115 3 2MB
German Pages 91 [161] Year 2013
HVE ZGAE
56 ISBN 978-3-402-15712-1
2012
Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands
HISTORISCHER VEREIN FÜR ERMLAND e.V. Gegr. 1856 Sitz Münster i. W.
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2012
Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands beiträge zur kirchen- und kulturgeschichte des preussenlandes
band 56 2012
Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands (ZGAE) Beiträge zur Kirchen- und Kulturgeschichte des Preußenlandes Herausgegeben im Auftrag des Historischen Vereins für Ermland von Hans-Jürgen Bömelburg und Hans-Jürgen Karp Redaktionsbeirat: Radosław Biskup (Toruń), Christofer Herrmann (Olsztyn/Gdańsk), Grzegorz Jasiński (Olsztyn), Edmund Kizik (Gdańsk), Andreas Lawaty (Lüneburg), Christian Pletzing (Lübeck) und Wojciech Zawadzki (Elbląg) Redaktion: Dr. Hans-Jürgen Karp, Brandenburger Str. 5, D-35041 Marburg E-Mail: [email protected] Redaktionsassistent: Johannes Götz M. A., ul. Kazimierza Wielkiego 116/16, PL-30-082 Kraków E-Mail:[email protected] Manuskripte und Zuschriften sowie Rezensionsexemplare werden an die Anschrift der Redaktion erbeten Abbildungen auf dem Umschlag: Dome der Diözesen Ermland (Frauenburg), Samland (Königsberg), Kulm (Kulmsee) und Pomesanien (Marienwerder) Die Drucklegung dieser Publikation wurde mit WVZO-Mitteln der Stiftung Nordostdeutsches Kulturwerk gefördert © 2013 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen. Satz: Klaus-Jörg Feldmann, Rellingen b. Hamburg Druck: Druckzentrum Aschendorff GmbH & Co. KG, Druckhaus Münster Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier ∞ ISSN 0342-3344
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Inhaltsverzeichnis Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Aufsätze Ulrich Fox (†), Erzpriester Maximilian Tarnowski. Seelsorger im Deutschen Reich und in Volkspolen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jerzy Kiełbik, Die Beamten der Stadt Heilsberg (1650–1750) . . . . . . . . . . . .
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Miszellen Sabina Bober, Generalvikar Adalbert (Wojciech) Zink und Dr. Ignacy Tokarczuk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Andrzej Kopiczko, Adalbert Zink. Zum Artikel von Sabina Bober . . . . . . .
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Quellen Die Bittschriften und Statuten der Widminner Schusterzunft (1671/1687). Hrsg. und eingeleitet von Danuta Bogdan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Nachruf Prof. Dipl.-Ing. Ulrich Fox (1937–2012) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rezensionsartikel Radosław Krajniak, Einige Anmerkungen zu den Offizialenverzeichnissen und zur Umgebung der preußischen Bischöfe im Mittelalter in der Arbeit von Marc Jarzebowski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Buchbesprechungen Herbert Liedtke, Die Landschaften Ostpreußens. (Stephanie Zloch) . . . . . 109 Stanisław Achremczyk, Historia Warmii i Mazur T. 1: Pradzieje–1772. T. 2: 1772–2010. (Hans-Jürgen Bömelburg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Warmińska kapituła katedralna. Dzieje i wybitni przedstawiciele. (Leszek Zygner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Roman Czaja, Urzędnicy miejscy Elbląga do 1524 roku. Krzysztof Mikulski, Urzędnicy miejscy Elbląga w latach 1524–1772. (Remigius Stachowiak) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Michael Brauer, Die Entdeckung des „Heidentums“ in Preußen. (Norbert Kersken) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Isaak Gottfried Goedtke, Kirchengeschichte der evangelischen kleinen Städte im Polnischen Preußen. (Grzegorz Jasiński) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
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Inhaltsverzeichnis
Almut Bues [Hrsg.], Die Apologien Herzog Albrechts. (Jacek Wijaczka) . . 124 Jacek Wijaczka, Albrecht von Brandenburg-Ansbach (1490–1568). (Stefan Hartmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Bogusław Dygdała, Struktury parafialne diecezji chełmińskiej w XVII–XVIII wieku. (Wojciech Zawadzki) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Budowanie mostów. Daniel Ernest Jabłoński w Europie wczesnego Oświecenia. (Edmund Kizik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Wulf D. Wagner, Heinrich Lange, Das Königsberger Schloss. Bd. 2. (Christofer Herrmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Relinde Meiwes, Von Ostpreussen in die Welt. Die Geschichte der ermländischen Katharinenschwestern (1772–1914). (Rainer Bendel) . . . . . . 139 Ruth Leiserowitz, Sabbatleuchter und Kriegerverein. (Grzegorz Jasiński) . 143 Thomas Marschler, Karl Eschweiler 1886–1936. (Rainer Bendel) . . . . . . . . . 148 Kaplica na zamku w Lidzbarku Warmińskim. (Christofer Herrmann) . . . . 151 Anzeigen Statuty synodalne Warmińskie, Sambijskie, Pomezańskie, Chełmińskie oraz prowincjalne Ryskie. (Hans-Jürgen Karp) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Friedwald Moeller, Königsberger Personenstandsfälle 1727–1764. (Piotr Patejuk) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Maria Blitz, Endzeit in Ostpreussen. (Hans-Jürgen Karp) . . . . . . . . . . . . . . 155 Spis treści . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Table of Contents . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Anschriften der Autorinnen und der Autoren dieses Bandes Prof. Ulrich Fox (†) c/o Dr. Ursula Fox, Am Glockenbusch 11, D-33106 Paderborn, [email protected] Dr. Jerzy Kiełbik, Ośrodek Badań Naukowych im. Wojciecha Kętrzyńskiego, ul. Partyzantów 87, PL-10-402 Olsztyn, [email protected] Dr. Sabina Bober, Instytut Historii, Katolicki Uniwersytet Lubelski Jana Pawła II, Katedra Historii Ruchów Społeczno-Politycznych XIX i XX wieku, al. Racławickie 14, PL-20-950 Lublin Ks. Prof. Dr. Andrzej Kopiczko, ul. Kopernika 47, PL-10-512 Olsztyn, [email protected] Dr. Danuta Bogdan, Ośrodek Badań Naukowych im. Wojciecha Kętrzyńskiego, ul. Partyzantów 87, PL-10-402 Olsztyn, [email protected]
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Editorial
Einem Katalogband über Ernst Daniel Jablonski haben die Herausgeber den Titel Brückenschläge als Symbol der Verständigung und Zusammenarbeit gegeben. Der Theologe, in Nassenhuben bei Danzig geboren, stammte aus einer der böhmischen Brüderunität angehörenden Familie, die im 17. Jahrhundert in Polen-Litauen Zuflucht gefunden hatte. Der Enkel von Johann Amos Comenius wurde u. a. Hofprediger in Königsberg und Berlin, wo er auch die spätere Preußische Akademie der Wissenschaften mit begründet hat. Die Brücke steht für Kontakt, Begegnung und Austausch. Das Preußenland, eingeschlossen das Ermland, war bis in die Frühe Neuzeit immer eine Brückenlandschaft zu den Nachbarn in Ostmitteleuropa. Im Zeitalter des Nationalismus und Totalitarismus ging die Brückenfunktion weitgehend verloren. Aber es gab Menschen in der Region, die nicht bereit waren, sich den herrschenden totalitären Ideologien unterzuordnen: nicht zuletzt Priester deutscher und polnischer Nationalität oder einfach ermländischer Identität wie Max Tarnowski, Wojciech (Adalbert) Zink, Ignacy Tokarczuk, die, soweit es unter den herrschenden Bedingungen möglich war, für den Ausgleich der Interessen und die Sicherung friedlichen Zusammenlebens eintraten. Forschungen zur Prosopographie des ermländischen Klerus im 20. Jahrhundert stehen erst am Anfang, vor allem für die unmittelbare Nachkriegszeit, in der die katastrophalen Folgen des Zweiten Weltkriegs Brückenschläge zwischen den alten und neuen Bewohnern mit ihren unterschiedlichen kulturellen Traditionen und zwischen ihren Seelsorgern zunächst ausschlossen und erst allmählich möglich machten. Auch zum Alltag der Menschen unterschiedlicher Nationalität und Konfession im vormodernen Preußenland sind noch viele Fragen offen. Die Namen der Heilsberger Stadteliten in der Frühen Neuzeit legen nahe, dass hier Deutsche und Polen gemeinsam die Geschicke der bischöflichen Residenzstadt lenkten, in der damals Bischöfe der Krone Polen die geistliche und weltliche Herrschaft über das Bistum ausübten. Für die Restaurierung der Kapelle der Residenzburg in den Jahren 1752–1760 ließ Bischof Adam Stanislaus Grabowski deutsche und polnische Maler und Schnitzer aus dem Ermland sowie aus Königsberg, Danzig und Warschau engagieren. Welcher Sprache die städtischen Beamten sich bedienten, ist wegen fehlender Quellen nicht eindeutig festzustellen. Auf Grund von Forschungen
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Editorial
über andere Städte kann Zwei- oder Dreisprachigkeit (Deutsch, Polnisch, Latein) angenommen werden – je nach der Funktion, für die die Sprache benutzt wurde. Jedenfalls ist im 17. und 18. Jahrhundert der Sprachgebrauch noch nicht mit der Zugehörigkeit zur entsprechenden Nationalität identisch. Die Schuster in Widminnen bedienten sich wahrscheinlich der masurischen Volkssprache, aber ihre Rechtsordnung, die Zunftstatuten, waren in der deutschen Sprache des Landesherren, des Regenten über das Herzogtum Preußen, der sie zu bestätigen hatte, abgefasst. Die wieder möglich gewordene gemeinsame deutsch-polnische historische Forschung über das Preußenland gilt es weiter zu festigen. Dazu ist die kontinuierliche Bestandsaufnahme von wissenschaftlichen Neuerscheinungen zweifellos von Nutzen. Die bisher übliche Auswahlbibliographie soll in geeigneter Weise in den nächsten Jahresbänden fortgesetzt werden.
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Erzpriester Maximilian Tarnowski
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Aufsätze
Erzpriester Maximilian Tarnowski Seelsorger im Deutschen Reich und in Volkspolen ULRICH FOX † Die vielfältige Tätigkeit eines katholischen Priesters unter Berücksichtigung historisch-soziologischer Aspekte ist im Laufe der Geschichte verschiedenen Wandlungen unterworfen. Die Rahmenbedingungen für seine Stellung in Seelsorge, Politik und Gesellschaft unterliegen ständigen Veränderungen und dies umso mehr, je länger ein Priesterleben dauert. Maximilian Tarnowski schloss seine Ausbildung zu Beginn des 20. Jahrhunderts ab und starb 80 Jahre später. Sein priesterliches Wirken begann noch in der Kaiserzeit und endete kurz vor Auflösung der kommunistischen Diktatur Polens. Dazwischen liegen der Erste Weltkrieg, die Zeit der Weimarer Republik, der deutsche Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg mit den territorialen Veränderungen gemäß den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz. Bei der prosopographischen Erforschung einer Priesterpersönlichkeit1 muss man nicht nur nach Personaldaten, dem Elternhaus, der Schul- und Ausbildung, dem Datum der Priesterweihe, nach Vikar- und Pfarrstellen, dem Aufstieg in der kirchlichen Hierarchie, nach Auszeichnungen, ergänzenden Studien u. a. fragen, sondern versuchen, Zusammenhänge mit dem Umfeld aufzuzeigen, in dem das Leben dieses Priesters geprägt wurde. Dazu zählen vor allem die unter verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen ausgeübte praktische Seelsorge in der Gemeinde, die Verwaltung und Erhaltung des Kircheneigentums. Von Bedeutung ist ebenso die Einstellung zu den jeweiligen staatlichen Machthabern und zu den verschiedenen Volksgruppen in einer sprachlich gemischten Gemeinde. 1
ANDRZEJ KOPICZKO, Duchowieństwo katolickie diecezji warmińskiej w latach 1821-1945. Część 1. Studium prozopograficzne [Die katholischen Geistlichen der Diözese Ermland in den Jahren 1821-1945. Teil 1. Eine prosopographische Studie]. Olsztyn 2004, S. 9 f.
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Ulrich Fox
Die politischen Verhältnisse können auf seine Tätigkeit als Seelsorger einen wesentlichen Einfluss ausüben und den Tätigkeitsradius einengen oder ausweiten, je nachdem wie er sich selbst positioniert hat. Das seelsorgerische Wirken von Maximilian Tarnowski war fast fünfzig Jahre lang von den Rahmenbedingungen der nationalsozialistischen und kommunistischen Diktatur geprägt. Wie war es um die Freiheit zur Erteilung des Religionsunterrichts während der Zeit des Nationalsozialismus bestellt? Hat sich Tarnowski, ab etwa 1935, an der Reduzierung der polnischen Gottesdienste im südlichen Ermland beteiligt? War er mutig genug, die durch die Behörden verbotenen Hirtenbriefe seines Bischofs der Gemeinde vorzutragen bzw. mündlich zu erläutern? Gab es Repressionen gegen ihn und wurden seine Predigten durch Spitzeldienste überwacht? Wie gestaltete sich die Seelsorge nach dem Zweiten Weltkrieg? Welche neuen Probleme entstanden hier durch den Zuzug von Neusiedlern? Wie gestaltete sich das Verhältnis zum kommunistischen Staat und zu den kirchlichen Leitungsorganen? Waren die im Priesterseminar erworbenen polnischen Sprachkenntnisse für die praktische Seelsorge und den Umgang mit der neuen Administration ausreichend, um im Alltag zu bestehen? Musste die Seelsorge an den verbliebenen Ermländern z. B. bei der Beichte, den sog. Kalenden, bei Trauungen und Beerdigungen in sprachlicher Hinsicht wesentlich verändert werden, damit die Behörden nicht Anstoß daran nahmen? Hat Tarnowski die von den Neusiedlern aus dem Osten Polens mitgebrachten religiösen Bräuche akzeptiert und in das Gemeindeleben integriert? In welcher Form gestalteten sich seine Kontakte nach 1945 zu Bischof Kaller und zu dessen Nachfolgern, die in der Bundesrepublik Deutschland amtierten? Hat Tarnowski sich bemüht, in die Bundesrepublik umzusiedeln?
Im Deutschen Reich Leben und Wirken Tarnowskis lassen sich aus zahlreichen in verschiedenen Archiven vorhandenen Dokumenten und aus Zeitzeugenaussagen ziemlich genau rekonstruieren. Von besonderer Bedeutung sind dabei Schriftstücke, die er selbst verfasst und hinterlassen hat. Er wurde am 29. Mai 1883 in Osterode geboren und getauft. Seine Eltern, Johannes Tarnowski und Marianne, geb. Fox, siedelten später nach Bartenstein um, wo ihr Sohn das Gymnasium besuchte. Nach dem Abitur ging er zum Theologiestudium nach Braunsberg, wo er am 11. Februar 1906, also mit 22 Jahren, von Bischof Andreas Thiel zum Priester geweiht wurde. Seine erste Vikarstelle war Groß Bößau, wo er allerdings nur sechs Monate blieb. Anschließend
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Erzpriester Maximilian Tarnowski
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war er Vikar in Stuhm in Westpreußen (1906–1908) und später Kuratus und Pfarrer in Goldap (1908–1919).2 Neben der seelsorglichen Tätigkeit in der Gemeinde St. Leo und St. Bonifatius, sollte Tarnowski auch die Stelle eines Feldgeistlichen in Goldap und in Darkehmen übernehmen. Bevor die Ernennung zum Feldgeistlichen erfolgen konnte, musste der Oberpräsident der Provinz Ostpreußen im Auftrage des Ministers der geistlichen-, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten in Berlin bei den entsprechenden Stellen Erkundigungen über die Persönlichkeit des Kuratus einholen. Der Landrat des Kreises Gumbinnen konnte kaum etwas zu dieser Angelegenheit beitragen, weil der Kuratus Tarnowski hier noch zu wenig bekannt war. Er schlug deshalb vor, seinen Kollegen aus dem Kreis Stuhm anzufragen und die erforderlichen Informationen einzuholen. Dieser antwortete mit Schreiben vom 25. Juli 1908: „Tarnowski ist deutscher Muttersprache und steht in Bildung und Manieren über dem Durchschnitt der Geistlichkeit des Kreises Stuhm, ist auch ein frischer junger Mann. Bei seinem vor etwa zwei Jahren erfolgten Amtsantritt in Stuhm machte er politisch keinen ungünstigen Eindruck.“3 In den weiteren Ausführungen wies der Landrat jedoch darauf hin, dass Tarnowski sich in der fast ganz polnischsprachigen Gemeinde von Stuhm von einzelnen Parochianen und dem Mitkaplan Stanisław Rosenau4 ins Schlepptau hat nehmen lassen, „so dass er jetzt als politisch unzuverlässig angesehen werden muss.“5 Der Stuhmer Landrat wusste auch zu berichten, dass Tarnowski bei der letzten Landtagswahl seine Stimme zwei polnischen Wahlmännern gegeben hatte. Diese Entscheidung des jungen Kaplans führte er auf die von der Zentrumspartei in Westpreußen ausgegebene Parole, Kandidaten der Polenliste zu wählen, zurück, zumal auch ältere Amtsbrüder sich für die polnischen Wahlmänner entschieden hätten. Das Zentrum galt als Gegner des neuen protestantischen Kaisertums. Außerdem wurde die Zentrumspartei als antinational abgestempelt, weil sie die nationalen Minderheiten, meist katholischen Glaubens wie die polnische, im Parlament politisch unterstützte. Der Landrat ging aber davon aus, dass die in Stuhm erworbenen polnischen Sympathien sich bei Tarnowski in einer rein deutschsprachigen Gegend bald verlieren würden.
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DERS., Duchowieństwo katolickie diecezji warmińskiej w latach 1821-1945. Część 2: Słownik [Die katholischen Geistlichen der Diözese Ermland in den Jahren 1821-1945. Teil 2. Lexikon]. Olsztyn 2003, S. 287. Landrat des Kreises Stuhm an den Landrat des Kreises Gumbinnen vom 25.7.1908. Bundesarchiv Berlin [künftig zit.: BAB]. R 5101/22303, Bl. 26 rv. Siehe Anhang, Nr. 1, unten S. 29. KOPICZKO (wie Anm. 2), S. 238. Wie Anm. 3, Bl. 26 r.
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Der Landrat des Kreises Goldap berichtete dann an den Regierungspräsidenten von Gumbinnen, dass er „trotz der polnischen Sympathien des Tarnowski“6 keine Bedenken habe, ihm die Militärseelsorge zu übertragen. Die Verwaltungsfachleute waren wohl nicht in der Lage, die rein seelsorglichen Notwendigkeiten hinsichtlich der Betreuung der Gemeindemitglieder in ihrer Muttersprache von den politischen Gegebenheiten und nationalen Belangen zu unterscheiden. Nachdem das Ministerium für kirchliche Angelegenheiten alle erforderlichen Unterlagen beisammen hatte, musste doch noch eine Einverständniserklärung des Königlichen Kriegsministeriums eingeholt werden. Im Schreiben an den katholischen Feldpropst und Titularbischof von Pergamon Vollmar7 genehmigte der Kirchenminister im Einverständnis mit dem Kriegsminister, Tarnowski die Militärseelsorge für Goldap und Darkehmen zu übertragen.8 Während des Ersten Weltkrieges arbeitete Tarnowski als Geistlicher im Militärkrankenhaus in Kaunas. Ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz, kehrte er nach Goldap zurück. Am 7. August 1919 wurde er zum Kommendarius in der Gemeinde Ortelsburg bestellt, wo er später auch Pfarrer wurde. Die damals etwa 915 Mitglieder zählende Pfarrei war dem Dekanat Masuren I zugeordnet. Am 1. Januar 1936 trat Erzpriester Johannes Heller9 wegen Krankheit von seinem Amt als Dechant des Dekanates Wartenburg, zu dem neun Kirchspiele gehörten, zurück, und bereits am 3. Februar 1936 übernahm Maximilian Tarnowski als Erzpriester die Pfarrei St. Anna in Wartenburg sowie die Leitung dieses Dekanates. Jeden Sonntag wurden regelmäßig vier hl. Messen gefeiert, wobei die Predigten in den Gottesdiensten um 7.45 und 10.15 Uhr abwechselnd in deutscher und polnischer Sprache gehalten wurden.10 Schon im März des gleichen Jahres hat der Personalamtsleiter der NSDAP, Gauleitung Ostpreußen, den Oberpräsidenten der Pro-
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Landrat des Kreises Goldap an den Regierungspräsidenten zu Gumbinnen vom 31.7.1908. BAB, R 5101/22303, Bl. 26 r. Heinrich Vollmar, geb. am 1.5.1839 in Paderborn, war seit 1.1.1889 Militärgeistlicher für Königsberg, Pillau, Goldap und Darkehmen. Nach der Bischofsweihe 1904 in Berlin wurde er Militärgeistlicher der preußischen Armee. Er starb am 8.7.1915 in Köln. KOPICZKO, Słownik (wie Anm. 2), S. 301. Kirchenminister an Feldpropst und Titularbischof Vollmar vom 26.11.1908. BAB, R 5101/22303. Bl. 28. Johannes Heller, geb. 31.1.1871 in Schmolainen, am 3.5.1896 zum Priester geweiht, seit 1919 Erzpriester in Wartenburg, gest. am 29.11.1936 in Frauenburg. KOPICZKO, Słownik (wie Anm. 2), S. 98. Das Amt eines Erzpriesters entspricht dem Aufgabenbereich eines Dechanten. Siehe Pfarramtliche Nachrichten in: ERMLÄNDISCHES KIRCHENBLATT 5 (1936) – 8 (1939). Zwei bis drei Kapläne standen dem Erzpriester zur Verfügung.
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vinz Ostpreußen darüber informiert, dass Tarnowski „ein Gegner des heutigen Staates und der nationalsozialistischen Bewegung“11 sei und die Mitgliedschaft in der NS-Volkswohlfahrt entschieden abgelehnt habe. Auch den deutschen Gruß lehne er ab. Dass Tarnowski Bezieher der Gazeta Olsztyńska12 war, hatten die NSDAP-Stellen ebenfalls registriert. Dann folgt die Feststellung, dass Tarnowski politisch unzuverlässig sei. „Die Erteilung von Religionsunterricht muss ihm grundsätzlich untersagt werden, damit er nicht auf diese Weise Einfluss auf die deutsche Jugend gewinnt.“13 Die Behörden, die sich auch mit dem familiären Umfeld des Priesters und der sog. Polen-Bewegung beschäftigten, hätten ermittelt, dass die Schwester von Tarnowski in Danzig mit einem im polnischen Propagandadienst stehenden Mann verheiratet sein solle. Der Oberpräsident reagierte sofort und leitete am 15. März 1936 das NSDAP-Schreiben an den Regierungspräsidenten nach Allenstein weiter, der seinerseits verfügte, dass Pfarrer Tarnowski an den öffentlichen Schulen keinen Religionsunterricht erteilen dürfte.14 Anfang 1935 begann der Bund Deutscher Osten15 (BDO) im südlichen Ermland mit einer planmäßigen Aktion, die polnischen Gottesdienste im Landkreis Allenstein weiter einzuschränken. Dass es sich bei diesem Vorgehen um einen klaren Verstoß gegen das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 handelte, ist offenbar nicht in das Bewusstsein der BDO-Funktionäre gedrungen. Bemühungen des BDO, die Zahl der polnischen Gottesdienste in St. Anna in Wartenburg zu reduzieren, blieben bis zum ersten Quartal 1939 erfolglos. Maximilian Tarnowski wollte keine weiteren Einschränkungen der polnischsprachigen Gottesdienste zulassen. Er äußerte, „er halte eine Änderung für eine politische Maßnahme, und die Kirche habe sich um politische Dinge nicht zu kümmern.“16
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NSDAP Gauleitung Ostpreußen an Oberpräsident der Provinz Ostpreußen, Abteilung für höheres Schulwesen vom 10.3.1936. Archiwum Państwowe Olsztyn [künftig zit.: APO], Magistrat Wartenburg XXX/14/1566, Bl. 8. Siehe Anhang Nr. 2, unten S. 29 f. Die Gazeta Olsztyńska wurde im Jahre 1886 von Jan Liszewski gegründet und nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1939 von den Nationalsozialisten verboten. JAN CHŁOSTA, Słownik Warmii (historyczno-geograficzny) [(Historisch-geographisches) Lexikon des Ermlands]. Olsztyn 2002, S. 106 f. Wie Anm. 11. Regierungspräsident Allenstein an den Bürgermeister in Wartenburg vom 14.5.1936. APO (wie Anm. 11), Bl. 8 v. Der BDO wurde im Mai 1933 mit dem Ziel gegründet, das deutsche Volkstum im Osten zu stärken. Er unterstützte die Politik der NSDAP. HELMUT KUNIGK, Der Bund Deutscher Osten im südlichen Ostpreußen. In: ZEITSCHRIFT FÜR DIE GESCHICHTE UND ALTERTUMSKUNDE ERMLANDS [künftig zit.: ZGAE] 45 (1989) S. 67-113, hier S. 94.
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Nach mehrjähriger Auseinandersetzung mit den Regierungsstellen und der Gestapo ordnete Bischof Maximilian Kaller in einem Schreiben an Erzpriester Hanowski in Allenstein vom 15. August 1939 an, „dass angesichts der unruhigen gespannten Zeitverhältnisse in allen Städten der Diözese bis auf weiteres von polnischen Predigten und polnischem Gesang Abstand zu nehmen ist.“17 Die Gottesdienste in St. Anna, insbesondere die Predigten von Erzpriester Tarnowski und das Verlesen von Verlautbarungen des Bischofs von Ermland, wurden seit 1937 ziemlich regelmäßig von Polizisten der Stadt und von Spitzeln der Gestapo überwacht. Der Polizei-Hauptwachtmeister Klafki versuchte, eine Predigt von Tarnowski in Stichworten festzuhalten und stellte fest, dass der Priester immer wieder dazu aufforderte, auch „für unsere Kleinen und die Schule“18 zu beten. Der Fastenhirtenbrief des Jahres 1937 versetzte die Gestapostellen in Alarmbereitschaft. Die staatlichen Behörden verboten die Verlesung. Der Braunsberger Landrat Nienhaber teilte der Königsberger Gestapostelle mit, das Ordinariat in Frauenburg habe alle Erzpriester der Diözese fernmündlich davon unterrichtet, „dass der Hirtenbrief trotz staatlichen Verbots verlesen werden müsse.“19 Zahlreiche Pfarrer, so auch Erzpriester Tarnowski, hätten den Polizeibeamten gegenüber geäußert, dass man „Gott mehr gehorchen muss als den Menschen“20, und das Bischofswort den Gläubigen zur Kenntnis gebracht. Der Spitzel Alfred Konegen besuchte am 5. September 1937 den Gottesdienst in St. Anna und verfasste darüber einen Bericht21, in dem er den während der hl. Messe verlesenen Hirtenbrief Bischof Kallers vom 15. August 1937 erwähnte. Kaller hatte darin zu den traurigen Ereignissen während der Fronleichnamsprozession in Heilsberg Stellung bezogen, die Gläubigen zur Besonnenheit aufgerufen, aber auch festgestellt: „Methoden können uns zerschlagen, Vereine vernichtet werden, das göttliche, eigentliche Leben unserer heiligen Kirche können unsere Feinde nicht töten, den
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Kaller an Hanowski vom 15.8.1939. Archiwum Archidiecezji Warmińskiej Olsztyn [künftig zitiert: AAWO] 141, Nr. 5083/1939, unpaginiert. ULRICH FOX, Bischof Maximilian Kaller und die Seelsorge für die polnischsprechenden Diözesanen. In: ZGAE 49 (1999) S. 147-174. DERS., Gebrauch der Muttersprache im Gottesdienst im südlichen Ermland 1930-1956. In: Nad Bałtykiem, Pregołą i Łyną. XVI-XX wiek [An Ostsee, Pregel und Alle]. Hrsg. von JULIAN WOJTKOWSKI, URSZULA KALEMBKA, SŁAWOMIR KALEMBKA und MIECZYSŁAW WOJCIECHOWSKI. Olsztyn 2006, S. 406-427. Bericht von Polizei-Hauptwachtmeister Klafki vom 21.3.1937. APO, Magistrat Wartenburg XXX/14/1570, Bl. 108. Bericht des Landrats von Braunsberg an die Gestapostelle Königsberg vom 11.3.1937. BAB, R 5102/22220, Bl. 136. Ebd. S. 137. Bericht von Alfred Konegen, Wartenburg, vom 7.9.1937. APO (wie Anm. 18), Bl. 138 v.
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heiligen Geist nicht auslöschen. Das Christentum geht nicht unter, auch in unserem Vaterlande nicht.“22 Den Spitzel beschäftigte auch noch eine andere Frage. In Wartenburg wurde während des polnischsprachigen Gottesdienstes der genannte Hirtenbrief des Bischofs in deutscher Sprache verlesen. Konegen deutete dies so: „Das hat wohl folgenden Grund: Man weiß bei der hiesigen Geistlichkeit sehr wohl, dass auch die polnischen Gottesdienste zum weitaus größten Teil von Deutschsprechenden besucht werden. [...] Dadurch, dass in unserer kleinen Stadt der polnische Gottesdienst regelmäßig von etwa 800 Personen besucht wird, wird ein starkes Polentum vorgetäuscht, das in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist.“23 Aus zahlreichen Berichten von Ermländern, auch von Personen, die die ermländische polnische Mundart bzw. das Polnische gar nicht beherrschten, ist bekannt, dass sie wegen der sehr gefühlvollen polnischen Kirchenlieder an solchen Gottesdiensten teilnahmen. Dies trifft beispielsweise auch auf die Gottesdienste in der St. Jakobikirche in Allenstein zu. Seit 1931 gab Bischof Kaller zahlreiche Hirtenbriefe auch in polnischer Sprache heraus. Es sind insgesamt elf dieser Briefe erhalten geblieben, wobei der Hirtenbrief vom 15. August 1937 darunter nicht zu finden ist.24 Tarnowski hatte vermutlich gar keine andere Wahl, als den Hirtenbrief in deutscher Sprache zu verlesen. Der Spitzel vermutete darin aber eher eine Taktik des Geistlichen, der im Falle von Angriffen von Seiten des Regierungspräsidenten und anderer Stellen seinerseits darauf hätte hinweisen können, dass er das Polentum nicht fördere. Auch der am 13. Februar 1938 von Bischof Kaller verfasste und für den 20. Februar zum Verlesen bestimmte Hirtenbrief löste mit seinem unverblümten Angriff auf den nationalsozialistischen Staat bei der Gestapo und der Polizei große Unruhe aus. In diesem Schreiben hieß es: „Wir sind vogelfrei; andere dürfen uns höhnen und lästern. Wir dürfen kein Wort der Erwiderung bringen, keine Richtigstellung ist möglich. Beschwerden werden entweder nicht beantwortet oder haben sogar eine Verschärfung der Maßnahmen im Gefolge. Von Gewissensfreiheit, von Religionsfreiheit kann nicht mehr die Rede sein. Ist es doch Tatsache, dass auf viele Christen, Katholiken sowohl wie Mitglieder der evangelischen Bekenntniskirche,
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Der Hirtenbrief war beschlagnahmt worden und konnte nicht im KIRCHLICHEN AMTSBLATT FÜR DAS BISTUM ERMLAND veröffentlicht werden. Faksimile nach einer Schreibmaschinenausfertigung im Diözesanarchiv Aachen bei GERHARD REIFERSCHEID, Das Bistum Ermland und das Dritte Reich (BONNER BEITRÄGE ZUR KIRCHENGESCHICHTE, 7. ZEITSCHRIFT FÜR DIE GESCHICHTE UND ALTERTUMSKUNDE ERMLANDS, Beiheft 1). Köln - Wien 1975, S. 299-303, Zitat S. 301. Wie Anm. 21. MARIAN BORZYSZKOWSKI, Bischof Maximilian Kaller und die polnischsprachige Seelsorge in der Diözese Ermland. In: ZGAE 49 (1999) S. 127-145, hier S. 131.
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ein ungeheurer Druck zum Verrat an ihrem Glauben, zur Aufgabe ihrer heiligsten Güter ausgeübt wird. [...] Auch in unserer Diözese wütet die Verfolgung.“25 Die Gestapo Allenstein richtete einen Funkspruch an den Wartenburger Bürgermeister, in dem darauf hingewiesen wird, dass der Hirtenbrief geeignet sei, die Ruhe und Ordnung zu stören. Am Sonnabend, 19. Februar, 16 Uhr, sei „schlagartig bei allen in Frage kommenden kath[olischen] Geistlichen die Herausgabe dieses Hirtenbriefes zu verlangen, widrigenfalls sie im Wege der Durchsuchung zu beschlagnahmen [sind]. Auch die inhaltsweise Wiedergabe dieses Hirtenbriefes ist von den Geistlichen unter Androhung schwerster Maßnahmen zu verbieten. Von Verhaftungen und Maßnahmen in der Kirche selbst ist vorläufig abzusehen.“26 Der Polizei in Wartenburg gelang es nicht, in den Besitz des Hirtenbriefes zu kommen. Der Bürgermeister beauftragte die Polizisten Klafki, Meiski und Spork mit der Überwachung der Gottesdienste am 20. Februar um 8, 9 und 10 Uhr. Polizei-Hauptwachtmeister Klafki berichtete, dass um 8 Uhr in der katholischen Kirche der Hirtenbrief verlesen wurde. „Dass der Inhalt aufregend auf die Bevölkerung gewirkt hat, habe ich nicht empfunden.“27 Im Gottesdienst um 9 Uhr kam der Hirtenbrief nicht zum Vortrag. Spork hatte zu vermelden, dass im Gottesdienst um 10 Uhr der Hirtenbrief in polnischer Sprache verlesen wurde, er konnte aber nicht bemerken, dass die Gemeinde durch den Inhalt „aufgehetzt“ worden sei.28 Über die Inhalte des Hirtenbriefes selbst hat keiner der Polizisten ein Wort verloren. Die Gottesdienste und Veranstaltungen in der Pfarrei St. Anna standen weiterhin unter Beobachtung der Polizei und der Gestapo. Als die Fronleichnamsprozessionen nur noch auf dem Kirchengrundstück abgehalten werden durften, überprüfte die Gestapo an solchen Feiertagen das Geschehen in der Gemeinde. Man wartete nur noch auf einen Anlass, um Tarnowski zu verhaften bzw. in Schutzhaft zu nehmen. Im Jahre 1944 fand die Prozession am Fronleichnamstag, 8. Juni, vor der hl. Messe um 8 Uhr unter der Leitung von Erzpriester Tarnowski auf dem Kirchengrundstück statt und ebenso die Prozession am Oktavtag um 19 Uhr.29 Von einer sofortigen Vernehmung des Erzpriesters wurde abgesehen, weil in der
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REIFERSCHEID (wie Anm. 22), S. 189-190. Fernspruch Gestapo Allenstein an den Bürgermeister von Wartenburg vom 18.2.1938. BAB, R 5102/22220, Bl. 155 r. Ebd. Bl. 155 v. Ebd. Bericht des Hauptwachmeisters der Schutzpolizei Waschkau vom 13.6.1944. APO (wie Anm. 18), Bl. 173.
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Verfügung vom 25. Mai 1944 nur ein Bericht über den Verlauf der kirchlichen Feierlichkeiten angefordert worden war.30 In der Zeit vom 1. März 1938 bis Ende 1944 benutzte Tarnowski die Daten im Fremdenbuch, in dem gemäß Verordnung des Preußischen Innenministers vom April 1933 die in der Gemeinde sich kurzzeitig aufhaltenden bzw. durchreisenden Personen erfasst wurden31, für die Aufgebote in der St. Anna-Gemeinde und verstieß damit gegen die polizeilichen Bestimmungen. Ob daraus irgendwelche Konsequenzen erwachsen sind, bleibt ungeklärt. Aus mündlichen Überlieferungen ist bekannt, dass Tarnowski während des Zweiten Weltkrieges auch polnische Kriegsgefangene und polnische Zwangsarbeiter seelsorglich betreute, wozu ihn seine ausreichenden polnischen Sprachkenntnisse befähigten.
In der Volksrepublik Polen Beim Einmarsch der Roten Armee hielt sich Tarnowski eine Zeitlang versteckt, kehrte aber bald wieder in das Pfarrhaus zurück.32 Vier Priester aus seinem Dekanat mit neun Kirchspielen wurden von den Rotarmisten entweder erschossen oder in die Sowjetunion verschleppt und sind dort verstorben.33 Im Frühsommer 1945 kam Tarnowski wohl zum ersten Mal nach dem Zusammenbruch wieder nach Allenstein, um seinem Bischof über die Situation in seiner Gemeinde und im Dekanat Bericht zu erstatten. Kaller befand sich damals jedoch noch in Halle/Saale oder bereits wieder auf dem Wege zurück ins Ermland. Seine Lage schildert Tarnowski so: „Ich habe manches durchgemacht, wie so unendlich viele, bin aber heil geblieben 30 31
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Anmerkungen des Bürgermeisters von Wartenburg vom 29.6.1944. BAB (wie Anm. 26). Polizeiliche VO über das Meldewesen des Preußischen Ministers des Innern vom 22.4.1933. Im Fremdenbuch sind u. a. nachstehende Rubriken enthalten: Vor- und Nachname, Beruf, Geburtsdatum und Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Wohnort und Wohnung, Tag der Ankunft und der Abreise. Das gleiche Fremdenbuch hat Tarnowski nach dem Zweiten Weltkrieg zur Erfassung der verbliebenen Gemeindemitglieder in den Dörfern Hirschberg (269), Maraunen (120) und Lengainen (357) verwendet. Archiwum Akt Nowych Archidiecezji Warmińskiej w Olsztynie [künftig zit.: AAWO-N], Barczewo 59. EWA GLABAS, In meinem Hirschberg - wie in Abrahams Schoß. In: Nachkriegsalltag in Ostpreußen. Erinnerungen von Deutschen, Polen und Ukrainern. Hrsg. von HANS-JÜRGEN KARP und ROBERT TRABA (ZGAE, Beiheft 16). Münster 2004, S. 482-483. Paul Chmielewski/Gr. Kleeberg, Joachim Ziemetzki/Alt-Wartenburg wurden erschossen, Johannes Krämer/Gillau und Wilhelm Schnarkowski/Gr. Bartelsdorf in die Sowjetunion verschleppt und sind dort verstorben. KOPICZKO (wie Anm. 2), S. 46, 329, 145, 251.
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und verschont von jeder Unbill. Solche zu ertragen, war ich wohl nicht fähig, so hat mir’s Gott erspart, wofür ich ihm danke. Der irdische Plunder ist auch geschwunden, die irdische Last mithin schon etwas leichter geworden.“34 Was er mit dem irdischen Plunder gemeint hat, ist nicht klar. Dann berichtet er über Artillerieeinschüsse und zerstörte Fenster in der St.-Anna-Kirche, so dass der Gottesdienst in der Klosterkirche stattfinden musste. In dieser Zeit gehörten zu St. Anna 5000 Seelen, etwa 2000 davon waren einheimische Gemeindemitglieder. Das Pfarrhaus hatte ebenfalls durch die Kriegseinwirkungen gelitten, so dass Tarnowski in der Kaplanei Wohnung nahm. „Das religiöse Leben von früher ist’s natürlich noch lange nicht, [...] aber unsere Leute vom Lande können auch viel schwerer zur Kirche kommen, weil Angespann und auch Kleidung fehlt. [...] Selbstverständlich sind die Verhältnisse ganz ungewohnt, und das macht Schwierigkeiten.“35 Den Religionsunterricht für die Vorbereitung der Kinder auf die Erstkommunion im Jahre 1946 hat Tarnowski der polnischen Lehrerin, Frau Furman, überlassen, weil er sich in der polnischen Sprache wohl noch nicht ganz gefestigt sah. Auch die ermländischen Kinder aus Reuschhagen haben nach etwa einem Jahr polnischer Schule an diesem Unterricht teilgenommen.36 Erstaunlich ist, dass noch im Jahre 1948 die deutschen Kinder von Tarnowski in deutscher Sprache auf die Erstkommunion vorbereitet worden sind.37 Um sich mit den ermländischen Schulkindern verständigen zu können, benutzte Tarnowski im Religionsunterricht häufig die deutsche Sprache und deutsche Religionsbücher, was ihm als Propaganda und als Revisionismus angelastet wurde.38 Mit Schreiben vom 6. Juni 1946 teilte Tarnowski der bischöflichen Kurie mit, dass er sich um die Abhaltung von Gottesdiensten in der Wartenburger Strafanstalt bemüht habe, aber abgewiesen wurde, weil er keine Genehmigung der staatlichen Stellen vorlegen konnte.39 In einem Brief an Gerhard Fittkau40 bat Tarnowski um das aktuelle Verzeichnis der noch lebenden und der verstorbenen ermländischen Priester,
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Tarnowski an Kaller vom 24.5.1947. Archiv Visitator Ermland, Münster [künftig zit.: AVE], A 18 125 T. Siehe Anhang, Nr. 3, unten, S. 30 f. Ebd. Mitteilung von Hedwig Luwinski, geb. Piezkowski, geb. 1937, vom 3.5.2009 in Werl. Winfried Lipscher an den Verfasser vom 6.5.2009. Rewizjonizm niemiecki, powiat Olsztyn. Instytut Pamięci Narodowej Oddział w Białymstoku [künftig zit.: IPN Bi] 087/156/1. Bericht vom 24.9.1946, S. 24. AAWO-N, Teczka parafii św. Anny w Barczewie 1946-1978. Gerhard Fittkau, geb. 1912, Priesterweihe 1937, 1945 in die Sowjetunion verschleppt, im September 1945 nach Westdeutschland zurückgekehrt, 1946 Sekretär Bischof Kallers, 1962 Dogmatiker am Priesterseminar in Essen, gest. 2004. KOPICZKO (wie Anm. 2), S. 68.
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weil die mündlich weiter gegebenen Nachrichten nicht immer der Wirklichkeit entsprachen. Dann lobte er den Zusammenhalt der Dortgebliebenen und die Beteiligung der Neusiedler an den religiösen Praktiken der Ermländer. „Gott sei Dank, halten unsere Autochthonen, wie sie jetzt genannt werden, an ihren alten Gebräuchen fest, und die zugewanderten Gläubigen nehmen immer mehr Anteil an unseren Ablässen oder Kirmessen.“41 Tarnowski nannte die Ablassfeste in St. Antonius in Wartenburg, St. Rochus in Gr. Ramsau und besonders in Dietrichswalde, wo sehr viele Menschen zusammen kamen. Zu den verbliebenen deutschen Priestern Leo Kaminski (Klaukendorf), Stanisław Sobieszczyk (Gillau) und Franz Matheblowski (Groß Ramsau) pflegte Tarnowski in dieser Zeit enge Beziehungen.42 Die Neusiedler mussten sich allerdings den bisher in Wartenburg üblichen religiösen Praktiken anpassen. Tarnowski „ließ den zugezogenen Gläubigen wenig Raum für die Entfaltung ihrer polnischen Frömmigkeit. So gab es in St. Anna kein Bild der Mutter Gottes von Tschenstochau und auch nicht der Mutter Gottes von der Ostra Brama in Wilna. Es gab in der Kirche einen Marienaltar, und das musste reichen. Tarnowski ließ auch bei Prozessionen keine polnischen Fahnen mit langen Schleifen zu oder gestickte Kissen mit Schleifen. [...] Die Polen in der Gemeinde haben ihn wohl nicht geliebt, aber respektiert.“43 Bald begann die Zeit, in der der kommunistische Staat das Wirken der katholischen Kirche in Polen durch administrative Maßnahmen einzuschränken versuchte. Die neue Stadtverwaltung in Barczewo wollte von Tarnowski wissen, wie viele Trauungen im Jahre 1949 stattgefunden hatten. Sie war der Meinung, dass der Pfarrer zu dieser Meldung verpflichtet sei, weil eine Trennung von Kirche und Staat derzeit noch nicht bestand. Tarnowski wurde misstrauisch und fragte bei der Kurie an.44 Diese antwortete, dass die Kirche zu solchen Auskünften nicht verpflichtet sei.45 Als die neuen Machthaber die kirchlichen Ländereien von St. Anna enteigneten und dem Fiskus übertrugen, wurde ein Übergabeprotokoll angefertigt.46 Tarnowski weigerte sich, es zu unterschreiben und machte eine entsprechende Meldung an die Kurie in Allenstein.47
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Tarnowski an Fittkau vom 18.1.1949. AVE. Wie Anm. 37. Ebd. Tarnowski an die bischöfliche Kurie vom 2.3.1949 in polnischer Sprache. Auch alle weiteren Briefe an die Kurie und die Behörden verfasste Tarnowski in Polnisch. AAWO-N (wie Anm. 39). Bischöfliche Kurie an Tarnowski vom 15.3.1949. Ebd. Protokoll vom 23.4.1949. Ebd. Tarnowski an die bischöfliche Kurie vom 25.4.1949. Ebd.
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Zu seinem Mitbruder Arthur Kather48, mit dem er am gleichen Tag zum Priester geweiht und der nach dem Tod Bischof Kallers im Jahre 1947 Kapitularvikar für die Diözese Ermland geworden war, nahm Tarnowski im Sommer 1949 Kontakt auf und bat ihn, mit dem Roten Kreuz in Hamburg in Verbindung zu treten, um auf die Liste der Ausreisewilligen nach Deutschland aufgenommen zu werden.49 Er wusste nicht, „ob auch die ,Musspolen’, d. h. die, welche das einstweilige polnische Bürgerrecht erhalten haben wie ich, der gar nicht darum gefragt wurde, ob ich Pole bin oder sein will“, dafür in Frage kamen. „Ich habe mich dagegen nicht gesträubt, denn nur so konnte ich hier seelsorglich arbeiten, in dem Gebiet, das auch heute noch großen Mangel an Priestern hat.“ Er führte ferner an, dass er so den alten Pfarrangehörigen und den Neusiedlern mit viel Mühe dienen konnte. „Denn die Sprache beherrsche ich auch jetzt nach vier Jahren noch nicht. [...] Das deutsche Herz verleugnet sich nicht, das spüren die Polen nur zu gut.“ Misstrauen und Fremdheit mache sich breit. Wenn viele alte Ermländer bald ausreisen sollten, dann „ist meine Arbeit auch getan. Den Polen entspricht ein Geistlicher aus ihrem Reich zweifelsohne besser. [...] Könnt ihr den alten Max da noch brauchen?“ fragte Tarnowski an. Im gleichen Schreiben bat er auch, seine Schwester Agnes (*1877, †1953) auf die Liste der Ausreisewilligen zu bringen. Kapitularvikar Kather beantragte daraufhin beim Regierungspräsidenten von Osnabrück eine Zuzugsgenehmigung für Maximilian Tarnowski und seine Schwester Agnes.50 Noch im gleichen Monat erhielt er eine Zuweisungsbescheinigung mit dem Hinweis, dass eventuelle Ansprüche auf Zahlung von Versorgungsbezügen irgendwelcher Art daraus nicht abgeleitet werden könnten.51 Tarnowski hoffte, dass er Wartenburg bald würde verlassen können, obwohl die Behörden in Allenstein der Aktion noch zustimmen müssten.52 Ihm wurde noch 1950 auf Vermittlung des Ordinariats Münster eine Stelle in Recklinghausen angeboten, Tarnowski hat aber die Reise in die Bundesrepublik nicht antreten können, weil die Sammeltrans-
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Arthur Kather, geb. 1883, 1906 Priesterweihe, 1924 Pfarrer von St. Nikolaus in Elbing, 1940 von der Gestapo ausgewiesen, 1946 aus Polen ausgewiesen, 1947 Kapitularvikar der Diözese Ermland, gest. 1957. KOPICZKO (wie Anm. 2), S. 129. Tarnowski an Kather vom 4.8.1949. AVE. Siehe Anhang, Nr. 4, unten S. 31 f. - Seinen letzten Willen formulierte Kather so: „Das Testament der Heimat ist wichtiger als das meine. Was die Heimat uns mitgab, ist wertvolles Vermögen, drückende und beglückende Verpflichtung.“ Aus dem Totenzettel Kathers. Kather an den Regierungspräsidenten von Osnabrück vom 6.9.1950. AVE. Siehe Anhang, Nr. 5, unten S. 32. Regierungspräsident von Osnabrück an Kather vom 22.9.1950. AVE. Siehe Anhang, Nr. 6, unten S. 33. Tarnowski an Kather vom 20.10.1950. AVE.
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porte zeitweise gesperrt wurden und nur eine individuelle Ausreise möglich blieb. Da seine Papiere nur für einen Sammeltransport Gültigkeit hatten, musste er zu diesem Zeitpunkt auf eine Übersiedlung verzichten. Bereits im Jahre 1948 hatte sich das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Polen verschlechtert, und im Jahre 1951 erreichte es seinen Tiefpunkt. Eine Verfügung der polnischen kommunistischen Machthaber vom 26. Januar 1951 hatte zur Folge, dass der Apostolische Administrator der Diözese Ermland Teodor Bensch53 das Bistum verlassen musste.54 Auch die polnischen und ermländischen Priester waren bald unterschiedlichen Repressalien ausgesetzt. Im Jahre 1952 übernahm Tarnowski zusätzlich auf unbestimmte Zeit die Seelsorge und Verwaltung der Pfarrei Groß Bartelsdorf.55 Als am 5. März 1953 der Diktator Josef Stalin starb und in allen Kirchen in Polen und im Ermland auf Anordnung der staatlichen Behörden die Glocken läuten sollten, verweigerte Tarnowski seine Zustimmung. Noch im gleichen Jahr erhielt er die Aufforderung, innerhalb von drei Tagen die Pfarrei und die Diözese zu verlassen. Die Ausweisung wurde damit begründet, dass Tarnowski Deutscher sei und die neuen Bestimmungen es nicht erlaubten, eine Pfarrei mit einem Ausländer zu besetzen.56 Das Referat für konfessionelle Angelegenheiten beim Regierungspräsidenten in Allenstein stellte fest, dass Tarnowski im ermländischen Klerus und insbesondere bei der autochthonen Jugend Tätigkeiten im revisionistischen Geist ausübe, die die Autochthonen, die einheimischen Ermländer, von den Neusiedlern aus verschiedenen Regionen Polens und der polnischen Ostgebiete isolierten. Jungen Menschen habe er mit verschiedenen Argumenten nahe gelegt, keine Mischehen, also Ehen zwischen Ermländern und Polen, einzugehen. Außerdem verbreite Tarnowski revisionistische Flugblätter aus Deutschland.57
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Teodor Bensch, geb. 1903, Priesterweihe in Posen 1932, Administrator der Diözese Ermland von August 1945 bis Januar 1951, 1956 Bischof der Diözese Gorzów, gest. 1958. ANDRZEJ KOPICZKO, Duchowieństwo katolickie diecezji warmińskiej w latach 1945-1992. Część 2. Słownik [Die katholischen Geistlichen der Diözese Ermland in den Jahren 1945-1992. Teil 2. Lexikon]. Olsztyn 2007, S. 20 f. DERS., Kościół Warmiński. Kościół a polityka wyznaniowa po II wojnie światowej [Die ermländische Kirche und die Kirchenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg]. Olsztyn 1996, S. 17. Bischöfliche Kurie an Tarnowski vom 28.10.1952, Nr. 3009/52. AAWO-N (wie Anm. 39). Maximilian Tarnowski war im Besitz eines deutschen Reisepasses, ausgestellt vom Permit-Office. Er hatte aber in der Zwischenzeit eine Meldekarte ausgefüllt und einen polnischen Personalausweis beantragt. Referat für konfessionelle Angelegenheiten an den Wojewoden in Allenstein vom 12.5.1953. AAWO-N (wie Anm. 39).
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Tarnowski nahm darauf hin in einem Schreiben an das Amt für konfessionelle Angelegenheiten bei der Regierung in Warschau zu diesen Vorwürfen ausführlich Stellung.58 Zunächst wundert er sich darüber, dass er als Revisionist abgestempelt wird. Nach der Anerkennung der OderNeiße-Grenze durch die Deutsche Demokratische Republik habe er bei der polnischen Regierung einen Ausreisantrag gestellt, weil er gemerkt habe, dass er, obwohl er ehrliche Arbeit in der Seelsorge leiste, vom Nationalgefühl her mit den Menschen nicht auf einer Linie sei. „Sieht so Revisionismus aus?“ fragt er. Jetzt habe er nur noch den einen Wunsch, die Pfarrei seinem Ordinarius zur Verfügung zu stellen und nach Deutschland auszureisen. Im zweiten Punkt geht Tarnowski auf seinen Einfluss auf die Jugend ein. Es stimme nicht, dass er den autochthonen Jugendlichen von einer Ehe mit jungen Menschen aus Zentralpolen abgeraten habe. Anfänglich, im Jahre 1945, habe er wohl in zwei Fällen darauf aufmerksam gemacht, dass unterschiedliche Erziehung und unterschiedliche Sitten und Bräuche zu Missverständnissen und Unfrieden führen könnten. Später, als die Kontakte und das Zusammenleben besser geworden waren, habe er diese Angelegenheiten nicht mehr angesprochen. Das Amt für konfessionelle Angelegenheiten solle seine seelsorglichen Bemühungen anerkennen, zumal der kirchliche Standpunkt zur Ehe doch bekannt sein dürfte. Im dritten Punkt nimmt Tarnowski zu den angeblich von ihm verbreiteten Flugblättern Stellung. Diese Behauptung entspreche nicht der Wahrheit, ansonsten hätte man ihn doch schon längst bestraft. Am Schluss des Schreibens legt er einen entschiedenen Protest gegen seine Amtsenthebung ein und verweist auf Codex Juris Canonici 45459, gemäß dem er aus seinem Amt nicht entfernt werden könne. Nach Feststellungen von inoffiziellen Mitarbeitern des Kreisamtes für öffentliche Sicherheit (Powiatowy Urząd Bezpieczeństwa Publicznego) hatten inzwischen etwa 80 Wartenburger einen Antrag auf Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland gestellt. Sie waren dabei von dem Justitiar Gustav Rischewski und Maximilian Tarnowski unterstützt worden.60 Rischewski unterhielt sehr enge Kontakte zu Erzpriester Tarnowski und
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Tarnowski an das Amt für konfessionelle Angelegenheiten in Warschau über das gleiche Referat in Allenstein vom 17.6.1953. Ebd. Siehe Anhang, Nr. 7, unten, S. 34-36. HERIBERT JONE, Gesetzbuch der lateinischen Kirche. Erklärung der Kanones. 1. Allgemeine Normen und Personenrecht. Kan. 1 bis Kan. 725. Paderborn 1950, S. 393-394. Der § 1 des Kanon 454 lautet: „Bei der Anstellung der Pfarrer ist zu beachten, dass sie in der Pfarrei, die sie erhalten haben, dauernd angestellt sein müssen.“ Powiatowy Urząd Bezpieczeństwa Publicznego. IPN Bi (wie Anm. 38) 084/234. Bericht vom 4.2.1953, S. 1.
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verfasste die Ausreiseanträge auf seiner Schreibmaschine.61 Tarnowski wurde außerdem eine feindliche Einstellung zur neuen Wirklichkeit vorgeworfen, er widersetze sich den Anordnungen des Staates, habe an den Wahlen zum Sejm nicht teilgenommen und sei ein schlechtes Vorbild für die hiesige Bevölkerung. Bei den Autochthonen genieße er ein großes Vertrauen.62 Tarnowski erhielt im September 1953 eine Ladung zu einem Termin beim Staatsanwalt, bei dem die bereits bekannten Vorwürfe gegen ihn vorgetragen wurden. Noch am gleichen Tag nahm er in einem Schreiben an den Staatsanwalt dazu Stellung und betonte, dass er das im Dekret vom 9. Februar 1953 geforderte Gelöbnis abgelegt habe, so dass eine Amtsenthebung nicht gerechtfertig sei.63 Ihm geschehe großes Unrecht, er werde diskriminiert. Für das weitere Vorgehen schlug wer zwei Möglichkeiten vor. Er wäre bereit, als Pfarrer nach Diwitten zu gehen, oder, nach Absprache mit dem Ordinarius, auf die Ämter in Wartenburg zu verzichten, allerdings nur dann, wenn ihm das Wohnrecht in Wartenburg garantiert würde. Den Verbleib in Wartenburg begründet er mit seinem hohen Alter und mit den Schwierigkeiten bei der Umstellung seiner Lebensgewohnheiten auf dörfliche Verhältnisse. Seine endgültige Entscheidung wollte Tarnowski dem Staatsanwalt binnen einer Woche bekannt geben. Inzwischen schlug er aber zwei Tage später einen anderen Weg in der Auseinandersetzung mit den Behörden ein. Mit Hilfe der bischöflichen Kurie, die damals noch von Adalbert Zink64 geleitet wurde, setzte Tarnowski einen Beschwerdebrief an den Vorsitzen61
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IPN Bi 087/156/2/Jacket. Bericht vom 4.7.1953. S. 1. Gustav Rischewski (geb. 1899 in Wartenburg, gest. 1966 in Heitersheim) war vor 1945 beim Amtsgericht Wartenburg im Katasteramt tätig. Er verfügte über keinerlei polnische Sprachkenntnisse und musste sich diese nach 1945 mühsam selbst beibringen. Mit Unterstützung Tarnowskis erarbeitete er sich einen Standardtext für die Ausreiseanträge. IPN Bi 087/156/3/Jacket. Bericht vom 16.9.1953, S. 10. Tarnowski an den Staatsanwalt in Allenstein vom 21.9.1953. AAWO-N (wie Anm. 39). Siehe Anhang, Nr. 8, unten, S. 36 f. Ob Tarnowski die im Dekret des polnischen Staatsrates vom 9.2.1953 enthaltenen Bedingungen bei der Besetzung kirchlicher Ämter zu diesem Zeitpunkt erfüllt hatte, bleibt allerdings fraglich. In Artikel 1 wird nämlich festgelegt, dass ein geistliches Kirchenamt nur mit polnischen Staatsbürgern besetzt werden kann. Außerdem musste jeder Priester einen Treueid auf die Verfassung der Volksrepublik Polen ablegen. PETER RAINA, Kościół w PRL. Kościół katolicki a państwo w świetle dokumentów 1945-1989. Tom 1. Lata 1945-59 [Die Kirche in der Volksrepublick Polen. Die katholische Kirche und der Staat im Licht der Dokumente 1945-1989. Bd. 1. Die Jahre 1945-59]. Poznań 1994, S. 390-392. Adalbert (Wojciech) Zink, geb.1902 in Bromberg, Priesterweihe 1925 durch Bischof Augustinus Bludau, inhaftiert von der Roten Armee von Januar 1945 bis März 1946, am 30.1.1951 zum Generalvikar ernannt, im März 1952 vom ermländischen Domkapitel zum Kapitularvikar der Diözese Ermland gewählt, am 22.10.1953 verhaftet, seit 1956 wieder Generalvikar, gest. am 9.9.1969 in Allenstein. KOPICZKO (wie Anm. 2), S. 332. ANDRÉ SCHMEIER, Die Entwicklung der Diözese Ermland zur Apostolischen Visitatur in der Bundesrepublik Deutschland unter kirchenrechtlichem Aspekt. In: ZEITSCHRIFT FÜR DIE GESCHICHTE UND ALTERTUMSKUNDE ERRMLANDS 51 (2005) S. 126-169, hier besonders S. 150- 153. Siehe auch in diesem Band die Beiträge von SABINA BOBER und ANDRZEJ KOPICZKO, unten S. 68-77 und S. 78-84.
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den des polnischen Ministerrats in Warschau auf.65 In der Einführung nimmt er Bezug auf die Struktur der Gemeinde, die sich fast zu 90 % aus Autochthonen zusammensetze, zu denen er einen guten Kontakt pflege, auch zu den aus Polen Hinzugekommenen, bei denen er durch seine Einstellung inzwischen Vertrauen gewonnen habe. Er äußert sein Unverständnis für die strenge Bestrafung durch die Regierungsstellen. Vielleicht liege es daran, dass er aufgrund seines Alters einen Ausreiseantrag nach Deutschland gestellt habe, wo nähere Verwandte seiner Familie jetzt wohnten. Aus diesem Grunde habe er auch die Annahme eines Personalausweises verweigert. Tarnowski verweist darauf, dass er im Präsidium der Wojewodschaft in Allenstein das Dekret vom 9. Februar 1953 anerkannt und den erforderlichen Treueid abgelegt und somit alle Voraussetzungen zum Verbleib in seiner Pfarrei erfüllt habe. Danach habe man ihn mehrfach schikaniert und erneut verlangt, die Pfarrei zu verlassen und in eine Dorfgemeinde zu wechseln. Durch diese Maßnahme würde nicht nur er selbst diskriminiert, sondern auch den Gemeindemitgliedern der Pfarrei und den Gläubigen des gesamten Dekanats Schaden zugefügt. „Man liest und hört viel über die Notwendigkeit, Fehler zu vermeiden, die gegenüber den Autochthonen begangen worden sind, ebenso darüber, dass Benachteiligungen und Zurücksetzungen [...] vermieden werden sollen. [...] Meine Amtsenthebung würden einige Tausend Ermländer einfach als ein ihnen direkt zugefügtes Unrecht empfinden.“ Ferner beruft sich Tarnowski noch auf die polnische Verfassung, die jedem Menschen Freiheit, Unantastbarkeit der Wohnung und der Arbeit sowie die Fürsorge im Alter garantiere. Schließlich bittet er den Vorsitzenden des Ministerrats, alle bisher gegen ihn getroffenen Maßnahmen zu annullieren, das Leben eines in die Jahre gekommenen Priesters zu achten und ihm zu gestatten, in den letzten Jahren seines Lebens in seiner vertrauten Gemeinde zu wirken. Der damalige Apostolische Administrator Adalbert Zink hatte mehrfach bei den Zentralstellen in Warschau Berufung für den Verbleib von Tarnowski in seiner Pfarrei eingelegt; die letzte Intervention stammt vom 26. September 1953. In jenen Tagen überstürzten sich die Ereignisse in der polnischen Kirche und so auch im Ermland. Am Abend des 25. September 1953 war der polnische Primas, Stefan Kardinal Wyszyński, wegen mangelnder Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den kommunistischen Machthabern verhaftet worden. Unter dem Druck staatlicher Stellen gab der polnische Episkopat, 65
Tarnowski an den Vorsitzenden des Ministerrats in Warschau vom 23.9.1953. Das Schreiben zeigt ganz eindeutig die Handschrift eines Kirchen-Juristen, der sich auch auf die gültige polnische Verfassung beruft. Für die Richtigkeit zeichnete der Notar der bischöflichen Kurie Franciszek Bryx. AAWO-N (wie Anm. 39). Siehe Anhang, Nr. 9, unten, S. 38-41.
