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German Pages 356 Year 2014
Sophie Gerber Küche, Kühlschrank, Kilowatt
Histoire | Band 72
Sophie Gerber (Dr. phil.) arbeitet an der Universität Wien. Ihre Forschungsinteressen umfassen die Konsum- und Technikgeschichte des 20. Jahrhunderts sowie Objektforschung und materielle Kultur.
Sophie Gerber
Küche, Kühlschrank, Kilowatt Zur Geschichte des privaten Energiekonsums in Deutschland, 1945-1990
Gedruckt mit finanzieller Unterstützung der FAZIT-Stiftung. Zugl.: München, Technische Universität, Diss., 2014, u.d.T. »Küche, Kühlschrank, Kilowatt. Zur Geschichte des privaten Energiekonsums, 1945-1990«
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Danksagung | 9 Einleitung | 11
Fragestellung der Arbeit und Forschungsansatz | 12 Forschungsstand | 17 Theorie und Methode | 37 Quellen | 40 Aufbau der Arbeit | 43 Energiesparen vor 1945: Ein historischer Überblick | 45
Objektstudie: Kochkiste mit zwei Einsatztöpfen, Inv.-Nr. 1979-251 (Deutsches Museum München) | 54 Statistiken: Energiekonsum in Zahlen | 57
Anteil der Sektoren am Primärenergieverbrauch | 58 Stromverbrauch der Abnehmergruppen aus dem öffentlichen Netz | 63 Energieverbrauch in Haushalt und Kleinverbrauch | 65 Spezifischer Energieverbrauch im Haushalt | 67 Elektrogerätebestand in Haushalten | 69 Zwischenfazit: Statistiken zu Energiekonsum und Geräteausstattung | 74 Vom Energiemangel zum vollelektrischen Haushalt: Das erste Nachkriegsjahrzehnt (1945-1956) | 75
Objektstudie: Einkochtopf der Firma Weck, Inv.-Nr. 1992-32 (Deutsches Museum München) | 79 Energiemangel nach 1945: Ausnahmezustand am Beginn des Aufbruchs | 81 Konsum und Energie als Politik: Wohlstand und einen Kühlschrank für alle | 89 Energieversorger und ihre Marketingstrategien | 107 Ratenzahlung und Vermietung | 115 Konsumieren in Zeiten des „Wirtschaftswunders“ | 127 Zwischenfazit: Energiekonsum zwischen 1945 und 1957 | 132
Konsum und Energie in den „langen 1960er Jahren“ (1957-1972) | 135
Objektstudie: Toaster aus Aluminium, Inv.-Nr. 1993-281 (Deutsches Museum München) | 139 „Mach’s gleich elektrisch“: Auf dem Weg zum vollelektrischen Haushalt und hohen Energiekonsum | 140 „Das Ende der Bescheidenheit“? Die hochtechnisierte Küche als Signum der westdeutschen Konsumgesellschaft | 183 Zwischenfazit: Energiekonsum zwischen 1957 und 1972 | 195 Privater Energiekonsum nach der ersten Ölpreiskrise 1973: Effizienz – Information – Energieeinsparung | 199
Objektstudie: Waschmaschine AEG-Lavamat, Inv.-Nr. 54446 (Technisches Museum Wien) | 205 Der Stellenwert von privatem Energiekonsum im Umweltdiskurs: „Ökologische Wende“? | 206 Elektrizitätswirtschaft und Stromverbrauchsprognosen im Zeichen der Krise | 209 Anfänge der Energie- und Umweltpolitik in der BRD und ihre Reaktionen auf die Ölpreiskrisen | 230 Hausgerätehersteller und Elektrizitätswirtschaft: Strategien der Effizienzsteigerung und Information | 248 Dem Energiekonsum auf der Spur: Konstruktionen von Nutzern und Nutzerinnen | 265 Zwischenfazit: Energiekonsum nach 1973 | 270 Nach den Ölpreiskrisen (1979/80-1989/90) | 273
Objektstudie: Elektrischer Joghurtbereiter, Siemens-Electrogeräte Gmbh, Typ TJ 1200, Inv.-Nr. 68536 (Technisches Museum Wien) | 276 Umwelt- und Energie(Konsum)Politik in den 1980er Jahren | 278 Haushaltsgeräteindustrie und Energieversorger nach der Zweiten Ölpreiskrise | 286 Energie und Öffentlichkeit nach der Zweiten Ölpreiskrise | 295 Effizienz und Praxis: Rebound in der Küche? | 307 Zwischenfazit: Energiekonsum zwischen 1979/80 und 1989/90 | 314 Fazit | 317 Abkürzungsverzeichnis | 327
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis | 329 Literatur- und Quellenverzeichnis | 333
Unveröffentlichte Quellen | 333 Zeitgenössische Zeitschriften und Zeitungen | 335 Internetquellen | 335 Museale Quellen | 336 Literatur | 337
Danksagung
Diese Studie stellt eine zum Teil überarbeitete Fassung meiner 2013 von der Technischen Universität München angenommenen Dissertation dar. An dieser Stelle möchte ich mich bei all jenen bedanken, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Mein herzlicher Dank gilt meiner Dissertationsbetreuerin Prof. Dr. Karin Zachmann, die diese Arbeit durch alle Recherche- und Schreibphasen mit fachlicher Unterstützung und kritischem Blick begleitet hat. Ihr und Prof. Dr. Helmuth Trischler gilt außerdem großer Dank für die Leitung des Projekts „Objekte des Energiekonsums“, in dessen Rahmen diese Arbeit entstanden ist. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Förderlinie „Übersetzungsfunktion der Geisteswissenschaften“ finanzierte Forschungsvorhaben wurde als Verbundprojekt vom Zentralinstitut für Geschichte der Technik (seit 2011: Fachgebiet Technikgeschichte) der Technischen Universität München und dem Deutschen Museum von Mai 2009 bis Juli 2012 durchgeführt. Prof. Dr. Martina Heßler danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens sowie die stete Diskussionsbereitschaft und viele hilfreiche Kommentare zum Manuskript. Ich danke dem Forschungsinstitut des Deutschen Museums München, das mir im Rahmen des „Scholar in Residence“-Programms die Fortsetzung meiner Arbeit durch ein Stipendium ermöglicht hat. Ein Forschungsstipendium der Forschungsplattform „Neuverortung der Frauen- und Geschlechtergeschichte im veränderten europäischen Kontext“ an der Universität Wien bot mir im Oktober und November 2012 die Möglichkeit, Quellen in der „Sammlung Frauennachlässe“ zu sichten. Ich danke der Leiterin Prof. Dr. Christa Ehrmann-Hämmerle sowie Li Gerhalter, die meinen Aufenthalt mit großem Engagement betreut hat. Für Informationen und wichtige Hinweise bedanke ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der zahlreichen Archive, die ich auf dem Weg der Recherchen besuchen durfte.
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Auf der Münchner Museumsinsel boten sich mir hervorragende Arbeitsbedingungen und eine angenehme Atmosphäre. Während meiner Arbeit durfte ich von der Hilfsbereitschaft und dem Wissen meiner Kolleginnen und Kollegen des Fachgebiets Technikgeschichte und des Deutschen Museums profitieren. Namentlich genannt seien Dania Achermann, Dr. Gwen Bingle, Dr. Elsbeth Bösl, Dr. Frank Dittmann, Dr. Wilhelm Füßl, Constanze Hampp, Annika Menke, Dr. Désirée Schauz, Dr. Anne Sudrow, Dr. Frank Uekötter, Prof. Dr. Ulrich Wengenroth, Dr. Thomas Wieland und Dr. Rebecca Wolf. Andrea Spiegel hatte stets ein offenes Ohr und alle Antworten auf administrative Fragen. Stellvertretend für alle studentischen Hilfskräfte danke ich Matthias Bornemann, Laure Philippon und Ludwig Paulsen für Ihre unverzichtbare Unterstützung. Meinen Projektkolleginnen Nina Lorkowski und Dr. Nina Möllers habe ich nicht nur unzählige konstruktive Kommentare zu meiner Arbeit zu verdanken, sondern auch eine schöne Zeit im und außerhalb des Büros. Mein größter Dank gilt aber meiner Familie, vor allem meinen Eltern Christine und Lothar sowie meinen Geschwistern Antje und Tom, sowie meinen Freundinnen und Freunden. Sie haben mich uneingeschränkt unterstützt, ermutigt und immer wieder an ein Leben neben der Dissertation erinnert. Für die freundliche finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung dieser Arbeit danke ich der FAZIT-Stiftung. Wien, im Oktober 2014
Einleitung
Energie ist global eines der großen und hochrelevanten Themen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Diskussionen um die Zukunft der Energieversorgung, Moratorien von Atomkraftwerken und die Förderung regenerativer Energien sind auch in Deutschland allgegenwärtiger Bestandteil von Debatten in Politik, Medien und Öffentlichkeit. Im März 2011 erschütterten die Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima und ihre Folgen das Vertrauen in die problemlose Energieversorgung durch Atomkraft und veranlassten die deutsche Bundesregierung zur Ratifizierung des „13. Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes“, das im Juni 2011 vom Bundestag beschlossen wurde und die Stilllegung aller deutschen Atomkraftwerke bis zum Jahr 2022 festhält. Dem Einzelnen mag dies ein Anlass zur Hinterfragung seinen hohen Energieverbrauch gewesen zu sein. Jedoch, so zeigte es die Erfahrung nach dem Unfall im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl 1986, war das Bewusstsein für Energie und ihren Stellenwert für die Umweltproblematik oft nur von kurzer Dauer. So sehr der bewusste Umgang mit Energie im Haushalt heute diskutiert wird, so scheint er im Laufe des 20. Jahrhunderts in den Hintergrund getreten zu sein. Eine gewisse Energievergessenheit von Konsumentinnen und Konsumenten war zu beobachten. Heute ist Strom im Haushalt so unverzichtbar wie problematisch. Die Abhängigkeit von elektrischem Strom und die dichte Verwobenheit des Alltags mit dem Konsum von Elektrizität werden erst deutlich, wenn es plötzlich an ihr mangelt und dadurch Dienste nicht in Anspruch genommen werden können. So waren während eines großflächigen Stromausfalls in München am 15. November 2012 beinahe eine halbe Million Abnehmerinnen und Abnehmer betroffen. In den Debatten um diese von hohem Energiekonsum geprägte Gesellschaft spielen private Haushalte eine besondere Rolle, da ihr Energieverbrauch bis heute nicht sinkt und ihr Anteil am gesamten Energieverbrauch, neben Industrie, Verkehr und Gewerbe, meist unterschätzt wird. Die Diskussionen um die „Ener-
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giewende“ konzentrieren sich auf die Verantwortung der Konsumenten und Konsumentinnen einerseits. Auf der anderen Seite wird die Produktion von elektrischer Energie in Atomkraftwerken ebenso kontrovers diskutiert wie ein Übergang zu erneuerbarer Energie aus Sonne und Wind. Dieser Band konzentriert sich auf den privaten Energieverbrauch, der den Konsum von (Heiz-)Öl und Kohle verschiedener Art ebenso umfasst wie den der leitungsgebundenen Energien Gas und Elektrizität. Im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses aber steht der elektrische Strom als dominierende Energieform im Haushalt. Seine Durchsetzung für den privaten Gebrauch stellt eine bedeutsame und spannungsreiche Geschichte dar. Diese Arbeit verfolgt das Interesse, Erkenntnisse über die Genese des hohen Verbrauchs von Energie, insbesondere Strom, zu gewinnen und somit auch ein historisches Verständnis für gegenwärtige Probleme zu schaffen.
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Um ein neues Bewusstsein für Energie schaffen zu können, muss die Frage nach dem Ursprung der Abhängigkeit von Elektrizität gestellt werden. Daher konzentriert sich der Forschungsansatz dieser Studie auf die Untersuchung der Genese der Hochenergiegesellschaft aus einer akteurszentrierten Perspektive. Ausformung der Hochenergiegesellschaft Private Haushalte konsumieren heute mehr als ein Viertel des deutschen Stromaufkommens und spielen somit eine bedeutende Rolle als Energieverbraucher. Trotz immer effizienteren Haushaltsgeräten sinkt der Verbrauch von Strom in Küche, Bad und Wohnzimmer bis heute nicht. Daher muss die Frage gestellt werden, wie sich dieser hohe Energieverbrauch in privaten Haushalten etablieren konnte und welche Rolle elektrische Geräte, Konsumenten und Konsumentinnen dabei spielten. Im Zentrum der Untersuchung steht also die Frage nach der Genese der sogenannten Hochenergiegesellschaft. Hoher Energie- und vor allem Stromverbrauch ist zu einem Problem geworden, aber wie konnte er die Gesellschaft durchdringen und zu einem bestimmenden Faktor des westlichen Lebenswandels werden? Diesen Fragen widmet sich diese Studie. Die Produktion von Energie und ihr Konsum führten im Laufe des 20. Jahrhunderts in der industrialisierten Welt zur Ausprägung einer „Kohlenwasser-
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stoffgesellschaft“ bzw. „high carbon society“ oder „hydrocarbon society“1, in der durch menschliches Handeln ein rasanter Anstieg des Ausstoßes von Treibhausgasen begünstigt worden ist. „Hochenergiegesellschaft“ nenne ich die postindustrielle Gesellschaft der deutschen Bundesrepublik, in der sich seit den „langen 1960er Jahren“ ein sehr hoher privater Energieverbrauch ausgeprägt hat. Somit verwende ich Energie als gesellschaftsbeschreibendes Element. Zwar hat bereits der Wirtschaftswissenschaftler und Historiker Daniel Yergins den Begriff der „hydrocarbon society“ genutzt, um zum Ausdruck zu bringen, dass im Laufe des 20. Jahrhunderts Öl die Kohle ersetzt hat und seit dem Nachkriegsboom die Grundlage von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bildet. Kritiker wie Rüdiger Graf haben aber angemerkt, dass es sich um einen reduktionistischen Begriff handelt, durch den ein Teil der Gesellschaft herausgehoben wird und stellvertretend das ganze System bezeichnet.2 Im Laufe der Problematisierung und Politisierung der Energieversorgung während der 1970er Jahren erfuhr der Begriff eine politische Konnotation, bspw. von Sozialwissenschaftlern, die ihre Expertise auf dem Feld der Energiepolitik begründen wollten, der Ökologiebewegung, die versuchte, diese Hochenergiegesellschaft zu überwinden und Energieunternehmen, die ihre gesellschaftliche Bedeutung betonen wollten.3 Der Begriff der „Hochenergiegesellschaft“ ist dennoch sinnvoll für die Beantwortung der Frage nach der Durchdringung der Gesellschaft mit hohem Energieverbrauch als bestimmendem Faktor des westlichen Lebenswandels. Während sich heute eine Vielzahl von natur- und sozialwissenschaftlichen Forschern und Forscherinnen die Frage stellt, wie in Zukunft sinkender globaler Energieverbrauch und der Weg zu einer „low carbon society“ ermöglicht werden können, wird diese Arbeit die Grundlagen aufzeigen indem die Entstehung und Etablierung dieser „Hochenergiegesellschaft“ bzw. „high energy society“4 mit Fokus auf den privaten Verbrauch historisch untersucht werden. In Verbindung mit einer akteurszentrierten Geschichte des Energiekonsums lässt sich die Genese der Hochenergiegesellschaft als ein Netzwerk im Sinne 1
Vgl. z.B. die kritische Reflexion bei Rüdiger Graf, „Von der Energievergessenheit zur theoretischen Metonymie. Energie als Medium der Gesellschaftsgeschichtsschreibung im 20. Jahrhundert“, in Energie in der modernen Gesellschaft. Zeithistorische Perspektiven, hg. von Hendrik Ehrhardt, Thomas Kroll (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2012), 73-92, hier: 73-75.
2
Ebd., 73-75.
3
Ebd., 90-91.
4
Vgl. David E. Nye, Consuming Power. A Social History of American Energies (Cambridge: MIT Press, 1998). Nye beschreibt darin die USA als „high energy society“.
