Klassische Musik heute: Eine Spurensuche in der Rockmusik [1. Aufl.] 9783839412497

Wie viele Menschen sich heute (noch) für klassische Musik interessieren, ist eine offene und viel diskutierte Frage. Zum

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German Pages 274 Year 2015

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Table of contents :
INHALT
Vorwort
Diversifikation der Musik
Manowar und das Erbe Richard Wagners
Moment of Glory - The Scorpions und die Berliner Philharmoniker
Film Music in Concert: Metallica mit Michael Kamen
Innovationspotenziale. Heiner Goebbels Surrogate Cities bei Zukunft@BPhil
Sting als Songwriter zwischen Prokofiev, Eisler, Bach und Dowland
Klassische Musik heute
Literatur
Personenverzeichnis
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Klassische Musik heute: Eine Spurensuche in der Rockmusik [1. Aufl.]
 9783839412497

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Michael Custodis Klassische Musik heute

Studien zur Popularmusik hrsg. v. Thomas Phleps und Helmut Rösing

2009-06-15 12-18-40 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ef212961714878|(S.

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Michael Custodis ist Privatdozent am Seminar für Musikwissenschaft der Freien Universität Berlin und wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Sonderforschungsbereich 626 »Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste«.

2009-06-15 12-18-41 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ef212961714878|(S.

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Michael Custodis Klassische Musik heute. Eine Spurensuche in der Rockmusik

2009-06-15 12-18-41 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ef212961714878|(S.

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Dieses Buch entstand im Rahmen der Arbeiten des Sonderforschungsbereichs 626 der Freien Universität Berlin »Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste«. Gedruckt wurde es mit der freundlichen Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Michael Custodis Lektorat & Satz: Michael Custodis Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1249-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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INHALT Vorwort 7 Diversifikation der Musik 9 Manowar und das Erbe Richard Wagners 23 Moment of Glory The Scorpions und die Berliner Philharmoniker 61 Film Music in Concert: Metallica mit Michael Kamen 111 Innovationspotenziale. Heiner Goebbels Surrogate Cities bei Zukunft@BPhil 157 Sting als Songwriter zwischen Prokofiev, Eisler, Bach und Dowland 193 Klassische Musik heute 223 Literatur 261 Personenverzeichnis 268

VORWORT Ausgangspunkt für das vorliegende Buch war die Frage, was heute als klassische Musik gilt und welchen kulturellen und gesellschaftlichen Stellenwert sie gegenwärtig einnimmt. Die hierbei festzustellende Überlagerung von Perspektiven – der Blick von Musikfreunden auf einzelne Stücke, Komponisten und Ensembles, die dem Bereich der E- bzw. Hochkultur zugerechnet werden, sowie die Binnensicht von Fachleuten und Künstlern auf ein Kontinuum von vielen hundert Jahren Ästhetik- und Kompositionsgeschichte – führte zur methodischen Überlegung, wie diese Vernetzung von Erkenntnisinteressen und kreativen Vorgehensweisen an musikalischen Gegenständen direkt nachvollziehbar gemacht werden kann. Für die Auswahl der Beispiele war die Prominenz der Protagonisten besonders wichtig, um deren exemplarisches Interesse an klassischer Musik mit einem großen Kreis von Rezipienten in Beziehung zu setzen und daraus allgemeinere Aussagen abzuleiten. Diesem Entscheidungskriterium kam die seit einigen Jahren zu beobachtende Zunahme solcher Projekte im Grenzbereich von Jazz, Pop, Rock, Metal und klassischer Musik zugute. Die in der Studie versammelten Beispiele stehen somit stellvertretend für zahlreiche andere künstlerische Konzepte und erheben keinen Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit. Für die Unterstützung der Recherchen durch vielfältige Anregungen, die Bereitstellung von Materialien, die Erlaubnis zum Abdruck von Abbildungen und Partituren sowie die Bereitschaft zu offenen, aufschlussreichen Gesprächen danke ich Peter Amend (Gießen), Anke Birkmann (Hamburg), Peter Brem (Berlin) und den Berliner Philharmonikern, Astrid Cibulka (Berlin), Dr. Marcus Erbe (Köln), Alexandra Hübner (Berlin) und der Education-Abteilung der Berliner Philharmoniker Zukunft@BPhil, Christian Kolonovits (Wien), Dr. Joey DeMaio (New York), Klaus Meine (Hannover), Roman Kircher (Hamburg), Dr. Volkmar Kramarz (Bonn), QPrime Management (Los Angeles), Christian Ruth (Mainz), Guido Schindelbeck (Hamburg), Maja Schmidt-Thomé (Köln), Marieluise

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Schneider (Berlin), Hinrich Stürken (Hamburg) und Maria ZimmerGeyer (Mainz). Darüber hinaus danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen am Seminar für Musikwissenschaft der Freien Universität Berlin für viele aufmerksame Gespräche, namentlich Dr. Frédéric Döhl, Dr. Gregor Herzfeld, Markus Schmidt, Dr. Rebecca Wolf und insbesondere Dr. Peter Moormann für seine bereichernden Anmerkungen sowie den studentischen Mitarbeiterinnen Anna Katharina Geißler und Marianne Hahn für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Fertigstellung des Manuskripts. Stellvertretend für den DFGSonderforschungsbereich „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“ danke ich namentlich Dr. Michael Lüthy (Berlin) für die Unterstützung zum Druck dieses Buches. Gleichfalls bedanke ich mich herzlich bei Johanna Tönsing, Jörg Burkhard und Kai Reinhardt vom transcript-Verlag (Bielefeld) für ihre Hilfe bei der Drucklegung. Spezieller Dank gilt dem Freund und Kollegen Prof. Dr. Friedrich Geiger (Hamburg), dem ich das Sting-Kapitel herzlich zueignen möchte. Diese Untersuchung war eingebettet in das von Prof. Dr. Albrecht Riethmüller (Berlin) im Sonderforschungsbereich geleitete Forschungsprojekt „Ästhetische Diversifikation als Zukunft der Musik?“, dem ich für seine beständige fachkundige und inspirierende Begleitung meiner Arbeit herzlich danken möchte. Mein besonderer Dank gilt meinen Eltern sowie meiner Frau Pia und unseren Kindern für ihre Liebe und Unterstützung.

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„Verwirrend ist die Fülle der Erscheinungsformen, in denen die Musik wie übrigens alle anderen Künste in unserer zeitgenössischen Kultur auftritt. [...] In diesem Formenreichtum spiegelt sich eine bemerkenswerte Differenziertheit der zugeordneten Kultur, die offenbar so viele unterschiedliche Gelegenheiten der Anwendung von Kunst geschaffen hat. Tatsächlich ist ja auch der Weg der abendländischen Kultur auf eine immer größere Spezialisierung in jeder Hinsicht gerichtet.“1

Erwähnte man nicht das Erscheinungsjahr 1930, Ernst Kreneks Kommentar „zur Stellung der Musik in der Kultur der Gegenwart“ hätte durchaus als Bemerkung zur aktuellen Musiklandschaft verstanden werden können. Die daran geknüpfte Frage, wie mit den heterogenen Strömungen der Musik umzugehen sei, wurde während der gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Umwälzungen der folgenden Jahrzehnte immer virulenter und setzte dem Verhältnis der beteiligten Akteure (Produzenten, Vermittler und Hörer von Musik) neue Bedingungen. Solche Diagnosen zur Vielschichtigkeit der Musik beschränken sich nicht auf das 20. Jahrhundert, sondern lassen sich in einigen Ursachen bis zum Beginn der antiken Musikgeschichtsschreibung zurückverfolgen. Zwar nehmen alle zu diesen Entwicklungen vorgelegten Interpretationen unterschiedliche Gewichtungen vor und sind untereinander strittig. Jenseits terminologischer Feinheiten aber – von neuer, moderner, zeitgenössischer, avancierter, experimenteller, ernster oder exakter Kunst-, Avantgarde- oder Gegenwartsmusik zu sprechen – verbindet ihre Vertreter und Fürsprecher überwiegend die Eigenart, die Situation dieser Musik als permanente Gefährdung zu beschreiben. Ausgangspunkt eines Krisenszenarios ist zunächst ein diffuses oder konkretes Gefühl von Bedrohung und Verzweifelung. Noch bevor Theodor W. Adorno einflussreich in die entsprechenden Debatten eingriff und den Zustand der Musik als Regressions- und

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Krisenphänomen beschrieb (das Stichwort „Krise“ findet sich 128mal in seinen gesammelten Schriften), berichtete Adolf Weißmann 1925 von der „Musik in der Weltkrise“: „Ein neuzeitlicher Mensch sein heißt: kämpfen. [...] Dem willensschwächeren, abgestufteren Menschen entspricht eine abgestuftere Kunst. Der Kampf zwischen Form und Inhalt verläuft fesselnd, ja tragisch. Denn er muß in einer vorläufigen Krise sein. Kampf zwischen der aufbauenden Kraft des Rhythmus und der verfeindeten, verweichlichenden Harmonik: das ist das Schicksal einer Musik, die zwischen Kraft und Schwäche ungeahnte Reize gewinnt, aber sehnsuchtsvoll nach einer neuen Geschlossenheit ausschaut.“2

Wird wiederum die Vielschichtigkeit des Musiklebens als Grund einer empfundenen Krise angesehen, so fühlen sich bestimmte Genres von anderen bedrängt, beispielsweise als die befürchtete Amerikanisierung der britischen Kultur die programmatische Ausrichtung der BBC in den 1920er Jahren bestimmte3, wenn aktuell Vertreter afrikanischer Musikkulturen die strategische Übermacht global operierender Medienkonzerne spüren oder sich zeitgenössische Musik in Konzertprogrammen gegen einen traditionellen Werkkanon behaupten muss. Im letztgenannten Fall hat das latente Bedrohungsgefühl reale historische Wurzeln in den repressiven Atmosphären der diktatorischen Systeme des 20. Jahrhunderts, so dass innerhalb der ersten Generation der Avantgarde ein ästhetisches Bekenntnis zur neuen Musik oftmals mit politischer Verfolgung und Exilierung einherging. In den nachfolgenden europäischen Demokratien wiederum wurde das Desinteresse eines breiten Publikums bei gleichzeitiger öffentlicher Förderung zur prägenden Erfahrung der Musiker. Die Heterogenität der allgemeinen musikalischen Landschaft machte daher den Verlust einer einstmals prestigeträchtigen und einflussreichen Position offensichtlich und schürte die Angst, in der wachsenden Unübersichtlichkeit des Musikbetriebs unauffindbar zu werden. Bis in die jüngste Zeit finden sich vereinzelt Schriften, die musikalische Bestandsaufnahmen im Stil einer Krisengeschichte abfassen, zu nennen wären z.B. Gottfried Steins Titel „Neue Musik in der Krise. Kritik, Bestandsaufnahme, Ausblick“ (1981) und Manfred Wegners ökonomische Studie „Musik und Mammon. Die permanente Krise der Musikkultur“ (1999). Vielleicht nicht zufäl-

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lig stehen solche Sichtweisen – bei aller Kritik im Detail – der Musik aufgeschlossen und positiv gegenüber, was den Eindruck bestätigt, dass entsprechende Krisendebatten vor allem innerhalb jener musikalischen Teilkulturen geführt werden, die sich als gefährdet empfinden und mit entsprechenden Zustandsbeschreibungen ihrer selbst vergewissern wollen, um zugleich Aufmerksamkeit außerhalb ihrer Kreise zu erzeugen. Auch Lawrence Kramer argumentiert in seiner aktuellen Studie „Why Classical Music Still Matters“ entsprechend: „The danger of extinction can be exaggerated by […] anxious fans. There are statistics that tell a happier story – healthy Internet downloads and a robust increase in concert offerings over earlier decades, with audiences to match. But the feeling of danger is itself a fact to be reckoned with. Something still feels wrong; something still is wrong. The problem is perhaps less economic or demographic than it is cultural, less a question of the music’s survival than of its role.“4

Ein solches Verständnis von Krise impliziert zugleich die Vorstellung einer vormals bestandenen besseren, sichereren Zeit, die der momentan erlebten, bedrohlichen Situation vorausgegangen war und an der sich die gegenwärtigen negativen Umstände retrospektiv bemessen lassen. Wie ein kursorischer Blick in die Musikgeschichte zeigt, sind entsprechende Vergleiche der Gegenwart mit einer subjektiv erinnerten, vorteilhafteren Vergangenheit aber zum einen kein alleiniges Kennzeichen einer bestimmten Epoche. Zum anderen erweist sich die Vorstellung einer permanenten, existenziellen Krise der Musik als ungeeigneter Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit ihrer Komplexität und den daraus resultierenden ästhetischen, historischen und soziologischen Konsequenzen. Denn ein solcher Blickwinkel ist zu dicht am beobachteten Phänomen angesiedelt und - wie sich bei Krenek nachlesen lässt - in sich relativ: „Von einer Krise der Musik könnte nur gesprochen werden, wenn es plötzlich keine Musik gäbe. Aber davon kann keine Rede sein.“5

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Vorüberlegungen Ziel dieser Studie ist, Eindrücke vom gegenwärtigen Status der klassischen Musik zu gewinnen, jener Musik also, deren ästhetische Wurzeln bis in die griechische Antike zurückreichen und deren tradierter Werkzusammenhang sich vom Beginn der mittelalterlichen Notation bis in unsere Gegenwart erstreckt (eine notwendige terminologische und historische Reflektion übernimmt das Schlusskapitel). Die Vielschichtigkeit der musikalischen Landschaft soll als Untersuchungsfeld dienen, wofür verschiedene Akteure und Genres wertneutral zueinander in Beziehung zu setzen sind. Anstatt dabei Binnendifferenzierungen innerhalb der diversen Bereiche zu folgen und sich – wie am Beispiel der Krisenrhetorik skizziert – in ideologisch widerstreitenden Diskussionen zu verlieren, bietet es sich an, zunächst von der prominenten, historisch ausdifferenzierten Polarität auszugehen, mit der die Musik nach ihrer ästhetischen Funktion und dem sozialen Status ihrer Hörer untergliedert wird. In der Sichtweise von Charles Hamm (1995) entstand zu einem frühen Zeitpunkt der Moderne in der westlichen Welt die Ansicht, die Musik der elitären Klassen (welche die hohe Kunstmusik als auch die technisch weniger anspruchsvollen Genres der bürgerlichen Salons umfasste) von jener des Volkes (populäre Musik und Folklore) zu trennen. Klassische Musik, bewahrt in Partituren und gespielt von Profis für passive Zuhörer, war mit einem einheitlichen Repertoire für die gesamte (westliche) Welt universell und ewig gültig. Die oral tradierte und oft zur praktischen Mitgestaltung konzipierte Musik des Volkes wiederum galt als regional begrenzt und kurzlebig. Hier verschränken sich (bei Hamm) soziale Indikatoren und politische Zeitumstände: „By the late nineteenth century, socially based distinctions between ‚highbrow‘ (classical) and ‚lowbrow‘ (folk and popular) music had become even more rigid. The classical repertory, symbolizing order and permanence and thus power, continued to be associated with and supported by the aristocracy, as before, but now more importantly by industrialists, financiers, and the bourgeoisie. A supportive narrative took shape, holding that the European classical repertory was superior to all other music within and outside the Western world.“6

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Generell ist eine möglichst wertneutrale Argumentation für eine Diskussion jener Faktoren unerlässlich, die Hamm als Wechselwirkungen zwischen ästhetischen Autonomiekonzepten und eurozentristischer Hybris mit allen daraus resultierenden nationalistischen und künstlerischen Konsequenzen in Beziehung setzt. Zu viele der bisherigen Diskurse gerieten zu nah an politisch kontaminierte Auf- oder Abwertungen von U- oder E-Musik, wie sie beispielsweise von Hans Naumanns 1922 publizierter und bis in die 1960er Jahre nachwirkender Theorie des „abgesunkenen Kulturguts“ ausgingen (als Volkskundler und Professor für Germanistik an der Universität Bonn war er u.a. an der öffentlichen Bücherverbrennung 1933 beteiligt und spielte im weiteren Verlauf des NS-Staates eine widersprüchliche Rolle). Naumanns zur Forschungsmethode erhobenes Postulat sollte im Sinne eines Kreislaufs erklären, wie kulturelle Leistungen der überlegenen Oberschicht von unteren, nicht innovativen Schichten kopiert werden und so zum gesellschaftlichen Allgemeingut avancieren, so dass die Elite neue, distinktive Mittel produziert. Auch Theodor W. Adorno operierte mit einer ähnlichen Vorstellung von „oben“ und „unten“ bzw. „hoch“ und „niedrig“: „Die Aufsplitterung der Musik in zwei Sphären, wie sie längst von den Kulturverwaltungen sanktioniert ist, die eine Abteilung schlechtweg der U-Musik vorbehalten, beklagt man zwar gelegentlich wegen der angeblichen Verflachung des Allgemeingeschmacks oder wegen der Isolierung der oberen Musik von den Hörermassen. Aber der Mangel an Reflexion auf die leichte Musik selbst verhindert auch die Einsicht in das Verhältnis der mittlerweile zu starren Sparten fixierten Bereiche. Beide sind so lange schon getrennt und verflochten wie hohe und niedrige Kunst insgesamt.“7

Eine Positionierung zugunsten einer Seite der verschiedenen dualistischen Modelle, die zur Musik als bildender oder unterhaltender Kunst entworfen wurden, ginge aber am Kern der dort zu entdeckenden Mechanismen vorbei: dem Denken in binären Relationen, wofür in unterschiedlichen Epochen wechselnde Gegensätze bemüht wurden. Ein entsprechendes Beispiel liefert Donald Clarke, der seine Studie „The Rise and Fall of Popular Music“ (1995) mit den Worten einleitet:

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE „Once upon a time there were only two kinds of music in Europe: religious music and secular music. [...] In the Middle Ages much secular music was dance music, which was played at court and in the halls of the aristocracy. The best tunes were also popular in the street; a good tune would soon have words fitted to it, and a clever rhyme or broadside would find a tune. A common store of tunes and ideas crossed back and forth across class barriers, and there was little distinction between ‚popular‘ and serious‘ music.“8

Die Vielschichtigkeit des Musiklebens ist ein Spiegel ihrer zahlreichen Funktionen im menschlichen Leben. So, wie sich sämtliche Bereiche des organischen Lebens beständig wandeln und verzweigen, manche Stränge an ein Ende kommen und wiederum andere zu neuen Hauptlinien verschmelzen, entsprang die Musik zu keiner Zeit nur einer einzigen Wurzel. Konflikte zwischen musikalischen Richtungen sind daher ein guter Leitfaden, um zu den grundlegenden Prinzipien und aktuellen Konturen des weit verzweigten Musiklebens vorzudringen, da bei diesen Wegmarken historischer und ästhetischer Umbrüche die Hierarchisierung und Legitimität der widerstreitenden Konzepte jeweils neu verhandelt wurden. Ob im Übergang der Ars Antiqua zur Ars Nova im 14. Jahrhundert oder am Kern der Augustinischen Theorie „Musica est scientia bene modulandi“ („Musik ist die Kenntnis von der rechten Gestaltung“) behandelten die Streitfälle variantenreich immer wieder die Grenze zwischen Popularität und Exklusivität von Musik. Für Augustinus war Musik in erster Linie eine Wissenschaft, die sich an der Vernunft und nicht an menschlichen Instinkten oder Sinnen orientieren sollte. Zwar schloss dieses Konzept nicht das Vergnügen und die Verführung der Hörer aus, doch war der Genuss von Musik, wie auch der Wunsch, diese zu komponieren und auszuüben, in der ästhetischen Rangordnung weit unter ihrer rationalen, theoretischen Durchdringung angesiedelt. Dass diese Gegensätzlichkeit bereits in antiken Musiktheorien verhandelt wurde, zeigt die historischen Ausmaße der Fragestellung. Bei Aristoteles – um die hier ausgelegten Fäden für einen Moment aufzugreifen – diente Musik dem Vergnügen und der aus ihr zu gewinnenden Muße, was sie zu einer edlen und schönen Disziplin machte (wobei er genauer noch zwischen dem Vergnügen am Musikhören und der Musikausübung selbst unterschied). Mit dieser Konzeption trat Aristoteles in Opposition zu Diskursen,

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die bis dahin von Platon und dessen Theorie zur Rolle der Musik im Staat dominiert wurden.9 Hier galt bekanntermaßen die süßliche Muse von Musik und Poesie als schädlicher Einfluss auf die Jugend in Form von Vergnügen und Zerstreuung, dem die wahre Bedeutung von Musik als Wissenschaft und Zugang zur Philosophie entgegenzuhalten war. Konkret argumentierte Platon daher aus primär politischen, staatstragenden Gründen gegen musikalische Neuerungen und für die Beibehaltung der traditionellen Musik, indem die Unterhaltungsfunktion von Musik ihrer Bedeutung als Bildungs- und Reflexionsmedium unterzuordnen sei. Resümiert man die Kerngedanken der bisherigen Überlegungen, so zeigt sich die Vielschichtigkeit der Musik als ein Wesensmerkmal ihrer Verankerung in der Gesellschaft, die zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich gedeutet wurde. Die kulturellen, politischen, ökonomischen und sozialen Umbrüche des 20. Jahrhunderts setzten aber – so die These dieser Studie – der sozialen Verortung der Musik und ihrer diversen Genres neue Bedingungen. Zur Beschreibung der dabei ablaufenden Mechanismen und daraus hervorgegangenen Phänomene soll deshalb der von Albrecht Riethmüller vorgeschlagene Terminus „Diversifikation“ übernommen und weiterentwickelt werden.10 Die Bevorzugung eines neuen Begriffs hängt eng mit der geschilderten normativen Hierarchisierung von Popularität und Exklusivität zusammen: Die frühere Geschlossenheit der klassischen Musik hat sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts endgültig aufgelöst. Zwar war die Vorstellung, dass sie bis zur kompositorischen Ablösung tonaler Bindungen im Tonsatz von einem relativ stabilen ästhetischen Konsens zusammengehalten wurde, eine historische Konstruktion. Das Bürgertum, als die für diese Musik wichtigste kulturtragende Schicht, konnte aber dank seines definitorischen Einflusses auf die relevanten Diskurse und Bildungskanonisierungen an dieser Konstruktion solange festhalten, wie es selbst die musikalische Entwicklung als ästhetischen Fortschritt akzeptierte und unterstützte. Als jedoch, so der zweite Strang dieser These, die soziale Vorherrschaft des Bildungsbürgertums selbst erodierte und gleichzeitig in der Kompositionsgeschichte – vielleicht am präzisesten zwischen Mahler und Ives, Strawinsky und Schönberg zu lokalisieren – stilistische Weichen gestellt wurden, die ein Großteil des Publikums als Aufkündigung des bisherigen Konsenses verstand,

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brach dieser Musik der überwiegende Teil ihrer gesellschaftlichen Basis weg. Diese knappe Skizze einiger musikhistorischer Entwicklungslinien zwischen 1900 und 1920 schließt an den Gedanken an, dass sich das Publikum nicht insgesamt von der Musik zurückzog, sondern von einem Bereich des Musiklebens ab- und anderen Genres zuwandte. Die Verschiebung der öffentlichen Aufmerksamkeit lässt sich sowohl in Schriften und Werken von Komponisten nachverfolgen – besonderen Reiz übte bekanntlich der Jazz aus – als auch in musikwissenschaftlichen Publikationen über jene Zeit studieren. So beliebt die eingangs referierte Bezeichnung dieser Umbruchsphase als „Krise“ war, so uneinheitlich ist die literarische Interpretation der zahlreichen Spannungen im Musikleben. Denn die bislang vorgelegten kultursoziologischen und –philosophischen Erklärungsansätze greifen in ihrer Darstellung zumeist zu kurz, wenn wesentliche Bereiche des Musiklebens überwiegend ausgeklammert werden oder der Fokus allein bei einem der zu politisch-ästhetischen Lagern erklärten Stile verbleibt.11 Für den Fall wiederum, dass stilistische Verknüpfungen innerhalb der Musik sowie zwischen ihr und anderen Künsten in einzelne Bestandteile aufgefächert werden, verbleiben die daraus gezogenen Schlüsse selten auf einer beschreibenden Ebene, sondern dienen vielfach dazu, bestimmte Elemente gegen andere aufoder abzuwerten.12 Sogar innerhalb von Schriften, die wie beispielsweise Sigmund Spaeths „History of Popular Music in America“ (1948) eigentlich Partei für ihren Untersuchungsgegenstand ergreifen wollten, verbleibt die Bewertung der betrachteten Musik unentschlossen zwiespältig: „Popular music represents the line of least resistance. It is the easiest to remember and, perhaps consequently, the easiest to forget. When any of it arrives at some degree of permanence, it is a real tribute to its inherent qualities as well as to the skill and wisdom of its promoters. The traditional contrast of ‚popular‘ and ‚classical‘ music seems rather absurd today, when the dividing line has been practically wiped out. A ‚classic‘ is after all nothing more than a work of art that has established its permanence, and in music such a masterpiece may prove to be more honestly popular than any hit song of the moment. [...] The tradition of serious music has been definitely aristocratic.

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DIVERSIFIKATION DER MUSIK That of popular music, including folk-music in general, is just as definitely democratic.“13

Auch Adornos Schlagwort einer „Verfransung der Künste“, das an einigen Stellen seiner Schriften erscheint und in manchen jüngeren Theoriedebatten als Modell angeführt wird, ist zu vage konturiert, als dass es sich konkret auf die Komplexität des Musiklebens anwenden ließe: „Die Verfransung der Künste, feind einem Ideal von Harmonie, das sozusagen geordnete Verhältnisse innerhalb der Gattungen als Bürgschaft von Sinn voraussetzt, möchte heraus aus der ideologischen Befangenheit von Kunst, die bis in ihre Konstitution als Kunst, als einer autarkischen Sphäre des Geistes, hinabreicht. Es ist, als knabberten die Kunstgattungen, indem sie ihre festumrissene Gestalt negieren, am Begriff der Kunst selbst.“14

Struktur Aus den geschilderten Gründen kann ein von dieser Semantik abweichender Begriff einen anderen Umgang mit diesen Phänomenen markieren, da sich die Diversifikation der Musik gerade nicht genrespezifisch auf Kunst- oder Popularmusik beschränkt. Vielmehr beschreibt sie als dynamischer Prozess einen stetigen Bewegungszustand der Verzweigung, Verfestigung und Veränderung einzelner Entwicklungslinien, wie er weiter oben mit der Metapher beständigen Wandels in allen Bereichen des Lebens umrissen wurde. Ursprünglich der Finanz- und Wirtschaftswelt entstammend bezeichnet er dort – wertneutral – sowohl die Ausweitung eines Angebots aus der Perspektive des Marktes als auch die Verbreiterung einer Produktpalette aus Produzentensicht. Übertragen auf musikalische Zusammenhänge bietet sich diese Doppelperspektive zur Beschreibung der verflochtenen produktionsund rezeptionsspezifischen Aspekte besonders an, zumal der vorgeschlagene Begriff bislang nicht speziell auf Musik angewendet wurde und daher durch keine der eingangs beschriebenen historischen Dualismen und strittigen Polarisierungen vorbelastet ist. Die Suche nach einem neuen Ansatz, um die ästhetischen und sozialen Strukturen einer mehrschichtigen Musikkultur analytisch

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zu durchdringen, wird auch von der Beobachtung geleitet, dass viele Grenzen zwischen Geschmäckern und Genres heute wesentlich durchlässiger erscheinen als noch vor zwei oder drei Generationen. So kann Musikgeschmack nicht mehr trennscharf nach sozialen Indikatoren wie Bildung, Einkommen oder Alter klassifiziert werden, da der soziale Status heute weniger eng mit einer normativen Kenntnis kanonischen musikalischen Repertoires gekoppelt ist. Gleichfalls ist heute die Gefährdung des eigenen soziokulturellen Prestiges wesentlich gesunken, falls man sich offen zu musikalischen Genres bekennt, die früher außerhalb des normativen Bildungskanons lagen. So, wie in der Diversifikation eine Fülle musikalischer Bereiche nebeneinander existieren und den verschiedenen Hörerwünschen als reiche Auswahl zur Verfügung stehen, vollziehen auch einzelne Branchen – sowie manche Komponisten in ihrem künstlerischen Schaffen – solche diversifizierenden Tendenzen nach und integrieren Stilistiken und Themen, die bislang außerhalb ihrer Interessen oder ihrer Branchen lagen. Auf diese Weise ergänzen und verweben sich individuelle und kollektive Bewegungen in der Diversifikation zu Grundmustern, die quer zu den bisherigen Kategorisierungen stehen. Ziel dieser Untersuchung soll folglich sein, diese Querstellungen in der eigenen wie der kollektiven Wahrnehmung von Musik zu lokalisieren und systematisch zu erschließen. Wie es scheint, funktionieren Thesen zur musikalischen Entgrenzung nur bedingt bei Breitenphänomenen und um so besser bei Genres mit eingeschränkterer öffentlicher Beachtung, da dort die Summe von Einflussfaktoren und Wirkungsparametern überschaubarer ist. Was folgt nun daraus für eine Studie zur Diversifikation der Musik, welche Beispiele sind legitim für allgemeinere Kunstdiagnosen? Viele Autoren machten es sich noch vor nicht allzu langer Zeit relativ leicht, indem sie nur einen engen Bereich der westlichen Avantgarde als relevantes Feld wahrnahmen und anderen Genres Kunstrang absprachen. Insbesondere funktionierten solche argumentativen Mechanismen, wenn ökonomische und funktionale Zusammenhänge eine große Rolle spielten (wie in allen Bereichen von Pop- und Filmmusik) oder kulturelle Hintergründe die Beispielebene außerhalb von Europa verlagerten (wie etwa bei Teilen der Jazz-Tradition oder den vielen Spielarten der World Music). Geht man aber von allgemeinen Prinzipien aus, die in diesen Fällen immer auch mit kulturel-

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ler Toleranz zu tun haben, und setzt als Bedingung fest, dass es Musik gelingen soll, Produzenten und Rezipienten aus freien Stücken aneinander zu binden, so ist im Erfolgsfall eine wesentliche Bedingung von Kunst erfüllt. Ausgehend von der grundsätzlichen Überlegung, mit einer genrebezogenen Innenperspektive kaum darstellen zu können, wie und wo klassische Musik heute (noch) Teil des gesellschaftlichen Alltags ist, führte die Suche nach geeigneten Fallbeispielen von Diversifikationstendenzen jenseits der üblichen Einzugsgebiete des klassischen Konzert- und Medienbetriebs. Als äußerst ergiebig erwiesen sich Sichtweisen von Künstlern aus dem weiten Bereich der Rockmusik, die sich in eigenen Stücken mit klassischer Musik befassen und dies in Auseinandersetzung mit ihrem Publikum kommentieren. Da es sich bei den ausgewählten Künstlern zudem mit Absicht um prominente Vertreter ihrer jeweiligen Branchen handelt, wurden die Möglichkeiten und Beschränkungen der medienwirksamen Projekte kontrovers bewertet. In diesen Diskussionen zeigte sich, wie wichtig Fans und Kritiker die Abgrenzung und Unterscheidbarkeit der jeweiligen Genres nahmen und wie sehr man sich auf dort vorherrschende spezielle rezeptionsästhetische Bedingungen berief, sobald die charakteristischen Stilmerkmale musikalisch hinterfragt wurden. Versteht man die vom Untertitel des Buches angekündigte Spurensuche in der Rockmusik als Streifzüge in einer musikalischen Landschaft, so begegnen in den einzelnen Kapiteln diverse Brücken und Gräben – im metaphorischen Sinn gedacht als Wechselverhältnisse von Beweglichkeit und Beharren, Herausforderung und Beständigkeit. Um in diesem Bild zu bleiben, entscheidet sich an einem Hindernis, welches die eigene Erfahrung herausfordert, ob nach einer Brücke Ausschau gehalten wird oder dahinter unüberwindliche Gräben vermutet werden, so dass man lieber stehen bleibt. Diese Vorstellung hängt auch mit der Entscheidung zusammen, übliche Schlagworte wie „Crossover“, mit denen man solche zwischen Rockmusik und klassischer Musik angesiedelte Projekte gerne vermarktet, hierbei bewusst zu vermeiden. Denn terminologisch unpräzise gefasst, basieren sie primär auf Marketingstrategien der Tonträgerindustrie und werden in regelmäßigen Abständen wiederbelebt, um Verbindungen von vorgeblich Unvereinbarem zu bewerben. So lässt sich z.B. der Terminus „Crossover“ (ähnlich verhält es sich mit dem Synonym „Fusion“)

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im Anschluss an Miles Davis’ Experimente mit elektronischen Sounds Ende der 1960er Jahre im Umfeld von Jazz und Rock nachweisen, Ende der 1980er Jahre, um die Anreicherung angloamerikanischer Popmusik durch afrikanische Elemente zu beschreiben (die heute unter dem Schlagwort „World Music“ firmieren), sowie wenige Jahre später im Grenzbereich zwischen Heavy Metal, Hardcore und Hip-Hop, bis er Mitte der 1990er Jahre auf die klassische Musik übertragen wurde, um die Ambitionen von Protagonisten wie Nigel Kennedy, dem Kronos Quartett, den Zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker oder aktuell David Garrett zu kategorisieren. Ein Indiz für die enge Anbindung des „Crossover“-Begriffs an die Sphäre der klassischen Musik ist die Entscheidung der American Recording Academy, seit 1998 einen Grammy für das beste „Classical Crossover Album“ zu vergeben und diesen Preis in der Rubrik „Classical“ anzusiedeln. Hierbei ist daran zu erinnern, dass sich die Grammy-Auszeichnung nach dem Votum der in der Recording Academy weltweit assoziierten Produzenten und Künstler richtet, nicht nach Verkaufszahlen oder Chart-Positionierungen.15 Die Absicht der einzelnen Kapitel bestand zunächst darin, durch ihren Publikumserfolg bestätigte Projekte auf musikhistorische Dimensionen zu hinterfragen. Konkret bedeutete dies, die These der amerikanischen Band Manowar ernstzunehmen, Richard Wagner zum Begründer des Heavy Metal auszurufen, die Kooperation der Scorpions mit den Berliner Philharmonikern entlang von Partituranalysen darzustellen, die Zusammenarbeit von Metallica mit dem Dirigenten und Komponisten Michael Kamen in den Kontext seiner übrigen Film- und Konzertmusiken zu stellen sowie Stings Auseinandersetzung mit klassischen Vorlagen als Musikgeschichte des Songwritings zu verstehen. Trotz ihrer enormen Popularität wurden diese Fallbeispiele von der Musikwissenschaft bislang kaum zur Kenntnis genommen. Eine kritische Bestandsaufnahme von Brücken und Gräben in der aktuellen Musiklandschaft schließt deshalb die disziplinär hierarchisierte Wahrnehmung der verschiedenen Segmente im Musikmarkt mit ein (nicht zuletzt erklärt sich aus der bisherigen Vernachlässigung solcher musikalischen Grenzphänomene die Fülle des Materials, das bei den Recherchen zu Tage trat). Darüber hinaus boten die im Zusammenhang dieser Beispiele behandelten Grundsatzfragen viele Anschlussmöglichkeiten für relevante Debatten über Mediennut-

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zung, Schulmusik, Musikvermittlung, zur aktuellen Bedeutung von Filmmusik und Konzerterfahrungen für die musikalische Sozialisation sowie zur Ausprägung von Hörverhalten. Um zu verdeutlichen, dass vergleichbare Auseinandersetzungen von Künstlern mit historischen Vorlagen und aktuellen Rezeptionsgewohnheiten auch innerhalb des breiten Spektrums von klassischer Musik zu finden sind, wurde den Projekten von Rockmusikern ein entsprechendes Beispiel aus der gegenüberliegenden Musiksparte zur Seite gestellt. Heiner Goebbels’ Epochen überspannende Sicht auf Musikgeschichte und sein ästhetisches Verständnis der Sampletechnik bietet hierfür passendes Anschauungsmaterial, zumal seine Vorstellung von Musik als szenisch-akustischem Erleben von Wirklichkeit der Educationabteilung der Berliner Philharmoniker Zukunft@BPhil besonders geeignet erschien, um das eigene Innovationsprofil des Orchesters zu schärfen. Das abschließende Kapitel schlägt mit einer terminologisch-historischen Reflektion über die Bedeutung und den heutigen Status von klassischer Musik den Bogen zurück zu diesen einleitenden Überlegungen. Zugleich zieht es damit die Summe aus der Vielfältigkeit von Musiktheater und Orchesterklang, Filmsinfonik und Liedkomposition, die Künstler heute an klassischer Musik fasziniert.

Anmerkungen 1

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Ernst Krenek: Die Stellung der Musik in der Kultur der Gegenwart, in: Die Musikpflege 1 (1930/31), S. 65. Adolf Weißmann: Die Musik in der Weltkrise, Berlin und Leipzig: Deutsche Verlagsanstalt 1925, S. 3. Simon Frith: Music for Pleasure. Essays in the Sociology of Pop, Cambridge: Polity Press 1988, S. 24. Lawrence Kramer: Why Classical Music Still Matters, Berkeley et al.: University of California Press 2007, S. 2. Krenek: Die Stellung der Musik in der Kultur der Gegenwart, S. 69. Charles Hamm: Putting Popular Music in its Place, Cambridge: Cambridge University Press 1995, S. 3. Theodor W. Adorno: Einleitung in die Musiksoziologie. II. Leichte Musik, in: Gesammelte Schriften 14, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, S. 199.

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Donald Clarke: The Rise and Fall of Popular Music, London: St. Martin’s Press 1995, S. 1. Günther Wille: Wesenszüge antiker Musikkritik, in: derselbe, Schriften zur Geschichte der antiken Musik, Frankfurt am Main et al.: Lang 1997, S. 30. Vgl. die konzeptionelle Beschreibung des von Albrecht Riethmüller im DFG-Sonderforschungsbereich „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“ an der Freien Universität Berlin geleiteten Projekts „Ästhetische Diversifikation als Zukunft der Musik?“ unter http://www.sfb626.de/teil projekte/b4/index.html (Abruf am 4. Februar 2009). Theodor W. Adorno: Philosophie der neuen Musik, Frankfurt am Main: Suhrkamp 71995 und Carl Dahlhaus: Analyse und Werturteil, Mainz: Schott 1970. Ernst Schoen: Jazz und Kunstmusik, in: Melos 6 (1927), Heft 12; Juliane Rebentisch: Ästhetik der Installation, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003. Sigmund Spaeth: A History of Popular Music in America, New York: Random House 1948, S. 5f. Theodor W. Adorno: Die Kunst und die Künste, in: Gesammelte Schriften 10.1, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, S. 450. Vgl. http://www.grammy.com/GRAMMY_Awards/Voting (Abruf am 12. Februar 2009).

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MANOWAR

UND DAS

ERBE RICHARD WAGNERS

Es kostete in den vergangenen Jahren nicht allzu viel Mühe, um in Kulturmagazinen, Feuilletons und der überregionalen Tagespresse zu verfolgen, wie sich drei herzlich verfeindete Urenkelinnen Richard Wagners positionierten, um in der Nachfolge seines Enkels Wolfgang das Erbe des gemeinsamen Ahnherrn anzutreten. Präziser müsste man formulieren, dass die verschiedenen Pläne zur konzeptionellen Ausrichtung der Bayreuther Festspiele auch auf die zeitgemäße Pflege der lukrativen Marke „Richard Wagner“ abzielten, bis sich schließlich Eva und Katharina gegen Nike Wagner durchsetzen konnten. Begibt man sich dagegen auf die Suche, welche Künstler in den vergangenen Jahrzehnten ähnlich breitenwirksam und engagiert Wagner und sein Werk rezipiert haben, stößt man auf ein interessantes und wissenschaftlich bislang weniger beachtetes Phänomen: Auf der einen Seite finden sich diverse ästhetische Auseinandersetzungen vor allem mit dem Nibelungen-Stoff, etwa bei bildenden Künstlern wie Joseph Beuys, Edward Kienholz und Anselm Kiefer, sowie zahlreiche literarische Adaptionen. Auch die musikalische Avantgarde durchziehen einige Spuren, obgleich gerade hier die überwältigende Popularität und kompositionstechnische Bedeutung von Wagners Œuvre eine bis heute hochgradig politisierte Erblast bildet, so dass ästhetische Parallelen von Werken des 20. Jahrhunderts zu Wagner vor allem formeller Natur sind und beispielsweise Karlheinz Stockhausen Vergleiche seines Licht-Zyklus mit der Ring-Tetralogie nicht sonderlich interessierten. Auf der anderen Seite lassen Fritz Langs Maßstab setzende Nibelungen-Verfilmung als auch der von John Ronald Reuel Tolkiens Lord of the Rings-Saga ausgelöste Fantasy-Boom erahnen, dass die Breitenwirkung von Wagners mythischer Welt vor allem andere Bereiche der Kunst und weniger jene gesellschaftlichen Kreise betrifft, die Wagner als ultimativen Ausdruck ihrer bürgerlichen Hochkultur reklamieren. Diese Vermutung eines bislang relativ unbeobachtenen, äußerst vielschichtigen Untersu-

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chungsfeldes, die den folgenden Ausführungen als Leitgedanken dienen soll, korrespondiert mit einer Bemerkung Joachim Fests über eklatante Lücken der Wagnerforschung: „[…] wenn man von den historischen Zusammenhängen her auf Richard Wagner sowie auf sein musikalisches und literarisches Werk blickt, um etwas über seine Wirkungen herauszufinden, wird man wenig finden außer einem geradezu grotesk anmutenden Mißverhältnis zwischen Werkdeutung und gesellschaftlicher Wirkungsgeschichte. Zwar gibt es ein paar Ansätze und das eine oder andere, in oft anklägerischer Stimmung hingeworfene Stück über Wagners Antisemitismus […]. Aber fast durchweg drängt der Eindruck sich auf, alle diese Darstellungen entstammten eher einem starken Affekt als einer zureichenden Kenntnis der Zusammenhänge. Es sind Abrechnungen mit zu vielen Unbekannten. Zwar gibt es viele kluge und geistvolle Essays. Aber jeder Schreibende weiß, wie einfach es ist, klug und geistvoll zu sein, wenn keine Fakten stören.“1

Fests Vorwurf, primär auf die politischen Implikationen des wagnerschen Werkes in den Jahren zwischen 1930 und 1945 abzielend, bietet zahlreiche Ansatzpunkte bis in unsere Zeit. Denn im Kontrast zur Fülle an verfügbaren Informationen, die zum Wechselverhältnis von Drittem Reich und Bayreuth vorliegen, kamen die nachfolgenden Jahrzehnte im Hinblick auf Wagners Wirkung nie ernsthaft über opernspezifische Dimensionen oder Inszenierungsvergleiche hinaus, womit der Wagnerforschung bislang eine ungeheuer facettenreiche Ansammlung von Umgangsweisen mit seinem Werk, speziell mit dem Ring-Zyklus entging. Methodisch ist ein derart verschobenes Erkenntnisinteresse – von Wagner selbst auf vielfältige, genrespezifische Sichtweisen auf seine Musik – leicht zu bewerkstelligen, vorausgesetzt man ist bereit, die dabei hinzutretenden zeitbezogenen Musik- und Kulturphänomene in eine soziologisch konturierte Betrachtung einzubetten.

I. Hintergründe Der zentrale Gegenstand, um Wagners Spuren jenseits der Sphäre der klassischen Musik bis in die Gegenwart zu verfolgen, ist die amerikanische Heavy Metal-Band Manowar. Konzeptioneller

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Vordenker und Songwriter der Band ist ihr Bassist Joey DeMaio, der in der Hälfte eines mehr als zweistündigen Open Air-Konzerts (im fränkischen Geiselwind am 23. Juli 2005 anlässlich des 25jährigen Bandjubiläums) vor die anwesenden 25.000 Fans trat und ihnen erklärte: „Richard Wagner gave us Heavy Metal. He played louder, heavier, more dramatic music than anybody could ever imagine. And this is why Germans own true Heavy Metal.“ Entlang dieses Credos werden auf dem Weg von Manowar zu Wagner im Folgenden Wikinger und nordische Sagen, Tolkiens Lord of the Rings und Conan the Barbarian (in Person des amtierenden kalifornischen Gouverneurs Arnold Schwarzenegger), diverse Comic-Serien sowie die Rockband Kiss begegnen. Eine solche Anordnung von Elementen erscheint relativ kongruent, führt man sie im Fantasy-Genre zusammen, in dem sich Manowar musikalisch zu Hause fühlen. Beschreibt man zudem die in diesen Beispielen verhandelten Themen als universale Umgangsweisen mit menschlichen Konflikten und deren ethischer Deutung, so werden ihre Wurzeln bei jenen antiken, germanischen und nordischen Mythen deutlich, die Wagner im Ring verschmolz. Alle zu Manowars Wagnerverehrung bislang veröffentlichten Berichte streifen die Thematik immer nur kurz, da der avisierten Fan-Zielgruppe von den zuständigen Fachjournalisten kein größeres Interesse an diesem Aspekt der Band-Philosophie zugetraut wird. Während die freundlicheren Kommentatoren DeMaio einen Spleen unterstellen, zeigen andere Rezensenten offen ihr spöttisches Unverständnis. Da sich aus der Perspektive einer breit gefächerten Rezeptionsgeschichte von Wagner nach 1945 Manowars Songs und die darin lokalisierbaren thematischen und ästhetischen Anlehnungen als Spiegel allgemeiner soziokultureller Denkweisen anbieten, galten die eigenen Nachforschungen für diese Studie dem Ziel, Joey DeMaios These ernst zu nehmen und die Hintergründe seiner immer wieder öffentlich vertretenen Passion nachzuzeichnen. Hierfür sind vor allem die Aufzählung „louder, heavier, more dramatic music“ sowie das Schlüsselwort „true metal“ im Hinterkopf zu behalten. In persönlichen Gesprächen mit dem Autor gab er erstmals tiefere Einblicke in seine Sichtweisen und schilderte ausführlich, wie Richard Wagners Anspruch nach ästhetischen und technischen Höchstleistungen zum Kern seines Denkens als Heavy Metal-Musiker wurde.

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1980 gründete er mit dem Gitarristen Ross „the Boss“ Friedman die Heavy Metal-Band Manowar, benannt nach dem legendären amerikanischen Rennpferd Man O’War (1917-1947).2 Zwei Jahre später legten sie mit dem Sänger Eric Adams und dem Drummer Donnie Hamzik ihr Debut-Album Battle Hymns vor. Fotos aus dieser Zeit zeigen die Musiker als stilisierte Krieger mit blankem Oberkörper, Lederkostümen und knappen, mit Nieten besetzten Hosen (wie Bodybuilder sie tragen), Handschuhen und Stiefeln aus Fell sowie speziell entworfenen Schwertern. Da es im Bereich von Hard Rock und Heavy Metal für Bands bis heute durchaus üblich ist, musikalisch ein Image zu verkörpern, entschied man sich für die Welt der Wikinger, wie Sänger Eric Adams in einem Interview verriet: „We wanted to play music that was powerful – more powerful than anything out there. And we started to think about image – what was more powerful than anything out there, we thought. Jesus Christ, look at the vikings, look at those guys! How they dressed and took their ships around the northern sea, conquering the world, in their day! [...] That was pretty bad ass, and we thought ‚that’s what we wanna portray‘.“3

Auf jeder Platte seit Battle Hymns wurden einzelne Songs diesem Image und der Welt der nordischen Mythen und Götter gewidmet, erweitert um zeitgemäße Motive von Motorrädern („horses of steel“) und wildem Heavy Metal-Lifestyle. Seit dem Sign of the Hammer (1984) betitelten Album verwendet Manowar zudem eine Stilisierung von Thors Hammer als eines ihrer Bandmotive und leitete daraus einen eigenen Gruß für ihre Fans ab, bei der die linke Hand das rechte Handgelenk umfasst, die rechte Hand zur Faust geballt wird und beide Arme anschließend über den Kopf gereckt werden. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass sich seit den 1990er Jahren auch andere Bands (vornehmlich aus dem skandinavischen Raum) mit nordischer Mythologie und den Heldengeschichten der Edda beschäftigen. Im Unterschied zu Manowar fühlen sich die meisten von ihnen, wie Amon Amarth, Bathory oder Enslaved, Death und Black Metal zugehörig (mit z.T. unscharfen Abgrenzungen zu Extreme, Pagan und Viking Metal) und setzen daher andere inhaltliche und stilistische Schwerpunkte in ihrer Musik.

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Manowars Inszenierung des Wikinger-Images und dessen Anpassung an zeitgemäße Parallelen deuten darauf hin, dass Stimmigkeiten mit historischen Vorlagen nicht beabsichtigt sind. Dieser freie Umgang mit stilistischen Elementen findet sich bei einem anderen Gegenstand wieder, der dank des prominenten Protagonisten Arnold Schwarzenegger bis heute bekannt und bei Liebhabern von Fantasy- und Actionfilmen sehr beliebt ist, John Milius Verfilmung von Conan the Barbarian (1981). Neben den optischen Ähnlichkeiten der Kostüme von Schwarzenegger und Manowar aus dieser Zeit fällt der auf dem Debütalbum Battle Hyms enthaltene Song Dark Avenger durch einige Parallelen zur Eingangsszene des Films mit Basil Poledouris Filmmusik auf. Verbindendes Element ist eine Szenerie, in der ein älterer Erzähler eine heroische Geschichte aus einer fernen Zeit schildert. Conan ist zu dieser Zeit noch ein Kind und erfährt hier zum ersten Mal vom mächtigen, unter der Erde lebenden Gott Crom, den Riesen (angestiftet vom Gott des Chaos) um das Geheimnis des Stahls betrogen (auf Manowars Into Glory Ride von 1983 findet sich ein gleichnamiger Titel Secret of Steel). Im anschließenden Kampf vergaßen die feindlichen Götter dieses rätselhafte Geheimnis und ließen es auf dem Schlachtfeld zurück, wo es von Menschen gefunden wurde. Ein gutes Schwert sei nun der einzige Gefährte, dem Conan auf seinem zukünftigen Weg als Kämpfer trauen dürfe. Musikalisch wurde diese Szene von Poledouris mit einer leisen, nicht in allen Details wahrnehmbaren Orchesterfläche unterlegt. Im Mittelteil ihres Songs Dark Avenger verlangsamen Manowar die dynamische Schilderung eines einsamen, tödlich verwundeten Helden und bauen eine Klangfläche auf. Der nun einsetzende Erzähler – die Band konnte hierfür Orson Welles gewinnen – schildert den weiteren Gang der Handlung im Hades, wo der Protagonist mit einem mächtigen Schwert ausgestattet und anschließend von einem gefiederten Pferd zur Erdoberfläche zurückgebracht wird, um fortan bittere Rache zu üben. Diesen Teil der Geschichte übernimmt wieder Sänger Eric Adams. Im Gespräch mit dem Autor ordnete Joey DeMaio diese Parallelen zwischen Conan und Manowar zwar eher einem zeitgleichen Zufall als einer direkten motivischen Übernahme zu. Dennoch gibt es mehrere Hinweise direkt von Manowar, dass das Bandimage unbesiegbarer, ruhmreicher Kämpfer direkt mit der Conan-Figur zusammenhängt:

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Zum einen berufen sich Manowar aktuell auf ihrer Internetseite direkt auf eine Szene aus dem zweiten Schwarzenegger-Film Conan the Destroyer (1984): „At the end of the film classic Conan the Destroyer, the title character sits on his throne. Though his thick muscles bear the scars of his many hard-fought battles, his steel-eyed gaze over his vast kingdom shows how proud and mighty he remains. His enemies vanquished, the challengers to his throne dispatched, it is time for the triumphant king to rest. This is the fate Manowar’s members could have accepted in 2007.“4

Zum anderen kreierte der amerikanische Erfinder von Conan, Robert E. Howard, mit diesem Charakter um 1930 einen der bekanntesten Fantasyhelden (fortgesetzt in Zeichentrick- und Fernsehserien) und schuf die Grundlage für viele Comic- und Animationsfiguren im maßgeblich von ihm entwickelten sogenannten „Sword and Sorcery“-Genre. Dieses ist geprägt von muskulösen Kämpfern in schnellen actionreichen Handlungen, die sich gegen andere Krieger, mystische Kreaturen wie Monster und Drachen sowie magische Gestalten bewähren müssen.5 Bis zur Mitte der 1980er Jahre waren die titelgebenden Helden nahezu ausschließlich männlich, bis mit Figuren wie Red Sonja und der sehr erfolgreichen, weltweit vertriebenen US-amerikanischen TV-Serie Xena auch weibliche Charaktere eingeführt wurden. Bezeichnenderweise wurden in den Folgen 119 bis 121 der sechsten Xena-Staffel (2000) Motive aus dem Ring des Nibelungen verarbeitet, betitelt The Rheingold, The Ring und The Return of the Valkyrie.6 In ihrer umfangreichen, unlängst publizierten Studie zu Adaptionen von Wagner-Motiven im Fantasyfilm beschreibt es Susanne Vill als Grundzug dieses Genres, den fiktiv-historischen, kulturell und technisch veralteten Welten „technologisch überlegene, aber dekadente Zivilisationen“7 gegenüberzustellen. Die politische Organisation der Gemeinschaften im Film sieht oft strenge soziale Hierarchien und Anführerfiguren vor, die in Bewährungsproben ihre besonderen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Wurzelnd in Wagners Konzeption von Charakteren, seinen den Ring des Nibelungen durchziehenden elementaren Kampf von Gut gegen Böse und verbunden mit der Erlöserthematik sieht Vill dabei motivi-

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sche Bezüge bis zu George Lucas’ Star Wars-Hexalogie und der Matrix-Trilogie der Brüder Andrew und Lawrence Wachowski.8 Ein anderes Fallbeispiel mit Ähnlichkeiten zu Manowar verkörpert prototypisch die New Yorker Band Kiss mit ihrer Verbindung aus Rockmusik und Fantasykostümen. Gegründet zu Beginn der 1970er Jahre hatte sich die Gruppe bis zum Ende des Jahrzehnts mit eingängigen Rocknummern und einer spektakulären Bühnenshow ein Millionenpublikum erspielt und blieb bis heute – nach mehrfachen Auflösungen und Wiedervereinigungen sowie einer medial inszenierten De- und Remaskierung – eine der erfolgreichsten Rockbands weltweit. Die Musiker spielten die Fiktionalität der von ihnen verkörperten Rollen in verschiedene Richtungen aus. 1977 bekamen sie ein eigenes Sonderheft bei Marvel, der als einer der weltweit größten Comic-Verlage SuperheldenSerien wie Spiderman, The Fantastic Four, Hulk und X-Men entwickelte (mögliche Vorlagen aus dem Bereich der Musik könnten die Beatles geliefert haben mit der ihnen gewidmeten CartoonReihe im US-amerikanischen Fernsehen (1965-67), die anschließend zum Yellow Submarine-Film umgearbeitet wurde). Ein Jahr später agierte die Band im Spielfilm Kiss meet the Phantom of the Park (1978), einer Mischung aus Science-Fiction-, Fantasyund Horrormovie. In den Jahren 1976 und 1977 hatte Kiss den in der Sword and Sorcery-Szene sehr geschätzten Fantasykünstler Ken Kelly engagiert, um die Cover ihrer Platten Destroyer (1976) und Love Gun (1977) zu gestalten. Auch Manowar nehmen seit Kings of Metal (1988) Kellys Dienste für ihr Cover-Artwork in Anspruch, der sie seither zu heroischen Kämpfern stilisiert, denen üppige barbusige Frauen zu Füßen liegen (vgl. Abb. 1). Ein wesentliches Spezifikum von Kiss war die enge Beziehung zu ihren Fans, der sogenannten Kiss-Army, für die besondere Conventions ausgerichtet wurden, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten ebenso bei Anhängern der Star Wars-Filme und der verschiedenen Star TrekSerien beliebt waren. Auch Manowar betonen immer wieder die Verbundenheit zu ihren Fans, so dass Joey DeMaio hierbei eine direkte Beeinflussung durch Kiss bestätigt: „You couldn’t grow up in our era and not be impressed and influenced by Kiss’s love of their fans. We have to credit them with that, first of all. Secondly you have to credit them with the fact that they were

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great songwriters. They wrote songs that the audience could sing and have fun with. And I think that’s great.“9 Nach diesem Exkurs zu Vorläufern und Parallelen von Manowar im Grenzbereich von Musik- und Comic-Kultur führt eine Bemerkung Bernard Shaws, der als ausgewiesener Kenner die Bayreuther Festspiele in lesenswerten Essays reflektierte, zurück zur Suche nach Spuren von Wagner in der Alltagskultur: „[...] der ‚Ring‘ mit all seinen Göttern und Riesen und Zwergen, mit den Wasserjungfrauen und Walküren, der Tarnkappe, dem magischen Ring, dem verzauberten Schwert und dem wunderbaren Schatz ist ein Drama der Gegenwart und nicht eines aus ferner und sagenhafter Vorzeit.“10 Abbildung 1:

Manowar, Albumcover Gods of War (2007)

Quelle: © Manowar 2007

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Bekanntermaßen entstanden bereits zu Lebzeiten des Komponisten Parodien, Persiflagen und Karikaturen zu seinen Nibelungen, die über Sammelbilder von Liebigs Fleischextrakt um die Wende zum 20. Jahrhundert (Werbeslogan: „Von Fleischextrakt bis Fleischeslust“), Hörspiel-Adaptionen für Kinder, Brett- und Computerspiele, Anna Russells Opernparodien der 1940er und 50er Jahre, eine 24-teilige Zeichentrickserie von Curt Linda, die 1976 im ZDF gezeigt wurde, sowie zahlreiche Comic-Varianten bis in unsere Gegenwart zu Loriots liebevollem Blick auf den Ring-Zyklus reichen.11 Mit Fritz Langs Verfilmung wurden die Nibelungen zudem ein beliebtes Werbemittel, etwa auf Zigarettenbildchen und in Sammlerserien, die noch in den 1950er Jahren in Magarineschachteln zu finden waren.12 Es konnte folglich nur eine Frage der Zeit sein, bis Anfang der 1970er Jahre eine von Comics beeinflusste Bildsprache auf die Bühneninszenierung von Wagners Ring zurückwirkte, beispielsweise in Hans Neugebauers Fassung am Kieler Opernhaus (1970-72) sowie unter Ulrich Melchingers Regie am Theater Kassel (1970-74) in der Ausstattung von Thomas Richter-Forgach.13 Eine weitere Variation der Nibelungen-Thematik, die den kurzen Überblick zu genreübergreifenden Wagner-Adaptionen beschließen soll, führt in die fantastische Literatur zu John R. R. Tolkiens Lord of the Rings-Zyklus. Trotz der unterschiedlichen Anlagen des Materials – Wagners Text als musikalisches Bühnenstück mit begrenzter, maximal ausgereizter Belastbarkeit von Musikern und Publikum, Tolkiens weit abschweifende Romane mit vielen Seitenlinien und Nebenhandlungen – sowie trotz des tragischen bzw. glücklichen Endes der Saga sind Wagners und Tolkiens Handlungen durch viele Elemente verbunden. In einer vor drei Jahrzehnten vorgelegten ersten Publikation zum Thema fielen Robert A. Hall Jr. einige ähnliche Requisiten auf (z.B. ein Drache, der einen Schatz bewacht; ein magischer goldener Ring, der seinem Träger große Kraft verleiht und einen Fluch in sich trägt; ein Gegenstand, der seinem Träger zu Unsichtbarkeit verhilft; das zerbrochene und wieder zusammengefügte Schwert).14 Nach dem Stand der Tolkien-Forschung war dieser mit Wagners Werk wohl vertraut und bestritt zeitlebens eine direkte Beziehung zwischen den beiden Zyklen. Zugleich umfasste das Sprachtalent des Philologen Tolkien neben Deutsch, Französisch, Latein, Altgriechisch und Altenglisch u.a. auch Altnordisch, so dass

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er alle Quellen, aus denen Wagner seine Fassung der Nibelungen zusammensetzte, im Original lesen konnte. Aufgrund des glücklichen Endes in Tolkiens Geschichte interpretiert Hall diesen RingZyklus als exakte Spiegelung von Wagners Sicht, um aus dessen Bausteinen eine Geschichte mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden zusammenzusetzen: „The main theme of both Wagner’s and Tolkien’s works is the problem of how to get rid of a flawed rule – Wontan’s in Wagner, Saruman’s, Théoden’s, and Denethor’s in Tolkien – and how to thwart the designs of completely evil being (Alberich and Sauron, respectively) who seeks to achieve universal domination through a Ring which he has forged. This Ring confers power in its holder, but inevitably corrupts and ruins him to the extent that he makes use of it. In each, the Ring passes out of control of its maker. To prevent him from regaining it, it must be returned to its source, which is the only place where its evil power can be destroyed, so that a new start can be made. The quest and journey of the hero (Siegfried) or heroes (Frodo and Sam) is the main-spring of most of the action.“15

Vill argumentiert bezüglich der Analogien zwischen Peter Jacksons Tolkien-Verfilmungen und Wagners Opern ähnlich. Während bei Wagner die politische Botschaft des Rings in die Kritik an autoritären Herrschaftssystemen und am Kapitalismus eingebettet wurde, dominieren „nach den historischen Erfahrungen der beiden Weltkriege bei Tolkien und Jackson die Affinitäten zu den Vernichtungsschlachten der Kriege, vor allem zur Zerstörungsmacht des totalitären Regimes der Nationalsozialisten“;16 entsprechend illustrieren Jacksons Filme die Schlachten wesentlich ausführlicher, als sie vom Romanautor Tolkien geschildert wurden. Zurück zu Manowars Cover-Artwork, das vor Kraft strotzende, siegreiche Helden mit blutigen Waffen im Kampf oder inmitten toter Gegner zeigt, zeugen auch die allermeisten ihrer Songtexte von einem hohen Maß an drastischer Gewalt, was der Band von Anfang an harsche Kritik einbrachte. In verschiedenen Interviews bestand Joey DeMaio strikt auf der Fiktionalität seiner Texte und reagierte auf den Vorwurf der Gewaltverherrlichung mit zwei Argumenten:

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1. Manowar möchte den Fans die Möglichkeit geben, mit ihren Songs noch einmal die eigene Teenager-Zeit zu durchleben, als man sich, von aller Welt missverstanden, in eine Fantasiewelt voller Drachen, Helden und Bösewichter hineinträumte. 2. In dieser musikalischen Gegenwelt können die Manowar-Hörer inmitten von gleichgesinnten „Brothers and Sisters of Steel“ nun neue Kraft schöpfen, um alle Kämpfe und Widerstände durchzustehen, denen sie als Anhänger des Heavy Metal im Alltag begegnen, da man ihren Lebensstil dort nicht begreift.17 Dieses Wechselverhältnis von positiver Lebenseinstellung und negativer Umwelt spiegelt DeMaios Selbstverständnis als Mensch und Musiker und inspiriert ihn (wie er im Gespräch mit dem Autor erläuterte), den Kampf um Ruhm und Ehre im Sinne einer modernen Heldenepik in immer neuen Variationen zu inszenieren: „I am infused with my mission to be happy. For me to be happy it revolves mostly around music. That’s the biggest part of my life. I’m on a mission to enjoy my life. I want to control the things I can control which are the performance and the atmosphere. During that atmosphere I transport myself away from war, killing, bombing, terrorists, flight crashing – I transport myself away from that into a place where I can enjoy myself and I can take people there with me and make sure, at least for that time period, that I can control their enjoyment of the environment. [Autor: But with the topics you are dealing with in the songs, you quite often come back to this world of war and battle.] Because my lyrics are illustrative to the persons individual personalities, to fight, to overcome, to persevere, to believe that you can find a way within yourself to accomplish whatever you need to, whether it’s quitting smoking, whether it’s improving yourself, it doesn’t matter. Strength comes from within. If you look for it out there, you’re not gonna find it. Because it’s not there, it’s here [Joey DeMaio deutet auf sein Herz]. That is why the lyrics interpret that. That’s why the imagery is one of – in the end you’ll win if you believe. I don’t believe you’ve got to step on somebody else to get to the next place in line. I never believed that. I don’t believe you have to kick somebody aside. I believe you can let the quality of what you are and what you do lead you there. And your work can speak for itself.“

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In ihrer treffend betitelten Studie „Ein Traum vom Mittelalter“ gewichtete Annette Kreutziger-Herr das Zurschaustellen von Gewalt (einem konstitutiven Bestandteil der adeligen Identität im Mittelalter) als zentrales Faszinosum an mittelalterlichen Texten: „Diese Präsentation von Gewalt stillt in der neuzeitlichen Welt ein nicht eingestandenes Bedürfnis nach offener und ungezähmter Gewalt durch die Beschäftigung mit ihrer fiktiven und ästhetisierten Darstellung.“18 Die in der Literatur seit dem 19. Jahrhundert von Sir Walter Scott, Alexandre Dumas, Robert E. Howard oder J. R. R. Tolkien entworfenen fantastischen Welten, die in der Dramaturgie ihrer Erzählungen wiederum auf den klassischen Epen der griechischen Mythologie und der nordischen Sagas aufbauten, zeichneten sich besonders durch die Konstruktion einer fiktiven Historie aus.19 Im Fokus von Manowars Beschäftigung mit Wagner betrifft dies die Sicht des 19. und 20. Jahrhunderts auf das Mittelalter und die daraus erwachsenden Konsequenzen für Gegenwart und Zukunft. Hier gilt die Vorstellung vom Mittelalter als „Reservoir von Emotionen und Gefühlen“ mit Blick auf ein „magisches Königreich geheimen Wissens, geheimen Verstehens und geheimer Weisheit“, zu dem die Menschen seit der Renaissance über die Aufklärung und die industrielle Revolution bis ins 20. Jahrhundert den Zugang verloren hätte, wie Kreutziger-Herr an anderer Stelle weiter ausführt: „One can enter into this ‚kingdom‘ not by research or knowledge, but only by feeling; they are perceived to be a time when man was in harmony with the universe, dedicating his thoughts and feelings, the rational and the sensual, to one centre of supremacy.“20 Für Carl Dahlhaus war Wagners Rückgang im Ring des Nibelungen in eine mythische Vergangenheit zugleich die „Antizipation einer utopischen Zukunft“: „Der ferne Ursprung, den das musikalisch restaurierte, durch Musik dem Gefühl wieder verständlich gemachte mythische Geschehen repräsentiert, ist andererseits das Ziel, dem die Geschichte der Menschheit zustrebt: Der Geist des Gesetzes und des Zwangs soll durch den der Versöhnung und der Liebe, die Sprache der Reflexion durch die des Gefühls abgelöst und aufgehoben werden. Insofern ist das mythische Drama das Kunstwerk der Zukunft, als das es von Wagner proklamiert wurde.“21

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Wagner erschien das Nibelungenlied als mittelalterliche Verzerrung, so dass er verschiedene Quellen bis zur Edda zurückverfolgte, „um die Heroentragödie mit einem Göttermythos zu verknüpfen, der die Vorgänge zur Bedeutung eines Weltendramas erhöht“22, wie Dahlhaus formulierte. Wagners Fassung der Nibelungensage entwickelte bekanntermaßen in der Folgezeit eine immense Deutungshoheit, so dass sich ein Großteil des Interesses am Mittelalter aus dieser Quelle speist, auch wenn dies nicht immer bewusst reflektiert wird. In ähnlicher Weise, wie Teile der Mozartforschung bis heute mit der definitorischen Breitenwirkung von Milos Formans Amadeus-Film konfrontiert werden, sind Mittelalterrezeption und Wagner nicht mehr vollständig von einander abzuheben, wie auch Volker Mertens betont: „Das Mittelalter als Fluchtraum hatte nicht erst Wagner eröffnet, wohl aber für eine breite gebildete Öffentlichkeit eigentlich erschlossen und dadurch auch Interesse für die originalen Stoffe geweckt: gewiß wurden und werden Leser von Gottfrieds Tristan und Wolframs Parzival durch ihre Bekanntschaft mit Wagners Werk für die mittelalterlichen Texte gewonnen. Aber sie lasen die alten Romane mit Wagners Augen [...].“23

Kommt man nach diesem kurzen musikhistorischen Überblick zurück zu Joey DeMaio und seiner Wagnerverehrung, bliebe zu klären, wie man sich den Weg eines amerikanischen Heavy MetalMusikers zum deutschen Komponisten Wagner vorzustellen hat. Mit Beginn der 1990er Jahre, so im Dokumentarfilm Secrets of Steel (1993) sowie in einigen Interviews, machten Manowar ihre Begeisterung für Wagner öffentlich (aus der heraus sie z.B. ihr eigenes Studio „Haus Wahnfried“ tauften) und äußerten erstmals ihre These von Richard Wagner als dem Begründer des Heavy Metal, dessen Erbe sie angetreten hätten. Bis zum Gespräch mit dem Autor war es DeMaio nicht gewohnt, näher zu seinem Denken über Wagner befragt zu werden, so dass alle bis dahin publizierten Äußerungen schlagwortartig nur die Oberfläche der Thematik streiften. Dies hing nicht zuletzt auch mit dem Umstand zusammen, dass sich die wenigsten Journalisten auf beiden Seiten der Thematik zu Hause fühlten und daher ihre Berichte – entsprechend ihrer Vorkenntnisse und Vorlieben – schmunzelnd oder hämisch abfassten.