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dann schon unter der Leitung von Bischof Klepacz, am 28. September eine Erklärung über die Normalisierung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat heraus, in der u. a. zu lesen war: „Der Episkopat lehnt die politischen Einstellungen und Aktionen gewisser Gruppen in der Hierarchie und in einem großen Teil des deutschen Klerus ab, die als treibende Kraft bei den antipolnischen und revisionistischen Aktivitäten anzusehen sind.“66 Ein weiterer Aufruf des Episkopats und ein Kommuniqué des polnischen Ministerpräsidenten sollten am 4. Oktober 1953 von allen Kanzeln verlesen werden. Der ermländische Administrator Zink lehnte dies ab und wurde am 2. Oktober 1953 in Allenstein verhaftet und in das MokotówGefängnis nach Warschau gebracht. Erzpriester Tarnowski verlor dadurch seinen engagierten Mitstreiter. Am 11. Oktober musste das ermländische Domkapitel eine Konferenz einberufen, bei der Prof. Stefan Biskupski67 zum Kapitularvikar der Diözese Ermland gewählt wurde. Biskupskis Einstellung gegenüber den staatlichen Stellen war grundsätzlich von Loyalität geprägt. Dies gilt insbesondere für sein Verhältnis zum örtlichen Wojewoden Julian Malewski68 und für seine Zusammenarbeit mit dem Leiter des Referats für die Angelegenheiten der Konfessionen, Leopold Topczewski, mit dem er regelmäßige Gespräche, in der Regel einmal monatlich, führte. Die polnischen Kommunisten hatten es nun ziemlich leicht, mit Hilfe des neuen Kapitularvikars Tarnowski aus seinem Amt zu verdrängen. Das Amt des Ministerpräsidenten in Warschau bestätigte, dass mit der Anordnung vom 2. Oktober 1953, Nr. 744/53 die Entscheidung des Präsidiums des Nationalrates der Wojewodschaft in Allenstein gültig sei, wonach mit Beschluss vom 11. März 1953 Tarnowski zu versetzen bzw. in den Ruhestand zu schicken sei.69 In dem Schreiben an Biskupski wird nochmals bekräftigt, dass Tarnowski sich stets als Deutscher ausgegeben, den Stock-
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RAINA (wie Anm. 63), S. 446 f., hier S. 447. ANDRZEJ KOPICZKO, Ks. prof. Stefan Biskupski Objęcie urzędu wikariusza kapitulnego diecezji warmińskiej i charakterystyka jego pracy na tym stanowisku [Übernahme des Amtes des Kapitularvikars der Diözese Ermland und Darstellung seiner Tätigkeit in diesem Amt]. In: STUDIA WARMIŃSKIE 32 (1995) S. 379-388, hier S. 380. ULRICH FOX, Stefan Biskupski. Kapitulavikar der Diözese Ermland (1953-1956). In: UNSERE ERMLÄNDISCHE HEIMAT 46 (2000) Nr. 3 (Beilage der ERMLANDBRIEFE 54, 2000, Nr. 3), S. IX-X, hier S. IX. Geb. am 1.4.1895 in Koluszki bei Łódź, am 1.10.1919 zum Priester geweiht, 1918-1922 Studium an der Theologischen Fakultät der Universität Warschau, danach Vorlesungen am Priesterseminar in Włocławek, Habilitation 1937, von 1940-1945 KZ Sachsenhausen und Dachau, ab 1946 Lehrstuhlinhaber an der Katholischen Theologischen Akademie in Warschau, gest. 31.5.1973. KOPICZKO (wie Anm. 53), S. 24 f. Julian Malewski, geb. 1899 in Woritten bei Dietrichswalde, bis 1939 Leiter der Bank Ludowy in Allenstein und aktives Mitglied der polnischen Minderheit im südlichen Ermland, von 1939 bis 1945 im KZ Sachsenhausen und Dachau, gest. 1981 in Allenstein. CHŁOSTA (wie Anm. 12), S. 218 f. Präsidium des Nationalrats der Wojewodschaft Olsztyn an Stefan Biskupski vom 20.11.1953. AAWO-N (wie Anm. 39). Siehe Anhang, Nr. 10, unten, S. 42 f.
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holmer Appell70 nicht unterschrieben und auch an den Wahlen nicht teilgenommen habe. Des Weiteren wird ihm vorgehalten, ständig Ausreiseanträge für eine Übersiedlung nach Deutschland zu stellen, und dass er seine Seelsorge unter den Polen selbst als negativ ansehe. Er arbeite gegen die nationale Einheit und versuche, die ermländische Jugend von der polnischen zu trennen. Auch in seinen Predigten seien Äußerungen gefallen, die ihn als Feind Volkspolens entlarvten. Nach mehreren Auseinandersetzungen mit den polnischen kommunistischen Machthabern verzichtete Tarnowski schließlich auf seine Pfarrstelle in Wartenburg und bat den neuen Administrator, ihn in den Ruhestand zu versetzen.71 In diesem Schreiben führt Tarnowski zum ersten Mal an, dass die Gebrechen des Alters einer ordentlichen Seelsorge hinderlich seien. „Ich fühle eine Unruhe des Gewissens.“72 Mit Schreiben vom 12. Dezember 1953 nahm die Kurie seinen Rücktritt an.73 Das Übergabeprotokoll über die Einrichtungen im Pfarrhaus an seinen Nachfolger bestätigte Tarnowski mit dem Sigulum Ecclesiae Archipresbyteralis Wartenburgensis. Ab dem 1. Januar 1954 bezog er eine Rente in Höhe von 500 Złoty monatlich. In den folgenden Jahren erhielt Tarnowski von der Kurie weitere finanzielle Unterstützungen in Form von Sonderzulagen.74 Tarnowski kümmerte sich jedoch weiterhin um die Behebung der Schäden an seiner Pfarrkirche und beantragte im Dezember 1953 bei der Kurie die Bewilligung der benötigten Gelder.75 Mitte Januar 1954 zog Tarnowski zu seinem ehemaligen Prodekan Josef Piecocha76 nach Lemkendorf, wo er nur einige Monate blieb. „Die Verhältnisse brachten es mit sich, dass ich in Lemkendorf nicht bleiben konnte, obwohl wir dort in schöner Harmonie lebten. Täglich waren wir zusammen, machten unsere Spaziergänge, meistens gemeinsam, spielten jede Woche einmal ein Partiechen.“77 Administrator Biskupski versprach seinen
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Der sog. Stockholmer Appell wurde am 19.3.1950 von einem kommunistisch inspirierten Kongress in Schwedens Hauptstadt ins Leben gerufen. Mit einem Zitat von Niels Bohr wurde der Wunsch getarnt, ein Verbot der (amerikanischen) Atomwaffen herbeizuführen. Unterschriftenaktionen sind später auch in der Sowjetunion und in allen Satellitenstaaten durchgeführt worden. DIE ZEIT Nr. 31 vom 3.8.1950. Tarnowski an Biskupski vom 27.11.1953. AAWO-N (wie Anm. 39). Ebd. Bischöfliche Kurie an Tarnowski vom 12.12.1953. Ebd. Warum Biskupski Tarnowski mit dem Titel eines Domherrn anredet, obwohl er damals noch keiner war, konnte nicht geklärt werden. Bischöfliche Kurie an Tarnowski vom 5.12.1957. Ebd. Tarnowski an bischöfliche Kurie vom 3.12.1953. Ebd. Josef Piecocha, geb. 1879, Priesterweihe 3.2.1904, seit 1923 Pfarrer in Lemkendorf, 1935 Prodekan des Dekanats Wartenburg, verfolgt von der Gestapo wegen Kontaktaufnahme zu Polen, Emeritus seit 1954, gest. 1966 in Lemkendorf. KOPICZKO (wie Anm. 2), S. 208-209. Tarnowski an Erich [Nachname des Adressaten nicht zu ermitteln] vom 27.8.1954. AVE.
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kommunistischen Gesprächspartnern, darüber nachzudenken, „wie man Tarnowski von der autochthonen Bevölkerung isolieren könnte.“78 Der polnische Sicherheitsdienst wusste zu berichten, dass der Nachfolger, Pfarrer Władysław Dadas79, auf große Schwierigkeiten bei der einheimischen Bevölkerung stoße, weil sie den Weggang von Tarnowski nicht verschmerzen könne. „Es geht auch das Gerücht um, dass Pfarrer Tarnowski auf seine frühere Stelle in Wartenburg zurückkehren werde. Obwohl die Stärke dieser Gruppe kleiner geworden ist, ist dieser Umstand als eine revisionistische Haltung der Einheimischen zu bewerten. Sie reisen zum Beichten nach Bischofsburg und nach Lemkendorf. Die Einheimischen machen Pfarrer Dadas Schwierigkeiten, weil sie im deutschen Stil seelsorglich betreut werden möchten.“80 Außerdem heißt es in dem Bericht, dass die Geistlichen Matheblowski aus Ramsau und Piecocha aus Lemkendorf in die gleiche Kerbe schlügen. Daran beteiligten sich auch zwei Nonnen, nämlich Silvana Kretschmann und Justina Knobel, die ihre zahlreichen Kontakte zu den Einheimischen dafür nutzten.81 Gemäß einem anderen Bericht soll Tarnowski geäußert haben, dass die Ereignisse vom 17. Juni 1953 in Berlin bald auch bei den Ermländern Auswirkungen zeigen könnten.82 Bevor Tarnowski nach Wormditt ging, wurde eine weitere Variante des Ruhestandortes diskutiert, nämlich der Umzug nach Osterode in das dortige Haus der Katharinenschwestern.83 Hier sollte ihm ein Zimmer zur Verfügung gestellt werden, das aber noch nicht frei geworden war. Nach Abwägung aller Umstände, entschied sich Tarnowski, nach Wormditt zu gehen.84
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Andrzej Kopiczko an den Verfasser vom 9.9.1999, mit Protokollauszügen. Im Protokoll heißt es wörtlich: „Anschließend wurde die Angelegenheit Tarnowski besprochen, der von der Erzpriesterstelle in Wartenburg nach Lemkendorf zu Pfarrer Piecocha versetzt worden ist. Dort ist jetzt eine eigenartige Situation entstanden, weil Pfarrer Piecocha als Subsidiar fungiert und Tarnowski die Pfarrstelle übernommen hat. Biskupski hat versichert, dass er mit beiden Geistlichen sprechen und darüber nachdenken wird, wie man Tarnowski von der autochthonen Bevölkerung isolieren könnte. Er beklagte sich über das Fehlen eines entsprechenden Altenheimes in der Diözese, wo man solche Priester hätte unterbringen können.“ Władysław Dadas, geb. 1919, 1937 zum Priester geweiht, gest. 1972, war Pfarrer in St. Anna vom 19.12.1953 bis 24.11.1954. Er war Vorsitzender der Kommission geistlicher und weltlicher Funktionäre beim Wojewodschaftskommitee der Nationalen Front in Allenstein. KOPICZKO (wie Anm. 53), S. 57. Präsidium des Nationalen Kreisrates in Barczewo an das Referat für konfessionelle Angelegenheiten in Allenstein. Bericht für das 1. Quartal 1954. APO (wie Anm. 10) Nr. 444/9, S. 2/3. Ebd. IPN Bi (wie Anm. 36) 084/743. Bericht vom 4.2.1954, S. 5. Tarnowski an die bischöfliche Kurie vom 12.7.1954. AAWO-N (wie Anm. 39). Tarnowski an die bischöfliche Kurie vom 15.7.1954. Ebd.
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Ab dem 29. Juli 1954 wohnte Tarnowski im Altenheim des Klosters der Katharinenschwestern in Wormditt (Orneta). „Da [in Lemkendorf] musste ich das Feld räumen. Ich bin hier gut aufgehoben, wenn auch stark einsam.“85 Mit ihm zusammen weilte im Kloster Wormditt auch Pfarrer Martin Goerke aus Groß Bößau86, der ebenfalls von den staatlichen Stellen verfolgt und zur Resignation gezwungen worden war. Die anderen ermländischen Priester87 wehrten sich kaum oder gar nicht gegen eine Versetzung, vielleicht auch deshalb nicht, weil sie von der Kurie unter Biskupski keine Hilfe zu erwarten hatten. Nach dem Polnischen Oktober des Jahres 1956 ging Goerke nach Bößau zurück und wohnte dort bei einer ermländischen Familie bis zu seinem Tode im Jahre 1965. Am 11. Februar 1956 beging Tarnowski im Kloster Wormditt sein goldenes Priesterjubiläum. Im Dankschreiben an seinen Ordinarius Biskupski in Allenstein reflektiert er sein priesterliches Leben: Die Aufgabe eines Priesters bestehe darin, Gott zu loben und für das Heil der Seelen zu sorgen. Geboren in der Diaspora, habe er dort schon in jungen Jahren seinen Glauben verteidigen müssen. Dann sei er als Priester 28 Jahre lang in der Diaspora tätig gewesen und habe dort für die Rechte der Kirche gekämpft. Als er später seine Stelle in St. Anna in Wartenburg habe verlassen müssen, habe er sich gewehrt, nicht für seine Person, sondern für das Wohl der Kirche und der Diözese. „Für die Diözese kann ich nicht mehr arbeiten, aber ich kann beten und werde beten, dass der Herrgott sie in seiner Obhut halten möge.“88 Der grüne Star schwächte zunehmend sein Sehvermögen und erschwerte daher auch das tägliche Lesen des Breviers. Gemäß seinem Pflichtbewusstsein und seiner Korrektheit bat Tarnowski deshalb die Kurie um Befreiung vom täglichen Breviergebet, weil auch die Handhabung mit der Lupe inzwischen sehr schwierig geworden sei.89 Anstelle des kanonischen Stundengebets wurde Tarnowski durch den Vorsitzenden der polnischen Bischofskonferenz zum täglichen Rosenkranzgebet verpflichtet.90 85 86 87
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Wie Anm. 77. Martin Goerke, geb. 1876, Priesterweihe 1903, seit 1927 Pfarrer in Bößau, gest. 1965 in Bößau. KOPICZKO (wie Anm. 2), S. 81. Leo Woywod (Wengoyen) nach Heinrikau/Kr. Brausberg, Hubert Krebs (Göttkendorf) nach Tannenberg/Kr. Osterode, Paul Dziendzielewski (Diwitten) nach Hermsdorf/Kr. Preußisch Holland, Felix Woeczorek (Sternsee) nach Falkenau/Kr. Bartenstein, Josef Piecocha (Lemkendorf) in den Ruhestand, Franz Schilakowski (Braunswalde) zu den Missionsschwestern nach Wormditt, Josef Biess (Neukokendorf) zu den Katharinnenschwestern nach Wormditt. FOX, Gebrauch der Muttersprache (wie Anm. 17), S. 422-423. Tarnowski an die bischöfliche Kurie vom 17.2.1956. AAWO-N (wie Anm. 39). Siehe Anhang, Nr. 12, unten, S. 44 f. Tarnowski an Biskupski vom 22.9.1956. Ebd. Bischof Klepacz an die Kurie in Olsztyn vom 13.10.1956. Ebd.
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Tarnowski stand ab 1956 bis zu seinem Tode im Jahre 1981 mit den ermländischen Kapitularvikaren bzw. Visitatoren im regelmäßigen Briefaustausch. An seinen Freund und Mitbruder aus dem Weihejahrgang Arthur Kather schrieb er zum goldenen Priesterjubiläum eine sehr gefühlvolle Gratulation.91 Der Tag, „an dem wir vor 50 Jahren gemeinsam vor dem Hochaltar unserer schönen Kathedrale knieten und durch die Hand unsres greisen Bischofs die heilige Weihe empfingen“, bleibe unvergessen. „Zwar, wie Iphigenie das Land der Griechen mit der Seele suchte, wandern auch meine Gedanken täglich die Wege, die ins Vaterland und zu Euch führen. [...] Möge Dir Gott auch weiterhin Gesundheit und Kraft geben, vielen Trost zu spenden und den Entwurzelten zu helfen, dort Wurzel zu fassen und den angestammten Glauben zu bewahren. [...] Mein Herz schlägt immer noch nur deutsch und treu für Euch alle.“ Immer öfter bekam Tarnowski auch Päckchen aus Deutschland. „Hoffentlich werden die Lebensgeister nicht übermütig und machen womöglich noch Dummheiten“92, schreibt Tarnowski in einem Dankesbrief an Kather. Nach sechsjähriger Unterbrechung begann Tarnowski im Sommer 1956, sich wieder um eine Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland zu bemühen. Er fragte deshalb bei Prälat Kather an: „Kann ich dort noch eine bescheidene Existenz gewinnen. Denn zur Last fallen, wäre mir sehr unangenehm, ja unmöglich. Dann bleibe ich doch lieber hier, wo es mir an nichts mangelt und die Diözese für mich aufkommt, wenn ich auch diesem Volke stets fremd bleiben werde. [...] Darum bitte ich Dich, schreibe mir ehrlich Deine Meinung, ganz kurz. Ich werde nicht unglücklich, wenn es heißt: Bleibe.“93 Arthur Kather antwortete umgehend: „Weiß nicht, was ich Dir antworten soll. Ich bleibe bei meiner früheren Aussage: Dass es wohl gut möglich sein wird, eine Unterkunft und Verpflegung in irgendeinem Haus zu erhalten (Schwesternhaus), aber ich weiß nicht, ob Du auf Dauer damit zufrieden sein wirst. Und eine gewisse Abhängigkeit droht ja immer in diesem Falle.“94 Kather versicherte aber, dass Tarnowski, wenn er komme, zunächst sein Gast sein würde. Tarnowski war jedoch weiterhin sehr skeptisch, ob es zu einer Ausreise kommen werde, „weil wir als Volk sowieso nur die Schachfiguren sind, die beliebig gerückt werden können.“95 Außerdem bat er Kather um einige Personalangaben zu seiner Person und um Bestätigung, dass er auf die Diözese Ermland geweiht worden ist.
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Tarnowski an Kather vom 21.1.1956. AVE. Siehe Anhang, Nr. 11, unten, S. 44. Tarnowski an Kather vom 24.2.1956.AVE. Tarnowski an Kather vom 26.7.1956. AVE. Kather an Tarnowski vom 8.8.1956. AVE. Tarnowski an Kather vom 17.8.1956. AVE.
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Nach dem Tod Kathers im Juli 1957, hat Prälat Paul Hoppe96 die Verbindungen zu Tarnowski weiter gepflegt. Im seinem ersten Brief an Hoppe schreibt Tarnowski: „Für uns Priester ist das Ermland nicht nur das Land, in dem wir leben, sondern auch der Kontakt mit den Konfratres, mit denen uns dasselbe Streben und Sorgen verbinden.“97 Das Bemühen von Tarnowski um eine Ausreise nach Deutschland war weiterhin aktuell. Der Leitmeritzer Domkapitular Georg Zischek, Diözesanseelsorger für die Heimatvertriebenen in der Diözese Eichstätt fragte auf Bitten ermländischer Ordensschwestern bei Prälat Hoppe nach den Personaldaten Tarnowskis und bat ihn zu bestätigen, dass dieser „für leichte Arbeit in der Seelsorge geeignet ist und dass keine Bedenken gegen seine Herübernahme bestehen.“98 Hoppe antwortete, dass Tarnowski körperlich rüstig sei, aber das Gehör ein wenig gelitten habe, und dass er seinerzeit in Wartenburg ein eifriger Seelsorger gewesen sei. „Bedenken würden also keine bestehen, ihn nach hier herüberzuholen. Etwas anderes ist allerdings die Frage, ob es überhaupt gut ist, immer mehr Geistliche aus der alten Heimat wegzuholen. Wenn sie von sich aus kommen, ist es gut.“99 Einige ermländische Priester, die nach 1945 in der Heimat verblieben waren, vertraten indes den Standpunkt, dass sie erst in die Bundesrepublik übersiedeln würden, wenn nur noch wenige oder gar keine einheimischen Gläubigen mehr in ihren Pfarreien lebten. Tarnowski war seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre mit Genehmigung der bischöflichen Kurie in Allenstein überwiegend als Beichtvater für die deutschen und die polnischen Katharinenschwestern in den Klöstern Wormditt und Heilsberg tätig.100 Nicht nur in Wormditt, sondern auch im Kloster Heilsberg, in dem ebenfalls noch zahlreiche ältere und kranke Schwestern lebten, hat Tarnowski mit Genehmigung der Kurie Sondergottesdienste, z. B. am Gründonnerstag101, halten dürfen.102 Am 11. Februar 1971 feierte Tarnowski sein 65. Priesterjubiläum, zu dem der Allensteiner Bischof Józef Drzazga herzlich gratulierte.103 Am 23. April 1972 wurde Tarnowski für seine priesterliche Haltung und für
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Paul Hoppe, geb. 1900, Priesterweihe 1925, 1947 aus Königsberg ausgewiesen, 1957 Apostolischer Visitator für Klerus und Gläubige aus der Diözese Ermland, gest. 1988 in Freiburg. KOPICZKO (wie Anm. 2), S. 114. 97 Tarnowski an Hoppe vom 7.6.1958. AVE. 98 Georg Zischek an Hoppe vom 3.10.1958. AVE. 99 Hoppe an Zischek vom 28.10.1958. AVE. 100 Tarnowski an bischöfliche Kurie vom 29.9.1959. AAWO-N (wie Anm. 39). 101 Tarnowski an bischöfliche Kurie vom 9.4.1960. Ebd. 102 Bischöfliche Kurie an Tarnowski vom 11.4.1960. Ebd. 103 Bischof Józef Drzazga an Tarnowski vom 12.2.1971. Ebd.
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die Seelsorgearbeit im Ruhenstand zum Ehrendomherrn des ermländischen Domkapitels Frauenburg ernannt.104 Tarnowski hielt weiterhin engen Kontakt zur Visitatur Ermland im Ermlandhaus in Münster und zu einigen Wartenburgern, die sich inzwischen im Westen Deutschlands eingerichtet hatten. Auch Domherr Bruno Schwark ist unter den Kontaktpersonen zu finden. Die Päckchen und Pakete aus dem Ermlandhaus wurden mit fiktiven Absendern verschickt, weil man die Verbindung nach Wormditt nicht gefährden wollte. Öfters berichtete Tarnowski, dass er schon zu den ganz Alten gehöre, die Schwestern sich aber freuten, dass sie noch einen von den alten Priestern bei sich hätten. Nach dem Ausscheiden von Paul Hoppe aus dem Amt des Visitators 1972 übernahm sein Nachfolger Johannes Schwalke105 die Pflege der gewachsenen Verbindungen zu Maximilian Tarnowski in Wormditt. Die Glückwünsche zur Vollendung von 70 Priesterjahren im Jahre 1976 eröffneten wohl die Kontaktaufnahme der Visitatur zu Tarnowski. „Von Besuchern der alten Heimat habe ich schon oft von Ihnen gehört, von Ihrer Rüstigkeit, Ihrem Interesse an den Belangen der Heimat und der Kirche und von Ihrem priesterlichen Dienst, den Sie noch immer den Menschen und unter ihnen besonders den Schwestern der heiligen Katharina tun. [...] Von der so häufig genannten ,Versöhnung zwischen Polen und Deutschen‘ wird ein nicht geringer Teil Ihrer Arbeit zuzuschreiben sein, denn die wirkliche Versöhnung der Menschen wächst aus der Barmherzigkeit Gottes, die sie gemeinsam von IHM erbitten und empfangen.“106 Tarnowski sah seine 70 Jahre im Priesteramt als eine große Gnade an und hielt Rückschau auf sein Leben mit dem Bemühen, die an ihn gestellten Anforderungen zu erfüllen, wobei manches doch fehlte und hätte besser gemacht werden können.107 Auch im Alter von 93 Jahren ist Tarnowskis Handschrift noch immer wie gestochen, und seine Briefe enthalten keine überflüssigen Floskeln. Als er die Jubiläumsgabe aus dem Ermlandhaus von der Bank nicht ausbezahlt erhielt, weil die Überweisung nicht auf Maximilian Tarnowski, sondern auf Max Tarnowski ausgestellt war, schlug er dem Prälaten Schwalke vor, die Rückzahlung anzufordern und den Betrag „für die
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URSZULA LASKOWSKA, Barczewo. Z dziejów parafii św. Anny [Wartenburg. Aus der Geschichte der Pfarrei St.Anna]. Olsztyn 1999, S. 156. 105 Johannes Schwalke, geb. 1923 in Dietrichswalde, Priesterweihe 1951, 1976 Apostolischer Visitator für Klerus und Gläubige aus der Diözese Ermland, gest. 2007 in Daun. 106 Schwalke an Tarnowski vom 18.2.1976. AVE. Siehe Anhang, Nr. 13, unten, S. 46. 107 Tarnowski an Schwalke vom 7.3.1976. AVE.
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Hungernden in der Welt bzw. an das Bonifatiuswerk“108 zu geben. Obwohl Schwalke für das Jahr 1978 über eine Einladung des polnischen Primas verfügte, erhielt er kein Visum und konnte nicht ins Ermland reisen. Er gab aber nicht auf und stellte weitere Visa-Anträge. „Es wäre schön, mit Dir mindestens eine Stunde über Gott und die Welt zu reden. Wenn der Himmel will, wirst Du 100 Jahre vollenden.“109 Ob eine Begegnung zwischen Tarnowski und Schwalke je stattgefunden hat, konnte nicht ermittelt werden. Am 11. Februar 1981 feierte der Erzpriester i. R. und Ehrendomherr Maximilian Tarnowski im Alter von 98 Jahren sein 75-jähriges Priesterjubiläum in Wormditt. 16 Priester, unter ihnen der ermländische Bischof Józef Glemp110 und Ehrendomherr Theodor Suray111, und zahlreiche Katharinenschwestern aus Wormditt, Heilsberg und Braunsberg nahmen an den Feierlichkeiten teil. Papst Johannes Paul II sandte ein Glückwunschtelegramm. „Nur das Schreiben fällt ihm jetzt schwer, es bleibt beim guten Willen. [...] Wir freuen uns aber, dass wir ihn noch haben. Mit seiner Zufriedenheit und seinem Humor ist er uns allen Vorbild“, schreibt Sr. M. Eleonora Kiwitt an das Ermlandhaus. 112 Aus Mitteln des Erzpriesters war einige Jahre zuvor die ganze Außenfassade des Klosters Wormditt erneuert worden.113 Sowohl Bischof Glemp als auch Bischof Obłąk hatten Tarnowski erlaubt, die hl. Messe sitzend zu zelebrieren. Tarnowski lehnte dieses Angebot mit der Begründung ab, dass es unwürdig sei, dies so zu tun. Am 21. Dezember 1981 starb Maximilian Tarnowski im Altenheim des Katharinenklosters in Wormditt. Sr. Elenora Kiwitt, die Tarnowski besonders in den letzten Jahren betreut hatte, und Sr. Aniela Fabinski fanden ihn in den frühen Morgenstunden tot in seinem Zimmer auf.114 Bei der Beschaffung des Sarges gab es große Schwierigkeiten, weil eine Woche zuvor in Polen durch General Jaruzelski der Kriegszustand ausgerufen worden war. Die Schwestern brauchten mehrere Passierscheine, um in der Stadt Wormditt von einer Strasse in die andere zu gelangen. Tarnowski wurde am 23. Dezember im Beisein von Bischof Jan Obłąk und zahlreichen Geistlichen auf 108
Tarnowski an Schwalke vom 18.3.1976. AVE. Schwalke an Tarnowski vom 22.5.1979. AVE. 110 Józef Glemp, geb. 1929, Priesterweihe 1956, Sekretär von Stefan Kardinal Wyszyński, 1979 Bischof von Ermland, 1981 Erzbischof von Gnesen und Warschau und Primas der katholischen Kirche in Polen, 1983 Kardinal. 111 Theodor Suray, geb. 1913 in Mokainen, Priesterweihe 1947 in Pelplin, 1947-1957 Kaplan an St. Nikolai in Elbing, 1957-1981 Pfarrer von Gr. Purden, 1981-1986 Subsidiar an St. Bartholomäus in Istrup, gest. 1989 in Paderborn. KOPICZKO (wie Anm. 53), S. 271. 112 ERMLANDBRIEFE 35 (1981) Nr. 2, S. 9. 113 Mitteilung von Sr. Aniela, früher Christina Fabinski (geb. 1929 in Wartenburg, von Kaplan Leo Kaminski getauft, im Kloster Wormditt seit 1976) am 13.8.2008 in Orneta/Wormditt. 114 Ebd. 109
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dem alten Friedhof in Wormditt beigesetzt, direkt neben dem bis heute erhaltenen Grab des Religionslehrers Otto Keuchel.115 Er ruht auf einem Parallelfeld gegenüber den Gräbern mehrerer ermländischer Schwestern.116 Nachrufe bezeugen, dass Maximilian Tarnowski ein überdurchschnittlich begabter und gebildeter Seelsorger war, der von den Gläubigen der Gemeinden, in denen er gewirkt hat, hoch geschätzt wurde. „Er war ein edler Mensch und wollte für seine Pfarrkinder nur das Beste. Er war ein guter Beichtvater, und wir durften bei ihm auch nach dem Zweiten Weltkrieg deutsch beichten. Er war sehr rege und organisierte mit Hilfe der Katharinenschwestern Silvana und Justina die Krankenbetreuung in der Gemeinde. Wir waren alle sehr traurig, als er gehen musste.“117 „Tarnowski war theologisch ein sehr gebildeter Priester und Kunstkenner. Als er mir die vatikanischen Kunstwerke erläuterte, meinte er, dass er sich sein Wissen darüber ausschließlich aus Büchern angeeignet hat und nicht nach Rom reisen musste.“118 Arthur Kather charakterisierte den Erzpriester mit den Worten: „Er war guten Gemüts, man konnte sich nicht mit ihm streiten. Und immer fröhlich. [...] Er war ein guter Sänger, ein guter Turner und ein guter Skatspieler. [...] Wir waren uns immer so nah und sind jetzt so weit voneinander entfernt. Aber die Gedanken sind zollfrei.“119 Sr. Eleonora schrieb in ihrem Nachruf aus dem Kloster Wormditt: „Auch hier blieb er nicht untätig. Als Hausgeistlicher hielt er wöchentlich Konferenzen ab und war den Schwestern, solange seine Kräfte es erlaubten, Beichtvater. Stets war er zur Hilfe bereit, selbst aber anspruchslos und bescheiden. Sein trockener Humor erfreute oft die Schwestern, auch in den Tagen des Krankseins. Nie vernahm man ein Wort der Ungeduld aus seinem Munde.“120 Tarnowski war auch ein ausgezeichneter Administrator seiner Gemeinde. Die Verwaltung und Aktualisierung der Kirchenbücher waren sein großes Anliegen. Als am 19. September 1950 die erste Firmung nach 115
Otto Keuchel, geb. 1874, Priesterweihe 1900, Religionslehrer am Knabenseminar in Wormditt, gest. 1926. KOPICZKO (wie Anm. 2), S. 132. 116 Tadea Böhm (*1933, †1991), Wunibalda Sturmann (*1930, †1989), Eleonora Kiwitt (*1901, †1988), Dominika Klein (*1895, †1988), Klara Fabinski (*1920, †2001), Edelgarda Masuth (*1917, †1999), Siegruda Schacht (*1917, †1988), Anna Mateblowski (*1896, †1983), Sigesmunda Bludau (*1896, †1981), Edeltraudis Goerik (*1895, †1981) und Pacyfika Maciejewska (*1896, †1977). Wie Anm. 113. 117 Adelheid Gliszczyńska, geb. Schierwagen, geb. 1928. Mitteilung vom 25.6.2009 in Barczewo/Wartenburg. 118 Winfried Lipscher (wie Anm. 37). 119 ARTHUR KATHER, Jahrgang 1906. In: ERMLÄNDISCHER HAUSKALENDER 90 (1957) S. 57-70, hier S. 69. 120 ERMLANDBRIEFE 36 (1982) Nr. 3, S. 7-8.
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dem Zweiten Weltkrieg in Wartenburg stattfand, trug er in den Taufbüchern der Jahrgänge 1933 bis einschließlich 1942 die Firmnamen, soweit sie bekannt waren, nach. Dabei wählte er die deutsche bzw. die lateinische Schreibweise der Namen.121 Tarnowski gehörte zur Gruppe der 113 Priester der Diözese Ermland, die sich beim Zusammenbruch des Dritten Reiches angesichts des Exodus eines großen Teils der ostpreußischen Bevölkerung entschieden, bei ihren Gemeinden zu bleiben.122 Seine Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Diktatur setzten ihn in Stand, in den Konflikten mit der neuen kommunistischen Staatsmacht ebenso mit Besonnenheit wie mit Entschiedenheit die Anliegen der Kirche zu vertreten. Eine große Herausforderung bedeuteten für ihn die unterschiedlichen seelsorglichen Bedürfnisse der verbliebenen Einheimischen und der Neusiedler mit ihren jeweils andersartigen kulturellen Traditionen. Tarnowskis Vorliebe gehörte den einheimischen deutschen Pfarrkindern, die Neusiedler spürten, obwohl er sie in ihrer Muttersprache ansprechen konnte, dass er nicht einer von ihnen war. Als ihn in der stalinistischen Ära die Behörden unbedingt von den Einheimischen isolieren wollten und dafür sogar die Unterstützung des Apostolischen Administrators Biskupski erhielten, kämpfte er – erfolglos - um das Verbleiben in seiner Gemeinde. Er bat daraufhin – wohl eher unfreiwillig – seinen Ordinarius um Versetzung in den Ruhestand, den er noch 18 Jahre lang im Altenheim des Klosters der Katharinenschwestern in Wormditt verbrachte. Inwieweit Maximilan Tarnowski als ein exemplarischer Repräsentant des einheimischen Diözesanklerus in den Jahrzehnten des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs nach dem Kriegsende gelten kann, müssen künftige vergleichende Studien erweisen.
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Taufbuch 1933-1942. AAWO (wie Anm. 16), Barczewo 41. Agnes, Alfons, Antonius, Augustinus, Bernardus, Elisabeth, Franziskus, Joseph, Johannes, Julius, Martha, Paulus, Veronica u. a. sind häufiger vorgekommen. Den Ort der Firmung hat Tarnowski mit Wbg. für Wartenburg oder Gillau für Giławy eingetragen. 122 Ausführlicher Überblick bei KOPICZKO (wie Anm. 1), S. 303-315.
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Anhang 1 Landrat des Kreises Stuhm an den Landrat des Kreises Goldap BAB, R 5101/22303, Bl. 26 rv. Schreibmaschinenabschrift. Stuhm, den 25. Juli 1908 Urschriftlich nebst Anlagen an den Landrat in Goldap zurückzusenden mit nachstehendem ergebensten Erwidern: Tarnowski ist deutscher Muttersprache und steht in Bildung und Manieren über dem Durchschnitt der Geistlichkeit des Kreises Stuhm, ist auch ein frischer junger Mann. Bei seinem vor etwa zwei Jahren erfolgten Amtsantritt in Stuhm machte er politisch keinen ungünstigen Eindruck. Leider hat er sich aber in der fast ganz polnischen Parochie Stuhm von einzelnen polnischen Parochianen und namentlich seinem sehr üblen Mitkaplan Rosenau ins Schlepptau nehmen lassen, so dass er jetzt als politisch unzuverlässig angesehen werden muss. So hat er bei der letzten Landtagswahl seine Stimme zwei polnischen Wahlmännern gegeben. Ich will dabei allerdings nicht unbemerkt lassen, dass er damit lediglich der für Westpreußen ausgegebenen Zentrumsparole gefolgt ist und dass es für einen jungen Kaplan nicht leicht ist, sich einer solchen auch von seinen älteren Amtsbrüdern befolgten Parole zu widersetzen. Auch möchte ich annehmen, dass in der dortigen rein deutschen Gegend sich die in Stuhm anerzogenen polnischen Sympathien bei Tarnowski bald verlieren werden. Ob hiernach Tarnowski als geeignet zur Militärseelsorge erscheint, muss ich der Beurteilung Euer Hochwohlgeboren überlassen. Ich bitte mich auf die Bemerkung beschränken zu dürfen, dass mir auf jeden Fall die Persönlichkeit eines 26-jährigen Jünglings viel zu unbedeutend erscheint, um Zentrumspartei und Zentrumspresse den ihr erwünschten Anlass zu geben, über Drangsalierung der katholischen Kirche zu klagen. (Unterschrift)
2 NSDAP Gauleitung Ostpreußen an Oberpräsident Archiwum Państwowe Olsztyn, Magistrat Wartenburg XXX/14/1566, Bl. 8. Schreibmaschinenabschrift. Königsberg Pr., den 10.3.1936 Abt. Kö.Ni. Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. Gauleitung Ostpreußen.
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An den Herrn Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen, Abteilung für höheres Schulwesen, Königsberg/Pr., Königstrasse 65–67 Der Pfarrer Tarnowski, Ortelsburg, ist inzwischen nach Wartenburg versetzt worden. Er ist ein Gegner des heutigen Staates und der nationalsozialistischen Bewegung. Die Mitgliedschaft in der N. S. V. [Nationalsozialistische Volkswohlfahrt] hat er trotz verschiedener Werbung entschieden abgelehnt. Den deutschen Gruß lehnt er ebenfalls ab. Dagegen ist er Bezieher der „Gazeta Olsztyńska“. Seine Schwester soll mit einem im polnischen Propagandadienst gegen das Deutschtum tätigen Mann in Danzig verheiratet sein. T. ist nicht politisch zuverlässig. Die Erteilung von Religionsunterricht muss ihm grundsätzlich untersagt werden, damit er nicht auf diese Weise Einfluss auf die deutsche Jugend gewinnt. Heil Hitler gez. Unterschrift Gau-Personalamtsleiter
3 Tarnowski an Kaller Archiv Visitator Ermland, Münster, A 18 125 T. Stempel: Eingegangen: 7.6.47. J.-Nr. 4770/47. Eigenhändige Ausfertigung. Wartenburg – jetzt Barczewo, 24. 5. 47 Hochwürdigster Herr Bischof! Eine Anfrage betr. Familie Müller gibt mir die Gelegenheit, auch persönlich einige Mitteilungen zu machen. Leider traf ich Sie, Bischöfliche Gnaden, nicht an, als ich seiner Zeit wohl zum ersten Mal wieder in Allenstein war. Dann hätte ich mündlich berichtet, was im Brief doch etwas zu viel werden dürfte. Ich habe manches durchgemacht, wie so unendlich viele, bin aber heil geblieben und verschont von jeder Unbill. Solche zu ertragen, war ich wohl nicht fähig, so hat mir’s Gott erspart, wofür ich ihm danke. Der irdische Plunder ist auch geschwunden, die irdische Last mithin schon etwas leichter geworden. Meine Schwestern blieben auch am Leben, doch ist die jüngere im März dieses Jahres einer Lungenentzündung erlegen. Die Pfarrkirche zeigt manche Wunden von Artillerietreffern, Fenster sind alle entzwei, so dass in ihr bisher Gottesdienst nicht stattfinden kann. Dazu dient die Klosterkirche. Nur wird diese langsam zu klein. Die Gemeinde zählt heute gegen 5 000 Seelen, davon Einheimische etwa 2 000. Die Arbeit ist dementsprechend ergiebig. Unterricht in der Schule 16 Stunden wöchentlich. Sonntags zwei Gottesdienste, dabei 80, 100, auch schon 120 Beichtkinder. Kommunionen hatte ich 1946
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24 000. Da war die Gemeinde aber noch bedeutend kleiner, kaum die Hälfte. Das religiöse Leben von früher ist’s natürlich noch lange nicht, da fehlen noch manche Dinge, wie zum Beispiel die Standeskommunionen. Aber unsere Leute vom Lande können auch viel schwerer zur Kirche kommen, weil Angespann und auch Kleidung fehlt. Mein Pfarrhaus ist sehr mitgenommen, ich wohne daher in der Kaplanei, geräumig genug und gesund. Da macht die Arbeit nichts aus, im Gegenteil freue ich mich, dass sie mich von Morgens bis Abends in den Sielen hält. Leider hört man von den Konfratres der Diözese nichts. Von manchen wird gesagt, sie wären tot, gewiss weiß man es hier doch nur von ungefähr 30–40. Von anderen hört man zufällig etwas aus den Briefen der Gemeindemitglieder, die aus dem Reiche sich melden. Sonst kann ich nicht klagen. Selbstverständlich sind die Verhältnisse ganz ungewohnt, und das macht Schwierigkeiten. Aber das ist wohl nicht so bedeutend. Wir vertrauen Gott, der alles recht machen wird. Euer Bischöflichen Gnaden empfehle ich mich mit Treugruß Tarnowski, Erzpriester
4 Tarnowski an Kather Archiv Visitator Ermland, Münster, A 18 125 T. Eigenhändige Ausfertigung. Barczewo (Wartenburg), 4. 8. 49 Lieber Freund! Zum ersten Mal schreibe ich an Dich als den Betreuer unsrer Ermländer im Reich. Bisher hatte ich ja auch keinen Grund zu schreiben, weil die kirchlichen Verhältnisse ja geregelt sind, und zudem erweckt Korrespondenz nach dort immer ein gewisses Misstrauen. Heute jedoch liegt ein Grund vor. Ich habe in einem Blatt, das von dort hierher gekommen ist, gelesen, dass vom Roten Kreuz - Hamburg 13, Harvestehuderweg 26 eine Aktion zur Rückführung der hier verbliebenen Deutschen im Gange ist. Ich weiß zwar nicht, was unter diesen Begriff fällt, ob auch die „Musspolen“, das heißt die, welche das einstweilige polnische Bürgerrecht erhalten haben wie ich, der gar nicht darum gefragt wurde, ob ich Pole bin oder sein will. Ich habe mich dagegen nicht gesträubt, denn nur so konnte ich hier seelsorglich arbeiten, in dem Gebiet, das auch heute noch großen Mangel an Priestern hat (auf circa 500 000 Menschen etwa 200 Priester), und habe damit den verbliebenen alten Pfarrangehörigen wie auch den Neuzugezogenen dienen können. Mit vieler Mühe. Denn die Sprache beherrsche ich auch jetzt nach vier Jahren noch nicht – der alte Kopf arbeitet eben nicht mehr so präzise wie ehemals – wenigstens im Umgang und in der Predigt, obwohl ich mich bestimmt von keinem verkaufen lasse. Und das deutsche Herz verleugnet sich
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nicht, das spüren die Polen nur zu gut, und bei aller Anerkennung meiner Arbeit Fremdheit und Misstrauen. Wenn nun durch jene Aktion von den alten Ermländern viele abwandern, ist meine Arbeit auch getan. Den Polen entspricht ein Geistlicher aus ihrem Reich zweifelsohne besser. Da möchte ich dann gern auch mein Ränzel packen zu meinen Landsleuten. Könnt ihr den alten Max da noch brauchen? Ist ja alt, auch nicht mehr so gesund, wenn die Leute auch mal verwundert fragen, ob ich wohl aus Eisen bin. Jedoch hat mir in diesem Winter eine schwere verschleppte Bronchitis einen kräftigen Schlag gegeben, bin sie noch nicht los. Da bitte ich Dich, beim Roten Kreuz auch mich sowie meine Schwester Agnes, geboren am 22.1.1877, auf die Liste zu bringen. Vielleicht können wir uns so mit Gottes Hilfe noch einmal wiedersehen nach so vielen Jahren. Inzwischen lege ich dem Prälaten meinen ehrfurchtsvollen Dank und Gruß zu Füßen. Dein alter Max Tarnowski
5 Kather an den Regierungspräsidenten von Osnabrück. Archiv Visitator Ermland, Münster, A 18 125 T. Schreibmaschinendurchschrift. 6. September 1950 An den Herrn Regierungspräsidenten Osnabrück Sehr verehrter Herr Regierungspräsident! Ich komme heute nochmals mit einer Bitte um Zuzugsgenehmigung für einen Geistlichen und seine Schwester aus dem zur Zeit unter polnischer Verwaltung stehenden Ostpreußen. Es handelt sich wiederum nicht um eine Zusammenführung der Familie. Aber ich hoffe, dass Sie mir trotzdem die Zuzugsgenehmigung geben werden, weil es gar keine Schwierigkeiten machen wird, den betreffenden Geistlichen irgendwo in eine Seelsorgsstelle unterzubringen. Er ist noch rüstig und wird darum gern von unseren geistlichen Behörden übernommen werden. Bis er die betreffende Stelle erhält, will ich gern für seine Unterkunft sorgen. Es handelt sich um Maximilian Tarnowski, geb. 29.5.1883, Erzpriester in Wartenburg, Ostpreußen, jetzt: Barczewo, pow. Olsztyn und Agnes Tarnowski, geb. 22.1.1877, wohnt in Barczewo, pow. Olsztyn. Mit vorzüglicher Hochachtung [Paraphe] K, Prälat Kapitularvikar von Ermland
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Regierungspräsident von Osnabrück an Kather Archiv Visitator Ermland, Münster, A 18 125 T. Schreibmaschinenabschrift. Beglaubigung mit eigenhändiger Unterschrift: Arthur Kather und Siegel: Der Kapitularvikar des Bistums Ermland.
Regierungspräsident - 1/ 6 -
Osnabrück, den 22. September 1950 Postschließfach 128 Fernruf 4171
Zuweisungsbescheinigung Nr. IX/77 (Gültig bis 21. März 1951)
Die Zuweisung wird hiermit erteilt für: Tarnowski, Maximilian, geboren am 29. Mai 1883 „ , Agnes, geboren am 22. Januar 1877 nach Osnabrück-Haste, Kreis Osnabrück, Regierungsbezirk Osnabrück.
Mit dieser Zuweisung erwirbt der Berechtigte lediglich den Anspruch auf bevorzugte Einstufung in die Liste der Wohnungssuchenden. Ansprüche auf Zahlung von Versorgungsbezügen irgendwelcher Art werden nicht begründet.
Siegel
Im Auftrage: gez. Unterschrift
An Herrn Kapitularvikar von Ermland in Osnabrück-Haste, Gut Honeburg d. d. Kreis/Stadt: Osnabrück-Stadt (Auf den Brief vom 6.9.50)
Die Richtigkeit vorstehender Abschrift wird hiermit bescheinigt.
Osnabrück-Haste, den 27. September 1950, Gut Honeburg Arthur Kather, Prälat Kapitularvikar von Ermland
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Tarnowski do Urządu do Spraw Wyznań w Warszawie Archiwum Akt Nowych Archidiecezji Warmińskiej w Olsztynie, Teczka parafii św. Anny w Barczewie 1946-1978. Eigenhändiger Entwurf.
Barczewo, 17.6.1953 Do Urządu do Spraw Wyznań w Warszawie przez Prezydium W.R.N. [Wojewódzkiej Rady Narodowej] Wydział do Spraw Wyznań w Olsztynie Kiedy w marcu bieżącego roku dostałem nakaz w ciągu trzech dni opuścić parafię i diecezję, udowodniono to z tym, że ja jestem Niemcem i dekret o obsadzeniu stanowisk duchownych nie dozwala na piastowanie takiego stanowiska przez cudzoziemca. Rozumiałem. W ten zaś sposób byłem zmuszony przyjąć kartę meldunkową, nie właściwą, bo nie tę, która mi jako posiadającemu paszport niemiecki wystawiony przez Permit Office według instrukcji urzędników gmin przysługiwała, także ankietę na dowód osobisty, na który według uchwały w tych warunkach również nie mam prawa. Teraz mi mówiono, że są na mnie skargi. Wiem o tym. 1. Mam być rewizjonistą. Dziwne. Kiedy Rząd Niemieckiej Republiki Demokratycznej uznał granicę Odry-Nysy, zwróciłem się do Rządu z prośbą o wyjazd do Niemiec, dobrze wyczuwając, że mimo uczciwej pracy kościelnej w uczuciach narodowościowych nie idę razem z ludem. Czy tak wygląda rewizjonizm? Pozwoleństwo na wyjazd Rząd mi nie dał, zgodził sie więc z moim przebyciem i z pracą tutaj. Dlaczego dziś już nie? I dzisiaj pragnę tylko to jedno, wyjechać do Niemiec, a gdybym dostał paszport na wyjazd, zaraz oddałbym parafię w ręce ks. Ordynariusza. 2. W duchu rewizjonistycznym mam wpływać na młodzież? Nie stykam się z młodzieżą, tylko kiedy urzędowo do mnie się zgłasza w sprawach małżeńskich. A tu nie prawda, że młodzieży autochtonicznej odradzałem zawrzeć małżeństwo z osobą z Centralnej Polski. Na samym początku, w roku 1945, może w dwóch wypadkach, zwróciłem uwagę na to, czy różność wychowania i obyczajów nie będzie źródłem nieporozumienia i niezgody. Później, kiedy już ze sobą się zżyli, młodzież jedna i druga, tego więcej nie poruszyłem. Urząd do Spraw Wyznań pewnie uznaje tą troskę duszpasterską, znając nasz religijny pogląd na małżeństwo. A jeżeli mimo tego te moje słowa uważane będą za przestępstwo, to po wielkiej amnestii powinno iść w niepamięć. 3. Jeżeli mówiono, że odpowiednie ulotki rozdawałem, to jasne, że nie prawda, bo inaczej na pewno byłbym już za to karany. Nie poczuwając się do żadnej winy, w trosce o moje dobre imię zakładam protest przeciw decyzji o usunięciu mnie od mego stanowiska i odwołam się na moją nieusuwalność, gwarantowaną przez kanon 454 prawa kościelnego. Prawo człowieka żąda również rehabilitację.
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Tarnowski an das Amt für konfessionelle Angelegenheiten in Warschau Archiv neuer Akten der Erzdiözese Ermland, Pfarrei St. Anna in Barczewo (Wartenburg). Eigenhändiger Entwurf. Barczewo, 17.6.1953 An das Amt für konfessionelle Angelegenheiten in Warschau über das Präsidium des Wojewodschafts-Nationalrates, Abteilung konfessionelle Angelegenheiten, in Olsztyn Als ich im März dieses Jahres aufgefordert wurde, innerhalb von drei Tagen die Pfarrei und die Diözese zu verlassen, begründete man dies damit – so habe ich es verstanden –, dass ich Deutscher bin und laut Verordnung über die Besetzung geistlicher Ämter die Wahrnehmung eines solchen Amtes durch einen Ausländer nicht gestattet ist. Ich habe verstanden. So war ich gezwungen, eine Meldekarte anzunehmen – nicht die eigentliche, d.h. nicht diejenige, die mir als Inhaber eines deutschen Passes, ausgestellt durch das Permit Office, gemäß einer Instruktion der Kommunalbeamten zustand – und auch ein Antragsformular für die Ausstellung eines Personalausweises, auf den ich laut Gesetz unter diesen Umständen auch keinen Anspruch habe. Jetzt sagte man mir, dass es Beschwerden über mich gibt. Ich weiß darüber Bescheid. 1. Angeblich bin ich ein Revisionist. Eigenartig. Als die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik die Oder-Neiße-Grenze anerkannt hatte, habe ich mich an die Regierung mit der Bitte gewandt, nach Deutschland ausreisen zu dürfen. Ich spürte sehr wohl, dass ich trotz redlicher Verrichtung meines kirchlichen Dienstes hinsichtlich des Nationalgefühls mit den Menschen nicht konform bin. Sieht so Revisionismus aus? Die Ausreise ist mir von der Regierung nicht genehmigt worden, man war also mit meinem Aufenthalt und mit meiner Arbeit hier einverstanden. Warum heute nicht mehr? Und heute habe ich nur noch den einen Wunsch: Ich möchte nach Deutschland ausreisen. Wenn ich den Reisepass erhalten sollte, würde ich sofort die Pfarrei dem Ordinarius zur Verfügung stellen. 2. Angeblich beeinflusse ich die Jugend in revisionistischem Geist? Ich habe gar keinen Kontakt zur Jugend, es sei denn man wendet sich von Amts wegen in Eheschließungsfragen an mich. Und es ist nicht wahr, dass ich autochthonen jungen Menschen von der Ehe mit einer Person aus Zentralpolen abgeraten habe. Ganz am Anfang, im Jahre 1945, habe ich wohl in zwei Fällen darauf hingewiesen, dass unterschiedliche Erziehung und unterschiedliche Sitten und Gebräuche zu Missverständnissen und Unfrieden führen können. Später, als sie schon miteinander vertrauter geworden sind, die jungen Menschen der einen und der anderen Bevölkerungsgruppe, habe ich diese Angelegenheit nicht mehr angesprochen. Das Amt für konfessionelle Angelegenheiten wird sicher meine seelsorglichen Bemühungen anerkennen, zumal unser religiös begründeter Standpunkt zur Ehe bekannt sein sollte. Wenn dennoch meine
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Worte als Verbrechen gelten, dann dürfte dies nach der großen Amnestie vergessen sein. 3. Wenn gesagt wurde, dass ich entsprechende Flugblätter verteilt hätte, dann ist das ganz klar die Unwahrheit, denn andernfalls hätte man mich dafür sicher längst bestraft. Keiner Schuld bewusst und in Sorge um meinen guten Ruf protestiere ich somit gegen den Beschluss, mich meines Amtes zu entheben und berufe mich dabei auf Kanon 454 des Kirchenrechtes, dem gemäß eine Amtsenthebung nicht möglich ist. Auch das Menschenrecht fordert eine Rehabilitierung.
8 Tarnowski do Obywatela Wojewódzkiego Prokuratora w Olsztynie Archiwum Akt Nowych Archidiecezji Warmińskiej w Olsztynie, Teczka parafii św. Anny w Barczewie 1946-1978. Schreibmaschinendurchschrift Maksymilian Tarnowski Proboszcz i dziekan Barczewo
Olsztyn, 21 września 1953 r. Ob. Prokurator Wojewódzki Olsztyn
W związku z dzisiejszą rozmową uprzejmie zakomunikuję co następuje: Oświadczenie obywatela prokuratora odnośnie do wykonania zarządzenia Prezydium Wojewódzkiej Rady Narodowej w Olsztynie, mocą którego ma nastąpić usunięcie z dotychczas zajmowanych przeze mnie stanowisk proboszcza i dziekana w Barczewie – było dla mnie przykrym zaskoczeniem. Uważałem tę sprawę, po złożeniu przeze mnie wymaganego dekretem z 9. 2. bieżącego roku ślubowania za nieaktualną i całkowicie zlikwidowaną. Trudno mi natychmiast powziąć decyzję w sprawie, która w każdym wypadku jest dla mnie niesłychaną krzywdą i dyskriminacją. Dlatego uprzejmie proszę o łaskawe udzielenie mi odpowiedniego terminu dla powzięcia decyzji, która z natury rzeczy wymaga dokładnego rozważania. Zaznaczam jednak, że uważam za możliwe dwa wyjścia: albo zgodzić się na proponowane przeniesienie na stanowisko proboszcza w Dywitach, powiat Olsztyn, - albo poprosić Najprzewielebniejszego ks. Ordynariusza o przyjęcie ewntualnej rezygnacji z zajmowanych dotąd stanowisk w Barczewie, ale z prawem dalszego zamieszkania w tym mieście, ponieważ ze względu na mój wiek byłoby mi bardzo trudno przestawić mój tryb życia na warunki wiejskie. W kierunku jednej z wymienionych możliwości podaję Obywatelowi Prokuratorowi moją definitywną decyzję do poniedziałku, 28. września bieżącego roku, i proszę uprzejmie o łaskawe przyjęcie tego terminu. Ks. Maksymilian Tarnowski
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Tarnowski an den Staatsanwalt der Wojewodschaft in Olsztyn
Archiv neuer Akten der Erzdiözese Ermland, Pfarrei St. Anna in Barczewo (Wartenburg). 1946–1978. Schreibmaschinendurchschrift
Maximilian Tarnowski Pfarrer und Dekan Barczewo
Olsztyn, den 21. September 1953
Herrn Staatsanwalt der Wojewodschaft Olsztyn Bezugnehmend auf das heutige Gespräch teile ich Ihnen höflich folgendes mit: Ihre Erklärung betreffend den Beschluss des Präsidiums des WojewodschaftsNationalrates, auf dessen Grundlage ich meiner bisherigen Ämter als Pfarrer und Dekan in Barczewo enthoben werden soll, war für mich eine unangenehme Überraschung. Ich war der Meinung, dass diese Angelegenheit, nachdem ich das durch das Dekret vom 9. 2. dieses Jahres geforderte Gelöbnis abgelegt habe, nicht mehr aktuell und vollkommen erledigt sei. Es fällt mir schwer, unverzüglich eine Entscheidung in einer Angelegenheit zu treffen, die jedenfalls für mich ein unerhörtes Unrecht und eine Diskriminierung darstellt. Deshalb bitte ich höflichst, mir für meine Entscheidung, die naturgemäß genauer Überlegung bedarf, einen entsprechenden Termin einzuräumen. Ich betone jedoch, dass ich zwei Lösungen für möglich halte: Entweder werde ich mich bereit erklären, die vorgeschlagene Versetzung in das Amt des Pfarrers von Dywity/Diwitten, Kreis Olsztyn, anzunehmen, oder den Hochwürdigsten Herrn Bischof bitten, meinen eventuellen Verzicht auf die bisher in Barczewo wahrgenommenen Ämter zu akzeptieren, jedoch unbeschadet des Rechtes, weiterhin in dieser Stadt wohnen bleiben zu dürfen, denn im Hinblick auf mein Alter würde es mir sehr schwer fallen, meine Lebensweise an ländliche Verhältnisse anzupassen. Meine definitive Entscheidung für eine dieser Möglichkeiten werde ich Ihnen, Herr Staatsanwalt, bis Montag, den 28. September dieses Jahres mitteilen. Ich bitte Sie höflichst, diesen Termin zu akzeptieren. Maximilian Tarnowski
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Tarnowski do Obywatela Prezesa Rady Ministrów w Warszawie Archiwum Akt Nowych Archidiecezji Warmińskiej w Olsztynie, Teczka parafii św. Anny w Barczewie 1946-1978. Schreibmaschinendurchschrift. Beglaubigung des Notars mit eigenhändiger Unterschrift des Notars Franciszek Bryx. Barczewo, dnia 23 września 1953 Do Obywatela Prezesa Rady Ministrów Warszawa Poniżej podpisany Ks. Maksymilian Tarnowski zwraca się do Obywatela Prezesa Rady Ministrów z następującą skargą: Urodzony dnia 29. maja 1883 roku, wyświęcony na kapłana dnia 11.2.1906 roku, pracowałem przez cały ten czas – 47 lat w Diecezji Warmińskiej na różnych stanowiskach, a od roku 1935[1936] jako proboszcz i dziekan w Barczewie, powiat Olsztyn. Jest to parafia w 90 % zamieszkała przez autochtonów, do mojej osoby i działalności bardzo przywiązanych. Z wiernymi, przybyłymi z różnych stron i okolic Polski, nawiązałem od samego początku przyłączenia Warmii do Polski serdeczne kontakty i zyskałem ich zaufanie. Na podstawie jednak dekretu z 9.2. bieżącego roku o obsadzeniu stanowisk kościelnych zażądano ze strony Prezydium W.R.N. w Olsztynie mojego usunięcia z zajmowanych stanowisk oraz z miejsca zamieszkania. Wskutek tak przykrej niespodzianki, jedyna siostra moja, już będąca słabego zdrowia, ciężko zachorowała i kilka tygodni później zmarła. Jakim okolocznościom tak surowe zarządzenie Władz Wojewódzkich miałem do zawdzięczenia nie wiedziałem. Chyba temu, że od dłuższego czasu, ze względu na mój wiek, starałem się o wyjazd do Niemiec, gdzie przebywa kilka członków najbliższej mojej rodziny. Z tego też powodu odmówiłem w swoim czasie przyjęcia i wypełnienia ankiety dla paszportyzacji. Mając to na rozwadze, po otrzymaniu rozkazu opuszczenia parafii, wyjaśniłem wobec Przewodniczącego Prezydium W.R.N. w Olsztynie moje sprawy osobiste oraz inne nieporozumienia, z tym wynikiem, że wypełniłem ankietę i złożyłem wymagane dekretem z 9.2. bieżącego roku ślubowanie. Chociaż moje odwołanie wniesione do Urzędu do Spraw Wyznań, zostało załatwione odmownie, to teraz po ślubowaniu byłem zdania, że wszystkie pretensje władz zostały usunięte a tym samym i sprawa mojego usunięcia z parafii przestała być aktualną, tym bardziej, że według Prawa Kanonicznego jestem proboszczem nieusuwalnym. Po pewnym czasie jednak ponownie wysunięto i to kilkakrotnie żądanie usunięcia mnie z parafii i przeniesienia mnie na małą parafię wiejską. Gdy tego odmówiłem, wezwano mnie dnia 21.9. bieżącego roku do prokuratora, który ze
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strony Prezydium W.R.N. w Olsztynie otrzymał polecenie natychmiastowego uskutecznienia jego zarządzeń. Przeciwko takiemu postępowaniu wnoszę skargę, prosząc Obywatela Prezesa Rady Ministrów o całkowite anulowanie przeciwko mnie wydanego zarządzenia. Uskutecznienie tego byłoby dla mnie niesłychaną krzywdą i dyskriminacją, równająca się degradacji ze stanowiska dziekana i w ogóle złamania mego życia. Cóżby bowiem ja stary człowiek zaczął w innej parafii, w obcym otoczeniu i nieznanych warunkach? Rozgoryczenie, stałe poczucie doznanej krzywdy i hańby byłyby treścią mego życia na stare moje lata. Zaś łatwo sobie wyobrazić, jak krzywdę tę odczuwaliby parafianie moi i wierni całego mego dekanatu, przez których byłem lubiany i szanowany. Dużo się czyta i słyszy o konieczności unikania błędów popełnionych wobec autochtonów, o unikaniu dawnych krzywd i upośledzeń, i całkiem słusznie, bo tylko drogą umiejętnej polityki można pozyskać ich zaufanie. Usunięcie moje uważałoby kilka tysięcy ludności warmińskiej wprost za krzywdę sobie wyrządzoną, a ta okoliczność, to nie drobiazg, lecz ciężkim moralnym obciążeniem społeczeństwa. I zresztą – cóż dalsza obecność i praca kościelna ponad 70-letniego staruszka – kapłana mogłyby społeczeństwu i Państwu zaszkodzić, kiedy konstytucja P.R.L. każdemu obywatelowi zagwarantuje i swobodę i nietykalność mieszkania i pracę i opiekę na starość? Przepraszam najmocniej, jeżeli to wszystko wyprowadzilo mnie z równowagi. Piszę to wszystko szczerze do Waszej Ekscelencji – mam jedynie tę nadzieję, że Pan Prezes Rady Ministrów, jako najwyższy autorytet Państwa i strażnik praworządności, uznaje moje uwagi i uzasadnienia, a zwłaszcza moją usilną prośbę za słuszne, i raczy anulować tak surową i nie zasłużoną karę wymierzoną mi przez Władze terenowe, której źródłem nie jest żadna obiektywna wina, chyba jedynie niechęć a może nienawiść do autochtonów. Przedkładając powyższą skargę, wyrażam nadzieję, że Obywatel Prezes Rady Ministrów raczy łaskawie przyjąć do wiadomości moje wywody i uwzględnić prośbę staruszka-kapłana-autochtona, żeby ostatnie lata swego życia kapłańskiego spokojnie mógł przeżyć i przepracować w parafii, z którą tak bardzo się zżył. Z wyrazami należnego szacunku Ks. M. Tarnowski Proboszcz i dziekan
Za zgodność: Ks. FBryx, Notariusz Siegel: Kuria Biskupia Diecezji Warmińskiej
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Tarnowski an den Herrn Vorsitzenden des Ministerrats in Warschau Archiv neuer Akten der Erzdiözese Ermland, Pfarrei St. Anna in Barczewo (Wartenburg). 1946–1978. Schreibmaschinendurchschrift. Beglaubigung des Notars mit eigenhändiger Unterschrift des Notars Franciszek Bryx. Barczewo, den 23. September 1953 An den Herrn Vorsitzenden des Ministerrats Warschau Ich, der unterzeichnete Pfarrer Maximilian Tarnowski, wende mich an Sie, Herr Ministerpräsident, mit nachstehender Beschwerde: Geboren am 29. Mai 1883 und zum Priester geweiht am 11. Februar 1906, arbeitete ich die ganze Zeit, d. h. 47 Jahre lang, in der Diözese Ermland in unterschiedlichen Ämtern und seit 1935 [1936] als Pfarrer und Dekan in Barczewo, Kreis Olsztyn. Das ist eine Gemeinde, die zu 90% von Autochthonen bewohnt ist, die sehr an mir und meiner Tätigkeit hängen. Zu den aus verschiedenen Gegenden Polens hinzugekommenen Gläubigen habe ich sofort nach dem Anschluss des Ermlands an Polen herzliche Kontakte geknüpft, und ich habe ihr Vertrauen gewonnen. Aufgrund des Dekrets vom 9. 2. dieses Jahres über die Besetzung kirchlicher Ämter forderte das Präsidium des Wojewodschafts-Nationalrats in Olsztyn, mich meiner Ämter zu entheben und mich aus meinem Wohnort zu verbannen. Infolge dieser so unliebsamen Überraschung ist meine einzige Schwester, deren Gesundheit schon angeschlagen war, schwer erkrankt und einige Wochen später verstorben. Welchen Umständen ich einen solch rücksichtslosen Beschluss der Wojewodschaftsbehörden zu verdanken hatte, wusste ich nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich seit längerem, aufgrund meines Alters, um eine Ausreise nach Deutschland bemüht habe, wo einige Mitglieder meiner nächsten Familie leben. Aus diesem Grunde habe ich auch seinerzeit die Annahme und das Ausfüllen des Antragsformulars für die Ausstellung eines Ausweises verweigert. Unter Berücksichtigung dessen habe ich, nachdem mir befohlen wurde, die Pfarrei zu verlassen, dem Vorsitzenden des Präsidiums des WojewodschaftsNationalrats in Olsztyn meine persönlichen Angelegenheiten erläutert und andere Missverständnisse aufgeklärt mit dem Ergebnis, dass ich das Antragsformular ausgefüllt und das durch das Dekret vom 9. 2. dieses Jahres geforderte Gelöbnis abgelegt habe. Obwohl mein beim Amt für konfessionelle Angelegenheiten eingebrachter Einspruch abgelehnt wurde, so war ich nunmehr, nachdem ich das Gelöbnis abgelegt hatte, der Meinung, dass alle Ansprüche der Behörden hinfällig geworden sind und damit auch die Angelegenheit meiner Amtsenthebung nicht mehr aktuell war, zumal ich gemäß dem Kirchenrecht meines Amtes als Pfarrer nicht enthoben werden kann. Nach einer gewissen Zeit ist jedoch erneut und sogar mehrfach gefordert worden, mich aus der Pfarrei auszuweisen und in eine kleine ländliche Pfarrei zu ver-
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setzen. Als ich dies ablehnte, wurde ich am 21. 9. dieses Jahres zum Staatsanwalt vorgeladen, der vom Präsidium des Wojewodschafts-Nationalrats die Anweisung erhalten hatte, die Ausführung dieser Anordnung mit sofortiger Wirkung zu veranlassen. Gegen ein solches Vorgehen erhebe ich Einspruch und bitte Sie, Herr Ministerpräsident, die gegen mich erlassene Verfügung vollständig zu annullieren, denn diese Maßnahme wäre für mich ein unerhörtes Unrecht und eine Diskriminierung, die hinsichtlich des Amtes des Dekans einer Degradierung gleich käme und woran überhaupt mein Leben zerbrechen würde. Was würde ich alter Mensch denn in einer anderen Pfarrei, in fremder Umgebung und unter unbekannten Bedingungen anfangen? Verbitterung, das ständige Gefühl erlittenen Unrechts und zugefügter Schmach wären im Alter mein Lebensinhalt. Leicht vorstellbar ist auch, wie meine Pfarrangehörigen und die Gläubigen aus dem ganzen Dekanat, die mich gern hatten und achteten, dieses Unrecht empfinden würden. Man liest und hört viel über die Notwendigkeit, Fehler zu vermeiden, die Benachteiligungen und Zurücksetzungen, die früher vorgekommen sind, vermieden werden sollen, und das mit Recht, denn nur durch verständige Politik kann man ihr Vertrauen gewinnen. Meine Amtsenthebung würden einige Tausend Ermländer einfach als ein ihnen direkt zugefügtes Unrecht empfinden, und das ist keine Kleinigkeit, sondern eine schwere moralische Belastung der Gesellschaft. Und übrigens – welchen Schaden sollte die weitere Anwesenheit und kirchliche Tätigkeit eines über 70-jährigen greisen Priesters der Gesellschaft und dem Staat zufügen, wenn die Verfassung der Volksrepublik Polen jedem Bürger sowohl Freiheit und Unantastbarkeit der Wohnung als auch Arbeit und Versorgung im Alter garantiert? Verzeihen Sie bitte, dass mich das alles aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Ich schreibe Ihnen, Eure Exzellenz, dies alles ganz offen und ehrlich und habe einzig und allein die Hoffnung, dass Sie als höchste Autorität im Staat und Wächter über die Rechtsstaatlichkeit meine Bemerkungen und Begründungen akzeptieren, insbesondere meine inständige Bitte als gerechtfertigt ansehen und die so harte und unverdiente Strafe annullieren werden, die mir die regionalen Behörden auferlegt haben und die durch keine objektive Schuld, sondern wohl einzig durch Ablehnung und vielleicht sogar Hass den Autochthonen gegenüber begründet ist. Mit der Vorlage obiger Beschwerde bringe ich die Hoffnung zum Ausdruck, dass Sie, Herr Ministerpräsident, meine Ausführungen gütigst zur Kenntnis nehmen und der Bitte des greisen autochthonen Priesters nachkommen werden, damit dieser die letzten Jahre seines priesterlichen Lebens in Ruhe leben und in der Gemeinde arbeiten kann, mit der er so sehr vertraut geworden ist. Hochachtungsvoll M. Tarnowski Pfarrer und Dekan Für die Richtigkeit: FBryx, Notar. Siegel: Bischöfliche Kurie der Diözese Ermland.
