Richtlinienvorgaben trotz ihrer fehlenden unmittelbaren Bindungswirkung im Privatrecht – selbst bei einer mangelnden (aktiven) Befolgung des unionalen Umsetzungsbefehls – zumindest eine (mittelbare) Wirkung auch im Privatrechtsverhältnis.184 Dabei ist regelmäßig zunächst das anzuwendende Unionsrecht auszulegen, wobei für die nationalen Gerichte zur Gewährleistung einer unionsweit einheitlichen Interpretation bei Unklarheiten oder Streitfragen gem. Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV ein Vorlagerecht bzw. eine Vorlagepflicht an den EuGH besteht.185 Methodologische Konsequenz dieses Gebots ist ein interpretatorischer Vorrang zugunsten der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts.186 Bei unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten nach den im deutschen Recht herkömmlichen Auslegungsmethoden ist deshalb auf diejenigen zurückzugreifen, die die Verwirklichung des Richtlinienziels sicherstellen.187 Hierdurch wird die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts gewährleistet und im Einzelfall sogar die Änderung einer ständigen nationalen Rechtsprechung notwendig, wenn sie nicht mit den Richtlinienvorgaben vereinbar ist.188 Obschon für eine richtlinienkonforme 182 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 03. 06. 2021 – C-726/19 (Agrario y Alimentario), NZA 2021, 1239, 1245, Rn. 82; EuGH, Urteil v. 19. 01. 2010 – C-555/07 (Kücükdeveci), NJW 2010, 427, 429, Rn. 47 f.; EuGH, Urteil v. 10. 04. 1984 – 14/83 (von Colson und Kamann), NJW 1984, 2021, 2022; für viele Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 288 AEUV, Rn. 77; Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 13, Rn. 4, 16; Alexander/Jüttner, JuS 2020, 1137, 1141 f. 183 Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 14, Rn. 11; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.165. 184 Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.143, 1.145; Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 13, Rn. 13; Wank, RdA 2020, 1, 3, 10; Roth, ZIP 2020, 2488, 2490; Mörsdorf, ZIP 2009, 1483, 1493; ders., EuR 2009, 219, 222. 185 Vgl. insoweit auch Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.78 f.; Roloff, § 2 Rn. 2.24, 2.39; Streinz-EUV/AEUV/Huber, Art. 19 EUV, Rn. 50; Alexander/Jüttner, JuS 2020, 1137, 1142. 186 Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 13, Rn. 22; Habersack/Mayer, § 14, Rn. 37; Mörsdorf, EuR 2009, 219, 225 f.; ders., ZIP 2009, 1483, 1493; so i. E. auch Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.150; Roth, ZIP 2020, 2488, 2491 f.; wohl auch MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil III.A., Rn. 179; anders FGO/Höpfner, Art. 288 AEUV, Rn. 43, 45; Herresthal, JuS 2014, 289, 291. 187 Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 13, Rn. 46; Sagan, in: Preis/ Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.150; MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil III.A., Rn. 179; Roth, ZIP 2020, 2488, 2492; Herresthal, JuS 2014, 289, 291; Mörsdorf, EuR 2009, 219, 227. 188 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 03. 06. 2021 – C-726/19 (Agrario y Alimentario), NZA 2021, 1239, 1245, Rn. 86; EuGH, Urteil v. 19. 04. 2016 – C-441/14 (Dansk Industri), EuZW 2016,
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Auslegung des nationalen Rechts auch dessen Rechtsfortbildung als Instrument nationaler Rechtsmethodik unional geboten sein kann, verlangt das Unionsrecht keine Rechtsfindung contra legem außerhalb der methodischen Grenzen der vertrauten deutschen Auslegungsansätze, das heißt vor allem außerhalb des gesetzgeberischen Willens.189 Rechtsdogmatisch dürfte die richtlinienkonforme Auslegung im deutschen Recht außerhalb des üblichen Auslegungskanons aus Wortlaut, Historie, Systematik und Telos zu verorten sein, so dass sie als eine Auslegungsmethode sui generis angesehen werden kann, die auf dem (Anwendungs-)Vorrangverhältnis von unionalem gegenüber nationalem Recht beruht und zur richtlinienkonformen Gewichtung der nationalen Auslegungsergebnisse führt.190 Abzugrenzen ist diese unional gebotene richtlinienkonforme Auslegung von einer teilweise in der Literatur aus dem unionalen Frustrationsverbot hergeleiteten Pflicht der nationalen Rechtsprechung zur richtlinienkonformen Auslegung nationaler Generalklauseln, wie etwa „gute Sitten“.191 Eine solche ergibt sich nämlich gerade (außerhalb der Grenzen des Frustrationsverbots) nicht aus den unionalen Pflichten, so dass eine derartige Auslegung allein eine nach Maßgabe des nationalen Rechts zulässige oder (potenziell) verpflichtende Ausfüllung normativer Wertungsspielräume darstellt, für die auch Veränderungen und Entwicklungen auf unionaler Ebene herangezogen werden, die schon durch eine erlassene Richtlinie zum Ausdruck kommen.192 Das Unionsrecht jedenfalls erlegt den nationalen Gerichten vor Ablauf der Umsetzungsfrist eine solche Auslegung nicht auf, verwehrt sie ihnen aber auch nicht. Insoweit sollte sie auch nicht als richtlinienkonforme Auslegung, sondern
466, 468, Rn. 33; EuGH, Urteil v. 13. 07. 2000 – C-456/98 (Centrosteel Srl/Adipol GmbH), BeckRS 9998, 155728, Rn. 17; vgl. hierzu für viele Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 13, Rn. 33 f. 189 Vgl. hierzu st. Rspr. EuGH, Urteil v. 03. 06. 2021 – C-726/19 (Agrario y Alimentario), NZA 2021, 1239, 1245, Rn. 84 f.; EuGH, Urteil v. 17. 04. 2018 – C-414/16 (Egenberger), NZA 2018, 569, 572, Rn. 71; EuGH, Urteil v. 04. 07. 2006 – C-212/04 (Adeneler), NJW 2006, 2465, 2467, Rn. 110 f.; vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 17. 11. 2017 – 2 BvR 1131/16, NVwZ-RR 2018, 169, 171, Rn. 37; BVerfG, Beschluss v. 26. 09. 2011 – 2 BvR 2216/06 u. a., NJW 2012, 669, 670, Rn. 47; FGO/Höpfner, Art. 288 AEUV, Rn. 47, 49 f.; Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 13, Rn. 17 ff., 35 ff., 49 ff.; Sagan, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 1, Rn. 151 ff.; Calliess/Ruffert/Schroeder, Art. 288 AEUV, Rn. 113 f.; Alexander/ Jüttner, JuS 2020, 1137, 1142 f.; Roth, ZIP 2020, 2488, 2493; Wank, RdA 2020, 1, 3; Kainer, NZA 2018, 894, 895; Herresthal, JuS 2014, 289, 292 ff. 190 Ähnlich Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 13, Rn. 46; FGO/Höpfner, Art. 288 AEUV, Rn. 43; a. A. MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil III.A., Rn. 179. 191 In diese Richtung Streinz, EuropaR, Rn. 512, 514 unter Verweis auf die sog. TestpreisEntscheidung des BGH (BGH, Urteil v. 05. 02. 1998 – I ZR 211/95, NJW 1998, 2208). 192 Vgl. hierzu auch Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.148; Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 13, Rn. 11; FGO/Höpfner, Art. 288 AEUV, Rn. 64; Calliess/Ruffert/Schroeder, Art. 288 AEUV, Rn. 80, 115; MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil III.A., Rn. 177; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1204; Steinmann, WRP 2019, 703, 705; Kubitza, EuZW 2016, 691, 964 ff.; Kühling, DVBl. 2006, 857, 863, 865 f.
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zutreffender als richtlinienbezogene, richtlinienorientierte oder atypische richtlinienkonforme Auslegung bezeichnet werden.193 bb) Überschießende Regelungen Im Bereich überschießend umgesetzter Regelungen folgt aus dem Unionsrecht weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung, denn eine nationale Rechtvorschrift unterfällt dem unionalen Regelungsgefüge nur insoweit, als sie vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst wird.194 Aus dem Effektivitätsgrundsatz folgt aber zumindest eine unionale Pflicht der Mitgliedstaaten, Rechtsunsicherheiten und Beeinträchtigungen der Zielerreichung durch hybride Rechtsnormen zu vermeiden.195 Ob diese hierfür im Hinblick auf die unional überformten Sachverhalte einerseits und die rein national regulierten Fallkonstellationen andererseits einheitlich oder gespalten auszulegen sind, entscheidet sich allein nach nationalem Recht.196 Aus dem deutschen Recht lässt sich insoweit keine Pflicht zur einheitlichen Auslegung überschießend umgesetzter Regelungen herleiten.197 Es obliegt daher dem Rechtsanwender bei einem den Richtlinienvorgaben nach den deutschen Auslegungsmethoden widersprechenden Interpretationsergebnis über eine einheitliche in Form einer richtlinienorientierten198 oder gespaltene Auslegung der Rechtsnorm zu entscheiden. Dabei sind der gesetzgeberische Wille, verfassungsrechtliche Vorgaben oder spezifische Unterschiede der unional überformten und rein nationalen Sachverhalte zu berücksichtigen, wobei sich aus der gemeinsamen Re-
193
Vgl. insoweit etwa Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.148; FGO/Höpfner, Art. 288 AEUV, Rn. 64; Kubitza, EuZW 2016, 691, 964; Kühling, DVBl 2006, 857, 863, 865. 194 EuGH, Urteil v. 16. 07. 1998 – C 264/96 (House of Lords), NZG 1998, 650, 653, Rn. 34; BGH, Urteil v. 07. 05. 2014 – IV ZR 76/11, NJW 2014, 2646, 2648, Rn. 28; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 14, Rn. 26, 34; FGO/Höpfner, Art. 288 AEUV, Rn. 69; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.166; Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 288 AEUV, Rn. 83, 116; Mittwoch, JuS 2017, 296, 298 f.; Kuhn, EuR 2015, 216, 217, 235; Herresthal, JuS 2014, 289, 292, 294. 195 Vgl. hierzu EuGH, Urteil v. 16. 07. 1998 – C 264/96 (House of Lords), NZG 1998, 650, 653, Rn. 34; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 14, Rn. 32 f. 196 Vgl. insoweit EuGH, Urteil v. 12. 07. 2012 – C-602/10 (Volksbank România), WM 2012, 2049, 2052, Rn. 40, 2053, Rn. 52; EuGH, Urteil v. 17. 07. 1997 – C-28/95 (LeurBloem), BeckRS 2004, 75946, Rn. 33; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.166; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 14, Rn. 30, 34; Mittwoch, JuS 2017, 296, 298; Kuhn, EuR 2015, 216, 218. 197 BGH, Urteil v. 07. 05. 2014 – IV ZR 76/11, NJW 2014, 2646, 2648, Rn. 28; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.167; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 14, Rn. 35 f.; FGO/Höpfner, Art. 288 AEUV, Rn. 73; Mittwoch, JuS 2017, 296, 298 f.; Kuhn, EuR 2015, 216, 224. 198 Vgl. insoweit zur Terminologie Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 14, Rn. 37; FGO/Höpfner, Art. 288 AEUV, Rn. 74.
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gelung dieser Sachverhalte eine Vermutung für eine einheitliche Auslegung ergeben kann.199 c) Grundrechtlicher Kontrollmaßstab Eine für den deutschen Rechtsanwender ungewohnte dogmatische Veränderung im Mehrebenensystem aus nationalem und unionalem Recht ergibt sich aus dem anzuwendenden grundrechtlichen Kontrollmaßstab unional determinierter nationaler Rechtsnormen. Wie bereits ausgeführt, erhebt die GRC als eigenständiger unionaler Grundrechtskatalog keinen absoluten Geltungsvorrang, sondern entfaltet für die Mitgliedstaaten gem. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC eine allein auf die „Durchführung des Rechts der Union“ beschränkte Bindungswirkung, deren Reichweite allerdings im Einzelnen (noch) nicht abschließend geklärt ist.200 aa) Unional vollständig determiniertes Recht Durch die Umsetzung zwingender voll- und mindestharmonisierender Richtlinienvorgaben führen die Mitgliedstaaten unstreitig Unionsrecht durch, so dass der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte hier stets eröffnet ist.201 In diesem Bereich unional vollständig determinierten nationalen Rechts stellen daher auch die Unionsgrundrechte den maßgeblichen grundrechtlichen Kontrollmaßstab dar.202 Die unionsgrundrechtliche Bindungswirkung führt hier im deutschen Recht zu einem auf 199
Vgl. jeweils m. w. N. Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 14, Rn. 38 ff.; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.167; FGO/Höpfner, Art. 288 AEUV, Rn. 74; Kuhn, EuR 2015, 216, 225 ff., 236; Herresthal, JuS 2014, 289, 294; Mittwoch, JuS 2017, 296, 300 f.; vgl. zur Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH im Bereich überschießender nationaler Vorschriften EuGH, Beschluss v. 09. 09. 2014 – C-488/13 (Parva Investitsionna), BeckRS 2014, 82007, Rn. 27; EuGH, Urteil v. 17. 07. 1997 – C-28/95 (LeurBloem), BeckRS 2004, 75946, Rn. 33 f.; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.166; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 14, Rn. 30, 54 ff.; Mittwoch, JuS 2017, 296, 297 f. 200 Vgl. hierzu insbesondere EuGH, Beschluss v. 07. 09. 2017 – C-177/17, C-178/17 (Graziano Garavaldi), BeckRS 2017, 128185, Rn. 20; EuGH, Urteil v. 06. 03. 2014 – C-206/13 (Siragusa), NVwZ 2014, 575, 576, Rn. 24; EuGH, Urteil v. 26. 02. 2013 – C-617/10 (Åkerberg Fransson), EuZW 2013, 302, Rn. 19 ff.; zum Sach- und Streitstand m. w. N. statt vieler Pötters, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 3, Rn. 3.19 ff.; GSH/Terhechte, Art. 51 GRC, Rn. 9 ff.; NKGRC/Schwerdtfeger, Art. 51 GRC, Rn. 36 ff.; Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2020, 1022, 1023 f.; Neumann/Eichberger, JuS 2020, 502, 504. 201 NK-GRC/Schwerdtfeger, Art. 51 GRC, Rn. 48; Streinz-EUV/AEUV/Streinz/Michl, Art. 51 GRC, Rn. 12; GSH/Terhechte, Art. 51 GRC, Rn. 10; Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2020, 1022, 1024; Neumann/Eichberger, JuS 2020, 502, 504; Streinz, EuropaR, Rn. 780. 202 Vgl. st. Rspr. BVerfG, Beschluss v. 27. 04. 2021 – 2 BvR 206/14 (Zulassung eines britischen Konkurrenz-Tiergenerikums), NVwZ 2021, 1211, 1212, Rn. 37; BVerfG, Beschluss v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 (Recht auf Vergessen II), NJW 2020, 314, 316, Rn. 42 f.; BVerfG, Beschluss v. 04. 10. 2011 – 1 BvL 3/08, NJW 2012, 45, Rn. 46; BVerfG, Urteil v. 22. 10. 1986 – 2 BvR 197/83 (Solange II), NJW 1987, 577, 582.
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Teil 3: Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower
Art. 23 Abs. 1 GG beruhenden Anwendungsvorrang der Unionsgrundrechte, so dass die deutschen Grundrechte zwar in Kraft und grundsätzlich auch anwendbar bleiben, aber als grundrechtlicher Kontrollmaßstab zurücktreten.203 Außerhalb der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts anhand einer primärrechtskonform ausgelegten Richtlinie können sich die Unionsgrundrechte daher im nationalen Recht regelmäßig auch durch eine im Einzelfall erforderliche Konkretisierung unionsrechtlich determinierter innerstaatlicher Rechtsnormen auswirken.204 Das BVerfG hat hierzu jüngst festgehalten, dass es trotz der Verdrängung der deutschen Grundrechte in diesem Bereich die korrekte Anwendung der Unionsgrundrechte zur normkonkretisierenden Anwendung in Wahrnehmung seiner Integrationsverantwortung und zur Wahrung eines vollständigen verfassungsgerichtlichen Grundrechtsschutzes unter Berücksichtigung der Vorlagepflicht gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV selbst überprüft.205 bb) Unional nicht vollständig determiniertes Recht Im unional nicht vollständig determinierten deutschen Recht, also insbesondere in einem vom Anwendungsbereich einer Richtlinie zwar erfassten, aber nicht harmonisierten Regelungsbereich, bleiben nach jüngster bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung hingegen regelmäßig die deutschen Grundrechte – unbeschadet der bis heute nicht abschließend geklärten Eröffnung des Anwendungsbereichs der Unionsgrundrechte –206 der primäre grundrechtliche Kontrollmaßstab.207 Außerhalb 203
Für st. Rspr. statt vieler BVerfG, Beschluss v. 27. 04. 2021 – 2 BvR 206/14 (Zulassung eines britischen Konkurrenz-Tiergenerikums), NVwZ 2021, 1211, 1212, Rn. 38 ff.; BVerfG, Beschluss v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 (Recht auf Vergessen II), NJW 2020, 314, 317, Rn. 47 ff.; vgl. auch Neumann/Eichberger, JuS 2020, 502, 503; Hoffmann, NVwZ 2020, 33, 35; Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2020, 1022, 1025. 204 Vgl. insoweit auch schon zur Bedeutung der (mittelbaren) Wirkung der Unionsgrundrechte im Privatrechtsverhältnis in Teil 3, B.I.1.; hierzu auch Karpenstein/Kottmann, EuZW 2020, 185, 189. 205 BVerfG, Beschluss v. 01. 12. 2020 – 2 BvR 1845/18, 2100/18, NJW 2021, 1518, 1519, Rn. 36; BVerfG, Beschluss v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 (Recht auf Vergessen II), NJW 2020, 314, 318, Rn. 52 f., 319, Rn. 60; vgl. hierzu Kühling, NJW 2020, 275, 277 („revolutionär“); Karpenstein/Kottmann, EuZW 2020, 185, 186 f., 188 („Paukenschlag“, „bahnbrechende[] Neuerung“). 206 Für mitgliedstaatliche Umsetzungsspielräume einer Richtlinie scheint der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte regelmäßig eröffnet zu sein, vgl. insoweit EuGH, Urteil v. 09. 03. 2017 – C-406/15 (Milkova), NZA 2017, 439, 441, Rn. 52 f.; EuGH, Urteil v. 18. 07. 2013 – C-426/11 (Alemo-Herron), EuZW 2013, 747, 748, Rn. 36; Mörsdorf/Köndgen, in: Riesenhuber, Europ. Methodenlehre, § 6, Rn. 44; NK-GRC/Schwerdtfeger, Art. 51 GRC, Rn. 48; Neumann/Eichberger, JuS 2020, 502, 504; Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2020, 1022, 1024; Kainer, NZA 2018, 894, 898; anders aber EuGH, Urteil v. 19. 11. 2019 – C-609/ 17, C-610/17 (TSN), NJW 2020, 35, 37, Rn. 49 f.; EuGH, Urteil v. 10. 07. 2014 – C-198/13 (Hernández), NZA 2014, 1325, 1327, Rn. 44, 47; Jarass, GRC, Art. 51 GRC, Rn. 28 (etwas unklar insoweit Rn. 26); ders., ZEuP 2017, 310, 316; differenzierend Schubert, EuZA 2020, 302, 305 ff.
B. Unionsrecht
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zwingender unionsrechtlicher Vorgaben und damit in Bereichen, in denen der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume einräumt, greift nach dieser Rechtsprechung eine widerlegliche Vermutung, dass die deutschen Grundrechte einen hinreichenden Grundrechtsschutz sicherstellen, der das Schutzniveau der parallel geltenden Unionsgrundrechte angesichts des übergreifenden gemeinsamen Fundaments in der EMRK mitgewährleistet.208 In solchen gestaltungsoffenen Regelungsbereichen ziele das Unionsrecht gerade nicht auf eine Einheitlichkeit des Grundrechtsschutzes ab, sondern lasse Raum für eine Grundrechtsvielfalt durch eigene mitgliedstaatliche Grundrechtsstandards.209 Allerdings kann diese Vermutung durch „konkrete und hinreichende Anhaltspunkte“ widerlegt werden, wenn das Unionsrecht ausnahmsweise auch in diesen gestaltungsoffenen Regelungsbereichen nicht auf eine Grundrechtsvielfalt ausgerichtet ist, sondern spezifische grundrechtliche Maßgaben aufstellt; dies kann sich aus dem Wortlaut und dem Regelungszusammenhang des gestaltungsoffenen Fachrechts selbst ergeben – wobei insoweit der üblicherweise in Richtlinien enthaltene Hinweis auf die einschlägigen Unionsgrundrechte und deren Beachtung für sich nicht ausreichend ist – oder aus speziellen in der Rechtsprechung des EuGH zugrunde gelegten Schutzstandards, welche die deutschen Grundrechte in ihrer konkreten Auslegung nicht gewährleisten.210 cc) Unional nicht determiniertes Recht Im Bereich unional nicht determinierten nationalen Rechts, also insbesondere im Bereich überschießend umgesetzter Regelungen, bleiben unzweifelhaft die deutschen Grundrechte der maßgebliche Kontrollmaßstab. Selbst bei einer richtlinienorientierten Auslegung solcher Regelungen fehlt es schon an der für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Unionsgrundrechte zwingenden „Durchführung des Rechts der Union“.211 207 BVerfG, Beschluss v. 18. 08. 2020 – 1 BvQ 82/20 (Kohleausstiegsgesetz), NVwZ 2020, 1500, 1502, Rn. 19; BVerfG, Beschluss v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 (Recht auf Vergessen I), NJW 2020, 300, 301, Rn. 45, 305, Rn. 71; vgl. hierzu Hoffmann, NVwZ 2020, 33, 35; Kühling, NJW 2020, 275, 276 f. 208 BVerfG, Beschluss v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 (Recht auf Vergessen I), NJW 2020, 300, 303, Rn. 59, 304, Rn. 66, 305, Rn. 71; vgl. hierzu Hoffmann, NVwZ 2020, 33, 35; Kühling, NJW 2020, 275, 276, 278; Neumann/Eichberger, JuS 2020, 502, 506; Karpenstein/ Kottmann, EuZW 2020, 185, 187. 209 BVerfG, Beschluss v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 (Recht auf Vergessen I), NJW 2020, 300, 301, Rn. 48 ff.; anders im unional vollständig vereinheitlichten Bereich BVerfG, Beschluss v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 (Recht auf Vergessen II), NJW 2020, 314, 317, Rn. 44. 210 BVerfG, Beschluss v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 (Recht auf Vergessen I), NJW 2020, 300, 304, Rn. 68 f.; vgl. kritisch hierzu Karpenstein/Kottmann, EuZW 2020, 185, 187. 211 Vgl. insoweit etwa st. Rspr. EuGH, Urteil v. 01. 12. 2016 – C-395/15 (Daouidi), EuZW 2017, 263, 266, Rn. 63; EuGH, Urteil v. 06. 10. 2015 – C-650/13 (Delvigne), BeckRS 2015, 81268, Rn. 27; EuGH, Urteil v. 26. 02. 2013 – C-617/10 (Åkerberg Fransson), EuZW 2013, 302, Rn. 22; Streinz-EUV/AEUV/Streinz/Michl, Art. 51 GRC, Rn. 12; Jarass, GRC, Art. 51 GRC, Rn. 27; Hoffmann, NVwZ 2020, 33, 36.
Teil 4
Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland Vor dem Hintergrund dieser maßgeblichen Rechtsquellen des Kündigungsschutzes für Whistleblower im Mehrebenensystem aus nationalem deutschen und unionalem Recht sowie völkerrechtlichem Konventionsrecht wird nachfolgend der hierzulande bislang für Whistleblower im privaten Sektor geltende Kündigungsschutz analysiert, um diesen Status quo sodann mit den Anforderungen der in nationales Recht umzusetzenden WBRL abzugleichen und den bestehenden Anpassungsbedarf festzustellen.
A. Vorüberlegungen Angesichts dieses gesellschaftspolitisch und rechtsethisch stark polarisierenden Themas soll hierfür zunächst die hiesige gesellschaftliche Haltung gegenüber Whistleblowern skizziert werden. Zudem bedarf es struktureller Vorüberlegungen, um die Untersuchung des Schutzniveaus inhaltlich und systematisch im deutschen Kündigungsschutzrecht einzubetten.
I. Gesellschaftliche Haltung Das Thema Whistleblowing ist zwar ausweislich zahlreicher rechtswissenschaftlicher Beiträge sowie verschiedener (gescheiterter) Gesetzesinitiativen auf Bundesebene1 in den vergangenen Jahren in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen und auch Gegenstand intensiver Debatten um die Grenzen von Verrat und Zivilcourage. Es offenbart sich dazu eine gespaltene gesellschaftliche Haltung: die einen feiern Whistleblower als „Helden des Alltags“, die andern sehen in ihnen nichts anderes als Denunzianten.2 Obschon über den Grund dafür mangels wissenschaftlich 1
Vgl. zu diesen gescheiterten Gesetzesinitiativen noch in Teil 4, B.II.1. Repräsentativ insoweit die Debatte der Volksvertreter im Deutschen Bundestag zur Frage der Erhebung einer Subsidiaritätsklage gegen die WBRL, Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages 19/143, S. 17948 ff. – während die Rednerin der AfD-Fraktion, Corinna Miazga, einen „Hammer und Sichel-Vergleich“ ob der europaweiten Bemühungen um einen besseren Whistleblowerschutz bemühte (S. 17949 a. E.), würdigten die Redner der Fraktionen DIE 2
A. Vorüberlegungen
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fundierter und belastbarer Erkenntnisse nur spekuliert werden kann, scheint der Glaube an die Schädlichkeit des Whistleblowings hierzulande – anders als in der amerikanischen Bevölkerung –3 insgesamt (noch) größer zu sein als an seinen Nutzen.4 Daher erscheint etwa dessen aktive Förderung durch eine finanzielle Belohnung in Deutschland – im Unterschied zu den USA –5 bis heute nahezu undenkbar.6 Dies mag auf die Angst vor Denunziantentum und einem Klima des gegenseitigen Misstrauens aufgrund der negativen und leidvollen Erfahrungen mit Bespitzelungen während der totalitären NS-Diktatur und des DDR-Regimes zurückzuführen sein,7 dürfte allerdings auch aus der hierzulande sehr stark ausgeprägten Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber und den Arbeitskollegen resultieren. Darüber hinaus ist der deutschen Rechtsordnung aufgrund der Offizialmaxime eine (aktive) Aufforderung an den Bürger bzw. Arbeitnehmer, staatliche Stellen über Missstände zu informieren, grundsätzlich eher fremd.8 Zwar ist in den letzten Jahren nach spektakulären Enthüllungsskandalen und angesichts einer sich verändernden Arbeitswelt mit zunehmender Beschäftigungsfluktuation ein gewisser Haltungswandel wahrnehmbar, der sich in deutschen Unternehmen durch die – gesetzlich bislang nicht verbindlich vorgeschriebene –9 vermehrte Einrichtung interner Meldestellen ausdrückt.10 Indes wecken gerade die in LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Alexander Ulrich und Manuela Rottmann, Whistleblower als „Helden des Alltags“ aufgrund ihrer Zivilcourage (S. 17954 f.); vgl. auch BeckOK-GeschGehG/Hiéramente, § 5 GeschGehG, Rn. 17; Gerdemann, RdA 2019, 16; Simon/Schilling, BB 2011, 2421; Heide/Heide, WB, S. 2; Freshfields, WB-Survey 2020, S. 10 zu benannten Vor- und Nachteilen von Whistleblowing durch befragte deutsche Personen. 3 Vgl. hierzu in Teil 2, C.II.2.a). 4 Vgl. jeweils m. w. N. Erlebach/Veljovic, KriPoZ 2021, 165, 171; Schmolke, ZGR 2019, 876, 878; Paschke/Jessen, RdTW 2015, 1, 5; Buchert, CCZ 2013, 144, 145; Simon/Schilling, BB 2011, 2421; Heide/Heide, WB, S. 12; so auch schon Müller, NZA 2002, 424, 425. 5 Vgl. hierzu in Teil 2, C.II.2.a). 6 Etwa Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 32; Eufinger, WM 2016, 2336, 2341; Buchert, CCZ 2013, 144, 146, 149; vgl. insoweit auch Freshfields, WB-Survey 2020, S. 8. 7 Für viele etwa Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 86; Erlebach/Veljovic, KriPoZ 2021, 165, 170; Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 30; Schmolke, ZGR 2019, 876, 884 f.; Buchert, CCZ 2013, 144, 145, 147; Müller, NZA 2002, 424, 425; in diese Richtung auch CoE, CM/Rec(2014)7, S. 14, Ziff. 13. 8 Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 33; Buchert, CCZ 2013, 144, 147. 9 Vgl. hierzu für viele und jeweils m. w. N. Ferner, WPg 2020, 1322, 1323; Gerdemann/ Spindler, ZIP 2020, 1896, 1903; Weidmann, DB 2019, 2393; Schmolke, ZGR 2019, 876, 899 f.; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665; Kempter/Steinat, NZA 2017, 1505, 1506; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 41. 10 Für viele m. w. N. Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29; Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896, 1903 f.; vgl. zu genaueren Zahlen Weinen, CB 2020, 110, 112 (58 % der durch die Studie repräsentierten deutschen Unternehmen); Hauser/Bretti-Rainalter/Blumer, WB-Report 2021, S. 24 (63,2 % aller befragten deutschen Unternehmen im Jahr 2020 (73,9 % Großunternehmen, 43,7 % KMU) – zum Vergleich: im Jahr 2018 waren es „nur“ 55,5 % aller befragten deutschen Unternehmen (64,7 % Großunternehmen, 37,8 % KMU), Hauser/Hergovits/Blumer, WBReport 2019, S. 17); Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 86.
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
jüngster Vergangenheit bekannt gewordenen und von Unternehmensführungen selbst veranlassten oder bewusst tolerierten Missstände11 Zweifel, ob die Einrichtung interner Meldestellen in allen Fällen einem tatsächlichen unternehmerischen Interesse an der Förderung internen Whistleblowings und der Etablierung einer echten betriebsinternen Redlichkeitskultur oder in erster Linie der guten Außendarstellung und der vorsorglichen Absicherung gegen den Vorwurf eines fehlenden ComplianceManagements dient, das heute zur Best Practice jedes großen Unternehmens gehört.12 Schlimmstenfalls kann sie sogar zur Vertuschung intern gemeldeter Missstände und der „Entfernung“ des Whistleblowers aus dem Unternehmen vor Abgabe einer externen Meldung missbraucht werden. In der Praxis scheint bisweilen immer noch eine Unternehmenskultur des Stillschweigens und des (familiären) „Korpsgeistes“ gefördert und präferiert und Whistleblowing auch über zehn Jahre nach der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise in vielen deutschen Unternehmen noch immer als unerwünschtes und unangenehmes Verhalten empfunden zu werden.13 Es bleibt zu untersuchen, ob sich diese bis heute wohl überwiegend eher kritische und ablehnende gesellschaftliche Haltung gegenüber Whistleblowern in Deutschland auch in ihrem rechtlichen Schutz vor einer Kündigung widerspiegelt.
II. Systematik des Kündigungsschutzrechts Mangels absoluter Kündigungsgründe im deutschen Recht ist die Rechtmäßigkeit einer (ordentlichen wie außerordentlichen) Kündigung letztlich durch eine umfas-
11
Vgl. hierzu die Beispiele in Teil 2, B.I. Vgl. insoweit etwa Hauser/Bretti-Rainalter/Blumer, WB-Report 2021, S. 29, 33, wonach die Stärkung des Images als ethisches/integres Unternehmen mit 59 % für die befragten deutschen Unternehmen im Jahr 2020 der primäre Motivationsfaktor zur Einrichtung einer Meldestelle war (so auch schon 2018 mit 45,5 %, vgl. Hauser/Hergovits/Blumer, WB-Report 2019, S. 21) und immerhin für 38,3 % auch die Verhinderung einer externen Meldung (wohl mit Blick auf die WBRL) dabei eine Rolle spielte, während die Etablierung einer „Speak-up Kultur“ (46,2 %) nur ein nachrangiges Ziel darstellte und das schlichte Fehlen einer gesetzlichen Einrichtungspflicht interner Meldestellen der Hauptgrund für ihre Nichteinrichtung (46,3 %) war; ähnlich Freshfields, WB-Survey 2020, S. 5 zur Einschätzung befragter deutscher Personen des ernsthaften unternehmerischen Interesses an der Etablierung einer „Speakup Kultur“ (nur 15 %); vgl. auch zu „Dieselgate“ Hank, in: FAZ v. 28. 01. 2017. 13 Vgl. Hank, in: FAZ v. 28. 01. 2017 (zur Volkswagen AG); Holtermann, in: Handelsblatt v. 17. 09. 2020 (zur Wirecard AG); ähnlich Böning, AiB 2019, 26, 27 („ausufernde Verschwiegenheitskultur“); CoE, CM/Rec(2014)7, S. 14, Ziff. 13; zur mangelnden Fehlerkultur in deutschen Unternehmen auch Weinen, CB 2020, 110, 111 f.; Freshfields, WB-Survey 2020, S. 6 zur abnehmenden Bereitschaft der (internen) Meldung von Missständen befragter deutscher Personen (nur noch 38 % statt 48 % in 2017, 9 % halten es für besser, gar nicht zu melden); vgl. zur Bedeutung des „Gruppengefühls“ und der Loyalität gegenüber dem Verursacher des Missstandes für ein Unterlassen von Whistleblowing auch Khan/Howe, Journal of Business Ethics 2021, 325, 327 ff., 332 ff., 339 f. 12
A. Vorüberlegungen
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sende Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall festzustellen.14 Das BAG überprüft die Zulässigkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung stets in mehreren Schritten. Im Fall einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung gem. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG prüft es zunächst eine Pflichtverletzung durch das vorgeworfene Verhalten, sodann die Erheblichkeit der hierdurch bedingten Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses, die Möglichkeit einer zumutbaren anderweitigen Beschäftigung und zuletzt die Verhältnismäßigkeit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände.15 Das Bestehen eines „wichtige[n] Grund[es]“ für eine außerordentliche Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB prüft es nach der sog. Zweistufenlehre, die in der Literatur mangels Konturschärfe erheblich kritisiert wird.16 Danach muss zunächst abstrakt und ohne Berücksichtigung aller Einzelfallumstände ein Kündigungsgrund „an sich“ vorliegen und dem Arbeitgeber darf überdies die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses – auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist – unter Abwägung aller Umstände nicht zumutbar sein.17 Unbeschadet etwaiger aufbausystematischer Schwächen dieser Prüfungsabfolgen ist für die vorliegende Untersuchung entscheidend, dass eine materiell-rechtlich zulässige Kündigung wegen Whistleblowings jedenfalls eine schuldhafte arbeitsvertragliche Pflichtverletzung des Arbeitnehmers voraussetzt, auch wenn diese für sich allein die Kündigung noch nicht rechtfertigt. Fehlt aber schon auf „erster Prüfungsebene“ ein vertragswidriges Verhalten, weil sich der Arbeitnehmer rechtmäßig und innerhalb der „Grenze des Zulässigen“ bewegt hat, scheidet eine darauf gestützte (ordentliche wie außerordentliche) Kündigung von vornherein als unzulässig aus.18 Eine auf „zweiter Prüfungsebene“ durchzuführende Gesamtabwägung aller Umstände und Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls, die den Arbeitnehmer trotz kündigungsrelevanten Fehlverhaltens vor einer Kündigung bewahren können, ist dann obsolet. Nach dieser Systematik des Kündigungsschutzrechts hat die Untersuchung des Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in erster Linie 14 BAG, Urteil v. 10. 06. 2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227, 1229, Rn. 16, 1231, Rn. 38; BAG, Urteil v. 24. 06. 2004 – 2 AZR 63/03, NZA 2005, 158, 160; DDZ/Däubler, § 1 KSchG, Rn. 688; SWK-ArbR/Biester, Außerordentliche Kündigung, Rn. 3; Staudinger/Preis, § 626 BGB, Rn. 50. 15 St. Rspr. BAG, Urteil v. 07. 05. 2020 – 2 AZR 619/19, NJW 2020, 2428, Rn. 15; BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, Rn. 11; BAG, Urteil v. 24. 06. 2004 – 2 AZR 63/03, NZA 2005, 158, 160; NK-ArbR/Kerwer, § 1 KSchG, Rn. 759; HaKo-KSchR/ Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 204. 16 Vgl. für viele jeweils m. w. N. DHSW/Griebeling/Herget, § 626 BGB, Rn. 49 ff.; HaKoKSchR/Gieseler, § 626 BGB, Rn. 55 ff.; ErfK/Niemann, § 626 BGB, Rn. 60; Staudinger/ Preis, § 626 BGB, Rn. 51 ff. 17 St. Rspr. BAG, Urteil v. 13. 12. 2018 – 2 AZR 370/18, NJW 2019, 1161, 1162, Rn. 15; BAG, Urteil v. 10. 12. 2009 – 2 AZR 534/08, NZA 2010, 698, 699, Rn. 13; BAG, Urteil v. 17. 05. 1984 – 2 AZR 3/83, NZA 1985, 91, 92; LAG Düsseldorf, Urteil v. 04. 03. 2016 – 10 TaBV 102/15, BeckRS 2016, 68431, Rn. 22; SWK-ArbR/Biester, Außerordentliche Kündigung, Rn. 2; DHSW/Griebeling/Herget, § 626 BGB, Rn. 49. 18 Vgl. auch Kreis, WB, S. 50; Redder, WB, S. 109 f.
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
und hauptsächlich bei der Frage anzusetzen, wann die Meldung von Missständen durch einen Arbeitnehmer eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung wegen Verstoßes gegen § 241 Abs. 2 BGB darstellt. Der auf „zweiter Prüfungsebene“ einsetzende „Schutzmechanismus“ der Gesamtabwägung zur Sicherstellung von Einzelfallgerechtigkeit spielt hingegen eine nur untergeordnete Rolle.
B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“) Obwohl der Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht – wie etwa durch Whistleblowing – der Grund für den Verlust des Arbeitsplatzes sein kann, hat der Gesetzgeber sie in § 241 Abs. 2 BGB nicht näher spezifiziert, so dass es grundsätzlich dem Rechtsanwender obliegt, den normativen Spielraum dieser auslegungsbedürftigen Generalklausel auszufüllen und die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers im Einzelfall zu konkretisieren.
I. Fallgruppen der Rücksichtnahmepflicht Aus dem weitgehenden grundrechtlichen Schutz der geschäftlichen und unternehmerischen Position des Arbeitgebers folgert das BAG zwar, dass er „ein rechtlich geschütztes Interesse [hat], nur mit solchen Arbeitnehmern zusammenzuarbeiten, die die Ziele des Unternehmens fördern und das Unternehmen vor Schäden bewahren“.19 Diese vage höchstrichterliche Formel ist allerdings zur anwendungserleichternden Konkretisierung der Rücksichtnahmepflicht anhand der auf das Privatrecht ausstrahlenden Grundrechte kaum geeignet. Sie ergibt sich aber aus unterschiedlichen in der Praxis entwickelten Pflichttypen arbeitnehmerseitiger Rücksichtnahme, wobei regelmäßig nach Schutz- und Aufklärungspflichten sowie Handlungs- und Unterlassungspflichten unterschieden wird.20 Es existiert jedoch 19
BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430. Vgl. im Einzelnen und jeweils m. w. N. BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 444 f.; Staudinger/Olzen, § 241 BGB, Rn. 435; JurisPK-BGB/Fandel/Kock, § 611a BGB, Rn. 144 ff.; DHSW/Kreuder/Matthiessen-Kreuder, § 611a BGB, Rn. 475; MüKoBGB/Bachmann, § 241 BGB, Rn. 33, 56; NK-BGB/Schulze, § 241 BGB, Rn. 5 ff.; Seifert, Solidarität ArbV, S. 203 f.; vgl. auch BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 429, wonach „der Arbeitnehmer verpflichtet [ist], auf die geschäftlichen Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sie im zumutbaren Umfang zu wahren“ sowie „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu wahren und den Arbeitgeber über alle wesentlichen Vorkommnisse im Betrieb in Kenntnis zu setzen, vor allem um Schäden des Arbeitgebers zu verhindern“; noch weitergehend zu der inzwischen überholten und vormals mangels ausdrücklicher Normierung leistungsunabhängiger Rücksichtnahmepflichten entwickelten sog. Treuepflicht des Arbeitnehmers, die ihm nach BAG, Urteil v. 16. 08. 1990 – 2 AZR 113/90, NJW 1991, 518, 519 gebot „alles zu unterlassen, was dem Arbeitgeber oder dem Betrieb abträglich ist“. 20
B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“)
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weder eine einheitliche und abschließende Systematisierung bzw. Konkretisierung noch führt diese abstrakte Strukturierung zu einer Festlegung absoluter Rücksichtnahmepflichten. Die Fallgruppen bilden vielmehr nur auf einfachgesetzlicher Ebene die grundrechtlich geschützten Arbeitgeberinteressen ab und dienen als Orientierung zur Feststellung des arbeitnehmerseitigen Pflichtenregimes; sie führen aber nicht zu einer Entbehrlichkeit der Abwägung mit den diese Pflichten beschränkenden Arbeitnehmerinteressen.21 Dementsprechend stellen die nachfolgenden Ausführungen dar, welche in der Rechtspraxis abstrakt typisierten Rücksichtnahmepflichten der Arbeitnehmer durch die Meldung von Missständen verletzen kann. Zur Feststellung ihrer konkreten Reichweite und mithin der Zulässigkeit des Whistleblowings im Einzelfall bleibt eine Abwägung mit seinen widerstreitenden Grundrechten aber erforderlich. 1. Verschwiegenheitspflicht Vor allem das externe Whistleblowing betrifft die für das Arbeitsverhältnis besonders wichtige sog. Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers, wonach er (auch ohne eine ausdrückliche vertragliche (Zusatz-)Vereinbarung) über Betriebsinterna Stillschweigen zu bewahren hat und diese Dritten gegenüber nicht offenbaren darf. Als Ausprägung seiner gesetzlichen Rücksichtnahmepflicht bezieht sich diese Verschwiegenheitspflicht nicht nur auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse,22 sondern umfasst grundsätzlich alle betriebsinternen Vorgänge und Tatsachen, von denen der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Tätigkeit Kenntnis erlangt und an deren Geheimhaltung ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers besteht.23 Ein solches 21 So auch MüHdb-ArbR/Reichold, § 54, Rn. 1; anders Kreis, WB, S. 52 f., 64 f., 66 f., die von einer „absoluten“ Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers ausgeht. 22 Das BAG definiert in st. Rspr. als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis ähnlich der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung „alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge […], die nicht offenkundig, sondern nur einem eng begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat“, BAG, Beschluss v. 16. 05. 2019 – 8 AZN 809/18, BeckRS 2019, 25505, Rn. 16; BAG, Urteil v. 10. 03. 2009 – 1 ABR 87/07, NZA 2010, 180, 182, Rn. 25; BAG, Urteil v. 15. 12. 1987 – 3 AZR 474/86, NJW 1988, 1686; ob hier zukünftig eine Anpassung an die Legaldefinition eines Geschäftsgeheimnisses gem. § 2 Nr. 1 GeschGehG (vgl. hierzu noch später in Teil 4, B.II.3.c)bb)) erfolgen wird, vor allem im Hinblick auf die Voraussetzung „angemessene[r] Geheimhaltungsmaßnahmen“, ist unklar – bislang aber jedenfalls ausgeblieben, etwa in der Entscheidung des BAG v. 16. 05. 2019; aufgrund der Autonomie der Rechtsgebiete und des beschränkten Anwendungsbereichs des § 2 Nr. 1 GeschGehG („im Sinne dieses Gesetzes“), ist eine Anpassung der arbeitsrechtlichen Begriffsdefinition auch nicht zwingend erforderlich, vgl. Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 53; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 194; i. E. auch BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 463 f. 23 MüHdb-ArbR/Reichold, § 54, Rn. 38; Röller/Küttner/Kania, Verschwiegenheitspflicht, Rn. 6; Kreitner, Treuepflicht, Rn. 10; SWK-ArbR/Richter, Geheimhaltungspflicht, Rn. 4; LPS/Vossen, § 626 BGB, Rn. 272; Stein, BB 2004, 1961 f.; Seifert, Solidarität ArbV, S. 209 f.; Kreis, WB, S. 53, 64; Reinfeld, Verschwiegenheitspflicht, S. 6; Wodtke/Richters, Betriebs- und GeschGeh, § 4, Rn. 239; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 121, 135, 138; vgl.
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berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung und Vertraulichkeit liegt vor, wenn die Offenbarung der Betriebsinterna die Position des Arbeitgebers im Wettbewerb objektiv schwächen oder gar zu einem wirtschaftlichen Schaden durch Reputationseinbußen führen kann.24 Die Verschwiegenheitspflicht kann sich damit sogar auf persönliche Umstände oder Verhaltensweisen des Arbeitgebers oder von Arbeitskollegen beziehen.25 Bei objektiv banalen oder allgemein zugänglichen Informationen, die für Wettbewerber oder die Öffentlichkeit im Ergebnis uninteressant sind, scheidet ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse dementsprechend von vornherein aus. Unstreitig ist ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse zu bejahen, wenn es sich um legale Betriebsinterna handelt. Whistleblower melden aber regelmäßig gesetzeswidrige Umstände und Verhaltensweisen, etwa Steuer- oder Umweltverstöße, also illegale Betriebsinterna. Es ist streitig, ob der Arbeitgeber auch an deren Geheimhaltung ein „berechtigtes Interesse“ haben kann.26 Soweit dies abgelehnt wird, erfolgt gleichzeitig unter Verweis auf die allgemeine Treue-/Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers durch eine Art „Rückausnahme“ dennoch eine Beschränkung der Befugnis zur Offenlegung, weil der Arbeitnehmer illegale Betriebsinterna trotzdem nicht in missbräuchlicher Weise an Dritte weitergeben dürfe.27 Im Ergebnis ist dieser Streit daher von geringerer praktischer Relevanz als dies auf den ersten Blick scheinen mag, denn alle Auffassungen stimmen letztlich darin überein, dass auch die Preisgabe illegaler Betriebsinterna durch den Arbeitnehmer nur eingeschränkt zulässig ist, diese also einer relativen Schweigepflicht unterliegen. Entweder wird das bereits aus der Fallgruppe der Verschwiegenheitspflicht selbst oder „nur“ allgemein aus § 241 Abs. 2 BGB hergeleitet; insoweit geht es zu spezialgesetzlichen Verschwiegenheitspflichten bestimmter Arbeitnehmergruppen, etwa § 79 BetrVG, SWK-ArbR/Richter, Geheimhaltungspflicht, Rn. 3; ArbR-Hdb/Linck, § 53, Rn. 46; MüKoBGB/Spinner, § 611a BGB, Rn. 1008; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50; Oetker, ZESAR 2017, 257 f.; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 170 ff. 24 Für viele Röller/Küttner/Kania, Verschwiegenheitspflicht, Rn. 6; Seifert, Solidarität ArbV, S. 210; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 138. 25 BAG, Urteil v. 08. 05. 2014 – 2 AZR 249/13, NZA 2014, 1258, 1260, Rn. 26; Röller/ Küttner/Kania, Verschwiegenheitspflicht, Rn. 6; SWK-ArbR/Altenburg, Nebenpflichten, Rn. 19; Seifert, Solidarität ArbV, S. 210; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 138; Wodtke/Richters, Betriebs- und GeschGeh, § 4, Rn. 239; Reinfeld, Verschwiegenheitspflicht, S. 6. 26 Bejahend etwa LPS/Vossen, § 626 BGB, Rn. 272; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 196; Redder, WB, S. 115, 128; wohl auch Staudinger/Preis, § 626 BGB, Rn. 206; Seifert, Solidarität ArbV, S. 210; differenzierend HWK/Thüsing, § 611a BGB, Rn. 503; a. A. Röller/ Küttner/Kania, Verschwiegenheitspflicht, Rn. 5; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 466; Kreis, WB, S. 65; wohl auch DHSW/Kreuder/Matthiessen-Kreuder, § 611a BGB, Rn. 485; Preis/Reinfeld, AuR 1989, 361, 363; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 223; Wodtke/Richters, Betriebs- und GeschGeh, § 4, Rn. 243. 27 BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 467; Preis/Reinfeld, AuR 1989, 361, 363; Kreis, WB, S. 53, 66; Wodtke/Richters, Betriebs- und GeschGeh, § 4, Rn. 243; anders Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 223.
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letzten Endes allein um die Reichweite der Fallgruppe der Verschwiegenheitspflicht bzw. um ein divergierendes Verständnis der hieraus hergeleiteten Schweigepflicht als absolut oder relativ. Ungeachtet der fehlenden Ergebnisrelevanz erscheint es unter Berücksichtigung der umfassenden Reichweite der Unternehmerfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG und des Sinn und Zwecks des § 241 Abs. 2 BGB, der auf den größtmöglichen Schutz im privatrechtlichen Schuldverhältnis durch die bestmögliche Abbildung der grundrechtlich geschützten Interessen der (Arbeits-)Vertragsparteien auf einfachrechtlicher Ebene ausgerichtet ist, vorzugswürdig, illegale Betriebsinterna nicht per se aus dem Schutzbereich der Verschwiegenheitspflicht auszuschließen.28 Der gegenteilige Ansatz, der ihren Schutz durch eine Art „Rückausnahme“ mithilfe einer anderen Fallgruppe doch wieder konstruiert, stellt sich aus dogmatischer Sicht als verfehlt dar.29 Er verkennt, dass den Fallgruppen keine eigenständige Bedeutung zukommt und die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers einheitlich anhand der Grundrechtspositionen des Arbeitgebers auszulegen ist, so dass illegale Betriebsinterna entweder einen inhaltlichen Schutz durch § 241 Abs. 2 BGB erfahren oder nicht.30 Überdies bedarf es für das nachvollziehbare Ziel, strafbaren Handlungen oder sonstigen Gesetzeswidrigkeiten keinen Schutz durch eine absolute (und insoweit falsch verstandene) Verschwiegenheitspflicht zu gewähren,31 keines pauschalen Ausschlusses des berechtigten Interesses an illegalen betrieblichen Informationen. Dieses reicht nämlich aufgrund der Relativität der abstrakt konkretisierten Rücksichtnahmepflicht in Form der Verschwiegenheitspflicht sowohl hinsichtlich der Geheimhaltung illegaler wie auch legaler Betriebsinterna konkret nur soweit, wie es nicht durch entgegenstehende grundrechtlich geschützte Interessen des Arbeitnehmers beschränkt wird.32 Im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG, das den „zumutbaren Umfang“ der arbeitnehmerseitigen Pflicht zur Wahrung der geschäftlichen Interessen und der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ohne pauschalen Ausschluss illegaler Vorgänge anhand einer Interessenabwägung im Einzelfall feststellt,33 beschränkt die Verschwiegenheitspflicht damit grundsätzlich auch 28 Vgl. auch Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 196; Redder, WB, S. 115, 128; so i. E. wohl auch BeckOK-ArbR/Rolfs, § 1 KSchG, Rn. 300; vgl. zum Schutzbereich des § 241 Abs. 2 BGB auch BT-Drucks. 14/6040, S. 125 f. 29 In diese Richtung wohl auch Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 196; a. A. Kreis, WB, S. 53. 30 Ähnlich i. E. auch Redder, WB, S. 128. 31 Etwa BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 466; ähnlich Kreis, WB, S. 52 ff.; Preis/ Reinfeld, AuR 1989, 361, 373 f. 32 Vgl. insoweit auch BAG, Urteil v. 08. 05. 2014 – 2 AZR 249/13, NZA 2014, 1258, 1260, Rn. 26; MüHdb-ArbR/Reichold, § 54, Rn. 40; SWK-ArbR/Richter, Geheimhaltungspflicht, Rn. 8; BeckOK-ArbR/Rolfs, § 1 KSchG, Rn. 300; HWK/Thüsing, § 611a BGB, Rn. 503; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 196; Reuling, WB im Krankenhaus, S. 132 f.; Redder, WB, S. 128; Seifert, Solidarität ArbV, S. 210; a. A. Kreis, WB, S. 52 f., 64 f., 66 f. 33 BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 429 f.; ähnlich BAG, Urteil v. 08. 05. 2014 – 2 AZR 249/13, NJW 2015, 109, 111, Rn. 26 ff.
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die Offenlegung illegaler Betriebsinterna, kann aber wegen widerstreitender Offenlegungsinteressen des Arbeitnehmers zulässigerweise durchbrochen werden. Für diese arbeitsrechtsspezifische Konkretisierung der (abstrakten) Reichweite ist es im Übrigen unerheblich, ob die jeweiligen Betriebsinterna als Geschäftsgeheimnisse im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG zu qualifizieren sind und insoweit auch einen besonderen spezialgesetzlichen zivil- und strafrechtlichen Schutz genießen.34 Eine vertragliche Erweiterung der gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht über das berechtigte Geheimhaltungsinteresse des Arbeitgebers hinaus ist nur unter Berücksichtigung der allgemeinen Grenzen, etwa § 138 BGB, zulässig und letztlich zumeist rein deklaratorisch; „catch-all-Klauseln“ sind regelmäßig unwirksam.35 Häufig sollen Verschwiegenheitsklauseln daher allein sicherstellen, dass bestimmte Betriebsinterna den besonderen Schutz der §§ 6 ff. GeschGehG genießen.36 Auch sie begründen aber keine absolute Verschwiegenheitspflicht. 2. Pflicht zur Wahrung des Betriebsfriedens Regelmäßig steht durch die Meldung von Missständen, insbesondere auch im Fall internen Whistleblowings, ein Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflicht zur Wahrung des Betriebsfriedens im Raum.37 Das BAG bestimmt den Betriebsfrieden wie folgt: „[Der] Begriff des Betriebsfriedens ist abhängig und wird bestimmt von der Summe aller derjenigen Faktoren, die – unter Einschluß des Betriebsinhabers (Arbeitgeber) – das Zusammenleben und Zusammenwirken der in einem Betrieb tätigen Betriebsangehörigen ermöglichen, erleichtern oder auch nur erträglich machen. Der Betriebsfrieden als ein die Gemeinschaft aller Betriebsangehörigen umschließender Zustand ist daher immer dann gestört, wenn das störende Ereignis einen kollektiven Bezug aufweist, mögen unmittelbar hiervon auch nur wenige Arbeitnehmer betroffen sein.“38
Der Arbeitnehmer ist gehalten, grundsätzlich alle Handlungen zu unterlassen, die die betrieblichen Abläufe beeinträchtigen und das gedeihliche Miteinander ge-
34
So i. E. auch ErfK/Niemann, § 626 BGB, Rn. 154c; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 53; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 196 (noch zu § 17 UWG); Kreis, WB, S. 53, 65 (noch zu § 17 UWG); a. A. Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 337. 35 Für viele Röller/Küttner/Kania, Verschwiegenheitspflicht, Rn. 7; MüHdb-ArbR/Reichold, § 54, Rn. 39; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 469; Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 356 f.; Holthausen, NZA 2019, 1377, 1379 f.; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 122, 159. 36 Röller/Küttner/Kania, Verschwiegenheitspflicht, Rn. 4; Jonas, DB 2020, 1738, 1739; Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967, 971; vgl. hierzu auch noch in Teil 4, B.II.3.c)bb)(2). 37 Vgl. etwa BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 38; Redder, WB, S. 70; Heide/Heide, WB, S. 24 f. 38 BAG, Urteil v. 09. 12. 1982 – 2 AZR 620/80, NJW 1984, 1142, 1143.
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fährden können.39 Sowohl die interne als auch die externe Meldung betriebsinterner Missstände aufgrund eines Fehlverhaltens des Arbeitgebers, seiner Vertreter oder gar von Arbeitskollegen kann durch (unternehmens-)öffentliche Kritik am Unternehmen oder durch die Begründung gegenseitigen Misstrauens in der Belegschaft das Betriebsklima und das Vertrauensverhältnis im Unternehmen negativ beeinflussen.40 Das grundrechtlich geschützte Arbeitgeberinteresse an der Wahrung des friedlichen Miteinanders führt so über die einfachgesetzliche „Brücke“ der Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB zu einer mittelbaren Pflicht des Arbeitnehmers, auf die Interessenspositionen seiner Kollegen und Vorgesetzten Rücksicht zu nehmen und diese nicht einfach einer strafbaren Handlung oder sonstigen Fehlverhaltens zu beschuldigen. Als Rechtsreflex werden hierdurch die Grundrechte der betroffenen Kollegen oder Vorgesetzten geschützt, etwa das Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.41 3. Pflicht zur Vermeidung von Geschäfts- und Rufschädigungen Der Arbeitnehmer kann durch die externe Informationsweitergabe über (angebliche) betriebliche Missstände zudem seine Pflicht zur Vermeidung von Geschäftsund Rufschädigungen und das Gebot zur Loyalität und Diskretion verletzten. Er hat grundsätzlich alles zu unterlassen, was das geschäftliche Ansehen oder die Reputation des Arbeitgebers schädigen oder zu seiner (öffentlichen) Diffamierung führen kann, so wie etwa staatsanwaltschaftliche Ermittlungsmaßnahmen oder eine negative Berichterstattung bzw. Darstellung in der Presse oder breiten Öffentlichkeit.42 Danach hat der Arbeitnehmer grundsätzlich von einer Offenlegung interner Missstände abzusehen.
39
Für viele jeweils m. w. N. SWK-ArbR/Mohnke, Verhaltensbedingte Kündigung, Rn. 39; DDZ/Däubler, § 1 KSchG, Rn. 754; Fuhlrott/Oltmanns, DB 2017, 2354; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 195. 40 Ebenso Redder, WB, S. 70 f., 114 f.; vgl. insoweit auch BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1066, Rn. 22. 41 So i. E. auch MüHdb-ArbR/Reichold, § 55, Rn. 14; Redder, WB, S. 71; vgl. auch BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1066, Rn. 22, 38; Seifert, Solidarität ArbV, S. 225, Fn. 994; vgl. zu einschlägigen Grundrechten beschuldigter Personen Klaas, CCZ 2019, 163, 165 f. 42 Vgl. für viele BeckOK-ArbR/Stoffels, § 626 BGB, Rn. 110; Rolfs, § 1 KSchG, Rn. 303; Hdb/Linck, § 53, Rn. 26; ErfK/Niemann, § 626 BGB, Rn. 99; DHSW/Kreuder/MatthiessenKreuder, § 611a BGB, Rn. 555; Klaas, CCZ 2019, 163, 165; Schlachter, RdA 2012, 108, 110; Seifert, Solidarität ArbV, S. 221 f.; Redder, WB, S. 115; Reinfeld, Verschwiegenheitspflicht, S. 6; Heide/Heide, WB, S. 34.
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II. Gesetzgeberische Auflösung des Interessenkonflikts Der Arbeitnehmer droht durch die Meldung von Missständen gegen seine Pflicht zur Verschwiegenheit, Wahrung des Betriebsfriedens sowie Vermeidung von Geschäfts- und Rufschädigungen zu verstoßen, obwohl er hierdurch seine Meinungsfreiheit und regelmäßig auch sein staatsbürgerliches Anzeigerecht wahrnimmt. Dieser Konflikt über die konkrete Reichweite seiner Rücksichtnahmepflicht ist im Einzelfall durch eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Grundrechte der Arbeitsvertragsparteien aufzulösen, namentlich Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG auf Seiten des Arbeitgebers und Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG auf Seiten des Arbeitnehmers. Einer solchen umfassenden Einzelfallabwägung bedürfte es allerdings nicht, wenn der Gesetzgeber Vorgaben zur Auflösung des Interessenkonflikts bereits auf abstrakt-genereller Ebene machen würde, etwa in speziellen Kündigungsschutzvorschriften. Dadurch würde er die Reichweite der Rücksichtnahmepflicht für Whistleblowing-Konstellationen selbst konkretisieren und dies nicht der Rechtspraxis im Einzelfall überlassen. 1. Einheitliche Kündigungsschutznorm Eine einheitliche gesetzliche Kündigungsschutznorm für Whistleblower gibt es in Deutschland nicht. Trotz zunehmenden nationalen wie internationalen Drucks hat der deutsche Gesetzgeber bislang keinen ausdrücklichen bereichsübergreifenden Schutz vor Kündigungen für Arbeitnehmer geregelt, die Missstände im Unternehmen ihres Arbeitgebers melden.43 Dabei gab es zahlreiche Gesetzesinitiativen auf Bundesebene, wie etwa durch die Fraktion der SPD im Jahr 2012 oder der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Jahr 2014, die aber allesamt gescheitert sind.44 Auf nationaler Ebene ist ein ausdrücklicher und einheitlicher gesetzlicher Kündigungsschutz für Whistleblower zuletzt in weite Ferne gerückt – im Koalitionsvertrag der derzeit (noch) kommissarisch amtierenden Regierungsparteien (19. Legislaturperiode) findet sich hierzu ebenfalls nichts.45 43 Vgl. für viele und jeweils m. w. N. Staudinger/Preis, § 626 BGB, Rn. 131; MüKoBGB/ Henssler, § 626 BGB, Rn. 187; Vogel/Poth, CB 2019, 45, 46; Süße, Newsdienst Compliance 2018, 21003, o. S.; Trebeck/Schulte-Wissermann, NZA 2018, 1175, 1178; Groß/Platzer, NZA 2017, 1097 f. 44 BT-Drucks. 17/8567 (SPD); BT-Drucks. 18/3039 (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN); vgl. zu weiteren Initiativen auf Bundesebene etwa die Anträge der Fraktion DIE LINKE, BTDrucks. 17/6492 (2011) und BT-Drucks. 18/3043 (2014); Antrag des Landes Berlin, BRDrucks. 534/11 (2011); Gemeinsamer Vorschlag mehrerer Bundesministerien zur Verankerung eines gesetzlichen Whistleblowerschutzes, BT-Ausschuss-Drucks. 16(10)849 (2008); zuletzt die Gesetzesinitiative von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks. 19/4558 (2018); vgl. zu diesen Initiativen auch Kreis, WB, S. 196 ff. 45 Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1006; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 14; Süße, Newsdienst Compliance 2018, 21003, o. S.; vgl. auch Koalitionsvertrag zwischen der CDU, CSU und SPD v. 12. 03. 2018 (online abrufbar: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/
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2. Arbeitsrechtliches Maßregelungsverbot Auch das arbeitsrechtliche Maßregelungsverbot des § 612a BGB gewährt Whistleblowern keinen besonderen Kündigungsschutz. Zwar verbietet es als Sonderfall der Sittenwidrigkeit und zum Schutz der Willensfreiheit des Arbeitnehmers dessen Benachteiligung, insbesondere durch eine Kündigung, wenn er in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.46 Die für das Eingreifen dieses Schutzes relevante Frage, wann ein arbeitnehmerseitiges Verhalten zulässig ist, lässt § 612a BGB aber unbeantwortet.47 Es handelt sich mithin um eine reine Sanktionsnorm ohne Wertentscheidung, die keine Rückschlüsse auf die gesetzgeberische Bewertung einzelner Fallkonstellationen zulässt.48 § 612a BGB ergänzt damit zwar die allgemeinen Kündigungsnormen der §§ 620, 622 und 626 BGB insoweit, als er für den Fall der Zulässigkeit des Whistleblowings ein Kündigungsverbot ausspricht. Wann ein solcher Fall vorliegt, regelt § 612a BGB aber nicht, sondern setzt eine entsprechende Feststellung vielmehr voraus. 3. Sektor- und bereichsspezifische Normen Trotz des Fehlens einer einheitlichen Kündigungsschutznorm für Whistleblower finden sich im deutschen Recht aber durchaus Vorschriften, die Aufschluss über die gesetzgeberische Bewertung des mit dem Whistleblowing einhergehenden Interessenkonflikts zwischen den Arbeitsvertragsparteien geben können. a) Strafrechtliche Normen Zum einen kann zur Bestimmung der Reichweite der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers im Sinne der Einheit der Rechtsordnung auf die in strafrechtlichen Normen als ultima ratio gezogenen Grenzen zurückgegriffen werden.49 So stecken etwa §§ 138 und 164 StGB recht allgemein die Grenzen zulässigen Verhaltens nach
974430/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertrag-data. pdf?download=1, Abruf: 27. 11. 2021). 46 St. Rspr. BAG, Urteil v. 20. 05. 2021 – 2 AZR 560/20, NJW 2021, 2454, 2456, Rn. 26; BAG, Urteil v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 320, Rn. 31; BAG, Urteil v. 02. 04. 1987 – 2 AZR 227/86, NZA 1988, 18 f.; BeckOK-BGB/Baumgärtner, § 612a BGB, Rn. 3; DHSW/Kraushaar, § 612a BGB, Rn. 2. 47 NK-ArbR/Boecken, § 612a BGB, Rn. 14; LPS/Linck, § 612a BGB, Rn. 6; Thüsing, NZA 1994, 728, 730; vgl. insoweit auch bereits BAG, Urteil v. 02. 04. 1987 – 2 AZR 227/86, NZA 1988, 18 f. 48 JurisPK-BGB/Fandel/Kock, § 612a BGB, Rn. 14; zum Teil wird § 612a BGB deshalb sogar für überflüssig gehalten, etwa ErfK/Preis, § 612a BGB, Rn. 3; Thüsing, NZA 1994, 728, 730, 732. 49 Forst, NJW 2011, 3477, 3481; Kreis, WB, S. 54, 64 f.
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„oben und unten“ ab.50 Zudem können Vorschriften wie §§ 93 und 203 StGB oder auch § 120 BetrVG speziell zur Auslegung der Reichweite der Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers herangezogen werden;51 sie gelten allerdings nur für bestimmte Arbeitnehmer- bzw. Berufsgruppen, wie etwa Betriebsräte (§ 120 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) oder Ärzte und Rechtsanwälte (§ 203 Abs. 1 Nr. 1, 3 StGB), so dass sich hieraus keine Rückschlüsse für „normale/sonstige“ Arbeitnehmer ziehen lassen. b) Spezialgesetzliche Schutznormen Zum anderen finden sich auch zahlreiche Vorschriften, die die Meldung von Missständen grundsätzlich als zulässiges Arbeitnehmerverhalten qualifizieren und teilweise sogar ein ausdrückliches – wegen § 612a BGB allerdings deklaratorisches – Benachteiligungs-/Maßregelungsverbot normieren. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit kann insoweit auf § 17 ArbSchG, §§ 13 Abs. 1 S. 1 und 27 Abs. 1 AGG, § 4d Abs. 1, 6 FinDAG, § 3b Abs. 1, 5 BörsG, §§ 48 und 53 Abs. 1, 5 GwG, § 34d Abs. 12 GewO, § 23 Abs. 1, 3 WpHG und § 84 BetrVG verwiesen werden.52 Auch dieser Vielzahl an gesetzlichen Regelungen lässt sich aber letztlich keine einheitliche, sektor- und bereichsübergreifende Linie des deutschen Gesetzgebers im Umgang mit Whistleblowing entnehmen. Vielmehr handelt es sich allein um spezialgesetzliche Normen, die nur bestimmte Whistleblowing-Fälle betreffen – zu unterschiedlich sind die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen, etwa im Hinblick auf den Meldegegenstand, den Meldeadressaten oder auch die allgemeinen Voraussetzungen der Zulässigkeit des Whistleblowings. So setzen etwa § 84 Abs. 1 S. 1 BetrVG für einen Schutz des Whistleblowers voraus, dass er vom gemeldeten Missstand selbst betroffen ist und § 4d Abs. 1, 6 FinDAG, dass er Missstände aus dem Bereich des Kapitalmarktrechts bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht meldet.53 § 17 Abs. 2 S. 1 ArbSchG wiederum stellt die Zulässigkeit externen Whistleblowings ausdrücklich unter den Vorbehalt eines vorherigen internen Abhilfeversuchs,54 während § 4d Abs. 1, 6 FinDAG und § 3b Abs. 1, 5 BörsG auch die
50 Vgl. auch Forst, NJW 2011, 3477, 3481; Seifert, Solidarität ArbV, S. 213; Redder, WB, S. 39; Gerdemann, WB, Rn. 243. 51 Ähnlich auch ErfK/Schmidt, Art. 4 GG, Rn. 73; Redder, WB, S. 39. 52 § 28 KAGB, § 25a KWG, § 55b WPO und § 23 VAG normieren „nur“ eine Pflicht zur Errichtung interner Meldestellen für bestimmte Adressaten, etwa Kapitalverwaltungsgesellschaften; für Beamte sehen § 37 Abs. 2 Nr. 3 BeamtStG und § 67 Abs. 2 Nr. 3 BBG eine Ausnahme von ihrer beamtenrechtlichen Verschwiegenheitspflicht zur Korruptionsbekämpfung vor; vgl. zu spezialgesetzlichen Whistleblowing-Schutznormen auch Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1499; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50; dies., RdA 2017, 365, 367; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1202; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 965. 53 Vgl. ErfK/Kania, § 84 BetrVG, Rn. 4; Laars, FinDAG, § 4d FinDAG, Rn. 1. 54 Für viele LPS/Greiner, § 17 ArbSchG, Rn. 9 f.; NK-ArbR/Otto, § 17 ArbSchG, Rn. 5; Heide/Heide, WB, S. 20.
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direkte externe Meldung an bestimmte staatliche Stellen schützen.55 Ein allgemeingültiger Vorrang des internen Whistleblowings im deutschen Recht kann § 17 Abs. 2 S. 1 ArbSchG also nicht entnommen werden.56 c) Geschäftsgeheimnisgesetz Zuletzt stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Regelungen des § 3 Abs. 2 und insbesondere des § 5 Nr. 2 des am 26. 04. 2019 in Kraft getretenen Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG), mit dem der deutsche Gesetzgeber die GeschGehRL in deutsches Recht umgesetzt hat, an dieser fragmentarischen Gesetzeslage etwas ändern und gar eine einheitliche gesetzgeberische Linie zur Zulässigkeit des Whistleblowings erkennen lassen. Diese Vorschriften legen fest, wann eine Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen trotz ihres mit der GeschGehRL bzw. dem GeschGehG bezweckten hohen Schutzniveaus rechtmäßig bzw. jedenfalls nicht verboten im Sinne des § 4 GeschGehG ist. aa) Bedeutung für arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht Zunächst erscheint eine Heranziehung dieser Vorschriften zur Konkretisierung der für den Kündigungsschutz maßgeblichen arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht zweifelhaft, denn das GeschGehG ist (wie § 1 Abs. 1 GeschGehG zeigt) kein originär arbeitsrechtliches Gesetz, sondern dient vielmehr allgemein und unabhängig vom Bestehen eines Vertragsverhältnisses dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor unerlaubter Erlangung, Nutzung und Offenlegung. Nach dem Willen des Gesetzgebers sind arbeitsrechtliche Schutzmaßnahmen nicht Gegenstand des Gesetzes, das vielmehr als Stammgesetz für den zivil- und strafrechtlichen Schutz von Geschäftsgeheimnissen erlassen worden ist, der zuvor durch die §§ 17 – 19 UWG und §§ 823, 826 und 1004 BGB geregelt war.57 In § 1 Abs. 3 Nr. 4 GeschGehG ist sogar ausdrücklich bestimmt, dass die „Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis“ unberührt bleiben. Daraus folgt allerdings keine starre Bereichsausnahme für das Arbeitsrecht, denn der Gesetzgeber wollte damit vor allem dem Vorrang individualvertraglicher Vereinbarungen im Arbeitsverhältnis Rechnung tragen und klarstellen, dass diese von
55 ASM/Spoerr, Art. 32 VO (EU) Nr. 596/2014, Rn. 20; KMRK/Kumpan, § 3b BörsG, Rn. 11; Eufinger, WM 2016, 2336, 2339. 56 Ebenso Redder, WB, S. 164; a. A. etwa LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 555; MüHdbArbR/Reichold, § 54, Rn. 41. 57 BT-Drucks. 19/8300, S. 2; BT-Drucks. 19/4724, S. 19; vgl. auch für viele Hamann/ Rosenthal, NJ 2019, 321; Rehaag/Straszewski, MittdtPatA 2019, 249; Hauck, GRUR-Prax 2019, 223; Kalbfus, GRUR 2016, 1009 (noch zur GeschGehRL); Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 49, 70 f.; Reinfeld, GeschGehG, § 1, Rn. 1.
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den Vorgaben des Gesetzes grundsätzlich unberührt bleiben.58 Dementsprechend knüpft die Verbotsvorschrift des § 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG ausdrücklich an den Verstoß gegen eine bestehende „Verpflichtung […], das Geschäftsgeheimnis nicht offenzulegen“ an, wie sie sich etwa aus der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB ergibt.59 Das GeschGehG regelt damit das Bestehen einer solchen Pflicht nicht selbst, sondern setzt sie voraus.60 Es kann sich aber auf ihre konkrete Reichweite im Einzelfall auswirken, denn durch die Anknüpfung des § 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG an die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht in Form der Verschwiegenheitspflicht bestimmen § 3 Abs. 2 GeschGehG und insbesondere die „Whistleblowing-Schutznorm“ des § 5 Nr. 2 GeschGehG zumindest inzident, wann eine Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im konkreten Einzelfall nicht gegen die Verschwiegenheitspflicht verstößt.61 Dieser Gleichlauf des arbeitsrechtlichen mit dem zivil- und strafrechtlichen Geheimnisschutz trägt auch der Einheit der Rechtsordnung und dem Verhältnis zwischen Delikts- und Vertragsrecht insoweit Rechnung, als der arbeitsrechtliche Schutz jedenfalls nicht hinter dem delikts- und strafrechtlichen Schutz von Geschäftsgeheimnissen zurückbleiben sollte.62 Die Heranziehung der §§ 3 Abs. 2 und 5 Nr. 2 GeschGehG zur Bestimmung der Reichweite der arbeitsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht setzt aber voraus, dass 58 Vgl. BT-Drucks. 19/8300, S. 13; HOK/Harte-Bavendamm, § 1 GeschGehG, Rn. 19; KBF/Alexander, § 1 GeschGehG, Rn. 42 f.; Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 352; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 117 f.; i. E. wohl auch Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583; a. A. wohl BeckOK-GeschGehG/Fuhlrott, § 1 GeschGehG, Rn. 31, 33 ff.; Reinfeld, GeschGehG, § 1, Rn. 80 f. 59 Vgl. insoweit BT-Drucks. 19/4724, S. 27; vgl. auch § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG, der an arbeitsvertragliche Pflichten für eine Strafbarkeit anknüpft. 60 Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 53; Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 356; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 118 f. 61 So oder (sehr) ähnlich ErfK/Niemann, § 626 BGB, Rn. 154c; BeckOK-ArbR/Rolfs, § 1 KSchG, Rn. 295, 317a; MüHdb-ArbR/Reichold, § 54, Rn. 37, 41; HOK/Kalbfus, Einleitung C. Geheimnisschutz im Arbeitsrecht, Rn. 13; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 53 f., 57; dies., RdA 2017, 365, 368 (schon zur GeschGehRL); Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 356; Gündog˘ du/Hurst, K&R 2019, 451, 454; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 585; Trebeck/ Schulte-Wissermann, NZA 2018, 1175, 1179 (schon zur GeschGehRL); Groß/Platzer, NZA 2017, 1097, 1104 (schon zur GeschGehRL); Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 655; in diese Richtung auch Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 33; Ferner, WPg 2020, 1322, 1324 f.; Holthausen, NZA 2019, 1377, 1381; Vogel/Poth, CB 2019, 45, 47; wohl auch HOK/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 459; a. A. Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 1; Gerdemann, SR 2021, 89, 90; ders., NZA-Beilage 2020, 43, 45, Fn. 32; Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 337; wohl auch BeckOK-GeschGehG/Fuhlrott, § 1 GeschGehG, Rn. 35; Hiéramente, § 5 GeschGehG, Rn. 8 f.; LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 561; Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967, 969; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1777; Reinfeld, GeschGehG, § 1, Rn. 80, § 3, Rn. 53, 55 ff. 62 Vgl. auch Kreis, WB, S. 54; Reinfeld, Verschwiegenheitspflicht, S. 8; ähnlich schon in Teil 4, B.II.3.a); der (arbeits-)vertragliche Schutz kann aber weitergehen, vgl. insoweit etwa BT-Drucks. 14/6040, S. 125 zu § 241 Abs. 2 BGB; vgl. hierzu auch BAG, Urteil v. 08. 05. 2014 – 2 AZR 249/13, NJW 2015, 109, 110, Rn. 20; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 196.
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der Whistleblower durch die Meldung der Missstände auch Geschäftsgeheimnisse im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG offenlegt, weil nur dann der (sachliche) Anwendungsbereich des GeschGehG überhaupt eröffnet ist.63 Auch das GeschGehG betrifft somit, ebenso wie die zuvor erörterten spezialgesetzlichen WhistleblowingSchutznormen, letztlich nur bestimmte Whistleblowing-Konstellationen und hat einen inhaltlich begrenzten, objektbezogenen Anwendungsbereich. Dieser ist allerdings nicht auf bestimmte Rechtssektoren oder -bereiche beschränkt, so dass ihm potenziell eine erhebliche Zahl an Whistleblowing-Fällen unterfällt, für die eine sektor- und bereichsübergreifende, verallgemeinerungsfähige Regelung zur Zulässigkeit des Whistleblowings denkbar erscheint.64 Daher ist zunächst der Geschäftsgeheimnisbegriff als Voraussetzung für die Eröffnung des Schutzbereichs näher zu untersuchen. bb) Geschäftsgeheimnis Nach der Legaldefinition des § 2 Nr. 1 GeschGehG sind folgende Betriebsinterna als Geschäftsgeheimnis anzusehen: „§ 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieses Gesetzes ist 1. Geschäftsgeheimnis eine Information a) die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist und b) die Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist und c) bei der ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht“. [Hervorhebung durch Verf.]
Diese Begriffsdefinition gleicht zwar weitestgehend derjenigen, die zum Betriebs- und Geschäftsgeheimnis der Vorgängernorm (§ 17 Abs. 1 UWG a. F.) in der Rechtsprechung entwickelt worden ist, was auch der Gesetzgeber ausdrücklich hervorhebt,65 und orientiert sich zudem ganz wesentlich an der Begriffsdefinition des 63 Für viele HOK/Kalbfus, Einleitung C. Geheimnisschutz im Arbeitsrecht, Rn. 30; Hauck, AfP 2021, 193, 195; ders., GRUR-Prax 2019, 223; Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 32 f.; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 53, 57; Vogel/Poth, CB 2019, 45, 47; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 585; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 93, 141; Reinfeld, GeschGehG, § 1, Rn. 99, § 3, Rn. 6. 64 Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 45 (zur GeschGehRL); Krause, SR 2019, 138, 145; Vogel/Poth, CB 2019, 45, 47. 65 BT-Drucks. 19/4724, S. 24; nach st. Rspr. des BGH war unter einem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis „jede im Zusammenhang mit einem Betrieb stehende Tatsache, die nicht
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hiermit umgesetzten Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL. Über die Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale wird dennoch bereits seit Beginn des Gesetzgebungsverfahrens lebhaft diskutiert – vor allem der Schutz illegaler Geschäftsgeheimnisse ist streitig. Aufgrund seiner unionsrechtlichen Einbettung ist § 2 Nr. 1 GeschGehG jedenfalls richtlinienkonform auszulegen.66 (1) Fehlende Bekanntheit Weitestgehend unstreitig ist die Anforderung an eine fehlende Bekanntheit der jeweiligen betriebsinternen Information. Es kommt maßgeblich darauf an, dass zumindest bestimmte Bestandteile oder Komponenten einer Information dem je nach Art und Inhalt der Information zu bestimmenden (fach-)spezifischen Personenkreis nicht bekannt und auch nicht ohne einen größeren Zeit- und Kostenaufwand zugänglich sind.67 (2) Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen Anders als nach der bisherigen Rechtslage zu § 17 Abs. 1 UWG a. F. reicht ein einfacher Geheimhaltungswille des Geheimnisinhabers nicht mehr aus, vielmehr bedarf es nunmehr nach § 2 Nr. 1 lit. b) GeschGehG objektiv überprüfbarer „angemessene[r] Geheimhaltungsmaßnahmen“.68 Leider bleiben sowohl der unionale als auch der deutsche Gesetzgeber hier eine praxistaugliche Konkretisierung schuldig.69 Die Anforderungen an den Geheimnisinhaber dürfen indes nicht überspannt werden, um den Geheimnisschutz nicht einzuengen, so dass aktive, objektiv erkennbare und je nach Art, Wichtigkeit und Wert des Geschäftsgeheimnisses effektive und branchenübliche Maßnahmen, etwa physische Zugangsbarrieren oder offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis bekannt ist und nach dem bekundeten, auf wirtschaftlichen Interessen beruhenden Willen des Betriebsinhabers geheim gehalten werden soll“ zu verstehen, BGH, Urteil v. 22. 03. 2018 – I ZR 118/16, GRUR 2018, 1161, 1163, Rn. 28; BGH, Urteil v. 07. 11. 2002 – I ZR 64/00, GRUR 2003, 356, 358; BGH, Urteil v. 15. 03. 1955 – I ZR 111/53, GRUR 1955, 424, 425; eine Trennung zwischen Betriebsund Geschäftsgeheimnissen ist nach § 2 Nr. 1 GeschGehG obsolet geworden, denn dieser umfasst technisches und kaufmännisches Wissen gleichermaßen, vgl. für viele BeckOK-Ge schGehG/Hiéramente, § 2 GeschGehG, Rn. 1; Ohly, GRUR 2019, 441, 442; Hauck, GRURPrax 2019, 223; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 187. 66 Vgl. zur unionsrechtlichen Pflicht der richtlinienkonformen Auslegung bereits in Teil 3, B.II.3.b)aa). 67 OLG Düsseldorf, Urteil v. 11. 03. 2021 – 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483, Rn. 31 f.; BeckOK-GeschGehG/Hiéramente, § 2 GeschGehG, Rn. 7 ff.; Letzel, ZJS 2021, 1, 3; Ohly, GRUR 2019, 441, 443; Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1010 (zur GeschGehRL); Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 199 f., 204. 68 Für viele Rehaag/Straszewski, MittdtPatA 2019, 249, 250 f.; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1775; Oetker, ZESAR 2017, 257, 259 (zur GeschGehRL); Reinfeld, GeschGehG, § 1, Rn. 150. 69 Der Unionsgesetzgeber schweigt hierzu gänzlich, der deutsche Gesetzgeber bemüht sich zumindest um eine Präzisierung, BT-Drucks. 19/4724, S. 24 f.
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vertragliche Verschwiegenheitsklauseln, regelmäßig ausreichend sein dürften.70 Dabei ist zu berücksichtigen, dass es zumindest im Arbeitsverhältnis wegen der sich aus § 241 Abs. 2 BGB ohnehin ergebenden Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers über betriebliche Informationen71 zur Begründung einer Geheimhaltungspflicht an sich keiner zusätzlichen vertraglichen Verschwiegenheitsklauseln bedarf.72 Diese sind daher insoweit rein deklaratorisch, können aber in der Praxis dazu dienen, den zivil- und strafrechtlichen Geheimnisschutz abzusichern, wobei hierfür eine präzise Bestimmung der als Geschäftsgeheimnis zu schützenden Informationen geboten erscheint und jedenfalls „catch-all-Klauseln“ nicht ausreichen.73 (3) Schutz illegaler Betriebsinterna Größter Streitpunktpunkt zum neuen Geschäftsgeheimnisbegriff ist (wie schon bei § 17 Abs. 1 UWG a. F.) die Frage, ob auch illegale Geschäftsgeheimnisse geschützt sind. Konkret geht es dabei um die Reichweite des „wirtschaftliche[n] Wert[s]“ und des in den letzten Zügen des Gesetzgebungsverfahrens eingefügten Tatbestandsmerkmals des „berechtigte[n] Interesse[s] an der Geheimhaltung“ in § 2 Nr. 1 lit. a) bzw. c) GeschGehG.74 Gerade diese Streitfrage ist auch von elementarer Bedeutung für Fälle des Whistleblowings, denn regelmäßig meldet ein Arbeitnehmer illegale Betriebsinterna. 70 Vgl. hierzu BVerwG, Urteil v. 17. 06. 2020 – 10 C 22.19, PharmR 2020, 699, 701; LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 18. 08. 2021 – 4 SaGA 1/21, BeckRS 2021, 26156, Rn. 31, 36; OLG Stuttgart, Urteil v. 19. 11. 2020 – 2 U 575/19, GRUR-RS 2020, 35613, Rn. 169; OLG Hamm, Urteil v. 15. 09. 2020 – 4 U 177/19, MMR 2021, 506, 508, Rn. 161 ff.; LAG Düsseldorf, Urteil v. 03. 06. 2020 – 12 SaGA 4/20, GRUR-RS 2020, 23408, Rn. 80 f.; LAG Köln, Urteil v. 02. 12. 2019 – 2 SaGA 20/19, BeckRS 2019, 44850, Rn. 23; HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 459; Hoeren/Münker, MMR 2021, 523, 524 f.; Hamann/Rosenthal, NJ 2019, 321, 324 f.; Holthausen, NZA 2019, 1377, 1378 f.; Richter, ArbRAktuell 2019, 375, 376 f.; Rehaag/Straszewski, MittdtPatA 2019, 249, 252 f.; Ohly, GRUR 2019, 441, 444; Reinfeld, GeschGehG, § 1, Rn. 153 ff. 71 Vgl. hierzu schon in Teil 4, B.I.1. 72 Röller/Küttner/Kania, Verschwiegenheitspflicht, Rn. 4; ErfK/Niemann, § 626 BGB, Rn. 154c; Preis, § 611a BGB, Rn. 712; Jonas, DB 2020, 1738, 1739; Ohly, GRUR 2019, 441, 444; Holthausen, NZA 2019, 1377, 1379; Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 352; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 256. 73 Röller/Küttner/Kania, Verschwiegenheitspflicht, Rn. 4; Jonas, DB 2020, 1738, 1739 f.; Ohly, GRUR 2019, 441, 444; Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967, 971; Holthausen, NZA 2019, 1, 197 f.; vgl. auch LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 18. 08. 2021 – 4 SaGA 1/21, BeckRS 2021, 26156, Rn. 36; LAG Düsseldorf, Urteil v. 03. 06. 2020 – 12 SaGA 4/20, GRURRS 2020, 23408, Rn. 80 f.; a. A. ErfK/Niemann, § 626 BGB, Rn. 154c; Preis, § 611a BGB, Rn. 712; Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 352 f., die bereits die (gesetzliche) arbeitsvertragliche Verschwiegenheitspflicht zur Begründung eines Geschäftsgeheimnisses für ausreichend halten. 74 Dieses Tatbestandsmerkmal wurde erst aufgrund der Beschlussempfehlungen und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz aufgenommen, vgl. BT-Drucks. 19/8300, S. 14.
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(a) Wirtschaftlicher Wert Ein „wirtschaftliche[r] Wert“ soll einer Information nach dem gesetzgeberischen Willen dann innewohnen, wenn ihre Offenlegung etwa die strategische Position oder Wettbewerbsfähigkeit des Geheimnisinhabers negativ beeinflusst.75 Auf einen „positiven Marktwert“ der Information kommt es damit nicht an, so dass dieses Tatbestandsmerkmal illegale Informationen nicht aus dem Schutzbereich des § 2 Nr. 1 GeschGehG ausschließt.76 (b) Berechtigtes Geheimhaltungsinteresse Für die Auslegung des „berechtigte[n] Interesse[s] an der Geheimhaltung“ ist es zunächst irrelevant, wie dieses etwa im Rahmen der bereits behandelten arbeitsvertraglichen Verschwiegenheitspflicht (bislang) ausgelegt wird, weil der gleiche Rechtsbegriff je nach Anwendungsbereich und Rechtsgebiet unterschiedlich ausgelegt und angewendet werden kann, ohne dass dies zwangsläufig zu Wertungswidersprüchen führt.77 Insoweit stellt § 2 GeschGehG auch ausdrücklich klar, dass die Begriffsdefinition allein „im Sinne dieses Gesetzes“ gilt.78 Eine genaue Erklärung, welche Funktion dem Tatbestandsmerkmal des berechtigten Geheimhaltungsinteresses beizumessen ist, bleibt der Gesetzgeber schuldig, denn er verweist lediglich darauf, dass hiermit der (nicht näher benannten) Rechtsprechung des BVerfG79 sowie dem ErwGr. 14 GeschGehRL Rechnung getragen werden soll, wonach ein „legitimes Interesse“ an der Geheimhaltung der betreffenden Information vorliegen müsse.80 Zum Schutz illegaler Geschäftsgeheimnisse äußert er sich nicht. Zumindest aus seinem Hinweis auf eine „entsprechende“ Be75
BT-Drucks. 19/4724, S. 24. Vgl. auch KBF/Alexander, § 2 GeschGehG, Rn. 79; Hauck, AfP 2021, 193, 197; ders., GRUR-Prax 2019, 223, 224; Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 33; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1775; Ohly, GRUR 2019, 441, 443; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 151; Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 67 (schon zum Entwurf des GeschGehG); Reinfeld, GeschGehG, § 1, Rn. 147; a. A. Hoeren/Münker, MMR 2021, 523, 526; wohl auch Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 209; kritisch und i. E. offenlassend Brockhaus, ZIS 2020, 102, 109. 77 Vgl. auch Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 196 (noch zu § 17 UWG a. F.); Preis/ Reinfeld, AuR 1989, 361, 363 (noch zu § 17 UWG a. F.); Redder, WB, S. 127; Kreis, WB, S. 64 f. 78 Ausdrücklich auch BT-Drucks. 19/4724, S. 24; vgl. hierzu Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 53; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 194; ähnlich schon zur GeschGehRL Oetker, ZESAR 2017, 257, 259; gleichermaßen zum gesellschaftsrechtlichen Geheimnisbegriff Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896, 1898; a. A. wohl ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 711; Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 353; Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 337. 79 Damit dürfte wohl die st. Rspr. des BVerfG zur Definition von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gemeint sein, etwa BVerfG, Beschluss v. 27. 04. 2021 – 2 BvR 206/14 (Zulassung eines britischen Konkurrenz-Tiergenerikums), NVwZ 2021, 1211, 1214, Rn. 50; vgl. hierzu bereits in Teil 3, A.II.2.a) (Fn. 45); so auch Hauck, AfP 2021, 193, 198; Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 335 (beachte Fn. 34); eher fernliegend daher Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 356. 80 BT-Drucks. 19/8300, S. 14. 76
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griffslegung des Geschäftsgeheimnisses zu der zu § 17 Abs. 1 UWG a. F. richterrechtlich entwickelten Begriffsdefinition81 lässt sich jedoch herleiten, dass er das hier tradierte Begriffsmerkmal des berechtigten Geheimhaltungsinteresses und die dazu entwickelten Grundsätze wohl fortsetzen wollte.82 Hierfür hätte es allerdings nicht seiner Aufnahme als gesondertes Tatbestandsmerkmal des Geschäftsgeheimnisbegriffs bedurft, denn ein entsprechender Schutzumfang ließe sich auch aus dem Tatbestandsmerkmal des „wirtschaftliche[n] Wert[s]“ der jeweiligen Information herleiten.83 Die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 17 Abs. 1 UWG a. F. verlangte für ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse nämlich nur, dass „die Aufdeckung der Tatsache geeignet wäre, dem Geheimnisträger wirtschaftlichen Schaden zuzufügen“.84 Aus diesem Grund bejahte die wohl herrschende Auffassung auch den Schutz illegaler Betriebsinterna durch diese Vorschrift, weil auch ihre Aufdeckung zu einem wirtschaftlichen Schaden führen und sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit des Geheimnisinhabers auswirken könne.85 Ausgeschlossen wurde allein der willkürliche Schutz belangloser Informationen.86 (c) Unionale Schutzvorgaben § 2 Nr. 1 GeschGehG bleibt damit jedenfalls bezüglich der Bedeutung des berechtigten Geheimhaltungsinteresses und mithin des Schutzumfangs auch für illegale Geschäftsgeheimnisse noch recht unklar. Es stellt sich die Frage, ob diese Unklarheit mittels richtlinienkonformer Auslegung anhand der Begriffsbestimmung in Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL beseitigt werden kann, die der deutsche Gesetzgeber (mit Ausnahme der Ergänzung um das „berechtigte[] Interesse an der Geheimhaltung“) fast wortgleich umgesetzt hat. Für den Unionsgesetzgeber war die „homogene Definition des Begriffs ,Geschäftsgeheimnis‘“ neben der Festlegung einheitlicher zivilrechtlicher Rechtsbehelfe sowie der Definition, „welches Verhalten und welche Praktiken als rechtswidriger Erwerb oder rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses zu betrachten sind“, elementar zur Erreichung des Richtlinienziels der 81
BT-Drucks. 19/4724, S. 24. So auch Reuling, WB im Krankenhaus, S. 127. 83 So auch Reuling, WB im Krankenhaus, S. 121, 130; ähnlich Letzel, ZJS 2021, 1, 5; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 150, 152 f.; Rehaag/Straszewski, MittdtPatA 2019, 249, 251; Reinfeld, GeschGehG, § 1, Rn. 162. 84 St. Rspr. BGH, Urteil v. 04. 09. 2013 – 5 StR 152/13, NStZ 2014, 325, 326, Rn. 21; BGH, Urteil v. 27. 04. 2006 – I ZR 126/03, NJW 2006, 3424, 3426; BGH, Urteil v. 10. 05. 1995 – 1 StR 764/94, NStZ 1995, 551, 552. 85 Für viele jeweils m. w. N. MüKoLauterkeitsrecht/Brammsen, § 17 UWG, Rn. 24; NKUWG/Stier/Hasselblatt, § 17 UWG, Rn. 22; Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 66; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 152; ders., KriPoZ 2018, 115, 117; Buchert, CCZ 2013, 144, 148; Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 917; a. A. Brockhaus, ZIS 2020, 102, 104, 108; Hauck, WRP 2018, 1032, 1034; Engländer/Zimmermann, NZWiSt 2012, 328, 333; Kreis, WB, S. 63. 86 Vgl. m. w. N. Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 150, 152; Reuling, WB im Krankenhaus, S. 130. 82
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GeschGehRL, ein unionsweit angeglichenes Schutzniveau für Geschäftsgeheimnisse vor rechtswidrigem Erwerb, rechtswidriger Nutzung und rechtswidriger Offenlegung zum Abbau von Rechtsunsicherheiten und dadurch bedingten grenzüberschreitenden Handelshemmnissen sowie zur Sicherstellung gleicher Markt- und Wettbewerbsbedingungen zu etablieren.87 Die grundsätzlich „nur“ mindestharmonisierenden Richtlinienvorgaben räumen den Mitgliedstaaten zwar einen Spielraum zur (nicht zwangsläufig allein zivilrechtlichen) Schutzintensivierung für Geschäftsgeheimnisse ein, soweit sie hierdurch die insoweit vollharmonisierenden Richtlinienvorgaben zum Schutz der Interessen anderer Personen nicht unterschreiten.88 Eine Abweichung von der unionsautonomen Begriffsdefinition des Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL ist davon unbeschadet aber unzulässig, sofern sie zu einer dem Anwendungsbereich der GeschGehRL widersprechenden Einengung des Schutzbereichs des nationalen Umsetzungsaktes führt.89 Werden illegale Informationen vom Schutzbereich des Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL umfasst, sind sie daher im Wege der richtlinienkonformen Auslegung auch in den Schutzbereich des § 2 Nr. 1 GeschGehG einzubeziehen. Hierdurch ließe sich eine ansonsten richtlinienwidrige Umsetzung verhindern, die dem erkennbaren Willen des deutschen Gesetzgebers widerspräche.90 (aa) Wortlaut und Historie Dazu bedarf es zunächst der richtigen Erfassung des unionalen Geschäftsgeheimnisbegriffs und seines Schutzumfangs. Anders als § 2 Nr. 1 lit. c) GeschGehG setzt Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL kein „berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung“ voraus, sondern neben der fehlenden Bekanntheit der Informationen (Art. 2 Nr. 1 lit. a) GeschGehRL) und angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen (Art. 2 Nr. 1 lit. c) GeschGehRL) allein ihren „kommerzielle[n] Wert, weil sie geheim sind“ („commercial value because it is secret“/„valeur commerciale parce qu’elles sont secrètes“) (Art. 2 Nr. 1 lit. b) GeschGehRL). Nach diesem Wortlaut der Vorschrift leitet sich ein kommerzieller Wert von Informationen daraus her, dass sie geheim sind, was sie nach Art. 2 Nr. 1 lit. a) GeschGehRL („in dem Sinne geheim“/„secret in the sense“/„sont secrètes en ce sens“) dann sind, wenn sie nicht allgemein bekannt sind. Mithin erscheint ein positiver Marktwert im Sinne eines Verkaufswerts uner87 Art. 1 Abs. 1 und ErwGr. 1 bis 10, 14 und 15 GeschGehRL; Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 911 f.; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 73 f. 88 Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 und ErwGr. 10 GeschGehRL; KBF/Alexander, Vorbemerkungen GeschGehG, Rn. 20 f.; Letzel, ZJS 2021, 1, 2; Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 119; Oetker, ZESAR 2017, 257, 259; Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1010; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 78. 89 Für viele m. w. N. HOK/Harte-Bavendamm, § 2 GeschGehG, Rn. 2; Letzel, ZJS 2021, 1, 5; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 52; Gündog˘ du/Hurst, K&R 2019, 451, 452; Rehaag/ Straszewski, MittdtPatA 2019, 249, 251; Ohly, GRUR 2019, 441, 444; Oetker, ZESAR 2017, 257, 259 (schon zur GeschGehRL); Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 80; Reuling, WB im Krankenhaus, S. 140. 90 Vgl. insoweit BT-Drucks. 19/8300, S. 13 f.; BT-Drucks. 19/4724, S. 24.
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heblich, wie er illegalen Informationen regelmäßig fehlen dürfte. Es erscheint vielmehr ausreichend, dass durch die Aufdeckung der Informationen ein wirtschaftlicher Schaden entstehen kann, weil sie nicht länger geheim sind. Dieses Ergebnis korreliert auch mit den Ausführungen im einschlägigen ErwGr. 14 GeschGehRL: „Es ist wichtig, eine homogene Definition des Begriffs ,Geschäftsgeheimnis‘ festzulegen, ohne den vor widerrechtlicher Aneignung zu schützenden Bereich einzuengen. Eine solche Definition sollte daher so beschaffen sein, dass sie Know-how, Geschäftsinformationen und technologische Informationen abdeckt, bei denen sowohl ein legitimes Interesse an ihrer Geheimhaltung besteht als auch die legitime Erwartung, dass diese Vertraulichkeit gewahrt wird. Darüber hinaus sollten solches Know-how oder solche Informationen einen – realen oder potenziellen – Handelswert verkörpern. Solches Know-how oder solche Informationen sollten so verstanden werden, dass sie einen Handelswert verkörpern, zum Beispiel wenn […] ihre unbefugte […] Offenlegung die Interessen der Person, die rechtmäßig die Kontrolle über sie ausübt, aller Voraussicht nach dadurch schädigt, dass […] die geschäftlichen oder finanziellen Interessen, die strategische Position oder die Wettbewerbsfähigkeit dieser Person untergraben werden. Die Definition eines Geschäftsgeheimnisses schließt belanglose Informationen […] aus […].“
Zwar legt die Voraussetzung eines „realen oder potenziellen“ Handelswerts auf den ersten Blick nahe, dass illegale Informationen nicht vom Schutzbereich des Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL umfasst sein sollen. Im Einklang mit dem ausdrücklichen Willen des Unionsgesetzgebers, auf abstrakt definitorischer Ebene einen weiten Schutzbereich zu schaffen, sollen Informationen einen solchen Handelswert aber zum Beispiel bereits dann verkörpern, wenn ihre Offenlegung die Interessen des Geheimnisinhabers potenziell schädigt. Hierfür dürfte bereits ein Reputations- oder Vertrauensverlust, der sich wirtschaftlich spürbar negativ auf die Marktposition des Geschäftsinhabers auswirkt, ausreichend sein.91 Insoweit ergibt sich der kommerzielle Wert einer Information im Sinne des Art. 2 Nr. 1 lit. b) GeschGehRL in der Tat gerade daraus, dass sie geheim ist, weil ihr dann regelmäßig das Risiko eines wirtschaftlichen Schadens im Fall der Aufdeckung innewohnt.92 Auf eine positive 91 So auch BeckOK-GeschGehG/Hiéramente, § 2 GeschGehG, Rn. 15, 78.2; KBF/Alexander, § 2 GeschGehG, Rn. 45; ders., AfP 2019, 1, 4; MüKoLauterkeitsrecht/Namyslowska, Art. 2 Geheimnisschutz-RL, Rn. 12; HOK/Harte-Bavendamm, § 2 GeschGehG, Rn. 36 f.; FGO/Schubert, Art. 2 RL (EU) 2016/943, Rn. 22; Letzel, ZJS 2021, 1, 3 f.; Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 33; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 151; Ohly, GRUR 2019, 441, 444; Reuling, WB im Krankenhaus, S. 120 f., 130; a. A. Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 335; Schmitt, RdA 2017, 365, 369; Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1011. 92 BeckOK-GeschGehG/Hiéramente, § 2 GeschGehG, Rn. 78.2; ähnlich HOK/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 459 (zum GeschGehG); MüKoLauterkeitsrecht/Namyslowska, Art. 2 Geheimnisschutz-RL, Rn. 12; Letzel, ZJS 2021, 1, 4; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 151; Alexander, AfP 2019, 1, 4 (zum Entwurf GeschGehG); Hauck, WRP 2018, 1032, 1033; Reuling, WB im Krankenhaus, S. 122; in diese Richtung auch zu § 2 Nr. 1 lit. a) GeschGehG LG Konstanz, Urteil v. 08. 10. 2020 – D 6 O 207/20, GRUR-RS 2020, 31474, Rn. 17; Altenbach/Hild, CB 2020, 248; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 207; i. E auch, aber zurückhaltender HOK/Harte-Bavendamm, § 2 GeschGehG, Rn. 37.
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(wirtschaftliche) Verwertbarkeit der Information kommt es danach nicht an, so dass allein belanglose oder leicht zugängliche Informationen nicht geschützt sind. Die Legalität der Informationen ist also keine Voraussetzung für einen kommerziellen Wert im Sinne dieser Vorschrift.93 Die für den Geschäftsgeheimnisbegriff in ErwGr. 14 GeschGehRL aufgeführten drei Voraussetzungen des „legitime[n] Interesse[s] an [der] Geheimhaltung“ der Informationen („legitimate interest in keeping them confidential“/„intérêt légitime à les garder confidentiels“), der „legitime[n] Erwartung, dass diese Vertraulichkeit gewahrt wird“ („legitimate expectation that such confidentiality will be preserved“/ „attente légitime de protection de cette confidentialité“) sowie („darüber hinaus“/ „furthermore“/„par ailleurs“) der Verkörperung eines „realen oder potenziellen […] Handelswert[s]“ („commercial value, whether actual or potential“/„valeur commerciale, effective ou potentielle“) hat der Unionsgesetzgeber in Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL jeweils in ein Tatbestandsmerkmal einfließen lassen: das legitime Geheimhaltungsinteresse in Art. 2 Nr. 1 lit. a) GeschGehRL, den realen oder potenziellen Handelswert in § 2 Nr. 1 lit. b) GeschGehRL und die legitime Vertraulichkeitserwartung in Art. 2 Nr. 1 lit. c) GeschGehRL. Mithin besteht ein objektiv messbares legitimes Geheimhaltungsinteresse dort, wo Informationen tatsächlich nicht allgemein bekannt oder zugänglich, also „geheim“ sind, es bedarf hingegen keines „legalen“ Interesses. Eine legitime Vertraulichkeitserwartung des Geheimnisinhabers ist dort anzuerkennen, wo er „angemessene[] Geheimhaltungsmaßnahmen“ zum Schutz der Informationen ergriffen hat. Auch dieses Tatbestandsmerkmal setzt keine Legalität der Informationen voraus. Wortlaut und ErwGr. der GeschGehRL legen damit einen Schutz auch illegaler Betriebsinterna als Geschäftsgeheimnisse nahe. Danach begründet sich das legitime Geheimhaltungsinteresse allein aus dem (faktischen) „Geheimsein“ der Informationen und dem daraus resultierenden Schutzbedürfnis der wirtschaftlichen Interessen der kontrollberechtigten Person, das auch bei einer Illegalität der Information besteht. Ebenso ergibt sich ein kommerzieller Wert unabhängig von der Legalität regelmäßig gerade aus dem „Geheimsein“ der Informationen und dient vor allem dazu, belanglose Informationen, deren Aufdeckung schon potenziell keinen (wirtschaftlichen) Schaden anrichten würde, aus dem Schutzbereich der GeschGehRL auszuschließen. (bb) Systematik Die systematische Auslegung lässt hingegen keinen sicheren Rückschluss auf den Schutzumfang im Hinblick auf illegale Informationen zu. Aus dem Umstand, dass 93 HOK/Harte-Bavendamm, § 2 GeschGehG, Rn. 39; Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 33; Ohly, GRUR 2019, 441, 443; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 151; a. A. Schmitt, NZABeilage 2020, 50, 53; dies., RdA 2017, 365, 369; Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 335; Steinmann, WRP 2019, 703, 709; dies., Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 218; Hauck, WRP 2018, 1032, 1034; Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1011; wohl auch Spindler, ZWeR 2020, 313, 317.
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der Unionsgesetzgeber die Frage, welche Betriebsinterna per se schützenswert sind (Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL), von der Frage trennt, wie weit dieser Schutz im Einzelfall reicht (Art. 3 bis 5 GeschGehRL), wird zwar gelegentlich der Beleg für einen Schutz auch illegaler Betriebsinterna als tauglicher Schutzobjekte hergeleitet.94 Diese Argumentation übersieht allerdings, dass für Art. 5 GeschGehRL auch bei einem pauschalen Ausschluss illegaler Betriebsinterna aus dem Schutzbereich ein Anwendungsbereich verbliebe, etwa in Fällen, in denen zur Aufdeckung (angeblich) illegaler Tätigkeiten (auch) legale Geschäftsgeheimnisse offengelegt werden.95 (cc) Telos Unter Berücksichtigung des Richtlinienziels, wertvolles Know-How als existenzielle wettbewerbserhaltende Basis für Unternehmen zu schützen und hierdurch Investitionsanreize zu schaffen, lässt sich zwar für eine Beschränkung des Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL allein auf legale Informationen anführen, dass der Unionsgesetzgeber einen allgemeinen (zivilrechtlichen) Geheimnisschutz schaffen und hierdurch rechtswidrige Verhaltensweisen im europäischen Binnenmarkt zugunsten eines fairen und gleichen Wettbewerbs bekämpfen wollte.96 Es könnte insoweit paradox erscheinen, einem Unternehmen einen wie auch immer gearteten Schutz für illegales Verhalten – etwa für die Implementierung einer „Schummelsoftware“ in Dieselfahrzeuge – zu gewähren, anstatt rechtswidrige Verhaltensweisen generell vom Schutz auszuschließen.97 Das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden und der Vertrauensgrundsatz sprechen eher dafür, nur demjenigen Schutz zu gewähren, der sich an die unionsrechtliche und mitgliedstaatliche Rechtsordnung hält.98 Ansonsten könnte der unionsweite Schutz illegaler Betriebsinterna letztlich sogar deren grenzüberschreitende Nutzung durch den Inhaber selbst begünstigen. Dies dürfte der 94
Etwa Bundesregierung der 19. Legislaturperiode, BT-Drucks. 19/8300, S. 12; HOK/ Harte-Bavendamm, § 2 GeschGehG, Rn. 39, 67; Letzel, ZJS 2021, 1, 5, 7; Schröder, ZRP 2020, 212, 214; Ohly, GRUR 2019, 441, 444 f.; Krause, SR 2019, 138, 147; Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 119; Oetker, ZESAR 2017, 257, 261; Schnabel, CR 2016, 342, 348; Reuling, WB im Krankenhaus, S. 136 f.; Reinfeld, GeschGehG, § 1, Rn. 115, 165; so zum GeschGehG BeckOK-GeschGehG/Hiéramente, § 2 GeschGehG, Rn. 73 f.; Spindler, ZWeR 2020, 313, 317; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 153; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1776; Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 917 f.; zum Entwurf GeschGehG Alexander, AfP 2019, 1, 5; Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 67. 95 FGO/Schubert, Art. 2 RL (EU) 2016/943, Rn. 25; Hauck, AfP 2021, 193, 199; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 53; dies., RdA 2017, 356, 369; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 110; Steinmann, WRP 2019, 703, 709; dies., Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 678, 680; kritisch Reuling, WB im Krankenhaus, S. 137. 96 Vgl. auch Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 217. 97 Vgl. hierzu auch Reuling, WB im Krankenhaus, S. 135 f. 98 Ähnlich KBF/Alexander, § 2 GeschGehG, Rn. 79 (zum GeschGehG); ders., AfP 2019, 1, 5 (zum Entwurf GeschGehG); Letzel, ZJS 2021, 1, 7; Hauck, AfP 2021, 193, 198; ders., GRUR-Prax 2019, 223, 224; ders., WRP 2018, 1032, 1035; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 53; Steinmann, WRP 2019, 703, 709; dies., Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 217; Krause, SR 2019, 138, 147.
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Unionsgesetzgeber sicher nicht unter einer Anreizschaffung grenzüberschreitender Tätigkeit im Binnenmarkt verstanden haben. Andererseits ging es ihm hinsichtlich geheimer betriebsinterner Informationen in erster Linie um den Schutz vor ihrer widerrechtlichen Verwendung, um gerade dadurch bedingte Schäden für Unternehmen zu verhindern.99 Der pauschale Ausschluss illegaler Informationen aus dem Schutzbereich des Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL könnte solchen widerrechtlichen Verhaltensweisen aber gerade Vorschub leisten, weil der Erwerb, die Nutzung oder Offenlegung „gestohlener“ Geschäftsinterna toleriert würde und der Rechtsverletzer keine Konsequenzen zu befürchten hätte, nur weil es sich um weniger schutzwürdige illegale Informationen handelte.100 Der erwerbswirtschaftlichen Nutzung oder Offenlegung illegaler Betriebsinterna würde damit Tür und Tor geöffnet. Zuletzt würde hierdurch vermutlich eine dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen widersprechende Rechtsunsicherheit über den Schutz betriebsinterner Informationen entstehen, weil die Trennung in legale und illegale Informationen in der Praxis häufig schwerfallen dürfte, da sie sich vermischen können. Hierdurch bestünde wiederum die Gefahr, einen dem Richtlinienziel widersprechenden Investitionsstau zu begünstigen. (dd) Rechtsvergleichung Ein Blick in die Umsetzungsakte anderer Mitgliedstaaten, etwa Österreichs und Spaniens, hilft bei der Bestimmung des Schutzumfangs des Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL im Ergebnis nicht weiter, da die Problematik des Schutzes illegaler Informationen auch dort weder im Gesetzestext noch in der Gesetzesbegründung (etwa durch einen Verweis auf ein erforderliches berechtigtes Geheimhaltungsinteresse) des jeweiligen Umsetzungsakts thematisiert wird.101 99
Vgl. etwa ErwGr. 4 und 9 GeschGehRL. Vgl. auch Reuling, WB im Krankenhaus, S. 137 f.; ähnlich auch zu § 17 UWG a. F. Reinbacher, KriPoZ 2018, 115, 117. 101 Vgl. für Österreich: § 26b Abs. 1 UWG (Österreich) und 375 der Beilagen XXVI.GP – Regierungsvorlage – Erläuterungen, S. 3 (online abrufbar: https://www.parlament.gv.at/PAKT/ VHG/XXVI/I/I_00375/fname_722341.pdf, Abruf: 27. 11. 2021), hierzu auch OGH, Urteil v. 26. 01. 2021 – 4 Ob 188/20 f, BeckRS 2021, 4598, Rn. 30 ff.; für Spanien: spanisches Umsetzungsgesetz v. 21. 02. 2019, Boletín Oficial Del Estado, Núm. 45, Sec. I. Pág. 16713 (online abrufbar: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/ES/TXT/PDF/?uri=CELEX:72016L0943 ESP_269698&from=EN, Abruf: 27. 11. 2021), Ziff. II und Art. 1 Nr. 1 („El objeto de la presente ley es la protección de los secretos empresariales. A efectos de esta ley, se considera secreto empresarial cualquier información o conocimiento, incluido el tecnológico, científico, industrial, comercial, organizativo o financiero, que reúna las siguientes condiciones: a) Ser secreto, en el sentido de que, en su conjunto o en la configuración y reunión precisas de sus componentes, no es generalmente conocido por las personas pertenecientes a los círculos en que normalmente se utilice el tipo de información o conocimiento en cuestión, ni fácilmente accesible para ellas; b) tener un valor empresarial, ya sea real o potencial, precisamente por ser secreto, y c) haber sido objeto de medidas razonables por parte de su titular para mantenerlo en secreto.“ (frei übersetzt: „Ziel dieses Gesetzes ist der Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Als Geschäftsgeheimnis im Sinne dieses Gesetzes gilt jede Information oder jedes Wissen, ein100
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(ee) Primärrechtskonformität Ein wichtiges Indiz für die Einbeziehung illegaler Informationen in den Schutzbereich des Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL kann sich aus deren grundrechtlichem Schutz durch die Art. 16 und 17 GRC ergeben,102 der soweit ersichtlich nicht per se auf legale Betriebsinterna beschränkt ist und mithin grundsätzlich auch für illegale betriebliche Informationen gewährleistet sein dürfte. Dies spricht zwar auf den ersten Blick gegen den pauschalen Schutzausschluss illegaler Betriebsinterna als Geschäftsgeheimnisse auf sekundärrechtlicher Ebene; letztlich kann der grundrechtliche Schutz tatsächlich aber nicht mehr als ein Indiz sein, weil es gerade originäre Aufgabe des Unionsgesetzgebers ist, durch primärrechtskonforme Abwägung widerstreitender Interessen über die Reichweite ihres sekundärrechtlichen Schutzes zu entscheiden und diesen gegebenenfalls zugunsten anderer überwiegender Interessen auch pauschal einzuschränken. Zusammenfassend lassen sich damit zwar aus dem Richtlinienziel und dem allgemeinen Rechtsempfinden Argumente für den Ausschluss illegaler Informationen aus dem Schutzbereich des Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL herleiten. Der Normwortlaut und insbesondere die erläuternden ErwGr. sprechen aber gegen einen solchen pauschalen Ausschluss, so dass nach hier vertretener Auffassung auch illegale Informationen geschützt sind.103 Mangels ausdrücklicher Äußerung des Unionsgesetzgebers wird dies letztlich aber der EuGH entscheiden müssen, weshalb die deutsche Judikative gut beraten bzw. verpflichtet ist, ihm diese Frage bei Entscheidungserheblichkeit vorzulegen.104
schließlich technologischer, wissenschaftlicher, industrieller, kommerzieller oder finanzieller Informationen oder Kenntnisse, die die folgenden Bedingungen erfüllen: a) sie sind in dem Sinne geheim, dass sie in ihrer Gesamtheit oder in ihrer genauen Zusammensetzung den Personen in den Kreisen, in denen die betreffende Art von Informationen oder Kenntnissen üblich ist, nicht allgemein bekannt oder zugänglich sind; b) einen tatsächlichen oder potenziellen Geschäftswert haben, gerade weil sie geheim sind, und c) der Inhaber angemessene Maßnahmen ergriffen hat, um die Geheimhaltung zu gewährleisten.“)); vgl. m. w. N. auch zu Frankreich und Italien Rehaag/Straszewski, MittdtPatA 2019, 249, 251, Fn. 17. 102 Vgl. hierzu in Teil 3, B.I.3.a) und Teil 3, B.I.3.b). 103 So auch HOK/Harte-Bavendamm, § 2 GeschGehG, Rn. 39, 67; MüKoLauterkeitsrecht/ Namyslowska, Art. 2 Geheimnisschutz-RL, Rn. 12; Ohly, GRUR 2019, 441, 444; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 152 f.; ders., KriPoZ 2018, 115, 119; Oetker, ZESAR 2017, 257, 261; Schnabel, CR 2016, 342, 348; Reuling, WB im Krankenhaus, S. 137 f.; Reinfeld, GeschGehG, § 1, Rn. 115; wohl auch Letzel, ZJS 2021, 1, 7; Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 33; a. A. FGO/Schubert, Art. 2 RL (EU) 2016/943, Rn. 21 ff.; Hauck, AfP 2021, 193, 198; ders., GRUR-Prax 2019, 223, 224; ders., WRP 2018, 1034 f.; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 52 f.; dies., RdA 2017, 365, 369; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 111; Steinmann, WRP 2019, 703, 709; dies., Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 220; Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 334 f.; Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1011. 104 KBF/Alexander, § 2 GeschGehG, Rn. 76; HOK/Harte-Bavendamm, § 2 GeschGehG, Rn. 69; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 153; Hauck, GRUR-Prax 2019, 223, 224; vgl. insoweit auch Teil 3, B.II.3.b)aa).