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Hughes als das Resultat der Verkopplung nicht nur technischer und wirtschaftlicher Komponenten, sondern auch politischer Entscheidungen und kultureller Werte interpretieren. Akteurszentrierte Energiekonsumgeschichte Eine Energiekonsumgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die nicht nur eine einzelne Akteursgruppe in den Blick nimmt, stellt ein Desiderat der Forschung dar. Um eine umfassende Geschichte des privaten Energiekonsums schreiben zu können, wurde ein multiperspektivischer Ansatz gewählt, der mithilfe vielfältiger Quellen eine kritische Anzahl von Akteuren zu Wort kommen lässt. Die Technisierung des privaten Haushalts, vor allem der Küche, und die Rolle des Energiekonsums zwischen 1945 und 1990 stehen im Mittelpunkt der Untersuchung. Vor dem Hintergrund des Perspektivenwechsels in der geistes- und sozialwissenschaftlichen Technikforschung von der Produktion zur Nutzung von Technik, werden das hochaktuelle Problemfeld Energie und ihre Nutzung in ihren kulturellen, ökonomischen, politischen und ökologischen Dimensionen untersucht. Das Ergebnis gibt darüber Aufschluss, wie der Privathaushalt zum neben der Industrie bedeutendsten Energieverbraucher werden konnte und welche komplexen Vorgänge, Diskurse und Aushandlungsprozesse im Laufe des 20. Jahrhunderts dazu beitrugen und diese Entwicklung begleiteten. Die Perspektiven von Staat, Energieversorgern, Geräteherstellern, Konsumenten und Konsumentinnen werden herausgearbeitet und dabei die Frage nach „Koalitionen“ der Akteure gestellt. Diese Koalitionen entstehen durch die Bildung heterogener Netzwerke mit sehr vielen beteiligten Akteuren und Institutionen, wie sie auch Ruth Oldenziel, Adri Albert de la Bruhèze und Onno de Wit mit dem Konzept der „mediation junction“ für Technisierungsprozesse beschreiben.5 Die Koalitionen der Verschwender haben sich auch nach Strukturen etabliert, wie sie beispielsweise Mark H. Rose für die Diffusion und Anwendung von Strom und Gas in den USA zwischen 1900 und 1940 untersucht hat. Unter anderem Lehrer, Hausbauer und Architekten verbreiteten Muster, die durch die Weitergabe an die nächste Generation mindestens bis zum Ende des 20. Jahrhunderts in den Gewohnheiten der meisten Amerikaner und Amerikanerinnen Bestand
5
Ruth Oldenziel, Adri Albert de la Bruhèze, Onno de Wit, „Europe’s Mediation Junction: Technology and Consumer Society in the 20th Century“, in History and Technology 21, 1 (2005): 107-139.
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hatten.6 Im Sinne der Diffusionstheorie wurde der hohe Verbrauch von Energie durch die Koalitionen der Verschwender als „agents of social and technological change“ gesellschaftlich verbreitet. Im Fokus dieser Untersuchung stehen relativ kohärente Akteursgruppen, die im gesamten Untersuchungszeitraum eine wesentliche Rolle für die Entwicklung hohen Energieverbrauchs spielten. Um Widersprüche zu beleuchten treten fallweise Gegenakteure, wie beispielsweise Gasversorgungsunternehmen, auf, ohne die Spannungen innerhalb der einzelnen Akteursgruppen außer Acht zu lassen. Diese Ansätze sollen dazu beitragen, der zentralen Fragestellung, wie und warum sich der Verbrauch elektrischer Energie und seine Bedeutung im privaten Haushalt gewandelt haben, nachzugehen. Für diese Untersuchung gilt auch der Frage, welche Rolle Energie in alltäglichen Diskursen spielte, d.h. wie über Energie – genauer Strom – und dessen Verbrauch gesprochen wurde (oder gerade nicht) und welche Debatten geführt oder vermieden wurden, besonderes Interesse.7 Zu welchem Zeitpunkt wird der Energieverbrauch der Privathaushalte thematisiert, welche Akteure und Aktanten – im Sinne Bruno Latours, der auch nicht-humane Akteure in den Blick nimmt –, darunter Gerätehersteller, Stromversorger, politische Vertreter, Nutzer und Nutzerinnen sowie Haushaltsgeräte, spielten dabei eine Rolle und welche Strategien wurden entwickelt, um den häuslichen Energiekonsum zu fördern oder zu bremsen? In diesem Band wird ergründet, wie verschiedene Akteure gewisse Vorstellungen und Standards in Bezug auf den Energiebedarf privater Haushalte aushandelten. Die Studie begibt sich auf die Suche nach Konsumenten und Konsumentinnen und stellt die Frage, wie sie konkret in den Produktions-, Vermittlungs- und Aneignungsprozessen von energieverbrauchenden Geräten und Elektrizität konstruiert wurden und agierten. Handelt es sich um reale, projektierte, repräsentierte oder implizierte Nutzerinnen und Nutzer? Wie sieht der Umgang mit elektrischen Küchengeräten aus und wie wird Energieverbrauch in die Wertehierarchien von Produzenten, Mediatoren und Konsumenten eingeordnet? Aus konsumgeschichtlicher Sicht spielen die Domestizierungs- und Aneignungsprozesse von Technologien eine große Rolle. Denn die Auswahl und Aneignung von Artefakten ist, wie es bei6
Mark H. Rose, „Getting the Idea Out. Agents of Diffusion and Popularization of Electric Service in the American City, 1900-1990“, in Elektrizität in der Geistesgeschichte, hg. von Klaus Plitzner (Bassum: Verlag für Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik, 1998), 227-234, hier: 234.
7
Vgl. zur Diskursgeschichte des Konsums und der Konsumierenden Nepomuk Gasteiger, Der Konsument. Verbraucherbilder in Werbung, Konsumkritik und Verbraucherschutz 1945-1989 (Frankfurt am Main: Campus, 2010).
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spielsweise der französische Historiker und Philosoph Michel de Certeau in seinem Werk „Die Kunst des Handelns“ beschreibt, für den Konsumierenden identitätsstiftend.8 Querverbindungen und Wechselwirkungen zwischen den Bereichen der Produktion, der Vermittlung und des Konsums sowie den darin handelnden Akteuren werden untersucht. Identifiziert wird, wer an der Haushaltstechnisierung beteiligt war und Projektionen von Nutzern und Nutzerinnen in Produktions- und Vermittlungsprozessen nachgezeichnet, sowie im Kontext der jeweiligen historischen Ordnung von Politik, Ökonomie, Kultur und Geschlecht verortet. Ziel der Arbeit ist es, ein detailliertes Verständnis der von einem hohen Energiebedarf geprägten Gesellschaft und ihrer Genese durch eine konsumgeschichtliche, nutzerzentrierte Perspektive zu schaffen. Nicht die Quantität des Energieverbrauchs ist für diese Untersuchung von zentraler Bedeutung, sondern die Frage, warum und wie der rasant steigende private Energieverbrauch zu einem zentralen und dabei scheinbar unerlässlichen Element des Alltagslebens werden konnte. Verfolgt wird das Ziel einer historischen Erklärung der Durchdringung von Gesellschaft und Alltag mit vielfältigen Praxen des Energieverbrauchs. Der Untersuchungszeitraum reicht vom Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 bis zur Wiedervereinigung Deutschlands 1989/90 und nimmt vor allem mit den 1980er Jahren eine Zeitspanne in den Fokus, die im Hinblick auf den Konsum von Energie bisher kaum untersucht worden ist. Im regionalen Fokus der Untersuchung steht die Bundesrepublik Deutschland bzw. zwischen 1945 und ihrer Gründung die US-amerikanische, britische und französische Besatzungszone sowie Berlin und das Saargebiet. Diese nationalspezifische Sicht lenkt die Aufmerksamkeit auf diachrone Kontinuitäten, Einschnitte und Besonderheiten. Aufgrund der zum Teil besseren Quellenlage werden allerdings, wie zu sehen sein wird, ergänzend Quellen aus österreichischen Archiven und Museen herangezogen. Mit dieser Arbeit wird eine bislang ausstehende umfassende, konsumorientierte Betrachtung der Geschichte der Energie vorgelegt. Sie zeichnet große Entwicklungslinien vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur deutschen Wiedervereinigung nach und identifiziert auf diesem Wege Zäsuren und Kontinuitäten der Geschichte des privaten Energiekonsums im 20. Jahrhundert, die in die allgemeine Geschichte eingebettet werden.
8
Michel de Certeau, Die Kunst des Handelns (Berlin: Merve, 1988), 13.
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F ORSCHUNGSSTAND An die bisherige Forschung anknüpfend, werden der Forschungsstand und die Geschichte zentraler Problemfelder, die in der Studie verknüpft werden, in einer breiten Übersicht beleuchtet. Dafür wird der Untersuchungsgegenstand in verschiedene Bereiche der historischen Forschung, darunter die Geschichte des Konsums, der Haushaltstechnisierung, der Energie und der Dinge, eingeordnet und wichtige Thesen und Konzepte von Autorinnen und Autoren, die für eine Geschichte des Energiekonsums unabdinglich sind, herausgearbeitet. Geschichte der Energie Erkenntnisleitend für meine Überlegungen ist die Analysekategorie Energieverbrauch. Daher soll zunächst geklärt werden, auf welchen Konzepten von Energie die Untersuchung beruht und wie Energie historisch verstanden und konzeptualisiert wurde, bevor eine kurze Geschichte des Energieverbrauchs skizziert wird. Der Duden definiert Energie heute einerseits als eine „mit Nachdruck, Entschiedenheit [und Ausdauer] eingesetzte Kraft, etwas durchzusetzen“ bzw. „starke körperliche und geistige Spannkraft, Tatkraft“ und andererseits im Sinne der Physik als „Fähigkeit eines Stoffes, Körpers oder Systems, Arbeit zu verrichten“.9 Allerdings waren sich Forscher verschiedener Disziplinen lange nicht einig über die Klärung des Gegenstandes. Selbst Physiker konnten, obwohl der Begriff „Energie“ seit dem 19. Jahrhundert im Bereich der Physik Verwendung fand und die Tätigkeit des menschlichen Körpers genauso meinte wie ihren Einsatz, um die Mühen körperlicher Arbeit zu erleichtern, keine qualitative Definition formulieren.10 Mit der Formulierung der Gesetze der Thermodynamik, die Energie genauer definierten, nahm der Energiediskurs seinen Anfang und zur gleichen Zeit wurde der Grundstein für die Entfaltung einer Hochenergiegesellschaft gelegt. Die zur Verrichtung bestimmter Aufgaben benötigte körperliche Energie wurde seit dem 19. Jahrhundert durch die mechanische Energie von Maschinen abgelöst, von der die Gesellschaft in zunehmendem Maße abhängig wurde. Gleichzeitig wurde begonnen, Energie als gesellschaftsbeschreibenden Terminus zu verwenden. So 9
Der Duden online, Eintrag „Energie, die“, http://www.duden.de/node/646229/re visions/646234/view, abgerufen am 23.08.2012.
10 Robert Bruce Lindsay, „Introduction: What is Energy?“, in Energy. Historical Development of the Concept, hg. von Robert Bruce Lindsay, Benchmark Papers on Energy 1 (Stroudsburg: Dowden, Hutchinson & Ross, 1975), 5.
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wurde der bemerkenswerte wirtschaftliche Aufschwung Großbritanniens im 19. Jahrhundert von zeitgenössischen Beobachtern wie dem Philosophen und Soziologen Herbert Spencer mit dem vermehrten Einsatz der Dampfkraft in Verbindung gebracht.11 Die vorliegende Arbeit wird sich auf die historische Betrachtung der Elektrizitätsverwendung konzentrieren, denn innerhalb der Energiethematik nimmt die Elektrizität eine besondere Rolle ein. Das kann u.a. ein Band zur Ideengeschichte der Elektrizität belegen.12 Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert galt vor allem der unsichtbare und saubere Strom für Viele als Energie der Zukunft und Motor einer besseren, moderneren Gesellschaft. Namhafte Politiker, Ingenieure und Intellektuelle erklärten Elektrizität zum konstituierenden Element ihres Gesellschaftsentwurfs. August Bebel betrachtete die Haushaltselektrifizierung im Rahmen seiner sozialreformerischen Vorstellungen vor allem als Voraussetzung für die Befreiung der Frau.13 Oskar von Millers Idee des „sozialen Stroms“ beinhaltete hingegen eine flächendeckende Stromversorgung für die gesamte Bevölkerung.14 Und auch das Leitmotiv des politischen Wirkens des russischen Revolutionsführers Wladimir Iljitsch Uljanow, kurz Lenin, propagierte Kommunismus als „Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes“.15 In ähnlicher Art und Weise sah der amerikanische Intellektuelle Lewis Mumford die Elektrizität in seinen frühen Schriften als Mittel zur Gestaltung einer sozialeren Gesellschaft.16 Der Chemiker und Philosoph Wilhelm Ostwald entwickelte eine energetische Gesellschaftstheorie, die davon ausging, dass sich alle weltlichen Vorgänge über den Schlüssel der Energie begreifen und erklären ließen.17 Die von Ostwald 11 Karin Zachmann, „An Introduction“, in Past and Present Energy Societies. How Energy Connects Politics, Technologies and Cultures, hg. von Nina Möllers, Karin Zachmann (Bielefeld: transcript, 2012), 7-41, hier: 10. 12 Grundsätzlich zu Elektrizität in der Ideen- oder „Geistesgeschichte“ vgl. Klaus Plitzner, Hg., Elektrizität in der Geistesgeschichte (Bassum: Verlag für Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik, 1998). 13 August Bebel, Die Frau und der Sozialismus (Zürich: Verlag der Volksbuchhandlung, 1879). 14 Wilhelm Füßl, Oskar von Miller 1855-1934: Eine Biographie (München: C.H. Beck, 2005), 141-142. 15 Vladimir I. Lenin, Werke (Berlin: Dietz, 1959), 513. 16 Lewis Mumford, Technics and Civilization (New York: Harcourt, 1934). 17 Wilhelm Ostwald, Der energetische Imperativ (Leipzig: Akademische Verlagsgesellschaft, 1912).
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verfasste Formel, der „energetische Imperativ“, sollte erster Leitsatz einer Lehre sein, die das Universum aus Energie geschaffen begriff und die Materie lediglich als zweitrangig ansah. Somit musste aus Ostwalds Sicht äußerst umsichtig und sorgsam mit Energie umgegangen werden. Die Elektrizität mit ihren Eigenschaften der Unsichtbarkeit und steten Verfügbarkeit kam seiner Vorstellung von Energie am nächsten. Der Energiepolitiker und SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer griff rund 100 Jahre später den Wahlspruch Ostwalds „Vergeude keine Energie, verwerte sie!“ 2010 wieder auf und formulierte ihn zum „Energethischen Imperativ“ um.18 Während Ostwald keine praktischen Vorschläge und Argumente zur Einsparung von Energie vorbrachte, erläutert Scheer in seinem Buch Möglichkeiten zur Realisierung der „Energiewende“, dem Übergang zu erneuerbaren Energien. Bei Ostwalds „Energetik“ aber handelte es sich um eine vorrangig spirituelle Weltsicht, die von Soziologen wie Max Weber heftig kritisiert wurde.19 Karin Zachmann konnte zeigen, dass positive Resonanz auf die energetische Lehre vor allem der um 1900 herrschenden Sorge über die Kohlennot entsprang. So wurde der Wirkungsgrad, das Maß der Effizienz von Energieumwandlungsprozessen, einerseits für Ingenieure zum Leitprinzip bei der Konstruktion und andererseits als Konzept auf wirtschaftliche Tätigkeit übertragen.20 Unter dem Stichwort der „energy transitions“ lassen sich Übergänge zwischen verschiedenen Energiesystemen beschreiben. Das Konzept beruht auf der Annahme, dass eine einzelne oder mehrere Energiequellen den Markt während eines bestimmten Zeitabschnitts definieren. Ihre Dominanz kann durch andere Energieformen in Frage gestellt oder abgelöst werden.21 Diese Untersuchung geht einen Schritt weiter, indem sie davon ausgeht, dass Energieformen nicht nur Märkte, sondern ganze Gesellschaften prägen können. Während das vorindustrielle Energiesystem auf erneuerbaren Energien wie Biomasse, u.a. Holz, und Sonne basierte, waren es fossile Energieträger, die dem industriellen Zeitalter den Weg ebneten. Auch im 20. Jahrhundert vollzogen sich 18 Hermann Scheer, Der energethische Imperativ. Wie der vollständige Wechsel zu erneuerbaren Energien zu realisieren ist (München: Antje Kunstmann, 2010). 19 Max Weber, „‚Energetische‘ௗKulturtheorien“, in Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre (1909), 400-426. 20 Karin Zachmann, „Wirkungsgrad contra Wertegrad. Zur Entstehung des Konflikts zwischen der technischen und der ökonomischen Auffassung vom Wirtschaften“, in Technikgeschichte 62, 2 (1995): 103-131. 21 Vgl. dazu u.a. Vaclav Smil, Energy Transitions. History, Requirements, Prospects (Santa Barbara: Praeger, 2010).