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Seit Deena Weinsteins Untersuchung Heavy Metal. A Cultural Sociology (1991) und Robert Walsers Pilotstudie Running with the Devil. Power, Gender, and Madness in Heavy Metal Music (1993) findet diese Musik auch jenseits von Fankreisen Beachtung, so dass sich DeMaio die augenblicklich wieder breite mediale Präsenz des Themas im eigenen Interesse zu Nutze macht.24 Dabei kontrastiert er die üblichen Klischees zu Heavy Metal geschickt mit kurzen Andeutungen über seine Nobilitierung zum Ritter von Malta vor wenigen Jahren und einen Doktorgrad in Musical Arts. Wie sich im Internet anhand von Bildern und wenigen Zeilen in einem Spiegel-Artikel aus dem Juni 2007 rekonstruieren lässt, wurde DeMaio für sein Engagement bei Wohltätigkeitssprojekten mit dem Ehrentitel des Malteserordens gewürdigt.25 Ungeklärter und für die Wagnerthematik einschlägiger ist sein Doktortitel, da er auf diese akademische Auszeichnung immer im Umfeld von Fragen zu Wagner hinweist. Ob es sich hierbei ebenfalls um einen Ehrentitel handelt, ist unklar. Nach Aussagen im Gespräch mit dem Autor wurde DeMaio der Titel auf Grundlage seiner musikalischen Karriere von einer Stiftung verliehen, die ihrerseits von den Vereinten Nationen unterstützt wird. Zeitlich fällt die Auszeichnung in die Phase zwischen den beiden letzten Alben – Warriors of the World (2002) und Gods of War (2007) –, in der DeMaio seinen umfangreichen Versuch in Angriff nahm, Wagners Ring-Zyklus in den Heavy Metal zu übertragen. Biografisch reicht Joey DeMaios Fixierung auf Wagner zurück in die Anfangszeit seiner Karriere. Nach ersten Erfahrungen als Bassist lokaler Rockbands in Upstate New York bekam er Anfang der 1970er Jahre das Angebot, mit dem Musical Godspell (UA 1971 in New York City) auf Tournee zu gehen. Die musikalischen Fähigkeiten seiner Orchesterkollegen und des Dirigenten beeindruckten ihn als musikalischen Autodidakten sehr, so dass er sich von ihnen unterrichten ließ.26 Der Dirigent, dessen Namen leider nicht überliefert ist, komponierte während dieser Tournee eine Oper und erläuterte DeMaio an einigen Orchesterpassagen seine Inspiration durch Richard Wagners Stil: „My life was a joke in the sense that I was getting all this acceptance for being a great musician by all these people. And really among these guys, who were musicians, I had no clue as to what music really was. It was inspiring to be around these musicians. I had to make a

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MANOWAR UND DAS ERBE RICHARD WAGNERS decision: will I go this route, have the right to call myself a musician – which I clearly don’t now, I’m a guy who owns a bass guitar. So I started to study music with these gentlemen. I just said: ‚Look, I am here to learn and I want to learn all I can. If you’ll teach me, you’ll find that I’ll be a great student.‘ While traveling the gentleman, who was the conductor, was composing an opera. He started showing me the music, singing some of it. And he said ‚You know, I’ve taking a lot of inspiration from the music of Wagner‘. And he pointed out a piece were Wagner just helt a suspended chord to illustrate the sense of continuous motion of water and flowing. And he was talking about suspensions and all of these different lines, and counterpoint and melody. I did not have a clue what he was talking about but I understood enough about music to know that this was something that was really at the top level.“

Bei einer Sichtung der bislang von Manowar vorgelegten zehn Studioalben fällt auf, dass in drei Fällen auf „Hits“ der klassischen Musik zurückgegriffen wurde, um die überragenden Fähigkeiten der Musiker zu demonstrieren. Im Fall der Ouvertüre aus Gioachino Rossinis Wilhelm Tell (auf Battle Hymns, 1982) und Nikolai Rimsky-Korsakows Hummelflug (auf Kings of Metal, 1988) betraf dies Joey DeMaios Bassspiel, bei der 2002 vorgelegten Version von Vincenzo Bellinis Nessun Dorma (auf Warriors of the World, 2002) – beworben als Tribut an die italienischen Fans der Band – die Gesangsleistung von Eric Adams.27 Im Hamburger Interview lieferte Joey DeMaio nun Hinweise auf konkrete Songs, bei denen direkte Einflüsse Wagners auf sein Songwriting feststellbar sind. Durchsucht man die Songtexte konkret nach Wagner-spezifischen Stichworten, stößt man ab 1984 auf Walküren, einen magischen Ring (nach dem DeMaio 1999 die eigene Produktionsfirma Magic Circle Music taufte) und andere, klar Wagner zuzuordnende Elemente und Themen: Götter, einsame Kämpfer, Schwerter, fliegende Pferde, die Regenbogenbrücke nach Walhall und dort ruhende, tote Helden, Krieger auf dem Weg in die Unterwelt, die Bereitschaft, für andere einzustehen, sowie die Konzeption phantastischer und visionärer Welten, die in einer unbestimmten Vorzeit angesiedelt sind. Auf musikalischer Ebene finden sich Einflüsse dagegen nicht in thematischen Übernahmen oder melodischen Zitaten, sondern im hymnischen Charakter vieler Songs. So versuchte man sich

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beispielsweise auf dem 1992 erschienenen Album The Triumph of Steel an einem halbstündigen, konzeptuell verschachtelten Stück Achilles, Agony & Ecstasy – In Eight Parts, in dessen Mittelteil ein Marsch zur Beerdigung des Helden mit Chor, Orgel und Röhrenglocken unterlegt wurde. Solche Lieder sind bei Manowar-Fans besonders beliebt, da sie mit orchestralen Flächen und Chören eine pathetische, weihevolle Atmosphäre kreieren. Auch schon der balladenhafte Mittelteil von Battle Hymns (1982) beruhte nach Aussage von Joey DeMaio auf diesen Stilanlehnungen. Die anderen Bandmitglieder betonen ebenfalls, wenn sie über ihr Interesse an klassischer Musik Auskunft geben, die kraftvolle Klangwirkung, wie sie in Sinfoniekonzerten und Opern zu erleben ist, so Schlagzeuger Scott Columbus: „Ich liebe den Bombast in der klassischen Musik. So ein Orchester löst unbeschreibliche Gefühle aus. Auch Opern höre ich mir sehr gerne an.“28 Manowars Gitarrist Karl Logan begründete die Entscheidung, Nessun Dorma einzuspielen, mit den engen Verbindungen zwischen beiden Genres: „We [...] just wanted to show the relationship between [classical music, Anm. d. Verf.] and heavy metal because the music of that song is definitely, undeniably powerful. Again, it’s just another side of the band and it's a reminder that heavy metal is about melody and memorable melodic moments, not just percussion [...].“29 DeMaios Ausrichtung auf Wagner geht über künstlerische Inspirationen weit hinaus und umfasst wesentliche Überschneidungen von Leben und Werk. Für ihn ist sein Idol der Inbegriff der Hochkultur und Gipfel der vergangenen und zukünftigen Musik, einer Verbindung von Kunst und Leben in höchster Vollendung. Nach eigener Aussage beruhen einige der wichtigsten Richtungsentscheidungen seiner Musikerlaufbahn auf der Ausrichtung am großen Bayreuther Vorbild und umfassen auch organisatorische und technische Arbeitsbereiche in seiner Band: „I thought my responsibilities in this group are greater than just to play bass guitar. So then I had a need to understand more about business, I had a need to understand more about lighting, staging. As I began to study Wagner’s life I realized that he had no choice. He could not turn to anybody for help with lighting and staging because it did not exist. It existed in his head.“30

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Zieht man als musikhistorische Referenz Paul Bekkers hellsichtige, im amerikanischen Exil entstandene Studie zur Geschichte des Orchesters heran, so lassen sich dort ähnliche Einschätzungen über Wagners Bedeutung als Pionier der Konzertsaalakustik finden.31 In gleicher Weise, wie Joey DeMaio Wagner als technischen Visionär verehrt, bezog er sich in seiner eingangs zitierten Charakterisierung von Wagners Musik als „louder and heavier than anybody could ever imagine“ auf dessen Innovationen im Bereich von Orchestrierung und Instrumentation. Auch hierauf kam Bekker ausführlich zu sprechen, als er über „das kosmische Orchester Wagners“ schrieb: „Ihm lag vor allem daran, die richtige akustische Wirkung zu erzielen. Er hatte das Orchester zwar vergrößert, jedoch nicht bloß, um die Lautstärke zu steigern, denn er war zu sehr Musiker, als daß er die Notwendigkeit eines ausgewogenen Verhältnisses von Gesangsstimme und Instrumenten zueinander nicht gesehen hätte. Vielmehr mußte er die Zahl der Instrumente, und zwar vor allem der Bläser, um ihrer Farben und ihrer harmonischen Funktionen willen erhöhen.“32

In der Kompromisslosigkeit gegenüber künstlerischen und technischen Belangen sowie im fairen Umgang mit Manowars Fans sieht Joey DeMaio Wagner ebenfalls als Vorbild. Diesen Anspruch an sich und die Ideale seiner Musik bündelte er im Begriff „true metal“, der erstmals 1984 in einem Songtext nachzuweisen ist. Sehr schematisch gedacht umfasst „true metal“ alle Bands und Musiker, die sich den Kommerzialisierungstendenzen der Musikindustrie widersetzen und ihre geschäftlichen und künstlerischen Belange selbst kontrollieren wollen (bezeichnenderweise verloren Manowar ihre Plattenverträge vermutlich mehr als ein dutzendmal).33 Für viele Fans und Musiker geht die Bedeutung von Heavy Metal über die Musik weit hinaus und umfasst ein nonkonformistisches Lebensgefühl von Authentizität, Ehrlichkeit und Treue zu Idealen und Werten. In Manowars Terminologie bezeichnet die Gegenposition „false metal“ daher all jene Bands, die aus kommerziellen Gründen die Philosophie des Heavy Metal verraten und auf der Bühne den Eindruck nicht aufrecht erhalten können, den sie dank moderner Technik im Studio erweckten.34

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Es ist bei Fans und Gegnern strittig, ob die erzeugten Erwartungen und selbst gesetzten Ansprüche der Band von ihren Ergebnissen bestätigt werden. Gleichfalls ist leicht nachzuvollziehen, dass ein solches Postulat von „wahrem“ und „falschem“ Metal höchst umstritten und nicht klar zu umreißen ist. Denn wenn Manowar z.B. auf der stilistischen Abgrenzung des Heavy Metal von musikalischen Trends wie DJs und Rappern bestehen (die während der 1990er Jahre im sogenannten Nu Metal in den prägenden Sound von Gitarren und Schlagzeug integriert wurden), scheint die Historisierung Wagners als Stammvater des „true metal“ und die stilistische Übernahme von Chor- und Orchesterelementen widersprüchlich. Hier nun ist man aber am Kern von Joey DeMaios Denken über Wagner angelangt: Aus seiner Sicht hat die kompromisslose Überwindung technischer und ästhetischer Begrenzungen bei Wagner ihre Wurzeln, wurde von allen Zeitgenossen aber nicht ernst genommen und konnte erst im Rückblick ihre umfassende historische Bedeutung erweisen. Nun also erscheinen diese Ideale der Genieästhetik wieder im Heavy Metal, der sich damit – sofern es sich um „true metal“ handelt – an die Spitze gesellschaftlicher Innovation stellt: „He fought for every aspect of his music to be performed as he wished it and not be compromised by people who wanted to cheapen or devalue it so they could gain a greater profit. [Autor: Your idea of ‚true metal‘ is the core of your way of thinking about Wagner?] Preserve the quality of what you are doing at all costs. Rise to the occasion of doing what needs to be done in order to make it performable.“35

Bei der Beschreibung der starken Identifikation, mit der sich DeMaio zu Richard Wagner und dessen Musik hingezogen fühlt, kamen die politischen Dimensionen, die die Wagner-Rezeption nach 1945 maßgeblich bestimmten, bislang nicht zur Sprache. Zum einen ist dies zur methodischen Erfassung aller relevanten thematischen Aspekte nun nachzuholen, zum anderen, da Deutschland das Zentrum der Länder bildet, in denen Manowar erfolgreich sind. Die Band sieht den Grund hierfür nicht zuletzt in der reichen Kulturlandschaft, die von bedeutsamen Repräsentanten der Musikgeschichte dort angelegt wurde und bis heute – getragen von einem gesellschaftlichen Konsens zur Bedeutsamkeit von Kul-

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tur und Geschichte – stärker gepflegt wird als in anderen Ländern, allen voran ihrer amerikanischen Heimat. Bei einer sich hieraus entwickelnden Diskussion über politische Einflüsse und Strömungen im Heavy Metal ist vorab anzumerken, dass Schlussfolgerungen sehr stark von den betrachteten Gegenständen abhängen, da Metal keinesfalls mit einer einheitlichen politischen oder ethischen Grundeinstellung gleichzusetzen ist. Aufgrund der stilistischen Vielschichtigkeit gilt Metal vielen Beobachtern als ein interessanter Querschnitt der Gesellschaft, in dessen Subgenres auch alle politischen, religiösen und ideologischen Couleurs der Mehrheitsgesellschaft anzutreffen sind (wie z.B. Mystiker und Fantasten, Faschisten und Anarchisten, Christen und Satanisten, Patrioten und Globalisierungskritiker). Nicht zuletzt aber vertritt ein großer Teil der Musiker keine solchen gesellschaftsbezogenen Positionen und behandelt statt dessen allgemeine und vor allem fiktionale Themen, die sich auch in anderen Feldern des Songwritings wiederfinden lassen (menschliche Beziehungen und Emotionen, Poesie, Alltagsphänomene). Zurück zum Beispiel von Manowar vermeidet DeMaio jegliche Kommentierung konkreter Ereignisse, die aus seinem musikalischen Tätigkeitsfeld in Bereiche des politischen Lebens ausgreifen. In Konsequenz betreibt er daher eine möglichst unpolitische Wagner-Rezeption, da seine eigenen Songtexte ausreichend Provokationen erzeugen und er darauf bezogene Reaktionen – unter Hinweis auf die strikte Fiktionalität seiner künstlerischen Konzepte – als Missverständnisse zurückweist. Auf der Suche nach Denkweisen, die über klassische Musik im Allgemeinen und Richard Wagner im Besonderen in der Breite der Gesellschaft kursieren, ist eine solche Einstellung ein interessantes Studienmaterial, da hier Vorstellungen aus einem Bereich der Musik anschaulich werden, die von außen betrachtet denkbar weit vom Sektor der klassischen Musik entfernt scheinen. Aus der speziellen Heavy Metal-Innenperspektive von Joey DeMaio haben sie gerade dort ihren Ursprung, ohne dass heute noch viele Musikhörer etwas darüber wüssten. Aus dieser Konzeption heraus folgerichtig möchte DeMaio seine eigene positive Lebenseinstellung den Fans von Manowar am Beispiel von Richard Wagner vermitteln, da nur dieses Vorbild glaubwürdig vertreten kann, wie Gewinn bringend, zeitlos und beständig eine charakterfeste Meinung ist:

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE „I had to try to show people in the clearest way I could: Hey, look, you’re here tonight for music. Well, two hundred years ago so did people. You’re here tonight to drink. Believe me, they’ve been drinking for a lot longer than one hundred years. You’re here to party. Guess what: this guy was no priest. Trust me, he enjoyed all the good things that life had to offer. That’s what people should do. But in addition to that he worked, and he broke his ass, and he was not the type of guy that instilled negativity. It shows that one can find all the good things in life and enjoy them without being negative, without inducing negativity into the atmosphere. That is the bigger message of what I personally want to see people think of when they think of Manowar, the music, and life. You can enjoy yourself, you can have fun.“36

II. Wagner-Metal Vor dem Hintergrund der vielen Details, die aus Manowars Musik herauszulesen sind, wenn man sie als Spiegel von Wagners Spuren in der Popular Culture versteht, blieb bislang offen, wie die Inanspruchnahme des Bayreuther Meisters als Stammvater des Heavy Metal klingt. Hierfür bieten sich drei Songs an, die einen Bogen über zwanzig Jahre spannen und exemplarisch verschiedene Umsetzungsvarianten vertreten.

1. Defender Defender, der fünfte Titel der 1987 veröffentlichten Studioplatte Kings of Metal, hebt sich von den übrigen Songs des Albums ab, da er um eine von Orson Welles gesprochene Passage herum konzipiert wurde. Die Sprachaufnahmen stammten aus der Zeit, als Manowar ihre erste Platte Battle Hymns einspielten und Welles zur Zusammenarbeit hatten gewinnen können. Defender handelt von der Rede eines Vaters in einem hinterlassenen Brief an seinen Sohn, den er nie hatte kennenlernen können. Mit großem Stolz auf seinen Nachkommen wird dieser von seinem Vater ermutigt, einen schweren Weg anzutreten, der vor ihm liegt. Der erste Teil des Liedes beginnt mit einem gezupften achtsaitigen Bass, zu dem eine Keyboardfläche hinzutritt, bevor die Stimme des Erzählers (Welles) einsetzt (man vergleiche diesen Aufbau

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mit der entsprechenden Passage in Dark Avenger und der dort angemerkten Parallele zur Eröffnungsszene von Conan the Barbarian). Der Vater – zu Lebzeiten hatte er ebenfalls eine nicht näher erläuterte, heldenhafte Aufgabe zu erfüllen und wurde zu früh von der Welt abgerufen, um seinem Sohn jetzt beistehen zu können – bestärkt seinen Sohn im anschließenden Refrain darin, in seiner Rolle als von Gott Gesandter seine Mitmenschen in einem anstehenden Kampf tapfer zu verteidigen. Bei diesem Part setzt der übrige Teil der Band ein und treibt mit verzerrter Gitarre und Schlagzeugakzenten die Dramaturgie voran. In der folgenden Strophe blickt der Sohn (in Person von Manowars Sänger Eric Adams) zum väterlichen Vorbild auf und nimmt die ihm gestellte Herausforderung an. Im daran anschließenden Schlussteil treten zum Sound der Band wieder Keyboardflächen hinzu, die um Chorstimmen im Refrain ergänzt werden. Betrachtet man diese fiktive Kurzgeschichte aus den Augen ihres Autors DeMaio, ruft sich des Weiteren in Erinnerung, dass die den Vater vorstellende Textpassage nur vom Bass (seinem Instrument) begleitet wird, und setzt diese Konzeption in Beziehung zu DeMaios seit den 1970er Jahren stetig wachsende Wagnerbegeisterung – charakteristische Anzeichen sind immer hymnische Melodiebögen, Chorpassagen und orchestrale Sounds –, so lassen sich aus diesem Titel autobiografische Züge herauslesen. Wie sich an den bislang erläuterten Denkweisen DeMaios überprüfen lässt, operiert er auch hier mit starken Bildern und symbolischen Konstellationen. Eine autobiografische Interpretation von Defender, bei der DeMaios Bassstimme die Rolle des Sohnes einnimmt und mit der lange vor ihm verstorbenen Vaterfigur, seinem Idol Wagner kommuniziert, erhält in der Bündelung von pathetischen Motiven bestechende Züge: 1. DeMaios Bass leitet den Song ein und verbleibt im weiteren Verlauf sehr präsent in den Vordergrund gemischt. 2. Ergänzt um die Stimme seines Bandkollegen Eric Adams dialogisiert der Bass mit der durch ein Schriftstück wieder erweckten Stimme des Vaters (repräsentiert durch das charakteristische Timbre eines berühmten Film- und Hörspiel-Künstlers). Zwar gibt eine solche Deutung nur eine Schicht des Songs wieder, korrespondiert aber mit DeMaios hoher Meinung von sich und Ma-

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nowar als den (selbsternannten) Kings of Metal. Die heroische Aussage des Textes und dessen hymnische Ausgestaltung können daher als Hommage an Wagner gedeutet werden.

2. Herz aus Stahl, Lohengrin-Vorspiel und King of Kings in Geiselwind Auf ihrem Album Kings of Metal (1988) veröffentlichten Manowar den Titel Heart of Steel, der im selben Jahr als deutsche Fassung Herz aus Stahl erschien. Das Lied ist eine klassische Mid-Tempo Metal-Ballade mit dezent instrumentiertem Beginn, dramatischem Mittelteil, hymnischem Refrain, virtuosem Gitarrensolo und eindrucksvollem Schluss. Da der Song beim eingangs skizzierten Auftritt von Manowar (im Rahmen des von ihnen im Jahr 2005 veranstalteten Earthshaker-Festivals in Geiselwind) eine besondere Rolle spielte, bezieht sich die folgende Analyse auf den Mitschnitt des Konzerts (veröffentlicht auf der DVD The Absolute Power), als im letzten Drittel des Abends hintereinander drei Stücke gespielt wurden: Nach einer besonderen Version von Herz aus Stahl hielt Joey DeMaio die erwähnte kurze Ansprache zu Ehren des Bayreuther Meisters und kündigte als Beleg seiner These von Wagner als dem Urvater des Heavy Metal das Vorspiel zum dritten Akt aus Lohengrin an. Darauf folgte Manowars eigener Song King of Kings (veröffentlicht zwei Jahre später auf der CD Gods of War), mit dem zum letzten Teil des Abends übergeleitet wurde. Aus Anlass des 25-jährigen Bandjubiläums hatte man sich für das Konzert besondere Programmpunkte einfallen lassen und aus dem nahegelegenen tschechischen Brünn das Bohuslav Martinĭ Philharmonic Orchestra, den Philharmonischen sowie den Chor der Masaryk Universität engagiert – dirigiert von Petr Pololanik –, um alle Keyboard- und Chorpassagen in Herz aus Stahl und den folgenden Stücken mit der Stimmgewalt von 200 Musikern zu unterstützen. Zur Zusammenarbeit eines osteuropäischen Orchesters mit einer Heavy Metal-Band ist am Rande zu bemerken, dass die tiefgreifenden Umwälzungen im Musikmarkt östlich des Eisernen Vorhangs nach 1989 einen bis heute anhaltenden Trend einleiteten. Im Zuge der Internationalisierung der Musikmärkte konkurrieren dort inzwischen viele hochqualifizierte Klangkör-

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per, die aufgrund der vergleichsweise günstigen Produktionskosten nun auch außergewöhnlichere Kooperationen ermöglichen. Ein weiterer Grund für die Eignung des Konzerts in Geiselwind als Untersuchungsgegenstand ist die Art und Weise, wie die filmische Darstellung von klassischer Musik an die Denkweisen der Band über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Klassik und Heavy Metal anschließt. Wie Joey DeMaio im Gespräch mit dem Autor erläuterte, entschied sich die Band bewusst für Herz aus Stahl, um die Mitwirkung eines Orchesters beim Konzert langsam und publikumswirksam ohne Vorankündigung zu inszenieren: Unterteilt in jeweils drei Etagen zu beiden Seiten der Bühne waren Orchester und Sänger zunächst hinter schwarzem Vorhang verborgen. Entsprechend der Songteile, in denen ihre Stimmen hinzutreten, hoben sich die Vorhänge nacheinander, bis schließlich alle Musiker zu sehen waren (siehe Abb. 2). Abbildung 2:

Joey DeMaio während seiner Wagner-Hommage in Geiselwind. Auf beiden Bühnenseiten sind die auf drei Etagen verteilten Choristen und Orchestermusiker zu erkennen.

Quelle: © Manowar 2005 Der inhaltliche Grundton des Songs, auf einem langen, gefährlichen Weg seinen Idealen treu zu bleiben und dank eines Herzens aus Stahl keine Furcht zu kennen, korrespondiert dabei mit der Dramaturgie dieser Inszenierung. Bereits in den Proben, zehn Tage vor dem Konzert in einer großen tschechischen Mehrzweckhal-

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le (zu sehen auf der Bonus-DVD des Earthshaker-Festivals), wurden Band und Orchester als zwei Kraftzentren dargestellt, die mit ihren unterschiedlichen Stärken in diesem Song schließlich zusammenfinden. Das Konzert steigert diesen Eindruck noch, beim Aufeinandertreffen von Manowar (den Prototypen des „true metal“) und einem klassischen Orchester (als Inkarnation von musikalischer Hochkultur) der Begegnung zweier Giganten beizuwohnen. Die Stärke dieses Kontrasts entsteht vor allem durch sekundäre Elemente wie Kleidung und Habitus, besonders betont durch die auf mehrere Kameras gestützte Bebilderung. Das Lied beginnt mit einer Soloeinlage des bei Live-Konzerten immer mitwirkenden Keyboarders Joe Rozler, der nach einigen Arpeggien die Anfangsakkorde von Herz aus Stahl gewichtig in die Tasten drückt, welche vom Publikum sofort erkannt werden. Während der folgenden ersten Minuten hält Sänger Eric Adams in der ersten Strophe zunächst intime Zwiesprache mit dem Publikum, bis im ersten Refrain die (in Fräcke bzw. dunkle Kostüme gekleideten) Streicher im Bild zu sehen sind. Diese schauen sehr konzentriert und hochprofessionell in ihre Noten, der ebenfalls in einen Frack gekleidete Dirigent schlägt sichtbar akzentuierend den Takt. In der nächsten Strophe setzt die Band direkt auf den ersten Schlag ohne ein weiteres Vorspiel ein und löst das nun pausierende Orchester ab. Dieses steigt er erst beim nächsten Refrain wieder ein, gemeinsam mit einem großen gemischten Chor, der die einfache Mollkadenz auf die Silbe „Ah“ akkordisch begleitet. Nach einem für diesen Songtyp obligatorischen Gitarrensolo (das Orchester pausiert währenddessen) setzen zum finalen Refrain Orchester, Chor und eine vom Keyboard gespielte Kirchenorgel ein und beschließen den Song unter großem Jubel des Publikums. Im Anschluss legte Joey DeMaio vor den anwesenden Fans sein Bekenntnis zu Richard Wagner ab und erzählte, wie Manowar als Zeichen ihrer Verehrung im Vorfeld des Konzerts Wolfgang Wagner, stellvertretend für seinen berühmten Großvater, eine goldene CD von Manowar hatten überreichen wollen. Es wurde von Joey DeMaio im Gespräch mit dem Autor in Zweifel gezogen, ob dieser Wunsch der Band vom Festspielbüro überhaupt an Wolfgang Wagner weiter geleitet worden war. Die offizielle Reaktion vom grünen Hügel jedenfalls – eine Mitteilung per

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E-Mail, dass aus „prinzipiellen Gründen [...] eine unwiderrufliche Absage [ergeht und] [...] kein Interesse [besteht], mit Manowar und der damit verbundenen Szene in irgendeine Beziehung gebracht zu werden“ – war für Manowar sehr überraschend und unverständlich. Dass der mit einer symbolischen Geste von Joey DeMaio angestrebte Brückenschlag vom Haus Wagner so entschieden zurückgewiesen wurde, ist einer der interessanten Aspekte dieses Beispiels, worauf im abschließenden Resümee dieses Kapitels noch einmal eingegangen werden wird. Zurückkommend zur Inszenierung von klassischer Musik in Geiselwind folgte auf Wagners Lohengrin-Vorspiel und den einsetzenden Applaus des Publikums (auf der DVD nahtlos übergeblendet) das Vorspiel zu Manowars Song King of Kings: Beginnend mit einer Soundfläche aus Synthesizern, Streichern, Blechbläsern und Chorstimmen auf den Vokal „A“ wird die Atmosphäre durch ein Motiv von Pauken und Bässen mit langsam schreitendem Gestus konturiert: Abbildung 3:

rhythmisches Motiv zu Beginn von King of Kings

In ihrer musikalischen Struktur besteht diese Eingangspassage aus langen, getragenen Akkorden im mittleren und tiefen Register, die zweimal von d-Moll zu B-Dur wechseln und von Bläsern und Schlagzeug (Becken, Röhrenglocken, Gong) akzentuiert werden. Bebildert ist diese Einleitung mit der Zeitrafferaufnahme eines düsteren, wolkenverhangenen Himmels. Während des Konzerts auf die Leinwand im Bühnenhintergrund projiziert, wurden diese Impressionen auf der DVD stellenweise mit dem Blick der Kamera auf die Bühne überblendet. Eine Veränderung kündigt sich an, als der zweite Durchlauf der Akkordfolge von einer verkürzten Kadenz abgeschlossen und die Tonika d-Moll anschließend mit langsamen Streicherarpeggien aus den oberen Lagen in einen Orgelpunkt der tiefen Streicher überführt wird. Waren zur Kadenz erstmals die Schlagzeuger des Orchesters zu sehen (gefolgt von den ersten Geigen während der absteigenden Figur), ist nun zur ruhigen Orchesterfläche und den noch immer akzentuierenden Pauken im Einspielfilm ein nächtlicher Vollmond zu sehen, der

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zwischen Wolken hervorschaut. Es folgt die tiefe Stimme eines Erzählers aus dem Off. Wie seinerzeit Orson Welles bei Dark Avenger und Defender führt dieser in die Geschichte eines Helden ein, diesmal eines Kämpfers, der – aufgrund überragender Fähigkeiten und nach ruhmreichen Siegen in zahllosen Schlachten – aus der Dunkelheit aufstieg, um den Thron des Lichts zu erklimmen und zum „König der Könige“ proklamiert zu werden. An dieser Stelle beginnt Eric Adams zu singen, nur begleitet von leisen Streichern und Paukenwirbeln, und übernimmt in der Ich-Form die Personifikation des beschriebenen Helden. Die eigene edle Abstammung reflektierend, erklärt er seine Treue gegenüber dem mächtigsten aller Herrscher. Aus dem Kontext des zugrundeliegenden Konzeptalbums Gods of War weiß man, dass es sich hierbei um den Kriegsgott Odin handelt. Nach einer kurzen Zäsur folgt nun – wie bereits bei Herz aus Stahl – mit dem Einsatz der Band ein Kontrast zum ersten, einleitenden Teil des Liedes mittels zwei schnell gespielter Strophen, unterteilt von einem Refrain, während Orchester und Chor pausieren. Beim zweiten Durchlauf des Refrains tritt der Gesang des mehrstimmigen Chors (wieder auf den Vokal „A“) hinzu und unterstreicht den hymnischen Charakter der von Eric Adams vorgetragenen Textzeilen. An diesen Teil schließt sich eine weitere Zäsur an, bei der eine vom Keyboard gespielte Orgel und leise Streicher eine Klangfläche ausbreiten, über die die Stimme des Offsprechers nochmals die edlen Charakterzüge und die Weisheit des King of Kings preist. Wie schon in der Einleitung des Stücks übernimmt anschließend wieder Eric Adams und gibt Einblick in die Gefühle und Gedanken des Heroen. Und wieder folgt auf diese ruhige Passage die Wucht der schnell spielenden Band mit einem ausgiebigen Gitarrensolo von Karl Logan. Nach einer letzten Strophe stimmen Sänger, Choristen und Orchester in den mehrfach wiederholten Refrain ein, bei dessen letztem Durchlauf zusätzlich die musikalischen Herrschaftssymbole Orgel und Röhrenglocken die göttliche Weihe des Herrschers verdeutlichen. Lässt man die Dramaturgie dieser Abfolge auf sich wirken – zunächst die Verschmelzung von Orchester und Band in einer Ballade, anschließend DeMaios Bekenntnis zu Wagner mit wortloser, selbsterklärender Veranschaulichung am Vorspiel zum dritten Lohengrin-Akt, gefolgt von einer imposanten Kontrastierung von

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klassischer Musik und Heavy Metal in einem Stück, das zum zwei Jahre später veröffentlichten ersten Teil der Adaption von Wagners Ring des Nibelungen gehört (Gods of War, 2007) –, so ist der Argumentationsaufbau mit These, Gegenthese und Exemplifikation unübersehbar: Hier, im Zentrum des Konzerts zum 25-jährigen Jubiläum ergriff Joey DeMaio die Gelegenheit, mit besonderem Aufwand den musikalischen Werdegang Manowars nachzuzeichnen und alle Fäden der Bandgeschichte zusammenlaufen zu lassen. Es spielten nicht nur Musiker aus früheren Bandbesetzungen im Verlauf des Konzertes mit (zwei Gitarristen und zwei Schlagzeuger), Joey DeMaio ging sogar noch einen Schritt weiter, um die Beweisführung seiner These von Richard Wagner als Stammvater des „true metal“ anzutreten und sich mit Manowar als der wahre Erbe von Wagners Musik zu erweisen. Deutlicher als hier ließ sich diese Absicht nicht vorführen, da den Fans die Möglichkeit gegeben werden sollte, die bekannten Überzeugungen DeMaios, die er zwischen Herz aus Stahl und dem Vorspiel aus Lohengrin noch einmal ausführlich wiederholt hatte, mit eigenen Ohren nachzuvollziehen und zu überprüfen. Hatte Joey DeMaio bis zum Gespräch mit dem Autor seine vielen Inspirationen durch Wagner bislang noch nie offen gelegt, dient nun die praktische Vorführung von „Wagner pur“ als Vorlage, an der Manowars Musik im direkten Vergleich gemessen werden soll. Hierfür wurde mit King of Kings ein Song ausgewählt, der alle von Wagner entlehnten Elemente in sich trägt und endlich alle Kritiker und Zweifler davon überzeugen soll, dass Wagners Klang- und Themenwelt der eigentliche rote Faden in Manowars Musik ist.

3. Gods of War Die 2007 vorlegte CD Gods of War vertritt den ersten Teil eines geplanten Zyklus von Konzeptalben, die jeweils einem der nordischen Heroen gewidmet werden. So erzählt das erste Album die Geschichte Odins und setzt zugleich Wagner, wie im ausführlichen Booklet erklärt wird, an die Stelle des Göttervaters: „Gods of War tells an epic tale that has existed for almost as long as modern civilization, reminiscent of classical composer Richard Wagner’s ‚The Ring of the Nibelung‘ four-part cycle. [...] In fact, Odin, [...] known as Wotan, [...] is one of the main characters in the Ring cycle

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE as he inspires the human, Siegfried, to capture the Ring. [...] All of this is orchestrated by Odin. Divided into four parts – ‚das Rheingold‘, ‚die Walkure‘ [sic], ‚Siegfried‘ and ‚Gotterdammerung‘ [sic] – the Ring cycle is truly an epic musical composition that has stood the test of time.“37

Vor diesem Hintergrund erscheint die Entscheidung, einen eigenen Zyklus von Konzeptalben im Geiste Wagners zu beginnen, als logischer Schritt, um sich an einer aktuellen Adaption eines alle Sinne intuitiv und emotional berührenden Gesamtkunstwerks zu versuchen. Joey DeMaio bestätigte im Gespräch mit dem Autor die Frage, ob die Ergänzung von Manowars bisheriger Bühnenshow – angereichert mit viel Pyrotechnik, Lichteffekten, Einspielfilmen sowie einer Soundanlage, die ihnen bis heute den Eintrag im Guinness Buch der Rekord als lauteste Band der Welt sichert – durch Kulissen, Bühnenbilder und Schauspieler auf der Demons, Dragons&Warriors-World Tour 2007 eine moderne Adaption von Wagners Konzept des Gesamtkunstwerks sei: „Absolutely, that was the whole idea to fuse all of the elements. I wish you could have seen us on tour, because on tour we took it a step further. We had a wind machine and a rain machine. When the movie came across the screen of Valhalla and the thunder struck, we had the most powerful strobe light you can buy. This thing could make you throw up. It was so powerful that the guy wouldn’t flash it more than a couple of times. When thunder struck he would hit that and rain and wind would come down. And you would be in the audience and get rained down, the wind would blow your hair back.“

Da dem veröffentlichten Live-Mitschnitt dieser Tournee ein Video-Bonustrack beigegeben wurde, der die Inszenierung des Albumtiteltracks zeigt, lässt sich ein Eindruck davon gewinnen, wie Manowar sich die szenische Umsetzung ihrer Musik vorstellen (siehe Abb. 4). Die Schauspieler – Mitglieder einer Truppe professioneller Wikingerdarsteller – waren in der Kulisse eines Drachenbootes oberhalb der Band postiert, deren Instrumente vor dem Schiffsbauch aufgebaut waren. Die Darsteller vollzogen rituelle Handlungen auf der Bühne, während zeitgleich ein Zuspielfilm mit kämpfenden Wikingern in einem überfallenen Dorf auf das Schiffssegel projiziert wurde.

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Abbildung 4:

Manowar auf der Demons, Dragons&Warriors-Bühne. Oberhalb der Band ist eine rituelle Handlung der Vikinger-Darsteller zu erkennen.

Quelle: © Manowar 2007 Das Gods of War-Video beginnt mit rhythmischem Stampfen, das sich in kurzen schwarz-weißen Bildsequenzen als Kriegsmusik von Wikingern herausstellt, die vor und während eines Kampfes zu sehen sind. In weiteren Szenen werden die Wikinger-Darsteller in Farbe auf Manowars Konzertbühne gezeigt, wie sie gemeinsam in Kriegerpose ihre Schwerter in diesem Rhythmus gegen ihre Rundschilde schlagen. Zu diesen Konzertimpressionen setzt archaisch anmutender, einstimmiger Männergesang ein, gefolgt von einem Keyboard-Orchestertusch mit Quint- und Quartfanfaren, die die Melodie weiterführen. Ihnen schließt sich die Band mit akkordischen Akzenten an. Funktionsharmonisch gesprochen wurde das von DeMaio favorisierte Material hier ganz auf die Akkorde der einfachen Kadenz beschränkt, um den altertümlichen Duktus des Gesangs auf den ganzen Song zu übertragen. Zwischen die Farbsequenzen vom Bühnengeschehen wurden im Video verschiedentlich Szenen aus dem schwarz-weiß gehaltenen Einspielfilm geschnitten, so dass die bis hierhin erklingende Musik als konzer-

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tante Filmmusik verstanden werden könnte (siehe hierzu das übernächste Kapitel). Der Beginn des Strophenteils – noch immer ist nur die archaische Gesangsmelodie als Fanfare des Keyboards zu hören – wird durch wiederholt eingesetzte Pyroeffekte markiert. Bevor aber wie erwartet nun der Gesang anhebt, lässt die Band den Strophenpart ausklingen und leitet über zu einem halb gesprochenen, halb gesungenen Abschnitt, in dem Eric Adams den Göttervater Odin anruft. Erinnert man sich des entsprechenden Mittelteils von Dark Avenger (mit Orson Welles’ Narration) sowie der poetischen Vater-Sohn-Konstellation in Defender (ebenfalls unter Mitwirkung von Welles), wirkt diese Szene in Gods of War als Fortführung früherer Ideen, jetzt aber offensichtlich in der von Wagner inspirierten Welt nordischer Götter und Krieger. Abermals hört der Sänger als personifizierter Recke den Ruf, in die Schlacht zu ziehen. Anders als in früheren kämpferischen Songtexten ist die Drastik der mit diesem Kriegsruf einhergehenden Gewalt jetzt aber abgeschwächt und den Bildern des Zuspielfilms überlassen. Mit dem nun einsetzenden Gitarrensolo sind zur Mitte des mehr als siebenminütigen Songs alle tragenden Handlungselemente entwickelt, so dass sie im weiteren Verlauf variiert und repetiert werden können. Womit hat man es hier nun zu tun? Einem Heavy Metal-Bühnenweihspiel? Einem Multimedia-Spektakel auf der technischen Höhe der Zeit? Zunächst kann das Konzept viel darüber aussagen, wie sich Manowar bis zu diesem Punkt entwickelt haben und welche akustischen und visuellen Mittel sie dafür einsetzen. Beginnt man bei den Elementen, mit denen die CD-Fassung des Konzeptalbums Gods of War konstruiert wurde, begegnet man einer Ouvertüre, Rezitationspassagen (durch die Hintergründe der Geschichte vermittelt und Übergänge zu anderen Teilen gestaltet werden), handlungsillustrierenden Geräusch- und Klangebenen sowie Songs im gängigen Format von Manowar. Neben Stilarten in DeMaios Songwriting, die sich bis zur Kooperation mit dem legendären Schauspieler, Regisseur und nicht zuletzt Hörspielmacher Welles zurückverfolgen lassen, ist vor allem an einen Punkt in DeMaios Anfängen als Musiker zu erinnern, der erst durch das Gespräch mit dem Autor seine volle Bedeutung zeigt: die prägenden Erlebnisse als Mitglied einer tourenden Musical-Company. Die

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seit dieser Zeit erprobte Verbindung von Orchester- und Bandsounds, zeitgleich zur Entdeckung von Richard Wagner als Identifikations- und Inspirationspunkt, mag auf klassischen Opernbühnen eine provokante Ausnahme sein, in Musicalproduktionen etwa eines Andrew Lloyd Webber ergänzen sich Rockband und klassisches Orchester dagegen außerordentlich gut. Gleichfalls entwickelte die Rockmusik seit den 1970er Jahren einen besonderen Hang zu theatralischen Konzeptalben und Rockopern, wie sie von The Whos Tommy (1969), Jethro Tulls Thick as a Brick (1972), The Alan Parsons Projects Tales of Mystery and Imagination (1976) und Pink Floyds The Wall (1979) stilbildend initiiert wurden. Vor diesem Hintergrund ließe sich die auf der Demons, Dragons&Warriors-Tour erprobte Kombination aus Klang, Licht, Regen, Wind, Pyroeffekten, Kulissen, Zuspielfilmen, Schauspielern und Handlungselementen mit einer Live-Band auf einer gemeinsamen Bühne als Wagner-inspiriertes Heavy Metal-Musical interpretieren. Als Koinzidenz ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass etwa zeitgleich zwei Produktionen entstanden, die im Gefolge von Peter Jacksons filmischen Publikumsmagneten die Ring-Thematik im Sound der Popmusik bzw. von Howard Shores Filmsinfonik für die Musicalbühne umsetzten, zum einen Der Ring (komponiert von Frank Nimsgern, getextet von Daniel Call, uraufgeführt am 16. Dezember 2007 in Bonn) sowie zum anderen The Lord of the Rings (Texte von Matthew Warchus und Shaun McKanna, Musik von Allah Rakha Rahman, Christopher Nightingale und dem finnischen Ensemble Värttinä, gespielt von Juli 2007 bis Juli 2008 in London). Obgleich DeMaio bei seiner konzeptionellen Weiterentwicklung von Manowars Musik und Bühnenperformance sowie dem im Jahr 2007 ins Leben gerufenen jährlichen Magic Circle Festival die Etablierung eines eigenen musiktheatralischen Genres bislang nicht im Blick hatte, stimmte er der Deutung von Manowars Bühnenperformance als Wagner-inspiriertem Heavy Metal-Musical im Gespräch mit dem Autor durchaus zu38, zumal das für den kommenden Herbst 2009 angekündigte neue Studioalbum Hammer Of The Gods noch einige Schritte über die bisherigen Produktionen hinausgehen soll. In Absprache mit dem deutschen Fantasy-Autor Wolfgang Hohlbein komponiert Joey DeMaio derzeit neue Songs für das Album, das als Fortsetzung des Gods of War-Zyklus dem

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Donnergott Thor gewidmet sein wird, während Hohlbein parallel einen Roman zum selben Thema schreibt – erste Eindrücke der inhaltlichen Gestaltung vermittelt die im April 2009 eingerichtete Internetplattform asgard-saga.com. Zur gegenseitigen Inspiration tauschte man, als dieses Manuskript abgeschlossen wurde, erste Songentwürfe und Kapitelskizzen aus. Von einem gemeinsamen Freund einander vorgestellt, war zwischen dem Bestsellerautor und Metal-Fan Hohlbein und DeMaio nach dessen Auskunft bei einem ersten Treffen sehr schnell der kreative Funke übergesprungen, woraus sich - zum ersten Mal in der Geschichte der Band - eine inhaltliche Kooperation mit einem anderen Künstler entwickelte. Nachdem beim nächsten Magic Circle Festival auf der Freilichtbühne oberhalb der Loreley Teile des Albums und des Romans angemessen vorgestellt werden sollen, könnten u.a. ein Spielfilm-Drehbuch sowie ein Computerspiel folgen, womit viele der Fäden, die von Wagners Ring in die diversifizierten Medienkünste des 20. Jahrhunderts einflossen, bei Joey DeMaio wieder zusammenlaufen. Befragt nach seinem Interesse an der nordischen Götterwelt, wie es sich in der thematischen Fortführung der Asgard-Saga derzeit konkretisiert, beschrieb DeMaio seine tiefe Faszination, wie diese Figuren die in antiken und nordischen Mythen tradierten kollektiven Werte vorbildhaft am Leben erhalten, welche es zu bewahren und in unsere Gegenwart einzubringen gilt: „They were people that did great deeds. And of course as the stories were told they became bigger and bigger and these people ended up becoming gods. The concept of knowing of somebody who did something great and inspired people to talk about it is something we need in our world. Everybody’s got the ability to be a hero in one way or another.“39

Wenn Richard Wagner in seiner Schrift Oper und Drama formulierte, dass die Götter die ersten Schöpfungen der menschlichen Dichtungskraft seien, in denen „sich der Mensch das Wesen der natürlichen Erscheinungen als von einer Ursache hergeleitet“40 vorstellt, so ist Joey DeMaio mit seinem Lebensgefühl, von lebendigen Mythen umgeben zu sein und sich an ihrem Fortbestehen beteiligen zu wollen, so weit nicht von seinem großen Vorbild entfernt. Denn so, wie Wagner im Ring des Nibelungen be-

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kanntermaßen Elemente des griechischen, römischen, indischen, nordischen, romanischen, keltischen und germanischen Mythos mit christlichen Symbolen, politischen Haltungen und philosophischen Positionen des 19. Jahrhunderts verschmolz und den kulturanthropologischen, ethnologischen und psychologischen Mythenforschungen des folgenden Jahrhunderts ein immenses Erbe hinterließ, sind die Wege von Wikingern zu Wagners Walküren in Manowars Songtexten nicht weit. Als Künstler, der in seiner kreativen Arbeit objektiven oder systematischen Quellenstudien nicht verpflichtet ist, regt gerade die spezifisch mündliche Überlieferung als tragende Säule der Mythen Joey DeMaios Phantasie an, um sich an der Ausdeutung einer Welt zu beteiligen, die vor der Grundlegung eines ausgeprägten chronologisch-historischen Bewusstseins lokalisiert wird und in diesem Sinne außerhalb der Geschichte wirkt. Auch hierfür ließe sich eine Referenz bei Wagner finden, die den von DeMaio intendierten Brückenschlag von Manowar zum Ring illustriert: „Die Kunst ist ihrer Bedeutung nach nichts andres, als die Erfüllung des Verlangens, in einem dargestellten bewunderten oder geliebten Gegenstande sich selbst zu erkennen, sich in den, durch ihre Darstellung bewältigten Erscheinungen der Außenwelt wieder zu finden. Der Künstler sagt sich in dem von ihm dargestellten Gegenstande: ‚So bist du, so fühlst und denkst du, und so würdest du handeln, wenn du, frei von der zwingenden Willkür der äußeren Lebenseindrücke, nach der Wahl deines Wunsches handeln könntest‘. So stellte das Volk im Mythos sich Gott, so den Helden, und so endlich den Menschen dar.“41

III. Kulturelle Bedeutungen Es ist an dieser Stelle nicht beabsichtigt, die künstlerische Wertigkeit von Manowars Musik zu erörtern, da dies nicht im Sinne der Ausgangsfrage nach Spuren Wagners jenseits der Sphäre der klassischen Musik ist. Die Tatsache, dass weltweit viele hunderttausend Fans Gefallen an Joey DeMaios Ideen finden und diese zugleich bei anderen hoch umstritten sind, bezeugt ihre Qualität als Forschungsgegenstand. Hier nämlich lässt sich für einen Augenblick im großen Maßstab beschreiben, dass Entgrenzung im-

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mer auch mit unterschiedlichen Gepflogenheiten und kulturellen Codes der involvierten Szenen zusammenhängt. Wenn eine Interessengruppe, wie die Liebhaber der Opern Richard Wagners, ästhetische Spielräume überwiegend nur im Bereich der Inszenierung anerkennt und musikalisch auf der strikten Einhaltung von stilistischen und werktreuen Grenzen besteht, müssen von der Gegenseite, die Aufmerksamkeit wecken möchte, außergewöhnliche Resultate kommuniziert werden, um übereilte Abwehrreflexe zu überwinden (vgl. als ein solches Beispiel Stings Auseinandersetzung mit John Dowland). Manowars Wagner-Rezeption wird aber innerhalb und außerhalb des Heavy Metal nicht so akzeptiert, dass eine breite Wagnerwelle die Folge wäre. Auf beiden Seiten wird daher die Notwendigkeit zu einem von Manowar intendierten Brückenschlag nicht unwidersprochen erkannt. Nur wer mit beiden Seiten von Heavy Metal und Wagner vertraut ist, mag vielleicht die von DeMaio wahrgenommenen Gemeinsamkeiten erkennen. Alle anderen sehen statt einer Brücke Gräben zwischen unvermittelbaren Fanblocks. Dies hängt auch mit den Schwierigkeiten DeMaios zusammen, sein Publikum zur Kontaktaufnahme mit der gegenüberliegenden Sphäre anzuregen, da beide Seiten ganz unterschiedliche Bedürfnisse an Musik stellen, dabei andere Erfahrungsformen praktizieren und andere Ausdrucksweisen zur Kommunikation über Musik verwenden. Der fehlende musikhistorische Hintergrund, den DeMaio noch mehr in den USA als in Europa bei seinen Fans diagnostiziert, zwingt ihn, seine weitreichenden Gedanken über Wagner in knappe Formeln zu komprimieren und in Vokabeln zu übersetzen, die den Kategorien seiner Fans entsprechen, um zunächst einmal ihr Interesse zu wecken. Zudem fehlen ihm im Rahmen von Konzerten oder den von Fachzeitschriften vorgegebenen Interviewformaten Zeit und Gelegenheit zur ausführlichen Argumentation. Formeln wie „he played louder, heavier, more dramatic music than anybody could ever imagine“ lassen wiederum bei Wagner-Liebhabern nicht den Horizont einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung vermuten, so dass DeMaio von ihnen bisher nicht als Gesprächspartner angesehen wurde. Wie könnte man nun durch Manowar Wagner entdecken? Wie bei anderen Künstlern auch, die sich an einem Vorbild abarbeiten, sind es Bruchstücke, Aspekte und Facetten, aus denen sich kein umfassendes Bild zusammensetzen lässt. Zudem lassen sich

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zwar retrospektiv Einflüsse von Wagner auf Joey DeMaios Songwriting wiederfinden. Erst aber, nachdem sich Manowar über zehn Jahre eine relativ stabile Fanbasis aufgebaut hatten, machte DeMaio das Ausmaß seiner Inspiration öffentlich. Durch ihn erfahren Menschen, die ansonsten vermutlich kaum mit Wagners Musik bewusst in Berührung kämen, von der Aktualität der Nibelungenkonflikte, von Neid, Liebe, Rivalität, Brüderlichkeit und Werten wie Treue, Zuverlässigkeit und Ehrbarkeit. Dies sind zugleich allgemeine, nicht Wagner-spezifische Quintessenzen, auf die man in anderen großen Epen der Menschheit ebenfalls stoßen kann. Heavy Metal ist für viele Menschen noch immer eine fremde Welt, die aber inzwischen über Werbung, Medienpräsenz und Platzierungen in den oberen Rängen der Charts wesentlich breitenwirksamer und massenkompatibler geworden ist, als sie es noch vor 20 Jahren war. Die bekannten soziologischen Untersuchungen von Weinstein, Walser und Gracyk zeigen, dass sich ein großer Teil der Metal-Liebhaber ursprünglich aus unteren sozialen Schichten rekrutierte, so dass diese Fans noch soziale Widerstände gegen sich und ihren Musikgeschmack spürten, die beispielsweise der neuen Musik gänzlich abhanden kamen. Daher erleben auch heute noch viele Fans Metal und speziell Konzerte von Manowar als katharsisches Ereignis, als Fantasiewelt jenseits der Tagespolitik und heftiges sinnliches Erlebnis von Lautstärke und multimedialer Inszenierung inmitten von tausenden Gleichgesinnten. Dieses enge Verhältnis von Musikern und Fans lässt sich durchaus mit Respekt behandeln, zumal es nicht unbedingt überrascht, wenn ein Wagnerianer wie Joey DeMaio die Aktualität und Zeitlosigkeit seines Idols vermitteln möchte.

Anmerkungen 1

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Joachim Fest: Richard Wagner – Das Werk neben dem Werk, in: Saul Friedländer/Jörn Rüsen (Hg.), Richard Wagner im Dritten Reich, München: Beck 2000, S. 24-39, hier S. 24f. Joey DeMaio im Gespräch mit dem Autor am 13. Februar 2009. Critical Mass interrogates Eric vom 11. Oktober 2006, http:// www.manowar.at/mwg//site/press/show_press.php?id=19 (Abruf am 1. November 2007).

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Vgl. die Rubrik Manowar-Biography auf ihrer Internetseite http://www.manowar.com (Abruf am 1. November 2007). Vgl. zur Entstehung der Conan-Geschichten auch die einschlägige Internetseite http://www.sciencefiction.de/index.htm? rezi/comics/conan.htm (Abruf am 1. November 2007). Vgl. ausführlich Susanne Vill: Wagner Visionen – Motive aus Werken Richard Wagners in Fantasyfilmen, in: Wagnerspectrum 4 (2008) Heft 2 Wagner und Fantasy/Hollywood, Würzburg: Königshausen und Neumann 2008, S. 9-96, hier S. 73f. Ebenda, S. 11. Ebenda, S. 70f. Joey DeMaio im Gespräch mit dem Autor am 25. Oktober 2007 in Hamburg. Bernard Shaw: Der vollkommene Wagnerianer. Einleitende Ermutigungen, in: derselbe, Ein Wagner-Brevier. Kommentar zum Ring des Nibelungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1973, S. 21. Vgl. Harald Kimpel und Johanna Werckmeister: Leidmotive. Möglichkeiten der künstlerischen Nibelungen-Rezeption seit 1945, in: Joachim Heinzle/Anneliese Waldschmidt (Hg.), Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum. Studien und Dokumente zur Rezeption des Nibelungenstoffs im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, S. 284-308, hier S. 289f. Die Nibelungen – Pop und Kitsch, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung vom 30. Juli bis 26. August 2006 in Worms: WormsVerlag 2006, S. 20. Vgl. Ulrich Müller: Wagner im Film, in: derselbe/Peter Wapnewski (Hg.), Richard-Wagner-Handbuch, Stuttgart: Kröner 1986, S. 704-730, hier S. 723. Vgl. Detlef Brandenburg: Wahn und Welt. Politische Aspekte der Rezeption von Wagners ‚Ring des Nibelungen‘ in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945, in: Wagnerspectrum 2 (2006), Heft 1 Der Ring des Nibelungen Teil 1, Würzburg: Königshausen und Neumann 2006, S. 11-62, hier S. 26. Robert A. Hall Jr.: Tolkien’s Hobbit Tetralogy as ‚Anti-Nibelungen‘, in: Western Humanities Review 32 (1978), Heft 1, S. 351-359, hier S. 351. Ebenda, S. 353. Vill: Wagner Visionen, S. 69f. Vgl. „Wagner ist der Größte!“. Interview mit Joey DeMaio in der Tageszeitung (TAZ) vom 3. September 2005. Heavy MetalTexten wurde, besonders von einflussreichen, religiös-konservativen KritikerInnen wie Tipper Gore in den USA, lange Zeit jede Fiktionalität abgesprochen. Vgl. Claude Chastagner: The

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Parents’ Music Resource Center: from information censorship, in: Popular Music (1999), Heft 18/2, S. 179-192. Annette Kreutziger-Herr: Ein Traum vom Mittelalter. Die Wiederentdeckung mittelalterlicher Musik in der Neuzeit, Köln: Böhlau 2003, S. 206. Vgl. das Unterkapitel Faktizität und Fiktionalität in: Michael Custodis: Musik im Prisma der Gesellschaft. Wertungen in literarischen und ästhetischen Texten, Münster: Waxmann 2009, S. 25-31. Annette Kreutziger-Herr: Imagining Medieval Music: A Short History, in: Tom Shippey (Hg.), Studies in Medievalism XIV (2005). Correspondences: Medievalism in Scholarship and the Arts, Woodbridge: Boydell and Brewer 2005, S. 81-109, hier S. 101f. Carl Dahlhaus, Richard Wagners Musikdramen, Stuttgart: Reclam 1996, S. 119. Ebenda, S. 121. Vgl. auch Volker Mertens: Richard Wagner und das Mittelalter, in: Ursula Müller/Ulrich Müller (Hg.), Richard Wagner und sein Mittelalter, Anif und Salzburg: Müller-Speiser 1989, S. 9-84, hier S. 9. Ebenda, S. 79f. Robert Walser: Running with the Devil. Power, Gender, and Madness in Heavy Metal Music, Hanover: Wesleyan University Press 1993; Deena Weinstein: Heavy Metal. A Cultural Sociology, New York: Macmillan 1991; Vgl. auch Theodore Gracyk: Rhythm and Noise. An Aesthetics of Rock, Durham and London: Duke University Press 1996. Vgl. Christoph Dallach: Ein Messer in der Hose, in: Der Spiegel 2007, Heft 26, S. 154-157, hier 157. Vgl. http://www.kmfap. net/index.php (Abruf am 16. Juli 2008). Vgl. das Interview mit Joey DeMaio vom 15. April 2002 unter http://home.wxs.nl/%7Everdoore/wwwwinterview.htm (Abruf am 1. November 2007). Interview mit Joey DeMaio im Magazin Rock Hard vom Mai 2002, unter http://www.manowar.at/mwg//site/press/show_ press.php?id=7 (Abruf am 1. November 2007). Interview mit Scott Columbus im Magazin Powermetal vom März 2002, unter http://www.manowar.at/mwg//site/press/ show_press.php?id=6 (Abruf am 1. November 2007). Interview mit Karl Logan im Magazin Metalbite vom August 2002, unter http://www.manowar.at/mwg//site/press/show_ press.php?id=10 (Abruf am 1. November 2007). Joey DeMaio im Gespräch mit dem Autor am 25. Oktober 2007.

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Vgl. Paul Bekker: Das Orchester. Geschichte, Komponisten, Stile [1936/64 als Story of the Orchestra], Kassel: Bärenreiter 1989, S. 115f. Ebenda, S. 115. Vgl. die Internetseite der von Joey DeMaio gegründeten Produktionsfirma, http://www.magiccirclemusic.com/aboutmcm. html (Abruf am 1. November 2007). Vgl. das Interview von Christian Lademann mit Joey DeMaio unter http://www.manowar.at/mwg//site/press/show_press. php?id=28 (Abruf am 1. November 2007). Joey DeMaio im Gespräch mit dem Autor am 25. Oktober 2007. Ebenda. Vgl. den einleitenden Text im Gods of War-Booklet, S. 3ff. Vgl. auch Dahlhaus: Richard Wagners Musikdramen, S. 132. Joey DeMaio im Gespräch mit dem Autor am 13. Februar 2009. Ebenda. Richard Wagner: Das Schauspiel und das Wesen der dramatischen Dichtkunst, in: Sämtliche Schriften und Dichtungen, Band 4, Leipzig: Breitkopf und Härtel 61912, S. 31. Ebenda, S. 32f.

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Jubiläen und runde Geburtstage sind willkommene Anlässe, an frühere Erfolge zu erinnern und zurückliegende Entwicklungen zu resümieren. Entsprechende Gelegenheiten boten sich den Berliner Philharmonikern in jüngerer Zeit zur Feier ihres 125jährigen Bestehens sowie des 100. Geburtstags ihres langjährigen Chefdirigenten Herbert von Karajan im darauf folgenden Jahr 2008. Ergänzt man diese Rückblenden um einige euphorische Kommentare zur hoffnungsvollen Zukunft des Orchesters, mit denen zuvor Sir Simon Rattle in seinem neuen Amt als Chefdirigent begrüßt worden war, so entsteht ein facettenreiches Wechselspiel zwischen Tradition und Innovation, zwischen der Bewahrung überlieferter Qualitäten und der Entdeckung bislang unbeachteter Bereiche des Musiklebens. Ohne die Aussagekraft eines kleinen Beispiels über Gebühr zu strapazieren, ermöglichen die Kommentare des ZDF-Moderators beim Silvesterkonzert der Philharmoniker im Jahr 2007 für diese Perspektivenüberlagerung einen passenden Momenteindruck. Zunächst beschrieb Hans-Eckart Eckhardt das Vorspiel Morgendämmerung an der Moskwa zu Modest Mussorgskys Oper Chowanschtschina mit bemüht imitiertem russischem Akzent als „vielleicht die klangmalerische Essenz dessen, was wir uns unter der ‚russischen Seele von Mütterchen Russland‘ vorstellen“ und belegte damit unfreiwillig, wie sehr manche Umgangsweisen mit klassischer Musik (noch) alten Stereotypen und gängigen Klischees verhaftet sind.1 Nach einem Hinweis zu weiterführenden Informationen auf der Internetseite des Senders und einem Gewinnspiel kündigte er die anschließende Aufführung von Mussorgskys Bilder einer Ausstellung beinah im Stil eines engagierten Sportreporters an, als er Simon Rattles Arbeitsschwerpunkte in Berlin mit wenigen Worten umriss:

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE „Ein starker, ein Riesenbeifall für ein starkes Stück Musik, Mussorgskys Bilder einer Ausstellung in der Orchesterfassung von Maurice Ravel. Mitreißend dargeboten von den Berliner Philharmonikern, die dieses Jahr ihr 125jähriges Bestehen feierten. Verehrte Zuschauer, wir bieten Ihnen im Internet übrigens unter www.zdf.de nicht nur weitere Informationen zum Silvesterkonzert, Sie können da mit etwas Glück auch die CD mit dem Mitschnitt des heutigen Abends gewinnen [...]. Seit fünf Jahren ist Sir Simon Rattle der Chefdirigent des Orchesters. Er hat in diesen Jahren immer starke Akzente gesetzt, nicht zuletzt durch seine musikpädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.“

In den letzten Jahren des vergangenen Milleniums wurden bei den Philharmonikern Wünsche nach Veränderungen, neuen Aufgaben und Herausforderungen spürbar, die sich schließlich in einmaligen und längerfristigen Projekten konkretisierten. An zwei Beispielen – der Produktion Moment of Glory mit der Rockband The Scorpions zur Weltausstellung 2000 in Hannover sowie dem mit Simon Rattles Dienstantritt 2002 eingerichteten EducationProgramm Zukunft@BPhil (siehe hierzu das entsprechende Kapitel) – sollen wesentliche Aspekte dieser Neuausrichtung nachgezeichnet werden. Eine solche Strukturierung erklärt sich unmittelbar, wenn man dem Stichwort „Innovation“ komplementär den Begriff „Grenze“ gegenüberstellt und im Sinne einer Umrahmung versteht, die sowohl Sicherheit bieten als auch beengend wirken kann. Wenn also die Philharmoniker mit den Scorpions über fünf Jahre auf einen gemeinsamen Auftritt und eine CDProduktion hinarbeiteten, ist leicht vorstellbar, dass es bei einem solchen Projekt viele Hürden zu überwinden galt. Moment of Glory wurde von den beteiligten Musikern als einmalige stilistische Erweiterung der jeweiligen Tätigkeitsfelder angesehen und, mit Ehrgeiz und Überzeugung, nach außen als innovativer Schritt innerhalb der eigenen Orchester- bzw. Bandgeschichte vertreten. Betrachtet man im Gegenzug die kontroverse Bewertung des Projekts bei Musikerkollegen, Fans und Kritik – immer davon abhängig, wie sehr sich die einzelnen Betrachter in beiden musikalischen Welten zu Hause fühlen –, impliziert die Debatte, wie weit sich ein renommiertes Orchester respektive eine etablierte Rockband außerhalb des angestammten Territoriums begeben dürfe, eine weitere, normative Dimension von Grenzen.

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Die Programme der von der Deutschen Bank finanzierten Education-Abteilung schließen in gewisser Weise an Moment of Glory an, versteht man die Suche nach innovativen Strategien sowie den Grenzen des eigenen Musizierens als gemeinsame Klammer. Mitte der 1990er Jahre, als der Tonträgermarkt stagnierte und Kultursubventionen im chronisch prekären Berliner Finanzhaushalt immer wieder zur Disposition gestellt wurden, mussten die Philharmoniker bemerken, dass ihr in früheren Jahrzehnten erarbeiteter Ruf als bedeutende Kulturinstitution kaum noch Widerhall im öffentlichen Leben fand. Allen Anstrengungen mit neu gestalteten Konzertreihen und der vom damaligen Chefdirigenten Claudio Abbado vorangetriebenen Öffnung für Repertoire des 20. Jahrhunderts zum Trotz erlebten die Musiker ein beunruhigendes Desinteresse an ihrer Arbeit. Simon Rattle brachte im Gespräch mit seinem Biografen Nicholas Kenyon die Stimmung im Vorfeld seiner Berufung nach Berlin folgendermaßen auf den Punkt: „There was the feeling that they were standing still, and they had the knowledge that, really, this cannot go on. They could easily become very isolated, carrying on with their music-making with the world changing around them. They desperately need to spread their wings.“2

I. Moment of Glory mit den Scorpions Im Gespräch mit dem Autor erinnerte sich Peter Brem, seit 1970 Violinist bei den Berliner Philharmonikern und zur damaligen Zeit einer von zwei Medienvorständen des Orchesters, dass im Verlauf des Jahres 1995 Ideen entstanden, die bisherigen, eng auf das klassische und einiges zeitgenössische Repertoire beschränkten Betätigungsfelder zu erweitern.3 Überlegungen zur Zusammenarbeit mit Stars wie Liza Minelli, Paul McCartney oder The Rolling Stones kamen über eine erste Phase des Nachdenkens nicht hinaus, zumal der Wunsch des Orchesters, gemeinsam ein neues Projekt zu entwickeln und nicht auf die Rolle einer sinfonischen Begleitband reduziert zu werden, mit diesen Künstlern nicht umsetzbar schien. Als man sich in einem zweiten Schritt auf dem heimischen Musikmarkt nach einer bekannten Rockband umsah, die mit einer langen Karriere international ausgewiesen ist, fiel der Blick beinah zwangsläufig auf die Scorpions. 1965 in Hanno-

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ver vom Gitarristen Rudolf Schenker gegründet, veröffentlichte die Band 1972 ihr erstes Album Lonesome Crow und entwickelte sich im Verlauf des Jahrzehnts zu einer einflussreichen Größe im Bereich des Hardrock. In der folgenden Zeit erspielte man sich weltweit eine treue, bis heute loyale Fangemeinde.4 Als erste internationale Band erhielten die Scorpions 1988 eine Auftrittserlaubnis für eine Tournee durch die UdSSR, und spätestens, seit ihr Sänger Klaus Meine seine Impressionen beim Moskauer Music Peace Festival im September 1989 im Song Wind of Change niederschrieb (ihr bis heute größter Hit, der mit dem Fall der Berliner Mauer zu einer Art Soundtrack der folgenden Monate avancierte), ist der Name der Hannoveraner Musiker auch einem breiten Publikum ein Begriff.5 Bis zur Gründung der Stiftung Berliner Philharmoniker im Jahr 2002, die alle Tätigkeiten des Orchesters verwaltet, firmierte es neben seinen Konzertdiensten vor Ort in Berlin als selbstständige Gesellschaft bürgerlichen Rechts und konnte mit Studioaufnahmen und Medienproduktionen Gewinne erwirtschaften.6 In Absprache mit dem Orchester nahm Brem in seiner Doppelfunktion als Medienvorstand und Geschäftsführer der GbR Kontakt zu den Scorpions auf. Wie Meine in einem persönlichen Gespräch mit dem Autor berichtete, hatte vor dieser Anfrage die Band noch nie ernsthaft eine Kooperation mit einem Orchester in Erwägung gezogen. Als es gegen Ende des Jahres 1995 zu einem ersten Treffen zwischen Rudolf Schenker, Klaus Meine, Peter Brem und weiteren Philharmonikern kam, bei dem die Orchestermusiker ihre Idee eines gemeinsamen Projekts erläuterten, fühlten sich Meine und Schenker von der Einladung eines so renommierten Ensembles geehrt – „das war für uns in gewisser Weise wie ein Ritterschlag“, resümierte Meine diesen Moment.7 Zudem war man sich sofort sympathisch, wie auch Peter Brem erinnert, so dass noch am selben Abend das gemeinsame Projekt konkrete Formen annahm. Damit ein solches Vorhaben gelingen konnte und von allen Musikern in ihren jeweiligen Branchen zu vertreten war, standen langwierige Vorbereitungen an. Nachdem auch die Klassikabteilung des Musikkonzerns EMI als Partner gewonnen werden konnte, begab man sich auf die Suche nach einem geeigneten Arrangeur, um mit den großen Hits der Scorpions eine musikalische Brücke zwischen Orchester und Band zu schlagen.

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Zunächst wurde der englische Komponist und Arrangeur Andrew Powell mit dieser Aufgabe betraut. Powell hatte bei Roger Smalley am Londoner King’s College studiert und u.a. Kurse bei Karlheinz Stockhausen belegt sowie als Bassist und Schlagzeuger in der von Fred Frith und Tim Hodgkinson 1968 gegründeten Progressive Rock-Band Henry Cow gespielt. Neben seiner Arbeit als Dirigent und Interpret (u.a. mit dem London Symphony und dem London Philharmonic Orchestra) wurde er später als Arrangeur und Produzent für Künstler wie The Alan Parsons Project, Kate Bush, Chris De Burgh und David Gilmour tätig.8 Gegen Ende des Jahres 1996 kam es zu einer ersten Probe des Orchestermaterials in der Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem, bei der Klaus Meine und Rudolf Schenker ebenfalls anwesend waren. Bei einer anschließenden Besprechung von Meine, Schenker, Brem und Peter Amend (dem Manager der Scorpions) in einem Konferenzraum am Flughafen Hannover war man sich aber unmittelbar einig, dass die vorgelegten Arrangements nicht den gemeinsamen Vorstellungen entsprachen, obgleich es ein bewegender Moment für die Scorpions war, wie sich Meine rückblickend erinnerte, ihre Musik zum ersten Mal in einer sinfonischen Adaption zu hören. Da nur wenige Arrangeure im internationalen Geschäft auf die Verbindung von Rockmusik und klassische Musik spezialisiert sind, führte der Weg „beinah zwangsläufig“9 zu Michael Kamen, der seit Mitte der 1970er Jahre für eine Vielzahl von Künstlern (David Bowie, Eric Clapton, Bob Dylan, Metallica, Pink Floyd, Queensryche u.v.m.) Orchesterpartituren angefertigt und sich vor allem als Filmkomponist einen Namen gemacht hatte (vgl. zu Details seiner Biografie das folgende Kapitel). Auf ein erstes Gespräch in Los Angeles folgte bald ein Treffen von Klaus Meine, Matthias Jabs und Rudolf Schenker mit Kamen in dessen Haus in Italien, wo zur Vorbereitung der gemeinsamen Arbeit ein neuer Song entstand. Bereits zu dieser Zeit, die sich vage auf das Frühjahr 1997 datieren lässt, existierte der Plan, das Projekt drei Jahre später auf der Weltausstellung Expo 2000 in Hannover vorzustellen. Nach Aussage von Peter Amend kam der Leiter des Kultur- und Ereignisprogramms Tom Stromberg auf „Veranlassung des damaligen Bundeskanzlers auf die Scorpions zu“10, um sie zur Teilnahme an der Expo einzuladen. Klaus Meine selbst stuft etwaige politische Beweggründe für diese Einladung als nebensächlich ein, da er zwar mit seinem Freund Gerhard Schröder (der

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zum damaligen Zeitpunkt noch niedersächsischer Ministerpräsident war) über die Planungen mit den Berliner Philharmonikern gesprochen hatte und bei diesem Gedankenaustausch bereits von einer Hymne die Rede war, die die Scorpions schließlich zur Expo beisteuerten und die dem Konzertprogramm seinen Namen Moment of Glory gab.11 Unabhängig von Spekulationen, welchen Einfluss in diesem konkreten Fall Landes- und Bundespolitik auf die Gestaltung einer Weltausstellung ausübten (die Ausmaße zur Vorbereitung eines nationalen Expobeitrags lassen sich am Beispiel der Weltausstellung 1970 in Osaka ausführlich studieren12), wäre es in der Tat verwunderlich gewesen, eine über Jahrzehnte als internationale Größe ausgewiesene Band nicht in eine Expo in ihrer Heimatstadt einzubinden, deren Kulturprogramm sich durch stilistische Vielfalt in allen Bereichen des künstlerischen Lebens auszeichnen sollte. Darüber hinaus versprach das geplante Projekt mit den Berliner Philharmonikern ein außergewöhnliches Ereignis zu werden, wodurch sich die doppelte Gelegenheit ergab, auch das renommierteste Orchester der deutschen Bundeshauptstadt in Hannover auftreten zu lassen. Peter Brem zeigte sich ebenfalls von der Idee, Moment of Glory zu diesem Anlass aus der Taufe zu heben, sehr angetan. Allerdings wünschte er ein zweites Konzert der Philharmoniker, da das Orchester seine Leistungsfähigkeit angemessen und ausgeglichen darstellen wollte. Bei diesem Auftritt am 25. Juni 2000, drei Tage nach Moment of Glory, spielte man unter Leitung von Kent Nagano Olivier Messiaens Turangalîla-Sinfonie im Konzerthaus des Expogeländes.13 Obwohl die Zusammenarbeit mit Michael Kamen auf einem guten Weg schien, gab dieser unter nicht näher bekannten Umständen die Zusammenarbeit mit den Scorpions auf. Stattdessen verwirklichte er ein ähnliches Projekt mit Metallica, dass am 21. und 22. April 1999 (14 Monate vor der Expo-Premiere von Moment of Glory) mit dem San Francisco Symphony Orchestra im kalifornischen Berkeley zur Aufführung kam. In Hannover und Berlin standen alle Zeichen nun wieder auf Anfang, und da beide Seiten noch immer an der gemeinsamen Arbeit interessiert waren, begaben sich die Scorpions auf die Suche nach einem neuen Arrangeur. Auf Vorschlag von Peter Amend fand man mit dem Wiener Komponisten, Produzenten und Arrangeur Christian Kolonovits schließlich den richtigen Mann. Als dieser erste Arrangements vorlegte, ließen sich auch kritische Stimmen innerhalb der

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Philharmoniker von den Erfolgsaussichten des Projekts überzeugen, da das Orchester anspruchsvolle Parts erbeten hatte, um nicht den Eindruck einer ungleichen Hierarchie zwischen einer Rockband und ihrem Begleitorchester aufkommen zu lassen.14 Christian Kolonovits spielte als Arrangeur und Dirigent des Konzerts eine zentrale Rolle bei Moment of Glory, die sich – wie im folgenden Exkurs skizziert – mit seiner eigenen Vita in Verbindung bringen lässt. Christian Kolonovits, 1952 geboren, studierte an der Wiener Akademie für Musik und Darstellende Kunst Komposition und Dirigieren bei Heinrich Gattermeyer sowie Klavier und Cello.15 Da während seiner Studienzeit noch keine separaten Instrumentationskurse angeboten wurden, nahm er sich vertiefend Partituren von Richard Strauss und insbesondere von Gustav Mahler zum Vorbild, der für ihn zu einem sinfonischen „Schlüsselerlebnis“16 im Umgang mit Schlaginstrumenten wurde. Bereits während seiner Ausbildungszeit an der Akademie sammelte Kolonovits vielfältige Erfahrungen als Studiomusiker und Instrumentalist in Wiener Rock- und Folkbands und interessierte sich hierbei besonders für klar strukturierte Rhythmen und exaktes Timing im Zusammenspiel. Die Unterschiede zwischen Orchester- und Rockmusikern im Umgang mit Rhythmik und präzisem Spiel kannte Kolonovits aus eigener Erfahrung, da er aufgrund seiner Kenntnisse in beiden musikalischen Gebieten bereits als 20-Jähriger Passagen für klassische Instrumente und komplette Orchesterpartien für Wiener Liedermacher wie Wolfgang Ambros und Georg Danzer arrangiert hatte. Neben Auftragsarbeiten für Theater sowie Film- und Fernsehproduktionen ist Kolonovits heute als Arrangeur, Komponist und Musikproduzent, der sich in diesen beiden Bereichen zu Hause fühlt, bei Künstlern wie Placido Domingo, José Carreras, Luciano Pavarotti, Kiri Te Kanawa, Sarah Brightman, Boney M., Patricia Kaas oder den Scorpions gefragt. Auch bei heutigen Vorbildern von Kolonovits schlägt sich dieses breite musikalische Interesse nieder, so dass der Bereich der Instrumentation mit den Leitfiguren Berlioz, Strauss und Rimsky-Korsakow gleichberechtigt neben Einflüssen steht, die diese Komponisten sowie die frühen Beat- und Rockbands The Rolling Stones, Led Zeppelin, The Jimi Hendrix Experience und die Beatles auf ihn ausübten. Als wohl persönlichster Orientierungspunkt für die eigene Tätigkeit als Dirigent und Komponist gilt Kolonovits aber Leonard Bernstein.

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern seiner Generation nahm Bernstein die Verbindung verschiedener musikalischer Welten publizistisch und künstlerisch uneingeschränkt ernst, prototypisch zusammengeführt in einem Konzert mit Louis Armstrong 1956 im New Yorker Lewisohn Stadium, als Armstrongs Band und ein 88-köpfiges, von Bernstein dirigiertes Ensemble aus Mitgliedern der New Yorker Philharmoniker eine zwölfminütige Version von W. C. Handys St. Louis Blues aufführten.

