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German Pages 180 Year 2021
motivik, mit dem Wagner das äußerst komplexe psychologischphilosophische Geflecht zwischen seiner Dichtung und seiner Musik herstellt. Der renommierte Dirigent Will Humburg verfolgt dieses Zusammenspiel im Vorabend des „Rings des Nibelungen“, dem „Rheingold“, gleichsam Takt für Takt, indem er mit dem musikalischen Gewebe zugleich dessen symbolische Tiefenstruktur freilegt. Dabei geht er über die zahllosen bisherigen Analysen einen entscheidenden Schritt hinaus: Er belegt, dass es
Wagners Rheingold
„Beziehungszauber“ nannte Thomas Mann das Netz der Leit-
der musikalischen Leitmotive bzw. Leitrhythmen und -akkorde noch eine dritte, nämlich die der Instrumentation gibt. In ihr setzt Wagner auch die Klangfarben symbolisch ein, um so mit einer Art Leitorchestration die beiden anderen Ebenen zusätzlich und oft durchaus konträr zu kommentieren sowie auf Tiefenschichten hinzuweisen, die dem Hörer das Unterbewusstsein der Figuren oder die Verbindung unterschiedlicher Handlungsstränge erschließen.
Will Humburg
jenseits der beiden bekannten Erzählschichten des Textes und
Will Humburg
Will Humburg (geb. 1957) hat in 40 Jahren weltweit über 120 Musiktheaterwerke dirigiert, darunter mehrmals Wagners „Ring des Nibelungen“. Er erhielt mehrere Nominierungen der Zeitschrift „Opernwelt“ als „Dirigent des Jahres“, spielte diverse CDs ein und schrieb Artikel zur Interpretation von Opern.
Wagners Rheingold Eine Deutung von Leitmotivik und Orchestration
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Will Humburg — Wagners Rheingold
Will Humburg
Wagners Rheingold Eine Deutung von Leitmotivik und Orchestration
Königshausen & Neumann
Umschlagabbildung: Der Ring des Nibelungen, Das Rheingold, 4. Szene, Produktion der Städtischen Bühnen Münster 1999–2001, Musikalische Leitung: Will Humburg, Regie: Peter Beat Wyrsch, Bühne: Roland Aeschlimann; Loge: Thorsten Scharnke, Alberich: Renatus Mészár; Foto: Michael Hörnschemeyer
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Printed in Germany
ISBN 978-3-8260-7321-2
www.koenigshausen-neumann.de www.ebook.de www.buchhandel.de www.buchkatalog.de
Inhalt Vorwort ............................................................................................... 7 Einleitung: Vom Leitmotiv zur Leitorchestration ......................... 14 Erste Szene: Auf dem Grunde des Rheines .................................... 26 Vorspiel ......................................................................................... 26 Die Rheintöchter .......................................................................... 29 Auftritt Alberichs ......................................................................... 32 Das Erscheinen und der Raub des Rheingolds ........................... 43 Erste Verwandlungsmusik: Der Aufstieg aus dem Rhein .............. 55 Zweite Szene: Freie Gegend auf Bergeshöhen................................ 57 Wotan und Fricka ......................................................................... 57 Auftritt Freias ............................................................................... 66 Auftritt der Riesen........................................................................ 68 Auftritt Frohs und Donners ........................................................ 77 Auftritt Loges ............................................................................... 79 Loges Bericht ................................................................................ 82 Freias Entführung ......................................................................... 93 Zweite Verwandlungsmusik: Die Fahrt nach Nibelheim .............. 99 Dritte Szene: Nibelheim ................................................................ 104 Alberich und Mime..................................................................... 104 Ankunft Wotans und Loges....................................................... 106 Alberichs Wiederauftritt ............................................................ 111 Alberichs Gefangennahme ......................................................... 115 Dritte Verwandlungsmusik: Der Wiederaufstieg aus Nibelheim ............................................................................. 127 Vierte Szene: Freie Gegend auf Bergeshöhen ............................... 134 Die Entmachtung Alberichs und sein Fluch ............................. 134 Wiederauftritt der anderen Götter und der Riesen mit Freia ............................................................... 146 Die Erscheinung Erdas ............................................................... 157 Der Mord an Fasolt .................................................................... 162 Die Regenbogenbrücke und der Einzug der Götter in Walhall .......................................... 167 Dank ................................................................................................ 179
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Vorwort Meine Faszination für Richard Wagners „Opus summum“, seinen „Ring des Nibelungen“ und dessen „Beziehungszauber“, wie Thomas Mann das grandiose Geflecht der musikalischen Leitmotive nannte, begann mit meinem Studium an der Musikhochschule meiner Geburtsstadt Hamburg. Bei unserem Dirigierlehrer Horst Stein, der unter seinen insgesamt 138 Vorstellungen im Bayreuther Festspielhaus – aber auch anderswo – viele Male die gesamte Tetralogie dirigiert hat, nahmen wir „Die Walküre“ intensiv durch, und ich durfte 1975 und 1976 bei seinen Orchesterproben zu „Ring“ und „Parsifal“ (sowie sogar bei einer „Tristan“-Vorstellung im Orchestergraben) zuhören und -sehen. Einmal Blut geleckt, gelang es mir in den folgenden beiden Jahren auch Generalproben und Vorstellungen des berühmten „Jahrhundert-Rings“ von Pierre Boulez und Patrice Chéreau zu erleben (unter anderem jenen legendären „Siegfried“ am 20. August 1977, in dem Chéreau für den wegen eines gebrochenen Beins nur von der Seite singenden René Kollo die Titelrolle ungeheuer beeindruckend selbst spielte). So radikal neu die szenische Sicht dieses jungen und ersten nicht deutschen Bayreuther „Ring“-Regisseurs auf Wagners Weltendrama war, so konservativ äußerte sich damals noch die vorherrschende Einstellung zu Wagners Werken – nicht nur bei demjenigen, der damals die musikalischen Einführungen zu den einzelnen Abenden des Zyklus gab und dabei keine Gelegenheit ausließ, gegen Chéreaus explizit sozialkritische und entmythologisierende Lesart zu polemisieren, die schon mit einem modernen Stauwehr statt mythischmystisch „auf dem Grunde des Rheins“ begann. So wurde etwa das Brünnhilde-Liebes-Motiv in der „Götterdämmerung“ von ihm folgendermaßen gedeutet: „Der Doppelschlag und der folgende Sextaufschwung bedeuten das Aufblicken des Weibes zum geliebten Mann, während die Weiterführung mit der fallenden Quart sowie der abschließende Septsprung nach unten die natürliche Unterwerfung unter diesen symbolisieren.“1
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Daraufhin entwickelte sich im Publikum dieser Einführung in etwa folgender Dialog zwischen uns Studenten und den „Alt-Wagnerianern“: „Das ist doch eine völlig konservative und reaktionäre Sicht auf Wagner!“ „Wie alt sind Sie eigentlich, dass Sie besser zu wissen glauben, was Wagner
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Etwas später, nach den jeweiligen Aktschlüssen griffen dann die dramatischen Aktionen von der Bühne auf den Zuschauerraum über, vor allem beim Erscheinen des Regieteams vor dem Vorhang: Von den teureren Plätzen im Parkett hagelte es „Buhs“, von der Galerie schrien wir Studenten und viele jüngere Chéreau-Fans aus Leibeskräften „Bravo“ und entrollten zustimmende Transparente, woraufhin sich irgendwann das Parkett von der Bühne ab und uns zuwandte, um auch gegen uns zu wettern. Teilweise kam es sogar zu Handgreiflichkeiten. Dass ein musiktheatralisches Werk noch 100 Jahre nach seiner Uraufführung durch eine neue Deutung so die Gemüter erhitzen und die Geister spalten konnte, hat mich damals tief beeindruckt. Und schon da überkam mich eine Ahnung, dass hinter dieser Dichtung und der in jedem Sinne des Wortes überwältigenden Musik mehr stecken muss als ein bloßes Illustrieren eines oft scheinbar pathetischen und langatmigen Textes durch plakative Motive, die einzelnen Personen, Begriffen und/oder szenischen Requisiten als Etiketten angeklebt sind, wie Wagners Kritiker immer wieder behaupten. Schon allein deshalb, weil diese Leitmotive viel zu oft an Stellen erklingen, an denen im Dialog auf der Szene eigentlich von etwas ganz anderem die Rede ist. Besonders hervorstechende Beispiele sind hier das erste Erklingen des später mit dem Schwert Nothung verknüpften Motivs am Ende des „Rheingolds“, aber auch Siegmunds Liebes-Motiv aus der „Walküre“, für dessen „alles überstrahlendes“ Aufblitzen in Trompete und Basstrompete auf dem ersten Höhepunkt der zweiten Verwandlungsmusik des „Vorabends“, also zu einem Zeitpunkt, an dem die Wälsungen weder gezeugt sind noch von ihnen die Rede ist, ich lange Zeit keine Erklärung fand. Ähnliches gilt für die scheinbar rätselhafte Verwandtschaft der kurz davor aus dem gleichen Motiv abgeleiteten Musik mit der Einleitung zum 2. Aufzug der „Walküre“ oder für das unerwartete Erklingen der Feuer-Musik des Walkürenfelsens im 1. Aufzug des „Siegfried“ in Mimes Höhle nach dem Abgang des Wanderers. Umgekehrt gibt gemeint hat?“ „Zwanzig.“ „Also wir haben Wagner schon gekannt, da waren Sie noch gar nicht geboren!“ „Ach, und daraus leiten Sie das Recht ab, ihn für alle Zeiten richtig zu deuten?“ „Wer sind Sie denn, dass Sie sich erdreisten, so anmaßend sein zu dürfen?“ „Ich studiere Dirigieren!“ „O Gott, kann man da nur sagen, wenn solche Leute später einmal Wagner dirigieren sollten!“
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es natürlich auch zahlreiche Stellen, an denen vom Ring, vom Rheingold oder beispielsweise auch von Freia die Rede ist, ohne dass eben das entsprechende Motiv erklingt. Als ich dann 25 Jahre später als Generalmusikdirektor an den Städtischen Bühnen in Münster selbst meinen ersten „Ring“ dirigierte (1999–2001), verdichteten sich für mich zudem die Hinweise, dass auch die Instrumentation in diesem Riesenwerk nicht einfach nur den süffigsten bzw. den einprägsamsten oder den „verdeutlichendsten“ Klang sucht, sondern dass auch sie mehr oder weniger eine dramaturgische Funktion haben muss und offenbar die beiden Erzählschichten des Textes und der Leitmotivik auf einer dritten Ebene eigenständig interpretiert und kommentiert. Nachdem ich 2004 einen ersten Artikel zu diesem Thema veröffentlicht hatte,2 reifte in mir das Bedürfnis, einmal, wenn nicht immer Takt für Takt, so doch zumindest Seite für Seite umfassend zu untersuchen, wie Wagner sein ungeheuer komplexes Beziehungsgeflecht zwischen Text, musikalisch-motivischer Struktur, also jenem „das ganze Kunstwerk durchziehende Gewebe von Grundthemen“,3 von dem er selbst spricht, und der Orchestration genau gestaltet. Allerdings begegnet der Versuch einer solchen Analyse sogleich seinem größten Problem, nämlich der adäquaten Beschreibung musikalischer Vorgänge durch Worte. Sprache ist gewissermaßen eindimensional, sie kann zwar Rückverweise in die Vergangenheit sowie Vorausdeutungen in die Zukunft vornehmen, aber nicht mehrere Vorgänge parallel, also gleichzeitig erzählen (was allein schon die Grammatik spiegelt). Diese Mehrdimensionalität kennzeichnet aber mehrstimmige Musik. Eines der berühmtesten Beispiele dafür ist das Quartett aus Verdis „Rigoletto“, in dem die verschiedenen Gemütszustände von vier Personen in zwei räumlich getrennten Duetten musikalisch gleichzeitig und doch jederzeit verständlich dargestellt werden. Dieser Fähigkeit der Musik zollte selbst Victor Hugo, der Autor der Schauspiel-Vorlage, neidvolle Bewunderung. Vielleicht ist diese charakteristische „Vielstimmigkeit“ mit ein Grund, weshalb Musik, obwohl sie zumindest bis weit ins 20. Jahrhundert hinein 2
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„Vom Leitmotiv zur Leitorchestration. Gedanken zur InstrumentenSymbolik in Wagners ‚Rheingold‘ und ‚Walküre‘“, in: Schriften zur Musikwissenschaft aus Münster 20 (2004), S. 161–173. Richard Wagner, „Gesammelte Schriften“, Leipzig 1887/88, Bd. 10, S. 185.
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auch einer der Sprache vergleichbaren Grammatik und Semantik folgt, von so vielen Menschen über alle kulturellen und sprachlichen sowie zeitlichen Grenzen hinweg verstanden und geliebt wird. Und das klangliche Gewand, gestaltet mit den Mitteln der Orchestration, kann einer Komposition noch eine weitere Dimension hinzufügen. Bei dieser Analyse ging es mir allerdings nicht in erster Linie darum zu beschreiben, was musikalisch passiert, sondern dies ist jeweils nur die notwendige Voraussetzung, um zu untersuchen, warum es so und nicht anders komponiert wurde und welche interpretatorische Schlussfolgerung die jeweilige Stelle damit ermöglicht. Das gilt natürlich zunächst einmal für die Ausführenden, aber danach durchaus auch für den Zuschauer und Zuhörer dieses gigantischen Dramas, das den Anspruch erhebt, in mythisch-allegorischer Umschreibung Anfang und Ende dieser Welt darzustellen sowie die Umstände und Beweggründe der in der Zeit dazwischen in ihr Lebenden und Handelnden zu beschreiben und zu erklären. Dabei gibt es für jede einzelne Stelle durchaus mehrere mögliche, also „richtige“ Interpretationen, aber auch tausend falsche. Und die „falscheste“ ist: den Notentext bzw. die gehörte Musik gar nicht als eigenständige Bedeutungsebene zu befragen. Natürlich liegt bei einem systematischen Unterfangen wie diesem die Gefahr der „Überinterpretation“ nahe; schließlich gibt es keine Möglichkeit mehr festzustellen, was genau Wagner bei jeder einzelnen Stelle tatsächlich intendiert hat, es sei denn, es würde eines Tages eine originale musikalische Analyse des Komponisten auftauchen. Dies ist angesichts der bekannten Quellenlage allerdings sehr unwahrscheinlich. Deswegen möchte ich als Antwort auf dieses Problem eine wertvolle Lehre anführen, die mir während meiner Hamburger Studienzeit mein damaliger, hoch angesehener Musiktheorieprofessor Christoph Hohlfeld erteilte: Als wir im Unterricht den „Tristan“ durchnahmen, wies er uns nach, wie Isoldes Liebestod beinahe Note für Note auf die Exposition des musikalischen Materials im berühmten Vorspiel zu dieser „Handlung für Musik“ bezogen ist, sodass in diesem Schlussabschnitt das gesamte Drama entsprechend der ihm vom Komponisten eingeschriebenen Logik konsequent zu Ende geführt wird. Ganz im Sinne der Antwort, die Wagner auf Stolzings Frage „Wie fang’ ich nach der Regel an?“ Hans Sachs in den Mund legt: „Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann.“ Als
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gerade einmal 20-jähriger „Stürmer und Dränger“, der damals felsenfest überzeugt war, dass große Kunstwerke nur aus einer intuitiven, wenn nicht gar eruptiven künstlerischen Inspiration entspringen könnten, rebellierte ich prompt dagegen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Wagner in seinem genialen Schaffensdrang jeden einzelnen Ton so penibel „am Schreibtisch“ konstruiert und dabei an all die Querbeziehungen gedacht haben sollte, die Professor Hohlfeld uns gerade aufgezeigt hatte (zum Beispiel die chromatische Auffüllung des Tonraums oder die Auflösung von im Vorspiel aufgestellten melodischen, harmonischen oder formalen „Problemen“ oder „Thesen“). Ganz ruhig entgegnete er sinngemäß: „Diese Frage ist gar nicht wichtig. Denn ist das Kunstwerk einmal in der Welt und Allgemeingut geworden, dann kommt es nur noch darauf an, welche Gesetzmäßigkeiten, aber auch Querbezüge im Werk selbst objektiv nachweisbar sind. Ob der Autor diese nun intuitiv oder aber rational konstruierend geschaffen hat, ist letztendlich unerheblich.“ Offenbar hat Wagner tatsächlich kaum intuitiv und schon gar nicht eruptiv gearbeitet. Dies spiegeln schon die komplizierten und teilweise mühevollen Formulierungen seiner ausführlichen theoretischen Vorüberlegungen zu „Dichtkunst und Tonkunst im Drama der Zukunft“ wider, im dritten Teil seiner der Komposition des „Rings“ direkt vorangehenden Schrift „Oper und Drama“ von 1850/51.4 Auch seine Frau Cosima berichtet später in ihren Tagebüchern über Seufzer wie: „Was ist das Geschriebene gegen die Inspiration, was ist gegen das Phantasieren das Notieren!“ (4. Dezember 1870), oder: „Könnte ich doch Arien schreiben und Duette, wie leicht würde mir dies!“ (18. Juli 1871).5 Und der Musikwissenschaftler Eckhard Roch fasst zusammen: „Cosimas Tagebücher sind gerade zu Zeiten der ‚Ring‘-Komposition voll von Klagen über sein Arbeiten und die musikalische Unfreiheit, die ihm das Verfahren der Leitmotive dabei aufbürdet.“6 4
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Richard Wagner, „Oper und Drama“, hrsg. von Klaus Kropfinger, Stuttgart 21994, S. 249–393. Cosima Wagner, „Die Tagebücher“, Bd. 1, S. 404 und 415, zitiert nach: Eckhard Roch, „‚Weisst du wie das wird?‘ Leitmotivik und thematische Arbeit in Wagners ‚Ring‘“, in: Schriften zur Musikwissenschaft aus Münster 20 (2004), S. 233 und 235. Ebd., S. 232f.
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Für ein genaues Nachvollziehen der vorliegenden Analyse ist sicherlich ein paralleles Mitverfolgen, wenn nicht in der Partitur, so doch zumindest im Klavierauszug7 des „Rheingolds“ hilfreich. Dafür ergab sich aber ein weiteres Problem, das alle bisherigen Druckausgaben von Wagners Werken betrifft: Da bis auf die neue WagnerGesamtausgabe überall Studierziffern oder -buchstaben und auch Taktzahlen fehlen, ich aber davon ausgehe, dass viele Leser diese sehr teure Neuausgabe nicht besitzen, ist die einzige Möglichkeit, die einzelnen musikalischen Stellen nachvollziehbar anzugeben, die Orientierung an den Gesangstexten bzw. an den Regieanweisungen oder – vor allem in den orchestralen Zwischenspielen – notgedrungen an Wagners Tempoangaben. Deswegen habe ich vor allem die ersten beiden reichlich angeführt.8 Auf der anderen Seite ergibt sich daraus der Vorteil, dass meine Deutung so auch für nur mit dem Textbuch „bewaffnete“ Leser weitgehend verständlich sein wird. Während der Proben zur Uraufführung der gesamten Tetralogie 1876 im extra dafür nach Wagners Entwürfen errichteten Festspielhaus in Bayreuth wurden viele von ihm zusätzlich gegebene Anweisungen zur Ausführung einzelner Stellen bzw. Motive von Assistenten des „Meisters“, vor allem wohl von Heinrich Porges, schriftlich festgehalten. Einige davon sind für das Verständnis von Wagners Intentionen von fundamentaler Bedeutung. Da aber diese Anmerkungen bisher nur in der erwähnten textkritischen Neuausgabe abgedruckt sind, habe ich mich entschlossen, sie für alle Interessierten hier vollständig, zumeist in Fußnoten, anzuführen. Außerdem ist dem Buch eine Liste aller im „Rheingold“ wichtigen Leitmotive in der Reihenfolge ihres erstmaligen Erklingens in der jeweiligen Hauptform beigefügt. In ihr führe ich die Motive überwiegend unter den Namen auf, unter denen sie bekannt und in einigen Klavierauszug-Editionen abgedruckt sind, seit Hans von
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Aus Gründen der Spielbarkeit werden allerdings in den verschiedenen Klavierauszug-Ausgaben des Öfteren in zum Teil unterschiedlicher Weise in dieser Analyse erwähnte Nebenstimmen weggelassen bzw. unvollständig wiedergegeben. Dabei folge ich den heute geltenden Regeln der deutschen Orthographie, so wie sie weitestgehend auch Egon Voss in der von ihm herausgegebenen kritischen Edition des „Ring des Nibelungen“ anwendet (Richard Wagner, „Sämtliche Werke“, Bd. 10, Schott Music, Mainz 1988/89).
Wolzogen, der auch den Begriff „Leitmotiv“ prägte (mit dem Wagner allerdings nicht einverstanden war9), diese 1876 zur Uraufführung in einem „Thematischen Leitfaden durch die Musik von Richard Wagners Festspiel ‚Der Ring des Nibelungen‘“ zusammenstellte. Allerdings habe ich einige der üblichen Bezeichnungen, die ich für missverständlich halte, durch mir passender erscheinende ersetzt (Näheres dazu an den betreffenden Stellen im Hauptteil) und außerdem die wenigen Benennungen (nach einem Schrägstrich) hinzugefügt, die Wagner in seinen Anmerkungen von 1876 selbst angibt, etwa beim „Ring/Welterbe-Motiv“. In ihnen nimmt der Komponist im Übrigen – zum Beispiel mit den Bezeichnungen „Walhall-Thema“ und „Vertrags-Motiv“ – selber bereits eine Unterscheidung vor zwischen einem kurzen Leitmotiv von wenigen Takten oder Tönen und einem längeren Leitthema, das aus mehreren Abschnitten besteht, die auch eigenständig vorkommen können. Auch diese habe ich aufgegriffen; so gibt es zum Beispiel auch noch das „Loge-Thema“ oder das „Riesen-Thema“. Dieses Buch ist also der Versuch einer möglichst vollständigen und umfassenden Deutung des musikalischen „Beziehungszaubers“ in dieser Exposition von Wagners Tetralogie. Dabei kommt es nicht darauf an, dass jede einzelne von mir formulierte psychologische, philosophische oder auch politische Interpretation der ungeheuer vielfältigen Querbezüge „richtig“ ist. Entscheidend ist – und zwar für Ausführende und Hörer –, überhaupt eine Deutung zu suchen, statt dieses Kunstwerk in seiner Vielschichtigkeit einfach nur museal „auf einen Sockel gestellt“ zu bewundern oder eben auch abzulehnen. In diesem Sinne möchte die hier vorgelegte und in gewisser Hinsicht als Streitschrift gedachte Analyse des „Rheingolds“ Lust und Mut machen zur eigenen Interpretation. Und dabei wird Widerspruch nicht nur erwartet, sondern ist geradezu erwünscht!
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Er selbst bezeichnete sie in „Oper und Drama“ als „plastische Gefühlsmomente“, „Gefühlswegweiser“ oder „melodische Momente“.
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Einleitung: Vom Leitmotiv zur Leitorchestration Wagners Äußerungen über „Gott und die Welt“ und über die Kunst im Allgemeinen umfassen Bände, über die Dichtung und die Dramaturgie seiner Werke, aber auch über deren Musik lässt er sich immerhin noch seitenlang aus, doch Äußerungen zu seiner Orchestrationstechnik muss man geradezu mit der Lupe suchen. Der Gedanke liegt nahe, dass Wagner, der die Musik zu einer bis dahin unerhörten Rauschhaftigkeit gesteigert hat, der Erfinder der Mischklänge, sein Rezept für die drogenartige Wirkung seiner Musik streng geheim zu halten versuchte. (Coca-Cola verrät sein legendäres Brause-Rezept schließlich auch nicht.) Ebenso versucht die Literatur über Wagner die verschiedensten Aspekte seiner Persönlichkeit und seines Werkes zu interpretieren, aber nur ganz selten den Bereich, in dem er, wie schon Richard Strauss in seiner Bearbeitung der Berlioz’schen Instrumentationslehre bemerkte, die Musik am meisten revolutioniert hat. Vielleicht können hier gerade wir Musiker helfen, seinem Geheimnis auf die Spur zu kommen – schließlich sind wir es, die bei jeder Aufführung im „mystischen Abgrund“, wie Wagner den Orchestergraben (allerdings den verdeckten in Bayreuth) genannt hat, die Klang-Droge neu entstehen lassen. Abgesehen von dem interessanten Exkurs, den der Auch-Komponist Adorno in seinem „Versuch über Wagner“ unternimmt,10 stammen die umfassendsten Studien zu Wagners Instrumentationstechnik wohl von Egon Voss,11 der auch der Herausgeber der neuen textkritischen Edition des „Ring des Nibelungen“ ist. Er geht von folgender, völlig richtiger Beobachtung aus: „Fragt man nach der Funktion der Instrumentation im Wagnerschen Werk, so lassen sich
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Theodor W. Adorno, „Versuch über Wagner“, München/Zürich 1964, S. 73–87. Egon Voss, „Studien zur Instrumentation Richard Wagners“, Ansbach 1970 (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts 24); ders., „Über die Anwendung der Instrumentation auf das Drama bei Wagner“, in: „Das Drama Richard Wagners als musikalisches Kunstwerk“, hrsg. von Carl Dahlhaus, Regensburg 1970 (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts 23), S. 169–182.
zwei Antworten schon nach kurzer Untersuchung geben: die Instrumentation ist vor allem anderen auf Drama und Bühne bezogen, und sie dient ihnen vornehmlich als Mittel zur Steigerung und Intensivierung. Neben der herrschenden Tendenz, das im dramatischen Text Ausgeführte durch die Mittel der Instrumentation zu unterstreichen oder das darin Angelegte zu voller Eindringlichkeit zu bringen, stehen die Fälle, in welchen Text und Klang sich divergierend gegenüberstehen und gegenseitig beleuchten. Die Instrumentation erscheint hier als Mittel der Interpretation und Auslegung.“12 So weit, so richtig, aber: Eine ein ganzes Werk durchziehende „Typologie der Instrumente bezogen auf ihre charakteristische Verwendung“13 gibt es seiner Meinung nach bei Wagner nicht. Aus meinen persönlichen Erfahrungen mit dem Werk des „Bayreuther Meisters“ bin ich in diesem Punkt anderer Meinung. Am Anfang meiner Überlegungen stand folgende Frage: Warum ist Wagner nach der 26 Jahre andauernden Beschäftigung mit dem „Ring des Nibelungen“, in dem er die Vielfalt der Instrumente und den Farbenreichtum des Orchesters zu einer für seine Zeit kaum vorstellbaren Differenziertheit gesteigert hatte, in seinem letzten, reifsten und klanglich am sensibelsten ausgeloteten Werk, dem „Parsifal“, in Bezug auf die Anzahl und Verschiedenheit der Instrumente wieder hinter die Besetzung des „Rings“ zurückgegangen? Warum hat er zum Beispiel erst mit großem Aufwand seine auch von Egon Voss als besonders „weihevoll“14 beschriebenen Tuben erfunden und bauen lassen, um sie dann im Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ nicht weiter zu verwenden, das doch explizit für die Akustik des Bayreuther Festspielhauses und unter Berücksichtigung der bei der Tetralogie mit ihr gemachten Erfahrungen komponiert wurde? Also begann ich zu untersuchen, wo die „Wagner“-Tuben im „Ring“ vom Komponisten eingesetzt werden. Zunächst fiel mir auf, dass er ihren so eindrucksvollen und vor dem „Rheingold“ ja noch nie gehörten Klang eben nicht, wie Egon Voss suggeriert15 und wie 12 13 14 15
Voss, „Über die Anwendung der Instrumentation“, S. 169. Ebd., S. 180. Voss, „Studien zur Instrumentation“, S. 216. „Der Klang der Waldhorntuben erscheint als Entsprechung zu Walhall, der Götterburg. Wenn zu Beginn der zweiten Szene des Rheingolds die neuerbaute Götterburg sichtbar wird, erhält sie durch die besondere, vorher nicht eingesetzte Farbe der Tuben ihr eigenes Kolorit.“ Voss, „Studien
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man es auf den ersten Blick erwarten würde, mit dem weihevollen Walhall-Thema zu Beginn der 2. Szene zum ersten Mal präsentiert. In der vorausgehenden ersten Verwandlungsmusik bleiben diese Tuben zwar tatsächlich eher im Hintergrund. Trotzdem wird ihr Klang vom Zuhörer schon deutlich wiedererkannt, da er ihn bereits in der 1. Szene in Verbindung mit dem sogenannten LiebesentsagungsMotiv zu Woglindes Worten Nur wer der Minne Macht entsagt16 zum ersten Mal bedeutungsvoll vernommen und anschließend bei Alberichs Liebesfluch schon zum dritten Mal gehört hat. Diese Melodie der Liebesentsagung kehrt in genau gleicher Tonart und Harmonik im „Rheingold“ nur noch zweimal wieder – im ersten Zwischenspiel und bei Loges Worten Keiner kennt ihn, doch einer übt ihn leicht, der sel’ger Lieb entsagt –, und dann zweimal in der „Walküre“: das erste Mal zu Siegmunds Beschwörungsformel Heiligster Minne höchste Not im 1. Aufzug, bevor er das Schwert aus dem Stamm der Esche zieht und dann mit Sieglinde eben gerade nicht der Liebe zu entsagen scheint, und schließlich kurz vor Schluss des 3. Aufzugs zu Wotans Worten an Brünnhilde Denn so kehrt der Gott sich dir ab. Bis dahin wird dieses Leitmotiv immer von den Tuben begleitet, dort nun zum ersten Mal von den Posaunen und zwei Hörnern. Warum? Egon Voss hat insofern recht, als der weihevolle Klang der Tuben oft sowohl mit Walhall und seinen Göttern assoziiert als auch – ab der „Walküre“ – mit dem Schicksals-Motiv verbunden ist: Beide Leitmotive werden von diesen Instrumenten zum ersten Mal exponiert. Jedoch – wie er richtig fortfährt17 – sind beide Motive nicht auf diese Instrumente festgelegt, wie umgekehrt die Instrumente nicht auf diese Motive. Ist dies nun lediglich eine Frage von „variatio delectat“, geht es also nur darum, einer zu großen Schematik und Eintönigkeit in der Orchestration vorzubeugen? Oder steht dahinter eben doch auch ein dramaturgisches Prinzip, dem man bei genauer
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zur Instrumentation“, S. 215. Vgl. ebd., Anm. 4: „Die Tuben erscheinen schon in der ersten Szene, bleiben dort jedoch völlig im Hintergrund.“ In der Neuausgabe setzt Egon Voss „versagt“ (vgl. Anm. S. 73), aber die alte Partitur wie auch die meisten alten Klavierauszüge bringen das bekannte „entsagt“. Ebd., S. 216.
Untersuchung neue interpretatorische Hinweise zu den korrespondierenden Textstellen und Leitmotiven bzw. Leitakkorden und -rhythmen entnehmen könnte? Einige wenige Leitmotive sind fast immer denselben Instrumenten zugeordnet, etwa das Schwert-Motiv den Trompeten oder das Grübel-Motiv den Fagotten. Das Motiv des „Rings als zugrunde liegender Zweck“,18 wie Robert Donington diesen interpretiert, wird jedoch zum Beispiel außer von den Harfen und Pauken von jedem Instrument irgendwann einmal gespielt, auch von den WagnerTuben und sogar von den Kontrabässen. Beim zweiten Erklingen eines Teils des Walhall-Themas in der 2. Szene des „Rheingolds“ wird dieser bereits von den Hörnern übernommen, und in der ganzen „Walküre“ hören wir es nur ein einziges Mal – und zwar in der Todesverkündigung zu Brünnhildes Worten Den Vater findet der Wälsung dort – und lediglich für zwei Takte in den Tuben, auf deren Klang es im „Rheingold“ doch in so idealer Weise zu passen schien. Wenn in der Todesverkündigung dagegen zum ersten Mal das Schicksalsmotiv erklingt, wird es dort geradezu manisch acht Mal hintereinander ohne jede klangliche Veränderung immer nur von den Tuben gespielt. Mit demselben Motiv wird auch am Ende des Feuerzaubers diese Oper beschlossen, dort aber spielen – ausgerechnet an einer der mystischsten und weihevollsten Stellen der ganzen Tetralogie – nicht die Tuben, sondern die Posaunen. Ja, im gesamten 3. Aufzug der „Walküre“ sowie fast den ganzen 3. Aufzug des „Siegfried“ hindurch (nach dem Beginn der Siegfried/Wanderer-Szene) erklingen die Tuben überhaupt nicht mehr! Es kann nicht nur instrumentationstechnische Gründe haben, wenn ein Komponist eine Instrumentengruppe, die er noch dazu eigens für dieses Werk erfunden hat, einen gesamten Akt von etwa 70 Minuten Dauer (bzw. 60 Minuten im „Siegfried“) nicht einsetzt, sondern es muss auch ein dramaturgischer Sinn dahinterstehen. Schauen wir uns also an, wo die Tuben noch spielen: Zum Beispiel wird ihr angeblich so weihevoller Klang dazu „missbraucht“, den Riesenwurm in der 3. „Rheingold“-Szene zu beschreiben, aber auch um später in harten, brutalen Klängen Hunding zu charakterisieren. Ebenso wird das „gezackte“ Donner-Motiv in der 4. Szene 18
Robert Donington, „Wagner’s ‚Ring‘ and Its Symbols. The Music and the Myth“, deutsch: „Richard Wagners ‚Ring des Nibelungen‘“ und seine Symbole. Musik und Mythos, Stuttgart 21976, S. 236, Leitmotiv Nr. 8.
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des „Rheingolds“ nach den Hörnern von den Tuben übernommen und im Vorspiel zur „Walküre“ von diesen sogar exponiert. Eine genaue Analyse aller einzelnen Tubeneinsätze offenbart darüber hinaus, dass in der gesamten 3., der Nibelheim-Szene im „Rheingold“ einschließlich ihres Vor- und Nachspiels, also während Wotans ganzem Abstieg in die Unterwelt, mit wenigen, aber signifikanten Ausnahmen nur die tiefen Tuben verwendet werden und später beim Erda-Auftritt nur drei der vier Wagner-Tuben. Nicht zuletzt diese Beobachtungen bringen mich zu der Überzeugung, dass deren Klang also für bewusstes wie unterbewusstes Machtstreben – vor allem Wotans – steht, oder wenn man wie Robert Donington den ganzen „Ring“ als Parabel der Entwicklung einer einzigen Psyche ansieht: für das Selbst und dessen Machtanspruch, der durch den (Lichtalben) Wotan symbolisiert wird, sich aber auch in dessen „Schatten“, in (Nacht- oder Schwarz-)Alberich, manifestieren kann. So gesehen ist Wotans Fahrt hinunter zu Alberich nach Nibelheim eine gefährliche Reise in sein eigenes Unterbewusstsein und die Erscheinung des Wurms (tiefe Tuben) die Konfrontation mit dem Machtanspruch seines Schattens, also mit seiner eigenen Angst. Genauso ist Erdas Wissen eigentlich ein Teil von Wotans Selbst, aber eben ein unterbewusster: Wotans verdrängtes Gewissen, und deshalb unvollständig. Die Orchestration scheint also die Aussagen des Textes und der Leitmotive auf einer tieferen Interpretationsebene zu hinterfragen. (Deshalb hörte Wotan in unserer Münsteraner Inszenierung des „Rings“19 Alberichs Liebesentsagung in der 1. Szene des „Rheingolds“ mit an: Sie nimmt voraus, dass er selbst gegen seinen Willen ebenso der Liebe wird entsagen müssen, wie er später, zu Beginn seiner großen Erzählung im 2. Aufzug der „Walküre“, dann auch eingesteht.) Ein derart dramaturgisch-symbolischer Einsatz der Orchesterinstrumente sollte nicht verwundern bei einem Komponisten, der im Schlussakkord des „Tristan“ ein einziges Instrument ausspart – ansonsten alle anderen im Pianissimo verklingen lässt –, nämlich das Englischhorn: Dessen Stimme verstummt drei Takte eher, denn sie repräsentiert in diesem Werk die Sehnsucht, die im Tod endet und schweigt. 19
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„Der Ring des Nibelungen“, Musikalische Leitung: Will Humburg, Regie: Peter Beat Wirsch, Bühne: Roland Aeschlimann, Städtische Bühnen Münster 1999–2001.
Offensichtlich schafft Wagner neben den beiden vertrauten Erzählschichten seines Werkes – der Dichtung einerseits und dem diese kommentierenden musikalischen „Beziehungszauber“ andererseits, also den Leitmotiven, -rhythmen und -akkorden – noch eine dritte Ebene: eine Art Leitorchestration als weitere Möglichkeit der psychologisch-philosophischen Interpretation des Textes und der dramatischen Situation. Sie kann die beiden anderen Ebenen ergänzen oder auch durchaus konträr deuten sowie auf Tiefenschichten hinweisen, die dem Hörer das Unterbewusstsein der Figuren oder die Verbindung unterschiedlicher Handlungsstränge erschließen.20 Einer der schlagendsten und geradezu plakativen Belege für dieses Konzept einer Leitorchestration ist das Tarnhelm-Motiv, das bei seinem ersten Erklingen zu Alberichs Demonstration der Macht dieses Zauber-Gewirks vor und für Mime in den ungemein geheimnisvollen Klang der gedämpften Hörner gekleidet ist, der hier zum ersten Mal im „Ring“ erscheint und sich dem Hörer besonders einprägt. Aber schon beim dritten Mal, im Gespräch Mimes mit Wotan und Loge wird das Motiv von den Fagotten sowie dem Englischhorn als Oberstimme gespielt: Es ist zwar derselbe Gegenstand, aber Mime weiß – darin Goethes Zauberlehrling verwandt – die dem Tarnhelm innewohnende Kraft eben nicht abzurufen: Den Zauber, der ihm entzuckt, den Zauber erriet ich nicht recht, und genau dies bestätigt uns die veränderte Instrumentation. Des Weiteren seien hier einige Beispiele angeführt, in denen Wagner sich für eine symbolisch-dramaturgische Deutung einer bestimmten Stelle und gegen eine klanglich „bessere“, für die emotionale Rezeptionsebene eigentlich wirkungsvollere Instrumentierung 20
Wagner formuliert diesbezüglich in „Oper und Drama“ (wie Anm. 4, S. 330): „So verdichtet sich die Tonsprache eines Instruments unmöglich zu einem Ausdrucke, der nur dem Organe des Verstandes, der Wortsprache, erreichbar ist; sondern sie spricht, als reines Organ des Gefühles, gerade nur das aus, was der Wortsprache an sich unaussprechlich ist, und von unserem verstandesmenschlichen Standpunkte aus gesehen also schlechthin das Unaussprechliche. Dass dieses Unaussprechliche nicht ein an sich Unaussprechliches, sondern eben nur dem Organe unseres Verstandes unaussprechlich, somit also nicht ein nur Gedachtes, sondern ein Wirkliches ist, das tun ja eben ganz deutlich die Instrumente des Orchesters kund, von denen jedes für sich, unendlich mannigfaltiger aber im wechselvoll vereinten Wirken mit anderen Instrumenten, es klar und verständlich ausspricht.“
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entscheidet. Auffällig sind gleich die ersten Takte des Vorspiels zum „Rheingold“: Den zweiten Einsatz hat Wagner den Fagotten übertragen, die von ihrer Klangerzeugung her vor allem die tiefe Oktave gar nicht so weich und leise blasen können, wie es dieser Beginn aus dem Nichts eigentlich erfordern würde und wie es die Kontrabässe mit dem ersten tiefen Es vormachen; die folgende Oberquinte B könnten diese, aber auch die Violoncelli, die Bassklarinette oder tiefe Hörner viel besser im Piano realisieren. Ein anderes Beispiel findet sich in der 4. Szene: Zu Donners Worten Hierher, du Hund! Willst du messen, so miss dich selber mit mir! verweisen die stark gestoßenen Akkorde der Tuben darauf, dass Donner hier eigentlich für Wotan und dessen eigene unterdrückte Gewalt steht. Würden diese Akkorde allerdings von den in dieser Lage härteren und lauteren Posaunen gespielt, könnte das die brutale Aggression der Stelle – oberflächlich gehört – durchaus effektvoller ausdrücken. Ähnliches gilt in der „Walküre“ wie erwähnt für das Hunding-Motiv, aber auch für den Beginn des Nachspiels zum 1. Aufzug mit dem tiefen Einsatz des Schwert-Motivs, jeweils für die Tuben gesetzt statt für Posaunen oder vielleicht Hörner. In der tabellarischen Übersicht auf der nächsten Seite sind die symbolisch-dramaturgischen Bedeutungen stichwortartig skizziert, die meiner Untersuchung nach Wagner den einzelnen Instrumenten zuordnet. Diese Liste der „Leitklangfarben“ möge dem Leser meines analytischen Durchgangs durch das „Rheingold“ helfen, bei den Stellen, an denen ich auf die jeweilige Orchestration explizit eingehe, meine Interpretation zu überprüfen oder zu hinterfragen, bei allen anderen hingegen eventuell eigenständige Deutungen vorzunehmen. Die Genialität Wagners besteht nun auch darin, dass er einerseits in seiner Instrumentation des „Rings“ von Werk zu Werk fortschreitend immer raffiniertere, also immer perfekter „ausgehörte“ Mischklänge erfindet, dass aber andererseits gerade die Kombination einzelner Instrumente bzw. verschiedener Instrumentengruppen durch die Verbindung ihrer Symbolgehalte oft wertvolle psychologische oder philosophische Zusatzinformationen zur jeweiligen szenisch-dramatischen Situation liefert. Auch hier mögen drei Beispiele genügen. Beim ersten Erscheinen des Walhall-Themas am Anfang der 2. Szene im „Rheingold“ spielen zu Beginn alle vier Wagner-Tuben
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Leitklangfarben im „Ring des Nibelungen“ Hörner
Natur oder Glaube daran; auch natürliche Abstammung; mit Dämpfern oder gestopft gespielt: Verfremdung oder Verschleierung der (eigenen) Natur
Tuben
(Lichtalberich) Wotan, Sinnbild für sein Selbst und dessen Machtanspruch; gilt auch für dessen Schatten (Nacht-)Alberich
Posaunen
Tod oder Todesahnung; ehernes Gesetz, das zu Lähmung und Tod führt
Trompete
dynamische Tat; Entschluss; Idee; kreativer Geist
Harfe
gleißende Verführung; Attraktion, nicht nur erotisch, auch durch Macht; Verblendung und Illusion
Violinen
menschliche Wärme und Emotion; der Mensch
Bratschen
Nibelungen; Hort; in der Erde; auch Schlauheit oder Verschlagenheit
Violoncelli
menschliches Leid; Liebesleid (der Glücklosen)
Flöten
Licht; Höhe; Reinheit; Schönheit
Oboen21
Naivität; Klage, besonders im Englischhorn
Klarinetten
Weiblichkeit; Erotik; Intuition; aber auch Triebhaftigkeit
Fagotte
Tiefe; Urschlamm; Verschlagenheit; Alberich als Wotans Nachtseite (über die Kontrabasstuba als gemeinsamem Subbass mit den Tuben, also mit Wotans Selbst und seinem Machtanspruch verbunden)
Pauken
Geheimnis; Dramatik; drohende Gefahr; Tod
und die Kontrabasstuba (plus die Kontrabassposaune als Klangauffüllung zum sechsstimmigen Satz) sowie zwei Harfen, aber auch für einige Takte noch Violoncelli und Kontrabässe. Ihr leises Tremolo symbolisiert das Sich-Verflüchtigen der letzten zarten Wolkenschleier, also der Verbindung zur irdisch-menschlichen Welt. Und 21
Die Oboe ist das einzige Instrument, zu dessen Klang Wagner sich selbst geäußert hat: „Sie ist das naive, tragische Instrument“ (zitiert nach Voss, „Studien zur Instrumentation“, wie Anm. 10, S. 180).
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während die Tuben, wie wir gesehen haben, für Wotans Machtanspruch stehen, verweist die klanglich sehr eigenartige Kombination mit den Harfen auf die gefährliche Verführung, die von der Macht ausgeht und der sich kaum jemand entziehen kann, gleich ob er zurzeit Macht besitzt oder nicht. Im weiteren Verlauf treten nach und nach die Posaunen und die Trompeten mit dem zu langsamen Militärsignalen stilisierten Todes-Rhythmus hinzu, bis diese in der Mitte das Thema sogar für zwei Takte von den Tuben übernehmen. Dramaturgisch-symbolisch bedeutet das: Machtanspruch und Machtausübung, also der Dualismus, auf dem jeder Staat gründet, ist letztlich lähmend und tödlich (Posaunen und der Todes-Rhythmus), auch wenn der Antrieb zum Erhalt dieser Macht zu kriegerischen, „dynamischen“ Aktionen führt (Trompeten), die den Gang der Geschichte vorantreiben. Für all dies steht als szenisches Symbol die „prangende Götterburg“ Walhall, die wir gleichzeitig auf der Bühne sehen. Der Zauberspruch, mit dem Alberich in der 3. und 4. Szene die Macht des Rings „aktiviert“, kombiniert die vier Leitmotive des Rings, des Rheingold-Rufs, der Wehe-Sekunde und des Rheintöchter-Jubels miteinander. Die zwischen Englischhorn, Klarinette und Trompeten, dann Holzbläsern und Hörnern sowie schließlich Trompeten, Posaunen und Tuben wechselnde Orchestration verweist dagegen unter anderem auf menschliche Klage, aktive Energie, Tod und die Spiegelung von Wotans Machtanspruch in Alberich. Die Erscheinung Erdas gegen Ende der 4. Szene wird begleitet von ihrem Motiv, das eine Mollversion des Natur-Motivs darstellt und damit auf ihren Ursprung aus dieser verweist. Die Instrumentierung mit Posaunen, dem unvollständigen Tuben-Satz und zwei Fagotten lässt ihren Auftritt jedoch bedrohlich klingen und stellt eine Verbindung zu Wotans Unterbewusstsein her sowie zur Tiefe, dem „Urschlamm“, aus dem sie entspringt. Als ein letztes Argument für meine These möchte ich hier noch drei besonders auffällige Stellen anführen, an denen Wagner Stimmen für Instrumente schreibt, die im Gesamtklang des vollen Orchesters in einer realen Theateraufführung praktisch nicht zu hören sind. Nicht von ungefähr betreffen alle drei die Harfen: Nach dem zweiten Rheintöchter-Terzett, dem Jubellied auf das Gold, in der 1. Szene des „Rheingolds“ schreibt Wagner im zweiten Takt des Fortissimo-Nachspiels unter dem hohen g2 als Schlusston des
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Rheingold-Motivs in der Trompete, dem zweiten Wellen-Motiv in den hohen Streichern sowie dem zum Teil getrillerten Akkord der Holzbläser und Hörner noch ein einfaches einstimmiges Arpeggio zweier Harfen. Und sowohl im Walkürenritt als auch in Siegfrieds Schmelzlied lässt er jeweils nur für einige Takte kurz die Harfen mitspielen. Da es für deren Verwendung an diesen Stellen offensichtlich keine klanglich-akustischen Gründe gibt, müssen sie hier als Symbol gemeint sein, nämlich für die rauschhafte Verführung, die vom Gold, aber auch von der fanatischen Kriegsbegeisterung der Walküren bzw. von Siegfrieds kreativer Tatkraft ausgeht. Nun könnte man einer derartigen Deutung durchaus den Vorwurf einer „herbeianalysierten“ und übergestülpten Schematik machen. In der Tat besteht die Gefahr, über das Ziel hinauszuschießen, denn nicht jede musikalisch „unwichtige“ Nebenstimme, die nur zur Klangauffüllung dient (etwa in den Hörnern, die mit Wagner ja auch zum „Klangkitt“, zum vielgerühmten „Pedal“ des Orchesters werden), muss symbolisch-dramaturgisch begründet sein. So habe ich bisher zum Beispiel noch keine einleuchtende dramaturgische Begründung gefunden für Wagners schon im „Tannhäuser“ beginnende Vorliebe für die Begleitung von rezitativischen Passagen nur mit geteilten Bratschen, Violoncelli und eventuell Kontrabässen statt mit dem ganzen Streicherapparat (zum Beispiel am Beginn von Loges Bericht in der 2. Szene des „Rheingolds“). Andererseits ist auch bei Wagner selbst sicherlich ein gewisser Hang zur Redundanz kaum zu bestreiten. Die Dramaturgie des „Rings“ ist „berüchtigt“ für die Nacherzählungen von Vorgängen, die der Zuschauer zuvor schon auf der Bühne gesehen hat, das erste Mal wiederum in Loges Bericht im „Rheingold“. Und in seiner Dichtung drückt Wagner oft einander entsprechende Gedanken mehrfach in ähnlichen, parallelen Formulierungen aus. Demgemäß können auch die äußerst vielfältigen Kombinationen seiner Leitmotive, -akkorde und -rhythmen mit den von ihm gesetzten Klangsymbolen an vergleichbaren, aber auch unterschiedlichen Stellen ähnliche bis gleichlautende Deutungsmöglichkeiten bieten. Ein erstes Beispiel ist etwa die in der 1. Szene mehrfach vorgeführte musikalische Ableitung des Nibelungen-Schmiede-Motivs aus dem übermütigen Lachen der Rheintöchter. Der symbolische Einsatz von Instrumenten hat schon in der Musik des Barock eine große Tradition, mit Wurzeln, die bis in die
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Renaissance zurückreichen. Diese barocken Gestaltungsmittel sind teilweise noch bis weit in die Romantik hinein zu finden, und auch gerade dort, wo man sie vielleicht am wenigsten vermutet, nämlich bei Wagner. Er selbst beruft sich zwar vor allem auf Beethovens Symphonik und dessen motivische Verarbeitungstechnik. Doch sind einige seiner musikalischen Stilmittel wie Sequenzierungen und geradezu haptisch gestaltete Motive (Wellen-Motive, Ring-Motiv usw.), aber auch das Konzept einer „rhetorischen“ Instrumentation durchaus noch von der Barockmusik beeinflusst. Denn gerade Wagners Idee des Musikdramas als „Gesamtkunstwerk“ bedurfte einer gestischen und symbolisch aufgeladenen Musik, die mit dem szenischen Geschehen in engste Wechselwirkung treten konnte.22 Darüber hinaus gibt es noch einen weiteren Punkt, in dem Wagner, der ansonsten so viel Wert darauf legt, in allen Bereichen Neues zu schaffen, in barocker oder sogar mittelalterlicher Tradition steht: Man kann sowohl im Personenregister wie in der Orchesterbesetzung, aber auch in der formalen Anlage der Tetralogie eine Vorliebe für Zahlensymbolik erkennen. Die Übersicht auf der nächsten Seite führt stichwortartig einige Auffälligkeiten an, die den gesamten „Ring des Nibelungen“ betreffen. Dieses Thema kann hier lediglich angedeutet werden, die aufgelistete weitere Symbolik kann aber in der nun folgenden Gesamtanalyse des „Rheingolds“ bei einigen Deutungen einen interessanten zusätzlichen Aspekt aufzeigen.
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Wagner selber stellt dazu im dritten Teil von „Oper und Drama“ (wie Anm. 4) fest: „Das Orchester besitzt unleugbar ein Sprachvermögen“ (S. 329), und fährt etwas später fort: „Das Sprachvermögen des Orchesters lehnt sich […] an seine Verwandtschaft mit dem der [szenischen] Gebärde […] an […]. Es spricht in Tonfiguren, wie sie dem individuellen Charakter besonders entsprechender Instrumente eigentümlich sind und durch wiederum entsprechende Mischung der charakteristischen Individualitäten des Orchesters zur eigentümlichen Orchestermelodie sich gestalten, das in seiner sinnlichen Erscheinung und durch die Gebärde an das Auge sich Kundgebende so weit aus, als zur Deutung dieser Gebärde und Erscheinung […] eben kein Drittes, nämlich die vermittelnde Wortsprache nötig war“ (S. 336f.). Schließlich fasst er zusammen: „Der Chor der griechischen Tragödie hat seine gefühlsnotwendige Bedeutung für das Drama im modernen Orchester allein zurückgelassen, um in ihm […] zu unermesslich mannigfaltiger Kundgebung sich zu entwickeln“ (S. 349).
Zahlensymbolik im „Ring des Nibelungen“ Zahl 1:
Singularität Wotan, Loge, Erda, Hunding, Brünnhilde, Siegfried, Waldvogel, Hagen ein allwissendes Orchester eine Kontrabasstuba als absolut tiefstes Instrument
Zahl 2:
Paar, Dynamik Wotan und Fricka (Ehepaar), Wotan und Alberich (Gegensatzpaar), Alberich und Mime (Brüder/Zwerge), Fricka und Freia (Schwestern), Froh und Donner (Brüder), Fasolt und Fafner (Brüder/Riesen), Siegmund und Sieglinde (Liebespaar), Siegfried und Brünnhilde (Liebespaar), Gunther und Gutrune (Geschwister), Siegfried und Gutrune (Liebespaar aufgrund von Betrug), Brünnhilde und Gunther (erzwungenes Liebespaar), Alberich und Hagen (Vater und Sohn durch sexuelle Gewalt) – je weiter der „Ring“ fortschreitet, desto weniger funktionieren die Paare Takt: 2/4, 4/4
Zahl 3:
Natur, Natürlichkeit, Naturwissen (naiv, unbewusst) 3 Rheintöchter, 3 Nornen, 3 × 3 Walküren (Wotan „schafft“ Hyper-Natur); Hagen, Gunther, Gutrune: Halbgeschwister (= Pseudo-Natur) 3 „Tage“: „Walküre“, „Siegfried“, „Götterdämmerung“; jeweils 3 Aufzüge Tonart: 3b = Es-Dur (Beginn) Takt: 3/4, 6/8, 9/8 (jedoch nicht die Taktperiodik) (3 + 2 + 1) × 3 Ambosse, 2 × 3 Harfen (= trügerische, fatale Verführung)
Zahl 4:
Ewigkeit, Unendlichkeit, alles umfassend (Natur und Geist), Kosmos, die Welt, die alles umfassende Form 4 Musikdramen; der zeitlose, mythische Vorabend „Rheingold“: 4 Szenen alle Instrumentengruppen vierfach besetzt: 4 × 4 erste Violinen, 4 × 4 zweite Violinen, 3 × 4 Bratschen, 3 × 4 Violoncelli (12 statt 10!), 2 × 4 Kontrabässe, 4 Flöten, 4 Oboen, 4 Klarinetten, 4 × 4 Blechbläser (Trompeten, Posaunen, Hörner, Tuben) – Ausnahmen: 3 Fagotte (Urschlamm, Natur, niedere Instinkte, s. o.) und eine Kontrabasstuba
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Das Rheingold Erste Szene: Auf dem Grunde des Rheines Vorspiel Der Anfang von Richard Wagners „Das Rheingold“, also der Beginn des Vorabends des „Ring des Nibelungen“, dieses gigantischgigantomanischen, beinahe fünfzehn Stunden währenden „Bühnenfestspiels“ vom Anfang und Ende dieser Welt, ist gewiss einer der genialsten und eindrucksvollsten Anfänge der gesamten Musikgeschichte: Erst ein tiefer Subbass-Ton in den Kontrabässen23 samt seiner oberen Oktave, im Pianissimo wie aus dem Nichts einsetzend, als wäre er schon immer da gewesen und nur eben jetzt in unser Bewusstsein getreten; dann die beiden Oberquinten in den Fagotten, die im „Ring“ vor allem für die Tiefe, den „Urschlamm“ stehen; ab dem neunten Takt eine erste rhythmische Struktur durch zweitaktiges, quasi antiphones Atmen; endlich, nach 16 Takten auch eine erste, die einfachste denkbare Melodie: eine über mehr als zwei Oktaven aufsteigende Dreiklangsbrechung in den Hörnern.24 Sie besteht aus dem 1., 2., 3., 4., 5., 7. und 9. Oberton des darunter weiterhin durchgehaltenen Subkontra-Es. Für 136 Takte bleibt dieser Es-Dur-Akkord unverändert und beherrscht damit das gesamte Vorspiel. Es-Dur ist – spätestens seit Mozarts „Zauberflöte“ – für viele Komponisten die Tonart der Weisheit, aber auch der Natur (für die das Horn als instrumentales Symbol steht), „durch seine drei b die 23
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„Dieses tiefe Es der Kontrabässe wird durch einen Orgelpedalton unterstützt“ (Wagner 1876). „Die hohen Noten, besonders das g, sind immer mit großer Zartheit und piano zu blasen“ (Wagner 1876). In „Oper und Drama“ (wie Anm. 4, S. 309) schreibt Wagner: „Die Melodie, wie sie auf der Oberfläche der Harmonie erscheint, ist für ihren entscheidenden rein musikalischen Ausdruck einzig aus dem von unten her wirkenden Grunde der Harmonie bedingt: wie sie sich selbst als horizontale Reihe kundgibt, hängt sie durch eine senkrechte Kette mit diesem Grunde zusammen. Diese Kette ist der harmonische Akkord, der als eine vertikale Reihe nächst verwandter Töne aus dem Grundtone nach der Oberfläche zu aufsteigt.“
heilige Trias ausdrückend.“25 Drei b sind also vorgezeichnet, und das Ganze steht im doppelten Dreiertakt (6/8), im zum Paar erweiterten mittelalterlichen Tempus perfectum. Damit ist das erste von drei das gesamte Riesenwerk beherrschenden Hauptthemen eingeführt: die in sich ruhende, „vollkommene und unschuldige“ Natur im Bezug zum Menschen, der durch die Liebe zur Vereinigung im Paar strebt. Das zweite Thema, das diesem uranfänglichen menschlichen Verlangen antagonistisch entgegengesetzte Streben nach Macht, wird am Ende der 1. Szene über die Faszination des Goldes exponiert. Und das dritte, die Angst – vor allem vor dem Verlust von Macht bzw. Besitz, später aber auch vor Sexualität – und ihre mögliche Überwindung wird erst ab dem Ende der 2. Szene über die gesamte Tetralogie hin nach und nach immer größeren Raum einnehmen. Zugegeben, diese Interpretation des „Rheingold“-Beginns mag etwas pathetisch, ja beinahe religiös anmuten, doch lassen sich im weiteren Verlauf dieses Vorspiels zur 1. Szene, vom Einsatz der Hörner bis zum ersten Erklingen der Singstimme, sechs klar unterscheidbare Entwicklungsstufen in der Musik ausmachen, die man in gewisser Hinsicht mit den sechs Tagen des alttestamentlichen Schöpfungsmythos in Verbindung bringen kann. Bereits die beiden Anfangstöne mit ihrem „Atmen“ ab dem neunten Takt lassen sich als musikalische Umschreibung des in der Genesis dargestellten Urzustandes interpretieren: „Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe, und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser“ (Gen 1,2). Daneben bietet sich aber auch eine rein psychologische Deutung dieses singulären Anfangs an. Auf eine solche weist die von Wagner – allerdings wohl zum Zwecke der Mythenbildung um die eigene Person – berichtete „Inspirationslegende“ hin, in der er beschreibt, dass ihm das „Rheingold“-Vorspiel plötzlich mit visionärer Deutlichkeit vor Augen gestanden sei, als er in La Spezia auf dem Sofa seines Hotelzimmers im Halbschlaf lag.26 Demnach lässt uns die Musik hier einen stufenweisen Aufstieg aus dem tiefsten „Urschlamm“ des Unbewussten in die höchste Differenziertheit menschlichen Bewusstseins erleben.