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(d) Richtlinienkonforme Auslegung Der deutsche Gesetzgeber hat die detaillierten Vorgaben des Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL fast wortgleich übernommen – mit Ausnahme des von ihm eingefügten Tatbestandsmerkmals des „berechtigte[n] Interesse[s] an der Geheimhaltung“ in § 2 Nr. 1 lit. c) GeschGehG, was die deutsche Umsetzung des unionalen Geschäftsgeheimnisbegriffs aus zwei Gründen als eher verfehlt erscheinen lässt. Zum einen wird der Begriff des „berechtigten Interesses“ dadurch in zwei Normen des gleichen Gesetzes zur Bezeichnung entgegengesetzter Interessen verwendet, nämlich in § 2 Nr. 1 lit. c) GeschGehG und § 5 GeschGehG, was der Rechtsklarheit nicht gerade dienlich ist.105 Zum anderen hat der Gesetzgeber damit ein nicht in Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL vorgesehenes normatives Begriffsmerkmal unter Berufung auf die unverbindlichen ErwGr. aufgenommen, was richtlinienwidrig ist, wenn damit illegale Informationen aus dem Schutzbereich des § 2 Nr. 1 GeschGehG ausgeschlossen werden sollen, weil die unionale Begriffsbestimmung eines Geschäftsgeheimnisses nach der vorliegend vertretenen Auffassung nicht auf legale Informationen begrenzt ist und insoweit keine einengende nationale Begriffslegung zulässt.106 In diesem Fall wäre das berechtigte Geheimhaltungsinteresse des § 2 Nr. 1 lit. c) GeschGehG richtlinienkonform dahin auszulegen, dass es auch bei illegalen betrieblichen Informationen vorliegen kann.107 Eine solche Auslegung widerspräche auch weder dem Normwortlaut noch dem – hinsichtlich der Bedeutung dieses Tatbestandsmerkmals unklaren – Willen des Gesetzgebers.108 Soweit der deutsche Gesetzgeber mit dem berechtigten Geheimhaltungsinteresse allerdings das tradierte Begriffsmerkmal zu § 17 UWG a. F. fortsetzen und zugleich dem legitimen Geheimhaltungsinteresse wie es sich aus ErwGr. 14 GeschGehRL ergibt, Rechnung tragen und dieses in der normativen Begriffsbestimmung verankern wollte (wofür sich in der Gesetzesbegründung ebenfalls Anhaltspunkte finden), hätte er schlicht „doppelt“ gearbeitet. Ein entsprechender Schutzumfang ließe sich einerseits schon aus dem Merkmal des „wirtschaftliche[n] Wert[s]“ herleiten und andererseits hat schon der Unionsgesetzgeber selbst das „legitime[] Interesse an [der] Geheimhaltung“ in Art. 2 Nr. 1 lit. a) GeschGehRL (wenn auch nicht wörtlich) normativ verankert, was durch § 2 Nr. 1 lit. a) GeschGehG auch in deutsches Recht umgesetzt worden ist.109 Unab-
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Ähnlich Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1776; Reinfeld, GeschGehG, § 3, Rn. 25; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 271. 106 So auch Reuling, WB im Krankenhaus, S. 141; vgl. hierzu auch Teil 4, B.II.3.c) bb)(3)(c), Fn. 89. 107 So i. E. auch Ohly, GRUR 2019, 441, 444 f., der insoweit zutreffend auf die mangelnde praktische Bedeutung des Tatbestandsmerkmals hinweist; vgl. auch Letzel, ZJS 2021, 1, 6; Rehaag/Straszewski, MittdtPatA 2019, 249, 251 f.; Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 916. 108 Vgl. hierzu in Teil 4, B.II.3.c)bb)(3)(b). 109 Vgl. ähnlich auch HOK/Harte-Bavendamm, § 2 GeschGehG, Rn. 69; Letzel, ZJS 2021, 1, 5; Ohly, GRUR 2019, 441, 445; Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 916; Reuling, WB im
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hängig von diesen Fragen zur Funktion und Bedeutung des Tatbestandsmerkmals des § 2 Nr. 1 lit. c) GeschGehG bleibt festzuhalten, dass der Schutzbereich des § 2 Nr. 1 GeschGehG im Ergebnis auch illegale Informationen umfasst.110 cc) Zulässige Offenlegung Nach Klärung dieses grundsätzlich weiten bereichsübergreifenden Schutzbereichs des § 2 Nr. 1 GeschGehG ist zu erörtern, ob die §§ 3 Abs. 2 und 5 Nr. 2 GeschGehG eine verbindliche und verallgemeinerungsfähige Regelung darüber enthalten, unter welchen Umständen die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen trotz arbeitsvertraglicher Verschwiegenheitspflicht im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG zulässig ist und daher keine kündigungsrelevante Pflichtverletzung darstellt. (1) Vorrangige Sonderregelungen § 3 Abs. 2 GeschGehG dient der Vermeidung von Wertungswidersprüchen in der Rechtsordnung.111 Sofern die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen „durch Gesetz, aufgrund eines Gesetzes oder durch Rechtsgeschäft gestattet ist“, liegt auch keine verbotene Handlung im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG vor. Die Norm stellt nicht selbst eine Erlaubnisvorschrift dar, sondern verweist allein auf andere, vorrangige gesetzliche Regelungen,112 wie etwa die bereits angesprochenen spezialgesetzlichen Whistleblowing-Schutznormen § 4d Abs. 1, 6 FinDAG oder § 3b Abs. 1, 5 BörsG. Als reine Bezugsnorm enthält § 3 Abs. 2 GeschGehG damit keine weitergehende Aussage zur Zulässigkeit des Whistleblowings außerhalb solcher spezialgesetzlichen Regelungen.
Krankenhaus, S. 141; vgl. insoweit in Teil 4, B.II.3.c)bb)(3)(b) und Teil 4, B.II.3.c) bb)(3)(c)(aa). 110 BeckOK-GeschGehG/Hiéramente, § 2 GeschGehG, Rn. 73; Letzel, ZJS 2021, 1, 5 ff., 9; Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 33; Schröder, ZRP 2020, 212, 214; Rennicke, PStR 2020, 202; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 967; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 154; Reinfeld, GeschGehG, § 1, Rn. 165; Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 917; i. E. Ohly, GRUR 2019, 441, 444 f.; Rehaag/Straszewski, MittdtPatA 2019, 249, 251; a. A. KBF/Alexander, § 2 GeschGehG, Rn. 79; Hoeren/Münker, MMR 2021, 523, 526; Hauck, AfP 2021, 193, 197; Teichmann, GA 2021, 527, 529; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 52 f.; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 109; Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 335; Brost/Wolsing, ZUM 2019, 898, 899; Böning, AiB 2019, 26, 28; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 221; etwas unklar Spindler, ZWeR 2020, 313, 317 f. 111 KBF/Alexander, § 3 GeschGehG, Rn. 58; HOK/Harte-Bavendamm, § 3 GeschGehG, Rn. 47; Ohly, GRUR 2019, 441, 448. 112 BT-Drucks. 19/4724, S. 26; KBF/Alexander, § 3 GeschGehG, Rn. 60 f., 67; FGO/ Schubert, Art. 4 RL (EU) 2016/943, Rn. 28 (zur GeschGehRL); Reinfeld, GeschGehG, § 2, Rn. 40.
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
(2) Whistleblowing-Schutznorm § 5 GeschGehG enthält Tatbestandsausnahmen113 von den Handlungsverboten des § 4 GeschGehG und in Nr. 2 eine spezielle „Whistleblowing-Schutznorm“: „§ 5 Ausnahmen Die […] Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses fällt nicht unter die Verbote des § 4, wenn dies zum Schutz eines berechtigten Interesses erfolgt, insbesondere 1. […] 2. zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens, wenn die […] Offenlegung geeignet ist, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen“. [Hervorhebung durch Verf.]
(a) Wortlaut und Systematik Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist eine Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen stets zulässig, wenn sie zur Aufdeckung eines betriebsinternen Missstandes erfolgt, der nicht nur in einer rechtswidrigen Handlung, sondern auch in einem „sonstigen Fehlverhalten[]“, das heißt auch in einem unethischen Fehlverhalten liegen kann,114 und objektiv „geeignet“ ist, das öffentliche Interesse zu schützen. Allgemeine Voraussetzungen, wie etwa ein vorheriger interner Klärungsversuch oder die Meldung an bestimmte Adressaten, werden nicht normiert. Die Formulierung „zur Aufdeckung“ [Hervorhebung durch Verf.] impliziert allerdings, dass der Ausnahmetatbestand nur zugunsten eines Arbeitnehmers greift, der mit seiner Meldung öffentliche Interessen schützen wollte.115 Unzulässig dürfte danach eine Offenlegung sein, wenn tatsächlich keine Missstände bestehen, ihre Aufdeckung nicht im öffentlichen Interesse liegt oder der Whistleblower aus unredlichen Motiven
113 Art. 5 GeschGehRL sollte zunächst als allgemeiner Rechtsfertigungsgrund geregelt werden – nach zähem Ringen im Gesetzgebungsverfahren ist er in eine Tatbestandausnahme umgewandelt worden, vgl. hierzu BT-Drucks. 19/8300, S. 14; BT-Drucks. 19/4724, S. 28; Gramlich/Lütke, wistra 2019, 480, 481; a. A. Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 654; zur Richtlinienkonformität Hauck, GRUR-Prax 2019, 223, 225; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 153; für die Frage des Vorliegens einer kündigungsrelevanten Pflichtverletzung wegen Whistleblowings ist dies i. E. irrelevant, denn sie scheidet nicht nur bei nicht tatbestandlichem, sondern auch bei gerechtfertigtem Verhalten aus, vgl. etwa HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 222; MüKoBGB/Hergenröder, § 1 KSchG, Rn. 238. 114 BT-Drucks. 19/4724, S. 29; OLG Oldenburg, Beschluss v. 21. 05. 2019 – 1 Ss 72/19, juris, Rn. 7; kritisch Letzel, ZJS 2021, 1, 9; Hauck, AfP 2021, 193, 203; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 116; Altenbach/Hild, CB 2020, 248, 249; Rehaag/Straszewski, MittdtPatA 2019, 249, 256; Gramlich/Lütke, wistra 2019, 480, 482 f.; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1777; Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 68 (zum Entwurf GeschGehG); Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 922 ff.; a. A. Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 683 f. 115 Ähnlich Rennicke, PStR 2020, 202, 203; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 156; Reinfeld, GeschGehG, § 3, Rn. 41; wohl auch Hauck, AfP 2021, 193, 203; a. A. Teichmann, GA 2021, 527, 533; Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 336 f.
B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“)
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handelt, etwa zur Schädigung seines Arbeitgebers.116 Whistleblower scheinen daher das Risiko des tatsächlichen Vorliegens des gemeldeten Missstands sowie des öffentlichen Interesses an seiner Aufdeckung zu tragen, weil § 5 Nr. 2 GeschGehG jedenfalls ausdrücklich keinen Schutz für irrende Whistleblower vorsieht.117 Andererseits scheint § 5 Nr. 2 GeschGehG ihnen aber einen regelrechten „Freifahrtschein“ zu gewähren, weil sie tatsächlich bestehende Missstände direkt an Behörden oder sogar die Presse melden können, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.118 Nach Wortlaut und Systematik handelt es sich bei § 5 Nr. 2 GeschGehG aber um ein sog. Regelbeispiel, wie das Wort „insbesondere“ und der gestufte Normaufbau zeigen, das den unbestimmten Rechtsbegriff des „berechtigten Interesses“ im Einzelfall „mit Leben füllen“ soll. Daraus folgt, dass durch seine Auslegung einerseits ein berechtigtes Offenlegungsinteresse konkretisiert wird und dieses andererseits auch außerhalb der (wörtlich engen) Vorgaben des § 5 Nr. 2 GeschGehG vorliegen oder fehlen kann. Das Fehlen konkreter gesetzlicher Vorgaben zu allgemeinen Voraussetzungen einer zulässigen Offenlegung indiziert, dass der Gesetzgeber durch § 5 GeschGehG in erster Linie klarstellen wollte, dass die Handlungsverbote des § 4 GeschGehG nicht absolut gelten, sondern berechtigte (beispielhaft beschriebene) Interessen entgegenstehen können, ohne diese im Einzelnen verbindlich und abschließend zu regeln. Es erscheint insofern verfehlt, aus dem relativ knappen Wortlaut des § 5 Nr. 2 GeschGehG zu folgern, der Gesetzgeber versage irrenden Whistleblowern pauschal jedweden Schutz oder ermögliche Arbeitnehmern bei tatsächlichem Vorliegen von Missständen eine Meldung an irgendeinen Adressaten und ohne vorherigen innerbetrieblichen Abhilfeversuch.119 (b) Historie und Telos Diese Einschätzung wird auch durch die Gesetzgebungsmaterialien bestätigt, nach denen es sich bei den Tatbestandsvarianten des § 5 GeschGehG ausdrücklich allein um „Fallgruppen“ des vorangestellten „berechtigten Interesses“ handele, das letztlich „jedes von der Rechtsordnung gebilligte Interesse“ sein könne, so etwa wirtschaftliche oder ideelle Eigen- oder Gruppeninteressen.120 Überdies stellt der Gesetzgeber klar, dass gerade die Voraussetzung der Geeignetheit in § 5 Nr. 2 GeschGehG den Schutz irrender Whistleblower sicherstellen soll, weil der Ausnahmetatbestand auch bei „gutgläubig angenommenen Verletzungen oder Gefähr116
Vgl. zum Teil ähnlich Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1777; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 156. 117 So Böning, AiB 2019, 26, 28; vgl. auch Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 54. 118 So Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 336 ff.; ähnlich Brockhaus, ZIS 2020, 102, 117; Ohly, GRUR 2019, 441, 448 f.; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 586; Richter, ArbRAktuell 2019, 375, 377; Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 69 f. (zum Entwurf GeschGehG). 119 Ähnlich und i. E. auch Richter, ArbRAktuell 2019, 375, 377; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 586; Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 927. 120 BT-Drucks. 19/4724, S. 28; kritisch hierzu Rehaag/Straszewski, MittdtPatA 2019, 249, 256; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 116; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 586.
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
dungen öffentlicher Interessen“ greife und eine rechtswidrige Offenlegung ausschließe.121 Er hält mithin eine subjektiv angenommene Geeignetheit von (nicht vorliegenden) Missständen zur Gefährdung öffentlicher Interessen potenziell für ausreichend, um das Offenlegungsinteresse überwiegen zu lassen,122 äußert sich allerdings mit keinem Wort zur Reichweite und Grenze dieses Gutglaubensschutzes, etwa im Fall fahrlässig unzutreffender Meldungen. Er spezifiziert dies nur dahingehend, dass der gutgläubige Whistleblower vom Vorliegen einer rechtswidrigen Handlung oder eines Fehlverhaltens „ausgehen musste“, ohne dass er dies etwa anhand gängiger Verschuldensstufen, wie grober und einfacher Fahrlässigkeit, näher präzisiert.123 Im Einklang mit dem Wortlaut der Norm hält er zudem fest, dass die Offenlegung allein aus verwerflichen Motiven zwar nicht als berechtigte Interessenwahrnehmung geschützt werde, eine „Mischmotivation“ aber ausreiche, wodurch eine „Gesinnungsprüfung“ des Whistleblowers vermieden werde.124 Es kam dem Gesetzgeber erkennbar darauf an, einem in der Praxis zulasten von Whistleblowern fälschlicherweise pauschal als absolut verstandenen Geheimnisschutz vorzubeugen und sicherzustellen, dass sowohl deren Interessen als auch schutzwürdige Interessen der Allgemeinheit erkannt werden, ohne deshalb die Zulässigkeit einer Offenlegung in allen Details und umfassend regeln zu wollen.125 Er beschränkte sich deshalb darauf, eine generalklauselartige Schutznorm und einen groben Rahmen für den Schutz dieser Interessen aufzustellen. § 5 Nr. 2 GeschGehG löst daher den Interessenkonflikt zwischen dem berechtigten Geheimhaltungsinteresse im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG und dem berechtigten Offenlegungsinteresse auf abstrakt-genereller Ebene nicht abschließend.126 Insoweit bleibt auch die Suche nach weiteren Vorgaben zur Zulässigkeit des Whistleblowings in den Gesetzgebungsmaterialien recht unergiebig – es findet sich nur noch ein Hinweis darauf, dass die aufgedeckten Missstände von „unmittelbarer Relevanz“ und daher von „einigem Ausmaß und Gewicht“ sein müssen, ohne diese Faktoren aber an-
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BT-Drucks. 19/8300, S. 14. Rennicke, PStR 2020, 202, 203; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 688; a. A. Böning, AiB 2019, 26, 28. 123 BT-Drucks. 19/8300, S. 14; vgl. auch Rennicke, PStR 2020, 202, 203; Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 336; kritisch hierzu Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 54; Gramlich/Lütke, wistra 2019, 480, 484. 124 BT-Drucks. 19/8300, S. 14; vgl. hierzu Ohly, GRUR 2019, 441, 448; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 155; a. A. Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 336 f. 125 Vgl. insoweit BT-Drucks. 19/4724, S. 28; Degenhart/Dziuba, BB 2021, 570, 572; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 54; Gramlich/Lütke, wistra 2020, 354; Reufels, in: FS Moll, S. 565, 572; Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 927; in diese Richtung auch MAH-ArbR/Reinfeld, § 30, Rn. 55; ders., GeschGehG, § 3, Rn. 14, 28; Granetzny/Markworth, juris-PR-Compl 1/2020 Anm. 1, o. S.; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 585; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1777; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 691; a. A. wohl Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 333. 126 So auch Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 927. 122
B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“)
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wenderfreundlich zu definieren.127 Zur Sicherstellung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall könne zudem eine Abwägung der Interessen erfolgen.128 (c) Richtlinienkonforme Auslegung Auch zur Auslegung des § 5 Nr. 2 GeschGehG sind aufgrund seiner unionalen Überformung die hierdurch umgesetzten Richtlinienvorgaben heranzuziehen. Nach Art. 5 GeschGehRL ist eine Ausnahme von den zum Geschäftsgeheimnisschutz in Art. 6 ff. GeschGehRL vorgesehenen zivilrechtlichen Instrumentarien in den Fällen sicherzustellen, in denen die Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses „zur Aufdeckung eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens oder einer illegalen Tätigkeit, sofern der Antragsgegner [Whistleblower] in der Absicht gehandelt hat, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen“ (Art. 5 lit. b) WBRL) oder „zum Schutz eines durch das Unionsrecht oder das nationale Recht anerkannten legitimen Interesses“ (Art. 5 lit. d) GeschGehRL) erfolgt ist. Anders als § 5 GeschGehG sieht § 5 GeschGehRL ein berechtigtes/legitimes Interesse mithin nicht als Oberbegriff und generelle Grundvoraussetzung für diese Ausnahmen vor, sondern führt ein „anerkannte[s] legitime[s] Interesse[]“ („legitimate interest recognised“/„intérêt légitime reconnu“) in Art. 5 lit. d) GeschGehRL allein als eine von vier eigenständigen Tatbestandsvarianten auf. Der hiervon abweichende systematische Aufbau der deutschen Umsetzungsnorm dürfte aufgrund der Zielverbindlichkeit des Art. 288 Abs. 3 AEUV dennoch richtlinienkonform sein, denn Art. 5 lit. d) GeschGehRL stellt erkennbar einen Auffangtatbestand zu den Varianten der Art. 5 lit. a) – c) GeschGehRL dar und verhindert, dass ein legitimes Interesse bzw. dessen Ausübung pauschal zugunsten des Geheimnisschutzes zurückgedrängt wird. Der deutsche Gesetzgeber durfte Art. 5 lit. a) – c) GeschGehRL
127 BT-Drucks. 19/8300, S. 14; kritisch auch Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 586; Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 336; Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 925; Reuling, WB im Krankenhaus, S. 176. 128 BT-Drucks. 19/4724, S. 28; zustimmend KBF/Alexander, § 5 GeschGehG, Rn. 43 ff.; ders., AfP 2019, 1, 5 (zum Entwurf GeschGehG); BeckOK-GeschGehG/Hiéramente, § 5 GeschGehG, Rn. 45 f.; MAH-ArbR/Reinfeld, § 30, Rn. 55; Letzel, ZJS 2021, 1, 10; Hermesmeier, WPg 2020, 44, 48; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 53; Ohly, GRUR 2019, 441, 448 f.; Richter, ArbRAktuell 2019, 375, 377; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 586; Hamann/ Rosenthal, NJ 2019, 321, 325; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1777; Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 356; Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 926 f.; Reufels, in: FS Moll, S. 565, 572; Reuling, WB im Krankenhaus, S. 176; i. E. HOK/Ohly, § 5 GeschGehG, Rn. 48; Hoeren/ Münker, MMR 2021, 523, 526; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 691; wohl auch Altenbach/Hild, CB 2020, 248, 249; Holthausen, NZA 2019, 1377, 1381; a. A. OLG Oldenburg, Beschluss v. 21. 05. 2019 – 1 Ss 72/19, BeckRS 2019, 29965, Rn. 6 f.; Spindler, ZWeR 2020, 313, 318; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 117; Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 337 (differenzierend für das Arbeitsrecht); Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 158 (differenzierend für das Arbeitsrecht); Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 69 f. (zum Entwurf GeschGehG).
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
daher als anwendungserleichternde Konkretisierungen des Art. 5 lit. d) GeschGehRL verstehen und normieren.129 (aa) Geeignetheit vs. Absicht Zwar hat auch der Unionsgesetzgeber in Art. 5 lit. b) GeschGehRL weder allgemeine Voraussetzungen für eine zulässige Offenlegung normiert noch konkrete Vorgaben zum Schutz irrender Whistleblower gemacht. Nach dem Wortlaut der deutschen Sprachfassung muss der Offenlegende aber „in der Absicht“ gehandelt haben, das öffentliche Interesse zu schützen. Insoweit stellt sich die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber für die Einschlägigkeit dieses Ausnahmetatbestands über eine entsprechende Motivation des Whistleblowers hinaus noch eine objektiv messbare „Geeignetheit“ verlangen darf. Er selbst hat diese Diskrepanz in seiner Umsetzung erkannt und seine Entscheidung zur „Objektivierung“ des § 5 Nr. 2 GeschGehG mit einem Übersetzungsfehler der deutschen Sprachfassung der Richtlinie begründet. So sei der in der englischsprachigen Originalfassung vorgesehene Begriff „purpose“ nicht mit „Absicht“, sondern mit „Zweck“ zu übersetzen.130 Angesichts des Wortlauts des Art. 5 lit. b) GeschGehRL der englischen („for revealing misconduct, wrongdoing or illegal activity, provided that the respondent acted for the purpose of protecting the general public interest“ [Hervorhebung durch Verf.])131 sowie auch der französischen Sprachfassung („pour révéler une faute, un acte répréhensible ou une activité illégale, à condition que le défendeur ait agi dans le but de protéger l’intérêt public général“ [Hervorhebung durch Verf.])132 erscheint diese Begründung nicht gänzlich überzeugend, denn dieser Wortlaut legt vielmehr nahe, dass für die Einschlägigkeit des Art. 5 lit. b) GeschGehRL in der Tat allein der subjektive Wille des Whistleblowers ausreichen kann.133 Die objektive Schutzgeeignetheit der Aufdeckung scheint irrelevant zu sein. Eindeutig ist dies allerdings nicht und die ErwGr. deuten wiederum darauf hin, dass durchaus (auch) eine objektive Geeignetheit erforderlich ist. In ErwGr. 20 GeschGehRL ist nämlich ausgeführt: „Daher sollte sich der Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht auf Fälle erstrecken, in denen die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses insoweit dem öffentlichen Interesse 129 Ebenso ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 714; Degenhart/Dziuba, BB 2021, 570, 572; Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 354; Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 156; kritisch KBF/ Alexander, § 5 GeschGehG, Rn. 59; Gramlich/Lütke, wistra 2019, 480, 482; a. A. BeckOKGeschGehG/Hiéramente, § 5 GeschGehG, Rn. 10.1 f. 130 BT-Drucks. 19/8300, S. 14. 131 Frei übersetzt: „zur Aufdeckung von Fehlverhalten, Verfehlungen oder illegalen Tätigkeiten, vorausgesetzt der Antragsgegner/Beklagte hat mit dem Ziel/Zweck gehandelt, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen“. 132 Frei übersetzt: „zur Aufdeckung von Fehlverhalten, Missständen oder rechtswidrigen Handlungen, sofern der Beklagte mit dem Ziel/Zweck gehandelt hat, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen“. 133 So auch Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 920; ähnlich Ohly, GRUR 2019, 441, 448; a. A. KBF/Alexander, § 5 GeschGehG, Rn. 32.
B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“)
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dient, als ein regelwidriges Verhalten, ein Fehlverhalten oder eine illegale Tätigkeit von unmittelbarer Relevanz aufgedeckt wird.“134 [Hervorhebung durch Verf.]
Für eine zulässige Offenlegung ist hiernach allein maßgeblich, dass sie insoweit dem öffentlichen Interesse dient als durch sie unmittelbar relevante Missstände aufgedeckt werden. Auf die Motivation wird hier nicht abgestellt. Soweit dieser ErwGr. also den Begriff „Absicht“/„purpose“/„but“ in Art. 5 lit. b) GeschGehRL präzisiert, scheint diesem auch ein objektives Element innezuwohnen, was allerdings durch die deutsche Sprachfassung des Art. 5 lit. b) GeschGehRL nicht hinreichend deutlich wird.135 Auch Sinn und Zweck des unionsweit verbesserten Geheimnisschutzes legen nahe, dass es nicht (allein) auf den subjektiven Willen des –Whistleblowers ankommen kann. Die deutsche Umsetzungsnorm des § 5 Nr. 2 GeschGehG, die neben einer subjektiven auch eine objektive Komponente aufweist, ist daher richtlinienkonform und sogar rechtsklarer als Art. 5 lit. b) GeschGehRL der deutschen Sprachfassung selbst.136 (bb) Sonstige Schutzvoraussetzungen Darüber hinaus scheint Art. 5 lit. b) GeschGehRL mangels konkreter Schutzvorgaben für eine zulässige Offenlegung und den Schutz irrender Whistleblower keine sonstigen Schutzvoraussetzungen aufzustellen, sondern vielmehr etwa auch eine direkte Aufdeckung von Missständen an jeglichen externen Adressaten zu schützen.137 Ähnlich wie bei der deutschen Umsetzungsnorm ergibt sich aber aus den einschlägigen Gesetzgebungsmaterialien, hier ErwGr. 20 GeschGehRL, ein abweichendes gesetzgeberisches Normverständnis. Der Unionsgesetzgeber hat erkannt, dass der von ihm beabsichtigte hohe Geheimnisschutz mit den diesem Schutz diametral gegenüberstehenden Interessen von Whistleblowern und denen der Allgemeinheit an der Aufdeckung von Missständen konfligieren kann und stellt des134
Dies stimmt auch mit den Vorgaben/dem Wortlaut der englischen und französischen Sprachfassung überein: „Therefore, the protection of trade secrets should not extend to cases in which disclosure of a trade secret serves the public interest, insofar as directly relevant misconduct, wrongdoing or illegal activity is revealed.“ [Hervorhebung durch Verf.]; „La protection des secrets d’affaires ne devrait dès lors pas s’étendre aux cas où la divulgation d’un secret d’affaires sert l’intérêt public dans la mesure où elle permet de révéler une faute, un acte répréhensible ou une activité illégale directement pertinents.“ [Hervorhebung durch Verf.]. 135 Vgl. auch Brockhaus, ZIS 2020, 102, 115; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 45, Fn. 38; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 686; kritischer Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 155; a. A. Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 920. 136 So auch KBF/Alexander, § 5 GeschGehG, Rn. 32; Letzel, ZJS 2021, 1, 9; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 115; Ohly, GRUR 2019, 441, 448; Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 336; offenlassend Reinbacher, KriPoZ 2019, 148, 155; a. A. Bundesregierung der 19. Legislaturperiode, BT-Drucks. 19/8300, S. 12 f.; Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 920; wohl auch Reuling, WB im Krankenhaus, S. 174. 137 Vgl. auch FGO/Schubert, Art. 5 RL (EU) 2016/943, Rn. 15; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 45 f.; Krause, SR 2019, 138, 149; Schmitt, RdA 2017, 365, 371; Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1015.
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
wegen ausdrücklich klar, dass der europaweit angeglichene Geheimnisschutz nicht dazu dienen soll, „Whistleblowing-Aktivitäten einzuschränken“ („should not restrict whistleblowing activity“/„ne devraient pas entraver les activités des lanceurs d’alertes“).138 Um dies für die Praxis sicherzustellen, führt er den „klassischen“ Fall des Whistleblowings (die im öffentlichen Interesse liegende Offenlegung von Missständen durch einen (redlich handelnden) Whistleblower) beispielhaft an und normiert diesen auch als normative Tatbestandsvariante des Art. 5 GeschGehRL.139 Er belässt es folglich nicht dabei, Whistleblower allein durch den Auffangtatbestand des Art. 5 lit. d) GeschGehRL zu schützen, sondern hält erkennbar die ausdrückliche Aufnahme einer Whistleblowing-Schutznorm für erforderlich. Dabei ging es ihm aber wohl nicht darum, alle Einzelheiten der Zulässigkeit des Whistleblowings festzulegen, was sich insbesondere daran zeigt, dass er in ErwGr. 20 GeschGehRL zwar hervorhebt, dass auch „in gutem Glauben“ („in good faith“/„de bonne foi“) handelnde Whistleblower vor den Rechtsfolgen einer verbotenen Offenlegung geschützt werden können, dies allerdings weder normativ in Art. 5 lit. b) GeschGehRL verankert noch eine Definition des „guten Glaubens“ liefert.140 Auch hier spricht das Fehlen allgemeiner Schutzvoraussetzungen dafür, dass mit Art. 5 lit. b) GeschGehRL nur die Herausnahme des typisierend beschriebenen „Whistleblowing-Bereichs“ aus dem Schutzregime für Geschäftsgeheimnisse, nicht aber eine detaillierte, umfassende und abschließende Regelung der Zulässigkeit des Whistleblowings bezweckt war, denn selbst bei tatsächlichem Vorliegen von Missständen liefe die uneingeschränkte Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen dem Schutzziel der Richtlinie evident zuwider.141 Diese Einschätzung korreliert auch damit, dass der Unionsgesetzgeber für keine der zum „legitimen Interesse“ des Art. 5 lit. d) GeschGehRL spezielleren Tatbestandsvarianten des Art. 5 lit. a) – c) GeschGehRL konkrete normative Vorgaben zum Ausgleich mit den Geheimhaltungsinteressen des Geheimnisinhabers macht, sondern nur grobe Richtlinien aufstellt und betont, dass die widerstreitenden Interessen im jeweiligen Einzelfall miteinander abzuwägen seien.142 Die Schaffung einer abschließenden Whistleblowing-Schutznorm war folglich hier kein Regelungsziel des Unionsgesetzgebers, so dass die Festlegung von 138 Vgl. etwa auch Hauck, AfP 2021, 193, 203; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 45; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 54; Oetker, ZESAR 2017, 257, 263; Reinfeld, GeschGehG, § 3, Rn. 28. 139 Ähnlich Krause, SR 2019, 138, 147. 140 Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass der Begriff des „guten Glaubens“ („good faith“/ „bonne foi“) im internationalen Recht üblicherweise als „Treu und Glauben“ bzw. „Treugläubigkeit“ verstanden wird und daher unter diesen Begriff regelmäßig sowohl die Frage der subjektiv-rechtlichen Annahme objektiver Umstände (wie im deutschen Recht) als auch des rein subjektiv-intrinsischen Motivs subsumiert wird; vgl. Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 45; hierzu auch später noch in Fn. 282. 141 Ähnlich Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 46; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 54; Krause, SR 2019, 138, 149; Trebeck/Schulte-Wissermann, NZA 2018, 1175, 1179; Oetker, ZESAR 2017, 157, 263; Reufels, in: FS Moll, S. 565, 568. 142 ErwGr. 21 GeschGehRL.
B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“)
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Voraussetzungen für ein pauschales Überwiegen der Offenlegungsinteressen oder des Geheimhaltungsinteresses weder seinem Willen noch dem Sinn und Zweck des Art. 5 lit. b) GeschGehRL entspricht.143 (d) Interessenabwägung im Einzelfall Diesen vagen Regelungsvorgaben des Unionsgesetzgebers entspricht die Umsetzung des Art. 5 lit. b) GeschGehRL durch den deutschen Gesetzgeber, der diese auch nicht zum Anlass genommen hat, klare gesetzgeberische Vorgaben zur Zulässigkeit des Whistleblowings zu machen und vielmehr die Reichweite des konkreten Schutzes – zulasten der Rechtssicherheit für alle Betroffenen – letztlich offengelassen hat. Dies wird in der Literatur kritisiert, die § 5 Nr. 2 GeschGehG deshalb auch nicht als Glanzleistung des deutschen Gesetzgebers ansieht.144 Trotz der Whistleblowing-Schutznorm des § 5 Nr. 2 GeschGehG bedarf es damit im Ergebnis auch in ihrem Anwendungsbereich zur Konkretisierung der arbeitsvertraglichen Verschwiegenheitspflicht einer umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall.145 Als bloßes Regelbeispiel für ein dem Geheimnisschutz widerstreitendes berechtigtes Interesse stellt § 5 Nr. 2 GeschGehG schlussendlich daher nicht viel mehr als ihren gesetzlichen Anknüpfungspunkt dar, wobei insoweit insbesondere auf das „berechtigte[] Interesse[]“ des § 5 GeschGehG zurückzugreifen ist.146 Es wäre deshalb vermessen, § 5 Nr. 2 GeschGehG als „echte“ WhistleblowingSchutznorm zu bezeichnen, löst er doch selbst den Interessenkonflikt nicht auf. Die größte Veränderung für den deutschen Rechtsanwender dürfte im Ergebnis allein darin liegen, dass der grundrechtliche Kontrollmaßstab aufgrund der unionsrechtlichen Überformung des § 5 Nr. 2 GeschGehG nicht die deutschen, sondern die unionalen Grundrechte in konventionsfreundlicher Auslegung sind,147 die mit Art. 11 143
So auch Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 45 f.; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 54; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 72; i. E. Steinmann, WRP 2019, 703, 709; Krause, SR 2019, 138, 149; Oetker, ZESAR 2017, 257, 263; Reinfeld, GeschGehG, § 3, Rn. 28; a. A. Kalbfus, GRUR 2016, 1009, 1015; wohl auch MüKoLauterkeitsrecht/Namyslowska, Art. 5 Geheimnisschutz-RL, Rn. 8; Brockhaus, ZIS 2020, 102, 117; Vogel/Poth, CB 2019, 45, 47; Trebeck/ Schulte-Wissermann, NZA 2018, 1175, 1179; Reinbacher, KriPoZ 2018, 117, 120. 144 Vgl. etwa MüKoBGB/Henssler, § 626 BGB, Rn. 188; Erlebach/Veljovic, KriPoZ 2021, 165, 166; Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 88; Schröder, ZRP 2020, 212, 215 („missglücktes Provisorium“); Brockhaus, ZIS 2020, 102, 115 f.; Gramlich/Lütke, wistra 2020, 354; dies., wistra 2019, 480, 485; Rehaag/Straszewski, MittdtPatA 2019, 249, 255 f.; Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774, 1777; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583, 586; Richter, ArbRAktuell 2019, 375, 377; Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 336, 338; Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 69 f. (schon zum Entwurf GeschGehG); Rönnau, in: FS Merkel, S. 909, 927 f.; a. A. wohl KBF/Alexander, § 5 GeschGehG, Rn. 33. 145 Vgl. bereits die Quellenangaben in Fn. 128. 146 Vgl. auch Degenhart/Dziuba, BB 2021, 570, 572; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 53; offenlassend Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 356, die insoweit auch das „berechtigte[] Interesse“ in § 2 Nr. 1 lit. c) GeschGehG oder § 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG i. V. m. §§ 241 Abs. 2 und 242 BGB als zulässigen Anknüpfungspunkt ansehen. 147 Vgl. insoweit Teil 3, B.I.4. und Teil 3, B.II.3.c)aa).
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
Abs. 1 GRC sowie Art. 16 und 17 GRC die Ausübung der einfachgesetzlich durch § 5 Nr. 2 GeschGehG einerseits sowie die §§ 2 Nr. 1 und 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG andererseits geschützten Interessen der Arbeitsvertragsparteien gewährleisten.148 d) Bewertung des gesetzgeberischen Status quo Im deutschen Recht existieren zwar zahlreiche bereichs- und sektorspezifische Schutznormen für Whistleblower, ihnen lassen sich aber keine übergreifenden, sondern allein punktuelle Aussagen zur Zulässigkeit des Whistleblowings entnehmen. Dieser nationale Schutznorm-Flickenteppich ist das Spiegelbild des bislang fragmentarischen und lückenhaften Regelungsansatzes im unionalen Whistleblowingrecht,149 da die benannten spezialgesetzlichen Schutznormen mehrheitlich auf unionsrechtlichen Vorgaben beruhen.150 Soweit also im nationalen Recht überhaupt gesetzliche Regelungen zur Auflösung des Interessenkonflikts existieren, sind sie nicht auf eine nationale Gesetzesinitiative zurückzuführen, sondern unionsrechtlich induziert. Der deutsche Gesetzgeber hat bislang auch keine der unionalen Regelungsinitiativen zum Anlass genommen, eine kohärente und umfassende Kodifizierung zum Umgang mit dem Phänomen Whistleblowing vorzunehmen, sondern hat die unionsrechtlichen Vorgaben lediglich nach dem offensichtlichen Umsetzungsmotto „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“ in nationales Recht transformiert.151 Folge dessen ist ein fragmentarischer gesetzgeberischer Status quo im deutschen Recht, der keine einheitliche Linie zur Zulässigkeit des Whistleblowings erkennen lässt. Auch der in seinem Anwendungsbereich zwar auf die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen, nicht aber auf bestimmte Rechtsgebiete beschränkte § 5 Nr. 2 GeschGehG enthält letztlich nur eine typisierende Ausnahmeregelung und keine konkreten gesetzgeberischen Vorgaben zur Reichweite der arbeitsvertraglichen Verschwiegenheitspflicht in Whistleblowing-Fällen, obwohl er im Gesetzge148 Vgl. auch Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 356; Schmitt, RdA 2017, 365, 368; Steinmann, Verletzung Geschäftsgeheimnisse, Rn. 669, 691. 149 Vgl. hierzu bereits in Teil 2, C.II.2.b). 150 Etwa § 17 ArbSchG zur Umsetzung des Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie (EWG) 89/391 des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (sog. Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz), vgl. hierzu LPS/Greiner, § 17 ArbSchG, Rn. 3; § 4d FinDAG zur Umsetzung unter anderem der Vorgaben aus Art. 32 VO (EU) Nr. 596/2014 und Art. 71 Richtlinie (EU) 2013/36 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/ 48/EG und 2006/49/EG, vgl. hierzu Laars, FinDAG, § 4d FinDAG, Rn. 1; § 3b BörsG zur Umsetzung von Art. 24 Abs. 1, 2 der VO (EU) 2015/2365, vgl. hierzu KMRK/Kumpan, § 3b BörsG, Rn. 1; § 48 GwG zur Umsetzung von Art. 37 der RL (EU) 2015/849, vgl. hierzu Herzog-GwG/Barreto da Rosa, § 48 GwG, Rn. 1. 151 Ähnlich Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 44; Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1006; allgemein auf diese Tendenz „der ,minimalistischen‘ oder auch der ,Eins-zu-eins-Umsetzung‘“ hinweisend Payrhuber/Stelkens, NVwZ 2018, 195, 196.
B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“)
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bungsverfahren ausdrücklich als Schutznorm für Whistleblower deklariert152 und nach seinem Inkrafttreten sogar als „Freifahrtschein“ für Whistleblower kritisiert worden ist.153 Aus ihm lassen sich damit erst recht keine Rückschlüsse für außerhalb seines Anwendungsbereichs liegende Whistleblowing-Konstellationen ziehen.
III. Rechtsprechung zum Whistleblowing Mangels einer einheitlichen, fallübergreifenden gesetzlichen Regelung oblag es bislang den Arbeitsgerichten, die Zulässigkeit des Whistleblowings für jede kündigungsrechtliche Streitigkeit im Einzelfall selbst zu bestimmen, ohne sich hierbei an gesetzlichen Vorgaben orientieren zu können. Das hat vor allem für Meldungen von Missständen an staatliche Stellen zu einer umfangreichen Kasuistik geführt, aus der sich ein – inzwischen grundsätzlich etablierter – Prüfkriterien- bzw. Indizienkatalog entwickelt hat. 1. Chronologischer Überblick Derartige Kündigungsstreitigkeiten beschäftigen die Rechtsprechung nicht erst seit der jüngeren Vergangenheit, sondern bereits seit Beginn des letzten Jahrhunderts. Die Entwicklung der Whistleblowing-Rechtsprechung wird anhand der wichtigsten Entscheidungen skizziert, weil ihre Kenntnis zur näheren Auseinandersetzung mit dem Prüfkriterienkatalog notwendig ist. a) Rechtsprechung im 20. Jahrhundert Der Rechtsprechung des 20. Jahrhunderts zur Kündigung wegen Whistleblowings fehlt insgesamt ein „roter Faden“. Sie begann zunächst mit recht „Whistleblower-freundlichen“ obergerichtlichen Entscheidungen, die betonten, dass die Meldung tatsächlicher oder vermeintlicher interner Missstände an Behörden nicht per se eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung des Arbeitnehmers darstelle, sondern vielmehr dessen Recht sei, auch wenn ein solches Verhalten moralisch verurteilt werden könne.154 Das Reichsarbeitsgericht zeigte sich im Jahr 1930 deutlich kritischer und bürdete dem Arbeitnehmer – trotz vorheriger interner Ankündigung und trotz seines guten Glaubens – das Risiko der Beweisbarkeit erhobener Vorwürfe auf.155 In einer späteren Entscheidung betonte es dagegen, dass Vorwürfe
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BT-Drucks. 19/4724, S. 29. Schreiber, NZWiSt 2019, 332, 336 f. 154 Königliches LG Berlin, Urteil v. 03. 04. 1901, KGBl 1901, Nr. 12, 121, 122; Königliches GewG Köln, Urteil v. 05. 12. 1907, GewKfmGE 1907/1908, 13. Jahrgang, Nr. 7, 167. 155 RAG, Urteil v. 01. 11. 1930 – RAG 192/30, RAGE 10, 464, 466, 468 f. 153
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
gegen den Arbeitgeber nur nach erschöpfender Prüfung ihrer sachlich fehlenden Berechtigung eine (fristlose) Kündigung rechtfertigen könnten.156 Das BAG stellte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts klar, dass die externe Meldung von Missständen durch einen Arbeitnehmer aufgrund des damit verbundenen Vertrauensverlusts grundsätzlich eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung darstellen könne, wenngleich sie auch kein absoluter Kündigungsgrund sei.157 Tendenziell schien es aber eher geneigt, im Whistleblowing einen Kündigungsgrund zu sehen; so erachtete es etwa eine Kündigung für zulässig, obgleich die Vorwürfe des Whistleblowers gegen seinen Arbeitgeber berechtigt waren, eine Wiederholungsgefahr bestand und der Arbeitnehmer befürchten musste, sich selbst strafbar zu machen.158 Eine klare einheitliche Linie kann der damaligen Rechtsprechung des BAG nicht entnommen werden, weil es seine Entscheidungen stets einzelfallbezogen traf, ohne hierbei fallübergreifende abstrakte Abwägungskriterien zu entwickeln. Ersichtlich ist jedoch, dass es insbesondere der sachlichen Berechtigung der Meldung sowie dem Motiv des Arbeitnehmers entscheidungserhebliche Relevanz beimaß und verlangte, dass die Meldung eine „verhältnismäßige Reaktion“ auf das Verhalten des Arbeitgebers darstellte.159 Die Notwendigkeit eines vorherigen internen Abhilfeversuchs oder das Bestehen eines öffentlichen Interesses an der Aufdeckung der Missstände thematisierte es hingegen nicht.160 b) Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2001 Gleich zu Beginn des neuen Jahrhunderts steckte das BVerfG in einer Grundsatzentscheidung die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für eine Kündigung wegen Whistleblowings ab und gab der Verfassungsbeschwerde eines fristlos gekündigten Arbeitnehmers statt, der gegenüber der Staatsanwaltschaft in einem Ermittlungsverfahren gegen seinen Arbeitgeber ausgesagt und ihr belastende Unterlagen übergeben hatte.161 Es betonte den durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gewährten grundrechtlichen Schutz der gesellschaftlich gewünschten und für die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege 156
RAG, Urteil v. 28. 01. 1941 – RAG 110/40, RAGE 41, 412, 413, 419. BAG, Urteil v. 04. 07. 1991 – 2 AZR 80/91, juris, Rn. 20; BAG, Urteil v. 14. 12. 1972 – 2 AZR 115/72, juris, Rn. 8. 158 BAG, Urteil v. 05. 02. 1959 – 2 AZR 60/56, NJW 1961, 44, 45; ähnlich LAG BadenWürttemberg, Urteil v. 20. 10. 1976 – 6 Sa 51/76, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung, Nr. 8; wohl auch LAG Düsseldorf, Urteil v. 18. 01. 1961 – 2 Sa 393/60, BB 1961, 532; vgl. hierzu auch BeckOK-ArbR/Stoffels, § 626 BGB, Rn. 129; Forst, NJW 2011, 3477, 3478; Stein, BB 2004, 1961; Müller, NZA 2002, 424, 432 f.; Heide/Heide, WB, S. 42 f. 159 BAG, Urteil v. 04. 07. 1991 – 2 AZR 80/91, juris, Rn. 20; BAG, Urteil v. 14. 12. 1972 – 2 AZR 115/72, juris, Rn. 15 f.; vgl. auch LAG Hessen, Urteil v. 12. 02. 1987 – 12 Sa 1249/86, BeckRS 1987, 30458539; LAG Berlin, Urteil v. 25. 11. 1960 – 3 Sa 88/60, DB 1961, 576. 160 Anders etwa LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 03. 02. 1987 – 7 (13) Sa 95/86, NZA 1987, 756; ArbG Berlin, Urteil v. 29. 05. 1990 – 18 Ca 47/90, EzA § 1 KSchG, Nr. 31. 161 BVerfG, Beschluss vom 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888. 157
B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“)
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unabdingbaren Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte. Darunter fasste es neben der initialen Anzeigeerstattung auch die auf eigenem Antrieb beruhende oder verpflichtende Beteiligung als Zeuge im Strafverfahren. Es hob hervor, dass ihre Ausübung „im Regelfall“ nicht zu zivilrechtlichen Nachteilen führen dürfe, wozu es trotz des fehlenden Sanktionscharakters auch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zählte, es sei denn der Arbeitnehmer mache „wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben“.162 Ob ein Eingriff in diese geschützten Verhaltensweisen gerechtfertigt sein könnte, wenn vorher keine interne Abhilfe versucht worden war, thematisierte es nicht,163 obwohl das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers in der angegriffenen Entscheidung insbesondere mit dem Fehlen eines innerbetrieblichen Klärungsversuchs begründet hatte.164 Auch die Rechtfertigung zivilrechtlicher Nachteile mit der Motivation des Whistleblowers hielt es lediglich im Rahmen des vom LAG Hamm aufgestellten und „verfassungsrechtlich [noch] unbedenklich[en]“ Rechtssatzes für zulässig, wonach „Anzeigen oder Beschwerden des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber bei Behörden“, die „haltlose Vorwürfe aus verwerflichen Motiven“ enthalten, eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung begründen können.165 Dessen Entscheidung befand es aber unabhängig davon für verfassungsrechtlich nicht tragbar, weil das LAG Hamm die „verfassungsrechtliche Problematik“ des Falls schlicht ignoriert habe und aufgrund der Einstellung des gegen seinen Arbeitgeber geführten Verfahrens gem. § 170 Abs. 2 StPO „pauschal von ,haltlosen Erklärungen‘“ des Arbeitnehmers ausgegangen sei, ohne dass dies mit dem Ergebnis der ausführlichen arbeitsgerichtlichen Beweisaufnahme übereingestimmt habe.166 c) Urteile des BAG aus den Jahren 2003 und 2006 Im Jahr 2003 folgte die bis heute richtungsweisende höchstrichterliche arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung mit dieser Entscheidung des BVerfG. Das BAG nahm sie zum Anlass, sich erstmals intensiv mit der grundrechtlichen Einbettung des 162 BVerfG, Beschluss vom 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888, 889 f.; so auch zur Strafanzeige eines Mieters BVerfG, Beschluss v. 02. 10. 2001 – 1 BvR 1372/01, NZM 2002, 61. 163 Vgl. auch LAG Hessen, Urteil v. 27. 11. 2001 – 15 Sa 411/01, NZA-RR 2002, 637, 638; Krause, SR 2019, 138, 144; so auch nicht im Falle der Strafanzeige eines Mieters BVerfG, Beschluss v. 02. 10. 2001 – 1 BvR 1372/01, NZM 2002, 61. 164 LAG Hamm, Urteil v. 02. 02. 2000 – 3 Sa 1463/99, S. 15 (nicht veröffentlicht, aber Verf. vorliegend). 165 BVerfG, Beschluss vom 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888, 889; LAG Hamm, Urteil v. 02. 02. 2000 – 3 Sa 1463/99, S. 14 (nicht veröffentlicht, aber Verf. vorliegend); ähnlich BVerfG, Beschluss v. 02. 10. 2001 – 1 BvR 1372/01, NZM 2002, 61; BVerfG, Beschluss v. 25. 02. 1987 – 1 BvR 1086/85, NJW 1987, 1929, in denen das Motiv des Anzeigeerstatters als Abwägungskriterium überhaupt nicht thematisiert wurde; vor diesem Hintergrund hielt wohl auch das LAG Düsseldorf, Urteil v. 17. 01. 2002 – 11 Sa 1422/01, BeckRS 2004, 42537, Rn. 29 eine Prüfung der Motivation mangels haltloser Vorwürfe für entbehrlich. 166 BVerfG, Beschluss vom 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888, 889 f.
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Interessenkonflikts beim Whistleblowing zu befassen und zog die kollidierenden Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien ausdrücklich zur Konkretisierung der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers heran.167 Trotz der Entscheidung des BVerfG entschied es sich dagegen, die Berechtigung der Meldung als maßgebliches Kriterium für eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung anzusehen und einen Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht nur dann zu bejahen, wenn die Meldung wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben enthält. Es führte vielmehr aus, das BVerfG habe einen solchen Rechtssatz nicht aufgestellt, sondern allein eine Entscheidung für den „Regelfall“ getroffen. Bereits die Formulierung „im Regelfall“ zeige, dass „von Verfassungs wegen weitere Ausnahmefälle denkbar“ seien, in denen eine Kündigung auch ohne wissentlich oder leichtfertig unzutreffende Angaben möglich sei.168 Damit interpretierte es die Entscheidung des BVerfG erkennbar anders als verschiedene Obergerichte.169 Das BAG hielt eine Neuausrichtung seiner bisherigen Rechtsprechung ersichtlich nicht für geboten, sondern knüpfte an seine bisherigen Entscheidungen an, wonach sich die Meldung des Arbeitnehmers nicht als „unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers oder seines Repräsentanten“ darstellen dürfe.170 Unter restriktiver Auslegung des Regelfalls einer unzulässigen Kündigung wegen Ausübung des staatsbürgerlichen Anzeigerechts sah es die vom BVerfG auf wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben beschränkte Ausnahme nur als eines von mehreren „Indizien“ für eine solche unverhältnismäßige Reaktion des Arbeitnehmers an.171 Neben der Berechtigung der Meldung172 maß das BAG auch der Motivation des Arbeitnehmers sowie seinem fehlenden innerbetrieblichen Hinweis eine derartige Indizwirkung zu.173 In diesem bis heute maßgeblichen Grundsatzurteil nutzte das BAG die Auseinandersetzung mit der Entscheidung des BVerfG, um trotz 167
BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 429 f. BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 429; kritisch hierzu Forst, NJW 2011, 3477, 3478; Brock, öAT 2011, 243, 244; Wendeling-Schröder, RdA 2004, 374, 377. 169 Etwa LAG Düsseldorf, Urteil v. 17. 01. 2002 – 11 Sa 1422/01, BeckRS 2004, 42537, Rn. 27; LAG Hessen, Urteil v. 27. 11. 2001 – 15 Sa 411/01, NZA-RR 2002, 637, 638 (Vorinstanz dieser BAG-Entscheidung). 170 BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430. 171 BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430. 172 Das BAG spricht von der Berechtigung der „Anzeige“, weil es erkennbar in erster Linie den – auch der konkreten Entscheidung zugrunde liegenden – „klassischen“ WhistleblowingFall einer Strafanzeige des Arbeitnehmers im Blick hat; ausweislich nachfolgender höchstrichterlicher und instanzgerichtlicher Entscheidungen umfasst der Begriff „Anzeige“ aber auch sonstige interne wie externe Anzeigen bei Strafverfolgungsbehörden oder anderen staatlichen Stellen, BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 37 f.; LAG Köln, Urteil v. 05. 07. 2012 – 6 Sa 71/12, juris, Rn. 16, so dass es sich i. E. um eine terminologische Feinheit handelt; in der vorliegenden Arbeit wird insoweit der Begriff der „Meldung“ verwendet, vgl. hierzu bereits in Teil 2 Fn. 11. 173 BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430; vgl. auch Stein, BB 2004, 1961, 1962. 168
B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“)
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fehlender gesetzlicher Vorgaben einen Katalog abstrakter, fallübergreifender „Indizien“ bzw. Prüfkriterien für die Feststellung einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung durch Whistleblowing im einzelfallgeprägten Kündigungsschutzrecht aufzustellen. Es etablierte neben der Berechtigung der Meldung die Motivation sowie das Fehlen eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs des Whistleblowers als weitere Prüfkriterien und entwickelte damit eine Prüfkriterientrias, welche die Möglichkeit weiterer „Ausnahmefälle“ großzügig eröffnete.174 In seiner nächsten Entscheidung zum Whistleblowing aus dem Jahr 2006 bestätigte das BAG diesen „Indizien-“ bzw. Prüfkriterienkatalog und verneinte die Rechtmäßigkeit der Kündigung unter seiner Anwendung. Dabei hob es konkretisierend hervor, dass der Ausgang eines Strafverfahrens stets nur ein Indiz für die Berechtigung einer Meldung, nicht aber allein entscheidend sein könne.175 Eher beiläufig erwähnte es zudem, dass im streitigen Fall auch ein „öffentliche[s] Interesse“ an der Ausübung des staatsbürgerlichen Anzeigerechts durch den Arbeitnehmer bestanden habe, ohne sich aber näher hiermit auseinanderzusetzen oder ihm eine erkennbare Entscheidungsrelevanz beizumessen.176 d) Urteil des EGMR aus dem Jahr 2011 Im Jahr 2011 folgte der konventionsgerichtliche „Stresstest“ der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung aufgrund einer Menschenrechtsbeschwerde der bereits erwähnten Altenpflegerin Heinisch an den EGMR, die gegenüber ihrer Arbeitgeberin, der vom Land Berlin beherrschten Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH, mehrfach Pflegemissstände moniert und um Abhilfe gebeten hatte.177 Mangels Beseitigung der Missstände erstattete sie Strafanzeige gegen ihre Arbeitgeberin, woraufhin diese das Arbeitsverhältnis kündigte. Unter Anwendung der vom BAG im Jahr 2003 entwickelten Prüfkriterien gab das Arbeitsgericht Berlin der Kündigungsschutzklage statt, das LAG Berlin wies sie hingegen ab und das BAG die Nichtzulassungsbeschwerde zurück; das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde der Arbeitnehmerin nicht zur Entscheidung an.178 Daraufhin erhob Heinisch beim EGMR Beschwerde, weil sie sich durch das Urteil des LAG Berlin in ihrem Recht aus Art. 10 Abs. 1 EMRK verletzt sah.
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Ähnlich Brock, öAT 2011, 243, 244; Wendeling-Schröder, RdA 2004, 374, 377. BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 16 ff. 176 BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 17. 177 Vgl. hierzu schon in Teil 2, B.II.3.b). 178 BVerfG, Beschluss v. 06. 12. 2007 – 1 BvR 1905/07 (nicht veröffentlicht, aber Verf. vorliegend); BAG, Beschluss v. 06. 06. 2007 – 4 AZN 487/06, BeckRS 2011, 77276; LAG Berlin, Urteil v. 28. 03. 2006 – 7 Sa 1884/05, BeckRS 2009, 68064; ArbG Berlin, Teilurteil v. 03. 08. 2005 – 39 Ca 4775/05, BeckRS 2011, 77275; kritisch zur fehlenden revisions- und verfassungsgerichtlichen Kontrolle des Berufungsurteils Ulber, NZA 2011, 962, 964. 175
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
aa) Wesentliche Entscheidungsgrundlagen Der EGMR bestätigte den (ohnehin unumstrittenen) Eingriff in die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin Heinisch zur Verfolgung des legitimen Ziels, das geschäftliche Ansehen und die Interessen der Arbeitgeberin zu schützen. Als Ausgangspunkt seiner Prüfung der Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs durch Abwägung der widerstreitenden konventionsrechtlich geschützten Positionen der Arbeitsvertragsparteien hob er die Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber einerseits und seine Schutzwürdigkeit bei der Aufdeckung eines gesetzwidrigen Verhaltens oder einer Straftat des Arbeitgebers andererseits hervor.179 In Anknüpfung an die Fälle Guja vs. Moldau und Marchenko vs. Ukraine stellte der EGMR dazu fest, dass insbesondere bei Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst die Pflicht zur Loyalität, Zurückhaltung und Vertraulichkeit besonders groß sei, sie aber zweifellos auch für Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft gelte.180 In Guja vs. Moldau hatte der EGMR im Jahr 2008 einen Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 EMRK bejaht, weil die moldauischen Gerichte die Kündigung des Beamten und Leiters der Presseabteilung der moldauischen Generalbundesanwaltschaft Iacob Guja bestätigt hatten, der brisante Informationen an die Presse weitergegeben hatte, unter anderem über die Einflussnahme politischer Funktionäre auf staatliche (Ermittlungs-)Behörden und die Tolerierung von Polizeigewalt durch die moldauische Staatsregierung.181 Den in dieser Entscheidung entwickelten Prüfkriterienkatalog für die Interessenabwägung zog der EGMR auch im Fall Heinisch heran.182 Danach müssen für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Meinungsfreiheit neben der Frage, ob der Arbeitnehmer über andere wirksame Mittel zur Behebung der Missstände verfügte, die er aufdecken will („had any other effective means of remedying the wrongdoing which he or she intended to uncover“/„si l’intéressée disposait d’autres moyens effectifs de faire porter remède à la situation qu’elle jugeait critiquable“), auch das öffentliche Interesse an der Information, deren Authentizität, der durch die Offenlegung verursachte (potenzielle) Schaden des Arbeitgebers, die Gründe für die Handlungsweise des Arbeitnehmers sowie das Gewicht der gegen den Arbeitnehmer konkret verhängten Sanktionen berücksichtigt werden.183 Die Anwendung dieser Kriterien führte auch im Fall Heinisch zur Annahme einer Verletzung des Art. 10 Abs. 1 EMRK, weil die deutschen Gerichte keinen fairen Ausgleich der widerstreitenden Interessen herbeigeführt hätten.184 179
EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 63 f. EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 64; vgl. EGMR, Urteil v. 19. 05. 2009 – 4063/04 (Marchenko/Ukraine), HUDOC, Rn. 45; EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 71; hierzu Fornasier, in: Preis/ Sagan, Europ. ArbR, § 4, Rn. 4.111. 181 EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 8 ff., 97. 182 Dies kritisierend Colneric, AuR 2021, 419, 421. 183 EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 65 ff.; EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 73 ff. 184 EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 93 f. 180
B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“)
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Dabei verwies der EGMR insbesondere auf das öffentliche Interesse an der Aufdeckung von bestehenden Pflegemissständen zulasten älterer Menschen als besonders vulnerabler Bevölkerungsgruppe sowie auf das Fehlen etwaiger Anhaltspunkte für eine wissentlich oder leichtfertig falsche Meldung.185 bb) Prüfkriterienkatalog Erstmals mit dem Phänomen Whistleblowing konfrontiert, hatte der EGMR im Fall Guja den eben erwähnten abstrakten Prüfkriterienkatalog für die Abwägung der betroffenen Interessen entwickelt, um beurteilen zu können, ob das Verhalten des Beamten/Arbeitnehmers im jeweiligen Einzelfall einen besonderen Schutz durch Art. 10 Abs. 1 EMRK verdient hat.186 Seitdem wendet er ihn in allen Fällen einer Meldung innerbetrieblicher Missstände durch Arbeitnehmer an – wie auch im Fall Heinisch.187 Dabei scheint die Qualifizierung des streitigen Verhaltens als Whistleblowing für den EGMR eine zwingende Voraussetzung für seine Anwendung zu sein, denn in Fällen verneinten (aber potenziellen) Whistleblowings greift er letztlich nicht oder nur teilweise auf ihn zurück.188 Trotzdem spielt der Begriff „Whistleblowing“ insgesamt eine eher untergeordnete Rolle in seiner Rechtsprechung – so verzichtet der EGMR bisweilen auf eine entsprechende ausdrückliche Qualifizierung streitgegenständlichen Verhaltens, obwohl er dieses in späteren Entscheidungen sodann explizit als Whistleblowing einordnet.189 Dies mag darauf 185
EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 71, 79. Zuvor war der EGMR „nur“ mit der Meldung von Missständen durch Journalisten befasst, etwa EGMR, Urteil v. 10. 12. 2007 – 69698/01 (Stoll/Schweiz), HUDOC; ausdrücklicher Hinweis in EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 72 („new issue“/„une question nouvelle“); vgl. auch Colneric, SR 2018, 232, 233. 187 Etwa EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 65 ff.; vgl. auch EGMR, Urteil v. 11. 05. 2021 – 21884/18 (Halet/Luxemburg), HUDOC, Rn. 91 (nicht rechtskräftig, vgl. Teil 2 Fn. 76); EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), NJW 2021, 2343, 2345, Rn. 67 ff.; EGMR, Urteil v. 08. 04. 2013 – 40238/02 (Bucur u. Toma/Rumänien), HUDOC, Rn. 93 ff.; EGMR, Urteil v. 19. 05. 2009 – 4063/04 (Marchenko/Ukraine), HUDOC, Rn. 46 ff. 188 Vgl. etwa EGMR, Urteil v. 05. 02. 2020 – 11608/15 (Herbai/Ungarn), HUDOC, Rn. 40; EGMR, Urteil v. 19. 04. 2016 – 12138/08 (Aurelian Opera/Romania), HUDOC, Rn. 69; EGMR, Urteil v. 21. 09. 2016 – 79972/12 (Soares/Portugal), HUDOC, Rn. 49; EGMR, Urteil v. 17. 09. 2015 – 14464/11 (Langner/Deutschland), NZA 2017, 237, 239, Rn. 47; EGMR, Urteil v. 13. 01. 2015 – 79040/12 (Rubins/Lettland), NZA 2016, 1009, 1013, Rn. 87; insoweit nun bestätigend EGMR, Urteil v. 11. 05. 2021 – 21884/18 (Halet/Luxemburg), HUDOC, Rn. 89, 91 (aber noch nicht rechtskräftig, vgl. Teil 2 Fn. 76); vgl. auch Reinhardt-Kasperek/ Denninger, BB 2018, 2484, 2485; Redder, WB, S. 143 f. 189 So bezeichnete der EGMR die Beschwerdeführer in den Fällen Guja und Heinisch nicht explizit als „Whistleblower“, in späteren Entscheidungen stufte er diese beiden Fälle aber ausdrücklich als „Whistleblowing“ ein (etwa in EGMR, Urteil v. 05. 02. 2020 – 11608/15 (Herbai/Ungarn), HUDOC, Rn. 40; EGMR, Urteil v. 27. 02. 2018 – 1085/10 (Guja/Moldau Nr. 2), NJW 2019, 1273, 1276, Rn. 49; EGMR, Urteil v. 17. 09. 2015 – 14464/11 (Langner/ Deutschland), NZA 2017, 237, 239, Rn. 47); anders aber jüngst in EGMR, Urteil v. 11. 05. 186
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zurückzuführen sein, dass es sich im Ergebnis nur um eine begriffliche Beschreibung einer besonders schützenswerten Fallgruppe der Meinungsäußerung handelt. Vor diesem Hintergrund fehlt es auch an einer klaren konventionsrechtlichen Begriffsdefinition, wobei der EGMR im Fall Heinisch (wohl eher beiläufig) „the disclosure of deficiencies in enterprises or institutions, such as illegal conduct on the part of the employer, by an employee“/„les révélations faites par une personne, au sein d’une entreprise ou d’une institution, pour ,donner l’alerte‘ sur une situation telle qu’un comportement illicite d’un employeur ou d’un employé“190 als „Whistleblowing“ deklariert.191 Zudem lässt sich seiner Rechtsprechung zumindest entnehmen, dass die Meldung nicht aus „persönlichen Vorbehalten“ erfolgen darf192 und die aus dem Unterordnungsverhältnis eines Arbeitnehmers zu seinem Arbeitgeber resultierende Loyalitätspflicht ein Charakteristikum für einen Whistleblower ist.193 Es stellt sich weiter die Frage, ob der EGMR mit diesem Prüfkriterienkatalog für alle Whistleblowing-Fälle nach der Entscheidung Guja vs. Moldau einen in Umfang und Reihenfolge festen, fallübergreifenden Prüfungsgang vorgeben wollte. Die Systematik der Aufzählung der Prüfkriterien deutet zunächst in diese Richtung, weil der EGMR die Überprüfung anderer wirksamer Aufklärungsmöglichkeiten anstelle eines Gangs an die Öffentlichkeit systematisch hervorhebt und den übrigen Prüfkriterien voranstellt, so dass er diesem Kriterium offenbar Vorrang einräumt.194 Auch der Wortlaut195 der anschließenden Aufzählung der übrigen Prüfkriterien legt eine Rangfolge zwischen diesen nahe, denn sie wird damit eingeleitet, dass „in the first place“/„premièrement“ (frei übersetzt: „zunächst“) das öffentliche Interesse an der Information besonders zu beachten und der „second factor relevant“/„le deuxième
2021 – 21884/18 (Halet/Luxemburg), HUDOC, Rn. 89 (nicht rechtskräftig, vgl. Teil 2 Fn. 76), in dem er ausdrücklich die Qualifizierung von Halet als „Whistleblower“ („lanceur d’alerte“) prüft. 190 Frei übersetzt: „die Aufdeckung von Mängeln in Unternehmen oder Institutionen, wie zum Beispiel rechtswidriges Verhalten des Arbeitgebers (oder eines Arbeitnehmers) [Zusatz in der französischen Sprachfassung], durch einen Arbeitnehmer“. 191 EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 31; kritisch zur fehlenden Begriffsbestimmung wegen seiner Bedeutung für das Prüfprogramm Redder, WB, S. 144 ff. 192 EGMR, Urteil v. 17. 09. 2015 – 14464/11 (Langner/Deutschland), NZA 2017, 237, 239, Rn. 47; vgl. zur Verneinung von Whistleblowing wegen „falscher“ Motive auch EGMR, Urteil v. 19. 04. 2016 – 12138/08 (Aurelian Opera/Romania), HUDOC, Rn. 69 f.; Reinhardt-Kasperek/Denninger, BB 2018, 2484, 2485. 193 EGMR, Urteil v. 11. 05. 2021 – 21884/18 (Halet/Luxemburg), HUDOC, Rn. 91 (allerdings noch nicht rechtskräftig, vgl. Teil 2 Fn. 76). 194 EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 73. 195 Maßgeblich für die wörtliche Auslegung ist dabei stets nur der Wortlaut einer Entscheidung des EGMR in seinen Amtssprachen Englisch und Französisch, Art. 34 Abs. 1 VerfO-EGMR; Haug, NJW 2018, 2674, 2677.
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facteur à prendre“ (frei übersetzt: „der zweite relevante Faktor“) die Authentizität der offengelegten Information sei.196 Insgesamt weist aber der Gesamtzusammenhang darauf hin, dass der EGMR unter Rückgriff auf seine bis dahin ergangene Rechtsprechung zu Art. 10 EMRK für die „neue“ Fallgruppe der Meinungsäußerung in Form des Whistleblowings einen abstrakten, aus grundsätzlich „gleichberechtigten“ Kriterien bestehenden Prüfkriterienkatalog als „Leit- und Orientierungsfaden“ etablieren wollte, ohne diesen als abschließend und in seiner Reihenfolge zwingend zu verstehen.197 So führt er aus, dass das Gericht neben der Prüfung anderer Aufklärungsmöglichkeiten für den Arbeitnehmer auch eine Vielzahl anderer Faktoren berücksichtigen müsse („also have regard to a number of other factors“/„doit également tenir compte d’un certain nombre d’autres facteurs“ [Hervorhebung durch Verf.]), die er sodann aufzählt.198 Die hierzu verwendeten Formulierungen „in the first place“/„premièrement“ und „second factor relevant“/„le deuxième facteur à prendre“ dürfte er allein dafür benutzt haben, um die „number of other factors“/„nombre d’autres facteurs“ der Abwägung aufzulisten, nicht aber um eine Rang- oder Reihenfolge zwischen ihnen festzulegen. Danach wollte der EGMR durch den in Guja vs. Moldau entwickelten abstrakten, fallübergreifenden und nicht abschließenden Prüfkriterienkatalog für Whistleblowing-Fälle den einzelfallbezogenen Spielraum bei der Lösung des Interessenkonflikts weder hinsichtlich der Prüfungsreihenfolge noch der Gewichtung oder des Verhältnisses der Kriterien zueinander grundsätzlich einschränken.199 Das wird dadurch bestätigt, dass er in einzelnen späteren Entscheidungen von der ursprünglichen Reihenfolge der Prüfkriterien abgewichen ist oder einzelne Kriterien
196
EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 74 f.; in diese Richtung daher MüKoBGB/Henssler, § 626 BGB, Rn. 185; Fuhlrott/Oltmanns, DB 2017, 2354, 2355 f.; Forst, NJW 2011, 3477, 3480. 197 So auch FGO/Schubert, Art. 10 EMRK, Rn. 42; Gerdemann, HSI-Report 2/2021, 14, 22; Reinhardt-Kasperek/Denninger, BB 2018, 2484, 2485; Redder, WB, S. 147 f., 209; wohl auch NK-ArbR/Sagan, Art. 10 EMRK, Rn. 6; Fornasier, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 4, Rn. 4.109. 198 EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 74. 199 Anders liest sich allerdings EGMR, Urteil v. 11. 05. 2021 – 21884/18 (Halet/Luxemburg), HUDOC, Rn. 92 f., das eine zwingende und abschließende Reihenfolge der Prüfkriterien nahelegt – dieses Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig (vgl. Teil 2 Fn. 76) und in der gemeinsamen abweichenden Stellungnahme der Richter Lemmens und Pavli gerade diesbezüglich (Rn. 9) scharf kritisiert worden („les critères de la jurisprudence Guja ne doivent pas être considérés comme de simples cases à cocher, mais comme des principes qui guident un examen complet des juridictions nationales“ (frei übersetzt: „die Kriterien aus dem Fall Guja sollten nicht als bloße Kästchen betrachtet werden, die es abzuhaken gilt, sondern als Grundsätze, die eine umfassende Überprüfung der nationalen Gerichte leiten“)), so dass hier die weitere Entwicklung abzuwarten ist; vgl. hierzu auch Gerdemann, HSI-Report 2/2021, 14, 22 f.
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gar nicht oder nur sehr knapp geprüft hat, weil er ihnen erkennbar im jeweiligen Fall keine Entscheidungsrelevanz beigemessen hat.200 cc) Bedeutung für das deutsche Recht Die Auswirkungen des Urteils in Sachen Heinisch vs. Deutschland – sowie letztlich aller weiteren Entscheidungen des EGMR zum Whistleblowing – auf das deutsche Recht und seinen Kündigungsschutz für Whistleblower ergeben sich aus der bereits dargestellten „faktischen Präzedenzwirkung“ konventionsgerichtlicher Rechtsprechung für nationale Parallelfälle und der gebotenen konventionsfreundlichen Auslegung deutscher Grundrechte unter Berücksichtigung des auch im mehrpoligen Rechtsverhältnis sicherzustellenden Mindestschutzes.201 Unbeschadet der abweichenden Bewertung des konkreten Falls bestand der Ansatz der deutschen Rechtsprechung, den Interessenkonflikt aufgrund der Meldung von Missständen durch einen Arbeitnehmer anhand der vom BAG im Jahr 2003 entwickelten „Indizien“ bzw. Prüfkriterien aufzulösen, im Fall Heinisch den konventionsrechtlichen „Stresstest“, da sich diese Prüfkriterien grundsätzlich auch im Prüfkriterienkatalog des EGMR für Whistleblowing-Fälle wiederfanden.202 Ein Rezeptionshemmnis bei konventionsfreundlicher Auslegung der Grundrechte im Kündigungsschutzprozess zur Gewährleistung des konventionsrechtlichen Mindestschutzes der auszugleichenden kollidierenden Grundrechte stand im deutschen Recht mithin nicht zu befürchten, zumal der EGMR gerade keinen starren Prüfkriterienkatalog vorgegeben hatte, sondern mit diesem allein die Grenzen des Mindestschutzes absteckte, innerhalb derer ein weitergehender nationaler Grundrechtsschutz möglich ist.203 Für die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung bedeutete die Entscheidung im Fall Heinisch aber zumindest, dass zur Sicherstellung der Konventionskonformität des deutschen
200 EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), NJW 2021, 2343, 2345, Rn. 67 ff. (völlig andere Reihenfolge); EGMR, Urteil v. 21. 01. 2015 – 73571/10 (Matúz/ Ungarn), HUDOC, Rn. 36 ff. (völlig andere Reihenfolge); EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 71 („öffentliches Interesse“ als erstes Prüfkriterium); EGMR, Urteil v. 19. 05. 2009 – 4063/04 (Marchenko/Ukraine), HUDOC, Rn. 46 ff. (nicht alle Kriterien und sehr knappe Prüfung). 201 Vgl. insoweit Teil 3, A.II.3.a). 202 Vgl. auch LAG Köln, Urteil v. 02. 02. 2012 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 300 f.; LAG Hamm, Urteil v. 21. 07. 2011 – 11 Sa 2248/10, juris, Rn. 101; für viele NK-ArbR/Sagan, Art. 10 EMRK, Rn. 12; MüKoBGB/Henssler, § 626 BGB, Rn. 185; LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 554; FGO/Schubert, Art. 10 EMRK, Rn. 41; Fornasier, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 4, Rn. 4.112; Fuhlrott/Oltmanns, DB 2017, 2354, 2355; Schmitt, RdA 2017, 365, 367; Dzida/ Naber, ArbRB 2011, 238, 241; Forst, NJW 2011, 4377, 3482; wohl auch Ulber, NZA 2011, 962 f.; Becker, DB 2011, 2202, 2204; etwas a. A. Simon/Schilling, BB 2011, 2421, 2428; Gerdemann, WB, Rn. 248; wohl auch Leuchten, ZRP 2012, 142, 143 („Paukenschlag“, „Krone [aufsetzen]“). 203 Ähnlich NK-ArbR/Sagan, Art. 10 EMRK, Rn. 12; Simon/Schilling, BB 2011, 2421, 2428; Schlachter, RdA 2012, 108, 109.
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Kündigungsschutzes für Whistleblower das öffentliche Interesse im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung stärker berücksichtigt werden sollte.204 e) Urteile des BAG aus den Jahren 2012 und 2016 Eine gänzliche Neujustierung oder Änderung der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zum Whistleblowing war aufgrund der Entscheidung des EGMR im Fall Heinisch folglich weder zu erwarten noch erforderlich. Das BAG nutzte die nächstmögliche Gelegenheit, um sich zu der Entscheidung zu äußern und stellte im Jahr 2012 anlässlich eines Kündigungsschutzverfahrens wegen internen Whistleblowings kurz und knapp klar, dass diese Entscheidung seinen bisherigen Ansatz nicht generell ausschließe, in der Meldung betrieblicher Missstände einen Kündigungsgrund zu erblicken, wenn sie eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitgebers darstelle.205 Erstmals mit einem Fall internen Whistleblowings konfrontiert, führte es weiter aus, dass die zum externen Whistleblowing entwickelten Prüfkriterien „sinngemäß“ auch auf innerbetriebliche „Anzeigen“ übertragen werden könnten.206 Obwohl der Schutz der Meinungsfreiheit auch die unternehmensinterne Kritik eines Arbeitnehmers umfasse, könne sich eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung nicht nur aus einer wissentlich falschen Tatsachenbehauptung, sondern auch daraus ergeben, dass der Arbeitnehmer seine Vorwürfe „vorsichtiger“ hätte vorbringen, seine rechtliche Bewertung also besser hätte prüfen müssen, oder dass er seine Anschuldigungen allein aus verwerflichen Motiven erhoben hat.207 Zuletzt bestätigte das BAG im Jahr 2016 seinen Prüfkriterienkatalog, ohne hierbei näher auf die Vorgaben des EGMR einzugehen, obwohl es zumindest unter Verweis auf dessen Rechtsprechung erstmals explizit betonte, dass auch das öffentliche Interesse an einer gemeldeten Information zu berücksichtigen sei.208 Eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Faktor und insbesondere mit seiner konkreten Auswirkung auf die Prüfkriterien erfolgte indes nicht, weil es ihn wohl nicht für fallrelevant hielt. Obschon sowohl die verfassungs- als auch die konventionsgerichtliche Rechtsprechung die Bedeutung des öffentlichen Interesses am Whistleblowing als (externem) Einflussfaktor auf den bipolaren Interessenkonflikt der Arbeitsvertragsparteien betont haben, schenkt das BAG ihm bis heute kaum Beachtung. 204 Vgl. auch LAG Köln, Urteil v. 02. 02. 2012 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 300 f.; LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 554; Dzida/Naber, ArbRB 2011, 238, 241; Simon/Schilling, BB 2011, 2421, 2426, 2428; Gerdemann, WB, Rn. 248; Schiller, in: Besgen/Prinz, Arbeiten 4.0, § 10, Rn 44; wohl auch Reinhardt-Kasperek/Denninger, BB 2018, 2484, 2485. 205 BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 37. 206 BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 38. 207 BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1066, Rn. 22, 1068, Rn. 36. 208 BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 14.
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2. Prüfkriterienkatalog der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung prüft das Vorliegen einer Pflichtverletzung wegen Whistleblowings bis heute nach der vom BAG in Jahr 2003 etablierten und seitdem in zahlreichen Einzelfallentscheidungen näher konkretisierten Prüfkriterientrias aus Berechtigung der Meldung, Motivation und Fehlen eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs des Whistleblowers, so dass diese Prüfkriterien zur Feststellung des Status quo des Kündigungsschutzes näher zu analysieren sind. Es ist der Frage nachzugehen, ob die Rechtsprechung durch den Prüfkriterienkatalog eine weitgehende Rechtssicherheit über die Voraussetzungen der Zulässigkeit des Whistleblowings schaffen konnte, die auch dessen sozioökonomischen Nutzen hinreichend berücksichtigt, oder ob insoweit eine abschreckende, meldehemmende Rechtsunsicherheit besteht. Dabei ist auch zu prüfen, ob die arbeitsgerichtliche Rechtspraxis im Einklang mit konventionsrechtlichen Vorgaben steht. a) Anwendungsbereich Zunächst fragt sich, ob der Prüfkriterienkatalog in der Praxis alle vorliegend untersuchten Fallkonstellationen der Meldung von Missständen durch einen Arbeitnehmer erfasst. aa) Whistleblowing-Fälle Sein Anwendungsbereich ist nicht nur auf die dem Urteil des BAG aus dem Jahr 2003 zugrundeliegende „klassische“ Fallkonstellation des Whistleblowings (Strafanzeige eines Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber, dessen Repräsentanten oder gegen Arbeitskollegen bei Strafverfolgungsbehörden) begrenzt, sondern erstreckt sich wegen der gleichgelagerten Interessenkollision auf all jene Fälle, in denen der Arbeitnehmer betriebsinterne Missstände gegenüber internen oder externen Adressaten meldet, also etwa auch gegenüber anderen staatlichen Stellen.209 Die „sinngemäß[e]“ Anwendung des Prüfkriterienkatalogs für innerbetriebliche „Anzeigen“ hat das BAG ausdrücklich festgehalten und seine Anwendbarkeit auch auf die Meldung von Missständen „unterhalb der Schwelle eines strafbaren Verhaltens“
209
Vgl. etwa LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 07. 11. 2013 – 10 Sa 1230/13, juris, Rn. 37 (Mitteilung gegenüber Amtsrichter); LAG Köln, Urteil v. 05. 07. 2012 – 6 Sa 71/12, juris, Rn. 16 (Meldung beim Jugendamt); LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 20. 03. 2012 – 2 Sa 331/11, juris, Rn. 47 (Meldung bei der Bundesagentur für Arbeit); ArbG Dessau-Roßlau, Urteil v. 12. 08. 2020 – 1 Ca 65/20, NZA-RR 2021, 132, 133, Rn. 28, 134, Rn. 31 (Meldung an Landkreis und Polizei); BeckOK-BGB/Plum, § 626 BGB, Rn. 21; vgl. auch die Ausführungen in BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 37, in denen das BAG auf die Prüfkriterien als Grundsätze zur Prüfung einer Kündigung „im Fall der Erstattung von Anzeigen bei Strafverfolgungsbehörden oder anderen zuständigen Stellen“ [Hervorhebung durch Verf.] verweist.
B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“)
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bezogen.210 Zwar hatten die Arbeitsgerichte in den letzten Jahren nicht über eine Kündigung wegen externen Whistleblowings gegenüber der Öffentlichkeit, etwa über die Presse oder sonstige Medien, zu entscheiden; auch hier wäre aber der Prüfkriterienkatalog zur Lösung des Interessenkonflikts heranzuziehen.211 Zweifelhaft könnte dies allerdings für anonymes internes Whistleblowings sein. Für die Interessenabwägung anhand des Prüfkriterienkatalogs ist zwar im Ergebnis unerheblich, auf welche Grundrechte sich der Arbeitnehmer im Einzelfall berufen kann; regelmäßig wird dies der Schutz aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG (bzw. Art. 11 Abs. 1 GRC) und/oder das staatsbürgerliche Anzeigerecht sein, das nach hier vertretener Auffassung nicht nur im Fall von Strafanzeigen bei den Strafverfolgungsbehörden, sondern ebenso im Fall sonstiger Anzeigen und Beschwerden bei anderen Behörden einschlägig ist.212 Für den Sonderfall des anonymen internen Whistleblowings ist ein grundrechtlicher Schutz und damit die Anwendbarkeit des Prüfkriterienkatalogs jedoch fraglich, weil das BAG anonymen Meldungen den Schutz der Meinungsfreiheit ausdrücklich verwehrt213 und Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG im Fall interner Meldungen ebenfalls nicht einschlägig ist. Abgesehen davon, dass die Ablehnung eines Schutzes durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG für anonyme Meldungen ohnehin fragwürdig ist,214 wird das BAG sobald es mit einem solchen Fall konfrontiert werden sollte entweder diese überdenken oder aber auf andere (Auffang-) Grundrechte wie Art. 2 Abs. 1 GG oder Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG zurückgreifen müssen, um auch in einem derartigen Fall den Arbeitnehmer nicht gänzlich schutzlos zu stellen, was verfassungsrechtlich kaum tragbar wäre. Schließlich ist für die Anwendung des Prüfkriterienkatalogs irrelevant, ob das Verhalten des Arbeitnehmers als „Whistleblowing“ qualifiziert wird. Zwar taucht der Begriff in der arbeitsgerichtlichen Judikatur auf,215 er hat aber erkennbar keine ei210 BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 38; HWK/ Thüsing, § 611a BGB, Rn. 535; BeckOK-BGB/Plum, § 626 BGB, Rn. 21; vgl. insoweit auch LAG Niedersachsen, Urteil v. 12. 09. 2018 – 14 Sa 140/18, juris, Rn. 30; LAG Düsseldorf, Beschluss v. 04. 03. 2016 – 10 TaBV 102/15, BeckRS 2016, 68431, Rn. 47 ff. 211 So auch SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 18; HWK/Quecke, § 1 KSchG, Rn. 221; Rudkowski, CCZ 2013, 204, 207; in diese Richtung DHSW/Markowski, § 1 KSchG, Rn. 316; KR-KSchG/Rachor, § 1 KSchG, Rn. 464; vgl. auch zu einem ähnlichen Fall BAG, Urteil v. 23. 10. 2008 – 2 AZR 483/07, NZA-RR 2009, 362, 365, Rn. 44 ff. (Presserechtliche Gegendarstellung einer Arbeitnehmerin). 212 Vgl. insoweit die Ausführungen in Teil 3, A.II.1.a)bb), Teil 3, A.II.1.b) und Teil 3, A.II.3.b)aa). 213 BAG, Urteil v. 03. 07. 2007 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430. 214 Vgl. insoweit Teil 3, A.II.1.a)cc). 215 Etwa BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 37; BAG, Urteil v. 23. 10. 2008 – 2 AZR 483/07, NZA-RR 2009, 362, 365, Rn. 49; BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 18; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15. 04. 2019 – 3 Sa 411/18, juris, Rn. 66, 76; LAG Hamm, Urteil v. 21. 07. 2011 – 11 Sa 2248/ 10, juris, Rn. 101, 114; ArbG Siegburg, Urteil v. 15. 01. 2020 – 3 Ca 1793/19, BeckRS 2020, 407, Rn. 23.
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
genständige Funktion oder Bedeutung für die rechtliche Bewertung und wird auch nicht explizit definiert. Aus den bisherigen Entscheidungen ergibt sich aber, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit jedenfalls die externe Meldung von Missständen bei Behörden dem Begriff zuordnet.216 bb) Sachnahe Fallkonstellationen Auch in Fallkonstellationen, die zwar kein Whistleblowing im eigentlichen Sinn darstellen, aber dazu in einer gewissen Sachnähe stehen, wird in arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten zu ihrer (kündigungsrechtlichen) Behandlung regelmäßig auf die Grundsätze des Prüfkriterienkatalogs zurückgegriffen. (1) Drohung mit Whistleblowing Das gilt zunächst für die vom tatsächlich erfolgten Whistleblowing abzugrenzende Drohung mit einer Meldung von Missständen.217 Immer wieder beschäftigen sich die Arbeitsgerichte mit Fällen, in denen ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber die externe Preisgabe betriebsinterner Missstände androht, um eine bestimmte Forderung durchzusetzen, beispielsweise die Rücknahme einer Abmahnung oder den Abschluss eines angestrebten Vergleichs. Ob diese Androhung widerrechtlich ist und deshalb eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung darstellt, kann sich neben einer inadäquaten Mittel-Zweck-Relation auch aus der unter Heranziehung des Prüfkriterienkatalogs zu beurteilenden Unzulässigkeit des angedrohten Verhaltens ergeben.218 (2) Verwendung von Geschäftsunterlagen Der Prüfkriterienkatalog dürfte weiterhin auch als Orientierung bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Entwendung und Weitergabe von Geschäftsunterlagen zugrunde gelegt werden, die dem Beweis der gemeldeten Missstände dienen sollen, 216 BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 37; BAG, Urteil v. 23. 10. 2008 – 2 AZR 483/07, NZA-RR 2009, 362, 365, Rn. 49; LAG RheinlandPfalz, Urteil v. 15. 04. 2019 – 3 Sa 411/18, juris, Rn. 66. 217 Zu beachten ist hier, dass die Androhung externen Whistleblowings zugleich internes Whistleblowing darstellen kann, vgl. etwa LAG Düsseldorf, Beschluss v. 04. 03. 2016 – 10 TaBV 102/15, BeckRS 2016, 68431, Rn. 49. 218 Vgl. etwa LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 17. 11. 2016 – 5 Sa 275/16, juris, Rn. 80 ff.; LAG Düsseldorf, Beschluss v. 04. 03. 2016 – 10 TaBV 102/15, BeckRS 2016, 68431, Rn. 48 ff.; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15. 05. 2014 – 5 Sa 60/14, juris, Rn. 36 f.; LAG Hamm, Urteil v. 13. 11. 2012 – 14 Sa 1178/12, juris, Rn. 30 ff.; LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 17. 08. 2011 – 3 Sa 196/11, juris, Rn. 45, 47; LAG Hamm, Urteil v. 24. 02. 2011 – 17 Sa 1669/10, juris, Rn. 77 ff.; LAG Sachsen, Urteil v. 21. 01. 2011 – 3 Sa 181/10, NZA-RR 2011, 290, 292; ArbG Essen, Urteil v. 15. 05.2009 – 2 Ca 2818/08, juris, Rn. 56 ff.; LKB/ Krause, § 1 KSchG, Rn. 559; HWK/Quecke, § 1 KSchG, Rn. 221; allgemein zur Widerrechtlichkeit einer Drohung als Kündigungsvoraussetzung BAG, Urteil v. 08. 05. 2014 – 2 AZR 249/13, NZA 2014, 1258, 1260, Rn. 20, 22.
B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“)
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aber von der Meldung selbst abzugrenzen sind.219 Unabhängig von der Frage der Zulässigkeit des Whistleblowings selbst, kann hierin ein (außerordentlicher) Kündigungsgrund wegen eines Verstoßes gegen arbeitsvertragliche (Herausgabe-) Pflichten gem. §§ 611, 611a Abs. 1 und 241 Abs. 2 i. V. m. § 667 BGB liegen.220 Betreffen die Unterlagen Geschäftsgeheimnisse im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG, kann ihre Verwendung zudem einen nach § 23 GeschGehG strafbewehrten Verstoß gegen § 4 GeschGehG darstellen.221 Die Rechtsprechung prüft die Verwendung geschäftlicher Unterlagen durch einen Arbeitnehmer grundsätzlich anhand einer umfassenden Interessenabwägung und bejaht deren Zulässigkeit im Fall der Wahrnehmung berechtigter Interessen, wobei sie insbesondere das Motiv des Arbeitnehmers und die nachteiligen Folgen für den Arbeitgeber berücksichtigt.222 Entwendet ein Arbeitnehmer Geschäftsunterlagen, um einen betriebsinternen Missstand belegen zu können, dürfte dies daher jedenfalls dann zulässig sein, wenn das Whistleblowing selbst zulässig ist.223 Der Whistleblower muss sich regelmäßig auch nicht auf die im Prozess geltenden §§ 142 Abs. 1 und 421 ff. ZPO verweisen lassen, weil er sich in vielen Fällen wohl auf eine Art „Beweisnot“ berufen kann, die vom BAG in Kündigungsschutzprozessen als Rechtfertigungsgrund zur Mitnahme von Geschäftsunterlagen akzeptiert zu werden scheint,224 denn der Arbeitgeber wird die (möglicherweise ihn selbst) belastenden Unterlagen regelmäßig nicht (freiwillig) an die Behörden aushändigen.225 Mangels einschlägiger Fälle hat sich die Rechtsprechung bislang noch nicht zum erlaubten Umfang der Entwendung und Weitergabe geschäftlicher Unterlagen sowie zum Schutz insoweit irrender Whistleblower 219 So sammelte etwa der Whistleblower Porwoll zahlreiche Unterlagen zum Nachweis seiner Vorwürfe, was der Arbeitgeber als Kündigungsgrund an sich ansah, ArbG Gelsenkirchen, Urteil v. 14. 06. 2017 – 2 Ca 2166/16, juris, Rn. 46 f.; vgl. auch zu „Lux Leaks“ Krol, in: Planet Wissen v. 15. 08. 2018. 220 Vgl. BAG, Urteil v. 08. 05. 2014 – 2 AZR 249/13, NZA 2014, 1258, 1261, Rn. 32; LAG Hamm, Urteil v. 13. 11. 2012 – 14 Sa 1178/12, juris, Rn. 41 ff.; bereits LAG Düsseldorf, Urteil v. 21. 02. 1953 – 1 Sa 74/52, BB 1953, 532; MAH-ArbR/Reinfeld, § 33, Rn. 42; Bergwitz, NZA 2018, 333, 337; zur Beweisverwertung solcher entwendeter (Geschäfts-)Unterlagen BAG, Urteil v. 15. 08. 2002 – 2 AZR 214/01, NZA 2003, 432, 434 f.; HaKo-KSchR/Gieseler, § 626 BGB, Rn. 184; Haller, BB 1997, Heft 4, 202, 204. 221 Röller/Küttner/Kania, Verschwiegenheitspflicht, Rn. 6; zur alten Rechtslage zu § 17 UWG a. F. BAG, Urteil v. 08. 05. 2014 – 2 AZR 249/13, NZA 2014, 1258, 1261, Rn. 32; Bergwitz, NZA 2018, 333, 337. 222 BAG, Urteil v. 08. 05. 2014 – 2 AZR 249/13, NZA 2014, 1258, 1261, Rn. 32 f.; LAG Hamm, Urteil v. 13. 11. 2012 – 14 Sa 1178/12, juris, Rn. 43 f.; Bergwitz, NZA 2018, 333, 334. 223 Ähnlich auch Bergwitz, NZA 2018, 333, 335; Haller, BB 1997, Heft 4, 202, 203; anders noch LAG Düsseldorf, Urteil v. 21. 02. 1953 – 1 Sa 74/52, BB 1953, 532; tendenziell ebenfalls anders, aber i. E. offenlassend LAG Hamm, Urteil v. 13. 11. 2012 – 14 Sa 1178/12, juris, Rn. 44. 224 Bergwitz, NZA 2018, 333, 337 unter Bezug auf die Entscheidung BAG, Urteil v. 08. 05. 2014 – 2 AZR 249/13, NZA 2014, 1258, 1261, Rn. 34, in der das BAG diese Frage zwar ausdrücklich offengelassen, aber unter Bezug auf Haller, BB 1997, Heft 4, 202, 203 wohl grundsätzlich zu bejahen scheint. 225 Bergwitz, NZA 2018, 333, 337; ähnlich auch schon Haller, BB 1997, Heft 4, 202, 203.
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
geäußert, etwa wenn sie mehr Geschäftsunterlagen kopieren und entwenden als sie zum Nachweis der vermuteten Missstände tatsächlich benötigen.226 b) Flexibilität Für die Handhabung des Prüfkriterienkatalogs stellt sich überdies die Frage nach seiner Flexibilität hinsichtlich der Anwendung der einzelnen Prüfkriterien. Der arbeitsgerichtlichen Rechtspraxis lässt sich weder eine Abgeschlossenheit des Prüfkriterienkatalogs noch eine feste Rang- oder Reihenfolge der Prüfkriterientrias entnehmen.227 Bereits in seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2003 hat das BAG die „unverhältnismäßige Reaktion“ des Arbeitnehmers nicht umfassend definiert, sondern für ihre Prüfung auf die drei Prüfkriterien als „Indizien“ verwiesen, ohne auszuschließen, dass eine Pflichtverletzung im Einzelfall auch durch andere „Indizien“ begründet werden kann.228 Es hat auch keine Abstufung vorgenommen, sondern die Prüfkriterien schlicht nacheinander aufgezählt, ohne eine Gewichtung oder Rangfolge zwischen ihnen festzulegen („sowohl […] als auch […] oder“).229 Dies deckt sich auch mit der nachfolgenden konkreten Anwendung des Prüfkriterienkatalogs in der arbeitsgerichtlichen Praxis. Die sich zunächst andeutende „besondere Bedeutung“ des Motivs des Arbeitnehmers im Vergleich zu den anderen Prüfkriterien hat sich nicht bestätigt.230 Vielmehr spielen das Motiv und das Fehlen eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs regelmäßig sogar eine eher untergeordnete Rolle, weil die Zulässigkeit des Whistleblowings bereits wegen der mangelnden Berechtigung der Meldung scheitert und sich dann ein Rückgriff auf die übrigen/ andere „Indizien“ erübrigt.231 Selten ziehen die Arbeitsgerichte in diesen Fällen zusätzlich noch die Motivation des Arbeitnehmers oder das Fehlen eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs zur Begründung des Pflichtverstoßes auf der ersten Prüfungsebene heran,232 so dass diese Kriterien (wenn überhaupt noch) häufig erst 226
Vgl. auch Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 70. So auch Reinhardt-Kasperek/Denninger, BB 2018, 2484, 2485; Forst, NJW 2011, 3477, 3479; wohl auch Gerdemann, RdA 2019, 16, 18. 228 BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430. 229 BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430; zuletzt in BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 14. 230 So angedeutet in BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430; ähnlich BAG, Urteil v. 04. 07. 1991 – 2 AZR 80/91, juris, Rn. 20; vgl. auch Fuhlrott/Oltmanns, DB 2017, 2354, 2356; Forst, NJW 2011, 3477, 3479. 231 Etwa in BAG, Urteil v. 11. 07. 2013 – 2 AZR 994/12, NZA 2014, 250, 253, Rn. 42 (unterstellte fehlende Berechtigung); LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 11. 11. 2014 – 6 Sa 292/ 14, juris, Rn. 48; LAG Düsseldorf, Urteil v. 24. 09. 2012 – 9 Sa 1014/12, juris, Rn. 133; LAG Köln, Urteil v. 02. 02. 2012 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 301; LAG Hamm, Urteil v. 28. 11. 2003 – 10 Sa 1036/03, NZA-RR 2004, 475, 476; LAG Bremen, Urteil v. 17. 07. 2003 – 3 Sa 275/02, NZA-RR 2004, 128, 129. 232 So aber in LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 24. 10. 2007 – 7 Sa 451/07, BeckRS 2008, 51400, Rn. 58; ArbG Düsseldorf, Urteil v. 06. 10. 2011 – 4 Ca 3895/07, juris, Rn. 81, 83; wohl auch BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 19 f. 227
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auf der zweiten Prüfungsebene im Rahmen der Gesamtabwägung berücksichtigt werden.233 Mangels etwaiger Anhaltspunkte in der Rechtsprechungspraxis wäre es aber verfehlt, aus dieser hohen praktischen Relevanz der Berechtigung der Meldung ein besonderes Gewicht oder einen hervorgehobenen Rang dieses Prüfkriteriums herzuleiten. Die Prüfkriterien stehen vielmehr insgesamt „gleichberechtigt“ nebeneinander, auch wenn sie nicht alle in jedem Einzelfall geprüft werden. Dies belegen die Fälle, in denen das Gericht ohne Prüfung der Berechtigung der Meldung die Unzulässigkeit des Whistleblowings allein mit einem fehlenden innerbetrieblichen Abhilfeversuch begründet234 oder trotz einer berechtigten Meldung bzw. unabhängig von ihrer Berechtigung eine Pflichtverletzung unter Rückgriff auf die übrigen Kriterien als gleichrangige „Indizien“ prüft.235 Zudem untersucht die Rechtsprechung die Berechtigung der Meldung auch nicht immer als erstes Kriterium, was wiederum das Fehlen einer festen Prüfungsreihenfolge belegt.236 c) Berechtigung der Meldung Die mangelnde Berechtigung237 einer Meldung von Missständen kann schon allein eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung des Arbeitnehmers begründen.238 Wenngleich sich die Frage nach der Berechtigung der Meldung in den allermeisten 233
Etwa in LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 11. 11. 2014 – 6 Sa 292/14, juris, Rn. 52; LAG Köln, Urteil v. 02. 02. 2012 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 301. 234 LAG Köln, Urteil v. 05. 07. 2012 – 6 Sa 71/12, juris, Rn. 18; andeutungsweise, aber i. E. offenlassend LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 07. 11. 2013 – 10 Sa 1230/13, juris, Rn. 42. 235 BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 36 f.; BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430 f. („anderen Gründen“); LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 24. 10. 2019 – 10 Sa 792/19, BeckRS 2019, 33782, Rn. 21 ff.; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 14. 08. 2012 – 5 Sa 171/11, NZA-RR 2013, 20, 21 f.; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 02. 04. 2009 – 10 Sa 691/08, juris, Rn. 75 f.; ArbG Dessau-Roßlau, Urteil v. 12. 08. 2020 – 1 Ca 65/20, NZA-RR 2021, 132, 134, Rn. 32 („anderen Gründen“). 236 Vgl. etwa die Prüfungsreihenfolge in BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 17 ff. 237 In der konventionsgerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur wird bisweilen auch der Begriff „authenticity“/„authenticité“ (frei übersetzt: „Authentizität“) oder „Fundiertheit“ verwendet, vgl. etwa EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), HUDOC, Rn. 68; EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 75; LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 554; Redder, WB, S. 185. 238 St. Rspr. BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 14; BAG, Urteil v. 11. 07. 2013 – 2 AZR 994/12, NZA 2014, 250, 253 Rn. 42; BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1066, Rn. 22, 1068, Rn. 37; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 31. 05. 2017 – 15 TaBV 1979/16, 2010/16, 2049/16, BeckRS 2017, 127952, Rn. 38; LAG Düsseldorf, Urteil v. 24. 09. 2012 – 9 Sa 1014/12, juris, Rn. 132; LAG Hamm, Urteil v. 28. 11. 2003 – 10 Sa 1036/03, NZA-RR 2004, 475, 476; ArbG Düsseldorf, Urteil v. 06. 10. 2011 – 4 Ca 3895/07, juris, Rn. 71, 81; ErfK/Niemann, § 626 BGB, Rn. 65; LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 558.
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Fällen in Bezug auf die mitgeteilten Tatsachen stellen dürfte,239 so kann auch die unzutreffende rechtliche Würdigung (wahrheitsgemäß) vorgetragener Tatsachen Bezugspunkt dieses Prüfkriteriums sein.240 Danach liegt eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vor, wenn der Arbeitnehmer wissentlich oder leichtfertig falsche oder nicht aufklärbare Tatsachen behauptet oder wissentlich oder leichtfertig eine unzutreffende rechtliche Bewertung abgibt.241 Vor dem Hintergrund der Einheit der 239 So etwa in BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1066, Rn. 23 ff.; BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 431; LAG Köln, Urteil v. 02. 02. 2012 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 301; LAG Bremen, Urteil v. 17. 07. 2003 – 3 Sa 275/02, NZA-RR 2004, 128, 129; ArbG Dessau-Roßlau, Urteil v. 12. 08. 2020 – 1 Ca 65/20, NZA-RR 2021, 132, 134, Rn. 30 f. 240 Vgl. BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 14; BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 36; LAG Düsseldorf, Beschluss v. 04. 03. 2016 – 10 TaBV 102/15, BeckRS 2016, 68431, Rn. 52, 54; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 24. 10. 2007 – 7 Sa 451/07, BeckRS 2008, 51400, Rn. 60 f.; LAG Hamm, Urteil v. 28. 11. 2003 – 10 Sa 1036/03, NZA-RR 2004, 475, 476 f.; vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888, 889 f., in dem das BVerfG zur Ablehnung wissentlich unwahrer oder leichtfertig falscher Angaben aufgrund „haltlose[r] Erklärungen“ darauf hinweist, dass die Angaben des Arbeitnehmers insbesondere keine „strafrechtlichen Vorwürfe“, also eine rechtliche Würdigung, enthielten; ähnlich zur Strafanzeige eines Mieters BVerfG, Beschluss v. 02. 10. 2001 – 1 BvR 1372/01, NZM 2002, 61; LG Frankfurt (Oder), Urteil v. 15. 04. 2013 – 16 S 230/12, juris, Rn. 14; vgl. insoweit auch zu § 4d FinDAG ASM/Spoerr, Art. 32 VO (EU) Nr. 596/2014, Rn. 17. 241 Vgl. insoweit insbesondere BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1067, Rn. 28, 1068, Rn. 36 f. („eine vertragswidrige Pflichtverletzung [ist] nicht stets schon dann zu verneinen, wenn der Arbeitnehmer die Anzeige erstattet, ohne dabei wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben zu machen. Eine Anzeige kann unabhängig vom Nachweis der mitgeteilten Verfehlung und ihrer Strafbarkeit ein Grund zur Kündigung sein, wenn […]“ [Hervorhebung durch Verf.]) sowie die Quellenangaben in Fn. 239 und 240; etwas widersprüchlich zum Prüfungsmaßstab einer Pflichtverletzung des Whistleblowers wegen eines Rechtsirrtums allerdings BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 14, 16 – aufgrund der klaren und der konkreten Einzelfallprüfung vorangestellten abstrakten Anforderungen an eine unberechtigte Meldung wegen fehlerhafter rechtlicher Vorwürfe, ergeben sich aber auch hier i. E. identische Voraussetzungen für eine Gutgläubigkeit wie bei einem Tatsachenirrtum („Die Einschaltung der Staatsanwaltschaft durch einen Arbeitnehmer wegen eines vermeintlich strafbaren Verhaltens des Arbeitgebers oder seiner Repräsentanten stellt als Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte – soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden – im Regelfall keine eine Kündigung rechtfertigende Pflichtverletzung dar. Dies kann u. a. dann anders zu beurteilen sein, wenn trotz richtiger Darstellung des angezeigten objektiven Sachverhalts für das Vorliegen der nach dem Straftatbestand erforderlichen Absicht keine Anhaltspunkte bestehen und die Strafanzeige sich deshalb als leichtfertig und unangemessen erweist.“ [Hervorhebung durch Verf.]); vgl. auch HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 364; ASM/Spoerr, Art. 32 VO (EU) Nr. 596/2014, Rn. 16; a. A. Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 966, Fn. 47; Gerdemann, SR 2021, 89, 92; ders., RdA 2019, 16, 18, 23; ders., WB, Rn. 249, Fn. 1901; Colneric/ Gerdemann, WBRL, S. 67 f.; auch der EGMR legt einen einheitlichen Prüfungsmaßstab für eine berechtigte/authentische Meldung an, etwa für Tatsachenbehauptung: EGMR, Urteil v. 21. 01. 2015 – 73571/10 (Matúz/Ungarn), HUDOC, Rn. 34, 41; EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 67, 79 ff.; EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 75, 89; für Rechtsauffassung: EGMR, Urteil v. 16. 02.
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Rechtsordnung leuchtet es ein, in diesen Fällen eine arbeitsrechtliche Pflichtverletzung anzunehmen, denn hierin kann auch ein strafrechtlich relevantes Verhalten liegen, etwa eine falsche Verdächtigung (§ 164 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB), üble Nachrede (§ 186 StGB) oder Verleumdung (§ 187 StGB),242 dem sogar der grundrechtliche Schutz fehlen kann. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG schützt nämlich nach ständiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung keine bewusst wahrheitswidrigen Behauptungen.243 Dies dürfte ebenso für Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG gelten. Aus der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2001 geht insoweit allerdings nicht eindeutig hervor, ob wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben bereits keinen Schutz genießen oder ob das staatsbürgerliche Anzeigerecht erst im Rahmen der Abwägung hinter die widerstreitenden Grundrechte des Arbeitgebers zurückzutreten hat, was vorzugswürdig erscheint. aa) Wissentlich falsche Angaben Wissentlich falsch ist eine Meldung, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt ihrer Abgabe die Unwahrheit des vorgetragenen Sachverhalts oder die Fehlerhaftigkeit seiner Rechtsauffassung positiv kannte, sie ihm also bewusst war, und er sie dennoch wider besseren Wissens als richtig dargestellt hat.244 „Vorsätzlich“ falsch trägt er aber auch vor, wenn er die Unrichtigkeit seiner Meldung zwar nur für möglich hält, sie aber billigend in Kauf nimmt, sog. bedingter Vorsatz (dolus eventualis).245 Eine wissentlich falsche Meldung scheidet aber aus, wenn der Whistleblower sie irrtümlich für richtig hält.246 Handelt es sich allerdings um einen vermeidbaren Irrtum, so kann eine leichtfertig falsche Meldung vorliegen.
2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), HUDOC, Rn. 68, 74, 77 f.; EGMR, Urteil v. 17. 09. 2015 – 14464/11 (Langner/Deutschland), NZA 2017, 237, 238, Rn. 45, 239, Rn. 49. 242 Vgl. auch DHSW/Kreuder/Matthiessen-Kreuder, 611a BGB, Rn. 550; Seifert, Solidarität ArbV, S. 213; Redder, WB, S. 39; vgl. zur umstrittenen Strafbarkeit gem. § 164 StGB wegen der Unwahrheit über Tatsachen für viele m. w. N. MüKoStGB/Zopfs, § 164 StGB, Rn. 33 f. 243 Vgl. insoweit Teil 3, A.II.1.a)aa). 244 BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 705, Rn. 23; e contrario BAG, Urteil v. 11. 07. 2013 – 2 AZR 994/12, NZA 2014, 250, 254, Rn. 49; LAG Köln, Urteil v. 02. 02. 2012 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 301; LAG Hamm, Urteil v. 21. 07. 2011 – 11 Sa 2248/10, juris, Rn. 103 (Schadenersatzklage wegen Whistleblowings); LAG Bremen, Urteil v. 17. 07. 2003 – 3 Sa 275/02, NZA-RR 2004, 128, 131 („Bedrohungssituation erfunden“); vgl. auch zur bewussten Falschinformation der Presse BAG, Urteil v. 13. 04. 2000 – 2 AZR 259/99, NZA 2001, 277, 280. 245 e contrario BAG, Urteil v. 11. 07. 2013 – 2 AZR 994/12, NZA 2014, 250, 254, Rn. 49; vgl. auch NK-BGB/Schulze, § 276 BGB, Rn. 9. 246 Vgl. LAG Köln, Urteil v. 02. 02. 2012 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 301; vgl. auch für viele NK-BGB/Schulze, § 276 BGB, Rn. 7; Jauernig/Stadler, § 276 BGB, Rn. 21.
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bb) Leichtfertig falsche Angaben Trotz der praktischen Fallrelevanz des Prüfkriteriums der Berechtigung der Meldung fehlt in der gerichtlichen Praxis eine einheitliche klare und konkrete Definition einer „Leichtfertigkeit“ des Arbeitnehmers und damit der Reichweite des Schutzes für irrende Whistleblower. Die Feststellung, dass ein Arbeitnehmer aufgrund der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht vor der Meldung eines Missstandes deren Berechtigung hinreichend zu verifizieren und einer gewissenhaften und sorgfältigen Prüfung zu unterziehen hat,247 gibt für die Suche nach einem praxistauglichen Prüfungsmaßstab schon einige Anhaltspunkte. Der Rechtsprechung ist weiter eine gewisse Konkretisierung unter zum Teil ausdrücklicher und überzeugender gesetzlicher Anknüpfung an § 276 Abs. 2 BGB zu entnehmen;248 so hat das BAG zur „Leichtfertigkeit“ ausgeführt: „,Leichtfertig falsch‘ ist nicht gleichbedeutend mit ,bewusst falsch‘. Leichtfertig handelt, wer die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens zwar nicht für möglich gehalten und in Kauf genommen hat, sich aber in zumutbarer Weise um bessere Erkenntnis hätte bemühen können.“249
Hieraus ergibt sich zwar, dass es sich um eine Form fahrlässigen Verhaltens handelt, bei dem die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen wird (§ 276 Abs. 2 BGB), nicht aber, welchem Verschuldensgrad die Leichtfertigkeit zuzuordnen ist. Deutlicher wird das BAG insoweit in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2016, nach der sich eine Strafanzeige als „leichtfertig und unangemessenen“ erweist, wenn der Vorwurf „völlig haltlos“ ist und „keine Anhaltspunkte“ für dessen Richtigkeit bestehen, sofern dies für den Arbeitnehmer auch „erkennbar“ war und damit „vorwerfbar“ ist.250 Wie auch bereits der Begriff „leichtfertig“ im Sinne von „besonders unbedacht“ oder „augenfällig gedankenlos“ impliziert, bedarf es also eines qualifizierten Verschuldens des Arbeitnehmers, wie dies im Fall grob fahrlässigen Handelns vorliegt. Mithin ist für die Prüfung leichtfertigen Handelns grundsätzlich der Maßstab der groben Fahrlässigkeit heranzuziehen, so dass der
247 St. Rspr. BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 705 Rn. 24; BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 36; LAG Niedersachsen, Urteil v. 12. 09. 2018 – 14 Sa 140/18, RDG 2019, 128, 129; LAG, Köln, Urteil v. 05. 07. 2012 – 6 Sa 71/12, juris, Rn. 17 und Urteil v. 02. 02. 2012 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 301; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 24. 10. 2007 – 7 Sa 451/07, BeckRS 2008, 51400, Rn. 63; e contrario LAG Hessen, Urteil v. 27. 11. 2001 – 15 Sa 411/01, NZA-RR 2002, 637, 638; ErfK/ Niemann, § 626 BGB, Rn. 64; Eufinger, WM 2016, 2336, 2339; vgl. zu § 4d Abs. 6 FinDAG ASM/Spoerr, Art. 32 VO (EU) Nr. 596/2014, Rn. 17. 248 Etwa BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 705, Rn. 24; vgl. auch Fuhlrott/Oltmanns, DB 2017, 2354, 2358. 249 BAG, Urteil v. 11. 07. 2013 – 2 AZR 994/12, NZA 2014, 250, 254, Rn. 49. 250 BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 14, 16, 19.