Einen Vorgeschmack auf das Expo-Konzert bekamen die Scorpions, als sie am 9. November 1999 an den Feierlichkeiten der Bundesregierung zum zehnten Jahrestag des Berliner Mauerfalls mitwirkten. Unter Leitung von Mstislaw Rostropovich spielten sie gemeinsam mit 166 Cellisten auf dem Pariser Platz vor der Kulisse des Brandenburger Tors eine von Christian Kolonovits eingerichtete sinfonische Fassung von Wind of Change. In den folgenden Monaten verbachte die Band insgesamt zwölf Wochen in einem Wiener Tonstudio und spielte ihre Parts für Moment of Glory ein. Dieser erste Teil der Umsetzung gestaltete sich organisatorisch und zeitlich äußerst aufwändig: Kolonovits hatte tief in die bisherigen Strukturen der Songs eingegriffen und entwickelte mit den Gitarristen Rudolf Schenker und Matthias Jabs neue Fassungen ihrer Stimmen, um mehr Spielraum für die Orchesterpassagen zu bekommen.17 Während die Scorpions ihren Teil der Arrangements aufnahmen, erarbeitete Kolonovits in einem Nebenraum die endgültigen Orchesterstimmen, um mit Samplern und Keyboards Demoversionen zu erstellen, die den Scorpions als Richtschnur dienten. Schließlich hatte man etwa 30 bekannte Nummern beisammen, zu denen zwei neue Titel für den besonderen Anlass hinzukamen (die offizielle Expo-Hymne Moment of Glory und We don’t own the World, bei dem die Musiker von einem Kinderchor unterstützt wurden) sowie eine Coverversion von Diane Warrens Here in my Heart. Mit Hilfe der vorläufigen Aufnahmen stellten Meine, Schenker, Jabs und Kolonovits aus dieser Materialauswahl das endgültige Programm zusammen, wobei Meine eher für Balladen votierte und Schenker experimentellere Titel bevorzugte.

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Abbildung 1:

Klaus Meine beim Expo-Konzert Moment of Glory

Quelle: © The Scorpions 2000 Da der zeitliche Rahmen des Konzerts (das mit einer Verzögerung von einer Stunde vom ZDF vom Expo-Gelände quasi live gesendet wurde) auf etwas mehr als eine Stunde festgesetzt wurde, war der Spielraum für ein ausgewogenes Programm begrenzt. Als Balance zu den rockigen Hits und Balladen wählte man daher auch ein längeres Instrumentalstück aus, collagiert aus mehreren Einzelsongs zur sogenannten Deadly Sting Suite, die der Spielfreude der Musiker besonderen Raum gab. Im Anschluss an diese Vorproduktion spielte Christian Kolonovits mit den Berliner Philharmonikern im Verlauf von drei Tagen die endgültigen Orchesterpassagen ein. Diese Aufnahmen wurden im ehemaligen Sendesaal des DDR-Rundfunks in Berlin-Köpenick produziert, der sich dank einer massiven, seinerzeit aus Schallschutzgründen eingezogenen Kupferkuppel akustisch besonders anbot. Jeder Titel wurde etwa eine Stunde geprobt und direkt aufgenommen. Aus diesem Rohmaterial konnten anschließend in Wien die endgültigen Fassungen zusammengefügt und gegen die vorläufigen Samplertracks ausgetauscht werden. Als letzten Schritt fertigte Ronald Prent in den belgischen Galaxy-Studios den endgültigen Mix der CD an, die drei Tage vor dem Expo-Konzert veröffentlicht wurde.18

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Schon bei der Studioarbeit, besonders aber beim Konzert in Hannover sollte sich herausstellen, ob Christian Kolonovits nicht nur im Vorfeld mit seinen Arrangements eine Rockband und ein Sinfonieorchester musikalisch zusammenführen konnte, sondern ob er auch die Musiker beim Zusammenspiel zu einer temporären Einheit fusionieren würde.19 Eine der wenigen Anforderungen, die die ansonsten für alle musikalischen Versuche offenen Scorpions in dieses Projekt einbrachten, betraf die Verwendung eines Clicktracks als Richtschnur für einen gemeinsamen Groove. Während diese Methode sowohl bei der Studioarbeit von Rockmusikern üblich ist, um getrennt voneinander eingespielte Spuren zu einer Aufnahme zusammenfügen zu können, als auch bei rhythmisch vertrackten Stücken der zeitgenössischen Musik oder der sekundengenauen Einspielung von Filmmusik eingesetzt wird, widerspricht eine so unnachgiebige Taktung dem Prinzip der meisten klassischen Stücke sowie der üblichen Spielweise von Orchestern und Dirigenten. Abbildung 2:

Schlagzeuger James Kottak, Christian Kolonovits, Klaus Meine und Mitglieder der Berliner Philharmoniker beim Expo-Konzert Moment of Glory

Quelle: © The Scorpions 2000 Christian Kolonovits wiederum war mit dieser Arbeitsweise bestens vertraut, da er die Bedeutung eines gemeinsamen Timings

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aus seiner praktischen Arbeit seit langem kannte. Wie sich im Konzert zeigte, gewannen Songs wie das Eröffnungsstück Hurricane 2000 erst durch die präzise gespielten Ketten von Sechzehntelnoten ihren besonderen Reiz, was zugleich die Bedeutung des Rhythmus bei solchen Projekten vor allen anderen musikalischen Elementen besonders verdeutlicht.20 Einen Tag vor dem Konzert spielten die Scorpions mit den Berliner Philharmonikern und Christian Kolonovits zum ersten Mal zusammen und veranstalteten abends eine öffentliche Generalprobe in der ausverkauften Preussag-Arena. Nachdem diese gut verlaufen war, baute sich im Verlauf des nächsten Tages ein gewisser Leistungsdruck auf, da bereits kritische Stimmen zu hören waren (die CD war drei Tage zuvor veröffentlicht worden) und alle Musiker die Qualität der gemeinsamen Arbeit unter Beweis stellen wollten. Zudem musste für eine Bühne mit mehr als 100 Orchestermusikern, die in der Lautstärke gegen eine komplette Rockband bestehen sollten, großer technischer Aufwand betrieben werden. Darüber hinaus konnte keine der beiden Musikerfraktionen mit dem für ihre Konzerte typischen Publikum rechnen, da sich zusätzlich zum Gros der Expo-Besucher einige Prominenz aus Politik und Medien angekündigt hatte. Nachdem das Konzert aber begonnen hatte und das Publikum ab der Hälfte des Sets endgültig begeistert war (wie im Konzertmitschnitt zu sehen), legte sich die Anspannung bald. Als besonders beeindruckendes körperlich-sinnliches Erlebnis blieb Klaus Meine die dynamische Präsenz des spielenden Orchesters in Erinnerung.21 Dies ist für jemanden, der es gewöhnt ist, mit groß bemessenen PA-Anlagen Konzerthallen und Stadien zu beschallen, eine aufschlussreiche Bemerkung. Sie schildert die Perspektive eines Musikers, der sich als Bestandteil eines Quintetts in Absprache mit seinen Kollegen auf der Bühne relativ frei und spontan bewegen kann und hier nun die Wirkung gruppenweise agierender Dutzender Musiker erfuhr. Peter Brem wiederum war – aus der umgekehrten Perspektive eines Orchestermusikers – überrascht und beeindruckt festzustellen, auf welche Weise die notenunkundigen Scorpions ihre Interaktionen für einen kompletten Konzertabend memorierten und wie präzise sie daraus die erwartet guten musikalischen Ergebnisse formten. Durch sein Faible für Jazz und die improvisatorischen und performativen Spielräume dieser Musiker waren Brem solche freieren For-

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men des Zusammenspiels durchaus vertraut, so dass es eine interessante Erfahrung war, die eigene Arbeitsweise, sich streng an einen Notentext zu halten, einmal mit der Spielweise einer Rockband direkt zu vergleichen. Die bisherige Darstellung zielte darauf ab, die Zusammenarbeit der Berliner Philharmoniker mit den Scorpions möglichst neutral zu beschreiben. Dies erweckte möglicherweise den Eindruck allgemeiner Zufriedenheit mit dem Projekt Moment of Glory, wie sie sich im Vergnügen der Musiker an dieser außergewöhnlichen Zusammenarbeit spiegelte. Jenseits der Beteiligten stieß die Kooperation aber z.T. auf harsche Kritik, die sich gegen den guten Ruf der beiden Parteien richtete. Mit Alben wie Lovedrive (1979) und Blackout (1982) haben sich die Scorpions weltweit eine treue Fangemeinde erspielt. 1990 veröffentlichten sie Crazy World, das dank der dritten Singleauskopplung Wind of Change zu ihrer bislang erfolgreichsten Produktion avancierte. Nicht zuletzt trug ihnen aber dieser Titel, stellvertretend für die gesamte Platte, zugleich den Vorwurf ein, sich im Vergleich zu härteren, kompromissloseren Songs früherer Tage aus kommerziellen Gründen dem musikalischen Mainstream US-amerikanischer Prägung zu sehr angenähert zu haben. Solchen Vorhaltungen ist mit rationalen Argumenten kaum zu begegnen, da die Ursachen dieser Wertungen nur sekundär an musikalischen und stilistischen Kriterien festzumachen sind. Vielmehr hängen sie mit der Wahrnehmung der Band bei jenen Fans zusammen, die sich zum treuen Kern der Anhänger aus alten Zeiten zählen, als die verehrten Musiker noch unbekannter und vermeintlich exklusiver waren. Wenn daher – und diese Argumente werden beim Kapitel zu Metallicas Orchesteralbum S&M wieder begegnen – einer Produktion ästhetischer Ausverkauf vorgeworfen wird, entspricht dies nicht zuletzt der negativen Ausdeutung eines Erfolgs bei einem größeren und folglich auch gemischteren Hörerkreis. Im erwähnten Gespräch mit dem Autor beschrieb Klaus Meine die Situation der Scorpions während der 1990er Jahre als Krisenzeit. Hardrock und Heavy Metal, insbesondere von Bands, die in den USA erfolgreich waren, standen in diesen Jahren stark unter Druck durch den sogenannten Seattle-Sound von Bands wie Nirvana, Stone Temple Pilots, Soundgarden und Pearl Jam, die pauschal im Genre „Grunge“ zusammengefasst wurden.

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Parallel geriet der über lange Zeit zwischen einigen großen Firmen aufgeteilte Musikmarkt mit der rapiden Ausbreitung des Internets in Bewegung. Zur Erwiderung des Vorwurfs kommerzieller Anbiederung fasste Meine die Bedeutung von Wind of Change für die Scorpions in der Formulierung „eines Survival Packs durch die 90er“22 zusammen, mit dem sich die Band stabil im Markt behaupten konnte. Als Reaktion auf die stilistischen Veränderungen der zurückliegenden Jahre brachten die Scorpions zum Ende des Jahrtausends mit Eye to Eye (1999) ihr bislang experimentellstes Album heraus, das bei Fans und Kritik auf heftige Ablehnung stieß. Im Rückblick bewertet die Band diese Platte, die genau in die Vorbereitungszeit von Moment of Glory fiel, als Kulminationspunkt ihrer Krisenphase, so dass die anstehende Produktion mit den Berliner Philharmonikern weitaus mehr als nur ein weiteres stilistisches Experiment war. Nach Aussage von Klaus Meine hätte dieses Album durchaus zum Schlusspunkt der Bandkarriere werden können, so dass man – gerade auch im direkten Vergleich mit einem Spitzenensemble der klassischen Musik – das eigene Können und die stilistische Vielseitigkeit der Scorpions noch einmal unter Beweis stellen wollte. Obwohl Moment of Glory vom Musikmarkt gut angenommen wurde und sich für ein ScorpionsAlbum angemessen verkaufte (bald nach Erscheinen wurde es mit einer goldenen Schallplatte ausgezeichnet, siehe Abb. 3, die Verkaufszahlen liegen aktuell etwas unter einer Million Exemplare), stieß die Kooperation einer deutschen Hardrock-Band mit dem Aushängeschild klassischer deutscher Musikkultur auf heftige Kritik. Betrafen die Band die erwähnten Vorwürfe, das im Vorjahr veröffentlichte erfolgreiche S&M-Projekt von Metallica kopiert zu haben und sich mit mangelndem Feingefühl für Kommerz und Kitsch bürgerlicher Hochkultur anzubiedern, verdichtete sich die Schelte der Philharmoniker in der Anschuldigung, ihren über mehr als einhundert Jahre aufgebauten Ruf als Leuchtturm des deutschen Orchesterwesens mutwillig zu ruinieren. Prominente Vertreter der Branche wie Claudio Abbado, Simon Rattle und auch Karlheinz Stockhausen sowie Puristen innerhalb der angestammten Zuhörerschaft äußerten heftige Zweifel am Geschmacksvermögen des Orchesters und besonders an der Beharrlichkeit von Peter Brem, das Projekt gegen alle Widerstände verwirklicht und damit die Philharmoniker unter Wert verkauft zu haben.

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Abbildung 3:

Auszeichnung der Scorpions und der Berliner Philharmoniker mit einer goldenen Schallplatte für Moment of Glory (v.l.n.r. Rudolf Schenker, Moderator Gerhard Delling, James Kottak, Peter Brem, Klaus Meine und Matthias Jabs)

Quelle: © The Scorpions 2000 Bereits während der intensiven Vorbereitungszeit im Jahr 1999 war der Intendant der Berliner Philharmoniker Elmar Weingarten bemüht, das Konzert zu verhindern.23 Da das Orchester wie eingangs erwähnt für Schallplattenaufnahmen und andere aushäusige Produktionen die Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts besaß, konnte Brem ungeachtet aller Einsprüche die Verwirklichung von Moment of Glory aber weiterhin betreiben. Hier nun vermischt sich die inhaltliche Kritik am Orchester mit den Querelen der damaligen Berliner Kulturpolitik: Einerseits hatte Claudio Abbado bereits seinen Rückzug als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker angekündigt und war mit seinem Intendanten Weingarten so zerstritten, dass dieser im Expojahr 2000 schließlich von seinem Amt zurücktrat; andererseits rückte Simon Rattle als designierter Nachfolger Abbados zunehmend ins Zentrum von Diskussionen um die zukünftige inhaltliche Ausrichtung und die institutionelle Struktur des Orchesters. Seit Beginn der 1990er Jahre hatte sich die finanzielle Situation der Berliner

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Philharmoniker deutlich verschlechtert, angestachelt vom amtierenden Kultursenator Peter Radunski (CDU) und seinen Positionen zum Stellenwert und Preis von Kulturleistungen in Berlin.24 Trotz einiger thematisch konzipierter Werkzyklen warfen Kritiker Claudio Abbado vor, aus Angst vor sinkenden Einnahmen insgesamt eine konservative Programmpolitik zu betreiben. In den folgenden Jahren nahmen innerhalb und außerhalb des Orchesters die Planspiele zur Neupositionierung der Philharmoniker weiter zu, während die Amtsnachfolgerin Radunskis, Christa Thoben (ebenfalls CDU), im 1999 wiedergewählten Senat unter dem alten und neuen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen nach nur vier Monaten aus Protest gegen die geringen Handlungsspielräume im Berliner Kulturhaushalt zurücktrat. In dieser Situation schaltete sich die Bundesregierung unter Gerhard Schröder in die Debatten ein und bekundete in Person des Kulturstaatsministers Michael Naumann ihr Interesse, die Finanzierung von fünf Berliner Kulturinstitutionen zu übernehmen (darunter auch die Überschüsse erwirtschaftenden Philharmoniker), wenn im Gegenzug der Berliner Senat diese Einrichtungen der Weisungsbefugnis des Bundes überstellte. Der Berliner Senat, dessen Bürgermeister Diepgen ohnehin mit Kanzler Schröder in vielen Angelegenheiten differierte, verweigerte sich diesem von Teilen des Orchesters begrüßten Schritt. Einen Tag vor der Aufführung von Moment of Glory in Hannover verkündete Thobens Nachfolger Christoph Stölzl die endgültige Ablehnung solcher Pläne, zentrale musikalische Aushängeschilder der Hauptstadt aus dem Einflussbereich des Senats zu entlassen. Nachdem nun eine andere Lösung für die Berliner Philharmoniker gefunden werden musste, gelang nach schwierigen Verhandlungen im Jahr 2002 die Umwandlung der bisherigen Doppelstruktur in eine Stiftung, womit eine Bedingung Simon Rattles erfüllt war, die er an eine Unterschrift unter seinen neuen Dienstvertrag geknüpft hatte.25 Dieser kurze Überblick zur Kritik an der Kollaboration zwischen den Scorpions und den Berliner Philharmonikern sowie der Hinweis auf die mehr als Dreiviertelmillion Interessierter, die die Studio-CD und den DVD-Mitschnitt des Konzerts erwarben, mögen bereits als Andeutung genügen, dass die Entscheidung pro oder contra Moment of Glory schnell und grundsätzlich getroffen wurde und von musikalischen Details dabei kaum die Rede war. Doch wenn man davon ausgeht, es weder bei den Scorpions noch den

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Berliner Philharmonikern mit Anfängern oder Laien zu tun zu haben und diese Musiker nach eigenem Bekunden gerne miteinander gearbeitet haben, ist es folgerichtig, an einigen Stellen der zwei Songs Rock You like a Hurricane und Still Loving You genauer zu untersuchen, wie Christian Kolonovits mit seinen Arrangements dafür die Grundlage schuf.

II. Struktur der Arrangements Während Kolonovits im Verlauf des Jahres 1999 die Arrangements konzipierte, wusste er bereits von der Absicht, Moment of Glory bei der Weltausstellung im darauf folgenden Jahr uraufzuführen, so dass er den Scorpions-Songs, aus denen sich das Konzert zusammensetzen würde, eine repräsentative Introduktion voranstellte. Da er zugleich dem Wunsch der Philharmoniker nach anspruchsvollen Stimmen genügen wollte, reservierte er die ersten Minuten des Eröffnungsstücks Hurricane 2000 für das Orchester, um in „Klängen und Tönen darüber nachzudenken, was die Scorpions überhaupt sind und was sie so charakteristisch macht.“26 In diesen ersten Takten „einer im Holstschen Sinn auskomponierten Fanfare“ präsentierte Kolonovits mit zentralen rhythmischen Motiven, Effekten der Holzbläser, „viel Blech und geschmeidigen Streichern“ die gesamte Palette an Klangfarben, mit denen er seine Orchestrierungen gestaltete. Bringt man diese Stilistik in Beziehung zur Instrumentationslehre von Hector Berlioz und der von Kolonovits besonders geschätzten Nikolay Rimsky-Korsakovs – eine Deutung, der Kolonovits im persönlichen Gespräch uneingeschränkt zustimmte –, lassen sich diesen beiden Schriften entsprechende Erläuterungen entnehmen: „Zarte und langsame Melodien vertraut man heutzutage allzu oft den Blasinstrumenten an. Gleichwohl gelangen sie niemals besser zur Geltung, als durch einen Chor von Violinen. Nichts kommt dem Schmelz einiger zwanzig Violinenquinten gleich, auf denen ebensoviel wohlgeübte Hände den Bogen führen.“ „Zu einer Anzahl von acht oder zehn vereinigt, sind die Violoncellos im wesentlichen Gesangsinstrumente; ihre Klangfarbe auf den beiden hohen Saiten gehört zu den ausdrucksvollsten des Orchesters. Nichts schwelgt mehr in Melancholie, und nichts ist besser geeignet, zärtlich schmachtende

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MOMENT OF GLORY – THE SCORPIONS MIT DEN BERLINER PHILHARMONIKERN Themen wiederzugeben, als eine Masse von Violoncellos, die im Einklang auf der A-Saite spielen. Ausgezeichnet sind sie auch für Melodien religiösen Charakters.“27 „Horn (in F). The tone of this instrument is soft, poetical, and fun of beauty. In the lower register it is dark and brilliant; round and full in the upper. The middle notes resemble those of the bassoon and the two instruments blend well together. The horn, therefore, serves as a link between the brass and wood-wind.“28

Hurricane 2000 beginnt im Forte fortissimo mit einem Orchestertutti, bestehend aus einem knappen Motiv von drei Achteln, welches an zahlreichen Stellen wieder begegnen und das Stück auch abschließen wird. Dieser Eröffnung folgt in den Takten zwei bis vier ein Glissando der Harfe, das von allen Holzbläsern mitgespielt wird. Obwohl es dort in Einzelnoten aufgelöst wurde (der Tonraum des Harfenglissandos wurde nur mit tiefster und höchster Note fixiert), sind diese nicht separat wahrzunehmen, sondern vermitteln den Eindruck eines Klangblocks. Diese Schreibweise hängt mit einer grundlegenden Erfahrung von Kolonovits im Umgang mit Rockbands und Orchestern zusammen: Um Orchesterklänge von der Frequenzbreite verzerrter E-Gitarren wirkungsvoll abzugrenzen, verwendet er Holzbläser vor allem als bewegliche Mittelstimmen zur Definition der Harmonien, während die Streicher (bei lauten Stellen bevorzugt in hohen Lagen) die Grundkonstellationen aus Quinten und Oktaven liefern, damit sie bei leiseren und ruhigeren Passagen ihre klanglichen Stärken ausspielen können. Dank ihrer instrumentalen Charakteristik, die für Kolonovits immer auch mit stilistischen Prägungen durch Richard Wagner zu tun hat, bieten sich die Blechblasinstrumente an, um Akzente gegen den breiten Sound der Band zu setzen und mit Stimmdoppelungen markante Motive und zentrale Passagen hervorzuheben (siehe Abb. 4).

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Abbildung 4:

Hurricane 2000, Takte 1-4

Quelle: © Christian Kolonovits 1999 Das vom Blech vorgestellte Material ist in zweierlei Hinsicht bezeichnend: Zum einen komprimieren die Hörner in den vier Tönen des g-Moll-Dreiklangs mit verminderter Quinte (siehe Takt 2f. in Abb. 5) das harmonische Prinzip aller Arrangements, da die

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dem Orchester anvertrauten Akkorde nur selten Ergänzungen wie Septimen oder Nonen enthalten; eine auffällige Abweichung von dieser Regel wird beim zweiten Song Still Loving You diskutiert. Abbildung 5:

Hurricane 2000, Ausschnitt der Takte 1-3

Zum anderen bilden die Triolen einen Kontrast zum ersten Motiv der drei Achtel. Der Vergleich mit dem eigentlichen Song der Scorpions zeigt das Arbeitsprinzip von Kolonovits, wenn nach dieser Introduktion Bass und Schlagzeug einsetzen, bis die Gitarren zum ersten Mal das prägnante Riff vorstellen: Alle diese Elemente entstammen direkt dem Materialfundus des Songs und wurden zu einer möglichst eindrucksvollen Eröffnung durch das Orchester zusammengezogen. So entspricht das einleitende Tutti-Motiv aus Takt 1 dem Rhythmus des Gitarrenriffs aus dem Refrain und wird dort auf die Worte „here I am“ gesungen. Die Fortsetzung der Textzeile „rock you like a (hurricane)“ entspricht wiederum dem zweiten triolischen Motiv. Mit der eng begrenzten harmonischen und rhythmischen Ausgestaltung von motivischen Kernzellen verkürzt Kolonovits daher keineswegs die ihm zur Verfügung stehenden Mittel, sondern entnimmt das Grundmaterial für die Orchestergestaltung fast ausschließlich dem jeweiligen Song, um eine enge Dialogisierung von Orchester und Band zu garantieren. Die von Kolonovits hinzu erfundenen Gegenmelodien und andere ergänzende Elemente lassen sich ebenfalls auf Grundmuster im Songwriting der Scorpions zurückführen. Als Beispiel bietet sich der Übergang von der Introduktion zum eigentlichen Beginn des Songs an. Als Brücke zwischen diesen Teilen spielen die beiden Violinstimmen als schnellen Lauf eine H-Dur-Tonleiter aufwärts, die in einen langen Triller mündet. Nach einer kleinen dramaturgischen Zäsur kulminiert die Spannung in einem Forte

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fortissimo gespielten reinen H-Dur-Akkord, der sich mit dem folgenden Einsatz der Streicher als Dominante zur Grundtonart des Songs e-Moll herausstellt. Die in Takt 14 eingeführte Figur verändert zugleich die Aufgabe der Streicher (siehe Abb. 6). Während diese in der Introduktion markante Motive vorstellten, die späteren Riffs der Rhythmusgitarre entnommen wurden, oder mit Tremoli die Glissandi der Holzbläser unterstützten (vgl. z.B. Takte 2-4 in Abb. 4), variieren sie nun ein Motiv, mit dem die Leadgitarre auf das erste Riff der Rhythmusgitarre reagieren wird (ab Takt 34, die Violinen unterstützen nach einigen Takten Pause diesen Einsatz beginnend mit einem Unisono-Tremolo auf E): Anstelle der wenigen, dank ihrer rhythmischen Anlage einprägsamen Akzente (man erinnere sich der Textzeile „here I am“) spielen sie nun unisono durchgängig Vierergruppen von Sechzehntelnoten auf E und bestärken damit die Grundtonart e-Moll. Abbildung 6: Hurricane 2000, Ausschnitt der Takte 14-15

Quelle: © Christian Kolonovits 1999 Stellt man einmal die jeweils ersten Töne dieser Vierergruppen nebeneinander, so findet man in den Noten E-G-A-Fis/D zugleich die Grundtöne respektive die akkordische Quintessenz des Refrains, bestehend aus Tonika e-Moll, Paralleltonart G-Dur, Subdominante a-Moll und Dominate zur Paralleltonart D-Dur, die als Quartsextakkord zurück zur Tonika führt. Geschickt zieht Kolonovits in dieser Figur Rhythmus- und Leadgitarre zusammen, da

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die Sechzehntelketten der Eingangspassage der Leadgitarre entsprechen, wenn diese ab Takt 34 mit einer etwas variantenreicheren, synkopischen Rhythmik das zweigestrichene E spielt. Am Beispiel dieser Sechzehntelketten lässt sich auch Kolonovits Erfahrung illustrieren, wie wichtig ein präzise gehaltener Takt für das Zusammenspiel von Rockband und Orchester ist und weshalb die Scorpions die Verwendung eines gemeinsamen Clicktracks für alle Musiker erbeten hatten: Erst die Synchronität der Geigen, Bratschen und Celli macht den Reiz dieser ostinaten Figur aus und ermöglicht es der Band, mit Bass und Schlagzeug nahtlos in den Song einzusteigen. Kolonovits empfand die genaue Einhaltung dieses Rhythmus als besondere Herausforderung beim Dirigieren, da der intendierte treibende Charakter des Songs das weitere Zusammenspiel von Band und Orchester charakterisiert. Zur präziseren klanglichen Balancierung, wenn Bass und Schlagzeug einsetzen und das Fundament für die später hinzukommenden Gitarren legen, vervielfacht Kolonovits zunächst die Orchesterstimmen: So übernehmen die Holz- und Blechbläser die Sechzehntelbegleitfigur der Streicher und harmonisieren sie zu vollen Akkorden aus (siehe Abb. 7). Abbildung 7:

Hurricane 2000, Ausschnitt der Takte 22-23

Um etwas mehr Abwechslung zu erreichen und zugleich das Orchester mit einem kleinen Ornament vom Sound der Band abzuheben, ergänzen desweiteren Flöten, Xylofon und Glockenspiel zum Ende jedes zweiten Taktes einen kurzen Lauf, wie man ihn in ausführlicherer Form bereits vom Ende der Introduktion als HDur-Tonleiter kannte (siehe Abb. 8). Der gleichmäßige Strom der Sechzehntelnoten von Streichern und Holzbläsern im treibenden

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4/4-Takt wird rhythmisch zusätzlich mit einem Akzent auf den zweiten Schlag jedes ersten und dritten Takts variiert. Diese Akzentuierung, die auch vom Drummer mit Bassdrum und CrashBecken gespielt wird, lässt sich aus dem zentralen Motiv der drei Achtel ableiten. In diesem ersten gemeinsamen Teil von Orchester und Rhythmus-Gruppe der Band wird zunächst die instrumentale Fassung des Refrains von Hurricane 2000 vorgestellt, bevor eine rhythmische Variation des Eröffnungsmotivs folgt. Abbildung 8:

Hurricane 2000, Ausschnitt aus Takt 23-24

Als Kontrast zu diesem Tutti-Sound präsentiert die Rhythmusgitarre anschließend zunächst unbegleitet ihr Riff E-G-A-C/D, zu dem ab Takt 34 Leadgitarre und Violinen hinzukommen. Ab Takt 38 spielen Orchester und Band den Teil gemeinsam, der alle für einen Rocksong typischen Stilelemente enthält: volle Band- und Orchesterbegleitung mit einem markanten Motiv sowie ein erstes Solo der Leadgitarre, das als thematische Vorwegnahme die spätere Gesangsmelodie umspielt. Das Stilmittel des pausierenden Orchesters, während die Gitarre ihr Riff präsentiert, wird im Anschluss an diesen ersten instrumentalen Refraindurchlauf wiederholt: Das Schlagzeug-Hihat schlägt metronomartig die vier Zählzeiten des Takts, die Rhythmusgitarre spielt mit ersten Violinen und Violoncelli ein Achtelnoten-Riff als Hintergrundbegleitung, der Gesang beginnt die erste Strophe. In ähnlicher Weise, wie zuvor Flöte und Glockenspiel kurze Läufe in den Orchesterklang einflochten, ergänzen zweite Geigen und Bratschen kurze Läufe zum Ende jedes Taktes. Wie schon im Anfangsteil gestaltete Kolonovits mit der blockartigen Gegenüberstellung von Orchesterparts und Gitarrenriffs auch den Übergang vom dritten,

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gesungenen Refrain zum ausführlichen Solo der Leadgitarre (siehe Abb. 9). Abbildung 9: Hurricane 2000, Ausschnitt der Takte 82-85

Quelle: © Christian Kolonovits 1999

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Nirgendwo im Konzerts werden Orchester und Band durch einen Schnitt von Tutti zu Tacet so deutlich voneinander getrennt. Wie Kolonovits im Gespräch mit dem Autor erläuterte, erschien ihm diese Stelle als besonders passend, um die Kombinations- und Distinktionsmöglichkeiten aller Instrumente voll auszuschöpfen. Der separate Bandteil, der dem Solo der Leadgitarre vorbehalten war, endet im zweiten Durchlauf des zugrundeliegenden Refrains, wie der ganze Song im Übergang von der Introduktion begonnen hat – mit der charakteristischen Sechzehntelkette der Streicher (vgl. Abb. 6). Gemeinsam erreichen Band und Orchester nun einen Zwischenteil (siehe Abb. 10 und 11), der eine besondere Stellung im Ablauf einnimmt und von Kolonovits zum ursprünglichen Song hinzukomponiert wurde: Gitarren, Bläser und Streicher spielen unisono eine Tonfolge aus Achtelnoten, die aus einem Oktavsprung sowie aus zwei fallenden Quinten (einer reinen und einer verminderten) zusammengesetzt wurde. Abbildung 10: Hurricane 2000, Ausschnitt der Takte 101-103

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Innerhalb dieser Intervalle lässt sich das Material identifizieren, aus dem Kolonovits die charakteristischen Bläserfanfaren der Introduktion konstruierte (siehe Takt 2f. in Abb. 4), und auch hier wird das Motiv über mehrere Transpositionsstufen geführt. Dieser einmal wiederholte Teil besteht aus vier Takten: In den ersten drei Takten 101 bis 103 wird das Motiv auf E, G und B gespielt, bevor in Takt 104 vier Akkorde (A-Dur, F-Dur9, D-Dur und B-Dur) zum Ausgangspunkt E führen; unterstützt werden die Streicherakkorde durch Sechzehntelgruppen der Flöten und Klarinetten sowie von Glockenspiel und Xylofon. Dank des Schlagzeugs, das den treibenden Puls des Songs aufrechterhält, sowie die Präzision der unisono gespielten Quint-Motive erwies sich diese von Kolonovits erdachte Passage als so eindrucksvoll, dass die Scorpions sie seither in die Bandfassung des Songs übernommen haben. Abbildung 11: Hurricane 2000, Ausschnitt des Takts 104

Ein abschließender Blick auf Hurricane 2000 gilt der Instrumentierung des Schlusses, nachdem Band und Orchester mehrere Male den Refrain wiederholten und der druckvolle Schlagzeugrhyth-

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mus durch verdoppelte Schläge von Snare- und Bassdrum weiter intensiviert wurde (siehe Abb. 12). Abbildung 12: Hurricane 2000, Ausschnitt der Takte 148-149

Quelle: © Christian Kolonovits 1999

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Um in diesem energiegeladenen Spiel von annähernd 100 Musikern die Bläser noch durchdringen und das zentrale rhythmische Motiv der drei Achtel hörbar werden zu lassen – mit dem Hurricane 2000 beginnt, endet und das der Textzeile „here I am“ unterlegt ist –, spielen es die sechsfach besetzten Hörner fortissimo gemeinsam mit drei Flöten, zwei Oboen und zwei Klarinetten (siehe Abb. 12). Eine solche Stelle hatte Klaus Meine wohl im Sinn, als er die energetische Präsenz eines vollen Sinfonieorchesters beschrieb.

III. Modifikationen und Erweiterungen Wie bereits beim hinzukomponierten Zwischenteil von Hurricane 2000 deutlich wurde, ging Christian Kolonovits Handlungsspielraum als Arrangeur weit über instrumentatorische Details hinaus. Somit können Passagen, mit denen er das ursprüngliche Songwriting der Scorpions erweiterte, einiges über seine inhaltliche und strukturelle Gestaltung der Arrangements verraten. Für eine solche Betrachtung von einzelnen Elementen bietet sich die Ballade Still Loving You an, die – im Kontrast zur treibenden Rocknummer Hurricane 2000 – mit ruhigen und melancholischen Elementen die zweite Domäne der Scorpions vertritt. Gemessen am üblichen Songformat ist das Stück mit sechseinhalb Minuten relativ lang und besteht aus diversen Strophen-, Refrain-, Solo- und Zwischenparts. Kolonovits fühlte sich besonders herausgefordert, in den Nebenmelodien und Begleitfiguren Wiederholungen zu vermeiden und zugleich die Gelegenheit zu nutzen, ausführlich und detailreich zu komponieren. Im Vergleich zur Albumversion von 1984 fällt auf, dass er für seine Erweiterungen wieder vom ursprünglichen Material ausging. Der Song beginnt mit Schenkers eingängigem viertaktigen Picking-Motiv, in Takt fünf der Vorlage kommt Matthias Jabs Gitarre hinzu (siehe Abb. 13). In der Orchesterfassung wird dieser zweite Gitarrenpart von Streichern, Harfe, Holzbläsern und Hörnern begleitet. Nur die Harfe spielt dabei den identischen Gitarrenpart von Schenker, alle anderen Orchesterinstrumente legen – leise beginnend mit leichtem Crescendo – einen Klangteppich aus langen Notenwerten im Bereich zwischen großem Fis und dreigestrichenem Cis.

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Abbildung 13: Still Loving You, Takte 1-9

Quelle: © Christian Kolonovits 1999 Während die beiden Takte 5 und 6 noch exakt die Gitarrenakkorde der Tonika fis-Moll (mit großer Septime) und des Gegenklangs D-Dur harmonisieren, die absteigende Linie von Schenkers Gitarre in den Basstönen nachvollziehen und den Tonraum nach oben

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mit einem über eineinhalb Takte gehaltenen Fis in der ersten Violine begrenzen, übernehmen Flöte, Oboe und erste Geige in den folgenden zwei Takten 7 und 8 die Stimmführung (vgl. Abb. 14). Mit einer kleinen harmonischen Progression vom vorgegebenen DDur über einen verminderten Akkord Gis-H-D (aufgelöst durch die Weiterführung des Gis zum Fis in h-Moll) erreichen sie die vorgegebene Dominante Cis-Dur. Abbildung 14: Still Loving You, Ausschnitt der Takte 5-8

Diese kurze Stelle ist deshalb aufschlussreich, da eine solche lyrische Wendung über einen verminderten Akkord für die Musik der Scorpions unüblich ist und – hierauf beruht entscheidend ihre Wirkung – mit sehr dosierten Mitteln die Aufmerksamkeit für einen Augenblick elegant auf die weichen Klangqualitäten des Orchesters lenkt (man erinnere sich Kolonovits’ Vorliebe für samtene Streicher). Mit Beginn der ersten Strophe tritt das Orchester jedoch sofort wieder in den Hintergrund und überlässt der Harfe die dezente Doppelung der gezupften Gitarren, wobei die erste

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Zählzeit des Taktes in den Achtelketten immer ausgelassen wird, um diese Akzentuierung für die Gitarren zu reservieren. Beim zweiten Durchlauf des ersten Strophenteils kommt das Orchester bis auf Trompeten, Posaunen, die Tuba sowie das Schlagzeug in voller Besetzung wieder hinzu. Die ersten beiden Flöten und Klarinetten übernehmen den Part der Harfe ohne Achtel auf der ersten Zählzeit, wobei die Harfe wiederum nun den ersten Schlag mitspielt. Die Mittelstimmen der Streicher (zweite Violine und Viola) ergänzen je vier Achtelnoten auf dem dritten und vierten Taktteil und übernehmen so die Betonungen einer Gitarrenstimme aus der ursprünglichen Songvorlage (man erinnere sich auch der besonderen Betonung der dritten Zählzeit in der Introduktion). Als Kontrast zum Schwerpunkt auf der zweiten Takthälfte, der ab der zweiten Strophe auf die Stimmen der Oboen, der Klarinetten, des Fagotts, der Harfe und der ersten Violinen ausgeweitet wird, betont das Orchesterschlagzeug die ersten beiden Schläge. Dank dieser Betonungen werden zwar alle vier Taktzeiten ausgefüllt, die Rhythmisierung der orchestralen Klangfarben lässt aber den Gesamteindruck changieren. Als weiterer dramaturgischer Kniff von Christian Kolonovits ist noch auf die Stütze des Gesangs wechselweise durch Oboen und Hörner einzugehen, die fortan das Stück durchzieht und bei den Worten „love, only love“ beginnt (siehe Abb. 15). Die typische Verwendung der beiden Instrumente als lyrische Stimmen im Piano und Mezzopiano ist charakteristisch für das Klangideal der Romantik, welches Kolonovits für eine orchestrale Interpretation der Scorpionssongs vorschwebte und nicht zuletzt in Berlioz’ Instrumentationslehre wurzelt, in der sich in zeittypischer Diktion die Bemerkung findet: „Die Oboe ist vor allem ein Melodieinstrument; sie hat einen pastoralen, zarten, ja ich möchte sagen schüchternen Charakter. [...] Den Tönen der Oboe ist Jungfräulichkeit, naive Anmut, stille Freude oder der Schmerz eines zarten Wesens angemessen: diese bringt sie im Kantabile wunderbar zum Ausdruck.“29 Auch die solistische Verwendung der ersten Violine für ein kleines Solo im Anschluss an die Strophe (das in der Bandfassung Matthias Jabs übernimmt) deutet in Richtung eines klassisch-romantischen Orchestrierungsstils.30

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Abbildung 15: Still Loving You, Ausschnitt der Takte 18-22

Quelle: © Christian Kolonovits 1999 Der Einsatz der verzerrten Gitarren und das eindrucksvolle Crescendo weisen darauf hin, dass man im anschließenden Refrain nun im zentralen Teil von Still Loving You angelangt ist. Der in der Partitur „maestoso“ markierte Abschnitt setzt auf die strahlende Wirkung des Orchesters mit Becken, Pauken, wirbelnden Trommeln und trillernden Bläsern.31 Umgesetzt wurde dieses Idiom beispielsweise in einer Tonleiter aus fünf Noten (in den Stimmen von Flöten, Oboen, Trompeten und ersten Geigen), die in vier Sechzehntelnoten vom Grundton aufsteigt und mit dem fünften Ton den ersten Schlag im nächsten Takt betont. Im Gegensatz zur vorherrschenden Moll-Gestaltung der Strophen und Refrains, und somit auch der ersten beiden Takte der viertaktigen Struktur, stehen diese beiden hinteren Takte zum anderen in ADur und E-Dur und werden vom Orchesterschlagzeug besonders akzentuiert. Zieht man zu dieser Variante des Refrains eine später folgende hinzu, so wird der majestätische Eindruck mit einem Element noch weiter gesteigert, das ebenfalls eine Tonleiter verwendet und wieder den ersten Geigen sowie allen sechs Hörnern unisono anvertraut wurde (vgl. Abb. 16).

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Abbildung 16: Still Loving You, Takte 175-182

Quelle: © Christian Kolonovits 1999 Im vorderen Teil des Refrains waren die ersten Violinen noch Teil einer Klangfläche, die mit langen Notenwerten die Akkorde der Gitarren stützt. In Takt 175 lösen sich die Violinen nun aus dieser

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Begleitung und umspielen die Melodie des Gesangs bis zur Andeutung der fallenden Terz im folgenden Takt 176. Der dieser Passage zugrundeliegende Text lautet „your pride has built a wall so strong that I can’t get through“ (Takte 175-178), bevor darüber nachgedacht wird, ob ein gemeinsamer Neuanfang wirklich völlig aussichtlos ist („is there really no chance to start once again“, Takte 179-182). Die Verzweifelung über die undurchdringliche Mauer aus Stolz ist so rhythmisiert, dass mit dem Wort „through“ der erste Schlag des Takts 178 betont wird, woran sich eine halbtaktige Pause im Gesang anschließt, bis die Frage nach einer weiteren Chance gestellt wird („really“ ist in diesem Fall das zentrale Wort auf der ersten Zählzeit in Takt 179). Zur dramatischen Textausdeutung wird diese Stelle durch eine fallende Linie von Flöten, Oboen, Hörnern und ersten Violinen sowie durch einen lauten Wirbel des Beckens unterstrichen. Die besondere Wirkung des Moments erwächst dabei aus der geballten Koppelung und zugleich Kontrastierung von Klangfarben: Die drei Flöten, die Piccoloflöte, die zwei Oboen sowie die ersten Violinen spielen unisono einen Quartgang abwärts vom zweigestrichenen H zum Grundton der Tonika fis-Moll, um die Zeile „is there really no chance“ im nächsten Takt vorzubereiten. Alle sechs Hörner spielen die fallende Linie parallel eine Sexte tiefer mit (vom zweigestrichenen D zum eingestrichenen A), so dass sie einerseits mit dem Klang der anderen Instrumente verbunden sind, sich andererseits aber von diesem durch ihr strahlendes Timbre abheben. Zur Hervorhebung von „chance“, dem Schlüsselbegriff in Takt 179 auf der zweiten Zählzeit, wird ein ähnlicher Effekt verwendet, diesmal in Form eines zum Forte fortissimo crescendierenden Oktavglissandos der Flöten und Klarinetten, der ersten beiden Hörner sowie der zweiten Violinen, die gemeinsam das angepeilte A (in verschiedenen Oktavlagen) für die Dauer eines Taktes trillernd halten. Neben diesen kleineren verstreuten Stellen ist das sogenannte Orchesterinterlude in der Mitte von Still Loving You die interessanteste aller hinzukomponierten Passagen, da es die vielfältigsten Materialerweiterungen beinhaltet (siehe Abb. 17).

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Abbildung 17: Still Loving You, Ausschnitt der Takte 131-135

Quelle: © Christian Kolonovits 1999

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Auch dieser Teil beginnt mit einem Bläserglissando, und gerade in dieser Passage wird deutlich, dass die Musik der Scorpions – was keinesfalls als Abqualifizierung missverstanden werden sollte – auf wesentliche Gestaltungsmittel reduziert ist (wenige Funktionen der Kadenz, kaum alterierte oder erweiterte Akkorde). Daher lassen sich relativ unkompliziert strukturelle, harmonische, klangliche und rhythmische Kontraste formen, wie in diesem Fall eine Akkordauflösung in Dur statt in Moll oder ein verminderter Akkord. In dieser Passage (vgl. Abb. 18), geschickt gekoppelt mit dem Effekt eines Glissandos, reiben sich gerückte Akkorde der Hörner, Trompeten, Posaunen sowie der Tuba sanft an der Tonika Fis (präsent gehalten in einem liegenden Akkord der Gitarren). Abbildung 18: Still Loving You, schematische Darstellung der Takte 133-134

Betrachtet man die Stimmen der Hörner und Trompeten getrennt voneinander (die Töne der Posaunen sowie der Tuba können als Oktavierung der Trompetenstimme vernachlässigt werden), so stehen die reinen Moll-Akkorde der Hörner und Trompeten zueinander im Abstand einer aufsteigenden Quinte. Im ersten Akkord stellen sie ein cis-Moll der Hörner gegen ein gis-Moll der Trompeten, im zweiten Akkord ein gis-Moll der Hörner gegen ein dis-Moll der Trompeten sowie im dritten Akkord ein E-Dur der Hörner gegen ein H-Dur der Trompeten. Nimmt man die Stimmen der Posaunen sowie der Tuba in die Betrachtung hinein, so verschiebt sich die klangliche Balance deutlich zugunsten der Trompetenlinie, zumal die Töne der Hörner zwischen den oberhalb liegenden Trompeten sowie den unteren der Posaunen und der Tuba positioniert sind. In diesem Sinn gedeutet ergäben sich drei Akkorde jeweils mit Quarten und Sexten auf gis-Moll, dis-Moll

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und H-Dur. Unabhängig davon, ob eine solche Interpretation zutrifft, entfaltet diese Passage die erwünschte Kontrastwirkung. Erstens wurde die ansonsten kaum mit Septimen oder Nonen angereicherte Akkordharmonik der Scorpions um unerwartete Nuancen erweitert, zweitens stehen die letzten Akkorde auf E-Dur bzw. H-Dur funktionsharmonisch nah bei der Tonika fis-Moll und sind zudem in Dur gehalten, so dass sie Spannung erzeugen. Zusätzlich war dieser Fanfare im Forte fortissimo eine kurze Passage am Ende des dritten Refrains vorausgegangen, bei der die Tonika fis-Moll mit einem kraftvollen Akkord der verzerrten EGitarren als harmonische Grundfläche ausgebreitet wurde. Der für E-Gitarren typische sogenannte Powerchord besteht in seiner Grundform nur aus einer Quinte, zu der das Ohr oft – z.B. durch den melodischen Verlauf des Gesangs – eine das Tongeschlecht definierende Terz assoziiert. Die erste Figur, mit der das Orchester auf die Quinte reagiert, ist ein zweimaliger Sekundwechsel von E zu Fis (gespielt von den Streichern und Holzbläsern im Übergang von Takt 131 zu 132 in Abb. 17), der die Fortführung des Fis als Moll-Akkord nicht stört, zumal die Blechbläser eine chromatische Rückung eines A-Dur-Akkords (der Tonikaparallele) über Gis zu G-Dur ergänzen, bei der das G die Rückkehr zu fis-Moll leittönig antizipiert. Nach der verkürzten Wiederholung des Sekundschritts der Streicher und Bläser folgt das zuvor besprochene Glissando, das nach zwei kurzen Moll-Akkorden auf einem langen H-Dur-Akkord endet – der Dur-Variante der Subdominante zu Fis – und die unbestimmte Gitarrenquinte auf Fis im Dur-Charakter einfärbt. Diese Ausdeutung der Hinführung zum Orchesterinterlude lässt sich im Höreindruck nachvollziehen, da die Oberstimme der ersten Trompete die nötigen Töne eines Fis-Dur-Akkords liefert (hier in der Variante große Sext Dis, Terz Ais und Grundton Fis). Das ab Takt 135 folgende Orchesterinterlude ist wieder ganz in fis-Moll gehalten, so dass die kurzzeitige Fis-Dur-Assoziation nach dem hier zur Rede stehenden viertaktigen Übergang ganz in der bekannten Moll-Variante aufgeht. Mit einer kleinen harmonischen Ergänzung hatte Kolonovits dem Orchestereinsatz zu Beginn von Still Loving You für einen kurzen Augenblick Aufmerksamkeit verschafft, um den Fokus anschließend zurück auf die Band zu lenken. Die Fanfare vor Beginn des Orchesterinterlude erfüllte einen ähnlichen Zweck, so dass

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das Orchester bei der folgenden solistischen Gitarrenlinie zunächst etwas zurück genommen wird. Betrachtet man die begleitenden Figuren aber genauer – Grundlage des Songteils ist die Akkordfolge des vorderen Refrainteils –, sind auch hier einige aufschlussreiche harmonische und motivische Modifikationen zu bemerken. Allerdings spielen sich diese Veränderungen (wie in den anderen vorgegebenen Songteilen, bei denen bereits die Reibung eines Akkords in Dur oder Moll Spannung erzeugt) auf der Detailebene ab. Nur in seinen hinzukomponierten Teilen ging Kolonovits weit über den durch das Songwriting der Scorpions vorgegebenen Rahmen hinaus. Aus den zahlreichen Möglichkeiten zur Orchestrierung, die ihm zum Ende des 20. Jahrhunderts zur Verfügung standen, als er die Arrangements zu Moment of Glory schrieb, wählte er behutsam passende aus, von denen ganz wenige aus den letzten Jahrzehnten stammen (z.B. spezielle Glissandi). Da Kolonovits der harmonische Spielraum durch den Stil der Scorpions vorgegeben war, reicht diese Ebene der Arrangements historisch weit zurück, vielleicht lokalisierbar in der Zeit zwischen Händel, Bach, Haydn und Mozart, mit der für einen großen Teil des Publikums das bekannte Konzertrepertoire erst beginnt und der die ausführliche kompositorische Behandlung von Chromatik und sich verselbstständigenden Dissonanzen noch bevorstand. Ein entsprechendes Beispiel, wie Kolonovits den Stil der Scorpions mit kleinen Modifikationen polierte, ohne ihn von innen nach außen zu kehren (dies war der Kernvorwurf gegenüber der Produktion Eye to Eye), bieten die Terz- und Quintbegleitungen der Bassstimme anstelle der in der Songvorlage ausschließlich zu hörenden Grundtöne. Das Ergebnis ist ein etwas variantenreicherer Tonsatz, der die engen Grenzen der Kadenzharmonik leicht weitet. Zur Begleitung der solistischen Gitarre am Beginn des Orchesterinterlude knüpft Kolonovits an diese alternative Begleitung der Refrainharmonien an, indem er mit Celli, Kontrabässen und Tuba einen Orgelpunkt auf Fis legt (vgl. Abb. 19). Um diese Begleitung in ihrer Präsenz zugleich etwas zurückzunehmen, spielt nur die Tuba längere Notenwerte, während die beiden tiefen Streicher in Pizzicati gesetzt sind, die zudem nicht jeden der vier Schläge im Takt betonen, sondern im Offbeat das rhythmische Gefüge auflockern. Auch die begleitenden Bratschen und zweiten Geigen lassen in ihren Sechzehntellinien die Beto-

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nung der ersten und dritten Zählzeit aus, was die Band (konkret die begleitende Rhythmusgitarre sowie vor allem die Bassgitarre) stärker aus dem kollektiven Klanggefüge hervorhebt. Erst vor dem Hintergrund solcher Detailmodifikationen lässt sich die Wirkung größerer Veränderungen beschreiben, wie sie bereits bei den Fanfaren in der Überleitung zum Interlude zur Sprache kam. Abbildung 19: Still Loving You, Ausschnitt der Takte 51-53

Quelle: © Christian Kolonovits 1999 Ein zweite, deutlich als Ausnahme gekennzeichnete Passage beginnt im neunten Takt des Songparts mit einer Antwort der Bläser auf die vorangegangene achttaktige Linie von Rudolf Schenkers Rhythmusgitarre (siehe Abb. 20). Ab Takt 143 spielen zwei Flöten, alle sechs Hörner, vier Trompeten und die ersten Geigen in mehreren Oktavlagen in dieser Passage unisono eine melodische Linie, die mit den Akkordtönen der Tonika Cis-Fis-A beginnt und eine kleine Sekunde abwärts leittönig zum Gis führt.

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Abbildung 20: Still Loving You, Ausschnitt der Takte 145-148

Quelle: © Christian Kolonovits 1999

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Vom Zwischenhalt auf Gis überspringt die Linie aber das naheliegende Fis und landet nach einer kleinen Terz abwärts stattdessen beim Leitton Eis, um von dort aus mit einem verminderten Quintschritt aufwärts fast einen ganzen Takt lang dissonant auf einem C zu verharren. Aufgelöst wird diese Spannung in die große Septime E und weitergeführt zur None Gis, womit ein zweites Mal der Grundton leittönig doppelt umspielt wurde. Bei der Wiederholung der Passage erklingt statt des dissonierenden C jetzt direkt ein lang gezogenes E, was einen eleganten Wechsel zum Gegenklang D-Dur (als None) sowie zur Tonikaparallele A-Dur (als Quinte) ermöglicht, bei dem auch die begleitenden Bassinstrumente ihren Orgelpunkt zugunsten der entsprechenden Akkordgrundtöne aufgeben. Zur weiteren Akzentuierung dieser wuchtigen Bläsereinlage halten sich die Gitarren mit einigen akkordischen Einwürfen gemeinsam mit den Posaunen im Hintergrund. Zugleich unterstreichen ihre Betonungen noch einmal die besondere Bedeutung von rhythmischen Pulsen und Motiven in der Musik der Scorpions, mit denen sich bei solchen Stellen die gleichzeitig spielenden Musiker strukturieren lassen.

IV. Kontextualisierung Unter Hinweis auf ein frühes Beispiel von sinfonischem Jazz wie George Gershwins Rhapsody in Blue lässt sich festhalten, dass es zu verschiedenen Zeiten im 20. Jahrhundert Versuche gab, Stile und Klänge der klassischen und der populären Musik zusammenzubringen, die aus einer Vielzahl von Gründen als weit voneinander entfernt galten, so dass ihr Zusammentreffen als Begegnung verschiedener Welten vermarktet werden konnte. Auch Simon Rattle knüpfte im Herbst 2000 an diese Tradition an, als er in New York ein Jazz&Orchestra-Programm mit Songs von Duke Ellington realisierte, das bei Presse und den Musikern unterschiedliche reaktionen hervorrief. Zuvor hatte er bereits mit der London Sinfonietta ein Jazzalbum aufgenommen, das wohlwollender aufgenommen worden war.32 Die Wahrnehmung solcher Projekte bei Publikum und Kritik ist häufig durch eine Mischung aus Neugier und Vorurteil gefärbt, was z.B. die Kategorisierung der Produktionen entlang sozialer und kultureller Parameter betrifft. Gemäß solcher landläufigen

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Vorstellungen über die hierarchischen Distanzen zwischen den musikalischen Genres wird Musikern aus dem Bereich von Rockund Popmusik mit Interesse an klassischer Musik oft unterstellt, immer auch ein Defizit von Bildung und künstlerischer Ausdrucksfähigkeit kompensieren zu wollen, was meist zu epigonalen oder kitschigen Resultaten führe. Als Fallbeispiele seit den 1990er Jahren könnten (neben vielen anderen) Musiker wie Paul McCartney, Jon Lord, Yngwie Malmsteen, Steve Vai oder Frank Zappa herhalten, wobei schon Deep Purples Konzert von Pressevertretern beider Lager heftig attackiert worden war, während sich das Publikum durchaus interessiert zeigte.33 Bereits ein kurzer Verweis auf Paul Hindemith, Ernst Krenek, Maurice Ravel oder Kurt Weill genügt aber, um das große Interesse von Komponisten, die sich ästhetisch und historisch aus der Tradition der klassischen Musik herleiteten, an populären Stilen und Tänzen (in diesem Fall des Jazz) zu belegen. Von ihren Entwürfen, über Bernd Alois Zimmermanns Verwendung von Elementen des Jazz, bis zum Einsatz einer E-Gitarre bei Olga Neuwirth und Helmut Oehring hängt solchen integrativen Strategien zugleich immer auch der alte Vorwurf des Exotismus an, fremdes, noch „ursprüngliches“ Material mit geradezu kulturimperialistischer Geste unter die Kontrolle von (durch ihre Ausbildung und Einbindung ins Musikleben kulturell legitimierten) Komponisten gezwungen, gezähmt und seiner Reize beraubt zu haben. Diese oberflächliche Skizze mag als Verdeutlichung genügen, dass eine solche Argumentation fortwährend Gefahr läuft, sich in ideologischen Schleifen zu verfangen und keinen Schritt näher an die Faszination solcher stilistischer Begegnungen heranzuführen. Auf der Spurensuche nach Vorläufern von Moment of Glory, bei denen ein Orchester unübliches Repertoire spielt und Rockstars mit klassischem Sound experimentieren, stößt man zeitgleich zur sogenannten 68er Bewegung auf die LPs von Keith Emersons Band The Nice aus den Jahren 1967 bis 1970 und Jon Lords Kompositionen, die er mit Deep Purple zwischen 1969 und 1970 realisierte.34 Kooperationen von namhaften Sinfonieorchestern mit Rockbands waren zu dieser Zeit zwar keine Alltäglichkeit. Da aber anglo-amerikanische Orchester seit langem auf eine Vielzahl von Engagements angewiesen sind (sie können nicht, wie etwa in den nordischen Staaten oder Deutschland, mit einem Grundstock öf-

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fentlicher Finanzierung rechnen und bewegen sich daher auch außerhalb ihres primären Tätigkeitsfelds), arbeiteten Deep Purple z.B. für Lords Concerto for Group and Orchestra (1969) mit dem Londoner Royal Philharmonic Orchestra und den Los Angeles Philharmonics zusammen. Abbildung 21: Rudolf Schenker und Mitglieder der Berliner Philharmoniker beim Expo-Konzert Moment of Glory

Quelle: © The Scorpions 2000 Die Unterschiede zwischen Orchestern dies- und jenseits des Atlantiks hängen nicht zuletzt auch mit der unausweichlichen Orientierung vor allem amerikanischer Orchester am Geschmack ihres Publikums und ihrer Förderer zusammen, während sich europäische Orchester und Dirigenten immer auch als Erzieher des Publikums verstanden. Dies verstärkte die Spannungen zwischen der neuen Musik und ihrer Zuhörerschaft nach 1920 merklich, bis beispielsweise die elektroakustische Musik nach 1945 fast vollständig zu einer Angelegenheit spezialisierter Liebhaber wurde. Abgesehen von werkabhängig ergänzten Klangelementen – wie elektronischen Spielinstrumenten (Ondes Martenot, Trautonium, Theremin) und Live-Elektronik – ist das bestehende Orchester ein

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Phänomen des 19. Jahrhunderts. Um sich nicht dem Vorwurf der Musealität auszusetzen und eine lebendige Verbindung zum Publikum zu pflegen, suchen Orchester für ihre institutionelle wie künstlerische Legitimation mehr denn je nach neuen Herausforderungen – das Beispiel der Education-Abteilung Zukunft@BPhil wird hiervon handeln. Paul Bekkers Diagnosen Mitte der 1930er Jahre, geprägt von seinem amerikanischen Exil und den Erfahrungen der zurückliegenden Jahrzehnte in Europa, nahmen in ihrer Kritik wesentliche Entwicklungen der folgenden Jahrzehnte vorweg: „Vom Orchesterpodium aus betrachtet scheint es, daß die Musik jetzt nur noch von ihrem Erbe zehrt. Auch die zeitgenössische Produktion auf anderen Gebieten der Musik – Oper, Kammermusik, Lied – kann es schwerlich zu allgemeiner Anerkennung bringen und wird in der Hauptsache von kleinen Kennerkreisen getragen. Die Publikumsreaktion ist immer die gleiche: unverhohlener Widerstand gegen neue Produktionen, demonstrative Bevorzugung früherer Werke. Das mutet um so sonderbarer an, weil die Dinge zur Zeit von Bach, Händel, Haydn, Mozart, Beethoven, ja selbst Palestrina und älterer Meister genau umgekehrt lagen: Damals bestand dauernd Bedarf an neuen Werken und nur gelegentlich regte sich der Wunsch, alte Werke wiederaufzugreifen. Unsere Orchesterkonzerte zeigen das Problem besonders deutlich. Sie sind Einrichtungen mit einer wirtschaftlichen Basis, aber der künstlerische Impetus fehlt. Diese Konzerte bestehen nur aus Wiederholungen, Wiederholungen guter Werke gewiß, aber sie haben nur eine historische Beziehung zur Gegenwart und bieten keine Zukunftsperspektive. Sie sind eine rein museale Angelegenheit. Sie leben von den Zinsen eines großen Kapitals, das sie nicht vermehren.“35

Wie zahlreiche andere Entwicklungslinien innerhalb der Pop- und Rockmusik nach 1950 führt auch die Spurensuche nach Elementen klassischer Musik in Popsongs zu den Beatles und ihrem langjährigen Produzenten Sir George Martin. In seiner Studie zur Interaktion von Rockmusik und klassisch-romantischer Bildungstradition datiert Bernward Halbscheffel den Beginn der Fusion von Orchestersounds und Rockmusik bei einem ihrer größten Hits, Yesterday (1965).36 Eine weitere von den Beatles beförderte Tendenz, deren Ursprünge bis zum Jazz und Blues zurückreichen,

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war die wachsende Akzeptanz von Musikern, die ihre Karrieren als Autodidakten begannen und ihr stilbildendes Können in enger Auseinandersetzung mit einem immer größer werdenden Kreis von Fans stetig erweiterten. In der Wahrnehmung zweier Welten, die aufeinandertreffen, wenn Popkünstler und klassische Musiker gemeinsam arbeiten, schwingt daher immer auch – bei aller Klischeehaftigkeit – die Bewunderung für die Leistung von Rockmusikern im Stil amerikanischer Self-Made-Men sowie der Respekt vor dem breiten Bildungshorizont professionell ausgebildeter Künstler mit (nicht zuletzt setzen sich zahlreiche Popmusik-Akademien z.B. in London und Mannheim die Verbindung dieser Welten zum Ziel). Mit Absicht hatten die Berliner Philharmoniker darauf verzichtet, ihren Wunsch zur Zusammenarbeit mit einer Rockband als Kompositionsauftrag für ein neues, gemeinsam zu erarbeitendes Stück zu formulieren, sondern suchten nach einer Gelegenheit, mit ihrem Sound einmal in den Bereich der Rockmusik vorzustoßen. Zwar zählen auch Orchesterlieder zum Repertoire der Philharmoniker, die Vorentscheidung erstens für das Format von gut umsetzbaren Rocksongs mit klaren Rhythmen und Melodien sowie zweitens für eine versierte und bekannte Band sollte zugleich aber Erwartungen kanalisieren, die mit einem solchen Ausflug in ein anderes Genre geweckt werden. Bestimmten konservativen Teilen ihres Publikums zum Trotz (die sich am bittersten bei Peter Brem über Moment of Glory beschwerten), hofften die Philharmoniker, sich mit den Rocksongs auch der damit verbundenen Rezeptionshaltung leidenschaftlicher Fans anzunähern und ihren eigenen Spaß an diesem Projekt mit dem Publikum zu teilen. Unvermeidlich trafen bei einer solchen Inszenierung ferner die visuellen Assoziationen aufeinander, die von einem Konzert eines großen Sinfonieorchesters mit traditionell gekleideten Musikern und der Performance einer klassischen Rockband geweckt werden, so dass man in der bestuhlten Preussag-Arena in Hannover doch Zeuge eines außergewöhnlichen Auftritts und nicht eines normalen Sinfonie- oder Rockkonzerts wurde. Wie die Bilder des Auftritts zeigen, ließ sich das Publikum von der Begeisterung, die von der Bühne kam, schnell anstecken. Die Frage, ob die Kalkulation für Moment of Glory aufging oder die Songs der Scorpions in dieser Orchesterfassung zu „bombastisch“ klangen und

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überinstrumentiert wirkten, kann daher jedem Hörer selbst überlassen bleiben. In der Vorgeschichte zu Moment of Glory war kurz angeklungen, wie sich die Scorpions während der Entstehungszeit des Projekts in einer ernst zu nehmenden Krise befunden hatten, so dass abschließend die Folgen dieser Kooperation für die Band nachzutragen sind. Wie das aktuelle, bei Fans und Presse sehr wohlwollend aufgenommene Studioalbum Humanity Hour I zeigt, hatte die Arbeit mit den Berliner Philharmonikern die erhoffte inspirierende Wirkung, das Formtief zu überwinden, und führte die Scorpions mit ihrer neuen Platte zurück in ihre angestammte Hard Rock-Domäne. Gleichwohl erahnt man bei einzelnen Streicherpassagen in drei der zwölf Songs die Erfahrungen im Umgang mit einem großen Orchester.37 Mit einem solchen Ensemble zu konzertieren, gefällt der Band nach wie vor, so dass Moment of Glory (ergänzt um neue Arrangements für ein längeres Programm) immer wieder einmal gespielt wird, wenn ein Veranstalter die finanziellen und logistischen Mühen einer solchen Produktion nicht scheut. Dennoch beabsichtigen die Scorpions nach Aussage von Klaus Meine keine Wiederholung, da das Gelingen dieses Projekts für ihn und seine Kollegen zu eng mit den Berliner Philharmonikern und deren künstlerischer Leistung verknüpft war und eine mögliche Fortsetzung nicht mehr mit dem Reiz des Unbekannten lockt. Neben dem gegenseitigen Respekt für ihre Karrieren als gestandene Musiker teilen die Scorpions und Peter Brem das Gefühl für die Einmaligkeit von Moment of Glory. Auch für die Berliner Philharmoniker wäre die Neuauflage einer solchen Kooperation (ob mit den Scorpions oder einem neuen Partner) unattraktiv, da die Motivation für dieses Projekt zu einer Zeit aufkam, als neue Strategien des Umbruchs erprobt wurden. Darüber hinaus brach man bald darauf mit Simon Rattles Education-Projekten in eine andere Richtung auf, die das Bedürfnis des Orchesters nach neuen Aufgaben (vorerst) befriedigt. Schon oft wurde auch im 20. Jahrhundert endgültig entschieden und alsbald revidiert, was keine Musik mehr sei, sondern – im Umkreis der inzwischen 127jährigen Geschichte der Berliner Philharmoniker – nur noch „Unterschichtengeräusch“, „entartete Negerklänge“ oder „Kappellmeistermusik“. Wie willkürlich, pauschal und oberflächlich solche Anschuldigungen sind, dokumentieren die bekannten Vorwürfe des Esoterischen oder Populisti-

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schen, vom Formalistischen oder Sitten- und Kulturverfallenen, wodurch Schönberg, Strawinsky, Krenek und Schostakowitsch, Jazz, Blues und Rock’n’Roll, Filmmusik und elektronische Musik zu einem erstaunlichen Gruppenbild zusammenrücken. Man muss es daher nicht goutieren oder für große Kunst halten, wenn sich Berliner Philharmoniker und Scorpions gegen die Distinktionswünsche von Fans und Kritikern zu einem einmaligen Projekt zusammenfanden. Doch ist es im Kern eine Frage von Toleranz und Respekt gegenüber Andersdenkenden, in einer Demokratie mit den dort garantierten Rechten auf freie Meinungsäußerung und künstlerische Entfaltung auch diese Projekte zu akzeptieren. Dass eine solche politische Perspektive keineswegs am Gegenstand vorbeizielt, sondern im Zentrum von jüngeren Debatten über die Philharmoniker ansetzt, belegen die nationalistisch schattierten, publizistischen Scheingefechte, die wenige Jahre nach Moment of Glory dem britischen Dirigenten Simon Rattle den Vorwurf anheften sollten, mit „postmodernen“ Vorstellungen den Verlust des romantischen „deutschen Klangs“ seines Orchesters zu riskieren.38 Wäre daher dieses Kapitel auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen, so könnte es der Versuch sein, die Verkrampfungen der Diskussionen ein wenig zu lösen und zunächst einmal die musikalischen Gegenstände werturteilsfrei zu einer genaueren Betrachtung heranzuziehen. Denn nicht zuletzt brächte man sich um interessante Einsichten zum gegenwärtigen Status von klassischer Musik, wenn man vorschnell das Urteilsvermögen eines langgedienten Profis wie Peter Brem außer Acht ließe: „Die Zeit, die man gemeinsam mit den Scorpions verbracht hat, war beeindruckend, freundschaftlich, befruchtend, kollegial, einfach klasse.“39

Anmerkungen 1

Silvesterkonzert 2007, Redaktion Martin Schneider, Producer der Firma EuroArts Günter Attein, gesendet im Zweiten Deutschen Fernsehen am 31. Dezember 2007 um 18 Uhr. Maria Zimmer-Geyer, Pressesprecherin des ZDF, machte dem Autor diesbezüglich am 2. Januar 2008 folgende Angaben: „Wie mir die Redaktion mitteilte, sind die Texte eine Zusammenarbeit

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des Autors Thomas Voigt (Chefredakteur von Fono Forum) und des verantwortlichen ZDF-Redakteurs Martin Schneider.“ Vgl. zur Wirkung von Klischees im Sprechen und Schreiben über Musik das entsprechende Kapitel in: Michael Custodis: Musik im Prisma der Gesellschaft. Wertungen in literarischen und ästhetischen Texten, Münster: Waxmann 2009, S. 111-126. Nicholas Kenyon: Simon Rattle. From Birmingham to Berlin, London: Faber and Faber 22001, S. 5f. Aussage von Peter Brem im Gespräch mit dem Autor am 13. Dezember 2007. Vgl. für Details zur Bandbiografie die gängigen Lexika zur Geschichte der Rockmusik sowie die Internetseite der Band http://www.the-scorpions.com. In einem persönlichen Gespräch mit dem Autor am 22. Januar 2008 ging Klaus Meine davon aus, dass die Bekanntheit des Songs sicherlich zum Interesse der Berliner Philharmoniker an den Scorpions beigetragen hat. Vgl. Jürgen Otten: Aufbruch in die Zukunft. Die Wende und die Abbado-Jahre, in: Stiftung Berliner Philharmoniker (Hg.), Variationen mit Orchester. 125 Jahre Berliner Philharmoniker, Band 1 Orchestergeschichte, Berlin: Henschel 2007, S. 350. Vgl. auch Brems Kurzbiografie, in: ebenda, Band 2 Biografien und Konzerte, S. 21. Aussage von Klaus Meine im Gespräch mit dem Autor am 22. Januar 2008. Vgl. seine Kurzbiografie unter http://www.theavenueonline. info/site1/bios/powell.htm (Abruf am 26. Februar 2008). Klaus Meine im Gespräch mit dem Autor am 22. Januar 2008. Peter Amend in einer Nachricht an den Autor vom 7. Februar 2008. Aussage von Klaus Meine im Gespräch mit dem Autor am 22. Januar 2008. Siehe das entsprechende Kapitel in: Michael Custodis: Die soziale Isolation der neuen Musik. Zum Kölner Musikleben nach 1945, Stuttgart: Franz Steiner 2004. Auskunft von Helge Grünewald, Dramaturg der Berliner Philharmoniker vom 28. Februar 2008. Aus nicht näher zu bestimmenden Gründen wurde dieses Konzert nicht in das Verzeichnis aller Orchesterkonzerte im unlängst publizierten Doppelband zum 125jährigen Orchesterjubiläum aufgenommen. Übereinstimmende Aussagen von Christian Kolonovits und Peter Brem in den Gesprächen mit dem Autor am 11. Dezember bzw. 13. Dezember 2007. Auskünfte von Christian Kolonovits im Gespräch mit dem Autor am 11. Dezember 2007 sowie biografische Angaben auf seiner

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Internetseite http://www.kolonovits.com/index_77_77___1_0 __.html (Abruf am 1. Februar 2008). Christian Kolonovits im Gespräch mit dem Autor am 11. Dezember 2007. Vgl. zu Details der Studioarbeit auch Making of ... „Moment of Glory“, in: SoundCheck, Juli 2000, S. 18-24. Die Playlist der CD weicht in einigen Teilen vom Konzertprogramm ab (das Duett mit Zucchero Send me an Angel sowie Lady Starlight finden sich auf der CD, dafür wurden You and I, We don’t own the World und We’ll burn the Sky nur im Konzert gespielt sowie die Expo-Hymne Moment of Glory dort als Zugabe wiederholt), da man nach Aussage von Klaus Meine auf diese Weise insgesamt mehr Songs mit den Philharmonikern verwirklichen und veröffentlichen konnte. Eine weitere Differenz zwischen CD- und Konzertfassung betrifft die Deadly Sting Suite. Während dieser Titel auf der CD komplett instrumental gehalten ist, sang Klaus Meine den darin enthaltenen Song Dynamite im Konzert, da nach seiner Aussage der Gesang im Studio dank der Präsenz der Instrumente nicht benötigt wurde und wiederum die Eigendynamik des Konzerts, als das Stück im zweiten Drittel gespielt wurde, ihn als Frontmann der Band zum Mitmachen animierte. Die Reihenfolge der Stücke im Konzert hatte pragmatische Gründe, um eine ausgewogene Mischung von schnellen und langsameren Titeln zu gewährleisten und den Sänger nach anspruchsvolleren Passagen mit einem leichter zu singenden Stück oder einem der drei Duette mit Lyn Leichty und Ray Wilson zu entlasten. Um diese Verbindung auch optisch darzustellen, trat Christian Kolonovits in einem eigens für diese Gelegenheit angefertigten Lederfrack auf. Vor allem die mangelnde Abstimmung zwischen Orchester und Band sowie das fehlerhafte Timing innerhalb des Orchesters wurde zum Hauptproblem bei Deep Purples Concerto for Group and Orchestra, vgl. Horst Herold: Symphonic Jazz – Blues – Rock. Zum Problem der Synthese von Kunst- und Unterhaltungsmusik in symphonischen Werken des 20. Jahrhunderts, Münster et al.: Lit 1999, S. 122. Auskunft von Klaus Meine im persönlichen Gespräch mit dem Autor am 22. Januar 2008. Ebenda. Peter Radunski, Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur in der von Eberhard Diepgen geführten Großen Koalition von CDU und SPD soll in seiner Funktion als Dienstherr der beamteten Orchestermitglieder gegen Weingartens Initiative interveniert haben, damit der kommerziell aussichtsreiche und

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MOMENT OF GLORY – THE SCORPIONS MIT DEN BERLINER PHILHARMONIKERN

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prestigeträchtige Expo-Auftritt durchgeführt werden kann. Vgl. die Internetseite www.rockszene.de. Das Online-Musikmagazin für Hannover vom 22. Januar 2000, http://www. rockszene.de/Archiv/2000/01.php (Abruf am 1. März 2008). Vgl. Otten: Aufbruch in die Zukunft, S. 342. Vgl. Emanuel Eckardt: Mäzene und Sponsoren. Die Stiftung Berliner Philharmoniker könnte Modell stehen für die Kulturförderung der Zukunft, in: Die Zeit 01/2003; Kenyon: Simon Rattle, S. 4 und Otten: Aufbruch in die Zukunft, S. 350. Christian Kolonovits im Gespräch mit dem Autor am 11. Dezember 2007. Hector Berlioz: Große Instrumentationslehre, Felix Weingartner (Hg.), Leipzig 21911, S. 33f. und 47. Nikolay Rimsky-Korsakov: Principles of Orchestration. With musical examples drawn from his own works, Maximilian Steinberg (Hg.), New York: Dover Publishing 1964, S. 24. Vgl. zu diesem Buch auch Leonard Bernsteins begeisterten Kommentar in: Young People’s Concerts, Pompton Plains (NJ): Amadeus Press 2005, S. 54: „[…] Rimsky-Korsakoff, who is regarded as the real master of orchestration, the one who wrote the most famous book about it, and the one so many other composers have imitated ever since. Almost any piece at all by Rimsky-Korsakoff is a model for making the orchestra shine brilliantly through many different combinations of sound, one after another.“ Berlioz: Große Instrumentationslehre, S. 96. Auch im sogenannten Interlude II, das auf den ersten Refrain folgt, übernimmt ein Orchesterinstrument – in diesem Fall die Klarinette – ein Gitarrensolo von Jabs, welches hier auf beide Instrumente verteilt wurde. Mit direktem Bezug zum militärischen und repräsentativen Ursprung dieser Stilistik sind die Wurzeln jenes Klangs besonders gut z.B. in Ludwig van Beethovens Sinfonie Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria, opus 91 zu studieren, bevor Militärmusik besonders in Deutschland nach 1945 diese Schnittstelle zur zeitgenössischen Produktion von Konzert- und Orchestermusik aus leicht nachvollziehbaren Gründen verlor. Vgl. Kenyon: Simon Rattle, S. 7ff. Vgl. Herold: Symphonic Jazz - Blues - Rock, S. 132ff. Vgl. zur Primärfunktion des Sounds in der Rockmusik auch Manfred Schuler: Rockmusik und Kunstmusik der Vergangenheit. Ein analytischer Versuch, in: Archiv für Musikwissenschaft 35 (1978), S. 135-150, hier S. 136. Paul Bekker: Das Orchester. Geschichte, Komponisten, Stile [1936/64 als Story of the Orchestra], Kassel: Bärenreiter 1989,

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S. 185f. Vgl. auch Martin Demmler: Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Die Berliner Philharmoniker im Umfeld der europäischen Orchesterlandschaft, in: Stiftung Berliner Philharmoniker: Variationen mit Orchester, Band 1, S. 393f. Bernward Halbscheffel: Rock barock. Rockmusik und klassischromantische Bildungstradition, Berlin: Halbscheffel 2001, S. 55. So bei The Future Never Dies, Love Will Keep Us Alive sowie dem Titelstück Humanity. Im Gegensatz zu Moment of Glory ist das Orchester aber sehr in den akustischen Hintergrund der zahlreichen Gitarrenspuren gemischt, so dass bis auf hohe Geigen kaum einzelne Stimmen oder Instrumentengruppen zu identifizieren sind. Axel Brüggemanns veröffentlichte seinen Artikel Eine kleine Machtmusik unter dem Pseudonym Fabian Bremer am 24. Mai 2006 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, nachzulesen unter http://www.faz.net/s/Rub4D7EDEFA6BB3438E859 81C05ED63D788/Doc~E227F70BC77884A928E389DB3D5612275~ ATpl~Ecommon~Scontent.html (Abruf am 11. März 2008). Vgl. hierzu Otten: Aufbruch in die Zukunft, S. 387. Auch Elmar Weingartens Argumentation zielte in eine ähnlich verdächtige Richtung, als er die Ernennung von Simon Rattle mit deutschnationalen Adjektiven kritisch hinterfragte (zitiert nach Kenyon: Simon Rattle, S. 321): „I don’t know if it’s a big risk but it is a risk, because Simon is a really British conductor and the orchestra is really very, very German.“ Peter Brem im Gespräch mit dem Autor am 13. Dezember 2007.