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Christian Friedrich Daniel Schubart, „Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst“, Wien 1806, S. 379. Richard Wagner, „Mein Leben“, 4./5. September 1853.
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Rein musikalisch ist die im 17. Takt einsetzende aufsteigende Horn-Phrase, die im Folgenden in immer kürzeren Abständen scheinbar endlos kanonisch wiederholt wird, gewissermaßen das UrMotiv der Tetralogie und damit das Ausgangsmaterial für einen großen Teil aller folgenden Motive. In der hier erklingenden melodischen Gestalt werden wir das Motiv im gesamten „Ring“ allerdings nur noch einmal, im Vorspiel zum 3. Aufzug der „Götterdämmerung“ hören. Die sechs Entwicklungsstufen der Musik sind im Einzelnen: 1. (T. 17) Dreiklangsbrechung in den Hörnern in doppelt ternärem Rhythmus (also quasi einer triolischen Doppelpunktierung) – das Ur-Motiv. 2. (T. 49) Achtel-Umspielung der Dreiklangsbrechung, von den Violoncelli über die Bratschen in die Violinen auf- und wieder absteigend, mit diatonischer Auffüllung der Quinte; die Fagotte und später die Flöten spielen dazu deren Verkürzung auf fortschreitende zweistimmige Akkorde – dies ist das Natur-Motiv. 3. (T. 81) Diminution der vorangegangenen Achtel-Umspielung zu Sechzehnteln, wieder in den Violoncelli beginnend, nach 16 Takten auch in den Bratschen und den zweiten Geigen – das erste Wellen-Motiv. Klarinetten und später Oboen unterstreichen dazu nun ebenfalls in doppeltem Tempo deren akkordische Zusammenfassung; vor allem in dieser Version werden wir dem Natur-Motiv im weiteren Verlauf der Tetralogie wieder begegnen. 4. (T. 113) Das Gleiche mit Hinzufügung der höheren Oktave in den ersten Violinen und voller instrumentiert – unter anderem mit dem Einsatz der Trompeten, die in der Orchestration des „Rings“ für dynamische Tatkraft und Kreativität stehen. 5. (T. 129) Zu den nun nur noch erklingenden Endungen der beiden vorangegangenen Motive in den hohen Holzbläsern und Streichern hören wir in den Celli, den zweiten Geigen und in den übrigen Holzbläsern über mehr als drei Oktaven nach oben drängende Tonleitern: Die höchste Kraft und Dynamik der die Natur imaginierenden Musik ist erreicht,27 es spielt nun das volle Orchester mit Ausnahme des Schlagwerks. 27
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„Das große Crescendo ohne jede Gewaltsamkeit, wie ein Naturphänomen, auszuführen“ (Wagner 1876).
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(T. 137) Auf diesem ersten Höhepunkt der Entwicklung tritt die menschliche Stimme hinzu.28 Damit verändert sich der bis hierhin durchgehend erklingende Es-Dur-Akkord zum AsDur-Quartsextakkord, und es endet der (vor der Minimal Music) wohl längste ausgehaltene Akkord der Musikgeschichte.
Die Rheintöchter Der Mensch betritt also die Szene29 – allerdings eigentlich acht Takte zu früh und dann gleich mit einer unregelmäßigen, siebentaktigen Gesangslinie; er stört damit die bis zur vierten Entwicklungsstufe harmonische Periodik der Natur aus immer 16 (= 4 mal 4) Takten. Zusammen mit dem Akkordwechsel über dem gleichbleibenden Basston Es kann diese Symbolik bedeuten: Der frühe Mensch lebt zwar noch im Einklang mit der Natur, aber er trägt die Möglichkeit des willentlichen bzw. willkürlichen Veränderns derselben und ihrer Entwicklung schon in sich. (Der Grundton Es wird erst nach weiteren 21 Takten zum C hin verlassen.) Das dem musikalischen entsprechende szenische Symbol sind die „naiven“ Rheintöchter, die der Natur noch näherstehen als die später agierenden Götter, Zwerge und Riesen, da sie – um im religiösen Bild zu bleiben – noch nicht vom „Baum der Erkenntnis“ gegessen haben. Analog zu der hier beginnenden dramatischen Exposition werden nun auch in der Musik in kurzer Folge Leitmotive, Leitrhythmen und Leitakkorde eingeführt bzw. in rudimentären Vorformen angedeutet, die zum Teil erst viel später bedeutungsvoll hervortreten werden. Die Melodie, mit der Woglinde über einer in den sich abwechselnden Violinen fortlaufenden Variante des ersten WellenMotivs30 zu ihrem berühmten Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege! Wagala weia! Wallala weiala weia! nun einsetzt, ist das erste 28
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Vgl. „Oper und Drama“ (wie Anm. 4, S. 251): „Aus einem unendlich verfließenden Gefühlsvermögen drängten sich zuerst menschliche Empfindungen zu einem allmählich immer bestimmteren Inhalte zusammen, um sich in jener Urmelodie zu äußern, dass der naturnotwendige Fortschritt in ihr sich endlich bis zur Ausbildung der reinen Wortsprache steigerte.“ „Die ganze Szene äußerst fließend im Zeitmaß! Nirgends ein Verweilen“ (Wagner 1876). „Die Akkordfigurationen im äußersten pp“ (Wagner 1876)
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Rheintöchter-Motiv.31 Es beginnt auf f, also mit einem großen Nonenvorhalt in Bezug auf das nun von den Hörnern weiterhin durchgehaltene tiefe Es, dem Intervall, das zum Terzenakkord aufgefüllt später der Leitklang für das verführerische Spiel der Rheintöchter mit Alberich, aber auch für die vom Gold (des Rheines) anstelle der Erotik ausgehende Verführungskraft werden wird. Der heitere, quasi improvisierende Duktus der Melodie und die lautmalerischen Nonsens-Silben des Textes assoziieren das naive Lallen eines Kindes, das gerade erst sich der Sprache bemächtigt, oder sogar das Entstehen dieser selbst aus bedeutungslosen, unzusammenhängenden Naturlauten. Insofern kann das Vorspiel zu dieser Szene durchaus auch als Beschreibung eines Geburtsvorgangs gedeutet werden, und dieses erste Rheintöchter-Motiv stünde dann für das menschliche Leben „in statu nascendi“, dem noch die Utopie einer sorglosen Zukunft innewohnt (im Gegensatz zu Erdas düsterer Prophezeiung gegen Ende dieses Vorabends: Sinn in Sorg’ und Furcht!) Im drittletzten Takt dieses Leitmotivs hören wir zum ersten Mal den punktierten Rhythmus:
Dies ist der erste Leitrhythmus im „Ring“, und er steht für die Lebenskraft (vgl. zum Beispiel das Schmiede-Motiv). Sechs Takte später (Woglinde: Mit Wellgunde wär’ ich zu zwei!) erklingt er in dieser, markanteren Version:
Zusammen mit dem fallenden Dreiklang weist dieser zweite Lebenskraft-Rhythmus schon voraus auf die genauso rhythmisierten übermäßigen Dreiklänge der Hojotoho-Rufe in der „Walküre“ sowie später auch auf Siegfrieds Hornruf. Ein weiterer Leitrhythmus wird einen Takt danach von Wellgunde angedeutet (Lass sehn, wie du wachst!):
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„In den Einzel-Gesängen der Rheintöchter ist stets der dramatisch-dialogische Charakter festzuhalten“ (Wagner 1876).
Er wird später zum Todes-Rhythmus werden (vgl. S. 97 und 164).32 Zugespitzt formuliert könnte dies also hier schon andeuten: Mit der fehlenden Wachsamkeit der Rheintöchter und dem dadurch ermöglichten Raub des Rheingolds beginnt das Sterben der Natur bzw. der Welt. Noch einmal sechs Takte später (Flosshilde, schwimm! Woglinde flieht) ist die musikalische Antizipation der späteren Hojotoho-Rufe der Walküren, die ja den Rheintöchtern in manchem ähneln, überdeutlich: Rhythmus und Melodieführung sind nahezu gleich, nur die Alteration der fünften Stufe zum übermäßigen Dreiklang, also das Ausbrechen aus der Ordnung der Tonalität, fehlt noch (vgl. S. 35). In diesem Sinne lassen sich die Walküren-Rufe dort als „pervertierte“ Naturlaute einer von Wotan in der Zeitspanne zwischen „Rheingold“ und „Walküre“ erschaffenen „Hyper-Natur“ deuten. Ausgerechnet zur ersten Erwähnung des für die Tetralogie so schicksalhaften Goldes durch Flosshilde erfolgt mit der Hinwendung nach c-Moll, der traditionell „tragischen“ und (seit Beethovens 5. Symphonie) „Schicksals-Tonart“, endlich der erste BasstonWechsel (Des Goldes Schlaf hütet ihr schlecht!); dadurch wird auch die harmonische Entwicklung der Musik in Gang gesetzt: Das Drama beginnt! Und schon vier Takte später, unter Flosshildes Besser bewacht des Schlummernden Bett, hören wir mit a und fis die ersten tonartfremden Töne: Der so in ihrer Melodie auf bewacht im Zusammenklang mit den Bratschen entstehende „teuflische“ Tritonus, der „Diabolus in musica“, weist noch einmal hin auf die fehlende Wachsamkeit als Auslöser der in den nächsten knapp fünfzehn Theaterstunden folgenden dramatischen Entwicklungen. Das Ende von Flosshildes Ermahnung Sonst büßt ihr beide das Spiel! umschreibt im Zusammenklang der Gesangslinie und der begleitenden Violinen mit dem f im Englischhorn sowie danach in den Klarinetten nun einen vollständigen großen Nonenakkord, den späteren Leitakkord der erotischen Verführung (vgl. S. 34). 32
Interessant ist, dass dieser anapästische Rhythmus – kurz-kurz-lang – auch bei Wagners großem Antipoden Giuseppe Verdi meistens in Zusammenhang mit dem Tod erklingt.
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Auftritt Alberichs Bis hierher wurde die heitere Unterhaltung der drei Rheintöchter von den hohen Streichern mit Perpetuum-mobile-artig durchlaufenden Sechzehntelfiguren begleitet, die der dritten Entwicklungsstufe des Vorspiels entnommen sind, teilweise sekundiert von der komprimierten Version des Natur-Motivs in den Holzbläsern. Es folgt ein kurzes Zwischenspiel mit einer zur Dominante B-Dur transponierten Reminiszenz der vollständigen Wellenmusik. Gegen dessen Ende kündigt sich, leise beginnend, dann crescendierend, mit den nachschlagenden dissonanten Achteln der Kontrabässe auf A eine Störung der harmonischen Idylle an: „Aus einer finstren Schlucht ist währenddem Alberich, an einem Riff klimmend, dem Abgrunde entstiegen“ (Szenenanweisung). Das „störende“ A steht als „diabolischer“ Tritonus zu Es somit einerseits im größtmöglichen Abstand zur Tonart der Natur, andererseits erklingt mit dem darüber durchgehaltenen B-Dur hier viermal flüchtig ein kleiner Sekundakkord und damit eine erste Andeutung des späteren Leitakkords der Angst (vgl. S. 33). Diese holprig hinkenden Achtel-Synkopen begleiten dann auch die ersten Worte des Nibelungen-Zwerges; zugleich hat die Musik von Vierer- zu Dreierperioden und nach g-Moll gewechselt. Alberich bleibt bei seinen ersten, „mit rauher Trockenheit im Ton“ (Wagner 1876) kurzatmig hervorgestoßenen Sätzen (Hehe! ihr Nicker! Wie seid ihr niedlich, neidliches Volk!) zunächst noch geradezu höflich zurückhaltend. Als musikalischer Kommentar auf die erstaunten Reaktionen der Rheintöchter erklingt nach Wellgundes Lugt, wer uns belauscht! in den Streichern eine entfernte Variante des Wellen-Motivs – als fallender verminderter Septakkord –, die viel später, im Vorspiel zur „Götterdämmerung“, zum Leitmotiv der Nornen werden wird. Zugleich ist diese Sechzehntelfigur eine erste Vorstufe zu dem zentralen Leitmotiv der Tetralogie, nämlich zum Motiv von Alberichs Ring. Und hier erklingt auch bedeutsam der letzte zur vollständigen chromatischen Auffüllung des Tonraums noch fehlende Ton e. E-Dur wird ab der „Walküre“ die Tonart der Liebe sein, zuerst zwischen Siegmund und Sieglinde, dann steht sie auch für die väterliche Liebe Wotans zu Brünnhilde, aber gleichzeitig ebenso für dessen größte Selbstentfremdung durch die „Opferung“ seiner Lieblingstochter auf dem Walkürenfelsen. Überhaupt wird
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sich die Liebe in diesem Weltendrama immer wieder als Illusion und (Selbst-)Betrug erweisen. In E-Dur endet – deshalb? – auch die „Walküre“.33 Die Rheintöchter „tauchen tiefer herab und erkennen den Nibelung“: Pfui! Der Garstige! Hütet das Gold! Hier hören wir zum ersten Mal chromatische Läufe (in den Streichern): Chromatik steht im „Ring“ zunächst – in alter barocker Tradition – für Gefahr und undurchsichtige, zwielichtige Situationen (was sich hier zusätzlich in den „irritierten“ Hemiolen im ersten Takt spiegelt) sowie, damit verbunden, für Furcht, gleichzeitig jedoch – und hier stellt Wagner eine bezeichnende psychologische Verbindung her – auch für erotisches Verlangen und Leidenschaft. Dies wird 24 Takte später deutlich: Zu Flosshildes Ausruf Nun lach ich der Furcht: der Feind ist verliebt! spielen die Geigen das verkürzte Wellen-Motiv in chromatischen Sequenzen. Vorher jedoch, auf das letzte Wort von Alberichs höflicher Frage Stör’ ich eu’r Spiel, wenn staunend ich still hier steh’? ergibt sich mit dem tiefen C der Violoncelli (die im „Ring“-Orchester unter anderem für Liebesleid stehen) und dem Des-Dur des Wellen-Motivs in den Klarinetten (dem instrumentalen Symbol für Weiblichkeit und Triebhaftigkeit) wieder ein kleiner Sekundakkord: Diese Tonverbindung (hier c-f-as-des) wird im weiteren Verlauf der Tetralogie ganz allgemein zum Leitakkord für Lähmung durch Angst, zusammen mit drei (!) weiteren Leitmotiven für die verschiedenen Aspekte dieses elementaren Gefühls. Etwas später schwärmt der Nibelung: Wie scheint im Schimmer ihr hell und schön! Dazu spielt ein „klagendes“ Englischhorn dreimal hintereinander eine fallende kleine Sekunde: Dieser Seufzer ist das kürzeste Leitmotiv im „Ring“, das spätere Wehe-Motiv; es entsteht hier aus einem auf seiner ersten Note ces zusammen mit dem ges und es der Klarinetten sowie dem B der Celli abermals erklingenden kleinen Sekund-, also dem Angst-Akkord, der sich mit der zweiten Note des Motivs in die Oktave mit darunterliegendem Septakkord auflöst. Solche Momente, in denen die musikalische Aussage zum gesungenen Wort konträr zu stehen scheint, sind typisch für Wagners Leitmotiv-Technik, vor allem im „Ring“. 33
„Lautes Aufjauchzen, lachende Freude und noch nicht ganzer, voller Genuß liegt im E-Dur“ (Schubart, „Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst“, S. 379.)
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Mit Lasst ihn uns kennen! beginnt Woglinde daraufhin ihr zynisches erotisches Spiel mit Alberich: Der hemiolisch in den Holzbläsern herabgleitende große Nonenakkord der Verführung leitet ihre vorgetäuschten Avancen ein. Gleichzeitig sind diese Takte eine weitere Annäherung an das spätere Ring-Motiv, das aus einer Brechung dieses Akkords entstehen wird: Auch die maßlose Macht, die der Ring verleihen wird, ist eine gleisnerische Verführung! Jetzt wechselt die Musik vom „natürlichen“ 6/8-Takt, dem doppelten Tempus perfectum, zum menschlichen, „zweibeinigen“ 2/4Takt („Etwas zurückhaltend im Zeitmaß“). Hier greift Alberich nun aktiv ins Geschehen, das heißt in die Natur, ein und „klettert mit koboldartiger Behändigkeit, doch wiederholt aufgehalten, der Spitze des Riffes zu“. Dazu hören wir eine „rutschende“, synkopierte chromatische Violoncello-Phrase; sie ist aus zwei kurzen, verlegen sich windenden und ebenfalls von den Celli gespielten chromatischen Floskeln weiterentwickelt, die einige Takte zuvor bei seinem Ihr da oben und Stör’ ich eu’r Spiel erklungen waren. Aus dem dritten Takt, den beiden abstürzenden chromatischen Zweiunddreißigstel-Läufen mit angehängten Sechzehnteln und den beiden Wehe-Sekunden in Fagotten und Kontrabässen wird Wagner später die Einleitung zur 3., der Nibelheim-Szene gestalten: Es ist das Alberich-Motiv. Die Chromatik gilt hier sowohl Alberichs erotischer Gier als auch – ganz lautmalerisch – seinem wiederholten Abrutschen am Riff: Garstig glatter glitschriger Glimmer! Wie gleit’ ich aus! Ab dem Tempowechsel ist in der Partitur ein Kreuz vorgezeichnet, und zu Alberichs nachfolgendem Einsatz Mit Händen und Füßen nicht fasse noch halt’ ich das schlecke Geschlüpfer! erreicht die Musik e-Moll, das mit der vorangegangenen Grundtonart Es-Dur über die gemeinsame Terz, also gewissermaßen mit der Natur noch durch eine direkte „Nabelschnur“ verbunden ist. Gleichzeitig bildet es die Mollvariante der Liebes-Tonart E-Dur. Gegliedert ist die Passage in sechs Dreier-Perioden. Lautmalerisch höchst drastisch artikulieren vor allem die Hörner Alberichs Verfluchtes Niesen. Ähnliche gestopft zu blasende Hörner-Akkorde werden mit denselben bellenden Vorschlägen in der 3. Szene des 2. Aufzugs der „Walküre“ das von Sieglinde in einem Anfall von Hysterie eingebildete Gebell von Hundings Hunden beschreiben.
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Nach Woglindes Willst du mich frein, so freie mich hier! kehrt die Musik zum 6/8-Takt zurück (der im Orchester durch die Sextolen der Celli eigentlich schon sechs Takte vorher antizipiert wird); und mit dem chromatisch verzerrten Wellen-Motiv in den höheren Streichern beginnt nun das böse erotische Fangen-Spielen der Rheintöchter mit Alberich. Den „verführerischen“ großen Nonenakkord hören wir jetzt zu Woglindes Locken allerdings nur als kurzen Durchgang, und zwar unmittelbar bevor Alberich ihr zuruft: O weh! du entweichst? Und wenn ihn neun Takte später dann Wellgunde und Flosshilde das erste Mal auslachen, singt Alberich schon eine Vorform des späteren Liebesbetrugs- bzw. Verzweiflungs-Motivs (vgl. S. 37f.): Wie fang ich im Sprung den spröden Fisch? Als nächste und etwas länger spielt Wellgunde ihre Reize aus; sie beginnt mit dem zweimaligen „diabolischen“ Tritonus: Heia, du Holder!,34 begleitet von Flöten, dem orchestralen Symbol für Reinheit und Schönheit, sowie von den „weiblichen“ Klarinetten. Doch schon im dritten Takt erklingt wieder der große Nonenakkord und wird immerhin über vier Takte hinweg gehalten. Dieser „Verführungs-Schaukel“ Wellgundes und der Holzbläser werden wir (jeweils variiert) im „Rheingold“ noch zweimal in der 2. sowie in der 4. Szene wiederbegegnen. Gegen Ende von Wellgundes erotischer Umgarnung (Bist du verliebt und lüstern nach Minne) erklingt auf das Wort lüstern der erste übermäßige Dreiklang der Tetralogie. Dieser Akkord ist, für sich allein genommen, der einfachste atonale Klang. Er steht im weiteren Verlauf des „Rings“ für das Sprengen der bestehenden Weltordnung, was auch – wie hier – für die Sexualität gilt. Eine besonders markante Stelle, an der wir diesen Leitklang wieder hören werden, ist neben dem erwähnten Hojotoho der Walküren der Untergang Walhalls am Ende der „Götterdämmerung“. Hier beim ersten Mal erklingt dieser auffällige Akkord allerdings noch eingebettet in einen tonalen Durchgang. Wenn Alberich 22 Takte später von Woglinde und Flosshilde erneut ausgelacht wird, macht er seiner Enttäuschung und seinem Ärger schon deutlicher Luft: Falsches Kind! Kalter, grätiger Fisch!
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Für Alberichs Antwort Rufst du nach mir? fordert Wagner 1876: „Sehr heftig und gierig“.
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Danach erklingt zweimal die Wehe-Klage der fallenden kleinen Sekunde in Celli und Bratschen sowie verkürzt in Klarinette und Englischhorn. Alberich singt dazu: Schein’ ich nicht schön dir, niedlich und neckisch, glatt und glau.35 Diese weinerliche, zweimal fünftönige Phrase wird später vom Orchester aufgenommen und gesteigert werden (vgl. S. 41). Flosshilde schließlich treibt ihr böses Spiel am längsten und frechsten: Was zankst du, Alp? Schon so verzagt?,36 jetzt noch unterstützt von der einen Takt davor zum ersten Mal erklingenden Harfe, dem instrumentalen Symbol der Verführung, der Illusion, gar der Verblendung. Und vier Takte später führt Wagner einen weiteren neuen Klang ein: die wiederum mit einem Nonenvorhalt einsetzende Solo-Violine. Die Klangfarbe der Violinen als Gruppe steht im „Ring“ für menschliche Wärme und Emotion; die in der gesamten Tetralogie selten vorkommende Reduktion auf den brillanteren, geschärften Klang einer einzelnen scheint – wie hier offensichtlich – diese positive Bedeutung aber zweifelnd zu hinterfragen, denn wie wir gleich darauf sehen werden, ist ja auch Flosshildes erotisches Interesse an Alberich nur vorgetäuscht. Du freitest um zwei: frügst du die dritte, süßen Trost schüfe die Traute dir! Ab dem Wort dritte hören wir den Verführungs-Akkord nun quasi ostinat gleich fünfmal hintereinander. Bei seiner jeweiligen Auflösung in einen Septakkord entsteht in der Melodiestimme (Flöte, Solo-Violine und teilweise Flosshilde) immer eine fallende große Sekunde, also die Dur-Version des Wehe-Motivs. Und in dessen originale Moll-Version kehren diese Liebesseufzer dann nach sechs Takten wieder zurück, als mahnender oder auch sarkastischer Kommentar zu Alberichs sogleich wieder begeisterter Antwort: Holder Sang singt zu mir her!, während nun wieder acht Violinen, also die Hälfte der ersten Geigen-Gruppe, spielen und damit deutlich machen, dass Alberich Flosshildes Angebot ohne Zweifel als ehrlich gemeint ansieht. Mit jedem neuen Anlauf intensiviert Flosshilde ihre geheuchelten Schmeicheleien, immer unterstützt vom großen Nonenakkord,
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„Glau“ ist ein veralteter Ausdruck für „schmuck“, „von ansprechendem Äußeren“. „Dieser Des-dur-Satz durchwegs leicht bewegt, ohne jede Sentimentalität“ (Wagner 1876).
aber zu Alberichs Für dumm und hässlich darf ich sie halten unterbrochen durch eine zweimalige Reminiszenz an die warnende WeheSekunde über dem kleinen Sekund- bzw. Angst-Akkord (vgl. S. 33). Schließlich singt sie mit Wie deine Anmut mein Herz erfreut eine Floskel, die man als eine weitere, sarkastische (Dur-)Vorform des bald folgenden Liebesbetrugs-Motivs ansehen kann. Alberich bemerkt dies natürlich nicht. Im Gegenteil, er steigert sich in immer leidenschaftlichere Antworten (Süßeste Maid! Hielt’ ich dich immer!) und wohliges erotisches Erschauern, wie wir es in den kurzen, glucksend abfallenden chromatischen Skalen hören können, die aus dem Motiv seiner „Kletter“-Musik stammen (vgl. S. 34), hier gespielt zuerst von Englischhorn und Klarinette, dann abwechselnd zwischen Fagott und Bassklarinette. Später erklingen sie dann (auch aufsteigend) in den Bratschen als erwartungsvoll erregte Reaktionen des Zwerges auf Flosshildes letzte, geballte erotische Attacke: das Loblied auf seine hässliche Gestalt. Und hier verbindet sich in der Gesangslinie dreimal der erste Lebenskraft-Rhythmus direkt mit dem Todes-Rhythmus (Deinen stechenden Blick, deinen struppigen Bart). Nachdem Alberich bald darauf zum dritten Mal und gleich doppelt verspottet wird, hören wir ihn „mit kreischender Stimme“, im Wechsel mit dem Orchester, verzweifelt und wütend zweimal in die Wehe-Klage ausbrechen: Hier haben wir nun die direkte Ableitung dieses Motivs aus dem Text! Drei Takte später (Die dritte, so traut, betrog sie mich auch?) finden wir eines der spannendsten und bedeutsamsten Beispiele für die Entwicklung der Leitmotive im „Ring“. Ganz im Gegensatz zur oft gehörten Kritik, der Komponist hätte seine „Leit“-Motive den Figuren und Requisiten nur als „Etiketten“ aufgeklebt, erleben wir hier zum ersten Mal, wie subtil psychologisch analysierend und kommentierend Wagner seine „Gefühlswegweiser“, wie er sie selbst nannte, erdacht hat:
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Dem ersten Teil dieser Phrase Alberichs werden wir – allerdings ohne den Auftakt sowie transponiert und anders rhythmisiert – zuerst in der 2. Szene im zweiten und dritten Takt des Freia-Motivs, aber dann – identisch – in der Verwandlungsmusik zur 3. Szene als musikalische Vorbereitung auf Nibelheim wiederbegegnen. Hier wie dort klingt dieses Motiv wild verzweifelt. Auf dem Höhepunkt der zweiten Stelle werden wir es allerdings in mehr als doppelter Verbreiterung und leichter Abwandlung hören (Halbton-Erniedrigung des tiefsten Tons und zweiter statt erster Lebenskraft-Rhythmus): wie einen schmerzlichen Aufschrei, der als „Cantus firmus“ in den Trompeten das übrige Orchester im Fortissimo überstrahlt (vgl. S. 66 und 100–102). Vor allem aber wird Wagner dieses neue Motiv – in der breiten Variante – schließlich im 1. Aufzug der „Walküre“ wiederverwenden, um Siegmunds und Sieglindes aufkeimende Liebe zu kommentieren. Damit wird das Motiv psychologisch besonders interessant, und wir finden eine Antwort auf die im Vorwort aufgeworfene Frage: Warum erscheint Siegmunds und Sieglindes Liebes-Motiv so betont bedeutungsvoll schon hier in den beiden Zwischenspielen vor und nach der Nibelheim-Szene, also zu einem Zeitpunkt, da noch nirgends von „Menschen“ überhaupt die Rede ist? Es kann also nicht als Motiv der „Geschwisterliebe“ gemeint sein, wie es in einigen Leitmotiv-Tafeln zur „Walküre“ seit Hans von Wolzogen aufgeführt ist und wie es auch noch Robert Donington nennt.37 Vielmehr ist es das Motiv des Liebes-(Selbst-)Betrugs bzw. der Verzweiflung darüber. Und dies bedeutet: Auch Siegmunds und Sieglindes Liebe ist in Wahrheit eine gegenseitige Selbsttäuschung und entspringt der gleichen abgrundtiefen Verzweiflung wie Alberichs Hass auf die Liebe! Ein Beleg dafür, dass Wagner dieser Stelle hier in der 1. Szene tatsächlich eine derartige Bedeutung zumaß, sind die drei verschiedenen Tempo-Vorschriften innerhalb von fünf Takten: „Zögernd – Langsam – Wieder schneller“. Dies ist für ihn durchaus ungewöhnlich, schreibt er doch gemeinhin nur äußerst wenige kleingliedrige Tempo-Rückungen vor – in der ganzen 1. Szene des „Rheingolds“
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Donington (wie Anm. 17), S. 246, Leitmotiv Nr. 37.
ist dies das einzige Mal.38 Die Exposition nicht nur dieses Leitmotivs, sondern auch des Rheintöchter-Motivs und der „VerführungsSchaukel“ sowie vieler noch folgender Motive über eine individuelle Gesangsphrase widerlegt zudem sehr klar Theodor W. Adornos Behauptung, Wagners Leitmotive seien rein musikalisch und nicht vom Wort her kommend erfunden.39 Auf Alberichs anschließende wüste Beschimpfungen reagieren Woglinde, Wellgunde und Flosshilde nun gemeinsam mit einem heiter tänzerischen Lied in kurzer fünfeiliger A-B-C-B’-A’-Form (Wallala! Wallala! Lalaleia, leialalei!), abgeleitet sowie am Anfang und Ende begleitet vom Rheintöchter-Motiv in Flöte, Oboe und Klarinette. In diesen Eckteilen nehmen die Schwestern lachend das Lallen vom Beginn wieder auf. Im Hauptteil dieses ersten echten 38
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Auch hier ergibt sich wieder eine interessante Parallele zu Wagners von ihm offiziell mit Nichtachtung gestraften Kollegen Verdi, der für solche für den dramatischen Zusammenhang wichtige und deshalb musikalisch besonders hervorgehobene Textstellen den Ausdruck „parola scenica“ prägte. Vgl. Adorno, „Versuch über Wagner“ (wie Anm. 9), S. 109: „Sieht man von […] wenigen Komplexen ab, […] so entzieht sich die Singstimme dem motivischen Leben der Musik und ihrer Gesetzmäßigkeit: […] Das Auffälligste, der Gesang, ist am Wesentlichen, dem thematischen Gewebe, nicht mehr beteiligt als auf die recht abstrakte und unverbindliche Weise, dass die Singstimme nach den Harmonien des Orchesters sich richtet.“ Stattdessen bestätigt diese Stelle exemplarisch Wagners schon in „Oper und Drama“ (wie Anm. 4) formuliertes Postulat über die Ableitung und Funktion seiner Leitmotive: „Eine solche Melodie, wie sie als Erguss einer Empfindung uns vom Darsteller mitgeteilt worden ist, verwirklicht uns, wenn sie vom Orchester ausdrucksvoll da vorgetragen wird, wo der Darsteller jene Empfindung nur noch in der Erinnerung hegt, den Gedanken dieses Darstellers; ja, selbst da, wo der gegenwärtig sich Mitteilende jener Empfindung sich gar nicht mehr bewusst erscheint, vermag ihr charakteristisches Erklingen im Orchester in uns eine Empfindung anzuregen, die zur Ergänzung eines Zusammenhanges, zur höchsten Verständlichkeit einer Situation durch Deutung von Motiven, die in dieser Situation wohl enthalten sind, in ihren darstellbaren Momenten aber nicht zum hellen Vorschein kommen können, uns zum Gedanken wird, an sich aber mehr als der Gedanke, nämlich der vergegenwärtigte Gefühlsinhalt des Gedanken ist“ (S. 341f.). „Das musikalische Motiv aber, in das – sozusagen – vor unsren Augen der gedankenhafte Wortvers eines dramatischen Darstellers sich ergoss, ist ein notwendig bedingtes; bei seiner Wiederkehr teilt sich uns eine bestimmte Empfindung wahrnehmbar mit“ (S. 343).
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Terzetts werfen sie Alberich dagegen vor, die Schuld für ihr Verhalten liege bei ihm selber, voll Trug wären sie nur, weil er nicht Manns genug sei, eine von ihnen zu fangen und zu bezwingen: Schäme dich, Albe … Warum, du Banger, bandest du nicht das Mädchen, das du minnst? Treu sind wir und ohne Trug dem Freier, der uns fängt. Damit treiben sie ihr zynisches Spiel auf die Spitze, denn das „unschuldig“ jubelnde Kinderlallen, mit dem sie ihre höhnische Herausforderung umrahmen, sowie die schlichte homophone Struktur dieses in ungetrübtem Es-Dur, der Natur-Tonart des Anfangs erklingenden Terzetts sollen wohl sagen: „Ich bin ein Kind und weiß nicht, was ich singe!“ – um mit Senta, einer anderen, durchaus nicht unproblematischen Frauenfigur Wagners zu sprechen („Der fliegende Holländer“, 2. Aufzug, Duett Senta/Erik). Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Rheintöchter hier eine hochbrisante psychologische Hypothese über Beziehungs- und Machtmechanismen zwischen den Geschlechtern ansprechen. Dass sie dieses Klischee, eine Frau wolle mit Gewalt „erobert“ werden, hier quasi als Naturweisheit verkünden – die Anklänge an die drei Knaben der „Zauberflöte“ sind sicher nicht zufällig –, ist allerdings blanker Hohn, denn sie haben ja gesehen, dass Alberich gar keine Möglichkeit hat, ihren „Rat“ mit einer von ihnen in die Tat umzusetzen. Dennoch gaukeln sie dem Zwerg mit ihrer Aufforderung genau das vor und spielen damit ihre offensichtliche Überlegenheit im Wasser des Rheins gnadenlos und geradezu sadistisch aus: Greife nur zu und grause dich nicht: in der Flut entfliehn wir nicht leicht. „Sie schwimmen auseinander (…), um Alberich zur Jagd auf sie zu reizen“; und natürlich ist dieser bei der sich anschließenden Verfolgungsjagd unter Wasser von vornherein chancenlos. Trotzdem geht er noch einmal auf ihr Spiel ein, getrieben von Wut und Minne, wild und mächtig. Die direkt vorausgehenden Worte Wie in den Gliedern brünstige Glut mir brennt und glüht! singt er auf eine Kombination aus Krebs und verkürzter Umkehrung des gerade vor dem Terzett eingeführten Verzweiflungs- bzw. Liebesbetrugs-Motivs. Und nach dem Ende dieser ersten Phrase (wühlt mir den Mut auf ) erklingt im Forte der Holzbläser, Hörner und Streicher eine fünfeinhalb Takte lange Umkehrung des Angst-Akkords, hier als Quintsextakkord besonders schneidend durch die jetzt obenliegende kleine Sekunde: Wie ihr auch lacht und lügt, … und eine muss mir erliegen!
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Alberich „macht sich mit verzweifelter Anstrengung zur Jagd auf; mit grauenhafter Behändigkeit erklimmt er Riff für Riff, springt von einem zum andern, sucht bald dieses bald jenes der Mädchen zu erhaschen, die mit lustigem Gekreisch stets ihm ausweichen“. Diese wortlosen szenischen Aktionen werden von der Musik naturalistisch nachgezeichnet. Formal betrachtet handelt es sich dabei um eine Durchführung von sechs zuvor exponierten Motiven: 1. In den Streichern eine zweimalige Reminiszenz an Alberichs Phrase Schein’ ich nicht schön dir, niedlich und neckisch, beim zweiten Mal einen Ganzton höher. 2. In Holzbläsern und Hörnern eine Kombination von Schäme dich, Albe aus dem vorangegangenen Rheintöchter-Terzett und einer Aufwärts-Sequenzierung des variierten dritten Takts des Rheintöchter-Motivs (Walle zur Wiege). (Diese Stelle wird so zu einem interessanten Zwischenglied in der Entwicklung von gleich drei weiteren späteren Motiven: dem Motiv für Freias goldene Äpfel und die mit ihnen verbundene ewige Jugend, dem Froh-Motiv und schließlich – über eine bald erklingende weitere Zwischenstufe – sogar dem Schmiede-Motiv der Nibelungen.)
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In Flöten und Klarinette über kurzen, chromatisch aufsteigenden Bratschen-Läufen das Rheintöchter-Motiv: die ersten beiden Takte original, dann mit dem variierten dritten Takt wie gerade zuvor. „Er strauchelt, stürzt in den Abgrund, und klettert dann hastig wieder in die Höhe zu neuer Jagd.“ Dazu hören wir zuerst halbtaktig abstürzende chromatische Läufe in den Streichern, die aus dem Alberich-Motiv abgeleitet sind, dann den ersten Lebenskraft-Rhythmus und anschließend, als ausgeweitete Reminiszenz an den Beginn von Wellgundes Verführung, die „Schaukel“ der Nonenakkorde (vgl. S. 35). Endlich wird Alberichs kurz zuvor erklungene Phrase Wie in den Gliedern … Wut und Minne, wild und mächtig, wiederholt und gesteigert.
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Danach hören wir noch einmal das Rheintöchter-Motiv sowie eine längere Durchführung jener abstürzenden Läufe und des ersten Lebenskraft-Rhythmus. Alberich „hält endlich, vor Wut schäumend, atemlos an und streckt die geballte Faust nach den Mädchen hinauf“: Fing’ eine diese Faust!40 Auf das letzte Wort setzt jetzt bedeutungsvoll und mit einem Pianissimo-Wirbel zum ersten Mal die Pauke ein, die das ganze Vorspiel und diesen ersten Teil der 1. Szene hindurch bisher geschwiegen hatte. Als krassen Gegensatz dazu hören wir im grellen Forte der hohen Holzbläser und Hörner eine Phrase von wild verzweifelter Kraft, die Alberichs Wut wie auch das höhnische Lachen der Rheintöchter in einer einzigen musikalischen Geste zusammenfasst: Es ist die eben erwähnte Vorform des späteren Nibelungen-Schmiede-Motivs. Dort fällt der hämmernde erste Lebenskraft-Rhythmus mit dem fünften Ton in die Unterterz, hier endet das Motiv noch in aufsteigenden Terzen:
Diese bedeutungsvolle stufenweise Ableitung des Schmiede-Motivs aus dem spöttischen Vorwurf der Rheintöchter Schäme dich, Albe! Schilt nicht dort unten! gerade an dieser Stelle beschreibt in genialer musikalischer Plastizität eine grundlegende und sehr lebensnahe „tiefen“-psychologische Beobachtung Wagners: Ein verhöhnter und verspotteter, ohnmächtiger Alberich rächt sich später, durch den Ring zu Macht gekommen, an den ihm Unterstehenden, in diesem Fall an seinem Volk, den Nibelungen, die er zum Frondienst des ewigen Schätze-Schmiedens für sich zwingt. Zugleich ist diese Stelle und ihre Weiterführung ein großartiges Beispiel für Wagners – auch von ihm selbst – gerühmte „Kunst des Übergangs“: Alberich „verbleibt in sprachloser Wut, den Blick aufwärts gerichtet, wo er dann plötzlich von dem folgenden Schauspiele angezogen und gefesselt wird“. Das scharf-rhythmische Motiv in den Holzbläsern, immer über dem leisen Paukenwirbel, nimmt an Lautstärke nach und nach ab und verkürzt sich. Dabei wird es viermal unterbrochen von einem breiten, doppeltpunktierten Rhythmus 40
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„Mit äußerster Heftigkeit, das d etwas hervorzuheben“ (Wagner 1876).
in einer neuen, nicht nur im „Ring“, sondern überhaupt in einem Opernorchester vor Wagner noch nie gehörten Klangfarbe: Es ist die aus der Militärmusik stammende, von ihm extra für die Tetralogie weiterentwickelte Basstrompete, die hier das erste Mal solistisch erklingt und im „Ring“-Orchester unter anderem für noch gebundene Energie steht.41
Das Erscheinen und der Raub des Rheingolds Mit dem Einsatz der Geigen, unterstützt von einem „verführerischen“ Harfen-Akkord, beginnt jetzt der zweite Teil der 1. Szene („Von hier an gleichmäßig ruhig“). Mit diesen sanft fließenden Triolen setzt Wagner geradezu magisch seine Regieanweisung in Klang um: „Durch die Flut ist von oben her ein immer lichterer Schein gedrungen, der sich an einer hohen Stelle des mittelsten Riffes allmählich zu einem blendend hell strahlenden Goldglanze entzündet; ein zauberisch goldenes Licht bricht von hier durch das Wasser.“ (Einen ähnlichen Effekt – das Sonnenlicht fällt dann durch die Blätter des Waldes – werden wir im 2. Aufzug des „Siegfried“ hören: Er wird musikalisch aus dieser Stelle entwickelt werden.) Im zweiten Takt nach dem Geigeneinsatz übernimmt ein Horn den breiten Rhythmus von der Basstrompete und verkürzt ihn zum einfachpunktierten Auftakt des nun erklingenden RheingoldMotivs. Dieses ist direkt abgeleitet aus dem Ur-Motiv im 17. Takt der Tetralogie. Das Interessante an diesem neuen Motiv ist seine rhythmische Gestalt, die in der Mitte den Todes-Rhythmus einschließt: Der Quart-Auftakt (hier noch verstärkt durch die punktierte Tonwiederholung), mit dem jetzt zum ersten Mal im „Ring“ ein Motiv beginnt, steht von nun an für „aktive Energie“. (Besonders markant werden wir ihm im Schwert-Motiv, im ersten SiegfriedMotiv, aber auch im Walkürenritt wiederbegegnen.) Mit dem (Rhein-)Gold ist also nicht das aus der Natur gewonnene chemische Element gemeint, sondern es steht von vornherein in seiner gesellschaftlichen Bedeutung als Symbol für Geld und Macht und trägt somit – in Wagners Philosophie folgerichtig – den Tod potenziell 41
Sie hatte bisher nur gegen Ende des Vorspiels im Tutti des Orchesters die Unterstimme in der Trompetengruppe gespielt, sodass ihr eigentümlicher Klang erst hier wahrgenommen werden kann.
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bereits in sich. Als Verweis auf seine Herkunft wird es jedoch zunächst vom „natürlichen“ Horn eingeführt. Die folgenden begeisterten Wechselreden Woglindes und Wellgundes enden beide Male in einer Dur-Version der vorherigen scharfen, rhythmischen Holzbläser-Figuren und parodieren damit noch einmal Alberichs ohnmächtige Wut (Die Weckerin lacht in den Grund und Den wonnigen Schläfer sie grüßt). Die im Wechsel dazu erklingenden Horn-Einsätze mit dem Rheingold-Motiv erweitern sich zur Mehrstimmigkeit und durchlaufen dabei ansteigend alle Lagen des G-Dur-Dreiklangs. Zum dritten Erklingen des Motivs tritt in dem langsamen Triller der Geigen-Triolen nach der Sext auch noch die große None als obere Nebennote hinzu. Gleichzeitig finden sich diese beiden Intervalle auch in den weiteren Phrasen der Rheintöchter als Vorhalte. Über dem vierten Einsatz schließlich verdichten sich die Achtel- zu Sechzehntel-Triolen. Ein HarfenArpeggio bereitet die nun im kraftvollen Forte mit dem RheingoldMotiv einsetzende Trompete vor,42 gefolgt von zwei zarten, „glitzernden“ Schlägen des hier erstmals verwendeten Schlagzeugs, nämlich Becken und Triangel. Der ebenso metallisch strahlende Klang der Trompete steht im „Ring“ für Entschluss- bzw. Tatkraft und Kreativität. Gleichzeitig erreicht die Musik auf diesem Höhepunkt zum ersten Mal die Tonart C-Dur. „C-dur, ist ganz rein. Sein Charakter heißt: Unschuld, Einfalt, Naivität, Kindersprache“, schreibt Schubart 1806,43 doch im weiteren Verlauf von Wagners Tetralogie werden wir feststellen, dass wir dieser scheinbar so einfachen, klaren Tonart immer weniger trauen können, da sie zunehmend (Selbst-) Betrug, wenn nicht gar Falschheit symbolisieren wird. Und dieses C-Dur beherrscht nun fast das ganze folgende Gespräch der Rheintöchter mit Alberich über das Gold. Zunächst setzen die Rheintöchter jedoch zu ihrem zweiten Terzett an, einem Jubellied auf das Gold. Es ist wieder als fünfteilige Bogenform angelegt: A (4 Takte) – B (2 Takte) – C (14 Takte) – B – A’. Mehr noch als in ihrem ersten Terzett herrscht einfache Dreiklangsmelodik vor, die gleichfalls zurückgeht auf das Ur-Motiv und damit die „unschuldige“ Natur assoziiert. (Ähnlich aus Dreiklängen gebildet werden später die Motive weiterer der Natur nahestehender
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„Trompete nicht wie eine Militär-Fanfare, ‚Nobile!‘“ (Wagner 1876). Schubart, „Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst“, S. 377.
Wesen bzw. auch von Naturerscheinungen, zum Beispiel die Gesänge von Donner und Froh, wenn dieser die Regenbogenbrücke wölbt, dann auch der Walkürenritt, der Gesang des Waldvogels und sogar noch das Horn-Motiv des Sonnenaufgangs am Anfang des 2. Aufzug der „Götterdämmerung“.) Außerdem wird hier beinahe jeder Takt vom ersten Lebenskraft-Rhythmus angeführt. Nur die beiden zweimaligen hymnischen Rheingold-Rufe (B-Teil) brechen aus dieser fast manischen rhythmischen Struktur aus: Jeweils zwei Schläge lang erklingt über dem Grundton C im Bass ein verkürzter großer Dominant-Septnonakkord (zusammen also die Töne c-h-d-f-a), der sich jeweils auf der dritten Zählzeit in die Tonika (c-e-g) auflöst und dabei mit der obenliegenden fallenden großen Sekunde den Beginn von Woglindes erstem Einsatz mit dem Rheintöchter-Motiv reminisziert. Natürlich ist der erste Akkord zudem eine Kulmination der vorangegangenen „Verführungs-Nonen“ der Rheintöchter und wird dementsprechend jeweils durch volle Harfen-Akkorde unterstützt. Gleichzeitig ist in ihm aber auch schon das spätere Leitmotiv von Alberichs Ring enthalten (statt harmonisch gleichzeitig werden die Töne a-f-d-h bzw. ihre Transpositionen im Ring-Motiv in aufeinanderfolgenden Terzen erklingen): Das Gold hat eine ebenso große Verführungskraft wie die Erotik, wenn nicht gar eine noch stärkere, und in ihm ist naturgemäß der Ring schon bzw. noch eingeschmolzen! Folgerichtig werden diese zweimal zwei Rheingold-Rufe im weiteren Verlauf des Werks zu einem der wichtigsten Leitmotive. Aber auch einigen Elementen aus den anderen Formteilen werden wir wiederbegegnen. Dieses zweite Terzett bildet somit ein weiteres Beispiel für Wagners Ableitung vieler Leitmotive aus dem gesungenen Text. Darüber hinaus setzt zusammen mit den ersten Rheingold-Rufen in den Geigen ein neues, „wilderes“ zweites WellenMotiv ein. Es zeichnet in seiner Kombination aus schwungvoller, zur Sext „aufspritzender“ Anfangstriole (quasi eine Umkehrung der drei zur unteren Sext fallenden Anfangstöne des ersten Wellen-Motivs) und den anschließenden duolischen Staccato-Skalen die schäumende Lebenskraft des Wassers nach, aber auch den ausgelassenen Übermut der aus diesem Element geborenen Rheintöchter.44 44
Diese ganze Stelle ist gleichzeitig ein bewunderungswürdiges Beispiel dafür, wie klanglich subtil und unter kluger Berücksichtigung seiner in langen Jahren als Dirigent gesammelten praktischen Orchestererfahrung
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Die vier Takte des A- bzw. A’-Teils bestehen wieder nur aus einem übermütig jubelnden Kinderlallen (Heiajaheia! … Walala la la la leiajahei!), während im 14 Takte langen Hauptteil (C) die kurze Wendung nach a-Moll auf die Worte Wache Freund! Wache froh! auffällt. In seinem vorletzten Takt (singend im seligen Bade dein Bett) ist die Melodik des von den Rheintöchtern quasi immer fanatischer wiederholten ersten Lebenskraft-Rhythmus mit dem späteren Schmiede-Motiv dann schon nahezu identisch. Und in den letzten drei Takten des Terzetts, das sich in immer ekstatischerem, fast schon hysterischem Jauchzen bis zum hohen c3 aufschwingt (A’Teil), hören wir bezeichnenderweise zweimal den Todes-Rhythmus in der Pauke, der zu einem neuen Einsatz des Rheingold-Motivs in der Trompete überleitet. Dieser markiert den bisher stärksten Höhepunkt seit Ende des Vorspiels, da er von einem schrillen Triller fast aller Holzbläser sowie vom wild und übermütig aufschäumenden zweiten Wellen-Motiv in allen hohen Streichern im Fortissimo begleitet wird. Zudem hält die Trompete den Endton des Motivs, das hohe g2, bei nahezu vollständig beibehaltener, abwärts sequenzierender Begleitung ganze sieben Takte lang ohne Diminuendo aus, unterstützt wieder durch Pauken- und Triangelwirbel: „Mit immer ausgelassenerer Lust umschwimmen die Mädchen das Riff. Die ganze Flut flimmert in hellem Goldglanze.“ Wagner zu orchestrieren versteht: Die ersten und zweiten Violinen sind hier beide zweigeteilt, wobei jeweils die erste und die zweite Hälfte beider Gruppen weitgehend das Gleiche spielen, die eine Hälfte das zweite Wellen-Motiv, die andere Hälfte einen Triller, und dies nach jeweils mehreren Takten untereinander wechselnd. Warum aber hat er nicht den ersten Violinen durchgehend die Sechzehntel und den zweiten den Triller gegeben? Die Antwort ist, dass das zweite Wellen-Motiv in der Abfolge von gebundener Triole und angebundenen mit Marcato-Keilen versehenen StaccatoSechzehnteln für die Geiger schwer und durchaus anstrengend zu spielen ist, daher der jeweilige Wechsel zum „erholsamen“ Triller alle paar Takte. Gleichzeitig soll das Wellen-Motiv aber trotzdem recht voll und deshalb über die ganze Breite des Orchestergrabens hinweg erklingen, darum lässt Wagner dieses Motiv jeweils von der Hälfte beider Geigengruppen spielen. Somit ist dies zudem ein klares Indiz dafür, dass Wagner die ersten und zweiten Geigen jeweils links und rechts vom Dirigenten platziert haben wollte, wie es ja auch in Bayreuth der Fall ist. Leider wird dies heute aber in den wenigsten anderen Orchestergräben realisiert, meistens sitzen die beiden Geigengruppen links vom Dirigenten schräg hintereinander, da dies für das Zusammenspiel der Violinen untereinander leichter ist.
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Mit Erreichen dieses hohen Trompetentons erklingt noch einmal ein kurzes Harfen-Arpeggio. Dies ist einer von mehreren besonders auffälligen Belegen dafür, dass Wagners Instrumentation seines „Rings“ eben nicht nur einem klanglichen Konzept folgt. Denn dieser kurze, relativ dünn klingende gebrochene C-Dur-Dreiklang, der zudem von nur zwei der sechs für die Tetralogie besetzten Harfen gespielt werden soll, ist durch das Fortissimo des übrigen Orchesters hindurch praktisch nicht zu hören, hat aber seine symbolische Bedeutung, da die Harfe die gleisnerische Verführungskraft des Goldes hier einmal mehr unterstreicht. Nach acht Takten bricht dieses überwältigende Rauschen der Flut abrupt ab, und wir hören, immer begleitet von dem in den Violinen nun im Piano und Legato dahinplätschernden zweiten WellenMotiv, Alberichs erstaunte Frage nach dem Grund dieses faszinierenden Flimmerns, das ihn inzwischen ganz in seinen Bann gezogen hat: Was ist’s, ihr Glatten, das dort so glänzt und gleißt? Genauso erstaunt, allerdings über seine Unwissenheit, erzählen ihm die Rheintöchter daraufhin vom Rheingold; zuerst zusammen (Wo bist du Rauher denn heim) – und hier zum einzigen Mal mit dem zweiten Lebenskraft-Rhythmus als Initiale –, dann einzeln im Wechsel und schließlich noch einmal in einem längeren dritten Terzett, das wieder mit dem übermütig auf Dreiklänge gesungenen Kinderlallen endet. Dazu spielt die Trompete erneut das – variierte – RheingoldMotiv, auch diesmal von zwei Harfen, Becken und Triangel begleitet. Auf Sieh, wie selig im Glanze wir gleiten erklingt dabei zweimal der große Nonen-(Verführungs-)Akkord und drei Takte später in Flöten und Klarinette der Beginn des Rheintöchter-Motivs. Alberich hakt nach, und endlich gibt ihm Wellgunde die nicht nur für Alberich, sondern für den gesamten weiteren Verlauf der Tetralogie entscheidende Auskunft: Der Welt Erbe gewänne zu eigen, wer aus dem Rheingold schüfe den Ring, der maßlose Macht ihm verlieh’. Hier verstummt plötzlich das bis jetzt ostinat durchlaufende zweite Wellen-Motiv, und die ersten beiden Teile dieser Phrase werden von den „klagenden“ Oboen, Englischhorn und Fagott sowie zwei Takte später zusätzlich von zwei Flöten verstärkt. Sie umschreibt im Verhältnis zum Bass-Ton H einen Nonen-UndezimenAkkord und ist damit quasi eine naive Dur-Vorform des Motivs, das von nun an mit Alberichs titelgebendem Ring korrespondieren und damit zum wichtigsten Leitmotiv der Tetralogie werden wird. Auch
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dieses ist also wieder aus einer Gesangslinie heraus entwickelt. Wagner selbst bezeichnete es mit Bezug auf den hier gesungenen Text denn auch als „Welterbe-Motiv“, ein weiterer Beweis, dass seine Leitmotive für philosophisch-psychologische Aspekte des Dramas stehen und nicht allein an die ihnen auf der Szene zugeordneten dinglichen Symbole gebunden sind. Alle Streicher lässt Wagner hier das Wort Ring und damit das Ende dieser verlängerten Vorform mit einem leisen Pizzicato unterstreichen. Und auch das Motiv selbst beschreibt mit seiner eine Septime ab- und dann beinahe spiegelbildlich wieder aufsteigenden Terzenkette, die so um einen imaginären Mittelpunkt kreist, in geradezu haptischer Eindrücklichkeit einen Ring. Auf die letzten drei Worte Macht ihm verlieh’ singt Wellgunde den zweiten, markanteren Lebenskraft-Rhythmus. Flosshilde, die vorher ihr skrupelloses Spiel mit Alberich am weitesten getrieben hatte, machen die leichtsinnig offenherzigen Antworten der Schwestern nun aber Angst, und in einer langsam ansteigenden chromatischen Linie mahnt sie eindringlich, zu schweigen: Der Vater sagt’ es, und uns befahl er klug zu hüten den klaren Hort. Die Chromatik steht hier also nicht mehr für erotische Leidenschaft, sondern für Angst und drohendes Unheil, das zukünftige Leiden schafft. Dieses altbekannte Wortspiel beschreibt ganz gut die psychologische Verbindung zwischen den beiden Bedeutungen, die Wagner der Chromatik zuschreibt; sie wird später noch evidenter werden (man denke etwa an Mimes Angst nach dem Abgang des Wanderers im 1. Aufzug von „Siegfried“). Doch Wellgunde schlägt Flosshildes Mahnung in den Wind, und nach ihrer übermütiger Paraphrasierung der eben gehörten Vorform des Ring-Motivs (Weißt du denn nicht, wem nur allein das Gold zu schmieden vergönnt?) verkündet Woglinde etwas wichtigtuerischgeheimnisvoll die Bedingung für das Schmieden des Ringes, der diese „maßlose Macht“ verleiht: Nur wer der Minne Macht entsagt,45 nur wer der Liebe Lust verjagt, nur der erzielt sich den Zauber, zum Reif zu zwingen das Gold. Damit wird ein zentrales psychologischphilosophisches Axiom Wagners innerhalb der Tetralogie zum ersten Mal angesprochen: Wer die Macht will, muss der Liebe entsagen.
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Zum Text „entsagt“ vgl. S. 16, Anm. 16.