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„nur“ einfach fahrlässig irrende Whistleblower privilegiert wird.251 Auf diesen Maßstab wird auch in anderen Rechtsbereichen zur Prüfung einer „Leichtfertigkeit“ als schwerer Pflichtverletzung zurückgegriffen252 und spezialgesetzliche Whistleblowing-Schutznormen, wie etwa § 4d Abs. 6 FinDAG, § 3b Abs. 5 BörsG oder § 48 Abs. 1 GwG, gewähren keinen Schutz, wenn der Whistleblower eine „vorsätzlich oder grob fahrlässig“ unwahre Meldung erstattet hat. In diese Richtung geht auch die Entwicklung im Whistleblowingrecht der USA, wonach ein Schutz erst bei vorsätzlich oder grob fahrlässig unzutreffenden Meldungen entfällt und allein ein objektiv vernünftiger Glaube an deren Richtigkeit ausreicht.253 (1) Abstrakter Prüfungsmaßstab Der Arbeitnehmer muss daher in besonders hohem und schwerwiegendem Maße die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und sich aufdrängende Umstände für die Fehlerhaftigkeit seiner Einschätzung der Sach- und/oder Rechtslage trotz objektiver und subjektiver Erkenntnismöglichkeit weder beachtet noch abgeklärt haben.254 Dabei sind – anders als bei der einfachen Fahrlässigkeit – auch die individuellen Kenntnisse und persönlichen Fähigkeiten des Arbeitnehmers, wie etwa dessen berufliche Vorbildung und Fachkenntnisse, in die Beurteilung einzubeziehen, weshalb zum grundsätzlich objektiv-rechtlichen Maßstab subjektive Elemente hinzutreten.255 Die Fehlerhaftigkeit der Meldung muss für den Arbeitnehmer allerdings erkennbar gewesen sein, damit ihm sein Verhalten auch subjektiv vorwerfbar ist und kein bloß unvermeidbarer und unverschuldeter Irrtum vorlag.256 Fahrlässiges Verhalten kann zudem auch dann vorliegen, wenn der Whistleblower die Fehlerhaftigkeit seiner Wahrnehmung oder Einschätzung zwar für möglich gehalten, aber auf die Richtigkeit seiner Meldung vertraut und deren Fehlerhaftigkeit – in Abgrenzung zum Vorsatz – gerade nicht (billigend) in Kauf genommen hat, sog. bewusste Fahrlässigkeit.257 In der Praxis dürfte die Abgrenzung der bewussten Fahrlässigkeit zum bedingten Vorsatz bisweilen allerdings schwer fallen und die als 251 So auch Rottenwallner, VR 2020, 189, 198; Eufinger, WM 2016, 2336, 2339; Rudkowski, CCZ 2013, 204, 206; Leuchten, ZRP 2012, 142, 143 f.; wohl auch Röller/Küttner/ Kania, Whistleblowing, Rn. 10. 252 Vgl. etwa MüKoStGB/Neuheuser, § 261 StGB, Rn. 108; Ceffinato, § 264 StGB, Rn. 110; MüKoBGB/Grundmann, § 276 BGB, Rn. 92; KMRK/Böse, § 60 WpÜG, Rn. 24; vgl. auch die Reichweite des Gutglaubensschutzes aus § 932 Abs. 2 BGB. 253 Vgl. hierzu in Teil 2, C.II.2.a). 254 Vgl. insoweit etwa Jauernig/Stadler, § 276 BGB, Rn. 33; NK-BGB/Schulze, § 276 BGB, Rn. 19; MüKoBGB/Grundmann, § 276 BGB, Rn. 94; Rottenwallner, VR 2020, 189, 198; Leuchten, ZRP 2012, 142, 144. 255 NK-BGB/Schulze, § 276 BGB, Rn. 3, 19; MüKoBGB/Grundmann, § 276 BGB, Rn. 95; vgl. insoweit auch BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 705, Rn. 24. 256 Vgl. NK-BGB/Schulze, § 276 BGB, Rn. 7, 12; Jauernig/Stadler, § 276 BGB, Rn. 30; vgl. auch BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 16. 257 Vgl. für viele NK-BGB/Schulze, § 276 BGB, Rn. 9, 17; MüKoBGB/Grundmann, § 276 BGB, Rn. 98; Jauernig/Stadler, § 276 BGB, Rn. 26, 34; Leuchten, ZRP 2012, 142, 143.
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möglicherweise falsch erkannte Meldung bei tatsächlich unzutreffenden Vorwürfen regelmäßig ein starkes Indiz für ein leichtfertiges Handeln sein. (2) Konkretisierung in der Rechtsprechung Die Rechtsprechung verlangt für eine berechtigte Aufdeckung von Missständen, dass der Arbeitnehmer seine Aussagen und Wertungen „kritisch [hinterfragt]“ und für die erhobenen Vorwürfe irgendeinen „Anhaltspunkt“ hat.258 Er muss versuchen, die Richtigkeit seiner Meldung (soweit möglich) intern zu verifizieren, was auch dann gilt, wenn er sich von den erhobenen Vorwürfen selbst betroffen sieht.259 Die Konsultation eines Rechtsanwalts kann den Whistleblower vor der Annahme leichtfertigen Verhaltens nur bewahren, wenn der angezeigte Sachverhalt oder die hierzu vorgetragene Rechtsauffassung auch tatsächlich Gegenstand der rechtlichen Beratung war.260 Vor dem Hintergrund der mit einer unberechtigten Meldung verbundenen Nachteile, etwa dem Arbeitsplatzverlust, überhöht die Rechtsprechung die Anforderungen an das Vorliegen einer Berechtigung damit insgesamt erkennbar nicht, so dass der Schutz irrender Whistleblower erst dann endet, wenn sie die Meldung ohne plausible Anhaltspunkte oder ohne einen erkennbaren Grund und damit quasi „ins Blaue hinein“ erstattet haben.261 Sie muss „vollkommen ,aus der Luft gegriffen‘“ und „substanzlos“ sein, wobei selbst „dürftige[] Verdachtsmomente[]“ für die Annahme eines guten Glaubens ausreichen können.262 Es bedarf also eines besonders evidenten Sorgfaltspflichtverstoßes, so dass aus objektiver Sicht unter Berücksichtigung 258 Vgl. BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 14, 19, 705, Rn. 24. 259 BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 20; LAG Hamm, Urteil v. 28. 11. 2003 – 10 Sa 1036/03, NZA-RR 2004, 475, 478; DDZ/Däubler, § 1 KSchG, Rn. 728; a. A. Gerdemann, NJW 2021, 2324, 2326, der Nachforschungsobliegenheiten als dem deutschen Recht bislang „fremd“ bezeichnet. 260 Vgl. insoweit BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 705, Rn. 25; LAG Berlin, Urteil v. 28. 03. 2006 – 7 Sa 1884/05, BeckRS 2009, 68064, Rn. 2.1.2.1.2; LAG Hessen, Urteil v. 27. 11. 2001 – 15 Sa 411/01, NZA-RR 2002, 637, 638; ArbG Essen, Urteil v. 15. 05. 2009 – 2 Ca 2818/08, juris, Rn. 63; Fuhlrott/Oltmanns, DB 2017, 2354, 2358. 261 BVerfG, Beschluss v. 02. 10. 2001 – 1 BvR 1372/01, NZM 2002, 61; BVerfG, Beschluss v. 25. 02. 1987 – 1 BvR 1086/85, NJW 1987, 1929; BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 14, 19; BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1069, Rn. 43; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 31. 05. 2017 – 15 TaBV 1979/16, 2010/16, 2049/16, BeckRS 2017, 127952, Rn. 41, 45; LAG Berlin, Urteil v. 28. 03. 2006 – 7 Sa 1884/05, BeckRS 2009, 68064, Rn. 2.1.2.1.1; LAG Köln, Urteil v. 07. 01. 2000 – 4 Sa 1273/ 99, BeckRS 2000, 40438, Rn. 36; ArbG Düsseldorf, Urteil v. 06. 10. 2011 – 4 Ca 3895/07, juris, Rn. 73; vgl. auch zur Strafanzeige durch einen Mieter LG Frankfurt (Oder), Urteil v. 15. 04. 2013 – 16 S 230/12, juris, Rn. 14; ähnlich zu § 17 ArbSchG, LPS/Greiner, § 17 ArbSchG, Rn. 8. 262 BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1067, Rn. 28, 1069, Rn. 43; LAG Düsseldorf, Beschluss v. 04. 03. 2016 – 10 TaBV 102/15, BeckRS 2016, 68431, Rn. 54; LAG Köln, Urteil v. 17. 02. 2010 – 9 Sa 1056/09, juris, Rn 45.
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subjektiver Komponenten ein leichtfertig unzutreffender Tatsachen- und/oder Rechtsvortrag erst dann zu bejahen ist, wenn sich dessen Unrichtigkeit auch dem Arbeitnehmer als Laien unter Berücksichtigung der ihm (leicht) zugänglichen Informationen aufdrängen musste und er diese in nicht nachvollziehbarer Weise verkannt bzw. ignoriert hat.263 Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kann etwa die Mitteilung unwahrer oder nicht überprüfbarer Tatsachen, die außerhalb des Wahrnehmungsbereichs des Whistleblowers liegen, sein leichtfertiges Handeln indizieren.264 Die vorsichtige Formulierung einer Meldung kann hingegen gegen eine grobe Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers sprechen.265 Überdies hat die Rechtsprechung klargestellt, dass der Ausgang eines aufgrund der Meldung eingeleiteten behördlichen Ermittlungsverfahrens allenfalls ein Indiz, nicht aber ein allein ausschlaggebender Grund für die Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers sein kann und daraus kein zwingender Rückschluss gezogen werden darf.266 So kann aus der Einleitung eines Verfahrens oder aus der späteren Verurteilung des Arbeitgebers nur ein – bisweilen zwar gewichtiges – Indiz für ein berechtigtes267 und aus der Ablehnung oder Einstellung eines Verfahrens nur ein – tendenziell eher schwaches – Indiz für ein leichtfertiges Handeln des Arbeitnehmers hergeleitet werden.268 Die nähere und abschließende Untersuchung und Würdigung des gemeldeten Sachverhalts ist daher nicht Pflicht des Whistleblowers, sondern primär Aufgabe des Arbeitgebers oder staatlicher Stellen.
263 Besonders deutlich insoweit etwa LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 24. 10. 2007 – 7 Sa 451/07, BeckRS 2008, 51400, Rn. 63 (fehlende Strafbarkeit des angezeigten Verhaltens „liegt auf der Hand“); LAG Hamm, Urteil v. 28. 11. 2003 – 10 Sa 1036/03, NZA-RR 2004, 475, 477 (Bewertung der angezeigten Äußerungen als Mordauftrag „völlig lebensfremd“, „in leichtfertiger Weise ein Mordauftrag konstruiert worden“); vgl. auch LAG Hamm, Urteil v. 21. 07. 2011 – 11 Sa 2248/10, juris, Rn. 103 (Schadenersatzklage wegen Whistleblowings). 264 Vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 11. 11. 2014 – 6 Sa 292/14, juris, Rn. 51; LAG Berlin, Urteil v. 28. 03. 2006 – 7 Sa 1884/05, BeckRS 2009, 68064, Rn. 2.1.2.1.1.; vgl. aber andererseits BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1066, Rn. 26 f. 265 LAG Hessen, Urteil v. 27. 11. 2001 – 15 Sa 411/01, NZA-RR 2002, 637, 638. 266 BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 18; LAG Hamm, Urteil v. 21. 07. 2011 – 11 Sa 2248/10, juris, Rn. 100 (Schadenersatzklage wegen Whistleblowings); ArbR-Hdb/Linck, § 127, Rn. 66; Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 7; Eufinger, WM 2016, 2336, 2339. 267 Vgl. etwa BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 17; LAG Düsseldorf, Urteil v. 17. 01. 2002 – 11 Sa 1422/01, BeckRS 2004, 42537, Rn. 29; ArbG Gelsenkirchen, Urteil v. 14. 06. 2017 – 2 Ca 2166/16, juris, Rn. 71; LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 558; andeutungsweise auch BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 431. 268 So etwa in ArbG Düsseldorf, Urteil v. 06. 10. 2011 – 4 Ca 3895/07, juris, Rn. 82; zu weitgehend daher LAG Berlin, Urteil v. 28. 03. 2006 – 7 Sa 1884/05, BeckRS 2009, 68064, Rn. 2.1.2.1.2 (was der EGMR auch ausdrücklich kritisiert hat, vgl. EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 80 f.).
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
cc) Konventionsrechtliche Schutzvorgaben Dieser Prüfungsmaßstab für eine berechtigte Meldung entspricht auch den Anforderungen, die der EGMR in seiner Rechtsprechung an eine schutzwürdige Informationsweitergabe stellt und die bei der Abwägung der kollidierenden Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien als „Auslegungshilfe“ zur Gewährleistung des konventionsrechtlichen Mindestschutzes zu beachten sind.269 Wie die deutsche Rechtsprechung betont auch der EGMR die grundsätzliche Pflicht des Arbeitnehmers zur gewissenhaften und sorgfältigen Prüfung der Richtigkeit weitergegebener Informationen.270 Bewusst unzutreffende Vorwürfe werden nicht geschützt und rechtfertigen regelmäßig einen Eingriff in die Meinungsfreiheit.271 Erkennbar will aber auch der EGMR diese Überprüfungspflicht nicht überspannen und verlangt lediglich, dass die Meldung keiner sachlichen Grundlage entbehrt. Der Whistleblower sei insbesondere nicht verpflichtet, den Sachverhalt auszuermitteln, weil dies originäre Aufgabe der Behörden sei.272 Der EGMR bezieht sich für die Festlegung des Prüfungsmaßstabes sowohl auf die Empfehlungen des Europarats aus dem Jahr 2014, wonach ein Schutz für einen über die Bedeutung und Richtigkeit der gemeldeten Informationen irrenden Whistleblower nicht entfallen solle, sofern er vernünftige Gründe gehabt habe, an deren Richtigkeit zu glauben,273 als auch auf die Grundsätze der Parlamentarischen Versammlung des Europarats aus dem Jahr 2010, die bereits ähnlich vorgaben, dass ein Whistleblower als gutgläubig anzusehen sei, sofern er vernünftige Gründe gehabt habe, die Wahrhaftigkeit der offengelegten Informationen anzunehmen, selbst wenn sich dies später als unzutreffend herausstelle, vorausgesetzt er habe keine rechtswidrigen oder unethischen Motive ver-
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Vgl. hierzu Teil 3, A.II.3.a). St. Rspr. EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), NJW 2021, 2343, 2346, Rn. 75; EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 67, 77; EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 75; vgl. hierzu auch Payandeh, JuS 2016, 690, 694. 271 Vgl. EGMR, Urteil v. 17. 09. 2015 – 14464/11 (Langner/Deutschland), NZA 2017, 237, 239, Rn. 49; EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 67. 272 EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 79 f.; vgl. auch EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), NJW 2021, 2343, 2346, Rn. 75; EGMR, Urteil v. 21. 09. 2016 – 79972/12 (Soares/Portugal), HUDOC, Rn. 46 f.; EGMR, Urteil v. 21. 01. 2015 – 73571/10 (Matúz/Ungarn), HUDOC, Rn. 41. 273 CoE, CM/Rec(2014)7, S. 9, Ziff. 22 („Protection should not be lost solely on the basis that the individual making the report or disclosure was mistaken as to its import or that the perceived threat to the public interest has not materialised, provided he or she had reasonable grounds to believe in its accuracy.“ (frei übersetzt: „Der Schutz sollte nicht nur deshalb entfallen, weil sich die Person, welche die Meldung oder Offenlegung vorgenommen hat, über deren Bedeutung geirrt oder weil sich die vermeintliche Gefahr für das öffentliche Interesse nicht realisiert hat, sofern sie vernünftige Gründe hatte, an die Richtigkeit ihrer Meldung oder Offenlegung zu glauben.“)). 270
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folgt.274 Anders als in der Literatur teilweise vorgetragen,275 ergibt sich hieraus auch für unzutreffende oder nachträglich nicht mehr aufklärbare Vorwürfe allerdings keine generelle Vermutung („Präsumtion“) einer berechtigten Meldung des redlich handelnden Whistleblowers.276 Zwar betont der EGMR nachdrücklich, dass eine mangelnde Aufklärung nicht automatisch zulasten des Arbeitnehmers – gerade bei redlichen Meldemotiven – gehen dürfe. Er prüft aber unbeschadet der Motivlage, ob hinreichende Anhaltspunkte, das heißt eine Tatsachenbasis, für dessen Anschuldigungen vorliegen und der Whistleblower damit seiner Prüfungsobliegenheit nachgekommen ist, ohne dass er den Whistleblower insoweit von einer Darlegungs- und Beweislast gänzlich freistellt.277 Er verzichtet auch bei redlichen Beweggründen des Arbeitnehmers nicht auf die Prüfung vernünftiger Gründe für dessen Annahme der Richtigkeit seiner Meldung und lässt für eine berechtigte Informationsweitergabe nicht etwa eine Meldung aufgrund bloßer Gerüchte ausreichen.278 Jüngst betonte der EGMR dazu im Fall Gawlik vs. Liechtenstein nochmals ausdrücklich die – auch bei einem öffentlichen Interesse an der Meldung bestehende – Verpflichtung zur gewissenhaften Prüfung aller verfügbaren Informationen und Verdachtsmomente. Dabei hob er die Bedeutung der beruflichen und fachlichen Qualifikationen des Arbeitnehmers für die konkreten Anforderungen hervor und lehnte unter Berufung hierauf die Erfüllung der Prüfungsobliegenheit ab, weil der Whistleblower seine 274 PACE, Resolution 1729 (2010), Ziff. 6.2.4. („Any whistle-blower shall be considered as having acted in good faith provided he or she had reasonable grounds to believe that the information disclosed was true, even if it later turns out that this was not the case, and provided he or she did not pursue any unlawful or unethical objectives“/„Tout donneur d’alerte doit être considéré comme agissant de bonne foi, sous réserve qu’il ait des motifs raisonnables de penser que l’information divulguée était vraie, même s’il s’avère par la suite que tel n’était pas le cas, et à condition qu’il n’ait pas d’objectifs illicites ou contraires à l’éthique“ (frei übersetzt: „Es sollte davon ausgegangen werden, dass der Whistleblower in guten Glauben gehandelt hat, sofern er oder sie vernünftige Gründe für die Annahme hatte, dass die weitergegebenen Informationen der Wahrheit entsprechen, selbst wenn sich dies später als falsch herausstellt, und sofern er oder sie keine unrechtmäßigen oder unethischen Ziele verfolgt hat.“)); EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), NJW 2021, 2343, 2346, Rn. 76; EGMR, Urteil v. 08. 04. 2013 – 40238/02 (Bucur u. Toma/Rumänien), HUDOC, Rn. 107; EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 80. 275 Vgl. Ulber, NZA 2011, 962, 963; Brock, öAT 2011, 243, 245; ähnlich HWK/Thüsing, § 611a BGB, Rn. 535; ErfK/Niemann, § 626 BGB, Rn. 64; Schlachter, RdA 2012, 108, 111 f.; Dziba/Naber, ArbRB 2011, 238, 240. 276 In diese Richtung auch Redder, WB, S. 187 f. 277 Vgl. EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), NJW 2021, 2343, 2346, Rn. 75 ff.; EGMR, Urteil v. 08. 04. 2013 – 40238/02 (Bucur u. Toma/Rumänien), HUDOC, Rn. 105 ff.; EGMR, Urteil v. 19. 05. 2009 – 4063/04 (Marchenko/Ukraine), HUDOC, Rn. 47; EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 79 ff.; vgl. auch EGMR, Urteil v. 21. 09. 2016 – 79972/12 (Soares/Portugal), HUDOC, Rn. 47; EGMR, Urteil v. 19. 04. 2016 – 12138/08 (Aurelian Opera/Rumänien), HUDOC, Rn. 67 f. 278 Etwa EGMR, Urteil v. 21. 09. 2016 – 79972/12 (Soares/Portugal), HUDOC, Rn. 46 f.; vgl. auch EGMR, Urteil v. 08. 04. 2013 – 40238/02 (Bucur u. Toma/Rumänien), HUDOC, Rn. 105 ff.
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unzutreffenden Vorwürfe auf bekanntlich unvollständige Unterlagen gestützt hatte, obwohl ihm andere Informationen zur Verfügung gestanden hatten, durch die er seine fehlerhafte Einschätzung aufgrund seiner Fachexpertise sofort hätte erkennen können („he would have recognised immediately that his suspicions were clearly unfounded and he had therefore acted irresponsibly“)279.280 Hierdurch weicht der EGMR aber nicht von seinen bisherigen Urteilen durch eine Verschärfung seiner Anforderungen an die Prüfungsobliegenheit des Whistleblowers ab, sondern präzisiert diese lediglich dadurch, dass er deren Nichterfüllung vor allem mit der für den Arbeitnehmer berufsbedingt einfachen und wenig zeitintensiven Zugänglichkeit zu anderen zur Verifizierung seiner (schweren) Vorwürfe geeigneten Informationen begründet.281 Die konventionsrechtlichen Maßstäbe einer (für die Berechtigung zwingend vorausgesetzten) gutgläubigen Meldung von Missständen decken sich folglich im Ergebnis mit denen der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung.282 d) Motivation des Whistleblowers Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung betont, dass etwa eine Meldung von Missständen, um den Arbeitgeber „fertig zu machen“, keine „Wahrnehmung berechtigter Interessen“, sondern vielmehr rechtsmissbräuchlich sei und schon allein einen Kündigungsgrund darstellen könne.283 Sie misst der Motivation des Whistle279 Frei übersetzt: „hätte er sofort erkannt, dass sein Verdacht offensichtlich unbegründet war und er deshalb leichtsinnig gehandelt hat“. 280 EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), NJW 2021, 2343, 2346, Rn. 73, 75, 77 f. 281 EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), NJW 2021, 2343, 2346, Rn. 78; wohl i. E. auch Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 425; ähnlich, aber kritisch Dzida, ArbRB 2021, 190, 192 f.; a. A. Colneric, AuR 2021, 419, 421 f.; Johnson, CCZ 2021, 206, 208; Gerdemann, NJW 2021, 2324, 2326. 282 Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass der EGMR den Begriff „guten Glauben“ („good faith“/„bonne foi“) wie im internationalen Recht üblich als „Treu und Glauben“ bzw. „Treugläubigkeit“ und nicht wie im deutschen Rechtsraum üblich allein als fehlendes subjektives Unrechtsbewusstsein trotz objektiv fehlender Berechtigung versteht, weswegen er die rein subjektiv-rechtlich zu beurteilenden Fragen des Motivs und der Wahrheitsannahme der gemeldeten Informationen beide unter diesen Begriff subsumiert, wobei er im Rahmen der „authenticity“/„authenticité“ (frei übersetzt: „Authentizität“) der gemeldeten Informationen dennoch ausschließlich die objektiv-rechtliche Wahrheit der gemeldeten Informationen und die subjektiv-rechtliche Annahme der Richtigkeit prüft, vgl. etwa EGMR, Urteil v. 21. 01. 2015 – 73571/10 (Matúz/Ungarn), HUDOC, Rn. 41, 44; EGMR, Urteil v. 08. 04. 2013 – 40238/02 (Bucur u. Toma/Rumänien), HUDOC, Rn. 105, 118; EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 67, 69, 83, 87; EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 75, 77, 94; vgl. auch Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 45; ders., Überlegungen zur Umsetzung der WBRL, S. 5; Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 144; insoweit für das deutsche Recht eher irritierend Brock, öAT 2011, 243, 245. 283 St. Rspr. BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 36; BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430; BAG, Urteil v. 04. 07.
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blowers daher eine große Bedeutung zu – anders als etwa das amerikanische Whistleblowingrecht, in dem sie sich als Schutzvoraussetzung „auf dem Rückzug“ befindet.284 aa) Verwerfliche Motivation Eine verwerfliche285 Motivation liegt etwa vor, wenn der Whistleblower in Schädigungs- oder Racheabsicht handelt, also um seinen Arbeitgeber oder den angeschuldigten Mitarbeiter „anzuschwärzen“ oder in ein „schlechtes Licht zu rücken“,286 so dass für die Verwerflichkeit der intrinsischen Haltung stets der mit der Meldung verfolgte Zweck maßgeblich ist. Abgesehen von klaren Fällen, in denen die sachfremde und unbillige Absicht des Arbeitnehmers offensichtlich ist, greift die Rechtsprechung zur Feststellung des Fehlens berechtigter Interessen auf bestimmte Indizien zurück. So können ein langer zeitlicher Abstand zwischen der Kenntnis der Missstände und ihrer Meldung,287 ihre missbilligende Form oder Wortwahl,288 eine zeitliche Nähe zu einer vorangegangenen „ungeliebten“ arbeitgeberseitigen Maßnahme, etwa einer Abmahnung oder einer Kündigung,289 aber auch persönliche 1991 – 2 AZR 80/91, juris, Rn. 28; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 24. 10. 2007 – 7 Sa 451/07, BeckRS 2008, 51400, Rn. 57; LAG Berlin, Urteil v. 28. 03. 2006 – 7 Sa 1884/05, BeckRS 2009, 68064, Rn. 2.1.1; LAG Hamm, Urteil v. 28. 11. 2003 – 10 Sa 1036/03, NZA-RR 2004, 475, 476; LAG Köln, Urteil v. 10. 07. 2003 – 5 Sa 151/03, juris, Rn. 6; ArbG Dessau-Roßlau, Urteil v. 12. 08. 2020 – 1 Ca 65/20, NZA-RR 2021, 132, 133, Rn. 29; für viele BeckOK-ArbR/ Stoffels, § 626 BGB, Rn. 131; HWK/Thüsing, § 611a BGB, Rn. 535; Staudinger/Preis, § 626 BGB, Rn. 131a; LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 559; Gerdemann, SR 2021, 89, 91; ders., RdA 2019, 16, 18; Groß/Platzer, NZA 2017, 1097, 1099; Bergwitz, NZA 2018, 333, 335; Müller, NZA 2002, 424, 435; vgl. so auch zur Kündigung eines Mieters AG München, Endurteil v. 23. 03. 2016 – 424 C 21138/15, BeckRS 2016, 116015, Rn. 20. 284 Vgl. hierzu in Teil 2, C.II.2.a). 285 Oder auch „unredliche“ oder „unbillige“ Motivation. 286 Vgl. etwa BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 36; BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 24. 10. 2019 – 10 Sa 792/19, BeckRS 2019, 33782, Rn. 24; LAG Niedersachsen, Urteil v. 12. 09. 2018 – 14 Sa 140/18, RDG 2019, 128, 130; LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 20. 03. 2012 – 2 Sa 331/11, juris, Rn. 46; LAG Hamm, Urteil v. 28. 11. 2003 – 10 Sa 1036/03, NZA-RR 2004, 475, 476; LAG Köln, Urteil v. 07. 01. 2000 – 4 Sa 1273/99, BeckRS 2000, 40438, Rn. 34 ff. („als boshaft zu bezeichnende[s], allein auf Schädigung abzielende[s] Vorgehen[]“); ArbG Dessau-Roßlau, Urteil v. 12. 08. 2020 – 1 Ca 65/20, NZA-RR 2021, 132, 133, Rn. 29; BeckOK-ArbR/Stoffels, § 626 BGB, Rn. 131; LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 559; Staudinger/Preis, § 626 BGB, Rn. 131a; MüKoBGB/Henssler, § 626 BGB, Rn. 186. 287 LAG Köln, Urteil v. 07. 01. 2000 – 4 Sa 1273/99, BeckRS 2000, 40438, Rn. 35; ArbG Düsseldorf, Urteil v. 06. 10. 2011 – 4 Ca 3895/07, juris, Rn. 71, 84. 288 LAG Hamm, Urteil v. 21. 07. 2011 – 11 Sa 2248/10, juris, Rn. 110 (Schadenersatzklage wegen Whistleblowings); LAG Hamm, Urteil v. 24. 02. 2011 – 17 Sa 1669/10, Rn. 82; ArbG Düsseldorf, Urteil v. 06. 10. 2011 – 4 Ca 3895/07, juris, Rn. 71, 85. 289 BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 431; LAG SchleswigHolstein, Urteil v. 20. 03. 2012 – 2 Sa 331/11, juris, Rn. 46; LAG Köln, Urteil v. 10. 07. 2003 –
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Differenzen und Zwietracht oder die Zerrüttung privater (Liebes-)Beziehungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien290 eine verwerfliche Motivation indizieren. Zudem ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass die Instrumentalisierung der Meldung zur Druckausübung auf den Arbeitgeber, um einen (rechtswidrigen) Vorteil für sich oder andere zu erhalten, unredlich ist und eine unangemessene MittelZweck-Relation darstellen kann.291 Auch die fehlende Berechtigung der Meldung oder die anonyme Informationsweitergabe kann ein Indiz für eine sachfremde und unbillige Motivation des Arbeitnehmers sein.292 Im Einzelfall dürfte zudem das Fehlen eines vorherigen internen Abhilfeversuchs oder aber ein fehlender interner oder behördlicher Aufklärungsversuch vor einer direkten Meldung an einen bestimmten Adressaten, etwa die Presse, eine Schädigungsabsicht nahelegen. In der Rechtsprechung ist bislang noch nicht geklärt, wie in diesem Zusammenhang eine Meldepflicht293 des Arbeitnehmers zu bewerten ist. Meldet er etwa zutreffend und wahrheitsgemäß bestehende Missstände und erfüllt damit eine ihm obliegende Meldepflicht, spricht das dafür, dass allein seine verwerfliche Motivation, insbesondere bei einer vertraglichen oder durch Direktionsrecht erweiterten Meldepflicht, keine kündigungsrelevante Pflichtverletzung begründen dürfte.294 Ein unredlicher Whistleblower wäre ansonsten stets von einem Arbeitsplatzverlust bedroht – entweder weil er die Meldung von Missständen pflichtwidrig unterlässt oder weil er sie aus „falschen“ Motiven vornimmt. Gerade dann, wenn ein Arbeitgeber von seinen Beschäftigten die Meldung von Missständen verlangt, erscheint es treuwidrig und widersprüchlich (venire contra factum proprium), einem Arbeitnehmer zu kündigen, der diese Meldepflicht (aus welchen Gründen auch immer) erfüllt.295 Das gilt natürlich erst recht, wenn der Arbeitgeber arbeitsrechtliche Maßnahmen für den Fall einer berechtigten Meldung ausschließt. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die Meldepflicht ausdrücklich auf „redliche“ Whistleblower beschränkt würde, was praktisch wohl kaum vorkommen dürfte und in Anbetracht der mit einer Meldepflicht beabsichtigten Steigerung und Sicherstellung rechts5 Sa 151/03, juris, Rn. 6; ArbG Düsseldorf, Urteil v. 06. 10. 2011 – 4 Ca 3895/07, juris, Rn. 84 („zeitliche Nähe der Strafanzeige zu den sich abzeichnenden […] Folgekündigungen“). 290 BAG, Urteil v. 04. 07. 1991 – 2 AZR 80/91, juris, Rn. 27 f.; LAG Köln, Urteil v. 07. 01. 2000 – 4 Sa 1273/99, BeckRS 2000, 40438, Rn. 34 f. 291 Vgl. etwa LAG Niedersachsen, Urteil v. 12. 09. 2018 – 14 Sa 140/18, RDG 2019, 128, 130; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 14.08 2012 – 5 Sa 171/11, NZA-RR 2013, 20, 22; LAG Berlin, Urteil v. 28. 03. 2006 – 7 Sa 1884/05, BeckRS 2009, 68064, Rn. 2.1.2.2.3; vgl. auch zur Drohung mit Whistleblowing in Teil 4, B.III.2.a)bb)(1). 292 Vgl. etwa LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 20. 03. 2012 – 2 Sa 331/11, juris, Rn. 46; LAG Bremen, Urteil v. 17. 07. 2003 – 3 Sa 275/02, NZA-RR 2004, 128, 131; ArbG Düsseldorf, Urteil v. 06. 10. 2011 – 4 Ca 3895/07, juris, Rn. 83. 293 Vgl. hierzu noch in Teil 4, B.III.2.e)cc)(6)(b). 294 Ähnlich auch Stein, BB 2004, 1961, 1963; Redder, WB, S. 29. 295 Ähnlich Wisskirchen/Körber/Bissels, BB 2006, 1567, 1571; Wisskirchen/Jordan/Bissels, DB 2005, 2190, 2193; Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 137; Mengel, Compliance und ArbR, Kap. 1, Rn. 124.
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konformen Verhaltens im Unternehmen auch wenig Sinn ergäbe. Nach diesen Grundsätzen dürfte die Motivation des Arbeitnehmers bei bestehender Meldepflicht als Prüfkriterium für die Zulässigkeit des Whistleblowings keine eigenständige Rolle spielen.296 Die Rechtsprechung hat sich zu dieser Frage zwar bislang noch nicht ausdrücklich geäußert, sie scheint aber geneigt, ein verwerfliches Motiv selbst im Fall bestehender (gesetzlicher) Meldepflichten als eigenständigen Kündigungsgrund ausreichen zu lassen.297 bb) Berechtigte Interessen Die Wahrnehmung berechtigter Interessen kann auch positiv festgestellt werden, wobei die – hier behandelte – eigene Motivation des Whistleblowers für seine Meldung von dem – später noch behandelten – öffentlichen (Fremd-)Interesse an seiner Meldung zu unterscheiden ist.298 Völlig unzweifelhaft verfolgt der Whistleblower regelmäßig berechtigte Interessen, wenn er altruistisch, das heißt selbstlos und uneigennützig, aus eigenem Antrieb schützenswerte Fremdinteressen wahrnimmt. Ein solcher Fall liegt insbesondere vor, wenn er zum Schutz von Allgemeininteressen betriebsinterne Informationen mitteilt, um die Strafverfolgung und/oder Beseitigung öffentlich relevanter Missstände zu ermöglichen, aber auch dann, wenn er einen solchen Zweck zum Schutz bestimmter „Partikularinteressen“ verfolgt, etwa zu Gunsten einer konkreten hilfsbedürftigen Personengruppe oder der Arbeitnehmerschaft des betroffenen Unternehmens.299 Ebenso wie das Vorgehen des Arbeitnehmers im Einzelfall ein Indiz für die Verwerflichkeit seiner Motivation sein kann, kann es andererseits auch ein Anzeichen für die Wahrnehmung solcher berechtigter Interessen sein.300 Auch in der alleinigen Verfolgung von Eigeninteressen kann die Wahrnehmung berechtigter Interessen liegen, etwa zur Befreiung aus einer besonderen psychischen Drucksituation, zur Verhinderung einer befürchteten eigenen Strafbarkeit wegen des 296 A. A. MAH-ArbR/Ulrich/Ulrich, § 43, Rn. 362; Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 12 („sanktionsfreie innerbetriebliche Hinweismöglichkeit“ für den „redlichen Hinweisgeber“). 297 Vgl. zum Fall einer Gefährdungsanzeige nach § 16 Abs. 1 ArbSchG LAG Niedersachsen, Urteil v. 12. 09. 2018 – 14 Sa 140/18, RDG 2019, 128, 129 f. 298 Vgl. hierzu eingehend in Teil 4, B.III.2.g). 299 Vgl. etwa EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), HUDOC, Rn. 83; EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 82 f.; EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 92 f.; LAG Düsseldorf, Beschluss v. 04. 03. 2016 – 10 TaBV 102/15, BeckRS 2016, 68431, Rn. 55; LAG Hamm, Urteil v. 21. 07. 2011 – 11 Sa 2248/10, juris, Rn. 110 (Schadenersatzklage wegen Whistleblowings); ArbG Dessau-Roßlau, Urteil v. 12. 08. 2020 – 1 Ca 65/20, NZA-RR 2021, 132, 134, Rn. 33. 300 Etwa EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 86; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 24. 10. 2019 – 10 Sa 792/19, BeckRS 2019, 33782, Rn. 25.
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betrieblichen Missstands oder auch schlicht zum Eigenschutz vor dessen Auswirkungen.301 Unklar und soweit ersichtlich bislang nicht entschieden ist, ob die Meldung von Missständen unredlich ist, wenn sie dazu dient, eine Belohnung oder eine geringere Strafe wegen eigener Beteiligung an den Missständen zu erhalten. Der EGMR sieht jedenfalls in der Erwartung finanzieller Vorteile keine Rechtfertigung für einen besonders starken Schutz eines Whistleblowers.302 cc) Mischmotivation Es liegt in der menschlichen Natur, dass einem Verhalten, wie auch dem des Whistleblowings, oftmals mehrere Beweggründe zugrundliegen. Es fragt sich daher, ob auch eine sog. Mischmotivation bzw. ein Motivbündel aus verwerflicher und redlicher Motivation nach der Rechtsprechung zu der Annahme einer Pflichtverletzung führt und bereits als alleiniger Kündigungsgrund ausreichend sein kann. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat sich bislang nicht klar und eindeutig für die Erforderlichkeit einer ausschließlich verwerflichen Motivation ausgesprochen.303 Wenngleich das BAG in seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2003 ausführt, dass eine Rechtsmissbräuchlichkeit und damit eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers dann anzunehmen sei, wenn er „ausschließlich“ in Schädigungsabsicht gehandelt habe,304 hat es in seiner jüngeren Entscheidung aus dem Jahr 2012 demgegenüber erklärt, dass eine Meldung, die aus einer „vorrangigen“ Schädigungsoder Racheabsicht erfolgt ist, einen Kündigungsgrund „an sich“ darstellen könne.305 Dem BAG scheint danach eine überwiegende Mitursächlichkeit verwerflicher Motive im Einzelfall für die Annahme einer Pflichtverletzung auszureichen.
301
Etwa e contrario BAG, Urteil v. 04. 07. 1991 – 2 AZR 80/91, juris, Rn. 28; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 02. 04. 2009 – 10 Sa 691/08, juris, Rn. 78; LAG Hamm, Urteil v. 12. 11. 1990 – 19 (16) Sa 6/90, LAGE § 626 BGB, Nr. 54, S. 5 („Straffreiheit“) (Vorinstanz BAG); ArbG Dessau-Roßlau, Urteil v. 12. 08. 2020 – 1 Ca 65/20, NZA-RR 2021, 132, 134, Rn. 33. 302 St. Rspr. EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), HUDOC, Rn. 71; EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 69; EGMR, Urteil v 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 77. 303 In diese Richtung aber Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 4; HWK/Thüsing, § 611a BGB, Rn. 535; KR-KSchG/Rachor, § 1 KSchG, Rn. 464; SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 17; Rottenwallner, VR 2020, 189, 197; Dzida/Naber, ArbRB 2011, 238, 239; Simon/Schilling, BB 2011, 2421, 2423, 2428. 304 BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430; so auch oder (sehr) ähnlich LAG Düsseldorf, Beschluss v. 04. 03. 2016 – 10 TaBV 102/15, BeckRS 2016, 68431, Rn. 52; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 24. 10. 2007 – 7 Sa 451/07, BeckRS 2008, 51400, Rn. 57; LAG Köln, Urteil v. 10. 07. 2003 – 5 Sa 151/03, juris, Rn. 6; ArbG Dessau-Roßlau, Urteil v. 12. 08. 2020 – 1 Ca 65/20, NZA-RR 2021, 132, 133, Rn. 29. 305 BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 36; ähnlich LAG Niedersachsen, Urteil v. 12. 09. 2018 – 14 Sa 140/18, RDG 2019, 128, 130 („in erster Linie“).
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Das entspricht auch der Rechtsprechung des EGMR, aus der sich nicht ergibt, dass der besondere Schutz durch die Meinungsfreiheit für einen Whistleblower erst dann abzulehnen ist, wenn er ausschließlich aus unredlichen Motiven handelt. In der Entscheidung Langner vs. Deutschland hat der EGMR einen besonderen Schutz aus Art. 10 Abs. 1 EMRK vielmehr unter anderem abgelehnt, weil die Äußerung des Arbeitnehmers „eher“ („rather“) auf persönlichen Vorbehalten als auf dem Ziel beruhte, interne Missstände aufzudecken.306 Der Entscheidung Heinisch vs. Deutschland ist aber wiederum zu entnehmen, dass die redlichen Motive einer gleichermaßen unredlichen Mischmotivation für einen besonderen Schutz der Äußerung sprechen können.307 Nach dieser konventionsgerichtlichen Rechtsprechung dürfte danach zumindest ein Handeln aus gleichermaßen verwerflichen wie redlichen Motiven jedenfalls keinen Eingriff in die Meinungsfreiheit rechtfertigen. e) Innerbetrieblicher Abhilfeversuch Seit der Grundsatzentscheidung des BAG aus dem Jahr 2003 steht fest, dass bei einer externen Meldung trotz ihrer Berechtigung das Fehlen eines vorherigen innerbetrieblichen Abhilfeversuchs den „Ausnahmefall“ einer gerechtfertigten Kündigung wegen Whistleblowings begründen kann, denn der Arbeitnehmer soll allein „dadurch“ seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verletzen können.308 Hiervon zu trennen ist die Begründung eines eigenständigen Kündigungsgrunds durch das bloße Unterlassen einer internen Meldung bei einer bestehenden innerbetrieblichen Meldepflicht des Arbeitnehmers.309 Das Erfordernis eines vor Abgabe einer externen Meldung vorrangigen innerbetrieblichen Abhilfeversuchs stützt das BAG auf die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers, ohne 306 EGMR, Urteil v. 17. 09. 2015 – 14464/11 (Langner/Deutschland), NZA 2017, 237, 239, Rn. 47. 307 EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 83; vgl. auch Redder, WB, S. 192; beachte, dass der EGMR die Motivation unter dem Begriff des „guten Glaubens“/„good faith“/„bonne foi“ prüft, vgl. hierzu bereits unter Fn. 282. 308 BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 429 ff.; vgl. auch BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 14; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15. 04. 2019 – 3 Sa 411/18, juris, Rn. 69; LAG Köln, Urteil v. 05. 07. 2012 – 6 Sa 71/ 12, juris, Rn. 18; LAG Hamm, Urteil v. 28. 11. 2003 – 10 Sa 1036/03, NZA-RR 2004, 475, 476; für viele BeckOK-ArbR/Stoffels, § 626 BGB, Rn. 130; a. A. LAG Hessen, Urteil v. 27. 11. 2001 – 15 Sa 411/01, NZA-RR 2002, 637, 638; DHSW/Markowski, § 1 KSchG, Rn. 313; wohl auch LAG Düsseldorf, Urteil v. 17. 01. 2002 – 11 Sa 1422/01, BeckRS 2004, 42537, Rn. 30; etwas verwirrend indes ArbG Dessau-Roßlau, Urteil v. 12. 08. 2020 – 1 Ca 65/ 20, NZA-RR 2021, 132, 133, Rn. 29, 134, Rn. 34, das für die Pflicht zum vorherigen innerbetrieblichen Abhilfeversuch zwischen einem „innerbetrieblichen Missstand“ und der Verletzung einer allgemeinen öffentlich-rechtlichen Regelung differenziert. 309 Vgl. hierzu Röller/Küttner/Poeche, Anzeigepflichten Arbeitnehmer, Rn. 3; NK-ArbR/ Kerwer, § 1 KSchG, Rn. 1067, 1070; MAH-ArbR/Ulrich/Ulrich, § 43, Rn. 362; vgl. auch LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 08. 07. 2016 – 2 Sa 190/15, BeckRS 2016, 73741, Rn. 92; zu § 16 Abs. 1 ArbSchG DHSW/Hamm/Faber, § 16 ArbSchG, Rn. 3.
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insoweit auf spezialgesetzliche Vorgaben zu rekurrieren. Dabei hat es zwar betont, dass der innerbetrieblichen Klärung „nicht generell“ der Vorrang gebühre, sondern allein dann, wenn sie zumutbar und ihr Unterlassen deshalb pflichtwidrig war.310 Faktisch stellt dies aber den Schutz eines Whistleblowers grundsätzlich unter den Vorbehalt eines vorherigen innerbetrieblichen Abhilfeversuchs,311 was zwar mit den spezialgesetzlichen Vorgaben des § 17 Abs. 2 S. 1 ArbSchG übereinstimmt, nicht aber mit denen des § 4d Abs. 1, 6 FinDAG und § 3b Abs. 1, 5 BörsG, die eine direkte Meldung an Behörden zulassen.312 aa) Stufenverhältnis zulässiger Adressaten Aus diesem grundsätzlichen Vorrang internen Whistleblowings leitet sich ein von dem Whistleblower zu beachtendes Stufenverhältnis zulässiger Adressaten ab. Zunächst hat er sich vor einer Meldung an staatliche Stellen – anders als etwa im moderneren Whistleblowingrecht der USA –313 bei internen Stellen um Abhilfe zu bemühen. Wenngleich die Rechtsprechung ein solches Vorrangverhältnis bislang (mangels eines entsprechenden Falls) noch nicht ausdrücklich für Fälle externen Whistleblowings gegenüber der Öffentlichkeit, etwa durch die Presse oder andere öffentliche (digitale) Medien oder Kanälen, festgestellt hat, gilt es für diese denklogisch erst recht.314 In derartigen Fällen besteht daher neben dem Vorrang eines internen auch der Vorrang eines externen Abhilfeversuchs bei staatlichen Stellen.315 Nach diesem dreistufigen System zulässiger Adressaten – intern, extern staatlich, extern öffentlich – setzt die Weitergabe betriebsinterner Informationen über Miss310
BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430. Vgl. auch für viele Staudinger/Preis, § 626 BGB, Rn. 132; HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 367; SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 15; KR-KSchG/Fischermeier, § 626 BGB, Rn. 424; Rachor, § 1 KSchG, Rn. 463; Gerdemann, SR 2021, 89, 91; Wisskirchen/Jordan/Bissels, DB 2005, 2190, 2193; Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 117; unter Verweis auf § 17 Abs. 2 S. 1 ArbSchG als allgemeinem Rechtsgedanken etwa LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 555; MüHdb-ArbR/Reichold, § 54, Rn. 41; MüKoBGB/ Henssler, § 626 BGB, Rn. 185; Fuhlrott/Oltmanns, DB 2017, 2354, 2357. 312 Vgl. hierzu in Teil 4, B.II.3.b). 313 Vgl. insoweit Teil 2, C.II.2.a). 314 Vgl. insoweit auch BAG, Urteil v. 05. 12. 2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 646, 653, Rn. 84; BAG, Urteil v. 23. 10. 2008 – 2 AZR 483/07, NZA-RR 2009, 362, 365, Rn. 47 (Presserechtliche Gegendarstellung einer Arbeitnehmerin); SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 18; ErfK/Schmidt, Art. 5 GG, Rn. 37; Klaas, CCZ 2019, 163, 166, 168; Schmitt, RdA 2017, 365, 366. 315 Vgl. für viele Staudinger/Preis, § 626 BGB, Rn. 133; BeckOK-ArbR/Stoffels, § 626 BGB, Rn. 128; HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 370; SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 18; Klaas, CCZ 2019, 163, 166; Fuhlrott/Oltmanns, DB 2017, 2354, 2357; Schmitt, RdA 2017, 365, 366; Rudkowski, CCZ 2013, 204, 207 f.; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 198 f.; vgl. insoweit auch BVerfG, Beschluss v. 28. 04. 1970 – 1 BvR 690/65 (Pätsch), NJW 1970, 1498, 1500 f. (zur Veröffentlichung von Missständen durch einen Angestellten des öffentlichen Dienstes); LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15. 05. 2014 – 5 Sa 60/ 14, juris, Rn. 37. 311
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stände an die Öffentlichkeit grundsätzlich die Erfolglosigkeit eines Abhilfeversuchs bei innerbetrieblichen und staatlichen Stellen voraus und kann nur das allerletzte Mittel (ultima ratio), also der absolute „Notausgang“ eines Arbeitnehmers sein.316 Ein solches Verhalten wird auch allein durch seine Meinungsfreiheit, nicht aber durch sein staatsbürgerliches Anzeigerecht geschützt.317 Eine direkte „Flucht in die Öffentlichkeit“ ist danach regelmäßig nur zulässig, wenn die Meldung der Missstände an interne Stellen oder an externe Behörden dem Arbeitnehmer ausnahmsweise unzumutbar ist, etwa wenn staatliche Stellen in die Missstände „verstrickt“ sind oder sogar kollusiv mit dem Arbeitgeber zusammenwirken.318 bb) Konventionsrechtliche Schutzvorgaben Diese Anforderungen der deutschen Rechtsprechung sind auch grundsätzlich mit dem konventionsrechtlich gebotenen Mindestschutzniveau für die kollidierenden Konventionsrechte der Arbeitsvertragsparteien zu vereinbaren und greifen insbesondere nicht unzulässig in die Meinungsfreiheit des Whistleblowers ein, obwohl der EGMR selbst die Einhaltung dieses dreistufigen Systems zulässiger Meldeadressaten nicht als zwingende Schutzvoraussetzung fordert. Er hat zwar betont, die Loyalitäts- und Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers gebiete, dass dieser sich in erster Linie/zunächst („in the first place“/„d’abord“) an seinen Vorgesetzten oder andere zuständige Behörden oder Einrichtungen/Stellen („the persons’s superior or other competent authority or body“/„son supérieur ou d’une autre autorité ou instance compétente“) wendet und dass er erst dann, wenn dies offensichtlich erfolglos/unpraktikabel („clearly impracticable“/„en cas d’impossibilité“) ist, die Information als letztes Mittel („as a last resort“/„qu’en dernier ressort“) gegenüber der Öffentlichkeit („to the public“/„au public“) offenlegen dürfe.319 Anders als dies seit der Entscheidung Heinisch vs. Deutschland von der wohl herrschenden Meinung hierzulande vertreten wird,320 hat der EGMR durch diesen – in zahlreichen Ent316 ErfK/Schmidt, Art. 5 GG, Rn. 37; HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 370; Staudinger/Preis, § 626 BGB, Rn. 133; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 51; dies., RdA 2017, 365, 366; Klaas, CCZ 2019, 163, 166; Fuhlrott/Oltmanns, DB 2017, 2354, 2358; Rudkowski, CCZ 2013, 204, 207; Leuchten, ZRP 2012, 142, 144; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 199. 317 Rudkowski, CCZ 2013, 204, 207. 318 So auch Klaas, CCZ 2019, 163, 166; Rudkowski, CCZ 2013, 204, 208; ähnlich Leuchten, ZRP 2012, 142, 144. 319 EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 65; EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 73; bestätigend zuletzt EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), NJW 2021, 2343, 2345, Rn. 70. 320 LAG Köln, Urteil v. 05. 07. 2012 – 6 Sa 71/12, juris, Rn. 17 und Urteil v. 02. 02. 2012 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 300; HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 363; HOK/ Ohly, § 5 GeschGehG, Rn. 48; FGO/Schubert, Art. 5 RL (EU) 2016/943, Rn. 16, Art. 10 EMRK, Rn. 38; Fest, Art. 1 RL (EU) 2019/1937, Rn. 9; MüKoBGB/Henssler, § 626 BGB, Rn. 185; KR-KSchG/Fischermeier, § 626 BGB, Rn. 424; SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 15; Buchwald, ZESAR 2021, 69, 73; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 51; dies., RdA
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scheidungen (wörtlich) wiederholten – Grundsatz jedoch keinen Vorrang eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs aufgestellt.321 Diese Interpretation der Entscheidung dürfte vor allem auf einem Übersetzungsfehler der offiziellen Sprachfassungen322 in die deutsche Sprache beruhen und entspricht auch nicht der Anwendungspraxis des EGMR. Schon dem soeben wiedergegebenen Wortlaut der offiziellen Sprachfassungen ist kein grundsätzlicher Vorrang eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs vor einer Meldung an staatliche Stellen zu entnehmen. Der EGMR verlangt für einen überwiegenden Schutz des Arbeitnehmers durch Art. 10 Abs. 1 EMRK lediglich, dass die Offenlegung betriebsinterner Informationen gegenüber der Öffentlichkeit („to the public“/„au public“) ultima ratio sein muss und der Arbeitnehmer deshalb zuvor andere Aufdeckungsmittel, etwa eine Meldung an seinen Vorgesetzten oder an zuständige Behörden oder andere Einrichtungen/Stellen, ausgeschöpft haben muss, ohne dies auf innerbetriebliche Abhilfemöglichkeiten zu beschränken.323 Diese Einschätzung korreliert auch damit, dass dieser Grundsatz für Whistleblowing-Fälle der Entscheidung Guja vs. Moldau entstammt, in der es um die Offenlegung interner Missstände eines Beamten gegenüber der Presse ging und der EGMR – wie auch ähnlich in der Entscheidung Bucur und Toma vs. Rumänien –324 neben internen auch andere externe staatliche Abhilfemöglichkeiten als Offenlegungsalternativen („alternative channels for the disclosure“/„d’autres moyens pour procéder à la divulgation“) geprüft hat.325 In Marchenko vs. Ukraine hat er die direkte Meldung eines Lehrers an eine staatliche Aufsichtsbehörde und die Staatsanwaltschaft nicht einmal als Indiz für eine Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 10 Abs. 1 EMRK angesprochen, sondern mehr beiläufig erwähnt, dass es sich dabei um eine Mitteilung an zuständige Stellen („competent authorities“) gehandelt habe.326 Ein allgemeines 2017, 365, 367; Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351, 357; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964; Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1003; Fuhlrott/Oltmanns, DB 2017, 2354, 2355 f.; Rudkowski, CCZ 2013, 204, 206; Forst, NJW 2011, 3477, 3479, 3481; Becker, DB 2011, 2202, 2203; BDA, Stellungnahme WBRL, o. S. 321 So auch LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 555, 561; ders., SR 2019, 138, 145; Steinhauser/ Kreis, EuZA 2021, 422, 425; Gerdemann, SR 2021, 1, 16; ders., NZA-Beilage 2020, 43, 44 f.; Rottenwallner, VR 2020, 189, 198; Spindler, ZWeR 2020, 313, 318 f.; Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896, 1901; Colneric, SR 2018, 232, 234, 237 f.; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 91, 94 f.; wohl auch DHSW/Markowski, § 1 KSchG, Rn. 313, 316; andeutungsweise Dzida/ Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203. 322 Vgl. zu den Amtssprachen des EGMR bereits Fn. 195. 323 Vgl. auch LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 561; ders., SR 2019, 138, 145; Colneric, SR 2018, 232, 234; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 92; CoE, CM/Rec(2014)7, S. 28, Ziff. 53. 324 EGMR, Urteil v. 08. 04. 2013 – 40238/02 (Bucur u. Toma/Rumänien), HUDOC, Rn. 95 ff.; vgl. hierzu auch Colneric, SR 2018, 232, 237. 325 EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 80 ff.; vgl. auch Colneric, SR 2018, 232, 234 f., 238. 326 EGMR, Urteil v. 19. 05. 2009 – 4063/04 (Marchenko/Ukraine), HUDOC, Rn. 47; vgl. auch Colneric, SR 2018, 232, 235.
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Stufenverhältnis zwischen zulässigen internen und externen staatlichen Adressaten lässt sich diesen Entscheidungen nicht entnehmen. Zu konzedieren ist der wohl herrschenden Auffassung allerdings, dass sich die Entscheidung Heinisch vs. Deutschland in einigen Fundstellen anders liest. Die deutsche Übersetzung in mehreren juristischen Fachzeitschriften/Datenbanken erweckt in der Tat den Eindruck, der EGMR habe ausdrücklich den Grundsatz aufgestellt, dass ein Arbeitnehmer betriebsinterne Informationen über Missstände stets zunächst „dem Vorgesetzten oder einer anderen innerbetrieblichen Stelle oder Einrichtung“ [Hervorhebung durch Verf.] vorlegen müsse.327 Hierbei handelt es sich aber um einen (äußerst misslichen) Übersetzungsfehler.328 Diese Fassung stimmt insbesondere nicht mit deutschen Übersetzungen der Entscheidung auf der Internetseite des EGMR und auch nicht mit deutschen Übersetzungen anderer Entscheidungen des EGMR zum Whistleblowing überein, die diesen Grundsatz rezitieren. Diese sprechen gerade nicht von innerbetrieblichen Stellen oder Einrichtungen, sondern zutreffend von „anderen kompetenten Stelle[n]“/„anderen zuständigen Stellen oder Einrichtungen“ [Hervorhebung durch Verf.].329 Abgesehen von diesen Unstimmigkeiten deutscher Übersetzungen scheint aber jedenfalls die konkrete Anwendung dieses abstrakten, der Einzelfallprüfung vorangestellten Grundsatzes auf den Fall Heinisch für ein Stufenverhältnis zwischen interner und externer Meldung an staatliche Stellen zu sprechen. Der EGMR verweist nämlich unter seinem Prüfungspunkt „alternative channels for making the disclosure“/„d’autres moyens pour procéder à la divulgation“ auf die Rechtsprechung des BAG aus dem Jahr 2003 und überprüft sodann, ob der Whistleblowerin Heinisch ein innerbetrieblicher Abhilfeversuch unzumutbar war und sie sich direkt an die Staatsanwaltschaft wenden durfte.330 Unter Berücksichtigung der Aufgabe des EGMR, einen grundrechtlichen Mindestschutz sicherzustellen und unter Beachtung anderer Entscheidungen zum Whistleblowing lässt dies aber dennoch nicht den Schluss zu, dass er ein abstraktes, fallübergreifendes Stufenverhältnis zwischen internem und externem behördlichen Klärungsversuch als zwingende Voraussetzung für ein Überwiegen des Schutzes der
327
Etwa EGMR, Urteil v. 21. 07. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland) in NJW 2011, 3501, 3503, Rn. 65; NZA 2011, 1269, 1271, Rn. 65 oder BeckRS 2011, 21659, Rn. 65. 328 Ähnlich LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 561, Fn. 1645; ders., SR 2019, 138, 145. 329 Deutsche Übersetzungen der Entscheidung Heinisch vs. Deutschland in HUDOC des Österreichischen Instituts für Menschenrechte, S. 2, und des BMJV, S. 23 (online abrufbar: https://hudoc.echr.coe.int/eng#{”display”:[”0”],”languageisocode”:[”GER”],”appno”:[”28274/ 08”],”documentcollectionid2”:[”CHAMBER”]}, Abruf: 27. 11. 2021); so auch EGMR, Urteil v. 21. 07. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), juris, Rn. 65; vgl. zudem EGMR, Urteil v. 27. 02. 2018 – 1085/10 (Guja/Moldau Nr. 2), NJW 2019, 1273, 1275, Rn. 47 (73); EGMR, Urteil v. 19. 01. 2016 – 49085/07 (Görmüs¸ u. a./Türkei), NJW 2017, 1533, 1535, Rn. 50. 330 EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 73 f.
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
Meinungsfreiheit aufstellen wollte.331 Vielmehr dürfte er durch die Bezugnahme auf die innerstaatliche deutsche Rechtsprechung und durch die Anwendung ihres Vorrangverhältnisses im Einzelfall allein dem Beurteilungsspielraum der Konventionsstaaten zur Gewährleistung eines höheren Grundrechtschutzes innerhalb des konventionsrechtlich gebotenen Mindestschutzniveaus Rechnung getragen haben.332 Die deutsche Rechtsprechung schützt die Interessen des Arbeitgebers durch das grundsätzliche Erfordernis eines vorherigen innerbetrieblichen Abhilfeversuchs weitergehender als dies zur Wahrung des konventionsrechtlichen Mindestschutzes notwendig wäre. Der EGMR hat ein solches Erfordernis für einen konventionskonformen Ausgleich der widerstreitenden Interessen der Arbeitsvertragsparteien gerade nicht aufgestellt. Diese innerstaatliche Rechtsprechungspraxis verstößt aber nicht gegen den konventionsrechtlich gebotenen Mindestschutz der Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers, weil der EGMR sich ansonsten in seiner Prüfung in Heinisch vs. Deutschland schlicht auf die Feststellung hätte beschränken können, dass dem Arbeitnehmer kein vorheriger interner Abhilfeversuch abverlangt werden dürfe, sofern er sich nur an staatliche Stellen, nicht aber direkt an die Öffentlichkeit gewandt hat. Er hat aber vielmehr das konkrete Ergebnis des LAG Berlin, nämlich die Zumutbarkeit einer internen Meldung, überprüft und damit (zumindest konkludent) das von der deutschen Rechtsprechung entwickelte Stufenverhältnis auch für das Verhältnis zwischen interner und externer Meldung an staatliche Stellen als (noch) innerhalb der konventionsrechtlichen Mindestschutzgrenzen gebilligt,333 unabhängig davon, dass er die Einzelfallwürdigung des LAG Berlin abgelehnt und einen internen Abhilfeversuch für unzumutbar gehalten hat.334 Dementsprechend hat der EGMR im Nachgang zu Heinisch vs. Deutschland seine Anforderungen an die Prüfung alternativer Aufdeckungsmittel auch nicht etwa zum Schutz der Arbeitgeberinteressen angepasst und einen grundsätzlichen Vorrang innerbetrieblicher Abhilfe etabliert, sondern die Möglichkeit einer Meldung an interne und externe/andere staatliche Stellen gleichberechtigt als vorrangige Alternativen gegenüber der „Flucht in die Öffentlichkeit“ behandelt.335 Im Einklang hiermit hat er 331
Gerdemann, SR 2021, 1, 16; ders., NZA-Beilage 2020, 43, 44 f.; Krause, SR 2019, 138, 145; Colneric, SR 2018, 232, 236 f.; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 94; wohl auch Dzida/ Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203; a. A. Buchwald, ZESAR 2021, 69, 73. 332 LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 555, 561; ders., SR 2019, 138, 145; Gerdemann, SR 2021, 1, 16; ders., NZA-Beilage 2020, 43, 45; ders., WB, Rn. 248, Fn. 1894; Spindler, ZWeR 2020, 313, 319; Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896, 1901; Colneric, SR 2018, 232, 236 f.; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 94 ff.; a. A. Buchwald, ZESAR 2021, 69, 73; vgl. zum konventionsstaatlichen Spielraum innerhalb vorgegebener Mindestschutzgrenzen in Teil 3, A.II.3. und Teil 4, B.III.1.d)cc). 333 Vgl. insoweit die Quellenangaben in Fn. 332; wohl auch Oetker, ZESAR 2017, 257, 263; a. A. Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, o. S. 334 EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 76; zustimmend Ulber, NZA 2011, 962, 963. 335 Etwa EGMR, Urteil v. 21. 01. 2015 – 73571/10 (Matúz/Ungarn), HUDOC, Rn. 34, 47; EGMR, Urteil v. 08. 04. 2013 – 40238/02 (Bucur u. Toma/Rumänien), HUDOC, Rn. 93, 95 ff.;
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jüngst in einem Fall direkten externen Whistleblowings an Behörden – trotz Möglichkeit einer abweichenden Klarstellung mittels obiter dictum – offengelassen, ob der Whistleblower seine Informationen vorrangig gegenüber einer (in jenem Fall vorhandenen und potenziell ebenso effektiven) internen Meldestelle als alternativer Aufdeckungsmöglichkeit hätte weitergeben müssen und stattdessen auf die Empfehlungen des Europarats aus dem Jahr 2014 hingewiesen, die keinen Vorrang einer internen gegenüber einer externen behördlichen Meldung vorsehen.336 Spätestens in dieser neuerlichen Entscheidung hätte sich der EGMR mithin zum grundsätzlichen Vorrang der internen Meldung klar positionieren können – dies hat er aber nicht getan. Insgesamt lässt sich seiner Rechtsprechung damit entnehmen, dass der Mindestschutz aus Art. 10 Abs. 1 EMRK einerseits gebietet, dass der Arbeitnehmer Missstände auch extern an staatliche Stellen oder die breite Öffentlichkeit melden darf, der Schutz der widerstreitenden Arbeitgeberinteressen andererseits zwar keinen grundsätzlichen Vorrang der innerbetrieblichen Klärung verlangt, aber gebietet, dass die Offenlegung interner Informationen gegenüber der Öffentlichkeit stets ultima ratio ist. cc) Fallgruppen der Unzumutbarkeit Die für den Vorrang eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs vorausgesetzte Zumutbarkeit prüft die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung in der Regel (negativ) anhand bestimmter, eine Unzumutbarkeit indizierender Fallgruppen, die aber nicht abschließend sind.337 Das Vorliegen bereits einer dieser Fallgruppen kann im Einzelfall für eine Entbehrlichkeit der vorherigen internen Abhilfe ausreichen;338 in der Praxis liegen aber häufig mehrere Fallgruppen kumulativ vor.339
vgl. auch EGMR, Urteil v. 27. 02. 2018 – 1085/10 (Guja/Moldau Nr. 2), NJW 2019, 1273, 1275, Rn. 47 (73); Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 96. 336 EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), NJW 2021, 2343, 2347, Rn. 82; vgl. CoE, CM/Rec(2014)7, S. 8, Ziff. 14, S. 28, Ziff. 52 f.; vgl. auch Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 425; anders liest sich noch PACE, Resolution 1729 (2010), Ziff. 6.2.2. f.; diesen Verzicht auf ein obiter dictum kritisierend Johnson, CCZ 2021, 206, 208; Häußinger, EuZA 2021, 368, 373, 376. 337 Grundlegend BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430; vgl. auch ArbG Gelsenkirchen, Urteil v. 14. 06. 2017 – 2 Ca 2166/16, juris, Rn. 71; für viele HaKoKSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 367; LPS/Greiner, § 17 ArbSchG, Rn. 12a; MAHArbR/Ulrich/Ulrich, § 43, Rn. 359; SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 15; Simon/ Schilling, BB 2011, 2421, 2424; Wisskirchen/Jordan/Bissels, DB 2005, 2190, 2193. 338 So etwa in LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 24. 10. 2019 – 10 Sa 792/19, BeckRS 2019, 33782, Rn. 23 für den Fall einer absehbaren Erfolglosigkeit der internen Meldung. 339 Etwa in BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 17 (schwerwiegende Straftaten durch gesetzlichen Vertreter der Arbeitgeberin); ArbG Gelsenkirchen, Urteil v. 14. 06. 2017 – 2 Ca 2166/16, juris, Rn. 71 (schwerwiegende Straftaten durch Arbeitgeber).
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(1) Gesetzliche Anzeige- oder Meldepflicht Erhält der Arbeitnehmer Kenntnis von Rechtsverstößen, bei deren Nichtanzeige er sich selbst strafbar machen würde (§ 138 StGB), so ist ihm eine vorherige innerbetriebliche Meldung unzumutbar.340 Das Gleiche dürfte gelten, wenn er spezialgesetzlichen Anzeige- oder Meldepflichten nachkommt, etwa § 6 Abs. 1 IfSG oder § 43 Abs. 1 GwG;341 außerhalb dieser Vorschriften besteht regelmäßig keine Meldepflicht betriebsinterner Missstände an Behörden.342 (2) Schwerwiegende Straftaten Eine vorherige interne Meldung ist auch vor der Anzeige schwerwiegender Straftaten entbehrlich,343 wobei die Rechtsprechung nicht definiert, wann eine Straftat im Einzelfall als „schwer“ oder „schwerwiegend“ zu bewerten ist. Im Wege einer Negativabgrenzung könnte dies verneint werden, wenn „nur“ ein leichtes Vergehen im Sinne eines „Bagatelldelikts“ im Raum steht,344 wobei auch insoweit eine klare Definition fehlt. Ein Rückgriff auf die strafrechtliche Kategorisierung eines Vergehens gem. § 12 Abs. 2 StGB hilft hier jedenfalls nicht weiter, weil zum einen auch Vergehen die „Bagatellgrenze“ überschreiten können und zum anderen dem Whistleblower als juristischem Laien eine solche rechtliche Einordnung ohnehin nicht abverlangt werden kann.345 Die Rechtsprechung bestimmt das Vorliegen schwerer Straftaten ohne Rückgriff auf abstrakte Kriterien anhand der Einzelfallumstände und hat diese Fallgruppe etwa in Fällen bejaht, in denen der gemeldete Verstoß ein besonders schützenswertes Rechtsgut erheblich gefährdete, ein großes (Schadens-)Ausmaß zu befürchten oder bereits eingetreten war oder eine Vielzahl von Rechtsverstößen vorlag.346 340
BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430; LAG RheinlandPfalz, Urteil v. 15. 04. 2019 – 3 Sa 411/18, juris, Rn. 70; für viele Staudinger/Preis, § 626 BGB, Rn. 132; LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 555; BeckOK-ArbR/Stoffels, § 626 BGB, Rn. 130; i. E. Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 196. 341 So auch ErfK/Schmidt, Art. 4 GG, Rn. 73; ähnlich Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 196. 342 Vgl. auch DHSW/Kreuder/Matthiessen-Kreuder, § 611a BGB, Rn. 485. 343 BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 17; BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430; statt vieler HaKo-KSchR/ Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 367; BeckOK-ArbR/Stoffels, § 626 BGB, Rn. 130; Fuhlrott/ Oltmanns, DB 2017, 2354, 2357. 344 Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 5; Fuhlrott/Oltmanns, DB 2017, 2354, 2357; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 197. 345 Vgl. insoweit BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 17 (Ablehnung der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) als „Bagatelldelikt“); Rudkowski, CCZ 2013, 204, 207. 346 BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 17 (Untreue in 30 Fällen und Schaden über DM 50.000); ArbG Gelsenkirchen, Urteil v. 14. 06. 2017 – 2 Ca 2166/16, juris, Rn. 7, 71 („erhebliche[] Straftaten“ – „gepanschte“ Zytostatika, zahlreiche Fälle, hoher Schaden (circa EUR 56 Mio., vgl. Süße, Newsdienst Compliance 2018, 21003,
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(3) Arbeitgeber oder gesetzlicher Vertreter als Verursacher Ist der Arbeitgeber oder sein gesetzlicher Vertreter selbst Verursacher der Missstände, so kann dem Arbeitnehmer eine vorherige innerbetriebliche Meldung regelmäßig nicht abverlangt werden.347 Anders ist dies, wenn ein anderer Beschäftigte (etwa der Vorgesetze des Whistleblowers) das gemeldete Fehlverhalten begeht, insbesondere wenn hierdurch (auch) der Arbeitgeber geschädigt wird.348 Insoweit soll sich der Arbeitnehmer auch nicht pauschal auf ein von dem schädigenden Mitarbeiter behauptetes Einverständnis des Arbeitgebers berufen können.349 (4) Absehbare Erfolglosigkeit Um unnötige, rein formale Hindernisse für den Whistleblower zu vermeiden, bedarf es nach der Rechtsprechung eines vorherigen innerbetrieblichen Abhilfeversuchs auch dann nicht, wenn dessen Erfolglosigkeit vorhersehbar ist.350 Dies kann der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer die Missstände bereits (mehrfach) intern bemängelt und der Arbeitgeber sie trotzdem nicht beseitigt hat oder eine Abhilfe durch den Arbeitgeber berechtigterweise ohnehin nicht zu erwarten ist, etwa bei arbeitgeberseitiger Kenntnis und Billigung oder jedenfalls konkludenter Tolerierung der Missstände.351 Eine erkennbare unternehmensinterne Divergenz der rechtlichen o. S.)); LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 03. 02. 1987 – 7 (13) Sa 95/86, NZA 1987, 756 („Schutz der Gesundheit und des Lebens“). 347 BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 17; BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15. 04. 2019 – 3 Sa 411/18, juris, Rn. 70; ArbG Gelsenkirchen, Urteil v. 14. 06. 2017 – 2 Ca 2166/16, juris, Rn. 71; für viele Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 5; HaKo-KSchR/ Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 367; Fuhlrott/Oltmanns, DB 2017, 2354, 2357. 348 BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430; LAG RheinlandPfalz, Urteil v. 15. 04. 2019 – 3 Sa 411/18, juris, Rn. 68; statt vieler HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 367; BeckOK-ArbR/Rolfs, § 1 KSchG, Rn. 307; Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 6. 349 BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 431. 350 BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 24. 10. 2019 – 10 Sa 792/19, BeckRS 2019, 33782, Rn. 23; LAG BadenWürttemberg, Urteil v. 03. 02. 1987 – 7 (13) Sa 95/86, NZA 1987, 756; für viele Fuhlrott/ Oltmanns, DB 2017, 2354, 2357; vgl. zu § 17 Abs. 2 S. 1 ArbSchG Staudinger/Oetker, § 618 BGB, Rn. 391; LPS/Greiner, § 17 ArbSchG, Rn. 12b. 351 St. Rspr. BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 17; BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430 f.; BAG, Urteil v. 14. 12. 1972 – 2 AZR 115/72, juris, Rn. 15 f.; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 24. 10. 2019 – 10 Sa 792/19, BeckRS 2019, 33782, Rn. 23; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15. 04. 2019 – 3 Sa 411/ 18, juris, Rn. 70; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 14. 08. 2012 – 5 Sa 171/11, NZARR 2013, 20, 21; LAG Köln, Urteil v. 10. 07. 2003 – 5 Sa 151/03, juris, Rn. 6 und Urteil v. 23. 02. 1996 – 11 (13) Sa 976/95, juris; LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 03. 02. 1987 – 7 (13) Sa 95/86, NZA 1987, 756; ArbG Dessau-Roßlau, Urteil v. 12. 08. 2020 – 1 Ca 65/20, NZA-RR 2021, 132, 134, Rn. 34; für viele Staudinger/Preis, § 626 BGB, Rn. 132, Oetker, § 618 BGB, Rn. 390 f.; HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 367; MüHdb-ArbR/
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Bewertung eines unstrittigen Sachverhalts kann andererseits für die Zumutbarkeit eines (erneuten) internen Aufklärungsversuchs sprechen.352 Offen ist, wie lange ein Arbeitnehmer nach einer internen Meldung auf eine Rückmeldung oder Abhilfe des Arbeitgebers warten oder wie viele und welche innerbetrieblichen Stellen er kontaktiert haben muss. Die Anforderungen dürften hier allerdings mangels Auskunftsanspruchs des Arbeitnehmers bzw. mangels Mitteilungspflicht des Arbeitgebers über das interne Untersuchungsergebnis nicht überspannt werden.353 (5) Selbstbetroffenheit des Arbeitnehmers Ist der Arbeitnehmer von dem angezeigten Missstand selbst betroffen, etwa weil von diesem eine Gefahr für seine Gesundheit ausgeht, so ist ihm ein innerbetrieblicher Abhilfeversuch regelmäßig unzumutbar und eine direkte externe Meldung zulässig.354 Allerdings ist auch diese Selbstbetroffenheit kein „Selbstläufer“, so dass nicht per se von einer Unzumutbarkeit im Einzelfall ausgegangen werden kann.355 Zwar hat das BAG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber das Interesse der von einer Straftat betroffenen Person an einer Strafverfolgung durch das allgemeine Anzeigerecht nach § 158 StPO und insbesondere das Antragsrecht aus § 77 Abs. 1 StGB explizit anerkennt, jedoch zugleich ausgeführt, dass die Wahrnehmung dieser Rechte unter dem Vorbehalt stehe, dass der Whistleblower „keinen Anlass hat, an der Berechtigung seines Vorwurfs zu zweifeln“.356 Die Strafanzeige des von einem Missstand (vermeintlich) betroffenen Arbeitnehmers kann deshalb unverhältnismäßig sein. Offengeblieben ist, wann ein Anlass für Zweifel vorliegt, ob dies etwa nur im Fall bewusster Fahrlässigkeit oder leichtfertigen Handelns gilt oder ob bereits eine „einfache“ (bewusste) Fahrlässigkeit ausreicht. Eine eigenständige Bedeutung für die Bejahung einer Pflichtverletzung käme dieser „Rückausnahme“ von der Unzumutbarkeit jedenfalls nur im letzteren Fall zu, weil sie ansonsten schon aus der fehlenden Berechtigung der Meldung folgte. Im konkreten Fall hatte das BAG einen Anlass für solche Zweifel daraus abgeleitet, dass die Arbeitnehmerin Reichold, § 54, Rn. 41; LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 555, 557; SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 15; Redder, WB, S. 76. 352 BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 20. 353 Zum fehlenden Auskunftsanspruch/zur fehlenden Mitteilungspflicht etwa Kempter/ Steinat, NZA 2017, 1505, 1511; Moosmayer, Compliance, § 4, Rn. 189. 354 BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 20; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15. 04. 2019 – 3 Sa 411/18, juris, Rn. 70; ArbG Dessau-Roßlau, Urteil v. 12. 08. 2020 – 1 Ca 65/20, NZA-RR 2021, 132, 134, Rn. 34; ähnlich bereits LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 29. 06. 1964 – 4 Sa 12/64, WA 1964, 162, 163; statt vieler HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 367; Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 5; ErfK/Niemann, § 626 BGB, Rn. 64a. 355 BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 20; tendenziell anders LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15. 04. 2019 – 3 Sa 411/18, juris, Rn. 70; Staudinger/ Preis, § 626 BGB, Rn. 132; HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 367. 356 BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 16, 20; ähnlich auch schon Müller, NZA 2002, 424, 436.
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einen haltlosen Vorwurf erhoben hatte, dessen Richtigkeit innerbetrieblich unterschiedlich eingeschätzt wurde, was ihr auch bewusst war.357 Dies spricht dafür, dass ein Anlass für Zweifel nur bei einer bewussten Fahrlässigkeit in Betracht kommt. Die Voraussetzungen dieser „Rückausnahme“ bleiben insgesamt aber ebenso unklar und offen wie die Frage, ob sie von der Rechtsprechung auch auf andere Fallgruppen übertragen werden wird, so dass etwa bei Anlass für Zweifel an der Berechtigung des Vorwurfs schwerer Straftaten der Versuch einer vorherigen innerbetrieblichen Meldung doch wieder zumutbar wäre. (6) Sonstige Umstände Zuletzt sei (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) auf weitere Umstände für oder gegen eine mögliche Zumutbarkeit eines vorherigen innerbetrieblichen Abhilfeversuchs hingewiesen, die keiner bestimmten Fallgruppe unterfallen und in der Rechtsprechung bislang kaum eine Rolle gespielt haben. (a) Von Weisungen zu strafbarem Verhalten bis zur Eigenverursachung Meldet ein Arbeitnehmer, dass sein Arbeitgeber ihm Weisungen erteilt hat, bei deren Befolgung er sich selbst strafbar machen würde, so dürfte ein interner Klärungsversuch regelmäßig entbehrlich sein.358 Das gleiche gilt, wenn durch den Missstand eine konkrete Gefahrenlage besteht, insbesondere für besonders schützenswerte Rechtsgüter des Arbeitgebers, der Belegschaft oder auch Dritter, sofern jedenfalls absehbar ist, dass der Arbeitgeber diese ohne externe Unterstützung nicht wird beseitigen können.359 Auch ein bereits abgeschlossener Sachverhalt kann ein Indiz für die Entbehrlichkeit einer internen Meldung sein.360 Die durchaus praxisrelevante Frage, wie es sich auf die Zumutbarkeit auswirkt, wenn der Arbeitnehmer Missstände meldet, die er selbst (mit-)verursacht hat, musste die Rechtsprechung soweit ersichtlich bislang noch nicht entscheiden.361 (b) Interne Meldekanäle und Meldepflichten Eine bedeutende Rolle für die Zumutbarkeit eines vorrangigen innerbetrieblichen Abhilfeversuchs dürften dagegen unzweifelhaft betriebsinterne Anlaufstellen spie357
BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 19 f. LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 557; Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 5; Groß/Platzer, NZA 2017, 1097, 1099; a. A. noch unter Verweis auf Möglichkeit der Arbeitsverweigerung BAG, Urteil v. 05. 02. 1959 – 2 AZR 60/56, NJW 1961, 44, 45. 359 Vgl. auch HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 367; KR-KSchG/Rachor, § 1 KSchG, Rn. 463; Fuhlrott/Oltmanns, DB 2017, 2354, 2357; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 197; Müller, NZA 2002, 424, 436. 360 Etwa LAG Düsseldorf, Urteil v. 17. 01. 2002 – 11 Sa 1422/01, BeckRS 2004, 42537, Rn. 30. 361 Andeutungsweise LAG Hamm, Urteil v. 12. 11. 1990 – 19 (16) Sa 6/90, LAGE § 626 BGB, Nr. 54, S. 5 (Anzeige zur Vermeidung des Verlusts der Straffreiheit gem. § 371 Abs. 2 Nr. 1 lit. a) AO). 358
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
len. Bestehen speziell eingerichtete interne Meldekanäle, etwa eine WhistleblowingHotline, so wird es dem Arbeitnehmer regelmäßig zumutbar sein, sich zunächst an diese zu wenden.362 Obschon dies in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zum Whistleblowing bislang kaum eine Rolle gespielt hat, dürfte dasselbe entsprechend für interne Meldepflichten gelten, insbesondere für solche individualvertraglicher oder kollektivrechtlicher Natur, weil der Arbeitgeber hierdurch – jedenfalls konkludent – sein Interesse an einer internen Aufklärung betrieblicher Missstände zum Ausdruck bringt.363 Meldepflichten des Arbeitnehmers über Gefahren oder Schäden durch betriebsinternes Fehlverhalten können sich aus seiner arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB ergeben, sog. Anzeige- bzw. Schadensabwendungspflicht.364 Aufgrund gegenläufiger Arbeitnehmerinteressen, die grundrechtlich vor allem durch die negative Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht in Form der informationellen Selbstbestimmung gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt werden, folgt hieraus allerdings keine allgemeine Meldepflicht über jegliche dem Arbeitnehmer zur Kenntnis gelangte Missstände.365 Unbeschadet spezialgesetzlicher interner Meldepflichten, etwa § 16 Abs. 1 ArbSchG, besteht eine solche daher regelmäßig allein für Gefahren oder Schäden im eigenen Arbeitsbereich, bei untergebenen Mitarbeitern oder bei einem besonderen Ausmaß sowie bei einer tätigkeitsbedingten Garantenstellung für die Überwachung bestimmter Gefahrenquellen oder menschlichen Fehlverhaltens.366 Die Implementierung weitergehender Meldepflichten durch einseitige An362 KR-KSchG/Fischermeier, § 626 BGB, Rn. 424; Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 5; ErfK/Schmidt, Art. 5 GG, Rn. 37; Groß/Platzer, NZA 2017, 1097, 1099; Schlachter, RdA 2012, 108, 112; Wisskirchen/Jordan/Bissels, DB 2005, 2190, 2193; Mengel, Compliance, Kap. 1, Rn. 124; Schulze Zumkley, in: Kramer, IT-ArbR, B. Individualarbeitsrecht, Rn. 1201; wohl auch Simon/Schilling, BB 2011, 2421, 2423; Schiller, in: Besgen/Prinz, Arbeiten 4.0, § 10, Rn. 45; ähnlich LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15. 04. 2019 – 3 Sa 411/18, juris, Rn. 69. 363 So auch Wisskirchen/Körber/Bissels, BB 2006, 1567, 1571; Wisskirchen/Jordan/Bissels, DB 2005, 2190, 2193; wohl auch Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 12. 364 BAG, Urteil v. 28. 08. 2008 – 2 AZR 15/07, NZA 2009, 193, 194, Rn. 21; vgl. für viele MAH-ArbR/Reinfeld, § 33, Rn. 36 f.; MüKoBGB/Spinner, § 611a BGB, Rn. 1001; NK-ArbR/ Brors, § 611 BGB, Rn. 558; ArbR-Hdb/Linck, § 53, Rn. 38; Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 11; Kempter/Steinat, NZA 2017, 1505, 1511; Oberthür, in: Kramer, IT-ArbR, B. Individualarbeitsrecht, Rn. 927; vgl. zur Grenze bei Selbstbezichtigung jeweils m. w. N. Röller/Küttner/Poeche, Anzeigepflichten Arbeitnehmer, Rn. 2; Eufinger, DB 2019, 891, 892; Grambow, CB 2016, 245, 246; Mahnhold, NZA 2008, 737, 739; Redder, WB, S. 83 ff. 365 Vgl. SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 3; Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 9, 11; Schmolke, ZGR 2019, 876, 893; Mahnhold, NZA 2008, 737, 738 f.; Redder, WB, S. 81; Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 116. 366 LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 08. 07. 2016 – 2 Sa 190/15, BeckRS 2016, 73741, Rn. 92; Röller/Küttner/Poeche, Anzeigepflichten Arbeitnehmer, Rn. 2; Kania, Whistleblowing, Rn. 11; MAH-ArbR/Reinfeld, § 33, Rn. 37 ff.; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 446; NK-ArbR/Kerwer, § 1 KSchG, Rn. 1070; MüHdb-ArbR/Reichold, § 55, Rn. 8; ArbR-Hdb/Linck, § 53, Rn. 38; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 742; Schmolke, ZGR 2019, 876, 893; Eufinger, DB 2018, 891 f.; Grambow, CB 2016, 245, 246; Oberthür, in:
B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“)
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ordnung des Arbeitgebers oder individual- oder kollektivrechtlicher Vereinbarung, etwa mittels unternehmens- oder konzernweiter Ethik- oder Compliance-Richtlinien („Code-of-Conduct“) als Konkretisierung der Rücksichtnahmepflicht hält die wohl überwiegende Meinung zwar für grundsätzlich möglich. Eine generelle Meldepflicht des Arbeitnehmers unabhängig von seiner Position oder vom konkreten Anlass lehnt sie aber als unzulässigen Eingriff in dessen Rechte überzeugend ab, so dass es für die Wirksamkeit einer Erweiterung der gesetzlichen Meldepflicht auf deren Verhältnismäßigkeit im Einzelfall ankommt.367 Eine arbeitsgerichtliche Klärung der zulässigen Reichweite interner Meldepflichten steht bislang noch aus.368 Selbst im Fall ihrer materiell-rechtlichen Wirksamkeit darf das Bestehen einer Meldepflicht allerdings nicht „durch die Hintertür“ zu einem starren Vorrang eines internen Abhilfeversuchs führen. Ansonsten würde sie die Interessenwahrnehmung des Arbeitnehmers zwingend auf den Innenbereich beschränken und der Arbeitgeber könnte jede externe Meldung durch die Implementierung von Meldepflichten unterbinden. Auch bestehende Meldepflichten beseitigen daher nicht per se die nach den erläuterten Fallgruppen anzunehmende Unzumutbarkeit einer vorrangigen internen Meldung, auch wenn sie hierfür ein Indiz sein mögen.369 f) Sonstige Prüfkriterien einer Pflichtverletzung Die dargestellte Prüfkriterientrias enthält zwar die in der Praxis relevantesten „Indizien“ für eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung des Whistleblowers. Sie ist aber nicht abschließend, so dass im Einzelfall auch andere Kriterien eine Pflicht-
Kramer, IT-ArbR, B. Individualarbeitsrecht, Rn. 927; Schulze Zumkley, B. Individualarbeitsrecht, Rn. 1200; kritisch Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 118. 367 Vgl. für viele NK-ArbR/Kerwer, § 1 KSchG, Rn. 1071; Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 13; SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 4; Kempter/Steinat, NZA 2017, 1505, 1511; Grambow, CB 2016, 245, 246; Fahrig, NZA 2010, 1223; Mahnhold, NZA 2008, 737, 738; Oberthür, in: Kramer, IT-ArbR, B. Individualarbeitsrecht, Rn. 928; Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 116; a. A. DDZ/Däubler, § 1 KSchG, Rn. 756 (Verstoß gegen Menschenwürde); vgl. zur Beachtung betriebsverfassungsrechtlicher Mitbestimmungsrechte bei kollektivrechtlicher Implementierung (etwa § 87 Abs. 1 Nr. 1, 6 BetrVG) BAG, Beschluss v. 22. 07. 2008 – 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248, 1252, Rn. 42 ff., 1256, Rn. 78 ff.; LAG Baden-Württemberg, Beschluss v. 03. 06. 2019 – 11 TaBV 9/18, juris, Rn. 90 ff.; LAG Düsseldorf, Beschluss v. 14. 11. 2005 – 10 TaBV 46/05, NZA-RR 2006, 81, 85; Kempter/Steinat, NZA 2017, 1505, 1508 f.; Grambow, CB 2016, 245, 247; Wisskirchen/ Jordan/Bissels, DB 2005, 2190 f. 368 Offenlassend BAG, Beschluss v. 22. 07. 2008 – 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248, 1255, Rn. 68; LAG Baden-Württemberg, Beschluss v. 03. 06. 2019 – 11 TaBV 9/18, juris, Rn. 92; LAG Düsseldorf, Beschluss v. 14. 11. 2005 – 10 TaBV 46/05, NZA-RR 2006, 81, 84 f. 369 Ähnlich LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15. 04. 2019 – 3 Sa 411/18, juris, Rn. 69; ErfK/ Schmidt, Art. 5 GG, Rn. 37; Schulze Zumkley, in: Kramer, IT-ArbR, B. Individualarbeitsrecht, Rn. 1199, 1201; tendenziell enger Wisskirchen/Körber/Bissels, BB 2006, 1567, 1571; Wisskirchen/Jordan/Bissels, DB 2005, 2190, 2193.
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verletzung begründen können, die nachfolgend (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) kurz angesprochen werden. aa) Art und Weise des Whistleblowings Die Grenze zulässigen Verhaltens wird bei grob ehrverletzenden und herabwürdigenden Äußerungen – unabhängig von ihrer Strafbarkeit – in der Regel überschritten.370 Zwar hat das BAG wiederholt darauf hingewiesen, dass „Arbeitnehmer – auch unternehmensöffentlich – Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt“ äußern dürfen, dies umfasse aber weder unsachliche Angriffe noch grobe Beleidigungen.371 Allerdings liegt die Schwelle für unzulässige Äußerungen aufgrund der herausragenden Bedeutung der Meinungsfreiheit sehr hoch, so dass selbst deutlich überspitzte Kritik und scharfe Polemik (noch) erlaubt sind, insbesondere im Fall eines erheblich angespannten Verhältnisses der Arbeitsvertragsparteien.372 Unzulässig ist aber jede Schmähkritik oder Formalbeleidigung, bei der die persönliche Diffamierung und Kränkung des Betroffenen im Vordergrund stehen und die sachliche Auseinandersetzung völlig in den Hintergrund tritt.373 Nach diesen Maßstäben darf der Arbeitnehmer durch seine Meldung auch seine persönliche Bewertung und Einschätzung des gemeldeten Fehlverhaltens in deutlichen Worten oder überspitzter Form zum Ausdruck bringen. Mit einer ehrrührigen und kränkenden Herabsetzung oder mit einem unsachlichen Angriff begeht er aber 370
St. Rspr. BAG, Urteil v. 05. 12. 2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 646, 652, Rn. 77; BAG, Urteil v. 18. 12. 2014 – 2 AZR 265/14, NZA 2015, 797, 798, Rn. 16; BAG, Urteil v. 24. 06. 2004 – 2 AZR 63/03, NZA 2005, 158, 161; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 17. 11. 2016 – 5 Sa 275/16, juris, Rn. 69; LAG Düsseldorf, Beschluss v. 04. 03. 2016 – 10 TaBV 102/ 15, BeckRS 2016, 68431, Rn. 25; LAG Niedersachsen, Urteil v. 12. 03. 2010 – 10 Sa 675/09, juris, Rn. 23; statt vieler auch HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 421; DDZ/Däubler, § 1 KSchG, Rn. 728a. 371 So zuletzt BAG, Urteil v. 05. 12. 2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 646, 652, Rn. 77; vgl. auch BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1066, Rn. 22; LAG Düsseldorf, Beschluss v. 04. 03. 2016 – 10 TaBV 102/15, BeckRS 2016, 68431, Rn. 26; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 14. 08. 2012 – 5 Sa 171/11, NZA-RR 2013, 20, 21; ähnlich EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 85. 372 Für viele LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 14. 08. 2012 – 5 Sa 171/11, NZARR 2013, 20, 21; DDZ/Däubler, § 1 KSchG, Rn. 728a; HWK/Quecke, § 1 KSchG, Rn. 229; HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 421; vgl. zu Fällen maßlos überzogener und ausfälliger, aber zulässiger Kritik etwa BAG, Urteil v. 05. 12. 2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 646, 654, Rn. 90 f.; LAG Düsseldorf, Beschluss v. 04. 03. 2016 – 10 TaBV 102/15, BeckRS 2016, 68431, Rn. 31. 373 BAG, Urteil v. 05. 12. 2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 646, 653, Rn. 87; LAG Düsseldorf, Beschluss v. 04. 03. 2016 – 10 TaBV 102/15, BeckRS 2016, 68431, Rn. 33; LAG Hamm, Urteil v. 24. 02. 2011 – 17 Sa 1669/10, juris, Rn. 74; LAG Niedersachsen, Urteil v. 12. 03. 2010 – 10 Sa 675/09, juris, Rn. 30; statt vieler HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 421; ähnlich EGMR, Urteil v. 17. 09. 2015 – 14464/11 (Langner/Deutschland), NZA 2017, 237, 239, Rn. 49.
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unabhängig von der Richtigkeit der gemeldeten Missstände oder von seinem Meldemotiv eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung. Seiner Äußerung sind in Form und Inhalt Grenzen gesetzt, die er nicht durch den „Deckmantel“ des allgemeinnützigen Whistleblowings umgehen kann. bb) „Falscher“ Meldeadressat Ein Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht dürfte unabhängig von der Einhaltung des Stufensystems zulässiger Meldeempfänger im Einzelfall auch aus der Meldung an einen „falschen“ Adressaten auf der zulässigen „Meldestufe“ folgen können.374 Zwar ist die Wahl des Meldeempfängers grundrechtlich geschützt,375 so dass die „falsche“ Wahl selten einen Kündigungsgrund darstellen wird; ausnahmsweise kann die Wahlfreiheit des Arbeitnehmers aber auf einen bestimmten Meldeadressaten beschränkt sein. (1) Interne Meldung Als interne Ansprechpartner kann sich ein Whistleblower grundsätzlich an seinen Arbeitgeber oder dessen gesetzlichen/organschaftlichen Vertreter, seinen Vorgesetzten, die Personalabteilung, den Betriebsrat oder auch die betriebsinterne Öffentlichkeit wenden.376 Regelmäßig gibt es im Unternehmen zudem Personen, die mit der Überwachung bereichsspezifischer gesetzlicher Vorgaben beauftragt sind, etwa Datenschutz-, Brandschutz- oder Frauenbeauftragte, und sich deshalb für ihren Aufgabenbereich als interne Anlaufstelle einer Meldung anbieten.377 Eine allgemeine, fallübergreifende „Zuständigkeitsordnung“ dieser Adressaten existiert nicht, so dass sie grundsätzlich alle als „zuständige Stelle“ für den Whistleblower infrage kommen.378 Als primär „zuständige Stelle“ ausscheiden dürften allerdings (abgesehen von § 85 Abs. 1 BetrVG) der Betriebsrat und die betriebsinterne Öffentlichkeit.379 Ein pflichtwidriges Verhalten durch eine Meldung an einen dieser (zuständigen) internen Adressaten kann daher außerhalb von bereichsspezifischen Vorschriften, die 374 Vgl. auch Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 9; andeutungsweise auch BAG, Urteil v. 31. 07. 2014 – 2 AZR 505/13, NZA 2015, 245, 251, Rn. 63, 65. 375 Für viele etwa Klaas, CCZ 2019, 163, 168; vgl. hierzu auch in Teil 3, A.II.1.a)aa). 376 Vgl. HaMoL/Buchert, § 42, Rn. 8; Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 9; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 197; Moosmayer, Compliance, § 4, Rn. 181, 188; Redder, WB, S. 72; Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 123 ff. 377 Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 125 f.; vgl. auch BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 20. 378 Auch spezialgesetzliche Vorschriften sprechen nur von „zuständigen Stellen des Betriebs“, § 84 Abs. 1 S. 1 BetrVG, ohne dies näher zu spezifizieren, vgl. hierzu BeckOK-ArbR/ Werner, § 84 BetrVG, Rn. 6; DHSW/Schwegler, § 84 BetrVG, Rn. 15. 379 Redder, WB, S. 74 f.; Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 126; ähnlich HaMoL/Buchert, § 42, Rn. 13.
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einen bestimmten Meldeadressaten benennen, wie etwa § 16 Abs. 1 ArbSchG („dem Arbeitgeber oder dem zuständigen Vorgesetzten“) oder § 17 Abs. 1 S. 1 ArbSchG („dem Arbeitgeber“), nur dann vorliegen, wenn individualvertragliche oder kollektivrechtliche Vereinbarungen ausnahmsweise Vorgaben zum „richtigen“ Meldeempfänger machen oder im Unternehmen extra eingerichtete Meldewege bestehen, etwa eine interne Meldestelle, eine Whistleblowing-Hotline oder auch ein externer Ombudsmann, und ihre Nutzung verbindlich vorgeschrieben ist. Die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht konkretisiert sich dann regelmäßig auf die Einhaltung dieser Verfahrensvorgaben.380 Eine Abweichung hiervon ohne eine Rechtfertigung, etwa wegen einer tatsächlich anderen betrieblichen Meldepraxis oder wegen der faktischen Ineffizienz eingerichteter Meldekanäle, kann eine Pflichtverletzung begründen.381 Soweit den Mitarbeitern die Nutzung spezieller Meldekanäle allerdings nur unverbindlich „ans Herz gelegt“ wird, kann der Arbeitnehmer seine Informationen zulässigerweise auch an andere zuständige interne Adressaten weitergeben. (2) Externe Meldung Auch für außerbetriebliche Meldungen an staatliche Stellen existieren außerhalb spezialgesetzlicher Regelungen, etwa § 4d Abs. 1 S. 1, 6 FinDAG („Bundesanstalt“), § 3b Abs. 1 S. 1, 5 BörsG („Börsenaufsichtsbehörde“) oder § 43 Abs. 1 GwG („Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen“), keine allgemeinen, fallübergreifenden Vorgaben zum „richtigen“ Adressaten. Ein pflichtwidriges Verhalten des Whistleblowers scheidet daher regelmäßig aus, wenn er sich an die jeweils zuständige staatliche Fachstelle oder die Strafverfolgungsbehörden wendet.382 Allerdings dürfen die Anforderungen an den Arbeitnehmer zur Beachtung der behördlichen Kompetenzordnung nicht überspannt werden, weil sich zum einen die Kompetenzbereiche staatlicher Stellen überschneiden können oder für einen juristischen Laien jedenfalls nicht ohne weiteres erkennbar sind und zum anderen, vor allem mangels spezieller, kompetenzübergreifender „Whistleblowing-Behörde“ und gesetzlicher Vorgaben zu zulässigen Meldeempfängern, nur eingeschränkte Informationsmöglichkeiten über den „richtigen“ Adressaten bestehen. Zudem ist im Einzelfall zu berücksichtigen, dass alle staatlichen Stellen zur Verschwiegenheit und Weitergabe von Informationen an die jeweils zuständige Behörde verpflichtet sind,
380 Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 9, 12; SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 4; Wisskirchen/Körber/Bissels, BB 2006, 1567, 1571; vgl. hierzu auch schon in Teil 4, B.III.2.e)cc)(6)(b). 381 Ebenso Redder, WB, S. 73; i. E. Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 9; Wisskirchen/Körber/Bissels, BB 2006, 1567, 1571; HaMoL/Buchert, § 42, Rn. 89, Fn. 110. 382 Ausdrücklich insoweit BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 37; vgl. auch DHSW/Markowski, § 1 KSchG, Rn. 312; DDZ/Däubler, § 1 KSchG, Rn. 727.
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so dass der Whistleblower grundsätzlich von einer vertraulichen Behandlung der weitergegebenen Informationen ausgehen darf.383 Für die Meldung betriebsinterner Missstände an die Öffentlichkeit existiert naturgemäß keine Rangfolge zulässiger Adressaten, etwa der Presse oder öffentlicher Kommunikationsplattformen. Im Ergebnis ist damit auf der jeweiligen externen „Meldestufe“ (extern staatlich und extern öffentlich) die Auswahl des Meldeempfängers weitgehend frei, so dass eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers wegen der Meldung an einen „falschen“ Adressaten hier regelmäßig ausscheidet, es sei denn er wendet sich etwa gezielt an eine unzuständige Behörde. g) Öffentliches Interesse Zwar ist das öffentliche Interesse an der Aufdeckung von Missständen vereinzelt bereits in arbeitsgerichtlichen Entscheidungen des vergangenen Jahrhunderts als externer Faktor bei der Lösung des bipolaren Interessenkonflikts der Arbeitsvertragsparteien angesprochen worden.384 Der chronologische Überblick über die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zum Whistleblowing hat aber gezeigt, dass sie das öffentliche Interesse bislang trotz der Berücksichtigung als gewichtiger Faktor in der Rechtsprechung des BVerfG und des EGMR und trotz der kollektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte des Whistleblowers sowie der inzwischen weitgehend anerkannten gesamtgesellschaftlichen Bedeutung des Whistleblowings nicht annähernd ausreichend in die Interessenabwägung einbezogen hat.385 Es gehört nicht zum etablierten Prüfprogramm der Zulässigkeit des Whistleblowings im Einzelfall, so dass es auch an einer Definition und einer näheren Auseinandersetzung mit seinen Auswirkungen auf das Vorliegen einer kündigungsrelevanten Pflichtverletzung fehlt. Nachfolgend kann daher nur zusammengetragen werden, was sich der bisherigen Rechtsprechungspraxis unter Beachtung der Rechtsprechung des EGMR dazu entnehmen lässt.
383 Vgl. vor diesem Hintergrund auch die weite Auslegung der „zuständigen Stellen“ gem. Art. 17 GG, Herzog-GG/Klein/Schwarz, Art. 17 GG, Rn. 98; BeckOK-GG/Brocker, Art. 17 GG, Rn. 17 ff.; auch das BVerfG hält einen Rechtssatz zur Frage der Reichweite des staatsbürgerlichen Anzeigerechts, der sich auf „Anzeigen und Beschwerden bei Behörden“ bezieht, für verfassungsrechtlich noch unbedenklich, BVerfG, Beschluss v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/ 00, NZA 2001, 888, 889; vgl. zudem LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 24. 10. 2019 – 10 Sa 792/19, BeckRS 2019, 33782, Rn. 21, das lediglich von der berechtigten Hinwendung zu einer „staatlichen Stelle“ spricht. 384 Etwa LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 03. 02. 1987 – 7 (13) Sa 95/86, NZA 1987, 756; m. w. N. Kreis, WB, S. 76 f. 385 Vgl. hierzu die Ausführungen in Teil 4, B.III.1., insbesondere Teil 4, B.III.1.e) (zudem Teil 2, B.II. und Teil 3, A.II.4.); vgl. auch Gerdemann, HSI-Report 2/2021, 14, 21.
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
aa) Begriffsbestimmung Das öffentliche Interesse am Whistleblowing bezieht sich nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zunächst auf die Meldung jeglicher Rechtsverstöße oder Gesetzeswidrigkeiten zur Gewährleistung einer funktionsfähigen Strafrechtspflege.386 Darüber hinaus könnte es auch an der Meldung sonstigen Fehlverhaltens bestehen, das heißt neben der Meldung von Rechtsverstößen auch an der Aufdeckung jeglicher Verstöße gegen den Sinn und Zweck einer gesetzlichen Regelung bei formaler Rechtmäßigkeit oder gegen moralische und ethische Grundprinzipien. Weder die Arbeitsgerichtsbarkeit noch der EGMR räumen aber dem öffentlichen Interesse an der Meldung eines betriebsinternen Missstands eine so pauschale weitgehende Bedeutung als fallrelevanten bzw. potenziell fallentscheidenden Faktor zulasten des Arbeitgeberinteresses ein, sondern berücksichtigen erst ein über den „Normalfall“ hinausgehendes, also ein besonderes und herausragendes öffentliches Interesse an dem aufgedeckten Missstand. Dies wird etwa deutlich, wenn das BAG davon spricht, dass die Meldung des Arbeitnehmers eines arbeitsrechtlichen Schutzes bedürfe, weil sie wegen der Art des Verstoßes „umso mehr“ im öffentlichen Interesse lag,387 oder der EGMR ausführt, dass das Interesse der Öffentlichkeit an einer bestimmten Information „so stark“ sein kann, dass es sogar eine rechtmäßige Verschwiegenheitspflicht aufhebt („so strong as to override even a legally imposed duty of confidence“/„si grand qu’il peut l’emporter même sur une obligation de confidentialité imposée par la loi“).388 Da einem „einfachen“ öffentlichen Interesse von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung und dem EGMR somit keine fallrelevante bzw. entscheidende Bedeutung eingeräumt und es wohl deshalb auch in den allermeisten arbeitsgerichtlichen Entscheidungen nicht einmal erwähnt oder in der konkreten Einzelfallabwägung herangezogen wird,389 stellt sich die Frage, wann ein „besonderes“ öffentliches Interesse vorliegt. Die Rechtsprechung hat ein öffentliches Interesse bislang dann bejaht, wenn der Missstand besonders schützenswerte Rechtsgüter oder Allgemeininteressen gefährdete, etwa die Gesundheit oder das Leben einer unbestimmten oder besonders hilfsbedürftigen Personengruppe,390 demokratische 386
Vgl. eingehend in Teil 3, A.II.1.b) und Teil 4, B.III.1.b). BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 17. 388 EGMR, Urteil v. 08. 04. 2013 – 40238/02 (Bucur u. Toma/Rumänien), HUDOC, Rn. 93; EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 74. 389 So etwa in BAG, Urteil v. 11. 07. 2013 – 2 AZR 994/12, NZA 2014, 250; BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 24. 10. 2019 – 10 Sa 792/19, BeckRS 2019, 33782; LAG Düsseldorf, Urteil v. 24. 09. 2012 – 9 Sa 1014/12, juris; LAG Hamm, Urteil v. 21. 07. 2011 – 11 Sa 2248/10, juris (Schadenersatzklage wegen Whistleblowings); LAG Hamm, Urteil v. 28. 11. 2003 – 10 Sa 1036/03, NZA-RR 2004, 475; LAG Bremen, Urteil v. 17. 07. 2003 – 3 Sa 275/02, NZA-RR 2004, 128. 390 Etwa in EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), HUDOC, Rn. 73; EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 71; LAG Köln, Urteil v. 02. 02. 2012 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 301; ArbG Gelsenkir387
B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“)
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(Rechts-)Prinzipien, wie etwa die Gewaltenteilung,391 oder das Vertrauen in die Integrität und Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen.392 Auch bei der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder bei einem besonders hohen Schaden hat sie im Einzelfall ein öffentliches Interesse angenommen.393 Ein „besonderes“ öffentliches Interesse dürfte danach grundsätzlich nicht anzunehmen sein, wenn der aufgedeckte Missstand allein Privat- oder Partikularinteressen betrifft, wohl aber dann, wenn das angezeigte Fehlverhalten einen besonders „sensiblen“ Rechts- oder Wirtschaftsbereich betrifft, der aufgrund seiner gesamtgesellschaftlichen Bedeutung oder etwa auch aufgrund vergangener Skandale im besonderen Fokus der Allgemeinheit steht, wie etwa der Finanz-, Versicherungs-, Umwelt- oder Gesundheitssektor.394 Abzulehnen ist ein „besonderes“ öffentliches Interesse aber, wenn der gemeldete Missstand allein Bedürfnisse und Belange der jeweiligen Unternehmensbelegschaft berührt, auch wenn dann ein „betriebsöffentliches“ Interesse bestehen kann. An der Offenlegung eines Missstands, der die Betriebsgrenzen nicht „verlässt“ und sich allein intern auswirkt, dürfte ein herausragendes öffentliches Interesse regelmäßig fehlen, es sei denn er tangiert etwa besonders schützenswerte Rechtsgüter wie Leib und Leben oder in erheblichem Maße die betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung der Beschäftigten. Die Grenze zwischen „nur“ Individual- oder Partikularinteressen einerseits und Belangen der Allgemeinheit andererseits ist durchaus schwer zu ziehen. Letztlich vermag eine abstrakte Festlegung des öffentlichen Interesses an der Meldung von Missständen ohne Orientierung an normativen Regelungen, die aufgrund ihres (öffentlichrechtlichen) Rechtscharakters oder behördlicher Durchsetzungsbefugnisse ein öffentliches Interesse an ihrer Einhaltung in sich tragen, kaum gelingen. Für die im Einzelfall vorzunehmende Gesamtbetrachtung sollte das Vorliegen eines öffentlichen Interesses daher stets unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der potenziell tangierten Rechts- oder Gesellschaftsnorm geprüft werden, was allerdings mangels richterrechtlicher Definition oder näherer Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs eines „öffentlichen Interesses“ in der Praxis erheblich erschwert ist. chen, Urteil v. 14. 06. 2017 – 2 Ca 2166/16, juris, Rn. 71 (vgl. hierzu Fn. 346); ArbG Düsseldorf, Urteil v. 06. 10. 2011 – 4 Ca 3895/07, juris, Rn. 82; auch schon LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 03. 02. 1987 – 7 (13) Sa 95/86, NZA 1987, 756. 391 EGMR, Urteil v. 21. 01. 2015 – 73571/10 (Matúz/Ungarn), HUDOC, Rn. 37; EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 88. 392 EGMR, Urteil v. 08. 04. 2013 – 40238/02 (Bucur u. Toma/Rumänien), HUDOC, Rn. 101 ff. 393 EGMR, Urteil v. 19. 05. 2009 – 4063/04 (Marchenko/Ukraine), HUDOC, Rn. 52; EGMR, Urteil v. 21. 09. 2016 – 79972/12 (Soares/Portugal), HUDOC, Rn. 44; BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 17; ArbG Gelsenkirchen, Urteil v. 14. 06. 2017 – 2 Ca 2166/16, juris, Rn. 71 (vgl. zur Höhe des Schadens Fn. 346). 394 Ähnlich auch FGO/Schubert, Art. 10 EMRK, Rn. 41; Leuchten, ZRP 2012, 142, 144; Schlachter, RdA 2012, 108, 112; Simon/Schilling, BB 2011, 2421, 2426; vgl. insoweit zu § 4d FinDAG ASM/Spoerr, Art. 32 VO (EU) Nr. 596/2014, Rn. 18.
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Soweit der EGMR unlängst in Halet vs. Luxemburg überdies (unabhängig vom betroffenen Rechts- und Lebensbereich) für das Vorliegen eines das Geheimhaltungsinteresse des Arbeitgebers überwiegenden öffentlichen Interesses auf die Mitteilung wesentlicher, neuer und unbekannter Informationen („information essentielle, nouvelle et inconnue“) rekurriert,395 ist dies zur Prüfung eines öffentlichen Interesses aus mehreren Gründen (noch) unerheblich bzw. zurückhaltend zu bewerten. Diese Entscheidung ist aufgrund einer Verweisung an die Große Kammer vom 06. 09. 2021 noch nicht rechtskräftig und in einer gemeinsamen abweichenden richterlichen Stellungnahme auch gerade – überzeugend – insoweit scharf kritisiert worden.396 Zudem dürfte der EGMR die Anwendung dieser Vorgaben durch die luxemburgischen Gerichte allein im Hinblick auf die Wahrung des konventionsrechtlichen Mindestschutzes unter Berücksichtigung des Beurteilungsspielraums der Konventionsstaaten überprüft, sie sich aber grundsätzlich nicht zur Feststellung eines öffentlichen Interesses zu eigen gemacht haben.397 Unabhängig davon wären diese neuerlichen Kriterien jedenfalls abzulehnen.398 Zum einen führt die Voraussetzung „wesentlicher“ Informationen im Vergleich zu den bisherigen Anforderungen an das Vorliegen eines („besonderen“) öffentlichen Interesses nicht zu einer praktikable(re)n Konkretisierung. Zum anderen erscheint die Voraussetzung „neuer und unbekannter“ Informationen verfehlt, weil sie wohl ohnehin nur dann zu einer Ablehnung eines öffentlichen Interesses führen dürfte, wenn die mitgeteilten Informationen in ihrer Gänze (allgemein) bekannt sind, das heißt weder im Hinblick auf das vorgeworfene Verhalten noch im Hinblick auf seinen Verursacher zu irgendeinem Erkenntnisgewinn führen. Ein solcher Fall ist praktisch kaum vorstellbar – im Fall Halet vs. Luxemburg lag er jedenfalls nicht vor, weil durch die Enthüllungen zumindest die Liste der namentlich bekannten „Steuerschummler“ erweitert wurde.399 Selbst wenn die Kriterien nicht separat, sondern verknüpft miteinander zu lesen sein sollten, also im Sinn „wesentlich neuer und unbekannter“ Informationen, wäre diese Vorgabe mit Blick auf das Allgemeininteresse an einer effektiven Rechtsdurchsetzung und Rechtsentwicklung nicht überzeugend. Sie implizierte eine Abstumpfung bzw. Gleichgültigkeit der Allgemeinheit gegenüber Informationen
395
EGMR, Urteil v. 11. 05. 2021 – 21884/18 (Halet/Luxemburg), HUDOC, Rn. 109. Vgl. EGMR, Urteil v. 11. 05. 2021 – 21884/18 (Halet/Luxemburg), HUDOC, gemeinsame abweichende Stellungnahme der Richter Lemmens und Pavli, Rn. 13 ff.; vgl. hierzu auch Gerdemann, HSI-Report 2/2021, 14, 19 f. 397 So auch Gerdemann, HSI-Report 2/2021, 14, 20; vgl. zu einem ähnlichen Vorgehen im Hinblick auf den Vorrang eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs auch schon in Teil 4, B.III.2.e)bb). 398 Wohl auch EGMR, Urteil v. 11. 05. 2021 – 21884/18 (Halet/Luxemburg), HUDOC, gemeinsame abweichende Stellungnahme der Richter Lemmens und Pavli, Rn. 12; a. A. Gerdemann, HSI-Report 2/2021, 14, 20. 399 Vgl. i. E. auch EGMR, Urteil v. 11. 05. 2021 – 21884/18 (Halet/Luxemburg), HUDOC, gemeinsame abweichende Stellungnahme der Richter Lemmens und Pavli, Rn. 14; Gerdemann, HSI-Report 2/2021, 14, 20. 396
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über Fehlverhalten allein aufgrund bereits bekannter Fälle.400 Sofern die gemeldeten Informationen aber inhaltlich ein „besonderes“ öffentliches Interesse betreffen und nicht schon konkret vollumfänglich publik sind, liegen sie bereits deshalb im öffentlichen Interesse, weil sie zu einem Zuwachs an Erkenntnissen etwa über Ausmaß, Intensität und Reichweite der (bekannten) Missstände führen, was regelmäßig die dringende Erforderlichkeit staatlicher Abhilfe vergegenwärtigt und die Sensibilität der Bevölkerung schärft.401 bb) Auswirkungen auf die Interessenabwägung Ist schon die Begriffsbestimmung des öffentlichen Interesses mit erheblichen Schwierigkeiten und Unsicherheiten verbunden, gilt dies erst recht für die Klärung seiner Auswirkungen auf die Interessenabwägung im Einzelfall. Zwar wird es als Ausfluss der kollektiven Dimension der Grundrechte des Whistleblowers die Auflösung des Interessenkonflikts der Arbeitsvertragsparteien im Ergebnis regelmäßig zulasten des Arbeitgebers beeinflussen. Unklar ist aber, wie ein öffentliches Interesse in die Prüfung der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung konkret einzubeziehen ist. Teilweise entnimmt die Literatur der Entscheidung des EGMR in Sachen Heinisch vs. Deutschland wohl, dass ein öffentliches Interesse zu einer Herabsetzung der Anforderungen an die Berechtigung einer Meldung führen kann.402 Dies überzeugt nicht, denn der EGMR hat bei deren Prüfung nicht auf das bereits zuvor bejahte besondere öffentliche Interesse rekurriert.403 In der Rechtsprechung wiederum lassen sich Ansätze dafür erkennen, dass das öffentliche Interesse an einer gemeldeten Information einen vorherigen innerbetrieblichen Abhilfeversuch entbehrlich machen kann. So verwies das BAG schon in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2006 im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs ausdrücklich auf das öffentliche Interesse am gemeldeten Rechtsverstoß.404 Auch in seiner späteren Entscheidung aus dem Jahr 2016 setzte es dieses Prüfkriterium in eine direkte Wechselwirkung mit einem etwaigen öffentlichen Interesse („Es ist daher zu berücksichtigen, ob ihm [dem Arbeitnehmer] andere wirksame Mittel zur Verfügung standen, […] andererseits aber auch ein öffentliches Interesse an einer Offenlegung 400
So auch EGMR, Urteil v. 11. 05. 2021 – 21884/18 (Halet/Luxemburg), HUDOC, gemeinsame abweichende Stellungnahme der Richter Lemmens und Pavli, Rn. 14. 401 Ähnlich EGMR, Urteil v. 11. 05. 2021 – 21884/18 (Halet/Luxemburg), HUDOC, gemeinsame abweichende Stellungnahme der Richter Lemmens und Pavli, Rn. 13 f.; Gerdemann, HSI-Report 2/2021, 14, 20. 402 HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KschG, Rn. 363; Schlachter, RdA 2012, 108, 112; Simon/Schilling, BB 2011, 2421, 2427; anders aber etwa LAG Köln, Urteil v. 02. 02. 2012 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 301. 403 Vgl. insoweit EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 71, 77 ff.; so auch EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), HUDOC, Rn. 73 ff. 404 BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 17.