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Übergänge zwischen verschiedenen Energiesystemen. Bis 1914 war die industrielle Produktion der westlichen Welt zum Großteil abhängig von Holz, Wasserkraft und Kohle. Aber bereits vor 1945 wurde Öl zu einem der führenden Energiearten und die Produktion elektrischer Energie stieg rapide an.22 Besonders wichtig für diesen Band ist die Tatsache, dass sich Strom in den vergangenen rund 130 Jahren als wichtigste Energie für den privaten Gebrauch gegen Kohle, Gas, aber auch Petroleum und Spiritus, weitgehend durchsetzte. Die „energy transition“ bzw. der Wandel zu einer auf Stromverbrauch basierenden Gesellschaft verlief nicht schlagartig, sondern allmählich und gestaltete sich regional unterschiedlich. In dem auf Kohle basierenden Energiesystem blieben Erfahrungen des Energieverbrauchs noch konkret. Durch die Elektrifizierung ergab sich eine gänzlich neue Situation. Strom wurde für Konsumenten und Konsumentinnen immer leichter zugänglich. Da die Tageslastkurven der Elektrizitätswerke ausgeglichen werden mussten, förderten die Stromproduzenten den Verbrauch. Die Elektrizitätswirtschaft konnte Schwankungen in der Nachfrage nicht durch Lagerentnahmen auffangen, da Elektrizität nicht speicherbar ist. Aufgrund der Eigenschaften von Strom musste sich das Leistungsangebot der Kraftwerke an den Zeiten der höchsten Bedarfsspitzen orientieren.23 Es wird gezeigt werden, dass unter diesen Bedingungen hoher Verbrauch in manchen Fällen zum Mittel zum Sparen wurde. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein galt der Energieverbrauch als Indikator für den Wohlstand und die Entwicklung einer Gesellschaft oder Ökonomie. Nach dem Zweiten Weltkrieg und unter dem Eindruck des Kalten Krieges galt noch immer die Gesellschaft mit dem höheren Energieverbrauch als die fortschrittlichere. Der Soziologe Frederick W. Cottrell begann, zwischen „Niedrigenergiegesellschaften“ und „Hochenergiegesellschaften“ zu unterscheiden und entwickelte eine Theorie, die gesellschaftliche Veränderungen durch die Verwendung bestimmter Energieträger und Übergänge zwischen Energieregimen konzeptualisierte.24 Auch Lewis Mumford und später Debeir, Deléage und 22 Vgl. dazu u.a. Martin Melosi, Coping with Abundance. Energy and Environment in Industrial America (Philadelphia: Temple University Press, 1985); Smil, Energy Transitions. 23 Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke VDEW e.V., Hg., Überlegungen zur künftigen Entwicklung des Stromverbrauchs privater Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland bis 1990 (Frankfurt am Main, 1977), 7. 24 Frederick W. Cottrell, Energy and Society: The Relationship Between Energy, Social Change, and Economic Development (New York: McGraw-Hill, 1955).
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Hémery beschrieben die Geschichte der Menschheit als Geschichte einander ablösender Energiesysteme, in der der jeweils bedeutsamsten Energieform ein zentraler Stellenwert beigemessen wird.25 Seit den späten 1960er Jahren aber zweifelten Forscher die Gleichsetzung von hohem Energieverbrauch und wirtschaftlichem Fortschritt an. Die Diskussion gipfelte in der berühmten Studie „The Limits to Growth“ („Die Grenzen des Wachstums“), die 1972 von der Arbeitsgruppe „Club of Rome“, die sich bis heute Fragen der Zukunft der Menschheit annimmt, veröffentlicht wurde.26 Darin wird auf der Basis eines computersimulierten Szenarios vor grenzenlosem Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig endlichen Ressourcen gewarnt. Die Studie legte offen, dass kurzfristige politische Herangehensweisen am grundsätzlichen langfristigen Ressourcenproblem nichts ändern würden können.27 Die energiehistorischen Entwicklungen spiegeln sich auch im Forschungsinteresse für Energie wider, das bis in die 1960er Jahre in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften ein marginales Dasein fristete.28 Erst seit den späten 1960er Jahren entwickelte sich ein großes Interesse an der Energieproblematik, die heute einen neuen Höhepunkt erreicht haben dürfte. Eine zunehmende Anzahl von Forschern und Forscherinnen widmet sich der Geschichte der Energie und Autoren wie Vaclav Smil haben sich darum bemüht, die Formen der Gewinnung, Verteilung und Nutzung von Energie in der globalen Geschichte zu analysieren. Für die USA wurden u.a. Arbeiten von David Nye und Martin Melosi publiziert.29 Thomas Hughes entwickelte in „Networks of Power“ die Theorie 25 Mumford, Technics and Civilization; Jean-Claude Debeir, Jean-Paul Deléage, und Daniel Hémery, Prometheus auf der Titanic. Geschichte der Energiesysteme (Frankfurt am Main: Campus, 1989); vgl. auch Dieter Schott, „Energie und Stadt in Europa. Von der vorindustriellen ‚Holznot‘ bis zur Ölkrise der 1970er Jahre. Einführung“, in Energie und Stadt in Europa. Von der vorindustriellen „Holznot“ bis zur Ölkrise der 1970er Jahre, VSWG-Beihefte 135 (Stuttgart: Franz Steiner, 1997), 7-42, hier: 10. 26 Dennis L. Meadows, Donella Meadows, Jørgen Randers, William W. Behrens, The Limits to Growth. A Report for the Club of Rome’s Project on the Predicament of Mankind. (New York: Universe Books, 1972); deutsch: Dennis L. Meadows u. a., Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit (Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1972). 27 Schott, „Energie und Stadt in Europa“, 7. 28 Graf, „Von der Energievergessenheit zur theoretischen Metonymie“. 29 Darunter Vaclav Smil, Energy In World History (Boulder: Westview Press, 1994); Smil, Energy Transitions; Nye, Consuming Power; Melosi, Coping with Abundance.
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großtechnischer Systeme, die besagt, dass Netzwerke nicht nur von technischen und wirtschaftlichen Faktoren bestimmt werden, sondern auch politische Entscheidungen und kulturelle Werte darin mit einfließen.30 Sie sind sozial konstruiert und können die Gesellschaft formen. Zu einem „large technical system“ wie dem Stromversorgungsnetz gehören Objekte wie Generatoren, die Stromversorgungsunternehmen, wissenschaftliche Komponenten sowie gesetzgebende und natürliche Elemente.31 Auch für die Analyse des Energieverbrauchs erweist sich Hughes’ Ansatz als nützlich, wie zu sehen sein wird. Die Elektrifizierung und Stromversorgung in Deutschland wurde bereits hinsichtlich politik- und wirtschaftsgeschichtlicher Aspekte aufgearbeitet, während die Thematik des Energiekonsums bisher nur eine marginale Position in der historischen Forschung einnimmt.32 Zwar sind zur Geschichte der Haushaltstechnisierung mittlerweile zahlreiche Studien, vor allem für den amerikanischen, aber zunehmend auch den europäischen Raum, erschienen, die aber den Aspekt des häuslichen Energiekonsums weitgehend unberücksichtigt lassen.33 Großes Interesse galt bislang der Einführung und Durchsetzung der Elektrizität, während die Bedeutung des Stroms im alltäglichem Handeln und die Wech30 Thomas P. Hughes, „The Evolution of Large Technical Systems“, in The Social Construction of Technological Systems. New Directions in the Sociology and History of Technology., hg. von Wiebe E. Bijker, Thomas P. Hughes, Trevor J. Pinch (Cambridge: MIT Press, 1987), 51-82; Thomas P. Hughes, Networks of Power. Electrification in Western Society, 1880-1930 (Baltimore u.a.: Johns Hopkins University Press, 1983). 31 Hughes, Networks of Power; Günter Ropohl, Eine Systhemtheorie der Technik: Zur Grundlegung der Allgemeinen Technologie (München: Carl Hanser, 1979). 32 Wolfgang Zängl, Deutschlands Strom. Die Politik der Elektrifizierung von 1866 bis heute (Frankfurt am Main: Campus, 1989); Wolfram Fischer, Hg., Die Geschichte der Stromversorgung (Frankfurt am Main: Verlags- und Wirtschaftsgesellschaft der Elektrizitätswerke m.b.H., 1992). 33 Ruth Oldenziel, Karin Zachmann, Hg., Cold War Kitchen. Americanization, Technology, and European Users (Cambridge: MIT Press, 2009); Ruth Schwartz Cowan, More Work for Mother. The Ironies of Household Technology from the Open Hearth to the Microwave (New York: Basic Books, 1983); Joy Parr, Domestic Goods. The Material, the Moral, and the Economic in the Postwar Years (Toronto u.a.: University of Toronto Press, 1999); Shelley Nickles, „‚Preserving Women‘: Refrigerator Design as Social Process in the 1930s“, in Technology and Culture 43, 4 (2002): 693-727; Martina Heßler, „Mrs. Modern Woman“. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Haushaltstechnisierung (Frankfurt am Main: Campus, 2001).
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selwirkungen zwischen den Praxen der involvierten Akteure und steigendem Stromkonsum kaum beleuchtet worden sind. Oft konzentriert sich die Geschichtsschreibung der Elektrizität auf politische Dimensionen und die Unternehmen der Stromproduktion und -verteilung, darunter das RheinischWestfälische Elektrizitätswerk (RWE) mit Sitz in Essen oder das Elektrizitätswerk Minden-Ravensberg (EMR) in Herford.34 Die kulturalistische Wende in der historischen Forschung und die Erweiterung der Technikgeschichte haben aber auch die Beschäftigung mit der Elektrizitätsgeschichte in einem neuen Licht erscheinen lassen.35 Symbol-, Mentalitäts- und Diskursgeschichten des Stroms sind seit den späten 1990er Jahren erschienen, die sich aber hauptsächlich auf die frühe Phase der Elektrifizierung konzentrieren.36 In jüngster Vergangenheit erschienene Sammelbände widmen sich vor allem den sozialen und kulturellen Konzepten von Energie und wenden sich von der technisch-ökonomischen Produktionsperspektive ab.37 34 Vgl. Manfred Ragati, Harald Wixforth, Hg., Wirtschaft und Energie im Wandel der Zeit. Die Geschichte der Elektrizitätsversorgung in Ostwestfalen und SchaumburgLippe (Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 1999); Dieter Schweer, Wolf Thieme, Hg., Der gläserne Riese. RWE. Ein Konzern wird transparent (Wiesbaden: Gabler, 1998); Helmut Maier, Hg., Elektrizitätswirtschaft zwischen Umwelt, Technik und Politik, Freiberger Forschungshefte D 204 Geschichte (Freiberg: Technische Universität Bergakademie Freiberg, 1999); Bernhard Stier, Staat und Strom (Ubstadt-Weiher: Verlag Regionalkultur, 1999). 35 Vgl. Bernhard Stier, „Die neue Elektrizitätsgeschichte zwischen kulturhistorischer Erweiterung und kommunikationspolitischer Instrumentalisierung. Anmerkungen zum Forschungsstand am Ende des ‚langen 20. Jahrhunderts‘“, in Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 87 (2000): 477-487. 36 Vgl. David Gugerli, Hg., Allmächtige Zauberin unserer Zeit. Zur Geschichte der elektrischen Energie in der Schweiz (Zürich: Chronos, 1994); Beate Binder, Elektrifizierung als Vision, Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen 89 (Tübingen: Tübinger Vereinigung für Volkskunde, 1999); David Gugerli, Redeströme: Zur Elektrifizierung der Schweiz 1880-1914 (Zürich: Chronos, 1996); Karl Ditt, Zweite Industrialisierung und Konsum: Energieversorgung, Haushaltstechnik und Massenkultur am Beispiel nordenglischer und westfälischer Städte 1880-1939 (Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2011). 37 Vgl. Nina Möllers, Karin Zachmann, Hg., Past and Present Energy Societies: How Energy Connects Politics, Technologies and Cultures (Bielefeld: transcript, 2012); Hendrik Ehrhardt, Thomas Kroll, Hg., Energie in der modernen Gesellschaft. Zeithistorische Perspektiven (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2012).
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Auch umweltgeschichtliche Fragestellungen sind für diese Untersuchung von Bedeutung. Umwelthistorische Darstellungen berücksichtigen das Themenfeld Energie zunehmend, beispielsweise hinsichtlich der Kernenergie als Bedrohung von Mensch und Natur.38 Vertreter der „historischen Ökologie“ wie Rolf Peter Sieferle konzentrieren sich v.a. auf die Konsequenzen für natürliche Systeme. Energiesysteme werden dabei als grundlegende Merkmale von Zivilisationsstufen betrachtet und dienen der Periodisierung gesellschaftlicher Entwicklung.39 Der seit den 1950er Jahren scheinbar zunehmend sorglose Umgang mit Energie kann allerdings mit Modellen wie dem „1950er Syndrom“, das zwar ein hohes Energieangebot als Katalysator des Übergangs in ein Zeitalter des Massenkonsums sieht, aber die niedrigen Energiepreise als hauptsächliche Ursache für den rasanten Anstieg des Energieverbrauchs identifiziert, nicht ausreichend erklärt werden.40 Umfassendere Erklärungsmuster wird diese Studie bieten. Geschichte des Konsums Die Konsumgeschichte, die sich der Aneignung sowie dem Ge- und Verbrauch von Waren widmet, hat sich in den letzten Jahrzehnten als essentielle Komponente der Geschichtsschreibung etabliert. Die Wahrnehmung des Konsumierens als aktives und selbstbestimmtes Handeln spiegelt die Neubewertung des Konsums in den Sozialwissenschaften und die Abkehr vom Produktionsparadigma in den historischen Wissenschaften wider.Ͷͳ Autoren wie Michel de Certeau haben
38 Vgl. Monika Bergmeier, Umweltgeschichte der Boomjahre 1949-1973. Das Beispiel Bayern (Münster, New York: Waxmann, 2002); Karl Ditt, „Die Anfänge der Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland während der 1960er und frühen 1970er Jahre“, in Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik, Forschungen zur Regionalgeschichte 44 (Paderborn: Ferdinand Schöningh, 20052), 305-347; Jens Ivo Engels, Naturpolitik in der Bundesrepublik. Ideenwelt und politische Verhaltensstile in Naturschutz und Umweltbewegung 1950-1980 (Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2006). 39 Rolf Peter Sieferle, Der unterirdische Wald. Energiekrise und Industrielle Revolution. (München: C.H. Beck, 1989). 40 Christian Pfister, Das 1950er Syndrom. Der Weg in die Konsumgesellschaft (Bern u.a.: Paul Haupt, 1995). 41 Vgl. Mary Douglas, Baron C. Isherwood, The World of Goods (New York: Basic Books, 1979); Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1982); Jean Baudrillard, Das System der
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ergründet, dass der Alltag zwar meist einen unbewussten, kaum reflektierten Ablauf darstellt; das Konsumieren aber kein rein passiver Vorgang ist, sondern die Produktion von Identität und Umwelt bedeutet. Die Mechanismen der gegenseitigen Anpassung zwischen Konsumierenden, Objekten und ihrer Umgebung gelten als Akt der Herstellung und Aushandlung von Bedeutung.42 Historiker und Historikerinnen der frühen Neuzeit siedelten die ersten Konsumgesellschaften und -revolutionen Europas, die noch von Klassen- und Ständeunterschieden geprägt waren, in den Niederlanden und England des 17. und 18. Jahrhunderts an. Zwar ist Konsum schon immer ein fester Bestandteil menschlichen Seins, aber erst die Konsumrevolutionen des 18. Jahrhunderts hatten die Herausbildung des bürgerlichen in Abgrenzung zum bäuerlichen und Arbeiterkonsumenten zur Folge, der andere Waren erwerben konnte. Ein wichtiger konsumhistorischer Anstoß kam von Neil McKendrick, der 1982 die These von einer Konsumrevolution im England des 18. Jahrhunderts aufstellte.43 Konsum im Sinne der Aneignung, des Ge- und Verbrauchens von Waren als Wirtschaftsfaktor begann an Bedeutung zu gewinnen, als nicht länger nur der Adel zu Prestigezwecken konsumierte, sondern sich ab dem 18. Jahrhundert auch Bürger durch Konsum Wünsche erfüllen konnten. Zwar wurde Konsum als notwendige Voraussetzung für die Produktion allmählich anerkannt, aber dennoch haftete dem Konsumieren noch länger eine negative Konnotation an, da das Verbrauchen von Waren betont wurde. Erst seit den 1920er Jahren wurde zuerst in den USA, u.a. von Hazel Kyrk, das Phänomen des Konsums als Wirtschaftsfaktor näher untersucht.44 Im Laufe des 20. Jahrhunderts konnten sich die Unterschiede des klassenspezifischen Konsums nivellieren und eine allgemeine Gesellschaft der Konsumenten und Konsumentinnen entstehen. Seit den späten 1950er Jahren nahmen immer mehr Bürger und Bürgerinnen durch steigende Einkommen am kommerziellen Massenkonsum teil, wodurch sich die Konsumgesellschaft Deutschlands
Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen (Frankfurt am Main: Campus, 1991). 42 Certeau, Die Kunst des Handelns. 43 Neil McKendrick, „The Consumer Revolution of Eighteenth-Century England“, in The Birth of a Consumer Society. The Commercialization of Eighteenth Century England, hg. von Neil McKendrick, John Brewer, J.H. Plumb (Bloomington: Indiana University Press, 1982), 9-33; Simon Schama, Überfluß und schöner Schein. Zur Kultur der Niederlande im Goldenen Zeitalter (München: Kindler, 1988). 44 Hazel Kyrk, A Theory of Consumption (Cambridge: Riverside Press, 1923).
