Kirke und Odysseus: Überlieferung und Deutung von Homer bis Calderon [Reprint 2019 ed.] 9783111389585, 9783111027609


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Table of contents :
INHALTSÜBERSICHT
VORWORT
ERSTES KAPITEL. Antike Darstellungen des Kirke-Mythos
ZWEITES KAPITEL. Die Stellung des Kirke-Mythos in der frühchristlichen Literatur
DRITTES KAPITEL. Die literarische Tradition des Kirke-Abenteuers
VIERTES KAPITEL. Spanische Ausformungen des Kirke-Mythos nach der Vorlage Homers
FÜNFTES KAPITEL. Die Phasen der christlichen Vergeistigung des Kirke-Mythos
Literaturverzeichnis
Register
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Kirke und Odysseus: Überlieferung und Deutung von Homer bis Calderon [Reprint 2019 ed.]
 9783111389585, 9783111027609

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HAMBURGER ROMANISTISCHE STUDIEN Herausgegeben vom Romanischen Seminar der Universität Hamburg

B. IBERO-AMERIKANISCHE REIHE (Fortsetzung der „Ibero-amerikanischen Studien") Herausgegeben von Hans Flasche und Rudolf Grossmann Band 33 = CALDERONIANA — Herausgegeben von Hans Flasche Band 4

Walter de Gruyter & Co. Berlin 1970

BERNHARD PAETZ

Kirke und Odysseus Uberlieferung und Deutung von Homer bis Calderön

Walter de Gruyter & Co. Berlin 1970

Gedruckt mit Unterstützung der

Joachim-Jungius-GeseUschail

© 1970 by W a l t e r de Gruyter & Co., Berlin 30, Genthiner Straße 13 Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es audi nicht gestattet, dieses Buch oder Teile

daraus auf photomechanischem W e g e (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Printed in Germany Hergestellt b e i : Ludwig Appei & Sohn, Hamburg

Meinen lieben Eltern

INHALTSÜBERSICHT VORWORT

9—10

ERSTES KAPITEL . . Antike A. I. A. II. B. I. C. I. C. II.

Darstellungen des Kirke-Mythos Genealogie der Kirke als Tochter der Sonne Andere Genealogien Lokalisierung des Wohnsitzes der göttlichen Kirke Kirke und Odysseus im homerischen Epos Homerische Hypothese in späterer Darstellung 1. Ovidius 2. Hyginus 3. Mythographi Vaticani 4. Fragmenta Sabbaitica D. I. Kirke als große Zauberin der Antike E. I. Deutungen 1. Heraclitus Mythologus 2. Palladas Alexandrinus 3. Fulgentius 4. Anonymus 5. Johannes Stobaeus 6. Mithologiarius

11—12 12—13 13—14 15—18 18—23 18—21 21 21—22 22—23 23—25 25—28 26 26—27 27 27 28 28

ZWEITES KAPITEL Die Stellung des Kirke-Mythos in der irühchristlichen A. Paradigmatische Odyssee-Interpretation a. Clemens Alexandrinus b. Ambrosius c. Salvianus d. Boethius B. Das antihäretische Schrifttum a. Clemens Alexandrinus b. Origenes c. Hippolytus C. Die Verneinung echter Metamorphosen a. Ambrosius b. Augustinus

Literatur 29—33 29—30 30—31 31—32 32—33 34—39 34 35 35—39 39—43 39—40 40—43

DRITTES KAPITEL Die literarische Tradition des Kirke-Abenteuers I. Dictys und Dares Das Nachleben ihrer Trojaromane

45—56

7

Einleitung A. Byzantinische Historiographie a. Johannes Malalas b. Nachwirkungen der „Chronographie" B. Bedeutung für die Romania a. Der altfranzösische Trojaroman b. Guido de Columnis c. Die spanischen Übersetzungen II. Die „Metamorphosen" des Ovid

45—46 46—48 46—48 48 49—56 49—51 51—53 53-—56 56—82

Einleitung A. „General Estoria" B. Petrus Berchorius C. Spanische Ubersetzungen a. Francesc Alegre b. Jorge de Bustamante c. Pedro Sánchez de Viana

56—57 57—62 62—68 68—82 68—72 72—75 75—82

VIERTES KAPITEL Spanische Ausformungen des Kirke-Mythos nach der Vorlage Homers A. Lope de Vega B. Antonio Mira de Amescua, Juan Pérez de Montalbán und Pedro Calderón de la Barca C. Pedro Calderón de la Barca

90—102 102—107

FÜNFTES KAPITEL Die Phasen der christlichen Vergeistigung A. Fray Luis de León B. Juan Ruiz Alceo C. Pedro Calderón de la Barca

109—118 118—126 126—137

des

LITERATURVERZEICHNIS 1. Primärliteratur a. Antike Quellen b. Mittelalterliche Quellen c. Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts d. Manuskripte 2. Sekundärliteratur a. Altertum b. Mittelalter c. Das 16. und 17. Jahrhundert d. Neuzeit e. Abkürzungsverzeichnis REGISTER 1. Autorenregister a. Zitierte Autoren b. Erwähnte Autoren 2. Personenregister 3. Sachregister

8

83—90

Kirke-Mythos

139—140 140—141 141—142 142 142—143 143—144 144 144—147 147—148

149—151 151 151—154 154—160

VORWORT

Ausgehend von der stofflichen Grundlage der aus dem Altertum überlieferten Nachrichten über den Mythos von Kirke und Odysseus soll in der vorliegenden Untersuchung gezeigt werden, in welcher Weise der symbolisch gedeutete Gehalt eines bekannten homerischen Abenteuers zunächst in den theoretischen Schriften der dem Wert antiken Bildungsgutes häufig recht ablehnend gegenüberstehenden Kirchenväter Aufnahme finden konnte. Für die Darstellung der bisher nicht nachgewiesenen, durch diese Arbeit jedoch nahtlos gesicherten literarischen Kontinuität eines Themas von der Antike ab bis hin in das Spanien des Siglo de Oro fällt der Interpretationsgeschichte der „Metamorphosen" des Ovid im Mittelalter eine ganz besonders wichtige Bedeutung zu, weil bereits hier die entscheidenden Ansätze für die spätere christliche Vergeistigung dieses heidnischen Mythos anzutreffen sind, wie sie gerade in der spanischen Literatur des 17. Jahrhunderts bei der Komposition jener die Solemnitas Corpus Christi verherrlichenden Autos sacramentales beobachtet werden kann. Die mit den Strömungen der Renaissance einhergehende allgemeine Neubelebung antiken Geistesgutes führte auch in Spanien zu einer Fülle von Übersetzungen klassischer Texte, an welche sich meistens allegorische Kommentare anschließen, die im Hinblick auf das anhaltende Bedürfnis nach „rechtem" Verständnis des jeweils in Rede stehenden heidnischen Werkes auch in dieser Epoche ganz unverkennbar die Neigung zu christlich verankerter Rückversicherung bei Lektüre und nachträglich als unumgänglich erachteter Deutung der antiken Autoren zeigen und daher ein wichtiges geistesgeschichtliches Bindeglied für das bisher nicht einwandfrei geklärte Phänomen der Existenz und Funktion heidnischer Mythen in der sakralen Literatur des Siglo de Oro darstellen. Im Rahmen dieser Arbeit, in welcher der Schwerpunkt des Interesses immer auf der Erklärung von Erscheinungsformen der christlich aufgewerteten Mythenbehandlung ruht, konnte es der Vollständigkeit halber nicht ausbleiben, auch profanliterarische Ausformungen des Kirke-Mythos in die Untersuchung einzubeziehen, deren Eigenwert in manchen Fällen nicht unbedingt dieses Vorgehen hätte rechtfertigen können. Der diese Abhandlung gleichsam organisch beschließende Eckstein repräsentiert sich in einer Analyse der auf höchstem geistigen Rang anzuordnenden Bearbeitung des Kirke-Mythos durch Pedro Calderón de la Barca in seinem geistlichen Schauspiel „Los encantos de la Culpa", die ganz unmißverständlich den Sinn und die berechtigte Stellung heidnischer Mythologie bei dem Vorgang christlicher Vergeistigung zu erkennen gibt. Durch die überzeugenden, eindrucksvollen Ergebnisse eines von meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Hans Flasche, an der Universität 9

Hamburg abgehaltenen Seminars über das Auto sacramental „Los encantos de la Culpa" erhielt ich die ersten entscheidenden Anregungen zu dem später gefaßten Entschluß, über dieses großartige Werk eine Dissertation anzufertigen. Herrn Professor Dr. Flasche ist es durch sein nachhaltiges Verweisen auf die große Bedeutung der Existenz antiken Geistesgutes in den Denkmälern der spanischen Literatur vornehmlich zu verdanken, daß aus der nicht allzu umfangreichen Anzahl mythologischer Autos von Calderón die Wahl gerade auf dieses Stück fiel, bediente der spanische Meister sich doch hier für die Gestaltung des Gangs der äußeren Handlung genau derjenigen Abfolge von Begebenheiten, welche in dem alten Mythos von Kirke und Odysseus vermittelt werden. Die Kernstelle dieses Mythos bildet die bösartige Verwandlung von Mensch in Tier und die durch göttliche Intervention geschaffene Voraussetzung für eine Rückverwandlung, so daß man angesichts der allegorisch abstrahierten, höchst verfeinerten dichterischen Behandlung dieses Themas durch Calderón sicher auch auf eine interessante literarische Tradition dieses Transformationsmythos durch die Jahrhunderte hin seit seiner Entstehung hoffen durfte, deren genaue Erforschung ganz unentbehrlich zu wirklich umfassendem Verständnis und nachdrücklicher Würdigung der tiefsinnigen Kunst Calderóns war. An dieser Stelle möchte ich Herrn Professor Dr. Flasche für sein unermüdliches Interesse, seine wertvollen Ratschläge und Hinweise sowie für seine beständige, liebenswürdige Hilfsbereitschaft von ganzem Herzen danken, welche nicht nur den kontinuierlichen Fortgang dieser Arbeit ermöglichten, sondern einen echten inneren Sicherheitsfaktor darstellten, der mir die anvertraute Behandlung eines so bedeutsamen Problems aus der Geschichte der spanischen Literatur in jeder Hinsicht erleichterte. Um die für den Nachweis der literarischen Tradition dieses Mythos unentbehrlichen mittelalterlichen Handschriften und Inkunabeln der Renaissance kennenzulernen, reiste ich verschiedene Male nach Spanien, wo ich in der Bibliothek der Kathedrale zu Tortosa, der Biblioteca Central zu Barcelona und in der Biblioteca Nacional zu Madrid die für diese Arbeit wichtigsten Codices inspizieren konnte. Hiermit möchte ich dem Direktor der Manuskriptenabteilung der Madrider Bibliothek, Señor D. Ramón Paz y Remolar, und seinem Assistenten, D. Anscari M. Mundo, sehr herzlich für ihre freundliche Hilfe bei der Transkription zweier Texte aus dem dritten Teil der „General Estoria" von Alfonso el Sabio danken, sowie meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. José Manuel Blecua von der Universität Barcelona, welcher mir zahlreiche nützliche Hinweise gab. Insbesondere aber gilt mein Dank Herrn Dr. Magnus Ditsche vom Historischen Seminar der Universität Bonn, der sich in vorbildlichem, selbstlosen Einsatz der mühevollen Arbeit einer schwierigen Entzifferung der in Tortosa entdeckten Handschriften annahm. Ebenfalls Dank sagen möchte ich hiermit Herrn Professor Dr. Richard Drögereit, der desgleichen Einsicht in die Manuskripte nahm und mir wertvolle Ratschläge erteilte. Allen genannten Herren, an erster Stelle aber Herrn Professor Dr. Flasche, sei nochmals mein tiefer Dank ausgesprochen. 10

Erstes Kapitel

Antike Darstellungen des Kirke-Mythos

A. I. Genealogie der Kirke als Tochter der Sonne 1.

Griechisch a. Von Homer, dem ältesten epischen Dichter des Abendlandes, wird Kirke in der „Odyssee" eine Tochter des Sonnengottes Helios und der Okeanide Perses genannt und ist Schwester des Aietes. KtQHT! [ . . . ] ^ aötoxaaLyvriTTi öXoocppovog AW|Taoäucpco 6' i"/.yEy(xxT[\ qpaEai(ißp6xou 'HeXloio HT|Tg6g T' ¿r. IlEgar|g, TT|V 'Qxeavög TEX.E jtalöa 1 ).

b. Hesiod macht in der „Theogonie" zwei Angaben über die Herkunft der Kirke, nennt ihre Mutter aber Perseis. 'HeXicoi 8 ' ä x a u c r m TEXEV xXuxög 'Qxeavivri rtegarilg Kio-xriv TE xal Air|TT)v ßaaiXfja 2 ).

und KI.Qxr|

Ö ' ' H E X I O D DUVÄTRIG

'YitEQioviöao3)-

c. In hellenistischer Zeit erscheint Kirke im Argonauten-Epos des Apollonius von Rhodos. Der Dichter nennt sie [ . . . ] Kipxriv [ . . . ] ILEQORIG TE V . a l ' H E U O C O Ö I I ^ A T O A 4 ) .

d. Der Geschichtsschreiber und Lehrer der Rhetorik Dionysius von Halikarnass bezeugt die Abstammung in den „Antiquitates Romanae". KLQUTIV TT)V

'HXiou

DVYATEGA5).

e. In den sabbaitischen Fragmenten der Bibliothek des Apollodor heißt sie KTOXRI •FTUVATRIE

'HXiou Y.ai

ILEPCRIG, AIT]TOII 8 E

ÄöeXcpri8).

1) .Homeri Odyssea", X, 136—139; ed. P. von der Mühll, Basel 1946, p. 177. 2) „Hesiodi Carmina", Pars I, Theogonia, 956—957; ed. Felix Jacoby, Berlin 1930, p. 190. 3) cf. Hes. Theog. 1011. 4) „Apollonii Rhodii Argonavticon", A, 590—591; ed. Hermann Frankel, Oxford 1961, p. 193. 5) Dionysius Halicarnassensis, Antiquitatum Romanarum quae supersunt; ed. C. Jacoby, Leipzig 1888, T. II, p. 106. 6) „Apollodori Bibliotheca Fragmenta Sabbaitica"; ed. A. Papadopulos-Kerameus, In: Rhein. Mus. f. Phil. 46, 1891, p. 161.

11

f.

Johannes Stobaeus bezeichnet sie im „Anthologium" als Ktgxriv [ . . . ] ' H / i o u

2.

xaiba7).

Lateinisch a. Im dritten Buch von „De Natura Deorum" des Cicero wird die von den Griechen gedachte Genealogie der Kirke bezeugt. Circe autem et Pasiphae et Aeeta e Perside Oceani filia natae patre Sole8). b. Von anderen lateinischen Autoren wird sie als Sonnentochter bezeichnet, ohne daß Angaben über ihre Mutter oder die Geschwister gemacht werden 9 ) 10 ) ") 12 ) 1S ) ") 15 ) 16 ).

A. II. Andere 1.

Genealogien

Griechisch a. In den Scholien des Apollonius von Rhodos behauptet Dionysius von Milet zu Buch III, 200, Kirke sei eine Tochter des Aietes und der Hekate und damit Schwester der Medeia. xriv KÎQ5CT|V A I O V W R O Ç ó M I W | C R O Ç ÈY a ' xrâv 'AçvcovaDxixwv x a i ' E x à t r i ç xfjç IlégaECoç ftuyaxpôç, àôeXcpriv ôè MrjÔEÎaç1).

ftuvaxéea

Alr)xou

b. Die gleiche Angabe über die Herkunft der Kirke findet sich in der „Bibliothek" des Diodorus Siculus. [ . . . ] 'Ey.dxriv [ . . . ] (xexà ÔÈ x a ï x a auvoixriaaaav Aifixti KÎQxr|v XE x a ì Mr)ÔEiav2).

YEVVFJAAI

òvo YAXÉPAÇ,

7) „Ioannis Stobaei Anthologii Libri dvo Priores", lib. I, cap. XLIX; ed. Kurt Wadismuth, Berlin 1884, T. I, p. 446. 8) „M. Tvlli Ciceronis de Natvra Deorvm Libri Secvndvs et Teitivs", 3,48; ed. Arthur Stanley Pease, Harvard University Press 1958, p. 1076. 9) Vergilius, Enéide, VII, 11; ed. Henri Goelzer und René Durand, Collection des Universités de France, Paris 19525, T. II, p. 10. 10) „P. Ovidii Nasonis Metamorphoseon Libri XV", XIV, 10; ed. Hugo Magnus, Berlin 1914, p. 529. 11) „The Elegies of Albius Tibullus", IV, 1, 62; ed. Kirby Flower Smith, Darmstadt 1964, p. 160. 12) „Petronii Arbitri Satyricon", sat. 127, 6; ed. Konrad Müller, München 1961, p. 158. 13) „Hygini Fabvlae", CXXV; ed. H. J. Rose, Leiden 1934, p. 89. 14) „Servii Grammatici qvi fervntvr in Vergilii Carmina Commentario, Aen. 7, 19s.; ed. Georg Thilo und Hermann Hagen, Leipzig 1923, T. II, p. 127. 15) „Fabii Planciadis Fulgentii V. C. Opera. Mitologiarum Libri Très", lib. II, 9; ed. R. Helm, Leipzig 1898, p. 49. 16) „Scriptores Rerum Mythicarum Latini Très Romae Nuper Reperti", Myth. Vat. 1,15 und Myth. Vat. II, 211; ed. Georg Heinrich Bode, Celle 1834, T. I, p. 5 bzw. p. 146. 1) „Sdiolia in Apollonium Rhodium Vetera"; ed. Karl Wendel, Berlin 1935, p. 223. 2) „Diodorus of Sicily", IV, 45; ed. C. H. Oldfather, Harvard University Press 1961, T. II, p. 484.

12

2.

Lateinisch a. Eine völlig andersartige Vorstellung greift der erste Vatikanische Mythograph auf, der Circe eine Tochter des Apollo nennt. Item, secundum quosdam, Apollo concubuit cum Ethea, et genuit Circen8).