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Prezydium Wojewódzkiej Rady Narodowej do ks. Biskupskiego Archiwum Akt Nowych Archidiecezji Warmińskiej w Olsztynie, Teczka parafii św. Anny w Barczewie 1946-1978. Schreibmaschinenausfertigung. Eigenhändige Unterschrift: Julian Malewski. Olsztyn, dnia 20 listopada 1953 Przezydium Wojewódzkiej Rady Narodowej w Olsztynie Nr. W1/138/53 Ks. Profesor Dr. Stefan Biskupski Ordynariusz Diecezji Warmińskiej w Olsztynie W dniu 11 marca 1953 roku Prezydium Wojewódzkiej Rady Narodowej w Olsztynie zarządziło zdjęcie ze stanowiska proboszcza i dziekana w Barczewie ks. Tarnowskiego Maksymiliana. Ks. Tarnowski stale podawał się za Niemca. Apelu pokoju nie podpisał. W wyborach nie brał udziału i za jego przykładem poszli inni księża z jego dekanatu. Ciągle składał i składa podania o wyjazd die Niemiec Zachodnich motywując tym, że czuje się Niemcem i działalność duszpasterską na tej ziemi uważa za ujemną. Swoim postępowaniem rozbija jedność narodową. Podjudza młodzież autochtoniczną w stosunku do młodzieży napływowej, nie pozwala im zawieranie związków małżenskich tłumacząc im, że wrócą Niemcy i z nimi będą mogli zawierać związki. Podlegli mu księża prowadzili wrogą działalność, kolportowali rewizjonistyczne ulotki z Niemiec Zachodnich, występowali przeciwko subskripcji pożyczki rozwoju sił Polski, występowali z wrogimi kazaniami przeciwko władzy Ludowej. Podczas ankietyzacji ksiądz Tarnowski odmówił sam wypełnienia ankiety jak również odmawiał innym, gdzie w związku z tym dużo ludności autochtonicznej w parafii nie wypełniło ankiet. Wymienione motywy były powodem do wydania zarządzenia zdjęcia ze stanowisk kościelnych księdza Tarnowskiego. Od decyzji tej były Ordynariusz ks. Zink kilkakrotnie odwoływał się do władz centralnych i ostatecznie 26 września 1953 roku interweniował w sprawie ks. Tarnowskiego u Prezesa Rady Ministrów. Szef Urzędu Rady Ministrów Mijał decyzją z dnia 2.10.1953 roku, Nr. Szef 744/53 powiadomił Prezydium Wojewódzkiej Rady Narodowej w Olsztynie, że decyzja Prezydium Wojewódzkiej Rady Narodowej została ostatecznie zatwierdzona i zalecił przystąpić do jej wykonania. Z wiązku z powyższym Prezydium Wojewódzkiej Rady Narodowej prosi ks. Ordynariusza o odwołanie ks. Tarnowskiego ze stanowiska dziekana i proboszcza parafii Barczewo. Julian Malewski
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Präsidium des Wojewodschaft-Nationalrats an Biskupski Archiv neuer Akten der Erzdiözese Ermland, Pfarrei St. Anna in Barczewo (Wartenburg). 1946–1978. Schreibmaschinenausfertigung. Eigenhändige Unterschrift: Julian Malewski. Olsztyn, den 20. November 1953 Präsidium des Wojewodschafts-Nationalrats in Olsztyn Nr. W1/138/53 Herrn Professor Dr. Stefan Biskupski Ordinarius der Diözese Ermland in Olsztyn Am 11. März 1953 hat das Präsidium des Wojewodschafts-Nationalrats in Olsztyn angeordnet, den Pfarrer und Dekan Maximilian Tarnowski aus Barczewo seiner Ämter zu entheben. Der Priester Tarnowski hat sich stets als Deutscher ausgegeben. Den Friedensappell hat er nicht unterzeichnet. An den Wahlen hat er nicht teilgenommen, und andere Priester seines Dekanates folgten seinem Beispiel. Laufend stellte er und stellt Anträge auf Ausreise nach Westdeutschland und begründet dies damit, dass er sich als Deutscher fühlt, wobei er die hiesige seelsorgliche Tätigkeit negativ beurteilt. Durch sein Vorgehen zerstört er die nationale Einheit. Er hetzt die autochthone Jugend gegen die Jugend der Neuzugezogenen auf, versagt ihnen die Eheschließung, wobei er ihnen erklärt, dass die Deutschen zurückkehren werden, mit denen sie dann Ehen schließen könnten. Die ihm unterstellten Priester entwickelten feindliche Aktivitäten, verteilten revisionistische Flugblätter aus Westdeutschland, traten gegen die Zeichnung der Anleihe für die Entwicklung Polens auf, traten mit feindseligen Predigten gegen den volksdemokratischen Staat auf. Als eine Erhebung durchgeführt wurde, weigerte sich der Priester Tarnowski selbst, das Formular auszufüllen und hielt auch andere davon ab, weshalb viele Autochthonen in seiner Pfarrei die Fragebögen nicht ausgefüllt haben. Deshalb wurde angeordnet, den Priester Tarnowski seiner kirchlichen Ämter zu entheben. Gegen diesen Beschluss hat der ehemalige Ordinarius Zink mehrfach bei den zentralen Behörden Einspruch eingelegt und schließlich in der Angelegenheit Tarnowski am 26. September 1953 beim Ministerpräsidenten interveniert. Der Amtsleiter des Ministerrates Mijał informierte mit Schreiben vom 2.10.1953, Nr. Szef 744/53, das Präsidium des Wojewodschafts-Nationalrats in Olsztyn darüber, dass der Beschluss des Präsidiums des WojewodschaftsNationalrats definitiv bestätigt worden ist, und empfahl dessen Ausführung. Deshalb bitten wir Sie, den Priester Tarnowski von seinen Ämtern als Dekan und als Pfarrer der Pfarrei Barczewo abzuberufen. Julian Malewski
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Tarnowski an Kather Archiv Visitator Ermland, Münster, A 18 125 T. Eigenhändige Ausfertigung Orneta, 21.1.1956 Lieber Freund Arthur! Wie das ganze Jahr hurtig vorübereilte, so werden auch die letzten paar Tage schnell dahingehen, bis der Tag da ist, an dem wir vor 50 Jahren gemeinsam vor dem Hochaltar unserer schönen Kathedrale knieten und durch die Hand unsres greisen Bischofs die heilige Weihe empfingen. Wohl viele, viele Glückwünsche werden Dir an dem Tage zugehen. Lass es Dir gefallen, wenn ich mit diesem Brief ebenfalls Deine Zeit etwas in Anspruch nehme. Ich halte es für geziemend, dass wir, die wir damals zusammen waren, an unserm Gedenktage wenigstens geistig vereint sind. Zwar, wie Iphigenie das Land der Griechen mit der Seele suchte, wandern auch meine Gedanken täglich die Wege, die ins Vaterland und zu Euch führen. Aber am 11.2. wird mein Gedenken noch inniger sein, mein Memento Euch alle Gott empfehlen, vor allem aber Dich, auf dessen Schultern Gott besondere schwere Last gelegt hat. Möge Dir Gott auch weiterhin Gesundheit und Kraft geben, vielen Trost zu spenden und den Entwurzelten zu helfen, dort Wurzel zu fassen und den angestammten Glauben zu bewahren. Eine Bitte habe ich: Bestelle doch unsern Mitjubilaren meine Grüße. Ich hätte jedem ein Brieflein gesandt, weiß aber von keinem einzigen, wo er haust. Und wenn an Deinem Jubelfest die alten Freunde bei Dir vereint sein werden, grüße auch sie alle von mir. Es geht mir ähnlich, wie wir als Studenten gesungen haben – da muss ich durch den grünen Wald als räudig Schäflein traben -, aber mein Herz schlägt immer noch nur deutsch und treu für Euch alle. Gott sei mit Dir und uns allen Dein Max Tarnowski
12 Tarnowski do ks. Biskupskiego Archiwum Akt Nowych Archidiecezji Warmińskiej w Olsztynie, Teczka parafii św. Anny w Barczewie 1946-1978. Eigenhändige Ausfertigung. Orneta, 17.2.1956 Najprzewielebniejszy Księże Infułacie! W znanej mi już życzliwości ks. Infułat przysłać raczył tak serdeczne powinszowanie. Słabym słowem tylko mogę wyrazić moją wdzięczność.
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Tym bardziej chcę Pana Boga prosić o błogosławieństwo dla Księdza Infułata i naszej diecezji. Celem pracy kapłańskiej jest przecież chwała Boga i zbawienie dusz, osiągalne tylko przez nasz święty kościoł. Urodzony w diasporze już w młodych latach uczyłem się bronić moją wiarę. A potem, również w Diasporze, przez 28 lat, stałem na straży dla prawa kościoła i wiary świętej. Kiedy potem miałem opuścić moje stanowisko, broniłem się nie dla własnej osoby, bo już przedtem myślałem o rezygnacji, lecz dla dobra kościoła. Dobro diecezji kazało mi ustąpić, więc ustąpiłem. Nie widzę w tym żadnej zasługi. Nie było to ofiarą dla mnie, lecz prostym wynikiem owej linii życiowej, do której przywykłem. Już nie mogę pracować dla diecezji, ale mogę się modlić i będę się modlił, by Pan Bóg miał ją w swojej opiece. Uniżony ks. Tarnowski
Tarnowski an Biskupski Archiv neuer Akten der Erzdiözese Ermland, Pfarrei St. Anna in Barczewo (Wartenburg). 1946–1978. Eigenhändige Ausfertigung. Orneta, 17.2.1956 Hochwürdigster Herr Protonotar! Sie haben mir freundlicherweise so herzliche Glückwünsche gesandt. Nur mit unzureichenden Worten kann ich meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. Umso mehr will ich den Herrgott um Segen für Sie und unsere Diözese bitten. Ziel der priesterlichen Tätigkeit ist doch, Gott zu loben und Seelen zu retten, was nur durch unsere heilige Kirche zu erreichen ist. In der Diaspora geboren, habe ich schon in jungen Jahren gelernt, meinen Glauben zu verteidigen. Und später, ebenfalls in der Diaspora, habe ich 28 Jahre lang über die Rechte der Kirche und den heiligen Glauben gewacht. Als ich dann meine Stellung räumen sollte, wehrte ich mich – nicht meinetwegen, denn schon früher habe ich über einen Verzicht nachgedacht, sondern weil mir das Wohl der Kirche am Herzen lag. Das Wohl der Diözese gebot mir zurückzutreten, also trat ich zurück. Darin sehe ich überhaupt kein Verdienst. Das war kein Opfer für mich, sondern einfach das Ergebnis jenes Lebensverlaufs, an den ich gewöhnt war. Für die Diözese kann ich nicht mehr arbeiten, aber ich kann beten und werde beten, dass der Herrgott sie in seiner Obhut halten möge. Ihr ergebener Priester Tarnowski
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Schwalke an Tarnowski Archiv Visitator Ermland, Münster, A 18 125 T. Schreibmaschinendurchschrift mit eigenhändiger Unterschrift. Handschriftlich hinzugefügt: 100 DM, 3 Bildchen, 18.2.76, d. Alimex. 18.2.1976 Hochwürden Herrn Pfarrer i. R. Max Tarnowski ul. Olsztyńska 14-510 Orneta 1 powiat Braniewo
Hochwürdiger Herr Pfarrer! Zu Ihrem Priesterjubiläum, das Sie bei Vollendung von 70 Priesterjahren feiern können, spreche ich Ihnen die herzlichen Segenswünsche der Ermländer aus. Von Besuchern der alten Heimat habe ich schon oft von Ihnen gehört, von Ihrer Rüstigkeit, Ihrem Interesse an den Belangen der Heimat und der Kirche und von Ihrem priesterlichen Dienst, den Sie noch immer den Menschen und unter Ihnen besonders den Schwestern der heiligen Katharina tun. Gott vergelte Ihnen alle Arbeit, die Sie in schweren und frohen Tagen den Menschen der Kirche und allen, die Sie angingen, taten. Von der so häufig genannten „Versöhnung zwischen Polen und Deutschen“ wird ein nicht geringer Teil Ihrer Arbeit zuzuschreiben sein, denn die wirkliche Versöhnung der Menschen wächst aus der Barmherzigkeit Gottes, die sie gemeinsam von IHM erbitten und empfangen. Mit allen guten Wünschen für die kommenden Jahre, die der Herr Ihnen bei guter Gesundheit schenken möge, segne ich Sie und alle Menschen, die mit Ihnen in den Dank an Gott einstimmen. Herzlichen Gruß Ihr Johannes Schwalke Prälat
In den nächsten Tagen geht Ihnen eine Jubiläumsgabe zu.
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Dziekan Maximilian Tarnowski Duszpasterz w Niemieckiej Rzeszy i w Polsce Ludowej Streszczenie Maximilian Tarnowski był nadzwyczajnie utalentowanym i wykształconym duszpasterzem, niezwykle cenionym przez swoich parafian. Należał on do grupy owych 113 księży w diecezji warmińskiej, którzy wobec upadku Trzeciej Rzeszy i masowej ucieczki wschodniopruskiej ludności zdecydowali się pozostać w swoich parafiach. Jego doświadczenia z dyktaturą nazistowską umożliwiły mu w konfliktach z nowym komunistycznym systemem również rozważnie i zdecydowania bronić spraw kościoła. Wielkim wyzwaniem były wówczas dla niego różniące się potrzeby duszpasterskie autochtonów i przybyszów ze względu na ich odmienne tradycje kulturowe. Tarnowski większą sympatią darzył miejscowych niemieckich parafian. Nowi osadnicy czuli, że chociaż potrafił rozmawiać z nimi w ich języku, jednak nie był jednym z nich. Gdy podczas epoki stalinizmu władze starały się odizolować Tarnowskiego od autochtonów, w czym popierane były nawet przez Administratora Apostolskiego Biskupskiego, on walczył o pozostanie w swojej parafii. Bezskutecznie. Wobec tego poprosił – raczej nie dobrowolnie – swojego Ordynariusza o przeniesienie na emeryturę. Spędził wówczas jeszcze 27 lat w domu opieki w klasztorze sióstr Katarzynek w Ornecie. Czy Maximilian Tarnowski był przykładowym reprezentantem autochtonicznego kleru diecezjalnego w latach przełomu politycznego i społecznego po zakończeniu wojny powinny wyjaśnić dalsze badania porównawcze.
Archpriest Maximilian Tarnowski Pastor in the German Reich and the People’s Republic of Poland Summary Tarnowski belonged to the group of 113 priests from the Diocese of Warmia who decided, following the collapse of the Third Reich and the exodus of a substantial part of the East Prussian population, to remain with their parishes. His experience of the national socialist dictatorship equipped him to represent the interests of the Church in conflicts with the new Communist state with both prudence and decisiveness. Meeting the differing pastoral needs of the remaining original population and those of the new settlers, with their differing cultural traditions, posed a major challenge. Tarnowski felt closest to the native German parishioners and the new Polish settlers felt that, although he could speak to them in their mother-tongue, he was not ,one of them’. During the Stalinist-era the authorities sought to isolate him from the native population at all costs, and even gained the support of the Apostolic Administrator Biskupski in so doing, Tarnowski continued to fight – unsuccessfully – to remain in his parish. Therefore, against his own wishes, he asked his diocesan bishop to superannuate him. He lived in the retirement home of the Congregation of the Sisters of St Catherine in Orneta (Wormditt) for 27 years. The extent to which Maximilian Tarnowski can be seen as a typical representative of the native clergy of the diocese during the decades of political and social upheaval which followed the end of the War remains to be investigated by future comparative studies.
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JERZY KIEŁBIK Der gravierende Mangel an erhaltenen historischen Stadtbüchern bildet bis heute ein großes Hindernis bei der Erforschung der Stadtgeschichte des Ermlandes. Der vorliegende Beitrag geht näher auf die bedeutsame bischöfliche Residenzstadt Heilsberg ein, wobei das oben genannte Quellenproblem deutlich zutage tritt. Dennoch soll im Folgenden die personelle Zusammensetzung von Rat und Schöffenbank der Stadt Heilsberg soweit wie möglich rekonstruiert werden. Als wichtigste Quellengrundlage dienen dabei die zeitgenössischen Verzeichnisse der Heilsberger Bürgermeister, Ratsherren und Schöffen. Eine bedeutende Quelle stellt ferner die Liste der damaligen Urkundenschreiber dar, die eine herausgehobene Stellung in der städtischen Hierarchie einnahmen. Da einschlägige Ratsbücher mit Einträgen zum Verlauf einzelner Sitzungen jedoch nicht zur Verfügung stehen, werden im Folgenden die Standesamtsregister näher untersucht. Als besonders wertvoll erwiesen sich dabei die Taufbücher. Die Angehörigen der städtischen Führungsgremien bildeten die Elite der damaligen Gesellschaft – und zwar ebenso in Finanzfragen wie in Hinblick auf ihre jeweiligen Einflusssphären. Daher wurden diese Personen als potentielle Taufpaten außerordentlich geschätzt.1 Für die Pfarrgemeinde Heilsberg im Ermland sind die Taufbücher der Jahre 1588-1750 erhalten.2 De facto begann man aber erst seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die soziale Stellung der Taufpaten näher zu bezeichnen,3 was den in vorliegendem Beitrag gewählten chronologischen Rahmen erklärt. Das Enddatum 1750 ergibt sich ferner aus den erhaltenen einschlägigen Quellenbeständen. 1 2
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DOROTA ŻOŁĄDŹ-STRZELCZYK, Dziecko w dawnej Polsce [Das Kind im Alten Polen]. Poznań 2006, S. 84. Archiwum Archidiecezji Warmińskiej w Olsztynie [Archiv der Erzdiözese Ermland in Allenstein, künftig zit.: AAWO], Archiwum parafii – Lidzbark Warmiński [Pfarrarchiv Heilsberg/Ermland], E 251-253. Die Taufpatinnen wurden von männlichen Personen bestimmt, entweder vom Vater oder Ehemann.
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Das Taufpatenregister bildet die aussagekräftigste Quelle. Denn Nachrichten über die Geburt von Nachkommen wurden weitaus seltener überliefert als Angaben zu den Teilnehmern von Taufzeremonien. Darüber hinaus sind Aufzeichnungen zu den leiblichen Eltern eher knapp gehalten. Sterbebücher wiederum informieren lediglich über die gesellschaftliche Position eines Verstorbenen am Ende seines Lebensweges,4 während Trauungsbücher allenfalls schlaglichtartige Momentaufnahmen auf diesem Lebensweg darstellen.5 Die sich durch die Standesamtsregister ergebenden Zahlenangaben veranschaulichen die in allgemeinen Zügen skizzierte Chronologie des beruflich-sozialen Aufstiegs und der einzelnen Karrierewege. Auch dieses Phänomen soll im vorliegenden Beitrag näher untersucht werden. Bei der Ermittlung derartiger Angaben auf der Basis der Standesamtsregister ist jedoch Vorsicht geboten. Denn laut Jerzy Przeracki6 kam es wiederholt vor, dass bei der zeitgenössischen Beschreibung der damals im Ermland tätigen Künstler – sei es aufgrund mangelnder Sachkenntnis oder der bewussten Aufwertung bestimmter Personen – die jeweils ausgeübten Funktionen der Betreffenden fehlerhaft verzeichnet wurden. Derartige Situationen kamen jedoch eher selten vor. Die Herrschaftselite der Stadt Heilsberg bestand nämlich aus einer verhältnismäßig kleinen Personengruppe und war derart prominent, dass sich die Gemeindepfarrer vor Ort – die selbst zur gesellschaftlichen Elite gehörten – in Bezug auf diese Gruppe gut auskennen mussten. Erheblich problematischer erscheint hingegen die Identifizierung einzelner Personen, insbesondere wenn Väter und Söhne die gleichen Vornamen trugen, aber zugleich unterschiedliche öffentliche Funktionen ausübten. Sehr deutlich zeigt sich dieses Problem etwa am Beispiel von Bürgermeister Bonaventura Heinigk und dem Ratsherren Bonaventura Heinigk. Die genaue Identifizierung dieser beiden Personen ist erst im Blick auf die Tauffeier von 1710 möglich, als dem Ratsherrn Heinigk eine Tochter geboren wurde und der gleichnamige Bürgermeister als Taufpate fungierte. Beide sind ferner im Sterbebuch zu finden, da beide während der damaligen Pestepidemie ums Leben kamen. Der
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Die seit 1687 erhaltenen Bücher in: AAWO, Archiwum parafii – Lidzbark Warmiński, E 262. Die seit 1683 erhaltene Bücher in: AAWO, Archiwum parafii – Lidzbark Warmiński, E 259. JERZY PRZERACKI, Artyści działający na Warmii w XVIII wieku (Krzysztof Peucker, Jan Chrystian Schmidt, Chrystian Bernard Schmidt, Krzysztof Sand, Jan Witt, Jan Ignacy Witt, Jan Antoni Frey, Piotr Andrzej Kolberg i Józef Joachim Korzeniewski) [Ermländische Künstler im 18. Jahrhundert (Christophorus Peucker, Joannes Christianus Schmidt, Christianus Bernardus Schmidt, Christophorus Sand, Joannes Witt, Joannes Ignatius Witt, Joannes Antonius Frey, Petrus Andreas Kolberg, Josephus Joachim Korzeniewski)]. In: KOMUNIKATY MAZURSKO-WARMIŃSKIE [künftig zit.: KMW] Nr. 3 (2011), S. 457.
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Jerzy Kiełbik
Sohn Bonaventura Heinigk verstarb am 29. September 1710 und sein Vater am 29. Oktober 1711.7 Ähnlich verhielt es sich mit Georgius Ebert – der Vater war Ratsherr und der Sohn städtischer Schuldirektor (ludirector). Derartige Beispiele ließen sich sicherlich häufen.
Zum Stand der Forschung Bezüglich der Stadt Heilsberg fehlte es lange Zeit an synthetischen wissenschaftlichen Studien, was vor allem in der unbefriedigenden Quellensituation begründet liegt. In den letzten Jahren hat sich jedoch die Forschungslage erheblich gewandelt. An erster Stelle ist dabei das auf mehrere Bände angelegte Sammelwerk Historia Lidzbarka Warmińskiego zu nennen.8 Das einleitende Kapitel9 in Band 1 gibt einen umfassenden Überblick über die bisherige Forschung und alle erhaltenen Quellenbestände.10 Die Historia Lidzbarka Warmińskiego enthält u. a. einen ausführlichen Beitrag zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte Heilsbergs aus der Feder von Andrzej Korytko.11 Dabei rekonstruiert Korytko auf der Grundlage archivalischer und literarischer Quellen ein unvollständiges Verzeichnis der zeitgenössischen Bürgermeister.12 Abgesehen von einschlägigen Abhandlungen von Alojzy Szorc13 und Danuta Bogdan14 greift der Autor in seinen Ausführungen oftmals auch auf die Monographie von Alina Naruszewicz-
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9 10 11 12 13
14
AAWO, Archiwum parafii – Lidzbark Warmiński, E 262. HISTORIA LIDZBARKA WARMIŃSKIEGO [Geschichte Heilsbergs]. Bd. 1. Hrsg. von KRZYSZTOF MIKULSKI und EUGENIUSZ BORODIJ, Lidzbark Warmiński 2008. Vgl. die Besprechung in: ZEITSCHRIFT FÜR DIE GESCHICHTE UND ALTERTUMSKUNDE ERMLANDS [künftig zit.: ZGAE] 54 (2010) S. 100-106. Ebd. S. 7-10. Vgl. STEFAN HARTMANN, Quellen zur Geschichte der Stadt Heilsberg im 16. und 18. Jahrhundert. In: ZGAE 49 (1999) S. 78-109. ANDRZEJ KORYTKO, Miasto i jego mieszkańcy w latach 1525-1772 [Die Stadt und ihre Einwohner 1525-1772]. In: HISTORIA LIDZBARKA WARMIŃSKIEGO. Bd. 1, S. 261-306. Ebd. S. 272. ALOJZY SZORC, Dominium warmińskie 1243-1772. Przywilej i prawo chełmińskie na tle ustroju Warmii [Das ermländische Dominium 1243-1772. Das Privileg und das Kulmische Recht vor dem Hintergrund der Verfassung des Ermlandes]. Olsztyn 1990. DANUTA BOGDAN, Procesy o czary na Warmii w XVI wieku [Hexenprozesse in Ermland im 16. Jahrhundert]. In: KMW Nr. 1 (2006), S. 19-35. DIES., Testamenty szlacheckie i mieszczańskie jako przejaw kultury prawnej Warmii [Testamente der Szlachta und des Bürgertums. Ein Phänomen der ermländischen Rechtskultur]. In: KMW Nr. 4 (2004), S. 463-473. DIES., Warmia wobec konfederacji żołnierskich 1613-1614 [Ermland und die Truppen-Konföderationen 1613-1614]. In: KMW Nr. 4 (1983), S. 411-424. DIES., Sejmik warmiński w XVI i pierwszej połowie XVII wieku [Der ermländische Landtag vom 16. bis Mitte des 17. Jahrhunderts]. Olsztyn 1994.
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Die Beamten der Stadt Heilsberg (1650–1750)
51
Duchlińska zurück.15 Jüngste Rezensionen16 zu dieser Monographie gebieten jedoch, diese sehr vorsichtig auszuwerten. Tabelle 1: Heilsberger Bürgermeister gemäß dem Verzeichnis von Andrzej Korytko
1
Datierung
Vor- und Nachname
1534
Georgius Linck
2
1534
Eustachius Knobelsdorf
3
1535
Joannes Margrade
4
1577
Martinus Östereich
5
17. Jht.
Joannes Matheus Hoffmann
6
1606
Feliks Lichtenhagen
7
1606
Augustus Montau
8
1609
Joannes Margrode
9
1613
Mauritius Knobelsdorf
10
1613
Augustus Montau
11
1624
Urbanus Hartwich
12
1630
Andreas Marquardt
13
1633
Michael Neunchen
14
1659, 1673, 1682
Gregorius Kunigk
15
1664, 1668
Joannes Salman (Sahlman)
16
1666
17
Thomas Henrich Eustachius Kreczmer
18
1679, 1689, verst.1711
Bonaventura Heinigk
19
verst. 1687
Petrus Hintzman
20
1698
Andreas Kobert
21
1734
Florianus Sappuhn
22
1736
Andreas Henrick
23
1731, 1744
Andreas Lunau
24
1772
Antonius Berent
25
1772
Joannes Sachse
Quelle: KORYTKO (wie Anm. 11), S. 272. 15 16
ALINA NARUSZEWICZ-DUCHLIŃSKA, Nazwiska mieszkańców komornictwa lidzbarskiego [Namen der Einwohner des Heilsberger Kammeramts]. Olsztyn 2007. Vgl. z.B. JERZY PRZERACKI, O znaczeniu ksiąg metrykalnych dla badań nad nazwiskami mieszkańców nowożytnej Warmii (na marginesie książki Aliny Naruszewicz-Duchlińskiej) [Zur Bedeutung der Standesamtsregister für die Erforschung der Einwohnernamen im neuzeitlichen Ermland (Anmerkungen zum Buch von Alina Naruszewicz-Duchlińska)]. In: KMW Nr. 2 (2011), S. 387-428. Siehe auch die Rezension von JERZY KIEŁBIK und ELŻBIETA SOBCZAK. In: KMW Nr. 1 (2009), S. 155.
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Jerzy Kiełbik
Die Liste bedarf natürlich der Ergänzung.17 Außerdem scheint sie gewisse Ungenauigkeiten zu enthalten. Erhebliche Zweifel weckt z.B. die Gestalt von Augustus Montau, der unter den Jahreszahlen 1606 und 1613 figuriert. Denn es ist höchst unwahrscheinlich, dass es damals zwei Heilsberger Bürgermeister mit identischen Vor- und Nachnamen gab, die das gleiche Amt in einem zeitlichen Abstand von einigen wenigen Jahren ausübten. Unstimmig sind ferner einige Zeitangaben. So wird z.B. die Person von Bürgermeister Eustachius Kreczmer im Jahre 1687 auf der Basis eines seiner Tochter ausgestellten Privilegs ermittelt, als Kreczmer selbst – was im Dokument festgehalten wird – bereits nicht mehr lebte.18 Außerdem bleibt unklar, wann Thomas Henrich tatsächlich als Bürgermeister amtierte, verzeichnet ist er fälschlicherweise unter dem Jahr 1666.19 Das Quellendokument, in dem Henrich vermerkt ist, betrifft Eintragungen, die damals noch der Schöffe Bonaventura Heinigk erstellt hatte. Dagegen sind Eustachius Kreczmer und Thomas Henrich in ihrer Funktion als Taufpaten in Taufbüchern aus den 30er und 40er Jahren des 17. Jahrhunderts zu finden. Für das Jahr 1736 ist der Heilsberger Bürgermeister Andreas Henrick vermerkt. Diese Notiz geschah auf der Grundlage eines Dokuments von 1735, dem zufolge ein gewisser Georgius Ferdley anstelle des verstorbenen Andreas Henrick das Bürgermeisteramt übernahm, während der bisherige Schöffe Josephus Geritz in den Rat kooptiert wurde.20 Die Eintragung in diesem Dokument ist jedoch fehlerhaft, da Henrick in Wirklichkeit den Vornamen Thomas trug, wie aus einschlägigen Standesamtsregistern – darunter Sterbebüchern – hervorgeht.21 Fraglich ist auch der tatsächliche Status von Petrus Hintzman. Denn dieser fungierte abgesehen von den Sterbebüchern laut dem Verzeichnis von Andrzej Korytko auch als Ratsherr von Heilsberg. Die dabei ersichtlichen Unklarheiten können jedoch auch aus der kurzen Amtszeit Hintzmans resultieren. Wichtige Angaben für die hier interessierende Thematik enthält ferner das von den preußischen Behörden nach dem Herrschaftswechsel im Ermland angefertigte Beamtenverzeichnis. Diese Angaben sind insbesondere deshalb von erheblicher Bedeutung, da es kaum Quellen gibt, die Auskunft über die vollständige Zusammensetzung der Schöffenbank geben.22 17 18 19 20 21 22
KORYTKO (wie Anm. 11), S. 272. AAWO, AB, A 16, Bl. 555. Die objektiv richtige Jahreszahl lautet 1667, AAWO, AB, A 13, Bl. 167. AAWO, AB, A 31, Bl. 163. AAWO, Archiwum parafii – Lidzbark Warmiński, E 262; Henrick verstarb am 7. November 1735. Im Verzeichnis der Stadtoberen von 1689 werden folgende Personen genannt: „Der Ehrwürdige Herr Bonaventura Heinigk, sein Kollege Herr Andreas Kobert – Bürgermeister. Ratsherren: die Ehrwürdigen Herren Joannes Langhank, Richter Matheus Berent, Joannes Wenzel Hoffmann, Gerichtsvollzieher Petrus Białkowski, Casparus Antonius DeNinerolle, Bartholomeus Ebert” (zit. nach JERZY WOJCIECH HEIDE, Archiwum Dawne i Nowe lidzbarskiego Kościoła Archiprezbiteralnego [Altes und Neues Archiv des Erzpresbyteriums Heilsberg]. Hrsg. von CARL PETER WOELKY. Übertragen von Bischof JULIAN WOJTKOWSKI. Olsztyn 2006, S. 36).
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Die Beamten der Stadt Heilsberg (1650–1750)
Tabelle 2: Heilsberger Beamte im Jahre 1772 Funktion
Vor- und Nachname
Alter
Anzahl der Dienstjahre
1
1. Bürgermeister
Antonius Berent
61
26
2
2. Bürgermeister
Joannes Sachse
48
18
3
Ratsherr
Florianus Gerik
57
17
4
Ratsherr
Petrus Prengel
64
17
5
Ratsherr
Antonius Manfrost
62
16
6
Ratsherr
Carl Grüll
55
13
7
Ratsherr
Franz Wegner
44
1
8
Ratsherr/ Urkundenschreiber
Antonius Gehrman
38
9
Schöffenbank 1
Schöffengerichtsvorsitzender
Andreas Szuflicki
74
36
2
Schöffe
Michael Titius
48
9
3
Schöffe
Joannes Chales
36
8
4
Schöffe
Franciscus Ritter
40
4
5
Schöffe
Augustus Pukart
47
2
6
Schöffe
Stanislaus Langkau
46
1
7
Schöffe
Florianus Kucharzewski
38
5
8
Schöffe
Gottfried Hoffmann
28
1 Monat
Quelle: A[ugustin] Kolberg, Zur Verfassung Ermlands beim Übergang unter die preußische Herrschaft im Jahre 1772. In: ZGAE 10 (1894) S. 64-65.
Die in diesem Register enthaltenen Angaben erlauben einige wichtige Rückschlüsse, wenngleich diese sich auf die oben genannte Zusammensetzung der städtischen Führungsgremien beschränken: 1) Die Amtsausübung wurde Männern in reiferem Lebensalter übertragen – in drei Fällen handelt es sich um Personen im Alter von 28–29 Jahren (19 %), in sechs Fällen waren diese älter als 40 Jahre (37 %) und in sieben Fällen betrug das Lebensalter knapp über 30 Jahre (44 %). Oder um es noch deutlicher zu sagen: Die Aufgaben in Schöffengericht und Rat vertraute man oftmals Männern an, die das 35. Lebensjahr bereits überschritten hatten (62 %). Die städtischen Leitungsfunktionen übernahmen also überwiegend Familienoberhäupter reiferen Alters, die sich beruflich sicherlich schon verselbständigt hatten. 2) Aus den von Augustin Kolberg zusammengestellten
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Jerzy Kiełbik
Informationen lässt sich ferner der Schluss ziehen, dass es unter den Ratsmitgliedern weitreichende familiäre Bande gegeben haben muss. Die Familien der Ratsherren und Schöffen waren oftmals miteinander verschwägert. Daher bildete die jeweilige familiäre oder berufliche Position eine Art Passierschein für den Zugang zum Kreis der Stadtoberen. Von maßgeblicher Bedeutung war dabei jedoch auch der Herrschaftswille des ermländischen Bischofs, da dieser eigentlich seit den 80er Jahren des 17. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle bei der Besetzung der städtischen Führungsgremien spielte.23 Die sich aus der Analyse der Standesamtsregister ergebenden Angaben bestätigen die oben genannten Schlussfolgerungen.
Die städtische Beamtenschaft Leider verfügt die Forschung nicht über analoge Verzeichnisse in Bezug auf andere Perioden der Geschichte Heilsbergs. Derartige Angaben fehlen z.B. im Vergleich zur Stadt Mehlsack, wo für den Zeitraum von 1725 bis 1770 komplette Beamtenlisten erhalten sind.24 Nicht zuletzt deshalb stützt sich die vorliegende Untersuchung auch auf die einschlägigen Informationen von Standesamtsregistern. Zu den in den Akten erwähnten Beamten der Stadt Heilsberg finden sich in nachfolgenden Tabellen gesonderte Aufstellungen. Erklärungsbedürftig sind dabei vor allem die bei den einzelnen Namen notierten Jahresdaten. Sie weisen darauf hin, wann Vor- und Nachname einer bestimmten Person sowie die von ihr ausgeübte Funktion in den Quellen auftauchten. Bei mehr als einem Jahresdatum wurden die äußersten Eckdaten eingetragen. Da entsprechende Stadtbücher weitgehend fehlen, ist die genaue Ermittlung der Amtsperioden der Heilsberger Beamten nicht möglich. Im Stadtrat – und in der gesamten Beamtenhierarchie - nahmen die Bürgermeister den obersten Rang ein. Deren Befugnisse und Amtsführung wurden in der einschlägigen Sekundärliteratur bereits näher erörtert.25 In folgender Tabelle spiegelt sich ein in den Heilberger Stadtbüchern enthaltenes Verzeichnis der Bürgermeister wider:
23
24 25
SZORC (wie Anm. 13), S. 284. JERZY KIEŁBIK, Miasta warmińskie w latach 1466-1772. Samorząd, społeczeństwo, gospodarka [Ermländische Städte 1466-1772. Selbstverwaltung, Gesellschaft, Wirtschaft]. Olsztyn 2007, S. 92-93. KIEŁBIK (wie Anm. 23), S. 157-159. Ebd. S. 86-103 (mit einschlägiger Sekundärliteratur).
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Die Beamten der Stadt Heilsberg (1650–1750)
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Tabelle 3: Bürgermeister Datierung
Vor- und Nachname
Ausgeübte Funktion
1
1645
Michael Nenchen
2.
1663/1672/1678
Gregorius Kunig
3
1673/1674
Joannes Sahlman
4
1683
Joannes Hoffman
Ratsherr
5
1688
Andreas Kober
Schöffe, Ratsherr
Ratsherr
6
1692/1710
Bonaventura Heinigk
Schöffe, Ratsherr
7
1711
Andreas Langhannigk
Ratsherr
8
1711/1713
Christophorus Ebert
Schöffe, Ratsherr
9
1713
Casparus Deninerolles (DeNinerolle)
Schöffe, Ratsherr
10
1714
Florianus Sapuhn
Schöffe, Ratsherr
11
1724
Gregorius Langkau
12
1729/1731/1735
Thomas Henrich
13
1730
Henricus Uhrmeister
Ratsherr
14
1731
Petrus Schultz
Ratsherr
15
1733/1734/1735/1737
Andreas Lunau
16
1736/1738
Georgius Ferley (Ferdley)
17
1772
Joannes Basilius Sachse
Schöffe, Ratsherr
Quelle: AAWO, Archiwum parafii – Lidzbark Warmiński, E 251-253.
Die vorab aufgelisteten Namen decken sich mit dem von Andrzej Korytko erstellten Verzeichnis nur teilweise. Denn für den gleichen Zeitraum fehlen die Bürgermeister Thomas Henrich (1666) und Eustachius Kreczmer (deren chronologische Einordnung fraglich ist) sowie Petrus Hintzman, für den lediglich im Sterbebuch ein Hinweis zu finden ist. Vor allem letzterer Fall ist äußerst problematisch und erfordert weitere Quellenforschungen. Die oben aufgeführte Liste weist indessen weitere Personen auf: Andreas Lannghannigk, Christophorus Ebert, Casparus DeNinerolle, Gregorius Langkau, Henricus Uhrmeister, Petrus Schultz und Georgius Ferdley. Casparus DeNinerolle und Georgius Ferdley tauchen in der einschlägigen Studie von Alina Naruszewicz-Duchlińska26 auf, während sie bei Andrzej Korytko unerwähnt bleiben. Zum besseren Verständnis der Wirkmechanismen des Aufstiegs in der städtischen Beamtenhierarchie werden in folgender Tabelle die Urkundenschreiber von Heilsberg aufgelistet. 26
NARUSZEWICZ-DUCHLIŃSKA (wie Anm. 15), S. 75 und 327.
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Jerzy Kiełbik
Tabelle 4: Urkundenschreiber Datierung Vor- und Nachname 1 1591
Felix Lichtenhage
2 1599
Urbanus Hartwich
Anmerkungen
3 1646/1651 Gregorius Kunigk
1663 – Ratsherr, Bürgermeister
4 1668/1676 Andreas Kober
1680 – Schöffe und Urkundenschreiber 1686 – Ratsherr und Urkundenschreiber, Bürgermeister
5 1695
Casparus Deninerolles
1680 – Schöffe 1694 – Ratsherr, Bürgermeister
6 1699
Florianus Sapuhn
1702 – Schöffe 1707 – Ratsherr, Bürgermeister
7 1725
Florianus Kobert
8 1727
Laurentius Cajetanus Gabert
9 1727/1736 Casparus Penqvit 10 1772
Antonius Gehrmann
1772 – Ratsherr
Quelle: AAWO, Archiwum parafii – Lidzbark Warmiński, E 251-253.
Die Funktion des städtischen Urkundenschreibers ebnete oftmals den Weg für einen weiteren beruflichen Aufstieg und den Empfang höherer Ehren. Denn aufgrund ihrer Ausbildung und Rechtskenntnis sowie der Orientierung in städtischen Belangen waren die Urkundenschreiber für Karrieresprünge geradezu prädisponiert. Zu Beförderungen dieser Art kam es laut Franz Buchholz in Wormditt27 und laut Jerzy Kiełbik in Mehlsack.28 Ein solcher Karriereweg galt als ungemein attraktiv: Der mit der städtischen Elite in Mehlsack verwandte Casparus Penqvit29 sah z. B. im ermländischen Heilsberg eine Chance für einen steilen beruflichen Aufstieg. Florianus Kobert und Laurentius Cajetanus Gabert hingegen konnten ihre Karrieremöglichkeiten wohl nur aufgrund ihres unerwartet frühen Todes nicht nutzen. Florianus, der Sohn des Heilsberger Bürgermeisters Andreas Kobert, vermählte sich am 9. Oktober 1719 mit Elisabeth Heinrich, der Tochter der Königsberger Kaufmanns Petrus Heinrich.30 Als Elisabeth im Jahre 1729 Witwe wurde, heiratete sie Andreas Lunau,31 der kurze Zeit später zum Bürgermeister avancierte. Urkundenschreiber Gabert hingegen 27 28 29 30 31
FRANZ BUCHHOLZ, Bilder aus Wormditts Vergangenheit. Wormditt 1931, S. 27. KIEŁBIK (wie Anm. 23), S. 100. Ebd. S. 157-159. AAWO, Archiwum parafii – Lidzbark Warmiński, E 259. Ebd.
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Die Beamten der Stadt Heilsberg (1650–1750)
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verstarb bereits am 4. November 1726.32 Etwa ein halbes Jahr später - am 24. April 1727 – kam sein Sohn zur Welt. Gaberts Witwe vermählte sich 1734 mit dem Ratsherren und späteren Bürgermeister Petrus Schultz.33 Die oben aufgelisteten Bürgermeister gehörten ausnahmslos zur gesellschaftlichen Elite Heilsbergs und hatten ihre Karriere zu großen Teilen (6–35 %) auf der städtischen Schöffenbank begonnen. An diesem Ort sammelten sie wertvolle berufliche Erfahrungen und warteten auf etwaige Vakanzen im Stadtrat, was aufgrund der lebenslänglichen Dauer dieser öffentlichen Funktion lange Zeit währen konnte. Alle Bürgermeister, die ihren beruflichen Aufstieg als Schöffen begonnen hatten, setzten ihre Karriere als Ratsherren fort. Allerdings gab es auch eine Gruppe von fünf Personen (30 %), deren Beförderungsweg bereits im Stadtrat seinen Ausgang genommen hatte. Bei sechs Bürgermeistern (35 %) konnte der frühere Karriereweg in den Gremien der städtischen Selbstverwaltung nicht ermittelt werden. Die Tabellen 5 und 6 bieten einen Gesamtüberblick über die aus den zeitgenössischen Akten hervorgehenden Ratsherren und Schöffen von Heilsberg. Tabelle 5: Ratsherren Datierung
Vor- und Nachname
1 09.07.1644
Urbanus Hardwick
2 14.04.1663/02.05.1669
Gregorius Kunigk
3 14.04.1663
Petrus Hintzman
4 23.03.1664
Simon Nenchen
5 17.12.1668/04.02.1674
Georgius Ebert senior
Anmerkungen
s. auch Georgius Ebert junior – ludirector, Judicis Heilsbergensis
6 27.01.1671
Georgius Sapuhn
7 05.1672/06.05.1677
Bonaventura Heinigk
8 16.09.1674
Paulus Dalanson
9 14.05.1676
Georgius Sapuhn
10 29.11.1676/05.09.1678
Petrus Hintzman
11 06.08.1679
Joannes Hoffman
12 20.04.1680
Simon Sapuhn
13 11.12.1680
Simon Nenchen
14 04.03.1681
Matheus Berendt
32 33
AAWO, Archiwum parafii – Lidzbark Warmiński, E 262. AAWO, Archiwum parafii – Lidzbark Warmiński, E 259.
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Jerzy Kiełbik Datierung
15 20.09.1681/17.10.1691
Vor- und Nachname
Anmerkungen
Joannes Langhannigk
16 28.10.1681
Petrus Siewert
17 09.01.1691
Petrus Bialkowski34
18 28.05.1694/14.02.1708
Casparus DeNinerolle
19 20.01.1694
Joannes Rogalli
20 04.12.1695/21.01.1700
Bartholomeus Ebert
21 03.07.1707/21.11.1713
Florianus Sapuhn
22 08.08.1708/17.05.1709
Andreas Langhannigk
23 16.02.1709
Christophorus Ebert
24 25.08.1709
Andreas Mocki
25 03.07.1710
Bonaventura Heinigk
26 05.03.1711/07.08.1727
Laurentius Firley
27 28.08.1712/14.02.1732
Gregorius Miller
28 04.06.1713
Georgius Langhannigk
29 06.02.1716/04.06.1727
Henricus Uhrmeister
30 17.08.1725
Franciscus Hoffman
31 18.12.1726/18.05.1730
Georgius Ferley
32 14.04.1727/24.05.1737
Petrus Schultz
33 04.06.1727
Jacobus Resenberg
34 04.07.1731/15.03.1738
Joannes Kreutzkamph
35 01.07.1734/11.10.1735
Josephus Schultz
36 21.04.1735
Georgius Ferdlei
37 11.10.1735
Paulus Christianus Hiebsch
38 13.05.1736/03.09.1738
Florianus Kucharzewski
39 23.04.1737
Josephus Geritz
40 20.02.1739
Joannes Thadeus Ginter
41 02.07.1739
Christianus Pauls Hybsch
42 09.09.1739
Petrus Schick
43 22.07.1748
Antonius Berendt
44 08.07.1749
Antonius Reibenschu
45 11.08.1772
Franciscus Wegner
46 03.02.1686
Andreas Kober
47 17.02.1749
Paulus Hübsch
Quelle: AAWO, Archiwum parafii – Lidzbark Warmiński, E 251-253. 34
DANUTA BOGDAN, Testament starościny lidzbarskiej Anny Katarzyny Krakau z 22 stycznia 1742 roku i jego egzekucja [Das Testament der Heilsberger Landratsgattin Anna Catharina Krakau vom 22. Januar 1742 und seine Vollstreckung]. In: KMW Nr. 4 (2008), S. 461-476.
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Die Beamten der Stadt Heilsberg (1650–1750)
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Tabelle 6: Schöffen
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38
Datierung
Vor- und Nachname
13.05.1644/28.08.1651 21.04.1645/22.03.1651 12.11.1651/15.03.1673 22.04.1667 14.06.1667/11.04.1673 23.04.1671 22.06.1671 08.04.1673 05.09.1673/30.08.1677 23.10.1673 27.09.1674/06.05.1677 02.01.1675 06.04.1675/21.09.1682 01.11.1675/29.10.1676 28.03.1677/10.02.1683 24.10.1680 13.04.1681/07.11.1684 14.09.1681 28.10.1681/26.10.1693 09.02.1690 01.03.1695 16.01.1696 22.01.1696 25.03.1696 21.11.1700 18.06.1702 16.12.1706/29.06.1713 24.08.1707 20.01.1708//20.01.1727 24.05.1709 27.10.1709/27.04.1713 29.01.1711 01.02.1711/18.10.1713 07.03.1712 04.06.1713 01.11.1720 03.1723 11.1723/05.07.1739
Georgius Lilienthal Simon Baßner (Basner) Georgius Sapuhn Joannes Lilienthal Joannes Langhannigk Jacobus Alberti Bonaventura Heinigk Andreas Hertzog Matheus Berendt Eustahius Henrich Simon Sapuhn Laurentius Gorii Joannes Tuławski Simon Görick Andreas Hertzog Casparus DeNinerolle Andreas Kober Andreas Schill Simon Gerick Thomas Rogali Andreas Mocki Joannes Ebert Theodorus Galli Andreas Angrick Christophorus Ebert Florianus Sapuhn Joannes Gii (Giu) Christianus Falck Jacobus Schultz Petrus Kohtz Thomas Pampecki Laurentius Firley Petrus Schapke Georgius Dapkiewicz Michael Schultz Thomas Mocki Joannes Sivert (Siebert) Andreas Berendt
39 11.1723 40 13.01.1727
Georgius Ferdley (Firley) Joannes Lankau
Bemerkungen
seit 1734 auch als Schöffengerichtsvorsitzender vermerkt
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60
Jerzy Kiełbik Datierung
Vor- und Nachname
Bemerkungen
41 42 43 44 45
23.07.1727 24.08.1727 10.09.1730 25.10.1731 02.03.1732/05.07.1739
46 47 48 49 50 51 52 53
09.08.1733/01.09.1735 21.06.1734 05.07.1739 03.01.1750 23.06.1750 23.07.1772 21.08.1772 07.10.1772
Antonius Schutz Georgius Gerick Christianus Paulus Hibsch Franciscus Prokosch/Prokorsch Antonius Schwartz seit 1739 auch als Schöffengerichtsvorsitzender vermerkt Casparus Eberdt Franciscus Rubicki/Rubiczki Adalbertus Reibenschuh Jacobus Gillmeister Caspersohn Joachim Huhn Florianus Kucharzewski Augustus Pickart/Pikard
Quelle: AAWO, Archiwum parafii – Lidzbark Warmiński, E 251-253.
Familienverbindungen Blickt man auf die für das neuzeitliche Städtewesen charakteristischen Selektionsmechanismen im Elitebildungsprozess, so fallen insbesondere auch die weitverzweigten Familienverbindungen unter den Mitgliedern des Magistrats auf. Diese Fragestellung wurde ansatzweise bereits in Zusammenhang mit den Heilsberger Urkundenschreibern aufgegriffen. Aufgrund der weitreichenden nepotistischen Tendenzen bei der Wahl der Stadtoberen ist jedoch eine eingehendere Analyse geboten. Nachfolgende Tabelle bietet eine Gesamtaufstellung über die innerhalb der gesellschaftlichen Elite Heilbergs geschlossenen Eheverbindungen. Dabei sind einige zusätzliche Erläuterungen angebracht: Junggesellen und ledige Frauen (im Quellendokument: filius/filia) wurden durch die Person des Vaters definiert. Der eheliche Bund ließ den Mann zum Haupt einer Familie werden, so dass sich auch seine bisherige soziale Position änderte. Etwas anders verhielt es sich bei den Frauen, deren gesellschaftliche Stellung durch die Person eines Mannes definiert wurde, auch wenn dies im Einzelfall nicht der Wirklichkeit entsprochen haben mag.35 Hinsichtlich der 35
CEZARY KUKLO, Kobiet samotna w społeczeństwie miejskim u schyłku Rzeczypospolitej szlacheckiej. Studium demograficzno-społeczne [Die alleinstehende Frau in städtischen Gesellschaften gegen Ende der polnischen Adelsrepublik. Eine demographisch-sozialgeschichtliche Studie]. Białystok 1998, S. 91 f.
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Die Beamten der Stadt Heilsberg (1650–1750)
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Witwen wurden Vor- und Nachname des verstorbenen Ehemannes – mitunter auch des Vaters – hinzugefügt. Auffällig ist, dass der städtischen Elite angehörige Frauen seit den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts erstmals bestimmte Ehrentitel verliehen wurden. Eher selten verzeichnete man damals hingegen den jeweils ausgeübten Beruf der Trauleute. Diejenigen Fälle, in denen dieser jedoch mit festgehalten wurde, wurden im Verzeichnis eigens notiert. In untenstehender Liste werden für die mit der Stadt Heilsberg verbundenen Personen die Begriffe „Bürgermeister“, „Ratsherr“, „Schöffe“ und „Stadtbürger“ (civis) verwendet. Falls die angegebene berufliche Funktion eine Person außerhalb Heilsbergs betraf, wurde dies ausdrücklich vermerkt. In der Tabelle figurieren die Abkürzungen „f. – filius/filia“ sowie „v. – viduus/vidua“. Die in Klammern ersichtlichen amtlichen Funktionen der Betreffenden wurden vom Verfasser hinzugefügt. Tabelle 7: Familienverbindungen innerhalb der gesellschaftlichen Elite Heilsbergs Datierung
Bräutigam
Braut
1.
03.10.1683
Thomas Rogalli, Marianna, f./ Vater Matheus, Urkunden- f./ Vater Paulus Delanson, schreiber aus Rössel Ratsherr
2.
21.11.1684
Michael Hoffman, f./ Vater Joannes Hoffman, Bürgermeister
Gertrudis, v./ verstorbener Ehemann Andreas Schiel, Schöffe
3.
20.10.1687
Georgius Schwartz, f./ Vater Simon Melsack
Christina, f./ Vater Simon Nenchen, Ratsherr
4.
31.08.1688
Petrus Heinig, f./ Bürger von Königsberg, Vater Bonaventura Heinigk, Bürgermeister
Anna Dorotha, Ganze Stadt f./ Vater Joannes Langhannigk, ist Trauzeuge Ratsherr
5.
17.04.1690
Ioannes Giu, f./ Vater Herman
Christina, f./ Vater Petrus Hintzman, Ratsherr
6.
24.09.1690
Andreas Langhennigk, f./ Vater Ratsherr Johannes
Elizabeth, f./ Vater Paulus Dalanson, Ratsherr
7.
15.10.1690
Joannes Thomas Gabler, Elizabeth, f./ Bürger von Heilsberg./ f./ Vater Petrus Human, Vater Joannis Gabler, Bürger, Bürger von Bischofstein Goldschmied.
Trauung fand in Bischofstein statt
8.
25.02.1691
Georgius Dapkiewicz
Trauzeugen: Burggraf Albertus Hosius, Bürgermeister Heinig und Kober
Catharina, f./ Vater Matheus Hoffman, Bürgermeister
Anmerkungen Brautvater zum Zeitpunkt der Trauung bereits verstorben
Brautvater zum Zeitpunkt der Trauung bereits verstorben
Brautvater zum Zeitpunkt der Trauung bereits verstorben
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62
Jerzy Kiełbik Datierung
Bräutigam
Braut
Anmerkungen
9.
04.11.1691
Caspar Antonius Deninerolle, Barbara Teresia, Copulati sunt (Ratsherr, späterer f./ Vater Franciscus Wieczor- in Arce Heilsbergensis Bürgermeister) kowski, Urkundenschreiber von Bischofstein
10.
05.02.1692
Ioannes Ebert, f./ Vater Georgius, Ratsherr von Heilsberg
Christina, f./ Vater Paulus Dalanson, Ratsherr
11.
16.10.1692
Paulus Roht, f./ Bürger und Chirurg aus Braunsberg/ Vater Ioannes
Catharina, f./ Vater Georgius Ebert, Ratsherr
12.
31.08.1693
Urbanus Bürcker v./
Anna, f./ Vater Matheus Berendt, Ratsherr
13.
13.09.1693
Christophorus Ebert, f./ Vater Georgius, Ratsherr
Elizabetha, f./ Vater Joannes Langhannigk, Ratsherr
14.
16.08.1694
Georgius Letz, v./ Schöffe von Wormditt
Barbara, f. /Vater Georgius Sapuhn, Ratsherr
15.
08.11.1694
Joannes Bartholomiewicz, Goldschmied Ratsherr
Margaritta, f. / Vater Paulus Dalanson,
16.
03.10.1694
Joannes Berent, f./ Vater Matheus Berent, Ratsherr
Anna Catharina, Trauung in Guttstadt f./ Vater Georgius Marquardt, Bürgermeister von Guttstadt
17.
12.07.1695
Andreas Hintz, Ratsherr von Braunsberg
Anna Catharina, f./ Vater Bonaventura Heinigk, Ratsherr
18.
26.11.1695
Joannes Jacobus Schulz, Bürger von Königsberg
Anna Barbara, f./ Vater Andreas Kobert, Bürgermeister von Heilsberg
19.
05.01.1697
Joannes Wenceslaus Hoffman, Catharina Sibilla, Ratsherr von Heilsberg f./ Vater Jacobus Schacht, Bürgermeister von Guttstadt
20.
25.10.1700
Florianus Sapuhn, Notarius civitatis et advocati
Catharina Barbara, f./ Vater Joannes Langhannigk, Ratsherr
21.
16.11.1700
Franciscus Antonius Ebert, f./ Vater Bartholomeus, Ratsherr
Elizabeth, f./ Vater Michaelus Knorr, Ludirector
22.
25.09.1702
Jacobus Schultz
Constantia, Trauung im Schloss f./ Vater Bartholomeus Ebert, Ratsherr
23.
24.10.1703
Simon Schapke, Ludirector Elbling,
Ursula, f./ Vater Michaelus Knorr, Ludirector
24.
21.11.1703
Andreas Mocki, v./ Ratsherr
Elizabeth, f./ Vater Petrus Siebert, civis
Brautvater zum Zeitpunkt der Trauung bereits verstorben
Brautvater zum Zeitpunkt der Trauung bereits verstorben
Braunsberg, Trauung durch den Bischof, ganze Stadt war Trauzeuge
Trauzeugen: adelige Angehörige Antonius Godlewski, Sigismundus Hattingk und tota civitas
Trauung in Elbing
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Die Beamten der Stadt Heilsberg (1650–1750) Datierung
Bräutigam
Braut
Anmerkungen
25.
25.11.1703
Daniel Gabler, f./ Vater Joannes, Bürger, Goldschmied
Catharina, f./ Vater Lucas Bucholtz, civis
26.
16.02.1705
Joannes Franciscus Nieswandt, Dorothea, Burgschreiber f./ Vater Balthasari Schultz, Bürgermeister von Guttstadt
27.
15.02.1706
Georgius Langhannigk
Anna Catharina, f./ Vater Mauritius Berendt
28.
25.05.1706
Andreas Gorgius
Theresia, f./ Vater Bartholomeus Ebert, Ratsherr
29.
17.08.1706
Andreas Brandt, v./ Ratsherr
Gertrudis, f./ Vater Joannes Gerick
30.
21.10.1709
Antonius Austen, Cathariana, f./ civis pistor, Vater Georgius f./ Vater Thomas Rogalli, Austen, civis et Chirurgus, Ratsherr
31.
06.11.1709
Antonius Rex, f./ Apotheker, Vater Joannes Rex, Schöffe
Ursula, v./ Ehemann Jacobus Wottrich, civis
32.
13.01.1710
General D. Antonius Łączyński, f./ Vater Nob. D. Joannis Łączyński, Besitzer von Neydorf
Constantia, f./ Vater Daniel Antonius Rittorf, Scabinus Apotekarius
33.