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nach dem Zweiten Weltkrieg grundlegend von früheren Konsumregimen abhob. Indem „der Konsum seine eigene Wertigkeit und Dynamik [entwickelte], wurde er zur unabhängigen Variablen und zu einem kulturellen Faktor, der soziale Strukturen und Beziehungen, Politik und Weltanschauung unterminieren und umdeuten konnte.“
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Für die Fragestellung dieser Studie von Bedeutung ist die Beschreibung des gesellschaftlichen Strukturwandels, der sich seit den 1970er Jahren vollzog, durch Konzepte wie der „postfordistischen“ oder „nachindustriellen“46 Gesellschaft. Mit dem Begriff der „Dienstleistungsgesellschaft“ werden Tendenzen zusammengefasst, die den Konsum von Freizeit und Dienstleistungen gegenüber dem Konsum materieller Güter und der Sphäre der Produktion in den Vordergrund treten lassen. Im Zuge dieser Entwicklungen gewann der Haushalt als ökonomischer Ort des Verbrauchs in der Forschung zunehmend an Bedeutung. Längst wird der Konsum von (Alltags-)Technik nicht mehr als passiver, von der Produktion abhängiger Vorgang betrachtet. In der technikgeschichtlichen Forschung prägten sich, nachdem die Produktion und der Konsum von Technik zuvor voneinander abgegrenzt und getrennt behandelt wurden, verschiedene Blickwinkel auf die Nutzer und Nutzerinnen von Technik aus. Autoren und Autorinnen wie Mary Douglas und Baron Isherwood, Pierre Bourdieu oder Jean Baudrillard begreifen das Konsumieren als aktives und selbstbestimmtes Handeln. Auch für diese Studie sind, neben der allgemeinen Konsumgeschichte der Technik, insbesondere der Haushaltstechnik, Forschungen zur Rolle von Nutzern und Nutzerinnen in Technisierungsprozessen für die Fragestellung besonders bedeutend. Eine konsumorientierte Technikgeschichte untersucht auch, welche Weichenstellungen für die Durchsetzung eines Produktes eine Rolle spielen. Konstruktivistische Ansätze wie SCOT (Social Construction of Technology) sehen die Entwicklung von Technologien als soziale Prozesse, in denen „relevante soziale
45 Hannes Siegrist, „Konsum, Kultur und Gesellschaft im modernen Europa“, in Europäische Konsumgeschichte. Zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Konsums (18.20. Jahrhundert), hg. von Hannes Siegrist, Jürgen Kocka, Hartmut Kaelble (Frankfurt am Main: Campus, 1997), 27. 46 Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft (Frankfurt am Main: Campus, 1975).
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Gruppen“ über die Bedeutung einer Technik verhandeln, bis sich eine bestimmte Interpretation durchsetzen kann.47 Unter dem Begriff der „consumption junction“ führte Ruth Schwartz Cowan einen erweiterten Konsumbegriff ein, der neben den Endverbrauchern auch Akteure in den Bereichen von Herstellung, Vertrieb und Wiederverkauf als multiple Konsumenten in den Blick nimmt. Nur eine Untersuchung aller an dieser entscheidenden Schnittstelle des Konsums Beteiligten lässt die Entscheidungen der Verbraucher und Verbraucherinnen nachvollziehbar werden. Diese konsumorientierte Perspektive betrachtet, anders als bei einem rein produktionsgeschichtlichen oder konstruktivistischen Ansatz, Technikentwicklung weniger als Erfolgsgeschichte von der Innovation zur Produktion, sondern beschreibt technische Artefakte als das Ergebnis des Zusammenwirkens von verschiedenen, aus unterschiedlichen Interessen heraus agierenden Akteuren.48 Ausgehend von der Frage nach diesen Akteuren, die auf unterschiedlichen Ebenen des Entscheidungsprozesses Einfluss auf die Gestaltung und Verbreitung technischer Konsumgüter haben, rückte in der Forschung die Überbrückung der Grenze zwischen der weiblichen Konsumsphäre und der männlichen Produktionssphäre technischer Artefakte in den Mittelpunkt.49 Die Forschung betont dabei besonders die Rolle der institutionalisierten und akademisierten Hauswirtschaft, z.B. in Form von Verbänden und Studiengängen, als Mediator an der Schnittstelle zwi-
47 Trevor J. Pinch, Wiebe E. Bijker, „The Social Construction of Facts and Artefacts: Or How the Sociology of Science and the Sociology of Technology Might Benefit Each Other“, in The Social Construction of Technological Systems. New Directions in the Sociology and History of Technology., hg. von Wiebe E. Bijker, Thomas P. Hughes, Trevor J. Pinch (Cambridge: MIT Press, 1987), 17-50; zum Fallbeispiel des Kühlschranks vgl. Ruth Schwartz Cowan, „How the refrigerator got its hum“, in The Social Shaping of Technology, hg. von Donald MacKenzie, Judy Wajcman (Milton Keynes, Philadelphia: Open University Press, 1990), 202-218. 48 Ruth Schwartz Cowan, „The Consumption Junction: A Proposal for Research Strategies in the Sociology of Technology“, in The Social Construction of Technological Systems. New Directions in the Sociology and History of Technology., hg. von Wiebe E. Bijker, Thomas P. Hughes, Trevor J. Pinch (Cambridge: MIT Press, 1987), 261280. 49 Karin Zachmann, „Technik, Konsum und Geschlecht – Nutzer/innen als Akteur/innen in Technisierungsprozessen“, in Recodierungen des Wissens, Politik der Geschlechterverhältnisse 38 (Frankfurt am Main: Campus, 2008), 69-86, hier: 78-79.
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schen Produktion und Konsumtion.50 Mittels der „mediation junction“ können Aushandlungsprozesse an der Schnittstelle zwischen Produktion und Konsum als Bildung heterogener Netzwerke mit sehr vielen beteiligten Akteuren und Akteurinnen und Institutionen verstanden werden. Auch in Bezug auf Energiekonsum treten diese Netzwerke in Erscheinung, deren Verknüpfungen variabel sein können, wie zu sehen sein wird. Besonders die Frau wird in der Konsumgeschichte als konsumierendes Subjekt wahrgenommen. Die genderinformierte Geschichtsschreibung widmete sich Fragen nach veränderten Arbeitsbedingungen von Frauen im Zuge der Haushaltstechnisierung und ihrem Umgang mit Technik im Haushalt.51 Eine „Befreiung der Frau“ mit der Hilfe von Strom und neuen Produkten, die die Werbung von Geräteherstellern und Energieversorgern versprach, wurde als Täuschung entlarvt, denn weder Elektroherd noch Kühlschrank verhalfen zu mehr Freizeit für Hausfrauen, sondern führten, wie der Titel eines berühmtem Werks von Ruth Schwartz Cowan verrät, sogar zu „Mehr Arbeit für Mutter“.52 Während sich die Sphären der Geschlechter in der modernen industrialisierten Gesellschaft zunehmend separierten und Haushalte von Produktions- zu Konsumzentren wurden, änderte sich die Rolle der Frau nicht im gleichen Maße wie neue technische Errungenschaften Einzug im Haushalt hielten. Waschmaschine, Elektroherd und Küchenmaschine ließen die Erwartungen an die Hausfrau steigen; die Wäsche sollte weißer und der Braten schmackhafter werden. Mann und Kinder erwarteten, dass die vermeintliche Freizeit nun für emotionale Familienarbeit, also der Zuwendung zu Ehemann und Kindern, bereit stand. Die nur scheinbar hinzugewonnene Zeit musste zudem für die Aneignung der neuen elektrischen „Helfer“, das Erlernen ihrer Funktionsweise und das Säubern der oft kleinteiligen Gerätschaften aufgewandt werden. Darüber hinaus bedingten Prozesse der Verwissenschaftlichung von Erziehung und Hausarbeit höhere Ansprüche an Mutter und Hausfrau. Joel Mokyr charakterisierte diesen Zusammenhang als „Cowan’sches
50 Ebd.; Heßler, „Mrs. Modern Woman“; Carroll W. Pursell, „Domesticating Modernity: The Electrical Association for Women, 1924-86“, in The British Journal for the History of Science 32, 1 (1999): 47-67. 51 Vgl. Gisela Dörr, Der technisierte Rückzug ins Private. Zum Wandel der Hausarbeit, Campus Forschung 728 (Frankfurt am Main: Campus, 1996); Gisela Dörr, „Frauen, Technik und Haushaltsproduktion. Zur weiblichen Aneignung der Haushaltstechnik“, in Technisiertes Familienleben. Blick zurück und nach vorn., hg. von Sybille Meyer, Eva Schulze (Berlin: edition sigma, 1993), 159-176. 52 Ruth Schwartz Cowan, More work for mother.
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Paradox“, das dazu führte, dass die täglich für Hausarbeit aufgewandte Zeit nicht sank und der Haushalt im alleinigen Aufgabenbereich der Frau verblieb.53 Die vier Idealtypen der Hausfrau und moderner Häuslichkeit und die damit verknüpften spezifischen Rollenvorgaben für die Hausfrau im Laufe des 20. Jahrhunderts hat Paul Betts beschrieben.54 Er identifizierte die bürgerliche, die taylorisierte, die kollektivierte und vor allem die hedonistische Häuslichkeit bzw. Konsumentin, die Hausarbeit nicht mehr als Mühe und Pflicht, sondern Spiel und Erlebnis empfindet.55 Auch diese Idealtypen stellen Konstruktionen dar, die sich in den Entwürfen von Architekten und Gestaltern, den Vorhaben der Wohnungswirtschaft, den Konzeptionen der Politiker und den Ideen der Hersteller von Haushaltstechnik widerspiegelten. Diese Konzepte der modernen Häuslichkeit sind im 20. Jahrhundert immer mit dem Konsum von Energie verknüpft. Die Konsumgesellschaften Westeuropas entwickelten sich in der Nachkriegszeit im Kontext des Kalten Krieges außerdem als Gegenmodelle zur osteuropäischen Konsumgesellschaft. Nachdem der fordistische Massenkonsum sich nach amerikanischem Vorbild im Deutschland der Nachkriegszeit auf Grundlage steigender Löhne und einem wachsenden Angebot an massenproduzierter, standardisierter Ware durchsetzen konnte, folgte ab den 1970er Jahren eine ausgeprägte Individualisierung und Diversifizierung der Konsumstile.56 Alternativer Konsum, Luxuskonsum, schichten- und altersspezifische Konsum-, Mode- und Lebensweisen sind Charakteristika eines postfordistischen Konsumregimes, das bis heute andauert und von hohem Energiekonsum geprägt ist. Geschichte der Technisierung von Haushalt und Küche Während Konsum ein populäres Thema der rezenten historischen Forschung geworden ist, taucht der Haushalt in der Geschichtsschreibung bisher, anders als in den Sozialwissenschaften, nur vereinzelt an prominenter Stelle auf. Dabei stellt die Küche als Teil des Haushalts einen Schauplatz dar, in dem elementare biologische, aber vor allem kulturelle Phänomene wie Kochen und Essen täglich aufs Neue stattfinden. Zentral sind dabei Küchengeräte für die Aufbewahrung 53 Joel Mokyr, The Gifts of Athena. Historical Origins of the Knowledge Economy (Princeton: Princeton University Press, 2002), 213. 54 Paul Betts, The Authority of Everyday Objects. A Cultural History of West German Industrial Design (Berkeley: University of California Press, 2004). 55 Ebd. 56 Victoria De Grazia, Das unwiderstehliche Imperium. Amerikas Siegeszug im Europa des 20. Jahrhunderts (Stuttgart: Franz Steiner, 2010).
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und Zubereitung von Speisen: Kühl- und Gefrierschrank, Herd, Geschirrspülmaschine, Mikrowelle und zahlreiche Kleingeräte. Die Küche als Raum kann auch, nach Roland Barthes, als komplexes Zeichensystem verstanden werden, das anhaltenden Veränderungen unterliegt, welche sich in Routinen und Praxen der Nutzerinnen und Nutzer widerspiegeln.57 Die Technisierung und der Energieverbrauch in der Küche prägten die Hochenergiegesellschaft in besonderem Maße. Zwar war und ist die Heizung der größte häusliche Energieverbraucher, aber der Wandel von Konsumgewohnheiten in der Küche hin zu immer mehr und immer neueren Geräten prägte die Einstellung von Konsum und „gutem Leben“, in dem auch Auto, Zentralheizung sowie im 21. Jahrhundert vor allem Kommunikations- und Unterhaltungselektronik nicht fehlen durften. Bislang interessierten sich in erster Linie Haushaltswissenschaftler sowie Ethnologen und Ethnologinnen für die Küche als architektonischen, sozialen und imaginativen Raum.58 Als Vertreter der Soziologie beschrieb der Franzose JeanClaude Kaufmann, wie der elektrische Kühlschrank dazu beigetragen hat, das Ritual des gemeinsamen Familienessens allmählich aufzulösen. Statt des Herdes rückte der Kühlschrank ins Zentrum der privaten Nahrungsorganisation, der es durch die vereinfachte Lagerung der Lebensmittel jedem Familienmitglied nach Belieben ermöglicht, sich aus dem Kühlschrank bedienen. Auch Mikrowelle und Tiefkühlgeräte trugen zur Individualisierung des Essens bei, wie Kaufmann aufzeigt.59 Für die sozialwissenschaftliche und historische Forschung ist es von Interesse, dass die Küche öffentliche und private Sphäre in Debatten um die moderne Häuslichkeit seit dem frühen 20. Jahrhundert verbindet.60 Auffallend sind die na-
57 Roland Barthes, „Semantik des Objekts“, in Das semiologische Abenteuer (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988). 58 Elfie Miklautz, Herbert Lachmayer, Reinhard Eisendle, Hg., Die Küche. Zur Geschichte eines architektonischen, sozialen und imaginativen Raums (Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 1999); Irmintraut Richarz, Oikos, Haus und Haushalt (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1991). 59 Jean-Claude Kaufmann, Kochende Leidenschaft. Soziologie vom Kochen und Essen (Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, 2006), 56-57. 60 Karin Zachmann, „Küchendebatten in Berlin? Die Küche als Kampfplatz im Kalten Krieg“, in Konfrontation und Wettbewerb. Wissenschaft, Technik und Kultur im geteilten Berliner Alltag (1948-1973), hg. von Michael Lemke (Berlin: Metropol, 2008), 181-205, hier: 183.
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tionalen Besonderheiten der politischen, pädagogischen und unternehmerischen Einflüsse auf Küchen und ihre Gestaltung, auf die Joy Parr hingewiesen hat.61 Im Gegensatz zur amerikanischen Küche, die durch eine offene Gestaltung und die Ausstattung mit modernen Geräten gekennzeichnet war, war die schwedische, von Alva und Gunnar Myrdal geplante Küche, in erster Linie auf Effizienz ausgerichtet.62 Im Zuge der Rationalisierungsbestrebungen der 1920er Jahre weckte die Küchenplanung auch das Interesse von Architekten und Architektinnen wie der Österreicherin Margarethe Schütte-Lihotzky, die das Konzept der rationalen „Frankfurter Küche“ entwarf.63 Da der schwedische Hausfrauenverband befürchtete, dass die Frankfurter Küche aufgrund ihrer knappen Ausmaße einen „Geburtenstreik“ auslösen könnte, bevorzugten sie aber eine größere Küche, in der auch ein Tisch Platz fand und die Kinder Möglichkeit zum Spielen hatten.64 Der hohe technische Standard schwedischer Wohnungen kann auf die erfolgreiche Zusammenarbeit von Architekten, Hausfrauen und Künstlern unter Mitwirkung von Industrie und Handwerk zurückgeführt werden. In den USA wurden wissenschaftliche Institute für die Rationalisierung der Hauswirtschaft geschaffen, deren Forschungsergebnisse von Architekten bei der Planung und Einrichtung von Neubauten berücksichtigt werden sollten.65 Im Dritten Reich erhob eine Verordnung die Wohnküche zur Norm. Sie sollte der „Steigerung der Volkskraft“ dienen, die durch die Schaffung „gesunder Familienverhältnisse“ in einer Küche, in der gemeinsam Zeit verbracht wurde, erreicht werden sollte.66 Darin kommt einerseits der erzieherische Anspruch bei der Gestaltung von Küchen zum Ausdruck. Das Mitspracherecht von Konsumenten und Konsumentinnen war auf der anderen Seite in der deutschen Wirtschaftspolitik fest verankert.67 So arbeiteten 61 Joy Parr, „Introduction. Modern Kitchen, Good Home, Strong Nation“, in Technology and Culture 43, 4 (2002): 657-667, hier: 657. 62 Ruth Hanisch, Mechthild Widrich, „Architektur der Küche. Zur Umwertung eines Wirtschaftsraums in der europäischen Architektur des zwanzigsten Jahrhunderts“, in Die Küche, 35. 63 Vgl. z.B. Peter Noever, Hg., Die Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky. Die Frankfurter Küche aus der Sammlung des MAK – Österreichisches Museum für Angewandte Kunst, Wien (Berlin: Ernst & Sohn, 1992). 64 Parr, „Introduction“, 661. 65 Else Osterloh, Frauenwünsche zum Wohnungsbau, Bautechnische Merkhefte für den Wohnungsbau 2 (Berlin: Verlag des Druckhauses Tempelhof, 1951), 25. 66 Hanisch, Widrich, „Architektur der Küche“, 34. 67 Zachmann, „Küchendebatten in Berlin?“.