B. I. Lokalisierung

des Wohnsitzes

der göttlichen

Kiike

1. Kirke wird von Homer eine Göttin genannt, die Herrin der Insel Aiaia ist1). Ein geographischer Hinweis über die Lage dieser Insel erfolgt nicht, wodurch für die spätere Homerdeutung Anlaß zu mannigfachen Spekulationen gegeben war2). 2. Durch die Angabe in der „Theogonie" des Hesiod, Kirke habe dem Odysseus die Söhne Agrios und Latinos geboren, wurde ihr Wohnsitz allgemein an der Westküste Mittelitaliens angenommen. Kigxr) 8', ' H E X I O U YaxT|g 'YjtejHoviSao, Y e i v a x ' 'Oöuoafjog xaXaaicpQovog EV cpi/.6tr|Ti 'Ayqiov t|8e Aaxivov ¿¡iunova xe XQaTEQov xe3)3. Theophrast berichtet in „Historia Plantarum" von den botanischen Gegebenheiten der Landschaft Latium und von einem sich dort befindlichen, dichtbewaldeten Vorgebirge mit Namen Kirkaion, auf dem nach Meinung der Einheimischen Kirke lebe. 'H 8e XCOV Aaxivcov Etpu&gog näaa [...] TÖ 8E Kigzaiov xaXoijuE'vo^ slvai ¡XEV ängav ¿-»pri/.riv, Saaetav 5E acp65ga xal E X B I V ÖQÜV [...] Xiyziv 8E xoiig EYXWpiovg tag Evxaifla T| Kig-xri xaxtpxEi, 4 )4. Die beiden griechischen Geschichtsschreiber Dionysius von Halikarnass und Diodorus Siculus beschreiben in ihren Werken ebenfalls den KirkeFelsen als am Tyrrhenischen Meere gelegen 5 ) 6 ). 3) cf. Myth. Vat. I, 204, op. cit. p. 64; auch .Lexikon der alten Welt", Zürich und Stuttgart 1965, col. 2045. 1) cf. Horn. Od. X, 455. 2) cf. z. B. H. Philip, Das Gift der Kirke, in: Gymnasium 66 (1959), pp. 509—516. Der Verfasser versucht den Nachweis zu erbringen, daß die Azoren mit Aiaia gemeint sein müssen. 3) cf. Hes. Theog. 1011—1013. 4) Theophrastus, Enquiry into Plants and Minor Works on Odours and Weather Signs, VIII, 3i ed. Arthur Hort, Harvard University Press 1948, T. I, p. 464. 5) (xo Kipxalov) E O X I 8 e x£Qaovr|ao£i&riq cr/.ojtE/.ogtirjrrjXogEitiEixwg EJTI XOO Tuggr|\axoi neX&yovs XEijiEVog. evda \6yoc, ExEl Ktoxriv xrjv 'H/äoutivyaxEoo.xaxoixfjaou- cf. Dionysius von Halikarnass, op. cit. ibid. 6) (Kigxr]v) xaxoixfjaai xfj; 'IxaXiag äy.QMTTjQiov xo pixQi T0® ¿xeivrig Kigxaiov öv0(ia^0(J,EV0V cf. Diodorus Siculus, op. cit. p. 486. 13

5. In den Scholien des Apollonius von Rhodos zu III, 661 wird angegeben, der Dichter des „Argonauticon" habe sich die Irrfahrten des Odysseus im Tyrrhenischen Meere gedacht, woselbst Kirke auf der Insel Aiaia wohne. (Alains Xi^EVA:) EOIXEV 'AitoXXcbvio; EXÖEÖEXFLAI TT)V 'OSuaaewg T v e g r i v i a v x a i ' I x a / . i a v EXEI yao vitoxiftETai xr|v K i p x r i v oixEiv 7 )'

jiXavriv

JIEQI

6. Kirke bezeichnet sich selbst als Herrin des Tuscischen Meeres in dem um 80 n. Chr. entstandenen lateinischen Argonautenepos des C. Valerius Flaccus. Meque vides Tusci dominam maris8).

7. Göttliche Verehrung, die der Kirke zuteilgeworden ist, bezeugt a. Strabo, der von einer Ortschaft auf dem Kirkaion, südlich von Antium gelegen, berichtet und ein sich dort befindendes Heiligtum der Kirke sowie einen Altar der Athene erwähnt. ^IETOI 8E "AVTIOV RÖ Kipxatöv xai 'Adryväg ßa>|i6v®)-

EOTIV [ . . . ]

ey.ei

ÖE

KoHyyiov xai Kipxr)g

IE@ÖV

b. Cicero betont nachdrücklich die Göttlichkeit der Kirke, an der gar kein Zweifel zu hegen sei, werde sie doch von den Cercienses, den Bewohnern einer römischen Kolonie in Mittelitalien, ehrfurchtsvoll verehrt. Circe autem et Pasiphae et Aeeta e Perseide Oceani filia natae patre Sole in deorum numero non habebuntur? Quamquam Circen quoque coloni nostri Cercienses religiöse colant. Ergo hanc deam ducis10);

c. Eine Inschrift aus der Zeit des Kaisers Mark Aurel belegt, daß durch die Neueinrichtung eines Altares der allerheiligsten Kirke in Circeii ihr Kult dort fortgeführt wurde. EX • AVCTORITATE • IMP • CAES M • AVRELII • ANTONINI • PII • FELIC AVG • PARTHIC • MAX • BRITT • MAX PONT • MAX • DECRETO • COLL XV • SAC • FAC • SERVIVS • CALPVRNIVS DOMITIVS • DEXTER • PROMAGIST • ARAM CIRCES • SANCTISSIMAE • RESTITVIT DEDICAT • XVII • K • IVL • IMP • ANTONINO AVG • IUI • BALBINO • II • COS ")

7) cf. op. cit. p. 290. 8) , C . Valerii Flacci Setini Balbi Argonauticon Libri Octo", VII, 234; ed. Otto Kramer, Leipzig 1913, p. 166. 9) Strabo, The Geography, V, 232, 6; ed. Horace Léonard Jones, Harvard University Press 1959, T. II, p. 392. 10) cf. op. cit. pp. 1077—1079. 11) CIL X, 6422, Cap. L X X X V „Circeii"; ed. Theodor Mommsen, Berlin 1883, p. 635.

14

C. I. Kirke und Odysseus im homerischen

Epos

Im 10. Gesang der „Odyssee" wird geschildert, wie Odysseus und seine Gefährten an das Gestade der Insel Aiaia gelangen, deren Herrin die singende Göttin Kirke ist. Aiair)v 8' ¿5 vfjaov üqpixofieft'' Evdot 8' 'evcue Kioxr) EÜ.xXoxafiog, 8EIVT)ftsögaiiöriEaaa1). Alle weigern sich aufzubrechen, um das unbekannte Land zu erkunden, mit Schrecken eingedenk der Gewalttaten des Laistrygonen Antiphates und des Kyklopen Polyphemos. [vvTiaanEvowj'

EQYOJV

AaiaxguYÖvog 'Avxiqpaxao

KVXXCONOG TE ßIR)5 [• • -] 2 )

Durch das Los jedoch wird Eurylochos zum Führer einer Gruppe von 22 Leuten bestimmt, die sich wehklagend auf den Weg machen. 8' edooe xMjpog HEyaXrixopog EÜQDXÖXOIO. ßf| 8' levoa, ä[ia xtp ye Sijco xai Eixoa' Exaiooi xXaiovTEg").

EX

In einer Niederung finden diese den Palast der Kirke, umgeben von Wölfen und Löwen, die sie selbst einst durch Verabreichen schädlicher Gifte verzaubert hat. ¿(icpi 8E (xw Xvixoi f|, [.. .]12)

akk'

EÄOEI

Augenblicklich solle er dann das Schwert zücken und auf Kirke eindringen, als wolle er sie töten. 8r) TÖTE OIJ |itpog Ö | I ) EgDacdnEvog nagä [rr|goi eitatijai wg TE XTa|XEVOA HEVEaivcov13).

KIGX^I

Dann überkommt sie gewiß große Furcht und sie versucht, den Helden auf ihre Lagerstatt zu laden. F) 8 E

a' vnobbeiaaaa

8) cf. Horn. Od. X, 235—236. 9) cf. Horn. Od. X, 239—240. 10) cf. Horn. Od. X, 261—262. 11) cf. Horn. Od. X, 286. 12) cf. Horn. Od. X, 291—292. 13) cf. Horn. Od. X, 294—295. 14) cf. Horn. Od. X, 296.

16

-XE/.TIOETCU

Eiivr)ftrivai14) •

Er aber solle ihr das Lager erst dann nicht verweigern, wenn sie den großen Eid geschworen habe, die Gefährten zu erlösen und nicht mehr andere Ränke zu erwägen. Aus der Erde zieht Hermes die Pflanze hervor, mit schwarzer Wurzel und Blütenblättern weiß wie Milch, die den Zauber zu brechen vermag. cpagnaxov [ . . . ] EX Yair|5 EQuaag [ . . . ] |XEV

¡isXav eaxE,

yaXay.TI

8s

EIXEXOV

avftog 1 5 ) -

Die Götter nennen sie Moly, und es ist schwierig für sterbliche Menschen, sie aus dem Boden zu graben, die Götter aber vermögen ja alles. [XGJIU 8 E j i i v wxkeovai

O s o t , xa^ENÖV 8 E T'

ögbaaeiv

aybQ&ai ye ftvr|ToitT]V i ç JTOIEÏV TOIOTJTOIÇ J T O / J . O Ï Ç ÔEIJTVÎÇoucrav TÔY ôè "OSuaaéa ' E o u o ï TE ímoíbi(xoaijvxi y.ai aùxôv ÈYMQaxfi övxa x a i à n o a / ô n e v o v xoù îijtèo xôv xógov xrôv xoioijxtov aitxEadcu, ôià x a i x a ov yevéa d a i iv 4 ).

Antisthenes interpretiert nach stoischer Vorstellung die Gestalt des Odysseus als das Bild des Weisen, der zwischen Tugend und Laster zu unterscheiden vermag 5 ). Deutlich werden diese Tendenzen von Horaz ausgesprochen, der adhortativ den paradigmatischen Charakter der Ulixes-Figur betont. Der Torheit und Begierde der Gefährten werden seine Tugend und Weisheit gegenübergestellt, die ihn nicht unter die Herrschaft einer Buhlerin geraten ließen. Rursus, quid uirtus et quid sapientia possit, utile proposuit nobis exemplar Vlixen, qui domitor Troiae multorum prouidus urbes, et mores hominum inspexit, latumque per aequor, 7) cf. Ov. Met. XIV, 320—415. 8) Insbesondere diese Verwandlung muß infra p. 64 ss. noch ausführlich behandelt werden. 1) cf. Albin Lesky, Geschichte der griechischen Literatur, Bern 1957/1958, p. 236. 2) cf. Diog. Laert. 2, 11. 3) cf. Arist. Rhet. III, 3. Diese Vorstellung fand in der spanisdien Literatur Aufnahme in dem Auto sacramental „La navegación de Ulises" von Juan Ruiz Alceo; cf. infra p. 118 ss., sowie in der theoretischen Abhandlung des Baltasar Gracián „Agudeza y arte d e ingenio"; cf. infra p. 119, nota 3. 4) cf. Xenophon, Memorabilia, I, 3, 7; ed. Walther Gilbert, Leipzig 1903, p. 21. 5) cf. Horatius Flaccus, Epítres¡ ed. François Villeneuve, Collection des Universités de France, Paris 1955, p. 46, nota 1.

25

dum sibi, dum sociis reditum parat, aspera multa pertulit, aduersis rerum inmersabilis undis. Sirenum u o c e s et Circae pocula nosti; quae si cum sociis stultus cupidusque bibisset, sub domina meretrice fuisset turpis et excors, uixisset canis inmundus uel amica luto sus") 7 ) 8 ).

Bezeichnend ist, daß die Gestalt der Circe neben dem stoischen Aspekt hier als Dirne gedacht wird9). Diese in den s e x u e l l e n Bereich transponierte Auffassung des Kirke-Odysseus-Mythos ist die Interpretationsart, welche für fast a l l e späteren Deutungen maßgeblich wurde. 1. Heraclitus

Mythologus

Kirke wird als große Hetäre hingestellt, die mit mannigfachen Lockungen die Fremden zu sich heranzieht und sie durch ihre Begierden zu logoslosem Müßiggang verleitet. Der kluge Odysseus allein kann sie besiegen. TaÜTTyv o [nr&o? jrao(a5)eSojy.E jtoxcb |iExa[xopcpoi)iS> ¿taiooug 8e xoiig Xoyia\iovcojtou {leog a j i o x E X s i x a i 4 ) .

A u f den im Christentum beschlossenen Urgrund a l l e r Lehren e i n g e h e n d , w i r d der Herr als solcher bezeichnet, der sich durch die Propheten, d a s Evang e l i u m und die A p o s t e l hat v e r k ü n d i g e n lassen. Er allein ist für alle Zeit Führer zur Erkenntnis. E X O ^ E V YUQ xrjv ¿QXT|V xrjg ö i ö a a x a H a g , xöv V.VQIOV 5 i a XE XCÖV jToocfi]Tc5v ö i d XE x o i evayye'kiov x a l ÖIÄ xcöv ^ a x a o i c o v ö.noax6Xo)v « ;ro/an;o6jra:ig x a l .TO/.UHEpcög » 5 ) s | ä g x i i S E'ig x£X.og f|Yoii[X£Vov x f j g Yvcuaecog 6 ).

1) cf. Clem. AI. ström. VII, 16, 95, 1; ed. GCS „Clemens Alexandrinus", T. III, Leipzig 1909, p. 67. 2) D i e U m k e h r ist l e t z t e n E n d e s n u r m i t C h r i s t i H i l f e möglich 1 c f . I . l , 2 7 : f ] x ä g i g x a i r| ä i . f | d E i a 81a ' I R I A O I X D I O T O Ü E Y E V E X O ; im b e s o n d e r e n a b e r I. 1 4 , 6: E-/(I> EIJH T| o ö ö g x a i R) ¿ W | d E i a xal f| £ü)T|. D e r im M y t h o s durch H e r m e s g e w ä h r t e g ö t t l i c h e B e i s t a n d w i r d in d e r W i r k u n g mit der in Christus begründeten Tatsache der Rettung gleichgesetzt; cf. Rahner, op. cit. p. 262. 3) V e r s t ä n d l i c h w i r d d i e s e m y s t i s c h e V e r g ö t t l i c h u n g a u s E. 5, 29—30: oiÖEig y&Q JIOXE £ a u x o ü a d ß x a £jncrr|osv, aXX' ¿xxpEcpEi x a l ddXrtEi aiixr)v, x a i ) 01g x a l o X p i o x ö g XTJV ¿xxXricriav. " O x i ¡i£Är| E O U E V XOÜ acb|xaxog aiixoü, EX xfjg o u o x o g atixoü, x a l E X XCÖV Ö O X E cov aiixoü. 4) cf. Clem. AI. ström. VII, 16, 95, 2. XTJV

5) cf. Hb. 1, 1. 6) cf. Clem. AI. ström. VII, 16, 96, 3.

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b. Der platonische Philosoph Kelsos hatte in seiner wohlbegründeten Abhandlung 'A^fKi; A ö y o j , die bereits im J a h r e 178 verfaßt worden war 7 ), J e s u s Christus als betrügerischen Sektenführer hingestellt und alle ungewöhnlichen Begebenheiten in seinem Leben als phantastische Fiktionen erster fanatischer Anhänger gebrandmarkt. Der Eindruck, den die zu erwartenden Schrecken eines Jüngsten Gerichtes und die mögliche infernalische Feuerqual auf ein ungebildetes Massenpublikum machten, wurde als Grund für die schnelle Ausbreitung der neuen Lehre aufgefaßt 8 ). Origenes, der Nachfolger des Clemens in der Leitung der alexandrinischen Katechetenschule, machte es sich zur Aufgabe, in einem breit angelegten apologetischen W e r k die von Kelsos vertretenen Ansichten, unter Anführung zahlreicher wörtlicher Zitate, zu widerlegen 9 ). In dieser Antwort, die erst ca. 247 erschien 10 ), befindet sich im fünften Buch eine Auseinandersetzung über das Problem, wie man mit ketzerischen Menschen verfahren solle, wobei für diese bezeichnenderweise der abfällige Ausdruck „Kirken" gewählt worden ist. Einerseits wird eine Stelle aus dem Titusbrief angeführt, in dem die Aufforderung ergeht, den Umgang mit einem Häretiker nach einer wiederholten Zurechtweisung zu meiden, denn ein solcher sündige in seiner geistigen Verirrung und sei durch sich selbst gerichtet. Demgegenüber jedoch gibt Origenes zu bedenken, daß diejenigen, welche die Worte der Bergpredigt kennen und beherzigen wollen, die Friedfertigen seien selig wie auch die Sanftmütigen, Irrende und kirkenähnliche Verfälscher der christlichen Lehren nicht einfach fallen lassen dürfen, weil auch sie der W e r k e christlicher Nächstenliebe bedürfen 11 ). « aioETiy.öv avftpcDrtov l i e x u uluv xai Seuxepav voudEaiav nagcuzov, elScbg öti e^EaxpajtTai, o xoioixog xai d|xaQxüvai o)v avxoxaraxgirog12).» exl Öe (oi) xö « ^axagioi oi Eiori'vojtoioi »13) vofiaavxeg xai xö « [xaxäoi,oi oi jtgqiEig »14) ovx av äjioaxuYr|oaiEv xoiig jiagaxapäxxovxa; ra xpLOxuma^oij oi>5s Kigxag xai x{ixT)i>Qa ai|itUa Xeyolev xoiig jtE.t/.avrnj.EvoD?15). c. In dem wichtigsten W e r k des Hippolytos von Rom1"), Korta jtaowv atpeaecov eXevxoSi wird nicht nur, wie Origenes es tat, gegen die häretische Systematik eines Einzelnen vorgegangen, sondern es ist als enzyklopädische Abhandlung konzipiert, in welcher sämtliche religiösen Irrtümer, die griechische Philosophie inbegriffen, dargestellt und zurückgewiesen werden 17 ). Es soll die Abhängigkeit christlicher Häresien von der heidnischen Philosophie auf7) cf. v o n Christ, op. cit. p. 1328. 8) cf. A l t a n e r , op. cit. p. 179. 9) cf. A d o l f Hilgenfeld, Die Ketzergeschichte des Urchristentums, D a r m s t a d t 1963, p. 38. 10) cf. v o n Christ, op. cit. p. 1327. 11) cf. z. B. 1 . 1 5 , 17: x a ü x a £vx£>.Xo[iai i(xtv, i v a ä y a j t ä x e odXr|X.oiig12) cf. T t . 3, 10—11. 13) cf. Mt. 5 , 9 . 14) cf. Mt. 5 , 5 . 15) cf. Orig. contr. Cel. V, 63; ed. GCS „ O r i g e n e s " , T. II, Leipzig 1899, p. 67. 16) G e b o r e n w u r d e H i p p o l y t o s im O s t e n , w a r Schüler des I r e n a u s und w u r d e römischer P r e s b y t e r und Bischof, g e s t o r b e n ist er 2 3 5 ; cf. v o n C a m p e n h a u s e n , op. cit. p. 43. 17) cf. K o n r a d P r e y s i n g , in: Bibliothek der Kirchenväter, München 1922, T. 40, p. 11.