26.06.1711
Georgius Schultz, Sartor
Marianna, Turawski verstarb am v./ Ehemann Lucas Turawski, 25.11.1709 Ratsherr von Bischofstein
34.
28.07.1711
Laurentius Lamshofft, f./ Vater Joannes, Schöffe aus Bischofstein
Ursula, f./ Vater Christophorus Weidner, Ratsherr von Wartenburg
35.
11.11.1711
Franciscus Hoffman
Catharina, v./ Ehemann Antonius Geritz
36.
22.11.1712
Urbanus Bürger, Civis, cuprifaber,
Anna Dorothea, f./ Vater Joannes Gii, Schöffe
37.
15.07.1715
Laurentius Uhrmeister
Maria Anna, f./ Vater Christophorus Ebert, Ratsherr
38.
22.11.1716
Andreas Mocki, f./ Vater Samson Mocki, Schöffe von Guttstadt
Ursula, v./ Ehemann Andreas Wegner
39.
23.11.1716
Thomas Mocki, f./ Vater Andreas Mocki, Ratsherr
Catharina, f./ Vater Laurentius Ferlei (Schöffe)
40.
25.01.1717
Joannes Langkau, f./ Vater Christophorus Langkau
Anna, v./ Ehemann Gregorius Eckel
41.
26.01,1716
Ferdinandus Magwicz
Gertrude, v./ Ehemann Petrus Schapki,
Brautvater zum Zeitpunkt der Trauung bereits verstorben
Brautvater zum Zeitpunkt der Trauung bereits verstorben
Brautvater zum Zeitpunkt der Trauung bereits verstorben
Brautvater zum Zeitpunkt der Trauung bereits verstorben
63
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64
Jerzy Kiełbik Datierung
Bräutigam
Braut
42.
27.07.1717
Georgius Jux, Civis, pistor
Marianna, f./ Vater Christophorus Weidner, Ratsherr von Wartenburg
43.
04.05.1718
Petrus Schultz, Ratsherr (späterer Bürgermeister)
Ursula, v./ Ehemann Laurentius Lamshefft
44.
24.10.1718
Christianus Perscher, Civis
Elizabeth, f./ Vater Christophorus Langkau
45.
24.01.1719
Antonius Tausch, Ratsherr von Wormditt
Elizabeth, f./ Vater Christophorus Ebert, Ratsherr
46.
21.08.1719
Andreas Titz, Civis
Theresia, f./ Vater Gregorius Langkau (Bürgermeister?)
47.
09.10.1719
Florianus Kobert, Urkundenschreiber (?)
Elizabeth, f./ Vater Petrus Heinigk, Kaufmann aus Königsberg
48.
13.02.1720
Mathias Joannes Meier, Pistor (bischöflicher)
Cristina Elizabeth, f./ Vater Joannes Gy, Schöffe
49.
30.06.1726
Joannes Kreutzkamph, Ratsherr
Catharina, v./ Ehemann Thomas Motzki, Schöffe
50.
24.09.1726
Antonius Schultz, Schöffe
Anna, f./ Bürgermeister Andreas Langhannigk
51.
15.02.1729
Andreas Luanu, Elisabeth, Civis (späterer Bürgermeister) v./ Ehemann Florianus Kober, Urkundenschreiber
52.
05.09.1730
Andreas Schlizki, f./ aus Wartenburg, Vater Georgius
Ursula, v./ Ehemann Martinus Anhutt, Schöffe
53. 08.11.1730
Jacobus Reinoldus Panvicz, Königsberg
Theresia, Brautvater zum Zeitf./ Vater Christophorus Ebert, punkt der Trauung Bürgermeister bereits verstorben
54.
18.11.1730
Jabobus, f./ Vater Joannes Sievert (Schöffe)
Anna Barbara, f./ Vater Petrus Lepky, Schöffe
55.
27.11.1730
Fridericus Bernardus Muttreich, f./ Vater Georgius
Marianna, v./ Ehemann Laurentius Uhrmeister
36
Anmerkungen
Trauzeugen: Clarisimus D. Georgius Titz36 (Braunsberger Pfarrvikar), Deninnerolles, Sapuhn, Langhannigk
Brautvater zum Zeitpunkt der Trauung bereits verstorben
Brautvater zum Zeitpunkt der Trauung bereits verstorben
ANDRZEJ KOPICZKO, Titz (Tietz, Tycz) Jerzy Stanisław. In: Duchowieństwo katolickie diecezji warmińskiej w latach 1525-1821 [Die katholische Geistlichkeit der Diözese Ermland 1525-1821]. Część 2 [Teil 2]: Słownik [Lexikon]. Olsztyn 2000, S. 330.
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Die Beamten der Stadt Heilsberg (1650–1750)
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Datierung
Bräutigam
Braut
Anmerkungen
56.
18.11.1731
Michael Romahn, Civis/ Vater Jacobus
Catharina, f./ Vater Gregorius Langkau
Brautvater zum Zeitpunkt der Trauung bereits verstorben
57.
26.08.1733
Adalbertus Jeremias Reobensehn, Civis et sculptor
Gertrude, f./ Vater Andreas Berendt, Schöffengerichtsvorsitzender
58.
01.09.1733
Josephus Fleischer Simonis, f./ civis
Margaretha, f./ Vater Jacobus Schultz, Schöffe
59.
26.09.1734
Petrus Schultz, Bürgermeister
Theresia, v./ Ehemann Laurentius Gabert, Urkundenschreiber
60.
01.05.1736
Frideric. Wilhelm. Berckam
Catharina Theresia, f./ Vater Florianus Sapuhn, Bürgermeister
61.
16.07.1736
Erasmus Heinrich
Gertrudis, f./ Vater Joannes Lunitz
62.
12.11.1736
Antonius Berendt, (Ratsherr)
Anna, v./ Ehemann Jacobus Siewert
63.
13.06.1740
Josephus Schulz, Ratsherr
Theresia, f./ Vater Gregorius Miller, Ratsherr
64.
21.08.1743
Michäel Rogawski
Anna Dorothea, Trauung in Frauenburg, f./ Vater Laurentius Uhrmeister Brautvater zum Zeitpunkt der Trauung bereits verstorben
65.
26.11.1743
Antonius Manfrost
Theresia, v./ Ehemann Josephus Szulc, Ratsherr
66.
09.02.1745
Florianus Gerick, Notarius Castri et Aecomiae et Scabinus Heisbergen
Virtuosa Virgine S.T.D. Originaleintrag aufgrund Floriani Kobert Notarii huius des nicht angegebenen Civitatis relicta filia Vornamens der Braut
67.
21.07.1746
Joachim Huhn (Schöffe)
Gertrude, v./ Ehemann Erasmus Heinrich
68.
16.01.1747
Antonius Berendt Ratsherr
Catharina, f./ Vater Antonius Schwartz
69.
08.11.1747
Gregorius Weihsberner, Mercator
Marianna, Brautvater zum Zeitf./ Vater Joannes Kreitzkamph, punkt der Trauung Ratsherr und Kaufmann bereits verstorben
Brautvater zum Zeitpunkt der Trauung bereits verstorben
Brautvater zum Zeitpunkt der Trauung bereits verstorben
Brautvater zum Zeitpunkt der Trauung bereits verstorben
Szulc verstarb am 13.06.1740
Quelle: AAWO, Archiwum parafii – Lidzbark Warmiński, E 259.
Aus obiger Liste ergeben sich ähnliche Schlussfolgerungen wie aus dem Guttstädter status animarum von 1695.37 Denn Eheverbindungen wurden in beiden Fällen hauptsächlich innerhalb einer einzigen gesellschaftlichen 37
KIEŁBIK, (wie Anm. 23), S. 68-70.
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Jerzy Kiełbik
Gruppe geschlossen. Außerdem herrschten starke Bande zwischen Bürgertum und ermländischem Adel. Heilsberg stand also unter der Herrschaft einer sozialen Gruppierung, deren Mitglieder untereinander verwandt und verschwägert waren. Diese Beziehungen erstreckten sich übrigens auch auf andere Städte außerhalb des Ermlands. Interessant erscheinen in diesem Zusammenhang die Verbindungen der Familie Heinigk zu Königsberg. Anhand der Standesamtsregister konnten die Namen der Bürgermeister, Ratsherren und städtischen Schöffen ermittelt werden. Das oben erstellte Verzeichnis ist sicherlich unvollständig, da die bestehenden Quellenbestände in diesem Bereich wesentliche Lücken aufweisen. Der berufliche Aufstieg der Heilsberger Beamten begann in der Regel erst in reiferem Lebensalter, wie aus dem einschlägigen Verzeichnis von 1772, aber auch aus den standesamtlichen Akten eindeutig hervorgeht. Trotz der weitreichenden Vetternwirtschaft und der sozialen Abschottung der Heilsberger Herrschaftselite übertrug man die wichtigste Funktion in der Stadt – das Bürgermeisteramt – dennoch Personen, die auf die Ausübung dieses Amtes entsprechend vorbereitet waren. Sei es durch die auf der Schöffenbank oder im Stadtrat gewonnenen praktischen Erfahrungen – wie z.B. Bonaventura Heinigk – oder sei es durch einschlägige Ausbildung und Rechtskenntnis, was in Hinblick auf die Karrierewege der Urkundenschreiber zutage tritt. Dennoch darf der erhebliche Einfluss des jeweiligen ermländischen Bischofs auf die Besetzung der städtischen Ämter nicht übersehen werden. Die geistlichen Oberhirten waren zweifellos an einer reibungslosen Führung der Amtsgeschäfte in der Stadt interessiert. Wie jedoch aus den oben aufgeführten Verzeichnissen hervorgeht, berücksichtigten die ermländischen Bischöfe bei ihren personellen Entscheidungen auch bereits bestehende Standesinteressen.
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Die Beamten der Stadt Heilsberg (1650–1750)
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Urzędnicy lidzbarscy (1650-1750) Streszczenie Celem tego artykułu była próba częściowego przynajmniej odtworzenia składu rady i ławy miejskiej, a zatem ustalenie listy burmistrzów, rajców oraz ławników. Podany powyżej spis nie jest pełny, jednak istniejący zasób źródłowy posiada w tym zakresie istotne luki. Kariera urzędników miejskich rozpoczynała się jak można sądzić w wieku już dojrzałym. Pomimo silnego nepotyzmu i zamykania się lidzbarskiej elity władzy, najważniejszą funkcję w mieście – burmistrza – wydaje się, że sprawowały osoby przygotowane do jej sprawowania, czy to poprzez praktykę uzyskiwaną w ławie i radzie miejskiej, czy też dzięki wykształceniu i znajomości prawa, co ukazuje przykład awansów notariuszy. Pamiętać jednak należy o istotnym wpływie biskupa warmińskiego na obsadę urzędów miejskich. Jednak biskupi uwzględniali również zastane interesy stanowe.
The Civil Servants of the Town of Heilsberg (1650-1750) Summary The aim of this article, in so far as it is possible, is to reconstruct the personnelcomposition of the Council and the jury-bench in the town of Heilsberg. The table provided above is certainly incomplete, since there are several gaps in the corpus of sources available in this field. The professional advancement of the civil servants tended to begin at an advanced age. Despite far-reaching nepotism and the social seclusion of the ruling elites in Heilsberg, the most important function in the town – that of the office of mayor – nevertheless tended to go to persons who had been suitably prepared for carrying out this role, whether through practical experience gained as a member of the jury of the town council, or whether through the possession of pertinent qualifications and legal expertise, such as can be seen in the career paths of the legal clerks. Nevertheless, the great influence held by the Bishops of Warmia over appointments to town offices cannot be overlooked. In exercising this influence, however, the bishops also tended to take corporate interests into consideration.
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95
Miszellen
Generalvikar Adalbert (Wojciech) Zink und Dr. Ignacy Tokarczuk SABINA BOBER Die beiden Priester, die in schwerer Zeit in der Diözese Ermland wirkten, sind ganz unterschiedlicher Herkunft. Der eine, Adalbert Zink, wurde 1902 im Ermland, der zweite, Ignacy Tokarczuk, 1918 in Südpolen geboren. Wahrscheinlich wären sie einander nie begegnet, wenn die Folgen des Krieges sie nicht zusammen geführt hätten. Der erstere lieferte den Beweis eines besonderen Mutes, indem er in einer Zeit, in der das eigene Leben auf dem Spiel stand, die ermländische Heimat nicht wie andere verlassen hat. Viele aus der dortigen Geistlichkeit kamen ums Leben. Er blieb standhaft auf seinem Posten. Den Kommunisten war sein Wirken ein Dorn im Auge. Er aber zeigte, dass es in wesentlichen Fragen keinen Kompromiss geben kann. Adalbert Zink war der einzige Jurisdiktionsträger im polnischen Episkopat, der die den verhafteten Primas kritisch beurteilende bischöfliche Erklärung nicht unterschrieben hat. Der zweite Priester von dem hier die Rede sein wird, Ignacy Tokarczuk, 16 Jahre jünger, aus der Heimat im annektierten Galizien vertrieben, suchte in Zentralpolen oder in den an Polen angegliederten deutschen Gebieten eine neue Bleibe für sich und fand sie schließlich für zehn Jahre im Ermland. Damals hätte man nicht vermuten können, dass es ein näheres Zusammenwirken des in hohem Rang stehenden Geistlichen und des jungen Neuankömmlings geben könnte. Tatsächlich ist es doch dazu gekommen, und zwar gerade in der Zeit, in der Adalbert Zink von vielen Seiten, nicht nur von der kommunistischen, als lästig, weil unnachgiebig in wesentlichen Dingen, daher auch als unerwünscht angesehen wurde. Was die beiden verband und zusammenhielt, war der Mut. Mut in der Sorge um die Seelen, Mut im Bekennen der Wahrheit, unerschrockener Mut angesichts der Verfolung. Zinks Lebensweg ging 1969 zu Ende, vier Jahre vorher begann Tokarczuks schwieriger Weg als Bischof von Przemyśl. Das Vorbild aus dem Ermland, das ihn geprägt hat, stärkte zweifellos seine Standhaftigkeit
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Generalvikar Adalbert (Wojciech) Zink und Dr. Ignacy Tokarczuk
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im Ringen um das Reich Gottes in einer von Kommunisten beherrschten Welt. Ein ähnliches Wirken war auch in den Jahren zuvor dem Bistumsverwalter und späteren Generalvikar Adalbert Zink beschieden, der zum Bedauern Tokarczuks nicht Bischof geworden ist. Die Wege beider Priester verliefen auf denselben Bahnen. Nur der Preis, den Zink zu zahlen hatte, war viel höher.
Ignacy Tokarczuk Die Schicksale der Menschen in den unmittelbar auf das Kriegsende folgenden Jahren lassen sich nicht leicht erfassen. Auch Polen mussten ihre Heimat in den vor dem Krieg polnischen Ostgebieten verlassen und nach Westen ziehen. Wer sich sowjetisch einbürgern lies, durfte bleiben. Das wollten nur wenige. Der Konflikt zwischen Ukrainern und Polen hat die Flucht, die weder Auswanderung noch Umsiedlung war, beschleunigt. Die Fahrt ins Unbekannte war das Schicksal, das den einfachen Menschen beschieden war, die für den Krieg zu zahlen hatten. Die Kirche, eigentlich die Kirchen, müsste man sagen, weil die evangelische Kirche nicht weniger als die katholische betroffen war, hatten keine Möglichkeit, über ihre Existenz zu entscheiden. Unter sowjetischer Herrschaft konnten sie kaum überleben1, obwohl das sowjetische Grundgesetz, auch das stalinistische von 1936, allen Bürgern Gewissens- und Kultusfrei-
1
Der Verlauf der Aussiedlung bzw. Vertreibung der Deutschen aus den an Polen gefallenen deutschen Ostgebieten ist sowohl in der deutschen wie auch polnischen historischen Literatur ausführlich beschrieben. Dagegen sind die Vorgänge der sowjetischen Okkupation der polnischen Gebiete in der deutschen historischen Literatur weniger bekannt, deshalb erscheint es angebracht, einige grundlegende Werke anzuführen: WIKTOR POLISZCZUK, Ocena polityczna i prawna OUN i UPA [Die politische und rechtliche Einschätzung der Organisation der Ukrainischen Nationalisten und der Ukrainische Partisanen-Armee]. Toronto 1997. MIKOŁAJ TERLES, Ethnic Cleansing of Poles in Volhynia in Eastern Galicia 1942-1946. Toronto 1993. TADEUSZ KRAHEL, Doświadczni zniewoleniem. Duchowni archidieczji wileńskiej represjonowani w latach 1939-1941 [Heimgesucht durch Versklavung. Die katholischen Geistlichen der Erzdiözese Wilna verfolgt in den Jahren 1939-1941. Białystok 2005. ROMAN DZWONKOWSKI, Leksykon duchowieństwa polskiego represjonowanego w ZSRR 1939-1988 [Lexikon der polnischen in der Sowjetunion verfolgten Geistlichen 1939-1988. Lublin 2003. Wołyński testament [Das Vermächtnis von Wolhynien]. Hrsg. von LEON POPEK, TOMASZ TRUSIAK, PAWEŁ WIRA, ZENON WIRA. Lublin 1997. Śladami ludobójstwa na Wołyniu. Okrutna przestroga [In den Spuren des Völkermords in Wolhynien. Grausame Warnung]. Teil II. Hrsg. von LEON KARŁOWICZ, LEON POPEK. Lublin 1998. In den erwähnten Werken ist die Lage der Polen und der katholischen Kirche in den an die Sowjetunion angegliederten polnischen Gebieten geschildert, meistens in Dokumenten und Berichten von Augenzeugen. Aus historischrechtlicher Sicht betrachtet das Thema der einst in Kanada lebende, inzwischen verstorbene ukrainische Historiker und Jurist Wiktor Poliszczuk.
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Sabina Bober
heit garantierte. Dies hatte jedoch keine praktischen Folgen. Die römischkatholische Kirche wurde übrigens auch als Hort des Polentums hart verfolgt. Viele Seelsorger zogen einfach mit ihren Kirchengemeinden nach Polen. Nur wenige sind unter sowjetischer Herrschaft daheim geblieben, meistens dort, wo eine größere Anzahl von Pfarrkindern den Heimatort nicht verlassen wollte und der Geistliche sich verpflichtet fühlte, mit den Gläubigen das Schicksal zu teilen. Manche mussten, so schnell wie möglich, nach Polen fliehen, um der Verhaftung und einer Lagerstrafe zu entgehen. Der spätere Bischof von Przemyśl Ignacy Tokarczuk war 1945, als die Rote Armee Lemberg eingenommen hatte, noch Kaplan, was es ihm viel leichter machte als einem Pfarrer, die Erzdiözese Lemberg zu verlassen und nach Polen zu fliehen. Tokarczuk entstammte einer Bauernfamilie. Er wurde am 1. Februar 1918 in dem Dorf Łubianka Wyższa bei Zbaraż (historisch sehr bekannt durch den Roman „Mit Feuer und Schwert“ von Henryk Sienkiewicz) geboren. Es war eine ethnisch und konfessionell gemischte Gegend, wo Polen nur ein Viertel unter der meist ukrainischen Bevölkerung ausmachten. Nach dem Abitur im Jahre 1937 trat der junge Tokarczuk in das Erzbischöfliche Priesterseminar in Lemberg ein. Er studierte wie übrigens auch die anderen Seminarkollegen an der Theologischen Fakultät der Lemberger Universität. Durch die 1939 erfolgte Teilung Polens kamen die polnischen Ostgebiete unter sowjetische Herrschaft. Auf dem Lande wusste man nicht, wie das Leben weitergehen würde. Der Seminarist des dritten Studienjahres weilte bei seiner Familie, und Anfang Oktober begab er sich nach Lemberg, wo das Studium noch bis Ende des Monats unter ständigen Eingriffen der sowjetischen Kommissare stattfinden konnte, dann aber wurde das Seminar geschlossen und die Kleriker nach Hause entlassen. Um dem Einzug zur Roten Armee zu entgehen, hatte sich Tokarczuk in seinem Familiengehöft versteckt, wobei aber vorsätzlich das Gerücht kolportiert wurde, er halte sich zur Zeit in Lemberg auf. Als im Jahre 1940 ein Untergrundseminar ins Leben gerufen wurde, verließ Tokarczuk sein Vatershaus und begab sich nach Lemberg, wo er das dritte Studienjahr antrat. Schon im Mai 1941 wurde das Seminarstudium eingestellt, weil man Massenverhaftungen erwartete. Nach dem Ausbruch des sowjetisch-deutschen Krieges bewilligten die Deutschen die Wiedereröffnung des Seminars, allerdings unter ihrer Kontrolle. Schon Anfang 1942 wurde der Rektor Stanisław Frankl verhaftet und die weitere Seminarausbildung nur denen gestattet, die schon 1939 dem Seminar angehört hatten. So konnte der junge Tokarczuk sein Studium fortsetzen und am 21. Juni 1942 die Priesterweihe erhalten. Nach wenigen Tagen wurde er als Kaplan in dem Städtchen Złotniki eingesetzt, wo er im
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Mai 1944 der Ermordung durch die ukrainischen Nationalisten dank einer Warnung seitens des griechisch-katholischen Pfarrers entging.2 In Lemberg erhielt er eine Stelle an einer Filialkapelle der Pfarrgemeinde Maria Magdalena. Das Ende des Krieges brachte keine Befreiung. Als junger Geistlicher, der bisher keine feste kirchliche Stelle inne gehabt hatte, konnte er auf eine nunmehr von den sowjetischen Behörden anzuerkennende Anstellung kaum rechnen. Daher entschloss er sich, nachdem er die Genehmigung des Erzbischofs Eugeniusz Baziak eingeholt hatte, mit den aus Lemberg nach Polen ziehenden Polen mitzugehen. Ende November kam Tokarczuk nach Polen. Er wie auch andere Geistliche, so die Mehrzahl der aus der Erzdiözese Lemberg und generell die aus den ehemaligen südöstlichen Gebieten Polens Ausgesiedelten, fanden ihren Bestimmungsort zunächst in Schlesien. Tokarczuk kam nach Kattowitz. Nach zehn Monaten Seelsorgearbeit entschied sich Tokarczuk für ein weiteres Studium an der Katholischen Universität Lublin. An der Fakultät für Sozialwissenschaft beschäftigte er sich mit dem Studium der sozialen und wirtschaftlichen Problematik der Landwirtschaft. Nach dem Abschluss dieses Studiums 1949 begann er noch ein Philosophiestudium und bekleidete auch eine Assistentenstelle. Da seine Eltern sich in Pommern niedergelassen hatten, war er dort oft zu Gast und half gleichzeitig auch als Seelsorger in einer Dorfpfarrei in der Nähe von Lauenburg (Lębork) aus. Die Arbeit an der Katholischen Universität Lublin hätte Tokarczuk nach der Promotion 1950 erfolgreich fortsetzen können, doch als im Jahre 1951 die staatlichen Behörden von den Angestellten einen Loyalitätseid verlangten, weigerte sich Tokarczuk, ihn abzulegen, und musste Lublin verlassen. Seine Wahl fiel auf das Ermland, weil sich ihm im dortigen Priesterseminar „Hosianum“ eine Lehrstelle für Philosophie eröffnete.
Adalbert (Wojciech) Zink In der Diözese Ermland hatte nach der von staatlicher Seite im Januar 1950 erzwungenen Absetzung des Apostolischen Administrators Teodor Bensch sowie aller Ordinarien in den ehemals deutschen Gebieten unverzüglich ein von Primas Wyszyński neu ernannter Administrator sein Amt angetreten. Es war dies ein einheimischer Ermländer, Adalbertus (Wojciech)
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IGNACY TOKARCZUK, Od Zbaraża do Przemyśla. [Von Zbaraż nach Przemyśl]. Einführung, Bearbeitung und Interviews von LUCYNA ŻBIKOWSKA. Miejsce Piastowe 1998, S. 236-237.
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Zink.3 Er war zwar 1902 in Bromberg geboren, aber Sohn einer polnischen Mutter, die aus Woritten im Kirchspiel Dietrichswalde stammte. Er lernte selbst polnisch zu sprechen und wirkte später nach dem Theologiestudium in Braunsberg als Seelsorger vor allem in Masuren und im südlichen Ermland. Die Verbundenheit mit den Menschen des Ermlands kommt in seinem Kondolenzschreiben aus dem Jahr 1956 an die Witwe seines Fahrers Barwinski zum Ausdruck: „Wie sehr erinnern sie [die Bilder von der Beerdigung] mich an unsere gemeinsamen Fahrten in der Diözese, wo er immer, auch in fremder Umgebung, das Sinnbild der Heimat war. Und daraus erwuchs ein so wohltuendes Gefühl der Geborgenheit und des Verbundenseins, von dem nur wir beide wussten.“4 Bischof Józef Drazga würdigte Zink mit den Worten: „In besonderer Weise war er ein Freund der ermländischen Bevölkerung. Aus diesem Volk stammte er. Für diese Menschen arbeitete er als Priester. Diesem Volk diente er bis zum letzten Atemzug. Er kümmerte sich um seine Belange. Er schickte in ermländische Pfarreien Priester, die für dieses Volk Verständnis hatten.“5 Teodor Bensch berief den bodenständigen Priester als Notar an die Bischöfliche Kurie in Allenstein. Die von Primas Hlond eingesetzte kirchliche Obrigkeit in den deutschen, an Polen gefallenen Gebieten war sowohl vom kanonischen Standpunkt aus als auch angesichts der bestehenden politischen Verhältnisse in einer schwierigen Situation. Das Bestreben der kommunistischen Machthaber war es, die Kirche soweit wie möglich für politische Ziele zu instrumentalisieren, aber letztendlich ihre Wirkungsmöglichkeiten einzuschränken und sie aus dem sozialen Leben zu verdrängen. Die Diözesanverwaltung im Ermland, dessen Ordinarius Maximilian Kaller, wenn auch vertrieben, noch bis Juli 1947 lebte, benötigte eine kirchenrechtliche Anerkennung. Das geschah bis 1972 nicht, weil der Hl. Stuhl 3
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ANDRZEJ KOPICZKO, Duchowieństwo katolickie diecezji warmińskiej w latach 1821-1945 [Die katholische Geistlichkeit der Diözese Ermland in den Jahren 1821-1945]. Olsztyn 2003, S. 332. DERS., Die Verwalter der Diözese Ermland Teodor Bensch und Adalbert Zink (1945-1953). In: Katholische Kirche unter nationalsozialistischer und kommunistischer Diktatur. Deutschland und Polen 1939-1989. Hrsg. von HANS-JÜRGEN KARP und JOACHIM KÖHLER. (FORSCHUNGEN UND QUELLEN ZUR KIRCHEN- UND KULTURGESCHICHTE OSTDEUTSCHLANDS, 32). Köln 2001, S. 247257. ULRICH FOX, Adalbert/Wojciech Zink (1902-1969) vor 100 Jahren geboren. Kapitular- und Generalvikar der Diözese Ermland In: UNSERE ERMLÄNDISCHE HEIMAT. MITTEILUNGSBLATT DES HISTORISCHEN VEREINS FÜR ERMLAND Jg.48, Nr. 2, Sommer 2002, S. VII-VIII. Siehe auch ANDRZEJ KOPICZKO, in diesem Band unten, S. 78-84. Zitiert nach Fox, S. VIII. JÓZEF DRZAZGA, Przemówienie[...] wygłoszone 12. września 1969 w kościele w Gietrzwałdzie w czasie nabożeństwa pogrzebowego za duszę śp. ks. Infułata Wojciecha Zinka [Ansprache. am 12. September 1969 in der Kirche in Dietrichswalde anlässlich des Seelenamtes für den Apostolischen Protonotar Adalbert Zink]. In: WARMIŃSKIE WIADOMOŚCI DIECEZJALNE 25 (1970) S. 54 (zitiert nach FOX, S. VIII).
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die durch den Krieg geschaffenen Staatsgrenzen ohne eine vorherige Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen nicht anerkennen wollte. Aus diesem Grund verlief die weitere Entwicklung der Diözesanverwaltung sozusagen auf zwei Gleisen. In der Bundesrepublik wurde die einstige kanonische Verwaltung fortgesetzt, sie galt für die in Deutschland lebenden Diözesanangehörigen. In Polen entstand eine neue vorläufige Diözesanverwaltung, an deren Spitze seit der Absetzung des Apostolischen Administrators Bensch seit 30. Januar 1951 Prälat Adalbert Zink stand. Primas Wyszyński ernannte ihn auf Grund der ihm erteilten Vollmachten des Apostolischen Stuhls zu seinem Generalvikar für die Diözese Ermland mit den Rechten und Pflichten eines residierenden Bischofs.6 Die zunehmende Verschlechterung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Ära des Stalinismus führte zur Verhaftung des Primas und wenig später am 2. Oktober 1953 zur Absetzung und Verhaftung Zinks durch den Sicherheitsdienst.7 Als Anlass galt die Weigerung Zinks, eine den bereits inhaftierten Primas Wyszyński kritisierende Erklärung des Episkopats zu unterzeichnen. Zink war der einzige, der dies wagte. Zwar war diese Erklärung von der Regierung unter Androhung einer Spaltung in der polnischen Kirche erpresst, aber auch dieser Umstand konnte den ermländischen Administrator nicht dazu bewegen, sie zu unterschreiben. Nach einer neunmonatigen Haft konnte Zink erst 1956 in die Diözese zurückkehren. Titularbischof Tomasz Wilczyński berief ihn wieder zu seinem Generalvikar, 1958 wurde Zink zum Dompropst und 1960 zum Apostolischen Protonotar ernannt.8 Er starb am 9. September 1969. Zusammenarbeit Tokarczuk hat die mutige Haltung Zinks öffentlich gelobt, was diesem später aber nicht zugute kam, denn nicht nur der Nachfolger Zinks, sondern 6
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Ausführlich: ANDRÉ SCHMEIER, Die Entwicklung der Diözese Ermland zur Apostolischen Visitatur in der Bundesrepublik Deutschland unter kirchenrechtlichem Aspekt. In: ZEITSCHRIFT FÜR DIE GESCHICHTE UND ALTERTUMSKUNDE ERRMLANDS 51 (2005) S. 126-169, hier besonders S. 150- 153. SŁAWOMIR BREWCZYŃSKI, Ks. Adalbert (Wojciech) Zink, rządca diecezji warmińskiej w latach 1951-1953 [Adalbert (Wojciech) Zink, Administrator der Diözese Ermland in den Jahren 19511953]. Olsztyn 2006, S. 56-59. Siehe auch die Besprechung von HANS-JÜRGEN KARP in: ZGAE 52 (2007) S. 368-371, wo auf die Nichtberücksichtigung der Zweigleisigkeit der ermländischen Diözesanverwaltung hingewiesen wird. Zum organisatorischen Wiederaufbau der Diözese durch Zink und seine Seelsorgstätigkeit BREWCZYŃSKI, S. 67-119. SCHMEIER (wie Anm. 6), S. 158. KOPICZKO, Duchowieństwo (wie Anm. 3), S. 332.
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auch manche Bischöfe, die sich beschämt fühlten, warfen dem tapferen Bistumsverweser vor, dass sein Verhalten durch seine deutsche Herkunft bedingt gewesen sei. Tokarczuks Einstellung zum kommunistischen Regime glich ganz und gar der seines Vorgesetzten. Aus diesem Grund erwuchs eine Zusammenarbeit beider Geistlichen, die der Aufmerksamkeit der Sicherheitsorgane nicht entgehen konnte. Tokarczuk kam im Sommer 1952 nach Allenstein, wo sich nunmehr die Leitung der Diözese befand, und wurde vom neuen Studienjahr an als Professor für Philosophie am Priesterseminar eingesetzt.9 Sein wichtigstes Anliegen aber war die Seelsorge. Im Ermland war der Priestermangel zu dieser Zeit akut, und erst nach einigen Jahren konnte das Priesterseminar die Notlage einigermaßen überwinden. Neben den 71 einheimischen Geistlichen hatte es Anfang 1946 noch weitere 70 aus allen polnischen, meist aus den an die Sowjetunion gefallenen Gebieten Polens gegeben, dazu noch 37 Ordenspriester. Im Jahre 1951 betrug die Gesamtzahl der Geistlichkeit schon 241.10 Der Administrator Zink gab Tokarczuk nicht nur die Lehrstelle am Seminar, sondern betraute den neuen Philosophieprofessor mit der Pfarrgemeinde Nossberg (Orzechowo), zu der auch die Filialkirche in Plautzig (Pluski) gehörte, da dort dringend eine Seelsorgeaushilfe benötigt wurde.11 Tokarczuk war ständig zwischen Allenstein, wo er seinen Wohnsitz hatte, und einer Pfarrei, wo er als Seelsorger eingesetzt war, unterwegs. So war es auch in Gutkowo bei Allenstein, wo er seit 1954 zweieinhalb Jahre lang die Pfarrstelle bekleidete. Das war schon nach der Absetzung und Verhaftung des Administrators Zink im Oktober 1953. In der Zeit nach 1956, als Zink aus der Haft entlassen war und wieder als Generalvikar in Allenstein wirkte, sollte Tokarczuk die Pfarrgemeinde in Neidenburg (Nidzica) übernehmen. Das Amt für konfessionelle Angelegenheiten (Urząd do Spraw Wyznań) legte jedoch Einspruch ein, so dass die Ernennung nicht zustande kam.12 Tokarczuk war weiterhin im Priesterseminar tätig. Die Seelsorge hatte für ihn eine Anziehungskraft, der er kaum widerstehen konnte. Er widmete sich daher der Studentenseelsorge, erwarb sich auch einen guten Ruf als Kanzelredner. Exerzitien, Predigten 9
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ANDRZEJ KOPICZKO, Duchowieństwo katolickie diecezji warmińskiej w latach 1945-1992 [Die katholische Geistlichkeit der Diözese Ermland in den Jahren 1945-1993]. Olsztyn 2007, S. 297298. BREWCZYŃSKI (wie Anm. 7), S. 42-43. TOKARCZUK (wie Anm. 2), S. 196-214. Die folgenden Ausführungen über die zehnjährige Tätigkeit Tokarczuks in Ermland sind den hier angeführten Seiten entnommen. Präsidium des Nationalrats der Wojewodschaft in Olsztyn an die Diözesanbehörde vom 6. Juli 1960, Archiwum Archidiecezji Warmińskiej w Olsztynie, Personalakten des Priesters Ignacy Tokarczuk.
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aus Anlass verschiedener Feierlichkeiten, wie z. B. Patronatsfesten, nicht selten auch zeitlich begrenzte Vertretungen, füllten seine ganze Zeit aus, die ihm neben den Seminarveranstaltungen noch übrig blieb. Er betätigte sich seelsorglich nicht nur an der Herz Jesu-Kirche in Allenstein, bei der er wohnhaft war, sondern auch an vielen, manchmal entfernten Ortschaften: Preußisch-Holland (Pasłęk), Bartenstein (Bartoszyce), Deutsch Eylau (Iława), Muschaken (Muszaki), Heilsberg (Lidzbark Warmiński), Groß Ramsau (Ramsowo), Jonkendorf (Jonkowo), Mohrungen (Morąg), Hohenstein (Olsztynek), Guttstadt (Dobre Miasto), Goldap (Gołdap), Rößel (Reszel). Hinzu kamen Kirchen in der Stadt Allenstein, an denen Tokarczuk ständig seinen Dienst tat. Was ihm sicher viel Sorge bereitete, waren die unterschiedlichen Bräuche und Sitten der gemischten Bevölkerung, die manchmal gegenseitigen Anstoß erregten, zum Beispiel die Gewohnheit der Kirchenbankvermietung, die nicht nur im Ermland, sondern auch in vielen westpolnischen Diözesen üblich war, aber bei den Menschen aus den östlichen Gebieten Polens auf heftigen Widerwillen stieß. Das wollte auch der Seelsorger aus der Erzdiözese Lemberg nicht einfach hinnehmen, aber durch die Abschaffung dieser Praxis handelte er sich die Kritik der sog. Autochthonen ein. Es gab viele in den Pfarrgemeinden, die kein Polnisch konnten, auch nicht den masurischen Dialekt. Tokarczuk hätte seinerseits, auch wenn er der deutschen Sprache mächtig gewesen wäre, in diesen Jahren sicher keine deutsche Predigt halten können, weil es aus der Sicht der Staatsbehörden im Ermland nur noch germanisierte Polen und keine Deutschen mehr gab. Tokarczuk hat eine Lösung gefunden, die seelsorglich erfolgreich sein konnte oder sich tatsächlich als nützlich erwies, indem er den deutsch sprechenden Pfarrkindern deutsche gedruckte Predigten zur Hand gab. Die polnischen Staatsbehörden haben stets von der Kirche verlangt, die deutsche Sprache aus dem Gottesdienst zu eliminieren.13 Ein Verbot der deutschen Sprache im Raum der Kirche hat weder der Administrator Bensch noch der Prälat Zink erlassen.14 Dennoch mahnte Zink die Geistlichen, als im Jahre 1951 die Kirche von Seiten der kommunistischen Behörden unter verschärften Druck genommen wurde, sie dürften sich nicht in einer Weise in der 13
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Eine Verordnung des Wojewodschaftsamtes zu Olsztyn vom 23. Juli 1945 verbot ausdrücklich den Gebrauch der deutschen Sprache in der Kirchenpraxis, ANDRZEJ KOPICZKO, Stosunek ks. Teodora Benscha i Adalberta Zinka do ludności miejscowej [Die Einstellung der Priester Teodor Bensch und Adalbert Zink zur einheimischen Bevölkerung]. In: BORUSSIA. KULTURA - HISTORIA - LITERATURA 17 (1998 [1999]), S. 138-145, hier S. 140. DERS., Stosunek ks. Teodora Benscha i Adalberta Zinka do innych narodowości i władzy komunistycznej [Die Einstellung der Priester Teodor Bensch und Adalbert Zink zu anderen Nationalitäten und zur kommunistischen Macht]. In: WIADOMOŚCI ARCHIDIECEZJALNE WARMIŃSKIE 52 (1997) H. 32, S. 87-93, hier S. 90. Vgl. auch KOPICZKO, Die Verwalter (wie Anm. 3).
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Sprachenfrage einsetzen, dass dadurch die Seelsorge selbst beeinträchtigt würde.15 Dieses vorsichtige Handeln um der Seelsorge willen hatte nichts mit Ängstlichkeit zu tun, denn wo der Einsatz für verfolgte Mitbrüder erforderlich war, setzte Zink sich für sie mutig ein. Als im Jahre 1952 zwei autochthone Priester verhaftet wurden, wies er bei dieser Gelegenheit auch auf das Unrecht hin, dem die einheimische ermländische Bevölkerung ausgesetzt war.16 Selbstverständlich musste Zink sich auch in der Seelsorge um eine Art von Assimilierung der Autochthonen kümmern, was nicht immer auf Zustimmung stieß. Man muss sehen, dass sowohl die Deutschen als auch die polnisch sprechende Bevölkerung Ermlands durch die Kriegshandlungen 1945 schwer heimgesucht war, und die neue, von den Kommunisten eingeführte Ordnung – wenn ein solcher Begriff überhaupt hier Anwendung finden kann – zum Nachteil der ganzen Bevölkerung wirkte, zu dem der Autochthonen allerdings in besonderem Maße. Auch diejenigen, die vor dem Krieg polnischen Organisationen angehört hatten, wurden von den Ortsbehörden als Deutsche angesehen und dementsprechend behandelt. Das zeigte sich weniger auf kirchlichem Gebiet, aber es hing alles vom Verhalten des konkreten Geistlichen ab. Die Abneigung gegen alles Deutsche spielte hier, wenn auch eher in vereinzelten Fällen, eine gewisse Rolle. Viel bedeutender war die unterschiedliche Art des Katholizismus der einheimischen Bevölkerung und der Zuwanderer. Einen Ausgleich zu erreichen, gelang in vielen Fällen weder den einheimischen noch den hinzugekommenen Geistlichen. Diese Problematik spielte ebenfalls eine wesentliche Rolle bei der nach 1957 wachsenden Abwanderung auch von polnischstämmigen Personen nach Deutschland. Für die Kirche Ermlands hat sicher die Periode als höchst nachteilig zu gelten, in der in den Jahren 1953 bis 1956 in der Person Stefan Biskupskis ein dem Regime ergebener Administrator die Diözese leitete. Jetzt gab es die von den staatlichen Behörden angeregten Versetzungen von Geistlichen, bei denen nicht zufällig deutsch sprechende Geistliche aus den Gemeinden mit Autochthonen oder sogar Deutschen in eine rein polnische Gegend versetzt wurden - und umgekehrt. Nach 1956 kamen solche Dinge seltener vor, aber sie ließen sich nicht völlig ausschließen. Prälat Zink war zu dieser Zeit zwar wieder Generalvikar, aber er hätte – wie Bischof Tokarczuk in seinen Erinnerungen schreibt – mindestens zum Weihbischof befördert werden müssen, was der Diözese zum Vorteil 15 16
KOPICZKO (wie Anm. 13), S. 143. Das Dokument vom 31.8.1951 im Faksimile bei BREWCZYŃSKI (wie Anm. 7), S. 165. FOX (wie Anm. 3), S. VII.
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gereicht hätte. Die Frage, warum das nicht geschah, muss hier ohne Antwort bleiben. Vermuten kann man nur, dass der Prälat für seinen Mut auch nach der Entlassung aus dem Gefängnis zu zahlen hatte, der Verzicht auf Beförderung wurde nicht nur von Seiten der kommunistischen Machthaber gefordert. Tokarczuks Meinung kommt am besten in den folgenden Worten zum Ausdruck: „Dass der Protonotar Zink abgeschoben wurde, rächt sich an der Diözese Ermland bis auf heute. Es kann nicht anders sein, weil die Moral hier außer Kraft gesetzt wurde. Erst als die Deutschen eine päpstliche Auszeichnung für Zink besorgt hatten17, hat man auch von unserer Seite versucht, etwas in dieser Richtung zu tun. Bischof Tomasz Wilczyński [1956–1963 – SB] war ein gutwilliger Mensch, aber manche Dinge überforderten ihn.“18
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Gemeint ist die mit Zustimmung des deutschen Kapitularvikars Paul Hoppe im Juni 1958 erfolgte Ernennung zum Dompropst. TOKARCZUK (wie Anm. 2), S. 212. - Tokarczuk hat sein Lehramt im Priesterseminar in Allenstein Ende Juni 1962 aufgegeben. Er übernahm eine Lehrstelle als Adjunkt an der Katholischen Universität Lublin. 1965 wurde er zum Bischof von Przemyśl ernannt, seit 1992 war er Erzbischof, 1993 wurde er emeritiert.
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Adalbert Zink Zum Artikel von Sabina Bober
ANDRZEJ KOPICZKO Das von Sabina Bober behandelte Thema kann sich nur auf eine schmale Quellenbasis stützen. Über die pastorale Zusammenarbeit dieser – ohne Zweifel – hervorragenden Hierarchen der Kirche lässt sich nicht allzu viel sagen. Es ist zu betonen, dass dies erstens unterschiedliche Persönlichkeiten waren und zweitens, dass sie völlig andere Diözesen unter unterschiedlichen sozialpolitischen Bedingungen leiten mussten. Es fällt schwer, die Jahre 1951–1953, d. h. die Zeit des Stalinismus, und die zweite Hälfte der Regierungszeit von Władysław Gomułka und Edward Gierek oder Wojciech Jaruzelski mit einander zu vergleichen. Sie hatten auch eine unterschiedliche Vorbereitung auf den priesterlichen Dienst hinter sich. Adalbert Zink war ein typisches Beispiel für einen Seelsorger, der nach dem üblichen Theologiestudium nur in ländlichen Gemeinden tätig war1, während Ignacy Tokarczuk ein Fachstudium absolvierte, promovierte und als Adjunkt an einer Universität arbeitete.2 Schließlich leitete Zink die Diözese Ermland nur wenig über 30 Monate, Tokarczuk war dagegen später fast 30 Jahre lang (1965–1993) Bischof und Erzbischof von Przemyśl. Zweifellos war Adalbert Zink ein ruhiger, pflichttreuer, rechtschaffener und zuverlässiger Mensch. Als Priester hielt er sich an das kanonische und liturgische Recht. Er hatte eine schöne Handschrift, und in Dokumenten verwendete er einen „salbungsvollen“ Stil. Nach dem Zweiten Weltkrieg befürchtete er eine Schwächung des Glaubens der Menschen, so dass sein oft wiederholtes Lebenscredo war: „Steht fest im Glauben“. Er war auch ein guter Prediger, er sprach einfach und nicht zu lang.3 Sein Vater Antoni kam aus Berlin und seine Mutter Augusta, geb. Tyżak, wurde in Woritten bei Dietrichswalde geboren. Der Vater war Töpfer1 2 3
ANDRZEJ KOPICZKO, Duchowieństwo katolickie diecezji warmińskiej w latach 1821-1945 [Die katholische Geistlichkeit der Diözese Ermland in den Jahren 1821-1945]. Olsztyn 2003, S. 332. DERS., Duchowieństwo katolickie diecezji warmińskiej w latach 1945-1992 [Die katholische Geistlichkeit der Diözese Ermland in den Jahren 1945-1993]. Olsztyn 2007, S. 297-298. Interview mit Weihbischof Julian Wojtkowski in: SŁAWOMIR BREWCZYŃSKI, Ks. Adalbert (Wojciech) Zink. Rządca diecezji warmińskiej w latach 1951–1953 [Adalbert (Wojciech) Zink, Administrator der Diözese Ermland in den Jahren 1951-1953]. Olsztyn 2006, S. 153–154.
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meister von Beruf, arbeitete jedoch bei der Eisenbahn. Daher musste die Familie oft ihren Wohnsitz wechseln. Adalbert Zink wurde in Bromberg geboren, aber dann lebte die Familie in Nakel an der Netze und in Bischofstein im Ermland. Aus diesem Grunde ging der Sohn zunächst aufs Gymnasium in Nakel, dann in Danzig. Im Jahre 1919 trat er in das Priesterseminar in Braunsberg ein. Da er zu jung war, um die Priesterweihe zusammen mit seinen Kurskollegen zu erhalten, setzte ihn Bischof Augustin Bludau zur Seelsorge in der Pfarrei Dietrichswalde ein, deren Pfarrer Johannes Hanowski war. Unter dessen Betreuung studierte der Subdiakon Adalbert Zink die polnische Sprache und leistete ein pastorales Praktikum ab. 1925 wurde er zum Priester geweiht. Danach war er Vikar in Grieslienen, Alt Schöneberg und Alt Wartenburg, also in der Nähe von Allenstein. Im Jahr 1935 wurde er Pfarrer in Groß Leschienen, der zur damaligen Zeit größten katholischen Enklave im protestantischen Masuren. An diese Pfarrgemeinde erinnerte er sich später am meisten. Immer, wenn er Priestern aus dieser Region begegnete, fragte er: „Wie geht es meinen Leschienern?“ Während des Zweiten Weltkrieges übte er seinen religiösen Dienst im St. Marien-Krankenhaus in Allenstein aus, im Februar 1940 übernahm er das Pfarramt in Lessen in der Diözese Kulm und dann wieder in Groß Leschienen.4 Anfang Januar 1945 kam er mit seiner Haushälterin Katarzyna Tyżak nach Podleiken bei Dietrichswalde, wo Katarzynas Vater, der Onkel von Adalbert Zink, lebte. Nachdem der Betrieb von Soldaten der Roten Armee besetzt worden war, wohnten sie einige Zeit lang bei Alojzy Orłowski. Von dort wurden sie zusammen mit einer Gruppe von etwa 30 Männern von den Sowjets deportiert.5 Zink gelangte nach Preußisch Eylau, von wo aus er im März 1946 zurückkehrte. Da das Pfarramt in Groß Leschienen bereits von einem anderen Priester besetzt war, unterstützte er zunächst die Seelsorgetätigkeit in Dietrichswalde, und einige Zeit später wurde er zum Notar und Diözesankonsultor der Bischöflichen Kurie in Allenstein berufen.6 Auf diese Weise wurde Adalbert Zink in die Verwaltung der Diözese eingebunden. Die ersten drei Jahre in dieser Position sind verhältnismäßig ruhig verlaufen. Viel Zeit widmete er den Autochthonen.7 Er besuchte 4 5 6 7
HANS-JÜRGEN KARP, Zink, A(da)lbert, in: ALTPREUSSISCHE BIOGRAPHIE Bd. IV, 2. Marburg/Lahn 1989, S. 1308. BREWCZYŃSKI (wie Anm. 3), S. 19–20. HUBERT ORŁOWSKI, Warmia z oddali. Odpominania [Ermland aus der Ferne. Rückblenden und Bewahren vor dem Vergesssen]. Olsztyn 2000, S. 38–47. BREWCZYŃSKI (wie Anm. 3), S. 20. ANDRZEJ KOPICZKO, Die Verwalter der Diözese Ermland Teodor Bensch und Adalbert Zink (1945–1953). In: Katholische Kirche unter nationalsozialistischer und kommunistischer Diktatur. Deutschland und Polen 1939–1989, Hrsg. von HANS-JÜRGEN KARP und JOACHIM KÖHLER. (FORSCHUNGEN UND QUELLEN ZUR KIRCHEN- UND KULTURGESCHICHTE OSTDEUTSCHLANDS, 32). Köln 2001, S. 247–257.
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ermländische Priester, hielt Gottesdienste, und zwar sowohl in polnischer als auch in deutscher Sprache. In Deutsch feierte er die Liturgie über einen längeren Zeitraum in der St. Jakobi-Kirche in Allenstein.8 Niemand hätte damals gedacht, dass die Leitung der Diözese während des zunehmenden stalinistischen Terrors auf seine Schultern fallen würde. Am 26. Januar 1951 entfernten die Staatsbehörden den Apostolischen Administrator der Diözese Teodor Bensch aus seinem Amt.9 Das Kollegium der Diözesankonsultoren wählte noch am selben Tag Adalbert Zink zu seinem Nachfolger. Warum gerade ihn? Diese Frage kann heute wohl niemand beantworten. Selbst Zink kommentierte den Vorgang nur kurz: „In Bezug auf die einzigartige und schwierige Situation nehme ich diese Wahl an.“ Allerdings war sie vom Gesichtspunkt des Kirchenrechts ungültig, und zwar aus zwei Gründen. Erstens, da Bensch, der die Möglichkeit seiner Festnahme ahnte, Józef Łapot, den Rektor des Priesterseminars „Hosianum“, zum Generalvikar ernannt hatte, der die Diözese weiterhin hätte verwalten können. Zweitens – und das war sogar noch wichtiger – wurde die Wahl Zinks unter Zwang und Druck seitens der „Volksmacht“ getroffen. Der Codex des kanonischen Rechts von 1917 besagte im Kanon 166: „Sollten Laien sich entgegen der kanonischen Freiheit in eine kirchliche Wahl in irgendeiner Weise einmischen, so ist diese Wahl von Rechts wegen (ipso jure) ungültig“. Damit die zivilen Behörden keinen Grund für weitere Einmischungen hatten, akzeptierte der polnische Primas Stefan Wyszyński kraft besonderer Befugnisse diese Wahl am 30. Januar 1951 und ernannte Zink zu seinem Generalvikar. Im April desselben Jahres bat er Papst Pius XII. in Rom, Tomasz Wilczyński zum Bischof für Allenstein zu ernennen (so wie er es für Danzig, Landsberg, Oppeln und Breslau tat). Mit einer Übernahme des Amtes durch den neuen Bischof Wilczyński war jedoch der polnische Präsident Bolesław Bierut nicht einverstanden. Schließlich wurde die Situation in der Weise gelöst, dass am 1. August 1951 das Ermländische Domkapitel wiederbelebt wurde, das dann Adalbert Zink zum Kapitularvikar wählte, der die Diözese während der Vakanz verwaltete.10
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Mitteilung von Anton Saldigk, Ministrant in der Jakobikirche in Allenstein. ANDRZEJ KOPICZKO, Kościół warmiński a polityka wyznaniowa po II wojnie światowej [Die Kirche Ermlands und die Konfessionspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg] (ROZPRAWY I MATERIAŁY OŚRODKA BADAŃ NAUKOWYCH IM. KĘTRZYŃSKIEGO W OLSZTYNIE, 152). Olsztyn 1996, S. 36. BREWCZYŃSKI (wie Anm. 3), S. 57–58. ANDRÉ SCHMEIER, Die Entwicklung der Diözese Ermland zur Apostolischen Visitatur in der Bundesrepublik Deutschland unter kirchenrechtlichen Aspekt. In: ZEITSCHRIFT FÜR DIE GESCHICHTE UND ALTERTUMSKUNDE ERMLANDS 51 (2005) S. 126–169, hier S. 149–153.
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So stellte sich, kurz gesagt, die rechtliche Situation der Übernahme der Verwaltung in der Diözese Ermland durch Zink dar. Allerdings war die fast drei Jahre lang dauernde Verwaltung äußerst fruchtbar. Wie bereits erwähnt, wurden das Domkapitel reaktiviert, neue Pfarreien gegründet, mehr als 40 Priester zu Pfarrern ernannt (zuvor waren sie nur Administratoren der Pfarreien gewesen) und nicht zuletzt die Entwicklung des Priesterseminars und die Katechese gefördert. Man begann damit, Pfarreivisitationen durchzuführen. Entwickelt wurde auch die karitative Arbeit, obwohl das Bistum bereits keine „Caritas“ mehr hatte, da die Organisation im Januar 1950 durch den Staat übernommen worden war. Es gab aber auch ernsthafte Probleme. Im Jahre 1952 beschloss die staatliche Behörde, die Knabenseminare zu liquidieren. Zink protestierte mit Schreiben an die höchsten Beamten scharf dagegen. Zur gleichen Zeit wurde damit begonnen, den Religionsunterricht in den Schulen abzuschaffen. Der Apostolische Administrator ordnete daraufhin an, bei den Pfarreien katechetische Zentren einzurichten. Nachdem am 9. Februar 1953 durch den Staatsrat ein Dekret über die Besetzung kirchlicher Ämter verkündet wurde, entstanden Probleme mit der Ernennung von Seelsorgern. In der Diözese Ermland haben ein Dutzend Priester nicht die Zustimmung zur Übernahme von Pfarrämtern erhalten. Zink schrieb im Juni des 1953 an den polnischen Primas, dass „die Maßnahmen der Allensteiner Wojewodschaftsbehörde einer totalen Lähmung der Tätigkeit des Diözesanordinarius im Personalbereich gleich kommen.“11 Zur gleichen Zeit schickte er Proteste an den Vorsitzenden des Nationalrats der Wojewodschaft in Allenstein: „Ich protestiere dagegen, dass ehrenhafte und um das Volk und die Heimat in den schwierigen Kriegs- und Nachkriegsjahren verdiente Priester als Staatsfeinde angeprangert werden.“12 Die wichtigste Probe sollte jedoch erst noch kommen. Am 25. September 1953 wurde der polnische Primas Kardinal Stefan Wyszyński verhaftet.13 Mit dieser Maßnahme fand sich der polnische Episkopat in der unter Druck der Staatsorgane abgegebenen Erklärung zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche ab. Für den Primas setzten sich nur „der Deutsche“ und sein Hund Baca ein, wie Kardinal Wyszyński im Jahr 11
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Praktyka Władz Wojewódzkich Olsztyńskich równa się całkowitemu sparaliżowaniu rządów Ordynariusza Diecezji w dziedzinie personalnej. Archiwum Akt Nowych Archidiecezji Warmińskiej w Olsztynie, D IV 1b. Protestuję przeciwko napiętnowaniu jako wrogów Państwa kapłanów poważnych i zasłużonych dla Narodu i Ojczyzny w ciężkich latach wojennych i powojennych. Ebd. ANDRZEJ KOPICZKO, Ks. prof. Stefan Biskupski – objęcie urzędu wikariusza kapitulnego diecezji warmińskiej i charakterystyka jego pracy na tym stanowisku [Prof. Stefan Biskupski - Übernahme des Amtes des Kapitularvikars der Diözese Ermland und Charakteristik seiner Tätigkeit in dieser Stellung]. In: STUDIA WARMIŃSKIE 32 (1995) S. 379-388, hier S. 380–382.
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Andrzej Kopiczko
1967 während der Feierlichkeiten zum 400. Jahrestag der Gründung des Priesterseminars „Hosianum“ bezeugte.14 Zink hat als Apostolischer Verwalter der Diözese und Mitglied des polnischen Episkopats die Erklärung nicht nur nicht unterschrieben, sondern er weigerte sich auch, die Informationen über die Verhaftung des Primas von den Kanzeln zu verlesen. Als Reaktion darauf beschlossen die kommunistischen Behörden, ihn seines Amtes zu entsetzen und zu internieren.15 Als die Beamten der Sicherheitsbehörde durch ein Fenster in seine Wohnung traten und eine fast dreistündige Durchsuchung durchführten, reagierte er mit Würde. Auch in der Einsamkeit zögerte er nicht, nein zu sagen. Zu einer solchen entschiedenen Haltung war er in langen Jahren herangereift. Zuerst hatte er erfahren, was der deutsche Nationalsozialismus bedeutet, dann erlebte er die sowjetisch-russischen Lager und schließlich den polnischen Kommunismus. Zu einem Symbol wurden seine letzten Handlungen vor der Internierung: er zündete eine Zigarette an und sagte: „Ich bin bereit.“16 Nach seiner Verhaftung am 2. Oktober 1953, also eine Woche nach der Internierung des Primas, wurde Zink ins Gefängnis in der RakowieckaStraße in Warschau eingeliefert, in dem bereits die Bischöfe Antoni Baraniak von Posen und Czesław Kaczmarek von Kielce inhaftiert waren. Dank der Unaufmerksamkeit des Wächters erkannte er dort Bischof Baraniak auf dem Gefängnishof. Von Bischof Kaczmarek trennte ihn nur eine Wand der Gefängniszelle. Eines Sonntags begann Zink, laut die Vesper zu singen und hörte eine Antwort hinter der Wand. Daraufhin sang er auf lateinisch: Hic sedet Vicarius Capitularis Warmiensis (Hier sitzt der Kapitularvikar von Ermland). Die Antwort lautete: Hic autem Episcopus Kielcensis (Und hier ist der Bischof von Kielce). In diesem Moment erschien der Gefängnisaufseher und fragte: „Was machen Sie denn da?“ Darauf die Antwort: „Ich singe die Vesper.“17 Aus dem Gefängnis wurde Zink am 1. Februar 1955 entlassen, aber in die Diözese Ermland konnte er erst nach dem Polnischen Oktober im 14
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W 1953 roku bronili mnie Niemiec i pies. DERS., Stosunek ks. Teodora Benscha i Adalberta Zinka do innych narodowści i władzej komunistycznej [Die Einstellung von Teodor Bensch und Adalbert Zink zu fremden Nationalitäten und zur kommunistischen Macht]. In: WARMIŃSKIE WIADOMOŚCI ARCHIDIECEZJALNE 52 (1997), Nr. 32, S. 87-93, hier S. 92. DERS., Jubileusz pod nadzorem. Obchody 400-lecia istnienia Wyższego Seminarium Duchownego „Hosianum” w Olsztynie [Jubiläum unter Aufsicht. Die Feiern zum 400-jährigen Bestehen des Priesterseminars „Hosianum” in Allenstein]. In: STUDIA ELBLĄSKIE 12 (2011) S. 109-129 hier S. 115. ULRICH FOX, Adalbert/Wojciech Zink (1902–1969) vor 100 Jahren geboren. In: UNSERE ERMLÄNDISCHE HEIMAT 48 (2002), Nr. 2 (Beilage der ERMLANDBRIEFE 56, 2002, Nr. 3), S. VII-VIII, hier S. VIII. Zum Ablauf der Ereignisse im Einzelnen: KOPICZKO (wie Anm. 9), S. 37–39. Ebd. S. 38. BREWCZYŃSKI (wie Anm. 3), S. 154.
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Dezember 1956 zurückkehren. Dann wurde er zum Generalvikar berufen. Darüber hinaus wurde er von der Bischöflichen Kurie zur Erledigung von äußerst heiklen Angelegenheiten mit den staatlichen Behörden herangezogen. In den sechziger Jahren setzte er sich für die einheimische Bevölkerung ein und organisierte auch die priesterliche Selbsthilfe. Sowohl Bischof Tomasz Wilczyński als auch sein Nachfolger Józef Drzazga haben ihn hoch geschätzt. Er war – was auch von Interesse sein mag – mit dem Priester Alexander Iwanicki befreundet, der aus der Diözese Luzk (heute Ukraine) kam. Als Iwanicki Pfarrer von St. Adalbert in Elbing wurde, half ihm Zink bei den wirtschaftlichen Belangen der Pfarrei, und an Samstagen und Sonntagen fuhr er zu ihm, um bei der Seelsorge auszuhelfen. Er traf aber auch mit seinen Mitarbeitern aus der Zeit seiner Diözesanleitung zusammen, u. a. mit Stanisław Chrzanowski und Mieczysław Karpiński oder dem Autochthonen Johannes Hanowski.18 Eine der letzten Tätigkeiten von Adalbert Zink war seine Teilnahme an der Bischofsweihe von Julian Wojtkowski am 22. August 1969. Auf dem Rückweg fühlte er sich unwohl und wurde unmittelbar ins Krankenhaus nach Allenstein gebracht. Dort lag er im Koma. Er starb zwei Wochen später, am 9. September 1969. Nach den Trauerfeierlichkeiten in Allenstein wurde er in Dietrichswalde neben seinen Verwandten beigesetzt. Eine Rede, die sein Leben und Wirken würdigte, hielt Weihbischof Wojtkowski.19 Über Adalbert Zink hat Primas Wyszyński mehrmals öffentlich gesprochen. Wie bereits erwähnt, wurde er im Jahre 1953 nur von einem Deutschen und von seinem Hund Baca verteidigt. 1958 charakterisierte er in Allenstein nach einem Gottesdienst unter dem Vorsitz von Zink den Zelebranten mit den Worten: „Der uns allen so liebe Ermländer von Fleisch und Blut, der Priester, der mit seiner ganzen Kraft für das Beste in der heimischen Kultur kämpfte, der gerade das heilige Opfer am Altar dargebracht hat, so wie er sein Leben und seine Leiden zum Opfer bringen konnte.“20 Während der Feierlichkeiten zur Krönung des Bildes der Mutter Gottes von Dietrichswalde im Jahre 1968 sagte der Primas: „Wir ehren euch für alles, was ihr in eurer Treue, Geduld und Unnachgiebigkeit getan habt. 18 19 20
Ebd. S. 26. Der Redeentwurf wird neben anderen im Archiv der Erzdiözese Ermland aufbewahrt. Interview mit Weihbischof Wojtkowski, ebd. S. 156. Tak drogi nam wzystkim ten z krwi i kości Warmiak – kapłan, który w duszy swojej walczył o najlepsze, co z kultury rodzimej, który przez chwilą świętą ofiarą składał przy ołtarzu, tak jak umiał ją składać ze swego źycia, ze swoich cierpień. Pobyt J. E. Ks. Stefana kard. Wyszyńskiego Prymasa Polski na Warmii. 28–30 IV 1958 [Aufenthalt S. E. des Primas von Polen Stefan Kard. Wyszyński im Ermland. 28.-30.4.1958] Olsztyn 1958, S. 1-32, hier S. 9 (Maschinenschrift in der Bibliothek des Priesterseminars „Hosianum” in Olsztyn/Allenstein).