Der fünfmal jeweils die erste Zählzeit jedes Taktes betonende Todes-Rhythmus in der Pauke prophezeit darüber hinaus: Und wer der Liebe entsagt, ist des Todes! (Gemeinhin wird diese Stelle in der Wagner-Literatur als „[Liebes-]Entsagungs-Motiv“ bezeichnet, doch er selbst nannte sie „Liebesfluch-Motiv“.) Der Sängerin schreibt Wagner 1876 hier vor: „Kein starkes Hervortreten individuellen Empfindens!“ Denn die besondere Bedeutung dieser Stelle wird von ihm schon musikalisch gleich mehrfach unterstrichen: Erstens geht die Musik hier zum ersten Mal im „Rheingold“ in einen 4/4-Takt über, und dieser wird noch herausgehoben durch die Tempovorschrift „Zurückhaltend. Etwas langsamer“ sowie zu Beginn durch die langsam schreitenden Pizzicati der Kontrabässe; zweitens wendet sie sich jetzt plötzlich nach c-Moll, der Tonart des unausweichlichen Schicksals (vgl. S. 31); und drittens setzen auf das Wort Minne in gehaltenen Akkorden zum ersten Mal die von Wagner extra für die Tetralogie erfundenen und daher nach ihm benannten Tuben ein, mit ihrem bis dahin nie gehörten mystisch-weihevollen Klang. Sie stehen vor allem für den „Lichtalben“ Wotan und dessen Herrschaftsanspruch, wie beim ersten Erklingen des von ihnen gespielten Walhall-Themas zu Beginn der 2. Szene deutlich werden wird, aber im Umkehrschluss eben auch für die Machtgier von dessen „Schattenseite“ („Nacht“-)Alberich, an den Woglindes Erklärung hier gerichtet ist. Melodisch scheint dieses neue Entsagungs- bzw. LiebesfluchMotiv eine Moll-Ableitung zu sein aus der schon mehrfach erwähnten Dur-Floskel Schäme dich, Albe (vgl. S. 40) aus dem ersten Terzett der Rheintöchter, die auch in deren zweitem in anderer Akkordlage mehrmals zu hören ist. Unverwechselbar wird dieses Leitmotiv jedoch durch die auftaktige kleine Sext, mit der Wagner bald darauf auch in „Tristan und Isolde“ die unstillbare Liebessehnsucht musikalisch ausdrücken wird. Zum Satzteil Nur der erzielt sich den Zauber erklingt in Celli und Kontrabässen wieder drohend eine in Vierteln aufsteigende chromatische Linie, die auf dem letzten Wort in Achteltriolen von Englischhorn und Klarinette fortgesetzt wird. Und auf Zum Reif zu zwingen das Gold singt Woglinde eine weitere Vorform des Ring/WelterbeMotivs, wobei das Wort Reif diesmal nicht nur von einem leisen Pizzicato (hier der zweiten Geigen), sondern auch von einem äußerst zarten Beckenschlag unterstrichen wird.
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Nun kehrt die Musik wieder zum „unbeschwerten“ 9/8-Takt des variierten zweiten Wellen-Motivs zurück, als wollte sie die unheimliche Stimmung lachend abschütteln, und die Schwestern wiegen sich in trügerischer Sicherheit. Von Wellgundes ironischer neuerlicher Variation des Ring-Motivs an (Meiden will keiner die Minne) schwankt die Musik mehrmals zwischen großen (Verführung) und kleinen Nonenakkorden. Man beachte dabei außerdem die sarkastische chromatische Achteltriole der „triebhaften“ Klarinette nach Woglindes Vor Liebesgier möcht’ er vergehn. Und vier Takte später, als Überleitung von Flosshildes Seiner Minne Brunst brannte fast mich zu Wellgundes Ein Schwefelbrand in der Wogen Schwall, hören wir mit den flirrenden Sechzehntel-Triolen der Geigen und Bratschen gegen die repetierenden und chromatisch fortschreitenden Sechzehntel-Duolen der tiefen Streicher einen wunderbar ironischen Kommentar zu diesem „Brennen“.46 Die Musik moduliert in die Liebestonart E-Dur, und die Rheintöchter versuchen Alberich jetzt versöhnlich an ihrer ausgelassenen Freude teilhaben zu lassen: Wallala! … Lieblichster Albe! Lachst du nicht auch? Dieses vierte Terzett greift sowohl in den Singstimmen als auch in der Orchesterbegleitung hauptsächlich auf melodischrhythmische Elemente des ersten zurück (vgl. S. 39f.). In ihrer neuen Kombination, in der Umformung zum 9/8-Takt und mit den darüberliegenden „lichten“ Flöten-Trillern kann man tatsächlich schon Anklänge an den Walkürenritt heraushören, auch wenn hier das zweite Wellen-Motiv in den hohen Streichern immer noch weiter durchläuft. Ebenso unvermittelt wie in der Wendung nach E-Dur kehrt die Musik gegen Ende dieses Jubelgesangs über zwei A-Dur/a-MollQuartsextakkorde mit dem erneuten Trompetensignal des Rheingold-Motivs (hier allerdings ohne Harfenbegleitung und mit der energetischeren kleinen Sexte als Auftakt) wieder nach C-Dur zurück.47 Dieses Ende variiert melodisch wie rhythmisch den Schluss des zweiten Terzetts, nur erfolgt jetzt der Trompeten-Einsatz einen Takt früher, und die Rheintöchter erreichen den Schlussakkord mit dem hohen c3 hier mit einer melodischen Floskel, die in den ersten 46
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In diesem Sinne gibt Wagner 1876 für Wellgundes zischt drei Takte später die Anweisung: „Das z und sch sollte sehr scharf akzentuiert werden.“ Der gleiche doppelte Effekt wird 80 Jahre später zum Höhepunkt von Maurice Ravels „Bolero“ werden.
sechs Noten mit dem späteren Nibelungen-Schmiede-Motiv – in Dur – nun schon völlig übereinstimmt; es ist dessen deutlichste musikalische Ableitung aus dem Übermut der Rheintöchter. Darüber hinaus will Wagner damit möglicherweise aber auch andeuten, dass diese jenen unterdrückten Zwergen doch sehr viel näherstehen, als es bei oberflächlicher Betrachtung den Anschein hat, weil beide letzten Endes ähnlich naive Naturwesen sind. Mit dem wiederum sieben Takte langen strahlenden hohen g2 der Trompete, zu dem die Streicher wieder ihre überschäumenden Sechzehntel-Ketten des zweiten Wellen-Motivs spielen, ist das Nachspiel dieses Terzetts mit dem des zweiten strukturell identisch, doch statt der ausgelassenen Triller erklingt nun jubelnd in den Holzbläsern zusätzlich ein Zitat der beiden Rheingold-Rufe sowie der dort beim ersten Mal darauf folgenden vier Takte der Rheintöchter. „Sie schwimmen lachend im Glanze auf und ab“, fordert Wagner für die Szene. Dazu schlagen zwei tiefe Hörner und die Pauke einen geradezu frenetischen trochäischen Rhythmus, der von den Celli und Kontrabässen auf jeder Zählzeit noch durch ostinate, quasi bordunhafte Vorschläge verstärkt wird. All das verleiht dieser Stelle einerseits einen tänzerisch aufstampfenden Charakter, andererseits aber auch eine unterschwellige, primitive Brutalität. Abrupt wie beim ersten Mal geht die Musik erneut ins Piano über und lässt in den Bläsern nun wieder die heitere Dur-Vorform des Ring/Welterbe-Motivs (also den gebrochenen Nonen-Undezimen-Akkord) hören, wie sie uns aus Wellgundes vorheriger Erwähnung bekannt ist. Alberich greift „wie in finsterem Brüten“ (Wagner 1876) die Melodie mit dem ihr innewohnenden Gedanken eine Terz höher auf (Der Welt Erbe gewänn’ ich zu eigen durch dich?) und kommt zu der für die weitere dramatische Entwicklung überaus wichtigen Schlussfolgerung: Erzwäng’ ich nicht Liebe, doch listig erzwäng’ ich mir Lust? Mit diesem schlauen Trick, der Trennung von Liebe und Lust, wird er später, in der unbestimmten, mythischen Zeit, die zwischen „Rheingold“ und „Walküre“ vergeht, den Liebesfluch überlisten, um durch Nötigung oder Vergewaltigung Grimhilds, der Mutter Gunthers und Gutrunes, seinen Sohn Hagen zu zeugen. Und der wird am Ende der Tetralogie mit seinen alle Protagonisten involvierenden Intrigen zum Motor für den Untergang dieser Welt werden. (Im Grunde genommen hatten die Rheintöchter diese Möglichkeit, sich einer Frau mit Gewalt zu bemächtigen, in
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ihrem ersten Terzett ja schon ironisch angedeutet: Warum, du Banger, bandest du nicht das Mädchen, dass du minnst? – nicht ahnend, dass Alberich dazu später tatsächlich in der Lage sein würde, allerdings anders als von ihnen dort wohl gedacht.) Auf Alberichs letztes Wort Lust klingt in Hörnern und Celli einen einzigen 4/4-Takt lang das Entsagungs/Liebesfluch-Motiv an, hier ohne den markanten Sext-Auftakt, aber wieder vom mystischen Klang der Tuben begleitet. Durch das mit starkem Akzent (fortepiano) einsetzende Tremolo der übrigen Streicher verstärkt, wirkt diese Stelle nun noch unheilvoller und drohender als beim ersten Mal. Und folgerichtig hören wir in der Pauke auch den TodesRhythmus wieder. Ein schneidend dissonanter Akkord e-f-as-c der weiter tremolierenden Streicher mit darüberliegendem d1 der „klagenden“ Oboen lässt das Motiv abbrechen. Der von diesen nach einer hart stockenden Synkope gespielte erste Lebenskraft-Rhythmus48 ist zusammen mit Alberichs Spottet nur zu! Der Niblung naht eurem Spiel! natürlich eine schmerzvoll-wütende Replik auf das höhnische Lachen der Rheintöchter, als er versucht hatte, eine von ihnen zu fangen, und zugleich ein erneuter Verweis auf den zukünftigen SchmiedeRhythmus. Ab Alberichs Einsatz wird der begleitende Akkord durch den Wegfall der unteren Nebennote e zu einem großen fMoll-Quintsextakkord, als solcher wird er uns in gleicher Tonart und ähnlich schneidend im 1. Aufzug der „Walküre“ wiederbegegnen, zu Siegmunds Worten Misswende folgt mir, er steht also als Akkord für Schmerz und Wut. Außerdem ist er natürlich dem dissonanteren Angst-Akkord f-as-c-des nah verwandt, der zuletzt kurz vor Alberichs Jagd auf die Mädchen in ähnlicher Instrumentierung erklungen war (vgl. S. 40). Seine letzten beiden Worte (eurem Spiel!) singt Alberich schließlich auf den Todes-Rhythmus. „Wütend springt er nach dem mittleren Riff“, dem des Goldes, „hinüber und klettert nach dessen Spitze hinauf.“ Das Tremolo der Streicher im Fortissimo „klettert“ dazu, zweimal Schwung holend, über einen verminderten Septakkord nach oben. Doch die Rheintöchter erkennen die drohende Gefahr nicht, die im Orchester unter ihrem folgenden, fünften Terzett durchaus präsent ist – in der taktweise ansteigenden Chromatik (vgl. S. 33 und 48) der tiefen Hörner 48
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„Die rhythmischen Akzente mit äußerster Schärfe“ (Wagner 1876).
und Fagotte sowie in den „rumpelnden“ Sechzehntel-Figuren der Bratschen, Celli und Bässe. Sie halten seine wilde Entschlossenheit und sein fanatisches Verlangen nach dem Gold weiterhin für sexuelle Gier: Die Minne macht ihn verrückt! Ihre ausgelassenen Heia-Rufe erklingen wieder in übermütigen Sextsprüngen, zudem fällt in der Mitte der zweite, stärkere Lebenskraft-Rhythmus besonders ins Ohr. Am Ende wird Alberich von allen dreien noch einmal lauthals verlacht, und zwar mit einer im verminderten Septakkord erklingenden Variante der Floskel, die auch den Abschluss des vorigen Terzetts bildete und erneut auf das Schmiede-Motiv (bzw. wegen der Verschränkung der beiden oberen Stimmen auf dessen Rhythmus) vorausweist. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass die brutale Fron, die Alberich seinen Nibelungen aufzwingen wird, nichts anderes ist, als der nach Tilgung der Schmach schreiende ewige Widerhall dieses Hohngelächters, das die Rheintöchter dem Gedemütigten hier unauslöschlich in seine Erinnerung brennen. Alberich „gelangt mit einem letzten Satze zur Spitze“, und zu einem erregten neun Takte langen Tremolo der zweiten Violinen und Bratschen, das in ungewohnter Weise hier über der Gesangsmelodie liegt, schleudert er den Rheintöchtern seinen neuen Entschluss entgegen, das Gold zu rauben und den Ring tatsächlich zu schmieden: Bangt euch noch nicht? …49 Zwischen den einzelnen Satzfragmenten kommentieren die Bläser dies mit einer immer höhnischer verzerrten Version des Rheingold-Motivs. Das Wort Ring wird wieder durch ein Pizzicato unterstrichen, diesmal von Geigen und Kontrabässen im Fortissimo und schrill verstärkt durch alle vier Flöten in hoher Lage sowie Klarinetten. Gleichzeitig markiert dieses dissonante Pizzicato aber auch den Einsatz des Ring-Motivs in Hörnern, Fagotten und Celli, das hier zwar schon in seiner harmonischen Version als gebrochener Nonenakkord beginnt, aber vorerst nur zur Hälfte erklingt: Das Schmieden des Rings ist zwar schon geplant, aber es ist noch nicht in die Tat umgesetzt. Interessanterweise spielen in dem Moment, da Alberich die Liebe tatsächlich verflucht und danach „das Gold aus dem Riffe“ reißt, zwar wieder die Tuben, und die Musik wechselt auch noch einmal in einen einzelnen 4/4-Takt, er singt allerdings nur einen Teil 49
„Mit furchtbar hervorbrechender Leidenschaft, die rhythmischen Akzente [vor allem also die beiden Lebenskraft-Rhythmen] desgleichen die Stabreime hervorzuheben!“ (Wagner 1876).
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des Entsagungs/Liebesfluch-Motivs, nämlich, wieder ohne den Auftakt, allein die beiden Tonschritte es-d-c, und setzt dann anders fort. Dies ist umso spannender, als Siegmund, der sich im 1. Aufzug der „Walküre“ unwissentlich in einer dramaturgisch sehr ähnlichen Situation befindet, wenn er das Schwert Nothung fasst, um es aus dem Stamm von Hundings Esche zu ziehen, dieses Motiv in der gleichen Tonart c-Moll fast vollständig singen wird. Könnte es also sein, dass Alberich hier die „magische Formel“ des Fluchs bewusst nur zum Teil ausspricht, wie um sich ein Hintertürchen offenzulassen – nämlich „Liebe“, zumindest die sexuelle, sich eben zu erzwingen? Außerdem fehlt in der Begleitung diesmal der Todes-Rhythmus: Tatsächlich wird Alberich neben den Naturwesen (Rheintöchter, Nornen und Erda) der einzige Protagonist sein, von dessen Tod in der „Götterdämmerung“ nicht berichtet wird. Als Antwort auf Alberichs Liebesfluch spielen Holzbläser, Hörner und Trompete nun die verzerrteste und grellste Variation des Rheingold-Motivs. Und mit einer mehrfach wiederholten, abstürzenden und gebundenen Version des zweiten Wellen-Motivs, über der wir die verzweifelten Hilferufe50 der Rheintöchter vernehmen, endet die 1. Szene von Wagners „Ring des Nibelungen“ und die erste der drei berühmten offenen Verwandlungen im „Rheingold“ beginnt. Hier ist die Schilderung des Raubes des Rheingolds abgeschlossen, jenes Ereignisses, auf das sich – sozusagen als Ur-Sünde, die in manchen Aspekten eine Parallele zur biblischen Erbsünde darstellt – alle späteren Aktionen und Reaktionen in der Tetralogie direkt oder indirekt beziehen werden. Eine Ausnahme davon bildet nur der erste Teil der gleich folgenden Szene, in dem zunächst noch eine weitere Vorbedingung des Weltendramas exponiert werden muss: die obersten Götter als Schuldner der proletarischen Riesen aufgrund des Baus von Walhall. Wie viel – mythische – Zeit zwischen der 1. und 2. Szene des „Rheingolds“ vergeht, erfahren wir nicht; alle folgenden Teile des „Rings“ wahren dagegen jeder für sich die Einheit der Zeit: Die 2. bis 4. Szene des „Rheingolds“ spielen „von Morgen bis Abend“ (vgl. S. 169), also innerhalb eines Tages, „Die Walküre“ und „Siegfried“ jeweils an zwei oder drei, die „Götterdämmerung“ wohl an drei bis vier Tagen. 50
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In Wagners Original-Partitur sowie in vielen alten Klavierauszügen: Hülfe!
Erste Verwandlungsmusik: Der Aufstieg aus dem Rhein Nach dem letzten Weh-Ruf der Rheintöchter „fällt die Flut mit ihnen nach der Tiefe hinab“; entsprechend sinkt auch die Bewegung der Streicher51 ab bis zu einem verminderten Septakkord von Fagotten und Bassklarinette im Fortissimo, verstärkt durch erregtes Tremolo der geteilten Violoncelli, über dem wir „aus dem untersten Grunde“ (dem „Urschlamm“) „Alberichs gellendes Hohngelächter“ hören. Nun setzt in der Musik eine Gegenbewegung zur hier beginnenden szenischen Verwandlung ein: „In dichtester Finsternis verschwinden die Riffe, die ganze Bühne ist von der Höhe bis zur Tiefe von schwarzem Gewoge erfüllt, das eine Zeit lang immer nach abwärts zu sinken scheint.“ Über langgehaltenen Bläser-Akkorden fahren die Streicher mit der Legato-Version des zweiten WellenMotivs im Piano fort; es wird nach und nach lauter und steigt taktweise nach oben, um nach 14 Takten wieder zurückzusinken. Nachdem es in die Celli und ins Piano zurückgekehrt ist, erklingt „etwas langsamer“52 und im 4/4-Takt in Englischhorn sowie erstem Horn noch einmal – hier wieder vollständig – das Entsagungs/LiebesfluchMotiv53 zu Tuben-Akkorden und dem Todes-Rhythmus in der Pauke. Dieser wird am Ende noch von einer tiefen Trompete verstärkt und geht für einen Takt in einen leise mahnenden Trauermarsch über. Es folgt die sicherlich bedeutungsvollste Verwandlung eines Leitmotivs in ein anderes, die Wagner im „Ring“ komponiert hat: Analog zur immer noch fortschreitenden Verwandlung der Szene entwickelt er die harmonisch so ambivalente Terzenkette des Ring/Welterbe-Motivs mit geradezu didaktischer Systematik weiter zum klar in Des-Dur stehenden Walhall-Thema, das schließlich die 2. Szene eröffnet. Schritt für Schritt lotet er die harmonischen Möglichkeiten des Motivs aus bis hin zu einer vorläufig letzten Fassung, in der es einen vollständigen Dominant-Septnonenakkord auf Es, dem Anfangston der Tetralogie, umschreibt. Dieser löst sich jedoch 51 52
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„Immer schnelles Tempo“ (Wagner 1876). „Nicht schleppen. Die fortlaufende Bewegung (in den Violoncellen) gibt das Zeitmaß an“ (Wagner 1876). „Besonders ausdrucksvoll zu deklamieren“ (Wagner 1876).
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nicht dominantisch nach As-Dur auf, wie eigentlich zu erwarten wäre, sondern doppeldominantisch, eben nach Des-Dur und ins Walhall-Thema, das die Oberstimme des Ring-Motivs (mit dieser Tonart um eine Terz höher versetzt) unmittelbar übernimmt. Die Bedeutung dieser Stelle ist klar: Alberich gelingt es, aus dem Rheingold den Ring mit der ihm innewohnenden (Zauber-)Kraft zu schmieden; mit deren Einsatz erlangt er Macht über andere (die Nibelungen), kann totes Gold (Geld) in Kapital umwandeln und in letzter Konsequenz nach der maßlosen Macht, nämlich der Weltherrschaft streben, für die Walhall als sichtbares Symbol steht. Darüber hinaus lässt sich der Wechsel in der Instrumentierung der einzelnen Entwicklungsstufen folgendermaßen deuten: (1) Englischhorn und Klarinetten: Klage über die Umwandlung des Goldes zum Ring als „Ersatz“ für Erotik; (2) Fagotte und (3) Bratschen: Alberichs Schmieden des Rings aus dem „Urschlamm“ der niedersten Machtgier in der Unterwelt Nibelheim; (4) zwei Hörner, „sehr weich“ zu blasen: Einmal geschaffen, wird der Ring gewissermaßen zum „naturgegebenen“ Fakt, die Entdeckung, Geld als Kapital zu nutzen, ist unwiderruflich in der Welt;54 dem wird als Gegenentwurf direkt anschließend Walhall gegenübergestellt. Dazwischen erklingen dreimal zart aufsteigende Sequenzen einer verkürzten Variante des zweiten Wellen-Motivs, entsprechend der Szenenanweisung: „Allmählich sind die Wogen in Gewölk übergegangen, welches, als eine immer heller dämmernde Beleuchtung dahintertritt, zu feinerem Nebel sich abklärt“; zuerst in den Geigen, dann in den Flöten und schließlich, „als der Nebel, in zarten Wölkchen, sich gänzlich in der Höhe verliert“, in der Harfe, die hier die Verführung durch die Macht meint, in deren trügerischer Sicherheit sich die nun auf der Szene erscheinenden Götter wähnen.
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„Die dämonische Kraft des Ringes, d. h. des kapitalistischen Macht- und Profitstrebens, durchdringt alle Beziehungen, löst alle Bindungen, Rechte und Sitten auf.“ Franz Wilhelm Beidler, der erste Enkelsohn Wagners, zit. nach: Dieter Borchmeyer, „Richard Wagner. Ahasvers Wandlungen“, Frankfurt 2002, S. 523.
Zweite Szene: Freie Gegend auf Bergeshöhen Wotan und Fricka „Der hervorbrechende Tag beleuchtet mit wachsendem Glanze eine Burg mit blinkenden Zinnen, die auf einem Felsgipfel im Hintergrunde steht.“ Die 2. Szene des „Rheingolds“ beginnt mit dem hier zum ersten Mal allein hervortretenden, majestätisch-weihevollen Klang der Wagner-Tuben. Sie spielen jetzt das in seltener Übereinstimmung sowohl in der Literatur als auch vom Komponisten selbst so bezeichnete Walhall-Thema.55 (Die dazugehörige Basslinie übernehmen Kontrabassposaune und Kontrabasstuba.) Genau genommen ist dieses in eine klare tonale Form gebrachte und auch rhythmisch schärfer gefasste „ehemalige“ Ring-Motiv jedoch das musikalische Leitmotiv für – nun – Wotans Anspruch auf absolute Macht und geistige Führerschaft über die Welt, für die auf der Szene seine Prunkburg Walhall als (Status-)Symbol steht – ein Repräsentationsbau, wie man ihn seit dem Turm zu Babel über die Schlossanlage von Versailles bis hin zu Helmut Kohls bombastischem Berliner Bundeskanzleramt zur Genüge kennt.56 Und die dem Ring-Motiv entgegengesetzte schlichte Dreiklangsmelodik mit einer Harmonik, die sich in den ersten acht Takten ausschließlich innerhalb der drei Akkorde einer einfachen Kadenz bewegt (Tonika, Subdominante, Tonika, Dominante, Tonika), suggeriert hier offensichtlich, dass Walhall nach Wotans Selbstverständnis sich geradezu als „naturgegeben“ in die Harmonie der Welt einfügen soll. Zudem wecken die in der Szenenanweisung erwähnten „blinkenden Zinnen“ auch die Assoziation an eine Krone, die sich Wotan als Staatenlenker selbst aufs Haupt setzt. Eine Wehranlage zur Verteidigung seiner Macht wird die Burg für Wotan jedenfalls erst am Ende des „Rheingolds“, wenn er ihr zu diesem Zweck und aus seinen 55
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„Das Walhall-Thema mit großartig-erhabener Ruhe, im Charakter des Adagio, aber ohne jedes Schleppen zu spielen. Jedesmal, wenn es später im Dialog vorkommt, ist es leichter im Tempo zu nehmen“ (Wagner 1876). Udo Bermbach beschreibt es folgendermaßen: „Walhall als sichtbare Befestigung göttlich-politischer Macht und ihrer nach außen gerichteten Repräsentation.“ Udo Bermbach, „‚Blühendes Leid‘. Politik und Gesellschaft in Richard Wagners Musikdramen“, Stuttgart/Weimar 2003, S. 198.
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bis dahin gemachten Erfahrungen heraus den Namen „Walhall“ gibt (vgl. S. 172). Im weiteren Verlauf der Tetralogie ab der „Walküre“ steht das Walhall-Thema dann auch für den höchsten Gott selbst, dies entspricht Wotans völliger Identifizierung mit der Burg, wie sie in den eitlen Schwärmereien für den Bau gleich mit seinen ersten Sätzen mehr als deutlich wird. Kommentiert wird das Walhall-Motiv ab dem vierten Takt von Trompeten und Posaunen, die dynamische Tat sowie ehernes Gesetz und Tod symbolisieren, mit dem variierten Todes-Rhythmus, dessen ursprünglicher Duolen-Auftakt jetzt zur Triole mit vorgeschaltetem Staccato-Achtel mutiert. Wagners Botschaft ist – in Verdichtung der philosophischen Aussage des Entsagungs/LiebesfluchMotivs (vgl. S. 48f.) – eindeutig: Das aktive Streben nach höchster Macht ist zum Scheitern verurteilt! Dies ist die musikalisch-dramatische Ausformung der in „Oper und Drama“, vor allem in der Interpretation des Ödipus-Mythos, aufgestellten These, dass sich die starre, unmenschliche Willkür des Staates und das lebendige, unwillkürliche „Reinmenschliche“ unversöhnbar gegenüberstehen, was letzten Endes zum „notwendigen Untergang des Staates“ führen wird.57 Diese majestätische Blechbläser-Musik wird eigentümlicherweise begleitet von zwei Harfen und leisen tiefen Tremoli der Celli und Kontrabässe, die sich über die ersten neun Takte hin langsam verlieren.58 Der Klang der Harfe steht hier, in Anknüpfung an ihre vorangegangene Stelle, für die Verführung, oder zugespitzt formuliert: für die erotische Attraktion der Macht; die tremolierenden Celli und Bässe, deren leises tiefes As das Des-Dur der ersten sechs Takte als Quartsextakkord erscheinen lässt und es so harmonisch noch etwas diffus in der Schwebe hält, symbolisieren den sich schließlich ganz verlierenden Nebel. Beide zusätzlichen Instrumentalfarben schaffen eine quasi unterbewusste Anbindung an die 1. Szene, ähnlich wie der nun „überpräsente“ Klang der Tuben als
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„Oper und Drama“ (wie Anm. 4), 2. Teil, 3. Abschnitt, S. 187–202, hier S. 200. Sie sind ein weiteres Beispiel für die mehr symbolisch-dramaturgische als klangliche Bedeutung einiger Instrumentalfarben, da diese Tremoli im vorgeschriebenen Pianissimo unter den Blechbläsern in der Regel kaum wahrnehmbar sind (vgl. S. 22).
Symbol für Wotans Selbst59 im erinnernden Vergleich mit deren vorangegangenen, gewissermaßen „subkutanen“ Einsätzen. Daraus folgernd kann man spekulieren, ob Wotan, als oberster, durch seine beiden die Welt durchstreifenden Raben normalerweise allwissender Gott das Geschehen der 1. Szene vielleicht doch bereits besser kennt, als er später mit der Bemerkung Von des Rheines Gold hört’ ich raunen, Beute-Runen berge sein roter Glanz (vgl. S. 87f.) zugeben will. Ließ er deshalb Walhall tatsächlich schon bewusst als Gegengewicht zu Alberichs Machtsymbol, dem Ring, errichten? Schließlich wird, wie erwähnt, nirgends klar, wie viel Zeit zwischen den beiden ersten Szenen des „Rheingolds“ verstrichen ist, ob die Burg also parallel zu oder nach dem bisher Geschehenen gebaut wurde. Jedenfalls steht die sich nun vor uns ausbreitende Welt Wotans und seiner Götter, der „Lichtalben“, im diametralen Gegensatz zur Welt der Naturwesen Woglinde, Wellgunde und Flosshilde sowie des „Nachtalben“, des Zwerges Alberich. Und diesen Gegensatz spiegelt auch die Musik: Stand die 1. Szene – mit den vier erwähnten Ausnahmen beim „naturwidrigen“ Entsagungs/Liebesfluch-Motiv – durchgehend im Vielfachen eines Dreiachtel-Takts (6/8 bzw. 9/8), so basiert fast die gesamte 2. Szene auf einem Viertel- oder HalbeMetrum (3/4, 4/4, Alla breve und 2/4). Dieser Dualismus wird von Wagner noch dadurch bekräftigt, dass er dem Walhall-Thema – mit 20 Takten ist es das längste der gesamten Tetralogie – nach nur zwei dazwischengeschalteten Rezitativ-Takten Frickas (Wotan, Gemahl! Erwache!60) direkt das Ring/Welterbe-Motiv gegenüberstellt. Es wird wie in der letzten „Entwicklungsstufe“ zuvor wieder als großer Nonenakkord über dem tiefen Es der Kontrabässe gespielt – aber nun von den für (Liebes-)Leid stehenden Celli – und ist der musikalische Kommentar zu Wotans ersten Worten, in denen er von der Wonne seligem Saal „fortträumend“ schwärmt. Dieser zwischen Schlafen und Wachen schwebende Zustand suggeriert geradezu ein zumindest unterbewusstes Wissen um Alberichs Ring, zumal Wotan gleich darauf Mannes Ehre, ewige Macht (!) und endlosen Ruhm ausdrücklich beschwört. Dazu geht das Ring/Welterbe-Motiv nach vier Takten
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Vgl. Donington (wie Anm. 17), S. 40–42. „Nicht zu heftig, sondern mehr großartig zu fassen“ (Wagner 1876).
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nahtlos wieder in den entsprechenden, also fünften Takt des Walhall-Themas über – hier eine Quart tiefer transponiert – und springt danach in drastischer Verkürzung vom ursprünglich sechsten Takt direkt in eine Variante der Schlussfloskel des 17. bis 19. Taktes. Einer so statt mit dem charakteristischen absteigenden Dreiklang beginnenden Variante des Walhall-Themas werden wir noch öfter begegnen, ich werde sie daher als B-Teil des Themas bezeichnen. Mit der Substitution der Tuben durch Hörner sowie durch die melodisch-harmonische Gegenbewegung der Violoncelli klingt dieses zudem jetzt schon leicht „verfälscht“. Entspringt Walhall vielleicht doch mehr Wotans Eitelkeit als seinem Anspruch auf geistige Führerschaft? Jedenfalls steht der Klang der Hörner hier sicherlich für sein Bemühen, für Walhall gewissermaßen eine „Natur-Notwendigkeit“ zu behaupten, so wie in der Geschichte jahrhundertelang für gekrönte Staatsoberhäupter ein angeblich „natürliches“ Gottesgnadentum postuliert wurde. Endlich „rüttelt ihn“ Fricka wach, von den Streichern plastisch untermalt. Wotan „erhebt sich ein wenig“, anscheinend mit einem noch ziemlich diffusen Gedanken an die nun auf ihn zukommende Auseinandersetzung um die Einhaltung seines Teils des BauVertrags: Die absteigende Linie der Celli und Bässe ist eine sehr vage Vorform des späteren Vertrags-Motivs. Da der Zuhörer dieses hier aber noch nicht kennen kann und die Phrase auch keine Reminiszenz an eine vorher gehörte Gesangsstelle ist, führt uns Wagner also mit dieser und den späteren, konkreteren Vorformen (vgl. S. 61f., 65, 69 und 71f.) die Entstehung eines neuen Leitmotivs vor – im Sinne von Kleists These einer „allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“. Zu Wotans nächsten Sätzen, „sogleich vom Anblick der Burg gefesselt“, also im direkten, „wachen“ Bezug auf sie, erklingt jetzt noch einmal das vollständige Walhall-Thema61 in einer der ganz wenigen wirklich notengetreuen Wiederholungen im gesamten „Ring“ (bis auf die fehlenden Tremoli der tiefen Streicher). Erst ab Ende des 14. Takts hören wir dann für die letzten, nun neun Takte eine erweiterte Version des anderen Themenschlusses, den wir vorher schon von den Hörnern und Celli gehört hatten; sie wird bestimmt durch zwei aufeinander bezogene charakteristische Wendungen in der 61
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„Nicht langsam, Andante“ (Wagner 1876).
Basstrompete sowie in den danach hinzutretenden normalen Trompeten, die im weiteren Verlauf der Tetralogie beide auch als quasi eigenständige Kurzmotive bedeutsam wiederkehren werden. Das zweite erklingt zu den letzten drei Silben von Wotans sich vor Begeisterung fast überschlagendem hehrer, herrlicher Bau! (Dezimensprung hinauf und wieder herunter!); es ist eine entfernte, DurVariante des Motivs des Liebes-(Selbst-)Betrugs und steht daher wohl für eine unbewusste, noch sorglose Vorahnung des bösen Zolls (vgl. 4. Szene, S. 166), den er am Ende für den Bau Walhalls zu zahlen haben wird. „Alles nun folgende Dialogische mit besonderer Vermeidung jedes Schleppens!“, fordert Wagner während der Proben 1876 und fügt, herrlich polemisch, die denkwürdige Bemerkung hinzu: „Wenn ihr nicht alle so langweilige Kerle wärt, müsste das ‚Rheingold‘ in zwei Stunden fertig sein!“ (Ich weiß nicht, ob es in den anderthalb Jahrhunderten der Aufführungsgeschichte jemals gelungen ist, dieser sicherlich bewusst überspitzten Forderung des „Meisters“ nachzukommen; es sind dann doch „gewaltig viel Noten“ – um das Wort Josephs II. über Mozarts „Entführung aus dem Serail“ zu zitieren.) Die folgende Auseinandersetzung der Eheleute, auf die sich der Komponist hier bezieht und die mit Frickas Nur Wonne schafft dir, was mich erschreckt?62 beginnt, hat tatsächlich fast durchgängig rezitativischen Charakter und steht, der Tradition entsprechend, im 4/4Takt. Nur gelegentlich gibt es im Orchester leitmotivische Kommentare, diese sind dafür umso interessanter. In den ersten 18 Takten hören wir, wieder in Celli und Bässen, dreimal eine nun schon klarer erkennbare Vorform des späteren Vertrags-Motivs. Es entwickelt sich aus einer über eineinhalb Oktaven diatonisch absteigenden Tonleiter, also aus der verkürzten Umkehrung der über mehr als drei Oktaven aufsteigenden Skalen am Ende des Vorspiels, die überschäumende Lebenskraft symbolisierten (vgl. S. 28). Dies bedeutet geradezu plakativ: Widernatürliche, nicht auf „Treu und Glauben“63 gründende, also betrügerische Verträge führen als negative (Lebens-)Kraft in den (eigenen) Untergang! Das erste Mal erklingt diese Vorform als Kommentar nach Frickas Worten Achtloser, lass dich erinnern des ausbedungenen 62
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„Nicht übereilen; das Wort ‚erschreckt‘ mit Bedeutung zu akzentuieren“ (Wagner 1876). Ein Rechtsgrundsatz, der noch heute im BGB (§ 242) festgeschrieben ist.
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Lohns! Dies ist ein weiteres Beispiel für Wagners psychologische Anwendung seiner Leitmotive, denn in einer dramaturgisch oberflächlicheren Sicht würde man hier wohl eher ein Motiv des „ausbedungenen Lohns“, also einen musikalischen Verweis auf Freia erwarten. Aber stattdessen „hören“ wir hier Wotans Gedanken zu Frickas Vorwürfen. Die nächsten beiden Male setzt Wagner diese MotivVorform dann aber in direkte Beziehung zu Wotans eigenen Ausführungen über seinen Vertrag mit dem trotzig Gezücht und macht nun ihre dramaturgische Zugehörigkeit deutlich. Vorher noch, zu Beginn von Wotans Antwort Wohl dünkt mich’s, was sie bedangen, die dort die Burg mir gebaut, spielt die Pauke den Kopfrhythmus des späteren Riesen-Motivs, wobei durch die Reduktion auf den einen Ton (F) der vor der ersten Zählzeit erklingende Vorschlag hier besonders deutlich macht, dass der TodesRhythmus nicht nur Bestandteil auch dieses neuen Leitmotivs sein, sondern sogar seine Initiale bilden wird. Zu Frickas zorniger Replik O lachend frevelnder Leichtsinn! („Etwas belebter“)64 unterstreichen die beiden kurzen EchoEinwürfe der Holzbläser noch einmal im Forte die jeweils direkt vorher von ihr auf die Worte Leichtsinn! und Frohmut! gesungene, erst große,65 dann kleine, Wehe-Sekunde. Sechs Takte später singt sie („etwas breit“66): So ohne Scham verschenktet ihr Frechen Freia, mein holdes Geschwister. Wieder verzichtet der Komponist in weiser Zurücknahme auf ein bloßes plakatives „Etikett“ und führt das Freia-Motiv immer noch nicht ein, was einmal mehr zeigt: Wagners musikalische Motive beziehen sich meistens auf psychologische oder philosophische Bedeutungen und nicht vordergründig auf die betreffenden Personen oder Dinge, die auf einer höheren Ebene ohnehin archetypisch, als szenisch-visuelle Leitmotive für diese Phänomene stehen können. Beide zusammen meinen die hinter den konkreten Figuren und Requisiten aufscheinenden Aspekte bzw. Motivationen menschlichen Handelns. Hinzu 64 65
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„Das Tempo wie in der gesprochenen Rede“ (Wagner 1876). Vielleicht kann man diese im Rheingold-Ruf so bedeutsame große Sekunde hier sogar als versteckte Anspielung des „allwissenden“ Orchesters auf das ebenso leichtsinnige Verhalten der Rheintöchter deuten, das schließlich zum Verlust des Goldes geführt hat, auch wenn die jetzt darunterliegende Harmonie (h-Moll) eine völlig andere ist als dort. 1876 präzisiert Wagner: „Breit, aber nicht zu gedehnt“.
kommt, dass insbesondere die Musik des „Rings“ auf sehr subtile Weise immer wieder die Erzählperspektive wechselt, dadurch verändert sich ständig der emotionale Abstand zu den dramatischen Ereignissen und ihren Akteuren (vgl. dazu etwa Loges Bericht, S. 82ff.). Und so hören wir auch nach Frickas vorwurfsvollem Fazit Giert ihr Männer nach Macht! nicht das Walhall-, sondern das Ring/Welterbe-Motiv, das eben für die Machtgier steht, und zwar in den Celli als Überleitung zu Wotans süffisanter Retourkutsche Gleiche Gier war Fricka wohl fremd, als selbst um den Bau sie mich bat? Die Wiederholung des Motivs drei Takte später wird sogar von den Hörnern gespielt: Ist Machtgier etwa „naturgegeben“? Damit wird die oben erörterte, zumindest unterbewusste Verbindung zwischen Wotans Machtanspruch, der in manchen Momenten zur Machtgier wird, und Alberichs Ring, also beider gemeinsamer Anspruch auf das „Welterbe“ einmal mehr offenbar. Nun folgt eine Phrase, die durch den Kontext ihrer Wiederkehr in der „Walküre“ zu einem der bittersten, ja zynischsten Leitmotive im „Ring“ werden wird: Über einem leise flirrenden StreicherTremolo beginnt Fricka ihre Rechtfertigung Um des Gatten Treue besorgt …67 mit einer schmeichelnden melodischen Wendung, die in den ersten eineinhalb Takten (nach dem Auftakt) melodisch nahezu identisch ist mit dem zweiten Leitmotiv für Siegmunds und Sieglindes Liebe in der „Walküre“, jener „Bastarde“ also, die aus einem der vielen Seitensprünge Wotans hervorgehen werden, die Fricka hier beklagt und durch die Schaffung von Walhall als „Heim und Herd“ gerade zu verhindern versucht (Herrliche Wohnung, wonniger Hausrat sollten dich binden zu säumender Rast).68 In der hier von Fricka gesungenen Version des Motivs ist der letzte Tonschritt zwar noch eine aufsteigende Sekunde statt der späteren Terz im Liebesmotiv der Geschwister; in dieser ersten Form begegnen wir dem Motiv allerdings auch noch zweimal wieder, und zwar im 2. Aufzug der 67
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„Sehr fließendes Tempo. Sehr innig, aber den Sprechton nicht verlassen“ (Wagner 1876). Zum anderen, mehr Siegmund zugeordneten Leitmotiv der Geschwisterliebe wird, wie wir gesehen haben (vgl. S. 37f.), das Motiv von Alberichs Verzweiflung ob des erlittenen Liebesbetrugs werden. Drastischer und auch gnadenloser kann man die vorprogrammierte Aussichtslosigkeit dieser Liebe musikalisch nicht hörbar machen!
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„Walküre“ in der zentralen Auseinandersetzung zwischen ihr und ihrem Gatten Wotan.
Sowohl hier, als auch in Frickas Fortführung Muss traurig ich wohl sinnen, wie an mich er zu fesseln verweist die Chromatik eindeutig auf ihr offensichtlich vergebliches Bemühen, Wotan (noch?) mit Erotik genügend an sich binden zu können. Die kurz danach von ihr ab Herrliche Wohnung gesungene verführerische Melodie wird von Wotan zwölf Takte später in seiner herablassenden Antwort sarkastisch „lächelnd“ und verstärkt durch eine „weibliche“ Klarinette nachgeäfft: Wolltest du Frau in der Feste mich fangen … Man sollte sie als Motiv der von Fricka ersehnten Gattentreue bezeichnen, in der Literatur finden wir allerdings oft auch den zu sehr verallgemeinernden Namen „Weib-Motiv“. Charakteristisch ist wiederum der große Nonenakkord der Verführung (mit anschließender fallender Septime), dem hier noch eine große Sekunde vorausgeht. Im „Rheingold“ wird dieses Motiv etwas später von Loge und am Ende der 4. Szene von Fricka zitiert, es erklingt dann aber auch noch einmal zu Beginn der 3. Szene des 3. Aufzugs im „Siegfried“, wenn dieser die schlafende Brünnhilde findet. Zuvor, als Überleitung zu Fricka bitterem Vorwurf Doch du bei dem Wohnbau sannst auf Wehr und Wall allein,69 fällt der kurze crescendierende Einwurf der Hörner mit dem Kopfrhythmus des Riesen-Themas auf: Entspringt dieser kriegerische Gedanke also etwa einem „natürlichen“ Instinkt des Mannes? Bei ihrem sofort anschlie-
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„Wieder scharf artikulierend“ (Wagner 1876).
ßenden Herrschaft und Macht70 ist hingegen bemerkenswert, dass sich Wagner hier eine musikalische Kommentierung versagt: Es erklingt weder das Ring/Welterbe- noch das Walhall-Motiv. Letzteres hören wir erst elf Takte später, in einer verkürzten und kombinierten Fassung (B-Teil der ersten plus drei Takte aus dem Schluss der zweiten Version), eingeleitet durch zwei Takte mit der markanten, den variierten Todes-Rhythmus inkludierenden, leisen TrompetenBegleitung (vgl. S. 58). Beide musikalischen Gesten kommentieren jetzt Wotans eitel-überhebliche Selbstdarstellung: (Mir Gotte musst du schon) gönnen, dass, in der Burg gefangen, ich mir von außen gewinne die Welt: Wandel und Wechsel liebt wer lebt. Wenn kurz darauf Fricka Wotan „sehr heftig“ (Wagner 1876) vorwirft, um der Macht und Herrschaft … Liebe und Weibes Wert zu verspielen, dann klingt dazu in den für Liebesleid stehenden Celli der Beginn der Liebesentsagung aus der 1. Szene an. Damit wird deutlich, dass dieses Leitmotiv von nun an nicht mehr nur auf Alberich und auf die an das Schmieden des Rings geknüpfte Bedingung bezogen ist. Rätselhafter erscheint dagegen die Bedeutung des direkt danach erklingenden Vertrags-Motivs (immer noch in seiner Vorform, allerdings nicht mehr im Legato) in Verbindung mit Wotans Worten: Um dich zum Weib zu gewinnen, mein eines Auge setzt’ ich werbend daran. Meint der Kommentar der Celli und Kontrabässe hier, dass schon Wotans Eheschließung mit Fricka ein ausgehandelter Vertrag zugrunde lag, für den er ebenfalls einen Preis zu zahlen hatte, nämlich eins seiner Augen, und eben – zumindest von seiner Seite aus – keine Liebesheirat? Symbolisch würde eine solche Interpretation bedeuten: Wotan hat durch diesen ersten (Ehe-)Vertrag zwar eine Partnerin an sich gebunden, jedoch gleichzeitig für seine Sicht auf die Welt die „Perspektive“, das räumliche Sehen verloren. Allerdings sind Zweifel angebracht, ob seine Aussage hier überhaupt stimmt, denn von ihm selbst im 3. Aufzug des „Siegfried“ und dann von den Nornen im Vorspiel zur „Götterdämmerung“ werden wir noch zwei anderslautende und voneinander abweichende Berichte über den Verlust seines Auges hören. Und wie wir bald sehen werden, nimmt es Wotan mit der Ehrlichkeit ohnehin nicht so genau.
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„Energisch hervorheben“ (Wagner 1876).
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Auftritt Freias Freias Auftritt („Ziemlich lebhaft“) wird eingeleitet von auf je ein Sechzehntel und Achtel verkürzten Wehe-Sekunden, die – nun auftaktig – zwischen den Bässen und den synkopisch nachschlagenden hohen Streichern abwechseln. Das Tempo ist zum erregten Alla breve beschleunigt. Erst drei Takte vor ihrem ersten Einsatz (Hilf mir, Schwester!) erklingt Freias dreitaktiges Motiv „sehr lebhaft“ (Wagner 1876) in den Violinen, dem klanglichen Symbol für menschliches Gefühl. (Es ist zweiteilig, und da beide Teile im weiteren Verlauf auch unabhängig voneinander vorkommen und variiert werden, ist es eigentlich ein „Thema“ (vgl. S. 13); aufgrund seiner Kürze können wir es allerdings wohl noch als Motiv betrachten.) Sein erster Takt wird gebildet aus einem teils chromatisch, teils diatonisch aufgefüllten empordrängenden e-Moll-Dreiklang ab der Terz, der abgeleitet ist vom Ur-Motiv, dem aufsteigenden Es-DurDreiklang der Hörner im Vorspiel, und so – auch über den gemeinsamen Ton g – die direkte, sich gegenseitig bedingende Verbindung zwischen der Liebe bzw. Erotik und der Natur aufzeigt. Demgegenüber erklingt im zweiten und dritten Takt eine wilde viermalige Sequenzierung von Alberichs Liebesbetrugs-Motiv aus der 1. Szene in einer nun geradtaktigen Version. Dazu tritt Freia „wie in hastiger Flucht auf“. Die Verwendung dieses Motivs in dieser Situation weist schon voraus auf die ganz ähnliche Musik, die im Vorspiel zum 2. Aufzug der „Walküre“ die panische Flucht Siegmunds und Sieglindes aus Hundings Haus schildern wird. Nach Freias ersten verzweifelten Hilferufen hören wir auf ihr Mich holde käm’ er (Fasolt) zu holen in Celli und Bässen erneut den Kopf des Riesen-Themas, wobei der hier triolische TodesRhythmus (vgl. S. 58) nun schon zu dem kraftvollen, dreitönig hochschleifenden Quart-Vorschlag des späteren Themas geworden ist. Auch dessen endgültige Version wird also immer wieder durch ein Anspielen – hier seines rhythmisch einprägsamen „Kopfes“ – vorbereitet und so eine musikalische Spannung auf das reale Auftreten der Riesen geschürt. Noch ein weiteres Leitmotiv wird in einer zunächst vagen Vorform angedeutet: Wenn Wotan auf Schlauheit und List hofft, wie Loge verschlagen sie übt, dann tut er dies mit einer sich windenden
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melodischen Linie, die chromatisch absteigende Quinten umschreibt: Genau diese werden später, in dreifacher Beschleunigung, zum charakteristischen Beginn des Loge-Themas. Und selbst die in dieser erregten Situation unvermittelt breit ausgesungene zweitaktige Melodie der Celli über den Bratschen, mit der Wotans herablassender Versuch, die erregten Gemüter „seiner“ beiden Frauen zu beruhigen eingeleitet wird71 (Wo freier Mut frommt72), sollten wir im Gedächtnis behalten, auch ihr werden wir in einer fast identischen Situation zwischen Fricka und Wotan, in deren großer Auseinandersetzung im 2. Aufzug der „Walküre“ wiederbegegnen. Eine letzte, rhythmische Vorbereitung des Riesen-Themas hören wir zu Frickas angstvollem Vorwurf: Dort schreiten rasch die Riesen heran: wo harrt dein schlauer Gehilf’?73 Hier wird seinem Kopfrhythmus – nun wieder in der Pauke und duolisch, also mit dem ursprünglichen Todes-Rhythmus – jeweils noch ein Ton in den Hörnern angehängt, der mit einem kurzen Vorschlag von unten angeschliffen wird, gerade so als würden die herannahenden Riesen in dem bergigen Gelände (vgl. die Ortsangabe zu Beginn der Szene) immer wieder abrutschen. Zum anschließenden dreimaligen Wiedererklingen des nun jedes Mal variierten Freia-Themas, ab ihrem Wo harren meine Brüder, bemerkt Wagner 1876: „Den ganzen Tonsatz mit leidenschaftlicher Wärme spielen“, und formuliert an dieser Stelle die grundsätzliche, sicher für sein ganzes Werk, wenn nicht gar für die Gattung Oper überhaupt geltende apodiktische Forderung: „Sehr zu beachten: Wenn der Sänger etwas zu sagen hat, hat sich das Orchester sofort unterzuordnen, und wenn es die schönsten Sachen zu spielen hat.“74 Ein Grundsatz, der leider bis heute durchaus nicht immer berücksichtigt wird. 71
72 73 74
Auch hier kann man eventuell den Orchesterkommentar als sehr sarkastische Anspielung auf Wotans Drang zum „einsamen Don Juan“ lesen, denn instrumentalsymbolisch stehen Celli und Bratschen für Liebesleid bzw. niedere Instinkte. Allerdings mag die Orchestration hier auch lediglich Wagners Vorliebe für eine Begleitung rezitativischer Stellen nur durch diese beiden tieferen Streichergruppen geschuldet sein (vgl. S. 23). „Vorwärts im Tempo“ (Wagner 1876). Wagners originale, altertümliche Form lautet „Gehülf’“. Leider wurde ausgerechnet diese so wichtige Bemerkung in der neuen Wagner-Ausgabe nicht an dieser Stelle in der Partitur, sondern nur im Vorwort abgedruckt.
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Auftritt der Riesen „Fasolt und Fafner, beide in riesiger Gestalt, mit starken Pfählen bewaffnet, treten auf.“ („Sehr wuchtig und zurückhaltend im Zeitmaß.“) Dröhnend und im Fortissimo von Streichern, Pauken und Kontrabasstuba gegen die brutal nachschlagenden Quarten75 der Posaunen und der Basstrompete erklingt nun endlich das RiesenThema in seiner definitiven Fassung und damit eine der im Wortsinn eindrucksvollsten Stellen des „Rheingolds“ überhaupt. In dieser vollständigen, sieben Takte langen Version steht es gleich mit fünf anderen Leitmotiven bzw. -rhythmen in Beziehung, die für die dramaturgische Bedeutung der Riesen im „Ring“ höchst aufschlussreich sind: Dass in den drei Vorschlagnoten seines Beginns der TodesRhythmus in seiner triolischen Variante versteckt ist, haben wir bereits gesehen – auch die unfreie Existenz des von seiner auftragsgebundenen Arbeit für andere abhängigen Proletariers steht also dem Tod näher als dem Leben. Darüber hinaus ist die erste Takthälfte des Themas rhythmisch nahezu identisch mit dem zweiten, vierten bis zehnten, zwölften und vierzehnten Takt des Walhall-Themas, besonders wenn man die später dort hinzutretenden triolischen Zweiunddreißigstel-Auftakte der Trompeten und Posaunen mit einschließt; und hier wie dort ist diese musikalische Keimzelle mehrmals hintereinander gereiht. Damit wird auch musikalisch deutlich, wer die physischen Schöpfer der Prunkburg sind. Und wie zur Bekräftigung dieser von Wotan gern verdrängten Tatsache hören wir am Ende der ersten zwei Takte des Riesen-Themas die kleine, Wehe-Sekunde. Zudem weist der Beginn des dritten Takts melodisch voraus auf das Schmiede-Motiv der ebenfalls zu abhängiger Arbeit gezwungenen Nibelungen:
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„Das Zurückhalten des Tempos ist namentlich vor den Auftaktnoten des zweiten und vierten Viertels fühlbar zu machen, und diese Auftaktnoten sind besonders stark zu akzentuieren“ (Wagner 1876).
Schließlich klingt in den letzten beiden Takten sogar schon das spätere Angst- bzw. Wurm-Motiv an, das wir am Ende der NibelheimSzene zum ersten Mal hören werden (vgl. S. 124). Dies könnte sowohl auf die latente Angst des Proletariers – für den die Riesen als Symbol stehen – vor dem Dienstherrn hindeuten, hier insbesondere wegen der möglichen Verweigerung angemessener Bezahlung, als auch vorausweisen auf die Verwandlung Fafners in den angsteinflößenden Wurm im „Siegfried“. Im viertletzten Takt (vor Fasolts Einsatz Sanft schloss Schlaf dein Aug’) geht das Thema in die absteigende Skala des Vertrags-Motivs in seiner bisherigen Vorform über.76 Im weiteren Verlauf von Fasolts Ansprache (Mächt’ger Müh’ müde nie … deckt und schließt im schlanken Schloss den Saal) wech-
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„Von hier ab nicht mehr im Tempo zurückhalten“ (Wagner 1876).
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selt das Riesen-Thema – nun in Bratschen, Celli, Bässen, Hörnern und Fagotten – nach fünf Takten direkt in den hier extrem verkürzten B-Teil des Walhall-Themas hinüber, nun wieder in den Tuben, aber nicht mehr im Legato. Zwei bzw. vier Takte später werden diese beiden Takte sogar zu einem zusammengezogen, beim zweiten Mal allerdings gespielt von den Posaunen und in aufsteigende Dreiklänge abgewandelt. Dieser gestoßenen Kurzfassung des Motivs werden wir noch öfter begegnen, vor allem – mehr als doppelt so schnell und so zum Motiv für Alberichs maßlosen Machtanspruch geworden – gegen Ende der 3. Szene in Nibelheim. Damit wird die vorher nur rhythmisch angedeutete Verbindung zwischen dem Walhall- und dem Riesen-Thema vollends evident. Alle musikalischen Beziehungen zwischen diesen verschiedenen Leitmotiven zusammenfassend lässt sich folgende, „kommunistische“ Deutung der Riesen-Musik formulieren: Die Arbeitskraft der Riesen (des Proletariats) ist mit der Macht (dem Arbeitgeber) durch (Arbeits-)Verträge über die Herstellung von Walhall (des Produkts) direkt verbunden. Im Umkehrschluss postuliert Wagner durch diese gegenseitigen Motiv-Beziehungen aber auch: Der Besitz und die Ausübung von Macht ist ohne die Inanspruchnahme der Arbeitskraft von Untergebenen, geregelt durch Verträge bzw. Gesetze nicht möglich! Das ist natürlich nicht die Organisationsstruktur eines mythischen Götterkosmos, sondern die Funktionsweise unserer realpolitischen Welt, insbesondere des Staates. Und diese sich bedingenden Zusammenhänge führen laut Wagner in der Zukunft notwendigerweise zu deren bzw. dessen eigener Vernichtung, wie er durch das Erklingen der Posaunen und des Todes-Rhythmus prognostiziert; für die Gegenwart aber bedeuten sie Lähmung und Angst!77 Diese Deutung bildet die politische Überzeugung des Komponisten insbesondere zur Zeit der Arbeit am „Rheingold“ ab, also in dem Jahrzehnt um 1850. Auf Fasolts respektvolle Begrüßung antwortet Wotan, „wie kurz abgebrochen zu sprechen, in gleichgültigem Tone“ (Wagner 1876): Nennt, Leute, den Lohn; was dünkt euch zu bedingen? Zu dem überrascht (fortepiano) dreinfahrenden Vertrags-Motiv (immer noch in der letzten Vorform), erinnert Fasolt seinen Auftraggeber an den vertraglich ausgemachten Preis: Freia, die Holde, Holda, die 77
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Vgl. „Oper und Drama“ (wie Anm. 4), S. 200 und 202.
