Die Kunst Anatoliens von Homer bis Alexander [Reprint 2010 ed.] 9783110828580


214 36 72MB

German Pages 359 [384] Year 2011

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
EINLEITUNG
ZEITTAFEL
ÄGÄISCHE WANDERUNG
DUNKLES ZEITALTER
FRÜHGRIECHISCHES ZEITALTER IN KLEINASIEN
ORIENTALISCHE KUNSTZENTREN IN ANATOLIEN
URARTÄISCHE KUNST
Urartäischer Stil des 8. Jahrhunderts
Ringelstil
Urartäischer Stil des 7. Jahrhunderts
Buckelstil
Zwei verschiedene Gesichtstypen
Bronzekessel mit plastischem Schmuck
Kessel mit Menschenkopfattaschen
Hethitische Elemente
Stierkessel
Greifen- und Löwenkessel
Nordsyrisch-hethitischer Ursprung der Kesseluntersätze
Nordsyrisch-hethitischer Ursprung der Löwen- und Greifenprotomen
Herstellungsort der Kessel mit figürlichem Schmuck
PHRYGISCHE KUNST
Keramik
Plastik
Bronzekunstwerke
Holzarbeiten und Möbelstücke
Architektur
Chronologie der Phrygischen Kunst
Vier Phasen der Phrygischen Kultur
LYKISCHE KUNST
LYDISCHE KUNST
KARISCHE KUNST
PERSISCHE KUNST
GRIECHISCH-SUBGEOMETRISCHER STIL (700—600 v. Chr.)
GRIEGHISCH-ORIENTALISIERENDER STIL (650—560 v. Chr.)
GRIECHISCH-ARCHAISCHER STIL IN KLEINASIEN (600—480 v. Chr.)
Ostionische Großplastik
Architektur
Rückblick
ANHANG
8 Tafeln mit 28 Figuren
Anmerkungen
Quellenverzeichnis
Verzeichnis der Bilder
Namen- und Sachverzeichnis
ÜBERSICHTSTAFEL
Recommend Papers

Die Kunst Anatoliens von Homer bis Alexander [Reprint 2010 ed.]
 9783110828580

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

EKREM AKURGAL · DIE KUNST ANATOLIENS

Akuraal (^

)I E KUNST ANATOLI ENS von Homer bis Alexander

Walter Ac Gruytzr & Co ι Berlin

MIT 265 ABBILDUNGEN, 28 FIGUREN AUF 8 TAFELN UND 12 FARBIGEN ABBILDUNGEN SOWIE EINER ÜBERSICHTSTAFEL IM ANHANG GEGENÜBER DEM TITFX: KOPF ALEXANDERS DES GROSSEN PERGAMON UM 180 V. CHR.

(MARMOR)

ARCHIV-Nr. 3 2 1 0 6 1 . ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER ÜBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN. OHNE AUSDRÜCKLICHE GENEHMIGUNG DES VERLAGES IST ES AUCH NICHT GESTATTET, DIESES BUCH, ODER TEILE DARAUS, AUF PHOTOMECHANISCHEM WEGE (PIIOTOKOP1E, MIKROKOPIE) ZU VERVIELFÄLTIGEN. (Q) 1961 BY WALTER DE GRUVTER & CO., VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VKRLAGSHANDLUNG - J. GUTTHNTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG - GEORG REIMER - KARL J. TKÜBNKR - VEIT & COMP., BERLIN W 30, GUN'THINER STRASSF. 13, (PRINTED IN GERMANY). SATZ: WALTER DE GRÜYTER & CO., BERLIN \V 30. DRUCK: OTTO VON HOLTEN GMBH., BERLIN \V 30. SCHUTZU.MSCHLAG UND TITE1.ENT«'URF: JOHANNES BOKHLAND, BERLIN.

VORWORT

Dieses Werk ist der erste Versuch einer Gesamtdarstellung der Kunst Anatoliens vom homerischen Zeitalter bis zur Epoche Alexanders des Großen. Es behandelt die Kunstwerke der Griechen, Phryger, Lykier, Lyder, Karer und Urartäer. Auch die persischen Denkmäler, die in Kleinasien gefunden wurden, werden hier zum größten Teil veröffentlicht. Die aus den älteren und neueren Grabungen herrührenden Kleinfunde und plastischen Kunstwerke der genannten Zeit haben bis heute keine photographische Aufnahme erfahren, die ihrem ungewöhnlich hohen Werte entspricht. Auch die auf dem Boden Kleinasiens erhaltenen großartigen Fels- und Baudenkmäler verschiedener anatolischer Kulturen sind bis jetzt nur zu einem kleinen Teil und durch unzulängliche Aufnahmen bekannt geworden. Alle diese Kunstwerke liegen nun in diesem Bande in neuen und, wie ich hoffe, zeitgemäßen Aufnahmen vor. Für die Erlaubnis, Photographien herzustellen, bin ich zahlreichen Institutionen und Gelehrten in und außerhalb der Türkei zu großem Dank verpflichtet. Die folgenden Museen haben in freundlicher Weise die Genehmigung zu neuen Aufnahmen gegeben: Die Türkischen Museen in Ankara, Istanbul und Izmir, die Berliner Museen, das British Museum, der Louvre, das Prähistorische Museum und die Villa Giulia in Rom, das Archäologische Museum in Florenz, das Museum in Syracusa, das NationalMuseum und die Glyptothek in Kopenhagen und das National-Museum in Stockholm. Besonderen Dank schulde ich für die Erlaubnis zur Veröffentlichung von Photographien den Herren P. Amandry, O. Antonsson f, R. D. Barnett, K. Bittel. C. Blümel, E. Buschor, J. Charbonneaux, G. Daux, P. Demargne, P. Devambez, R. Duyuran, C. V. Gentili, A. Greifenhagen, H. Gültekin, D. Haynes, F. Johansen, G. R. Meyer, M. Pallottino, A. Parrot, W. H. Schuchhardt, R. Temizer und R. S. Young. Die Rekonstruktionszeichnungen der Häuser von Alt-Smyrna (S. 301 Fig. i—5) verdanke ich Herrn R. V. Nicholls. Die übrigen Zeichnungen (S. 302 Fig. 6—17, 19, 2i und 22) sind nach meinen Vorlagen von dem Maler Refik Epikman ausgeführt worden, dem ich an dieser Stelle herzlichst danken möchte. Nicht zuletzt gilt mein Dank dem Verlag Walter de Gruyter, der keine Anstrengung gescheut hat, um das Werk in möglichst vollkommener Form herauszugeben. A n k a r a am 30. Mai 1961 EKREM AKURGAL

INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG

VIII

ZEITTAFEL

X

ÄGÄISCHE WANDERUNG

i

DUNKLES ZEITALTER

5

FRÜHGRIECHISCHES ZEITALTER IN KLEINASIEN

8

ORIENTALISCHE KUNSTZENTREN IN ANATOLIEN

21

URARTÄISCHE KUNST

23

Urartäischer Stil des 8. Jahrhunderts Ringelstil Urartäischer Stil des 7. Jahrhunderts Buckelstil Zwei verschiedene Gesichtstypen Bronzekessel mit plastischem Schmuck Kessel mit Menschenkopfattaschen Hethitische Elemente Stierkessel Greifen- und Löwenkessel Nordsyrisch-hethitischer Ursprung der Kesseluntersätze Nordsyrisch-hethitischer Ursprung der Löwen- und Greifenprotomen Herstellungsort der Kessel mit figürlichem Schmuck PHRYGISCHE KUNST Keramik Plastik Bronzekunstwerke Holzarbeiten und Möbelstücke Architektur

27 28 29 31 35 35 35 43 54 55 56 60 67 70 73 85 100 103 105

Felsarchitektur S. 106. — Kultdenkmäler S. no. — Felsthrone (Stufenaltäre) S. no. — Tumuli S. i i 2 Chronologie der Phrygischen Kunst Vier Phasen der Phrygischen Kultur

115 120

LYRISCHE KUNST

122

LYDISCHE KUNST

150

KARISCHE KUNST

160

PERSISCHE KUNST

167

GRIECHISCH-SUBGEOMETRISCHER STIL (700—600 v. Chr.)

175

VI

GRIECHISCH-ORIENTALISIERENDER STIL (650—560 v. Chr.)

178

GRIECHISCH-ARCHAISCHER STIL IN KLEINASIEN (600—480 v. Chr.)

182

Ostionische Großplastik Kleidung S. 219. — Haartracht S. 243. — Gesichtstypus S. 244. — Löwenbilder S. 283 Architektur Rückblick ANHANG

218 283 294 299

8 Tafeln mit 28 Figuren Anmerkungen

301 309

Ägäische Wanderung S. 309. — Dunkles Zeitalter S. 310. — Frühgriechisches Zeitalter S. 310. — Orientalische Kunstzentren in Anatolien S. 312. — Urartäische Kunst S. 312. — Phrygische Kunst S. 316. — Lykische Kunst S. 318. — Lydische Kunst S. 319. — Karische Kunst S. 320. — Persische Kunst S. 321. — Subgeometrischer Stil S. 321. — Orientalisierender Stil S. 321. — Archaischer Stil S. 322. — Ostionische Großplastik S. 323. —Vasenmalerei S. 327. — Architektur S. 328. Quellenverzeichnis

330

Verzeichnis der Bilder

331

Namen- und Sachverzeichnis

341

ÜBERSICHTSTAFEL

VII

EINLEITUNG

Die Kunst Anatoliens und im besonderen die Periode vom homerischen Zeitalter bis zum Hellenismus ist wenig bearbeitet. Bis vor einem Jahrzehnt fehlte vor allem die Bodenforschung für die frühgriechischen Perioden. Die neuen Ausgrabungen von Smyrna, Milet, Phokaia und Daskyleion haben jedoch wichtiges und reichhaltiges Material zutage gefördert, das ein helles Licht auf die dunkle Zeit der Westküste Kleinasiens wirft. Mit Hilfe des bereicherten frühgriechischen Materials sind wir nun imstande, uns über die wahre Rolle der ostgriechischen Kunst innerhalb der hellenischen Welt eine Vorstellung zu machen. Im homerischen Zeitalter waren die Äolier und loner, wie die materiellen Hinterlassenschaften deutlich vor Augen führen, auf dem Gebiete der Kunst gänzlich vom Mutterlande abhängig. Da die Griechen in Kleinasien während des homerischen Zeitalters in der Hauptsache von der Landwirtschaft lebten und vor der Mitte des 7. Jahrhunderts keinen Anteil am Seehandel im Mittelmeer hatten, ist es verständlich, daß die bildenden Künste, die weitausgedehnte Absatzgebiete voraussetzen, sich dort nicht haben entwickeln können. Unter den griechischen Funden des S.Jahrhunderts in AI Mina, dem nordsyrischen Hafen, sind keine Erzeugnisse aus Kleinasien nachzuweisen. Sie treten dort etwa ein Jahrhundert später, erst in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts auf. Die Lage änderte sich aber sogleich zugunsten der ostgriechischen Welt, als die Milesier um die Mitte des 7. Jahrhunderts begannen, die Küsten des Mittelmeeres und des Schwarzen Meeres zu kolonisieren. Die Handelstätigkeit und der damit verbundene Reichtum waren die Ursachen der Prosperität, die sich während des 6. Jahrhunderts auf anatolischem Boden entwickelt hat. So entstanden in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts die ionische Architektur und Plastik. Die Blüte der ionischen Plastik muß aber genau so wie die der ionischen Baukunst ihren Beginn bereits im zweiten Viertel des 6. Jahrhunderts gehabt haben. Die bisherige Spätdatierung der ionischen Plastik ist nicht zu rechtfertigen. Denn die besten ionischen Werke müssen wohl schon vor der Unterwerfung der kleinasiatischen Griechen durch Kyros (etwa 545 v. Chr.) in den sechziger und fünfziger Jahren des G.Jahrhunderts geschaffen worden sein. Die hervorragenden Werke der ionischen Kunst haben dann zusammen mit der äolisch-ionischen Dichtung die Welt des Mutterlandes in ihren Bann gezogen. Wenn man die attischen Skulpturen aus der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts mit VIII

den Bildwerken aus der zweiten Hälfte vergleicht, wird man beträchtliche Unterschiede sowohl in den ikonographisch-stilistischen Eigenheiten wie auch in der künstlerischen Einstellung erkennen. Die neuen Elemente der attischen Plastik aus der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts, der Chiton, das schräge Mäntelchen, die Wiedergabe der Kleiderfalten und der strahlende, freudeerfüllte Ausdruck der Gesichter, sind spezifische Charakteristika der ionischen Kunst. Was die Architektur betrifft, war der ionische Beitrag auf diesem Gebiete der künstlerischen Tätigkeit viel größer und bedeutender als in der Plastik. Die Eleganz, der Zauber und die Originalität der griechischen Architektur sind zum großen Teil der schöpferischen Kraft und dem feinen Kunstempfinden des ionischen Geistes zu verdanken. Die ionische Formensprache hat den gedrungenen, schwerwirkenden Charakter der griechischen Baukunst, den sie von der dorischen Ordnung her inne hatte, durch ihre schlanken Proportionen gemildert und sie auf diese Weise vielseitig und zukunftsreich gemacht. Als in der klassischen Zeit eine Bereicherung der schon kanonisch gewordenen, erdenschweren dorischen Bauweise nottat, kamen die ionischen Bauelemente zu Hilfe, durch die die Monumente auf der Akropolis in Athen eine heitere, freudeerfüllte Verlebendigung erfahren konnten. Was aus den ionischen Zentren des homerischen Zeitalters an Kunstwerken fehlt, bieten, wenigstens zum Teil, die Bewohner des übrigen Anatolien, die Nachbarn und Zeitgenossen der Hellenen. Die Phryger, Lykier, Lyder und Karer bildeten zusammen mit den Griechen die Bevölkerung der homerischen Welt Kleinasiens. Auch die Urartäer und Späthethiter gehören, als gleichzeitige Bewohner Kleinasiens, mehr oder weniger in diesen Rahmen hinein. Das archäologische Material der genannten Völker ist, im Gegensatz zu der griechischen Hinterlassenschaft, in zahlreichen und sehr gut erhaltenen Beispielen auf uns gekommen. Die reizvollen Felsdenkmäler der Phryger und Lykier wirken heute wie das magische Bild einer geheimnisvollen Märchenwelt. Sie sind die ältesten Überreste, die uns die Atmosphäre jener homerischen Zeit lebendig werden lassen. Die Zusammenstellung und das Studium des gesamten archäologischen Materials, das auf anatolischem Boden von 1200 bis 300 v. Chr. an das Tageslicht getreten ist, ermöglicht ein besseres Verständnis der ionischen Geisteswelt. Die äolisch-ionische Kunst verdankt ihre Originalität in beträchtlichem Ausmaße der langwährenden Fühlungnahme mit den autochthonen Kulturen Anatoliens. Aus dem Zusammenleben des griechischen Volkes mit den einheimischen Bewohnern Kleinasiens entstand die ionische Kultur, der es gelang, mit Hilfe der vielfältigen orientalischen Einflüsse nicht nur eine großartige Dichtung und eine einmalige Kunst hervorzubringen, sondern auch durch die Begründung der exakten Wissenschaften die ersten Leistungen des abendländischen Geistes zu schaffen.

IX

Z E I T Griechenland

Westküste Kleinasiens

West-Mittelkleinasien

14. und 13- Jh.

Ausbreitung der mykenischen Kultur im östlichen Mittelmeerraum. Funde in Kleinasien und Syrien (Ras Schamra, Minet el Belda, Byblos) . Übergreifen auf Kreta.

Im Norden: Troia VIg-h (1375— 1275) Troia Vila (1275— 1240) In mittleren Gebieten: Pelasger ; Leleger und andere einheimische Völker. Im Süden: Das Ahhijawa-Reich (erwähnt in den hethitischen Keilschrifttafeln). S. 2, 8.

Lykier: Luqqa-Leute (Hethitische Quellen) Luku-Volk (ägypt. Quel.) Ein Küstenvolk in Kleinasien, Verbündete der Hethiter. S. 5. Lyder: Das Lydische gehört der indogermanisch-anatolischen Sprachgruppe wie das Hethitische des 2. Jahrtausends. S. 5. Karer: Erwähnung in ägypt. Quellen nicht sicher. Die Karer hielten sich selber für Autochthonen in Kleinasien. S. 5.

Um 1200

Ägäische Dorische Wanderung (Ausgelöst durch die Illyrer) Die Dorier und die Nordgriechen kommen nach Griechenland

Abänderung Einwanderung der thrakischen Dunkle Periode (unerforscht) Völker. s- 5-7Zerstörung von Troia Via, um 1240 S. 2.

Submykenisch

Troia VII b i — 2 (1240 — noo)

Protogeometrisch

In Troia : Dunkle Periode ( 1 1 oo — 700). S. 5 — 7. Beginn d. Griech. Dunkle Periode (unerforscht) Kolonisation um 1050 (ProtoS- 5-7geometrische Keramik in Smyrna undMilet). S. 8 ff.

950—750

Geometrisch

Geometrische Keramik in Smyrna, Milet und Phokaia Dunkle Periode (unerforscht) Gründung des Panionions (im S- 5-79. Jh.) S. 20.

750—700

Spätgeometrisch

Spätgeometrische Keramik aus Spätgeometrische Keramik aus vielen Orten bekannt geworden. vielen Orten bekannt geworden.

700—600

Subgeometrisch

Ausdehnung der ionischen Expansion nach Propontis (um 700) . S. ig — 20.

Lydische Könige Gyges 680—652 Ardys 651 — 625

650—480

Archaisch

Beginn d. griech. Kolonisation im Mittelmeer und im Pontus (nach 650) Blütezeit der ionischen Kultur (650—494) S. 178 ff.

Alyattes Kroisos

480—450

Strenger Stil

Zerstörung Milets (494) und Be- Blüte der lykischen Kunst ginn des Rückgangs der ionischen (550—300) Kultur

450—300

Klassisch

300—30

Hellenistisch

I2OO

IIOO

i i oo— 950

Alexander d. Große überschreitet die Dardanellen (334) S. 167

DunklePeriode (unerforscht) 8.5-7

609 —560 560 — 546

T A F E L Zentralkleinasien Großreich der Hethiter. Hauptstadt: Hattussas Suppiluliuma 1380—1340 Arnuwanda II 1340—1339 Mursili II. '339—1306 Muvatalli 1306—1282 Urhi-Teschup 1282—1275 Hattusili III. 1275—1250 Tuthalija IV. 1250—1220 Arnuwanda III. 1220—1190 Suppiluliuma II. 1190—?

Südostkleinasien

Mitanni-Reich Südostkleinasiatische und Nordsyrische HattiTuschratta um 1390. Länder: Mattiwaza, Vasall des Suppiluliuma (1380— Kargamis und Malatya 1340) Urartu-Reich Die erste Erwähnung des Urartu Namen (i. Hälfte 13. Jh.) 8.23.

Zerstörung des hethitischen Kargamis von NordGroßreiches durch die thra- völkern zerstört (Inkischen Völker um 1180 S. 3. schriften des Ramses III. in Medinet Habu) S. 1,7.

Dunkle Periode (1180—750) S-5-7

Bildung des phrygischen Staates um 750

Frühphrygischer Stil (750—730) Übergangstil (740—725) Reifphrygischer Stil (725—675) Neue Blüte d. phrygischen Kunst unter griechischem Einfluß (550—300)

Ostkleinasien

Unerforscht

Unerforscht

Unerforscht

Altspäthethitische Phase (1050—900/800)

Bildung des urartäischen Staates Lutipri 855—833 Sardur I. 832—825 Ispuini 824—816 Ispuini-Menua 815—807 Menua (Sohn des Ispuini) 804—790 Argisti 789—766 Sardur III. 765—733 Rusa I. 732—714 Argisti II. 713—679 Rusa II. 678—654 Sardur IV. 645—625 Erimenas 625—605 Rusas III. 605—585

Mittelspäthethitische Phase (900—800/750)

Jungspäthethitische Phase (750—700)

Assyrien und Persien Assur-Uballit I. Adad-Nirari I. Salmanassar I. Tukulti-Ninurta

1368—1328 1305—1274 1273—1244 I. 1243—1207 Mittelassyrischcs Reich Tiglatpileser I. 1112—1074 Das thrakische Volk Muschker erscheint seit etwa 1165 an der Nordgrenze Assyriens (Annalen Tiglatpilese I.) S. 3, 5. Assurnasirpal II. 883—859 Salmanassar III. 854—824 Tiglatpileser III. 745—727 Salmanassar V. 726—722 Sargon 721—705 Erwähnung des Midas in den Annalen des Sargons Sancherib 704—681 Assurhaddon 680—66g Erwähnung der kymmerischen Invasion in den Annalen Assurhaddons Assurbanipal 668—626 Erwähnung des Gyges in den Annalen Assurbanipals Ende des AssyrcrReichcs (606) Persien Achaimenes 700—675 Teispes 675—640 Kyros I. 640—600 Kambyses I. 600—559 Kyros II. 559—529 Kambyses II. 529—522 Dreios I. 522—486 Eroberung Milets 494 Schlacht bei Marathon 490 Xerxcs 486—465 Kämpfe an den Thermopylen 480 Schlacht bei Salamis 480 Schlacht bei Plataia 479 Schlacht bei Mykale 479 Artaxerxes I. 465—425 Dareios II. 425—405 Artaxerxes II. 405—358 Artaxerxes III. 358—338 Dareios III. 336—330 Schlacht am Granikos 334 Schlacht bei Issos 333

ÄGÄISCHE WANDERUNG ( /Zerstörung von Troja und Untergang des Hethiterreiches)

ixuf anatolischem Boden vollzogen sich in der Zeit von 1200—300 v. Chr. eine Reihe der für die abendländische Kultur wichtigsten geistigen Entwicklungen und politische Geschehnisse von größter Tragweite für die ganze Menschheit. Am Beginn des 12. Jahrhunderts gingen Ereignisse von entscheidender Bedeutung vor sich, die das Schicksal des anatolischen Landes für mehr als ein Jahrtausend bestimmten. Am Ende lange andauernder, kriegerischer Umwälzungen und weit ausgedehnter Völkerwanderungen wandte das bis dahin nach Mesopotamien orientierte Anatolien sein Gesicht nach Westen und lebte bis zum Ausgang der Antike in der Atmosphäre der westlichen Kulturwelt 1 . Diesem Wechsel in der politischen und geistigen Orientierung ist es zu verdanken, daß sich später an der Westküste des anatolischen Landes die Geburt der abendländischen Kultur hat vollziehen können. Die Folgen der kriegerischen Aktionen waren zunächst katastrophal. Die Einwanderer überrannten die Kulturländer Kleinasiens schonungslos mit elementarer Wucht. Die Ägypter, die wahrscheinlich nur von der äußersten Druckwelle der gewaltigen Bewegungen in Kleinasien betroffen waren, verraten in knappen Worten, aber mit deutlichem Akzent, die Angst, die die »Nordvölker« in ihre Herzen gejagt haben. Ramses III. (1200— 1168) sagt in den Inschriften im Tempel des Medinet Habu: »Nicht hielt irgendein Land stand vor ihren Händen von Hatti an. Quode, Kargamis, Arzawa, Alasija waren vernichtet. Sie schlugen Feldlager auf an einem Orte in Amurru. Sie richteten seine Leute zugrunde, als wären sie nie gewesen. Sie kamen, indem ein Feuer vor ihnen her bereitet war, auf Ägypten zu. Sie legten ihre Hände auf die Länder bis zum Erdrande; ihre Herzen waren voll Vertrauen und sie sagten: ,unsere Pläne gelingen'«2. Fast in allen bis heute untersuchten Wohnhügeln Kleinasiens gehen die hethitischen Kulturstrata mit einer Brandschicht zu Ende. Reste eines etwa gleichzeitigen Untergangs sind im mittleren Anatolien in Bogazköy, Alaca und Kültepe nachweisbar 3 . Es liegt nahe, diese Zerstörungen mit den von Ramses III. geschilderten Bewegungen in den Mittelmeerländern in Zusammenhang zu bringen. Wer waren aber diese von den Ägyptern als »Völker des Nordens und des Meeres« bezeichneten Einwanderer? Sie sind in den ägyptischen Inschriften seit Ramses II. namentlich zitiert4. Es werden, außer den Bewohnern einer Reihe von Insel- und Küstenländern des Mittelmeeres, auch anatolische Völker wie Lykier und Karer genannt 5 . Doch können sie genauso wie die übrigen in Kleinasien ansässigen und gegen das Hethiterreich feindlich eingestellten Völker diese Taten nicht vollbracht haben, da sie infolge jener schwer-

wiegenden Ereignisse für mehr als vierhundert Jahre von der Bildfläche verschwanden. Die hethitischen Quellen berichten, wenn auch nur lückenhaft, über die Unruhen unter den im kleinasiatischen Lande wohnenden Völkern. Die umstürzenden Geschehnisse, die im Zuge einer umfassenden Bewegung stattfanden, sind daher, wenigstens zum Teil, auf kriegerische Umwälzungen innerhalb des kleinasiatischen Raumes zurückzuführen. Tatsächlich befand sich das Großreich der Hethiter am Ausgang des 13. Jahrhunderts, seit dem Ende der Zeit Tuthalijas IV. und seiner zwei Nachfolger, deutlich in der Defensive6. Die eigentlichen Urheber der ägäischen Wanderung sind die Griechen und, im Anschluß an sie, die Thraker gewesen. Die Griechen hatten bereits im 16. Jahrhundert in Milet festen Fuß gefaßt 7 und dort in Südionien, wie wir aus den hethitischen Quellen des 14. und 13. Jahrhunderts erfahren, wahrscheinlich das Reich der Ahhijawa gegründet 8 . Mykenische Keramik wurde in Milet bereits um 1600 gefunden 9 ; sie ist auch in Troja seit dem 16. Jahrhundert bis zum Ausgang des 12. Jahrhunderts ununterbrochen und in beträchtlichen Mengen nachzuweisen 10 . Vereinzelte mykenische Funde sind ferner an verschiedenen Stellen der Westküste 11 gemacht worden, zuletzt traten einige Scherben als Intrusion in der protogeometrischen Schicht in Bayrakli12 zutage. Sie besagen, daß das ganze Westkleinasien seit dem 16. Jahrhundert unter der Einflußsphäre der mykenischen Kultur gestanden hat. Die Einwohner der VI. trojanischen Schicht waren vielleicht überhaupt Einwanderer aus dem Westen und Verwandte der Griechen13, die allerdings mit der Zeit zu eigenem Kulturgut gelangt waren. Die Blütezeit dieser VI. Schicht ist ohne Einwirkung der mykenischen Kultur kaum denkbar. Die mächtige Burg und die herrlichen Bauten in Troja waren denen in Griechenland ebenbürtig. Die wichtige strategische Position der Stadt und die weitreichenden wirtschaftlichen Ambitionen der Mykener waren die Ursachen des Trojanischen Krieges. Troja VI ist zweifellos die Stadt des Priamos und des Homer, die zuerst um 1275 einem schweren Erdbeben und danach, um 1240 dem Angriff der Achäer zum Opfer gefallen war 14 . Die Lebensdauer der Schicht Vila beträgt nicht mehr als eine Generation 15 . Es wäre unangebracht, die Stadt des Priamos mit Troja Via identifizieren zu wollen. Wir sind auch gar nicht dazu gezwungen. In der Ilias schildert Homer nur die letzte Phase jenes berühmten zehnjährigen Krieges, der unentschieden zu Ende geht. Die Ilias ist vielleicht die Erzählung über die mißlungenen Angriffe der Achäer, Farbtafci i die sie gegen Troja VI unternommen haben. Die unbezwingbare Festung konnte, wie erst in der Odyssee nacherzählt wird, durch eine Kriegslist mit Hilfe des hölzernen Pferdes erobert werden. Ein Erfolg war den Achäern also erst dann beschieden, nachdem die Stadt der schweren Naturkatastrophe zum Opfer gefallen war. Kaum hatten die Trojaner ihre Stadtmauer und einige der alten Bauten ausgebessert sowie neue Häuser errichtet 16 , da kamen die Achäer, hinterlistig und erbarmungslos, und legten Feuer an die Stadt; deren traurige Reste haben die Ausgräber heute ans Tageslicht gebracht 17 . Das war ein Rachezug. Denn die Achäer, die um diese Zeit selbst großen Streit im eigenen Hause hatten, scheinen keinen wirtschaftlichen Nutzen

*%,...·.-. Λ

^.'

/)z> Stadtmauern von Troia von SW. ^erstort urn 1240 v. Chr.

von diesem grausamen Unternehmen gehabt zu haben. Im Gegenteil, in der neu errichteten Stadt VII b ist der mykenische Einfluß nicht mehr so bedeutend wie zuvor. Doch der Schlag, den die Trojaner durch die feindseligen Verwandten erlitten hatten, bereitete ihrer Macht, die durch das ganze zweite Jahrtausend ein Bollwerk Anatoliens gegen Westen und Norden gewesen war, ein allmähliches Ende. Bald geriet die Stadt in die Hände der thrakischen Völker18, die sich seit langem der fruchtbaren Gegenden in Nordwestkleinasien bemächtigen wollten und die sich jetzt, 19 um , in mächtigen Wellen auf das hethitische Reich stürzten. Das wichtigste Dokument für die nach Kleinasien einwandernden Völker bieten uns die Annalen des assyrischen Königs Tiglatpilesers I. Daraus erfahren wir, daß er gegen die Muschki, die fünfzig Jahre vor Beginn seiner Regierung an der Nordgrenze Assyriens im oberen Tigris-Gebiet erschienen waren, Kriege geführt hat: »Mit 20000 ihrer Krieger und 5 ihrer Könige kämpfte ich in Kummuh und brachte ihnen eine Niederlage bei. Die Leichen ihrer Krieger schmetterte ich im wuchtigen Ansturm wie ein Gewitter nieder. Ihr Blut ließ ich über Schluchten und Höhen der Berge fließen«20. Fast fünf Jahrhunderte später, und zwar zwischen 717—707, hatten die Assyrer wieder mit diesem Volke zu tun. Aus den Annalen Sargons II. ersehen wir21, daß er und seine Heerführer gegen Mita von Muschki heftige Abwehrkämpfe zu führen hatten. Die am Ende des 8. Jahrhunderts vom König Midas zu einem festgefügten Staate vereinigten Muschker hießen in den griechischen Quellen Phryger. Ihr Heimatland lag, wie Herodot berichtet22, in Makedonien. Aus diesen beiden Überlieferungen geht hervor, daß ein damals Muschker genanntes thrakisches Volk zum ersten Male 50 Jahre vor Beginn der Regierung des assyrischen Königs Tiglatpilesers I., d. h. etwa um 1165, bis zu den assyrischen Grenzen vorgedrungen war. Das Erscheinen der thrakischen Scharen am oberen Tigris bedeutet, daß an der Zerstörung des hethitischen Reiches thrakische Völker beteiligt waren, ja daß sie dabei die entscheidende Rolle gespielt haben. Das bis jetzt älteste archäologische Zeugnis über das Eindringen der thrakischen Völker in Kleinasien wurde in Troja gefunden. Die südosteuropäische Buckelkeramik, die dort in der Schicht VII b2 zutage getreten ist, stammt aus dem 12. Jahrhundert 23 . Die diese Keramik enthaltende Wohnschicht VII b 2 unterscheidet sich, was die Architektur betrifft, von dem vorhergehenden Kulturstratum so stark 24 , daß wir hier tatsächlich von einer Besiedlung durch thrakische Stämme sprechen können. Nach der literarischen Überlieferung der Griechen sollen die thrakischen Völker ihre kleinasiatischen Besitzungen bereits vor dem Trojanischen Krieg eingenommen haben. In der Ilias lesen wir, daß die Phryger in der Gegend um den heutigen Iznik-See und am Hellespont zu Hause waren 25 . Zwar reichen die Kenntnisse Homers nur wenig über seine eigene Zeit in die Vergangenheit zurück, doch berichten auch die literarischen Quellen, daß zwischen Nordwestkleinasien und Thrakien stets wechselseitige Völkerwanderungen stattgefunden haben. Daher ist das Vorhandensein thrakischer Völker in Mysien auch vor der Zerstörung Trojas sehr wahrscheinlich. Daß aber eine große, gewaltige Welle der thrakischen

Einwanderer erst nach dem Fall Trojas eingedrungen sein kann, ist aus der allgemeinen Situation der Völkerwanderung dieser Zeit zu schließen. Aus diesem Grunde hat die Geschichtschreibung dem Bericht des Xanthos von Lydien bei Strabo zu folgen26, wonach die Phryger und mit ihnen wohl die übrigen Stämme der thrakischen Völker erst nach der Zerstörung Trojas ihre west- und südkleinasiatischen Sitze eingenommen haben. Denn man wird schwerlich annehmen, daß Hellespont und Propontis durch von außen her kommende Streitkräfte besiedelt werden konnten, solange die mächtige Burg von Troja stand. Bezeichnend ist, daß nach Eroberung von Troja VII a die Stadt von Trojanern für kurze Zeit erneut bewohnt wurde (VII b i ) und erst danach vom Buckelkeramik-Volk besiedelt 27 worden ist (VII bs). Von diesem Zeitpunkt an werden Hellespont und Propontis bis zum Sangarios zu den traditionellen Wohnsitzen der aus Südosteuropa einwandernden Völker. In diesem Zusammenhang wäre zu erwähnen, daß die Stadt Kyzikos ihren Namen von dem gleichnamigen mythischen König hat, der als Nachkomme des thrakischen Königs Eusorsos angegeben wird 28 . Plutarch spricht von einem in der Nähe von Kyzikos liegenden thrakischen Dorfe 29 . Thrakien sowie Hellespont und Propontis sind eine untrennbare, geopolitische Einheit. Die Annahme besteht zu Recht, daß die bronzezeitliche Keramik Südosteuropas nordwestanatolischen Ursprungs ist 30 . Auch dies deutet darauf hin, daß zwischen Südosteuropa und Nordwestkleinasien in allen Zeiten der Geschichte ein Hin und Her von Völkerströmungen zu beobachten ist. Strabo nennt eine ganze Reihe Namen von Königen und Stämmen, von Bergen und Flüssen, die Thrakien und der Gegend um Troja gemeinsam sind31. Dies ist ein entscheidend wichtiger Beweis für die Kontinuität der thrakischen Tradition in Nordwestkleinasien. Die Tatsache, daß an der nördlichsten Westküste Kleinasiens, in der späteren Troas, griechische Siedlungen erst nach 700 nachzuweisen sind, bekundet zur Genüge, daß hier, nach der Zerstörung von Troja, am Beginn der Eisenzeit andere Völker saßen. Daß diese Völker aus Südosteuropa gekommene Einwanderer waren, können wir, wie die oben erwähnten Überlieferungen und das Vorkommen der Buckelkeramik in Troja VII bz deutlich machen, mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen. Das unterhalb der Propontis gelegene Gebiet wird später nicht zufällig Mysien genannt worden sein. Dieses Mysien und das in Südosteuropa Mösien genannte Gebiet, sowie die ethnische Bezeichnung Muschki sind wohl Nebenbildungen ein und desselben Wortes. Thraker, Muschker, Phryger und sonstige südosteuropäische Völker haben sich also nach der Zerstörung von Troja zum Teil an der assyrischen Grenze, in der Hauptsache aber im nordwestlichen Kleinasien niedergelassen. Sie wurden dort ansässig, bis sich die im 9. Jahrhundert einsetzende ionische Expansion im 8. Jahrhundert auch im nordwestlichen Kleinasien auswirkte. Diese drohende Gefahr wird die thrakischen Völker veranlaßt haben, in das Innere der Halbinsel, und zwar ins Gebiet des Halysbogens zu ziehen. Sie haben wahrscheinlich mit Hilfe der übrigen südosteuropäischen Einwanderer, die sich bei der großen Invasion an anderen Stellen Kleinasiens niedergelassen hatten, den föderativen Staat der Phryger unter Leitung von Midas gegründet.

DUNKLES ZEITALTER

JL/ie katastrophalen Ereignisse, die sich um 1200 abgespielt haben, scheinen derart schwerwiegend gewesen zu sein, daß heute, trotz der eifrigen Spatenforschung der letzten Jahrzehnte, die Zeitspanne von 1200—750 für die meisten Teile des anatolischen Raumes noch in völliger Dunkelheit liegt. Alte Völker Kleiriasiens, wie Lykier und Karer, deren Namen in den Quellen der 2. Hälfte des 2. Jahrtausends erwähnt werden32, sind uns archäologisch, d. h. mit ihren materiellen Hinterlassenschaften, erst um 700 oder später faßbar. Von den thrakischen Stämmen, die das Hethiterreich überrannt haben, ist innerhalb der kleinasiatischen Halbinsel außer der Trojanischen Schicht VII b2 keine Spur auf uns gekommen. Die Phryger, die ohne Zweifel die Nachfahren der um 1200 nach Kleinasien eingewanderten thrakischen Völker sind, können erst um 750 archäologisch festgestellt werden. Das Alter des lydischen Volkes ist noch weniger geklärt33. Homer kennt überhaupt keine Lyder, er nennt das Volk dieses Gebiets die Mäonier, die wohl ein älterer Stamm34 des lydischen Volkes waren. Demnach scheinen die Kulturreste der Zeit zwischen 1200—750 im mittleren Kleinasien, vor allem im Hochland, für uns fast unwiederbringlich verloren zu sein. Die bisherige Forschung ist der Meinung, daß die Geschichte des Hochlandes unmittelbar nach dem Untergang des hethitischen Großreiches mit den Phrygern ihren Fortgang genommen hat. Der Umstand, daß in allen Wohnhügeln Kleinasiens die phrygischen Kulturreste unmittelbar auf der Brandschicht liegen, die das Ende des hethitischen Großreiches anzeigt, und die Kunde der assyrischen Quellen, wonach die Muschker (d. h. die Phryger) in der Zeit Tiglatpilesers I. (1112—1074) an der assyrischen Grenze erschienen, haben die Forscher dazu geführt, die phrygische Kunst hoch ins n. Jahrhundert zu setzen35. Dieser an sich sehr plausible und daher ausnahmslos von allen Forschern angenommene Schluß ist aber mit den Ergebnissen nicht zu vereinbaren, die aus dem Studium der archäologischen Forschung zu gewinnen sind. Denn keine der phrygischen oder der mit ihnen zusammen gefundenen orientalischen Funde können früher als ins 8. Jahrhundert datiert werden. Hinzukommt, daß in der phrygischen Kunst keine hethitischen Elemente nachzuweisen sind36. Dies besagt, daß die Phryger keinen direkten Kontakt mit den Hethitern Zentralanatoliens gehabt haben; es beweist gleichfalls, daß die phrygische Kunst nicht so früh datiert werden kann, wie es bis heute versucht worden ist. Feststellungen dieser Art nötigen uns, beim Studium der Periode Kleinasiens zwischen 1200 und 750 die materiellen Hinterlassenschaften der Phryger auszuschalten.