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gezeigt werden, um damit sinnvoll ihren unchristlichen Ursprung zu begründen18), ebenso werden auch Astrologie, Mantik und Mysterienglaube als gefährliche Quellen angeführt und untersucht19). In den Kapiteln neun bis zwanzig des sechsten Buches erörtert Hippolytos ausführlich die Lehre des Magiers Simon aus Samaria20), der nicht allein wie Kelsos die Existenz Jesu als des Gottessohnes leugnete, sondern sogar sich selbst in grotesker Weise als Gott aufgespielt hat21) 22) 23). Simon interpretiert den Pentateuch auf folgende Art: Er geht aus von der Gleichsetzung des Mutterschoßes 24 ) mit dem Paradiese, denn auch Moses, behauptet er, nenne nur allegorisch den Mutterschoß das Paradies, in dem Gott den ersten Menschen gebildet hat. überträgt man die in der Genesis beschriebenen Paradiesflüsse 25 ) auf die anatomischen Gegebenheiten des menschlichen Leibes, so entsprechen das Paradies selbst dem Uterus, der Garten Eden dem Chorion, der darin entspringende Fluß dem Umbilicus des Embryos, die vier Hauptwasser, in die er sich teilt, zwei auf jeder Seite des Umbilicus liegenden Arterien, den Geisteskanälen, und zwei Venen, den Blutkanälen. Diese vier Kanäle beziehen sich auf die vier Sinne des gezeugten Wesens, Gesicht, Gehör, Geruch und Geschmack, die allein das im Paradiese gebildete Kind besitzt. In Analogie zu der Viererzahl erkennt Simon das von Moses gegebene Gesetz, und nur zum besseren Verständnis der einzelnen Stücke dieses Gesetzes sind nach seiner Ansicht die verschiedenen Bücher geschrieben worden, deren Uberschriften im Hinblick auf die Funktionsbereiche der menschlichen Sinnesorgane erläutert werden 26 ). Mit 18) cf. von Christ, op. cit. p. 1335. 19) In Buch V—IX werden insgesamt 33 gnostisdie Systeme abgehandelt; cf. Altaner, op. cit. p. 146. 20) Frühestes Zeugnis über ihn findet sicii in A. 8, 9—24; Simon hatte mit allerlei Zauberei das Volk betört und man glaubte, er selbst sei die große Kraft Gottes. Als aber Philippus nach Samaria kam und von Christus und dem Reiche Gottes predigte, glaubten sie diesem und ließen sich taufen, und auch Simon bekannte sich zu Gott. Zu den allein auf den Namen Christi Getauften wurden Petrus und Johannes aus Jerusalem entstandt, damit sie ihnen durch Auflegen der Hände auch den göttlichen Geist vermittelten. Simon selbst wollte um Geld die Gabe erwerben, daß auch er durch Handauflegen anderen den Heiligen Geist spenden könne, und wurde deswegen von Petrus grob getadelt. 21) Das Werk des Simon, 'Aitöcpaai? p.£7ÜXr|, nach dem Hippolytos diese Lehre darstellt und dann verwirft, ist erst von späteren Anhängern verfaßt und mit Simons Namen als Autor versehen worden; cf. von Christ, op. cit. p. 1335. 22) Uber den Ardiihäretiker Simon haben auch Irenäus und Tertullianus geschrieben, denen, wie Hippolytos, eine gemeinsame Quellenschrift in den „Syntagma" des Justinus zugrunde gelegen haben muß; cf. Hilgenfeld, op. cit. p. 177. 23) Nach mehreren heftigen Streitreden mit Petrus und anderen Aposteln, in denen Simon die samaritische Lehre bis zur Unsterblichkeitsleugnung vertrat (Hilgenfeld gibt p. 165 Ps. Clem. Ree. II, 70 hierfür als Gewährsmann an), starb er auf blasphemische Weise, indem er sich lebendigen Leibes hat begraben lassen, um zu beweisen, daß auch er am dritten Tage von den Toten auferstehen werde; cf. Hipp. elen. VI, 20. 24) cf. Is. 44, 2. 25) cf. Gn. 2, 10. 26) Genesis nennt er das Gesicht, mit dem die Welt erschaut wurde. Leviticus entspricht dem Geruchssinn, weil in diesem Buch von Opfern die Rede ist, bei denen Wohlgeruch der Brandopfer entsteht. Numeri bezeichnet er als Geschmack, weil dort das Wort wirksam ist, denn die Zunge ist das Organ des Geschmackes und der Sprache. Der fünfte Sinn fehlt dem

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Hilfe einer Homerstelle als erläuterndem Bindeglied versucht Simon, für das Buch Exodus seine hypothetische Gleichsetzung mit dem Gehörsinn zu rechtfertigen 27 ). Das menschliche Geschlecht sollte das Rote Meer durchmessen, um in die Wüste zu gelangen und dort bitteres Wasser zu kosten 2 8 ), denn das sei der W e g der mühevollen, bitteren Lebenserfahrung, der durchschritten werden müsse. yag xö V E W E ^ E V , XT]V 'Epuftpdv öioöeüaav ftaXaaaav E ^ E I V E : U xrjv £pr|(iov — 'Epuftpav ÖE X E ^ E I , cpaai, xö al(ia — , xai YEIXRAAFRAI juxpöv uöcop. jxijcpöv y&Q, (prjaiv, eaxi TO ÜÖCOQ xö ¡XETÄ XT|V 'Egudpdv üd/.aaauv, O J I E q E C X I V ööög xfjg 5taxd xöv ßiov YvcoaECog xcöv EJUJIÖVCOV 6ÖET)0|iEvr] y.ai .iixoä) v 29 ). EÖEI

Von Moses, d. h. dem Logos, konnte aber das Bittere mit Hilfe eines Baumes, den der Herr ihm wies 30 ), zu Süßem gemacht werden, ein qualvolles Leben ist also wandelbar in ein leidloses Dasein. OXQAQPEV ÖE

vnb

MTUAECU;,

xouxetm xoC Xöyov, xo mxpöv

EXEIVO

V'ivExai Y/.UXÜ 31 ).

Diese verwandelnde Kraft sei, wie viele sagen, die die Dichter zitieren, auch in der Pflanze Moly beschlossen. xai oxi x a W

oiixcog E'XEI, y.oivfi ndvxcov ¿axiv a n o i a a i x a x a xotig jioirytds

XEYÖVXCOV -

pi^XL [XEV | I E X A V (EOJCE),

y.a'/J.ovai avöpacn ye övr]xoiar (xc&XI) ÖE

'AQXEI, qprjai, (xö) X E X ^ E V VKO 'EXODOIV dxodg (xrjg du) ofjg33)-

y6.Xay.xi {IEOT

O E O I ÖE XE

XÜV

ÖE E I X E X O V

äv9og -

%a\eJIÖV ÖE X ' Ö Q Ü O O E I V

itdvxa öiivavxcu 32 ).

¿ftvcöv ngog

EJUYVCOCHV

xcöv oXcov x o i ;

Wenn man also mit offenen Ohren auf diese in der damaligen Zeit wohl sehr bekannten Homerverse hört, in welchen nach Ansicht des Simon Magus für den im Buche Exodus erwähnten Baum bei der Beschreibung des Moly eine Entsprechung festzustellen ist, so glaubt er, seine willkürliche Gleichsetzung des zweiten Buches Mose mit dem Gehörsinn hinreichend begründet zu haben. Odysseus kostete diese Frucht 34 ), entging daher w i s s e n d der Verwandlung durch Kirke und wurde darüber hinaus fähig, den in Tiere Verwandelten zu ihrer ersten Gestalt zurückzuverhelfen. Er wird zum Sinnbild für den paradiesischen Geschöpfe, denn Deuteronomium bedeutet das Betasten eines ausgebildeten Kindes. 27) Für das ganze, reichlich alberne System cf. Hipp, elench. VI, 14—16. 28) cf. Ex. 15, 22—26. 29) cf. Hipp, elench. VI, 15, 3 ; ed. GCS „Hippolytos", T. III, Leipzig 1916, p. 141. 30) cf. Ex. 15, 25. 31) cf. Hipp, elench. VI, 15, 4. 32) cf. Horn. Od. X, 303—305. 33) cf. Hipp, elench. VI, 15, 4—VI, 16,1. 34) Zum ersten Male ist hier davon die Rede, daß Odysseus das Moly verzehrt habe.

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treuen Menschen, der andere, analog zu Moses, aus dem durch Kirke geschaffenen Status der Bitternis herauszugeleiten vermag. ToiiTou y&Q, qprioiv, o YEtiauLiEvog t o i Y.AQUOV VKO xrjg K i o x r i ; o i x uitE/9rigicti;

éSjéfrevTO t a i t a

ol

aocpcotaroi Sícjucpog Kcoog x a i Aíxxug éx

x f j ? KQTITTI? 1 6 ).

A u ß e r der mit den A n g a b e n in der lateinischen Fassung übereinstimmenden Tatsache, daß auch Malalas Kirke und Kalypso für Königinnen der Äolischen Inseln hält, finden sich bei ihm folgende Spezialitäten: 1. König Äolos überträgt seinen beiden Töchtern Kirke und Kalypso bei seinem Tode die Herrschaft über die Inseln. Kirlces Insel heißt Aiaia. 2. Die beiden Schwestern sind sich feindlich gesonnen, Kirke muß einen Überfall von seiten Kalypsos befürchten. Zu ihrer Verteidigung aber k a n n sie ein schützendes Heer nur durch List aufbauen, da sie sonst keine Bundesgenossen zu finden vermag. Dadurch wird ihre Neigung zum Zauberwesen motiviert, denn sie verabreicht den Vorüberziehenden vergiftete Tränke, um sie zum Bleiben zu zwingen. Diese M ä n n e r vergessen dann ihre Heimat 17 ) und sind Kirke in überschwänglicher Liebe treu ergeben. 8) In seiner Abhandlung: Dictys und Dares, Halle 1874, befürwortet G. Körting die Existenz eines verlorenen griechischen Originals. Seine Ansichten wurden heftig zurückgewiesen von H. Dunger, Dictys - Septimius, Dresden 1874, der für einen lateinischen Urtext plädierte. 9) Zum ersten Male veröffentlicht von Grenfell-Hunt-Goodspeed, The Tebtunis Papyri, Part II, London 1907. Die neueste kritische Ausgabe bei Werner Eisenhut, op. cit. 10) Die Bedeutung dieser Weltgeschichte besteht darin, daß mit ihr der Typus der christlichbyzantinischen Mönchschronik geprägt worden ist; cf. Karl Krumbacher, Geschichte der byzantinischen Litteratur, München 1897, p. 326. 11) cf. Teuffei, op. cit., p. 992. 12) Der Autor setzt den trojanischen Krieg zu Zeiten König Davids an, die „Chronographie" selbst wird bis zum Jahre 573 geführt. 13) Auch er gehört zu den „Schwindelbuch"-Autoren, cf. Otmar Schissel von Fieschenberg, Dares-Studien, Halle 1908, p. 128. 14) Noch lange vor dem Fund der ägyptischen Papyri wies Teuffei auf die Verarbeitung des griechischen „Dictys" im Werke des Malalas hin¡ cf. op. cit. ibid. 15) Des weiteren erläutert Malalas kurz die Kirke-Stelle bei Homer und gibt danach die Ansicht des Pheidalios von Korinth, ebenfalls eines „ Schwindelbuch"-Autoren, wieder, der im Anschluß an die stoischen Deutungen, cf. ante p. 26, in Kirke ein Bild der bösen Sinnenlust erblidct. 16) „Chronographia", V, ed. CORPUS SCRIPTORUM HISTORIAE BYZANTINAE, T. V, p. 119, Bonn 1831. 17) Diese Stelle erinnert sehr an das Lotophagen-Abenteuer; cf. Horn. Od. IX, 82s.

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3. Als Odysseus die Insel erreicht, erkennt er unter den Kirke-Kriegern auch ehemalige Mitglieder des Achäer-Heeres, die ihm von den Absichten der Königin berichten, k e i n e r der Odysseus-Gefährten fällt den Anschlägen der Zauberin jedoch zum Opfer. 4. Angesichts der schwerbewaffneten Übermacht, mit der Odysseus sich zur Unterredung mit Kirke in einem Tempel einstellt, gibt sie sich geschlagen und bittet Odysseus, er möge mit seinen Begleitern auf der Insel überwintern 18 ). b. Nachwirkung der „Chronographie" Das bizarre Werk des Malalas hatte für die byzantinische Geschichtsschreibung der nachfolgenden Jahrhunderte eine außergewöhnlich große Bedeutung. In der Chronik- und Annalenliteratur benutzen die „Chronographie" als direkte Quelle im 7. Jh. Johannes von Antiochia und der „Osterchronist", im 8. Jh. wurde sie von Johannes Damascenus sowie zur Abfassung des „Chronicon Palatinum" verarbeitet, die berühmten Schriften des Theophanes und Georgios Monachos belegen den Einfluß der „Chronographie" für das 9. Jh., und im 10. Jh. läßt sich ihre Nachwirkung in den „Konstantinischen Exzerpten" nachweisen 19 ). Georgios Kedrenos vereinigt im 11. Jh. zahlreiche Stücke des Malalas, die ihm aus verschiedenen Mittelquellen zuströmen 20 ), zu seiner Weltgeschichte Sxivo^ig 'Iatogicov21). Auch hier wird ein Bericht über den trojanischen Krieg und eine sich daran anschließende Schilderung der Irrfahrten eingeflochten, wodurch sich eine g e r a d l i n i g e literarische Tradition des Kirke-Abenteuers bis zum Jahre 1067 nachweisen läßt 22 ). Auch in diesem Werk erscheint die von Dictys zum ersten Male aufgestellte Behauptung, Kirke und Kalypso seien auf den Äolischen Inseln ansässig. Die von Malalas möglicherweise aus dem griechischen Dictys übernommene verwandtschaftliche Beziehung der beiden Gestalten untereinander wird angeführt, allerdings nennt Kedrenos als gemeinsamen Vater den Titanensohn Atlas 23 ). Ei/ra eis AloXia; vr|aou; eig Kipxr|v v.ai KaXu\J>d> OuvuiEpu; "AtXavxog24).

18) Der Malalas-Text für das Kirke-Abenteuer befindet sich in der zitierten Ausgabe auf den Seiten 117—121. 19) cf. Krumbacher, op. cit., p. 328—329. 20) ibid. 21) „A mundo condito usque ad Isaacium Comnenum Imperatorem", lat. Untertitel der zu zitierenden Ausgabe. 22) ibid. 23) Malalas ist hier unverständlich: Kirke und Kalypso sind Töchter des Äolos; später verleugnete Kalypso ihren Vater Atlas, was mit Horn. Od. I, 52 übereinstimmt, und nennt sich Tochter des Helios. 24) Georgios Kedrenos, S i m o n i s 'Iaxogicov; ed. PATROLOGIA GRAECA, T. 121, Paris 1894, col. 268.

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B. Bedeutung

für die

Romania

a. Der altfianzösische Trojaroman Die lateinische Übersetzung bzw. Redaktion des Dares und Dictys übten auf die literarische Entwicklung in der Westromania einen beträchtlichen Einfluß aus, der in erster Linie darauf zurückgeführt werden kann, daß vorbehaltlos den Versicherungen Glauben geschenkt wurde, es handle sich bei den überlieferten Texten um wahrheitsgetreue Berichterstattung 25 ). Schon Isidor von Sevilla nahm diese Beteuerungen gutgläubig hin und hielt Dares Phrygius für den ersten heidnischen Geschichtsschreiber, der selbst älter als Herodot sein sollte: Historiam primus apud nos M o y s e s de initio mundi conscripsit. A p u d gentiles v e r o primus Dares Phrygius de Graecis et Troianis historiam edidit, quam in foliis palmarum 2 6 ) ab eo conscriptam esse ferunt. Post Daretem autem in Graecia Herodotus primus historicus habitus est 2 7 ).

Die erste Verarbeitung beider Schriften zu einem Kunstwerk wird durch den „Roman de Troie" des Benoit de Sainte-Maure repräsentiert, der zwischen 1155 und 1160 entstanden ist28). Bei diesem antikisierenden Roman handelt es sich um den Versuch einer Angleichung antiken Kulturgutes an die höfisch-christliche Weltanschauung, wie sie in Frankreich auch durch den Alexander-, den Theben- und den Aeneasroman vollzogen worden ist. Das Werk besteht aus 30 316 Achtsilbern, für deren Komposition zum größten Teil ein lateinischer „Dares" als direkte Vorlage benutzt wurde. Nach der Schilderung des Todes der Penthesilea wird vom Verrat Antenors und Aeneas' berichtet: Von dieser Stelle ab bis zum Ende des Werkes, das mit einer „Telegonie" schließt29), folgt Benoit de Sainte-Maure einer lateinischen Bearbeitung des Dictys 30 ). Icist Ditis nos fait certains, Saveir Ii quel des citeains Porparlerent la traïson 3 1 ).

Die auf Kreta bei König Idomeneus vorgetragene Erzählung von den Irrfahrten des Ulixes nimmt in der altfranzösischen Fassung 387 Verse in Anspruch, wobei dem Circe-Abenteuer allein 97 Verse gewidmet sind. 25) cf. Curtius, op. cit. ibid., und Schanz-Hosius, op. cit. IV, 2, p. 86. 26) Hier liegt offensichtlich eine Verwechslung mit Dictys Cretensis vor; cf. ante p. 45, nota 3. Durch diesen Irrtum werden zum ersten Male, wenn auch ungewollt, die beiden „Schwindelbücher" in einen Zusammenhang gebracht. 27) et. 1, 42; op. cit. T. I. 28) cf. Léopold Constans, Le Roman de Troie, SATF, T. VI, Paris 1912, p. 190. 29) Die „Telegonie" gehört in den Bereich der kyklischen Epen und wurde zuerst von Eugamon von Kyrene geschrieben. Telegonos, der Sohn der Kirke und des Odysseus, macht sich auf, um nach seinem Vater zu forschen. Unerkannt tötet er ihn mit einem Rochenstachel. Eine Bemerkung über die Geburt des Telegonos macht auch Georgios Kedrenos: dufp' f|Ç Klçxr|ç y.ai uiôv EO%E TÔV TT^ÉVOVOV ; cf. op. cit. ibid. Auch am Ende des lat. Dictys befindet sich eine „Telegonie". 30) cf. L. Petit de Julleville, Histoire de la Langue et Littérature française, Paris 1896, T. I., p. 212. 31) vv. 24405—24407; cf. op. cit. T. IV, p. 70.

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Wie schon in der erhaltenen Bearbeitung des Septimius angegeben 32 ), leben Circe und und Calypso auch in der Darstellung des Benoit de Sainte-Maure als Königinnen auf den Äolischen Inseln33). Sie sind beide der Zauberei kundig und vermögen durch ihre Künste Vorüberfahrende gründlich zu betören. Des arz saveient e des sorz: AI herbergier les convoiënt, Après si les enchareoënt Que sempres erent si sorpris E si de lor amor espris Qu'en eus n'aveit reison ne sen34).

Eine sinngemäß damit übereinstimmende Stelle findet sich bei Johannes Malalas, der die geistige Verwandlung in den Zustand subalterner Liebeshörigkeit als Folge des Zaubers bezeichnet. Es antworten Mitglieder des griechischen Heeres auf die Frage des Odysseus, weshalb sie auf der Insel der Kirke wohnen: 'E>t TOÜ 'A'/aiv.oü ijtâp'/o|iEv axpaxoü, Y.at da/.axxicov xvjxâxcov ß'U; npoaejte>.àaau£v tfj vr)acp xaürr], v.ai Jtôua XaßovTES ¡laYiy.ov ûjiô xfjç PaaiXiôoç Kio35 XT^Ç, EÇCOTI ÔEivcp ßXrjfrEvxEg ELÇ aûxT)v xaûxr]v EXO^IEV vüv jtaxgiôa ), Zum ersten Male erscheint unter allen bisher untersuchten Darstellungen des Kirke-Mythos im „Roman de Troie" eine e n t s c h e i d e n d e Veränderung im Ablauf des Geschehens: Auch Ulixes unterliegt dem Zauber der Circe. Iço retrait danz Ulixès, Que il chaï es mains Circès, Mais ne li pot pas eschaper. Quant de si grant beauté le veit, Pense qu'o sei le retendra, Ja mais de li ne partira. Ses sorceries, ses essaies A fait por lui e ses charaies; Fort sont li art a li conjure, Auques le tome a sa mesure. O sei le couche: mout li plaist Qu'il la joïsse e qu'il la baist; E si fait il, c'est la verté 36 ).