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Andrzej Kopiczko
Deshalb sind wir heute hier mit euch. Mit euch, liebe, verehrte Nestoren der Geistlichkeit von Ermland. Mit dir, lieber Prälat Hanowski, mit dir, Apostolischer Protonotar Zink, mit euch allen hochbejahrten Priestern, die ihr hier in den schwierigsten Momenten treu ausgeharrt habt, bis auf die Tage der Freude und Glorie, die ihr dieser Frau [der Gottesmutter von Dietrichswalde] verdankt, der ihr so sehr vertraut habt.“21 Der vorliegende kurze Abriss der Biographie von Adalbert Zink konzentriert sich vor allem auf dessen Haltung sowie die Bewertung seiner Tätigkeit durch andere. Auf eine Frage, ob er sich an die Beziehungen und die Zusammenarbeit von Zink mit Tokarczuk erinnere, antwortete Bischof Wojtkowski eher verneinend. Von Zink erhielt Tokarczuk nur die Nominierung für die Pfarrei in Nußtal (Orzechowo). Tokarczuk hob vor allem die würdevolle Haltung von Zink zum Zeitpunkt der Festnahme des Primas hervor. Außer den – selbstverständlich – offiziellen Sitzungen hat es andere Verbindungen zwischen Zink und Tokarczuk wahrscheinlich nicht gegeben. Aber zweifelsohne sind beide Priester Symbole für Mut und Tapferkeit im Kampf gegen das totalitäre System, das in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt wurde. Zusammen haben sie in den Jahren 1952–1962 in der Diözese Ermland gelebt und unter einer ethnisch und religiös vielfältigen Bevölkerung gearbeitet. Sie wussten auch um die Tragödie des Exodus der früheren Bewohner. Es lohnt sich also, an diese Priester zu erinnern und ihre Verdienste um die Kirche in schwerer Zeit zu würdigen.
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Składamy wam wyraz hołdu za wszystko, co w swej wierności Bogu, niezłomni i nieustępliwi uczyniliście. Dlatego jesteśmy tu dziś razem z wami. Z wami najdrożsi i czcigodni nestorowie Duchowieństwa Warmińskiego. Z Tobą Drogi ks. Prałacie Hanowski, z Tobą ks. Infułacie Zinku, z wami wszystkimi sędziwi kapłani, którzy trwaliście tu w najtrudniejszych momentach, aż doczekaliście się dni radości i chwały tej Pani, której tak ufaliście. Kazanie J. Em. Ks. Stefana Kardynała Wyszyńskiego, Prymasa Polski, „ nad Świętą Warmią”, wygłoszone w Gietrzwałdzie dnia 10 września 1967 r. podczas urocystości koronacji obrazu Matki Boskiej [Predigt S. E. des Primas von Polen Stefan Kard. Wyszyński „Das Große Zeichen über dem Heiligen Ermland”, gehalten in Dietrichswalde am 10. September 1967 bei der Feier der Krönung des Bildes der Muttergottes]. In: WARMIŃSKIE WIADOMOŚCI DIECEZJALNE 1968, Nr. 3, S. 100-104, hier S. 101. Vgl. BREWCZYŃSKI (wie Anm. 3), S. 25.
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Quellen
Die Bittschriften und Statuten der Widminner Schusterzunft (1671/1687) Herausgegeben von DANUTA BOGDAN Die frühesten Quellenüberlieferungen zu Widminnen stammen aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert. Damals hatte die gleichnamige dörfliche Siedlung vom Brandenburger Komtur Bernhard von Balzhofen kraft der nach Magdeburger Recht ausgestellten Handfeste vom 28. April 1480 ein Lokationsprivileg in Höhe von 60 Bauernhufen erhalten. Man weiß jedoch, dass an diesem Ort bereits früher eine feste Siedlung existiert haben musste. Die etymologischen Wurzeln des Dorfnamens (Wedme, Widdminnen) weisen auf jatwingische bzw. andere altpreußische Gewässer hin.1 Laut Lokationsprivileg sollten 54 Hufen Land am Widminner See von 47 Pachtbauern bewirtschaftet werden, während sechs Hufen dem Dorfschulzen Nawir zugesprochen wurden.2 Trotz der systematischen Besiedlung der Gebiete des Stradauner Prokuratoriums war die Zahl der Einwohner Widminnens im Jahre 1519 von 30 auf 23 gesunken.3 Im Jahre 1558 befand sich dort eine evangelische Pfarrgemeinde, die von Pastor Samuel (Sigis-
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GRZEGORZ BIAŁUŃSKI, Przemiany społeczno - ludnościowe południowo-wschodnich obszarów Prus Krzyżackich i Książęcych (do 1568 roku) [Der soziodemographische Wandel im Südosten des preußischen Ordensstaates und des Herzoglichen Preußens (bis 1568)]. Olsztyn 2001, S. 46. WOJCIECH KĘTRZYŃSKI, O ludności polskiej w Prusach niegdyś krzyżackich [Zur polnischen Bevölkerung im früheren preußischen Ordensstaat]. Eingeleitet von GRZEGORZ BIAŁUŃSKI. Olsztyn 2009, S. 410. KLAUS RIEL, Die Siedlungstätigkeit des Deutschen Ordens in Preußen in der Zeit von 1410-1466. In: ALTPREUSSISCHE FORSCHUNGEN 14 (1937) S. 242. GRZEGORZ BIAŁUŃSKI, Osadnictwo regionu Wielkich Jezior Mazurskich od XIV do początku XVIII wieku - starostwo leckie (giżyckie) i ryńskie [Das Siedlerwesen in der Region der Großen Masurischen Seen vom 14. bis Anfang des 18. Jahrhunderts – Starosteien Lötzen und Rhein]. Olsztyn 1996, S. 64. BIAŁUŃSKI (wie Anm. 1), S. 106.
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Danuta Bogdan
mund) Borowski geleitet wurde.4 1572 fiel der ganze Ort einschließlich der Kirche und dem Pfarrhaus einem verheerenden Brand zum Opfer.5 Dennoch erlebte das Dorf aufgrund seiner günstigen Lage am Handelsweg zwischen Lötzen und Lyck in der Folgezeit einen erneuten, raschen Aufschwung. Immer mehr fahrende Kaufleute hielten in Widminnen an, um Nachtquartier zu beziehen, so dass auch die Zahl der Herbergen stetig zunahm. Abgesehen von Handel und Landwirtschaft lebten zahlreiche Einwohner Widminnens höchstwahrscheinlich auch von der Fischerei. Bestätigung findet diese Annahme in Artikel 3 der unten publizierten Statuten, in dem ausdrücklich von der Herstellung von Fischerstiefeln durch ortsansässige Schuster die Rede ist. Laut Wojciech Kętrzyński lebte dort um 1600 eine überwiegend polnischsprachige Bevölkerung.6 Der Tatareneinfall von 1656 führte zur erneuten Verwüstung des Dorfes.7 1664 zählte Widminnen bereits zu den freien Siedlungen, wobei unter seinen Einwohnern weiterhin ein Gemeindevorsteher lebte. Von den damaligen 34 Bauernhöfen waren lediglich vier Erbgüter, die übrigen wurden entweder vom jeweiligen Bruder (1), dem Kurfürsten (7) oder von Fremden (20) erworben.8 Infolge der in ganz Preußen herrschenden Pest kam es in den Jahren 1709-1710 zur weitgehenden Entvölkerung Widminnens.9 Mitte des 18. Jahrhunderts besaß das Dorf weiterhin den privilegierten Status einer Marktsiedlung, wobei die Intensität der Handelsbeziehungen von der Tatsache bezeugt wird, dass die Zahl der ortsansässigen Herbergen damals bis auf zehn Gasthöfe anstieg.10 Die Präsenz der Schusterzunft im Widminnen des 17. Jahrhunderts bestätigt den Marktcharakter dieser Siedlung, in der Handwerker ihre Produkte absetzen und sowohl für die einheimische Bevölkerung als auch die umliegenden Dörfer verschiedenste Dienstleistungen anbieten konnten. Wie aus den einschlägigen Forschungen von Grzegorz Białuński hervorgeht, ließen sich die Handwerker zwar überwiegend in den Städten des Herzogtums Preußen nieder. Sie waren aber auch auf Burgen, Herren- und
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DANIEL HEINRICH ARNOLDT, Kurzgefasste Nachrichten von allen seit der Reformation an den lutherischen Kirchen in Ostpreussen gestandenen Predigern. Hrsg. von FRIEDRICH WILHELM BENEFELDT. Königsberg 1777, S. 352. MAX TÖPPEN, Geschichte Masurens. Ein Beitrag zur preussischen Landes- und Kulturgeschichte nach gedruckten und ungedruckten Quellen dargestellt. Danzig 1870. Nd. Aalen 1979, S. 191. KĘTRZYŃSKI (wie Anm. 2), S. 410. TÖPPEN (wie Anm. 5), S. 219. BIAŁUŃSKI (wie Anm. 1), S. 135. MANFRED KWALO, Die Spezification der kleinen Freien im Amt Lyck (1664). In: ALTPREUSSISCHE GESCHLECHTERKUNDE NF 19 (1983) S. 46-47. WILHELM SAHM, Geschichte der Pest in Ostpreussen. Leipzig 1905, S. 164. Während der Pestepidemie starben allein in Widminnen 227 – und in der gesamten Pfarrgemeinde 566 Menschen. TÖPPEN (wie Anm. 5), S. 191.
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Die Bittschriften und Statuten der Widminner Schusterzunft
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Pflughöfen, adeligen und freien Landgütern sowie in größeren (vor allem kirchlichen) Dörfern und eingezäunten Gehöften tätig. Der Status der Handwerker außerhalb der Städte war recht unterschiedlich, wobei diese soziale Gruppe manchmal sogar mit bäuerlichen Hintersassen oder „Instleuten“ (Tagelöhner großer Landgüter) gleichgesetzt wurden. Auf den adeligen Landgütern galten letztere für gewöhnlich als Gesellen.11 Den Zünften kam vor allem die Aufgabe zu, die ökonomischen Interressen des einheimischen Handwerks zu schützen und für eine möglichst gute berufliche Ausbildung der Handwerker zu sorgen. Die Zünfte traten ferner für eine hohe Qualität der Produktionsabläufe ein und kümmerten sich um adäquate Formen der Freizeitgestaltung. Außerdem organisierte man eine Art Selbsthilfe im Krankheitsfall oder bei tragischen Schicksalsschlägen einzelner Zunftmitglieder. Noch vor der Veröffentlichung ihrer Zunftstatuten verfassten die Widminner Schuster im Jahre 1671 eine Bittschrift an Kurfürst Friedrich Wilhelm (1640-1688), in der sie um geringere Kompensationszahlungen für die Freistellung vom Wehrdienst baten. Die Schuster wiesen in der Bittschrift ausdrücklich darauf hin, dass die für die Starostei Oletzko eingesetzten kurfürstlichen Kommissare bereits 1669 beschlossen hatten, die Pflicht der Bereitstellung zweier Musketiere im Falle der landesherrlichen Einberufung zum Wehrdienst durch eine Pachtgebühr zu ersetzen.12 Die Widminner Schuster waren jedoch der Ansicht, dass die ihnen auferlegte Zinszahlung in Höhe von 18 Mark zu hoch war und sahen sich aufgrund ihrer materiellen Bedürftigkeit nicht imstande, diese Gebühr auch weiterhin zu entrichten. Daher bat man darum, die Pachtzinsen um die Hälfte zu verringern. Auf der Rückseite der Bittschrift befand sich die vom Amtsverweser der Starostei Oletzko, Reinhardt von Eppingen, im Namen des Kurfürsten erlassene Verfügung vom 27. Januar 1671.13 In Reaktion auf diese Bittschrift gestand man ein, dass von den Widminner Schustern bislang noch keine Klagen vernommen worden seien und willigte daher ein, die von diesen bislang entrichtete Gebühr um drei Mark zu senken. Im Jahre 1687 vollzogen die Widminner Schuster eine Novellierung ihrer Zunftstatuten und ersuchten die zuständigen Aufsichtsbehörden um Bestätigung der neuen Vorschriften. Am 1. Februar 1687 setzten der Land11 12
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BIAŁUŃSKI (wie Anm. 1), S. 148-152. Vielleicht steht diese Änderung in Zusammenhang mit dem vom Kurfürsten am 1. Januar 1669 in Cölln an der Spree erlassenen Gesetz zur Regelung des Wehrdienstes in Preußen. Corpus Constitutionum Prutenicarum. Hrsg. von GEORG GRUBE. Königsberg 1721, P. III, Bl. 9-19. Reinhardt von Eppingen hatte einen Sitz in der ersten Kurie (Freiherren und Landräte) auf den Landtagen im Herzoglichen Preußen (1670-1671). JERZY SKIBIŃSKI, Starostwa dziedziczne Prus Książęcych w XVII i XVIII wieku [Erbstarosteien im Herzoglichen Preußen des 17. und 18. Jahrhunderts]. Olsztyn 1972, S. 28-29, Anm. 29.
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kämmerer Matzes Paulini und der Widminner Gemeindevorsteher Johann Witkowski den Kurfürsten darüber in Kenntnis, dass sie auf Bitten der hiesigen Schusterzunft deren Statuten überprüft hatten, da diese inzwischen mit neuen Artikeln versehen worden seien. Paulini erinnerte dabei daran, dass die Widminner Schuster ihre Zunftstatuten noch vor dem „polnischen Überfall“, also vor dem Einfall tatarischer Truppen unter Hetman Wincenty Gosiewski ins Herzogliche Preußen im Jahre 1656, erhalten hatten. Nach der eingehenden Analyse der Statuten wurde festgestellt, dass diese in Einklang mit dem damals geltenden Landesrecht standen. Daraufhin bestätigte der Kurfürst am 25. Juni 1687 offiziell die Gültigkeit der ihm vorgelegten Artikel. Zugleich gab er jedoch bekannt, dass die aus der Nichtbeachtung der gesetzlichen Inhalte resultierenden Geldstrafen jährlich in die kurfürstliche Renten- und Schatzkammer zu fließen hatten. Im Schlussteil des betreffenden Dokuments behielt der Markgraf von Brandenburg sich und seinen Nachfolgern jedoch das Recht vor, gemäß den sich wandelnden Erfordernissen der Zeit ggf. auch Änderungen in den Statuten vornehmen zu dürfen. Die Artikel der Zunftstatuten der Widminner Schuster enthalten 24 Einzelpunkte, die sich auf die beruflichen Regelungen und die Herrschaftsgewalt der Zunftoberen konzentrieren, wobei die übrigen Zunftmitglieder zu Disziplin und Gehorsam verpflichtet werden. Vergleicht man den Inhalt dieser Vorschriften mit anderen zeitgenössischen Handwerksstatuten, so fällt auf, dass etwaige Artikel hinsichtlich der Betreuung alter oder kranker Menschen unter den Zunftfamilien gänzlich fehlen. Auch Fragen des Begräbniszeremoniells werden allenfalls knapp behandelt. Der erste Punkt der Statuten betrifft die Wahl des Zunftältesten und seiner beiden Stellvertreter auf der jährlichen Hauptversammlung am St.Martins-Tag (11. November). Nach der Bestätigung der neuen Zunftherren durch den Gemeindevorsteher durften diese die Zunftversammlungen ein Jahr lang leiten. Im Falle mangelnden Gehorsames der Zunftmitglieder gegenüber den Zunftältesten mussten die Betreffenden drei Mark Strafe bezahlen, von denen eine Hälfte dem Kurfürsten und dem Gemeindevorsteher zufloss, während die andere Hälfte zwischen Starostei und Zunft aufgeteilt wurde. Alle drei Monate traten die Zunftmitglieder zu internen Beratungen zusammen, wobei im Falle des Nichterscheinens ein Bußgeld in Höhe von fünf Groschen drohte (Art. 20). Auf sämtlichen Versammlungen der Zunftmitglieder waren blasphemische Äußerungen aller Art strengstens verboten und über Laien wie Priester durfte nicht gespottet werden. Bei Verstößen gegen diesen Artikel mussten die Betreffenden zur Strafe vier Pfund Wachs an die Widminner Pfarrkirche, drei Mark an den Kurfürsten, ein Pfund Wachs an den Starosten sowie eine Mark an die eigene Schusterzunft entrichten (Art. 22).
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Die Bittschriften und Statuten der Widminner Schusterzunft
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Die Artikel 2–5 beziehen sich hingegen auf die einzelnen Voraussetzungen, die zur Erlangung der Meisterwürde zu erfüllen waren. Die Kandidaten mussten sich nämlich zunächst bei der Zunftverwaltung offiziell anmelden und eine entsprechende Gebühr entrichten. Bevor sich ein Kandidat jedoch um den Meisterstatus bewerben konnte, hatte er zuvor ein Jahr und einen Tag beim ortsansässigen Meister zu arbeiten. Einen weiteren Schritt auf dem Weg zum Erwerb des Meistertitels machte der Kandidat erst dann, wenn er vor den Zunftherren seine ehrbare Geburt und gebührende fachliche Ausbildung bezeugen konnte. Letztendlich musste der Meisterkandidat seine beruflichen Fähigkeiten durch die meisterliche Herstellung dreier „Artikel“ unter Beweis stellen: ein Paar schlichte Fischerstiefel aus bestem Leder, ein Paar Herrenschuhe und ein Paar wohlgeformte Damenschuhe. Während dieser Arbeit musste der Kandidat seine Zunftgenossen fortwährend mit Speis und Trank versorgen – und nach Ablauf von zwei Wochen die angefertigten Erzeugnisse allen Zunftmitgliedern präsentieren. Dabei hatte er vier Pfund Wachs und zehn Mark Gebühr für die abgelegte Meisterprüfung zu entrichten. Ferner musste der Kandidat eine Meisterfeier ausrichten und zu diesem Zweck ein Fass Bier stiften. Laut Art. 7 genossen Söhne und Töchter von amtierenden Meistern sowie deren Witwen, die Schustergesellen geheiratet hatten, eine 50-prozentige Ermäßigung der Meistergebühr. Meisterwitwen besaßen ferner das Recht, die Schusterwerkstatt ihrer verstorbenen Gatten bis zur erneuten Heirat alleine weiter zu betreiben (Art. 19). Die jüngsten Zunftmeister mussten außerdem die ihnen von älteren Kollegen auferlegten Pflichten erfüllen. Dazu gehörte z.B., bei Begräbnissen die Särge verstorbener Mitglieder der Schusterzunft auf den Friedhof zu tragen, die Einladungen auf Zunftversammlungen persönlich zu verteilen und während dieser Zusammenkünfte den anwesenden Meistern Bier einzuschenken. Falls man sich diesen Pflichten widersetzte, drohte in jedem Einzelfall eine Geldbuße von zehn Groschen (Art. 5). Falls sich ein fremder Schustermeister in Widminnen anzusiedeln gedachte, spielte es keine Rolle, aber der Betreffende aus Preußen stammte oder nicht. Denn wenn er die nötigen Dokumente vorlegen und die erforderlichen Gebühren entrichten konnte, durfte er ohne Weiteres in die dortige Zunft eintreten (Art. 15). In den Fällen hingegen, in denen ein in Widminnen ansässiger Meister in eine andere Stadt umzuziehen gedachte, räumte ihm die Zunft ein Jahr und einen Tag Zeit ein, um eine endgültige Entscheidung zu treffen (Art. 18). In Art. 6 der Statuten wurde die Lehrzeit, die ein Schusterlehrling in der Werkstatt seines Meisters verbringen musste, auf zwei Jahre festgelegt. Ein Lehrling musste von ehrbarer Geburt sein und dem Meister zunächst zwei Pfund Wachs zukommen lassen, während die Zunftmitglieder
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Anspruch auf ein halbes Fass Bier hatten. Jeder Meister durfte in seiner Werkstatt nicht mehr als einen Lehrling und zwei Gesellen beschäftigen (Art. 9). Außerdem hatte kein Meister das Recht, die Gesellen anderer Meister vor Ablauf der festgesetzten Gesellenfrist abzuwerben. Für derartige „Konkurrenzkämpfe“ drohte eine Strafe von vier Mark, die jeweils zur Hälfte der städtischen Obrigkeit und der Zunft zugutekam (Art. 10). Außerdem durfte man keine Gesellen in die Werkstatt aufnehmen, die ihre bisherigen Meister eigenmächtig verlassen hatten. Für den etwaigen Verstoß gegen diese Vorschrift musste ein Meister eine Mark Strafe zahlen (Art. 16). Ein bei einem bestimmten Meister angestellter Geselle besaß abgesehen von der zur Erweiterung der handwerklichen Fähigkeiten vorgesehenen Wanderzeit nicht das Recht, zeitweilig für einen anderen Meister zu arbeiten (Art. 17). Der Schuhverkauf auf dem Widminner Markt war nur einheimischen, der Zunft angehörenden Schustern erlaubt. Fremden Meistern aus anderen Städten oder zunftlosen Schuhmachern war es hingegen verboten, dort ihre Waren anzubieten. Andernfalls drohte ihnen eine Geldbuße in Höhe von zehn Mark, die jeweils zur Hälfte an Zunft und städtische Obrigkeit floss (Art. 11). Kein ortsansässiger Meister durfte auf dem Markt Waren verkaufen, die er nicht selbst angefertigt hatte. Etwaige Verstöße gegen diese Vorschrift wurden mit einer Strafe von sechs Mark geahndet (Art. 21). Schuster, die außerhalb der Widminner Zunft oder im Umkreis einer Meile (ca. 7 km) von der Stadt entfernt arbeiteten, mussten vier Mark Strafe zahlen, von denen jeweils die Hälfte der Obrigkeit und der Zunft zufloss. Von dieser Pflicht enthoben waren lediglich Schuster, die auf adeligen Landgütern beschäftigt wurden (Art. 8). Während der Zunftversammlungen mussten generell Ruhe und Ordnung herrschen. Bei Missachtung dieser Prinzipien hatte das betreffende Zunftmitglied eine Mark Strafe zu entrichten (Art. 12). Die gleiche Strafe traf einen Zunftältesten, wenn dieser gegen die Grundsätze von Sittlichkeit und Anstand verstieß (Art. 13). Falls ein Zunftmitglied offen gegen seine Zunftherren auftrat, drohte ihm eine Geldbuße in Höhe von zehn Schilling (Art. 14). Die Zunftmitglieder waren ferner angehalten, an Sonn- und Feiertagen regelmäßig die Kirche zu besuchen. Für jedes Fehlen im feiertäglichen Gottesdienst musste der Betreffende fünf Groschen entrichten, während die sonntägliche Abwesenheit in der Kirche mit zehn Schilling Bußgeld geahndet wurde (Art. 23). Alle in den Zunftstatuten festgelegten Strafen mussten innerhalb von 14 Tagen bezahlt werden – unter Androhung einer Verzugsstrafe von drei Mark, die jeweils zur Hälfte an Starostei und Schusterzunft floss (Art. 24).
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Die Bittschriften und Statuten der Widminner Schusterzunft
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Editorische Hinweise Die Quellentexte werden nach den Regeln der heutigen Orthographie wiedergegeben. Daher wurden die Zusammen- und Getrenntschreibung vereinheitlicht sowie die derzeit geltenden Umlaute eingeführt. Entfernt wurden außerdem das stumme „h“ aus Wörtern wie „erwahrtenden“, „dehmütigste“, „nachmahls“, „gebehten“, „Geburth“, „iedesmahl“, „Thonne“, „offenbahret“, „thun“, „Ohrt“, „heürathet“, „Wahren“ oder „Nahme“ sowie der Konsonant „b“ aus Ausdrücken wie „Ambte“, „umbhin“ oder „nemblich“. Im Falle phonetischer Umlaute wurden „w“ (Ewre) durch „u“, „y“ durch „ii“, „i“ durch „j“ (iedes, iedesmahl, ietzige) sowie „c“ durch „k“ (Landcammer) ersetzt. Beseitigt wurden ferner die in einzelnen Wörtern auftauchenden Konsonantendoppelungen: „dt“ (Gestaldt, Landt, Brodt, endtweder, irgendtsswo), „gk“ (Gewergk), „ss“ (Zinss), „ht“ (Armuht), „ff“ (Helffte, geholffen, auff, untadelhaffte, Lehrbriffe), „ck“ (Gewerck, Handwerck, trincken), „th“ (Nothdurft), „nn“ (keinn), „tt“ (gutten), „tz“ (gantzes, viertzen). Für den Quellenanhang gelten folgende Interpunktionszeichen: /- -/ Auslassung von Quellentext, < > Zusatzvermerk am Textrand oder im laufenden Text, // Seitenende in der Quellenhandschrift, [sic] Bestätigung eines Fehlers in der Quellenausgabe, [ ] Textergänzung seitens des Herausgebers. In den Quellen ggf. auftauchende Abkürzungen wurden ohne spezielle editorische Kennzeichnung aufgelöst.
1 Die Bittschrift der Widminner Schuster vom 27. Januar 1671 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem, XX HA, Etats Ministerium 103d/W, Bl. 38, das Blatt (Format 20x30 cm) beidseitig beschrieben, lesbare neugotische Schrift in schwarzer Tinte, gut erhaltener Zustand. [Bl. 38] Durchlauchtigster Grossmächtigster Churfürst Allergnädigster Herr pp. Eure Churfürstliche Durchlaucht supplicando in aller Unterthänigkeit zu hinterbringen können wir höchst bedrengte Leute nicht umhin wessgestalt Anno 1669, die im hiesigen Amte gewesene Herrn Commissarii wegen 2 Mussqueten so gemess unsern Roullen zu einem jeden Landgeschrei Seiner Churfürstlicher Durchlaucht zume Besten wir darzustellen schuldig, uns dauer einen gewissen Zins uferleget und dem Amte mit 18 Mark jährlichen abzugeben anbefehlen, nun erkennen uns zwar zu Eurer Churfürstlichen Durchlauchtigkeit Diensten zu sein schuldig, weil aber der gemelte Zins uns armen Leuten al[l]zu hoch gespannet und wir selbten grosser Armut halben, weil unter uns die meisten fast nicht ein Stück
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Brot haben, nimmermehr werden abtragen können; derowegen zu Eurer Churfürstlichen Duchlaucht Füssen wir in aller Unterthänigkeit fallen, wehemütigst bittende dieselben geruhen uns entweder bei voriger Observanz zu schü[t]zen oder aber den unerträglichen Zins irgendswo [a]uf die Helfte allergnädigst moderiren zu lassen, damit uns armen Leuten dadurch zum Aufwachs möge geholfen werden, wir auch desto freudiger und gewisser ein erträgliches Euer Churfürstlicher Durchlaucht abgeben kön[n]ten, einer allergnädigsten Verabscheidung erwartende verbleiben. Euer Churfürstlichen Durchlaucht treugehorsame und unterthänigste sämtliche Schuster zu Widdeminnen// [Bl. 38v] Demütigste Supplication Eines E[h]rbaren Gewerks der Schuster zu Widdeminen Dieweilen der Schuster so in Widdminen wohnen und sonst keine andere Beschwer haben, als können sie sich auch diswenige als fellig a 3 Mark jährlich zu entrichten nicht entbrechen. Datum Olezko den 27 Januarii 1671. Reinhardt von Eppingen Amt[s]verweser
2 Die Zunftstatuten der Widminner Schuster von 1687 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem, XX HA, Etats Ministerium 103d/W, Bl. 39-41, Sammlung von Papieren (Format 20x30 cm), auf fünf Seiten beschrieben, lesbare neugotische Schrift in schwarzer Tinte, gut erhaltener Zustand. Rolla oder Gewerks Artitulen [sic] Eines Ehrsamen Gewerks der Schuster in Widmin 1. Sol[l] den Gewerksbrüdern obliegen a Älterman der tüchtig und zwene Beisitzer alle Jahr auf Martini Tag [11 XI] zu erwehlen und von der Amtsobri[g]keit bestätigen zu lassen, die nachmals in wehrender Jahrszeit dem Gewerke in allen b Sachen wo[h]l vorstehenc, die andere Meister, d, ihnen gebü[h]renden Gehorsam leisten sollen. Wo sich aber einer derselben widersetzet, der verbüsset mit 3 Mark, die Helfte /-Seiner-/ Churfürstlichen Durchlaucht, die andere aber der Amtsobri[g]keit und dem Gewerk. a b c d
Ursprünglich: /-ein-/. Ursprünglich: /-Ihren-/. Nach: /-und beiwohnen wie hingegen auch-/. Nach: /- und -/.
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2. Wer Meister werden wil[l], derselbe sol[l] schuldig sein, sich bei dem Gewerk gebührend anzugeben und das Verbot Geld zu erlegen. 3. Wen[n] einer nun das Werk solcher Gestalt gefordert, sol[l] er ehe es ihm zugesaget wird, Jahr und Tag bei einem Meister arbeiten, darnach seine Geburtsund Lehrbri[e]fe auflegen und alsdan[n] drei Meisterstück[e] machen, nemlich ein Pa[a]r vol[l]kommene Fischer Stieflen [sic] von dem besten Leder mit Schweinschmer zugerichtet, ein Pa[a]r untadelhafte Mansschu[he] und ein Pa[a]r nette Frauenschu[he] zu verfertigen verbunden sein. 4. In wehrender Arbeit des Meisterstücks ist er schuldig alle Gewerksbrüder mit Essen und Trinken zur Notdurft zu versehen, nachgehends über vierze[h]n Tage, sol[l] er sein Meisterstück vor einem Ehrsamen Ehrwürdigen Gewerk aufweisen und dem Gewerk e Wachs, f in die Gewerkslade, eine Mahlzeit nach Vermögen und//[Bl. 39v] eine Tonne Bier den Gewerksbrüdern und Schwestern zugeben verpflichtet sein. 5. Wen[n] er nu[n] Meister worden, sol[l] er als ein Jüngster alles dasjenige tun was einem Jüngsten gebühret als Toten tragen, schänken und verboten, so lange bis ein ander[es] Jüngster kommt und solches bei Straf[e]g . 6. Ein jeder Meister sol[l] verbunden sein keinen Lehrjungen unter zwei Jahr anzunehmen und solches vor ofener Lade, der Lehrjung aber (so fern er ehrlicher Geburt) giebet in die Gewerkslade h Wachs und eine Halbe Tonne Bier den Gewerksbrüdern. 7. Eines Meistersohn und Tochter, aber imgleichen eine verwitibte Gewerksschwester, wen[n] sie wieder einen Schustergesellen freiet, sollen das Halbei Meisterrecht freihaben. 8. Wen[n] ein Böhnhasej oder auf dem Lande binnen einer Meil Weges beschlagen oder in Arbeit betroffen wird, sol[l] derselbe geben jedesmal Seiner Churfürstlichen Durchlaucht vier Mark, der Amtsobri[g]keit k und l dem Gewerk. 9. Ein jeder Meister sol[l] verbunden sein nicht mehr als 2 Gesellen und einen Lehrjungen inm der Werkstatt zuhalten bei Straf[e] n Tonnen Bier. 10. Auch sol[l] kein Meister des andern Meisters seinen Gesellen vor der Rechnung endspannen oder zu ihm in die Arbeit bereden bei Verlust o, davon die Helfte Seiner Churfürstlichen Durchlaucht, die andere Helfte der Amtsobri[g]keit und dem Gewerk.// e
Ursprünglich: /-4 Pfund-/. Ursprünglich: /-10 Mark-/. g Hier: /-10 Groschen-/. h Ursprünglich:/-2 Pfund-/. i Dritter und vierter Buchstabe von „Halbe“ umgeändert. j Hier: /-drinnen-/, und darüber: /-in der Stadt-/. k Ursprünglich: /-2 Mark-/. l Ursprünglich: /-2 Mark-/. m Erster Buchstabe von „in“ umgeändert. n Ursprünglich: /-1-/. o Ursprünglich: /-4 Mark-/. f
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[Bl. 40] 11. Es sol[l] sich auch kein Meister aus anderen Stä[d]ten oder Böhnhase vom Lande in den Wochenmarkten gelüsten lassen seine Waren alhie[r] auszulegen bei Straf[e] p, davon die Helfte Ihr[er] Churfürstlichen Durchlaucht, die andere Helfte der Amtsobri[g]keit und dem Gewerk. 12. Wen[n] das Gewerk zusammen ist und von Gewerkssachen gehandelt wird und einer solches offenbaret oder aussprenget, derselbe sol[l] es verbussen mit einer Mark. 13. Imgleichen ein jeder, der den Ältesten in billichen Sachen ungehorsam und wiederspänstig ist, verbüsset eine Mark. 14. Setzte sich aber einer unbillicher Weise mit Frewel wider ein ganzes Gewerk, derselbe sol[l] vor jede[m] Bruder t büssen. 15. Wen[n] ein Meister zuvor in einer Sta[d]t (binnen oder ausser Landes Meister gewesen) und sein Handwerk redlicher Weise gehalten, sich alhie[r] sassen und sein Handwerk treiben wil[l], dem sol[l] es wofern er einen guten Beweis hat und die Pflicht tut, so ein ander[er] Meister vor ihm getan hat, zugelassen werden. 16. Sol[l] kein Meister einen Gesellen fordern, der ohne Urlaub von seinen vorigen Meister gegangen, bei Straf[e]u eine Mark.// [Bl.40v] 17. Kein Gesel[l] sol[l] Macht haben von seinem Meister au[s]serhalb der Wanderzeit Urlaub zu nehmen und zu einem anderen in die Arbeit zu treten. 18. Einem Meister, der sich von hier begiebet und an einen anderen Ort sich niederlasset, demselben sol[l] das Gewerk (so fern er drum anhält) Jahr und Tag offen stehen. 19. So auch ein Meister verstürbe, sol[l] dessen nachgelassener Witibev, so lange bis sie zur anderen Ehe schreitet und in ein ander[es] Gewerk heüratet, das Gewerk nachgehalten werden, die Meister auch verpflichtet sein, wen[n] ein Gesell ankommet, selbigen zu fordern ihr den Vorzug zu geben. 20. Auf alle Quartal sind die Meister bei den Ältesten sich einzufinden schuldig bei Straf[e]w fünf Groschen polnisch. 21. Es sol[l] auch kein Meister fremde Ware, die er nicht gemacht hat, auf seinen Laden setzen, bei Verlust x, davon Ihr[er] Churfürstlichen Durchlaucht die Helftey, der A[m]tsobri[g]keit und dem Gewerk die andere Helfte heimfallet.// [Bl. 41] 22. In allen Zusammenkünften des Gewerks sol[l] der Name Gottes nicht missbrauchet, gelästert und geunehret. Niemand auch er sei geistlichen oder weltlichen Standes vernichtet geschümpfet werden, widrigenfalss verbüsset der Verbrecher der Kirchen alhier z Wachs, Seiner p t u v w x y z
Ursprünglich: /-10 Mark-/. Ursprünglich: /-10 Schilling-/. Hier: /-1 Mark-/. Dritter Buchstabe von „Witibe“ korrigiert. Hier: /-5 Groschen-/. Ursprünglich: /- 6Mark -/. Hier: /- und -/. Ursprünglich: /-4 Pfund -/.
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Churfürstlichen Durchlaucht aa, des Amtsobrigkeit bb und dem Gewerkcc eine Mark. 23. Welcher Gewerks Bruder sich nicht alle hohe Festtage fleissig zur Kirchen hält, der verbüsset jeden Tag dd und alle Son[n]tage so oft er ausbleibetee zehen Schilling. 24. Wer ins Gewerk schuldig ist, es sei was vor Geld es wolle, derselbe sol[l] solches wen[n] er d[a]rumb angesprochen wird, innerhalb 14 Tagen erlegen bei Straf[e] ff, die Helfte Seiner Churfürstlichen Durchlaucht, die andere Helfte der Amtsobri[g]keit und dem Gewerk.//
3 Schreiben der Beamten an den Kurfürsten bezüglich der Bestätigung der Zunftstatuten der Widminner Schuster vom 1. Februar 1687 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem, XX HA, EtatsMinisterium 103d/W, Bl. 42-42v, das Blatt im Format 20x30 cm, lesbare neugotische Schrift in schwarzer Tinte, gut erhaltener Zustand. [Bl. 42] Durchlauchtigster Grossmächtigster Churfürst Allergnädigster Herr Herr p. Euer Churfürstlichen Durchlaucht allergnädigst zu berichten bin ich vom Einen Ehrsamen Gewerk der Schuster bei uns in Wideminnen angeredet worden, ihnen ein Attest wegen ihrer gehabten Rollen mitzuteilen, gestehe und bekenne meinem Wissen und Gewissen nach, dass sie vor der Zeit des polnischen Einfal[l]s Ihre Rollen von Ihrer Churfürstlichen Durchlaucht confirmiret gehabt haben, mit angehengter demütigster Bitte diese neue angesetzte Puncta allergnädigst zu confirmiren. Ich hergegen werde solche hohe Wo[h]ltat nicht allein mit unterdienstlichen Di[e]nst verbunden sein, sondern dem höchsten Gott um Ihrer Churfürstlichen Durchlaucht langes Leben und glückliche Regierung inbrünstig anrufen als Ihrer Churfürstlichen Durchlaucht unterdi[e]nstlicher und gehorsamster Knecht Matzes Paulini Landkammer manu propia Johan[n] Witkowski Schulz daselbst manu propria// [Bl. 42v] fiat confirmatio: praesertim den 1 II 1687//
aa bb cc dd ee ff
Ursprünglich:/-3 Mark-/. Ursprünglich: /-1 Mark -/. Hier: /-1 Mark-/. Hier: /-5 Groschen-/. Hier: /-10 Schilling-/. Ursprünglich: /- 3 Mark-/.
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4 Bestätigung der Zunftstatuten der Widminner Schuster durch Kurfürst Friedrich Wilhelm am 25. Juni 1687 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem, XX HA, EtatsMinisterium 103d/W, Bl. 43, auf der Vorderseite mit schwarzer Tinte beschriebenes Blatt (Format 20x30cm), gut erhaltener Zustand. [Bl. 43] Wir Friderich Wilhelm von Gottes Gnaden Margraf zu Brandenburg etc. (cum titulo) geben hiemit jedermänniglichen, insonderheit denen deren gelegen zu wissen, dass uns die sämtliche[n] Schuster zu Widdeminnen unterthänigst zuvernehmen gegeben, welcher Massen ihnen ihre gehabte Rolle beim le[t]zten Kriege und polnischen Einfall von Händen kommen, wie solches der Landkammer daselbst Matthes Paulinigg attestiret, deshalb sie einige Articulos zu einer neuen Rolle der vorigten gemees aufsetzen lassen und um deren confirmation demütigst gebeten. Wann wir denn solche zu unser[er] Revision genommen und auf jetzige Zeiten eingerichtet befunden, so das daran nichts bedenkliches als haben wir in die gesuchte Confirmation gnedigst gewilliget, gestel[l]t wir dann gemelte Articulos folgenden Inhalts: Inseratgg Aus höchster Landesfürstlicher Macht und Oberherrschaft zu einer Rolle der gedachten Schuster zu Widdeminnen in allen Punkten und Klausulen hie[r]durch confirmiren und bestätigen wollen, dass darüber jeder Zeit steif, fest und unverbrüchig gehalten und dawider nicht gehandelt, die einkommende[n] uns zugehörige Strafen auch mit richtiger Berechnung in unserer Rentkammer alhie[r] bei Verlust// [Bl. 43v] dieser Rolle jährlich abgetragen werden sollen. Wobei wir uns dem Vorbehalten dieselbe nach Gelegenheit der Zeit zu endern, zu mehren und zu mindern, auch woll gar abzutun. Urkundlich confirmatio der Schuster Rolle Ehrbares Gewerks der Schuster zu Widdeminen den 25sten Junii 1687. //
gg
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S.097_Nachruf U. Fox_ZGAE 56 03.12.12 21:48 Seite 97
Nachruf Prof. Dipl.-Ing. Ulrich Fox Was Ulrich Fox, der nicht von Beruf Historiker war, die Geschichte bedeutete, das hat er in seiner von vielen hoch geschätzten Autobiographie zum Ausdruck gebracht, die den Titel trägt: Südliches Ermland. Aufwachsen, Weggehen, Ankommen. Die erinnerte Geschichte seiner Kindheit und Jugend unter zwei Diktaturen in Alt Wartenburg, wo er am 5. März 1937 geboren wurde; im Jahre 1959 das Abschiednehmen von der Heimat, die ihn geprägt hat; die neuen Herausforderungen in der Bundesrepublik – die erinnerte persönliche Lebensgeschichte war für ihn außerhalb seines eigentlichen Berufs als Diplomingenieur auch der innerste Antrieb für seinen unermüdlichen Einsatz für ehemalige KZ- und Ghetto-Häftlinge in Polen und anderen Ländern Ostmitteleuropas im Rahmen des Maximilian-Kolbe-Werkes. Das aus der eigenen Biographie erwachsene Interesse an der Geschichte hat Ulrich Fox seit Mitte der 1980er Jahre zu zahlreichen historischen Forschungsarbeiten, Rezensionen und Vorträgen angeregt. Seine Bibliographie (Unsere ermländische Heimat 58, 2012, Nr. 3/4) umfasst 54 Positionen. Aus vielen Archiven in Deutschland und Polen hat er umfangreiches Quellenmaterial erschlossen und für Darstellungen der Geschichte des Kirchspiels Alt Wartenburg, vor allem aber zur kirchlichen Zeitgeschichte Ermlands unter nationalsozialistischer und kommunistischer Diktatur ausgewertet. Dabei war ihm besonders wichtig zu zeigen, dass trotz der rigorosen Minderheitenpolitik der beiden Regime die deutsch und polnisch sprechenden Menschen in den Gemeinden seiner Heimat zumeist friedlich mit einander gelebt haben. Seine vergleichende Abhandlung über den Gebrauch der Muttersprache im Gottesdienst im südlichen Ermland 1930–1956 erschien 2006 in der Festschrift für den polnischen Historiographen des Ermlands Janusz Jasiński. So ist er mit seinen Forschungen auch ein Brückenbauer der Versöhnung zwischen Deutschen und Polen geworden. Neben mehreren Beiträgen zu einer Biographie Maximilian Kallers als Pfarrer auf Rügen und als ermländischer Bischof widmete sich Fox der prosopographischen Erforschung ermländischer Priester im 20. Jahrhundert, ihrer unter verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen ausgeübten praktischen Seelsorge in den Gemeinden. Die in diesem Band veröffentlichte Abhandlung über seinen Heimatpfarrer Erzpriester Maximilian Tarnowski konnte er noch druckfertig machen. Die Biographie des Geistlichen Rats und Erzpriesters Josef Lettau, der sich um die Seelsorge an der ermländischen Jugend im Dritten Reich und nach Flucht und Vertreibung hoch verdient gemacht hat, hat er für die Zeit bis 1945 abschließen können. Am 27. April 2012 ist Ulrich Fox in seinem Haus in Paderborn gestorben. Marburg Hans-Jürgen Karp
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Rezensionsartikel
Einige Anmerkungen zu den Offizialenverzeichnissen und zur Umgebung der preußischen Bischöfe im Mittelalter in der Arbeit von Marc Jarzebowski RADOSŁAW KRAJNIAK Die Abhandlung von Marc Jarzebowski über die Residenzen der preußischen Bischöfe bis 15251 ist bereits der dritte Band der Serie Prussia Sacra, in der bisher zwei sehr wertvolle Monographien über die Domkapitel des Deutschen Ordens erschienen sind.2 Der Rezensent fühlt sich nicht ausreichend kompetent, den gesamten Inhalt der Arbeit von Jarzebowski kritisch zu betrachten. Jedoch hat ihn die Lektüre der am Ende der Arbeit aufgeführten Beamtenverzeichnisse aus der Umgebung der preußischen Bischöfe (S. 450-486) bewogen, einige Bemerkungen niederzuschreiben, die insbesondere alle Offiziale, aber auch einige andere Personen aus der Umgebung der Bischöfe betreffen. Bei der Analyse der am Ende des Buches aufgeführten Verzeichnisse muss zuerst und grundsätzlich mit Befremden festgestellt werden, dass der Autor die entsprechende Fachliteratur fast gar nicht genutzt und sich ausschließlich auf Quellenmaterial gestützt hat, das ebenfalls nicht vollständig und nicht richtig ausgewertet worden ist. Verwunderlich ist insbesondere die Tatsache, dass die Ergebnisse der neuesten Forschungen nicht eingebracht worden sind, etwa die von Glauert und Biskup. Diese Autoren haben auf der Grundlage einer breit angelegten Auswertung von Quellenmaterial und Fachliteratur Verzeichnisse der pomesanischen und samländischen Offiziale erstellt. Es ist schon merkwürdig, dass der Autor der rezensierten Arbeit in der seiner Abhandlung beigefügten Bibliographie deklariert, dass ihm diese Positionen bekannt sind. 1
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MARC JARZEBOWSKI, Die Residenzen der preußischen Bischöfe bis 1525 (PRUSSIA SACRA, 3). Thorn 2007. [Vgl. die Besprechung in: ZEITRSCHRIFT FÜR DIE GESCHICHTE UND ALTERTUMSKUNDE ERMLANDS 54 (2010) S. 119-122. – Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um die geringfügig überarbeitete Fassung des Artikels, der zuerst in polnischer Sprache erschienen ist in: ZAPISKI HISTORYCZNE 75 (2010) S. 493-503. MARIO GLAUERT, Das Domkapitel von Pomesanien (1284-1527) (PRUSSIA SACRA, 1). Toruń 2003. [Vgl. die Besprechung in: ZGAE 51 (2005) S. 199-204]. RADOSŁAW BISKUP, Das Domkapitel von Samland (1285-1525) (PRUSSIA SACRA, 2). Toruń 2007. [Vgl. die Besprechung in: ZGAE 53 (2009) S. 117-120].
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Einige Anmerkungen zu den Offizialenverzeichnissen
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Für die Bearbeitung der Listen der Kulmer Offiziale hätte der Autor mindestens die nicht mehr ganz so aktuelle Arbeit von Alfons Mańkowski3 nutzen sollen, und bei der Erstellung des Verzeichnisses der ermländischen Offiziale wäre mit Sicherheit das Biografische Lexikon des ermländischen Domkapitels4 hilfreich gewesen. Scheinbar kennt der Autor die erstgenannte Arbeit überhaupt nicht, und, obwohl er die Kenntnis der zweiten in der Bibliographie deklariert, hat er es offensichtlich für überflüssig gehalten, sie für die Erstellung einer vollständigen Liste der ermländischen Offiziale zu nutzen. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf die Liste der bischöflichen Vögte, die einst von Brigitte Poschmann5 zusammengestellt worden ist. Diese Arbeit hat der Autor zwar bei der Bearbeitung anderer Fragen genutzt, man sucht jedoch vergeblich Beweise ihrer Auswertung zum Zweck der Erstellung von Listen der bischöflichen Vögte. Die wesentlichsten Vorwürfe, die in diesem Artikel erhoben werden, betreffen jedoch die Offizialenverzeichnisse der vier preußischen Diözesen: Kulm, Pomesanien, Ermland und Samland. Im Zusammenhang mit der Analyse der personellen Zusammensetzung des Kulmer Domkapitels ist es notwendig, auch die Kulmer Offiziale genauer zu betrachten, von denen die Mehrheit auch Kulmer Domherren waren. Eine Gegenüberstellung der eigenen Feststellungen mit den Ergebnissen von Jarzebowski weist indes zahlreiche Diskrepanzen auf. Der erste der Kulmer Offiziale, Völklin, wurde vom Autor korrekt identifiziert. Es wird jedoch nicht erwähnt, dass dieser Geistliche als Offizial bereits in der Literatur bekannt war und zuletzt von Maciej Dorna6 als Inhaber dieses Amtes genannt wurde. Nicht korrekt wurde indes der Zeitraum festgelegt, in dem Heinrich Rubiz Offizial gewesen ist. Jarzebowski gibt die Zeit von 1321 bis 1326 als dessen Amtszeit an. Sicherlich war Heinrich schon seit dem 19.2.1320 Offizial, denn da wird ein namentlich nicht genannter Kulmer Offizial erwähnt. Dass dies Heinrich war, geht aus einer späteren Bemerkung aus der Zeit zwischen dem 28.2. und 9.3.1320 hervor, in der der Vorname des Offizials genannt ist. Es stimmt auch nicht, dass Heinrich Rubiz nur bis 1326 Offizial gewesen ist, denn er wird in dieser Rolle noch in einem Dokument vom 3.5.13277 genannt. Außerdem hat der Autor 3
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ALFONS MAŃKOWSKI, Prałaci i kanonicy katedralni cheBmiDscy od zalożenia kapituły do naszych czasów [Prälaten und Domherren der Kathedrale in Kulm von der Gründung des Kapitels bis in unsere Zeit]. In: ROCZNIKI TOWARZYSTWA NAUKOWEGO W TORUNIU [künftig zit. RTNT] 33 (1926) S. 1-109 sowie 34 (1927) S. 285-424. Słownik biograficzny kapituły warmińskiej (künftig zit. SBKW) [Biographisches Lexikon des ermländischen Domkapitels]. Hrsg. von TERESA. BORAWSKA, MARIAN BORZYSZKOWSKI, ANDRRZEJ KOPICZKO und JULIAN WOJTKOWSKI. Olsztyn 1996. BRIGITTE POSCHMANN, Bistümer und Deutscher Orden in Preußen 1243-1525. Untersuchung zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte des Ordenslandes, Münster 1962. [Auch in: ZGAE 30,2 (1962) S. 227-354]. MACIEJ DORNA, Bracia zakonu krzyżackiego w Prusach w latach 1228-1309. Studium prozopograficzne [Die Brüder des Deutschen Ordens in den Jahren 1228-1309. Eine prosopographische Studie]. Poznań 2004, S. 365. URKUNDENBUCH DES BISTHUMS CULM (künftig zit. UBC). Bearb. von CARL PETER WOELKY. Theil I: Das Bisthum Culm und der deutsche Orden 1243-1466. Danzig 1885, Nr. 218 (30.5.1327).
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Radosław Krajniak
gerade einmal zwei Notizen, vom 11.6.1321 und vom 13.4.1326, ausgewertet, die Heinrichs Karriere widerspiegeln sollten, obwohl wesentlich mehr bekannt sind.8 Fehlerhaft sind auch die Angaben zur Amtszeit eines weiteren Geistlichen, Berthold, der diese Funktion schon seit dem 10.11.1334 ausübte und nicht, wie M. Jarzebowski will, seit 1335. Auch hier berücksichtigt der Autor nicht alle Dokumente und wertet nicht die neuesten Quelleneditionen9 aus. Im Offizialenverzeichnis fehlt ferner Johann Ritter, der diese Funktion nachweislich im September 1341 ausübte.10 Ein weiterer Kulmer Offizial, Johann von Lessen, wird als Offizial am 11.6.1346 und 21.10.1348 erwähnt.11 Das zweite der genannten Dokumente kennt Jarzebowski leider nicht. Nikolaus von Senczkow, ein weiterer Geistlicher, amtierte mit Sicherheit am 15.6.1352 als Offizial.12 Das hat auch Jarzebowski vermerkt. Obwohl es dafür keine eindeutigen Beweise gibt, ist es wahrscheinlich, dass Nikolaus auch einige Jahre später noch Offizial gewesen ist, nämlich am 10.3.135813, wo er als Kulmer Offizial ohne Angabe seines Vornamens genannt ist. Vorbehalte bestehen auch in Bezug auf die Amtszeit von Offizial Nikolaus Gerkow. Das erste Dokument, das nach Meinung von M. Jarzebowski Nikolaus als Offizial notiert, ist die Urkunde vom 24.8.1401. Bekannt sind jedoch zwei frühere Nennungen von Nikolaus, nämlich vom 13.2. und 20.4.1401. Im ersten Dokument ist der Offizial zwar nicht namentlich erwähnt, aber es handelt sich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit um Nikolaus Gerkow. Der Autor hat hier wiederum nicht alle zugänglichen Quellen über den Geistlichen berücksichtigt.14 8
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Ebd. Nr. 184 (19.2.1320). PREUSSISCHES URKUNDENBUCH (künftig zit. Pr. Urk.) 2. Hrsg. von MAX HEIN und ERICH MASCHKE. Königsberg 1932-1939, Nr. 271 (zwischen dem 28.2. und 9.3.1320). UBC. Th. I, Nr. 185 (10.3.1320), Nr. 191 (6.3.1321), Nr. 192 (24.5.1321), Nr. 193 (11.6.1321). Pr. Urk. Bd. 2, Nr. 395 (9.1.1323). UBC. Th. 1, Nr. 204 (16.9.1324). ALFONS MAŃKOWSKI, Dokument biskupa chełmińskiego Ottona z r. 1325 [Eine Urkunde des Kulmer Bischofs Otto aus dem Jahr 1325]. In: ZAPISKI TOWARZYSTWA NAUKOWEGO W TORUNIU 6 (1923) Nr. 2-3, S. 36-38 (7.6.1325). UBC. Th. 1, Nr. 217 (13.4.1326), Nr. 218 (13.5.1327). Vgl. UBC. Th. I, Nr. 244 (10.11.1334), Nr. 247 (14.4.1335), Nr. 261 (20.6.1338). Pr. Urk. 3, Hrsg. von MAX HEIN und HANS KOEPPEN. Königsberg 1944 (Neudruck Marburg 1961), Nr. 233 (31.3.1339), Nr. 324 (29.9.1340), Nr. 376 (21.6.1341). UBC. Th. I, Nr. 270. Ebd. Nr. 284. Pr. Urk. 4. Hrsg. von HANS KOEPPEN. Marburg 1960-1964, Nr. 361. UBC. Th. I, Nr. 299. Pr. Urk. 5. Hrsg. von KLAUS CONRAD. Marburg 1969-1975, Nr. 635c – ein namentlich nicht genannter Offizial. Vgl. BULLARIUM POLONIAE (künftig zit. Bull. Pol.) 3 (1378-1417). Hrsg. von IRENA SUŁKOWSKAKURAŚ, und STANISŁAW KURAŚ. Rzym-Lublin 1988, Nr. 732 (13.2.1401 – ein namentlich nicht genannter Offizial), Nr. 752 (20.4.1401). UBC. Th. I, Nr. 430 (24.8.1401), Nr. 440 (1402). Bull. Pol. Bd. 3, Nr. 864 (3.1.1403 – ein namentlich nicht genannter Offizial). UBC. Th. I, Nr. 442 (14.20.4.1403), Nr. 445 (12.2.1404), Nr. 448 (23.6.1404–10.5.1406), Nr. 451 (15.6.1405). CODEX DIPLOMATICUS WARMIENSIS ODER REGESTEN UND URKUNDEN ZUR GESCHICHTE ERMLANDS (künftig zit. CDW) 3. Hrsg. von CARL PETER WOELKY. Braunsberg 1874, Nr. 431 (10.6.1407). Vgl. auch AUGUST KOLBERG, Ein preußisches Formelbuch des 15. Jahrhunderts. In: ZGAE 9 (1888) S. 307, Nr. 12 (Kanonikus und Offizial von Culm), Nr. 13 (Kanonikus und Offizial, in spiritual. General-Vikar von Culm), S. 309, Nr. 27 (General-Vikar der Diözese Culm), Nr. 29 (Der frühere Canonicus und General-Vikar von Culm).
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Einige Anmerkungen zu den Offizialenverzeichnissen
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Ein gewisses Problem stellt die genaue Feststellung der Amtszeit des Offizials Heuka von Konojad dar, den Jarzebowski in seinem Verzeichnis nicht berücksichtigt. In den von Erich Joachim und Walther Hubatsch veröffentlichten Regesten wird zwar das Jahr 1406 genannt, aber versehen mit einem Fragezeichen.15 Nikolaus Gerkow, der Vorgänger von Heuka, war mit Sicherheit noch am 15.6.140516 Offizial, es ist jedoch davon auszugehen, dass er das Amt des Offizials auch noch am 10.6.140717 ausübte. Aus dem Inhalt dieses Dokumentes geht nämlich hervor, dass Nikolaus anlässlich eines Streites um die Güter des Guttstädter Kollegiatskapitels, der von Bischof Arnold Stapelt entschieden wurde, als Offizial auftritt, obwohl dieser Titel nicht bei seinem Namen erscheint. Martin Armgart ist der Meinung, dass Heuka von Konojad im Jahre 1406 das Amt des Offizials ausübte18. Unstrittig scheint derzeit nur, dass es in einem bestimmten Zeitraum zwei Offiziale gegeben hat, nämlich Nikolaus Gerkow und Heuka von Konojad. Aber die Bestimmung eines genauen Zeitpunktes, zu dem der erste seine Amtszeit beendet und der zweite sie begonnen hat, ist unmöglich. Johann von Rehden, ein weiterer Offizial, war mit Sicherheit Nachfolger von Nikolaus Gerkow und Heuka von Konojad und amtierte seit Mitte 1410. An dieser Stelle begeht der Autor den Fehler, das von Jarosław Wenta19 erstellte Biogramm dieses Geistlichen und die von August Kolberg20 veröffentlichten Bemerkungen nicht zu berücksichtigen. Die Vernachlässigung dieser Veröffentlichungen ist ein Mangel, von dem auch der nachfolgende Offizial, Nikolaus Rampardi21 betroffen ist. Es stimmt auch nicht, dass Andreas von Schönberg lediglich am 17.12.141722 Offizial gewesen ist. Denn sowohl eine Notiz päpstlicher Provenienz von 1418 als auch ein Dokument von 1425 betreffen diesen Geistlichen.23 Im Jahre 1428 indes wird in den päpstlichen Quellen der Offizial Steffan erwähnt.24 Aufgrund der Prüfung anderer Quellen aus dieser Zeit kann angenommen werden, dass es sich in diesem Falle mit großer Wahrscheinlichkeit um den langjährigen Prälaten 15
16 17
18 19
20 21 22 23 24
Regesta historico-diplomatica Ordinis S. Mariae Theutonicorum 1198–1525. Pars 1, vol. 1. Bearb. von ERICH JOACHIM. Hrsg. von WALTHER HUBATSCH. Göttingen 1948, Nr. 898. Es erwähnt ihn auch KOLBERG (wie Anm. 14), S. 309, Nr. 28. UBC. Th. I, Nr. 451. RADOSŁAW KRAJNIAK, Skład osobowy kapituły katedralnej w Chełmży 1251-1466 [Die persönliche Zusammensetzung des Domkapitels in Kulmsee], Toruń 2009 (Maschinenschrift). DERS., Gerkow Nikolaus. In: TORUŃSKI SŁOWNIK BIOGRAFICZNY [Biographisches Lexikon Thorns] 6. Hrsg. von KRZYSZTOF MIKULSKI (im Druck). MAŃKOWSKI, Prałaci (wie Anm. 3), RTNT 33 (1926) S. 44. MARTIN ARMGART, Die Handfesten des preußischen Oberlandes bis 1410 und ihre Aussteller. Köln-Weimar-Wien 1995, S. 250-252. JAROSŁAW WENTA, Jan “de Redden”. In: SŁOWNIK BIOGRAFICZNY POMORZA NADWIŚLAŃSKIEGO (künftig zit. SBPN) [Biographisches Lexikon des Oberlandes] 2. Hrsg. von ZBIGNIEW NOWAK. Gdańsk 1994, S. 280-281. KOLBERG (wie Anm. 14), S. 306, Nr. 5. S. 306-307, Nr. 10. S. 310, Nr. 38. S. 315, Nr. 69-70, 72-73. Ebd. S. 306, Nr. 6. S. 316, Nr. 81. S. 320, Nr. 87. UBC. Th. I, Nr. 504 (17.12.1417). Bull. Pol. 4 (1417-1431), Hrsg. von IRENA SUŁKOWSKA-KURAŚ, STANISŁAW KURAŚ und HUBERT WAJS. Rzym-Lublin 1992, Nr. 196 (7.2.1418). UBC. Th.1, Nr. 533 (um 1425). Bull. Pol. 4, Nr. 2218 (28.11.1428).
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Radosław Krajniak
des Kulmer Domkapitels Steffan Medardi handelt. Für diese Zeit nennt Jarzebowski jedoch überhaupt keinen Offizial. Laurentius, den der Autor im Jahre 1445 als weiteren Kulmer Offizial erwähnt25, ist mit Sicherheit Lorenz Zakenczyn, der spätere Domherr und Propst des Kulmer Domkapitels sowie Kandidat der Deutschordensangehörigen im Domkapitel für den Bischofsstuhl nach dem Tode von Bischof Johann Marienau und dem Ableben des bisherigen Deutschordenskandidaten Andreas Sandberg26. Gegen die beiden weiteren von Jarzebowski berücksichtigten Offiziale, Paul Gleiwitz und Paul Sifridi, bestehen keine Vorbehalte, ein bedeutender Fehler ist dagegen, dass einige weitere Offiziale übergangen worden sind. Der erste von ihnen ist der Mitte 1455 erwähnte Johann Jung. Das Dokument, in dem dieser Geistliche genannt wird, ist im Schuldenbuch der Stadt Thorn aus der Zeit des Dreizehnjährigen Krieges27 enthalten, also in einer Quellenedition, die der Autor offenbar nicht ausgewertet hat. Ein weiterer, von Jarzebowski nicht genannter Offizial ist Bartholomäus Rogsener, der dieses Amt mit Sicherheit in der Zeit von 1456–145728 bekleidete, jedoch nicht länger als bis zum 1.5.1457, als bereits der nächste, von M. Jarzebowski ebenfalls übergangene Offizial Werner Medderich bestätigt wurde.29 Die Liste der vom Autor der hier rezensierten Arbeit nicht berücksichtigten Kulmer Offiziale vervollständigen zwei Geistliche, die ihr Amt bereits nach dem Zweiten Thorner Frieden ausgeübt haben, als das Kulmer Land und damit auch die Diözese unter polnische Herrschaft gelangten. Die Rede ist hier von Hieronymus Waldau30 und Peter Rode von Woynaw.31 Schließlich sind die zwei letzten Offiziale, die vom Autor in das Verzeichnis aufgenommen wurden 25 26 27
28
29
30
31
UBC. Th. 1, Nr. 578 (10.9.1445). Ebd. Nr. 594 (18.6.1450), Anhang zu Nr. 625 (18.4.1457) – dieser Anhang ist datiert auf den 12.4., Nr. 627 (23.9.1457). Księga długów miasta Torunia z okresu wojny trzynatosletniej [Die Schuldenbücher der Stadt Thorn aus der Zeit des 13-jährigen Krieges]. Hrsg. von KAROLA CIESIELSKA und IRENA JANOSZBISKUPOWA. Toruń 1964, Nr. 60 (8.6.1455). Genaue Daten betr. seine Amtszeit als Kulmer Offizial geben die Autoren seiner Biogramme nicht an: JAN POWIERSKI, Bartłomiej. In: SBPN 1. Hrsg. von STANISŁAW GIERSZEWSKI. Gdańsk 1992, S. 62-63. Sowie GLAUERT (wie Anm. 2), S. 407. Eine Notiz päpstlicher Provenienz vom 26.06.1456 erwähnt einen namentlich nicht genannten Kulmer Offizial, mit dem wohl Bertholomäus Rogsener gemeint ist, vgl. Bull. Pol. 6 (1447-1464). Hrsg. von IRENA SUŁKOWSKA-KURAŚ und STANISŁAW KURAŚ. Rzym-Lublin 1998, Nr. 1036. Archiwum Państwowe w Toruniu, Akta Miasta Torunia, Dokumenty i listy, Kat. I, Nr. 1739. Vgl. auch: ANDRZEJ RADZIMIŃSKI und JANUSZ TANDECKI, KATALOG DOKUMENTÓW I LISTÓW KRZYŻACKICH ORAZ DOTYCZĄCYCH WOJNY TRZYNASTOLETNIEJ Z ARCHIWUM PAŃSTWOWEGO W TORUNIU [Katalog der Urkunden und Briefe, die den Deuschen Orden und den 13-jährigen Krieg betreffen, aus dem Staatsarchiv in Thorn]. Bd. 2 (1454-1510). Warszawa 1998, S. 83, Nr. 182. Als Offizial wurde er am 17.3.1468 erwähnt, vgl. UBC. Bearb. von CARL PETER WOELKY. Theil II: Das Bisthum Culm unter Polen 1466-1774. Danzig 1887, Nr. 646, und auch KRZYSZTOF MIKULSKI, Dzieje parafii świętojańskiej w XIII-XVIII wieku [Geschichte der Pfarrei St. Johannis im 13.-18. Jahrhundert]. In: Bazylika katedralna świętych Janów w Toruniu [Die Dombasilika des Hl. Johannes des Täufers und des Evangelisten Johannes in Thorn]. Hrsg. von MARIAN BISKUP. Toruń 2003, S. 15-16. SBKW, S. 268. Vgl. UBC. Th. II, Nr. 706, (2.2.1485).