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bereits vor 1934 Frauen im Bereich des Wohnungsbaus mit. Sie waren in rund 100 Städten in Baukommissionen des Reichsverbandes deutscher Hausfrauenvereine organisiert, die in Zusammenarbeit mit Architekten und Baubehörden praktische Vorschläge zur Verbesserung der Wohnungen erarbeitete. In den 1950er Jahren versuchten deutsche Frauenorganisationen diese Arbeit wieder aufzunehmen. Auch in bedeutenden Forschungsstellen waren Frauen vertreten, darunter der Deutsche Fachnormen-Ausschuss Bauwesen, Abteilung Haustechnik und das Max-Planck-Institut für Arbeitsphysiologie in Dortmund. Auch das Institut für Bauforschung in Hannover konstituierte einen Frauenbeirat für den sozialen Wohnungsbau. Weibliche Abgeordnete waren darüber hinaus im Wohnungsausschuss des Bundestages vertreten.68 Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam der Küche ohnehin eine neue Aufmerksamkeit zuteil, als aufgrund zerstörten und somit fehlenden Wohnraums platzsparende, standardisierte Einbauküchen geplant werden mussten, die zu einer weitgehenden Vereinheitlichung deutscher Küchen führten. 69 Neue Materialien wie Kunststoff, rostfreier Stahl und Aluminium wurden in den 1950er Jahren in den allmählich bunter werdenden Küchen populär und die Industrie forcierte die Typisierung von Küchenmöbeln.70 Aus politischer Sicht galt besonders während des Kalten Krieges die Gestaltung von Küchen als Spiegel der jeweiligen Gesellschaftsordnung der Nachkriegswelt. Die amerikanische, hoch technisierte Küche war ein Symbol für Freiheit und Demokratie, während die Küche der Sowjetunion eher auf berufstätige Frauen zugeschnitten war – so brachten es Richard Nixon und Nikita Chruschtschow in ihrer öffentlichen „Küchendebatte“ während der amerikanischen Nationalausstellung 1959 in Moskau zum Ausdruck.71 Für die Historiographie stellte die Rolle der Küche im Kalten Krieg, veranschaulicht durch die Küchendebatte, einen aufschlussreichen Forschungsgegenstand dar, der den „Wettlauf der Systeme“ aus einer innovativen Perspektive beleuchtete.72 Die Küchendebatte verdeutlicht auch die Rolle der Küche als einem der wichtigsten Austragungsorte von Gesellschaft im 20. Jahrhundert. 68 Osterloh, Frauenwünsche zum Wohnungsbau. 69 Hanisch, Widrich, „Architektur der Küche“, 34. 70 Ebd., 35-36. 71 Ruth Oldenziel, Karin Zachmann, „Kitchens as Technology and Politics. An Introduction“, in Cold War Kitchen. Americanization, Technology, and European Users., hg. von Ruth Oldenziel, Karin Zachmann (Cambridge: MIT Press, 2009), 1-29, hier: 1; Zachmann, „Küchendebatten in Berlin?“. 72 Vgl. dazu u.a. Oldenziel, Zachmann, Cold War Kitchen.
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Alternative Küchenkonzepte wurden erst seit den 1970er und 1980er Jahren von Architekten wie Otl Aicher oder Luigi Colani entwickelt und individuelle Küchengestaltungen kamen in Mode.73 Darüber hinaus trugen immer mehr technische Geräte zur Vermittlung diverser Gesellschaftskonzepte bei, was deutliche Konsequenzen für den Energiekonsum mit sich brachte. Das Konzept der Küche und ihre Gestaltung können auch gewisse Lebensstile widerspiegeln oder lenken. So waren Einbauküchen Ausdruck der Standardisierung von Wohnraum und der Verwissenschaftlichung der Hausarbeit, während erweiterbare Anbauküchen individuellere und kreativere Lebensstile ermöglichten. Nicht zuletzt gab und gibt der Grundriss einer Küche vor, wie viele Geräte untergebracht werden können und entscheidet somit auch über den Energieverbrauch in der Küche. Grundsätzlicher betrachtet, führte die Einbindung der Küche in großtechnische Systeme – darunter die globale Versorgungskette, Infrastruktursysteme wie Wasser- und Energieversorgung sowie die Kühlkette – während des Industriezeitalters zu grundlegenden Veränderungen. Ernährung war nicht länger nur Energielieferant für den menschlichen Körper, sondern entwickelte sich zu einem immer mehr Energie verbrauchenden Set von Tätigkeiten. Die Geschichte der Haushaltstechnisierung ist daher nur verständlich, wenn der Haushalt einerseits als ein Teilbereich der Gesellschaft betrachtet, und andererseits als Element eines großtechnischen Systems der Energiesysteme verstanden wird. Geschichte der Dinge Sigfried Giedion brachte es in seiner vielzitierten Bemerkung „Auch in einem Kaffeelöffel spiegelt sich die Sonne“74 zum Ausdruck: Geschichte spiegelt sich in Objekten des täglichen Lebens wider, denn die Dinge prägen und formen gelebte Alltagskultur auf eine selbstverständliche Art und Weise. Letztendlich ist der Umgang mit Elektrizität im Privathaushalt der Umgang mit der Kühlschranktür, dem Superfrostschalter, der Mikrowellenzeitschaltuhr und dem Temperaturregler des Herdes – ergo: der Umgang mit Objekten. Denn Strom selbst ist kaum greifbar, es sind Geräte wie Kühlschrank und Elektroherd, aber auch Mixer und Milchaufschäumer, die ihn verbrauchen und vermitteln. Durch sie kann Energieverbrauch für Konsumenten und Konsumentinnen im wahrsten Sinne des Wortes greifbar werden. Die eigentlichen Strom verbrau73 Vgl. u.a. Otl Aicher, Die Küche zum Kochen. Das Ende einer Architekturdoktrin (München: Callwey, 1982). 74 Sigfried Giedion, Die Herrschaft der Mechanisierung. Ein Beitrag zur anonymen Geschichte (Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt, 1982), 19.
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chenden Akteure stellen die Geräte dar – hergestellt durch Produzenten, gestaltet von Industriedesignern, von Fachleuten vermarktet, vermittelt und verkauft und schließlich konsumiert, benutzt, gesteuert und entsorgt durch Konsumenten und Konsumentinnen, die den privaten Energieverbrauch dadurch bestimmten und maßgeblich zur Entwicklung einer Gesellschaft beitrugen, in der Energie in hohem Maße verbraucht wird. Dazu beigetragen hat auch die Unsichtbarkeit der Technik energieverbrauchender Geräte, schließlich ist die Kenntnis über ihre Funktionsweise oft nicht nötig um sie zu bedienen. Technik wurde trivialisiert und ihre Funktionsweise sowie die Herkunft der Energie allmählich in einer „black box“ verborgen.75 Auch durch diese Prozesse verloren Nutzer und Nutzerinnen das Bewusstsein für Energie. Aus konsumorientierter Sicht stellen die Umgangsweisen der Konsumenten und Konsumentinnen mit technischen Haushaltsgeräten den Schlüssel dar, um den Energieverbrauch privater Haushalte nachvollziehen zu können.76 Aus historischer Perspektive ist deshalb danach zu fragen, wie Technik angeeignet wird und wie Konsumentinnen und Konsumenten Geräte in bestehende Alltagsroutinen integrieren und sich dadurch der Umgang mit Technik ändert.77 Eine technikhistorisch informierte Konsumgeschichte nimmt technische Artefakte als Untersuchungsgegenstände und Dokumente wahr, denen Aspekte von Produktionsund Verwendungsgeschichte anzusehen sind. Sie muss sich aber der Problematik der ungenügenden Quellenlage über deren Aneignungsprozesse bewusst sein.78 Objekte sind materialisierte Kultur und vergegenständlichte Alltags-, Sozialund Kulturgeschichte. Sie werden im Sinne der Semiotik als kulturelle Zeichen
75 Vgl. Peter Weingart, „Differenzierung der Technik oder Entdifferenzierung der Kultur“, in Technik im Alltag, hg. von Bernward Joerges (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988), 145-164; vgl. zur „black box“ als Konzept der SCOT z.B. Ronald Kline, Trevor Pinch, „Users as Agents of Technological Change: The Social Construction of the Automobile in the Rural United States“, in Technology and Culture 37, 4 (1996): 763795. 76 Elizabeth Shove, Comfort, cleanliness and convenience (Oxford u.a.: Berg, 2003). 77 Stefan Beck, Umgang mit Technik. Kulturelle Praxen und kulturwissenschaftliche Forschungskonzepte (Berlin: Akademie-Verlag, 1997). 78 Vgl. dazu auch Alfred Reckendrees, „Konsummuster im Wandel. Haushaltsbudgets und Privater Verbrauch in der Bundesrepublik 1952-98“, in Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2 (2007): 30.
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interpretiert79 und die Bedeutung der „Organisation von Dingen als Bedeutung habende Substanzen“, wie Jean Baudrillard es formulierte, betont.80 Ein Untersuchungskonzept, das gänzlich auf Nutzerkonstruktionen fokussiert, ist der „user de-sign“ Ansatz von Gwen Bingle und Heike Weber.81 Neben der Konstruktion der Konsumenten selbst durch ihren Konsum, werden darin die Nutzerbilder von Produzenten und Mediatoren analysiert. Neben den realen und projizierten Nutzern, spielen Mutmaßungen über die Nutzer, die sich in Produkten wiederfinden ebenso eine Rolle wie das Bild von Konsumenten im öffentlichen Diskurs, kurz „sämtliche Konzeptionen und Planungen in Bezug auf ein Artefakt und dessen Nutzer.“82 Auch Oudshoorn und Pinch haben die vielfältigen Formen von Nutzerrollen beschrieben und gezeigt, dass sich verschiedene Vorstellungen über die Nutzer und Nutzerinnen in Objekten eingeschrieben finden, aber auch, dass Werbung und Marketing der Produzenten sowie politische Konzepte Auskunft über Nutzerprojektionen und – nach Mika Pantzar – „weiche Anweisungen“ für den „richtigen Konsum“ geben.83 Denn Formgestaltung und Design eines Artefakts bestimmen, wie Nutzer mit dem Objekt umgehen – Haushaltsgeräte haben das Potential, den Umgang mit Energie im Privathaushalt zu lenken. Diese Annahme lässt sich treffend mit dem Konzept des „scripts“ beschreiben, worin die Geräte selbst als Akteur auftreten.84 Dieser Ansatz entstammt der Akteur-Netzwerk-Theorie, die Technikgenese als Bildung von Netzwerken zwischen humanen und nicht-humanen Akteuren
79 Douglas, Isherwood, The World of Goods. 80 Baudrillard, Das System der Dinge. 81 Vgl. ebd., insbesondere 43-84. 82 Ebd., 48. 83 Nelly Oudshoorn, Trevor Pinch, Hg., How Users Matter. The Co-Construction of Users and Technologies (Cambridge: The MIT Press, 2003); vgl. auch Heike Weber, Das Versprechen mobiler Freiheit (Bielefeld: transcript, 2008), 64; Mika Pantzar, „Consumption as Work, Play, and Art: Representation of the Consumer in Future Scenarios“, in DesignIssues 16, 3 (2000): 3-18; Zur Werbung für Strom vgl. Theo Horstmann, Regina Weber, Hg., „Hier wirkt Elektrizität“. Werbung für Strom 1890 bis 2010 (Essen: Klartext, 2010). 84 Madeleine Akrich, „The De-Scription of Technical Objects“, in Wiebe Bijker, John Law, Hg. Shaping Technology, Building Society (Cambridge: MIT Press, 1992), 205224.
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deutet.85 In der Art und Weise Dinge zu nutzen, reproduzieren sich in ihrer Materialität eingeschriebene Nutzungskonzepte, Handlungsanweisungen und Vorstellungen über die Nutzer und Nutzerinnen seitens der Hersteller. Bruno Latour beschreibt mit den „scripts“ auch eine Verschiebung der Akteure, die dazu herausfordert, alle an der Entstehung eines Artefakts Beteiligten und ihre Vernetzungen zu betrachten. Die Akteur-Netzwerk-Theorie betont die wechselseitige Bedingung von Ding und Mensch und somit das hybride Gewebe, das unseren Erfahrungs- und Handlungsraum darstellt.86 Diese „scripts“ als materielle Handlungsanweisungen werden durch Konsumentinnen und Konsumenten angenommen, verändert oder abgelehnt. Dabei kann sich zeigen, dass ein Artefakt als Konsumgegenstand weit über die auf der Herstellungsebene erwarteten Verwendungsmöglichkeiten hinausweist. Geräte überschreiten z.B. die erwartete Lebensdauer, werden repariert oder umgenutzt. Somit zeichnen sie eindrucksvoll das Handeln aktiver Konsumentinnen und Konsumenten nach und decken Widersprüche zwischen Nutzenden und Produzierenden auf. Der Konsum von Dingen kann außerdem als Kommunikation von Prestige und Lebensstil, als Befriedigung von Bedürfnissen und Wünschen verstanden werden. Zudem können Objekte Macht demonstrieren und werden deshalb gezielt vom Menschen ausgewählt. Objekte zur Schau stellen, damit unsere Mitmenschen sie lobend zur Kenntnis nehmen – durch die Vermittlung der Dinge, die wir besitzen, erhalten wir eine feste und positive Vorstellung der eigenen Identität.87 Zur Interaktion mit Dingen gehört immer der Erwerb, das Besitzen, das Vorzeigen, aber auch das Entsorgen. Bruno Latour argumentiert für die Handlungsmacht der Dinge, da in der Moderne aufgrund des dualistischen Denkens zwischen Objekt und Subjekt den Dingen die Rechte abgesprochen wurden. Stattdessen sollte der Autonomie und Handlungsmacht der Objekte wieder mehr Beachtung geschenkt werden.88 85 Bruno Latour, „Where are the Missing Masses? The Sociology of a Few Mundane Artifacts“, in Shaping Technology, Building Society, hg. von Wiebe E. Bijker, John Law, (Cambridge: MIT Press, 1992), 225-258. 86 Vgl. Weber, Das Versprechen mobiler Freiheit, 64. 87 Mihaly Csikszentmihalyi, „Warum wir Dinge brauchen“, in Mit den Dingen leben. Zur Geschichte der Alltagsgegenstände, hg. von Anke Ortlepp, Christoph Ribbat, Transatlantische Historische Studien 39 (Stuttgart: Franz Steiner, 2010), 21-31. 88 Vgl. dazu Latours Werke Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001) und Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008).
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Der Mensch wurde, wie es beispielsweise Mihaly Csikszentmihalyi nachvollzogen hat, stets abhängiger von Objekten, die einerseits dem Überleben dienen und andererseits ein hohes Maß an Komfort gewähren. Problematisch dabei ist, dass die Dinge mit dem Menschen im selben Ökosystem um knappe Ressourcen konkurrieren. Ohnehin wird die in der Umwelt potentiell vorhandene Energie verschwendet, um sie in Dinge umzuwandeln, die schnell überflüssig werden, so dass Entropieprozesse beschleunigt werden, die das globale Gleichgewicht stören. Da die Dinge eine Verbesserung des Lebens im materiellem Sinn sowie Ordnung und Stabilität suggerieren, ist eine physische und psychische Abhängigkeit von ihnen die Folge.89
T HEORIE
UND
M ETHODE
Unter Zuhilfenahme des Theorien- und Methodenangebots der historischen Technik- und Konsumforschung wird die Haushaltstechnisierung unter besonderer Berücksichtigung des Energieverbrauchs aus der Konsumperspektive untersucht. Die Studie geht davon aus, dass steigender Energieverbrauch in der Phase des „Booms“90 zwischen 1948 und 1973, aber vor allem ab 1957 bis zur ersten Ölpreiskrise, zu einer Selbstverständlichkeit wurde. Die wichtigsten Zäsuren in der Bewertung des Energiekonsums stellten die beiden Ölpreiskrisen der Jahre 1973 und 1979 dar. Aber auch diese Einschnitte hatten langfristig kaum Einfluss auf ein sparsameres Energiekonsumverhalten. Hoher Energieverbrauch entwickelte in relativ kurzer Zeit eine starke Beharrungskraft in einer materiellen Umwelt, die sorglosen Energiekonsum ermöglichte. Obwohl das Ziel der Energieeffizienz und die Förderung des Energiesparens seit den 1970er Jahren von politischer und ökonomischer Seite scheinbar verfolgt wurden, sank der Verbrauch von Strom bis zum Ende des Untersuchungszeitraums nicht. Denn sowohl im System der Energieversorgung als auch in den stromverbrauchenden Gerätschaften hatte sich steigender Energieverbrauch institutionalisiert und verfestigt und die Konsumenten und Konsumentinnen hatten im Kontext der sich etablierenden „Hochenergiegesellschaft“ lediglich einen begrenzten Handlungs89 Mihaly Csikszentmihalyi, „Warum wir Dinge brauchen“, 21-31. 90 Hartmut Kaelble, Hg., Der Boom 1948-1973. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik und in Europa, Schriften des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin 64 (Opladen: Westdeutscher Verlag, 1992).