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der Information.“).405 Letztlich wäre es aber zu weitgehend, aus diesen Entscheidungen eine „neue Fallgruppe“ der Unzumutbarkeit eines Abhilfeversuchs herauszulesen.406 In seiner Entscheidung aus dem Jahr 2006 lehnte das BAG dessen Zumutbarkeit bereits aus anderen Gründen ab und führte das öffentliche Interesse eher beiläufig und allein als zusätzlichen, nicht aber als selbständigen Grund für die Unzumutbarkeit an.407 In seinem Urteil aus dem Jahr 2016 erwähnte es das öffentliche Interesse sogar allein auf abstrakter Ebene und berücksichtigte es bei der anschließenden konkreten Prüfung der Zumutbarkeit nicht mehr.408 In der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung wird danach das öffentliche Interesse als kollektive Dimension der Grundrechtsausübung des Arbeitnehmers bei der Prüfung seiner Pflichtverletzung zwar inzwischen ausdrücklich angesprochen;409 im Einzelfall dürfte es auch die Interessen des Arbeitgebers sogar gänzlich zurücktreten lassen. Da es in der bisherigen Rechtsprechungspraxis aber noch nicht entscheidungserheblich war, bleibt offen, wie es sich in der Zulässigkeitsprüfung tatsächlich auswirkt; ob es etwa den Maßstab der einzelnen Kriterien verändert oder „nur“ eine Rechtfertigung für ein „an sich“ kündigungsrelevantes Verhalten darstellt und beispielsweise eine leichtfertig unzutreffende Meldung oder eine verwerfliche Motivation des Arbeitnehmers „ausgleicht“.410 3. Bewertung des richterrechtlichen Status quo Die höchstrichterlichen Bemühungen, durch abstrakte, fallübergreifende und in ihrer Rang- und Reihenfolge flexible Prüfkriterien eine gewisse Rechtssicherheit über die Zulässigkeit des Whistleblowings zu schaffen, waren im Ergebnis mäßig erfolgreich. Sie geben zwar eine grobe Orientierung bei der Prüfung, lassen aber mangels hinreichend praxistauglicher Konkretisierungen im Einzelnen viele Fragen offen, so dass trotz ihrer jahrelangen praktischen Anwendung eine erhebliche Rechtsunsicherheit geblieben ist.411 Freilich können abstrakte, auf unbestimmte 405
BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 14. A. A. Dzida/Naber, ArbRB 2011, 238, 240; Schiller, in: Besgen/Prinz, Arbeiten 4.0, § 10, Rn. 44. 407 BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 17 (vgl. hierzu auch bereits in Teil 4, B.III.1.c)); ähnlich auch LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 03. 02. 1987 – 7 (13) Sa 95/86, NZA 1987, 756. 408 Vgl. hierzu in Teil 4, B.III.1.e). 409 So etwa in BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 14; LAG Düsseldorf, Urteil v. 24. 09. 2012 – 9 Sa 1014/12, juris, Rn. 130; LAG Köln, Urteil v. 02. 02. 2012 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 300 f.; ArbG Gelsenkirchen, Urteil v. 14. 06. 2017 – 2 Ca 2166/16, juris, Rn. 70 f. 410 In diese Richtung LAG Köln, Urteil v. 02. 02. 2012 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 301. 411 So auch etwa Letzel, ZJS 2021, 1, 8; Degenhart/Dziuba, BB 2021, 570, 572; Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1499 f.; Granetzny/Markworth, juris-PR-Compl 1/2020 Anm. 1, o. S.; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 965; Gerdemann, RdA 2019, 16, 17 f.; ders., WB, 406
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Rechtsbegriffe angewiesene Vorgaben nur bedingt klare Lösungen für jeden Einzelfall bieten, dennoch hat es die Rechtsprechung versäumt, die Prüfkriterien so weit zu präzisieren, dass das Ergebnis der Interessenabwägung im Einzelfall weitestgehend vorhersehbar ist. Überdies hat das BAG das in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung mit dem öffentlichen Rechtsdurchsetzungsinteresse begründete hohe Schutzniveau für Whistleblower nicht übernommen, sondern es im Ergebnis zugunsten der Arbeitgeberinteressen abgesenkt, indem es für die Lösung des Interessenkonflikts neben dem oft eher beiläufig oder gar nicht erwähnten öffentlichen Interesse vorrangig andere, aus der gegenseitigen treuerechtlichen Verbindung der Arbeitsvertragsparteien abgeleitete Kriterien heranzieht. Dies ist zwar im Ansatz und bei Reduzierung der Betrachtung des Interessenkonflikts auf das bipolare Verhältnis der Arbeitsvertragspartien entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung412 gut nachvollziehbar, lässt aber die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Whistleblowings und die durch die kollektive Dimension des staatsbürgerlichen Anzeigerechts und der Meinungsfreiheit bedingte Doppelfunktion der Grundrechte des Arbeitnehmers außer Betracht und behandelt das Arbeitsverhältnis als ein vom Allgemeininteresse weitgehend autarkes Rechtsverhältnis.413 Damit verkehrt das BAG das vom BVerfG aufgestellte Regel-Ausnahme-Prinzip ins Gegenteil, so dass selbst die berechtigte Meldung eines Missstandes eher als ein rechtfertigungsbedürftiges als ein im Regelfall zulässiges Verhalten des Arbeitnehmers behandelt wird.414 Eine bis dato stets am fehlenden politischen Konsens gescheiterte umfassende und einheitliche gesetzliche Regelung mit klaren Vorgaben zur Zulässigkeit des Whistleblowings erscheint daher dringend geboten.415 Dabei sollten die in der Rechtsprechung aufgestellten „Indizien“ bzw. Prüfkriterien allerdings nur insoweit herangezogen werden, als sie unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses am
Rn. 253; Krause, SR 2019, 138, 141; Richter, ArbRAktuell 2018, 433; Rudkowski, CCZ 2013, 204; Heide/Heide, WB, S. 61; DAV, Stellungnahme V-WBRL, S. 8; a. A. Harrer-Kouliev, comply 2020, 14 f.; dies., PuR 2020, 30; BDA, Positionspapier WBRL, S. 2; BDA, Stellungnahme WBRL, o. S.; BRAK, Stellungnahme V-WBRL, S. 4 f. 412 Insoweit repräsentativ BAG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 400/05, NJW 2007, 2204, 2205, Rn. 18 („Der in Fällen des ,Whistle-blowing‘ in Rede stehende Vorwurf besagt, dass die Ausübung des bestehenden staatsbürgerlichen Rechts zur Erstattung einer Strafanzeige nicht zu unverhältnismäßigen Reaktionen bis hin zur Schädigung des arbeitsrechtlichen Vertragspartners führen darf. Es geht also um die Verletzung zivilrechtlich begründeter Pflichten gegenüber dem Vertragspartner.“ [Hervorhebung durch Verf.]). 413 In diese Richtung oder ähnlich auch Krause, SR 2019, 138, 143, 146; Oetker, ZESAR 2017, 257, 262; Becker, DB 2011, 2202, 2203; Heide/Heide, WB, S. 27, 41. 414 Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 205; Brock, öAT 2011, 243, 244; Redder, WB, S. 212; Gerdemann, WB, Rn. 247, Fn. 1876; davor warnend Becker, DB 2011, 2202, 2204; a. A. wohl Heide/Heide, WB, S. 48. 415 So auch Groß/Platzer, NZA 2018, 913, 915; dies., NZA 2017, 1097, 1104; Mengel, CCZ 2012, 146, 151; Leuchten, ZRP 2012, 142, 145; Kreis, WB, S. 198; a. A. BRAK, Stellungnahme V-WBRL, S. 4 f.; offenlassend Schmitt, RdA 2017, 365, 372.
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Whistleblowing zur Auflösung des Interessenkonflikts geeignet und hinreichend rechtssicher konkretisiert sind.416 Dies trifft im Ergebnis allein auf das „Indiz“ der Berechtigung der Meldung zu, wonach dem Whistleblower Schutz versagt wird, wenn er vorsätzlich oder leichtfertig unzutreffende Anschuldigungen erhebt, denn dann erscheint auch unter Beachtung eines etwaigen Allgemeininteresses an der Meldung eine Schutzgewährleistung nicht gerechtfertigt. Zudem haben die Arbeitsgerichte den Prüfungsmaßstab einer berechtigten Meldung unter Rückgriff auf die Grundsätze zu § 276 BGB weitgehend rechtssicher und vorhersehbar dahin konkretisiert, dass mit Ausnahme einer grob fahrlässigen Fehlmeldung selbst fahrlässiges Verhalten privilegiert wird. Eine Kündigung durch den Arbeitgeber ist danach nur dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich, das heißt aufgrund positiver Kenntnis wissentlich oder jedenfalls unter billigender Inkaufnahme der Fehlerhaftigkeit, oder leichtfertig, das heißt unter besonders grober Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, unzutreffende Anschuldigungen erhoben hat. Dabei setzt (in Übereinstimmung mit konventionsrechtlichen Vorgaben) ein leichtfertiges Verhalten voraus, dass die Meldung aus Sicht eines verantwortlich und im geringsten Maße umsichtig handelnden Menschen – auch ohne juristischen Sachverstand – „unnötig“ war und keine irgendwie nachvollziehbaren Anhaltspunkte für das gemeldete Fehlverhalten erkennbar sind, was sich bei sorgfältiger Prüfung auch dem Whistleblower hätte aufdrängen müssen. Er wird also lediglich mit der Tragung des „allgemeinen Lebensrisikos“ einer gröblichen Fehleinschätzung der Tatsachen- oder Rechtslage belastet, was ihm zumutbar und Ausfluss einer sachgerechten Risikoverteilung ist, die auch für Personen gilt, die in anderen privatrechtlichen Vertrauensverhältnissen eine Meldung von Missständen erstatten.417 Hierzu gehört das Risiko einer ungünstigen tatrichterlichen Beweiswürdigung, was nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, aber durch die Möglichkeit einer Berufung vermindert wird. Eine für die eine oder andere Seite tendenziell günstige Beweiswürdigung der Arbeitsgerichte ist jedenfalls nicht (mehr) zu erkennen.418 Demgegenüber ist die Heranziehung der Motivation des Arbeitnehmers als eigenständiges „Indiz“ für die Unzulässigkeit des Whistleblowings, das aufgrund der ihm durch die Rechtsprechung beigemessenen großen Bedeutung selbst bei zutreffenden Anschuldigungen zur Annahme einer Pflichtverletzung allein wegen 416
Ähnlich MüKoBGB/Henssler, § 626 BGB, Rn. 187; i. E. auch Leuchten, ZRP 2012, 142, 144 f.; a. A. Rudkowski, CCZ 2013, 204, 209. 417 Grundlegend BVerfG, Beschluss v. 25. 02. 1987 – 1 BvR 1086/85, NJW 1987, 1929; vgl. zur Strafanzeige eines Mieters BVerfG, Beschluss v. 02. 10. 2001 – 1 BvR 1372/01, NZM 2002, 61; OLG München, Urteil v. 17. 03. 2009 – 5 U 2321/08, juris, Rn. 53; LG Frankfurt (Oder), Urteil v. 15. 04. 2013 – 16 S 230/12, juris, Rn. 13; MüKoBGB/Bieber, § 543 BGB, Rn. 12. 418 Tendenziell anders noch LAG Hamm, Urteil v. 02. 02. 2000 – 3 Sa 1463/99, S. 15 (nicht veröffentlicht, aber Verf. vorliegend) (Vorinstanz Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2001 (Az.: 1 BvR 2049/00)).
B. Zulässigkeit des Whistleblowings („erste Prüfungsebene“)
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eines verwerflichen Motivs führen kann, unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses am Whistleblowing abzulehnen.419 Die Einbeziehung der Motive des Arbeitnehmers in die Interessenabwägung ist zwar aufgrund der besonderen persönlichen und existenziellen Verbindung der Arbeitsvertragsparteien verständlich. Sie lässt aber bei einer wahrheitsgemäßen Meldung außer Acht, dass der rechtswidrig bzw. fehlerhaft handelnde Arbeitgeber oder Kollege dann bei einer „falschen“ Motivation des Whistleblowers zumindest mittelbar durch die Rechtsordnung, gegen die er selbst verstoßen hat, vor einer Aufdeckung seines Fehlverhaltens geschützt wird. Das erscheint besonders fragwürdig, wenn (wie häufig) ein öffentliches Interesse an der Information über die betriebsinternen Missstände besteht. Aus dem Blickwinkel des Allgemeininteresses verspielt derjenige Vertrauen, der sich gegen unsere Rechts- und Werteordnung wendet, nicht aber derjenige, der dieses Verhalten – aus welchen Gründen auch immer – aufdeckt. Selbst eine nach tatrichterlicher Würdigung überwiegend verwerfliche intrinsische Haltung des Whistleblowers sollte dann unerheblich sein und keine Kündigung rechtfertigen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Whistleblower häufig aus unterschiedlichsten Beweggründen handeln, also etwa in Form einer Mischmotivation bzw. eines Motivbündels. Andernfalls bestünde eine erhebliche abschreckende und meldehemmende Wirkung, da zum einen die Hemmschwelle für die Meldung betriebsinterner Missstände oft erst bei einer – im Zweifel nach außen erkennbaren – Abneigung bzw. inneren Distanz gegenüber der angeschuldigten Person oder jedenfalls gegenüber ihrem Verhalten überschritten wird und es zum anderen für den Arbeitnehmer bei heterogener Motivlage kaum zu beurteilen sein dürfte, ob seine Beweggründe bereits als überwiegend oder nur gleichermaßen bzw. sogar untergeordnet verwerflich zu bewerten sind.420 Die grundsätzliche Anforderung der Rechtsprechung, der Arbeitnehmer möge – wohl selbst bei einer bestehenden Meldepflicht – zumindest überwiegend aus hehren Motiven handeln, erscheint realitätsfern und überfordernd. Andererseits sollte dem Arbeitnehmer kein durch das öffentliche Aufdeckungsinteresse legitimiertes „Racheinstrument“ an die Hand gegeben werden, so dass jedenfalls die Meldung von Missständen aus einer ausschließlich verwerflichen Motivation eine absolute und kündigungsrelevante Treuwidrigkeitsgrenze überschreiten dürfte.421 Das „Indiz“ des vorrangigen innerbetrieblichen Abhilfeversuchs birgt nicht nur die größte Rechtsunsicherheit, sondern dürfte auch dem öffentlichen Interesse an der Aufdeckung betrieblicher Missstände häufig zuwiderlaufen. Mit diesem Prüfkrite419 So auch Schmolke, ZGR 2019, 876, 910, 922; Wendeling-Schröder, RdA 2004, 374, 377; Kreis, WB, S. 9, 172 ff.; Redder, WB, S. 76, 198 ff.; ähnlich Rudkowski, CCZ 2013, 204, 206; Forst, NJW 2011, 3477, 3480 f.; andeutungsweise Staudinger/Preis, § 626 BGB, Rn. 131; a. A. wohl Stein, BB 2004, 1961, 1962 f. 420 Vgl. auch Gerdemann, WB, Rn. 253; ähnlich hierzu KBF/Alexander, § 5 GeschGehG, Rn. 42; FGO/Schubert, Art. 10 EMRK, Rn. 34; Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 205. 421 So auch Rudkowski, CCZ 2013, 204, 206; Wendeling-Schröder, RdA 2004, 374, 377; wohl auch Forst, NJW 2011, 3477, 3482.
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
rium hat die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung eine Anforderung an eine schutzauslösende Meldung aufgestellt, die sich zwar noch im Rahmen des konventionsrechtlichen Beurteilungsspielraums der Konventionsstaaten bewegt, so aber von der EMRK zum Schutz der Arbeitgeberinteressen nicht gefordert wird. Zudem ist die gerichtliche Beurteilung im Einzelfall kaum vorhersehbar, weil die für dessen Vorrang vorausgesetzte Zumutbarkeit eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs nicht klar definiert ist. Zwar bieten die in der Rechtspraxis hierzu entwickelten Fallgruppen eine gewisse Orientierung, letztlich mangelt es ihnen aber selbst an der notwendigen Konturenschärfe, weil die Rechtsprechung zu ihrer Konkretisierung auf unbestimmte Rechtsbegriffe, etwa „schwerwiegende Straftaten“, oder nicht näher definierte Voraussetzungen zurückgreift, wie etwa eine absehbare Erfolglosigkeit. Außerdem lassen die insgesamt recht allgemein gehaltenen Prüfungsvorgaben (zu) viele Fragen offen, etwa zur Bedeutung der Begehung eines Bagatelldelikts, des Bestehens eines internen Meldesystems oder einer Meldepflicht des Arbeitnehmers oder der Verursachung des Missstandes durch ihn selbst. Der sich aus dieser Rechtsunsicherheit faktisch ergebende Vorrang interner Klärung dürfte auf meldewillige Arbeitnehmer eine große Abschreckungswirkung haben, insbesondere beim Fehlen interner Meldestellen oder vertraulicher (staatlicher) Informationsmöglichkeiten über das richtige Vorgehen bei einer Meldung. Im Zweifel wird der Arbeitnehmer lieber über seinen Verdacht oder sein Wissen schweigen als Gefahr zu laufen, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, insbesondere vor dem Hintergrund des Risikos auch nach einer internen Meldung als unliebsamer Querulant mittels vorgeschobener Kündigungsgründe zur Verhinderung externer Meldeversuche entlassen zu werden. Sowohl diese Abschreckungswirkung des Prüfkriteriums als auch das Erfordernis vorrangiger innerbetrieblicher Abhilfe als solches sind insbesondere auch aus Sicht des in der verfassungs- und konventionsgerichtlichen Rechtsprechung hervorgehobenen öffentlichen Interesses an einer durch Whistleblowing verbesserten Rechtsdurchsetzung und Förderung des gesamtgesellschaftlichen Diskurses über Defizite und Schwächen unserer Rechtsordnung bedenklich. Sie bergen nicht nur die Gefahr einer gänzlichen Nichtabhilfe und Vertuschung des Missstands, sondern auch des Ausbleibens adäquater behördlicher Aufklärung und Ahndung sowie präventiver Maßnahmen zur Verhinderung zukünftigen Fehlverhaltens. Der (zumindest gleichermaßen zulässigen) direkten externen Meldung an staatliche Stellen kommt gerade bei Missständen von „besonderem“ öffentlichen Interesse eine gewichtige gesamtgesellschaftliche Bedeutung zu – man stelle sich nur vor, die Volkswagen AG hätte ihre Abgasmanipulationen oder die Wirecard AG ihre Bilanzfälschungen intern „aufgeklärt“, ohne dass sie öffentlich oder jedenfalls den zuständigen Behörden zur Kenntnis gelangt wären und deshalb weder Bußgelder hätten verhängt noch Strafverfahren geführt noch Schadenersatzforderungen durchgesetzt werden können. Resümierend betrachtet dient der (faktische) Vorrang eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs damit zwar den berechtigten Arbeitgeberinteressen, vernachlässigt aber in bedenklicher
C. Gesamtabwägung („zweite Prüfungsebene“)
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Weise die Interessen des Whistleblowers und der Allgemeinheit, woran auch die unklare Voraussetzung seiner Zumutbarkeit nichts ändert.422
C. Gesamtabwägung („zweite Prüfungsebene“) Bei Annahme einer Pflichtverletzung nehmen die Arbeitsgerichte auf „zweiter Prüfungsebene“ eine Gesamtabwägung vor, um eine nach den Einzelfallumständen insgesamt unbillige und unangemessene Kündigung zu vermeiden.423 Das kann zwar die unsichere Rechtslage zur Zulässigkeit des Whistleblowings nicht ausgleichen, weil dafür vorrangig die Voraussetzungen einer kündigungsrelevanten Pflichtverletzung maßgeblich sind und die einzelfallbezogene Gesamtabwägung darüber keine fallübergreifende Rechtsklarheit schaffen kann. Eine umfassende Untersuchung des bislang richterrechtlich geprägten Kündigungsschutzes für Whistleblower kommt aber schon aus rechtspraktischer Sicht nicht umhin, auch die hier relevanten Abwägungskriterien näher zu beleuchten, die den Whistleblower im Einzelfall vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes bewahren können. Die Arbeitsgerichte lassen nämlich nicht selten das Vorliegen einer Pflichtverletzung dahinstehen, wenn die Kündigung wegen Whistleblowings insgesamt unbillig und unverhältnismäßig erscheint, etwa weil der Arbeitgeber trotz vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers zunächst auf mildere Maßnahmen, wie eine Abmahnung, hätte zurückgreifen können.424 Obschon die Whistleblowing-Rechtsprechung teilweise auf spezifische Abwägungskriterien zurückgreift, erfolgt die Gesamtabwägung auch hier grundsätzlich anhand der üblicherweise in der arbeitsgerichtlichen Rechtspraxis herangezogenen Kriterien. Relevant sind dabei regelmäßig der Schaden und die Auswirkungen der Pflichtverletzung, der Verschuldensgrad, die Wiederholungsgefahr oder die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen bisheriger (störungsfreier) Verlauf.425 Zugunsten des Arbeitnehmers ist zudem zu berücksichtigen, dass der Kündigung als härteste arbeitsrechtliche Reaktion auf ein Fehlverhalten stets ein gewisser Sanktionscha-
422 Vgl. auch bereits Becker, DB 2011, 2202, 2204; in diese Richtung auch Häußinger, EuZA 2021, 368, 376. 423 Vgl. insoweit Teil 3, A.I. und Teil 4, A.II. 424 So etwa in BAG, Urteil v. 11. 07. 2013 – 2 AZR 994/12, NZA 2014, 250, 253, Rn. 42 f.; BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 39; LAG BerlinBrandenburg, Urteil v. 07. 11. 2013 – 10 Sa 1230/13, juris, Rn. 42. 425 St. Rspr. BAG, Urteil v. 13. 12. 2018 – 2 AZR 370/18, NJW 2019, 1161, 1163, Rn. 29; BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1068, Rn. 41; BAG, Urteil v. 10. 11. 2005 – 2 AZR 623/04, NZA 2006, 491, 493, Rn. 38; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 07. 11. 2013 – 10 Sa 1230/13, juris, Rn. 38; LAG Düsseldorf, Urteil v. 24. 09. 2012 – 9 Sa 1014/12, juris, Rn. 134 f.; vgl. auch statt vieler HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 323 ff.
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
rakter innewohnt, wenngleich sie formal nur ein Mittel zur Vermeidung des Risikos zukünftiger Vertragsstörungen ist.426
I. Schaden und Auswirkung der Pflichtverletzung Zugunsten des arbeitgeberseitigen Beendigungsinteresses kann insbesondere eine (in Kauf genommene) nachhaltige Rufschädigung des Arbeitgebers oder eines betroffenen Arbeitskollegen sprechen, weil diese zu empfindlichen finanziellen wie persönlichen Einbußen bis hin zur Existenzgefährdung führen kann.427 Auch eine nachhaltige und tiefgreifende Störung des Betriebsfriedens oder des Vertrauensverhältnisses der Arbeitsvertragsparteien kann für die Berechtigung einer Kündigung sprechen.428
II. Gewicht der Pflichtverletzung Eine wichtige Rolle kann zudem das Gewicht der begangenen Pflichtverletzung spielen, das maßgeblich vom Inhalt der Meldung abhängt. Je gravierender die Vorwürfe sind, desto schwerer wiegt regelmäßig die fehlende Berechtigung oder ein fehlender innerbetrieblicher Abhilfeversuch. Zwar fehlen dazu abstrakte Vorgaben, insoweit dürften aber auch hier ähnliche Beurteilungskriterien anzuwenden sein wie zum Vorliegen einer „schwerwiegenden“ Straftat für die Unzumutbarkeit eines internen Klärungsversuchs, so dass die Meldung einer „Bagatelle“ regelmäßig als nicht sehr gravierend einzustufen ist,429 es sei denn der Arbeitnehmer erhebt diesen Vor426 Vgl. etwa BVerfG, Beschluss v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888, 889; ähnlich auch SWK-ArbR/Biester, Außerordentliche Kündigung, Rn. 4; Mohnke, Verhaltensbedingte Kündigung, Rn. 86 (Abmahnung bzw. Kündigung als „Sanktion/Sanktionsmittel“); DHSW/Griebeling/Herget, § 626 BGB, Rn. 4; Thüsing/Forst, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, § 6, Rn. 54. 427 Vgl. hierzu BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 705, Rn. 28; LAG Düsseldorf, Urteil v. 24. 09. 2012 – 9 Sa 1014/12, juris, Rn. 140; LAG Köln, Urteil v. 02. 02. 2021 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 301; LAG Hamm, Urteil v. 28. 11. 2003 – 10 Sa 1036/03, NZA-RR 2004, 475, 478; LAG Bremen, Urteil v. 17. 07. 2003 – 3 Sa 275/02, NZA-RR 2004, 128, 131; ArbG Düsseldorf, Urteil v. 06. 10. 2011 – 4 Ca 3895/07, juris, Rn. 91. 428 Vgl. hierzu BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1069, Rn. 45; LAG Köln, Urteil v. 05. 07. 2012 – 6 Sa 71/12, juris, Rn. 18; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 02. 04. 2009 – 10 Sa 691/08, juris, Rn. 82; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 24. 10. 2007 – 7 Sa 451/07, BeckRS 2008, 51400, Rn. 67; LAG Hamm, Urteil v. 28. 11. 2003 – 10 Sa 1036/03, NZA-RR 2004, 475, 478; LAG Bremen, Urteil v. 17. 07. 2003 – 3 Sa 275/02, NZARR 2004, 128, 131; DDZ/Däubler, § 1 KSchG, Rn. 790. 429 Vgl. insoweit in Teil 4, B.III.2.e)cc)(2); vgl. auch LAG Düsseldorf, Urteil v. 24. 09. 2012 – 9 Sa 1014/12, juris, Rn. 138; LAG Hamm, Urteil v. 28. 11. 2003 – 10 Sa 1036/03, NZA-RR 2004, 475, 478.
C. Gesamtabwägung („zweite Prüfungsebene“)
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wurf wiederholt und beharrlich. Auch der Tätigkeitsbereich des Arbeitgebers, etwa in der Sicherheitsbranche, kann dazu führen, dass sich ein (an sich „kleiner“) Vorwurf als besonders schwer darstellt.430
III. Verschuldensgrad Ein weiteres Abwägungskriterium ist die Vorwerfbarkeit der Pflichtverletzung, also der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers. Ein besonders hartnäckiges Vorgehen zulasten des Arbeitgebers im Falle einer unberechtigten Meldung kann dabei für ein Beendigungsinteresse sprechen.431 Ein etwaiges arbeitgeberseitiges Mitverschulden an der pflichtwidrigen Meldung, zum Beispiel wenn der Arbeitgeber seinen Fürsorge- und Deeskalationspflichten nicht nachgekommen ist und erkennbare Missverständnisse oder Fehleinschätzungen nicht ausgeräumt hat, ist demgegenüber zugunsten des Bestandsinteresses des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.432 Zudem kann der subjektiven Wahrnehmung des Whistleblowers auf der zweiten Prüfungsebene eine fallentscheidende Bedeutung zukommen, weil auch leichtfertig falsche Vorwürfe im Einzelfall für eine Kündigung nicht ausreichen können, wenn der Arbeitnehmer subjektiv von ihrer Berechtigung überzeugt ist und sie ihm deshalb weniger vorwerfbar sind.433 Das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers kann dann trotz einer fehlerhaften subjektiven Wahrnehmung und selbst bei einer aufgrund der subjektiven Kenntnisse und Fähigkeiten leichten Erkennbarkeit der Fehleinschätzung überwiegen. Erforderlich ist aber eine Überzeugung des Arbeitnehmers, das heißt er darf an der Richtigkeit seiner Meldung nicht gezweifelt haben, so dass eine „bewusste“ Fahrlässigkeit, also ein bloßes Vertrauen auf die Berechtigung der Meldung, nicht ausreicht.434 Letztlich dürfte sich eine (objektiv unzutreffende) Überzeugung des Whistleblowers nicht nur dann zu seinen Gunsten auswirken, wenn sie die Berechtigung der Meldung betrifft, sondern auch dann, wenn sie sich auf 430 Vgl. etwa LAG Düsseldorf, Urteil v. 24. 09. 2012 – 9 Sa 1014/12, juris, Rn. 138, 140; insoweit auch die Vorinstanz ArbG Düsseldorf, Urteil v. 06. 10. 2011 – 4 Ca 3895/07, juris, Rn. 91. 431 So etwa in BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 705, Rn. 26, 28. 432 So etwa in BAG, Urteil v. 11. 07. 2013 – 2 AZR 994/12, NZA 2014, 250, 254, Rn. 51; LAG Düsseldorf, Urteil v. 24. 09. 2012 – 9 Sa 1014/12, juris, Rn. 143 (Vorinstanz BAG); LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 14. 08. 2012 – 5 Sa 171/11, NZA-RR 2013, 20, 22; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 02. 04. 2009 – 10 Sa 691/08, juris, Rn. 82; LAG Hamm, Urteil v. 28. 11. 2003 – 10 Sa 1036/03, NZA-RR 2004, 475, 478. 433 BAG, Urteil v. 11. 07. 2013 – 2 AZR 994/12, NZA 2014, 250, 254, Rn. 49; LAG Düsseldorf, Urteil v. 24. 09. 2012 – 9 Sa 1014/12, juris, Rn. 144 (Vorinstanz BAG); ähnlich auch (aber i. E. ablehnend) BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 705, Rn. 28; vgl. zur Berücksichtigung der subjektiven Wahrnehmung im Rahmen der Gesamtabwägung auch LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 16. 06. 2010 – 3 Sa 144/10, juris, Rn. 31 f. 434 Vgl. insoweit BAG, Urteil v. 11. 07. 2013 – 2 AZR 994/12, NZA 2014, 250, 254, Rn. 50; LAG Düsseldorf, Urteil v. 24. 09. 2012 – 9 Sa 1014/12, juris, Rn. 144 (Vorinstanz BAG).
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
andere objektiv überprüfbare Faktoren bezieht, etwa die Zumutbarkeit eines internen Abhilfeversuchs oder das Vorliegen eines öffentlichen Interesses an der aufgedeckten Information. Die subjektive Wahrnehmung objektiv überprüfbarer und außerhalb des Denkens und Fühlens eines Menschen liegender Umstände ist grundsätzlich von den Motiven zu unterscheiden, die allein die intrinsische Haltung und die Beweggründe des Arbeitnehmers beschreiben. So kann er von der Richtigkeit seiner objektiv unzutreffenden Vorwürfe überzeugt sein, auch wenn er (allein) aus verwerflichen Motiven eine Meldung erstattet, oder umgekehrt zwar aus redlichen Motiven handeln, auch wenn er die mögliche Fehlerhaftigkeit seiner tatsächlich unzutreffenden Meldung trotz Vertrauens auf ihre Richtigkeit durchaus erkennt. Allerdings ist in der Regel eine gewisse Wechselwirkung anzunehmen, so dass eine redliche Motivation als Indiz für die Überzeugung des Whistleblowers, etwa von der Berechtigung der Meldung oder vom Vorliegen eines öffentlichen Interesses an der Meldung, und umgekehrt eine verwerfliche Motivation regelmäßig als Indiz für eine fehlende Überzeugung bzw. einen fehlenden Glauben an die Richtigkeit der Vorwürfe gewertet werden kann.
IV. Einfluss der Prüfkriterien der „ersten Prüfungsebene“ Darüber hinaus können auf der zweiten Prüfungsebene auch diejenigen Prüfkriterien der ersten Prüfungsebene eine Rolle spielen, auf die es zur Feststellung des pflichtwidrigen Verhaltens nicht (mehr) ankam. So kann etwa der vergebliche Versuch einer internen Abhilfe ein starkes Argument gegen ein Beendigungsinteresse des Arbeitgebers sein.435 Zugunsten des Arbeitnehmers kann überdies sprechen, wenn er sich statt einer „Flucht in die Öffentlichkeit“ an eine staatliche Stelle wendet, während seine Motivation die Abwägung je nach ihrem Inhalt (denklogisch) für oder gegen ihn beeinflussen kann,436 so wie sie auch im Whistleblowingrecht der USA inzwischen zunehmend nur noch als „Korrektiv“ in einer Billigkeitsprüfung im Einzelfall herangezogen wird.437 Ähnlich wie für die Zulässigkeit des Whistleblowings selbst spielt das öffentliche Interesse an der aufgedeckten Information in der arbeitsgerichtlichen Praxis auch auf der zweiten Prüfungsebene bislang keine gewichtige Rolle, obwohl die (insoweit deutlichen) konventionsrechtlichen Vorgaben eine Berücksichtigung dieses Faktors spätestens auf der Ebene der Gesamtabwägung gebieten. 435 Etwa LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 24. 10. 2007 – 7 Sa 451/07, BeckRS 2008, 51400, Rn. 65. 436 Vgl. hierzu etwa LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 11. 11. 2014 – 6 Sa 292/14, juris, Rn. 52; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 07. 11. 2013 – 10 Sa 1230/13, juris, Rn. 40; LAG Köln, Urteil v. 02. 02. 2012 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 301. 437 Vgl. hierzu in Teil 2, C.II.2.a).
D. Prozessualer Status quo
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V. Sonstige Abwägungskriterien In jedem Fall sind die persönlichen Umstände des Whistleblowers, wie etwa Alter, Unterhaltspflichten oder (berufliche) Stellung im Unternehmen, die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit sowie der bisherigen beanstandungsfreien Durchführung des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen,438 aber auch die Hintergründe, die zum unzulässigen Whistleblowing geführt haben. Eine private wie berufliche Belastungs-, Druck- und Überforderungssituation, möglicherweise gepaart mit beruflichen Verlustängsten, die eine psychische Ausnahmesituation mit in Teilen irrationalen Überreaktionen des Arbeitnehmers verursacht hat, ist zu seinen Gunsten zu beachten.439 Die Anonymität einer Meldung hat in der Rechtsprechung als Abwägungskriterium noch keine Rolle gespielt, dürfte sich aber insbesondere im Fall einer leichtfertig falschen Meldung oder Anzeige aus verwerflichen Motiven zulasten des Whistleblowers auswirken.440 Hingegen dürfte eine etwaige Meldepflicht regelmäßig zu seinen Gunsten zu berücksichtigen sein, insbesondere bei einer vertraglich oder durch Direktionsrecht über die gesetzlichen Vorgaben hinaus erweiterten Meldepflicht.
D. Prozessualer Status quo Neben den materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer zulässigen Kündigung wegen Whistleblowings ist für eine eingehende Untersuchung der kündigungsrechtlichen Lage zudem der bisherige prozessrechtliche Status quo für Whistleblower zu betrachten, die sich gegen ihre Entlassung zur Wehr setzen. Zu der für meldewillige Arbeitnehmer schon für sich abschreckenden materiellen Rechtslage kommen noch die allgemeinen persönlichen, beruflichen und finanziellen Risiken eines Kündigungsschutzverfahrens hinzu.
438 Vgl. insoweit BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 705, Rn. 29; BAG, Urteil v. 11. 07. 2013 – 2 AZR 994/12, NZA 2014, 250, 254, Rn. 53; LAG Düsseldorf, Urteil v. 24. 09. 2012 – 9 Sa 1014/12, juris, Rn. 137 (Vorinstanz BAG 2013); LAG Köln, Urteil v. 02. 02. 2012 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 301; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 02. 04. 2009 – 10 Sa 691/08, juris, Rn. 82; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 24. 10. 2007 – 7 Sa 451/07, BeckRS 2008, 51400, Rn. 65; LAG Bremen, Urteil v. 17. 07. 2003 – 3 Sa 275/02, NZA-RR 2004, 128, 131. 439 Vgl. etwa LAG Düsseldorf, Urteil v. 24. 09. 2012 – 9 Sa 1014/12, juris, Rn. 141 f.; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 14. 08. 2012 – 5 Sa 171/11, NZA-RR 2013, 20, 22; LAG Bremen, Urteil v. 17. 07. 2003 – 3 Sa 275/02, NZA-RR 2004, 128, 131. 440 Dem Grunde nach ähnlich Kühling, NJW 2015, 447, 448; a. A. Redder, WB, S. 48.
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
I. Darlegungs- und Beweislast Auch im Streit um die Kündigung wegen Whistleblowings gelten die allgemeinen Regeln zur Darlegungs- und Beweislast in arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzprozessen, wonach der Arbeitgeber alle Umstände darzulegen und zu beweisen hat, die den Kündigungsgrund sowie das Überwiegen seines Beendigungsinteresses begründen.441 Dabei kann er sich nicht auf die objektiven Gegebenheiten für einen Kündigungsgrund beschränken, sondern hat auch etwaige Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe für den Arbeitnehmer einzubeziehen, allerdings nur soweit er die erforderliche Sachnähe und Erkenntnismöglichkeit hat; andernfalls trägt insoweit der Arbeitnehmer eine „sekundäre Beweislast“.442 Wenngleich die Anforderungen an den Arbeitnehmer als nicht primär beweisbelastete Partei hier regelmäßig nicht überspannt werden dürfen, trifft ihn jedenfalls die Pflicht, die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen so substantiiert vorzutragen, dass der Arbeitgeber diese bestreiten und gegebenenfalls widerlegen kann.443 Das bedeutet für den Kündigungsstreit, dass der Arbeitgeber die fehlende Berechtigung der Meldung, also einen wissentlich oder leichtfertig unzutreffenden bzw. nicht aufklärbaren Tatsachen- oder Rechtsvortrag des Arbeitnehmers beweisen muss.444 Selbst die grundsätzliche Eignung seiner Meldung zur Erfüllung des Straftatbestandes einer üblen Nachrede nach § 186 StGB dürfte zumindest arbeits-
441 St. Rspr. BAG, Urteil v. 17. 03. 2016 – 2 AZR 110/15, BeckRS 2016, 72235, Rn. 32; BAG, Urteil v. 21. 05. 1992 – 2 AZR 10/92, NZA 1993, 115, 116; BAG, Urteil v. 06. 09. 1989 – 2 AZR 118/89, NJW 1990, 2341, 2342; für viele ErfK/Niemann, § 626 BGB, Rn. 234; NKArbR/Meyer, § 626 BGB, Rn. 164; HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 326; DHSW/ Markowski, § 1 KSchG, Rn. 259; SWK-ArbR/Mohnke, Verhaltensbedingte Kündigung, Rn. 82. 442 St. Rspr. BAG, Urteil v. 17. 03. 2016 – 2 AZR 110/15, BeckRS 2016, 72235, Rn. 32; BAG, Urteil v. 03. 11. 2011 – 2 AZR 748/10, NZA 2012, 607, 608, Rn. 23; BAG, Urteil v. 12. 08. 1976 – 2 AZR 237/75, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 3; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 11. 11. 2014 – 6 Sa 292/14, juris, Rn. 50 f.; LAG Düsseldorf, Urteil v. 17. 01. 2002 – 11 Sa 1422/01, BeckRS 2004, 42537, Rn. 28; statt vieler ErfK/Niemann, § 626 BGB, Rn. 234 f.; HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 327; NK-ArbR/Meyer, § 626 BGB, Rn. 165. 443 BAG, Urteil v. 17. 03. 2016 – 2 AZR 110/15, BeckRS 2016, 72235, Rn. 32; BAG, Urteil v. 12. 08. 1976 – 2 AZR 237/75, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 3; LAG Düsseldorf, Urteil v. 24. 09. 2012 – 9 Sa 1014/12, juris, Rn. 104; ArbG Gelsenkirchen, Urteil v. 14. 06. 2017 – 2 Ca 2166/ 16, juris, Rn. 62; wiederum für viele ErfK/Niemann, § 626 BGB, Rn. 235; HaKo-KSchR/ Zimmermann, § 1 KSchG, Rn. 327; NK-ArbR/Meyer, § 626 BGB, Rn. 165; SWK-ArbR/ Mohnke, Verhaltensbedingte Kündigung, Rn. 83. 444 Vgl. BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1067, Rn. 28; LAG Niedersachsen, Urteil v. 12. 09. 2018 – 14 Sa 140/18, RDG 2019, 128, 129; LAG Düsseldorf, Beschluss v. 04. 03. 2016 – 10 TaBV 102/15, BeckRS 2016, 68431, Rn. 54; LAG Düsseldorf, Urteil v. 17. 01. 2002 – 11 Sa 1422/01, BeckRS 2004, 42537, Rn. 29; KR-KSchG/Rachor, § 1 KSchG, Rn. 464; Redder, WB, S. 187 f.; strenger, da Unwahrheitsnachweis voraussetzend Groß/Platzer, NZA 2017, 1097, 1099; Ulber, NZA 2011, 962, 963; wohl auch Becker, DB 2011, 2202, 2204.
D. Prozessualer Status quo
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rechtlich nicht zu einer Beweislastumkehr zulasten des Arbeitnehmers führen.445 Trotz dieser grundsätzlich niedrigen Anforderungen an den Arbeitnehmer zur Widerlegung des Vorwurfs einer fehlenden Berechtigung seiner Meldung, muss er aber zu seiner Entlastung konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte und plausible Verdachtsmomente unter Berücksichtigung seiner Pflicht zu ihrer sorgsamen Überprüfung für die Richtigkeit seiner Meldung oder etwa einen unvermeidbaren Irrtum substantiiert und nachvollziehbar vortragen, die der Arbeitgeber sodann zur Überzeugung des Gerichts entkräften kann.446 Dabei dürften die Anforderungen an den Vortrag des Whistleblowers ungleich höher liegen, wenn der Arbeitgeber die objektive Fehlerhaftigkeit der Anschuldigungen belegen kann. Eine anonym oder nachweislich (auch) aus verwerflichen Motiven erstattete Meldung dürfte dabei regelmäßig zulasten ihrer Glaubhaftigkeit und der Glaubwürdigkeit des Arbeitnehmers gehen, wobei die Offenlegung des Namens im Rahmen des behördlichen Ermittlungsverfahrens diesen Nachteil bisweilen „ausgleichen“ dürfte.447 Diese Maßgaben für den Arbeitnehmer zur Erfüllung seiner sekundären Beweislast stehen auch im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR.448 Dem Arbeitgeber obliegt es auch, die Zumutbarkeit eines fehlenden vorherigen innerbetrieblichen Abhilfeversuchs nachzuweisen, was durch das Bestehen spezieller interner Meldestellen erleichtert wird.449 Der Arbeitnehmer wiederum muss gegebenenfalls nachvollziehbare Umstände dafür vortragen, dass er auf einen Abhilfeversuch verzichten durfte.450 Obwohl es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Darlegung eines Kündigungsgrunds wegen einer verwerflichen Motivation zwar auszureichen scheint, dass der Arbeitgeber eine überwiegend verwerfliche Motivation nachweist, dürfte dies gerade dann schwer fallen, wenn der Arbeitnehmer 445
Ebenso ErfK/Niemann, § 626 BGB, Rn. 64c, 236; wohl auch BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064, 1067, Rn. 28; LAG Hamburg, Urteil v. 10. 06. 2021 – 8 Sa 22/20, BeckRS 2021, 19358, Rn. 45 f.; vgl. insoweit auch bereits BVerfG, Beschluss v. 25. 02. 1987 – 1 BvR 1086/85, NJW 1987, 1929, 1930; a. A. MAH-ArbR/Ulrich, § 43, Rn. 341; ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 208; vgl. auch für § 823 BGB LAG Köln, Urteil v. 13. 07. 2016 – 28 O 12/16, BeckRS 2016, 128093, Rn. 77. 446 Vgl. insoweit etwa BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 704, Rn. 19, 705, Rn. 25; LAG Niedersachsen, Urteil v. 12. 09. 2018 – 14 Sa 140/18, RDG 2019, 128, 129; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 11. 11. 2014 – 6 Sa 292/14, juris, Rn. 50; LAG Köln, Urteil v. 02. 02. 2012 – 6 Sa 304/11, NZA-RR 2012, 298, 301; vgl. auch NK-ArbR/Sagan, Art. 10 EMRK, Rn. 9; ErfK/Niemann, § 626 BGB, Rn. 238; KR-KSchG/Fischermeier, § 626 BGB, Rn. 399; Redder, WB, S. 188. 447 Vgl. insoweit etwa ArbG Gelsenkirchen, Urteil v. 14. 06. 2017 – 2 Ca 2166/16, juris, Rn. 71; vgl. zur Einbuße an Authentizität anonymer Meldungen auch bereits in Teil 3, A.II.1.a)cc). 448 Vgl. hierzu in Teil 4, B.III.2.c)cc); so i. E. auch NK-ArbR/Sagan, Art. 10 EMRK, Rn. 9; Redder, WB, S. 187 f. 449 Vgl. zur Auswirkung interner Meldestellen auf die Zumutbarkeit in Teil 4, B.III.2.e) cc)(6)(b). 450 Vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 24. 10. 2019 – 10 Sa 792/19, BeckRS 2019, 33782, Rn. 23.
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aus verschiedenen Beweggründen gehandelt hat, sog. Motivbündel. Bloße Vermutungen und unfundierte Angaben des Arbeitgebers „ins Blaue hinein“ ohne erwiderungsfähigen Beweisantritt reichen (wenig überraschend) insoweit nicht.451 In der Praxis dürfte der Nachweis, insbesondere aufgrund möglicher Schutzbehauptungen des Whistleblowers, daher selten mit der erforderlichen Gewissheit gelingen; wohl deshalb spielt eine verwerfliche Motivation als alleiniger Kündigungsgrund dort bislang tatsächlich auch keine erhebliche Rolle.452
II. Versteckte Maßregelung Die Beweislastverteilung im Kündigungsschutzprozess kann sich indes auch gravierend zulasten des Arbeitnehmers auswirken und ihn regelrecht „im Regen stehen lassen“, wenn der Arbeitgeber seine Kündigung auf vorgeschobene Kündigungsgründe und nicht auf das (zulässige) Whistleblowing selbst stützt, um einen unliebsamen „Querulanten“ mundtot zu machen und loszuwerden. Mangels konkreter Zahlen kann insoweit nur vermutet werden, dass die Dunkelziffer solcher Fälle in der Praxis weitaus höher liegen dürfte, als dies die fehlenden gerichtlichen Verfahren hierzu vermuten lassen.453 Diese Gefahr dürfte wohl insbesondere bei internem Whistleblowing bestehen, weil Arbeitnehmer aufgrund ihres Loyalitätsempfindens dazu tendieren, Missstände zunächst intern zu melden.454 Für den Nachweis einer insoweit unzulässigen Maßregelung im Sinne des § 612a BGB ist der Arbeitnehmer – anders als etwa im amerikanischen Whistleblowingrecht –455 beweispflichtig.456 Der erforderliche Kausalitätsbeweis zwischen Kündigung und Whistleblowing dürfte ihm allerdings in den seltensten Fällen gelingen, es sei denn ihm leistet ein Anscheinsbeweis aufgrund eines engen zeitlichen Zusammenhangs unverhofft Schützenhilfe oder die vorgetragenen Kündigungsgründe sind erkennbar 451 So etwa in LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 24. 10. 2019 – 10 Sa 792/19, BeckRS 2019, 33782, Rn. 24. 452 Vgl. hierzu in Teil 4, B.III.2.b). 453 In diese Richtung auch Teichmann, GA 2021, 527, 528; Gerdemann, SR 2021, 89, 91; ders., WB, Rn. 253 (zum internen Whistleblowing); vgl. auch den Fall Porwoll zum externen Whistleblowing, in dem der Arbeitgeber neben dem Whistleblowing sechs (!) weitere (wohl) unzureichende Kündigungsgründe angeführt hatte, vgl. Süße, Newsdienst Compliance 2018, 21003, o. S. 454 Vgl. jeweils m. w. N. Gerdemann, SR 2021, 1, 10; ders., RdA 2019, 23, 25; ders., WB, Rn. 7, 218, 253; Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, o. S.; Krause, SR 2019, 138, 139; Colneric, SR 2018, 232; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 48; vgl. aber zur Abnahme des Vertrauens in internes Whistleblowing und einer zu verzeichnenden Zunahme der Bereitschaft zur externen Meldung Freshfields, WB-Survey 2020, S. 3 f. 455 Vgl. Teil 2, C.II.2.a). 456 St. Rspr. BAG, Urteil v. 18. 10. 2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452, 1456, Rn. 42; BAG, Urteil v. 22. 05. 2003 – 2 AZR 426/02, juris, Rn. 50; BAG, Urteil v. 21. 07. 1988 – 2 AZR 527/87, juris, Rn. 45; ErfK/Preis, § 612a BGB, Rn. 22; MüKoBGB/Müller-Glöge, § 612a BGB, Rn. 24; Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 424; Johnson, CCZ 2019, 66, 67.
D. Prozessualer Status quo
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vorgeschoben.457 Eine Beweiserleichterung wie in § 22 AGG oder § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a. F. (analog) greift zugunsten des Arbeitnehmers jedenfalls nicht.458 Sofern dem Arbeitnehmer trotz dieser Beweislastverteilung der Nachweis einer unzulässigen Maßregelung aber gelingt und sein Whistleblowing nicht nur der wesentliche, sondern der ausschließliche Beweggrund des Arbeitgebers für die Kündigung war, ist diese selbst dann unwirksam, wenn sie tatsächlich auf andere (vorgeschobene) Kündigungsgründe hätte gestützt werden können.459
III. Rechtstatsächliche Auswirkungen eines Kündigungsstreits Ein Kündigungsstreit als solcher kann unabhängig von seinem Ausgang und selbst bei einem auf der Zulässigkeit seiner Meldung beruhenden Obsiegen des Arbeitnehmers für ihn mit erheblichen persönlichen und beruflichen, aber auch finanziellen Belastungen und Unsicherheiten verbunden sein, die nicht selten dazu führen, dass der Rechtsstreit bereits vorzeitig durch Vergleich beendet wird.460 Ein Kündigungsschutzprozess stellt, wie grundsätzlich jedes Gerichtsverfahren, für die Betroffenen eine ungewohnte und belastende Ausnahmesituation dar, insbesondere für den um den Erhalt seines Arbeitsplatzes und damit um seine Existenzgrundlage kämpfenden Arbeitnehmer. Zwischen dem Ausspruch der Kündigung und einer rechtskräftigen Beilegung des Rechtsstreits können im Einzelfall nicht nur mehrere Monate, sondern sogar Jahre vergehen,461 in denen er aufgrund des durch die Kündigungsschutzklage ausgelösten Schwebezustandes häufig mit einer erheblichen 457 Vgl. insoweit MüKoBGB/Müller-Glöge, § 612a BGB, Rn. 24; BeckOK-ArbR/Joussen, § 612a BGB, Rn. 24; Granetzny/Markworth, juris-PR-Compl 1/2020 Anm. 1, o. S.; Gerdemann, SR 2021, 89, 91; ders., RdA 2019, 16, 18; ders., WB, Rn. 253; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 965; Thüsing/Forst, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, § 6, Rn. 56; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 118 f.; tendenziell a. A. Rudkowski, CCZ 2013, 204, 209. 458 Vgl. für viele ErfK/Preis, § 612a BGB, Rn. 22; BeckOK-ArbR/Joussen, § 612a BGB, Rn. 24; MüKoBGB/Müller-Glöge, § 612a BGB, Rn. 24. 459 St. Rspr. BAG, Urteil v. 23. 04. 2009 – 6 AZR 189/08, NJW 2010, 104, Rn. 12; BAG, Urteil v. 16. 09. 2004 – 2 AZR 511/03, juris, Rn. 37; BAG, Urteil v. 22. 05. 2003 – 2 AZR 426/ 02, juris, Rn. 50; ErfK/Preis, § 612a BGB, Rn. 11; DHSW/Kraushaar, § 612a BGB, Rn. 17; Thüsing, NZA 1994, 728, 732. 460 Zur regelmäßigen Beendigung des Kündigungsschutzprozesses durch Vergleich oder Auflösungsantrag in der Praxis auch Fischer, NJW 2009, 331, 332; Thüsing/Forst, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, § 6, Rn. 54; so auch im Fall Porwoll (Vergleich v. 23. 03. 2018 vor dem LAG Hamm (Az.: 10 Sa 1043/17)), vgl. Süße, Newsdienst Compliance 2018, 21003, o. S., und im Fall Heinisch (Vergleich v. 24. 05. 2012 vor dem LAG Berlin-Brandenburg (Az.: 25 Sa 2138/11)), vgl. Pressemitteilung des Arbeitsgerichts Berlin (online abrufbar: https://www.berlin.de/gerichte/arbeitsgericht/presse/pressemitteilungen/2012/ pressemitteilung.328725.php, Abruf: 27. 11. 2021). 461 So etwa im Fall Heinisch – der Kündigungsstreit dauerte sieben Jahre: vom 09. 02. 2005 (fristlose Kündigung) bis zum 24. 05. 2012 (Vergleich vor dem LAG Berlin-Brandenburg), vgl. hierzu Teil 4, B.III.1.d) und Fn. 178.
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
finanziellen Unsicherheit leben muss. Abgesehen vom sog. betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch in § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG kann er bis zum ersten klagestattgebenden Urteil, mithin im günstigsten Fall nur während des erstinstanzlichen Verfahrens,462 regelmäßig keinen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend machen und hat daher in dieser Zeit keinen Verdienst.463 Auch ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren zur Weiterbeschäftigung ist daher meist bereits mangels Verfügungsanspruchs nicht erfolgreich, weil bis zur ersten gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Kündigung grundsätzlich das Interesse des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers überwiegt, es sei denn die Kündigung ist offensichtlich unzulässig, das heißt ohne jeden Zweifel in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht unrechtmäßig, oder es bestehen sonstige besondere, gewichtige Umstände für ein ausnahmsweises Überwiegen des Weiterbeschäftigungsinteresses des Arbeitnehmers, etwa der unvermeidbare Verlust spezieller Fachexpertise bei auch nur kurzfristiger Nichtbeschäftigung.464 Eine Prozessbeschäftigung wird ihm der Arbeitgeber selten anbieten, weil dies als widersprüchliches Verhalten zu der verhaltensbedingten Kündigung angesehen werden kann.465 Ist der Arbeitnehmer mit der Kündigungsschutzklage im ungünstigsten Fall erst in der Revisionsinstanz erfolgreich, muss er die Zeit bis dahin regelmäßig ohne Lohn überbrücken, weil die Aufnahme einer (temporären) adäquaten Zwischenbeschäftigung – abgesehen von der Schwierigkeit, eine solche zu finden – das Risiko einer weiteren (außerordentlichen) Kündigung aufgrund einer unerlaubten Wettbewerbstätigkeit birgt, obwohl der Arbeitnehmer andererseits gem. § 615 S. 2 BGB dazu gehalten ist, seine Arbeitskraft anderweitig einzusetzen.466 Der von einer verhaltensbedingten Kündigung betroffene Whistleblower wird sich überdies regelmäßig mit einem Auflösungsantrag des Arbeitgebers gem. § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG konfrontiert sehen.467 An sich müsste ein solcher Antrag im Fall 462 Für dieses muss der Arbeitnehmer nach § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits die Kosten seines Rechtsbeistandes tragen. 463 Vgl. für viele BeckOK-ArbR/Rolfs, § 1 KSchG, Rn. 513; SWK-ArbR/Schumacher/ Ludwig, Weiterbeschäftigungsanspruch, Rn. 4; vorsorglich ist darauf hinzuweisen, dass der Arbeitnehmer während dieser Zeit zumindest Arbeitslosengeld erhält und auch für den Arbeitgeber ein sog. Annahmeverzugslohnrisiko besteht, vgl. Lingemann/Steinhauser, NJW 2014, 2165. 464 Grundlegend BAG, Beschluss v. 27. 02. 1985 – GS 1/84, NZA 1985, 702, 707; vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 02. 04. 2009 – 10 Sa 691/08, juris, Rn. 64; BeckOK-ArbR/ Rolfs, § 1 KSchG, Rn. 512 f.; SWK-ArbR/Schumacher/Ludwig, Weiterbeschäftigungsanspruch, Rn. 4 ff., 46; NK-ArbR/Berger, § 4 KSchG, Rn. 288; ErfK/Kiel, § 4 KSchG, Rn. 37, 40; Röller/Küttner/Kania, Weiterbeschäftigungsanspruch, Rn. 12, 22. 465 Vgl. insoweit Lingemann/Steinhauser, NJW 2014, 2165, 2167; auch bereits BAG, Beschluss v. 27. 02. 1985 – GS 1/84, NZA 1985, 702, 707. 466 Vgl. hierzu BAG, Urteil v. 23. 10. 2014 – 2 AZR 644/13, NZA 2015, 429, 431, Rn. 27 ff.; kritisch SWK-ArbR/Middendorf, Wettbewerbsverbot, Rn. 7; Fischer, NJW 2009, 331, 333. 467 So etwa in BAG, Urteil v. 11. 07. 2013 – 9 Sa 1014/12, NZA 2014, 250, 254, Rn. 55; BAG, Urteil v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 431; LAG Hessen, Urteil v.
D. Prozessualer Status quo
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der Unwirksamkeit der Kündigung wegen zulässigen Whistleblowings aufgrund der hierin liegenden verbotenen Maßregelung regelmäßig schon mangels einer ausschließlich sozialwidrigen Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG ausgeschlossen sein,468 jedenfalls werden aber sehr strenge Anforderungen an den dem Arbeitgeber obliegenden Nachweis der fehlenden Erwartung einer weiteren gedeihlichen Zusammenarbeit gestellt.469 Allerdings erscheint gerade in Fällen des Whistleblowings, in denen der Arbeitgeber oder andere Mitarbeiter sich „an den Pranger“ gestellt fühlen und die betriebliche Stimmung durch eine potenzielle Stigmatisierung des Whistleblowers als „Denunziant“ regelmäßig aufgeheizt und angespannt ist, ein endgültiger Vertrauensbruch oder eine wie immer geartete Eskalation zwischen den Arbeitsvertragsparteien durchaus realistisch. Jedenfalls leitende Angestellte sind aufgrund des § 14 Abs. 2 S. 2 KSchG insoweit schutzlos gestellt, als der Arbeitgeber seinen Auflösungsantrag überhaupt nicht begründen muss und sich der Kündigungsschutz dann allein in einen bloßen Abfindungsschutz umwandelt.470 Je länger der Kündigungsschutzprozess ohne klagestattgebendes Urteil dauert, desto eher wird sich ein Whistleblower – auch wenn er von der Rechtmäßigkeit seines Handelns überzeugt ist – zu einer gütlichen Beendigung des Rechtsstreits und damit seines Arbeitsverhältnisses bereitfinden, zumal mit jeder klageabweisenden Entscheidung das Risiko des Unterliegens und damit des gänzlichen Verlusts seines (Annahmeverzugs-)Lohns bei gleichzeitiger Belastung durch die Verfahrenskosten steigt. Nicht jeder Arbeitnehmer hat das Durchhaltevermögen der Altenpflegerin Heinisch. Der Arbeitgeber verfügt in der Regel auch über die besseren personellen und finanziellen Ressourcen (auch für hoch qualifizierte und entsprechend teure Spitzenanwälte) und dürfte daher häufig den „längeren Atem“ haben. Obwohl prozessuale Regelungen und Grundsätze die prozessrechtlichen Risiken bestmöglich und interessengerecht zwischen den Arbeitsvertragsparteien verteilen sollen, dürfte der bisherige prozessrechtliche Status quo für Whistleblower im deutschen Recht eine nicht unerhebliche Abschreckungswirkung haben und im Einzelfall ihre Entscheidung gegen eine Meldung innerbetrieblicher Missstände beeinflussen. Neben 27. 10. 2014 – 16 Sa 674/14, BeckRS 2015, 70613, Rn. 31 f.; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 14. 08. 2012 – 5 Sa 171/11, NZA-RR 2013, 20, 21; LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 20. 03. 2012 – 2 Sa 331/11, juris, Rn. 38; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 02. 04. 2009 – 10 Sa 691/08, juris, Rn. 85; ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers im Fall der außerordentlichen Kündigung ist indes ausgeschlossen, vgl. etwa BAG, Urteil v. 30. 09. 2010 – 2 AZR 160/09, NZA 2011, 349, 350, Rn. 13, 15. 468 Vgl. insoweit ErfK/Kiel, § 9 KSchG, Rn. 10, § 13 KSchG, Rn. 8; NK-ArbR/Eylert, § 9 KSchG, Rn. 21, § 14 KSchG, Rn. 41; Waldenfels, § 13 KSchG, Rn. 6 ff. 469 St. Rspr. BAG, Urteil v. 24. 05. 2018 – 2 AZR 73/18, NZA 2018, 1131, 1133, Rn. 16 ff.; BAG, Urteil v. 23. 10. 2008 – 2 AZR 483/07, NZA-RR 2009, 362, 367, Rn. 71 f.; BAG, Urteil v. 02. 06. 2005 – 2 AZR 234/04, NJOZ 2005, 4268, 4272 f.; LAG Hessen, Urteil v. 27. 10. 2014 – 16 Sa 674/14, BeckRS 2015, 70613, Rn. 32 f.; LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 20. 03. 2012 – 2 Sa 331/11, juris, Rn. 40 f. 470 NK-ArbR/Eylert, § 14 KSchG, Rn. 40; DHSW/Gieseler, § 14 KSchG, Rn. 21.
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
der ohnehin bestehenden Unsicherheit über den Ausgang des Rechtsstreits müssen sie oft über Jahre hinweg erhebliche, insbesondere finanzielle Belastungen in Kauf nehmen, „nur“ um einen innerbetrieblichen Missstand aufzudecken, der sie selbst im Zweifel nicht einmal betrifft.
E. Zwischenergebnis Das Phänomen Whistleblowing wird inzwischen auch in Deutschland (teils heftig und kontrovers) diskutiert. In der Gesellschaft besteht eine eher kritische Haltung gegenüber Whistleblowern. Sie werden häufig als „Denunzianten“ wahrgenommen und genießen keinen guten Ruf, obwohl das Potenzial ihres Insiderwissens für eine bessere Rechtsdurchsetzung und Rechtsentwicklung inzwischen erkannt wird. Bislang überwiegt aber dennoch das Misstrauen gegenüber Arbeitnehmern, die betriebsinterne Missstände bei ihrem Arbeitgeber, staatlichen Stellen oder der Presse melden, wobei sich langsam ein Haltungswandel in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik andeutet. In der rechtlichen Einordnung stellt Whistleblowing eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung dar, wenn der Arbeitnehmer dadurch gegen seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verstößt. Der Gesetzgeber hat die Rücksichtnahmepflicht im Einzelnen nicht explizit geregelt, so dass sie in der Anwendungspraxis anhand der grundrechtlich geschützten Interessen der Arbeitsvertragsparteien konkretisiert werden muss. Dabei werden aus der Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers als Fallgruppen der Rücksichtnahmepflicht unter anderem die Pflicht des Arbeitnehmers zur Verschwiegenheit, Wahrung des Betriebsfriedens und Vermeidung von Geschäfts- und Rufschädigungen hergeleitet. Dem stehen auf Seiten des Arbeitnehmers beim Whistleblowing die Meinungsfreiheit sowie im Fall der Meldung an staatliche Stellen zusätzlich das staatsbürgerliche Anzeigerecht gegenüber. Diese Interessenkollision ist durch eine Abwägung der widerstreitenden Grundrechte im Wege praktischer Konkordanz aufzulösen, wodurch die Reichweite der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers und damit die Zulässigkeit des Whistleblowings im Einzelfall festgestellt wird. Eine solche Einzelfallabwägung ist nach bisheriger Rechtslage regelmäßig auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Vorgabe entbehrlich, die ihr Ergebnis schon auf abstrakt-genereller Ebene festlegt, obwohl es im deutschen Recht zahlreiche spezialgesetzliche Whistleblowing-Schutznormen unionalen Ursprungs gibt. Aus ihnen ergibt sich aber keine einheitliche gesetzgeberische Linie zur Auflösung des Interessenkonflikts. Auch die unlängst in Kraft getretene Whistleblowing-Schutznorm des GeschGehG, die aufgrund des weiten Schutzbereichs dieses Gesetzes auf viele Whistleblowing-Konstellationen Anwendung finden kann, enthält keine klaren fallübergreifenden Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Whistleblowings. Sie stellt vielmehr lediglich sicher, dass das gesetzlich geschützte Geheimhaltungsin-
E. Zwischenergebnis
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teresse des Arbeitgebers (auch an illegalen Geschäftsgeheimnissen) nicht als absolut verstanden und im Fall des Whistleblowings mit den Offenlegungsinteressen des Arbeitnehmers und der Allgemeinheit abgewogen wird. Diese bisher fragmentarische und lückenhafte Gesetzeslage belässt es damit in den allermeisten Fällen in den Händen der Arbeitsgerichte, im Einzelfall über das Vorliegen einer kündigungsrelevanten Pflichtverletzung des Arbeitnehmers zu entscheiden. Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung ist damit bereits seit dem letzten Jahrhundert kontinuierlich befasst und prüft zur Feststellung einer Pflichtverletzung durch Whistleblowing inzwischen in ständiger Rechtsprechung, ob sich die Meldung der Missstände als unverhältnismäßige Reaktion des Arbeitnehmers auf ein Verhalten des Arbeitgebers darstellt. Dafür greift sie auf einen vom BAG in seinem Grundsatzurteil zum Whistleblowing aus dem Jahr 2003 entwickelten Prüfkriterienkatalog zurück, nach dem die fehlende Berechtigung der Meldung, eine verwerfliche Motivation oder das Fehlen eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs des Arbeitnehmers „Indizien“ für seine vertragswidrige Pflichtverletzung sind. Selbst wenn er interne Missstände wahrheitsgemäß meldet, kann nach diesen Grundsätzen ein pflichtwidriges Verhalten angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer verwerflichen Motivation keine überwiegend „berechtigten Interessen“ verfolgt oder sich bei einer externen Meldung zuvor nicht um eine interne Aufklärung bemüht hat. Diese Anforderungen an zulässiges Whistleblowing leiten die Arbeitsgerichte aus dem besonderen Vertrauens- und Näheverhältnisses der Arbeitsvertragsparteien ab. Der abstrakte und fallübergreifende Prüfkriterienkatalog hat aber im deutschen Recht keine hinreichende Rechtssicherheit über die Zulässigkeit des Whistleblowings geschaffen. Das ist für die Arbeitsvertragsparteien verunsichernd, für meldewillige Arbeitnehmer abschreckend und für unsere Gesellschaft und Demokratie aufgrund des potenziellen sozioökonomischen Nutzens des Whistleblowings schädlich und kaum nachvollziehbar. Die Rechtsunsicherheit fußt maßgeblich auf einer mangelhaften praxistauglichen Konkretisierung einzelner Voraussetzungen der Prüfkriterien, etwa einer „überwiegend“ verwerflichen Motivation oder der „Zumutbarkeit“ eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs. Hinzu kommt der bestehende Flickenteppich spezialgesetzlicher Whistleblowing-Schutznormen mit ihren stark divergierenden Voraussetzungen sowie eine insbesondere aufgrund der Tendenz zum „Wegvergleichen“ von Kündigungen in der Praxis und eines fehlenden erstinstanzlichen Weiterbeschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers abschreckende prozessrechtliche Position für Whistleblower in einem Kündigungsschutzprozess. Im Gegensatz zur arbeitsgerichtlichen Judikatur haben die verfassungs- und die konventionsgerichtliche Rechtsprechung auch das öffentliche Interesse am Whistleblowing zur Förderung einer effektiven Rechtsdurchsetzung und Rechtsentwicklung aufgrund der kollektiven Dimension der einschlägigen Arbeitnehmergrundrechte als wesentlichen Faktor zur Auflösung des Interessenkonflikts in den Mittelpunkt gerückt. Es überlagert diesen Konflikt und kann die Gewichtung der sich im bipolaren Arbeitsverhältnis gegenüberstehenden Rechtspositionen derart
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Teil 4: Status quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland
zugunsten des Arbeitnehmers verschieben, dass die Arbeitgeberinteressen zurücktreten müssen. Unter Beachtung der verfassungs- und konventionsgerichtlichen Rechtsprechung und einer überfälligen Abkehr vom Verständnis des Arbeitsverhältnisses als einer Art treuerechtlichem Sonderverhältnis mit übermäßigen Loyalitätspflichten sollte ein Arbeitnehmer, der nicht vorsätzlich oder leichtfertig unzutreffende Angaben macht, bei Bestehen eines öffentlichen Interesses an den aufgedeckten betriebsinternen Missständen vor einer Kündigung deshalb auch dann geschützt werden, wenn er überwiegend aus einer unredlichen Motivation handelt oder vor einer Meldung an staatliche Stellen keine innerbetriebliche Abhilfe versucht hat. Die im Allgemeininteresse liegende Wahrnehmung seiner Grundrechte sollte in diesen Fällen stärker gewichtet werden als der Schutz der wirtschaftlichen und betrieblichen Interessen des Arbeitgebers. Zusammenfassend spiegelt der bisherige richterrechtlich geprägte Kündigungsschutz für Whistleblower im deutschen Recht das hierzulande (noch) spürbare Misstrauen gegenüber meldewilligen Arbeitnehmern wider, schafft er doch zum einen keine Rechtssicherheit über die Zulässigkeit des Whistleblowings, sondern entfaltet insgesamt eine eher abschreckende Wirkung, was auch durch die stets vorzunehmende einzelfallbezogene Gesamtabwägung zur Vermeidung unbilliger Kündigungen nicht kompensiert werden kann, und bleibt er zum anderen in seinem Niveau deutlich hinter dem zurück, was bei Beachtung der kollektivrechtlichen Dimension der Arbeitnehmergrundrechte geboten wäre. Insbesondere aus Sicht des Allgemeininteresses an einer funktionsfähigen und effektiven Rechtsdurchsetzung und Rechtsentwicklung – auch oder gerade in der Privatwirtschaft – sollte der bisherige Kündigungsschutz für Whistleblower dringend angepasst und gesetzlich geregelt werden, wobei hierfür die schlichte Kodifizierung des richterrechtlichen Prüfkriterienkatalogs aufgrund seiner dargestellten Schwächen nicht ausreichend wäre.
Teil 5
Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung Bis zum heutigen Zeitpunkt hat der deutsche Gesetzgeber, wie bereits dargelegt, trotz zahlreicher nationaler Gesetzesinitiativen und internationaler Aufrufe für einen besseren Whistleblowerschutz keine einheitliche gesetzliche Regelung des Kündigungsschutzes für Whistleblower erlassen. Nachdem eine für die vorangegangene 18. Legislaturperiode noch vereinbarte Prüfung des deutschen Whistleblowerschutzes unterblieben war, wurde diese Thematik im Koalitionsvertrag der derzeit (noch) kommissarisch amtierenden Bundesregierung (19. Legislaturperiode) nicht einmal mehr erwähnt.1 Mit der WBRL ist es abermals ein europäischer Vorstoß, der den deutschen Gesetzgeber zwingt, diese zurückhaltende und passive Haltung zum Schutz für Whistleblower aufzugeben und sich unter anderem mit der Frage ihres bereichsübergreifenden Kündigungsschutzes zu beschäftigen. Wie die nachfolgende (komparative) Analyse der Richtlinienvorgaben und ihrer Auswirkung auf den bisherigen Status Quo des Kündigungsschutzes für Whistleblower in Deutschland zeigen wird, erscheint der Erlass eines kohärenten und umfassenden gesetzlichen Kündigungsschutzes im Zuge der Umsetzung der WBRL in nationales Recht dabei zwar dringender geboten und greifbarer als jemals zuvor. Gleichzeitig haben aber gerade die im Anschluss an diese Analyse dargestellten herausfordernden Umsetzungsaufgaben für den deutschen Gesetzgeber, insbesondere die Frage des Geltungsbereichs eines nationalen Umsetzungsaktes und mithin der Reichweite des in der WBRL vorgesehenen Kündigungsschutzes, im April 2021 zum Stillstand in den Verhandlungen über ein Umsetzungsgesetz zwischen den (noch) kommissarisch regierenden Koalitionspartnern geführt. Während die SPD einen umfassenden, bereichsübergreifenden Schutz für Whistleblower im nationalen Recht befürwortete, wollte der Koalitionspartner CDU/CSU das hohe Schutzniveau der WBRL im nationalen Recht allein für die vom Anwendungsbereich der WBRL erfassten nationalen Rechtsbereiche bzw. Rechtsnormen festschreiben.2 In der vergangenen 19. Legislaturperiode konnte in dieser Frage kein politischer Konsens mehr erzielt 1
Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1498; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 14; vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD v. 16. 12. 2013, S. 50 (online abrufbar: https://archiv. cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf, Abruf: 27. 11. 2021) und Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD v. 12. 03. 2018 (Quellenangabe in Teil 4 Fn. 45). 2 Für viele etwa SZ, Artikel v. 28. 04. 2021; vgl. auch den vom Whistleblower Netzwerk e.V. „geleakten“ inoffiziellen Referentenentwurf des (noch) SPD-geführten BMJV o. D., S. 4 f. (§ 2 Abs. 1 Nr. 1), 29 (online abrufbar: https://www.whistleblower-net.de/wp-content/up loads/2021/02/Referentenentwurf-BMJV-WB-RL-Umsetzungsgesetz-8.pdf, Abruf: 27. 11. 2021).
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
werden, so dass trotz des herannahenden Ablaufs der Umsetzungsfrist am 17. 12. 2021 bislang weder ein offizieller Referenten- noch ein Regierungsentwurf für ein Umsetzungsgesetz vorgelegt worden ist. Aufgrund dieses politischen Zerwürfnisses über die Reichweite des nationalen Umsetzungsaktes sowie der bis jetzt noch andauernden Regierungsbildung nach der Bundestagswahl am 26. 09. 2021 dürfte eine Umsetzung der WBRL innerhalb der Frist schwer zu schaffen sein, so dass insbesondere ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 Abs. 1 AEUV droht. Die (wohl) künftige Bundesregierung aus SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP scheint sich aber immerhin (zumindest grundsätzlich) über die Art und Weise der Umsetzung der WBRL in deutsches Recht bereits verständigt zu haben und kündigt eine „rechtssicher[e] und praktikabel[e]“ Umsetzung an, was auf ein baldiges und zügiges Gesetzgebungsverfahren hoffen lässt.3
A. Kündigungsschutz für Whistleblower im Lichte der Whistleblower-Richtlinie Auch auf europäischer Ebene war zuvor heftig gerungen worden – die WBRL ist das Ergebnis eines politischen Tauziehens.4 Nachdem die Kommission im April 2018 den V-WBRL vorgelegt hatte, debattierten die unionalen Gesetzgebungsorgane intensiv über die Ausgestaltung des Gesetzesvorhabens, wobei insbesondere die Schutzanforderung eines vorgegebenen Stufenverhältnisses zwischen potenziellen Meldeadressaten kontrovers diskutiert wurde.5 Im Rahmen des informellen interinstitutionellen Trilogs zwischen Kommission, EU-Parlament und Rat konnte im März 2019 eine Einigung erzielt werden.6 Nach formellen Korrekturen wurde die WBRL sodann am 26. 11. 2019 im Amtsblatt der EU veröffentlicht und trat am 3 Vgl. hierzu den jüngst veröffentlichten Koalitionsvertrag von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP v. 24. 11. 2021 für die 20. Legislaturperiode, S. 111 (online abrufbar: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf, Abruf: 27. 11. 2021). 4 Für viele auch Forst, EuZA 2020, 283, 284; Schmolke, NZG 2020, 5; vgl. zum Gesetzgebungsverfahren FGO/Fest, Art. 1 RL (EU) 2019/1937, Rn. 43 ff. 5 Vgl. hierzu etwa Interinstitutionelles Dossier 2018/0106 (COD) des Rats v. 25. 02. 2019, 6631/19, S. 4; Stellungnahme EWSA V-WBRL v. 18. 10. 2018, 2019/C 62/26, Ziff. 1.6.; Bericht des EU-Parlaments v. 26. 11. 2018, A8-0398/2018, S. 153 f., 169, 199; FGO/Fest, Art. 1 RL (EU) 2019/1937, Rn. 46; Schmolke, NZG 2020, 5, 6; Pressemitteilung des Rats v. 25. 01. 2019 (online abrufbar: https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2019/01/25/bet ter-protection-of-whistleblowers-council-adopts-its-position/, Abruf: 27. 11. 2021). 6 FGO/Fest, Art. 1 RL (EU) 2019/1937, Rn. 46; Schmolke, NZG 2020, 5, 6; Pressemitteilung des Rats v. 15. 03. 2019 (online abrufbar: https://www.consilium.europa.eu/de/press/pressreleases/2019/03/15/better-protection-of-whistle-blowers-council-confirms-agreement-with-par liament/, Abruf: 27. 11. 2021); vgl. zur Annahme durch das EU-Parlament und den Rat die Interinstitutionellen Dossiers 2018/0106 (COD) des Rats v. 27. 09. 2019, 12460/19 ADD 1, v. 07. 10. 2019, 12460/2/19 REV 2 und v. 11. 10. 2019, 13039/19.
A. Kündigungsschutz für Whistleblower im Lichte der WBRL
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16. 12. 2019 in Kraft, vgl. Art. 28 WBRL. Die Mitgliedstaaten müssen sie im Wesentlichen bis zum 17. 12. 2021 in nationales Recht umsetzen, Art. 26 Abs. 1, 2 WBRL. Ob überhaupt, in welcher Form und mit welchen Inhalten die Umsetzung dieser Richtlinie in deutsches Recht den vorliegend untersuchten Schutz für Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft vor einer Kündigung wegen Whistleblowings betreffen wird, ist aufgrund des weitergehenden Regelungsbereichs der WBRL anhand ihres Regelungsziels und Harmonisierungsgrades, ihres Anwendungsbereichs und ihrer Schutzvorgaben näher zu untersuchen. Dabei wird trotz des vom Unionsgesetzgeber in der deutschen Sprachfassung der Richtlinie verwendeten Begriffs des „Hinweisgebers“ vorliegend weiterhin – Zitate ausgenommen – der englische Begriff „Whistleblowing“ bzw. „Whistleblower“ verwendet, wie er sich auch in den ErwGr. der englischen Sprachfassung wiederfindet, beispielsweise in ErwGr. 1 und 46 WBRL. In Übereinstimmung mit dem Begriffsverständnis dieser Arbeit geht auch der Unionsgesetzgeber dem Grunde nach von einem weiten Verständnis des mit dem Phänomen „Whistleblowing“ umschriebenen Verhaltens aus.7
I. Mehrstufiges Richtlinienziel Zunächst ist das Regelungsziel der WBRL maßgeblich für ihre Auswirkungen auf den Kündigungsschutz für Whistleblower im deutschen Recht. Wie sich aus Art. 1 WBRL und den ErwGr. 1 bis 5 WBRL ergibt, ist das Richtlinienziel die Verbesserung der „Durchsetzung des Unionsrechts und der Unionspolitik“ in Bereichen, in denen die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben im öffentlichen Interesse liegt und von besonderer allgemeiner Bedeutung ist, weil Verstöße zu ernsthaften Gefährdungen und Schäden für das Gemeinwohl führen können.8 Dadurch sollen insbesondere die durch eine mangelhafte Rechtsdurchsetzung auftretenden Störungen und Hemmnisse des grenzüberschreitenden europäischen Binnenmarkts beseitigt und dessen 7
Vgl. insoweit etwa Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 2, wonach Whistleblower „Personen [sind], die Informationen über Fehlverhalten, die sie in einem Arbeitskontext erhalten haben, innerhalb der betroffenen Organisation oder einer externen Behörde melden oder gegenüber der Öffentlichkeit offenlegen“; vgl. auch Impact Assessment der Kommission V-WBRL, SWD(2018) 116 final, S. 6; Johnson, CCZ 2019, 66; vgl. zu dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Begriffsverständnis in Teil 2, A. 8 Mitteilung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 214 final, S. 3; Opinion of the Legal Service zum V-WBRL, Veröffentlichung des Rats v. 14. 12. 2018, 14620/18, Ziff. 25; KBF/ Alexander, Vorbemerkungen GeschGehG, Rn. 31a; Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 88; Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1501; Gerdemann, SR 2021, 1, 5; ders., NZA-Beilage 2020, 43, 46; Schröder, ZRP 2020, 212; Forst, EuZA 2020, 283, 285; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 54; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 20; Siemes, WBRL, S. 51; a. A. (oder jedenfalls ungenau) FGO/Fest, Art. 1 RL (EU) 2019/ 1937, Rn. 48 f.; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201; noch zum V-WBRL: Bauer/Macherey, WPg 2019, 175, 176; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 15; Schmolke, AG 2018, 769, 772, der hierin das „mittelbare[] Ziel ersten Grades“ erblickt.
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
Stabilität und reibungsloses Funktionieren sichergestellt sowie einheitliche europäische Standards in sicherheitsrelevanten Bereichen gewährleistet werden, etwa im Verkehrs-, Umwelt- oder Gesundheitsbereich.9 Durch die Bekämpfung von Verstößen gegen Unionsrecht soll dessen Zielerreichung vorangetrieben bzw. beibehalten werden.10 Die Verbesserung der Rechtsdurchsetzung will der Unionsgesetzgeber durch eine Förderung der Meldebereitschaft potenzieller Whistleblower erreichen, weil sie als „Insider“ einen entscheidenden Beitrag zu einer effektiveren Aufdeckung und Ahndung von Verstößen und damit zu deren Reduzierung leisten können („privilegierte[] Position“ der Whistleblower).11 Als Regelungsinstrumentarium zur Verfolgung dieses Richtlinienziels enthält die WBRL in Kapitel I unter Bezugnahme auf ihren Anhang zunächst eine Bestimmung ihres sachlichen Anwendungsbereichs durch die Benennung der erfassten Bereiche unionalen Regulierungshandelns, in denen die Rechtsdurchsetzung verbessert werden soll, und ihres persönlichen Anwendungsbereichs durch eine abstrakte, weit gefasste Definition von Whistleblowern, die durch Regelbeispiele konkretisiert und durch eine Ausdehnung auf beteiligte Drittpersonen ergänzt wird, sowie weitere, ebenfalls für die Festlegung des (sachlichen) Anwendungsbereichs relevante Begriffsdefinitionen. Abgeschlossen wird das Kapitel mit den für die Schaffung eines europaweit hohen Schutzniveaus für Whistleblower als passivem Anreizfaktor für meldewillige Personen maßgeblichen Schutzvoraussetzungen, insbesondere zur Berechtigung der Meldung und zu den zulässigen Meldewegen.12 Die Kapitel II und
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Vgl. insoweit ErwGr. 6 bis 18 WBRL; Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 4 f.; Mitteilung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 214 final, S. 4 ff.; Impact Assessment der Kommission V-WBRL, SWD(2018) 116 final, S. 15 ff.; Schmolke, AG 2018, 769, 772 (zum V-WBRL), der dies als „mittelbares Ziel zweiten Grades“ bezeichnet. 10 Mitteilung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 214 final, S. 4 zur insoweit verbesserten repressiven und präventiven Rechtsdurchsetzung mithilfe von Whistleblowern. 11 Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 2; Stellungnahme der Kommission v. 02. 06. 2021, JUST/C2/MM/rp/ (2021)3939215, S. 2 (online abrufbar: https:// www.cmshs-bloggt.de/wp-content/uploads/2021/08/Stellungname_3939215.pdf, Abruf: 27. 11. 2021); für viele Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1501; Gerdemann, SR 2021, 1, 5; ders., NZABeilage 2020, 43, 46; Forst, EuZA 2020, 283, 285; Schröder, ZRP 2020, 212; Schmitt, NZABeilage 2020, 50, 54; Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896 f.; Erlebach, CB 2020, 284, 285; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 20; i. E. auch (aber zum Teil etwas unklar) FGO/Fest, Art. 1 RL (EU) 2019/1937, Rn. 48; Gloeckner/ Metzner, CCZ 2021, 256 (Whistleblowerschutz als „primäres Ziel“); Brinkmann/Blank, BB 2021, 2475, 2476; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 15 (zum V-WBRL); Schmolke, AG 2018, 769, 772 (noch zum V-WBRL), der den Whistleblowerschutz als „unmittelbares Ziel“ tituliert; kritisch zum Rückgriff auf Whistleblower als „Hilfssheriffs“ Melot de Beauregard, DB 2019, M4, M5, der dies als Eingeständnis bezeichnet, dass die „Exekutive sich nicht mehr in der Lage sieht, den gesetzlichen Rahmen durchzusetzen“; ähnlich Teichmann, GA 2021, 527, 532 („verlängerter Arm des Staates“). 12 Vgl. zu passiven und aktiven Anreizfaktoren der direkten Förderung von Whistleblowing in Teil 2, C.II.1.; mit Blick auf die WBRL auch FGO/Fest, Art. 1 RL (EU) 2019/1937,
A. Kündigungsschutz für Whistleblower im Lichte der WBRL
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III sowie ergänzend Kapitel V befassen sich mit der verbindlichen Einrichtung und dem Betrieb interner und externer (behördlicher) Meldekanäle als aktivem Anreizfaktor zur Förderung der Meldebereitschaft, etwa im Hinblick auf die Vertraulichkeit, die Verarbeitung und die Dokumentation gemeldeter Verstöße. Sie enthalten (in Ergänzung zu den Schutzvoraussetzungen aus Kapitel I) auch Voraussetzungen zu ihrer schutzauslösenden Nutzung durch Whistleblower. Kapitel IV beschäftigt sich sodann (ebenfalls in Ergänzung zu Kapitel I) mit den Schutzvoraussetzungen für eine Informationsweitergabe über Verstöße an die Öffentlichkeit. Kapitel VI enthält die für den passiven Meldeanreiz durch einen hohen Schutz vor Repressalien maßgeblichen Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen für Whistleblower sowie andererseits auch Vorgaben zum Schutz betroffener Personen. Schließlich finden sich in Kapitel VII Schlussbestimmungen zum Harmonisierungsgrad und Günstigkeitsprinzip, zu Umsetzungsmodalitäten, zur zukünftigen unionalen Evaluierung der Auswirkungen der WBRL und zu ihrem Inkrafttreten. Die Vorgaben der WBRL sind folglich durch die intendierte Etablierung eines unionsweit hohen Schutzniveaus für Whistleblower geprägt, obwohl sich ihr (insoweit mehrstufiges) Regelungsziel hierin nicht erschöpft. Vielmehr dient die institutionelle Verbesserung der Meldewege sowie der hohe Schutz für Whistleblower vor Repressalien und damit für die Ausübung ihrer Meinungsfreiheit dem übergeordneten und primären Ziel der WBRL, nämlich der gesteigerten Durchsetzung unionaler Politik und Regulierung. Die Stärkung des Schutzes für Whistleblower ist daher allein „Mittel zum Zweck“ und Ausfluss des unionsgesetzgeberischen Willens, die Durchsetzung von Unionsrecht in bestimmten Bereichen im öffentlichen Interesse europaweit zu verbessern und das Wissensdefizit der Rechtsverfolgungsorgane über betriebliche Missstände auszugleichen.13 Die WBRL ist mithin nicht etwa ein originärer Rechtsakt zur Verbesserung des Schutzes für Arbeitnehmer vor beruflichen Repressalien, wie einer Kündigung, durch den gesetzgeberischen Ausgleich eines (vertraglichen) Machtungleichgewichts im Arbeitsverhältnis oder kollidierender grundrechtlich geschützter Interessen der Arbeitsvertragsparteien.14 Vielmehr ist der hohe Schutz für die durch den Unionsgesetzgeber fokussierte Grundrechtsausübung des Whistleblowers durch seine Meldung von Verstößen auch im Arbeitsverhältnis bloßer – wenn auch gewollter – Rechtsreflex zur Erreichung des eigentlichen Richtlinienziels und Folge ihrer Funktionalisierung als Instrument einer im Allgemeininteresse liegenden effektiven und wirksamen Durchsetzung von Rn. 51 f.; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 46; ders., RdA 2019, 16, 17 (schon zum VWBRL). 13 Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 214 final, S. 4, 13 f. („Mittel zur Stärkung der Durchsetzung des Unionsrechts“); Schröder, ZRP 2020, 212, 213; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 47; ders., RdA 2019, 16, 19 (schon zum V-WBRL); Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964; Krause, SR 2019, 138, 149 (schon zum V-WBRL); Siemes, WBRL, S. 51 f.; DGB, Stellungnahme v. 05. 07. 2018, S. 3 f. (schon zum V-WBRL). 14 Vgl. auch Schröder, ZRP 2020, 212, 213; Krause, SR 2019, 138, 149 (schon zum VWBRL); DGB, Stellungnahme v. 05. 07. 2018, S. 4 (schon zum V-WBRL).
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
Unionsrecht.15 Er kann damit zwar als sekundäres, untergeordnetes Richtlinienziel angesehen werden – dies ändert aber nichts an der verbesserten Durchsetzung unionaler Politik und Regulierung als primärer und maßgeblicher Zielrichtung der WBRL.
II. Harmonisierungsgrad Zur Erreichung dieses Richtlinienziels greift der Unionsgesetzgeber hauptsächlich auf die Methode der Mindestharmonisierung zurück (Art. 1 und 25 Abs. 1 WBRL und ErwGr. 104 WBRL), weshalb die WBRL „nur“ mindestharmonisierende Vorgaben für ein europaweit geltendes Schutzniveau für Whistleblower enthält.16 Die Mitgliedstaaten sind deshalb nicht nur auf eine sog. 1:1-Umsetzung beschränkt, sondern ihnen verbleibt im Anwendungsbereich der WBRL ein Spielraum zur Regelungsintensivierung, so dass sie unional zulässig in der „Regelungstiefe“ zugunsten der Whistleblower über die zwingenden unionsrechtlichen Mindeststandards hinausgehen können.17 Dabei dürfen sie aber nicht von den verbindlichen Regelungen zum Schutz der vom Whistleblowing betroffenen Personen in Art. 22 und 23 Abs. 2 WBRL abweichen, durch die der Unionsgesetzgeber die ansonsten mindestharmonisierenden mit vollharmonisierenden Richtlinienvorgaben kombiniert.18 Die Notwendigkeit für das zumindest angeglichene und einheitliche Mindestschutzniveau für Whistleblower sieht der Unionsgesetzgeber – insoweit wohl eine Lehre aus dem amerikanischen Whistleblowingrecht –19 in der bislang fragmentarischen Rechtslage sowohl innerhalb der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen als auch auf unionaler Rechtsebene, wodurch die Rechtsdurchsetzung uneinheitlich und lückenhaft ist, was wiederum grenzüberschreitend negative Auswirkungen in der gesamten EU haben kann.20 15 Vgl. insoweit den Hinweis der Kommission auf „positive Auswirkungen“ der Steigerung des Schutzniveaus für Whistleblower auf deren Grundrechte, Begründung der Kommission VWBRL, COM(2018) 214 final, S. 12; Mitteilung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 214 final, S. 4; Gerdemann, SR 2021, 1, 5; kritisch DGB, Stellungnahme v. 05. 07. 2018, S. 3 f. (schon zum V-WBRL). 16 Vgl. zum Harmonisierungsgrad einer Richtlinie in Teil 3, B.II.3.a)cc). 17 Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1498; Schmolke, NZG 2020, 5, 8; schon zum V-WBRL: Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 18 f.; Richter, ArbRAktuell 2018, 433, 435; Groß/Platzer, NZA 2018, 913. 18 Gramlich/Lütke, wistra 2020, 354, 355. 19 Vgl. hierzu in Teil 2, C.II.2.a). 20 Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 2 f.; Mitteilung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 214 final, S. 2; Impact Assessment, SWD(2018) 116 final, S. 13 („spill-over impacts“); FGO/Fest, Art. 1 RL (EU) 2019/1937, Rn. 53; Gerdemann, RdA 2019, 16, 19 (zum V-WBRL); Schmolke, AG 2018, 769, 772 (zum V-WBRL); Colneric/ Gerdemann, WBRL, S. 20; vgl. zum fragmentarischen europäischen und deutschen Whistleblowerschutz bereits in Teil 2, C.II.2.b) und Teil 4, B.II.; vgl. auch Groß/Platzer, NZA 2018, 913, Fn. 10.
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III. Unionale Regelungsbefugnis Nachdem damit sowohl das Ziel als auch die Regelungsintensität der WBRL angesprochen wurden, soll nachfolgend die unionale Regelungsbefugnis für ihren Erlass untersucht werden – als unabdingbare Voraussetzung zur Begründung der in die mitgliedstaatliche Souveränität eingreifenden Umsetzungspflicht. 1. Kompetenzgrundlage Anders als für sekundärrechtliche Rechtsakte sonst üblich, stützt der Unionsgesetzgeber die WBRL als suprasektorale Regulierungsmaßnahme nicht nur auf eine, sondern gleich auf mehrere Rechtsgrundlagen: Art. 16, 43 Abs. 2, 50, 53 Abs. 1, 91, 100, 114, 168 Abs. 4, 169, 192 Abs. 1 und 325 Abs. 4 AEUV sowie den EuratomVertrag, insbesondere dessen Art. 31. Für das Richtlinienziel der bereichsübergreifenden Steigerung der Durchsetzung von Unionsrecht durch eine Stärkung des Whistleblowerschutzes existiert keine besondere eigenständige Kompetenzgrundlage des Unionsgesetzgebers, insbesondere scheidet etwa Art. 153 Abs. 1, 2 lit. b) AEUVals Kompetenzgrundlage der WBRL aus, weil ihr Richtlinienziel nicht auf die Regelung der Interessen im Arbeitsverhältnis ausgerichtet ist und ihr persönlicher Anwendungsbereich deutlich über Arbeitnehmer hinausgeht.21 Sie ergibt sich aber aus der jeweiligen unionalen Rechtsgrundlage für dasjenige Unionsrecht, dessen Durchsetzung und damit Zielerreichung verbessert werden soll, etwa die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes (Art. 114 AEUV),22 der Schutz der Umwelt und der Lebensqualität (Art. 192 Abs. 1 AEUV)23 oder auch der Schutz der 21 Vgl. hierzu Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 10; Siemes, WBRL, S. 54 f.; kritisch hierzu DGB, Stellungnahme v. 05. 07. 2018, S. 3 (schon zum VWBRL); vgl. zum begrenzten Anwendungsbereich des Art. 153 Abs. 1 AEUV schon in Teil 3, B.II.1.a) und zum Richtlinienziel sowie dem persönlichen Anwendungsbereich der WBRL in Teil 5, A.I. und Teil 5, A.V.2. 22 Beispielhaft etwa VO (EU) Nr. 596/2014 (Teil II Anhang WBRL, Ziff. A.1.iv)), vgl. ErwGr. 1 und 4 VO (EU) Nr. 596/2014; Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) (Teil I Anhang WBRL, Ziff. C.1.iii)), vgl. ErwGr. 2 RL 2007/46/EG; Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union (Teil I Anhang WBRL, Ziff. J.iii)), vgl. ErwGr. 1 ff. RL (EU) 2016/1148; vgl. zur insoweit relevanten fehlenden Einschlägigkeit der Bereichsausnahme des Art. 114 Abs. 2 AEUV („Rechte und Interessen der Arbeitnehmer“) aufgrund des auf die Durchsetzung von Unionsrecht beschränkten Ziels der WBRL (vgl. in Teil 5, A.I.), allgemein Streinz-EUV/ AEUV/Schröder, Art. 114 AEUV, Rn. 16; GSH/Classen, Art. 114 AEUV, Rn. 103. 23 Beispielhaft etwa Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (Teil I Anhang WBRL, Ziff. E.5.iii)), vgl. ErwGr. 3 und 4 RL 2011/92/ EU.
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öffentlichen Gesundheit (Art. 168 Abs. 4 AEUV).24 Die WBRL verfolgt mit dem Ziel der Stärkung der Rechtsdurchsetzung in verschiedenen Bereichen unionaler Regulierungspolitik zwar jeweils unterschiedliche, aber gleichrangige Regelungsziele, die durch das übergeordnete Ziel der verbesserten Rechtsdurchsetzung untrennbar miteinander verknüpft sind, so dass der Unionsgesetzgeber die WBRL zutreffend auf mehrere, nämlich die benannten sektor- und bereichsspezifischen Kompetenzgrundlagen stützen musste.25 Für eine Regelung des Whistleblowerschutzes zur verbesserten Rechtsdurchsetzung in sämtlichen Rechts- und Lebensbereichen bei gleichem persönlichen Anwendungsbereich fehlt dem Unionsgesetzgeber hingegen – gerade im Unterschied zu den Mitgliedstaaten – aufgrund seiner durch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung beschränkten Regelungsbefugnis die Rechtsetzungskompetenz.26 Die sich aus den aufgeführten Kompetenznormen ergebenden verfahrensrechtlichen Vorgaben, insbesondere die Einhaltung des – in allen Befugnisnormen mit Ausnahme des Art. 31 Euratom-Vertrag vorgeschriebenen – ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens gem. Art. 294 AEUV sowie etwa die mehrheitlich vorgesehene Anhörung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA), hat der Unionsgesetzgeber ausweislich der Einleitung der WBRL befolgt. Zweifelhaft erscheint insoweit lediglich, ob die Grundnormfestlegung im Sinne des Art. 31 Euratom-Vertrag in einem abgesonderten Rechtsetzungsverfahren hätte erfolgen müssen.27 Das ist aber angesichts dessen abzulehnen, dass ausweislich der Einleitung der WBRL die nach Art. 31 Abs. 1 Euratom-Vertrag obligatorische Stellungnahme der Gruppe von Sachverständigen und des EWSA durch die Kommission eingeholt, die WBRL durch einen – nach Art. 31 Abs. 2 Euratom-Vertrag erforderlichen – qualifizierten Mehrheitsbeschluss im Rat verabschiedet28 und das ordentliche Gesetzgebungsverfahren durchgeführt worden ist, was für das EU-Parlament aufgrund seiner hier vorgesehenen Rolle als Gesetzgebungsorgan ein „Mehr“ an gesetz24 Richtlinie 2010/53/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2010 über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Transplantation bestimmte menschliche Organe (Teil I Anhang WBRL, Ziff. H.1.iii)), vgl. ErwGr. 1 ff. RL 2010/53/EU. 25 Vgl. hierzu auch Opinion of the Legal Service zum V-WBRL, Veröffentlichung des Rats v. 14. 12. 2018, 14620/18, Ziff. 26 ff.; Bericht des EU-Parlaments v. 26. 11. 2018, A8 – 0398/ 2018, S. 164; Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 7; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 46; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 21, 149; kritisch zur Rechtsgrundlage BayLT-Drucks. 17/22326, S. 1 f.; BR-Drucks. 173/18, S. 1 ff.; DAI, Stellungnahme V-WBRL, S. 2; vgl. zur Frage der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs für Regelungen der besseren Durchsetzung bereits erlassenen Unionsrechts (sog. Annexkompetenz/ implizite Kompetenz) Streinz-EUV/AEUV/Streinz, Art. 5 EUV, Rn. 13; GSH/Kadelbach, Art. 5 EUV, Rn. 11; vgl. zur Auswahl der richtigen Kompetenzgrundlage unionaler Rechtsetzungsaktivität bei unterschiedlichen Zielrichtungen in Teil 3, B.II.1.a). 26 Ähnlich Forst, EuZA 2020, 283, 285; a. A. wohl Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1002. 27 Vgl. hierzu die Bedenken in Opinion of the Legal Service zum V-WBRL, Veröffentlichung des Rats v. 14. 12. 2018, 14620/18, Ziff. 40 ff. 28 Interinstitutionelles Dossier 2018/0106 (COD) des Rats v. 11. 10. 2019, 13039/19, S. 2.
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geberischer Mitwirkung darstellt als seine nach Art. 31 Abs. 2 Euratom-Vertrag zwingende (bloße) Anhörung.29 2. Subsidiarität Für die meisten der einschlägigen Kompetenzgrundlagen, etwa Art. 114, 168 Abs. 4, 169 und 192 Abs. 1 AEUV,30 besteht nach dem Regelfall unionaler Rechtsetzungszuständigkeit eine geteilte Gesetzgebungskompetenz des Unionsgesetzgebers, weshalb dieser bei Erlass der WBRL auch die Subsidiarität unionsrechtlichen Regulierungshandelns beachten musste.31 Anlass zur unionalen Regulierung des Whistleblowerschutzes ist der bislang fragmentarische und dadurch (zu) niedrige Rechtsschutz für Whistleblower in zahlreichen Mitgliedstaaten, der nicht zuletzt durch eine ebenso inkohärente unionsrechtliche Regelung des Whistleblowerschutzes bedingt ist und einer effektiven Rechtsdurchsetzung von Unionsrecht entgegensteht.32 Es war und ist auch keine Veränderung dieser Situation zu erwarten, vielmehr dürfte sich die Rechtslage für Whistleblower in einigen Mitgliedstaaten (darunter Deutschland) ohne verbindliche Vorgaben von außen nicht spürbar verbessern.33 Die mangelhafte Rechtsdurchsetzung wirkt sich gesamteuropäisch und somit auch für Mitgliedstaaten mit einheitlichen Regelungen und hohem Schutzniveau aus, weil Verstöße gegen Unionsrecht über territoriale Grenzen hinweg negative Auswirkungen entfalten können, etwa auf die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes oder auf die Ländergrenzen „ignorierende“ Umwelt.34 Das damit erfüllte sog. Negativkriterium der unzureichenden mitgliedstaatlichen Regelungsaktivität zur Förderung des angestrebten Richtlinienziels offenbart zugleich den „europäischen Mehrwert“ einer koordinierten Harmonisierung der Schutzvorschriften für Whistleblower gegenüber unkoordinierten einzelstaatlichen Regelungen, um das für eine funktionierende, transparente und glaubwürdige EU so wichtige Richtlinienziel der Stärkung der Rechtsdurchsetzung zu erreichen.35 29 Vgl. insoweit auch EuGH, Urteil v. 12. 02. 2015 – C-48/14 (Parlament/Rat), EuZW 2015, 230, 233, Rn. 60, 62; EuGH, Urteil v. 06. 11. 2008 – C-155/07 (Parlament/Rat), BeckRS 2008, 71147, Rn. 79; Siemes, WBRL, S. 53 f. 30 Vgl. insoweit Art. 4 Abs. 2 lit. a), e), f), k) AEUV; Streinz-EUV/AEUV/Schröder, Art. 114 AEUV, Rn. 7 ; Lurger, Art. 168 AEUV, Rn. 48, Art. 169 AEUV, Rn. 1; Kahl, Art. 192 AEUV, Rn. 9; MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil III A., Rn. 13. 31 Vgl. zum Subsidiaritätsgrundsatz bereits in Teil 3, B.II.1.b). 32 ErwGr. 108 WBRL; Stellungnahme Kommission v. 28. 11. 2018 zu BR-Drucks. 173/18, C(2018) 7765 final, S. 1 f.; vgl. hierzu schon in Teil 5, A.II. und die Quellenangaben in Fn. 20. 33 Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 7; Impact Assessment, SWD(2018) 116 final, S. 30. 34 Vgl. hierzu Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 7 f.; Impact Assessment der Kommission V-WBRL, SWD(2018) 116 final, S. 3, 29 f. 35 So auch Schmolke, AG 2018, 769, 775 (schon zum V-WBRL); kritisch aber bzw. sogar einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip bemängelnd etwa Interinstitutionelles Dossier 2018/0106 (COD) des Rats v. 01. 10. 2019, 12460/19 ADD 1 REV 1, S. 1 (Erklärung Irlands);
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
3. Verhältnismäßigkeit Unter Berücksichtigung der weiten Einschätzungsprärogative des Unionsgesetzgebers erscheint die WBRL insgesamt auch verhältnismäßig.36 Sie ist insbesondere nicht offensichtlich ungeeignet, das sekundäre Richtlinienziel eines hohen europaweiten Mindestschutzniveaus für Whistleblower zu erreichen, wobei ihre Geeignetheit für die beabsichtigte Beseitigung des nationalen und unionalen fragmentarischen Schutzniveaus aufgrund ihres kompetenzrechtlich beschränkten Anwendungsbereichs sehr fragwürdig erscheint.37 Der Unionsgesetzgeber hat sich für die Rechtsform einer Richtlinie entschieden, die den Mitgliedstaaten – anders als eine Verordnung – grundsätzlich einen Spielraum bei der Umsetzung belässt und hat zudem nur ein Mindestschutzniveau festgelegt, so dass Abweichungen „nach oben“ möglich sind. Eine Vollharmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen wäre allerdings auch wegen Art. 169 Abs. 4 AEUV unzulässig, der als einschlägige Rechtsgrundlage im Bereich des Verbraucherschutzes nur mindestharmonisierende Regelungen erlaubt.38 Die Richtlinienvorgaben beschränken sich zudem auf die Regelung von Whistleblowing in Bereichen, in denen Verstöße das öffentliche Interesse erheblich schädigen können, eine Verbesserung der Rechtsdurchsetzung notwendig ist und Whistleblower hierzu einen Beitrag leisten können.39 Auch die nähere Ausgestaltung der internen und externen Meldekanäle überlässt der Unionsgesetzgeber – bis auf Mindestvorgaben zum Verfahren und zur Vertraulichkeit – den Mitgliedstaaten. Zudem erlaubt er als Erleichterung für Unternehmen die Kooperation mit externen Dienstleistern (zumindest für die Entgegennahme von Meldungen) sowie eine Ressourcenteilung für mittelgroße Unternehmen mit maximal 249 Mitarbeitern (Art. 8 Abs. 5, 6 WBRL und ErwGr. 54 WBRL) und nimmt auf Grundlage einer durchgeführten Kostenanalyse Klein- und Kleinstunternehmen gar gänzlich von der Pflicht zur Einrichtung interner Meldekanäle aus.40 Interinstitutional File 2018/0106 (COD) des Rats v. 25. 07. 2018, 10997/18, S. 4 (Schwedisches Parlament); BayLT-Drucks. 17/22326, S. 1 f.; BR-Drucks. 173/18, S. 2; vgl. auch Antrag auf Erhebung einer Subsidiaritätsklage der AfD, BT-Drucks. 19/16857 und Debatte hierzu im Deutschen Bundestag v. 30. 01. 2020, Plenarprotokoll des Deutschen Bundestags 19/143, S. 17948 ff. 36 Vgl. zu den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit Teil 3, B.II.1.c). 37 So auch Gerdemann, SR 2021, 89, 93; Krause, SR 2019, 138, 150 (schon zum VWBRL); Siemes, WBRL, S. 55, 119; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 24, 149; Reufels, in: FS Moll, S. 565, 569 (schon zum V-WBRL); vgl. zum beschränkten sachlichen Anwendungsbereich noch eingehend in Teil 5, A.V.1. 38 Vgl. hierzu schon in Teil 3, B.II.3.a)cc). 39 ErwGr. 5 ff. WBRL; Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 8; Mitteilung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 214 final, S. 8; Stellungnahme Kommission v. 28. 11. 2018 zu BR-Drucks. 173/18, C(2018) 7765 final, S. 2. 40 Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 11 f.; Stellungnahme Kommission v. 28. 11. 2018 zu BR-Drucks. 173/18, C(2018) 7765 final, S. 5 f.; kritisch hierzu Interinstitutional File 2018/0106 (COD) des Rats v. 25. 07. 2018, 10997/18, S. 4 (Schwedisches Parlament); BR-Drucks. 173/18, S. 3; DAI, Stellungnahme V-WBRL, S. 3.
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IV. Umsetzungspflicht in deutsches Recht Für die Erfüllung der Umsetzungspflicht besteht wegen des allein durch die Zielbindung beschränkten Gestaltungsspielraums der Mitgliedstaaten in Form und Mittel kein allgemeiner Gesetzesvorbehalt;41 dementsprechend verlangt Art. 26 Abs. 1 WBRL auch recht allgemein, dass die Mitgliedstaaten „die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft [setzen], die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum 17. Dezember 2021 [bzw. 17. 12. 2023, Art. 26 Abs. 2 WBRL] nachzukommen“. Zwar läge im deutschen Recht die Umsetzung der den Kündigungsschutz betreffenden Richtlinienvorgaben mittels richtlinienkonformer Auslegung der Generalklausel des § 241 Abs. 2 BGB nahe, nachdem der Kündigungsschutz für Whistleblower hier bislang im Wesentlichen von der richterrechtlichen Konkretisierung der Rücksichtnahmepflicht abhängt. Dies dürfte allerdings für eine richtlinienkonforme Umsetzung mangels hinreichender Rechtssicherheit und im Sinne bestmöglicher Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der WBRL nicht ausreichen, zumal ein solcher „Umsetzungsakt durch die Gerichte“ (auch durch höchstrichterliche Rechtsprechung) nicht die Bindungswirkung eines Legislativakts entfalten kann.42 Mit Blick auf den in Art. 6 Abs. 1 WBRL vorgesehenen „Anspruch auf Schutz“ für Whistleblower vor Repressalien und dem ausdrücklichen Verbot von Repressalien wie einer Kündigung in Art. 19 lit. a) Alt. 2 WBRL fordert überdies das unionale Transparenzgebot43 jedenfalls für die Umsetzung dieser – für die vorliegende Arbeit relevanten – Richtlinienvorgaben den Erlass einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, um eine hinreichend klare und bestimmte nationale Rechtslage zu schaffen, die den Kündigungsschutz für Whistleblower und seine Voraussetzungen rechtssicher erkennen lässt. Diesen Anforderungen genügen weder § 241 Abs. 2 BGB noch § 612a BGB.44 Vor Ablauf der Umsetzungsfrist der WBRL besteht – wie bereits angedeutet –45 aufgrund des bis dahin nur durch das Frustrationsverbot beschränkten mitgliedstaatlichen Handlungsspielraums allerdings weder eine solche gesetzliche Umsetzungspflicht noch eine Pflicht der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zur richterrechtlichen Anpassung der bisherigen Rechtslage zum Kündigungsschutz für Whistleblower. Selbst im Falle einer bislang richtlinienwidrigen Rechtslage ist die verbindliche Zielerreichung zum Umsetzungszeitpunkt nicht ernstlich in Frage gestellt, da sie jedenfalls durch eine entsprechende gesetzliche Regelung herbei41
Vgl. hierzu bereits in Teil 3, B.II.3.a)aa). MüKoLauterkeitsrecht/Leible, A. Teil III. A., Rn. 178. 43 Vgl. hierzu bereits in Teil 3, B.II.3.a)bb). 44 So auch i. E. FGO/Fest, Art. 19 RL (EU) 2019/1937, Rn. 22; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 57; Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1006 (schon zum V-WBRL); Colneric/ Gerdemann, WBRL, S. 70; a. A. BDA, Positionspapier WBRL, S. 6; (irgend-)einer gesetzlichen Aktivität dürfte es ohnehin aufgrund des in Art. 26 Abs. 3 S. 1 WBRL enthaltenen „Zitiergebots“ bedürfen, vgl. Streinz-EUV/AEUV/Schroeder, Art. 288 AEUV, Rn. 77; ähnlich wohl auch Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.119. 45 Vgl. hierzu zu Beginn in Teil 3, B.II.3.a). 42
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
geführt werden kann. Bislang hat auch weder der Gesetzgeber noch die Rechtsprechung die Rechtslage aufgrund der WBRL abgeändert, insbesondere haben die Arbeitsgerichte von einer Korrektur ihrer bisherigen Rechtsprechung durch eine an der WBRL orientierte Auslegung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht abgesehen,46 was aus Gründen der Rechtssicherheit über die geltenden Schutzvoraussetzungen für Whistleblower zu begrüßen ist.
V. Anwendungsbereich Auf welche Fallkonstellationen des Whistleblowings sich diese legislative Umsetzungspflicht bezieht, ergibt sich aus dem Anwendungsbereich der WBRL, der vorliegend insoweit relevant ist, als er Fälle der Meldung von Missständen durch Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft umfasst. 1. Sachlicher Anwendungsbereich Die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs der WBRL knüpft an den gemeldeten Missstand an – und zwar an den betroffenen Rechtsbereich sowie die Art des Missstandes und seiner Meldung. Anzumerken ist, dass die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs eine Prüfung des öffentlichen Interesses an der Aufdeckung des gemeldeten Verstoßes im Einzelfall erübrigt, weil der Unionsgesetzgeber das bereits auf abstrakt-genereller Ebene inzident bejaht, denn nach dem Richtlinienziel soll die Rechtsdurchsetzung in solchen Bereichen des Unionsrechts verbessert werden, in denen etwaige Verstöße nicht nur private Interessen, sondern das Wohl und die Interessen der Allgemeinheit ernsthaft schädigen oder gefährden können.47 a) Umfasstes Unionsrecht Da die Durchsetzung unionaler Regulierungspolitik bereichsübergreifend erfolgen soll, begrenzt der Unionsgesetzgeber den Anwendungsbereich der WBRL nicht auf die Meldung von Verstößen in einem bestimmten Rechtsbereich oder Sektor des Unionsrechts, sondern normiert einen breiten rechtsgebietsübergreifenden sachlichen Geltungsbereich. Dieser ist allerdings aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht
46 Vgl. zur fehlenden unionsrechtlichen Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts vor Ablauf der Umsetzungsfrist in Teil 3, B.II.3.b)aa); vgl. insoweit in Bezug auf die in der WBRL vorgesehene Beweislastumkehr ausdrücklich LAG Nürnberg, Urteil v. 24. 02. 2021 – 3 Sa 331/20, BeckRS 2021, 13407, Rn. 35 f. 47 Vgl. auch FGO/Fest, Art. 1 RL (EU) 2019/1937, Rn. 50; Gerdemann, SR 2021, 1, 12; Siemes, WBRL, S. 60; vgl. ähnlich zu § 4d FinDAG ASM/Spoerr, Art. 32 VO (EU) Nr. 596/ 2014, Rn. 18; a. A. wohl Reufels, in: FS Moll, S. 565, 569 (zum V-WBRL).