Auffallend ist ferner, daß bis heute in Zentralanatolien nicht nur keine phrygischen, sondern überhaupt keine Kulturreste irgendeines Volkes zutage getreten sind, die in die Zeit 1200—750 datiert werden können. Dies deutet daraufhin, daß Zentralanatolien in dieser Zeit entweder überhaupt nur sehr dünn bewohnt oder durch Nomadenstämme besetzt war, von denen keine materiellen Reste in den Wohnhügeln zu erwarten sind. Ob dieses Brachliegen Mittelanatoliens auf kriegerische Ereignisse oder auf vernichtende Krankheiten, die wie etwa Pest und Cholera im Elend der Nachkriegsjahre vielfach auftraten, oder auch auf Perioden der Trockenheit, die dieses Gebiet nicht selten heimsuchten, zurückzuführen ist, wissen wir nicht. Eines ist aber sicher: in dem Kerngebiet des Hethiterreiches waren bis zur Entstehung des phrygischen Staates keine städtischen Siedlungen vorhanden. Die hethitische Bevölkerung dieses Gebiets wird zum großen Teil nach Südkleinasien und Nordsyrien ausgewandert sein, wo seit der mittleren Bronzezeit hethitische Staaten zu Hause waren. Das Aufhören der hethitischen Tradition im mittleren Anatolien geht auch noch aus zwei anderen Tatsachen deutlich hervor. So ist keiner der heutigen Städtenamen Zentralkleinasiens, wie Gordion, Ankara, Yozgat, (jorum, Tokat, Bogazköy, Kirsehir usw. auf hethitischen Ursprung zurückzuführen, wie dies etwa für die Zentren südlich des Halysbogens und für die Städte Südanatoliens, wie Nigde, Adana, Malatya, Maras, Kargamis usw., der Fall ist. Daß ausgerechnet die heutigen Städte der einstigen Hauptzentren des hethitischen Großreiches keine hethitischen Namen bewahrt haben, wird schwerlich als Zufall anzusprechen sein, sondern kann nur damit zusammenhängen, daß hier die hethitische Tradition aus bestimmten Gründen nicht hatte fortleben können. Für den Abbruch der hethitischen Tradition spricht schließlich auch der Umstand, daß die Griechen uns keine Kunde über die Hethiter überliefert haben. Weder Homer 37 noch Herodot berichten etwas über sie. Es ist bezeichnend, daß Herodot die spezifisch hethitische Rüstung der Karabel-Figur, die in einen Felsen in der Nähe von Smyrna eingehauen ist, für »ägyptisch und äthiopisch« und die hethitischen Hieroglyphen dort für »ägyptische heilige Buchstaben« hält 38 . Ganz gleich, ob diese Unkenntnis auf Herodot selbst oder auf die Quelle, die er benutzt hat, zurückgeht, wichtig daran ist, daß ein so kundiger Mann wie Herodot in seinem Buch sonst über die Hethiter nichts berichtet. Daß die Hethiter in der griechischen Überlieferung nicht erwähnt werden, beweist unzweifelhaft, daß die Tradition des hethitischen Großreichs bereits abgerissen war, als die griechische Kolonisation im 11. Jahrhundert an der Westküste Anatoliens einsetzte. Die Frage nach den Völkern und Kulturen im südöstlichen Anatolien läßt sich leichter beantworten. In diesem Gebiet ist nämlich der Ablauf der Geschichte ununterbrochen zu verfolgen. Malatya und Kargamis zeigen, ebenso wie die Ruinenstädte Syriens und Mesopotamiens, daß in dieser Landschaft die aufeinanderfolgenden Phasen der Zeit zwischen 1200 und 750 ohne Unterbrechung nachweisbar sind. Vor allem ist die Stätte des Wohnhügels von Kargamis aufschlußreich, weil sie, sowohl im zweiten als auch im ersten Jahrtausend, als ein wichtiges

Zentrum eine große Rolle gespielt hat. Die entscheidenden Ereignisse der Geschichte spiegeln sich zweifellos auf dem Boden dieses Ortes wider. Wichtig ist besonders, daß Kargamis, wie die Inschriften Ramses III. im Medinet Habu berichten, eine der von den »Nordvölkern« zerstörten Städte ist 39 und daß die Brandschicht, die diese Katastrophe hinterlassen hat, wesentliche Anhaltspunkte für die Einordnung der Kulturstrata bieten kann. Die östlichen Teile der Halbinsel, in denen im Gebiet um den Van-See die Kultur der Urartäer zu Hause ist, haben Funde gezeitigt, die in die Zeit vom 9. bis zum 6. Jahrhundert zu datieren sind. Im Süden der Halbinsel sind in der letzten Zeit in Mersin, Tarsus und Karatepe Ausgrabungen von entscheidender Wichtigkeit gemacht worden, die wertvolles Material zur Klärung verschiedener Zeitabschnitte der Geschichte Kleinasiens beigetragen haben 40 . Doch ist auch hier die frühe Eisenzeit, d. h. die Periode zwischen 1200 und 750, in Dunkelheit gehüllt41. Was die Nordküste Anatoliens betrifft, so sind wir über die eisenzeitliche Kultur dieses Gebiets überhaupt nicht orientiert. Die Grabungen in Sinope haben keine Kulturreste ans Tageslicht gefördert, die über das Ende des 7. Jahrhunderts zurückreichen 42 . Die aus der Zeit des hethitischen Großreiches bekannten Kaschker sind, wie die Hethiter, nach Süden gewandert 43 .

FRÜHGRIECHISCHES ZEITALTER IN KLEINASIEN (1050—700)

INachdem Troja und Hattusas, die Hauptstadt des hethitischen Großreiches, am Beginn des 12. Jahrhunderts nacheinander gefallen waren, öffneten sich alle Tore der Kleinasiatischen Halbinsel, so daß die Griechen, die seit der späten Bronzezeit im südlichen West-Kleinasien zumindest Handelskolonien und mit großer Wahrscheinlichkeit auch das Reich von Ahhijawa gegründet hatten, nunmehr mit der endgültigen Kolonisierung der Küstengebiete der Halbinsel beginnen konnten. Die anglo-türkischen Grabungen, die vier Jahre lang unter Leitung von John Cook und dem Autor in Bayrakh (Alt-Smyrna) durchgeführt wurden 44 , haben zum ersten Male einwandfrei ergeben, daß die Besiedlung Kleinasiens durch die Griechen früher, als man bis heute allgemein annahm, eingesetzt hat. Besonders wichtig ist, daß bei den Grabungen in Alt-Smyrna schichtenweise große Häuserquartiere freigelegt wurden, so daß die frühgriechischen Kulturreste zuverlässig beobachtet und studiert werden konnten. Von den ans Tageslicht gebrachten Funden verdient vor allem die mit schönen Beispielen vertretene Keramik des protogeometrischen Stiles erwähnt zu werden. Das Vorkommen der protogeometrischen Keramik in Bayrakh besagt, daß die Gründung der griechischen Kolonie Smyrna bis ins 11. Jahrhundert zurückgeht und damit das von Eusebios für Myrina angegebene, aber selbstverständlich auch für Smyrna gültige Gründungsdatum, das Jahr 1046, annähernd bestätigt 45 worden ist 46 . Smyrna und Myrina sind Städtenamen, die in Form von Nebenbildungen ein und demselben Worte entstammen und einer vorgriechischen altkleinasiatischen Sprache angehören47. Die Vorfahren der Griechen haben wohl als einzelne Kaufleute diese Städte schon seit dem 14. Jahrhundert bewohnt. Aber die endgültige Besiedlung wird, wie die von uns freigelegten Kulturschichten deutlich vor Augen führen, erst nach der Eroberung von Troja zustande gekommen sein. Die Nachbarschaft der beiden Städte und die Ähnlichkeit ihrer Namen bezeugen, daß sie in ein und demselben Zuge besiedelt worden sind. Daher kann das eusebische Gründungsdatum von Myrina auch für Smyrna geltend gemacht werden. Die Kulturschichten des alten Smyrna, die der griechischen protogeometrischen Zeit vorangehen, sind in jeder Hinsicht von ihr unterschieden. Die einfach verarbeitete Keramik ist ausschließlich monochrom. Es kommen nur vereinzelt emykenische Scherben vor 48 . Es kann also in dieser Zeit von einer griechischen Kolonisation keine Rede sein. Auch in Troja sind die Verhältnisse ungefähr dieselben. In den trojanischen Schichten, die unterhalb der griechischen archaischen Brandschicht liegen, ist zwar mykenische Keramik zutage getreten; sie nimmt jedoch in dieser späten Schicht an Zahl und an Qualität

ab. Auch in Troja kann also von keiner griechischen Kolonisation gesprochen werden. Die beiden Ausgrabungsplätze lassen daher vermuten, daß die nördliche Hälfte der kleinasiatischen Westküste, im Gegensatz zur südlichen Hälfte, von den Griechen nicht besiedelt worden war. Daher stimmt das eusebische Datum (Mitte des 11. Jahrhunderts) für die äolische Kolonisation Kleinasiens glücklich mit den Bodenumständen in Bayrakh überein. Die protogeometrische Keramik bietet auf diese Weise einen wichtigen Anhaltspunkt für die obere Zeitgrenze der griechischen Kolonisation in der äolischen Landschaft. Das noch in der protogeometrischen Schicht, und zwar in der Zeit um 900, ent- Abb. i standene ovale Lehmziegelhaus stellt das besterhaltene und älteste griechische Ge- Fig. i bäude überhaupt dar 49 ; es ist ein aus einem einzigen Zimmer bestehendes Haus von 3 X 5 m Größe, das wohl mitten in einem Garten ganz für sich gestanden hat. Bei der Freilegung waren noch viele ungebrannte Ziegel von 50 X 30 12 cm Größe unversehrt erhalten. Von der Mauer, die bis zur Dachrinne aus Lehmziegeln bestand, sind drei Lageschichten erhalten. Die Oberfläche der Mauer war ursprünglich mit einer feinen Lehmschicht überzogen, so daß die Lehmziegelfugen verdeckt waren. Die nur eine Ziegelbreite, d. h. 30 cm, dicke Mauer war sehr leicht und wird daher ein Strohdach getragen haben, vermutlich in der Form, wie wir es bei einem Hausmodell aus Samos kennen 50 . Das Giebeldach war außerdem mit zwei Pfosten, die wohl bis zum Dachfirst reichten, gestützt. Ein Pfostenloch mit verkohlten Holzresten im südlichen mittleren Teil des Raumes konnte noch nach der Freilegung erkannt werden. Am nördlichen Teil des Hauses, wo sich die Tür befindet, mußten, um den Eingang freizuhalten, an Stelle eines einzigen Pfostens zwei seitliche Pfosten verwendet werden, die bis zur Höhe der Dachrinne reichten und dort einen Querbalken trugen, auf dem ein Vertikalbalken stand, der seinerseits parallel mit dem südlichen Pfosten den Dachfirst zu stützen hatte51. Licht und Luft erhielt das Haus wahrscheinlich nur durch eine Öffnung an einem der Giebel, wie wir sie bei dem Hausmodell von Samos finden. Diese Öffnung diente zugleich als Abzugsluke für den Rauch. Die an der Nordseite gelegene Tür hatte wohl Holzrahmung. Der Fußboden innerhalb des Hauses lag niedriger als der Boden außerhalb des Hauses. Daher waren im Innern zur Verstärkung der Mauer unten eine Reihe kleinere Steine gelegt worden. Dieses kleine, sehr leicht gebaute Haus darf nur als ein bescheidenes Beispiel seiner Zeit betrachtet werden. Aus derselben Schicht sind wohl größere, rechteckige und mit flachem Dach gedeckte, vielleicht auch mehrräumige Häuser reicher Leute von Smyrna zu erwarten. In der nächsten, durch die frühgeometrische Keramik gut datierbaren Schicht Abb. 2 des g. Jahrhunderts konnten mehrere Häuser freigelegt werden, die ebenfalls aus einem einzigen Zimmer bestehen, aber viel geräumiger sind. Ein Haus dieser Zeit, das einen rechteckigen Grundriß von 6 m Größe hat, ist mit seinen noch bis 1,30 m Höhe stehenden Mauern ein sehr gut erhaltenes Beispiel ältester griechischer Hausarchitektur. Die auf uns gekommenen Überreste geben ein überaus anschauliches Bild der ursprünglichen Lage. Man kann sich geradezu in die damalige At-

/ Frühgriechisches Hans in Alt-Smyrna (Bayrakh). Um 900 S. g.

2 Frühgriechisches Haus in Alt-Smyrna (Bayrakh). g. Jh. S. g.

mosphäre einfühlen. Innen stehen noch zum Teil unversehrte Behälter aus Lehmerde, die alle mit der Hand gefertigt und zwar in diesem Räume selbst hergestellt wurden. Vor der südlichen Mauer sehen wir drei bienenkorbförmige, und davor, ungefähr in der Mitte des Zimmers, einen kleineren und einen größeren rechteckigen Behälter. Man spürt, daß das Zimmer fluchtartig verlassen worden ist. Die Inhaber mußten sich wohl einem überraschenden Angriff entziehen. Unter dem eingestürzten Dach wurden große, ebenfalls handgemachte Pithoi, Vorratsgefäße, zerstört aufgefunden, von denen Bruchstücke im östlichen Teile des Raumes sichtbar sind. An mehreren Stellen des Zimmers wurden teils karbonisierte, teils halbverbrannte Reste von Holzbalken in nord-südlicher Lage gefunden. Es sind die auf uns gekommenen einzigen Überbleibsel der Querbalken, die die 6 m breite Spannweite des Raumes überdeckten und das flache, aus Lehmerde bestehende Dach trugen. Der Eingang des Raumes befand sich auf der westlichen Schmalseite. Die Mauern mögen bis Manneshöhe in Steinwerk ausgeführt worden sein, von dem die 1,30 m hohe Südmauer eine gut erhaltene Probe darstellt. Die untere Schicht besteht aus großen, hochkantig gestellten Orthostaten. Die oberen Mauerschichten sind aus länglichen und schmalen Steinen gebildet, also in einer Mauertechnik aufgeführt, die seltsamerweise an die Mauer der Trojanischen Kulturschicht VII b 2 gemahnt. Eine besondere Eigentümlichkeit aller in dieser Schicht freigelegten Einzimmerhäuser ist es, daß stets die Innenseiten der Mauer sorgfältig bearbeitet sind, während die Außenseiten einen völlig vernachlässigten Eindruck machen. Die Innenseiten der Mauer waren also mit keiner Putzschicht versehen, sondern haben damals so ausgesehen, wie sie heute vor uns stehen. Trotz der beträchtlichen Geräumigkeit des Hauses können wir uns nicht des Eindrucks erwehren, in diesem Gebäude nur ein ärmliches Beispiel des Hausbaues jener Zeit vor Augen zu haben. Die handgemachten, primitiven Behälter und Gefäße können nur einem unbedeutenden Smyrnäer des g. Jahrhunderts gehört haben. Dieses an die Stadtmauer angelehnte Haus wird schwerlich als ein wichtiges Haus zu deuten sein. In den südlich gelegenen, dem Meere zugewandten vornehmen Quartieren der Stadt sind wohl noch größere Häuser, vielleicht sogar Paläste im Megaron-Typus zu erwarten. In dem beschriebenen und in den daneben liegenden Häusern wurde frühgeometrische Keramik aufgefunden, so daß diese Schicht mit Sicherheit ins 9. Jahrhundert datiert werden kann. Die durch die geometrische Keramik gekennzeichnete Schicht des alten Smyrna war mit einer breiten Stadtmauer umgeben, deren aus unregelmäßigen Steinen gebauter Unterteil dicht unterhalb der Häuser mit frühgeometrischer Keramik zutage getreten ist. Diese spätestens ins 9. Jahrhundert gehörende Stadtmauer ist die älteste bis heute bekanntgewordene Verteidigungsanlage einer griechischen Stadt. Die rechteckigen Häuser, die nach einer Katastrophe plötzlich verlassen worden waren, wurden kurze Zeit später, um die Mitte des 8. Jahrhunderts, erneut bewohnt. Die Erdmassen der eingestürzten Lehmdächer, die eine dicke Schicht innerhalb der Räume bildeten, wurden eingeebnet, die nur zum Teil beschädigten Mauern repariert. Daher sind die Häuser der zweiten Schicht in Alt-Smyrna in so gut erhaltenem 11

Zustand auf uns gekommen. Das unheilbringende Geschehen scheint sich an manchen Stellen der Stadt viel stärker ausgewirkt zu haben. Denn in einigen Räumen ist eine sehr dicke Brandschicht zu beobachten, in welcher Gefäße und Scherben des frühgeometrischen Stiles gefunden wurden. Auf einem weit ausgedehnten Platz ist sogar eine bis 30 cm tiefe Erdschicht ohne jegliche Baureste in Erscheinung getreten. Die neuen Bewohner der Stadt mußten die stark beschädigten Häuserreste, die aus einem Haufen von Erde und Steinen bestanden, planieren, um darauf ihre neuen Wohnungen bauen zu können. Die fürchterliche Zerstörung mag eher auf eine gewaltsame Aktion als auf die Folgen eines Erdbebens zurückzuführen sein. Mit diesem kriegerischen Ereignis ist vielleicht die Einnahme der zuerst von Äolern bewohnten Stadt Smyrna durch die lonier von Kolophon in Zusammenhang zu bringen, ein historisches Geschehen, über das Herodot52 eine unglaubwürdige Geschichte erzählt: »Die Smyrnäer nahmen Männer von Kolophon auf, die in einem Aufruhr unterlagen und aus ihrem Vaterlande vertrieben wurden. Als darauf die Smyrnäer außerhalb der Stadtmauer zu Ehren des Dionysos ein Fest feierten, schlössen die Flüchtlinge von Kolophon, diese Gelegenheit ausnutzend, die Tore zu und nahmen die Stadt in Besitz. Als nun alle Äoler gegen sie auszogen, machten sie einen Vertrag, daß die Äoler Smyrna aufgeben sollten, wenn die lonier das Hausgerät herausgäben. Das taten die Smyrnäer, und die anderen elf Städte verteilten sie unter sich und machten sie zu ihren Bürgern«. Die auf herodotische Art vorgetragene Anekdote ist zwar in ihren Einzelheiten frei erfunden; sie enthält jedoch einen Kern Wahrheit. Auch der um 600 in Kolophon wirkende Dichter Mimnermos erzählt in einer Elegie über die Heldentaten seiner Vorfahren, wie sie »Pylos, die Stadt des Neleus, verlassend, mit ihren Schiffen zum erwünschten Gestade Asiens kamen, sich im lieblichen Kolophon niederließen und von dort auf Wunsch der Götter das äolische Smyrna eroberten« 53 . Das erste historische Datum über das ionische Smyrna stammt von Pausanias, der sagt, daß Onomastos von Smyrna im Faustkampfe der 23. Olympiade (688 vor Chr.) gesiegt und daß Smyrna zu dieser Zeit bereits zum ionischen Bunde gehört habe 54 . Sollte unsere Annahme stimmen und die Brandschicht innerhalb der Häuser mit der frühgeometrischen Keramik auf die Eroberung durch Kolophon zurückzuführen sein, so muß Smyrna spätestens am Ende des 9. Jahrhunderts in die Hände der lonier gelangt sein. Dies würde bedeuten, daß die ionische Expansion, die später im 8. und 7. Jahrhundert weiter nördlich in Kleinasien wirksam wurde, ihren Anfang schon im 9. Jahrhundert genommen hat. (Siehe auch unten Seite 20). In der zweiphasigen spätgeometrischen Schicht des alten Smyrna (ungefähr 770—670) sind sowohl die rechteckigen als auch ovalen Häuser mit mehreren Beispielen vertreten. Die ovalen Häuser der dritten Schicht weisen aber — im Vergleich zum ovalen Haus der ersten, protogeometrischen Schicht der Stadt —- einige Umbildungen auf. Bei manchen Beispielen der zweiten Phase ist nur eine Schmalseite apsisförmig gebildet, während die übrigen Seiten, vor allem die Langseiten, fast geradlinig verlaufen. Man könnte sie Apsidialhäuser nennen 55 . Es handelt sich in der Hauptsache um kleine Häuser von ärmlicher Erscheinung. Ihre Mauern waren nur 12

an ihren unteren Teilen ein paar Lageschichten hoch aus Stein, im übrigen aber aus Lehmziegeln gebaut. Diese Häuser hatten, genau so wie das ovale Haus der ersten Schicht, Strohdächer, die übliche Bedachung der homerischen Zeit. Das waren, wie wir in der Ilias lesen, Schilfdächer, die aus »von Wiesen gesammeltem, borstigem Rohr« 56 hergestellt wurden. Auch das 8 X 14 m messende, wohl zu öffentlichen Zwecken dienende große Gebäude, das wir als Buleuterion bezeichnet haben, ist ein primitiv errichteter Bau. Ob er überhaupt bedeckt war oder als ein von vier Seiten geschlossener Platz zu betrachten ist, vermögen wir nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Die Häuser der dritten Schicht hatten wahrscheinlich Türen aus Holz, deren Angelsteine an mehreren Stellen der Grabungen in situ aufgefunden wurden. Luft und Licht erhielten diese Wohnungen durch mehrere rechteckige oder dreieckige Fig. 3-5 kleine Öffnungen, die, wie noch an einem Hausmodell des späten 8. Jahrhunderts von Perachora zu sehen ist, an den Vorder- und Langseiten der Wände dicht unterhalb des Daches in einer geraden Linie angeordnet waren 57 . Ein kleines Apsidialhaus, das zu der zweiten Phase der dritten Schicht gehört, war, zusammen mit einem noch kleineren Haus dieses Typus, von einer Gartenmauer umgeben. Das größere Haus, in dem ein Herd und eine Ofenstelle freigelegt wurden, hat einen an seiner Nordostseite angebauten Annex, der wohl als eine Art Vorratskammer anzusehen ist. Hier haben wir zum ersten Mal in Smyrna, und zwar aus der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts, das Beispiel einer Gruppierung mehrerer Einzimmer-Häuser. Es wurden jedoch noch keine Wohngebäude mit mehreren Zimmern unter einem Dach ans Tageslicht gebracht. Daß aber solche großen, mehrräumigen Häuser in den noch nicht ausgegrabenen Teilen des alten Smyrna unter der Erde verborgen liegen, können wir mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen. Die freigelegten Häuserkomplexe vermitteln uns schon jetzt ein anschauliches Stadtbild der epischen Zeit. Die Rundbauten des alten Smyrna, die mit ihren unteren Hälften in der Erde liegen, dürfen wohl die in der Odyssee erwähnten Tholoi sein, die als Vorratshäuser Verwendung fanden. Von solchen Tholoi wurden in Smyrna in der dritten Schicht mehrere freigelegt; sie liegen innerhalb der Häuserkomplexe, Fig. 2 ungefähr so, wie es in der Odyssee zu lesen ist, wo ihre Stelle als bei dem Megaron und der »festen Mauer des Hofes« 58 angegeben wird. Die keramischen Funde, die sich in der zweiten Phase der dritten Schicht von Alt-Smyrna in großen Mengen fanden, zeigen ostgriechisches Gepräge. Bisher haben uns Rhodos, die Kykladen und Samos durch die Spatenforschung das keramische Material der ostgriechischen Welt im homerischen Zeitalter geliefert. Jetzt kann man sagen, daß auch Smyrna einen wichtigen Anteil am künstlerischen Schaffen dieser Zeit gehabt hat. Aus der großen Fülle der Funde bilden wir hier nur ein Dinos-Fragment ab, das wegen seiner Leierdarstellung von allergrößter Bedeutung Abb. 3 ist. Es ist die älteste bis heute bekanntgewordene Wiedergabe einer siebensaitigen Leier und vielleicht eine der frühesten innerhalb der griechischen Kunst überhaupt. Es ist aufschlußreich, daß das Wort »Lyra« weder in der Ilias, noch in der Odyssee, sondern zuerst in dem homerischen Hymnos auf Hermes vorkommt59, der gegen 13

Ende des 7. Jahrhunderts entstanden ist. Daß das Instrument tatsächlich Lyra hieß, wird durch eine schwarzfigurige Schale bewiesen, auf welcher der siebensaitigen Leier die Bezeichnung Lyra beigegeben ist 60 . Die nach Smyrna nächstältesten Beispiele kehren auf den melischen Vasen wieder61. Daher ist es wahrscheinlich nicht zufällig, daß die ersten Darstellungen der neu erfundenen Leier zuerst auf den Gefäßen ostgriechischen Ursprungs vorkommen. Das muß gerade zu Beginn des 7. Jahrhunderts gewesen sein, als Terpandros aus Lesbos, wie aus einem Fragment von Pindar zu ersehen ist, bei den Gastmählern der Lyder die altkleinasiatische Musik kennenlernte 62 . Vielleicht ist es jenem Kontakt der griechischen Sänger mit der lydischen und der phrygischen Musik zu verdanken, daß diese folgerichtige Entwicklung von der viersaitigen Phorminx zur siebenseitigen Lyra zustande kam. Die orientalischen Instrumente kennen zwar keine kanonische Saitenzahl, sie sind jedoch im allgemeinen mehrsaitig und weisen in einzelnen Fällen bis zu dreiundzwanzig Saiten auf63. In einem Anakreon-Fragment ist überliefert, daß das lydische Instrument, das Magadis genannt war und vielleicht dem Pektis gleichzusetzen ist, zwanzig Saiten hatte 64 . Daher ist die überlieferte lydische Einwirkung auf die griechische Musik durchaus glaubhaft. Charakteristisch ist der kleine Schallkörper und die regelrecht ovale Form der Leier auf der Scherbe aus Alt-Smyrna. Am nächsten verwandt sind ihr die dreisaitige Leier auf einem böotischen Kantharos spätgeometrischen Stiles65 und die fünfsaitige Leier auf einer frühattischen Hydria in Berlin66, die beide einen kleinen Schallkörper und eine ähnliche Gesamtform aufweisen. Auch der ringförmige Schallkörper einer fünfsaitigen Lyra-Darstellung auf der frühattischen Amphora von Analatos 67 ist nicht groß und daher mit der Leier-Darstellung von Smyrna vergleichbar. Die nahe formale Verwandtschaft mit den Beispielen aus dem Mutterlande besagt zur Genüge, daß trotz des überlieferten lydischen Einflusses die Erfindung der siebensaitigen Leier als eine Entwicklung innerhalb des griechischen Musiklebens zu verstehen ist68. Auf einer Scherbe in Gordion ist eine Lyra-Darstellung erhalten, deren Gesamtform dem Beispiel aus Smyrna sehr ähnlich ist. Da aber die Scherbe einem Gefäß der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts angehört, ist hier nur eine Einwirkung von Griechenland nach Phrygien denkbar, nicht aber umgekehrt. Die Anregung zur Vielzahl der Saiten kommt von außen her, aber ihre Siebenzahl ist eine griechische Erfindung. Sie wurde fortan für alle Leiern kanonisch und Grundsatz für das europäische Tonsystem überhaupt. Auch die spätgeometrische Schicht ist, wie die Brandreste an mehreren Stellen innerhalb ihrer zweiten Phase deutlich machen, einer Gewaltaktion um 670 zum Opfer gefallen. Damit endet eine geschichtliche Periode des westlichen Kleinasiens, die des homerischen Zeitalters. Alt-Smyrna ist die einzige Ruine, die über diese bis heute völlig in Dunkelheit gehüllte Zeitspanne etwas aussagt. Die gleichzeitigen Schichten des alten Milet sind unter großen Schwierigkeiten und mit hohen Kosten auszugraben, da sie heute unter Wasser liegen. Auch in Ephesos liegen die Hinterlassenschaften der archaischen, und damit wohl der älteren Zeit tief im Wasser. Von anderen berühmten ionischen und äolischen Städten wie Kolophon, Teos, 14

3 Spätgeometrische Dinos-Scherbe aus All-Smyrna (Bayrakh) mit Lyra-Darstellung, i. Viertel J. Jh. Izmir. S. 13. 69

Klazomenai sowie Myrina und Larisa sind bisher überhaupt keine Reste aus der Zeit vor 700 bekanntgeworden. Um das Bild der frühgriechischen Städte in Kleinasien, das wir heute allein aus den Ergebnissen der Grabungen in Bayrakh gewinnen können, zu vervollständigen, müssen wir auf den benachbarten äolischen und ionischen Inseln Lesbos und Samos Umschau halten, da sie derselben Kultursphäre angehören. Die Städte der kleinasiatischen Küste vermögen selbstverständlich nur einen Teil der homerischen Welt zu vertreten. Auf Lesbos, und vor allem auf Samos, sind bedeutende Baureste der homerischen Zeit zutage getreten. Das 5,5 X 14 m große, beiderseitig apsidenförmig gestaltete, wohl aus dem 8. Jahrhundert stammende Haus in Antissa auf Lesbos ist ein würdiges Beispiel70 der Apsidialhäuser, die wir in Alt-Smyrna kennengelernt haben. Die Ausgrabungen in Samos haben dagegen sakrale Bauten von hervorragender Bedeutung zutage gefördert71. Der Hekatompodos II, ein langgestreckter Tempel mit einer Cella von ungefähr 7 m Breite und einer mutmaßlichen Länge von loo Fuß (33 m), rings von einem Säulenkranz umgeben 72 , dürfte aus der Mitte des 7. Jahrhunderts stammen; der Hekatompodos I und vor allem die früheren Stufen des Altars, bei dem wir bereits den Plan des Pergamonaltars aus der hellenistischen Zeit vorgebildet finden, mögen dagegen, mit entsprechenden Zeitabständen, in die geometrische Zeit zurück reichen73. 15

Vergleichen wir nun das aus dem Studium der ostgriechischen Zentren gewonnene Bild der homerischen Zeit mit den festländisch-griechischen materiellen Hinterlassenschaften, so können wir sagen, daß die ostgriechischen Kolonien auf dem Gebiete der bildenden Kunst gänzlich vom Mutterlande abhängig waren. Das Mutterland ist vor allem in der Vasenmalerei führend gewesen. Zwar gelang es den kleinasiatischen Griechen vom 8. Jahrhundert ab, eigene originelle Schöpfungen auch in der Vasenmalerei hervorzubringen. Die ostgriechischen Errungenschaften auf diesem Gebiete bleiben jedoch im Vergleich zu denen des Mutterlandes im Hintergrund. Von der Kleinkunst dieser Zeit in Kleinasien ist fast nichts auf uns gekommen, während die Griechen auch in diesem Zweige der Kunst hervorragende Meisterwerke geschaffen haben. Dennoch scheint auch Samos ein wichtiges Zentrum gewesen zu sein 74 . Die Werke dieser Insel sind jedoch nicht so alt, wie man gern glauben möchte. Ganz anders liegen die Verhältnisse auf dem Gebiete der dichterischen Leistungen. Die homerischen Epen sind eine Schöpfung der kleinasiatischen Griechen. Weit vom Mutterlande entfernt und von einer feindlichen, fremden Welt umgeben, haben die äolischen und ionischen Kolonisten auf dem kleinasiatischen Boden den heroischen Geist der mykenischen Periode fortgebildet, den sie von ihrer Heimat mitgebracht hatten. Das muß in der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts gewesen sein, als Homer die Ilias schuf. In der vorhomerischen Zeit wurden die Epen von fahrenden Sängern unter Begleitung der Phorminx, einer viersaitigen »hellklingenden« 75 Leier mit »Sehnsucht erweckenden« 76 Tönen an den Fürstenhöfen gesungen. Erst nach Homer erfolgte der Umschwung, bei dem die Rolle der fahrenden Sänger von den Rhapsoden übernommen wurde, die nicht sangen, sondern an Stelle der Phorminx in der Hand einen Stab hielten und die Gedichte im klangvollen, epischen Hexameter deklamierten. Es ist Homers große Leistung, daß er in einer straffgeführten Handlung den Sang vom Zorn des Achilleus in den Mittelpunkt gestellt, die übrigen Sagen und Episoden um ihn gruppiert und auf diese Weise eine einzigartige Komposition zustande gebracht hat. Dem Dichter der Ilias müßte auch der Stoff der hesiodischen Theogonie in den wesentlichen Zügen bekannt gewesen sein, bevor der böotische Dichter sein Werk schuf. Es ist in jüngster Zeit behauptet worden, daß Homer den böotischen Dichter, der um 700 wirkte, als Quelle benutzt habe 77 . Der Umstand, daß Kronos, Vater des Zeus, bei Homer einige Male, ohne Angabe der Gründe, »hinterlistig« genannt wird und daß diese Gründe bei Hesiod eine ausführliche Schilderung erfahren, dürfte kein Argument dafür sein, Hesiods Theogonie für älter zu halten als die Ilias des Homer. Wir wissen heute, daß die »Werke und Tage« des Hesiod als orientalische Spruchsammlung 78 anzusehen sind und daß seine »Theogonie« in wesentlichen Zügen auf den hurrischen Kumarbi-Mythos zurückgeht. Hesiod, der im entlegenen Orte Askra in Böotien lebte, wird wohl nicht der erste Grieche gewesen sein, der die orientalischen Mythen kennengelernt und sie mit den Sagen der hellenischen Welt zu einer Einheit komponiert hat. Vor ihm und auch schon vor Homer müssen die griechischen Epen bereits in klar erkennbarer Gestaltung in Erscheinung getreten 16

sein. Homer und Hesiod haben ihre Werke aus diesen Epen herausgearbeitet. Daß dabei zwei ganz andersartige Schöpfungen entstanden sind, darf nicht wundernehmen. Man muß die gänzlich verschiedenen Einstellungen der beiden Persönlichkeiten in Betracht ziehen. Wenn Hesiod erzählt, wie Kronos seinen Vater Uranos, »als dieser sich in der Nacht voller Liebe um seine Frau Gaia schlang, mit einer ungeheuerlich großen Sichel« entmannte und wie aus dessen abgeschnittenem, auf dem Meere treibendem Glied dann die schaumgeborene Aphrodite erstand, so tut er das in der Weise, wie wir es bei ihm auch sonst kennen. Von solchen schauderhaften Vorgängen zu berichten lag dem Autor der Ilias gänzlich fern. Homer kannte genau so wie Hesiod diesen Teil des orientalischen Kumarbi-Mythos79, denn die orientalischen Elemente haben sicherlich schon in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts ihre Aufnahme in das griechische Epos gefunden. Daß aber manche anderen Elemente in der Ilias dennoch jüngeren Ursprungs sind, kann man gut verstehen, da die Rhapsoden beim Vortrag an dem Werk weitergearbeitet und durch Improvisation manche Stellen umgebildet oder zeitgemäß ergänzt haben. Solche Umgestaltungen und Zutaten wurden zuletzt im 7. Jahrhundert auch in Athen vorgenommen, als die epische Kunst ins Mutterland hinübergetragen wurde. Die Gestaltung der griechischen Sagen zu einem einheitlichen Werk, wie sie uns in der Ilias erhalten sind, ist eine einmalige Schöpfung aus der Zeit des spätgeometrischen Stiles. Die Tatsache, daß Homer die Lyder nicht kennt, sondern das lydische Gebiet mit dem Namen Mäonien80 bezeichnet, dürfte daraufhinweisen, daß die Entstehung der Ilias in eine Zeit vor 725 fällt81. Nach Homer sind die Phryger in der Gegend um den heutigen Iznik-See und am Sangarios zu Hause82. Der Autor der Ilias kennt also Gordion, die Hauptstadt der Phryger, die kurz vor 725 gegründet wurde83, noch nicht. Die obere Zeitgrenze dürfte dagegen nicht über das Jahr 750 zurückreichen, da die allgemeinen kulturellen Verhältnisse für eine viel ältere Zeit kaum günstig erscheinen. Die Odyssee ist jedoch viel jünger als die Ilias und stammt aus der Hand eines Dichters, der einige Generationen später als Homer gelebt hat. Die geographischen und politischen Verhältnisse, die sich griechische Kolonisten in ihrer neuen Heimat gegenübergestellt fanden, führten dazu, daß die ersten Städtegründungen, wie wir bereits bei Smyrna sahen, spätestens im 9. Jahrhundert erfolgten. Wirft man einen Blick auf die geographische Karte des westlichen Kleinasiens, wird man gewahr, daß die griechischen Kolonisten ihre Städte in der Hauptsache direkt am Meere, und zwar auf kleinen, unmittelbar an der Küste liegenden Inseln oder auf einer Halbinsel gegründet haben. Das griechische AltSmyrna war auf einer kleinen, seit dem dritten Jahrtausend bewohnten Halbinsel, die in der nördlichen Bucht des smyrnäischen Golfes gelegen ist, errichtet worden. Pitane, Gryneion, Phokaia, Klazomenai und wohl auch Side waren gleichfalls Gründungen auf kleinen Halbinseln. Auch die späteren griechischen Kolonien wie Kyzikos und Sinope haben mit Vorliebe kleine, dicht an der Küste gelegene Inseln oder Halbinseln gewählt. Wo man keine Insel oder Halbinsel fand, suchte man gut gedeckte Plätze, deren eine Seite wenigstens vom »laut brau17

senden Meere« bespült wurde. So entstanden fast alle äolischen und ionischen Städte an solchen Punkten der Westküste Kleinasiens, die dicht am Meere lagen. Die griechischen Besiedler Anatoliens waren also gezwungen, sich gegen Angriffe vom Lande wie vom Meere zu wehren. Diese von zwei Seiten her drohende große Gefahr veranlaßte die Kolonisten, von Anfang an sich in den Schutz der mit dicken Mauern befestigten Siedlungen zu begeben. So gingen die ältesten griechischen Städtegründungen auf kleinasiatischem Boden vor sich, während im Mutterland, wenigstens im 9. und im frühen 8. Jahrhundert, die dörfliche Siedlungsweise noch allgemein üblich war 84 . Diese Städte waren sehr klein. Den Bewohnern von Alt-Smyrna stand nicht mehr als eine etwa zwanzig Hektar große Fläche zur Verfügung. Dies war überhaupt der Lebensraum der alten Stadt bis zum Ende des 4. Jahrhunderts. Auf diesem sehr engen Boden mögen nur einige tausend Menschen Unterkunft gefunden haben. Im Zeitalter des Kampfes und Krieges lebten die Kolonisten, wie wir in der Ilias lesen, noch von Beute und Viehraub. Sie betrachteten den Seeraub als einen legitimen Erwerb von Eigentum. Eisen, Gold und Frauen bildeten den Preis der heldenhaften Sieger84". Ihnen standen die einheimischen Bewohner als Hörige zur Verfügung, die das bei der Stadt gelegene Land für sie zu bebauen hatten. Einen solchen Helden aus Smyrna oder Kolophon verherrlicht Mimnermos, der um 600 in Kolophon gelebt hat: Seine Stärke, seinen wahren Mannesmut, wer von den Alten Vor mir hat ihn recht gepriesen? Und sahen ihn doch schalten, Wie er dichte Heeresscharen reis'ger Lyder hat gezwungen, Wie er in das Hermos Blachfeld stolz den Eschenschaft geschwungen Einen besseren Helden haben nie die Feinde je gesehen85. Die Ritter von Kolophon und Smyrna, deren Leben in Krieg, Waffenspiel und Weidwerk bestand, bildeten die Aristokratie der homerischen Zeit, die auf einem feudalen System aufgebaut war 86 . Sie besaßen, genau so wie der lydische und phrygische Adel derselben Zeit, eine starke Kavallerie, die ihre Macht gegenüber den für sie die Äcker bestellenden Hörigen ausmachte 87 . Die meisten der äolischen Städte werden wohl ein ähnliches, aber etwas ärmlicheres Leben geführt haben. Auch Milet hat, — wir folgen Wilamowitz-Moellendorf — in den Anfängen vorwiegend vom Ackerbau gelebt, den die hörigen Gergither für ihre feudalen Herren zu betreiben hatten 88 . Als aber die einheimischen Bewohner den Milesiern keine neuen Äcker hergaben, kam es in Milet zu einem Umschwung, der den Griechen neue Horizonte öffnete, der ihnen den Wreg zum Seehandel freimachte und sie zur Gründung der Industrie nötigte. Diese bestand allerdings vorerst überwiegend aus Wollweberei, die sie wohl von denPhrygern erlernten. Danach kam die keramische Produktion. Doch entscheidend war der Aufschwung der Schiffahrt, die Milet durch die »Immerschiffer« (Aeinautai) zu einer bedeutenden Handelsflotte entwickelte, mit der die Milesier die zahlreichen Kolonien an den Küsten des Mittelmeeres und Schwarzmeeres gründen konnten. Dieser Umschwung des wirtschaftlichen Lebens in Milet muß sich