Freie. Dazu hören wir in den Celli, dem Klangsymbol für Liebesleid, zwei sehnsuchtsvoll aufsteigende Figuren; es sind zwei Varianten des ersten Takts des Freia-Motivs. In Verbindung mit dem etwas enigmatischen Wortspiel steht dieses Motiv hier sicherlich auch für die Hoffnung der durch Vertrag gezähmten, also unfreien Riesen, mit der holden Göttin Freia als Lohn für ihre Arbeit sich auch zumindest ein kleines Stück von der scheinbar so grenzenlosen und glücklichen Freiheit der Götter, wenn nicht sogar ein bisschen „holde“ Liebe zu erkaufen. Und Fasolt endet, immer noch gutgläubig, „mit entschlossenem Ausdruck, etwas rascher als das Vorangegangene“ (Wagner 1876): Vertragen ist’s, sie tragen wir heim. Erst als Wotan ihn beschimpft und dann knapp mitteilt: Freia ist mir nicht feil!, beginnt Fasolt zu begreifen; er „steht, in höchster Bestürzung, eine Weile sprachlos“. Die Streicher illustrieren seinen Schreck drastisch mit drei wilden, abgerissenen Sechzehntel-Skalen. Anschließend hören wir das Vertrags-Motiv, bis auf den ersten Ton schon in seiner endgültigen rhythmischen Form; aber durch die harten, nachschlagenden Synkopen der Posaunen zusammen mit der Tempoanweisung „etwas zurückhaltend“ klingt es quasi stotternd und nach Worten ringend. Entsprechend fordert Wagner 1876 für den Sänger des Fasolt, als dieser endlich die Sprache wiederfindet: „Die Worte heftig hervorstoßen!“ (Was sagst du? Ha! Sinnst du Verrat? Verrat am Vertrag?) Ein Crescendo-Takt mit einer wild über zwei Oktaven aufsteigenden Sechzehntel-Kette der Celli und Bässe unterstützt durch repetierte Achtel von „Wotans“ Tuben, die hier auf einmal ganz und gar nicht mehr weihevoll klingen, sondern vielmehr dumpf pochend, gar drohend, leitet über zum Beginn von Fasolts längerer Argumentation. Er erkennt die Gefahr für die Legitimation von Wotans Macht und legt sogleich den Finger in die Wunde: Die dein Speer birgt, sind sie dir Spiel, des berat’nen Bundes Runen?78 Mit der Bezugnahme des Riesen auf Wotans Speer, dem die seine Macht begründenden Verträge, mit anderen Worten: seine staatsbildenden Gesetze, als Runen eingeschrieben sind, wird dieser als szenisches Symbol für den Machtanspruch des Göttervaters eingeführt. Dazu erklingt das Vertrags-Motiv, zwar immer noch nicht in der endgültigen Version, aber schon kontrapunktiert mit der nach dem ersten 78
„Von hier mit festem Ausdruck“ (Wagner 1876).
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Ton wie zur Bekräftigung energisch auffahrenden Dreiklangstriole, hier von den Streichern gespielt. Damit wird nach dem Rheingold, dem Ring und Walhall einem weiteren musikalischen Leitmotiv, das für einen physisch-sinnlich schwer darzustellenden geistigen Begriff steht, ein sichtbares szenisches Objekt zugeordnet. Und deshalb wird dieses Leitmotiv in der Wagner-Literatur auch als Speer-Motiv bezeichnet – er selbst nannte es „Vertrags“-Motiv (vgl. S. 78, Anm. 87). Hier steht es in C-Dur, der Tonart, der im Ring nicht zu trauen ist (vgl. zum Beispiel S. 44, 86f. und 147), und wird von den Hörnern gespielt, die offensichtlich für die von Wotan postulierte Naturgegebenheit dieser Gesetze stehen, deren Klang aber durch die im Unisono mitgehenden und den „Urschlamm“ symbolisierenden Fagotte schon kontaminiert wird. An dieser Stelle mischt sich Fafner zum ersten Mal ins Gespräch: Getreuster Bruder, merkst du Tropf nun Betrug? Bedeutsam ist, dass er dies auf die gleichen chromatisch absteigenden Quinten singt, die wir zum ersten Mal hörten, als Wotan Loges verschlagene Schlauheit und List pries (vgl. S. 66f.), und die später in extremer Verkürzung zur Initiale des Loge-Themas werden: Dieser war ja ursprünglich der Architekt des Vertrages, aus dem sich die Götter jetzt in betrügerischer Absicht herauswinden wollen. Zu einer sich ebenso windenden Bassklarinetten-Figur überhört Fasolt Fafners aufkeimenden Verdacht und „beginnt erst ruhig, mit wie verhaltener Erregtheit“ (Wagner 1876), Wotan weiter ins Gewissen zu reden, meist begleitet von den acht Takte vorher bereits gehörten Achtel-Repetitionen, hier erst in den Hörnern, später in den Streichern. Sein Hör und hüte dich; Verträgen halte Treu’! wird dagegen in Oktaven von zwei Tuben unterstützt, wobei deren Klang durch die jeweils aufsteigende kleine Terz und fallende verminderte Septime hier wieder durchaus drohend wirkt. Dies ist eine erste Anspielung auf das Grübel-Motiv, mit dem der „Siegfried“ beginnen wird. Es beschreibt dort, wie Mime verzweifelt über der Lösung für ein Problem grübelt, das er sich großenteils selbst geschaffen hat. Und Wotan befindet sich hier in einer sehr ähnlichen Situation, auch wenn er dies noch nicht wahrhaben will. Sobald es ihm klar wird, werden wir das Motiv in seiner definitiven Gestalt hören (vgl. S. 82).
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Noch eine weitere Stelle wird etwas später auf diese vier Takte Bezug nehmen, nämlich wenn Wotan, um eine gewaltsame Eskalation abzuwenden, kurz vor Loges Auftritt zusichern muss: Verträge schützt meines Speeres Schaft (vgl. S. 78). Was du bist, bist du nur durch Verträge; bedungen ist, wohl bedacht, deine Macht. Damit bringt Fasolt die Grundbedingung für Wotans Herrschaft auf den Punkt. Wagner entnimmt zwar seine Protagonisten den Mythen der germanischen „Edda“, Göttervater Wotans Macht ist bei ihm aber nicht mehr „gottgegeben“, sondern sie wird legitimiert durch Verträge, also Gesetze, an die auch er selbst sich halten muss. Dies ist das Ideal des modernen „aufgeklärten“ Staates! Und auf dem Wort Verträge erklingt nun endlich, in Celli und Bässen und im Piano, das Vertrags-Motiv in seiner rhythmisch endgültigen Form und in Moll, in der Mitte allerdings etwas verzerrt durch fünf aufeinanderfolgende Ganztonschritte in der absteigenden Tonleiter. „Etwas beeilend. Mit Leidenschaft“ (Wagner 1876) beginnt Fasolt sein mahnendes Fazit: All deinem Wissen fluch’ ich, fliehe weit deinen Frieden, und leitet damit melodisch-rhythmisch zu einem neuen Leitmotiv über, auf das er nun seine Konklusion singt: Weißt du nicht offen, ehrlich und frei Verträgen zu wahren die Treu!79 Es wird gemeinhin das „Vertragstreue-Motiv“80 genannt und erklingt zwischen Fasolts Gesang und den tiefen Streichern sogleich im Kanon, 79
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„Ein wenig zurückhaltend und mit deutlichster Betonung jedes Wortes“ (Wagner 1876). Auch dieses Vertragstreue-Motiv wird also, ebenso wie die vorher erklungene Vorform des Grübel-Motivs, wieder über die Gesangslinie eingeführt.
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dem alten musikalischen Symbol des Gesetzes81 – das Charakteristikum dieses Motivs. In seinem Mittelteil, der absteigenden ViertelTonleiter, ist es eine Dur-Version des zweiten und dritten Takts des Vertrags-Motivs und somit auch wieder eine (doppelt verlangsamte) Umkehrung der „positiven“ aufsteigenden Sechzehntel-Ketten am Ende des Vorspiels. Dem ersten Anschein nach symbolisiert es hier also erneut eine negative Lebenskraft. Aber dadurch, dass diese gesetzt abwärts schreitende Tonskala auf der letzten Takthälfte in eine – auch lebhaftere – Aufwärtsbewegung umgebogen wird, und vor allem durch den rhythmisch punktierten, auf das Ur-Motiv zurückgehenden Dreiklang als Kopf, der hier auch noch im gleichen Es-Dur steht wie der Beginn des „Rheingolds“, lässt sich dieses Leitmotiv etwas weiter gefasst interpretieren: Die Einhaltung von Absprachen, also Verträgen im weitesten Sinne, bildet die naturnotwendige Grundlage allen sozialen Zusammenlebens, somit verletzt jede diesbezüglich gegenteilige Handlung die Natur! Und dass solche Verträge nur auf der Grundlage von „Treu und Glauben“ also in „brüderlicher Eintracht“ funktionieren können, versinnbildlicht sehr einfach und anrührend der streng zweistimmige Kanon. Er kommt im „Ring“ nur in diesem Motiv vor. Eine verkürzte Wiederholung dieses Kanons zwischen tiefen Streichern sowie Hörnern und Fagotten im Forte leitet über zu Wotans nach Ausflüchten suchender Antwort: Wie schlau für Ernst du achtest, was wir zum Scherz nur beschlossen. Fasolt reagiert zuerst empört und fährt dann mit einem kurzen, bitteren Arioso fort: Die ihr durch Schönheit herrscht …,82 begleitet vom erneut variierten ersten Teil des Freia-Motivs zunächst in den Bratschen, dann in den Celli. Danach geht die Musik über in eine komprimierte Fassung der oben (S. 69f.) beschriebenen Kombination des verkürzten Kopfs des Riesen-Themas mit der Variante des fünften Takts des Walhall-Themas: Wie törig strebt ihr nach Türmen von Stein, setzt um Burg und Saal Weibes Wonne zum Pfand! Die letzten vier Worte singt Fasolt dabei auf die Unterterz der in Englischhorn und Horn erklingenden Variante des Entsagungs/Liebesfluch-Motivs. „Etwas breiter (wenig!)“ (Wagner 1876) folgt wieder mehrfach der Kopf des Riesen-Themas, hier auch mit den hinaufschleifenden 81 82
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Vgl. etwa den Chor „Wir haben ein Gesetz“ in Bachs „Johannes-Passion“. „Die Phrase ist breit zu exponieren, wie ein sich wölbender Bogen“ (Wagner 1876).
Vorschlägen, zu Fasolts Wir Plumpen plagen uns schwitzend mit schwieliger Hand. Er verliert sich schließlich in den Hörnern unter dem von Celli und Bässen in die Oboe aufsteigenden Beginn des Freia-Motivs – eine von Wagners gerade im „Ring“ so meisterhaften musikalischen Überblendungen. Währenddessen schwärmt der Riese: Ein Weib zu gewinnen,83 das wonnig und mild bei uns Armen wohne, und darüber mutiert der zweite Teil des Freia-Motivs zu einer doppelt so langsamen lyrischen Dur-Version des (Liebes-) Betrugs-Motivs, die „weich“ fortgesponnen wird. Und verkehrt nennst du den Kauf?, endet Fasolt „sehr heftig“ (Wagner 1876). Darauf antwortet das Orchester „lebhaft“ mit einer neuen, leidenschaftlichen Variante des Freia-Motivs, in der zum ersten Mal im „Ring“ der bei Wagner schon seit „Rienzi“ und dem „fliegenden Holländer“ für brennendes Verlangen und ekstatische Liebe stehende Doppelschlag erklingt (vgl. besonders auch das Liebesmotiv im „Tristan“, vor allem am Ende des Duetts und in Isoldes Liebestod):
Sofort anschließend, während Fafner seinen Bruder grob anfährt: Schweig dein faules Schwatzen; Gewinn werben wir nicht, erklingt die Umkehrung dieses Doppelschlags, nun also beginnend mit der unteren Nebennote, viermal als kurzer Vorschlag in den Celli. Damit wird an dieser Stelle der Doppelschlag von unten als melodische Umspielung des Todes-Rhythmus dem positiven, im weitesten Sinne für die Liebe stehenden, von oben beginnenden Doppelschlag direkt gegenübergestellt und erhält so für den weiteren Verlauf des Dramas eine negative Konnotation. Fafner ist nämlich inzwischen der Gedanke gekommen, dass die Riesen mit der Entführung Freias als Hüterin der goldenen Äpfel, deren regelmäßiger Genuss den Göttern die ewige Jugend garantiert, den Druck auf diese erhöhen könnten, und malt seinem Bruder die Wirkung einer solchen Aktion in leuchtenden Farben aus: Gold’ne Äpfel wachsen in ihrem Garten, sie allein weiß, die Äpfel zu pflegen. 83
„Sehr fließendes Tempo“ (Wagner 1876).
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Diese vom ersten Horn mitgespielte und durch darunterliegende „Horn-Quinten“ des zweiten harmonisch aufgefüllte Melodie, die wieder direkt aus der Sprache heraus entwickelt wird, bildet das neue, lange Thema von Freias goldenen Äpfeln.84 Es ist melodisch und harmonisch (Dur-Dreiklänge und zweimaliger großer Nonenakkord) sowie rhythmisch (erster Lebenskraft-Rhythmus im Wechsel mit gleichmäßiger Triole) mit den heiteren Terzetten der Rheintöchter verwandt. Sein erster Takt ist zudem die Dur-Version des Beginns des Entsagungs/Liebesfluch-Motivs (ohne Auftakt), aber auch eine entfernte, verkürzte Umkehrung des Natur-Motivs. Aus dieser wird später auch das Götterdämmerungs-Motiv abgeleitet, das erstmals in Erdas Monolog am Ende des „Rheingolds“ erklingt (vgl. S. 160). Wir hören damit ein weiteres Beispiel für die mehrschichtige Bedeutung von Wagners Leitmotiven. Hier kann man es so interpretieren, dass diesem Thema von Anfang an ein leiser Zweifel innewohnt, ob ewige Jugend und Unsterblichkeit bzw. das Streben danach wirklich so natürlich und lebenswert sind, wie uns die schlichte, an die Obertonreihe gebundene musikalische Struktur, die Rhythmik und auch der Hörnerklang beim oberflächlichen Hören suggerieren. Und dieser Zweifel wird verstärkt durch den dazu acht Takte lang durchgehenden Todes-Rhythmus in der Pauke, der fünf Takte zuvor bereits durch die „negativen“ Doppelschläge vorbereitet wurde. Der im fünften und siebten Takt des Themas erklingende (allerdings unvollständige) große Nonenakkord verweist hier sowohl auf den Apfel als uraltes, biblisches Symbol der Verführung als auch auf das natürliche edle Material dieser speziellen Äpfel: Auch beim ersten Aufleuchten des Rheingolds spielten die Hörner, und im Rheingold-Ruf erklang der Nonenakkord ebenso unvollständig. Außerdem klingt durch seine Brechung in zwei absteigende Terzen der Beginn des Ring-Motivs an: Die Nötigung der Götter durch einen Raub Freias und ihrer lebensspendenden Äpfel ist der zwingenden Macht von Alberichs Ring durchaus vergleichbar. An das Thema von Freias goldenen Äpfeln sind auf Fafners Worte Siech und bleich doch sinkt ihre Blüte noch zwei bedeutungsvolle Takte von Englischhorn und Fagotten angehängt, die wir als
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„Nicht schleppen und die scharfe Rhythmik durch weiche Tongebung etwas zu mildern“ (Wagner 1876).
eigenständiges Leitmotiv am Ende dieser 2. „Rheingold“-Szene wieder hören werden, wenn das hier prophezeite Dahinsiechen der Götter tatsächlich eintritt. Diese gehen über in vier gehaltene und langsam chromatisch absteigende Akkorde, die Fafners Alt und schwach schwinden sie hin begleiten. Sie weisen vage voraus auf die – dort harmonisch kühneren – Zauberschlaf-Akkorde am Ende der „Walküre“, mit denen Wotan die dann ihrer Gottheit beraubte Brünnhilde in ihren langen Schlaf versenken wird. Die Chromatik steht wieder für Angst, hier vor dem Schwinden der Lebenskraft, das der Verlust der ewigen Jugend mit sich bringen würde. Nach Fafners knapper Konklusion Ihrer Mitte drum sei sie entführt! antworten die Hörner mit den ersten zwei Takten des ÄpfelThemas (ich bezeichne sie als „Freias Äpfel-Motiv“), hier im Forte, und gleichzeitig hören wir den Kopf des Riesen-Themas in den tiefen Streichern und den Pauken. Dieser wird sequenziert, dann verkürzt und mündet schließlich einen Takt vor Freias Helft! Helft! in wild aufsteigende Sechzehntel-Ketten der Streicher:85 „Fafner und Fasolt dringen auf Freia ein. Froh und Donner kommen eilig.“
Auftritt Frohs und Donners Die Götter Froh und Donner werden hier, bei ihrem ersten Auftritt („Schneller“), nicht mit eigenen Leitmotiven eingeführt. Ihre Intervention für die Schwester wird zu Frohs Rufen Zu mir, Freia! Meide sie, Frecher! von den Bläsern kommentiert mit einer Variante des Motivs von Freias Äpfeln.86 Es springt im zweiten Takt zur Sext hoch statt zur Quint, sprengt also in „behauptetem“ Mut den bisher dort vorgegebenen melodischen Rahmen und wird dann frei, aber immer in rein diatonischer Dur-Harmonik weitergesponnen, unter anderem im vierten Takt mit einem kurzen, quasi lachenden Anklang an das Vertrags-Motiv. Doch auch hier hören wir im dritten und fünften Takt wieder den Todes-Rhythmus, diesmal in den für Entschluss und Tatkraft stehenden Trompeten, aber im Gegensatz zu den übrigen Bläsern leiser werdend und zum letzten Ton hin verschwindend, so als könnte Froh durch sein Eingreifen die jetzt vielleicht gar tödliche Gefahr tatsächlich bannen. 85 86
„Starkes Accelerando“ (Wagner 1876). „Bei sehr raschem Tempo nicht zu überhetzen“ (Wagner 1876).
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Donners Drohung wird dagegen illustriert durch zwei barock lautmalerisch grollende Takte der Streicher und der Pauke mit dem Todes-Rhythmus als Abschlag, denen wir zehn Takte später noch einmal begegnen (sowie ähnlich, aber verkürzt gegenüber Loge, vgl. S. 82, und in der 4. Szene, vgl. S. 153). Dazwischen, nach Fasolts Was dringst du her?, hören wir den Kopf des Riesen-Themas, wieder mit dem hochschleifenden Todes-Rhythmus in den Celli und anschließenden Hörnern. Dieser ist also fast ständig präsent in dem immer aggressiver werdenden Konflikt zwischen den abhängigen, unfreien Riesen und den freien, Vertragsbruch, also Rechtsbeugung begehenden Göttern. Eine über vier Takte sich steigernde Weiterentwicklung des zweiten Takts der Donner-Musik („Er schwingt den Hammer“) leitet über zum nun im Fortissimo erklingenden Vertrags-Motiv87 einschließlich der zur dritten Zählzeit des ersten Taktes aufzuckenden Triole, hier in den Tatkraft und Entschluss symbolisierenden Trompeten. Dies ist nach den kurzen brutalen Auftakt-Quarten im Riesen-Thema die erste große Solostelle der Posaunen und damit ihre definitive Konnotation als Leitklang für die ehernen Gesetze, die im weiteren Verlauf zu Lähmung und in den Untergang führen werden. Wotan, „seinen Speer zwischen die Streitenden ausstreckend“ verhindert im letzten Moment eine Eskalation: Halt, du Wilder, nichts durch Gewalt! „Mit großartiger Gebärde und großem Ausdruck“ fordert Wagner dazu 1876 vom Sänger des Wotan, und dieser fährt dann „mehr in gewöhnlichem Sprechton“ fort: Verträge schützt meines Speeres Schaft, eine Phrase, die oft als „Vertragsschutz-Motiv“ bezeichnet wird. (Sie ist aus Fasolts Mahnung Hör und hüte dich; Verträgen halte treu abgeleitet). Mit dieser unerwarteten, seine scheinbare Läuterung suggerierenden Aussage wird die vorher schon musikalisch angedeutete Verbindung zwischen den Verträgen und Wotans Speer (vgl. S. 71f.) nun auch durch dessen eigene Worte bekräftigt. Im gesamten „Rheingold“ hat Wagner kein anderes Leitmotiv von der ersten vagen Andeutung bis zur definitiven Gestalt in so vielen Vorformen schrittweise weiterentwickelt wie dieses VertragsMotiv. Er schafft so eine genial einfache musikalische Metapher dafür, dass Wotan offensichtlich die genaue Bedeutung, ja vielleicht 87
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„Das Vertrags-Motiv wie in einem Zuge vorzutragen“ und, ab dem zweiten Takt: „beschleunigend“ (Wagner 1876).
sogar der Inhalt des mit Loges Rat abgeschlossenen Vertrages am Anfang überhaupt nicht klar war und dass ihm dessen volle Tragweite in letzter Konsequenz erst hier bewusst wird. Womöglich ging er in seinem Selbstverständnis als oberster Gott auch davon aus, dass Verträge – die hier als Chiffre für Gesetze ganz allgemein stehen – insgesamt nur für andere, aber nicht für den Herrscher zu gelten haben, was ja leider heute immer noch aktuell ist. Und mit der hier erklingenden Fassung im scheinbar positiven, deshalb „suspekten“ C-Dur scheint er sich selbst jetzt noch ein Hintertürchen offenlassen zu wollen. Danach bestätigt Freia mit der Wiederholung des Wortes Wehe! noch einmal die Ableitung der fallenden kleinen Sekunde als kürzestes Leitmotiv aus diesen zwei Silben.
Auftritt Loges Herbeigesehnt von Wotan, aber auch gefürchtet von Fricka, betritt nun die schillerndste Figur dieses Vorabends die Bühne: Loge, der Schlaue, der Listige, der Gott des Feuers. Für uns Zuschauer wird er von jetzt an zum Strippenzieher des Geschehens; aber nachdem was Wotan bereits über ihn erzählt hat, war er das wohl schon früher. Zunächst gebärdet er sich wie ein Conférencier – heute wäre er wohl ein charismatischer, aber aalglatter Showmaster: „Die Reden Loges sind durchweg im Tone leichter Ironie, dabei frei von jeder Affektation zu halten“, gibt Wagner dem Sänger 1876 mit auf den Weg. Für Froh ist sein Name das Synonym für Lüge (Loge heißt du, doch nenn’ ich dich Lüge! wird er etwas später ausrufen); dabei ist er, wenn man genau hinhört, der Einzige, der immer die Wahrheit sagt, aber er verpackt sie so, dass keiner der anderen sie erkennt bzw. erkennen will. Der Komplexität dieser Figur entspricht seine Musik: Er hat das schillerndste und chromatischste Leitthema im „Ring“ (und eines der am schwersten zu spielenden für das Orchester). Es ist eine großartige komprimierte Klangmalerei aufflackernden Feuers und besteht aus vier Teilen, die später auch einzeln sowie teilweise in ihrer Umkehrung erklingen werden: (A) eine viertaktige Folge aus chromatisch absteigenden Quinten, sie sind eine doppelte Diminution von Fafners Phrase Getreuster Bruder, merkst du Tropf nun Betrug?; (B) eine über zwei Takte chromatisch aufsteigende Skala von
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Sextakkorden; (C) zwei Takte lang Triller auf Sextakkorden, jeweils halbtaktig einen Halbton höher bzw. tiefer gerückt (bis hierhin alles von geteilten Bratschen und Celli gespielt); und (D) ein dreitaktiges „Flackern“ in Violinen und Holzbläsern,88 das später in erweiterter Form zur Initiale des sogenannten Feuerzaubers werden wird („Die Walküre“, 3. Aufzug, Schluss; „Siegfried“, 3. Aufzug, Zwischenspiel; „Götterdämmerung“, 1. Aufzug, letzte Szene). Seine Abfolge kleiner und großer Sekunden haben wir schon am Ende des RiesenThemas gehört, dort allerdings in anderem Rhythmus; sie verweist darüber hinaus natürlich auch auf die Wehe-Sekunde und den Rheingold-Ruf. Beim allerersten Erklingen des Loge-Themas („Lebhaft“) und auch noch einige Male im weiteren Verlauf hören wir die absteigenden Quinten des A-Teils allerdings noch in einer Umkehrungsversion, nämlich als aufsteigende Quarten, die in den geteilten Celli aber so verschränkt sind, dass akustisch nur eine durchgehende Linie von in repetierten Sechzehnteln chromatisch aufsteigenden Sextakkorden zu erkennen ist. Erst beim zweiten Mal, nach Wotans Worten Eiltest du so, den du geschlossen, den schlimmen Handel zu schlichten?, erklingt der A-Teil in der oben beschriebenen Gestalt. Die das ganze Thema beherrschende Chromatik lässt den Hörer die tonale Orientierung verlieren und schildert so wunderbar plastisch Loges umherschweifenden, kreativen Geist. Doch Chromatik steht natürlich nach wie vor sowohl für Erotik als auch für Furcht, und für beide setzt Wagner im weiteren Verlauf der Tetralogie das Feuer, dessen Gott Loge ja ist, als Symbol – 50 Jahre vor Sigmund Freuds Psychoanalyse! Die Furcht aber und ihre mögliche Überwindung, besonders im Zusammenhang mit dem Erhalt von Macht und/oder Besitz, ist ein Zentralthema im „Ring“. Und dies gilt nicht erst für Siegfried, den, der das Fürchten nie erfuhr, („Siegfried“, 1. Aufzug, 2. Szene): Kein anderer Seelenzustand wird von Wagner musikalisch differenzierter ausgeleuchtet – mit drei unterschiedlichen Leitmotiven und einem Leitakkord –, für kein anderes Gefühl gibt es zwei so starke und eindeutige szenische Symbole – den Riesenwurm und das Feuer. Die „ungeheuere Riesenschlange“ bzw. der „Schlangenwurm“, in die sich sowohl Alberich in der 3. „Rheingold“-Szene als auch Fafner im „Siegfried“ verwandeln, stehen für 88
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„Sehr prägnant, aber leicht akzentuiert zu spielen“ (Wagner 1876).
die elementare Angst vor dem Tod; das Feuer, das Wotan am Ende der „Walküre“ um Brünnhilde herum entfacht, um jeden abzuschrecken, der seines Speeres Spitze fürchtet, ist das Sinnbild für die Angst vor der (weiblichen) Sexualität. Es meint aber auch – wie das zunächst rätselhaft erscheinende Zitat der Feuer-Musik zu Mimes panischer Reaktion nach der Rätselszene mit dem Wanderer im „Siegfried“ zeigt – die Angst, einem Stärkeren, vor allem einem Kreativeren zu unterliegen. Wenn Loge nun beginnt sich weitschweifend zu erklären, kann er es sich als Erstes nicht verkneifen, über die Riesen und deren fertiges Produkt, die neue Burg, seine spöttischen Kommentare abzugeben. Das Orchester kommentiert dies seinerseits zunächst mit dem hier beschwingt-heiter klingenden Kopf des Walhall-Themas (erst in den Hörnern, dann in den Holzbläsern, schließlich noch verzerrter in den Oboen und den tremolierenden Geigen) im Wechsel mit dem A-Teil der Loge-Musik. Darauf folgt eine fast vollständige Wiederholung des Themas der Burg89 in den richtigen, langsamen Notenwerten, nun allerdings nicht von den Tuben gespielt, sondern von Hörnern, Fagotten und Streichern wieder mit Tremolo. Damit rückt Wagner dieses „weihevolle“ Thema sarkastisch in die Nähe alpenländischer Zithermusik (vor allem wenn man die Streicher hier ihr Tremolo nah am Steg spielen lässt). Die „Militärsignale“ mit dem erweiterten Todes-Rhythmus werden dementsprechend von Englischhorn und Klarinette markiert. Interessanterweise karikiert diese Musik zwar ausgiebig Wotan und sein Walhall, aber nicht die ja ebenso an der Sache beteiligten Riesen oder den Vertrag selbst – es sei denn, man wollte die tänzelnde, sehr gestoßen gespielte Version des Vertrags-Motivs etwas später, vor Wotans Da einst die Bauer der Burg zum Dank Freia bedangen,90 so interpretieren. Unter dessen letztem Wort hören wir wieder den A-Teil von Loges Thema mit den verschränkten Quarten, wie bei seinem Auftritt, hier allerdings in den Klarinetten, die unter anderem für Triebhaftigkeit stehen. Dies weist darauf hin, dass auf die erotischen Gelüste der „proletarischen“ Erbauer offenbar bewusst spekuliert wurde.
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„Das Walhall-Thema hier mit mehr leichter Vortragsweise“ (Wagner 1876). „In lebhaft vordringendem Zeitmaß zu sprechen“ (Wagner 1876).
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Eineinhalb Partiturseiten später beachte man die Klangsymbolik der gestopft, also nicht „natürlich“ spielenden Hörner (über dem Bund C-Teil des Loge-Themas), wenn sie Frohs und Donners verleumderische Attacken Loge heißt du, doch nenn’ ich dich Lüge!91 und Verfluchte Lohe, dich lösch ich aus! kommentieren. Und nach einer höhnischen Replik Loges muss Wotan jetzt sein übereifriges Alter Ego, Donner, zum zweiten Mal von einem Gewaltausbruch abhalten, der von den tiefen Streichern ähnlich wie beim ersten Mal (vgl. S. 78) mit lauten Sechzehntel-Sextolen im Staccato unterstrichen wird. Fünf Takte später exponiert Wotan mit Reicher wiegt seines Rates Wert und der dazu erklingenden „Terzenschaukel“ in den Streichern schließlich das Grübel-Motiv in seiner definitiven Gestalt, wie es nahezu identisch Mimes prekäre Situation zu Beginn des „Siegfried“ beschreiben wird. Wir werden ihm jedoch auch schon in einem ähnlichen Dilemma des Zwerges zu Beginn der NibelheimSzene wiederbegegnen (vgl. S. 107), dort allerdings in umgedrehter Intervallabfolge. Hier bezieht es sich offensichtlich auf Wotans Hoffnung, dass Loge nach genügendem Nachdenken schon einen Ausweg aus dieser dem Weltenherrscher selbst inzwischen aussichtslos erscheinenden Zwangslage parat haben wird. Über einer variierten Kurzfassung ihres Themas, die vage an das VertragsschutzMotiv erinnert, pochen die Riesen jedoch auf zügige Vertragserfüllung. Es folgt eine aus der Umkehrung des A-Teils der Loge-Musik gebildete Überleitung, und „Wotan wendet sich hart“ zu diesem.
Loges Bericht Nun beginnt Loge endlich mit einem ausführlichen Bericht über seine Bemühungen, eine Lösung für das Problem des Göttervaters zu finden: Immer ist Undank Loges Lohn! Dies ist der erste von einigen wenigen längeren Abschnitten im „Ring“ – hier 105 Takte –, die man noch als „geschlossene Nummer“ oder gar als Arie im alten Sinne betrachten kann. Im „Rheingold“ sind diese Bezeichnungen noch am ehesten angebracht, da hier, besonders in der nun folgenden Erzählung Loges im gliedernden Wechsel von rezitativischen Abschnitten und lyrischen Cantabile-Passagen die Herkunft aus den 91
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„Mit leidenschaftlichem Ausdruck“ (Wagner 1876).
Arien eines Carl Maria von Weber oder auch aus Wagners eigenen früheren Opern noch deutlich zu erkennen ist. Loge fängt „formgerecht“ mit einer kurzen rezitativähnlichen Einleitung an: Seine Versicherung, er habe für Wotan nur besorgt … durchstöbert … alle Winkel der Welt, wird von der Begleitung der Streicher in synkopierten Vierteln insofern nachgezeichnet, als ausgehend von a-Moll die Musik hier mehrmals tonal sehr weit entfernte Bereiche berührt. Zu seinen Worten In der Welten Ring nichts ist so reich stehen mit B-Dur und E-Dur sogar zwei Akkorde direkt nebeneinander, die im Quintenzirkel den weitest möglichen Abstand voneinander haben. Diesen Abschnitt beendet Loge mit der stufenweise über eine kleine Sext absteigende Phrase: (für) Weibes Wonne und Wert! Sie ist ein leicht verändertes Zitat von Fasolts früherem Vorwurf gegen Wotan: (Setzt …) Weibes Wonne zum Pfand (vgl. S. 74), oder sogar von Frickas Verspielst du … Liebe und Weibes Wert (vgl. S. 65). Und deshalb drängt sich die Frage auf, ob Loge vielleicht schon vor seinem „offiziellen“ Auftritt angekommen war und zunächst versteckt gelauscht hat. Jene Phrasen waren allerdings ihrerseits Variationen von Alberichs Entsagungs/Liebesfluch-Motiv, von dem Loge, wie wir später erfahren werden, ja weiß. Die Variante hier steht also wohl für das Sich-Bewusstwerden des Wertes der Liebe oder gar direkt für das existenzielle Bedürfnis nach ihr. Nennen wir sie daher das Motiv der Liebesbedürftigkeit. Wir werden dieses von jetzt an ähnlich oft hören wie das ursprüngliche Motiv der Liebesentsagung bzw. des Liebesfluchs, und zwar nicht nur in Moll, sondern auch in einer DurVersion. Die sich nun anschließenden ruhigen Wellenfiguren der Streicher sind wiederum eine doppelt so breite Dreiklangsversion des zu den Rheingold-Rufen der Rheintöchter erstmals erklungenen zweiten Wellen-Motivs. Sie wirken hier wie ein großes Atmen des Orchesters und schildern, geradezu sinnlich spürbar, das allgegenwärtige Werden und Vergehen der Natur. (Noch einmal werden wir dieser beruhigten Variante des Motivs in einer neuerlich abgewandelten Form im 1. Aufzug der „Walküre“ als Überleitung zu einer weiteren „Arie“ der Tetralogie, Siegmunds Winterstürme wichen dem Wonnemond, begegnen.) Diese sanften Wellenfiguren92 92
„Die Triolen in dem ganzen Tonsatze immer sehr gleichmäßig und sangbar zu spielen“ (Wagner 1876).
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bilden zuerst die Einleitung, dann die meist gleichmäßig durchlaufende Begleitung zum ariosen Teil von Loges Bericht. Nach den ersten vier Takten hören wir über ihnen in den ersten Geigen, später auch nacheinander in Klarinette, Englischhorn und erstem Horn, den variierten Beginn des Freia-Motivs (nun mit einer chromatischen Triole statt einer Duole auf der zweiten Zählzeit); bei dessen erster Weiterführung erklingt im dritten Takt auch der große Nonenvorhalt auf einem Nonenakkord, und bei der letzten, nach Lassen will nichts von Lieb’ und Weib, spielen die Violinen einen weiteren mit der oberen Nebennote beginnenden Doppelschlag: Alles Klangsymbole für die erotische Attraktion des Weiblichen bzw. die leidenschaftliche Liebe. Vorher, ab Loges Viel frug ich wird der ruhige, gleichmäßige Atem allen Lebens für vier Takte geradezu lautmalerisch von den sich abwechselnden Bläsereinsätzen nachgezeichnet.93 Die Wiederholung seiner Worte Weibes Wonne und Wert singt Loge dann wieder auf die Melodie des Motivs der Liebesbedürftigkeit, diesmal aber in der Dur-Version, die damit melodisch auch auf den Kopf des Motivs von Freias Äpfeln verweist, hier aber vom großen Nonenakkord der Verführung ausgeht. Danach kann man merkwürdigerweise in den ab- und aufsteigenden Terzen von Klarinette und Oboe einen Anklang an das Ring-Motiv heraushören, obwohl Loges Worte Doch so weit Leben und Weben, verlacht nur ward meine fragende List hier in keiner Weise auf Alberichs Ring oder gar das „Welterbe“ Bezug nehmen. Vielleicht meint diese jetzt wieder von einer None auf eine Undezime ausgedehnte und viertaktig weit ausschwingende freie Assoziation aber einfach nur, dass der alles Leben umfassende Weltkreis eben auch als Ring gesehen werden kann (der Welten Ring, von dem Loge kurz zuvor sprach). Mit faszinierender Virtuosität wird Loge in diesem eloquenten Bericht über seine Bemühungen zwar zwei von ihm gegebene, allerdings einander widersprechende Hilfezusagen einlösen: eine gegenüber Wotan, die andere gegenüber den Rheintöchtern. Jedoch präsentiert er in Bezug auf das drängende Problem, wie nun die Riesen zu bezahlen seien, auch weiterhin keinerlei konkreten Lösungsvorschlag. Dabei gelingt es ihm aber, auf allen Seiten – bei den Riesen, bei Wotan und selbst bei Fricka – Begehrlichkeiten zu wecken, die 93
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„In den sich verschlingenden und ablösenden Bläsergruppen (Holzbl. u. Hr.) sind alle hervortretenden Akzente zu vermeiden“ (Wagner 1876).
alle Beteiligten dermaßen verblenden, dass eineinhalb Stunden später, am Ende dieses Vorabends, als Resultat ein Toter (Fasolt), ein von Hass zerfressener (Alberich), zwei von Sorge Gequälte (Wotan und Fafner) sowie drei verzweifelte Diebstahlsopfer (die Rheintöchter) auf der Bühne zurückbleiben. Gleichzeitig sorgt er aber mit der Erwähnung der Möglichkeit, den Ring den Rheintöchtern wieder zurückzugegeben, geschickt dafür, dass er für dieses Ergebnis jedenfalls nicht verantwortlich gemacht werden kann. Gleich bei seinem ersten Auftritt führt uns Loge so ein Meisterstück raffiniertester Manipulation vor, das selbst in der an ähnlichen Ungeheuerlichkeiten nicht armen politischen Wirklichkeit seinesgleichen sucht, zumal Loge dies alles schafft, ohne dabei ein einziges Mal die Unwahrheit sagen zu müssen. Um Menschen soweit zu bringen, jede kritische Distanz zu sich selbst zu verlieren, sodass sie die Konsequenzen ihres Handelns nicht mehr bedenken, kommt es aber selbstverständlich nicht nur auf das an, was gesagt wird, sondern eben auch auf das Wie. Und dies ist nun für uns als Zuhörer besonders spannend, da wir das meiste, was Loge ab jetzt berichtet, schon wissen, denn es beschreibt vor allem die uns aus der 1. Szene bekannten Vorgänge. Es handelt sich um die erste von Wagners vielen Nacherzählungen vorher schon auf der Bühne gezeigter Ereignisse, für die sein „Ring des Nibelungen“ berühmt, aber auch berüchtigt ist. Hören wir also auf den Tonfall von Loges Rede! Und da ist es für den beschriebenen Zweck nur konsequent, dass das Orchester jetzt nicht mehr distanziert kommentiert, sondern die geschilderten Geschehnisse mit den (uns) schon bekannten Leitmotiven plakativ untermalt. Dies ist somit einer der wenigen längeren Abschnitte im Ring, wo die Musik den Text gewissermaßen verdoppelt, um hier nicht nur den Verstand, sondern eben auch das Gefühl der Zuhörer sozusagen naiv-heiter zu betören. Während Loges weiteren Ausführungen vergeht kaum ein Takt, in dem uns nicht einer der aus der Rheintöchter-Szene bekannten „Gefühlswegweiser“ das Gesagte nochmals sinnlich bestätigt. Musikalisch-formal wirkt dieser Abschnitt daher wie eine Durchführung der Themen in einer romantischen Symphonie. Trotzdem weisen natürlich auch hier einige Stellen über eine bloße musikalische Illustrierung hinaus. Wenn Loge in seinem Bericht zum ersten Mal auf Alberich zu sprechen kommt (Nur einen
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sah ich, der sagte der Liebe ab), erklingt nicht etwa ein Motiv aus dessen bisheriger Musik oder gar das der Liebesentsagung, sondern der Fluss der Musik bricht hier abrupt ab; danach hören wir zunächst das Rheingold-Motiv in Moll und dann die heitere Musik des Rheins und seiner drei Töchter: Die Erwähnung von Alberichs Namen (Der Nibelung, Nacht-Alberich) geschieht quasi „en passant“, keiner der Zuhörer soll zu diesem Zeitpunkt über ihn intensiver nachdenken. Wenn gleich darauf jedoch vom Raub des Rheingolds die Rede ist, das dem Dieb nun das teuerste Gut dünkt, dann sagen uns die Holzbläser, dass Loge natürlich auch vom inzwischen von Alberich geschmiedeten Ring weiß, aber aus rhetorischer Taktik heraus diese Nachricht erst später verkünden wird (vgl. S. 89f.). Und das abschließende Hehrer als Weibes Huld singt Loge sarkastisch auf eine verkürzte und harmonisch verzerrte Variante des Motivs der Liebesbedürftigkeit in den tiefen Streichern. Zwei Takte später (Um den gleißenden Tand, der Tiefe entwandt) spielt er die Bedeutung des Goldes in seinen Worten zwar herunter, doch die Melodie und der Rhythmus seines Gesangs (wieder eine verknappte Vorwegnahme des späteren Schmiede-Motivs) sowie die in Englischhorn, Fagotten und Celli dazu erklingenden Harmonien (die Moll-Version der Rheingold-Rufe mit dadurch obenliegender Wehe-Sekunde) machen hier ganz klar: Die Gier nach diesem scheinbar so harmlosen und hübschen gleißenden Tand wird noch viele dazu zwingen, immer mehr davon zu produzieren – der Motor des Kapitalismus! Und kommentiert wird dies mit kühnen Dissonanzen: Zu den im Orchester gleichzeitig erklingenden Tönen dis, e, fis, a und his beharrt Loge auf dem Ton gis. Mit der scheinbar arglosen Weiterleitung der Bitte der Rheintöchter an Wotan, ihnen das Gold zurückzugeben (An dich Wotan, wenden sie sich), kommt Loge zum Schluss seines Berichts. Dazu erklingen im Orchester – nun wieder in den heiteren, „richtigen“ Harmonien und „natürlich“ gespielt von den Hörnern – zuerst die Rheingold-Rufe und dann nacheinander in Basstrompete und erster Trompete das Rheingold-Motiv. Im kurzen Nachspiel jauchzen die Rheingold-Rufe in den Bläsern und das zweite Wellen-Motiv in den Geigen derart mitreißend auf, dass bei den Anwesenden anscheinend eine kurze Utopie von heiler Welt und „Happy End“ aufblitzt („Hingebende Bewegung aller“). Und „selbstverständlich“ steht diese Stelle deshalb auch wieder im scheinbar so glücklichen und
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unbeschwerten C-Dur. Zudem werden die Rheingold-Rufe im dritten Takt mit einer Wendung weitergeführt, deren ohrenfälliges Merkmal erneut der ekstatische, Liebe verheißende Doppelschlag von oben ist, den hier sogar die Hörner mitspielen. Da sie nicht aus der 1. Szene stammt, ist sie für den Hörer neu. Konsequenterweise werden wir ihr am Schluss der 4. Szene, aber ohne diese jubelnde Ausschmückung wiederbegegnen, wenn die verzweifelten Schwestern aus der „Tiefe des Rheins“ ihre Klagen noch einmal direkt an Wotan richten (vgl. S. 174). Auch dies ist wieder ein Beispiel für Wagners staunenswerte Subtilität, mit der er auch weniger plakative Nebenmotive mit kleinsten Veränderungen der jeweiligen szenischen Situation genauestens anpasst. Die nun folgenden rezitativischen Einwürfe, zuerst Loges trockenes Schlusswort (Dir’s zu melden …), dann Wotans verärgerte Replik und anschließend das Zwiegespräch der beiden Riesen, werden mehrmals unterbrochen vom Kopf des Loge-Themas in verschiedenen Versionen. Danach, während der kurzen Beratung von Fasolt mit Fafner über das von Alberich geraubte Gold (Nicht gönn’ ich das Gold dem Alben) hören wir im leisen Tremolo der Celli nach vier Takten einen entfernten Anklang zuerst an das Ring-, dann an das Grübel-Motiv. Auf Fafners konkrete Nachfrage hin (Du da, Loge! sag’ ohne Lug) erklärt Loge nun den Anwesenden, was es mit dem Gold und dem Ring auf sich hat: Ein Tand ist’s in des Wassers Tiefe … – und wieder wissen wir Zuschauer das schon. Dazu hören wir zuerst die Rheingold-Rufe in den Holzbläsern mit einer aus dem Ende des zweiten Rheintöchter-Terzetts abgeleiteten Fortführung (vgl. S. 46). Es folgt das Ring/Welterbe-Motiv 18 Takte lang quasi in einer Endlosschleife, zunächst dreimal fast unhörbar kommentiert vom Todesrhythmus in der Pauke: Zuerst erklingt es, immer von e ausgehend, während die Bassnoten von H aus stufenweise nach Fis absteigen, in den Hörnern und verschiedenen Holzbläsern in der beweglicheren und verspielteren Version, zu der Wellgunde in der 1. Szene zum ersten Mal das „Welterbe“ Alberich gegenüber erwähnte (vgl. S. 47); danach hören wir es zweimal in der endgültigen Gestalt und schließlich sogar, hälftig mit den Celli abwechselnd, erstmals in den Posaunen bzw. einer Trompete (zu Wotans Worten Beute-Runen berge sein roter Glanz; Macht und Schätze schüf’ ohne Maß ein Reif ) . Bei diesen letzten drei Sequenzen wird die vom
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Motiv umschriebene None diatonisch zweimal um einen Ganzton höher versetzt, sodass in der mittleren Phrase das Ring-Motiv melodisch quasi identisch wird mit dem Walhall-Motiv: Während vor Beginn dieser 2. Szene noch das zweite Motiv aus dem ersten schrittweise abgeleitet wurde, haben in Wotans Denken Walhall und der Ring sich inzwischen offenkundig untrennbar miteinander verbunden. Und dazu hören wir in der Basstrompete auch wieder – viermal wie eine leise Warnung aufblitzend – den Todes-Rhythmus, den die Musik genauso wie die für Tod und Lähmung stehende Klangfarbe der Posaunen während Loges langer Erzählung so wohlweislich vermieden bzw. versteckt hatte. Die anschließende laszive Chromatik von Frickas lauernder Begehrlichkeit (Taugte wohl des gold’nen Tandes gleißend Geschmeid auch Frauen zu schönem Schmuck?) wird hier von einer Klarinette mitgespielt, eine der ansonsten relativ seltenen Verdoppelungen der Singstimme im „Ring“, gerade so, als bräuchte Fricka noch eine Verstärkung ihrer weiblichen Wirkung. Daraufhin parodiert Loge süffisant das Motiv der Gattentreue, mit dem zu Beginn der 2. Szene Fricka ihren promisken Gemahl an die herrliche Wohnung, eben das neue Walhall, binden wollte: (Des Gatten Treu’ ertrotzte die Frau,) trüge sie hold den hellen Schmuck. (Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass Loge wohl tatsächlich Wotan und Fricka vorher schon heimlich belauscht hat.) Das melodische Zitat geht mit dem anschließenden Den schimmernd Zwerge schmieden direkt über in die letzte Vorform des Nibelungen-Schmiede-Motivs, das nun im Wechsel zwischen Loges Gesangslinie und dem Orchester schon deutlich zu erkennen ist und in seiner endgültigen Gestalt den Höhepunkt der nächsten Verwandlungsmusik bilden sowie den Beginn der Nibelheim-Szene beherrschen wird. Wenn Fricka daraufhin drängt: Gewänne mein Gatte sich wohl das Gold?, dann versucht die Solo-Violine, deren „süß schmachtendem“ Klang ja im „Ring“ nicht unbedingt zu trauen ist (vgl. S. 36), mit dem variierten ersten Teil des Freia-Motivs in der Liebestonart E-Dur Wotan vorzugaukeln, es ginge ihr dabei um einen Ersatz für Freia als Bezahlung der Riesen. Oder steht das Leitmotiv der Göttin der Liebe hier vielleicht für die weibliche Erotik schlechthin und ist gar als Andeutung Frickas ihrem Gatten gegenüber gemeint, man könne eventuell über eine entsprechende „Gegenleistung“ für den Schmuck nachdenken? Und einen Takt nach dieser schmeichelnd-
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anstachelnden Frage locken in Flöten, Klarinette und hohen Geigen mit Tremolo die beiden Akkorde des Rheingold-Rufs, allerdings sehr leise und quasi irreal – es fehlt der Grundton (hier h). Darunter spielt die instrumentalsymbolisch für Tatkraft stehende Trompete, ebenfalls pianissimo, das Rheingold-Motiv: In Wotan reift der Entschluss, sich des Goldes zu bemächtigen. Allerdings hinterfragen die Horn-Wiederholung in Moll sowie die jeweils mit dem letzten, höchsten Ton des Motivs erklingenden scharfen Dissonanzen (markiert von je einem leisen Triangel- bzw. Becken-Schlag), ob er dies dann tatsächlich noch als „naturgemäß“ wird postulieren können. Doch Wotan ist jetzt überzeugt: Des Reifes zu walten, rätlich will es mich dünken.94 Und wie schon in der ersten Szene unterstützt Wagner auch hier die Erwähnung des Rings mit einem Pizzicato, jetzt in den tiefen Celli. Danach bleibt vom Ring-Motiv (in den Holzbläsern) allerdings nur die erste Hälfte übrig, deren Weiterführung sich gar über drei Oktaven abwärts bewegt, wie eine warnende Prophezeiung, dass der Besitz des Rings in den Untergang führen wird. Und dies bekräftigen die Celli noch zweimal leise mit der Wehe-Sekunde (in Terzen) zu Wotans direkter Frage: Doch wie, Loge, lernt ich die Kunst? Wie schüf’ ich mir das Geschmeid? Wenn dieser nun die Bedingung für das Schmieden des Rings nennt: Ein Runenzauber zwingt das Gold zum Reif,95 hören wir dazu zweimal das jetzt wieder vollständige Ring-Motiv und danach, zu Doch einer übt ihn leicht, der sel’ger Lieb’ entsagt, Alberichs Entsagungs/Liebesfluch-Motiv vom Ende der 1. Szene). Dessen Melodie liegt nun in den für Liebesleid stehenden Celli, und wie dort Woglinde gibt Wagner 1876 hier auch diesen die Anweisung: „Das Thema in den Violoncelli nicht zu stark, jeder persönliche Ausdruck der Empfindung ist zu vermeiden.“ Wir hören das Motiv jetzt wieder in der gleichen Fassung wie bei seinem ersten Erklingen, auch mit der Begleitung von Streichern und Tuben im Wechsel, den schreitenden Kontrabässen und dem leisen Todes-Rhythmus in der Pauke. Er schleicht sich also noch einmal in seine Rede, aber erneut fast unhörbar: Loge sagt die Wahrheit, aber keiner hört sie! Auf das letzte Wort dieser Phrase (entsagt) erklingt der Todes-Rhythmus sogar
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„ppp, zu sich“ (Wagner 1876). Die letzten beiden Worte „sehr deutlich“ (Wagner 1876).
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dreimal kurz hintereinander in den Streichern im Fortissimo, doch auch diesmal ist er nur schwer als solcher zu erkennen, denn wir hören ihn hier nicht wie sonst auftaktig, sondern auf den Schlag, also daktylisch statt anapästisch („Wotan wendet sich unmutig ab“). Nach vier trockenen Rezitativ-Takten singt Loge Zaglos gewann er des Zaubers Macht auf eine staccato und stringendo zu spielende, schärfer rhythmisierte Fassung des Ring-Motivs, die nach einem aufsteigenden, aus dem ersten Lebenskraft-Rhythmus gebildeten Takt in das Motiv der Liebesbedürftigkeit übergeht: Geraten ist ihm der Ring! „Äußerst grell zu singen. Einen Moment bricht das dämonische Element in Loge hervor, der aber gleich wieder seine scheinbare Gemütlichkeit hervorkehrt“, fordert Wagner hier 1876. Wotans Ausbruch sieben Takte später Den Ring muss ich haben! soll dagegen „mit erregter Leidenschaft und der Gebärde fester Entschlossenheit“ hervorgestoßen werden. Seinen etwas altklugen Zwischenruf Leicht erringt ohne Liebesfluch er sich jetzt singt Froh plakativ auf eine Kurzform des RingMotivs, die mit dem Wort Liebesfluch direkt in das Motiv der Liebesbedürftigkeit übergeht – hier wieder im optimistischen Dur mit dem großen Nonenakkord –, wobei auf der dritten Silbe die parallel mitgehenden Geigen dies mit einen sarkastischen Triller kommentieren. Mit einer noch verzerrteren Variation des Ring-Motivs aus wild gestoßenen Achteln und Sechzehnteln (Spottleicht, ohne Kunst, wie im Kinderspiel) bekräftigt Loge Frohs Aufmunterung; ja er gaukelt Wotan sogar vor, dass ein Raub des Rings durch ihn moralisch gerechtfertigt wäre: Was ein Dieb stahl, das stiehlst du dem Dieb. Seine folgende Mahnung zur Vorsicht wird eingeleitet vom A-Teil von Loges Thema (absteigend). Auf die Worte Wahrt sich Alberich erklingt das Rheingold-Motiv, hier wieder im „natürlichen“ Klang des Horns, aber erneut in Moll, und zu Klug und fein musst du verfahren hören wir eine nun verspielt erweiterte Version des RingMotivs. Damit kommt Loge zum Fazit seiner bisherigen Ausführungen: Ziehst den Räuber du zu Recht, um des Rheines Töchtern den roten Tand, das Gold wieder zu geben, denn darum flehen sie dich. Mit diesem vierfachen Stabreim formuliert Loge das, was am Schluss der „Götterdämmerung“ endlich die durch die Machtkämpfe um den Ring korrupt und immer verbrecherischer gewordene Welt erlösen
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und die Tetralogie beenden wird. Ob dies bei ihm ehrlicher oder vorgeblicher Wunschtraum bzw. vielleicht sogar hellsichtiges Wissen ist, wird an dieser Stelle von Wagner nicht deutlich gemacht und somit der Interpretation überlassen. Denn auch der musikalische Kommentar des Orchesters bleibt hier bemerkenswert „neutral“, er bezieht sich, wieder nur illustrierend, auf die Rheintöchter und ihr Gold: Es erklingen die Rheingold-Rufe in den Holzbläsern mit ihrer neuen Weiterführung (vgl. S. 87), aber ohne den Doppelschlag sowie eine Kurzform der verbreiterten Wellenfiguren aus dem Beginn von Loges „Arie“. Zum Schluss blitzt noch leise das Rheingold-Motiv auf, hier wieder in der Trompete und in Dur. Loges Konklusion gefällt Wotan natürlich gar nicht, seine unwirsche Replik (Des Rheines Töchtern? Was taugt mir der Rat?) geht aber fast unter in den lauten Rheingold-Rufen der Bläser und im überschäumenden zweiten Wellen-Motiv in Geigen bzw. Bratschen. Zu Frickas Klage über jenes Wassergezücht evoziert das Orchester bildlich den alten Volksglauben von den Wassernixen, die die „wackeren Ritter“ erst verführen und dann zu sich herab unter Wasser ziehen: Eine Klarinette beginnt mit dem Rheintöchter-Motiv, es geht über in eine Variante von Wellgundes „Verführungsschaukel“ mit ihren verkürzten Nonenakkorden. Ab Frickas Verlockten sie buhlend im Bad werden diese zu aufwärts sequenzierenden verminderten Septakkorden, die dann im Wechsel mit dem zweiten WellenMotiv in den Geigen bzw. Celli dreimal quasi „glucksend“ über fast drei Oktaven in die Tiefe fallen (Flöten, Klarinetten, Fagotte). In dieser „grummelt“ dann mehrfach der verzerrte Anfang des Freia-Motivs vor sich hin, während Fafner versucht, seinen Bruder davon zu überzeugen, dass man sich schließlich mit Gold genau das, worauf man jetzt mit der Aufgabe von Freia verzichten müsste, in Zukunft jederzeit würde kaufen können: Glaub mir, mehr als Freia frommt das gleißende Gold. Die das Freia-Motiv begleitenden Septakkorde erklingen in den Fagotten (vervollständigt durch eine darunter liegende Klarinette und die Bassklarinette) und führen so Fafners Idee auf das zurück, woher sie eigentlich stammt, nämlich auf den Pfuhl der niedersten Instinkte, den menschlichen „Urschlamm“. Dem antworten die Hörner mit einer nervösen Verkürzung des Motivs von Freias Äpfeln, die wir ähnlich schon bei Frohs Auftritt gehört hatten. Auf der letzten, lang gehaltenen Terz setzen die Bass-
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trompete mit dem Rheingold-Motiv in Moll96 sowie die Celli mit der Wehe-Sekunde ein, sodass im Zusammenklang mit dem tiefen Basston der zweiten Celli hier der äußerst dissonante Akkord d-fis-g-ab entsteht, zu dessen Auflösung nach D-Dur die Pauke noch dreimal den Todes-Rhythmus spielt. Die Musik postuliert hier also in drastischer Zuspitzung die Warnung: Der Ersatz oder Kauf von Jugend und damit auch Sexualität und Lebenskraft durch Geld wird diese zerstören! Nach drei Überleitungstakten mit Staccato-Achteln der tiefen Streicher97 folgt ein mit „Mäßig“ überschriebener, wieder mehr rezitativischer Abschnitt. Unter wiederholten Ansätzen des schwerfälligen Riesen-Motivs98 verkündet Fafner nun den Göttern den akzeptierten Ersatz für Freia: Hör, Wotan, der Harrenden Wort! … Uns rauhen Riesen genügt des Niblungen rotes Gold. Auf die unterstrichenen Worte hören wir eine Anspielung an das Vertragsschutz-Motiv und danach (wie auch schon fünf Takte vorher) jeweils fünf absteigende Terzen. Sie klingen wie eine Verlängerung des ersten Teils des Ring/Welterbe-Motivs, bleiben aber merkwürdig ziellos: Fafner will zwar unbedingt das Gold, hat aber keine rechte Vorstellung davon, was er mit dem dazu gehörenden Ring genau anfangen soll. Und das wird sich auch nicht geändert haben, wenn wir ihm im 2. Aufzug des „Siegfried“ als Besitzer des Schatzes wiederbegegnen werden, nun zur Abschreckung in einen Drachen verwandelt (Ich lieg und besitz, lass mich schlafen!). Zwei Partiturseiten später, zu Fafners Und bereit liegt nicht die Lösung …, wird dies noch deutlicher, wenn Hörner, Fagotte und Bassklarinette das Ring-Motiv zwar zweimal „original“ beginnen, es aber beide Male nicht richtig zu Ende bringen. Bedeutungsvoll ist, dass zwischen Fafners ironischer Adresse an Wotan Leicht wird dir’s mit list’ger Gewalt … den Nibelungen fest zu fahn99 und Wotans wütender Erwiderung Für euch müht’ ich mich um den Alben? für einen Takt der A-Teil des Loge-Themas in Bratschen und Celli erklingt, obwohl von diesem überhaupt nicht die Rede ist. 96
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„Diese beiden Takte [also den vorigen und den ersten Volltakt der Basstrompete] ein wenig zurückhaltend“ (Wagner 1876). „Mit ziemlich starkem Ritardando und schwerfällig zu spielen“ (Wagner 1876). Beim dritten Mal, zu Fafners Schwer baute dort sich die Burg schreibt Wagner 1876 vor: „Festes Tempo!“ Eine veraltete Wendung für „ergreifen“, „festsetzen“.