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umfassend,48 sondern beschränkt sich auf Verstöße gegen im Anhang der WBRL aufgeführte Sekundärrechtsakte, die bestimmte in Art. 2 Abs. 1 lit. a) WBRL aufgezählte Bereiche der Unionspolitik betreffen, sowie auf Verstöße gegen die finanziellen Interessen der Union (Art. 2 Abs. 1 lit. b) WBRL)49 und gegen unionsrechtliche Binnenmarktvorschriften im Sinne des Art. 26 Abs. 2 AEUV (Art. 2 Abs. 1 lit. c) WBRL).50 Als umfasste unionale Politikbereiche werden in Art. 2 Abs. 1 lit. a) WBRL (i) das öffentliche Auftragswesen, (ii) die Finanzdienstleistungen, Finanzprodukte und Finanzmärkte sowie die Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, (iii) die Produktsicherheit und -konformität, (iv) die Verkehrssicherheit, (v) der Umweltschutz, (vi) der Strahlenschutz und die kerntechnische Sicherheit, (vii) die Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Tiergesundheit und der Tierschutz, (viii) die öffentliche Gesundheit, (ix) der Verbraucherschutz und (x) der Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie der Sicherheit von Netz- und Informationssystemen aufgeführt. Zur Konkretisierung dieser im Normtext nicht näher spezifizierten, der unionalen Regulierung unterliegenden Politikfelder listet der Unionsgesetzgeber in diesen Bereichen erlassene Sekundärrechtsakte im Anhang der WBRL auf.51 Durch diese Bezugnahme werden nicht nur die ausdrücklich aufgeführten unionalen Rechtsakte Teil des sachlichen Anwendungsbereichs, sondern auch etwaige mitgliedstaatliche Maßnahmen, die ihrer Umsetzung oder Durchführung dienen, wie etwa mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften zur Umsetzung von Richtlinienvorgaben.52 Die Aufzählung in Art. 2 Abs. 1 lit. a) WBRL ist grund48 Vgl. zur begrenzten unionalen Rechtssetzungskompetenz schon in Teil 3, B.II.1.a) und Teil 5, A.III.1. 49 ErwGr. 15 WBRL; vgl. hierzu Mitteilung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 214 final, S. 4 f.; Impact Assessment der Kommission V-WBRL, SWD(2018) 116 final, S. 15 ff.; FGO/Fest, Art. 2 RL (EU) 2019/1937, Rn. 43. 50 ErwGr. 16 ff.; vgl. hierzu Mitteilung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 214 final, S. 5 ff.; Impact Assessment der Kommission V-WBRL, SWD(2018) 116 final, S. 18 ff.; FGO/ Fest, Art. 2 RL (EU) 2019/1937, Rn. 44 ff. 51 Vgl. hierzu im Einzelnen FGO/Fest, Art. 2 RL (EU) 2019/1937, Rn. 9 ff.; vgl. auch Mitteilung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 214 final, S. 7 f.; Impact Assessment der Kommission V-WBRL, SWD(2018) 116 final, S. 17, 20 ff. 52 Das gilt auch für etwaige unionale Durchführungsakte für die im Anhang aufgelisteten Sekundärrechtsakte, für Rechtsvorschriften, auf welche die angehängten Rechtsakte verweisen oder für etwaige „neue“ Rechtakte, welche die angehängten Rechtsakte ändern oder ersetzen, so dass die Bezugnahme in Art. 2 Abs. 1 lit. a) WBRL dynamisch zu verstehen ist, ErwGr. 19 WBRL; FGO/Fest, Art. 2 RL (EU) 2019/1937, Rn. 6 f.; Gerdemann, SR 2021, 1, 5; ders., NZA-Beilage 2020, 43, 46; Forst, EuZA 2020, 283, 285 f.; vgl. insoweit die Änderung der WBRL durch Art. 47 Verordnung (EU) 2020/1503 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Oktober 2020 über Europäische Schwarmfinanzierungsdienstleister für Unternehmen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/1129 und der Richtlinie (EU) 2019/ 1937, durch die in Teil I des Anhangs der WBRL Ziff. B. um xxi) ergänzt worden ist (vgl. konsolidierte Fassung der WBRL, online abrufbar: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ TXT/HTML/?uri=CELEX:02019L1937-20211110&from=EN, Abruf: 27. 11. 2021), um auch
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sätzlich abschließend, der Unionsgesetzgeber behält sich aber eine Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs auf „zusätzliche Unionsrechtsakte oder Bereiche“ für die Zukunft vor, um auf etwaige „neue“ Notwendigkeiten für eine verbesserte Rechtsdurchsetzung reagieren zu können, Art. 27 Abs. 3 WBRL.53 Diese Regelungstechnik soll erkennbar einer Rechtsunsicherheit über die Zuordnung von Sekundärrechtsakten zu den in Art. 2 Abs. 1 lit. a) WBRL benannten Bereichen vorbeugen und erscheint insoweit konsequent, als die europäische Politik maßgeblich durch sekundärrechtliche Rechtsakte gestaltet wird. Dieser zwar bereichsübergreifende, aber letztlich sowohl in Bezug auf das Unionsrecht als auch auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten wiederum fragmentarisch bleibende Ansatz steht im offensichtlichen Widerspruch zu dem gesetzgeberischen Ziel, durch die WBRL der Fragmentierung des rechtlichen Schutzes für Whistleblower in der EU entgegenzuwirken und für sie Rechtssicherheit zu schaffen.54 Aus kompetenzrechtlichen (und vermutlich auch politischen) Gründen zu diesem beschränkten sachlichen Anwendungsbereich gezwungen, weist der Unionsgesetzgeber wohl deshalb die Mitgliedstaaten in Art. 2 Abs. 2 WBRL nachdrücklich auf die Möglichkeit einer überschießenden Umsetzung durch eine Ausdehnung des Schutzes im nationalen Recht „auf Bereiche oder Rechtsakte […], die nicht unter Absatz 1 fallen“ hin und hatte die Kommission von Anfang an zum Ausdruck gebracht, dass eine Erweiterung des Anwendungsbereichs auf nationales Recht im Rahmen der Umsetzung zur Etablierung eines einheitlichen und kohärenten mitgliedstaatlichen Whistleblowerschutzes begrüßt würde.55
diesen Sekundärrechtsakt in ihren Anwendungsbereich einzubeziehen (ErwGr. 68 VO (EU) 2020/1503). 53 ErwGr. 106 und 107 WBRL; Forst, EuZA 2020, 283, 286; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 24; dies gilt insbesondere für das bislang nicht vom Anwendungsbereich erfasste Arbeitnehmerschutzrecht, Art. 27 Abs. 3 S. 2 WBRL und ErwGr. 21 WBRL; Forst, EuZA 2020, 283, 286; Gerdemann, RdA 2019, 16, 22 (zum V-WBRL); Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 23; kritisch zum Ausschluss des Arbeitnehmerschutzrechts etwa Krause, SR 2019, 138, 150 (schon zum V-WBRL); DAV, Stellungnahme V-WBRL, S. 9; DGB, Stellungnahme v. 05. 07. 2018, S. 3 f. (schon zum V-WBRL); vgl. insoweit die Information der Kommission v. 17. 08. 2020 (2020/C 270 I/01) zur Erwägung der Ausweitung des Anwendungsbereichs der WBRL im Hinblick auf Rechtsakte nach Art. 153 und 157 AEUV zum Zeitpunkt der Überprüfung gem. Art. 27 WBRL. 54 Vgl. hierzu bereits die Nachweise in Fn. 37; kritisch auch Stellungnahme Rechnungshof der EU zum V-WBRL v. 09. 11. 2018, 2018/C 405/01, Ziff. 12; Bericht des EU-Parlaments v. 26. 11. 2018, A8 – 0398/2018, S. 392. 55 Mitteilung der Kommission V-WBRL COM(2018) 214 final, S. 11, 14; hierzu auch Stellungnahme Rechnungshof der EU zum V-WBRL v. 09. 11. 2018, 2018/C 405/01, Ziff. 12; Hansch, DSB 2020, 175; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1666; Siemes, WBRL, S. 55; vgl. auch ErwGr. 5 WBRL; DGB, Positionspapier v. 07. 12. 2020, S. 1, der Art. 2 Abs. 2 und ErwGr. 5 WBRL als „durchaus […] dringende Empfehlung verstanden“ wissen will.
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b) Verhältnis zu bestehendem Sekundärrecht und nationalen Vorschriften In Ergänzung zu dem durch Art. 2 Abs. 1 WBRL positiv bestimmten sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie enthält Art. 3 WBRL einschränkende Kollisionsund Vorrangregelungen. aa) Sektor- und bereichsspezifische Regelungen Zunächst klärt der Unionsgesetzgeber in Art. 3 Abs. 1 WBRL das Verhältnis zu bereichs- und sektorspezifischen Schutzvorgaben für Whistleblower, die in den vom Anwendungsbereich der WBRL erfassten und in Teil II des Anhangs aufgeführten Rechtsakten normiert sind. Hiernach gelten die Vorgaben der WBRL nur „insoweit, als die betreffende Frage durch diese sektorspezifischen Rechtsakte der Union nicht verbindlich geregelt ist“. Bereits vorhandene Regelungen genießen folglich Vorrang und werden nur insoweit ergänzt, als sie hinter dem Schutzniveau der WBRL zurückbleiben oder weniger detaillierte Vorgaben enthalten.56 Der Grundsatz lex posterior derogat legi priori kommt daher nicht zur Anwendung. Im Rahmen der Umsetzung ist folglich darauf zu achten, dass bereits bestehende nationale Normen, die auf in den Anwendungsbereich der WBRL fallendem Unionsrecht beruhen, wie etwa § 4d FinDAG, § 3b BörsG oder § 48 GwG,57 nur nach dieser Maßgabe als vorrangig angesehen werden können.58 Für etwaige andere unionale Rechtsakte, die (beispielsweise aus schlichtem redaktionellen Versehen) nicht in Teil II des Anhangs aufgeführt sind, aber Schutzvorgaben für Whistleblower enthalten, dürfte unter Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 WBRL letztlich nichts anderes gelten.59 Für das Verhältnis der WBRL zur GeschGehRL bestimmt der Unionsgesetzgeber, dass die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen als rechtmäßig im Sinne von Art. 3 Abs. 2 GeschGehRL gilt, sofern der Anwendungsbereich der WBRL eröffnet ist und die Schutzvoraussetzungen der WBRL erfüllt sind, Art. 21 Abs. 7 UAbs. 2 WBRL.60
56 ErwGr. 20 WBRL; Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 4; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 46; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 24 f.; kritisch zu dieser Vorrangregelung Gerdemann, RdA 2019, 16, 22 (schon zum V-WBRL). 57 Vgl. hierzu schon in Teil 4, B.II.3.b) und Teil 4, B.II.3.d) (Fn. 150). 58 Vgl. zur insoweit herausfordernden nationalstaatlichen Harmonisierungsaufgabe Forst, EuZA 2020, 283, 291 f.; Sonnenberg, BB 2019, Heft 46, Umschlagteil I, o. S.; Siemes, WBRL, S. 116 f. 59 Forst, EuZA 2020, 283, 291; ähnlich auch FGO/Fest, Art. 2 RL (EU) 2019/1937, Rn. 13. 60 ErwGr. 98 WBRL; vgl. hierzu KBF/Alexander, Vorbemerkungen GeschGehG, Rn. 31a; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 968; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 27 f.; vgl. hierzu auch noch in Teil 5, A.VI.2.a).
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
bb) Schutz hochsensibler Informationen und Vertrauensverhältnisse Um nationalstaatlichen Sicherheitsinteressen und dem Schutz besonders sensibler Informationen und Vertrauensverhältnissen Rechnung zu tragen, gelten die Richtlinienvorgaben nicht für die Meldung von Informationen, welche die nationale Sicherheit (Art. 3 Abs. 2 WBRL),61 die Rechte der Arbeitnehmervertreter oder deren Konsultation durch einen Arbeitnehmer (Art. 3 Abs. 4 WBRL)62 betreffen oder in den Anwendungsbereich unionsrechtlicher oder nationaler Bestimmungen zu Verschlusssachen, zu anwaltlichen oder ärztlichen Verschwiegenheitspflichten, zum richterlichen Beratungsgeheimnis oder zum Strafprozessrecht fallen (Art. 3 Abs. 3 lit. a) – d) WBRL). Aus praktischer Sicht ist insbesondere die Ausnahmevorschrift des Art. 3 Abs. 3 lit. b) WBRL zum Schutz beruflicher Schweigepflichten relevant, allerdings für die vorliegende Arbeit nur insoweit, als ein Verschwiegenheitsverstoß im Mandats- oder Patientenverhältnis zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines angestellten Rechtsanwalts oder Arztes durch dessen Arbeitgeber führen kann. Bereits ErwGr. 69 V-WBRL sah vor, dass die Richtlinie den Schutz „gesetzlicher und sonstiger beruflicher Vorrechte nach nationalem Recht“ („legal and other professional privilege as provided for under national law“/„secret professionnel et des autres privilèges professionnels prévus par la législation nationale“) unberührt lässt. Diese Ausnahme von der Anwendung der Richtlinienvorgaben ist in der Endfassung der WBRL, wie von Berufsverbänden gefordert,63 in Art. 3 Abs. 3 lit. b) WBRL schließlich sogar im normativen Teil der Richtlinie verankert worden – indes mit einem anderen Wortlaut. So hat der Unionsgesetzgeber die Ausnahme auf die „anwaltlichen und ärztlichen Verschwiegenheitspflichten“ („legal and medical professional privilege“/„secret professionnel des avocats et du secret médical“) begrenzt. Insbesondere mit Blick auf die im deutschen Recht durch § 203 Abs. 1 StGB geschützte Schweigepflicht zahlreicher Berufsgruppen, stellt sich die Frage, wie weit diese Ausnahme reicht. Entgegen dem Wortlaut der Norm ist die „ärztliche Schweigepflicht“ weit zu verstehen, so dass sie nicht allein für das Verhältnis zwischen Arzt und Patient gilt, sondern die gesamte „Kommunikation von Erbringern von Gesundheitsleitungen,
61 ErwGr. 24 WBRL; Forst, EuZA 2020, 283, 292; Schmolke, NZG 2020, 5, 8; Wiedmann/ Apel, Newsdienst Compliance 2019, 72007, o. S.; vgl. zu nationalen Sicherheitsinteressen gem. Art. 346 Abs. 1 AEUV im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe und ihrer Grenzen etwa EuGH, Urteil v. 20. 03. 2018 – C-187/16 (Kommission/Republik Österreich), BeckRS 2018, 3255, Rn. 75 ff.; EuGH, Urteil v. 07. 06. 2012 – C-615/10 (Korkein), BeckRS 2012, 81171, Rn. 39 ff.; EuGH, Urteil v. 08. 04. 2008 – C-337/05 (Kommission/Italienische Republik), EuZW 2008, 372, 374, Rn. 42 f. 62 ErwGr. 29 WBRL; Forst, EuZA 2020, 283, 292; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 29 ff. 63 Etwa DStV, Stellungnahme zum V-WBRL v. 30. 08. 2018, S. 9 und Stellungnahme VWBRL v. 21. 02. 2019, o. S.; DStV/BStBK, Stellungnahme V-WBRL v. 12. 02. 2019, o. S.; DAV, Stellungnahme V-WBRL, S. 9; BRAK, Stellungnahme V-WBRL, S. 6; vgl. auch Bauer/ Macherey, WPg 2019, 175, 181; BR-Drucks. 173/18, S. 4.
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einschließlich Therapeuten, mit ihren Patienten“ umfasst.64 Die von § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB erfassten Berufsgruppen können sich daher bei einem Schweigepflichtverstoß regelmäßig nicht auf den Schutz durch die WBRL berufen. Ein restriktiveres Verständnis gilt hingegen für die „anwaltliche Verschwiegenheitspflicht“, denn der Unionsgesetzgeber bezieht diese Ausnahme allein auf die „Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant“ („communications between lawyers and their clients“/„confidentialité des communications entre les avocats et leurs clients“), so dass andere im Rechts- und Wirtschaftsbereich beratende (Dienstleistungs-)Berufe, etwa Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, der Ausnahmeregelung nicht unterfallen.65 Nach der Rechtsprechung des EuGH, auf die der Unionsgesetzgeber in ErwGr. 26 WBRL verweist, ist die vertrauliche Kommunikation zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten geschützt, soweit sie zum Zwecke und im Interesse der (Rechts-)Verteidigung des Mandanten von einem ihm gegenüber unabhängigen Rechtsanwalt erbracht wird, weshalb etwa die unternehmensinterne Kommunikation mit einem Syndikusanwalt nicht darunter fällt.66 Das „Anwaltsprivileg“ dient daher maßgeblich dem Schutz der Konsultation eines Rechtsanwalts zur Wahrnehmung von „Verteidigungsrechten“ und umfasst nicht die Konsultation anderer allein rechtlich beratender Berufsgruppen.67 Die zur Nichtanwendbarkeit der WBRL führende Ausnahmeregelung des Art. 3 Abs. 3 lit. b) Alt. 1 WBRL erfasst daher keinesfalls sämtliche der in § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB aufgeführten Berufsgruppen, dürfte wohl aber zumindest auch für Patentanwälte, Kammerbeistände oder Verteidiger in einem geordneten Verfahren gelten.68 Diese begrenzte Reichweite der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht gilt es für eine richtlinienkonforme Umsetzung der WBRL in deutsches Recht unbedingt zu beachten. Eine Ausweitung auf sonstige berufsrechtliche Verschwiegenheitspflichten stünde mit dem gesetzgeberischen Willen des Unionsgesetzgebers in Widerspruch. Zur effektiven und nachhaltigen Verbesserung der Rechtsdurchsetzung wollte dieser erkennbar mit der Beschränkung der Ausnahmeregelung des Art. 3 Abs. 3 lit. b) WBRL auf Rechtsanwälte und Erbringer von Gesundheitsleistungen den breiten persönlichen Anwendungsbereich des Art. 4 WBRL auch praktisch 64
ErwGr. 26 WBRL; Forst, EuZA 2020, 283, 292. Vgl. ErwGr. 26 WBRL; Teichmann, GA 2021, 527, 529; Forst, EuZA 2020, 283, 292; Hermesmeier, WPg 2020, 44, 51; Bauer/Macherey, WPg 2019, 1127, 1131; a. A. bezüglich Steuerberater Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 968. 66 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 17. 10. 2019 – C-403/18 P (Alcogroup SA), BeckRS 2019, 24523, Rn. 50; EuGH, Urteil v. 14. 09. 2010 – C-550/07 P (Akzo/Akcros), BeckRS 2010, 91087, Rn. 41 f., 56; EuGH, Urteil v. 18. 05. 1982 – 155/79 (AM&S), GRUR Int 1983, 38, 40, Rn. 21; vgl. auch Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag v. 29. 04. 2010 – C-550/07 P, BeckRS 2010, 90528, Rn. 47 f., 69; Hustus, NStZ 2016, 65, 66 ff.; Schnichels/Resch, EuZW 2011, 47 f.; a. A. Harrer-Kouliev, PuR 2020, 30, 31. 67 Vgl. zur restriktiven Auslegung des Anwaltsprivilegs auch Schnichels/Resch, EuZW 2011, 47, 48. 68 Ähnlich Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 968; a. A. bezüglich Patentanwälten Schnichels/Resch, EuZW 2011, 47, 51. 65
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sicherstellen und die Anwendbarkeit der Schutzvorgaben gerade nur für die ausdrücklich benannten Fälle berufsrechtlicher Verschwiegenheitspflichten ausschließen, nicht aber allen „sonstigen“ („other“/„autres“) Berufsgruppen, die nationalstaatlichen speziellen Schweigepflichten unterliegen, bei der Meldung von Verstößen einen Schutz versagen.69 Ansonsten hätte er den Ausnahmetatbestand (ähnlich wie in ErwGr. 69 V-WBRL) allgemein für „gesetzliche/berufliche Verschwiegenheitspflichten“ („professional privileges as provided for under national law“/„privilèges professionnels prévus par la législation nationale“) vorsehen können – dies hat er aber eben nicht getan, sondern vielmehr genau zwei Gruppen beruflicher Schweigepflichten in Art. 3 Abs. 3 lit. b) WBRL aufgeführt und in ErwGr. 27 WBRL dazu den Hinweis gegeben, dass „Angehörige anderer Berufsgruppen als dem des Rechtsanwalts und der Erbringer von Gesundheitsleistungen […] Anspruch auf Schutz im Rahmen dieser Richtlinie haben können [sollten], wenn sie durch geltende Berufsregeln geschützte Informationen melden“, sofern sie die Schutzvoraussetzungen der WBRL erfüllen. Es wäre daher richtlinienwidrig, die Ausnahme für die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht im Rahmen der Umsetzung – wie teilweise gefordert –70 auf andere, gar jegliche „gesetzliche Verschwiegenheitspflichten“ auszuweiten und dies etwa mit einer insoweit großzügigen Übersetzung des „legal professional privilege“ der englischen Sprachfassung zu begründen. c) Vorliegen eines Verstoßes Der sachliche Anwendungsbereich der WBRL wird nicht allein durch das von Verstößen betroffene Unionsrecht, sondern letztlich auch durch richtlinienspezifische Begriffsbestimmungen festgelegt, wie etwa der Definition von „Verstößen“, auf deren Meldung die Richtlinienvorgaben anzuwenden sind. Dazu bestimmt Art. 5 Nr. 1 WBRL: „Artikel 5 Begriffsbestimmungen Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck 1. ,Verstöße‘ Handlungen oder Unterlassungen, die i) rechtswidrig sind und mit den Rechtsakten der Union und den Bereichen in Zusammenhang stehen, die in den sachlichen Anwendungsbereich gemäß Artikel 2 fallen, oder
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Vgl. auch Harrer-Kouliev, PuR 2020, 30, 31; Bauer/Macherey, WPg 2019, 1127, 1131; DStV, Stellungnahme WBRL v. 11. 08. 2020, o. S. und Stellungnahme V-WBRL v. 21. 02. 2019, o. S.; die WBRL ist insoweit enger als die Empfehlungen des Europarats aus dem Jahr 2014, vgl. CoE, CM/Rec(2014)7, S. 7, Ziff. 6, S. 27, Ziff. 48. 70 Hermesmeier, WPg 2020, 44, 51; DStV/BStBK, Stellungnahme V-WBRL v. 12. 02. 2019, o. S., und in diese Richtung erneut DStV, Stellungnahme WBRL v. 11. 08. 2020, o. S.
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ii) dem Ziel oder dem Zweck der Vorschriften der Rechtsakte der Union und der Bereiche, die in den sachlichen Anwendungsbereich gemäß Artikel 2 fallen, zuwiderlaufen“. [Hervorhebung durch Verf.]
Aus Nr. 2 der Vorschrift folgt zudem, dass der Verstoß „in der Organisation, in der der Hinweisgeber tätig ist oder war, oder in einer anderen Organisation, mit der der Hinweisgeber aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit im Kontakt steht oder stand“ erfolgen muss. aa) Rechtswidriges Verhalten Korrelierend mit dem Richtlinienziel, Schädigungen und Gefährdungen des öffentlichen Interesses aufzudecken und zu unterbinden, definiert der Unionsgesetzgeber den Begriff „Verstöße“ denkbar weit. Zunächst erfasst er nach Art. 5 Nr. 1 lit. i) WBRL zur Durchsetzung des Unionsrechts jedes Verhalten, das im rechtstechnischen Sinn als „rechtswidrig“ einzustufen ist – unabhängig davon, welcher Kategorie, etwa Straftat, Ordnungswidrigkeit oder sonstigem Rechtsverstoß, es zuzuordnen ist und welche Rechtsfolge, etwa eine Strafe oder Maßnahme der Gefahrenabwehr, es auslöst.71 Maßgeblich ist nur, dass das Verhalten geltende Rechtsvorschriften verletzt. bb) Rechtsmissbräuchliches Verhalten Ausweislich des Wortlauts und der systematischen Stellung des Art. 5 Nr. 1 lit. ii) WBRL hält es der Unionsgesetzgeber zur Durchsetzung der Unionspolitik für dringend geboten, daneben auch solche Handlungen und Unterlassungen als „Verstöße“ zu erfassen, die zwar formal rechtmäßig sind, aber dem Sinn und Zweck bestehender Rechtsnormen zuwiderlaufen und diesen damit konterkarieren, wodurch ernsthafte Schädigungen des öffentlichen Interesses entstehen können. Gesetzgeberisches Ziel dieser weiten, rechtsmissbräuchliche Praktiken einbeziehenden Begriffsdefinition ist die Unterbindung einer Umgehung von Unionsrecht durch die Ausnutzung ungewollter system- und zweckwidriger Gesetzeslücken oder Gestaltungsmöglichkeiten, die ohne entsprechenden Hinweis schwer identifiziert und beseitigt werden können.72 Hiermit zieht der Unionsgesetzgeber Konsequenzen aus 71
Vgl. ErwGr. 3 WBRL; FGO/Fest, Art. 2 RL (EU) 2019/1937, Rn. 2; noch zum V-WBRL: Gerdemann, RdA 2019, 16, 22; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 16; Thüsing/ Rombey, NZG 2018, 1001, 1002. 72 ErwGr. 18 und 42 WBRL; FGO/Fest, Art. 2 RL (EU) 2019/1937, Rn. 3; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 46; ders., RdA 2019, 16, 23 (zum V-WBRL); Garden/Hiéramente, BB 2019, 963 f.; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 16 (zum V-WBRL); Wiedmann/Apel, Newsdienst Compliance 2019, 72007, o. S.; Sonnenberg, BB 2019, Heft 46, Umschlagteil I, o. S.; Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1002 (zum V-WBRL); Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 22; a. A. Forst, EuZA 2020, 283, 298, der die Tatbestandsvariante des Art. 5 Nr. 1
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aufgedeckten perfiden und maßlosen Steuervermeidungspraktiken in der EU,73 begrenzt die Bekämpfung von Umgehungspraktiken aber nicht allein auf diesen Regulierungsbereich und postuliert damit für den gesamten Anwendungsbereich der WBRL eine über die bloße Einhaltung formaler Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm hinausgehende Pflicht zu einem in der Sache rechtstreuen Verhalten.74 Die Aufnahme dieser Tatbestandsalternative ist zwar für eine gerechte und effektive Rechtsentwicklung begrüßenswert und die richtige Konsequenz aus vergangenen Wirtschaftsskandalen, die Voraussetzungen für das Vorliegen „missbräuchlicher Praktiken“ bleiben aber etwas unklar.75 Der Unionsgesetzgeber verweist allein auf die Rechtsprechung des EuGH und verzichtet auf eine nähere Definition oder konkretisierende Ausführungen.76 Nach der Rechtsprechung des EuGH stellt das Verbot des Rechtsmissbrauchs einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts dar, der besagt, dass die betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht erlaubt ist.77 Danach liegen missbräuchliche Praktiken vor, wenn sich zum einen aus der Gesamtheit der objektiven Umstände ergibt, dass das Ziel einer Unionsregelung trotz formaler Einhaltung ihrer Tatbestandsvoraussetzungen nicht erreicht und zum anderen die Absicht verfolgt wird, sich durch Ausnutzung einer formal bestehenden Rechtsposition oder Gestaltungsmöglichkeit einen nach der fraglichen Vorschrift ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen.78 Die Tatbestandsvariante des Art. 5 Nr. 1 lit. ii) WBRL erfordert damit, dass das jeweilige Fehlverhalten dem Zweck einer konkreten Norm widerspricht. Dieser ergibt sich aus dem ihrem Erlass zugrundeliegenden gesetzgeberischen Willen, ihrem system- und sachgerechten Regelungszusammenhang, ihrem Sinn und Zweck oder auch aus ihrem gesellschaftspolitischen Hintergrund. lit. ii) WBRL als „Konkretisierung“ des Art. 5 Nr. 1 lit. i) WBRL verstanden wissen will, weil auch „rechtsmissbräuchliches Verhalten rechtswidrig ist“; so auch Schmolke, NZG 2020, 5, 6, Fn. 21; ders., AG 2018, 769, 775, Fn. 74 (zum V-WBRL). 73 Mitteilung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 214 final, S. 6; FGO/Fest, Art. 2 RL (EU) 2019/1937, Rn. 3; Gerdemann, HSI-Report 2/2021, 14, 19; ders., RdA 2019, 16, 23 (zum V-WBRL); vgl. auch die ausdrückliche Hervorhebung in Art. 2 Abs. 1 lit. c) WBRL und ErwGr. 18 WBRL. 74 Vgl. auch Gerdemann, SR 2021, 1, 7. 75 Kritisch auch Garden/Hiéramente, BB 2019, 963 f.; bereits zum V-WBRL Bauer/Macherey, WPg 2019, 175, 177 f.; Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1002; DAV, Stellungnahme V-WBRL, S. 8. 76 ErwGr. 42 WBRL; etwas anders noch in Art. 3 Nr. 3 V-WBRL. 77 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 26. 02. 2019 – C-116/16, C-117/16 (T Danmark, Y Denmark), BeckRS 2019, 2173, Rn. 70; EuGH, Urteil v. 21. 02. 2006 – C-255/02 (Halifax), DStR 2006, 420, 424, Rn. 68; EuGH, Urteil v. 12. 05. 1998 – C-367/96 (Kefalas u. a.), BeckRS 2004, 76787, Rn. 20; vgl. näher MüKoBGB/Schubert, § 242 BGB, Rn. 155 ff. 78 EuGH, Urteil v. 26. 02. 2019 – C-116/16, C-117/16 (T Danmark, Y Denmark), BeckRS 2019, 2173, Rn. 96 Nr. 3; EuGH, Urteil v. 14. 12. 2000 – C-110/99 (Emsland-Stärke), BeckRS 2004, 74133, Rn. 52 f.; MüKoBGB/Schubert, § 242 BGB, Rn. 155; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 22; vgl. zu einer ähnlichen Begriffsdefinition im deutschen Recht etwa § 42 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 AO.
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Durch diesen erforderlichen konkreten Normbezug lässt sich der Rechtsmissbrauch von allein ethischem und moralischem Fehlverhalten abgrenzen, das von gesetzlich nicht geregelten gesellschaftlichen Normen oder Gepflogenheiten abweicht und damit keinen Bruch eines bestimmten Gesetzeszwecks bewirkt, so dass es nicht vom Anwendungsbereich der WBRL erfasst wird.79 Obwohl die Abgrenzung zwischen diesen Arten des Fehlverhaltens im Einzelfall schwierig sein kann, sollte das nicht dazu führen, über Art. 5 Nr. 1 lit. ii) WBRL praktisch auch ethisches und moralisches Fehlverhalten in den Anwendungsbereich miteinzubeziehen.80 Es erscheint daher sinnvoll, in der nationalen Umsetzungsnorm des Art. 5 Nr. 1 lit. ii) WBRL zur Klarstellung eine der Rechtsprechung des EuGH entsprechende Legaldefinition des (normbezogenen) „Rechtsmissbrauchs“ oder des „Missbrauchs von Gestaltungmöglichkeiten“ in den Tatbestand mitaufzunehmen und etwa „sonstiges ethisches oder moralisches Fehlverhalten“ als „Verstoß“ explizit auszuschließen.81 cc) Begangene und künftige Verstöße sowie Verschleierungsversuche Der Bereich der von den Richtlinienvorgaben erfassten „Verstöße“ wird im Rahmen der Begriffsbestimmung von „Informationen über Verstöße“ in Art. 5 Nr. 2 WBRL ausgeweitet, der diese definiert als: „Informationen, einschließlich begründeter Verdachtsmomente, in Bezug auf tatsächliche oder potenzielle Verstöße, die […] bereits begangen wurden oder sehr wahrscheinlich erfolgen werden, sowie in Bezug auf Versuche der Verschleierung solcher Verstöße.“ [Hervorhebung durch Verf.]
Der sachliche Anwendungsbereich der WBRL erfasst damit Fälle von Informationen einschließlich begründeter Verdachtsmomente über tatsächlich oder potenziell bereits begangene oder zukünftig erfolgende Verstöße sowie über Versuche einer Verschleierung solcher Verstöße. Dadurch kommt abermals der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck, Whistleblower zu möglichst umfassenden und frühzeitigen Meldungen von Missständen durch einen entsprechend weitgehenden Schutz zu veranlassen. Die Eröffnung des Anwendungsbereichs auch für die Meldung (vermuteter) zukünftiger Verstöße ist begrüßenswert und unter Berücksichtigung des Richtlinienziels konsequent, weil Whistleblower ansonsten gezwungen 79 Letzel, ZJS 2021, 1, 12; Gerdemann, SR 2021, 1, 5; Hansch, DSB 2020, 175; Schmolke, NZG 2020, 5, 6; Schröder, ZRP 2020, 212, 213; Erlebach, CB 2020, 284, 285; Garden/ Hiéramente, BB 2019, 963; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849; entsprechende Änderungsanträge zur Ausweitung des Anwendungsbereichs der WBRL im Gesetzgebungsverfahren konnten sich nicht durchsetzen, vgl. insoweit etwa Bericht des EU-Parlaments v. 26. 11. 2018, A8 – 0398/2018, S. 152, 213. 80 Ähnlich auch Garden/Hiéramente, BB 2019, 963 f.; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1666; Bauer/Macherey, WPg 2019, 175, 178 f. (noch zum V-WBRL). 81 Vgl. aber zur möglichen überschießenden Umsetzung und Einbeziehung „sonstigen Fehlverhaltens“ in den Geltungsbereich des nationalen Umsetzungsgesetzes noch in Teil 5, B.IV.2.
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wären, den Eintritt des Verstoßes abzuwarten bevor sie eine geschützte Meldung vornehmen können.82 Dies wäre aus rechtsstaatlicher Sicht bedenklich und würde eine wünschenswerte präventive Rechtsdurchsetzung verhindern. Die Ausdehnung des Schutzes auch auf die Meldung nachträglicher Verschleierungsversuche ist im Sinne einer repressiven Rechtsdurchsetzung ebenso konsequent. d) Vorliegen einer Meldung Für die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs der WBRL ist zudem maßgeblich, welches Verhalten überhaupt als „melden“ von Verstößen im Sinne des Art. 1 WBRL zu qualifizieren ist. Auch die Beantwortung dieser Frage hat der Unionsgesetzgeber nicht den Mitgliedstaaten überlassen, sondern selbst in Art. 5 Nr. 3 WBRL eine richtlinienspezifische Definition des Begriffs „Meldung“ bzw. „melden“ vorgenommen, die denkbar weit jegliche „mündliche oder schriftliche Mitteilung von Informationen über Verstöße“ umfasst. Hierdurch wird ein größtmöglicher Bereich potenzieller Meldungen richtlinienrelevanter Missstände abgedeckt, weil der Unionsgesetzgeber weder eine bestimmte Form noch Art und Weise der Informationsweitergabe voraussetzt. Danach liegt eine solche in allen Fällen einer schriftlichen, etwa mittels Briefs, E-Mail oder sonstiger für eine Niederschrift von Informationen geeigneter Kommunikationskanäle, oder mündlichen Kommunikation vor, etwa mittels Telefon, Sprachaufzeichnung oder im Rahmen einer physischen Zusammenkunft – unabhängig davon, ob sie anonym oder namentlich erfolgt.83 Aus den nachfolgenden Begriffsbestimmungen wird zudem ersichtlich, dass der Unionsgesetzgeber (wie allgemein üblich) zwischen verschiedenen Mitteilungswegen in Abhängigkeit vom jeweiligen Informationsempfänger unterscheidet, so zwischen einer „interne[n] Meldung“ innerhalb einer juristischen Person gem. Nr. 4, einer „externe[n] Meldung“ an Behörden gem. Nr. 5 und einer „Offenlegung“ im Sinne eines öffentlichen Zugänglichmachens von Informationen gem. Nr. 6 der Vorschrift. Obschon sich die externe Meldung in Nr. 5 auf die „zuständige[n] Behörden“ im Sinne des Art. 5 Nr. 14 WBRL und damit auf bestimmte externe Adressaten innerhalb dieses Mitteilungswegs fokussiert, dürfte hiermit nicht schon der sachliche Anwendungsbereich der WBRL dahingehend beschränkt werden.84 Vielmehr ist diese begriffliche Eingrenzung auf bestimme externe Meldeadressaten allein zur Bestimmung der maßgeblichen Voraussetzungen für einen Schutzanspruch 82 Ebenso Schmolke, AG 2018, 769, 776 (noch zum V-WBRL); vgl. insoweit auch die Empfehlungen des Europarats aus dem Jahr 2014 CoE, CM/Rec(2014)7, S. 39, Ziff. 85. 83 Dies ergibt sich e contrario aus den Vorgaben zur Gestaltung der internen und externen Meldekanäle, Art. 9 Abs. 2 und 12 Abs. 2 WBRL und ErwGr. 53 WBRL, sowie den Vorgaben zum Schutz anonymer Whistleblower, Art. 6 Abs. 3, 4 WBRL und ErwGr. 34 WBRL. 84 A. A. Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 437, die wohl auch den Anwendungsbereich für internes Whistleblowing allein für eine Meldung an die speziell einzurichtenden internen Meldekanäle als eröffnet ansehen.
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von Bedeutung, da der Unionsgesetzgeber dort eine Beschränkung auf bestimmte schutzauslösende Adressaten der unterschiedlichen Mitteilungswege vornimmt, was bei einem insoweit schon beschränkten Anwendungsbereich aber obsolet gewesen wäre. Dies gilt auch für die in Art. 11 Abs. 6 WBRL getroffene Regelung zum Umgang mit Meldungen an nicht zuständige Behörden, die dann schon aus dem Anwendungsbereich der WBRL herausfielen. Gegen eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf bestimmte externe Adressaten spricht zudem die der WBRL zugrundeliegende Begriffsdefinition eines Whistleblowers, die sich insoweit allgemein auf dessen Meldung an eine „externe[] Behörde“ bezieht.85 Die sich aus diesen Begriffsbestimmungen ergebende Differenzierung zwischen einer „Meldung“ und einer „Offenlegung“ von Informationen vollzieht der Unionsgesetzgeber nicht in allen Richtlinienvorgaben konsequent, sondern bezieht einige Regelungen, obwohl sie (wie sich aus dem jeweiligen Regelungszusammenhang ergibt) auch für die „Offenlegung“ von Informationen gelten, ihrem Wortlaut nach – insoweit undifferenziert und umfassend – nur auf eine „Meldung“ bzw. auf „melden“, so etwa Art. 1, 2 Abs. 1, 6 Abs. 1 lit. a) und 23 Abs. 1 lit. a) WBRL oder auch ErwGr. 1 und 93 WBRL. Soweit die nachfolgend näher untersuchten Richtlinienvorgaben gleichermaßen für eine „Meldung“ oder „Offenlegung“ von Informationen über Verstöße gelten, verzichtet auch die vorliegende Arbeit zur Vereinfachung und besseren Lesbarkeit auf eine begriffliche Differenzierung und verwendet stattdessen ausschließlich den Begriff „Meldung“ bzw. „melden“. e) Erweiterung auf Maßnahmen vor und nach der Meldung Eine ergänzende Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs lässt sich aus den Regelungen in Art. 21 Abs. 3, 4 WBRL herleiten. Art. 21 Abs. 3 WBRL gewährt – außer bei strafbaren Maßnahmen – Schutz für „Vorfeldmaßnahmen“ der Meldung, etwa für die Beschaffung bestimmter Informationen, so dass auch schon solche Maßnahmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie umfasst sind. Aus einem Umkehrschluss der Regelung des Art. 21 Abs. 4 WBRL folgt sogar noch allgemeiner, dass jede Maßnahme des Whistleblowers, die im Zusammenhang mit der Meldung von Verstößen steht oder für deren Aufdeckung erforderlich ist, grundsätzlich auch vom Anwendungsbereich der WBRL erfasst ist, weil eine etwaige Haftung des Whistleblowers hierfür nur bei einem Fehlen dieser Voraussetzungen für zulässig erklärt wird.86 Dieser offenkundige Auffangtatbestand verhindert die Beschränkung des Whistleblowerschutzes allein auf die Informationsmitteilung als solche und erweitert ihn grundsätzlich auch auf Maßnahmen im Vorfeld und Nachgang einer Meldung, wie etwa vorherige Recherchen zur Erhärtung eines Verdachts oder das Nachreichen von Unterlagen, sofern sie in einem Zusammenhang mit der Meldung stehen, was der Unionsgesetzgeber jedenfalls für „Vorfeldmaß85 86
Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 2. Ähnlich auch Gerdemann, SR 2021, 1, 10; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 58.
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nahmen“ durch die Aufnahme der Regelung des Art. 21 Abs. 3 WBRL bereits inzident bejaht hat.87
2. Persönlicher Anwendungsbereich Im Gegensatz zum begrenzten sachlichen Anwendungsbereich fasst der Unionsgesetzgeber den persönlichen Anwendungsbereich denkbar weit.88 Maßgebliches Kriterium ist der privilegierte Zugang einer Person zu Informationen über Verstöße aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Abhängigkeit, wodurch berufsbezogene Repressalien für sie ein hohes Abschreckungspotential entfalten.89 Vor diesem Hintergrund definiert der Unionsgesetzgeber Whistleblower bzw. „Hinweisgeber“ („reporting person“/„auteur de signalement“) in Art. 5 Nr. 7 WBRL als „natürliche Person, die im Zusammenhang mit ihren Arbeitstätigkeiten erlangte Informationen über Verstöße meldet oder offenlegt“. Als „berufliche[n] Kontext“ definiert er in Nr. 9 der Vorschrift „laufende oder frühere Arbeitstätigkeiten im öffentlichen oder privaten Sektor, durch die Personen unabhängig von der Art der Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangen und bei denen sich diese Personen Repressalien ausgesetzt sehen könnten, wenn sie diese Informationen melden würden“. Im Einklang mit diesen Begriffsdefinitionen zählt er zur Festlegung des persönlichen Anwendungsbereichs in Art. 4 Abs. 1 WBRL eine Reihe von im privaten oder im öffentlichen Sektor tätigen Personengruppen auf, die in jedem Fall („mindestens“) als „Hinweisgeber“ anzusehen sind, wie etwa Arbeitnehmer (einschließlich Beamter), Selbständige, Anteilseigner, Praktikanten und Beschäftigte von Auftragnehmern oder Lieferanten. Für den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit sind von diesen Personengruppen nur die im privaten Sektor tätigen Arbeitnehmer relevant, für die der persönliche Anwendungsbereich gem. Art. 4 Abs. 1 lit. a) WBRL in jedem Fall eröffnet ist. Der dort in Bezug genommene Arbeitnehmerbegriff des Art. 45 Abs. 1 AEUV, für den die Rechtsnatur des Beschäftigungsverhältnisses und der Grad der Weisungsgebundenheit grundsätzlich von 87
Vgl. auch FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 16; Gerdemann, SR 2021, 1, 10. Vgl. ErwGr. 37 WBRL; Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 13; Gerdemann, SR 2021, 1, 8 f.; ders., NZA-Beilage 2020, 43, 47; Hansch, DSB 2020, 175; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1202; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849; Schmolke, AG 2018, 769, 777 (zum V-WBRL); Groß/Platzer, NZA 2018, 913 (zum V-WBRL); Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 32; kritisch hierzu Harrer-Kouliev, PuR 2020, 30, 31; DAI, Stellungnahme V-WBRL, S. 2 f., 5. 89 ErwGr. 36 und 37 WBRL; Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 13; FGO/Fest, Art. 4 RL (EU) 2019/1937, Rn. 2; Gerdemann, SR 2021, 1, 7; ders., NZA-Beilage 2020, 43, 47; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964; Schmolke, AG 2018, 769, 777 (zum V-WBRL); kritisch zum fehlenden Schutz für im privaten Umfeld erlangte Informationen Dilling, CCZ 2019, 214, 216; DGB, Stellungnahme v. 05. 07. 2018, S. 5 (schon zum V-WBRL); so auch etwa Bericht des EU-Parlaments v. 26. 11. 2018, A8 – 0398/2018, S. 487. 88
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untergeordneter Bedeutung sind,90 reicht sogar weiter als der des § 611a Abs. 1 S. 1 BGB.91 Maßgeblich für die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Art. 45 Abs. 1 AEUV ist nämlich allein, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält, wobei es sich um tatsächliche und echte Tätigkeiten handeln muss, die sich nicht als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen.92
VI. Umsetzungsvorgaben Zur Förderung des Whistleblowings als „Rechtsdurchsetzungsmittel“ enthält die WBRL verbindliche Umsetzungsvorgaben für einen besseren Whistleblowerschutz, der neben der Einrichtung und dem Betrieb von internen und externen Meldekanälen im Mittelpunkt der Richtlinie steht. Aufgrund des auf den Kündigungsschutz für meldewillige Arbeitnehmer begrenzten Untersuchungsgegenstandes wird hier keine umfassende Analyse aller verbindlichen Schutzvorgaben erstellt, die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich vielmehr auf die für den passiven Anreizfaktor des Kündigungsschutzes relevanten Vorschriften. Dabei wird auch (soweit erforderlich) der Einfluss der EMRK auf das Unionsrecht berücksichtigt. Normativer Dreh- und Angelpunkt für den Kündigungsschutz sind folgende Vorschriften: „Artikel 6 Voraussetzungen für den Schutz von Hinweisgebern (1) Hinweisgeber haben Anspruch auf Schutz nach dieser Richtlinie, sofern a) sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen und dass diese Information in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fielen, und b) sie intern gemäß Artikel 7 oder extern gemäß Artikel 10 Meldung erstattet haben oder eine Offenlegung gemäß Artikel 15 vorgenommen haben. […]
90 MüKoBGB/Spinner, § 611a BGB, Rn. 178; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 18 f.; FGO/ Fest, Art. 4 RL (EU) 2019/1937, Rn. 4 f.; Streinz-EUV/AEUV/Franzen, Art. 45 AEUV, Rn. 17 f. 91 Vgl. hierzu bereits in Teil 2, A. 92 St. Rspr. EuGH, Urteil v. 21. 02. 2018 – C-518/15 (Matzak), NJW 2018, 1073, 1074, Rn. 28; EuGH, Urteil v. 10. 09. 2014 – C-270/13 (Haralambidis), NVwZ 2014, 1508, 1509, Rn. 28; EuGH, Urteil v. 19. 06. 2014 – C-507/12 (Saint Prix), NZA 2014, 765, 766, Rn. 35; noch zu Art. 48 Abs. 1 EGV EuGH, Urteil v. 03. 07. 1986 – C-66/85 (Lawrie-Blum), BeckRS 2004, 73510, Rn. 17; EuGH, Urteil v. 23. 03. 1982 – 53/81 (Levin), BeckRS 2004, 73283, Rn. 17; vgl. hierzu auch ErwGr. 38 WBRL; Calliess/Ruffert/Brechmann, Art. 45 AEUV, Rn. 12 f.; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.111.
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Artikel 19 Verbot von Repressalien Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um jede Form von Repressalien gegen die in Artikel 4 genannten Personen, einschließlich der Androhung von Repressalien und des Versuchs von Repressalien zu untersagen; dies schließt insbesondere folgende Repressalien ein: a) Suspendierung, Kündigung oder vergleichbare Maßnahmen“. [Hervorhebung durch Verf.]
1. Schutzvoraussetzungen Ausgangspunkt für die Analyse der in deutsches Recht umzusetzenden verbindlichen Schutzvorgaben der WBRL zum Kündigungsschutz für meldewillige Arbeitnehmer ist folglich der soeben zitierte Art. 6 Abs. 1 WBRL. a) Berechtigung der Meldung Wie auch schon im nationalen Recht ist danach zunächst wesentliche Voraussetzung für den Kündigungsschutz, dass eine berechtigte Meldung vorliegt, wie sie in Art. 6 Abs. 1 lit. a) WBRL näher definiert wird. Hierfür setzt der Unionsgesetzgeber nicht zwingend voraus, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zutreffend waren, sondern gewährt dem Whistleblower unter bestimmten Voraussetzungen selbst dann Schutz, wenn er wahrheitswidrige oder nicht aufklärbare Tatsachen mitteilt oder rechtlich unzutreffende Vorwürfe erhebt, weil er nicht vom Anwendungsbereich der WBRL erfasste Missstände meldet, und legt – ebenso wie die deutsche Rechtsprechung –93 einen einheitlichen Prüfungsmaßstab für die tatsächliche und die rechtliche Berechtigung der Meldung fest.94 Ausweislich des Wortlauts des Art. 6 Abs. 1 lit. a) WBRL reicht es allerdings nicht aus, dass der Whistleblower subjektiv von der Richtigkeit seiner gemeldeten Informationen ausgeht, vielmehr bedarf es – erkennbar als Korrektiv – überdies eines „hinreichenden Grund[s]“ für diese „Annahme“. Der Tatbestand enthält mithin neben der subjektiven auch eine objektive Komponente.95 93
Vgl. hierzu in Teil 4, B.III.2.c). Vgl. auch ErwGr. 32 und 43 WBRL; Buchwald, ZESAR 2021, 69, 73; Steinhauser/ Kreis, EuZA 2021, 422, 427 f.; Gerdemann, SR 2021, 1, 11; ders., NZA-Beilage 2020, 43, 48; Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896, 1900; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; Garden/ Hiéramente, BB 2019, 963, 964; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 60, 70; in den vorstehenden Literaturstellen wird zum Teil richtigerweise auf die damit einhergehende und nicht unerhebliche faktische Erweiterung des Anwendungsbereichs auf an sich außerhalb dessen liegende Meldegegenstände hingewiesen. 95 FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 6; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; Schröder, ZRP 2020, 212, 213; Schmolke, AG 2018, 769, 774 (schon zum V-WBRL); Siemes, WBRL, S. 72. 94
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aa) Wissentlich falsche Meldungen Aus den Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. a) WBRL folgt zunächst, dass die Richtlinie jedenfalls für wissentlich falsche Meldungen keinen Schutz gewährt, weil sie die „Annahme“ („to believe“/„de croire“) des Whistleblowers von der Richtigkeit der erhobenen Vorwürfe voraussetzen, was bei positiver Kenntnis ihrer Unrichtigkeit zweifelsohne ausscheidet.96 Darin zeigt sich der Wille des Unionsgesetzgebers, zum Schutz betroffener Personen97 eine wichtige Schutzvorkehrung gegen „böswillige oder missbräuchliche“ („malicious […] or abusive“/ „malveillants […] ou abusifs“) Meldungen zu treffen, indem Whistleblower keinen Schutz erhalten, die „willentlich und wissentlich falsche oder irreführende“ Mitteilungen („deliberately and knowingly reported wrong or misleading“/„délibérément et sciemment des informations erronées ou trompeuses“) gemacht haben; ein gesetzgeberischer Wille, der sich auch in der Vorgabe manifestiert, Sanktionen gegen Whistleblower festzulegen, die wissentlich falsche Informationen melden, Art. 23 Abs. 2 S. 1 WBRL.98 Damit soll erkennbar die Instrumentalisierung und Legalisierung des Whistleblowings als Denunziations- und Verleumdungsmittel verhindert werden. Für die angestrebte verbesserte Rechtsdurchsetzung ist eine Meldung wissentlich falscher oder irreführender Informationen eindeutig nicht zielführend – an ihnen besteht kein öffentliches Interesse. Zutreffend und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 10 Abs. 1 EMRK hält der Unionsgesetzgeber in diesen Fällen den Schutz der Meinungsfreiheit des Whistleblowers gem. Art. 11 Abs. 1 GRC für nicht geboten.99 Diese Anforderungen an eine berechtigte Meldung stimmen mit denen der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung überein, die zulässiges Whistleblowing im Fall vorsätzlich falscher Angaben verneint. Das umfasst auch Fälle des sog. bedingten Vorsatzes, in denen der Arbeitnehmer die Richtigkeit seiner Meldung zwar be-
96 Vgl. auch FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 10; Degenhart/Dziuba, BB 2021, 570, 573; Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 427; Teichmann, GA 2021, 527, 532; Forst, EuZA 2020, 283, 297; Rudkowski, comply 2020, 17, 18; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1204; Dilling, CCZ 2019, 214, 216; Federmann/Racky/ Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1668; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 61; Siemes, WBRL, S. 72. 97 Diese definiert der Unionsgesetzgeber in Art. 5 Nr. 10 WBRL als „eine natürliche oder eine juristische Person, die in der Meldung oder in der Offenlegung als eine Person bezeichnet wird, die den Verstoß begangen hat, oder mit der die bezeichnete Person verbunden ist“. 98 Vgl. ErwGr. 32, 102 WBRL; Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 15; Mitteilung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 214 final, S. 9; FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 10; Dilling, CCZ 2019, 214, 216; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 18 (zum V-WBRL); Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 61; dies entspricht auch den Empfehlungen des Europarats aus dem Jahr 2014, CoE, CM/Rec(2014)7, S. 39, Ziff. 85. 99 Vgl. insoweit zum Prüfungsmaßstab des EGMR einer berechtigten Meldung in Teil 4, B.III.2.c)cc).
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zweifelt, aber deren mögliche Unrichtigkeit billigend in Kauf nimmt.100 Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 lit. a) WBRL, der ausdrücklich das subjektive Element der „Annahme“ von der Richtigkeit der Meldung voraussetzt, legt nahe, dass auch der Unionsgesetzgeber einem nur bedingt vorsätzlich handelnden Whistleblower den Schutz verwehrt. Die Vorschrift dient ersichtlich dem Zweck, Whistleblower zu schützen, die ihre Meldung fälschlicherweise für richtig halten. Dieses Schutzes bedürfen aber Personen nicht, die die Unrichtigkeit ihrer Angaben ernsthaft in Betracht ziehen und bei ihrer Meldung billigend in Kauf nehmen, ihr also gleichgültig gegenüberstehen. Auch das öffentliche Interesse an der Meldung von Verstößen rechtfertigt es nicht, dass die von einer Meldung tangierten, die unternehmerische Freiheit und betriebliche Informationen schützenden Grundrechte des Arbeitgebers, insbesondere Art. 16 GRC,101 oder auch die persönlichkeitsschützenden Grundrechte beschuldigter Kollegen/Personen aus Art. 7 und 8 Abs. 1 GRC102 zurücktreten müssen, wenn nicht einmal der Whistleblower selbst ernsthaft an die Richtigkeit seiner gemeldeten Informationen glaubt bzw. auf diese nicht vertraut. Nimmt er die Fehlerhaftigkeit seiner Meldung billigend in Kauf, erfüllt er daher nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. a) WBRL.103 bb) „Hinreichender Grund zu der Annahme“ der Richtigkeit Unterhalb der Schwelle vorsätzlich falscher Meldungen verwehrt der Unionsgesetzgeber dem Whistleblower auch dann seinen Schutz, wenn er keinen „hinreichenden Grund zu der Annahme“ der Richtigkeit der gemeldeten Informationen hatte. Eine nähere Definition dieser Tatbestandsvoraussetzung fehlt – der Unionsgesetzgeber hat diese normativ nicht näher spezifiziert oder gar ausdrücklich definiert.104 Erkennbar ist lediglich, dass sie „zum Zeitpunkt der Meldung“ vorgelegen haben muss, so dass nachträglich aufgetretene Erkenntnisse oder Veränderungen unberücksichtigt bleiben und die Sachlage daher aus ex-ante-Sicht zu beurteilen ist.105 Es bedarf somit einer näheren Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals.106
100 Vgl. insoweit zur Berechtigung der Meldung im bisherigen deutschen Recht in Teil 4, B.III.2.c)aa). 101 Vgl. hierzu in Teil 3, B.I.3. 102 Vgl. zum Schutzbereich dieser Grundrechte für viele etwa Jarass, GRC, Art. 7 GRC, Rn. 13, 16, Art. 8 GRC, Rn. 6 f.; GSH/Augsberg, Art. 7 GRC, Rn. 5, Art. 8 GRC, Rn. 6. 103 So auch Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 427; Forst, EuZA 2020, 283, 297; BDA, Positionspapier, WBRL, S. 4; i. E. auch Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; Colneric/ Gerdemann, WBRL, S. 61. 104 Kritisch zu dieser auslegungsbedürftigen Unbestimmtheit Forst, EuZA 2020, 283, 297; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964; Dilling, CCZ 2019, 214, 216; Bauer/Macherey, WPg 2019, 175, 179 (zum V-WBRL); Vogel/Poth, CB 2019, 45, 46 (zum V-WBRL). 105 Vgl. auch FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 8; Schröder, ZRP 2020, 212, 213. 106 Vgl. zu den unionalen Auslegungsmethoden in Teil 3, B.II.2.
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(1) Wortlaut Der Begriff der „Annahme“ („to believe“/„de croire“) lässt erkennen, dass der Unionsgesetzgeber die Anforderungen an die subjektive Voraussetzung nicht überhöht, denn er verlangt nicht etwa eine „Überzeugung“ (frei übersetzt: „to be convinced“/„être convaincu“) des Whistleblowers von der Richtigkeit der gemeldeten Informationen.107 Es dürfte deshalb ausreichend sein, wenn er tatsächlich an sie geglaubt und auf sie vertraut hat. Dies schließt zwar gewisse Zweifel nicht aus, allerdings nur solange sie nicht zu einer einen Eventualvorsatz begründenden billigenden Inkaufnahme der Unrichtigkeit geführt haben, bei der dem Whistleblower die Richtigkeit seiner Angaben „einerlei“ ist. Weniger aufschlussreich ist der Wortlaut dagegen hinsichtlich des Prüfungsmaßstabes eines „hinreichenden Grund[s]“. Insbesondere der Vergleich mit der englischen und französischen Sprachfassung der WBRL indiziert zwar, dass die Anforderungen auch hier nicht überspannt werden dürften, weil diese von „reasonable grounds“/„motifs raisonnables“ (also eher „vernünftigen“ als „hinreichenden“ Gründen) spricht, was nahelegt, dass allein einleuchtende und nachvollziehbare, nicht aber etwa triftige oder in jeder Hinsicht genügende Gründe für die „Annahme“ vorgelegen haben müssen.108 Das korreliert im Übrigen auch mit der Definition von „Informationen über Verstöße“ in Art. 5 Nr. 2 WBRL, die von „begründete[n] Verdachtsmomente[n]“ („reasonable suspicions“/„soupçons raisonnables“) spricht.109 Insgesamt lässt der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 lit. a) WBRL aber nur vage Rückschlüsse auf den Prüfungsmaßstab für dieses objektive Tatbestandsmerkmal zu. (2) Historie Im einschlägigen ErwGr. 32 WBRL führt der Unionsgesetzgeber zu den Schutzvoraussetzungen für Whistleblower aus: „Hinweisgeber sollten nur dann gemäß dieser Richtlinie geschützt sein, wenn sie zum Zeitpunkt der Meldung angesichts der Umstände und der verfügbaren Informationen hinreichenden Grund zu der Annahme haben, dass die von ihnen gemeldeten Sachverhalte der Wahrheit entsprechen. Diese Anforderung ist eine wichtige Schutzvorkehrung gegen böswillige oder missbräuchliche Meldungen, da sie gewährleistet, dass Personen keinen Schutz erhalten, wenn sie zum Zeitpunkt der Meldung willentlich und wissentlich falsche oder irreführende Informationen gemeldet haben. Gleichzeitig wird mit dieser Anforderung gewährleistet, dass der Schutz auch dann gilt, wenn ein Hinweisgeber in gutem Glauben ungenaue Informationen über Verstöße gemeldet hat. In ähnlicher Weise sollten Hinweisgeber Schutz im Rahmen diese Richtlinie erhalten, wenn sie hinreichenden Grund zu der Annahme haben, dass die gemeldeten Informationen in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. […].“ [Hervorhebung durch Verf.] 107
Wohl a. A. FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 6. Ähnlich Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; Gerdemann, RdA 2019, 16, 23 (zum VWBRL). 109 Vgl. auch Forst, EuZA 2020, 283, 297. 108
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Der Unionsgesetzgeber hebt hier hervor, „böswillige oder missbräuchliche“ Meldungen nicht zu schützen, was allein auf vorsätzlich falsche Meldungen bezogen wird. Ausweislich des Wortlauts der englischen und französischen Sprachfassung sollen die Schutzvoraussetzungen aber auch leichtfertige Meldungen verhindern, denn sie zählt neben „malicious […] or abusive reports“/„signalements malveillants […] ou abusifs“ (abweichend von der deutschen Sprachfassung) zusätzlich auch „frivolous […] reports“/„signalements […] fantaisistes“ (frei übersetzt: „leichtfertige/leichtsinnige/frei erfundene […] Meldungen“)110 auf, so dass allein der Umstand, dass in der deutschen Sprachfassung ein ausdrücklicher Hinweis auf den Ausschluss auch „leichtfertig“ falscher Meldungen aus dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 lit. a) WBRL fehlt, für sich nicht gegen einen Ausschluss solcher Meldungen angeführt werden kann. Die weiteren Erläuterungen des Unionsgesetzgebers legen vielmehr nahe, dass der Schutz auch für leichtfertige – im Sinne von besonders sorgfaltslosen – Meldungen ausgeschlossen wird.111 Zwar verweist er darauf, dass der Schutz von „in gutem Glauben“112 („by honest mistake“/„de bonne foi“) handelnden Whistleblowern sichergestellt werden soll, wodurch ein nicht allzu strenger Prüfungsmaßstab des Kriteriums des „hinreichenden Grund[s]“ angedeutet wird und es insoweit ausreichend erscheint, wenn der irrende Whistleblower im Einzelfall plausible (tatsächliche) Anhaltspunkte für seine „Annahme“ hatte.113 Von der Einhaltung gewisser Sorgfalts- und Prüfungspflichten befreit ihn aber der Unionsgesetzgeber erkennbar nicht, denn das Vorliegen eines „hinreichenden Grund[s]“ ist im Einzelfall anhand der „Umstände und der verfügbaren Informationen“ festzustellen. Danach muss die subjektive „Annahme“ des Whistleblowers einer objektiv-rechtlichen Überprüfung zumindest insoweit standhalten, als sie sich nicht als völlig verfehlt und 110 So auch in anderen Sprachfassungen – etwa der spanischen: „denuncias malintencionadas, frívolas o abusivas“ [Hervorhebung durch Verf.] (frei übersetzt: „böswillige, leichtfertige oder missbräuchliche Behauptungen“). 111 So i. E. auch Forst, EuZA 2020, 283, 297; a. A. wohl Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55. 112 Es gilt zu beachten, dass der Rechtsbegriff „guter Glaube“ im deutschen Rechtsraum enger verstanden wird als sein englisches oder französisches Pendant „good faith“/„bonne foi“ im internationalen Rechtsverkehr, wo er allgemein die „Treugläubigkeit“ und damit auch die Motive des Einzelnen umfasst, vgl. hierzu bereits Teil 4 Fn. 282; in der WBRL selbst dürfte der Begriff – soweit er überhaupt verwendet wird, denn die englische Sprachfassung etwa verzichtet (bewusst) auf die Verwendung des Begriffs „good faith“ (auch in der deutschen und französischen Sprachfassung taucht er im normativen Teil nicht auf) – aufgrund der ausdrücklichen Unbeachtlichkeit des Motivs des Whistleblowers (hierzu noch unter Teil 5, A.VI.1.b)) aber dem deutschen Begriffsverständnis entsprechen; so auch Gerdemann, SR 2021, 1, 11; Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896, 1900; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 61, Fn. 181. 113 Ähnlich FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 6, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 9; Colneric, AuR 2021, 419, 422; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; Dilling, CCZ 2019, 214, 216; Vogel/Poth, CB 2019, 45, 46 (zum V-WBRL); Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 16 (zum V-WBRL); Siemes, WBRL, S. 66.
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anlasslos darstellen darf. Der Unionsgesetzgeber setzt für einen Schutz daher zumindest voraus, dass der Whistleblower verfügbare Informationen vor einer Meldung sorgfältig geprüft hat, auch wenn er die Anforderungen zugleich nicht überspannt;114 unschädlich dürfte es deswegen sein, wenn der Whistleblower seinen Irrtum nach Sichtung aller Unterlagen/Informationen zwar hätte erkennen und vermeiden können, seine Fehleinschätzung aber nicht grob sorgfaltswidrig und völlig abwegig war.115 Diese Einschätzung korreliert damit, dass der Unionsgesetzgeber letztlich „keine eindeutigen Beweise“ des Whistleblowers, zumindest aber „begründete Bedenken oder einen begründeten Verdacht“ verlangt und einen Schutz allein für „unbegründete Spekulationen oder Gerüchte“ ausschließt.116 Die Bekanntheit der Information ist überdies grundsätzlich irrelevant, es sei denn sie ist öffentlich bereits in vollem Umfang verfügbar.117 Aufgrund des Richtlinienziels dürfte insoweit ein restriktiver Maßstab anzulegen sein, so dass kaum eine Fallkonstellation denkbar ist, in der ein Schutzausschluss wegen rein redundanter Informationsweitergabe in Betracht kommt, zumal insoweit alle offenbarten Informationen für die Öffentlichkeit verfügbar sein müssen und die Meldung des Whistleblowers zu keinerlei „neuem“ Erkenntnisgewinn führen darf, etwa im Hinblick auf Intensität, Umfang oder Anzahl der Verstöße. Der so verstandene Prüfungsmaßstab des „hinreichenden Grund[s]“ trägt auch den Empfehlungen des Europarats aus dem Jahr 2014 Rechnung, auf die sich der Unionsgesetzgeber ausdrücklich bezieht und an denen er sich bei der Festlegung der Schutzvoraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. a) WBRL erkennbar orientiert hat.118 Sie fordern eindringlich dazu auf, Whistleblower beim Vorliegen vernünftiger/hinreichender Gründe („reasonable grounds“) für eine Annahme („to believe“) der Richtigkeit („accuracy“) ihrer Meldung auch dann Schutz zu gewähren, wenn sich diese nachträglich als unzutreffend erweist.119 114 Vgl. auch Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 427; ähnlich, aber kritisch Gerdemann, NJW 2021, 2324, 2327; i. E. wohl a. A. Colneric, AuR 2021, 419, 422. 115 So i. E. Forst, EuZA 2020, 283, 297; Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896, 1900; in diese Richtung Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1666, 1668; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850; a. A. BDA, Positionspapier, WBRL, S. 3; kritisch Teichmann, GA 2021, 527, 532 („Freischein“, „[lädt] zum Missbrauch [ein]“). 116 ErwGr. 43 WBRL. 117 ErwGr. 43 WBRL; vgl. auch Siemes, WBRL, S. 66. 118 Vgl. insoweit ErwGr. 31 WBRL; Stellungnahme Kommission v. 28. 11. 2018 zu BRDrucks. 173/18, C(2018) 7765 final, S. 2. 119 CoE, CM/Rec(2014)7, S. 9, Ziff. 22, wobei insoweit der Hinweis auf S. 39, Ziff. 85, dass der „good faith“, der hier ersichtlich nicht das ebenso genannte Motiv („motive“), sondern die subjektive Wahrnehmung des Whistleblowers von äußeren Umständen beschreiben soll, für die Frage des Schutzes irrelevant sei, irritiert und widersprüchlich erscheint, beinhalten die vorgeschlagenen Schutzvoraussetzungen („reasonable grounds to believe“) mit der Annahme („to believe“) doch klar ein auf die subjektive Wahrnehmung des Whistleblowers bezogenes Merkmal; vgl. auch zu ähnlichen Schutzvoraussetzungen, aber mit einer Vermu-
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(3) Systematik Aus dem Aufbau und der Systematik der WBRL ergeben sich für die inhaltliche Konkretisierung dieses unbestimmten Tatbestandsmerkmals keine Anhaltspunkte. Auch der Blick in andere unionale Sekundärrechtsakte, die spezielle Whistleblowing-Schutznormen vorsehen, hilft insoweit nicht weiter, da diese im Ergebnis keine konkreten Vorgaben zur Reichweite des Schutzes irrender Whistleblower enthalten.120 (4) Telos Der Sinn und Zweck des Art. 6 Abs. 1 lit. a) WBRL bestätigt hingegen den dargelegten Prüfungsmaßstab. Er soll zur Förderung der Meldebereitschaft einen größtmöglichen Schutz auch für solche Whistleblower sicherstellen, deren Meldung sich nachträglich als unzutreffend erweist, um eine Abschreckung durch überhöhte Anforderungen an die Richtigkeit der gemeldeten Informationen zu vermeiden und die Furcht vor Repressalien auf ein Minimum zu reduzieren. Gerade Whistleblower, die sich nicht sicher sind, ob vermutete Verstöße tatsächlich vorliegen oder sie nicht abschließend verifizieren können, sollen ohne Angst vor einer Kündigung auch potenzielle (bereits begangene oder zukünftige) Verstöße melden können. Auf der anderen Seite besteht selbst unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an einer effektiven Rechtsdurchsetzung kein Grund, Whistleblower, die „völlig aus der Luft gegriffene“ oder offensichtlich unzutreffende Vorwürfe erheben, vor Sanktionen zu schützen, selbst wenn sie von der Richtigkeit ihrer Angaben überzeugt sind.121 Solche substanzlosen Verdächtigungen und Mutmaßungen haben keinen Mehrwert für die Rechtsdurchsetzung, werden sie sich doch selten als „Glückstreffer“ erweisen und in erster Linie betroffene Personen grundlos verdächtigen und diskreditieren. Der weitgehende Schutz irrender Whistleblower findet hier seine Grenze, zumal er ein „notwendiges Übel“ ist, um Meldehemmnisse abzubauen und insgesamt eine bestmögliche Aufdeckung von Verstößen gegen Unionsrecht zu erreichen. (5) Primärrechtskonformität Ein strengerer Prüfungsmaßstab wäre allerdings anzuwenden, soweit dies zum Schutz der von einer Meldung betroffenen Grundrechte anderer Personen, insbesondere des Arbeitgebers aus Art. 16 GRC, erforderlich und geboten wäre. Hierfür besteht allerdings kein Anlass, denn der Unionsgesetzgeber schützt insbesondere keine haltlosen und unsubstantiierten Meldungen, sondern verlangt eine sorgfältige Prüfung ihres Wahrheitsgehalts. Auch aus der bei der Auslegung der Unionstung für den „good faith“ (der hier wohl neben der subjektiven Wahrnehmung auch das Motiv des Whistleblowers umfasst) bereits PACE, Resolution 1729 (2010), Ziff. 6.2.4. 120 Vgl. etwa Art. 11 Abs. 6 RL (EWG) 89/391; Art. 32 Abs. 1 lit. b) und ErwGr. 74 VO (EU) Nr. 596/2014; Art. 24 Abs. 2 lit. b) VO (EU) 2015/2365 oder auch Art. 37 RL (EU) 2015/849. 121 Vgl. auch Forst, EuZA 2020, 283, 297.
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grundrechte zu beachtenden Rechtsprechung des EGMR,122 auf die der Unionsgesetzgeber in ErwGr. 31 WBRL ausdrücklich Bezug nimmt, folgt keine Notwendigkeit zur Anpassung der Schutzvoraussetzungen. Der in Art. 6 Abs. 1 lit. a) WBRL angelegte Prüfungsmaßstab eines „hinreichenden Grund[s]“ entspricht vielmehr gerade den Anforderungen, die der EGMR an die Berechtigung der durch einen Arbeitnehmer gemeldeten Informationen stellt. Der EGMR betont die Bedeutung der durch Art. 10 Abs. 1 EMRK geschützten Meinungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft und sieht eine Mitteilung von Missständen nur dann nicht mehr als schützenswert an, wenn der Whistleblower unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Unterlagen und Informationen keine plausiblen Anhaltspunkte oder Grundlagen für seine Vorwürfe hatte und eine etwaige Fehlerhaftigkeit seiner Annahme sofort hätte erkennen können. Auf der anderen Seite folgt aus seiner Rechtsprechung, dass auch ein öffentliches Interesse an der Meldung eines Fehlverhaltens an diesen Mindestvoraussetzungen nichts ändert und keine Absenkung des Prüfungsmaßstabes rechtfertigt.123 Zwar wäre eine nähere und ausdrückliche Definition der Voraussetzungen für eine berechtigte Meldung durch den Unionsgesetzgeber aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für den Whistleblowerschutz wünschenswert gewesen. Ihr Prüfungsmaßstab lässt sich aber unter Berücksichtigung aller Auslegungsgrundsätze hinreichend rechtssicher ermitteln und setzt zusammenfassend voraus, dass dem Whistleblower für die Annahme der Richtigkeit seiner Meldung nachvollziehbare und konkrete Anhaltspunkte vorlagen und er seine etwaige tatsächliche oder rechtliche Fehleinschätzung auch anhand aller zumutbar verfügbaren Informationen nicht ohne Weiteres hätte erkennen können und müssen. Dieser Prüfungsmaßstab, der auch mit der Entwicklung im amerikanischen Whistleblowingrecht übereinstimmt,124 deckt sich mit den Anforderungen der deutschen Rechtsprechung an gutgläubiges Handeln des Whistleblowers, wonach die Grenze einer berechtigten Meldung bei vorsätzlich oder leichtfertig im Sinne von „grob fahrlässig“ falschen Angaben zu ziehen ist, während „einfach“ fahrlässiges Verhalten privilegiert wird.125
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Vgl. hierzu bereits in Teil 3, B.I.4. Vgl. zum Prüfungsmaßstab ausführlich in Teil 4, B.III.2.c)cc) und Teil 4, B.III.2.g)bb). 124 Vgl. hierzu unter Teil 2, C.II.2.a). 125 Vgl. zum Prüfungsmaßstab der Berechtigung einer Meldung im bisherigen deutschen Recht in Teil 4, B.III.2.c); vgl. insoweit auch Gerdemann, SR 2021, 1, 11; Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 427; Forst, EuZA 2020, 283, 297; Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896, 1900; Rudkowski, comply 2020, 17, 18; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1204; Gerdemann, RdA 2019, 16, 23 (schon zum V-WBRL); ders., Überlegungen zur Umsetzung der WBRL, S. 5; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 61; wohl auch Buchwald, ZESAR 2021, 69, 73; Degenhart/Dziuba, BB 2021, 570, 573; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; a. A. wohl BDA, Positionspapier, WBRL, S. 3 f.; ablehnend kritisch Teichmann, GA 2021, 527, 532. 123
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
cc) Zukünftige Verstöße Soweit ein Whistleblower Informationen über Verstöße mitteilt, die nicht bereits begangen wurden, sondern „sehr wahrscheinlich“ in der Zukunft erfolgen werden, verlangt der Unionsgesetzgeber für einen Kündigungsschutz, dass mit ihrem Eintreten „mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist“.126 Weder im normativen Teil der WBRL noch in den erläuternden ErwGr. findet sich indes eine Definition dieser letztlich materiell-rechtlichen Schutzvoraussetzung. Der Begriff der „hohen Wahrscheinlichkeit“ impliziert aber, dass aufgrund der vorhandenen Informationen zum Zeitpunkt der Meldung ein gesteigerter bzw. überwiegender Grad der Möglichkeit des Eintritts vorgelegen haben muss und jedenfalls eine bloße Wahrscheinlichkeit ohne sie erhöhende Umstände nicht ausreicht.127 Trotz des öffentlichen Interesses an einer Information über zukünftige Verstöße ist diese Schutzvoraussetzung tendenziell eng auszulegen, was auch durch die erst nachträglich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erfolgte Aufnahme der „hohen Wahrscheinlichkeit“ anstelle einer zuvor im V-WBRL vorgesehenen „einfachen“ Wahrscheinlichkeit als Voraussetzung indiziert wird.128 b) Motivation des Whistleblowers Anders als die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zum Kündigungsschutz misst der Unionsgesetzgeber der Motivation des Whistleblowers für den Schutzanspruch keine Bedeutung bei. Dies wird bereits daraus deutlich, dass sie in Art. 6 Abs. 1 WBRL nicht erwähnt ist. Unmissverständlich stellt dazu ErwGr. 32 WBRL klar, dass es bei der Entscheidung über die Schutzgewährung – wie zunehmend auch im amerikanischen Whistleblowingrecht –129 keine Rolle spielen sollte, aus welchen Gründen der Whistleblower Informationen meldet.130 Diese Klarstellung ist im
126
Art. 5 Nr. 2 WBRL und ErwGr. 43 WBRL. Ähnlich Gerdemann, SR 2021, 1, 6. 128 Vgl. ErwGr. 30 V-WBRL, der noch die Meldung von Verstößen ausreichen ließ, mit deren „Eintreten zu rechnen ist“; ebenso Art. 3 Nr. 5 V-WBRL („wahrscheinlich erfolgende[r] Verstoß“); kritisch zur Erhöhung der Anforderungen Siemes, WBRL, S. 59. 129 Vgl. hierzu in Teil 2, C.II.2.a). 130 FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 5; Brinkmann/Blank, BB 2021, 2475, 2476; Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 89; Degenhart/Dziuba, BB 2021, 570, 573; Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896, 1900; Hansch, DSB 2020, 175; Forst, EuZA 2020, 283, 297; Erlebach, CB 2020, 284, 286; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; Schmolke, NZG 2020, 5, 6; ders., ZGR 2019, 876, 910; ders., AG 2018, 769, 779 (zum V-WBRL); Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1204; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 48; ders., RdA 2019, 16, 23 (zum V-WBRL); Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964, 966; Federmann/Racky/Kalb/ Modrzyk, DB 2019, 1665, 1668; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850; Groß/Platzer, NZA 2018, 913, 914 (zum V-WBRL); Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1005 (zum V-WBRL); Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 61; kritisch Melot de Beauregard, DB 2019, M4, M5; a. A. Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 428, die insoweit allerdings ohne einen Anknüpfungs127
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Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens ergänzend eingefügt worden, wohl um deutlich zu machen, dass an dem Grundsatz bzw. der weit verbreiteten Auffassung, ein Schutz solle allein redlich handelnden Whistleblowern vorbehalten sein, nicht festgehalten wird.131 Hiermit liegt der Unionsgesetzgeber auf der Linie der Empfehlungen des Europarats aus dem Jahr 2014, die das Motiv des Whistleblowers ausdrücklich als relevantes Kriterium für die Schutzgewährung ausschließen.132 Obgleich dies aufgrund der Zielrichtung der WBRL, die Meldebereitschaft zur besseren Rechtsdurchsetzung zu fördern, konsequent und nachvollziehbar erscheint, ist die Nichtberücksichtigung der Motivation doch etwas überraschend, denn der Unionsgesetzgeber hat den Whistleblowerschutz unlängst in der GeschGehRL (unter anderem) von der Voraussetzung abhängig gemacht, dass der Whistleblower (auch) handelt, um das öffentliche Interesse zu schützen.133 Die Berücksichtigung der inneren Haltung des Whistleblowers ist vor allem Ausfluss der besonderen treuerechtlichen Verbindung der Arbeitsvertragsparteien. Die Irrelevanz der Motivation für einen Schutzanspruch aus Art. 6 Abs. 1 WBRL wirft deshalb im Hinblick auf Arbeitsverhältnisse die primärrechtliche Frage auf, ob der Unionsgesetzgeber die grundrechtlich insbesondere durch Art. 16 GRC geschützte Rechtsposition des Arbeitgebers hinreichend berücksichtigt und mit dem Ziel einer effektiven Rechtsdurchsetzung ausreichend abgewogen hat. Es erscheint insbesondere fraglich, ob der Unionsgesetzgeber für einen verhältnismäßigen Ausgleich der tangierten Interessen nicht eine Treuwidrigkeitsgrenze für den Schutz eines unredlich handelnden Whistleblowers hätte vorsehen müssen, was bei der Anwendung und Umsetzung des Art. 6 Abs. 1 WBRL zu berücksichtigen wäre.
punkt im verbindlichen Normtext allein auf ErwGr. 32 WBRL („böswillige“ Meldungen) abstellen wollen. 131 Noch ohne ausdrückliche Klarstellung ErwGr. 60 V-WBRL; vgl. auch Mitteilung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 214 final, S. 9, die von einem Schutz für Whistleblower spricht, die „in der guten Absicht handeln, das öffentliche Interesse zu schützen“ [Hervorhebung durch Verf.]; zur Änderung im Gesetzgebungsverfahren vgl. etwa Anträge/Hinweise in: Bericht des EU-Parlaments v. 26. 11. 2018, A8 – 0398/2018, S. 154; Stellungnahme Rechnungshof der EU zum V-WBRL v. 09. 11. 2018, 2018/C 405/01, Ziff. 27; kritisch hierzu DAI, Stellungnahme V-WBRL, S. 3, 6. 132 CoE, CM/Rec(2014)7, S. 39, Ziff. 85; ähnlich auch PACE, Resolution 2300 (2019), Ziff. 12.7.; anders lesen sich hingegen noch die Grundsätze der Parlamentarischen Versammlung des Europarats aus dem Jahr 2010, PACE, Resolution 1729 (2010), Ziff. 6.2.4. 133 Vgl. auch Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 48; Krause, SR 2019, 138, 151 (schon zum V-WBRL); Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1668; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 967; Schmolke, AG 2018, 769, 779 (zum V-WBRL); Groß/Platzer, NZA 2018, 913, 914 f. (zum V-WBRL); Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 61; zur Rolle des Motivs in der GeschGehRL und im GeschGehG bereits in Teil 4, B.II.3.c)cc)(2).
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
aa) Konventionsrechtliche Schutzvorgaben Dabei sind zunächst die als Rechtserkenntnisquelle und Auslegungsmaßstab für den gebotenen grundrechtlichen Mindestschutzes heranzuziehenden konventionsrechtlichen Vorgaben in den Blick zu nehmen, auch wenn die EMRK die Interessenposition des Arbeitgebers nur partiell durch Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 1 Abs. 1 S. 1 Zusatzprotokoll der EMRK schützt.134 Gegenstand der einzelfallbezogenen Rechtsprechung des EGMR zum Whistleblowing war bisher stets die Frage der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Meinungsfreiheit des Whistleblowers, nicht aber umgekehrt die Rechtfertigung eines Eingriffs in die Rechtsposition des Arbeitgebers zum Schutz der Meinungsfreiheit bei der im öffentlichen Interesse liegenden Aufdeckung von Missständen. Deshalb lässt sich dieser Rechtsprechung zwar entnehmen, welche Kriterien bzw. Faktoren für einen überwiegenden Schutz der Meinungsfreiheit sprechen können, es ergeben sich daraus aber nur punktuell Aussagen zum konventionsrechtlich gebotenen Mindestschutz der Arbeitgeberinteressen, wie etwa zum Prüfungsmaßstab der Berechtigung der Meldung oder dem zwingenden Vorrang einer internen oder externen Meldung vor einer „Flucht in die Öffentlichkeit“.135 Ihr lässt sich insbesondere auch keine Gewichtung oder Rangfolge dieser Kriterien entnehmen, so dass den Konventionsstaaten und der EU bei deren Anwendung ein Spielraum verbleibt.136 Zur Motivation bzw. den Gründen des Whistleblowers für eine Meldung führt der EGMR in ständiger Rechtsprechung aus, dass diese ein weiterer entscheidender Faktor für die Entscheidung sei, ob eine bestimmte Offenlegung geschützt wird oder nicht („another determinant factor in deciding whether a particular disclosure should be protected or not“/„un autre facteur déterminant pour l’appréciation du point de savoir si la démarche doit ou non bénéficier d’une protection“) und dass jedenfalls eine Meldung aus persönlichem Groll, persönlicher Feindschaft oder der Erwartung persönlicher, einschließlich finanzieller Vorteile keinen besonders hohen Schutz der Meinungsfreiheit rechtfertige („an act motivated by a personal grievance or personal antagonism or the expectation of personal advantage, including pecuniary gain, would not justify a particularly strong level of protection“/„un acte motivé par un grief ou une animosité personnels ou encore par la perspective d’un avantage personnel, notamment un gain pécuniaire, ne justifie pas un niveau de protection particulièrement élevé“).137 Dabei geht es ihm aber erkennbar nicht nur um die intrinsische Haltung des Whistleblowers, sondern auch um dessen (damit regelmäßig 134
Vgl. hierzu bereits in Teil 3, A.II.3.c) und Teil 3, B.I.4. Vgl. hierzu bereits im Einzelnen Teil 4, B.III.1.d), Teil 4, B.III.2.c)cc) und Teil 4, B.III.2.e)bb). 136 Vgl. insoweit Teil 4, B.III.1.d)bb); vgl. zudem zur Ausübung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums unter Geltung der EMRK Grabenwarter, EuGRZ 2006, 487, 491. 137 EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28374/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 69; vgl. auch EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), NJW 2021, 2343, 2345, Rn. 71; EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 77. 135
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verbundene) subjektive Wahrnehmung äußerer Umstände und Gegebenheiten, also darum, ob er an die Richtigkeit seiner Vorwürfe und seines Handelns geglaubt hat.138 Diese Verknüpfung der Motive mit der subjektiven Wahrnehmung dürfte auf der bereits angesprochenen Wechselwirkung dieser beiden subjektiven Komponenten beruhen139 und dient dem EGMR dazu, persönlich motivierte, grundlose Angriffe ohne Tatsachenbasis und mithin diffamierende Anschuldigungen als schützenswerte Meinungsäußerung auszuschließen.140 Aus seiner bisherigen Rechtsprechung ergibt sich damit aber nicht, dass allein eine unredliche (Misch-)Motivation des Whistleblowers unabhängig von anderen Ausschlussgründen einem (besonderen) Schutz der Meinungsfreiheit entgegensteht.141 Die Irrelevanz der Motivation für einen Schutzanspruch des Whistleblowers gem. Art. 6 Abs. 1 WBRL ist vor allem Ausfluss der besonderen Gewichtung des öffentlichen Interesses an der Ausübung der Meinungsfreiheit und der Berechtigung der Meldung. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Gewichtung gegen den konventionsrechtlich gebotenen Mindestschutz der Arbeitgeberinteressen verstößt; sie dürfte sich vielmehr noch innerhalb des konventionsrechtlich gewährleisteten Spielraums der EU und der Konventionsstaaten halten.142 bb) Verhältnismäßiger Interessenausgleich Die Irrelevanz der Motivation als Schutzvoraussetzung erscheint auch insgesamt als (noch) verhältnismäßig und primärrechtskonform, weil ihre Berücksichtigung und selbst die Festlegung einer Treuwidrigkeitsgrenze auch durch die Grundrechte des Arbeitgebers, namentlich insbesondere Art. 16 GRC, nicht zwingend geboten erscheint.143 Das öffentliche Interesse an der Stärkung der Durchsetzung unionaler 138
Für viele wiederum EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), HUDOC, Rn. 71 („It is important to establish that, in making the disclosure, the individual acted in good faith and in the belief that the information was true, that it was in the public interest to disclose it and that no other, more discreet, means of remedying the wrongdoing was available to him or her“ [Hervorhebung durch Verf.] (frei übersetzt: „Es ist wichtig, dass die Person bei der Aufdeckung im guten Glauben gehandelt und an die Richtigkeit der Informationen geglaubt hat sowie daran, dass die Offenlegung im öffentlichen Interesse erfolgt und keine anderen, diskreteren Mittel zur Offenlegung der Missstände verfügbar sind.“ [Hervorhebung durch Verf.])). 139 Vgl. hierzu in Teil 4, C.III. 140 Vgl. etwa EGMR, Urteil v. 19. 04. 2016 – 12138/08 (Aurelian Opera/Rumänien), HUDOC, Rn. 71; EGMR, Urteil v. 17. 09. 2015 – 14464/11 (Langner/Deutschland), NZA 2017, 237, 239, Rn. 47 ff.; EGMR, Urteil v. 21. 10. 2011 – 28374/08 (Heinisch/Deutschland), HUDOC, Rn. 85; ähnlich auch FGO/Schubert, Art. 10 EMRK, Rn. 34. 141 In diese Richtung auch FGO/Schubert, Art. 10 EMRK, Rn. 34. 142 So auch Gerdemann, SR 2021, 1, 16. 143 Ähnlich Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1501; ohne nähere Begründung oder gar Thematisierung einer Treuwidrigkeitsgrenze i. E. auch Forst, EuZA 2020, 283, 297; Gerdemann/ Spindler, ZIP 2020, 1896, 1900; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1204; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1669; Schmolke, ZGR 2019, 876, 910; wenngleich sehr kritisch Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1005 (zum
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Regulierungspolitik überwiegt vielmehr das Arbeitgeberinteresse, das Unternehmenswohl und den Betriebsfrieden bzw. die vertrauensvolle Zusammenarbeit durch arbeitsrechtliche Maßnahmen gegenüber unredlich handelnden Whistleblowern zu schützen und sicherzustellen. Die Irrelevanz der Motive von Whistleblowern ist zur Förderung ihrer Meldebereitschaft geeignet und erforderlich. Sie handeln nicht immer nur altruistisch und um das öffentliche Interesse zu schützen, sondern verfolgen bisweilen eigene, sogar moralisch verwerfliche Ziele, etwa das Bloßstellen des Arbeitgebers. Die Hemmschwelle, ein Fehlverhalten zu melden, kann oft erst durch Hinzutreten unredlicher Motive überschritten werden. Stünde der Schutz vor Repressalien unter dem Vorbehalt, dass eine Meldung überwiegend zum Schutz des öffentlichen Interesses erfolgt, würden Whistleblower darauf schon wegen der kaum möglichen Nachweisbarkeit einer bestimmten rein intrinsischen Motivationslage und insbesondere bei gemischter Gesinnung häufig verzichten, so dass Verstöße geheim und unentdeckt zu bleiben drohten. Der mit der fehlenden Berücksichtigung der Motivation verbundene Eingriff in die Grundrechte des Arbeitgebers steht zudem nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten Zweck. Aus Sicht des öffentlichen Interesses an der Meldung von Verstößen ist die innere Haltung des Arbeitnehmers unerheblich, weil sie den Wert der gemeldeten Informationen für die Aufdeckung, Verhinderung und Ahndung der Verstöße nicht schmälert.144 Die jüngsten Wirtschaftsskandale und die rechtsstaatlich mehr als bedenkliche Tendenz zur Missachtung gesetzlicher Vorgaben offenbaren die zwingend erforderliche Stärkung der Rechtsdurchsetzung zur Sicherstellung eines angemessenen und gerechten Ausgleichs unterschiedlicher Bedürfnisse und Rechtspositionen. Diesem überragenden gesamtgesellschaftlichen Zweck der WBRL liefe es zuwider, auf die Informationen unredlich handelnder Whistleblower zu verzichten, allein um das persönliche Vertrauensverhältnis zweier Privatrechtssubjekte zu schützen; zumal eine rein intrinsische, nicht nach außen – etwa durch eine vorsätzlich unzutreffende Meldung oder Untermauerung der Vorwürfe durch unsachgemäße Beleidigungen des Arbeitgebers – umgesetzte unredliche Motivationslage für sich gesehen keine betrieblichen Interessen beeinträchtigt.145 Zwar ist das Interesse des Arbeitgebers, nur mit loyalen und ihm wohlgesonnenen Arbeitnehmern zusammenzuarbeiten, nachvollziehbar und grundsätzlich auch schützenswert, es wird aber durch das überwiegende öffentliche Informationsinteresse an Verstößen überlagert, das einem Schutz rechtswidrig oder gar kriminell handelnder Arbeitgeber V-WBRL); Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 61; Siemes, WBRL, S. 73; a. A. FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 5; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 56; wohl auch Gerdemann, NZABeilage 2020, 43, 48, Fn. 78; ders., RdA 2019, 16, 23, Fn. 115 (zum V-WBRL); Garden/ Hiéramente, BB 2019, 963, 967. 144 Schmolke, ZGR 2019, 876, 910; Kreis, WB, S. 172; in diese Richtung auch FGO/ Schubert, Art. 10 EMRK, Rn. 34; Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1501; Siemes, WBRL, S. 73; dbb, Positionspapier V-WBRL, S. 3. 145 Kreis, WB, S. 173 f.; vgl. in diese Richtung auch Hauck, WRP 2018, 1032, 1037.
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oder Arbeitskollegen mittels einer gesetzlich oktroyierten redlichen Gesinnung des Whistleblowers entgegensteht. Es ist einem Arbeitgeber zumutbar, auch weiterhin mit Whistleblowern professionell zusammenzuarbeiten, deren innere Haltung und Einstellung nicht mit dem übereinstimmt, was er sich grundsätzlich für eine Zusammenarbeit wünscht, solange sich diese nicht in einer unberechtigten Meldung betrieblicher Missstände manifestiert. Dies gilt selbst im Fall einer ausschließlich verwerflichen Motivation, weil dem öffentlichen Interesse an der Aufdeckung von Verstößen gegen Unionsrecht ein so großes Gewicht zukommt, dass demjenigen, der den Boden der Rechtsordnung verlassen hat, gerade durch diese selbst kein Mittel an die Hand gegeben werden sollte, denjenigen, der das Fehlverhalten – aus welchen Gründen auch immer – meldet, loszuwerden sowie gar schadenersatzrechtlich zu belangen und damit letztlich die Meldung aufgrund der damit einhergehenden Abschreckungswirkung zu verhindern. Dem schützenswerten Interesse des Arbeitgebers, nicht durch denunziatorische oder leichtfertige Meldungen diffamiert und geschädigt zu werden, wird bereits durch die Voraussetzung einer berechtigten Meldung hinreichend Rechnung getragen.146 Gerade eine ausschließlich oder überwiegend unredliche Motivation des Whistleblowers dürfte bei einer unzutreffenden Meldung dabei häufig bereits ein Indiz für eine fehlende Annahme der Richtigkeit der Meldung sein, so dass sich eine unredliche Motivation ohnehin im Rahmen der Prüfung der Berechtigung der Meldung zugunsten des Arbeitgebers auswirken kann. Es ist deshalb mitnichten so, dass der Unionsgesetzgeber keinen angemessenen Schutz gegen unredlich motivierte Falschmeldungen vorsieht, vielmehr zieht er die Grenze des Schutzes für den Whistleblower nicht allein auf subjektiv intrinsischer Ebene, sondern erst dort, wo die innere Haltung auch zu einer unberechtigten Meldung führt. c) Mitteilungswege Der Schutzanspruch des Whistleblowers setzt die Einhaltung bestimmter verfahrensrechtlicher Vorgaben in Bezug auf den Weg seiner Mitteilung, insbesondere an den „richtigen“ Adressaten voraus. Nach Art. 6 Abs. 1 lit. b) WBRL ist erforderlich, dass Whistleblower „intern gemäß Artikel 7 oder extern gemäß Artikel 10 Meldung erstattet haben oder eine Offenlegung gemäß Artikel 15 vorgenommen haben“. Der Unionsgesetzgeber unterscheidet demnach (wie bereits angesprochen 146
Vgl. insoweit auch Gerdemann, SR 2021, 1, 10; Erlebach, CB 2020, 284, 286; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 19 (schon zum V-WBRL); a. A. wohl Gramlich/Lütke, wistra 2020, 354, 360; vgl. zu diesen Gedanken auch etwa BVerfG, Beschluss v. 25. 02. 1987 – 1 BvR 1086/85, NJW 1987, 1929, wonach sich ein strafrechtlich Beschuldigter außerhalb wissentlich oder leichtfertig falscher Vorwürfe, vor welchen ihn einfachgesetzliche Vorschriften schützten, einer „Überprüfung in einem mit rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien ausgestatteten Ermittlungsverfahren […] stellen muß“, ohne dass das Motiv des Anzeigenden als einschränkender Faktor seines Rechts zur Anzeigeerstattung überhaupt thematisiert wurde; vgl. zur fehlenden Berücksichtigung des Motivs außerhalb haltloser Vorwürfe bei der Ausübung des staatsbürgerlichen Anzeigerechts durch das BVerfG auch in Teil 3, A.II.1.b).
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und auch allgemein üblich) drei Formen des Whistleblowings, nämlich die interne und externe Meldung sowie die Offenlegung,147 und legt für ihren Schutz unterschiedliche Voraussetzungen fest. Für interne und externe Meldungen resultieren diese unter anderem aus der Anknüpfung an die verbindlich einzurichtenden internen und externen Meldekanäle, so dass Art. 6 Abs. 1 lit. b) WBRL eine Schnittstelle zwischen dem passiven und dem aktiven Anreizfaktor der WBRL darstellt. aa) Beschränkung auf bestimmte Adressaten Die Ansprechpartner eines Whistleblowers können zahlreich und unterschiedlich sein. Sowohl auf interner wie externer Ebene als auch in der Öffentlichkeit sind eine ganze Palette potenzieller Informationsempfänger denkbar.148 Wie bereits angedeutet, setzt der Schutzanspruch aus Art. 6 Abs. 1 lit. b) WBRL allerdings (zumindest zum Teil) eine Mitteilung an bestimmte Adressaten voraus. (1) Interne Meldung Als „interne Meldung“ definiert Art. 5 Nr. 4 WBRL „die mündliche oder schriftliche Mitteilung von Informationen über Verstöße innerhalb einer juristischen Person des privaten oder öffentlichen Sektors“. Der Begriff „juristische Person“ ist dabei nicht eng auszulegen, sondern umfasst unter Berücksichtigung des Richtlinienziels jedwede Rechtsform eines Unternehmens oder einer Organisation.149 Dieser weiten Begriffsbestimmung selbst lässt sich zwar noch keine Beschränkung des Schutzanspruchs auf die Meldung an bestimmte interne Adressaten entnehmen, so dass etwa auch die Meldung an den Vorgesetzten schutzauslösend sein könnte. Hiergegen spricht aber die ausdrückliche Bezugnahme des Art. 6 Abs. 1 lit. b) WBRL für interne Meldungen auf Art. 7 WBRL, der seinerseits in Abs. 1 festhält, dass „Informationen über Verstöße grundsätzlich unter Nutzung der internen Meldekanäle und Verfahren nach Maßgabe dieses Kapitels gemeldet werden [können]“. Damit wird auf die unter anderem bei einer juristischen Person des privaten Sektors mit 50 oder mehr Arbeitnehmern gem. Art. 8 Abs. 3 WBRL oder ausnahmsweise auch unabhängig von diesem Schwellenwert wegen des unternehmerischen Tätigkeitsbereichs, etwa im Finanzsektor oder Verkehrswesen (Teil II Anhang der WBRL, Ziff. A. und B.), gem. Art. 8 Abs. 4 WBRL verpflichtend einzurichtenden internen Meldekanäle Bezug genommen.150 Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung dieser 147
ErwGr. 45 WBRL; vgl. insoweit auch etwa Teil 2, A. und Teil 5, A.V.1.d); für viele Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896, 1900; Siemes, WBRL, S. 75. 148 Vgl. hierzu bereits in Teil 4, B.III.2.f)bb). 149 ErwGr. 45 WBRL spricht daher auch allein von „Organisation“, ohne dies auf bestimmte Rechtsformen einzugrenzen; Forst, EuZA 2020, 238, 289; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 38; a. A. Reufels, in: FS Moll, S. 565, 570 (zum V-WBRL). 150 Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass trotz der gesetzgeberischen Erleichterungen in Art. 8 Abs. 5, 6 WBRL die Existenz konzernweiter Meldekanäle selbst bei „nur“ mittelgroßen (Tochter-)Unternehmen mit maximal 249 Arbeitnehmern zur Erfüllung
A. Kündigungsschutz für Whistleblower im Lichte der WBRL
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Kanäle wird in Art. 9 WBRL näher geregelt, etwa durch verbindliche Mindestvorgaben zur Vertraulichkeit der Identität des Whistleblowers, zu Folgemaßnahmen, zu Eingangsbestätigungs- und Rückmeldefristen, zur Form der Meldung sowie zur Erteilung klarer und leicht zugänglicher Informationen über externe Meldemöglichkeiten.151 Die Bezugnahme auf die derart ausgestalteten internen Meldekanäle durch die Normkette der Art. 6 Abs. 1 lit. b) und 7 Abs. 1 i. V. m. Art. 8 ff. WBRL impliziert, dass eine schutzauslösende interne Meldung nur dann vorliegt, wenn sich der Whistleblower an die bei seinem Arbeitgeber entweder aufgrund einer bestehenden Einrichtungspflicht zwingend oder mangels Einrichtungspflicht freiwillig entsprechend eingerichteten Meldekanäle gewandt hat. Obgleich sich der Unionsgesetzgeber damit zwar nicht ausdrücklich zu der Frage äußert, ob der Whistleblower auch Schutz genießt, wenn er sich an andere interne Meldeadressaten wendet, ist dies im Hinblick auf Wortlaut und Systematik der
der Einrichtungspflicht nach Auffassung der Kommission wohl nicht ausreichend sind, das heißt die WBRL kein „Konzernprivileg“ kennt, vgl. hierzu die Stellungnahmen der Kommission v. 02. 06. 2021 (Quellenangabe in Fn. 11), S. 3 ff., v. 29. 06. 2021, JUST/C2/MM/rp/ (2021)4667786, S. 2 f. (online abrufbar: https://www.cmshs-bloggt.de/wp-content/uploads/2 021/08/Stellungnahme_4667786.pdf, Abruf: 27. 11. 2021) und v. 16. 07. 2021, JUST/C2/MM/ rp/ (2021)5129001, S. 2 ff. (nicht veröffentlicht, aber Verf. vorliegend), die unter anderem als Antwort auf eine Anfrage mehrerer Arbeitgeber- und Industrieverbände v. 19. 05. 2021 (nicht veröffentlicht, aber Verf. vorliegend) ergangen sind; kritisch zu dieser engen Auslegung der Kommission und m. w. N. zum Meinungsstand Holle, ZIP 2021, 1950; Gloeckner/Metzner, CCZ 2021, 256, 257 ff. 151 Vgl. hierzu auch ErwGr. 48 ff. WBRL; für viele Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 89 f.; Forst, EuZA 2020, 283, 293 f.; Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896, 1904 f.; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1666 f.; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 38 ff.; mit der Förderung internen Whistleblowings durch die Pflicht zur Einrichtung interner Meldekanäle folgt der Unionsgesetzgeber den Empfehlungen des Europarats aus dem Jahr 2014, CoE, CM/Rec(2014)7, S. 9, Ziff. 15, 17; vgl. zu datenschutzrechtlichen Herausforderungen und der Grenze der Vertraulichkeit der Identität des Whistleblowers unter anderem Art. 9 Abs. 1 lit. a), 16 und 18 WBRL, ErwGr. 82, 84 und 85 WBRL; Teichmann, GA 2021, 527, 534 f.; Ferner, WPg 2020, 1322, 1326 ff.; Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126, 127 ff.; Hansch, DSB 2020, 266, 267 f.; Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 35; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1205 f.; Weidmann, DB 2019, 2393, 2394 ff.; Dilling, CCZ 2019, 214, 217 f., 221 ff.; Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, o. S.; Aszmons/ Herse, DB 2019, 1849, 1853 f.; ausweislich des Wortlauts des Art. 6 Abs. 2 WBRL sehen die mindestharmonisierenden Richtlinienvorgaben aber keine Pflicht der internen Meldekanäle zur Entgegennahme und Weiterverfolgung anonymer Hinweise vor – unbeschadet bereits bestehender unionaler Verpflichtungen überlässt der Unionsgesetzgeber eine Entscheidung über diese Frage den Mitgliedstaaten, ErwGr. 34 WBRL; Erlebach/Veljovic, KriPoZ 2021, 165, 167; Forst, EuZA 2020, 283, 298; Schmolke, NZG 2020, 5, 8, 11; ders., ZGR 2019, 876, 897; Wiedmann/Apel, Newsdienst Compliance 2019, 72007, o. S.; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 135 f.; vgl. zum davon unabhängigen Schutz enttarnter anonymer Whistleblower noch in Teil 5, A.VI.1.d); vgl. zum Status quo der Erfüllung der anstehenden Einrichtungspflicht durch deutsche Unternehmen Hauser/Bretti-Rainalter/Blumer, WB-Report 2021, S. 96.
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Richtlinienvorgaben zu verneinen.152 Der Schutz aus Art. 6 Abs. 1 lit. b) WBRL ist klar an die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 WBRL geknüpft, der eindeutig auf die Nutzung der nach diesem Kapitel einzurichtenden Meldekanäle und -verfahren verweist. Auch aus dem Wort „grundsätzlich“ in Art. 7 Abs. 1 WBRL folgt unter Berücksichtigung anderer Sprachfassungen der WBRL nicht, dass der unionale Mindestschutz für Whistleblower auch Meldungen an andere interne Meldeadressaten umfasst. Vielmehr deuten diese Fassungen darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber in Art. 7 Abs. 1 WBRL allein den „allgemeinen Grundsatz“, eine interne Meldung über die speziellen internen Meldekanäle vor einer externen Meldung oder Offenlegung vorzunehmen, fördern und betonen will.153 Diese wörtliche und systematische Beschränkung auf bestimmte interne Meldeadressaten wird auch durch einen Blick in die Gesetzgebungsmaterialien, hier durch einen Vergleich mit Art. 13 V-WBRL bestätigt, der anders als Art. 6 Abs. 1 lit. b) WBRL (noch) keinen ausdrücklichen Bezug zwischen den Schutzvoraussetzungen und den gem. Art. 4 152
Vgl. auch FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 14; Gerdemann, SR 2021, 1, 10; Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 89; Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 437; Forst, EuZA 2020, 283, 293; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 56; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 65; Siemes, WBRL, S. 75; a. A. Schmolke, NZG 2020, 5, 6; eine Meldung an Meldekanäle bei Arbeitgebern, die den Schwellenwert unterschreiten, aber freiwillig gemäß den Vorgaben der Art. 8 und 9 WBRL Meldekanäle und Verfahren eingerichtet haben, dürfte aber ebenso einen Schutz erfahren – vgl. ErwGr. 47 WBRL, wonach Whistleblower grundsätzlich zur internen Meldung ermutigt werden sollen, wenn solche Meldekanäle eingerichtet wurden, „ohne dass dazu nach dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht eine Verpflichtung bestand“; dies gilt gleichermaßen, wenn der nationale Gesetzgeber die Vorgaben für diese Arbeitgeber entsprechend ErwGr. 49 WBRL absenkt und demgemäß Meldekanäle eingerichtet werden. 153 Vgl. etwa die englische, französische und spanische Sprachfassung: „As a general principle and without prejudice to Articles 10 and 15, information on breaches may be reported through the internal reporting channels and procedures provided for in this Chapter“ [Hervorhebung durch Verf.] (frei übersetzt: „Als allgemeiner Grundsatz und unbeschadet der Artikel 10 und 15 können Informationen über Verstöße über die in diesem Kapitel vorgesehenen Meldekanäle und Verfahren gemeldet werden“); „En règle générale, et sans préjudice des articles 10 et 15, les informations sur des violations peuvent être signalées par le biais des canaux et procédures de signalement interne prévus dans le présent chapiter“ [Hervorhebung durch Verf.] (frei übersetzt: „Als allgemeine Regel gilt, dass unbeschadet der Artikel 10 und 15 Informationen über Verstöße in der Regel über die in diesen Kapitel vorgesehenen internen Meldekanäle und -verfahren gemeldet werden können“); „Como principio general y sin perjuicio de lo dispuesto en los artículos 10 y 15, la información sobre infracciones podrá comunicarse a través de los canales y procedimientos de denuncia interna previstos en el presente capítulo“ [Hervorhebung durch Verf.] (frei übersetzt: „Als allgemeiner Grundsatz und unbeschadet der Artikel 10 und 15 können Informationen über Verstöße über die in diesem Kapitel vorgesehenen internen Meldekanäle und Verfahren gemeldet werden“); das Wort „grundsätzlich“ in Art. 7 Abs. 1 WBRL hätte daher richtigerweise auch in der deutschen Sprachfassung auf das Verhältnis der internen zur externen Meldung und der Offenlegung, nicht aber auf die „Nutzung“ interner Meldeadressaten bezogen werden sollen; vgl. insoweit zum „Regel-Ausnahme-Verhältnis“ des Art. 7 Abs. 1 WBRL auch etwa Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 965; Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, o. S.
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und 5 V-WBRL verbindlich einzurichtenden internen Meldekanälen herstellte.154 Dem einschlägigen ErwGr. 47 WBRL lässt sich zur Frage des Schutzes interner Meldungen an andere interne Meldeadressaten hingegen keine Aussage entnehmen. Aus ihm wird lediglich erkennbar, dass die speziellen Meldekanäle den Whistleblower darin „bestärken“ sollen, eine interne Meldung vorzunehmen; zu der im verbindlichen Normtext vorgenommenen Anknüpfung des Schutzes an die Nutzung dieser Meldekanäle schweigt er. (2) Externe Meldung Eine „externe Meldung“ definiert Art. 5 Nr. 5 WBRL als „mündliche oder schriftliche Mitteilung von Informationen über Verstöße an die zuständigen Behörden“. Nach Art. 5 Nr. 14 WBRL ist als „zuständige Behörde“ „die nationale Behörde [anzusehen], die benannt wurde, um Meldungen nach Kapitel III entgegenzunehmen und dem Hinweisgeber Rückmeldung zu geben und/oder als die Behörde benannt wurde, welche die in dieser Richtlinie vorgesehenen Aufgaben – insbesondere in Bezug auf etwaige Folgemaßnahmen – erfüllt“. Damit begrenzt schon die Begriffsdefinition den Kreis der schutzauslösenden externen Meldeadressaten auf „zuständige Behörden“.155 Ähnlich wie für die interne Meldung beschränkt der Unionsgesetzgeber den Mindestschutz überdies durch die ausdrückliche Bezugnahme in Art. 6 Abs. 1 lit. b) WBRL auf Art. 10 WBRL auf externe Meldungen, die „unter Nutzung der Kanäle und Verfahren gemäß den Artikeln 11 und 12“ abgegeben werden.156 Die nach Art. 11 WBRL an die Mitgliedstaaten adressierte verpflichtende Einrichtung spezieller externer (behördlicher) Meldekanäle dient der Stärkung des Vertrauens in die Wirksamkeit externer Meldungen. Art. 12 WBRL ergänzt diese Einrichtungspflicht um Vorschriften zur Gestaltung dieser Kanäle, etwa der vertraulichen Handhabung der gemeldeten Informationen, der Form der Meldung und der Informationsübermittlung über Meldemöglichkeiten.157 154 Vgl. insoweit noch zum V-WBRL Gerdemann, RdA 2019, 16, 23 (beachte Fn. 116); a. A. Groß/Platzer, NZA 2018, 913, 914, die offenbar bereits zu Art. 13 V-WBRL von einer Beschränkung auf die speziellen internen Meldekanäle als schutzauslösende Meldeadressaten ausgingen. 155 Vgl. hierzu schon in Teil 5, A.V.1.d). 156 Vgl. auch FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 15, 35; Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 89; Gerdemann, SR 2021, 1, 10; Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 429, 437; Forst, EuZA 2020, 283, 294; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 56; Siemes, WBRL, S. 75; wohl auch Schmolke, NZG 2020, 5, 6; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 65. 157 ErwGr. 63 WBRL; vgl. zu Einzelheiten der einzurichtenden externen Meldekanäle etwa ErwGr. 64 ff. WBRL; für viele Forst, EuZA 2020, 283, 295; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 49 f.; mit dieser Pflicht zu Einrichtung externer Meldekanäle folgt der Unionsgesetzgeber den Empfehlungen des Europarats aus dem Jahr 2014, externes Whistleblowing zu fördern CoE, CM/Rec(2014)7, S. 9, Ziff. 17; vgl. zu datenschutzrechtlichen Anforderungen und den Grenzen der Vertraulichkeit der Identität des Whistleblowers unter anderem Art. 12 Abs. 1 und 16 – 18 WBRL, ErwGr. 82 bis 84 WBRL; Teichmann, GA 2021, 527, 535; Ferner, WPg 2020, 1322, 1326 ff.; Dilling, CCZ 2019, 214, 217 f., 220 f.; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1205 f.; Colneric/Gerdemann, WBRL,
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Neben dem ausdrücklichen Verweis des Art. 6 Abs. 1 lit. b) WBRL auf Art. 10 WBRL ergibt sich die Begrenzung des unionalen Schutzes für externe Meldungen allein auf Mitteilungen unter Nutzung der speziellen Meldekanäle (wie bei der internen Meldung) auch aus dem Unterschied zu Art. 13 Abs. 2 V-WBRL, der für den Schutz einer externen Meldung (noch) nicht auf die nach Art. 6 bis 12 V-WBRL verpflichtend einzurichtenden externen Meldekanäle verwies.158 In diese Richtung deutet auch ErwGr. 75 WBRL, wonach dem Whistleblower für eine fundierte Entscheidung darüber, ob, wann und auf welche Weise er Meldung erstattet, durch die – von den Mitgliedstaaten zu benennenden – zuständigen Behörden in „klarer und der allgemeinen Öffentlichkeit leicht zugänglicher Weise Informationen zu ihren verfügbaren Meldekanälen, den anwendbaren Verfahren und den innerhalb dieser Behörden für die Bearbeitung der Meldungen zuständigen Mitarbeitern“ bereitgestellt werden sollten. Würde der Unionsgesetzgeber eine Meldung an jegliche Behörde unabhängig von der Nutzung der speziell eingerichteten Meldekanäle als schutzauslösend ansehen, so wäre überdies Art. 6 Abs. 4 WBRL überflüssig, der klarstellt, dass auch eine Meldung an zuständige Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der EU „unter den gleichen Bedingungen“ schutzwürdig ist.159 Andererseits könnten die Art. 11 Abs. 6 und 12 Abs. 3 WBRL, die das behördliche Vorgehen bei einer Meldung an eine unzuständige Behörde oder an eine zuständige Behörde ohne Nutzung der speziellen Meldekanäle betreffen, als Hinweis für einen Mindestschutz auch unabhängig von der Nutzung der speziellen Meldekanäle verstanden werden.160 Mangels einer insoweit entsprechenden Klarstellung des Unionsgesetzgebers ist aber (trotz einer gewissen Restunsicherheit) aufgrund der Verknüpfung des Art. 6 Abs. 1 lit. b) WBRL mit Art. 10 WBRL davon auszugehen, dass nur eine Meldung an die speziell vorgesehenen externen Meldekanäle die Schutzvoraussetzungen erfüllt und damit – ähnlich zu der Entwicklung im amerikanischen Whistleblowingrecht –161 ein konkreter Adressat für eine externe Meldung bestimmt ist.
S. 139 ff.; ebenso wie bei den internen Meldekanälen überlässt der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten gem. Art. 6 Abs. 2 WBRL die Entscheidung über die Pflicht zur Entgegennahme und Weiterverfolgung anonymer Hinweise, vgl. ErwGr. 34 WBRL; Erlebach/Veljovic, KriPoZ 2021, 165, 167; Forst, EuZA 2020, 283, 298; Schmolke, NZG 2020, 5, 8, 11; ders., ZGR 2019, 876, 897; Wiedmann/Apel, Newsdienst Compliance 2019, 72007, o. S.; Colneric/ Gerdemann, WBRL, S. 135 f.; vgl. zum davon unabhängigen Schutz enttarnter anonymer Whistleblower noch in Teil 5, A.VI.1.d); vgl. auch bereits zu internen Meldekanälen in Fn. 151 a. E. 158 Vgl. auch Gerdemann, RdA 2019, 16, 23 (beachte Fn. 116). 159 Ähnlich FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 35; es gilt zu beachten, dass dieser äquivalente Mindestschutz ausweislich ErwGr. 69 WBRL allein für Meldungen unter Nutzung der bei diesen externen unionalen Meldeadressaten bereits vorhanden Meldekanäle gelten soll, was aber aus dem allein verbindlichen Normtext nicht hinreichend deutlich wird. 160 Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 48, Fn. 79; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 64 f. 161 Vgl. hierzu in Teil 2, C.II.2.a).
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(3) Offenlegung Anders als bei internen und externen Meldungen stellt der Unionsgesetzgeber den Schutz einer Offenlegung nicht unter den Vorbehalt einer Mitteilung an bestimmte öffentliche Adressaten, denn der in Art. 6 Abs. 1 lit. b) WBRL in Bezug genommene Art. 15 WBRL enthält keine Beschränkung auf die Nutzung spezieller Adressaten oder deren Verfahren.162 Entsprechend der weiten Begriffsdefinition in Art. 5 Nr. 6 WBRL, wonach eine „Offenlegung“ oder „offenlegen“ „das öffentliche Zugänglichmachen von Informationen über Verstöße“ beschreibt, kann damit etwa sowohl die direkte Veröffentlichung auf Online-Plattformen als auch die indirekte öffentliche Preisgabe von Informationen über die Presse geschütztes Whistleblowing darstellen.163 bb) Meldung an „falsche“ Meldeadressaten Aufgrund der eben dargestellten Beschränkung des unionalen Mindestschutzes für internes und externes Whistleblowing auf die Meldung an bestimmte „richtige“ Meldeadressaten bzw. Meldekanäle sollte sich der deutsche Gesetzgeber mit der Frage auseinandersetzen, ob er den Schutz durch eine Ausweitung der schutzauslösenden Meldeadressaten intensiviert, was aufgrund des mindestharmonisierenden Charakters der Richtlinie gem. Art. 25 Abs. 1 WBRL jedenfalls unionsrechtlich zulässig wäre.164 (1) Interne Meldung Trotz Einrichtung spezieller Meldekanäle werden auch zukünftig für den Whistleblower faktisch alternative interne Meldeempfänger in Frage kommen, etwa sein Arbeitgeber selbst oder sein Vorgesetzter. Wenn der deutsche Gesetzgeber den Schutz nicht auch auf solche Meldeadressaten ausweitet, wird der Whistleblower von einer Meldung ihnen gegenüber absehen und sich stattdessen (wenn überhaupt) an die dafür vorgesehenen speziellen Meldekanäle wenden. Grundsätzlich ist dies auch begrüßenswert und entspricht dem Willen des Unionsgesetzgebers, denn die speziellen Meldekanäle sollen neben dem aktiven Meldeanreiz grundsätzlich auch schnelle und effiziente interne Folgemaßnahmen sicherstellen, um Verstöße bestmöglich aufzuklären und zu beseitigen sowie unkoordinierte und ineffiziente interne Strukturen zu vermeiden.165 Deshalb setzt auch der amerikanische Gesetzgeber – 162 Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 430; Forst, EuZA 2020, 283, 295; Colneric/ Gerdemann, WBRL, S. 64. 163 Vgl. ErwGr. 45 WBRL; Forst, EuZA 2020, 283, 295; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1667; kritisch zum weiten öffentlichen Adressatenkreis Schröder, ZRP 2020, 212, 214. 164 Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 66, 74, 80. 165 Vgl. insoweit ErwGr. 47 WBRL; Stellungnahme der Kommission v. 29. 06. 2021 (Quellenangabe in Fn. 150), S. 3 („It appeared that the status quo was not fit for purpose,
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jedenfalls für börsennotierte Unternehmen – auf die Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen.166 Trotz der offensichtlichen Vorteile der vorgeschriebenen Meldekanäle sprechen aber auch gute Gründe dafür, den Schutz auf Meldungen an andere interne Meldeadressaten zu erweitern. Zunächst dürfte der Whistleblower selbst bisweilen ein Interesse daran haben, eine Klärung seines Verdachts durch informellere Maßnahmen zu versuchen, etwa wenn der Verstoß durch einen nahestehenden Kollegen begangen und eine deeskalierende Aufklärung schon durch den gemeinsamen Vorgesetzten erreicht werden kann.167 Gleiches dürfte gelten, wenn die Meldung an alternative interne Meldeadressaten aufgrund der Einzelfallumstände zu einer schnelleren Abhilfe führen kann oder die eingerichteten Meldekanäle ineffizient sind.168 In diesen Fällen liegt der Verzicht auf die Nutzung der speziellen Meldekanäle letztlich auch im Interesse des Arbeitgebers und der Allgemeinheit, denn deren Einrichtung soll nicht dazu führen, dass schnellere und unkomplizierte Abhilfemöglichkeiten nur deswegen unterlassen werden, weil der Whistleblower hierdurch Gefahr läuft, seinen Schutz einzubüßen; eine kongruente Umsetzung der mindestharmonisierenden Richtlinienvorgabe des Art. 6 Abs. 1 lit. b) WBRL würde dann sogar zu einem negativen Anreiz, auf einen im Einzelfall geeigneteren internen Meldeadressaten zu verzichten.169 Es drängt sich auf, dass der Unionsgesetzgeber sich eines solchen negativen Anreizeffekts der Beschränkung seiner Schutzvoraussetzungen nicht bewusst war und eine nationalstaatliche Regelungsintensivierung durch eine maßvolle Ausweitung auf alternative interne Meldeadressaten begrüßen dürfte. Andererseits sollten die Vorteile einer derartigen Schutzintensivierung auch nicht über die damit verbundenen Nachteile hinwegtäuschen. Charakteristikum der speziellen Meldekanäle sind die verfahrensrechtlichen Vorgaben des Art. 9 WBRL zum Schutz des Whistleblowers und zur Sicherstellung effektiver Folgemaßnahmen.170 Bei einer Meldung an andere interne Meldeadressaten, die nicht an diese Vorgaben gebunden sind bzw. diese mangels notwendiger Infrastruktur gar nicht erfüllen können, besteht ein erhöhtes Risiko dafür, dass diese Zwecke (etwa aufgrund persönlicher Motive bzw. Interessenkonflikte des jeweiligen Meldeempfängers) nicht erreicht werden, während spezielle Meldekanäle in der Regel ein höheres Maß an among other things, because potential whistleblowers did not know where and how to report for lack of easily accessible channels and information“ (frei übersetzt: „Es hat sich gezeigt, dass der bisherige Status quo nicht zweckmäßig war, weil potenzielle Whistleblower unter anderem mangels einfach zugänglicher Meldekanäle und Informationen nicht wussten, wo und wie sie eine Meldung abgeben können“)); vgl. auch Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 75 f. 166 Vgl. hierzu in Teil 2, C.II.2.a). 167 Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 77 f. 168 Vgl. auch e contrario ErwGr. 47 WBRL. 169 Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 78 f. 170 Vgl. ErwGr. 53 und 57 WBRL; Forst, EuZA 2020, 283, 294; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 39 f.