18

schon im 8. Jahrhundert vollzogen haben, weil die milesischen Kolonien im nordwestlichen Kleinasien bereits um 700 errichtet wurden. In der Zeit der zweiten griechischen Kolonisationsperiode, die um die Mitte des 8. Jahrhunderts einsetzte und sich vorwiegend vom Mutterlande aus nach Süd-Italien und Sizilien auswirkte, hielten die kleinasiatischen Griechen die übrigen Gebiete der damaligen Welt im Mittelmeer und im Schwarzen Meer in ihrer Hand, so daß die Kolonisten des Mutterlandes, am besten und leichtesten von Milet und von Phokaia aus, an der Kolonisierung des Mittelmeeres und des Schwarzen Meeres teilnehmen konnten. Die bereits im siebenten Jahrhundert zu bemerkende, fast schichtartige Aufteilung der Westküste Kleinasiens vom Norden nach Süden durch Äoler, lonier und Dorer ist ein historischer Prozeß, der sich über Jahrhunderte erstreckte. Am Anfang war die Westküste nicht, wie vielfach angenommen, planmäßig im Norden von Äolern und im Süden von loniern besiedelt worden. Wenn man die Namen von Phylen und Geschlechtern, die Gründungssagen der einzelnen griechischen Städte Kleinasiens studiert, wird man erkennen, daß griechische Stämme aus verschiedenen Gebieten des Mutterlandes sowohl im nördlichen als auch im mittleren und südlichen Teile der Westküste Kleinasiens Fuß gefaßt haben. So finden wir, wie WilamowitzMoellendorff trefflich hervorgehoben hat, »Leute aus Böotien in Teos, Kolophon, Milet und Priene. Aber auch die Lesbier im Norden fühlen sich gerade den Böotiern verwandt. Aus Thessalien kommen Äoler, aber ebenso gut Magneten und Triopas von Knidos und Thessalos von Kos. Aus der Argolis kommen Leute nach Samos, Klazomenai, Kos, Halikarnassos, Rhodos. Dies besagt, daß die Herkunft aus dieser oder jener Gegend die Unterschiede von Äolern, loniern und Dorern nicht bedingen kann« 89 . Daß aber das Gebiet der späteren Äolis vom Anfang an überwiegend von Äolern besiedelt war, kann, wie vielfach aus dem Schrifttum zu ersehen ist, nicht geleugnet werden. Auch in den südlich von Smyrna angelegten Kolonien muß die überwiegende Zahl der Stämme einander nahe verwandt gewesen sein, so daß ein Ansatz zur Ausbildung des ionischen Volkstums von vornherein gegeben war. Nach der endgültigen Niederlassung in der neuen Heimat verschärften sich allmählich die Gegensätze zwischen den nördlichen und südlichen griechischen Städten der Westküste Kleinasiens. Obwohl im südlichen Teile der Westküste die Volkselemente weniger einheitlich waren als im Norden, entwickelte sich die Lage zugunsten des ionischen Volkselements. Herodot sagt, daß »lonien den schönsten Himmel auf der ganzen Erde und der Jahreszeiten anmutigsten Wechsel hat 90 , und das Land der Äoler zwar besser als das Land der lonier ist, aber an anmutiger Witterung ihm nicht gleichkommt«91. Das ist vielleicht so zu deuten, daß lonien schöner und die Äolis vorteilhafter, d. h. fruchtbarer (?) war. Wie dem auch sei, der Schwerpunkt des griechischen Kulturlebens verlagerte sich nach dem südlichen Teil der Westküste. Sie lag dem Seehandelsweg zwischen Orient und Okzident viel näher, als die etwas abseitsliegende Äolis92. Wer Westkleinasien aus persönlicher Anschauung gut kennt, wird ohne Zögern sagen können, daß der südliche Teil auch der fruchtbarere ist. Die nur auf Agrarwirtschaft angewiesenen äolischen Städte verlo19

ren von Tag zu Tag gegenüber ihren südlichen Nachbarn immer mehr an Bedeutung. Der große Aufschwung, den die südlichen Städte bereits im 9. Jahrhundert erlebt zu haben scheinen, wirkte sich in einer nach Norden gerichteten Expansion aus. Das äolische Smyrna war, vielleicht schon im 9. Jahrhundert, von Leuten aus Kolophon erobert, und die Phokäer, die ihre Könige aus Teos und Erythrai holten, waren wohl schon in früher Zeit in die ionische Einflußphäre miteinbezogen worden93. Daß die um 700 einsetzende Besiedlung der Propontis ausschließlich von ionischen Städten ausging, ist ein weiterer Beweis für die bereits im 9. Jahrhundert einsetzende ionische Expansion nach Norden. Im Zuge dieser Expansionspolitik wurde Panionion, der Bund der ionischen Städte, dessen Hauptsitz am Fuße des MykaleGebirges dicht an der Küste gelegen war, wahrscheinlich bereits im 9. Jahrhundert gegründet. Denn nur durch diese politische Konföderation dürfte es den ionischen Städten möglich geworden sein, neues Land zu gewinnen91. Wenn Pausanias berichtet, daß der Gründer von Klazomenai ein Kolophonier95 war, so bedeutet das, daß auch diese Stadt im Zuge der damaligen ionischen Expansion gegründet worden ist. (Siehe auch oben S. 12) Wir werden bei der Betrachtung der späteren Perioden der westkleinasiatischen Geschichte sehen, daß der Prozeß der Ionisierung nicht aufhört, sondern auf dem Gebiete des Geisteslebens weiter an Raum und Bedeutung gewinnt. Die durch die ionische Expansion hervorgerufenen kriegerischen Aktionen scheinen sich bis nach Nordwestkleinasien ausgedehnt zu haben, wo, wie schon erwähnt, seit der Zerstörung von Troja thrakische Völker ansässig waren und unter dem Druck dieser griechischen Ausdehnungspolitik sich gezwungen sahen, ihre Sitze in das Hochplateau, östlich vom Sangarios, zu verlegen. Diese kriegerischen Umwälzungen ereigneten sich wohl um 800, eine geraume Zeit vor der Entstehung der homerischen Epen. In der Periode des frühgriechischen Zeitalters hat Hellas den ersten Aufstieg seines kulturellen Daseins erlebt. Die Erfindung der Schrift am Beginn des 8. Jahrhunderts war der erste Auftakt des Aufschwunges. Die Vasenmalerei, die bereits im 11. Jahrhundert mit dem protogeometrischen Stil die Entstehung einer originalen Kunst bekundet hatte, erreichte ebenfalls im 8. Jahrhundert durch den geometrischen Stil in Attika eine Größe, die das erste Anzeichen für den im Werden begriffenen hellenischen Geist war. Doch die geistige Führung lag in den Händen der kleinasiatischen Griechen. Das Griechentum in Kleinasien ging während der Frühzeit in der Formung des geistigen Lebens dem Mutterlande um eine beträchtliche Zeitspanne voraus. Die Entstehung der ältesten Städte und die Schöpfung des Epos räumte den kleinasiatischen Griechen innerhalb der hellenischen Welt die führende Rolle ein, die sie auf dem Gebiete der sozialen Entwicklung und der Pflege des Geisteslebens auch in der nachfolgenden Periode innehatten. Das nachkommende Zeitalter der griechischen Welt wurde im beträchtlichen Maße vom Orient beeinflußt. Im nächsten Abschnitt ist daher zunächst von den orientalischen Kunst- und Kulturzentren des 8. Jahrhunderts in Anatolien zu sprechen. 20

ORIENTALISCHE KUNSTZENTREN IN ANATOLIEN

die Griechen um die Mitte des 8. Jahrhunderts über den Seehandel im Mittelmeer Herr geworden waren und begonnen hatten, an der syrischen Küste Handelsplätze zu gründen, fanden sie die zaubervolle Welt des Orients vor. Die orientalischen Völker haben mit ihren alten Erfahrungen und großen praktischen Kenntnissen damals auf das junge griechische Volk in hohem Ausmaße fruchtbar eingewirkt. Die historische und archäologische Forschung der letzten Zeit hat ergeben, daß der Kontakt der Griechen mit dem Orient sich auf alle Gebiete des kulturellen Lebens erstreckt hat. Nicht nur das exakte Wissen, sondern auch die orientalische Glaubenswelt in Form von Religionselementen, Mythologie und allgemeiner Lebensweisheit fanden Eingang in die junge Seele des griechischen Menschen, um sich dann in schöpferischer Entwicklung innerhalb einiger Jahrhunderte zur Wissenschaft und Philosophie der abendländischen Kultur zu gestalten. Die eigentlichen schöpferischen Vertreter der orientalischen Welt im 8. Jahrhundert waren Ägypter, Phöniker, Babylonier und Assyrer. Das Erbe der altmesopotamischen Kultur wurde jedoch den Griechen zum größten Teil durch zwei anatolische Völker, durch die Späthethiter und die Urartäer, vermittelt. Die geographische Lage dieser beiden Völker und die günstigen geschichtlichen Verhältnisse gaben ihnen Gelegenheit, eine Rolle zu spielen, die nur selten einem Volke auf der Erde zuteil geworden ist1. Im ganzen 9. Jahrhundert besaß das assyrische Reich die Vormacht im Orient. Assurnasirpal II. und Salmanassar III. scheinen in der Tat »Könige der vier Ufer« gewesen zu sein. In dieser Zeit wurde die Kunst im ganzen Vorderen Orient von den Assyrern diktiert. So kam auch die Kunst der Hethiter und Urartäer unter assyrischen Einfluß. Aber mit dem Ende der Regierungszeit Salmanassars III. scheint auch die Blütezeit des assyrischen Reiches vorüber gewesen zu sein. Bis in die Regierungsjahre Tiglatpilesers III. hört man nichts mehr von den Assyrern. Aber auch dieser mächtige König der Assyrer hat die bestehende politische Lage nicht mehr ändern können, so daß vor allem die Hethiter, die durch Aramäisierung zu einer neuen Blüte gelangt waren, ihre politisch wichtigen Positionen im südöstlichen Anatolien zwischen dem Euphrat und dem Mittelmeer weiter behaupten und auf diese Weise die Kontrolle über den Handel an der Küste auch in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts ausüben konnten. Auch das urartäische Reich steigt in derselben Zeit, in der Assyrien mit Unruhen im eigenen Lande beschäftigt war, zur Großmacht auf 2 . Der König Sadur III. (763—744) eroberte im Anschluß an die Ausdehnungspolitik seines Vaters Argisti I. zuletzt Aleppo, so daß 21

die urartäische Macht sich im mittleren 8. Jahrhundert, wenn auch nur für eine kurze Zeit, vom Kernland, das in der Van-See-Gegend liegt, bis zur syrischen Ebene erstreckte. Damit umklammerten die Urartäer zusammen mit den Kleinstaaten der Hethiter das assyrische Land in weitem Bogen und versperrten seinen Bewohnern den Weg zum Mittelmeer. Gerade in diese schwache Periode der assyrischen Geschichte fällt die Fühlungnahme der Griechen mit der orientalischen Welt. Dafür ist die Anwesenheit der Griechen in AI Mina in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts ein schlüssiger Beweis. Damals sahen die Griechen nicht die Assyrer, sondern die im südlichen Anatolien, am Euphrat und im Hinterlande der Mittelmeerküste ansässigen Hethiter des 8. Jahrhunderts vor sich. Von diesen nicht seefahrenden Hethitern der Spätzeit geduldet, gelang es den Griechen, den Orienthandel allmählich in ihre Hände zu bekommen3. Sie überließen den Handel zu Lande den hethitischen und vor allem den aramäischen Kaufleuten. Bei diesem Handel mögen auch die Urartäer eine bedeutende Rolle gespielt haben. Daß die Späthethiter trotz der ununterbrochenen Kriege mit den Assyrern bis in das ausgehende 8. Jahrhundert in diesem Gebiet blieben, weist auf den großen Nutzen hin, den ihnen diese strategisch wichtigen Plätze verschafften. Die Fühlungsnahme der Griechen mit den Kulturzentren der hethitischen Kleinfürstentümer führte in der Hauptsache dazu, daß die griechische Kunst in beträchtlichem Maße hethitische Stileigenheiten aufnahm. Ungefähr im letzten Drittel des 8. Jahrhunderts erlebten die zum allmählichen Untergang verurteilten hethitischen Kleinstaaten durch die Infiltration mit aramäischen Volkselementen im kulturellen und künstlerischen Leben eine kurze aber hohe Blüte. In den Palästen des Barre kups in Zincirli4 förderten deutsche Archäologen am Ende des vorigen Jahrhunderts großartige Bauten und herrliche Skulpturen zutage. In einem arideren hethitisch-aramäischen Fürstentum, in Sak$egözü5, brachte der Spaten eines englischen Archäologen die schönste Plastik der späthethitischen Kunst ans Tageslicht. Als Einzelfunde wurden fast zur selben Zeit eine Reihe Grabstelen und sonstige Reliefs aus mehreren südöstlichen Städten Kleinasiens bekannt, die die gleichen Merkmale der hethitisch-aramäischen Stilstufe aufweisen. Sie alle sind gut datierbare Kunstwerke aus dem letzten Drittel des 8. Jahrhunderts. Eine nähere Betrachtung des griechischen orientalisierenden Stiles führt deutlich vor Augen, daß ihre nächstverwandten Vorbilder in diesen hethitisch-aramäisierenden Kunstkreisen zu suchen sind. Die in diesen Kunstzentren ausgebildeten Löwen-Sphingen- und Greifentypen haben der griechischen Kulturwelt als Vorlage gedient. Auch eine Fülle von Elementen hethitisch-aramäischer Kunst aus dem Bereich der Kopf- und Haartracht sowie der Bekleidung sind auf Kypros und Kreta sowie im ganzen Gebiet der griechischen Welt nachzuweisen. Da die Kunst der Hethiter im Rahmen dieser Schrift nicht gebührend untersucht werden kann, auf sie aber in einem demnächst erscheinenden Buche näher eingegangen werden wird 5a , so begnügen wir uns hier damit, in den folgenden Abschnitten, gelegentlich der Betrachtung der urartäischen Kunst, zu einigen speziellen Fragen Stellung zu nehmen. 22

URARTÄISCHE KUNST

LJ nter den herrlichen Kunstschätzen, die der amerikanische Archäologe Rodney S. Young in der Hauptstadt des phrygischen Königs Midas kürzlich zutage brachte, wurden im großen Tumulus auch einige außerordentlich schön erhaltene Bronzekessel gefunden, die mit Menschen- oder Stierköpfen geschmückt sind. Diese unerwarteten, kostbaren Funde und die in Karmir Blur, in der Nähe der armenischen Hauptstadt Erivan, seit 20 Jahren durchgeführten russischen Grabungen 6 stellen nun die Frage der urartäischen Kunst erneut in den Vordergrund der Diskussion. Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen waren schon die urartäischen Kunstwerke aus Toprakkale, als sie am Beginn dieses Jahrhunderts in das Blickfeld der Öffentlichkeit traten. Doch diesmal scheinen sich die gegensätzlichen Meinungen noch schärfer gegenüberzustehen. Namhafte Gelehrte haben zu dem Problem bereits Stellung genommen. Die vorgebrachten Erklärungen sind spannend und interessant. Nur eine gründliche stilistische Untersuchung jedoch kann diese wichtige Frage einer endgültigen Lösung zuführen. Das soll im Folgenden versucht werden. Das Reich von Urartu blühte in der ersten Hälfte des i. Jahrtausends, im äußersten Osten Kleinasiens, auf der Hochebene rings um den Van-See. Der gewaltige Agridag, der ganz dicht an der heutigen russischen Grenze liegt, ist 5172 m hoch, und der Van-See selbst erhebt sich mit der umgebenden Hochebene rund 1700 m über das Meer. Der Name Urartu ist seit Salmanassar I. (erste Hälfte des 13. Jahrhunderts) nachweisbar7. Die Blüteperiode des urartäischen Volkes fällt jedoch in die Zeit zwischen goo und 600. Die Urartäer bedienten sich der assyrischen Keilschrift. Die Entzifferung der Sprache ist an Hand von zwei Bilinguen zustande gekommen. Man hält das Urartäische für einen jüngeren hurritischen Dialekt8. Demnach sind die Urartäer die Nachfahren des hurrutischen Volkes, das im 2. Jahrtausend eine der Hochkulturen im Vorderen Orient entwickelt hat. Sie schrieben auf Tontafeln und besaßen eine einheimische hieroglyphische Schrift. Über die Kriegstaten und Denkmäler der Urartäer, über ihre Tempel, Paläste und Bewässerungsanlagen sind wir durch die Inschriften unterrichtet, die auf Steinstelen, Blöcken von Baudenkmälern oder in Felsen eingegraben sind. Die russischen Grabungen in Karmir Blur, dem alten Tesebani, vermitteln ein lebendiges Bild der alten Verhältnisse. In den großen Magazinen der Stadt von Tesebani sind zahlreiche Vorratsgefäße gefunden worden, in denen damals Getreide, Wein und Sesamöl aufbewahrt wurden9. Der König Menua schuf unter Verwendung von Wasserquellen und der hochgelegenen Seen Bewässerungsanlagen10, die zum Teil noch heute bestehen. Die Urartäer 23

verfügten über große Herden von Rindern und Kleinvieh und züchteten Pferde. Metall arbeit und Weberei besaßen hohes Niveau. Über den hohen Stand der urartäischen Kultur geben die Ruinen von Toprakkale11 bei Van, von Altin Tepe12 bei Erzincan, sowie die in Armenien liegende Ruine Karmir Blur bei Erivan 13 Kunde. Eine der am geheimnisvollsten wirkenden Burgen des alten Anatolien ist die Zitadelle der Stadt Van. Sie ist nur einige Kilometer von den heutigen Wohnvierteln entfernt und liegt in einem Abstand von wenigen tausend Schritten unmittelbar am östlichen Ufer des gleichnamigen großen Sees. Die ältesten Zeugnisse der urartäischen Geschichte sind auf dieser Burg erhalten. Hier hatten die gefürchteten Feinde der assyrischen Machthaber, die Könige der Blütezeit von Urartu, ihren festummauerten Sitz, und von hier aus herrschten sie im Namen des Gottes Haldi über die gebirgige Landschaft des östlichen Anatolien. Die in der Süd- und Ostwand der Burgfelsen eingehauenen Bauten mit ihren geräumigen Sälen und Zimmern sind wohl die Grabanlagen der urartäischen Könige des 9. und 8. Jahrhunderts. Ihre kostbaren Schätze wurden leider schon in weit zurückliegenden Zeiten ausgeplündert. Neben dem Eingang der südlichen Felskammern ist aber die große, scharf eingegrabene Annaleninschrift des Königs Argisti I. (785—760) noch Abb. 4 prächtig erhalten. Auf der Burg wurde neben anderen Schriftdenkmälern auch eine Inschrift des achämenidischen Königs Xerxes gefunden. Die Felsburg ist heute durch eine gut erhaltene türkische Befestigungsmauer gekrönt, die zusammen mit einem hübschen Minarett der alten urartäischen Festung ein malerisches Aussehen verleiht. Nahe dem Hafentore schließt sich an den westlichsten Punkt des Van-Felsens eine Art Kastell an, von dem noch ein Stück der Mauer mit der Inschrift des Königs Sardur erhalten ist. Hier hat sich der erste urartäische König Sardur I. (832—825), Sohn des Lutipri, in drei Inschriften verewigt, die, noch in assyrischer Sprache abgefaßt, die ältesten historischen Dokumente auf urartäischem Boden darstellen. Die Inschriften, die auf den regelmäßig gehauenen, bis zu 6 m langen Felsquadern an gebracht sind, lauten im wesentlichen wie folgt: »Inschrift Sardurs, des Sohnes des Lutipri, des großen Königs, des mächtigen Königs, des Königs der Welt, des Königs von Nairi, der seinesgleichen nicht hat, des bewunderswerten Hirten, der keinen Kampf fürchtet, des Königs, der unterwirft, die sich nicht beugen. Sardur, Sohn des Lutipri, König der Könige, der von allen Königen Tribute empfing, Sardur der Sohn des Lutipri, verkündet also: Ich habe diese Steinblöcke aus der Stadt Alniunu herabgebracht und dieses Kastell erbaut« 14 . Bei den unsystematisch durchgeführten Grabungen in Toprakkale wurde in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Tempel freigelegt, der dem Gotte Chaldi geweiht war. Sein Grundriß, der bei den vielfach unterbrochenen Grabungen, nicht aufgenommen wurde, hatte eine rechteckige Form von etwa 13,50x21 m Größe. Die Mauer bestand aus rusticaartig in Bossen ausgeführten, großen, abwechselnd hellen und dunklen Kalksteinquadern und hatte nach der Freilegung stellen24

weise noch eine Höhe bis 4,50 m, ist aber heute spurlos verschwunden. Eine in der Mitte des Raumes aufgedeckte viereckige 4 X 4 m große Vertiefung diente wahrscheinlich als Basis für das Bild der Gottheit. Über den Aufriß des Tempels vermittelt ein heute verschollenes assyrisches Relief, auf dem die Plünderung der urartäischen Stadt Musasir von Sargon II. im Jahre 714 dargestellt ist15, eine lebendige Anschauung. Der Tempel auf dem Relief steht au feinem ziemlich hohen Podium und scheint 6 Pfeiler zu haben, die ein flaches Satteldach tragen. Die Pfeiler werden in regelmäßigen Abständen mit je drei Rundstäben profiliert, an den Flächen dazwischen sind Weihschilde aufgehängt, die teils im Profil, teils in der Vorderansicht erscheinen. In der Mitte der Front ist eine mit einem Giebel überdachte Tür (?) zu sehen, die vielleicht in den Raum führt, in dem die Statuen der beiden in Musasir verehrten Gottheiten, des Chaldi und seiner Gemahlin Bagbartu, aufgestellt waren. Als Giebelbekrönung ist das Symbol des Chaldi, die Lanzenspitze, angebracht. Vor den mittleren Pfeilern sind je eine männliche Statue und je eine lange, bis zum Dach heranreichende Lanze zu sehen. Der Statue auf der rechten Seite folgt das Rundbild einer Kuh, die ihr Junges säugt. Im Vordergrund des Tempels stehen zwei große Gefäße, die von Dreifüßen getragen werden. Es ist überraschend, hier das Giebeldach schon im 8. Jahrhundert zu finden, das in dieser flachen Form in Griechenland erst im 6. Jahrhundert aufkommt. Man wird auch sonst lebhaft an griechische Tempel erinnert. (Fig. 18). Das Relief des assyrischen Bildhauers, das im Palaste Sargons im Khorsabad gestanden hat, scheint eine getreue Nachahmung der urartäischen Architektur zu sein. Auf einer Bronzeplatte aus Toprakkale16, heute im British Museum, ist

Urartäische Inschrift des Königs Argisti auf der Burg am Van-See. Teilansicht. 8. Jh. S. 24.

25

j Urartäische Bronzeplatte. Dreigeschossiges Gebäude mit Tor, Fenstern und Binnen. 7. Jh. British Museum. S. s6.

ein dreigeschossiges Gebäude mit Tor, Fenstern und Zinnen zu sehen, die genau Abb. 5 so auf dem assyrischen Relief wiederkehren. Aus der Gemeinherrschaft des Ispuini und des Menua (815—807) stammt eines der eindrucksvollsten inschriftlichen Monumente des Altertums. Es liegt in der unmittelbaren Umgebung von Van und wird heute im Volksmunde »Meher kapisi«, Mithras-Tor, genannt. Das etwa 4,50 m hohe, imposante Tor ist religionsgeschichtlich von höchster Bedeutung. Die Inschrift erzählt, daß die beiden Herrscher dieses Tor dem Haldi erbaut haben: »Dem Haldi, dem Herrn, haben Ispuini, der Sarduride, und Menua, der Ispuinide, dieses Tor erbaut und haben bestimmt als Verordnung im Monat des Sonnengottes, als Weihe-Opfer dem Haldi, Wettergott, Sonnengott und den Göttern der Versammlung«17. In der langen Inschrift folgt dann eine Übersicht über das gesamte urartäische Pantheon. Wichtig ist, daß der hurritische Name des Wettergottes Tesub18 hier in wenig veränderter Form als Tesebani wiederkehrt. Aus der Inschrift ist auch die Rangordnung der urartäischen Götter klar zu ersehen. Die mächtigsten urartäischen 26

Götter sind Haldi, der Nationalgott, Teseba, der Wettergott, und die Sonnengottheit Siwini. Dem Hauptgott Haldi stehen, wie die Inschrift angibt, täglich 17 Rinder und 34 Schafe zu, Teseba und Siwini je 6 Rinder und 12 Schafe. Die lange Reihe der übrigen Götter muß sich mit je einem Rind und zwei Schafen begnügen19. Albrecht Götze hat wohl recht, wenn er dieses Tor für ein Heiligtum hält und sagt, daß sich die Gottheit, durch den Felsen aus der jenseitigen Welt hervortretend, ihren Verehrern offenbare 20 . Diese Vorstellung ist bei den Phrygern deutlicher zum Ausdruck gebracht worden. Auf der Felsfassade von Yazilikaya in Phrygien ist die Kybele, die größte Gottheit der Phryger, in einer Nische dargestellt, wo sie als im Berge wohnend gedacht ist und sich aus diesem heraus den Gläubigen offenbart21. Die in der Abb. 54,60,73 Nische dargestellte Gottheit der phrygischen und ionischen Welt ist wohl eine reli- Abb- 2°9 giöse Vorstellung, die irgendwie mit der urartäischen Auffassung in Beziehung steht. Urartu ist ein Neuland der Archäologie. Jeder, der Gelegenheit findet, durch die urwüchsigen Gebirgsgegenden zu reisen, wird nicht nur eine der großartigsten, heroischen Landschaften der Erde in ursprünglicher Reinheit genießen, sondern auch noch das Glück haben, hier und da auf unentdeckte Monumente zu stoßen. Die Spatenforschung hat auf dem türkischen Teil des einstigen Urartu-Landes inzwischen eingesetzt; sie wird zweifellos eine Fülle kostbarer Schätze ans Tageslicht bringen. In den letzten zwanzig Jahren ist das archäologische Material aus dem urartäischen Räume durch neue Grabungen und Veröffentlichung älterer Funde in beträchtlichem Maße bereichert worden. Eine systematische Erforschung der Kunstwerke erzielt Resultate, die die Kulturgeschichte des Nahen Orients und die des Mittelmeerraums der ersten Hälfte des i. Jahrtausends v. Chr. in ein helleres Licht rücken. URARTÄISCHER STIL DES 8. JAHRHUNDERTS. Die ältesten inschriftlich datierten Kunstwerke der Urartäer sind durch die russischen Grabungen von Karmir Blur zutage gefördert worden22. Diese Stadt, die damals Tesebani genannt wurde, ist zwar erst durch den König Rusa II. (680—645) gegründet oder zu einer königlichen Burg gemacht worden 23 ; hier sind jedoch je zwei Schilde und Helme gefunden worden, die den Namen des Königs Argisti I. (785—760), beziehungsweise den des Sardur II. (760—733) tragen24. Die Helme und die Schilde stammen also aus den Kunstschätzen der älteren Residenzen und wurden hier nach Tesebani bei der Gründung der neuen königlichen Burg als besondere Kostbarkeiten mitgebracht. Vergleicht man die figürlichen Darstellungen auf den beiden Helmen miteinander25, so wird man feststellen können, daß zwischen der Kunst der Zeit Argisti I. und der seines Nachfolgers kein nennenswerter Unterschied bestand. Die im assyrischen Stil wiedergegebenen Darstellungen sind sich im Gegenteil so ähnlich, daß man die Zeichnungen miteinander verwechseln kann. Ein Vergleich der Gravierungen auf den Schilden26 der beiden Könige ergibt dasselbe Resultat. Dieses Ergebnis nimmt nicht wunder, da auch die assyrischen Vorbilder der urartäischen Erzeugnisse in dieser Zeit keine Stilentwicklung aufweisen. Der assyrische Einfluß ist auf den besprochenen Kunstwerken so 27

stark, daß man ihren Stil als eine provinzielle Abart der assyrischen Kunst bezeichnen darf. Schon die spitze Form des bronzenen Helmes 27 , die übrigens bei den Kriegerfiguren wiederkehrt 28 , ist von ausgesprochen assyrischem Typus. Die geflügelten Genien sind in jeder Einzelheit assyrisch. Die runde Kappe mit Hörnern ist eine genaue Nachbildung der assyrischen Kopfbedeckung 29 . Der lange, auf die Schulter diagonal herabfallende Haarknoten entspricht der assyrischen Haartracht, die in der Zeit vor Sargon II. (d. h. vor 722) Mode war30. Auch der Knospenbaum ist eine getreue Nachahmung der assyrischen Vorbilder, nur mit dem Unterschiede, daß die urartäischen Beispiele flüchtiger ausgeführt sind31. Über die Wagen- und Pferdedarstellungen läßt sich dasselbe aussagen; sie wiederholen die Wagen- und Pferdetypen, die auf den assyrischen Reliefs vorsargonidischer Zeit vorkommen. Der gestreckte Galopp der Reitpferde und der Schrittgang der bespannten Pferde entsprechen genau den assyrischen Beispielen. Pallotino hat mit Recht den Reiter auf den urartäischen Helmen mit einer Reiterfigur auf einer Reliefplatte aus TellHalaf verglichen. Beide Darstellungen, sowohl die von Karmir Blur als auch die von Tell-Halaf, beruhen ihrerseits auf assyrischen Vorbildern. Der gleiche Krieger mit spitzem Helm und einem kleinen, runden Schild ist bereits auf den Bronzereliefs von Balawat im 9. Jahrhundert vorgebildet32. Auch Piotrovski, Leiter der Ausgrabungen in der Stadt Tesebani, dem heutigen Karmir Blur, hat mit Recht auf eine Reihe assyrischer Einflüsse hingewiesen33. RINGELSTIL. Trotz der deutlichen und starken Einwirkung der assyrischen Kunst besitzen die urartäischen Erzeugnisse dennoch einen einheitlichen Stil, den man als speziellen Eigenstil bezeichnen darf. Dies kommt vor allem in den etwas gedrungenen menschlichen Figuren zum Ausdruck. Auch der physiognomische Typus ist verschieden; der im Verhältnis zur weichen semitischen Nase gerade verlaufende Nasenrücken auf den urartäischen Bronzegravierungen weicht völlig von den assyrischen Reliefs ab. Der originelle Stil der urartäischen Kunstwerke ist vor allem in den Tierzeichnungen zu erkennen. Die urartäischen Künstler scheinen in der Wiedergabe der Tierfiguren geschickter und unbefangener zu sein. Die Löwen- und S tierFig, (i, 7 bilder sind, obwohl sie auf assyrischer Tradition beruhen, in Form und Gestalt eine urartäische Schöpfung. Der Kopfumriß der Löwen ist rundlicher und kubischer geformt als bei den assyrischen Löwen. Der wichtigste Unterschied zwischen dem Vorbild und der Nachschöpfung offenbart sich aber in der Haltung der Tiere. Die Assyrer bilden den Löwen stets in kräftiger Aktion, angreifend oder zum Sprunge ausholend. Der urartäische Löwe geht — man möchte sagen — spazieren; trotz des aufgerissenen Mauls mit der herausgestreckten Zunge, der Furchen im Gesicht und des geringelten Schwanzes, also trotz aller Eigenheiten eines in Wut geratenen Löwen ist er im Vergleich zu den sehr bewegten Löwenfiguren der Assyrer in ruhig schreitender Haltung wiedergegeben. Dieser Typus des harmlosen Löwen wird später auf den griechischen Kunstwerken des 7. und G.Jahrhunderts allgemein üblich35. Die Haupteigenart der urartäischen Tierzeichnungen offenbart sich aber vor allem in der 28

Vorliebe zu ringeiförmigen Endungen. So endet, sowohl bei den Löwenbildern der Schilde36 als auch bei den Löwenköpfen der Helme37, der Mähnenwulst oben in Form eines Ringels, der an die Stelle des Ohres tritt. Auch die Unterlippe des Maules windet sich bei den Löwenbildern ringeiförmig38. Das auffallendste Charakteristikum der urartäischen Löwen- und Stierdarstellungen ist der auf der Beinstilisierung angebrachte Ringel, der im allgemeinen durch die Windung des Muskelzeichens an dieser Stelle entsteht oder einfach darauf angebracht wird39. Desgleichen schwingt das rechte Ende der Schulterstilisierung bei den Löwenzeichnungen in eine kreisförmige Endung aus 40 . Auch aus der Art, wie die urartäischen Löwenbilder mit geringeltem Schwanz dargestellt sind41, wie auf der Stirn ein Ringel angebracht ist42, wie bei den Löwen- und Stierzeichnungen sich die Haarsträhnen an den unteren Enden einrollen und wie schließlich der Knoten am Schweife der Stierbilder sich beiderseitig ringeiförmig windet, ist die Vorliebe zur ringeiförmigen43 Stilisierung44 zu erkennen45. Wir werden unten noch sehen, daß der gleiche Ringelstil bei den aus Toprakkale stammenden Vogelmenschattaschen wiederkehrt. Die in dieser dekorativen und stilisierten Art wiedergegebenen Tierbilder wirken äußerst reizvoll. Die Linienführung ist meisterhaft gelungen; der Körper des dargestellten Tieres ist schön und wohlproportioniert, so daß man im ganzen mit Recht den urartäischen Tierzeichnungen Originalität zusprechen darf. Ein Gleiches ist allerdings für die menschlichen Darstellungen nicht zu sagen. Man kann die flüchtige und sehr summarische Arbeit auf den beiden Helmen aus Karmir Blur 46 kaum mit den schönen Gravierungen auf den Schilden vergleichen. Dieser Unterschied hängt wohl damit zusammen, daß die Urartäer im 8. Jahrhundert noch keine große Erfahrung in der Wiedergabe menschlicher Figuren hatten. Die beiden besprochenen Helme und zwei Schilde sind die einzigen inschriftlich ins 8. Jahrhundert datierten Kunstwerke der Urartäer. Ob unter den erhaltenen urartäischen Erzeugnissen auch andere Beispiele des frühen und mittleren S.Jahrhunderts vorhanden sind, ist fraglich. Doch dürfte dies kaum der Fall sein, denn die aus Toprakkale stammenden Funde sind, wie gleich ausgeführt werden wird, erst nach der sargonidischen Zeit entstanden.

Fig. 6

Abb. 9, m, 13

Fig. 6 , 7

Abb. 17-23 Abb. 8-15 Fig. 6-8

URARTÄISCHER STIL DES 7. JAHRHUNDERTS. Die Funde aus Toprakkale bilden einen Stil für sich, der stark im Banne der assyrischen Kunst steht und von jüngeren assyrischen Vorbildern beeinflußt ist. Der bronzene »Eunuch« in Berlin47, Abb. 6, 7 eine bronzene Stierfigur mit weiblichem Oberkörper48 im British Museum und manche anderen urartäischen Figuren49 tragen eine Haartracht, die in der assyrischen Kunst der Zeit Sargons II. aufkommt und dann das ganze 7. Jahrhundert hindurch in Mode bleibt50. Der große und üppige, auf der Schulter aufliegende, aber vertikal herabfallende Haarknoten der genannten Figuren ist von dem diagonal verlaufenden Haarknoten der Genienbilder auf den urartäischen Helmen des 8. Jahrhunderts gänzlich verschieden. Die urartäischen Künstler scheinen den Modewechsel der Assyrer in der Haartracht mitgemacht zu haben. Diese durch Stilkritik gewonnene 29

7 Seitenansicht von Abb. 6. S. 29, y>.

Datierung wird durch die Inschriften bestätigt, aus denen deutlich hervorgeht, daß die urartäischc Stadt Toprakkale von Rusa I. gegründet ist, der von 733 bis 714 regiert hat51. (Abb. 6, 7). Die irrtümlicherweise »Eunuch« genannte 52 Figur ist auch in den übrigen Details assyrisch und stellt, wie seine assyrischen Vorbilder 53 , einen königlichen Leibdiener dar. Dies ist aus dem langen Mundtuch, das er auf seiner linken Schulter trägt und mit der linken Hand hält, zu erkennen. Auch die übrigen aus Toprakkale stammenden Kunstwerke sind von assyrischem Ge6 Urartäische Bronzefigur aus Tojirakkale. Sog. Eunuch. 7. Jh. Berlin. S. 29, 30.