Aber die Musik weiß es auch hier wieder besser als die agierenden Personen: Der Einzige, der schlau und listig genug ist, Alberich mit seinem Ring zu bezwingen, wird eben Loge sein.
Freias Entführung Die Situation eskaliert, und das beschreibt die Musik („Schneller“) mit einfachen, aber äußerst wirkungsvollen Mitteln: aus dem Beginn des Freia-Motivs abgeleitete, aufwärtstreibende Streicherfiguren, ein kurzer Anklang an das Vertrags-Motiv (vor Bis Abend – achtet’s wohl100), der mit einem Crescendo erreichte kleine Sekund- bzw. Angst-Akkord in den Streichern zu Fasolts Wehe-Sekunde auf Für immer folge sie uns sowie wild abstürzende Sextolen zu Frohs und Donners lächerlich zaudernden Kampfrufen (Auf ihnen nach! und Breche denn Alles!), eine klägliche Verzerrung des Beginns des FreiaMotivs in der hohen Oboe mit verlängerter Wehe-Sekunde nach Freias letztem Helft!; und schließlich hören wir Freias „Abtransport“101 – drastisch geschildert in den tiefen Streichern sowie den synkopisch gegen diese versetzten Fagotten und der Bassklarinette mit dem geradezu komischen mehrfachen Stolpern gegen Ende (Achtel-Sextolen, Sechzehntel und Sechzehntel-Sextolen in Celli und Kontrabässen, während die vorangegangenen Synkopen und Achtel aus der zweiten Hälfte des zweiten sowie der ersten des dritten Takts des Riesen-Themas stammen). Loge beschreibt dies so: Über Stock und Stein zu Tal stapfen sie hin … wie taumeln die Tölpel dahin … Die Riesen haben Freia fortgeschleppt („Allmählich etwas langsamer“102), und „ein fahler Nebel erfüllt mit wachsender Dichtheit die Bühne; in ihm erhalten die Götter ein zunehmend bleiches und ältliches Aussehen; alle stehen bang und erwartungsvoll auf Wotan blickend, der sinnend die Augen an den Boden heftet.“ Diese ausführliche Regieanweisung lässt Wagner auf faszinierende Weise zu Klang werden: Der leicht dissonante große Sekundakkord h(=ces)100 101 102
„Streng im Takt; ohne jedes Zurückhalten“ (Wagner 1876). „Etwas rascher als das Vorangegangene“ (Wagner 1876). „Das Tempo darf nur sehr allmählich langsamer werden, jedes Schleppen zu vermeiden!“ Und zu Loges erstem Einsatz Trügt mich ein Nebel? noch einmal: „Nicht eigentlich langsam“ (Wagner 1876).
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f-as-des, den wir zu Beginn hören, ist eine etwas entschärfte Version des kleinen Sekundakkords c-f-as-des, des von Wagner inzwischen schon mehrfach angedeuteten Leitakkords für Lähmung der Lebensenergie durch Sorge oder Angst, der in der 1. Szene bei Alberichs erster Annäherung an die Rheintöchter kurz und arpeggiert erstmalig aufgeblitzt war (vgl. S. 33). Er wird von den geteilten Streichern gespielt: Die eine Hälfte (mit Dämpfern) hält den Akkord in langen Notenwerten aus, während die andere (ohne Dämpfer) darüber sehr langsam auf- und nach einem Akkordwechsel auch wieder absteigende Tremoli spielt, dies alles im Pianissimo. Nach vier Takten treten dazu mehrere fahle Einwürfe des verzerrten Freia-Motivs, nacheinander in Oboe, Englischhorn, Flöte, Bratschen und Celli. Dazwischen hören wir zweimal die aus Frohs Auftritt bekannte verkürzte Diminution des Motivs von Freias Äpfeln wieder in den Hörnern. Nach dem Wiedereinsatz der Streicher mit dem großen Sekundakkord (nun einen Halbton tiefer) erscheint dieses zwei Takte später zu Loges Frisch, mein Froh noch einmal in der Erweiterung zum Froh-Motiv (vgl. S. 77), hier verstärkt durch Oboen und Klarinetten und kontrapunktiert wieder vom zweimaligen Todes-Rhythmus in den Trompeten. Direkt anschließend bleibt in der Pauke nur noch leise der Rhythmus des Motivs über. Und zehn Takte vorher beweist das zweimalige leicht modifizierte Siech-Motiv – zu Loges Wie bang und bleich verblüht ihr so bald – in den tremolierenden Streichern sowie in Fagotten, Oboen und dem hier über diesen liegenden Englischhorn: Fafners Vorhersage hat sich erfüllt! Im Folgenden erklingen mehrere besonders bezeichnende Abwandlungen einiger Leitmotive: Zunächst hören wir in Loges höhnischem Was ist’s mit Fricka? Freut sie sich wenig einen Anklang an Frickas Motiv der Gattentreue (Herrliche Wohnung, wonniger Hausrat), womit sie Wotan zu Beginn dieser Szene von seinen ständigen Seitensprüngen abzuhalten hoffte, allerdings böse verzerrt, vor allem weil die dort charakteristische große None (auf Wohnung) hier durch die dissonantere kleine None (auf Fricka) ersetzt wird: Damit verschärft die Musik Loges Hohn, dass nämlich ein Wotan mit grämlichem Grau, das schier zum Greisen ihn schafft, in Zukunft wohl kaum als feuriger aushäusiger Liebhaber taugen wird, noch mit einer zusätzlichen Spitze. Zu diesem Satz hören wir in den Holzbläsern außerdem wieder das Siech-Motiv, das nun aber von einem Teil der
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Streicher zweimal quasi tänzerisch mit einer Doppeltriole kontrapunktiert wird, die sarkastisch lachend die Wehe-Sekunde persifliert. Diese erklingt sodann, wieder langsam, zweimal in der Klarinette nach einem Takt der Überleitung mit dem schmerzlich verfremdeten Beginn des Freia-Motivs und im Wechsel mit Frickas Ausrufen: Wehe! Wehe! Auf das hilflose Gestammel von Donner und Froh (Mir sinkt die Hand! Mir stockt das Herz!), viermal kommentiert vom Todes-Rhythmus in der Pauke, folgt dann bedeutungsvoll zuerst in den Fagotten, danach in den Hörnern ein scheinbar neues Motiv, eine ab- und wieder ansteigende Terzenkette, die abermals eine große None umschreibt. Bei genauerer Untersuchung erweist es sich jedoch als eine Verschmelzung von drei, wenn nicht sogar fünf schon bekannten Motiven: Freias Äpfel, Froh, Alberichs Ring sowie, entfernter verwandt, das Siechen der Götter und schließlich eine Reminiszenz jener Musik, zu der die Rheintöchter mit „lustigem Gekreisch“ den Nachstellungen des Nachtalben immer wieder entwischt waren (vgl. S. 41). Diese jeweils lediglich zwei Takte lange musikalische Zusammenfassung kann hier nur bedeuten: Den Göttern wird klar, dass der Erhalt ihrer ewigen, bisher unbeschwerten Jugend und ihrer Lebenskraft von nun an fatal und unlösbar an den Ring gekettet ist. Und das kostet Loge jetzt weidlich aus, indem er ihnen drastisch die Konsequenzen von Freias Entführung vorhält – die ihm in Wahrheit natürlich schon vorher klar waren: Jetzt fand ich’s! Hört, was euch fehlt! Zu diesen Worten setzt in den Geigen (mit Dämpfern) eine Variante von Wellgundes „Verführungs-Schaukel“ aus der 1. Szene ein, allerdings ist der dort auf dem Höhepunkt erklingende große Nonenakkord nun zum Quintsextakkord (a-c-e-fis) mutiert, und in dieser Harmonie schaukelt sich die Figur drei Takte lang hoch. Natürlich geht es an dieser Stelle nicht mehr vordergründig um erotische Verführung, sondern die wiegende, hinaufstrebende Figur steht jetzt symbolisch für das Entbehren der weiblichen Seite, des sinnlichen, intuitiven Teils des menschlichen Seins (Goethes „Ewig-Weibliches“, das uns „hinan zieht“). Diese Geigen-Phrase geht über in eine fast „wörtliche“ vollständige Reminiszenz des Themas, das wir zu Fafners erster Erwähnung von Freias goldenen Äpfeln hörten. Nun kommentiert es Loges sarkastisches Räsonieren über die Folgen des Verlusts für die Götter
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(Die gold’nen Äpfel …). Allerdings erklingt das ganze Thema jetzt eine Quart höher, ist in der jeweils ersten Triole rhythmisch beruhigt (hat also nicht mehr den ersten Lebenskraft-Rhythmus) und anders instrumentiert: Hier spielen die Erotik und Weiblichkeit symbolisierenden Klarinetten, verstärkt durch die Hörner, über liegenden Streicher-Akkorden, und begleitet werden sie am Anfang jedes Taktes von Harfen-Akkorden, anstelle des Todes-Rhythmus in der Pauke und den Kontrabass-Synkopen dort: Die „natürliche“ Sicherheit, in der sich die Götter mit dem „Besitz“ der Liebesgöttin und ihrer Jugend und Kraft garantierenden Äpfeln wähnten, war ein verführerischer Trug! Auch im weiteren Verlauf dieser Wiederholung mit dem wieder von Englischhorn und Fagotten gespielten Siech-Motiv und der Vorform der Zauberschlaf-Akkorde (vgl. S. 76f.) fehlt der TodesRhythmus: Schließlich gibt es für die Götter inzwischen ja doch noch eine – allerdings moralisch verwerfliche – Möglichkeit, das Ersterben ihres Stammes (wie Loge es gleich ausdrücken wird) abzuwenden, nämlich Alberichs Gold zu stehlen und den Riesen zu übergeben. Die folgenden rezitativischen Passagen Loges (ab Mich kümmert’s minder) werden eingeleitet von Bratschen und Celli mit einer absteigenden, Quarten-Fassung des A-Teils von Loges Thema, deren durchgehende chromatische Linie hier die Geigen zusätzlich mit Pizzicati markieren. Loges trockener Sarkasmus wird dann noch zweimal unterbrochen durch den B-Teil bzw. den B- und C-Teil seines Themas bis zu seinem „frei, doch lebhaft und grell“ zu singenden Fazit: Doch ihr setztet alles auf das jüngende Obst: … auf euer Leben legten sie’s an: nun sorgt, wie ihr das wahrt!103 Zur Fortsetzung von Loges höhnischer Gardinenpredigt (Ohne die Äpfel, alt und grau) hören wir viermal hintereinander in Holzbläsern und Hörnern das Äpfel-Motiv, allerdings nun nach Moll gewendet: So ist dieses (bis auf den fehlenden Auftakt) identisch mit dem ersten Takt des Motivs der Liebesentsagung. Die Aussage ist klar: Ohne Lebenskraft gibt es keine Liebe! Und die Folge, das Dahinsiechen, beschreibt gleich anschließend das entsprechende Motiv, nun gespielt von den vierfach geteilten Celli mit zwei Kontrabässen und in Moll; in letzter 103
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Für die letzten sechs Worte schreibt Wagner 1876 vor: „Der sehr belebt gewordene Ausdruck ist hier plötzlich zu mäßigen.“
Konsequenz, so Loges warnendes Fazit, erstirbt der Götter Stamm.104 Mit dem einzelnen Todes-Rhythmus in der Pauke genau auf erstirbt haben wir übrigens nun auch die definitive Bedeutungszuordnung dieses Leitrhythmus. Doch erst als Fricka, fast völlig entkräftet, „bang“ und im Piano sich noch einmal an Wotan wendet (Wotan, Gemahl! Unsel’ger Mann!105), löst sich der Göttervater endlich aus seiner Erstarrung: Auf, Loge! Hinab mit mir! Er spricht allerdings sowohl hier als auch zwei Partiturseiten später, in seinem letzten pathetischen Gruß an die Zurückbleibenden (Verlor’ner Jugend erjag’ ich erlösendes Gold!) wohlweislich nur von dem unbearbeiteten Edelmetall, mit dem Freia ausgelöst werden soll. Das jeweils als Überleitung bzw. Kommentar dazu anklingende Ring-Motiv macht freilich deutlich, dass Wotan für sich ganz klar vor allem den maßlose Macht verleihenden Ring im Auge hat. Interessant ist der Unterschied der beiden Stellen vor allem in der Orchestrierung: Beim ersten Mal wird das Ring-Motiv von Klarinetten und Hörnern über einem dumpfen Paukenwirbel gespielt, beim zweiten Mal tritt noch ein „klagendes“ Englischhorn hinzu, und das Motiv erklingt über liegenden Posaunen-Akkorden; jetzt hören wir aber nur noch seine erste Hälfte, an die ein weiterer, schrittweise absteigender Takt angehängt ist: In Verbindung mit der Todes-Symbolik der Posaunen weist der musikalische Kommentar zu Wotans großspurigem Versprechen auf einer tieferen Deutungsebene also auch hier wieder in die Zukunft der Protagonisten. Denn eben das genaue Gegenteil von dem, was er und die Götter sich erhoffen, wird am Ende eintreten: Dieser Raub wird der Beginn von Wotans eigenem Untergang sein. Erda prophezeit ihm dies am Ende der 4. Szene, doch der aufmerksame Hörer kann es in der Musik hier schon ahnen.106 104 105 106
„Sehr ernst vorzutragen“ (Wagner 1876). „Im Allabreve-Charakter“ (Wagner 1876). An diesen und ähnlichen Stellen im „Ring“ kommt Wagners Technik der dramaturgisch-psychologisch kommentierenden Leitmotive und der Leitorchestration dem dramatischen Konzept erstaunlich nahe, das Bertolt Brecht 1938 in den Anmerkungen zu seiner Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ als ein Charakteristikum seines „Epischen Theaters“ formuliert hat: „Spannung auf den Gang“ (der Handlung) statt „Spannung auf den Ausgang“.
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Kehren wir noch einmal kurz zurück in den wieder rezitativisch gehaltenen Dialog zwischen Wotan und Loge vor dessen Abgang. Über Loges scheinheiligem Die Rheintöchter riefen dich an: so dürfen Erhörung sie hoffen?107 erklingen, kaum überraschend, in den Oboen und Fagotten die Rheingold-Rufe, die allerdings nun in der zweiten Hälfte des dritten Takts mit einem exaltierten Aufschwung der großen Sext fortgeführt werden, den Loge auf das Wort Erhörung vorwegnimmt.108 Interessant ist allerdings die Begleitung zu diesen Rheingold-Rufen in den „verschlagenen“ Bratschen mit der WeheSekunde in der lachenden Doppeltriole, die wir schon hörten, als Loge sich über Wotans Verwandlung zum Greis mokierte; hier wird der Sarkasmus dieser musikalischen Floskel noch verstärkt, indem ihr fünf „stotternde“ repetierte Achtel als Auftakt vorangestellt sind. Loge geht nach Nibelheim „voran und verschwindet seitwärts in einer Kluft, aus der sogleich ein schwefliger Dampf hervorquillt“. Die Bratschen und Celli beschreiben dies über einem Paukenwirbel auf G mit einer an- und absteigende chromatischen Skala, die nichts anderes ist als eine Ausweitung und Umkehrung des B-Teils von Loges Thema; diesem schließt sich sogleich eine verlängerte aufsteigende Version des entsprechenden C-Teils an. Das Gleiche wiederholt sich – nun allerdings über dem dumpfen Orgelpunkt E von Klarinetten, Hörnern und Fagotten – bei Wotans Abgang unter den matten Nachrufen der Zurückbleibenden, Donner, Froh und Fricka: Fahre wohl, Wotan! Glück auf!109…
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„Wieder leichthin“ (Wagner 1876). Für den auf dem zweiten Viertel stehenden Triolenauftakt zu dieser Sexte, also für dürfen Erhörung, gibt Wagner 1876 die Anweisung: „Beim zweiten Viertel ein gering verweilender Akzent.“ Geradezu hilflos komisch wirkt hier, dass Froh Wotan mit dem traditionellen, bis heute gebräuchlichen Bergmannsgruß in die Tiefe hinab verabschiedet: eine Verkürzung der ursprünglichen Grußformel „Ich wünsche dir Glück, tu einen Gang (= Stollen, in dem Erz gefunden wird) auf!“ – so als würde Wotan „unter Tage“ in Nibelheim noch eigenhändig nach dem Gold graben müssen.
Zweite Verwandlungsmusik: Die Fahrt nach Nibelheim „Der Schwefeldampf verdüstert sich zu ganz schwarzem Gewölk, welches von unten nach oben steigt; dann verwandelt sich dieses in festes, finstres Steingeklüft, das sich immer aufwärts bewegt, so dass es den Anschein hat, als sänke die Szene immer tiefer in die Erde hinab.“ Mit dieser wieder äußerst suggestiven Szenenanweisung beginnt die zweite der berühmten offenen Verwandlungen im „Rheingold“, die für jeden Bühnenbildner und die beteiligte Bühnentechnik bis heute jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung darstellen. Akustisch illustriert Wagner diesen Vorgang zuerst mit einer ausgedehnten musikalischen Durchführung von drei Teilen des LogeMotivs, zuerst des C-Teils, dann abwechselnd der Teile B (hier in Triolen) und A (in der absteigenden Version). Die aufstrebenden Triolenketten erklingen zuerst in den Fagotten und Kontrabässen, dann treten die Bassklarinette sowie die Basstuben hinzu.110 Wotan taucht also in den „Urschlamm“ und, psychologisch gedeutet, in sein eigenes Unterbewusstsein hinab; wir hören nicht sein ganzes Selbst, sondern eben nur die tiefen Tuben. Nach vier Takten erklingen beide chromatischen Motive in gegenläufiger, nun taktweise chromatisch ansteigender Bewegung gleichzeitig, und in stetem Crescendo wird ein erster Höhepunkt erreicht, auf dem wir nacheinander vier drohend abfallende Oktaven in den Tuben und Kontrabässen hören, die jeweils im Abstand des „diabolischen“ Tritonus zueinander stehen. Sie sind eine Vergrößerung der fallenden Septimen aus dem Grübel-Motiv, mit dem Wotan in der 2. Szene Loges Qualitäten als Ratgeber gelobt hatte. Gleichzeitig weisen sie voraus auf den sechsten bis zehnten Takt des Wurm/Angst-Themas am Ende der folgenden Nibelheim-Szene (vgl. S. 124). Denn natürlich hat dieser Abstieg in die Unterwelt, also in die Niederungen der dunklen Instinkte und Triebe111 etwas Bedrohliches, Furchterregendes. Danach geht die Musik in einen 3/4-Takt über, und wir hören (in deutlicher formaler Parallele zur vierstufigen Verwandlung des 110
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„Die Baßfigur immer sehr deutlich hervortreten, die Piani nur soweit beachten, daß alles hörbar ist“ (Wagner 1876). Vgl. dazu Donington (wie Anm. 17), S. 61.
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Ring-Motivs zum Walhall-Thema am Ende der ersten Verwandlungsmusik) viermal hintereinander, zuerst in Moll, dann auf einem großen Nonenakkord in Dur, das Motiv der Liebesbedürftigkeit,112 das wir aus Loges „Arie“ kennen und das dort für den Verzicht auf Weibes Wonne und Wert stand. Mehr im Ohr haften geblieben sein wird uns zu diesem Zeitpunkt allerdings wohl sein letztes Erklingen auf Loges grelles Geraten ist ihm der Ring! (vgl. S. 90). Auf beides spielt dieses Motiv hier sicherlich an und bezieht sich somit auf Alberich wie auf Wotan gleichermaßen: Der Erste hat Weibes Wonne und Wert aus Frustration und Machtgier verflucht; der Zweite hat sie und damit auch seine Lebenskraft (symbolisiert durch Freias Äpfel) aus eitlem Machtdünkel heraus „verzockt“ und muss sich nun den von ihm selbst aufgestellten Regeln und Gesetzen unterwerfen. Deshalb erklingt das Motiv die ersten beiden Male sowohl in Moll – und ist damit in den ersten drei Tönen melodisch identisch mit Alberichs Liebesfluch – als auch in den Posaunen (ehernes Gesetz, Tod) und tiefen Tuben (Wotans Unterbewusstsein). Demgegenüber steht die beim dritten und vierten Mal in den Hörnern erklingende Dur-Fassung des Motivs der Liebesbedürftigkeit für Alberichs „natürlichen“ Schmerz über seine demütigende Zurückweisung durch die Rheintöchter. Aber zwischen diese retardierenden „Gedanken“ schiebt sich in den Celli mehrfach der nun ungeduldig empordrängende A-Teil des Loge-Themas. Schließlich erreichen wir nach weiteren vier Takten mit zwischen Celli und Holzbläsern nervös abwechselnden, aufwärts strebenden Sequenzen der Wehe-Sekunde (»Beschleunigend«) eine neue Musik, die mit »Sehr schnell« überschrieben ist und deren motivische Herkunft, wie wir gesehen haben, psychologisch wie philosophisch besonders aufschlussreich für die Gesamtdeutung von Wagners Drama vom Anfang und Ende dieser Welt ist. Denn bei genauer Analyse vieler so subtil versteckter Hinweise wie dem nun folgenden muss diese pessimistischer ausfallen, als wir es aus der Rezeptionsgeschichte gewohnt sind und beim oberflächlichen Hören zumeist wahrhaben wollen: Das kurze, prägnante Motiv, das beide Lebenskraft-Rhythmen in sich vereint113 112 113
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„Das Diminuendo mit empfindungsvollem Ausdruck“ (Wagner 1876). „Mit äußerster Vehemenz und Prägnanz. Die Rhythmen [erster und zweiter Lebenskraft-Rhythmus] genau unterscheiden und deutlich spielen“ (Wagner 1876).
und jetzt in einem wilden, geradezu manischen Crescendo in zweitaktigen Sequenzen auf den Einsatz des Schmiede-Motivs im Fortissimo zusteuert, ist ja eine direkte Ableitung aus Alberichs resignierter Erkenntnis angesichts seiner Verhöhnung durch die Rheintöchter (vgl. S. 37f.): Die dritte, so traut, betrog sie mich auch? Dieses letztlich nur aus vier Tönen bestehende Grundmotiv, aus dem auch der zweite Teil des Freia-Motivs gebildet ist, steht also für die Verzweiflung oder Verbitterung darüber, um wahre Liebe betrogen worden zu sein – von wem auch immer: Dies trifft auf die von den anderen Göttern im Stich gelassene Freia genauso zu wie auf Alberich und später eben auch auf Siegmund und Sieglinde! Für sie wird dieses Motiv zum Symbol ihrer schicksalhaften Verbindung, und die Musik zu ihrer im wahrsten Sinne des Wortes wahnsinnigen Flucht im 2. Aufzug der „Walküre“ ist aus dieser Stelle im „Rheingold“ teilweise notengetreu abgeleitet. Nach einer zwölftaktigen Steigerung tritt auf einem ersten Höhepunkt die Basstrompete mit dem Rheingold-Motiv in Moll hinzu. Daraufhin geht die Musik für vier Takte in harte Hemiolen in den Holzbläsern und Hörnern über, unter denen die Streicher zweimal wie ein wahnsinniges, hysterisches Lachen eine wilde, über mehr als zwei Oktaven ausgeweitete Variante des Ring/Welterbe-Motivs spielen. Endlich setzen die Streicher marcatissimo (Keile über jeder einzelnen Note) mit dem nun vollständigen Schmiede-Motiv ein, das anschließend 15 Mal fanatisch wiederholt wird. (Wenn man den folgenden Einsatz der Ambosse sowie den Wiedereinsatz des Orchesters hinzurechnet, wird sein Rhythmus mit Ausnahme des siebten sogar 36 Takte lang unverändert durchgehämmert.) Und mit dem gleichzeitigen Wiedereinsatz des leicht variierten Rheingold-Motivs im 3/4-Takt und den manisch im 9/8-Rhythmus des SchmiedeMotivs repetierten Dreiklängen der Holzbläser und Hörner ist ein äußerst brutales Fortissimo erreicht, das für neun Takte unvermindert anhält.114 Währenddessen geht das Rheingold-Motiv in den für dynamische Tat stehenden Trompeten unmittelbar über in eine nun 114
„Alles mit furchtbarer Energie des Ausdrucks zu spielen“ (Wagner 1876).
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dreifach verlangsamte, alles andere wie ein verzweifelter Aufschrei übertönende Version des gerade vorher durchgeführten Motivs des Liebesbetrugs, hier im verbreiterten zweiten Lebenskraft-Rhythmus: Alberich scheint inzwischen klar geworden zu sein, dass Gold doch kein ebenbürtiger Ersatz für Liebe ist. Deshalb hat diese Stelle in ihrer genialen Verknüpfung mit dem Schmiede-Motiv und dessen doppeltem erstem Lebenskraft-Rhythmus eine so verzweifelte Gewalt und gräbt sich dem Hörer so stark ins Gedächtnis wie nur wenige andere im „Rheingold“: Fanatische Arbeit – eigene oder, schlimmer noch, anderen aufgezwungene – ist eine verbitterte Kompensation der Unfähigkeit, Liebe zu empfangen und zu geben! Sinnfälliger kann dies keine psychoanalytische Abhandlung beschreiben. Folgerichtig vernehmen wir danach, komplementär zum Wechsel des Liebesbetrugs-Motivs in die Lähmung und Tod symbolisierenden Posaunen und zur Reduzierung der Instrumente und damit der Lautstärke im Orchester, den aus drei verschiedenen Richtungen hinter der Bühne anschwellenden (also „näher kommenden“) Klang von 18 Ambossen115 in drei verschiedenen Größen, an denen die Nibelungen hörbar ihre Zwangsarbeit leisten müssen. Die kleinen, höher klingenden hämmern die Achteltriolen des Schmiede-Rhythmus durchgehend aus allen drei Richtungen gegen die Duolen der versetzt schlagenden mittleren und großen Ambosse, und durch deren abwechselnde Einsätze in ihren jeweiligen Positionen entsteht der akustische Eindruck einer taktweisen Drehbewegung im Uhrzeigersinn. Dadurch wirkt die Stelle wie ein gewaltiges, aber organisiertes Chaos und weist voraus auf die Maschinen-Musiken der 1920erJahre.116 Von der Tempobezeichnung »Beschleunigend« bis neun Takte nach dem Einsatz der Ambosse entwickelt sich diese ganze Stelle über einem Orgelpunkt auf F, der zuerst von den tiefen Tuben (Wotans Unterbewusstsein), später diese verstärkend auch von den tiefen Posaunen (Tod, ehernes Gesetz) und schließlich nur noch von der Pauke ausgehalten wird.
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Selbst in der Neuausgabe der „Rheingold“-Partitur ist übrigens der alte Fehler im vorangestellten Instrumentenverzeichnis noch nicht korrigiert: Dort steht immer noch: 16 (statt 18) Ambosse. Etwa Alexander Mossolows „Eisengießerei“ (1927), das Vorspiel zum 2. Akt der Oper „Eis und Stahl“ von Wladimir Deschewow (1929), aber auch Arthur Honeggers „Pacific 231“ (1924).
Nun setzt das Orchester aus: Die Musik wird buchstäblich vom dröhnenden Lärm der industriellen Massenproduktion verdrängt, und der Schmiede-Rhythmus in den Ambossen schwillt zum ohrenbetäubenden „Getöse“ an. Psychologisch-philosophisch steht das Schmieden hier natürlich auch für „sich etwas zurechtbiegen“, „einen Plan schmieden“ oder „Schmiede das Eisen, solange es heiß ist“. Der Schmied bringt tote Materie mit physischer Gewalt in eine neue Form; und damit ist diese Abfahrt in die Unterwelt Nibelheim auch eine starke Metapher für das gewaltsame Eindringen von Wotan in sein eigenes Unterbewusstsein. Darüber hinaus bezieht sich Wagner mit der Unterteilung der Ambosse in einem ganzzahligen Verhältnis (drei mal drei, drei mal zwei, drei mal einer) wohl auch auf die Legende von Pythagoras in der Schmiede als Ursprung der Musiktheorie117 und setzt so dieses Sinnbild eines menschlichen Schöpfungsakts, in dem aus der kreativen Idee eines Einzelnen (Alberichs) durch eine konzertierte mechanische Aktion vieler (der Nibelungen) ein reales Produkt entsteht, zum natürlichen Schöpfungsakt im Vorspiel des „Rheingolds“ in dialektische Beziehung. Mit dem Beginn des Decrescendos der Ambosse setzt leise das Orchester wieder ein mit dem Schmiede-Motiv in Geigen und Bratschen sowie einer aus dem Motiv des Liebesbetrugs abgeleiteten, nun aufwärts strebenden Sequenz, die dissonant eine große Septime darunter in Fagotten, Celli und Kontrabässen einsetzt. Während die Ambosse verklingen, geht diese in drei ebenfalls ansteigende Sequenzen der Wehe-Sekunde über, bis schließlich die Streicher, wieder im Fortissimo, in ein kaskadenartig fallendes, verzweifelthöhnisches Gelächter ausbrechen, das erneut aus den absteigenden Terzen des Ringmotivs gebildet ist.
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Der Legende nach entdeckte Pythagoras in einer Schmiede, dass gleichzeitige Hammerschläge wohlklingende Töne erzeugen, wenn die Gewichte der Hämmer in bestimmten ganzzahligen Verhältnissen stehen. Vgl. Klaus Bringer, „‚Kunst des Übergangs‘. Zu den Verwandlungsmusiken in ‚Rheingold‘“, Schriften zur Musikwissenschaft aus Münster (20) 2004, S. 14.
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Dritte Szene: Nibelheim Alberich und Mime Wagner eröffnet die Nibelheim-Szene118 mit dem punktierten Wehe-Motiv in den Kontrabässen und Fagotten über denen die Celli, stufenweise ansteigend, sechs Mal jenes Alberich-Motiv spielen, das wir hörten, als dieser zu Beginn der 1. Szene „mit koboldartiger Behändigkeit“, immer wieder ausrutschend, den Rheintöchtern hinterhergeklettert war. Hier zerrt der Nibelung dazu seinen Bruder Mime „an den Ohren (…) herbei“. Die Musik der folgenden, im wahrsten Sinne handfesten Auseinandersetzung zwischen den beiden Brüdern ist rhythmisch äußerst komplex und dabei drastisch deskriptiv bis zur Komik, besonders in der starken Verkürzung des Wehe-Motivs und seiner Umkehrung zu Mimes jaulenden synkopischen Schmerzensrufen Ohe! Ohe! Au! Au!, die wir jeweils zwei bzw. ein Sechzehntel früher auch im Wechsel mit den Celli sowie den zweiten Geigen und Bratschen hören. „Vor Schreck lässt Mime“ schließlich „ein metallenes Gewirke (…) sich entfallen.“ Es ist der Tarnhelm, den ihn Alberich zu schmieden gezwungen hatte; sein 16-taktiges Leitthema ist zu Beginn melodisch und rhythmisch eine zweimalige stark verlangsamte Reminiszenz des ersten Taktes aus dem letzten Abschnitt (D) von Loges Thema, also des Teils, mit dem in der „Walküre“ der Feuerzauber beginnen wird.119 In seinem weiteren Verlauf weist es aber mit seinem Anstieg zur kleinen Terz auch schon auf das spätere Wurm-Motiv voraus, es steht also mit zwei der Angst-Motive des „Rings“ in Verbindung. Gespielt wird es von den Hörnern, dem instrumentalen Symbol für die Natur und das Natürliche, jetzt allerdings mit Dämpfern, und zunächst erklingen lediglich seine ersten acht Takte. Dieser neue, merkwürdig verschleierte Klang, der sich 118
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„Straff vordringende Energie, ohne unmotiviertes Verweilen und Zögern bildete den Grundcharakter der Ausführung der ganzen Szene“ (Wagner 1876), und „Nahm R. W. sehr schnell“ (1876). Selbst beim Stocken des Orchesters für Mimes Ich Armer zagte, dass noch was fehlte forderte er 1876 „Alles streng im Takt“. „Nicht zu sehr ins Breite ziehen, aber mit gehaltener Ruhe zu spielen“ (Wagner 1876).
hier dem Hörer deutlich einprägt, steht von nun an für das bewusste Verbergen (Tarnhelm), aber auch das Verlieren der Identität, also die Entfremdung von der (eigenen) Natur. Erst beim zweiten Mal120 wird das Thema ganz gespielt; es beginnt vor Alberichs Dem Haupt fügt sich der Helm und geht in seiner zweiten Hälfte zunächst in das Wehe-Motiv über. In dem Moment, wo der Nachtalbe in einer „Nebelsäule“ verschwindet, erklingt sogar ein ähnlicher Moll/DurWechsel wie im D-Teil von Loges Feuer-Musik: also eine „Vernebelung“ der Tonalität. Zwanzig Takte später, nach einem drohend aufsteigenden chromatischen Unisono der Streicher und einem variierten Zitat des ersten Takts des letzten Feuermotivteils im Wechsel zwischen Alberichs Hoho! Hoho! und den Bläsern hören wir dann im Einklang von diesen und der Singstimme zweimal einen fallenden Tritonus, gefolgt von drei ansteigenden Tonschritten (zu Niblungen all, neigt euch nun Alberich!121 und Untertan seid ihr ihm immer!). Dieser „Diabolus in musica“ meint hier also Alberich – wir werden ihm in Kürze zu Mimes Klagen Wotan und Loge gegenüber in der dortigen Version des Grübel-Motivs bedeutungsvoll wiederbegegnen. Und zwischen diesen beiden Unisono-Stellen hören wir zunächst auf Euch zu bewachen und Ist euch zerronnen den kleinen Sekundakkord der Angst und dann in Holzbläsern und tremolierenden Streichern eine in Rhythmus und Harmonik quasi hysterisch verzerrte Version des Ring/Welterbe-Motivs, die an die letzten Takte des vorangegangenen Zwischenspiels erinnert. Danach spielen die dumpf drohenden Posaunen und tiefen Tuben im Wechsel mit Alberichs „grellem“ Hoho! … Hört ihn, er naht ein Crescendo, das im Fortissimo eines as-Moll-Bläserakkords gipfelt. Auf diesem beendet der immer noch unsichtbare Zwerg seinen wild-triumphierenden Ausbruch mit der Konklusion, in Zukunft dank des Tarnhelms (dessen Thema auch in as- bzw. gis-Moll beginnt und schließt) als der Niblungen Herr allgegenwärtig sein zu können. Bezeichnenderweise singt er diese Schlussworte auf die ersten beiden fallenden Terzen des Ring/Welterbe-Motivs. Der gegenüber dem „natürlichen“ Ton stark verfremdete, laut schnarrende Klang der hier gestopft spielenden Hörner steht demnach ebenfalls
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„Nicht zu breit, ruhig; Adagio-Charakter“ (Wagner 1876). „Sehr bestimmt, nicht eilig“ (Wagner 1876).
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für Entfremdung, nämlich der durch Machtgier pervertierten, ursprünglich heiter-naiven und sorglosen Natur Alberichs, wie sie uns zu Beginn der 1. Szene begegnet war, aber auch der Nibelungen, wovon Mime anschließend „ein Lied singen“ wird. „Die Nebelsäule verschwindet dem Hintergrunde zu: man hört in immer weiterer Ferne die tobende Ankunft Alberichs. – Mime ist vor Schmerz zusammen gesunken.“ Dazu hämmern die Pauke und die immer noch gestopften Hörner im Fortissimo122 mit grauenhaft verzerrtem Klang den Schmiede-Rhythmus, der nach drei Takten in ein insgesamt 18-taktiges, am Ende stufenweise absteigendes und diminuierendes Ostinato des Schmiede-Motivs übergeht, das zuerst in Geigen und Bratschen, später in Kontrabässen und Celli123 bzw. Fagotten zu hören ist. Außerdem dröhnen uns zwei tiefe Tuben, Celli und Kontrabässe, später Oboen, Klarinetten und Posaunen das Wehe-Motiv (wieder mit dem dissonanten Einsatz auf der großen Unter-Septime bzw. kleinen Sekunde) insgesamt zwölfmal in die Ohren, während die weiterhin gestopften Hörner sowie die Holzbläser dies mit wild-bizarren Vorschlägen höhnisch kommentieren. Aus einem oberflächlichen Eindruck heraus könnte man meinen, dass sich das Wehe-Motiv hier auf Mimes Schmerz bezieht, allerdings belehrt uns die Orchestration wieder eines Besseren: Der bohrende Klang erst der tiefen Tuben, dann der Posaunen verweist erneut auf Wotan bzw. den „tieferen“ Teil seines Selbst, das Unterbewusstsein, und auf die tödliche Gefahr, die von Alberichs „maßloser Macht“ und seinem fanatischen Anspruch auf das „Welterbe“ ausgeht, zumal wenn man (mit Robert Donington) auf einer archetypischen Deutungsebene (Nacht-)Alberich als die negative Spiegelung der Persönlichkeit von Licht-Alberich Wotan ansieht (vgl. auch die Rätsel-Szene im 1. Aufzug des „Siegfried“).
Ankunft Wotans und Loges Mit dem in den Bratschen und Celli absteigenden A-Teil seines Themas über einem drei Takte langen dumpfen Akkord, immer noch von Posaunen und tiefen Tuben, führt Loge nun Wotan herein („Mäßigeres Zeitmaß“): Nibelheim hier. Durch bleiche Nebel, was 122 123
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„Mit furchtbarer Kraft!“ (Wagner 1876). „Sehr allmählich abnehmen“ (Wagner 1876).
blitzen dort feurige Funken? Damit beginnt ein einleitendes Rezitativ, dreimal unterbrochen durch eingeschobene kommentierende Reminiszenzen dreier Motive aus dem vorangegangenen Szenenanfang. Mit Mimes Klage Wer hälfe mir? Gehorchen muss ich dem leiblichen Bruder hören wir die Terzenschaukel des Grübel-Motivs, die wir schon ähnlich aus der 2. Szene kennen, als Wotan Loges Umden-heißen-Brei-Herumreden vor den anderen verteidigte. Jetzt erklingt sie in umgekehrter Intervallabfolge, kontrapunktisch gesprochen also im Krebs: erst der „diabolische“ fallende Tritonus aus Alberichs vorheriger tyrannischer Vision, dann die nach oben gewendete Septime, also insgesamt aufsteigend. Hier wie auch bei seinem späteren Erklingen, wieder in der ursprünglichen Version, im ersten Aufzug des „Siegfried“ zu Mimes verzweifeltem Grübeln, wie er das Schwert Nothung wieder zusammenflicken könne, wird das Motiv von den Fagotten gespielt, deren Klang ja für Tiefe, „Urschlamm“ und Verschlagenheit steht, und ist ab jetzt auf Mime bezogen. Bei der Erwähnung des Bruders, der mich in Bande gelegt, geht es in drei absteigende Terzen über, also in die erste Hälfte des Motivs des Rings, den Mime hier von sich aus noch nicht anzusprechen wagt. Doch Loges Zwischenfrage, kommentiert von vier synkopischen „negativen“ Doppelschlägen (vgl. S. 75) in den „verschlagenen“ Bratschen, ermuntert Mime fortzufahren: Mit arger List schuf sich Alberich aus Rheines Gold einen gelben Reif. Dazu zitieren er und die parallel mitgeführte Terzenschaukel noch zweimal vage Alberichs vorheriges Niblungen all, neigt euch nun Alberich. Zu (Seinem starken Zauber) zittern wir staunend; mit ihm zwingt er uns alle folgt schließlich eine vollständige, aber rhythmisch und melodisch gegen Ende modifizierte Version des Ring/Welterbe-Motivs. Die ersten drei Worte unterstreicht Wagner zudem plakativ mit einem „zitternden“ Tremolo der Bratschen (dessen Wirkung man auch hier dadurch verstärken kann, dass man die Bratschen näher am Steg streichen lässt.) Mit dieser ganzen Stelle macht Wagner lange vor Alberichs Fluch in der nächsten Szene schon musikalisch auf genial einfache Weise deutlich, dass der Ring diejenigen, die ihn und seine Macht nicht besitzen, ins „besorgte Grübeln“ bringt: Die Terzenkette des gleichfalls in Terzen ab- und wieder aufsteigenden originalen RingMotivs bewegt sich melodisch im Ambitus einer fallenden Septime
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und einem anschließenden Tritonus aufwärts; denselben Tonumfang umschrieb Wotans Version des Grübel-Motivs in der 2. Szene. Auch wenn Mimes Variante im Krebs dazu erklingt, haben doch beide durchaus den Ring in seiner äußeren, runden Form im Blick; die umfassende Bedeutung der ihm innewohnenden Macht in Bezug auf das „Welterbe“ ist Wotan dort, vor Loges Erklärungen, allerdings wohl nicht wirklich klar,124 und Mime versteht sie hier offensichtlich noch viel weniger. Denn die Terzenschaukel des GrübelMotivs umfasst zwar den Umfang des Rings, lässt aber die dazwischenliegenden Schritte weg, sie beschreibt also nicht die diabolische Zauberkraft, die ihm innewohnt. Auch das fast durchgängige Ostinato der nächsten 15 Takte, zu dem Mime wehmütig berichtet: Sorglose Schmiede, schufen wir sonst wohl Schmuck unsren Weibern, lässt ein gerade vorhin vehement eingehämmertes Leitmotiv durch drei kleine Änderungen plötzlich in einem völlig anderen Licht erscheinen: Durch die Verlangsamung des Tempos,125 die Vertauschung der ersten beiden Taktteile sowie die Verkürzung auf einen 6/8-Takt wirkt das Schmiede-Motiv nun heiter tändelnd, eben wie leicht melancholisch aus einer anderen Zeit herübergeweht. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch den natürlichen Klang des nun ohne Verfremdung gespielten Solo-Horns. Jegliche Wut, alle Vehemenz ist verschwunden; diese Version des Motivs nähert sich dem naiven Rheintöchter-Gesang an, in dem es ja ursprünglich seine Wurzeln und auch sein Movens hat. Mimes Gesang in diesen Takten weist dabei auch schon auf das zullende Kind voraus: auf den heiteren und arglosen Knaben Siegfried, dessen aufopferungsvoller Pflege und Aufzucht sich Mime im 1. Aufzug von „Siegfried“ rühmen wird. Ab dem zum Wechsel des Motivs in die Celli einsetzenden Accelerando („Allmählich schneller“126) kehrt die Musik allmählich wieder zur ursprünglichen Wildheit und Verzweiflung, also in die
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Zugleich kann man dies aber als weiteren versteckten musikalischen Hinweis werten, dass Wotan das in der 1. Szene Geschehene in groben Umrissen schon vor Loges Bericht bekannt ist (vgl. S. 59). „Das Thema sehr ruhig und ziemlich langsam, streng im Tempo halten“ (Wagner 1876). „Die Beschleunigung des Tempos sehr allmählich! ‚Überhaupt keine Risse machen!‘“ (Wagner 1876).
Gegenwart zurück, bis zu Mimes Ohne Ruh und Rast dem Herrn zu häufen den Hort in Hörnern und Holzbläsern abwechselnd nur noch der punktierte erste Lebenskraft-Rhythmus übrig bleibt. In Verbindung mit Mimes Worten spiegelt auch dieser Abschnitt Wagners sozialistisch-revolutionäre Ansichten wider, die ihn 1849 in Dresden zusammen mit Bakunin auf die Barrikaden trieben: Die konkrete Arbeit der Nibelungen ist noch immer die gleiche wie früher, nämlich wonnig Geschmeid’ zu produzieren; allerdings haben sich die Bedingungen radikal verändert seit Alberich im Besitz des Ringes ist: Früher arbeitete jeder lustig und sorglos, also selbstständig und gewissermaßen auf eigene Rechnung, jetzt sind sie gezwungen, in völliger Abhängigkeit für Alberich zu schuften, und somit zum industriellen Proletariat degradiert. Deshalb hören wir zu Beginn dieser Passage die Wehe-Sekunde erst in den Holzbläsern, dann in zweiten Geigen und Bratschen, und nach Mimes Wo neuer Schimmer in Schachten sich birgt zweimal klagend den Rheingold-Ruf wieder in den Holzbläsern, die zweite Note jeweils angstvoll synkopiert. Dieser wird von allen oberen Streichern nun harmonisch verzerrt, in ansteigenden Sequenzen und – nach zwei Takten – im doppelten Tempo weitergeführt, bis er zu Und schmieden den Guss für vier Takte in eine verkürzte Fassung der höhnisch lachenden Variante des Ring-Motivs mündet, mit der die zweite Verwandlungsmusik geendet hatte. Fünf Takte später fordert Wagner 1876: „Sehr stramm im Tempo. Etwas anhalten, damit der Rhythmus der Hörner ganz scharf herauskommt!“ Diese sowie Oboen und Klarinetten blasen hier im Fortissimo eine kurze sarkastische Reminiszenz der vorherigen melancholischen Variante des Schmiede-Motivs, die überleitet zu Loges scheinheiliger Zwischenfrage: Dich Trägen so eben traf wohl sein Zorn? Zögernd zuerst beginnt Mime daraufhin vom Tarnhelm zu erzählen: Ein Helmgeschmeid hieß er mich schweißen. Dazu erklingt, immer noch in den mit Dämpfern zu spielenden Hörnern, nun aber einen Halbton tiefer, eine rhythmisch veränderte Version von dessen Thema. Es wird dreimal leise durch den Beginn des SchmiedeMotivs kommentiert, hier in den Bratschen, dem instrumentalen Symbol für den Nibelungen-Hort, aber eben auch für – zumindest eingebildete – Schlauheit. Grandios beschreibt die Musik hiernach, wie sich Mime immer irrer hineinsteigert in den Wahn, Alberich mithilfe des Tarnhelms
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vielleicht überlisten zu können: erst Pizzicato-Synkopen der Kontrabässe, dann in den Fagotten bizarre Vor- und Nachschläge, gefolgt von einer immer greller werdenden Parodie des Ring-Motivs sowie Pizzicato-Nachschlägen nun in den Bratschen (die an den letzten Satz von Berlioz’ „Symphonie fantastique“ erinnern), und schließlich der Todes-Rhythmus im Becken. Gleichzeitig machen die in der Gesangslinie vorgeschriebenen kurzen Pausen Mimes eifernde Selbsttäuschung immer atemloser.127 Jetzt folgt ein weiterer Beleg dafür, dass im „Ring“ die Orchestration eine eigene dramaturgische Bedeutung hat. Wenn Mime resigniert und peinlich stockend eingestehen muss: Ach! der das Werk ich wirkte, den Zauber, der ihm entzuckt, den Zauber erriet ich nicht recht, hören wir wieder das Tarnhelm-Thema, melodisch, harmonisch und rhythmisch jetzt unverändert, sogar in der ursprünglichen Tonart as-Moll; allerdings wird es hier von Fagotten und Englischhorn gespielt.128 Für Wagner stehen – besonders im „Ring“ – die Fagotte den Hörnern klanglich zwar sehr nah, sie sind aber eben nicht mit diesen identisch. Auf Mimes Scheitern am Gebrauch des Tarnhelms bezogen, bedeutet das in heutigen Worten: Zum TechnologieDiebstahl gehört nicht nur die richtige Hard- und Software, es bedarf auch noch des richtigen Passwortes. Mimes bitterem, „heulend und schluchzend“ gesungenem Fazit Das schuf ich mir Dummen schön zu Dank! folgt eine nun rhythmisch weichere und in den Holzbläsern legato, quasi „heulend“ gespielte
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Für die letzten fünf Takte dieser wilden Steigerung (quasi das Orchesternachspiel) schreibt Wagner sogar zum einzigen Mal im gesamten „Rheingold“ die deutlich greller klingenden C-Klarinetten in höchster Lage vor, und zwar völlig unüblich eine Oktave über den Oboen. Allerdings hat er offensichtlich nicht bedacht, dass diese Instrumente nach circa eineinhalb Stunden Spieldauer, in denen sie nicht eingesetzt wurden und deshalb noch kalt sind, nicht mehr sauber zur Stimmung des inzwischen warmgespielten übrigen Orchesters passen, weshalb die meisten Klarinettisten leider bevorzugen, für diese wenigen Takte das Instrument nicht zu wechseln, sondern sie weiterhin auf der B-Klarinette zu blasen. Da Wagner die Fagotte im „Ring“ anders als die anderen drei HolzbläserGruppen nur dreifach besetzt hat (vgl. S. 25), füllt er hier die vierstimmigen Akkorde des Tarnhelm-Motivs mit dem Englischhorn als Oberstimme auf.
Reminiszenz des verzerrten Ring-Motivs von eben,129 begleitet von „schluchzenden“ Vorschlägen in den Geigen, die in „greinende“ kurze fallende Sechzehntelfiguren übergehen. Nach einem kurzen Dialog zwischen Loge und Wotan „betrachtet“ Mime „die Götter aufmerksamer“, unterlegt mit einer 6/8Version des A- und B-Teils von Loges Thema in den Celli. Der Zwerg wird nun „misstrauisch“, wie Wagner 1876 anmerkt:130 Mit eurem Gefrage, wer seid denn ihr Fremde? Zumindest Loge scheint ihm also bekannt vorzukommen, was auch glaubwürdig ist, berichtete doch dieser in der 2. Szene, dass er für Wotan alle Winkel der Welt durchstreift hat. Zu Loges Antwort Freunde dir; von ihrer Not befrein wir der Niblungen Volk! bricht das Orchester in ein plötzliches Forte aus, und wir hören nacheinander in den ersten und zweiten Violinen, den Celli sowie schließlich in Klarinetten131 und Fagott eine höhnisch verzerrte Karikatur seines Themenkopfes, wobei die letzte Holzbläser-Version dieser Figur eine wilde Brechung des verführerischen großen Nonenakkords darstellt, der ja sowohl den RheingoldRufen, als auch dem Ring/Welterbe-Motiv zugrunde liegt. Spätestens hier entlarvt die Musik also die wahre Absicht hinter Loges jovial-großspuriger und etwas zu lauter Antwort.
Alberichs Wiederauftritt „Mime schrickt zusammen, da er Alberich sich wieder nahen hört.“ Ausgelöst vom Todes-Rhythmus als leiser Vorschlag im Becken und einem gestopft, also schnarrend gespielten Hornakkord hören wir wieder das verkürzte Schmiede-Motiv in den oberen sowie die hier scharf punktierte Wehe-Sekunde in den tiefen Streichern, jeweils in ansteigenden Sequenzen („Immer schneller“). Bei der knappen Mitteilung Sein’ (Alberichs) harren wir hier verrät Wotan um ein Haar seine Identität und seine wahren Absichten: Es erklingen die ersten 129
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Bei dieser Parallelstelle lässt Wagner anstelle der C-Klarinetten zwei Flöten spielen, verstärkt durch den darüberliegenden schrillen Triller der Piccolo-Flöte. „Mime wird mißtrauisch; das Tempo etwas ermäßigen“ (Wagner 1876). „Diese Figur der Klarinette sehr schneidig (Mimes Schreck)“ (Wagner 1876).
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vier Töne des Walhall-Themas,132 allerdings in einer dem Ring-Motiv näherstehenden Variante und nicht in „seinen“ weihevollen Tuben, sondern in den Hörnern. Deren Klang entlarvt so im Zusammenhang mit dem eher schlecht als recht verschleierten Anfang des Ring/Welterbe-Motiv mehr von Wotans vermeintlich „natürlichem“ Machtanspruch, als ihm selber bewusst ist und lieb sein kann. Zu der Variante des Schmiede-Motivs mit vertauschten Taktteilen vom Anfang von Mimes Erzählung, nun allerdings deutlich schneller und intensiviert durch den halbtaktigen Kanon in den oberen Streichern, stürmt Alberich wieder herein und treibt „eine Schar Nibelungen vor sich her“: Hierher!133 Dorthin! Hehe! Hoho!134 Dazu hören wir sowohl wieder die Initiale mit dem auftaktigen TodesRhythmus im Becken als auch das Wehe-Motiv in Celli und Bässen beginnend auf der Unterseptime. Nach sechs Takten hämmern abermals die gestopften, „denaturierten“ Hörner, nun im Rhythmus der gerade gehörten Version des Schmiede-Motivs. „Er gewahrt plötzlich Wotan und Loge“, und die Musik macht sofort klar, dass Alberich die beiden Götter erkannt hat und die von ihnen ausgehende Gefahr wittert: Durch die jetzt übrig gebliebenen, zwölf Takte lang durchgehenden und kaum sich verändernden repetierten Akkorde in synkopierten Hemiolen gegen den von Alberich weiterhin gesungenen 6/8-Takt entsteht in Verbindung mit dem tiefen, weichen Klang der Klarinetten (die bei Wagner auch für Intuition stehen) beim Hörer das Gefühl, plötzlich auf schwankendem Boden zu stehen. Während Alberich vor den Göttern nun seine wüsten Beschimpfungen Mimes „hastig, mit äußerster Vehemenz“ hervorstößt (Wagner 1876), hören wir darunter dreimal, leise drohend, den hier wieder triolischen Todes-Rhythmus in der Pauke. Und mit dem neunmaligen übermäßigen Dreiklang d(eses)-ges-b, auf den Alberich sein Schwatztest du gar mit dem schweifenden Paar? singt, verliert man zudem auch harmonisch die Orientierung. Wie wir gesehen haben (S. 35), steht dieser einfachste „atonale“ Akkord im Ring als Leitakkord für das Sprengen der gegenwärtigen Welt(-Ordnung). Hier versinnbildlicht er somit Alberichs instinktives Gespür, dass
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„Ohne Dehnung“ (Wagner 1876). Die alten Ausgaben haben: Hieher! „Alles mit herrisch-dämonischer Energie und schneidender Schärfe zu singen“ (Wagner 1876).
eine etwaige Allianz zwischen den beiden Göttern und seinem Bruder Mime seine gegenwärtig in Nibelheim durch die Macht des Ringes errichtete Tyrannei umstürzen und auch seinen Traum von einer zukünftigen Weltherrschaft zunichtemachen könnte. Interessant ist, dass Alberich angesichts dieser drohenden Gefahr nun nicht etwa die von ihm beherrschten Nibelungen als mögliche Schutztruppe um sich schart, sondern sie im Gegenteil unter wilden Drohungen fort an die Arbeit scheucht. Damit will er offensichtlich seinen Untertanen die gleiche „verzweifelte Anstrengung“ aufzwingen, mit der er selbst damals mühsam, aber vergeblich „Riff für Riff“ erklommen hatte, um eine der Rheintöchter zu fangen, denn zu seinem Aus den neuen Schachten schafft mir das Gold! Euch grüßt die Geißel, grabt ihr nicht rasch! hören wir weitgehend unverändert und wieder in den Bratschen die Musik der entsprechenden Stellen in der 1. Szene (vgl. S. 36 und 41: Schein’ ich nicht schön dir). Und seine weiteren Ereiferungen gipfeln mit (Dass ich) überall weile, wo keiner mich wähnt dann wieder im Bläser-Unisono des „Nibelungen/Untertan“-Tritonus mit den drei anschließenden aufsteigenden Tonschritten aus seinem Streit mit Mime zu Beginn dieser 3. Szene. Diese Stelle beweist einmal mehr Wagners weitsichtige analytischpsychologische Beobachtungsgabe: Untergebene oder Abhängige büßen zu lassen, wenn bzw. weil man sich am eigentlichen Auslöser seiner Frustration nicht (mehr) rächen kann, ist in jeder hierarchisch aufgebauten Sozialstruktur nur allzu bekannt und heute hinreichend als Ersatzhandlung entlarvt! Da der „Haufen der Nibelungen“ noch zögert und zaudert, seinen Befehlen nachzukommen, ergibt sich für Alberich eine ideale Gelegenheit, den Göttern aus der Oberwelt – und uns Zuschauern – sogleich seine neu erworbene Macht zu demonstrieren. „Er zieht seinen Ring vom Finger (…) und streckt ihn drohend aus“: Zitt’re und zage, gezähmtes Heer! Rasch gehorcht des Ringes Herrn!135 Auch musikalisch ist diese Stelle an Wirkung kaum zu überbieten: Zunächst hören wir über einem dumpfen Paukenwirbel das Ring/WelterbeMotiv136 in Englischhorn, Klarinette, Trompete und Basstrompete; Letztere stehen für die dem Ring innewohnende (magische) Kraft, ihre Schärfe verschmilzt hier allerdings mit dem Klage und zugleich
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„Mit gewaltiger Stimme“ (Wagner 1876). „In grauenhaftem Pianissimo“ (Wagner 1876).