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Auf der Suche nach aktuellen Trends im breit gefächerten Markt für sinfonische Musik konnte man zur Mitte der 1990er Jahre zwei Tendenzen beobachten: Erstens arbeiteten erstaunlich viele prominente Rockbands mit einem Orchester zusammen. Doch während in diesen Fällen hinzuzufügen ist, dass solche Projekte trotz millionenfach verkaufter CDs und DVDs vor allem auf die jeweiligen Fankreise der Bands ausgerichtet waren, ist die zweite Tendenz mit großformatigen Plakaten im alltäglichen Leben jeder Stadt zu finden, die mindestens über eine Mehrzweckhalle verfügt: Konzertante Filmmusik. Seien es Ausschnitte aus Howard Shores Musik zur Lord of the Rings-Trilogie (2001-2003), Medleys aus den Partituren von John Williams oder Ennio Morricones bekannteste Melodien, Konzerte mit beliebter Filmmusik sind derzeit sehr präsent. Dass die beiden Tendenzen mehr miteinander zu tun haben, als es auf den ersten Blick scheint, lässt sich am Beispiel von Metallicas Konzertmitschnitt S&M nachverfolgen, den sie gemeinsam mit dem (Film)komponisten Michael Kamen und dem San Francisco Symphony Orchestra im Jahr 1999 produzierten. Hieraus ergeben sich zwei Konsequenzen: 1. Den Marketingstrategien zum Trotz, dieses Projekt als Event zu bewerben, bei dem sich einander fremde Welten begegneten, gehen viele von Metallicas Songs dank Michael Kamens Orchestrierung im Sound des Orchesters auf, was sie zu einem aussagekräftigen Exemplar konzertanter Filmmusik macht und in die Nähe von Kamens zahlreichen Filmscores rückt. 2. Konzertante Filmmusik befriedigt heute zu einem wesentlichen Teil jenes Bedürfnis eines breiten Publikums nach sinfonischem Repertoire, für das weite Bereiche der Musik des 20. Jahrhunderts mit ihrem Verzicht auf Melodik und Pathos sowie

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der Konzentration auf post-tonale Strukturen und Klänge nicht mehr die erste Adresse ist. Das daraus resultierende Phänomen, dass einzelne Genres zwar durchaus aufgeschlossen gegenüber marktstrategischen Entwicklungen sind und temporäre Tuchfühlung zu anderen Bereichen aufnehmen, aber dennoch die gängigen Grenzen zwischen den einzelnen Marktsegmenten umso dringender zur eigenen Profilierung benötigen, entspricht dabei genau jener Entwicklung im Musikleben, die im Eingangskapitel als Diversifikation geschildert wurde.

I. Symphony&Metal – Grundzüge des Projekts Schlägt man einen Bogen zurück von S&M (als Kamens letzter und größter Produktion mit einer Rockband) bis zu seiner ersten Band, dem New York Rock and Roll Ensemble, so lassen sich zwischen diesen Eckpunkten seiner Karriere alle Elemente wiederfinden, aus denen er mit großem Variantenreichtum mehr als 60 Partituren für Hollywood-Blockbuster, zahlreiche Orchesterarrangements für Rockmusiker sowie einige wenige und dadurch sehr charakteristische sinfonische Konzertstücke formte - eine intensive Auseinandersetzung mit der Klangwelt der klassischen Musik und der pulsierenden Rhythmik der Rockmusik sowie eine Vorliebe für eingängige Melodien. Am 15. April 1948 in New York geboren, schloss Kamen mit einundzwanzig Jahren seine musikalische Ausbildung als Oboist an der New Yorker Juillard School of Music ab. Noch während des Studiums hatte er mit Freunden und Kommilitonen das New York Rock and Roll Ensemble ins Leben gerufen. Mit der ungewöhnlichen Besetzung von Gesang, Oboe, Englischhorn, Gitarre, Synthesizer, Klavier, Bass und Schlagzeug sowie mitunter sehr ironischen Texten verschmolz das Ensemble seine musikalischen Vorlieben für Barockmusik, insbesondere für Johann Sebastian Bach, mit dem damals aktuellen Beatsound zu eigenwilligen Songs. Die außergewöhnliche Balance zwischen humorvollem Blickwinkel und musikalischer Professionalität demonstrierte Kamen mit seinen Kollegen bereits auf dem ersten, selbstbetitelten Album (1968), das mit einer halbminütigen barocken Stilparodie beginnt, vorgetragen mit verstimmten Instrumenten. Im Kontrast hierzu folgt als vierter Titel – eingerahmt von zwei eigenen Rock-

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songs – der zweite Satz alla breve aus Bachs Erster Triosonate CDur (BWV 1037) in einer Fassung für Oboe, Englischhorn und Violoncello. Kamens Ensemble stieß landesweit bald auf größeres Interesse in alternativen Zirkeln und politisierten Studentenkreisen sowie bei Grenzgängern der klassischen Musik, von denen als prominentester Vertreter Leonard Bernstein zu nennen ist, der die Band einlud, ihr Stück Brandenburg in einem seiner Young People’s Concerts zu spielen: Ausgehend vom ersten Satz des fünften Brandenburgischen Konzerts (BWV 1050) – vorgetragen von Gitarre, Cello und zwei Oboen – folgen auf den bekannten Anfang Songstrophen mit einer hinzu komponierten Gesangsmelodie, begleitet von Gitarren, Cembalo, Bass und Schlagzeug. Im weiteren Verlauf des Stücks wird der Strophenteil der Band immer wieder mit Bachs Vorlage verwoben. Dass es sich bei S&M (der Titel komprimiert mit ironischer Doppeldeutigkeit die Elemente Symphony, Metal und Metallica) um die erfolgreichste Zusammenarbeit einer Rockband mit einem Orchester handelte, belegen nicht nur die Verkaufszahlen von fünf Millionen CDs und DVDs, sondern auch die Auszeichnung von Metallica und Michael Kamen mit einem Grammy (der sechste von inzwischen sieben der Band, der vierte Kamens) für den Titel Call of Ktulu. Mit diesem gemeinsamen Erfolg konnten die Musiker zugleich an ihre erste Zusammenarbeit für die 1992 erschienene selbstbetitelte CD (das sogenannte Black Album) anknüpfen, als Michael Kamen jene Orchesterarrangements zur Ballade Nothing Else Matters beisteuerte, mit denen das Stück – neben Enter Sandman – bis heute einen Stammplatz in den Playlists von Radiostationen hält. Wie sich bei der eingehenden Betrachtung von Stilmitteln und Veränderungen in Metallicas Songwriting zeigen wird, nimmt diese Platte eine Schlüsselstellung in der Entwicklung der Band ein, da sie Metallica in die höchsten Kreise des internationalen Musikbetriebs katapultierte und Heavy Metal insgesamt einen enormen Popularitätsschub bescherte. Auf der Suche nach einem passenden Arrangeur für Nothing Else Matters empfahl Metallicas Management Q-Prime Michael Kamen, der zuvor schon mit anderen von Q-Prime vertretenen Bands gearbeitet hatte (als bekannteste wäre Queensryche zu nennen).1 Obwohl die Mitglieder von Metallica seit ihrer zweiten Produktion Ride The Lightning (1984) immer auch Balladen kom-

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ponierten, war es für viele Kritiker und Fans ein großes Thema, als sie mit Hilfe von Kamen zum ersten Mal in der Bandgeschichte Instrumente einsetzten, die den typischen Bandsound der harten Gitarren mit druckvollem Schlagzeug um weiche (eventuell zu weiche) Nuancen anreicherte. Das finnische Celloquartett Apocalyptica setzte mit seinem Debutalbum vier Jahre später (1996) an einem ähnlichen Punkt an, als es mit Hilfe des unverfälschten Klangs der Celli die Vielseitigkeit von Metallicas Songs demonstrierte. Als Michael Kamen im Herbst 1997 Metallica vorschlug, für ein abendfüllendes Konzertprogramm weitere Songs zu orchestrieren, reagierte die Band zunächst zurückhaltend, ob eine solche Kombination von Rockband und Orchester auch bei einem Live-Konzert spieltechnisch und klanglich umsetzbar wäre. Andererseits hatte Metallica selten vor stilistischen Veränderungen und Experimenten zurückgeschreckt (wie die 1996 und 1997 veröffentlichten Alben Load und ReLoad bewiesen), so dass man die Herausforderung selbst bewusst annahm, wie Schlagzeuger Lars Ulrich unterstrich: „I’m not irrational, of course I am aware of the fact that most people on this planet consider Metallica a heavy metal band. And of course the minute you get a reaction out of it, it becomes kind of fun, the minute you start winding someone up and they start biting on it, it becomes fun.“2 Die nun folgende organisatorische Phase zog sich über eineinhalb Jahre hin. Michael Kamen arbeitete währenddessen Skizzen, die er beim Anhören der Metallica-Songs angefertigt hatte, mit Hilfe von insgesamt zehn Orchestratoren zu fertigen Partituren aus (sein übliches Verfahren bei Filmmusiken). Nach einer Probenwoche im Frühjahr konnte das Konzertprogramm am 21. und 22. April 1999 im Berkeley Community Theater mit dem San Francisco Symphony Orchestra unter Kamens Leitung aufgeführt werden. Anschließend verbrachten James Hetfield, Lars Ulrich und Metallicas langjähriger Produzent Bob Rock mit Kamens Unterstützung mehrere Wochen im Studio, um die angefertigten Mitschnitte abzumischen. Dieser Teil der Arbeit gestaltete sich besonders schwierig, da Kamen die tragenden Gitarrenriffs von James Hetfield und Kirk Hammett mit vielen Melodien und motivischen Details verwoben hatte. Interessanterweise entschied man sich gegen einen einheitlichen Orchestersound und wählte für jeden Song einzeln am Mischpult Passagen und Stimmen des

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Orchesters aus, die dem wuchtigen Sound der Gitarren und des Schlagzeugs entgegengesetzt werden sollten, wie Hetfield erläuterte: „There were so many melodies going on, not just in our melodic parts but generally, people were jumping in holes to do a riff. So we had to really pick which melodies were best for that song, and those were the things that got turned up and highlighted. But every damn time you listen to the song you hear something new, ‚aww man, there’s a great little flute part, maybe we should turn that up.’ And you get to learn what you like in the symphony. We realized that glockenspiel is not the most important thing in an orchestra for Metallica, but French horn plays a major part and obviously the bow strings and my favorite, the timpani. Timpani and tubular bell, that’s all you need.“3

Dank der separaten Tonspuren der DVD-Version von S&M lassen sich die getroffenen Entscheidungen in weiten Teilen nachvollziehen. Neben einerseits grundlegenden Entscheidungen für besonders geeignete Frequenzbereiche (auch Christian Kolonovits hatte seine Arrangements für die Berliner Philharmoniker auf die dominanten Frequenzen der Scorpions-Gitarren abgestimmt) und andererseits zu erwartenden Präferenzen für flächig instrumentierte Streicher und schmetternde Blechbläser stechen besonders einige Passagen der Harfe heraus, die dank der separaten Mikrofonierung jedes einzelnen der über einhundert Instrumente deutlich gegen das übrige Orchester abgesetzt werden konnten. Über die Motive für diese Bevorzugung lässt sich nur spekulieren: Zum einen könnte die Sympathie eine Rolle gespielt haben, die zwischen der Band und dem Harfenisten Douglas Rioth während der Zusammenarbeit entstanden war, so dass seinen Parts besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde und man die gezupften Töne der Harfe als prägnanten Kontrast zu den Klangflächen der Streicher und Bläser auf Seiten des Orchesters sowie der Gitarren auf Seiten der Band empfand.4 Zum anderen könnte auch in Michael Kamens anderem Tätigkeitsfeld nach einer Erklärung gesucht werden, da die Harfe in seiner Filmmusik ab Terry Gilliams Brazil (1985) oft an markanten Stellen zum Einsatz kommt. In Verbindung mit seinen Partituren für S&M, die Kamen selbst als einen Höhepunkt seines Schaffens bezeichnete, lässt sich hieraus eine

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Hypothese entwerfen: Seit den Zeiten seines New York Rock and Roll Ensembles mit der Aufgabe von Gitarren vertraut, den melodieführenden Stimmen mit arpeggierten Akkorden als harmonisches Grundgerüst zu dienen, kam Kamen im Orchestersatz bisweilen auf diese Gestaltungsweise zurück. Im Orchester übertrug er der Harfe nun die Rolle, die eine Gitarre in einer Band spielt; ein Beispiel für eine parallele Verwendung findet sich in seinem Score zu Lethal Weapon 3, bei dem Szenen sowohl mit Ostinatofiguren der Harfe als auch mit einer klassischen, von Eric Clapton eingespielten Gitarre illustriert wurden (Kamen arbeitete mehrfach mit Clapton zusammen und schrieb ihm u.a. 1998 ein eigenes Konzert für E-Gitarre, Rockband und Orchester). Vergleicht man den von Kamen gestalteten Beginn von Metallicas Call of Ktulu – über James Hetfields Gitarrenpicking legen Violinen und Hörner melodische Bögen – mit einer kleinen Stelle aus dem Score zu Brazil, wird das von Kamen angewandte Prinzip offensichtlich (vgl. Abb. 1 und 2). Grundlage ist in beiden Beispielen eine Folge von Achtelnoten, die bei Call of Ktulu aus einem d-Moll-Akkord besteht, der bei möglichst gleichen intervallischen Verhältnissen harmonisch nach B-Dur und C-Dur verschoben wird. Bei Brazil liegt ein eintaktiges ostinates Oktavmotiv mit Quart-, Terz- und Quintschritten zugrunde, das von Blechbläsern mit parallelen Quinten überwölbt wird. Abbildung 1:

Michael Kamen – Brazil (Gegen Ende des Films bei 1h 48min betritt der Protagonist Sam noch einmal das Ministry of Information; Darstellung ohne Pauken)

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Abbildung 2:

Michael Kamen – Beginn von Call of Ktulu (reduziert auf stimmführende Instrumente)

Zurückkommend zum vorherigen Gedanken einer nachträglichen Modellierung des Orchesterklangs findet sich ein früher Anknüpfungspunkt in Kamens Anmerkungen zur Rockmusik, die er im Jahr 1972 in der Sonntagsbeilage der New York Times veröffentlichte (eine seiner wenigen schriftlichen Äußerungen über Musik):

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE „In the studio, however, you can balance instruments electronically – to say nothing of the fact that you can alter the sound of any instrument beyond recognition. This […] is a highly developed skill, more instinctive, more spontaneous, perhaps, but your results are final and immediate. The studio offers attractive creative opportunities which a notated score can never approach. Rock musicians are by and large unschooled, and they rely on their ears to tell them if the music feels right. They work for days, sometimes, to perfect a tune, laying instruments on, one at a time, the same way a composer adds parts to a score – but the translation of thought to sound is direct and infinitely elastic.“5

Wie die Schlaglichter auf seine musikalische Vita andeuteten, fühlte sich Michael Kamen bis zu seinem überraschenden Tod am 18. Dezember 2003 immer auf beiden Seiten von Rockmusik und klassischer Musik zu Hause. Die Verknüpfung der unterschiedlichen Klangästhetiken und Umgangsweisen mit Musik erschien ihm folglich als der interessanteste Weg für seine eigenen Kompositionen: „I was always a hybrid character – a classical musician that played rock’n roll, or a rock’n roller who was also a classical musician, depending on which end of the street people met me. But it was clear that I was always in both worlds, and I’ve always brought that feeling into my work.“6 Da Kamen die Musik von Metallica sehr schätzte und ihr Songwriting für besonders geeignet hielt zur Orchestrierung, war er vom Potenzial des gemeinsamen Projekts von Anfang an überzeugt, zumal er die intuitive, sehr direkte musikalische Ausdrucksweise einer Band wie Metallica teilte, wie sich aus seinem Artikel aus dem Jahr 1972 herauslesen lässt: „I’ve never been attracted to the academic side of music. Theory courses bore me; it always seems that too much is made of the intellectual process, while the fact that most music is an emotional, spiritual expression is ignored. […] You feel the flow and direction of music instinctively. That feeling is the essence of music. […] I’m not trying to say that music is all feeling and no thought, but if it’s true that to cultivate intellect is to sharpen one’s perception, then in that sense the intellect serves the expression of emotions, or any kind of self-expression – and not the other way around.“7

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Für die Mitglieder von Metallica lag dagegen ein abendfüllendes Live-Programm mit einem großen Sinfonieorchester nicht so eindeutig auf der Hand, da im Gegensatz zu Kamen der Umgang mit klassischer Musik nicht Teil ihres beruflichen Alltags ist. James Hetfield und Lars Ulrich – die beiden Gründer und Hauptsongwriter von Metallica – machten im Zusammenhang von S&M kein Geheimnis daraus, dass sie sich vor Kamens Initiative nicht sonderlich für klassische Musik interessiert haben. Hetfield hatte im Alter von neun Jahren seiner Mutter zuliebe, die leidenschaftlich Operetten sang, zwar auch einige Klavierstunden genommen und sich in seiner Jugend mit spanischer Gitarre beschäftigt, aber: „At the end of the day you know what feels best. You play what you play, and that’s big fat guitars.“8 Die Ausnahme gegenüber seinen Bandkollegen hinsichtlich einer großen Leidenschaft für klassische Musik war Metallicas legendärer Bassist Cliff Burton, der während der Tournee zum dritten Album Master of Puppets bei einem Unfall am 27. September 1986 in Schweden ums Leben kam. Abgesehen von einigen Anekdoten, z.B. seinen Freunden James und Lars immer wieder begeistert Schallplatten mit Barockmusik, von Ludwig van Beethoven sowie bevorzugt von Johann Sebastian Bach vorgespielt zu haben, existieren wenige Fakten zu seiner musikalischen Ausbildung. Bekannt ist, dass Burton während seiner Schulzeit zunächst Klavierunterricht hatte und später, als er den E-Bass als Lieblingsinstrument entdeckte und bevorzugt englischen Punk hörte, Stunden bei einem Jazzbassisten nahm.9 Nach dem Abschluss der High School absolvierte er einige Semester am Chabot College im kalifornischen Hayward. Konkret nachweisbar sind Cliff Burtons musikalische Einflüsse und Vorlieben auf den Alben von Metallica. Obwohl er an der Entstehung des Debüts Kill ’Em All (1983) noch nicht beteiligt war, wurde sein Solo (Anasthesia) – Pulling Teeth als eigenständiger Albumtitel übernommen. Mit charakteristisch-verzerrtem Sound und ausgiebig eingesetztem WahWah-Pedal avancierte das Stück (eine Folge von Arpeggien, Powerchords und melodischen Linien) zu seinem Markenzeichen und einem festen Bestandteil der Live-Konzerte. Bei den beiden nachfolgenden Alben Ride The Lightning (1984) und Master of Puppets (1986) war Burton eng in Metallicas Songwriting eingebunden: Zum einen erweiterte er das Riff-orientierte Gitarrenspiel von Hetfield und Hammett um

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akkordharmonische Wendungen und melodische Passagen, die Titel wie Master of Puppets zu Klassikern des Genres machten. Zum anderen enthalten diese beiden Alben jeweils eine Ballade, bei der lyrische Melodien, mehrstimmige Gitarrenparts und harmonische Akkordstrukturen neue Facetten der Band zeigten (im Gegensatz zu den übrigen Riffs, die vor allem auf verkürzte Sekund- und Quintintervalle sowie pentatonische Leitern aufbauten). Darüber hinaus gewann der Bass ab Ride the Lightning deutlich an Präsenz im Klangbild und an stimmlicher Eigenständigkeit, so dass er bei mehreren Songs (besonders deutlich z.B. bei For Whom the Bell Tolls) anstelle der Gitarren die charakteristischen Riffs übernahm. In besonderer Weise verbinden sich alle diese Elemente in den maßgeblich von Burton komponierten Instrumentalstücken Call of Ktulu und Orion, so dass James Hetfield rückblickend resümierte: „We never would have written guitar harmonies or instrumentals or songs with very intricate melodies and orchestrations without Cliff. We wouldn’t be where we are today.“10 Nicht ohne Grund erschien Hetfield Call of Ktulu daher als das geeignetste Stück für S&M: „We were always trying to write such epic style pieces […], our pieces were really long and took you through these whole long mazes of sounds. So now, a song like ‚Call of Ktulu‘ has come full circle. It’s like the ultimate complement to that song to play it with a full orchestra because we were trying to be orchestral ourselves.“11

II. Der Gitarrenvirtuose zwischen Barock und Blues Die Anmerkungen zum Verhältnis des vierten Bandmitglieds, Kirk Hammett, zu klassischer Musik hängen eng mit seiner Rolle bei Metallica als Leadgitarrist zusammen. Inspiriert von Jimi Hendrix und der Musik Led Zeppelins (deren Gitarrist Jimi Page zu den einflussreichsten Wegbereitern der E-Gitarre zählt) begann Hammett als 15jähriger, Gitarre zu spielen. Kurz vor den Aufnahmen zum ersten Album stieß er 1983 zu Metallica und nahm nach Abschluss der ersten Tournee im selben Jahr Unterricht bei Joe Satriani, einem bis heute stilprägenden Virtuosen. Während der nächsten Jahre beschäftigte er sich zudem mit spieltechnischen Eigenheiten von Jazz und Blues, besonders aber mit klassischer

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Musik, insbesondere von Bach, Händel und Scarlatti. Aufgrund der verschiedenen Einflüsse, die Kirk Hammett in seinem Gitarrenspiel vereint, ist er ein passendes Beispiel, um einige generelle Aspekte zur Figur des Rockgitarristen einzuschieben: 1. Abgesehen vom Jazz, der sich durch größere improvisatorische Anteile aller Beteiligten beim Zusammenspiel auszeichnet, scheint Rockmusik eine der wenigen Domänen zu sein, in der die Virtuosität eines Instrumentalisten noch einen positiven Wert besitzt und nicht nur von Fans und Fachleuten toleriert, sondern direkt erwartet wird. Neuere Richtungen im weiten Einzugsgebiet der Rockmusik grenzten sich in den 1990er Jahren unter dem Schlagwort „Nu Metal“ vom Heavy Metal alten Stils u.a. durch den bewussten Verzicht auf Gitarrensoli ab. Auch Metallica diskutierten diese Entwicklung (gut zu verfolgen in Kapitel 23 des Dokumentarfilms Some Kind of Monster), so dass Kirk Hammetts Spiel auf St. Anger (2003) ganz ohne Solopassagen auskam. Auf dem zuletzt erschienenen Album Death Magnetic kehrte Hammett zu seinem ursprünglichen, schnellen Solospiel zurück. 2. Mit der Bewunderung von Gitarrenvirtuosen kehrt sich eine im 18. Jahrhundert aufkommende Bewertung in ihr Gegenteil um, die bei den „Stars“ ihrer Zeit Franz Liszt und Niccolo Paganini kulminierte und das Zurschaustellen von Spieltechnik als Überheblichkeit gegenüber der Musik brandmarkte. Auf sachlicher Ebene greift dieser Vorwurf nicht, da handwerkliche Mängel, aber nicht technische Meisterschaft als objektives Kriterium kritisierbar wären.12 Die damit verbundenen, höchst dogmatischen Debatten um Werktreue, Kunstreligion, Geniekult sowie die Abwertung der Genussästhetik beschäftigen die klassische Musik bis heute und sind vor allem in der medialen Wahrnehmung durch TV und Presse sehr präsent. 3. Aus dem hohen Stellenwert des solistischen Brillierens in der Rockmusik erklärt sich für Bands mit mindestens zwei Gitarristen die klare Aufgabenverteilung von Rhythmus- und Leadgitarre für Begleitung bzw. Soli. Mit gewissen Einschränkungen (die vor allem die akustische Balance von unverstärkten Instrumenten unterschiedlicher Größe betreffen) findet sich im Streichquartett eine Parallele mit einem doppelt besetzten Instrument innerhalb eines kleinen Kreises von Musikern. Der

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Aufstieg des Streichquartetts zum prestigeträchtigsten Ensembletyp des 19. Jahrhunderts hing vor allem auch mit der kompositorischen Überwindung der hierarchisch geregelten Stimmführung durch die erste Violine zusammen. Die Repräsentanz einer Band durch ihren Sänger respektive ihre Sängerin sowie den Leadgitarristen konserviert folglich eine alte, von vielen Musikern als ungleich empfundene Gruppenstruktur. Im Fall von Metallica betraf die unausgeglichene Wahrnehmung vor allem Cliff Burtons Nachfolger Jason Newsted, der weder eine tragende Rolle innerhalb der Band, noch bei ihrer Darstellung nach außen hatte und – als deutlichstes Anzeichen – selbst im Sound kaum präsent war. Der 2004 zu Metallica gestoßene Bassist Robert Trujillo ist im Vergleich zu seinen beiden Vorgängern spieltechnisch am versiertesten und klanglich als auch bei Live-Auftritten präsenter als Newsted. 4. Besonders im Bereich der Rockmusik trägt die etymologische Ableitung des Virtuosen vom lateinischen „vir“ noch viele ihrer ursprünglichen, maskulin besetzten Bedeutungen in sich, so dass „virtuos“ neben den Attributen „tugendhaft“ und „tüchtig“ vor allem mit männlichen Spielern assoziiert wird. Da sich im Heavy Metal bis heute kaum weibliche Gitarristen als Solistinnen etabliert haben, muss eine Ursache mit der Abstammung dieses Genres aus einer Domäne männlicher Musiker und Fans (inkl. aller damit verbundenen Klischees und Verhaltensweisen) zusammenhängen.13 Da vor diesen Hintergründen die Demonstration von Virtuosität immer auch als Machtdiskurs mittels Distinktionen funktioniert, wird das solistische Können eines Gitarristen immer auch als Metapher für männliche sexuelle Potenz verstanden. 5. Viele Gitarristen pflegen innerhalb des klassischen Repertoires eine ausgesprochene Vorliebe für die Zeit zwischen Vivaldi und Bach. Gründe für diese Präferenz liegen sicherlich in der von Skalen dominierten Motorik dieser Musik, ihrer klaren, von späteren chromatischen Ausweitungen noch relativ unberührten Harmonik sowie den daraus erwachsenden melodischen Spielräumen, ohne dass bislang aber gründliche Untersuchungen dieses Phänomens vorgelegt wurden. Ein erster Ausgangspunkt für eine schlüssige Erklärung könnte Robert Walsers Hinweis auf die musikalische Primärsozialisation der meisten Gitarristen sein, was der Zusammenarbeit von Kirk Hammett

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(auf den diese Schwerpunktsetzung relativ genau zutrifft) mit dem musikalisch professionell ausgebildeten Michael Kamen eine interessante Nuancierung verleiht: „Metal musicians generally acquire their knowledge of classical music through intense study, but they owe their initial exposure to the music and their audiences’ ability to decode it not to the pickled rituals of the concert hall, but to the pervasive recycling of all avaible musical discourses by the composers of television and movie music.“14 Ein zweiter Ansatz ließe sich aus einer Bemerkung Leonard Bernsteins zur Faszination vieler Jazzmusiker an den Stücken von Johann Sebastian Bach ableiten, die ebenso gut auf Michael Kamen und sein New York Rock and Roll Ensemble gepasst hätte: „The ear was conditioned to hear lines, simultaneous melodic lines, rather than chords. That was the natural way of music, strange though it seems to us. Counterpoint came before harmony, which is a comparatively recent phenomenon. [...] That’s why jazzmen idolize Bach. For them, he is the great model for the continuously running melody, and this is natural, because Bach and the jazz player both feel music in terms of line – that is, horizontally.“15 6. Obgleich musikhistoriografisch immer Vorsicht geboten ist, wenn epochale Entwicklungen einer einzigen Person zugeschrieben werden, ist die Geschichte der E-Gitarre ohne den früh verstorbenen Jimi Hendrix (1942-1970) nicht zu erzählen. Seine Position als einflussreichster E-Gitarrist des 20. Jahrhunderts begründet sich aus der Überlagerung kulturhistorischer, musikalischer und technischer Aspekte: Aufgewachsen in äußerst widrigen sozialen Verhältnissen lernte Hendrix autodidaktisch Gitarre spielen und verdingte sich zunächst in Tourneebands, u.a. bei Little Richard, den Supremes und den Isley Brothers. Bei den unzähligen Konzerten, die er als kaum Zwanzigjähriger während der nächsten Jahre absolvierte, entwickelte er im direkten Kontakt zum Publikum seine spektakuläre Bühnenperformance.16 Sein Talent, die Rhythmik sowie die Phrasierungen und Nuancierungen der Bluesgitarre mit der Jugendkultur des Beat zusammenzubringen, entfaltete sich aber nicht in seiner US-amerikanischen Heimat, sondern im toleranten London Mitte der 1960er Jahre, wo sich bald eine wachsende, vornehmlich weiße Fangemeinde um den schwarzen Ausnahmegitarristen scharte. Nach ersten Charterfolgen in

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Europa gelang ihm von England aus der Durchbruch in den USA, woraufhin er sich schießlich in New York ein eigenes Tonstudio einrichten ließ. Dieser Schritt ist von besonderer Bedeutung, da Hendrix die Weiterentwicklung seiner Spieltechnik immer nur interessierte in Kombination mit der technischen Verbesserung seiner Gitarren (Vibratosysteme, Tonabnehmer), seiner Verstärkeranlagen, der Verwendung neuester Effektgeräte und ausgiebiger Experimente im Studio (Manipulation von Bandmaschinen, Mikrofonierung, Mehrspuraufnahmen). 7. Vor allem englische Musiker wie Jimi Page (Led Zeppelin) und Richie Blackmore (Deep Purple) entwickelten die spielerischen Möglichkeiten und den Sound der Gitarre im neuen Genre des Hard Rock während der 1970er Jahre virtuos weiter, bis Eddie van Halen zum Ende des Jahrzehnts von sich Reden machte. Aufgewachsen als Sohn eines niederländischen Saxophonisten und Klarinettisten hatte er zunächst Klavier und Schlagzeug gelernt. Als Gitarrist in der nach ihm und seinem Bruder Alex benannten Band kreierte er einen ganz eigenen Stil, indem er die Spielweise seiner Vorbilder Hendrix und Eric Clapton um klassische Skalen erweiterte. Darüber hinaus etablierte er mit neuen Finger- und Anschlagtechniken das sogenannte „Speed Picking“ und machte „Tapping“, das Spiel mit beiden Händen auf dem Hals der Gitarre, bekannt (sein knapp zweiminütiges Solo Eruption auf Van Halens Debutalbum machte ihn schlagartig berühmt). Nach Eddie van Halen verfolgen Musiker wie Steve Morse, Steve Vai und Yngwie Malmsteen seit den frühen 1980er Jahren den Weg weiter, Stilelemente der klassischen Gitarre in den Hard Rock zu integrieren. Bis zur eigenen Karikatur als Gitarrenvirtuose gesteigert, versucht sich letzterer bis heute an barocken Suiten im Stil von Vivaldi, in denen er harmonisch einfach strukturierte Motive für ein Begleitorchester aneinanderreiht, über die er mit seiner E-Gitarre chromatische, pentatonische und modale Skalen und Melodien ausbreitet (am deutlichsten zu erleben in seiner Icarus Dream Fanfare). Diese Stilrichtung erlebte in den 1990er Jahren ihren Höhepunkt und ist heute besonders noch in Japan beliebt. Bislang steht eine schlüssige Erkärung noch aus, weshalb in Asien besonders die japanischen Fans europäische und anglo-amerikanische Musikstile überaus schätzen (dies reicht von klassischer Musik über Jazz und Rock bis zu elektronischer Popmu-

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sik). Besonders im Bereich von Hard Rock und Heavy Metal werden Musiker, die klassische Stilelemente verwenden, sehr verehrt, was älteren Bands, die in ihren eigenen Ländern inzwischen relativ unbekannt sind, einen Status als angesehene Rockstars sichert. 8. In der Summe dieser Punkte erweist sich die E-Gitarre als das wandlungsfähigste und innovativste Instrument des 20. Jahrhunderts (die Entwicklung der Keyboards und Synthesizer wäre separat zu besprechen, da sie sich nicht ohne weiteres von anderen Tasteninstrumenten wie Orgel, Cembalo oder Klavier ableiten lassen). Da die klassische Gitarre durch ihre begrenzte Klangfülle und Dynamik nicht mit dem wachsenden Sinfonieorchester des frühen 19. Jahrhunderts und der Konkurrenz von Klavier, Violine und Bläsern als führende Soloinstrumente Schritt halten konnte, spielen Gitarren (bis auf ihre regionale Bedeutung in der spanischen und portugiesischen Musik) im europäischen Konzertleben heute nur eine beigeordnete Rolle. 9. Dank der Signalverarbeitung durch Tonabnehmer, Effektgeräte, Verstärker, Mikrofone und Mischpulte stehen der E-Gitarre alle Möglichkeiten der elektroakustischen Klangmanipulation zur Verfügung. Wie sich bei genauer Betrachtung einiger Elemente in S&M zeigen wird, wirken die klangästhetischen Unterschiede zum Orchester besonders deutlich, wenn dieses von Michael Kamen mit überdeutlicher Moll-Chromatik eingesetzt wird. Werden dagegen Geräuschklänge und Dissonanzen verwendet, wie sie in der Orchestermusik der letzten fünfzig Jahre entwickelt wurde (vgl. die vielen Geräusch- und Bogeneffekte in Master of Puppets sowie im Soundtrack zu Highlander und dem Bond-Film Licence to Kill), sind die Distanzen sowohl zur zeitgenössischen Konzertmusik als auch zur Filmmusik (in der das Sound Design immer schon stark mit der Musik interagierte) viel geringer, als die populäre Klassifizierung „Metal meets Classic“ vermuten ließe.

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Abbildung 3:

Michael Kamen und Kirk Hammett während des S&M-Konzerts

Quelle: © Metallica 1999

III. Kompositorische Schwerpunkte der S&M-Arrangements Aus den vielen instrumentatorischen und kompositorischen Details, mit denen Kamen seine Arrangements gestaltete, wurden einige Beispiele destilliert und unter drei Gesichtspunkten kategorisiert, um die Spezifik der Arbeitsweise zu beleuchten, wenn Kamen mit orchestralen Mitteln auf den Sound einer Rockband reagiert.

Metal-Sinfonik Bezeichnend für den Stil vieler Metalbands ist ihre Vorliebe für Gitarrenriffs. Da bei verzerrten Gitarren gleichmäßig angeschlagene Akkorde (wie sie z.B. in Folk und Pop beliebt sind) aufgrund der vielen Obertöne und verstärkten Geräuschanteile einen zu

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unsauberen Klang ergeben, bestehen Riffs aus Einzeltönen oder einzelnen Intervallen, die wesentlich schneller und betonter angeschlagen werden können und zu mehrtaktigen markanten Tonfolgen zusammengefügt werden. Besondere Bedeutung kommt dabei der als „Powerchord“ bezeichneten Quinte zu, die dank der Charakteristik einer verzerrten Gitarre mit reichen Obertonund Geräuschanteilen (immer abhängig von der Generierung des Overdrive-Sounds und der Spielweise) eine größere Klangfülle hat als eine reine Quinte. Neben den von Kamen um Orchesterarrangements ergänzten Titeln von Metallicas bis dahin vorgelegten Alben Kill ’Em All (1983), Ride the Lightning (1984), Master of Puppets (1986), ...And Justice For All (1988), Load (1996) und ReLoad (1997) schrieb die Band auch zwei neue Songs für das S&M-Projekt, No Leaf Clover und Minus Human. Beide Songs entstanden im Bewusstsein, Michael Kamen genügend Spielraum für das Orchester zu lassen. Für Einblicke in Metallicas Songwriting und Michael Kamens kompositorische Denkweise bietet sich bereits die Eröffnung von No Leaf Clover an: Abbildung 4: Hauptriff von No Leaf Clover

Wie häufig bei Metallica beginnt das Stück mit der Vorstellung des Hauptriffs, in diesem Fall nicht durch die Gitarren, sondern die tiefen Streicher und Bläser des Orchesters. Dieses wuchtige Riff wird aber nicht, wie sonst üblich, von der ganzen Band als nächstes aufgegriffen. Statt dessen schließt sich nach einer Fermate zunächst ein ruhiger Part (im Sinne eines Gegenthemas) an, der zum unverzerrten Gitarrenpicking von James Hetfield ineinander verwobene, getragene Oboen- und Violinmelodien präsentiert. Im damals aktuellen Stil der beiden Alben Load und ReLoad bietet die Gitarrenarbeit in No Leaf Clover viel Platz für Ergänzungen des Orchesters, da entweder die ruhigen Passagen im Refrain mit relativ durchsichtigen Klangstrukturen der Holzbläser und ansonsten selten hörbare Mittelstimmen zur Geltung kommen lassen oder der auf einer einfachen Moll-Kadenz aufgebaute

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Strophenteil wirkungsvoll von unisono gespielten Parts der Blechbläser und hohen Streicher unterstützt wird. Die Gegenüberstellung verschiedener Songteile, wie zu Beginn von No Leaf Clover exemplarisch zu erleben, lenkt eine Suche nach sinfonischen Elementen in Metallicas Musik direkt zum Ursprung ihres Songwritings während der Zeit mit Cliff Burton. Auch Michael Kamen bevorzugte sowohl in seiner Filmmusik, bei der sich die Anordnung des musikalischen Materials aus den szenisch strukturierten Bildern erklärt, als auch in seinen Konzertstücken die Aneinanderreihung von einzelnen, in sich relativ geschlossenen Einheiten. Die Gliederung eines Stücks durch mehrere Teile, die einander abwechseln und in Struktur und Gestaltung mehr oder weniger unverändert bleiben, entspricht zugleich der in der Rockmusik üblichen Liedform. Am Beispiel von Metallicas erstem Instrumentalstück Call of Ktulu – der ersten Nummer des S&M-Konzerts nach Ennio Morricones Ecstasy of Gold, das bei Metallica-Konzerten traditionell als Ouvertüre fungiert – ist Michael Kamens Umgang mit dem Prinzip variierender Parts statt linearer motivischer Entwicklungen besonders gut zu beobachten, da das Stück erstens relativ lang ist und aus neun bzw. acht Wiederholungen der beiden Hauptriffs besteht. Zweitens nutzt Kamen die bei Metallica unverändert wiederholten Riffs, um mittels dezenter Ergänzungen das erste von ihnen stärker bei der Band zu belassen und durch klangfarbliche und melodische Variationen das zweite zur Entfaltung des Orchesters zu verwenden. Hierauf bezog sich James Hetfields eingangs zitierte Bemerkung über Call of Ktulu, die Band habe gerade bei der Entstehung dieses Stücks versucht, episch und sinfonisch zu klingen, so dass sie Kamens orchestrale Erweiterung der Songvorlage für besonders gelungen hielten. Drittens bietet die von Kamen für S&M arrangierte Fassung Einblicke in seine Kontrastierung eines Gitarrenriffs mit Orchesterstimmen, da diese Arbeitstechnik, in Variationenfolgen immer wieder zu Motiven und Stimmungen zurückzukommen und Zusammenhänge durch die Erinnerbarkeit melodischer und harmonischer Wendungen zu stiften, sein gesamtes Schaffen durchzieht. Ein frühes Beispiel findet sich in seinem Stück Beside You (geschrieben für das 1971 erschienene Album Roll Over seines New York Rock and Roll Ensemble). Das Lied beginnt (siehe Abb. 5) mit einem Picking-Riff der Gitarre, über das in der Wiederholung

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(mit modifiziertem Gitarrenpart) zwei Oboen lange melodische Bögen spannen. Abbildung 5: Michael Kamen – Beginn von Beside You

Die Gestaltung des Riffs hat viel mit der Spielweise auf einer Gitarre zu tun, da eine Abfolge von Quinte über Sexte und kleine Septime zurück zur kleinen Sexte bei gleichbleibendem Grundton D sehr nah in den ersten Bünden beieinander liegt. Vergleicht man dieses Riff mit jenem zweiten aus Metallicas Call of Ktulu (siehe Abb. 10), entdeckt man zum einen eben diese enge Verbindung von Riffgestaltung und vorteilhafter Lage auf dem Gitarrenhals wieder. Zum anderen konzipierte Kamen die Begleitung der Riffs, wenn zum ersten Mal Melodieinstrumente zur Gitarre hinzutreten, in beiden Fällen mit langen, ruhigen Tönen von Oboen (Beside You) bzw. Violinen (Call of Ktulu). In einem der Mittelteile von Beside You kommt Kamen auf die Stimmführung der Soloinstrumente mittels einer langen Melodie zurück. Dieser Teil erscheint im Song dreimal, wobei die Melodie zuerst vom Cello, dann von einer Oboe und schließlich von zwei Oboen vorgetragen wird (siehe Abb. 6). Betrachtet man die Ausformung dieser Melodie – eine Kette von Achtelnoten und einige Haltepunkte längerer Töne, einen Ambitus über zwei Oktaven, gliedernde sequenzierte Einheiten sowie markante Intervallsprünge, die wie in der Einleitung des Songs den Grundton mit Sexte, Quinte und Quarte in Beziehung setzen (vgl. Takt 3ff. in Abb. 5) –, erinnert sie an eine klassische Vorlage, vielleicht an ein Choralvorspiel von Johann Sebastian Bach. Für diese Assoziation fände man durchaus einen interpretatorischen Ansatz bei Kamen, nicht nur, wenn man von seiner großen Verehrung dieses Komponisten weiß (anstelle eines original Bach, wie bei anderen Alben des New York Rock and Roll En-

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semble, enthält Roll Over mit einer Version von Procol Harums Hit A Whiter Shade of Pale aus dem Jahr 1967 einen anderen durch Bach inspirierten Titel). Abbildung 6:

Michael Kamen – Beside You (Melodielinien der beiden Oboen im letzten Durchgang des Zwischenspiels)

Geht man von diesen Vorüberlegungen einen Schritt weiter zur Gestaltung von Call of Ktulu, begegnen nach einem eröffnenden Teil in d-Moll (siehe Abb. 2) zwei einander kontrastierend gegenübergestellte Hauptriffs (in a-Moll und erneut in d-Moll), an denen sich dieses Denken in thematischen Blöcken in weiteren Details studieren lässt. Das erste der beiden Riffs – ein über zwei Takte gespannter a-Moll-Akkord, dessen Quinte zum Spannungsaufbau im zweiten Takt vermindert wird – erscheint neunmal im Stück. Musikalisch dominiert wird es von der Band (zumindest im endgültigen Mix, da nur an leisen Stellen Details z.B. der Holzbläser zu hören sind), als Begleitung werden im ersten Durchlauf nur tiefe Streicher eingesetzt. Auch der zweite Durchlauf wird seitens des Orchesters von Streichern bestimmt. Die Oberstimme der hohen Violinen kommt in acht Takten mit wenigen langen Noten aus und steigt von der Quinte E langsam über Terz und Sekunde zum Grundton A herab (siehe die skizzierte Passage in Abb. 7). Auch die Unterstimme der Celli und Kontrabässe besteht

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nur aus wenigen Noten und unterstützt in den ersten vier Takten die wesentlichen Betonungen der Gitarre. In den folgenden vier Takten lösen sich die Celli von den Gitarren und greifen die Geigenlinie der ersten vier Takte auf. Abbildung 7:

Gitarrenriff 1 bei Call of Ktulu (Skizze des zweiten Durchlaufs)

Durch die immer stärkere Dehnung der Cellotöne entsteht der Eindruck einer „Entschleunigung“, indem z.B. im sechsten Takt der Grundton A gerade nicht mit dem Schwerpunkt des Gitarrenriffs auf jeden ungeraden Takt zusammenfällt und im letzten Takt die bisherige Betonung der ersten Zählzeit mit einer übergebundenen Note ausgelassen wird. Im nächsten Durchgang des Riffs, diesmal den Bläsern überlassen, kehrt das kurze Motiv der fallenden Linie über die Quinte E zurück zum Grundton A wieder mit marginalen rhythmischen Modifikationen (vgl. Abb. 8).

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Abbildung 8:

Gitarrenriff 1 bei Call of Ktulu (Skizze des dritten Durchlaufs)

Der nachfolgende, vierte Durchgang setzt die klangprägende Präsenz der Bläser fort und bringt (unterstützt von Streichern) ein kurzes Motiv (siehe Abb. 9), das in seiner Eindringlichkeit im weiteren Verlauf noch öfter zu hören sein wird: Abbildung 9: Ergänzendes Bläsermotiv

Während die anschließenden vier Durchgänge keine neuen Impulse vom Orchester bringen, da Kirk Hammett in diesen Abschnitten ein langes Gitarrensolo spielt, fällt der letzte, neunte Durchlauf durch besondere Akzente der Streicher und Bläser auf (vgl. Abb. 10): Die Differenz zwischen Quinte und ihrer Verminderung, aus der das Riff seine Spannung gewinnt, wird in den eng gesetzten Trompeten zusammengezogen. Rhythmisch ist die Betonung mit Achteln auf synkopischen Taktteilen mit den Streicherparts gekoppelt, die den gleichmäßigen Achtelpuls der Gitarren zum Teil unterstützen und ihm zugleich durch ausgelassene Betonungen eine gewisse Unwucht verleihen. Mit schrillen Flötentrillern wird die dramatische Steigerung des Stücks zusätzlich angefeuert, bis nach einem Zwischenpart der bombastische Schluss von Call of Ktulu erreicht ist. Bevor aber dessen Ausgestaltung ein letzter Blick zur Spezifik sinfonischer Qualitäten im Heavy Metal gilt, sind zuvor die Variationen des zweiten Riffs einzuflechten,

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mit denen Kamen die Kontrastierung dieser zwei Grundmuster gestaltete. Abbildung 10: Gitarrenriff 1 bei Call of Ktulu (Skizze des neunten Durchlaufs)

Bereits beim ersten Durchgang des Riffs ergänzen die Violinen ein Kernmotiv (das im Zusammenhang von Riff 1 besprochene Bläsermotiv, siehe Abb. 9, erscheint im Verlauf von Call of Ktulu erst später). In zahlreichen Variationen wird es weit über das Stück verteilt, wie der Vergleich zwischen dem erstem und den beiden folgenden Systemen verdeutlicht:

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Abbildung 11: Gitarrenriff 2 bei Call of Ktulu mit Grundformen der Violinmelodien (1. und 2. Durchgang)

Auch im dritten Durchgang erweitert Kamen das Motiv behutsam, diesmal rhythmisch: Abbildung 12: Gitarrenriff 2 bei Call of Ktulu (3. Durchgang) mit Grundformen der Geigenmelodien im 1. und 2. Durchgang

Wie eine Gegenüberstellung der beiden Riffs (vgl. Abb. 8 und 11) verdeutlicht, spannt sich das Beziehungsnetz vom Kernmotiv des zweiten Riffs bis in den kontrastierenden Teil des ersten Riffs hinein. Transponiert in die entsprechende Grundtonart greift die Hornmelodie ab Takt 4 (Abb. 8) auf die Linie der Violine (Abb.

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11) zurück. Durch solche kleinen Querverweise, die nicht immer hörbar sein müssen, nähert Kamen die beiden Teile (zumindest motivisch) einander langsam an, um daraus einen gemeinsamen, kontinuierlichen Spannungsbogen bis zum großen Songfinale zu formen. Call of Ktulu wurde als Instrumentalstück nicht ohne Grund zum ersten Metallicastück des Konzertabends bestimmt, da sich hier die physische und akustische Begegnung von Band und Orchester in einem langsamen Abtasten und Interagieren besonders wirkungsvoll in Szene setzen lässt. Um die Kontrastwirkung der zwei Teile bei allen kompositorischen Verknüpfungen aufrecht zu erhalten, ist die klangfarbliche Entfaltung der Instrumentenstimmen sowie die dicht gesponnene Begleitung des Orchesters im zweiten Riff viel ausdrucksvoller, um dessen Potenzial als großer und zugleich beweglicher Klangkörper zu unterstreichen: Ab dem fünften Durchgang spielen die Violinen immer flinkere Passagen, zu denen im sechsten Durchlauf Flöten hinzukommen, die gemeinsam das anschließende virtuose Gitarrensolo vorwegnehmen. In diesem siebten Durchlauf treten nun schnelle, synchron zum Gitarrensolo gesetzte Violinen in einen Dialog mit Kirk Hammetts Instrument, während der letzten beiden Durchläufe unterstützt von Bläsern (siehe Abb. 16), bis ein Zwischenspiel mit Unisono-Passagen erreicht ist, das den Beginn des Schlussteils markiert.

Pentatonik und Chromatik Nach gut sieben Minuten ist mit einer langgezogenen Spannungskurve ein erster Höhepunkt bei gemeinsamen Breaks von Band und Orchester erreicht, von dem aus noch einmal der Anfang des Songs mit James Hetfields arpeggierter Gitarre, sanften Holzbläsern und Streichern zitiert wird (siehe Abb. 2). Diese ruhige Stimmung löst sich aber schnell in einem großen Schlagzeugwirbel auf, der den eigentlichen Schluss eröffnet: ein letztes hartes Gitarrenriff, gedoppelt von einem Orchestertutti, aus dem besonders die Bläser in Quintparallelen herausstechen (siehe Abb. 13).

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Abbildung 13: Ende des Arrangements von Call of Ktulu (Grundtöne)

Die bis hierhin skizzierten Melodien von Kamen, in Verbindung mit Metallicas Gitarrenpickings, bündeln in wenigen Noten Eigenschaften, die für den Umgang mit Pentatonik, Chromatik und Akkordharmonik im Heavy Metal von wesentlicher Bedeutung sind. Betrachtet man zunächst die Intervallebene, fällt die Präferenz für reine und verminderte Quinten, Nonen und kleine Sekunden sofort ins Auge. Aus der überwiegenden Verwendung des Powerchords für Parts der Rhythmusgitarre (was bei verzerrten Sounds nicht mit einer Folge reiner Quintparallelen gleichzusetzen ist) und unterschiedlichen, vor allem modalen Leitern für Parts der Leadgitarre, ergibt sich eine Spannung in der Harmonik zwischen Pentatonik und Chromatik (mit Präferenz für Moll-Akkorde). Im Fall eines Projekts wie S&M, bei dem unterschiedliche Klang- und Stiltraditionen aufeinandertreffen, illustrieren zwei kurze Passagen, weshalb Reibungen von Klängen mitunter besser zu einer solchen Art von „Metal-Sinfonik“ passen als überdeutliche Chromatik. Das erste Beispiel betrifft Kamens Harmonisierung des Powerchords zu Beginn von Master of Puppets (siehe Abb. 14). Abbildung 14: Beginn von Master of Puppets (Takt 7f.)

Die enge Bindung der Oberstimme an die Skala von e-Moll gibt dem hier noch harmonisch unbestimmten Gitarrenriff eine Richtung vor, die erst später von der Gesangsmelodie eingelöst werden wird (das Motiv taucht dort in der zweiten Zeile der ersten

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Strophe auf). Durch diese kleine Wendung wird der dritte Akkord im Zusammenhang der Tonika e-Moll zu einer verkürzten Form von A-Dur (die Dur-Variante der Subdominante bzw. die Doppeldominante zur Tonikaparallele G-Dur). Durch die Verwendung der großen und der kleinen Septime Gis bzw. G baut der Akkord zudem die nötige Reibung auf, damit die Weiterführung in C-Dur (die Subdominante zur Tonikaparallele G-Dur bzw. der Gegenklang zur Tonika) als harmonische Auflösung empfunden wird. Abbildung 15: James Hetfield und Mitglieder des San Francisco Symphony Orchestra während des S&M-Konzerts

Quelle: © Metallica 1999 An späteren Stellen von Master of Puppets, etwa im energetischen Übergang vom ruhigen, instrumentalen Mittelteil zurück in den Hauptteil des Songs, unterstützt das Orchester mit eng gesetzten Intervallen der Violinen (Quinte und kleine Sexte) und kurzen Einwürfen der Bläser (verminderte Akkorde und große Sekunden) die perkussiv gespielten Betonungen von Gitarre und Schlagzeug, bis James Hetfield mit den Worten „master, master“ wieder zu singen beginnt, untermalt von einer irisierenden Glis-

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sandofläche hoher Violinen. Ähnlich treffend setzt Kamen solche Klangreibungen in seiner Filmmusik ein, bevorzugt in dramatischen, lebhaften Szenen, als sich z.B. in Highlander (1986) Held und Bösewicht zum ersten Mal in einem Kampf begegnen. Wenn Kamen dagegen, wie im zehnten Durchgang des zweiten Riffs von Call of Ktulu (siehe Abb. 16), die Hörner in einem dreistimmigen Satz die Skala von d-Moll durchschreiten lässt und dafür besonders viele Terzen verwendet, gleiten das ostinate Gitarrenriff mit seiner Variation eines alterierten Moll-Akkords und die forte gespielten Akkordreihungen der Hörner auseinander. Abbildung 16: Gitarrenriff 2 im Mittelteil von Call of Ktulu mit Bläsern (10. Durchgang)

Es wäre missverständlich und am Gegenstand vorbeigezielt, Kamen hierbei Fehler unterstellen zu wollen, da die Aussagekraft der (insgesamt sehr dosiert) verwendeten Stilmittel auf einer anderen Ebene liegt und erst im Verhältnis von chromatischen zu pentatonischen Leitern deutlich wird: Alle vorher harmonisch offenen oder zumindest einfach gehaltenen Stellen werden hier eindeutig ausgeformt. Hierfür wird die Vorlage des Gitarrenriffs (die im Kern auf der Linie Quinte – kleine Sexte – große Sexte – kleine Septime beruht) weitergeführt und zunächst um die große Septime erweitert (siehe in Abb. 16 den ersten Akkord in Takt 4). Nachdem die Oktave erreicht ist und – bis auf einen Sprung zur Quarte bzw. einen Sekundschritt abwärts zum Leitton Cis – nicht mehr verlassen wird, rücken die Mittelstimmen nach. Hierdurch wird z.B. in Takt 6 aus einem D-basierten Klang ein G-DurAkkord, der über ein D (mit Quinte und kleiner Septime), ein reines B-Dur sowie einen übermäßigen Akkord auf F zu einem Quint-

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klang auf D geführt wird, welcher wiederum als Durchgang dient zu einem neuen Teil, der auf E beginnt.

Parallelen zu Filmmusik Es gehörte zu Michael Kamens Berufsalltag, den dramatischen Gehalt einer vorgegebenen filmischen Szenerie kompositorisch zu interpretieren. Die Arrangements für S&M ermöglichten ihm einen etwas anderen Rahmen, da nicht bewegte Bilder mit einer szenischen Handlung im Format eines eineinhalbstündigen Kinostreifens, sondern Songs von vier bis acht Minuten Länge seine Arbeitsgrundlage waren. Darüber hinaus waren seine Orchesterparts auch nicht Teil des Songwritings, also schon in den Produktionsprozess während der Studioarbeit integriert (wie bei anderen seiner Kooperationen mit Solokünstlern und Bands), sondern wurden nachträglich zu bereits existierender Musik hinzu erfunden. Der letzte Song des Konzertprogramms vor den Zugaben, One, bietet eine entsprechende Vielfalt von Schnittstellen zwischen Kamens Filmpartituren und seinen Produktionen im Bereich der Rockmusik. Wenn auch das erste Album nach dem Tod von Cliff Burton ...And Justice For All mit langen, verschachtelten Abschnitten und markanten Riffs (von denen einige mit ungewöhnlichen Zählzeiten und synkopischen Betonungen eine zu große Geradlinigkeit verhindern) dem Songwriting aus der Zeit von Master of Puppets noch verbunden war und als klassische Heavy Metal-Platte wahrgenommen wurde, erreichte die Band mit diesem Album dennoch eine neue Stufe ihrer Bekanntheit. Dies hatte nicht zuletzt mit One zu tun, da James Hetfield, Kirk Hammett, Lars Ulrich und ihr neuer Kollege Jason Newsted zu diesem Song ihr erstes Video produzierten, nachdem man sich lange Jahre diesem populären Trend verweigert hatte, der mit der wachsenden Bedeutung von MTV auch die Heavy Metal-Szene erreichte. Für seine Lyrics ließ sich James Hetfield von Dalton Trumbos Film Johnny Got His Gun (1971) inspirieren, der auf Trumbos gleichnamigem Antikriegsroman aus dem Jahr 1939 basiert und die Geschichte eines jungen Mannes erzählt, der im Ersten Weltkrieg schwer verwundet wird. Als dieser Joe Bonham im Lazarett erwacht, muss er schmerzhaft feststellen, alle Extremitäten sowie den überwiegenden Teil seines Gesichts verloren zu haben.

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Als einzig verbliebene Verständigungsmöglichkeit sendet er mit rhythmischen Kopfbewegungen Morsezeichen, die schließlich von einer Krankenschwester erkannt werden. Sein größter Wunsch zu sterben wird ihm von seinen Ärzten aber verwehrt, so dass sein Geist dazu verurteilt ist, zwischen Erinnerungen, Fantasien und wenigen Realitätswahrnehmungen (die Empfindung von Berührungen ist ihm geblieben) umherzuschweifen. Niemals um deutliche Stilmittel verlegen, integrierten Metallica Spielszenen des Films in ihr Video, um die Brutalität und Sinnlosigkeit von Kriegen – die Grundaussage von Trumbos Plot – musikalisch wie visuell darzustellen. Nicht zuletzt, da das OneVideo in der ursprünglichen Fassung bald unter dem Vorwurf zu großer Realitätsnähe nicht mehr im US-Fernsehen gezeigt wurde (daraufhin wurde eine kürzere Version ausschließlich mit Bildern der Band angefertigt, die die übliche Formatlänge im Musik-TV noch immer um mehrere Minuten überschritt), avancierte One zu Metallicas erstem großen Hit und brachte ihnen 1989 einen ersten Grammy in der Kategorie „Best Metal Performance“ ein. Zur atmosphärischen Einstimmung beginnt das Stück mit einer Collage lauter Kriegsgeräusche aus knatternden Maschinengewehren, explodierenden Granaten, dem Rattern eines Helikopters und schreienden Soldaten, bis das erste, unverzerrt gezupfte Riff einsetzt. In diese Eröffnung hinein platzierte Michael Kamen für die S&M-Version eine kurze Passage der Streicher und Bläser (siehe Abb. 17), die mit wenigen Akkorden seine Routine als Filmkomponist andeutet: Abbildung 17: Akkorde des Orchesterparts am Beginn von One

Mit einem Crescendo heben sich tremolierende Streicher langsam von der Geräuschebene mit einem harmonisch offenen QuintNon-Akkord auf Es ab, gefolgt von D-Dur. Nach einer Wiederholung, bei der die Harfe mit Arpeggios hinzukommt, endet die kaum zwanzig Sekunden dauernde Stelle in einem düsteren übermäßigen Klang auf H, der mit einem Decrescendo der leise vibrierenden Celli sowie einigen nachgeschobenen Tönen der Harfe

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langsam wieder mit den Kriegsgeräuschen verschmilzt und diesen die akustische Prägung der Szenerie überlässt. Mehr noch als die Tremoli der von Bläsern unterstützten Streicher ist die Beendigung einer spannungsgeladenen Szene durch eine kurze Ostinatofigur der Harfe typisch für Michael Kamens Filmmusik. Eine erste Parallele findet sich an mehreren Stellen seines Scores zum James Bond-Film Licence to Kill (1989). Während einer Szene im ersten Drittel des Films (Bond hat sich gerade illegal Zutritt zur Yacht des Filmbösewichts Sanchez verschafft und befragt dessen Gespielin Lupe Lamora) erklingt für einen Augenblick Monty Normans berühmtes Bond-Thema, von Kamen so instrumentiert, dass zum Grundton der Kontrabässe die entscheidenden Intervallschritte (Quinte – kleine Sexte – große Sexte – kleine Sexte) legato von Celli gespielt werden, unterstützt durch eine klassische Gitarre, während eine Harfe die restlichen Akkordtöne hinzufügt. Bei der Wiederholung des kurzen Themas treten leise Bläser in Mittellage hinzu, die auf jeden Schlag im Takt dezent die markanten Intervalle ergänzen. Geht man zehn Jahre zurück zu Roger Waters Song Is There Anybody Out There? (1979), Teil des gigantischen Pink Floyd-Projekts The Wall (dessen Orchesterparts von Michael Kamen stammen), stößt man im Mittelteil auf eine identische Stelle: Im Anschluss an die viermalige Frage, die dem Song seinen Titel gab, folgt ein langer Instrumentalteil von akustischer Gitarre mit leiser Begleitung durch Keyboardlinien, Violinenflageoletts und tiefe Holzbläser. Im ersten Teil des Gitarrenparts übernehmen die Arpeggien exakt die Intervallprogression aus Normans Bondthema. Nach einem Zwischenpart wiederholt die Gitarre noch einmal den ersten Teil, und nun spielt eine hohe Solovioline eine langgezogene Linie (None – Oktave – Undezime), konterkariert von einer Altflöte mit den typischen Intervallschritten zwischen Quinte und großer Sexte. Neben Is There Anybody Out There? (1979) und Licence to Kill (1989) enthält auch Brazil (1985) eine musikalisch vergleichbare Szene (ab 0h 47min), als der Protagonist nach einer Möglichkeit sucht, die Akte seiner Geliebten aus der Fahndungskartei des übermächtigen Informationsministeriums zu entfernen. Musikalisch ist diese Stelle eng an Normans Motiv angelehnt, modifiziert durch eine Bläsermelodie (in diesem Fall vom Saxophon). Von dort aus wird das Thema des Songs Brazil kurz angedeutet,

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der sich auf Wunsch des Regisseurs Terry Gilliam als roter Faden durch den Film zieht. Abbildung 18: Blick auf die S&M-Bühne mit den Umrissen von James Hetfield (halb links stehend), Mitgliedern des San Francisco Symphony Orchestra, dem dirigierenden Michael Kamen und seinem auf die Großbildleinwand projizierten Gesicht

Quelle: © Metallica 1999 Diese Ähnlichkeiten zwischen Stücken von Kamen bedeuten keineswegs, dass er aus Mangel an Einfällen zu Selbstzitaten oder uninspirierten Standardmustern gegriffen hätte. Vielmehr lassen sich bei ihm, wie bei den meisten anderen Filmkomponisten auch, Vorlieben für bestimmte Stilmittel und Klänge ausmachen, aus denen sich im Verlauf ihres künstlerischen Werdegangs ein dichtes Netz von Beziehungen und Querverbindungen entwickelt. Ein Beispiel ist die besondere Bedeutung der Harfe in Kamens Musik. Zumeist in emotionalen Spannungsmomenten tritt eine Harfe mit markant angerissenen Tönen in moderatem, gut zu verfolgendem Tempo aus dem Orchesterklang hervor. Dies be-

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trifft sowohl die Szene in Lethal Weapon 3 (1992), als sich eine Schießerei mit einer Gang anbahnt, bei der der Polizist Murtaugh unwissentlich einen Bekannten seines Sohnes töteten wird, als auch die vierte Strophe von Metallicas One, die den von Schläuchen am Leben gehaltene Körper beschreibt: „Fed through the tube that sticks in me, just like a wartime novelty, tight to machines that make me be, cut this life off from me“. Ein anderer exemplarischer Beleg für klangliche Vorlieben Kamens ist der auffällig synthetische Violinensound in der kompakten Besetzung seiner Keyboards und Eric Claptons Gitarre, mit der sie ihre preisgekrönte Musik zur mehrfach ausgezeichneten britischen TV-Serie Edge of Darkness (1985) gestalteten. Innerhalb der Handlung – ein einzelgängerischer britischer Polizeiinspektor deckt mit Unterstützung eines CIA-Agenten ein Netzwerk von Atomlobbyisten, Großindustriellen, korrupten Politikern und Behördenleitern auf, das eine illegale Produktionsanlage für atomare Brennstoffe unterhält und den Tod der einzigen Tochter des Inspektors zu verantworten hat, die mit anderen Anhängern der Anti-Atomkraftbewegung dem Netzwerk auf der Spur war – ist der Keyboardsound keiner bestimmten Person oder typischen Situation konkret zugeordnet (er wird allerdings auffällig oft mit einem z.T. synthetischen Klang einer gezupften Gitarre oder Harfe kombiniert). Da Musik in den vier Folgen der Serie insgesamt sehr sparsam eingesetzt wurde und beinah ausschließlich um Variationen des Erkennungsthemas kreist, kommen die von Kamen selbst eingespielten Synthesizer immer dann zum Einsatz, wenn die düstere Grundstimmung der Handlung aufgrund neuer Ereignisse musikalisch in Erinnerung gerufen wird. In Highlander, Licence To Kill und Lethal Weapon 3, um bei diesen Referenzfilmen zu bleiben, wirkt dieser Sound als Kontrast innerhalb orchestral dominierter Scores, bevorzugt in spannungsgeladenen Situationen: wenn Titelheld Connor MacLeod von seinem Mentor Juan Sanchez Villa-Lobos Ramirez eröffnet wird, unsterblich zu sein und den Kampf mit Bösewicht Kurgan aufnehmen zu müssen; wenn James Bond seinem Vorgesetzten gegenüber treten muss und suspendiert wird, da er sich dessen Anweisungen widersetzt hat, um einen Freund zu rächen; wenn die beiden LAPD-Cops Riggs und Murtaugh das Hauptquartier ihres Gegenspielers Jack Travis ausspähen, um ihn und seine Organisation korrupter Polizisten wenig später endgültig zur Strecke zu bringen.

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Setzt man zum Abschluss dieser Analysen Metallicas sinfonische Ambitionen in Call of Ktulu ins Verhältnis zu den Querverbindungen innerhalb von Kamens musikalischem Œuvre, die sich aus seiner Orchestrierung von One ableiten lassen, entsteht ein spezifischer Eindruck zur Konzeption und Wirkungsweise von S&M: Entgegen Kamens sonstiger Arbeitsweise, Musik zu Bildern zu erfinden, fügten Metallica bei One erst später der musikalischen eine visuelle Ebene hinzu, weshalb auch Musikvideos eine so andere Sicht auf die Vorliebe vieler Menschen ermöglichen, Musik und Bilder in eins zu setzen. Da One thematisch wiederum von einem Film inspiriert worden war, beginnt der Song auf dem Album …And Justice For All und bei Live-Auftritten mit einer Geräuschcollage im Stil einer Hörspielatmo. Wenn man diese Konstellation auf ihr Grundmuster zurückführt, bei der ein Stück von seiner primären Referenzebene abgekoppelt wird (was die Wirkung einiger kompositorischer Entscheidungen durch fehlende visuelle Erläuterungen verändert), hat man es folglich bei One mit einem Paradefall konzertanter Filmmusik zu tun.

IV. Konzertante Filmmusik Es ist immer Vorsicht bei Vergleichen zwischen fiktiven und realen Charakteren geboten, zumal, wenn sich beide Figuren in einem Projekt begegnen. Dennoch drängen sich einige Parallelen zur Hauptfigur von Mr. Holland’s Opus (1995) auf, da Michael Kamen im Jahr nach der Premiere des Films eine gleichnamige Stiftung für junge Musiker ins Leben rief, die sich keine Instrumente leisten können.17 In der Handlung des Films nahm Glenn Holland als ambitionierter Komponist zur Versorgung seiner jungen Familie eine Stelle als Highschool-Musiklehrer an und ging wider Erwarten so in der Arbeit mit jungen Menschen auf, dass schließlich drei Jahrzehnte bis zu seiner Pensionierung vergingen, bis sein Opus magnum An American Symphony vollendet war. Da er nicht damit gerechnet hatte, dieses Werk jemals im Konzert zu hören – schließlich hatte er seine Zeit darauf verwandt, Schülern die Liebe zur Musik zu vermitteln, anstatt mit seiner ersten Sinfonie eine Künstlerkarriere zu beginnen –, ist er zu Tränen gerührt, als das Schulorchester zur Abschlussfeier das heimlich einstudierte Stück unter seiner Leitung uraufführen

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möchte. Das sich nun anschließende Finale beginnt mit einem Kameraschwenk über das Orchester mit seinen klassischen Instrumenten. Als Glenn Holland aber den Einsatz gibt, um nach dreißig Jahren Kompositionsarbeit seine (bzw. Kamens) amerikanische Variante einer Sinfonie zu präsentieren, ist der Auftakt einem Rockschlagzeug vorbehalten, dem auf den ersten Schlag im ersten Takt ein Akkord von E-Gitarre und Bass folgt, bevor die Bläser ein heroisches Thema intonieren. Der Bogen von Kamens Filmmusik zu Musik für den Konzertsaal ist schnell gespannt, da die Partitur nicht nur mit einem Grammy in der Kategorie „Best Instrumental Arrangement“ ausgezeichnet wurde, sondern von Kamen auch zu einem Konzertstück zusammengestellt wurde, dessen fünf Sätze mit den Bezeichnungen Iris, Cole’s Tune, Marking Homework, Rowena und Finale auf drei Hauptfiguren und zwei Schlüsselszenen des Films verweisen. Kamens Entscheidung, den Werktitel innerhalb des Films für seine Konzertfassung beizubehalten, bringt mit den Termini „american“ und „symphony“ seine Ambitionen, Rockmusik und klassische Musik zu fusionieren, exakt auf den Punkt: Wie am Beispiel der Harfe und des speziellen Keyboardsounds zu sehen war, sowie der häufigen Verwendung von Ostinatofiguren, die sich im Stil der Rockmusik als Riffs verstehen lassen, kann man seine stilistischen und klanglichen Vorlieben in allen seinen Werken wiederfinden. Nicht überraschend werden in einem der wenigen Stücke, die Kamen nicht genuin für einen Film schrieb – sein Saxophonkonzert für David Sanborn (1990) – im ersten Satz lange lyrische Bögen der Streicher und des Saxophons mit einem Hi-Hat-Puls des Schlagzeugs kombiniert, sowie im zweiten Satz die thematischen Linien des Soloinstruments mit einer Begleitfigur unterlegt (siehe Abb. 19), die in ihrer Anlage ähnliche Stellen aus Brazil, Beside You und S&M in Erinnerung ruft.