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spielraum. Dieser Annahme soll mit einem Ansatz nachgegangen werden, der verschiedene Methoden aus der zeit-, sozial-, konsum-, technik- und geschlechterhistorischen Forschung verbindet. Eine solch interdisziplinär angelegte Untersuchung überwindet mit ihren vielfältigen Denkansätzen die starren Grenzen der einzelnen geschichtswissenschaftlichen Disziplinen. Eine Engführung auf eine lediglich z.B. wirtschaftsgeschichtliche Themenstellung ist nicht erfolgsversprechend, ganz im Gegenteil soll die Komplexität der Entwicklungen im Mittelpunkt stehen. Die Charakteristika der Vorgänge in den unterschiedlichen Sphären von Wirtschaft, Politik und Privathaushalt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden offengelegt, wobei die subjektiven, alltäglichen Dimensionen historischer Prozesse berücksichtigt werden. So vermag die Studie es unter anderem, eine Lücke zwischen Wirtschaftsgeschichte und Konsumgeschichte zu schließen. Schließlich wird eine Konsumgeschichte der Energie dargestellt, die die Produktions- und Verteilungszusammenhänge von Strom und Haushaltsgeräten stets berücksichtigt.91 Am Beispiel der Küche als Ort hohen Energieverbrauchs durch das Kühlen und Zubereiten von Lebensmitteln und dem Spülen von Geschirr und den elektrischen Geräten, die dazu benutzt werden, werden Kontinuitäten und Brüche dieses Bedeutungswandels aufgezeigt. Die Herausforderungen der Gegenwart in ihrer historischen Genese werden, angelehnt an das Plädoyer DöringManteuffels, problemorientiert ergründet.92 Das von mir benutzte Konzept der Aushandlungsprozesse bezieht sich auf die Handlungen der Akteursgruppen mit- und untereinander, wie sie Energieverbrauch verhandeln und Diskurse darüber führen. Aushandlungsprozesse, an denen viele Akteure teilnehmen, werden beschrieben und die Schwierigkeit, die Konsumierenden zu greifen, durch die Verwendung von Ego-Dokumenten und die Herausarbeitung von Projektionen von Konsumentinnen und Konsumenten in den Phasen der Produktion, Vermittlung und Anwendung, die Auskunft über das Nutzerbild geben, überwunden. Somit werden Konsumierende auch als konfiguriert, repräsentiert und in die Geräte und Räume eingeschrieben verstanden. Projizierte Nutzer und Nutzerinnen werden von verschiedenen Akteuren, darunter Produzenten, Staat und Verbrauchervertreter konstruiert und dienen der Ver-
91 Vgl. dazu Hannes Siegrist, Hartmut Kaelble, Jürgen Kocka, Hg., Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels (Frankfurt am Main: Campus, 2004). 92 Anselm Doering-Manteuffel, Lutz Raphael, Hg., Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2008), 8.
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mittlung von Anwendungswissen oder demonstrieren rechtliche, infrastrukturelle und kulturelle Rahmenbedingungen für die Nutzung von Technik.93 Im Sinne einer „mediation junction“, wie sie u.a. Ruth Oldenziel beschrieben hat, ging steigender Energiekonsum einher mit der Bildung heterogener Netzwerke mit vielen beteiligten Akteurinnen und Akteuren und Institutionen.94 Auf der Ebene dieser Aushandlungsprozesse wird ergründet, wie Vorstellungen über Energie und Standards ihrer Nutzung verhandelt wurden. So werden Querverbindungen und Wechselwirkungen sowohl zwischen den Bereichen der Produktion, der Vermittlung und des Konsums als auch zwischen den Praxen der involvierten Akteure und steigendem Stromkonsum deutlich. Vor dem Hintergrund einer umfassenden historischen Studie des privaten Energiekonsums im 20. Jahrhundert wird also in einzelnen Objektstudien danach gefragt, was ein bestimmtes Haushaltsgerät jeweils symbolisiert und ihm kulturell – stets in Hinblick auf Energieverbrauch – zugeschrieben wird und wie sich historische Entwicklungen in den Geräten widerspiegeln. Neben den semiotischen Dimensionen soll danach gefragt werden, ob das jeweilige Objekt gesellschaftlichen Einfluss ausüben konnte und wie elektrische Haushaltsgeräte auf die Einstellung sowohl von Produzenten als auch privaten Konsumentinnen und Konsumenten gegenüber Energieverbrauch hindeuten. Einerseits werden Nutzerinnen- und Nutzerkonzepte entschlüsselt, die in die Geräte direkt eingeschrieben sind, und außerdem kulturelle Symbole, die in einem Objekt erkannt werden können, identifiziert. An Objekten aus der Sammlung Haushaltstechnik des Deutschen Museums und des Technischen Museums Wien werden für eine Historisierung des privaten Energieverbrauchs bedeutsame Objekte untersucht. Nicht nur die „Gattungsgeschichte“ eines Objekts, seine allgemeine Bedeutung und Symbolik sind dabei von Interesse, sondern sowohl Funktion und Gebrauch, Material und Machart, Form und Gestalt als auch Dingbedeutsamkeiten des spezifischen Artefakts. Hinzu kommen eigene Geschichten eines Objekts oder Gegenstandensembles sowie seine individuelle Gebrauchs- und Nutzungsgeschichte. Fragen, die man sich stellen muss, sind, aus welchem sozialen und kulturellen Zusammenhang das Objekt stammt, wann, wie und warum es hergestellt und wie es angeeignet, gebraucht und verändert wurde. Denn die Geräte finden sich als Konsumobjekte in sozial unterschiedlichen Kulturen des Gebrauchs wieder und werden in zahl-
93 Zachmann, „Technik, Konsum und Geschlecht“. 94 Oldenziel, de la Bruhèze, de Wit, „Europe’s Mediation Junction“: 107-139.
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losen Einzelbiographien subjektiv erfahren.95 Objekte sind Quellen, die Thesen verifizieren oder falsifizieren können. Anhand materieller Quellen können Befunde aus anderen Quellen überprüft und somit Objekte als Korrektiv genutzt werden. Objekte beantworten spezielle Fragen und ermöglichen einen besonderen sozial- und konsumhistorischen Erkenntnisgewinn. Umgenutzte Objekte zeichnen eindrucksvoll das Handeln aktiver Konsumentinnen und Konsumenten nach und decken Widersprüche zwischen Nutzenden und Produzierenden auf. Verfolgt man die Geschichte des Energiekonsums im Privathaushalt im 20. Jahrhundert, wird deutlich, dass im Laufe der Jahrzehnte gewisse Erzählungen über Energie, wie beispielsweise ihr Vorhandensein im Überfluss, in den Vordergrund traten, während andere, so wie der sparsame Umgang mit Energie, keine signifikante Rolle spielten. Diese Geschichten werden anhand eines vielfältigen Quellenkorpus nachvollzogen.
Q UELLEN Die Studie nähert sich der Problematik des privaten Energiekonsums aus einer akteurszentrierten, fragestellungsorientierten Perspektive, die es ermöglicht, vielfältige Konsum- und Konsumentenkonzepte nachzuzeichnen sowie Nutzerinnen und Nutzern auf verschiedenen Ebenen näher zu kommen. Divers gestaltet sich daher der Quellenkorpus dieser Untersuchung, der neben Fachzeitschriften, Tages- und Wochenpresse und Unterlagen sowie grauer Literatur aus Politik und Unternehmen auch Statistiken, Ego-Dokumente und technische Artefakte beinhaltet. Im Firmenarchiv der AEG-Telefunken Aktiengesellschaft (AEG) der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin (SDTB) und den Siemens Corporate Archives München konnten Nutzerkonstruktionen der Haushaltsgeräteproduzenten aus der Werbung und dem Marketing entziffert werden. Während das Archiv der AEG vor allem weitreichende Marktstudien beinhaltete, boten die Firmenschriften im Münchner Archiv von Siemens, darin vor allem im Bestand der Siemens Elektrogeräte AG und der Siemens AG, u.a. Recherchemöglichkeiten in einer Vielzahl von Prospekten und Broschüren.
95 Detlef Stender, „Vom Leben der toten Dinge. Schränke zum Kühlen als historische Quelle.“, in Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte, hg. von Berliner Geschichtswerkstatt (Münster: Westfälisches Dampfboot, 1994), 157-173.
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Die Berliner Städtische Elektrizitätswerke Aktien-Gesellschaft Bewag (seit 2006: Vattenfall Europe Berlin AG & Co. KG) und die Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG (seit 1990: RWE AG) als Vertreter von Energieversorgungsunternehmen wurden im Archiv der Berliner Energieversorgung und dem Historischen Konzernarchiv von RWE in Essen erforscht. In Essen wurden zahlreiche Bestände, darunter jene der RWE AG selbst, der Informationszentrale der Elektrizitätswirtschaft e.V. (IZE) und der Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen (VEW), Vorstandsakten und Unterlagen der Hauptverwaltung untersucht. Auf der Basis einer Vielzahl betrieblicher Unterlagen konnten u.a. die sich wandelnden Strategien des Elektrizitätsmarketings der Stromproduzenten exemplarisch nachgezeichnet werden. Im Archiv der Bewag wurden vor allem Bildmaterial, Broschüren und Dokumente zu Elektroherden, darunter Material zu deren Vermietung, gesichtet. Als Vermittler zwischen der Elektrizitätswirtschaft und den Stromverbraucherinnen und -verbrauchern wurde des Weiteren ungeordnetes Material der 1952 gegründeten Hauptberatungsstelle für Elektrizitätsanwendung e.V. HEA (heute: Fachgemeinschaft für effiziente Energieanwendung e.V.) mit heutigem Sitz in Berlin ausgewertet.96 Darin zu finden waren Bildmaterial, Broschüren, Geschäftsberichte, Werbe- und Beratungsmaterial und nicht zuletzt statistische Faltblätter der Jahre 1967 bis 1991, die die Grundlage des dritten Kapitels dieser Studie darstellen. Die Zeitschriften „Elektrizität“ (bzw. ab 1974 „Strompraxis“) und „Die moderne Küche“ geben darüber hinaus einen essentiellen Einblick in Expertendiskussionen in Kreisen von Elektrizitätswirtschaftlern und Küchenfachleuten, u.a. hinsichtlich zeitgenössischer Küchengestaltung. Magazine und Zeitungen wie „Der Spiegel“ und „Die Zeit“ liefern einen Zugang zu Diskursen über Energie und Energiekonsum, vor allem aus wirtschaftlicher und politischer Perspektive. Der Schwierigkeit, Nutzer und Nutzerinnen zu fassen und Nutzungsgeschichten von Objekten und Elektrizität zu erfahren, konnte durch die Sichtung zahlreicher Ego-Dokumente begegnet werden. Von besonderem Interesse waren dabei Niederschriften von Interviews, Manuskripte und Tagebücher, die in der Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien und dem Walter Kempowski-Biographienarchiv der Akademie der Künste Berlin gesichtet worden
96 Da die HEA über kein Archiv mehr verfügt, wurde der Verfasserin Zugang zu den zum größten Teil ungeordneten historischen Unterlagen des Vereins über den Leiter der Abteilung Kommunikation und Pressekoordination Michael Conradi gewährt.
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sind. 97 Außerdem konnten Haushaltsbücher aus der Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien Einblicke in den individuellen Stellenwert von Energie und Haushaltsgeräten geben. 98 Aufgrund vergleichbarer Konsumerfahrungen in Deutschland und Österreich während des Untersuchungszeitraums und der vorteilhaften Quellenlage werden die lebensgeschichtlichen Dokumente deutscher Konsumenten und Konsumentinnen um Beispiele aus Österreich ergänzt. Leider stehen derartige Quellen nur für die Frühphase des Untersuchungszeitraums zur Verfügung, so dass für die 1970er und 1980er Jahre auf Umfragen zurückgegriffen wurde. Vom Institut für Demoskopie Allensbach erhobene Umfrageforschungsdaten in Form von Studien, Berichten und Jahrbüchern konnten durch eine gezielte Anfrage an dessen Archiv eingesehen werden. Sie reichen von 1947, dem Gründungsjahr des Instituts, bis 1990 und geben Aufschluss über das Konsumklima, die Marktsituation und die politische Meinung in der Bevölkerung. Im Bundesarchiv Koblenz wurden vor allem Dokumente des für viele Fragen der Energiepolitik zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums recherchiert, die die Rolle politischer Vertreter beleuchten und zeigen, wie von staatlicher Seite (Energie-)Konsum reguliert und – sowohl sparsame als auch verschwenderische – Konsumenten und Konsumentinnen konstruiert wurden. Als besonders aufschlussreich stellten sich Aufzeichnungen über die Selbstverpflichtung der Hausgeräteindustrie zur Effizienzsteigerung und Gesetzesentwürfe zur politischen Regulierung des Energieverbrauchs heraus. Darüber hinaus wurden fallweise Bestände des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und 97 Besonders wertvoll waren ausgewertete Schreibaufrufe, die z.B. zu den Themen „Wandel der Hausarbeit seit 1945“ und „Vom Selbstversorger zum Endverbraucher. Last und Lust des Konsumierens, 1900-1980“ durchgeführt worden sind und in der Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen Wien eingesehen werden konnten. Weiterführend von Interesse ist eine Quellenedition zur Geschichte der Elektrifizierung, vgl. Viktoria Arnold, Als das Licht kam, Damit es nicht verloren geht 11 (Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 1986). Solche spezifischen Quellensammlungen sind sinnvoll, da in der Erinnerungskultur vor allem die 1950er und 1960er Jahre präsent sind und es an Überlieferungen für die 1970er und 1980er Jahre mangelt. 98 In der Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien wurde ein sehr großer Bestand von Haushalts-, Einnahmen- und Ausgabenbüchern sowie Kostenaufstellungen gesammelt, die eine Zeitspanne vom frühen 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart dokumentieren. Vgl. auch das Bestandsverzeichnis der Sammlung Frauennachlässe, 2. neubearbeitete und erweiterte Auflage, Wien 2012.
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Forsten sowie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eingesehen. Zusätzlich zu den Objektsammlungen des Deutschen Museums München wurde die umfangreiche Objektdatenbank des Technischen Museums Wien gesichtet, die beeindruckende Bestände zur Haushaltstechnik beinhaltet. Darüber hinaus konnten Informationen zu den Geräten aus dem Technischen Museum Wien mithilfe der zuständigen Kustodin im Sammlungsbereich Alltag und Umwelt, Roswitha Muttenthaler, gesammelt werden. In diesem Sammlungsbereich sowie in den Depots des Deutschen Museums zusammengetragene Objekte, darunter ein Einkochtopf, ein elektrischer Toaster, eine Waschmaschine sowie ein Joghurtbereiter, werden als Zeitzeugnisse herangezogen, anhand derer Aussagen über Energie und Konsum getroffen werden können. Somit wurden Dinge als Quelle genutzt, was, trotz des seit einer Dekade stattfindenden Diskurses um Dinge als Quellen, in der Forschung bisher kaum getan wurde.