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Unabhängigkeit und Integrität bei der Aufklärung betriebsinterner Missstände gewährleisten.171 Diese Kehrseite einer direkten Meldung an alternative Meldeadressaten entspricht weder dem Interesse des Whistleblowers noch dem der Allgemeinheit und letztlich auch nicht dem des Arbeitgebers. Zudem wird auf die mit der Schutzausweitung potenziell erhöhte Missbrauchsgefahr einer „Schutzerschleichung“ durch den Whistleblower hingewiesen.172 Es wird befürchtet, dass sich Arbeitnehmer vor einer anstehenden Kündigung dadurch zu schützen versuchen, dass sie rechtzeitig angebliche Verstöße gegen Unionsrecht melden und dem Arbeitgeber damit die Kündigung, insbesondere aufgrund der in Art. 21 Abs. 5 WBRL vorgesehenen Beweislastumkehr,173 erschweren könnten. Ein solches Missbrauchsrisiko dürfte aber insgesamt aufgrund der für einen Schutz des Whistleblowers erforderlichen Voraussetzungen – die Meldung der Verstöße muss berechtigt sein und der Arbeitgeber dürfte nicht in der Lage sein, seine arbeitsrechtliche Maßnahme mit einem (anderen) hinreichenden Grund zu rechtfertigen – eher gering und mithin zu vernachlässigen sein.174 Unter Abwägung dieser für und gegen eine Regelungsintensivierung sprechenden Gesichtspunkte sollte sich der deutsche Gesetzgeber zu einer maßvollen Schutzausweitung für Meldungen an alternative interne Meldeadressaten entscheiden. Aufgrund der bereits jetzt schon geltenden hohen datenschutzrechtlichen Anforderungen an die Datenverarbeitung, insbesondere im Beschäftigungsverhältnis (§ 26 BDSG), steht dem auch nicht der in Art. 22 WBRL zwingend vorgesehene Schutz betroffener Personen entgegen. Allerdings sollten die speziellen Meldekanäle im Interesse aller Beteiligten dennoch das Mittel der Wahl bleiben. Dem Whistleblower sollte aber der Schutz nicht versagt werden, wenn er die Meldung an einen alternativen, ebenso zuständigen, das heißt nach den internen organisationsrechtlichen Strukturen zur Abhilfe gemeldeter Verstöße oder zumindest zur Entgegennahme der Meldung berechtigten, internen Meldeadressaten vornimmt, soweit hierfür plausible Gründe bestehen, etwa eine Ineffizienz oder ein gänzliches Fehlen der speziellen Meldekanäle.175 Einerseits bestünde dadurch Schutz auch für interne Meldungen in Unternehmen, die aufgrund der Unterschreitung des Schwellenwertes des Art. 8 Abs. 3 WBRL nicht über spezielle (freiwillig eingerichtete) Meldekanäle verfügen, und andererseits wären etwaige Umgehungsversuche des hohen Schutzniveaus für Whistleblower durch die schlichte Nichteinrichtung spezieller Meldekanäle von vornherein aussichtslos. Um die mit der Einrichtung der speziellen Meldekanäle 171
Ebenso Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 76. Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 76 f.; unter Verweis auf Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1006. 173 Vgl. hierzu noch in Teil 5, A.VI.2.b)aa)(1). 174 Vgl. auch Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 76 f. 175 Ähnlich, aber i. E. weitergehend Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 79 f., die eine „Kombination aus einer an zweckmäßige Voraussetzungen geknüpften [adressatenbezogenen] Generalklausel mit konkretisierenden Regelbeispielen“ vorschlagen; Gerdemann, Überlegungen zur Umsetzung der WBRL, S. 6. 172
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angestrebte effektive und koordinierte Aufklärung von Verstößen aber nicht zu konterkarieren, sollte keine bedingungslose Wahlmöglichkeit zwischen internen Meldeempfängern eingeräumt und daher eine Schutzgrenze dort gezogen werden, wo der Whistleblower bewusst grundlos oder in grob fahrlässig falscher Annahme plausibler Gründe auf alternative interne Meldeadressaten ausweicht. Das sollte auch gelten, wenn er sich zwar an die speziellen Meldekanäle wendet, aber das vorgegebene Meldeverfahren nicht einhält. Wendet er sich hingegen an einen gänzlich unzuständigen Meldeadressaten, sollte der Schutz – unbeschadet der Notwendigkeit plausibler Gründe für einen Verzicht auf die Meldung an die speziellen Kanäle – entfallen, wenn er dessen Unzuständigkeit kannte oder grob fahrlässig verkannt hat. (2) Externe Meldung Im Hinblick auf staatliche Stellen als Meldeadressaten lässt sich die Frage der Regelungsintensivierung durch eine Ausweitung der schutzauslösenden externen Meldeadressaten leichter beantworten. Die Einrichtung spezieller Meldekanäle und -verfahren gem. Art. 11 und 12 WBRL dient insbesondere der Steigerung des Vertrauens in die Effektivität und Wirksamkeit externer Meldungen. Dies soll vor allem durch eine enge verfahrensrechtliche Einbindung des Whistleblowers bei der Aufklärung der Verstöße erreicht werden. Hierzu sieht die WBRL eine Pflicht der zuständigen Behörden zur Eingangsbestätigung und Rückmeldung über Folgemaßnahmen innerhalb festgelegter Fristen vor, was zugleich einen mittelbaren Druck auf die Behörden ausübt, zeitnah geeignete Folgemaßnahmen zur Vermeidung einer (mittelbaren) Offenlegung der Informationen zu ergreifen.176 Verzichtet der Whistleblower bewusst oder auch unbewusst auf diese verfahrensrechtlichen Vorteile, indem er die Verstöße nicht an eine „Whistleblowing-Behörde“, sondern an eine andere kompetenzrechtlich zuständige Behörde meldet, also regelmäßig die jeweilige Fach- oder Aufsichtsbehörde oder die Strafverfolgungsbehörden, lassen sich keine durchgreifenden Bedenken erkennen, ihm deshalb Schutz zu verweigern.177 Zum einen sind Behörden grundsätzlich zur Vertraulichkeit verpflichtet, so dass der Schutz betroffener Personen gem. Art. 22 WBRL hierdurch nicht unterlaufen wird, zum anderen dürfte sich die Meldung an eine zuständige Behörde jedenfalls nicht nachteilig auf die Effektivität und Wirksamkeit der Abhilfemaßnahmen auswirken, sondern kann diese sogar fördern, etwa wenn die kontaktierte Behörde die in dem betroffenen Rechtsbereich spezialisierte Fach- oder Aufsichtsbehörde ist. Ähnlich wie bei internen Meldungen würde die Beibehaltung der adressatenbezogenen Beschränkung des Schutzes für externe Meldungen im Zweifel sogar zu einem im Einzelfall kontraproduktiven Anreiz führen, zur eigenen Schutzsicherung 176
Vgl. ErwGr. 63, 66 und 67 WBRL; vgl. auch Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 49. So auch i. E. Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 81; Gerdemann, Überlegungen zur Umsetzung der WBRL, S. 6; DGB, Positionspapier v. 07. 12. 2020, S. 1 f.; vgl. ähnlich auch zu § 43 GwG, Herzog-GwG/Baretto da Rosa, § 43 GwG, Rn. 9, 11. 177
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Meldungen stets und ausschließlich über die speziellen Meldekanäle und -verfahren zu erstatten, auch wenn es im Sinne eines zügigen und effektiven Eingreifens geboten wäre, sich stattdessen direkt an eine speziellere, fachzuständige Behörden zu wenden.178 Dem Whistleblower ist ein Schutz für externe Meldungen daher allein dann zu versagen, wenn er Verstöße vorsätzlich oder grob fahrlässig an eine kompetenzrechtlich unzuständige Behörde meldet, wobei in diesen Fällen auch unter Berücksichtigung des Art. 11 Abs. 6 WBRL eine heilende Wirkung der Weiterleitung der Informationen an die zuständige Behörde abzulehnen ist, weil dies den gebotenen Schutz des Whistleblowers überschreiten würde und vor dem Hintergrund der künftig verbesserten Informationsmöglichkeiten über externe Meldekanäle gem. Art. 9 Abs. 1 lit. g) und 13 WBRL auch nicht mit dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Rechtsdurchsetzung gerechtfertigt werden könnte.179 Dem Whistleblower ist es unter Berücksichtigung des Arbeitgeberinteresses durchaus zumutbar, sich über die im Einzelfall zuständige Behörde zu informieren, um die Zahl von Informationsempfängern zur Vermeidung unnötiger Ruf- oder Geschäftsschädigungen so gering wie möglich zu halten. cc) Stufenverhältnis zulässiger Adressaten Von enormer praktischer Relevanz, insbesondere für Arbeitgeber und ihre Möglichkeit zur Selbstregulierung betriebsinterner Missstände, ist die Frage, ob der Unionsgesetzgeber zwischen den grundsätzlich schutzauslösenden internen, externen und öffentlichen Adressaten ein zwingend einzuhaltendes Stufenverhältnis normiert hat oder ob diese gleichrangig sind und der Whistleblower sich ohne Verlust seines Schutzanspruchs aus Art. 6 Abs. 1 lit. b) WBRL direkt an jeden dieser Informationsempfänger wenden kann. Diese Frage ist durch Auslegung der maßgeblichen Richtlinienvorgaben zu beantworten. (1) Wortlaut Dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 lit. b) WBRL selbst lässt sich zu einem Stufenverhältnis nichts entnehmen, denn er zählt die unterschiedlichen schutzauslösenden Formen des Whistleblowings ohne Rangfolge schlicht nacheinander auf.180 178
Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 81. Ähnlich Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 81, die aber für eine heilende Wirkung der Weiterleitung gemeldeter Informationen durch die unzuständige Behörde gem. Art. 11 Abs. 6 WBRL plädieren; strenger Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 437; vgl. zu verbesserten Informationsmöglichkeiten für Whistleblower auch ErwGr. 51 und 59 WBRL. 180 Vgl. auch etwa die englische oder französische Sprachfassung des Art. 6 Abs. 1 lit. b) WBRL: „they reported either internally […] or externally […], or made a public disclosure“ [Hervorhebung durch Verf.] (frei übersetzt: „sie haben entweder intern […] oder extern […] berichtet, oder eine Offenlegung vorgenommen“); „signalement soit interne […], soit externe […], ou aient fait une divulgation publique“ [Hervorhebung durch Verf.] (frei übersetzt: „sie haben eine Meldung entweder intern […], oder extern […], oder eine öffentliche Bekanntmachung getätigt“); dies ebenfalls konstatierend Buchwald, ZESAR 2021, 69, 70. 179
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
Hinweise darauf ergeben sich aber aus den ausdrücklich in Bezug genommenen Vorschriften der Art. 7, 10 und 15 WBRL. So geht aus den in Art. 15 Abs. 1 WBRL aufgestellten einschränkenden Voraussetzungen für eine schutzauslösende Offenlegung hervor, dass diese grundsätzlich subsidiär gegenüber internen und externen Meldungen ist, weil hierfür entweder der Ausnahmefall einer besonderen Gefährdung des öffentlichen Interesses oder einer aussichtslosen oder unzumutbaren externen Meldung vorliegen muss oder geeignete Folgemaßnahmen auf eine interne und/oder externe Meldung innerhalb der vorgegebenen Fristen ausgeblieben sein müssen. Schwieriger zu beurteilen ist das Verhältnis zwischen internem und externem Whistleblowing, insbesondere ob ein zwingender Vorrang einer internen Meldung besteht. Nach Art. 7 Abs. 1 WBRL kann eine interne Meldung „unbeschadet“ der Art. 10 und 15 WBRL erstattet werden, was verdeutlicht, dass eine unmittelbare interne Meldung stets schutzauslösend ist. Aus Art. 10 WBRL, wonach Whistleblower Verstöße extern melden können, „nachdem sie zuerst über interne Meldekanäle Meldung erstattet haben, oder indem sie direkt über externe Meldekanäle Meldung erstatten“, ergibt sich, dass der Unionsgesetzgeber wohl auch die direkte externe Meldung als schutzauslösend ansieht und kein Stufenverhältnis zwischen einer internen und einer externen Meldung vorschreibt.181 Dem entspricht auch Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL, der den Schutz der subsidiären Offenlegung davon abhängig macht, dass der Whistleblower „zunächst intern und extern oder auf direktem Weg extern“ [Hervorhebung durch Verf.] („internally and externally, or directly externally“/„signalement interne et externe, ou a effectué directement un signalement externe“) eine Meldung erstattet hat. So klar dieser semantische Befund gegen den Vorrang einer internen Meldung spricht, so irritierend und unklar ist in diesem Zusammenhang Art. 7 Abs. 2 WBRL, nach dem sich „die Mitgliedstaaten [dafür einsetzen], dass die Meldung über interne Meldekanäle gegenüber der Meldung über externe Meldekanäle in den Fällen bevorzugt wird, in denen intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und der Hinweisgeber keine Repressalien befürchtet“. Hiermit hat der Unionsgesetzgeber eine in ihren Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen interner und externer Meldung nach dem Wortlaut unspezifische Vorschrift in den Normtext eingefügt.182 Mangels weiterer Präzisierung bleibt offen, welcher Art und Weise der „Einsatz“ der Mitgliedstaaten zur Bevorzugung interner Meldekanäle sein darf oder soll und ob Art. 7 Abs. 2 181
Vgl. auch FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 15; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 56; Forst, EuZA 2020, 283, 295 f.; Schmolke, NZG 2020, 5, 6; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 48; Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, o. S.; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 85; Siemes, WBRL, S. 76; zurückhaltender wegen Art. 7 Abs. 1 WBRL Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 965; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1668; zurückhaltender auch Buchwald, ZESAR 2021, 69, 70. 182 Ähnlich Forst, EuZA 2020, 283, 296; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203; Schmolke, NZG 2020, 5, 8; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1851.
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WBRL eine Art Öffnungsklausel zur Abweichung von den Richtlinienvorgaben zugunsten eines Vorrangs internen Whistleblowings des Inhalts darstellt, dass die Mitgliedstaaten im nationalen Umsetzungsrecht etwa eine vorherige interne Meldung als Schutzvoraussetzung zwingend verlangen dürften. Der „weiche“ Wortlaut der Vorschrift spricht aber dafür, dass die Mitgliedstaaten die interne Meldung allein durch positive Anreize fördern, nicht aber durch verbindliche Vorgaben erzwingen und dadurch den unionalen Verzicht auf ein zwingendes Vorrangverhältnis zwischen interner und externer Meldung durchbrechen dürfen.183 Diese Einschätzung wird auch durch den Wortlaut der englischen und französischen Sprachfassung bestätigt, die insoweit von „shall encourage“/„encouragent“ (frei übersetzt: „sollen fördern“/ „ermutigen/fördern“) spricht.184 Der Unionsgesetzgeber sieht auch selbst unmittelbar ein solches „weiches“ Förderinstrument vor, indem er in Art. 7 Abs. 3 WBRL interne wie externe Meldestellen verpflichtet, zweckdienliche Informationen über interne Meldekanäle zur Verfügung zu stellen. Nach dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften scheint der Unionsgesetzgeber den Schutz des Whistleblowers (anders als die deutsche Rechtsprechung) damit grundsätzlich nicht von einem vorherigen innerbetrieblichen Abhilfeversuch abhängig zu machen, sondern sieht allein ein zweistufiges System zulässiger Adressaten vor. Das insoweit runde Zusammenspiel des Art. 6 Abs. 1 lit. b) WBRL und der Art. 7 Abs. 1, 10 und 15 WBRL wird allerdings durch Art. 7 Abs. 2 WBRL „gestört“, der die Gleichstellung der internen und (direkten) externen Meldung zumindest bestreitbar macht. (2) Historie Auch die für die Auslegung von Richtlinienvorgaben wichtigen ErwGr. erscheinen zur Frage des Schutzes einer direkten externen Meldung nicht eindeutig, sondern teilweise widersprüchlich.185 Unter Berücksichtigung der Entwicklungen im Gesetzgebungsverfahren zur Frage des Stufenverhältnisses lässt sich aber das Verhältnis zwischen interner und externer Meldung und das Maß des unionsrechtlich zulässigen nationalstaatlichen „Einsatzes“ zur Förderung interner Meldungen hinreichend klären. Der Unionsgesetzgeber verweist in ErwGr. 33 WBRL zur Frage zulässiger Adressaten zunächst recht allgemein darauf, dass empirische Untersuchungen zwar 183
Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, o. S.; Siemes, WBRL, S. 76; a. A. BDA, Positionspapier, WBRL, S. 4 f.; wohl auch Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 430, 436; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1851; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1668. 184 Vgl. insoweit auch den Wortlaut der spanischen Sprachfassung: „Los Estados miembros promoverán la comunicación a través des canales des denuncia interna antes que la comunicación a través de canales de denuncia externa“ [Hervorhebung durch Verf.] (frei übersetzt: „Die Mitgliedstaaten fördern eine Kommunikation über interne vor einer Kommunikation über externe Meldekanäle“). 185 So auch Buchwald, ZESAR 2021, 69, 71.
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die Neigung von Whistleblowern belegten, Fehlverhalten intern anzuzeigen, was auch der „beste Weg [sei], um Informationen an die Personen heranzutragen, die zu einer frühzeitigen und wirksamen Abwendung von Gefahren für das öffentliche Interesse beitragen können“. Des Weiteren macht er aber auch deutlich, dass der Whistleblower „den Meldekanal wählen können [sollte], der sich angesichts der fallspezifischen Umstände am besten eignet“. Auch die Offenlegung sei daher unter Berücksichtigung der widerstreitenden Interessen des Whistleblowers, der Öffentlichkeit und des Arbeitgebers prinzipiell schützenswert. Aus diesen Erwägungen lässt sich zunächst entnehmen, dass keiner der drei Formen des Whistleblowings pauschal der Schutz versagt wird und grundsätzlich ein Wahlrecht bestehen soll. Damit orientiert sich der Unionsgesetzgeber erkennbar an den Empfehlungen des Europarats aus dem Jahr 2014, die sich gegen ein festes Rangverhältnis der verschiedenen Adressaten aussprechen.186 Abweichend davon legt der Unionsgesetzgeber in Art. 15 Abs. 1 WBRL aber ausdrücklich fest, dass die direkte Offenlegung gegenüber der internen und externen Meldung grundsätzlich subsidiär und nur in bestimmten Fallkonstellationen schutzauslösend ist.187 Zum Verhältnis zwischen interner und externer Meldung äußert sich der Unionsgesetzgeber im Rahmen der Ausführungen zum Schutz interner Meldungen nicht. Er betont in ErwGr. 47 WBRL zwar nochmals die besondere Bedeutung des internen Whistleblowings und führt aus, dass Whistleblower deshalb „darin bestärkt werden [sollten], zunächst die internen Meldekanäle zu nutzen und ihrem Arbeitgeber Meldung zu erstatten, sofern ihnen derartige Kanäle zur Verfügung stehen und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie funktionieren“ und hält aus diesem Grund die (nach der Richtlinie verpflichtend vorgegebene) Einrichtung spezieller unternehmensinterner Meldekanäle für unbedingt notwendig. Eine Pflicht zu ihrer Nutzung vor einer externen Meldung spricht er aber nicht aus, sondern belässt es bei der Einrichtung der Meldekanäle als unverbindlichem, „weichen“ Anreizfaktor. Die Erläuterungen des Unionsgesetzgebers zu externen Meldungen sind indes recht widersprüchlich. So verweist ErwGr. 60 WBRL auf die große Bedeutung des Whistleblowings gegenüber zuständigen Behörden zur wirksamen Aufdeckung und Verhütung von Verstößen, ohne die externe Meldung unter die Bedingung einer vorherigen internen Meldung zu stellen. Irritierend erscheinen daher die sich in ErwGr. 61 und 62 WBRL anschließenden Erläuterungen dazu, unter welchen Umständen dem Whistleblower eine interne Meldung nicht möglich oder zumutbar ist. Sie dürften jedoch nicht als Indiz für ein verbindliches Stufenverhältnis zwischen interner und externer Meldung verstanden werden, denn sie erscheinen als ein 186 CoE, CM/Rec(2014)7, S. 8, Ziff. 14, S. 34, Ziff. 67; FGO/Fest, Art. 1 RL (EU) 2019/ 1937, Rn. 37; anders liest sich noch PACE, Resolution 1729 (2010), Ziff. 6.2.2. f. 187 ErwGr. 79 bis 81 WBRL; Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 89; Buchwald, ZESAR 2021, 69; Rudkowski, comply 2020, 17, 18; dies begrüßend Schröder, ZRP 2020, 212, 213 f.; die Empfehlungen des Europarats aus dem Jahr 2014 lassen durchaus eine ähnliche Tendenz erkennen, CoE, CM/Rec(2014)7, S. 10, Ziff. 24, S. 34, Ziff. 67, S. 40, Ziff. 87; FGO/ Fest, Art. 1 RL (EU) 2019/1937, Rn. 37.
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Überbleibsel des V-WBRL, der noch einen grundsätzlichen Vorrang der internen Meldung vorgesehen hatte; hiervon hat der Unionsgesetzgeber im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses zugunsten der Zulässigkeit einer direkten externen Meldung aber Abstand genommen. Der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern vom 23. 04. 2018 sah neben der grundsätzlichen Subsidiarität der Offenlegung (Art. 13 Abs. 4 V-WBRL) in Art. 13 Abs. 2 V-WBRL zudem einen grundsätzlichen Vorrang einer internen gegenüber einer externen Meldung und damit ein dreistufiges System zulässiger Adressaten vor.188 Eine direkte externe Meldung sollte danach nur in bestimmten Ausnahmefällen geschützt werden, etwa wenn der Whistleblower die Verstöße zunächst intern gemeldet hat, aber keine geeigneten Folgemaßnahmen ergriffen wurden (Art. 13 Abs. 2 lit. a) V-WBRL) oder ein Rückgriff auf interne Meldekanäle wegen des Inhalts der Meldung nicht erwartet werden konnte (Art. 13 Abs. 2 lit. d) V-WBRL). Diese Ausnahmetatbestände für eine schützenswerte direkte externe Meldung erläuterten die ErwGr. 62 und 63 VWBRL unter der grundsätzlichen Maßgabe, dass „Hinweisgeber zunächst die ihnen zur Verfügung stehenden internen Kanäle nutzen und ihrem Arbeitgeber Meldung erstatten“.189 Dieses Stufenverhältnis zwischen interner und externer Meldung stieß auf heftigen Widerstand, insbesondere des EU-Parlaments, und war der größte Streitpunkt im Gesetzgebungsverfahren.190 Im Rahmen des informellen Trilogs zwischen Kommission, EU-Parlament und Rat setzte sich letztlich die Forderung nach einem gleichberechtigten Schutz für direkte externe Meldungen durch, so dass der Unionsgesetzgeber statt des ursprünglich angedachten dreistufigen Systems zulässiger Adressaten nunmehr ein zweistufiges System im verbindlichen Normtext sowie in den ErwGr. verankerte.191 Wohl vor dem Hintergrund, dass es sich hierbei 188 Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 15; Mitteilung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 214 final, S. 9; vgl. hierzu noch für viele Gerdemann, RdA 2019, 16, 23 f.; Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1003; Groß/Platzer, NZA 2018, 913, 914; Richter, ArbRAktuell 2018, 433, 434; DGB, Stellungnahme v. 05. 07. 2018, S. 6; kritisch bereits Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 19. 189 Vgl. auch ErwGr. 61 V-WBRL, welcher die Anforderung an Whistleblower, „die verfügbaren Meldekanäle in der vorgesehenen Reihenfolge zu nutzen“, ausdrücklich bestätigt. 190 So ausdrücklich Interinstitutionelles Dossier 2018/0106 (COD) des Rats v. 25. 02. 2019, 6631/19, S. 4 („Die[s] ist die wichtigste politische Frage, für die eine ausgewogene Lösung gefunden werden muss, der beide Gesetzgeber zustimmen können“); vgl. hierzu auch Bericht des EU-Parlaments v. 26. 11. 2018, A8 – 0398/2018, S. 153 f., 169, 392, 487; Interinstitutional File des Rats v. 29. 01. 2019, 5747/19 ADD 1, S. 4 f.; Stellungnahme EWSA V-WBRL v. 18. 10. 2018, 2019/c 62/26, Ziff. 6.2.; Schmolke, NZG 2020, 5, 6; Reppelmund, EuZW 2019, 307; Bauer/Macherey, WPg 2019, 1127, 1128; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 84. 191 Pressemitteilung des Rats v. 15. 03. 2019 (Quellenangabe in Fn. 6) („Hinweisgebern wird nachdrücklich empfohlen, zunächst die internen Kanäle ihrer Organisation zu nutzen, bevor sie auf externe, von den Behörden eingerichtete Kanäle zurückgreifen. […] In jedem Fall bleiben Hinweisgeber auch dann geschützt, wenn sie es vorziehen, direkt externe Kanäle zu nutzen“); vgl. auch Stellungnahme der Kommission v. 16. 07. 2021 (Quellenangaben in Fn. 150), S. 1; Schmolke, NZG 2020, 5, 6; ders., ZGR 2019, 876, 895; Schmitt, NZA-Beilage
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um einen umstrittenen politischen Kompromiss handelte, vollzog er dies leider eher halbherzig. So verschwanden zwar Art. 13 Abs. 2 V-WBRL aus dem Normtext und der ausdrückliche Verweis auf den Vorrang einer internen Meldung aus den ErwGr. zugunsten des Art. 10 WBRL, der nunmehr die Zulässigkeit einer direkten externen Meldung normiert – die Erläuterungen in ErwGr. 62 und 63 V-WBRL zu einer ausnahmsweise geschützten direkten externen Meldung entfernte der Unionsgesetzgeber aber nicht, weswegen sich diese im Wesentlichen weiterhin als ErwGr. 61 und 62 WBRL in der Richtlinie befinden, obgleich ihnen keine erkennbare Bedeutung mehr zukommt.192 An der Wertungsentscheidung des Unionsgesetzgebers, wonach zwischen den Formen des internen und externen Whistleblowings – wie auch nach neueren Entwicklungen im amerikanischen Whistleblowingrecht –193 kein Rangverhältnis besteht, sondern beide gleichermaßen bedingungslos einen Schutz des Whistleblowers auslösen können,194 ändern diese widersprüchlichen ErwGr. zur externen Meldung aber nichts, weil sie ein erkennbares Relikt des zunächst vorgesehenen und dann abgelehnten Stufenverhältnisses sind und deshalb auch keinen
2020, 50, 56; Granetzny/Markworth, juris-PR-Compl 1/2020 Anm. 1, o. S.; Bauer/Macherey, WPg 2019, 1127, 1128; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 84 f.; PACE, Resolution 2300 (2019), Ziff. 7. 192 So auch Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 86; a. A. wohl Buchwald, ZESAR 2021, 69, 71; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 56, die zur Begründung eines grundsätzlichen Stufenverhältnisses zwischen interner und externer Meldung auf ErwGr. 61 und 62 WBRL zurückgreift; ähnlich BDA, Positionspapier, WBRL, S. 5; ein Rückgriff auf die ErwGr. 61 und 62 WBRL zur Begründung eines Vorrangs der internen Meldung erscheint indes schon deswegen verfehlt, weil die unverbindlichen ErwGr. nicht zur „Korrektur“ der verbindlichen Richtlinienvorgaben oder einer ihrem Wortlaut widersprechenden Auslegung herangezogen werden dürfen, st. Rspr. EuGH, Urteil v. 26. 01. 2021 – C-422/19 (Häring), NJW 2021, 1081, 1085, Rn. 64; EuGH, Urteil v. 19. 06. 2014 – C-345/13 (KMF/Dunnes), GRUR 2014, 774, 775, Rn. 31; EuGH, Urteil v. 19. 11. 1998 – C-162/97 (Nilsson u. a.), BeckRS 2004, 74578, Rn. 54; Sagan, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 1, Rn. 1.97; Alexander/Jüttner, JuS 2020, 1137, 1140. 193 Vgl. hierzu in Teil 2, C.II.2.a). 194 LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 561; FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 15; Brinkmann/Blank, BB 2021, 2475, 2477; Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 89; Colneric, AuR 2021, 419, 422; Dzida, ArbRB 2021, 190, 192; Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1501; Johnson, CCZ 2021, 206, 208; Gerdemann, SR 2021, 1, 10; ders., NZA-Beilage 2020, 43, 48; ders., Überlegungen zur Umsetzung der WBRL, S. 2; Hansch, DSB 2020, 175, 176; HarrerKouliev, PuR 2020, 30, 32; Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896, 1901; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203; Spindler, ZWeR 2020, 313, 319, 321; Erlebach, CB 2020, 284, 288; Forst, EuZA 2020, 283, 296; Rudkowski, comply 2020, 17, 18; Schmolke, NZG 2020, 5, 6, 9; ders., ZGR 2019, 876, 908; Schröder, ZRP 2020, 212, 213; Reppelmund, EuZW 2019, 307; Wiedmann/Apel, Newsdienst Compliance 2019, 72007, o. S.; Hiéramente/Ullrich, jurisPRStrafR 25/2019 Anm. 1, o. S.; Siemes, WBRL, S. 76; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 85 ff.; DGB, Positionspapier v. 07. 12. 2020, S. 3; PACE, Resolution 2300 (2019), Ziff. 9.2.1.; kritisch Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 56; Bauer/Macherey, WPg 2019, 1127, 1128; Garden/ Hiéramente, BB 2019, 963, 965; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1851; a. A. Steinhauser/ Kreis, EuZA 2021, 422, 430, 436; Hermesmeier, WPg 2020, 44, 49; BDA, Positionspapier, WBRL, S. 4; offenlassend Buchwald, ZESAR 2021, 69, 72; unklar HOK/Ohly, § 5 GeschGehG, Rn. 33, 48.
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Eingang in die rechtlich verbindlichen Richtlinienvorgaben gefunden haben.195 Auch die in Art. 7 Abs. 2 WBRL verankerte Aufforderung zum „Einsatz“ bzw. zur „Bestärkung“ internen Whistleblowings repräsentiert vor dem Hintergrund der bewussten gesetzgeberischen Entscheidung gegen einen Vorrang der internen Meldung im Ergebnis lediglich diesen politischen Kompromiss196 und kann daher – so wie es auch der Wortlaut der Norm nahelegt – nur durch positive Anreize und Bemühungen zur Förderung internen Whistleblowings erfüllt werden. (3) Systematik In Anknüpfung an seine Entstehungsgeschichte könnten sogar allein schon die Existenz und Stellung der im Rahmen der Grundnorm über interne Meldekanäle in Art. 7 Abs. 2 WBRL gesondert ausgesprochenen Aufforderung an die Mitgliedstaaten, sich unter den dort aufgeführten Voraussetzungen für die Bevorzugung interner Meldungen einzusetzen, als systematisches Argument gegen einen normativ verankerten generellen Vorrang internen Whistleblowings angeführt werden. Wäre eine Bevorzugung interner Meldekanäle nämlich schon kraft verbindlicher Richtlinienvorgaben durch den Unionsgesetzgeber in Art. 6 Abs. 1 lit. b) und 7 Abs. 1 WBRL zwingend vorgegeben, bedürfte es dieser Vorschrift und eines besonderen Tätigwerdens des nationalen Gesetzgebers zur Förderung des internen Whistleblowings nicht. Zudem fehlt in der WBRL auch jegliche Regelung, unter welchen Voraussetzungen ein Whistleblower von einer vorrangigen internen Meldung absehen dürfte und eine direkte Informationsweitergabe an die externen Meldekanäle ausnahmsweise gestattet und schutzauslösend wäre, wie sie etwa noch in Art. 13 Abs. 2 lit. a) – f) V-WBRL vorgesehen waren und für eine direkte Offenlegung in Art. 15 Abs. 1 lit. b) WBRL festgelegt sind.197 Auch der systematische Befund aus dem Vergleich mit WhistleblowingSchutznormen anderer unionaler Rechtsakte spricht jedenfalls nicht gegen die Gleichstellung der internen und (direkten) externen Meldung, da diese eine interne Meldung nicht als vorrangiges Abhilfeinstrumentarium vorschreiben und zum Teil sogar den Schutz auch einer direkten externen Meldung an staatlichen Stellen implizieren.198
195
A. A. Buchwald, ZESAR 2021, 69, 71. Vgl. auch Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203; Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896, 1901; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 56; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 48, Fn. 80; Schmolke, NZG 2020, 5, 8; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 86; Siemes, WBRL, S. 77. 197 Anders in seiner Schlussfolgerung Buchwald, ZESAR 2021, 69, 70. 198 Vgl. insoweit etwa die fehlende Verankerung eines Vorrangverhältnisses in Art. 11 Abs. 6 RL (EWG) 89/391, Art. 32 Abs. 2 und ErwGr. 74 VO (EU) 596/2014, hierzu ASM/ Spoerr, Art. 32 VO (EU) Nr. 596/2014, Rn. 19 f.; Art. 24 Abs. 2 VO (EU) 2015/2365; Art. 37 RL (EU) 2015/849; ähnlich, aber wiederum anders in seinen Schlussfolgerungen Buchwald, ZESAR 2021, 69, 70 f. 196
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
(4) Telos Auch das Richtlinienziel und Sinn und Zweck des Art. 6 Abs. 1 WBRL, möglichst rechtssichere und klare Schutzvoraussetzungen zu normieren, sprechen für ein im Rahmen der Umsetzung zwingend zu beachtendes zweistufiges, nicht aber dreistufiges System zulässiger Adressaten. Abgesehen von dem bereits angesprochenen Abbau von Meldehemmnissen entsteht durch den gleichberechtigten Schutz interner wie externer Meldungen ein erheblicher Anreiz für Arbeitgeber, ihre internen Meldekanäle möglichst attraktiv zu gestalten und eine tatsächliche Fehlerkultur in ihrem Unternehmen zu etablieren, um ihre Mitarbeiter zu einer internen Meldung zu motivieren und rechtskonformes betriebliches Verhalten sicherzustellen.199 Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Verstöße gegen Unionsrecht im günstigsten Fall gänzlich verhindert oder schnellstmöglich beseitigt werden. Zugleich beugt die Möglichkeit des Whistleblowers, sich direkt an staatliche Stellen zu wenden, einer internen Vertuschung von Verstößen vor, die in privaten Unternehmen Folge einer strikten Gewinnmaximierung und (zu) hoher eigener Zielvorgaben sein kann, und trägt der staatlichen Aufgabe der Verfolgung und Ahndung von Rechtsverstößen und der Weiterentwicklung geltender Gesetze Rechnung. Das herausragende öffentliche Interesse an einer verbesserten Durchsetzung unionaler Regulierungspolitik verlangt ein ausgewogenes Gesamtkonzept zur effektiven Förderung von Whistleblowing unter Ausschöpfung zulässiger Maßnahmen, dem die Priorisierung interner Selbstregulierung (vorrangig) zum Schutz der Arbeitgeberinteressen eher entgegensteht und das vielmehr einen (mindestens) gleichrangigen Schutz für direktes externes Whistleblowing verlangt.200 Der Unionsgesetzgeber hat sich deshalb für ein Mehr an Rechtssicherheit durch die Zulässigkeit einer direkten externen Meldung entschieden. (5) Primärrechtskonformität Gegen diesen Schutz einer unmittelbaren externen Meldung werden zwar primärrechtliche Bedenken vorgebracht,201 diese können letztlich allerdings nicht überzeugen. Vielmehr steht die Wertungsentscheidung des Unionsgesetzgebers im 199 Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 429; Gerdemann, SR 2021, 1, 10; ders., NZABeilage 2020, 43, 48; Hansch, DSB 2020, 175, 176; Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/ 2019 Anm. 1, o. S.; Siemes, WBRL, S. 79; CoE, CM/Rec(2014)7, S. 33, Ziff. 64; ähnlich auch Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 968; dies gilt gerade auch für kleinere Unternehmen, die den Schwellenwert des Art. 8 Abs. 3 WBRL nicht überschreiten, Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 39, 46; ebenso für Unternehmen mit 50 bis 249 Arbeitnehmern, die gegebenenfalls gem. Art. 26 Abs. 2 WBRL erst ab dem 17. 12. 2023 zur Einrichtung spezieller interner Meldekanäle und -verfahren verpflichtet werden; insgesamt a. A. Schmolke, ZGR 2019, 876, 908. 200 Ähnlich CoE, CM/Rec(2014)7, S. 34, Ziff. 67; a. A. Buchwald, ZESAR 2021, 69, 71 f. 201 Etwa Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 56; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 965; Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, o. S.; schon zum V-WBRL: Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1003; Schmolke, AG 2018, 769, 778.
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Einklang mit dem unionsgrundrechtlich gebotenen Schutz der Arbeitgeberinteressen und hält sich dabei auch innerhalb der konventionsrechtlichen Mindestschutzvorgaben, die bei der Anwendung und Abwägung der beim Whistleblowing kollidierenden Unionsgrundrechte zu beachten sind. (a) Konventionsrechtliche Schutzvorgaben Wie bereits ausgeführt, leitet der EGMR aus der grundrechtlich geschützten treuerechtlichen Verbindung der Arbeitsvertragsparteien eine Subsidiarität der „Flucht in die Öffentlichkeit“ ab, die daher stets nur das letzte Mittel sein darf.202 Bei seiner Prüfung einer schützenswerten Meinungsäußerung gegenüber der Öffentlichkeit misst er deshalb dem Vorliegen alternativer interner wie externer Meldemöglichkeiten und deren Funktionsfähigkeit sowie zumutbarer Nutzbarkeit eine besondere Bedeutung bei.203 Diesen konventionsrechtlichen Vorgaben hat der Unionsgesetzgeber in Art. 15 Abs. 1 WBRL durch den grundsätzlichen Vorrang einer internen wie externen Meldung und der nur in begrenzten Ausnahmefällen zulässigen direkten Offenlegung Rechnung getragen. Beachtenswert ist aber, dass Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL eine mittelbare Offenlegung nach einer direkten externen Meldung, die nicht zu geeigneten Folgemaßnahmen geführt hat, unabhängig davon schützt, ob funktionierende, abhilfefähige interne Meldekanäle bestehen.204 Dies erscheint vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR konventionsrechtlich zumindest bedenklich, weil der EGMR zum Schutz der widerstreitenden Arbeitgeberinteressen vor einer Offenlegung stets prüft, ob dem Whistleblower alternative, wirksame interne und/oder externe Meldekanäle zur Verfügung standen.205 Es erscheint daher fraglich, ob der gänzliche Verzicht auf eine mögliche und zumutbare interne Meldung vor dem Gang an die Öffentlichkeit allein mit der stärkeren Gewichtung des öffentlichen Rechtsdurchsetzungsinteresses gerechtfertigt werden kann – die vom Unionsgesetzgeber in Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL umgesetzte Abwägungsentscheidung spricht angesichts seiner Einschätzungsprärogative aber dafür.
202
Vgl. hierzu in Teil 4, B.III.1.d)aa) und Teil 4, B.III.2.e)bb); vgl. auch ErwGr. 33 WBRL und CoE, CM/Rec(2014)7, S. 28, Ziff. 53, die zur Frage des Schutzes einer Offenlegung ausdrücklich auf die Rechtsprechung des EGMR Bezug nehmen. 203 Etwa EGMR, Urteil v. 21. 01. 2015 – 73571/10 (Matúz/Ungarn), HUDOC, Rn. 47; EGMR, Urteil v. 08. 04. 2013 – 40238/02 (Bucur u. Toma/Rumänien), HUDOC, Rn. 96 ff.; EGMR, Urteil v. 12. 02. 2008 – 14277/04 (Guja/Moldau), HUDOC, Rn. 80 ff.; vgl. auch Colneric, SR 2018, 232, 234, 238. 204 Vgl. den Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL: „Er [der Whistleblower] hat zunächst intern und extern oder auf direktem Weg extern […] Meldung erstattet […]“ [Hervorhebung durch Verf.]; anders ErwGr. 79 WBRL, der nur von „intern und extern“ spricht – dies kann indes nicht zur „Korrektur“ des allein verbindlichen Normtextes herangezogen werden, vgl. hierzu in Fn. 192. 205 Anders Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 101 f., die dies erkennbar für konventionsrechtlich unproblematisch halten.
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Anders als häufig vorgetragen, hat sich der EGMR allerdings trotz wiederholter Möglichkeiten nicht ausdrücklich zum Verhältnis des internen zum externen Whistleblowing geäußert und insbesondere aus den widerstreitenden Interessen des Arbeitgebers (oder auch betroffener Kollegen) keinen grundsätzlichen Vorrang einer internen Meldung abgeleitet. Vielmehr hat er diese Frage jüngst ausdrücklich offengelassen und stattdessen auf die Grundsätze des Europarats aus dem Jahr 2014 verwiesen, die kein festes Stufenverhältnis zwischen den unterschiedlichen Adressaten vorsehen, sondern den geeigneten Meldekanal von den fallspezifischen Umständen abhängig machen.206 Aus der Rechtsprechung des EGMR lässt sich daher für das Verhältnis des internen zum externen Whistleblowing kein Regel-AusnahmeVerhältnis herleiten, sondern allein der zur Sicherstellung eines menschenrechtlichen Mindeststandards gebotene Mindestschutz der Arbeitgeberinteressen. Dieser steht indes keiner gesetzgeberischen Abwägungsentscheidung wie der des Unionsgesetzgebers zum Verhältnis zwischen interner und externer Meldung entgegen, weil sie diese Vorgaben gerade beachtet und sich innerhalb des konventionsrechtlich eingeräumten Spielraums hält.207 Aus den konventionsrechtlichen Vorgaben leitet sich daher keine Pflicht des Unionsgesetzgebers ab, den Schutz des Whistleblowers grundsätzlich unter den Vorbehalt einer zumutbaren und möglichen internen Meldung zu stellen. (b) Verhältnismäßiger Interessenausgleich Das nach den unionalen Regelungen einzuhaltende zweistufige System zulässiger Adressaten ist auch unabhängig davon grundrechtskonform; es greift nicht unverhältnismäßig in die unionalen Grundrechte des Arbeitgebers, insbesondere aus Art. 16 GRC, ein. Dies gilt gerade auch für die nicht an Bedingungen geknüpfte Wahlmöglichkeit des Whistleblowers zwischen einer internen oder einer direkten externen Meldung, welche sich als ein geeignetes und erforderliches Mittel zur effektiven Stärkung der Durchsetzung von Unionsrecht darstellt. Das öffentliche Rechtsdurchsetzungsinteresse beschränkt sich nicht auf die interne Abhilfe von Verstößen, sondern umfasst auch deren Aufdeckung, Sanktionierung und sonstige behördliche Abwehrmaßnahmen. Arbeitsverhältnisse finden nicht „im Geheimen“ 206 EGMR, Urteil v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), HUDOC, Rn. 82; vgl. CoE, CM/Rec(2014)7, S. 8, Ziff. 14, S. 34, Ziff. 67; vgl. hierzu ausführlich in Teil 4, B.III.2.e) bb). 207 LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 561; Gerdemann, SR 2021, 1, 16; ders., NZA-Beilage 2020, 43, 44 f.; m. w. N. Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 94 ff.; keinerlei Zweifel an der Vereinbarkeit des zweistufigen Systems zulässiger Adressaten mit konventionsrechtlichen Vorgaben erhebt auch die Parlamentarische Versammlung des Europarats, welche die Gleichstellung internen und externen Whistleblowings vielmehr ausdrücklich begrüßt und ihre Übernahme allen Konventionsstaaten empfiehlt, PACE, Resolution 2300 (2019), Ziff. 7., 11.; a. A. HOK/Ohly, § 5 GeschGehG, Rn. 48; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 56; in diese Richtung auch Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 965; Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1003 (zum V-WBRL); i. E. offenlassend, obgleich kritisch Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203; Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, o. S.
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statt, so dass wegen ihrer Außenwirkung ein öffentliches Interesse daran besteht, dass Informationen über betriebliche Missstände auch nach außen dringen oder zumindest ohne größere Hürden nach außen dringen können.208 In diesem Sinne beseitigt die voraussetzungslose Wahlfreiheit für externes Whistleblowing Meldehemmungen des Whistleblowers, die auf einer Unsicherheit über den zulässigen und schutzauslösenden Adressaten beruhen, und fördert damit dessen Meldebereitschaft, weil er andernfalls bei einer direkten externen Meldung das Risiko einer Fehleinschätzung ihrer ausnahmsweisen Zulässigkeit tragen müsste.209 Gerade gesetzliche Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer direkten externen Meldung, die vor allem für einen juristischen Laien nicht rechtssicher und klar geregelt sind, entfalten ein hohes Abschreckungspotential für Whistleblower, die sich nicht an interne Meldestellen wenden wollen, und können dazu führen, dass sie im Zweifel von einer Meldung gänzlich absehen und Verstöße deshalb unentdeckt und folgenlos bleiben sowie schlimmstenfalls im Geheimen andauern. Die in Art. 13 Abs. 2 V-WBRL vorgesehenen Ausnahmetatbestände enthielten eine Vielzahl unbestimmter und auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe, wie etwa „vernünftige[s] Ermessen“ (Art. 13 Abs. 2 lit. b), d) V-WBRL), so dass selbst für einen juristisch vorgebildeten Whistleblower die Feststellung, ob er Verstöße direkt extern melden darf, mit einem nicht unerheblichen Restrisiko verbunden gewesen wäre – die Abkehr vom dreistufigen System zulässiger Adressaten wird diese Rechtsunsicherheit zugunsten einer möglichst lückenlosen Aufdeckung von Verstößen beseitigen. Der mit dem bedingungslosen Schutz direkter externer Meldungen verbundene Eingriff in die Unionsgrundrechte des Arbeitgebers steht auch in einem angemessenen Verhältnis zu dem damit im öffentlichen Interesse verfolgten Zweck der Verbesserung der Rechtsdurchsetzung.210 Selbst die Verfolgung eines solch gewichtigen Zwecks darf zwar nicht dazu führen, dass die Interessen des Arbeitgebers an der Verschwiegenheit seiner Arbeitnehmer und an dem Schutz betriebsinterner Informationen per se zurücktreten müssen. Vielmehr ist ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessengegensätzen herbeizuführen. Der Arbeitgeber hat ein Interesse daran, potenzielle Verstöße gegen Unionsrecht intern aufzuklären und zu beseitigen, um Rufschädigungen und etwaige empfindliche Strafen zu vermeiden. 208
Vgl. auch Kreis, WB, S. 138 f. Gerdemann, SR 2021, 1, 10; Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, o. S.; Siemes, WBRL, S. 78; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 90 f.; in diese Richtung auch schon zum V-WBRL Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 19. 210 FGO/Fest, Art. 7 RL (EU) 2019/1937, Rn. 16; Gerdemann, SR 2021, 1, 10; ders., NZABeilage 2020, 43, 45; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 90; Siemes, WBRL, S. 78 ff.; i. E. auch LKB/Krause, § 1 KSchG, Rn. 561; Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1502; Schröder, ZRP 2020, 212, 213; wenn auch kritisch Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, o. S.; a. A. Buchwald, ZESAR 2021, 69, 73 f.; Harrer-Kouliev, PuR 2020, 30, 32; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 56; Melot de Beauregard, DB 2019, M4, M5; BDA, Stellungnahme WBRL, o. S.; BDI, Stellungnahme WBRL, o. S.; wohl auch Gramlich/Lütke, wistra 2020, 354, 360; kritisch, aber offenlassend Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 965; Schmolke, AG 2018, 769, 778 (zum V-WBRL). 209
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
Dem Verzicht auf einen Vorrang interner Meldungen wird deswegen auch entgegengehalten, er ließe das Interesse an einer Selbstregulierung außer Acht und sei Ausdruck des Misstrauens gegenüber der Wirtschaft.211 Diese Auffassung ist aus mehreren Gründen nicht überzeugend und berücksichtigt nicht hinreichend die Überlagerung des zweipoligen Arbeitsvertragsverhältnisses durch das öffentliche Rechtsdurchsetzungsinteresse. Zunächst wird dem Arbeitgeber durch die Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 lit. b) i. V. m. Art. 7 und 10 WBRL die Möglichkeit zur effektiven Selbstregulierung und innerbetrieblichen Aufklärung nicht genommen – vielmehr soll durch die Pflicht zur Einrichtung betriebsinterner Meldekanäle gerade eine „Kultur der guten Kommunikation und der sozialen Verantwortung von Unternehmen“ gefördert und unterstützt werden, „in deren Rahmen Hinweisgeber als Personen gelten, die wesentlich zu Selbstverbesserung und herausragender Kompetenz innerhalb der Organisation beitragen“.212 Der Unionsgesetzgeber erkennt damit das Unternehmensinteresse an einer Selbstregulierung und innerbetrieblichen Aufarbeitung von Verstößen an und bestärkt den Willen zur Selbstverbesserung ausdrücklich, weil er darin ein wichtiges Element zur verbesserten Rechtsdurchsetzung sieht. Die Unternehmen haben es dadurch selbst in der Hand, durch attraktive Meldekanäle einen Anreiz zu einer ihrem Interesse entsprechenden vorrangigen internen Meldung zu setzen. Trotzdem führt das in diesem Sinne schützenswerte Interesse des Arbeitgebers auch unter Berücksichtigung der arbeitsvertraglichen Treuepflicht nicht zu einem grundsätzlich vorrangigen „Recht auf Selbstregulierung“. Zum einen gehört zu einer effektiven Rechtsdurchsetzung nicht allein die Aufdeckung und Beseitigung von Verstößen, sondern unter anderem auch deren (strafrechtliche) Ahndung, die auch aus spezialund generalpräventiven Gründen ein wichtiger Teil einer gerechten und wehrhaften Rechtsordnung ist, etwa um zukünftigen Verstößen entgegenzuwirken, ungerechtfertigte Bereicherungen und Vorteile auszugleichen und einen stabilen und fairen Wettbewerb zu ermöglichen – dies verdeutlicht exemplarisch der Dieselskandal, denn eine rein interne Aufklärung der Manipulationen hätten mitnichten zu einer effektiven, sondern vielmehr zu einer mangelhaften Rechtsdurchsetzung ohne Inanspruchnahme der Verantwortlichen und zu einer fortdauernden Umweltbelastung sowie einem unterbliebenen Schadensausgleich der Betroffenen geführt. Eine allein innerbetriebliche Aufklärung von Verstößen verhinderte zudem eine Rechtsentwicklung, denn nur der eventuelle singuläre (stillschweigende) Verzicht auf die weitere Nutzung von Gesetzeslücken oder Umgehungsmöglichkeiten hilft nicht, 211
Vgl. etwa Harrer-Kouliev, PuR 2020, 30, 32; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 56; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203, 1207; Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, o. S.; Bauer/Macherey, WPg 2019, 1127, 1128 f.; Schmolke, ZGR 2019, 876, 907 f.; Reppelmund, EuZW 2019, 307; DAV, Stellungnahme V-WBRL, S. 13; BDA, Positionspapier, WBRL, S. 5; BDA, Stellungnahme WBRL, o. S.; BDI, Stellungnahme WBRL, o. S.; DAI, Stellungnahme V-WBRL, S. 5 (schon zum V-WBRL); ähnlich Buchwald, ZESAR 2021, 69, 73; Eufinger, WM 2016, 2336, 2339 (zu § 4d FinDAG). 212 ErwGr. 47 WBRL a. E.; vgl. auch Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, o. S.; Siemes, WBRL, S. 79.
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diese allgemein für alle potenziellen Nutznießer zu schließen und auszuräumen. Zum anderen ist es aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols ureigenste Aufgabe der zuständigen Behörden, nicht aber des potenziellen Verursachers selbst, Verstöße aufzuklären und präventive oder repressive Maßnahmen zu ergreifen. Sobald betriebsinterne Verhaltensweisen gegen geltendes Recht verstoßen, entspricht es dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung, deren Behandlung nicht vorrangig allein betrieblichen Stellen zu überlassen, sondern zumindest grundsätzlich eine Meldung auch an Behörden zur Aufdeckung, Beseitigung und Ahndung zu ermöglichen.213 Der Gesetzgeber ist deshalb gehalten, die dafür gebotene externe Meldung von Verstößen effektiv und bestmöglich zu fördern und muss dabei auch berücksichtigen, dass sich das von der privaten Wirtschaft präferierte Konzept der vorrangigen Selbstregulierung zur Sicherstellung rechtskonformen Verhaltens in der praktischen Wirklichkeit, insbesondere bei großen Betrieben und Konzernen, in weitem Umfang schlicht nicht bewährt hat, wovon zahlreiche Wirtschaftsskandale und die Zahlen zu sozialschädlichen Missständen in der Privatwirtschaft zeugen. Der Unionsgesetzgeber kommt dieser Aufgabe durch einen gleichberechtigten Schutz internen wie externen Whistleblowings nach, ohne dabei das Arbeitgeberinteresse an einer Selbstregulierung aus dem Blick zu verlieren, denn er schützt die interne und die direkte externe Meldung gleichermaßen und nicht etwa vorrangig das externe Whistleblowing. Hieraus ein Misstrauen gegenüber der Wirtschaft ablesen zu wollen, geht auch deshalb fehl, als diese Richtlinienvorgaben gleichermaßen auch für die Aufdeckung von Verstößen bei Behörden gelten, so dass sie keine „Bestrafung“ der Privatwirtschaft für vergangenes Fehlverhalten darstellen oder allein ihrer Kontrolle dienen, sondern schlicht Folge eines resümierenden Blicks auf die bislang defizitäre Rechtsdurchsetzung und ihre Ursachen sowie Ausfluss des gesetzgeberischen Ziels ihrer umfassenden und personen- wie bereichsunabhängigen Verbesserung sind. Zudem schafft der Unionsgesetzgeber durch die verpflichtende Einrichtung interner und externer Meldekanäle für beide Arten des Whistleblowings in derselben Weise einen aktiven Anreizfaktor und ruft die Mitgliedstaaten in Art. 7 Abs. 2 WBRL ausdrücklich zur Förderung internen Whistleblowings auf. Hierdurch nimmt er zugunsten des Arbeitgeberinteresses an einer Selbstregulierung bewusst in Kauf, dass bei einer internen Aufdeckung von Verstößen eine etwaige Ahndung unterbleibt und lässt das öffentliche Interesse insoweit zurücktreten.214 Dem Ar213 Vgl. insoweit auch Schröder, ZRP 2020, 212, 213, der darauf hinweist, dass die WBRL dem „für die Wirtschaftsregulierung einflussreichen Konzept, Rechtstreue der (regulierten) Selbstregulierung zu überlassen, durch die Stärkung des externen Meldewegs – und damit des ,public enforcement‘ insgesamt – eine markante Grenze setzt“; Siemes, WBRL, S. 78; kritisch zur Förderung des Whistleblowings zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung Melot de Beauregard, DB 2019, M4, M5. 214 Vgl. insoweit auch Hansch, DSB 2020, 175, 176 („Ziel eines unternehmensinternen Hinweisgebersystems muss daher die interne Behandlung der Meldung des zugrundeliegenden Missstandes ohne Einbeziehung von Behörden und Öffentlichkeit sein.“); Hauser/BrettiRainalter/Blumer, WB-Report 2021, S. 20 f., wonach die befragten deutschen Unternehmen
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
beitgeber ist es daher zumutbar, dass berechtigte Meldungen an zur Vertraulichkeit verpflichtete Behörden direkt und ohne vorherige interne Meldung weitergegeben werden dürfen, ohne dass dies arbeitsrechtliche Maßnahmen rechtfertigt. dd) Förderung internen Whistleblowings Das ursprünglich angedachte Stufenverhältnis zwischen interner und externer Meldung ist im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses zur Aufforderung an die Mitgliedstaaten in Art. 7 Abs. 2 WBRL geschrumpft, sich dafür einzusetzen, dass das interne Whistleblowing in Fällen bevorzugt wird, in denen intern wirksam und repressionsfrei vorgegangen werden kann, ohne dass zur Umsetzung dieser Richtlinienvorgabe nähere Hinweise gegeben werden. Dem nationalen Gesetzgeber steht daher ein weiter Spielraum darüber zu, welche Anreize er für eine freiwillige interne Meldung setzt. Der Unionsgesetzgeber hat ihn allein durch die verbindlich vorzusehende Einrichtung interner Meldekanäle und -verfahren gem. Art. 8 und 9 WBRL sowie in Art. 7 Abs. 3 WBRL durch die Vorgabe eingeschränkt, dass in die Informationspflicht interner und externer Meldekanäle „zweckdienliche Informationen über die Nutzung der internen Meldekanäle gemäß Absatz 2“ einbezogen werden. Im Übrigen lässt es sich trefflich darüber streiten, welche weiteren Maßnahmen zur Förderung internen Whistleblowings sinnvoll sind und ergriffen werden sollten – jedenfalls dürfen sie die Möglichkeit zur direkten externen Meldung eines Whistleblowers faktisch weder direkt noch indirekt konterkarieren oder aushebeln, so dass deren Schutz im Rahmen der mitgliedstaatlichen Umsetzung nicht von zusätzlichen oder einschränkenden Voraussetzungen abhängig gemacht werden darf.215 (1) Staatliche Anreize Zunächst besteht die Möglichkeit, Informationen über die Nutzung interner Meldekanäle nicht nur bei den zuständigen Behörden im Sinne des Art. 5 Nr. 14 WBRL, sondern auch bei weiteren staatlichen Stellen vorzusehen, wobei hierdurch nicht der Eindruck erweckt werden darf, die direkte externer Meldung sei nachrangig.216 Die Freiwilligkeit des Rückgriffs auf interne Meldekanäle muss unmissdie Konsequenzen aus Missständen (und mithin auch die Missstände selbst) nur in 7,4 % an die Öffentlichkeit kommunizierten. 215 FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 15, Art. 7 RL (EU) 2019/1937, Rn. 11; Forst, EuZA 2020, 283, 296; Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896, 1901; Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, o. S.; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 86 f., 88; ähnlich und jedenfalls i. E. auch Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 48, Fn. 80; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203 f.; Schmolke, NZG 2020, 5, 8 f.; a. A. Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 436; BDA, Positionspapier, WBRL, S. 4 f., die ausdrücklich die gesetzliche Implementierung des grundsätzlichen Vorrangs einer internen Meldung als Schutzvoraussetzung befürworten; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 56, die insoweit sogar von einer Pflicht des deutschen Gesetzgebers ausgeht; i. E. auch HOK/Ohly, § 5 GeschGehG, Rn. 48; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 965; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1851. 216 Vgl. auch Forst, EuZA 2020, 283, 296 („Informationskampagnen“).
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verständlich erkennbar sein. Daneben kann der mit der Einrichtung spezieller interner Meldekanäle gesetzte Anreizfaktor durch eine Erstreckung der gesetzlichen Pflicht zur Einrichtung solcher Kanäle auch auf kleinere und mittelständische Unternehmen gem. Art. 8 Abs. 7 WBRL intensiviert werden, wobei die verfahrensrechtlichen Anforderungen zur Vermeidung einer betrieblichen Überforderung, etwa in Bezug auf die Eingangsbestätigungs- und Rückmeldefristen, gegebenenfalls abgesenkt werden könnten.217 Ansonsten bliebe insoweit lediglich der unverbindliche Appell an diese Unternehmen, ebenfalls interne Meldekanäle nach den Vorgaben des Art. 9 WBRL einzurichten, um eine echte Alternative zur externen Meldung anzubieten. (a) Finanzielle Belohnung Neben diesen vermutlich eher mäßig erfolgsversprechenden bzw. allein auf kleinere Unternehmen ausgerichteten Fördermaßnahmen könnte weiter an eine finanzielle Belohnung für Whistlblower nach amerikanischem Vorbild gedacht werden, die hierzulande bereits seit einigen Jahren intensiv diskutiert und nun als Instrument für einen „Einsatz“ im Sinne des Art. 7 Abs. 2 WBRL vorgeschlagen wird.218 Der Whistleblower soll für seine zutreffende Meldung eine staatliche Belohnung erhalten, die – zur Förderung des internen Whistleblowings – an die Bedingung geknüpft wird, dass er zuvor erfolglos eine interne Meldung erstattet hat.219 Unabhängig davon, dass der positive Effekt finanzieller Anreize auf das Meldeverhalten aber (soweit ersichtlich) empirisch nicht ausreichend belegt und daher umstritten ist und ein staatliches Belohnungssystem für Whistleblower hierzulande – anders als in den USA –220 soziokulturellen Bedenken begegnen dürfte,221 erscheint es auch schwer vermittelbar, mit Steuermitteln Anreize zu finanzieren, um eine vorrangig im betrieblichen und weniger im öffentlichen Interesse liegende Selbstregulierung der Unternehmen zu fördern. Der Vorschlag einer Belohnung für die Einhaltung der Meldereihenfolge „intern-extern“ scheint auch eher das Anliegen zu verfolgen, generelle Bedenken gegen ein staatliches Belohnungssystem für Whistleblower auszuräumen und Vorbehalte zu entkräften, hierdurch würde allein externes Whistleblowing attraktiver und der Anreiz für interne Meldungen verrin-
217 Vgl. ErwGr. 49 WBRL; vgl. zu datenschutzrechtlichen Problemen kleinerer Unternehmen ohne gesetzliche Pflicht zur Einrichtung interner Meldekanäle etwa Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126, 127 f. 218 Etwa FGO/Fest, Art. 7 RL (EU) 2019/1937, Rn. 11; Schmolke, NZG 2020, 5, 11; Dzida/ Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203; Forst, EuZA 2020, 283, 296; ablehnend Colneric/ Gerdemann, WBRL, S. 88. 219 Schmolke, NZG 2020, 5, 11; ähnlich ders., ZGR 2019, 876, 918; Forst, EuZA 2020, 283, 296. 220 Vgl. hierzu bereits in Teil 2, C.II.2.a). 221 Vgl. etwa jeweils m. w. N. Schmolke, ZGR 2019, 876, 915 ff.; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 88.
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
gert.222 Ein so bedingtes Belohnungssystem wäre im Ergebnis also weniger eine finanzielle Förderung der Nutzung interner Meldekanäle als vielmehr ein Nachteilsausgleich für die generelle Einführung eines staatlichen Belohnungssystems. Bei Verknüpfung der Belohnung mit einer vorherigen internen Meldung stellt sich darüber hinaus die Frage nach einer rechtssicheren Gestaltung der Anforderungen an einen erfolglosen internen Abhilfeversuch sowie nach dem Kosten-Nutzen-Faktor eines solchen Belohnungssystems. Die Voraussetzungen für eine Belohnung müssten klar definiert werden, also ob etwa trotz interner Beseitigung der Missstände, aber wegen fehlender Selbstanzeige des Unternehmens eine erfolglose interne Meldung anzunehmen wäre. Außerdem müssten die Belohnungskriterien transparent und überzeugend geregelt werden. Dabei gilt es zu beachten, dass die Anknüpfung der Belohnung an den (finanziellen) Nutzen des Whistleblowings für die Allgemeinheit, die dazu dienen würde, Aufwand und Kosten in einem vertretbaren Verhältnis zu halten, zwar für den Wert einer externen Meldung einleuchtend ist, es jedoch fraglich erscheint, wie der Wert einer – für die Belohnung im Sinne des Art. 7 Abs. 2 WBRL vorausgesetzten – vorherigen erfolglosen internen Meldung nachvollziehbar beziffert werden sollte. Abgesehen davon dürfte die Orientierung der Belohnung an dem (ökonomischen) Nutzen der erstatten Meldung auch nicht dazu führen, dass der Anreiz zur Erstattung einer (internen) Meldung je nach betroffenem Rechtsbereich unterschiedlich stark ist, weil etwa Verstöße im Steuerrecht in den Staatskassen regelmäßig höhere (messbare) Schäden verursachen und damit höhere Belohnungssummen zur Folge hätten als solche in dem – für die Lebensgrundlagen der Allgemeinheit unabdingbaren – Umweltrecht. Auch insoweit erscheint es daher zumindest fraglich, ob das Instrumentarium der finanziellen Belohnung überhaupt für eine bereichsübergreifende Anreizsetzung zum (internen) Whistleblowing geeignet ist. Zuletzt würde ein solchermaßen aufgebautes Belohnungssystem jedenfalls dazu führen, dass ein durch die bedingt in Aussicht gestellte Belohnung motivierter Whistleblower letztlich darauf hinwirken müsste, dass seine interne Meldung erfolglos bleibt, was wiederum dem Sinn und Zweck des Art. 7 Abs. 2 WBRL erkennbar zuwiderliefe. Angesichts dieses insgesamt sehr zweifelhaften Nutzens finanzieller staatlicher Anreize zur Förderung internen Whistleblowings sollte der Gesetzgeber auf dieses Mittel zur Erfüllung des Art. 7 Abs. 2 WBRL verzichten. Soweit er hiervon (aus guten Gründen) tatsächlich absieht, bliebe es ihm aber unbenommen, betriebliche Prämienzahlungen an Whistleblower durch steuerliche Erleichterungen zu unterstützen.223
222 Vgl. etwa Schmolke, NZG 2020, 5, 11; ders., ZGR 2019, 876, 918, der hierdurch Bedenken zur „Aushöhlung unternehmensinterner Compliance-Bemühungen“ zu begegnen sucht. 223 Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203; Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, o. S.
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(b) Pflicht zur Aufklärung anonymer interner Meldungen Eine vielversprechendere staatliche Fördermöglichkeit internen Whistleblowings ergibt sich aus dem den Mitgliedstaaten in Art. 6 Abs. 2 WBRL ausdrücklich eingeräumten Spielraum, selbst zu entscheiden, wie die verpflichtend einzurichtenden Meldekanäle mit anonymen Hinweisen umgehen sollen; der Unionsgesetzgeber hat insoweit von einer Regelung abgesehen.224 Der deutsche Gesetzgeber könnte im Einklang hiermit eine Pflicht zur Entgegennahme und Weiterverfolgung anonymer Meldungen für interne Meldekanäle bestimmen, diese aber bewusst nicht – obwohl gefordert bzw. empfohlen –225 auch auf externe Kanäle erstrecken. Dies dürfte einen spürbaren Anreiz zur internen Meldung schaffen, insbesondere weil die Vertraulichkeit über die Identität des Whistleblowers auch bei externen Meldungen aufgrund des Schutzes widerstreitender Interessen nicht absolut gewährleistet werden kann.226 Der Whistleblower könnte grundsätzlich durch eine anonyme interne Meldung die Aufklärung der Verstöße erreichen, ohne die Preisgabe seiner Identität befürchten zu müssen. Interne Meldekanäle würden gegenüber ihren externen Pendants erheblich an Attraktivität gewinnen und das interne Whistleblowing könnte auch für Personen, die eher zu einer externen Meldung tendieren, eine echte Alternative darstellen. Den bisweilen vorgetragenen Bedenken, anonyme Meldungen führten zu einem erhöhten Risiko vorsätzlich böswilliger Falschmeldungen,227 könnte zum einen durch eine Ausweitung der Vertraulichkeitspflicht in Bezug auf die Identität betroffener Personen für interne Meldekanäle entsprechend Art. 22 Abs. 2 WBRL Rechnung getragen werden. Zum anderen haben sich diese Bedenken (soweit ersichtlich) in der
224
Vgl. schon Fn. 151 a. E. und 157 a. E.; a. A. Hansch, DSB 2020, 266. Etwa Schmolke, NZG 2020, 5, 11; Hansch, DSB 2020, 266 f.; Federmann/Racky/Kalb/ Modrzyk, DB 2019, 1665, 1669; Dilling, CCZ 2019, 214, 224; Siemes, WBRL, S. 84; Gerdemann, Überlegungen zur Umsetzung der WBRL, S. 4; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 137, die sich aber kritisch zu einer Pflicht der Einrichtung „anonymer Meldekanäle“ äußern; WB-Netzwerk/Transparency/GFF, PM v. 29. 04. 2021; WB-Netzwerk/Transparency, Positionspapier WBRL, S. 3; ähnlich bzw. i. E. auch Erlebach/Veljovic, KriPoZ 2021, 165, 167 f., 171; Ferner, WPg 2020, 1322, 1325; a. A. Gramlich/Lütke, wistra 2020, 354, 359; BDA, Positionspapier, WBRL, S. 7; vgl. hierzu auch Hauser/Bretti/Rainalter/Blumer, WBReport 2021, S. 80, wonach auch 56,5 % der befragten deutschen Unternehmen eine Verpflichtung zur Entgegennahme anonymer Meldungen befürworten. 226 Vgl. insoweit etwa Art. 16 Abs. 2 WBRL und ErwGr. 82 WBRL sowie die Nachweise in Fn. 151 und 157; vgl. zur Bedeutung der Anonymität für die Meldebereitschaft von Whistleblowern für viele SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 7; Ferner, WPg 2020, 1322, 1325; Schmolke, NZG 2020, 5, 11; ders., ZGR 2019, 876, 909; Dilling, CCZ 2019, 214, 218, 223; Mengel, Compliance und ArbR, Kap. 7, Rn. 39; Hauser/Hergovits/Blumer, WBReport 2019, S. 59. 227 In diese Richtung etwa Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 13; Dilling, CCZ 2019, 214, 223; Kempter/Steinat, NZA 2017, 1505, 1510; Mahnhold, NZA 2008, 737, 739 f.; CoE, CM/Rec(2014)7, S. 12, Ziff. 6, S. 14, Ziff. 12; vgl. hierzu auch jeweils m. w. N. SWKArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 7; Schmolke, NZG 2020, 5, 11; ders., ZGR 2019, 876, 909; ders., AG 2018, 769, 778; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 135 f.; Mengel, Compliance und ArbR, Kap. 7, Rn. 39; Fritz, in: Maschmann, Compliance und ArbR, S. 111, 119. 225
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
Praxis bislang nicht bestätigt.228 Zudem werden anonyme Meldungen rein rechtstatsächlich aufgrund der ihnen immanenten geringeren Glaubhaftigkeit und ungewissen Glaubwürdigkeit des Whistleblowers in aller Regel kritischer behandelt und wird den Vorwürfen entsprechend besonnen nachgegangen.229 Der Vorteil einer anonymen Meldung mit einer gesetzlich vorgeschriebenen Aufklärungspflicht dürfte jedenfalls trotz des gesteigerten Missbrauchsrisikos die potenziellen Nachteile und Risiken einer direkten (namentlichen) externen Meldung für den Arbeitgeber bzw. betroffene Kollegen/Personen insgesamt überwiegen. (2) Betriebliche Anreize Die staatlichen Möglichkeiten zur Förderung freiwilligen internen Whistleblowings sind aufgrund des unantastbaren Schutzes für direkte externe Meldungen letztlich aber begrenzt, so dass sich Art. 7 Abs. 2 WBRL als politisch motivierte auswirkungsarme Kompromissformel erweist. Der Unionsgesetzgeber spielt den Ball letzten Endes der Arbeitgeberseite zu, durch eine echte Fehlerkultur und den Willen zur Selbstverbesserung ein vertrauensvolles Betriebsklima zu schaffen, in dem Whistleblower ihre Kenntnisse über Verstöße lieber internen Meldekanälen anvertrauen als sich direkt an Behörden zu wenden. Insoweit dürfte es entscheidend darauf ankommen, übersichtliche und einfache Meldestrukturen aufzubauen und das Interesse an ihrer Nutzung zur Herstellung einer rechtmäßigen, wertebewussten und verantwortlichen unternehmerischen Tätigkeit deutlich zu machen, was auch die Unternehmensführung authentisch nach innen und außen verkörpern muss; die Mitteilung von Verstößen sollte selbstverständlicher Teil der Unternehmenskultur werden.230 Gelingt dies, dürften Whistleblower in aller Regel zunächst eine interne Meldung erstatten, wozu sie aufgrund ihres Loyalitätsempfindens und ihrer emotionalen Verbundenheit mit dem Arbeitgeber wohl überwiegend ohnehin tendieren.231 Unternehmen sind daher gut beraten, die anstehende Pflicht zur Einrichtung von Meldekanälen zum Anlass zu nehmen, bestehende Compliance-Strukturen aufzubauen oder anzupassen; die Attraktivität interner Meldungen können sie dabei 228 Vgl. auch jeweils m. w. N. Erlebach/Veljovic, KriPoZ 2021, 165, 170; Ferner, WPg 2020, 1322, 1325; Hansch, DSB 2020, 266; Schmolke, NZG 2020, 5, 11; ders., ZGR 2019, 876, 909; ders., AG 2018, 769, 778; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 17; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 136; Hauser/Bretti-Rainalter/Blumer, WB-Report 2021, S. 62; Hauser/ Hergovits/Blumer, WB-Report 2019, S. 58. 229 Vgl. insoweit SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 7; Schmolke, ZGR 2019, 876, 897; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 137; Mengel, Compliance, Kap. 7, Rn. 39. 230 Ähnlich Stellungnahme Rechnungshof der EU zum V-WBRL v. 09. 11. 2018, 2018/C 405/01, Ziff. 34.; Khan/Howe, Journal of Business Ethics 2021, 325, 340; Brinkmann/Blank, BB 2021, 2475, 2478; Homann, CB 2021, 336, 337; Dzida, ArbRB 2021, 190, 192; Dzida/ Granetzny, NZA 2020, 1201, 1203, 1205; Granetzny/Markworth, juris-PR-Compl 1/2020 Anm. 1, o. S.; Bauer/Macherey, WPg 2019, 1127, 1129 f.; Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, o. S.; HaMoL/Buchert, § 42, Rn. 94; vgl. zu intrinsischen und extrinsischen Faktoren einer erfolgreichen Fehlerkultur Weinen, CB 2020, 110, 113 f. 231 ErwGr. 33 WBRL; vgl. hierzu schon in Teil 4, D.II. (insbesondere Fn. 454).
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beispielsweise dadurch steigern, dass sie sowohl betriebsinterne als auch ausgelagerte Meldekanäle, etwa bei einem Ombudsmann oder Rechtsanwalt, einrichten, Prämien für zutreffende Meldungen ausloben oder unter bestimmten Voraussetzungen eine arbeits- und haftungsrechtliche Freistellung vorsehen, sog. Amnestieprogramme.232 Zudem können sie ihre Meldekanäle für die Mitteilung von Verstößen außerhalb des Anwendungsbereichs der WBRL oder sogar für Meldungen unethischen und moralisch verwerflichen Fehlverhaltens öffnen und anonymes Whistleblowing unabhängig von gesetzlichen Vorgaben ermöglichen. Unter Beachtung der widerstreitenden Interessen und gesetzlicher Vorgaben besteht insoweit ein weiter betrieblicher Gestaltungsspielraum. Aufgrund von Art. 21 Abs. 2 und 24 WBRL kann dem Whistleblower aber weder vertraglich noch kollektivrechtlich eine Pflicht zum vorrangigen internen Whistleblowing auferlegt werden.233 Auch eine Meldepflicht dürfte dem Arbeitnehmer im Anwendungsbereich der WBRL – unabhängig von ihrer ohnehin umstrittenen Zulässigkeit –234 künftig nicht aufgebürdet werden können, weil sie das Wahlrecht des Whistleblowers zwischen einer internen und einer externen Meldung faktisch konterkarieren würde.235 Einzig bei ausnahmsweise bestehenden gesetzlichen Meldepflichten als Ausfluss der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB dürfte weiterhin eine Verpflichtung zur internen Meldung bestehen. Gleiches gilt für Arbeitnehmer, deren vertraglicher Aufgabenbereich gerade in der Kontrolle bestimmter Gefahrenbereiche, der Überwachung der Einhaltung gesetzlicher Pflichten oder gar der Aufklärung gemeldeter Verstöße selbst liegt, etwa Mitarbeiter der Compliance-Abteilung.236 Ansonsten drohten unternehmerische Bemühungen zur effektiven Aufdeckung und Bekämpfung von Verstößen von Beginn an aussichtslos zu sein und die ausdrückliche Bestärkung des Unionsgesetzgebers zur Selbstregulierung würde ad absurdum geführt.
232
Vgl. hierzu auch Art. 8 Abs. 5, 6 WBRL und ErwGr. 54 WBRL; Brinkmann/Blank, BB 2021, 2475, 2477 ff.; Homann, CB 2021, 336, 337 ff.; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1205; Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126, 127; Granetzny/Krause, CCZ 2020, 29, 30, 34 ff.; Granetzny/Markworth, juris-PR-Compl 1/2020 Anm. 1, o. S.; Bauer/Macherey, WPg 2019, 1127, 1130; Hiéramente/Ullrich, jurisPR-StrafR 25/2019 Anm. 1, o. S.; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 968; HaMoL/Buchert, § 42, Rn. 18; Moosmayer, Compliance, § 4, Rn. 184 ff., 194. 233 ErwGr. 91 WBRL; vgl. etwa Forst, EuZA 2020, 283, 300; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 88; Siemes, WBRL, S. 110. 234 Vgl. hierzu in Teil 4, B.III.2.e)cc)(6)(b). 235 Ähnlich auch zur beamtenrechtlichen Remonstrationspflicht aus § 63 Abs. 2 S. 1, 2 BBG bzw. § 36 Abs. 2 S. 1, 2 BeamtStG Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 146; vgl. aber Schmolke, ZGR 2019, 876, 905, der die Auferlegung sanktionsloser Meldepflichten für zulässig hält. 236 Ähnlich auch zum Beamtenrecht Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 148.
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ee) Offenlegung Das „öffentliche Zugänglichmachen von Informationen“ (Art. 5 Nr. 6 WBRL) ist – wie bereits ausgeführt – gegenüber einer internen oder externen Meldung subsidiär, was durch die engen Schutzvoraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 WBRL ersichtlich ist. Dieser differenziert zwischen einer mittelbaren (Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL) und einer unmittelbaren Offenlegung (Art. 15 Abs. 1 lit. b) WBRL). Die Offenlegung ist als „Flucht in die Öffentlichkeit“ für den Whistleblower ultima ratio, also der „letzte Ausweg“. Die Ausnahmeregelung des Art. 15 Abs. 2 WBRL, wonach Art. 15 Abs. 1 WBRL nicht für Fälle gilt, in denen Informationen nach spezifischen nationalen Vorschriften unmittelbar gegenüber der Presse offengelegt werden, ist für das deutsche Recht mangels einschlägiger Regelungen irrelevant.237 (1) Mittelbare Offenlegung Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL gewährt dem Whistleblower nur dann Schutz, wenn er nach den jeweils vorgeschriebenen Verfahren zunächst intern und/oder extern Meldung erstattet hat, aber zu seiner Meldung innerhalb des Zeitrahmens der vorgegebenen Rückmeldefristen „keine geeigneten Maßnahmen“ ergriffen wurden. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Eingangsbestätigungsfrist von maximal sieben Tagen muss das bei einer internen Meldung spätestens innerhalb von drei Monaten und sieben Tagen nach Eingang der Meldung erfolgen, bei einer externen Meldung regelmäßig innerhalb der gleichen Frist, in hinreichend begründeten Fällen, etwa bei einer schwierigen und zeitintensiven Ermittlung aufgrund der Komplexität des Meldegegenstandes, jedoch erst innerhalb von sechs Monaten und sieben Tagen, Art. 9 Abs. 1 lit. b), f) und 11 Abs. 2 lit. b), d) WBRL.238 Mit diesem an einen Stichtag für geeignete Folgemaßnahmen geknüpften Schutz vor einer Offenlegung schafft der Unionsgesetzgeber bewusst einen erheblichen Anreiz für interne und externe Meldestellen, die mitgeteilten Informationen zügig zu prüfen und Folgemaßnahmen zu ergreifen, um eine „unnötige“ Offenlegung zu vermeiden.239 (a) Geeignete Maßnahmen Der Unionsgesetzgeber definiert allerdings in Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL nicht, welche Maßnahmen als „geeignet“ anzusehen sind. Nach Art. 5 Nr. 12 WBRL sind „Folgemaßnahmen“ „ergriffene Maßnahmen zur Prüfung der Stichhaltigkeit der in der Meldung erhobenen Behauptungen und gegebenenfalls zum Vorgehen gegen den gemeldeten Verstoß, unter anderem durch interne Nachforschungen, Ermittlungen, 237 Art. 15 Abs. 2 WBRL beruht auf einem Hinweis Schwedens im Gesetzgebungsprozess, dem Bestehen nationalen Rechts zur Regelung öffentlichen Whistleblowings gegenüber Medien hinreichend Rechnung zu tragen, vgl. hierzu Interinstitutional File 2018/0106 (COD) des Rats v. 25. 07. 2018, 10997/18, S. 4; m. w. N. Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 101. 238 Vgl. hierzu auch ErwGr. 58 und 67 WBRL. 239 ErwGr. 57 und 67 WBRL; Gerdemann, SR 2021, 1, 12; ders., NZA-Beilage 2020, 43, 48; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 104.
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Strafverfolgungsmaßnahmen, Maßnahmen zur (Wieder-)Einziehung von Mitteln oder Abschluss des Verfahrens“.240 Der Richtliniengeber bemüht sich erkennbar, eine gewisse Linie für Folgemaßnahmen vorzugeben, führt indes in ErwGr. 79 WBRL selbst aus, dass die „Angemessenheit“241 der Folgemaßnahmen „von den fallspezifischen Umständen und von der Art der Vorschriften, gegen die verstoßen wurde“, abhängig ist. Aufgrund der Vielgestaltigkeit von Verstößen ist es auf abstrakt-genereller Ebene kaum möglich, konkrete Anforderungen an die im Einzelfall zu ergreifenden Maßnahmen festzulegen oder ihre Eignung zu bewerten, zumal den jeweiligen Meldeadressaten in der Regel ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum darüber zustehen wird, welche Maßnahmen sie zur Aufklärung, Beseitigung und Ahndung ergreifen; auch die Verfahrenseinstellung bei geringfügigen Verstößen – soweit nach nationalem Recht vorgesehen – kann eine geeignete Folgemaßnahme der zuständigen Behörde darstellen, selbst wenn sich der Whistleblower ein anderes Ergebnis vorgestellt hat.242 Soweit die ergriffenen Maßnahmen nach objektiver Bewertung tauglich und nicht völlig unpassend sind, was etwa bei einer mangelnden oder gänzlich fehlenden Überprüfung der Stichhaltigkeit der erhobenen Vorwürfe oder einem Fortdauern des Verstoßes trotz (angeblicher) Folgemaßnahmen ausscheidet, dürften sie „geeignete Maßnahmen“ im Sinne des Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL darstellen. (b) Schutz irrender Whistleblower Die Abhängigkeit des Schutzes nach Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL von der objektiv zu bewertenden Nichteignung fristgerecht ergriffener Folgemaßnahmen birgt für Whistleblower das nicht unerhebliche Risiko, den Schutz aufgrund einer subjektiven Fehleinschätzung einzubüßen. Anders als Art. 15 Abs. 1 lit. b) WBRL schweigt Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL zum Schutz irrender Whistleblower, so dass nach dem Wortlaut der Norm der Schutz unabhängig von der subjektiven Vorstellung des Whistleblowers stets dann entfällt, wenn – entgegen seiner Bewertung – tatsächlich geeignete Folgemaßnahmen ergriffen worden sind. Auch ErwGr. 79 WBRL enthält keine Angaben zum Schutz irrender Whistleblower, dafür aber den Hinweis, dass die Eignung von Folgemaßnahmen nach „objektiven Kriterien“ („objective criteria“/ „critères objectifs“) bewertet werden sollte, was ebenfalls dafür spricht, dass die 240
Vgl. zu weiteren potenziellen Folgemaßnahmen etwa ErwGr. 57, 65 und 70 WBRL. Die Verwendung unterschiedlicher Begriffe in Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL („Geeignetheit“) und ErwGr. 79 WBRL („Angemessenheit“) erscheint unglücklich (die englische und französische Sprachfassung verwendet insoweit einheitlich den Begriff „appropriate/appropriateness“/„appropriée“ (frei übersetzt: „geeignet/angemessen bzw. Geeignetheit/Angemessenheit“/„geeignet/angemessen“)), zumal die „Angemessenheit“ in ErwGr. 79 WBRL – unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Ziels, möglichst rechtssichere und klare Voraussetzungen für eine geschützte Offenlegung zu schaffen – keine Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne indizieren dürfte, so dass es sich bei der „Geeignetheit“ in Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL insoweit um ein abwägungsfreies Tatbestandmerkmal handelt. 242 Vgl. auch ErwGr. 70 und 79 WBRL; Gerdemann, SR 2021, 1, 12; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 101; Siemes, WBRL, S. 97. 241
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
subjektive Wahrnehmung – mag sie auch auf plausiblen Anhaltspunkten beruhen – für den Schutzanspruch irrelevant ist.243 Dies korreliert weiter mit der Tatsache, dass der Unionsgesetzgeber bei der Überarbeitung des Art. 13 Abs. 4 V-WBRL, der die Ausnahmetatbestände einer schutzauslösenden Offenlegung enthielt, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens den Zusatz des „hinreichenden Grund[s] zu der Annahme“ zwar in Art. 15 Abs. 1 lit. b) WBRL, nicht aber in Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL beigefügt hat. Insbesondere angesichts der unverkennbaren Bedeutung, welche die Richtlinie ansonsten dem Schutz gutgläubiger Whistleblower beimisst und dem hierzu diametralen Widerspruch eines Schutzausschlusses für einen über die Eignung von Folgemaßnahmen irrenden Whistleblower, muss das Schweigen des Unionsgesetzgebers dazu in Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL zwar nicht zwingend gegen seinen Schutzwillen in diesen Fällen oder für eine abschließende, das heißt insoweit vollharmonisierende, Regelung sprechen. Die Annahme einer ungewollten und damit über eine Analogie zu füllenden Schutzlücke dürfte aber aufgrund des eindeutigen Wortlauts und der Systematik des verbindlichen Normtextes sowie des gesetzeshistorischen Befunds, also insbesondere aufgrund der unterschiedlichen Berücksichtigung des Schutzes irrender Whistleblower in Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL und Art. 15 Abs. 1 lit. b) WBRL sowie angesichts des Hinweises auf eine Prüfung anhand „objektive[r] Kriterien“ in ErwGr. 79 WBRL, über eine vertretbare Rechtsfortbildung hinausgehen.244 Abgesehen von eindeutigen Fällen keiner oder offensichtlich unzureichender Folgemaßnahmen bürdet die Vorschrift dem Whistleblower damit das Risiko einer tatsachenbezogenen oder rechtlichen Fehleinschätzung der Eignung fristgerecht ergriffener Maßnahmen auf. Zwar erscheint es unter Berücksichtigung der widerstreitenden Arbeitgeberinteressen und der mit einer Offenlegung verbundenen Gefahr von Ruf- und Geschäftsschädigungen nachvollziehbar, hohe Anforderungen an einen Schutzanspruch des Whistleblowers zu stellen – Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL schafft hier aber durch die völlige Nichtberücksichtigung seiner subjektiven Einschätzung keinen überzeugenden Ausgleich mit seiner Meinungsfreiheit und dem öffentlichen Interesse, das sich insoweit auf den Abbau von Meldehemmnissen bezieht. Der deutsche Gesetzgeber sollte daher erwägen, zumindest einen Schutzanspruch auch für Whistleblower vorzusehen, die irrtümlich die Nichteignung fristgerechter Folgemaßnahmen angenommen und hierbei aufgrund eines unvermeidbaren Tatsachen- oder Rechtsirrtums nicht einmal „leicht“ fahrlässig gehandelt haben. (c) Ungeeignete Folgemaßnahmen nach Ablauf der Rückmeldefrist Für eine weitere Fallkonstellation könnte es sich anbieten, den Schutz des Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL im Zuge der nationalen Umsetzung zu erweitern. Aus dem Zusammenspiel dieser Vorschrift mit den Begriffsbestimmungen der „Folgemaß243 244
Vgl. auch Siemes, WBRL, S. 82 f. Vgl. zu den Anforderungen an eine zulässige Rechtsfortbildung unter Teil 3, B.II.2.b).
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nahmen“ und der (fristgerechten) „Rückmeldung“ in Art. 5 Nr. 12, 13 WBRL ergibt sich, dass rechtzeitig ergriffene geeignete Maßnahmen, wie etwa Nachforschungen oder Ermittlungen, bis zum Ablauf der Frist noch nicht abgeschlossen sein müssen.245 Werden sie nach Fristablauf mangels gebotener Fortführung und/oder wegen einer vorschnellen Verfahrenseinstellung nachträglich unzureichend, also ungeeignet, drängt sich die Frage auf, ob dann nicht ebenfalls ein berechtigtes Offenlegungsinteresse anerkannt werden sollte. Nach dem Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL fallen solche Fallkonstellationen allerdings nicht in seinen Schutzbereich. Es sprechen hier aber gute Gründe für eine ungewollte Schutzlücke, die im Wege der Rechtsfortbildung durch eine analoge Anwendung der Vorschrift beseitigt werden könnte. Um das Richtlinienziel zu erreichen kommt es entscheidend auf das wirksame Vorgehen gegen gemeldete Verstöße an. Der Unionsgesetzgeber betont daher in ErwGr. 67 WBRL, dass das „Problem, das Gegenstand der Meldung ist, unverzüglich angegangen“ werden sollte und Folgemaßnahmen und Rückmeldungen innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens erfolgen sollten. Neben der Vertrauensbildung gegenüber dem Whistleblower dient die verpflichtende Rückmeldung daher auch der Erhöhung des Drucks zur Ergreifung effektiver Folgemaßnahmen.246 Es drängt sich auf, dass die Pflicht, geeignete Abhilfemaßnahmen zu treffen, nicht mit dem Ablauf der Rückmeldefrist entfällt, sondern entsprechendes Handeln mit zunehmender Zeit eher immer dringender wird. Eine „Freistellung“ von der Fortführung der Folgemaßnahmen durch ihre fristgerechte Ergreifung würde das Richtlinienziel konterkarieren. Es macht für die effektive Rechtsdurchsetzung keinen Unterschied, ob die Maßnahmen bereits vor Fristablauf ungeeignet sind oder es erst danach werden. Stellt der Whistleblower also nachträglich fest, dass die ergriffenen Maßnahmen ungeeignet (geworden) sind, so sollte die daraufhin vorgenommene Offenlegung schutzauslösend sein, selbst wenn die fristgerecht ergriffenen Maßnahmen (zunächst) geeignet waren.247 Bei der Umsetzung des Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL sollte daher auch der Schutz für die einer externen Meldung nachfolgende Offenlegung von Informationen, die aufgrund einer erst nach Fristablauf erkennbaren Nichteignung rechtzeitig ergriffener Folgemaßnahmen erfolgt ist, ausdrücklich geregelt werden. Daneben sollte aus Gründen der Rechtssicherheit eine Pflicht zur Mitteilung der abschließenden Ergebnisse durchgeführter Folgemaßnahmen entsprechend Art. 11 Abs. 2 lit. e) WBRL auch für interne Meldekanäle gesetzlich vorgesehen werden.248
245
Vgl. auch ErwGr. 57 und 66 WBRL; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 104. Vgl. insoweit auch ErwGr. 57, 63 und 67 WBRL und die Quellenangaben in Fn. 239. 247 So auch Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 105, die diese Fallkonstellationen indes als bereits vom Schutzbereich des Art. 15 Abs. 1 lit. b) Alt. ii) WBRL umfasst ansehen und insoweit allein eine ausdrückliche Klarstellung im Umsetzungsgesetz vorschlagen; Gerdemann, Überlegungen zur Umsetzung der WBRL, S. 6. 248 In diese Richtung auch ErwGr. 57 und 58 WBRL. 246
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
(2) Direkte Offenlegung Art. 15 Abs. 1 lit. b) WBRL enthält zwei Fallgruppen einer ausnahmsweise geschützten direkten Offenlegung. Aufgrund des erkennbaren Ausnahmecharakters dieser Regelungen zum Schutz des Arbeitgebers vor Geschäfts- und Rufschädigungen sind an das Vorliegen ihrer Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelfall hohe Anforderungen zu stellen, die auch dem „ultima ratio-Charakter“ dieser „Flucht in die Öffentlichkeit“ und in diesem Sinne ihrer Subsidiarität entsprechen.249 (a) Unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses Die erste Fallgruppe in der Alt. i) des Art. 15 Abs. 1 lit. b) WBRL schützt eine direkte Offenlegung, wenn der Whistleblower „hinreichenden Grund zu der Annahme [hat], dass der Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann, so z. B. in einer Notsituation oder bei Gefahr eines irreversiblen Schadens“. Obwohl das öffentliche Interesse nicht definiert wird, ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang, dem Sinn und Zweck der Norm sowie den Erläuterungen in ErwGr. 80 WBRL, dass die Vorschrift eine drohende und evidente Gefährdung eines „besonderen“ öffentlichen Interesses voraussetzt.250 Es darf nicht mit dem öffentlichen Interesse an der Rechtsdurchsetzung selbst verwechselt bzw. gleichgesetzt werden, vielmehr muss der Verstoß gegen Unionsrecht gerade eine über die üblichen Folgen hinausgehende außerordentliche Gefährdungslage auslösen, etwa für ein besonders schützenswertes Rechtsgut wie die körperliche Unversehrtheit oder in einem besonders sensiblen und für die Allgemeinheit elementaren Rechtsbereich.251 Der Unionsgesetzgeber führt beispielhaft eine „Notsituation“ sowie die „Gefahr eines irreversiblen Schadens“ an – beide Beispiele implizieren einen Moment der Aussichtslosigkeit anderer, grundsätzlich vorrangiger Formen des Whistleblowings. Eine nähere Konkretisierung einzelner Fallvarianten ist aufgrund des Ausnahmecharakters und der Einzelfallabhängigkeit auf abstrakt-genereller Ebene kaum möglich. Deshalb sollte auch die nationale Umsetzungsnorm zwar Raum für eine einzelfallbezogene Interessenabwägung lassen, ihren Ausnahmecharakter aber gleichzeitig auch für einen juristischen Laien unzweifelhaft erkennbar machen, um einen zu „breiten Schutzbereich“ für direkte Offenlegungen im Arbeitgeberinteresse zu unterbinden, zumal gutgläubig handelnde Whistleblower insoweit vor Repressalien geschützt sind.252 Hierzu könnte der deutsche Gesetzgeber die Anwendung der Norm durch weitere, konkretere Regelbeispiele erleichtern.
249
Ähnlich Schröder, ZRP 2020, 212, 214; Schmolke, NZG 2020, 5, 11. Vgl. zum Vorliegen eines „besonderen“ öffentlichen Interesses bereits in Teil 4, B.III.2.g)aa). 251 Wohl a. A. Gerdemann, SR 2021, 1, 12. 252 In diese Richtung auch Schröder, ZRP 2020, 212, 214; bereits zum V-WBRL Gerdemann, RdA 2019, 16, 24 f. 250
A. Kündigungsschutz für Whistleblower im Lichte der WBRL
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(b) Absehbare Erfolglosigkeit einer externen Meldung Die zweite Fallgruppe in der Alt. ii) des Art. 15 Abs. 1 lit. b) WBRL schützt den Whistleblower, wenn er einen „hinreichenden Grund zu der Annahme [hat], dass im Fall einer externen Meldung Repressalien zu befürchten sind oder aufgrund der besonderen Umstände des Falls geringe Aussichten bestehen, dass wirksam gegen den Verstoß vorgegangen wird, beispielsweise weil Beweismittel unterdrückt oder vernichtet werden könnten oder wenn zwischen einer Behörde und dem Urheber des Verstoßes Absprachen bestehen könnten oder die Behörde an dem Verstoß beteiligt sein könnte“. Der einschlägige ErwGr. 81 WBRL entspricht dem Gesetzeswortlaut und spezifiziert den Ausnahmetatbestand nicht näher. Dessen Zielrichtung wird indes auch ohne weitere Erläuterungen deutlich; er schützt eine Offenlegung in Fällen, in denen – abgesehen von (konkret) drohenden Repressalien – Behörden bzw. (korrupte) Beamte trotz des Grundsatzes staatlicher Unabhängigkeit, der in Art. 11 Abs. 2 lit. a) WBRL für die einzurichtenden Meldekanäle ausdrücklich hervorgehoben und vorgeschrieben wird, mit Unternehmen kollusiv zusammenarbeiten oder in die aufgedeckten Verstöße in irgendeiner Art verstrickt sind und deshalb zu erwarten ist, dass sie wirksame Folgemaßnahmen gar nicht erst ergreifen oder sogar aktiv vereiteln werden.253 Gerade in Fällen staatlicher Involvierung kommt der Offenlegung eine besondere Bedeutung zu. Auch dieser Ausnahmetatbestand kann indes auf abstrakt-genereller Ebene kaum näher spezifiziert werden, weil er stark von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Die dadurch bestehende Rechtsunsicherheit wird auch hier durch einen Schutz gutgläubiger Whistleblower abgemildert, so dass der Schutzanspruch des Art. 6 Abs. 1 WBRL dann besteht, wenn der Whistleblower konkrete plausible Anhaltspunkte für ein (tatsächlich nicht gegebenes) kollusives Zusammenwirken der Behörden mit seinem Arbeitgeber hatte. d) Anonymes Whistleblowing Der Unionsgesetzgeber überträgt zwar in Art. 6 Abs. 2 WBRL die Entscheidung, ob anonyme interne oder externe Meldungen weiterverfolgt werden müssen, auf die Mitgliedstaaten. Im nachfolgenden Abs. 3 stellt er aber klar: „Personen, die Informationen über Verstöße anonym gemeldet oder offengelegt haben, anschließend jedoch identifiziert wurden und Repressalien erleiden, haben dennoch Anspruch auf Schutz […], sofern sie die Voraussetzungen gemäß Absatz 1 erfüllen“. Auch nachträglich enttarnte anonyme Whistleblower sollen also einen vollumfänglichen Schutzanspruch haben, wenn sie eine berechtigte Meldung an einen schutzauslösenden Adressaten vorgenommen haben. Dabei zeigen die systematische Trennung von Abs. 2 und Abs. 3 der Norm sowie das Wort „dennoch“ („nontheless“/„néanmoins“) in Abs. 3, dass dies unabhängig davon gilt, ob die internen und externen Meldekanäle zur Entgegennahme und Weiterverfolgung anonymer Meldungen 253 Vgl. auch Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 48; Wiedmann/Apel, Newsdienst Compliance 2019, 72007, o. S.; kritisch hierzu Teichmann, GA 2021, 527, 533.
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
verpflichtet werden.254 Dies leuchtet auch ein, denn selbst bei fehlender gesetzlicher Verpflichtung dieser Adressaten dürften anonyme Hinweise vorkommen und damit auch die Gefahr einer Enttarnung bestehen, insbesondere etwa wenn anonyme Meldungen zur Attraktivitätssteigerung interner Meldekanäle unabhängig von gesetzlichen Pflichten entgegengenommen und nachverfolgt werden.255 Die Regelungen des Art. 6 Abs. 2, 3 WBRL zum Umgang mit anonymen Meldungen sind im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens aufgrund der Forderung nach einem gleichberechtigten Schutz für anonyme Whistleblower im Richtlinienentwurf ergänzt worden; die Forderung nach einer Pflicht zur Entgegennahme und Weiterverfolgung anonymer Hinweise konnte sich aber erkennbar nicht durchsetzen.256 Der Schutz nachträglich enttarnter anonymer Whistleblower überzeugt, denn auch Art. 11 Abs. 1 GRC setzt für einen Schutz der Meinungsäußerung nicht die Preisgabe der Identität des Entäußernden voraus und das öffentliche Interesse an Informationen über Verstöße besteht unabhängig von der Möglichkeit, sie einer bestimmten Person zuordnen zu können. Insbesondere aufgrund des bisher fehlenden Nachweises, dass vorsätzlich unzutreffende Meldungen durch den Schutz anonymer Whistleblower zugenommen haben,257 greift dieser wohl auch nicht unverhältnismäßig in die widerstreitenden Grundrechte des Arbeitgebers bzw. anderer betroffener Kollegen/ Personen ein. Zu beachten ist allerdings, dass nach den unionalen Mindestvorgaben im Falle einer mittelbaren Offenlegung ein Schutz anonymer Whistleblower nach Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL nur dann greifen kann, wenn die Meldung durch die internen oder externen Meldekanäle freiwillig weiterverfolgt und dem Whistleblower eine entsprechende Rückmeldung über die ergriffenen Folgemaßnahmen gegeben worden ist.
254 Vgl. auch ErwGr. 34 WBRL; Schmolke, NZG 2020, 5, 8, Fn. 45; Forst, EuZA 2020, 283, 298; Dilling, CCZ 2019, 214, 217; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 135; Siemes, WBRL, S. 84; a. A. FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 33; insoweit missverständlich Wiedmann/Apel, Newsdienst Compliance 2019, 72007, o. S. 255 Bereits heute ermöglichen viele deutsche Unternehmen anonyme Meldungen, vgl. etwa Weinen, CB 2020, 110, 112 (58 % der durch die Studie repräsentierten deutschen Unternehmen); Hauser/Bretti-Rainalter/Blumer, WB-Report 2021, S. 23, 51 (73,2 % aller befragten deutschen Unternehmen, die Meldestellen vorsehen (63,2 %)); vgl. hierzu auch Schmolke, NZG 2020, 5, 11; ders., ZGR 2019, 876, 897, 909; ders., AG 2018, 769, 778; vgl. zur umstrittenen datenschutzrechtlichen Zulässigkeit „anonymer Meldestellen“ für viele etwa Röller/Küttner/Kania, Whistleblowing, Rn. 17; SWK-ArbR/Mengel, Whistleblowing, Rn. 7; Ferner, WPg 2020, 1322, 1325; Schmolke, ZGR 2019, 876, 897. 256 Vgl. insoweit zu Forderungen im Gesetzgebungsverfahren etwa Bericht des EU-Parlaments v. 26. 11. 2018, A8 – 0398/2018, S. 154, 169; Stellungnahme EWSA V-WBRL v. 18. 10. 2018, 2019/C 62/26, Ziff. 1.9.; Stellungnahme Rechnungshof der EU zum V-WBRL v. 09. 11. 2018, 2018/C 405/01, Ziff. 32.; Schmolke, AG 2018, 769, 778; vgl. auch Art. 13 V-WBRL, der (noch) keine Vorgaben zum Umgang mit anonymen Meldungen enthielt. 257 Vgl. hierzu m. w. N. bereits in Teil 5, A.VI.1.c)dd)(1)(b).
A. Kündigungsschutz für Whistleblower im Lichte der WBRL
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e) Ergänzende Schutzvoraussetzungen Die Regelungen des Art. 21 Abs. 2 – 4, 7 WBRL enthalten neben einer Ausweitung des Anwendungsbereichs (systematisch nicht ganz sauber) ergänzend zu den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 WBRL ihrer Natur nach letztlich weitere materiell-rechtliche Schutzvoraussetzungen im Hinblick auf den Umfang der Informationsweitergabe,258 was bei der Umsetzung dieser Richtlinienvorgaben beachtet werden sollte. Die dort geregelte Ausweitung des Schutzbereichs berücksichtigt, dass Whistleblower häufig vor einer Meldung zurückschrecken, weil sie Angst haben, gegen ihre Pflichten, insbesondere gegen vertragliche oder gesetzliche Offenlegungsbeschränkungen bzw. berufsspezifische Schweigepflichten zu verstoßen und deswegen Repressalien befürchten. Dies bezieht sich häufig nicht allein auf die Meldung der Verstöße selbst, sondern auch auf etwaige Maßnahmen in deren Vorfeld oder Nachgang. Diesen „chilling effect“ erkennt auch der Unionsgesetzgeber und stellt in diesen Vorschriften zum Schutz vor Nachteilen klar, unter welchen Voraussetzungen Whistleblower hierfür nicht haftbar gemacht werden können. Dabei ist der Begriff der „Haftung“ („liability“/„responsabilité“) unionsrechtsautonom auszulegen und weit zu verstehen, weil er grundsätzlich die Freistellung von jedweder zivil-, straf-, verwaltungs- oder auch arbeitsrechtlicher („civil, criminal, administrative or employment-related“/„civile, pénale, administrative ou liée à l’emploi“) Verantwortung meint,259 also auch den Schutz vor einer Kündigung. Aus Art. 21 Abs. 4 WBRL, wonach „jede weitere mögliche Haftung des Hinweisgebers“ für Maßnahmen, die den Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht entsprechen, weiterhin dem geltenden Recht unterliegt, folgt e contrario, dass sich der Schutz für Whistleblower nur dann auf jedwede Handlungen und Unterlassungen erstreckt, wenn diese mit der Meldung „in Zusammenhang stehen“ und für die Aufdeckung von Verstößen „erforderlich“ sind. Wann ein solcher Zusammenhang besteht, legt der Unionsgesetzgeber nicht fest. Ausreichen dürfte insoweit eine sachlich-funktionale Verbindung zwischen der betreffenden Handlung oder Unterlassung und dem Whistleblowing, ohne dass es auf einen zeitlichen Zusammenhang ankommt.260 Bei Art. 21 Abs. 4 WBRL handelt es sich offenkundig um einen Auffangtatbestand, der die Beschränkung des Whistleblowerschutzes allein auf die Informationsmitteilung als solche verhindert, so dass grundsätzlich auch Maßnahmen im Vorfeld und im Nachgang geschützt sind, etwa vorherige Recherchen zur Erhärtung eines Verdachts oder das Nachreichen von Unterlagen. Die Anforderung der zudem vorausgesetzten „Erforderlichkeit“ für die Aufdeckung von Verstößen impliziert keine einzelfallabhängige Verhältnismäßigkeitsprüfung, sondern deckt 258 Vgl. auch FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 4; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 59, 71; kritisch Siemes, WBRL, S. 106. 259 Vgl. ErwGr. 91, 92 und 97 WBRL; FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 14, 16 f.; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 967; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1669. 260 FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 15.
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sich mit dem Prüfungsmaßstab einer „notwendig[en]“ Weitergabe von Informationen gem. Art. 21 Abs. 2 WBRL. Dies folgt zum einen aus der Systematik der Vorschriften (Art. 21 Abs. 2 WBRL enthält eine zu dem Auffangtatbestand des Art. 21 Abs. 4 WBRL speziellere Regelung zum Umfang des Schutzes von bei der Aufdeckung des Verstoßes mitgeteilten Informationen) und zum anderen daraus, dass – ausweislich anderer Sprachfassungen der WBRL – in Art. 21 Abs. 4 WBRL statt des Begriffs „erforderlich“ ebenfalls der Begriff „notwendig“ oder jedenfalls in beiden Regelungen der gleiche Begriff hätte verwendet werden sollen.261 aa) „Notwendigkeit“ der Informationsweitergabe Im Zuge der Meldung von Verstößen deckt der Whistleblower naturgemäß uno actu betriebsinterne Informationen auf, etwa besonders geschützte Geschäftsgeheimnisse im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG, und läuft damit Gefahr, gegen gesetzliche oder vertragliche Offenlegungsbeschränkungen zu verstoßen, wie sie etwa aus der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB folgen. In Übereinstimmung mit seinem Förderungsziel stellt der Unionsgesetzgeber in Art. 21 Abs. 2 WBRL ausdrücklich klar: „unbeschadet des Artikels 3 Absatz 2 und 3 gelten Personen, die nach dieser Richtlinie Informationen über Verstöße melden oder offenlegen, nicht als Personen, die eine Offenlegungsbeschränkung verletzt haben, […] sofern sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die Meldung oder Offenlegung der Informationen notwendig war, um einen Verstoß gemäß dieser Richtlinie aufzudecken“.262 Unabhängig davon, welche Informationen und Kenntnisse der Whistleblower im Einzelfall also preisgibt, verstößt er erst dann gegen etwaige Geheimhaltungspflichten, wenn die Weitergabe nicht „notwendig“ war, um Verstöße aufzudecken, was sich durch das mangelnde öffentliche Interesse an der Weitergabe solcher Informationen erklärt und daher keinen Schutz des Whistleblowers zulasten des Geheimhaltungsinteresses des Arbeitgebers rechtfertigt. Zu beachten ist, dass der Schutz des Art. 21 Abs. 2 WBRL aufgrund der Begrenzung der Ausnahmevorschrift des Art. 3 Abs. 3 lit. b) WBRL auf die anwaltliche 261 Vgl. etwa die englische, französische und spanische Sprachfassung des Art. 21 WBRL, die in Abs. 2 und Abs. 4 der Norm jeweils den gleichen Rechtsbegriff verwendet: „necessary“ (frei übersetzt: „notwendig“) in der englischen Sprachfassung; „nécessaire(s)“ (frei übersetzt: „notwendig“) in der französischen Sprachfassung; „necesaria/necesarios“ (frei übersetzt: „erforderlich/notwendig“) in der spanischen Sprachfassung; vgl. überdies ErwGr. 92 WBRL, der auch in der deutschen Sprachfassung in den Erläuterungen zu Art. 21 Abs. 4 WBRL von „notwendig[en]“, nicht aber „erforderlichen“ Handlungen oder Unterlassungen für die Aufdeckung von Verstößen spricht; vgl. auch Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 48, Fn. 86; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 58, Fn. 168, S. 59; a. A. Siemes, WBRL, S. 109. 262 Vgl. zum Sinn und Zweck dieser Vorschrift, die Verhinderung von Whistleblowing und die Ergreifung von Sanktionen gegen den Whistleblower unter Berufung auf gesetzliche oder vertragliche Verschwiegenheitspflichten zu unterbinden, ErwGr. 91 WBRL; Federmann/ Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1669 f.; ergänzend dazu untersagt Art. 24 WBRL den vertraglichen Ausschluss der in der Richtlinie gewährten Rechte; vgl. hierzu Forst, EuZA 2020, 283, 300; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 88.
A. Kündigungsschutz für Whistleblower im Lichte der WBRL
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und ärztliche Verschwiegenheitspflicht auch offengelegte Informationen erfasst, die an sich (anderen) berufsspezifischen Schweigepflichten unterliegen, etwa bei Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern.263 Gegenstand der Prüfung, ob es sich um eine „notwendige“ Informationsweitergabe handelt, ist damit nicht die Frage, „ob“ schützenswertes Whistleblowing im Sinne des Art. 6 Abs. 1 WBRL vorliegt, sondern „wie weit“ sich der Schutz auf offenbarte Informationen erstreckt.264 Insoweit müssen diese Voraussetzungen für einen Schutz wegen der Meldung der Verstöße an sich nicht kumulativ zu den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 WBRL vorliegen.265 Der Unionsgesetzgeber definiert nicht, in welchem Umfang eine Weitergabe zur Aufdeckung von Verstößen im Sinne des Art. 21 Abs. 2 WBRL „notwendig“ ist. Ausweislich des ErwGr. 91 WBRL fallen aber „überflüssige“ („superfluous“/„superflues“) Informationen aus dem Schutz heraus, so dass für die „Notwendigkeit“ einer weitergegebenen Information jedenfalls ein erkennbarer Mehrwert für die Aufklärung der Verstöße zu verlangen sein dürfte. Aufgrund des Richtlinienziels und des Bestrebens des Unionsgesetzgebers, möglichst rechtssichere Voraussetzungen für einen Schutz zu schaffen, dürften die Maßstäbe bei der Prüfung eines solchen Mehrwerts zwar nicht überspannt werden, was auch der Ausschluss nur „überflüssiger“, das heißt irrelevanter und unnützer Informationen impliziert. Vor dem Hintergrund, dass aufgedeckte Informationen indes sehr sensible Inhalte haben können, sollte ihre Weitergabe aber zumindest erkennbar zweckdienlich und brauchbar sein. Dies ist etwa gegeben, wenn sie der Kontextualisierung und dem Verständnis der gemeldeten Verstöße dienen und für die Folgemaßnahmen zumindest förderlich sind.266 Irrt der Whistleblower über die „Notwendigkeit“, so behält er seinen Schutz, wenn er hinreichenden Grund zu deren Annahme hatte, also plausible Anhaltspunkte für eine „Notwendigkeit“ vorlagen und er sie deshalb nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig bejaht hat.267 Eine leichtfertige Informationsweitergabe ohne „Sinn und Zweck“ wird durch Art. 21 Abs. 2 WBRL richtigerweise nicht geschützt, so dass der Whistleblower auch zukünftig sorgfältig und gewissenhaft prüfen muss, welche Informationen er preisgibt.
263
bb). 264
S. 74.
Vgl. insoweit ausdrücklich ErwGr. 27 WBRL und die Ausführungen in Teil 5, A.V.1.b) Gerdemann, SR 2021, 1, 10 f.; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 59; Siemes, WBRL,
265 Siemes, WBRL, S. 74, 105 f.; a. A. Gerdemann, SR 2021, 1, 10; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 59, 71. 266 Vgl. auch FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 19; Gerdemann, SR 2021, 1, 11; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 60; a. A. Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 967, die eine „zwingende“ Erforderlichkeit annehmen; ähnlich auch der Appell Österreichs im Gesetzgebungsverfahren, vgl. Interinstitutional File 2018/0106 (COD) des Rats v. 29. 01. 2019, 5747/19 ADD 1, S. 2. 267 Vgl. zum insoweit anzuwendenden Prüfungsmaßstab in Teil 5, A.VI.1.a)bb).