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Abbildung 19: Michael Kamen – Concerto for Saxophon, 2. Thema im 2. Satz

Um aus den vielen zusammengetragenen Details die Konsequenzen von konzertanter Filmmusik für die gegenwärtige Situation der klassischen Musik historisch einzuordnen, sind einige thematische und systematische Überlegungen zur Spezifik von Filmmusik, zum Problem der Melodik im 20. Jahrhundert sowie zu Nachwirkungen der Programmmusik einzubeziehen: 1. Die zumeist unter großem Zeitdruck zu leistende Arbeit vieler Filmkomponisten ist von Kompromissen gekennzeichnet, entsprechend der mehrheitlichen Wünsche von Regisseuren, Produzenten und Zuschauern die große Vielfalt an Filmstoffen und musikalisch mit einem Sound zu begleiten, der ästhetisch zwischen Wagner, Mahler und Strauss zu lokalisieren ist. Für eine künstlerische Handschrift, wie sie von Komponisten aus dem klassischen Sektor angestrebt und erwartet wird, bleibt dabei kaum Spielraum. Wie entlang von Michael Kamens Kooperation mit Metallica zu beobachten war, sind viele Film-

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komponisten schwerer über einen bestimmten musikalischen Stil, sondern leichter über eine charakteristische Trademark im Sinne einer Vorliebe für bestimmte Wendungen, Instrumentationen, stilistische Kombinationen und Brüche zu identifizieren. Da die meisten Regisseure dem Bild und der Entwicklung der Spielhandlung den Vorrang gegenüber den anderen Schichten eines Films einräumen, muss die auditive Ebene, wie Zofia Lissa anmerkte, entsprechend unkompliziert zu rezipieren sein, um nicht zuviel Aufmerksamkeit der Zuschauer zu binden.18 2. Aus der damit einhergehenden Kleinteiligkeit der Musik erklärt sich die Motivation vieler Pioniere der Filmmusik wie ErichWolfgang Korngold, Max Steiner, Sergej Prokofiev oder Dimitri Schostakowitsch, für Filme komponierte Musik, die ihnen besonders am Herzen lag und für den Konzertsaal geeignet erschien, zu Suiten zu kompilieren. Andere Musiker, von denen Arnold Schönberg vielleicht einer der prominentesten ist, waren mit den kompositorischen Konsequenzen von Filmmusik – dem Primat der Tonalität, dem Verzicht auf die Gestaltung größerer Formen sowie der Verwendung eingängiger melodischer Motive – nicht einverstanden. Dies hatte handfeste ökonomische Auswirkungen, da sie ihre Musik ebenfalls nicht mehr in jenen alternativen Segmenten des Musikmarktes weiter verwerten konnten, die seit dem 19. Jahrhundert den großen Bedarf von Privathaushalten, Blaskapellen und Kurorchestern nach Klavierauszügen und Arrangements befriedigen und hoch profitabel sein können. 3. Wie für viele Musikerkollegen war Melodik für Michael Kamen der Schlüssel zur Musik: „A great piece of music is qualified by its melody.“19 Es ist anzunehmen, dass den meisten Zuschauern ein Konzert mit vielen kleineren Stücken und ohne Spielhandlung von Liederabenden, Popkonzerten oder Programmen mit Opernarien vertraut ist und dass im überwiegenden Teil der dabei gespielten Musik instrumentale oder gesungene Melodien enthalten sind. Dies wäre kaum der Rede wert, wenn sich nicht der kompositorische Gebrauch der Melodik im 20. Jahrhundert zu einem anhaltenden Problem mit tiefgreifenden Folgen entwickelt hätte. Die Ablösung der Melodik von der Akkordharmonik vor mehr als einhundert Jahren stand, worauf Carl Dahlhaus hingewiesen hat20, im Zeichen der Emanzipation

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der Dissonanz, so dass neue Lösungen gefunden werden mussten, um Beziehungen zwischen Klängen und Tönen zu stiften. Schönberg erprobte im Pierrot Lunaire zuerst die Aussagekraft von Klangfarben als melodischen Ersatz, bis er mit der Gliederung der Tonhöhen durch Reihen einen neuen technischen Zugriff gewann, mit dem auch alte Strukturprinzipien wie die Kontrapunktik wieder einzubinden waren. Als die Komponisten der seriellen Schule noch einen Schritt weitergingen und die Organisation von vier Hauptelementen Parameterreihen übertrugen, war aus ästhetisch-dogmatischen Gründen der Weg zurück zur Melodik für lange Zeit verstellt.21 „But melody“, wie Alexander Ringer schreibt, „will not die that easily.“22 Statt dessen sickerte sie durch viele Nahtstellen – aus der Pop- und Rockmusik, in Form von unverwüstlichen Kinder- und Volksliedern, aus den Ländern östlich des Eisernen Vorhangs (wo sie gemäß der Doktrin des Sozialistischen Realismus nie übergangen werden durfte) und westlich des Atlantik (wo die primär deutsch-französisch-italienischen Parolen nie so gehorsam befolgt wurden, wie es ihre Propagandisten forderten) – auch zurück in die westlichen (post)modernen Musikzirkel, so dass in gegenwärtigen Kompositionen wieder viele Versuche zu erleben sind, mit Melodien zu arbeiten. 4. Wie sich besonders gut an Stücken von Wolfgang Amadeus Mozart, Peter I. Tschaikowsky, George Gershwin oder John Lennon und Paul McCartney beobachten lässt, scheint das Geheimnis einer wirkungsvollen, raffinierten Melodie in der Mischung aus Einfachheit und gleichzeitiger Unverwechselbarkeit zu liegen, damit sie leicht erinnert werden kann. Für Leonard Bernstein gewann eine gute Melodie ihre Kraft zudem aus der Wiederholung thematischer Elemente: „It’s that repetition that makes the melody stick in your mind; and it’s the melodies that stick in your mind that are likely to please you the most.“23 Wie Untersuchungen immer wieder zeigen, ist das menschliche Gedächtnis für Melodien präzise und flexibel, so dass oft wenige Töne ausreichen, um eine ganze Kette von Erinnerungen ins Bewusstsein zu bringen.24 5. Die Prägung und Gestaltung von Assoziationen durch Musik waren bereits Anliegen der Affektenlehre wie der Programmmusik, wobei letztere in ihrer Absicht, außermusikalische Inhalte und Handlungen in Klänge und Töne zu verwandeln und den

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Hörern nonverbal (zumindest ohne gesprochenen oder gesungenen Text) zu kommunizieren, einige Verwandschaft zur später entstandenen Filmmusik hat. Die mit der Programmmusik im 19. Jahrhundert verbundenen, erbitterten literarischen und journalistischen Kämpfe mündeten, neben ästhetischen und stilistischen Aspekten, in der mit Hanslicks Person assoziierten Streitfrage, ob Musik Trägerin außermusikalischer Bedeutungen sein könne. Bis heute arbeiten sich manche ästhetischen Schriften an dieser Frage ab. Nicht ohne Grund vertrat deshalb Leonard Bernstein in seinen Young People’s Concerts unmissverständlich die Position, dass alle Bedeutungen von Musik ihr nur von außen zugeschrieben werden und nicht aus ihr selbst entstammen, und griff zur Verdeutlichung zu einem plastischen Vergleich: „Of course if there is a story connected with a piece of music, that’s all right, too. In a way, it gives an extra meaning to the music; but it’s extra – like mustard with your hot dog. Mustard isn’t part of the hot dog. It’s extra.“25 6. Albrecht Riethmüller machte anschaulich, wie auf die massive Propagierung der Programmmusik im 19. Jahrhundert in den darauffolgenden Jahrzehnten eine vehemente Abkehr einsetzte, um ihr „allenfalls eine Nische im Museum der Musikwerke“26 zu reservieren. Da Michael Kamen, wie gesehen, wenig auf kompositorische Dogmen gab und sich mit seiner Liebe für klassische Musik und Rockmusik zeitlebens keiner Seite voll zugehörig fühlte, lebte er zum einen in seinen Filmpartituren ein Bedürfnis nach großen musikalischen Gesten und oftmals melancholischen Melodien aus. Zum anderen stemmte er sich mit seiner sinfonischen Dichtung The New Moon in the Old Moon’s Arms – Symphonic Poem (2000) auch gegen die Konvention zur Vermeidung von Programmmusik. In diesem Stück, bestehend aus sieben kürzeren Sätzen, ließ er viele Instrumente vor allem der Holzbläsergruppe zu Wort kommen, die in seinen Scores für große Abenteuer- und Actionfilme wenig Platz gefunden hatten. Inspiriert von den tausend Jahre alten Überresten indianischer Kulturen im amerikanischen Südwesten stellte er sich der Herausforderung, dieses Mal seine eigenen, vor dem inneren Auge imaginierten Bilder zu vertonen.27 Abgesehen von pragmatischen Beweggründen einer Plattenproduktion ist vor diesem Hintergrund leicht zu verstehen, weshalb The New Moon in the Old Moon’s Arms und Mr. Holland’s Opus – An

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American Symphony gemeinsam auf einer CD zu finden sind, da die Grenzen zwischen Film- und Konzertmusik in Kamens Vorstellung ohnehin fließende waren. 7. Die Prägung von visuellen Assoziationen zu Musik liegt im Fall der Filmmusik auf der Hand, da viele Zuschauer (besonders, wenn sie weniger Gewicht auf rationales Reflektieren über Musik legen) die von der Spielhandlung vorgegebenen und mit Worten und Bildern verbundenen Eindrücke mit den gehörten Klängen (un)bewusst verknüpfen. So lässt sich auch erklären, weshalb ein Streichertremolo von vielen Menschen als Spannungsgeste verstanden wird und auf welche Weise geläufige Konventionen wie „moll = traurig“ von Generation zu Generation fortbestehen.28 8. Da die musikalische Sozialisation des Orchesterklangs heute primär durch Spielfilme und andere mediale Vermittlungsinstanzen erfolgt, sind die Auswirkungen dieser eingeübten Idiomatik auf die Sphäre der klassischen Musik enorm. Hierdurch wird verständlich, weshalb viele Hörer ebenfalls in Instrumentalmusik sowohl bewusst als auch unabsichtlich nach Inhalten und Programmen suchten. Wenn in Konzerten Musik angeboten wird, die ursprünglich für Filme entstanden war und die man deshalb aus dem Kino oder von der heimischen Fernsehcouch kennt, ist die ästhetische Erfahrung der zu erlebenden Melodien daher immer auch mit Erinnerungen an die jeweiligen Filme gebunden. Dies liefert Menschen, die im Umgang mit sinfonischer Konzertmusik wenig Übung haben, einen vertrauten Ansatzpunkt zum Verständnis des Gehörten.

V. Auswirkungen Misst man die Bedeutung von S&M für Metallica an ihrer nächsten Produktion St. Anger (2003), die mit absichtlich rauem Sound und schnörkellosem Songwriting stark an die Anfänge der Band erinnert, so erscheint die Kooperation mit Michael Kamen und dem San Francisco Symphony Orchestra als singuläres Ereignis in der Bandhistorie. Da die Musiker vor, während und nach dieser Produktion deren Einmaligkeit immer wieder betonten, um keine falschen Hoffnungen oder Befürchtungen bei ihren Fans zu wecken, wäre diese Feststellung kaum erwähnenswert. Hält man

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aber die zuletzt erschienene CD Death Magnetic gegen diese Vorlagen, so finden sich im Songwriting viele jener Elemente wieder, die auf der Detailebene von Call of Ktulu und One zu entdecken waren und die Michael Kamen reizten, den sinfonischen Charakter der Songs durch Orchesterarrangements herauszustellen. Es wäre vielleicht etwas übereilt, Metallicas Hinwendung zu alten Songstrukturen auf Death Magnetic, wie man sie bis …And Justice For All (1988) kannte, allein der Arbeit mit Kamen zuzuschreiben, ohne die Rolle von Rick Rubin zu nennen, der in der Nachfolge des langjährigen Produzenten von Metallica, Bob Rock, das neue Album betreute. Es lässt sich aber auch die These aufstellen, dass die Band durch Kamens Arrangements neue Seiten ihrer Songs kennenlernte und über die Distanz von Jahren erkannte, mit welchen musikalischen Mitteln sie ihre besonderen Stärken im Songwriting ausspielen können. Beleg hierfür ist zweifellos der Beginn des Songs Unforgiven III mit Klavier, Streichquartett und Bläsern, sowie das Instrumental Suicide&Redemption (das erste seiner Art seit To Live Is To Die auf …And Justice For All, das mit vier hinterlassenen Textzeilen in der Mitte des Songs noch ganz im Zeichen von Cliff Burton gestanden hatte). Darüber hinaus ist zu bedenken, dass der überwiegende Teil der Materialsammlung für Death Magnetic während einer ausgedehnten Jubiläumstournee im Jahr 2006 anlässlich der Veröffentlichung des Master of Puppets-Albums entstand, bei der die 20 Jahre zuvor erschienene Platte auf dutzenden Konzerten jeweils komplett gespielt wurde. Von den Songs über Monate aufs Engste umgeben zu sein, spielte nach Meinung der Band daher ebenfalls eine große Rolle bei der Genese neuer Ideen. Nähert man sich der Frage, welche Bedeutung S&M für Michael Kamen gehabt hat, hängt ein wesentlicher Teil einer möglichen Antwort von der interpretatorischen Verknüpfung einzelner Motive ab. So, wie im Fall der Mr. Holland’s Opus Foundation einzelne Arbeiten eng mit persönlichen Motivationen verbunden waren, liefen auch bei S&M verschiedene Fäden seiner Biografie zusammen: Seit den Zeiten des New York Rock and Roll Ensembles mit der Verschmelzung von Rockmusik und klassischer Musik beschäftigt, war es Kamen nach eigenem Bekunden ein großes Vergnügen, die Kooperation mit einer Band einmal bis an den Rand des akustisch und musikalisch Möglichen zu führen. Es ist nicht zu entscheiden, ob die Diagnose von Multipler Sklerose im

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selben Jahr, als die Arbeit mit Metallica begann, den Wunsch zur Umsetzung dieser Produktion besonders beflügelt hat; rückblickend muss man festhalten, dass S&M Kamens letztes und größtes Projekt dieser Art war. Gemessen an den ersten beiden Perspektiven von Band und Arrangeur hat konzertante Filmmusik mit Sicherheit die größten Auswirkungen auf die gegenwärtige Welt der klassischen Musik. Seit dem ersten Tonfilm The Jazzsinger (1927) entwickelte sich Filmmusik zu einer wesentlichen Stütze der Filmwirtschaft, da die separate Veröffentlichung der Soundtracks einen zusätzlichen Markt jenseits der Kinos erschloss.29 In ähnlicher Weise werden Synergien z.B. zwischen Film und Musical gesucht, was auf der einen Seite viele Musicalverfilmungen zur Folge hatte (dies betrifft vor allem die Zeit bis Anfang der 1960er Jahre) und auf der anderen Seite noch immer zahlreiche Musicaladaptionen von Filmen hervorbringt (siehe aktuell die Produktionen des amerikanischen Disney-Konzerns wie König der Löwen, Tarzan oder Die Schöne und das Biest). Aus dieser Logik heraus war der Schritt von Musicalmelodien in den Konzertsaal nicht weit, wofür sich beispielsweise die globale Verbreitung von Andrew Lloyd Webbers Kompositionen anführen lässt, die bei solchen konzertanten Aufführungen ebenfalls ohne Bilder auskommen. In diesem Sinne ist die Kompilation von Filmmelodien zu Konzertsuiten zunächst eine strategische Zweitverwertung, die sich aber in viel geringerem Maß finanziell bezahlt macht als die Veröffentlichung von Soundtracks auf Tonträgern. Folglich muss der Profit der Komponisten an anderer Stelle zu suchen sein und mit dem Gewinn an Prestige zusammenhängen, unabhängig vom Erfolg und der Wirkung der inszenierten Bilder einmal in einem sozial hoch angesehenen Kontext Aufmerksamkeit für die eigenen musikalischen Werke zu erhalten. Hier nun schließt sich der Kreis zur gesellschaftlichen Lage der klassischen Musik. Die gegenwärtige, über Jahrzehnte gewachsene und von vielen als problematisch empfundene Struktur der klassischen Musik hängt eng mit dem Selbstverständnis und der Außenwahrnehmung von Komponisten zusammen: Da die Avantgarde der Künstler nach 1950 (allen voran Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen) ihren elitären Anspruch auf musikhistorisch-publizistische Deutungshoheit nicht durch eine breite Zustimmung beim Publi-

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kum legitimieren konnte, erhob sie die Distanz der neuen Musik zum allgemeinen Musikleben – in der Tradition der Vorgängergeneration und mit Unterstützung der dogmatischen Ästhetik Adornos und anderer – zu ihrem Maßstab. Einige derjenigen aber, die sich wie Hans Werner Henze und György Ligeti diesem Vordenkertum nicht einfach beugen wollten, sondern mit vergleichbar innovativem Ansporn andere, musikalisch vielfältigere Lösungen fanden, konnten bezeichnenderweise leichter Kontakte zu Musikern und Zuhörern pflegen und ausbauen. Ein deutliches Signal mag deshalb auch sein, dass heute meistens Filmkomponisten gebeten werden, Musik zu offiziellen Anlässen und Sportgroßereignissen beizusteuern. So schrieb John Williams Hymnen für mehrere Olympische Spiele seit 1984 und beteiligte sich mit der Fanfare Call of the Champions auch an den olympischen Winterspielen in Salt Lake City im Jahr 2002, deren Musikprogramm von Michael Kamen verantwortet wurde (für diesen Anlass komponierte dieser ebenfalls eine Hymne). Noch im selben Jahr organisierte Kamen auch das Festkonzert zum goldenen Thronjubiläum der britischen Queen Elizabeth II. in London. Seit langem mit der überwiegend ablehnenden Haltung des breiten Publikums gegen Musik des 20. Jahrhunderts vertraut, bemühen sich die Intendanten der großen und vor allem der kleineren Konzerthäuser und Philharmonien, eine Balance zwischen anspruchsvollen Premieren und beliebten Repertoirestücken zu finden. Seit aber die Reserviertheit der Zuhörer auch das Kernrepertoire von Stücken des 19. Jahrhunderts erreicht hat und der Druck von Kultur- und Haushaltspolitikern auf Ensembles und Spielstätten immer weiter zunimmt, bemüht man sich, mit einer Vielfalt neuer Programme, Marketingkonzepte und pädagogischer Initiativen das angestammte Publikum stärker einzubinden und neue, bislang kaum zu erreichende Hörerkreise anzusprechen (siehe die Innovationsstrategien der Berliner Philharmoniker in diesem Buch). Konzertante Filmmusik erscheint vielen Beteiligten als eine von mehreren Möglichkeiten, solche dringend benötigten Brücken zu schlagen. Dies betrifft vor allem jene Kreise von Gebildeten, die in anderen Kunstsparten mit aktuellen Tendenzen vertraut sein möchten und Ausstellungen, wie etwa der Berliner Exkursion des New Yorker Museum of Modern Art im Jahr 2004, zu sensationellen Besucherzahlen verhalfen. Diese Schicht

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hat aber seit vielen Jahrzehnten keine Bindung mehr an eine Musik, die im bürgerlichen Selbstverständnis des 19. Jahrhunderts als unverzichtbares Bildungsgut galt und sich selbst vielfach noch als Hochkultur inszeniert. Nicht ohne Grund erfreuen sich Formatradios für klassische Musik steigender Beliebtheit und propagieren Filmmusik unter dem Schlagwort „New Classics“, was ganz Michael Kamens Einschätzung in einem Interview vom Mai 1998 entsprach: „You'll find that the new classical music, the real relevant classical music, is being written for films.“30 Als Konsequenz befriedigt (konzertante) Filmmusik heute das Bedürfnis eines breiten Publikums nach verständlicher, melodiöser Konzertmusik und füllt so eine Lücke, die von der sozial isolierten neuen Musik hinterlassen wurde. Insgesamt erscheint konzertante Filmmusik daher als ein Phänomen, in das von vielen Seiten große Hoffungen gesetzt werden, so dass zu beobachten bleibt, ob sich ihre derzeitige Popularität (wie bei Musicals) auf eine bestimmte Zeit beschränken wird, oder ob sie sich – als Ergänzung oder Konkurrenz im sinfonischen Markt – langfristig etablieren kann.

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Interview aus dem Jahr 1999 mit James Hetfield, siehe http://www.allmetallica.com/info/interviews/jaymzsm.php (Abruf am 20. Mai 2008). Steffan Chirazi (Hg.): So What! The Good, The Mad and The Ugly. The Official Metallica Illustrated Chronicle, London: Broadway Books 2004, S. 103. Auch James Hetfield, Sänger und Gitarrist von Metallica, betonte im Dokumentarfilm zu S&M den experimentellen Charakter dieser Kooperation: „It’s all about having fun and trying something new. If it fails, all as you can say is we tried. But if it’s great then it will be even sweeter.“ James Hetfield, in: Chirazi, So What!, S. 120. Interview mit James Hetfield, siehe http://www.allmetallica. com/info/interviews/part2sm.php (Abruf am 20. Mai 2008). Michael Kamen: Rock: can the atomic oboe be far behind?, in: The New York Times Sunday vom 2. Januar 1972. Zitiert nach: Richard Davis: Complete Guide to Film Scoring, Boston (Ma): Berklee Press 1999, S. 309. Kamen: Rock: can the atomic oboe be far behind?

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James Hetfield im Dokumentarfilm zu S&M. Siehe für weitere Details seiner musikalischen Biografie Metallicas Internetseite und das Interview Symphony of Destruction mit ihm aus dem Jahr 1999, http://www.allmetallica.com/info/interviews/des truction.php (Abruf am 20. Mai 2008). Vgl. Cliff Burton's Legendary Career. The King of Metal Bass vom Februar 2005 unter http://www.bassplayer.com/article/ the-king-metal/Feb-05/164 sowie Interview by Harald O. with Jan Burton, http://www.allmetallica.com/info/interviews/ cliffparents.php (Abruf am 20. Mai 2008). Interview mit James Hetfield in Dagens Nyheter am 5. Oktober 2006, http://www.ultimate-guitar.com/news/interviews/met allica_james_hetfield_talks_on_cliff_burtons_influence.html (Abruf am 20. Mai 2008). Vgl. das Interview Symphony of Destruction (Anm. 8). Albrecht Riethmüller: Die Verdächtigung des Virtuosen – Zwischen Midas von Akragas und Herbert von Karajan, in: Herbert von Karajan Centrum (Hg.), Virtuosen. Über die Eleganz der Meisterschaft, Wien: Zsolnay 2001, S. 100-124. Vgl. auch Paragraf 6c in Alban Bergs Prospekt des Vereins für musikalische Privataufführungen, in: Musik-Konzepte. Band 36 Schönbergs Verein für musikalische Privataufführungen, München: Edition Text und Kritik 1984, S. 4-7, hier S. 3: „Die Aufführenden sind vorerst solche, die sich dem Verein aus Interesse an der Sache zur Verfügung stellen. Durch strenge Auswahl wird jenes Virtuosentum ausgeschaltet, dem das aufzuführende Werk nicht Selbstzweck ist.“ Robert Walser: Running with the Devil. Power, Gender, and Madness in Heavy Metal Music, Hanover: Wesleyan University Press 1993, S. 76f. Ebenda, S. 62f. Leonard Bernstein: The Joy of Music [1959], Pompton Plains (NJ) und Cambridge: Amadeus Press 2004, S. 245. Charles Shaar Murray: Crosstown Traffic. Jimi Hendrix and Post-War Pop, London: Faber and Faber 2005, S. 48. Vgl. http://www.mhopus.org. Neben Richard Dreyfuss, dem Hauptdarsteller des Films, engagieren sich auch andere langjährige Freunde und Kollegen von Kamen wie Bryan Adams, Bob Ezrin, Quincy Jones, David Sanborn, Robert Urband und Hans Zimmer in seiner Stiftung. Zofia Lissa: Ästhetik der Filmmusik, Berlin: Henschel 1965, S. 354f. und 380. Zitiert nach: Davis: Complete Guide to Film Scoring, S. 312. Carl Dahlhaus: Abschnitt VII 17. bis 19. Jahrhundert des Artikels Melodie, in: MGG2, Kassel: Bärenreiter 1997, Sp. 62.

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Vgl. Karlheinz Stockhausen: Gruppenkomposition: Klavierstück I (Anleitung zum Hören), in: Texte zur Musik 1, Köln: DuMont 1963, S. 63-74, hier S. 65. Alexander L. Ringer: Artikel Melody, in: The New Grove2, London: Macmillan 2001, S. 363-373, hier S. 371. Leonard Bernstein: Young People’s Concerts, Pompton Plains (NJ): Amadeus Press, S. 203. Vgl. Lola L. Cuddy: Melody Comprehension and Tonal Structure, in: Thomas J. Tighe/W. Jay Dowling (Hg.), Psychology and Music. The Understanding of Melody and Rhythm, Hillsdale (NJ): Erlbaum 1993, S. 19 sowie Horst-Peter Hesse: Musik und Emotion. Wissenschaftliche Grundlagen des MusikErlebens, Wien und New York: Springer 2003, S. 164. Bernstein: Young People’s Concerts, S. 8. Albrecht Riethmüller: Programmmusik in der Ästhetik des 19. Jahrhunderts, in: derselbe, Annäherung an Musik. Studien und Essays, Insa Bernds/Michael Custodis/Frank Hentschel (Hg.), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007, S. 103-122, hier S. 118. Vgl. für detaillierte Informationen seine ausführlichen Erläuterungen im Booklet zur CD The New Moon in the Old Moon’s Arms, die im Jahr 2000 bei Decca (467 631-2) erschien. Kathryn Kalinak: Settling the Score. Music and the Classical Hollywood Film, Madison (Wis) und London: University of Wisconsin Press 1992, S. 14. Vgl. auch Russell Lack: Twenty Four Frames Under. A buried history of film music, London: Quartet Books 1997, S. 68. Vgl. ebenda, S. 207f. und Kalinak: Settling the Score, S. 186. Siehe Dan Goldwassers Interview mit Michael Kamen vom 19. Mai 1998, unter http://www.soundtrack.net/features/article/ ?id=20 (Abruf am 20. Mai 2008).

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INNOVATIONSPOTENZIALE. HEINER GOEBBELS S U R R O G A T E C I T I E S B E I Z U K U N F T @BP H I L Eingangs des ersten, den Berliner Philharmonikern gewidmeten Kapitels hatten die Bemerkungen des ZDF-Kommentators beim Silvesterkonzert 2007 als kleines Beispiel gedient, wie sehr manche Umgangsweisen mit klassischer Musik noch alten Klischees verhaftet sein können. In diesem Fall war es der Blick von außen auf das Orchester via eines populären Mediums, dessen Zielgruppe ein möglichst großes Publikum ist. Aber auch im direkten Umfeld der Philharmoniker stößt man bisweilen auf Publikationen, bei denen nicht ganz klar zu erkennen ist, mit wie viel feiner Ironie sie geschrieben wurden, wenn etwa im Dokumentationsteil des Jubiläumsbands zum 125jährigen Orchesterbestehens über den Soloflötisten Emmanuel Pahud zu lesen ist: „Er konzertiert weltweit als Solist mit großen Orchestern, im Duo oder anderen Besetzungen. Auch vor grenzüberschreitenden Produktionen mit Jazz schreckt er nicht zurück.“1 Es wäre stark überzogen, die ausführliche und kritisch konzipierte Orchesterhistoriografie allein am kleinen Augenzwinkern einer solchen versteckten Textzeile zu bemessen. Nimmt man die Bemerkung darüber, dass sich ein Musiker auf das „Wagnis“ Jazz einlässt, daher nur für einen Augenblick mal etwas zu ernst, so ließe sich vielleicht ein kleiner Hinweis auf den avisierten Leserkreis finden, der – in einem viel größeren Maßstab als bei der Kooperation mit den Scorpions – die Kompetenzen des Orchesters primär auf den klassischen Bereich konzentriert sähe. Allerdings sollte man auch hier zurückhaltend sein, mit vorschnellen Urteilen die Argumentation eines Textes mit der Meinung von Konzertbesuchern gleichzusetzen. Ergänzt man diese Momentaufnahme aber um einige Stichproben aus dem hauseigenen, im Herbst 2002 aufgelegten Philharmoniker-Magazin, so verstärkt sich der Eindruck, dass es dem Orchester sehr wichtig ist, Schritte in ihnen bisher unbekannte Regionen des Musikmarktes ausführlich zu

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erläutern. Der Mitteilungsbedarf konnte zwar noch nicht die vor der Magazingründung verwirklichte Kooperation mit den Scorpions betreffen, doch wurden dem ersten von den Philharmonikern eingespielten Soundtrack (George Fentons Musik zum Kinofilm Deep Blue) mehrere Artikel gewidmet. Aufschlussreich sind hierbei die Wortwahl sowie die Schwerpunktsetzung in der Argumentation, wenn Andrea Thilo in ihrem Magazinbeitrag das Interesse des Orchesters an diesem Projekt erläutert, als handele sich um einen Abstieg in niedere, populistische und zugleich lukrative Sphären der Unterhaltungskultur: „[…] das Orchester hat begonnen, sich mit großer Neugier dem Genre Filmmusik zu öffnen, jener Musikform, die in der Akzeptanz des Publikums einen wesentlichen Bestandteil der symphonischen Musik des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts darstellt; auch wenn sie im Imagevergleich mit anderen Gattungen meist die zweite oder gar letzte Geige spielt. Ein Genre, das nicht immer mit künstlerischem Hochamt assoziiert wird, als Soundtrack-Auskoppelung aber gerade deshalb oft sensationelle Verkaufszahlen erzielt, weil sie den Menschen ‚direkt am Herzen packt und damit jene Lücken ausfüllt, die im Bereich Neuer Musik entstanden sind, welche eher auf den Intellekt abzielt und damit den Zuhörer gelegentlich auch überfordert‘, wie Olaf Maninger, Medienvorstand der Philharmoniker, betont.“2

Ohne Projekte wie dieses im Filmgeschäft oder jenes mit den Scorpions in ihrer künstlerischen Qualität und Absicht herabsetzen zu wollen, führten solche Innovationsstrategien die Berliner Philharmoniker aber noch nicht in wirklich neue Tätigkeitsfelder. Zu nahe liegen in diesen Bereichen Vergleiche mit anglo-amerikanischen Orchestern, die zudem über wesentlich längere Erfahrungen mit mehrgleisigen Anforderungsprofilen verfügen als ihre Berliner Kollegen. Gemessen an den Erfolgen bei Publikum, beteiligten Mitwirkenden und Kritikern erwies sich dagegen die von Simon Rattle initiierte musikpädagogische Arbeit als wirklich innovativer Impuls, der dem Orchester neue Aufgaben erschloss und eine kaum vorhersehbare Akzeptanz über etabliertes Stammpublikum hinaus einbrachte. Gerade für diesen Teil des Orchesterbetriebs ist die Hauszeitung der Philharmoniker eine Fundgrube von Informationen zu einzelnen Projekten, die sich im Überblick der einzelnen Jahrgänge zu einer Fülle von thematischen

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SURROGATE CITIES BEI ZUKUNFT@BPHIL

Schwerpunkten und konzeptionellen Spielarten zusammenfügen. Es ist daher durchaus als programmatisches Credo zu verstehen, wenn Tobias Möller einen Artikel Musik ohne Sockel. Ein Jahr Sir Simon Rattle in Berlin überschrieb und die Motivation der Philharmoniker an einem praktischen Beispiel veranschaulichte: „Dass im aktuellen Merian-Heft über Berlin die Philharmoniker mit keinem Wort erwähnt wurden – das hat geschmerzt, das durfte sich nicht wiederholen. Um als lebendige, für die Stadt engagierte Institution wahrgenommen zu werden, entwickelten Rattle und die Philharmoniker das Projekt ‚Zukunft@BPhil‘. Mit ihm will das Orchester seine Musik jungen aber auch älteren Menschen nahe bringen, ihnen zeigen, dass klassische Musik nicht bloßes Überbleibsel einer verstaubten, jenseitigen Welt ist, sondern ganz unmittelbar unser Erleben im Hier und Jetzt vertiefen kann.“3

Neue Ideen Über die Umstände der Wahl von Simon Rattle zum Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker wurde viel geschrieben und noch mehr spekuliert, und immer spielte auch sein Nimbus als innovativer Querdenker in die mediale Inszenierung seiner Person mit hinein. Diese zumeist tagesaktuellen Debatten könnten an dieser Stelle außen vor bleiben. Da gerade aber Rattles Vorstellungen von einer breiten Wiederentdeckung der klassischen Musik im 21. Jahrhundert (und damit einhergehenden notwendigen Veränderungen in der Gegenwart) einen wesentlichen Ausschlag für seine Berufung nach Berlin gaben, rückt er selbst ins Zentrum dieser Betrachtungen zur Diversifikation der Musik.4 Wie eng die Hintergründe der unscheinbaren Bemerkung „Rattle und die Philharmoniker entwickelten das Projekt Zukunft@BPhil“ mit der Person Simon Rattles verbunden sind und welchen Einfluss dies auf die Außenwirkung des Orchesters ausübt, zeigt eine kursorische Durchsicht seiner Biografie. 1955 geboren in Liverpool, erlebte Rattle bereits als Kind Orchester und klassische Konzerte als Alltäglichkeit. Nach eigenen Aussagen nahm er den zeitgleichen Aufstieg der Beatles dabei nicht bewusst wahr:

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE „What was funny was that I grew up at the same time as the Beatles and one of their most famous songs Penny Lane was named after the big street just down the road from me. And the hairdresser whom they sing about is the guy who used to cut my hair, when anyone cut my hair. But it was strange because I was so involved in jazz and classical music that I almost did not notice that the Beatles were going on. I left school. At 16 I had finished all my examinations early and I went down to London and everybody said: Did you hear the Beatles? Did you go down to the Cavern? I had to look a bit sheepish: well, no I hadn’t gone. I asked if it was good. Then I started hearing this music and thought: yeah, I really missed something there. There had been so much happening that I hardly noticed the Beatles.“5

Im Alter von zehn Jahren übernahm Rattle im Merseyside Youth Orchestra die Position des Schlagzeugers und widmete seiner Leidenschaft für Musik alle zur Verfügung stehende Zeit, z.B. mit regelmäßigen Teilnahmen an Sommerschulen für junge Musiker in ganz Europa.6 Obwohl er sich in der regulären Schule bis zuletzt als Außenseiter fühlte und seine Mentoren und Förderer extern bei seinen musikalischen Aktivitäten fand, bewertet er diese Zeit rückblickend als wichtig für sein künstlerisches Selbstverständnis: „I am glad, though, that I didn’t go to a specialist music school. I know so many people from them and I’ve seen the problems they cause. After all, we musicians have to spend our lives with real people in the outside world, not just with other musicians. And we’re a strange race.“7 Bereits im Alter von 19 Jahren übernahm Rattle einen Posten als Assistenzdirigent in Bournemouth und pflegte seine Kontakte zu Jugendensembles und Schulorchestern weiter, um mit ihnen anspruchsvolle Stücke zu erarbeiten, wie beispielsweise Ligetis Atmospères und Mahlers Erste Sinfonie beim Herbstkurs des London Schools Symphony Orchestra im Herbst 1975. Erste überregionale Bekanntheit erlangte Rattle, als er 1980 für die Dauer von 18 Jahren die Leitung des City of Birmingham Symphony Orchestra übernahm. Als ehemals bedeutender Industriestandort hatte die Stadt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts andere Felder zur Profilierung finden müssen und unterstützte daher alle Erfolg versprechenden Initiativen. In Birmingham fand Rattle ideale Bedingungen vor, um mit seinem Orchester Teil einer lebendigen Stadtkultur zu werden. In Bournemouth hatte er in den

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Jahren zuvor Erfahrungen gesammelt, wie zurückhaltend und abweisend man sowohl auf Seiten des Publikums als auch bei Verantwortlichen des Orchesters auf Stücke reagierte, die in den etablierten Musikszenen urbaner Zentren längst als moderat akzeptiert wurden (beispielsweise William Waltons Erste Sinfonie oder Kompositionen von Peter Maxwell Davies), während sie im kleinstädtischen Rahmen als zu gewagt und unnötig provokativ galten.8 Hier konnte Rattle über Jahre beobachten, wie sehr die Beurteilung von Musik von der Vertrautheit der Zuhörer im Umgang mit stilistischen Entwicklungen und ungewohnten Klängen abhing. So gingen die Musiker der Bournemouth Sinfonietta Mitte der 1970er Jahre davon aus, bei Strawinskys Oper The Rake’s Progress (1951) mit einem aktuellen avantgardistischen Stück konfrontiert zu werden. Wie bei der nachfolgenden Betrachtung von Heiner Goebbels’ Surrogate Cities noch auf der Detailebene zu sehen sein wird, ist die Auswahl der Stücke für einzelne Education-Projekte entscheidend für die Gesamtkonzeption und den Erfolg des Programms. Auch hierbei zeigt sich, wie eng Rattles Engagement für Musik des 20. und 21. Jahrhunderts mit seinen frühen Jahren als Dirigent verknüpft ist und sich zu einer Grundüberzeugung über die Wichtigkeit und Funktion von Musik insgesamt verdichtete: „The repertory is in a terrible state. Most conductors, with the exception of someone like Esa-Pekka Salonen, aren’t really committed to new music. In London the question is usually: ‚Have we got time to get through it?‘ And the answer is usually: ‚No.‘ So unusual things don’t get done. But that doesn’t excuse the conductors who are a bloody sight more powerful than I am, who travel the world without doing a scrap of music by living composers. That’s the most dangerous thing for our musical culture.“9

Neben seiner Vorliebe für gemischte Konzertprogramme konkretisierten sich Rattles Überzeugungen in Birmingham durch intensive Öffentlichkeitsarbeit, Kooperationen mit anderen Kunsteinrichtungen, neue Konzertreihen an Wochentagen (die von vielen neu gewonnenen Zuhörern begeistert angenommen wurden) sowie zahlreiche musikpädagogische Programme, für die er erste Erfahrungen an der Schule seiner sehbehinderten Schwester in Liverpool gesammelt hatte.10 Initiator der pädagogischen Projek-

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te in Birmingham war der Flötist Richard McNicol, der 1977 Mitglied des London Philharmonic Orchestra geworden war und bald mit Kollegen in Schulen und Kindergärten musikpädagogisch zu arbeiten begann. Für die Dauer von zehn Jahren übernahm er die Leitung einer entsprechenden Einrichtung beim London Symphony Orchestra, bevor er auf Bitten von Rattle 2002 die EducationAbteilung der Berliner Philharmoniker Zukunft@BPhil aufbaute; in diesem Amt folgte ihm nach drei Jahren Catherine Milliken nach.11 Die Oboistin, Komponistin und Klangkünstlerin Milliken hatte zunächst in ihrer australischen Heimat Oboe und Klavier studiert, bevor sie für weitere Studien nach Deutschland kam und u.a. in Hannover ein Diplom in Rhythmik erwarb sowie bei Heinz Holliger weiteren Unterricht nahm. Nach einigen Aushilfstätigkeiten wurde sie Mitglied der Jungen Deutschen Philharmonie, aus dem wiederum 1980 das von ihr mitgegründete Ensemble Modern hervorging, bei dem sie erste musikpädagogische Erfahrungen sammelte. Als ab dem Jahr 2000 konkrete Verhandlungen mit Rattle zur Ausstattung seiner künftigen Stelle in Berlin begannen, knüpfte er seine Bedingung zur institutionellen Umgestaltung der Berliner Philharmoniker in eine Stiftung eng an die Forderung zur Einrichtung einer musikpädagogischen Abteilung, zu deren Finanzierung die Deutsche Bank als langfristige Partnerin gewonnen werden konnte.12 Einer der ausschlaggebenden Beweggründe, die Offerte anzunehmen, war nach Rattles eigener Aussage der Wunsch der Philharmoniker, sich zu einem modernen Orchester zu entwickeln, einschließlich der dafür notwendigen Veränderungen der institutionellen Struktur wie auch ihres Selbstverständnisses als Musiker: „We would like to be the orchestra of the twenty-first century, not the twentieth, certainly not the nineteenth, in which we think many other orchestras live. Now, we don’t know what that is and we think probably you don’t know what it is, but we think you could help us find what it is and that together maybe we can get somewhere.“13 Diese Überlegungen zur eigenen Zukunft entsprachen Rattles Credo, klassische Musik nicht für eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe als exklusives Distinktionsmedium zu reservieren, sondern gerade auch jenen Menschen, die sie nicht (mehr) kennen, ihre Schönheit und Notwendigkeit nahezubringen. Im Kern enthalten seine Diagnosen, sich mit einem Orchester in Richtung

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der Zuhörer zu bewegen, anstatt davon auszugehen, das Publikum würde sich aufgrund von Traditionen und Konventionen von alleine auf den Weg in die Philharmonie machen, fundamentale Verschiebungen im historischen Verständnis von klassischer Musik: Eine der Ursachen zur Blüte von Konzertmusik und Oper im 19. Jahrhundert war das Bemühen des sich emanzipierenden Bürgertums, an ehemals Adel und Klerus vorbehaltenen Kulturgütern teilzuhaben und sich durch die Förderung der Künste als einflussreiche kulturtragende Schicht zu etablieren. Bekanntermaßen wurde am Beginn des 20. Jahrhunderts die ehemals enge Verbundenheit des bürgerlichen Publikums mit der aktuellen musikalischen Produktion brüchig, als weite Teile der Hörerschaft nicht bereit waren, den Schritt vieler Komponisten jenseits der Grenzen Dur-Moll-tonaler Harmonik mitzugehen. Zudem veränderte sich die Situation der daraus hervorgegangenen neuen Musik und ihrer Protagonisten in den folgenden Jahrzehnten der europäischen und sowjetischen Diktaturen dramatisch. Seit vielen Jahren gibt es immer wieder Versuche, neue Musik aus ihren angestammten Konzertsituationen herauszulösen und z.B. an ungewöhnlichen Auftrittsorten in Bereiche des täglichen Lebens vordringen zu lassen, in denen es kaum noch Bezüge zur zeitgenössischen Kompositionspraxis gibt. Das Studio für elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks wollte z.B. mit einem siebentägigen Projekt im Juni 1972 an diversen öffentlichen Plätzen in der Kölner Innenstadt aktuelle Produktionen vorstellen und musste sich bald in den Rohbau des Römisch-Germanischen Museums zurückziehen, da besonders die Veranstaltungen am Roncalliplatz wegen heftiger Proteste nur einmal hatten stattfinden können. In diesem neuen Umfeld wiederum, das aufgrund der Bestimmung als kulturelle Institution die für viele Ohren ungewohnten Klänge als ästhetische Gegenstände legitimierte, fanden die Stücke großen Anklang.14 Hieran wird deutlich, dass bestimmte physische und psychische Grenzen von Musik nur selten zu überwinden sind, zumal, wenn sie (wie in diesem Fall) eng mit notwendigen Kenntnissen kultureller Codes und historischer Entwicklungslinien zusammenhängen und wenn zudem manche musikalischen Genres davon geprägt sind, dass sich ihre Vertreter und Anhänger bewusst von anderen gesellschaftlichen Gruppen abgrenzen wollen. Der entscheidende Schritt zum Erfolg von Richard McNicols Education-Projekten bestand daher in der flexib-

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len Vermittlung von Musik an Hörer, die mit ihr nicht vertraut waren, was zugleich die ständige Überprüfung und Anpassung der Position der vermittelnden Musiker bedingte. Konkret entwickelte McNicol eine „Response“ benannte Methode, Kinder auf moderne oder ältere Konzertmusik mit eigenen Rhythmen und Melodien reagieren zu lassen, nicht also auf der möglichst getreuen Wiederholung eines vorgegebenen Materials zu bestehen, sondern Verständnis für Musik durch eigenen praktischen Nachvollzug zu initiieren.15 Dabei bezog sich McNicol immer auf bekannte Stücke, um mit wachsendem Verständnis für die erlebte Musik den allgemeinen Bildungshorizont der Kinder und Jugendlichen zu erweitern und ihnen den praktischen Nutzen einer Verbindung eigener Interessen mit kulturellen Gegenständen aufzuzeigen. So etabliert solche Lehrmethoden in England und den nordischen Ländern seit mehreren Jahrzehnten sind, in Deutschland waren sie Anfang des neuen Jahrtausends, als McNicol Zukunft@BPhil aufbaute, weitgehend unbekannt. Hierauf bezieht sich auch eine entsprechende Bemerkung Simon Rattles, die bezeichnenderweise auf der Internetseite zum Film Rhythm is it!, dem bislang größten Erfolg der Abteilung, zu finden ist: „I don’t think the orchestra really knew what an educational program like this was. This is something relatively novel in this area of Europe. Something that has been done in Scandinavia and England for many years. But the idea wouldn’t be just to do with teaching instruments. Part of our mission is to go out, is for musicians to be in schools, is to show children that they not only could all enjoy music, but they could all compose, they could all perform.“16

Ein weiteres, wesentliches Charakteristikum der Arbeit von Zukunft@BPhil ist die beinah ausschließliche Verwendung von Werken der letzten 100 Jahre, aus einem sehr speziellen Grund, wie Richard McNicol ausführt: „What we need […] is the freedom of 20th-century-music that gives us the possibilities to get away from a carefully learned harmonic contra-punctual vocabulary.“17 Neue Musik, die sich über die Jahre in einer Nische des Musiklebens eingerichtet hat und bei der viele ihrer Vertreter die geringe Beachtung im öffentlichen Leben, in Konzertprogrammen, bei Rundfunkanstalten und Medienkonzernen beklagen, ist hier einmal von entscheidendem Vorteil, um die inzwischen wei-

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ten Distanzen des gesamten Klassikbetriebs zu überbrücken und Nähe zu einem breiten Publikum aufzubauen. Bei den einzelnen Projekten wird die musikalische Ebene um verschiedene andere künstlerische und technische Elemente erweitert und durch Kooperationen mit Künstlern aus anderen Disziplinen ergänzt. Abhängig von Verbindungsmöglichkeiten zu aktuellen Produktionen des Orchesters sowie zur pädagogischen Zielrichtung eines Projekts und den dafür ausgesuchten Mitwirkenden werden z.B. Choreographien zu einem Stück entworfen, eine Pantomime zu György Ligetis Zehn Stücke für Bläserquintett18 oder eine Kombination aus Tanz und Gesang in der Auseinandersetzung mit Carl Orffs Carmina Burana.19 Bei einem Projekt mit Béla Bartóks Musik zu seiner Oper Der Wunderbare Mandarin übertrugen Schüler ihre Empfindungen und Assoziationen beim Hören der komplexen Strukturen in gemalte und collagierte Bilder, um sich in Anlehnung an „Bartóks Geschichte über Prostitution und Mord“20 mit eigenen Erfahrungen im Umgang mit Verführung, Rivalität und Gewalt kreativ auseinanderzusetzen. Immer wieder arbeiten die Philharmoniker (einzeln, in kleinen Formationen und als ganzes Orchester) mit Behinderten zusammen, um die Freude an Klang, Geräusch und Musik mit Bewegung und Körpergefühl musiktherapeutisch zu kombinieren.21 Neben Förderprojekten für Schulorchester und junge Dirigenten (was sich als Weiterentwicklung der durch Herbert von Karajan ins Leben gerufenen Orchesterakademie verstehen ließe)22, führten die Philharmoniker bisher zweimal Projekte mit Insassen einer Strafanstalt durch. Im ersten Fall erarbeiteten die Teilnehmer eigene Songs und Stücke nach einer Idee, die Bartóks Oper Herzog Blaubarts Burg entlehnt wurde. Bei der zweiten Gelegenheit produzierten elf Strafgefangene zunächst einen kleinen Stummfilm entlang der Handlung von Richard Wagners Rheingold und komponierten mit Hilfe von Catherine Milliken eigene Musik dafür, die anschließend von Orchestermusikern live zur Filmpremiere gespielt wurde.23 Auch ein anderes Projekt drehte sich um die Komposition von Klängen zu Filmbildern, nun zu einigen Szenen aus Deep Blue, um die Schüler im Alter von 11 bis 13 Jahren die Welt des Ozeans musikalisch erkunden zu lassen.24 Im Überblick dieser Schwerpunktsetzungen zeigt sich, dass keines der Projekte auf rein musikalische und künstlerische Dimensionen beschränkt war. Vielmehr sollte den mitwirkenden

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Schülern durch eine situative Abstimmung der Projektziele z.B. auf ihre Lebensumstände, ihre soziale und kulturelle Herkunft sowie bestimmte Verhaltensweisen nahegebracht werden, wie sich der persönliche Alltag mit Musik positiv verändern lässt. Im Besonderen betraf dies Konzepte, um über Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Kulturen und Religionen ins Gespräch zu kommen, die in tagesaktuellen Konflikten weltweit für Spannungen sorgen und bis in die Lebenssituationen der Schüler hineinwirken. Als Beispiel diente in seinem Jubiläumsjahr 2006 Mozarts Entführung aus dem Serail als Vorlage für eine kurze Kammeroper, um spezielle musikalische und auch ganz praktische Wechselwirkungen zwischen der türkisch-orientalischen und der westlichen Kultur in Deutschland zu untersuchen.25 Daran anknüpfend setzte eine Reihe Ausflüge in die Welt des Islam: Begegnungen – Ein kultureller Dialog diese Ideen fort. Entgegen früherer Konzepte, Werke der klassischen Musik in einer Konzertsituation mit begleitenden Erläuterungen zu veranschaulich, so dass der Nachvollzug allein eine rationale Hörleistung ist, verfolgen die Projekte von Zukunft@BPhil das Ziel, mit hohem künstlerischen und personellen Aufwand bestehende soziale und kulturelle Grenzen musikalisch bewusst zu machen und zu hinterfragen. Nach Aussagen von Mitwirkenden der Berliner Philharmoniker wirkt dieses Lernkonzept auch auf die Lehrenden zurück, da plötzlich Menschen für Dinge motiviert werden wollen, die den Musikern längst so selbstverständlich sind, dass es besondere Bemühungen erfordert, die musikalischen Gegenstände und Situationen so auf wesentliche Elemente zu reduzieren, dass sie sich in ihrer Essenz nachvollziehbar kommunizieren und körperlich erleben lassen.26 Rückbezogen auf Rattles Wunsch, klassische Musik (wieder) zu einem Massenphänomen zu machen, damit sie nicht in Zeiten unsicherer ökonomischer Lebensumstände als Luxusgut für überflüssig erklärt werden kann, bestimmt diese Strategie alle Projekte seit der geschickten Vermarktung des ersten großen Tanzprojekts zu Igor Strawinskys Sacre du Printemps, mit dem die Education-Arbeit der Philharmoniker bekannt wurde: Mit sehr ambitionierten Zielen gestartet, entwickelte die Probenarbeit des Teams um den Choreographen Royston Maldoom bei den verschiedenen Schülergruppen insgesamt sehr viel Energie und Ei-

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gendynamik.27 Die beiden Aufführungen (in einer Mehrzweckhalle, die ursprünglich ein Busdepot der Berliner Verkehrsbetriebe gewesen war) entfachten bei Mitwirkenden und Zuschauern daher große Begeisterung. Parallel dazu hatten die Filmemacher Thomas Grube und Enrique Sánchez Lansch das gesamte Team von den ersten Proben bis zum Ende der Aufführungen begleitet und brachten ihren Dokumentarfilm im Jahr 2004 unter dem Titel Rhythm is it! in die deutschen Kinos. Im folgenden Jahr ausgezeichnet mit zwei Deutschen Filmpreisen (in den Kategorien bester Schnitt und bester Dokumentarfilm) sowie mit dem Deutschen Kritikerpreis, trug diese filmische Aufbereitung des Projekts zur enormen Popularität der Education-Abteilung der Philharmoniker bei, so dass sie heute weithin synonym ist mit vorbildlicher musikpädagogischer Arbeit eines Orchesters. Darüber hinaus entspricht Rhythms is it! dem seit einigen Jahren zu beobachtenden Trend, bei Filmfestspielen wieder verstärkt dokumentarische Produktionen über Musiker zu zeigen, so dass auch der jüngste Film über die Berliner Philharmoniker Trip to Asia seine Premiere bei der Berlinale 2008, allerdings außerhalb des Wettbewerbs, erlebte. Die Ernennung der Philharmoniker zu Kulturbotschaftern des UN-Kinderhilfswerks UNICEF im November 2007 bestätigte den anhaltenden Erfolg von Zukunft@BPhil. Das Orchester nahm den Preis bei einer Feierstunde in New York entgegen, als es sich am dortigen Festival Berlin in Lights mit einem Tanzprojekt für Schüler zu Strawinskys Sacre du Printemps beteiligte.

Fallstudie Surrogate Cities Eine probate Arbeitsgrundlage für Projekte mit meist jugendlichen Mitwirkenden ist, bei stilistischen Merkmalen und Kompositionstechniken anzuknüpfen, die ihnen aus ihrem alltäglichen Musikhören vertraut sind. Geht man einmal von der Annahme aus, dass der überwiegende Teil der Jugendlichen im weiteren Sinn Popmusik bevorzugt (inkl. Rap und HipHop), so sind vielen von ihnen zumindest Grundprinzipien des Samplens und elektronischen Manipulierens von Sounds bekannt (seit der Verfügbarkeit von PCs und leistungsstarker Audiosoftware zum Bearbeiten und Arrangieren von Klängen verfügen Einige sogar über prakti-

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sche Erfahrungen im Homerecording). Auch die Education-Abteilung der Berliner Philharmoniker machte sich diese Vorkenntnisse zu Nutze und führte im Jahr 2003 ein Projekt zu Heiner Goebbels’ Stück Surrogate Cities durch, bei dem sich Jugendliche im Sampeln, Videodrehen, in nachträglicher Materialanalyse sowie Audio- und Bildbearbeitung unter realen Arbeitsbedingungen (mit knapp bemessenen Zeitfenstern für die einzelnen Arbeitsschritte) übten.28 Drei Jahre später standen ähnliche Arbeitstechniken im Zentrum eines Projekts zu Thomas Adès’ Komposition Asyla, wobei diesmal der Schwerpunkt auf die Technik des Remixens, die kreative Verfremdung und Collage von vorhandenem und selbst aufgenommenem Klang- und Geräuschmaterial gelegt wurde.29 Charakteristisch für Heiner Goebbels’ Arbeitsweise ist, nicht im herkömmlichen Sinn Musikstücke zu komponieren und anschließend von Ensembles und Orchestern auf der Bühne eines Konzertsaals aufführen zu lassen, sondern Konzepte zu entwerfen, bei denen Klänge mit anderen Elementen interagieren. Dies können – je nach Konzeption – performative Aktionen von Musikern, mehrdimensionale Bühnenhandlungen, die Integration von Klanginstallationen und Lichtdesign oder Videoprojektionen sein. Programmatisch sucht Goebbels auch nach neuen Rollenbildern des Komponisten und seiner Werke im Sinne (un-)abgeschlossener Gegenstände: „Es geht […] um […] eine Fülle von Fragen, eine produktive Unvollständigkeit, ein neues Modell von Kommunikation. Der Vermittlungprozeß selbst muß zum Thema der Kunst werden. Theater als Ort der Erfahrung (und Unterhaltung natürlich), nicht der Belehrung, nicht des Wissens.“ 30 Geprägt durch ein Studium der Schulmusik und der Soziologie in Freiburg und Frankfurt am Main – Goebbels schrieb seine soziologische Diplomarbeit über den Materialbegriff bei Hanns Eisler – erprobte er als Mitbegründer des 1976 ins Leben gerufenen Sogenannten Linksradikalen Blasorchesters (das sich aus Amateuren und professionellen Musikern zusammensetzte) kollektive Schaffensprozesse und kreative Spannungen verschiedenartiger musikalischer Ausdrucksweisen zwischen Jazz, Rock und Protestsong.31 Neben vielen anderen Betätigungen (u.a. als Komponist von Theater-, Ballett- und Filmmusik sowie von Hörspielen) erkundete er mit dem Saxophonisten Alfred Harth sowie später im

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Trio Cassiber ab Mitte der 1970er Jahre Grenzbereiche zwischen Freejazz, Rockmusik und Improvisationsperformance. Vor diesem stilistischen Hintergrund bot es sich an, seine Komposition Surrogate Cities für großes Orchester, Sprechstimme, Mezzosopran und Sampler als Grundlage für ein weiteres großes Tanzprojekt von Zukunft@BPhil zu nehmen, bei dem – neben dem Orchester unter Leitung von Simon Rattle, der Jazzsängerin Jocelyn B. Smith, dem Vokalkünstler David Moss und Benjamin Kobler am Sampler – Schülerinnen und Schüler einer Berliner Grundschule, jugendliche und erwachsene Mitglieder einer Tanzschule, TeilnehmerInnen zweier Kung Fu-Schulen sowie Mitglieder einer Senioren-Tanzgruppe in einer Choreografie von Mathilde Monnier mitwirkten. Denn insbesondere aus dem für Goebbels zentralen Begriff des Samplens, der sowohl seine Ästhetik als auch sein Verständnis von Musikgeschichte bündelt, ließ sich eine Konzeption für die gesamte Produktion ableiten. Wie der Komponist in seinem Text Prince and the revolution: Über das Neue (1988) erläuterte, steht die Musik und mit ihr die ganze Kunst vor dem historischen Widerspruch, „daß alles denkbare und bis vor kurzem noch unvorstellbare musikalische Material entdeckt, erobert ist und keine materialimmanenten Fortschreitungen mehr möglich scheinen; die Instrumente, ihre Beherrschung und Überschreitung sind an Grenzen angelangt, und die Verfügbarkeit über alles Klangliche ist – insbesondere unter Berücksichtigung der digitalen Speicher: Sampling – grenzenlos.“32

Gleichzeitig gibt es für Musiker aller Stilrichtungen und Sparten erheblichen Nachholbedarf bezüglich technischer und künstlerischer Entwicklungsschritte: „So gilt in der Tradition der akademischen Moderne längst als kalter Kaffee, was die U-Musik gerade zu entdecken sich anschickt, wie es auf der anderen Seite zum Beispiel für jeden Rockmusiker, der seit vielen Jahren mit digitalen Effektprozessoren arbeitet, peinlich zu lesen ist, wenn man – etwa in Programmheftbeiträgen zu Luigi Nonos Prometeo in der Alten Oper in Frankfurt – den Eindruck erwecken will, diese würden plötzlich in die Musik eingeführt. Sollten sich also doch einmal die einen oder anderen Berührungspunkte ergeben, so findet die engstirnige Borniertheit, mit der sich die Genres vonein-

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE ander absetzen, ihren Ausdruck gleichermaßen in der arroganten, undurchlässigen Ignoranz wie in der naiv bewunderten Begeisterung füreinander. Zu beidem ist kein Anlaß, weil sich jeder an allem messen lassen muß.“33

Über die Skizze von Heiner Goebbels’ Ästhetik hinaus lässt sich diese Bemerkung zugleich als Klammer von Surrogate Cities zu Moment of Glory verstehen, da das wachsende Interesse der Berliner Philharmoniker an musikalischen Strömungen, die bislang außerhalb ihres Fokus lagen, genau von dieser Absicht motiviert war. Anders aber als die Arbeit der Philharmoniker mit den Scorpions, bestehende Songs neu zu instrumentieren und gemeinsam zu interpretieren, sucht Goebbels nach einer Symbiose verschiedener musikalischer Entwicklungslinien, so dass in Surrogate Cities elektronische Beats neben gesampleten Klängen und zeitgenössisch arrangierte Orchesterpassagen neben historischen Zitaten stehen. Weiter schreibt Goebbels in Prince and the revolution: „Denkbar im Kampf um eine musikalische Zukunft ist die Aufarbeitung und Heranziehung aller bisher gemachten musikalischen Erfahrung zu einer neuen Erzählweise, die die komplizierten Vermittlungsprozesse im Auge hat. Die Zeit für Personalstile ist vorbei. Ekklektizismus muß nicht länger mehr ein Schimpfwort sein, wenn er nicht beliebiges Kombinieren und Selbstbedienung im musikalischen Supermarkt meint, sondern wenn es sich um ein reflektiertes, mit Zurückhaltung, Geschmack und Geschichtsbewußtsein ausgestattetes Verfahren handelt, das unsere Wahrnehmungsweisen vorantreibt und gleichzeitig Erinnerungen aufarbeitet, bis die Komponisten alle bisher entstandene Musik als Bestandteil einer Sprache beherrschen, mit der Neues und Genaues gesprochen werden kann.“34

Mit einer solchen Arbeitsweise stellt sich Heiner Goebbels in die Nähe der Musique concrète Pierre Schaeffers und Pierre Henrys, von Bernd Alois Zimmermanns philosophisch motivierter Montagetechnik oder auch Kompositionsprinzipien von Luciano Berio, beispielhaft vorgeführt im dritten Satz seiner Sinfonia. Im Unterschied zu diesen Kollegen ist Goebbels aber nicht an einem charakteristischen Personalstil interessiert, der sich unterschiedlicher Materialien bedient, obgleich sich auch bei ihm eine indivi-

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duelle Färbung und Wiedererkennbarkeit seiner Musik einstellt. Wie er immer wieder betont, ist ihm allerdings ein solches Markenzeichen eher unvermeidlicher Nebeneffekt als vordringliche Motivation seiner künstlerischen Betätigung, da ihn primär die gleichberechtigte Verwendung akustischer, visueller und poetischer Zutaten reizt (dies rückt ihn näher an John Cage, ohne dass Goebbels dessen Preisgabe der kompositorischen Materialbestimmung mittragen wollte). Neben dem Sampler verwendet Heiner Goebbels gerne Instrumente, die aus dem Bereich des Jazz und der Rockmusik stammen, wie E-Bass und vor allem Schlagzeug, sowie Rhythmen, die mit geraden Zählzeiten das treibende Pulsieren einfangen, welches Jazz, Rock und diverse elektronische Stilarten von Techno bis HipHop miteinander verbindet. Die Wichtigkeit des Rhythmus für seine Musik, die Goebbels in einem Essay ausführlich erläuterte, prädestinierte Surrogate Cities für ein Educationprojekt, das die musikalische Erfahrungswelt von Kindern, Jugendlichen und Senioren mit der Klangwelt eines Orchesters im Umbruch vom 20. zum 21. Jahrhundert zusammenbringen sollte: „Auch in der europäischen Neuen Musik scheint hier ein Nachholbedarf zu sein, ein Vakuum an Kompositionen mit rhythmischem Puls, an die sich nach Paul Hindemith, Carl Orff und Igor Strawinsky im Grunde niemand mehr herangewagt hat. [...] Es zeugt von einer eigentümlichen Heimlichtuerei, wenn zeitgenössische Komponisten sich selbst, dem Dirigenten und den ausführenden Musikern angesichts des in der Partitur sichtbaren Referenzsystems der Takte das Vergnügen der rhythmischen Abweichung des einzelnen akustischen Ereignisses vom Puls sehr wohl gönnen, dieses Erlebnis aber ihrem Publikum vorenthalten, weil es unhörbar bleibt. Die Konsequenz daraus ist ein permanenter musikalischer Bruch, der sich in der Isoliertheit seiner rhythmischen Momente nicht mehr zu begründen weiß und bei dem die einzelnen Klangereignisse kaum mehr körperlich zu kommunizieren sind. Damit wird das Feld rhythmisch puls-orientierter Komposition, dieses grundlegende musikalische Mittel, komplett der Unterhaltungsmusik überlassen. Nicht von ungefähr sind Disco, Pop, Hip Hop, Techno oder Drum’n’Bass der akademischen Musik auf diesem Gebiet um Meilen voraus. Abgesehen davon, daß die Verweigerung des Pulses in der Neuen Musik, in der

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE der Groove verpönt ist, auch schnell zum Jargon verkommt, macht sie damit ihre Differenz, ihre Abweichung zur Privatsache [...].“35

Komponiert zur 1200-Jahrfeier der Stadt Frankfurt am Main und des 20jährigen Bestehens der Jungen Deutschen Philharmonie (UA am 31. August 1994 in Frankfurt durch die Junge Philharmonie), konzipierte Heiner Goebbels Surrogate Cities in sieben unabhängigen Teilen: D&C, Samplersuite, Die Faust im Wappen, In the Country of Last Things (mit einem Text von Paul Auster), Die Städte und die Toten 4-Argia, 3 Horatiersongs (nach Texten Heiner Müllers) sowie Surrogate (auf einen Text von Hugo Hamilton). Im Werkkommentar lieferte Goebbels einige Hinweise auf seine soziokulturellen Inspirationen, die – unter kompositorischen Gesichtspunkten – wieder an die Ästhetik des Samplings anknüpfen (auch der im Titel enthaltene Hinweise auf Surrogate spielt mit den substituierenden Möglichkeiten dieser Technik): „Die verschiedenen Teile von Surrogate Cities beziehen sich auf unterschiedliche Aspekte von ‚Stadt‘ und von deren ‚Zeichen‘: auf literarische, architektonische, politische und historische Aspekte. Die Samplersuite nimmt darin die Stellung eines Schnittes ein: ein Querschnitt durch Stadt- und Kulturgeschichte, in dem Bruchstücke, verschüttete Erinnerungen, Ruinen ebenso ihren Platz haben wie der aktuelle Blick in die Mechanik ihrer Produktion.“36

Die folgende Untersuchung von Teilen der Samplersuite wurde als zweiter, abschließender Teil des Kapitels konzipiert, um Interessierten eine ausführliche Detailsicht auf die handwerkliche Ebene der Musik zu ermöglichen. Die Summe von akustischen, tänzerischen und visuellen Elementen, die die Inszenierung des Stücks am 2. und 3. Februar 2008 für Zukunft@BPhil in der Arena in Berlin-Treptow bestimmten, bleibt für die Analysen auf die musikalische Ebene beschränkt, um von hier aus die Möglichkeiten anzudeuten, die das Stück für ein Tanzprojekt bereit hielt. Nicht zuletzt hängt diese Beschränkung auf musikalische Aspekte auch mit der Absicht der Berliner Philharmoniker zusammen, mit solchen Projekten das Verständnis für die Vielfalt und die Spezifik von Musik zu wecken, wie es Richard McNicol Jahre zuvor während der Vorbereitungen zur Sacre-Produktion formulierte:

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„Learning to understand what Stravinsky achieved and how he achieved it by actually using those materials.“37

Werkanalytische Anmerkungen Heiner Goebbels’ Spiel mit Erwartungen und der überraschenden Koppelung divergierender Elemente beginnt bei der Betitelung des Stücks als Samplersuite. Der erste Teil des Wortes beschreibt die Verwendung von Samples sowie die Übertragung dieser Sampletechnik auf die Gestaltung einiger Orchesterparts noch relativ genau. Eine Zuordnung des gesamten Stücks zur Gattung Suite läuft dagegen ins Leere, wenn man sie nicht im weitesten Sinn als Reihung einzelner Tanzsätze und Bezeichnung einer Repertoiresammlung versteht, wie es im 17. und 18. Jahrhundert vor allem in Frankreich üblich war und zur Mitte des 19. Jahrhunderts bisweilen wieder begegnete.38 Die allgemein gebräuchliche Assoziation von Suiten – entweder mit dem barocken Muster von Händel und Bach oder mit einer durch programmatische und musikalische Verknüpfungen zusammengehaltenen Reihe kleiner Stücke, bei der eine Ouvertüre und eine abschließende Gigue verschiedene Tänze wie Allemande, Courante, Sarabande, Menuett, Bourrée und Gavotte umschließen – hilft hier allerdings nicht weiter. Denn Goebbels’ Samplersuite weißt weder eine Ouvertüre auf, noch stehen die einzelnen Sätze Sarabande, Allemande, Courante, Gigue, Bourrée, Passacaglia, Chaconne, Menuett, Gavotte und Air in einer traditionellen Reihenfolge. Auch der Hinweis, dass viele Komponisten ab den 1910er Jahren in bewusster Abgrenzung von der Sinfonik des 19. Jahrhunderts wieder verstärkt Suiten schrieben und gerade in diesen Stücken neue kompositorische Wege gingen (z.B. Bartók, Debussy, Hindemith und Schönberg), erleichtert die Suche nach einer Erklärung nicht. Gleichwohl ist die Wahl der Bezeichnung Suite keine terminologische Negation, wie etwa Nam June Paik seine Hommâge à John Cage (eine Verbindung aus Musik, Sprache und Aktionen des Spielers) als Sonate verstand.39 Der Schlüssel zum Titel Samplersuite ist daher, so lässt sich als These festhalten, in der Verbindung der beiden Teile zu suchen: Zwar orientiert sich Goebbels an den einzelnen Teilen einer Suite, die er aber im Sinne der Sample-Technik in eine neue Reihenfolge bringt. Des Weiteren

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dokumentiert er dabei seinen zeitgemäßen Zugriff auf alles zur Verfügung stehende akustische Material inklusive historischer Formen, da er die traditionellen Titel z.T. um konkrete Assoziationen ergänzt, die sich bis tief ins Klangmaterial, sowohl der bearbeiteten Sounds als auch der Orchesterparts, nachverfolgen lassen. Im zweiten Stück der Suite Allemandes/Les ruines findet sich am Schluss eine Passage für Soloklavier, die einer Fuge von Domenico Scarlatti entnommen wurde. Dieses quasi live gespielte Sample ist im Werkkommentar der Partitur zwar als Zitat erwähnt, allerdings ohne weitere Anmerkungen oder Detailangaben. Stellt man Scarlattis Vorlage neben Goebbels’ Fassung, so lassen sich einige bezeichnende Abweichungen feststellen. Abbildung 1:

Domenico Scarlatti: Fuga, K. 87 L. 33, Takte 5 und 17

Abbildung 2:

Heiner Goebbels - Allemande/Les ruines (Klavierpart), Takt 71

Zum einen wurden einige Noten ausgelassen und alteriert sowie Scarlattis Fuga vom 3/4-Takt in einen 4/4-Takt übertragen. Zum anderen aber, und dies ist der wesentliche Eingriff, wurden zwei Passagen aus Scarlattis Stück zu einer Einheit zusammengezogen, wofür Goebbels mitten in die Klänge hineinschnitt (um die technische Sprache der bei der Bearbeitung von Samples üblichen Audioprogramme zu bemühen), wie sich im Vergleich der beide Stücke leicht feststellen lässt (siehe die Markierung in den Notenbeispielen 1 und 2). In Fortführung der obigen These könnten

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daher die von Goebbels für die meisten Teile seiner Samplersuite gefundenen Zusatztitel Hinweise auf die Inhalte der einzelnen Abschnitte liefern. In Anknüpfung an einen Gedanken von David Fuller im entsprechenden Artikel des New Grove ließe sich hierdurch Goebbels’ Stück doch als Suite spezifizieren und von anderen mehrsätzigen Kompositionen abheben: „Unlike a sonata, a suite normally consists of individual pieces whose identity derives partly from the outside, even when one piece is generated from another by rhythmic transformation, as in a variation suite. Usually the pieces are based on the pre-existing forms and styles of dances, but they may also have programmatic associations indicated by titles [...].“40

Doch hier helfen nicht alle Zusatztitel weiter, Bezeichnungen wie N-touch (Sarabande) oder Wildcard (Bourrée) bleiben unklar. Andere, wie Kantorloops (Chaconne), L’ingénieur (Menuett) und Compression (Air), entschlüsseln sich von selbst beim Hören, so dass als elementarer Bestandteil der Chaconne jüdische Kantorengesänge im Sound alter Schellackplatten erklingen, im Menuett klickende Maschinengeräusche die mechanische Arbeitswelt eines Ingenieurs widerspiegeln (wie Charlie Chaplin sie in Modern Times visualisierte) und die Air mit Luftgeräuschen der Bläser operiert (deutlicher kann der Zusammenhang von Air und Compression kaum gestaltet werden). Es scheint für Heiner Goebbels in seiner Arbeit von besonderer Bedeutung zu sein, mit Hilfe seiner Kunst Bilder zu transportieren und Assoziationen zu wecken – die Parallele zur Programmatik vieler sinfonischen Dichtungen des 19. Jahrhunderts ist offensichtlich und wird unterstützt durch die nicht vertonten Textvorlagen zu Surrogate Cities, die im Werkkommentar nachzulesen sind.41 Gleichzeitig aber sollen den Zuschauern seiner musiktheatralen Stücke nicht zu viele Hinweise zur Entschlüsselung mitgegeben werden, wie z.B. in konzeptionell überfrachteten Programmhefttexten. Nicht zufällig hatte Goebbels in der Rückschau auf einen Besuch bei den Donaueschinger Musiktagen 1990 die Marotte vieler Komponisten kritisiert, zur eigenen Profilierung den Stücken in viel zu langen Erläuterungen komplexe Inhalte anzudichten, die realiter kaum wahrzunehmen und für das Verständnis der Musik leicht verzichtbar sind:

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE „Soviel Privatphilosophisches, Pseudokonventionelles und Selbstgestricktes, gerade von den jüngeren Künstlern, offenbar unter dem Originalitätsdruck, möglichst früh schon ein unverstandenes Genie zu sein: Warum sonst driften alle ihre Konzeptions-, Ideen- und Strukturversuche ins Unüberprüfbare ab? [...] Natürlich ziele ich damit auch auf die aus solchem Denken und dermaßen unangefochtener Selbstsicherheit resultierende Musik.“42

Ohne diese Kritik hier weiter zu verfolgen, bietet Heiner Goebbels mit der Verbindung der von ihm beanstandeten Überkomplexität und Realitätsferne eingefahrener Personalstile sowie seiner Ablehnung esoterischer, kryptischer Begleittexte zugleich eine Interpretationsgrundlage für seine eigene Musik. Seine Prämisse, Stücken mit bestimmten Schlüsselworten und formalen Gattungsbezeichnungen einen Rahmen zu geben, innerhalb dessen genaue Ausdeutungen vermieden und den Rezipienten überlassen werden, verstand er in einem Interview für das Programmheft der Berliner Aufführung im Februar 2008 auch als verbindendes Element zur Tanz-Choreographie von Surrogate Cities: „Genau das interessiert mich an der Arbeit von Mathilde Monnier, nämlich Bilder zu entwickeln, die unsere Imagination, die durch die Musik angeregt ist, nicht reduzieren. Bilder, die nicht die Musik illustrieren wollen, sondern die unsere Augen öffnen.“43 Wie solche interpretatorischen Rahmungen ohne sprachlich fixierte „Gebrauchs“- respektive Höranleitung musikalisch umgesetzt werden und dabei der Musik eine bisweilen hypnotische Wirkung verliehen wird, lässt sich an den beiden miteinander korrespondierenden Stücken Sarabande/N-touch und Gavotte/Ntouch remix zeigen. Sarabande/N-touch beginnt mit zwei Klangschichten, die mitund gegeneinander kommunizieren und intern weiter unterteilt sind: Zum einen betrifft dies diverse Schlagzeuginstrumente. Zunächst stellt die mit Ruten geschlagene große Trommel ein erstes rhythmisches Motiv mit einer punktierten Viertel- und einer Achtel-Note vor, das im Verlauf des Stücks immer wiederkehrt und sich mit Akzenten der Snaredrum abwechselt. Etwa ab Takt 5 wird vom Sampler ein Drum-Loop aus Sechzehnteln zugespielt, das aus Sounds eines offenen und geschlossenen Hihats besteht. Gegen diese gleichbleibende rhythmische Schicht ist eine Ebene

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aus Violine 2, Viola, Violoncello und Kontrabass gesetzt, wobei der Kontrabass einen Orgelpunkt auf D spielt, der den anderen drei Stimmen eine harmonische Basis bietet und zugleich – durch die Kontinuität des Tons – eine Verbindung zum gleichbleibenden Schlagzeugpuls herstellt. Die übrigen drei Streichergruppen spielen jeweils unterschiedliche Abfolgen von einigen halben Noten und einer ganzen Note, so dass zwar eine klar zählbare Korrespondenz mit dem Schlagzeugpuls entsteht, sich aber keine Orientierung nach einem Taktschema einstellen will (man erinnere sich Goebbels’ Bemerkung zum „grundlegenden musikalischen Mittel rhythmisch puls-orientierter Komposition“). Erst wenn die Violine ab Takt 13 erkennbar eine Wiederholung ihres chromatisch abfallenden Motivs spielt, gewinnt man im Höreindruck etwas Überblick zur Funktionsweise des Stücks. Ab Takt 33 wiederholt sich der gesamte Part von Streichern und Schlagzeug, wobei im zweiten Teil von Sarabande/N-touch noch mehr Orchesterschlagzeug, eine Bläsergruppe sowie die ersten Violinen mit einer in triolischen Achtelgruppen repetierten Vorschlagsnote von E3 auf D3 hinzukommen (die Bläser werden weiter unten in der Gavotte, der Remix-Version der Sarabande, behandelt). Wie sich im Folgenden in den Analysen der Streicherstimmen nachvollziehen lässt, wurden die einzelnen Motive und deren Variationen von Heiner Goebbels gegen- und miteinander verzahnt. Dies erinnert an das Funktionsprinzip von Sequenzersoftware, mit der sich Klangmaterial zu einem Arrangement schichten lässt (die üblichen Programmstandards von Cubase, Logic Audio und Pro Tools beruhen alle auf dieser Struktur). Dabei ist vorab festzuhalten, dass längst nicht alle der nachweisbaren Konstruktionsprinzipien hörbar sind. In den wenigsten Fällen (z.B. bei einer Fuge) liegt dies aber in der Absicht der Komponisten und wurde beispielsweise von Arnold Schönberg vehement zurückgewiesen, als man ihm mangelnde Durchsichtigkeit seiner Stücke vorwarf, wie sie als vermeintliche ästhetische Notwendigkeit von seiner neu eingeführten Zwölftonmethode erwartet wurde.