30

präge. Außer den Löwen verraten ferner die geflügelten Stiermenschen eine starke assyrische Einwirkung 54 . Die auf Löwen stehenden Figuren weisen ferner Beziehungen zu den Hethitern auf, falls dieses Motiv nicht durch lokale Überlieferung auf die hurritischen Vorbilder des 2. Jahrtausends zurückgeht. BUCKELSTIL. Der urartäische Stil des 7. Jahrhunderts ist im Vergleich zu dem des 8. Jahrhunderts entwickelter und reicher. Den Unterschied der beiden Stile kann man am besten an Hand der Löwenbilder studieren, die in großen Mengen gefunden worden sind. Der Ringelstil lebt im 7. Jahrhundert weiter neben einem neuen, zu plastischen Rundformen neigenden Stil. Sehr charakteristisch ist die rundscheibenförmige Stilisierung des Schnurrbarts bei den Löwenbildern auf den Schilden dieser . . . . . Zeit55. Auch die Löwenpranken und zum Teil auch die Hufe der Stierbilder zeigen die gleichen buckelartigen, schwellenden Formen. Dieser Stil ist besonders auf den Kunstwerken nachzuweisen, bei denen die Einzelheiten der Körperformen nicht so leicht anzubringen sind. Die Vorliebe zu schwellenden Formen kehrt auch bei den Löwen aus Ton von Toprakkale56 wieder. Der urartäische Löwentypus des 7. Jahrhunderts ist genauso wie die Haartracht der aus dieser Epoche stammenden menschlichen Figuren von den assyrischen Vorbildern der sargonidischen Zeit abhängig. Als weitere Vorbilder mögen daneben die aramäisierten Beispiele der jungspäthethitischen Kunst gedient haben. Sowohl die Bildung des unteren Maules als auch die Stilisierung der oberen Partie des Gesichtes ähneln am meisten den Beispielen von Zincirli und Sakgegözü57. Die Stilisierung der Nase, die unten U-förmig, oben treppenförmig endet, ist eine urartäische Eigentümlichkeit. Eine ähnliche Nasenstilisierung kehrt bei einem phrygischen Relief des 6. Jahrhunderts wieder 58 . Die These von der Bodenständigkeit des urartäischen Stiles findet ihre Bestätigung in einem Relief, das aus Erzincan stammt, wo sich die wichtige urartäische Ruine Altin Tepe befindet. Das auf der Reliefplatte dargestellte Löwenbild entspricht völlig dem Typus der Löwen auf den urartäischen Schilden. Die Reliefplatte, die eine dicke Wandung hat, wird sicher an Ort und Stelle gearbeitet worden sein. Dieses Löwenbild zeigt die gleiche Beinstilisierung, deren obere Rundung mit einem Ringel versehen ist wie die eben besprochenen urartäischen Löwen. Der Mähnenwulst ist auch hier am oberen Ende kreis- oder volutenförmig gewunden, um das Ohr in stilisierter Form darzustellen. Die Nasenstilisierung ist nicht mehr zu erkennen, da das Relief an dieser Stelle zerstört ist. Aber die aus zwei Palmetten bestehende Stilisierung unter dem Auge ist auch hier, wie bei den anderen urartäischen Beispielen, vorhanden. Die Rundung der unteren Lippe, sowie die im ganzen rundförmige Schwellung der oberen Lippe sind dagegen in der Art der urartäischen Löwenbilder dargestellt, wie wir sie auf den Schilden des S.Jahrhunderts kennengelernt haben. Nur die Schulterstilisierung des Löwenbildes aus Erzincan weicht von den Löwendarstellungen der toreutischen Kunst ab. Eine ähnlich mißlungene Stilisierung der Schultermuskeln kommt in der späthethitischen Kunst vor59. Die W-förmige Hüf31

Abb. 14, 15

Fig. 8

Abb. 10-15

Fig. 12, 13 Abb. 11,12

Abb. 13

Fig. 6

Abb. 15

Abb. 13

Abb. 8

Fig. n

Abb. iü

tenstilisierung ist eine assyrische Eigentümlichkeit. In den assyrischen Reliefs des 9. Jahrhunderts herrscht sie vor 60 . Auf den Pferdedarstellungen der Bronzereliefs aus Balawat kommt auch eine vierzackige Schematisierung vor. Von der Zeit Tiglatpilesers I. an verwandelt sich die W-förmige Stilisierung bei manchen Beispielen in eine aus drei Armen bestehende Wirbelform61. Die Löwenbilder auf den Schilden von Toprakkale weisen hauptsächlich eine N-förmige Stilisierung 62 auf. Der Steinmetz des Reliefs aus Erzincan hat sich insofern eine kleine Abweichung erlaubt, als er die ursprünglich aus einer anatomischen Beobachtung entstandene Stilisierung umgekehrt, d. h. M-förmig dargestellt hat. Der Steinmetz hat auch dem Körper seines Löwenbildes andere Proportionen gegeben als die Toreuten der Schilde von Toprakkale. Zwar ist auch sein Löwe kurzbeinig wie die Löwen der genannten Schilde, doch der Rumpf sowie der Hals seines Löwen sind schlanker und gestreckter. Vielleicht war der ungeschickte Steinmetz hier durch die Form der Steinplatte zu der andersartigen Proportionierung gezwungen. Die nahe Verwandtschaft des Löwenbildes auf der Reliefplatte aus Erzincan mit den Löwendarstellungen von Toprakkale am Van-See ist ein Beweis dafür, daß im 7. Jahrhundert ein einheitlicher urartäischer Stil herrschte. Diese Einheitlichkeit im Stil tritt auch in anderen figürlichen Darstellungen von Toprakkale deutlich hervor. Richard D. Barnett hat erkannt, daß die heute in den verschiedenen Museen und Privatsammlungen der Welt aufbewahrten urartäischen Bronzestatuetten in Mensch- und Tiergestalt zu einem Thron gehören, auf dem sich damals das Sitzbild einer Gottheit befand 63 . Auf die engen stilistischen Beziehungen dieser Thronreliefs mit dem königlichen Diener haben wir schon hingewiesen. Eine sehr schön erhaltene Bronzestatuette eines geflügelten Fabelwesens, die heute in Leningrad 64 aufbewahrt wird, ist den oben erwähnten Thronfiguren stilistisch so eng verwandt, daß sie zeitlich und örtlich diesen Kunstwerken zuzuordnen ist. Ein besonders schönes Kunstwerk, eine Frauengestalt auf einem Dreifuß im assyrischen Stile, heute in Erlangen65, gehört ebenfalls in diese Reihe. Die in Demut und Ergebenheit ineinander gelegten Hände verraten zwar den altbabylonischen Einfluß, der durch Assyrien vermittelt worden ist, aber dieser Gestus kehrt bei einem geflügelten weiblichen Stiermenschen der Thronfiguren aus Toprakkale, heute im British Museum 66 , wieder, ist also in Urartu allgemein üblich. Auch die Haartracht entspricht der bei den Thronfiguren gegebenen. Daß es sich aber mit Sicherheit um ein urartäisches Kunstwerk handelt, geht aus den ringeiförmigen Stilisierungen am Kopfaufsatz, an der oberen Basis und den »Hälsen« der gänseähnlichen Tiere hervor 67 . Ein goldener Anhänger 68 aus Toprakkale dürfte in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Der hier auch den Kopf bedeckende Mantel und das schleppende Gewand verraten zwar einen auffallenden hethitischen Einfluß. Die Handhaltung der Figuren hat jedoch mit der hethitischen Kunst nichts zu tun. Das schön gemusterte Gewand ist charakteristisch für die reichgeschmückten urartäischen Kleider, von denen uns die assyrischen Quellen berichten. In der Beuteliste Sargons II. aus dem Tempel der urartäischen Stadt Musasir sind 130 vielfarbige Gewänder und 9 göttliche Kleider mit 32

8 Urartäische Bronzefigur aus Toprakkale. Teilstück eines Thrones. Ringelstil. 7. Jh. British Museum. S.

Ornamenten in Gold aufgezählt 69 . Die Gewänder der erwähnten Thronfiguren sind mit ähnlichen geometrischen Mustern bestickt wie die auf dem Berliner Medaillon. Noch reicher ist das Gewand einer Figur auf einem kolossalen Relief, das kürzlich in Adilcevaz70 entdeckt worden ist und das die Bodenständigkeit dieser Art von reich ornamentierten Kleidern in Uratu erneut beweist. Die Entdecker des Reliefs haben bereits auf die nahe Verwandtschaft der Muster des Gewandes mit den Zierelementen 5

33

Urartäische Bronzefigur aus Toprakkale. Teilstück eines Thrones. Ringelstil. 7. j%. British Museum. S. 2Q.

10 Urarläische Bronzeßgur aus Toprakkale. Teilstück eines Thrones. Ringelstil. 7. Jh. Louvre. S. 29, 31.

an den Bronzeteilen eines Thrones aus Toprakkale hingewiesen71. Die lebhaften Gebärden der Figuren weisen allerdings wohl auf eine späte Entstehungszeit des MeAbb. 16 daillons hin. Dieser Goldanhänger mag, wie die meisten Schilde aus Toprakkale, die inschriftlich datiert sind, aus dem Beginn des G.Jahrhunderts stammen. Auf einem dieser Schilde ist die folgende Inschrift in assyrischer Keilschrift eingraviert: »Dem mächtigen Haldi, seinem Herrn, hat diesen Schild Rusa, der Sohn des Erimena, geweiht für sein Leben. Durch die Größe Haldis bin ich Rusa, der Sohn des Erimena, der mächtige König, der Herr der Tuspastadt« 72 . Es handelt sich um Rusa III., der, wohl als letzter urartäischer König, von etwa 605—585 regiert hat. Es wurde schon erwähnt, daß Toprakkale unter der Herrschaft von Rusa I. (733—714) gegründet worden ist. Die Funde dieser Stadt stammen also aus der Periode, die zwischen 734—585 liegt73. Anhaltspunkte für eine chronologische Einordnung innerhalb dieser Zeitspanne hat man bis heute nicht. Der Stil hat vielleicht im 7. Jahrhundert überhaupt keinen Wandel erfahren. Sehr zu beachten ist jedenfalls die Tatsache, daß die urartäischen Werkstätten, wie aus der obigen Da34

tierung hervorgeht, bis in den Anfang des 6. Jahrhunderts hinein gearbeitet haben. Dies ist wohl ein deutlicher Beweis dafür, daß manche Elemente der ionischen Kunst der archaischen Zeit im Bereich der Urartu zu suchen sind. ZWEI VERSCHIEDENE GESICHTSTYPEN. Bei der Betrachtung der urartäischen Kunst des 7. Jahrhunderts muß festgestellt werden, daß der Gesichtstypus der Thronfiguren eine ziemlich gerade verlaufende Nase hat und von der Physiognomie eines urartäischen Gottes auf dem bereits erwähnten Relief in Adilcevaz stark abweicht. Die menschliche Relieffigur in Adilcevaz zeigt ein Profil, dessen Nase von ihrer Wurzel an stark gebogen ist und am Kopfe nicht diagonal sondern vertikal ansetzt 74 . Die Gesichter der beiden Frauen auf dem Goldmedaillon in Berlin zeigen Abb. 16 das gleiche Profil wie das Relief von Adilcevaz. Diese Nase dürfte die Physiognomie einer bestimmten Volksschicht in Urartu wiedergeben. Die ziemlich gerade Nase des höfischen Leibdieners75 weicht davon bedeutend ab. Es wird weiter unten darauf aufmerksam gemacht werden, daß die sicher als urartäisch zu bezeichnenden Vogelattaschenköpfe einen Gesichtstypus vertreten, bei dem die Nase ungefähr die Form hat, wie man sie bei dem Kopf des Reliefs in Adilcevaz findet. BRONZEKESSEL MIT PLASTISCHEM SCHMUCK. Ungemein interessante Probleme bieten die Bronzekessel, die mit Menschenköpfen oder Tierprotomen geschmückt sind. Von solchen Gefäßen sind bis heute aus Urartu selbst nur einige Exemplare bekannt geworden. Eine Fülle von Beispielen wurde dagegen in Griechenland, Etrurien und auf den Inseln des griechischen Ostens gefunden. In der letzten Zeit sind drei Kessel dieses Typus in dem großen Tumulus von Gordion aufgefunden worden76. KESSEL MIT MENSCHENKOPFATTASCHEN. Emil Kunze hat vor fast dreißig Jahren die Kesselattaschen in Gestalt geflügelter Menschenprotome grundlegend behandelt77. Wichtig ist, von vornherein festzustellen, daß einige in Olympia gefundene Kesselattaschen mit ihren spitznasigen, scharf geschnittenen Profilen zweifellos griechische Produkte sind78. Ihre noch geometrische Formensprache bezeugt, daß sie spätestens am Beginn des 7. Jahrhunderts entstanden sind. Eine Kesselattasche in Kopenhagen ist gleichfalls sicher zu lokalisieren79, da sie in ausgesprochen assyrischem Stile ausgeführt ist und daher wohl als ein aus Afsyrien stammendes Kunstwerk angesehen werden darf. Die örtliche Bestimmung der übrigen Stücke, deren Zahl an 70 heranreicht80, ist unsicher. Einige aus Toprakkale stammende Stücke lassen sich jedoch stilistisch als urartäische Arbeiten nachweisen. Eine weibliche Menschenkopfattasche aus Toprakkale, heute im Museum in Istanbul, weist Abb. 18 auf den Eckpunkten der dreifachen Dreiecke, die die Brust der Büste schmücken, pjg. y kleine Ringel auf. Auch von der Halskette hängen kleine Stäbe herunter, die gleichfalls mit je einem Ringel enden. Es handelt sich also um ein Kunstwerk, das im spezifisch urartäischen Ringelstil ausgeführt ist (s. S. 29). 35

ii Teilansicht von Abb. 10. S. 29. 31.

is Urartäische Bronzeßgur mis Toprakkale. Teilstück eines Thrones. Buckelstil. 7. Jh. British Museum. S. 29, 31.

Urartäisches Löwenrelief aus Erzincan. Ringelstil. 7. Jh. Ankara. S. 29, 31, 32.

14 Urartäischer Schild aus Tojnakkale. Teilansicht. Buckelstil um 600. British Museum. 8.31.

l'rartäischer Schild aus Toj>rakkale. Teilansicht. Buckelstil um 600. British Museum. S. 31. 32.

Urartäisches Goldmedaillen aus Toprakkale. Um (MO. Berlin. S. 32. 34, yj, 38.

Eine weitere Attasche des Museums in Istanbul, deren Fundort unbekannt ist, Abb. 19 weist ebenfalls Merkmale des Ringel-Stils auf. Sie hat die gleiche Größe wie das vorherige Stück und ist ihm in der Ausführung sehr ähnlich. Beide Stücke dürften daher ein und demselben Kessel angehören. Auch das Profil der erwähnten Köpfe, bei dem die Nase schon von ihrer Wurzel an stark gebogen ist, scheint urartäische Eigenheit zu sein; eine ähnliche Nasenform kehrt bei dem schon Abb. 16 genannten kolossalen urartäischen Relief aus Adilcevaz81 und auf dem Goldmedaillon in Berlin wieder. 38

/7 Urartäische Attasche aus Cordion. Bronze. Ringelstil. Um joo. Ankara. S.

Einen sehr ähnlichen, fast gleichen Gesichtstypus und eine identische Haartracht Abb, 1 7 , 2 1 zeigen die weiblichen Attaschen der kürzlich in Gordion gefundenen Bronzekessel. Fig. 10 Die weiblichen Köpfe aus Toprakkale sind den Köpfen aus Gordion in der Tat zum Verwechseln ähnlich. Wir bilden hier zwei Ansichten einer weiteren Attasche aus Van, heute in Istanbul, ab. Gemeinsam sind den genannten Werken von Toprak- Abb. 20,22 kale und Gordion der eierförmige Kopf mit der fliehenden Stirn, die schon von ihrer Wurzel an stark gebogene Nase, die seitlich nach außen zu langgezogenen und spitz auslaufenden, in der Mitte stark vorquellenden Augen, die aus dicken und quergestrichelten Wülsten bestehenden Augenlidränder und Augenbrauen, der kleine, eckige Mund und das kleine Kinn, das, ohne einen Absatz zu bilden, nach unten zu diagonal verläuft. Auch die grätenförmige Strichelung der Haare, die in mehreren großen Locken nach unten fallen, ist bei den beiden Köpfen fast identisch. Entscheidend ist, daß der mit vier Frauenbüsten geschmückte Kessel aus Gordion die für die urartäische Kunst charakteristischen Ringel aufweist. Die Ringel sind auch hier auf den oberen Eckpunkten der Dreiecke, die die Brustpartie der Attaschen zieren, angebracht. Der Gesichtstypus und der Ringelstil besagen also zur Genüge, daß dieser Kessel aus Gordion eine urartäische Arbeit ist. Die Ringel fehlen bei einem anderen Kessel aus Gordion, der mit je zwei weiblichen und zwei männlichen Atta39

i8 Urarläische Allasche aus To/irakkale. Bronze. Ringelslil. linde ö. Jh. Istanbul. S. jj.

sehen geschmückt ist. Seltsam ist nur, wie wir gleich sehen werden, daß die männlichen Köpfe desselben Kessels stilistisch von denen der weiblichen abweichen. Da aber seine weiblichen Köpfe den genau gleichen Gesichtstypus haben wie die weiblichen Köpfe des anderen Kessels aus Gordion und wie die Attasche aus Toprakkale, muß auch dieses Werk ein Produkt der urartäischen Kunst sein. Auf dem Kandelaber in Erlangen kehren die gleichen Ringel, wie schon ausgeführt wurde, auf dem Kopfaufsatz der weiblichen Statuette und auf dem Dreifuß als Zierelement der Eckpunkte der Dreiecke und der Segmentreihen wieder82. Die weibliche Statuette 83 scheint außerdem ein ähnliches Profil zu haben wie die vorhin erwähnte Attasche aus Toprakkale. Auch eine Reihe der in Olympia gefundenen weiblichen Menschenkopfattaschen 40

it) Urarläische Attasche ans Toprakkale. Vom selben Kessel nie Abb. 18. Istanbul. S. 38.

sowie der Kopf aus Ptoion84 dürften wohl aus Urartu stammen. Die Nasen- und Augenliderform einer Kesselattasche aus Olympia kehrt bei den Beispielen aus Toprakkale wieder. Wenn man nun die weiblichen Köpfe der in Etrurien gefundenen Kessel des näheren betrachtet,' wird man feststellen können,' daß die »Sirenen« des Bernardini. Grabes aus Praeneste und die der tomba dei lebeti aus Vetulonia als urartäische Produkte anzusehen sind85. Die Ähnlichkeit der Kesselattaschen aus Etrurien und Urartu offenbart sich in der Wiedergabe der Gesichtsformen und in der Bildung der Haare. Bei diesen in Etrurien bekanntgewordenen Kesseln haben die Attaschen in 41

' 2 3 > 24 Abb. 25-28

so Seitenansicht von Abb. 22. S. gg.

der Tat, wie die Beispiele aus Urartu, einen eierförmigen Kopf mit fliehender Stirn und in ihrer Mitte stark vorquellenden Augen, die seitlich nach außen langgezogen sind. Die Augen und Augenbrauen sind auch hier in Form von dicken Wülsten gebildet. Die aus gestrichelten Bändern bestehende Innenzeichnung der Haare gleicht fast völlig den Beispielen aus Toprakkale. Ferner ist die Brustverzierung der in Etrurien ans Tageslicht getretenen »Sirenen« genau die gleiche wie bei den Kesselattaschen aus Toprakkale. Auch die Rosetten und Dreiecke der Toprakkale-Beispiele kehren bei den weiblichen Attaschen des Vetuloniakessels wieder. Der eine weibliche Kopf aus Praeneste weist ferner Dreiecke auf, deren obere 42

si Urartäische Atiasche aus Cordion. Ringel- und Strichelslil. Um yoo. Ankara. S. 3g.

Eckpunkte mit Ringeln geschmückt sind86, wie dies bei den Kunstwerken aus Abb. 24 Urartu üblich ist. Aus allen diesen Vergleichen geht deutlich hervor, daß die in Etrurien gefundenen Kesselattaschen aus Vetulonia und Praeneste urartäische Erzeugnisse sind. HETHITISCHE ELEMENTE. Eine Stilanalyse der bärtigen Attaschen von Vetulonia, Praeneste, Olympia und Gordion ergibt, daß die urartäische Kunst von der hethitisch-aramäischen stark beeinflußt war. 43

as Vnirliiuche Allasclie ans Tojirakkale. Bronze. Strichelslil. Ende 8. Jli. Istanbul. S. yy

Die bis jetzt bekannt gewordenen bärtigen Attaschen sind, wenn man von dem Beispiel absieht, das wir der assyrischen Kunst zuwiesen, im Stil und Gesichtstypus eher späthethitisch-aramäisierend als urartäisch. Das Fehlen des Schnurrbarts bei diesen bärtigen Köpfen ist ein sehr wichtiger Anhaltspunkt. Die Hethiter sind durch ausrasierte Lippen gekennzeichnet. Bärtig oder unbärtig, alle männlichen Figuren der Großreichszeit sowie der Periode der Kleinfürstentümer sind schnurrbartlos. Die Bartlocken der männlichen Köpfe des Kessels, der kürzlich in Gordion gefunden worden ist 87 , muten ebenfalls hethitisch an. Ähnliche, ringel- oder spiralförmig endende 44

S3 Urartäische Attasche. Bronze. Bernardini-Grab. Praeneste. Anfang J. Jh. Mus. Prehist. Rom. S. 41.

34 Urartäische Attasche desselben Kessels wie oben. Ringelstil. S. 41, 43.

sg Urartäische Attasche, Bronze. Tomba dei lebeti. Vetulonia. Strichelstil. Anfang 7. Jh. Mus. Arch. Florenz. S. 41, 46.

26 Seitenansicht von Abb. 25. Slrichelslil. S. 41. 46.

Locken sind, wie schon erwähnt wurde, auch in der urartäischen Kunst, und zwar bei der Mähnenstilisierung der Tierbilder, zu beobachten. Die Barte der Kesselattaschen aus Gordion gemahnen jedoch im ganzen, und vor allem in der Art, wie sie etwas schräg nach unten fallen, an die bärtigen Köpfe aus Zincirli 88 . Die bärtigen Abb. 25-^8 Attaschen aus Vetulonia und Olympia89 weisen auf ein anderes, aber sehr wesentliches stilistisches Merkmal hin, welches sie mit den späthethitisch-aramäisierenden Abb. 29 Kunstwerken eng verbindet. Die Figuren der beiden Attaschen tragen Mäntel mit einer Faltenanordnung, die ähnlich nur bei den Skulpturen von Zincirli und Sakgegözü vorkommt90. Eine Gemeinsamkeit, die zusammen mit den anderen erwähnten zu der Annahme führt, die bärtigen Köpfe für nordsyrisch-hethitisch zu halten. Die hethitisch-aramäisierenden Merkmale der bärtigen Attaschen sind damit aber noch nicht erschöpft. Die spitze, nach vorne geneigte Mütze der bärtigen Köpfe am Vetulonia-Kessel erweist sich als eine Kopfbedeckung, die auf den späthethitisch-aramäisierenden Reliefs von Karatepe vorkommt. 46

£7 Urartäische Atiasche. Bronze. Tomba dei lebeti. Vetulonia. Strichelstil. Anfang 7· Jh. Mus. Arch. Florenz. S. 41, 46.

Lassen die aufgezählten Anklänge an die hethitisch-aramäische Kunst bei den männlichen Protomen aus Vetulonia, Olympia und Gordion darauf schließen, daß ein Teil der Kesselattaschen nordsyrisch-hethitischen Ursprunges ist, oder sind diese hethitisch-aramäischen Züge nur als nachbarliche Einflüsse aufzufassen, wie die starken assyrischen Merkmale bei den Thronfiguren aus Toprakkale? Es ist wohl möglich, daß in Urartu neben den assyrisch beeinflußten Kunstkreisen und Ateliers auch solche vorhanden waren, die nahe Beziehungen zu den hethitisch-aramäischen Kulturzentren Nordsyriens pflegten. Wir hatten bereits auf die hethitische Bekleidung der Fig. 17 Frauenfiguren auf dem Medaillon in Berlin und das hethitische Motiv der auf Tieren stehenden Figuren aufmerksam gemacht. Manche hethitischen Züge der urartäischen Kunstwerke mögen jedoch ein Erbe der Hurriter sein, die die Vorfahren der Ur- Abb. 16 artäer91 waren und um die Mitte des 2. Jahrtausends auf die hethitische Kultur ungemein großen Einfluß ausgeübt haben. Die Urartäer waren Meister in der Kunst der Metallarbeiten. Sehr lehrreich ist die Lektüre der assyrischen Annalen Sargons, in welchen zahlreiche Beutestücke in Gold, Silber und Bronze erwähnt werden. »Ich habe den Tempel und den Palast der Stadt geplündert und das ganze Hab und Gut der Ursana auf einen Haufen gelegt. 6 goldene Schilde, die in seinem Hause links und rechts an den Wänden angebracht waren, und in einer herrlichen Weise 47

s8 Urartäische Altasche desselben Kessels wie Abb. 35 und 26. Strichelstil. S. 41, 46.

glänzten. Ein großes Schwert in Gold, 96 Lanzen in Silber, 12 starke Schilde aus Silber mit Drachen- und Löwenköpfen in ihrer Mitte, 33 Wagen, Bogen, Pfeilkästen und Szepter in Silber, 393 Becher aus Silber, die Erzeugnisse aus den Ländern von Assur, Urartu und von Kilhu sind. 25212 Schilde aus Bronze, 1514 bronzene Lanzen. Die vier Statuen aus Bronze, die die Tore hüteten, eine Statue des Sardur, des Sohnes Ispuini, des Königs von Urartu, eine bronzene Statue des Argisti, des Königs von Urartu, eine bronze Statue des Ursa, mit dem Wagen, dem Wagenlenker und seinen zwei Pferden; auf der Statue war sein Hochmut mit diesen Worten zum Ausdruck gebracht. ,Meine zwei Hände haben mit meinen zwei Pferden und meinem Wagenlenker das Reich von Urartu erobert'«92. Die Liste der Beutestücke setzt die Nennung zahlreicher Gegenstände fort. Sehr schade, daß der assyrische König dem künftigen Ausgräber der Stadt Musasir fast nichts übriggelassen hat. Das bereits ausführlich besprochene assyrische Relief aus Dur-Sargon, auf dem Fig. 18 die Eroberung der urartäischen Stadt Musasir durch Sargon II. dargestellt ist, führt deutlich vor Augen, wie wichtig und charakteristisch für die Urartäer die Bronzewerke waren93. Die auf Dreifüßen stehenden großen Gefäße vor dem Tempel 48

sg Relief aus Sakfegözü. Andesit. Späthethitisch-aramäsierend. Ende 8. Jh. Ankara. S. 46.

sind wohl, wie die Schilde an den Wänden dort, aus Bronze zu denken. Der assyrische Bildhauer hat sie zusammen mit den Schilden als Wahrzeichen der Urartäer in seine Szene aufgenommen. Sie entsprechen zwar nicht dem Typus der besprochenen Bronzekessel und weisen keinen plastischen Schmuck auf, dürfen jedoch als Sinnbilder der urartäischen Metallkunstwerke aufgefaßt werden. Mit den vorgebrachten Argumenten wollen wir aber nicht behaupten, daß alle Kesselattaschen urartäische Produkte sind. Wenn schon die Griechen diese Bronzekessel nachgeahmt haben94, so werden wohl auch die Nachbarn der Urartäer, die Assyrer, und vor allem auch die geschäftstüchtigen Aramäer, die in den hethitischen Städten lebten, erst recht solche Gefäße hergestellt haben. Trotz der verschiedenen Stilelemente, die an den weiblichen und den männlichen Köpfen der beiden Vetuloniakessel nachzuweisen sind, darf gesagt werden, daß alle Köpfe der fraglichen Werke in der technischen Ausführung einander sehr ähnlich sind. Gemeinsam sind ihnen die dicken, wülstigen und quergestrichelten Augenränder und Augenbrauen sowie das Schema der Innenzeichnung, das aus gestrichelten Bändern und Reihen eingetiefter Punkte oder Ringel besteht. Die gestrichelten Bänder kehren auch bei den männlichen Köpfen aus Vetulonia am Mantel und am Helm der Büste wieder. Kunze hat, mit dem ihm eigenen Scharfsinn, mit Hilfe des erwähnten Prinzips der gestrichelten Bänder und Reihen eingetiefter Punkte einen kleinen bronzenen Stier vom Heraion bei Argos für urartäisch erklärt95. Mit den gleichen gestrichelten Bändern und Reihen eingetiefter Punkte ist eine mit einem Greifenkopf versehene Flügelattasche aus Olympia, jetzt im Nationalmuseum in Athen, verziert. Den orientalischen Charakter dieses Werkes haben bereits Kunze 96 und Amandry 97 erkannt. Das bei dieser Greifenattasche verwendete Schema der Innenzeichnung erlaubt, sie stilistisch den urartäischen Bronzen zuzuordnen, genauso wie dies für den oben erwähnten Bronzestier vom Heraion bei Argos der Fall ist. Das charakteristische Schema der Oberflächenzeichnung, die dicken, wulstigen und quergestrichelten Augenränder und Augenbrauen sowie die große, von ihrer Wurzel an stark gebogene Nase sind Elemente, die den weiblichen und den männlichen Köpfen der Vetuloniakessel gemeinsam sind. Wir sind daher der Meinung, daß sowohl die männlichen als auch die weiblichen Attaschen der beiden Kessel aus Vetulonia Erzeugnisse ein und derselben Werkstatt sind. Die Stilverschiedenheit, die zwischen den weiblichen und den männlichen Köpfen der Vetuloniakessel besteht, ist wohl eher auf den eklektischen Charakter der in Urartu tätigen Ateliers zurückzuführen. Wir dürfen annehmen, daß in dem damaligen urartäischen Räume auch Künstler der hethitisch-aramäischen Kreise arbeiteten und auf die urartäische Kunst einen großen Einfluß ausübten 98 . Auf diese Frage kommen wir unten im Anschluß an die Besprechung der Löwen- und Greifenattaschen zurück.

51

30 Urartäischer Stierkessel aus Altmlepe in Erzincan. a. Hälfte 8. Jh. Ankara. S. 54.

Stierattasche. Detail von Abb. 30. S. 54

32 Stierattasche. Detail von Abb. 50. ,9. 54.

m

:;-V"·: '*&&&%?&&> -:

W

fflS"fME* Jn. J

^cS K nig Warpalawas. Felsrelief in Ivriz bei Konya. Sp lhethilisch-aram sierend. Um 720. ^.59, 81.

Greifenaltasche. Detail vom Kessel Abb. j/j. S. 60, 66-70.

Vorderansicht von Abb. gg. S. 6ο, 66-γο.

L wenatlasche. Detail vom Kessel Abb. 35. S. 6υ, 66-γο.

*fs Vorderansicht von Abb. 41. S. 60. Gfi-jn.

Sakgegözü vielleicht deswegen, weil diese Einzelheit in der Flächenkunst nicht wiederzugeben war. Auch den hethitischen Relieflöwen fehlt dieses Detail, obwohl es bei den statuarischen Löwenbildern vorkommt und von ihnen auf die Vogelmenschdarstellungen übertragen worden ist119. Man kann wohl annehmen, daß die rundplastischen Greifen oder Vogelmenschen der hethitischen Kunst dieses Detail besaßen; es ist jedenfalls am Kopf einer goldenen Greifenprotome aus dem ZiwiyeSchatz im Museum zu Teheran vorhanden120, ein Beweis, daß auch diese Einzelheit bei den orientalischen Greifendarstellungen nicht fehlt. Die stilistische Analyse der Greifenprotomen aus Griechenland und Etrurien ergibt also, daß sie im engsten Zusammenhang mit den hethitisch-aramäischen Kunstkreisen stehen. Wie ist nun diese Beziehung zu erklären? Handelt es sich um griechische Nachbildungen oder um rein orientalische Erzeugnisse? Wir glauben, daß die Frage an Hand der obigen Vergleiche einfacher zu beantworten ist. Fast ausnahmsAbb. 35,36 los wird heute angenommen, daß der Kesseluntersatz aus dem Barberinigrab eine orientalische Arbeit ist. Unsere obige Darlegung steht im völligen Einklang damit. Abb. 39-42 Die Löwen- und Greifenprotomen desselben Kessels will man dagegen für griechisch halten; denn man war, wie wir schon sagten, in der archäologischen Wissenschaft von Anfang an daran gewöhnt, den oben besprochenen Greifentypus als eine griechische Erfindung anzusehen. Solange die orientalischen Vorbilder nicht nachgewiesen waren, durfte eine solche Annahme geltend gemacht werden. Aber jetzt, wo man sagen kann, daß die Greifenprotomen nicht weniger orientalisch sind als die Darstellungen auf dem Kesseluntersatz vom Barberinigrab, ist die Frage gelöst: sowohl der Kesseluntersatz als auch der Kessel zusammen mit den Protomen sind Erzeugnisse orientalischer Werkstätten. In glücklicher Übereinstimmung mit diesem Ergebnis steht die treffliche Feststellung P. Amandrys, der nachgewiesen hat, daß die getriebenen Bronzeprotomen eine Füllmasse haben, die aus einer asphalthaltigen Erde besteht121. Amandry hat mit Recht hervorgehoben, daß diese Technik in Mesopotamien von altersher und in Assyrien seit dem Beginn des i. Jahrtausends geübt wurde. Der französische Gelehrte hat außerdem auf eine Reihe stilistischer Merkmale hingewiesen und ist entschieden für eine orientalische Herkunft der griechischen Greifen in Treibtechnik eingetreten122. Mit unseren obigen Ausführungen sind wir zu demselben Resultat gelangt. Zuletzt wollen wir noch hinzufügen, daß im Orient zwei Greifenprotomen, und zwar eine in Stein aus Nimrud123 und eine in Gold aus dem Ziwiyeschatz124, gefunden worden sind. Sie sind ein Beweis dafür, daß im Orient auch Greifenkessel bekannt waren. Es ist daher wohl zu erwarten, daß bei künftigen Grabungen in Anatolien und im Vordem Orient Kessel mit Löwenund Greifenprotomen ans Tageslicht treten. Das oben für Greifen Gesagte gilt auch Abb. 41-42 von den Löwenprotomen des Barberinikessels, weil auch sie von echt jungspäthethitischem Gepräge sind. Wir wollen hier den besser erhaltenen Löwen des Kessels näher betrachten125. Das weit aufgesperrte Maul mit herausgestreckter Zunge, die warzenförmigen Verdickungen an den Ansatzstellen der Augenbrauen und die von ihnen zur Stirn ausgehenden vier Furchen sind Merkmale, die den jungspäthethi66

tischen Löwen126, wie wir sie z. B. aus Sakcjegözü kennen, eigen sind. Das runde und Fig. 12, 13 am Kopf vertikal sitzende Ohr, die Querfurchen an der unteren Hälfte der Nase und die halbellipsenförmige Stilisierung der Backenknochen sind dagegen hethitische Eigentümlichkeiten127. Auch die kubischen Volumen beruhen auf hethitischer Tradition. Die Untersuchung der Löwenprotomen ergibt also erneut, daß auch die Löwen des Barberinikessels jungspäthethitische Elemente aufweisen, darüberhinaus aber noch ältere, echthethitische Eigenheiten verraten, wie dies bei den Sphingendarstellungen desselben Kessels der Fall war. Ferner führt die Treibtechnik und vor allem die quergestrichelte wulstförmige Umrandung des Maules deutlich vorAugen, daß die Löwenprotomen aus derselben Werkstatt stammen wie die Greifenprotomen dieses Kessels. HERSTELLUNGSORT DER KESSEL MIT FIGURLICHEM SCHMUCK. Die obige Untersuchung über die Greifenprotomen des Barberinikessels und über die ältesten Beispiele in Olympia, Delphi und auf Samos führt uns zu der Annahme, daß die frühesten in Griechenland und Etrurien gefundenen Greifendarstellungen Erzeugnisse orientalischer Werkstätten waren. Payne hatte schon bei der Betrachtung der gegossenen Greifenprotome aus Perachora gesagt, »wenn irgendwelche griechischen Beispiele orientalisch sind, dann sind es bestimmt solche vom PerachoraTypus«128. Unsere stilkritische Untersuchung ergab, daß die Kessel mit Löwen- und Greifenprotomen in engem Zusammenhang mit den jungspäthethitischen Kunstzentren des südöstlichen Anatoliens stehen; wir konnten jedoch die Bronzewerke nur mit Rundbildern oder Steinreliefs vergleichen. Die vereinzelt ans Tageslicht getretenen späthethitischen Bronzen geben zwar vorläufig noch keinen Beweis für eine rege Metallkunst in den nordsyrisch-südanatolischen Städten ab. Die hohe Qualität und die Originalität der späthethitisch-aramäischen Skulpturen von Zincirli und Sakgegözü lassen jedoch darauf schließen, daß in diesen Städten auch große Ateliers für toreutische Arbeiten zu erwarten sind. Es muß darauf hingewiesen werden, daß wir, solange man in dem eigentlichen urartäischen Räume um den Van-See keine Beispiele von Kesseln mit Löwen- und Greifenprotomen gefunden hat, nicht berechtigt sind, diese Art von Kesseln für urartäische Erzeugnisse zu erklären. In der vogelköpfigen Attasche aus Olympia, die heute im Nationalmuseum in Athen aufbewahrt wird, haben wir mit großer Wahrscheinlichkeit ein Beispiel des urartäischen Greifentypus vor uns. Die Innenzeichnung dieser Greifenattasche, die aus gestrichelten Bändern und eingetieften Punkten (Ringeln) besteht, ist im Prinzip den Verzierungen der urartäischen Menschenattaschen sehr ähnlich. Sollte sich unsere Annahme als richtig erweisen, dann hätten wir ein urartäisches Greifenband vor uns, das von dem hethitischen Greifentypus völlig verschieden ist. Der oben ausführlich dargelegte spezifisch hethitisch-aramäische Charakter der Löwen- und Greifenprotomen ist jedenfalls mit den gänzlich verschiedenen Stilprinzipien der urartäischen Kunst schlecht zu vereinbaren. Die Löwen- und Greifenprotomen mögen hethitisch-aramäische Erzeugnisse sein, die vielleicht im Lande der Urartäer entstanden sind. In der Zeitspanne von 710—675, in der diese Löwen- und 67