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bb) Informationsbeschaffung Durch Art. 21 Abs. 3 WBRL erstreckt der Unionsgesetzgeber den Schutzumfang ausdrücklich auch auf Maßnahmen zur Erlangung von Informationen über Verstöße, die sich Whistleblower etwa zur Erhärtung ihres Verdachts und der Beweisbarkeit ihrer Vorwürfe verschaffen. Damit trifft er wiederum eine im Verhältnis zu Art. 21 Abs. 4 WBRL speziellere Regelung und macht inzident deutlich, dass diesen Maßnahmen regelmäßig der erforderliche „Zusammenhang“ zum Whistleblowing immanent ist.268 Der Schutz für diese „Vorfeldmaßnahmen“ reicht dabei denkbar weit und stößt erst dann an seine Grenze, wenn „die Beschaffung oder der Zugriff […] eine eigenständige Straftat“ darstellt, wobei auch die anschließende geschützte Weitergabe der erlangten Informationen keine rückwirkende strafbefreiende Wirkung hat, so dass die strafbare Informationsbeschaffung auch unter dem „Deckmantel“ geschützten Whistleblowings keinen Schutz erfährt.269 Der Whistleblower ist daher nicht geschützt, soweit er etwa einen Hausfriedensbruch (§ 123 Abs. 1 StGB) begeht oder Daten ausspäht (§ 202a Abs. 1 StGB).270 Unerheblich sind aber andere rechtliche Grenzen, wie etwa arbeitsrechtliche Zugangs- oder Nutzungsbeschränkungen, so dass auch bei rechtswidrigen, aber nicht strafbaren Maßnahmen ein vollumfänglicher Schutz besteht.271 Der Unionsgesetzgeber schützt damit auch die Informationsbeschaffung als Voraussetzung für erfolgreiches Whistleblowing, soweit ihm dies aufgrund der widerstreitenden Arbeitgeberinteressen möglich ist. Der besondere Schutz für Whistleblower wegen ihres berufsbedingt privilegierten Zugangs zu Informationen über betriebsinterne Verstöße rechtfertigt danach trotzdem keine Informationsbeschaffung „um jeden Preis“. Nach seinem Wortlaut verlangt der Schutz des Art. 21 Abs. 3 WBRL, dass die erlangten Informationen im Anschluss auch tatsächlich „gemeldet oder offengelegt“ werden. Der Regelung und auch dem einschlägigen ErwGr. 92 WBRL lässt sich keine Aussage zum Schutz für Whistleblower entnehmen, die zunächst gutgläubig 268 Vgl. FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 15; i. E. auch Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 58. 269 Vgl. insoweit ErwGr. 92 WBRL (liegt eine strafbare Informationsbeschaffung vor, so soll der Whistleblower „unbeschadet des gemäß Artikel 21 Absatz 7 dieser Richtlinie gewährten Schutzes weiterhin nach Maßgabe der anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften strafrechtlich verantwortlich gemacht werden“); FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 21; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 967. 270 ErwGr. 92 WBRL („Hausfriedensbruch oder Hacking“); FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 21; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 48; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 968; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 59. 271 ErwGr. 92 WBRL, der insoweit ausdrücklich den Zugriff auf E-Mails eines Mitarbeiters oder auf Dateien, auf die der Whistleblower üblicherweise nicht zugreift bzw. für seine Tätigkeit nicht benutzt oder den Zutritt zu Räumlichkeiten, zu denen er normalerweise keinen Zugang hat, aufführt; FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 12; Granetzny/Markworth, juris-PR-Compl 1/2020 Anm. 1, o. S.; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 48; Colneric/ Gerdemann, WBRL, S. 58 f.; a. A., aber insoweit offensichtlich verfehlt, BDA, Positionspapier, WBRL, S. 4.
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von der „Notwendigkeit“ der beschafften Informationen zur Aufdeckung von Verstößen ausgehen, nachträglich aber auf ihre Weitergabe oder überhaupt auf eine Meldung verzichten, weil sich die erlangten Informationen etwa als überflüssig herausstellen oder einen Verdacht nicht bestätigen.272 Für später tatsächlich offenbarte Informationen ergibt sich der Schutz für gutgläubige Whistleblower aus dem Zusammenspiel von Abs. 2 und Abs. 4 des Art. 21 WBRL. Es ist kein Grund ersichtlich, diesen Schutz einem gutgläubig handelnden Whistleblower, der die Nutzlosigkeit der erlangten Informationen rechtzeitig erkennt und sie deshalb nicht weitergibt, zu verweigern und ihn völlig schutzlos zu stellen. Sonst würde er mit dem erheblichen und abschreckenden Risiko belastet, die Stichhaltigkeit und den Nutzen der beschafften Informationen, also deren Fruchtbarkeit für den Nachweis vermuteter Verstöße, vorab richtig einzuschätzen und vorherzusehen, was ihm oft kaum möglich sein dürfte. Whistleblowern dieses Risiko aufzuerlegen, widerspricht nicht nur dem öffentlichen Interesse, einen bestmöglichen Schutz zu gewährleisten, sondern letztlich auch den Arbeitgeberinteressen an einer gewissenhaft geprüften und authentischen Meldung – gerade dann, wenn der Whistleblower eine externe Meldung erstattet. Die hohe Bedeutung, die der Unionsgesetzgeber dem Schutz irrender Whistleblower beimisst, spricht hier zwar für eine ungewollte Schutzlücke. Aufgrund der sich aus dem semantisch-systematischen Befund ergebenden Verknüpfung des Schutzes für gutgläubige irrende Whistleblower mit der tatsächlichen Meldung von Verstößen, reicht dies indes nicht für die Annahme einer durch eine analoge Anwendung des Art. 21 Abs. 2 WBRL zu schließende Regelungslücke.273 Der deutsche Gesetzgeber sollte daher diese Schwäche des Schutzes irrender Whistleblower mit der Umsetzung der WBRL korrigieren und ihren Schutz ausdrücklich auch für „Vorfeldmaßnahmen“ nach den Maßgaben des Art. 6 Abs. 1 lit. a) WBRL vorsehen. Dies gilt gleichermaßen für die Umsetzung des Auffangtatbestandes des Art. 21 Abs. 4 WBRL, der ebenso wie Art. 21 Abs. 3 WBRL keinen Schutz für gutgläubige Whistleblower vorsieht.274 2. Schutzmaßnahmen Zur Gewährleistung eines europaweit hohen Schutzniveaus für Whistleblower verpflichtet der Unionsgesetzgeber die Mitgliedstaaten in Art. 19 WBRL, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um jede Form von Repressalien gegen die in den persönlichen Anwendungsbereich gem. Art. 4 WBRL fallenden Personen zu untersagen. Hierdurch bekämpft er unmittelbar den Ursprung der Unsicherheiten und
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Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 62. A. A. Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 62 f. 274 Vgl. i. E. auch FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 23.
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Ängste vieler Whistleblower und mithin den größten Abschreckungsfaktor.275 Er lässt den Mitgliedstaaten zwar grundsätzlich einen Umsetzungsspielraum, konkretisiert die generalklauselartige Verpflichtung aber durch Regelbeispiele in Art. 20 und 21 WBRL.276 Für die vorliegende Untersuchung des Kündigungsschutzes für Whistleblower sind insbesondere die nach Art. 21 WBRL zwingend zu ergreifenden „Maßnahmen zum Schutz vor Repressalien“ relevant. a) Kündigungsverbot Der Unionsgesetzgeber definiert „Repressalien“ in Art. 5 Nr. 11 WBRL als „direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen in einem beruflichen Kontext, die durch eine interne oder externe Meldung oder eine Offenlegung ausgelöst werden und durch die dem Hinweisgeber ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht oder entstehen kann“. Er führt die „Kündigung“ – nach der „Suspendierung“ und vor „vergleichbare[n] Maßnahmen“ – in Art. 19 lit. a) WBRL und damit an vorderster Stelle als verbotene Repressalie auf. Der unionsrechtsautonom auszulegende Begriff der „Repressalie“ umfasst somit entgegen deutschem Verständnis auch die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, die hiernach allein die Möglichkeit zur Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses wegen Unzumutbarkeit seiner Fortführung darstellt.277 Diese Bewertung der Kündigung als Vergeltungsmaßnahme ist aber auch dem deutschen Recht nicht gänzlich fremd, denn jedenfalls die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung hat bereits hervorgehoben, dass sich die Kündigung für den betroffenen Arbeitnehmer als zivilrechtlicher Nachteil darstellt und ihr insoweit einen Sanktionscharakter beigemessen.278 Zur effektiven Verhinderung einer Kündigung wegen Whistleblowings sollte ein ausdrückliches gesetzliches Kündigungsverbot, mithin ein spezialgesetzliches Maßregelungsverbot, aufgestellt werden, weil allein die gesetzliche Normierung der Voraussetzungen für schutzauslösendes Whistleblowing gem. Art. 6 Abs. 1 WBRL trotz des Maßregelungsverbot 275
FGO/Fest, Art. 19 RL (EU) 2019/1937, Rn. 2; ähnlich Dilling, CCZ 2019, 214, 218; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 109; kritisch zum Umfang des Art. 19 WBRL Garden/ Hiéramente, BB 2019, 963, 966. 276 Art. 20 WBRL umfasst sog. Unterstützende Maßnahmen, worunter der Unionsgesetzgeber etwa kostenlose Beratungsmöglichkeiten für Whistleblower über Rechtsschutz gegen erlittene Repressalien, Art. 20 Abs. 1 lit. a) WBRL, die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe, Art. 21 Abs. 1 lit. c) WBRL, oder sonstige finanzielle Hilfen oder unterstützende Maßnahmen in Gerichtsverfahren, beispielsweise auch psychologische Betreuung, Art. 20 Abs. 2 WBRL, versteht, vgl. hierzu auch ErwGr. 89 und 99 WBRL; im deutschen Recht besteht für Arbeitnehmer bereits die Möglichkeit Prozesskostenhilfe zu erhalten, § 11a Abs. 1 ArbGG, §§ 114 ff. ZPO, kritisch hierzu Dilling, CCZ 2019, 214, 219; vgl. zu Art. 20 WBRL auch Forst, EuZA 2020, 283, 299; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 114, 123 ff.; Siemes, WBRL, S. 111 ff. 277 FGO/Fest, Art. 19 RL (EU) 2019/1937, Rn. 6; vgl. zum deutschen Verständnis bereits in Teil 3, A.I. 278 BVerfG, Beschluss v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888, 889.
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nach § 612a BGB unter Berücksichtigung des Transparenzgebots nicht ausreichend erscheint.279 Aus Art. 21 Abs. 2 – 4 WBRL folgt, dass der Kündigungsschutz nicht auf die Mitteilung des Verstoßes selbst begrenzt sein darf, sondern auch etwaige damit im Zusammenhang stehende Handlungen und Unterlassungen umfassen muss, soweit die materiell-rechtlichen Voraussetzungen dieser Richtlinienvorgaben erfüllt sind.280 Für das deutsche Kündigungsschutzrecht bedeutet das, dass etwa auch die mit der Verstoßmitteilung uno actu verbundene Weitergabe geschützter Informationen – mit Ausnahme etwa solcher, die der anwaltlichen oder ärztlichen Schweigepflicht (Art. 3 Abs. 3 lit. b) WBRL) unterfallen – keinen verhaltensbedingten Kündigungsgrund gem. § 241 Abs. 2 BGB wegen eines Verstoßes gegen Verschwiegenheitspflichten darstellen kann, was sich in den Umsetzungsregelungen widerspiegeln muss. Zusätzlich zu diesem Schutz vor berufsbezogenen Repressalien müssen die Mitgliedstaaten Whistleblower – als Ausfluss eines auch in seinen Rechtsfolgen konsistenten und Meldeanreize setzenden Schutzes – aufgrund des Art. 21 Abs. 2 – 4, 7 WBRL auch von jeglicher sonstiger Verantwortung freistellen, den Kündigungsschutz also insbesondere durch eine zivil- und strafrechtliche Haftungsfreistellung flankieren.281 Für die Umsetzung dieser Richtlinienvorgaben in deutsches Recht wird die Normierung eines rechtsgebietsübergreifenden Rechtfertigungsgrunds diskutiert.282 Es ist aber fraglich, ob ein solcher zur richtlinienkonformen Umsetzung ausreichend wäre. Zum einen kann schon die tatbestandliche Verletzung einer vertraglichen oder gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht einen Abschreckungseffekt auf Whistleblower haben, der durch die Haftungsfreistellung gerade vermieden werden soll. Zum anderen gibt Art. 21 Abs. 2 WBRL ausdrücklich vor, dass geschützte Whistleblower „nicht als Personen [gelten], die eine Offenlegungsbeschränkung verletzt haben“ („they shall not be considered to have breached any restricition on disclosure of information“/„elles ne sont pas considérées comme ayant enfreint une restriction à la divulgation d’informations“). Dieser Vorgabe wird ein rechtsgebietsübergreifender Rechtfertigungsgrund nicht gerecht. Der deutsche Gesetzgeber 279 Vgl. insoweit auch ErwGr. 88 WBRL („eindeutiges gesetzliches Verbot“); FGO/Fest, Art. 19 RL (EU) 2019/1937, Rn. 20, 22; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 56 f.; Thüsing/ Rombey, NZG 2018, 1001, 1006 (schon zum V-WBRL); Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 116, 118, die zutreffend darauf hinweisen, dass dieser Kündigungsschutz auch unabhängig von der Einschlägigkeit der §§ 1 Abs. 1 und 23 Abs. 1 KSchG gilt; DGB, Positionspapier v. 07. 12. 2020, S. 4; a. A. BDA, Positionspapier, WBRL, S. 6. 280 FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 14, 16; vgl. zu den Voraussetzungen eingehend in Teil 5, A.VI.1.e). 281 ErwGr. 97 WBRL („außerhalb des beruflichen Kontexts ergriffenen Maßnahmen“); FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 14; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 49; Siemes, WBRL, S. 105 f.; vgl. auch HOK/Ohly, § 5 GeschGehG, Rn. 16 („Klammer“ zwischen Arbeitsrecht und Geheimnisschutz); kritisch hierzu Teichmann, GA 2021, 527, 535 f. 282 FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 17; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 967; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 49; ders., RdA 2019, 16, 26 (zum V-WBRL); Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 73 f.
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sollte vielmehr stattdessen bereits die tatbestandliche Verletzung von gesetzlichen oder vertraglichen Verschwiegenheitspflichten bzw. sonstigen Offenlegungsbeschränkungen ausschließen.283 Jedenfalls für die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im Sinne des Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL im Zuge des Whistleblowings hat der Unionsgesetzgeber in Art. 21 Abs. 7 UAbs. 2 WBRL ausdrücklich geregelt, dass diese als rechtmäßig im Sinne des Art. 3 Abs. 2 GeschGehRL gilt, sofern der Whistleblower die Schutzvoraussetzungen der Richtlinie erfüllt.284 Dies dürfte ausweislich des ErwGr. 98 WBRL auch für die Erlangung und Nutzung von Geschäftsgeheimnissen im Zusammenhang mit Whistleblowing gelten,285 so dass der Unionsgesetzgeber den Konflikt zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des Geheimnisinhabers und dem Offenlegungsinteresse des Whistleblowers kurz und knapp aufgrund des öffentlichen Interesses an der Aufdeckung von Verstößen zugunsten des Letzteren gelöst hat. Hierdurch setzt er den bereits in der GeschGehRL durch die den Geheimnisschutz einschränkenden Vorschriften der Art. 3 und 5 GeschGehRL eingeschlagenen Weg konsequent fort und schärft die Grenzen des Geheimnisschutzes. Obwohl sich die GeschGehRL und die WBRL in ihrer Zielrichtung grundsätzlich diametral gegenüberstehen, ergänzen sie sich damit insoweit und greifen ineinander.286 Der deutsche Gesetzgeber sollte im Zuge der Umsetzung ausdrücklich klarstellen, dass schutzwürdiges Whistleblowing bzw. eine damit im Zusammenhang stehende Erlangung, Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen eine erlaubte Handlung im Sinne des § 3 Abs. 2 GeschGehG darstellt, so dass es insoweit gar nicht mehr auf § 5 Nr. 2 GeschGehG ankommt. b) Gewährleistung der Rechtsdurchsetzung Der Unionsgesetzgeber betont, dass über die Verankerung eines ausdrücklichen rechtlichen Verbots von Repressalien hinaus der Gewährleistung des Zugangs zu Rechtsbehelfen sowie dem Anspruch auf Entschädigung für Whistleblower, die sich verbotenen Repressalien ausgesetzt sehen, eine entscheidende Bedeutung zu-
283 Eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung scheidet in jedem Fall aus – selbst bei einem „nur“ gerechtfertigten Verstoß gegen Verschwiegenheitspflichten, vgl. insoweit schon in Teil 4 Fn. 113. 284 FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 39; KBF/Alexander, Vorbemerkungen GeschGehG, Rn. 31a, § 5 GeschGehG, Rn. 34; BeckOK-GeschGehG/Hiéramente, § 5 GeschGehG, Rn. 49; Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 45, Fn. 36; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 967; Schmolke, ZGR 2019, 876, 889; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 26 f., 73; verfehlt insoweit HOK/Ohly, § 5 GeschGehG, Rn. 15 f., 34; Forst, EuZA 2020, 283, 299, Fn. 34, der insoweit von einer „gerechtfertigt[en]“ Meldung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen spricht. 285 Vgl. auch FGO/Fest, Art. 6 RL (EU) 2019/1937, Rn. 40. 286 Gramlich/Lütke, wistra 2020, 354; i. E. auch Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1670; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1854.
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kommt.287 Art. 21 Abs. 6 WBRL gibt insoweit recht allgemein vor, dass der Whistleblower einen „Zugang zu geeigneten Abhilfemaßnahmen gegen Repressalien einschließlich einstweiligen Rechtsschutzes während laufender Gerichtsverfahren nach Maßgabe des nationalen Rechts“ erhalten muss. Mangels weiterer Vorgaben liegt die Auswahl und Festlegung geeigneter Abhilfemaßnahmen unter Berücksichtigung des Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes im Ermessen der Mitgliedstaaten.288 Im deutschen Recht existieren mit der Möglichkeit des Arbeitnehmers, eine Kündigungsschutzklage gem. §§ 4 S. 1 und 13 Abs. 1 S. 2 KSchG, § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. b ArbGG zu erheben und um einstweiligen Rechtsschutz gem. § 62 Abs. 2 S. 1 ArbGG i. V. m. §§ 935 und 940 ZPO zu ersuchen, bereits grundsätzlich geeignete Rechtsbehelfe für Whistleblower gegen eine Kündigung. Dennoch bedarf es aufgrund der Mindestvorgaben in Art. 21 WBRL, insbesondere im Hinblick auf die in Art. 21 Abs. 5 WBRL vorgeschriebene Beweislastverteilung, in Teilen einer Anpassung des bislang geltenden Kündigungsschutzrechts. aa) Darlegungs- und Beweislast Obgleich sich der Unionsgesetzgeber mit verfahrensrechtlichen Mindestvorgaben zurückhält, wird die Umsetzung der zwingenden Richtlinienvorgabe des Art. 21 Abs. 5 WBRL zu einer Veränderung der Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess eines Whistleblowers führen. (1) Kausalität zwischen Kündigung und Whistleblowing Der Unionsgesetzgeber sieht in einer dem Whistleblower auferlegten Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen einer erlittenen Benachteiligung und vorherigem Whistleblowing ein dringend abzubauendes Meldehindernis.289 Aus diesem Grund legt er in Art. 21 Abs. 5 WBRL fest, dass in Verfahren wegen einer erlittenen Benachteiligung „vermutet“ wird, dass sie eine Repressalie für erfolgtes Whistleblowing ist, soweit der Whistleblower „geltend macht“, sie infolge seines Whistleblowings erlitten zu haben. Es obliege sodann der Person, von der die Benachteiligung ausgegangen ist, zu beweisen, dass diese „auf hinreichend gerechtfertigten Gründen“ beruhte. Diese Richtlinienvorgabe wirft zweierlei Fragen auf – zum einen, welche Anforderungen an eine „Geltendmachung“ des Whistleblowers zu stellen sind und zum anderen, ob bereits die Mitursächlichkeit schutzwürdigen Whistleblowings für die Zulässigkeit einer Kündigung schädlich sein kann.
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ErwGr. 94 WBRL; ähnlich auch CoE, CM/Rec(2014)7, S. 10, Ziff. 26, S. 40, Ziff. 89 f. Vgl. hierzu in Teil 3, B.II.3.a)aa). 289 ErwGr. 93 WBRL; FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 43; vgl. auch CoE, CM/ Rec(2014)7, S. 10, Ziff. 25. 288
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
(a) Voraussetzungen der Beweislastumkehr Nach dem Wortlaut des Art. 21 Abs. 5 WBRL muss der Whistleblower nur geltend machen, das heißt behaupten bzw. vortragen, dass er „infolge“ seines Whistleblowings gekündigt wurde, um die Vermutung des Kausalzusammenhangs zwischen der streitgegenständlichen Kündigung und seinem Whistleblowing und damit die Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitgebers auszulösen. Dies deckt sich mit anderen Sprachfassungen, denn auch die englische und französische Richtlinienfassung legt etwa nahe, dass die Kausalität zwischen Nachteil und Whistleblowing bereits vermutet werden soll, wenn der Whistleblower die erlittene Benachteiligung mit der Meldung von Verstößen begründet („subject to that person establishing that he or she reported or made a public disclosure and suffered a detriment, it shall be presumed that the detriment was made in retaliation for the report or the public disclosure“/„sous réserve que celui-ci établisse qu’il a effectué un signalement ou fait une divulgation publique et qu’il a subi un préjudice, il est présumé que le préjudice a été causé en représailles au signale ment ou à la divulgation publique“290). Diese äußerst niedrigen Anforderungen für die Vermutung einer Kausalität zwischen erlittenem Nachteil und vorangegangenem Whistleblowing werden auch durch einen Vergleich des Art. 21 Abs. 5 WBRL mit seiner „Vorgängernorm“, Art. 15 Abs. 5 V-WBRL, bestätigt, denn daraus ergibt sich, dass der Unionsgesetzgeber sie im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens erheblich zugunsten des Whistleblowers abgeändert hat, wohl gerade um nicht nur eine Beweiserleichterung, sondern eine echte Beweislastumkehr zu schaffen. Art. 15 Abs. 5 V-WBRL setzte für einen Übergang der Beweislast auf die benachteiligende Person noch voraus, dass der Whistleblower „glaubhaft machen kann, dass diese Benachteiligung eine Vergeltungsmaßnahme für seine Meldung oder Informationsoffenlegung war“ („subject to him or her providing resonable grounds to believe that the detriment was in retaliation for having made the report or disclosure“/„sous réserve qu’il présente des motifs raisonnables portant à croire qu’il s’agit d’un préjudice découlant de représailles pour avoir fait le signalement ou la divulgation“291). Dafür hätte er jedenfalls Umstände vortragen und belegen müssen, die nach dem erstem Anschein eine Kausalität zwischen Nachteil und Whistleblowing als überwiegend wahrscheinlich erscheinen
290 Frei übersetzt: „vorbehaltlich der Begründung dieser Person [Whistleblower], dass sie eine Meldung erstattet oder eine Offenlegung vorgenommen und einen Nachteil erlitten hat, wird vermutet, dass der Nachteil als Vergeltung für die Meldung oder Offenlegung erfolgt ist“/ „vorausgesetzt, die Person [Whistleblower] begründet, dass sie eine Meldung oder öffentliche Bekanntmachung gemacht und einen Schaden erlitten hat, wird vermutet, dass der Schaden als Vergeltung für die Meldung oder Offenlegung erfolgt ist“. 291 Frei übersetzt: „vorbehaltlich, dass er oder sie [Whistleblower] vernünftige Gründe zur Annahme beibringt, dass die Nachteile als Vergeltung für die Meldung oder Offenlegung erfolgten“/„vorausgesetzt, er oder sie [Whistleblower] bringen vernünftige Gründe vor, dass der Schaden auf Vergeltungsmaßnahmen wegen der Meldung oder Offenlegung zurückzuführen ist“; mit diesen Voraussetzungen orientierte sich der Unionsgesetzgeber wörtlich an den Empfehlungen des Europarats aus dem Jahr 2014, CoE, CM/Rec(2014)7, S. 10, Ziff. 25.
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ließen.292 Diese Voraussetzungen an eine Beweislastverschiebung stimmten mit den Vorgaben zur Beweislast in antidiskriminierungsrechtlichen Sekundärrechtsakten überein,293 an denen sich der Unionsgesetzgeber wohl auch orientiert hat. Aufgrund der nachträglichen Abweichung von diesen Voraussetzungen kann von dem Whistleblower – ähnlich wie zum Teil im amerikanischen Whistleblowingrecht –294 nunmehr nur noch verlangt werden, dass er die Kausalität zwischen Kündigung und Whistleblowing bloß geltend macht, also behauptet, bzw. vorträgt, ohne hierfür überhaupt ein Beweismittel vorlegen zu müssen. Er muss damit zwar die Meldung von Verstößen selbst sowie das Erleiden eines Nachteils, also die Kündigung, darlegen und nachweisen, nicht aber ihren kausalen Zusammenhang.295 Diese Einschätzung bestätigt auch ErwGr. 93 WBRL, der anders als noch ErwGr. 70 V-WBRL nicht verlangt, dass der Whistleblower die Kausalität „glaubhaft“ machen muss, sondern ein „Darlegen“ des Whistleblowings und des Nachteils ausreichen lässt.296 Anlass für diese Absenkung der Voraussetzungen ist der evidente Wille des Unionsgesetzgebers, etwaige Abschreckungsfaktoren für Whistleblower effektiv zu „eliminieren“ und denjenigen mit dem Nachweis der fehlenden Kausalität zwischen Nachteil und Whistleblowing zu belasten, der diesen aufgrund seiner Sachnähe und der ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen am besten erbringen kann.297 292 Vgl. insoweit Begründung der Kommission V-WBRL, COM(2018) 218 final, S. 15; Stellungnahme EWSA V-WBRL v. 18. 10. 2018, 2019/C 62/26, Ziff. 7.1.; Grünberger/Husemann, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 5, Rn. 5.306; Johnson, CCZ 2019, 66, 67 ff. 293 Etwa Art. 19 Abs. 1 und ErwGr. 30 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung); Art. 8 Abs. 1 und ErwGr. 21 der Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft; vgl. zur damit verbundenen Beweislastverteilung m. w. N. Grünberger/Husemann, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 5, Rn. 5.305 ff. 294 Vgl. hierzu bereits in Teil 2, C.II.2.a). 295 Vgl. auch Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 57; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1204; Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126, 131; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850; Siemes, WBRL, S. 104; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 119 f.; PACE, Resolution 2300 (2019), Ziff. 9.5.; a. A. FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 47; Harrer-Kouliev, comply 2020, 14; vgl. zur Forderung einer solchen Absenkung der Anforderungen an eine Beweislastumkehr im Gesetzgebungsverfahren etwa EWSA zum V-WBRL v. 18. 10. 2018, 2019/C 62/26, Ziff. 1.10.; hierzu Schmolke, AG 2018, 769, 779. 296 Nichts anderes dürfte auch aus ErwGr. 93 WBRL der englischen Sprachfassung zu schließen sein, der zwar von einem „prima-facie-Beweis“ („demonstrates prima facie“) spricht, was indes allein auf einer fehlenden nachträglichen Anpassung des ErwGr. an die vorgenommene Änderung im verbindlichen Normtext zurückzuführen sein dürfte; so auch Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 49, Fn. 96; dies dürfte gleichfalls für die französische Sprachfassung gelten, die insoweit unverändert zum V-WBRL von „démontre“ (frei übersetzt: „nachweisen/demonstrieren“) spricht. 297 ErwGr. 93 WBRL; zur Bedeutung der Beweislastumkehr für effektiven Whistleblowerschutz etwa m. w. N. Gerdemann, NZA-Beilage 2020, 43, 49; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 111.
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
(b) Widerlegung der Kausalitätsvermutung Soweit die Beweislastumkehr des Art. 21 Abs. 5 WBRL greift, „obliegt es der Person, die die benachteiligende Maßnahme ergriffen hat, zu beweisen, dass diese Maßnahme auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte“ („it shall be for the person who has taken the detrimental measure to prove that that measure was based on duly justified grounds“/„il incombe à la personne qui a pris la mesure préjudiciable d’établir que cette mesure était fondée sur des motifs dûment justifiés“) und damit keine Repressalie im Sinne des Art. 19 WBRL darstellt. Der Normtext deutet damit zwar darauf hin, dass die Kündigung als Nachteil zur Widerlegung der Kausalitätsvermutung ausschließlich auf anderen „hinreichend gerechtfertigten Gründen“ („duly justified grounds“/„motifs dûment justifiés“) beruhen muss, ausdrücklich lässt sich ihm dies indes nicht entnehmen. Es ist daher fraglich, ob insoweit tatsächlich bereits eine (wenn auch untergeordnete) Mitursächlichkeit des Whistleblowings schädlich ist und der Nachteil ausschließlich und nicht nur überwiegend auf anderen gerechtfertigten Gründen basieren muss. Art. 15 Abs. 5 VWBRL stellte demgegenüber noch ausdrücklich klar, dass die Benachteiligung „keineswegs“ aufgrund der Meldung erfolgt sein, sondern „ausschließlich“ auf hinreichenden sonstigen Gründen basieren durfte („exclusively based on duly justified grounds“/„exclusivement fondé sur des motifs dûment justifiés“). Dieser Passus ist nachträglich zwar gestrichen worden, dennoch ist fraglich, ob hieraus geschlossen werden kann, dass die Benachteiligung (auch) auf dem Whistleblowing beruhen darf, soweit andere, hinreichend rechtfertigende Gründe vorliegen. Dagegen spricht ErwGr. 93 WBRL, wonach die beweisbelastete Partei nachweisen muss, dass „ihr Vorgehen in keiner Weise mit der erfolgten Meldung oder Offenlegung in Verbindung stand“ (so auch in der englischen Sprachfassung: „the action taken was not linked in any way to the reporting or the public disclosure“).298 Hiernach könnte die Kündigung eines Whistleblowers selbst dann eine Repressalie im Sinne des Art. 19 lit. a) WBRL darstellen, wenn das Whistleblowing für sie zwar nicht der maßgebliche und leitende Beweggrund, aber jedenfalls mitursächlich war. Die nachträgliche Abschwächung des Normtextes des Art. 21 Abs. 5 WBRL gegenüber Art. 15 Abs. 5 V-WBRL weckt allerdings Zweifel, ob die fehlende Anpassung des Wortlauts des ErwGr. 93 WBRL bzw. des insoweit gleichlautenden ErwGr. 70 V-WBRL nicht ein schlichtes redaktionelles Versehen darstellte und der Unionsgesetzgeber tatsächlich die Anforderungen an die Widerlegung der Kausalitätsvermutung zum Schutz der widerstreitenden Arbeitgeberinteressen absenken wollte, zumal er den Wortlaut in der französischen Sprachfassung insoweit etwas abgeschwächt und angepasst hat.299 Mag daher zwar ErwGr. 93 WBRL nicht als 298
Vgl. insoweit auch wörtlich die Empfehlungen des Europarats aus dem Jahr 2014 CoE, CM/Rec(2014)7, S. 40, Ziff. 88. 299 ErwGr. 70 V-WBRL der französischen Sprachfassung lautete insoweit noch: „ses actions ne sont en rien liées au signalement ou à la divulgation“ [Hervorhebung durch Verf.] (frei übersetzt: „seine Maßnahmen in keiner Weise mit der Meldung oder Offenlegung zusammenhängen“), während ErwGr. 93 WBRL nunmehr lautet: „la mesure prise n’était en rien liée
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Argument für die schädliche Mitursächlichkeit des Whistleblowings herangezogen werden können, so folgt sie dennoch aus dem Richtlinienziel und dem ausdrücklichen Willen des Unionsgesetzgebers, einen weitreichenden und umfassenden Whistleblowerschutz zu schaffen sowie aus der fehlenden gegenteiligen Klarstellung im abgeänderten Art. 21 Abs. 5 WBRL, so dass die beweisbelastete Partei wohl nachweisen muss, dass die Benachteiligung in keiner Weise auf dem Whistleblowing beruhte.300 Für den Arbeitgeber bedeutet das, dass er zwar weiterhin beschäftigungsbezogene Entscheidungen treffen kann, aber im Zweifel nachweisen muss, dass diese nicht in einem „enge[n] Zusammenhang“ mit dem Whistleblowing gestanden haben.301 Hierfür dürfte ein fehlender zeitlicher Zusammenhang regelmäßig ein starkes, wenn auch nicht allein ausreichendes Indiz sein. Es ist allerdings abstrakt kaum bestimmbar, wie lange ein solcher Zusammenhang im Einzelfall vorliegt. Die Widerlegung der Kausalitätsvermutung dürfte dem (nach deutschem Recht für die Kündigungsgründe ohnehin voll beweisbelasteten) Arbeitgeber regelmäßig durch einen positiven Nachweis anderer, in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem Whistleblowing stehender Kündigungsgründe möglich sein, was aber faktisch zu einer Begründungsbedürftigkeit solcher Kündigungen führen wird, die an sich mangels Einschlägigkeit der §§ 1 Abs. 1 und 23 Abs. 1 KSchG gar nicht begründungsbedürftig sind.302 Die umfassende Beweislastumkehr und die hohen Anforderungen an eine Widerlegung der Kausalitätsvermutung sind aufgrund des Richtlinienziels zwar nachvollziehbar und grundsätzlich auch begrüßenswert. Sie dürften aber in dieser Schärfe für das beabsichtigte hohe Schutzniveau und den Abbau von Abschreckungsfaktoren für Whistleblower nicht zwingend notwendig sein, weil eine Beau signalement ou à la divulgation publique“ [Hervorhebung durch Verf.] (frei übersetzt: „seine Maßnahme in keinem Zusammenhang mit der Meldung oder Offenlegung in Zusammenhang stand“). 300 Vgl. auch FGO/Fest, Art. 19 RL (EU) 2019/1937, Rn. 16, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 50; Gerdemann, SR 2021, 1, 13; Harrer-Kouliev, comply 2020, 15; Federmann/Racky/ Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1670; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 111 f., 120; Siemes, WBRL, S. 104; es ist insoweit auch denkbar, dass der Unionsgesetzgeber durch die nachträglichen Veränderungen allein den Empfehlungen des Europarats aus dem Jahr 2014 Rechnung tragen wollte, die auch erst in den Erläuterungen zum relevanten Principle 25 Ausführungen zu den Anforderungen an die Widerlegung der Kausalitätsvermutung machen, CoE, CM/Rec(2014)7, S. 10, Ziff. 25, S. 40, Ziff. 88. 301 ErwGr. 44 WBRL; kritisch, da leichte Widerlegbarkeit fürchtend, Dilling, CCZ 2019, 214, 219; a. A., da Nichtbeweisbarkeit des fehlenden Zusammenhangs fürchtend, HarrerKouliev, comply 2020, 14 f.; Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126, 131; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850; schon zum V-WBRL: Johnson, CCZ 2019, 66, 69; Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1005 f.; Schmolke, AG 2018, 769, 779; BDA, Positionspapier, WBRL, S. 7. 302 Vgl. hierzu auch LAG Nürnberg, Urteil v. 24. 02. 2021 – 3 Sa 331/20, BeckRS 2021, 13407, Rn. 35 f.; kritisch insoweit Degenhart/Dziuba, BB 2021, 570, 573 f.; Schmitt, NZABeilage 2020, 50, 57; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 966; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850; BDA, Positionspapier, WBRL, S. 6; vgl. insoweit auch zur Widerlegung des Anscheins einer Diskriminierung durch ein „Bündel übereinstimmender Indizien“ EuGH, Urteil v. 25. 04. 2013 – C-81/12 (ACCEPT), EuZW 2013, 469, 472, Rn. 58.
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
weiserleichterung dazu wohl ausreichend gewesen wäre. Die befürchtete Missbrauchsgefahr durch eine Instrumentalisierung des Whistleblowings als Schutzbarriere vor einer befürchteten Kündigung dürfte trotzdem in der Praxis beherrschbar sein, weil die Realisierung dieser Gefahr voraussetzt, dass der Arbeitnehmer im Einzelfall überhaupt Anhaltspunkte für Verstöße gegen Unionsrecht hat und der Arbeitgeber nicht in der Lage ist, (andere) hinreichende Kündigungsgründe nachzuweisen.303 Dennoch ist zu resümieren, dass der Unionsgesetzgeber diese Missbrauchsgefahr ohne dringende Notwendigkeit erhöht. Es erscheint einem Whistleblower durchaus zumutbar, zumindest Umstände vorzutragen und zu belegen, die eine vermutete Kausalität zwischen Kündigung und Whistleblowing als (überwiegend) wahrscheinlich erscheinen lassen.304 Unabhängig davon ist der deutsche Gesetzgeber aber verpflichtet, Art. 21 Abs. 5 WBRL richtlinienkonform umsetzen, wozu es einer expliziten gesetzlichen Regelung zur Beweislastumkehr bedarf, weil nach geltendem Recht der Arbeitnehmer für den Kausalitätsnachweis beweisbelastet ist.305 Zur Vermeidung einer rechtsstaatlich bedenklichen Belastung des Arbeitgebers mit einem unmöglichen Negativbeweis und zur Wahrung der prozessualen Waffengleichheit, könnte er aber erwägen, die Erschütterung der Kausalitätsvermutung durch einen Positivbeweis anderer Kündigungsgründe (vorsorglich) gesetzlich festzulegen.306 (2) Kündigungsgrund und Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses Die im Kündigungsschutzprozess geltende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines verhaltensbedingten Kündigungsgrundes und der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist von Art. 21 Abs. 5 WBRL – abgesehen natürlich von der soeben behandelten Kausalität zwischen Whistleblowing und Kündigung – nicht betroffen, so dass der Arbeitgeber auch im Anwendungsbereich der WBRL zukünftig die primär beweisbelastete Partei für das Whistleblowing als hinreichendem Kündigungsgrund ist und den Whistleblower nur 303
So auch Gerdemann, SR 2021, 1, 13; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 76 f.; noch zum V-WBRL und unter der Maßgabe keiner überschießende Umsetzung Johnson, CCZ 2019, 66, 69 f.; a. A. bzw. (sehr) kritisch Teichmann, GA 2021, 527, 535; Harrer-Kouliev, comply 2020, 14; dies., PuR 2020, 30, 33; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1204, 1207; Granetzny/ Markworth, juris-PR-Compl 1/2020 Anm. 1, o. S.; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 966; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1670; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850; schon zum V-WBRL: Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1006; Schmolke, AG 2018, 769, 779; BDA, Positionspapier WBRL, S. 6 f.; BDA, Stellungnahme WBRL, o. S. 304 Ähnlich Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850; Schmolke, AG 2018, 769, 779 (zum VWBRL). 305 Vgl. hierzu bereits in Teil 4, D.II.; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 118 f.; DGB, Positionspapier v. 07. 12. 2020, S. 5; a. A. Harrer-Kouliev, comply 2020, 15; BDA, Positionspapier, WBRL, S. 6, die für die Umsetzung dieser Vorgaben im Arbeitsrecht „kein[en] Bedarf“ sieht. 306 Demgegenüber dürfte die von Degenhart/Dziuba, BB 2021, 570, 574 vorgeschlagene abgestufte Darlegungs- und Beweislast zur richtlinienkonformen Umsetzung nicht genügen.
A. Kündigungsschutz für Whistleblower im Lichte der WBRL
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die sekundäre Beweislast für das Vorliegen der Schutzvoraussetzungen trifft. Auch eine (im Kündigungsschutzprozess aber wohl ohnehin unzulässige)307 Beweislastumkehr unter Rückgriff auf § 186 StGB zulasten des Whistleblowers dürfte endgültig „vom Tisch“ sein, da ErwGr. 97 WBRL klarstellt, dass es der eine Verleumdung – insoweit dürfte für den Tatbestand der üblen Nachrede im deutschen Recht nicht anderes gelten – vorwerfenden Person obliege, „nachzuweisen, dass der Hinweisgeber die in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen nicht erfüllt“. Die daher geltende abgestufte Beweislast bedarf auch im Hinblick auf die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. a) WBRL keiner Anpassung, denn während ErwGr. 60 V-WBRL noch eine widerlegliche Vermutung für das Vorliegen einer berechtigten Meldung enthielt, hat der Unionsgesetzgeber diesen Passus in ErwGr. 32 WBRL gestrichen.308 Im Hinblick darauf, dass diese Vermutung zu keinem Zeitpunkt Eingang in den verbindlichen Normtext gefunden hat, kann diese Streichung nur dahingehend verstanden werden, dass der Unionsgesetzgeber sich insoweit einer Vorgabe zur Beweislastverteilung gerade enthält und sich dies daher nach den nationalen Verfahrensregelungen richtet. Es steht auch nicht im Widerspruch zu den Vorgaben der WBRL, dem Arbeitnehmer als Ausfluss seiner sekundären Beweislast im Einzelfall abzuverlangen, konkrete plausible Anhaltspunkte für seine Vorwürfe vorzutragen und zu belegen, zumal dies durch eine gerechte Risikoverteilung begründet ist und einer effektiven Rechtsdurchsetzung durch den Whistleblower nicht zuwiderläuft.309 bb) Vermeidung einer Abschreckung Die gem. Art. 21 Abs. 6 WBRL für Whistleblower zugänglich zu machenden geeigneten Abhilfemaßnahmen gegen Repressalien, insbesondere die auf nationaler Ebene vorgesehenen Rechtsbehelfe, sollten laut ErwGr. 95 WBRL „keine abschreckende Wirkung auf potenzielle Hinweisgeber haben“, wie sie etwa von der Möglichkeit einer Entschädigung statt einer Wiedereinstellung im Fall einer Kündigung ausgehen kann, weil in der Praxis hiervon gerade größere Unternehmen Gebrauch machen könnten. Der im deutschen Kündigungsschutzrecht in § 9 Abs. 1 307
Vgl. hierzu in Teil 4, D.I. Vgl. ErwGr. 60 V-WBRL („Solange nicht das Gegenteil bewiesen wird, sollte die Vermutung gelten, dass ein berechtigter Grund für diese Annahme [Annahme, dass die geschilderten Sachverhalte der Wahrheit entsprechen] besteht“); ähnlich PACE, Resolution 2300 (2019), Ziff. 12.6.1.; PACE, Resolution 1729 (2010), Ziff. 6.2.4.; richtigerweise kritisch zu dieser Vermutung Bauer/Macherey, WPg 2019, 175, 180; Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1005. 309 Zur Beweiserleichterung wird zum Teil die Einführung einer „Bescheinigung“ im Sinne des Art. 20 Abs. 1 lit. b WBRL gefordert, etwa Dilling, CCZ 2019, 214, 216 f.; Colneric/ Gerdemann, WBRL, S. 54, 114, 122; PACE, Resolution 2300 (2019), Ziff. 12.7. – für den Kündigungsschutz im deutschen Recht ist dies indes aufgrund der geltenden Beweislastverteilung im Kündigungsschutzprozess und den ohnehin niedrigen Anforderungen an die sekundäre Beweislast des Arbeitnehmers nicht notwendig. 308
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
S. 2 KSchG für Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess ermöglichte Auflösungsantrag dürfte grundsätzlich eben eine solche Abschreckungswirkung auf Arbeitnehmer entfalten, was insbesondere für leitende Angestellte im Sinne des § 14 Abs. 2 S. 1 KSchG gilt, weil er in ihrem Fall nicht begründet werden muss.310 Der deutsche Gesetzgeber sollte zur Umsetzung des Art. 21 Abs. 6 WBRL daher erwägen, einen Auflösungsantrag – jedenfalls gem. § 14 Abs. 2 S. 2 KSchG – für den Arbeitgeber ausdrücklich auszuschließen, wenn es sich bei der streitgegenständlichen Kündigung um eine Repressalie im Sinne des Art. 19 lit. a) Alt. 2 WBRL handelt.311 Je nach Ausgestaltung der deutschen Umsetzungsnorm für Art. 19 WBRL, etwa als spezialgesetzliches Maßregelungsverbot, kann ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers aber bei einer Kündigung wegen geschützten Whistleblowings bereits nach geltender Rechtslage ausscheiden, weil dieser eine ausschließlich sozialwidrige Kündigung voraussetzt, woran es bei der Einschlägigkeit sonstiger Unwirksamkeitsgründe fehlt. Unabhängig davon kann es ratsam sein, aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Klarstellung eine ausdrückliche Ausnahme von der Möglichkeit eines Auflösungsantrags gem. § 9 Abs. 1 S. 2 (i. V. m. § 14 Abs. 2 S. 2) KSchG im Umsetzungsgesetz zu verankern. Problematisch erscheint überdies, dass einem gekündigten Arbeitnehmer nach deutscher Rechtslage – abgesehen von § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG – nur in engen Ausnahmefällen, wie etwa bei einer offensichtlich unwirksamen Kündigung, vor dem ersten klagestattgebenden Urteil kein Weiterbeschäftigungsanspruch zusteht, weil auch dies eine nicht unerhebliche Abschreckungswirkung auf potenzielle Whistleblower haben dürfte.312 Der Unionsgesetzgeber weist zudem in ErwGr. 96 WBRL im Hinblick auf bisweilen langwierige Gerichtsverfahren darauf hin, dass es geeigneter einstweiliger Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verhinderung von Repressalien wie einer Kündigung bedürfe, weil deren Auswirkungen nach einem längeren Zeitraum nur schwer wieder rückgängig zu machen seien und den Whistleblower in schwerwiegende finanzielle Nöte bringen können.313 Kann eine Kündigung im Einzelfall nicht verhindert werden, so ist es nach diesen Grundsätzen erst recht geboten und umso wichtiger, dass der Whistleblower einstweilen weiterarbeiten kann. Zur Umsetzung des Art. 21 Abs. 6 WBRL sollte der Gesetzgeber daher im Fall einer Kündigung wegen Whistleblowings einen gesetzlichen Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers – jedenfalls bis zum ersten klageab310 311
S. 5. 312
Vgl. hierzu bereits in Teil 4, D.III. So auch Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 118; DGB, Positionspapier v. 07. 12. 2020,
Vgl. hierzu bereits in Teil 4, D.III. ErwGr. 96 WBRL; FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 41; vgl. auch CoE, CM/ Rec(2014)7, S. 40, Ziff. 89; zur Reduzierung der wirtschaftlichen Risiken des Whistleblowers und zur Prozessführung „auf Augenhöhe“, aber auch zur Finanzierung interner Ermittlungen werden zum Teil weitere Schutzmaßnahmen gem. Art. 20 Abs. 2 WBRL gefordert, etwa die Einrichtung eines speziellen Fonds, Dilling, CCZ 2019, 214, 219, 224; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 125; WB-Netzwerk/Transparency/GFF, PM v. 29. 04. 2021; zu Recht ablehnend bereits zum V-WBRL Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1006. 313
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weisenden Urteil – vorsehen, sofern der Arbeitgeber im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zumindest durch Vorlage entsprechender Belege glaubhaft machen kann, dass die Voraussetzungen für einen Schutzanspruch des Arbeitnehmers nicht oder ganz offensichtlich nicht erfüllt sind. Unter Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 21 Abs. 5 WBRL sollte dies auch gelten, sofern der Arbeitnehmer im einstweiligen Rechtsschutzverfahren darlegt, dass er infolge seines Whistleblowings gekündigt wurde, es sei denn der Arbeitgeber kann andere hinreichend gerechtfertigte Kündigungsgründe glaubhaft machen.314 cc) Schadenskompensation Neben dem Verbot von Repressalien und dem Zugang zu geeigneten Rechtsbehelfen müssen die Mitgliedstaaten gem. Art. 21 Abs. 8 WBRL die vollständige Wiedergutmachung des durch die Repressalie erlittenen Schadens sicherstellen, was auch mit dem im amerikanischen Recht vorhandenen Willen zur umfassenden Entschädigung des Whistleblowers übereinstimmt.315 Die dafür vorgesehenen Rechtsbehelfe sollten nach ErwGr. 95 WBRL gewährleisten, dass der Schaden „tatsächlich und wirksam ausgeglichen oder ersetzt wird, und zwar auf eine Art und Weise, die dem erlittenen Schaden angemessen und abschreckend ist“. Mithin soll dem Schadenersatz nicht allein eine ausgleichende, sondern insbesondere auch eine wirklich abschreckende Funktion gegenüber dem Schadensverursacher zukommen, womit sich der Unionsgesetzgeber erkennbar an der Rechtsprechung des EuGH zu antidiskriminierungsrechtlichen Sekundärrechtsakten orientiert. Nach dieser Rechtsprechung entfaltet eine verschuldensabhängige Haftung für diskriminierungsrechtliche Verstöße keine ausreichend abschreckende Wirkung gegenüber dem Verursacher und ist für die praktische Wirksamkeit des tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutzes des Opfers unzureichend.316 Ausgehend von diesen Grundsätzen sollte der deutsche Gesetzgeber für die Umsetzung des Art. 21 Abs. 8 WBRL einen verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch gesetzlich vorsehen, weil die geltenden nationalen Regelungen, etwa
314 Ähnlich DGB, Positionspapier v. 07. 12. 2020, S. 5; noch weitergehend Colneric/ Gerdemann, WBRL, S. 54, 122, die für eine Einführung behördlicher Vergeltungsschutzmaßnahmen plädieren; vgl. insoweit auch Gerdemann, SR 2021, 89, 92; ders., Überlegungen zur Umsetzung der WBRL, S. 2; a. A. Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 57, Fn. 148; auch Gerdemann, RdA 2019, 16, 26 (zum V-WBRL), die jeweils den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch in seiner jetzigen Form für ausreichend halten. 315 Vgl. hierzu in Teil 2, C.II.2.a). 316 EuGH, Urteil v. 22. 04. 1997 – C-180/95 (Draehmpaehl), NJW 1997, 1839, 1840, Rn. 17 ff.; EuGH, Urteil v. 08. 11. 1990 – C-177/88 (Dekker), NZA 1991, 171, 172, Rn. 24 f.; vgl. hierzu Grünberger/Husemann, in: Preis/Sagan, Europ. ArbR, § 5, Rn. 5.277; FGO/Fest, Art. 21 RL (EU) 2019/1937, Rn. 36; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 57; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 110.
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§§ 280 Abs. 1 und 823 BGB, hierfür nicht ausreichen.317 Überdies ist nach ErwGr. 94 WBRL auch ein Ausgleich für immaterielle Schäden zu gewähren, wofür es wegen § 253 Abs. 1 BGB ebenso einer entsprechenden nationalen Umsetzungsregelung bedarf. Für Arbeitnehmer bedeutet dies, dass sie auf Grundlage der zu erlassenden nationalen Umsetzungsnorm im Anwendungsbereich der WBRL zukünftig nach einer verbotenen Kündigung im Sinne des Art. 19 lit. a) Alt. 2 WBRL ergänzend zum ohnehin bestehenden Anspruch auf Annahmeverzugslohn gem. §§ 611 Abs. 2 und 615 S. 1 BGB unabhängig vom Verschulden des Arbeitgebers all ihre materiellen, aber auch immateriellen Schäden, etwa durch gesundheitliche oder psychische Beeinträchtigungen, ersetzt verlangen können, ohne dass dieser Anspruch vertraglich ausgeschlossen werden darf (Art. 24 WBRL).318 Der Schadensbegriff des Art. 21 Abs. 8 WBRL ist dabei grundsätzlich weit zu verstehen und umfasst jedweden durch die Repressalie erlittenen Nachteil, also etwa auch den Verlust des Arbeitsplatzes als solchen.319 Aufgrund der Systematik des deutschen Kündigungsschutzrechts bedarf es insoweit aber (etwa im Rahmen der Naturalrestitution) keines gesonderten (gesetzlichen) Wiedereinstellungsanspruchs, weil im Fall der festgestellten Unwirksamkeit der Kündigung wegen des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung des Whistleblowers besteht. c) Sanktionen Der Unionsgesetzgeber beschränkt sich (wie häufig) zwar auch in der WBRL darauf, den Mitgliedstaaten in Art. 23 Abs. 1 WBRL aufzuerlegen, „wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen“ zu ergreifen;320 er bezieht diese Verpflichtung allerdings nur auf ausdrücklich aufgelistete, mit dem Richtlinienziel evident in Widerspruch stehende Verhaltensweisen natürlicher oder juristischer Personen, wie etwa in Art. 23 Abs. 1 lit. b) WBRL auf das Ergreifen von Repressalien wie einer Kündigung gegenüber Whistleblowern, um einen rein symbolischen Charakter ihres Verbots zu verhindern. Für das Unterlassen der verpflichtenden Einrichtung interner Meldekanäle schreibt er hingegen keine Sanktion vor, was jedenfalls im Hinblick auf die mehrfache Betonung der Bedeutung des internen Whistleblowings verwundert. Da diese insoweit unvollständig wirkende Regelung Folge des nur mindestharmonisierenden Charakters der WBRL sein dürfte, ist es den Mitgliedstaaten jedenfalls nicht verwehrt, auch die Nichteinrichtung interner Meldekanäle zu sanktionieren. 317 Vgl. auch Gerdemann, SR 2021, 1, 14; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 57; Colneric/ Gerdemann, WBRL, S. 117; DGB, Positionspapier v. 07. 12. 2020, S. 5. 318 Kritisch zu dieser umfassenden Schadenersatzpflicht Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 967; a. A. insoweit Dilling, CCZ 2019, 214, 220. 319 Vgl. hierzu auch Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1204; Dilling, CCZ 2019, 214, 220; enger wohl Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 110, 116 f. 320 Vgl. zu den unionalen Vorgaben mitgliedstaatlicher Sanktionierung von Verstößen gegen Unionsrecht Teil 3, B.II.3.a)aa).
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Obschon weitere Vorgaben zu Art und Umfang der Sanktionen fehlen, die ausweislich ErwGr. 102 WBRL zivil-, straf- oder verwaltungsrechtlicher Natur sein können, sollten sie im Hinblick auf den Kündigungsschutz für Whistleblower unter Berücksichtigung ihrer Präventivfunktion derart ausgestaltet sein, dass sie Arbeitgeber von einer unberechtigten Kündigung abhalten bzw. zu einer besonders sorgfältigen Prüfung ihrer Rechtmäßigkeit im Einzelfall veranlassen, aber zugleich beschäftigungsbezogene Entscheidungen (faktisch) nicht verhindern.321 Abgesehen von dieser zweckbezogenen Einschränkung ist dem Spielraum der Mitgliedstaaten aber prinzipiell keine Grenze gesetzt, insbesondere auch nicht durch eine aus der Mindestvorgabe des Art. 21 Abs. 8 WBRL abgeleitete inzidente Pflicht, eine Art „Strafschadenersatz“ an Whistleblower als Sanktion vorzusehen. Diese Vorschrift sichert vielmehr grundsätzlich lediglich die vollständige Kompensation des erlittenen Schadens, die zwingend eine abschreckende, nicht aber eine sanktionierende bzw. moralisierend bestrafende Wirkung auf den Arbeitgeber haben muss.322 Allerdings kommt einem verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch regelmäßig rein faktisch eine gewisse Sanktionswirkung zu, so dass es für eine richtlinienkonforme Umsetzung des Art. 23 Abs. 1 lit. b) WBRL nicht zwingend geboten erscheint, daneben noch (weitere) besondere Sanktionen vorzusehen.323 Für eine tatsächlich vor der Kündigung eines Whistleblowers abschreckende Wirkung und zur effektiven Verfolgung des Richtlinienziels kann es aber durchaus sinnvoll sein, die Kündigung jedenfalls dann mit einem Bußgeld zu sanktionieren, wenn der Whistleblower zutreffend Verstöße gemeldet hat.324 Dies würde dazu beitragen, das Rechtsempfinden dahingehend zu schärfen, dass die Kündigung eines Whistleblowers, der im Allgemeininteresse Verstöße aufdeckt, kein „Kavaliersdelikt“ ist und nicht toleriert wird. Ob eine solche „Maßregelung“ des Arbeitgebers geboten ist oder ob bereits ein ausdrückliches Kündigungsverbot und ein verschuldensunabhängiger Entschädigungsanspruch – jedenfalls bei entsprechend hohen Entschädigungssummen für immaterielle Schäden – für eine wirksame, angemessene und abschreckende Sanktion ausreichen, kann auch vom Gewicht des gemeldeten Verstoßes abhängig gemacht werden.
321
Vgl. zu potenziellen Sanktionen FGO/Fest, Art. 19 RL (EU) 2019/1937, Rn. 21 ff. Vgl. ähnlich in antidiskriminierungsrechtlichen Richtlinien, etwa Art. 25 S. 2 RL 2006/ 54/EG und Art. 15 S. 2 RL 2000/43/EG, in denen der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten ausdrücklich freigestellt hat, als Sanktionen „auch Schadenersatzleistungen an die Opfer“ vorzusehen; hierzu FGO/Mohr, Art. 18 RL 2006/54/EG, Rn. 6, Art. 25 RL 2006/54/EG, Rn. 2, Art. 15 RL 2000/43/EG, Rn. 2. 323 A. A. Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 124, die für die Schaffung eines Straftatbestandes (ohne Antragserfordernis) nach dem Vorbild des § 119 Abs. 1 BetrVG plädieren. 324 In diese Richtung wohl ErwGr. 88 WBRL, in dem der Unionsgesetzgeber darauf verweist, dass „ein eindeutiges gesetzliches Verbot von Repressalien […] eine große abschreckende Wirkung besitzen und durch einschlägige Bestimmungen über die persönliche Haftung und über Sanktionen gegen Personen, die zu Repressalien greifen, noch verstärkt werden [würde]“ [Hervorhebung durch Verf.]. 322
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VII. Zwischenergebnis Die Auseinandersetzung mit der WBRL und ihren Schutzvorgaben lässt erahnen, wieso ihrem Inkrafttreten am 16. 12. 2019 ein intensives politisches Ringen der europäischen Gesetzgebungsorgane vorausgegangen ist – der Unionsgesetzgeber positioniert sich im Ergebnis klar für einen europaweit hohen Whistleblowerschutz. Die Richtlinienvorgaben tragen die Handschrift eines Gesetzgebers, der insoweit einen dringenden Handlungsbedarf sieht und Whistleblowing nicht nur als internes Compliance-Mittel versteht, sondern als allgemein erforderliches und wirksames Instrument zur Beseitigung bestehender Informationsdefizite über betriebsinterne Missstände. Die WBRL verfolgt deshalb das Ziel, die Durchsetzung unionaler Politik und Regulierung mittels Förderung der Meldebereitschaft zu verbessern, und zwar durch einen hohen und vorhersehbaren Schutz für Whistleblower vor Repressalien wie einer Kündigung als passiven Anreizfaktor sowie der verpflichtenden Einrichtung interner und externer Meldekanäle als Anlaufstellen für meldewillige Personen als aktiven Anreizfaktor. Um die Beseitigung des Rechtsdurchsetzungsdefizits sicherzustellen, das sich aufgrund des bisherigen inkohärenten mitgliedstaatlichen und unionalen Whistleblowerschutzes grenzüberschreitend auswirkt, erstreckt sich der breite sachliche und persönliche Anwendungsbereich der WBRL über binnenmarktbezogene Regulierungsbereiche hinaus auch auf solche Rechtsbereiche und unionale Vorschriften, die vornehmlich dem Schutz unserer Lebensgrundlagen dienen. Trotz dieses sektor- und bereichsübergreifenden Ansatzes bleibt der sachliche Anwendungsbereich aber aus kompetenzrechtlichen Gründen beschränkt, was die wohl größte Schwachstelle der WBRL darstellt. Für den Unionsgesetzgeber steht das öffentliche Interesse an einer Steigerung der Rechtsdurchsetzung als primäres und übergeordnetes Richtlinienziel im Mittelpunkt und nicht etwa der Kündigungsschutz für Arbeitnehmer, der zum Abbau von Meldehemmnissen vielmehr als bloßer Rechtsreflex der Stärkung des Whistleblowerschutzes als eines untergeordneten Regelungsziels tangiert wird. Aufgrund dieser mehrstufigen Zielsetzung unterscheidet sich die Herangehensweise des Unionsgesetzgebers zur Auflösung des durch Whistleblowing hervorgerufenen Interessenkonflikts bereits im Ansatz von derjenigen der bisherigen deutschen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Während der Unionsgesetzgeber Whistleblowing primär als demokratisch-rechtsstaatlich erwünschtes Verhalten betrachtet und es durch einen gesetzlich regulierten Interessenausgleich fördern will, betrachten die Arbeitsgerichte den Konflikt der Arbeitsvertragsparteien als eine rein zweipolige Auseinandersetzung, die unabhängig von externen Faktoren zu lösen ist. Dieser differierende Blick dürfte vor allem auf die unterschiedlichen Kompetenzen und Aufgaben des Gesetzgebers zur Normierung abstrakt-genereller Regelungen zur gesellschaftlichen Konfliktlösung einerseits und der Rechtsprechung als rechtsanwendender Staatsgewalt zur Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit andererseits zurückzuführen sein. Der Ansatz der Arbeitsgerichte fußt überdies auf einer überkommenen Betrachtung des Arbeitsverhältnisses als einer Art treuerechtlichem
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Sonderverhältnis mit übermäßigen Loyalitätspflichten des Arbeitnehmers, die außer Acht lässt, dass es in die allgemeinen gesellschaftlichen und rechtlichen Strukturen, etwa zum Umwelt-, Gesundheits- oder Steuerrecht, eingebettet ist, in die wiederum die Grundrechte der Arbeitsvertragsparteien hineinwirken. Es kann somit nicht isoliert von Allgemeininteressen betrachtet, sondern im Einzelfall sogar durch diese überlagert werden. Das dies berücksichtigende unionale Verständnis des öffentlichen Interesses als eines gewichtigen und (tendenziell) entscheidungserheblichen Einflussfaktors auf das privatrechtliche Arbeitsverhältnis führt folgerichtig dazu, dass die WBRL die aufgezeigten Schwächen des richterrechtlich geprägten Kündigungsschutzes für Whistleblower im deutschen Recht gerade vermeidet und weitgehend klare und rechtssicher vorhersehbare Schutzvoraussetzungen aufstellt, die grundsätzlich auf einer Linie mit der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2001 liegen. So ist der Kündigungsschutz weder von einem bestimmten Motiv noch grundsätzlich von einem vorherigen internen Abhilfeversuch des Whistleblowers abhängig, sondern setzt lediglich dessen berechtigte Meldung oder ausnahmsweise zulässige berechtigte Offenlegung voraus. Die Berechtigung der Aufdeckung von Verstößen gegen Unionsrecht macht die WBRL dabei im Falle irrtümlich unzutreffender Meldungen unter Berücksichtigung gegenläufiger Schutzinteressen überzeugend von der objektiv-rechtlichen Voraussetzung eines „hinreichenden Grunds“ für die Annahme des Whistleblowers von der Richtigkeit seiner Meldung abhängig. Dadurch tritt seine subjektive Wahrnehmung zwar in den Hintergrund und kann für sich allein keinen Schutz rechtfertigen, aber auch irrig handelnde Whistleblower büßen ihren Schutz nicht schon deshalb ein, weil sie ihre Fehleinschätzung hätten erkennen und vermeiden können, sondern erst dann, wenn diese auf einer groben Nachlässigkeit ihrer Prüf- und Sorgfaltspflichten beruht. Im Hinblick auf den Abbau von Abschreckungsfaktoren ist es zudem zu begrüßen, dass der Unionsgesetzgeber diesen Prüfungsmaßstab einheitlich für Tatsachen- und Rechtsirrtümer festlegt und dadurch die gerade für juristische Laien zwangsläufig entstehende Rechtsunsicherheit über das Vorliegen eines in den Anwendungsbereich der WBRL fallenden Meldegegenstandes abmildert. Die unterschiedlichen Blickwinkel auf den beim Whistleblowing bestehenden Interessenkonflikt des Unionsgesetzgebers einerseits und der deutschen Arbeitsgerichte andererseits zeigen sich wohl am deutlichsten in der Irrelevanz der Motivation des Whistleblowers als Schutzvoraussetzung in der WBRL. Dies steht im klaren Widerspruch zur bisherigen Linie der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung, die dem Motiv als Prüfkriterium zur Feststellung eines Kündigungsgrundes auf „erster Prüfungsebene“ eine große Bedeutung beimisst. Im Anwendungsbereich der WBRL wird dies zukünftig nicht mehr möglich sein, so dass die Motivation sich hier als eigenständiges Abwägungskriterium nur noch bei einer unzulässigen Meldung auf „zweiter Prüfungsebene“ auswirken und etwa die Drohung mit zulässigem Whistleblowing zur Erlangung eines Vorteils zwar weiterhin eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung wegen einer inadäquaten Mittel-Zweck-Relation begründen kann, nicht aber die tatsächliche Realisierung dieses angedrohten Verhaltens. Demgegenüber entspricht diese Re-
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gelung der WBRL der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, die dem Motiv ebenfalls keine von der Berechtigung der Anzeige losgelöste eigenständige Bedeutung zuweist. Auch der Vorrang eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs – maßgebliche Ursache für die abschreckende Rechtsunsicherheit über den Kündigungsschutz im deutschen Recht – hat aufgrund erheblichen Widerstands als „Dealbreaker“ im Gesetzgebungsprozess keinen Eingang in die Schutzvorgaben der WBRL gefunden. Dies wird im Rahmen der Richtlinienumsetzung zu der mit Abstand größten Veränderung im deutschen Recht führen. Der Unionsgesetzgeber hat als konsequenten Schritt zur Zielerreichung ein echtes Wahlrecht zwischen einer internen und einer externen Meldung etabliert und gewährt einen bedingungslosen Schutz auch bei einer direkten externen Meldung, was aufgrund der starken Gewichtung des öffentlichen Rechtsdurchsetzungsinteresses zudem nicht gegen den unionsgrundrechtlich gebotenen Schutz der Arbeitgeberinteressen verstößt. Der klaren Absage an ein Überwiegen des (immer wieder deklarierten und betonten) Interesses der Unternehmerschaft an einer vorrangigen Selbstregulierung ist zuzustimmen. Die Beschränkung auf die speziellen internen und externen Meldekanäle als schutzauslösende Meldeadressaten schafft allerdings trotz der grundsätzlich begrüßenswerten Kanalisierung und Strukturierung der Meldewege sowie Klarheit hinsichtlich der einzuhaltenden „Wartezeiten“ für eine Rückmeldung über Folgemaßnahmen keinen überzeugenden Ausgleich der konfligierenden Interessen und erscheint zur Zielerreichung bisweilen sogar kontraproduktiv. Anders als die bisherige arbeitsgerichtliche Rechtsprechung formuliert der Unionsgesetzgeber auch Voraussetzungen für eine ausnahmsweise geschützte Offenlegung, die allerdings sehr unbestimmt und stark auslegungsbedürftig sind sowie in ihren Anforderungen an eine zulässige mittelbare Offenlegung im Anschluss an eine direkte externe Meldung konventionsrechtlich zumindest fragwürdig erscheinen. Gegen diese Schutzvoraussetzungen der WBRL, bei deren Vorliegen der Whistleblower nicht nur vor berufsbezogenen Repressalien, sondern auch vor ziviloder strafrechtlicher Haftung geschützt wird, werden zum Teil erhebliche Bedenken vorgebracht. Es wird eine einseitige Belastung des Arbeitgebers bemängelt, die auf einem unverhältnismäßigen Außerachtlassen seiner schutzwürdigen Interessen beruhe. In der Beweislastumkehr wird sogar die Schaffung eines Missbrauchsinstrumentariums zur „Schutzerschleichung“ gesehen. Insbesondere aber die Abkehr vom dreistufigen System zulässiger Adressaten wird wegen einer befürchteten Untergrabung interner Compliance-Bemühungen und der vorschnellen Stigmatisierung von Unternehmen durch externe Meldungen kritisiert. Zuzugestehen ist diesen Bedenken, dass das Risiko von Ruf- und Geschäftsschädigungen durch die Abkehr vom grundsätzlichen Vorrang internen Whistleblowings, insbesondere unter Berücksichtigung der Relativierung gesetzlicher wie vertraglicher Verschwiegenheitspflichten durch die umfassende Haftungsfreistellung des Whistleblowers, sicherlich erhöht wird. Auch das Fehlen einer subjektiven Treuwidrigkeitsgrenze sowie die Beweislastumkehr mit ihren hohen Anforderungen an die Widerlegung des Kausalzusammenhangs erscheinen (rechtspolitisch)
A. Kündigungsschutz für Whistleblower im Lichte der WBRL
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durchaus diskussionswürdig. Diesen Bedenken ist aber entgegenzuhalten, dass sich die in den Schutzvorgaben der WBRL zum Ausdruck kommende Wertentscheidung des Unionsgesetzgebers (noch) in den Grenzen des ihm (grund-)rechtlich eingeräumten gesetzgeberischen Spielraums bewegt. Er schützt weder die grundlose und denunziatorische Informationspreisgabe noch konterkariert er Bemühungen interner Selbstregulierung. Vielmehr versagt er einen Schutz für ohne plausible und nachvollziehbare Anhaltspunkte erhobene Anschuldigungen, so dass er keinen Deckmantel für bloßes „Anschwärzen“ schafft. Somit ermöglicht er durch die vollständige Haftungsfreistellung des Whistleblowers auch nicht die grundlose und willkürliche Aufdeckung besonders geschützter betrieblicher Informationen, sondern trägt dem hohen Haftungsrisiko des Whistleblowers wegen eines Verstoßes gegen seine Verschwiegenheitspflichten nur insoweit Rechnung, als diese Schutzvoraussetzungen erfüllt sind und die Beschaffung und Weitergabe der Informationen „notwendig“ war. Darüber hinaus hebt der Unionsgesetzgeber die Bedeutung internen Whistleblowings für die Bekämpfung von Verstößen mehrfach hervor und fördert die wirksame unternehmerische Selbstkontrolle aktiv durch die branchenübergreifend verpflichtende Einrichtung interner Meldekanäle. Dies wird nicht dadurch entwertet, dass der Unionsgesetzgeber die Förderung direkter externer Meldungen zur Stärkung der Rechtsdurchsetzung für gleichermaßen erforderlich hält. Er setzt hierfür weder stärkere Anreize noch verpflichtet er etwa Whistleblower zu einer externen Meldung. Die teils starke Empörung über die „Abschaffung“ des Konzepts (vorrangiger) interner Selbstregulierung findet daher keine rechtliche Stütze. Sie vermag aus rechtsstaatlicher Sicht bisweilen sogar zu irritieren, weil der Unionsgesetzgeber durch den gleichberechtigten Schutz externer Meldungen letztlich nur sicherstellt, dass demjenigen keine (berufsbezogenen) Nachteile erwachsen, der sich an staatliche Meldestellen wendet, die zur Vertraulichkeit verpflichtet, aufgrund des Gewaltmonopols originär für die Aufklärung von Verstößen zuständig und in aller Regel mit einer Einstellungskompetenz bei geringfügigen Verstößen ausgestattet sind. Kurz gesagt unterbindet der Unionsgesetzgeber, dass der für eine wirksame Rechtsdurchsetzung unabdingbare Informationsweg zu Staatsorganen durch eine privatrechtlich auferlegte Loyalitätspflicht faktisch versperrt oder durch Abschreckung erschwert wird. Die Vorbehalte gegen das zweistufige System zulässiger Adressaten lassen zudem außer Betracht, dass eine verbesserte Rechtsdurchsetzung auch dem Interesse privater Unternehmen an fairen Marktbedingungen und dem Abbau von Wettbewerbsverzerrungen dienen dürfte. Der Unionsgesetzgeber hat im Ergebnis verhältnismäßige und (im Unterschied zur bisherigen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung) weitgehend klare sowie rechtssicher vorhersehbare Schutzvoraussetzungen aufgestellt. Ihre Umsetzung in deutsches Recht dürfte auch nicht zu einem von besorgten Kritikern befürchteten ausufernden Whistleblowerschutz führen, sofern insbesondere eine klare und sorgfältige Prüfung der Berechtigung des Whistleblowings ohne (unnötiges) Absenken der Anforderungen an das Vorliegen plausibler Anhaltspunkte erfolgt und
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
keine überhöhten Anforderungen an die Erfüllung der zulasten des Arbeitgebers umgekehrten Beweislast gestellt werden.
B. Umsetzungsaufgaben für den deutschen Gesetzgeber Zur unionsrechtskonformen Umsetzung der WBRL in deutsches Recht bedarf es aufgrund des unionalen Transparenzgebotes eines legislativen Umsetzungsaktes, der bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist am 17. 12. 2021 erlassen werden sollte.325 Für den Gesetzgeber dürfte dies eine echte Herausforderung darstellen und ihm große Anstrengungen abverlangen.326 So muss er nicht nur die Abkehr von dem seit Jahren in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung etablierten Prüfkriterienkatalog für die Zulässigkeit von Whistleblowing für eine Vielzahl sektor- und bereichsübergreifender Meldegegenstände gesetzlich vorschreiben, sondern sich auch allgemein mit der Behandlung des Phänomens Whistleblowing im deutschen Recht und dem Kündigungsschutz für Whistleblower auseinandersetzen, um über unional zulässige Regelungsintensivierungen und über eine überschießende Umsetzung zu entscheiden. Obschon der deutsche Gesetzgeber mit seiner bislang erfolglosen Umsetzungsaktivität nicht alleinsteht, da in zahlreichen Mitgliedstaaten bislang noch keine Umsetzung erfolgt ist,327 sollte er seiner unionalen Umsetzungspflicht umso rascher und dringender nachkommen. Im Folgenden wird zuerst allgemein die Art der vom Gesetzgeber vorzunehmenden Umsetzung erörtert. Im Anschluss werden anknüpfend an die vorangegangene Analyse der Richtlinienvorgaben die auf den Gesetzgeber wartenden zwingenden Umsetzungsaufgaben samt empfohlener Schutzintensivierungen zusammengefasst, bevor zuletzt zu Notwendigkeit und Umfang einer überschießenden Umsetzung Stellung genommen wird.
I. Art der Umsetzung – Artikelgesetz vs. Stammgesetz Als Umsetzungsgesetz kommt sowohl der Erlass eines Artikel- wie auch eines Stammgesetzes in Betracht. Soweit allein der Kündigungsschutz für meldewillige Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft betrachtet wird, mag zwar eine Umsetzung der WBRL durch ein Artikelgesetz und die Einfügung eines Anzeigerechts vor oder nach § 612a BGB naheliegend sein, wie es in der Vergangenheit auch bereits diskutiert
325
Vgl. hierzu in Teil 5, A.IV. So auch Siemes, WBRL, S. 121. 327 Vgl. insoweit zum Umsetzungsstand in den Mitgliedstaaten die offizielle Übersicht der EU (online abrufbar: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/NIM/?uri=CELEX:32019L1 937, Abruf: 27. 11. 2021); Gloeckner/Metzner, CCZ 2021, 256, Fn. 3. 326
B. Umsetzungsaufgaben für den deutschen Gesetzgeber
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wurde.328 Ein solcher auf das Arbeitsrecht fokussierter Umsetzungsansatz greift für die unionsrechtkonforme Umsetzung der WBRL aber zu kurz, weil ihr persönlicher Anwendungsbereich nicht auf Arbeitnehmer beschränkt ist und sie neben dem Schutz vor berufsbezogenen Repressalien auch einen Schutz vor jedweden sonstigen Nachteilen vorsieht. Die Frage nach der zu empfehlenden Gesetzesart lässt sich vor diesem Hintergrund ausnahmsweise nur losgelöst vom Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit beantworten. Der deutsche Gesetzgeber könnte aufgrund des weiten persönlichen Anwendungsbereichs der WBRL die Einfügung einer Schutznorm für meldewillige Personen/Vertragspartner im Allgemein Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches erwägen. Allerdings reichte auch eine solche Schutznorm als Umsetzungsmaßnahme im Ergebnis nicht aus, weil sie nicht nur systemfremd wäre, sondern ebenfalls den breiten persönlichen Anwendungsbereich der WBRL nicht abdeckte, etwa im Hinblick auf staatliche Bedienstete, und gleichfalls keinen umfassenden Schutz vor jeglichen zivil- oder strafrechtlichen Nachteilen gewähren würde, etwa im Falle eines Verstoßes gegen spezialgesetzliche Verschwiegenheitspflichten. Auch eine teilweise vorgeschlagene Verankerung des Schutzes vor Repressalien im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz329 ist abzulehnen. Hiergegen spricht schon das fehlende Vorliegen eines personenbezogenen Diskriminierungsmerkmals allein durch die Meldung von Verstößen.330 Zudem müsste eine in bestehende Normstrukturen eingefügte Whistleblowing-Schutznorm (sofern keine überschießende Umsetzung erfolgt) in ihrem Schutzbereich stets auf den sachlichen Anwendungsbereich der WBRL zugeschnitten sein, was zu einer Unübersichtlichkeit der Vorschrift selbst führen und die ohnehin rechtssicherheitsfeindliche Fragmentierung (spezial-)gesetzlicher Whistleblowing-Schutznormen im deutschen Recht noch verstärken würde.331 Aufgrund des breiten Regelungsansatzes der WBRL sollte der deutsche Gesetzgeber die unionalen Vorgaben – auch als Lehre aus dem amerikanischen Whistleblowingrecht –332 daher stammgesetzlich in ein „Whistleblowing-Gesetz“ überführen und den Umgang mit dem Phänomen Whistleblowing als rechtsgebietsübergreifender Querschnittsmaterie im deutschen Recht einheitlich und kohärent regeln.333 Hierdurch könnte er die Voraussetzungen und Maßnahmen zum 328
Kreis, WB, S. 200; ähnlich Rudkowski, CCZ 2013, 204, 209; Leuchten, ZRP 2012, 142, 145; Heide/Heide, WB, S. 65; kritisch Forst, EuZA 2013, 37, 63. 329 Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 171; Gerdemann, Überlegungen zur Umsetzung der WBRL, S. 4 f. 330 So auch Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 433; Forst, EuZA 2013, 37, 62; Kreis, WB, S. 199. 331 Ähnlich Schröder, ZRP 2020, 212, 213; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 171 f.; Gerdemann, Überlegungen zur Umsetzung der WBRL, S. 4. 332 Vgl. hierzu in Teil 2, C.II.2.a). 333 So auch Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 432; Teichmann, GA 2021, 527, 536; Schröder, ZRP 2020, 212, 213; Schmolke, NZG 2020, 5, 9; Erlebach, CB 2020, 284, 288;
306
Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
Schutz meldewilliger Personen übersektoral rechtssicher und vorhersehbar normieren und so rechtsgebietsbedingte Auslegungsdifferenzen bestmöglich vermeiden.334 Zudem ließen sich auch die Anforderungen an die Einrichtung und den Betrieb interner und externer Meldekanäle übersichtlich und strukturiert darstellen, wodurch der passive und der aktive Anreizfaktor der WBRL passend zu ihrer Verknüpfung in den Schutzvoraussetzungen gemeinsam geregelt würden. Auf der Basis eines solchen Stammgesetzes könnte auch die Harmonisierung mit bereits bestehenden Whistleblowing-Schutznormen herbeigeführt werden, etwa durch ihren Wegfall bei inhaltlicher Übereinstimmung oder bei einem hinter dem Umsetzungsgesetz zurückbleibenden Schutzniveau.335 Die an sich wünschenswerte Streichung der missglückten Schutznorm des § 5 Nr. 2 GeschGehG dürfte – zumindest im Falle einer 1:1-Umsetzung – wegen des unterschiedlichen Anwendungsbereichs der GeschGehRL und der WBRL aber ausscheiden.336
II. Mindestgeltungsbereich Der Geltungsbereich des deutschen Umsetzungsgesetzes darf den Anwendungsbereich der WBRL nicht unterschreiten, weil der Unionsgesetzgeber hierdurch in sachlicher und persönlicher Hinsicht festgelegt hat, für welche Fallkonstellationen die Richtlinienvorgaben einschlägig sind. Ein hiervon in seiner „Regelungsbreite“ verengend abweichendes Umsetzungsgesetz wäre schon aus diesem Grunde unionsrechtswidrig. Der Gesetzgeber muss mit dem Geltungsbereich seines Umsetzungsgesetzes zunächst den – aus kompetenzrechtlichen Gründen begrenzten – sachlichen Anwendungsbereich der WBRL abdecken, also insbesondere die im Anhang der WBRL aufgelisteten Sekundärrechtsakte, welche die in Art. 2 Abs. 1 lit. a) WBRL aufgeführten unionalen Politikbereiche betreffen, bzw. die ihrer Umsetzung und Durchführung dienenden nationalen Rechtsvorschriften.337 Klarstellend sollte darauf hingewiesen werden, dass auf diesem Unionsrecht beruhende spezialgesetzliche Whistleblowing-Schutznormen, etwa § 4d FinDAG, § 3b BörsG oder § 48 GwG, als vorrangig anzusehen sind und durch das neue Stammgesetz nur insoweit ergänzt werden, als sie hinter dem auf der WBRL beruhenden Schutzniveau des Umset-
Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964; Groß/Platzer, NZA 2018, 913, 915 (schon zum V-WBRL); Siemes, WBRL, S. 122; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 172; Gerdemann, Überlegungen zur Umsetzung der WBRL, S. 4; WB-Netzwerk/ Transparency, Positionspapier WBRL, S. 2; DGB, Positionspapier v. 07. 12. 2020, S. 2. 334 Schmolke, NZG 2020, 5, 9 f.; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 172. 335 Vgl. so auch Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 434. 336 Ähnlich Schröder, ZRP 2020, 212, 215; a. A. wohl Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 435. 337 Vgl. hierzu in Teil 5, A.V.1.a).
B. Umsetzungsaufgaben für den deutschen Gesetzgeber
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zungsgesetzes zurückbleiben oder weniger detaillierte Vorgaben enthalten.338 Das ist allerdings nur insoweit relevant, als der deutsche Gesetzgeber diese bereits bestehenden Regelungen im Rahmen der Umsetzung nicht ohnehin aufhebt. Auch das Verhältnis der neuen Schutzvorgaben für Whistleblower zum bereits stammgesetzlich geregelten Geheimnisschutz sollte durch einen ausdrücklichen Verweis auf ihre Spezialität im Sinne des § 3 Abs. 2 GeschGehG geklärt werden.339 Der Geltungsbereichs darf zum Schutz besonders sensibler Informationen und Vertrauensverhältnisse im Sinne des Art. 3 Abs. 2 – 4 WBRL beschränkt werden. Im Hinblick auf berufliche Verschwiegenheitspflichten ist dabei zu beachten, dass nur der anwaltlichen und der ärztlichen Schweigepflicht unterfallende Berufsgruppen vom Geltungsbereich ausgenommen werden dürfen. Das bezieht sich aufgrund eines weiten Verständnisses der ärztlichen Schweigepflicht zwar auf alle in § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB aufgeführten Berufsgruppen, nicht dagegen aber aufgrund des restriktiven und auf die Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant beschränkten Verständnisses der anwaltlichen Schweigepflicht auf sämtliche von § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfassten Berufe, wie etwa Steuerberater und Wirtschaftsprüfer.340 Auch die richtlinienspezifischen Begriffsdefinitionen für „Verstöße“ und ihre „Meldung“ bzw. ihre „Offenlegung“341 sowie ergänzend für „Informationen über Verstöße“ hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen an eine Informationsweitergabe342 bestimmen den Anwendungsbereich der WBRL und sind damit für den Geltungsbereich des deutschen Umsetzungsgesetzes zu berücksichtigen, ohne dass es hierfür ihrer wörtlichen Übernahme bedürfte oder diese gar unionsrechtlich geboten wäre.343 Für die rechtssichere Erkennbarkeit tauglicher Meldegegenstände erscheint es sinnvoll, zur Definition der „Verstöße“ in Form eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens, das dem Sinn oder Zweck einer in den Geltungsbereich des Umsetzungsgesetzes einbezogenen Vorschrift zuwiderläuft, eine Legaldefinition in den Tatbestand mitaufzunehmen, die der Rechtsprechung des EuGH zum „Rechtsmissbrauch“ oder zum „Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten“ entspricht. Zugleich sollte zur besseren Abgrenzung „sonstiges ethisches und moralisches Fehlverhalten“ explizit als Meldegegenstand ausgeschlossen werden.344 In die Begriffsbestimmung der dem Geltungsbereich unterfallenden „Meldung“ oder „Offenlegung“ sind ergänzend auch Maßnahmen im Vorfeld und Nachgang dieser Informationsweitergabe im Sinne des Art. 21 Abs. 3, 4 WBRL einzubeziehen.345
338
Vgl. hierzu in Teil 5, A.V.1.b)aa). Vgl. hierzu in Teil 5, A.V.1.b)aa) und Teil 5, A.VI.2.a). 340 Vgl. hierzu in Teil 5, A.V.1.b)bb). 341 Vgl. hierzu in Teil 5, A.V.1.c) und Teil 5, A.V.1.d). 342 Vgl. hierzu in Teil 5, A.V.1.c)cc). 343 Vgl. hierzu schon in Teil 3, B.II.3.a)aa). 344 Vgl. hierzu in Teil 5, A.V.1.c)bb). 345 Vgl. hierzu in Teil 5, A.V.1.e). 339
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
Das Umsetzungsgesetz muss überdies den vom Unionsgesetzgeber denkbar weit gefassten (und Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft einschließenden) Personenkreis potenziell schutzwürdiger Whistleblower uneingeschränkt in seinem persönlichen Schutzbereich abbilden.346
III. Zwingende Umsetzungsvorgaben Zwar enthält die WBRL im Wesentlichen „nur“ mindestharmonisierende Vorgaben für ein europaweit geltendes Schutzniveau, so dass dem deutschen Gesetzgeber ein Spielraum zur Schutzintensivierung verbleibt; „unterhalb“ dieses Spielraums sind ihre Vorgaben aber verbindlich und deren Umsetzung zwingend.347 1. Schutzvoraussetzungen Als Ausfluss des mindestharmonisierenden Charakters der WBRL dürfen ihre Schutzvoraussetzungen inhaltlich nicht erweitert oder verschärft werden. Sie müssen zudem als maßgeblicher Ausgangspunkt für den Schutzanspruch des Whistleblowers hinreichend klar und rechtssicher normiert sein. Die in Art. 6 Abs. 1 lit. a) WBRL festgelegten Anforderungen an eine berechtigte Meldung versagen den Schutz für Whistleblower, die tatsächlich oder rechtlich unrichtige Informationen weitergeben, im Ergebnis erst bei vorsätzlich oder grob fahrlässig unzutreffenden Anschuldigungen, so dass einfach fahrlässiges Verhalten privilegiert wird.348 Dies sollte der deutsche Gesetzgeber zum Anlass nehmen, die entsprechenden Schutzvoraussetzungen aus Gründen der Rechtssicherheit übereinstimmend mit bereits bestehenden spezialgesetzlichen Whistleblowing-Schutznormen, etwa § 4d Abs. 6 FinDAG, § 3b Abs. 5 BörsG oder § 48 Abs. 1 GwG, sowie mit der verfassungsgerichtlichen und arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung349 nicht einfach wörtlich in das Umsetzungsgesetz zu übernehmen, sondern sie durch eine eigene Formulierung unter Verwendung von in der deutschen Rechtsterminologie vertrauten Begriffen zu ersetzen oder jedenfalls konkretisierend zu ergänzen. Der Schutzanspruch sollte im Hinblick auf die Berechtigung der Meldung daher davon abhängig gemacht werden, dass der Whistleblower keine „vorsätzlich oder grob fahrlässig unzutreffenden Informationen über Verstöße meldet oder offenlegt“.350 In Abkehr von der bisherigen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung darf der deutsche Gesetzgeber die Motive des Whistleblowers neben der Berechtigung seiner 346
Vgl. hierzu in Teil 5, A.V.2. Vgl. hierzu in Teil 5, A.II. 348 Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.1.a). 349 Vgl. hierzu in Teil 4, B.III.1.b) und Teil 4, B.III.2.c). 350 So auch Forst, EuZA 2020, 283, 297; ähnlich Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 435. 347
B. Umsetzungsaufgaben für den deutschen Gesetzgeber
309
Meldung nicht als relevantes Kriterium für die Schutzgewährung heranziehen, da dies der bewussten Entscheidung des Unionsgesetzgebers gegen die Motivation als Abwägungskriterium widersprechen und eine richtlinienwidrige Verschärfung der Schutzvoraussetzung darstellen würde. Das gilt selbst für die Verankerung einer schutzausschließenden Treuwidrigkeitsgrenze, weil sich die gänzliche Irrelevanz der Motivation eines Whistleblowers aufgrund des öffentlichen Rechtsdurchsetzungsinteresses auch unter Beachtung der EMRK (noch) innerhalb des unionsgrundrechtlich gebotenen Schutzes der Arbeitsgeberinteressen bewegt.351 Die Irrelevanz der Beweggründe des Whistleblowers für seinen Schutzanspruch sollte der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit im Umsetzungsgesetz ausdrücklich klarstellen.352 Im deutschen Umsetzungsgesetz ist zudem der Verzicht auf einen allgemeinen Vorrang des internen Whistleblowings als maßgebliche Errungenschaft der WBRL und Teil ihres Gesamtkonzepts zur Stärkung der Rechtsdurchsetzung klar und erkennbar festzuschreiben. In seinen Schutzvoraussetzungen sollte daher das in der WBRL vorgesehene zweistufige System zulässiger Adressaten verankert werden, nach welchem grundsätzlich die verbindlich einzurichtenden internen und externen Meldekanäle direkte schutzauslösende Meldeadressaten darstellen und lediglich die Offenlegung außerhalb dieser Meldekanäle (zum Beispiel gegenüber den Medien) ultima ratio ist.353 Hierin liegt zwar eine gesetzliche Abkehr von den Grundsätzen des arbeitsgerichtlichen Prüfkriterienkatalogs, gleichzeitig entspricht dies aber den Schutzvoraussetzungen bereits bestehender spezialgesetzlicher WhistleblowingSchutznormen sowie den Grundsätzen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung.354 Von dem zu Beginn des unionalen Gesetzgebungsprozesses noch angedachten allgemeinen Vorrang des internen Whistleblowings ist nach zähen Verhandlungen im Trilogverfahren als politischer Kompromiss „nur“ noch der Auftrag an die Mitgliedstaaten übriggeblieben, sich in Fällen intern wirksamen und repressionsfreien Vorgehens für die freiwillige Bevorzugung einer internen Meldung einzusetzen. Zur Erfüllung dieser Pflicht steht dem deutschen Gesetzgeber mangels konkretisierender Hinweise in der WBRL grundsätzlich ein weiter Spielraum zu. Ein staatliches Belohnungssystem ist dabei wenig empfehlenswert, während eine nur auf die einzurichtenden internen Meldekanäle beschränkte Verpflichtung zur Entgegennahme und Weiterverfolgung anonymer Hinweise vielversprechender erscheint. Etwaige gesetzgeberische Fördermaßnahmen dürfen aber in keinem Fall die freie Wahl des Whistleblowers für eine direkte externe Meldung unmittelbar oder mittelbar er-
351
Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.1.b); a. A. Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 435. So auch Siemes, WBRL, S. 73. 353 Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.1.c)aa) und Teil 5, A.VI.1.c)cc). 354 Vgl. hierzu unter Teil 4, B.II.3.b), Teil 4, B.III.1.b) und Teil 4, B.III.2.e)aa).
352
310
Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
schweren, konterkarieren oder aushebeln und dessen Schutz nicht von zusätzlichen oder einschränkenden Voraussetzungen abhängig machen.355 Bei der Umsetzung der engen Schutzvoraussetzungen für eine gegenüber der Meldung subsidiäre Offenlegung sollte der deutsche Gesetzgeber ausdrücklich auch einen Schutz für eine mittelbare Offenlegung vorsehen, die nach einer externen Meldung aufgrund der erst nach Ablauf der Rückmeldungsfrist erkannten Nichteignung ergriffener Folgemaßnahmen vorgenommen wird, um eine ungewollte Schutzlücke der Richtlinienvorgaben im Wege analoger Anwendung zu schließen.356 Daneben ist der Gesetzgeber hier mit zahlreichen unbestimmten und auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffen konfrontiert, die er kaum rechtssicher konkretisieren oder definieren kann, ohne die stets zu gewährleistende einzelfallbezogene Interessenabwägung auf abstrakt-genereller Ebene richtlinienwidrig einzuschränken. Zumindest den Ausnahmecharakter der in Art. 15 Abs. 1 lit. b) Alt. i) WBRL geregelten zulässigen direkten Offenlegung sollte er zur Vermeidung eines insoweit zu „breiten Schutzbereichs“ allerdings auch für juristische Laien unzweifelhaft erkennbar machen, zumal gutgläubig handelnde Whistleblower hier ebenfalls geschützt sind. Dafür erscheint es sinnvoll, tatbestandlich ein „besonderes“ öffentliches Interesse an der Aufdeckung von Verstößen vorauszusetzen, also das Vorliegen einer außerordentlichen Gefährdungslage etwa für ein hohes Rechtsgut, wie Leib und Leben, oder in einem hochsensiblen und für die Allgemeinheit elementaren Rechtsbereich, wie dem Umweltsektor, und die Rechtsanwendung in Ergänzung der Richtlinienvorgaben durch weitere Regelbeispiele zu erleichtern.357 Schließlich sollte das Umsetzungsgesetz zum einen den Schutzanspruch nachträglich enttarnter anonymer Whistleblower unzweifelhaft und ausdrücklich regeln.358 Zum anderen sollte das Gesetz (zusätzlich zu den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 WBRL) die für den Schutz von Maßnahmen im Vorfeld oder Nachgang einer Meldung bzw. der Informationsbeschaffung und ihrer Weitergabe im Sinne des Art. 21 Abs. 2 – 4, 7 WBRL geforderten materiell-rechtlichen Schutzvoraussetzungen des „Zusammenhangs“ mit der Aufdeckung der Verstöße sowie der „Notwendigkeit“ bzw. „Erforderlichkeit“ der jeweiligen Maßnahme bestimmen;359 dabei wäre eine im Vergleich zur WBRL überzeugendere normative Systematisierung und Konkretisierung wünschenswert.
355
Vgl. hierzu unter Teil 5, A.VI.1.c)dd). Vgl. hierzu unter Teil 5, A.VI.1.c)ee)(1)(c). 357 Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.1.c)ee)(2)(a). 358 Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.1.d). 359 Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.1.e); für einen (richtlinienwidrigen) Verzicht des Notwendigkeitsvorbehalts plädierend Siemes, WBRL, S. 122. 356
B. Umsetzungsaufgaben für den deutschen Gesetzgeber
311
2. Schutzmaßnahmen Für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand sind die nach Art. 19 und 21 WBRL zwingend zu ergreifenden Maßnahmen des deutschen Gesetzgebers zum „Verbot von Repressalien“ und zum „Schutz vor Repressalien“ maßgeblich, insbesondere in Bezug auf die als konkretisierendes Regelbeispiel einer Repressalie vom Unionsgesetzgeber zuvörderst aufgeführte Kündigung. Im Hinblick auf das Transparenzgebot und zur Stärkung des gesellschaftlichen Bewusstseins der Bedeutung des Whistleblowings bedarf es eines ausdrücklichen und abschreckenden Kündigungsverbots im Umsetzungsgesetz, mithin eines spezialgesetzlichen Maßregelungsverbots, das über die eigentliche Meldung hinaus auch für die nach Art. 21 Abs. 2 – 4 WBRL einbezogenen Maßnahmen in deren Vorfeld oder Nachgang gilt. Die vorgeschriebene Flankierung des Kündigungsschutzes durch eine vollständige zivil- und strafrechtliche Haftungsfreistellung sollte nicht durch einen rechtsgebietsübergreifenden Rechtsfertigungsgrund, sondern durch einen tatbestandlichen Ausschluss der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Verschwiegenheitspflichten bzw. Offenlegungsbeschränkungen umgesetzt werden.360 Die nach Art. 21 Abs. 6 WBRL zu gewährleistende Rechtsdurchsetzung wird im deutschen Recht zwar schon weitgehend durch bereits bestehende geeignete Rechtsbehelfe für Whistleblower gegen eine Kündigung erfüllt; die Mindestvorgaben des Art. 21 WBRL erfordern dennoch eine teilweise Anpassung des bisher geltenden Kündigungsschutzrechts. Dies gilt vor allem für die zwar in ihrer Schärfe zur Erreichung des Richtlinienziels fragwürdige, aber dennoch zwingend umzusetzende Beweislastregelung in Art. 21 Abs. 5 WBRL. Für ihre richtlinienkonforme Verankerung im deutschen Recht hat der Gesetzgeber – abweichend zu der üblichen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess – eine umfassende Beweislastumkehr zugunsten des Arbeitnehmers für die Kausalität zwischen Kündigung und Whistleblowing vorzusehen, die einerseits äußerst niedrige Anforderungen im Sinne einer bloßen Darlegung für die Kausalitätsvermutung und andererseits für deren Widerlegung hohe Voraussetzungen an den Nachweis ausschließlich anderer Kündigungsgründe aufstellt. Ein praktisch unerfüllbarer Negativbeweis durch den Arbeitgeber sollte aber nicht verlangt werden, was gegebenenfalls auch normativ klargestellt werden kann.361 Um eine den Anforderungen des Art. 21 Abs. 6 WBRL zuwiderlaufende abschreckende Wirkung bestehender Kündigungsschutzmöglichkeiten für potenzielle Whistleblower zu vermeiden, sollte der deutsche Gesetzgeber – jedenfalls aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Klarstellung – eine ausdrückliche Ausnahme von der im deutschen Kündigungsschutzrecht für Arbeitgeber vorgesehenen Möglichkeit eines Auflösungsantrages gem. § 9 Abs. 1 S. 2 (i. V. m. § 14 Abs. 2 S. 2) 360 361
Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.2.a). Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.2.b)aa)(1).
312
Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
KSchG normieren. Zudem sollte er für einen realisierbaren Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses ausnahmsweise einen gesetzlichen Weiterbeschäftigungsanspruch – jedenfalls bis zum ersten klageabweisenden Urteil – gewähren, sofern der Arbeitgeber im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zumindest durch Vorlage entsprechender Belege glaubhaft machen kann, dass ein Schutzanspruch des Arbeitnehmers nicht besteht oder offensichtlich ausscheidet. Dies sollte wegen der „neuen“ Beweislastumkehr auch gelten, sofern der Arbeitnehmer zur einstweiligen Weiterbeschäftigung darlegt, dass er infolge seines Whistleblowings gekündigt wurde, es sei denn der Arbeitgeber kann andere hinreichend gerechtfertigte Kündigungsgründe glaubhaft machen.362 Zwingend ist im Umsetzungsgesetz überdies ein umfassender Schadenersatzanspruch des Whistleblowers als Ausgleich für den durch eine verbotswidrige Kündigung erlittenen materiellen und immateriellen Schaden vorzusehen, dem nicht nur eine ausgleichende, sondern insbesondere auch eine abschreckende Funktion zukommen muss und der deshalb verschuldensunabhängig auszugestalten ist.363 Aufgrund der mit einem solchen Entschädigungsanspruch regelmäßig verbundenen Sanktionswirkung erscheint es nicht zwingend geboten, für eine richtlinienkonforme Umsetzung des Art. 23 Abs. 1 lit. b) WBRL, der eine mitgliedstaatliche Sanktionspflicht für das Ergreifen von Repressalien gegenüber Whistleblowern vorsieht, noch weitere eigenständige Sanktionen festzulegen. Der deutsche Gesetzgeber kann eine solche aber ausnahmsweise (etwa in Form eines Bußgeldes) bei einer zutreffenden Meldung in Abhängigkeit vom Gewicht der aufgedeckten Verstöße für eine verbotswidrige Kündigung des Whistleblowers auferlegen.364 3. Umsetzungsspielraum zur Regelungsintensivierung Aufgrund des im Anwendungsbereich der WBRL außerhalb der grundsätzlich mindestharmonisierenden Umsetzungsvorgaben bestehenden Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten obliegt es dem deutschen Gesetzgeber, eine Entscheidung über einen weitergehenden Schutz für Whistleblower durch Regelungsintensivierungen zu treffen. Obschon der Unionsgesetzgeber durch seine zwingenden Umsetzungsvorgaben bereits einen ausgewogenen und hohen Mindestschutz für Whistleblower vorgibt, ist dem deutschen Gesetzgeber zu empfehlen, erkannte Schwächen in den Schutzvorgaben der WBRL durch die Nutzung seines unional gewährten Umsetzungsspielraums zu „korrigieren“, um die rechtliche Behandlung des Whistleblowings – zumindest in ihrem Anwendungsbereich – schon auf abstraktgenereller Ebene abschließend zu regeln.
362
Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.2.b)bb). Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.2.b)cc). 364 Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.2.c). 363
B. Umsetzungsaufgaben für den deutschen Gesetzgeber
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a) Ausweitung schutzauslösender Meldeadressaten Der deutsche Gesetzgeber sollte hierfür zunächst eine Schutzintensivierung durch die Ausweitung der zulässigen Meldeadressaten erwägen. aa) Interne Meldung Trotz der begrüßenswerten Kanalisierung und Strukturierung des Meldeverhaltens mittels der verpflichtend einzurichtenden internen Meldekanäle erscheint es interessengerecht und zur Erhöhung der praktischen Wirksamkeit des Richtlinienziels geboten, die schutzauslösenden internen Meldeadressaten auf alternative interne Empfänger auszuweiten und den Schutzanspruch des Whistleblowers nicht starr an die Nutzung der speziellen internen Meldekanäle zu knüpfen. Es wird deshalb eine maßvolle Schutzintensivierung für die Meldung an einen nach den internen Strukturen ebenso zur Abhilfe von Verstößen oder zumindest zur Entgegennahme von Meldungen zuständigen Adressaten empfohlen, vorausgesetzt der Whistleblower hat hierfür plausible Gründe, etwa die Ineffizienz oder das Fehlen der speziell einzurichtenden Meldekanäle. Eine bedingungslose Wahlmöglichkeit sollte ihm allerdings nicht eingeräumt und eine Schutzgrenze für solche Fälle gezogen werden, in denen er bewusst grundlos oder in grob fahrlässig falscher Annahme plausibler Gründe auf alternative interne Meldeempfänger ausweicht oder sich zwar an die speziellen Meldekanäle wendet, aber das hier vorgegebene Meldeverfahren nicht einhält. Ein Schutz sollte auch entfallen, wenn er sich wissentlich oder in grob fahrlässiger Unkenntnis an einen unzuständigen internen Meldeadressaten wendet.365 bb) Externe Meldung Ähnlich wie für eine interne Meldung sollte auch für eine externe Meldung der schutzauslösende Adressatenkreis erweitert werden. Es empfiehlt sich, den Schutzanspruch des Whistleblowers im Umsetzungsgesetz nicht starr von der Meldung an eine nach diesem Gesetz speziell eingerichtete externe „Whistleblowing-Behörde“ abhängig zu machen, sondern diesen Schutz auch zu gewähren, wenn er sich an eine kompetenzrechtlich (ebenso) (fach-)zuständige staatliche Stelle wendet. Auch hier sollte eine Schutzgrenze aber dann gezogen werden, wenn der Whistleblower Verstöße vorsätzlich oder grob fahrlässig an eine unzuständige Behörde meldet, wobei in diesen Fällen auch eine heilende Wirkung der Weiterleitung der offenbarten Informationen an eine zuständige Behörde abzulehnen ist.366
365 366
Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.1.c)bb)(1). Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.1.c)bb)(2).
314
Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
b) Schutz irrender Whistleblower Im Sinne des Abbaus von Meldehemmnissen überzeugt es, dass die WBRL an vielen Stellen auch irrenden Whistleblowern Schutz vor Repressalien gewährt. Für einige Fallkonstellationen fehlt es aber an einem solchen Schutz, ohne dass hierfür durchgreifende Gründe erkennbar sind, so dass es sachgerecht erscheint, den Schutz im deutschen Umsetzungsgesetz an diesen Stellen zu intensivieren. So ist der Schutzanspruch für eine mittelbare Offenlegung nach Art. 15 Abs. 1 lit. a) WBRL von der objektiv zu beurteilenden Nichteignung fristgerecht ergriffener Folgemaßnahmen abhängig und bürdet dem Whistleblower damit (anders als bei einer unmittelbaren Offenlegung) das Risiko einer diesbezüglichen subjektiven Fehleinschätzung auf. Der deutsche Gesetzgeber sollte daher auch in diesem Fall zur interessengerechten Risikoverteilung zumindest einen Schutzanspruch für betroffene Whistleblower vorsehen, die aufgrund eines unvermeidbaren Tatsachen- oder Rechtsirrtums die Nichteignung nicht einmal „leicht“ fahrlässig annehmen.367 Daneben sollte der Gesetzgeber auch einen Schutz für gutgläubig, das heißt weder vorsätzlich noch grob fahrlässig, über die Notwendigkeit beschaffter Informationen zur Aufdeckung von Verstößen im Rahmen von Vorfeldmaßnahmen im Sinne des Art. 21 Abs. 3 WBRL irrende und die Weitergabe später deshalb tatsächlich unterlassende Whistleblower einräumen und diesen Gutglaubensschutz auch auf den Auffangtatbestand des Art. 21 Abs. 4 WBRL erstrecken.368 c) Sonstige Regelungsintensivierungen Im Rahmen der auf den Kündigungsschutz fokussierten Analyse der Richtlinienvorgaben wurden vereinzelt auch Spielräume im Hinblick auf die im Umsetzungsgesetz vorzuschreibende Einrichtung und den Betrieb interner und externer Meldekanäle angesprochen, die nachfolgend ebenfalls kurz aufgegriffen und zusammengefasst werden. Eine der wohl praxisrelevantesten Entscheidungen dürfte die vom Unionsgesetzgeber offen gelassene Verpflichtung zur Entgegennahme und Weiterverfolgung anonymer Hinweise sein. Sofern der deutsche Gesetzgeber sie nicht – wie vorliegend vorgeschlagen – zur Förderung internen Whistleblowings auf die internen Meldekanäle begrenzt, spricht für sie jedenfalls generell der damit verbundene Meldeanreiz bei zugleich empirisch bislang nicht erwiesener Zunahme missbräuchlicher Meldungen.369 Daneben sollte aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Vermeidung unnötiger Offenlegungen auch für die internen Meldekanäle eine Pflicht zur Mitteilung der abschließenden Ergebnisse ergriffener Folgemaßnahmen gesetzlich 367
Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.1.c)ee)(1)(b). Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.1.e)bb). 369 Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.1.c)dd)(1)(b). 368
B. Umsetzungsaufgaben für den deutschen Gesetzgeber
315
vorgeschrieben werden.370 Zudem sollte sich der Gesetzgeber für die praktische Wirksamkeit des aktiven Anreizfaktors der WBRL mit der unional (mangels zwingender Vorgabe in Art. 21 WBRL) nicht vorgesehenen Maßnahme auseinandersetzen, die Nichteinrichtung der verpflichtend vorgeschriebenen internen Meldekanäle zu sanktionieren und insoweit gegebenenfalls einen Bußgeldtatbestand schaffen.371 d) Folgen fehlender Regelungsintensivierungen Würde der deutsche Gesetzgeber von diesen empfohlenen Regelungsintensivierungen absehen und sich nur auf die Mindestschutzvorgaben der WBRL beschränken, überließe er es in allen von ihrem Anwendungsbereich zwar erfassten, aber ihrem Mindestschutz nicht unterfallenden Fallkonstellationen, etwa im Falle einer Meldung an „falsche“ Meldeadressaten, weiterhin der Rechtsprechung, über einen Kündigungsschutz im Einzelfall zu entscheiden. Hierfür dürften dann sowohl die grundsätzliche Wertentscheidung des Unionsgesetzgebers für ein hohes Schutzniveau als auch die Wertung des deutschen Gesetzgebers gegen eine gesetzliche Schutzintensivierung praktisch ohne Bedeutung sein, weil sie die Auflösung des Interessenkonflikts insoweit gerade offenlassen. Ein Regelungsverzicht des deutschen Gesetzgebers dürfte wohl auch nicht als bewusste Entscheidung für eine gänzliche Schutzversagung in diesen Fällen, aber durchaus als eine (inzidente) Bestätigung der bisherigen Rechtsprechungspraxis verstanden werden. Die Arbeitsgerichte könnten dann die Entscheidung in diesen Fallkonstellationen weiterhin anhand ihres etablierten Prüfkriterienkatalogs fällen, ohne sich zu einer (inhaltlichen) Anpassung der Prüfkriterien an die unionsrechtliche Entwicklung veranlasst zu sehen. Hierdurch verbliebe es für diese Fälle – obgleich in den Anwendungsbereich der WBRL fallend – bei dem bisherigen schwächeren nationalen Kündigungsschutz. Dadurch könnte selbst eine berechtigte direkte externe Meldung an die „falsche“ Behörde oder eine berechtigte Meldung aus verwerflichen Motiven an „falsche“ interne Meldeadressaten einen Kündigungsgrund darstellen. Entsprechend jüngster bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung blieben in diesen Fällen auch die deutschen Grundrechte der primäre grundrechtliche Kontrollmaßstab, weil hiernach eine Vermutung der Mitgewährleistung des unionsgrundrechtlich gebotenen Schutzes durch die deutschen Grundrechte in diesem unional nicht vollständig determinierten Bereich besteht und keine „konkreten und hinreichenden“ Anhaltspunkte für deren Widerlegung ersichtlich sind. Jedenfalls ergeben sich solche Anhaltspunkte weder aus der WBRL selbst und hier insbesondere auch nicht aus dem in dieser Hinsicht unzureichenden Verweis in ErwGr. 109
370 371
Vgl. hierzu in Teil 5, A.VI.1.c)ee)(1)(c). Befürwortend WB-Netzwerk/Transparency, S. 3; vgl. hierzu auch in Teil 5, A.VI.2.c).
316
Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
WBRL auf die einschlägigen Unionsgrundrechte noch aus der insoweit unergiebigen Rechtsprechung des EuGH.372
IV. Überschießende Umsetzung Handelt es sich bei der Entscheidung über etwaige Schutzintensivierungen schon um eine anspruchsvolle Aufgabe für den Gesetzgeber, so dürfte die größte (rechtspolitische) Herausforderung im noch anstehenden Gesetzgebungsprozess zur Umsetzung der WBRL doch nach wie vor in der Entscheidung über eine Ausdehnung des Geltungsbereichs und damit über die „Regelungsbreite“ des nationalen Umsetzungsgesetzes liegen. Der deutsche Gesetzgeber wird sich insoweit entscheiden müssen, ob er an seinem bisherigen Umsetzungsmotto unionaler Vorgaben zum Schutz für Whistleblower („so viel wie nötig, so wenig wie möglich“) festhält und allein eine sog. 1:1-Umsetzung vornimmt,373 wodurch die in sich konsistenten Schutzvorgaben der Art. 6 Abs. 1 und 19 ff. WBRL lediglich bei der Meldung von Verstößen gegen das von Art. 2 Abs. 1 WBRL umfasste Unionsrecht bzw. das seiner Umsetzung dienende nationale Recht zur Anwendung kämen, oder ob (und wie weit) er den in der WBRL vorgesehenen Schutz für Whistleblower auch in Bezug auf Verstöße gegen sonstige, national-autonome Normen etablieren möchte. Diese rein nationale Entscheidung über eine überschießende Umsetzung der WBRL, die strikt von der (soeben behandelten) Entscheidung über eine Schutzintensivierung in der „Regelungstiefe“ zu trennen ist, ist unional weder vorbestimmt noch überhaupt direkt beeinflussbar und – entgegen einiger missverständlicher Formulierungen in der Literatur zur WBRL –374 auch unabhängig vom Harmonisierungsgrad der WBRL.375 Soweit der Unionsgesetzgeber in Art. 2 Abs. 2 WBRL darauf hinweist, dass die WBRL „die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt [lässt], den Schutz nach nationalem Recht in Bezug auf Bereiche oder Rechtsakte auszudehnen, die nicht unter Absatz 1 fallen“, ist dies rein deklaratorisch.376 372
Vgl. hierzu in Teil 3, B.II.3.c)bb). Vgl. hierzu bereits in Teil 4, B.II.3.d). 374 Etwa FGO/Fest, Art. 2 RL (EU) 2019/1937, Rn. 47; Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1502; Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 90; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; Dzida/ Granetzny, NZA 2020, 1201, 1202; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963; Wiedmann/Apel, Newsdienst Compliance 2019, 72007, o. S.; Bauer/Macherey, WPg 2019, 1127, 1132; Johnson, CCZ 2019, 66, 70; Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1002; Richter, ArbRAktuell 2018, 433, 435; Groß/Platzer, NZA 2018, 913. 375 Vgl. hierzu in Teil 3, B.II.3.a)dd). 376 Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 205; Schmolke, NZG 2020, 5, 8, 10; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 24, 150; insofern jedenfalls missverständlich Aszmons/ Herse, DB 2019, 1849; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964; Wiedmann/Apel, Newsdienst Compliance 2019, 72007, o. S.; zutreffender als Art. 2 Abs. 2 WBRL ist insoweit ErwGr. 5 WBRL, der davon spricht, dass die „Mitgliedstaaten entscheiden [können], den Anwendungsbereich der nationalen Bestimmungen auf andere Bereiche auszudehnen“ [Hervorhebung durch Verf.]. 373
B. Umsetzungsaufgaben für den deutschen Gesetzgeber
317
1. Ausdehnung auf weitere nationale Rechtsbereiche Aufgrund des kompetenzrechtlich beschränkten Anwendungsbereichs der WBRL drängt sich die Frage auf, ob der deutsche Gesetzgeber den Geltungsbereich ihres hohen Schutzniveaus, also insbesondere auch des vorliegend untersuchten Kündigungsschutzes für Arbeitnehmer, über das zur Umsetzung erforderliche Maß hinaus auch auf weitere nationale Rechtsbereiche ausdehnen sollte, „um auf nationaler Ebene für einen umfassenden und kohärenten Rahmen für den Hinweisgeberschutz zu sorgen“.377 Die parteipolitische Haltung gegenüber einer solchen überschießenden Umsetzung scheint der zweigeteilten gesellschaftlichen Haltung zum Whistleblowing zum Trotz tendenziell positiv, wenngleich sich den Wahlprogrammen der Bundestagsparteien zur Bundestagwahl 2021 sowie vergangenen Gesetzesinitiativen verschiedener Fraktionen hierzu nur zum Teil klare Positionen entnehmen lassen. SPD, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE sowie die FDP scheinen eine überschießende Umsetzung der WBRL zu befürworten, während die CDU/CSU dem wohl eher kritisch gegenübersteht.378 Diese Einschätzung wird auch durch den kürzlich veröffentlichten Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aus SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP bestätigt, in dem sich die Koalitionäre (vorsichtig) für eine überschießende Umsetzung der WBRL aussprechen und einen Schutz für Whistleblower nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen Unionsrecht, sondern auch bei der Meldung von „erheblichen Verstößen gegen 377
ErwGr. 5 WBRL. Vgl. hierzu etwa für die SPD den vom Whistleblower Netzwerk e.V. „geleakten“, inoffiziellen Referentenentwurf des (noch) SPD-geführten BMJV o. D., S. 4 f., 29 (Quellenangabe in Fn. 2) oder den Gesetzentwurf der SPD aus dem Jahr 2012, BT-Drucks. 17/8567, S. 2 f. (das Wahlprogramm der SPD zur Bundestagswahl 2021 äußert sich zur Umsetzung der WBRL hingegen nicht, online abrufbar: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschlues se/Programm/SPD-Zukunftsprogramm.pdf, Abruf: 27. 11. 2021); AfD, Wahlprogramm 2021, S. 25, wobei die klare Position für einen umfassenden Whistleblowerschutz ob der kritischen Haltung gegenüber der WBRL und der Stärkung des europaweiten Whistleblowerschutzes etwas verwundert, die in einer Bundestagsdebatte v. 30. 01. 2020 zur Erhebung einer Subsidiaritätsklage zum Ausdruck kam, vgl. Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages 19/143, S. 17949 f.; BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Wahlprogramm 2021, S. 83; Gesetzesentwürfe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus den Jahren 2014 und 2019, in denen ein umfassender Schutz, wenn auch noch mit dreistufigem System zulässiger Adressaten vorgeschlagen wurde, BT-Drucks. 18/3039, S. 3 und BT-Drucks. 19/4558, S. 5; DIE LINKE, Wahlprogramm 2021, S. 79; Anträge der Partei DIE LINKE zur Vorlage eines Gesetzentwurfs für ein „Whistleblowerschutzgesetz“ aus den Jahren 2011 und 2014, BT-Drucks. 17/6492, S. 3 und BTDrucks. 18/3043, S. 3 f.; FDP, Wahlprogramm 2021, S. 49, die die WBRL schnell in deutsches Recht umsetzen, Whistleblower hiernach aber nur schützen will, wenn sie „vorher den Dienstweg ausgeschöpft haben oder dieser unzumutbar war“; vgl. für die CDU/CSU etwa die Stellungnahme des CDU/CSU-Abgeordneten Hoffmann in der Bundestagsdebatte v. 30. 01. 2020, Plenarprotokoll 19/143, S. 17956 (das Wahlprogramm der CDU/CSU zur Bundestagswahl 2021 äußert sich zur Umsetzung der WBRL nicht, online abrufbar: https://www.ein-gu ter-plan-fuer-deutschland.de/programm/CDU_Beschluss%20Regierungsprogramm.pdf, Abruf: 27. 11. 2021); vgl. zu den Positionen von SPD und CDU/CSU zudem SZ, Artikel v. 28. 04. 2021. 378
318
Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
Vorschriften“ ankündigen.379 Diese Ankündigung bleibt allerdings mehr als vage und wird im Koalitionsvertrag auch nicht näher spezifiziert. a) Notwendigkeit Ungeachtet des politischen Widerstandes hierzulande, der nach den gescheiterten Gesetzesinitiativen der Vergangenheit gegenüber einem besseren und einheitlichen Schutz für Whistleblower abzusehen war und im bisherigen Gesetzgebungsprozess deutlich zu Tage getreten ist, mehren sich schon seit einiger Zeit Stimmen in der Rechtswissenschaft, die eine umfassende und rechtssichere Schutzregelung für Whistleblower im deutschen Recht fordern.380 Angesichts der ohnehin vorzusehenden Verpflichtung zur Einrichtung spezieller interner und externer Meldekanäle dürfte die Erfüllung dieser Forderung jedenfalls nicht zu erheblichen Zusatzkosten führen.381 aa) Drohende Zweiteilung des Schutzes Eine Mindestumsetzung durch ein auf die Meldung von Verstößen gegen das in Art. 2 Abs. 1 WBRL aufgeführte Unionsrecht bzw. dessen nationales Umsetzungsrecht begrenztes Umsetzungsgesetz würde insbesondere für einen typischerweise juristisch nicht vorgebildeten potenziellen Whistleblower zu einer erheblichen, seiner Meldebereitschaft entgegenstehenden Rechtsunsicherheit über den bestehenden Schutz führen. Es dürfte für ihn wohl nicht möglich sein, die rechtliche Zuordnung eines Verstoßes zu einem oder mehreren dieser enumerativ aufgelisteten Unionsrechtsbereiche sicher festzustellen.382 Trotz des im nationalen Recht vorzusehenden weitreichenden Schutzes auch für irrende Whistleblower gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a) WBRL, wodurch gerade der Schutzlosigkeit aufgrund eines Rechtsirrtums vorgebeugt werden soll, führte ein in seiner „Regelungsbreite“ derart beschränktes Umsetzungsgesetz im deutschen Recht zu einer unübersichtlichen Zweiteilung des (Kündigungs-)Schutzes für Whistleblower. Das hohe Schutzniveau der WBRL würde partiell allein im Bereich der durch Art. 2 Abs. 1 WBRL in Bezug genommenen Unionsrechtsakte bzw. deren Umsetzungen gelten und ansonsten würde es – abgesehen von den bereits bestehenden fragmentarischen spezialge379
Koalitionsvertrag von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN v. 24. 11. 2021 für die 20. Legislaturperiode, S. 111 (Quellenangabe in Fn. 3). 380 Vgl. hierzu bereits die Quellenangaben in Teil 4 Fn. 415; m. w. N. auch Colneric/ Gerdemann, WBRL, S. 152. 381 Schmolke, NZG 2020, 5, 10; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 155. 382 Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 433; Schröder, ZRP 2020, 212, 213; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; Hansch, DSB 2020, 266; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 19 (schon zum V-WBRL); Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964; Sonnenberg, BB 2019, Heft 46, Umschlagteil I, o. S.; Wiedmann/Apel, Newsdienst Compliance 2019, 72007, o. S.; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 151; WB-Netzwerk/Transparency, Positionspapier WBRL, S. 1; DGB, Stellungnahme v. 05. 07. 2018, S. 4 (schon zum V-WBRL).