AUFBAU
DER
ARBEIT
Der Untersuchungszeitraum beginnt mit der Phase des Wiederaufbaus, in der zwar Konsum durch Werbung und politische Maßnahmen gefördert werden sollte, das Sparen für den Einzelnen aber noch immer einen hohen Stellenwert hatte. Im zweiten Zeitschnitt der Untersuchung steht die Zeit zwischen den späten 1950er und den frühen 1970er Jahren im Mittelpunkt, während der der private Konsum, auch im Bereich elektrischer Haushaltsgeräte, neue Ausmaße annahm und begann, sich auch auf „ärmere“ Schichten zu erstrecken, die zuvor kein Teil der Massenkonsumgesellschaft waren. Ab 1957 offenbarte sich eine exzeptionelle Situation: Energie, besonders Elektrizität, wurde in großem Umfang auf eine selbstverständliche Art und Weise verbraucht. Hoher Stromverbrauch etablierte sich als Symbol nicht nur für den Wohlstand des Staates, sondern auch des Einzelnen, wie zu sehen sein wird. In dieser von Energieeuphorie geprägten Phase wurden Kühlschrank und elektrischer Herd vom Gerät der „oberen 10.000“ zur Selbstverständlichkeit. Das anschließende Kapitel diskutiert die 1970er Jahre und die beiden Ölpreiskrisen. Durch die Ölpreiserhöhungen setzte nicht nur die schärfste Rezession nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland ein. Angesichts der plötzlich augenscheinlichen Brüchigkeit der Energieversorgung mussten sich Politik, Industrie, Konsumentinnen und Konsumenten mit der Schonung von Ressourcen und einem damit einhergehenden sparsamen Energieverbrauch auseinandersetzen. Durch die Beantwortung der Frage nach den Reaktionen diverser Akteure
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auf die Krisen der 1970er Jahre wird deutlich, wie die Produktion und der Konsum von Elektrizität neu bewertet wurden. Zwar verlor die elektrische Energie allmählich ihre positive Konnotation, ein Rückgang des Stromverbrauchs war aber auch während der 1970er und 1980er Jahre trotz Umweltschutz und Nachhaltigkeit als bedeutenden Themen öffentlicher Debatten und Kritik am Haushalt als „Stromfresser“ nicht zu verzeichnen, wie im abschließenden Kapitel deutlich wird. Außerdem stellen technikhistorische Objektstudien in jedem Kapitel des Hauptteils der Arbeit ein Artefakt in den Mittelpunkt, in dem sich zentrale Debatten kristallisieren. Es soll keine Illustration der Geschichte des Energiekonsums durch Ansammlungen beispielhafter Objekte erfolgen, sondern einzelne Artefakte werden ausgewählt, anhand derer sich Erzählungen und Diskurse verdichten. Neben Objekten aus den Sammlungen des Deutschen Museums München konnten die Studien durch Objekte aus den Beständen des Technischen Museums Wien erweitert werden. Das war notwendig, weil die haushaltstechnischen Bestände im Münchener Museum besonders für die Jahre zwischen 1973 und 1990 große Lücken aufweisen. Bevor näher auf den Untersuchungszeitraum von 1945 bis 1990 eingegangen wird, erfolgt der Einstieg in diese Untersuchung mit einem historischen Exkurs über das Sparen von Energie. Im Anschluss daran werden dem Hauptteil der Arbeit Statistiken über den privaten Energiekonsum und die Verbreitung elektrischer Geräte in privaten Haushalten während des Untersuchungszeitraums vorangestellt um die quantitative Entwicklung des Verbrauchs von Elektrizität zu beleuchten.
Energiesparen vor 1945: Ein historischer Überblick
Als Ausgangspunkt für die folgende Studie ist die Frage interessant, welche Rolle das Sparen von Energie vor dem Beginn des Untersuchungszeitraums 1945 spielte. War hoher Energieverbrauch die Regel oder ist das Sparen von Energie keinesfalls erst ein Thema der vergangenen rund vierzig Jahre? Dieser Exkurs ist wichtig für den Fortgang der Studie, um ein Verständnis für die historische Bedeutung des Sparens von Energie zu erlangen. Das Konsumieren von Energie spielte für den Menschen schon immer eine bedeutende Rolle, sei es durch die Aufnahme von Lebensmitteln als Energielieferant für den menschlichen Körper oder den Gebrauch von Wärme, Licht und Kraft. Energieverbrauchende Geräte, die Tätigkeiten im häuslichen Bereich erfüllten und vereinfachten, standen in der Form des ummauerten Kohleherds seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zur Verfügung. Für die Konsumentinnen und Konsumenten waren und sind es aber weniger Kohle, Gas, Öl oder Strom, die verbraucht werden, sondern es wurden und werden Dienstleistungen wie das Kochen oder Kühlen von Lebensmitteln konsumiert. Das Sparen als eine spezifische Form des Verbrauchens war in Bezug auf Energie bis in die 1950er Jahre in den meisten Schichten die typischste Form des Konsumierens. Zwar war für manche Wissenschaftler und Gelehrte, wie gezeigt werden konnte, hoher Energiekonsum untrennbar mit einer besseren, fortschrittlicheren Gesellschaft verknüpft. Für den Großteil der Verbraucherinnen und Verbraucher aber war der sparsame Umgang mit Energie lange Teil ihrer Konsumrealität. Das traditionelle Sparen war ein Vorläufer des Überflusses. In Bezug auf Energie, vor allem Strom, soll das Sparen im Zentrum der anschließenden Untersuchung stehen. Es wird gezeigt, dass die gesellschaftliche Wertschätzung von hohem Energieverbrauch sich erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts etablierte und bis dahin ein sparsamer Umgang mit Energie die Norm war. Sparen und sparsamer Um-
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gang sind eine spezifische Form des Verbrauchens unter ganz konkreten Bedingungen. Sparen und Nachhaltigkeit im 18. Jahrhundert Wirft man einen Blick auf die Definition, versteht man unter Sparen im engeren Sinne das Zurücklegen momentan freier Mittel zur späteren Verwendung. Dabei sind zwei Formen zu unterscheiden: einerseits das Sparen zu einem bestimmten Zweck, z.B. der Anschaffung eines Kühlschranks – andererseits das Sparen um Vorzusorgen und einer Notsituation zu entgehen. Im Falle von Energie geht es aber vielmehr um Einsparungen durch Konsumverzicht, um, z.B. aus finanziellen oder ökologischen Gründen die Menge verbrauchter Energie zu reduzieren. Auch in Bezug auf Nachhaltigkeit kommt ein weiterer Begriff des Sparens zum Tragen. Der spätestens seit der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro populäre Nachhaltigkeitsgedanke ist alles andere als eine neue Idee, sondern wurde bereits vor über 300 Jahren im forstwirtschaftlichen Bereich geprägt. Schon der Soziologe Werner Sombart sprach von einem frühneuzeitlichen „hölzernen Zeitalter“, dessen Niedergang der um sich greifenden Holzverknappung geschuldet war. Sie stellte sowohl ein Energie- als auch ein Rohstoffproblem dar.1 Joachim Radkau vertritt die These einer bereits im 16. Jahrhundert erlittenen Holzknappheit in Mitteleuropa, die verstärkt im 18. und frühen 19. Jahrhundert wiederkehrte.2 Technische Lösungen sollten zur Holzersparnis beitragen und erste Versuche, das Heizen und Kochen ökonomischer zu gestalten und die wenig effizienten Kachelöfen wirtschaftlicher zu machen, reichten bis ins 15. Jahrhundert zurück. Erste schriftliche Aufzeichnungen über die sogenannte „Kunst des Holzsparens“ finden sich im 16. Jahrhundert, als sich etwa ein Drittel der Erfinderprivilegien, d.h. Patente, dem Thema widmeten und der Nürnberger Rat 1554 600 Gulden für den Erwerb eines Holzspar-Patents bot. Neben den auf Holz angewiesenen Gewerben, darunter Salinen und Hüttenwerke, standen Küchen und
1
Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus. Historisch-systematische Darstellung des gesamteuropäischen Wirtschaftslebens von seinen Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 2 (Leipzig: Duncker & Humblot, 19162), 1137-1138.
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Joachim Radkau, Technik in Deutschland. Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990), 59.
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Stuben im Zentrum der Aufmerksamkeit.3 Das Einsparen von Energie, die effiziente Nutzung von Wärme und letztendlich das Senken von Heizkosten wurden also seit dem Mittelalter verfolgt. Nicht nur Handwerk und Gewerbe, sondern auch der Privathaushalt geriet in den Fokus der Sparbemühungen. Im frühen 19. Jahrhundert war es der Berghauptmann Hannß Carl von Carlowitz, der 1713 vor dem Hintergrund zunehmenden Holzmangels erstmals von „Nachhaltigkeit“ sprach. Die Idee, nur so viel Holz zu schlagen, wie nachwächst, wurde in der Forstwirtschaft formuliert und erlangte u.a. mit der Krise im sächsischen Silberbergbau weitreichendere Bedeutung. Da die Gruben mit Holz ausgebaut wurden, die Bergleute Erz mittels Feuersetzen abbauten und Schmelzhütten viel Holzkohle verbrauchten, waren Bergbauregionen wie jene um das sächsische Freiberg bald abgeholzt. Der universelle Bau- und Energierohstoff Holz wurde zum knappen Gut und musste effizient genutzt werden.4 Allerdings schätzt Radkau, anders als Rolf Peter Sieferle oder Rolf-Jürgen Gleitsmann, die Holzknappheit in erster Linie als Vermittlungs- und Transportproblem ein und geht davon aus, dass die Grenzen des vorindustriellen Energiezeitalters noch nicht erreicht waren. Bernd-Stefan Grewe attestierte, dass es „Holzmangel als ein soziales, zeitlich und räumlich begrenztes Phänomen tatsächlich gegeben hatte. Eine allgemeine, die Gesellschaft in ihrer Wirtschaftsweise und Existenz bedrohende Holznot existierte hingegen nicht.“5
Die Blütezeit des Experimentierens war schließlich das 18. Jahrhundert – die „Holzsparkunst“ blieb populär und besonders großes Sparpotential sah man bei der Hausfeuerung. Daher avancierte der Stubenofen zum dominierenden Thema der Holzsparliteratur. Ziel war es, eine geschlossene, ummauerte Feuerstelle mit gebremstem Wärmeabzug zu entwickeln, die wirtschaftlicher und ungefährlicher war als ein offenes Feuer. Ein Herd sollte entstehen, „welcher so eingerichtet worden, dass man darauf wenigere Feuerungsmaterialien nöthig hat, als auf dem 3
Rolf-Jürgen Gleitsmann-Topp, „Erfinderprivilegien auf holzsparende Technologien
4
Nicole C. Karafyllis, „‚Nur soviel Holz einschlagen, wie nachwächst‘ – Die Nachhal-
im 16. und frühen 17. Jahrhundert“, in Technikgeschichte 52, 3 (1985): 217-232. tigkeitsidee und das Gesicht des deutschen Waldes im Wechselspiel zwischen Forstwissenschaft und Nationalökonomie“, in Technikgeschichte 69, 4 (2002): 247-273. 5
Bernd-Stefan Grewe, „‚Man sollte sehen und Weinen!‘ Holznotalarm und Waldzerstörung vor der Industrialisierung“, in Wird Kassandra heiser? Die Geschichte falscher Ökoalarme, hg. von Jens Hohensee, Frank Uekötter, Historische Mitteilungen im Auftrage der Ranke-Gesellschaft 57 (Stuttgart: Franz Steiner, 2004), 9-41, hier: 41.
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gewöhnlichen, und dennoch das Sieden oder Kochen der Speisen befördert wird.“6 Benjamin Franklin gelang 1743 die Konstruktion des holzsparenden Ofens „Pennsylvania Fireplace“, aber auch in Deutschland gab es seit dem frühen 18. Jahrhundert eine regelrechte Welle von Sparofenentwürfen. 1763 initiierte Friedrich der Große ein amtliches Preisausschreiben über „einen Stubenofen, so am wenigsten Holz verzehret.“7 Aus diesem Wettbewerb entwickelte sich die typische Form des Berliner Kachelofens, der sich auch heute noch vereinzelt in Wohnungen findet. 1786 entwarf auch Goethe gemeinsam mit dem Kupferschmiedemeister Christoph Gottlieb Pflug einen Ballonofen, der im Arbeitszimmer des Schriftstellers aufgestellt wurde.8 Aber erst mit dem Einsatz der Dampfmaschine und der Förderung von Steinkohle konnte nach 1800 die Holzknappheit letztlich überwunden werden. Ein Pionier der Holzsparkunst und somit des Energiesparens in Bayern war Benjamin Thompson, Reichsgraf von Rumford (1753-1814). Aus Neu-England an der Ostküste der heutigen USA stammend, entwickelte der britische Offizier, bayrische Politiker und Erfinder indirekt beheizte Kochstellen für Münchner Armenhäuser. Dort aufgestellt dienten sie zur Essenszubereitung für tausende Menschen und zugleich als Experimentiermöglichkeit für Rumford. Selbst für bayrische Adlige und Militärakademien baute Rumford Sparherde. Auf ihn gehen außerdem der Dampfkochtopf und die Rumfordsuppe, die für die Verpflegung der Soldaten und Armen aus Graupen und Erbsen gekocht wurde, zurück.9 19. Jahrhundert: Thermodynamik und Haushalten mit Ressourcen Die Schonung von Ressourcen war also kein neues Thema, in Produktionsprozessen gab es aber lange kein Bewusstsein für Ökologie und die Endlichkeit von Rohstoffen, obwohl die ersten beiden Sätze der Thermodynamik, der Erhaltungsbzw. Entropiesatz, diese Endlichkeit bereits andeuten. Zwar bleibt Energie im6
Johann Georg Krünitz, Oeconomische (Oekonomisch-technologische) Encyclopädie, Oder Allgemeines System Der Land- Haus- Und Staats-Wirthschaft, Aus Dem Fr. Übers. Und Mit Anmerkungen Und Zusätzen Vermehrt von J.G. Krünitz, 1832, 460.
7
Zit. nach Thomas Schiffert, Kachelofen 2000 (Wien: Österreichischer Kunst- u. Kul-
8
Vgl. u.a. Friedrich Justin Bertuch, Georg Melchior Kraus, Hg., Journal der Moden.
turverlag, 1996), 17. Bd. 1 (Weimar, 1786). 9
George I. Brown, Scientist, Soldier, Statesman, Spy: Count Rumford: The Extraordinary Life of a Scientific Genius (Gloucester: Sutton Publishing Ltd, 1999).
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mer konstant, d.h. dass Energie weder verloren gehen noch aus dem Nichts entstehen kann. Jedoch besagt der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, seinem Begründer Rudolf Clausius nach, dass die Eigenschaft der Wärme, eigenständig von höheren zu tieferen Temperaturen überzugehen, irreversible Verluste zur Folge hat.10 Demzufolge wird bei Energieumsetzungen immer ein Teil der Energie in Wärme umgewandelt und bedeutet somit Verluste. Hans Dieter Hellige spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die thermodynamische Theorie eine energetische „Entzauberung der Welt“ herbeigeführt habe.11 Im Zuge dessen machte im späten 19. Jahrhundert der damalige Direktor des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) Franz Grashof auf die Notwendigkeit des Haushaltens mit Ressourcen aufmerksam, indem er den verschwenderischen Abbau von Kohle rügte. Erstmals diskutierten Fachleute über das Kreislaufmodell als Gegenentwurf zu exponentiellen Wachstumserwartungen und erste, vereinzelte Rufe nach erneuerbaren Energien wurden laut. Die Stimmen der Ingenieure und Physiker erregten aber über die Fachkreise hinaus kaum Aufmerksamkeit.12 Auch die „energetische Bewegung“ Wilhelm Ostwalds blieb eine Randerscheinung, obwohl deren Leitgedanke, dass der Welt gemeinsam sei, stets nach einem verbesserten Wirkungsgrad zu streben, um mit vorhandenen Energieressourcen zu haushalten, vor dem Hintergrund der Kohlennot um 1900 größere Aufmerksamkeit erlangte. Zur selben Zeit weckte auch die energiereformerische Bewegung der „Wärmewirtschaftler“, die sich mit der KraftWärme-Kopplung und der Abwärmenutzung zur Energie- und Brennstoffeinsparung beschäftigten, breiteres Interesse.13
10 Maria Osietzki, „‚Energetische‘ Optimierungsstrategien und ‚kybernetische‘ Visionen – Zum Krisenmanagement thermodynamischer Niedergangsprognosen“, in Der Optimismus der Ingenieure. Triumph der Technik in der Krise der Moderne um 1900, hg. von Hans-Liudger Dienel (Stuttgart: Franz Steiner, 1998), 25-55, hier: 31-32. 11 Hans Dieter Hellige, „Wirtschafts-, Energie- und Stoffkreisläufe in säkularer Perspektive: Von der thermodynamischen Entzauberung der Welt zur recyclingorientierten Wachstumsgesellschaft“, in Universalgeschichte und Nationalgeschichten, hg. von Gangolf Hübinger, Jürgen Osterhammel, Erich Pelzer (Freiburg: Rombach, 1994), 291-315, hier: 294. 12 Ebd., 292-294. 13 Ostwald, Der energetische Imperativ.