Für die letzten drei Zeilen der zitierten Stelle findet sich, wenn auch stark abgeschwächt, ein entsprechender Hinweis bei Malalas, worin die Bereitwilligkeit des Odysseus und der Kirke zur Liebesumarmung ausdrücklich betont wird37). 32) cf. ante p. 46. 33) v v . 28701—28709. 34) v v . 28720—28725; cf. op. cit. p. 302. 35) cf. Malalas, op. cit. p. 119. 36) v v . 28747—28749 und v v . 28752—28761; cf. op. cit. p. 304—305. 37) W i e in den antiken Darstellungen wird die V o r a u s s e t z u n g dazu durch die Kapitulation Kirkes v o r O d y s s e u s ' Übermacht geschaffen.

50

ô ' O Ô W N J E V Ç Ö I I T G I I P E |IET' ÈxEivriç ßouXrjdeiarig38)-

AÙTF|Ç

ôXtyov xaïQÔv,

au|IUIV£IÇ

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ITOÔÇ

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Die Befreiung aus der Verstrickung in sinnliche Lust gelingt Ulixes aus freien Stücken 39 ), denn er durchschaut nicht nur Circes Listen, sondern w i r d ihr schließlich an Kenntnissen der Zauberkünste überlegen. S'el sot des arz, il en sot plus, Si que il en fu al desus: Ne Ii sot rien bastir ne faire, Dès qu'il bien voust, qu'il preisast guaire; Ses uevres, ses conjureisons, Ses charaies e ses poisons Ne le valurent pas dous auz40) ; Setzt man einerseits die recht umfangreiche Schilderung des Circe-Abenteuers bei Benoit de Sainte-Maure in Bezug zu den äußerst spärlichen A n gaben, die dem lateinischen „Dictys" dazu entnommen w e r d e n können 41 ), und berücksichtigt man andererseits die beiden oben zitierten Entsprechungen bei Malalas, der seine Mitteilungen über K i r k e auch als v o n Dictys übernommen ausgibt 42 ), so liegt die Vermutung nahe, daß der altfranzösische A u t o r eine lateinische „Dictys"-Bearbeitung als V o r l a g e benutzt haben muß, die umfangreicher g e w e s e n ist als diejenige, die w i r heute besitzen 43 ). b. Guido de

Columnis

Ego autem Guido de Columnis predictum Ditem Grecum in omnibus sum sequtus44), Diese Bemerkung befindet sich im letzten Buche der „Historia Destructionis T r o i a e " , die im Jahre 1287 als A u f t r a g s w e r k des Erzbischofs v o n Salerno, Matthaeus de Porta, fertiggestellt wurde 45 ). Es gilt heute allerdings als sicher, daß es sich bei der hier in Rede stehenden Troja-Geschichte keinesw e g s um eine selbständige Neuschöpfung nach der V o r l a g e der spätantiken Quellen des „Dares" und „Dictys" handelt 40 ), die im V e r l a u f e des T e x t e s aber häufig als einzig verbindliche Autoritäten genannt werden, sondern 38) cf. Malalas, op. cit. p. 119. 39) Was Circe zu bieten hatte, war keineswegs erstrebenswerte „höfische Liebe" („mais n'i esteit pas fine amor", v. 28744). 40) vv. 28775—28781 ; cf. op. cit. p. 305—306. 41) cf ante p. 46. 42) cf. Zitat ante p. 47. 43) cf. Petit de Julleville, op. cit. p. 212. 44) „Historia Destructionis Troiae", lib. XXXV; ed. Nathaniel Edward Griffin. The Mediaeval Academy of America, Cambridge, Massachusetts 1936, p. 275. 45) „Factum est autem presens opus anno dominice incarnacionis millenio ducentesimo lxxxvii eiusdem prime indiccionis feliciter." ; cf. op. cit. p. 276. Mit der Abfassung wurde allerdings bereits 1272 begonnen. 46) Audi Guido glaubte an die Echtheit ihrer Berichte: „Dares et Ditis, qui tempore ipsius Troyani belli in ipso bello fuere presentes"; cf. op. cit. p. 273. 51

um eine verkürzte Bearbeitung des altfranzösischen Trojaromans in lateinischer Sprache, wenngleich der Autor auch immer sorgfältig den Namen des Benoit de Sainte-Maure verschwiegen hat 47 ). Vergleicht man die lateinische Fassung mit dem altfranzösischen Vorbild, so ergeben sich aus derjenigen Textstelle, in welcher das Circe-Abenteuer behandelt wird, zunächst folgende Parallelen: 1. afz.: lat.:

Quar dous reines i aveit, Que nus si beles ne saveit 4 8 ). erant due puelle sorores 4 9 ) nìmiuin speciose 5 0 ).

2. afz.: lat.:

De partir d'eles ert neienz 5 1 ). nulla spes erat intrantibus ab insula posse recedere 5 2 )

3. afz.: lat.:

Que envers lui ert tote encline 5 3 ). Circes, meo quasi amore bachata 5 4 ).

4. afz.: lat.:

Fu eie de lui grosse e preinz 5 5 ) : Circes grauida est facta 5 6 ) 5 7 ).

Die bei Benoit zum ersten Male beschriebene O h n m a c h t des Ulixes angesichts der gefährlichen Zauberin und das spätere Obsiegen als derjenige, welcher nach geraumer Zeit selbst des Zaubers kundig geworden ist und Gegenzauber auszuüben vermag 58 ), kehrt mit aller Deutlichkeit auch bei Guido de Columnis wieder. 5.

[ . . . ] et suarum incantacionum insidiis sie fatue m e allexit quod per annum integrum 5 9 ) non fuit michi ab ea recedendi facultas [. ..] Sed ego, qui de arte e r a m similiter ualde instruetus, contrariis operacionibus omnia sua figmenta destruxi etpenitus annullaui [.. .] sie ars deluditur arte [ . .

Abweichend von Benoit schiebt Guido de Columnis in seiner kurzen Charakterisierung der beiden Herrscherinnen über das Inselreich die während 47) Leopold Constans, op. cit. T. VI, p. 318, vertritt die Ansicht, daß in der alleinigen Angabe einer möglichst alten Quellenschrift, ähnlich wie es in der afz. Fassung des Benoit geschah, ein typisch mittelalterlicher Zug zu erblicken sei. 48) vv. 28705—06; cf. op. cit. p. 301. 49) Es sind Circe und Calypso, die nur in der byz. Historiographie als Schwestern bezeichnet werden; cf. Malalas, op. cit. p. 117: f| 6e xaijxri; (Kipxrig) ä8eXq)r) KaÄ.i>i|>0), oder das Kedrenos-Zitat, ante p. 48. 50) Hist. Troi. lib. XXXIII; cf. op. cit. p. 258. 51) v. 28729; cf. op. cit. p. 303. 52) Hist. Troi.; cf. op. cit. ibid. 53) v. 28774; cf. op. cit. p. 305. 54) Hist. Troi.; cf. op. cit. p. 259. 55) V. 28763; cf. op. cit. p. 305. 56) Hist. Troi.; cf. op. cit. ibid. 57) Hinweis auf die Geburt des Telegonus. Auch Guido beschließt sein Werk mit einer „Telegonie". 58) cf. Zitat ante p. 51. 59) Die Zeitangabe ist eine Reminiszenz an Horn. Od. X, 467 und Ov. Met. XIV, 308. 60) Hist. Troi.; cf. op. cit. ibid.

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der ganzen Antike übliche Verbindung des Kirke-Mythos mit den Verwandlungen von Mensch in Tier ein61), die hier allerdings auch Calypso im Bunde mit ihrer Schwester in notwendig erscheinenden Fällen ins Werk zu setzen vermag. [...] si quos inueniebant ad earum mandata rebelles, statim eos in bestias transformaban t62). c. Die spanischen Übersetzungen Der „Roman de Troie" und die „Historia Destructionis Troiae" fanden im 14. und 15. Jh. durch mehrfache Ubersetzungen Eingang in das spanische Schrifttum. Von dem altfranzösischen Versroman wurden im 14. Jh. zwei Versionen angefertigt 83 ), die erste, die nur fragmentarisch erhalten ist, in Prosa mit eingeschobenen Gedichten, die zweite als Umsetzung ausschließlich in Prosa, die im Auftrag von Alfonso XI entstanden ist64). Die erste und zugleich genaueste Übertragung des lateinischen Werkes von Guido de Columnis in ein auf der Iberischen Halbinsel beheimatetes Idiom unternahm der Katalane Jacme Conesa im Jahre 136763). Gegen Ende des 14. Jhs. entstand unter dem Patronat von Juan Fernández de Heredia eine stark verkürzte aragonesische Übersetzung, die sich, zu einem Codex vereint mit Teilen aus der „Geschichte des Peleponnesischen Krieges" von Thukydides, unter den Beständen der Bibliothek des Marqués de Santillana befand 66 ). Als erste und einzige vollständige Umsetzung der „Historia Destructionis Troiae" in die kastilische Sprache67) gilt die Version von Pedro de Chinchilla aus dem Jahre 144368), obwohl Fernán Pérez de Guzmán in seinem Werke „Generaciones y Semblanzas" berichtet hatte, sein im Jahre 1407 verstorbener Oheim Pero López de Ayala habe für die Kenntnis einer 61) Am Ende der „Telegonie" des Benoit findet sich eine Erwähnung der Verwandlungskraft der Circe, die aber nicht ausdrücklich die Transformation in Tiere einschließt: „Circes, Ícele que tant sot / Que les homes transfigurot / E muot en mainte semblance / Par estrange art de nigromance", vv. 29975—29978; cf. op. cit. p. 369. Den Ausdruck „art de nigromance" übernimmt Guido wörtlich: „ [ . . . ] docte in arte nigromancie" ¡ cf. cit. p. 258. 62) Hist. Troi.; cf. op. cit. p. 258—259. 63) cf. Antonio Garcia Solalinde, Las Versiones Españolas del Román de Troie, in: RFE III, 1916, p. 123—125. 64) Es ist eine Kopie von Nicolas Gonzalez erhalten, die auf den 31. Dez. 1350 datiert ist. Hiervon fertigte Fernán Martínez im Jahre 1373 eine galizische Ubersetzung an; cf. Julio Cejador y Frauca, Historia de la Lengua y Literatura Castellana, T. I, 1, Madrid 1927, p. 322, und Solalinde, op. cit. p. 163. 65) cf. Adolf Mussafia, Uber die spanischen Versionen der Historia Trojana, in: Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, T. LXIX, Wien, 1871, p. 51. 66) Zur Beschreibung dieses Codex cf. Mario Schiff, La Bibliothèque du Marquis de Santillane, Paris 1905, p. 16ss. 67) Ein aus dem 15. Jh. stammendes Ms. der Bibliothek des Escorial, L-jj-16, enthält eine ungeschickte Verbindung von Teilen Guidos mit Stücken der beiden ober erwähnten Ubersetzungen des afz. Romans; cf. Agapito Rey y Antonio García Solalinde, Ensayo de una Bibliografía de las Leyendas Troyanas en la Literatura Española, Indiana University Publications 1942, p. 39. 68) ibid. p. 10.

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„Estoria de Troya" in Spanien gesorgt 60 ), womit nur eine Übersetzung Guidos gemeint sein kann, die heute aber verschollen ist70). Gegen die Theorie eines Filiationsverhältnisses Guido de Columnis — Pero López de A y a l a — Pero Núñez Delgado, dessen N a m e zum ersten Male in einer zu Sevilla im Jahre 1509 gedruckten „Chronica Troyana" auftaucht 77 ), wurde Einspruch erhoben 72 ) und der Nachweis erbracht, daß es sich bei der sog. „Crónica troyana impresa", v o n der in Spanien insgesamt 15 Auflagen veranstaltet worden sind 73 ), k e i n e s w e g s um eine spanische Version der „Historia Destructionis Troiae" handelt, für die sie aber im allgemeinen angesehen wurde 74 ), sondern um eine Zusammenstellung v o n Abschnitten aus der ersten, in der Mitte des 14. Jhs. in Spanien entstandenen TrojaGeschichte, den „Sumas de Historia Troyana" vonLeomarte 7 5 ),mit übersetzten Teilen aus Guido 76 ). Für die Komposition der „Crónica troyana" wurde der Bericht des Ulixes über sein Abenteuer bei Circe direkt v o n Guido de Columnis übernommen. Es handelt sich um eine vollständige, w e n n auch nicht wortgetreue Übertragung der lateinischen Vorlage, bei der jedoch drei Formulierungen ins A u g e fallen, die dem spanischen Text besondere Akzente verleihen. 1. lat.: Circes, meo quasi amore bachata, suas inmiscuit pociones77), span.: circe mo-/uida en amor q cerca de mi y d'lla se apode-/ro fizo sus encätaciones 78 ) Die Liebe wird hier gleichsam als Abstractum aufgefaßt und hat Macht gewonnen über Ulixes und Circe, noch bevor diese mit ihren Zaubereien begonnen hat. 69) cf. ed. R. B. Täte, London 1965, p. 15 und p. 87, nota 42. 70) cf. Mussafia, op. cit. p. 49. — J. Amador de los Ríos war von der Existenz dieser Übersetzung überzeugt und behauptet in T. IV, p. 349 seiner „Historia Crítica de la Literatura Española", das Werk hätte sich einst großer Beliebtheit erfreut. Audi Cejador, op. cit. ibid., glaubt an eine Ubersetzung Ayalas. 71) cf. Rey y Solalinde, op. cit. p. 31. 72) ibid. p. 11. 73) ibid. p. 29—32¡ zuerst in Burgos 1490, zuletzt in Medina del Campo 1587. 74) Irreführend sind bereits die dem Prolog vorangestellten Sätze: „Comienga la famosa coronica y destruycion tro / yana: dirigida al muy reuerendissimo y muy magnifico señor don Matheo déla puerta / argobispo de Salerno: compuesta y copilada por el famoso poeta y hystoriador Guido / de coluña (sie.). E agora nueuamente enmendada por Pero nuñez delgado clérigo." Zitat nach der Ausgabe Toledo 1512, heute Madrid, Bibl. Nac. R 582. Im Prolog selbst richten sich die Worte des fiktiven Übersetzers direkt an den Erzbisdiof von Salerno, der dreimal mit „muy magnifico señor" und einmal mit „muy reuerendissimo señor" angeredet wird, was im Prolog bei Guido fehlt. Im Gegensatz zur einmaligen Erwähnung von Dares und Dictys im Prolog zum lat. Text fallen hier gleich dreimal die Namen „Daris y Ditis", denen höchste Zuverlässigkeit bescheinigt wird. 75) Erhalten in 2 mss. der Bibl. Nac. zu Madrid; cf. ed. Agapito Rey, Madrid 1932, p. 6—10 und p. 22. Das Werk Guidos wurde zuerst von Leomarte in der spanischen Literatur verarbeitet. 76) cf. Rey, op. cit. p. 31. Bis zur Versammlung der Griechenfürsten zum Zuge gegen Troja folgt die „Crónica troyana" Leomarte. Danach geht sie bis zur Schilderung von Ulixes' Tod zu Guido über, um dann wieder zu Leomarte zurückzukehren, der seine Troja-Geschichte mit einer Darstellung der Ddipussage abschließt. 77) Hist. Troi.¡ cf. op. cit. p. 259. 78) „Crónica troyana", Toledo 1512, ms. R. 582 der Bibl. Nac. zu Madrid, fol. l x x x i x r .

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2. lat.:

[...] per annum integrum non fuit michi ab ea recedendi facultas. Infra quem annum Circes grauida est facta et concepit ex me filium [.. .]79). span.: en/mi no fue libertad ni poder algüo d'me par/tir d'lla por vna ora entera: en el ql tiépo fue/preñada de mi: y cöcebio vn fijo80)

Durch die ungewöhnlich genaue Angabe eines kurzen Zeitraumes, während dessen die Empfängnis des Telegonus sich vollzog, gibt der Ubersetzer sogleich eine Abwertung von Circes Zaubermacht zu verstehen, für die im lateinischen Text ein ganzes Jahr hindurch Wirksamkeit bestätigt wurde. 3. lat.:

[...] ars deluditur arte, contrariis commentis Circes in tantum preualuerunt efficacius artes mee [. . ,]81) span.: E como esta sea vna arte la qual se deshaze/por otra a ella cötraria: en tato preualescie-/ron mas artes cötra las de Circe 82 ).

Durch das Demonstrativpronomen wird Ulixes' Kenntnis um die Art der von Circe ausprobierten Zauberkunst angedeutet und ihre Wirkungskraft abgegrenzt, denn sie ist nicht durch größere Stärke, sondern größere Vielfalt gleichwertiger Gegenzauber zu besiegen. Nachdem die literarische Tradition des stark von den klassischen Darstellungen abweichenden CirceAbenteuers, wie es in den Troja-Geschichten seit der Spätantike Aufnahme fand, bis ins Spanien des 16. Jhs. aufgezeigt worden ist, sei nun der Vollständigkeit halber die Begegnung zwischen Circe und Ulixes in „Sumas de Historia Troyana" von Leomarte wiedergegeben, der davon als erster eine e i g e n s t ä n d i g e spanische Nachgestaltung 83 ), wenn auch in herkömmlichem Rahmen, vorgenommen hat. TITULO CLXXXJ. — Commo aporto Vlixes a la ysla de la deesa Herges e commo Vlixes caso con ella. [. ..] E asy fue que Vlixes despues que dellos partió paso por muy grandes tormentas, ca el paso por los peligros que dizen Chillo e Caribdys; e otrosy se vio en los peligros de las serenas e en otros muy muchos en los quales el perdió muy mucho de lo que traya e escapo sola mente con las gentes por los sus buenos saberes. E al cabo aporto a la ysla Aulyda, e reynaua a la sazón en ella la deesa Qerges. E esta era muy fermosa muger e era vna de las mayores sabidoras de encantamentos que en el mundo ouiese. E quando ella oyo que tales gentes ally eran arribadas al su puerto fuelos ver, e por que los vio tan quebrantados del muy grand afan que auian pasado ouo dellos piadat e mandóles dar posadas e todo lo que menester auianj e Vlixes rendiole muchas gragias. E estando ally algunos dias Vlixes e la reyna auian sus fablas, e commo el era muy sabydor, e otrosy era muy fermoso, tanto que se sopo bien razonar que la reyna se enamoro 79) Hist. Troi.; cf. op. cit. ibid. 80) Cron. troy.¡ cf. op. cit. ibid. 81) Hist. Troi.; cf. op. cit. ibid. 82) Cron. troy.; cf. op. cit. ibid. 83) Bei der Beschreibung der mss. bemerkt Rey, daß auf den Umschlagdeckel der älteren Handschrift fälschlich der Vermerk „G. Colonna, Historia de Troya" gesetzt wurde; cf. ed. Rey, op. cit. p. 8 und ante p. 54, nota 75.