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Teil 1: Part der zweiten Violine (Grundmaterial und Ableitungen) Ohne dass eine Strukturierung im Sinne einer seriellen Technik festzustellen wäre, basiert der Part der zweiten Violine auf einem Kernmotiv (hier Grundmaterial genannt), auf das sich alle Teile der Stimme beziehen lassen (vgl. Abb. 3). Die folgende Systematisierung des Materials dient dabei allein der analytischen Pragmatik und ist in mehrere Richtungen flexibel, so dass sie auch enharmonische Verwechselungen einschließt (z.B. Gis/As). Abbildung 3:

Grundmaterial und Ableitungen der zweiten Violinstimme in Sarabande/N-touch, Takte 1-30

Das Prinzip der Ableitungen lässt sich an der ersten markierten Stelle demonstrieren: Während die ersten vier Noten unschwer dem Grundmaterial ab Takt 21 zugeordnet werden können, lässt sich das Fis sowohl als dessen Beginn interpetieren als auch auf das folgende Fis in Takt 23 beziehen. Des Weiteren sind bei dieser Violinstimme folgende Details erwähnenswert: Anm. 1: Der letzte Ton wurde auf- statt abwärts alteriert. Anm. 2: Die ersten drei Töne des Grundmaterials wurden um einen Halbton tiefer transponiert. Anm. 3: Der letzte Ton wurde ab- statt aufwärts alteriert. Anm. 4: Die Takte 15 und 16 sind jeweils ein Krebs der Takte 20 und 21 im Grundmaterial. Anm. 5: Die ersten zwei Töne (F und E) wurden verdoppelt. Anm. 6: Die Takte 26 bis 28 sind eine transponierte Umkehrung des Grundmaterials (beginnend beim As).

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Teil 2: Part von Viola und Violoncello Wie die Zusammenschau aller drei Streicherstimmen verdeutlichen wird (siehe Abb. 5), sind Viola und Violoncello ineinander verschränkt. Zur Binnendifferenzierung wurden sie zunächst von der zweiten Violine abgesetzt. Entsprechend wird zuerst die enge Verbindung dieser beiden Stimmen separat behandelt, da sie nicht auf einem gemeinsamen Grundmaterial aufgebaut wurden. Abbildung 4:

Viola und Violoncello in Sarabande/N-touch, Takte 1-30

Zu dieser Übersicht sind folgende Bemerkungen zu machen: 1b) ist eine transponierte Wiederholung von 1a); 2b) ist ebenfalls eine Wiederholung, bei der die kleine Sekunde am Ende ab- statt aufwärts führt. Dabei fungiert der letzte Ton des ersten Durchgangs als erster der Wiederholung;

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3a) und b) funktionieren nach dem Prinzip von 2a) und b), wobei die Wiederholung transponiert wurde und kein Ton beide Teile verbindet; 4) ist eine transponierte Umkehrung von 1a) und b); 5b) ist eine transponierte Wiederholung von 5a); 6a) bis c) sind als Einheiten sehr ähnlich bei vertauschten Vorzeichen zwischen a) und b). Für eine solche Deutung spricht auch die enharmonische Verwechslung von C/Cis und D/Des. Die Teile b) und c) sind sich sehr ähnlich, wenn man letzteren auf dem zweiten Ton H aus Teil b) beginnen lässt, Teil d) ist eine modifizierte Kombination aus a) und c); 7a) ist eine transponierte Umkehrung von b) respektive auch als transponierter Krebs zu verstehen, wobei 7b) identisch mit dem Beginn von 2a) ist; 8) lässt sich als Figur am höchsten Ton D spiegeln. Die ersten vier Töne gleichen zudem als Krebs dem Beginn von 5a); 9) erinnert als chromatisch fallende Linie immer auch an das Grundmaterial von Violine 2, besonders charakteristisch am Beginn des Violinenparts (siehe Abb. 3, Takt 1f.). Ein weiteres, allerdings weniger offensichtliches Beispiel für eine solche Beziehung zur Violinenstimme sind die vier ersten Töne von 2a), wenn man sie als transponierten Krebs bzw. als transponierte Umkehrung auffasst. Teil 3: Violine 2, Viola und Violoncello In der Zusammenschau der drei Stimmen (siehe Abb. 5) geben mehrere Momente Hinweise auf die Mittel, mit denen die weiter oben erwähnte besondere Klangwirkung der Sarabande erreicht wird: I. Am Beginn des Parts stechen besonders die Quartparallelen heraus, deren klangliche Charakteristik noch dadurch betont wird, dass sie erstens im Übergang von Takt 17 auf 18 wiederholt und sogar um einen dritten Schritt erweitert werden, und da zweitens im ganzen Part ansonsten kaum Stimmparallelen zu finden sind (abgesehen von einer Terzparallele in Takt 11 sowie einer Tritonusparallele in Takt 13, in beiden Fällen zwischen Violine und Viola).

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Abbildung 5:

Violine 2, Viola und Violoncello in Sarabande/ N-touch, Takte 1-30

II. Der gesamte Teil operiert mit zahlreichen Reibungen kleiner Sekunden und ihrer Auflösung in größere Intervalle, sowohl der drei Stimmen untereinander (vgl. z.B. das Es der Geige und das Cis des Cellos in Takt 5f., die gegen das D der Bratschenmittelstimme stehen und zu einer großen Terz Fis bzw. einer großen Sekunde C geführt werden), als auch gegen den (nicht eingezeichneten) Orgelpunkt D der Kontrabässe (vgl. den Auf- und Abbau von Spannungen zwischen Geige und Cel-

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lo in Takt 2 gegen das D der Bässe durch einen Schritt der Geige von Es zu D bzw. des Cellos von C zu Cis). Auch bei dieser Gestaltung von Spannungs- und Entspannungsmomenten spielt das Intervall des Tritonus eine auffällige Rolle: Beispielsweise nähern sich in der Stimmführung des zwölften Takts Des und D von Bratsche bzw. Cello stark an, wobei das Gis der Geige zugleich im Tritonusabstand zum Cello steht. In den folgenden eineinhalb Takten absolvieren Geige und Bratsche sogar einen doppelten Abwärtsschritt im Abstand eines Tritonus. III. Immer wieder wird in den Parts der drei Streicher mit harmonischen Varianten gespielt, in denen der Ton D eine Rolle spielt (z.B. in Takt 7 D-Dur, in Takt 8 B-Dur7 sowie ein übermäßiger Akkord A-Des-F, der durch den Orgelpunkt des Kontrabasses auf D auch als d-Moll-Akkord mit großer Septime gedeutet werden könnte). Am Ende des Streicherparts ist für einen kurzen Augenblick ein Akkord zu vernehmen, der nach B-Dur klingt: er beginnt in Takt 29 mit dem Orgelpunkt des Kontrabass auf D, aufgelöst über das H der Viola gegen das B des Cellos sowie über das Es der Violine in Takt 30 gegen das D des Kontrabass, aufgelöst in einen offenen Klang D/C von Violine und Viola am Ende von Takt 30. IV. Der Anfang von Takt 17 erinnert mit dem Stimmentausch zwischen Violine und Violoncello deutlich an den Beginn der Passage: Während die Violine die transponierte Umkehrung des Celloparts aus Takt 1f. spielt (siehe Ziffer 1 in Abb. 5), transponiert das Cello den Beginn der Violinstimme (Ziffer 2), gefolgt von einer langen Wiederholung des eigenen Parts (einsetzend mit dem dritten Ton C in Takt 2; vgl. Ziffer 3). Da die großen Trommeln des Schlagzeugs, mit denen das Stück beginnt, jeden vierten Takt betonen, wird auch Takt 17 auf diese Weise markiert (wenn man ihn aufgrund der Stimmähnlichkeiten zum Beginn der Passage als Zwischenhöhepunkt verstehen will). Für diese Deutung spricht auch, dass a) nach diesem Punkt die Spannungen in den Streicherstimmen abnehmen, b) kein Tritonus mehr erscheint, c) es nur noch sehr wenige ganze Noten gibt und gemeinsam gespielte halben Noten dominieren, was viele, gemeinsam genommene Schritte zur Folge hat. Abschließend spräche d) für eine solche Interpretation von Hervorhebungen bestimmter Stellen durch Ak-

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zente der Trommeln, dass auch auf dem (vermeintlichen) BDur-Klang in Takt 29 eine solche Schlagzeug-Betonung liegt. Als Ergebnis der Stimmenanalysen lässt sich festhalten, dass Heiner Goebbels in der Anlage der Streicher mit eng begrenztem Material operiert, dieses variiert und in neuen Zusammenstellungen arrangiert. Viola und Violoncello haben dabei einen beinah identischen Tonvorrat (Va a-D1, Vc a-E1). Auch die zweite Violine umspannt einen engen Tonraum, der allerdings über dem der beiden anderen Stimme liegt (D1-As1). Violine 2 umspielt mit ihrem Tonvorrat den Orgelpunkt des Kontrabass auf D (bzw. die entsprechende Oktavierung) nach oben, die Viola deckt ihn relativ genau ab mit etwas mehr Tönen unterhalb des D. Das Violoncello liegt überwiegend unter dieser D-Linie und überschreitet sie nur einmal, dann aber höher als die Viola. Die eingangs kurz erwähnte erste Violine doppelt und verstärkt mit ihrer repetierten Vorschlagnote die Hihat-Klänge des Samplers, während der Kontrabass – zusätzlich zum Orgelpunkt – mit Pizzicati die Einsätze der mit Ruten geschlagenen großen Trommel unterstützt. Vergleicht man die rhythmische Schicht des Schlagzeugs mit der harmonischen Schicht der Streicher, so fällt auf, dass die Gestaltung des rhythmischen Pulses fast vollständig den Schlagzeuginstrumenten überlassen wurde, die mit gleichbleibenden Geräuschen ihre Akzente setzen. Die rhythmische Organisation der Streicherstimmen wurde hierfür noch strenger begrenzt als ihr Tonvorrat. In dieser klaren Rollenverteilung ist daher eine Erklärung für die eigentümliche Wirkung der Sarabande zu vermuten, da Schlagzeugpuls und fließende Streicherschichten zwar als Kontrast einerseits unabhängig voneinander agieren, andererseits aber über die von der ersten Violine und dem Kontrabass gestifteten Verbindungen genügend verzahnt und damit aufeinander angewiesen sind. Lenkt man den Blick auf das zweite zu betrachtende Stück, eine Gavotte, so deutet bereits der Zusatztitel „N-touch remix“ eine Beziehung zur Sarabande an und gibt zugleich einen Hinweis zur Art der Verbindung. Ein Remix – der Begriff entstammt der Sprache der Popmusiker – geht von einzelnen Spuren einer Studioproduktion aus, ergänzt diese möglicherweise um einige Elemente, um daraus ein neues Stück zu kreieren, das zugleich als Variation

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des ursprünglichen Titels erkennbar bleibt. Übertragen auf die beiden Stücke von Heiner Goebbels und seine Kompositionsweise mit (metaphorischen) Anleihen bei der Sampletechnik lassen sich folgende Kernprinzipien wiederfinden:  Die Gavotte basiert ebenfalls auf in der Stückmitte wiederholten Streicher- und Schlagzeugstimmen und ist in ihrer Länge auf die Hälfte Sarabande verdichtet. Sie operiert mit prägnanten Intervallen der Sarabande (kleine Sekunde, große Terz, Quart, Tritonus), die die Stimmführung horizontal und vertikal dominieren. Im Gegensatz zur Sarabande mit ihren langen Linien spielen die Streicher in der Gavotte auch Doppelgriffe.  Auch in der Gavotte wird die harmonische Arbeit vom Prinzip der Spannung und Entspannung angetrieben sowie vom Gegensatz zwischen Erkennbarkeit (von altem Material) und Variation (die das Material neu erscheinen lässt). Als bewusste Abgrenzung zur Sarabande wurden die Intervallkonstellationen in der Gavotte an verschiedenen Stellen durch Spieltechnik, Satz und Dynamik verschleiert. Verfolgt man das dichte Zusammenspiel der Stimmen genauer, treten spezifische Strukturprinzipien hevor (die Aufzählung entspricht dabei der Nummerierung im Notenbeispiel, siehe Abb. 6): 1. Auch zu Beginn der Gavotte arbeitet Goebbels mit einem Orgelpunkt, der diesmal als F auf Viola und Kontrabass verteilt wurde. Spannungen werden gleichfalls durch die Reibung von kleinen Sekunden erzielt, z.B. in der Positionierung des doppelten Fis der Celli ab Takt 2, die auf den kurzen Orgelpunkt reagieren. Die Quart, das markante Intervall zu Beginn der Sarabande (hier horizontal parallel geführt), spielt in der Gavotte eine ebenso prominente Rolle, der Tritonus fungiert als wesentliches vertikales Spannungsintervall. Beide Elemente sind in den ersten sechs Takten im Kontrabass zusammengezogen und lassen sich mit den Intervallschritten F-Fis und C-H sogar transponiert in der zweiten Violine der Sarabande in einer Linie identifizieren (vgl. in Abb. 5 in den Takten 14 und 15 die Intervallschritte Es-D und As-G). Entsprechend übernimmt der Kontrabass in Takt 4 das Fis, stellt es im Doppel-

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griff mit C in die Spannung eines Tritonus, um diese Reibung in Takt 6 in einen Quartklang Fis-H zu überführen. Abbildung 6:

Auf Führungsstimmen reduzierte Darstellung der Gavotte/N-touch, Takte 1-17

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2. Das Cello stellt mit seinem H in Takt 6 einerseits eine Beziehung zum Kontrabass her, andererseits steht der zweite Ton G gegen das Fis des Basses. Zugleich aber lässt sich auf dieses G im Abstand einer Quarte das gleichzeitig einsetzende D der ersten Violine sowie der Viola beziehen, wodurch ein Akkord entsteht, der als h-Moll6 gedeutet werden könnte. 3. Eine weitere wichtige Funktion übernimmt die große Terz, beispielsweise zu Beginn der Linie der zweiten Violine ab Takt 7. Hier baut das Des der Violine neue Spannung zum D der Viola auf und färbt den für einen kurzen Moment von Kontrabass, Violoncello und Viola gespielten G-Dur-Akkord auf der ersten Zählzeit von Takt 7 um zu einem offenen Klang auf As mit großer Sexte (vgl. das Gis im Bass, As und F im Cello und das Es der zweiten Geige), an dem sich plötzlich das liegende D der Viola reibt. Dieser Akkord auf As/Gis ist streng genommen harmonisch unbestimmt, wobei das zuvor von Cello und Kontrabass gespielte H die Assoziation einer Moll-Terz suggeriert. 4. Bei solchen Spekulationen zur Hörweise von Akkorden ist zu berücksichtigen, dass sich die beschriebenen Schritte sehr schnell im Stück vollziehen und die Assoziationen daher nicht notwendigerweise auch so deutlich entstehen. Die weitere Progression in Takt 7 löst die Spannung jedenfalls in einen neuen Akkord auf, der mit den Tönen B, Fis, D und A kaum harmonisch zuzuordnen ist. 5. Dieser Klang wird von Kontrabass und Violinen in eine offene Quinte E-H überführt. Cello und Viola beginnen derweil mit kleinen Sekunden (respektive einem großen Septimsprung) auf Achtelnoten und erreichen ein Cis, das von Cello und Bass zum neuen Orgelpunkt A geführt wird. Da in Takt 9 zuvor die Dur-Terz Cis und der Leitton Gis passiert wurden, ließe sich rückwirkend die Quinte E-H in Takt 8 als Modifikation eines EDur-Akkords deuten, für den Viola und Violoncello als letzte Note im Takt die Terz Gis lieferten, so dass der Wechsel von Takt 8 auf 9 die Funktion einer verkürzten Kadenz von Dominante und Tonika übernähme. 6. Der zweite Orgelpunkt auf A, der drei Takte lang ununterbrochen bleibt, dient ferner dazu, mit einer kurzen ruhigen Phase den Schluss vorzubereiten, bei dem die Bläser Forte fortissimo hinzukommen. Der für diesen abschließenden Teil wich-

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tige Sekundschritt wird dabei bereits in Takt 8 in der Bratschenstimme für die Takte 16 und 17 vorweggenommen (siehe Abb. 6, von 6a) zu b) transponiert) und zum Ende der Passage mit einem Glissando verschleiert. Dieses wiederum bezieht sich auf den Cluster in den Takten 13 bis 15, so dass sich an der Partitur zwar eine Verschränkung dieser Passagen nachzeichnen lässt, die im realen Spielverlauf aber so dezidiert nicht zu bemerken ist. 7. Hauptcharakteristikum der Holzbläser in den Takten 13 bis 15 ist die erneute Assoziation eines Dur-Akkords, in diesem Fall mit einem Cis der Oboe zum Grundton A in Cello und Bass. Gleichzeitig bringt aber die Flöte auch die Quarte D ein, während die Klarinette den Zwischenraum bis zum Cis mit einem D ausfüllt, das um einen Viertelton erniedrigt wurde. Dabei entsteht die engste Reibung, die bisher in beiden Stücken anzutreffen war und noch dichter instrumentiert wurde, als alle vergleichbaren chromatischen Streicherfiguren in der Sarabande. 8. Mit diesem Cluster schließt sich in den letzten beiden Takten 16 und 17 der Kreis zum kleinsten Intervall der Sarabande, indem die Violinen die enge Reibung der Klänge übernehmen und mit den Holzbläsern ein glissandiertes, rhythmisch gestaffeltes Feld im Tonraum einer kleinen Sekunde ausfüllen. Die Kombination unterschiedlicher künstlerischer Traditionslinien des 20. Jahrhunderts, die Goebbels (im akustischen Bereich seiner Arbeiten) auf das gesamte Klangspektrum zwischen Pop, Jazz und Klassik zurückgreifen lässt, öffnet seine Musik für Hörer mit höchst verschiedenen Vorlieben und Ambitionen. Dass er damit zu Publikumsgruppen jenseits des üblichen Einzugsbereichs von klassischer Musik vorstößt, macht deutlich, weshalb Surrogate Cities zum einen ein geeigneter musikalischer und konzeptioneller Ausgangspunkt für Educationprojekte sein kann, weshalb es zum anderen jährlich auf europäischen Bühnen zu sehen ist und überdies in der Einspielung der Uraufführungsbesetzung im Jahr 2001 für einen Grammy in der Rubrik „Best Classical Contemporary Composition“ nominiert war.44 Als Ausnahme unter der Mehrheit der Komponisten seiner Generation stößt Heiner Goebbels mit seiner Kunst sowohl in der akademischen Welt als auch im breiten Konzert- und Theaterbe-

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trieb auf großes Interesse. Eine mögliche Erklärung dieses Erfolgs könnte in der Glaubwürdigkeit zu finden sein, mit der er verschiedene Stränge des diversifizierten Musiklebens zusammenführt, da er die einzelnen der dabei in Beziehung gebrachten Bereiche aus eigenem Erleben kennt und als gleichrangig behandelt. Ein entsprechendes Gegenbeispiel wäre die modische Vorliebe einiger Vertreter und Vertreterinnen der neuen Musik, mit „exotischen“ Klängen und Instrumenten aus Pop, Rock und HipHop eine vermeintliche Nähe zu Jugend- und Subkulturen zu suggerieren. In diesem Sinn ließe sich Goebbels’ Vorliebe für szenisches Komponieren, um Brücken zwischen dem weiten Feld der klassischen Musik und jenen von Pop, Rock, Jazz und improvisierter Musik zu schlagen, als die angenommene Herausforderung interpretieren, Gesellschaft, Kultur und Politik kritisch durch Kunst zu reflektieren, wie sie von der sogenannten neuen Musik gefordert und durch ihre Theoretiker ästhetisch legitimiert wurde. Entgegen der Haltung mancher dort situierter Künstler, das eigene musikalische Tun bei einer gesellschaftskritischen Betrachtung auszunehmen und folglich eine Doppelrolle als Künstler und Kritiker zu beanspruchen, überlässt Goebbels viele Bewertungen dem Publikum selbst. Obgleich mit einer solchen Haltung nicht notwendigerweise eine größere ästhetische Qualität der Produktionen einhergehen muss, ist doch bezüglich des Erfolgs der Stücke sicherlich in Betracht zu ziehen, dass der Respekt, den der Künstler allen seinen verwendeten Materialien entgegenbringt, auch die vielen möglichen Rezeptionsformen der von ihm konzipierten szenischen und akustischen Ereignisse mit einschließt. Die von Goebbels damit implizierte Geste zur ungezwungenen Auseinandersetzung mit Kunst und Musik, wie er einmal formulierte, wird vom Publikum jedenfalls sichtlich honoriert: „Man sieht einer Produktion an, wie sie gemacht ist: ob sie sich jemand ausgedacht hat und uns damit auf seine Interpretation verpflichtet, oder ob es eine Arbeit ist, die den Blick öffnet. Mich interessiert das Letztere: an eine Kunstform zu arbeiten, die den Blick öffnet und ihn nicht eng führt.“45

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Artikel Emmanuel Pahud, in: Stiftung Berliner Philharmoniker (Hg.), Variationen mit Orchester. 125 Jahre Berliner Philharmoniker, Band 2 Biografien und Konzerte, Berlin: Henschel 2007, S. VI. Im Vorwort zum ersten Band findet sich der Hinweis, dass alle Kurzbiografien vom ehemaligen Orchestermitglied Dietrich Gerhardt verfasst wurden, vgl. ebenda, Band 1, S. 10. Andrea Thilo: Philharmonie goes Film, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, Mai bis Juni 2004, S. 72. Vgl. auch Deep Blue. Die Philharmoniker im Kino, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, März bis April 2004, S. 64. Tobias Möller: Musik ohne Sockel. Ein Jahr Sir Simon Rattle in Berlin, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, September bis Oktober 2003, S. 10f. Vgl. für eine ausführliche Übersicht Nicholas Kenyon: Simon Rattle. From Birmingham to Berlin, London: Faber and Faber 2 2001, S. 2ff. Zitiert nach der Internetseite http://www.rhythmisit.com/en/ php/index_flash.php?HM=2&SM=2&CM=10 (Abruf am 15. März 2008). Siehe Kenyon: Simon Rattle, S. 56-60. Ebenda, S. 63. Vgl. ebenda, S. 87ff. Zitiert nach ebenda, S. 161. Vgl. ebenda, S. 247. Vgl. Margarete Zander: Zukunft@BPhil. Das Education-Programm der Philharmoniker unter neuer Leitung: Catherine Milliken – ein Portrait, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, September und Oktober 2005, S. 35-37, sowie die Biografie auf ihrer Internetseite http://www.cathymilliken.com/02_ bio_d.htm (Abruf am 21. Februar 2008). Vgl. Jürgen Otten: Aufbruch in die Zukunft. Die Wende und die Abbado-Jahre, in: Stiftung Berliner Philharmoniker (Hg.), Variationen mit Orchester. 125 Jahre Berliner Philharmoniker, Band 1 Orchestergeschichte, Berlin: Henschel 2007, S. 351. Zitiert nach der Internetseite http://www.rhythmisit.com/en/ php/index_flash.php?HM=2&SM=2&CM=11 (Abruf am 15. März 2008). Vgl. hierzu ausführlich Michael Custodis: Die soziale Isolation der neuen Musik. Zum Kölner Musikleben nach 1945, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004, Kapitel 5. Vgl. Volker Michael: Wie Kinder heute in der Schule komponieren, in: Neue Musikzeitung 51 (2002), Heft 4, S. 55-59.

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Zitiert nach http://www.rhythmisit.com/en/php/index_flash. php?HM=2&SM=2&CM=11 (Abruf am 15. März 2008). Zitiert nach http://www.rhythmisit.com/en/php/index_flash. php?HM=2&SM=2&CM=13 (Abruf am 15. März 2008). Vgl. Claire Badiou und Tobias Bleek: Zukunft@BPhil – Projekt 8. Eine musikalisch-pantomimische Annäherung an György Ligetis ‚Zehn Stücke‘ für Bläserquintett, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, Januar bis Februar 2004, S. 26-29. Vgl. Christine Mast: Zukunft@BPhil. MusicTANZ – MusicCHOR – SONGS. Carl Orffs ‚Carmina Burana‘ in der Arena Berlin, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, September und Oktober 2006, S. 37f. Vgl. als Beispiel für ein weiteres Gesangsprojekt Larissa Israel: Zukunft@BPhil. Songs 1 – Schostakowitsch, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, November bis Dezember 2005, S. 30-34. Zukunft@BPhil – Education-Projekt 14. Der wunderbare Mandarin. Ausstellung mit Werken von Florian Foerster und Schülern der Ferdinand-Freiligrath-Oberschule im Foyer der Philharmonie, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, März bis April 2004, S. 30. Vgl. Zukunft@BPhil – Education-Projekt 15. Norouz – Fest der Sinne. Kreatives Projekt mit der Oberlinschule in PotsdamBabelsberg, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, März bis April 2004, S. 32f; Henrike Grohs: Zukunft@BPhil – Education-Projekt 21. Stürmische Winde und Götterspeisen. Die Berliner Philharmoniker zum zweiten Mal in der Oberlinschule Potsdam-Babelsberg, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, Mai bis Juni 2005, S. 26-29. Vgl. Marieluise Schneider: 5. Schulorchestertreffen der Berliner Philharmoniker, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, September bis Oktober 2003, S. 35; Tobias Bleek: Zukunft@ BPhil – Projekt 13. ‚Klänge wie im Tropenwald‘. György Kurtágs ‚...quasi una fantasia...‘, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, Mai bis Juni 2004, S. 30ff. Margarete Zander: Zukunft@BPhil – Education-Projekt 20. Toleranz und Offenheit. Die Berliner Philharmoniker im Gefängnis, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, März bis April 2005, S. 28ff.; Christine Mast: Zukunft@BPhil. MusicFILM: „Das Rheingold“, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, September bis Oktober 2006, S. 42f. Claire Badiou: Zukunft@BPhil – Education-Projekt 17 Prélude à ‚La Mer‘. Eine musikalische Entdeckungsreise in die Klangwelten des Ozeans, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, November bis Dezember 2004, S. 30ff. Vgl. Christine Mast: Zukunft@BPhil. Songs – ‚Entführung 2006‘, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, Mai bis Juni 2006,

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S. 28f. Vgl. Christine Mast: Zukunft@BPhil. Songs – ‚Entführung 2006‘, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, Mai bis Juni 2006; S. 28f. Vgl. die Äußerungen von Gernot Schulz (Schlagzeuger und Dirigent) und Sara Willis (Hornistin), in: Tobias Bleek: „Ein Feuer, das sich selbst speist“. Ein Gespräch mit beteiligten Musikern über das neue Education-Programm der Berliner Philharmoniker, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, Februar bis März 2003, S. 26ff. Vgl. Tobias Bleek: Zukunft@BPhil: Premiere in der Arena Treptow, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, April bis Juni 2003, S. 27. Vgl. Tobias Bleek: Zukunft@BPhil. Stimulus Potsdamer Platz. Ein multimediales Education-Projekt zu Heiner Goebbels ‚Surrogate Cities‘, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, November bis Dezember 2003, S. 22-25. Die Berliner Philharmoniker spielten Surrogate Cities unter der Leitung von Simon Rattle erstmals am 23. September 2003. Hubert Machnik/Catherine Milliken: Zukunft@BPhil. Remix – ‚Asyla‘, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, Januar bis Februar 2006, S. 30-34. Wenige Monate später wurde das Projekt in New York mit anderen Jugendlichen wiederholt. Hubert Machnik/Catherine Milliken: Zukunft@BPhil. Remix – ‚Asyla in New York‘, in: Berliner Philharmoniker. Das Magazin, Mai bis Juni 2006, S. 32ff. Heiner Goebbels: Gegen das Gesamtkunstwerk: Zur Differenz der Künste, in: derselbe/Wolfgang Sandner (Hg.), Komposition als Inszenierung, Berlin: Henschel 2002, S. 138f. Vgl. auch Max Nyffeler, Der dialektische Sampler: Zur kompositorischen Arbeit von Heiner Goebbels, in: ebenda, S. 177. Vgl. Wolfgang Sandner: Heiner Goebbels. Komponist im 21. Jahrhundert, in: Komposition als Inszenierung, S. 15ff. Heiner Goebbels: Prince and the revolution: Über das Neue, in: Komposition als Inszenierung, S. 204f. Ebenda. Ebenda, S. 206. Ein solches Selbstverständnis steht im historischen Vergleich durchaus konträr zur künstlerischen Selbstwahrnehmung von Komponisten als „einsame Genies“ im 19. Jahrhundert, wie sie Friedrich Geiger am Gegenstand des Handlungsballetts herausgearbeitet hat. Vgl. Friedrich Geiger: Komponieren für das Ballett? Produktionsästhetische Barrieren im 19. Jahrhundert, in: Michael Malkiewicz/Jörg Rothkamm (Hg.), Die Beziehung von Musik und Choreographie im Ballett, Berlin: Vorwerk 2007, S. 121-130. Heiner Goebbels: Puls und Bruch: Zum Rhythmus in Sprache und Sprechtheater, in: Komposition als Inszenierung, S. 106f.

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Vgl. die bei Ricordi erschienene Partitur, S. 2. Zitiert nach http://www.rhythmisit.com/en/php/index_flash. php?HM=2&SM=2&CM=13 (Abruf am 15. März 2008). Andreas Menk: Abschnitt III Die Suite in Deutschland bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts des Artikels Suite, in: MGG2, Sachteil Band 8, Kassel: Bärenreiter 1998, Sp. 2070; Julia Rosemeyer: Abschnitt IV Suiten außerhalb Deutschlands im 17. Jahrhundert bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts des Artikels Suite, in: ebenda, Sp. 2072 sowie Martina Wollner/Christian Hohmann: Abschnitt V Die Suite von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts des Artikels Suite, in: ebenda, Sp. 2076. Vgl. seinen Brief an Wolfgang Steinecke vom 2. Mai 1959, in: Nam June Paik. Werke 1946-1976, Musik-Fluxus-Video, Katalog zur Ausstellung im Kölnischen Kunstverein 19. November 1976 bis 9. Januar 1977, Köln 1976, S. 39ff. David Fuller: Artikel Suite, in: New Grove2, Band 24, London: Macmillan 2001, S. 667. Vgl. http://www.ricordi.de/cgi-bin/portrait?ACTION=MASTER_ FRAME&SPARTE=&KOMPONIST=889811672 (Abruf 13. Februar 2008). Heiner Goebbels: Gegen das Selbstgestrickte, Erstabdruck in der Schweizer Wochenzeitung Nr. 44, November 1990, zitiert nach: Goebbels: Komposition als Inszenierung, S. 217. Die Einsamkeit des Einzelnen inmitten der Menge. Ein Interview mit dem Komponisten Heiner Goebbels und der Choreografin Mathilde Monnier, in: Berliner Philharmoniker Programmheft 48, Spielzeit 2007 und 2008, S. 9. Vgl. http://www.heinergoebbels.com/hist.perf/hist.perf.surr ogate.htm (Abruf am 15. März 2008). Aus einem Podiumsgespräch mit Moritz Eggert, Heiner Goebbels, Christian Jankowski und Eran Schaerf, in: Michael Custodis/Friedrich Geiger/Michael Lüthy (Hg.), KünstlerKritiker. Zum Verhältnis von Produktion und Kritik in bildender Kunst und Musik, Saarbrücken: Pfau 2006, S. 12.

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Versuchte man, die Beliebheit eines Künstlers in Zahlen und zuerkannten Preisen darzustellen, ließen sich im Fall von Sting Tonträgerverkäufe in mehrfacher Millionenhöhe, zigfache Chartplatzierungen seiner Songs, eine seit über drei Jahrzehnten ungebrochene Ausdauer im globalen Tourneegeschäft, bislang sechzehn Grammys1, ein Golden Globe mit zwei weiteren Nominierungen, drei Oscarnominierungen, zwei Emmys, die Aufnahme in die amerikanische Songwriters Hall of Fame, zwei Ehrendoktortitel sowie die Ernennung zum Commander of the British Empire (im Jahr 2003 durch Königin Elizabeth II.) als Indikatoren heranziehen.2 Regelmäßig in der Presse zirkulierende und im World Wide Web perpetuierte Geschichten zeigen, dass der Sänger, Gitarrist, Bassist, Songschreiber, Schauspieler und Buchautor sowohl begeisterte Zustimmung seiner Fans genießt als auch beißende Kommentare seiner Kritiker provoziert. Gewiss aber bewegt er ungebrochen die Fantasie vieler Menschen, die auf seine Person ein Spektrum von Facetten projizieren, angefangen bei Klischees des extravaganten, potenten Rockstars im internationalen Jet-Set bis hin zum Aktivisten für politische und ökologische Initiativen.3 Bei aller ökonomischen und boulevardesken Anziehungskraft, die von Musikern ausgeht, gerät dabei leicht aus dem Blick, wo diese Interessen an Künstlern ihren Ausgang nehmen, der Musik. Aus dieser Sichtweise stellt sich Stings umfangreiches Repertoire etwas anders dar: So begegnen Kollegen seinen Stücken mit großer Faszination, was einerseits zahlreiche Kollaborationen über Genregrenzen von Jazz, Rock, Klassik, arabischer und indischer Musik hinweg zur Folge hatte und andererseits eine Fülle von Coverversionen hervorbrachte, die Titel wie Roxanne, Every Breath You Take und Fragile zu Evergreens und Songbook-Standards machten.

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Durchleuchtet man die neun bislang vorgelegten Studioalben, die einen Zeitraum von 1985 bis ins Jahr 2006 überspannen und Stings musikalische Überzeugungen am deutlichsten widerspiegeln4, so stößt man dort auf seine eigene Faszination an der Musik anderer Künstler. In der Rückschau vom zuletzt vorgelegten, John Dowland gewidmeten Album Songs From The Labyrinth über Anleihen bei Johann Sebastian Bach und Hanns Eisler bis zu Sergej Prokofiev lässt sich – so die zentrale These dieser Ausführungen – aus Stings Umgang mit historischen Vorlagen sein Verständnis von Musikgeschichte als einer Geschichte des Songwritings ableiten. Dieses Verständnis webt er seinen Liedern ein, um durch die konkrete Verbindung von historischen und gegenwärtigen Strängen seine eigene Position im Kontinuum klassischer Songwriter zu lokalisieren. Es mag auf den ersten Blick überraschen, Sting als Songwriter neben Bach, Dowland, Eisler und Prokofiev zu stellen, was auf den zweiten Blick leicht zu erklären ist. Allen diesen Musikern gemeinsam ist ein umfangreiches Œuvre für Gesang, so dass es vielleicht ungewöhnlich, keineswegs aber falsch ist, sie (auch) als Songwriter im weiteren Sinn zu bezeichnen.5 Innerhalb der hunderte Songs, die Sting bislang geschrieben hat, beschränkt sich die Identifikation mit klassischen Vorlagen, die auf einem seiner Studioalben Platz fanden, auf kaum mehr als eine Handvoll (das Dowland-Album nicht mitgezählt). Hieraus kann man schließen, dass erstens diese Auseinandersetzungen grundsätzlich nur dosiert in die Öffentlichkeit gelangen und diese Stücke zweitens mindestens zur Zeit ihrer Entstehung für ihn von herausgehobener Bedeutung waren (im Fall von Bach und Dowland erstreckt sich die Wirkung bis in die Gegenwart). Zu Stings stilistischer und handwerklicher Annäherung an Melodien anderer Künstler sind vorab zwei Präzisierungen zu treffen: Erstens hat Sting aus dem Gebiet der Rock- und Popmusik vor allem eigene Stücke in regelmäßigen Intervallen neu bearbeitet, was vielleicht am deutlichsten an den Dutzenden Versionen seines Police-Hits Roxanne nachverfolgt werden kann. Dieser distanzierte Blick auf die eigene Arbeit bringt dabei interessante Variationen hervor und ist beispielsweise im Jazz ein übliches Verfahren, einmal vorlegte Fassungen von Stücken als Anregungen für neue Versionen zu nutzen. Zweitens wiegt durch eine Ar-

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beitsweise, eigene Kompositionen neu zu arrangieren, die Verarbeitung fremder Melodien umso schwerer, da diese gerade nicht den musikalischen Gefilden entstammen, in denen Sting sich mit eigenen Stücken bewegt, sondern aus unterschiedlichen Epochen der klassischen Musik entlehnt wurden. Diese Besonderheit in der Beschäftigung mit klassischer Musik erklärt sich mit einem knappen Exkurs zu seiner musikalischen Sozialisation. In seiner 2005 vorgelegten Autobiografie Broken Music schildert Sting, geboren 1951 als Gordon Matthew Sumner im nordenglischen Wallsend (einem Vorort der Hafenstadt Newcastle upon Tyne), ausführlich seinen Weg vom Sohn eines Milchmanns und einer gelernten Friseurin zum Profimusiker. Seine musikalische Erfahrung speiste sich nach eigener Aussage aus verschiedenen Quellen: Musik war im Familienkreis stets präsent, die Mutter spielte Klavier, der Vater sang, ein Onkel hinterließ ihm eine Gitarre, der Großonkel besaß ein Akkordeon und die Großeltern ein Klavier, auf denen der heranwachsende Gordon Klänge aller Art und ihre Wirkung auf seine Gefühle erprobte. Und während sein Vater den Sound von Big Bands liebte, spielte seine Mutter am Klavier Tangos und brachte neben Melodien aus Broadway-Musicals die neuesten Rock’n’Roll-Platten mit nach Hause, die bei ihm einen besonderen Eindruck hinterließen.6 Diese Faszination vertiefte sich einige Jahre später, als der inzwischen Jugendliche jeden Donnerstagabend die aktuellen Hits in der BBC-Sendung Top of the Pops anschauen konnte, „es war wie ein Gottesdienst. Ich liebte diese Sendung leidenschaftlich.“7 Hier begegnete ihm auch zum ersten Mal Jimi Hendrix, der in seiner unnachahmlichen Weise Hey Joe performte, „und danach war nichts mehr wie vorher.“8 In seiner eigenen Rückschau war der Weg, selbst Rockmusiker zu werden, nun vorgezeichnet, der schulische Einsatz wurde darauf reduziert, alle Prüfungen zu bestehen und genügend Zeit zu haben, intensiv Gitarre zu üben. Auf diese Weise machte sich Sting mit dem gängigen Repertoire von Hendrix bis Bob Dylan vertraut und beschäftigte sich mit dem Jazz von Thelonius Monk, Miles Davis und John Coltrane, obwohl es „harte Arbeit“ für ihn war, wie er rückblickend feststellt.9 Während der dreijährigen Ausbildung (1971-74) zum Englisch- und Musiklehrer hatte er mit einem Kollegen vom Lehrerseminar eine erste eigene Band gegründet und in diversen Big Bands ausgeholfen. Auch seine erste feste Stelle gab er bald auf, um das Risiko einer Profikarriere einzugehen und alle

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE Energie auf The Police zu konzentrieren. Die anschließenden Erfolge dieser Gruppe sind unmittelbar mit Stings bis dahin gesammelten Erfahrungen als Songwriter und nicht zuletzt als Sänger verbunden, wobei alle Hits des Trios bewusst jegliche Vergleiche mit Vorbildern vermeiden sollten. Die hier zur Rede stehende Adaption fremder Melodien zeigte sich daher erst auf seinem 1985 veröffentlichten Soloalbum The Dream of The Blue Turtles, dem ersten der folgenden vier Beispiele.

I. Sergej Prokofiev – Russians In Russians verwendete Sting eine Melodie des zweiten Satzes Lyrical Song aus Sergej Prokofievs Leutnant Kijé-Suite op. 60 (das Stück ist die erweiterte Fassung einer 1932 vom sowjetischen Studio Belgoskino in Auftrag gegebenen, im folgenden Jahr entstandenen Musik zur Filmadaption der gleichnamigen satirischen, antizaristischen Erzählung von Jurij Tynianov).10 Woher Sting die Kijé-Suite kannte, ist unklar.11 Anlass zu Vermutungen gibt allerdings die Verwendung des Stücks in zwei Soundtracks, Ronald Neames mit drei Oscars ausgezeichnetem A Horse’s Mouth von 1958 mit Alec Guinness in der Hauptrolle sowie Woody Allens Love and Death von 1975. Während das Motiv des zweiten Satzes bei Allen nicht verwendet wurde, ist es einer zweiminütigen Szene in Neames Film unterlegt (ab 0h 58min), in der kaum gesprochen wird, so dass Prokofievs Melodie die Handlung besonders melancholisch einfärbt. Ob Sting diesen Film zur Entstehungszeit von Russians kannte und seine Inspiration daher bezog, ist nicht überliefert. Ob es sein vormaliger Bandkollege Andy Summers war, der ihn als Kinoenthusiast auf diese Filme oder Prokofievs Musik aufmerksam machte, ist ebenfalls nicht dokumentiert. Eine weitere Spur, die zur Popularität von Prokofievs Werk in England beitrug, führt zur Verwendung der zentralen Melodie des ersten Satzes in britischen Weihnachtsprogrammen, sobald Bilder von Schnee musikalisch zu untermalen sind. Die Möglichkeit, dass Sting auf diesem Weg zumindest Teile aus Prokofievs Suite kennenlernen konnte, war daher durchaus gegeben. Jenseits solcher Spekulationen lässt sich direkt aus den Stücken erklären, weshalb Sting ein Thema aus dem zweiten Suitensatz übernahm. Russians handelt von der Angst vor einem nukle-

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aren Desaster, wie es Mitte der 1980er Jahre zur Entstehungszeit des Liedes unmittelbar zu befürchten war: Ronald Reagan, 1984 als US-Präsident wiedergewählt, hatte mit seiner Aufrüstungspolitik und dem im Jahr zuvor beschlossenen satellitengestützen Raketensystem SDI den Kalten Krieg in eine neue Phase geführt; die mit Michael Gorbatschows Amtsantritt 1985 als Generalsekretär der KPdSU langsam einsetzende Annäherung der beiden Supermächte war hier noch kaum zu erahnen. Sting lebte zu dieser Zeit in New York und brachte die Frage seines kleinen Sohns, ob eine so zerstörerische Waffe wie die Atombombe wirklich existiere, auf die einfache Formel „I hope the russians love their children, too“. Obgleich Sting für diese Idee ausgiebig Kritik und Spott erntete, hielt er sie, wie er in einem Interview neun Jahre später bekannte, aufgrund der Banalität der gewaltsamen Bedrohung dennoch für unumgänglich: „Russians is a song that’s easy to mock, a very earnest song, but at the time it was written – at the height of the Reagan-Rambo paranoia years, when Russians were thought of as grey sub-human automatons only good enough to blow up – it seemed important.“12 Der Griff zu Prokofievs Melodie entsprach somit dem Wunsch, diesem Lied eine besonders „russische“ Note zu verleihen, um die Melancholie und Schönheit eines Landes musikalisch zu beschreiben, das von der Propaganda der Gegenseite als Reich des Bösen dargestellt wurde. Die Verwendung des Themas als kompositorische Typisierung entsprach zugleich exakt der Absicht Prokofievs während der frühen 1930er Jahre, als dieser sich in Werken wie Romeo und Julia, dem Zweiten Violinkonzert und der Kijé-Suite auf die Suche nach einer neuen Einfachheit begab, um den politischen und ästhetischen Forderungen des sozialistischen Realismus in der Sowjetunion zu genügen, in die er soeben zurückkehrt war.13 Die satirische Suite erzählt in mehreren Episoden absurde Szenen aus dem Leben des fiktiven Leutnants Kijé, dessen Vita nach einem Missverständnis des Zaren erfunden werden musste, da niemand sich traute, dem Herrscher zu widersprechen. Diesen ironischen Blick auf das zaristische Russland übertrug Sting in die bedrückende Atmosphäre eines drohenden Atomkriegs, wodurch sich die Form der Obrigkeitskritik von Kijé zu Russians von satirischen zu vorgeschoben-naiven Mitteln verschob, mit einem Erfolg, der Prokofievs Suite durchaus gleichkommt: So erreichte das Lied als Singleauskoppelung Platz 12 der

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britischen, Platz 16 der amerikanischen sowie Platz 4 der deutschen Charts14, das dazugehörige Album The Dream Of The Blue Turtles erreichte bereits nach einem Jahr dreifach Platin, was nach der damaligen Zählung mehr als 900.000 verkauften Einheiten entsprach. Russians beginnt mit dem Ticken einer Uhr und einem liegenden tiefen G des Keyboards, zu dem zuerst ein russischer Nachrichtensprecher eingeblendet wird, kurz darauf folgt die Stimme eines amerikanischen Moderators. Der Ton vom Keyboard wird immer prominenter, bis schließlich nach einigen Sekunden der Gesang einsetzt und den vorherigen Ton als Grundton der Dominante zu c-Moll klassifiziert. Der Klang der Keyboards begleitet die Melodie der Singstimme in der ersten Strophe mit Basstönen auf den beiden schweren Zeiten des 4/4-Taktes, variiert durch Akkorde in höheren Registern auf den leichten Taktteilen. In der sich unmittelbar anschließenden zweiten Strophe ergänzt eine Keyboardstimme, die in Achteln das Ticken der im Hintergrund stetig präsenten Uhr adaptiert, in Quart- und Terzsprüngen die Begleitung. Diesen beiden Strophen folgt ein instrumentaler Zwischenteil mit Prokofievs Melodie, deren Töne überwiegend halb so lang wie jene von Stings Strophenmelodie sind (vgl. Abb. 1). Klanglich wird die Keyboardstimme dabei von einem glockenspielartigen Sound gedoppelt. Abbildung 1:

Oberes System: Prokofiev – Lieutenant Kijé, 2. Satz, 1. Thema Unteres System: Sting – Russians, Strophenthema (zur besseren Vergleichbarkeit um eine Quinte aufwärts transponiert)

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Vergleicht man die beiden Fassungen der Melodie, so ist festzustellen, dass Stings Gesangslinie recht genau auf Prokofievs Tonfolge aufbaut (siehe die grauen Markierungen). Noch vor Prokofievs Quintsprung aufwärts erscheint bei Sting ein auftaktiger Quartsprung von G zu C, der sich mit dem Grundton des Vorbildes erklären lässt: Prokofievs Satz steht in g-Moll, so dass der eingeblendete Keyboardton auf G am Beginn von Russians (anschließend aufgelöst in c-Moll) eine Reminiszenz an diese Tonart und den von dort stammenden, tiefen Anfangston G der Streicher bei Prokofiev stiftet. Danach beginnt in der Kijé-Suite eine begleitende Figur in den mittleren Streichern, die auf alle vier Schläge eine Tonfolge aus Grundton–Quinte–Oktave–Quinte ergänzt, der sich das Motiv nach vier Takten anschließt. Dank des prominenten Quintsprungs und der hauptsächlich aus Sekundschritten aufgebauten Linie ist Stings Melodie leicht bei Prokofiev wiederzufinden (vgl. z.B. den zweiten und dritten Ton von Russians mit dem Beginn der Kijé-Linie in Abb. 1). Auch Prokofievs motivische Schlusswendung ist in Russians zu identifizieren (siehe die eckigen Klammern in Abb. 1). Darüber hinaus sind in der formalen Struktur von Russians sowie der Begleitung der Melodie Unterschiede und Erweiterungen von Prokofiev zu Sting festzustellen. Bis auf kleine Überleitungen besteht Prokofievs Satz aus drei Themen, wovon das beschriebene erste besonders charakteristisch und dramaturgisch prominent ist. Es wird zunächst durch verschiedene Tonarten moduliert (von g-Moll über e-Moll nach b-Moll, jetzt von einer Celesta gespielt), bevor ein zweites und ein drittes Thema folgen. Der Satz schließt mit dem ersten Thema zurück in g-Moll und einer kurzen Variation. Prokofievs Begleitung beim ersten Auftreten des Themas ist besonders markant, da die g-Moll-Tonika in den Akkorden der Streicher auf die leichten Taktteile immer präsent ist und der Bass – auf die schweren Taktzeiten – nur zwischen G und C (als Andeutung der Subdominante) wechselt. Prokofievs Motivik ist in Stings Gesangsmelodie stetig latent zu hören und bildet einen ersten Teil (in Abb. 1 dargestellt), dem ein zweiter folgt, der nicht aus der Kijé-Suite stammt. Das Kijé-Thema in seiner unveränderten Form trennt als Zwischenteil die ersten beiden von den nächsten beiden Strophen von Russians und knüpft (wie bereits erwähnt) mit einem glockenspielartigen Sound an die Celesta der Vorlage an. Stings Akkordbegleitung der Gesangsmelo-

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die weicht von Prokofievs Lösung ab, indem die statische Tonika mit Quart-Wechselbass zu einem schreitenden Bass verändert wurde (C-B-As-B-F-G-As-B, die vier letzten Töne in der Wiederholung enden auf H-C-G-G). Auch einige andere Elemente von Prokofiev finden sich bei Sting wieder, mitunter in variierter Form: Das Schema der begleitenden Akkorde besteht auch in Russians aus Basstönen auf schwerer und Akkorden auf leichter Zeit. Die Auflösung des offenen Akkords bei Prokofiev in wellenartige Streicher (GrundtonQuinte-Oktave-Quinte auf alle vier Zählzeiten) wurde ebenfalls von Sting übernommen, allerdings in geschickter Abwandlung: das Ticken der Uhr bringt diesen schnellen Puls in das Lied ein, tritt während der ersten beiden Strophen in den Hintergrund und kommt in den folgenden zwei Strophen nach dem ersten Zwischenspiel wieder hervor, nun von einer Keyboardstimme getragen.

II. Hanns Eisler – The Secret Marriage Auch Stings zweites Soloalbum ...Nothing Like The Sun, das im Jahr seiner Veröffentlichung 1987 einen Preis der British Phonographic Industry als bestes britisches Album bekam und bis heute mehr als 600.000 mal verkauft wurde, enthält Bearbeitungen von Liedern anderer Künstler. Jimi Hendrix’ Little Wing kann an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben, da Sting Gil Evans’ bekanntes Arrangement übernahm, mit dem er bis zu dessen Tod im folgenden Jahr mehrfach zusammenarbeitete. Wesentlich relevanter im Sinne der Fragestellung ist der letzte Titel The Secret Marriage. Dieser Song ist eine Neutextierung von Hanns Eislers Der kleine Radioapparat (1943) aus dem Hollywooder Liederbuch, dessen Melodik wiederum stark an Schuberts Klavierliedern, speziell der Winterreise ausgerichtet ist, ohne dass dort konkrete Spuren, Zitate oder Allusionen zu finden wären.15 Eislers Klavierstimme wurde von Sting um einen Kontrabass ergänzt, der die Basstöne konturiert. In der formalen Anlage des Kleinen Radioapparats sind die acht Zeilen des zugrundeliegenden Gedichts von Bertold Brecht (aus dessen Steffinischer Sammlung) in eine vollständige Strophe mit vier Zeilen (A), eine zweizeilige Wiederholung des ersten Teils dieser Strophe (A’) und eine neue,

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ebenfalls zweizeilige Motivwendung (B) gegliedert, der sich ein kurzes Nachspiel des Klaviers anschließt. Diese Aufteilung in 4+ 2+2-Einheiten wurde von Sting in zwei vierzeilige Strophen abgeändert, denen jeweils der zweizeilige Refrain folgt. Als weitere leichte Modifikation ist festzuhalten, dass Eislers in D-Dur komponierte Stück von Sting nach Fis-Dur transponiert wurde, wobei – wie man beim Hören leicht feststellen kann – die bedeutenden Unterschiede zwischen den beiden Stücken auf textlicher Ebene liegen. Der früheste Hinweis auf Stings Auseinandersetzung mit Eislers Lied ist ein Konzert im Hamburger Schauspielhaus, bei dem am 1. Mai 1987 zwei Abendvorstellungen hintereinander gegeben wurden (die erste begann um 20 Uhr, die zweite 3 Stunden später). Das Programm bestand hauptsächlich aus Songs von Brecht und Weill, neben Sting sangen Gianna Nanini und Jack Bruce, der Schauspieler Tilo Prückner übernahm die Moderation der Konzerte, Eberhard Schoener dirigierte das Orchester der Hamburger Staatsoper. Als Zugaben aber sang Sting keine Lieder von Weill, sondern zwei von Hanns Eisler, und als letzter Song des Abends erklang Der kleine Radioapparat in englischer Übersetzung. Der Fernsehmitschnitt des Norddeutschen Rundfunks dokumentiert, dass Eislers Stück hier bereits die Form mit wiederholter Strophe und doppeltem Refrain hatte, die Sting für The Secret Marriage übernahm (die Schallplatte ...Nothing Like The Sun erschien sechs Monate später). Der Beginn der zweiten Strophe wurde allerdings von einem Sopransaxophon vorgetragen, das mit dem Gesang gemeinsam das Lied auch beschloss. Ergänzend ist zu erwähnen, dass Eislers Schluss mit einer Vorschlagnote des Klaviers im Bass (über die der Schlussakkord im Nachhall ausklingt) besonders dramatisch gestaltet ist; dies wurde im Hamburger Konzert zugunsten einer langezogenen Schlussnote auf das letzte Wort „suddenly“ abgeändert. Da Sting sich zum Hamburger Konzertabend bis heute nicht näher geäußert hat, ist eine Bemerkung von Eberhard Schoener auf dessen Internetseite die einzige Quelle, die in ihrer Aussagekraft nicht verifiziert werden kann. Schoener, der in den späten 1970er und den 1980er Jahren mit einigen Rockmusikern kooperierte und darüber hinaus vor allem Film- und Fernsehmusik schrieb, berichtet dort von einem Treffen zwischen ihm und Sting 1985 in Tokio, bei dem sie die Idee für den gemeinsamen

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Konzertabend entwarfen (Schoener trat zu dieser Zeit im Deutschen Pavillon der Weltausstellung in Tsukuba auf). Von Eisler ist auch an dieser Stelle keine Rede, vielmehr sang Sting im Hotelzimmer den Mackie-Messer-Song, der am deutschen Tag der Expo für eine Sendung der ARD zugespielt wurde.16 Diese Aussage Schoeners gewinnt durch die Tatsache an Glaubwürdigkeit, dass Sting etwa ab dieser Zeit selbst von großem Interesse an der Musik von Kurt Weill berichtet, zwei Jahre nach dem Hamburger Konzert sang er die Partie des Mackie am Broadway. In einem Interview anlässlich der Veröffentlichung von The Soul Cages griff Sting 1991 diesen Faden zu Brecht und Weill wieder auf: „Brecht and Weill provided a lot of blueprints for songs that are not only emotional but full of information and politics – the sort of thing I aspire to. [...] Weill is particularly interesting as a musician because he came from a classical background and became a pop musician. My route is the other way around. I’m a pop musician who is aspiring to write more serious music.“17

Ob Sting Eislers Lied über Schoener kennenlernte, ist nicht zu ermitteln, beide kannten sich spätestens seit 1978, als Andy Summers und Sting auf Schoeners Platte Video Magic mitwirkten. Die anschließende Tournee begleiteten The Police als Vorgruppe. Im Vergleich zu seiner Identifikation mit Weill zeigen Interviewäußerungen, dass Sting weit weniger Interesse am Komponisten des Kleinen Radioapparats aufbrachte, als er dessen Begleitung übernahm: „This year I sang with Gil Evans, I did a show of Kurt Weill with the Hamburg State Orchestra, I’ve done some Gershwin songs. On the record there’s a melody I’ve adapted from Hanns Eisler [...]. Little things. We chip away.“18 „Actually, I completely rewrote Brecht’s original lyrics [...] and I just kept his collaborator’s music. [...] A musician he wrote with who I think was later hounded by the McCarthy people.“19

Die wichtigste Information dieser Äußerungen findet sich im Hinweis auf Brecht, dessen Texte Sting spätestens aus der Zeit seiner Ausbildung zum Lehrer kannte: „In college, I never acted in his plays, but I studied his theories. [...] There were times in his

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life when he totally refuted all his theories as junk, but they’re interesting to read, and his theater was revolutionary at the time.“20 Am meisten beschäftigte Sting der Gedanke, einen Text von Brecht gegen einen eigenen ausgetauscht zu haben. Diese Haltung spricht auch gegen die mögliche Deutung der Umtextierung des Kleinen Radioapparats als absichtsvolle Depolitisierung des Brecht/Eisler-Liedes, dessen Text in seiner Kürze das Lebensgefühl der Exilanten in Hollywood transportiert und dadurch politisch in vielerlei Richtungen aufgeladen ist (von der Vertreibung der europäischen Intelligenz durch die Nationalsozialisten bis zu Brechts und Eislers späteren politisch fundierten, ästhetisch von der Shdanowschen Dogmatik begrenzten Karrieren in der DDR).21 Gegen eine mögliche politische Desemantisierung durch Sting spricht auch, dass auf dem Album ...Nothing Like The Sun neben The Secret Marriage mehrere Lieder mit explizit politischen Texten enthalten sind. They Dance Alone, das von chilenischen Frauen handelt, die während der Diktatur Augusto Pinochets auf ihre entführten, gefolterten und getöteten Männer warten, erregte davon die größte Wirkung, indem es zum sofortigen Verbot von Stings Musik in Chile führte. Im Jahr 2001 wurde er schließlich von der chilenischen Regierung mit dem Gabriela MistralPreis für Kultur ausgezeichnet, der seinen Namen der chilenischen Dichterin und Diplomatin verdankt, die 1945 mit dem Literaturnobelpreis geehrt worden war.22 Ein weiteres Indiz, dass der Schlüssel zur Umgestaltung des Liedes über den Text zu erklären ist, ergibt sich aus Stings Art des Songwritings. So erzählte sein Gitarrist Dominic Miller in einem gemeinsamen Interview für die DVD-Dokumentation Inside. The Songs Of Sacred Love (2003): „When he makes an album, I think he starts of with the music and then does the lyrics. So he will go off into a garden somewhere or just for a walk and come back with a lyric.“ Ergänzt man dieses Prinzip um Stings eigene Aussage, dass er – in vielen Variationen – letztlich immer Lieder über Liebe schreibt, ergibt sich daraus für The Secret Marriage zweierlei: Erstens ließe sich die Hypothese aufstellen, dass es Eislers raffiniert konzipierte Melodie, ihre dezent gestaltete und gerade dadurch einprägsame Begleitung sowie die Intensität des sehr kurzen Liedes war, die Sting fesselte und zu einem Liebeslied inspirierte. Eine so starke Gewichtung der Bedeutung von Intensität, Kürze und sparsam verwendeten Mitteln lässt sich mit

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Stings Ausführungen zur Wichtigkeit von Stille in der Musik in Beziehung setzen, die er 1994 ins Zentrum seiner Dankesrede am Berklee College of Music in Boston anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde stellte. Der Gedanke von Schweigen und Stille in und durch Musik verbindet ihn (absichtlich und unbewusst) mit zahlreichen anderen Komponisten, die sich besonders um die Darstellung der leisen Töne bzw. des lauten Pausierens als musikalische Gestaltung von Zeit bemühten, wie z.B. im 20. Jahrhundert Cage, Feldman, Ligeti, Mahler und Nono: „Paradoxically, I’m coming to believe in the importance of silence in music. The power of silence after a phrase of music for example; the dramatic silence after the first four notes of Beethoven’s Fifth Symphony, or the space between the notes of a Miles Davis solo. There is something very specific about a rest in music. [...] I’m wondering whether, as musicians, the most important thing we do is merely to provide a frame for silence. I’m wondering if silence itself is perhaps the mystery at the heart of music? And is silence the most perfect music of all?“23

Zweitens thematisiert The Secret Marriage die tiefe Verbundenheit zweier Menschen jenseits öffentlicher, kirchlicher und staatlicher Legitimationen, wofür sich autobiografische Spuren bei Sting finden, der seit 1982 mit seiner zweiten Frau Trudy Styler zusammenlebt. Dazu passt auch seine Aussage auf der DVDDokumentation ...All This Time (2002): „The best songs ever written are about love. But I think love is an important thing to write about. Particularly in my position, at my time of life, the experience I’ve had as a man, as a boy, are all there, and this is what I want to talk about.“

III. Johann Sebastian Bach – Whenever I Say Your Name Nachdem die ersten beiden Soloalben im Abstand von zwei Jahren jeweils Songs enthalten hatten, in denen sich Sting wahrnehmbar mit anderen Komponisten auseinandersetzte, sollten sechzehn Jahre vergehen, bis auf der 2003 erschienenen CD Sacred Love erneut ein entsprechendes Lied zu finden war. In der

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dazwischenliegenden Zeit berichtete Sting in Interviews oft, sich am Klavier ausgiebig mit Mozart, vor allem aber an der Gitarre intensiv mit Johann Sebastian Bach zu beschäftigen: „The more I find out about music, the less I know. I’m practising Bach on classical guitar everyday. It’s like having a conversation with a 300 year old man, who’s on an entirely different musical level than yourself. I’m much less sure of myself than I was 10 or 15 years ago. I thought I knew everything then. I know nothing, but I know more than I did then.“24

In einem Interview mit der Zeitschrift Guitar World im Juli 1996 erläuterte Sting seine Motivation, auf der Gitarre Stücke von Bach zu spielen, um durch die eigene Praxis die innere Logik der Musik zu erfassen: „I practice them in order to see how music works and to learn. It’s like climbing into the mind of a musical genius. God, he’s set up this musical puzzle in this bar, and look how incredibly he resolves it two bars later. As a songwriter, you don’t have to be a great guitarist. In fact, it may help that you’re not. That’s probably why I write songs in the first place.“25

Es ist folglich kaum verwunderlich, dass diese intensive Beschäftigung mit Bach ihren Niederschlag in einem Song fand, konkret in Whenever I Say Your Name, I Already Pray, einem Duett mit der Soul-Sängerin Mary J. Blige, das mit einem Grammy in der Kategorie Best Pop Collaboration with Vocals ausgezeichnet wurde.26 Im Vergleich zu den beiden ersten hier besprochenen Beispielen zeigt Sting bei diesem Stück eine andere Facette im Umgang mit musikalischen Vorlagen, indem er größere und kleinere Einheiten aus Bachs Praeambulum 1 (BWV 924) aus dem Klavierbüchlein für Wilhelm Friedemann Bach neu zusammenfügte und eine eigene Melodie darüber legte. Diese Vorgehensweise ist Gounods Meditation über Bachs C-Dur-Präludium aus dem Wohltemperierten Klavier durchaus vergleichbar. Entgegen Russians und The Secret Marriage, die auf seiner Internetseite ausgewiesen werden als Kompositionen von „Sting and Prokofiev“ bzw. „Eisler“, ist bei Whenever in der entsprechenden Rubrik „written by Sting“ vermerkt. Erst in der optiona-

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len Spalte „artists comments“ findet sich in einem Interviewzitat ein Hinweis auf die Vorlage: „It’s based entirely on Bach. [...] It’s one of his preludes – in C, I think.“ Diese Tatsache lässt vermuten, dass die Beeinflussung durch Bach auf einer wesentlich grundlegenderen Ebene angesiedelt ist als seinerzeit die melodischen Anleihen für Russians: „When I’ve stolen music, my wish isn’t to trivialise, but maybe to popularise. I think there’s a difference. It’s an attempt to point popular music in a direction, or admit your sources and say, ‚Well, this came from that, if you like this then you’ll like that. This is the real stuff.‘ I try to be honest about influences.“27 Musikalisch entspricht der Refrainteil von Whenever exakt dem Beginn von Bachs Präludium und bildet das Ausgangsmaterial des ganzen Stücks. In fünf der ersten sechs Takte von Bach (entsprechend den Buchstaben A bis E in Abb. 2) ist das gesamte akkordische Material enthalten, aus dem Sting mit Transpositionen und Tonalterationen die Begleitung seines Strophenteils montierte. Der Ablauf von Whenever lässt sich schematisch kurz zusammenfassen: Das Stück beginnt mit einer Soundfläche, in die langsam Synthesizer-Effekte und ein Drumcomputer eingeblendet werden, der die Klänge strukturiert. Die erste, von Sting gesungene Strophe (siehe erste Zeile in Abb. 2) steht in fis-Moll und ist spärlich instrumentiert. Neben flächigen Keyboards und dem Rhythmus des Schlagzeugs ist nur ein gitarrenähnlicher Sound zu hören, der die von Bach entlehnten, in ein langsames Arpeggio aufgelösten Akkorde übernimmt. Vergleicht man diese Akkorde mit denen des Strophenteils, so lassen sie sich schnell in unterschiedlichen Transpositionen wiederfinden. Beispielsweise entspricht der erste, mit B4 gekennzeichnete Akkord (in Abb. 2) dem vierten Akkord des B-Taktes im Refrainteil. Alle weiteren Akkorde des Strophenteils lassen sich nach diesem Prinzip dem Refrain zuordnen. Im Übergang der ersten zur zweiten, von Mary J. Blige gesungenen Strophe moduliert die Begleitung nach a-Moll und wiederholt exakt den Strophenteil (aus diesem Grund sind die Akkorde in Zeile 2 der Abb. 2 nicht dem Material des Strophenteils zugeordnet). Daran anschließend erscheint nach einem kurzen Zwischenteil (Zeile 3 in Abb. 2) der Refrain in Bachs Originaltonart C-Dur. Während bei der zweiten Strophe von Blige bereits ein Klavier

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hinzukam, wird der Sound des Refrains nun mit zusätzlichen Keyboardflächen und mehrstimmigem Gesang verdichtet. Abbildung 2:

Schematische Darstellung der Begleitung von Whenever I Say Your Name

Dieser Ablauf wiederholt sich in den Strophen drei und vier sowie im anschließenden Refrain. Ein vom ersten zum zweiten Refrain abgeänderter Akkord – C-Dur mit Terz im Bass (Ziffer zwei in der letzten Zeile) anstelle des im ersten Durchlauf verwendeten EDur (Ziffer eins in der vorletzten Zeile) – deutet an, dass der

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Fortgang der Begleitung nicht kadenzierend zurück in eine MollTonart führt, sondern zu einer besonderen Passage überleitet (die beiden letzten Takte der letzten Zeile). Diese über ein ausgehaltenes G gruppierten Umspielungen von Dominant-, Doppeldominant- und Subdominantfunktionen zu C-Dur fungieren in Bachs Präludium als Brücke vom akkordisch strukturierten Hauptteil zu einer Arpeggienkette über G, die ebenfalls noch einige dominantische, doppel- und subdominantische Positionen durchlaufen und den Schluss des Stücks einleiten. Auch bei Sting fungieren diese zwei Takte über G (von Bach unverändert übernommen) als Übergang zu einer Schlusspassage, der durch ein bewusstes Ausklingen des Gesangs deutlich markiert wird, während alle anderen Instrumente für einen Moment über dem G des Grundtons innehalten. Der folgende Schlussteil, der keine Entsprechung mehr zu Bach aufweist, kreist für eine Minute (immerhin ein Fünftel des Songs) in halb improvisierten, halb arrangierten Gesangsparts um die zentrale Zeile des Songs „whenever I say your name“. Wie im Höreindruck leicht zu überprüfen ist, wurden mit Passagen von Vorsängern und einem Chor, einem spirituellen Text sowie hymnischen Melodielinien wesentliche Charakteristika des Gospel in den Song integriert: In Terz- und Sekundschritten rankt sich die primäre Gesangslinie um die Akkordtöne herum, wovon Blige in souligen Kantilenen abweicht. Ähnliche Melodien finden sich in Stings Liedern Desert Rose und A Thousand Years, in anderen Songs waren zuvor schon Gospelchöre zum Einsatz gekommen (z.B. Let Your Soul Be Your Pilot und I Was Brought To My Senses auf Mercury Falling). Bereits in seiner BerkleeDankesrede neun Jahre zuvor hatte Sting seinen Umgang mit Melodien kommentiert: „I’ve written hundreds of songs, had them published, had them in the charts. Grammys and enough written proof that I’m a bona fide, successful songwriter. Still, if somebody asks me how I write songs, I have to say, ‚I don’t really know.‘ I don’t really know where they come from. A melody is always a gift from somewhere else. [...] I often wonder: where do melodies and metaphors come from? [...] I spend most of my time searching for these mysterious commodities, searching for inspiration.“28