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Verführung symbolisierenden Klang der beiden Holzbläser. Im dritten Takt leitet ein Crescendo, unterstützt von einem Wirbel auf dem hängenden Becken, über zu einer harmonisch verzerrten Version der Rheingold-Rufe,137 in der die obenliegende, im ursprünglichen Motiv große Sekunde nun zur kleinen Wehe-Sekunde wird. Hier spielen Holzbläser und Hörner sowie die extrem tiefe Kontrabasstuba, Trompeten und Posaunen markieren dazu zwei starke Akzente jeweils auf der ersten Zählzeit, und die Pauke kommentiert mit dem Todes-Rhythmus, den Alberich zudem mit seinen ersten drei Worten artikuliert. Dem schließt sich, wie in Zeitlupe, eine MollVariante des Heiajaheia aus dem Rheintöchter-Jubel an, die damit zugleich eine dreifach verlangsamte Version der zweiten Takthälfte des Schmiede-Motivs im ersten Lebenskraft-Rhythmus darstellt: Selbst in dieser überlegenen Situation wird Alberich also den Gedanken an die Demütigung durch die Rheintöchter, die er mit dem Schmieden des Rings überwunden glaubte, nicht los! Gespielt wird diese Variante von Tuben und Posaunen. (Dieser Teil des Zauberspruchs wird in der Literatur auch „Goldherrschafts-Motiv“ genannt.) Die dunkle, moderne Harmonik dieser Stelle – die Motive bilden Nonen- bzw. Undezimen-Akkorde, die Tonalität schwankt zwischen f-Moll und Ges-Dur – weist schon unmittelbar voraus auf die Klangwelt der „Götterdämmerung“. Der „Zauberspruch“ endet geradezu schmerzhaft und unerwartet mit einem ungetrübten FDur-Akkord im Fortissimo, der noch von einem lauten Beckenwirbel sowie von einem gleichzeitigen, stark anschwellenden Wirbel eines Tamtams verstärkt wird. Diese Stelle – nennen wir sie den „Ring-Zauberspruch“ – gräbt sich nicht nur deshalb so ins Gedächtnis des Hörers, weil sie an ihrem Ende eine der lautesten im „Rheingold“ ist, sondern auch weil Wagner das Schlagwerk in der Tetralogie insgesamt äußerst sparsam einsetzt. Mit Ausnahme dieses Schlagzeugs und der hier fehlenden Harfen ist die Instrumentation der letzten drei Takte mit Trompeten, Posaunen und wieder aller vier Wagner-Tuben sowie der Kontrabasstuba aber die gleiche wie beim Walhall-Thema. Damit verweist auch hier das Orchester beinahe überdeutlich statt auf (Nacht-) Alberich auf dessen lichtes Alter Ego Wotan, der den Vorgang offensichtlich mit größter Aufmerksamkeit verfolgt, und auf seine 137
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„Mit wuchtvoller Akzentuierung“ (Wagner 1876).
Gier nach dem Ring, aber auch (durch die Trompeten und Posaunen) auf die diesem innewohnende (Tat-)Kraft bzw. die von ihm ausgehende tödliche Gefahr. Das Beispiel demonstriert erneut Wagners Kunst, mit Leitmotiven hinter dem gesungenen Text die psychologischen Beweggründe einer Figur aufzuzeigen, gleichzeitig aber mit der durch seine Orchestration erzeugten Klangfarbe auch noch auf einen völlig anderen Kontext zu verweisen. Dies kann in so komprimierter Form tatsächlich keine andere Sprache als die Musik! „Unter Geheul und Gekreisch stieben die Nibelungen (…) auseinander.“ Wilde, weitgehend chromatische Skalen in den Streichern münden in acht synkopierte hektisch abstürzende Sequenzen der ersten Hälfte des Ring-Motivs (ähnlich dem Ende der zweiten Verwandlungsmusik) und in das zweimalige Wehe-Motiv in den Bläsern. Dann steht Letzteres in den Fagotten wieder dissonant gegen das Schmiede-Motiv in Hörnern und Bratschen, das schließlich in den Celli verklingt.138
Alberichs Gefangennahme Die folgende große Auseinandersetzung zwischen Wotan, Loge und Alberich („Mäßiges Zeitmaß“) beginnt nach dessen knapper misstrauischer Frage Was wollt ihr hier? mit einem ruhigen Arioso des Göttervaters: Von Nibelheims nächt’gem Land vernahmen wir neue Mähr’.139 Mit seinen Worten versucht er dem Nachtalben „Honig um den Bart zu schmieren“, während die schlichte akkordische Orchesterbegleitung mit den geteilten Celli in klangvollen Doppelgriffen und den Kontrabässen offensichtlich menschliche Wärme und ehrliche Anteilnahme suggerieren soll. Der anschließende rezitativische Dialog zwischen Alberich und Loge wird eingeleitet und mehrmals unterbrochen bzw. begleitet von Teilen des Themas des Feuergottes. Zuerst hören wir in den tiefen Streichern eine statische, also weder auf noch absteigende, und stark „gestoßen“ (Staccato-Keile) gespielte Variante seines A-Teils; dann, zu Loges Im kalten Loch, da kauernd du lagst, wer gab dir Licht und wärmende Lohe? die Akkord138
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Zu diesem Zwischenspiel fordert Wagner 1876: „Das Instrumentalstück in der Weise eines großen Scherzosatzes zu halten! In einem ‚äußerst raschen Tempo‘“. „Mit ruhiger, sich selbst beherrschender Würde“ (Wagner 1876).
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Struktur des D-Teils, sogar auf der originalen Tonstufe fis, aber in einer rhythmischen Variante, die die obenliegende kleine WeheSekunde und die große Sekunde aus dem Rheingold-Ruf jeweils verlängert; sowie schließlich vier Ansätze einer noch weitergehenden Modifizierung des A-Teils. Diese nun ist schon beinahe identisch mit der Version des Feuerzaubers am Schluss der „Walküre“ – quasi als Bekräftigung von Loges rhetorischer Frage: Was hülf’ dir dein Schmieden, heizt’ ich die Schmiede dir nicht? Auch sie verläuft harmonisch sowie melodisch weitgehend statisch und wird von hohen Holzbläsern und Streichern im Staccato gespielt.140 Und mit einer vierfach verlangsamten weiteren Variante dieses Thementeils beschreibt Alberich sein Misstrauen gegenüber Loge: Den Lichtalben lacht jetzt Loge, der list’ge Schelm? Bist du Falscher ihr Freund … Acht Takte später folgt ein mit „Sehr lebhaft“ überschriebener 3/4-Takt, der den Rest der Szene bis zu ihrem dramatischen Höhepunkt, der Gefangennahme Alberichs, weitgehend beherrschen wird. Nachdem Loge vorher eher die verbale „Peitsche“ benutzt hat, holt er nun das „Zuckerbrot“ der Schmeicheleien hervor, mit deren Hilfe er den ihm intellektuell unterlegenen „Herrn der Nibelungen“ am Ende überlisten wird. Dieses Tempo, das Wagner 1876 „äußerst rasch, aber nicht leichtfertig“ genommen haben wollte („die rhythmischen Akzente der Phrasenabschnitte bewusstvoll hervorzuheben und die plötzlich eintretenden pianos zu beachten“), entspricht dem Charakter einer Stretta in Form eines romantischen phantastischen Scherzos. Die Konstruktion aus kleinen, immer wieder variierten motivischen und rhythmischen Bausteinen in einem beibehaltenen Grundtempo und Metrum ist im „Ring“ eines der wenigen Beispiele,
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Bemerkenswert ist auch hier wieder Wagners große spieltechnische Erfahrung mit den Orchestermusikern: Da die in den Geigen und Bratschen vorgeschriebenen Pizzicati in dem raschen Tempo als durchlaufende Sechzehntel nur äußerst schwer rhythmisch präzise auszuführen wären, teilt er die ersten und zweiten Geigen sowie die Bratschen in jeweils zwei Gruppen und verschränkt die auszuführenden Noten so miteinander, dass kein Spieler mehr als drei Noten schnell hintereinander zu spielen hat. Prophylaktisch mahnt er aber 1876 zusätzlich an: „Deutlichkeit im Orchester! Davon hängt das Zeitmass ab.“ Zudem ist die spielpraktisch eigentlich nicht notwendige doppelte Teilung der ersten und zweiten Geigen ein weiterer Hinweis auf die intendierte Sitzordnung der beiden Violinen-Gruppen, nämlich rechts und links gegenüber (vgl. S. 45f., Anm. 44).
die Wagners von ihm selbst immer wieder behauptete „symphonische“ Herkunft von Beethoven belegen.141 Die musikalischen Grundbausteine sind zunächst: (1) eine durchlaufende triolische Tonrepetition, (2) darunter eine vage Umkehrung des Vertrags/Speer-Motivs (hier die öfter vorkommende Version, ab dem zweiten Erklingen im neunten Takt):
(3) anschließend darüber eine zum 3/4-Takt veränderte, wieder absteigende Version des A-Teils von Loges Thema und (4) ein neues Leitmotiv, das man in der vollständigen Version nach Loges So neidlichen sah ich noch nie hört und das entfernt aus der Umkehrung des Liebesbedürftigkeits-Motivs gebildet ist; seine ersten sechs Takte werden gemeinhin (Nibelungen-)Hort-Motiv genannt:
Für die Herleitungen der Bausteine (2) und (4) bieten sich nun wieder philosophisch und psychologisch weitreichende Deutungen an. Die Tonleiter von (2) ist eine Reminiszenz der aufsteigenden Skalen auf der fünften Entwicklungsstufe des Vorspiels zur 1. Szene (vgl. S. 28); dort standen sie für höchste Lebenskraft, eventuell gar für die Erschaffung des Menschen (gleich darauf erschienen die Rheintöchter auf der Bühne). Auch Alberich hat inzwischen in Nibelheim einen neuen Menschen(-Typus) erschaffen, nämlich den des unfreien, geknechteten Proletariers. Und damit ist er, zumindest im Moment, der Schöpfergott – und nicht Wotan. Aber die aufwärts drängende 141
Vgl. Arne Stollberg, „Mit Beethoven auf ‚Weltentdeckungsfahrt‘. Richard Wagners ‚Columbus-Ouvertüre‘ und die Metaphorik der Zürcher Reformschriften“, in: Die Musikforschung 62 (2009), S. 128–139.
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Skala als Umkehrung von Wotans nach unten gerichtetem Speer symbolisiert auch, dass Alberichs Sehnsucht bzw. Machtgier trotzdem neidvoll nach oben, auf die Lichtalben, zielt. Sie ist zudem ein weiterer Hinweis darauf, dass Wotan und Alberich untrennbar miteinander verbunden sind, sich gegenseitig bedingen und – wenn man Doningtons Deutung der Tetralogie als der Entwicklung einer einzigen Psyche, aufgesplittert in ihre Teilaspekte, folgen will – tatsächlich als ein einziger janusköpfiger Geist gemeint sind: NachtAlberich als die dunkle Seite von Licht-Alberich Wotan. Dagegen sind die dreimal bis zur Terz aufsteigenden, sequenzierten Floskeln des neuen Leitmotivs (4) sowohl eine Moll-Version der beiden aufsteigenden Ganztöne am Ende von Alberichs RingZauberspruch, als auch ein weiterer Vorausverweis auf das aus alternierenden kleinen Sekunden und Terzen bestehende Wurm/AngstMotiv, das am Ende dieser Szene zum ersten Mal erklingen wird. Das Hort-Motiv wird gespielt von Bassklarinette und Fagotten, dem instrumentalen Symbol der Tiefe, des „Urschlamms“. Ausgerechnet der daraus entstammende Alberich provoziert Wotan nun mit der Prophezeiung: Kühn und mächtig soll er (der Hort) künftig sich mehren, verstärkt noch durch die Weiterführung von dessen Motiv mit der entfernten Umkehrung des Liebesbedürftigkeits-Motivs, das sich dem Göttervater und uns zuletzt durch Loges Geraten ist ihm der Ring in der 2. Szene besonders schmerzlich eingebrannt hatte (vgl. S. 90). Deshalb hören wir jetzt im Forte des Orchesters Wotan zum ersten Mal die Contenance verlieren; doch nach zwei Takten fängt er sich sogleich wieder: Die laut hämmernden Triolen-Repetitionen der Streicher gehen abrupt in Piano-Duolen über. Und er pariert die Prahlerei des Zwerges mit Sarkasmus: Zu was doch frommt dir der Hort, da freudlos Nibelheim, und nichts für Schätze hier feil?142 Alberichs wütende Replik – zu gestopft spielenden, drohend schnarrenden Hörnern – erinnert in der Begleitung mit dem akkordischen, aus dem noch stärker verzerrten Rheingold-Ruf abgeleiteten Wehe-Motiv in den Holzbläsern an den zweiten Teil des RingZauberspruchs, gerade so, als wäre Alberich versucht, auch an den 142
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Für diese ganze Phrase forderte Wagner 1876 laut der „offiziellen“ Quelle: „Das Tempo etwas ermäßigen.“ Felix Mottl, der auch als Assistent bei der Uraufführung mitwirkte, berichtet jedoch für diese Stelle: „Ohne jedes Zurückhalten.“
beiden Göttern die Macht seines Reifs auszuprobieren. Am Ende seiner Antwort Denk ich dann Wunder zu wirken: die ganze Welt gewinn ich mit ihm mir zu eigen! ist der Verweis auf den Ring in den Celli und Kontrabässen dann noch deutlicher, und mit der Ausweitung der hinab- und wieder heraufstürmenden Terzen dieses Motivs von der None zur Undezime scheint „der Niblungen Herr“ in seinem rasenden Wahn seinen Herrschaftsanspruch am liebsten gar über den Weltkreis hinaus ausdehnen zu wollen! Es fehlen hier allerdings noch die normalerweise im Ring-Motiv mitgehenden Unterterzen, diese treten fünf Takte später hinzu; dort stürzt der erste Teil des Motivs in den hohen Streichern dann wild über zweieinhalb Oktaven in die Tiefe – wie eine Vorausahnung der folgenden Ereignisse durch das „allwissende“ Orchester. Im weiteren Verlauf dieses erregten Scherzos baut Wagner immer wieder kleinere oder größere Abschnitte ein, in denen die Musik sich beruhigt bzw. sogar zum Stillstand kommt. Im ersten dieser „Fenster“ hören wir nach Alberichs Die in linder Lüfte Weh’n da oben ihr lebt, lacht und liebt eine sehr freie Variation des Motivs der Liebesgöttin Freia. Hier erklingt es in einer Weiterentwicklung der Version, die wir in der 2. Szene in der schärferen, „zwielichtigen“ Solo-Violine gehört hatten, und zwar bei Frickas Bemühen, Wotan zum Erwerb des Rings zu verführen (vgl. S. 88). Die zunehmende Chromatisierung dieses Motivs, deren Höhepunkt bei der zweiten, wieder erregteren Stelle, zu Alberichs Mit Golde gekirrt, nach Gold nur soll ihr noch gieren! erreicht ist, steht hier wohl nicht mehr für die sinnliche Liebe, sondern nun für die erotische Attraktion der Macht, die das Gold (Geld) und besonders Alberichs Ring verleiht, und die nach dessen Willen jetzt für jeden und für alle Zeit die Liebe ersetzen soll: Wie ich der Liebe abgesagt, – Alles was lebt soll ihr entsagen!, verkündet er kurz zuvor;143 dazu spielen hier wieder alle Tuben das vollständige zweiteilige Entsagungs-Motiv und bestätigen so einmal mehr die subkutane Verbindung zwischen Wotans Selbst und Nacht-Alberichs Liebesfluch. Der dies kommentierende zweimalige Todes-Rhythmus in der Pauke erscheint dabei fast schon redundant. Im nächsten, nun sehr viel ruhigeren Fenster („Mäßig langsam“) singt Alberich melancholisch bitter: Auf wonnigen Höh’n, in seligem
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„Tempo nicht wesentlich ermäßigen“ (Wagner 1876).
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Weben wiegt ihr euch. Dazu erklingt im Orchester eine Gegenbewegung zwischen den viergeteilten Celli und vier Hörnern, deren erste zwei Takte wir genau so, nur eine Quart tiefer, schon am Beginn der 2. Szene zu Wotans Mannes Ehre, ewige Macht gehört hatten (vgl. S. 59f.). Hier nun erkennen wir in diesen Figuren der Celli, der Klang-Chiffre für menschliche Wärme und Leid, eine entfernte Variante des Leitmotivs von Freias Jugend und Schönheit verleihenden Äpfeln.144 Als Gegenstimmen dazu hören wir im „natürlichen“ Klang der Hörner viermal den fünften Takt des Walhall-Themas.145 Das Weglassen des aus dem Ring-Motiv abgeleiteten Kopfs des Walhall-Themas sowie die Orchestration beider Linien machen sehr deutlich, dass es sich bei Alberichs Machtanspruch, der geradezu verzweifelt auf die Lichtalben gerichtet und eben kein Wunsch nach Rache an den eigentlich „schuldigen“ Rheintöchter ist, auch um den „natürlich-menschlichen“ Sozialneid des in Nibelheim buchstäblich auf der Schattenseite Lebenden handelt und nicht, wie beim zum obersten Gott geborenen Wotan, um grenzenlose Machtgier per se (vgl. Fricka, S. 63). Die am Anfang der 2. Szene dazu erklingenden, aus dem Todes-Rhythmus abgeleiteten „dynamischen“ TrompetenFanfaren sind hier daher in weiche, sehnsüchtig nach oben strebende Klarinetten-Dreiklänge umgewandelt. Habt Acht! Habt Acht!146 Alberich fällt in seinen wütenden Fanatismus zurück, und über einem Tremolo der Celli und Kontrabässe auf dem tiefen E formuliert er „im Charakter des freien Rezitativs“ (Wagner 1876) und mit einer viermaligen Wehe-Sekunde drohend die sich ihm durch den Ring eröffnende Möglichkeit, die Folgen seines Liebesfluchs zumindest teilweise zu kompensieren: Eure schmucken Frau’n, die mein Frei’n verschmäht, sie zwingt zur Lust sich der Zwerg, lacht Liebe ihm nicht!147 (Ob er tatsächlich nicht 144
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Die Cello-Linie ist zwar die gleiche wie zu Beginn der 2. Szene, aber dort war das Motiv von Freias Äpfeln noch nicht erklungen. Da es sich hier wie dort aber nur um einen begleitenden Kontrapunkt handelt, kann das Äpfel-Motiv nicht aus dieser Phrase heraus entwickelt worden sein. Offensichtlich sind bestimmte Motiv-Verbindungen bzw. -Anklänge bei Wagner auch intuitiv entstanden. „Andante, (non lento). Darauf zu achten, dass zwischen den Themen der Violoncelli und Hörner das richtige Verhältnis der Tonstärke hergestellt werde“ (Wagner 1876). Beim ersten Mal „Piano“, beim zweiten „Fortissimo“ (Wagner 1876). „Mit lustgierigem, schneidendem Hohn“ (Wagner 1876).
nur um die Rheintöchter, sondern auch um eine oder mehrere der Göttinnen vergeblich gebuhlt hat, erfahren wir allerdings nirgends.) Dies ist nach Alberichs diesbezüglicher Überlegung gegen Ende der 1. Szene (vgl. S. 51) die zweite Stelle, die den scheinbaren Widerspruch, wie jemand, der der Liebe entsagt hat, später dennoch einen Sohn zeugen kann, als Missverständnis entlarvt: Alberich hat zwar der Liebe abgeschworen, aber nicht der Lust, also der Sexualität, und die kann man sich nicht nur mit Gold kaufen, sondern auch mit Gewalt erzwingen. Es zeigt sich erneut, dass Wotan offenbar viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, um aufmerksam zuzuhören, denn sonst dürfte er später keineswegs überrascht sein, wenn er von der Zeugung Hagens durch Alberich erfährt – zumindest wenn man seiner Fassungslosigkeit Glauben schenken will, mit der er im 2. Aufzug der „Walküre“ seiner Tochter Brünnhilde davon berichtet. Nun wird das Grundtempo („Sehr schnell“) mit Varianten der oben beschriebenen Motive, teilweise in anderer Reihenfolge, wieder aufgenommen. Auch der verzerrte Rheingold-Ruf des Ring-Zauberspruchs mit dem Wehe-Motiv erklingt wieder, zum Höhepunkt von Alberichs nächster Drohung: Habt Acht!148 Habt Acht vor dem nächtlichen Heer, entsteigt des Nibelungen Hort aus stummer Tiefe zu Tag!, erneut verstärkt durch den scharfen Klang der gestopften Hörner. Die letzten drei Worte singt er auf den zweiten Lebenskraft-Rhythmus, dazu schmettern Trompete und Basstrompete das RheingoldMotiv. Dieses leitet über in eine höhnisch lachende Figur in Holzbläsern und Hörnern im Staccato sowie in den Streichern im Tremolo, die wieder aus dem fünften Takt, dem Anfang des B-Teils des Walhall-Themas abgeleitet ist: Sie steht ab jetzt für Alberichs Anspruch auf dieses Symbol von Wotans Weltherrschaft. Zugleich ist sie eine boshafte Anspielung auf Wotans Zahlungsverzug gegenüber den Riesen für den Bau von Walhall, weil sie mit der zwar schwerfälligeren, aber ebenso gestoßenen Motiv-Version verwandt ist, die wir in Fasolts Ansprache an seinen Schuldner hörten (vgl. S. 69f.). Denn Alberich könnte mit seinem Hort die Götterburg natürlich problemlos bezahlen, und um ihm diesen zu entwenden, sind Wotan und Loge ja nach Nibelheim gekommen. (Es ist allerdings fraglich, ob Alberich von diesem Problem Wotans hier unten überhaupt weiß: Er erwähnt die Riesen oder Walhall nämlich kein einziges Mal. 148
„Piano“ (Wagner 1876).
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Andererseits erklang gerade vorher, zu seinen Worten Auf wonnigen Höh’n in seligem Weben in den Hörnern genau dieser fünfte Takt des Walhall-Themas in seiner originalen ruhigen Legato-Version.) Prompt verliert Wotan („auffahrend“) zum zweiten Mal die Beherrschung, was Alberich mit einem herablassenden Was sagt der? (und nicht „Was sagst du?“) kontert. Um die Situation zu retten, muss Loge wieder die Verhandlung übernehmen: Wen doch fasste nicht Wunder, erfährt er Alberichs Werk?149 Dabei unterstützen ihn die hohen Holzbläser mit einer neuerlichen Weiterentwicklung des A-Teils seines Themas im Staccato.150 Etwas später, zu Loges Den Mächtigsten muss ich dich rühmen, erklingt in Hörnern und Fagotten bzw. Oboen wieder zweimal die gerade eingeführte höhnisch triumphierende Figur von Alberichs Machtanspruch. Ab jetzt geht sie dann jedes Mal über in eine wieder im Legato, aber im doppelten Tempo gespielte, geradezu irrwitzig lachende Variante der „statischen“ Version von Loges A-Teil, hier in der Piccolo-Flöte und den ersten Geigen aufblitzend. Und kurz nachdem Loges Schmeichelei dem Nibelungen auch noch die Macht selbst über Mond und Stern’ und die strahlende Sonne zubilligt, hören wir zum einzigen Mal auch die ersten zwei Takte des Walhall-Themas, allerdings in der gleichen „pervertierten“ Staccato-Version.151 Diese ist hier durchaus zweideutig: Sie kann sowohl Alberichs triumphierendes Gelächter im Vorgeschmack auf die Unterwerfung der Götter, als auch deren sarkastischen Spott über Alberichs Machtgier meinen. Nachdem Loge – in offensichtlicher Analogie zu Aesops Fabel von Rabe und Fuchs – Alberich genug geschmeichelt hat, kommt er langsam zum Punkt, und damit tut sich erneut ein musikalisches Fenster auf: Doch – wichtig acht’ ich vor allem, dass des Hortes Häufer, der Niblungen Heer, neidlos dir geneigt? Dazu hören wir eine zögernde Variante des Schmiede-Motivs, abwechselnd in Bratschen152 und Horn, wobei dieses als instrumentales Symbol für die vorgegaukelte „natürliche Evidenz“ der Frage, jene für den Nibelungen-Hort, aber auch für Loges Verschlagenheit stehen. Darunter spielen die 149 150 151 152
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„Sehr bewegtes Tempo“ (Wagner 1876). „Alle Holzbläser gleichmäßig kurz!“ (Wagner 1876). „Tempo so schnell als möglich“ (Wagner 1876). In den Bratschenstimmen des alten Notenmaterials zum „Ring“ sind diese zweimal drei Takte mit „Solo“ bezeichnet, was die Stelle klanglich durchaus intimer und damit spannender macht.
Celli im bekannten dissonanten Abstand der großen Septime jeweils die Wehe-Sekunde. Ebenso in den Bratschen erklingt das RingMotiv nach Loges Einen Reif rührtest du kühn, als leitmotivischer Kommentar redundant, doch abermals durch die Symbolik der Klangfarbe ein versteckter Hinweis auf die lauernde Gefahr, den Alberich offensichtlich nicht wahrnimmt. Zu einer Wiederholung des Wehe-Motivs in den Celli und der eben gehörten Variante des Schmiede-Motivs, jetzt alternierend in den beiden Geigengruppen,153 fährt Loge, dieses Motiv melodisch paraphrasierend, fort: Doch, wenn im Schlaf ein Dieb dich beschlich … Selbstverständlich glaubt der Niblungen Herr sich Loge „intellektuell“ weit überlegen: Der listigste dünkt sich Loge; … dass sein’ ich bedürfte zu Rat und Dienst, um harten Dank, das hörte der Dieb jetzt gern! Die ersten Geigen spielen nach sieben Takten dazu eine quasi vor sich hin murmelnde Sechzehntelkette, die die statische Version des A-Teils mit den abwechselnden kleinen und großen Sekunden des D-Teils von Loges Thema verschmilzt, gerade so als würde sich dieser darüber ins Fäustchen lachen, dass Alberich ihm in seiner Einfalt und Eitelkeit sofort auf den Leim geht und im Folgenden bereitwillig den Tarnhelm erklärt: Den hehlenden Helm ersann ich mir selbst … Die dazu erklingende merkwürdig irisierende Fassung des Tarnhelm-Themas, das auch hier konsequenterweise nicht in der „originalen“ Orchestration erklingt, entsteht durch eine Mischung von drei verschiedenen Klangfarben der dreifach geteilten Streichergruppen: Die gleichen Töne werden jeweils normal gestrichen, mit Tremolo sowie als Pizzicato gespielt. Alberich schließt mit der stolzen Phrase: So ohne Sorge bin ich selbst sicher vor dir, du fromm sorgender Freund, die in ihrem einen verkürzten großen Nonenakkord umschreibenden Mittelteil melodisch betrachtet einer Umkehrung des Ring-Motivs ähnelt – hier vielleicht eine versteckte Spitze seines Besitzers gegenüber den Göttern, deren neidvolle Begehrlichkeit Alberich sicherlich voraussetzt, aber eben als Gefahr unterschätzt. Nach einer Überleitung („Wieder schnell“) mit dem Motiv von Alberichs Machtanspruch sowie mit Varianten der Teile A und B von Loges Thema gelingt es diesem schließlich, Alberich zu einer Demonstration seines Tarnhelms zu verleiten: Vieles sah ich, Seltsa-
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„Ruhiger bis dann“ (letztes Wort von Loges Frage, neun Takte später; Wagner 1876).
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mes fand ich, doch solches Wunder gewahrt’ ich nie. In seiner abschließenden Phrase Bis ich’s geprüft, bezweifl’ ich, Zwerg, dein Werk deutet Loge dann vage das Nibelungen-Schmiede-Motiv an, so als wolle er sich deren Herrn als Produkttester und Qualitätsprüfer aufdrängen. Hochmütig und selbstgefällig äfft ihn Alberich sofort nach, melodisch näher am Motiv, allerdings mit der fallenden kleinen Terz, die wieder auf das naive Heiajaheia der Rheintöchter zurückverweist: Vor Klugheit bläht sich zum Platzen der Blöde! Die Geigen spielen dazu das Schmiede-Motiv vollständig an – in der rhythmischen Version aus Mimes Erzählung, der ja der physische Schöpfer des Helms ist (vgl. S. 108). Selbstverständlich erklingt, wenn Alberich nun den Tarnhelm aufsetzt, dessen Thema wieder in der Originalorchestration durch sechs Hörner mit Dämpfern. Damit haben wir das nächste musikalische Fenster erreicht („Langsam“): Riesenwurm winde sich ringelnd! Nun „windet sich eine ungeheuere Riesenschlange am Boden; sie bäumt sich und sperrt den aufgerissenen Rachen auf Wotan und Loge zu“. Nicht zuletzt seit Mozarts „Zauberflöte“ ist die menschenfressende Schlange zu einem der eindrücklichsten Bühnensymbole für (Todes-)Angst geworden. In allgemeinerer Form, die der Imagination größeren Freiraum lässt, als Ungeheuer oder Drache, können wir diesen Topos über das „mostro“ in Mozarts „Idomeneo“, den Drachen der mittelalterlichen Märchen und Sagen, dem wir im „Siegfried“ begegnen werden, die germanische MidgardSchlange bis in die alttestamentliche und babylonische Zeit (Jona im Bauch des Wals, Gilgamesch-Epos) zurückverfolgen. Der zu diesem szenischen Symbol nun vollständig erklingende musikalische „Gefühlswegweiser“ ist eben jene langsame ViertelWelle aus ansteigenden kleinen Sekunden und Terzen, die sich nach und nach bis zum Tritonus spreizt, um dann in drei fallende große Septimen umzukippen. Wie wir gesehen haben, war dieses neue Leitmotiv schon in vier vorher eingeführten versteckt angedeutet worden: am Ende des Riesen-Themas (vgl. S. 69), im D-Teil von Loges Thema, im Nibelungen-Hort-Motiv sowie im Thema des Tarnhelms selbst. Zudem verweisen die drei fallenden großen Septimen am Ende entfernt auf das Grübel-Motiv. Darüber hinaus kann man sogar eine vage Verbindung der Anfangstakte zum NibelungenSchmiede-Motiv und den Heiajaheia-Rufen der Rheintöchter feststellen: Dort fällt die Melodie als Terz nach unten, um danach
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schrittweise zum Hauptton zurückzukehren, hier bewegen sich ihre beiden Intervalle quasi in Zeitlupe im Ambitus einer Terz nach oben. Und schließlich entsprechen sogar der siebte bis zehnte Ton des allerersten Weia! Waga!, also des Rheintöchter-Motivs, einer DurForm des phrygischen Beginns dieses Wurm-Motivs. Die psychologische Bedeutung all dieser musikalischen Querbezüge ist klar: Angst lähmt jede Aktivität, aber auch die Lebensfreude bis zur völligen Erstarrung. Charakteristisch für dieses lange, einstimmige und tonal nicht klar einzuordnende neue Angst-Motiv ist natürlich auch die Instrumentierung mit den zwei Basstuben und der Kontrabasstuba mit ihrem hier in der Tiefe dumpfen und im vorgeschriebenen „molto crescendo“ äußerst drohenden Klang. Gemäß der Bedeutung der Tuben als Sinnbild für Wotans Selbst können wir diesen ungewöhnlichen, in der Musikgeschichte vorher nur einmal von Berlioz im „Dies irae“ seiner „Symphonie fantastique“ erprobten Klang hier geradezu haptisch dahingehend interpretieren, dass die Angst im unteren Teil des Selbst (es fehlen wieder die höheren Tenortuben), also im Unterbewusstsein entsteht und sich auch im unteren Teil des Körpers (mit „Bauchschmerzen“) physisch bemerkbar macht. Die beiden Götter scheinen dieses lähmende Gefühl beim Anblick des leibhaftigen Riesenwurms allerdings nicht zu spüren. Wotan reagiert „lachend“, Loge „stellt sich von Furcht ergriffen“, und vor allem Letzteres malt die Musik drastisch im Fortissimo aus („Etwas lebhafter“): Über gehaltenen Akkorden der Holzbläser und Hörner hören wir abstürzende Sextolen der Geigen gegen tremolierende Quartolen in den Bratschen, als würde sich die Musik geradezu schütteln, und darunter in Celli und Bässen chromatische Figuren, die das Schmiede-Motiv melodisch karikieren. Die tiefen Tuben lassen währenddessen den Angstpegel – die Intervalle haben sich bis zur fallenden Dezime gesteigert – in absteigenden Terzschritten langsam wieder abschwellen, berühren dabei auch die letzten beiden zur Zwölftonskala noch fehlenden Töne c und a und gehen schließlich in eine ebenfalls absteigende Variation der Anfangstakte über. Die Rückverwandlung Alberichs wird im letzten Takt durch einen Akzent eines schnarrend (gestopft) spielenden einzelnen Horns und einen anschließenden E-Dur-Akkord dreier weiterer Hörner mit Dämpfern markiert – zu Alberichs Frage: Hehe! Ihr Klugen! Glaubt ihr mir nun? („Wieder schnell“).
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Loges Antwort Mein Zittern mag dir’s bezeugen! wird in ähnlicher Theatralik wie eben von den tremolierenden Celli lautmalerisch bekräftigt. Er fährt fort: Zur großen Schlange schufst du dich schnell, und dazu gehen die Celli in eine synkopisch „vor Angst“ stotternde Variante des Kopfs des Wurm-Themas über, während nun die Bratschen und zweiten Geigen das Tremolo übernehmen. Nach dem erneuten Erklingen des Motivs von Alberichs Machtanspruch und Loges überdrehtem Lachen hören wir ein neues Motiv mit rasend schnellen, wie Kaskaden abfallenden Terzenketten in den Geigen im Wechsel mit einer Variante des zweiten Grundbausteins dieses Scherzos, den empordrängenden Achtelskalen in Celli und Bässen. Diese übermütige Umkehrung der letzten „Doppel“-Terz des vorangegangenen Motivs von Alberichs Machtanspruch ist aber auch aus den fallenden Terzen der ersten Hälfte des Ring-Motivs abgeleitet: Loges Zuversicht, Alberich trotz dessen Macht so zu manipulieren, dass man ihn überwältigen und gefangen nehmen kann, wird hörbar größer. Zu seiner listig lauernden Frage Kannst du auch winzig und klein dich schaffen? Das Klügste schien mir das, Gefahren schlau zu entfliehen hören wir dann auch das Pendant zur zweiten Hälfte des Ring-Motivs, jetzt als Dreiklangsbrechung, die hier sogar quasi weit über das Ziel hinausschießt. Noch einmal erklingt das Tarnhelm-Motiv, doch Alberich hat jetzt offenbar schon so viel Routine mit seinen Verwandlungen, dass die gedämpften Hörner die ersten Takte der Zauberformel weglassen können. Die kleine Sekunde als obere Wechselnote aus dem ursprünglichen Beginn des Tarnhelm-Motivs, die ja auch den Beginn des Wurm-Themas prägte, hören wir nun stattdessen als Umkehrung nach unten lautmalerisch im Englischhorn. Dieses zeichnet damit sowohl das Quaken und Kriechen der Kröte, Alberichs neuer Gestalt, nach, weist aber durch die Betonung der Wehe-Sekunde auch voraus auf das unmittelbar drohende Unheil. Zunächst macht die Kröte noch mehrere kleine Hüpfer: Die Klarinette spielt jeweils zweimal eine schnelle kleine Terz abwärts, also zwei einzelne Glieder jener Terzenkette, die kurz zuvor Loges übermütige Siegesgewissheit so plastisch hörbar gemacht hatte. Dann fahren „wieder ganz schnell“ die Celli mit der nun über zwei ganze Takte ausgeweiteten Achtel-Tonleiter auf; „Wotan setzt seinen Fuß auf die Kröte: Loge fährt ihr nach dem Kopfe und hält den Tarnhelm in der Hand.“ Alberich bäumt sich mit den nun aufwärts gewendeten und wieder zu
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Gruppen zusammengefassten Sechzehntel-Terzen auf, Loge fesselt ihn, in den zwischen tiefen und hohen Streichern synkopisch gegeneinanderschlagenden Oktavsprüngen mit anschließender WeheSekunde hören wir seine „wütend(e)“ Gegenwehr, und mit Nun schnell hinauf: dort ist er unser! ist die 3. Szene des „Rheingolds“ abrupt beendet.
Dritte Verwandlungsmusik: Der Wiederaufstieg aus Nibelheim Das letzte der drei großen Zwischenspiele im „Rheingold“ begleitet die Rückverwandlung der Bühne vom unterirdischen Nibelheim zur „freien Gegend auf Bergeshöhen“ wie in der 2. Szene. Es beginnt mit jener wilden Version des fünften Takts des Walhall-Themas, die zuletzt als eigenständiges Motiv immer wieder Alberichs fanatischen Plan kommentiert hatte, mithilfe des Rings Wotan seine Herrschaft zu entreißen. Jetzt ist diese Musik im schmetternden Forte der Holzbläser und Hörner aber wohl als sarkastisch triumphierende Retourkutsche der Götter gegen den Nibelungen-Herrn zu verstehen. Danach hören wir wieder die übermütigen Varianten des ATeils von Loges Thema in den hohen Streichern und später auch in den Flöten. Diese münden nach fünf Takten im Fortissimo erneut in eine irre Lach-Kaskade,154 die aus 13 manischen Wiederholungen einer komprimierten Version des Ring-Motivs besteht und dabei über fast drei Oktaven abstürzt. (Die Unglückszahl 13 steht bei dem auch sonst im „Ring“ zahlensymbolisch denkenden Wagner hier sicherlich nicht zufällig, vgl. S. 25). „Die Szene verwandelt sich, nur in umgekehrter Weise, wie zuvor.“ Die fallenden Sequenzen des Ringmotivs korrespondieren also musikalisch mit einer stetigen Abwärtsbewegung der Szene („festes, finsteres Steingeklüft“), die dem Zuschauer das Gefühl gibt, wieder hinaufzusteigen. Gleichzeitig hören wir durch das Diminuendo, wie sich die beiden Götter mit ihrer Geisel, dem gefesselten Alberich entfernen. Wie in der zweiten Verwandlungsmusik (vgl. S. 99f.) beschließt auch jetzt, allerdings hier nur einmalig, das Motiv der Liebesbedürftigkeit in seiner Moll-Version diesen ersten Abschnitt des 154
„Sehr feurig, beschleunigtes Tempo!“ (Wagner 1876).
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Zwischenspiels, hier sogar auf der Basis des (transponierten) kleinen Sekundakkords der Angst. Wieder erklingt es in den Posaunen, und für diesen zweitaktigen Einschub hat Wagner zudem ein Ritardando vorgeschrieben – eine weitere Mahnung an das „Grundgesetz“ seiner „Ring“-Tetralogie: Der Besitz von (politischer) Macht, die der Ring verleiht, schließt den Genuss von „Weibes Wonne und Wert“ aus! Sofort („a tempo“) kommentieren dies die tiefen Tuben, also Wotans/Alberichs Unterbewusstsein, mit einem achtmaligen Ostinato der Wehe-Sekunde, das auch hier wieder dissonant kontrapunktiert wird vom Schmiede-Motiv in Bratschen und Celli. Danach führt der Wiederaufstieg erneut an den Ambossen vorbei. Diesmal ist unsere Fahrt allerdings deutlich schneller: Das Anschwellen des Schmiede-Motivs dauert nur noch vier statt zwölf Takte, und nach weiteren vier, sogleich wieder leiser werdenden Takten setzen dazu schon wieder die Hörner im Fortissimo mit dem Motiv des Liebesbetrugs ein, das wir hier in der breiten, klagenden Version vom Höhepunkt des vorigen Zwischenspiels hören, klanglich und harmonisch unterstützt vom wieder vollständigen Tubensatz sowie der Pauke. Die Instrumentenkombination dieses über acht Takte abwärts sequenzierenden verzweifelten „Aufschreis“ bietet in ihrer Symbolik als Leitorchestration folgende Deutung an: In seiner vermeintlich naturgegebenen Autorität (Hörner) betrügt sich (Liebesbetrugs-Motiv) Wotan selbst (Tuben), wenn er glaubt, der Besitz des Rings würde all seine Probleme lösen! Und dies gilt im Rückblick ähnlich auch für seine „Schattenseite“ Alberich. Eine solche Interpretation mag recht schematisch erscheinen, doch klingt diese äußerst eindringliche Stelle tatsächlich alles andere als subtil, vielmehr wie ein durchaus plakativer Fingerzeig des Komponisten. Bestätigt wird diese Deutung etwas demonstrativ von den gleich anschließenden drei Akkorden der ehernes Gesetz und Lähmung versinnbildlichenden Posaunen, deren Oberstimme eine quasi überlange Wehe-Sekunde bildet. „Mäßig bewegt“155 und in C-Dur, der Tonart, die im „Ring“ zunehmend suspekt wird, beginnt nun das letzte, hörbar mühsamste Stück von Wotans und Loges Wiederaufstieg von Nibelheim zur „freien Bergeshöhe“ – symbolisch also vom Verbrechen zur Macht. Gleichzeitig klingt dieser zweite Teil des Zwischenspieles anfangs 155
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„Ruhig beginnen. Der Wechsel der Tempi sehr zu beachten“ (Wagner 1876).
wie eine surreale Traumsequenz bzw. wie eine langsame, stufenweise Rückkehr aus einer (Alb-)Traumwelt in das Bewusstsein und die Realität: Er beginnt mit dem vier Takte lang wiederholten Kopf des Riesen-Themas in Celli und Bässen, aber diesem fehlt nun bis zum Schluss des „Rheingolds“ die Unterquart g, also ausgerechnet der Ton, durch den sich im „Siegfried“ das Motiv des dann in einen Drachen verwandelten Fafner vom ursprünglichen Kopf des RiesenThemas unterscheiden und zu einem weiteren Leitmotiv für Angst werden wird. Zwei Takte später hören wir dazu, erst in den Fagotten, dann in den Hörnern, eine zum vollständig aufsteigenden Dreiklang erweiterte 4/4-Version des Motivs von Alberichs Machtanspruch bzw. jetzt des triumphierenden Hohns der Götter. Aber hier klingt sie mühsam schleppend, wie in Zeitlupe (es fehlen auch die vorher immer vorgeschriebenen Staccato-Punkte bzw. -Keile); damit nähert sie sich, korrespondierend mit der szenischen Rückkehr in die Götterwelt, dem gehalteneren Duktus ihres Ursprungs, dem fünften Takt des Walhall-Themas, und damit Wotans Gedankenwelt auch musikalisch wieder an. Noch einmal zwei Takte später („Etwas belebter“) wechseln aus dem A-Teil des Loge-Themas abgeleitete Quarten und Quinten sowie kleine Sekunden in den Streichern so miteinander ab, dass eine geheimnisvoll raunende, emporstrebende Linie entsteht, die den in Holzbläsern und Hörnern taktweise ansteigenden Des-DurDreiklang umspielt. Zusammen mit dem C zweier tiefer Tuben (Wotans Unterbewusstsein), in Reminiszenz an den großen Sekundakkord beim Dahinsiechen der Götter nach Freias Entführung (vgl. S. 93f.) und in Weiterentwicklung der vorher mehrmals gehörten dissonanten Zusammenklänge von Wehe-Sekunde und SchmiedeMotiv ergibt sich daraus hier der schärfere kleine Sekundakkord und damit dessen endgültige Konnotation als Leitakkord für Angst und Lähmung. Ist diese seltsam magisch klingende Stelle ein verschleierter Hinweis darauf, dass Loge an diesem die Götter betreffenden Zustand ja nicht ganz unbeteiligt ist, oder schon eine angstvolle, unterbewusste Ahnung Wotans, dass er durch den Einfluss Loges schon viel mehr die Kontrolle über die Vorgänge verloren hat, als er wahrhaben will?
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Nach einer „doppelten“ Wehe-Sekunde in Flöte, Oboe, Fagott und Horn156 wird das Tempo abrupt „Wieder mäßig“. Nun wiederholt Wagner diese zweimal viertaktige Phrase notengetreu, aber etwas voller orchestriert einen Ganzton höher. Und auch der dritte Ansatz, „Mäßig beginnend und belebend“, noch einmal einen Ganzton höher, beginnt erneut mit dem verkürzten Kopf des RiesenThemas, allerdings ist diesem jetzt eine geglättete Variante des ursprünglichen dritten Thementaktes angehängt. Damit nähert sich diese Version dem Schmiede-Motiv an (vgl. S. 69). Melodisch unterscheidet sie sich nun von den beiden originalen Motiven nur noch jeweils in einem Ton, und so passt dieser merkwürdige Zwitter hier sehr gut zu dem traumhaften Zustand zwischen Unterbewusstsein und Realität. Rhythmisch ist die Verwandtschaft zum SchmiedeMotiv durch die andere Taktart (4/4 statt 9/8) und die übergehaltene dritte Note zwar nicht sofort offensichtlich, sie wird aber noch im ersten Takt bestätigt durch die Tenortuben, die über den Celli und Bässen wieder mit der gleichen dissonanten Wehe-Sekunde (f-e) einsetzen wie vorher die tiefen Tuben zu eben diesem Motiv in seiner gewohnten Form. Kühn interpretiert, realisiert diese Stelle also musikalisch die von Marx und Engels im „Kommunistischen Manifest“ 1848 zeitgleich mit dem Beginn von Wagners Arbeit am „Ring“ geforderte Vereinigung der „Proletarier aller Länder“, indem sie die auf der Erde Rücken wohnenden Riesen und die Nibelungen-Zwerge in der Erde Tiefe („Siegfried“, 1. Aufzug, Rätsel-Szene) direkt miteinander verbindet. Schon ohne die charakteristische Wechselnote der Unterquart, die Wagner im Originalmotiv 1876 auch noch etwas zurückgehalten und besonders stark akzentuiert haben wollte (vgl. S. 68, Anm. 75), fehlt diesem Riesen-Motiv jegliche Wucht; die zusätzliche Verkürzung und rhythmische Glättung lässt uns ahnen, dass auch die Riesen inzwischen geschwächt sind, denn sie sind mit dem Wissen um die Macht des Rings kontaminiert und haben dadurch – und durch Wotans Verrat – ihre ursprüngliche, natürliche Naivität verloren. Andererseits verweisen die dissonant dazu erklingenden hohen Tuben mit dem Wehe-Motiv instrumentalsymbolisch auf Wotan. Auch hier liegt deshalb wieder die Frage nahe: Befinden wir uns gewisser-
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Für diesen Takt fügt Wagner 1876 hinzu: „Accelerando“.
maßen in seinem Kopf, in dem beim Wiederaufstieg aus dem Unterbewusstsein (Nibelheim) die auf ihren Lohn wartenden Riesen mit den geknechteten Zwergen zu einer dumpfen Ahnung verschwimmen, dass dieses von ihm bzw. von Alberich inzwischen geschaffene Proletariat die bisher für alle geltende harmonische Ordnung der Natur für immer zerstört hat? Eine solche psychologische Deutung würde auch vom Symbolgehalt der zwei Takte später gleichfalls mit dem Kopf des Riesenthemas einsetzenden tiefen Hörner und Fagotte157 bekräftigt, die für „Natur“ und „Urschlamm“ stehen. Jedenfalls klingt es in Wagners „allwissendem“ Orchester bei genauem Hinhören so, als würde Wotan langsam ins Bewusstsein dringen, welche enormen Probleme sich für die Zukunft von zwei Seiten her für die Herrschaft der Götter ergeben können: einerseits von Alberich und seinem nächtlichen Heer (bzw. seinem späteren Sohn Hagen), andererseits von dem dann den Ring besitzenden und in einen Drachen verwandelten Fafner, den er, aber auch später sein Sohn Siegmund, nicht töten darf. Und vielleicht hat Wagner deshalb am Anfang des 2. Aufzugs von „Siegfried“ die für das Verständnis der Handlung durchaus entbehrliche Begegnung zwischen Wotan, Alberich und Fafner eingefügt, um zumindest einmal diese doppelte Gefahr auf der Bühne personifiziert sichtbar zu machen. Wieder zwei Takte später übernehmen alle vier Posaunen das Wehe-Motiv und postulieren damit dieses Dilemma quasi als neues ehernes Gesetz für die Zukunft der bestehenden Welt. Hier wie auch schon vorher bei den Tenortuben geht die fallende Sekunde in ansteigende Synkopen über, die an den letzten Unisono-Takt des Wurm-Themas erinnern und so explizit auf Fafners spätere Verwandlung vorausweisen.
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Im dritten Fagott ist hier wie auch an einigen anderen Stellen im „Ring“ mehrmals ein Kontra-A vorgeschrieben, das auf einem normalen Fagott nicht mehr spielbar ist. In der seiner Partitur vorangestellten Instrumentenliste merkt Wagner an, dass für diese tiefe Stelle das Instrument, wenn es hierfür „noch nicht eingerichtet ist, durch ein Contrafagott zu ersetzen ist.“ Mit dem „eingerichtet“ meint er die von der Firma Heckel entwickelte sogenannte A-Stütze. Man kann diesen Ton auf einem normalen Fagott aber auch dadurch erreichen, dass man oben in das Instrument eine kleine Pappröhre (etwa den Kern einer Rolle Toilettenpapier) so hineinsteckt, dass sich die Schallröhre für den tiefsten Ton B um einen halben Ton verlängert, und so stattdessen das Kontra-A erklingt.
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Nun scheint Loge Wotan aus seinen Albträumen zu reißen – die gemeinsame Wurzel dieses Wortes mit dem (Nachtalben) Alberich ist kein Zufall – und an die ihn oben erwartende Realität zu mahnen: Celli, Bratschen und zweite Geigen spielen eine empordrängende Version des Beginns seiner Musik. Sie leitet über in die schmerzlich (an-)klagende Erinnerung an das Dahinsiechen der Götter in Oboe, Englischhorn und Klarinetten, um die herum sich in den Bratschen nun die schon bekannte Verschmelzung aus A- und D-Teil von Loges Thema schlängelt.158 Wotan wird jetzt hörbar nervös: In einer wilden Steigerung und „Belebend“159 vernehmen wir in den Hörnern und den hinzutretenden Holzbläsern siebenmal hintereinander aufwärts sequenzierend den Kopf des Themas von Freias goldenen Äpfeln in seinen originalen „Hornquinten“. Allerdings erklingt hier die Moll-Version dieser ersten vier Töne, die ja melodisch identisch ist mit dem zweiten bis fünften Ton des Entsagungs/Liebesfluch-Motivs. Offenbar klingt Loges drastische Warnung aus der 2. Szene (vgl. S. 95f.) vor dem Verlust der ewigen Jugend und damit im weiteren Sinne auch der Liebe Wotan noch in den Ohren. Wir hören dazu in den ersten Geigen und Bratschen eine wieder in umspielten Dreiklangsbrechungen aufwärts drängende Variante des Kopfs von Loges Thema, die hier so klingt, als hätte dieser zum ersten Mal Mühe, Wotan in seinem wilden Selbstmitleid zu folgen. Ein erster Höhepunkt dieser Steigerung im achten Takt weist schon vage voraus auf das Motiv der Götterdämmerung, das in Erdas warnender Ansprache (vgl. S. 160) exponiert werden wird. Das Bild eines grübelnden Geistes zwischen Traum und Erwachen, der mysteriöse, mehrdeutige und beängstigende Bilder frei assoziiert, ist in diesem letzten Abschnitt der Verwandlungsmusik auch mithilfe der häufigen, dem jeweiligen Gedankengang angepassten Tempoveränderungen kongenial in Musik gefasst: Wagner hat hier gewissermaßen das erste Enzephalogramm der Musikgeschichte komponiert. Nach der Andeutung des Götterdämmerungs-Motivs kehrt die Musik abrupt wieder ins Piano zurück, um im 6/4-Takt zu einem neuen Aufschwung anzusetzen, in dem sich der Rheingold-Ruf in 158 159
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„Diese Sechzehntelfigur deutlich, nicht übereilen!“ (Wagner 1876). „Von hier ist das Tempo fortwährend zu beschleunigen, so dass es zwei Takte vor dem Loge-Motiv schon sehr schnell geworden ist“ (Wagner 1876).
Dur und seine Moll-Variante, also mit großer bzw. kleiner (Wehe-) Sekunde unregelmäßig abwechseln. Es sind insgesamt 14 sich rhythmisch zweimal verkürzende aufwärtsdrängende Sequenzen. Auch diese Stelle ist mehrdeutig: Auf der illustrativen Ebene hat es den Anschein, dass die beiden Götter in ihrer Aufregung bei dieser Rückfahrt doch den Weg durch den Rhein nehmen, den Wotan am Ende der 2. Szene eigentlich unbedingt vermeiden wollte (Nicht durch den Rhein!), um nämlich genau den Klagen der Rheintöchter zu entgehen, die jetzt im Orchester anklingen. Auf einer tieferen Deutungsebene wird Wotan – und werden wir – mit dieser sich steigernden Klage aber auch noch einmal daran erinnert, dass alle akuten und im weiteren Verlauf der Tetralogie noch entstehenden Konflikte nicht existieren würden, wenn das Rheingold nicht geraubt und jener die Natur korrumpierende Ring nicht daraus geschmiedet worden wäre. Im direkt hierauf folgenden Höhepunkt dieser ganzen 44 Takte langen Steigerung hören wir nun Loges (nicht Wotans!) überaus hektische Reaktion auf die 14 Rheingold/Wehe-Rufe: Die erst in den hohen Holzbläsern, dann in den Geigen, schließlich in Fagotten, Bratschen und Celli abstürzende schrillste und wildeste Version von Loges Themenkopf in irrwitzigem Staccato160 klingt so exaltiert, dass ihre Bedeutung allein mit seinem schlechten Gewissen den Rheintöchtern gegenüber (wegen der von Wotan abgelehnten Rückgabe des Goldes) nicht zu erklären ist. Viel eher sollte man sie als ein sarkastisch triumphierendes, vielleicht aber auch nervös verunsichertes Lachen Loges deuten, der schließlich, am Ende der 4. Szene, den Schmerz der Rheintöchter mit einem zynischen „Gag“ so verhöhnen wird, dass die Götter diese daraufhin sogar auslachen (vgl. S. 175). Abschließend hören wir den C- und B-Teil von Loges Thema sowie neunmal synkopisch gegeneinander schlagende Wehe-Sekunden in den Streichern, die eine erweiterte und langsamere 4/4-Variante der letzten vier Takte der Nibelheim-Szene sind. Entsprechend sehen wir dazu wieder den sich in seinen Fesseln windenden Alberich, der von Wotan und Loge „aus der Kluft herauf“ geführt wird.
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„Sehr schnell, aber immer scharf artikuliert zu spielen“ (Wagner 1876). Diese Stelle führt sowohl die Holzbläser als auch die Streicher technisch an die Grenzen des präzise zusammen Ausführbaren.
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Vierte Szene: Freie Gegend auf Bergeshöhen Die Entmachtung Alberichs und sein Fluch Ebenso abrupt, wie die 3. Szene endete, beginnt die 4., und zwar im Fortissimo der Streicher mit einem kurzen Hinauf- bzw. Hinabschleifen zu einem verminderten Septakkord, dem klassischen harmonischen Symbol für einen dramatischen Höhepunkt: Da, Vetter, sitze du fest!, eröffnet Loge die Szene und fährt sogleich süffisant fort: Luge, Liebster, dort liegt die Welt, die du Lung’rer gewinnen dir willst. Er singt dies auf einen stark verbreiterten Anklang an die verschränkten Quinten des A-Teils seines Themas. Doch seine folgende sarkastisch spottende Phrase bildet zusammen mit dem anschließenden punktierten Rhythmus der Streicher ein neues Motiv, das auf den ersten Blick mit keinem bisherigen Leitmotiv verwandt zu sein scheint. Man muss bis an den Anfang des „Rheingolds“ zurückgehen, um die Musik zu finden, aus der es abgeleitet sein könnte, nämlich aus einer Verkürzung des ersten Wellen-Motivs:
Die Ableitung aus der Umspielung des Natur-Motivs ist eine versteckte ironische Spitze gegen Alberichs Absicht, mithilfe des Rings eine neue Welt(-Ordnung) zu schaffen. Und nachdem als Abschluss der Phrase die Piccoloflöte auch noch eine Umkehrung der übermütig lachenden Version des A-Teils von Loges-Thema gespielt hat, zu
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der dieser „ihm tanzend ein Schnippchen schlägt“, platzt es aus Alberich heraus: Schändlicher Schächer! Du Schalk! Du Schelm!, sekundiert von harten Streicher-Synkopen. Im folgenden rezitativischen Dialog weiden sich Wotan und Loge zunehmend an Alberichs ohnmächtiger Wut und Verzweiflung, bis dieser nach Loges Vor allem rate dich frei einen erneuten vergeblichen Versuch macht, seine Fesseln abzuschütteln: Wir hören in den Streichern für einen Takt eine weitere Variante der synkopisch gegeneinanderschlagenden Wehe-Sekunden vom Ende der 3. Szene sowie aus der letzten Verwandlungsmusik. Und zu Loges Drum sinnst du auf Rache, rasch ohne Säumen sorg um die Lösung zunächst! folgt noch einmal das gerade beschriebene neue sarkastische Motiv, nun aber beginnend in den Celli. Endlich stellt Wotan seine Forderung: Den Hort und dein helles Gold. Dazu kann man in den abwärtsschreitenden Pizzicati der Celli und Bässe einen vagen Anklang an das Vertrags-Motiv heraushören, so als würde Wotan diese Lösegeldforderung gar als „gesetzlich gerechtfertigt“ hinstellen wollen. Alberich reagiert darauf augenblicklich mit einer weiteren wütenden Beschimpfung – über dem synkopierten Beginn des Ring-Motivs in Bratschen und Celli. Er fängt sich jedoch mit der Hoffnung auf den Ring als Rettungsanker sogleich wieder, denn Wotan hat diesen ja nicht explizit angesprochen. Dazu gehen die Ring-Terzen in Varianten des Hort-Motivs aus der 3. Szene über und enden schließlich, zu Alberichs Eine Witzigung wär’s, die weise mich macht161 in einer harmonisch etwas geschärften Version des ursprünglich von Wotan in der 2. Szene exponierten Grübel-Motivs. „Loge löst ihm die Schlinge an der rechten Hand“: In den kurzen Zweiunddreißigstel-Skalen der Geigen und Celli hören wir den Strick sozusagen Stück für Stück fallen, und mit der eindrucksvollen Motivfolge des Ring-Zauberspruchs in f-Moll/Ges-Dur, wie in der 3. Szene, ruft sich Alberich ab „Etwas gedehnt“ seine Nibelungen herbei. Dies ist die zweite notengetreue Wiederholung im „Ring“ (neben der Walhall-Musik in der 2. Szene), auch die Orchestration ist praktisch identisch, allerdings verharrt sie diesmal im mysteriösen Pianissimo bzw. Piano und steigert sich auch am Ende nicht zu markerschütternder Lautstärke. 161
„Etwas ruhiger, (freier!)“ (Wagner 1876).