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del84), e tal fue el trato que casaron en vno¡ e tanto se pago ella del que obro ella de sus encantamentos de guisa que lo touo ally bien vn anno que de ally non podiese partyr. Mas commo Vlixes sabia mucho de aquellas artes quando aquello entendió obro el otrosy sus artes e desato los encantamentos della e fuese para su tierra. La reyna quedaua prennada, mas el non lo sabia. E despues que el ydo ella fizo muchos males por ello e dezia muchas lastimas deziendo: ¡Ay Vlixes!, ya tu nunca salyeras de las batallas troyanas, pues asy auias a quebrantar la mi castidat e lleuar el despojo della, e otrosy quebrantar las fuerzas nunca vengidas de los mis saberes; hermador del sennorio de la tierra. ,,¡Ay de mi!, triste, que arme lazo en que cay, e cuydando prender fuy presa". Asy se aquexaua Qerges, pero de que entendía que era prennada alegrauase e dezia: „Mas non abasto a los muertos de Troya aver todo el mundo por enemigo que avn que despues de destruydos a mi quisieron por enemiga, pues fueron ocasion de mi grant dolor". Despues vino el tienpo del su parto e parió vn fijo, muy apuesta criatura, e llamolo Telegonus, el qual crio con grant piadat 85 ).

Es handelt sich hier um eine stark verkürzte, chronologisch unrichtige Darstellung der Irrfahrten des Ulixes, in welcher der Autor eindeutig im Hinblick auf die Geburt des Telegonus, der als Zentralfigur im weiteren Handlungsablauf fungieren soll, den Schwerpunkt auf die Beziehung des Helden zu Circe legte, wodurch andere odysseische Abenteuer keine besondere Beachtung mehr verdienen konnten. Aus diesem Grunde wurde auch die Gestalt der Calypso eliminiert, die in den älteren Vorlagen immer neben Circe als Herrscherin über die Äolischen Inseln genannt wurde. Neu sind in der Fassung von Leomarte einzelne sympathische Züge an Circe. Sie ist voller Erbarmen gegenüber der notleidenden Mannschaft, verliebt sich erst allmählich in Ulixes, heiratet ihn noch unberührt und bedient sich nur aus übergroßer Liebe zu ihrem Gemahl der zauberischen Hilfsmittel. Ulixes verläßt das Eiland, unwissend, daß Circe einen Sohn von ihm gebären wird, ein Kunstgriff, durch den die dramatische Situation bei seinem Tode beträchtlich verdichtet werden konnte.

II. Die „Metamorphosen"

des

Ovid

Durch den Westgoten Theodulf von Orléans 1 ), der in einem Gedicht Mitteilung macht über seine bevorzugten Autoren, wurde im Zeitalter der karolingischen Renaissance die Wiederbelebung symbolischer Mythenauslegung anhand von Werken der klassischen Antike eingeleitet: 84) cf. dazu die Bedeutung der Klugheit und der Kunst der wohlgesetzten Rede, die Liebe entstehen lassen, bei Andreas Capellanus, De Amore I, 6: „Re v e r a in tua persona nobilitari novit prudentia, et habitaculum invenerunt svavitatis eloquia, quod tarn provide tamque prudenter tua novisti proponere iura.", ed. E. Trojel, München 1964, p. 83. 85) cf. Leomarte, Sumas de Historia Troyana, til. 181; op. cit. p. 280—281. 1) Der aus Spanien vertriebene Theodulf (i 821) erhielt von Karl dem Großen das Bistum Orléans; cf. M a x Manitius, Geschichte der Lateinischen Literatur des Mittelalters, T . I, München 1911, p. 537.

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Et modo Virgilium, te modo, N a s o loquax. In quorum dictis quamquam sint frivola multa, Plurima sub falso tegmine vera latent 2 ).

Bereits in jener Zeit glaubte man zu erkennen, daß den mythologischen Relaten geheimnisvolle Sinngehalte zugrunde liegen müssen, was schließlich dazu führte, daß die „Metamorphosen", welche seit dem 12. Jahrhundert mit ausgesprochener Vorliebe in den Klosterschulen gelesen und kommentiert wurden 3 ), gerade im Rahmen christlicher Deutungsbestrebungen einen ganz besonderen Platz einnehmen sollten, erachtete man sie wegen ihres nützlichen Sentenzengehaltes außerdem als ein wahres „Schatzhaus der Moral"4).

A. „General

Estoria"

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts entstand unter Anleitung von Alfonso el Sabio in den königlichen Schreibstuben zu Toledo eine in sechs Teile gegliederte Weltgeschichte 5 ), deren chronologischer Aufbau nach Vorlage der im Alten Testament beschriebenen Ereignisse gestaltet worden ist. Zwischen die biblisdien Relate jedoch wurden parallelisierend die aus der Antike überlieferten Mythen interpoliert 0 ), deren komplexe Zusammenstellung, wie sie sich in den „Metamorphosen" repräsentiert, dem König und seinen Mitarbeitern als geeignetstes Material für eine solche Synchronisation erschien, teilte man doch die Überzeugung, es müsse sich bei dem „Libro Mayor" 7 ) um ein von christlichem Geist inspiriertes Werk handeln. Es wurden nahezu sämtliche darin enthaltenen Fabeln, sei es in freier Übertragung in die altspanische Sprache, sei es in Anlehnung an frühere Moralkommentare anderer Autoren, in die Konzeption der „General Estoria" verwoben 8 ). 2) „Theodulfi Carmina", XLV, 18—20; in: Monumenta Germaniae Histórica, Poetae Latini Aevi Carolini, T. I; ed. Ernst Dümmler, Berlin 1881, p. 543. 3) cf. Schanz-Hosius, op. cit., T. II, p. 261 ss. Ein heute in der Bibliothek der Kathedrale zu Tortosa aus jenem Jahrhundert bewahrter Codex (Nr. 134) legt beredtes Zeugnis ab über den intensiven Gebrauch, dessen sich dieses Werk auch im spanischen Schulunterricht erfreuen konnte. Sämtliche Folios sind mit einer schier unüberschaubaren Zahl von erläuternden Randbemerkungen und Glossen versehen, die eindeutig eine solche Verwendung erkennen lassen. Dieser Codex ist trotz seines regen Gebrauches und seines hohen Alters vollständig erhalten geblieben. Seine ausführliche Beschreibung bei Enrique Bayerri Bertomeu, Los Códices Medievales de la Catedral de Tortosa, Barcelona 1962, p. 293. 4) cf. Curtius, op. cit. p. 28. 5) Vermutlich wurde mit der Arbeit im Jahre 1272 begonnen. Das einzige sicher belegte Datum befindet sich am Ende des vierten Teiles, der 1280 abgeschlossen worden ist; cf. Alfonso el Sabio, General Estoria, Primera Parte; ed. Antonio Garcia Solalinde, Madrid 1930, Introducción p. XXII—XXIII. 6) cf. Angel Valbuena Prat, Historia de la Literatura Española, Barcelona 1960, T. I, p. 117: „Estos motivos de los dioses paganos constituyen en Alfonso X un verdadero atisbo de Renacimiento." Auf den Charakter des Werkes als unverkennbaren Vorläufer der dem klassischen Bildungsgut verpflichteten Renaissance weist auch Solalinde hin; cf. ed. cit. p. X. 7) Mit diesem Ausdruck bezeichnete man im Mittelalter in Spanien die „Metamorphosen"; cf. José Maria de Cossio, Fábulas mitológicas en España, Madrid 1952, p. 11. 8)' cf. Solalinde, ed. cit. p. XIV.

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Bei der Abfassung einzelner Passagen, die mythologischen Begebenheiten gewidmet sind, wurden zwei ausländische Ovid-Interpretationen zu Rate gezogen, und zwar die „Integumente Ovidii" des Engländers Johannes de Garlandia, den man als „maestre Johan el Ingles" zitierte 9 ), sowie der altfranzösische „Ovide moralisé", auf welchen mit den Worten „segund un doctor de los frayres menores que se trabaio de tornar las razones de Ovidio Mayor a theologia" Bezug genommen worden ist10). Trotz des unbestreitbaren Wertes dieser beiden Kommentare für die Deutungsgeschichte Ovids im Mittelalter muß von ihnen im folgenden Abstand genommen werden, denn sie wurden von keinem der Schreiber bei der Darstellung des Circe-Mythos in Anwendung gebracht. Im Hinblick auf die literarische Tradition der von Ulixes bestandenen Abenteuer soll daher als Beispiel für eine direkte Bezugnahme auf die Dichtung Ovids die paraphrastische Bearbeitung eines „Metamorphosen"-Abschnittes zitiert werden, die sich in dem noch u n v e r ö f f e n t l i c h t e n dritten Teil der „General Estoria" auf den Folios 101v— 102v befindet 11 ). 9) cf. A. G. Solalinde, Reseñas sobre Schevill, RFE I, 1914, p. 106. Die ca. 1234 in Frankreich entstandenen „Integumenta" h a b e n eine außergewöhnlich v e r w o r r e n e Textgeschichte, weil sie oftmals mit der ersten ausführlichen Ovid-Deutung des Mittelalters aus der Feder des im 12. Jh. lebenden Arnulf v o n Orléans verwechselt worden sind. In d e n meisten kommentierten „Metamorphosen"-Handschriften aus dem 13. und 14. Jh. findet man nämlich als Randbemerkungen die Prosa-Allegorien des Arnulf gemeinsam mit den Distychen Garlandias; cf. Giovanni di Garlandia, Integumenta Ovidii; ed. Fausto Ghisalberti, MessinaMilano 1933, p. 7—10, und Edwin Habel, J o h a n n e s de Garlandia, ein Schulmann des 13. J a h r hunderts, in: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte, XIX, Berlin 1909, p. 3—4. Die von Arnulf ganz in stoischer Manier formulierte Deutung des Circe-Ulixes-Mythus lautet: „In rei veritate Circe erat meretrix pulcherrima [ . . . ] Per Ulixem intellegitur sapiens. Per florem qui dicitur moly eloquencia intellegitur." (zitiert nach Fausto Ghisalberti, Arnolfo d'Orléans, un cultore di Ovidio nel secolo XII, in: Memorie del Reale Istituto Lombardo di Scienzie e Lettere, Vol. XXIV, fase. IV, Milano 1932, p. 227). Die Distychen von J o h a n n e s de Garlandia zu Ov. Met. XIV, 1—74: 248—415, op. cit. p. 72, heißen: In scriptis aliter legi quod scilicet herba Sit Martis mulier nos v a r i a r e potens. Sic Circe trahit in porcos quos v i v e r e cogit Immunde magica rite nociva viris. Naufragium Scillam Circe facit esse, sed illud Naufragium Semper ex meretrice venit. Picum reddit avem Circe quem carmine luxu Exhominat: fastus quasi penna levât. 10) cf. Solalinde, op. cit. p. 105. In seinem Artikel: La fecha del ,Ovide moralisé', RFE VIII, 1921, p. 285—288, hat Solalinde nachgewiesen, daß die von dem Herausgeber Ch. de Boer angenommene Datierung des ca. 78 000 Verse umfassenden afz. W e r k e s nach 1305 unrichtig ist. Circe ist darin desgleichen als lasterhafte Buhlerin gedacht und wird mit dem apokalyptischen Weibe, der „großen Babylon, der Mutter der Hurerei", Ap. 17, 1—18, in Verbindung gebracht: Cyrcé puet noter la roïne, L'orde pute de male orine, Mere d'abhomination, Dont Sains J e h a n s fet mención Ou livre de l'Apocalipse. cf. Ov. mor. XIV, vv. 2567—2571 ¡ ed. Ch. de Boer in: Verhandelingen der Koninklijke Nederlandsche Akademie v a n Wetenschappen, Afdeeling Letterkunde; Nieuwe Reeks, deel XLIII, Amsterdam 1938, p. 75. 11) Madrid, Biblioteca Nacional, ms. 7563.

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De los avenimientos de Ulixes despues déla partida de Troya, segund que lo cuenta Ovidio. LXX.12) 3

Cuenta Ovidio de muchas cosas despues que los griegos e troyanos se fueron de Troya e fabla y de Ulixes e dise sobre rason de los avenimientos d'el. Que partiéndose de Troya, despues de la contienda 6 que oviera con Aiax, que quesieron endresgar el e los que conel yvan contra tierra de dentro. Mas acordose Ulixes commo Tonero e Dardano venían de un linaje e asmo commo por rason del parentesco 9 que los de Ñeros e los de Troya avian en uno, que sy por su tierra pasasen que non serian y bien resgebidos, mas que los nasgeria y contienda en que se podrian perder o tomar muy grand danno, segund 12 que ellos venieron lascerados e quebrantados, (f. 102r) E esto dixo Ulixes por sus conpannas. E ovieron su acuerdo entre todos que dexasen aquel caminno, e 15 acordaron que se fuesen por Creta que eran griegos commo ellos, e avian el caminno endresgado para su tierra. E los marinos guiaron para aquella tierra. E des que llegaron alli e arribaron e salieron 18 a terrunno e fiincaron alli y ya quanto tiempo. E aun quesieron aun fincar mas de lo que y escondieron. Mas asy commo cuenta Ovidio, commo non eran naturales de alli denudóles la tierra tanto que 21 lasceravan y de mala guisa, e non lo podieron sofrir. E tomaron y aguas frescas e lo que ovieron menester e bastecieron sus navios e fueronse por la mar adelante con acuerdo de arribar a tierra de 24 Ausonia. E sabed qu'el actor dise aqui Ausonia por Thebas. Mas yendose ya ellos, des que fueron en alta mar, levantáronse vientos e bolviose la mar e fiso grand tormenta. E eran en el tiempo 27 del invierno. E desbolvio los navios e esparsio los unos de los otros e echolos a los puertos de las yslas a que disen Estrophades, que eran puertos muy malos en que peligravan mucho los navios, mayormente 30 los que venian con tormenta. E alli los espantaron de mala guisa agüeros que ovieron de aves que ay vieron. E en aquella tenpestat pasaron a tierra de Lulchia e de Yicheo 33 e de Simo. E pasaron otrosy los palacios de Utricia. E eran estas tierras regno del artero Ulixes. E maguer que era su tierra non los dexo y quedar la tormenta. E pasaron por tierra de Anbrachie. 36

Sobre que, segund cuenta Ovidio, ovieron en un tiempo grand contienda los dioses de los gentiles. Ovieron una ymagen de tierra a manera de omne. E asy commo cuentan los actores, fuera aquella ymagen de 39 oro alcalde malo, que tornara dios en piedra, commo fue mudada la imagen de Loth en piedra salada, de que en avernos dicho ante desto en los ginco libros de Moysen, de commo lamían los ganados aquella 42 piedra fasta en tierra. E desy commo crescia ella de noche de guisa que en la manana tan man(n)a era commo quando mayor. E en esto andavan sienpre aquella piedra que fue de la muger de Loth con los ganados, 45 desfallesciendola de dia los ganados e ella cresgiendo de noche fasta que es entera commo de cabo en la manana. E aquella ymagen de piedra que deximos que vieran los griegos, que fuera despues tomada de alli 12) Das ms. stammt aus der zweiten Hälfte des 15. Jhs., geschrieben in sog. letra cortesana castellana, 2 cols., Format 290 X 215 mm. Die Kapitelüberschriften erscheinen rot, nicht jedoch die Initialen im Text.

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e lavada e puesta en el tenplo detiaco del sol. E al sol guardavan los gentiles alli cerca de aquel tenplo un rrobre que era de los mayores que enel mundo podian ser. E tenian en el reliquias de sus dioses. E desianle por nonbre el robre Dadon. E fiso Apollo que llamasen de alli adelante aquella tierra Dodona, del nonbre de aquel robre. E asy lo llamaron de alli adelante. E de alli pasaron los senos que desian Caonios, do los fijos del rey Moloso ovieran a morir sy non por que fuyeron dende. E pos desto llegaron a tierra de los Pheticos, que era muey (f. 102v) conplida de mudia buena fruta, asy commo dise Ovidio. E des dende venyeron a Piros, e dende a Bistrocos donde era sennor el obispo Eleno, fijo del rey Priamo, e regnava y. E a semejanqa de la grand Troya fesiera el alli otra puebla e dixole la semejada Troya.

Bereits in der Überschrift des vorliegenden altspanischen T e x t e s kündigt der Verfasser ausdrücklich an, er wolle nach V o r l a g e Ovids von den Schicksalen des Ulixes erzählen und erwähnt kurz den berühmten Streit, den der Held mit A i a s um die Waffen des gefallenen Achilleus ausgetragen hatte 1 3 ). Nach einem gewaltsamen Sprung über 307 dazwischenliegende V e r s e benutzt der Autor nun den Abschnitt Ov. Met. XIII, 705—708 für die in den Zeilen 7—24 angeführten genealogischen Bedenken des Ulixes und sein Ubereinkommen mit den Gefährten, aus Gründen der Sicherheit zunächst lieber nach K r e t a zu fahren, wo j a auch Griechen lebten, die bestimmt k e i n e Feindschaft gegen sie hegen würden, um dann möglichst unbehelligt Ausonien 1 4 ) zu erreichen. In den nun folgenden Zeilen 25—35 wird es ganz offenbar, daß der Schreiber einem peinlichen I r r t u m zum Opfer gefallen ist, denn es entging ihm, daß es sich bei der Schilderung eines durch das aufgepeitschte M e e r dahinfahrenden Schiffes, welches außerdem die Strophaden, den Sitz böses Schicksal verkündender Harpyien 1 5 ), zu passieren hat, sicher nicht um d a s j e n i g e des Ulixes handeln konnte, das vom rechten Kurs abgekommen war. Hier befinden sich vielmehr A e n e a s und Anchises an Bord, die im Begriff sind, durchaus zielstrebig für ihre trojanischen Götter Italien als neue Heimat zu gewinnen. Allerdings fährt dieses Schiff am Reiche des Ulixes vorüber, zu dem außer Ithaka selbst, worauf sich der mit Häusern besiedelte Berg Neritius befindet, auch noch die kleinen Inseln Dulichium und Same gehören, so daß die A n n a h m e nicht abwegig erscheint, die unterlaufene Verwechslung sei auf diese Verwirrung stiftenden geographischen Bezeichnungen zurückzuführen 1 6 ). 13) cf. Ov. Met. XII, 624—XIII, 398. Die Waffen wurden durch den Spruch eines Schiedsgerichtes dem Odysseus zuerkannt; cf. auch Soph. Ai. 445 s. oder Pind. Nem. 8, 26 s. 14) Die Behauptung, Ovid meine mit „Ausonia" die Stadt Theben, beruht auf einer falschen Lesart. In der Antike wurde diese Stadt auch „Aonia" genannt, cf. Ov. Met. XIII, 682, während man die Bezeichnung „Ausonia" poetisch für Italien gebrauchte. 15) cf. Verg. Aen. III, 210 s. Bereits bei Horn. Od. I, 241 werden zwar die Harpyien genannt, sind aber lediglich mißgünstige Sturmgötter. 16) Die als Vorlage dienende Ovidstelle, Met. XIII, 709—713, lautet: saevit hiems jactatque viros, Strophadumque receptos portubus infidis exterruit ales Aello. et iam Dulichios portus Ithacamque Samonque