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Sparen im Umfeld von Krieg und Krisen Energiekrisen im Umfeld von Kriegen waren politisch verursacht. Unter dem Eindruck der durch die britische Seeblockade ausgelösten Rohstoffnot während des Ersten Weltkrieges thematisierte auch die allgemeine Politik die gewünschte Sparsamkeit der Bevölkerung. Walther Rathenau, Präsident der AEG, organisierte als Leiter der Kriegsrohstoffabteilung die Rohstoffzwangsbewirtschaftung, während Ingenieure und ihr Wirkungsgraddenken der Schlüssel zu einer rationellen, mit Ressourcen haushaltenden Volkswirtschaft sein sollten. Die „energetische Bewegung“ verlor zwar an Bedeutung, mündete aber in tayloristische und fordistische Rationalisierungsstrategien. Nach dem Ersten Weltkrieg lag der Fokus ganz auf der Sparsamkeit und dem sparsamen Einsatz von Kohle, aufgrund des Verlustes von Abbaugebieten an der Saar und in Oberschlesien. Der Wirkungsgrad von technischen Anlagen wurde erhöht und andere Energieformen kamen zum Einsatz, in Süddeutschland wurde v.a. die Nutzung der Wasserkraft ausgebaut.14 Abbildung 1: Werbung für stromsparende Osramlampen, Graphik: Julius Klinger, 1908
Quelle: Staatliche Museen zu Berlin – Kunstbibliothek
14 Radkau, Technik in Deutschland, 115-132.
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Mit Bezug auf die Konsumenten und Konsumentinnen waren es während der ersten zwanzig Jahre des 20. Jahrhunderts Vignetten, kleine Klebemarken zur Dekoration, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Vor allem Hersteller von Glühbirnen wie Osram nutzten sie, um für ihre sparsamen Produkte zu werben, die laut Angaben des Produzenten 70 Prozent weniger Strom verbrauchten als vergleichbare Glühlampen (vgl. Abb. 1). Während des Zweiten Weltkrieges sollte der „Kohlenklau“ die Energieverschwendung in Form eines „schwarzen Mannes“ karikieren. Prangerte der Spruch „Kampf dem Verderb“ die Verschwendung von Lebensmitteln an, wurde unter der Parole „Kampf dem Kohlenklau“ ab 1942 der sparsame Umgang mit Brennstoffen angemahnt, um einen Mangel kriegswichtiger Rohstoffe zu verhindern. Hinsichtlich der Produktion sollte werkstoffsparendes Konstruieren durch die Einsparung von Ressourcen die Autarkie des Dritten Reiches sichern. Nach dem Zweiten Weltkrieg, merkt Hellige an, spielte das rohstoffsparende Konstruieren und ressourcenschonende Produzieren keine Rolle mehr und die „Phase eines relativ unbedenklichen Umgangs mit den Rohstoffen [endete] erst mit der Debatte über die Probleme der Wachstumsgesellschaft seit den späten 1960er Jahren“, die in dieser Studie noch analysiert wird.15 Es wird gezeigt, dass erst die „Hochenergiegesellschaft“ jene Gesellschaft ist, die auf hohem Energieverbrauch beruht. Die Basis dieser Gesellschaft stellt die in Fossilien gespeicherte Energie dar, wodurch Nachhaltigkeit und Sparsamkeit erneut zu bedeutenden Problematiken wurden.
Rationalisierungsdiskurse: Sparen von Raum, Zeit und Arbeit in der Küche Neben dem Sparen von Energie war in Bezug auf den privaten Haushalt und besonders die Küche, das Sparen von körperlicher Energie, Zeit und Raum, kurz der Effizienzgedanke, in der Hausarbeit lange Zeit vorrangig. Debatten um Rationalisierung und Effizienz, die über das Sparen von Energie hinausgingen, kreisten seit den 1920er Jahren um die Konzepte des Taylorismus und Fordismus, die den wirtschaftlichen Aufschwung Amerikas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmten. Die Prinzipien des Taylorismus wurden auf sämtliche Gebiete der industriellen Produktion und Organisation sowie der technologischen Effizienz übertragen und wurden zu einem charakteristischen Zug der amerikanischen Moderne, der in Europa auf großes Interesse 15 Hellige, „Wirtschafts-, Energie- und Stoffkreisläufe in säkularer Perspektive“.
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stieß. Sowohl Taylorismus als auch Fordismus mit ihren Prinzipien der Rationalisierung wurden vor allem aufgrund ihrer gesellschaftlichen und politischen Anwendungsmöglichkeiten auch in Deutschland, beginnend mit dem Ersten Weltkrieg, begeistert rezipiert. Fabriken wurden umstrukturiert, mehr Arbeitsdisziplin gefordert und wissenschaftliche Untersuchungen der Leistung des Menschen durchgeführt.16 Technik, als angewandte Naturwissenschaft verstanden, die wirtschaftlichen Zwängen unterlegen ist, sollte dem Prinzip der Effizienz folgen. Der Glaube an technologische Effizienz und Produktivität prägte zwar die gesamte amerikanische Kultur, wirkte sich in Europa aber nur in bestimmten Bereichen aus. Ab der Mitte der 1920er Jahre beherrschten die in Deutschland unter dem Stichwort der Rationalisierung propagierten Prinzipien die Diskussion über wissenschaftliches Management und zielten auf eine Steigerung der Produktion und technischen Effizienz ab.17 In den Worten des 1921 gegründeten Reichskuratoriums für Wirtschaftlichkeit hieß es fortan „Rationalisieren heißt: vernünftig gestalten.“18 Zahlreiche Debatten um Rationalisierung und Effizienz bezüglich der Hausarbeit und der Gestaltung von Küchen sowie Haushaltsgeräten wurden während des 20. Jahrhunderts geführt. An den Rationalisierungsdiskussionen nahmen in erster Linie Experten, von Architekten bis Hausfrauenverbänden, teil. Die Konsumentinnen und Konsumenten selbst bestimmten die Ergebnisse, wie auch später in den Debatten um sparsamen Energieverbrauch, weniger mit. Prinzipien des Fordismus und Taylorismus fanden nicht nur auf Produktionsprozesse und betriebswirtschaftliche Abläufe, sondern auch auf Konsum und Hausarbeit Anwendung. In den 1920er Jahren war es die Frankfurter Küche, die, auf der Grundlage von Bewegungsstudien konzipiert, Hausarbeit leicht, schnell und „richtig“ gestalten sollte. Elektrische Geräte fanden in Haushalten Verbreitung, so dass Hausarbeit durch die Einsparung von Arbeit, Zeit, Wegen und Raum effizienter wurde. Körperliche Energie wurde durch elektrische und gasbetriebene Geräte substituiert, was die Hersteller als eine Lösung gesellschaftlicher Probleme vermarkteten und vorgaben, auf diese Weise eine Auflö-
16 Charles Maier, „Zwischen Taylorismus und Technokratie. Gesellschaftspolitik im Zeichen industrieller Rationalität in den zwanziger Jahren in Europa“, in Die Weimarer Republik. Belagerte Civitas, hg. von Michael Stürmer, Athenäum-Taschenbücher 7254 (Königstein/Taunus: Athenäum, 19852), 188-213, hier: 190. 17 Ebd. 18 Radkau, Technik in Deutschland, 270.
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sung der geschlechtlichen Arbeitsteilung herbeizuführen.19 Die energiebetriebenen Geräte sparten zwar Arbeit, Zeit und Raum, ihr Verbrauch wurde allerdings einige Jahrzehnte später selbst zum Problem. Entgegen der These, dass während in den USA Rationalisierung immer auch mit dem Einsatz von Technik im Haushalt verknüpft worden sei, Rationalisierung in deutschen Haushalten eher als eine Optimierung der Abläufe betrachtet worden war, ohne auf Technik zu setzen,20 geht Martina Heßler davon aus, dass auch in Deutschland die Vorstellungen von Modernität durchaus an Technik geknüpft waren. Der Reichsverband Deutscher Hausfrauen RDH begrüßte und beförderte die Technisierung der Haushalte, allerdings waren auf Seiten der Konsumentinnen und Konsumenten die Einkommen niedriger und der Ausstattungsgrad der Haushalte aufgrund dessen geringer als in den USA.21 Erst weit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erreichten deutsche Küchen einen vergleichbaren Grad der Ausstattung mit Geräten und der Höhe des Energieverbrauchs. Die Rationalisierungsbestrebungen der Zwischenkriegszeit zielten auf das Sparen von Raum, Zeit und Kraft mittels elektrischer Energie um effizienter zu arbeiten, während die Holznot das Sparen notwendig werden ließ, um einer Notsituation zu entgehen. Gleichermaßen stellt die Rohstoffbewirtschaftung im Zweiten Weltkrieg eine besondere Form des Sparens dar. Im privaten Bereich ermöglichten und vereinfachten Gerätschaften wie Kochkisten das Sparen von Energie.
19 Vgl. Karin Hausen, „Wirtschaften mit der Geschlechterordnung. Ein Essay“, in Geschlechterhierarchie und Arbeitsteilung. Zur Geschichte ungleicher Erwerbschancen von Männern und Frauen, hg. von Karin Hausen (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1993), 40-67, hier: 49. 20 Mary Nolan, Visions of Modernity. American Business and the Modernization of Germany (New York u.a.: Oxford University Press, 1994). 21 Martina Heßler, „The Frankfurt Kitchen. The Model of Modernity and the ‚Madness‘ of Traditional Users, 1926 to 1933“, in Cold War Kitchen. Americanization, Technology, and European Users., hg. von Ruth Oldenziel, Karin Zachmann (Cambridge: MIT Press, 2009), 163-184.
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O BJEKTSTUDIE : K OCHKISTE MIT ZWEI E INSATZTÖPFEN , I NV .-N R . 1979-251 (D EUTSCHES M USEUM M ÜNCHEN ) Diese Kochkiste kam 1978 zu einer Zeit in das Deutsche Museum München, in der sparsames Wirtschaften im Haushalt nach der ersten Ölpreiskrise wieder an Aktualität gewonnen hatte. Sie besteht, neben der Kiste selbst, aus einer Schamotteplatte von einer früheren Elektroheizplatte, einem fünf Liter fassenden Topf aus Aluminium, einem weiteren Aluminiumtopf mit Deckel und einem Abdecktuch. Bei einer Breite und Länge von 37,2 und einer Höhe von 33 Zentimetern, wiegt die Kiste 11,1 Kilogramm. Abbildung 2: Kochkiste mit Einsatztopf
Quelle: Deutsches Museum München, Inv.-Nr. 1979-251
Die um 1920 hergestellte Kochkiste ermöglichte bei herrschendem Energiemangel, beispielsweise in Kriegszeiten, sparsames Kochen. Äußerlich eine hölzerne Kiste mit Deckel, konnten durch eine wärmeisolierende Verkleidung im Inneren bereits erhitzte Speisen in mehreren Behältnissen ohne weitere Wärme- bzw. Energiezufuhr fertig garen. Kochkisten fanden seit dem Ende des 19. Jahrhun-
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derts Verbreitung. In der Frankfurter Küche, die in erster Linie auf das Sparen von Raum, Zeit und Kraft ausgerichtet war, wurde 1926 ebenfalls eine Kochkiste eingeplant. Neben industriell produzierten Kochkisten wurden von Hausfrauen auch eigene Modelle angefertigt, in denen ein Topf, umgeben von einer Decke und Füllmaterial wie Heu oder Zeitungspapier, in einer Kiste Platz fand. Anleitungen dazu fanden sich beispielsweise in den Kundenzeitschriften der Energieversorger, die ihren Kunden und Kundinnen zunächst noch Ratschläge für den sparsamen Umgang mit Energie gaben. Nutzerinnen der Kochkisten waren vor allem Hausfrauen, die sich auch der Aufgabe des Sparens von Rohstoffen im Haushalt widmen mussten. Kochkisten wie diese zeigen, dass das Sparen von Energie im Haushalt stets eine existentielle Aufgabe darstellte, die auch den Erfindergeist der Konsumierenden herausforderte. In jedem Fall erforderte die Funktionsweise der Kochkiste spezielles Anwenderwissen und entsprechend geschulte Nutzerinnen. Die Kochkiste gibt Auskunft über eine Methode der Überwindung knapper Energiebereitstellung. Nachdem mit einem Überblick über das Sparen von Energie vor 1945 und die Rationalisierung der Küche eine Grundlage für das historische Verständnis der Entwicklung des privaten Energieverbrauchs geschaffen werden konnte, soll eine Analyse von Statistiken des Energiekonsums deutscher Haushalte und deren Ausstattung die quantitative Basis für die anschließende Untersuchung schaffen.
Statistiken: Energiekonsum in Zahlen
In diesem Kapitel wird ein statistischer Überblick über die Entwicklung des Energieverbrauchs privater Haushalte in Relation zu den Sektoren Industrie, Verkehr, Handel und Gewerbe sowie der Ausstattung von Küchen mit Elektrogroß- und Kleingeräten in der Bundesrepublik von 1950 bis 1990 gegeben. Das Datenmaterial, das als Grundlage für die vorliegenden Statistiken und die darauf basierenden Tabellen und Diagramme diente, wurde fast ausschließlich von der Fachgemeinschaft effiziente Energieanwendung e.V. HEA (früher: Fachverband für Energie-Marketing und -Anwendung e. V. bzw. Hauptberatungsstelle für Elektrizitätsanwendung e. V.) zusammengetragen und in Form von Faltblättern ab 1963 jährlich veröffentlicht. Die spezifische Form der Datenveröffentlichung in Faltblättern durch die HEA diente nicht zuletzt der möglichst weitreichenden Verbreitung der Daten unter den Kunden und Partnern der HEA sowie der interessierten Öffentlichkeit. In den Faltblättern wurden Energieverbrauchs- und Geräteproduktionszahlen kompakt zusammengefasst. 1 Viele dieser Zahlen stammen von der 1971 in Essen von Verbänden der Energiewirtschaft und energiewirtschaftlichen Forschungsinstituten gegründeten Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen, die die Auswertung energiewirtschaftlicher Statistiken und ihre Veröffentlichung verfolgt. Die weiteren Quellen, die die HEA in ihren Faltblättern nennt, sind zahlreich: Angeführt werden das Statistische Bundesamt, der Zentralverband der Elektrotechnischen Industrie (ZVEI), die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW, seit 2001: Verband der Elektrizitätswirtschaft), der Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW, 2007 aufgegangen im Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW), das Deutsche Insti-
1
Die Gesamtanschlusswerte wurden mit den Ergebnissen einer von der VDEW bei ihren Mitgliedern durchgeführten Vollerhebung abgestimmt.
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tut für Wirtschaftsforschung (DIW), die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), das Energiewirtschaftliche Institut der Universität Köln (EWI), das Bundesministerium für Wirtschaft, Statistiken der Energiewirtschaft sowie eigene Erhebungen der HEA. Diese Statistiken wurden auch als Ausgangspunkt für Prognosen genutzt, so dass auf ihrer Grundlage Marktforschung als Entscheidungshilfe für künftiges Handeln erfolgreich betrieben werden konnte.2 Die Statistiken dienen in dieser Studie der Analyse des Energie- und insbesondere Stromverbrauchs in Haushalten und deren Ausstattung mit Elektrogeräten während des Untersuchungszeitraumes und einem besseren Verständnis dieser quantitativen historischen Prozesse. Zwar bilden Statistiken lediglich einen groben Durchschnitt ab, aber in den Kontext anderer Ergebnisse gestellt und abgeglichen, stellen sie eine sehr fruchtbare Quelle dar, um eine Vorstellung der zeitgenössischen Konsumgesellschaft zu erhalten. Im Folgenden wird die Entwicklung von fünf Schlüsselgrößen nachvollzogen.
ANTEIL DER S EKTOREN
AM
P RIMÄRENERGIEVERBRAUCH
Zwischen 1950 und 1990 stieg der Primärenergieverbrauch, d.h. der Verbrauch der gesamten Primärenergie ohne Umwandlungs- und Übertragungsverluste, in den drei betrachteten Sektoren – Industrie, Verkehr, sowie Haushalte und Kleinverbrauch – deutlich an. Den stärksten Zuwachs verzeichnete der Sektor Verkehr; der Energieverbrauch lag 1990 beim 4,8-fachen des Konsums von 1950. Haushalte und Kleinverbraucher steigerten ihren Verbrauch um das 3,3-fache. Das bedeutete einen Anstieg von ca. 23,7 Prozent auf 26,8 Prozent des Primärenergieverbrauchs der BRD. Den höchsten Anteil erreichte der Sektor Haushalte und Kleinverbrauch 1986 mit 31,1 Prozent (vgl. Abb. 3).3 Der Bereich der Privathaushalte, dem besonderes Interesse gilt, stellte in der Statistik des Energieverbrauchs lange keine selbstständige Kategorie dar. Stattdessen wurden Haushalte und Kleinverbraucher zusammengefasst, da sich die Lieferungen von festen und flüssigen Brennstoffen an die privaten Haushalte statistisch zunächst nicht isolieren ließen. Die Absatzmengen von Strom und Gas 2
Vgl. dazu auch den Abschnitt zu „Marktanalysen der Elektroindustrie“, S. 185.
3
AG Energiebilanzen e.V., Struktur des Energieverbrauchs, alte Bundesländer, 19501995, 29.07.2010, [http://www.ag-energiebilanzen.de/index.php?article_id=29&file Name=struktur.xlsx], abgerufen am 06.12.2012.
S TATISTIKEN : E NERGIEKONSUM IN ZAHLEN | 59
konnten von den zuständigen Referaten des Bundeswirtschaftsministeriums angegeben werden, während die Liefermengen von festen und flüssigen Brennstoffen an private Haushalte nicht bekannt waren, sondern lediglich berechnet oder abgeschätzt wurden.4 Absatzmengen waren zwar bekannt, nicht aber der Verbrauch, der vorerst nur aus der Analyse seiner bestimmenden Faktoren ermittelt werden konnte.5 Abbildung 3: Anteil der Sektoren am Primärenergieverbrauch in Prozent6
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