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Einige Anmerkungen zu den Offizialenverzeichnissen
103
und ihr Amt bis 1525 ausübten, grundsätzlich korrekt erfasst worden. Merten Zceme indes, der letzte der Offiziale im untersuchten Zeitraum, war Offizial bis 154032 und, obwohl dies den chronologischen Rahmen der Arbeit überschreitet, hätte das erwähnt werden müssen. Eine genaue Aufstellung der Kulmer Offiziale enthält die nachfolgende Tabelle. Tabelle 1: Die Kulmer Offiziale in der Zeit von 1303–1540 Nach Jarzebowski Amtszeit
Offizial
Nach Krajniak Amtszeit
Offizial
1303
Volclinus
16 V 1303
Volklin
1321–1326
Heinrich Rubiz
19 II 1320–30 V 1327
Heinrich Rubiz
1335–1341
Berthold
10 XI 1334–21 VI 1341
Berthold
–
–
IX 1341
Johann Ritter
1346
Johann von Lessen
11 VI 1346–21 X 1348
Johann von Lessen
1352
Nikolaus von Zenkau
15 VI 1352–10 III 1358 (?)
Nikolaus von Senczkow
23 XII 1389
Christian
1389
Christian
1401–1407
Nikolaus Gerkau
13 II 1401(?)–10 VI 1407(?) Nikolaus Gerkow von Thorn
–
–
1406 (?)
Heuk z Konojad
1410
Johann von Rehden
10 VI 1410
Johann von Rehden
1413
Nikolaus Rampordi
1413
Nikolas Rampordi
1417
Andreas von Schönberg
17 XII 1417–um 1425
Andreas von Schönberg
–
–
28 XI 1428
Steffan Medardi (?)
1445
Laurentius
10 IX 1445
Lorenz Zankenczyn
1447
Paul Gleiwitz
19 III 1447
Paul Gleiwitz
1453
Paul Sifridi
19 XI 1453
Paul Sifridi
–
–
8 VI 1455
Johann Jung
–
–
1456 (?)–1457 (?)
Bartholomäus Rogsener
–
–
1 V 1457
Werner Medderich
–
–
17 III 1468
Hieronim Waldau
–
–
2 II 1485
Peter Rode von Woynaw
1502–1505
Raphael Wayner
4 XI 1502–22 VIII 1505
Raphael Wayner
1516–1519
Merten Zceme
6 I 1516–14 II 1540
Merten Zceme
Bei der Betrachtung der Offiziale einer weiteren preußischen Diözese, Pomesanien, ist anzumerken, dass unsere Untersuchung sich nur auf den Zeitraum bis 1371 bezieht. Das ist dadurch bedingt, dass Mario Glauert in seiner Arbeit über das Domkapitel von Pomesanien die Offiziale bis zu diesem Zeitpunkt erfasst hat. 32
Außer den vom Autor herangezogenen Dokumenten vgl. auch UBC. Th. II, Nr. 916 (10.4.1537), Nr. 956 (14.2.1540).
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Radosław Krajniak
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Leider hat der Autor den ersten bekannten pomesanischen Offizial Heinrich von Birglau, bestätigt am 24.12.1321, übergangen. In das Verzeichnis der pomesanischen Offiziale hat er irrtümlich unter dem Datum 2.4.1336 Eberhard von Kulm aufgenommen, obwohl es Nikolaus von Marienwerder war. Zweifellos wurde die Liste der Zeugen33 nicht richtig gelesen, weil der Autor die Arbeit von M. Glauert nicht herangezogen hat. Die Analyse eines Dokuments, das Hermann Cramer herausgegeben hat, ergab eine fehlerhafte Festlegung der Amtszeit des Offizials Peter Böhme.34 Die richtige Datierung des Dokuments, in dem der Offizial Peter als Zeuge genannt ist, ist nämlich in der neueren Edition, konkret im dritten Band des Preußischen Urkundenbuchs35 zu finden. Nahezu identisch verhält es sich mit der Datierung des von H. Cramer veröffentlichten Dokumentes, in dem der Offizial Detmer von Mewe genannt ist.36 M. Jarzebowski hat lediglich diese Edition ausgewertet und die editorische Leistung der Herausgeber des Preußischen Urkundenbuchs, die die korrekte Datierung des Dokuments37 aufgenommen haben, vernachlässigt. Tabelle 2: Die Offiziale von Pomesanien* Nach Jarzebowski Amtszeit
Offizial
Nach Glauert** Amtszeit
Offizial
-
-
24 XII 1321
Heinrich von Birglau
1335
Nikolaus
3 VI 1335 – 2 VIII 1336
Nikolaus von Marienwerder
1336
Eberhard von Kulm
1340
Jakob
31 III 1339 – 1 V 1340
Jakob von Roggenhausen
1361
Dietmar
16 VIII 1361 – 10 VI 1362
Detmar von Mewe
1369 – 1371
Heinrich von Lessen
2 XII 1369 – 7 VI 1371
Heinrich von Lessen
* Die Tabelle enthält lediglich die Verzeichnisse bis Mitte 1371, denn bis zu diesem Zeitpunkt reicht die Bearbeitung der Offiziale von M. Glauert. Das ist dadurch bedingt, dass in der Zeit danach die pomesanischen Offiziale nicht gleichzeitig Mitglieder des Domkapitels gewesen sind. ** Siehe GLAUERT (wie Anm. 2), S. 270.
33
34 35 36 37
Urkundenbuch zur Geschichte des vormaligen Bisthums Pomesanien [künftig zit. UBPomes]. Hrsg. von HERMANN CRAMER (ZEITSCHRIFT DES HISTORISCHEN VEREINS FÜR DEN REGIERUNGSBEZIRK MARIENWERDER, 15-18). Marienwerder 1887, Nr. 46. Ein Teil der Zeugenliste stellt sich wie folgt dar: Johannes von pastelin probist, Johannes vom elwinge techant, her albertus von strosberg, her nycolaus von Marienweder, official her ebirhardus von dem Colmen, her arnoldus von yflant, her petrus von bemen scolasticus. Wie zu sehen ist, führte M. Jarzebowski ganz sicher das Komma hinter Nikolaus von Marienwerder in die Irre, und daher sah er Eberhard als Offizial an, obwohl diese wie auch andere Zeugenlisten zeigen, dass fast immer das ausgeübte Amt nach dem Namen angegeben ist. UBPomes, Nr. 51, gibt das Datum 27.12.1343 an. Pr.Urk. 3, Nr. 497 (27.12.1342). UBPomes, Nr. 58. Pr.Urk. Bd. 5. Hrsg. von KLAUS CONRAD. Marburg 1969-1975, Nr. 1014 (16.8.1361).
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Einige Anmerkungen zu den Offizialenverzeichnissen
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Erhebliche Probleme ergeben sich derzeit hinsichtlich einer genauen Darstellung sowohl der Offizialenverzeichnisse als auch der im weitesten Sinne verstandenen Umgebung der ermländischen Bischöfe. Ein grundlegender Beitrag für diese Art von Überlegungen sollte das Biographische Lexikon des ermländischen Domkapitels sein, worin Teresa Borawska Biogramme der Domherren bis 1525 veröffentlicht hat. Diese Arbeit, die jedoch keine Anmerkungen enthält, also den eigentlichen wissenschaftlichen Apparat vermissen lässt, ist kein einfaches Material für die im vorliegenden Text durchgeführten Untersuchungen. Zwischen den Feststellungen von Jarzebowski und dem im Lexikon gesammelten Material bestehen erhebliche Diskrepanzen. Es scheint, dass die Feststellungen von Borawska sehr viel präziser sind, während in den Verzeichnissen von Jarzebowski viele Personen einfach „verloren gegangen“ sind. Gewisse Ungenauigkeiten enthält indes auch das Lexikon (z. B. fehlen die vollständigen Zeitabschnitte der Amtsausübung usw.). Daraus ergibt sich, dass – wenn die ermländischen Offiziale oder auch andere Personen aus der Umgebung des Bischofs im Mittelalter vorgestellt werden sollen – außer der Kritik an den Forschungen von Jarzebowski auch über die Ergebnisse und die Art und Weise ihrer Darstellung im Lexikon diskutiert werden müsste. Das ist jedoch nicht Ziel dieses Textes. Anzumerken ist jedoch, dass Jarzebowski im Rahmen seiner Arbeit die bisherigen Forschungsergebnisse hätte diskutieren müssen. Sein wenig Vertrauen erweckendes Verzeichnis und das Biographische Lexikon des ermländischen Domkapitels, in dem die Anmerkungen fehlen und das auch nicht frei ist von Fehlern, haben bewirkt, dass wir über die Beamten aus der Umgebung der ermländischen Bischöfe wohl noch weniger wissen als bisher. Berechtigt scheint daher die derzeit erhobene Forderung nach einer neuen Forschungsarbeit über die ermländischen Kanoniker im Mittelalter zu sein, in der ein wichtiger Platz der prosopographischen Untersuchung zukommen sollte.38 Auch bei der Behandlung der samländischen Offiziale sind die Diskrepanzen zwischen den Feststellungen von Jarzebowski und Biskup beträchtlich. Gleich am Anfang wird die Amtszeit des ersten bekannten Offizials Peter Senior fehlerhaft angegeben. Wesentlich interessanter scheint jedoch das weitere Beispiel des samländischen Offizials Berthold zu sein, dem Jarzebowski diese Funktion von 1331 bis 1338 zuschreibt, während Berthold in diesem Zeitraum lediglich einmal als
38
Zu den Forschungsvorhaben des Instituts für Kirchengeschichte der Thorner Nikolaus Kopernikus-Universität unter der Leitung von Prof. Andrzej Radzimiński zählen unter anderem die Bearbeitung einer Monografie über das ermländische Domkapitel im Mittelalter. Der Schreiber dieser Zeilen forscht schon eine Zeitlang über den Klerus der Diözese Ermland im Mittelalter und möchte eine Arbeit erstellen, die den Anforderungen moderner Wissenschaft entspricht und die in Kürze an Stelle des „Słownik biograficzny kapituły warmińskiej“ treten kann, vgl. RADOSŁAW BISKUP, Prozopografia pruskich kapituł katedralnych w średniowieczu (XIII-XVI w.) – stan badań i postulaty [Prosopographie der preußischen Domkapitel im Mittelalter (13.-16. Jahrhundert) – Forschungsstand und Postulate]. In: Warmińska kapituła katedralna. Dzieje i wybitni przedstawiciele [Das ermländische Domkapitel. Geschichte und hervorragende Repräsentanten]. Hrsg. von ANDRZEJ KOPICZKO, JACEK JEZIERSKI und ZDZISŁAW ZYWICA. Olsztyn 2010, S. 143-153.
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Radosław Krajniak
Offizial erscheint, nämlich am 23.6.1331.39 In den Dokumenten vom 23.11.133440, 13.1.133841 und 16.3.133842, die angeblich die Karriere von Berthold als Offizial widerspiegeln sollten, ist im ersten Falle Zacharias und in den zwei weiteren Fällen Peter Senior genannt. Da der Autor die Zeugenlisten der Urkunden in Bezug auf die Offiziale der preußischen Diözesen wiederholt fehlerhaft gelesen hat, ist es fraglich, ob die Verzeichnisse der übrigen bischöflichen Beamten, die die rezensierte Monografie enthält, vollständig und korrekt wiedergegeben sind. Nur Jarzebowski allein wird sicherlich in der Lage sein, die Frage zu beantworten, wo im Dokument vom 27.11.135043 der Offizial Rudger erwähnt ist. Weiterhin wiegt schwer, dass der Offizial Johann de Brandenburg, bestätigt am 7.5.1388, übergangen wurde, die Laufbahnen von Nikolaus Laurenti und Nikolaus Longus, Offiziale in den Jahren 1413 und 1414, nicht getrennt dargestellt werden, sowie der im Jahre 1418 erwähnte Heinrich Meybaum nicht genannt wird. Auch ein weiterer Teil des Verzeichnisses ist voller Fehler, wobei es insbesondere um die übergangenen Offiziale geht. Dazu gehören Paul Winrisi, Michael Schönwald, Bartholomäus, Martinus Cornutus und auch Albert Deutschmann de Danzig.44 Ein Plus für Jarzebowski ist einzig die Tatsache, dass er die Verlängerung der Amtszeit des Offizials Valentin bis zum 28.9.147545 vermerkt hat. Außer den Offizialenlisten sind auch die anderen Verzeichnisse voller Fehler, die hier im Einzelnen schon nicht mehr aufgeführt werden sollen. Es muss aber betont werden, dass der Autor die meisten davon hätte vermeiden können, wenn er nicht die Ergebnisse anderer Forscher ignoriert hätte. Das zeigt das Beispiel der bischöflichen Vögte, die Brigitte Poschmann erfasst hat, und es wird auch in anderen Verzeichnissen deutlich. Es ist zu bedauern, dass er die Ergebnisse seiner Forschungen über die Schreiber und Notare der samländischen Bischöfe nicht mit den Feststellungen von R. Biskup46 verglichen hat. Dann hätte er in seinen Ver39
40
41 42 43 44 45 46
Urkundenbuch des Bisthums Samland. Hrsg. von CARL PETER WOELKY und HANS MENDTHAL (NEUES PREUSSISCHES URKUNDENBUCH. Westpreussischer Theil. II. Abtheilung. Urkunden der Bisthümer, Kirchen und Klöster, 2). Leipzig 1891, Nr. 269 (23.6.1331) Ebd. Nr. 285 (23.11.1334).Beglaubigung: Testes huius sunt frater Jacobus tunc propositus Betramus decanus Petrus custos Conradus scolasticus Petrus de Elbingo tunc hospitalarius Ruedigerus tunc plebanus Konigsbergensis Zacharias tunc officialis frater et alii fide digni. Ebd. Nr. 304 (13.1.1338). Beglaubigung: Presentibus honorabilibus viris dominis Iacobo prepositi Iohanne quondam prepoisto Petro officiali Bertoldo Zacharia et Helmico canonicis nostris. Ebd. Nr. 306 (16.3.1338). Belaubigung: Presentibus fratre Iacobo preposito Petro officiali nostro Bertoldo et Helmico canonicis nostris. Ebd. Nr. 390 (27.11.1350). Siehe ihre Biogramme bei BISKUP (wie Anm. 2), S. 485, 445-447, 345, 439-441, 320-324. Ihre Biogramme ebd. S. 456-459, 520-521. RADOSŁAW BISKUP, Pisarze i notariusze biskupów sambijskich w XV i XVI wwieku (do 1525 roku). Uwagi o pochodzeniu, wykształceniu i karierze [Die Schreiber und Notare der samländischen Bischöfe im 15. und 16. Jahrhundert (bis 1525). Bemerkungen über Herkunft, Ausbildung und Karriere]. In: Kancelaria wielkich mistrzów i polska kancelaria królewska w XV wieku. Materiały z międzynarodowej konferencji naukowej Malbork 2-3 IX 2004 [Die Kanzlei der Hochmeister und die Kanzlei der polnischen Könige im 15. Jahrhundert. Materialien der internationalen wissenschaftlichen Konferenz, Marienburg 2.-3.9. 2004]. Hrsg. von JANUSZ TRUPINDA. Malbork 2006, S. 13-35.
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Einige Anmerkungen zu den Offizialenverzeichnissen
107
Tabelle 3: Die Offiziale von Samland Nach Jarzebowski Amtszeit
Nach Biskup*
Offizial
Amtszeit
Offizial Peter Senior
1318–1322
Peter
2 XI 1318–13 X 1326
1331–1338
Berthold
23 VI 1331
Berthold
–
–
23 XI 1334
Zacharias
1340
Peter
24 VII 1335–22 VIII 1340
Peter Senior Peter Senior
–
–
1346
1347–1348
Günther
28 X 1347–22 X 1348
Günther
1359–1371
Johann de Monte
23 XII 1359–17 III 1371
Johann de Monte / von dem Berge Johann de Brandenburg
–
–
7 V 1388
1398
Heinrich Ast
13 IX 1398–18 XII 1398
Heinrich Ast
–
–
14 II 1413
Nikolaus Laurentii
1413/1414
NikolausLongus von Liebstadt
29 IV 1414
Nikolaus Longus de Liebstadt Heinrich Meybaum
–
–
8 IV 1418
1420
David Listenau
–
–
1421
Johann Hamel
20-22 IV 1421
Johann Hamel de Danzig
1421–1426
David Listenau
20 XII 1421–1426
David Listenau
1428
Johann Hamel
19 III 1428
Johann Hamel de Danzig
1 XI 1436–1439
Andreas Lanckheim
10 XI 1436–1 XI 1439
Andreas Lanckheim
1441
Jakob Jordan
15 VII 1441
Jakob Jordani de Danzig
1443
Simon Machwitz
8 XII 1443
SimonMachwitz de Robekau
1448–11 XI 1468
Nikolaus Blumenau
19 II 1448–11 XI 1448
Nikolaus Blumenau
–
–
3 III 1456
Paul Winrici
–
–
25 XI 1465–119 V 1468
Nikolaus Blumenau
–
–
13 V 1470
Michael Schönwald
Valentin
24 VI 1473
Valentin Mortung de Christburg
1473–28 IV 1475
*
–
–
12 I 1492
Bartholomäus
–
–
2 VII 1495
Martinus Cornutus
1510
Gregor Duncker
6 V 1510
Gregor Duncker
1511
Hans Thies
17 I 1511
Johann Thies de Königsberg
1516/1517
Andreas Brachwagen
1516–Anfang 1517
Andreas Brachwagen
–
–
23 II 1518–4 XI 1522
Albert Deutschmann de Danzig
Siehe BISKUP (wie Anm. 2), S. 190-191 – dort ein vollständiges Verzeichnis der samländischen Offiziale einschließlich der Hinweise auf die jeweiligen Biogramme.
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Radosław Krajniak
zeichnissen nicht Jodokus Molner von Neuenburg sowie Laurentius Pathin übergangen. Vermisst wird auch die redliche Lektüre des Biografischen Lexikons des Oberlandes, die für Arbeiten dieser Art verpflichtend sein sollte. Der Autor hätte dann feststellen können, dass Verwalter des Karwans im Bistum Samland im Jahre 1325 der gleichnamige Neffe des Bischofs Jan Clare gewesen ist. Die Lektüre dieses Werkes wäre auch hilfreich gewesen, um die Personalien einiger Offiziale festzustellen. Auch die Auswertung des Lexikons des ermländischen Domkapitel wäre, obgleich sie mühsam ist, sicherlich hilfreich gewesen für die Identifikation zahlreicher Mitarbeiter aus der Umgebung der ermländischen Bischöfe wie Gutsverwalter, Kapläne, bischöfliche Notare und auch Generalvikare. Die Differenzen zwischen dem, was Jarzebowski festgestellt hat und den Forschungsergebnissen der anderen zitierten Autoren sind enorm. Wegen der Vernachlässigung der über Jahrzehnte von vielen Forschern erarbeiteten wissenschaftlichen Beiträge sowie der nur stichprobenartigen und selektiven Bearbeitung von Quellenmaterial ist es unmöglich, diesen Teil der Arbeit positiv zu bewerten. Die im obigen Artikel erhobenen Vorwürfe betreffend die Offizialenverzeichnisse der vier preußischen Diözesen führen leider zu der Feststellung, dass das von Jarzebowski zusammengestellte Material zumindest hinsichtlich dieser Frage fast als wertlos angesehen werden muss.
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Herbert Liedtke, Die Landschaften Ostpreußens. Namen und Abgrenzungen naturgeographischer und historischer Landschaften in Ostpreußen und angrenzenden Gebieten. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde 2011. 88 S., Ill., graph. Darst., Kt. und Kt.-Beil. (Daten, Fakten, Literatur zur Geographie Europas, 10). Die wichtigste Erkenntnis ist bereits im Titel angezeigt: Die Landschaften Ostpreußens. Hier steht ein Plural, wo doch sonst in vielen Darstellungen und Bildbänden von der einen, einzigen und einzigartigen Landschaft Ostpreußens die Rede ist, symbolisiert in tiefen Wäldern und stillen Seen. Anders als es im populären Genre erscheinen mag, ist jedoch der Begriff der Landschaft in der Wissenschaft alles andere als unumstritten, sondern hat vielmehr im Verlaufe des 20. Jahrhunderts recht unterschiedliche, ja kontroverse Konzeptionalisierungen erfahren. Bis heute prägend ist der Paradigmenwechsel durch die behavourial geography in den 1960er Jahren, indem statt eines objektivierten Raum- und Landschaftsverständnisses der Mensch als denkendes und handelndes Subjekt im Vordergrund stand. Es ging nun um die individuelle Wahrnehmung der natürlichen Umwelt, um die „Welt in den Köpfen“ (mental maps), und die Kultur- und Geschichtswissenschaften, die dieses Konzept später aufgegriffen haben, verschoben den Akzent von der individuellen zur kollektiven Wahrnehmung und untersuchten „imaginierte Landschaften“, wie sie sich in nationalen, regionalen oder anderen gruppenspezifischen Diskursen und Semantiken äußerten. In diesem Kontext verorten auch Heinz Peter Brogiato und Sebastian Lentz in ihrem Vorwort zu Liedtkes Studie den Landschaftsbegriff, indem sie darin eine Bezeichnung für die Lebensumwelt der Menschen sehen, die „einen wichtigen Stellenwert für die regionale Identität“ besitze (S. 9). Liedtke selbst wendet sich nicht gegen die Annahme einer Konstruktion und Imagination von Landschaft, gibt vielmehr in seinen einführenden Bemerkungen der historisch-kulturellen Entwicklung seit dem Mittelalter einigen Raum, konzentriert sich dann aber im systematischen Hauptteil seiner Studie, die die einzelnen Landschaften Ostpreußens in der deutschen alphabetischen Folge vorstellt, auf die Darstellung physisch-geographischer Materialitäten. Vom Adlerswalder Moor bis zum Zehlaubruch sind hier, unter Angabe der heutigen polnischen und russischen Bezeichnungen, ausführlich jeweilige topographische Lage, geomorphologische Gestalt, Böden, Vegetation, Fauna und wirtschaftliche Nutzung erörtert; übergangen werden hingegen die klimatischen Verhältnisse, die sich ja von der samländischen Steilküste bis hin zur Johannisburger Heide doch differenzieren ließen. Überhaupt nicht im Blickfeld des Autors befindet sich eine Anwendung des Landschaftsbegriffs auf urbane Räume („Stadtlandschaften“). Dafür werden in den Artikeln über räumliche Einheiten wie Ermland, Masuren oder Memelland,
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die sich nicht allein über natürliche Gegebenheiten definieren, in größerem Umfang historische Anmerkungen eingeflochten. Hierbei wird die neuere Fachliteratur allerdings nur recht selektiv rezipiert. Bezugs- und Ausgangspunkt der vorliegenden Studie ist das Ostpreußen in den Grenzen von 1938 mit der damals verbreiteten Landschaftseinteilung. Zwar würdigt Liedtke die Arbeit polnischer und russischer Kartographen nach 1945 und erwähnt auch einige Male die in Polen sehr einflussreiche Darstellung der regionalen Geographie aus der Feder von Jerzy Kondracki, die er als „wissenschaftlich korrekt“ und in Übereinstimmung mit dem „geographischen Fachvokabular“ (S. 19) bezeichnet. Dennoch hat dies auf seine eigene Gliederung keinerlei Einfluss. Wer also ausgehend von Kondracki nach Pojezierze Olsztyńskie (Allensteiner Seenplatte) oder Równina Ornecka (Wormditter Ebene) sucht, wird noch nicht einmal im mehrsprachigen Register von Liedtkes Studie fündig. Generell wäre eine stärkere Zusammenführung deutscher und polnischer, aber auch russischer und litauischer geographischer Forschungen sehr wünschenswert gewesen. Ungeachtet der genannten methodisch-konzeptionellen Kritikpunkte liegt hier eine materialreiche Arbeit zum ehemaligen Ostpreußen vor, die jenseits der gängigen Vorstellungen von tiefen Wäldern und stillen Seen die sehr facettenreiche naturräumliche Ausstattung der Region präsentiert. Interessante Aufschlüsse über die heutige Gestalt der skizzierten Landschaften bieten zahlreiche Farbfotografien, die häufig vom Autor selbst stammen. Braunschweig Stephanie Zloch
Stanisław Achremczyk, Historia Warmii i Mazur [Geschichte Ermlands und Masurens]. T. 1: Pradzieje – 1772 [Vorgeschichte – 1772]. T. 2: 1772 – 2010. Olsztyn: Ośrodek Badań Naukowych im. Wojciecha Kętrzyńskiego 2010, 1344 S., Ill. Die reich illustrierte und ohne Anmerkungsapparat für einen breiten Leserkreis zusammengestellte „Geschichte Ermlands und Masurens“ besitzt bereits eine eigene Verlags- und Traditionsgeschichte im postkommunistischen Polen nach 1989: Die erste Ausgabe erschien 1992 im Rahmen eines wissenschaftlichen Programms „Grunwald“, die zweite Ausgabe 1997 und nun – aus Anlass des 600. Jahrestages der Schlacht bei Grunwald/Tannenberg – die noch einmal erheblich erweiterte dritte Ausgabe. Der Autor, Direktor des Kętrzyński-Instituts in Allenstein (Ośrodek Badań Naukowych im. Wojciecha Kętrzyńskiego w Olsztynie) und langjähriger Direktor des Historischen Instituts der Universität Olsztyn, nimmt für die Darstellung in Anspruch, sie sei auf der Grundlage der neuesten wissenschaftlichen Forschungen entstanden, bringe jedoch in populärwissenschaftlicher und erzählender Form die Geschichte der Region zur Geltung. Insgesamt ist die Darstellung in sechs große Blöcke eingeteilt: Auf die knapp ausgeführte Geschichte der Prußen (S. 10–83) folgt die Darstellung des Ordensstaates (S. 84–217), die Geschichte des Herzogtums und Königreichs Preußen (S. 218–397) und die Geschichte Ermlands 1243–1772 mit einer integrierten Kulturgeschichte beider Teile (S. 398-666). Band 2 enthält die Geschichte der Region im
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preußischen Staat 1772-1914 (S. 678–1037, entgegen dem Titel des Großkapitels bis 1945 fortgeführt) und schließlich die Geschichte Ermlands und Masurens in Polen 1945–2010 (S. 1038–1290). In der Konstruktion wirft insbesondere die parallele Darstellung der Geschichte des Herzogtums Preußen und des Ermlands erhebliche darstellerische Probleme auf – häufig finden sich Wiederholungen. Auffällig ist, dass die Zeitgeschichte nach 1989 auf 20 Seiten nur gestreift wird, am Ende steht eine ausschließlich die eigenen Leistungen betonende Darstellung der Gründung der Universität Olsztyn und der wissenschaftlichen Ergebnisse des Kętrzyński-Instituts. Abgerundet wird das monumentale Werk durch ein Personen- und Ortsregister sowie ein fast ausschließlich polnischsprachige Publikationen enthaltendes Literaturverzeichnis. Grundsätzlich ist die Eignung des Ermland und Masuren-Begriffs für eine synthetische Darstellung der Regionalgeschichte sehr umstritten, verwiesen sei nur auf die Diskussionen zwischen Janusz Jasiński und Jörg Hackmann: Deutlich ausgesprochen wurde dort, dass der Ermland und Masuren-Kanon volksgeschichtlich zu stark an die polnischsprachigen Traditionen des südlichen Preußenlandes anknüpfe, dagegen die stärker deutschsprachigen Traditionen des Oberlandes und des Samlandes oder der Metropole Königsberg ausblende. Auch sei eine Geschichte der lange Zeit peripheren Regionen, insbesondere des südlichen Ermlands und Masurens, ohne intensive Beschäftigung mit der Zentralregion um Königsberg kaum möglich. Die vorliegende Darstellung ignoriert diese Diskussionen und bezieht willkürlich einzelne, nicht klar definierte Bereiche, insbesondere der Königsberger Geistesgeschichte (Universitätsgründung, Universitäts- und Geistesgeschichte), mit ein. Andere Bereiche, etwa die Alltags- und Architekturgeschichte Königsbergs, treten dagegen zugunsten einer breiter ausgeführten Geschichte der Verbindungen zu Polen und der Polonität der masurischen und ermländischen Bevölkerung zurück. Für den Leser ist nicht erkennbar, wann und aus welchen Gründen über den engeren Bereich der ermländischen und masurischen (verstanden als die südlichen, mehrheitlich von Masuren bewohnten) Landkreise Ostpreußens hinausgegriffen wird. Insgesamt bleibt die dargestellte Region in ihren geographischen Grenzen unklar – so wird etwa mehrfach Osterode (Ostróda), im Oberland gelegen, das bis 1945 eine eigene Kulturlandschaft bildete, als Teil Masurens angeführt. Ebenso werden die Ortsgeschichten von DeutschEylau (Iława) im äußersten Südwesten oder Bartenstein (Bartoszyce) im Nordosten auch bereits ausführlicher vor 1945 behandelt, was nur aus einer Perspektive zu erklären ist, die diese Orte rückblickend von ihrer Zugehörigkeit zur heutigen Wojewodschaft Ermland-Masuren zu Masuren zählt. Die ermländische Geschichte wird in der gesamten Darstellung ausgesprochen breit entwickelt und umfasst insgesamt 25–35% der Gesamtdarstellung. Sowohl die Geschichte des Bistums Ermland, insbesondere seiner frühneuzeitlichen polnischen Bischöfe, als auch die ermländische Alltags- und Volkskultur ist gut vertreten. Im 19. Jahrhundert liegt ein Schwerpunkt auf der entstehenden polnischen Sprach- und Nationalbewegung im Ermland, aber auch die deutschsprachige Publizistik, die Tätigkeit des Klerus und das aufblühende Vereinswesen werden behandelt. Die relative Resistenz der ermländischen Bevölkerung gegenüber dem Nationalsozialismus wird
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erwähnt, auch Persönlichkeiten wie Maximilian Kaller oder Adalbert Zink werden knapp charakterisiert und in Text und Abbildungen vorgestellt. Die Darstellungsform ist insgesamt sehr stark erzählend und selten analysierend. Besonders störend sind Wiederholungen und Redundanzen, die zeigen, dass der Gesamttext nicht noch einmal kritisch durchgesehen wurde. Die Proportionen der einzelnen Epochen sind ausgewogen – hier zeigt sich, dass der Autor fachwissenschaftlich einen Schwerpunkt in der älteren, insbesondere frühneuzeitlichen Geschichte besitzt. Relativ schwach vertreten ist die Wirtschaftsgeschichte – eine Gegenreaktion zur älteren marxistischen Schule, sehr breit wird dagegen das kulturelle Leben vorgestellt. Insgesamt bleibt nach der – infolge der stark referierenden und selten prägnanten Darstellungsform nicht immer leichten – Lektüre ein zwiespältiger Eindruck zurück: Positiv zu werten sind sicher die ca. 1.000 über den Text verstreuten, manchmal kleinformatigen Abbildungen, die mit Gebäuden, Persönlichkeiten oder politischen Ereignissen auch bildlich vertraut machen und in großer Dichte umfangreiches ikonographisches Material bereitstellen. Auch die Darstellung der ermländischen Geschichte gehört eher zu den ausgewogenen Teilen des Textes. Weniger gut gelingt abschnittsweise die Geschichte der masurischen Bevölkerung – deren Dilemmata und Zerrissenheit zwischen polnischsprachiger Volkskultur mit Karrieren, die oft mit einer erzwungenen Assimilation an die deutsche Elitenkultur einhergehen, zwischen Protestantismus, polnischer Sprache und preußischen Loyalitäten gibt Achremczyk kaum wieder. Stattdessen wird häufig eine eher traditionelle Geschichte der engen ermländisch-masurisch-polnischen Verbindungen gezeichnet, die zwar im Detail nicht falsch ist, aber doch in der Gesamtheit die Proportionen verfälscht und ein zu stark harmonisierendes Gesamtbild zeichnet. Die große Leerstelle der Darstellung sind die verschiedenen Ebenen einer Identifikation der Bevölkerung mit einem preußischen, im 20. Jahrhundert bis 1945 ostpreußischen Heimatgefühl; die verschiedenen Loyalitäts- und Identitätsebenen der preußischen Geschichte und Staatlichkeit werden kaum angesprochen. Eine ausgewogene Synthese der Regionalgeschichte bleibt weiter ein Desiderat. Gießen Hans-Jürgen Bömelburg
Warmińska kapituła katedralna. Dzieje i wybitni przedstawiciele [Das ermländische Domkapitel. Geschichte und herausragende Vertreter]. Hrsg. von Andrzej Kopiczko, Jacek Jezierski und Zdzisław Żywica. Olsztyn: Instytut Historii i Stosunków Międzynarodowych UWM 2010. 556 S., Ill. Die 750-Jahrfeier des ermländischen Domkapitels im Jahre 2010 bot die Gelegenheit, einen Sammelband mit 34 Vorträgen herauszugeben, die bei einem Internationalen Wissenschaftlichen Kongress vom 20.–21.Mai 2010 in Olsztyn (Allenstein) gehalten wurden. Die Beiträge betreffen ganz unterschiedliche Aspekte der Organisation und Tätigkeit des Domkapitels: Änderungen in den Statuten, Liturgie, Kanoniker, Baudenkmäler, Sorge um die Kunstwerke und den größten Schatz – die Frauenburger Kathedrale. Aufgrund neuerer wissenschaftlicher For-
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schungen wurde noch ein besonderes, dem berühmtesten Domherrn dieses Domkapitels, Nikolaus Copernicus, gewidmetes Kapitel aufgenommen. Der Band besteht aus vier Hauptteilen: Copernicana (S. 17–72), Statuten (S. 73–140), Kanoniker (S. 141–353) und Denkmäler (S. 355–549). Er enthält auch zahlreiche Abbildungen und Illustrationen. Leider fehlen ein Verzeichnis der Illustrationen und ein Personenverzeichnis. Der erste Teil enthält fünf Abhandlungen: über die Auffindung und die Identifikation der Grabstätte des herausragenden Astronomen sowie die anthropologischen und genetischen Untersuchungen seiner Gebeine (Jerzy Gąsowski, Owen Gingerich, Władysław Duczko), ferner über die ältesten Porträts von Nikolaus Copernicus (Józef Flik) und über seine Abhandlungen zum Münzwesen (Mirosław Bochenek). Der zweite Teil der Arbeit beginnt mit einem Text über die patristischen Wurzeln der Domkapitel und Kapitelsstatuten (Marcin Wysocki). Drei weitere Beiträge betreffen Angelegenheiten des Rechtssystems des ermländischen Domkapitels: Verwaltung des Kapitelsvermögens auf der Grundlage der Statuten (Andrzej Radzimiński), frühere und heutige rechtliche Regelungen (Lucjan Świto) sowie Pflichten und Rechte der Kanoniker auf der Grundlage des Kirchenrechts und der Statuten von 1990 und 2007 (Ryszard Sztychmiler). Außerdem sind in diesem Teil zwei Abhandlungen aus dem Bereich der Liturgiegeschichte enthalten, die die Verehrung des hl. Apostels Andreas, des Patrons der Diözese und des Domkapitels (Paweł Rabczyński) sowie das liturgische Leben des ermländischen Domkapitels in früheren Jahrhunderten (Wiesław Nowak) betreffen. Der wichtigste Teil des Bandes ist das umfangreiche Kapitel über ermländische Kanoniker. Am Beginn steht der Beitrag von Radosław Biskup zum Stand der Forschungen und Postulate im Bereich der Prosopographie der preußischen und livländischen Domkapitel in der Zeit des Deutschen Ordens. Der Autor bemerkt mit Recht, dass der Forschungsstand über die personelle Zusammensetzung des ermländischen Domkapitels wesentlich bescheidener ausfällt als im Falle der anderen Kapitel des Ordenslandes (S. 151). Das resultiert seiner Meinung nach daraus, dass sich die Historiker in den letzten zwei Jahrzehnten hauptsächlich mit den Domkapiteln des Deutschen Ordens beschäftigt haben. Diese stellten de facto spezifische Konvente der Priester des Ordens dar, die zum Gehorsam gegenüber dem Hochmeister verpflichtet waren. Dagegen wurde die ermländische Korporation als einziges Nicht-Ordenskapitel in Preußen von der Forschung vernachlässigt (eine Ausnahme bildeten die Arbeiten von Teresa Borawska). Die nachfolgenden drei Artikel betreffen die ermländischen Kanoniker in der Zeit des Mittelalters und der frühen Neuzeit sowie in der Neuzeit. Dargestellt werden darin die territoriale und soziale Herkunft sowie die Ausbildung der Mitglieder des Domkapitels in den Jahren 1260–1550 (Teresa Borawska), ferner die Spannungen zwischen Bischof Maximilian Kaller und den Machthabern des Dritten Reiches in der Angelegenheit der Besetzung der ermländischen Kanonikate in der Zeit des Nationalsozialismus (Ulrich Fox) und Biographien der residierenden Kanoniker des Domkapitels in Frauenburg nach dem Zweiten Weltkrieg (Andrzej Kopiczko). Drei weitere Abhandlungen verdienen besondere Beachtung: über die theoretischen und praktischen Aspekte der Bischofswahlen durch das ermländische Dom-
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kapitel Anfang des 16. Jahrhunderts (Alojzy Szorc), über die Frage der Einstellungen der ermländischen Kanoniker deutscher Herkunft zum Polentum im 17.–18. Jahrhundert (Janusz Jasiński) und über die Rolle des ermländischen Domkapitels im politischen Leben der Rzeczpospolita im 17. und 18. Jahrhundert (Stanisław Achremczyk). Das ermländische Domkapitel hatte bis zum Jahre 1512 in Bezug auf die Bischofswahl nur geringfügige Rechte, die durch den Deutschen Orden und die Päpste sehr stark eingeschränkt waren (S. 255). Dagegen spielte es – wie auch Franz Hipler festgestellt hat – eine wichtige Rolle bei den weitgehenden Polonisierungsprozessen unter den deutschen (auch den kirchlichen) Eliten im Ermland im 17. und 18. Jahrhundert (S. 265). Jedoch war die aktive Teilnahme der ermländischen Domherren am politischen Leben der Rzeczpospolita generell auf das Ermland und das Königliche Preußen beschränkt (S. 308). Zu den genannten drei Abhandlungen kommen einige kleinere Arbeiten hinzu: über die Universitätsstudien ermländischer Kanoniker anhand der Korrespondenz des Johannes Dantiscus (Tatiana Abukhouskaya), ferner über die Korrespondenz des Bischofs Johannes Dantiscus mit den ermländischen Kanonikern (Anna Skolimowska), die Denkschriften des Kardinals Hosius an König Heinrich von Valois zur Frage der Warschauer Konföderation 1573 (Julian Wojtkowski) sowie das Wirken der drei ermländischen Kanoniker Eustachius von Knobelsdorf 1519–1571 (Małgorzata Czupajło), Paweł Górnicki 1548–1632, Mitregent des Ermlands in den Jahren 1609–1619 (Danuta Bogdan) und Marian Borzyszkowski 1936–2001 (Stefan Ewertowski). Eine Abhandlung über das ermländische Domkapitel im 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts fehlt. Allerdings wird die Geschichte dieser Korporation in der Zeit von 1821–1945 und nach 1945 im zweiten Band der ebenfalls 2010 erschienenen Geschichte des ermländischen Domkapitels von Andrzej Kopiczko behandelt. Der letzte Teil des Sammelbandes enthält neun Beiträge, von denen vier besondere Aufmerksamkeit verdienen. Der erste ist eine Quellenedition über das Inventar des Domkapitelsschlosses in Mehlsack aus den Jahren 1576–1578 einschließlich ihrer Auswertung (Grzegorz Świderski). Der zweite betrifft die Inkunabeln aus älteren, von den Schweden im Jahre 1626 geraubten Büchersammlungen der Frauenburger Domherren (Michał Spandowski), er enthält unter anderem ein Verzeichnis der ermländischen Inkunabeln, die gegenwärtig in der Universitätsbibliothek in Uppsala aufbewahrt werden (S. 380–384). Zwei weitere Abhandlungen behandeln die Geschichte der Kanonikerresidenzen auf dem Frauenburger Domhügel (Tadeusz Piaskowski, Jerzy Sikowski). Kunsthistoriker werden sicher an den Ausführungen über die Frauenburger Domherren italienischer Herkunft im 17. und 18. Jahrhundert und die auf sie zurückzuführenden Importe italienischer Kunst interessiert sein (Elżbieta Topolnicka-Niemcewicz), ferner an den Beiträgen über die von ermländischen Domherren im 17. und 18. Jahrhundert gestifteten Altarsedilien in der Frauenburger Kathedrale (Jadwiga Semków), über die Geschichte der letzten Kirchenfenstererneuerung in der Zeit 1861–1911 (Weronika Wojnowska) sowie über konservatorische Arbeiten in der Zeit nach 1945 (Barbara Zalewska). Darüber hinaus befindet sich in diesem Kapitel eine Abhandlung über die Visitation der Kathedrale durch den samländischen Bischof Melchior Eliaszewicz im Jahre 1631 (Irena Makarczyk).
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Trotz der eingangs geäußerten Vorbehalte stellt der vorliegende Band eine wichtige Ergänzung der bisherigen Arbeiten über die Geschichte des ermländischen Domkapitels von Bruno Pottel, Teresa Borawska, Andrzej Kopiczko, Alojzy Szorc, Julian Wojtkowski und anderen dar und regt zu weiteren Arbeiten über einzelne Zeitabschnitte oder Forschungsprobleme an. Toruń/Thorn Leszek Zygner
Roman Czaja, Urzędnicy miejscy Elbląga do 1524 roku [Die Stadtbeamten von Elbing bis 1524]. Elbląg: Elbląskie Towarzystwo Naukowe im. Jana Myliusa 2010. 206 S. [Dt. Zusammenfassung]. Krzysztof Mikulski, Urzędnicy miejscy Elbląga w latach 1524–1772 [Die Stadtbeamten von Elbing in den Jahren 1524–1772]. Elbląg: Elbląskie Towarzystwo Naukowe im. Jana Myliusa 2010. 265 S. Seit einigen Jahren erlebt die Erforschung städtischer Gremien in ihrer personellen Zusammensetzung im Mittelalter und der frühen Neuzeit in Polen einen Aufschwung. Federführend dabei ist das Forschungsprojekt „Spisy urzędników miejskich z obszaru dawnej Rzeczypospolitej, Śląska i Pomorza Zachodniego“ (Verzeichnisse städtischer Beamten in Polen-Litauen, Schlesien und Pommern). Erschienen sind bereits die Verzeichnisse der städtischen Beamten in Schweidnitz (bis 1740), Krakau (1500–1794) und Lemberg (13.–18. Jh.). Anzuzeigen sind zwei weitere Bände der Reihe, welche die städtischen Beamten der Stadt Elbing von ihrer Gründung bis zur Ersten Teilung Polens und dem Beginn der preußischen Herrschaft in der Stadt 1772 verzeichnen. Den ersten Band (1246–1524) bearbeitete Roman Czaja, Krzysztof Mikulski gab den zweiten Band (1525–1772) heraus. Im Aufbau folgen die beiden Bände dem 1999–2002 erschienen Verzeichnis der städtischen Beamten von Thorn, an denen Czaja und Mikulski als Bearbeiter der ersten beiden Bände beteiligt waren. In der Einleitung geben die Bearbeiter einen kurzen, informativen Einblick in die Geschichte der städtischen Gremien, die verfassungsrechtliche Entwicklung, den Aufbau der Verzeichnisse sowie die herangezogenen Quellen. Auf die Einleitung folgen das Verzeichnis der Ratsherren sowie eine Auflistung der Erbschultheißen und Vögte. Die Zusammenstellung der Stadtbeamten wurde im zweiten Band um die Mitglieder der Zweiten Ordnung, Vertreter der Zünfte (Schlachter, Schuster, Bäcker und Schmiede) sowie die Kanzleibeamten erweitert. Die Verzeichnisse der mittelalterlichen Stadtbeamten von Elbing weisen im ersten Band aufgrund der fragmentarischen Quellenüberlieferung erhebliche Lücken auf. So konnten hier nur die altstädtischen Ratsherren, Bürgermeister sowie die Erbschultheißen und Vögte berücksichtigt werden. Die Bürgermeister, Ratsherren und Vögte der Neustadt konnten aufgrund der spärlichen Quellenüberlieferung und der damit verbundenen methodischen Probleme nicht berücksichtigt werden, da, wie der Bearbeiter des Bandes anmerkt, die Bearbeitung der neustädtischen Beamtenverzeichnisse nur unbedeutend über den bisherigen Forschungsstand hinaus gehen würde. Hier muss weiterhin auf das Verzeichnis von Arthur Semrau in den Mitteilungen des Coppernicus-Vereins 35 (1927) verwiesen werden.
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Während sich der zweite Band überwiegend auf die erhaltenen Kürbücher stützen kann, müssen die Lücken im ersten Band insbesondere für den Zeitraum 1415–1524 in großen Teilen durch das 1665 zusammengestellte Beamtenverzeichnis von Gottfried Zamehl geschlossen werden, was aufgrund zahlreicher Fehler vor allem bei der Nennung der Sterbedaten aber auch bei der jährlichen Zusammensetzung des Rates nicht unproblematisch ist. Daraus ergibt sich, dass der Zeitraum vor 1415 zumindest in Teilen auf einer solideren Quellengrundlage steht, da für den Zeitraum verschiedene Stadtbücher herangezogen werden konnten. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass die aus Zamehls Verzeichnis geschöpften Informationen kursiv gesetzt sind, während die Angaben aus den mittelalterlichen Quellen recte abgedruckt sind und meist mit Quellenverweisen in den Anmerkungen versehen sind. Fett hervorgehoben ist jeweils die erste Erwähnung eines Ratsherrn. Die Auszeichnungen in den Listen erleichtern dem Leser bereits auf den ersten Blick die Orientierung. Der zweite Band beruht auf einer weitaus günstigeren Quellengrundlage. Hier konnte der Bearbeiter im Zeitraum von 1561 bis 1732 vor allem auf die Kürbücher der Stadt zurückgreifen. Ergänzend wurden auch die im Bestand Rękopisy elbląskie (Elbinger Handschriften) des ehemaligen Elbinger Stadtarchivs (heute im StA Danzig, APG 492) überlieferten Genealogien der Patrizierfamilien herangezogen. Das Personenverzeichnis erfasst alphabetisch geordnet alle im Beamtenverzeichnis genannten Personen und verweist auf eine der Person im Beamtenverzeichnis zugeordnete Nummer. Die Nummer folgt der Ämterhierarchie und soll gleichzeitig die Reihenfolge der Amtsantritte verdeutlichen. So sind im ersten Band die Nummern 1–53 den Bürgermeistern, 54–397 den Ratsherren und 398–523 den Erbschultheißen und Vögten zugeordnet. Allerdings erschwert dieses Verfahren den schnellen Zugriff auf die gesuchte Person über das Personenverzeichnis, da die Nummern im Ratsherrenverzeichnis nicht immer fortlaufend sind. Leider fehlt in beiden Bänden ein Literaturverzeichnis, so dass der Leser die Erstnennung eines Titels in den Anmerkungen suchen muss, um die vollständigen bibliografischen Informationen zu erhalten. Der Aufwand hält sich jedoch aufgrund der überschaubaren Forschungsliteratur in Grenzen. Die wenigen sowohl in den Verzeichnissen als auch im einleitenden Text vorkommenden Abkürzungen werden in einem der Einleitung vorangestellten Abkürzungsverzeichnis aufgelöst. Dem deutschsprachigen Leser wird der Zugang zum ersten Band dank einer dreiseitigen Zusammenfassung der Einleitung erleichtert. Eine entsprechende Zusammenfassung fehlt jedoch im zweiten Band. Die seit wenigen Jahren vorliegenden Verzeichnisse der Stadtbeamten von Danzig, Thorn und nun auch für Elbing ermöglichen vergleichende Untersuchungen der politischen Führungsschichten in den genannten Städten auf solider Basis. Die Bearbeiter der beiden Bände haben mit den Beamtenverzeichnissen für Thorn und Elbing hierfür eine wichtige Grundlage geschaffen. Ein Desiderat bleibt nicht zuletzt aufgrund der besonders ungünstigen Quellenüberlieferung eine entsprechende Untersuchung für Königsberg. Berlin Remigius Stachowiak
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Michael Brauer, Die Entdeckung des „Heidentums“ in Preußen. Die Prußen in den Reformdiskursen des Spätmittelalters und der Reformation. Berlin: Akademie-Verlag 2011. 339 S. (Europa im Mittelalter, 17). Die Gewinnung von Wissen über vorchristliche Gesellschaften im europäischen Mittelalter und deren Einbeziehung in die christliche Kultur ist mit erheblichen erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten behaftet, die vor allem darin begründet liegen, dass das Christentum mit der Einführung der Schriftkultur nicht nur das Medium zur Verfügung stellte, mit dem Eigenheiten der nicht-christlichen Gesellschaft festgehalten werden konnten, sondern zugleich einen Deutungsrahmen lieferte, um diese nicht-christliche Gesellschaft begrifflich fassen, beschreiben und deuten zu können. Die Probleme, die hierin begründet liegen, sind in verschiedenen Kulturkontakten des mittelalterlichen Europa deutlich geworden, vor allem im Zusammenstoß des römisch-christlichen Kulturkreises mit der altwestnordischen Kultur und mit der slavischen Welt. Die Untersuchung dieses Prozesses bei den baltischen Prußen verspricht genauere Einblicke, weil diese Vorgänge seit dem zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts durch vergleichsweise zahlreiche und verschiedenartige Quellen dokumentiert sind. Bei diesem sehr komplexen Forschungsgegenstand interessiert den Autor in seiner Berliner Dissertation als Ausgangsfrage, ob es nach der gewaltsamen Missionierung der Prußen im 13. Jahrhundert noch ein weiterexistierendes Heidentum gegeben habe, wie schriftliche Quellen aus dem 15. und 16. Jahrhundert es nahe legen. Er will diese Frage mit einer diskursanalytischen Untersuchung beantworten, indem er die Quellenaussagen kontextualisiert und nach den „Entstehungsbedingungen und Traditionszusammenhänge(n) des Wissens“ (S. 12) fragt. Seine Ausgangshypothese ist, dass „es im 15. Jahrhundert zu einer ,Entdeckung’ des Heidentums durch christliche Beobachter“ kam (S. 12) und er verspricht, dass durch seine Methode die „Existenz von ,heidnischen Überresten’ in christlicher Zeit radikal in Frage gestellt“ wird (S. 12). In seinem diskursanalytischen Ansatz „lautet die Frage nicht mehr: Gab es im 15. Jahrhundert noch heidnische Prußen – ja oder nein?, sondern es wird gefragt: Wie, wann und vor allem: warum ist Wissen über die Prußen und ihr ,Heidentum’ in den Quellen entstanden?“ (S. 31) Er entwickelt seinen Ansatz im Folgenden vor der Skizzierung der Methoden der älteren Religionswissenschaft (Jacob Grimm), der Volkskunde (Dieter Harmening, Aaron Gur’evič, Rudi Künzel) und der neueren Religionswissenschaft (Hans-Dietrich Kahl, Kurt Rudolph). Seine Untersuchung entfaltet er dann vor dem Hintergrund eines Abrisses der „Bekehrungszeit“ der Prußen (Kapitel II, S. 44-83) in zwei Hauptteilen: im ersten werden die Diskurse über die Prußen und „Heiden“ im weltlichen Recht, im Kirchenrecht und in der Geschichtsschreibung nachgezeichnet, während im zweiten Hauptteil die Bedeutung der Reformation für die Wahrnehmung und Bewertung des prußischen Heidentums analysiert wird. Dabei rekurriert er auf den Johann Martin Chladenius eingeführten Begriff des „Sehepunktes“, um die Perspektivität der Quellen herauszuarbeiten (S. 34, 113, 155, 198). In der Entfaltung der Fragestellung in Kapitel III (Die Religiosität der Prußen wird zum Problem, S. 84-108) zeigt der Autor, dass nach dem Schweigen der Quellen des 14. Jahrhunderts zum Heidentum der Prußen seit dem frühen 15.
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Jahrhundert die Thematik zum einen in der Polemik zwischen dem Deutschen Orden und Polen-Litauen auftritt, in der gegenseitige Vorwürfe vorgetragen werden, „Heiden“, d. h. nicht getaufte Prußen bzw. nicht getaufte Litauer im eigenen Heer kämpfen zu lassen bzw. zu wenig für die Christianisierung im eigenen Land getan zu haben; zum andern wurde in einer Reformschrift von 1427/28, der sog. Ermahnung des Kartäusers, u. a. ausführlich auf die Prußen eingegangen, die noch nicht vom Christentum geprägt seien. Im Kapitel „Zwischen reformacio und Disziplinierung ländlicher Festkultur: Die preußischen Landesordnungen“ (S. 109–151) werden die acht preußischen Landesordnungen aus den Jahren 1408 bis 1503 auf ihre Beachtung der Prußen ausgewertet. Demnach geraten sie einerseits in den Blick der landesherrlichen Sorge um den rechten Glauben und werden andererseits als Heiden zu Widersachern des christlichen Glaubens. Das fünfte Kapitel („Heidnische“ Prußen oder prußische Christen? Das preußische Kirchenrecht, S. 152–196) stellt nach der einleitenden Reflexion zum Realitätsbezug in kirchenrechtlichen Beschlüssen und Sammlungen zunächst die Beschlüsse der Rigaer Provinzialsynode von 1428 vor, in denen verschiedentlich Fragen thematisiert wurden, die Bezug zu den Prußen haben: die Seelsorge in der Volkssprache, Sonntagsarbeit, Bestattungssitten und heidnische Idolatrie. Die Synodalbeschlüsse in den preußischen Bistümern selbst werden am Beispiel des Samlands und des Ermlands gegenübergestellt. Im Samland, das die größte Dichte prußischer Bevölkerung unter den preußischen Bistümern aufwies, liegen zwei (1302/10 und 1427), für das Ermland drei Statuten (Ende 14. Jahrhundert, 1449, 1497) vor. Im Mittelpunkt des Vergleichs steht die Behandlung der Sprachenfrage, der Umgang mit der prußischsprachigen Bevölkerung. Während das Bistum Samland darauf setzte, die Glaubensunterweisung mittels Dolmetschern (Tolken) zu bewältigen, bildete das Bistum Ermland einen prußischstämmigen Klerus aus (in Heilsberg und Frauenburg), der in der Lage war, die Seelsorge in deutscher und prußischer Sprache zu versehen. Weiterhin wird ein Mandat des samländischen Bischofs aus dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts (Articuli per Prutenos tenendi) besprochen, in dem nichtchristliche Praktiken der Prußen sanktioniert werden; hierbei werden Realitätsbezug und die Informationsquellen thematisiert. Eine dritte Quellengruppe, in der Wissen über die Prußen gesammelt ist, die Historiographie, wird im sechsten Kapitel (Aus Heiden werden Vorfahren: Das Bild der Prußen in der preußischen Geschichtsschreibung, S. 197–234) vorgestellt. Der Autor unterscheidet dabei drei historiographische Konzepte, die Ordensgeschichtsschreibung des 14. Jahrhunderts, die humanistischen origo gentis-Konzeptionen und besonders die Anfänge einer preußischen Landesgeschichtsschreibung. In der von Peter von Dusburg geprägten Ordensgeschichtsschreibung erscheinen die Prußen, die selbst ohne geschichtliche Entwicklung dargestellt werden, als Heiden und Feinde, die die Tätigkeit des Ordens legitimieren. Als humanistisch geprägte Historiker bezogen Enea Silvio Piccolomini und Laurentius Blumenau die Herkunft der Prußen auf die antike Ethnographie, während bei Erasmus Stella und Simon Grunau Anfänge einer preußischen Landesgeschichtsschreibung auszumachen sind, in der die Rolle der Prußen zuungunsten der des Deutschen Ordens aufgewertet wird.
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Das letzte Kapitel schließlich (Neue Konfession und neues „Heidentum“: Die Reformation in Preußen, S. 235-271) geht auf das neue Interesse der Reformation am preußischen Heidentum ein. Hierbei wird auf die Praxis der sog. Bockheiligung, ein angeblicher heidnischer Brauch, den erst die reformatorische Perspektive hervorgebracht hat, den prußischen Götterkosmos, der erst im 16. Jahrhundert namentlich fassbar wird, und Beispiele prußisch-heidnischer Zauberei eingegangen. Beigegeben sind der Darstellung tabellarische Übersichten zu den Landesordnungen, zur Rigaer Provinzialsynode von 1428, zu den Prußenabschnitten bei Simon Grunau und verwandten Texten und zu den prußischen Götternamen (S. 277–286). Das Erkenntnisinteresse des Autors richtet sich nicht – wie in der älteren Forschung – auf die Rekonstruktion der Glaubensvorstellungen der Prußen und „die Frage, ob die Prußen eher ,heidnisch’ oder eher christlich waren“, sondern auf die Frage der „Entstehung von Wissen über das ,Heidentum’ der Prußen“ (S. 272). Diese Fragestellung ist innovativ, eröffnet neue Blickweisen auf die Forschung zu den Prußen und wird vom Autor umsichtig erörtert. Dabei ist jedoch zu bedauern, dass er die jüngere polnische Forschung zum Thema – hinzuweisen ist vor allem auf Arbeiten von Grzegorz Białuński, Łucja Okulicz-Kozaryn, Jan Powierski, Andrzej Radzimiński, Dariusz Adam Sikorski – nur unzureichend zur Kenntnis genommen hat. Das Ergebnis der Befragung der verschiedenen Quellengruppen bestätigt die Ausgangshypothese: das in den Texten beschriebene prußische Heidentum ist kein Relikt, dass die Zeit der Christianisierung überdauert hat, sondern ein Phänomen, das im 15. / 16. Jahrhundert neu „entdeckt“ wird, wobei vorreformatorische und reformatorische theologische und politische Diskurse bestimmend sind, innerhalb deren es „zur Konstruktion eines umfassenden ,Heidentums’ der Prußen“ (S. 274) kam. Doch so berechtigt und produktiv der überlieferungskritische Ansatz ist, wenn er zeigt, in welchen Kontexten Wissen generiert, von welchen Interessen es erzeugt wird, so scheint die Bewertung der Leistung und Reichweite des Ansatzes durch den Autor diskussionswürdig. Sicher muss die Rede über das prußische „Heidentum“ als „Schlüssel zum Denken und Handeln der Eliten in Preußenland“, als „Verständigung über das rechte christliche Leben“ (S. 276) verstanden werden. Zuzustimmen ist ihm auch in der Präferierung des Begriffs „Entdeckung“ gegenüber dem Begriffs der „Konstruktion“ (S. 39 f., 275), weil „Entdeckung“ zwar meint, „dass hier Glaubensfeinde konstruiert wurden, um den inneren Zusammenhang der Christen zu stärken“, aber auch bedeutet, „dass die christlichen Beobachter nicht alles erfunden haben, sondern auch etwas gefunden bzw. beobachtet haben“ (S. 40). Der Autor legt jedoch so starken Nachdruck auf den ersten Aspekt, dass der zweite Gesichtspunkt, die Frage nach dem Gefundenen und Beobachteten im Laufe der Untersuchung praktisch keine Bedeutung hat. Am Ende führt dies zum Eindruck, dass es ein heidnisches Prußentum im Spätmittelalter nicht gegeben habe, weil alle seine Äußerungen und die Wahrnehmungen von ihm durch die interpretatio christiana – die im 16. Jahrhundert gar zu einer interpretatio romana wird, als vermeintlich prußische Götter in Anlehnung an die antike Götterwelt gebildet wurden (S. 26, 262) – gebrochen wurden und so auf uns gekommen sind.