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Greift man Stings Hierarchie des Songwritings (von der Musik zum Text) sowie seine Präferenz für Liebeslieder wieder auf und nimmt die Grundaussage von Whenever I say Your Name, I Already Pray noch hinzu – den Topos von Liebe und Musik als religiöser Erfahrung –, so ist der Weg zu Bach als Inspirationsquelle für eine spirituell konnotierte Liebeserklärung nicht mehr weit, fungiert Bach doch seit seiner Renaissance vor zweihundert Jahren als Topos des Höchsten und Perfekten (nicht umsonst betitelte Mauricio Kagel seine Hommage St. Bach-Passion).29 Eine entsprechende Fundierung von Musik und Liebe als Abbilder seiner persönlichen Spiritualität lieferte Sting in einer Interviewpassage der DVD-Dokumentation Inside. The Songs Of Sacred Love (2003): „If you really love somebody it’s a religious experience when you’re with them, when you think of them and speak to them. [...] I don’t have another route to God apart from music, singing, offering love to my partner.“ Auch diesen Punkt hat Sting in seiner Berklee-Rede bereits vorweggenommen, als er über die Bedeutung der Stille in der Musik sprach: „Songwriting is the only form of meditation that I know. And it is only in silence that the gifts of melody and metaphor are offered. To people in the modern world, true silence is something we rarely experience. It is almost as if we conspire to avoid it. [...] Silence […] is disturbing because it is the wavelength of the soul. If we leave no space in our music – and I’m as guilty as anyone else in this regard – then we rob the sound we make of a defining context. [...] What I’m trying to say here is that if ever I’m asked if I’m religious I always reply, ‚Yes, I’m a devout musician.‘ Music puts me in touch with something beyond the intellect, something otherworldly, something sacred.“

IV. John Dowland – Songs From The Labyrinth Auch wenn die bisher besprochenen Beispiele Stings Faszination von Musik anderer Komponisten als roten Faden in seiner künstlerischen Entwicklung zeigen, war die Ankündigung, dass im Oktober 2006 eine CD mit Songs von John Dowland erscheinen sollte, für manche Fans und Kritiker doch überraschend.30 Hier konkretisierte sich eine andere, vielleicht noch persönlichere Seite

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seiner Klassikadaptionen als in den vorangegangenen drei Stücken, da er keine Elemente von Dowland in die eigene Musik übernahm, sondern sich – gemeinsam mit dem bosnischen Lautenisten Edin Karamazow – ganz der Musik Dowlands überließ. Wie ernst Sting dieses Album ist, wird von der Entscheidung unterstrichen, es nicht bei seiner üblichen Plattenfirma sondern bei der Deutschen Grammophon zu veröffentlichen, nach deren Eigenwerbung „the world’s most celebrated classical-music record-label“.31 (Bereits 1994 hatte Sting mit der Deutschen Grammophon für eine Einspielung von Prokofievs Peter und der Wolf zusammengearbeitet, bei der er die Rolle des Erzählers übernahm.) Stings Auseinandersetzung mit Dowland findet innerhalb spezieller Rahmenbedingungen statt, die seine CD von Einspielungen anderer Interpreten aus dem Bereich der alten Musik deutlich unterscheidet. Zum einen sind den Songs an verschiedenen Stellen die Möglichkeiten der modernen Studiotechnik und der digitalen Klangbearbeitung mit Soundeffekten anzumerken. Zum anderen geht Sting auf diesem Album den umgekehrten Weg, den er im Umgang mit dem Kleinen Radiapparat erkundet hatte, als er die biografischen, politischen und (musik)historischen Umstände der Eislerschen Komposition durch seine Neutextierung in den Hintergrund rückte. Auf Songs From The Labyrinth werden Ausschnitte aus einem Brief von Dowland an Sir Robert Cecil (den mächtigen Geheimdienstchef von Königin Elizabeth I.) aus dem Jahr 1595 in einer leisen, beinah flüsternden Stimme rezitiert und zwischen einzelne Titel eingeschoben. Diese Sprechpassagen dienen dazu, die Stimmung des Komponisten einzufangen, der in einer von Angst vor staatlicher Willkür und Gewalt geprägten Zeit lebte und um einen Posten als Hofmusiker nachsuchte, worauf Sting in einem Interview ausdrücklich hinwies: „I wanted to try and present the songs within a context that might help them – which is why I decided to read the extracts from the letter. It was important for me to put the songs within this historical and political context of a man struggling to make a living as an artist in a very difficult time.“32 Eingefasst sind diese Briefpassagen in flirrende Sounds und kaum zu identifizierende, im stereofonen Hintergrund platzierte Fetzen von Lautenklängen, die akustisch die 400jährige Distanz

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zwischen Dowland und Sting überbrücken und zugleich verdeutlichen. Zur Ergänzung dieser klangkünstlerischen Semantisierung wird Dowlands ästhetische und politische Verortung in seiner Zeit zusätzlich in einem Essay im CD-Booklet ausführlich erklärt. Darüber hinaus beschreibt Sting in diesem Text detailreich – dies ist eine wirkliche Ausnahme innerhalb seiner bisherigen Klassikadaptionen –, wie er Dowlands Musik über mehr als zwanzig Jahre kennenlernte, wie die Kooperation mit dem Lautenisten Karamazow zustandekam und vor allem was ihn an Dowland so fesselte, dass er dessen Musik schließlich ein ganzes Album widmen wollte: „His feeling for space and silence is really refined. [...] That’s what I love about it. And just having a voice and a lute. There’s such air there – such freedom. [...] For me, they’re pop songs written in 1603 or whatever – beautiful melodies, fantastic lyrics, great accompaniments.“33 An dieser Stelle schließt sich ein Kreis zur Bedeutung von Stille in Stings Musik, wie er sie in seiner Dankesrede in Berklee offengelegt hat. Zugleich bündeln sich hier alle Erfahrungen, die er zuvor bei Prokofiev, Eisler und speziell bei Bach zu sammeln hatte, bis er Dowland ganz bei diesem selbst belassen und so interpretieren konnte, dass er die empfundene Seelenverwandschaft zu dem vier Jahrhunderte älteren englischen Songwriter-Kollegen öffentlich bezeugen wollte.34 Lernte er bei Bach vor allem die stilistische Strenge und harmonische Flexibilität einer Komposition kennen, so kommt seine Art, Dowlands Songs zu singen, den Vorstellungen von Eisler und Weill zur Interpretation ihrer Lieder, gerade nicht durch professionelle Opernstimmen, sehr nah. Aber anstelle einer solchen musikhistorischen Verankerung in seinem eigenen Jahrhundert zog Sting eine direkte Verbindungslinie zur Dowlandzeit, wodurch er heutigen Rekonstruktionsversuchen historischer Vortragsweisen gleichzeitig einen eigenen Entwurf entgegensetzte: „The venues for performing these songs were not grand salons or the concert halls of a later age, but small private living-rooms. I feel there is an intimacy to this music that lends itself easily to the proximity and whispering closeness of the modern microphone. I felt very little compulsion to ‚project‘ while singing these songs: speaking them seemed almost enough.“35

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In einem Interview mit Oliver Condy findet sich eine ergänzende Bemerkung: „Having listened to a lot of Dowland records, I thought that no one was doing what I could do: I don’t have that trained operatic voice, but this music was composed around 1600 and the belcanto style wasn’t invented until 100 years later when they had a full auditorium which encouraged a certain vocal technique. I imagine people would have sung without that technique. I feel there is an intimacy to this music and I can do something that’s really me - and still, I hope, respect the music.“36

Ein weiterer, praktischer Grund für das Vergnügen, Bach-Werke auf der Gitarre zu spielen sowie für Dowland sogar Laute spielen zu lernen, dürfte sicherlich auch im Klang dieser Instrumente zu finden sein. Schon als Schüler hatte Sting viel Zeit in das Gitarrenspiel investiert. Gerade akustische Gitarren mit relativ kleinem Korpus, kürzerer Mensur und einem nasalen, mittigen Klang werden von Sting oft in Songs verwendet, so dass seine Balladen meistens auf Motiven beruhen, die von solchen Gitarren gespielt werden. Ein letztes, noch einmal auf eine Geistesverwandschaft zwischen Dowland und Sting abhebendes Motiv ist ein die Liedtexte kennzeichnender Sinn für Befindlichkeiten zwischen Melancholie und Ironie bei zugleich leicht gearbeiteten musikalischen Begleitungen. So zeigt die beinah fröhlich zu nennende Melodielinie, mit der Dowland im Song Come Again die Textzeile „I faint, I die in sweetest misery“ vertonte, ein hochentwickeltes Gespür für nuancierte Stimmungen und sparsam eingesetzte Mittel. Dies sind Momente, die auch Sting in ironischen Balancen zwischen tragischen Textinhalten und einem dafür parodierten musikalischen Genre einzufangen suchte, wie etwa in I’m So Happy, That I Can’t Stop Crying, das sich im Stil eines Country-Songs mit der heiklen Thematik zerbrechender Beziehungen und Ehescheidungen auseinandersetzt. Rückbezogen auf Dowland skizzierte Sting diese Charakteristika des Songwritings folgendermaßen: „John Dowland was perhaps the first example of an archetype with which we have become familiar, that of the alienated singer-songwriter – something that gives him an acutely modern resonance. He

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STING ALS SONGWRITER ZWISCHEN PROKOFIEV, EISLER, BACH UND DOWLAND seems, from what little is known about him, to have been a complex and deeply troubled man, and yet he managed to weave the disappointments of his life together with the sensibilities of the period into exquisite and timeless songs. They are by no means all sad, but they distil the melancholy of the age with enough of the lively counterpoint and contrapuntal rhythms of dance music that it would be unfair to label Dowland – in today’s reductive terminology – a ‚depressive‘. He was certainly capable of irony and healthy self-deprecation, in such titles as Semper Dowland semper dolens, as well as joyous flights of musical invention.“37

Legt man die zahlreichen Details, die sich bei den einzelnen Klassikadaptionen zeigen, für ein übergeordnetes Bild nebeneinander, so stellt sich die Frage, was diese Beispiele zusammenhält. In der Fülle von Interviews, die Sting im Laufe seiner Karriere bisher gegeben hat, erscheint in regelmäßigen Abständen ein bestimmtes Motiv, der Wunsch zur musikalischen Grenzüberschreitung. Gräben mittels eigener Kunst zu überwinden, wünschen sich viele Musiker, so dass zu spezifizieren ist, wo Sting welche Form von Grenzen sieht und welche Funktion seinen Auseinandersetzungen mit anderen Songwritern zukommt, um die von ihm diagnostizierten Zwänge abzuschütteln. Seine empfundene Einengung beginnt im ureigenen Metier der Pop- und Rockmusik, die er in musikindustriellen und marktstrategischen Konzepten, aber auch in kreativen Sackgassen von Kollegen gefangen sieht. „Pop music is very conservative“, äußerte er in einem BBC-Interview aus dem Jahr 2006, „you’re not really allowed to have flattened fifths and you’ve got to have a certain length of intro and chorus. But the rules are there to subvert in order to maintain your integrity as a musician. I feel that my job as a pop artist is to develop as a musician and bring into my sphere elements that aren’t necessarily pop – more complex intervals, complex time signatures.“38 Diesen Wunsch zur Ausweitung der eigenen Musiksphäre mittels erfrischender Impulse von außen teilt Sting, betrachtet aus der Perspektive der klassischen Musik (in der sich die Verarbeitung von Exotismen seit dem 18. Jahrhundert zu einem populären Phänomen entwickelte), mit anderen Musikern, von denen stellvertretend Bartók, Brahms, Busoni, Debussy, Grieg, Liszt, Mozart oder Weill genannt werden könnten. Seinem Selbstver-

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ständnis als Rockmusiker entsprechend entschied sich Sting gegen die (ihm bekannten) Wege jenseits der Tonalität, die die Musik im 20. Jahrhundert nach Strawinsky und Schönberg nahm und die ihm durch seine Nähe zum Jazz durchaus zur Verfügung stünden. Vielmehr versucht er, die Popmusik von innen heraus zu erweitern, wie er in zwei Pressegesprächen aus den Jahren 1993 und 1987 erläuterte: „Besides, I’m not interested in pure musical form like a musicologist is. I don’t care about rock’n’roll. I don’t care about the blues. I don’t care about jazz. What interests me is a hybrid between all of those forms. Because I see music as being there for the taking. I’ve got musicians around me who play classical music, and can play jazz and rock. They just do not see the ghetto process. I like to mix, I’m a modular man.“39 „I like harmony. Music for me is order out of chaos, and the world is chaos. If you go on-stage or on record and you produce nothing but dissonance and an arrhythmic wall of noise, you might be reflecting reality, but you’ll empty the concert hall. I think you have to seduce people. [...] Mixing genres is good for classical music, it’s good for jazz, it’s good for music in general. I don’t want to be a ghettoist, wanting music to be pure, this myth that a pure music form is a good music form. For me, if that’s what pure music means, then it’s a dead form. Any music that doesn’t borrow from outside dies. It’s a natural process. All music is going through that process. Classical music, jazz, pop, rock’n’roll, each genre has become a ghetto, because they don’t want to get out. It’s dying. [...] I want to try to do something new; it’s what everybody should be doing. I try and borrow from everything that I hear.“40

Neun Jahre später (1996) bündelte Sting in einem Interview seinen Wunsch, zwischen den musikindustriell diversifizierten Genres der Rock- und der klassischen Musik zu vermitteln, in der Zielsetzung einer neu zu kreierenden, modernen Musik: „I want an open-ended system, which I think is more modern. Serious modern music is about having no limitations. No one knows where it’s going, but it’s going somewhere. Popular music can have that feeling, too, or at least it should have.“41

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In soziologischen Kategorien gedacht richtet sich die Überwindung von Grenzen gegen deren prinzipielle Funktion zur Markierung und Regelung von normativen Arealen. Begrenzungen signalisieren einen Bereich, der etwas umschließt, zusammenhält und gegen äußere Einflüsse abschirmt. Nicht nur im politischen und militärischen, auch im musikalischen Bereich gibt es neben denjenigen, die Hindernisse überwinden möchten, auch jene, die Grenzen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen, was in Stings Fall von Musikmanagern, Presse und Musikkritik übernommen wird. So wurde seine Solokarriere, neben der Anerkennung, die man seiner Musik zollte, immer auch von einer Fülle von Vorwürfen begleitet. Im Fall des ersten Albums The Dream Of The Blue Turtles wurde die Tatsache, dass Stings Band überwiegend aus schwarzen Jazzmusikern bestand, als rassistische Ausbeutung schwarzen Kulturguts zum Nutzen kapitalistischer weißer Popmusik gewertet. Peter Watrous brachte in einem Interview mit Sting für das Musicians-Magazin diese Vorwürfe auf den Punkt: „P.W.: Have you used black musicians to enhance your credibility? It enhances the image you’ve been making for yourself as an intellect, someone who has taste. Sting: That’s racism, basically. It’s basically saying that a white pop star can’t make music as well as black musicians. That’s bullshit. P.W.: Or maybe you run a plantation system. S.: We’re using Wynton’s [Marsalis; Anm. d. Verf.] argument that I’ve stained the purity of black music. These arguments are used by the South African government to defend apartheid: ‚We have to be separate!‘ If I believe that music is a force for good in this world, then what better way of demonstrating it than musicians of black and white working together. Aghh! It makes me want to give up, in a way. Talking about my band, all the people in my band are from middle-class backgrounds; I’m the only working-class kid in the band. I’m from my own kind of ghetto. I’m not a spoiled, middleclass rich kid. I’m rich now, and have all the trappings of wealth. The band made a decision to play with me, and it wasn’t just because I was paying well. I think these guys are of such personal and musical stature, they wouldn’t want to play with me if they didn’t think it was worth doing.“42

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Nach diesem Muster sind andere Vorurteile gegen Sting – bezüglich der Adaption von klassischen Melodien als Ausverkauf der Hochkultur, einer Kritik seiner Popsongs als zu kommerziell produziert, einer Integration von außereuropäischen Einflüssen als imperialistische, eurozentristische, romantisierende Geste – einfach vorstellbar und in zahllosen Rezensionen, Artikeln und Meinungsseiten im Internet nachzulesen. Stings Gesangsstunden an der Baseler Schola Cantorum im Vorfeld des Dowland-Albums, um spezielle Phrasierungs- und Intonationstechniken zu erlernen, wurden ihm ebenfalls nachteilig ausgelegt und zum impliziten Vorwurf gewendet, ein Unberufener vergehe sich an hoher Kunst (als historische Fußnote sei dabei angemerkt, dass solche Anschuldigungen immer wieder auch andere, höchst erfolgreiche Musiker trafen, wie etwa Gershwin im Vorfeld seines Klavierkonzerts). So schrieb Wolfram Goertz in einer Rezension von Songs From The Labyrinth in der ZEIT: „Welche die beste aller Welten sei, entscheidet Gordon Matthew Sumner spontan. Wo er gerade ist, da ist er am liebsten. Hauptsache, er kann was lernen. Bei Mr. Sumner handelt es sich um einen Pädagogen für Englisch und Musik, der seit langem praxisnahe Zweitstudien betreibt. [...] Doch trotz jener Basler Unterweisungen klingt seine Stimme immer noch, als habe sie zu lange im Rauchfang gehangen. Sie gibt alles, aber sie moduliert nicht, sie kratzt rau und etwas unbefugt. Auf Dauer ist ihr Charme matt. Es fehlt an Gesangstechnik. [...] Erst im letzten Lied der CD gewinnt Sting an Eindringlichkeit; es ist zum Glück das geniale In darkness let me dwell. In diesem chromatisch und dissonant durchpulsten Theaterstück auf kleinstem Raum blitzt Stings Berufung zur fremden Materie durch. [...] Dowland ist eine schöne neue Welt für Sting. Und wieder hat sich ein Zweitstudium gelohnt.“43

Auch wenn Stings Umgang mit Dowland nicht den Segen des Rezensenten fand, die Aufmerksamkeit des Publikums dies- und jenseits der Genregrenzen von Pop und klassischer Musik war ihm gewiss, so dass Songs From The Labyrinth in der ersten Woche nach Veröffentlichung Platz eins der englischen Klassik-Charts erreichte und parallel dazu auf Platz 24 in die englischen PopCharts einstieg.

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Die allgemeine Stoßrichtung der hier ausgebreiteten Verdikte zielt deutlich über den aktuellen Gegenstand von Stings Dowland-Platte hinaus und gründet in einem Topos, den Albrecht Riethmüller am Beispiel von Johann Strauß treffend als „Makel der Popularität“ beschrieb.44 Das seit langem verminte Feld einer Diskussion über Popularität in der Musik (die davon betroffenen Nebenschauplätze von Trivialität, Anbiederung, Neid und Leichtigkeit noch nicht berücksichtigt) ist zu ausufernd, als dass es hier annähernd umrissen werden kann. In Stings Popularität findet sich zugleich aber der Schlüssel zu seinem Einfluss als Vermittler von anderen klassischen Songwritern. Wie am DowlandAlbum zu beobachten ist, mit dem er seit dem Erscheinen im Winter 2006 regelmäßig auf Tournee geht, hilft seine Bekanntheit sehr, das Interesse seiner Fans in Bereiche des Musikbetriebs zu lenken, zu denen die überwiegende Zahl ansonsten vermutlich nicht vordränge. Das von Sting dosiert angewandte und über Jahrzehnte verfeinerte Prinzip der Spiegelung des eigenen künstlerischen Selbst in anderen Komponisten bedient sich der zeitlosen Qualität von Liedern, über die eine spätere Anknüpfung und Querverbindung möglich wird, so, wie er es im eigenen und fremden Umgang mit seinen Songs erfährt: „Songs are a little bit like children, in a way. You give birth to them and you do the best you can for them, give them the best start in life. And then you watch them grow and carry on growing. Other people cover them, other people adapt them and change them, sample them, and you can only feel pride that your song has gone into the world.“45

Wie die ersten drei besprochenen Songs belegen, bildet Stings Beschäftigung mit anderen Komponisten einen Kern seines musikalischen Selbstverständnisses. Dennoch fand sie, in eigene Musik umgesetzt, eher am Rande seines Œuvres statt. Scheinbar reichte die Veröffentlichung auf einem Studioalbum als Geste aus, so dass Russians und The Secret Marriage nach den Tourneen zum jeweiligen Album kaum noch live gespielt wurden (bei Whenever I Say Your Name scheint es sich ähnlich zu verhalten, obgleich hier eine langfristige Tendenz noch nicht abzusehen ist). Erst mit Dowland rückte die Verehrung eines Songwriter-Kollegen in Form

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eines vollständigen Konzertprogramms ins Zentrum von Stings Repertoire, was auf eine ungleich höher anzusetzende Bedeutung dieses Komponisten als Identifikationspunkt schließen lässt. Sting bemühte sich, gerade Dowland aus dessen bisheriger Nische der alten Musik-Pflege zu befreien und auf seine Seite als Popstar zu holen, um mit den ihm dort zur Verfügung stehenden Mitteln die Aktualität und Zeitlosigkeit der jahrhundertealten Lieder unter Beweis zu stellen. Nicht zuletzt dadurch könnten seine Mühen fruchten, den eigenen Platz in der Musikgeschichte zwischen anderen Songwritern zu bestimmen und sich damit mehrdimensionaler zu zeigen, als er oftmals bislang wahrgenommen wird.

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Diese Aufzählung schließt die Auszeichnungen von The Police mit ein. Vgl. die Auflistung von Preisen und Ehrungen unter http:// www.sting.com/artists/biography (Abruf am 20. März 2006). Vgl. zu Stings Biografie seine Internetseite www.sting.com sowie die entsprechenden Artikel der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Gelegentlich war er auch als Filmschauspieler tätig (Quadrophenia 1979; Brimstone and Treacle 1982; Dune 1984; Stormy Monday 1987; Lock, Stock, and Two Smoking Barrels 1998). Als Studioalben sind hier gezählt: The Dream Of The Blue Turtles (1985), ...Nothing Like The Sun (1987), The Soul Cages (1991), Ten Summoner’s Tales (1993), Fields Of Gold (1994), Mercury Falling (1996), Brand New Day (1999), Sacred Love (2003) und Songs From The Labyrinth (2006); nicht gezählt wurden Compilations, Live-Alben, Demos und Beiträge zu Soundtracks. Vgl. zu diesen unscharfen terminologischen Grenzen Albrecht Riethmüllers Studie Komponist – Songwriter – Melopoet. Der Künstler Georg Kreisler, in: Michael Custodis/Albrecht Riethmüller (Hg.), Georg Kreisler – Grenzgänger. Sieben Beiträge, Freiburg im Breisgau: Rombach 2009, S. 9-28. Vgl. Sting: Broken Music. A Memoir, London: Dial Press 2003, S. 17 und 58 sowie seine Dankesrede zur Verleihung der Ehrendoktorwürde des Berklee College of Music 1994, unter http://www.berklee.edu/commencement/past/sting.html (Abruf am 27. September 2006). Vgl. Sting: Broken Music, S. 83. Ebenda.

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Ebenda, S. 85f. Vgl. Harlow Robinson: Sergei Prokofiev. A Biography [1987], Boston: Northeastern University Press 2002, S. 280. Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Lieutenant_Kije (Abruf am 27. September 2008). Independent On Sunday, 11/94, nachzulesen auf Stings Internetseite unter http://www.sting.com/discog/?v=so&a=1&id= 220 (Abruf am 27. September 2006), Rubrik Artists comments. Vgl. Andreas Wehrmeyer: Sergej Prokof’evs Rückkehr aus der Emigration, in: Friedrich Geiger/Eckhard John (Hg.), Musik zwischen Emigration und Stalinismus. Russische Komponisten in den 1930er und 1940er Jahren, Stuttgart und Weimar: Metzler 2004; Sergej Prokofjew: Was ich für einen Stoff suche [1932], in: derselbe, Dokumente, Briefe, Erinnerungen, S. I. Schilfstein (Hg.), Leipzig 1965, S. 196 sowie Robinson: Sergei Prokofiev, S. 280. Angaben nach http://de.wikipedia.org/wiki/Sting (Abruf am 13. Oktober 2008). Vgl. Wolfgang Hufschmidt: Willst zu meinen Liedern deine Leier drehn? Zur Semantik der musikalischen Sprache in Schuberts ‚Winterreise‘ und Eislers ‚Hollywood-Liederbuch‘, Saarbrücken: Pfau 21997; Thomas Phleps: Die Kunst zu erben, oder: Was haben Hanns Eislers ‚Wiegenlieder‘ mit Franz Schubert zu tun?, in: Neue Zeitschrift für Musik 149 (1988), Heft 11, S. 9-13; Markus Roth: Der Gesang als Asyl. Analytische Studien zu Hanns Eislers ‚Hollywood-Liederbuch‘, Hofheim: Wolke 2007, S. 204-212. www.eberhard-schoener.de/Begeg/begeg_5.htm (Abruf am 10. September 2008). Interview von Stephen Holden mit Sting im Januar 1991 für die New York Times, vgl. http://www.sting.com/news/interview. php?uid=3812 (Abruf am 1. Oktober 2006). Interview vom Dezember 1987, vgl. http://www.sting.com/ news/interview.php?uid=3698 (Abruf am 27. September 2006). Interview mit Vic Garbarini in der November/Dezemberausgabe 1987 des Spin-Magazins, vgl. http://www.sting.com/ news/interview.php?uid=1541 (Abruf am 27. September 2006). Interview mit Richard Harrington in der Washington Post vom September 1989, vgl. http://www.sting.com/news/interview. php?uid=1537 (Abruf am 27. September 2006). Sting erwähnt in seiner Autobiografie eine große Liebe zu Büchern, so dass er möglicherweise Weills und Eislers Musik über ihren Textdichter Brecht kennenlernte. Vgl. Sting: Broken Music, S. 24. Vgl. zu den Hintergründen der Exilanten in Hollywood, zu Eisler als Repräsentanten einer dezidiert politischen Musik und seinem Hollywooder Liederbuch Eckhard John: Verfehlte Lie-

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be? Hanns Eisler und die politische Musik, in: Maren Köster (Hg.), Hanns Eisler. ‘s müßt dem Himmel Höllenangst werden, Hofheim: Wolke 1998, S. 154-170; Claudia Albert: ‚Das schwierige Handwerk des Hoffens‘. Hanns Eislers ‚Hollywooder Liederbuch‘, Stuttgart: Metzler 1991; Jürgen Schebera: Hanns Eisler im USA-Exil. Zu den politischen, ästhetischen und kompositorischen Positionen des Komponisten 1938 bis 1948, Berlin: Akademie-Verlag 1978; Ernst Bloch/Hanns Eisler: Die Kunst zu erben [1938], in: Hanns Eisler – Musik und Politik. Schriften 1924-1948, textkritische Ausgabe von Günter Mayer, Leipzig: Deutscher Verlag für Musik 1982, S. 406-414; Fritz Hennenberg: Das Hollywooder Liederbuch – Struktur und Interpretation, in: Musik und Gesellschaft 33 (1983), S. 413417. 1988 erschien Stings Minialbum ...nada como el sol mit fünf Titeln von ...Nothing Like The Sun auf Spanisch und Portugiesisch. In die späten 1980er Jahre fällt zudem sein politisches Engagement zur Rettung des Brasilianischen Regenwaldes und für Amnesty International. http://www.berklee.edu/commencement/past/sting.html (Abruf am 27. September 2006). Vgl. das Interview vom Oktober 1999 unter http://www.sting. com/news/interview.php?uid=1500 (Abruf am 28. September 2006) sowie das Interview vom Oktober 2003, in dem er von seiner Leidenschaft berichtet, Bachs Violinpartitas und Solocello Suiten auf der Gitarre zu spielen, unter http://www. sting.com/news/interview.php?uid=1623 (Abruf am 28. September 2006). Vgl. http://www.sting.com/news/interview.php?uid=1508 (Abruf am 28. September 2006). Siehe die Internetseite www.grammy.com. Interview vom Dezember 1987, vgl. http://www.sting.com/ news/interview.php?uid=3698 (Abruf am 27. September 2006). Vgl. http://www.berklee.edu/commencement/past/sting. html (Abruf am 27. September 2006). Vgl. Mauricio Kagel: An Gott zweifeln – an Bach glauben. Johann Sebastian Bach zum 300. Geburtstag, in: derselbe, Worte über Musik. Gespräche, Aufsätze, Reden, Hörspiele, Mainz: Schott 1991, S. 184-197. Die Geschichte der Bach-Rezeption ist in ihren ideologischen Kapiteln zu kompliziert und umfangreich, als dass sie an dieser Stelle näher ausgeführt werden könnte. Vgl. zur Übersicht Michael Heinemann/Hans-Joachim Hinrichsen (Hg.): Bach und die Nachwelt. Band 2 1850-1900, Laaber: Laaber 1999; Dieter Schnebel (Hg.): Bach und die Moderne, Wiesbaden: Harrassowitz 1995 sowie das Kapitel Vorbilder in: Michael Custodis: Musik als Prisma der Gesellschaft.

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STING ALS SONGWRITER ZWISCHEN PROKOFIEV, EISLER, BACH UND DOWLAND

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Wertungen in literarischen und ästhetischen Texten, Münster: Waxmann 2009, S. 313-331. Vgl. einen entsprechenden Pressetext: „Earlier this year when Sting broke the news that his new project would be an album of Elizabethan-era tunes performed on the lute, it is probably fair to say that it took everyone by surprise.“ Nachzulesen unter http://www.sting.com/news/ (Abruf am 15. Oktober 2006). Vgl. http://www.deutschegrammophon.com/special/?ID=sting -dowland (Abruf am 20. November 2007). Vgl. das Interview mit Oliver Condy im BBC Music Magazine vom September 2006, unter http://www.sting.com/news/ interview.php?uid=4656 (Abruf am 27. September 2006). Vgl. das Essay im CD-Booklet, nachzulesen unter http://www. sting.com/news/interview.php?uid=4655 (Abruf am 20. Dezember 2006). Entgegen der Adaption von fremdem Material wie in den analysierten Songs schied dieser Umgang mit Dowland für Sting aus: „While I appreciated the melancholy beauty of this music, I couldn’t quite see how it could ever be assimilated into the repertoire of an aspiring rock singer.“ Interview vom September 2006, unter http://www.sting.com/news/interview. php?uid=4655 (Abruf am 27. September 2006). Vgl. das Essay im CD-Booklet in Anm. 33. Ebenda. Zit. nach dem Essay im CD-Booklet, siehe Anm. 33. Vgl. das Condy-Interview in Anm. 32. Vgl. das Interview im Chicago Tribune vom März 1993, unter http://www.sting.com/news/interview.php?uid=1580 (Abruf am 28. September 2006). Interview vom Dezember 1987, vgl. http://www.sting.com/ news/interview.php?uid=3698 (Abruf am 27. September 2006). Vgl. das Interview vom Februar 1996, unter http://www.sting. com/news/interview.php?uid=904 (Abruf am 28. September 2006). Vgl. http://www.sting.com/news/interview.php?uid=3698 (Abruf am 28. September 2006). Wolfram Goertz: Sting auf der Laute. Der Bassist von Police singt jetzt elisabethanische Songs fürs Internet-Zeitalter, in: Die ZEIT Nr. 41 vom 05. Oktober 2006. Albrecht Riethmüller: Johann Strauß und der Makel der Popularität, in: Ludwig Finscher/Albrecht Riethmüller (Hg.), Johann Strauß. Zwischen Kunstanspruch und Volksvergnügen, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995, S. 1-17, hier S. 10.

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DVD-Dokumentation Inside. The Songs Of Sacred Love (Universal 2003).

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Beschäftigt man sich heute mit klassischer Musik – was sie ist und sein kann, wie sie gehört, produziert und vermittelt wird, wer sich ihrer annimmt und für sie schwärmt, wohin sie nicht (mehr) dringt und wo man sie (noch) findet – stößt man erwartungsgemäß auf offene und strittige Fragen. Dies ist zunächst kaum verwunderlich, birgt doch bereits die analytische Abbildung eines Gegenstands, dessen historischer Kern konserviert werden soll und zugleich perpetuierend modifiziert wird, diverse methodische Herausforderungen. Blättert man beispielsweise in aktuellen Büchern zur Musikgeschichte oder im Feuilleton von Tageszeitungen, lässt den Blick über Litfaßsäulen und Konzertplakate schweifen, zappt sich durch das öffentlich-rechtliche und private Fernsehen, sucht im Radio nach passenden Sendungen oder googelt einschlägige Seiten im World Wide Web, so begegnen höchst unterschiedliche Auffassungen von klassischer Musik und der Rolle, die sie in unserer gegenwärtigen Lebensrealität spielt. Postulate und bekannte Klischees von auratischer Hochkultur, Monumentalität und Kunstreligion sind hier als Antworten schnell zur Hand. Im seinerzeit kontrovers diskutierten sogenannten Hessischen Fragebogen, dem als Wissenstest für EinbürgerungskandidatInnen konzipierten Leitfaden Wissen und Werte in Deutschland und Europa, diente daher gerade auch Musik zum Transport einer offiziellen Leitkultur, da sie den Vorteil bietet, die eigenen Vorstellungen umschreiben zu können, ohne das dahinterstehende Kulturverständnis definieren zu müssen (ein Beispiel wäre die 83. der 100 Fragen: „Welcher Deutsche komponierte in seiner 9. Sinfonie am Schluss die berühmte ‚Ode an die Freude‘? Nennen Sie zwei weitere deutsche Musiker bzw. Komponisten!“).1 Die Hitzigkeit, mit der unter Klassikliebhabern über die Wertigkeit dieser kulturellen Tradition debattiert wird, spricht dafür, dass klassische Musik als unverzichtbarer Teil des öffentlichen Lebens empfunden wird. Zur Systematisierung solcher Meinungen ist ein Blick hinter die gebräuchlichen Schlagworte be-

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sonders lohnend und führt zur Frage, wo Fakten und nüchterne Basisdaten für eine objektive Diskussionsgrundlage zu finden sind. Vielleicht könnten Statistiken zum jüngeren Musikleben, wie sie vom Musikinformationszentrum des Deutschen Musikrats (MIZ) zur Verfügung gestellt werden, einen ersten Anhaltspunkt liefern. So weist die Auflistung „Konzertveranstaltungen und Besucher der Kulturorchester“ in Deutschland für die Spielzeiten zwischen 1993/94 und 2006/07 eine Zunahme von 3646 auf 5871 Veranstaltungen bei sogenannten Konzertorchestern aus (zusammengerechnet mit Konzerten der Theaterorchester entspricht dies einer Steigerung von 3.341.646 auf 3.941.835 Zuschauer). Ergänzt um eine Statistik zu „Ausgaben und Einnahmen der Kulturorchester“ zwischen 1993/94 und 2006/07 zeigt sich, dass bei gestiegenen Ausgaben von 243 Mio. Euro auf 327 Mio. Euro der Zuschuss der öffentlichen Hand zwar leicht von 68,1% auf 63,2% sank (ausgewertet wurden, je nach vorliegenden Daten für die einzelnen Jahre, jeweils zwischen 48 und 55 Orchester). In absoluten Zahlen stiegen die öffentlichen Subventionen aber von 166 auf 207 Mio. Euro. Nimmt man nun noch eine Erhebung zu „Umsatzanteilen der Repertoirekategorien auf dem Tonträgermarkt“ von 1997 bis 2007 hinzu, so scheinen Klagen über eine Zuschauer- und Umsatzkrise speziell im Bereich der klassischen Musik zumindest für die Zeit nach 1993 nur bedingt gerechtfertigt, wenn einmal von insgesamt rückläufigen Umsatzzahlen bei herkömmlichen Tonträgern abgesehen wird, deren medienspezifische Konkurrenz durch Downloads stetig wächst. Während einige Genres, wie z.B. Popmusik, deutliche Rückgänge zu verzeichnen hatten (von 44% auf 34%), ist das Segment der klassischen Musik über die Jahre mit einem mittleren Wert von 8% relativ stabil. Eine Pressemeldung des Bundesverbands Musikindustrie berichtet sogar von positiven Nachrichten bezüglich des Anteils von jugendlichen Käufern klassischer Musik, der im Vergleich der Jahre 2006 und 2007 von 0,6 auf 2,8 Prozent anstieg.2 Es wäre zu vermuten, dass dieser messbare Erfolg in Verbindung steht mit trendorientierten Vermarktungsstrategien, die die Anziehungskraft von bekannten SolistInnen und SängerInnen für Marketingkampagnen nach dem Vorbild großer Popstars nutzten. Bekanntlich sind Statistiken nur scheinbar objektive Komprimierungen von Meinungsbildern und Prozessen, da sowohl der Entwurf als auch die Auswertung solcher Zahlenkomplexe vielfäl-

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tige Einfluss- und Interpretationsspielräume lässt. Hält man der Meldung des Musikindustrieverbands über die zunehmende Attraktivität von klassischer Musik bei Jugendlichen eine entsprechende Erhebung des MIZ zu den „bevorzugten Musikrichtungen nach Altersgruppen“ aus dem Jahr 2007 entgegen, so ergibt sich eine deutlich abweichende Perspektive auf geschmackliche Vorlieben des Publikums: Während in der Generation der 14 bis 19jährigen nur knapp 10 Prozent Interesse für „Klassik, Konzerte und Sinfonien“ bekunden, wächst diese Präferenz mit zunehmendem Alter, so dass die Hälfte aller über 70jährigen schließlich Gefallen an klassischer Musik zu Protokoll gaben. Doch auch hier stellt klassische Musik keine extreme Ausnahme dar, sondern erweist sich im Vergleich zu anderen Stilen sogar noch als relativ moderat ausbalanciertes Genre (die Kurve in der Rubrik „Deutscher Schlager“ ist von 14% auf 82% wesentlich steiler, wie auch im Sektor Blasmusik mit einer Zunahme von 3% auf 74%). Insgesamt zeichnen sich in diesen Statistiken die meisten Musikrichtungen durch altersspezifische Kumulationen aus – allein beim Jazz finden sich relativ stabile Zahlen, die von 17% bei unter 20jährigen auf 30% bei 50-60jährigen zunehmen, um bei über 70jährigen wieder auf 17% abzusinken. Die Uneinheitlichkeit der Ergebnisse, die bereits mit einem solchen Schlaglicht auf statistische Abbildungen des aktuellen, diversifizierten Musiklebens festzustellen ist, wirft grundlegende methodische Fragen auf: –



Sind solche Erhebungen Momenteindrücke mit singulärer Aussagekraft oder sind sie Anzeichen einer Tendenz? Wenn, wie in diesem Fall, eine Übersicht für die Jahre zwischen 1993 und 2007 gegeben wird, ist eine solche Zeitspanne nach musikhistorischen Kriterien einerseits sehr kurz. Es genügt andererseits, an die weltumspannenden politischen und ökonomischen Ereignisse nach dem Jahr 2001 zu erinnern, deren Sog sich die Bereiche der Kultur, Kunst und Musik nicht entziehen konnten, um anzudeuten, dass eine Argumentation zugunsten sich abzeichnender Tendenzen auch bei erst unmittelbar zurückliegenden Zeitabschnitten ebenfalls schnell an Schärfe gewinnen kann. Überträgt man den Gedanken zur zeitlichen Relativität historischer Distanzen und Entwicklungen auf den heutigen Bereich der klassischen Musik, erweist sich die Suche nach angemesse-

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nen Vergleichsvorlagen als entscheidende inhaltliche Weichenstellung (ein Abgleich aktueller Vorstellungen mit der Situation um die Jahre 1950, 1910, 1880, 1832 oder 1789 würde erwartungsgemäß zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen). Worin kann nun der Sinn solcher Reflexionen liegen, wollten sie sich nicht dem Vorwurf aussetzten, über reine Gedankenspiele oder Mutmaßungen kaum hinauszukommen? In Abhängigkeit zum Alter von Hörern und ihrer musikalischen Sozialisation verschiebt sich plötzlich die latente Hierarchisierung einzelner Genres, wie sie aus den zitierten Statistiken herausgelesen werden könnte, zugunsten einer gezielten Ausrichtung auf spezielle Altersgruppen und den dort anzutreffenden Funktionen von Musik. Die unbewusste Prägung durch eine akustische Umwelt (mit allen ihren Klang- und Musikwelten) sowie die absichtsvolle Orientierung an Vorbildern, wie sie im Begriff der musikalischen Sozialisation zusammenlaufen, spielt bekanntlich während der Kindheit und Jugend eines Menschen die größte Rolle. Nicht zufällig wurde deshalb die ästhetische Beschreibung von Musik von jeher mit normativen pädagogischen Vorstellungen verschränkt. Die allermeisten Musikarten orientieren sich an geschmacklichen und sittlichen Vorstellungen eines Zielpublikums, so dass beispielsweise subkulturelle Codes von Jugendlichen oder moralische Werte von älteren Menschen bevorzugt an der von ihnen favorisierten Musik untersucht werden. Ein weiteres Merkmal mancher Stile ist, dass sie sich mehr oder minder explizit von anderen abzugrenzen versuchen, da die Exklusivität einer Eigenschaft oder Haltung eng an distinktives Verhalten der Akteure (seien es Individuen oder Institutionen) gekoppelt ist. Zusätzlich zur Distinktionsabsicht haben viele Genres untereinander wenige Berührungspunkte, da unterschiedliche Lebensabschnitte, die sich in der jeweiligen Musikpräferenz spiegeln, von divergierenden Alltagserfahrungen bestimmt werden und sich infolgedessen in anderen Themen niederschlagen. So ist die jugendliche Perspektive üblicherweise prospektiv darauf ausgerichtet, sich eine eigene, eigenständige Zukunft aufzubauen (sowohl in Abgrenzung zu als auch in Kooperation mit Vorgängern und Zeitgenossen). Mit zunehmendem Alter und wachsendem Erinnerungsschatz wird der gegenwärtige Blick auf kommende Zeiten oft an zurückliegenden

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Ereignissen und Lebenssituationen gemessen, die sich kollektiven Erfahrungen von Geschichte und Tradition einfügen. Die auf die Jugend folgende Lebenszeit als Erwachsene manifestiert sich üblicherweise in der Verlangsamung und Stabilisierung biografischer Veränderungen, womit bei vielen Menschen zugleich eine Konservierung ihres bis dahin akkumulierten Geschmacks und ihrer musikalischen Präferenzen einsetzt. Sobald nun Erwachsene in ihrem Umfeld mit der sie beerbenden nächsten Generation in Berührung kommen, verstärkt sich bei einer Stabilität ihrer Hörgewohnheiten die Ablösung der eigenen Lebensrealität von aktuellen Veränderungen im Musikbetrieb. Immer weniger, so legen die Statistiken zu bevorzugten Musikrichtungen nach Altersgruppen nahe, modifizieren sich mit zunehmender Lebenserfahrung noch die musikalischen Gewohnheiten. Zurückkommend zur Überlegung, ob solche empirischen Erhebungen eher als Momenteindrücke oder Tendenzbelege zu bewerten sind, ließen sich daraus zwei Thesen entwickeln: 1. Das Bedürfnis nach klassischer Musik (im Sinne einer Orientierung an historischen, traditionsverbundenen, die eigene Lebenszeit überspannenden Fixpunkten eines kulturellen Kollektivs) wird durch die Generationen hindurch gereicht, was dieser Musik eine relativ feste Publikumsgröße sichert. Dem zunehmenden demografischen Ungleichgewicht in Europa von Jung nach Alt müsste ein Wachstum des entsprechenden Zielpublikums von klassischer Musik korrelieren, zumindest aber (bedenkt man insgesamt sinkende Geburtenraten) sich auf einem beruhigenden Niveau stabilisieren. 2. Die Vorliebe für klassische Musik war vor allem mit der kulturtragenden bürgerlichen Schicht um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert verbunden, deren Einfluss auf die kollektive Musikkultur (gegen alle Tradierungsbemühungen an die nachfolgenden Generationen) bislang stetig schwindet. Aus dieser Vorstellung leiten sich die im Eingangskapitel zur Diversifikation der Musik zitierten, beständig beschworenen Krisenszenarien zum Ende der Musik her. Ernst Kreneks Hinweis auf den faktischen Fortgang der Entwicklung zum Trotz sind diese Vorstellungen faktisch kaum zu entkräften sind, da Prognosen ihrer Natur nach prospektiven Glaubenssätzen ähneln und sich erst retrospektiv auf ihre Genauigkeit überprüfen lassen.3

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Da keine anthropologische Konstante herhalten kann, wie eine Geschmacksbindung an klassische Musik zustande kommt, muss eine Erklärung im Umfeld von Habitus, Sozialisation, öffentlicher Kulturpolitik und sich veränderndem Medienverhalten (inkl. sich wandelnder technischer Bedingungen) zu finden sein. Obwohl klassische Musik ursprünglich gleichermaßen Legitimations- und Unterhaltungszwecken des aufstrebenden Bürgertums diente, um mit Leistungsfähigkeit und Kultiviertheit Adel und Klerus als bislang kulturtragende Schichten abzulösen, schrieb man der Musik ab Beethoven in fortlaufender Degradierung der Genussästhetik höhere Aufgaben im Sinne des humanistischen Bildungsideals zu. Unabhängig aller Verschiebungen im politischen Gefüge Europas hielt sich diese Vorstellung von klassischer Musik als universalem Gut mit moralischem Läuterungs- und kollektivem Erziehungspotenzial und ist in soziokulturell höchst unterschiedlichen Kontexten immer wieder anzutreffen, sei es in Hanns Eislers Anstrengungen zur musikalisch-kulturellen Alphabetisierung der Arbeiterschaft, aktuellen Education-Projekten großer Orchester- und Operninstitutionen oder dem West-Eastern Divan Orchestra, wie dessen Mitbegründer Daniel Barenboim notiert: „Music teaches us that there is nothing that does not include its parallel or opposite as the case may be; therefore no element is entirely independent because it is by definition in a relationship of interdependence. It is my belief that although music cannot solve any problems, since it is as Busoni said ‚sonorous air‘, it can teach us to think in a way that is a school for life.“4

Welche Folgen hat ein solches Image – eine Kategorie, die nach heutigen Maßstäben die Akzeptanz oder Ablehnung einer Sache maßgeblich mitbestimmt – für eine Musikrichtung, die allen gefallen könnte, um niemanden zu provozieren? Wäre ein solches Musterbeispiel demokratisierter Hochkultur attraktiv, um als Konsensmusik alle Menschen zu Brüdern werden zu lassen (um ein weiteres Klischee zu bemühen)? Wie lässt sich zugleich der Widerspruch auflösen, dass klassische Musik vielen Menschen nicht gefällt, da sie sich von den ihr zugeschriebenen soziokulturellen Merkmalen nicht angesprochen fühlen? Denn obwohl diese potenziellen Hörer sich innerhalb ihres persönlichen Milieus nicht öffentlich mit klassischer Musik auseinandersetzen wollen, fühlen

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sie sich unter anderen situativen Bedingungen – Musicals, Filmsinfonik – durchaus von vergleichbaren Sounds angezogen. Die Fülle dieser offenen Fragen deutet an, dass ein Verständnis der hier zu vermutenden Ursachen und Meinungsbildungsprozesse nur zu geringen Teilen aus musikbezogenen Stil- und Werkanalysen zu gewinnen ist. Vielmehr ruht das Hauptgewicht der diskursiven Strategien auf nicht musikspezifischen, sondern auf bildungsund prestigebezogenen Argumenten, die besonders von der Unbestimmtheit profitieren, die den Terminus „klassische Musik“ umgibt. Bei allen genannten Statistiken und Meinungsbildern blieb bislang offen, worauf sich die Stilbezeichnung klassische Musik überhaupt bezieht, ob sie sich erstens im strengen historischen Verständnis auf die Wiener Klassik beruft, ob sie zweitens auf alle Musik innerhalb der tonalen Klangwelt auszuweiten ist (was unscharfe Ränder zur Filmmusik und den Epochen zwischen Mittelalter und dem Ende des Barock sowie ab der sogenannten Neotonalität seit den 1970er Jahren produziert) oder ob sie drittens alle Musik umfasst, die sich aus der jahrhundertelangen Tradition europäischen Komponierens herleitet und somit auch aktuellste Produktionen beinhaltet (was wiederum Schwierigkeiten bei exakten kulturgeografischen Zuordnungen sowie die eventuelle Fortführung nationalistischer Diskurse des 19. Jahrhunderts mit sich bringt). Zur Klärung dieser grundlegenden Bedingungen von klassischer Musik heute konzentrieren sich die folgenden Überlegungen zunächst auf terminologische Wissensinhalte. In einem zweiten Schritt werden die dahinter stehenden Hörerkonzeptionen einer kritischen Prüfung zu unterzogen, um abschließend diese überwiegend theoretischen Perspektiven mit Realitäten des aktuellen Musikbetriebs zu kontrastieren, in der die begriffliche Weite von klassischer Musik deren Flexibilität, Vielfalt und Lebendigkeit demonstriert.

I. Wissenspotenziale Mit seiner kompositorischen und interpretatorischen Expertise im Bereich der Oper, des Musicals, der klassischen und modernen Musik sowie des Jazz verkörperte Leonard Bernstein in besonderer Weise die Mehrdimensionalität des hier zur Rede stehenden

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Musikbereichs. Besonders in seiner Rolle als Dirigent lag ihm die Vermittlung von Musik besonders am Herzen, so dass er eines seiner berühmten Young People’s Concerts der Frage What is Classical Music? widmete: „Almost everbody thinks he knows what classical music is: just any music that isn’t jazz […]; or a popular song […]; or folk music […]. But that’s no way to say what classical music is.“5 Als Garanten von Zuverlässigkeit genießen Experten hohes Ansehen, da sie den aktuellen Stand der Forschung vertreten und Einsichten in Themen geben, die in ihren Verästelungen von Außenstehenden kaum zu überblicken sind. Da klassische Musik in besonderer Weise den Nimbus genießt, zur adäquaten Rezeption ein hohes Maß an Wissen und Bildung vorauszusetzen, sind Lexika und andere, öffentlich verfügbare Medien der Wissensakkumulation wichtige Informationslieferanten für eindeutige, zuverlässige Antworten. Schlägt man nun in musikwissenschaftlichen Standardlexika entsprechende Stichworte nach, die in systematisch gegliederter Ausführlichkeit durch die ästhetisch, biografisch und kompositionshistorisch weit verzweigten Entwicklungen der Jahre zwischen Bach und Beethoven führen, beginnt Friedrich Blumes entsprechender Klassik-Artikel in der 1986 gedruckten Ausgabe der Musik in Geschichte und Gegenwart mit einem Lamento zur Beliebigkeit der Wörter „Klassik“ und „Klassizismus“: „Eine Stilperiode oder ein bestimmter Stil ist darunter ursprünglich nicht zu verstehen. Vielmehr werden unter dem ‚Klassischen‘ Erscheinungen zusammengefaßt, die in den verschiedensten Abläufen und Phasen der Geschichte wiederkehren können. Als ‚klassisch‘ gilt nach deutschem Sprachgebrauch ein mus. Kunstwerk, dem es gelingt, die in seinem geschichtlichen Zusammenhang wirkenden Ausdrucks- und Formkräfte zu überzeugender Aussage und dauernder Gestalt zu steigern und zusammenzufassen. [...] Das Überzeugende, das Mustergültige und das Dauernde sind unerläßliche Ingredienzien des ‚Klassischen‘.“6

Ludwig Finscher, Nachfolger Blumes als Herausgeber der ab 1994 erschienenen Neufassung der MGG, beklagt als Verfasser des neuen Klassik-Artikels ebenfalls den Verlust einer akademisch korrekten Exklusivität des Terminus und verdeutlicht die Drama-

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tik dieses Zustands mit einem für die MGG überraschend alltäglichen Vergleich: „Am wenigsten problematisch, wenngleich beklagenswert ist [...] der umgangssprachliche Gebrauch, in dem von klassischen Reisezielen, Sportarten, Waschmitteln oder Toilettenpapieren die Rede ist. Klassik ist damit – zumindest im deutschsprachigen Raum – einbezogen in die allgemeine Begriffs- und Wort-Inflation, die ein wesentliches negatives Merkmal der Massen- und Medienkultur ist. [...] Freilich schimmert auch hier noch der Sinn des Wortes durch die Abnutzung hindurch: Das Klassische ist das qualitativ Herausgehobene schlechthin; Klassik eine einmalige, herausgehobene Epoche; ein klassischer Autor ein beispielhafter Vollender und damit Normenschöpfer in seinem Gebiet. ‚Klassik‘ kann so ein normativer Qualitätsbegriff wie ein Epochenbegriff sein; beide Aspekte fließen in der Begriffsgeschichte immer wieder ineinander.“7

Blumes Tenor zur Verteidigung eines normativen Verständnisses von klassischer Kunst, deren Höhepunkt unerreichbar zurückliegt und deren Qualität von den Produktionen der Gegenwart nie mehr zu einzuholen ist, verweist zum einen von seinem langen MGG-Eintrag auf seine diversen Schwerpunkte als Musikforscher, die vom 16. bis zum 19. Jahrhundert reichten. Zum anderen hat sich in seinen Schriften eine zutiefst politische, nationalistisch durchdrungene Denkweise erhalten, bei der das Musikschaffen „fremder“ Kulturen aus vorgeblich objektiven Gründen degradiert wurde – eine Haltung, die er mit anderen europäischen Musikologen seiner Zeit teilte – und die ihn von der Übertragung der NS-Rassenideologie auf die Musik bis zur Provokation der jungen Komponistengeneration in den 1950er Jahren führte, als er ihren elektronischen Stücken pauschal absprechen wollte, überhaupt noch Musik zu sein.8 Im Kontext seines Klassik-Artikels liest sich diese Überzeugung als schrittweise aufgebaute Argumentation zur Dominanz der Klassik und Romantik durch deutsche Komponisten, selbst wenn hierfür die geografische Klassifikation Europas erstaunlich flexibel gehandhabt werden musste.9 Trotz der voneinander unabhängigen Abwendung italienischer, französischer und deutscher Musiker vom barocken Stil sollte es nach Blume Joseph Haydn vorbehalten sein, das von seiner Lehrergeneration initiierte „überaus rasche und erfolgreiche Vordringen

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der neuen deutschen Instr.-Musik und ihrer Gattungen […] zu einer deutschen Hegemonie“10 zu vollenden. Allen Emanzipationsversuchen anderer Musiknationen zum Trotz soll dieser Zustand unverändert geblieben sein, die innovative Musikforschung deutscher Provenienz eingeschlossen, so dass es „also nicht unberechtigt [ist], im klass. und darüber hinaus im klass.romant. Zeitalter eine Epoche der deutschen Musik zu erblicken, mindestens in dem Sinne, daß die deutschen Musiker einen maßgeblichen, zeitweise den entscheidenden Beitr. zur Musikpflege, zum Musikschaffen und zur Musikbildung der Welt geleistet haben. Paris, London, Petersburg, zeitweise Rom, Mailand, Preßburg, Prag, Brüssel, Amsterdam u.v.a. Musikstätten des näheren und weiteren Auslandes sind zeitweilig Domänen der deutschen Musiker gewesen“11.

Bei einer solchen Expertenmeinung, die weitgehend repräsentativ ist für den dominierenden Zeitgeist der deutschen Musikwissenschaft bis 1968, musste es als politisches Statement verstanden werden, wenn der amerikanische „jüdische“ Komponist und Dirigent Leonard Bernstein in den 1950er Jahren Partei für seinen „jüdischen“ Kollegen Gustav Mahler ergriff und sich für dessen – bei deutschen Orchestern und Generalmusikdirektoren zu dieser Zeit weiterhin verfemten – Werke einsetzte. Wenn Bernstein im Rahmen eines musikalischen Kinderprogramms mit einfachen, kurzen und dadurch umso wirkungsvolleren Erläuterungen den historischen Horizont der klassischen Musik skizzierte, kam dies indirekt einer eindeutigen kulturpolitischen Positionierung gleich: „That’s what classical music really means: music written in a time when perfect form and balance are what everybody is looking for, music which tries more than anything else to have a perfect shape – like the shape of a beautiful vase.“12 Die Toleranz dieser Zeilen verbirgt sich in der Vermeidung eines Vorwurfs gegen die Musik der eigenen Gegenwart als imperfekt, denaturiert und unpopulär (der Spielraum solcher Verdikte ergibt sich aus deren Beliebigkeit13), wie sie andere Autoren aus der postulierten ästhetischen und formalen Perfektion der Wiener Klassik ableiteten. Bei Frank Hentschel lässt sich nachlesen, wie die von Friedrich Blume so gerühmte Zunft deutscher Musikhistoriker des 19. Jahrhunderts maßgeblich mitverantwortlich zeich-

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nete für die Steigerung des Fortschrittsgedankens zur nationalistischen Ideologie, analog zu den technischen und wissenschaftlichen Innovationsvisionen der Industrialisierung, deren Folgen in den Katastrophen des folgenden 20. Jahrhunderts zu besichtigen waren.14 Erst vor einem so großen Maßstab zeigt die Vermeidung des belasteten Schlagworts „Fortschritt“ („progress“) zugunsten des wertneutralen „Wandels“ („change“) Bernsteins pädagogisches Verantwortungsgefühl, mit dem er die zwischen Bach und Haydn vollzogenen Umwälzungen erklärte. Obwohl die Musik von Haydn und Mozart ganz anders klang als die Werke ihres Vorgängers Bach, handelte es sich (so Bernstein) immer noch um klassische Musik, da zwar mit anderen Mitteln, aber nach demselben Ideal einer Perfektion von Gehalt und Gestalt gesucht wurde: „How does such a change happen? Do composers just go to a convention, like a political or a business convention in a big hotel, and decide by voting to change the style of music? Not at all. It happens by itself, for as times change, and history changes, people change. Composers are people too, so it stands to reason that their music is also going to change. The people of Haydn and Mozart’s time thought Bach was old-fashioned and boring with all this serious fugues and things. They wanted something new – not so complicated – with pretty tunes and easy accompaniments, music that was elegant and refined and pleasant.“15

Carl Dahlhaus wies zurecht darauf hin, dass die Diskussion über musikalische Klassik sowie deren übliche Positionierung in Opposition zur romantischen Epoche retrospektiv von Autoren geführt wurde und nicht dem Bewusstsein der Zeitgenossen Mozarts oder Beethovens entsprach. Die gravierendsten Auswirkungen dieser Debatten zeigen sich bis heute im Konzertbetrieb, nachdem sich eine Auswahl von Werken der Vergangenheit als Repertoire etablierte.16 Dem eingeengten Kanon historisch legitimierter Stücke steht dabei eine musikalische Praxis gegenüber, in der die von ökonomischen Kalkulationen durchdrungene mediale Verwertung von klassischer Musik deren Terminologie faktisch dominiert. Eine Klage von Experten wie Blume und Finscher gegen die massenmediale Aushöhlung ehemals akademisch rein gehaltener Musikwelten geht deshalb in zweifacher Hinsicht an der Pragmatik und Notwendigkeit einer alltagstauglichen Orientierung von Mu-

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sikinteressierten vorbei: Zum einen ist eine Normung oder tabuisierende Fixierung von Sprache nur in den seltensten Fällen erfolgreich und der Wandel von Sprachgewohnheiten gewöhnlich nicht aufzuhalten, zumal man auch die ständige Anpassung des Begriffs „klassische Musik“ als Indiz für kulturelle Lebendigkeit insgesamt sowie für den breiten Bedarf nach dieser Art von Musik deuten könnte. Zum anderen stehen kaum terminologische Alternativen zur Verfügung, mit der sich ohne pejorative Hierarchisierung eine kompositorische Haltung bezeichnen ließe, die sich auf einen historischen Traditionszusammenhang stützt, also eine bestimmte Verortung innerhalb der jahrhundertealten stilistischen und kulturellen Linien und den sie charakterisierenden Brüchen und Brückenschlägen vornimmt. Es war Leonard Bernstein, der alle gebräuchlichen Schlagworte (gute, ernste oder Kunstmusik) verwarf, da sie nicht die Spezifik der klassischen Musik in einem Wort fassen und zudem für andere Genres wie Jazz, Pop oder Musik aus Afrika und Asien ebenfalls gelten konnten. Stattdessen schlug er den Begriff „exakte Musik“ vor, der seinem Inhalt nach zumindest nicht falsch sei, was allen anderen Bezeichnungen gegenüber schon ein entscheidender Vorteil wäre: „The real difference is that when a composer writes a piece of what’s usually called classical music, he puts down the exact notes that he wants, the exact instruments or voices that he wants to play or sing them – even to the exact number of instruments or voices. […] This means that what people call classical music can’t be changed, except by the personality of the performer. This music is permanent, unchangeable, exact. There’s a good word: exact – maybe that’s what we should call this kind of music: exact music. Within limits, there’s only one way it can be played, and that way has been told us by the composer himself.“17

Offensichtlich konnte sich Bernsteins Vorschlag einer „exakten Musik“ nicht durchsetzen. Unter praktischen Gesichtspunkten boten sich die vom Klassischen erzeugten Assoziationen von Wertbeständigkeit und Vorbildlichkeit für Marketingkampagnen und Programmhefttexte sicherlich besser an als Impressionen einer – polemisch überspitzt – pedantisch-exakten, notenfixierten Musik ohne emotionale Wärme. Aus heutiger musikwissenschaftlicher Perspektive ist Bernsteins Terminus darüber hinaus leider eben-

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falls nicht mehr präzise genug, da ein kleinerer, zugleich bedeutender Teil der Musik des 20. Jahrhunderts (Aleatorik und andere freie Spielformen sowie der gesamte Bereich der elektroakustischen Musik) nicht darunter zu fassen ist. Bernstein deutete einen solchen Spielraum zwar an – „no performance can be perfectly exact, for there aren’t enough words in the world to tell the performers everything they have to know about what the composer wanted“18 –, doch bezog er sich hierbei ausschließlich auf die interpretatorischen Nuancen einer fixierten Notation, die nicht mit den Anforderungen einer indeterminierten oder improvisierenden Konzeption kompatibel sind. Der US-amerikanische Musikwissenschaftler Lawrence Kramer wiederum, der sich mit Titeln wie Why Classical Music Still Matters sehr um die soziokulturelle Bedeutung dieser Musik sorgt, hält trotz aller Missverständlichkeit und Vieldeutigkeit am Begriff der klassischen Musik fest. In Abgrenzung zur „catchall commercial category that takes in some six centuries of very diverse practice, including opera“19 führt er als entscheidende Instanz eine dafür notwendige aufmerksame Rezeptionshaltung ein: „[…] the term classical music refers to a specific body of nontheatrical music produced since the eighteenth century with one aim in view: to be listened to. Or perhaps we should say to be listend into. All music trains the ear to hear it properly, but classical music trains the ear to hear with a peculiar acuity. It wants to be explored, not just heard. It ‚trains‘ the ear in the sense of pointing, seeking: it trains both the body’s ear and the mind’s to hearken, to attend closely, to listen deeply, as one wants to listen to something not to be missed: a secret disclosed, a voice that enchants or warns or soothes or understands, a faint echo of the music traditionally said to hold the world itself together in a kind of harmony.“

Kramers Definition sticht aus der Fülle der übrigen terminologischen Ansätze heraus, da er einerseits zwar an der Vorstellung von Bildungskapital festhält, das in klassischer Musik in besonders reiner Form gespeichert sei. Als einer von wenigen überträgt er andererseits den Hörern einen Großteil der Verantwortung zum Fortbestand dieser westlichen Geistesgeschichte. Damit aber schreibt er zugleich die seit antiken Zeiten bekannten Forderungen an Hörer, sich in einer bestimmten Weise zu verhal-

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ten, ohne Anpassung an aktuelle Entstehungs- und Aufführungsbedingungen von Musik fort. Bei der Durchsicht der Forschungsliteratur fiel auf, dass eine genaue Betrachtung dessen, was Hören als soziale Handlung zu einer bestimmten Zeit wirklich meint, noch immer aussteht. Deshalb richtet sich das Augenmerk des folgenden Abschnitts auf die historische Herleitung dieser elementaren Bedingung von Musik, um einem daran anschließenden Überblick zur heutigen Pluralität von klassischer Musik eine angemessene Diskussionsgrundlage zu bieten.

II. Spektren des Musikerlebens Entsprechend dem Allgemeinplatz, dass einfachste Fragen mitunter komplizierte Antworten erfordern, ist die Feststellung, alle Menschen hören in irgendeiner Form Musik, auf den ersten Blick relativ banal. Wie sich die mentale Verarbeitung der physiologisch wahrgenommenen, akustischen Reize aber genau vollzieht und was dies über den Hörer, seine Zeit und die gehörte Musik aussagt, ist dagegen höchst umstritten. Allen Positionen gemeinsam ist allein die Diagnose, dass Musik auf verschiedene Weisen gehört wird. Wie diese Hörweisen allerdings kategorisiert und bewertet werden, ist bereits Teil der Dispute. Es wird sich im Folgenden zeigen, wie bei allen psychologisch-empirischen Annäherungen, philosophischen Deutungen oder Rekonstruktionsbemühungen historischer Hörweisen immer ein spekulativer Rest verbleibt. Wenn man nun noch mitbedenkt, auf welche Weise die jeweilige musikalische Sozialisation in einem gesellschaftlichen Milieu eines bestimmten Kulturkreises zusätzliche und wesentliche Einflussfaktoren beisteuert, werden allgemeine Aussagen zu dieser scheinbar simplen Frage beinah unmöglich. Es ließe sich auf diese fast aussichtslose Konstellation mit der Gegenfrage reagieren, warum unterschiedliche Hörweisen überhaupt ein Problem darstellen müssen und ob sie nicht einfach gleichberechtigt nebeneinander stehen können. Da Musik aber – neben anderen Funktionen – ein Medium zur Distinktion von Individuen, Gruppen und Gesellschaften ist, sind die unterschiedlichen, bewusst und unwissentlich eingenommenen Rezeptionshaltungen immer auch mit individuellen Dispositionen von Bildung, Status und Macht verknüpft. Bei den untersuchten Innovations-

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strategien der Berliner Philharmoniker setzte man genau an den Knotenpunkten unterschiedlicher Hör- und Verwendungsweisen von Musik an und dokumentierte dabei, wie weit die damit verbundenen Überzeugungen in Bereiche von Politik, öffentlicher Meinung, Pädagogik und Ökonomie ausstrahlen. Aus diesen Gründen sind Auseinandersetzungen mit Grenzen von Musik immer auch Zustandsbeschreibungen zum Umgang mit kultureller Pluralität und Toleranz innerhalb einer Gesellschaft, mit hoher Aussagekraft über den gesellschaftlichen Status von klassischer Musik heute.

Klassifikationen und Kategorisierungen Richard McNicol, der erste Leiter der Education-Abteilung der Berliner Philharmoniker Zukunft@BPhil, ging bei der Planung des als Rhythm Is It! berühmt gewordenen Sacre-Projekts von der Problemstellung aus, dass Kinder heute verlernt haben zu hören: „One of the great problems teachers have is that children forget how to listen. At home routinely the television is on all the time, radio is on all the time. If you go to the concert and you are not prepared for it when the music starts they start talking. It’s not because children are basically evil, it’s because music is a thing you talk to. Today often it’s a background thing. And one of the things we come through of course is focussing on what music is actually doing. As you are listening you are seeking to understand. And this of course makes you listening quite a different way.“20

McNicols bekannter Befund zur Funktion von Musik als reines Hintergrund- und Begleitphänomen alltäglicher Beschäftigungen wäre noch um die Prägung zu ergänzen, die das allgemein vorherrschende Songformat auf die Wahrnehmung von Zeitstrukturen ausübt. Alle Musik, die den Zeitrahmen weniger Minuten überschreitet, provoziert und strapaziert die Aufmerksamkeit und Geduld der Zuhörer, immer in Abhängigkeit von den Umständen, unter denen man mit ihr in Kontakt kommt. Unmittelbar einleuchtend lässt ein freiwilliger Konzertbesuch oder die gezielte Auswahl eines Rundfunkprogramms andere Interessen vermuten als eine zufällige Konfrontation z.B. in einer Unterrichtssituation oder während der Wartezeit in einer Arztpraxis. Aufschlussreich

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ist darüber hinaus McNicols Feststellung, dass Kinder vergessen haben, wie Musik gehört wird. Ein solcher Gedanke setzt eine zurückliegende Zeit voraus, in der solche Fähigkeiten noch beherrscht wurden und die den Pädagogen deshalb als Richtschnur für die aktuellen Bedingungen ihrer Arbeit dienen kann. Auch hier deutet sich bereits der Interpretationsspielraum an, ob eine solche Verschiebung von Wissensinhalten neutral als Veränderung oder pessimistisch als Verfallsprozess und Rückschritt zu beschreiben wäre. Es wäre unergiebig, hier eine eigene Positionierung des Autors zu erwarten, da zuvor eine Lösung für das methodische Problem entwickelt werden müsste, einen zurückliegenden Stand von Kenntnissen und Fähigkeiten angemessen zu rekonstruieren. Wie entsprechende Versuche Heinrich Besselers zeigten, führen solche Ansätze nicht nur nicht weiter, sondern mitunter in die Irre, da sie kaum von den historiografischen und folglich politischen Standpunkten ihrer Autoren zu trennen sind. Entsprachen einige während seiner Amtszeit als Professor für Musikwissenschaft in Heidelberg (1928-1945) entstandenen Schriften thematisch den kulturpolitischen Zielsetzungen der Nationalsozialisten (vgl. seine Vorträge zu „Musik und Raum“ und „Musik und Nation“ sowie die von ihm betitelte Denkmalsreihe „Erbe deutscher Musik“), konzentrierte er sich während seiner Lehrtätigkeit in der DDR auf die Erforschung der Musik zwischen Mittelalter und Renaissance (im Jahr 1948 hatte ihn die Universität Jena zum Ordinarius für Musikwissenschaft berufen, acht Jahre später wechselte er an die Universität Leipzig).21 Eine 1959 erschienene gleichnamige Schrift widmete er dem musikalischen Hören der Neuzeit und verfolgte dort die These, anhand von Partituren und historischen Ereignissen Rückschlüsse auf die Hörweisen der jeweiligen Zeit ziehen zu können, also werkästhetische und sozialgeschichtliche Beobachtungen zum Anlass für rezeptionsästhetische Spekulationen zu nehmen. Wie der Titel des Buches vermuten lässt, datierte Besseler die Degradierung des Rezipienten vom Mitwirkenden zum „bloßen Zuhörer“ (wodurch die Aktivität beim Hörvorgang stetig an Bedeutung gewann) am Beginn der Neuzeit: „Das Operntheater seit 1637 rechnet nicht mehr mit der aktiven Teilnahme des Besuchers. Ihm wird vielmehr ein Werk vorgeführt, das er rein zuhörend aufnehmen soll. Auf dieser Grundlage beruht der

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE nun allmählich durchgestaltete Haupttypus der Oper. Sie ist ein Kunstwerk, das von Berufsmusikern dargeboten und von den Besuchern angehört wird. Da jeder eine Eintrittskarte kaufen kann, handelt es sich um ein ‚Publikum‘ im Sinne der Neuzeit.“22

Nach Besseler entwickelte sich diese idealtypische Hörleistung, die empirisch nie nachweisbar sein wird, im Gang der Epochen stetig weiter und erreichte in der Klassik des 18. Jahrhunderts ihren Höhepunkt in Form des „aktiv-synthetischen Hörens“.23 Wie Werner Braun kritisch anmerkte, sind Besselers „Übertragungen von wesentlichen Werkmerkmalen auf die vermutete Hörerwartung eines idealen Musikfreundes des entsprechenden Zeitabschnitts“ von geringem Erkenntniswert, vor allem aber „als Übertragung vom konkreten Gegenstand auf ein hypothetisches Subjekt methodisch bedenklich“.24 Darüber hinaus wies der französische Musikwissenschaftler Martin Kaltenecker auf den bedenkenswerten Umstand hin, dass Reflexionen über das Hören vor allem „ein deutscher Habitus“ sind, „vielleicht eine deutsche Konstruktion oder Ideologie; bezeichnenderweise wird Stockhausen als einziger der ‚Darmstädter‘ sich mit diesem Thema befassen.“25 Stellt man Besselers Konzept beispielsweise die 1939 in München erschienene Habilitationsschrift Typologie der Musikbegabung im deutschen Volke. Grundlegung einer psychologischen Theorie der Musik und der Musikgeschichte des Anthropologen Albert Wellek zur Seite, so ist im Bemühen, Hörer zu kategorisieren, der Weg zu Theodor W. Adornos Typologie nicht mehr weit. Es sei nur am Rande dieser Chronik von Autoren erwähnt, die sich besonders um die Vorherrschaft der deutschen Musik bemühten, dass sich auch Joseph Müller-Blattau Anfang der 1960er Jahre auf die Thematik des Musikhörens einließ. Er fand dabei sehr freundliche Worte für Adorno, die von diesem mit einem Beitrag zu Müller-Blattaus Festschrift zum 70. Geburtstag erwidert wurden.26 Wie Besseler ging auch Adorno bei seinen Typen musikalischen Verhaltens vom Standpunkt des Experten aus, an dem sich alle geringer qualifizierten Hörer messen lassen mussten.27 Entscheidendes Kriterium war der Grad an Rationalität beim Rezipienten, zusammengezogen in der Metapher des „mitdenkenden Ohrs“. Am anderen Ende der Skala wurde der sogenannte „emotionale Hörer“ angesiedelt, der aus gänzlich irrationalem Antrieb

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Musik konsumiert und hierfür bereitwillig auf entsprechende Stücke, vorzugsweise von Tschaikowsky, zurückgreift.28 Glücklicherweise sei dieser Typus aber „vielleicht unterm Bann des musikalischen Kulturrespekts – in Deutschland weniger charakteristisch als in angelsächsischen Ländern, wo der striktere zivilisatorische Druck zum Ausweichen in unkontrollierbar inwendige Gefühlsbereiche nötigt; auch in hinter der technologischen Entwicklung zurückgebliebenen, zumal slawischen Ländern dürfte er noch eine Rolle spielen. Die in der Sowjetunion tolerierte und konfektionierte zeitgenössische Produktion ist auf diesen Typus zugeschnitten; jedenfalls ist sein musikalisches Ich-Ideal dem Cliché des heftig zwischen Aufwallung und Melancholie hin- und herpendelnden Slawen nachgebildet“29.