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Die Stadt Ambrakia, die sandige Landzunge Aktion und die Orakelstätte Dodona in Epiros sind die nun folgenden Stationen, an denen das AeneasSchiff laut kurzer Beschreibung bei Ovid vorüberfährt 17 ). In der „General Estoria" wird aus diesen knappen Angaben eine die Tatsachen grotesk verzerrende Berichterstattung über den ambrakiotischen Lokalmythos 18 ). Der im altspanischen Text erwähnte Tempel des Sonnengottes zu Ambrakia ist in der ovidianischen Vorlage nicht belegt 19 ). Durchaus dem Charakter der alfonsinischen Weltgeschichte angemessen erscheint bezüglich der Verwandlung des Kragaleus der biblische Vergleich mit Lots Weib 20 ). Bezeichnend für das ganz in mittelalterlichem Geiste geschriebene Werk ist in dem besprochenen Abschnitt die Erwähnung von Reliquien, welche sich in der heiligen Eiche von Dodona 21 ) befunden haben sollen, sowie die dem Priamussohn Helenus ohne weiteres angetragene Bischofswürde, die ihn zum Herrscher über das troj agleiche Buthrotos erhebt22). Ohne seinen vorhergehenden Irrtum zu berichtigen, fährt der Schreiber mit der Schilderung der Irrfahrten des Ulixes fort, die den Helden sogar bis nach Neritiasque domus, regnum fallacis Ulixis, praeter erant vecti [.. .] Bemerkenswert im Text der „General Estoria" ist die außerordentlich grobe Verstümmelung der Eigennamen. 17) cf. Ov. Met. XIII, 713—716: [. . .] certatem lite deorum Ambraciam versique vident sub imagine saxum iudicis, Actiaco quae nunc ab Apolline nota est, vocalemque sua terram Dodonida quercu [. ..] 18) Um den Besitz dieser Stadt stritten sich einst Apollon, Artemis und Herakles, die den weisen und gerediten Rinderhirten Kragaleus zu einer richterlichen Entscheidung anriefen. Er erkannte sie Herakles zu, woraufhin Apollon in seinem Zorn den Kragaleus, dort wo er stand, in einen Felsen verwandelte. Die Ambrakioten opferten ihm, wenn die Heraklesfeste abgehalten wurden; cf. Antoninus Liberalis, Metamorphoseon Synagoge, IV| ed. Ignatius Cazzaniga, Milano 1962, p. 22—23. Dieser im 2. Jh. n. Chr. lebende Mythograph benutzte für sein Werk ausgiebig die 'ETEOOLOij|a,£va des Nikandros von Kolophon, dessen KragaleusGeschichte nur fragmentarisch überliefert ist. 19) Gemeint ist Zeile 48 des oben zitierten Textes, in der von einem „tenplo detiaco del sol" die Rede ist. Ein aktisches Apollonheiligtum ist z. B. bei Suet. Div. Avg. XVIII bezeugt, das von Octavianus nach seinem Sieg über Antonius in der Seeschlacht von Actium 31 v. Chr. erweitert wurde. 20) Gn. 19, 26. 21) Bereits bei Horn. Od. XIX, 296 s. wird die dem Zeus heilige Orakelstätte erwähnt, wo dem Rauschen der großen Eiche Weissagungen des Gottes abgelauscht wurden. 22) cf. Ov. Met. XIII, 717—724: Chaoniosque sinus, ubi nati rege Molosso inpia subiectis fugere incendia pennis. Proxima Phaeacum felicibus obsita pomis rura petunt, Epiros ab his regnataque vati Buthrotos Phrygio simulataque Troia tenetur. inde futurorum certi, quae cuncta fideli Priamides Helenus monitu praedixerat, intrant Sicaniam [ . . . ]

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Spanien und Portugal führen, wo er die Stadt Ulixbona gründet 23 ). Die einzige dem klassischen Kanon dieser Abenteuer zuzurechnende Station repräsentiert sich in der an Ovid orientierten Darstellung des Aufenthaltes bei der göttlichen Circe.

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E fue aquella deesa Sgirge duenna tan sabia en el saber de la magica e de la nigromagia, que son los saberes de cantar e conjurar sobre las cosas que a ello pertenesgen. Ca asy commo cuenta Ouidio e auemos ya didio en esta estoria alguna cosa 24 ), ella sabia tanto de conjurar e de encantar que trasmudaua los entendimientos de los omnes e las vistas de guisa que, asy commo cuenta la estoria, transfiguraua los omnes e a las otras cosas de guisa que a los unos fasia pareger en semejanga de leones, a los otros de lobos, a los otros de puercos commo es dicho de los cauallos de Ulixes, a los otros en otras figuras que les ella querie e le semejaua. Onde ovo de Ulixes este fijo que desymos 25 ).

Auffällig in diesem Text ist zunächst die Behauptung, daß Circe fähig gewesen sei, nicht allein die Leiber, sondern auch den V e r s t a n d der Betroffenen einer Verwandlung zu unterwerfen. Im Text der „Metamorphosen" selbst wird diese Möglichkeit nicht in Erwägung gezogen, Homer z. B. lehnt sie ausdrücklich ab 26 ). Dem Schreiber kam es darauf an, nur deshalb das Verhältnis des Helden zu Circe kurz zu erwähnen, um die Gestalt des Telegonus in seine insgesamt 14 fols. umfassende Geschichte einführen zu können, die in der Ermordung des Ulixes durch die Hand des eigenen Sohnes gipfeln wird. Erfüllt von dem Drang, seinen Lesern möglichst schnell diese außerordentliche Begebenheit darzubieten, ließ er die Rückverwandlung der Gefährten, eines der wichtigsten Elemente dieses Mythos, u n b e k ü m m e r t außer acht.

B. Petrus

Berchoiius

Der gegen 1290 zu Saint-Pierre-du-Chemin geborene Autor ging als Benediktiner im Alter von ungefähr dreißig J a h r e n an den päpstlichen Hof nach Avignon, wo er unter dem Patronat von Kardinal Pierre des Prés mit der gewaltigen Arbeit einer enzyklopädischen Erfassung sämtlicher theologischer, philosophischer und naturwissenschaftlicher Doktrinen begann, die unter dem Titel „Reductorium morale" zusammengestellt worden sind 27 ). Hinzu gesellte sich ein „Repertorium", in dem der u n g e h e u r e Stoff noch einmal lexikalisch aufgenommen wurde, um eine möglichst leichte Hand23) f o l . 105V.

24) „De la manera que la sabia Circe obraua."; cf. Gral. Est. II, 125; ed. Solalinde, Kasten, Oelschläger, Madrid 1961, p. 339. 25) cf. Gral. Est. III, fol. 110v. Die Kapitelnuraerierung dieses ms. hört bei LXXII auf. Es handelt sich hier um Kap. LXXXIV, welches die Überschrift trägt: „De commo pregunto Telegon a Scirce su madre quien era su padre." 26) cf. ante p. 16. 27) cf. Fausto Ghisalberti, L' .Ovidius Moralizatus' di Pierre Bersuire, in: Studj Romanzi XXIII, 1933, p. 15—16.

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habung dieser „Summa", insbesondere zur Verwendung des darin angehäuften Wissensschatzes bei Predigten, zu gewährleisten 28 ). Für das in sechzehn Bücher gegliederte „Reductorium morale" diente bis Buch XIII die berühmte Enzyklopädie „De proprietatibus rerum" des Bartholomaeus Anglicus als Vorlage 29 ). Berchorius schloß in Buch XIV eine Darstellung über die Wunder der V/elt an, der in Buch XV eine moraltheologische Interpretation der „Metamorphosen" des Ovid folgte, und beendete sein Werk mit „Moralisationes Bibliae", den in Buch XVI enthaltenen Deutungen schwieriger biblischer Texte 30 ). Berchorius selbst schrieb von dem Ovidkommentar zwei Fassungen, denn es erschien ihm erforderlich, der späteren, 1342 zu Paris fertiggestellten Handschrift einige besonders geglückte Abschnitte aus dem altfranzösischen „Ovide moralisé" einzuverleiben, dessen Text ihm durch seinen Freund Philippe de Vitry zugänglich gemacht wurde 31 ). Die Ovidinterpretation des Berchorius stellt ein weiteres Glied in der Kette exegetischer Tradition antiker Mythen im Mittelalter dar, denn auch dieser Autor erblickte in den Transformationsfabeln eine unbestreitbare Préfiguration der Heiligen Schrift, so daß er sie, allegorisch abstrahiert, ohne Bedenken in das für Predigtzwecke bestimmte Hauptwerk aufnehmen konnte 32 ). Diese Auffassung teilte der spätere Klerus jedoch nicht einhellig, was dazu führte, daß Buch XV in jüngeren Ausgaben des „Reductorium morale" von dem Gesamtwerk abgetrennt worden ist33). In Vergessenheit hingegen geriet dieser Ovidkommentar deswegen nicht, denn es existieren von ihm zahlreiche Sonderhandschriften, in denen irrtümlich aber die Namen Nicolas Triveth, Robert Holkot oder Thomas Walleys als Verfasser angegeben sind34). In neuerer Zeit schließlich wurde der Nachweis erbracht, daß der früher sehr bekannte Kommentar aus der Feder des Petrus Berchorius stammen muß35). Die Abhandlung des Berchorius über das 14. Buch der „Metamorphosen" schließt nicht speziell eine Stellungnahme zu den Verwandlungen ein, die Circe an den Gefährten des Ulixes vollzogen hatte. Der Autor begnügt sich 28) cf. Gruppe, op. cit., p. 18. 29) Der gelehrte Franziskaner war ab 1225 Professor an der Sorbonne, cf. ENCYCLOPAEDIA BRITANNICA, T. III, p. 151. 30) cf. Ghisalberti, op. cit. p. 26. 31) Berchorius schreibt im Prolog zur zweiten Ausgabe über die Neufassung von Buch XV: „ [ . . . ] opus illud non videram quousque tractatum istum penitus perfecissem. Quia tarnen postquam ab Avinone redissem Parisios, contigit quod magister Philippus de Vitriaco vir utique excellentis ingenii [ . . . ] dictum volumen gallicum michi traditit in quo proculdubio multas bonas expositiones tam allegoricas quam morales inveni, ideo ipsas, si antea non posueram, assignare cervavi." Abgedruckt bei Ghisalberti, op. cit. p. 89. 32) cf. Ghisalberti, op. cit. p. 20: „Bersuire era adunque uno di quegli spiriti, predisposti ad accogliere e a rielaborare cristianamente in sè il pensiero antico, dei quali la storia letteraria della Chiesa avrebbe ben presto registrati altri e più insigni esempi." 33) cf. Gruppe, op. cit. ibid. 34) cf. Ghisalberti, op. cit. p. 46—47. 35) cf. Benoît Hauréau, Mémoire sur un commentaire des Métamorphoses d'Ovide, in: Mémoires de l'Institut National de France. Académie des Inscriptions et Belles Lettres, XXX, Paris 1883, p. 45—55.

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vielmehr mit der Deutung der Transformationen, zu welchen die erboste Zauberin die vielbegehrte Jungfrau Scylla 36 ) und Picus, den König von Laurentum37) verdammte. Der Anlaß zu einer solchen Omission mag sich daraus erklären, daß Circe in diesen beiden Fällen rachsüchtig aus verschmähter Liebe gehandelt hat38), während für ihren Entschluß, die Leute der Bootsmannschaft in die Gestalt von Schweinen zu zwingen, dem ovidianischen Text außer einer routineartigen Lust am Bösen keine besonderen Beweggründe zu entnehmen sind. Als Nachweis für die motivgeschichtliche Kontinuität von Circes verderbenbringender Tätigkeit sei nachstehend die Interpretation des Berchorius zur Picus-Metamorphose nach einer aus dem Jahre 1430 stammenden, im Besitz der Kathedralbibliothek zu Tortosa befindlichen, bisher noch n i c h t veröffentlichten Handschrift zitiert, welche fälschlich als Autor den Namen „Thoma de Anglia" verzeichnet 39 ). 39 42 45

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fol. 55r, col. b40) [ . . . ] Die ergo quod circes dea venefica significat diabolum vel peccatum luxurie quia si quando videt picum, id est aliquem religio sum vel virum justum virtutibus ornatum et et honesta conversatione de eorum venacioni quod id est exercicio bonorum operum deditum et attentum solet per temptaciones ad sui copulam invitare et ad consensum alieuius vicii incurvare qui si for te talis temptaciones contempnat et hoc ideo fol. 55 v , col. a quia filiam bene canentem, id est beatam virginem vel sa cram religionem diligat. solet circes, id est dia bolus vel luxuria formam, id est aliquam mulierem sibi opponere et per eius umbram et pulchritudinem verbi occultos mentes per malam conplacenciam imprimere qui pro certo aper dicitur quia in iaculum, id est in peccatum luxurie vel lutei solet volitari vel volare in quantum per ma lum amorem vexatur et in picum cum lingua Ion ga, id est, in hominem vagum et verbosum mutatur, qui scilicet formicas, id est fatuas mulieres lingua et verbis attrahit et plumas deliciarum appetit et expos

36) cf. Ov. Met. XIV, 8—74 und ante p. 24—25. 37) cf. Ov. Met. XIV, 320—415 und ante p. 24—25. 38) cf. ante p. 24—25. 39) Cod. 50 enthält „Tres Tratados de Asunto Clàsico." Zwischen „De figuris deorum romanorum" und einem „Opusculum super s e x comoedias Terentii" sind die „Moralitates libri Ouidii methamorphoseos a fratre thoma de anglia ordinis predicatorum" eingeschoben. Auf fol. 8v heißt es: „Incipit: über poeticus ouidii methamorphoseos". Uber das Datum der Abfassung und den Schreiber gibt fol. 66r Auskunft: „Scripta Herde IV die augusti anno autem domini M ° C C C C ° X X X ° et perfecta. Gondisaluus vocatur (qui) scripsit benedicaturque Eius cognomen est Riquexor" ; cf. Bayerri Bertomeu, op. cit. p. 206. Für eine zweite in Tortosa befindliche Handschrift dieses Kommentares, die aus dem 14. Jh. stammt (Nr. 224) und den Titel trägt: „Moralitates Ouidii Metamorphoseon", wird P. Bersuire selbst noch als Autor angegeben; cf. Bayerri Bertomeu, op. cit. p. 378. 40) Cod. 50 besteht aus 74 fols., 2 cols., Format 290 X 220 mm. Die Titel der einzelnen Kapitel sowie die Initialen sind rot geschrieben.

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cit et fit avis, id est levis et insolens efficitur et humana forma id est ratione et distinccione privatur. Igitur ti menda sunt veneficia circis luxurie vel dyaboli qui scilicet potest humanam formam tollere et conversacionem et iustum in peccatorem mutare. Vel picus est adulator vel ystrio cui circes, id est dyabolus for mam humanam, id est rationem et iusticiam adunit et linguam, id est multiloquium sibi concedit cum qua for micas, id est fatuos auditores ad sui amo rem trahit, quos consumit et depauperat et plu mam paupertatis pronosticat et ostendit. Cum circes mutasset regem picum in avem sui nominis, milites et domicelli non invenientes voluerunt in circem irruere et ipsam propter sui mutacionem occidere, propter quod tremebunda cepit ad herbas et carmina sua recurrere et deorum potestatem invocare. Factum est ergo quod sta tim in loco illo una magna silva apparuit et terra terruere cepit, arbores tunc pallue runt herbe sanguinem fluxerunt, lapides raucus migitus dederunt, serpentes de terra statuierunt et tenues animae volaverunt, quibus monstris attenti juvenes ceperunt paravere. Ipsa vero circes cepit ora singulorum cum virga sua tangere et statim [ . . . ] muta ta spem nullius quam manere ymaginem fecit sic quod eos in formas diversorum generum mutavit. Dicamus igitur allegorice exponendo in bono quod circes filia solis significat huma nam naturam in Christo quae scilicet est solis filii dei fi lia ab ipso scilicet genita et assumpta. Psalmus: Au di filia . . . et cetera usque: decorem tuum 41 ). Per istos autem qui ipsam occidere volunt vel temptaverunt intelligo Judeos qui unquam manus in Christi huma fol. 55v, col. b nitatem iniecerunt, ita quod ipsam ad deum patrem recurrere coegerunt, quando dixit: pater si possibile est et cetera 42 ). Quid igitur propositionem huius circis quod in ilia persecucione et morte terra tremuit et gemere cepit arbor, scilicet crucis, pavere terra subiacens cepit sanguis Christi cruentata apparere, lapides scisi sunt et sic dederunt mugitus et animae sanctorum de sepulchris inferni ceperunt surgere, serpentes vero id est demones confracti posse ceperunt inter homines dis cernere praedicti Judei in feras pessimas sunt mu tati et formam humanam, scilicet prudentiam et prosperi tatem quam tunc habuerunt, perdiderunt et va gabundi et miseri per saecula remanserunt, ut de populo judaico dicitur . . . Danielis: Cor eius ab humano mutetur et cor fere detur ei43).

41) Aus dem Loblied auf den Gesalbten Gottes und dessen Braut, cf. Ps. 45, 11—12. 42) cf. Mt. 26, 39. 43) cf. Dn. 4, 13.

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Berchorius stellt seinen mit imperativischen Verbformen 44 ) eingeleiteten Allegorien jeweils eine periphrastische Umschreibung der zu besprechenden Ovidstelle voran, in der nur diejenigen Specimina angeführt werden, an welche sich nach Meinung des Autors eine einwandfrei theologische Erläuterung knüpfen läßt. Für solche Bemühungen wird in diesem Kommentar auf Kosten der Schönheit von Ovids Dichtung eine überschwengliche Vielfalt biblischer Assoziationen beinahe gewaltsam in Anschlag gebracht 45 ), wie man bereits dem oben zitierten Abschnitt einprägsam entnehmen kann. Von Zeile 22 bis 28 erfolgt eine Wiedergabe der Verse Ov. Met. XIV, 397—415, an welche sich die christlich-allegorische Erklärung anschließt, die eklatant das unkontrollierte Drängen des Autors nach dem Aufspüren eines jeden möglichen Ansatzpunktes für die christliche Exegese verrät. Die Naturerscheinungen, mit denen Circe unter Beihilfe der Hekate die Begleiter des Picus in Schrecken versetzte, gestatten Berchorius nicht nur eine Bezugnahme auf die Wunderzeichen beim Tode Jesu 46 ), es muß vielmehr die Zauberin selbst, mit Waffengewalt bedrängt von den Jägersleuten, die ihren in einen Specht verwandelten König zurückforderten, allegorisch die Gestalt C h r i s t i vertreten, den man in Gethsemane „mit Schwertern und mit Stangen" zu fangen kam47), obwohl kurz zuvor bei der Interpretation der Picus-Metamorphose dieselbe Circe wegen ihrer üblen Machenschaften gleich viermal als T e u f e l apostrophiert worden ist48). Ein anonymer Übersetzer hat von dem Moralkommentar des Berchorius eine altspanische Version angefertigt, die unter dem Titel „Morales de Ouidio" in der Abschrift eines gewissen Alfonso de Zamora zum Bestand der Bibliothek des Marqués de Santillana gehörte 49 ). Man nahm zunächst an, daß es sich um eine wortgetreue Übertragung des Originals handelt 50 ), jedoch die Untersuchung allein der in Rede stehenden Interpretation zur Picus-Metamorphose läßt eine nicht unwesentliche Erweiterung der lateinischen Vorlage erkennen. Nachdem die Erklärung der Transformation des laurentischen Königs in einen Vogel mit langem, spitzem Schnabel abgeschlossen ist, fährt Berchorius mit dem Bericht über die nachfolgende Verwandlung auch der Begleiter des Picus fort51). Der spanische Übersetzer indessen fügt der Ornithogenese an dieser Stelle noch eine eigenständige Deutung hinzu, welche hiermit zum e r s t e n Male in der Transkription erscheint. 44) cf. ante p. 64, Zeile 39 und p. 65, Zeile 39. 45) cf. Ghisalberti, op. cit. p. 42: „ [ . . . ] il proposito di ottenere a forza di sottigliezze, che a noi paiono astruse, una rivelazione novella per bocca del fecondo poeta di Sulmona, era conseguito, ma frattanlo ogni bellezza poetica andava guastata, si non distrutta del tutto." 46) cf. Mt. 27, 51—53. 47) cf. Mt. 26, 55. 48) cf. ante p. 64 und 65, Zeilen 40; 2—3 : 14; 17. 49) cf. Schiff, op. cit. p. 84. 50) Schiff, op. cit. p. 87, druckt einen Teil des lat. Prologes ab und stellt diesem die entsprechende altspanische Fassung gegenüber, w o z u er bemerkt: „Ce fragment suffira à donner un aperçu de la littéralité de cette version." 51) cf. ante p. 65, Zeile 22 s.