Grcifenprotomen hergestellt wurden, waren die hethitischen Kleinstaaten nicht mehr selbständig, sondern zählten bereits zu den assyrischen Provinzen. Es ist zwar leicht möglich, daß die hethitischen Ateliers in ihren eigenen Städten auch nach der assyrischen Eroberung weiterarbeiteten; es kann aber auch sein, daß einige Werkstätten infolge dieser Eroberungen nach den südlichen Teilen von Urartu übersiedelten, wo sie in Zusammenarbeit mit den urartäischen Toreuten tätig waren. Eine späthethitische Steinmetzwerkstatt ist nach Zentralanatolien ausgewandert und hat dabei im Auftrage der phrygischen Fürsten um 700 die Reliefs von Ankara geschaffen129, unter welchen sich auch das Greifenbild befindet, das den Beispielen von Sak^egözü sehr nahe steht. Auf ähnliche Weise mögen manche Werkstätten ihren Weg nach Urartu gefunden haben. Abb. 27 Der eine Kessel der tomba dei lebeti aus Vctulonia ist mit zwei Frauenköpfen und sechs Löwenprotomen, der andere Kessel desselben Grabes mit bärtigen DoppelAbb. 25,26,28 köpfen und sechs Greifenprotomen geschmückt. Von diesen bedeutenden Kunstwerken besitzen wir noch keine brauchbaren Aufnahmen 130 . Die alten Zeichnungen besagen jedoch zur Genüge, daß es sich um Löwen- und Grcifentypen handelt, wie wir sie von dem Barberini-Grab aus Praenestc kennen. Demnach sind Gegenstände verschiedener Herkunft oder wenigstens verschiedener Werkstätten, die hethitischen Löwen- und Greifenprotomen und die urartäischen Menschenattaschcn, zur Verzierung ein und desselben Kessels verwendet worden. Dies darf aber nicht wundernehmen. Die Zusammenstellung der Attaschen kann erst in Etrurien vor sich gegangen sein, da das montierte Werk im ganzen als schwer handliches Gebilde zum Transport sehr ungeeignet war. Nachdem die frühesten der in Griechenland und Etrurien gefundenen Löwenund Greifenprotomen somit als Arbeiten hethitisch-aramäischer Künstler, die vielleicht in einem der südlichen Gebiete des urartäischen Reiches tätig waren, erklärt worden sind, können nun manche stilistischen und chronologischen Probleme der griechischen Kunst des 7. Jahrhunderts besser verstanden werden. Das allmähliche Auftreten hethitischer Elemente in der proto-korinthischen Vasenmalerei, das sich über mehrere Jahrzehnte in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts erstreckt, kann nur damit erklärt werden, daß die hethitisch-aramäischen Originale bis ins 7. Jahrhundert angefertigt wurden. Der Zeitunterschied von einem Menschenalter, der zwischen der Vernichtung der hethitischen Kleinstaaten und dem Zeitpunkt liegt, wo die ersten hethitischen Stilelemente in der griechischen Kunst aufttauchen, ist ein Umstand, der uns zeigt, daß von den hethitischen Kleinstaaten zu der griechischen Welt keine direkte Verbindungslinie zu ziehen ist. Daher sind wir genötigt, den hethitischen Einfluß auf die griechische Kunst in einem anderen Kunstzentrum zu suchen. Das Reich von Urartu, das im 7. Jahrhundert noch mächtig war und, wie wir gesehen haben, Kessel mit Menschenattaschen nach Griechenland und Etrurien ausführen konnte, wird ein geeignetes und günstiges Land für die Tätigkeit der hethitisch-aramäischen Künstler gewesen sein. Die oben aufgezeigten hethitischen Elemente der urartäischen bärtigen Attaschen besagen zur Genüge, daß gute Beziehungen 68

zwischen Urartu und den hethitischen Kleinstaaten unterhalten wurden. Im frühorientalisierenden Stil der korinthischen Vasenmalerei, der in die Hälfte des 8. Jahrhunderts zu datieren ist, sind keine hethitischen Merkmale nachzuweisen. Dies ist um so beachtenswerter, als vor allem die Griechen aus Korinth gerade zu dieser Zeit in AI Mina, dem nordsyrischen Hafen südlich von Iskenderun, Handelsplätze gegründet haben131. Erst im ersten Viertel des 7. Jahrhunderts treten die hethitischen Elemente in der protokorinthischen Vasenmalerei vereinzelt auf. Die Sphingen auf den Aryballos in Boston132 sowie der Greifenvogel und die Darstellung der damals neu eingeführten Greifenkessel133 auf dem Aryballos in Berlin sind die ersten hethitischen Motive des protokorinthischen Stiles. Die Löwen vom hethitischen Typus kommen erst im mittelprotokorinthischen Stil auf, doch zeigen diese Löwenbilder nur einige jungspäthethitische Merkmale, wie das herzförmig stilisierte Ohr, die palmettenförmigen Stilisierungen unterhalb der Augen, das weit aufgesperrte Maul mit herausgestreckter Zunge134. Die Stilisierung der Tatzen mag desgleichen auf hethitische Vorbilder zurückgehen. Auch den Chimaira-Darstellungen dieser Stilphase liegen zweifellos hethitische Vorbilder zugrunde135. Die eigentlichen, echt hethitischen Löwenbilder treten aber erst in der korinthischen Vasenmalerei um die Mitte des 7. Jahrhunderts auf den Aryballoi mit den Löwenköpfen in Erscheinung 136. Auf den plastischen Löwenköpfen, die wohl in Anlehnung an die Löwenprotomen der Bronzekessel entstanden sind, kehren die wichtigsten Merkmale der altspäthethitischen Löwenbilder wieder. Der Löwenkopf vom Macmillan- Aryballos137 zeigt eine weitherausgestreckte, auf der Unterlippe aufliegende Zunge, in derselben Art, wie sie bei den statuarischen Löwen der altspäthethitischen Stilstufe dargestellt wurde. Bei diesen Löwen ist an den oberen Ansatzstellen der Ohren sogar je eine warzenförmige Verdickung zu beobachten, die nur bei einigen Löwen der altspäthethitischen Stilstufe vorkommt138. Auch die halbellipsenförmige Stilisierung des Backenknochens ist ein Merkmal der altspäthethitischen Löwenbilder139. Die gleiche halbellipsenförmige Stilisierung unten am Halse des Macmillan-Aryballos erweist sich als eine hethitische Muskelstilisierung, die aber hier in mißverstandener Weise am falschen Platze verwendet wurde140. Auch die Form der Augen und Augenbrauen des Macmillan-Aryballos ist in ausgesprochen altspäthethitischem Stile widergegeben. Schließlich sind die nur auf dem unteren Nasenteil angebrachten Furchen eine weitere Eigenheit altspäthethitischer Löwenbilder. Auch die Löwen des Berliner Aryballos sind Zug für Zug genaue Wiederholungen der altspäthethitischen Vorbilder141. Der Umstand, daß die korinthische Vasenmalerei die hethitischen Vorbilder erst im 2. Viertel des 7. Jahrhunderts, also zu einer Zeit, in der die späthethitischen Staaten längst nicht mehr bestanden, nachgeahmt hat, könnte nur damit zu erklären sein, daß die hethitischen Werkstätten in dieser Zeit irgendwo im Vorderen Orient noch tätig waren. Die Kessel mit Vogelmenschattaschen kamen um 675 in Griechenland völlig aus der Mode. Nur die Löwen- und Greifenkessel wurden in der Folgezeit nachgebildet, weil das Löwen- und Greifenbild mittlerweile als griechisch empfunden und in griechische Formensprache umgebildet worden war142. 69

PHRYGISCHE KUNST

Vv er mit der Eisenbahn von Istanbul nach Ankara fährt, wird bei Beylikköprü, 93 km vor Ankara, da, wo der Porsuk in den Sakarya mündet, plötzlich links vom Wege Dutzende von kleinen und großen Erdhügeln vor sich sehen. Der größte und breiteste Hügel, der ganz dicht an der Eisenbahnlinie liegt, ist die Ruine der im Altertum so berühmten phrygischen Stadt Gordion. Die kegelförmigen, hohen, aber im Durchmesser kleinen Hügel enthalten die reichen Gräber der phrygischen Könige und ihrer Angehörigen aus der Zeit von ungefähr 725 bis 550 vor Chr. Die antiken Autoren berichten über die sagenhafte Gründung der Stadt: »Das Rindergespann eines Bauern Gordios umschwirrten einst beim Pflügen Vögel von allerlei Art. Als Gordios darüber erstaunt sich aufmacht, um die Vogeldeuter einer benachbarten Stadt zu befragen, tritt ihm am Tore eine schöne Jungfrau jenes Sehergeschlechtes entgegen, deutet das Vorzeichen als künftige Königswürdc und trägt ihm ihre Hand an. Nach der Hochzeit entstand unter den Phrygern ein Aufruhr. Ein Orakel gebietet ihnen, denjenigen als König zu verehren, den sie zuerst mit einem Wagen zum Tempel fahren sähen: Der ihnen so Begegnende war Gordios, und sofort begrüßten sie ihn als König. Dieser aber stellte den Wagen, in welchem er fuhr, als ihm die Königswürde übertragen wurde, im Tempel des Gottes auf und weihte ihn der Königshoheit. Nach ihm regierte sein Sohn Midas«1. Midas, der in der griechischen Überlieferung als eine sagenhafte Gestalt erscheint, ist in den assyrischen Quellen eine historische Persönlichkeit. Er zählt zu den Feinden, die der gewaltige Sargon in seinen blutigen Kriegsberichten des öfteren erwähnt. Im Annal seines fünften Regierungsjahres (717—?? vor Chr.) sagt er, daß »Pisiris von Gargamis sich gegen die Gebote der großen Götter verging und an Mita, König von Muski, Feindseligkeiten schrieb« 2 . Zu einem Zusammenstoße Sargons mit Mita kam es zuerst 715 im Lande Que, dem späteren Kilikien. Sargon meldet: »Mita, König von Muschki, in seinem Gebiete brachte ich ihm eine Niederlage bei; die Städte Harrua und Usnani, Festungen von Que, welche er seit langem mit Gewalt genommen hatte, gewann ich zurück« 3 . Sargon berichtet weiter im Jahre 712, daß er die Grenzstädte des Muschkilandes gegründet hat, deren Tore unbezwingbar waren 4 . Im Bericht seines 14. Regierungsjahres (709 vor Chr.) erzählt Sargon, daß sein Statthalter von Que dreimal ins Gebiet des Mita von Muschki ausgezogen und dessen Land verheert habe. »Er aber, Mita von Muschki, der sich den Königen, meinen Vorgängern, nicht unterworfen hatte, geriet in seinem fernliegenden Lande in Gedränge und sandte nunmehr seinen Boten, um mir zu huldigen und Tribut und Ge70

schenke zu bringen« 5 . Aus diesen Berichten geht deutlich hervor, daß Mita König eines von Assur weitentfernten Landes ist, dessen Grenzstädte in Kilikien wohl bis zum Meere heranreichten. Daß es sich, wie dies schon längst erkannt worden ist6, um denselben König Midas handelt, von dem die griechische Überlieferung eine rein mythische Kunde gibt, ist evident. Ob der kleine, untersetzte Mann von nur 1,59 m Größe7, dessen Skelett in dem größten Tumulus von Gordion kürzlich freigelegt worden ist, dieser Midas oder eine andere wichtige Persönlichkeit der königlichen Familie ist, entzieht sich unserer genauen Kenntnis. Da das Skelett einem über 60 Jahre alten8 Manne gehört und da das Grab, wie noch dargelegt wird, frühestens am Beginn des 7. Jahrhunderts aufgeschüttet worden ist, kann es kaum Gordios, dem Vater des Midas, gehören. Gordios kann um die Zeit der kimmerischen Katastrophe nicht mehr am Leben gewesen sein oder muß das Alter von 60—65 Jahren schon längst überschritten haben. Die Größe des Tumulus legt den Gedanken nahe, in ihm das Grab eines Königs zu suchen. Der 53 Meter messende9 Erdhügel ist nächst dem 69 m hohen Tumulus des Alyattes in Lydien das zweitgrößte Grabmonument auf anatolischem Boden überhaupt. Ist dieser Tumulus nicht die Grabstätte des Gordios, so ist er vielleicht die des Midas. Überraschend ist dann allerdings, daß der größte Tumulus von Gordion keine Kunstgegenstände in Gold enthält. Wäre es nicht fehl am Platze, ein Grab, das keine goldenen Kostbarkeiten aufzuweisen hat, dem reichen König zuzuschreiben, dessen Name in der griechischen Mythologie so eng mit dem Gold verknüpft ist? Daß dem Grab keine Wappen oder sonstigen königlichen Insignien beigegeben waren, darf nicht wundernehmen10. Auch die übrigen, in großer Anzahl freigelegten Tumuli von Gordion und Ankara mit reichen Beigaben haben keine Hinweise auf die dort Bestatteten gegeben. Das war wahrscheinlich bei den Phrygern nicht Sitte. Auch das Fehlen von Goldarbeiten ist vielleicht zu erklären. Sollte Midas, wie die griechischen Quellen berichten, tatsächlich dem Kimmeriersturm zum Opfer gefallen sein, so ist kaum zu erwarten, daß sein Grab irgendwelche Goldgegenstände beherbergt habe. Auch die Prunksäle im Megaron-Typus, deren Fußböden mit herrlichen Mosaiken geschmückt sind, haben keine kostbaren Reste zutage gebracht11. Der Angriff der Kimmerier muß von verhängnisvoller Tragweite gewesen sein. Die Lehmschicht der Wände ist durch das heftige Feuer bis zur Verglasung geschmolzen12. Nirgends in dieser zerstörten Area ist ein Stück Gold oder Silber gefunden worden, obwohl die stattlichen Häuser nach ihrer Zerstörung bis zur Stunde der Ausgrabung das Tageslicht nicht gesehen haben. Die barbarischen Scharen scheinen alle Kostbarkeiten aus edlen Metallen erbeutet zu haben. Dem unglücklichen König Midas, der sich, der griechischen Überlieferung nach, durch Trinken von Stierblut das Leben genommen hat13, blieben vielleicht nur noch die bronzenen Gegenstände. Lediglich drei Bronzekessel, die lange im Gebrauch waren, konnten aufgefunden werden; es fehlen ihnen aber die ringförmigen Henkel; an zwei Stellen sind sogar die Unterteile der Vogelschwänze nicht mehr erhalten14. Sonst jedoch ist der Inhalt überwältigend; 169 Bronzegefäße in verschiedener Form15 und herr71

lichcr Ausführung sowie 175 Bronzefibeln16 in allerschönster Metallarbeit, also Gegenstände, die die kimmerischen Scharen nicht begehrt haben. Auch der eindrucksvolle Holzbau der Grabkammer ist großartig und von allen bis heute freigelegten Beispielen an Größe und Ausführung weitaus das Schönste und Beste17. In der Elendszeit konnten vielleicht nur die Bronzegefäße beschafft werden. Einige Goldarbeiten, die vielleicht noch aufzutreiben waren, wurden nicht mehr ins Grab mit gegeben; man hielt es wahrscheinlich für richtiger, die Würde des Königs durch schlichte Gegenstände zum Ausdruck zu bringen. Die letzte Ehre, die die Phryger ihrem verdienstvollen, großen König erweisen konnten, war, daß sie ihm einen möglichst großen und hohen Grabhügel aufschütteten, der als ein erhabenes Denkmal seiner ruhmvollen und tatkräftigen Vergangenheit gelten sollte. In der Ruinenstätte von Gordion hatten zwei deutsche Forscher, Gustav und Adolf Körte, im Jahre 1900 den Spaten angesetzt und zum ersten Male im zentralen Anatolien die Kulturschichten unterhalb der Erde einer gründlichen Forschung unterzogen18. Die zweite Etappe der systematischen Untersuchungen der phrygischen Kultur begann mit den amerikanischen Grabungen in Alisar im Jahre 1928, als das Oriental Institut of Chicago große Mittel zur Erforschung der anatolischen Geschichte gewährte. Die erfolgreichen Grabungen in Alisar, der Ruinenstätte im Halysbogen, unter Leitung von H. Henning v. d. Osten zeitigten reichhaltige Ergebnisse, die auch für die Erschließung der phrygischen Geschichte von größter Bedeutung wurden 19 . Ein wichtiges Zentrum der phrygischen Spatenforschung wurde Bogazköy = Hattusas, die Hauptstadt der Hethiter innerhalb des Halysbogens, nachdem hier die deutschen Grabungen seit 1931 unter Leitung von Kurt Bittel wieder erfolgreich begonnen hatten 20 . Weitere ertragreiche Ergebnisse wurden bei den türkischen Grabungen in Ankara 21 , Konya 22 und Pazarh 23 erzielt. Als große und bedeutende Fortschritte zur Erforschung der phrygischen Kultur erweisen sich vor allem die amerikanischen Grabungen, die seit 1950 unter Leitung von Rodney S. Young im Namen der Pennsylvania Universität durchgeführt werden. Die heute in den Museen von Ankara und Istanbul aufbewahrten Funde bieten wichtige Anhaltspunkte, so daß Kunst und Kultur der Phryger im allgemeinen klar erschlossen werden können. Über das dunkle Zeitalter der phrygischen und überhaupt der phrygisch-thrakischen Völkerschaften wurde schon gehandelt. In diesen Abschnitten werden die Hinterlassenschaften eines Volkes studiert, dessen Namen, Geschichte und Kultur wir mit dem des phrygischen identifizieren können. Die phrygischen Hinterlassenschaften nehmen in der Geschichte der kleinasiatischen Kulturen eine eigenartige und besonders wichtige Stellung ein. Die gut erhaltenen Felsdenkmäler der Phryger lenken mit ihrem reizvollen Schmuck und ihrer urwüchsigen Monumentalität noch heute die Aufmerksamkeit der Welt auf sich. Die aus den Ausgrabungen stammenden phrygischen Gefäße zählen mit ihren organisch aufgebauten Körperformen und der schönen geometrischen Dekoration zu den Prachtstücken der türkischen Museen. Religion, Musik und Tanz der Phryger müssen eine dermaßen große Anziehungskraft gehabt haben, daß dieses damals eben erst 72

vom Nomadentum zur Seßhaftigkeit übergegangene Volk auf diesen Kulturgebieten sogar seine großen Nachbarn, die Griechen, hat beeinflussen können. Die Sprache der Phryger gehört zur indo-europäischen Gruppe; ihre Schrift ist der griechischen sehr ähnlich. KERAMIK. Unter den auf uns gekommenen Kulturresten der Phryger läßt sich am besten die Keramik studieren. Diese qualitativ hochstehenden Kunstwerke sind in großen Mengen und in der Hauptsache aus den zum großen Teil systematisch durchgeführten Ausgrabungen bekanntgeworden und bieten daher einwandfreie Anhaltspunkte für eine örtliche und zeitliche Einordnung 24 . Frühphrygischer Stil. In den feudalen Burgen von Alisar und Bogazköy wurden Abb. 43-44 Vasen großen Formats von primitiv-derber Ausführung gefunden, deren naive, aber ausdruckskräftige Dekoration aus konzentrischen Kreisen, stilisierten Bäumen und vor allem aus Silhouettenfiguren in geometrischer Formensprache besteht. Die in Silhouettenfiguren wiedergegebenen Tierdarstellungen bestehen hauptsächlich aus Hirschen, Ziegen und seltener aus Pferden, Vögeln und Fischen. Menschliche Darstellungen sind auf Vasen dieses Stiles bis heute nicht bekanntgeworden. Der etwas graugelbe und manchmal rötliche, oft nicht ganz durchgebrannte Ton ist grob und enthält graue und weiße Steinchen. Die Gefäße weisen am häufigsten einen dünnen, hellbraunen bis braungrauen Überzug auf. Die Oberfläche ist selten und dann nur schwachpoliert. Die Ziermotive und die Silhouettenfiguren sind in dunkelbrauner Mattfarbe ausschließlich mit dem Pinsel auf den Grund gemalt. Ungleichmäßige Hitze im Ofen bewirkte, daß bei manchen Gefäßen ein Teil der Zeichnungen dunkelbraun, der andere aber hellbraun gebrannt ist. Der schon durch die Stellung der Henkel gegebene dreigliedrige Aufbau des Gefäßes wird durch eine entsprechende Anordnung der Dekoration besonders unterstrichen. Der untere Teil des Gefäßkörpers, der etwa einem Drittel der Gesamthöhe gleichkommt, entbehrt jeglichen Schmuckes und war anscheinend nicht sichtbar, weil das Gefäß wahrscheinlich auf einem tönernen oder hölzernen Gestell gestanden hat oder vielleicht bis zur Bauchpartie in der Erde ruhte. Die Dekoration setzt an der breitesten Stelle des Gefäßes an, die entweder durch eine wulstförmige Profilierung in Form eines Rundstabes oder ein entsprechendes lineares Ornament besonders hervorgehoben ist, und hört dicht unterhalb der Lippe auf, ist aber in zwei bzw. drei Zonen gegliedert. Die Anordnung der Dekoration besteht aus dem Hauptbildfeld, das stets eine figürliche Darstellung trägt, und den Schulter- und Halsbildfeldern, Abb. 44 die ausschließlich ornamentale Dekoration aufweisen und an der engsten Stelle des Halses ausnahmslos durch eine horizontale Gliederung in zwei Teile gesondert sind. Damit ist der ornamentale Schmuck dem tektonischen Aufbau der Form untergeordnet und den drei Hauptkörperteilen des Gefäßes, den Bauch-, Schulterund Halspartien, harmonisch angepaßt. Der auffallend starke Sinn für Tektonik kommt auch in der seitlichen, vertikalen Einrahmung zum Ausdruck: Zwei oder manchmal drei starke vertikale Linien in Form von »Triglyphen« rahmen die bild- Abb. 44 10

73

43 Phrygisches Gefäß aus Aiixar. Ton. Frühphrygischer Stil. 775—725. Ankara. S. 73-76.

liehe und ornamentale Komposition von beiden Seiten ein und fassen auf diese Weise die voneinander horizontal getrennten Bild- und Ornamcntfelder zusammen, so daß im ganzen eine triglyphenmetopenförmige Komposition zustandekommt. Die seitlichen vertikalen Linien bilden außerdem eine klare Abgrenzung gegen die Henkel. Durch diese vertikale Gliederung wird vor allem eine glückliche Lösung der freien Flächen am Halse oberhalb der Henkel ermöglicht, die mit dem »Sanduhrmotiv«, das sie tragen, eine scheinbare ornamentale Fortsetzung der plastischen Henkel verbildlichen. Die ausgeprägt strenge Gliederung und der ausgesprochen starke Sinn für tektonischen Aufbau sowie die damit innig zusammenhängende Monumentalität der Formen und die Großartigkeit der ausdruckskräftigen Zeichnung räumen diesem Stil eine besonders wichtige Stellung innerhalb der Kunst Anatolicns ein, die wohl einer feudalen Kunstempfindung entspricht. Der frühphrygischc Stil ist außerhalb von Alisar und Bogazköy auch in Konya, Masat und Malatya vertreten. Vasen dieses Stiles sind bis heute in Gordion nicht gefunden worden. 74

44 Detail vom Gefäß Abb. 43. S. 73-76.

Die Gefäßform des frühphrygischen Stiles, die in der Hauptsache aus einem gewöhnlich weitbauchigen Kessel großen Formats (durchschnittlich 40 cm hoch und Abb. 43 50 cm breit) mit zwei oder vier Henkeln besteht, ist originell phrygisch. Aber die konzentrischen Kreise, die Strahlenreihen und die in Silhouetten wiedergegebenen geometrischen Tierfiguren sind Motive, die der phrygische Meister den griechischen Vorbildern entnommen hat. Auf dem spätgeometrischen attischen Krater des Metropolitan Museums in New York 25 sind die freien Flächen in sehr ähnlicher Weise wie bei den phrygischen Vasen mit Kreisen verziert, die in der Mitte einen großen Punkt aufweisen. Die das Gefäß am Bauch oder am Hals rundherum schmückenden Strahlenreihen sind auch auf attischen geometrischen Vasen sehr beliebt. Eine Kanne des Nationalmuseums von Athen, die aus den Stais-Ausgrabungen stammt 26 , weist auf dem unteren Teil des Halses spitzwinklige Dreiecke, oder besser gesagt, Strahlenreihen auf, zwischen deren Spitzen kleine Kreise mit einem großen Punkt in der Mitte zur Ausfüllung des Raumes angebracht sind. Diese Halsdekoration ist sowohl im Prinzip als auch im einzelnen den phrygischen Beispielen nahe verwandt. Erstaunlich nahe steht in der Tat diese Halsdekoration einer griechischen Kanne dem Ornament am Halse einer Vase von Alisar 27 . Ähnliche griechische Kunstwerke haben wohl den phrygischen Nach75

Schöpfungen als Vorbild gedient. Nimmt man eine auf zwei geometrischen Scherben aus Samos dargestellte Pferdefigur 28 zum Vergleich, so wird klar, daß die gesuchten Vorbilder der phrygischen Hauptmotive in der ostgriechischen Kunst zu finden sind. Auf der samischen Scherbe hat die Tierfigur genau die gleichen dünnen Beine ohne jegliche Wiedergabe der einzelnen Gliederteile, die im ganzen nicht anders als ein Strahlenmotiv aussehen, wie dies auch bei den phrygischen Tierfiguren der Fall ist. Noch wichtiger ist aber, daß die Flächen unterhalb und oberhalb des Tieres auf der genannten Scherbe mit zwei konzentrischen Kreisen verziert sind. Völlig von der griechischen geometrischen Kunst inspiriert ist vor allem die metopen-triglyphenförmige Komposition des Bild- und Ornamentschmuckes. Der Vergleich mit den griechischen streng geometrischen Vasen zeigt, daß die phrygischen Vasen unverkennbar von griechischen Vorbildern beeinflußt worden sind. Auffällig ist, daß die phrygischen Vasen am unteren Teil keine Verzierung haben, also da, wo die griechischen strenggeometrischen Gefäße schwarz gefirnißt sind und demnach auch keinen Schmuck aufweisen. Aus diesen Vergleichen geht demnach hervor, daß die Anordnung der Dekoration innerhalb des frühphrygischen Stils auf die streng geometrischen Vorbilder der griechischen Vasenkunst zurückgeht, während Motive wie die konzentrischen Kreise, die Strahlenreihen sowie die Silhouettenfiguren das Gepräge des reif- bis spätgeometrischen griechischen Stiles tragen. Dies besagt, daß die eigentlichen Vorbilder von welchen die phrygischen Vasenmaler inspiriert wurden, die nachhinkenden provinziellen Beispiele griechischer Kunst waren. Solche späten Vertreter des griechischen strenggeometrischen Stiles waren auf den Kykladen und in den westkleinasiatischen Städten vorhanden. Der vorwiegend reif- bis spätgeometrische Charakter des frühphrygischen Stiles, der am besten mit dem oben erwähnten attischen Krater des Metropolitan Museums zu vergleichen ist, besagt, daß er höchstens nach 775 entstanden sein kann. Die übrigen spätgeometrischen Züge des frühphrygischen Stiles veranlassen uns, ihn sogar in den Zeitraum 750—730 zu datieren. Ubergangsstil. Eine Reihe von Gefäßen nehmen eine Mittelstellung zwischen dem frühphrygischen und dem reifphrygischen Stile ein 29 . Bei diesen Gefäßen sind zwar die Silhouettenfiguren und die konzentrischen Kreise des frühphrygischen Stiles beibehalten, die Strahlenreihen und stilisierten Bäume, d. h. die übrigen Merkmale des frühphrygischen Stiles, fehlen jedoch. Wichtig ist vor allem, daß bei diesen Gefäßen zum ersten Male ein »subgeometrischer« Dekor aufkommt. Auch neue Gefäßformen treten auf. Der Ubergangsstil wird wohl gegen Ende des frühphrygischen Stiles entstanden sein und auch einige Zeit nach ihm fortgelebt haben, so daß wir ihn in den Zeitraum 735—725 setzen können. Ein würdiger Vertreter des Abb. 45 Ubergangsstiles, das Gefäß mit dem vertikal laufenden Mäander30, kann an Hand der griechischen Vorbilder, denen es mit einem gewissen zeitlichen Abstand folgt, etwa in das 3. Vierte] des 8. Jahrhunderts datiert werden. 76

Phrygisches Gefäß aus Alisar. Ton. Übergangsstil. 750—725. Ankara. S. 76'.

Reifphrygischer Stil. Eine besondere Eigenart des reifphrygischen Stiles31 bilden die geometrischen Ziermotive, die oft das ganze Gefäß lückenlos bedecken. Die Ein- Abb. 46-50 zelmuster dieser Ornamentik bestehen in der Hauptsache aus dem Mäander und seinen Verwandten, den gegitterten oder mit Punkten und Strichen reizvoll belebten Quadraten, Rauten, Vier- oder Dreiecken sowie den Zickzack-, Schlingenband- und Schachbrettmustern, die gewöhnlich in horizontaler Gliederung aufgereiht sind. Auch konzentrische Kreise sind oft, aber sparsam und mit Geschmack verwendet. Charakteristisch sind ferner Reihen kurzer Halbbögen, die von geraden Linien begleitet sind. Besonders beliebt ist das Motiv der gegitterten Dreiecksreihen mit Zickzackmuster. Die Silhouettenfiguren des fruhphrygischen Stiles sowie des Ubergangsstiles sind bei den Gefäßen des neuen Stiles völlig verschwunden und an ihre Stelle durch Strichund Punktfüllungen gänzlich aufgelöste, stilisierte Tierdarstellungen getreten, die lediglich als ornamentale Zier- und Füllmotive Verwendung finden. Der Ton ist im Abb. 46, 47 Verhältnis zum fruhphrygischen Stil heller und erheblich feiner; er ist jedoch schwach 77

gebrannt, daher ziemlich weich. Die Oberfläche der Gefäße ist fein poliert, so daß bei manchen Beispielen der Grund einen elfenbeinfarbigen Glanz erhält, wie dies bei einigen Vasen von Gordion zu beobachten ist. Die von dunkelbraun bis rotbraun variierende Bemalung ist mit dem Pinsel auf dem Grund in Mattmalcrei ausgeführt. Das Prinzip der Dekoration im reifphrygischen Stile ist von der des frühphrygischen grundverschieden. Das dem tektonischen Aufbau angepaßte Dekorationssystem des frühen Stiles wird von einer Vorliebe zur zierlichen Flächenfüllung abgelöst. Die durch Strich- und Punktfüllungen belebten geometrischen Muster erwecken den Abb. 46-48, 50 Eindruck eines reizvollen Teppichs, sie bedecken oft das ganze Gefäß lückenlos. Auch die figürlichen Darstellungen sind, wie oben bereits gesagt wurde, einfache Ziermotive, die innerhalb der ornamentalen Dekorierung in keiner Weise hervortreten. Eines der wichtigsten Hauptmerkmale des reifphrygischen Stiles besteht darin, daß jetzt ausschließlich Gefäße kleinen Formats vorkommen und die großen Kunstvasen des frühphrygischen Stiles völlig verschwunden sind. Entsprechend der reizvollen Verzierung ist auch die Form in zierlichen Dimensionen gehalten. Die durchschnittliche Höhe der Gefäße dieses Stiles beträgt 8—10, seltener etwa 15 cm. Die Gefäßformen sind im Verhältnis zum älteren Stil unvergleichlich reicher. Es kommen hauptsächlich folgende Formen vor: Weitmündige und hochhenklige Kannen, hochhenklige Schnabelkannen, kugelförmige Siebkannen mit hohen Henkeln und übertrieben langen Ausgüssen, tiefe, henkellose Teller. Der reifphrygische Stil weist drei voneinander gut trennbare Phasen auf. Die erste Phase, d. h. die Blütezeit des reifphrygischen Stiles, trägt das Gepräge des griechischen spät- bis subgeometrischen Stiles. Vergleicht man eine attische geometrische Kanne in München 32 mit den phrygischen Vasen derselben Form, sieht man, daß bei beiden Beispielen die konzentrischen Kreise am Gefäßkörper nach dem gleichen Prinzip angeordnet sind. Daß dabei sehr nahe Beziehungen bestehen, steht außer Frage. Die mit plastischen Zungen geschmückten phrygischen Vasen des reifen Stiles sind den griechischen Gefäßen, die die Metallvorbilder nachahmen, eng verwandt 33 . Die übrigen Ornamente der von Metallgefäßen abhängigen phrygischen Vasen, wie der Mäander und der um die Bauchpartie des Gefäßes angebrachte Gürtel sowie das Motiv der zueinander wechselständig angeordneten gegitterten Dreiecksreihen mit Abb. 49 Zickzackmuster, sind gleichfalls auf den reif- bis spätgeometrischen Vasen der griechischen Kunst bereits vorhanden. Eine andere Vasengruppe des reifphrygischen Stiles weist mit ihrer reizvollen, teppichartigen Ornamentik Einwirkungen der Textilkunst auf. Solche Vasen kommen fast in allen Orten Phrygiens vor und sind weiter verbreitet als die auf Metallvasen zurückgehenden Gefäße desselben Stiles. Die besterhaltenen Vertreter wurden in Abb. 46-48, 50 Gordion aufgefunden. Wenn man die Ornamentik dieser Vasen mit den griechischen Kunstwerken vergleicht, kann man sagen, daß sie mehr der Verzierungsart subgeometrischen Stiles entspricht. Jedoch soll damit nicht gesagt sein, daß auch diese phrygischen Vasen nur unter griechischem Einfluß entstanden sind. Denn erstens scheinen die phrygischen Beispiele zum Teil älter zu sein, und zum anderen können 78

46 Phrygische Siebkanne aus Cordion. Ton, Reifphrygischer Stil. Um 700. Istanbul. S. 77, j8.

die mit geometrischen Ziermotiven geschmückten Prachtgewänder des Orients besser und eher als Vorbild gedient haben als irgendwelche Kunsterzeugnisse der Griechen. Die durch Strich- und Punktfüllungen belebten geometrischen Muster dieser Vasen lassen unmittelbar an das Königsgewand des Ivriz-Reliefs denken. Dasselbe Abb. 38 mit geometrischen Mustern reichgeschmückte Gewand kehrt bei dem Königsrelief aus Bor34 wieder und kommt auf den übrigen späthethitischen und, darüber hinaus, auch auf assyrischen Kunstwerken vor. In diesem Zusammenhang müssen vor allem die reizenden Gewänder der urartäischen Kunst genannt werden. A. Leo Oppenheim Abb. 16-24 hat die Vorgeschichte des Königsgewandes studiert und diese Frage sowohl philologisch als auch archäologisch untersucht 35 . Aus seiner Studie entnehmen wir, daß mit geometrischen Ornamenten und verschiedenen Rosetten geschmückte Gewänder sehr 79

47 Phrygische Schnabelktinne aus dortlion. Ton. Reifphrygixcher Slil. Urn joo. Istanbul. S. 77. /8. 8'j.

weit zurückverfolgt werden können und daß sie in der ersten Hälfte des i. Jahrtausends sehr beliebt waren. Daß in der a. Hälfte des S.Jahrhunderts solche mit reizAbb. 38 vollen Ziermotiven belebten Gewänder auf den in Ivriz und Bor, d. h. in der Umgebung von Konya entdeckten Felsreliefs vorkommen, beweist zur Genüge, daß wenigstens die Phryger des südlichen Zcntralanatoliens mit ähnlichen Textilkunsterzeugnissen in direkter Berührung standen. Bezeichnend ist, daß gerade in Konya phrygische Vasen gefunden wurden, die Textilkunstmuster aufweisen. Bei dieser Gelegenheit möchten wir auf eine andere, sehr wichtige Frage kurz eingehen. Waren die Textilvorbilder des reifphrygischen Vasenstiles phrygisch oder späthethitisch? Antwort gibt die stilistische Betrachtung des Ivriz-Reliefs. Sehen wir uns das IvrizRelief näher an, so können wir sagen, daß der Gebelsgestus des Königs und über80

48 Phrygische Siebkanne aus Gordion. Ton. Reifphrygischer Stil. Um

. Ankara. S. 77, jB.

haupt der Inhalt des Reliefs sowie die hieroglyphische Schrift, die Kleidung des Gottes und noch viele andere Details hethitisch sind. Elemente wie die Mütze des Gottes, die semitischen Profile der Gesichter und die Spirallocke der Haar- und Barttracht sind dagegen aramäisch. Aber die Haarbinden und der Ohrschmuck des Königs sowie die auf der Brust angebrachte Fibel und das hakenkreuzförmige Ziermotiv des Unterrockes verraten, daß man es hier auch mit anderen Einflüssen, die weder hethitisch noch aramäisch sind, zu tun hat. Barnett hat bereits daraufhingewiesen 36 , daß die Haartracht, die Kopf binde sowie der Ohrschmuck des Königs auf den Elfenbeinarbeiten von Ephesos wiederkehren. Es sei hinzugefügt, daß auch das haken- Abb. 38 kreuzförmige Ziermotiv des Gewandes auf den ephesischen Elfenbeinkunstwerken Abb. 158, vorkommt 37 . Dieses Motiv des Felsreliefs in Ivriz, dessen Haken nicht von ein und demselben Zentrum ausgehen, ist eine neue Variante des Hakenkreuzes. Wo und wann diese Umbildung vor sich gegangen ist, vermögen wir nicht zu sagen38; man darf jedoch vorläufig bemerken, daß Haar- und Ohrschmuck sowie die Ziermotive des Gewandes auf dem Königsrelief des Felsmonumentes von Ivriz wahr- Abb. 38 scheinlich phrygische Züge tragen, wie dies bei der Fibel zweifellos der Fall ist. Die Phryger sind als Viehzüchter und als Erfinder der Textilkunst bekannt 39 . Daher ist wohl anzunehmen, daß die Textilmotive des reifphrygischen Vasenstiles der phry81