Jenseits solcher nationalistischen Ressentiments ging schon Hugo Riemann von der geringen Wertigkeit des passiven Hörers aus, der alle zum Verstehen der Musik notwendigen Informationen aus den Werken der Komponisten empfängt, womit er zugleich den bürgerlichen Bildungsanspruch des 19. Jahrhunderts sowie die damit verschwisterte Genieästhetik in Erinnerung ruft: „Der hohe ethische Wert der Musik beruht ja doch darin, daß sie den empfänglichen Hörer befähigt, nachzuerleben, was gottbegnadete Künstler vorerlebt haben. Der Grad der Stärke dieses Nacherlebens hängt freilich ab von der Fähigkeit, dem Ideenfluge des Künstlers zu folgen, einer Fähigkeit, die Begabung voraussetzt, aber durch ernstes Studium sehr erheblich entwickelt werden kann. Man spricht deshalb mit Recht von einer Bildungsfähigkeit des Ohrs, von einer Lehrbarkeit und Lernbarkeit der Musik.“30

Als einer der prominentesten Kämpfer gegen eine irrationale Hörhaltung vor Riemann ist Eduard Hanslick zu nennen, der sich mit glühender Feder und tiefem Hass gegen romantische Versunkenheit wandte, wie sie beispielsweise Wilhelm Heinrich Wackenroder in einem Brief aus dem Jahr 1792 formuliert hatte: „Wenn ich in ein Konzert gehe, find’ ich, daß ich immer auf zweierlei Art die Musik genieße. Nur die eine Art des Genusses ist die wahre: sie besteht in der aufmerksamsten Beobachtung der Töne und ihrer

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE Fortschreibung; in der völligen Hingebung der Seele in diesen fortreißenden Strom von Empfindungen; in der Entfernung und Abgezogenheit von jedem störenden Gedanken und von allen fremdartigen sinnlichen Eindrücken. Dieses geizige Einschlürfen der Töne ist mit einer gewissen Anstrengung verbunden, die man nicht allzulange aushält... Die andere Art, wie die Musik mich ergötzt, ist gar kein wahrer Genuß derselben, kein passives Aufnehmen des Eindrucks der Töne, sondern eine gewisse Tätigkeit des Geistes, die durch die Musik angeregt und erhalten wird. Dann höre ich nicht mehr die Empfindung, die in dem Stücke herrscht, sondern meine Gedanken und Phantasien werden gleichsam auf den Wellen des Gesanges entführt, und verlieren sich oft in entfernte Schlupfwinkel.“31

Hierzu im Vergleich die bekannten Sätze aus Hanslicks Schrift Vom Musikalisch Schönen: „Zum Berauschtwerden braucht’s nur der Schwäche, aber wirklich ästhetisches Hören ist eine Kunst. Das Gefühlsschwelgen ist meist Sache jener Hörer, welche für die künstlerische Auffassung des Musikalisch-Schönen keine Ausbildung besitzen. Der Laie ‚fühlt‘ bei Musik am meisten, der gebildete Künstler am wenigsten. Je bedeutender nämlich das ästhetische Moment im Hörer (gerade wie im Kunstwerk), desto mehr nivelliert es das bloß elementarische.“32

Rationalität contra Emotionalität Verbindendes Element zwischen Adorno, Wackenroder und Hanslick war die Gegenüberstellung rationaler und emotionaler Hörhaltungen, für die Arnold Schönberg die Formulierung vom „Herz und Hirn in der Musik“33 prägte. Im gleichnamigen Text von 1927 bemühte er zunächst das Klischee vom leicht schmuddeligen, interessant posierenden und Gedanken nur vernebelt umschreibenden Dichter, der bei begeisterten Lesern die romantische Assoziation weckt, beim Wachen zu träumen.34 Obgleich diese Vorstellung zwar veraltet sei, habe sie sich in der Musik im allgemeinen Glauben erhalten, „daß die wesentlichen Eigenschaften der Musik ihrem Ursprung nach zwei Kategorien angehören: dem Herzen oder dem Hirn, mit Ausnahme einiger Werke, bei denen beide ein Wort zu sagen haben

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE könnten. Die Eigenschaften, in denen der Hörer gern sein eigenes Herz wiedererkennt, sind jene, von denen er meint, sie seien den Gefühlen eines Komponisten entsprungen: die schöne Melodie oder Phrase, der schöne – oder wenigstens süße Klang, die schöne Harmonie. [...] Kontrapunkt, kontrapunktischer Stil wird eindeutig dem Hirn zugeschrieben. Er wird durch die höchste Wertschätzung ausgezeichnet, aber nur geduldet, wenn er die Wärme der Träume nicht zerstört, in die der Hörer durch den Zauber des Schönen entführt worden ist.“35

Hier nun ist man bei einem Kern der Diskussion angelangt, auf den sich alle darauf folgenden theoretischen und empirischen Ansätze zurückführen lassen und an dem sie sich solange abarbeiteten, bis in jüngerer Zeit kombinatorische, auf größere Realitätsnähe zugeschnittene Modelle entwickelt wurden. Albrecht Riethmüller verwies in seiner Studie zum Verhältnis von Musikwerk und Publikum in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum einen auf die Wurzeln des obigen Topos im Orpheus-Mythos sowie die entsprechenden Passagen in Platons Staat, in denen emotional enthemmender Musik psychische, politische und pädagogische Gefährlichkeit zugeschrieben wurde. Seither versucht man, diesem Extrem mit einem Ideal von Rationalität zu entgegnen, „von der aus es freilich manchmal nur ein kleiner Schritt zur mystischen (Zahlen-)Spekulation ist, worauf leider selten hingewiesen wird“36. Nach Riethmüller begegneten sich in der Musikgeschichte beide Ansichten selten unvermischt, so dass – bezogen auf die obigen Beispiele – Adornos Hierarchisierung rationaler Experten und emotionaler Laien bzw. Besselers Konstrukt eines aktiv-synthetischen Hörvermögens für eine konkrete Anwendung auf gegenwärtige oder historische Forschungsgegenstände kaum relevant sein können. Innerhalb der skizzierten geschichtlichen Entwicklung der Dualität von Rationalität contra Emotionalität sieht Riethmüller am Beginn des 20. Jahrhunderts eine „möglicherweise historisch einmalige Situation“ eintreten, da hier die Wirksamkeit der Musik aus dem Blick geriet: „Das bedeutet jedoch nicht, wie vermutet werden könnte, daß dies unbedingt eine Übersteigerung der Seite der Rationalität provoziert hätte. (Nicht zufällig gab sich die neue Situation musikalisch zu-

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE nächst als ‚Expressionismus‘ zu erkennen.) Aber die Vernachlässigung der Seite der Wirksamkeit führte dazu, daß nunmehr die Seite der Rationalität allein sichtbar stehenblieb und deshalb die Aufmerksamkeit in besonderem Maße auf sich zog; von daher sind die gewöhnlichen – und paradoxerweise zunächst besonders auf ‚expressionistische‘ Musik bezogenen – Vorwürfe des Mechanischen, Erkünstelten, Vernünftelnden usw. zu verstehen. Die Vernachlässigung der Wirksamkeit, in der der Zug zur Hermetik spürbar wird, wurde indessen auch als eine spezifische Veränderung der Wirksamkeit aufgefaßt, als gefährliche Zuspitzung der Wirksamkeit, als Schreck bzw. Schock, also als ein Umschlag in die Negation von Wirksamkeit.“37

In der Rückschau auf die musikalischen Entwicklungslinien während der vergangenen 100 Jahre erwies sich der teils erzwungene, teils programmatisch überhöhte Rückzug der neuen Musik in ein gesellschaftliches Nischendasein als entscheidende Weichenstellung für den komplizierten Status von klassischer Musik heute. Einerseits blieb ihr zwar der Nimbus der Hochkultur erhalten, andererseits aber hinterließ er kaum noch interessierte Hörerkreise, so dass sich z.B. die Berliner Philharmoniker – um im Einzugsbereich der behandelten Beispiele zu bleiben – zu grundlegenden Innovationsstrategien, speziell jenen der Education-Abteilung veranlasst sahen. Da ein Widerstreit zwischen der Legitimität rationalen oder emotionalen Erlebens von Musik – konzentriert in den Polaritäten von Experten und Laien bzw. von Elite und Masse – immer auch rivalisierende Machtkonstellationen und Deutungsansprüche beinhaltet, wurden bei der Klassifizierung von Hörweisen bevorzugt verschiedene Genres gegeneinander ausgespielt. Üblicherweise betraf dies die Gegenüberstellung von E- gegen U-Musik, bei der bereits die Bezeichnungen „ernst“ versus „unterhaltend“ die implizierte Wertigkeit der damit umschriebenen ästhetischen Haltungen verraten. Bei Theodor W. Adorno und auch Carl Dahlhaus lassen sich ästhetische Abstufungen gleichwohl auch innerhalb der weiten Sphäre der klassischen Musik nachverfolgen38, so dass unter Beibehaltung der argumentativen Struktur nur die entsprechenden Beispiele wechseln. Aber auch bei Fürsprechern der Popularmusik finden sich bisweilen Spuren dieser Denkweisen, so dass beispielsweise Manfred Schuler in einem Ende der 1970er Jahre veröffentlichten ausführlichen Essay über Klassikadaptionen in der Rockmusik eine ver-

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standesmäßige Auseinandersetzung mit dieser musikalischen Jugendkultur für inadäquat hielt: „Rockmusik beschließt sich dem wissenschaftlichen Zugriff, kann sie doch in ihrer Ganzheit eigentlich nur irrational, über das Gefühl erfahren werden.“39 Nimmt man für ein vielschichtigeres Bild von aktuellen Ansätzen, die sich den Rezeptionsbedingungen von Musik widmen, zunächst eine Studie des Musikpädagogen Klaus-Ernst Behne aus dem Jahr 1990 zur Hand, so stößt man auf einen differenzierten Blick auf Hörer, ihre Reaktionen sowie ihre Motivationen zum Hören von Musik. Zwischen Kategorien von motorischem, kompensatorischem und vegetativem Hören (gleichbedeutend mit körperlichen Wirkungen), sentimentalem, assoziativem und diffusem Hören (zur Ablenkung) sind emotionales und distanziert-rationales Hören nur zwei Möglichkeiten neben vielen anderen. Darüber hinaus können sie – abhängig von Situationen und Stimmungen – bei ein und demselben Hörer auch nebeneinander existieren, so dass methodisch hier nicht mehr von einem festen, sozial und intellektuell determinierten Rezeptionsmuster ausgegangen werden kann.40 Noch wesentlicher ist Behnes Fazit, dass sich seine Hypothese einer irgendwie gearteten Korrespondenz zwischen Musikstilen und Hörweisen pauschal nicht bestätigen ließ, sondern alle beobachteten Hörweisen in unterschiedlichen musikalischen Genres anzutreffen waren: „Auffällig sind aber die zahlreichen Korrelationen zwischen dem emotionalen Hören und einem relativ breiten Spektrum von Musikvorlieben, wobei auf der klingenden Ebene langsame Beispiele im Vordergrund stehen. Emotionales Hören korreliert also deutlich mit allgemeinem Musikinteresse, aber vor allem mit einer Vorliebe für ausdrucksvolle Klassische Musik [...]. Das gängige Vorurteil, daß ‚bloß‘ emotionales oder assoziatives Hören das Schicksal bedauernswerter Pop/Schlagerhörer sei, ist damit gründlich widerlegt. Das von Adorno und seitdem von einem großen Teil der Musikpädagogik so gedankenlos denunzierte emotionale Hören erfährt hiermit eine ungewöhnliche Rehabilitierung. Emotionales Hören […] scheint den Zugang zur Musik und zwar auch und vor allem zur europäischen Kunstmusik deutlich stärker zu begünstigen als distanzierendes, weiland als ‚strukturell‘ fetischisiertes Hören.“41

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Kontext und Konventionen Patrik N. Juslin und John A. Sloboda gingen im einleitenden Überblick ihres Sammelbands Music and Emotion. Theory and Research (2001) von der Beobachtung aus, dass eine irgend geartete Form emotionalen Erlebens sicherlich ein Hauptgrund für Menschen ist, sich mit Musik zu befassen, und resümieren den aktuellen Forschungsstand als Desiderat: „Emotional aspects of music should thus be at the very heart of musical science. It is all the more remarkable then that this topic has been seriously neglected during the last decades.“42 Einen entsprechenden Versuch unternahmen die schwedischen Musikpsychologen Alf Gabrielsson und Siv Lindström, die vor wenigen Jahren mit einer umfangreichen Studie ihr Projekt „Strong Experiences of Music (SEM)“ vorstellten.43 Anstatt (wie in vielen bisherigen Testreihen) ausschließlich positive Erfahrungen zu untersuchen, die Probanden als Reaktionen auf Musikerlebnisse schilderten, begaben sie sich auf die Suche nach allen Formen starker, eindrücklicher Erfahrungen, um eine umfassendere Summe der körperlichen, verhaltensabhängigen, wahrnehmungsspezifischen, kognitiven, emotionalen und sozialen Einflussfaktoren ziehen zu können: „We also wanted to explore the ‚causes‘ of such experiences, that is, what factors in the music, in the person, and in the situation which may contribute to the strong experience.“44 Aus den Befunden der Autoren stechen zwei Ergebnisse heraus: 1. „Listening to live music was significantly more associated with a special atmosphere (factor 9) than listening to reproduced music.“45 Dies ist ein beachtenswertes Moment, welches üblicherweise mit Hörern, nicht aber mit Musikern in Verbindung gebracht wird und leicht übersehen lässt, dass auch Musiker immer Zuhörer sind und dabei zwei unterschiedliche Ebenen des rationalen und emotionalen Nachvollzugs von Musik miteinander verspannen. Sloboda und Juslin argumentieren bezüglich der emotionalen Erfahrung von Musik ähnlich: „Although emotions can occur when a person is alone, their full manifestation very often seems to require other people. […] This process is referred to as social referencing, and illustrates that others’ emo-

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tional expressions are important sources of information which may influence our behaviour.“46 2. „Similarly listeners who were unfamiliar with the music experienced more sudden loss of control, but less of the special connection between feelings in the room and in the music, than listeners to whom the music was familiar.“47 Dieser Aspekt liefert eine aufschlussreiche Erklärung für die Scheu und das Desinteresse von Musikhörern, wenn sie klassischer Musik begegnen. Das Verhältnis von Vertrautheit und Unsicherheit im Umgang mit Musik ist eigentlich jedem Hörer bekannt, da man immer wieder in Situationen gerät, in denen Stücke und Melodien entweder erkannt oder nicht eingeordnet werden können. Die Reaktionen darauf können höchst unterschiedlich ausfallen und sind wiederum abhängig davon, ob andere die Situation teilen und die eigenen Reaktionen dabei eventuell einer Beurteilung unterziehen, und ob ein Augenblick von Unsicherheit in der Einschätzung des Gehörten die eigene Neugier herausfordert oder intuitive Abwehrreflexe mobilisiert.48 Leonard B. Meyer hielt Unsicherheit für eine bedeutende Variable emotionalen Erfahrens und für das Resultat von Ignoranz gegenüber der Fortentwicklung vergangener und gegenwärtiger Verhaltensmuster.49 Da Ignoranz zu einem Mangel an adäquaten Informationen führt, mit denen sich ungewohnte Situationen verstehen ließen, resultiert daraus ein dominierendes Gefühl von Machtlosigkeit, das alle auf Hoffnung ausgerichtete Unsicherheit überlagert: „Hence audiences tend to be alienated, when (what for them is) an excessive amount of information in a piece of contemporary music precludes patterning and, consequently, a sense of control.“50 Suchte man nach einem verbindenden Punkt für die hier ausgelegten Fäden, so ist es die Abhängigkeit des Musikerlebens vom situativen Kontext, vom Stand des individuellen Wissens sowie von der Kenntnis musikalischer, ästhetischer und sozialer Konventionen. Nicolas Cook bietet hierfür ein passendes Beispiel an: „[...] it is the circumstances of listening rather than the sounds themselves that are decisive in determining the listener’s response, for the same person may react to the same piece of contemporary music qui-

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE te differently under different conditions. A passage from Karlheinz Stockhausen’s Mikrophonie II, for instance, may be accepted without demur as the sound-track for a science-fiction movie; heard on the car radio it may be ignored, or the radio may be retuned to another station; whereas in the concert-hall the music may be angrily rejected.“51

Die Beobachtung und das Verstehen des eigenen Verhaltens ist ein komplizierter Prozess, der – das teilt er mit der ästhetischen Erfahrung von Musik – auf einer vorsprachlichen Bewusstseinsebene beginnt.52 Die Verbalisierung des Verstandenen ist eine nächste Hürde, so dass psychologische und andere auf die Bewusstmachung innerer Abläufe spezialisierte Disziplinen zuerst ein entsprechendes verbales und affektives Vokabular entwickeln müssen. Im Fall der Musik beginnt die Diskrepanz zwischen Hören und Verstehen, wie sie im Englischen im Unterschied von „to hear“ und „to listen“ ausgedrückt wird, wenn etwa Musikunterricht in Schulen ausbleibt oder sich auf rein historische Zusammenhänge und technische Abläufe beschränkt, ohne einen individuellen, neugierigen Nachvollzug anzubieten. So unterschiedlich die Motivationen zum Musikhören sind, sie alle eint der Wunsch der Rezipienten, von Klängen berührt zu werden. Welche Form „Berührung“ dabei annimmt, wie sie im Einzelnen zu beschreiben ist und ob ein solches präzises Verständnis immer erwünscht ist, hängt von individuellen Dispositionen jedes Hörers, der jeweiligen Stimmung sowie dem situativen Kontext (gemeinsamer Konzertbesuch, einsamer Fernsehkonsum, privates Hörvergnügen per Kopfhörer, gefühlte Belästigung durch öffentliche Lautsprecher usw.) ab. Zusätzlich ist von Bedeutung, ob sich ein Hörer auf die Suche nach neuen Klängen begibt oder ob er Freude dabei empfindet, ein bereits bekanntes Stück oft zu erleben und neue Seiten daran zu entdecken.53 Dennoch laufen die meisten der an Musik gestellten Bedürfnisse im Wunsch nach Berührung und emotionaler Stimulanz zusammen, die zugleich als angeleitete Handlungen mit rationalen Beweggründen einhergehen. Es ist zu vermuten, dass die Zufriedenheit des Erlebens auch vom Grad abhängig ist, wie gut man sich in einer musikalischen Umgebung zurechtfindet und wie vertraut man mit den dabei zu beobachtenden eigenen Verhaltensweisen ist. Ein alltägliches Beispiel wäre Dur-Moll-tonale Musik als ästhetisches

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Konsenssystem, in dem sich alle Hörer, die in ihm sozialisiert wurden, mit mehr oder minder großer Gewandheit orientieren, so dass Komponisten gezielt mit Erwartungen und Überraschungen der Hörer spielen können. Im Rahmen seiner Young People’s Concerts fasste Leonard Bernstein sein Credo zur Frage What does Music Mean? in einem kurzen Satz zusammen: „It’s the way it makes you feel when you hear it.“54 Nicht zuletzt zeichnen sich Bernsteins musikpädagogische Bemühungen durch die Klarheit seiner Sprache und die Aufrichtigkeit aus, mit der er Kindern und ihrem begrenzten musikalischen Vorkenntnissen Antworten zum Wesen, zur Struktur und zur Wirkung von klassischer Musik an die Hand gab. Auch zur Entstehungszeit dieser Konzerte zwischen 1958 und 1973 war die Haltung von musikwissenschaftlichen und -philosophischen Autoren sowie von Hörern ungebrochen dominant, in Musik nach Bildern, Geschichten, Sprachanalogien und Gefühlen des Komponisten zu suchen – ein Moment, dass schon beim Kapitel zur Filmmusik begegnete. Bernstein hatte zu diesem Wunsch nach außermusikalischen Bedeutungen eine dezidiert ablehnende Haltung und bemühte sich, Kinder und Jugendliche darin zu bestärken, einen eigenen Zugang zur Musik zu finden und nicht das Erbe überkommener Vorstellungen antreten zu müssen: „If it [music, Anm. d. Verf.] tells us something – not a story or a picture, but a feeling – if it makes us change inside, then we are understanding it. That’s all there is to it. Because those feelings belong to the music. They’re not extra, like the stories and pictures we talked about before; they’re not outside the music. They’re what music is about. And the most wonderful thing of all is that there’s no limit to the different kinds of feelings music can make you have. [...] there are other feelings so deep and special that we have no words for them, and that’s where music is especially marvelous. [...] It’s all in the way music moves. We must never forget that music is movement, always going somewhere, shifting and changing and flowing from one note to another. That movement can tell us more about the way we feel than a million words can.“55

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III. Vielfalt musikalischer Realitäten Ließe man die Quelle des folgenden Zitats ungenannt (den deutschen Verband der Musikindustrie, der ohne Einbindung in das Netzwerk internationaler Medienkonzerne nicht vorstellbar ist), es wäre in der Assoziation nationaler Eigenheiten mit Musikgenres in beliebige Kontexte übertragbar: „Musik gehört zu unserem Leben wie Wasser, Luft oder Sonne. Kein Kulturgut ist so allgegenwärtig und kann bei den Menschen so vielfältige Emotionen auslösen. Darüber hinaus ist Musik ein wesentlicher Bestandteil der nationalen Identität und ein großer Imagefaktor. Was wäre Deutschland ohne Klassik, England ohne Pop, Frankreich ohne Chansons oder Amerika ohne den Jazz.“56

Die Beschränkung dieser Aufzählungen auf einzelne Musikstile, ohne welche die Pauschalität solcher Statements zu „Identität“ und „Image“ nicht funktionierte, könnte zwar mühelos um weitere Beispiele ergänzt werden (Italien kennt nur die Oper, Norwegen hatte vor und nach Grieg keine Musik außer touristischer Folklore usw.). Dies wäre methodisch aber kaum ergiebig, wenn sich nicht erstens eine unterstellte Hierarchisierung der Genres herauslesen ließe – hierauf gründet die bekannte Vorstellung von Musik als der deutschesten der Künste, die auch im Wunsch von Konservativen nach einer entsprechenden Leitkultur regelmäßig aufflackert. Zweitens aber, jenseits von Kritik an der Repetition klischierter Denkmuster, verfolgt die Musikindustrie per se keine unlauteren Absichten, wenn sie das Bedürfnis der Menschen nach Musik mit entsprechender „Ware“ befriedigen möchte. Der Redewendung entsprechend belebt Konkurrenz bekanntlich das Geschäft, so dass für Vermarktungen entsprechende Strategien entworfen werden, die wahlweise auf Breitenwirksamkeit oder Exklusivität setzen, also einen möglichst breit oder eng gefassten Kundenkreis adressieren. Beide Zielgruppen müssen sich nicht ausschließen, sondern können Untergruppen innerhalb einer Interessensgemeinschaft bilden, die z.B. entsprechend ihrer finanziellen Möglichkeiten Stehplätze, Parkettsitze oder exklusive Logen bevorzugen bzw. – im neu konzipierten Tonträgermarkt – zur Basisversion einer CD, der Bonus-Version mit aufwändig gestaltetem Booklet oder der Deluxe-Box mit beigelegter DVD greifen.

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Im Bereich der klassischen Musik machen die speziellen Stilrichtungen des 20. und 21. Jahrhunderts einen sehr überschaubaren Marktanteil aus, der nach Bourdieu mehr kulturelles als ökonomisches Kapital bereithält. Für Medienkonzerne und Verlagshäuser, die sich nicht auf Nischen spezialisierten, sondern einem möglichst breiten Geschmack entgegenkommen wollen, bietet sich ein möglichst weiter Begriff von klassischer Musik an, der die von Ludwig Finscher monierte terminologische Deutungshoheit längst übernommen hat. Als Beispiel für diese Marktpositionierung – ob man sie als Popularisierung oder Kommerzialisierung beschreibt, ist bereits Teil des Disputs und somit Auslegungssache – wird oft ein privatrechtlicher Rundfunksender genannt, der seinen Anspruch auf kulturelle Seriosität in einem denkbar knappen, pointierten Namen bündelt: „Klassik Radio“. Dem eigenen Selbstverständnis nach als „Mix für die Hörerelite“ konzipiert, benennt Ulrich Kubak, Vorstandsvorsitzender der Klassik Radio AG, im Jahresbericht 2008 sogenannte „Entscheider“ (Leistungsträger in Unternehmen) und Selbstständige als die präferierte Zielgruppe des Senders. Das idealtypische Charakterbild liest sich wie folgt: „Der Klassik Radio Hörer ist ein ausgeglichener Mensch. Er ist kulturell gebildet, erfolgreich in dem, was er tut, und ein Genießer im Leben. Er ist sensibel und aufmerksam, weltoffen und anspruchsvoll. Er hält an gesellschaftlichen Werten fest und ist ein Mensch mit Anstand und Moral. Er glaubt an Leistung und Erfolg und ist bereit, mehr dafür zu geben. Er ist ein Entscheider und trägt Verantwortung. Als Konsument entscheidet er sich vor allem für Marken, die er mit Anspruch und Qualität verbindet. Er liebt Klassik Radio nicht nur, weil es ihn entspannt. Sondern auch, weil das musikalische Programm seine Stimmungen und Gefühle wiedergibt.“57

Als Streitfall taugte die Fundierung eines „Klassik“-Eigennamens durch ein solches Konzept wenig – auch andere öffentlich-rechtliche Sender verwenden zur Kennzeichnung ihrer entsprechenden Wellen ähnliche Ausdrücke –, wenn sich Klassik Radio nicht bemühte, als Formatradio mit einer gezielten Auswahl aus dem breiten historischen Spektrum zwischen dem 17. und 21. Jahrhundert einen einheitlichen, charakteristischen Soundteppich zu weben. Mittels einer selektiven Durchsicht der Musikgeschichte,

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die alle aufwühlenden, kritischen, konfliktreichen oder auf andere Weise Aufmerksamkeit bindenden und zum Nachdenken anregenden Kompositionen ausklammert, soll ein Lebensgefühl „klassischer“ Eigenschaften und Werte erzeugt werden, welches sich im Online-Shop des Senders in Form von Tonträgern, Hörbüchern und Büchern, einem exklusiv vertriebenen Wissenskompendium „Die wahre Geschichte“, ausgesuchten Weinen, Karten für Musical- und Filmmusikkonzerte sowie Downloads von einzelnen Musiktiteln materialisieren lässt. Gemäß ihrer Eigenwerbung sendet Klassik Radio „den ganzen Tag das Beste aus der klassischen Musik. Von Carmina Burana bis Vivaldis Vier Jahreszeiten. Die Klassik Hits auf Klassik Radio begeistern Jung und Alt, denn hier werden nur die besten Komponisten aus Jahrhunderten klassischer Musik gespielt.“58 Zum einen werden dafür Musikstücke in einer Länge präferiert, die in etwa dem üblichen Songformat von drei bis fünf Minuten entspricht, und die zum anderen von möglichst wenigen Moderationen unterbrochen werden. Ein solches Konzept lässt nicht zu, sinfonische Werke im Zusammenhang aller Teile oder wenigstens einzelne ihrer Sätze vollständig zu spielen. Dabei ist es aber so erfolgreich, dass öffentlich-rechtliche Klassik-Wellen trotz des Vorwurfs einer „Häppchen“-Klassik diese Idee übernahmen, woraufhin sich auch die vom Ausschuss „Kultur und Medien“ im Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ mit diesem Phänomen beschäftigte. Unter Mitwirkung u.a. der Sachverständigen Helga Boldt (Kulturdezernentin a. D. und seit Mai 2005 Beraterin der Bertelsmann-Stiftung), dem Popmusiker Heinz Rudolf Kunze, Dr. Nike Wagner (Intendantin des Weimarer Kunstfests), Dr. h.c. Hans Zehetmair (Staatsminister a. D., Senator E. h., Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung und des Rats für deutsche Rechtschreibung) sowie dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats e. V. Olaf Zimmermann kam die Kommission zur Überzeugung, dass „die sich ausbreitende ‚Formatierung‘ von Sendungen, das heißt das Setzen strengerer Zeitlimits und Vorgaben für die Kombination von Wort- und Musikbeiträgen, […] tendenziell eine Gefahr für Themen und Kulturtraditionen [ist], die in erheblichem Maße auf Geist, Komplexität und Substanz setzen und daher medial nicht so leicht zugänglich gemacht werden können“59.

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Zu Beginn ihres Berichts benannte die Kommission als eine ihrer zentralen Erkenntnisse die anstehende Notwendigkeit, „die Gräben zwischen E- und U-Musik, zwischen Breitenkultur und Spitzenkultur, zwischen professionell Tätigen und sogenannten Laien auszugleichen. Ein solches Denken führt nur dazu, dass sich die Kultur als Ganze selbst schwächt.“60 Durchaus im Sinne des Generalthemas dieser Studie zur Diversifikation der Musik ließe sich diese Empfehlung auch als Unterstützung einer Programmspezialität von Klassik Radio auslegen, die den Zorn mancher Kritiker und Verfechter traditioneller Konzepte auf sich zieht, die Vermischung von Genres im Neologismus der „New Classics“: „Moderne Komponisten – von Ludovico Einaudi über Sting bis Paul McCartney – zeigen, dass die klassische Musik immer wieder neu belebt wird. Und sich voller Leidenschaft präsentiert. Hier finden Hörer einfühlsame, sanfte und mitreißende Klänge.“61 Unter Umgehung großer Bereiche avantgardistischer Musik des 20. Jahrhunderts schließt Klassik Radio diese Repertoirelücke durch Musicals und vor allem Filmmusik, wofür der Sender mit einem nach ihm benannten Klassik Radio Pops Orchestra kooperiert, das sehr erfolgreiche Tourneen absolviert. Der schlagende Vorteil dieser Programmtaktik ist, klanglich an der Tonalität festhalten zu können, die der Mehrheit aller Hörer im geografischen Einzugsgebiet von Pop- und Rockmusik, Jazz und klassischer Musik bis heute als Konsens dient. Durch die weitaus größere Vertrautheit der meisten Musikhörer mit Soundtracks als mit Konzertmusik wird hierdurch ein Personenkreis angesprochen und per se nicht ausgeschlossen, der bisher nur wenig Kontakt mit klassischer Musik hatte und darüber hinaus wenig Lust verspürte, sich beim Musikgenuss belehren statt unterhalten zu lassen. Charles Rosen wies in seiner Studie zum klassischen Stil auf die enge Bindung der Wiener Klassik zur Tonalität hin62, so dass viele Marketingkonzepte – etwa für die Classical Bytes-Reihe der Deutschen Grammophon (Werbeslogan: „Find out bits and bytes about the music and lives of the 10 greatest classical composers […] Get to know their most famous pieces and musical range by listening to each composer’s cd compilation, designed in fabulous cartoon style!“63) oder für Stars der sogenannten „populären Klassik“, wie Nigel Kennedy, Helmut Lotti, Vanessa Mae und André Rieu – bei der Doppeldeutigkeit von klassischer Musik und (Wiener) Klassik ansetzen.64 Auch die beiden aktuellen Plakat-

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kampagnen der Berliner Philharmoniker „Abenteuer Klassik“, die Meilensteine der Technikgeschichte aus dem 19. und 20. Jahrhundert wie Autos, Eisenbahnzüge, große Segelschiffe, Raketen, Heißluftballons und die Titanic mit Instrumentencollagen illustriert, sowie „Wilde Klassik“, bei der Zootiere aus Instrumenten zusammengesetzt wurden, spielen mit der Werbewirksamkeit dieser Begriffsvielfalt. Öffentlich-rechtliche Fernsehprogramme, etwa das ZDF, haben mit Sendungen wie Die Sommernachtsmusik, der Operngala aus Baden-Baden, der Preisverleihung Echo der Stars sowie Eine große Nachtmusik mit Götz Alsmann in den letzten Jahren ebenfalls die Inszenierung von klassischer Musik als Event-Entertainment (wieder)entdeckt. So schrieb Programmdirektor Thomas Bellut im Vorwort der Pressemappe Ausgezeichnet! Klassische Musik im ZDF. September bis Dezember 2007: „Klassik ist in aller Munde. Nach Jahren der Verbannung dieser vermeintlich elitären, komplizierten und nur mit viel Vorbildung verständlichen Musik ist die Klassik wieder dort angekommen, wo sie, auch nach dem Willen ihrer Schöpfer, hingehört: beim breiten Publikum. Wie kam es zu diesem Glücksfall? Herausragende Interpreten hat es schon immer gegeben. Jetzt aber hat sich ihre Haltung gewandelt. Nicht die zur Musik, sondern die zum Publikum. Klassik stand nicht ganz oben auf der Musikwunschliste des breiten Publikums. Die Präsentationsform galt als steif, hermetisch und unzeitgemäß. Also entschlossen sich die Künstler, den klassischen Inhalt neu zu verpacken. Heute gilt Klassik als geradezu jugendlich frisch und unkonventionell. Das ZDF hat diesen Trend von Anfang an mitgestaltet. Neben traditionsreichen Konzerten wie dem ‚Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker‘ und der ‚Adventlichen Festmusik aus Dresden‘ haben wir neue Wege für die Fernsehumsetzung von klassischer Musik entwickelt. Mit Regisseuren, Kamera- und Lichttechnik aus dem Showbereich haben wir die Klassik in eine moderne TVSprache übersetzt. [...] Das ZDF ist das Vollprogramm mit dem größten Klassikanteil. Wir sind stolz darauf, unseren Beitrag zur Popularität der Klassik aktiv zu gestalten. Der öffentlich-rechtliche Kulturauftrag ist für uns mehr als ein Paragraf des Staatsvertrages, er ist die erfolgreiche Präsentation von Klassik im Fernsehen. Denn er entspricht dem Wunsch des Publikums.“65

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Theoretisch wäre denkbar, dass Freunde des klassisch-romantischen Repertoires die geschilderten Programmkonzepte von Klassik Radio und ZDF schätzen, da ähnliche soziale Indikatoren eines wirtschaftlich solventen Bildungsbürgertums avisiert sind und jener Teil des künstlerisch-progressiven Fortgangs nach 1950 ausgespart bleibt, dem im Konzert nur bedingt auszuweichen ist und der den regelmäßigen Verriss aktualisierender Operninszenierungen garantiert. Gerade aber hier finden besonders harte Distinktionen zwischen den divergierenden Rezeptionskonventionen und Erwartungshaltungen statt: In altem Reflex gegen jegliche kulinarische Hörhaltung soll E-Musik nicht zur kommerziellen U-Berieselung verkommen. Am Beispiel von Johann Strauß legte Albrecht Riethmüller historische Wurzeln dieses Vorurteils offen: „Schon in der Antike waren diejenigen, die die Auffassung vertraten, dass das Melos, mithin die Musik zuerst und zuletzt zum Vergnügen (griechisch terpsis) da sei, weil sie nicht wie die Dichtung etwas für die Gedanken, mithin für die Geistesbildung übriglasse, in der Minderzahl gegenüber denen, die auf den Beitrag der Musik zur Bildung des Charakters (griechisch ethos) verwiesen.“66

Nimmt man die außerordentlich enge Kooperation renommierter Orchester und Dirigenten mit den großen Akteuren der Musikindustrie aber mit in den Blick (die sich gleichfalls unter kommerziellen Gesichtspunkten diskutieren ließe), entpuppt sich diese Auseinandersetzung als eine Konkurrenz um Entscheidungsmacht respektive Deutungshoheit. Denn solange ein berufener Künstler z.B. in Person eines Dirigenten die Gestaltung der künstlerischen Produktion verantwortet, ist mit wesentlich größerer Toleranz gegenüber dem Ergebnis zu rechnen, als wenn die Entscheidung vorgeblich allein von Seiten der Musikindustrie gefällt wurde, obschon realiter die Komplexität solcher Produktionsvorgänge nicht mit so übertrieben schwarz-weiß gezeichneten Erklärungen zu fassen ist. Wenn man zum Ende dieses Kapitels nach Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Meinungen zur klassischen Musik suchte oder aus den vielen anderen Facetten in diesem Buch eindeutige Indizien herauslesen wollte, ein befriedigendes Fazit zum aktuellen Status und der Bedeutung von klassischer Musik stellte sich trotzdem kaum ein außer der im Eingangskapitel bemühten Me-

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tapher von Brücken und Gräben in der aktuellen, diversifizierten Musiklandschaft. Im übertragenen Sinn laufen die Berührungspunkte, die in den einzelnen Kapiteln als lebendige Auseinandersetzungen von Künstlern der Pop- und Rockmusik mit klassischen Vorlagen und Vorbildern zu erleben waren, in der Frage zusammen, ob man Veränderungen als Bedrohung oder herausfordernde Bereicherung empfindet. Ob klassische Musik ein sozial und stilistisch geschlossener oder offener Bereich sein soll, ob sie erstarrt und nur noch ihr Erbe historisch korrekt zu verwalten ist oder ob sie Raum für Beliebigkeit und Wandlung bietet, ist daher mit den Mitteln von Musikwissenschaft und -soziologie kaum zu klären. Dennoch lässt die Energie, mit der seit Jahrhunderten das Ende der klassischen Musik herbeigeredet wird, darauf hoffen, dass auch in diesem Fall ein Nachruf zu Lebzeiten etwas voreilig gewesen sein könnte.

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Hessisches Ministerium des Innern und für Sport (Hg.) (2005): „Leitfaden Wissen und Werte in Deutschland und Europa.“ http://www.hessen.de/irj/servlet/prt/portal/prtroot/slimp.C MReader/zentral/zentral_Internet/med/db9/db906ea9-538f901a-3b21-7144e9169fcc,22222222-2222-2222-2222-222222222 222,True.pdf (Abruf am 3. April 2006). Pressemeldung des Bundesverbands Musikindustrie Töne im Trend. Jugendliche kaufen wieder mehr Musik vom 6. März 2008, unter http://www.musikindustrie.de/fileadmin/news/ markt/080306_Jugendliche_kaufen_wieder_Musik.pdf (Abruf am 26. Januar 2009). Lawrence Kramer: Classical Music and Postmodern Knowledge, Berkeley: University of California Press 1995, S. 3f. Vgl. Daniel Barenboims Statement auf der Internetseite des Orchesters, unter http://west-easterndivan.artists.warner.de (Abruf am 13. Januar 2009). Leonard Bernstein: Young People’s Concerts, Pompton Plains (NJ): Amadeus Press 2005, S. 103f. Friedrich Blume: Artikel Klassik, in: MGG, Kassel: Bärenreiter 1986, Sp. 1027. Ludwig Finscher: Artikel Klassik, in: MGG2, Kassel: Bärenreiter 1996, Sp. 224. Vgl. Friedrich Blume: Das Rasseproblem in der Musik. Entwurf zu einer Methodologie musikwissenschaftlicher Rasseforschung, Wolfenbüttel und Berlin: Georg Kallmayer 1939; Fried-

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rich Blume: Was ist Musik? Ein Vortrag, Kassel: Bärenreiter 1959; vgl. zu diesem Vortrag das Sonderheft des Melos, 26 (1959), Heft 3 sowie Michael Custodis: „unter Auswertung meiner Erfahrungen aktiv mitgestaltend“. Zum Wirken von Wolfgang Steinecke bis 1950, in: Albrecht Riethmüller (Hg.), Deutsche Leitkultur Musik? Zur Musikgeschichte nach dem Holocaust, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, S. 145-162. Vgl. Pamela M. Potter: Die deutscheste der Künste. Musikwissenschaft und Gesellschaft von der Weimarer Republik bis zum Ende des Dritten Reichs, Stuttgart: Klett-Cotta 2000 sowie Albrecht Riethmüller: Musik, die ‚deutscheste‘ Kunst, in: Joachim Braun/Vladimir Karbusicky/Heidi Tamar Hoffmann (Hg.), Verfemte Musik. Komponisten in den Diktaturen unseres Jahrhunderts, Frankfurt am Main: Lang 1995, S. 91-103. Blume: Artikel Klassik, Sp. 1039. Ebenda, Sp. 1040. Bernstein: Young People’s Concerts, S. 112 Vgl. Friedrich Geiger: Verdikte über Musik 1950-2000, Stuttgart und Weimar: Metzler 2005. Vgl. Frank Hentschel: Bürgerliche Ideologie und Musik. Politik der Musikgeschichtsschreibung in Deutschland 1776-1871, Frankfurt am Main und New York: Campus-Verlag 2006, S. 161. Bernstein: Young People’s Concerts, S. 118f. Vgl. auch Albrecht Riethmüller: Artikel Klassik, in: Brockhaus-Riemann Musiklexikon, Mainz: Schott 21995, S. 301. Carl Dahlhaus: Die Musik des 19. Jahrhunderts (Neues Handbuch der Musikwissenschaft, Band 6), Laaber: Laaber 1980, S. 18f. Bernstein: Young People’s Concerts, S. 105. Ebenda, S. 105. Lawrence Kramer: Why Classical Music Still Matters, Berkeley: University of California Press 2007, S. 11. http://www.rhythmisit.com/en/php/index_flash.php?HM=2& SM=2&CM=13 (Abruf am 20. April 2008). Vgl. zum biographischen Werdegang Besselers Thomas Schipperges: Die Akte Heinrich Besseler. Musikwissenschaft und Wissenschaftspolitik in Deutschland 1924 bis 1949, München: Strube 2005. Diese Studie ist in ihren politischen Bewertungen mit Bedacht zu behandelnd, wenn der Autor Kategorien von Schuld und aktivem Handeln bemüht, um z.B. den Menschenversuchen von NS-Medizinern die Schreibtischperspektive von Geisteswissenschaftlern gegenüberzustellen (S. 18): „Gemessen am Gewicht solcher Katastrophen jedenfalls muss die Akte des Musikforschers Besseler immer leicht wiegen. Und jede historische Figur hat zumindest ein Anrecht auf individuelles Abwägen von Partizipation und biografischer Ambivalenz.“

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Vgl. auch Peter Gülkes Rezension, in: Die Musikforschung 61 (2008), Heft 1. Heinrich Besseler: Das musikalische Hören der Neuzeit, Berlin: Akademie-Verlag 1959, S. 25. Ebenda, S. 60. Werner Braun, ‚Kunstmäßig‘ und ‚anmuthig‘: Zur Dichotomie des musikalischen Hörens im 17. Jahrhundert, in: Wolfgang Gratzer (Hg.), Perspektiven einer Geschichte abendländischen Musikhörens, Laaber: Laaber 1997. Martin Kaltenecker: Hören als Analyse?, in: Musiktheorie 22 (2007), Heft 3, S. 197-221, hier S. 204. Vgl. Joseph Müller-Blattau: Der Hörer als gesellschaftliches Phänomen, in: Der Wandel des musikalischen Hörens (= Veröffentlichungen des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung 3) [1962], Mainz: Schott 1965, S. 67 sowie Theodor W. Adorno: Über einige Schwierigkeiten des Komponierens heute, in: Christoph-Hellmut Mahling (Hg.), Zum 70. Geburtstag von Joseph Müller-Blattau, (Saarbrücker Studien zur Musikwissenschaft Band 1), Kassel: Bärenreiter 1966, S.15-27 sowie Michael Custodis: Strategische Partnerschaft. Theodor W. Adornos Korrespondenz mit Joseph Müller-Blattau, in: Archiv für Musikwissenschaft 66 (2009), Heft 3 (im Druck). Theodor W. Adorno: Typen musikalischen Verhaltens, in: Gesammelte Schriften 14, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, S. 181f. Ebenda, S. 185f. Ebenda. Hugo Riemann: Ideen zu einer ‚Lehre von den Tonvorstellungen‘, [Rudolf Schwartz (Hg.), Jahrbuch der Musikbibliothek Peters, Jahrgang 21/22 (1914/15), Leipzig: Edition Peters 1916, S. 1-26], zitiert nach der Frankfurter Zeitschrift für Musikwissenschaft 2 (1999), Kapitel II Tonhöhe und absolutes Ohr, S. 12. Vgl. die Fortführung des Gedankens bei Hans Heinrich Eggebrecht: Musik verstehen, München und Zürich: Piper 1995, S. 26f. Wilhelm Heinrich Wackenroder: Brief vom 5. Mai 1792, in: Friedrich von der Leyen (Hg.), Werke und Briefe, Band 2, Jena 1910, S. 11f. Viele dieser Gedanken lassen sich noch heute im Grenzbereich zwischen Musiktherapie, Esoterik und New AgeKonzepten wiederfinden. Vgl. z.B. Maureen McCarthy Draper: The Nature of Music. Beauty, Sound, and Healing, New York: Riverhead Books 2001. Eduard Hanslick: Vom Musikalisch Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst, Wiesbaden: Härtel 211989, S. 133f. und 135.

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Vgl. auch Siegfried Borris: Grundtypen des musikalischen Erlebens, in: Melos 16 (1949), S. 261f. Arnold Schönberg: Herz und Hirn in der Musik, in: Stil und Gedanke, Frankfurt am Main: Fischer 1995, S. 147. Ebenda, S. 147 und 148. Vgl. auch Arnold Schering: Musikalische Bildung und Erziehung zum musikalischen Hören, Leipzig: Quelle und Mayer 21917, S. 7. Albrecht Riethmüller: Hermetik, Schock, Faßlichkeit. Zum Verhältnis von Musikwerk und Publikum in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Archiv für Musikwissenschaft 37 (1980), Heft 1, S. 32-60, hier S. 40. Ebenda, S. 41. Vgl. Carl Dahlhaus: Musikästhetik, Köln: Gerig 1967; Analyse und Werturteil, Mainz: Schott 1970 und besonders Avantgarde und Popularität, in: Rudolf Stephan (Hg.), Avantgarde und Volkstümlichkeit. Fünf Versuche, Mainz: Schott 1975, S. 9-16. Manfred Schuler: Rockmusik und Kunstmusik der Vergangenheit. Ein analytischer Versuch, in: Archiv für Musikwissenschaft 35 (1978), S. 135-150, hier S. 135. Tibor Kneifs Typisierung von Rockmusikhörern ist wiederum (mit Kategorien für Texthörer, Ressentiment-Hörer, zerstreute Hörer mit dem Sondertyp „Motoriker“, Fanhörer mit primärem Interesse für Personen und Ereignisse sowie informierte Rockhörer) erstaunlich nah an herkömmlichen Klassifikationen. Vgl. Tibor Kneif: Rockmusik. Ein Handbuch zum kritischen Verständnis, Reinbek bei Hamburg: Rowolt 1982, S. 17-27. Klaus-Ernst Behne: Hörertypologien. Zur Psychologie des jugendlichen Musikgeschmacks, Regensburg: Bosse 1990, S. 127. Ebenda, S. 178f. Vgl. die Passage im Zusammenhang: Patrik N. Juslin/John A. Sloboda: Music and Emotion: Introduction, in: dieselben (Hg.), Music and Emotion. Theory and Research, Oxford und New York: Oxford University Press 2001, S. 3: „Some sort of emotional experience is probably the main reason behind most people's engagement with music. Emotional aspects of music should thus be at the very heart of musical science. It is all the more remarkable then that this topic has been seriously neglected during the last decades.“ S. 4: „One problem, which has impeded progress in understanding emotions in general, is the difficulty involved in studying emotions in the laboratory. This is also true of emotional reactions to music, which are difficult to observe under laboratory conditions.“ Alf Gabrielsson/Siv Lindström: Strong experiences related to music: A descriptive system, in: Musicae Scientiae 7 (2003), Heft 2, S. 157-217.

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Ebenda, S. 163. Auch methodisch sind die Autoren der Studie auf eine angemessene Interpretation ihrer Ergebnisse bedacht, so dass sie einschränkend zu bedenken geben (S. 198): „Practically all the participants were Swedish people living in the 20th century so we cannot claim any generalization to other countries or times. In fact, as our participants were volunteers we cannot even claim that they are representative for the general Swedish population.“ Ebenda, S. 189. John A. Sloboda/Patrik N. Juslin: Psychological Perspectives on Music and Emotion, in: Music and Emotion, S. 86. Gabrielsson/Lindström: Strong experiences related to music, S. 189f. Horst-Peter Hesse: Musik und Emotion. Wissenschaftliche Grundlagen des Musik-Erlebens, Wien und New York: Springer 2003, S. 159. Leonard B. Meyer: Music and Emotion: Distinctions and Uncertainties, in: Music and Emotion, S. 354: „[...] Uncertainty is the result of ignorance - ignorance about how past and present patters will be continued, eventually reaching stability and closure. In other words, uncertainty is always more or less goal-directed, implying (perhaps unconsciously) resolution to the security of knowing.“ Ebenda. Nicholas Cook: Music, Imagination, and Culture, Oxford: Clarendon Press 1990, S. 13f. Vgl. das einleitende Kapitel Konturen, in: Custodis: Musik im Prisma der Gesellschaft, S. 9-31. Vgl. Sloboda/Juslin: Psychological Perspectives on Music and Emotion, in: Music and Emotion, S. 92. Bernstein: Young People’s Concerts, S. 27. Ebenda, S. 28. http://www.musikindustrie.de/musik_gesellschaft.html (Abruf 31.12.2008) Klassik Radio, Mediadaten 2008, S. 22, unter http://www. klassikradio.de/image-media-booklet/klassikradio-media2008. pdf (Abruf am 20. Januar 2009). Klassik Radio, Mediadaten 2008, S. 10. Deutscher Bundestag Drucksache 16/7000, 16. Wahlperiode 11. Dezember 2007, Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, S. 154, unter http://www.bundes tag.de/parlament/gremien/kommissionen/enqkultur/index.ht ml (Abruf am 10. Januar 2009). Ebenda, S. 9. Klassik Radio: Mediadaten 2008, S. 14.

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Charles Rosen: The Classical Style. Haydn, Mozart, Beethoven, London: W.W. Norton 1971, S. 23: „The musical language which made the classical style possible is that of tonality, which was not a massive, immobile system but a living, gradually changing language from its beginning.“ http://www2.deutschegrammophon.com/webseries/?ID=classi calbytes. Vgl. Nina Polaschegg: Populäre Klassik – Klassik populär. Hörerstrukturen und Verbreitungsmedien im Wandel, Köln et al.: Böhlau 2005, S. 9: „Unter ,populärer Klassik‘ werden Interpreten (und Komponisten) verstanden, die einerseits Werke des klassischen Repertoires spielen, andererseits aber entweder diese Grundlagen als Ausgangspunkt für eigene, der Popularmusik verwandte Interpretationen und Bearbeitungen benutzen und/oder ganz im Sinne von Popmusikern vermarktet werden bzw. sich selbst als solche darstellen. Pressemappe Ausgezeichnet! Klassische Musik im ZDF. September bis Dezember 2007, S. 1-25, hier S. 2. Albrecht Riethmüller: Johann Strauß und der Makel der Popularität, in: Ludwig Finscher/Albrecht Riethmüller (Hg.), Johann Strauß. Zwischen Kunstanspruch und Volksvergnügen, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995, S. 1-17, hier S. 10.

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE Kenyon, Nicholas: Simon Rattle. From Birmingham to Berlin, London: Faber and Faber 22001 Köster, Maren (Hg.): Hanns Eisler. ‘s müßt dem Himmel Höllenangst werden, Hofheim: Wolke 1998 Kramer, Lawrence: Classical Music and Postmodern Knowledge, Berkeley et al.: University of California Press 1995 Kramer, Lawrence: Why Classical Music Still Matters, Berkeley et al.: University of California Press 2007 Krenek, Ernst: Die Stellung der Musik in der Kultur der Gegenwart, in: Die Musikpflege 1 (1930/31), S. 65-69 Kreutziger-Herr, Annette: Ein Traum vom Mittelalter. Die Wiederentdeckung mittelalterlicher Musik in der Neuzeit, Köln et al.: Böhlau 2003 Lack, Russell: Twenty Four Frames Under. A Buried History of Film Music, London: Quartet Books 1997 Lissa, Zofia: Ästhetik der Filmmusik, Berlin: Henschel 1965 Mertens, Volker: Richard Wagner und das Mittelalter, in: Ursula Müller/Ulrich Müller (Hg.), Richard Wagner und sein Mittelalter, Anif und Salzburg: Müller-Speiser 1989 Meyer, Leonard B.: Style and Music. Theory, History, and Ideology, Chicago und London: University of Chicago Press 1984 Müller, Ulrich/Wapnewski, Peter (Hg.): Richard-Wagner-Handbuch, Stuttgart: Kröner 1986 Polaschegg, Nina: Populäre Klassik – Klassik populär. Hörerstrukturen und Verbreitungsmedien im Wandel, Köln et al.: Böhlau 2005 Potter, Pamela M.: Die deutscheste der Künste. Musikwissenschaft und Gesellschaft von der Weimarer Republik bis zum Ende des Dritten Reichs, Stuttgart: Klett-Cotta 2000 Prokofjew, Sergej: Dokumente, Briefe, Erinnerungen, S. I. Schlifstein (Hg.), Leipzig: Deutscher Verlag für Musik 1965 Riethmüller, Albrecht: Hermetik, Schock, Faßlichkeit. Zum Verhältnis von Musikwerk und Publikum in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Archiv für Musikwissenschaft 37 (1980), Heft 1, S. 32-60 Riethmüller, Albrecht: Johann Strauß und der Makel der Popularität, in: Ludwig Finscher/Albrecht Riethmüller (Hg.), Johann Strauß. Zwischen Kunstanspruch und Volksvergnügen, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995, S. 1-17 Riethmüller, Albrecht: Die Verdächtigung des Virtuosen – Zwischen Midas von Akragas und Herbert von Karajan, in: Herbert von Kara-

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LITERATUR jan Centrum (Hg.), Virtuosen. Über die Eleganz der Meisterschaft, Wien: Zsolnay 2001, S. 100-124 Riethmüller, Albrecht (Hg.): Deutsche Leitkultur Musik? Zur Musikgeschichte nach dem Holocaust, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006 Riethmüller, Albrecht: Annäherung an Musik. Studien und Essays, Insa Bernds/Michael Custodis/Frank Hentschel (Hg.), Stuttgart: Franz Steiner 2007 Riethmüller, Albrecht: Komponist – Songwriter – Melopoet. Der Künstler Georg Kreisler, in: Michael Custodis/Albrecht Riethmüller (Hg.), Georg Kreisler – Grenzgänger. Sieben Beiträge, Freiburg im Breisgau: Rombach 2009, S. 9-28 Rimsky-Korsakov, Nikolay: Principles of Orchestration. With musical examples drawn from his own works, Maximilian Steinberg (Hg.), New York: Dover Publishing 1964 Ringer, Alexander L.: Artikel Melody, in: The New Grove2, London: Macmillan 2001, S. 363-373 Robinson, Harlow: Sergei Prokofiev. A Biography [1987], Boston: Northeastern University Press 2002 Rosen, Charles: The Classical Style. Haydn, Mozart, Beethoven, London: W. W. Norton 1971 Roth, Markus: Der Gesang als Asyl. Analytische Studien zu Hanns Eislers ‚Hollywood-Liederbuch‘, Hofheim: Wolke 2007 Schebera, Jürgen: Hanns Eisler im USA-Exil. Zu den politischen, ästhetischen und kompositorischen Positionen des Komponisten 1938 bis 1948, Berlin: Akademie-Verlag 1978 Schönberg, Arnold: Stil und Gedanke, Ivan Vojtech (Hg.), Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 61995 Schuler, Manfred: Rockmusik und Kunstmusik der Vergangenheit. Ein analytischer Versuch, in: Archiv für Musikwissenschaft 35 (1978), S. 135-150 Shaar Murray, Charles: Crosstown Traffic. Jimi Hendrix and Post-War Pop, London: Faber and Faber 2005 Shaw, Bernard: Ein Wagner-Brevier. Kommentar zum Ring des Nibelungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1973 Spaeth, Sigmund: A History of Popular Music in America, New York: Random House 1948 Stephan, Rudolf (Hg.): Avantgarde und Volkstümlichkeit. Fünf Versuche, Mainz: Schott 1975 Stiftung Berliner Philharmoniker (Hg.): Variationen mit Orchester. 125 Jahre Berliner Philharmoniker, 2 Bände, Berlin: Henschel 2007

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE Sting: Broken Music. A Memoir, London: Dial Press 2003 Stockhausen, Karlheinz: Texte zur Musik, Band 1, Köln: DuMont 1963 Tighe, Thomas J./Dowling, W. Jay (Hg.): Psychology and Music. The Understanding of Melody and Rhythm, Hillsdale (New Jersey): Erlbaum 1993 Wagner, Richard: Sämtliche Schriften und Dichtungen, Band 4, Leipzig: Breitkopf und Härtel 61912 Walser, Robert: Running with the Devil. Power, Gender, and Madness in Heavy Metal Music, Hanover: Wesleyan University Press 1993 Weinstein, Deena: Heavy Metal. A Cultural Sociology, New York: Macmillan 1991 Weißmann, Adolf: Die Musik in der Weltkrise, Berlin und Leipzig: Deutsche Verlagsanstalt 1925 Wille, Günther: Schriften zur Geschichte der antiken Musik, Frankfurt am Main et al.: Lang 1997

Online-Ressourcen Bundesverband Musikindustrie: Pressemeldung Töne im Trend. Jugendliche kaufen wieder mehr Musik vom 6. März 2008, unter http:// www.musikindustrie.de/fileadmin/news/markt/080306_Jugendlich e_kaufen_wieder_Musik.pdf (Abruf am 26. Januar 2009) Cliff Burton’s Legendary Career. The King of Metal Bass vom Februar 2005, siehe http://www.bassplayer.com/article/the-king-metal/ Feb-05/164 (Abruf am 20. Mai 2008) Interview by Harald O. with Jan Burton, unter http://www.allmetal lica.com/info/interviews/cliffparents.php (Abruf am 20. Mai 2008) Deutscher Bundestag Drucksache 16/7000, 16. Wahlperiode 11. Dezember 2007, Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, unter http://www.bundestag.de/parlament/gremie n/kommissionen/enqkultur/index.html (Abruf am 10. Januar 2009) Hessisches Ministerium des Innern und für Sport (Hg.) (2005): „Leitfaden Wissen und Werte in Deutschland und Europa“, unter http:// www.hessen.de/irj/servlet/prt/portal/prtroot/slimp.CMReader/ze ntral/zentral_Internet/med/db9/db906ea9-538f-901a-3b21-7144e 9169fcc,22222222-2222-2222-2222-222222222222,True.pdf (Abruf am 3. April 2006)

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LITERATUR Michael Kamen (Interview mit Dan Goldwasser vom 19. Mai 1998), unter http://www.soundtrack.net/features/article/?id=20 (Abruf am 20. Mai 2008) Klassik Radio, Mediadaten 2008, unter http://www.klassikradio.de/ image-media-booklet/klassikradio-media2008.pdf (Abruf am 20. Januar 2009) Interviews mit Manowar, unter http://www.manowar.at/mwg//site/ press (Abruf am 1. November 2007) Interviews mit Metallica, unter http://www.allmetallica.com/info/ interviews (Abruf am 20. Mai 2008) Interviews mit Sting, unter http://www.sting.com/news/interview. php?intrvmode=listall (Abruf am 4. Mai 2009) Stings Dankesrede zur Verleihung der Ehrendoktorwürde des Berklee College of Music 1994, unter http://www.berklee.edu/commence ment/past/sting.html (Abruf am 27. September 2006)

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PERSONENVERZEICHNIS Berlioz, Hector 67, 76, 90 Bernstein, Leonard 67f., 109, 113, 123, 148f., 229, 232235, 248 Besseler, Heinrich 238f., 242 Beuys, Joseph 23 Blackmore, Richie 124 Blige, Mary J. 205f., 208 Blume, Friedrich 230-233 Bohuslav Martinĭ Philharmonic Orchestra 44 Bowie, David 65 Brahms, Johannes 213 Braun, Werner 239 Brecht, Bertolt 200-203, 219 Brem, Peter 63-66, 71, 73f., 104-106 Brightman, Sarah 67 Bruce, Jack 201 Boldt, Helga 251 Boney M. 67 Boulez, Pierre 152 Burgh, Chris de 65 Burton, Cliff 119f., 122, 128, 139, 151 Bush, Kate 65 Busoni, Ferruccio 213, 228 Cage, John 171, 173, 204 Call, Daniel 53 Carreras, José 67 Cecil, Sir Robert 210 Chaplin, Carlie 175 Clapton, Eric 65, 116, 124, 143

Abbado, Claudio 63, 73-75 Adams, Bryan 155 Adams, Eric 26f., 37, 43, 46, 48, 52 Adès, Thomas 168 Adorno, Theodor W. 9, 13, 239, 241, 243f. Alan Parsons Project, The 53, 65 Allen, Woody 196 Alsmann, Götz 253 Ambros, Wolfgang 67 Amend, Peter 65f. Apocalyptica 114 Aristoteles 14 Armstrong, Louis 68 Augustinus 14 Auster, Paul 172 Bach, Johann Sebastian 97, 103, 112f., 119, 121-123, 129f., 173, 194, 205f., 208f., 211f., 220, 230, 233 Barenboim, Daniel 228 Bartók, Béla 165, 173, 213 Beatles, The 29, 67, 103, 159f. Behne, Klaus-Ernst 244 Bellut, Thomas 253 Bekker, Paul 39, 103 Berio, Luciano 170 Berliner Philharmoniker 20f., 61-64, 66-76, 102, 104-108, 115, 153, 157-159, 162, 165168, 170, 172, 237, 243, 253

268

PERSONENVERZEICHNIS Goebbels, Heiner 21, 161, 168177, 183f., 187f. Gounod, Charles 205 Gracyk, Theodore 57 Grube, Thomas 167 Guinness, Alec 196 Halen, Eddie van 124 Hall Jr., Robert A. 31 Hamilton, Hugo 172 Hamm, Charles 12f. Hammet, Kirk 114, 119-122, 126, 132, 135, 139 Hamzik, Donnie 26 Handy, William Christopher 68 Händel, Georg Friedrich 97, 103, 121, 173 Hanslick, Eduard 149, 240f. Harth, Alfred 168 Haydn, Joseph 97, 103, 231, 233 Hendrix, Jimi 67, 120, 123f., 195, 200 Henry Cow 65 Henry, Pierre 170 Hetfield, James 114-116, 119f., 127f., 135, 137, 139, 142 Hindemith, Paul 101, 171, 173 Hodgkinson, Tim 65 Hohlbein, Wolfgang 53f. Holliger, Heinz 162 Howard, Robert E. 28, 34 Isleys Brothers, The 123 Ives, Charles 15 Jabs, Matthias 65, 68, 74, 87, 90, 109 Jackson, Peter 32, 53 Jethro Tull 53 Jimi Hendrix Experience, The 67

Clarke, Donald 13 Coltrane, John 195 Columbus, Scott 38 Danzer, Georg 67 Davis, Miles 20, 195, 204 Davies, Peter Maxwell 161 Debussy, Claude 173, 213 Deep Purple 101f., 108, 124 DeMaio, Joey 25, 27, 29, 32f., 35-41, 43-57 Diepgen, Eberhard 75 Domingo, Placido 67 Dowland, John 56, 194, 209213, 216-218, 221 Dumas, Alexandre 34 Dylan, Bob 65, 195 Eckhardt, Hans-Eckart 61 Einaudi, Ludovico 252 Eisler, Hanns 168, 194, 200203, 205, 210f., 228 Elizabeth I. 210 Elizabeth II. 153, 193 Ellington, Duke 100 Evans, Gil 200, 202 Ezrin, Bob 155 Feldman, Morton 204 Fenton, George 158 Fest, Joachim 24 Finscher, Ludwig 230, 233, 250 Frith, Fred 65 Friedman, Ross 26 Fuller, David 175 Gabrielsson, Alf 245 Garrett, David 20 Gattermeyer, Heinrich 67 Gershwin, George 100, 148, 202, 216 Gilliam, Terry 115, 142 Gilmour, David 65

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE Lotti, Helmut 252 Lucas, George 29 Mae, Vanessa 252 Mahler, Gustav 15, 67, 146, 160, 204, 232 Maldoom, Royston 166 Malmsteen, Yngwie 101, 124 Manowar 20, 24-30, 32-35, 3747, 49-57 Martin, George 103 McCarthy, Joseph 202 McCartney, Paul 63, 101, 148, 252 McKanna, Shaun 53 McNicol, Richard 162-164, 172, 237f. Meine, Klaus 64f., 68-74, 87, 105, 107f. Melchinger, Ulrich 31 Messiaen, Olivier 66 Metallica 20, 65f., 72f., 111, 113-122, 125-129, 131, 135137, 140, 142-144, 146, 150152, 154 Meyer, Leonard B. 246 Milius, John 27 Miller, Dominic 203 Milliken, Catherine 162, 165 Minelli, Liza 63 Mistral, Gabriela 203 Monk, Thelonius 195 Monnier, Mathilde 169, 176 Morricone, Ennio 111, 128 Morse, Steve 124 Moss, David 169 Mozart, Wolfgang Amadeus 35, 97, 103, 148, 166, 205, 213, 233 Mussorgsky, Modest 61f. Müller, Heiner 172

Jones, Quincy 155 Juslin, Patrik N. 245 Kaas, Patricia 67 Kagel, Mauricio 209 Kaltenecker, Martin 239 Kamen, Michael 20, 65f., 111119, 123, 125-130, 133-136, 138-147, 149-155 Kanawa, Kiri Te 67 Karajan, Herbert von 61, 165 Karamazov, Edin 210f. Kelly, Ken 29 Kennedy, Nigel 20, 252 Kenyon, Nicholas 63 Kiefer, Anselm 23 Kienholz, Edward 23 Kiss 25, 29 Kobler, Benjamin 169 Kolonovits, Christian 66-71, 7692, 94, 96-99, 108, 115 Kramer, Lawrence 11, 235 Krenek, Ernst 9, 11, 101, 106, 227 Kreutziger-Herr, Annette 34 Kronos Quartett 20 Kottak, James 70, 74 Kunze, Heinz Rudolf 251 Lang, Fritz 23, 31 Led Zeppelin 67, 120, 124 Ligeti, György 153, 160, 165, 204 Linda, Curt 31 Lindström, Siv 245 Lissa, Zofia 147 Liszt, Franz 121, 213 Little Richard (Richard Wayne Penniman) 123 Logan, Karl 38, 48 Lord, John 101f. Loriot (Vicco von Bülow) 31

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PERSONENVERZEICHNIS Richter-Forgach, Thomas 31 Riemann, Hugo 240 Riethmüller, Albrecht 15, 22, 149, 217, 242, 254 Rieu, André 252 Rimsky-Korsakow, Nikolay 37, 67, 76, 109 Rioth, Douglas 115 Rock, Bob 114, 151 Rolling Stones, The 63, 67 Rosen, Charles 252 Rostropovich, Mstislaw 68 Rozler, Joe 46 Russell, Anna 31 San Francisco Symphony Orchestra 66, 111, 114, 137, 142, 150 Sanborn, David 145, 155 Sánchez- Lansch, Enrique 167 Satriani, Joe 120 Scarlatti, Domenico 121, 174 Schaeffer, Pierre 170 Schenker, Rudolf 64f., 68, 74, 87f., 98, 102 Schoener, Eberhard 201f. Schostakowitsch, Dimitri 106, 147 Schönberg, Arnold 15, 106, 147f., 173, 177, 214, 241 Schröder, Gerhard 65, 75 Schubert, Franz 200 Schuler, Manfred 243 Schwarzenegger, Arnold 25, 27f. Scorpions, The 20, 62-76, 79, 81, 85, 87, 89f., 95-97, 100, 102, 104-107, 115, 157f., 170 Scott, Walter 34 Shaw, Bernhard 30 Shdanow, Andrej A. 203

Müller-Blattau, Joseph 239 Nagano, Kent 66 Nanini, Gianna 201 Naumann, Hans 13 Naumann, Michael 75 Neames, Ronald 196 Neugebauer, Hans 31 Neuwirth, Olga 101 New York Philharmonic Orchestra 68 New York Rock and Roll Ensemble 112, 116, 123, 128f., 151 Newsted, Jason 122, 139 Nimsgern, Frank 53 Nightingale, Christopher 53 Nirvana 72 Nono, Luigi 169, 204 Norman, Monty 141 Orff, Carl 165, 171 Page, Jimi 120, 124 Pahud, Emmanuel 157 Paik, Nam June 173 Pavarotti, Luciano 67 Pearl Jam 72 Pink Floyd 53, 65, 141 Pinochet, Augusto 203 Platon 15, 242 Pololanik, Petr 44 Powell, Andrew 65 Prent, Ronald 69 Prokofiev, Sergej 147, 194, 196-200, 205, 210f. Prückner, Tilo 201 Queensryche 65, 113 Radunski, Peter 75, 108 Rattle, Simon 61-63, 73-75, 100, 105f., 110, 158-162, 164, 164, 169, 191 Rahman, Allah Rakha 53

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KLASSISCHE MUSIK HEUTE Wagner, Katharina 23 Wagner, Nike 23, 251 Wagner, Richard 20, 23-25, 28, 30-32, 34-50, 52-57, 77, 146, 165 Wagner, Wolfgang 23, 46 Walser, Robert 36, 57, 122 Walton, William 161 Warchus, Matthew 53 Warren, Diane 68 Waters, Roger 141 Watrous, Peter 215 Webber, Andrew Lloyd 53, 152 Wellek, Albert 239 Welles, Orson 27, 42, 48, 52 Wegner, Manfred 10 Weill, Kurt 101, 201f., 211, 213, 219 Weinstein, Deena 36, 57 Weißmann, Adolf 10 Williams, John 111, 153 Who, The 53 Zappa, Frank 101 Zehetmair, Hans 251 Zimmer, Hans 155 Zimmermann, Bernd Alois 101, 170 Zimmermann, Olaf 251

Shore, Howard 53, 111 Sloboda, John A. 245 Smalley, Roger 65 Smith, Jocelyn B. 169 Soundgarden 72 Spaeth, Sigmund 16 Stein, Gottfried 10 Sting (Gordon M. Sumner) 8, 20, 56, 193-218, 220f., 252 Stockhausen, Karlheinz 23, 65, 73, 152, 239, 247 Stone Temple Pilots 72 Stölzl, Christoph 75 Strauss, Richard 67, 146 Strawinsky, Igor 15, 106, 161, 166f., 171, 214 Stromberg, Tom 65 Styler, Trudy 204 Summers, Andy 196, 202 Supremes, The 123 Thilo, Andrea 158 Thoben, Christa 75 Tolkien, John Ronald Renal 23, 25, 31f., 34 Trujillo, Robert 122 Trumbo, Dalton 139f. Tschaikowsky, Peter I. 148, 240 Tynianov, Jurij 196 Urband, Robert 155 Ulrich, Lars 114, 119, 139 Vai, Steve 101, 124 Värttinä 53 Vill, Susanne 28, 32 Vivaldi, Antonio 122, 124, 251 Wachowski, Andrew 29 Wachowski, Lawrence 29 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 240f. Wagner-Pasquier, Eva 23

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Studien zur Popularmusik Karin Bock, Stefan Meier, Gunter Süss (Hg.) HipHop meets Academia Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens 2007, 332 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-761-5

Silke Borgstedt Der Musik-Star Vergleichende Imageanalysen von Alfred Brendel, Stefanie Hertel und Robbie Williams 2007, 314 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-772-1

Fernand Hörner, Oliver Kautny (Hg.) Die Stimme im HipHop Untersuchungen eines intermedialen Phänomens August 2009, ca. 202 Seiten, kart., ca. 22,80 €, ISBN 978-3-89942-998-5

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2) ANZ1249.p 212619183902

Studien zur Popularmusik Thomas Krettenauer, Michael Ahlers (Hg.) Pop Insights Bestandsaufnahmen aktueller Pop- und Medienkultur 2007, 152 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN 978-3-89942-730-1

Kai Lothwesen Klang – Struktur – Konzept Die Bedeutung der Neuen Musik für Free Jazz und Improvisationsmusik Januar 2009, 264 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-930-5

Julio Mendívil Ein musikalisches Stück Heimat Ethnologische Beobachtungen zum deutschen Schlager 2008, 388 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-89942-864-3

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2) ANZ1249.p 212619183902