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fol.52) estas cosas según otros se puede esponer délos satos apostolos / mayor mete de sant iohñ / sät pab lo / délos semeiätes los qles como eran mäcebos ala 12 caga dela= cosas terrenal! era aparejados / girges fija del sol qs la diuinidad de ihü xpo enaues q es en uaroñs espülos los mudo / pico luengo / len 15 gua luenga les dio en qto de fablar / predicar / alos nö piadosos ferir/ alos duros corregir / a los endurecidos potengia de penetí / osadia les dio. 9

Dieser Betrachtung liegt einerseits der Missionsauftrag Christi zugrunde 53 ), andererseits und ursächlich damit verknüpft der Bericht über die Bekehrung des Saulus vor den Toren von Damaskus 54 ). Die von Berchorius kühn ersonnene Gleichsetzung der Circe mit Jesus Christus wird antizipiert und von dem spanischen Ubersetzer sogar zum besseren Verständnis der Picus-Metamorphose in Anwendung gebracht: Den theologisch ausgerichteten Interpretationsmöglichkeiten ovidianischer Fabeln im Mittelalter scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. In altspanischer Übertragung lautet die Deutung zur Verwandlung der PicusBegleiter und dem vorangegangenen Zauberspuk wie folgt 55 ). 7

[ . . . ] Digamos alegoricamé te esponiédo eñl bué sigficado q girges la fija del sol sigfi ca la humana natura de ihü xpo la ql deste sol de ius 10 ticia fijo de dios fue fija / del engendrada / tomada sal mo oye fija / inclina tu oreia / descara el rey tu iermosu ra / por estos q matar la tétaro étiédo alos iudios los 13 qls iniqs manos éla humanidat de ihü x° pusierö asi q alos dioses q esa dios padre tornarla fizieró qñdo di xo padre si es cosa possible pase demi este calez / püs q 16 estonges acaesgio q por la potégia de girges q es ihü x° q e aqllq psecugiö / muerte la tierra comeco gemir / at e mir / el árbol déla cruz cometo a amarellecer se / la yer 19 ua q de vso estaua comégo por la sangre de ihü x° coíié teaparescer säguinea / las piedras gruñere» / asi pares gio q gruñidos / sonidos roncos dierö / las almas aun 22 délos satos alaletra délos sepulcs comécaro ase leuä tar / aun déla catiuidat del infierno subir / bolar las serpiétes / los demoños por esta qbíntada potégia co 25 méggro cerca déla tierra q es entre los öms discurrir / uagar / los tydoís judios por estos mostruos atóme (:idos ni por esto é meior se cöuertierö / mas estöces por 28 la hostinagiö déla uolütad é malas bestias fieras se mudarö y déla forma humana q es la prudencia y el estado / psperidat q estöces teniä pdierö los qls asi como destas bestias ñeras uagabüdos / mezqnos es 52) ms. 10.144 der Bibl. Nac. Madrid, 227 fols., ohne Numerierung, Format 288X213. Genaue Beschreibung bei Schiff, op. cit. p. 84. 53) cf. Mt. 28, 19—20. 54) cf. A. 9, 1—20. 55) Entsprechend p. 65, Zeilen 39—45, 1—11, 12—15.

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3 tonges por los siglos uagarö / bestias fieras / ciuels qdarö onde del pueblo delos judios se puede dezir aql lo dan. ca° qtro el su coragö de ome le mudo / coragö de bes 6 tia fiera le den. In dem zitierten Abschnitt weicht der Übersetzer elfmal von seiner Vorlage durch erweiternde Ergänzungen ab56), wovon drei nur der genaueren Situationsbestimmung dienen"), vier weitere den christlichen Charakter der Abhandlung unterstreichen 58 ) und die vier letzten wegen ihrer drastischen Formulierungen eine unverkennbar antisemitische Haltung dieses Bearbeiters durchblicken lassen 59 ).

C. Spanische

Übersetzungen

a. Begünstigt durch die Erfindung der Buchdruckerkunst um das Jahr 1450, die eine bis dahin unbekannte Divulgation von Texten klassischer Autoren mit sich brachte, breitete sich seit der Regierungszeit der Katholischen Könige der Humanismus mit Vehemenz über die Pyrenäenhalbinsel aus. Isabella von Kastilien selbst zeigte sich den Studien antiker Schriftsteller gegenüber sehr geneigt, so daß es kaum verwundern kann, daß die erste in Spanien geschriebene Übersetzung der „Metamorphosen" ihrer Tochter Juana, die später mit dem Beinamen „la Loca" in die Geschichte einging, gewidmet worden ist60). Das Werk, an welches sich ein allegorisch-moralisierender Kommentar anschließt61), stammt aus der Feder des Katalanen Francesc Alegre und wurde im Jahre 1494 zu Barcelona gedruckt: Taula dels quinze libres d' transformacions del poeta 56) Die betreffenden Stellen sind kursiv gedruckt. 57) cf. ante p. 67, Zeile 18, 23 und 25. 58) Vollständigere Bibelzitate Zeile 11 und 15, wiederholte Betonung der allegorischen Gleichsetzung Circes mit Christus in Zeile 16 und eine Bezugnahme auf das MatthäusEvangelium in Zeile 22. 59) cf. Zeilen 26—28, p. 68, Zeilen 3—4. Eine große Judenverfolgung wurde mit der Erstürmung der Judería zu Sevilla im Jahre 1391 ausgelöst. Die Königin Catalina erließ 1412 die „Pragmatica von Valladolid", die genaue Verhaltensmaßregeln für Juden enthielt, welcher die Bulle mit den „Prescripciones antisemíticas" von Benedikt XIII, datiert auf den 11. Mai 1415, folgte. Unter den Katholischen Königen wurde eine rigorose Judenvertreibung im J a h r e 1492 angeordnet; cf. „Diccionario de Historia de España", Madrid 1952, T. II, p. 144—145. 60) Die Biblioteca Central zu Barcelona besitzt unter der Signatur 11—VII—16 ein Exemplar dieses Buches, das zu den seltensten katalanischen Werken zählt. Die Dedicatoria lautet: Ala illustrissima senyora la senyora dona Joana d'Arago filia del molt alt e potentissim senyor don ferrando segon: nostre Rey e senyor ab humil affecio francesch alegre besa les dignes mäs. 61) Dem Allegorienteil vorangestellt sind die Worte: Proledi de francesch alegre en les allegories: e moráis exposicions dels libres d'transformacions del poeta ouidi deflnint poesía faula: e allegoria. cf. die genaue Beschreibung des Druckes bei Marcelino Menéndez y Pelayo, Bibliografía Hispano-Latina Clásica, T. VII; ed. Enrique Sánchez Reyes, Santander 1951, p. 257.

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ouidi p a r t i d a p e r libres: e c a p i t o l s com se segueix 6 2 ).

Die Überwältigung der tückischen Circe, ein Vorgang, der als entscheidendes Ereignis innerhalb des ganzen Mythos anzusehen ist, wird in dieser Prosaversion mit folgenden Worten wiedergegeben:

3

6

9

12

15

m e r c u r i a u i a d a t la b l a n c a flor d' les r a e l s n e g r e s p e r los d e u s a n o m e n a d a / molli / p la q u a l f e t s e g u r / y armat de celestials documents / e n t r a v l i x e s enla casa d e circes, y couidat refusa léganos abeuratge y com circes sesforgas de t o c a r Ii los c a b e l l s ab la v e r g a , ab la e s p a d a t r e t a la e s p a n t a v l i x e s c o n s t r e n y e t la e n d e x a r d a u e r m e s c u r a d'll a p r e s d a d a la u n la m a al a l t r e s e n s e n y a l d e f e p r o m e s a f o n v l i x e s re b u t com a m e r i t en los t a l e m s d e circes d ' m a n ä t los cossos n o s t r e s e n dot del m a t r i m o n i [.. .]63)

Es handelt sich bei dem vorliegenden katalanischen Text um eine ausgezeichnete Übersetzung der Verse Ov. Met. XIV, 291—298, bei der Francesc Alegre nur an einer Stelle eine erklärende Erweiterung des Originals wagte 64 ) und überdies die plausibel erscheinende Wahl eines geeigneteren Substantives traf 85 ). Die Allegorien zu den einzelnen Fabeln werden sehr geschickt in Form eines Dialoges zwischen zwanzig Doktoren aus der Antike vorgetragen, die sich unter dem Vorsitz von Giovanni Boccaccio versammelten und ihm dieses Amt mit vollem Recht überließen, hatte er sich doch durch sein Werk „Genealogía Deorum" als bedeutender Mythologe ausgezeichnet 66 ). 62) Am Ende des Werkes steht: Acaban los quinze libres d'transformacions del poeta ouidi: e los quinze libres de allegories e moráis exposicions sobre ells estäpats en barcelona per pere miquel. Benauenturadament en espanya e en los regnes d'arago regnät los inuictissims e preclarissims don ferrando e dona ysabel. any MCCCCLXXXXIIII. a XXIIII d'abril. cf. auch Rudolph Schevill, Ovid and the Renascence in Spain, in: University of California Publications in Modern Philology, Vol. 4, Berkeley 1913, p. 245. 63) Francesc Alegre, Transformacions del Poeta Ovidi, XIV, 5; Barcelona 1494, Cartas CXX. 64) Hinter die Ubersetzung der lat. Worte „stricto pavidam deterruit ense" (v. 296) fügt Alegre in Zeile 9—10 gleichsam ironisch hinzu, Ulixes habe Circe gezwungen davon abzulassen, noch weitere Sorge um ihn zu tragen. 65) Die Ratschläge, die Hermes dem Odysseus für sein Verhalten Kirke gegenüber erteilt, werden bei Horn. Od. X, 281—301 ausführlich mitgeteilt. Ovid beschränkt diese Unterweisung in seinem Gedicht auf nur zwei Worte: „monitisque caelestibus" (v. 293), die Alegre in Zeile 4 mit „celestials documents" übersetzt, womit einerseits die Ermahnungen gemeint sein können, zum anderen aber auch der Besitz des göttlichen Unterpfandes Moly. 66) cf. Menéndez y Pelayo, op. cit. ibid. Boccaccio schrieb dieses mythologische Handbuch im Auftrage des Königs von Zypern, Hugo IV von Lusignan; cf. Jan de Vries, Forschungsgeschichte der Mythologie, Freiburg und München 1961, p. 65.

69

Die mit der Überschrift Allegoria de circes y dels cöpanyeros de vlixes transfor mats en porchs 67 )

beginnende Erklärung zur Verwandlung und Rückverwandlung der Gefährten des Ulixes enthält zu drei Viertel ihrer Länge eine gute Ubersetzung der von Aurelius Augustinus dargelegten Ansichten zum Problem einer Metamorphose 68 ). Die Zusammenfassung dieser Interpretation, in welcher Augustinus durch ein Vergil-Zitat auch Bezug auf die Zaubereien der Circe genommen hatte 69 ), ändert Alegre seinem Anliegen entsprechend geringfügig ab und setzt für „Vergil" den Namen „Ovid" ein.

3

[. . .] E axi en aquesta mane ra pogueren esser los companyös de vlixes per lart d'circes ministre del diable: träsformats en porchs si fon ver lo ha dit ouidi 70 ).

übergangslos werden direkt im Anschluß daran Boccaccios Bedenken hinsichtlich der Abstammung Circes aus der „Genealogia Deorum" zitiert, was in Anbetracht der langen, vorausgegangenen Erörterung des Kirchenvaters zunächst recht unpassend erscheinen mag. 6

9

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15

[ . . . ] BO CACJ. Per be q molts vole cir ces esser estada germana d'hoetes non crech p q aquell molt ans dela guerra troyana mes aquesta magica senyora d'l mont qui della 71 ) pres lo nom qui detench vn any sots forma stranya los cöpanyös de vliges fon altre: e per esser ab a quella conforme enlos acres y nö deles dues fä vna 72 ) 73 ).

Um seinen Allegorien den Charakter einer lebhaften Wechselrede zu verleihen, verarbeitete Alegre nur diejenigen geeigneten Textstellen älterer 67} cf. Alegre, op. cit. Cartas C X X X V . 68) cf. civ. D. XVIII, 18 und ante p. 41—43. Der abstrakte Ausdruck „phantasticum hominis" wird im Katalanischen nur mit dem W o r t „fantasia" wiedergegeben, und die Dämonen, die sich laut Augustinus seiner bemächtigen können, sind hier „los diables". 69) cf. Zitat ante p. 42. 70) cf. Alegre, op. cit. ibid. 71) cf. die Betrachtungen zur Lokalisierungsfrage ante p. 13—14. 72) cf. Alegre, op. cit. ibid. 73) Als Vorlage diente Gen. Deor. IV, 14: „Ego autem C y r c e m hanc Oeta fuisse sororem non credo, cum diu ante Troianum bellum Coldiida fuerit Cyrces; hec autem contemporanea, sed convenientia nominum et forsan artium ex duabus unam fecisse potuerunt." (Zitat aus Giovanni Boccaccio, Genealogia Deorum Gentilium Libri; ed. Vincenzo Romano, Bari 1951, T. I, p. 173). Es wird hier Bezug genommen auf die erst durch Apollonius in das ArgonautenEpos eingeführte Gestalt der Kirke.

70

Autoren, die entweder, wie z. B. der oben zitierte Boccaccio-Abschnitt, in der ersten Person Singularis geschrieben worden sind oder aber den Pluralis Majestatis beanspruchen, die Form, welche Augustinus in „De civitate Dei" bevorzugte 74 ), wodurch der oben in Zeile 5 vollzogene abrupte Stilbruch verständlicher wird. Nicht aufzufinden in der Vorlage ist die in den Zeilen 11—12 vertretene Auffassung, die Ulixes-Gefährten hätten in „befremdlicher Gestalt" ein Jahr lang auf der Insel der Circe verbracht 75 ). Francesc Alegre spielt schon hier auf seine eigene, im folgenden zu zitierende Interpretation dieses Mythos an, die er aber folgerichtig, um seiner Konzeption gerecht zu werden, in den Mund des Boccaccio legte. 15

18

21

24

27

30

[. . . ] A q u e s t a fö v n a honrada dona m e s desonesta e per go h o p o g ü e e s s e r v e r i t a t q ab forga d e s e s arts e n l a m a n e r a q u e h a s hoit del gran bisbo d e y pona76): träs formas los c o m p ä y o n s de v l i x e s o per ago assenyala ouidi com son per les dones lo h o m e n s trets de la v i r i l n a t u r a : y t r a n s f o r m a t s e n p o r c h s e s tat s u b m e r g i t s e n l o fach d e l p e c c a t f i n s q u e v l i x e s EputrcánEvo? napa fUigoC Kíjjjq) EJTT|iÍa cbg T E X T Á | X E V A I NEVEAÍVCOV. b. Für die Erwägungen der Circe, „juzgädo ser algü valeroso señor" (Zeilen 11—12), diente Horn. Od. X, 329—330 als Vorbild. aoL 8É

TIS

E'v axfiÖEaoiv áxri>.r|Tog vóo;

fj AV y' 'OÖVOOEVI; eaai XOMTGOXOG

ÉOTÍV.

[...]

c. Die beiden affirmativen Verben „assegurar" und „prometer" (Zeilen 13 und 14) gestatten einen Rückschluß auf den von Odysseus geforderten Eid, mit dem Kirke versichern sollte, kein weiteres Unheil mehr zu ersinnen 03 ). Für die Abfassung der Zeilen 13 bis 17 benutzte Bustamante vielleicht folgende Homerverse: ye, irrj^A

„ E ! (XT| HEHÓ8VTa. Zum anderen haben ohne Zweifel christliche Assoziationen an das diabolische Wesen der Schlange zur Ausformung dieses Bildes beigetragen, denn in diesem vor der unablässigen Versuchung warnenden Gedicht wird man z. B. an die apokalyptische Gleichsetzung Satans mit der Schlange gemahnt: xal f:ßXr|dr| ó Spáxcov ó H¿yag, ó o.os xai ó Saxavag, ó jtXavwv TT)V obtovuévryv ÖÄ.T|V (Ap. 12, 9). 17) Die ingeniöse Vorstellung eines auf dieser Sirenenaue heimtückisch gespannten Fangseils geht zurück auf Pr. 7, 23: „velut si avis festinet ad laqueum, et nescit quod de periculo animae illius agitur", denn auf diese Weise könne ein Mann durch eine Hetäre dem Verderben zugeführt werden, bzw. auf Sir. 9, 3: „Ne respicias mulierem multivolam; ne forte

111

20

Pasó tu primavera; y a la madura edad te pide el fruto de gloria verdadera. ¡Ay! pon del cieno bruto los pasos en lugar firme y enjuto,

IV

25

antes que la engañosa Circe, del corazón apoderada, con copa ponzoñosa el alma transformada, te ajunte, n u e v a fiera, a su manada.

30

N o es dado al que allí asienta, si y a el cielo dichoso no le mira, huir la torpe afrenta; o arde, oso, en ira, o, hecho jabalí, gime y suspira.

VII

35

N o fíes en viveza: atiende al sabio rey Solimitano 1 8 ); no v a l e fortaleza 19 ): que al vencedor Gazano condujo a triste fin femenil mano 20 ).

VIII

40

Imita al alto griego que, sabio, no aplicó la noble entena al enemigo ruego de la falsa Serena; por do por siglos mil su fama suena.

45

Decía, conmoviendo el aire en dulce son 21 ): „La v e l a inclina 22 ), que del viento h u y e n d o por los mares camina, Ulises, de los griegos luz divina 23 ):

V

VI

IX

incidas in Iaqueos illius." Noch herber formuliert Eccl. 7, 27 diesen Sachverhalt: „et inveni amariorem morte mulierem, quae laqueus venatorum est, et sagena cor eius, vincula sunt manus illius." 18) König Salomo selbst war trotz der ihm von Gott verliehenen Weisheit (3 Rg. 3, 12) nicht Herr seiner sinnlichen Begierden, denn es traf ihn Gottes Zorn, als er sogar den heimischen Götzen seiner zahlreichen Buhlinnen huldigte: „Sed colebat Salomon Astarthen deam Sidoniorum et Moloch idolum Ammonitarum. [. . .] Igitur iratus est Dominus Salomoni, quod adversa esset mens eius a Domino Deo." (3 Rg. 11, 5, 9). 19) cf. Pr. 7, 26: „Multos enim vulneratos deiecit, et fortissimi quique interfecti sunt ab ea." 20) Gemeint ist Samson, der in den Armen der Dalila seiner übermenschlichen Kräfte verlustig ging; cf. Idc. 16. 21) Fray Luis dichtete den Sirenengesang unter Verwendung teils wörtlicher, teils sinngemäß übernommener homerischer Textteile, deren Reihenfolge er nach Gutdünken modifizierte. Zu dem hier erwähnten einschmeichelnden Klang cf. Horn. Od. XII, 183: XlYUQT|v aoiör|V. 22) Dieser Imperativ findet sich als Aoristform in der griechischen Vorlage; cf. Horn. Od. XII, 185: vfja y.aTdatr|aov. 23) cf. Horn. Od. XII, 184 die Anrede, mit der sich die Sirenen an den Helden wenden: 'Oöuoeü, neya xüöog 'Axcuwv.