49 Phrygische Kanne aus Kargarms. Ton. Reifphrygischer Stil. Ende 8. Jh. Istanbul. S. 77, 78.

gischen Textilkunst entnommen sind. Das Felsrelief von Ivriz stellt, wie die beiliegende hieroglyphische Inschrift besagt, den König Warpalawas dar, der ein Zeitgenosse Tiglatpilesers III. und seit 738 sein Gegner war 40 . Nehmen wir an, daß das Relief von Ivriz phrygische Motive aufweist, so haben wir für die Einordnung der Blütezeit der phrygischen Kunst in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts einen weiteren Anhaltspunkt. Das Vorkommen der phrygischen Textilkunstmotive auf dem Felsrelief von Ivriz kann uns aber für die Entstehungszeit der Vasen mit Textilornamenten keinen Anhalt geben, da man nicht wissen kann, wann die Vasenmaler darauf gekommen sind, die Motive der Textilkunst aufzugreifen. Für die zeitliche Ansetzung dieser Vasengruppe müssen wir uns nach anderen Anhaltspunkten umsehen. Wäre es richtig, sich auch hier an die griechische Kunst zu wenden? Da wir feststellen konnten, daß der frühphrygische Stil und die auf Metallvasen zurückgehenden Gefäße des reifphrygischen Stiles die Vorbilder des griechischen spätgeometrischen Stiles nachbilden, so können wir uns fragen, ob auch die Vasengruppe mit Textilkunstmustern griechische Elemente aufweist. Die durch Strich- und Punktfüllungen verzierten Tierfiguren dieser Vasengruppe treten an Stelle der Silhouettenfiguren, die dem frühphrygischen Stile eigen sind. Dieser Übergang von der geometrischen Silhouette zur aufgelösten Figur erinnert an den Auflösungsprozeß, der am Ende des 82

griechischen geometrischen Stiles erfolgt ist. Ist dies eine Parallelerscheinung oder soll man hier an eine Beziehung zwischen Phrygien und Griechenland denken? Die Tierfiguren des reifphrygischen Stiles gemahnen an ähnliche, mit Punkt, und Strichfüllungen verzierte Tier- und Vogelfiguren der kykladischen und der übrigen ostgriechischen Vasenmalerei aus der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts41. Vor allem die merkwürdigen Vogelzeichnungen der kykladischen Vasen, auf denen die Flügel ausnahmslos halbgeöffnet dargestellt werden, sind auch auf den phrygischen Vasen zu Abb. 47 beobachten42. Jedoch lassen die frühe Datierung und die hohe Qualität der reifphrygischen Vasen keine Möglichkeit zu, sie als von den kykladischen Vasen abhängig zu betrachten. Schon die Vasen aus dem III. Tumulus der deutschen Grabungen hatten uns zu der Annahme geführt, daß sich von Phrygien nach den Kykladen hin Verbindungslinien zogen43. Die kürzlich im Tumulus der kleinen Prinzessin endeckten Abb. 50 Gefäße mit Löwendarstellungen44 sind bei der Lösung dieser Frage entscheidend wichtig. Die hier dargestellten Löwenbilder sind, genauso wie die Poroslöwen45 aus Gordion, im späthethitischen Typus wiedergegeben. Das am Kopf vertikal sitzende und den Körperumriß überragende Ohr, die nur an ihrem unteren Teil stilisierte Nase, die halbellipsenförmige Stilisierung des Backenknochens, das weitgeöffnete Maul mit der herausgestreckten Zunge sowie der Kamm, der vom Ohr bis zum Rücken geführt ist, sind unverkennbare Elemente der hethitisch-aramäischen Kunst, die im letzten Viertel des S.Jahrhunderts in hoher Blüte stand 46 . Die Löwendarstellungen des reifphrygischen Stiles können schwerlich Nachschöpfungen der kykladischen Löwenbilder sein, da sie wohl viel älter sind als die griechischen Beispiele. Die griechische Kunst war kaum imstande, am Ende des 8. Jahrhunderts Löwendarstellungen im hethitischen Bildtypus zu schaffen. Der griechische Löwe im hethitischen Typus ist erst zu Beginn oder ungefähr im 2. Viertel des 7. Jahrhunderts entstanden. Daher ist eher eine Einwirkung von Phrygien nach den Kykladen anzunehmen als umgekehrt. Es ist nicht ausgeschlossen, daß eine gegenseitige Wechselwirkung bestanden hat. Der Mäander und das Schlingenband sowie der Kannentypus mit hohem Henkel in der phrygischen Vasenkunst sind zweifellos griechische Motive. Die mit Punktfüllungen verzierten Vierecke oder Gittermuster der kykladischen und der böotischen Vasen sind dagegen entweder von orientalischer Textilware abhängig oder teilweise auch von den reifphrygischen Gefäßen angeregt. Die Löwendarstellungen und damit die übrigen Tierbilder des reifphrygischen Stiles gehen auf hethitische Vorbilder zurück. An Hand der späthethitisch-aramäischen Löwendarstellungen und der griechischen Vorbilder des ausgehenden spätgeometrischen Stiles ist die erste Phase, die Blütezeit des reifphrygischen Stiles, ungefähr in den Zeitraum 725—675, d. i. vom Gründungsdatum der Stadt Gordion bis zum Datum ihrer Zerstörung durch die Kimmerier, zu datieren. Die zweite Phase, die Nachblüte des reifphrygischen Stiles, in der bereits ein gewisser Verfall einsetzt, können wir etwa in die Zeit 675—650 datieren47. Die dritte Phase des reifphrygischen Stiles, in der die phrygischen Elemente an Bedeutung abnehmen und der griechische Import einsetzt, stellt eine 83

Phrygische Kanne aus Cordion. Ton. Reifphrygischer Stil. Um 700. Ankara. S. 83, 120.

provinzielle Abart der griechischen Kunst dar. Die Vasen dieser Phase sind an Hand der subgeometrischen und orientalisierenden Vorbilder der griechischen Kunst innerhalb des Zeitraumes 650—600 einzuordnen 48 . Spätphrygischer Stil. Dieser Vasenstil ist von dem vorhergehenden reifphrygischen Stil vor allem dadurch zu unterscheiden, daß er auf den geometrischen Dekor völlig verzichtet und sich mit einfachen Ornamenten begnügt 49 . Die Vasen des spätphrygischen Stiles können in zwei verschiedenen Gruppen studiert werden, i. Vasen mit stark stilisierten Tierdarstellungen. 2. Kleeblattmündige Schnabelkannen und andere Gefäße, deren Schulterfelder mit einfachen Ornamenten verziert sind. Vasen mit stark stilisierten Tierdarstellungen bilden eine sehr charakteristische Gruppe innerhalb des spätphrygischen Stiles. Auf den Bauch- und Schulterfeldern der großen Kannen, auf Tellern und auf anderen Gefäßformen sind unorganisch wiedergegebene Tierdarstellungen angebracht, deren Körper mit Strich- und Punktfüllungen oder mit konzentrischen Kreisen schematisch verziert sind. Es handelt sich um naive Darstellungen der provinziellen Volkskunst. Die Tiere sind in völliger Nichtbeachtung der Anatomie sehr schematisch gezeichnet. Charakteristisch ist vor allem die lineare Körperstilisierung und die brettförmige Wiedergabe der Oberschenkel wie auch die haardünne Zeichnung der Beine und Füße. Vertreter dieser Gattung sind bis heute nur in Alisar und Elbistan aufgefunden worden. Ähnliche, aber qualitativ hochstehende Vasen, die die Vorbilder der Alisar- und Elbistan-Stücke zu sein scheinen, sind in Bogazköy ans Tageslicht getreten. Die zweite Gruppe von Vasen, die auf ihren Schulterfeldern an Stelle figürlicher Darstellungen einfache Ornamente aufweisen, bildet eine bezeichnende Gattung des spätphrygischen Vasenstiles. Unter den dargestellten Ornamenten kommen Mäander, Dreiecke und vor allem ganz einfache, in horizontaler Gliederung angeordnete parallele Linien vor. Vertreter dieser Gattung sind in den späteren Bauschichten von Alisar, Bogazköy, Masat sowie in Pazarh, Akalan und Sinope wie auch in der Umgebung von Ankara aufgefunden worden. Die Beispiele der zweiten Gruppe des spätphrygischen Stiles wurden in Sinope zusammen mit den attischen Kleinmeisterschalen, die aus der Zeit kurz vor der Mitte des 6. Jahrhunderts stammen, ausgegraben. An Hand dieses Anhaltspunktes und anderer Indizien können wir den spätphrygischen Stil etwa in die erste Hälfte des G.Jahrhunderts, und seine späteren Beispiele, je nach der Abgelegenheit des Gebietes, bis ins 5. Jahrhundert hinein datieren. Die phrygische Keramik lebt noch einmal in hellenistischer Zeit auf, sie wird vor allem durch die in Samsun ans Tageslicht getretenen Rhyta und die irrtümlich als galatisch bezeichneten Gefäße vertreten. PLASTIK. Von den plastischen Kunstwerken derPhryger sind nur spärliche und vor allen Dingen hauptsächlich schlecht erhaltene Überreste auf uns gekommen, so daß man sich über diesen Zweig der phrygischen Kunst keine so vollständige Meinung bilden kann, wie dies für die Vasenmalerei möglich ist. Jedoch aus einem ein85

gehenden Studium der Felsdenkmäler und Terrakottafriese sowie einiger weiterer Kunstdenkmäler kann man sich auch über die phrygischen Bildwerke einigermaßen unterrichten 50 .

Abb. 51

Abb. -,2-54 Abb. 53-54

Abb. 53 Abb. 73

Felsreliefs. Die in der Umgebung von Afyon-Karahisar und Eskisehir befindlichen Felsreliefs verdienen in erster Linie, Gegenstand der Untersuchung zu sein. Die meisten Felsdenkmäler sind schlecht erhalten und lassen daher keine Details erkennen. Jedoch ist an jedem Denkmal irgendein Anhaltspunkt zu finden, der mitunter zu einer sicheren Stil- und Zeitbestimmung führt. So sind zum Beispiel, trotz der stark verwitterten Oberfläche, die stilistischen Merkmale des Aslantas-Grabes mit ziemlicher Sicherheit zu erschließen. Die Kopfbildung der Löwen ist zwar, wie aus der merkwürdig und im Verhältnis zur übertrieben langgehaltenen Maulpartie unnaturalistisch kurz gebildeten Stirn-Nasenpartie hervorgeht, von hethitischem Gepräge. Jedoch die kleinen, ebenfalls auf beiden Seiten der Grabtür dargestellten liegenden Löwen verraten in ihren nach vorne gewandten Köpfen, daß sie auf ionische Löwen des G.Jahrhunderts zurückgehen; daher spielen die auf diesem Monument nachlebenden hethitischen Züge vom chronologischen Gesichtspunkt aus überhaupt keine Rolle. Die ruhevolle Stellung der Tiere, die besonders bei dem rechts dargestellten Löwen auch auf der Photographic deutlich erkennbar ist, kann ohne Einwirkung der ionischen Vorbilder nicht erklärt werden. Dieser unter ägyptischem Einfluß entstandene Löwentypus der ionischen Kunst ist wohl am Ende des 7. Jahrhunderts in Milet ausgebildet worden. Das phrygische Denkmal könnte demnach frühestens aus dem Anfang des 6. Jahrhunderts stammen. Das mit einer Reihe von Skulpturen geschmückte Kultdenkmal Aslankaya zeugt von weiteren griechischen Einflüssen, die für die Einordnung der phrygischen Plastik auszuwerten sind. Die Sphingengestalten im Giebel sind wenigstens in ihren Umrissen deutlich zu erkennen. Die auf einem längeren Hals sitzenden Sphingenköpfe sind mit ihren vom Kinn zur Stirn sich etwas verbreiternden Gesichtern ovaler Form echt griechisch-archaischen Gepräges. Sie haben mit den Sphingen der assyrischen oder späthethitischen Kunst überhaupt nichts gemeinsam. Sphingen mit nach vorne gewandten Köpfen sind übrigens im Orient sehr selten; sie stellen ein spezifisch griechisches Motiv dar. Demnach wäre das Kultmonument Aslankaya, genauso wie das Grabmonument Aslantas, ungefähr in die erste Hälfte des G.Jahrhunderts zu datieren. Die in der Mitte der Nische dargestellte, von zwei Löwen flankierte Kybelefigur spricht mit ihren runden Formen für eine Ansetzung in die Mitte des 6. Jahrhunderts. Eine andere Kybelefigur, die in einer freistehenden Nische in der Nähe des Grabmals Aslantas dargestellt ist, darf mit ihren ebenfalls runden Formen als ein Werk etwa aus der Mitte des 6. Jahrhunderts angesehen werden. Die leider unvollständige, nur im Unterteil erhaltene Gewandstatue51 aus der Midas-Stadt, die das Werk eines von ionischen Bildhauern beeinflußten Phrygers sein mag, erweist sich als ein bedeutsamer Anhaltspunkt für die zeitliche Einordnung der phrygischen Plastik. Diese Gewandstatue, die etwa aus dem 2. Viertel des 6. Jahr86

Phrygisches Felsgrabmal von Büyük Aslantas bei Afyonkarahisar. Erste Hälfte 6. Jh. S. 86.

j2 Phrygisches Kultdenkmal von Aslankaya bei Afyonkarahisar. Erste Hälfte 6. Jh. S. 86.

Dasselbe Kullmonument wie Abb. 55. S. 86.

Teilansichl von Abb. 52 und 53. Kybele mit Löwen. S. 86.

55 Phrygische Statuengruppe aus Bogazköy. Kalkstein. 2. Hälfte 6. Jh. Ankara. S. 95, 57, 98.

eilans'idd der Slaluengruppe von Abb. 55. Der Kithurasp'ieler. S. c/8.

J7 Teilansicht der Statuengruppe von Abb. 55. Der Flötenbläser.

' !?·.:. · HSF

5. ; .

gen, die diese Gruppe aufwirft, hingewiesen54. Es ist interessant nachzuforschen, ob das Werk unter griechischer Einwirkung entstanden ist oder ob es den griechischen Künstlern als Vorbild gedient hat. Wenn man aber bedenkt, daß die phrygische Kunst von der Mitte des 7. Jahrhunderts ab ihre Originalität verloren hat und daß die phrygische Keramik eine provinzielle Abart der griechischen Kunst geworden ist, so wird es schwer möglich sein, den Phrygern des späten 7. oder des frühen 6. Jahrhunderts eine führende Rolle auf dem Gebiete der bildenden Künste beizumessen. Die ausgesprochen ostgriechische Bekleidung der Göttin läßt keinen Zweifel über die Entstehungszeit der Gruppe. Die samischen Statuen, wie etwa die Hera des Heramyes, sind die nächstverwandteri Vorbilder, aufweiche die Göttin aus Bogazköy zurückgeht. Demnach stammt die Statuengruppe von Bogazköy aus der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts. Ein prächtiges Kybelerelief, das gleichfalls in Ankara als Zufallsfund bekanntgeworden ist, wollen wir an die Statuengruppe von Bogazköy anschließen55. Hier sehen wir die Göttin in einem Naiskos stehen. Sie trägt einen Polos, der in ähnlicher Weise verziert ist wie die Kopfbedeckung der Kybele von Bogazköy. Sie hält in der Abb. 55 Rechten eine Kanne und in der Linken einen Raubvogel. Ihr Mantel bedeckt den Kopf und den ganzen Körper auf der Rückseite bis zur Standfläche sowie die linke Hälfte des Unterkörpers, wo er mit einem Zipfel unter den Gürtel gesteckt ist. Der andere Rand des Mantels ist entlang des rechten Körperumrisses sichtbar. Unter dem Mantel trägt sie ein langes Gewand, das gleichfalls bis zur Standfläche herabreicht und die Füße völlig bedeckt. Es ist, wie das Kleid der Göttin von Bogazköy, in vertikale, rundstabförmige Falten gegliedert. Auch das Motiv der bogenförmig übereinander angeordneten Falten des Mantels am Unterkörper kehrt bei der Göttin von Bogazköy wieder. Das Kybelerelief aus Gordion56, das als drittes gleichartiges Kunst- Abb. 62 werk zur gleichen Zeit wie die beiden anderen Kybelebilder gefunden worden ist, stellt eine grobe und vereinfachte Wiedergabe des Bildtypus der Göttin von Ankara dar. Die Kybele trägt hier einen niedrigen Polos und hält in der Linken einen Vogel und in der Rechten eine Schale. Mantel, Gewand sowie die Kleiderfalten sind genau wie bei der Göttin von Ankara gestaltet. Wer die hethitisch-aramäischen Grabstelen des frühen 7. Jahrhunderts aus Maras kennt, wird die große Ähnlichkeit, die zwischen den hethitischen und diesen phrygischen Reliefs in der Tracht besteht, nicht leugnen können. Die rundstabförmigen vertikalen Falten des Untergewandes und die Art, wie der Mantel den Kopf und die Schulter bedeckt und mit einem Zipfel unter den Gürtel gesteckt ist, kommen an den hethitischen Beispielen bereits vor. Da aber die Tracht der genannten phrygischen Göttinnen schon im 2. Viertel des G.Jahrhunderts in der ostgriechischen Kunst ausgebildet ist (s. S. 213), erhebt sich die Frage, ob die phrygischen Reliefs älter oder jünger als die griechischen Beispiele sind. Die Kanne, die die Göttin auf dem Relief von Ankara in der Rechten hält, ent- Abb. 6-6i spricht dem Typus der spätphrygischen Vasen des 6. Jahrhunderts. Eine genauere Datierung innerhalb des 6. Jahrhunderts ist aber an Hand dieser Kanne nicht möglich. Das Akroter in Form von »Stierhörnern« und der Giebel mit der Mittel13

6r Teilansicht von Abb. 60. Die Göttin Kybele. S.

07

y l

Fig. aa

Abb. 174, i7f, Abb. r,G

Abb. 169, 174, I7f,

Abb. r,r„ Gf,

stütze kommen zwar auf den phrygischen Felsenfassaden des G.Jahrhunderts vor. Sie sind aber schon um 700 in Phrygien bekannt gewesen. Der Mäanderhaken ist desgleichen auf den phrygischen Denkmälern des späten S.Jahrhunderts vorhanden. Die Göttin, die vor ihrer Brust einen Vogel trägt, erweist sich jedoch als ein spezifisch griechischer Bildtypus, der weder auf orientalischen noch phrygischen Kunstwerken wiederkehrt. Demnach dürften die phrygischen Kybelebilder im Anschluß an die vogeltragenden Göttinnen der griechischen Kunst entstanden sein. Der Vogel auf dem Ankaraner Relief ist zwar ungewöhnlicherweise als Raubvogel wiedergegeben. Dies mag jedoch auf eine phrygische Umbildung zurückzuführen sein. Auf dem Relief von Gordion erscheint jedenfalls eine taubenartige Vogeldarstellung, wie sie bei den griechischen Standbildern von Göttinnen oder Mädchen üblich ist. Das Relief von Ankara zeigt im Verhältnis zu den beiden anderen Kybelebildern mehr phrygische Einflüsse. Daher ist leicht zu verstehen, daß bei ihm der taubenartige Vogel der Göttinnen Hera und Aphrodite, dem Wesen der Kybele entsprechend, in einen Raubvogel verwandelt wurde. Die Göttin Artemis von Ephesos, die der Göttin Kybele im Wesen verwandt ist, hat bekanntlich auch einen Raubvogel, den Habicht, als Lieblingstier. Die Kithara, die bei der Statuengruppe von Bogazköy vorkommt, ist ein weiteres griechisches Motiv57, das die drei genannten Kybelereliefs mit der griechischen Kunst verbindet. Diese beiden griechischen Elemente beweisen also hinreichend, daß die phrygischen Beispiele als Nachschöpfungen der griechischen Vorbilder anzusprechen sind58. Die Kleidung der phrygischen Reliefs von Ankara, Bogazköy und Gordion ähnelt im wesentlichen der Tracht der samischen Hera 98

62 Kvbelerelief aus Gordion. Ankara. S. 97.

des Cheramyes im Louvre (s. S. 220). Gemeinsam sind ihr und den phrygischen Bei- Abb. 201 spielen die rundstabförmigen Falten des Chitons und die Art, wie der Mantel die linke Hälfte des Unterkörpers bedeckt und dann unter den Gürtel gesteckt wird. Die phrygischen Kybelereliefs weichen jedoch in einigen Einzelheiten von den griechischen Beispielen ab. Der wichtigste Unterschied besteht darin, daß bei den phrygischen Kybelebildern der Mantel die Brust nicht bedeckt, sondern nur an den beiden Seiten des Körpers entlang geführt wurde. Eine ähnliche Mantelgestaltung finden wir bei einer früharchaischen Broncestatuette aus Ephesos. Auch die bogenförmig über- Abb. 176, 177 einander angeordneten Falten des Mantelteiles am Rock der phrygischen Kybelereliefs fehlen den samischen Beispielen. Aber auch diese Faltengestaltung scheint eine ostionische Modeschöpfung zu sein, weil sie durch die ionisch beeinflußten Reliefs zu belegen ist. Eine süditalische Statuette des frühen 5. Jahrhunderts aus Lokri59, heute im British Museum, weist das Motiv der übereinander angeordneten bogenförmigen Falten der phrygischen Kybelebilder auf beiden Hälften des Unterkörpers auf. Dies ist eine Tracht, die später für die achämenidische Kunst charakteristisch wird. Ähnliche, aber ältere Beispiele, die den phrygischen Künstlern als Vorbild gedient haben, müssen in den ostionischen Zentren vorhanden gewesen sein. An Hand der noch erhaltenen Beispiele aus Ankara, Bogazköy und Gordion ist es nun sicher, daß die hohen Aufsätze der Kybelebilder auf den Felsendenkmälern Phrygiens Poloi darstellen. Daß Kybelestatuen im 6. Jahrhundert im mittleren Anatolien verehrt wurden, beweist auch der Felsthron von Kalehisar bei Alacahöyük, wo wahrscheinlich ein transportables Sitzbild der Göttin zwischen zwei Löwen gestanden hat 60 . Kurt Bittel hat die Göttin der Statuengruppe von Bogazköy mit Recht als Kybele gedeutet. Sie ist in der Tat ein neues, einzigartiges Beispiel der in der Nische stehend dargestellten Kybele. Die Gruppe wurde im Torbau der phrygischen Stadt in einer Nische, also außerhalb der Mauern, aufgestellt. Die vom ganzen Volke verehrte hohe Göttin konnte es sich erlauben, im Freien zu stehen und sich so ihren Gläubigen in aller Vertraulichkeit aus nächster Nähe zu offenbaren. Sie wurde wohl zugleich als Stadtgöttin verehrt, und hier schirmte sie den Zugang zur Stadt. Zu Kybele passen die Musikanten gut. Die Doppelflöte ist nächst dem Tympanon das Hauptinstrument Abb. 57 des Kybelekults, bei dem die Musik eine wesentliche Rolle spielte. Befremdend ist die Kithara, die wohl eine Zutat des griechisch geschulten phrygischen Bildhauers sein mag. In den Homerischen Hymnen, die aus dem Ende des 7. Jahrhunderts stammen, sind als Instrumente der Demeter, d. h. des Kybelekults, Tympana, Krotala und Auloi erwähnt61. Dieser orgiastische Kult, der in Begleitung der aufpeitschenden Schlaginstrumente und der »schön« und »süß« tönenden Auloi aufgeführt wurde, scheint also schon im 7. Jahrhundert und in der archaischen Zeit existiert zu haben. Daher ist das Vorkommen der Kithara in der Gruppe von Bogazköy nicht als ein älteres, sondern eher als ein neueres Element zu verstehen, das nur mit einer griechischen Einwirkung erklärt werden kann. Es mag sein, daß die Gläubigenscharen der großen Göttin hier vor dem Tore der Stadt, die auf einem hohen, felsigen Pla99

teau gebaut war, genauso wie vor dem schon erwähnten Felsenthron, der sich auf dem hohen Felsen Kalehissar bei Alacahöyük befindet, ihren bis zur Exstase führenden Kult ausgeübt haben. Die Priester und Verehrer der großen Göttin brachten dann zur Zeit der Tagundnachtgleiche mit Zimbeln, Doppelflöten und Tympana auf diesen Felsenburgen Zentralanatoliens mit schrillem Geschrei und tobender Raserei ihre wilden und orgiastischen Tänze zur Vorführung 62 und beklagten den Tod des Attis, des schönen phrygischen Jünglings. Die mit langen Gewändern und sehr hohen Mützen bekleideten Derwische der ottomanischen Türkei, die, sich um sich selbst drehend, in einem Kreise tanzten und auf diese Weise der Gottheit ihre Verehrung darbrachten, mögen auf der phrygischen Tanz- und Musiktradition beruhen. Die ältesten bis heute bekanntgewordenen plastischen Kunstwerke der Phryger sind kürzlich bei den amerikanischen Grabungen in Gordion ans Tageslicht getreten. Es handelt sich jedoch nicht um Werke monumentaler Art, sondern um zwei kleine, ungeschickt ausgeführte Löwen63, die die Fassade eines Hauses aus dem Ende des S.Jahrhunderts als ein dekoratives Element schmückten. Das weitgeöffnete Maul mit der heraushängenden Zunge, die auf der Kinnpartie aufliegt, und die drei Furchen am unteren Ende der Nase weisen darauf hin, daß sie von den assyrisierenden Beispielen der hethitischen Löwen vom Ende des 8. Jahrhunderts beeinflußt sind. Monumentale phrygische Plastik scheint jedoch vor dem 6. Jahrhundert nicht vorhanden gewesen zu sein64. Außer dem oben besprochenen Werke des 6. Jahrhunderts und den zwei Reliefplatten des 5. Jahrhunderts im Museum von Konya sind aus den stark griechisch beeinflußten Perioden keine anderen Beispiele phrygischer Plastik auf uns gekommen. Die Reliefkunst scheint in Phrygien erst in der römischen Zeit wieder geübt worden zu sein. Das sogenannte »Solon«-Grab und die stark stilisierten Grabstelen mit eigenartigen Ehepaardarstellungen 65 sind Kunstwerke spätrömischer Zeit, die motivgeschichtlich gesehen die altphrygische Tradition bis zum Ausgang des Heidentums fortsetzen. Was die mit der Großplastik ungefähr gleichzeitig entstandenen architektonischen Terrakottareliefs der Phryger betrifft, die bis heute aus Orten wie Gordion, Akalan, Pazarli und der Midas-Stadt vorliegen, kann gesagt werden, daß sie die griechischen Vorbilder, wie wir sie aus Neandria und vor allem aus Larisa am Hermos kennen, Farbtafci viic nachahmen66. Die Pazarh-Platten z. B., welche mit ihrer noch zum Teil orientalisierenden Ornamentsprache altertümlich wirken, in Wirklichkeit aber Werke aus der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts darstellen, weisen keine phrygischen Eigentümlichkeiten auf, sondern sind provinzielle Kopien der griechischen Vorbilder. BRONZEKUNSTWERKE. Die schönsten bronzenen Kunstwerke der Phryger wurden in den Tumuli von Gordion und Ankara gefunden. Es handelt sich in der Hauptsache um Kessel, Teller mit Rotellenhenkeln, Omphalosschalen, Siebkannen mit langem Ausguß, Schöpflöffel und Schmuckgegenstände wie Fibeln, Nadeln, Gürtelschnallen sowie verschiedene Arten von Waffen. 100

63-65 Phrygische Fibeln aus Gordion. Um Ankara. S. 102.

.

Von den in Phrygien ans Tageslicht geförderten Bronzegefäßen sind die Teller mit Farbtafei nia Rotellenhenkeln am wichtigsten; sie sind tief geformt und weisen am Gefäßrand geführte dünne Bronzebänder und spulenförmige, zur Befestigung des eigentlichen Henkels dienende Schmuckattaschen auf. Solche Bronzeteller sind in Phrygien in Ankara, im Tumulus des frühen 7. Jahrhunderts von Fidanhk und jetzt bei den Grabungen in Gordion zutage getreten. Der gleiche spulenförmige Henkel mit den unter dem Gefäßrand entlanggeführten Bronzebändern ist auch an einem in Gordion gefundenen tönernen Becken des späten 8. Jahrhunderts zu sehen 67 . Dies ist ein Beweis 101

dafür, daß diese Art Bronzeteller in Phrygien hergestellt wurde. Das hohe Alter der phrygischen Teller mit spulenförmigen Henkeln besagt, daß die in Kypros und in Griechenland aufgefundenen ähnlichen Gefäße oder richtiger gesagt, ihre Rotellenhenkel, auf den Einfluß der phrygischen Vorbilder zurückzuführen sind 68 . Die Fragmente zweier bronzener Siebkannen mit langem Ausguß aus den Tumuli von Ankara 69 sind ein weiterer Beweis dafür, daß bei den Phrygern auch Metallgefäße hergestellt wurden. Die erhaltenen Bruchstücke zeigen zur Genüge, daß es sich um Gefäßformen handelt, wie sie bei den Ton waren im Tumulus III der deutschen Grabungen von Gordion in mehreren Varianten vorkommen. Die Omphalosschalen und die Schöpfkellen, die ebenfalls fast in allen Tumuli Phrygiens zutage treten, sind Hausgeräte, die die phrygischen Künstler den Nachbarkulturen entnahmen. Die in Phrygien aufgefundenen Exemplare sind aber wohl nach fremden Vorbildern hergestellte einheimische Produkte. Der schöne, im i. Mausoleumshügel von Ankara gefundene Gürtel, auf dessen Gürtelblech ein Mäander im Muster des griechischen spätgeometrischen Stiles zu beobachten ist 70 , trägt in der prächtigen Ornamentik der Ajourarbeit seiner Schnalle das Gepräge des reifphrygischen Vasenstiles. Ein ähnlicher, aber weniger gut erhaltener, aus Polath stammender Gürtel wird im Museum zu Ankara aufbewahrt. Ein besonders schönes Beispiel, auf dem geometrische Ornamente eingraviert sind, wurde im Tumulus der kleinen Prinzessin in Gordion gefunden. Es befindet sich heute im Museum von Ankara71. Die aus den phrygischen Schichten der anatolischen Höyüks und aus den Tumuli von Ankara und Gordion bekannten Bogenfibeln bilden einen Typ für sich, der wohl Abb. 63-6-, als eine Erfindung der Phryger anzusehen ist. Allein in dem großen Tumulus von Gordion wurden 175 Fibeln von allerhöchster Qualität gefunden 72 . Beachtenswert ist nicht nur die feine Ausführung, sondern auch die raffinierte Zusammensetzung der einzelnen Teile und der gut gelungene Verschluß. Die phrygischen Fibeln dürfen als eine technische Höchstleistung ihrer Zeit angesehen werden. In den vorphrygischen Schichten anatolischer Höyüks kommen diese Fibeln nicht vor. Das völlige Fehlen der Bogenfibeln auf den älteren späthethitischen Bildwerken und ihr plötzliches Aufkommen auf späteren, aramäisch-hethitischen oder assyrisierendhethitischen Reliefs zeigt, daß sie erst in der 2. Hälfte des S.Jahrhunderts von den Phrygern erfunden wurden. Die Phryger scheinen also große Meister in der Toreutik gewesen zu sein. Der einheitliche Stil und die hohe Qualität der Bronzegefäße, die in den Tumuli in erstaunlich großen Mengen ans Tageslicht treten, können nur damit erklärt werden, daß sie in Phrygien hergestellt wurden. Die Ausgrabungen in Gordion haben in den letzten Kampagnen auch Anzeichen für eine Bronzefabrikation gebracht 73 . Die Amerikaner haben in Gordion allein aus dem großen Tumulus, abgesehen von den oben erwähnten 175 Fibeln, 169 Bronzegefäße verschiedener Form und Größe zutage gefördert74. Nur die beiden Situlae75 und die beiden Bronzekessel mit menschlichen ProtoFarbtafei in b men sind Importstücke, während die übrigen Bronzegefäße, der Stierkessel miteingeschlossen, hervorragende Erzeugnisse der phrygischen Kunst darstellen. Goldene oder sil102

66 Phrygische Holzfigur aus Gordion. Um 700. Ankara. S. 104.

berne Gefäße sind bis heute aus den phrygischen Ausgrabungsstätten sehr selten bekannt geworden. Eine flache silberne Schale, die heute im Museum in Istanbul aufbewahrt wird, ist, wie die nächstverwandten Parallelen aus den phrygischen Tumuli in Ankara 76 und Gordion 77 bezeugen, Produkt phrygischer Edelmetallkunst. Gefäße in Silber oder Gold sind wohl noch aus den neuen Grabungen zu erwarten. HOLZARBEITEN UND MÖBELSTÜCKE. Hcrodot erzählt, daß Midas seinen »sehenswerten, königlichen Thron, auf dem er zu Gericht saß«, als Weihgeschenk nach Delphi sandte 78 . Diesen Thron sah Herodot im Schatzhause des Kypselos unter den goldenen und silbernen Weihgeschenken des lydischen Königs Gyges. Ob der Thron nur aus Holz war oder auch figürliche Darstellungen oder Einlagen aus Edelmetallen aufwies, gibt Herodot nicht an. Vielleicht ähnelte der Thron jenen eindrucksvollen Möbelstücken, die die Ausgräber von Gordion bei den letzten Grabungskampagnen ans Tageslicht gefördert haben. Die vor kurzem bekanntgewordenen Möbelstücke aus Gordion bestehen in der Hauptsache aus Tischen, Stühlen und einer Art transportabler Tafeln, die wohl als Hintergrund in den vornehmen Häusern der Stadt Verwendung fanden. Daß in dem größten Tumulus von Gordion kein Thron gefunden wurde, ist vielleicht mit dem verhängnis103

vollen Untergang der Stadt zu erklären, bei dem wohl auch die königlichen Throne zerstört wurden. Die in dem großen Tumulus und in dem Grabhügel der kleinen, in ihrem 4. oder 5. Lebensjahre gestorbenen Prinzessin entdeckten eindrucksvollen Möbelstücke79 vermögen jedoch zur Genüge ein anschauliches Bild über die königlichen Throne der Phryger zu vermitteln. Der reiche und vielfältige Dekor dieser Holzarbeiten ist von außerordentlicher Schönheit und zeugt von dem auserlesenen Geschmack des phrygischen Volkes. Die hier verwendeten Ornamente kehren zum Teil auf den aus der gleichen Zeit stammenden Mosaiken der königlichen Häuser wieder80. Die aus kreisförmigen oder halbkreisförmigen Ornamenten bestehenden Verzierungen sowie die übrigen geometrischen Motive sind auch auf dem prächtigen Bronzegürtel81 aus dem Grabe der kleinen Prinzessin zu finden. Diese Einheitlichkeit des Stiles auf allen Kunstgebieten zeugt von der Größe und Reife der phrygischen Kunst. Die Ornamentik besteht aus Vierecken, die in mannigfaltigen Variationen aus Swastiken und ihren Einzelteilen gebildet werden82. Das Vorkommen ähnlicher Zierelemente auf dem königlichen Gewand des Felsreliefs in Abb. 38 Ivriz legt den Gedanken nahe, daß der hethitische Künstler dieses geometrische Ziersystem den phrygischen Vorbildern verdankte. Vergleicht man die ähnlichen urartäischen Kleider-Ornamente mit den phrygischen geometrischen Kompositionen, so wird man gewahr, daß die urartäischen Künstler auch Pflanzenmotive verwandten, während die Phryger ein ausgesprochen rationalistisch geometrisches Dekorationssystem entwickelten, das man als eine phrygische Errungenschaft ansprechen darf. Beachtenswert ist die verblüffende Ähnlichkeit der geometrischen Fassade des Abb. r,a, 53 Midasdenkmals bei Eskisehir mit den Ornamenten der Möbelstücke aus dem Ende des 8. Jahrhunderts. Diese Ähnlichkeit im geometrischen Dekor ist jedoch für die Datierung des Monuments nicht maßgebend, da die figürlichen Darstellungen derselben Fassade auf seine Entstehungszeit im 6. Jahrhundert hinweisen. Der gleiche geometrische Dekor kehrt übrigens auf den griechischen Kunstwerken des 6. Jahrhunderts in Samos83, Ephesos84, Sardes und Akalan85 sowie auf den von kleinasiatischen Vorbildern abhängigen Nachschöpfungen in süditalischen Städten86 wieder. Der reichhaltige Grabhügel der kleinen Prinzessin hat ungewöhnlich schöne Holzarbeiten in Form von Tierdarstellungen zutage gebracht, die vom hohen Niveau eines anderen Zweiges der phrygischen Kunst Kunde geben87. Die kubischen Formen Abb. 66 der Löwenköpfe verraten schon auf den ersten Blick, daß diese Kunstwerke aus Holz auf hethitischen Einfluß zurückgehen. Das weitgeöffnete Maul mit der herausgestreckten Zunge und den übertrieben groß gebildeten Eckzähnen sowie der nur auf ihrem unteren Teil stilisierten geraden, langen Nase sind weitere spezifische Kennzeichen hethitischer Löwenbilder88. Die phrygischen Löwen aus Holz sind also getreue Nachbildungen hethitischer Vorbilder, stammen jedoch von phrygischen Künstlern 89 . Die ausgezeichnete Behandlung des Materials und die gelungene Komposition der Tiergruppen zeugen von dem hohen Stande der phrygischen Holzschnitzerei. Es ist der betonartig getrockneten Erde des Tumulus zu verdanken, 104

// Phrygiiche Stadtmauer von Gordion. Stadttor von Innen um 700 v. Chr.

daß diese Holzfiguren im Grabe im allerbesten Zustande erhalten blieben. Die phrygischen Kunstwerke aus Holz stellen, zusammen mit den ostgriechischen90 Holzarbeiten, die allerdings später entstanden sind, die einzigen bis heute erhaltenen Holzschnitzereien des Altertums dar91. ARCHITEKTUR. Die amerikanischen Grabungen auf dem Stadthügel von Gordion haben einen sehr wichtigen Beitrag zur Kenntnis der phrygischen Baukunst geliefert. Das bereits freigelegte imposante Stadttor von Gordion, das aus dem Ende des 8. Jahrhunderts stammt, ist ein würdiger Vertreter der phrygischen Baukunst der Blütezeit. Die bis auf 9,50 m Höhe erhaltene Toranlage ist nicht nur eine der monumentalsten Bauten Alt-Anatoliens, sondern auch eines der schönsten Mauerwerke Farbtafel vorgriechischer Zeit. Auch die übrigen Bauten Gordions aus derselben Zeit, zwei stattliche Häuser mit buntem Kieselmosaikboden, zeugen von dem hohen Niveau der phrygischen Baukunst zur Zeit des Midas. Diese Bauwerke sind der gleichzeitigen griechischen Architektur Kleinasiens weit überlegen. Die genannten Häuser liegen in südnördlicher Richtung dicht nebeneinander und öffnen sich zu einem schön gepflasterten Platz92. Das eine Gebäude, das von den Ausgräbern bei der Freilegung »das verbrannte Haus« genannt wurde, ist 9,50X 17,50 m groß93. Es enthält einen Vorraum und einen etwas größeren Saal. Die Mauern bestanden aus Lehmziegeln und waren sowohl außen als auch innen mit einem Holzwerk von vertikalen Pfosten und horizontalen Balken verstärkt. In der Mitte der beiden Räume stand je ein Herd aus Stuck von je ungefähr 1,50 m Durchmesser. Der Boden des Vorraumes war mit einem Kieselmosaik geschmückt, das schöne geometrische Motive aufweist, die aus roten und schwarzen Steinchen auf weißem Grund ausgeführt wurden 94 . Der Boden des Saales war mit einem harten Zementpflaster bedeckt. Die Wände der beiden Zimmer waren mit einer feinen, aber dick aufgetragenen Kalkschicht getüncht, die das Holzwerk der Mauer überdeckte. Das andere, ganz dicht daneben liegende, von den Ausgräbern als »West Phrygian House« bezeichnete Gebäude95 war aus Stein, besaß aber das gleiche Holzwerksystem wie das oben besprochene Haus. Die Mauern sind 2 m dick. Der Vorraum dieses Hauses ähnelt einem Portikus, so daß der Bau im ganzen eigentlich nur aus einem 10,85X9,75 m großen Prunksaal mit einem schmalen, nach vorne offenen Eingang besteht. In der Mitte des Saales stand ein runder Herd von 1,98 m Durchmesser, ähnlich den Räumen des anderen Hauses, der Saal weist aber darüber hinaus in der Südostecke eine ungefähr 2,50X1,50 m große, ebenfalls mit Stuck bedeckte Fläche auf. Die übrige Bodenfläche des Saales war mit einem herrlichen Kieselmosaik bedeckt, das noch in recht gutem Zustand erhalten ist. Die dunkelblauen, dunkelroten und weißen Steinchen wurden hier in eine Lehmschicht eingelegt. Der geometrische Dekor ist reichhaltig : es kommen Ornamente aus dem Bereich der Holzarbeiten und solche aus dem der Keramik vor, auch Swastiken und schlüsseiförmige Motive sind vorhanden 96 . Die Wände des Saales waren mit einer feinen Kalkschicht getüncht. Auf dem Boden fand man verkohlte Balkenreste, die beweisen, daß dieser fast 10 m breite Saal mit einem 105

Holzdach bedeckt war. Das Dach war wohl sattelförmig, ähnlich dem Grabzimmer des großen Tumulus 97 . Dies geht auch aus den Hausdarstellungen hervor, die sich auf den Steinblöcken eingeritzt finden98, welche an den Außenwänden des Gebäudes als Sitzbänke dienten. Sie stellen Giebelhäuser mit Mittelakroterien dar, wie man Abb. 67-72 sie von den Felsfassaden in der Midas-Stadt her kennt. Die Ausgräber entdeckten im Steinhaufenfundament des oberhalb liegenden persischen Hauses ein 50 cm hohes, beiderseitig volutenförmig gebildetes Akroterion" aus Porös, das sie wohl mit Recht als diesem Gebäude zugehörig erklärt haben. Ein solches Akroterion verlangt selbstverständlich ein Haus mit Giebeldach. Auch die beiden Poroslöwen, die mit dem Akroterion zusammen gefunden wurden, mögen, wie Rodney S. Young angenommen hat 100 , die Fassade des Hauses geschmückt haben. Dieses stattliche Haus ist von Rodney S. Young treffend als Audienz-Saal des Palastes gekennzeichnet worden101. Midas mag hier seine hohen Gäste empfangen haben. Leider sind keine Anzeichen erhalten, die auf die königliche Würde hinweisen könnten: keine Goldgegenstände, keine Kostbarkeiten. Die beiden Häuser scheinen überhaupt vor der Inbrandsetzung geplündert worden zu sein. Die im zweiräumigen, größeren Gebäude aufgefundene Keramik ist unbedeutend; es sind unbeachtete Überbleibsel der Plünderung. Die beiden besprochenen Gebäude wurden im Megaron-Typus erbaut, entsprechen also den Herrenhäusern mit Vorhalle und einem tiefen Männersaal, die man aus der griechischen Welt kennt. Das Giebeldach sowie das Mittelakroterion bringen diese phrygischen Gebäude des späten 8. Jahrhunderts in Gordion gleichfalls mit der griechischen Kunst in Verbindung. Ob diese Gemeinsamkeiten auf griechischen Einfluß zurückzuführen sind oder ob sie als Elemente betrachtet werden müssen, die die Phryger aus ihrem osteuropäischen Ursprungslande mitgebracht haben, ist eine Frage, die vorläufig nicht genau zu entscheiden ist102. Das Giebeldach mit Mittelakroterion Fig. 18 ist auch bei dem urartäischen Tempel von Musasir nachweisbar. Dort wurde zwar als Mittelakroterion eine Lanze verwandt; die Idee ist aber dieselbe. Eine Beziehung zum Orient ist jedoch nicht anzunehmen. Die von Rodney S. Young mit Geschick und Erfolg durchgeführten Grabungen in Gordion gehen weiter voran. Jeder neu ansetzende Spaten wird mit größter Spannung verfolgt. Der Wohnhügel von Gordion, der Hauptstadt des ephemeren Königreichs der Phryger, enthält wohl noch weitere wichtige Bauten, vor allem den Tempel der Phryger, von dessen Frcilegung zweifellos große Überraschungen zu erwarten sind. Was die ebenfalls vor kurzer Zeit in Gordion freigelegten Häuser des 6. Jahrhunderts betrifft, so kann gesagt werden, daß sie mit ihren griechischen Grundrissen und den völlig im ostgriechischen Stil ausgeführten hochwertigen Wandmalereien mit der eigentlichen phrygischen Kunst wenig zu tun haben103. Felsarchitektur. Unter den auf uns gekommenen phrygischen Architekturresten verdienen in erster Linie die Felsdenkmäler unsere Aufmerksamkeit; sie erweisen sich zum Teil als Grabdenkmäler, zum anderen Teil als Kultdenkmäler, sind jedoch vom Standpunkt der Architektur voneinander nicht zu trennen. 106

Phrygisches Kultdenkmal Yaaihkaya (das sog. Midasgrab) bei Eskisehir. 6. Jh. S. 109, 110.