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Als Einwand soll jedoch zu bedenken gegeben werden, dass aus dem Schweigen der Quellen über die Prußen und ihr „Heidentum“ im 14. Jahrhundert nicht gefolgert werden kann: „Die Prußen wurden im 15. Jahrhundert wieder zu ,Heiden’“ (S. 148) – es ist nicht weniger plausibel, dass sie oder Teile von ihnen es die ganze Zeit waren, dies nur kein Thema für den Klerus des Ordenslandes war. Auch der Behauptung, dass das „Heidentum“ der Prußen bzw. der Litauer als „politischer Kampfbegriff“ verwendet wurde (S. 89), wird man zustimmen – dass dies aber impliziert, einen Bezug zur „Realgeschichte“ verneinen zu dürfen, kann hinterfragt werden, da Propaganda- oder Kampfbegriffe in der politischen Auseinandersetzung kaum ohne Realitätsbezug wirken. Viele Schlüsse und Interpretationen der Quellenaussagen, die der Autor vorträgt, sind durchaus hypothetisch, was sich auch in sprachlichen Wendungen äußert, in denen er für seine Deutungen wirbt; es wird vielfach deutlich, dass hier nur Möglichkeiten oder häufig kaum abgestützte Vermutungen vorgetragen werden: „wohl eher“ (S. 61), „wahrscheinlich hatte“ (S. 82), „Wahrscheinlich muß man hier ... annehmen, daß“ (S. 82), „ist es jedoch zweifelhaft, ob man“ (S. 89); „Meine These lautet, daß“ (S. 97), „lag wohl darin begründet, daß“ (S. 143), „Ich gehe davon aus, daß“ (S. 147, 165), „Möglicherweise handelte es sich“ (S. 192), „Ich nehme vielmehr an, daß“ (S. 246), „liegt der Verdacht nahe, daß“ ( S. 247). Insgesamt scheint hier ein quellenkritischer Ansatz, der Diskursanalyse und Wissensgenese verbindet, in seiner Aussagekraft und Leistungsfähigkeit überfrachtet worden zu sein. Die gewonnenen Befunde zur interessegeleiteten Betonung des prußischen Heidentums wären mit einer genaueren Bewertung der Christianisierungsgeschichte und der detaillierten Nachzeichnung der sog. kirchlichen Nacharbeit – dies kommt in Kapitel II,1 (S. 44–53) zu kurz – zusammenzubringen, um abzuwägen, wie man die Rede vom „Heidentum“ der Prußen zu bewerten hat. Nur am Rande sei abschließend angemerkt, dass das Register leider mit wenig Sorgfalt angelegt wurde. Ärgerlich ist vor allem, dass alle Personen unter ihrem Vornamen eingeordnet wurden, auch Personen des 15./16. Jahrhunderts, die schon einen stabilen Zunamen führen. Eine flüchtige Durchsicht ergibt weiter: der Registereintrag „Gerhard“ bezieht sich zweimal auf Bischof Gerhard von Pomesanien (S. 155, 159), zweimal aber auf den Historiker Gerhard Oestreich (S. 38, 111), unter „M“ findet sich der Eintrag „Mark Brandenburg“, von den beiden Nennungen bei „Brandenburg“ geht der eine Eintrag auf die preußische Komturei Brandenburg (heute der Ort Ušakovo), der andere auf Albrecht von BrandenburgAnsbach (der einen eigenen Eintrag hat); manchmal gibt es einen erklärenden Zusatz wie „biblisch“, „Papst“, „Ks.“, „Bf.“, meist aber nicht; viele Einträge benötigten dringend einen Zusatz, etwa „Adalbert“ (von Prag) oder „Wenzel“ (römisch-deutscher König), andere Einträge wie „Hellene“ sind unsinnig (hier geht es im Text darum, dass „Heide“ als Gegenbegriff zu „Hellene/Römer“ bzw. „Christ“ funktioniert, aber die Einträge „Römer“ und „Christ“ finden sich selbstverständlich nicht). Warszawa/Warschau-Marburg Norbert Kersken
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Isaak Gottfried Goedtke, Kirchengeschichte der evangelischen kleinen Städte im Polnischen Preußen. Hrsg. von Hans-Christoph Surkau und Martin Conitzer. Hamburg: Verein für Familienforschung in Ost- und Westpreußen 2010. XXXIX, 316, 8 S. (Sonderschriften des Vereins für Familienforschung in Ost- und Westpreußen e.V., 112). Aus der Familie Goedtke, die sich Anfang des 17. Jahrhunderts im Herzogtum Preußen angesiedelt hatte, gingen einige Geistliche hervor, die sowohl im Herzogtum als auch im Königlichen Preußen (damals auch als Polnisches Preußen bekannt) arbeiteten. Unser Autor war der Sohn von Christian Goedtke, Pfarrer zu Konitz (1681–1705). Er folgte jedoch nicht den Spuren des Vaters. Aus finanziellen Gründen konnte er auch nicht die geplante akademische Karriere aufnehmen, wurde aber Beamter – Stadtsekretär (Notarius) im heimatlichen Konitz. Zu seinen Verdiensten gehörte die Einrichtung des Städtischen Archivs, das teilweise bis heute erhalten ist und derzeit im Staatlichen Archiv in Bromberg aufbewahrt wird. Die enttäuschten Hoffnungen in Bezug auf eine Universitätskarriere kompensierte Isaak Goedtke durch eigene historische Forschungen, wozu ihm die Arbeit als Notarius hilfreich war. Seine Leistungen sind bemerkenswert: Elf noch zu seinen Lebzeiten veröffentlichte Bücher und Artikel, ferner mindestens zwei Manuskripte, die im Jahre 1742 einem Brand in der Stadt zum Opfer fielen, und noch weitere Manuskripte, darunter sein „Tagebuch“ aus den Jahren 1749-1756, die sich im Archiv in Bromberg befinden. Leitthema seiner wissenschaftlichen Chronistentätigkeit war die Geschichte der lutherischen Kirche im Königlichen Preußen, der ein Teil seiner Veröffentlichungen gewidmet ist. Der erste Teil des vorliegenden Bandes enthält Abhandlungen, die dem Protestantismus in der Stadt Schlochau gewidmet sind und 1724 in der Thorner Zeitschrift Das Gelehrte Preußen veröffentlicht waren, sowie zwei Arbeiten über die Pfarrei in Marienburg, anonym und ohne sein Wissen 1753 in Leipzig herausgegeben. Auch seine weiteren Arbeiten erschienen ohne sein Wissen in Leipzig, etwa die über Graudenz, Dirschau, Stargard, Konitz, Christburg, Neuteich, Stuhm, Straßburg, Mewe, Schöneck, Friedland, Hammerstein, Baldenburg und Schlochau. Goedtke hielt nämlich nur die Arbeiten über Marienburg, Graudenz und Dirschau für abgeschlossen. Diese Städte waren nach gleichem Muster beschrieben worden: Eine kurze Geschichte der Anfänge des Protestantismus im Königlichen Preußen, die Beschreibung der Rechtsgrundlagen für diese Vorgänge und schließlich das, was ihn am meisten interessierte – die evangelische Presbyteriale Ordnung – hier ein Verzeichnis der Seelsorger und, je nach seinem Informationsstand, deren mehr oder weniger umfangreiche Lebensläufe. Natürlich kann man von Arbeiten, die im 18. Jahrhundert als Pionierarbeiten entstanden sind, keine tiefgreifenden Analysen oder den soziologischen Blick auf die Gemeinschaft der Gläubigen erwarten. Den Autor interessierte die Faktizität sowie das, was das Wesentliche in diesen Arbeiten ist: die interkonfessionellen Beziehungen, aber hauptsächlich auf der Ebene Staat (die königliche Herrschaft) und lutherische Kirche. Die in dieser Weise dargestellte Geschichte des Luthertums ist vor allem das Bild der „guten Zeiten“ unter der Herrschaft von Sigismund August und Stephan Bathory, dann die Reduzierung der früheren von Sigismund III. sowie nach dem nachlassenden
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Druck auf die Protestanten unter der Herrschaft von Władysław IV. gewährten Privilegien, weitere Einschränkungen ihrer Rechte unter Johann II. Kasimir und seinen Nachfolgern, der Kampf der Gemeinden um Wiedererlangung mindestens eines Teils der früheren Privilegien, und schließlich der Kampf um ihr Überleben. Zu jedem Geschichtsabschnitt gehört eine Auswahl von Dokumenten aus dem 16. und hauptsächlich dem 17. Jahrhundert. Die Arbeiten über die übrigen Städte beinhalten indes nur eine mehr oder weniger gut bearbeitete Presbyterologie. Diese anonym erschienene Edition seiner Werke war für den Autor unbefriedigend. Er arbeitete weiter daran bis zum Jahre 1760, als er wegen Erkrankung seine wissenschaftliche Tätigkeit aufgeben musste. Die Drucklegung seines Werkes hat er aufgrund seines plötzlichen Todes nicht mehr erlebt. Veröffentlicht wurde es erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als in den ostpreußischen Preußischen Provinzialblättern in den Jahren 1839 und 1844 die erneut überarbeitete Kirchengeschichte der Städte Marienburg (1839) und Dirschau (1844) sowie erstmalig die Kirchengeschichte der Städte Stargard, Konitz, Christburg, Neuteich, Stuhm, Straßburg, Mewe, Schöneck, Friedland, Hammerstein (1845) erschienen sind. Herausgeber war Nathanael Gottlob Benwitz, Kaufmann und Ratsherr aus Konitz, mit der Familie Goedtke verwandt. Aber auch diese Publikationen erschienen nicht in der Version, die vom Autor beabsichtigt war. Diesmal fehlten Dokumente, die entweder absichtlich weggelassen wurden oder – was eher wahrscheinlich ist – einfach irgendwo verloren gegangen sind. In diesen Artikeln sind Ergänzungen enthalten, die über das Jahr 1760 hinausgehen, in dem Goedtke seine Arbeit abgeschlossen hatte. Sehr wahrscheinlich stammen sie vom Herausgeber Nathanael Gottlob Benwitz. Diese Publikationen stellen den zweiten Teil der vorgestellten Arbeit dar. Der dritte Teil umfasst die noch zu Lebzeiten des Autors, aber ohne sein Einverständnis durch Andreas Schlott aus Danzig herausgegebenen Briefe von Geistlichen aus einigen westpreußischen Städten, jedoch ohne deren detailliertere Lebensläufe. Zusätzlich – und das ist als eine richtige Maßnahme anzusehen - nahmen die Herausgeber die Geschichte der Pfarreien Konitz und Tarnowke (Kreis Flatow) in den Band auf, die Nathanael Gottlob Benwitz auch in den Preußischen Provinzialblättern (1837 und 1830) veröffentlicht und zu diesem Zweck weitgehend das von Goedtke zurückgelassene Material genutzt hatte, weshalb man den Notarius aus Konitz zumindest als Mitautor dieser Arbeiten ansehen kann. Die vorgestellten Texte werden in der ursprünglichen Form, ohne Aktualisierung der Orthographie und Grammatik, publiziert. Die Geschichte einiger Pfarreien im ersten Teil ist durch einen umfangreichen Quellenanhang ergänzt worden, in lateinischer Sprache mit Übersetzungen. Der Band wird vervollständigt durch eine gut bearbeitete Biographie Goedtkes, die Beschreibung seines Schaffens, durch jeweils eine historische Einführung zu den Epochen, in denen die von Goedtke beschriebenen Ereignisse stattfanden, durch Verzeichnisse der in diesen Zeitabschnitten herrschenden polnischen Könige und im Königlichen Preußen residierenden Bischöfe sowie durch eine Landkarte des Königlichen Preußen und ein Namensverzeichnis.
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Kritische Bemerkungen sind lediglich in Bezug auf die geschichtliche Einführung durch die Herausgeber (S. XXIII–XXXII) zu machen. Es ist offensichtlich, dass Isaak Goedtke dem Kampf der Lutheraner um ihr Recht zur Religionsausübung große Bedeutung beimaß. Er beschäftigte sich mit offiziellen Dokumenten, die diese Thematik betrafen. (Einige dieser Ereignisse spielten sich doch auch vor seinen Augen ab.) Dass diese Rechte auf unterschiedliche Weise beschnitten waren, mit legalen und illegalen Methoden, ist bekannt und steht außer Diskussion. Die Herausgeber haben sich aber in ihrer Einführung, die selbstverständlich nicht eine umfassende Religionsgeschichte im Königlichen Preußen sein kann, ausschließlich auf die kleine Region beschränkt und dabei den breiteren historischen Kontext im damaligen Europa außer Acht gelassen. Sie betrachten die Geschichte der Freiheitsbeschränkung der Protestanten im Königlichen Preußen so, als wenn dies etwas Außergewöhnliches gewesen wäre. Nicht beachtet wird etwa das Problem der Rechte der Katholiken im damaligen protestantischen Teil Europas, etwa in Schweden oder Dänemark. Auch an die Haltung gegenüber den Katholiken in England sowie später in den amerikanischen Kolonien ist zu erinnern. Im benachbarten Herzogtum Preußen hat der an der Stelle einer katholischen Kapelle in Heiligelinde aufgestellte Galgen damals niemanden gewundert. Die ersten Konzessionen für die Errichtung einer Pfarrei in Königsberg erteilte der Kurfürst Johann Sigismund im Jahre 1612 unter starkem Druck seines Lehnsherrn, des polnischen Königs. Das war eine der Bedingungen für seine Einsetzung als Kurator für den erkrankten Albrecht Friedrich. Eine tatsächliche Gleichstellung der Katholiken in Ostpreußen erfolgte indes erst nach 1850, als sie das uneingeschränkte Recht erhielten, eigene Gotteshäuser zu bauen und Schulen außerhalb des Ermlands zu errichten. Natürlich sind im Königlichen Preußen im 17. Jahrhundert, wo der Protestantismus noch stark war, viele Fälle von Intoleranz und religiöse Streitigkeiten vorgekommen. Und dies auch dort, wo der Katholizismus gegenüber den Lutheranern überwog, und ebenso in Situationen, wo die Lutheraner dominierten und dabei versuchten, den ihnen konfessionell nahestehenden Kalvinismus zurück zu drängen (der doch in den lutherischen Dokumenten aus dem 17. Jahrhundert als „Sekte“ bezeichnet wurde). Und dennoch – obwohl die Nähe von Katholizismus und Protestantismus zu vielen Spannungen führte –, ist es doch paradox, dass sich, bedingt durch ein gewisses Gleichgewicht der Einflüsse und die Kraft des Protestantismus, die interkonfessionellen Beziehungen im Königlichen Preußen besser gestalteten als in anderen Regionen des Königreiches Polen, insbesondere in Masowien und Kleinpolen. Die Autoren würdigen auch nicht die Geschehnisse in Europa während des Dreißigjährigen Krieges und dessen Folgen auf konfessioneller Ebene in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Vollkommen vernachlässigt wird die Erörterung darüber, welche religiösen Dimensionen, auch in Polen, dem zweiten schwedischen Krieg zugrunde lagen, und welche Folgen daraus für andere konfessionelle Gruppen entstanden waren, darunter natürlich auch für das Luthertum, das jetzt mit den schwedischen Aggressoren gleichgesetzt wurde. Es ist indes eine unzulässige historische Vereinfachung, wenn die Konföderation von Bar einzig und allein als Gegenmaßnahme gegen die Festlegungen des „Warschauer Traktats“ von 1768,
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die Gewährung von Rechten für „Andersgläubige“ gesehen und die erste Teilung Polens unmittelbar darauf zurückgeführt wird (S. XXXI). All dies lässt es notwendig erscheinen, eine Neubearbeitung der Religionsgeschichte (auch des Protestantismus) in konfessionell und national gemischten Regionen vorzunehmen, und zwar mit modernen Forschungsmethoden, die frei sind von Stereotypen und Vereinfachungen, die die „protestantische“, „katholische“, „polnische“ oder „deutsche“ Sicht jeweils unberücksichtigt lassen. Abgesehen von diesen Bemerkungen ist die Herausgabe der Werke Isaak Goedtkes überaus sinnvoll, denn sie erleichtert den Zugang zu wertvollen auf Quellen gestützte Arbeiten. Olsztyn/Allenstein Grzegorz Jasiński
Almut Bues [Hrsg.], Die Apologien Herzog Albrechts. Wiesbaden: Harrasowitz 2009. 373 S., 23 Ill. (Quellen und Studien. Deutsches Historisches Institut Warschau, 20). Als Hochmeister Albrecht im Jahre 1525 mit dem polnischen König den Vertrag von Krakau schloss, war er sich durchaus dessen bewusst, auf welche Ablehnung seine Entscheidung im Reich treffen würde. Deshalb hatte er auch beschlossen, seine Sicht auf die Ereignisse, die zur Säkularisierung des Ordensstaates in Preußen und zur Entstehung des weltlichen Herzogtums unter seiner Herrschaft geführt haben, darzustellen. Albrecht wollte sich nicht nur vor dem Kaiser und den Reichsständen rechtfertigen, sondern bei ihnen auch ein Gefühl der Scham und Mitschuld für solch ein Ende des Konflikts mit Polen hervorrufen. Schließlich hat doch weder Kaiser Karl V. noch einer der deutschen Fürsten ihm im Verlauf des Krieges mit Polen in der Zeit von 1519–1521 finanzielle oder militärische Unterstützung gewährt. Der Deutsche Orden konnte natürlich den Vorgängen in Preußen nicht gleichgültig gegenüber stehen. Davon betroffen waren nämlich nicht nur die Mitglieder des Ordens, sondern auch der gesamte deutsche Adel, für den der Orden ein „Hospital“ war, ein Ort, an dem die jüngeren Adelssöhne eine standesgemäße Lebensweise führen konnten. Der Deutschmeister Dietrich von Cleen ordnete an, eine Schrift in 600 Exemplaren zu drucken, in der er sein und des Ordens Wirken in der preußischen Angelegenheit darstellte. Er beschuldigte darin den früheren Hochmeister Albrecht der Säkularisierung des Ordensstaates in Preußen entgegen den Statuten des Ordens sowie der Unterordnung unter Polen. Vorgeworfen wurde Albrecht auch, dass er sich persönlich das Land des Ordensstaates angeeignet und die Ordensgelübde gebrochen habe. Der Deutschmeister rechtfertigte seinen eigenen Standpunkt und rief den Kaiser und die Reichsstände dazu auf, sich für die Wiedergewinnung des verlorenen Territoriums in Preußen einzusetzen. Diese Schrift war indes vor allem an den deutschen Adel gerichtet, bei dem sie eine feindliche Einstellung gegenüber Herzog Albrecht hervorrufen sollte. Da die vom deutschen Ordenszweig veröffentlichte Schrift den Ständen und vor allem dem deutschen Adel bekannt wurde, musste Albrecht die Verteidigung
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seiner Handlungen und seines guten Namens aufnehmen. Es ist interessant, dass die herzogliche Apologie an Erzherzog Ferdinand und die Reichsstände gerichtet war, während Kaiser Karl V. umgangen wurde. Beim Verfassen jener ersten Apologie nahm Albrecht die Hilfe von Johann von Schwarzenberg, Crotus Rubeanus, Friedrich Fischer und Vipert Schwab in Anspruch. Der Titel der Schrift lautete Christliche Verantwortung und ihre deutsche Ausgabe erschien am 29. Oktober 1526 in Königsberg. Die lateinische Version (Christiana responsio) wurde im Januar 1527 in Wittenberg gedruckt. Die Apologie bestand aus zwei Teilen: einem historischen und einem theologischen. Im ersten Teil wurden die Ereignisse dargestellt, die zur Umwandlung des Ordensstaates in ein weltliches Lehnsherzogtum geführt haben. Albrecht rechtfertigte sich damit, dass der von ihm unternommene Versuch, die Unabhängigkeit von Polen zu erlangen und den Vertrag von 1466 zu annullieren, darauf zurückzuführen ist, dass die Regelungen dieses Vertrages ihm nicht bewusst und nicht bekannt waren, denn die polnische Seite war im Recht. Die Unterwerfung unter den polnischen König Sigismund den Alten erklärte der Herzog damit, dass Kaiser Maximilian I. bereits im Jahre 1515 den Orden sich selbst überlassen hatte, als es in Wien zum Abschluss der Habsburgisch-Jagiellonischen Verständigung gekommen war. Dagegen war ihm während des Krieges, den er in der Zeit von 1519–1521 gegen Polen geführt hatte, keiner der Reichsfürsten zur Hilfe gekommen, auf die er gewartet hatte, während der deutsche Ordenszweig und der Deutschmeister sich nur minimal engagiert hatten. Er blieb praktisch ohne irgendeine finanzielle oder militärische Hilfe. Der zweite Teil der Apologie war den religiösen Erörterungen über Albrechts Konfessionswechsel gewidmet, die der Deutschmeister Cleen weggelassen hatte. Seine Vorgehensweise begründete er mit dem Evangelium; seiner Meinung nach war der Deutsche Orden eine dem Evangelium widersprechende Institution. Er war der Ansicht, dass das Eheverbot unchristlich sei. Der Orden solle Preußen nicht mit dem Schwert erobern, sondern mit Gottes Wort. Die Notwendigkeit, Veränderungen durchzuführen, begründete er auch mit dem Verhalten der Ordensbrüder und der Einstellung der Einwohner des Herzogtum Preußen, die Ruhe wünschten und eine Normalisierung der Situation. Diese Apologie wurde dem polnischen Senat vorgestellt, der ihren historischen Teil akzeptierte, den theologischen indes, vor allem auf Wunsch der im Senat vertretenen polnischen Bischöfe, verwarf. Die Veröffentlichung der Apologie beendete die publizistische Diskussion zwischen dem deutschen Ordenszweig und dem preußischen Herzog nicht. Albrecht beschloss, nach einem Kompromiss mit dem Kaiser, dem Reich und dem Deutschen Orden zu suchen. Er wollte das Herzogtum Preußen erhalten, dabei aber nicht die Verbindungen zum Reich abreißen lassen. Deshalb wurde eine zweite Apologie verfasst, bei deren Entstehung Albrecht auch mitwirkte. Unter anderem war darin zu lesen, dass sich im Vertrag zwischen dem Orden und Polen aus dem Jahre 1466 Punkte befänden, aus denen „klar und deutlich“ hervorginge, dass jeder nachfolgende Hochmeister Senator und Lehnsmann des polnischen Königs sein solle. Albrecht könne also schwerlich dafür beschuldigt werden, dass er den Vertrag eingehalten hat.
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Seit 1530 waren die Ämter des Hochmeisters und des Deutschmeisters in einer Person vereint. Der Sitz des Hochmeisters wurde nach Mergentheim verlegt. Angesichts dieser neuen Situation empfahl Albrecht eine neue, dritte Apologie vorzubereiten, die den Reichsständen während der nächsten Reichsversammlung vorgestellt werden sollte. Diese neue Apologie wurde dem polnischen Königshof zur Kenntnis gebracht, fand dort jedoch keine wohlwollende Aufnahme. In Krakau war man nämlich der Meinung, dass Herzog Albrecht ausschließlich dem polnischen König die Verantwortung für die Veränderungen aufbürden wollte, die im früheren Ordensstaat vorgenommen worden waren, darunter die Einführung des Luthertums als Staatsreligion. Die Unzufriedenheit Sigismunds des Alten mit der Argumentation in der dritten Apologie war so groß, dass er in einem Schreiben vom 6. Januar 1530 seinem Lehnsmann Argumente zukommen ließ, die er in der Polemik mit dem Deutschen Orden und dem Reich verwenden sollte. In der Apologie sollte Albrecht hinzufügen, dass er aufgrund von uralten Rechten der polnischen Regenten in Bezug auf Preußen gezwungen gewesen sei, sich dem polnischen König zu unterwerfen und ihm zu huldigen, dass die früheren Hochmeister, nachdem sie mit Waffengewalt besiegt worden waren, sich im Jahre 1466 einverstanden erklärt hätten, einen Teil des Ordensstaates (Königliches Preußen) an Polen abzutreten und für den übrigen Teil, der in ihrer Verfügungsgewalt verblieb, den Lehnseid abzulegen und die Oberhoheit der polnischen Könige anzuerkennen. Die Hochmeister wurden in den polnischen Senat aufgenommen. Die Tatsache, dass Albrecht auch den Lehnseid abgelegt habe, zeuge davon, dass er den Spuren seiner Vorgänger folge. Das Eingreifen Sigismunds des Alten bewirkte, dass Albrecht in der vierten Apologie, die einige Monate später verfasst wurde, den Schwerpunkt von der religiösen Frage auf die politischen Angelegenheiten verlegte. Er hat selbst an der Erstellung dieser Apologie aktiv mitgewirkt. Sie war sehr umfangreich, bestand aus 214 Artikeln, von denen zwei Drittel Rechtfertigungen von Albrechts Handeln nach seiner Wahl zum Hochmeister beinhalteten. Diese Apologie ist nicht veröffentlicht worden. Handschriftliche Exemplare wurden lediglich an befreundete Herrscherhäuser in Krakau, Marburg und Wittenberg versandt sowie an Privatpersonen, mit deren Verständnis Albrecht rechnete, unter anderem an Martin Luther. Der Edition der vier Apologien ist eine Einführung in deutscher und polnischer Sprache vorangestellt. Die Einführung trägt die Überschrift „Albrecht von Hohenzollern – Staatsgründer oder Verräter?“ (im Inhaltsverzeichnis finden wir diesen Titel jedoch nicht, sondern stattdessen den Untertitel „Hochmeister Albrecht und die Lehnsnahme von 1525“). Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, Staatsgründer seien in gewissem Sinne immer Verräter, kann kaum befriedigen. Almut Bues erwähnt auch nichts davon, dass die Historiker die Entscheidung hinsichtlich der Säkularisierung des Deutschen Ordens in Preußen und die de facto – Übernahme des dem Orden gehörenden Territoriums unterschiedlich bewerten, vor allem die deutschen. Remigius Bäumer hat festgestellt, dass das Territorium des Ordensstaates nicht dem Hochmeister gehörte und Albrechts
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Verzicht auf die Hochmeisterwürde, im April 1525 in Krakau, nach der damaligen Rechtsauffassung nichts an dem Rechtstitel in Bezug auf das Eigentum an Preußen geändert hat. Deshalb sei auch das Vorgehen Albrechts nicht nur ein eigenmächtiger Staatsstreich, sondern auch ein Verrat gegenüber dem Deutschen Orden gewesen, dessen Land Albrecht sich angeeignet habe.1 Nach Andreas Kossert war der von Albrecht 1525 abgelegte Lehnseid kein Akt der Unterwerfung unter König Sigismund den Alten, wie die deutsche Historiographie behaupte, sondern ein „brillanter Schachzug“.2 Mit dieser Feststellung bin ich selbst einverstanden.3 Schwerlich nachzuvollziehen ist die Behauptung von Almut Bues, dass „es Albrecht trotz wiederholter Versuche nicht gelungen“ sei, „einen größeren, konfessionell einheitlichen Staat zu bilden“ (S. 25). Das durch ihn errichtete Herzogtum Preußen war doch ein solcher Staat mit dem Luthertum als herrschender Religion. Almut Bues hat in ihre Publikation ein Verzeichnis der ihrer Meinung nach wichtigsten, die Apologien betreffenden Dokumente in chronologischer Reihenfolge für die Zeit 1525–1545 (S. 37–51) aufgenommen. Hinzu kommen 22 an Herzog Albrecht gerichtete Schreiben, darunter einige Briefe des polnischen Königs Sigismund dem Alten. Wir erfahren jedoch nicht, nach welchen Kriterien sie diese Dokumente ausgesucht und andere verworfen hat. Einige fehlerhafte Quelleninterpretationen sind bereits von Danuta Bogdan kritisiert worden.4 Vorbehalte sind auch gegenüber dem am Ende aufgeführten Literaturverzeichnis zu machen. Es ist nicht klar, nach welchen Kriterien es zusammengestellt wurde, denn veröffentlichte Quellen und Abhandlungen werden nebeneinander aufgeführt. Das Literatur- und das Quellenverzeichnis könnte noch um mehr als zehn Positionen ergänzt werden. Almut Bues scheint die Arbeiten einiger polnischer Historiker zu ignorieren. Erstaunlich ist auch, dass auf der Titelseite des Buches die Information fehlt, dass sie Herausgeberin des vorliegenden Quellenbandes ist.5 Die Eintragung, die sich dort befindet, suggeriert nämlich, dass die Arbeit eine Monographie und nicht eine Quellenedition ist. Toruń/Thorn Jacek Wijaczka
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REMIGIUS BÄUMER, Albrecht von Brandenburg und die Einführung der Reformation in Preußen. In: ZEITSCHRIFT FÜR DIE GESCHICHTE UND ALTERTUMSKUNDE ERMLANDS 48 (1996) S. 24-46, hier S. 34. ANDREAS KOSSERT, Ostpreußen. Geschichte und Mythos. Berlin 2005, S. 51. Poln. unter dem Titel: Prusy Wschodnie. Historia i mit. Warszawa 2009, S. 45. JACEK WIJACZKA, Albrecht von Brandenburg-Ansbach (1490-1568). Olsztyn 2010, S. 315-323. Siehe dazu die anschließende Besprechung S. 128-131. DANUTA BOGDAN. In: KWARTALNIK HISTORYCZNY 117 (2010) Nr. 4, S. 148. EDMUND KIZIK. In: GDAŃSKI ROCZNIK EWANGELICKI 4 (2010) S. 219-220. Engl.Version in: ACTA POLONIAE HISTORICA 102 (2010) S. 183-185.
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Jacek Wijaczka, Albrecht von Brandenburg-Ansbach (1490-1568). Ostatni mistrz zakonu krzyżackiego i pierwszy książe „w Prusiech“ [Albrecht von Brandenburg-Ansbach (1490-1568). Letzter Hochmeister des Deutschen Ordens und erster Herzog „in Preußen“]. Olsztyn: LITTERA 2010. 336 S., 26 Abb. Eingangs hebt Wijaczka, der schon durch mehrere profunde, auf breiter Quellenbasis beruhende Veröffentlichungen zur Geschichte der preußisch-polnischen Beziehungen in der Frühen Neuzeit hervorgetreten ist, das bisherige geringe Interesse der polnischen Historiografie an der Person des letzten Deutschordenshochmeisters und ersten Herzogs in Preußen hervor. Obwohl dieser in den meisten Handbüchern erwähnt werde, sei das fast ausschließlich im Zusammenhang des letzten Krieges Polens mit dem Orden in den Jahren 1519-1521 und des Krakauer Vertrages von 1525 erfolgt. Das hänge weitgehend mit der negativen Betrachtung des Ordens in der polnischen Fachliteratur zusammen, die sich erst in den 1980er Jahren allmählich geändert habe. Umso größer sei das langjährige Übergewicht der deutschen Forschung zum Thema „Albrecht“ gewesen, das vor allem durch Namen wie Paul Tschackert und Walther Hubatsch repräsentiert werde. Um die Kenntnisse weiterer Kreise der polnischen Öffentlichkeit über das Leben, Wirken und die Folgen der Regierungstätigkeit dieser auch für Polen wichtigen Persönlichkeit zu vertiefen, hat W. eine populärwissenschaftliche Darstellung verfasst, die auf jegliche Quellen- und Literaturbelege verzichtet und sich auf ein allzu knappes Veröffentlichungsverzeichnis beschränkt, das zentrale Titel von Autoren wie Stephan Dolezel, Kurt Forstreuter, Helmut Freiwald, Antjekathrin Grassmann, Iselin Gundermann und Peter Gerrit Thielen außer Acht lässt. Besonders bedenklich ist, dass er die im Rahmen eines Erschließungsprojektes des Berliner Geheimen Staatsarchivs zum Bestand „Herzogliches Briefarchiv“ gefertigten Vollregestenbände, die einen detaillierten Einblick in die breitgefächerte Korrespondenz Albrechts vermitteln, mit keinem Wort erwähnt1. Das in elf Kapitel gegliederte Buch beschreibt zunächst Albrechts Herkunft und Jugend im heimatlichen Franken, das damals von seinem Vater, dem mit der Schwester Sigismunds des Alten, Sophie, verheirateten Markgrafen Friedrich V. von Ansbach regiert wurde. Die ausführliche Behandlung dieser Eheverbindung dürfte mit der Absicht des Autors, das Interesse des polnischen Lesers zu wecken, in Verbindung stehen. Fraglich erscheint, ob sich der junge Markgraf schon in seinen Jugendjahren mit der polnischen Sprache befasst hat, wenn er diese auch später nicht wirklich beherrscht habe. Korrekturbedürftig ist, dass mit dem „unteren Franken“ Kulmbach und mit dem „oberen“ Ansbach gemeint sei. In Wirklichkeit war es genau umgekehrt, wobei das Gebiet „auf dem Gebirg“ Kulmbach und Bayreuth und das „unter dem Gebirg“ Ansbach bezeichnete. Der Kölner Erzbischof Hermann IV., der an seinem Hof Albrechts Bildung förderte, war nicht der Sohn des Kurfürsten, sondern des Landgrafen Ludwig I. von Hessen. 1
STEFAN HARTMANN, Das Herzogliche Briefarchiv und seine Regestierung. In: Preußens erstes Provinzialarchiv. Zur Erinnerung an die Gründung des Staatsarchivs Königsberg vor 200 Jahren. Hrsg. von BERNHART JÄHNIG und JÜRGEN KLOOSTERHUIS (TAGUNGSBERICHTE DER HISTORISCHEN KOMMISSION FÜR OST- UDN WESTPREUSSISCHE LANDESFORSCHUNG, 20). Marburg 2006, S. 197-213.
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Diskussionsbedürftig ist auch, dass sich Albrechts älterer Bruder, Markgraf Kasimir, Zeit seines Lebens zum Katholizismus bekannte, wusste doch Albrecht nicht, ob dieser 1527 „evangelisch oder papistisch abgeschieden“ war. Die im folgenden Kapitel behandelte Hochmeisterzeit Albrechts mit dem Schwerpunkt auf den Ereignissen des sogen. Reiterkrieges 1519–1521 bewertet diese vor allem aus polnischer Sicht, was allerdings nicht unbedingt ein Nachteil ist, weil hier Standpunkte vertreten werden, die in deutschen Veröffentlichungen nur ungenügend beleuchtet werden. So begründet W. die harte Politik Sigismunds I. gegenüber dem Orden mit der polnischen Staatsräson, die dem komplexen Charakter dieses Vielvölkerreichs geschuldet war. Der Monarch musste daher den zuletzt mit militärischer Gewalt betriebenen Versuchen Albrechts, sich von den Fesseln des Zweiten Thorner Friedens zu befreien, Einhalt gebieten. Es spricht aber für die Sachlichkeit des vom Autor gefällten Urteils, trotz größeren militärischen Potentials der Krone habe der letzte Krieg Polens gegen den Orden mit dem Erfolg Albrechts und seiner Armee geendet, wofür die schlechte Finanzlage Sigismunds und die geschickte Taktik des auf Söldnertruppen gestützten Hochmeisters, der sich schon damals in der Kriegskunst als erfahren erwies, verantwortlich gewesen sei. Besonders ausführlich werden im dritten Kapitel die Vorgeschichte, der Inhalt und die Folgen des Krakauer Vertrages vom 10. April 1525 beleuchtet, dessen Kern die Belehnung Markgraf Albrechts unter Mitberücksichtung seiner Brüder Kasimir, Georg und Johann mit dem säkularisierten Herzogtum Preußen gewesen ist. Bei der Bewertung des „Krakauer Eides“ schlägt W. den Bogen von Albrechts Zeitgenossen – als Beispiele nennt er Dantiscus, den dänischen König Christian II. und den ermländischen Bischof Mauritius Ferber – über die polnischen Könige des 17. Jahrhunderts, die durch den Abschluss der Verträge von Wehlau und Bromberg (1657) besonders sensibilisiert waren, bis zur zunehmend national bestimmten polnischen Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts, wobei negative Meinungen eindeutig vorherrschten. Zu einem ausgewogeneren Urteil gelangte erst Marian Biskup mit der Erklärung, „den Krakauer Eid könne man heute weder verdammen noch verachten“. Auf die Standpunkte der deutschen Historiografie zu dieser Frage kommt W. erst in der Zusammenfassung am Schluss seines Buches zu sprechen. Er stellt hier ältere Publikationen, z. B. von Hubatsch und Forstreuter, mit einem positiven Urteil der jüngeren Forschung, u. a. von Boockmann, gegenüber, der den Herzog als „Rechtsverletzer und Hasardeur“ bezeichnet habe. Er selbst kommt zu einem eher ausgewogenen Ergebnis, indem er Albrecht als „loyalen Lehnsfürsten der beiden letzten Jagiellonen“ charakterisiert, wofür er vor allem dessen bedrängte Lage im Reich durch die über ihn verhängte Acht des Kaisers verantwortlich macht. Diesem Problem widmet er ein eigenes Kapitel, in dem er auf die mit polnischer Hilfe ständig erneuerten, aber bis zu seinem Tod ergebnislos verlaufenen Versuche des Herzogs, sich dieser Fessel zu entledigen, ausführlich eingeht. Weitere von W. behandelte Aspekte sind Albrechts zwei Ehen, von denen nur die erste mit Dorothea von Dänemark glücklich verlief, während er sich bei seinen zweimaligen Versuchen, eine Schwester Sigismund Augusts zu ehelichen, eine Absage einhandelte, was letztlich für Polen fatal war, weil damit die Chance vertan wurde, den Einfluss der Krone auf die in Preußen
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herrschende Familie zu verstärken und den Rückfall des Lehens an das Jagiellonenreich zu erleichtern. Diese Situation wie Albrechts Bemühungen um die Einräumung eines Sitzes im Senat und die Teilnahme an den polnischen Königswahlen, die er auf Grund des Artikels 14 im Krakauer Vertrag beanspruchte, die Appellationsfrage, die zur Münzunion Preußens mit Polen führenden langwierigen Verhandlungen und der Kampf um Livland werden im Kapitel „Herzog Albrecht und Polen“ beleuchtet. Dabei ist jedoch zu betonen, dass der Einfluss Polens und Litauens in Livland erst seit etwa 1550 zunehmend an Gewicht gewonnen hat. Zu ergänzen ist, dass der Wolmarer Rezess von 1546 nicht grundsätzlich die Annahme fremder Fürsten als Koadjutoren untersagte, sondern diese von der Zustimmung der livländischen Stände abhängig machte. Gleichfalls ist richtig zu stellen, dass die Wahl Christophs von Mecklenburg zum Koadjutor des Erzstifts Riga nicht im Januar 1556, sondern erst Anfang Oktober 1557 in Kokenhusen erfolgt ist. Hier macht sich wie schon in anderen Fällen die Nichtberücksichtigung des Regestenwerks zum Herzoglichen Briefarchiv nachteilig bemerkbar. Besser gelungen ist dagegen im Kapitel „Albrecht als Militär“ die Darstellung des sogen. „Nusskrieges“ von 1563, der durch die Bedrohung des Preußenlandes durch die Söldnerhaufen Herzog Erichs von Braunschweig ausgelöst wurde, die vor allem dank der aktiven Teilnahme Albrechts abgewehrt werden konnte. Bei der Behandlung der „dänischen Grafenfehde“ fehlt der Hinweis, dass diese vor allem durch ihre Verknüpfung mit der „Öseler Stiftsfehde“ eine für Livland und Preußen bedrohliche Gestalt annahm, die sich möglicherweise Angriffen von zwei Seiten ausgesetzt sahen. Bei der „Kriegsordnung“ sind u. a. die engen Kontakte Albrechts zum Moldauer Despoten Jakob Heraklides zu ergänzen, zeigen diese doch, dass der Herzog seine Kriegsstudien nicht nur im preußischen, sondern auch im allgemeineuropäischen Interesse betrieben hat. Zentrale Aspekte im religiösen und kirchlichen Bereich sieht W. in Albrechts engen Kontakten zu Luther, die ihn zur Niederlegung des Hochmeisteramts und Säkularisierung des Ordensstaates in Preußen, verbunden mit dem Motiv, sich als weltlicher Fürst unter polnische Schutzherrschaft zu begeben, veranlassten. Stärker hätte betont werden müssen, dass er als Oberhaupt einer eigenen Landeskirche eine Ordnung schuf, die geistliche und weltliche Gesichtspunkte in Form eines Staatsgrundgesetzes miteinander verband. Im Wesentlichen referiert W. in diesem Kapitel bereits Bekanntes. Eine Ausnahme sind jedoch seine Ausführungen über Albrechts Beziehungen zur Reformation in Polen, die in deutschen Publikationen allenfalls marginal angesprochen werden und damit den Kenntnisstand erweitern. Breiter Raum wird dem Wirken des Herzogs auf dem Feld von Kultur und Wissenschaft eingeräumt, wobei die Gründung der Universität Königsberg und ihre schließliche Konfirmation durch den polnischen Monarchen Sigismund II. August im Jahr 1560 einen Schwerpunkt bilden. Abschließend werden die „schwierigen sechziger Jahre“ behandelt, in denen Albrecht vor allem auf Grund seiner Krankheit und der Intrigen seines Schwiegersohns Johann Albrecht von Mecklenburg zunehmend die Herrschaft über sein Territorium entglitt und die ohnehin mächtigen preußischen Stände im Bund mit den ins Herzogtum entsandten polnischen Kommissionen das Geschehen weitgehend diktierten.
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Bedauerlich ist, dass W. die vielfältigen Beziehungen Albrechts zum Ermland auf wenigen Seiten abhandelt. Gänzlich ausgeblendet bleibt der Faktor, dass gerade die engen Verflechtungen im wirtschaftlichen Bereich ein solides Fundament für das konstruktive, zeitweise sogar freundschaftliche Verhältnis beider Seiten zueinander geschaffen haben, das durch konfessionelle Differenzen nicht wirklich in Frage gestellt werden konnte. Während die fortschreitende Verschreibung von umfangreichen Gütern und teilweise sogar von ganzen Ämtern an den ostpreußischen Adel dessen Machtstellung im Herzogtum weiter stärkte – zu ergänzen ist, dass dieser Prozess bereits zur Zeit des Deutschen Ordens eingesetzt hatte –, werden die von Albrecht intensiv betriebene Siedlungstätigkeit und ihre Auswirkungen auf das soziale und rechtliche Gefüge seiner Untertanen kaum behandelt und teilweise sogar vollständig ausgeklammert. Insgesamt beurteilt W. aber Albrechts Regierung weitgehend positiv, was für seine persönlichen Verhältnisse vor allem infolge seiner zweiten Heirat mit Anna Maria von Braunschweig nicht mehr gegolten habe. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Wijaczkas Buch zwar dem polnischen Leser einen Überblick über die wichtigen Bereiche seines Lebens und Wirkens vermittelt, durch den Verzicht auf einen wissenschaftlichen Apparat und die Nichtberücksichtigung zentraler Veröffentlichungen, vor allem der deutschen, die wissenschaftliche Forschung aber kaum bereichert. Berlin Stefan Hartmann
Bogusław Dygdała, Struktury parafialne diecezji chełmińskiej w XVII-XVIII wieku [Die Pfarrstrukturen der Diözese Kulm im 17. bis 18. Jahrhundert]. Toruń: Uniwersytet Mikolała Kopernika 2009. 394 S., graph. Darst., 1 Kt.-Beil. Zusammenfassung in deutscher Sprache. (Roczniki Towarzystwa Naukowego w Toruniu, 93, 3). Der Autor, Direktor der Thorner Diözesanbibliothek, untersucht detailliert die Veränderungen im Pfarrnetz der Diözese Kulm im 17. und im 18. Jahrhundert, jedoch nur in den Grenzen der Wojewodschaft Kulm. Das Buch ist eine tiefgehende Analyse der Veränderungen der Grenzen der Diözese, der Dekanate und Pfarreien. Darüber hinaus stellt es herausragende Persönlichkeiten des Kulmer kirchlichen Lebens vor, beschreibt die nachtridentinischen Visitationen in der Diözese, ihre Gotteshäuser und den Klerus. Dies alles wird vielfach in den breiteren Kontext des politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Lebens im Königlichen Preußen und in der Krone Polen gestellt. Besondere Beachtung verdienen die zwei ersten Kapitel des Bandes. Das erste Kapitel fasst unsere Kenntnisse über die Kulmer Visitationen in der nachtridentinischen Zeit zusammen. Dygdała stellt die von den Kulmer Bischöfen persönlich oder von ihren Delegaten (Jan Ludwik Strzesz, Teodor Potocki, Feliks Ignacy Kretkowski, Andrzej Stanisław Załuski, Wojciech Stanisław Leski, Andrzej Ignacy Baier, Karl von Hohenzollern) durchgeführten Visitationen in den jeweiligen Zeitrahmen und beschreibt ihren Verlauf und ihre Ergebnisse. Er geht auch auf die in
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den überlieferten Quellen nicht erwähnten Visitationen im 17. und am Anfang des 18. Jahrhunderts ein. Im zweiten Kapitel werden die Veränderungen des Dekanats- und Pfarrnetzes dargestellt. Da sich diese Veränderungen gewöhnlich im Zusammenhang mit militärischen Konflikten und den nachfolgenden Zerstörungen und Verelendungen ereigneten, bilden in diesem Kapitel der Beginn der Reformation in Preußen im 16. Jahrhundert, die zwei schwedischen Kriege im 17. Jahrhundert sowie der Nordische Krieg im 18. Jahrhundert jeweils eine zeitliche Zäsur. Reichlich Platz wird auch dem Patronatsrecht über die Kulmer Kirchen gewidmet sowie der Anzahl, den Arten und der Verteilung der katholischen Gotteshäuser im genannten Gebiet. Der Wert der beiden ersten Kapitel des Buches beruht auf dem ausgewerteten Quellenmaterial. Es handelt sich hauptsächlich um die Visitationsprotokolle sowie Unterlagen der Kurie und des Konsistoriums im Diözesanarchiv in Pelplin, ferner um Matrikelbücher im Archiv Alter Akten in der Diözese Thorn. Dygdała analysiert diese Dokumente sehr genau. Er hat auch zahlreiche hauptsächlich durch die Wissenschaftliche Gesellschaft in Thorn veröffentlichte Quellentexte berücksichtigt. Ernsthafte Bedenken sind jedoch in Bezug auf den Inhalt der zwei nachfolgenden Kapitel anzumelden. Im ersten versucht der Autor, den Kulmer Klerus im 17. und 18. Jahrhundert darzustellen. Leider kann dies nicht auf angemessenem Niveau geschehen, wenn zuvor nicht die personelle Besetzung des Domkapitels und der Pfarreien untersucht, das heißt im Grunde ein biographisches Lexikon erstellt wurde, wie es für die Diözese Ermland und das Offizialat Pomesanien vorliegt. Ohne derartige Untersuchungen bleiben die Kenntnisse über die Kulmer Geistlichkeit nur fragmentarisch und ohne Ertrag. D. hat sich im Grunde nur mit der materiellen Situation des katholischen Klerus beschäftigt und dabei so wesentliche Elemente vernachlässigt wie Anzahl, Herkunft, Bildung, Mobilität, Frömmigkeit und Moral. Ein sachlich schwaches Kapitel in den Band aufzunehmen, war offensichtlich ein Fehler, zumal es nicht unbedingt mit dem in dem Buch behandelten Thema zu tun hat. Ein ähnlicher Vorwurf ist in Bezug auf das letzte Kapitel zu erheben. Der Autor wollte die Baugeschichte sowie die Ausstattung und architektonische Gestalt der Kulmer Kirchen darstellen. Das wäre jedoch eher ein Thema für eine eigene und sehr umfangreiche Monographie, eingebettet in die Geschichte der Region, aber auch in die Kunstgeschichte. Der ernsthafteste Vorwurf betrifft jedoch die Tatsache, dass im vorliegenden Buch das Gebiet des Offizialats Pomesanien keinerlei Erwähnung findet, also die fünf Dekanate der früheren Diözese Pomesanien, die nach 1525 im Königlichen Preußen verblieben waren. Die Dekanate Marienburg, Neuteich, Christburg, Stuhm, Posilge wurden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts der Diözese Kulm angegliedert. Sie waren dann bis 1821 Bestandteil dieser Diözese. Die Kulmer Bischöfe haben auf Empfehlung des Apostolischen Stuhles gerade die Verbindung beider Teile der Diözese, des Kulmer und des pomesanischen, besonders herausgestellt, indem sie den Titel episcopus Culmensis et Pomesaniensis führten. Die bischöflichen Visitationen erstreckten sich fast immer auf beide Teile der Diözese, und wenn wir ihren Ablauf verfolgen und die Reformdekrete lesen, können wir uns überzeugen, dass die Probleme und das geistliche Wohl Pomesaniens allen
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Kulmer Bischöfen besonders am Herzen lagen. Darüber hinaus hat der Klerus der Diözese Kulm im 17. und 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit dem seelsorglichen Dienst ständig zwischen dem Kulmer Land und Pomesanien gewechselt. Schließlich brachte Pomesanien, konkret die Gemeinde Fischau, die finanziellen Mittel für die Unterhaltung des Priesterseminars in Kulm auf. Dass somit das Gebiet des Offizialats Pomesanien unberücksichtigt bleibt, ist ein Mangel, der einem weniger bewanderten Leser eine historische Unwahrheit suggerieren kann. Der Autor selbst begründet dieses Vorgehen nur mit einem Satz: „Wir werden uns indes nicht mit den fünf Dekanaten der Diözese Pomesanien beschäftigen, die in der früheren Wojewodschaft Marienburg liegen, die – obgleich sie unter die Verwaltung der Kulmer Bischöfe gestellt worden waren – doch von besonderer Eigenart waren und ein eigenes Offizialat Pomesanien bildeten“ (S. 10). Das Archidiakonat Pommerellen war auch von „besonderer Eigenart“, war ebenfalls ziemlich weit vom „Herzen der Diözese“ entfernt, und doch wird seine Verbindung zur Diözese Włocławek nicht in Frage gestellt. Wenn Pomesanien, wie der Autor feststellt, eine besondere Eigenart zuzuschreiben ist, hätte es in einem eigenen Kapitel dargestellt werden sollen, wobei auch die Forschungsergebnisse von Jan Wiśniewski zu berücksichtigen gewesen wären. Schließlich ist noch anzumerken, dass Dygdała bei der Untersuchung der Visitationsprotokolle der Kulmer Bischöfe nur jene Inhalte ausgewählt hat, die die Gemeinden in der Wojewodschaft Kulm betrafen und die zum Thema, wie er es auffasste, passten. Das war eine künstliche Maßnahme, denn die Kulmer und die pomesanischen Visitationsprotokolle sind häufig beide zusammen in denselben Archiven und in denselben Heften zu finden. Der Leser muss sich also dessen bewusst sein, dass der Titel des Bandes nicht genau dem Inhalt entspricht. Richtig müsste er heißen: Die Pfarrstrukturen in der Wojewodschaft Kulm im 17.–18. Jahrhundert. Abgesehen von den kritischen Anmerkungen kann jedoch dem Buch ein bedeutender Erkenntniswert nicht abgesprochen werden. Es ordnet und erweitert unser Wissen über die Diözese Kulm in der Neuzeit beträchtlich. Es ist ein guter Ausgangspunkt für eine künftige große Monographie über diese Diözese. Elbląg/Elbing Wojciech Zawadzki
Budowanie mostów. Daniel Ernest Jabłoński w Europie wczesnego Oświecenia [Brückenschläge. Daniel Ernst Jabłoński im Europa der Frühaufklärung] Hrsg. von Joachim Bahlcke, Bogusław Dybaś und Hartmut Rudolph. Übersetzung aus dem Deutschen: Rafael Sendek, Marek Kryś. Leszno: Państwowa Wyższa Szkoła Zawodowa im. J. A. Komeńskiego w Lesznie 2010. 439 S., zahlr. Ill. Das Leben und Werk des in Nassenhuben bei Danzig geborenen Geistlichen und Intellektuellen Daniel Ernst Jabłoński (1660–1741), eines der herausragendsten ökumenischen Pioniere seiner Zeit, gehört zu den interessantesten Kapiteln der Religionsgeschichte und der Wissenschaftsorganisation in der Zeit der Frühaufklärung in Mitteleuropa – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen.
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Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um die polnische Version des Katalogs der Ausstellung „Brückenschläge – Daniel Ernst Jablonski im Europa der Frühaufklärung“.1 In Vorbereitung ist auch eine tschechische Ausgabe. Diese Ausstellung bildete die Krönung eines Projekts, welches von einem von der Universität in Stuttgart in Zusammenarbeit mit Institutionen in Polen und Tschechien koordinierten Forscherteam vorbereitet wurde, mit dem Ziel, an das Werk von Jabłoński zu erinnern und es auf dem Hintergrund des damaligen religiösen und wissenschaftlichen Lebens zu erklären. Diese Ausstellung wurde in den Jahren 2010–2012 bereits in Berlin, Leszno/Lissa, Frankfurt an der Oder, Prag, Toruń/Thorn, Hannover und Oldenburg gezeigt. Das Buch ist nicht in der typischen Katalogmanier eines Führers durch die Ausstellung gehalten, welcher nur den Charakter der ausgestellten Exponate, Schautafeln und Dokumente erklären möchte, sondern eine Sammlung von 19 Artikeln in Essayform, die sowohl den verschiedenen Etappen im Leben Jabłońskis als auch der Geschichte der Wissenschaft und des Bildungswesens von der Mitte des 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts gewidmet sind. In einer kurzen Einführung der Herausgeber wird an das im Titel genannte Symbol der Verständigung und Zusammenarbeit angeknüpft – das der Brücke. Auch wenn die Symbolik der Brücke für Jabłońskis Zeitgenossen keine solche Bedeutung besaß, stellt sie heute ein hinreichend deutliches Symbol der Versöhnung dar; auf diesen Vergleich greifen die Autoren der einzelnen Essays mehrfach zurück. Den einzelnen Artikeln sind jedes Mal kommentierte Tafeln vorangestellt, die Reproduktionen von Bildern, Autografen, Titelseiten von Werken der Aufklärung oder anderen Bildern enthalten, die für die Thematik des jeweiligen Textes charakteristisch sind. Im ersten fachbezogenen Essay des Bandes liefert Rudolf Vierhaus eine Darstellung der Wissenschafts- und Gesellschaftskultur um 1700, wobei er seine Aufmerksamkeit vor allem auf die Verhältnisse in Deutschland richtet (S. 18–31). Schade, dass er Russland nicht mehr Raum gewidmet hat, dessen Okzidentalisierung im 18. Jahrhundert sowohl den Niedergang der Position der Polnisch-Litauischen Adelsrepublik als auch Schwedens und der Türkei bewirkte. Angebracht gewesen wäre außerdem eine Information über die demografischen Verhältnisse, vielleicht auch über die große Pestepidemie (1708–1714), die ganz Mitteleuropa erschütterte. Thematisch an den Inhalt des ersten Essays knüpft der folgende Artikel von Roland Gehrke über die Zunahme der Bedeutung Preußens im 17. und bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts an (S. 136–151). In seinem gut dokumentierten Artikel skizziert Joachim Bahlcke am Beispiel von Johann Amos Comenius sowie Figulus-Jabłoński ein Bild der Geschichte der Religionsflüchtlinge in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (S. 32–51), die auf der Suche nach einem toleranten Ort für ihre Gemeinden in Mitteleuropa umherirrten. Eine Zeitlang, am Ende des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, war Polen-Litauen ein solcher sicherer Hafen für sie. Korrigiert werden muss die in der Beschreibung der Medaille zum 200-jährigen Jubiläum der Inkorporation 1
Brückenschläge. Daniel Ernst Jablonski im Europa der Frühaufklärung. Halle: Deutsches Kulturforum Östliches Europa Potsdam in Kooperation mit dem Verlag Janos Stekovics Dößel 2010.
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Preußens (und Danzigs in die Krone Polen) enthaltene Behauptung, Danzig habe zum Zeitpunkt seiner Unterstellung unter Polen sein Territorium gewahrt. Erst im Augenblick der Inkorporation im Jahre 1454 erhielt die Stadt Landbesitz aus der Hand des polnischen Königs. Es ist nicht auszuschließen, dass dieses Missverständnis aus der nicht ganz präzisen Übersetzung resultiert. Bogusław Dybaś stellt die Rolle von Lissa als Zentrum der Unitas Fratrum in der zweiten Hälfte des 16. und im 17. Jahrhundert vor (S. 55–69). Ihre Blütezeit erlebte diese internationale Gemeinschaft, die in den Besitzern der Stadt, den Mitgliedern der Familie Leszczyński, einen starken Rückhalt besaß, in den Jahren vor dem Ausbruch des polnisch-schwedischen Krieges 1655-1660. In dieser Stadt fanden seit 1626 zahlreiche Exulanten aus Böhmen und Mähren Zuflucht (etwa 1500 bis 2000 Personen). Unter ihnen befand sich auch Comenius. Die 1655 von den Schweden besetzte Stadt wurde im Jahr darauf von den Polen erobert, geplündert und niedergebrannt. Trotz der Bedeutung dieser Tatsache, die als symbolisches Ende der Adelsrepublik als eines den Andersgläubigen gegenüber freundschaftlich gesinnten Landes verstanden wurde, konnte Lissa noch bis zum Erlöschen der polnischen Eigenstaatlichkeit am Ende des 18. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle für die protestantische Diaspora bewahren. Mit dieser Stadt war in seiner Kindheit u. a. auch Daniel Ernst Jabłoński verbunden, der nach Jahren dorthin zurückkehrte und in den Jahren 1686–1691 als Rektor des dortigen Gymnasiums tätig war. Die einzelnen Etappen der Ausbildung Jabłońskis, von Lissa bis Oxford, behandelt Hartmuth Rudolph (S. 70–85). Er betont die Rolle der pädagogischen Methoden und den Einfluss des Geistes von Comenius auf die Erziehung des jungen Jabłoński und charakterisiert sein Universitätsstudium in Frankfurt an der Oder (Viadrina) sowie in Oxford. Berlin als Zentrum des intellektuellen Lebens im brandenburgisch-preußischen Staat um 1700 wird von Detlef Döring charakterisiert (S. 86–101). Der Autor unterstreicht besonders die Rolle der Hugenotten, die nach ihrer Ankunft eine beträchtliche Rolle im intellektuellen Leben dieser Stadt spielten, und beschreibt die führenden Persönlichkeiten des wissenschaftlichen Lebens im Berlin der Frühaufklärung. Jabłońskis Karriere als calvinistischer Hofprediger wird im Essay von Wilhelm Hüffmeier geschildert (S. 102–117). Der an den Hof Friedrichs III. (I.) geholte 31-jährige Prediger musste sich mit inneren Zwistigkeiten im Schoße des lokalen Luthertums auseinandersetzen sowie mit den Launen der jeweiligen Herrscher, auch Friedrich Wilhelms I. und für kurze Zeit auch Friedrichs II. Viel Raum widmet der Autor den veröffentlichten Predigtwerken Jabłońskis. Maciej Ptaszyński beschäftigt sich mit der Haltung Jabłońskis zur Adelsrepublik (S. 118–135), wobei er sich besonders auf die Darstellung der sich verschlechternden Situation der dortigen Protestanten konzentriert (u. a. die berüchtigten Thorner Ereignisse von 1724). Vorgestellt werden auch die polnische Fragen betreffenden Stellen in der Publizistik des Berliner Predigers. Interessant schildert er außerdem die Bemühungen Jabłońskis, Hilfe für seine Glaubensgenossen in Lissa und anderen calvinistischen Zentren in Polen und Litauen zu organisieren. Die zunehmende Bedeutung des brandenburgisch-preußischen Staates im Jahrhundert zwischen 1648 und 1740 sowie seine Rolle als Beschützers der europäischen Protestanten
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wird im Artikel von Roland Gehrke charakterisiert (S. 136–151). Das Interesse Englands an den protestantischen deutschen Staaten bildet das Thema des Artikels von Alexander Schunk (S. 152–167). Er konzentriert sich auf die Kontakte und das Interesse von Jabłoński selbst sowie anderer protestantischer Kreise. Es ist schade, dass nicht auch der katholische Hintergrund vorgestellt wurde, denn englische Vorbilder beeinflussten im ausgehenden 17. Jahrhundert ja ausnahmslos ganz Deutschland und die mitteleuropäische Region. Die geografische Verbreitung und die Gestalt des europäischen Calvinismus sowie seine politischen Dimensionen um 1700 stellt Alexander Schunk in einem recht allgemein gehaltenen Artikel dar (S. 168–185). Die Verbindungen Jabłońskis mit der Herrnhuter Brüdergemeine Nikolaus Ludwig von Zinzendorfs werden in dem aufschlussreichen und interessanten Text von Dietrich Meyer charakterisiert (S. 186–201). Auf Bitten Zinzendorfs weihte Jabłoński diesen im Jahre 1735 offiziell als Missionsbischof, womit er entscheidend zur Legitimierung und Entwicklung der Herrnhuter Brüdergemeine beitrug. Die Zunahme der intoleranten Stimmungen in solchen katholischen Ländern wie Frankreich und Polen im 17.–18. Jahrhundert blieben nicht ohne Einfluss auf ein wachsendes Gefühl konfessioneller Solidarität unter den Protestanten. Mit der Rolle Preußens als Beschützer der Protestanten sowie mit Jabłońskis Kampf um Toleranz gegenüber den Andersgläubigen (u. a. den Protestanten in Polen und in Ungarn) beschäftigt sich Joachim Bahlcke (S. 202–219). In den die Situation in Polen betreffenden Abschnitten knüpft der Autor an gewisse Motive an, die bereits aus dem Text von Maciej Ptaszyński bekannt sind. Als relativ schwach erforscht erweist sich die Rezeption des zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Preußen vorhandenen Wissens über die Situation in Russland (auch was die konfessionellen Fragen dort anbelangt). Dieses Thema sowie Jabłońskis Stellenwert in diesem Prozess behandelt Michael Schippan (S. 220–235). Im Essay von Kelly Joan Whitmer wird die Frühaufklärung in Deutschland sowie in ganz Europa als eine „Kultur des Sehens“ dargestellt (S. 236–249). Es ist nicht sicher, ob die Übersetzung die Absicht der Autorin in ausreichendem Maße wiedergibt, aber für mich bleibt nicht nur das Ziel des Artikels selbst unklar, sondern auch die dort verwendeten Argumente überzeugen mich nicht. Wichtiger für das Verständnis des Charakters der Wissenschaft und des Bildungswesens an der Wende des 17./18. Jahrhunderts ist die von Albert de Lange vorgestellte, in der Zeit der Frühaufklärung noch recht verbreitete Verbindung eines wissenschaftlichen Optimismus mit demütiger Frömmigkeit (S. 250–267). Erst mit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann eine Zeit, in der der Glaube an die Möglichkeit einer unbeschränkten Beschreibung des Mechanismus der Welt zu einer Infragestellung der Rolle Gottes führte. An den Text von de Lange knüpft der Essay an, in dem Hartmuth Rudolph auf interessante Weise die Evolution eines frühaufklärerischen Forschers am Beispiel Jabłońskis aufzeigt (S. 268–287). Jabłoński hatte mit theologischen Fragen begonnen, interessierte sich aber mit der Zeit immer mehr für die Erforschung orientalischer Themen, für die Sprachwissenschaft (Hebraistik) und die Geschichte des Protestantismus in Polen. Ein wichtiges und für Mitteleuropa wohl auch weiterhin nicht hinreichend erforschtes Problem
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bildet das Thema des nächsten Textes von Joachim Bahlcke (S. 288–305). Darin schildert er die Rolle sowie die Formen der Kommunikation zwischen den Gelehrten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Briefe, Reisen, Austausch von Büchern) und verweist auf ein neues Medium, das damals erst seinen Platz im wissenschaftlichen Leben Europas zu finden begann. Es handelt sich um das wissenschaftliche Zeitschriftenwesen, das in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem Ort des schnellen Informationsaustausches zwischen den Wissenschaftlern wurde. Jabłońskis Einstellung zu den Kreisen der Wissenschaftler und der Lutheraner stellt Hartmuth Rudolph dar (S. 306–325). Das ist eine überaus wichtige Sache, denn der gelehrte Prediger gehörte ja immerhin zu den Initiatoren und Gründern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin und plante eine Vereinigung der wichtigsten protestantischen Konfessionen, aber Jabłońskis Rolle wurde an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert vergessen und zum Teil auch verschwiegen. An diese Frage knüpft der letzte Essay des Bandes an, der den Folgen des Wirkens sowie der Rezeption der Werke Jabłońskis, aber auch seinen Forschungsplänen gewidmet ist (S. 326–343). Joachim Bahlcke präsentiert Biogramme des Gelehrten, die posthum veröffentlichten Werke des Predigers sowie das Schicksal der sein Leben dokumentierenden Archivalien. Seinen Text beschließt er mit einer kurzen Charakteristik der Forschungen über Jabłoński, deren Bedeutung für die deutsche Kultur und generell für die europäische Aufklärung zu Beginn des 20. Jahrhunderts als das Werk eines angeblichen „Slawen“ oder „Pollacken“ abgewertet wurde. Die Publikation beschließen ein Glossar (S. 344–359), eine Zeittafel (S. 360–369), ein gut konzipiertes Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 377–424) sowie ein Autorenverzeichnis (S. 370). Zum Schluss möchte ich auf gewisse Probleme im Zusammenhang mit der Übersetzung aufmerksam machen. In der polnischen Übersetzung suggeriert der Untertitel des Artikels von Joachim Bahlcke (Daniel Ernest Jabłoński – od teologa i uczonego do budowniczego mostów w Europie) nolens volens, dass wir es hier mit einer Karriere „vom Theologen zum Ingenieur“ (d. h. zum Brückenbauer im technischen Sinne) zu tun haben. Die vorliegende polnische Version des Katalogs ist zwar im allgemeinen verständlich, aber in stilistischer Hinsicht oft einfach unbeholfen – hier fehlte leider eine entsprechende redaktionelle Überarbeitung des Textes durch einen Polonisten. Außer dem Essay von Kelly Joan Whitmer ist dies einer der wenigen Mängel dieser ansonsten – sowohl in Bezug auf Erkenntnisgewinn als auch Popularisierung – sehr wichtigen Initiative. Hervorzuheben ist, dass der Band in einer attraktiven Aufmachung herausgegeben wurde. Die Reproduktionen der Bilder, der illustratorischen Buchgrafik, der Titelseiten aus ausgewählten Traktaten jener Epoche, der Manuskriptfragmente, Karten und Medaillen, die die einzelnen Texte begleiten, wurden gut überlegt ausgesucht und entsprechend kommentiert. Insofern kann die Ikonografie des Gegenstandes als eine wichtige Quelle von Erkenntnissen angesehen werden, was in klassischen Arbeiten von Historikern nicht oft der Fall ist, in denen die Ikonografie meistens auf das Niveau bloß schmückender Illustrationen reduziert bleibt. Dies hebt den Wert des Buches ganz beträchtlich. Der Katalog kann mit Erfolg u. a. in der Seminararbeit mit Studenten verwendet werden. Gdańsk/Danzig Edmund Kizik
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Wulf D. Wagner, Heinrich Lange, Das Königsberger Schloss. Eine Bau- und Kulturgeschichte. Band 2. Von Friedrich dem Großen bis zur Sprengung (1740–1967/68). Das Schicksal seiner Sammlungen nach 1945. Hrsg. von der Stadtgemeinschaft Königsberg (Pr). Regensburg: Schnell & Steiner 2011. 608 S., 651 Schwarzweiß- und 70 Farbabb. Der zweite Teil der von Wulf Wagner verfassten opulenten Monographie des Königsberger Schlosses ist nach den gleichen Prinzipien aufgebaut wie der erste Band (siehe die Besprechung in ZGAE 54, 2010, S. 107 f.). Baugeschichte und gelebte Kulturgeschichte sollen miteinander verwoben werden. Kaiser, Beamte und Lokalpächter treten nebeneinander auf und sollen die Geschichte der Architektur mit Leben füllen. Mit der stetig steigenden Quellendichte in der Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts konnte der Autor auf einen immer dichter werdenden Fundus an Informationen über das Innen- und Alltagsleben des Schlosses zurückgreifen, was sich auch auf den Umfang des Bandes mit über 600 Seiten ausgewirkt hat. Die Fülle der zur Verfügung stehenden Quellen führte dazu, dass sich das Schwergewicht der Monographie, im Vergleich zum ersten Band, von der Baugeschichte weg zur Kultur- und Alltagsgeschichte hin verlagerte. Hinzu kommt noch, dass der Ausbau des Schlosses in der Mitte des 18. Jahrhunderts weitgehend abgeschlossen war und fast nur noch temporäre Veränderungen im Inneren erfolgten. Diese werden von Wulf genau registriert, inklusive zahlreicher nicht ausgeführten Planungsentwürfe. Besonders erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Pläne Friedrich August Stülers, der gleich zweimal (1840 und 1861) neugotische Umbauvorschläge für den Westflügel lieferte, die jedoch nicht realisiert wurden. Die Gliederung des Bands erfolgt bis 1914 anhand der Regierungszeiten der preußischen Könige von Friedrich dem Großen bis Wilhelm II. Den Kapitelanfang bilden dabei immer die Huldigungsfeierlichkeiten und sehr ausführlich die letzte Königsberger Königskrönung 1861 für Wilhelm I. Nur das letzte von Wagner verfasste Kapitel (vom Kriegsausbruch 1914 bis zur Bombennacht 1944) kann diesem Schema aufgrund der politischen Veränderungen nicht mehr folgen. Der Autor beschäftigt sich sehr intensiv mit der Anwesenheit der preußischen Herrscher und ihrer Familie auf dem Schloss. Er spürt aber auch den Besuchen anderer Monarchen nach (etwa Napoleon) und widmet sich mit großer Sorgfalt Persönlichkeiten aus Kultur und Gesellschaft, die aus unterschiedlichen Beweggründen das Schloss aufgesucht hatten. So waren etwa Heinrich von Kleist und Joseph Freiherr von Eichendorff als preußische Beamte im Schloss tätig. Behandelt werden auch die im Schloss ansässigen Institutionen: Regierungspräsidium, Oberlandesgericht, Geheimes Archiv, Provinzialkonservator bis hin zum Weinlokal Blutgericht. Durch den im späten 19. Jahrhundert beginnenden Auszug der staatlichen Behörden aus dem Schloss wurde Platz geschaffen, den vor allem das 1919 ins Leben gerufene Ostpreußische Landesmuseum einnahm, ergänzt durch die in das Schloss zurückkehrende Prussia-Sammlung. Dies sollte dann bei der Zerstörung des Schlosses 1944/45 leider zur Folge haben, dass auch große Mengen an Kunstschätzen zugrunde gingen. Die letzten Kapitel zum Schicksal des Schlosses während des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit bis zur endgültigen Beseitigung der Schlossruine
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sind von Heinrich Lange verfasst, der auch akribisch die Spuren der im Schloss befindlichen Sammlungen verfolgt hat. Zu diesem Zweck hat Lange Forschungsreisen nach Polen und Russland unternommen, die in manchen Fällen zur ,Wiederentdeckung’ einzelner Exponate aus dem Schloss führten. Leider blieben die meisten Nachforschungen des Autors erfolglos, denn viele von den Sowjets 1945 geborgenen Kunstgegenstände sind irgendwo in den Weiten Russlands verschwunden, wenn sie nicht schon vor oder während des Transports abhanden kamen. Zu der schon zum Mythos gewordenen Frage über den Verbleib des Bernsteinzimmers, das während des Kriegs im Königsberger Schloss ausgestellt war, trifft Lange eine sehr klare Aussage. Die in Kisten verpackten, aber nicht mehr zum Abtransport gelangten Elemente des Bernsteinzimmers wurden durch ein von russischen Soldaten gelegtes Feuer im Schlosskeller vernichtet. Zu diesem Ergebnis kam schon im Mai 1945 eine sowjetische Kommission, die die Kunstdenkmäler sicherstellen sollte. Hervorzuheben ist die hervorragende Ausstattung des Bandes mit Bild- und Planmaterial. Wagner hat hunderte von Aufnahmen aufgespürt, die das Innere und Äußere des Schlosses zeigen, aber auch zahlreiche Fotos von Exponaten aus den verschiedenen Sammlungen, die seit 1945 größtenteils vernichtet oder verschollen sind. Bemerkenswert sind auch die von Heinrich Lange ausfindig gemachten Fotos der Schlossruine und deren Vernichtung in den Jahren 1945–1968. Wulf Wagner hat durch seine unermüdlichen Recherchen, die sich in tausenden von Anmerkungen widerspiegeln, ein Kaleidoskop der preußischen und deutschen Geschichte geschaffen, deren Spuren sich in unterschiedlicher Form an der Historie des Königsberger Schlosses gebrochen haben. Man kann natürlich fragen, ob eine solche thematisch ausufernde Vorgehensweise, wo Wichtiges und Alltägliches gleichberechtigt nebeneinander aufgereiht stehen, für die Monographie eines Bauwerks angemessen und sinnvoll ist. Für den speziellen Fall der Königsberger Schlosses darf die Bau- und Kulturgeschichte Wagners jedoch als ein Glücksfall angesehen werden. Durch seine alle Facetten der hohen und niederen Geschichte erfassenden Nachforschungen hat er das mitsamt seiner Umgebung materiell verschwundene Schloss wieder ins Leben zurückgerufen. Die sowjetischen Machthaber wollten nach 1945 nicht nur die baulichen Überreste der deutschen Geschichte in Königsberg zerstören, sondern auch jede Erinnerung an die Geschichte vor 1945 vollständig eliminieren. Das Schloss bildete dabei den symbolischen Mittelpunkt dieser verhassten deutschen Geschichte. Wulf Wagner hat in gewisser Weise das Königsberger Schloss durch die beiden Bände seiner Monographie wieder aufgebaut. Gdańsk/Danzig Christofer Herrmann
Relinde Meiwes, Von Ostpreussen in die Welt. Die Geschichte der ermländischen Katharinenschwestern (1772–1914). Paderborn u. a.: Schöningh 2011. 264 S., Ill., graph. Darst., Kt., Tabellen und Verzeichnisse. Diese Studie ist eine konzentrierte Geschichte der Katharinerinnen im langen 19. Jahrhundert. Sie schließt damit zeitlich an die Arbeit der Braunsberger Katha-
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rinenschwester Barbara Gerarda Śliwińska an.1 In einem ersten Schritt rekonstruiert die Verfasserin Ideal und Intention der Gründung Regina Protmanns im 16. Jahrhundert. Sie skizziert den neuen Weg zum gemeinschaftlichen religiösen Leben für Frauen in der Phase der Umsetzung von Reformen im katholischen Bereich nach dem Konzil von Trient. Der zweite Schritt richtet den Blick auf den Ausgangsstatus im 19. Jahrhundert, auf die Aufgaben, auf den Alltag, auf das religiöse Leben der Kongregation im ausgehenden 18. Jahrhundert. Das dritte Kapitel befasst sich mit der Bildung, dem hauptsächlichen Arbeitsfeld in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, geschuldet den Erwartungen von Obrigkeit und Teilen der Öffentlichkeit. „Die Aktivitäten der Schwestern sind auch ein Indiz dafür, dass die Schwestern sich aus eigenem Antrieb für die Bildung der Mädchen einsetzten. Sie warteten nicht darauf, dass sich die Bischöfe darum kümmern“ (S. 73). Bei einem Besuch in Rößel zeigte sich auch der Bischof von der dortigen Schule der Katharinerinnen beeindruckt – man wünschte sich, solche Quellenstücke einem Dokumentationsanhang nachlesen zu können. Die Katharinenschwestern im religiösen Auf- und Umbruch in der Mitte und der beginnenden zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts thematisiert das vierte Kapitel. Die Kongregation „vollzog in den 1850er und 1860er Jahren einen außerordentlichen Wandlungsprozess. Von einer kleinen Gemeinschaft, deren Tätigkeiten nur selten von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden, entwickelte sie sich zu einer Kommunität, die mit ihrer Frömmigkeit und ihren Aktivitäten in das katholische Milieu des Ermlands hinein wirkte und die ihrerseits von der Vitalität des Religiösen jener Zeit getragen wurde“ (S. 123). Diese Vitalität konnte durchaus ambivalent sein, führte sie doch auch dazu, dass sich die Mitglieder der Kongregation der Verklösterlichung der Kongregationen im 19. Jahrhundert nicht entziehen konnten oder auch wollten. Klösterliche Klausur hatten sie immer abgelehnt. So unterschieden sie sich deutlich von den klassischen Frauenorden. Nun wurde aber der Schleier eingeführt. Sie mussten ihren eigenen Namen ablegen und einen Klosternamen annehmen. Ein Hausgeistlicher war in der Gemeinschaft präsent. Ein wichtiger Schritt zur Abgrenzung, zur Ausbildung einer Andersartigkeit. Der Kulturkampf bedeutete auch für die Katharinerinnen eine wichtige Zäsur und erschloss die Möglichkeit, zu neuen Ufern aufzubrechen. Diesen Aufbruch und Umbruch beschreiben das fünfte und sechste Kapitel: die inhaltliche Schwerpunktverlagerung hin auf die Krankenpflege, die Ausweitung des Arbeitsfeldes nach Finnland und Russland – wir begegnen katholischen Erzieherinnen in St. Petersburg – und schließlich das Ausgreifen der Krankenschwestern und Lehrerinnen nach England 1895 und nach Brasilien 1897. Es ist also letztlich eine intensive Expansionsphase, die trotz allem Auf und Ab in diesem langen 19. Jahrhundert vorgestellt wird. Meiwes kann ihre Studie über weite Strecken auf Bearbeitungen und auf die Auswertung von Quellen stützen. Manche Ausarbeitung muss auch die Quellen ersetzen, wo diese zwischenzeitlich verloren gingen. Das Archiv des Generalmutterhauses der Kongregation in Grottaferrata, eine umfangreichere Überlieferung 1
Geschichte der Kongregation der Schwestern der heiligen Jungfrau und Martyrin Katharina 1571–1772 (ZEITSCHRIFT FÜR DIE GESCHICHTE UND ALTERTUMSKUNDE ERMLANDS, Beiheft 14). Münster 1999.