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Die Zwerge beginnen heraufzusteigen, und zwar zu den Klängen ihrer Fron, dem bis zu ihrem Abgang mit nur zweimaliger Unterbrechung nun monoton wiederholten Schmiede-Motiv vor allem in den Celli, dem Symbol für menschliches Leid, sowie dem HortMotiv zuerst im „Urschlamm“ der Fagotte. Wotans Weigerung, Alberichs Fesseln jetzt schon zu lösen, damit sein Volk ihn nicht so ohnmächtig zu Gesicht bekäme (Nun löst mich vom lästigen Band! und Nicht eh’r, bis alles gezahlt – die erste Unterbrechung des Schmiede-Motivs), demütigt diesen einmal mehr. Deshalb geht das Hort-Motiv nach Wiederaufnahme des Schmiede-Ostinatos in den Celli und der ab jetzt ebenso ostinat und dissonant dazu erklingenden Wehe-Sekunde (beginnend im klagenden Englischhorn) nun auf „Wotans“ Tuben über. Zusätzlich markiert die Pauke monoton jeden Taktanfang mit dem Todes-Rhythmus. Diese symbolische Wechselwirkung zwischen den Leitmotiven, dem Leitrhythmus und ihrer Orchestration ist eindeutig: Alberichs gierige, aber bisher eher noch kindliche Freude an dem von ihm angehäuften Hort ist jetzt zum tödlichen, unversöhnlichen Hass auf Wotan geworden. Parallel zum Aufschichten der „Geschmeide“ durch die Nibelungen, immer über dem ostinaten Schmiede-Motiv in den tiefen Streichern, geht das in drohenden Sequenzen immer weiter ansteigende Hort-Motiv und seine Fortführung als Wehe-Sekunden von den Tuben auf Trompeten und Posaunen über, die in dieser Kombination hier für eine aktive tödliche Bedrohung stehen; dabei wechselt der Todes-Rhythmus von der dumpfen Pauke, die ab jetzt den Schmiede-Rhythmus schlägt, zum aggressiveren Klang des Beckens. Auf dem Höhepunkt dieser beängstigenden Steigerung erklingt, verkürzt um die ersten drei Takte mit dem Ring-Motiv, noch einmal Alberichs Zauberspruch, nun im Forte bzw. Fortissimo aller Bläser (unter Aussparung der schrillen Piccoloflöte). Dazu „hämmern“ jetzt auch alle Streicher nur noch den Rhythmus des SchmiedeMotivs, der für die letzten zwei Takte sogar – klanglich höchst ungewöhnlich – von den Tuben sowie vom Becken übernommen wird: Alberich „küsst seinen Ring und streckt ihn gebieterisch aus.“ Auch diese Stelle ist ein Beweis für Wagners dramaturgisch-symbolisch gedachte und nicht nur auf größtmöglichen Klangrausch abzielende Orchestration: Rein spieltechnisch wären die Posaunen und erst recht die Trompeten viel geeigneter als die schwerfälligeren Tuben, diesen punktierten Rhythmus auf einem Ton wirklich laut und
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brutal heraus zu hämmern, stattdessen lässt der Komponist sie hier die Zeitlupen- und Legato-Version des Heiajaheia sowie gehaltene Akkordtöne spielen, für deren dunklen Klang wiederum die Tuben eigentlich viel passender erscheinen. Aber dass ausgerechnet „Wotans Instrumente“ hier ein einziges Mal selbst den Schmiede-Rhythmus übernehmen, steigert noch einmal den Eindruck der abgrundtiefen Verzweiflung, mit der diese Stelle jeden Hörer immer wieder übermannt. Sie ist am Ende vor allem auch durch das ohrenbetäubende Crescendo des 32 Takte lang „durchwirbelnden“ Tamtams die lauteste Stelle im „Rheingold“ überhaupt. (Meines Erachtens ist Wagner hier allerdings ein dramaturgischer Denkfehler unterlaufen: Wenn der Ring seinem Besitzer „maßlose Macht“ verleiht, warum wendet Alberich diese dann nicht gegen Wotan und Loge an, um sie zu zwingen, ihn von den Fesseln zu befreien, statt sich loskaufen zu müssen? Um diesen logischen Widerspruch zumindest etwas abzumildern, gibt es allerdings die Möglichkeit für die Regie, dass Loge dem Nachtalben vor der Aktion zwar „die Schlinge an seiner rechten Hand“ löst, aber unbedingt darauf achtet, dass jener seinen Arm bei „Aktivierung“ der Macht des Rings durch den dazu offenbar noch notwendigen Zauberspruch keinesfalls gegen ihn oder gar Wotan richtet.) Zu einer diminuierenden freien Umkehrung des Hort-Motivs (und damit den Tönen der Moll-Fassung des LiebesbedürftigkeitsMotivs) in den Bläsern in absteigenden und sich verkürzenden Sequenzen, die übergehen in das Wehe-Motiv in den Posaunen sowie in Holzbläsern und Hörnern, verschwinden die Nibelungen schließlich wieder in der Kluft. Und durch die harmonische Auffüllung zu Ges-Dur über f erklingt dabei am Ende dreimal auch eine Transposition des Angst-Akkords. Nun fordert Loge – und nicht Wotan – auch den Tarnhelm; wir hören allerdings lediglich vier Akkorde aus dem Mittelteil und dem Ende seines Themas, konsequent wieder im klagenden Englischhorn und den Fagotten statt in den gedämpften Hörnern. Denn das Helmgeschmeid’, das Loge dort hält, ist ja für den gebundenen Alberich jetzt unerreichbar, und somit steht ihm seine Macht hier nicht mehr zur Verfügung. Mit einem Anklang an die Violinenbegleitung des D-Teils seines Themas wirft Loge „den Tarnhelm auf den Hort“. Alberichs Reaktion ist eine verkürzte Variante seiner Musik nach Wotans Forderung des Hortes (vgl. S. 135), doch statt der Bratschen
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und Celli spielen hier im Mittelteil nun Klarinetten und Fagotte und verweisen so auf Alberichs Triebhaftigkeit und Verschlagenheit: Der den alten mir schuf, schafft einen andern: noch halt’ ich die Macht, der Mime gehorcht. Beendet wird diese Stelle dann mit dem fünften bis siebten Akkord des Tarnhelm-Themas in denselben Holzbläsern wie zuvor. Interessant ist, dass Loge Alberich anscheinend hier schon freigeben will: Bist du befriedigt? Lass’ ich ihn frei?, fragt er Wotan. Dabei muss ihm doch völlig klar sein, welche Gefahr von dem Nibelungen auch für ihn selbst, als Anstifter zu dessen Gefangennahme, in Zukunft ausgehen würde, wenn dieser den Ring behielte. Schließlich hat er dessen Macht in der 3. Szene ja mit eigenen Augen gesehen und danach auch gehört, dass Alberich damit tatsächlich die Weltherrschaft anstrebt. Zudem würde es für Loge – um sein gegebenes Versprechen einzulösen – wohl noch schwerer sein, den Nachtalben von der Rückgabe des Rings an die Rheintöchter zu überzeugen als Wotan, der sich ja als rechtmäßiger oberster Gott und Herrscher versteht. Wagner gibt hier außer der Szenenanweisung „zu Wotan“ keinen weiteren Hinweis, wie Loge diese zwei kurzen Phrasen singen soll. Also bleibt die Deutung dieser Stelle uns überlassen: Ich denke, Loge stellt hier eine rhetorische Frage, um erneut vor anderen sicherzustellen, dass er für den Raub des wichtigsten Teils der Buße und dessen Konsequenzen jedenfalls später nicht verantwortlich gemacht werden kann. Wotan überhört Loge natürlich und verlangt jetzt explizit den Ring. Daraufhin gerät Alberich in Panik: Seinen zweimaligen Aufschrei auf dem Wort Ring verstärkt Wagner auch hier wieder mit zwei starken Pizzicato-Akzenten der Streicher, beim zweiten Mal sogar synkopisch (vgl. S. 47–49, 53 und 89). Die anschließende immer erregter werdende Auseinandersetzung kann man als ein großes Accompagnato-Rezitativ betrachten; deshalb bleibt die Musik hier im 4/4-Takt, obwohl Alberichs Phrase von Lös’ ich mir Leib und Leben, den Ring auch muss ich mir lösen bis … als hier dieser rote Ring! eigentlich ein verkappter 3/4-Takt ist. Erstaunlicherweise erklingt nun während des gesamten über drei Minuten langen hitzigen Streits zwischen Wotan und Alberich um den Ring im Gegensatz zu Wagners sonst so dichtem Leitmotiv-Gewebe als einziges klar erkennbares Motiv nur der Rheingold-Ruf in den Hörnern und Fagotten, und zwar zu Wotans rhetorischem Vorschlag: Bei des Rheines Töchtern
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hole dir Rat, ob ihr Gold sie zu eigen dir gaben, der nach zwei Takten in die klagende Wehe-Sekunde in Oboen und Klarinetten übergeht. Wir hören weder das Motiv der Rheintöchter noch das des Goldes oder Alberichs Liebesfluch, ja noch nicht einmal eine deutlich erkennbare Fassung des Ring/Welterbe-Motivs. Trotzdem ist dessen Terzenkette über die ganze Stelle hinweg unterschwellig präsent (wobei seine zweite, aufsteigende Hälfte noch verschleierter ist als der fallende Beginn): das erste Mal selbstverständlich in Wotans absteigender Linie Den Reif verlang’ ich: mit dem Leben … über der vertikalen harmonischen Zusammenfassung des Motivs als verkürzter großer Nonenakkord in den Streichern (der allerdings durch das A im Bass hier als Quintsextakkord erklingt); dann mit Alberichs Frage Wie gern raubtest du selbst dem Rheine das Gold, war nur so leicht die Kunst es zu schmieden erlangt?,162 die sich am Ende zweimal höhnisch zur aufsteigenden Septime weitet; und schließlich zu seiner Warnung Hüte dich, herrischer Gott! Frevelte ich …, wo die Terzenkette in den Fagotten und der Bassklarinette gewissermaßen außer Kontrolle gerät und über fast zwei Oktaven ins Bodenlose (den „Urschlamm“) abstürzt. Und in der vollständigen Komprimierung zum verkürzten Nonenakkord können wir das Motiv noch zwei weitere Male erahnen: in den Auftakten zu Alberichs Schmähliche Tücke! sowie zu Schändlicher Trug! Es scheint also, als würden sowohl Alberich als auch Wotan unbedingt vermeiden wollen, dem anderen gegenüber zu erkennen zu geben, um was es ihnen in diesem Streit wirklich geht, nämlich um die „maßlose Macht“ und das „Welterbe“. Vage klingt noch ein weiteres Leitmotiv in jeweils einem der beißend-höhnischen Vorwürfe Wotans und Alberichs an, allerdings in vierfacher Verlangsamung: die verschränkten Quinten des A-Teils von Loges Thema. Zuerst können wir sie aus Wotans belehrender Frage heraushören: Nüchtern sag, wem entnahmst du das Gold, … War’s dein eigen, was du Arger der Wassertiefe entwandt? Die in den Streichern dazu insistierend pochenden Achtel erinnern nicht zufällig an die entsprechende Begleitung der Belehrung desselben Wotans durch Fasolt in der 2. Szene (vgl. S. 71f.). Dann versucht Alberich ihn noch zu übertreffen, indem er mit Wirfst du Schächer die Schuld
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Für die zweite Satzhälfte merkt Wagner 1876 an: „Nicht zu übereilen.“
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mir vor, die dir so wonnig erwünscht?163 nach der aufsteigenden Quinte nun jeweils in einer Septime zurückfällt, während ihm das Solo-Horn quasi höhnisch in einer Art freiem Kanon folgt. Lichtund Nachtalbe lassen sich hier also beide offensichtlich von Loges Rhetorik beeinflussen – so wie mancher „Chef“ sich von intellektuell überlegenden Mitarbeitern, aber auch Gegnern, in seiner Art der Argumentation beeinflussen lässt, ohne es zu merken. Gegen Ende, zu Alberichs (Doch an allem was) war, ist und wird, frevelst, Ewiger, du wechseln die bisher auf rhetorischen Höhepunkten einzeln gehörten wild abstürzenden SechzehntelDreiklänge in den hohen Streichern erst halbtaktig, schließlich sogar viertelweise ab. Diese markante musikalische Geste, die wir schon in der 2. Szene beim ersten Versuch der Riesen, Freia zu entführen (vgl. S. 77), sowie ironisch bei Wotans und Loges vorgegaukelter Angst vor Alberich als Riesenwurm kurz gehört haben, wird von nun an als musikalische Chiffre emotional besonders aufgeladene und dramatische Situationen begleiten, zum Beispiel Wotans Wut im 2. Aufzug der „Walküre“, aber auch den stürmischen Walkürenritt im dritten. Mit Her den Ring! Kein Recht an ihm schwörst du schwatzend dir zu beendet Wotan Alberichs verzweifelte Raserei. Dabei beruft er sich scheinheilig auf die Gesetze, die seinem Speer eingeschrieben sind, wie dessen variiertes Motiv in den Celli und Kontrabässen deutlich macht. Es geht in die hier letztmalig erklingenden Synkopen des sich windenden und sträubenden Alberichs in der melodischen Fassung vom Ende der 3. Szene über164 (vgl. S. 126f.) und schließt mit einer über zwei Oktaven empordrängenden Tonleiter, die auf das zweite Grundmotiv der „Stretta“ der 3. Szene (vgl. S. 117) und letztlich auf die energievoll ansteigenden Skalen der letzten Entwicklungsstufe des Vorspiels zurückverweist (vgl. S. 28). Eine zum Aufschrei pervertierte verkürzte Variante des RheingoldMotivs besiegelt mit Wotans Inbesitznahme des Rings Alberichs Schicksal. Und eine fast identische, ebenso zu einem verminderten Septakkord verzerrte Version dieses Motivs haben wir an der dramaturgischen Parallelstelle, dem Raub des Rheingolds durch Alberich
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„Mit eindringendem Ausdruck, im Tempo etwas verweilend“ (Wagner 1876). „Immer heftig bewegt, kein Zurückhalten“ (Wagner 1876).
gehört. Dort verschärfte zusätzlich zu den Holzbläsern und Hörnern eine Trompete den grellen Klang, die die dynamische Tat symbolisierte, durch die der Nachtalbe den Ring erst noch schmieden musste; dies aber entfällt hier für Wotan: Er kommt ohne Bedingung und ohne weiter tätig werden zu müssen in den Genuss von dessen „maßloser Macht“. Als Alberichs Reaktion hören wir danach in den Oboen und den gestopften Hörnern, wie einen „denaturierten“ Klagelaut, die beiden ersten Terzen des Ring-Motivs und anschließend, zu Alberichs Der Traurigen traurigster Knecht, bezeichnenderweise das Motiv der Liebesbedürftigkeit in Moll. Nach mehr als drei langen Szenen und eindreiviertel Stunden Musik hat Wotan jetzt endlich den heiß ersehnten Ring in seinen Besitz gebracht: Nun halt ich, was mich erhebt, der Mächtigen mächtigsten Herrn! Der erste Eindruck der „sehr gemessen“165 einsetzenden „natürlichen“ Hörner suggeriert majestätische Ruhe, Entspannung, „Angekommen-Sein“. Wir hören eine im Taktschwerpunkt verschobene und um die hinaufschleifenden Vorschläge verkürzte Variante des Kopfs des Riesen-Themas, mit dem der letzte Teil von Wotans und Loges Wiederaufstieg in der dritten Verwandlungsmusik begonnen hatte (vgl. S. 128f.). In Wahrheit handelt es sich hier aber wohl eher um einen Trauermarsch, auf dessen Höhepunkt Herrn nicht etwa „Wotans“ weihevolle Tuben einsetzen, sondern die Tod und Lähmung symbolisierenden Posaunen. Die beiden auf die Worte erhebt und mächtigsten erklingenden, die Tonalität sprengenden übermäßigen Dreiklänge gemahnen zudem an die dem Ring innewohnende Sprengkraft, die letztendlich die bestehende Welt aus den Angeln heben wird. Folglich mündet dieser Trauermarsch in das Ring-Motiv. Es klingt hier aber keineswegs „stolz“, sondern im Gegenteil klagend durch die Klangmischung aus „natürlichen“ Hörnern und dem über einer weichen Klarinette liegenden Englischhorn, das an Alberichs Verwandlung in die Kröte als Voraussetzung für seine Gefangennahme erinnert: Ohne es zu ahnen, ist Wotan im ganzen „Rheingold“ wohl nirgends sich selbst so sehr entfremdet, wie an dieser Stelle, da er sich den Ring ansteckt. Zu Loges Frage und Wotans Befehl Bind ihn los! bleibt nur noch eine langgezogene Wehe-Sekunde in der Bassklarinette übrig. Al-
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„Ruhig und breit: Das Thema in den Hörnern breit und edel zu blasen, mit pastosem Tone“ (Wagner 1876).
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berich wird nun vollständig von seinen Stricken befreit. Dazu erklingen in den Streichern die gleichen lautmalerisch fallenden Zweiunddreißigstel-Figuren wie vorher beim Lösen seiner Handfessel (vgl. S. 135), doch ist die Stelle hier mehr als dreimal so lang und beschreibt durch ihr ständiges Stocken äußerst plastisch den sich vor Scham windenden Alberich in seiner völligen Fassungslosigkeit. Erst die 14. Zweiunddreißigstel-Gruppe führt schließlich als heraufschleifender Auftakt zu dem neuen Leitmotiv von Alberichs Hass, das in der Literatur auch als Nibelungen-Hass-Motiv bezeichnet wird und dem wir im weiteren Verlauf der Tetralogie noch oft begegnen werden. Dieser Auftakt ist verwandt mit dem zum Kopfmotiv der Riesen, die ja ebenfalls von Wotan und Loge überlistet wurden. Er bewegt sich hier allerdings statt über eine Quart über die Spanne eines Tritonus, des „Diabolus in musica“. (Analog dazu wird im „Siegfried“ im Motiv des dann in einen Drachen verwandelten Fafner die Quarte des Riesen-Motivs zum Tritonus verzerrt.) Auch die rhythmische Struktur der Synkopen dieses neuen Motivs ist bei genauer Betrachtung nichts anderes als eine Verlangsamung und eine Verschiebung um ein Achtel der ersten vier Töne des ersten Volltakts der Riesen-Musik, aber auch des Schmiede-Rhythmus:
Die Götter, die sich ja selbst als „die Guten“ verstehen, werden also die von ihnen betrogenen bzw. ausgeraubten „Underdogs“ von jetzt an bis zum Ende dieser Welt in der „Götterdämmerung“ als ihre von Hass zerfressenen Antagonisten, als „Teufel“ ansehen! Auch hier vollzieht Wagner die Vereinigung der „Proletarier aller Länder“ also wieder musikalisch (vgl. S. 130). Gleichzeitig sind diese merkwürdig 142
„flackernden“ Synkopen in den Triebhaftigkeit und Gier, aber auch Intuition symbolisierenden Klarinetten eine bedeutungsvolle Weiterentwicklung von deren synkopierten Hemiolen, die wir als Ausdruck von Alberichs Misstrauen und Verunsicherung hörten, als dieser in der 3. Szene plötzlich Wotan und Loge gewahr wurde (vgl. S. 112). Ohrenfälligstes Merkmal dieses neuen Motivs ist allerdings der gestopfte, „denaturierte“ Hornton jeweils auf der ersten Zählzeit des Taktes: Durch den Raub des Goldes, das Schmieden des fatalen Rings und jetzt seinen Hass auf dessen Räuber ist auch Alberich inzwischen seiner ursprünglichen Natur vollständig entfremdet. Damit beginnt die zweite geschlossene Nummer im „Ring“, die man noch als „Arie“ bezeichnen könnte, Alberichs berühmter Fluch: Bin ich nun frei? Wirklich frei? Nach diesen beiden ungläubigen Fragen hören wir das Hass-Motiv bei seinem dritten Einsatz schon mit einem übermäßigen statt des vorherigen verminderten Dreiklangs in den Klarinetten: Am Ende wird es genau dieser unversöhnliche Hass sein, der, von Alberich auf Hagen übertragen, die „Götterdämmerung“ auslösen und die Welt über dem übermäßigen (Leit-)Akkord zum Einsturz bringen wird. Und bereits sechs Takte später prägt Alberichs ohne Orchester, nur über einem dumpfen Paukenwirbel gesungenes Fanal Wie durch Fluch er mir geriet, verflucht sei dieser Ring! noch ein neues Leitmotiv aus, das schließlich zu einem der wichtigsten des gesamten „Rings“ werden wird. Wie schon einige vorangegangene Motive (Rheintöchter, Liebesbetrug, Rheingold-Ruf, Liebesentsagung, Ring/Welterbe, Grübel-Motiv und Freias goldene Äpfel) wird auch dieses von Wagner wieder direkt aus der von ihm in „Oper und Drama“ so bezeichneten „Versmelodie“ abgeleitet. Melodisch sind die drei aufsteigenden Terzen, mit denen dieses neue Fluch-Motiv beginnt, eine Umkehrung der ersten Hälfte des Ring-Motivs. Durch den darunterliegenden leisen Paukenwirbel auf Fis werden sie allerdings nun nicht mehr als großer Nonenakkord wahrgenommen wie zuerst am Ende der ersten Verwandlungsmusik, sondern als kleiner Nonenakkord in Moll mit tiefalterierter Quinte (fis-a-c-e-g), dessen None auf dem Abschlusston g mit dem Wort Ring erklingt. Während das Ring-Motiv zudem durchweg in parallelen Terzen geführt ist, hören wir dieses Fluch-Motiv immer einstimmig. Nur der letzte Ton wird hier und bei fast jedem zukünftigen Erklingen synkopisch ab der zweiten Zählzeit mit den oberen drei Tönen dieses Nonenakkordes
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aufgefüllt – hier mit einem C-Dur-Dreiklang in den Klarinetten, wobei das c von der Bassklarinette anschließend über zwei absteigende Wehe-Sekunden in einen „normalen“ kleinen Nonenakkord (fis-aiscis-e-g) hineingeführt wird. Mit seinen nächsten Worten Gab dein Gold mir Macht ohne Maß variiert Alberich das Motiv sogleich, jetzt über einem leisen Beckenwirbel und über dem gehaltenen Klarinettenakkord, der nach drei Takten zu Nun zeug’ sein Zauber Tod dem, der ihn trägt! in einen kleinen Sekundakkord (hier fis-h-d-g) übergeht, der für die Angst steht. Konsequenterweise setzen dazu auch die Posaunen ein, die unter anderem den Tod symbolisieren und die gleich anschließend die weiteren Verwünschungen des Nibelungen mit zwei absteigenden Terzenketten, also der leicht veränderten ersten Hälfte des Ring/Welterbe-Motivs sekundieren. Dann hören wir wieder Alberichs Hass-Motiv, dazu präzisiert er mit einem einprägsamen doppelten Stabreim: Wer ihn besitzt, den sehre die Sorge, und wer ihn nicht hat den nage der Neid!166 Der übermäßige Dreiklang erklingt hier zum Wort Sorge. Auf Neid übernimmt das klagende Englischhorn die Oberstimme der KlarinettenSynkopen. Ab Alberichs Ohne Wucher hüt’ ihn sein Herr167 hören wir in den Fagotten und Klarinetten die bis ins Groteske übersteigerte Terzenkette des Ring-Motivs, die am Ende über zwei Oktaven abstürzt. Auf dem Höhepunkt Würger unterstützt folgerichtig die Trompete Alberichs f1 mit dem Todes-Rhythmus, begleitet von den Posaunen. Darunter hören wir einen tiefen chromatischen Durchgang von einer Bass- und der Kontrabasstuba, die hier noch einmal darauf hinweisen, dass eben auf einer tieferen psychologischen Deutungsebene Alberich und Wotan über ihr ahnendes Unterbewusstsein miteinander verbunden sind. Ab dem erneuten vierfachen Stabreim Dem Tode verfallen, fessle den Feigen die Furcht setzen wieder sukzessive alle Streicher ein, mit langsam in Dreiklängen aufsteigenden und crescendierenden Tremoli wie am Ende der 2. Szene, als die Götter nach der Entführung Freias wie gelähmt waren (vgl. S. 93f.). Dort hörten wir als Ausdruck ihrer Angst noch einen großen Sekundakkord, hier, mit Beginn von Alberichs abschließender hasserfüllter Prophezeiung, ist 166
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Wagner schreibt 1876 für den Anfang ein Piano vor, ab besitzt ein Crescendo, auf Neid ein Forte und für Jeder giere wieder Piano. „Forte“ (Wagner 1876).
dieser nun zum dissonanteren kleinen Sekundakkord (c-f-as-des) verschärft, wie er schon mehrmals angeklungen war und spätestens seit der zweiten Hälfte der letzten Verwandlungsmusik als Leitakkord für den lähmenden Aspekt der Angst eingeführt ist (vgl. S. 129). Damit haben wir die Bestätigung für diese Konnotation auch durch Alberichs Gesangstext. Seine harmonische Fortschreitung mündet nach fünf Takten in das zweimalige dunkel drohende WeheMotiv, das wir in ganz ähnlicher Orchestrierung (Holzbläser und Hörner) und Harmonisierung wie in Alberichs Zauberspruch bei der Aktivierung der Macht des Ringes hörten, hier allerdings über dem zusätzlich dissonanten tiefen C, das von Fagott und Pauke weiterhin als Orgelpunkt durchgehalten wird. Dieser reißt mit einem bMoll-Fortissimo-Schlag des Orchesters auf das Wort Knecht ab. Über einem erneuten Paukenwirbel auf Fis hören wir schließlich bedeutungsvoll die Wehe-Sekunde; mit ihr löst sich ein fortissimo und wieder von den Klarinetten gespielter kleiner Nonenakkord in einen sechs Takte lang ausgehaltenen h-Moll-Quartsextakkord auf, zu dem Alberich seine Konklusion singt: So segnet in höchster Not, der Nibelung seinen Ring. Vom ersten Einsatz des Hass-Motivs an wird Alberichs ganze „Abschiedsansprache“ harmonisch also von den dissonanten Intervallen der kleinen Sekunde (bzw. None) und des Tritonus beherrscht, die ja beide auch in den zwei verschiedenen Formen des kleinen Nonenakkords, den das Fluch-Motiv umschreibt, impliziert sind. So stellt Wagner musikalisch subkutan noch einmal klar, dass Alberich für den gesamten weiteren Verlauf der Tetralogie selbst in Abwesenheit der negative Spiritus Rektor, der „Diabolus“ der bestehenden Weltordnung und der eigentliche Motor ihres Untergangs sein wird. Dementsprechend beendet Alberich sein Schlusswort Meinem Fluch168 fliehest du nicht! mit dem Todes-Rhythmus in den letzten drei Silben. Alberichs „sehr schnell“ und laut Wagners Angaben von 1876 „mit kolossaler Energie“169 zu spielende Abgangsmusik beginnt mit Wehe-Sekunden in den Bläsern, wieder in der aus seinem Ring-Zauberspruch stammenden Harmonisierung, die von über Dreiklänge 168
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Zu dem auf dieses Wort zu singenden hohen fis1 steht in der Erstschrift der Partitur noch ein kurzer Vorschlag von der unteren Oktave aus. Und Wagner fährt fort: „Die Tonstärke darf erst bei dem ‚diminuendo‘ nachzulassen anfangen“.
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abstürzenden Sextolen umspielt werden, wie wir sie vom Ende seines Wutausbruchs vor Wotans gewaltsamer Entwendung des Rings kennen (vgl. S. 140). Nach drei Takten – das ganze Nachspiel hat eine dreitaktige Periodik – wendet sich die kleine Wehe-Sekunde zur großen und schleudert so, nun in allen Instrumenten und immer noch im Fortissimo, höhnisch Alberich sechsmal hintereinander den Rheingold-Ruf hinterher. Anschließend hören wir in den stark gestoßenen Streichern und verschränkt in den legato „heulenden“ Holzbläsern und Hörnern eine Figur in ebenfalls sechsmaliger Wiederholung, die in ihren ersten vier Tönen in Melodie und Rhythmus aus Mimes Version des Schmiede-Motivs abgeleitet scheint (vgl. S. 108), geradeso als gelle Alberich nun auch dessen hämisches Lachen im Ohr. Daraufhin erklingen über absteigenden gehaltenen Bläserakkorden erneut die wilden Streicher-Sextolen, die sich schließlich im Diminuendo immer mehr verlieren. Nach Loges sarkastisch-rhetorischer Frage Lauschtest du seinem Liebesgruß? hören wir dann – wie als gedankliche Überleitung zu der Wotan nun wieder in „rosigem“ Licht erscheinenden Welt der Götter – eine neue, stark verkürzte Version des Ring-Motivs, nämlich nur dessen erste und die drei letzten Terzen in der „definitiven“ harmonischen Form, wie sie sich direkt vor Beginn der 2. Szene herausgebildet hatte. Hier wie dort wird sie „weich“ von zwei Hörnern geblasen. Und damit erinnert sie, zumal durch ihre Fortführung mit zwei weiteren, absteigenden Terzen, auch an die Begleitung von Alberichs Wie gern raubtest du selbst dem Rheine das Gold in seiner vorher gehörten Auseinandersetzung mit Wotan (vgl. S. 139).
Wiederauftritt der anderen Götter und der Riesen mit Freia Die Pauke setzt mit dem punktierten und verkürzten Rhythmus des Riesen-Themas ein, sie begleitet damit ostinat für 23 Takte Donners, Frohs und Frickas Wiederauftritt („Mäßig und sehr ruhig“).170 Dazu wölben die Violinen zu Beginn einen 15 Takte langen und drei Oktaven überspannenden zweiteiligen Bogen:171 „Es wird immer 170
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„Gehendes, nicht langsames Tempo. ‚Ein ganz langsames Tempo kommt im ganzen ‚Rheingold‘ nicht vor!‘“ (Wagner 1876). „Ohne jede Anschwellung“ (Wagner 1876).
heller“, die „fahlen Nebel“ vom Beginn der Szene verflüchtigen sich nach und nach. Diese gesamte, 52 Takte lange Stelle ab vier Takte vor diesem „Sehr gemessen“ bis zur Rückkehr der Riesen mit Freia steht in C-Dur und scheint damit die Möglichkeit der Wiederherstellung des heiteren und sorglosen Lebens der Götter, also eines „Happy End“ zu bestätigen (vgl. S. 86f.). Dies aber wird sich sehr bald als grandioser Selbstbetrug herausstellen – ein weiterer Beleg dafür, dass der scheinbar so unbeschwerten Rheingold-Jubel-Tonart C-Dur nicht zu trauen ist. Zudem erklingt der überwiegende Teil dieser Musik über einem Orgelpunkt auf der Quinte G, der den ganzen Abschnitt in der Schwebe hält. Fasolt und Fafner nahen von fern: Freia führen sie her: Einen Takt vor diesen Worten Loges ist die ruhige zweistimmige Geigenmelodie in eine Variante der aus Wellgundes „Verführungsschaukel“ abgeleiteten, wiegend „lockenden“ Musik übergegangen, der wir zuerst in der 2. Szene zu Frickas indigniertem Kommentar über die „buhlenden“ Rheintöchter (vgl. S. 91) begegnet waren und danach in einer der jetzigen ähnlichen Fassung, als Loge nach der Entführung Freias an die Götter adressiert süffisant feststellte: Hört, was euch fehlt! Von Freias Frucht genosset ihr heute noch nicht (vgl. S. 95). Auch hier handelt es sich zunächst um eine trockene Situationsbeschreibung Loges, zu der das Orchester offenbar jedoch etwas verklausuliert die maliziöse Frage in den Raum stellt, ob denn wohl die Riesen in der Zeit von Freias Entführung deren „Frucht“ genossen haben und etwaigen erotischen Verlockungen erlegen sind – vielleicht sogar noch nicht einmal gegen den Willen der Göttin. Ein weiteres Indiz dafür könnte Freias vielleicht schamhaftes, in jedem Fall aber auffälliges Schweigen während der ganzen nächsten Szene sein, in der sie doch eigentlich die Hauptperson ist. Wenn die Violinen das lange hohe g3 und damit in Korrespondenz zur Szene ihre größte „Helligkeit“ erreicht haben, erklingt darunter für die nächsten zehn Takte, beginnend in den „natürlichen“ Hörnern, in einem sich steigernden Kanon immer wieder Freias Äpfel-Motiv. Zu Frickas „besorgter“ Frage an Wotan Bringst du gute Kunde? bricht dieses allerdings abrupt ab, und wir hören in Celli, Bratschen und Flöten Alberichs Hass-Motiv als „schuldbewussten“ Kommentar anstelle einer Antwort, die der Göttervater wohlweislich vermeidet. Dass damit an dieser Stelle Wotans schlechtes Gewissen gemeint ist, bekräftigt das auffällige Ausbleiben des dieses
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Motiv sonst charakterisierenden gestopften Horntons, der eben für Alberichs Selbstentfremdung stand (vgl. S. 143). Gleichzeitig ist diese Stelle ein weiteres wunderbares Beispiel dafür wie Loge zwiespältige Nachrichten zu überbringen versteht: Obwohl ihn, wie wir in der 2. und 3. Szene gesehen haben, niemand außer Wotan für vertrauenswürdig hält – Froh nannte ihn sogar explizit einen Lügner –, kommt es keinem der Anwesenden in den Sinn, nachzuhaken, was es denn mit der von Loge jetzt so beiläufig erwähnten List und Gewalt genau auf sich hat. Wieder einmal hat er die Wahrheit gesagt, aber niemand hört zu und wird sich der Konsequenzen bewusst, nämlich hier der im Orchester deutlich erkennbaren ewigen Todfeindschaft Alberichs. In diesem Sinne könnte die „unscharfe“ Instrumentierung mit Flöten und Bratschen statt der charakteristischen Klarinetten und der ausbleibende gestopfte Hornton auch auf ein bewusstes Herunterspielen der Wahrheit von Seiten Loges hindeuten: Genauso wird er wohl schon damals im Rate (vgl. seinen zweiten Satz in der 2. Szene) seine Empfehlungen vorgebracht haben, als der Vertrag über den Bau Walhalls mit den Riesen ausgehandelt und Freia dafür als Bezahlung vereinbart wurde. Interessanterweise hören wir während der ganzen langen Rückkehr der Riesen mit Freia außer dem anfänglichen Rhythmus in der Pauke weder das vollständige Thema der Riesen oder auch nur längere Teile daraus noch das zweiteilige Leitmotiv der Liebesgöttin selbst. Auch wenn Donner diese jetzt mit den Worten begrüßt: Aus der Riesen Haft naht dort die Holde, erklingt stattdessen wieder die gerade eben gehörte, aufwärts gerichtete „Schaukel“ der Verführungsmusik. Nun setzt ausgerechnet Froh, der zu den Auseinandersetzungen in der 2. Szene rein gar nichts Produktives beigetragen hatte, zu einer Ansprache an, die sich wie eine lyrische Belcanto-Arie geriert, aber nur zwölf Takte lang ist und nichts als sentimentale Gemeinplätze enthält: Wie liebliche Luft wieder uns weht …172 Ihre Melodik ist zu Beginn aus den jeweils ersten Tönen des Motivs der goldenen Äpfel bzw. der Liebesbedürftigkeit (in Dur) abgeleitet und wird begleitet von Harfen-Arpeggien sowie ganztaktigen Akkorden der Hörner und Klarinetten. Sie symbolisieren hier offensichtlich die
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„Nicht langsamer; aber die Triolen ruhig“ (Wagner 1876).
natürliche weibliche Erotik der Liebesgöttin. Entfernt aus dem Motiv der Liebesentsagung abgeleitet ist dagegen der Mittelteil: Traurig ging es uns allen, getrennt für immer von ihr, er wird von geteilten Bratschen und Celli unterstützt. Froh endet mit sich hochschraubenden Dreiklängen, die vom Orchester im Nachspiel noch in einer großen Steigerung ironisch jubelnd weitergesponnen werden: „Alles wird gut!“, scheint Froh sagen zu wollen, und ohrenfälliger könnte der eitle Selbstbetrug der Götter kaum sein, als in diesen 15 Takten. Er schwingt noch nach in Frickas Begrüßung: Lieblichste Schwester, süßeste Lust!173 Aber Fasolt geht brüsk dazwischen: Halt! Nicht sie berührt! Noch gehört sie uns. Dabei erklingt in den Celli und Bässen eine Variante des Vertragsschutz-Motivs aus der 2. Szene. Der Riese hebt nun seinerseits zu einer kurzen Ansprache an („Langsamer“). Mit der knappen bedeutungsvollen Einleitung der Hörner, Fagotte und tiefen Streicher (mit dem auch hier um den vierten Ton beraubten Kopf des Riesen-Themas) und den beiden zwischen seine Sätze geschobenen orchestralen Kurzkommentaren sowie vor allem durch seine etwas platte Melodik wirkt diese Stelle wie ein Statement heutiger Politiker oder Gewerkschaftler für die Kameras auf dem Weg ins Verhandlungsgebäude. Und mit dem Einsatz des Vertragstreue-Motivs zu Fasolts Erlegt uns Brüdern die Lösung ihr beginnt nun diese Verhandlung. Das Leitmotiv erklingt für die ersten drei Takte ausnahmsweise noch einstimmig in den Celli und Kontrabässen, denn zunächst handelt es sich es ja um eine einseitige Forderung des Riesen. Erst zu Wotans etwas genervter Bestätigung Bereit liegt die Lösung überführen es die hier wieder hinzutretenden Hörner und Fagotte in den aus der 2. Szene bekannten Kanon. Als Überleitung zu Fasolts Das Weib zu missen, wisse, gemutet mich weh spielen die Hörner in Nachahmung von Wotans letzten beiden Silben (ge-)messen zweimal den Kopfrhythmus des RiesenThemas, allerdings ist die zweite (Sechzehntel-)Note jetzt um einen Halbton erhöht, sodass kurz die Wehe-Sekunde aufblitzt. Und erst hier, da es um Fasolts persönlichen Verzicht auf die Göttin der Liebe geht, erklingt auf weh der erste Teil von Freias eigenem Motiv, in einer schmerzlichen, sich über einen verminderten Septakkord er-
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„Mit Wärme zu singen“ (Wagner 1876).
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streckenden Variante in den für Liebesleid stehenden Celli. Daraufhin geht der Riese mit Soll aus dem Sinn sie mir schwinden in das Liebesbetrugs-Motiv über, und wenig später singt er mit Dass meinem Blick die Blühende ganz er verdeck’!,174 begleitet von den Celli und den darunterliegenden Bratschen, auch noch eine Moll-Version des Motivs der Liebesbedürftigkeit, also die Variante des Liebesentsagungs-Motivs. Als Freia von den Riesen „in die Mitte gestellt“ wird, um die demütigende Prozedur zu beginnen, ihren Körper mit dem Hort zu verdecken, hören wir die Flöte mit einem ihrer wenigen ausdrucksvollen Soli im „Ring“ – Wagner setzt ihren Klang symbolisch für Reinheit und Schönheit: Sie spielt nun das Freia-Motiv mit dessen zweitem Teil, dem Motiv des Liebesbetrugs in einer elegisch vergrößerten Version, die aus Fasolts Schwärmen für Freia in der 2. Szene weiterentwickelt ist (vgl. S. 75). Dieses helle, aber auch nachdenkliche viertaktige „Fenster“ der Bläser, in dem erstaunlicherweise die Klangkomponente der weichen Hörner und Klarinetten, also gewissermaßen das natürliche intuitive Mitgefühl fehlt, wird am Ende mit einem Ritardando und einer Fermate auf dem letzten Akkord geweitet. Es beleuchtet Freia hier sozusagen mit einem zusätzlichen Spot und macht noch einmal sehr deutlich, dass sie die Einzige im gesamten „Rheingold“ ist, die sich nirgends schuldig gemacht hat. „Darauf stoßen“ die Riesen „ihre Pfähle zu Freias beiden Seiten (…) in den Boden.“ Wir hören „schwer“ den Kopf des RiesenThemas (immer ohne die Quarte als Wechselnote) und dann das Vertragstreue-Motiv175 wieder im halbtaktigen Kanon zwischen Celli und Kontrabässen sowie Hörnern und Fagotten, während die Pauke noch vier Takte lang den verkürzten Riesen-Rhythmus ostinat weiterschlägt. Wotan windet sich vor Abscheu: Eilt mit dem Werk: widerlich ist mir’s!, und seine beiden Phrasen klingen vage wie eine melodische Amputation des Liebesbetrugs-Motivs. Dies kommentieren die tiefen Streicher mit dem alterierten Septakkord d-fisb-c bzw. mit dem in ihm enthaltenen „den natürlichen Anstand“ (der Tonalität) sprengenden übermäßigen Dreiklang. Und Froh meint daraufhin, genau diesen Tonfall eine Quarte höher übernehmen zu
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„Sehr empfindungsvoll zu singen“ (Wagner 1876). „Von hier ab leichter im Tempo“ (Wagner 1876).
müssen, mit den ohne jegliche Konsequenzen bleibenden Worten: Freias Schmach eil’ ich zu enden. Am Beginn dieser zweiten Riesen-Szene fällt die bis hierher mit Ausnahme des Fensters mit dem Flötensolo ausschließliche Begleitung durch tiefe Streicher, Pauke und die fast durchweg zusammengehenden Hörner und Fagotte auf. Deren gemeinsamer Symbolgehalt mag hier darauf hinweisen, dass die Riesen zwar, im Gegensatz zu den Göttern, der natürlichen Tiefe (dem „Urschlamm“) des Lebens entstammen, andererseits aber gerade deshalb auch einen natürlichen moralischen Anspruch auf die Einhaltung von geschlossenen Verträgen haben – zum Ausdruck gebracht durch das UnisonoSpiel der Hörner und Fagotte im Vertragstreue-Motiv. Jetzt aber, zur Aufschichtung des Goldes durch Loge und Froh, setzen die für den anderen Vertragspartner, Wotan, stehenden Tuben zu einem erneuten Ansatz des Vertragstreue-Kanons (wieder mit den Celli und Kontrabässen) ein, diesmal nicht mehr in Es-Dur, sondern in der „tragischen“ Moll-Parallele, auf C. Hier folgt nach einem ganzen Takt noch ein dritter Einsatz des Kanons, und zwar in den Fagotten mit gleichzeitiger Umspielung durch die Bratschen, der allerdings nach zwei Vierteln schon umgebogen wird in den Riesen-Rhythmus in den Hörnern mit anschließendem SchmiedeMotiv als Erinnerung an die Herkunft des Hortes. Dieses geht seinerseits über in eine entfernt an das Vertrags-Motiv erinnernde absteigende Triolen-Tonleiter. Im weiteren Verlauf sequenzieren alle drei Stimmen jeweils nach zwei Takten dreimal um einen Ton nach oben. Ein paar Takte später hören wir eine ausgeweitete Version von Schmiede-Motiv und verlängertem Schmiede-Rhythmus in Hörnern und Fagotten, die von Celli und Kontrabässen wieder im Abstand einer darunterliegenden großen Septime mit dem verkürzten Kopf des Riesen-Themas kommentiert wird (vgl. S. 103, 112, 128, 130 und 136). Und mit Fafners Fest und dicht füll’ er das Maß verschmilzt der Schmiede-Rhythmus nun für einen Takt mit dem Kopf des RiesenMotivs, wobei hier endlich kurz auch wieder die Quarte als Wechselnote erklingt:
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Daraufhin hören wir, wie zuvor bei der Lösegeldzahlung Alberichs, das Hort-Motiv, hier in den Fagotten und einer Basstuba, allerdings in einer geradtaktigen Version. Es verweist auf Wotans unterbewussten, nicht eingestandenen Neid auf den Hort, der gerade vor seinen Augen in den Besitz der Riesen übergeht,176 deren Rhythmus die Pauke jeweils auf der zweiten Takthälfte parallel zum weiterhin durchlaufenden Schmiede-Rhythmus unbeirrt markiert. Noch einmal windet sich Wotan „unmutig“ auf die gleiche von einem übermäßigen Septakkord begleitete Floskel wie 28 Takte zuvor: Tief in der Brust brennt mir die Schmach.177 Dazu hören wir den Riesen-Rhythmus in den Fagotten nun wieder mit den hinaufschleifenden Vorschlägen und in den Hörnern mit dem gestopften Klang, der uns zuletzt aus Alberichs Hass-Motiv in seinem Fluch in Erinnerung ist: Alberichs Machtneid ist, ausgelöst durch Wotans Betrugsversuch, auch auf die Riesen übergegangen. Diesmal greift Fricka seinen Tonfall auf, allerdings erweitert sie ihn vorwurfsvoll zu einer Variante des Motivs der Liebesbedürftigkeit, wie es besonders in den mitgehenden ersten Geigen zu erkennen ist. Nach einem klagenden Einwurf des Freia-Motivs in Oboe und Flöte paraphrasiert Fricka jenes Leitmotiv noch zweimal. Zu Fafners gierigem Noch mehr! Noch mehr hierher! hören wir ein zweites Mal die vorherige Verschmelzung von Schmiede-Motiv und Kopf des Riesen-Themas, wieder in den dissonanten großen 176
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Hier könnte man die oben in Bezug auf Alberich aufgeworfene Frage abwandeln (vgl. S. 137): Wenn Wotan jetzt den Ring und damit maßlose Macht besitzt, warum muss er die Riesen dann überhaupt noch bezahlen? Schließlich war von einer moralischen oder auch staatsmännischen Einsicht oder gar einem „Gewissen“ bisher bei ihm nichts zu spüren. „Alles fest im Tempo weiter. Ja kein sentimentales Zurückhalten!“ (Wagner 1876).
Septimen und mit der Wechsel-Quart. Da bricht es aus Donner heraus: Kaum halt’ ich mich; schäumende Wut weckt mir der schamlose Wicht! Im Orchester sind dazu von seiner entsprechenden Musik in der 2. Szene nur noch die in den tiefen Streichern polternden Sextolen übrig geblieben, nun allerdings wild gestoßen statt im Legato, sowie die Paukenwirbel, hier ohne den anschließenden TodesRhythmus: Donners Ausbruch ist offensichtlich nicht ernst zu nehmen. Und die vier harten Tuben-„Schläge“ (verstärkt durch die Bratschen), die seine Herausforderung Willst du messen, so miss dich selber mit mir! untermauern, sind ein weiteres Beispiel für Wagners dramaturgisch konzipierte Leitorchestration: Für die bestmögliche Klangwirkung wären auch an dieser Stelle die Posaunen effektiver, aber die Aggression Donners steht hier stellvertretend für Wotans eigene unterdrückte Wut bzw. für den gewalttätigen Teil seines Selbst, den er nicht ausleben darf – deshalb spielen hier „seine“ Tuben. Eine Bestätigung dieser Deutung kann man in den zu diesen Schlägen jeweils auffahrenden Legato-Skalen der Celli und Kontrabässe erkennen, denn diese sind nichts anderes, als eine vierfach beschleunigte Umkehrung der absteigenden Tonleiter von Wotans Speer/Vertrags-Motiv. Friede doch! Wotan beruhigt fürs Erste die Gemüter, und wir hören das Vertragstreue-Motiv jetzt ausnahmsweise nicht im Kanon. Ebenso bedeutsam ist, dass er die letzten beiden Worte der anschließenden Phrase Schon dünkt mich Freia verdeckt auf eine DurVariante des Motivs von Alberichs Liebes-/Selbstbetrug singt (vgl. S. 75), und als Selbsttäuschung wird sich seine hoffnungsvolle Bemerkung auch gleich danach erweisen. Aber warum erklingt dieses Leitmotiv hier in Dur und ist dadurch kaum zu erkennen? Wotan scheint zu ahnen, dass bei seiner Feststellung eher der Wunsch der Vater des Gedankens ist (was auch sein dünkt nahelegt), und versucht deshalb, die Riesen mit dieser betont positiven Suggestion zu verleiten, hier schon die vollzogene Erfüllung des Vertrages anzuerkennen. Loges Der Hort ging auf ist dagegen zunächst einmal eine objektiv richtige Feststellung. Doch der „falsche“ gestopfte Hornton, der erste Takt des Hort-Motivs in den Fagotten und eine Umkehrung des Schmiede-Motivs in den Bratschen im Tritonus-Abstand dazu – fünf verschiedene musikalische Symbole für Verschlagenheit und
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Verstellung – setzen auch hinter diese Aussage ein deutliches Fragezeichen. Tonschrittweise verändert sich über vier Takte sowohl das Hort-Motiv wie auch die hier lauernd nach oben gebogene Version des Schmiede-Motivs, bis beide erneut einen verkürzten großen Nonenakkord umschreiben, der in das Motiv von Freias Äpfeln in den Hörnern mündet. Diese Stelle ist mehrdeutig: Einerseits, da die Riesen scheinbar nichts zu beanstanden haben, atmen die Götter auf im Gedanken an ihre offenbar nun wiedererlangte ewige Jugend und verkennen damit wieder einmal die Realität, obwohl die dazu erklingenden „falschen“ Bässe in der leise drohend ansteigenden Cellound Kontrabasslinie sowie der Klang der Hörner mit Dämpfern sie eigentlich warnen müssten. Andrerseits illustrieren diese zwei Takte aber auch, wie es Fafner gelingt, durch eine Lücke doch noch Freias Haar zu erblicken. Und prompt verlangt dieser auch den bis jetzt zurückgehaltenen Tarnhelm. Ausgerechnet Loge, der bei Alberichs Lösegeldzahlung noch ganz selbstverständlich dieses „Gewirk“ als Teil des Hortes bezeichnet hatte (vgl. S. 137: Zur Buße gehört auch die Beute), tut nun den Riesen gegenüber ganz erstaunt: Wie? Auch den Helm? Es erklingt der ursprünglich fünfte bis siebte Takt des Tarnhelm-Motivs, gespielt wieder vom Englischhorn und den Fagotten statt von den Hörnern mit Dämpfern, denn dessen Zauberkraft wird ja auch hier nicht abgerufen. (Obwohl Fafner später offenbar sehr wohl die Macht des Tarnhelms zu nutzen weiß, nämlich um sich in den Drachen zu verwandeln. Woher er dieses Wissen hat, der Schöpfer des Helms, Mime selber, in der Nibelheim-Szene dagegen nicht, erklärt uns Wagner allerdings nirgends.) Könnte es sein, dass Loge heimlich gehofft hatte, den Tarnhelm für sich „abzweigen“ zu können? Schließlich hätte unsichtbares bzw. in anderer Gestalt nicht als solches erkennbares Feuer ja durchaus Vorteile … Zu Fasolts traurigem So ist sie gelöst? Muss ich sie lassen? hören wir zweimal in der Bassklarinette sowie beim ersten Mal zusätzlich im klagenden Englischhorn erwartungsgemäß die Wehe-Sekunde. Ein leises letztes Erklingen des Hort-Motivs in den Violoncelli mit einem dreitönigen Rest des Schmiede-Rhythmus in den Bratschen leitet zu einem dritten „Fenster“ mit dem erweiterten Freia-Motiv über (vgl. S. 150), hier wieder von der Oboe gespielt als Fasolts Klage über den Verlust der „Schönen“. Und doch erklingt jetzt die
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genaue Dur-Version der ursprünglichen Flöten-Melodie: ein berührendes Beispiel dafür, dass in manchen Situationen Dur noch herzergreifender sein kann als das angeblich „traurige“ Moll.178 Aber plötzlich erspäht der Riese doch noch Freias Auge, und zwar zu dem mit einem Fortepiano-Akzent einsetzenden Tremolo der zweiten Geigen und Bratschen, dem Auslöser für seine erregte Klage: Weh! Noch blitzt ihr Blick zu mir her. Vier Takte später hören wir die Oboe mit dieser Dur-Variante des Freia-Motivs noch einmal eine Terz höher, nun auch von den Hörnern begleitet: Fasolts Trennungsschmerz ist „natürlich“, also echt. Er hofft immer noch, Freia doch behalten zu können – auch deshalb das Dur. Erst am Ende gipfelt seine Erregung („außer sich“) in der Moll-Fassung des Motivs der Liebesbedürftigkeit: Von dem Weibe lass’ ich nicht ab!179 Abgerissene Fetzen des Schmiede-Motivs kommentieren Fafners sofort erhobene Forderung: Verstopft mir die Ritze! Und erstaunlicherweise lässt Wagner gerade hier das Ring-Motiv nicht erklingen, Fafner singt seine Phrase An Wotans Finger glänzt von Gold noch ein Ring: den gebt, die Ritze zu füllen180 fast durchgehend auf die Töne eines verkürzten kleinen Nonenakkords und nicht eines großen, in dessen Ambitus sich das originale Ring-Motiv bewegt. Dies kann man vielleicht als Hinweis darauf hören, dass die Riesen mit der maßlosen Macht des Ringes und der möglichen Erringung des Welterbes nicht wirklich etwas anzufangen wissen. Und deshalb spielen die Streicher hier auch nicht das „gewohnte“ Pizzicato, wohl aber auf Wotans erschrecktes Wie? Diesen Ring? Loges daraufhin verräterisch schnell eingeworfene Erklärung Lasst euch raten! Den Rheintöchtern gehört dies Gold; ihnen gibt Wotan es wieder181 unterstreichen die Holzbläser mit dem zweimaligen Rheingold-Ruf, der zu Wotans sofortigem ärgerlichem Dementi von den Posaunen übernommen wird. Sie symbolisieren hier die tödliche 178
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Ein Vorläufer für diese Stelle ist die letzte Strophe des ersten Liedes, „Gute Nacht“, aus Schuberts „Winterreise“, wo sich für die Worte „Will dich im Traum nicht stören, wär schad’ um deine Ruh’“ das bis dahin durchgehende d-Moll unvermittelt und überwältigend nach D-Dur wendet. „Mit glutvoller Leidenschaft“ (Wagner 1876). Auch für die vorangehenden Worten Mitnichten, Freund! merkt Wagner 1876 an: „Fafner stösst seine Worte äusserst grob und entschieden hervor.“ „Immer lebhaft“ (Wagner 1876).
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Arroganz der Mächtigen, die glauben, sich ihrer moralischen Verpflichtungen entziehen zu können. Und in seiner eitlen Verblendung erkennt Wotan noch nicht einmal den Rettungsanker, den Loge ihm damit zuwirft: Denn wenn der Göttervater Loges Worten zustimmen würde und es gelänge, Fasolt und Fafner von Wotans lauterer Absicht zu überzeugen, könnten diese vielleicht doch mit dem bisher Erhaltenen zufrieden sein. Und ob er den Ring danach tatsächlich den Rheintöchtern wiedergeben würde, darauf hätten die Riesen dann ja keinen Einfluss mehr. Schlimm dann steht’s um mein Versprechen,182 klagt Loge, und die Hörner kommentieren dies mit einer frei weitergesponnenen Version des Rheingold-Motivs, wie um Wotan zu mahnen – wenn er denn genau zuhören würde –, dass es für alle Beteiligten tatsächlich besser wäre, das Gold des Rings seinem natürlichen Ursprung wieder zurückzugeben. Aber natürlich denkt Loge hier auch wieder an sich: Keiner soll später sagen können, er hätte nicht alles versucht, um sein den Rheintöchtern gegebenes Versprechen zu erfüllen. So schlägt er noch einmal „zwei Fliegen mit einer Klappe“. Mit Fafners Insistieren Doch hier zur Lösung musst du ihn legen und Wotans anhaltender Weigerung setzt das Orchester nun zu einer Steigerung an, die sich aus einer kurzen Durchführung einer merkwürdigen, quasi böse lachenden Symbiose von Ring- und Schmiede-Motiv entwickelt, während die Pauke darunter wieder ostinat den verkürzten Riesen-Rhythmus schlägt.
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„Streng vorwärts im Tempo, um den Charakter der natürlichen Rede zu wahren“ (Wagner 1876).
In den beiden aufsteigenden Sechzehnteln dieses neuen Kurzmotivs blitzt auch wieder der Todes-Rhythmus auf, der in immer kürzeren Abständen aufeinanderfolgend zwei Takte vor Ende dieser Steigerung von den Bläsern zusammen mit der Pauke viermal direkt hintereinander im Forte herausgehämmert wird. Den Höhepunkt mit Fasolts Aus denn ist’s bildet schließlich der ansteigende kleine Sekundakkord, den wir als Leitakkord für die lähmende Angst identifiziert hatten, hier allerdings auf F stehend. Zu Freias verzweifelten Hilfe-Rufen183 – ihrer ersten Äußerung seit ihrer Rückkehr – und dem Flehen der anderen Götter hören wir sechsmal in verschiedenen Längen die Wehe-Sekunde, ausgehend von der Version des Rheingold-Rufs im verminderten Septakkord. Wotans „mit unbeugsamster Entschlossenheit“ (Wagner 1876) hingeschleuderte abweisende Antwort Lasst mich in Ruh’: den Reif geb’ ich nicht! wird unterstützt von einem abermaligen Crescendo der Pauke und den aufstrebenden Streichern über den seinen Machtanspruch unterstreichenden Tuben. Diese letzte Steigerung gipfelt in einem über vier Takte fortissimo ausgehaltenen f-MollAkkord der Bläser, zu dem die Streicher nach der kurzen Sechzehntel-Figur mit dem Todes-Rhythmus über fast fünf Oktaven in Synkopen nach unten stürzen. „Die Bühne hat sich von neuem verfinstert“, und mit dem Einsatz des tiefen Cis in den Posaunen – wie eine Todesahnung – ist der magischste Moment des „Rheingolds“ erreicht.
Die Erscheinung Erdas „Aus der Felskluft zur Seite bricht ein bläulicher Schein hervor: in ihm wird plötzlich Erda sichtbar.“ Erdas Leitmotiv ist die zum langsamen 4/4-Takt gewandelte Moll-Version des Natur-Motivs aus dem Vorspiel: Ewiges Wissen hat seinen Ursprung im ewigen Wachsen und Werden der Natur, in der Erkenntnis, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Und die hohe symbolische Bedeutung dieser Stelle wird von der Orchestration in besonders sinnfälliger Weise unterstrichen: Über langen tiefen Posaunen-Tönen (Tod und Todesbewusstsein als ewiger, immanenter Teil der Natur) spielen Fa-
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Wagner schreibt: Hülfe.
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gotte (Tiefe der Erde) und drei der vier Wagner-Tuben (die unterbewusste Verbindung eines Teils, aber eben nicht der Gesamtheit von Wotans Selbst als oberstem Gott mit der Weisheit der Urmutter). Darunter liegt noch die sehr tiefe Kontrabasstuba als gemeinsame Wurzel allen Seins, die hier allerdings als Basston die Quinte statt des Grundtons der neuen Tonart cis-Moll aushält: Die Zukunft der Welt hängt hörbar in der Schwebe (vgl. den Wiederauftritt der Götter, S. 147). Das neue Leitmotiv wird hier bei seinem ersten Erklingen über den vom Natur-Motiv vorgegebenen Tonrahmen der Dezime hinaus noch um zwei Töne weitergeführt, drei Takte später gar um einen dritten, und zwar in der seltenen Klangkombination von Hörnern mit Dämpfern und tiefen Flöten. Zusammen mit der Moll-Harmonik sagt uns diese, dass die lichte Reinheit der Natur inzwischen getrübt ist. Dazu mahnt Erda: Weiche, Wotan! weiche! Flieh des Ringes Fluch!184 Der starke Symbolgehalt der Orchestration bleibt ihren ganzen folgenden Monolog hindurch auffällig und belegt die außerordentlich große Bedeutung, die Wagner dieser kurzen Szene für den weiteren Verlauf der gesamten Tetralogie beimisst: 1. die Klage der Oboen (mit der Wehe-Sekunde im zweiten Takt) zu Erdas Rettungslos dunklem Verderben weiht dich sein Gewinn; interessanterweise schweigen gerade zu dieser eindringlichen Warnung die für Tod und Gesetz stehenden Posaunen; 2. der ganz ähnliche Klang von Oboe und Englischhorn zu Wie alles sein wird, seh’ ich auch, der die Bedeutung der Modulation des Erda-Motivs in den Angst- bzw. Lähmungs-Akkord unterstreicht und somit ohrenfällig macht, dass diese Zukunft beklagenswert sein wird; 3. die beiden Gis-Dur-Septakkorde bei Wotans Einwürfen Wer bist du mahnendes Weib185 und Geheimnishehr hallt mir dein Wort, die von zwei Posaunen und den drei Wagner-Tuben sowie beim zweiten Mal auch von der Kontrabasstuba gespielt werden, in korrespondierender symbolischer Bedeutung wie bei Erdas Erscheinen;
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„Sehr langsam und feierlich“ als Tempoangabe und für Erda: „In geheimnisvoll verschleiertem Tone zu bringen“ (Wagner 1876). „Leise“ (Wagner 1876).
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die Posaunen allein, ausgerechnet bei ihrer Namensnennung: Urwala, Erda, mahnt deinen Mut, die auf die Bedeutung der UrMutter als ewiges, aller Anfang und Ende umfassendes, unumstößliches Gesetz hinweisen; die Fagotte, Klarinetten und Föten, die zusammen mit den Bratschen und den wieder mit Dämpfern spielenden Hörnern zu Erdas Erklärung Wie alles war – weiß ich;186 wie alles wird, wie alles (sein wird) für die durch selbstsüchtig denkende und handelnde Wesen verursachten Störungen der alle Höhen und Tiefen umfassenden Natur stehen; die Violinen, die beim Hinweis auf Erdas Mutterschaft – Drei der Töchter,187 urerschaff’ne, gebar mein Schoß – mit dem ErdaMotiv nun in E-Dur, Wagners „erotischer“ Tonart, einsetzen und gemeinsam mit den hier offen, das heißt „natürlich“ spielenden Hörnern und den Fagotten auf die ebenfalls in der Tiefe der Natur verwurzelten Gefühle von menschlicher Wärme und Leidenschaft hindeuten; schließlich der von Oboen und Klarinetten zu Erdas ersten beiden Höre! gespielte, aus dem Rheingold-Ruf abgeleitete WeheAkkord als weibliche Klage, die erst beim dritten und raumgreifendsten Höre!188 durch Hinzutreten der Fagotte, Hörner und Posaunen die volle Autorität der Natur erlangt. Zu diesem letzten Anruf pausieren die Klarinetten, um danach allein mit dem Erda-Motiv neu einzusetzen und ihr Alles, was ist, endet! vorzubereiten; damit verweisen sie auf die Weiblichkeit bzw. Sexualität der Urwala, derer sich Wotan schon bald „bedienen“ und die neun Walküren zeugen wird.
Das sind nur die hervorstechendsten Beispiele für Wagners in dieser Szene mit besonderer Subtilität gearbeitete „symbolische“ Orchestration. Und so ist es nur konsequent, dass das leitmotivische Geflecht hier weniger dicht ist als in anderen Szenen: Im ganzen ersten Teil von Erdas Monolog erklingt bis auf die drei Wehe-Sekunden allein ihr Motiv, beim zweiten und dritten Mal geerdet mit dem „richtigen“ Basston Cis, denn darüber, wie alles war, … wie alles 186 187 188
Diese zwei Worte „langsam und mit starker Dehnung“ (Wagner 1876). „Leise zu singen! pp“ (Wagner 1876). „Das dreimalige ‚Höre!‘ mit schwer-gewichtigen Akzenten“ (Wagner 1876).
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wird, ist sich Erda sicher. Beim vierten Erklingen auf sein wird, hören wir, wie oben gezeigt, ihr Motiv über dem Angst-Akkord und mit hochalterierter zweiter Note. Danach begleitet es zweimal die Erwähnung ihrer Töchter, der Nornen, nun nach Dur gewendet, also harmonisch in das ursprüngliche Natur-Motiv zurückverwandelt, bis es zu Was ich sehe wieder zum Angst-Akkord zurück moduliert. Zu ihrer Warnung Doch höchste Gefahr führt mich heut selbst zu dir her klingt dann allerdings Alberichs Hass-Motiv an, und zwar in seiner originalen Orchestration mit Klarinetten, gestopftem Horn, Cello-Auftakt sowie dem Pizzicato der Kontrabässe, und dies macht geradezu überdeutlich, um welche Gefahr es geht. Mit der Prophezeiung Ein düstrer Tag dämmert den Göttern geht ihr Motiv in den Streichern schließlich in seine Umkehrung über. Diese bildet das neue Leitmotiv der Götterdämmerung, das hier zum ersten und einzigen Mal im „Rheingold“ in seiner definitiven Form erklingt und dessen schicksalsschwere Bedeutung durch den leisen TamtamSchlag auf Göttern unterstrichen wird. Ihm folgt zu Erdas Dir rat’ ich, meide den Ring!189 die hier erweiterte Terzenkette des RingMotivs. Diese schließt mit einem Pizzicato, hier sehr leise in den Violinen, wie wir es immer wieder zu diesem Schlüsselwort gehört haben (in der 1. Szene, aber auch bei Wotan, vgl. S. 48f., 53 und 89, und bei Alberichs Lösegeldzahlung S. 138). Zu Erdas Schlusswort Ich warnte dich; du weißt genug: sinn in Sorg’ und Furcht!190 verklingt ihr Motiv in den Klarinetten und Fagotten: Das Ur-Weib „versinkt langsam“ in der Tiefe, aus der es gekommen war. Und ab genug hören wir dann A-Dur über einem gehaltenen Gis von Bassklarinette und Pauke und damit in unerbittlicher Konsequenz – denn der eine Teil von Alberichs Fluch erfüllt sich ja gerade mit ihren letzten Worten – wieder den Angst/Lähmungs-Akkord, der mit Erdas gänzlichem Verschwinden ins leise Tremolo der Streicher übergeht. Wotan würde Erda am liebsten schon hier folgen: Soll ich sorgen und fürchten, dich muss ich fassen, alles erfahren!191 Mühsam wird er von Fricka und Froh zurückgehalten. Schließlich hören wir Erdas Motiv noch einmal nur in den Klarinetten, nun „chromatisiert“ durch eine bedeutungsvolle Hochalteration der vierten Note sowie 189
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Die letzten drei Worte „mit entsetzenerfülltem Ausdruck“ (Wagner 1876). Die letzten Worte „in ruhigem ernst-bedeutsamen Tone“ (Wagner 1876). „Lebhafter“ (Wagner 1876).
am Ende zögernd und auf einer Fermate192 innehaltend: Wotan kommt der Gedanke, dass es erfolgversprechender sein könnte, wenn er die Urmutter nicht mit Gewalt bedrängt, sondern sie erotisch verführt, um an ihr Wissen zu gelangen. Jetzt bricht Donner das lähmende Schweigen, „sich entschlossen zu den Riesen wendend“, und versichert diesen an Wotans Stelle: Hört, ihr Riesen! … Das Gold wird euch gegeben. (Er sagt freilich nicht: „der Ring“ …) Die dazu erklingenden harten Akkorde der „natürlichen“ Hörner und aller Streicher erinnern vage an die ähnlichen Schläge zu Donners vorherigem Gewaltausbruch gegen die Riesen (vgl. S. 153). Dort entlarvten allerdings die Tuben diesen als Stellvertreter für Wotan, jetzt hören wir die bei solchen Akkorden ähnlich, aber nicht gleich klingenden Hörner, die hier für die einzig „natürliche“ Lösung stehen. Diese hat Wotans Unterbewusstsein zwar schon als solche erkannt, sein verblendeter Verstand will sie aber offensichtlich noch nicht wahrhaben. Erst Freias bittere Rhetorik Darf ich es hoffen? Dünkt euch Holda wirklich der Lösung wert?, in der sie sogar sarkastisch ihren Kosenamen verwendet, zu der wir aber weder ihr originales Leitmotiv noch das Motiv ihrer Äpfel hören, wohl aber am Ende eine verzerrte, über zwei Oktaven abfallende Umkehrung ihres Motivbeginns, lässt den Göttervater offenbar darüber nachdenken, seinen maßlosen Machtanspruch tatsächlich aufzugeben. Klangsymbolisch hören wir dies in den jetzt wieder vollständigen Tuben mit dem Erda-Motiv, und noch einmal ist dessen vierte Note hochalteriert. Grundiert wird es von der Kontrabasstuba und der Pauke, die hier die Terz Ges und die Quinte B durchhalten: Die Zukunft ist zwar immer noch unsicher, aber etwas weniger als vor Erdas Erscheinen. Denn jetzt fasst Wotan seinen „mutigen Entschluss“: Wir hören plötzlich eine akkordisch auffahrende Achteltriole der Trompeten, die seit dem kurzen Todes-Rhythmus auf dem Höhepunkt von Alberichs Fluch (vgl. S. 144) fast völlig geschwiegen hatten. Wotan „erfasst seinen Speer“, und dazu spielen die Posaunen dessen um die erste Note verkürztes und leicht variiertes Motiv. An dieser entscheidenden Stelle fallen also szenisches und musikalisches Symbol für den mit den Riesen geschlossenen Vertrag plakativ zusammen, ohne dass dieser noch einmal explizit erwähnt wird. 192
Nach dieser fordert Wagner 1876: „Pause!“
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Im Gegenteil: In der anschließenden, von Pathos triefenden Verkündung seiner Entscheidung, den Ring doch wegzugeben, erweckt Wotan sogar großspurig den Anschein, als hätte er Freia nun wieder (also: zurück) gekauft. Er versucht damit offensichtlich vergessen zu machen, dass er es war, der sie zuerst bedenkenlos an die Riesen verschachert hatte und dann den Vertrag brechen wollte, dass die Götter jetzt also nur froh sein können, wenn die Riesen den Hort und den Ring als Ersatz akzeptieren. Und an diese juristische Realität erinnern uns – aber anscheinend nicht ihn – die zwei dazwischen erklingenden harten Doppelakkorde der Posaunen. Mit seiner eindringlichen Phrase Kehr’ uns die Jugend zurück entlarvt er sich dann in gewisser Hinsicht allerdings doch, denn er singt sie nicht etwa zu der Musik Freias oder ihrer Äpfel, sondern auf das Motiv der Liebesbedürftigkeit, begleitet von den „natürlichen“ Hörnern.
Der Mord an Fasolt „Er wirft den Ring auf den Hort. Die Riesen lassen Freia los.“ Dazu hören wir eine sehr aufgeregte, schließlich ab „Sehr lebhaft“ auch jubelnde Musik, die eine freie, umgekehrt gereihte Variation der beiden Teile von Freias ursprünglichem Motiv ist. Dies und das erneute Fehlen jeder weiteren Äußerung Freias ist noch einmal ein deutliches Indiz dafür, dass die Göttin der Liebe inzwischen offensichtlich „nicht mehr dieselbe“ ist wie in der 2. Szene. Für diese Deutung sprechen auch die zwei etwas versteckten doppelten Wehe-Sekunden in den „menschlichen“ Geigen und synkopisch in den „klagenden“ Oboen vier und drei Takte vor „Sehr lebhaft“. Dessen ungeachtet sind der erste und dritte Takt in diesem neuen Tempo melodisch, harmonisch und sogar tonartlich identisch mit dem Anfang des ersten Rheintöchter-Motivs, Woglindes Weia! Waga! mit dem die 1. Szene begonnen hatte. Vielleicht deutet dies auf die naive Erwartung der anderen Götter hin, dass mit Freias Rückkehr alles wieder wie früher werden möge, so als wäre in der Zwischenzeit gar nichts geschehen. Allerdings sind diese beiden Takte, vor allem mit ihrer jeweiligen Weiterführung in den Holzbläsern, auch eine sehr freie, doppelt so breite Dur-Variante des zweiten Takts von Freias Motiv, der seinerseits auf das Liebes/Selbstbetrugs-Motiv zurückgeht (vgl. S. 75
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und 154f.). Damit wird diese frohe Erwartung der Herrschenden schonungslos eben als Selbstbetrug entlarvt, der die Konsequenzen des eigenen Verhaltens nicht sehen kann oder will. Der zweite und vierte Takt nach „Sehr lebhaft“ sind dagegen eine Dur-Variante des ersten Takts des Freia-Motivs. Und die ab dem sechsten Takt von den hohen Streichern gespielte Achtel-Tonleiter, die ja mit dem noch kurz zuvor gehörten Vertrags-Motiv verwandt ist, aber hier über zwei Oktaven und doppelt so schnell abwärts drängt, versucht im Sinne dieser Deutung wohl die Götter auf den Boden einer auch für sie geltenden Realität zurückzuholen, in der auch in Zukunft Verträge und Gesetze einzuhalten sind. Die jubelnde Musik schwingt daher jetzt nachdenklich aus, bis Fasolt und Fafner sich daranmachen, den Hort unter sich aufzuteilen („Langsamer“). Dazu erklingt wieder der verkürzte Kopf des Riesen-Themas im Wechsel mit der „Mime-Variante“ des SchmiedeMotivs, die beide zu Beginn im Spannungsfeld eines kleinen Nonenakkords stehen, wie wir ihn unter anderem aus der harmonischen Auffüllung der Wehe-Sekunde kennen, aber auch aus dem unmittelbaren dissonanten Zusammenklang von Schmiede- und WeheMotiv, den wir immer wieder gehört haben. Ab Fafners Mehr an der Maid als am Gold lag dir verliebtem Geck tritt in den Klarinetten noch leise der harmonisch geschärfte Rheingold-Ruf hinzu. Und zu seinem Teil’ ich den Hort, billig behalt’ ich die größte Hälfte für mich! sowie zwischen Fasolts Schändlicher du! und Mir diesen Schimpf! hören wir in den tiefen Streichen dreimal direkt das Wehe-Motiv in jeweils anderer Harmonisierung. Nun ruft Fasolt die Götter um Hilfe, und Loge empfiehlt ihm: Den Hort lass ihn raffen; halte du nur auf den Ring! Auf das letzte Wort spielen die Geigen wieder das leise Pizzicato. Die in diesem Rat versteckte Perfidie wird durch das Anklingen von Alberichs Hass-Motiv offenbar. Wie immer bei Loge muss man allerdings auch hier sehr genau hinhören, denn das Motiv erklingt nicht vollständig und auch nicht in seiner ursprünglichen Gestalt: Die charakteristischen Klarinetten sind durch die „verschlagenen“ Bratschen ersetzt, und in ihrem synkopierten Rhythmus fehlt jeweils die letzte Akkord-Repetition, aber auch die Weiterführung in den auffälligen übermäßigen Dreiklang. Die darauf folgende achttaktige Zuspitzung des Streits der Riesen-Brüder wird von einer rhythmisch geschärften, hemiolisch
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synkopierten Variante des Ring-Motivs begleitet, die nahezu identisch ist mit der grellen, hysterischen Version, die wir in der 3. Szene gehört haben, als Mime hoffte, mithilfe von Tarnhelm und Ring ebenfalls seinen Bruder (Alberich) unterwerfen zu können (vgl. S. 109f.). Sie steigert sich in zwei viertaktigen Anläufen bis zum Mord an Fasolt. Für die letzten eineinhalb Takte193 erklingt der Leitakkord für Angst, der kleine Sekundakkord, hier auf Fis, zu dem der hektisch in Dreiklängen abfallende erste Lebenskraft-Rhythmus aggressiv aufsteigend sequenziert wird. Und wenn wir genau hinhören, können wir außerdem über die ersten sechs Takte der Steigerung zuerst in den Kontrabässen und Celli, dann auch in einer Basstuba einen Anklang an die ersten Takte des Wurm-Themas vernehmen. Dies mag ein versteckter Hinweis auf den Drachen sein, in dessen Gestalt wir Fafner im „Siegfried“ wiederbegegnen werden, vor allem aber ist es eine Variation dieses ersten Leitmotivs für Furcht, das hier am Ende, mit der Auflösung des Sekund/AngstAkkords in den Basston Eis zudem noch eine dreitaktige WeheSekunde bildet. Und um das Maß der Bedrohung voll zu machen, hören wir zunächst im Becken, dann fünfmal in den Posaunen den Todes-Rhythmus: Innerhalb von vier Takten lässt Wagner an dieser dramatischsten Stelle des „Rheingolds“, dem Handgemenge vor dem ersten von acht Morden, die wir insgesamt in der Tetralogie auf der Bühne erleben, im Orchester also tatsächlich alle sieben musikalischen Symbole erklingen, die in diesem Vorabend in einer Beziehung zu Bedrohung, Angst oder Tod stehen! Der Mord selber findet hingegen wieder zu einem „klassischen“ verminderten Septakkord statt,194 von den Bläsern einen Takt lang im Fortissimo ausgehalten, während die Streicher ihn als abwärts gerichtetes Arpeggio im Schmiede-Rhythmus spielen. Übrig bleibt der „diabolische“ Tritonus Eis (in den Celli und Kontrabässen) und H (in der Pauke), der in ostinater Repetition mit an Alberichs HassMotiv erinnernden synkopischen Hemiolen Fasolts Todeszuckungen drastisch beschreibt. Diese verlangsamen sich, und mit der letzten Synkope stirbt er: Die Pauke schlägt den Todes-Rhythmus! Und 193
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Für den letzten Takt dieser Steigerung, zu Fasolts Halt ihn fest, dass er nicht fall’!, fordert Wagner 1876: „Starkes accelerando“. So etwa im berühmten im Fortissimo herausgeschleuderten „Barrabam“Akkord, einem der dramatischen Höhepunkte von Bachs „MatthäusPassion“.
natürlich wird Fafners „mit Hohn“ (Wagner 1876) zu singender Kommentar Nun blinzle nach Freias Blick! An den Reif rührst du nicht mehr! von den Hörnern und Fagotten mit vier über den gleichen verminderten Septakkord absteigenden Terzen, also einer verzerrten ersten Hälfte des Ring-Motivs kommentiert. Auch die Todesprophezeiung aus Alberichs Fluch hat sich also zum ersten Mal erfüllt. Nach dem zweimaligen zur Triole erweiterten Todes-Rhythmus in den Bratschen erklingt dementsprechend im Unisono der Posaunen über einem drohenden Paukenwirbel die endgültige rhythmische Version des Fluch-Motivs, wie wir ihr an entscheidenden Stellen der Tetralogie weitgehend unverändert wiederbegegnen werden. Und im letzten Takt des Motivs leiten „Wotans“ Tuben dessen zum ersten Mal ehrlich „erschütterte“ (Szenenanweisung) Reaktion ein: Furchtbar nun erfind’ ich des Fluches Kraft! Daraufhin wird das Fluch-Motiv von den Posaunen einen Ton tiefer, aber noch beängstigender, nämlich im Crescendo bis zum Fortissimo wiederholt („Die Pauken heraus“, fordert Wagner 1876 für den begleitenden Wirbel); hier fehlt allerdings der Akkorddurchgang am Ende. Jetzt versucht Loge durch seine „mit scharf-ironischem Tone“ (Wagner 1876) vorgetragene Zusammenfassung der Situation die Götter aus ihrem dumpfen Sinnen zu reißen: Was gleicht, Wotan, wohl deinem Glücke? Das Orchester kommentiert dies allerdings mit einer weiteren entschärften Version von Alberichs Hass-Motiv (hier fehlt vor allem der gestopfte Hornton) und entlarvt so für den aufmerksamen Zuhörer Loges Lobhudelei als (bewusst?) nachlässig verschleierten, beißenden Zynismus. Zu seinen Worten Deine Feinde – sieh! – fällen sich selbst um das Gold, das du vergabst nimmt die Musik dann zum letzten Mal im „Rheingold“ Bezug auf die Riesen: mit dem verkürzten Kopf ihres Motivs im Wechsel zwischen Streichern sowie Hörnern und Fagott. Aber offensichtlich wirkt dieser menschenverachtende Euphemismus von Loges Resümee diesmal bei Wotan nicht, denn auch der andere Teil des Fluchs entfaltet weiter seine Wirkung: Wie doch Bangen mich bindet! Sorg’ und Furcht fesseln den Sinn. Dazu erklingt in den Posaunen zweimal in zögernd schleppenden Synkopen wieder die verlängerte absteigende Terzenkette der ersten Hälfte des RingMotivs: Die Sorge um und die Furcht vor dem Ring ist nun in der
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Welt und für alle zum unerbittlichen, ehernen Lebensgesetz geworden! Um sie zu überwinden, fasst Wotan jetzt definitiv den Entschluss, sich bei Erda weiteren Rat zu holen; wir hören ihr Motiv in den Streichern, in Dur, chromatisch geschärft und weiter ausgesponnen. Es geht nach vier Takten in eine mit leisem Tremolo gespielte, also wie hinter einem Schleier liegende Ahnung des Ring-MotivBeginns über. Fricka versucht, „schmeichelnd sich an ihn schmiegend“, mit dem Hinweis auf die hehre Burg, die des Gebieters gastlich bergend nun harrt, ihn von seinen dunklen Gedanken abzubringen. Dazu erklingt eine Variation des fünften bis siebten Takts des WalhallThemas korrespondierend mit dem hier jeweils doppelten, aber duolischen Todes-Rhythmus. Und auch die Veränderung der Orchestration ist instrumentensymbolisch interessant: Hörner und Fagotte sowie Oboe, Englischhorn und Klarinette ersetzen hier Tuben, Trompeten und Posaunen. Allerdings verrät Frickas Tonfall bereits vorher den wahren, unausgesprochenen Grund ihres Ablenkungsversuchs, ihre Furcht vor einem neuen ehebrecherischen Liebesabenteuer ihres Gatten, nämlich mit Erda: Die vorangehenden Fragen Wo weilst du, Wotan?195 Winkt dir nicht hold die hehre Burg singt sie, unterstützt zunächst von der Klarinette, dann von den ersten Geigen, als Paraphrase auf das Motiv der Gattentreue, mit dem sie Wotan schon am Beginn der 2. Szene für die Zukunft von seinem notorischen Fremdgehen abhalten wollte. Wotan antwortet ihr ausweichend und „düster“: Mit bösem Zoll zahlt’ ich den Bau, wobei die beiden letzten Worte wieder den Tritonus bilden. Dazu hören wir eine bedeutungsvolle und einmalige Verkettung der drei betreffenden Leitmotive: Dem ersten Takt des Walhall-Themas, der hier an den vorangegangenen „siebten“ Takt anschließt – eine Wendung, die wir einen Ton höher im originalen Walhall-Thema vom zehnten auf den elften Takt schon gehört hatten (am Anfang der 2. Szene) –, folgt direkt das vollständige Ring-Motiv. Sein aufsteigender zweiter Teil ist wiederum melodisch fast identisch mit den ersten beiden Terzen des Fluch-Motivs (mit Ausnahme der Achtel-Durchgangsnote und der damit um einen halben Takt vorgezogenen Punktierung). Dies wird jedoch erst hier plötzlich evident durch dessen direkte Fortsetzung im 195
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„Nicht schleppen“ (Wagner 1876).
Unisono der Posaunen. Und auch der in den kleinen Nonenakkord führende akkordische Abschluss der Tuben fehlt diesmal nicht.
Die Regenbogenbrücke und der Einzug der Götter in Walhall Über weiterhin anhaltenden, dunkel-geheimnisvollen Akkorden der Tuben, deren Oberstimme eine langgezogene Wehe-Sekunde bildet (harmonisch handelt es sich um die Moll-Version des RheingoldRufs), macht sich Donner nun anheischig, den im Hintergrund noch lastenden Nebel, das mit den Tuben korrespondierende szenische Symbol für Wotans dumpf brütende Gedanken, mit seinem Hammer zu vertreiben: Schwüles Gedünst schwebt in der Luft … Das bleiche Gewölk samml’ ich zu blitzendem Wetter, das fegt den Himmel mir hell! Dabei markiert er gegen Ende der Phrase wie in trotziger Selbstbeschwörung dreimal den ersten Lebenskraft-Rhythmus. Es folgt seine einzige längere Äußerung im ganzen „Rheingold“, gewissermaßen seine „Arie“. Sie ist musikalisch breiter ausgeführt: Das Orchester schildert mit in Sextolen gebrochenen, anfangs sich aufwärts bewegenden Akkorden in den vielfach geteilten Streichern196 das Sammeln des Nebels „in einer immer finsterer sich ballenden Gewitterwolke“. Donners Heda! Heda! Hedo!197 ist mit seiner Dreiklangsmelodik und den energischen Quart-Auftakten aus dem Rheingold-Motiv und damit direkt aus dem Ur-Motiv abgeleitet. Als Gewitter-Motiv werden wir ihm im Vorspiel zum 1. Aufzug der Walküre wiederbegegnen. Sein Naturbezug wird zudem von den Hörnern unterstrichen, die es zunächst zweimal, jeweils einen Ganzton höher wiederholen; dann übernehmen es die Tuben, nochmals eine große Terz höher, als Zeichen, dass auch Wotans Energie und damit sein Machtanspruch zurückkehrt, und schließlich dröhnt es, zum verminderten Septakkord verzerrt, im Unisono der Trompeten und Posaunen. Dieses letzte Klangsymbol mit dem signifikanten Tritonus in der Mitte kann man als vorausschauende Mahnung an Wotan deuten, dass im nun die Welt beherrschenden Spannungsfeld 196
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„Nicht langsam, damit die Streicherfiguren nicht lahm werden“ (Wagner 1876). „Nicht breiter werden“ (Wagner 1876). Mit diesem Motiv ließ übrigens Kaiser Wilhelm II. die Hupe seines ersten Autos ertönen.
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zwischen den seinem Speer eingeschriebenen Gesetzen und Alberichs Fluch jede noch so kreative Idee mit ihrer Umsetzung in die Tat immer die Möglichkeit tödlichen Scheiterns in sich birgt. Dies wird sich bis zum Ende der „Götterdämmerung“ für alle Protagonisten bewahrheiten. Insofern klingt es fast verzweifelt, wenn Donner im Verlauf seiner Beschwörung sieben Mal geradezu manisch den ersten Lebenskraft-Rhythmus singt. Nach einer weitgehend chromatischen, drohend aufsteigenden Triolenkette „hört man seinen Hammerschlag schwer auf den Felsen fallen. Ein starker Blitz entfährt der Wolke; ein heftiger Donnerschlag folgt.“ All dies wird von der Musik naturalistisch geschildert. Das Gleiche gilt auch für Frohs Regenbogenbrücke, die nun sichtbar wird, nach sechs Überleitungstakten mit den gestoßenen Sechzehntel-Sextolen, die wir aus Donners früherer Musik zu seiner Aggression gegenüber den Riesen kennen (vgl. S. 78 und 153). Mit Beginn der Regenbogen-Musik („Mäßig bewegt“198) ist die „Coda“ und damit die Schlusstonart des „Rheingolds“, Des-Dur, erreicht; allerdings erklingt zuerst deren Subdominante Ges-Dur. Wieder hören wir eine weiche Sextolen-Bewegung, jetzt allerdings statisch schillernd und nur noch in den Geigen sowie zum ersten Mal im „Ring“ unterstützt vom vollen, „verführerischen“ Klang aller sechs Harfen mit durchlaufenden Arpeggien, während die hohen Holzbläser die entsprechenden Akkorde in Achteltriolen ostinat repetieren. Die von Hörnern, Celli und tiefen Holzbläsern dazu angestimmte, über einen Bogen von jeweils eineinhalb Oktaven ausschwingende Dreiklangsmelodik im Rhythmus der ersten beiden Takte des Walhall-Themas ist melodisch eine variierte Umkehrung von ebendessen Beginn. Sie wird in viertaktigen Perioden dreimal akkordisch aufwärts sequenziert, wobei die dritte Periode mit dem zweiten bis siebten Ton des Ur-Motivs (nach Ges-Dur transponiert) identisch wird und damit die direkte Verbindung zur unberührten Natur herstellt, für die das physikalische Phänomen des Regenbogens von alters her steht. Wagner verwendet es hier als szenisches Symbol einer Brücke zwischen der Erde und dem neuen Sitz der Götter, eben Walhall; sie findet sich bereits in der „Edda“ und heißt
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„Gehendes Zeitmaß“ (Wagner 1876).
dort „Bifröst“. Im Alten Testament steht der Regenbogen als Zeichen für den Friedensbund, den Gott nach dem Ende der Sintflut mit der Menschheit für alle Zeiten schließt. Nach insgesamt 20 Takten, auf das letzte Wort von Frohs Ermunterung Beschreitet kühn ihren schrecklosen Pfad!, setzen mit einer plagalen Kadenz199 die Tuben und die Kontrabassposaune mit dem Walhall-Thema ein.200 Zusammen mit den vier Takte später hinzutretenden Trompeten und Posaunen spielen sie für 13 Takte eine weitere identische Wiederholung der ursprünglichen Version vom Beginn der 2. Szene, zu der allerdings hier die Geigen und Harfen ihre Sextolen-Begleitung beibehalten. Ab dem 14. Takt entwickelt sich das Walhall-Thema jedoch über die aus dem zweiten Themenschluss stammende Basstrompeten-Floskel (vgl. S. 60f.) anders weiter, und Wotan setzt zu seinem Monolog an: Abendlich strahlt der Sonne Auge, in prächtiger Glut prangt glänzend die Burg. Er verwendet mit prächtig, prangt und Burg zunächst dieselben Worte wie in seiner schwärmerischen ersten Begrüßung des Baus. Dann aber zieht er ein bitteres Resümee des seitdem vergangenen Tages: Von Morgen bis Abend, in Müh’ und Angst, nicht wonnig ward sie gewonnen. Dazu hören wir im Orchester allerdings nicht etwa eine Aneinanderreihung der Leitmotive, die mit den einzelnen dramatischen Ereignissen an diesem Tag in Beziehung stehen, sondern nur das Motiv, das für deren Auslöser, also den Ring steht. Es erklingt zu den weiterhin in den oberen Streichern durchlaufenden Sextolen wie in einer expressiven Endlosschleife viermal hintereinander, ab dem dritten Mal um eine Terz nach unten transponiert, und die mit den Celli parallelgehenden Hörner werden dabei von den Klarinetten ersetzt. Die Klangsymbole deutend, kann das heißen: Der Ring und sein Fluch sind nun einmal in der Welt und damit gewissermaßen naturgegeben; beides wird in der Zukunft viel Leid auslösen, vor allem bei den liebenden Frauen (Sieglinde, Brünnhilde und Gutrune). Unvermittelt geht die Musik danach in den Angst-Akkord (wieder auf C) über, zu dem wir in Oboen, Englischhorn und Horn
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Wie schon beim „Scherzo“ in der 3. Szene (vgl. S. 116f.) finden wir auch für diese Stelle Parallelen in der Symphonik, denn eine solche plagale Kadenz prägt in der Romantik sehr oft die Coda von Ecksätzen. „Das Walhall-Thema bei aller Tonfülle doch wie im zartesten piano zu spielen“ (Wagner 1876).
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plötzlich klagend auffahrend eine chromatisch und rhythmisch verfremdete Dur-Version des Erda-Motivs hören. Wotan, ihre Weissagung und Alberichs Fluch noch im Ohr, fasst hier einen weiteren Entschluss: Nicht mehr als prahlender Prachtbau, wie noch in der zweiten Szene intendiert, soll „Walhall“, wie er die Burg gleich taufen wird, dienen, sondern als Wehr- und Schutzburg: Es naht die Nacht: vor ihrem Neid biete sie Bergung nun. Und um das prophezeite Bang’ und Grau’n, das er inzwischen fühlt, zu überwinden, kommt ihm jetzt „ein großer Gedanke“ (so Wagners Regieanweisung), hörbar in der Trompete mit dem hier zum ersten Mal, „sehr energisch“ erklingenden sogenannten Schwert-Motiv. Diese Stelle ist im gesamten „Ring“ wohl der markanteste Beweis dafür, dass Wagner, wie wir schon beim Ring/Welterbe- oder beim Vertrags/Speer-Motiv, aber auch beim Riesen-Thema gesehen haben, mit den Leitmotiven, die auf Dinge oder Personen bezogen sind, nie diese selbst meint, sondern immer die jeweils dahinterstehende psychologische oder philosophische Idee, für die diese Requisiten oder Charaktere wiederum die sichtbaren szenischen Symbole sind. Und in diesem Fall ist auf der Bühne ein Schwert noch nicht einmal zu sehen.201 (Trotzdem bleibe ich der einfacheren Begrifflichkeit wegen beim allgemein üblichen Namen.) Einerseits steht dieses neue, besonders ohrenfällige Symbol jenes plötzlichen „großen Gedanken“ Wotans zwar tatsächlich für das Schwert Nothung, das der Göttervater später, bei der Verheiratung seiner Tochter Sieglinde mit Hunding in den Stamm von dessen Haus-Esche stoßen wird, damit sein Sohn Siegmund, der als Einziger stark genug sein wird, es herauszuziehen, mit diesem Schwert für ihn Fafner töte und ihm den Ring zurückbringe. Andererseits kommt Wotan vielleicht hier schon die weitere Idee, nicht nur zu Erda hinabzusteigen, um mehr über die Zukunft der Welt zu erfahren, sondern mit ihr auch die Walküren zu zeugen, die auf den
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Allerdings bringt Felix Mottl in seinem Klavierauszug des „Rheingolds“ an dieser Stelle folgende angebliche Regieanweisung Wagners: „Fafner hat vor seinem Abgang ein zum Horte gehörendes unscheinbares Schwert verächtlich vor sich hingeworfen. Jetzt erblickt es Wotan und hebt es als Symbol [!] seines ‚großen Gedankens‘ gegen die Burg. (Ausdrückliche Angabe des Meisters an den Sänger [des Wotan in der Uraufführung, Franz] Betz)“.
Schlachtfeldern die kühnsten Helden auswählen und seiner Götterburg zuführen sollen, als Elitetruppe zur Verteidigung gegen einen eventuellen Angriff von Alberich und seinem Nibelungenheer. Dieser ganze Abschnitt, vom Walhall-Thema über das Ring- und das alterierte Erda-Motiv mit dem Angst-Akkord bis hin zum SchwertMotiv, zusammen mit der jeweiligen Kombination der symbolischen Klangfarben ist zudem ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Wagners Orchester durchaus nicht immer „allwissend“ ist. Vielmehr sind seine Kommentare vom Komponisten in erstaunlich genauer Analyse manchmal eher einem mentalen Prozess nachgebildet, in dem Gedanken und Ideen aus einer diffusen Ahnung des Unterbewusstseins heraus entstehen und erst nach und nach Gestalt annehmen, bis sie endlich klar vor Augen stehen. Auch das Schwert-Motiv ist als melodische und rhythmische Erweiterung des Endes der kurz zuvor erklungenen Fassung von Erdas Motiv wieder direkt zurückzuführen auf das Ur-Motiv, die aufsteigende Dreiklangsbrechung, mit der die Tetralogie begann. Es ist auch im weiteren Verlauf des „Rings“ das charakteristische Leitmotiv der Trompete, und vor allem diese höchst eindrucksvolle Stelle konnotiert den Klang des strahlendsten Blechblasinstruments zwar nicht zum ersten Mal, aber am einprägsamsten mit dem Entschluss eines kreativen Geists bzw. der folgenden dynamischen Tat. Mit dem Einsatz des Motivs hat die Musik wie in einem Fenster in einen 4/4-Takt gewechselt und ausgerechnet in das „suspekte“ CDur moduliert, das, wie wir gesehen haben, die Tonart unreflektierter Naivität (so im Rheingold-Jubel der Rheintöchter, vgl. S. 44) und/oder des (Selbst-)Betrugs ist (besonders im jubelnden Schluss des „Siegfried“). Wotans „sehr entschlossener“ Gesangsphrase So grüß’ ich die Burg, sicher vor Bang’ (und Grau’n!) werden wir daher in gleicher Melodie, Harmonie und Streicherbegleitung zu Beginn von Siegmunds Monolog im 1. Aufzug der „Walküre“ wiederbegegnen (Ein Schwert verhieß mir der Vater, ich fänd’ es in höchster Not), denn auch dort handelt es sich, wie sich herausstellen wird, in Wahrheit um eine Selbsttäuschung. Anschließend erklingt das neue Motiv noch einmal, allerdings diesmal ohne die energetische Auftakt-Quarte und über den „falschen“ Harmonien a-Moll und C-Dur-Quartsextakkord, die hier zusätzlich von den Posaunen unterstrichen werden. Dies und die an den letzten Ton angehängte, jetzt unter dem strahlenden hohen g2
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der ersten Trompete etwas versteckte Floskel der zweiten Trompete, die aus dem zweiten Schluss des Walhall-Themas übernommen ist und eine Dur-Variante des Liebes/Selbstbetrugs-Motivs darstellt, verstärken noch die Ahnung, dass Wotans Pläne nicht aufgehen, sondern im Gegenteil in seinen und der Götter Untergang führen werden. Zu seiner Namensgebung der Burg, dem kurzen „Arioso“ Folge mir, Frau! In Walhall wohne mit mir, leiten die unterstrichenen Silben mit den Tönen c-des die Rückmodulation nach Des-Dur ein, so wie vorher der Wechsel nach C-Dur über dieselbe, dort allerdings im Angst-Akkord gleichzeitig erklingende kleine Sekunde begann. Zudem setzen auf dem Wort Frau wieder die Tuben ein: Wotan stellt seine zurückgewonnene Selbstsicherheit zur Schau und bekräftigt seinen Machtanspruch, für den die Burg ja als szenisches Symbol steht. Beim folgenden nochmaligen Erklingen des Walhall-Themas scheint er diesen dann allerdings verbergen zu wollen: Hier spielen wieder die Hörner als Zeichen einer von ihm noch einmal vor sich und den anderen Göttern postulierten „Naturnotwendigkeit“ seiner Macht, ähnlich wie nach dem Beginn der 2. Szene (vgl. S. 59f.). Da jedoch die Tuben auch weiterhin, nun allerdings als „getupfte“ Begleitung präsent sind, die Trompeten wieder einen triolischen Todes-Rhythmus einflechten und die Hörner laut Wagner hier „nicht gebunden, aber gut gehalten“ spielen sollen, entsteht – jetzt zusammen mit dem langsamen zweiten Lebenskraft-Rhythmus – im Walhall-Thema der Eindruck einer surrealen Blechbläser-Sarabande als ahnungsvoller Totentanz. Er kommentiert Frickas Skepsis gegenüber Wotans großspuriger „Taufe“ der Burg und dessen vor Arroganz triefende Rätsel-Antwort darauf: Was mächtig der Furcht mein Mut mir erfand, wenn siegend es lebt, leg’ es den Sinn dir dar. Nicht verklausuliert soll das wohl heißen: „Ich werde mit dir hier und jetzt nicht meine Pläne diskutieren, wie ich meine Angst überwinden und unsere Macht für die Zukunft sichern kann, denn sobald sie erfolgreich in die Tat umgesetzt sind und funktionieren, wird sich jede weitere Erklärung sowieso erübrigen.“ Und in Gedanken hinzufügen muss man wohl: „Zumal du erst recht kein Verständnis dafür haben wirst, dass ich die nötigen Weltretter – Siegmund (und Sieglinde) einerseits sowie die Walküren mit Brünnhilde andererseits – nicht mit dir zeugen werde, sondern mit einer Menschenfrau bzw.
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mit Erda.“ Freilich unterschätzt er damit seine Ehefrau kolossal, die ihm dies in der großen Auseinandersetzung im 2. Aufzug der „Walküre“ prompt vorhalten und ihn mit unwiderlegbarer Logik dazu zwingen wird, seinen Selbstbetrug zu erkennen, ja sogar seinen Sohn Siegmund zu opfern, sodass er zumindest den ersten Plan eben nicht wird siegend zu Ende führen können. Übrigens schleichen sich für zwei Takte (auf [er-]fand, wenn siegend es) die Tuben doch wieder auch melodisch in das Walhall-Thema hinein, das inzwischen zusätzlich von den Holzbläsern verstärkt wird; und auf die letzten sechs Worte setzen in einer angedeuteten kanonischen Fortführung dazu auch noch drohend die Posaunen ein. Die Götter schreiten „langsam der Brücke zu“. Zurück bleibt Loge – nachdem für alle Probleme scheinbar Lösungen gefunden wurden, ist er nun als Wotans Ratgeber offensichtlich arbeitslos und auf sich selbst zurückgeworfen. Wir hören wieder seine Musik, die seit der letzten Verwandlungsmusik die ganze 4. Szene über (außer drei sehr vagen Andeutungen zu Beginn, vgl. S. 134, 137 und 139) nicht mehr erklungen war, und zwar die Teile A (auf- wie absteigend), C und B seines Leitthemas in unregelmäßigem Wechsel. Dazwischen bzw. darüber schiebt sich immer wieder wie eine Mahnung an den drohenden Untergang die absteigende Terzenkette, also die erste Hälfte des Ring-Motivs, sekundiert vom Todes-Rhythmus in der Pauke. Loge überlegt, in Feuer, zur leckenden Lohe sich wieder zu wandeln, und als solches den Untergang der Götter herbeizuführen, sie aufzuzehren, statt sich ihnen anzuschließen und mit den Blinden blöd zu vergehn. Hierzu changieren die Terzen des Ring-Motivs dann unentschlossen jeweils einen Halbton auf und ab, und der Todes-Rhythmus schweigt für einen Moment. Wagner versagt sich hier überraschenderweise also jeglichen musikalischen Hinweis darauf, dass Loges Vision am Ende der „Götterdämmerung“ tatsächlich Realität werden wird. Seinem kurzen Selbstgespräch antworten stattdessen die Schlusstakte des Walhall-Themas, hier in Bassklarinette, Fagotten und Hörnern. Auch der erweiterte und triolische TodesRhythmus setzt in Trompete und Pauke wieder ein und wird, zumindest von dieser, bis zum Schluss des „Rheingolds“ fast ununterbrochen ostinat durchgehalten. Dummerweise führt die Regenbogenbrücke über ein vor Walhall liegendes „Tal, durch das der Rhein fließt“ (Szenenanweisung zu Beginn der 2. Szene). Von dort hören die Götter – und wir – ab
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dem letzten Takt des Walhall-Themas zu der weiterhin beibehaltenen Pizzicato-Begleitung nun eine Harfe („hinter der Szene“) mit dem ersten Wellen-Motiv; und einen Takt später ergreifen die Rheintöchter die ideale Gelegenheit, den in diesem Moment über ihnen vorbeischreitenden Göttern persönlich ihr Leid zu klagen: Rheingold! Rheingold! Reines Gold! Die beiden Rheingold-Rufe erklingen hier nicht mehr als jubelnder diatonischer DominantSeptnonenakkord über dem Grundton C, sondern sie sind nun als Anklage chromatisch geschärft, indem die Quinte der Dominante hochalteriert ist: Über der neuen Tonika As singen die Rheintöchter also nun g, h und f. Und auch die Weiterführung im dritten Takt haben wir nicht von ihnen in der 1. Szene gehört, sondern im begeisterten Orchesternachspiel von Loges Bericht (vgl. S. 87). Ansonsten baut die folgende Klage der Rheintöchter auf dem musikalischen Material ihrer früheren Terzette auf, kombiniert und variiert dieses aber zu einer neuen, eigenständigen Strophe. So nehmen zum Beispiel die beiden Takte Um dich, du klares, wir nun klagen den Duktus des Beginns des dritten, aber den Dur/Moll-Wechsel aus dem vierten Terzett wieder auf (vgl. S. 47 und 50); sie verfremden ihn aber durch die Übernahme des alterierten Rheingold-Akkords vom Beginn dieser Strophe (mit ausdrucksstarker auftaktiger Vorschaltung eines ebenfalls alterierten und damit übermäßigen DominantDreiklangs) und durch die folgende Erniedrigung des f zum fes (auf nun klagen), also die Ersetzung der großen Sekunde durch die kleine Wehe-Sekunde. Zudem hören wir gleich anschließend mit dem insistierend wiederholten Gebt uns das Gold zweimal den energischeren zweiten Lebenskraft-Rhythmus, der in den Terzetten der 1. Szene nur ein einziges Mal aufgeblitzt war. Zu Wotans dazwischengeworfener Frage Welch Klagen dringt zu mir her? unterbricht das Rheingold-Motiv kurz den Gesang der Schwestern, allerdings hier gespielt vom Horn statt von der Tatkraft symbolisierenden (Bass-)Trompete und um den dynamischen punktierten Quart-Auftakt verkürzt: Für die Rheintöchter ist das Gold nur ein einfacher, aber wichtiger Bestandteil der Natur, dessen strahlender Glanz die Tiefe ihrer Welt erhellt und lebenswert macht. Die ihm innewohnende energetische Kraft, die Alberich das Schmieden des Rings ermöglicht hat, ist ihnen völlig gleichgültig. Jetzt braucht Wotan Loge doch noch einmal: Wehre ihrem Geneck! Er ist sich offenbar zu fein (oder zu feige), um den Rheintöch-
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tern persönlich zu antworten. Zum letzten Mal übernimmt Loge also die Rolle des Stabschefs bzw. Pressesprechers und erteilt in Wotans Namen den Rheintöchtern eine Abfuhr, die an Zynismus kaum zu überbieten ist: Glänzt nicht mehr euch Mädchen das Gold, in der Götter neuem Glanze sonnt euch selig fortan! Die letzten beiden Worte singt er auf die Dur-Fassung des Liebesbetrugs-Motivs, mit der schon das Walhall-Thema beim zweiten Erklingen geendet hatte. Über dem weiterhin durchgehenden Todes-Rhythmus der Pauke variieren die Streicher während der ganzen Stelle nach und nach den fünften Takt des Walhall-Themas, der zusammen mit dem hier allerdings nur einstimmigen Kontrapunkt der Celli erklingt, wie wir ihn ähnlich in der 2. Szene zu Wotans und in Nibelheim zu Alberichs Macht-Träumereien gehört hatten (vgl. S. 60 und 119f.). Gegen Ende von Loges „Tröstungsangebot“ ist die allmähliche Veränderung dieses Motivs so weit fortgeschritten, dass sie nun von den Hörnern im Staccato, aber immer noch im gehaltenen Tempo, als raumgreifendere Dreiklangsvariante übernommen wird, mit der nun statt Alberich Wotan seinen Anspruch auf die Weltherrschaft bekräftigt, den sowohl er wie auch die übrigen Götter ja als „natürlich“ ansehen. Diese Variante mündet im vierten Takt, also mit Loges „Pointe“, in die vom Ende der 3. Szene her bekannte, aber nun ebenfalls verlangsamte Floskel von Loges irrem Lachen, die aus dem DTeil seines Themas abgeleitet war (vgl. S. 122). Und in Lachen brechen nun auch die Götter aus, kommentiert allerdings von Trompete und Basstrompete mit einer drohend crescendierenden fünfmaligen Repetition des triolischen Todes-Rhythmus. Es folgt eine letzte, melodisch wiederum neue Strophe der Rheintöchter, nun auf der Subdominante Ges, in der jetzt selbst die Rheingold-Rufe völlig verfremdet sind: mit einem ces-MollDreiklang und einem Quartsprung abwärts in der Oberstimme (zwischen Woglinde und Wellgunde wechselnd) statt Nonenakkord und großer Sekunde. Sie wird wieder von der Bühnen-Harfe und dem Todes-Rhythmus in der Pauke begleitet. Darunter ist im Wechsel zwischen Celli und Kontrabässen, zwei Hörnern sowie eben der Pauke nur noch der Rhythmus des fünften Takts des WalhallThemas übrig geblieben. Er klingt nun geradezu federnd: Zu den bitteren Vorwürfen der Rheintöchter – Falsch und feig ist, was dort oben sich freut – schreiten die Götter ihrem pompösen neuen Regierungssitz offenbar tanzend entgegen!
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Mit einer plagalen Kadenz wie nach der Regenbogen-Musik, diesmal jedoch aus der Mollsubdominante, vollzieht sich mit dem letzten Ton der Rheintöchter auch jetzt die finale Rückkehr zum Walhall-Thema und zur Schlusstonart Des-Dur. Allerdings fehlen, wie nach der ersten Strophe der Rheintöchter, hier wieder die ersten vier Takte; das Thema der Götterburg setzt also erneut mit einer Variante seines B-Teils ein, von den Hörnern nun non legato, aber gehalten gespielt, in der Artikulation also ein „Kompromiss“ zwischen dem ursprünglichen Thementeil (legato) und dem melodisch gleich beginnenden Motiv des Anspruchs auf die Weltherrschaft (staccato). Gleichzeitig geht der Todes-Rhythmus wieder auf Trompete und Basstrompete über. Mit dem sukzessiven Hinzutreten der Holzbläser und der Tuben erweitert sich die nun ein- statt zweitaktige Sequenz in die Höhe und nimmt dabei immer mehr an Klangfülle zu, nach vier Takten überstrahlt vom noch einmal „sehr energisch“ einsetzenden Schwert-Motiv. Und die hier die Trompete in der unteren Oktave verdoppelnde Posaune sowie der jetzt auch wieder in den Pauken durchlaufende, immer lauter werdende triolische Todes-Rhythmus hämmern uns ein letztes Mal mit aller symbolischen Deutlichkeit ein, dass Wotans „großer Gedanke“ nur seine Macht schwächen und seine Handlungsfreiheit lähmen wird. (In eig’ner Fessel fing ich mich: ich unfreiester Aller!, wird er im 2. Aufzug der „Walküre“ erkennen.) All seine zukünftigen Aktionen werden das Gegenteil dessen bewirken, was er beabsichtigt, und den Untergang der Götter und der bestehenden Welt letztendlich beschleunigen. Mit dem szenisch hier nicht notwendigen Wiedererklingen des Schwert-Motivs komponiert Wagner also das, was wir heute einen „Cliffhanger“ nennen, um die Spannung auf den Fortgang der Handlung in der nächsten Folge der Dramenserie zu schüren.202 Zum dröhnenden Fortissimo des ganzen Orchesters einschließlich der sechs Harfen hören wir nun noch einmal die Melodie des Regenbogens in Bassklarinette, Fagotten, Tuben, Basstrompete, Kontrabassposaune, Celli und Kontrabässen. Damit schließt sich der große fünfteilige Formbogen, den der gesamte Schlussteil, also
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Wagner wiederholt diesen Effekt sowohl in der „Walküre“ mit dem Erklingen des Siegfried-Motivs kurz vor Schluss als auch im Schlussduett des „Siegfried“ mit der vorausahnenden Erwähnung der Götterdämmerung durch Brünnhilde.
die „Coda“ dieses Vorabends, ab dem Erscheinen der Regenbogenbrücke bildet: A-Teil
B-Teil
C-Teil
B’-Teil
A’-Teil
Ges-Dur
Des-Dur
C-Dur
Des-Dur (As, Ges)
Des-Dur
20 Takte
46 Takte
14 Takte
90 Takte
15 Takte
Regenbogen
Walhall, Ring
Schwert
Regenbogen Walhall, Loge, Rheintöchter
Die Schlusstakte werden von den übrigen Bläsern in gleicher Weise begleitet wie beim ersten Erscheinen des Regenbogens, jedoch spielen die Streicher nun die Sextolen kraftvoll gestoßen; dazu hämmern im unerbittlichen zwölfmaligen Ostinato drei Trompeten, drei Posaunen und die Pauke weiterhin den erweiterten triolischen TodesRhythmus, der sich hier zudem jeweils mit einem energetischen Quartsprung nach oben wendet. Diese bombastische Musik, zu der die Götter in eitler Selbstüberschätzung ihren Einzug in Walhall halten, ist von einem am Ende kaum mehr erträglichen Pathos und bekräftigt so auch physisch geradezu überwältigend Loges Prophezeiung: Ihrem Ende eilen sie zu, die so stark im Bestehen sich wähnen. Im vorletzten Takt stoppt schließlich die Bewegung fast aller Instrumente, nur die Harfen lassen zu einem gehaltenen Des-DurAkkord der Bläser ihre Sextolen-Arpeggien noch einen Takt länger hören und bestätigen damit instrumentalsymbolisch ganz am Ende dieses Vorabends noch einmal, was für Wagner das alles bestimmende, aber unauflösbare Dilemma dieser Welt ist: die Verführung der Macht!
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Dank Last but not least möchte ich den Personen danken, die mir während der langen, durch meine „hauptberufliche“ Tätigkeit als Dirigent immer wieder für gewisse Zeitabschnitte unterbrochenen Arbeit an diesem Buch geholfen haben und sie durch Anregungen und zum Teil auch durch Widerspruch mit vorangetrieben haben: meinen Freunden Daniel Schindler und Alexander Becker sowie auch meiner Tochter Isabel für die notwendige Anpassung der Formatierung des vor Jahren noch auf einem „Steinzeit“-Laptop geschriebenen Anfangs; Arne Stollberg und dem Herausgebergremium des „Wagnerspectrums“ für die Empfehlung des Buchentwurfs an den Verlag Königshausen & Neumann; Thomas Neumann von eben diesem Verlag für sein Interesse, das zur Annahme des Manuskripts führte; meinem früheren persönlichen Referenten, dem jetzigen Würzburger Operndirektor Berthold Warnecke für das glückliche Wiederauffinden des von ihm lektorierten ursprünglichen Texts der schon 2004 veröffentlichten ersten Fassung des Kapitels „Vom Leitmotiv zur Leitorchestration“; der Verwaltungsdirektorin des Theaters Münster Rita Feldmann für die Unterstützung unter anderem durch die freundliche Überlassung des Szenenfotos aus unserer damaligen Produktion für das Cover dieses Buchs; meinem Nachfolger als Generalmusikdirektor in Münster, dem jetzigen musikalischen Leiter der Kinderoper Köln Rainer Mühlbach für die großzügige und selbstlose Mitarbeit beim Setzen der Notenbeispiele sowie dem Cellisten Isang Enders für die freundschaftliche Hilfe bei deren Formatierung; meinem Lektor Daniel Lettgen für das unglaublich genaue Mitdenken, seine eleganten Verbesserungen, aufmerksamen Korrekturen und zusätzlichen Anregungen, aber auch produktiven Widersprüche; meinem langjährigen Freund, dem Musikwissenschaftler, Germanisten und Autor wegweisender Opernbücher Uwe Schweikert für seine Ermutigung, seine Vorschläge, sein erstes Lektorat des Anfangs sowie viele weitere kreative Gespräche und MailWechsel noch bis zur Fertigstellung; meiner Ehefrau, der Sängerin Ines Krome, und meinem Sohn Leon für das Mitdenken bzw. kritische Hinterfragen einzelner Schlüsselformulierungen sowie Ines besonders für die liebevolle Unterstützung, aber auch das langmütige Ertragen des Zettel-, Bücher- und Partiturchaos nicht nur auf einem unserer Tische – vor allem in diesem letzten „Corona“-Jahr.
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