Das Aufkommen der Felsdenkmäler vollzog sich innerhalb einer späten Phase der phrygischen Kurist. In den ältesten Kulturzentren der Phryger, d. h. in den Zentren innerhalb des Halysbogens und in dem phrygischen Gebiet zwischen Gordion und Ankara, sind bis heute keine phrygischen Felsdenkmäler gefunden worden. Unter den in der Gegend von Afyon Karahisar und Eskisehir entdeckten Felsmonumenten ist, wie wir bei der Besprechung der plastischen Werke feststellen konnten, keines früher als ins G.Jahrhundert zu datieren. Erst in der letzten Kulturphase der Phryger, d. h. während der spätesten Blüteperiode der phrygischen Kultur, beobachten wir unter dem Einfluß der einheimisch-kleinasiatischen und griechischen Nachbarn die Entstehung der phrygischen Felsarchitektur. Das späte Auftreten der phrygischen Felsdenkmäler ist verständlich, da die Phryger in ihrer ursprünglichen Heimat, in Südosteuropa, diesen Brauch nicht kannten. Zwar befinden sich die ältesten Felsdenkmäler Anatoliens, die Felsreliefs der Hethiter, gerade innerhalb des Halysbogens, also in dem Gebiet, in dem die Phryger während des 8. Jahrhunderts mächtige Fürstentümer gründeten. Im Anfangsstadium ihrer noch sehr jungen Kultur waren aber die Phryger nicht imstande, diese Kunst auszuüben, die eine entwickelte Kulturstufe voraussetzt. Ferner war in dieser Zeit die hethitische Kunst im mittleren Kleinasien völlig ausgestorben, so daß die Phryger keine Lehrer zur Verfügung hatten, von denen sie die Kunst, Felsen zu behauen, hätten lernen können. Ganz anders war die Situation, nachdem sich das Kulturzentrum der Phryger in die Gegend der Midas-Stadt verlagert hatte. Hier hatten sie, außer den Griechen, die Karer und Lykier zu Nachbarn. Den ersten verdanken sie ihre monumentale Plastik, von den beiden anderen Völkern, speziell von den Lykiern, werden sie die Errichtung von Felsdenkmälern gelernt haben. Zwar kann unter den bis heute bekanntgewordenen lykischen Felsdenkmälern ebenfalls keines früher datiert werden als ins 6. Jahrhundert. Wir sind jedoch berechtigt anzunehmen, daß der gebende Teil nicht Phrygien, sondern Lykien war. Dies wird schon daraus deutlich, daß die Grundstruktur der phrygischen Felsfassaden auf das System der Holzarchitektur zurückgeht. Die charakteristischen Beispiele dieser Konstruktionsart sind bei den lykischen Monumenten nachweisbar. Wichtig ist ferner, daß sich die phrygischen Felsdenkmäler in den Steppengegenden, die ly68 Phrygische Inschrift auf der rechten Kante des Kultdenkmals Tazihkaya Abb. 67. S. wg.

108

lila fhrygi.•icher lironzetelier aus Uordlon. Um γόο ν. ( hr. Ankara.

Illb Phrygischer Bronzekessel aus Gordion. Um 700 v. Chr. Ankam.

kischen aber in Gebieten mit großen Wäldern fanden. Außerdem darf darauf hingewiesen werden, daß die lykischen Beispiele die phrygischen an Qualität weit übertreffen. Bezeichnend ist übrigens, daß die bei den Lykiern ausschließlich als Grabdenkmäler dienenden Felsmonumente bei den Phrygern auch als Kultmonumente Verwendung fanden, wobei die nur bei Grabmonumenten üblichen Elemente verständnislos beibehalten wurden104. Die phrygischen Felsfassaden, gleichgültig ob Kult- oder Grabmonumente, lassen sich vom Standpunkt ihrer Architektur aus in drei Gruppen einteilen: i. Monumente mit flacher Decke, 2. Monumente mit Satteldach, 3. Monumente mit griechischer Architekturanordnung. Die meisten der phrygischen Felsfassaden gehören dem zweiten Typus an, nur das Felsgrab Aslantas und das Felsdenkmal Deliklitas vertreten mit ihren giebellosen Fassaden den ersten Typus und stellen die ältesten Beispiele der phrygischen Felsmonumente dar. Das Felsgrab von Kalekapi sowie das Felsgrab von Kastamonu, beide in Paphlagonien105, sind die ältesten Beispiele des dritten Typus. Das erste stammt aus dem Ende des 5. und das zweite aus dem 4. Jahrhundert. Sie weisen außer dem Giebel auch noch einige Säulen auf, die wohl nur mit griechischer Einwirkung zu erklären sind. Ihr Skulpturenschmuck ist teilweise achämenidisch, teilweise griechisch. Das eindrucksvolle Felsgrab von Cukurca stammt aus späthellenistischer Zeit, während das sogenannte Solongrab in spätrömischer Zeit entstanden ist und das jüngste Beispiel des 3. Typus darstellt. Obwohl die phrygischen Felsdenkmäler auf lykische Vorbilder zurückgehen und diesen an Qualität der Ausführung meistens nachstehen, erweisen sie sich doch als eindrucksvolle Kunstwerke mit eigenem Charakter. Im Gesamtausdruck ihrer Erscheinung und als monumental gestaltete Werke sind sie den lykischen Grabdenkmälern weit überlegen. Die phrygischen Felsfassaden Büyük Aslantas, Yazihkaya und Aslankaya sind nicht nur Kunstwerke, die innerhalb Anatoliens hervorragende Bedeutung besitzen, sondern stellen monumentale Denkmäler dar, die durch ihre einfache, aber eindrucksvolle Gestalt auch in der allgemeinen Kunstgeschichte einen bevorzugten Platz einnehmen. Die lykischen Grabmonumente sind ausgewogene und schön ausgeführte Kunstwerke eines in Ruhe lebenden Volkes, während sich in den phrygischen Felsdenkmälern die dynamische Seele eines jüngst vom Nomadentum zur Seßhaftigkeit übergegangenen jungen Volkes kundtut. Das Hauptmerkmal der phrygischen Felsfassaden, das sie von allen anderen zeitgenössischen kleinasiatischen Felsdenkmälern unterscheidet, ist ihr geometrischer Dekor. Dieselbe Ornamentsprache sprechen die gleichzeitigen Terrakottafriese und sogar die viel älteren Kunstdenkmäler in Holz, Mosaik und Keramik. Die Dekoration dieser Denkmäler ist Ausdruck nationaler Eigentümlichkeit; sie steht zugleich in einem reizvollen Kontrast zu den in monumentalen Ausmaßen in die Höhe emporsteigenden, großartigen Denkmälern. Zwar rufen die phrygischen Felsmonumente den Eindruck einer etwas erzwungenen Größe hervor und scheinen überhaupt das Produkt einer Übertragung von Kleinkunst-Geist in monumentale Proportionen zu sein, dennoch ist diese Transformation gelungen. 109

Abb. 51

Abb. 75 Abb. 76

Abb. 51,67 52> 53

Kultdenkmäler. Von den Phrygern sind uns zwei Kultdenkmaltypen bekannt geworden: i. Kultdenkmäler in Form von Felsfassaden; 2. Stufenaltäre (Felsthrone). Die Frage, ob die in der Midas-Stadt und Umgebung befindlichen Felsdenkmäler Kult- oder Grabmonumente darstellen, hat zu weitreichenden Diskussionen unter den Archäologen geführt. Die Frage ist jedoch einfach zu beantworten. Denkmäler, die eine Grabkammer oder irgendeine Grabstelle haben, sind Grabmonumente; Denkmäler dagegen, die für das Aufstellen von Kultbildern geeignete Nischen aufweisen, stellen Kultmonumente dar. Die wichtigsten und schönsten Kultdenkmäler der Abb. 51, 67-73 Phryger sind die folgenden: Das Denkmal von Aslankaya, das Denkmal von Yazihkaya, auch Midasdenkmal genannt, das Denkmal von Kücük Yazihkaya, das Denkmal von Farbtafel iVa Bahsis, das Arezastisdenkmal und die Nische mit der Kybele. Alle sechs stammen aus dem 6. Jahrhundert. Das älteste Beispiel ist das Denkmal von Aslankaya, das wir oben an Hand der Reliefs in die Mitte des 6. Jahrhunderts datiert haben. Es kann Abb. 7i-7a sein, daß das von Bahsis aus dem 5. Jahrhundert stammt. Die Denkmäler phrygischer Kultstätten stellen einen Fassadentyp mit geometrischen Ornamenten dar, der die Form eines Tores mit Giebelkrönung aufweist. Die ganze Fassade ist sowohl als Haus der Gottheit wie auch als Hintergrund der Kulthandlungen, die sich vor diesem Dekor abspielen, gedacht. Da die Kultmonumente stets auf Bergen, weit entfernt von Städten liegen, kann man mit Bestimmtheit annehmen, daß die Statue der Gottheit nur während des Kultaktes in der Nische oder vor der Fassade aufgestellt wurde. Felsthrone (Stufenaltäre). Die zuerst von Ramsay untersuchten Stufenaltäre wurden auch bei Perrot-Chipiez übersichtlich zusammengestellt; ein Teil liegt jetzt in guten Aufnahmen vor. Wir bilden hier eine Photographic des schönsten Beispieles dieser Art, das sich auf der Akropolis der sogenannten Midas-Stadt befindet, Abb. 74 ab; es handelt sich um ein Denkmal, das eigentlich aus einem Thron besteht, zu dem drei Stufen führen. Der Thron war für die Statue der Kybele in sitzender Stellung bestimmt. In der letzten Zeit wurde ein schöner Stufenaltar in der Nähe von Alacahöyük, auf der höchsten Spitze der imposanten Burg Kalehisar, entdeckt, der als das erste Beispiel außerhalb des Gebietes der Midas-Stadt besondere Beachtung verdient106. Diese Denkmäler sind in der archäologischen Literatur als Stufenaltäre bekannt. Wenn man aber bedenkt, daß sie aus einem Thron und einer zu ihm führenden Treppe bestehen, so wird man gewahr, daß man es hier mit keinem Altar zu tun hat. Es handelt sich hier, genauso wie bei den Felsfassaden, um einen Kultplatz der Gottheit; bei jenen wird die Gottheit gewöhnlich in einer Nische aufgestellt, die von einer architektonischen Fassade umrahmt ist, bei diesen sitzt sie auf einem Thron, zu dem stets ein paar Stufen führen. Daher sollte man sie nicht Stufenaltäre, sondern Felsthrone nennen. Sowohl die Felsenfassaden als auch die Felsenthrone entsprechen dem griechischen Naiskos. Das Wesentliche bei den Typen von Kultdenkmälern ist, daß die Gottheit im Fels, d. h. im Berge wohnt und sich aus diesem heraus ihren Gläubigen offenbart. Wichtig ist, daß die etwa gleichzeitigen 110

i

6() Phrygisches Kulidenkmal Küfük Yazihkaya bei Eskixehir. 6. Jh. S. no.

Abb. 209 griechischen Kybele-Reliefs aus Kyme in einer Nische dargestellt sind und so den Typus der phrygischen Felsennischen in abgekürzter und verkleinerter Form wiederholen (S. 242). Tumuli. Die im Jahre 1957 durchgeführte Ausgrabung des größten Tumulus in Gordion war eine der spannendsten archäologischen Unternehmungen der letzten Zeit 107 . Dieser Grabhügel von 53 m Höhe hatte als das zweitgrößte Grabmonument der anatolischen Geschichte neben dem 69 m großen Tumulus von Alyattes in Lydien schon immer die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Seine imposante Silhouette, die die Dutzende von kleinen Tumuli in der Steppenlandschaft am Sakarya-Ufer überragt, ist von allen Archäologen als ein Zeichen dafür gedeutet worden, daß in ihm einer der größten Könige des phrygischen Reiches beigesetzt wurde. Schon Gustav und Adolf Körte, die ersten Ausgräber von Gordion, wollten mit dem gewaltigen Vorhaben der Ausgrabung beginnen108, aber sie mußten »bei näherer Erwägung auf die an sich lockende Aufgabe von vornherein verzichten«, da ihnen »zur Anlage eines unterirdischen Stollens sowohl die technischen Hilfskräfte als auch die erforderlichen Grubenhölzer fehlten bzw. in der gegebenen Zeit nicht zu beschaffen waren«. Die gleiche rühmenswerte Vorsicht zeigten auch die amerikanischen Forscher. Die Expedition der Pennsylvania Universität unter Leitung von Rodney S. Young hat in den ersten Kampagnen mit der Freilegung der kleineren Tumuli begonnen und ist dann erst an das große Objekt herangetreten. Die Hauptsorge bestand darin, den Tumulus, der in der Landschaft als eindrucksvolles Monument eine Sehenswürdigkeit darstellt, so wenig wie möglich zu beschädigen und relativ wenig Erde auszuheben 109 . Da man von den schon früher ausgegrabenen Tumuli wußte, daß die mit großen Steinen bedeckte Grabkammer sich nicht immer im Zentrum des Hügels befindet, kam Rodney S. Young auf die Idee, die genaue Lage der Grabstätte zuerst mit ölbohrern festzustellen und dann durch einen Tunnel zu ihr zu gelangen. Nach erfolgreicher Anwendung dieser neuen Methode an zwei kleineren Tumuli110 beschloß er, mit den Arbeiten am großen Tumulus zu beginnen111. Der Tumulus, der durch Wind und Regen seine ursprüngliche Höhe verringert, aber an der Basis an Umfang gewonnen hatte, weist im heutigen Zustand einen Durchmesser von mehr als 250 m auf. Die Bohrer stießen schon bei einer Tiefe von 39 m auf Kalksteinblöcke, die die Grabkammer allseitig deckten; es ergab sich, daß die Grabkammer im Südwesten des Zentrums gelegen war und einen Umfang von ungefähr 30 m hatte. So wurde von der Südwestseite des Hügels ein 70 m langer Tunnel eingeschnitten, der direkt vor der südwestlichen Ecke des Grabzimmers endete. Man entfernte zuerst die Steinblöcke und dann einen Teil der Holzpfosten, wodurch eine Öffnung in der Größe eines Fensters geschaffen wurde. Der Zufall wollte, daß von dieser kleinen Öffnung aus gerade links das Totenbett des Beigesetzten zu sehen war112. Wer den langen Tunnel durchschritt und durch die Öffnung mit Hilfe von Taschen- und Petroleumlampen ins Zimmer hineinschaute, sah das gut erhaltene, im Halbdunkeln fast geheimnisvoll blinkende Skelett vor sich. Das 6 X 5 m 112

γο Phrygisches Kultdenkmal der Arezastis bei Eskisehir. 6. Jh. S. 110. 15

große Zimmer hat im Innern schöne Holzwände und ist mit einer satteldachförmigen Holzkonstruktion gedeckt113. Die reichen Beigaben lagen auf den Tischen, die längs der Wände standen. Auf dem Boden sah man Gegenstände, die ursprünglich an Eisennägeln an den Wänden hingen und heute heruntergefallen sind114. Auch der vorsichtigste Archäologe, der kurz vor der Freilegung durch die kleine Öffnung das Zimmer mit neugierigem Herzen betrat, wird sich über den Inhalt des Grabes gewisse Hoffnungen, wenn er sie auch nicht laut werden ließ, gemacht haben. Der an sich reichhaltige Fund erwies sich allerdings nicht als eine beglückende Erfüllung der Hoffnungen, sondern war eine etwas unerwartete Enttäuschung. Das Fehlen jeglichen Edelmetalles in einem königlichen Grabe aus der Zeit des Midas, der in der griechischen Mythologie durch seine Goldgier berüchtigt war, wirkte natürlich überraschend. Wie dies zu verstehen ist, haben wir in einem der obigen Kapitel zu erklären versucht (S. 71 ff.). Die Phryger bestatteten seit der 2. Phase ihrer Kultur ausschließlich in Tumuli. Die Bestattung in Felsgräbern setzte erst in der letzten, d. h. in der 4. Phase der phrygischen Kultur etwa um 600 ein. Da die Felsdenkmäler, wie wir oben klargelegt haben, auf keinen Fall über das 6. Jahrhundert zurückreichen, so erklärt sich die Beisetzung in Felsgräbern als ein späterer Brauch der Phryger, den sie wohl von ihren Nachbarn, den Lykiern, übernommen haben, wie ja überhaupt die phrygischen Felsfassaden, wie wir oben sahen, auf lykische Vorbilder zurückgehen. Der Wechsel der Bestattungsweise, der ungefähr in derselben Zeit erfolgt, ist vielleicht ebenfalls auf den Einfluß ihrer Nachbarn, der Lykier, zurückzuführen. Welche Grabformen den Phrygern in der i. Phase ihrer Kultur dienten, vermögen wir nicht zu sagen, da die ältesten Zentren der phrygischen Kultur innerhalb des Halysbogens im Hinblick auf Bestattungsbräuche sehr unzureichend erforscht sind. Der Umstand, daß die phrygischen Tumuli nur an drei Orten in geschlossener Ordnung gefunden wurden und verhältnismäßig reiche Beigaben enthalten, deutet daraufhin, daß in ihnen nur Könige und Fürsten sowie ihre Angehörigen beigesetzt wurden. Das gewöhnliche Volk muß eine andere Grabform gehabt haben, die uns bis heute unbekannt geblieben ist. Darin liegt vielleicht überhaupt der Grund, daß der phrygische Tumulus, der ein Privileg des Königs ist, in Kleinasien erst nach der Gründung des phrygischen Königtums aufkam. Das phrygische Hügelgrab unterscheidet sich von den Hügelgräbern des west-

/ / Phrvgisrhes Knltrhnkmal von Balifis bei Kskisehir. 6. Jh. S. iro.

72 Seitenansicht von Abb. 71 S. no

liehen Kleinasiens dadurch, daß es keine Steinkammer hat und sowohl eines Dromos als auch einer Krepis entbehrt; es scheint im Gegensatz zu den westkleinasiatischen Tumuli auch keine Phallosbekrönung zu kennen. Man findet phrygische Tumuli in der 2. Hälfte oder gegen Ende des 8. Jahrhunderts; sie kommen kurz nach der Mitte des G.Jahrhunderts aus der Mode, während die Tumuli der mykenischen Tradition von den frühgriechischen Zeiten an, zeitweise aussetzend, durch alle Perioden bis in die römische Zeit hinein nachzuweisen sind. Das vorübergehende Auftreten phrygischer Tumuli beweist zur Genüge, daß sie, wie Schachermeyer und Bittel aus allgemeinen Überlegungen angenommen haben, auf Vorbilder im Balkan zurückzuführen sind. Die im gewachsenen Boden aus einer großenFossa bestehende breite, aber sehr niedrige und von allen Seiten (auch von oben und unten) mit Holzbalken von der Erde isolierte Grabstelle der phrygischenTumuli entspricht einem Brauch, der genauso bei den Königsgräbern des 3. Jahrtausends in Alacahöyük gepflegt wurde115. Felsgräber. Über die Frage der Felsgräber wurde oben gesprochen. Wir stellten fest, daß die Felsfassaden, die eine Grabkammer aufweisen, als Grabdenkmäler zu kennzeichnen sind. Von diesem Standpunkt aus sind die unten aufgezählten Felsfassaden als Felsgräber anzusehen, weil sie alle ausnahmslos eine zum Teil sehr sorgfältig und breiträumig ausgestaltete Grabkammer enthalten: Das Grab von Büyük Aslantas, das zerbrochene Löwengrab, die Gräber von Kalekapi und Kastamonu in Paphlagonien, das Grab von Cukurca in der Nähe der Midas-Stadt und das sogenannte Solon-Grab. Die Entstehungsdaten dieser Monumente wurden oben in den Abschnitten über Plastik und Architektur besprochen. CHRONOLOGIE DER PHRYGISCHEN KUNST. Die bedeutenden Funde der neuen amerikanischen Grabungen in Gordion erfordern eine Überprüfung der Chronologie und der Rolle, die die phrygische Kunst bisher in der Kunstgeschichte spielte. Die stattlichen Häuser mit den herrlichen Kieselmosaiken und die prächtigen Möbel und Holzarbeiten haben ihr Bild wesentlich bereichert. Die Qualität der Gegenstände spricht von dem hohen Stand des phrygischen Kunstlebens. Seitdem sich nun außerdem als richtig erwiesen hat, daß die phrygische Schrift bereits am Ende des S.Jahrhunderts im Gebrauch war116, ist eine Revision der bisherigen Einstellungen notwendig geworden. Die sichersten Anhaltspunkte zur Frage der phry115

Abb. -,i Abb. 75 Abb. 76

Phrygisches Kultdenkmal mit Kybele im .Vaiskos bei AJyonkarahuar. 6. Jh. S. 27. 86. no.

Phrygischer Felsthron bei Afyonkarahisar. 6. Jh. S. 110.

75 Phrygisches Felsgrab bei Eskisehir. Hellenistisch (s. Jh.). S. iog,

76 Phrygisciies Felsgrab. Sog. Solongrab bei Afyoiikarahisar. Römische Kaiserzeil. S. log.

gischen Chronologie bietet die historische Überlieferung der Assyrer. Midas wird von Sargon II. in den Berichten der Jahre 717, 715, 712 und 709 erwähnt. Die griechischen Daten über den Regierungsbeginn und das Todesjahr des Midas sind leider unsicher. Midas wird in der Chronik des Eusebios zweimal genannt; dort wird sein Regierungsbeginn in das Jahr 738 und sein Tod in das Jahr 696/5 datiert. Julius Africanus gibt als Todesjahr 676 an. Da keines der beiden Daten als sicher gelten darf117, ist man genötigt, die Stilkritik zu Hilfe zu nehmen. Einen gewissen Anhaltspunkt bieten die Importstücke von Gordion. Die beiden Situlae aus diesem großen Tumulus sind assyrisch. Gefäße der gleichen Form kommen auf den Reliefs Sargons II. in Khorsabad vor118. Die Situlae mögen daher in der Regierungszeit Sargons 722—705 entstanden sein. Ungefähr in die gleiche Zeit gehören die beiden Kessel mit Menschenkopfdarstellungen. Ähnliche Kessel sind von Griechenland um 700, frühestens am Ende des 8. Jahrhunderts importiert und dort imitiert worden. Die in Etrurien bekanntgewordenen Kessel mit Menschen und Tierprotomen können, wie Massimo Pallotino zuletzt hervorgehoben hat119, den Gräbern, in welchen sie gefunden wurden, nicht vor dem Anfang des 7. Jahrhunderts beigegeben worden sein. Die genannten westlichen Funde gestatten also keine frühere Datierung als um 700 vor Chr.120. Ihre nächstverwandten Parallelen oder Vorbilder stammen aus Toprakkale, aus der urartäischen Stadt, die durch Rusas I. (ungefähr 733—714) gegründet worden ist. Die urartäischen Kessel dürfen daher gleichfalls frühestens im letzten Viertel des S.Jahrhunderts entstanden sein. Die Poroslöwen sowie die Löwendarstellungen auf den Vasen aus dem Grabe der kleinen Prinzessin weisen mit ihrem späthethitisch-aramäischen Bildtypus gleichfalls frühestens in die Zeit gegen Ende des 8. Jahrhunderts. Auch die phrygischen Fibeln lassen sich einigermaßen gut datieren. Diese Fibeln, die große Erfindung jener Zeit, kommen auf den späthethitisch-aramäischen Reliefs von Zincirli, Ivriz, Bor, Maras121 sowie auf den assyrischen Reliefs des Sargon-Palastes in Khorsabad122 vor. Keines der genannten Reliefs ist vor 730 zu datieren, so daß auch durch die phrygischen Fibeln die obere Zeitgrenze der Funde von Gordion ungefähr um 730/725 anzusetzen ist. Die untere Zeitgrenze ist durch die Kunstwerke des großen Tumulus in Gordion zu ermitteln. Die Ausgräber berichten, daß die Kessel mit Menschenkopfattaschen durch lange Verwendung hervorgerufene Spuren und Beschädigungen aufweisen. Es ist daher recht wohl möglich, daß sie dem Grab erst am Beginn des 7. Jahrhunderts beigegeben wurden. Wir möchten eine Ansetzung um 685—680 vorschlagen. Dieses Datum würde für den Kimmeriereinfall gut passen. In einem früheren Werke hatten wir für die Katastrophe, die die Kimmerier verursachten, das von Julius Africanus gegebene Datum 676 angenommen, da uns die Ansetzung des Eusebios in das Jahr 696 zu früh schien123. Die neue Fundlage zwingt jedoch zu einer Ansetzung gegen Beginn des 7. Jahrhunderts. Da Midas in den Sargon-Annalen schon im Jahre 717 als König erwähnt wird, kann er, wenn man annimmt, daß er den Thron ungefähr um 725 mit 20—25 Jahren bestiegen hat, im Jahre 685—680 ein Mann im Alter von 60—65 Jahren gewesen sein und daher als der Inhaber des größten Tumulus ange-

118

sehen werden. Ob der als Eponyme von Gordion überlieferte Gordios tatsächlich der Vater des in den assyrischen Annalen erwähnten Midas war und vor seinem Sohn in Gordion regiert hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Gordios könnte jedoch kurze Zeit vor seinem Sohn regiert haben, und von ihm mag dann auch die Stadt den Namen bekommen haben. Die ungefähren Regierungsjahre des Midas von 725 bis 685 entsprechen der Zeitspanne unseres reifphrygischen Stiles; es mag sein, daß der reifphrygische Stil die Katastrophe noch um ein Jahrzehnt überlebt hat; daher möchten wir unsere frühere Datierung des reifen Stiles von 725 bis 675 beibehalten. In Gordion wurde in den letzten Jahren auch eine Scherbe des Ubergangsstiles gefunden. Da aber der Ubergangsstil von dem reifphrygischen Stil zeitlich nicht weit zu trennen ist, spielt dies bei den chronologischen Fragen keine Rolle. Wir bleiben daher bei unserer alten Meinung, daß die Gründung des phrygischen Staates in Gordion um 725 oder etwas früher anzusetzen ist. Nur wenn in Gordion die nächsten Kampagnen Beispiele des frühphrygischen Stiles zutage bringen sollten, kann die Gründung des phrygischen Staates um 30—40 Jahre früher datiert werden. Was die Chronologie des frühphrygischen Stiles betrifft, so kann gesagt werden, daß die Grabungen von Gordion durch die Auffindung der Scherbe des Ubergangsstiles unsere frühere Ansetzung bestätigt haben. Wir hatten klargelegt, daß der frühphrygische Stil nur 30—40 Jahre älter als der reifphrygische ist124. Denn bei den amerikanischen Grabungen in Alisar ist im Zimmere der Bauschicht 4bM ein geschlossener Fund von 16 zum Teil vollständig erhaltenen Vasen zutage getreten, von dem 3 Gefäße dem Ubergangsstile, die 13 übrigen aber dem reifphrygischen Stil angehören. Daraus geht hervor, daß der Ubergangsstil, mindestens zu Beginn des reifphrygischen Stiles, eine Zeitlang neben ihm existierte. In einem zweiten geschlossenen Fund von 4 Vasen im Zimmer D derselben Bauschicht 4bM kamen nur Gefäße des frühphrygischen Stiles zutage. Da außerdem in Bogazköy in der älteren phrygischen Schicht der frühphrygische Stil mit dem reifphrygischen Stil zusammen vorkommt, können wir feststellen, daß zwischen den beiden Stilen keine nennenswerte Zeitspanne liegt. In Konya und Malatya wurden nur einige frühphrygische Scherben aufgefunden; ein Umstand, der beweist, daß der frühe Stil eine Zeitlang neben dem reifen Stil bestand und dann unterging. Der frühphrygische Vasenstil, von dem wir degenerierte und zum reifphrygischen Stil übergehende Ausläufer kennen, zeigt keine Vorstufen und taucht urplötzlich als eine einmalige Schöpfung eines wohl großen Künstlers auf. Seine Lebensdauer ist auf nicht länger als ein Menschenalter zu schätzen. Das Vorkommen des Ubergangsstiles in Gordion besagt nun erneut, daß der frühphrygische Stil und die damit verbundenen Kulturschichten von Alisar und Bogazköy von der phrygischen Kulturschicht in Gordion zeitlich nicht weit zu trennen sind. Die Entstehung der phrygischen Kultur in Zentralanatolien ist also weiterhin in die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts zu datieren, wie wir in unserer schon erwähnten Studie klargelegt zu haben glauben125. Bis heute sind keine materiellen Reste vor dem 8. Jahrhundert in Anatolien aufgefunden worden, die als phrygisch bezeichnet werden könnten. Über die vorphrygische Zeit Mittel119

anatolicns haben wir oben im ersten Kapitel gehandelt und diese Periode von 1200 bis 750 als das dunkle Zeitalter des zentralen Kleinasiens bezeichnet. Was die Stellung der phrygischen Kunst in der Zeit zwischen 725 und 675 betrifft, muß gesagt werden, daß unsere frühere Annahme von einer Einwirkung 126 des reifphrygischen Stiles auf die ostgriechische Kunst nun durch die neuen Funde in Gordion an Bedeutung gewonnen hat. Der frühphrygische Stil ist ohne Einwirkung der griechischen geometrischen Kunst nicht denkbar. Auch die reifphrygischen Vasen, die die Metallgefäße nachahmen, stehen in engster Beziehung zu den spätgeometrischen Vasen der griechischen Kunst. Die reifphrygischen Vasen mit Textilornamenten und figürlichen Darstellungen dürften dagegen in gegenseitiger Wechselbeziehung auf die ostgriechische Kunst eingewirkt haben. Die Löwenbilder der phrygischen Vasen, die in dem Tumulus der kleinen Prinzessin zutage traten, stammen aus dem Ende des 8. Jahrhunderts. Es kann schwerlich behauptet werden, daß diese Abb. 50 Vasen auf griechische Vorbilder zurückgehen. Der hethitische Bildtypus der phrygischen Löwen war bei den Griechen in dieser Zeit noch unbekannt. Der reichhaltige geometrische Dekor der phrygischen Erzeugnisse, der auf verschiedenen Gebieten der Kunst, wie Vasenmalerei, Kieselmosaik, Holz- und Bronzearbeit in einem einheitlichen System wiederkehrt, ist von ungewöhnlicher Originalität. Die Träger dieser hohen Kunst werden wohl noch andere große Werke geschaffen haben, deren Entdeckung zu neuer Bewunderung Anlaß geben wird. VIER PHASEN DER PHRYGISCHEN KULTUR. Die Resultate aus dem obigen Studium der materiellen Hinterlassenschaften und die Betrachtung der schriftlichen Quellen erlauben es, die phrygische Geschichte und Kultur in vier aufeinanderfolgende Phasen einzuteilen. Erste Phase (775—725): Gründung der ersten phrygischen Kleinfürstentümer im mittleren Anatolien. Die Zeitgrenzen dieser Phase sind durch den frühphrygischen Stil der Gefäßkeramik zu bestimmen. Aus dieser Phase wurden keine Schriftdenkmäler bekannt. Monumentale Plastik sowie bedeutende Kult- und Grabdenkmäler sind nicht vorhanden. Über die Bestattungsweise dieser Periode wissen wir bis jetzt nichts. Zweite Phase (725—675): Gründung des phrygischen Födcrativstaates in Gordion. Blütezeit der phrygischen Kultur unter König Midas. Die Zeitgrenzen dieser Periode sind durch die erste Phase des reifphrygischen Stiles der Vasenmalerei zu bestimmen. Monumentale Plastik und bedeutende Kultdenkmäler scheinen auch in dieser Periode nicht vorhanden gewesen zu sein. Es beginnt die Erdbestattung in Tumuli. Die phrygische Schrift, von der Proben aus dem größten Tumulus in Gordion bekannt wurden, wird in dieser Zeit erfunden. Dritte Phase (675—585): Auflösung des Königtums durch den Kimmcricr-Einfall. Zunehmen des griechischen Einflusses. Die Zeitgrenzen dieser Periode sind durch die 2. und 3. Phase des reifphrygischen Stiles der Keramik bestimmt. Schrift120

..,"·.'1*1·" " ' .

IVα Phrygisches Kultdenkmal der Arezastis bei Eskisehir. 6. Jh. v. Chr. (Aufnahme Dr. Georg R hrig.) IVb Lvkisches Grab in Limyrn. 4. Jh. v. Chr.

,

ΊέΜΰι

ih

fr··, v Wk

· i. '.· ,*.'!

.ΐ#."

%' v~f*^

Μ ·ί£

^*i"

denkmäler kommen in dieser Kulturperiode häufiger vor. Monumentale Plastik und bedeutende Kultdenkmäler sind auch aus dieser Phase nicht bekanntgeworden. Die Leichenverbrennung setzt zum ersten Male in dieser Zeit, etwa seit 650, ein. Vierte Phase (585—500): Verlagerung des Schwergewichtes in das Gebiet der Midas-Stadt zwischen Eskisehir und Afyon-Karahisar. Diese Phase ist durch das Aufkommen neuer Kulturgüter, der Monumentalplastik sowie der großartigen Felsdenkmäler für Kult- und Grabstätten, charakterisiert. Die Zeitgrenzen dieser Phase sind an Hand stilistischer Anhaltspunkte, die beim Studium der Plastik und der Felsdenkmäler gewonnen werden können, zu bestimmen. Schriftdenkmäler sind in dieser Kulturperiode allgemein verbreitet. Die Bestattungsweise ist ausschließlich Leichenverbrennung. Die Grabform ist —je nach Gegend — Tumulus oder Felsgrab. Die Keramik ist — gleichfalls je nach Gegend — griechisch oder spätphrygisch.