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50

„Inclina, y da reposo al inmortal cuidado; y entretanto, c o n o c e r á s curioso mil historias que canto: que todo n a v e g a n t e h a c e otro tanto.

X

XI

55

„Todos de su camino tuercen a nuestra voz 2 4 ), y satisfecho 2 5 ) con el cantar divino 2 6 ) el deseoso pecho, a sus tierras se van con más provecho 2 7 ).

XII

60

„Que todo lo sabemos, cuanto contiene el suelo 2 8 ), y la reñida guerra te contaremos de T r o y a y su caída, por Grecia y por los dioses destruida" 2 9 ).

65

Ansí falsa cantaba, XIII ardiendo en crüeldad; mas él, prudente 3 0 ), el camino atajaba a la voz en su gente con la aplicada c e r a sabiamente 3 0 ).

70

Si se te presentare, XIV los ojos sabio 3 0 ) cierra; firme a t a p a la oreja, si llamare; si prendiere la capa, huye 3 1 ): que sólo aquel que h u y e escapa 3 2 ) 3 3 ).

24) Bezeichnend ist der hier vorgenommene Personenwechsel. Fray Luis gab zuvor an drei Stellen (VIII, 39; IX, 41; X, 49) zu verstehen, daß nur e i n e Sirene den Lorkgesang anstimmte, benutzt aber jetzt und in Strophe XII, 56 Pluralformen, womit seine Abhängigkeit von Homer, bei dem mindestens zwei Sirenen singen, um so deutlicher hervortritt; cf. Horn. Od. XII, 186—187: o il yág n ú TI g RFIÖE xuQr\ii}.aOE vr|ì (xeXaWr|, / jtgív y' r]|iécjv ¡XEUYTIpuv àrtò atO|xáTQj-v ölt' áxoíaca. Die Bedeutung der Uberschrift „Las Serenas" wird nodi im Text weiter unten erklärt. 25) cf. die aoristisdie Partizipialform TEpi|)ánEVog. Horn. Od. XII, 188. 26) Die Bezeichnung des Gesanges als Götterlied geht zurück auf das Adjektiv -ftECttrÉaiog bei Horn. Od. XII, 158. 27) cf. Horn. Od. XII, 188: veíxai jtXeíova e'iöwg. 28) cf. Horn. O d . X I I , 191:

L8|XEV 8 ' o a a a Y£VT]TGA ÈJÙ x ^ o v í .

29) Mit Recht übergeht der christliche Dichter die typisch griechische Schicksalsauffassung, die sich in den hier als Vorlage dienenden Versen wiederspiegelt; cf. Horn. Od. XII, 189—190: Í8|XEV yú.Q TOI j t a v d ' , S a ' é v i T g o i f l EÌIOEÌXI / 'AQYEICH T p w é g TE DEÀIV ÌÓTTITI n o y r i a a v .

30) Diese dem stoischen Sprachgebrauch entlehnten Termini wurden in Spanien auch in den kommentierten Ovid-Ubersetzungen des Pérez Sigler und Sáchez de Viana zur Bestimmung von Ulises' Überlegenheit angesichts drohender Gefahr benutzt; cf. ante p. 75 und p. 79—80. 31) Es liegt hier eine Anspielung auf den gescheiterten Verführungsversuch vor, den Putiphars Weib an Joseph verübte; cf. Gn. 39, 12: „et illa, apprehensa lacinia vestimenti eius, diceret Dormi mecum. Qui, relicto in manu eius pallio, fugit et egressus est foras." 32) Der Text ist der Ausgabe von Angel C. Vega entnommen, cf. op. cit. p. 479—483. 33) Zu den möglichen biblischen Vorlagen und antiken Reminiszenzen cf. ebenso Fray Luis de León, Poesie; ed. Oreste Macrí, Firenze 1950, p. 173.

113

Mit diesem an eine Persönlichkeit mit Namen Cherinto (I, 5)34) gerichteten Gedicht setzt Fray Luis de León die Tradition der in der Antike z. B. durch Horaz und Properz gepflegten Form der didaktischen Epistel fort 35 ), in welcher das als exemplarisch hingestellte Verhalten des Ulises dem Adressaten adhortativ vor A u g e n geführt wird. Das Gedicht setzt ein mit W a r n u n g e n vor der falschen Schönheit des seit Horaz zum literarischen Topos gewordenen lockenden Circebechers 30 ) und dem trügerisch an seinen Rand gestrichenen Honigseim, durch welchen der in Wirklichkeit bittere Inhalt des Gefäßes nicht sogleich w a h r n e h m b a r ist (I, 1 — II, 6). Zurückgreifend auf den antiken und den alttestamentlichen Textzusammenhang, in welchem das von Fray Luis gleich zu Beginn dieser Ode benutzte gegensätzliche Begriffspaar „miel — asensio" jeweils steht, läßt sich die feinsinnige Technik seiner eigentümlichen Verflechtungskunst zweier zunächst allein durch den simultanen Gebrauch gemeinschaftlicher Termini miteinander in Beziehung zu setzender Aussagen besonders deutlich aufzeigen. In seinem W e r k „De Rerum N a t u r a " war Lukrez bestrebt, seine Leser nicht kraß und unvermittelt mit den Geheimnissen der epikureischen Philosophie vertraut zu machen, „sed uel uti pueris absinthia taetra medentes / cum dare conantur, prius oras, pocula circum, / contingunt mellis dulci flauoque liquore" 37 ), sie also durch A n w e n d u n g einer mit Hilfe dieses bildlichen Vergleiches umschriebenen List womöglich für die n e u e n Lehren zu gewinnen 38 ). In der Heiligen Schrift hingegen w e r d e n die beiden Termini in dem mit den W o r t e n „Monet cavendum a meretrice" überschriebenen f ü n f t e n Kapitel des Liber Proverbiorum als M e t a p h e r n für den letzten Endes nur Abscheu erregenden Umgang mit Dirnen gebraucht: „favus enim distillans labia meretricis, et nitidus oleo guttur eius; novissima autem illius amara quasi absinthium, et acuta quasi gladius biceps" 39 ). Luis de León vereint den lukrezianisch real vorstellbaren Anwendungsbezirk mit der biblisch metaphorischen Sinngebung, indem er indirekt auf den heimlich verfälschten, von Horaz abstrakt meditierten Circe-Trank anspielt und gleichzeitig die nachträglichen bitteren Folgen einer anfangs süßen Verlockung zu bedenken gibt. Bereits in der ersten Strophe also gelingt es dem Dichter, eine Beziehung zwischen der Kirke-Deutung, wie sie durch die Stoa als Urbild der logosberaubten Buhlerin begründet worden ist 40 ), und der gottlosen Hure herzustellen, von deren verhängnisvoller Gefahr die biblischen Schriften w a r n e n d durchwaltet sind"). 34) Wer Cherinto gewesen ist oder ob es ihn überhaupt gab, läßt sich nicht mehr feststellen. Vossler erblickt in dem Wort eine erfundene griechische Namenbildung und erklärt Kerinthos als „Freund der Bienen bzw. des Honigs, der Blüten und des Wachses."; cf. op. cit. p. 145. An einen vielleicht aus Tibull entlehnten Namen denkt Coster; cf. Fray Luis de Leon, in: RH LIII, 1921, p. 193. 35) cf. ante p. 26 die Schreiben des Horaz an Lollius Maximus und des Properz an Postumus. 36) cf. ante p. 26 und Salvianus, ante p. 32. 37) cf. Lucr. I, 936—939; ed. Hermann Diels, Berlin 1923, p. 47. 38) Lukrez versuchte, durch die Kunst seiner Dichtung die Aufmerksamkeit der Leser wachzuhalten. 39) cf. Pr. 5,3—4. 40) cf. ante p. 25—28.

114

In den Strophen I V — V I wird nun diese geistreich gedeutete Circe-Gestalt in den Rahmen des antiken Mythos selbst gestellt, um am Beispiel der bekannten Verwandlungsvorgänge die schädigenden Wirkungen der Unzucht noch eindringlicher aufzuzeigen. Fray Luis hatte an dieser Stelle ohne Zweifel noch die oben erwähnte Horaz-Epistel im Sinn 42 ), in welcher ihm die in der Stoa entwickelte Auffassung vom W e s e n der Circe als bedeutsamer Bestandteil seiner originellen Erklärung vermittelt wurde. Dabei ist bezeichnend, daß bei der luisianischen Interpretation die stoische Aufwertung der Ulixes-Gestalt v ö l l i g unberücksichtigt blieb, j a nicht einmal der Name des Helden erwähnt wird, denn an Stelle der dort für eine Errettung als unentbehrlich erachteten prudentia tritt hier die gespendete Wirksamkeit christlicher Gnade (VI, 27), welche allen Bedrohten zuteil werden kann und dergegenüber die ehedem gepriesene geistige Sonderbegabung gänzlich ihres Wertes entkleidet worden ist 43 ). In strenger Beachtung des homerischen Berichtes hatte Boethius schon mit Recht zu bedenken gegeben, daß jenes nur den Körper verwandelnde Gift der mythischen Circe, verglichen mit der Verstandesberaubung, die ein vitiöser Lebenswandel bewirkt, sicher eine recht harmlose Droge gewesen sein müsse 44 ). Der spanische Dichter hingegen verstand es, mit Hilfe seiner auf biblische Reminiszenzen begründeten anagogischen Auslegung des Mythos in der Wirkung des Circebechers selbst die seelenverwandelnde Macht (V, 24) 45 ) sündhafter Konkupiszenz zu erkennen 4 6 ), deren Folge ein gottfernes, von Klagerufen erfülltes Dasein ist (VI, 30) 47 ). Die besonders hoch einzuschätzende Leistung von Fray Luis de Leon besteht darin, daß er dem Sinngehalt dieses Mythos eine überraschende Aktualität zu erschließen vermochte, denn unter denjenigen, welche der geistigen Verwandlung zum Opfer fallen, könnte sich nicht nur jener Cherinto, die W a r 41) cf. z. B. Sir. 9, 10: „Omnis mulier quae est fornicaria, quasi s t e r c u s in v i a c o n c u l c a b i t u r . " , oder 1 C. 6, 18: 3>EÚYETE TT|V n o g v e t a v . IIcív Á^ÁGTT)|j,A o è à v JTOIIFIOXI avdpcojtoç ÈKTÔÇ TOÜ a c ô [ i a t ô ç ê c m v ó ôè n.OQ\evw\ elç TÔ ÏÔIOV aû^IA â(J.apTàvEi. Eine V o r a u s d e u t u n g auf diese geschickte Gleichsetzung enthält bereits der „Ovide m o r a l i s é " ; cf. a n t e p. 58, n o t a 10. 42) In A n l e h n u n g an Hör. Ep. I, 2, 26, cf. ante p. 26, spricht er in IV, 19 ausdrücklich v o n „cieno b r u t o " , w o m i t einerseits die Gefahr des A b s i n k e n s ins B o d e n l o s e gemeint ist, a n d e r e r s e i t s aber auf diejenigen Lebensbedingungen h i n g e w i e s e n wird, die den T i e r e n ang e n e h m sind, in welche Kirke die O d y s s e u s - G e f ä h r t e n v e r w a n d e l t h a t t e . 43) In seiner b e r ü h m t e n Abhandlung „De ios n o m b r e s de C r i s t o " , 1,2, b e t o n t F r a y Luis ausdrücklich die Nichtswürdigkeit der v o n der Stoa unter Mühen a n g e s t r e b t e n Lebensführung im Vergleich zu dem W u n d e r der göttlichen, durch Christus w i r k s a m g e w o r d e n e n G n a d e : „Y la virtud m á s h e r o i c a , que la filosofía de los e s t o i c o s a n t i g u a m e n t e imaginó o soñó, por h a b l a r c o n v e r d a d , c o m p a r a d a c o n la que Cristo a s i e n t a c o n su g r a c i a en el alma, es u n a p o q u e d a d y b a j e z a . " ; cf. G a r c i a , op. cit. p. 5 6 4 — 5 6 5 . 44) cf. a n t e p. 33. 45) Der erste, noch recht ungeschlacht a n m u t e n d e Hinweis für die V e r w a n d l u n g des V e r standes durch die Künste der C i r c e findet sich b e r e i t s in der „General E s t o r i a " ; cf. a n t e p. 62. Im ü b r i g e n w u r d e diese Möglichkeit b e r e i t s zur E r k l ä r u n g des Gesinnungswechsels der H ä r e t i k e r in E r w ä g u n g g e z o g e n ; cf. a n t e p. 3 4 — 3 5 . 46) Auch der E c c l e s i a s t i c u s w a r n t davor, den Dirnen die Seele als Beute zu ü b e r l a s s e n : „Ne des fornicariis animam tuam in ullo, ne p e r d a s te et h e r e d i t a t e m t u a m . " (Sir. 9, 6). 47) Die n ä h e r e C h a r a k t e r i s i e r u n g der v o n L a u t e h a t ihr V o r b i l d bei V e r g i l ; cf. a n t e p. 23.

den v e r w a n d e l t e n

Menschen

ausgestoßenen

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nungen mißachtend, befinden, der dann als „nueva fiera" (V, 25) die Konsequenzen seiner Lüsternheit an sich selbst zu tragen hätte, sondern durch das Adjektiv „nuevo", das die Möglichkeit eines kontinuierlichen Vollzuges impliziert, werden gleichermaßen alle der Versuchung ausgesetzten Menschen in den Vorgang einbezogen, die dasselbe Schicksal ereilen kann 48 ). Fray Luis hat sich mit dieser verallgemeinernden Mythendeutung weitgehend von der Sucht höchst willkürlicher, allegorischer Interpretationsbestrebungen distanziert, wie sie im Mittelalter insbesondere bei der Erklärung Ovids um sich griff. War dort das Ziel der Bemühungen, alle möglichen, angeblich geheimnisvoll verstreuten, christlichen Anspielungen in der antiken Poesie aufzuspüren 48 ), so extrahierte Luis de Leon dem Kirke-Mythos nur einen seinem Anliegen förderlichen Lehrgehalt, den er als durchaus geeignet für eine poetische Harmonisierung mit den Grundlagen der christlichen Ethik befand, und verdichtete in seiner Ode diese Erkenntnis durch ständige, fast unmerklich durchgeführte Bezugnahme auf die Heilige Schrift. In der zur Darstellung des Sirenenabenteuers (VIII—XIII) hinüberleitenden siebenten Strophe verweist der Dichter nun augenfällig auf die Bedeutung dieser bislang geübten, aber nur an verborgenen Anklängen wahrnehmbaren Verschränkungstechnik. Mit Hilfe einer Reminiszenz an die Folgen der lasziven Ausschreitungen von König Salomo (VII, 31—32) wird einerseits die Gültigkeit der für den Kirke-Mythos festgelegten Deutung durch den direkten Bezug auf die Bibel rückwirkend bestätigt, denn jeder, der den Reizen sinnlicher Liebe im Übermaß verfallen ist, wird dadurch letzten Endes den Unwillen Gottes herausfordern 50 ). Vorausweisend andererseits auf den süß tönenden Gesang der verführerischen Sirene (IX, 42 — XII, 60) spielt Luis de Leon zuvor auf die Gestalt des schönen Philisterweibes Dalila an (VII, 35), die in heimtückischer Verschlagenheit erfolgreich die Vernichtung des stärksten Mannes ins Werk setzte. Daraus ergibt sich, daß das Zitieren biblischer Parallelstellen bzw. -Situationen immer zum Zwecke einer die Mythendeutung dogmatisch abstützenden Rückversicherung geschieht. Der auffällige protreptische Grundzug dieser Ode wurde zunächst durch eine Reihe von sieben an den Adressaten selbst gerichteten Imperativformen erzeugt 31 ), die von einer Fülle gleichnishafter Anspielungen umgeben waren, und gipfelt nun, dichterisch überhöht, in dem Sirenenlied, dessen Worte zu gewissenhafterer Beherzigung, so mag man denken, sogar in wörtlicher Rede stehen. Es wäre dem feinsinnigen Verschachtelungsverfahren des Dichters Luis de Leon freilich nicht angemessen, könnte man schon auf den ersten Blick in diesem holden Gesang einen gleichsam klingenden Ausdruck der bislang nur theoretisch erörterten, also wohlbekannten Gefahr erkennen, wofür er dennoch, wie sich zeigen wird, zu gelten hat. 48) Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die Vermutung Vosslers, cf. ante p. 114, nota 34, sehr sinnvoll, es handle sich bei dem Wort „Cherinto" um einen erfundenen Namen. 49) cf. u. a. ante, p. 66—68. 50) cf. ante p. 112, nota 18. 51) cf. I, 1; II, 6; III, 11,- IV, 19; VII, 31; VII, 32; besonders VIII, 36.

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Fray Luis war in diesen Strophen ganz offensichtlich bemüht, den ungezwungen-heiteren Tonfall des homerischen Sirenenduetts wiederzufinden, durch welchen die schreckliche Tücke dieser lieblich singenden Wesen um so deutlicher hervorgehoben wurde 52 ), weiß man doch bei Lektüre des griechischen Epos bereits durch vorausgeschickte Warnungen um die sich in Wahrheit dahinter verbergende Niedertracht 53 ). Nach eingehender Prüfung derjenigen Strophen hingegen, die dem freundlichen, geschmeidigen Gesang der luisianischen Ode voran- bzw. nachgestellt sind, findet sich nirgendwo ein konkreter Hinweis, der sinnfällig werden ließe, warum hier angeblich eine „falsa Serena" (VIII, 39), „ardiendo en crüeldad" (XIII, 62), ein „enemigo ruego" (VIII, 38) vorträgt. Zur Klärung dieses unerwarteten Sachverhaltes verhilft eine Rückbesinnung auf die Schriften des Clemens Alexandrinus und die von ihm begründete „Odyssee"-Interpretation, in welcher das Verhalten des Helden beim Passieren der Sirenen-Insel zu einem lobenswerten Exemplum aufgewertet wurde 54 ). Der griechische Kirchenvater hatte bei seinen christlichen Interpretationsbestrebungen erneut die dem Kirke- und Sirenen-Mythos schon von älteren Autoren zuerkannte Deutung aufgegriffen, welche eine Transposition des mythischen Gehaltes in den sexuellen Bereich vorsah 55 ). Beide Mythen faßte er wegen dieses inneren Verwandtschaftsverhältnisses geschickt zu einem verderbenbringenden Gefahrenkomplex zusammen, den er als veranschaulichendes Gleichnis in der „Mahnrede an die Heiden" anführte, also desgleichen einem didaktischen Motiv dienstbar machte. Clemens dachte sich die Sirenen-Insel als imaginären Ort unerlaubter Unzucht, des psychischen und physischen Absterbens infolge sündiger Wollust, über den er schrieb: vfjöög ECTTL jtovrjQä öaroig xal VEKGOIG