B. Umsetzungsaufgaben für den deutschen Gesetzgeber
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setzlichen Whistleblowing-Schutznormen – bei dem geringeren „Auffangschutz“ durch die allgemeinen Normen der §§ 241 Abs. 2 und 612a BGB und der hierzu ergangenen einzelfallbezogenen und schwer berechenbaren Rechtsprechung bleiben. Insbesondere erscheint es eher unwahrscheinlich, dass sich die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung beim Kündigungsschutz für Whistleblower außerhalb des Geltungsbereichs eines Umsetzungsgesetzes zukünftig an dem höheren Schutzniveau der WBRL orientieren und insoweit von den Voraussetzungen seiner bisherigen Prüfkriterien abrücken würde.383 Diese drohende Zweiteilung des (Kündigungs-)Schutzes würde die Rechtslage für einen Whistleblower als Normadressaten kaum vorhersehbar und handhabbar und das Risiko einer Fehleinschätzung des geltenden Schutzniveaus unkalkulierbar machen.384 Es bestünde die Gefahr, dass er etwa eine direkte externe Meldung über nicht in den Geltungsbereich des Umsetzungsgesetzes fallendes Fehlverhalten in der Annahme vornähme, sich an die geltenden Schutzvoraussetzungen zu halten und hiermit zum „kündbaren“ Whistleblower werden würde, weil er nach der ständigen Rechtsprechung einen vorherigen innerbetrieblichen Abhilfeversuch hätte unternehmen müssen. Selbst für einen juristisch vorgebildeten Normanwender erscheint diese Zweiteilung nicht nachvollziehbar, weil es in der Sache kaum vermittelbar ist, dass die Qualität des Schutzniveaus im deutschen Recht zukünftig weder von der Schwere, dem verursachten Schaden oder der gesellschaftlichen Bedeutung des gemeldeten Verstoßes abhängen soll, sondern allein davon, ob dieser bestimmte – vornehmlich aus kompetenzrechtlichen Gründen ausgewählte – unionale Rechtsakte bzw. ihre nationalen Umsetzungsnormen oder „nur“ sonstiges nationales Recht betrifft.385 So stellten etwa gemeldete Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gem. §§ 174 ff. StGB oder Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften, etwa § 3 ArbZG, keinen den hohen Schutz der WBRL auslösenden innerbetrieblichen Missstand dar, wohingegen Whistleblower, die Verstöße gegen (unter diesem Blickwinkel eher gering anmutende) wettbewerbs- oder verbraucherschutzrechtliche Vorschriften melden, wie etwa § 3 UWG oder § 492a BGB,386 in den Genuss des 383 Vgl. ähnlich auch schon für Fallkonstellationen innerhalb des Anwendungsbereichs der WBRL, aber außerhalb ihrer Schutzvoraussetzungen in Teil 5, B.III.3.d). 384 Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 210; Hansch, DSB 2020, 175; Erlebach, CB 2020, 284, 285; Sonnenberg, BB 2019, Heft 46, Umschlagteil I, o. S.; DGB, Positionspapier v. 07. 12. 2020, S. 2; die negativen Auswirkungen dieser Rechtsunsicherheit auf die Meldebereitschaft des Whistleblowers und damit den Erfolg von WhistleblowingSchutznormen hervorhebend Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 150 f.; Gerdemann, Überlegungen zur Umsetzung der WBRL, S. 1, 4; DGB, Stellungnahme v. 05. 07. 2018, S. 4 (schon zum V-WBRL). 385 Vgl. auch Gerdemann, SR 2021, 89, 93; Schmolke, NZG 2020, 5, 10; Schmitt, NZABeilage 2020, 50, 55; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 155. 386 § 3 UWG dient der Umsetzung des Art. 5 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
hohen Schutzniveaus kämen.387 Nicht zuletzt würde eine solche Zweiteilung suggerieren, dass die effektive und lückenlose Rechtsdurchsetzung von Unionsrecht bzw. unional determiniertem nationalen Recht wichtiger sei als von rein nationalem Recht und würde damit – zumindest inzident – den Eindruck einer geringeren Bedeutung der nationalen Rechtsordnung erwecken. bb) Beeinträchtigung des Gleichheitssatzes Eine solche Diskrepanz des Schutzniveaus im nationalen Recht als Folge einer „engen“ Richtlinienumsetzung wird teilweise als „unionsrechtlich induzierte Ungleichbehandlung[]“ mit Blick auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG einer kritischen verfassungsrechtlichen Würdigung unterzogen und sogar als verfassungswidrig angesehen. Für sie sei – selbst bei Anwendung eines auf das Willkürverbot beschränkten Prüfungsmaßstabs – auch unter Einbeziehung der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative kein vernünftiger oder sonst sachlicher Grund ersichtlich. Allein das unionsrechtliche Kompetenzgefüge sei dafür keine ausreichende Rechtfertigung, so dass eine Pflicht des deutschen Gesetzgebers zur überschießenden Umsetzung der WBRL bestehe.388 Diese Sichtweise ist indes nicht überzeugend, weil Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich nur innerhalb des Kompetenzbereichs eines Regelungsgebers anwendbar ist, der nur innerhalb dieses Bereichs autonom darüber entscheiden kann, auf welche Weise er Gleichheit herstellen will.389 Eine durch Art. 3 Abs. 1 GG induzierte Pflicht des deutschen Gesetzgebers zu einer überschießenden Umsetzung der WBRL in seinem aufgrund der Übertragung von Hoheitsrechten an den Unionsgesetzgeber (noch) verbliebenen Hoheitsbereich des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (Art. 2 lit. a) Alt. ix) WBRL i. V. m. Teil I Anhang WBRL, Ziff. I.vi); § 492a BGB dient der Umsetzung des Art. 12 der Richtlinie 2017/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Februar 2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (Art. 2 Abs. 1 lit. a) Alt. ii) WBRL i. V. m. Teil I Anhang WBRL, Ziff. B.vi). 387 So auch mit anderen Beispielen DGB, Stellungnahme v. 05. 07. 2018, S. 4 (schon zum V-WBRL). 388 Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 209 f.; Gerdemann, SR 2021, 89, 93; DGB, Positionspapier v. 07. 12. 2020, S. 2; tendenziell, aber letztlich offenlassend Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 156 f.; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55 (überschießende Umsetzung wegen Art. 3 Abs. 1 GG „sinnvoll“); vgl. m. w. N. zur allgemein a. A., die bereits aus der Beschränkung auf das unional Gebotene eine Rechtfertigung zur Ungleichbehandlung im nationalen Recht herleiten, Payrhuber/Stelkens, EuR 2019, 190, 208, Fn. 87. 389 Vgl. insoweit BVerfG, Beschluss v. 08. 06. 2004 – 2 BvL 5/00, NJW-RR 2004, 1657, 1600; offenlassend, da jedenfalls sachliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung BVerfG, Beschluss v. 13. 06. 2006 – 1 BvR 1160/03, NJW 2006, 3701, 3705, Rn. 83; jeweils m. w. N. Herzog-GG/Kirchhof, Art. 3 Abs. 1 GG, Rn. 159; BeckOK-GG/Kischel, Art. 3 GG, Rn. 138; so auch im Hinblick auf die Auslegung überschießender Normen FGO/Höpfner, Art. 288 AEUV, Rn. 73; vgl. zum Meinungsstand auch Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 206 ff.
B. Umsetzungsaufgaben für den deutschen Gesetzgeber
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ist deshalb abzulehnen. Der deutsche Gesetzgeber könnte auch für eine auf den Anwendungsbereich der WBRL begrenzte Umsetzung und damit für eine Beibehaltung des zwar reduzierten und normativ nur partiell verankerten nationalen Schutzes für Whistleblower im Übrigen durchaus sachbezogene, wenngleich (rechtspolitisch) nicht überzeugende, aber jedenfalls nicht willkürliche Differenzierungsgründe anführen, etwa dahingehend, dass die geltende deutsche Rechtslage eine die gegenseitigen Interessen angemessen abwägende Einzelfallentscheidung ermögliche und insoweit, insbesondere unter Berücksichtigung seines gesetzgeberischen Entscheidungsspielraums, zur Rechtsdurchsetzung nationaler Vorschriften als ausreichend angesehen werde, selbst wenn sie hinter dem in der WBRL angelegten Schutzniveau für Whistleblower zur Durchsetzung unionalen Rechts zurückbleibe und für die Rechtsdurchsetzung weniger effektiv sein möge. Allein die Entscheidung des Unionsgesetzgebers, für bestimmte in seinen Kompetenzbereich fallende Rechtsnormen Vollzugsdefizite durch einen verbesserten Whistleblowerschutz zu beseitigen und die Meldung von Verstößen als „Mittel“ zur Zweckerreichung einzusetzen, kann in Bezug auf allein in den Kompetenzbereich des deutschen Gesetzgebers fallendes nationales Recht – auch unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG – nicht dazu führen, dass dessen weiter gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum derart reduziert wird, dass er den Geltungsbereich des hohen Schutzniveaus der WBRL zwingend auf von dieser nicht erfasstes nationales Recht ausweiten muss, wenn er die bisherige Rechtslage für eine effektive Rechtsdurchsetzung des nationalen Rechts und für einen angemessenen Whistleblowerschutz für ausreichend hält. cc) Folgen einer Mindestumsetzung Eine bloße „Pflichterfüllung“ des deutschen Gesetzgebers durch eine 1:1-Mindestumsetzung der WBRL dürfte demnach zwar nicht verfassungswidrig sein, würde aber die ohnehin bereits bestehende inkohärente und fragmentarische Gesetzeslage zum Kündigungsschutz für Whistleblower im deutschen Recht und damit die – für meldewillige Arbeitnehmer abschreckende und für Unternehmen im Umgang mit Whistleblowern unbefriedigende – Rechtsunsicherheit über den jeweils geltenden Schutz verstärken. Sie liefe nicht nur dem mahnenden Beispiel des amerikanischen Whistleblowingrechts,390 sondern auch der erkennbar divergierenden Intention des Unionsgesetzgebers zuwider. Sie wäre zudem ein fatales rechtsdemokratisches Signal, suggerierte sie doch eine gegenüber dem Unionsrechts abgestufte Bedeutung des nationalen Rechts. Auch die Abneigung des deutschen Gesetzgebers gegen das unional oktroyierte hohe Schutzniveau für Whistleblower stünde den neuen gesetzlichen Regelungen „auf der Stirn geschrieben“, was der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung des Whistleblowings nicht gerecht und dem Abbau soziokultureller Vorbehalte entgegenstehen würde. Nicht zuletzt liefe der deutsche Gesetzgeber aufgrund der abschreckenden Wirkung der so vertieften Rechtsunsicherheit sogar 390
Vgl. hierzu in Teil 2, C.II.2.a).
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
Gefahr, die praktische Wirksamkeit des Richtlinienziels im deutschen Recht zu konterkarieren und seiner unionalen Integrationsverantwortung nicht gerecht zu werden. Obwohl der Unionsgesetzgeber an der Schaffung eines europaweit (all-) umfassenden Schutzes für Whistleblower gehindert war, setzt er mit der WBRL daher Mitgliedstaaten, die wie Deutschland bislang noch nicht über einen konsistenten und kohärenten (gesetzlichen) Whistleblowerschutz verfügen, unter einen gewissen Zugzwang, ihre Vorgaben überschießend umzusetzen, um eine abschreckende und völlig unübersichtliche nationale Rechtslage zu vermeiden.391 Auch wenn die nationale Entscheidung für eine überschießende Umsetzung von Richtlinien regelmäßig außerhalb des unionalen Interesses liegt bzw. diesem bisweilen aufgrund des mit ihr verbundenen Risikos einer (trotz unionaler Rechtsangleichung) mitgliedstaatlichen Regelungsdivergenz in bestimmten Regulierungs-/Lebensbereichen sogar widerspricht, ist es hier wegen der evident negativen Auswirkungen einer 1:1-Umsetzung der WBRL augenfällig und in Art. 2 Abs. 2 WBRL deutlich zum Ausdruck gebracht. Die Befürwortung eines umfassenden und kohärenten Whistleblowerschutzes unter Einbeziehung weiterer nationaler Rechtsbereiche im mitgliedstaatlichen Recht ist durch die Kommission auch bereits zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens ausdrücklich und klar formuliert worden.392 Angesichts dieser rechtstatsächlichen Auswirkungen einer bloßen 1:1-Umsetzung sollte der im Anschluss an die Bundestagswahl vom 26. 09. 2021 nunmehr alsbald einzuleitende Gesetzgebungsprozess ehrlich und offen gestaltet, der bislang geltende Kündigungsschutz für Whistleblower evaluiert und der sozioökonomische Mehrwert des Whistleblowings deutlich thematisiert werden. Der deutsche Gesetzgeber, der sich bislang regelrecht gegen die Normierung eines umfassenden und kohärenten Schutzes für Whistleblower gesträubt hat, sollte nicht starr an seiner bisherigen Umsetzungspraxis festhalten,393 sondern bei der Festlegung der Reichweite des Umsetzungsgesetzes vor allem die rechtstatsächlich sinnvolle Integration der Richtlinienvorgaben in das nationale Recht sowie die längst überfällige Entscheidung über den grundsätzlichen Umgang mit Whistleblowing im Blick haben.394 Soweit gegen eine überschießende Umsetzung die Mehrbelastung für Unternehmen (insbesondere unter Hinweis auf die ohnehin belastenden Auswirkungen der weltweiten COVID-19-Pandemie) angeführt wird,395 vermag dies nicht zu überzeugen. Dieses Argument deutet auf das Bestreben hin, die praktischen Auswirkungen der 391
Ähnlich Schröder, ZRP 2020, 212, 213; Siemes, WBRL, S. 121; a. A. BDA, Positionspapier, WBRL, S. 3. 392 Vgl. hierzu bereits die Quellenabgaben in Fn. 55. 393 Vgl. zur 1:1-Umsetzungspraxis unionaler Vorgaben die Vereinbarung im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD v. 12. 03. 2018 (Teil 4 Fn. 45), S. 13, 56, 64, 137; kritisch hierzu etwa Payrhuber/Stelkens, EuR 2019, 190, 206 ff. 394 Ähnlich Schröder, ZRP 2020, 212, 213; Wiedmann/Apel, Newsdienst Compliance 2019, 72007, o. S.; Gerdemann, Überlegungen zur Umsetzung der WBRL, S. 4. 395 Vgl. die Linie der CDU/CSU im andauernden Gesetzgebungsprozess, etwa SZ, Artikel v. 28. 04. 2021.
B. Umsetzungsaufgaben für den deutschen Gesetzgeber
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WBRL durch eine kongruente Umsetzung auf ein Minimum zu reduzieren, um möglichst alles „zu lassen, wie es ist“. Vor dem Hintergrund der zukünftig ohnehin bestehenden Verpflichtung zur Einrichtung interner Meldekanäle sowie der mit einer 1:1-Umsetzung auch für den Arbeitgeber verbundenen Rechtsunsicherheit ist eine relevante Mehrbelastung für Unternehmen durch eine überschießende Umsetzung kaum erkennbar, zumal ein umfassender Schutz für Whistleblower auch der Vermeidung unlauterer Wettbewerbsvorteile dient und eine solide Basis für die wirksame Eingliederung von Whistleblowern in das von der Wirtschaft präferierte System der Selbstregulierung darstellt.396 Eine Mehrbelastung für Unternehmen durch einen erhöhten Druck zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben dürfte vor dem Hintergrund der Rechtsstaatlichkeit als Basis unserer Demokratie und eines reibungslosen Wirtschaftslebens wohl nicht gemeint sein. Zumindest im Hinblick auf den vorliegend untersuchten Kündigungsschutz für Whistleblower ist dem Gesetzgeber aufgrund der bislang stiefmütterlichen Berücksichtigung des öffentlichen Interesses im Rahmen des richterrechtlichen Prüfkriterienkatalogs sowie der soziökonomischen Bedeutung des Whistleblowings daher dringend zu empfehlen, die Umsetzung der WBRL zum Anlass zu nehmen, durch die Ausdehnung des Geltungsbereichs ihres Schutzniveaus auf nicht ihrem sachlichen Anwendungsbereich unterfallende nationale Rechtsbereiche einen umfassenden und kohärenten Kündigungsschutz im deutschen Recht zu etablieren. Eine zersplitterte, zweckwidrige und schwer anwendbare Rechtslage würde dadurch ebenso vermieden wie der Vorwurf einer gleichheitswidrigen Rechtsetzung.397 b) Umfang Nachdem damit das „Ob“ einer überschießenden Umsetzung der WBRL befürwortet wird, stellt sich die schwierige Frage, „wie“ sie erfolgen sollte. Die pauschale Ausdehnung der Schutzregelungen auf die Meldung von Verstößen gegen sämtliches nationales Recht dürfte in der Sache ebenso wenig zielführend sein wie etwa eine 396
Ähnlich WB-Netzwerk/Transparency/GFF, PM v. 29. 04. 2021. Ebenfalls für eine überschießende Umsetzung plädierend Gloeckner/Metzner, CCZ 2021, 256, Fn. 2; Nöcker, NVwZ 2021, 1497, 1502; Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 433; Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 210; Letzel, ZJS 2021, 1, 12; Brinkmann/ Blank, BB 2021, 2475, 2477; Schmolke, NZG 2020, 5, 10; Schröder, ZRP 2020, 212, 213; Hansch, DSB 2020, 266; Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55, 57; Erlebach, CB 2020, 284, 285; Granetzny/Markworth, juris-PR-Compl 1/2020 Anm. 1, o. S.; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 964; Sonnenberg, BB 2019, Heft 46, Umschlagteil I, o. S.; Wiedmann/Apel, Newsdienst Compliance 2019, 72007, o. S.; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 19 (schon zum V-WBRL); Richter, ArbRAktuell 2018, 433, 435 (schon zum V-WBRL); Groß/Platzer, NZA 2018, 913, 915 (schon zum V-WBRL); Siemes, WBRL, S. 55; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 152, 155; Gerdemann, Überlegungen zur Umsetzung der WBRL, S. 1; PACE, Resolution 2300 (2019), Ziff. 10.; wohl auch Rudkowski, comply 2020, 17, 18; dbb, Positionspapier VWBRL, S. 3; WB-Netzwerk/Transparency/GFF, PM v. 29. 04. 2021; WB-Netzwerk/Transparency, Positionspapier WBRL, S. 1; DGB, Positionspapier v. 07. 12. 2020, S. 2; a. A. HarrerKouliev, PuR 2020, 30; BDA, Positionspapier, WBRL, S. 2. 397
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
Auswahl nationaler Regelungen anhand einer Kosten-Nutzen-Analyse, denn – wie mehrfach dargelegt – geht es beim Whistleblowing auch um die Stärkung und Wiederherstellung verlorengegangenen Vertrauens in die Wehrhaftigkeit und Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates, so dass die Reichweite des Geltungsbereichs eines Umsetzungsgesetzes nicht allein anhand ökonomischer Messgrößen bestimmt werden sollte.398 Entscheidender Faktor sollte vielmehr das (auch im Mittelpunkt der WBRL stehende) öffentliche Rechtsdurchsetzungsinteresse sein. Der Geltungsbereich der nationalen Umsetzung sollte deshalb solche Rechtsnormen umfassen, deren Einhaltung im öffentlichen Interesse liegt, weil Verstöße gegen sie zu Gefährdungen, Schädigungen oder Risiken für das Gemeinwohl führen können. Als gesetzgeberisches Indiz zur Konkretisierung dieses recht vagen und dadurch rechtsunsicheren Maßstabs kann auf die primär Behörden zugewiesene Durchsetzungskompetenz zurückgegriffen werden.399 Zur Auswahl der in den Geltungsbereich einzubeziehenden nationalen Rechtsnormen sollte danach zwar nicht schon das generelle Bedürfnis an der Wahrung der Rechtsordnung ausreichend sein, andererseits muss aber auch kein gewichtiges öffentliches Interesse an der Einhaltung der jeweiligen Norm verlangt werden. Nach diesen Grundsätzen sollten jedenfalls Straf- und – trotz des regelmäßig geringeren Unrechtsgehalts eines Verstoßes – Ordnungswidrigkeitstatbestände in den Geltungsbereich einbezogen werden, weil der Gesetzgeber durch die Sanktionsandrohungen das öffentliche Vermeidungs- und Verfolgungsinteresse an dem tatbestandsmäßigen Fehlverhalten deutlich zum Ausdruck bringt.400 Eine Differenzierung nach der Art der Straf- oder Ordnungswidrigkeiten, etwa nach Antragsdelikten oder Vergehen und Verbrechen, ist dabei aufgrund der verfahrensrechtlichen Grundsätze des Straf- und Ordnungswidrigkeitsrechts, die insbesondere einen behördlichen Spielraum zum Umgang mit sog. Bagatelldelikten einräumen, nicht erforderlich und würde im Zweifel nur die Rechtsunsicherheit über den Geltungsbereich des Umsetzungsgesetzes erhöhen.401 Die Einbeziehung rein privatrechtlicher Regelungen ist dagegen abzulehnen, weil mit der Durchsetzung privater Rechte in erster Linie der Betroffene selbst, nicht aber eine Behörde betraut ist und es insoweit gerade an einem öffentlichen Rechtsdurchsetzungsinteresse fehlt.402 Zwischen diesen beiden Anknüpfungspunkten sollte eine Ausdehnung des Geltungsbereichs auf solche nationalen Normen beschränkt werden, an deren Einhaltung das öffentliche Interesse durch eine Zuständigkeit staatlicher Behörden zur Rechtsdurchsetzung 398
Mit diesem Ansatz aber Schmolke, NZG 2020, 5, 10. Vgl. insoweit überzeugend und ausführlich Kreis, WB, S. 146 ff. 400 So auch Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55; Gerdemann, RdA 2019, 23, 28; Colneric/ Gerdemann, WBRL, S. 160; Kreis, WB, S. 152 f., 157 f.; Gerdemann, Überlegungen zur Umsetzung der WBRL, S. 1; DGB, Positionspapier v. 07. 12. 2020, S. 2; a. A. BDA, Positionspapier, WBRL, S. 2. 401 Kreis, WB, S. 155 ff.; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 160 f.; a. A. BDA, Positionspapier, WBRL, S. 2. 402 Kreis, WB, S. 152, 159 ff.; im Ansatz ähnlich Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 161 ff. 399
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dokumentiert wird, etwa durch eine über die bloße Abhilfe hinausgehende Kompetenz zum Erlass von Auflagen, zur Entziehung von Genehmigungen oder zur Verfügung sonstiger Gefahrenabwehrmaßnahmen oder Sanktionen. Die empfohlene überschießende Umsetzung der WBRL durch den deutschen Gesetzgeber erscheint danach über eine Ausdehnung des Geltungsbereichs auf Strafund Ordnungswidrigkeitstatbestände hinaus allein insoweit sinnvoll und zielführend als sie sich auf Verstöße gegen sonstige (öffentlich-rechtliche) Vorschriften einschließlich Verordnungen und Satzungen bezieht, deren Durchsetzung primär Behörden obliegt.403 Zur Sicherstellung einer größtmöglichen Rechtssicherheit und bestmöglichen Erkennbarkeit des Anwendungsbereichs des Umsetzungsgesetzes empfiehlt es sich, diesen anhand der vorgenannten abstrakt-generellen Kriterien („Verstöße gegen Straf- oder Ordnungswidrigkeitstatbestände und/oder alle Rechtsnormen, deren Rechtsdurchsetzung primär Behörden obliegt“) festzulegen und nicht etwa – gerade im Unterschied zur WBRL – durch eine Auflistung einzelner Rechtsnormen.404 Hierdurch würde sich der Anwendungsbereich des Umsetzungsgesetzes auch dynamisch an die geltende Rechtsordnung anpassen, die in einer repräsentativen Demokratie häufigen Veränderungen unterworfen ist, weil sie ein Spiegel stetiger Weiterentwicklungen im technischen, politischen und gesellschaftlichen Bereich ist und daher kein starres Normkorsett vorgibt. Daneben könnte der Gesetzgeber erwägen, die durch Art. 3 Abs. 2, 3 WBRL aus dem Anwendungsbereich der WBRL herausgenommenen Regelungskomplexe in den Geltungsbereich eines nationalen Umsetzungsgesetzes einzubeziehen, um auch in diesen besonders sensiblen Bereichen, etwa der nationalen Sicherheit, Whistleblowing zu ermöglichen.405 Aufgrund der (auch vom Unionsgesetzgeber hervorgehobenen) hohen Sensibilität und Schutzwürdigkeit von Informationen in diesen Bereichen liegt es aber nahe, insoweit nicht das hohe Schutzniveau der WBRL, sondern („nur“) einen diesen besonders geschützten Informationen und 403 Vgl. insoweit Kreis, WB, S. 158 f.; hierdurch würde etwa auch das von der WBRL nicht erfasste Arbeitnehmerschutzrecht in den Anwendungsbereich des Umsetzungsgesetzes einbezogen, wodurch Art. 17 Abs. 2 S. 1 ArbSchG obsolet würde – insoweit befürwortend Schmitt, NZA-Beilage 2020, 50, 55 und DGB, Positionspapier v. 07. 12. 2020, S. 3; insgesamt noch weitergehend Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 163 f., die vorschlagen, den Geltungsbereich des Umsetzungsgesetzes „auf sämtliche Verstöße gegen abstrakt-generelle Rechtsnormen mit verbindlicher Außenwirkung [auszudehnen], also auf materielle Gesetze im Sinne des Art. 2 EGBGB“, zustimmend hierzu Schröder, ZRP 2020, 212, 214; wiederum DGB, Positionspapier v. 07. 12. 2020, S. 3 f., der aber für rein vertragliche Verstöße im Hinblick auf die Nutzung der Meldekanäle differenziert. 404 Vgl. insoweit auch Schröder, ZRP 2020, 212, 213; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 158 f., 169; a. A. wohl Schmolke, NZG 2020, 5, 10. 405 Vgl. insoweit etwa Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 106 f.; WB-Netzwerk/Transparency/GFF, PM v. 29. 04. 2021; WB-Netzwerk/Transparency, Positionspapier WBRL, S. 2; ansonsten blieben Enthüllungen wie die der Whistleblower Snowden und Manning (vgl. zu diesen Fällen bereits in Teil 1) in Deutschland weiterhin unmöglich, die ähnlich auch im privaten Arbeitsverhältnis bei einem Zugang zu entsprechend sensiblen Informationen (etwa im militärischen Bereich) relevant werden können.
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
Vertrauensverhältnissen angepassten und im Verhältnis hierzu stehenden abgeschwächten Schutz zu gewähren, etwa durch seinen Ausschluss nicht nur bei vorsätzlich oder grob fahrlässig unzutreffenden Meldungen, sondern auch bei „einfach“ fahrlässigem Verhalten des Whistleblowers oder durch eine Beschränkung auf bestimmte, insoweit speziell geschulte und zuständige interne wie externe Meldeadressaten. 2. Ausdehnung auf Aufdeckung „sonstigen Fehlverhaltens“ Neben dieser sachlich-inhaltlichen Ausdehnung des Geltungsbereichs des Umsetzungsgesetzes auf nationale Rechtsbereiche sollte sich der deutsche Gesetzgeber zudem mit der Frage auseinandersetzen, ob er (anders als die WBRL) auch einen Schutz für die Aufdeckung normativ nicht erfasster Missstände gewähren will, etwa moralischen oder ethischen Fehlverhaltens. Gesetzestechnisch könnte das durch eine Erweiterung oder Ergänzung des Verstoßbegriffs im Sinne des Art. 5 Nr. 1 WBRL erfolgen. Hierdurch würde er Whistleblowing nicht nur als Instrument einer effektiven Rechtsdurchsetzung im Sinne des Art. 1 WBRL einsetzen, sondern auch als Mittel der (präventiven) Rechtsentwicklung zur Sicherstellung eines umfassenden Rechtsgüterschutzes. Die Aufdeckung normativ nicht erfassten Fehlverhaltens wäre geeignet, einen gesellschaftlichen und politischen Diskurs über den Status quo der Rechtsordnung und über den Bedarf neuer Schutzregelungen auszulösen, wodurch die kollektive Dimension der Meinungsfreiheit des Whistleblowers besonders deutlich würde.406 a) Notwendigkeit Einer solchen Ausdehnung des Geltungsbereichs auf die Meldung „sonstigen Fehlverhaltens“ könnte allerdings insbesondere das durch Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Unternehmerinteresse entgegenstehen, weil das gemeldete Fehlverhalten gerade nicht gegen geltendes Recht verstößt, sondern rechtlich zulässig ist.407 Zudem genießt der Whistleblower aufgrund des Art. 6 Abs. 1 lit. a) WBRL ohnehin schon dann Schutz, wenn er zwar tatsächlich kein rechtswidriges oder rechtsmissbräuchliches Fehlverhalten im Sinne des Art. 5 Nr. 1 WBRL meldet, dies aber – jedenfalls nicht grob fahrlässig – verkennt, so dass in solchen besonderen Fallkonstellationen der Meldung von letztlich „nur“ ethischem oder moralischem Fehlverhalten bereits ein Kündigungsschutz besteht, obwohl sich der Vorschlag für eine ausdrückliche Ausweitung des Anwendungsbereichs der WBRL auf die Meldung „sonstigen Fehlverhaltens“ im unionalen Gesetzgebungsprozess gerade nicht durchsetzen konnte. Des Weiteren erscheint es gesetzestechnisch schwer möglich, rechtssicher 406
Schröder, ZRP 2020, 212, 214 f.; Kreis, WB, S. 164, 166; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 167 f. 407 Forst, EuZA 2020, 283, 298; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849; Schmolke, AG 2018, 769, 776 (zum V-WBRL); Kreis, WB, S. 164.
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handhabbare Kriterien zu finden, wann eine Meldung ethischen oder moralischen Fehlverhaltens schutzauslösend sein soll, weil an seiner Aufdeckung ein öffentliches Interesse besteht. Eine solche Eingrenzung wäre aber geboten, um ein Ausufern des Schutzes für Whistleblowing zu vermeiden, weil es ansonsten zu einem „politische[n] oder weltanschauliche[n] Kampfmittel“ verkommen könnte, was nicht zuletzt für seine erwünschte Akzeptanz kontraproduktiv wäre.408 Andererseits haben bekannte Fälle von Whistleblowing gerade die Notwendigkeit und das öffentliche Interesse auch an der Aufdeckung normativ nicht erfassten Fehlverhaltens aufgezeigt – so etwa die Fälle Haugen und Heinisch, in denen die Whistleblowerinnen letztlich keine konkreten Rechtsverstöße, sondern gesellschaftspolitisch bedeutsame und unzweifelhaft im öffentlichen Interesse liegende Missstände in der digitalen Welt eines Tech-Giganten und der analogen Welt eines Pflegeheims anprangerten und damit den bestehenden defizitären Rechtszustand.409 Insbesondere im Hinblick auf die Bedeutung einer effektiven Rechtsentwicklung für einen wehrhaften und anpassungsfähigen Rechtsstaat erscheint daher ein angemessener Schutz für Whistleblower auch für solche Fallgestaltungen zumindest erwägenswert.410 Dies scheint auch die künftige Bundesregierung so zu sehen, die in ihrem Koalitionsvertrag einen Schutz für Whistleblower auch für die Meldung von „sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt“ ankündigt.411 b) Umfang Soweit der deutsche Gesetzgeber eine solche Ausdehnung des Geltungsbereichs tatsächlich in Betracht zieht, sollte durch das Umsetzungsgesetz deutlich werden, dass dies nur ausnahmsweise und für eng begrenzte Fälle gilt. Der Schutz sollte allein dann gewährleistet sein, wenn das gemeldete Fehlverhalten von objektiver Erheblichkeit ist und an seiner Aufdeckung ein besonderes oder gesteigertes öffentliches Interesse besteht, es mithin etwa besonders schützenswerte Rechtsgüter gefährdet, ein außerordentlich hohes Schadensmaß verursacht oder in einem besonders „sen-
408 Schmolke, NZG 2020, 5, 10; ders., ZGR 2019, 876, 903 f.; ders., AG 2018, 769, 776 (zum V-WBRL); BDA, Positionspapier, WBRL, S. 2. 409 Vgl. hierzu in Teil 1, Teil 2, B.I., Teil 2, B.II.3.b) und Teil 4, B.III.1.d); ähnlich Kreis, WB, S. 165 f.; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 167 f. 410 So auch Schröder, ZRP 2020, 212, 215; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 166, 169; Gerdemann, Überlegungen zur Umsetzung der WBRL, S. 1; WB-Netzwerk/Transparency/ GFF, PM v. 29. 04. 2021; WB-Netzwerk/Transparency, Positionspapier WBRL, S. 1; a. A. Letzel, ZJS 2021, 1, 12; Schmolke, NZG 2020, 5, 10; ders., ZGR 2019, 876, 903 f.; ders., AG 2018, 769, 776 (zum V-WBRL); Aszmons/Herse, DB 2019, 1849; BRAK, Stellungnahme VWBRL, S. 6; DAV, Stellungnahme V-WBRL, S. 8; BDA, Positionspapier, WBRL, S. 2. 411 Koalitionsvertrag von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN v. 24. 11. 2021 für die 20. Legislaturperiode, S. 111 (Quellenangabe in Fn. 3).
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Teil 5: Whistleblower-Richtlinie – Einfluss und Auswirkung
siblen“ Rechts- oder Wirtschaftsbereich auftritt.412 Zur Betonung des Ausnahmecharakters dieser Schutzausdehnung empfiehlt es sich, nicht allein die Definition des Verstoßbegriffs zu erweitern, sondern eine (insoweit begrifflich separierte) Normierung „sonstigen Fehlverhaltens“ als weitere Kategorie eines ausnahmsweise „meldefähigen“ Missstands vorzunehmen; zur Konkretisierung und besseren Beurteilung sowie Einhaltung des Bestimmtheitsgebots sollten ergänzend Regelbeispiele, ähnlich der in dieser Arbeit vorgenommenen Begriffsbestimmung eines „besonderen“ öffentlichen Interesses,413 angefügt werden. Letztlich würde der Gesetzgeber bei einer solchen Ausdehnung des Geltungsbereichs des Umsetzungsgesetzes eine Auslegungsbedürftigkeit zur Feststellung des Vorliegens eines „meldefähigen“ moralischen oder ethischen Fehlverhaltens nicht völlig vermeiden können, weil er für dessen Definition auf abstrakt-genereller Ebene auf unbestimmte Rechtsbegriffe angewiesen wäre. Deshalb war bislang auch eher damit zu rechnen, dass eine entsprechende Ausdehnung im deutschen Umsetzungsgesetz nicht erfolgen würde und die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung wegen der Meldung „sonstigen Fehlverhaltens“ wie bisher der Rechtsprechung im Einzelfall überlassen bliebe. Die neue Bundesregierung aus SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP scheint aber (wie ausgeführt) unbeschadet der rechtstechnischen Herausforderungen (auch) insoweit eine überschießende Umsetzung der WBRL in deutsches Recht anzustreben. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass für die Zielerreichung der WBRL eine überschießende Umsetzung von maßgeblicher Bedeutung ist. Gerade an dieser Frage ist der Umsetzungsprozess – angesichts der im Koalitionsvertrag der derzeit (noch) kommissarisch amtierenden Regierungsparteien vereinbarten 1:1Umsetzung unionaler Vorgaben und ihrer bekanntermaßen konträren Haltung zum Whistleblowing wenig überraschend – im Frühjahr 2021 ins Stocken geraten und letztlich in der vergangenen Legislaturperiode gescheitert. Es bleibt zu hoffen, dass die neuen Koalitionspartner dieses Hindernis überwinden und ein Umsetzungsgesetz zeitnah zum Ablauf der Umsetzungsfrist „auf den Weg bringen“ werden. Die Ankündigungen im jüngst vorgelegten Koalitionsvertrag geben insoweit jedenfalls Grund zur Zuversicht.
412
Ähnlich Schröder, ZRP 2020, 212, 215; Colneric/Gerdemann, WBRL, S. 169; Koalitionsvertrag von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN v. 24. 11. 2021 für die 20. Legislaturperiode, S. 111 (Quellenangabe in Fn. 3). 413 Vgl. hierzu in Teil 4, B.III.2.g)aa).
Teil 6
Fazit und Ausblick Nachdem eine klare Positionierung zum (kündigungsrechtlichen) Umgang mit dem Phänomen Whistleblowing in Form einer gesetzlichen Regelung in Deutschland in den vergangenen Jahren versäumt worden und zuletzt gänzlich aus der Agenda der (noch) kommissarisch amtierenden Bundesregierung verschwunden ist, steht sie aufgrund der unionsrechtlich gebotenen Umsetzung der WBRL nun wieder auf der „To-do-Liste“ der künftigen Bundesregierung. Hierdurch befindet sich der bisher weitgehend richterrechtlich geprägte Kündigungsschutz für Whistleblower aktuell in einem Wandel, der je nach Umsetzung der WBRL von erheblicher praktischer Relevanz für „Whistleblowing-Aktivitäten“ sein kann. Bislang ist der Kündigungsschutz trotz jahrelanger Anwendung und Weiterentwicklung des vom BAG bereits im Jahr 2003 etablierten abstrakten und fallübergreifenden Prüfkriterienkatalogs für die Zulässigkeit des Whistleblowings im Einzelfall nicht rechtssicher vorhersehbar. Aufgrund seiner Fokussierung auf das bipolare Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien erweist er sich zudem als insgesamt nicht geeignet, den mehrpoligen Interessenkonflikt beim Whistleblowing unter hinreichender Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an der Aufdeckung betriebsinterner Missstände befriedigend zu lösen. Dies ist im Hinblick auf eine effektive Rechtsdurchsetzung und Rechtsentwicklung bedenklich, weil Whistleblowing aufgrund seines sozioökonomischen Nutzens einen wichtigen Beitrag zur Stabilität und Funktionsfähigkeit unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates leisten kann, was durch Enthüllungen in der Praxis wie zuletzt durch die Whistleblowerin Haugen immer wieder eindrucksvoll belegt wird. Ein hoher Schutz für Whistleblower vor Repressalien wie einer Kündigung als passiver Anreizfaktor zur Förderung der Meldebereitschaft liegt daher als „Mittel zum Zweck“ im Allgemeininteresse, was für die Auflösung des Interessenkonflikts eine entscheidungserhebliche Rolle spielen kann. Ausgehend von diesem Blick auf Whistleblower als „Aufklärer im Allgemeininteresse“ und im Bewusstsein eines bisher europaweit fragmentarischen und lückenhaften Whistleblowingrechts hat der Unionsgesetzgeber zur Förderung der übersektoralen Durchsetzung unionaler Politik und Regulierung den Mitgliedstaaten in der WBRL einen Mindestschutz für Whistleblower verbindlich vorgeschrieben. Maßgeblich für die Schutzgewährung ist danach vor allem die Berechtigung der Meldung, nicht aber die Motivation des Whistleblowers oder ein vorheriger innerbetrieblicher Abhilfeversuch, so dass die WBRL insoweit nicht die aufgezeigten Schwächen des deutschen Kündigungsschutzrechts aufweist. Aufgrund ihres höheren Schutzniveaus und ihrer abweichenden Schutzvoraussetzungen erscheint zwar
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Teil 6: Fazit und Ausblick
die Erwartung begründet, dass die Umsetzung der WBRL in deutsches Recht angesichts ihres breiten Anwendungsbereichs auch ohne überschießende Umsetzung praktisch zu einer erheblichen Verbesserung der Meldebereitschaft von Whistleblowern führen werde. Die vorliegende Untersuchung bestätigt diese Vermutung allerdings eher nicht, zeigt sie doch auf, dass der praktische und spürbare Effekt der mit einer Umsetzung einhergehenden Erhöhung des Kündigungsschutzniveaus in Form einer Zunahme geschützten Whistleblowings mit der Entscheidung des Gesetzgebers über eine überschießende Umsetzung steht und fällt. Der zwar sektor- und bereichsübergreifende, aber aus kompetenzrechtlichen Gründen beschränkte Anwendungsbereich der WBRL würde sich bei einer nur kongruenten Mindestumsetzung in einem ebenfalls allein auf bestimmte Rechtsbereiche bzw. Rechtsvorschriften beschränkten und weite nationale Regelungsbereiche nicht tangierenden Schutzbereich des nationalen Umsetzungsgesetzes widerspiegeln. Dies würde zu einer rein kompetenzrechtlichen Zweiteilung des nationalen Kündigungsschutzes für Whistleblower und so zu einer Erweiterung des „Schutznorm-Flickenteppichs“ im deutschen Recht führen. Die ohnehin schon anwendungsfeindliche Rechtsunsicherheit würde damit noch verstärkt. Es wäre im Einzelfall kaum vorhersehbar oder erkennbar, ob ein gemeldeter Verstoß dem Schutzbereich des Umsetzungsgesetzes unterfällt. Diese Unsicherheit über das jeweils einschlägige Kündigungsschutzregime und über die Zulässigkeit einer Meldung würde einen erheblichen Abschreckungseffekt auf Whistleblower haben, die dann im Zweifel gänzlich auf eine Meldung verzichten oder diese allenfalls intern erstatten würden. Die Anreizfunktion des in der WBRL zwingend vorgesehenen freien Wahlrechts zwischen interner und externer Meldung würde ausgehebelt und eine damit bezweckte Steigerung der Meldebereitschaft verfehlt. Die Gleichstellung des internen und externen Whistleblowings als maßgebliche Errungenschaft des Gesetzgebungsprozesses auf unionaler Ebene würde praktisch konterkariert. Im ungünstigsten Fall könnte sich der „neue“ hohe Kündigungsschutz sogar als echtes „Danaergeschenk“ für einen meldewilligen Arbeitnehmer entlarven, wenn er sich aufgrund der Unübersichtlichkeit der geschützten Meldegegenstände im trügerischen Vertrauen auf einen Schutz direkt an externe Meldekanäle wendet. Das auf dem Gesamtkonzept der WBRL beruhende hohe Schutzniveau könnte daher bei einem Verzicht des deutschen Gesetzgebers auf eine überschießende Umsetzung in seiner Funktion und seiner beabsichtigten Steigerung der Meldebereitschaft auf ein allein auf abstrakt-genereller Ebene verankertes Schutzkonzept ohne erhebliche, praktisch spürbare Wirkung reduziert werden und durch die zusätzliche Rechtszersplitterung sogar eher einen gegenteiligen Effekt auslösen. Eine so minimalistisch umgesetzte WBRL hätte einem europaweit verbesserten Whistleblowerschutz einen „Bärendienst“ erwiesen. Es ist dem deutschen Gesetzgeber daher aus mehreren Gründen dringend anzuraten, im Zuge der Umsetzung der WBRL eine umfassende und einheitliche gesetzliche Regelung zum Kündigungsschutz für Whistleblower zu erlassen. Neben der Sicherstellung der praktischen Wirksamkeit des Richtlinienziels spricht hierfür insbesondere der Ersatz des bislang richterrechtlich geprägten einzelfallbezogenen
Teil 6: Fazit und Ausblick
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Kündigungsschutzes durch eine gesetzliche Grundlage mit weitgehend rechtssicher handhabbaren abstrakt-generellen Kriterien, die zugleich einen soziokulturellen Haltungswandel in Deutschland anstoßen könnte. Beließe es der Gesetzgeber hingegen bei einer kongruenten Mindestumsetzung, unterliefe er nicht nur den durch den Unionsgesetzgeber nach zähen Verhandlungen auf europäischer Ebene gesetzten Meilenstein für eine Bekämpfung von Missständen durch einen verbesserten Whistleblowerschutz. Er besiegelte auch einen unübersichtlichen Zweiklassenschutz für Whistleblower im deutschen Recht und würde zudem konkludent auch für Fallkonstellationen außerhalb des auf den Mindestumfang beschränkten Umsetzungsgesetzes den bisherigen richterrechtlichen Kündigungsschutz bestätigen, ohne dessen Unklarheiten auszuräumen. Die Arbeitsgerichte wären damit veranlasst, an ihrer bisherigen Rechtsprechungspraxis festzuhalten. Die anstehende Entscheidung des Gesetzgebers über die Umsetzung der WBRL wird daher so oder so von wegweisender Bedeutung für den Kündigungsschutz für Whistleblower im deutschen Recht sein. Sowohl aus Sicht der Arbeitsvertragsparteien als auch aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive ist eine klare Positionierung des Gesetzgebers hierzu wünschenswert und überfällig. Die zukünftige Bundesregierung sollte sich wegen des drohenden Ablaufs der Umsetzungsfrist am 17. 12. 2021 dringend und prioritär der Umsetzung der WBRL annehmen, schon um ein Vertragsverletzungsverfahren auf unionaler Ebene sowie eine weitere „Hängepartie“ im deutschen Whistleblowingrecht zu vermeiden. Dabei dürfte die Frage der „Regelungsbreite“ des Umsetzungsgesetzes zwar weiterhin der „Dealbreaker“ bleiben, es sollten aber auch andere – für die Rechtssicherheit ebenfalls wichtige und oben angesprochene – offene und dem Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers unterliegende Fragen, etwa zur Schutzintensivierung, im Blick bleiben und geklärt werden. Die Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag von SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP für die 20. Legislaturperiode zur (überschießenden) Umsetzung der WBRL sind insoweit zwar begrüßenswert, enthalten aber im Ergebnis (noch) keine klar erkennbare Linie oder Aussagekraft. Es kann daher mit einer intensiven Debatte um Bedeutung und Richtung des deutschen Whistleblowingrechts gerechnet werden, in die sich auch zahlreiche Interessenverbände und zivilgesellschaftliche Organisationen mit evident konträren Haltungen einschalten werden. Obwohl entgegen der gesellschaftlich eher zweigeteilten Haltung gegenüber Whistleblowing eine parteiübergreifende Zustimmung für eine überschießende Umsetzung der WBRL zur Schaffung eines hohen nationalen Schutzniveaus zu bestehen scheint (so wird sie wohl nur noch von der zukünftig vermutlich oppositionellen CDU/CSU gänzlich abgelehnt) und wohl auch von der neuen Bundesregierung avisiert ist, darf der Ausgang der kommenden politischen Auseinandersetzung über das anstehende Umsetzungsgesetz dennoch mit Spannung erwartet werden.
Annex Die am 08. 12. 2021 vereidigte Bundesregierung der 20. Legislaturperiode aus SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, sog. Ampelkoalition, stand gleich zu Beginn ihrer Amtszeit vor der Herausforderung, zeitnah ein deutsches Schutzgesetz für Whistleblower auf den Weg zu bringen, um ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission wegen nicht fristgerechter Umsetzung zum 17. 12. 2021 möglichst noch abzuwenden. Während die Vorgängerregierung aus CDU/CSU und SPD an diesem Vorhaben gescheitert war, vereinbarten die Ampelkoalitionäre bereits in ihrem Koalitionsvertrag die Umsetzung der WBRL, ohne aber konkret einen avisierten Zeitpunkt oder Inhalt eines Umsetzungsgesetzes zu benennen (vgl. hierzu etwa Teil 1 und Teil 5, B.IV.). Ein Vertragsverletzungsverfahren konnte die Ampelkoalition zwar nicht mehr vermeiden, vielmehr kündigte die Kommission sogar jüngst (15. 02. 2023) die Klageerhebung gegen Deutschland vor dem EuGH wegen mangelnder Umsetzung der WBRL an. Die Koalitionäre legten aber immerhin bereits im April 2022 einen Referentenentwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz vor. Nach Stellungnahmen zahlreicher Interessenverbände und zivilgesellschaftlicher Organisationen veröffentlichte sie im Juli 2022 ihren Regierungsentwurf (vgl. den auf der Internetseite des Bundesministeriums der Justiz abrufbaren Referentenentwurf v. 13. 04. 2022 und Regierungsentwurf v. 27. 07. 2022 (online abrufbar: https://www.bmj.de/Shared Docs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Hinweisgeberschutz.html, Abruf: 15. 01. 2023)). Am 16. 12. 2022 stimmte der Deutsche Bundestag schließlich mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen für den auf diesem Regierungsentwurf basierenden Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen vom 19. 09. 2022, sog. Hinweisgeberschutzgesetz, in einer vom Rechtsausschuss geänderten Fassung vom 14. 12. 2022 (BT-Drucks. 20/3442 und BT-Drucks. 20/4909) (HinSchG-E). Es stand damit nur noch die Zustimmung des Bundesrates aus. Auf diese hofften die Ampelkoalitionäre indes vergeblich, denn in seiner Plenarsitzung am 10. 02. 2023 fand der HinSchG-E im Bundesrat keine Mehrheit. Die Bundesländer mit Regierungsbeteiligung von CDU/CSU verweigerten ihm ihre Zustimmung mit Verweis auf den nach ihrem Dafürhalten zu breiten sachlichen Anwendungsbereich sowie die bürokratische Mehrbelastung für kleine und mittelständische Unternehmen wegen der Einrichtungspflicht interner Meldestellen. Die Umsetzung der WBRL lässt in Deutschland also weiter auf sich warten. Es steht zu vermuten, dass sich das Ringen um ein deutsches Hinweisgeberschutzgesetz nun in den Vermittlungsausschuss verlagert.
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Unbeschadet des Ausgangs dieser (partei-)politischen Auseinandersetzung um den HinSchG-E, wird dieser nachfolgend unter enger Bezugnahme auf die in dieser Arbeit herausgearbeiteten Umsetzungsaufgaben und Umsetzungsvorschläge für den deutschen Gesetzgeber näher erörtert. Vorweggenommen sei bereits, dass das (hoffentlich) baldige Inkrafttreten des ersten rechtsgebietsübergreifenden Schutzgesetzes für Whistleblower eine „Revolution“ im deutschen Whistleblowingrecht darstellt. Die anstehende Verabschiedung eines Hinweisgeberschutzgesetzes darf daher durchaus als ein dem Grunde nach Erfolg der neuen Bundesregierung angesehen werden, wenngleich hierfür (wie so oft) zunächst ein mahnender (bzw. zwingender) Weckruf zum Handeln aus Brüssel erforderlich war. Die mit dem HinSchG-E gewählte Art der Umsetzung als stammgesetzliches Hinweisgeberschutzgesetz (vgl. BT-Drucks. 20/3442, S. 2, 33 f.) ist zur Regelung des Whistleblowings als einer rechtsgebietsübergreifenden Querschnittsmaterie und zur Vermeidung rechtsgebietsbedingter Auslegungsdifferenzen durchweg zu begrüßen und so auch in dieser Arbeit vorgeschlagen worden (vgl. Teil 5, B.I.). Der in Abschnitt 1 des HinSchG-E geregelte (sachliche) Anwendungsbereich überzeugt hingegen nur im Ansatz, nicht aber im Ergebnis. Die „Regelungsbreite“ des Umsetzungsgesetzes ist nach der vorliegenden Untersuchung jedoch das maßgebliche Kriterium für dessen Erfolg (vgl. Teil 6). Der durch die WBRL zwingend vorgegebene Mindestgeltungsbereich des Umsetzungsgesetzes wird zunächst weitgehend überzeugend in § 2 Abs. 1 Nr. 3 – 9, Abs. 2 HinSchG-E geregelt. Zwar erschwert die Auflistung verschiedener Rechtsbereiche und Rechtsnormen insbesondere für einen juristisch nicht geschulten Whistleblower die rechtssichere Erkennbarkeit des Anwendungsbereichs. Vor dem Hintergrund des auf die in der WBRL einzeln aufgeführten unionalen Politikbereiche beschränkten Anwendungsbereichs der WBRL (vgl. hierzu Teil 5, A.V.1.a)) ist diese Vorgehensweise im HinSchG-E indes nachvollziehbar und bei allen Unsicherheiten die wohl praktikabelste Lösung zur vollständigen Abbildung des Mindestgeltungsbereichs der WBRL. Erfreulicherweise findet sich die von der Bundesregierung bereits im Koalitionsvertrag angekündigte überschießende Umsetzung der WBRL (vgl. insoweit Teil 5, B.IV.1. und Teil 5, B.IV.2.b)) tatsächlich in § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 HinSchG-E, wonach auch die Meldung und die Offenlegung straf- sowie bestimmter bußgeldbewehrter Verstöße vom Anwendungsbereich des HinSchG-E erfasst werden. Während die Einbeziehung strafbewehrter Verstöße in Nr. 1 (vgl. hierzu BT-Drucks. 20/3442, S. 57) uneingeschränkte Zustimmung verdient und auch so in dieser Arbeit vorgeschlagen wurde (vgl. Teil 5, B.IV.1.b)), erscheint die Beschränkung der Einbeziehung bußgeldbewehrter Verstöße in Nr. 2 auf solche Vorschriften, die „dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane [dienen]“ (vgl. hierzu BT-Drucks. 20/3442, S. 57 f.) mutlos und verfehlt. Zum einen rechtfertigt der Rekurs auf das öffentliche Interesse an der Vermeidung und Verfolgung jedweden bußgeldbewehrten Fehl-
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verhaltens bereits für sich die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des HinSchG-E auf die Meldung und Offenlegung solcher Verstöße. Zum anderen schafft der Rückgriff auf unbestimmte Rechtsbegriffe eine vor dem Hintergrund behördlichen Einstellungsermessens bei Bagatelldelikten sowie dem Antragserfordernis als Verfolgungsvoraussetzung bestimmter Delikte eine vermeidbare Rechtsunsicherheit über die Reichweite des Geltungsbereichs des HinSchG-E im Einzelfall (vgl. insoweit auch die Vorschläge zur überschießenden Umsetzung in dieser Arbeit, Teil 5, B.IV.1.b)). Eine klare Linie lässt § 2 HinSchG-E zudem bedauerlicherweise im Hinblick auf die Aufdeckung „sonstigen Fehlverhaltens“ vermissen. Die in letzter Minute aus aktuellem Anlass in § 2 Abs. 1 Nr. 10 HinSchG-E aufgenommene „ReichsbürgerZiffer“, das heißt die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des HinSchG-E auf Meldungen und Offenlegungen von „Äußerungen von Beamtinnen und Beamten, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen“ (vgl. BT-Drucks. 20/4909, S. 11, 57), führt hier zu einer misslichen Inkonsistenz des Entwurfs. Die im Dezember 2022 durchgeführten Razzien im Reichsbürgermilieu haben einmal mehr die Notwendigkeit und den Mehrwert des Whistleblowings von Missständen auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle bzw. sogar außerhalb des Geltungsbereichs bestehender Regelungen für den gesamtgesellschaftlichen Diskurs über Lücken der Rechtsordnung und ihrer Durchsetzung vor Augen geführt. Eine grundlegende und nicht allein (aus aktuellem Anlass) punktuelle gesetzgeberische Positionierung zur Meldung und Offenlegung „sonstigen Fehlverhaltens“ wäre daher wünschenswert gewesen. Eine allgemeine Aufnahme für eng begrenzte und im gesteigerten öffentlichen Interesse liegende Fälle „sonstigen Fehlverhaltens“ in den Geltungsbereich des § 2 HinSchG-E als ausnahmsweise meldefähigen Missstand erscheint durchaus erforderlich und erwägenswert (vgl. wiederum die Umsetzungsvorschläge in dieser Arbeit, Teil 5, B.IV.2.b)). Die ebenfalls am 16. 12. 2022 beschlossene Aufforderung des Deutschen Bundestages an die Bundesregierung, eine Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs für die Aufdeckung eben solchen Fehlverhaltens zu prüfen und nötigenfalls auf den Weg zu bringen (vgl. BT-Drucks. 20/4909, S. 3), ist deshalb zu begrüßen. Anders als in dieser Arbeit für eine klare Erkennbarkeit rechtsmissbräuchlichen Verhaltens als tauglichem Meldegegenstand angeregt (vgl. Teil 5, A.V.1.c)bb) und Teil 5, B.II.), verzichtet § 3 Abs. 2 Nr. 2 HinSchG-E für die Begriffsdefinition von „Verstöße[n]“ überdies auf die Aufnahme einer Legaldefinition von „Rechtsmissbrauch“ oder „Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten“ entsprechend der Rechtsprechung des EuGH. Nähere Ausführungen hierzu finden sich im Unterschied zur WBRL aber immerhin in der Entwurfsbegründung (vgl. BT-Drucks. 20/3442, S. 64 f.). Auch von einer – in dieser Arbeit empfohlenen (vgl. Teil 5, A.V.1.e) und Teil 5, B.II.) – klarstellenden normativen Einbeziehung von Maßnahmen des Whistleblowers im Vorfeld und Nachgang einer Informationsweitergabe in seinen Anwendungsbereich sieht der HinSchG-E ab.
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Die Ausklammerung solcher Informationen, die nationale Sicherheitsinteressen tangieren, sowie von Verschlusssachen aus dem Anwendungsbereich nach § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 HinSchG-E hätte unter Berücksichtigung des bisweilen hohen öffentlichen Interesses an der Aufdeckung von Missständen auch in diesen Bereichen, welche die öffentlich-rechtliche Sicherheits- und Verwaltungsstruktur betreffen, ausgewogener erfolgen können. Wie in dieser Arbeit vorgeschlagen (vgl. Teil 5, B.IV.1.b)) und annähernd für VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH in § 5 Abs. 2 Nr. 1 HinSchG-E vorgesehen (vgl. hierzu BT-Drucks. 20/3442, S. 69 f.; BT-Drucks. 20/4909, S. 58), hätten „Rückausnahmen“ hier etwa im Hinblick auf die Informationsempfänger sowie die Schutzvoraussetzungen restriktiver als für die übrigen Meldegegenstände ausgestaltet werden können. Der Aufforderung des Deutschen Bundestages an die Bundesregierung, die Aufdeckungsmöglichkeiten für Whistleblower in diesen sensiblen Bereichen erneut zu prüfen (vgl. BT-Drucks. 20/ 4909, S. 3), ist daher ausdrücklich beizupflichten. Unionsrechtlich bedenklich erscheint die ausweislich der Entwurfsbegründung (vgl. BT-Drucks. 20/3442, S. 70) beabsichtigte Erstreckung des Ausnahmetatbestandes für anwaltliche Berufsgruppen in § 5 Abs. 2 Nr. 3 HinSchG-E auf Syndikusrechtsanwälte, weil deren unternehmensinterne Kommunikation nach der Rechtsprechung des EuGH gerade nicht den gleichen Schutz rechtfertigt wie die vertrauliche Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant (vgl. Teil 5, A.V.1.b)bb)). Verfehlt und unionsrechtlich fragwürdig ist überdies § 4 Abs. 1 HinSchG-E zur Regelung des Verhältnisses der Vorgaben des HinSchG-E zu spezialgesetzlichen Whistleblowing-Schutznormen, weil diese Vorschrift in ihrer jetzigen Form unter Heranziehung der Entwurfsbegründung (vgl. BT-Drucks. 20/3442, S. 67, 78, 84 und BT-Drucks. 20/3709) eine vom Unionsgesetzgeber gerade nicht gewollte Parallelstruktur der „allgemeinen“ und „speziellen“ internen wie externen Meldestrukturen etabliert (vgl. insoweit die Ausführungen in dieser Arbeit unter Teil 5, A.V.1.b)aa)). Die Schutzvoraussetzungen für Whistleblower regelt der HinSchG-E insgesamt zwar weitgehend überzeugend und größtenteils richtlinienkonform. Bisweilen ist aber ein fehlender Weitblick für die Komplexität und Vielzahl der verschiedenen Fallkonstellationen des Whistleblowings zu beklagen, der zu verpassten Chancen bei der Nutzung von Gestaltungsspielräumen führt. So ist es außerordentlich bedauerlich, dass sich der HinSchG-E ohne unionale Verpflichtung zu einer wörtlichen Übernahme der Vorgaben der WBRL bei der Normierung der Anforderungen an eine berechtigte Meldung in § 33 Abs. 1 Nr. 2, 3 HinSchG-E eng am Wortlaut der WBRL orientiert („hinreichenden Grund zu der Annahme“) anstatt, wie in dieser Arbeit vorgeschlagen, auf deutsche Rechtsterminologie zurückzugreifen, namentlich „Vorsatz/vorsätzlich“ und „grobe Fahrlässigkeit/grob fahrlässig“ (vgl. Teil 5, B.III.1.). Hierdurch erschwert der Entwurf ohne Not die Rechtsanwendung, obschon er etwa das Bestehen eines Schadenersatzanspruchs gegen einen Whistleblower in § 38 HinSchG-E an das Vorliegen einer „vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Meldung oder Offenlegung unrichtiger
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Informationen“ knüpft (ebenso wie im Übrigen auch die Ausnahme vom Vertraulichkeitsgebot in § 9 Abs. 1 HinSchG-E). Der Entwurf ist an dieser Stelle terminologisch inkonsistent, weil in verschiedenen Normen unterschiedliche Rechtsbegriffe zur Beschreibung des für den Schutz bzw. auch die Haftung des Whistleblowers ausschlaggebenden und im Prüfungsmaßstab gleichbleibenden Verschuldensgrads verwendet werden: „hinreichenden Grund zu der Annahme“ in §§ 6 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, 33 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 35 Abs. 2 HinSchG-E, „vorsätzlich/en oder grob fahrlässig/en“ in §§ 9 Abs. 1 und 38 HinSchG-E und „wissentlich“ in § 40 Abs. 1 HinSchG-E sowie „gutem Glauben“ in der Entwurfsbegründung (BTDrucks. 20/3442, S. 92). Dies schafft eine unnötige Rechtsunsicherheit und irreführende Unklarheit über den Prüfungsmaßstab für eine berechtigte Informationsweitergabe, die mit Leichtigkeit hätte vermieden werden können. Daneben verpasst der HinSchG-E auch die Chance, die (materiellen) Schutzvoraussetzungen für „im Zusammenhang“ mit der Aufdeckung der Missstände stehende Maßnahmen der Informationsbeschaffung im Vorfeld oder Nachgang einer Meldung oder Offenlegung sowie der Informationsweitergabe, namentlich deren „Notwendigkeit“ bzw. „Erforderlichkeit, wie in dieser Arbeit vorgeschlagen (vgl. Teil 5, B.III.1.), systematisch konsistent in § 33 HinSchG-E oder jedenfalls in dessen normativer Nähe zu regeln. Stattdessen enthält der Entwurf mit seinen Regelungen in §§ 6 Abs, 1, 2 und 35 HinSchG-E eine systematisch ebenso wenig überzeugende Lösung wie die WBRL selbst (vgl. hierzu Teil 5, A.VI.1.e)). Auch eine in dieser Arbeit vorgeschlagene Regelungsintensivierung für gutgläubig über die Notwendigkeit beschaffter Informationen irrende Whistleblower zur Schließung einer erkennbar ungewollten Schutzlücke der WBRL (vgl. Teil 5, A.VI.1.e)bb) und Teil 5, B.III.3.b)) findet sich im HinSchG-E nicht. Die Irrelevanz der Motivation des Whistleblowers für einen Schutzanspruch ergibt sich zwar aus der Entwurfsbegründung (vgl. BT-Drucks. 20/3442, S. 92); aufgrund der großen Bedeutung dieses Kriteriums für den bisherigen richterrechtlich geprägten Kündigungsschutz für Whistleblower im deutschen Recht wäre indes – wie in dieser Arbeit angeregt (vgl. Teil 5, B.III.1.) – eine ausdrückliche Klarstellung im Normtext des HinSchG-E angebracht gewesen. Das freie Wahlrecht des Whistleblowers zwischen einer internen und externen Meldung als maßgebliche Errungenschaft der WBRL wird, wie in dieser Arbeit vorgeschlagen (vgl. Teil 5, B.III.1.), in § 7 Abs. 1 S. 1 HinSchG-E sowie an mehreren Stellen der Entwurfsbegründung (vgl. BT-Drucks. 20/3442, S. 2, 35, 73, 78, 110) ausdrücklich und klar festgeschrieben, so dass daran auch im deutschen Recht künftig kein Zweifel mehr bestehen kann. Vor diesem Hintergrund irritiert allerdings die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 HinSchG-E, nach der es einem Whistleblower „unbenommen [bleibt]“ sich nach einer internen Meldung, der nicht abgeholfen wurde, an eine externe Meldestelle zu wenden. Aus § 22 Abs. 1 HinSchG-E, wonach § 7 Abs. 1 S. 2 HinSchG-E für eine Meldung an das Bundeskartellamt als externer Meldestelle mit der Maßgabe Anwendung findet, dass der Whistleblower sich „je-
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derzeit und unabhängig vom Ausgang des Verfahrens über die interne Meldung an das Bundeskartellamt wenden kann“ (vgl. auch BT-Drucks. 20/3442, S. 84), folgt e contrario, dass § 7 Abs. 1 S. 2 HinSchG-E einem intern meldenden Whistleblower die Pflicht auferlegt, vor einer externen Meldung das Ergebnis der internen Untersuchungen abzuwarten. Hierdurch beschränkt der HinSchG-E das in der WBRL festgelegte bedingungslose (jederzeitige) Wahlrecht des Whistleblowers zwischen einer internen und externen Meldung in richtlinienwidriger Weise. Überdies kann die Auferlegung dieser „Wartepflicht“ auch deshalb nicht überzeugen, weil der Entwurf – anders als in dieser Arbeit empfohlen (vgl. Teil 5, B.III.3.c)) – die für externe Meldestellen in § 31 Abs. 6 HinSchG-E verpflichtend vorgesehenen Mitteilung des abschließenden Untersuchungsergebnisses an den Whistleblower gerade nicht auf interne Meldestellen erstreckt. Eine solche Regelung wäre aber jedenfalls erforderlich, wenn dem Whistleblower auferlegt wird, vor einer externen Meldung das Untersuchungsergebnis seiner internen Meldung abzuwarten. Mit der in letzter Minute in §§ 7 Abs. 3 S. 2 und 24 Abs. 2 S. 2 HinSchG-E aufgenommenen Informationspflicht für interne und externe Meldestellen über die Nutzung interner Meldeverfahren bzw. die Möglichkeit einer internen Meldung beschränkt sich die den Mitgliedstaaten auferlegte Förderung des freiwilligen (vorrangigen) internen Whistleblowings im HinSchG-E auf zwei ohnehin in der WBRL verpflichtend vorgesehene Anreizmechanismen (vgl. BT-Drucks. 20/4909, S. 58 f., 61; Teil 5, A.VI.1.c)dd)). Von einer möglichen finanziellen Förderung des internen Whistleblowings sieht der Entwurf überzeugend ab (vgl. hierzu Teil 5, A.VI.1.c)dd)(1)(a) sowie die Umsetzungsvorschläge in dieser Arbeit, Teil 5, B.III.1.). Die ebenfalls in letzter Minute in den Entwurf in §§ 16 Abs. 1 S. 4 – 6 und 27 Abs. 1 S. 3 – 5 HinSchG-E aufgenommene und grundsätzlich zu begrüßende (vgl. Teil 5, B.III.3.c)) Verpflichtung interner wie externer Meldestellen ab dem 01. 01. 2025 (§ 42 Abs. 2 HinSchG-E) anonyme Meldeverfahren vorzuhalten (vgl. BTDrucks. 20/4909, S. 60 f.), hätte – wie in dieser Arbeit vorgeschlagen (vgl. Teil 5, A.VI.1.c)dd)(1)(b) und Teil 5, B.III.1.) – zur Förderung einer spürbaren Attraktivitätssteigerung interner Meldestellen auf diese beschränkt werden können. Wie in dieser Arbeit prophezeit (vgl. Teil 5, A.VI.1.c)dd)(2)) wird es in der Praxis damit letztlich den Arbeitgebern obliegen, ihre Meldekanäle möglichst attraktiv zu gestalten, um Anreize für eine freiwillige (vorrangige) interne Meldung zu schaffen. Auf gesetzgeberische Schützenhilfe können sie insoweit nicht bauen. Eine Schwachstelle des Entwurfs ist die fehlende Ausweitung schutzauslösender Meldeadressaten. In Abweichung von den in dieser Arbeit unterbreiteten Umsetzungsvorschlägen (vgl. Teil 5, B.III.3.a)) versäumt es der HinSchG-E, den Schutzanspruch des Whistleblowers einerseits nicht starr an die Nutzung der nach seinen Vorgaben speziell einzurichtenden internen und externen Meldestellen zu knüpfen und ihn andererseits für alle von seinem weiten Anwendungsbereich erfassten Fallkonstellationen abschließend zu regeln und damit für Whistleblower und Arbeitgeber rechtssicher festzulegen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein
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Schutzanspruch in seinem Anwendungsbereich auch bei der Informationsweitergabe an andere Meldeadressaten besteht. Obschon nicht unmittelbarer Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist im Hinblick auf die Organisationsformen interner Meldestellen darauf hinzuweisen, dass die Richtlinienkonformität des in der Entwurfsbegründung vorgesehenen „Konzernprivilegs“ (vgl. BT-Drucks. 20/3442, S. 79 und BT-Drucks. 20/4909, S. 56) mehr als fragwürdig ist und im eindeutigen Widerspruch zur Auffassung und Interpretation der Kommission steht (vgl. Ausführungen und Hinweise in Teil 5 Fn. 150). Mit dieser Auslegung der Richtlinienvorgaben riskiert der Normgeber des HinSchG-E ein (weiteres) Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen richtlinienwidriger Umsetzung und begibt sich sehenden Auges auf klaren Konfrontationskurs zur Kommission. Zudem wiegt der HinSchG-E Unternehmen hier in einer trügerischen Sicherheit bei der Einrichtung konzernweiter Meldestellen. Für die in einem eigenen Abschnitt 3 erfasste Regelung der nur ausnahmsweise zulässigen Offenlegung von Informationen orientiert sich der Entwurf wiederum eng an Vorgaben und Wortlaut der WBRL, wobei er diese in § 32 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) HinSchG-E für die mittelbare Offenlegung überzeugend um eine weitere (klarstellende) Tatbestandalternative für den Fall einer gänzlich unterbliebenen Rückmeldung über Folgemaßnahmen ergänzt. Der Entwurf verzichtet hingegen auf eine in dieser Arbeit empfohlene Ausweitung des Schutzes für Whistleblower, die über die objektiv zu beurteilende Nichteignung fristgerecht ergriffener Folgemaßnahmen im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) HinSchG-E (vgl. auch BT-Drucks. 20/3442, S. 90) irren, und für den Fall einer erst nach Ablauf der Rückmeldefrist als ungeeignet erkannten Folgemaßnahme (vgl. Teil 5, B.III.1. und Teil 5, B.III.3.b)). Ausweislich der Entwurfsbegründung fällt aber zumindest die zweite Fallkonstellation unter die Tatbestandsvariante des § 32 Abs. 1 Nr. 2 lit. c) HinSchG-E (vgl. BT-Drucks. 20/ 3442, S. 91). Bedauerlicherweise sieht der HinSchG-E – anders als in dieser Arbeit angeregt (vgl. Teil 5, B.III.1.) – zudem davon ab, die unbestimmten Rechtsbegriffe in § 32 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) HinSchG-E (etwa die „unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses“) durch Regelbeispiele oder Bezugnahmen auf hochsensible und für die Allgemeinheit elementare Rechtsbereiche näher zu konkretisieren. Abzulehnen und in seiner Richtlinienkonformität fragwürdig ist § 32 Abs. 2 HinSchG-E, wonach „das Offenlegen unrichtiger Informationen über Verstöße verboten [ist]“. Obwohl die Zielrichtung der Vorschrift – Schutz vor Reputationsschäden für von der Offenlegung betroffene Unternehmen, Behörden und Personen (vgl. BT-Drucks. 20/3442, S. 91) – offensichtlich ist, entfaltet sie eine potenziell erheblich abschreckende und hemmende Wirkung auf meldewillige Personen, weil sie die Offenlegung unrichtiger Informationen über Verstöße uneingeschränkt und pauschal für „verboten“ erklärt, also auch unbeschadet eines etwaigen Irrtums über deren Richtigkeit. Damit steht die Regelung nicht nur im klaren Widerspruch zur nachfolgenden Schutzvorschrift des § 32 Abs. 1 HinSchG-E, die Whistleblower auch im Fall einer „einfach“ fahrlässigen Offenlegung unrichtiger Informationen schützt, sondern droht auch die praktische Wirksamkeit des Richt-
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linienziels im deutschen Recht zu konterkarieren und insoweit zu einer – vom Normgeber wohl unbeabsichtigten – richtlinienwidrigen Umsetzung zu führen. An diesem unionsrechtlich bedenklichen semantisch-systematischen Befund des § 32 Abs. 2 HinSchG-E ändern auch die Vorschriften der §§ 38 und 40 Abs. 1 HinSchG-E nichts, die letztlich nur die haftungsrechtlichen Konsequenzen für den Fall einer vorsätzlichen/wissentlichen oder grob fahrlässigen Offenlegung unrichtiger Informationen regeln, ohne aber (inzident) die „einfach“ fahrlässig unrichtige Offenlegung aus dem Verbotstatbestand des § 32 Abs. 2 HinSchG-E zu exkludieren. Der Schutzanspruch für nachträglich enttarnte anonyme Whistleblower hätte vorzugsweise im normativen Teil und nicht lediglich in der Entwurfsbegründung (vgl. BT-Drucks. 20/3442, S. 81 und BT-Drucks. 20/4909, S. 56) verankert werden sollen (vgl. Teil 5, B.III.1.) Die in Abschnitt 4 des HinSchG-E geregelten Schutzmaßnahmen für Whistleblower setzen die Vorgaben der WBRL überwiegend zutreffend um, sind aber teilweise nachbesserungsbedürftig und lassen einen wachen Blick für die rechtstatsächliche Praxis vermissen. Obwohl das Verbot von Repressalien Grundpfeiler für den durch die WBRL verbesserten Schutz für Whistleblower ist, geht dessen Normierung in § 36 Abs. 1 S. 1 HinSchG-E fast unter, zumal der Entwurf – anders als in dieser Arbeit empfohlen (vgl. Teil 5, B.III.2.) – von einem ausdrücklich normierten Kündigungsverbot in Form eines spezialgesetzlichen Maßregelungsverbots absieht. Ebenfalls abweichend von den in dieser Arbeit unterbreiteten Umsetzungsvorschlägen (vgl. Teil 5, B.III.2.) regelt der HinSchG-E auch weder die haftungsrechtliche Freistellung des Whistleblowers in §§ 6 Abs. 1, 2 und 35 HinSchG-E klar erkennbar als tatbestandsausschließende Normen noch enthält der Entwurf eine Ausnahme der Möglichkeit für einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers im Kündigungsschutzverfahren sowie ausnahmsweise einen gesetzlichen Weiterbeschäftigungsanspruch für den Whistleblower. Grundsätzlich gelungen ist die Beweislastregelung des § 36 Abs. 2 HinSchG-E, wobei sie aber unter Einbeziehung der Entwurfsbegründung hinsichtlich der Anforderungen an die Widerlegung der Kausalitätsvermutung zwischen Whistleblowing und Benachteiligung richtlinienwidrig erscheint. Hiernach soll die bloße Mitursächlichkeit der Meldung oder Offenlegung für die Kündigung unschädlich sein (vgl. BT-Drucks. 20/3442, S. 96), was aber dem in dieser Arbeit gefundenen Ergebnis widerspricht (vgl. Teil 5, A.VI.2.b)aa)(1)(b) und Teil 5, B.III.2.). Begrüßenswert und so auch in dieser Arbeit vorgeschlagen (vgl. Teil 5, B.III.2.) ist die Regelung des verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruchs des Whistleblowers in § 37 Abs. 1 HinSchG-E und insbesondere die zuletzt noch aufgenommene Regelung des § 37 Abs. 1 S. 2 HinSchG-E, welche die Kompensation auch immaterieller Schäden ermöglicht (vgl. BT-Drucks. 20/4909, S. 61). Wiederum bedenklich hinsichtlich seiner Richtlinienkonformität ist § 37 Abs. 2 HinSchG-E.
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Die WBRL verlangt gerade eine vollständige Wiedergutmachung von durch Repressalien erlittener Schäden, so dass der pauschale Ausschluss (obschon dem deutschen Recht eher fremd) eines Anspruchs auf Begründung eines Vertragsverhältnisses oder eine Beförderung zweifelhaft erscheint. Durchaus sinnvoll präsentiert sich dagegen die – wohl im Ergebnis in zulässigerweise über die Richtlinienvorgaben hinausgehende – Regelung des § 38 HinSchG-E zur Schadenersatzpflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig handelnder Whistleblower, die Ausfluss einer angemessenen und sachgerechten Risikoverteilung zum Schutz der vom Whistleblowing betroffenen Personen ist. Auch mit den Sanktionsvorschriften des § 40 Abs. 2 Nr. 2, 3 HinSchG-E geht der Entwurf über die zwingenden Vorgaben der WBRL hinaus. In Nr. 2 wird die Nichteinrichtung verpflichtender interner Meldestellen bußgeldbewehrt, was zwar aufgrund der Bedeutung der internen Meldestellen für das „Gesamtkonzept“ der WBRL und des HinSchG-E folgerichtig und in dieser Arbeit auch angeregt worden ist (vgl. Teil 5, B.III.3.c)). Im Hinblick auf die – gerade große Unternehmen wohl nicht sonderlich „beeindruckende“ – maximale Bußgeldhöhe von bis zu EUR 20.000 (§ 40 Abs. 6 HinSchG-E) kommt diese Sanktion aber eher als zahnloser Tiger daher. Vergleichsweise überraschend ist deshalb auch die für die Sanktionierung des Ergreifens von Repressalien in Nr. 3 vorgesehene maximale Bußgeldhöhe von bis zu EUR 1 Mio. (§ 20 Abs. 6 HinSchG-E i. V. m. § 30 Abs. 2 S. 3 OWiG), zumal eine Sanktion für dieses Verhalten zusätzlich zu dem verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch aus § 37 Abs. 1 HinSchG-E unional nicht zwingend geboten war und auf das Ergreifen von Repressalien gegenüber einem zutreffend Verstöße aufdeckenden Whistleblower hätte begrenzt werden können (vgl. Teil 5, B.III.2.). Zusammenfassend handelt es sich trotz der aufgezeigten Schwächen und des teils evidenten Nachbesserungsbedarfs bei dem HinSchG-E um einen beachtlichen Aufschlag für ein erstes deutsches Hinweisgeberschutzgesetz. Insbesondere die stammgesetzliche Regelungsform, der breite Geltungsbereich sowie die niedrigschwelligen Schutzvoraussetzungen schaffen einen einheitlichen und weitgehend klaren Rechtsrahmen, der seinen Namen tatsächlich verdient. Nichtsdestotrotz hängt der praktische Erfolg eines Gesetzes mit dieser Form und diesem Inhalt maßgeblich davon ab, ob seine aufgezeigten Lücken und Schwachstellen entweder in der Anwendungspraxis kompensiert oder sogar noch im laufenden Gesetzgebungsverfahren, etwa im Vermittlungsausschuss, gesetzgeberisch ausgebessert werden. Letzteres wäre gerade mit Blick auf den in Teilen zu eng geratenen Anwendungsbereich, die verpasste terminologische Kohärenz, die abschließende Regelung schutzauslösender Meldeadressaten sowie die Reduzierung rechtstatsächlicher Abschreckungsfaktoren im Kündigungsschutzprozess wünschenswert. Im Hinblick auf potenziell richtlinienwidrige Gesetzesstellen, wie etwa die misslungene Harmonisierung mit spezialgesetzlichen Whistleblowing-Schutznormen, die mittelbare Beschränkung des freien Wahlrechts zwischen interner und externer Meldung oder das „Konzernprivileg“ für interne Meldestellen, ist eine Nachbesserung ohnehin dringend geboten.
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Stichwortverzeichnis 1:1-Umsetzung
212, 306, 316, 322 f., 328
Absehbare Erfolglosigkeit 169, 175 f., 192, 279 Adressaten siehe Meldeadressaten Allgemeininteresse siehe Öffentliches Interesse Ampelkoalition 26, 208, 317 f., 327, 330 ff. Angemessenheit Folgemaßnahmen siehe Geeignetheit/Angemessenheit Folgemaßnahmen Annahme des Whistleblowers siehe Subjektive Wahrnehmung des Whistleblowers Annahmeverzugslohn 203, 298 Anonymes Whistleblowing siehe Whistleblowing, anonymes Anreizfaktoren – direkte (aktive und passive) 47, 49 ff., 210 f., 231, 246, 251, 267, 269 f., 300, 329 f. – indirekte 47 f., 50, 331 Anscheinsbeweis 49, 200, 290 Anwendungsbereich siehe Persönlicher Anwendungsbereich; Sachlicher Anwendungsbereich Anzeige Fehlverhalten/Verstoß siehe Meldung Fehlverhalten/Verstoß Anzeige- und Meldepflicht 164 f., 167, 174, 177 ff., 191, 197, 273 Äquivalenzgrundsatz 90, 289 Arbeitnehmerbegriff 24 f., 230 f. Arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht siehe Rücksichtnahmepflicht Assange, Julian 23 Aufklärer siehe Insider(-wissen) Auflösungsantrag 202 f., 295 f., 311 f., 339 Auslegung Unionsrecht 83 ff. Auswirkungen Whistleblower-Richtlinie siehe Whistleblower-Richtlinie, Auswirkungen nationales Recht
Authentizität der Meldung siehe Berechtigung der Meldung BAG-Urteile zum Whistleblowing – 2003 139 ff. – 2006 141 – 2012 147 – 2016 147 Beleidigung 155, 180, 244 Belohnung siehe Finanzielle Belohnung Berechtigung der Meldung – Arbeitsrecht 153 ff., 190, 205, 239, 308 – Hinweisgeberschutzgesetz-Entwurf 335 f. – Konventionsrecht 160 ff. – Umsetzungsakt WBRL 308 – USA 49, 157, 239 – Verfassungsrecht 139, 155, 308 – Whistleblower-Richtlinie 232 ff., 301, 308, 329 Berufliche Schweigepflichten siehe Schweigepflichten Besonderes öffentliches Interesse 184 ff., 278, 310, 327 f. Betriebs- und Geschäftsgeheimnis siehe Geschäftsgeheimnis Betriebsfrieden siehe Wahrung des Betriebsfriedens Beweiserleichterung siehe Beweislastumkehr/Beweiserleichterung Beweislast siehe Darlegungs- und Beweislast Beweislastumkehr/Beweiserleichterung 49, 198 ff., 253, 289 ff., 295, 302, 304, 311 f., 339 Birkenfeld, Bradley siehe Whistleblower, Birkenfeld, Bradley Bixler, Erwin siehe Whistleblower, Bixler, Erwin Bundesarbeitsgericht siehe BAG-Urteile zum Whistleblowing
Stichwortverzeichnis Bundesregierung (Ampelkoalition) siehe Ampelkoalition Bundesverfassungsgericht siehe BVerfGBeschluss zum Whistleblowing (2001) Bußgeld 40, 45, 299, 312, 315, 340 BVerfG-Beschluss zum Whistleblowing (2001) 138 f. Catch-all-Klauseln 108, 117 Charta der Grundrechte der Europäischen Union siehe Grundrechtecharta Chilling effect 60, 281 Cum-Ex-Skandal 34, 42 f. Darlegungs- und Beweislast – Kausalität Whistleblowing und Kündigung 49, 200 f., 289 ff., 294, 311, 339 – Kündigungsgrund und Unzumutbarkeit Fortsetzung Arbeitsverhältnis 161, 198 ff., 294 f. Deltoure, Antoine siehe Whistleblower, Deltoure, Antoine Denunziant/Querulant 23, 44 ff., 192, 200, 204, 233 Deutschland siehe Whistleblowing, Deutschland Dieselskandal 31 f., 37, 40 f., 266 Doppelfunktion der Grundrechte siehe Interessen/Rechte des Whistleblowers, Doppelfunktion der Grundrechte Drohung mit Whistleblowing 150, 301 Durchsetzungsdefizit siehe Rechtsdurchsetzungsdefizit Effektivitätsgrundsatz/praktische Wirksamkeit 86, 90 f., 94, 96, 289, 313, 315, 317, 322, 330 f., 338 Effet utile siehe Effektivitätsgrundsatz/ praktische Wirksamkeit EGMR-Urteile zum Whistleblowing – Bucur und Toma vs. Rumänien (2013) 170 – Gawlik vs. Liechtenstein (2021) 161 f. – Guja vs. Moldau (2008 und 2018) 142 ff., 170 – Halet vs. Luxemburg (2021) 186 f.
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– Heinisch vs. Deutschland (2011) 141 ff., 167, 169 ff., 187 – Langner vs. Deutschland (2015) 167 – Marchenko vs. Ukraine (2009) 142, 170 f. Eigenverursachung 177, 192 Eingangsbestätigung 247, 254, 269, 274 Einrichtungspflicht für Meldestellen siehe Meldestellen Einstweiliger Rechtsschutz 202, 289, 296 f., 312 Einzelfallabwägung siehe Interessenabwägung Empfänger siehe Meldeadressaten EMRK – Bedeutung nationales Recht 65 ff., 146 f. – Bedeutung Unionsrecht 79 f., 242, 263 Entschädigung siehe Schadenersatz Entscheidungskorridore 68 Erforderlichkeit Informationsbeschaffung und -weitergabe siehe Notwendigkeit/Erforderlichkeit Informationsbeschaffung und -weitergabe Ethisches und moralisches bzw. sonstiges Fehlverhalten 28, 38, 58, 128, 131, 184, 227, 273, 307, 326 ff., 334 EU siehe Whistleblowing, EU Europäische Menschenrechtskonvention siehe EMRK Europäische Union siehe Whistleblowing, EU Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte siehe EGMR-Urteile zum Whistleblowing Europarat 160 f., 173, 237, 241, 258, 264 Externe Meldestelle siehe Meldestellen, externe Externes Whistleblowing siehe Whistleblowing, externes Facebook-Skandal 23, 31, 50 Fahrlässige Falschmeldung siehe Falschmeldung, grob fahrlässige Faktische Präzedenzwirkung 66, 146 Falsche Verdächtigung 46, 155 Falscher Meldeadressat – Arbeitsrecht 182 ff.
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Stichwortverzeichnis
– Hinweisgeberschutzgesetz-Entwurf 337, 340 – Umsetzungsakt WBRL 313 f. – Whistleblower-Richtlinie 251 ff. Falschmeldung – grob fahrlässige 156 ff., 190, 239, 308, 335 – leichtfertige 155, 190, 233 f., 308, 335 – wissentliche 156 f., 236, 190 Fehlerkultur 40, 262, 272 f., 337 Finanzielle Belohnung 47, 49 ff., 101, 166, 269 f., 309, 337 Finanzkrise 2008/2009 50 ff. Flickenteppich 51, 136 f., 205, 212, 215, 318 f., 329 f. Flucht in die Öffentlichkeit 30, 44, 47, 169, 172, 196, 242, 246, 263, 274, 278 siehe auch Öffentliches Whistleblowing; Ultima ratio Folgemaßnahmen 247, 249, 277, 251 f., 254, 256, 259, 263 f., 274 ff., 279 f., 283, 302, 310, 314, 338 Förderung internes Whistleblowing 102, 256 ff., 268 ff., 303, 309, 314, 337 Förderung Meldebereitschaft 44 ff., 210 f., 238, 241, 244, 265, 300, 329 f. Form der Meldung 163, 180 f., 228, 246 f., 249 Fragmentarischer Rechtsschutz siehe Flickenteppich Frustrationsverbot 89, 95 f., 217 f. Funktionalisierung Whistleblowing ( zur verbesserte Rechtsdurchsetzung) 38 ff., 48, 71, 211 f., 300, 303, 329 Funktionsfähigkeit Rechtsordnung siehe Stabilität Rechtsordnung Geeignetheit/Angemessenheit Folgemaßnahmen 254, 256, 259, 263, 274 ff., 310, 314, 338 Gesamtabwägung („zweite Prüfungsebene“) 103 f., 146 f., 193 ff., 206, 301 Geschäfts- und Rufschädigung siehe Rufschädigung Geschäftsgeheimnis – Arbeitsrecht 105 ff. – Geschäftsgeheimnisgesetz 115 ff., 126 f. – Geschäftsgeheimnis-Richtlinie 119 ff.
– Grundrechtecharta 78 f. – illegales 64, 106 ff., 116 ff. – Konventionsrecht 70 – UWG a. F. 115 ff. – Verfassungsrecht 63 ff., 107, 118 Geschäftsgeheimnisgesetz 113 ff. – Anwendungsbereich 115, 127 – Auswirkung Arbeitsrecht 108, 113 ff. – Geschäftsgeheimnis siehe dort – Regelungsziel 113 – Verhältnis spezialgesetzliche Schutznormen 127 – Verhältnis Whistleblower-Richtlinie 288, 306 – Whistleblowing-Schutznorm 114, 128 ff., 204 f., 306 Geschäftsgeheimnis-Richtlinie 51 f. – Anwendungsbereich 120, 306 – Geschäftsgeheimnis siehe dort – Harmonisierungsgrad 120 – Regelungsziel 51 f., 113, 119 f., 123 f., 133 f., 288 – Verhältnis Whistleblower-Richtlinie 221, 288, 306 – Whistleblowing-Schutznorm 53, 131 ff. Geschäftsunterlagen siehe Informationsbeschaffung und -weitergabe; Notwendigkeit/Erforderlichkeit Informationsbeschaffung und -weitergabe; Haftungsfreistellung Informationsbeschaffung und -weitergabe GeschGehG siehe Geschäftsgeheimnisgesetz GeschGehRL siehe GeschäftsgeheimnisRichtlinie Gesetzesinitiativen siehe Hinweisgeberschutzgesetz Gesetzgebungskompetenz EU 81 ff. siehe auch Whistleblowing-Richtlinie, Gesetzgebungskompetenz EU Gewaltmonopol 38, 60, 267, 303 Glaubhaftmachung 290 f., 297, 312 GRC siehe Grundrechtecharta Grob fahrlässige Falschmeldung siehe Falschmeldung, grob fahrlässige Grundrechte des Arbeitgebers siehe Interessen/Rechte des Arbeitgebers
Stichwortverzeichnis Grundrechte des Whistleblowers siehe Interessen/Rechte des Whistleblowers Grundrechte Dritter/Arbeitskollegen siehe Interessen/Rechte Dritter/Arbeitskollegen Grundrechtecharta 73 f., 97 ff. siehe auch Primärrechtskonforme Auslegung Grundrechtlicher Kontrollmaßstab 97 ff., 315 Guter Glaube 129 f., 134, 137, 160, 162, 239, 276, 278 f., 284 f., 310, 314, 336 Haftungsfreistellung Informationsbeschaffung und -weitergabe 229, 273, 281 ff., 287, 302 f., 311, 339 Halet, Raphaël siehe Whistleblower, Halet, Raphaël Haltlose Falschmeldung/Anschuldigung 139, 156, 177, 238 Handlungsformen EU 81, 83, 88 Harmonisierungsgrad 92 f. siehe auch Geschäftsgeheimnis-Richtlinie, Harmonisierungsgrad; WhistleblowerRichtlinie, Harmonisierungsgrad Haugen, Frances siehe Whistleblower, Haugen, Frances Heinisch, Brigitte siehe Whistleblower, Heinisch, Brigitte Hinreichender Grund zur Annahme 232, 234 ff., 301 HinSchG-E siehe Hinweisgeberschutzgesetz-Entwurf Hinweisgeberschutzgesetz – aktuelle Gesetzesinitiative 332 ff. – vergangene Gesetzesinitiative 100, 110, 207 f., 317, 329 Hinweisgeberschutzgesetz-Entwurf (Stand Februar 2023) – Anwendungsbereich 333, 340 – Gesetzesart 333, 340 – Gesetzgebungshistorie 332 – Potenzielle Richtlinienwidrigkeit 335 f., 337 ff. – Schutzmaßnahmen 339 f., 340 – Schutzvoraussetzungen 335 ff., 340 – Verhältnis spezialgesetzliche Schutznormen 335, 340 Hinweisgeberstellen siehe Meldestellen
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ICIJ siehe Internationale Netzwerk Investigativer Journalisten Illegales Geschäftsgeheimnis siehe Geschäftsgeheimnis, illegales Immaterielle Schäden 298 f., 312, 339 Indizienkatalog siehe Prüfkriterienkatalog Informationen über Meldestellen 247, 250, 257, 337 Informationsbeschaffung und -weitergabe 30, 150 ff., 229 f., 284 f., 303, 307, 310, 334, 336 Informationsempfänger siehe Meldeadressaten Informationsweitergabe siehe Informationsbeschaffung und -weitergabe Innerbetrieblicher Abhilfeversuch – Arbeitsrecht 167 ff., 191 ff., 205 f. – Hinweisgeberschutzgesetz-Entwurf 336, 340 – Konventionsrecht 169 ff., 192, 263 f. – Umsetzungsakt WBRL 309 – USA 49, 168, 260 – Verfassungsrecht 139, 206, 301, 309 – Whistleblower-Richtlinie 255 ff., 302, 329 f. Insider(-wissen) 39, 41, 44 ff., 50, 204, 210, 329 Instrument verbesserter Rechtsdurchsetzung siehe Funktionalisierung Whistleblowing (zur verbesserten Rechtsdurchsetzung) Interessen/Rechte des Arbeitgebers 44 f., 109, 244 f., 265 f. – Eigentumsfreiheit u. a. Grundrechte 64 f., 70, 79 – Geheimhaltungsinteresse 44, 63, 105 ff., 117 ff. – Selbstregulierung 255, 262, 266 f., 269, 273, 302 f., 323 – Unternehmerfreiheit/unternehmerische Freiheit 63 f., 70, 77 f. Interessen/Rechte des Whistleblowers 45 f. – Doppelfunktion der Grundrechte 70 ff., 80, 189 – Meinungsfreiheit 56 ff., 69, 76 f. – Petitionsrecht u. a. Grundrechte 62, 69 f., 77 – Staatsbürgerliches Anzeigerecht 60 f., 70, 77
366
Stichwortverzeichnis
Interessen/Rechte Dritter/Arbeitskollegen 45, 106, 109 Interessenabwägung 70 ff., 102 f., 105, 110, 135 ff., 142 f., 187 ff., 204 f. Interessenausgleich siehe Praktische Konkordanz Interessenkollision 44 ff., 71 f., 110, 130, 135 f., 140, 145 ff., 183, 187 ff., 190, 204 f., 300 f., 315, 329 Interessenkonflikt siehe Interessenkollision Interessentriangulation 70 f. Internationale Netzwerk Investigativer Journalisten 42 Internationale Schutzinitiativen für Whistleblower 24 Interne Abhilfe siehe Innerbetrieblicher Abhilfeversuch Interne Meldestelle siehe Meldestellen, interne Interner Abhilfeversuch siehe Innerbetrieblicher Abhilfeversuch Internes Whistleblowing siehe Whistleblowing, internes Interpretatorischer Vorrang 87, 94 Irrender Whistleblower 49, 129 ff., 151, 156 ff., 160, 236 ff., 275 ff., 285, 314, 318, 336 Irrtum siehe Irrender Whistleblower; Tatsachenirrtum; Rechtsirrtum J. Safra Sarasin AG
43
Koalitionsvertrag 110, 207, 317 f., 327 f., 331 ff. Kollektive Dimension der Grundrechte siehe Interessen/Rechte des Whistleblowers, Doppelfunktion der Grundrechte Kollusives Zusammenwirken 169, 279 Konkretisierung Rücksichtnahmepflicht siehe Reichweite Rücksichtnahmepflicht Konventionsrechtlicher Mindestschutz siehe Mindestschutz EMRK Konzernprivileg 247, 337 f., 340 Korruption 33, 35 f., 37, 42 Kündigungsgrund („erste Prüfungsebene“) 54 f., 102 ff., 138, 151, 204 Kündigungsschutzklage 141, 201 f., 289
Kündigungsverbot 339
111, 286 ff., 299, 311,
Leichtfertige Falschmeldung siehe Falschmeldung, leichtfertige Lux Leaks 23, 34, 42 Manning, Chelsea (vormals Bradley) siehe Whistleblower, Manning, Chelsea (vormals Bradley) Margin of appreciation siehe Entscheidungskorridore Maßregelungsverbot 111, 203, 286, 296, 311, 339 Mehrebenensystem 53, 73, 97, 100 Meinungsfreiheit siehe Interessen/Rechte des Whistleblowers, Meinungsfreiheit Meldeadressaten – externe behördliche 29 f., 38 f., 182, 249 f. – externe öffentliche 29, 39 f., 149, 168, 183, 246, 251, 274 – falsche siehe Falscher Meldeadressat – interne 29 f., 40 f., 177 f., 181, 246 ff. – Stufenverhältnis siehe Innerbetrieblicher Abhilfeversuch Meldekanäle siehe Meldestellen Meldepflicht siehe Anzeige- und Meldepflicht Meldestellen – externe 182 f., 231, 249 f. – interne 101 f., 177 f., 182, 199, 231, 246 f., 340 siehe auch Förderung internes Whistleblowing; Informationen über Meldestellen Meldung Fehlverhalten/Verstoß 29 f., 228 f., 307 Mindestharmonisierung 92 ff., 97, 120, 212, 216, 251, 298, 308, 312 Mindestschutz EMRK 65, 67 f., 79 f., 146, 160, 169, 171 ff., 186, 242 f., 263 f. Mindestschutz Whistleblower-Richtlinie 24, 210 f., 212, 216, 248 f., 250 f., 285, 300, 308, 312, 315, 329 Mischmotivation 130, 166 f., 191, 199 f., 205 f., 243
Stichwortverzeichnis Missbrauchsgefahr – anonymes Whistleblowing 271 f. – Schutz vor Repressalien 253, 294, 302 Missstände 28, 31 ff., 41 ff. Mitteilung Fehlverhalten/Verstoß siehe Meldung Fehlverhalten/Verstoß Mittelbare Drittwirkung der Grundrechte – Grundrechtecharta 73 ff. – Konventionsrecht 68 f. – Verfassungsrecht 56 Mitursächlichkeit 166, 289, 292 f., 339 Moralisches Fehlverhalten siehe Ethisches und moralisches bzw. sonstiges Fehlverhalten Motivation des Whistleblowers – Arbeitsrecht 140 f., 162 ff., 191, 205 f., 301 – Hinweisgeberschutzgesetz-Entwurf 336 – Konventionsrecht 167, 242 f., 309 – Umsetzungsakt WBRL 308 f. – USA 48, 163, 196, 240 – Verfassungsrecht 139, 301 f. – Whistleblower-Richtlinie 240 ff., 301 f., 309, 329 Motivbündel siehe Mischmotivation Nationale Sicherheitsinteressen siehe Sicherheitsinteressen Nichteignung Folgemaßnahmen siehe Geeignetheit/Angemessenheit Folgemaßnahmen Notwendigkeit/Erforderlichkeit Informationsbeschaffung und -weitergabe 150 ff., 281 ff., 303, 310, 314, 336 Öffentliches Interesse – Auswirkung Interessenabwägung 38 ff., 70 ff., 128 ff., 143 f., 147, 187 ff., 196, 205 f., 216, 233 f., 239, 243 f., 262, 264 ff., 278, 280, 282, 300 ff., 310, 324 f., 326 ff. – Begriffsbestimmung 183 ff. Öffentliches Whistleblowing 29 f., 39 f., 149, 168, 183, 228, 246, 251, 263, 274 – Adressaten siehe Meldeadressaten, externe öffentliche – Subsidiarität 168 f., 255 ff., 274 ff., 302, 309 f., 338
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Öffentlichkeit 23, 28 f., 30, 34, 37, 39 ff., 72, 106, 109, 144, 149, 168 ff., 181, 183 f., 237, 242, 246, 250, 258, 263 Panama Papers 23, 34, 42, Pandora Papers 34 Persönlicher Anwendungsbereich siehe Whistleblower-Richtlinie, Persönlicher Anwendungsbereich; Umsetzungsakt WBRL, Mindestgeltungsbereich Pflichtverletzung des Whistleblowers 55, 103, 137 f., 140 f., 148, 179 ff., 204 Porwoll, Martin siehe Whistleblower, Porwoll, Martin Praktische Konkordanz 56, 68 f., 75 Praktische Wirksamkeit siehe Effektivitätsgrundsatz/praktische Wirksamkeit PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft 42 Primärrecht 73 f., 80, 87 Primärrechtskonforme Auslegung 74 ff., 87, 125, 234, 238 f., 243 ff., 262 ff. Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung siehe Gesetzgebungskompetenz EU Prüfkriterienkatalog – Arbeitsrecht 137, 141, 148 ff., 188 ff., 196, 205 f., 309, 315, 323, 329 – Konventionsrecht 142 ff. Prüfkriterientrias 141, 148, 152, 179 Prüfungsobliegenheit 161 f., 190, 236 f., 301 Querulant siehe Denunziant/Querulant Racheabsicht siehe Schädigungsabsicht Rechtsbehelfe 119, 288 f., 295, 297, 311 Rechtsdurchsetzungsdefizit 38 f., 211, 267, 300, 321 Rechtsirrtum 153 f., 232, 276, 301, 314 Rechtsmissbräuchliches Fehlverhalten 225 ff., 307, 326, 334 Rechtsprechung zum Whistleblowing – Bundesarbeitsgericht siehe BAG-Urteile zum Whistleblowing – Bundesverfassungsgericht siehe BVerfGBeschluss zum Whistleblowing – chronologischer Überblick 137 ff.
368
Stichwortverzeichnis
– EGMR siehe EGMR-Urteile zum Whistleblowing Rechtsreflex 109, 211 f., 300 Redliche Motivation 28, 161, 165 f., 196, 241 Regelungsbreite siehe Überschießende Umsetzung Regelungsintensivierung 92 f., 120, 316 siehe auch Whistleblower-Richtlinie, Regelungsintensivierung; Umsetzungsakt WBRL, Regelungsintensivierung Regelungstiefe siehe Regelungsintensivierung Reichsbürger-Ziffer 334 Reichweite Rücksichtnahmepflicht 55, 70 f., 104 ff., 110 ff., 135 ff., 139 f., 204 Repressalien 46 f., 211, 286 Ressourcenteilung 216 Rezeptionshemmnis 67 f., 146 Richtlinienkonforme Auslegung 93 ff., 126 f., 131 ff. Richtlinienorientierte Auslegung 96, 99 Rückmeldung über Folgemaßnahmen 176, 247, 249, 254, 277, 280, 302, 310, 338, 314 f., 336 f., 338 Rücksichtnahmepflicht 55, 104 ff. Rufschädigung 109, 194, 255, 265 f., 276, 287, 302 Sachlicher Anwendungsbereich siehe Geschäftsgeheimnisgesetz, Anwendungsbereich; Geschäftsgeheimnis-Richtlinie, Anwendungsbereich; WhistleblowerRichtlinie, Sachlicher Anwendungsbereich; Umsetzungsakt WBRL, Mindestgeltungsbereich; Umsetzungsakt WBRL, überschießende Umsetzung; Hinweisgeberschutzgesetz-Entwurf, Anwendungsbereich Sanktionen 54, 90, 139, 193, 233, 238, 286, 297 ff., 312, 315, 340 Sarbanes-Oxley Act 49 Schadenersatz 40, 46, 245, 297 f., 299, 312, 335, 339 Schädigungsabsicht 28, 45, 163 f., 166, 191 Schutzangleichung Whistleblower-Richtlinie siehe Mindestschutz WhistleblowerRichtlinie
Schutzerschleichung 253, 302 Schutzintensivierung siehe Regelungsintensivierung Schutznormen 55, 112 f., 127, 136 f., 157, 204 Schweigepflichten 105 ff., 112, 127, 136, 169, 184, 222 ff., 281 ff., 287, 307 – anwaltliche 222 ff., 282, 287, 307, 335 – ärztliche 222 f., 283, 287, 307 Schwerwiegende Straftaten 174, 192 Sekundäre Beweislast 198 f., 295 Sekundärrecht 74, 80 f. Selbstbetroffenheit 176 f. Selbstregulierung Interessen/Rechte des Arbeitgebers, Selbstregulierung Sicherheitsinteressen 222, 334 Snowden, Edward siehe Whistleblower, Snowden, Edward Sonstiges Fehlverhalten siehe Ethisches und moralisches bzw. sonstiges Fehlverhalten Sorgfaltspflicht siehe Prüfungsobliegenheit Sozialschädlicher Missstand siehe Missstände Sozioökonomischer Nutzen siehe Whistleblowing, Nutzen Spezialgesetzliche Schutznormen siehe Schutznormen Staatliches Gewaltmonopol siehe Gewaltmonopol Staatsbürgerliches Anzeigerecht siehe Interessen/Rechte des Whistleblowers, Staatsbürgerliches Anzeigerecht Stabilität Rechtsordnung 23 f., 37 f., 40 f., 61, 72, 138 f., 184 f., 209, 215, 324, 329 Steuerhinterziehung 33 ff., 37, 42 f. Strafrechtliche Grenzen 45 f., 111 f., 138, 155, 174, 176 f., 180, 229, 284 Strecker, Miroslaw siehe Whistleblower, Strecker, Miroslaw Stufenverhältnis Meldeadressaten siehe Innerbetrieblicher Abhilfeversuch Subjektive Wahrnehmung des Whistleblowers 161, 195 f., 232 ff., 254, 275 f., 279, 282 f., 301, 313, 319 Subsidiaritätsgrundsatz 82 f., 215 Systematik Kündigungsschutzrecht 102 ff., 193
Stichwortverzeichnis Tatsachenirrtum 153 f., 232, 276, 301, 314 Transparenzgebot 91, 217, 286 f., 304, 311 Treuwidrigkeitsgrenze 191, 241, 243, 302, 309 Trilogverfahren 52, 208, 259, 309 Überschießende Umsetzung 93, 96, 99, 220, 304, 316, 333 siehe auch Umsetzungsakt WBRL, überschießende Umsetzung Üble Nachrede 155, 198 f., 295 UBS Group AG 42 Ultima ratio 30, 111, 169, 170, 173, 274, 278, 309 Umsetzungsakt WBRL – Art 304 f. – Mindestgeltungsbereich 306 ff. – Regelungsintensivierung 308, 312 ff. – Schutzmaßnahmen 311 ff. – Schutzvoraussetzungen 308 ff. – Überschießende Umsetzung 304, 316 ff., 330 f. – Verhältnis Geschäftsgeheimnisgesetz 306 f. – Verhältnis spezialgesetzliche Schutznormen 306 f. Umsetzungsgesetz Whistleblower-Richtlinie siehe Umsetzungsakt WBRL Umsetzungspflicht Mitgliedstaaten 89 ff. siehe auch Whistleblower-Richtlinie, Umsetzungspflicht United States of America siehe Whistleblowing, USA Unredliche Motivation siehe Verwerfliche Motivation Unternehmerfreiheit/unternehmerische Freiheit siehe Interessen/Rechte des Arbeitgebers, Unternehmerfreiheit/unternehmerische Freiheit Unvermeidbarer Irrtum 155 ff., 199, 276, 314 Unzumutbarkeit interner Abhilfe 169, 171, 173 ff., 188, 256, 263 f. USA siehe Whistleblowing, USA Verfahrensdauer 201 ff. Vergleich Kündigungsschutzprozess 205
201,
369
Verleumdung 46, 155, 233, 295 Vermeidbarer Irrtum siehe Unvermeidbarer Irrtum Vermutung 99, 161, 290 ff., 311, 315, 339 Verschulden – Pflichtverletzung 55, 103, 156 f., 193, 195 f., 335 – Schadenersatz 297 ff., 312, 339 f. Verschwiegenheitspflicht Arbeitnehmer 105 ff., 111 f., 114, 117, 118, 135 f., 169, 287 f., 303, 311 Versteckte Maßregelung 192, 200 f. Verstoß gegen Rücksichtnahmepflicht siehe Pflichtverletzung des Whistleblowers Verstoß Whistleblower-Richtlinie 224 ff., 307, 326, 328 Vertragsverletzungsverfahren 208, 331 ff., 338 Vertrauensverlust Gesellschaft 31 f., 35, 37 ff., 40 f., 191, 324 Verwerfliche Motivation 128, 139, 147, 163 ff., 196 f., 199 f., 206, 241 ff., 315 Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH 43 f., 141 Volkswagen AG 192 Vollharmonisierung 92 ff., 120, 212, 216, 276 Vorabentscheidungsverfahren siehe Vorlagepflicht Vorgeschobener Kündigungsgrund siehe Versteckte Maßregelung Vorlagepflicht 94, 98, 125 Vorrang interner Abhilfe siehe Innerbetrieblicher Abhilfeversuch Vorsätzliche Falschmeldung siehe Falschmeldung, wissentliche Vorwerfbarer Irrtum 156 f., 195 Wahrung des Betriebsfriedens 45, 108 f. WBRL siehe Whistleblower-Richtlinie Wechselwirkung Berechtigung und Motivation 160 f., 196, 242 f., 245 Weiterbeschäftigungsanspruch 202, 205, 296 f., 298, 312, 339 Wertfleisch GmbH 43 Whistleblower siehe auch Whistleblowing – Birkenfeld, Bradley 42, 50 – Bixler, Erwin 28
370 – – – – –
Stichwortverzeichnis
Deltoure, Antoine 42 Halet, Raphaël 42, 186 f. Haugen, Frances 23, 31, 50, 327, 329 Heinisch, Brigitte 43 f., 141, 201 ff., 327 Manning, Chelsea (vormals Bradley) 23 f., 28, 50 – Porwoll, Martin 44 – Snowden, Edward 23 f., 28, 50 – Strecker, Miroslaw 43 Whistleblower-Richtlinie – Auswirkungen nationales Recht 300 ff., 329 ff. – Gesetzgebungshistorie 24, 52, 207 ff., 259 f., 300 – Gesetzgebungskompetenz EU 213 ff., 218, 220, 300, 306, 317, 319, 330 – Harmonisierungsgrad 213, 217 f., 251, 276, 298, 308, 312, 316 – Persönlicher Anwendungsbereich 213 f., 223, 230 f., 285, 300, 305, 308 – Regelungsintensivierung 212, 251 ff., 271, 276 f., 285, 298 – Regelungsziel 210 ff., 213 f., 215 ff., 225, 288, 293, 300, 313, 322, 330 – Sachlicher Anwendungsbereich 210, 218 ff., 232, 273, 281, 300 f., 305 ff., 312, 315, 317, 321, 323, 326, 330 – Schutzmaßnahmen 281 ff., 311 – Schutzvoraussetzungen 232 ff., 288, 295, 297, 301 ff., 309, 329 – Umsetzungsfrist 24, 52, 89, 208 f., 304, 331 f. – Umsetzungspflicht 217 f., 304 – Verhältnis Geschäftsgeheimnisgesetz 288, 306 – Verhältnis Geschäftsgeheimnis-Richtlinie 221, 288, 306 – Verhältnis spezialgesetzliche Schutznormen 221, 306
Whistleblowing – Abschreckungsfaktoren 25, 44 ff., 60, 192, 203, 205 f., 230, 238, 245, 265, 286 f., 291, 295 f., 301, 330, 338, 340 – anonymes 58 ff., 61 f., 69, 77, 149, 197, 199, 288, 271 ff., 279 f., 309 f., 314, 337, 339 – Anreizfaktoren siehe dort – Begriffsbestimmung 27 ff., 143 f., 149, 231 f. – Deutschland 100 ff., 204, 331 – EU 24, 50 ff. – externes 29 f., 38 ff., 168, 182 f., 228, 249 ff., 274 – gesetzliche Grundlagen 54 ff., 110 ff. – internes 29 f., 40 f., 181 f., 228, 246 f. siehe auch Förderung internes Whistleblowing – Nutzen 30 ff. – Phänomen 27 ff. – USA 48 ff., 101, 157, 163, 168, 196, 200, 239 f., 250 f., 260, 269, 291, 297, 305, 321 Whistleblowing-Richtlinie siehe Whistleblower-Richtlinie Widerlegung Vermutung 292 f., 302, 311, 315, 339 Wiedereinstellung 295, 298, 339 WikiLeaks 23 Wilke-Wurst-Skandal 31, 37, 40, 41 Wirecard-Skandal 31, 37, 41, 192 Wissensdefizit 38 ff., 51, 211 f., 300 Wissentliche Falschmeldung siehe Falschmeldung, wissentliche Zumutbarkeit interner Abhilfe siehe Unzumutbarkeit interner Abhilfe Zweiteilung Kündigungsschutz 318 ff., 330 f.