15

121

LYKISCHE KUNST

JL/ie lykische Kunst ist cine der originellsten Schöpfungen des alten Anatolien. Die aus dem Fels herausgearbeiteten Grabmonumente Lykiens gehören mit ihren wohlgelungenen Proportionen, den sorgfältig ausgeführten Details und vor allem mit ihrem einzigartigen Bautypus zu den eindrucksvollsten Kunstdenkmälern Kleinasiens. Das Lykische ist eine indoeuropäische Sprache, die vielfach altkleinasiatischc Sprachreste enthält. Die Schrift weist große Ähnlichkeiten mit dem griechischen Alphabet auf. Der Name Lykiens und seines Volkes ist wohl identisch mit dem Namen der in den hethitischen Texten aus Bogazköy erwähnten Luqqa-Länder und Luqqa-Leute sowie mit dem in ägyptischen Texten aus Amarna genannten Volksnamen der »Luku«. Nach Aussage der ägyptischen Quellen waren die Lykier zur Zeit Ramses II. (1297— 12 3°) die Verbündeten der Hethiter. In den hethitischen Texten des 14.—13. Jahrhunderts werden die Luqqa-Leute als kleinasiatisches Küstenvolk l bezeichnet. Herodot berichtet, daß die Lykier ursprünglich aus Kreta stammten und sich selbst Termilen nannten 2 . Es mag sein, daß die Lykier ein seit dem 2. Jahrtausend in Lykien ansässiger und die Termilen ein anderer, später aus Kreta eingewanderter Stamm sind, aber ursprünglich ein und demselben Volke angehörten. Das Verhältnis der schriftlichen Quellen zum archäologischen Material liegt bei der lykischcn Frage noch ungünstiger als bei der phrygischen; denn die ältesten auf uns gekommenen materiellen Hinterlassenschaften der Lykier stammen erst aus dem 6. Jahrhundert. Die lykische Kunst der vorhergehenden Zeit — einer ungefähr 7 Jahrhunderte langen Periode — ist uns bis heute unbekannt geblieben. Unter den auf uns gekommenen Überresten der lykischen Kunst sind, völlig im Gegensatz zur phrygischen, keine keramischen Schöpfungen erhalten. Die im Gange befindlichen französischen Grabungen 3 haben zwar griechische Keramik der archaischen Zeit und sogar des 7. Jahrhunderts, aber keine lykische Keramik ans Tageslicht gebracht. Die materiellen Hinterlassenschaften der Lykier beschränken sich auf Grabmonumente und auf Reliefs sowie den sonstigen plastischen Schmuck, der diese Denkmäler ziert. Die ältesten Architektur- und Skulpturenmonumcnte des lykischen Volkes scheinen nach dem heutigen Stand der Forschung nicht über die Mitte des G.Jahrhunderts zurückzureichen. Die älteren Überreste auf der Burg der Hauptstadt sind wohl dem Ansturm des persischen Feldherrn Harpagos im Jahre 545 zum Opfer gefallen. Herodot 4 berichtet, daß die Lykier in der Nähe der Stadt Xanthos eine Schlacht »Wenige gegen Viele« geliefert haben. Nach heldenmütigem Kampf wurden sie geschlagen und in ihre Stadt zurückgedrängt. Hier brachten sie Weib und Kind, Sklaven und den wert122

77 Lykische Grabdenkmäler von Xanthos. Links das Harpyienmonument, dessen Reliefs (vgl. Abb. 87—8g) jetzt durch Gipsabgüsse ersetzt sind. S. 127.

vollen Teil ihrer Habe auf der Burg zusammen und verbrannten sie. Darauf schworen sie einen fürchterlichen Eid, machten einen Ausfall und fanden alle den Heldentod. Die nach der Mitte des 6. Jahrhunderts entstandenen eindrucksvollen Monumente verleihen jedoch der Burgruine einen einzigartigen Aspekt. Die Akropolis von Xanthos ist mit ihren guterhaltenen, lykischen und griechisch-römischen Bauten eine der schönsten und sehenswertesten antiken Städte des alten Anatolien überhaupt. Die heroische Landschaft mit ihren Zederwäldern und die geheimnisvoll wirkenden Felsenfassaden bilden eine faszinierende Märchenwelt. Wer die großartigen Wälder und das reizende Gestade des lykischen Landes aus eigner Anschauung kennt, wird verstehen können, warum die Griechen eine Reihe ihrer Sagen mit Lykien in Verbindung brachten. Sagenhafte Erscheinungen, für die man im eigenen Lande keine Erklärung fand, verlegte man mit Vorliebe in wunderreich erscheinende Nachbarländer 5 . Kein Land war geeigneter dafür als das schwerzugängliche, märchenhaft schöne Reich der Lykier. So entstand zum Beispiel die Überlieferung, daß Tiryns von lykischen Kyklopen erbaut worden sei, oder daß die Bellorophon123

7 «V; "' - 'j£i^^i^^S^W^ · ;* t ;

^«JtoÄ

(

.

:.

Si Lykisches Grabmonument in ionischer Architekturordnung. Telmessos (Fethiye). Um 400. S. ISQ. 130.

sonst nirgends ihresgleichen hat. Der Charakter der Holzkonstruktion kommt vor allem in der Nachahmung der Holzbalken und Rundhölzer sowie der übrigen Einzelheiten eines Holzbaues zum Ausdruck. Auch die Mittelstütze des Giebels, die oft auf einer Basis steht, geht auf die Vorbilder der Holzbauten zurück. Dieselbe Mittelstütze kommt auch bei den phrygischen Felsfassaden vor und kehrt bei einem klazomenischen Sarkophag im Museum von Izmir und einem kleinen aus Gela stammenden Grabdenkmal, das sich im Museum von Siracusa befindet, wieder. Bei dem klazomenischen Sarkophag handelt es sich um eine Säule mit ionischem Kapitell und bei dem Denkmal aus Gela um eine Säule mit äolischem Kapitell. Bezeichnend ist, daß eine ähnliche Säule auf dem Löwentor von Mykenai zwischen den antithetischen Löwen bereits vorhanden ist, ein Motiv, das auf den phrygischen Grabstelen römischer Zeit wieder auftaucht 14 . Der Brauch, den Toten in einem ausgesprochen hausförmigen Grabe zu bestatten, das sichtbar auf der Erdoberfläche liegt, ist lykisch. Wir haben schon ausgeführt, daß die phrygischen Felsgräber auf die lykischen Vorbilder zurückgehen. Auch die naiskosförmigen griechischen Grabstelen und Sarkophage und die Votivstelen mit Architekturumrahmung sind schließlich von lykischen und phrygischen Felsdenkmälern abzuleiten. Der aus der Mitte des 6. Jahrhunderts stammende ionische Säulensarkophag von Samos15 sowie die im Innern mit ionischen Säulen geschmückten Sarkophage aus Gela16, die sich im Museum von Siracusa befinden, sind ebenfalls ohne Einwirkung der kleinasiatischen Vorbilder, wie sie uns aus Lykien und Phrygien bekannt sind, nicht zu denken. Unzweideutig kleinasiatische Einwirkung zeigt ein anderes Denkmal des Siracusa Museums aus Gela17, dessen beiderseitige Giebel je mit einem Paar «Stierhörner» geschmückt sind. Daß es sich ursprünglich um Stierhörner handelt, geht aus gut erhaltenen phrygischen Beispielen und vor allem aus einem lykischen Beispiel hervor, bei welchem sogar die Ohren des Stieres mit dargestellt sind. Wenn man bedenkt, daß der Stier ebenso wie die Symbole Hahn, Ei und Granatapfel, die auf dem Harpyienmonument vorkommen, ein Sinnbild der Fruchtbarkeit ist, so werden wir verstehen, daß die Hörner hier richtig am Platze sind. Vom Standpunkt der Architektur aus gesehen, sind die lykischen Grabdenkmäler des 6. und des frühen 5. Jahrhunderts noch ganz lykisch und weisen keinen griechischen Einfluß auf. Im Laufe des 5. Jahrhunderts scheint aber die charaktervolle Baukunst der Lykier allmählich griechische Zierelemente aufzunehmen. Bei vielen Monumenten tritt der Zahnschnitt an die Stelle des rundhölzerförmigen Ornaments. Bei der xanthischen Stele mit der großen Inschrift, die aus dem letzten Viertel des 5. Jahrhunderts stammt, und dem »Pfeilersarkophag« aus Xanthos findet sogar das lesbische Kymation Verwendung, wobei jedoch die eigentlichen lykischen Bauelemente erhalten bleiben. Schöne lykische Felsgräber in griechischer Architekturordnung sind in Telmessos erhalten. Sie sind, an Hand des Eierstabornaments, das auf dem Türstutz eines dieser Monumente zu sehen ist, ungefähr um 400 zu datieren. Ihre ionischen Säulen129

Abb. 258 AM>. a6, 261

Fig. a Abb. 259

Abb. 260, 261

Abb. 87, 89

Abb. 81-83

kapitelle mit den abwärts gebogenen und einander sehr nahe kommenden Voluten zeigen einen Typus, dem wir an den ionischen Säulen des Tempels von Phigalia im Peloponnes begegnen18. In diesen tempeiförmigen Sepulkralmonumenten finden wir Abb. 83 die ältesten und besterhaltenen Türen des griechischen Altertums. Gut erhaltene, schöne Türrahmen kennt man von den ionischen Schatzhäusern in Delphi und dem Erechteion auf der Akropolis her. Aber bei keinem dieser Bauwerke sind die Türflügel erhalten, weil sie aus Holz waren. Die griechischen Türflügel der klassischen Zeit dürften in ähnlicher Weise ornamentiert gewesen sein19 wie bei diesen lykischen Felsfassaden, die in Anlehnung an die griechische Architektur entstanden sind. Das Abb. 52, 53 älteste anatolische Beispiel von Türflügeln findet sich am Monument von Aslankaya in Phrygien, das aus der Mitte des 6. Jahrhunderts stammt. Die schönsten Grabdenkmäler der Lykier finden wir in Myra, wo in die Felswände zahlreiche Grabfassaden von zaubervoller Wirkung hineingearbeitet sind. Mehrere Generationen haben ihre Grabhäuser in dieselben Felsen über- und nebenFarbtaM vi einander gehauen und sie als denkwürdige Monumente der Nachkommenschaft hinterlassen. Die einzigartigen Architekturformen und die in reizenden Farbtönen patinierten Fassaden der Grabdenkmäler wirken wie das magische Bild einer geheimnisvollen Märchenwelt. Die Hellenisierung geht im 4. Jahrhundert jedoch so weit, daß die ursprünglich in voller Hausform aus dem Felsen gehauenen Gräber nun zu einer einfachen FelsAbb. 84 fassade geworden sind, eine Form, die in Phrygien bereits im 6. Jahrhundert nachzuweisen ist. Zwei Felsgräber aus Limyra, die aus dem Ende des 4. Jahrhunderts stammen, stellen solche stelenförmigen Beispiele der lykischen Gräber dar, Farbtafd TVb die sogar mit Reliefs, ganz in griechischer Weise, geschmückt sind. Die Blüteperiode der lykischen Grabdenkmäler umfaßt die Zeit vom 6. Jahrhundert bis zum Hellenismus. Die Grabanlagen aus der hellenistischen Zeit tragen allerdings in ihren Bauelementen wie Säulen, Anten, Architrav, Giebel usw. das Gepräge der griechischen Architekturordnung und haben mit der eigentlichen Kunst der Lykier wenig gemeinAbb. 8-, sam. Ein aus Trysa stammender Sarkophag hellenistischer Zeit im Museum in Instanbul setzt dagegen, trotz seines völlig griechischen Skulpturenschmuckes, den altlykischen Sarkophagentypus fort 20 . Plastik. Die auf uns gekommenen plastischen Kunstwerke der Lykier beschränken sich auf die Reliefs und den Skulpturschmuck, welche die Grabmonumente zieren. Die ältesten lykischen Reliefs, die sich jetzt im British Museum befinden, stammen aus dem xantischen Löwengrabe21. Es handelt sich um Darstellungen der Heldentaten des im Grabe beigesetzten lykischen Fürsten. Auf der Westseite sehen wir den Fürsten im Kampfe gegen einen Löwen. Auf der Ostseite kehrt er siegreich zurück, mit erbeutetem Schild, den er in seiner Rechten prahlerisch hochhebt. Auf den beiden anderen Seiten sind Löwen dargestellt, die als apotropäische Symbole das Grab hüten sollen. Das Schema der Löwengruppe ist ein Motiv, das bei den Darstellungen des Kampfes Theseus-Minotauros wiederkehrt und auf orientalische Vorbilder zurück130

8s Lvkisches (irabmonument in ionischer Architekturordnung. Telmessos (Fetliiye). 4· Jh. S. I2().

N* ^

geht. Der Stil ist jedoch völlig griechischen Gepräges und kommt auf der Ostseite und den übrigen Seiten des Monuments noch deutlicher zum Ausdruck. Die Etagenperücke des Fürsten und die Befangenheit des lykischen Bildhauers machen einen früharchaischen Eindruck. Die Löwin auf der Nordseite und die Reliefs der Ostseite sind dagegen etwas kunstvoller dargestellt. Das Pferd auf der Ostseite ist mit seinen hohen und schlanken Beinen den Pferden einer in Rhodos aufgefundenen attischen Siana-Schale sehr ähnlich22. Betrachtet man aber einige Einzelheiten der Ostseite und den Löwen auf der Nordseite, dessen Kopfpartie im Hochrelief ausgeführt ist, so wird man gewahr, daß das Monument weder aus der früharchaischen Zeit noch aus der Zeit der Siana-Schale stammt, sondern jüngeren Datums sein muß. Die fortschrittliche Technik, etwa die runden Formen des Löwen, das im Knie gebeugte linke Bein des in Angriffsstellung befindlichen Löwentöters, die Darstellung des wehenden Mantels beim Reiter und die Gangart des Dieners, die bei den in Schrittstellung befindlichen Figuren der Caeretaner-Hydrien wiederkehrt, beweisen, daß das xanthische Löwengrab um 540 zu datieren ist23. Die nächstältesten lykischen Reliefs rühren von einem Pfeilergrab aus IsindaBelenkli her und befinden sich heute im Museum von Istanbul 24 . Auch diese Reliefs illustrieren die Heldentaten eines im Grab beigesetzten Fürsten; dieser lykische Fürst ist einmal mit seinen erbeuteten Schilden und niedergeworfenen Feinden und einmal auf der Jagd dargestellt; diese Szenen finden sich auf der West-, Süd- und Ostseite, während auf der Nordseite Leichenspiele in Form von Ringkampfspielen mit Musikbegleitung dargestellt sind. Im Gegensatz zu den Reliefs des vorher besprochenen Löwengrabes, die mit ihren strengen Formen und schlanken Proportionen sehr unionisch sind, tragen die üppigen Gestalten des Isinda-Grabes ausgesprochen ionisches Gepräge, obwohl die Kriegerfiguren auch hier nicht mit ionischen, sondern mit korinthischen Helmen dargestellt sind. Das Isinda-Grab ist nach seinen stilistischen Merkmalen etwa um 525 zu datieren25. Bei den französischen Ausgrabungen, die unter Leitung von Pierre Demargne seit 1950 erfolgreich geführt werden, wurden neue Skulpturen der archaischen Zeit Abb. 86 zutage gefördert, die im Stil und Thema den oben besprochenen Reliefs aus Isinda sehr nahestehen, ihnen aber qualitativ überlegen sind. Eine aufschlußreiche Würdigung der neugefundenen Reliefs hat Pierre Demargne in seiner ausgezeichneten Studie, die er als ersten Band der Berichte über die Ausgrabungen veröffentlicht hat 26 , gegeben. Das Kriegerrelief, von dem nur die obere Hälfte erhalten ist, stellt einen Mann mit der altmodischen Etagenperücke dar. Die freie Haltung und die fortgeschrittene Formensprache der Figur verraten jedoch, daß ihr Meister nach der Mitte des 6. Jahrhunderts tätig war. Das Kriegerrelief einer anderen neugefundenen Platte zeigt den gleichen Stil; die breiten Hüften und überhaupt der untersetzte Körper sind von echt lykischem Gepräge. Der gleiche Körpertypus findet sich auf dem Isinda-Grab bei den Ringern und den beiden Figuren, die auf der Westseite desselben Monuments dargestellt sind. Eine gleichfalls bei den französischen Grabungen gefundene Platte mit Ringern gestattet eine genaue Stilanalyse. Trotz Abb. 86 133

83 Teilansicht von Abb. 81. S. 129, 130.

04 Lykisches Grabmonument in Limyra. 4. Jh. S. 130.

der plumpen Proportionen verfügen die Körper über eine bemerkenswerte Elastizität, eine freie Haltung im Stehen und Schreiten, die die Entstehungszeit des Werkes deutlich zur Sprache bringen. Das Relief stammt aus einer Zeit 27 um ungefähr 530, genau so wie die qualitativ niedriger stehenden Reliefs aus Isinda, die dasselbe Thema darstellen. Abb. 87-89 Die Reliefs des Harpyienmonuments 28 zählen zu den schönsten auf uns gekommenen lykischen Schöpfungen dieser Art. Sie stellen die Adorierung der heroisierten Toten dar. Auf der Westseite werden zwei verstorbene Frauen von ihren noch am Abb. 87 Leben befindlichen jungen Angehörigen verehrt, während auf den drei übrigen Abb. 88 Seiten je ein Mann von seinen Angehörigen adoriert wird. Auf der Nord- und Südseite sind außerdem die Sirenen dargestellt, die die Seelen der Verstorbenen forttragen. Die Adorierenden halten in ihren Händen Fruchtbarkeitssymbole wie Hahn, Ei und Granatapfel, die sie den Verstorbenen darbieten. Die Reliefs des Harpyienmonuments sind, vom Standpunkt der Grabmalkunst aus gesehen, von höchster Wichtigkeit. Hier werden die adorierenden Gestalten nicht mehr so klein wiedergegeben wie bei den spartanischen Reliefs des 6. Jahrhunderts. Beim Harpyienmonument erscheinen, zum ersten Male in der Grabmalkunst, die Köpfe der adorierenden Figuren in gleicher Höhe mit den Köpfen der thronen134

den, heroisierten Toten. Dies ist der erste wichtige Schritt im Prozeß der Entwicklung vom Heroenrelief zur Darstellung eines menschlichen Zusammenseins im Sinne der attischen Grabreliefs aus dem Ende des 5. Jahrhunderts 29 . Die üppigen Gestalten des Harpyienmonuments stehen völlig im Banne des milesischionischen Stiles. Der einheimische Meister ist, wie die Bildhauer der älteren lykischen Monumente, griechisch geschult und folgt Schritt für Schritt der griechischen Kunstmode. Die reichen Falten der Kleider und die übrigen zierlichen

85 Lykisclier Sarkophag ans Trysa (Gölbaxi). 2. Jh. Istanbul. S. 130.

Lykisclies Relief mit Ringern aus Xanthos. Um 530. Istanbul. S. 133, 135.

8j Westseite des Harpyienmonuments von Xanthos (vgl. Abb. 77—j8). Marmor. Um 480. British Museum. S. 155, 136.

Züge machen einen noch archaischen Eindruck. Die Reliefs werden jedoch um 480 entstanden sein30. Das Giebelrelief im British Museum mit der Sirene auf einer Säule, die sich in der Mitte von zwei gegenübersitzenden männlichen Gestalten befindet31, setzt den üppigen milesisch-ionischen Stil des Harpyienmonuments fort, ist aber, wie die Gewandbehandlung in der Art der olympischen Skulpturen verrät, um 460 zu datieren. Die qualitativ hochstehenden, reizvollen Giebelreliefs mit Sphingen, die von zwei Abb. 90-93 verschiedenen xantischen Grabmonumenten herrühren und sich heute im British Museum befinden, haben zwar archaische Profile32, stammen aber wohl aus der vorklassischen Periode, etwa aus der Zeit um 460. Es ist bei diesen Reliefs schwer zu sagen, ob sie von einem einheimischen oder einem griechischen Künstler geschaffen wurden. Jedoch ist die Hellenisierung der lykischen Kunst so weit fortgeschritten, daß die lykischen Bildhauer nun ganz im Bann der griechischen Kunst stehen und genauso arbeiten wie ihre griechischen Lehrer, bei denen sie zur Schule gingen. Auch der aus Xanthos stammende dekorative Tierfries mit Löwen, Panthern, Hühnern usw., gleichfalls im British Museum33, dürfte um 460 zu datieren sein. 88 Nordseite desselben Grabmonuments wie Abb. 8j. Marmor. S. 135, 136.

8g Teilansicht von Abb. 8j, S. /jj, 136.

Ein im British Museum befindlicher xantischer Fries mit Wagen- und Reiterdarstellungen34 weist zum ersten Male persischen Einfluß auf. Manche Einzelheiten, wie der Stirnschopf der Pferde und die Art, wie ihre Schweife an ihrem unteren Ende gebunden sind, sowie die Decke auf ihrem Rücken sind Zeichen der persischen Einwirkung. Vor allem ist Haar und Bart des im Wagen sitzenden alten Mannes auf dem Relief durchaus persisch. Dem persischen Empfinden entspricht außerdem die »feierliche Reihung gleich oder ähnlich bewegter Gespanne und Pferde« 35 . Das Profil und die Haarbehandlung des Knaben mit dem Pferd zeigen zwar die Stufe der Abb. 94 Skulpturen von Olympia; doch wird der Fries erst gegen die Mitte des 5. Jahrhunderts 18

137

yo Lykischer Grabgiebel mit Sphingen. Kalkstein. Detail. Um 460. British Museum (ß ayi). S. 136.

entstanden sein. Der Männerfries aus Xanthos, gleichfalls im British Museum3'', ist wohl von der Wandmalerei in der Art des polygnotischen Stiles abhängig und kann desgleichen um die Mitte des 5. Jahrhunderts datiert werden. Die in Xanthos durchgeführten französischen Grabungen haben kürzlich die Reliefüberreste einer inschriftlich ungefähr in das letzte Viertel des 5. Jahrhunderts datierten xanthischen Stele37 ans Tageslicht gebracht. Auf ihren Rcliefbruchstücken, die sich jetzt im Museum von Istanbul befinden, wird das alte Thema der lykischcn Gräber wiederholt, wo der Verstorbene mit den erbeuteten Schilden und den unterworfenen Feinden dargestellt wird38. Die Reihe der lykischen Grabmonumente setzt sich im 138

P-^K; gi Teilansicht desselben Grabmals wie Abb. go. S. 136.

letzten Viertel des 5. Jahrhunderts mit drei großartigen Werken fort, und zwar mit dem »Nereidenmonument«, dem Heroon von Trysa (Gijölbaschi) und dem mit Recht lykisch genannten Sarkophag aus Sidon. Das »Nereidenmonument« 39 , der Grabbau Abb. 95 eines lykischen Fürsten, ist, baugeschichtlich gesehen, ein im griechischen Sinne umgebildetes monumentales Beispiel der altlykischen sepulkralen Denkmäler. Das Monument ist in Form eines ionischen Tempels gehalten, steht aber, gemäß der alten Tradition, auf einem hohen Sockel und weist reichen plastischen Schmuck auf. Der große Sockelfries verherrlicht die Taten des im Grabe beigesetzten Fürsten. Hier kämpfen Hopliten untereinander und mit persisch Gekleideten. Auf dem kleinen Sockelfries 139

:

\Χ1^>ώ^Κ?^*:>^ '

' .' .· -

a &esKpS&l·'*?·'*·'-* ; ' ''' *'' ~ '* f '·

'-:7£. \f ·-"

~

- *·.

Lykisches Grabmal mit Sphingen. Kalkstein. Teilansiclit. Um 460. British Museum (B 2f/o). S. /j6".

&*.,

'-··, .

t mi^m ^^ 'β'^^·&Λ^^Κ^^Κ'^ί

ill:;":. ί^"

·:"''·^;: .J;l(v?-.':r-^;Ci ™ Α·^·,ν··,ν v :,'-r.. -·"-·. y-

Teilansicht desselben Grabmals wie Abb. ; Teilumicht einer orienlalisierenden Kanne aus All-Smyrna (Bayrakh). Ton. 635—600. Izmir. S. 180.

178

tionen10. Die ostgriechischen Künstler scheinen aber in der Hauptsache von den urartäischen Vorbildern angeregt worden zu sein. I Die »spazierengehenden, harmlosen Löwen«, wie man sie in der ostgriechischen Vasenmalerei findet, hatten wir bereits auf den Schilden aus Toprakkale kennengelernt. Die volutenförmig gewundene Unterlippe, die bei manchen nordionischen Löwen vorkommt11, brauchte nicht auf zufälliger Ähnlichkeit zu beruhen, sondern könnte auf die Einwirkung der urartäischen Vorlagen zurückgehen. Die schwungvolle, diagonale Bewegung der lau-1 fend dargestellten Tierfiguren12 entspricht· einem Schema, das bei den ostanatolisch iranischen Kunstkreisen bereits ausgebildet ist13. is6 Or'ienlaluierende Kanne aus Alt-Smyrna Charakteristisch dafür ist die Bauchlinie, die Ton. 630—6so. Izmir. S. 180. durch die weit ausgestreckten und einander überdeckenden Vorderbeine gerade fortgesetzt wird, so daß von der Hüfte bis zu den Vorderfüßen der Tiere eine gerade, diagonal verlaufende Linie entsteht. Den ältesten Beispielen dieses Schemas in der griechischen Welt begegnen wir auf den attischen 14 , kykladischen15 und protokorinthischen Vasen16. Daß auch die korinthischen Künstler manche urartäischen Motive aufgegriffen haben, ist wohl anzunehmen; ob aber die frühprotokorinthische Punktrosettc 17 von dem sehr ähnlichen Zierelement der urartäischen Kunst abzuleiten ist, vermögen wir nicht zu Dieselbe Kanne wie Abb. 124. S. 180. sagen. Die Halb- und Viertelrosette des Tierfriesstiles geht dagegen, wie R. D. Barnett festgestellt hat, auf orientalische Vorbilder zurück 18 . Die hethitischen Elemente des Tierfriesstiles wurden den ostgriechischen Künstlern wohl durch die Nachbildungen, die im Mutterlande und anderswo in Griechenland entstanden, vermittelt. Das bezeugen die eindeutig korinthischen und kykladischen Elemente der ostgriechischen Menschen- und Tierbilder zur Genüge. Auffallend kykladisch sind die Ziermotive des 179

(Bayrakh).

is8 Scherbe orientalisierenden Stiles aus Phokaia. Anjarig 6. Jh. Ankara.

i2f) Scherbe orientalisierenden Stiles aus Phokaia. Anfang 6. Jh. Ankara.

130 Scherbe orientalisierenden Stiles aus Phokaia. Anfang 6. Jh. Ankara.

Tierfricsstilcs. Im übrigen ist die Zeichensprache dieses orientalisierenden Stiles von ostionischem Gepräge. Die Vasenmaler des griechischen Ostens schufen mit Umrißzeichnung, Aussparung sowie reizvoller Ornamentik und dem hellen Überzug einen Tierfriesstil von besonderer Art, der zu den wirkungsvollsten Schöpfungen der griechischen Kunst zählt. Die Originalität des Stiles besteht in der Gestaltung der teppichartigen, farbenfreudigen Gesamtkomposition. Ihre Bildner wissen, wie Buschor sagt, die Fläche zu verzaubern 19 . Wolfgang Schicring hat in seinem schönen Buch zur Lösung dieser Frage einen wichtigen Beitrag geliefert- 0 . In der Entwicklung des Tierfriesstils bestand für ein volles Jahrhundert bis zur Entstehung des ostgriechischen schwarzfigurigen Stiles um 560 die eigentliche Aufgabe, an der alle Künstler des griechischen Osten arbeiteten. Die Elemente des archaischen ionischen Stiles wurden in den Werkstätten dieser Künstler im Laufe der 2. Hälfte des 7. und am Beginn des 6. Jahrhunderts geschaffen. Die ionische Kopfform und das originelle ionische Profil kamen bereits in dieser Zeit zur Ausbildung 21 . Wie anmutig und lebensfroh sind die Gesichter der jungen Mädchen auf einigen Scherben aus Phokaia vom Beginn des G.Jahrhunderts. So sahen ungefähr die freudeerfüllten, heiteren Mädchen aus, von deren Leben und Leiden die Dichterin Sappho um dieselbe Zeit sang: ». . . ganz ehrlich, ich wollt, ich wäre tot. Als sie fortging, hat sie unter vielem Schluchzen zu mir gesagt: 'Ach, Sappho, wie schwer haben wir es. Wahr-

haftig, ich gehe ungern von dir fort'. Da gab ich zur Antwort: Glückliche Reise und denk' an mich. Du weißt ja, wie wir für dich gesorgt haben. Und wenn nicht, will ich dich erinnern. Du vergißt, wie leicht und lustig wir's gehabt haben. Viele Kränze aus Rosen und Veilchen hast du mir um Locken und Zöpfe gelegt, viele Girlanden geschlungen um den weichen Nacken, aus Frühlingsblumen gemacht. Mit vielen Salben königlichen Brenthos hast du dich gesalbt, auf weichen Polstern hast du geruht « ». . . von Sardes oft hierher die Gedanken richtend. Als wir zusammen lebten, sah Arignota dich wirklich ganz wie eine Göttin an und hatte an deinem Gesänge die größte Freude. Jetzt glänzt sie unter den lydischen Frauen wie der rosig strahlende Mond, der alle Sterne übertrifft. Sein Licht erhebt sich über das salzige Meer und auch über die blumenreichen Felder. Lieblich ist der Tau gefallen; üppig stehen die Rosen, die feinen Gräser, der blühende Klee. In der Erinnerung an die freundliche Atthis geht sie vielmals hin und her, und ihr weiches Gemüt wird von Sehnsucht und ihr Herz von Kummer schwer. Laut ruft sie, wir sollten dorthin kommen. Das vernehmen wir beide nicht; nicht erzählt uns die Nacht, die mit ihren tausend Ohren alles hört, über das Meer herüber !> Stadtmauer von All-Smyrna (Bayrakh). Ende 7. J/ . Polygonale Mauerlechnik. S. /Sj.

sehend sind die kyprischen Terrakottastatuetten; eine schon erwähnte, fast lebensgroße Statue aus Ton, gleichfalls im kyprischen Stile, ist wohl ein Weihgeschenk der kyprischen Kaufleute an die Gottheit des Tempels. Vasen mit karischen Inschriften, lydische Salbgefäße sowie das Grab eines Lyders und orientalische Fayencen sind weitere Zeichen des internationalen Wirtschaftslebens der alten Stadt. Auch griechische Keramik und Kleinfunde traten in großen Mengen und in allerbester Abb. 137-139 Qualität zutage. Eine Bronzestatuette eines Jünglings im ostgriechischen Stil und Abb. 140-141 eine elfenbeinerne Löwenstatuette von orientalisch-griechischem Typus sind besonders zu erwähnen. Die beiden kostbaren Kunstwerke wurden aus ihren Aufbewahrungsorten, das erste aus dem Archäologischen Institut der Universität Ankara und das zweite aus dem Museum zu Smyrna, vor vier Jahren kurze Zeit nacheinander gestohlen. Abb. 140-141 Der Löwe, an dem die heraushängende und auf dem Kinn aufliegende Zunge das einzige hethitische Element ist, vertritt den hethitisch-aramäischen Löwentypus, während seine übrigen Züge vollends aus der assyrischen Tradition heraus geschaffen wurden. Die Stirnfurchen betragen, wie bei den Vorbildern aus Sak egözü, auch hier vier an der Zahl. Der elfenbeinerne Löwe aus Bayrakh ist vor allem deswegen wichtig, weil er beweist, daß in Kleinasien im 7. Jahrhundert hervorragende Elfenbeinateliers beheimatet waren. Solche Werke mögen den ostgriechischen Künstlern für ihre Vasen oder Münzenbilder oder für ihre sonstigen Kleinkunstdarstellungen als Vorbild gedient haben. Die Löwenstatuette ist gemäß den Fundumständen des 186

355* 137-138 Bronzestatuelte am All-Smyrna (Bayrakh). Ende 7. Jh. Ehemals im Arch. Institut der 1,'niuersilät Ankara. S. 186.

.

Tempelschuttes in das letzte Drittel des 7. Jahrhunderts zu datieren. Sie könnte jedoch auch aus einer etwas früheren Zeit stammen, da eine solche Kostbarkeit lange Zeit im Besitz aufbewahrt gewesen sein kann. Die Bronzestatuette des Jünglings, die zusammen mit ihrer Basis gegossen wurde, Abb. 137-139 stellt die älteste sicher datierbare ostgriechische Kleinplastik bereits in charakteristischen Zügen dar. Die mandelförmigen, abbozzierten Augen, der schief sitzende Mund, 187

der fleischige und untersetzte Körper, d. h. die wichtigsten Elemente der ionisch-kleinasiatischcn Bildkunst sind bei dieser Statuette bereits vorhanden. Man dürfte diesen Bronzejüngling als einen um mehrere Jahrzehnte älteren Vorläufer der BronzeAbb. 162-164 statuette eines Jünglings in Stockholm bezeichnen. Die nach oben gekämmten und in vertikalen Linien nach unten bis auf die Schulter herabfallenden Haare können Abb. 143-144 mit der Haartracht des elfenbeinernen Löwenbezwingers aus Delphi und der Abb. 73 Haarstilisierung der ephcsischen Priesterin verglichen werden. Die Bronzcstatuette ist nach den Fundumständen des Tempelschuttes in das letzte Viertel des 7. Jahrhunderts anzusetzen. Die in den letzten Jahren in Milet unter Leitung von Garl Weickert durchgeführten Grabungen haben noch ältere

i'ji) Rückansicht ron Abb. rjfi. S. 186. i8y.

140 Elfenbeinerne Löwenstaiuelle aus All-Snivrna (Bavrtik/i). Ende 7. Jh. Ehemals im Museum zu Izmir. S. 186.

188

Kleinfundc als die von Bayrakh zutage gebracht 29 . Die dort gefundene, gegossene Greifenprotome (Abb. 145) wird, wie Gar! Weickert bereits hervorgehoben hat 30 , noch dem ersten Viertel des 7. Jahrhunderts angehören. Der niedrige Stirnauf-

Dieselbe Löwenstatuette wie Abb. 140. S. 186.

142 Dieselbe Löwenstatuette wie Abb. 140 und 141. S. 186.

143 Teilansicht von Abb. 144. S. 188. 144 Löwenbezivinger aus Delphi.

Elfenbein.

Ernie 7. Jh. Delphi. S. 188.

satz und die zwei warzenförmigen Verdickungen an der Stirn deuten auf das hohe Alter des Greifenbildes hin. Eine Abb. 146 dekorative Greifenprotome, die gleichfalls bei den genannten Grabungen gefunden wurde, dürfte dagegen, wie Weickert an Hand der grundlegenden stilistischen Einteilung Ulf Jantzens 31 datiert, rund hundert Jahre jünger sein. Die schöne, nur 2,5 cm hohe goldene Kleinplastik in Granulierarbeit, heute im British Museum, mag dagegen in irgendeinem ostgriechischen Zentrum in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts entstanden sein32. Weitere schöne und sehr wichtige Kleinfunde sind aus den Grabungen in Ephesos beAbb. 147 kanntgeworden. Eine Greifcndarstellung 33 auf einem kreisförmigen Goldblech stammt aus dem ersten Viertel des 7. Jahrhunderts. Der Greif scheint keinen Stirnknauf zu haben; dies ist bei einem der ältesten protokorinthischen Greifen auch der Fall. Fig. 21 Die Dekoration des Hintergrundes gemahnt, wie Jacobstahl erkannt hat 34 , an das Ziersystem der frühattischen Vasen35. In die gleiche griechische Sphäre gehören auch drei ephesische Goldbleche, auf welchen menschenfressende Löwen36 dar190

^'i Greif aus Milet. Bronze, i. Viertel 7. Jh. Istanbul. S. 188.

146 Greif aus Alilet. Bronze. Anfang 6. Jh. Istanbul. S.

gestellt sind. Die Geschichte dieses ursprünglich orientalischen Motivs hat Jacobsthal Abb. 149 in der frühgriechischen Kunst verfolgt 37 . Die ephesischen Beispiele mögen als eine provinzielle Arbeit im 2.Viertel des 7. Jahrhunderts in einer der ostgriechischen Goldschmiedewerkstätten entstanden sein. Auch die hockende Sphinx 38 auf einem winzigen Abb. 148 Goldplättchen dürfte ein ostgriechisches Produkt sein, das ungefähr im ersten Viertel des 7. Jahrhunderts hergestellt wurde. Die einzige orientalische Arbeit in Ephesos scheint die elfenbeinerne Sirene zu sein 39 . Ihre Gesichtsformen stehen den Elfenbein- Abb. i .9 Im gleichen Kunstkreise ist die Statuette 03 des Eunuchpriesters der Artemis entstanden. Die Figur trägt die gleiche hohe Haube, nur ohne Perlen, wie die Spinnerin. Die mönchartige Bekleidung mit dem langen Mantel und dem breiten Kragen deutet auf priesterliche Würde. Seine ziemlich hohe, kalathosförmige Haube, die an die Tiara der orthodoxen Priester oder an die Kopfbedeckung der türkischen Derwische der ottomanischen Zeit erinnert, läßt keinen Zweifel über die geistliche Tracht der Figur aufkommen. Die Hände berühren 54 eine große rituelle Kette, die, wie schon Picard angenommen hat, wohl als ein Attribut des priesterlichen Amtes zu verstehen ist. Strabo55 berichtet, daß die Priester des ephesischen Tempels Eunuchen waren. Die Ohrlocken und die beleibte Figur mit ihren weichen Formen bringen hier die weibliche Art eines Eunuchen vorzüglich zum Ausdruck 56 . Strabo sagt auch, daß diese Eunuchenpriester Megabyzoi hießen und in großem Ansehen standen. Megabyzos ist ein persisches Wort, das als Name bei Satrapen oder anderen Würdenträgern oft vorkommt. Man hat es mit dem altpersischen Wort Bagha-Bazu in Verbindung gesetzt, das »Arm des Gottes« heißt. Man hat auch an das altpersische Wort Bagha-Yaza gedacht, das »Opferer des Gottes« bedeutet 57 . Diese Benennung wird wohl nach der persischen Eroberung Anatoliens geläufig geworden sein. Die ältere einheimisch-anatolische Bezeichnung der Artemispriester von Ephesos ist leider nicht überliefert. Aus der Anabasis 08 erfahren wir, daß Xenophon um 394 v. Chr., als er mit Agesilaos von Kleinasien nach Böoticn zog, den Megabyzos von Ephesos besuchte und bei ihm sein Geld zurückließ, weil er Gefahren entgegenzugehen glaubte. Er trug ihm auf, das Geld zurückzugeben, wenn er am Leben bliebe, wenn ihm aber etwas zustieße, davon der Artemis ein Weihgeschenk darzubringen. Kurze Zeit danach, als Xenophon verbannt war und in einem in der Nähe von Olympia gelegenen Orte lebte, kam der Megabyzos nach Olympia, um die Kampfspiele mitanzusehen, und gab ihm das Geld zurück. Künstler wie Apclles und Nikias hatten, nach Aussage von Plinius 09 , Megabyzoibilder geschaffen, die aber nicht erhalten sind. So stellt die ephesische Statuette das älteste Bild des Oberpriesters der Artemis dar. Auch diese Figur macht, wie die Statuette der Spinnerin, auf den ersten Blick einen orientalischen Eindruck. Die Haltung der Hände ruft unmittelbar ein hethitisches Relief von Kargamis in Erinnerung 60 . Die Statuette ist aber eine ostgriechisch-anatolische Schöpfung. Die Ornamente, die das Gewand des Priesters zieren, stammen aus dem Repertoire des Tierfriesstiles. Das freudige, strahlende Gesicht mit dem archaischen Lächeln weist zur Genüge auf die griechische Herkunft der Statuette. Das prächtige Werk wird daher schon dem ersten Viertel des 6. Jahrhunderts angehören. Die Statuette der Spinnerin mag dagegen etwas früher zu datieren sein und den ephesischen Stil vom Ende des 7. Jahrhunderts vertreten 61 . Abb. 160-161 Eine Schleierträgerin 62 leitet zu den jüngeren, cchtgriechischen ElfenbeinStatuetten in Ephesos über. Ihre rigide Haltung mit den fest anliegenden Armen und

198

158-15