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im Archiv in Braunsberg, das Diözesanarchiv des Ermlands in Allenstein, die Sammlung zur Geschichte der Kongregation im heutigen Mutterhaus in Münster beherbergen die wichtigsten Quellengrundlagen. Staatliches Interesse und Kontrollwunsch sind für historisches Arbeiten oftmals hilfreich: Bestandsaufnahmen der Konvente 1772, 1796 und 1854 bieten wichtige Informationen über die Mitglieder der jeweiligen Konvente und ermöglichen der Autorin, die Verzeichnisse der Katharinenschwestern in den jeweiligen Jahren zu dokumentieren. Trotz alledem bleibt es schwierig, Biographien zu gestalten, weil die dafür notwendigen Daten in der Regel nicht archiviert sind und auch, weil die „für klösterliches Leben so wichtige Demut und Zurückhaltung der einzelnen Schwester“ (S. 16) die Sicherung der entsprechenden Informationen unterbunden hat. „Über Jahrhunderte hinweg standen Katharinenschwestern mit ihren Aktivitäten im Zentrum der Geschichte der katholischen Kirche. Ganz gleich ob Reformation, katholische Reform, Säkularisation, religiöse Renaissance oder Kulturkampf, die Kongregation stellte sich den Herausforderungen. Ihr Engagement belegt sogleich, dass Frauen die Geschicke mitbestimmten und Geschichte in der katholischen Kirche keineswegs nur von Männern gemacht wurde, auch wenn dieser Umstand in der Literatur nicht immer entsprechend gewürdigt wird“ (S. 9). Die Studie will also eine Anfrage an bisherige Bilder und Deutungen sein. Dazu gehört auch die Frage, ob die Möglichkeiten der Kongregation, ihr Selbstverständnis und ihr Wirkungsfeld zu bewahren, neu zu orten oder gar auszubauen, in Säkularisation und Aufklärung wirklich so behindert und schwierig waren, wie es oft gezeichnet wurde. Eine der Grundfragen von Meiwes lautet, ob es der Organisationsform Kongregation gelang, Vita Contemplativa und Vita Activa, also die Gestaltung des religiösen Lebens für die Einzelne und für die Gemeinschaft und den Einsatz in der Gemeinde, in der Pfarrei, im sozialen Bereich, in der Bildung, in einer guten Ausgewogenheit zu halten. Eine zentrale Frageperspektive ist die nach dem inneren Zusammenhalt der Gemeinschaft. Die einzelnen Konvente waren lange Zeit relativ eigenständig. Neu stellte sich diese Frage, als die Katharinenschwestern über den Nordosten Europas hinausgriffen und sich nach England und dann nach Übersee orientierten. Weil die Gemeinschaft in Litauen aufgrund der politischen Gegebenheiten über einen langen Zeitraum von den anderen Konventen weitgehend abgeschnitten war, behandelt Meiwes diese in einem Exkurs eigenständig. Die Autorin nennt die Katharinenschwestern zu Recht immer wieder Pionierinnen. Sie waren nicht nur Pionierinnen, als sie mit ihrem Auftrag zur Krankenpflege und zur Mädchenbildung wie auch zur Mitarbeit in den Pfarreien ins Ausland gingen – nach Finnland, England, Brasilien. Sie waren mit ihrem Einsatz, gemäß der Intention der Gründerin ihrer Gemeinschaft, der seligen Regina Protmann, Pionierinnen im Ermland, in den Gemeinden Ostpreußens mit ihrem Einsatz einer ortsnahen, breit gestreuten Krankenpflege, ihren frühen Bemühungen für eine gediegene Ausbildung und Bildung der Mädchen und Frauen und vor allem in der Art und Weise, wie sie diese Ziele im Alltag zu verwirklichen versuchten: in der Gemeinschaft mit ihren Gelübden mitten in der Gemeinde, nicht in einer Klausur, nicht in einer Ordensgemeinschaft, sondern mitten im alltäglichen
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Leben. So muten die ermländischen Katharinenschwestern wie eine gewisse selbstbewusste Fortsetzung der mittelalterlichen und spätmittelalterlichen BeginenBewegung an. An vielen Stellen hebt Meiwes das Modell dieser Frauen zu einem selbstbestimmten religiösen Leben neben den etablierten Orden und außerhalb der engen Bindungen und Einbindungen in Ehe und Familie hervor. Mit der bewussten Entscheidung für diese außergewöhnliche Lebensform waren die Katharinenschwestern in der Tat Pionierinnen, lange bevor das Gros der weiblichen Kongregationen, vor allem im Bildungs- und im sozialen Sektor des 19. Jahrhunderts, entstand. Mit der Entscheidung für diese Gemeinschaftsform waren die Katharinenschwestern eingebunden in die vielfältigen Entwicklungen des langen 19. Jahrhunderts, denn so lassen sich die zeitlichen Zäsuren, die in dieser Studie gesetzt werden, durchaus auch interpretieren. Von der Säkularisation, der Aufklärung, den Umbrüchen, die am Übergang von der Reichskirche zu den Kirchen der Nationalstaaten und den neuen Orten, die sich die Kirche in diesen Umbruchsprozessen suchen musste, reichen die politischen und gesellschaftlichen Koordinaten, ja bis zur Notwendigkeit, neue Aufgabenfelder inhaltlich und regional zu erschließen, als der Kulturkampf einen Einsatz der Schwestern im Bildungswesen in Preußen nicht mehr gestattete. Insofern liest sich die Geschichte dieser Frauengemeinschaft auch wie ein Fokus der Entwicklungen und Probleme von Kirche und Gesellschaft im 19. Jahrhundert. „Von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die kontinuierliche Zunahme der Zahl der Katharinenschwestern war die so genannte Frauenfrage. Jungen Frauen, die die religiösen Glaubensgrundsätze der Kongregation teilten, bot sich durch Eintritt in diese Frauengemeinschaft die Möglichkeit, Kontemplation, Beruf, materielle Absicherung und Gemeinschaft miteinander zu verbinden. Die Schwestern folgten ihrer Berufung zu einem tätigen religiösen Leben. Sie erlernten einen Beruf in einer Zeit, als es außerhalb der Kommunität kaum Ausbildungsstätten für Mädchen und junge Frauen gab. Das Erlernte konnten sie ohne Umschweife in der Gemeinschaft umsetzen“ (S. 207). Die konzentrierte Form der Präsentation bringt es zwangsläufig mit sich, dass viele Themen nur angedeutet sind. Auf vielen Seiten entdeckt man Initiativen für neue Forschungsprojekte. So zeigt sich gleich zu Beginn der Lektüre, wie interessant es wäre, die Rolle der ermländischen Bischöfe und der ermländischen Geistlichkeit in den Auseinandersetzungen der Aufklärung zu untersuchen. Die Aufklärung brachte eine neue Besinnung auf die Aufgaben der Kirche in der Gestaltung des religiösen Lebens, in der Bildung, in der sozialen Fürsorge. Das Bild des Geistlichen wurde neu gezeichnet. Die Spanne reicht vom Volkserzieher bis zum guten Hirten. In diese Wandlungen des Amtsverständnisses, der Bilder hätte man gerne auch die Frage nach einem gewandelten Verständnis und Selbstverständnis der Katharinenschwestern eingebettet. Vermutlich geben die Quellen nur beschränkt Auskunft in diese Richtung. Wie waren die Schwestern einbezogen in die kirchliche Seelsorge vor Ort? Begnügten sie sich all die Jahre hindurch mit den Vorbereitungsdiensten, mit den Mesnerdiensten, mit den caritativ-sozialen Tätigkeiten im Krankenbereich oder spürten sie nicht gerade in diesem Sektor der Sonderseelsorge
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hin und wieder auch die Notwendigkeit, weitergehende Möglichkeiten zu haben. Mit solchen Fragen wünschte man sich an manchen Stellen eine detailliertere Rekonstruktion der Aufgabenbereiche der Schwestern, exemplarisch an einzelnen Orten, an einzelnen Gestalten, einen Ausbruch aus der Gestrafftheit und Konzentration. Ähnlich ergeht es, wenn man liest, dass die Frauen in der Kongregation mit den eigenständigen Möglichkeiten, die sie hatten, im Laufe der so genannten religiösen Erneuerung des 19. Jahrhunderts sich in ihrem Erscheinungsbild, in der Tracht, mehr und mehr Ordensschwestern angleichen mussten. Sie mussten den Schleier nehmen. Man wünschte sich, hin und wieder etwas über die Reaktion der Betroffenen zu erfahren. Vermutlich geben aber auch hier die Quellen keine genauere Auskunft. Tübingen Rainer Bendel
Ruth Leiserowitz, Sabbatleuchter und Kriegerverein. Juden in der ostpreußisch-litauischen Grenzregion 1812–1942. Osnabrück: Fibre 2010, 459 S., Abb. (Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau, 24). Die Geschichte der jüdischen Minderheit in Ostpreußen wurde nach 1945 jahrzehntelang verschwiegen und bagatellisiert, und zwar sowohl von deutscher als auch von polnischer und litauischer Seite. Dies geschah aus jeweils recht unterschiedlichen Motiven. Von deutscher Seite – aufgrund der Ermordung dieser Bevölkerungsgruppe im Zweiten Weltkrieg und nach 1945 infolge der Tatsache, dass die einschlägige historische Forschung fast ausschließlich in den Händen ostpreußischer Landsmannschaften lag, die nicht selten von Personen geleitet wurden, die bereits in der Zwischenkriegszeit in der staatlichen Verwaltung vor Ort tätig gewesen waren. Obwohl dieser Personenkreis keine unmittelbare Verantwortung für den Holocaust trug, wollte er nach Kriegsende aus verständlichen Gründen nicht zu dieser Thematik zurückkehren. Auch von polnischer Seite wurde das Problem nach 1945 lange Zeit ignoriert. Denn eine jüdische Bevölkerungsgruppe, die sich freiwillig mit der deutschen Kultur verbunden und ein preußisch-deutsches Nationalbewusstsein besessen hatte, war mit dem „offiziellen“ Konzept der polnischen Historiographie nach dem Zweiten Weltkrieg unvereinbar. Die Geschichte dieser Region wurde dabei fast ausschließlich mit der Existenz polnischer Bevölkerungsgruppen in Preußen-Deutschland assoziiert, die man für zwangsassimiliert hielt. Hinweise auf die historische Präsenz einer jüdischen Minderheitengruppe tauchten allenfalls im Blick auf das einvernehmliche Zusammenleben mit den polnischen Bewohnern Ostpreußens auf, wobei man den dortigen Juden gewisse Sympathien für ihr umfassender verstandenes „Polentum“ entgegenbrachte. Aber auch die litauische Geschichtsschreibung hat dieser Problematik aufgrund des sehr geringen Interesses an Preußisch-Litauen und seinen nichtlitauischen Bevölkerungsteilen, aber auch gemäß den Vorgaben der staatlich-kommunistischen Zensur bislang keine Aufmerksamkeit geschenkt. Erst das seit den 1970er Jahren zunehmende Interesse an den Kriegsschicksalen und späteren Lebenswegen ostpreußischer Juden bewirkte, dass auch deren
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Geschichte von den Fachhistorikern immer weiter erforscht worden ist. Mit der Studie von Aloys Sommerfeld1 setzte die eingehende historische Erforschung der jüdischen Bevölkerung Ostpreußens ein. Die Studie von Ruth Leiserowitz betrifft die ostpreußisch-litauische Grenzregion, in der vergleichsweise die meisten Juden lebten. Daher fallen die historischen Entwicklungsprozesse innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe besonders auf und lassen sich sehr gut dokumentieren. Die Verfasserin betrachtet das Problem nicht nur aus ostpreußischer Perspektive, sondern bezieht auch die litauische Sichtweise mit ein. Dabei werden die Juden als einheitliche Bevölkerungsgruppe dargestellt, die auf beiden Seiten der Demarkationslinie lebte. Die Grenze übte daher weniger eine trennende Funktion aus, sondern konnte vielmehr leicht überschritten und gegenseitig durchdrungen werden. Zugleich wurden dadurch gewisse Unterschiede auf beiden Seiten der Grenze bewahrt, was auf die dort ansässige jüdische Bevölkerungsgruppe letztlich bereichernd wirkte. Die Verfasserin erzählt jedoch nicht ausschließlich von den dort lebenden Juden, sondern beschreibt auch deren alltägliche Lebenswelt. Die breite Quellenbasis umfasst Materialien aus deutschen, israelischen, amerikanischen und polnischen Archiven. Von wesentlicher Bedeutung für die Studie – insbesondere für die Zwischenkriegszeit und die Kriegsjahre – sind die zahlreichen Interviews mit aus dieser Region stammenden Menschen oder deren Nachkommen. Darüber hinaus wurde auf zahlreiche Pressebeiträge deutscher, russischer und jüdischer Herkunft zurückgegriffen. Der zeitliche Rahmen der Monographie liegt natürlich auf der Hand: vom einsetzenden Prozess der Emanzipierung der jüdischen Bevölkerung bis hin zu ihrer Vernichtung. Der Titel der Studie – Sabbatleuchter und Kriegerverein – ist von symbolischer Bedeutung. Denn er signalisiert die innere Zerrissenheit der jüdischen Bevölkerungsgruppe, die einerseits bereits von hehren patriotischen Gefühlen geprägt war und den Modernisierungstendenzen ihrer Zeit anhing, aber zugleich noch stark traditionellen religiösen Werten verhaftet war, die insbesondere unter den litauischen Juden, den sog. „Litvaks“ (die teilweise bereits in Ostpreußen lebten), zum Ausdruck kamen. Die Verfasserin beschreibt die sich verändernden Lebensbedingungen der jüdischen Bevölkerung in beiden Staaten (Preußen und Russland) in ihren vielfältigen Facetten, hebt aber auch charakteristische Gemeinsamkeiten hervor. Trotz der hohen Emigration nach Westeuropa und in die USA stieg die Zahl der Juden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Gouvernement Wilna beinahe um das Dreifache an, während sie im Raum Kaunas um ein Zweieinhalbfaches zunahm. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bildeten die Juden knapp 14 % aller Bewohner der preußisch-litauischen Grenzregion, aber de facto lebten damals ca. 40–60 % der Juden auf litauischer Seite. Bereits seit dem preußischen Emanzipationsedikt von 1812 begannen sich die Juden des deutschen Kaiserreiches trotz des Widerstands städtischer Gemeinden und kaufmännischer Interessengruppen im preu1
Juden im Ermland – Ihr Schicksal nach 1933 (ZEITSCHRIFT FÜR DIE GESCHICHTE UND ALTERTUMSKUNDE ERMLANDS, Beiheft 10). Münster 1991.
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ßischen Grenzgebiet anzusiedeln und schlossen sich den wenigen bereits in Grenznähe lebenden ostpreußischen Juden an. Obwohl sich die Behörden vor Ort gegen eine – ihrer Ansicht nach – übermäßige Ansiedlung von Juden und kaum noch kontrollierbare Intensivierung der wechselseitigen Verbindungen von russischen und ostpreußischen Juden zu wehren versuchten, sah man im jüdischen Siedlungswesen auch positive wirtschaftliche Aspekte, von denen man sich eine ökonomische Belebung der armen Grenzregion erhoffte. Während sich in Preußen anfangs nur wohlhabende und unternehmerisch sehr aktive Juden niederließen, dehnte sich das soziale Spektrum der jüdischen Übersiedler in der Folgezeit immer weiter aus und erfasste auch ärmere Schichten. Unabhängig von allen Hindernissen betrachteten die Juden das Verlassen des Zarenreiches als entscheidende Voraussetzung für eine neue und bessere Existenz. Der soziale Aufstieg war zumeist mit einem Wohnortwechsel verbunden, wobei sich die Einwanderung in städtische Gebiete als besonders effektiv erwies. Dagegen ließen sich die jüdischen Migranten im russischen Teil des Grenzstreifens sehr häufig nur für eine bestimmte Zeit nieder – in der Hoffnung auf einen baldigen Grenzübertritt und eine endgültige Ansiedlung in Ostpreußen. Das preußische Judengesetz von 1847 schuf erstmals jüdische Einheitsgemeinden und bewirkte, dass sich die Juden in der Grenzregion zumindest nach außen hin vereinigten. Dabei verschwanden die sich kulturell stark voneinander unterscheidenden und dennoch von innerem Zusammenhalt geprägten Gruppen der Litvaks immer mehr. Ihren angestammten Ort in den ländlichen Gemeinden weiter aufrechterhaltend, näherten sich die litauischen Juden dem bürgerlichen Milieu zunehmend an, in dem bereits andere jüdische soziale Gruppen lebten. Die erfolgreiche Assimilation der Litvaks eröffnete den Raum für neue jüdische Übersiedler. Natürlich war dies kein leichter und rascher Entwicklungsprozess. Denn unter dem Deckmantel der äußeren Einheit existierten mitunter starke sittlichkulturelle, wirtschaftliche und religiöse Spannungen innerhalb der jüdischen Bevölkerung fort. Die Öffnung der preußisch-litauischen Grenze während des Krimkrieges und die Liberalisierung des Handels erleichterten breiten Kreisen der jüdischen Bevölkerung den grenzüberschreitenden Handel, der auch durch die Benutzung neuer Transportmittel begünstigt wurde. Abgesehen von den offiziellen Handelsbeziehungen trug auch der Warenschmuggel maßgeblich zum Lebensunterhalt breiter Kreise der jüdischen Bevölkerung beiderseits der Grenze bei. Die intensive Schmuggeltätigkeit konnte auch durch strenge Zollvorschriften nicht eingedämmt werden. Verkehrsverbindungen und Grenzübergänge wurden unentwegt für vielfältige Formen des illegalen Warenverkehrs genutzt. Letzterer konnte jedoch nur mit Hilfe eines Netzwerks verschiedener ethnischer Gruppen funktionieren, unter denen es auch zu einer stufenweisen Arbeitsteilung bzw. beruflichen Spezialisierung kam. Anhand dreier Orte illustriert die Verfasserin drei verschiedene Formen von Lebensweisen und beruflichen Karrieren der jüdischen Bevölkerung unter den Bedingungen der Modernisierungsprozesse des 19. Jahrhunderts: „deutschnationale Variante (Eydtkuhnen), jüdisch-russische Karrieren (Kybartai) und traditionelle Lebensformen (Wirballen).“ Ein weiteres Kapitel der Abhandlung befasst
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sich eingehend mit dem jüdischen Mikrokosmos des grenznahen Schtetls Wystiten sowie mit dem Einfluss, den die unmittelbare Grenzlage dieser Ortschaft und der dadurch relativ leichte Wohnortwechsel bzw. Umzug ins jeweilige Nachbarland auf das soziale Milieu dieses Schtetls hatten. Die Verfasserin charakterisiert die Ortschaft Wystiten als außergewöhnliches Schtetl, weil dort die Grenze im gesamten 19. Jahrhundert eine besondere Modernisierungs- und Mobilisierungsfunktion für mehrere Generationen von Juden ausgeübt hatte, weitaus mehr als in anderen Grenzstädten. Diese besondere Modernisierungsfunktion resultierte aus der langjährigen Tradition der grenzüberschreitenden Haustürgeschäfte, mit Hilfe derer ein Netzwerk von gegenseitigen Verbindungen geschaffen wurde, das sich tief nach Ostpreußen hinein erstreckte. Ein wichtiges Element bildete dabei die Einbindung des Schtetls Wystiten in Neuostpreußen. Anhand ausgewählter Beispiele beleuchtet die Verfasserin die Karrieremöglichkeiten einzelner Juden aus Wystiten, die mit großen Anstrengungen und konsequenter Arbeit erkauft wurden. Diese Karrierewege werden unter dem Untertitel „Vom Hausierer zum Honoratioren“ zusammengefasst. Im folgenden Kapitel „Vom Traum zum Trauma“ werden die Strategien der preußisch-deutschen Verwaltungsbehörden angesichts des intensiven Grenzverkehrs erörtert: „Die Regierung beabsichtigte, langfristig eine nationalstaatliche Grenze zu schaffen, wozu es erforderlich war, politische und kulturelle Grenze kongruent zu gestalten.“ Hinter dieser Absicht verbargen sich natürlich tief greifende Veränderungen aufgrund der zunehmend nationalistischen Tendenzen in Staat und Gesellschaft Preußens. Dabei standen die jüdischen Übersiedler vor folgendem Dilemma: Sollte man den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft anstreben – mit allen Folgen einer unaufhaltsamen nationalen und kulturellen Assimilation, oder war das Konzept einer vorläufigen „Existenz“ als Ausländer im deutschen Kaiserreich nicht doch besser? Infolge der nationalistischen Haltung der preußischen Behörden wurden die Möglichkeiten grenzübergreifender Kontakte spürbar eingeschränkt. Dennoch bestanden diese Kontakte natürlich auch weiterhin fort und brachten beiden Seiten immer noch erhebliche Vorteile. In einem weiteren Kapitel beschreibt die Verfasserin die Lage der jüdischen Kommunität in der grenznahen Hafenstadt Memel, in der die Zahl der jüdischen Bürger in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besonders stark zunahm. In Memel entstanden vielfältige Ebenen der transnationalen Interaktion, wobei sich dauerhafte Kontakte im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Bereich herausbildeten. Die Verfasserin untersucht diese Problematik sowohl im Kontext des innerstädtischen Lebens als auch der grenzüberschreitenden Beziehungen. Das darauf folgende Kapitel beleuchtet das Leben der Litvaks, die in den ländlichen Gegenden Ostpreußens eine eigentümliche Diaspora-Gemeinde bildeten. Erwähnung findet dabei auch die von der Verfasserin als „jüdische Kolonie“ bezeichnete Ortschaft Kakschen, die auf der damaligen Landkarte Ostpreußen ein Unikum darstellte. Bei dieser Gelegenheit tritt auch die spezifische Rolle der jüdischen Kaufleute zutage, die gleichsam als Vermittler zwischen Dörfern und Städten fungierten – aufgrund ihres reichhaltigen Warenangebots und ihrer weit verzweigten innerstädtischen Kontakte. Insgesamt bildeten die Juden einen bedeutenden Faktor
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der Modernisierung dörflicher Gebiete. Obwohl die ökonomischen Leistungen der jüdischen Kaufleute bei den Bauern ihrer Umgebung durchaus auf Respekt stießen, blieben die Juden stets durch religiös-kulturelle und letztlich auch soziale Grenzen von der christlichen Bevölkerungsmehrheit getrennt. Ein weiteres Kapitel thematisiert den prägenden Einfluss des Ersten Weltkrieges auf die jüdische Bevölkerung in der preußisch-litauischen Grenzregion. Dabei erläutert die Verfasserin die psychologischen Aspekte der Kriegsteilnahme der Juden auf beiden Seiten der Front, was zur Folge hatte, dass der kriegerische Konflikt von zahlreichen jüdischen Kreisen als „Brudermord“ angesehen wurde. Der Grenzraum fiel der Zerstörung anheim und verlor seine integrierende Rolle. Andererseits beschleunigten die Kriegsereignisse die innere Identifikation der jüdischen Bevölkerung mit dem deutschen Staat. Auf diese Weise entstand relativ rasch eine patriotische Grundhaltung, die die Juden bereits zur Zeit des Nationalsozialismus wiederholt dazu bewegte, auch weiterhin in ihrer Heimat zu bleiben. Eben diese Grundhaltung entschied über das tragische Schicksal vieler kulturell bereits assimilierter und von starken patriotischen Gefühlen geleiteter Juden in Deutschland. Ein weiteres Kapitel ist der Geschichte der Juden im Memelland gewidmet, vor dem Hintergrund der sich wandelnden Zugehörigkeit dieser Landschaft zu zwei verschiedenen Staaten und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit, sich für eine bestimmte Nation und Kultur zu entscheiden. Die letzten Kapitel beschreiben das Leben und das tragische Ende der jüdischen Bevölkerungsgruppe beiderseits der Grenze. Diese Grenzregion war seit Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges vom Juni 1941 von einer außerordentlich dynamischen Entwicklung geprägt, was sich auch in enormen Gewaltausbrüchen gegen die jüdische Bevölkerung manifestierte. Dabei war es laut Verfasserin ohne Belang, ob die jeweiligen Täter aus der einheimischen Bevölkerung stammten oder aus fremden Regionen eingewandert waren. Denn dieses Mal ging es weniger um die Übertretung physischer Grenzen als vielmehr um den Verstoß gegen gängige moralische Normen. Die Täter waren sich dieser Tatsache durchaus bewusst. Dennoch erachteten sie den gezielten Bruch mit moralischen Prinzipien als Sonderaufgabe, die eine irreversible, für ihr Vaterland günstige Situation schuf. Diese Gewaltmaßnahmen sollten nämlich die preußisch-litauische Grenzregion ethnisch „säubern“ und auf eine endgültige Angliederung an Ostpreußen vorbereiten. Im Endeffekt erlag ein Grenzraum, für den die jüdische Bevölkerungsgruppe lange Zeit konstitutiv gewesen war, durch die völlige Beseitigung der Juden einem unumkehrbaren Wandel. Der hohe Informationswert der Studie ist unbestreitbar. Detailgetreu wird die Geschichte der jüdischen Bevölkerungsgruppe über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren beschrieben, und zwar in allen ihren Facetten – in Bezug auf Religion, Wirtschaft, Gesellschaft, ja sogar Psychologie sowie in Hinblick auf die Entscheidung für eine bestimmte nationale Zugehörigkeit, die Option des Durchhaltens und andere Lebensentscheidungen. Aber die vorliegende Abhandlung berichtet ebenso über einzelne Menschen wie über den konkreten Raum, in dem diese auftauchten und in dem sie lebten und den sie in sozioökonomischer Hinsicht umgestalteten. Dabei wird deutlich, dass eine Grenze lediglich eine administrative
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Richtlinie ist, die einerseits zwischenmenschliche Kontakte erschweren konnte, aber zugleich eine inspirierende Richtschnur bzw. einen geistigen Horizont darstellt, in dem die Chance für ein besseres Leben aufleuchtet. Olsztyn/Allenstein Grzegorz Jasiński
Thomas Marschler, Karl Eschweiler 1886-1936. Theologische Erkenntnislehre und nationalsozialistische Ideologie. Regensburg: Friedrich Pustet 2011. 428 S. (Quellen und Studien zur neueren Theologiegeschichte, 9). Der Augsburger Dogmatikprofessor Thomas Marschler beschäftigt sich schon seit Jahren mit Karl Eschweiler, seinem Werk „Zwei Wege der Theologie“, wie auch mit dessen Dissertation und Habilitation. In der vorliegenden Publikation legt er eine Summe seiner langjährigen Forschungen zu Karl Eschweilers Rolle im theologischen Aufbruch der Jahre der Weimarer Republik und zur Frage nach den möglichen Affinitäten von Theologie und nationalsozialistischer Ideologie vor. Gleichzeitig gelingt ihm eine umfassende Biographie Eschweilers aus den Quellen, die Eschweilers Herkunft, seinen Freundeskreis, seine Interessen und Vorlieben ebenso in den Blick nimmt wie die Entwicklung seines theologischen Programms. Zentrales Anliegen Marschlers ist es, Eschweilers Theologie nicht nur im Gefolge der politischen Theologie Carl Schmitts zu rekonstruieren und zu würdigen, sondern die theologische Entwicklung des Braunsberger Professors als einen selbständigen Prozess zu sehen, der dann auch in einen politischen Kontext mündete. Die umfassende Frageperspektive und eine gegenüber allen bisherigen Beschäftigungen mit Eschweiler deutlich erweiterte Materialbasis ermöglichen diese profunde und komplexe Rekonstruktion der Position Eschweilers, eng verwoben mit dem zeitgeschichtlichen Kontext. Marschler konnte den Nachlass Eschweilers auswerten, soweit er sich im Archiv des Visitators Ermland in Münster befindet. Die Ergebnisse zeigen einmal mehr, wie bedeutend diese Archivbestände sind und wie dringlich und wichtig und erkenntnisfördernd es wäre, diese Bestände so rasch wie möglich fachmännisch zu sortieren, zu verzeichnen und der Wissenschaft zugänglich zu machen. Das erste Kapitel zeichnet die kirchliche und akademische Biographie Eschweilers bis 1928 nach – inklusive der theologischen Promotion und Habilitation 1921 und 1922 – und sein Wirken als Privatdozent in Bonn bis zur Berufung nach Braunsberg im Jahr 1928. Das zweite Kapitel entwickelt Eschweilers theologisches Programm auf dem Hintergrund der Suche nach einem Weg aus der Krise der Moderne, die markiert ist durch die technischen, gesellschaftlichen, sozialen Veränderungen im Zuge der Industrialisierung und vor allem durch die Erschütterung aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs in Europa. Das dritte Kapitel behandelt relativ kurz und konzentriert die ersten fünf Jahre (1928–1933) des Braunsberger Dogmatikers und legt den Schwerpunkt vor allem auf seine Hinwendung zur politischen Theologie – gleichsam als Basis für den vierten großen Abschnitt des Buches, der die letzten drei Lebensjahre Eschweilers als Nationalsozialisten (1933–1936) untersucht. Von der ,Erneuerung des Reiches‘ bis zu seinen kirchlich umstrittenen Stellungnahmen zur
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Sterilisation ist die Thematik gespannt; ein Schwerpunkt liegt auf seinen Versuchen, an zentralen Themen der ,großen Politik‘ der Nationalsozialisten beteiligt zu sein und mit Regierungsstellen zusammenzuarbeiten. Ein zentrales Motiv von Eschweilers Arbeit ist die Suche nach einer Theologie und nach einem Menschenbild, die den durch die Veränderungen und Krisen der Moderne bis ins Innerste verunsicherten Menschen wieder plausible Antworten geben kann. Wege zu solchen zeitgemäßen und zukunftsweisenden Antworten findet Eschweiler in der intensiven Auseinandersetzung mit der Theologie des Thomas von Aquin, nicht in den Interpretationen von dessen Werken, wie sie im Laufe der Theologiegeschichte der Neuzeit entwickelt wurden. „In der ideologieund gesellschaftskritischen These vom ,Ende der Neuzeit‘ und den Vorschlägen zu ihrer Bewältigung war sich Eschweiler mit vielen seiner katholischen Zeitgenossen einig, die ebenfalls den Subjektivismus, Rationalismus und Partikularismus der Moderne als Faktoren menschlicher Selbstentfremdung und religiöser Entwurzelung mit einem organischen, am Lebens- und Gemeinschaftsideal der katholischen Kirche orientierten Ideal zu überwinden suchten. Die Bestandsaufnahmen und Vorschläge, die, nicht zuletzt inspiriert durch Ideen Schelers, von katholischen Theologen wie Romano Guardini, Erich Przywara, Engelbert Krebs oder Karl Adam dazu unterbreitet wurden, zeigen viele Gemeinsamkeiten mit den Analysen Eschweilers. Eigene Akzente hat der Bonner Privatdozent innerhalb dieses verbindenden Rahmens am ehesten durch die auffällige Zurückhaltung gegenüber einer konfessionalistischen Zuspitzung seines Entwurfs (er redet im Unterschied zu den zuvor Genannten mehr vom ,Thomismus‘ als vom ,Katholizismus‘), durch eine von Anfang an differenzierende, ja kritische Scheler-Rezeption und durch eine explizite Anknüpfung an das schon damals im katholischen Raum nur einer Minderheit sympathische Denken Carl Schmitts gesetzt“ (S. 90). Eschweiler reihte sich ein in den Kreis der Kritiker der Moderne, begnügte sich aber nicht mit einer negativen Stellungnahme, sondern wollte in der katholischen Tradition, in der Geschichte der Theologie Anknüpfungspunkte finden für einen Dialog mit den Positionen, Problemen und Anfragen der Moderne. Schwerpunktmäßig in den Fragen, die zu einer Neuorientierung in Gesellschaft und Kirche führen konnten, engagierte er sich mit seiner Kenntnis der Tradition. „Die Leitfrage, mit deren Hilfe Eschweiler die genetische Rekonstruktion der Fundamentaltheologie in Angriff nimmt, lautete: Wie verbinden sich ,Vernunft und Offenbarung‘, ,Natur und Gnade‘ im Akt der religiösen Erkenntnis?“ (S. 92). Aus der Tradition eine neue Theologie entwickeln, die die Engführungen und Vereinseitigungen der säkularisierten Moderne ebenso aufgreift und korrigiert wie die rationalistischen Engführungen der katholischen Theologie der Barockscholastik und des 19. Jahrhunderts – das war aus heutiger Sicht eine entscheidende theologische Frage, die wegweisend wurde, den Autor der zwei Wege der neueren Theologie aber bei den Zeitgenossen suspekt machte. Die andere Frage ist, wie weit diese Option ihn zu einem Verständnis von Politik führte, die visionär oder gar illusionär wurde und sich am augenscheinlichsten – gerade zu Ende der 1920er Jahre – in einer in Theologenkreisen relativ weit verbreiteten Reichstheologie manifestierte. Marschler verweist auf diesen
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Hintergrund. Bei der Lektüre aber wird geradezu ein drängendes Desiderat spürbar, diese Rückgriffe auf mittelalterliche Ordnungsvorstellungen im politischen und rechtlichen Bereich in der Theologie der 1920er und 1930er Jahre nach der nunmehr doch über 40 Jahre alten Studie von Klaus Breuning neu zu untersuchen. Letztlich bleibt die spannende Frage: Wieso konnten solche innovativen Rückgriffe in die theologische Tradition so deutliche Affinitäten zu konservativen, autoritär strukturierten Ordnungsmodellen generieren? Diese Frage stellt sich für Eschweiler genauso wie etwa für Michael Schmaus oder Karl Adam. Wie lässt sich der Unterschied beschreiben, dass ein Joseph Bernhart mit den gleichen Intentionen und Fragestellungen an die Theologie eines Thomas von Aquin und eines Augustinus heranging, auch zahlreiche Versatzstücke sehr konservativer Ordnungsmodelle in sein Denken einfügte, vor den Gefahren des Nationalsozialismus aber nicht nur bis 1932, sondern auch 1933 und in den Folgejahren konsequent warnte, weil ihm die Bedeutung der Würde des einzelnen Menschen und der Gewissensentscheidung des einzelnen Menschen die höchste Orientierung war. Die Vermutung geht dahin, dass es letztlich die Art des historischen Arbeitens war, die Eschweiler von Bernhart unterschied. Bernhart war ohne Zweifel ein spekulativer Kopf, dem es aber gelang, ebenso akribisch mit den Texten und Kontexten der mittelalterlichen theologischen Autoren zu arbeiten. So konnte er auch entgegen der weitläufigen Einschätzung seiner Zeitgenossen die Dimension der Mystik in der Theologie und Philosophie des Thomas von Aquin herausstellen. „Das neue Bekenntnis zum Nationalsozialismus verschmilzt [...] in eigenartiger Form mit philosophisch-theologischen Zentralprämissen aus Eschweilers früherem Denken. Die Tat Adolf Hitlers erscheint nun als Verwirklichung jener umfassenden politisch-anthropologischen Erneuerung Deutschlands, die wir von Beginn an bei Eschweiler als wichtiges Zielmotiv im Ringen um ein erneuertes Selbstverständnis katholischer Glaubenswissenschaft kennengelernt hatten und deren Nichtvollzug er der Weimarer Demokratie ankreidete“ (S. 232). Diese Einschätzung der parallelen Zielrichtung von eigener Theologie und nationalsozialistischer Weltanschauung – jedenfalls wie sie Eschweiler interpretierte – führten dazu, dass Eschweiler nicht nur in die Partei eintrat, sondern sich als Professor für Dogmatik an der Braunsberger Fakultät auch theologisch-argumentativ in zahlreichen Vorträgen für diesen neuen Aufbruch einsetzte. Dieses Engagement evozierte bezeichnender Weise bereits im September 1933 deutliche Meinungsverschiedenheiten mit Bischof Maximilian Kaller. Kaller und Eschweiler hatten sich bis dahin recht gut verstanden und schätzten sich gegenseitig. Vermutlich hat auch die Position Eschweilers einen Beitrag geleistet zu dem begeisternden Artikel Kallers über die Mitarbeit des Katholizismus an der geistigen und völkischen Erneuerung in Deutschland, der im März 1933 in vielen katholischen Zeitschriften erschien. Dass diese Begeisterung über das Ziel hinausgeschossen war, hatte Kaller offensichtlich recht bald eingesehen, oder es wurde ihm von seinen Mitarbeitern entsprechend klargemacht. Sonst hätte er nicht bereits ein halbes Jahr nach diesem zustimmenden Votum vom März 1933 Eschweilers Begeisterung für die neue politische Bewegung in die Schranken gewiesen.
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Die folgenden Schwierigkeiten zwischen Eschweiler und Kaller, nicht zuletzt wegen Eschweilers Position zur Bewertung der Sterilisation, arbeitet Marschler deutlich heraus. Kaller wird, wie ihn die Quellen auch zeichnen, als der immer wieder neu um Verständnis bemühte Bischof vorgestellt, als Seelsorger, der Eschweiler entgegenkommen will, der sich bis in die letzten Lebensstunden des Theologen um diesen kümmerte, während der Braunsberger Professor seinen Bischof nicht zuletzt im Reichskirchenministerium hintergangen und verraten hat. „In Eschweilers Verhalten gegenüber Bischof Kaller und anderen Autoritäten seiner Kirche nach 1933 hat sich diese Tendenz in einem bewußt inszenierten, vor Intrige und Verrat nicht zurückschreckenden Doppelspiel verfestigt. Doch obwohl Eschweiler auf seinem Weg von stärkerer politisch-ideologischer Verblendung angetrieben war als etwa Barion, wird in späteren Urteilen über ihn häufig eher Mitleid als Wut hörbar. Für Gottfried Hasenkamp war er ,der große und in diesem Leben unglückliche Theologe‘, und auch Gerhard Fittkau bedauerte, dass die politische Verirrung Eschweilers seine theologischen Leistungen ungebührlich in den Schatten gerückt hat. Umso dringlicher stellt sich vielen Bekannten die Frage nach den möglichen Wurzeln des tragischen Scheiterns in Eschweilers Persönlichkeit“ (S. 373). Diese Frage muss letztlich auch Marschler offen lassen. Sie müsste wohl auch psychologisch geklärt werden. Ebenso wie letztlich auch die Frage offen bleibt, wo letztlich der Grund für diese politische Verführbarkeit Eschweilers liegt. Tübingen Rainer Bendel
Kaplica na zamku w Lidzbarku Warmińskim. Dzieje architektura, fundacje artystyczne, konserwacja i restauracja [Die Kapelle im Heilsberger Schloss. Architekturgeschichte, Kunststiftungen, Konservierung und Restaurierung]. Hrsg. vom Muzeum Warmii i Mazur. Olsztyn 2010. 144 S., 136 Abb. Die ehemalige Residenzburg der ermländischen Bischöfe in Heilsberg ist bekannt als eines der besterhaltenen Beispiele einer gotischen Burg nach dem Vorbild des ,Konventstypus‘ des Deutschen Ordens. Die Aufmerksamkeit der Forscher und Besucher richtet sich daher in erster Linie auf die mittelalterliche Architektur und Ausmalung. Daneben haben sich in der Burg aber noch weitere Ausstattungselemente aus den nachmittelalterlichen Epochen erhalten. Am bedeutendsten ist dabei die unter Bischof Adam Stanisław Grabowski zwischen 1752 und 1760 erfolgte Umgestaltung der Kapelle in den Formen des Rokoko. Grabowski ließ drei neue Altäre und eine Orgel anfertigen sowie die Wandbereiche und Gewölbe neu verkleiden bzw. bemalen. So entstand eine bemerkenswerte Symbiose aus gotischer Architektur und spätbarocker Ausstattung, denn die im bischöflichen Auftrag ausgeführten Ausstattungselemente adaptierten den mittelalterlichen Innenraum ohne die gotische Architektur zu beschädigen oder zu verändern. So sind die alten Sterngewölbe mit ihren Konsolen noch vollständig erhalten, sie wurden lediglich durch Bemalung mit Rocailleformen und Putti dem Zeitgeschmack des 18. Jahrhunderts angepasst.
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In den Jahren 2008–2010 erfolgte im Auftrag des ermländisch-masurischen Museums (Muzeum Warmii i Mazur) in Allenstein eine grundlegende Restaurierung der Kapelle unter der fachlichen Aufsicht von Andrzej Rzempołuch und Iwona Beata Kluk. Anlässlich des Abschlusses der Arbeiten hat das Museum eine Publikation herausgegeben, die sowohl die Geschichte und Bedeutung der Kapelle behandelt als auch den Verlauf und die Ergebnisse der Restaurierungsmaßnahmen erläutert. Der kleine Band umfasst vier Beiträge und einige Anlagen. Der erste und umfangreichste Aufsatz stammt von Andrzej Rzempołuch und enthält einen Abriss zur Geschichte der Burg sowie im letzten Abschnitt eine ausführliche Darstellung zur Kapelle und ihrer Ausstattung. Im zweiten Beitrag widmet sich Iwona Kluk den drei Altargemälden der Kapelle. Małgorzata Okulicz behandelt im dritten Beitrag die Restaurierung und Herkunft von wieder aufgefundenen Antependien der Kapelle und zum Abschluss berichtet Agnieszka Ramotowska über die Restaurierungsarbeiten an den drei Altären. Im Folgenden sollen nun einige der wichtigsten Erkenntnisse aus diesen vier Beiträgen in Bezug auf die Kapellenausstattung des 18. Jahrhunderts zusammengefasst werden. Da sich zahlreiche Rechnungsbelege zum Umbau der Kapelle 1752-60 erhalten haben, verfügen wir über recht genaue Informationen zu den beteiligten Künstlern und Handwerkern. Grabowski ließ eine recht große Zahl von deutschen und polnischen Malern und Schnitzern engagieren, die zum Teil aus dem Ermland stammten aber auch aus den großen Städten des weiteren Umlands (Königsberg, Danzig, Warschau) hinzugezogen wurden. Leider geben die Rechnungsunterlagen keine Hinweise dazu, welche Gemälde von den einzelnen erwähnten Malern ausgeführt wurden. Iwona Kluk zeigt für die beiden erhaltenen originalen Altarbilder italienische Einflüsse auf, kann aber keine namentliche Zuschreibung für die ausführenden Künstler geben. Schon 1994 hatte man bei Aufräumungsarbeiten im Speicher des Schlosses mehrere Antependien des 19. Jahrhunderts gefunden, die ursprünglich aus der Kapelle stammten. Da sich keine Antependien aus der Epoche des Rokoko erhalten hatten, wurden zunächst zwei der wieder aufgefundenen Stücke restauriert und wieder in die Altäre eingefügt. Małgorzata Okulicz konnte im Zuge der dabei erfolgten Untersuchungen nachweisen, dass ein Teil der Stickereien von den Schwestern des Heilsberger Konvents der Katharinerinnen stammte. Die Konzeption der Restaurierung strebte, wie häufig in Polen anzutreffen, eine dem Erstzustand möglichst nahe kommende Wiederherstellung an. Das Gemälde des Hauptaltars (Die mystische Hochzeit der hl. Katharina) war in den Wirren der Nachkriegszeit aus dem Schloss verschwunden und befindet sich heute in der Pfarrkirche von Bartenstein. Im Zuge der Restaurierungsarbeiten fertigte man eine Kopie vom Original an und setzte sie in den Hauptaltar ein. Das einzige erhaltene originale Altargemälde der Kapelle (St. Georg vor Kaiser Diokletian), das 1973 in den Hauptaltar versetzt worden war, kehrte an seinen ursprünglichen Platz im südlichen Seitenaltar zurück. Die barocke Kreuzigungsdarstellung des nördlichen Seitenaltars war schon im späten 19. Jahrhundert verschwunden und durch eine Kreuzigung von Carl Neumann ersetzt worden. Da dieses zweite Altarbild seit 1945 verschollen ist, entschloss man sich, an dessen Stelle ein barockes
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Gemälde gleichen Motivs aus dem Museumsdepot (ursprünglich in der Dorfkirche in Groß Peisten/Piasty Wielkie) zu verwenden, um sich dem Gesamteindruck des 18. Jahrhundert wieder anzunähern. Damit kommt das einzige erhaltene barocke Kleinod in der Architektur des Heilsberger Schlosses wieder richtig zur Geltung. Dies ist auch deshalb wichtig, da sich von den im 17. und 18. Jahrhundert entstandenen Innenräumen der bischöflichen Residenz ansonsten nichts mehr erhalten hat. Gdańsk/Danzig Christofer Herrmann
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Anzeigen Statuty synodalne Warmińskie, Sambijskie, Pomezańskie, Chełmińskie oraz prowincjalne Ryskie. [Die Synodalstatuten der Diözesen Ermland, Samland, Pomesanien und Kulm sowie der Kirchenprovinz Riga]. Z Braniewskiego wydania księdza Franciszka Hiplera 1899 roku oraz pierwodruków 1922 i 1932 roku przełożył biskup Julian Wojtkowski [Übersetzung der Edition Franz Hiplers von 1899 sowie der Erstdrucke von 1922 und 1932 durch Bischof Julian Wojtkowski]. Olsztyn: Zakład Poligraficzny „Gutgraf” 2010. 439 S. Der Band enthält in polnischer Übersetzung die 1899 von Franz Hipler im lateinischen Original herausgegebenen Synodalstatuten der Diözesen Ermland und Kulm vom Ende des 14. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts sowie der Diözese Samland aus dem Jahr 1427 und der Diözese Pomesanien von 1411–1480, ferner die Statuten der Provinzialsynoden der Kirchenprovinz Riga des 15. Jahrhunderts. Außerdem hat Wojtkowski die in deutscher Sprache veröffentlichten Akten der ermländischen Diözesansynoden von 1922 und 1932 ins Polnische übersetzt und in den Band aufgenommen. Die polnische Ausgabe ist auch für den nicht polnischsprachigen Benutzer insofern von Nutzen, als W. der Hiplerschen Edition Sachanmerkungen und Hinweise auf neuere Literatur sowie ein Personenregister hinzugefügt und – alphabetisch nach der polnischen Begrifflichkeit – das Sachregister ausführlicher gestaltet hat. Auch die Akten der Braunsberger Synode von 1932 sind durch ein detailliertes Sachregister erschlossen. Marburg Hans-Jürgen Karp
Friedwald Moeller, Königsberger Personenstandsfälle 1727–1764. Hrsg. von Reinhold Heling und Elisabeth Meier. Hamburg: Verein für Familienforschung in Ost- und Westpreußen 2010, 622 S. (Sonderschriften des Vereins für Familienforschung in Ost- und Westpreußen e.V., 114). Die Arbeit, die 1938-1939 entstand, enthält in Auszügen Bekanntmachungen über Veränderungen des Familienstandes, die in den Wöchentlichen Königsbergischen Frag- und Anzeigungs-Nachrichten veröffentlicht wurden. Die Geschichte dieser Zeitschrift, die seit Mai 1727 erschien, behandelt einleitend Hans-Christoph Surkau. Moeller hat die bis 1939 in der Stadtbibliothek und der Staatsbibliothek in Königsberg erhaltenen Bestände ausgewertet – ausgenommen die Jahrgänge 1749,1751 und 1762, die in beiden Bibliotheken fehlen. Ein Literaturverzeichnis enthält zahlreiche Positionen zur preußischen Presse hauptsächlich des 18. und 19. Jahrhunderts. Die Bekanntmachungen sind nach den Pfarreien bzw. Religionsgemeinschaften gegliedert, die die Anzeigen aufgaben. In Königsberg gab es damals 20 Kirchen, die eigene Familienstandsregister führten: die evangelischen Pfarrkirchen, eine Kapelle im Waisenhaus, die Kirche im Schloss, die polnische, litauische und fran-
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zösische Kirche, die Friedhofskapellen, den Dom, die jüdische und die mennonitische Gemeinde und die katholische Kirche. Nach dem Zusammenschluss der drei Städte Kneiphof, Altstadt und Löbenicht zur Königlichen Haupt- und Residenzstadt Königsberg 1724 blieben Sackheim, Tragheim, Neue Sorge, Burgfreiheit sowie Hinterrossgarten im Besitz des Königs. Sackheim wurde im Zuge der Steinschen Reformen 1809 in Königsberg eingegliedert. Die katholische Kirche in Sackheim war durch Bemühungen König Sigismunds III. Wasa und des ermländischen Bischofs Simon Rudnicki bereits 1614–1616 entstanden. Die Auszüge aus den Anzeigen der Kirchengemeinden sind in zwei Kapitel gegliedert, wovon das zweite nur Informationen (bis 1747) aus zwei Kirchen enthält: der Sackheimer Kirche und der römisch-katholischen Pfarrei. Weder der Autor noch die Herausgeber begründen diese Aufteilung. Die Nachrichten sind innerhalb einer Nummer in die Abschnitte Eheschließungen, Geburten, Todesfälle gegliedert. Jede Nachricht ist mit einer Abkürzung der Gemeinde versehen, die diese Bekanntmachung herausgegeben hat. Fett gedruckt sind Namen bzw. Informationen, die der Leser zuallererst sucht, und auch die Zeitschriftennummer. Sehr nützlich für die Familienforschung ist das ausführliche Orts- und Personenverzeichnis (S. 525–622). Olsztyn/Allenstein Piotr Patejuk
Maria Blitz, Endzeit in Ostpreussen. Ein beschwiegenes Kapitel des Holocaust. Hrsg. von Uwe Neumärker. [Berlin:] Stiftung Denkmal für die Ermordeten Juden Europas 2010, 95 S., 38 Abb., 2 Kt., 22 cm. Der schmale Band zeichnet sich dadurch aus, dass der Herausgeber die erinnerte Geschichte einer von Verfolgung und Gefangenschaft Betroffenen mit Berichten weiterer Zeitzeugen und eigenen zeithistorischen Erläuterungen und Ergänzungen verbindet, die er in serifenloser Schrifttype in den Text der Autorin einfügt. Die Krakauer Jüdin Maria Blitz, eine der 15 Überlebenden des Todesmarschs von über 5.000 jüdischen Häftlingen von Königsberg nach Palmnicken im Januar 1945 schildert ihren Leidensweg vom Krakauer Ghetto über das Zwangsarbeitslager Plaszow und das KZ Auschwitz in das Außenarbeitslager des KZ’s Stutthof in Steindorf bei Heiligenbeil und weiter über Königsberg bis an die Ostseeküste sowie ihren verschlungenen Weg in ihre neue Heimat USA nach ihrer unverhofften Rettung. Der Herausgeber bemerkt in seiner kurzen, präzisen Einleitung, dass das Massaker von Palmnicken, das zeitgleich mit der Befreiung von Auschwitz und dem Untergang der Wilhelm Gustloff stattfand, einer der Endpunkte nationalsozialistischer Vernichtungspolitik und das größte auf Reichsgebiet war. „Der Name Palmnicken und die Ereignisse kurz vor Kriegsende, die sich mit ihm verbinden, sind in Deutschland und der Russischen Föderation weitgehend unbekannt. Und so ist die Aufarbeitung dieses Kapitels ostpreußischer, deutscher und europäischer Geschichte – dieses beschwiegenen Holocaust – noch längst nicht abgeschlossen“ ( S. 67). Der Band ist vorzüglich dazu geeignet, eine dialogische, gerechte Erinnerung an die Endzeit Ostpreußens zu generieren. Marburg Hans-Jürgen Karp
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Inhaltsverzeichnis
Spis treści Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Rozprawy Ulrich Fox (†), Dziekan Maximilian Tarnowski. Duszpasterz w Niemieckiej Rzeszy i w Polsce Ludowej . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Jerzy Kiełbik, Urzędnicy lidzbarscy (1650–1750) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
Miscellanea Sabina Bober, Wikariusz generalny Adalbert (Wojciech) Zink i Dr Ignacy Tokarczuk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
Andrzej Kopiczko, Adalbert Zink. W odpowiedzi na artykuł Sabiny Bobera
78
Źródła Suplika i statut cechu szewców wydmińskich (1671/1687). . . . . . . . . . . . .
85
Nekrolog Prof. Dipl.-Ing. Ulrich Fox (1937–2012) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
Recenzje . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
Spis autorów . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV
Table of Contents Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Articles Ulrich Fox (†), Archpriest Maximilian Tarnowski. Pastor in the German Reich and the People’s Republic of Poland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Jerzy Kiełbik, The Civil Servants of the Town of Heilsberg (1650–1750) . .
48
Miscellanies Sabina Bober, Vicar General Adalbert (Wojciech) Zink and Dr. Ignacy Tokarczuk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
Andrzej Kopiczko, Adalbert Zink. Reply to the Article of Sabina Bober . . .
78
Sources The Petitions and Regulations of the Guild of Shoemakers in Widminnen/Wydminy (1671/1687). Ed. by Danuta Bogdan . . . . . . . . . . . . . . .
85
Obituary Prof. Dipl.-Ing.Ulrich Fox (1937–2012) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
Reviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
List of Authors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV