Geschichte des Krieges von 1813 in Deutschland [2]

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Geschichte

des

Krieges

von

in Deutschland.

1813

Geschichte

des

Krieges

von

1813

in Deutschland.

Von

Oberstlieutenant

Charras .

Sette Tage des Rückzugs aus Rußland - Deutschlands Erhebung Rüftungen - Diplomatie – Beginn des Feldzugs.

Autorisirte deutsche Uebersetzung.

BLIOTH

ER

Mit zwei lithographirten Karten.

K HE DE

F 1505AB.

Leipzig : F.

A.

Broď ha u s . 1867.

KR

IE

GS

S

CH

Vorwort des Uebersekers.

Der deutschen Literatur wird hiermit ein Werk übergeben , welches, aus der Feder eines Franzosen geflossen , eine der glorreichsten Epochen unserer vaterländischen Geschichte behandelt.

Oberstlieutenant Charras , der Autor von ,, Waterloo ",

bezweckte damit , seinem Vaterlande eine getreue Geschichte des Befreiungskrieges von 1813 vorzuführen , die in der franzöſiſchen Literatur das erste Werk über jenes

welterschütternde Jahr

werden sollte, welches in umfaſſender Weiſe ſtreng die Wahrheit zur Richtschnur nahm . Leider war es dem Verfasser nicht beschieden, das Buch zu vollenden.

Der Tod entriß ihn, und

ſomit hinterblieb nur ein Fragment , welches aber dessenungeachtet ein würdiges Denkmal der edlen Seele des Autors und ein werthvoller Beitrag zur Geschichte jener Zeit bleiben wird . Charras war von glühendem Patriotismus beseelt , aber doch nicht von jener beschränkten Vaterlandsliebe eingenommen , deren Triebfeder eine kurzsichtige Nationaleitelkeit ist. Mochten seine für Frankreich gehegten Gefühle noch so schmerzlich berührt werden, er unterstellte sie dennoch der Wahrheit Stimme. Unverblümt schildert er den Napoleonischen Despotismus , der mit eiserner Hand auf dem Continent lastete ; freimüthig läßt er

VI

Vorwort des Ueberseters .

dem deutschen Volke und dessen nationaler Erhebung gerechte Anerkennung und Bewunderung zutheil werden. In seiner vorliegenden Gestalt geleitet uns das Buch von den letzten Tagen des Rückzugs aus Rußland bis zum Vorabende der Lüßener Schlacht.

Nachdem Charras die ruſſiſche

Katastrophe vor uns entrollt, widmet er der Convention von Tauroggen und dem königsberger Landtage eine eingehende Schilderung, und mit Recht, denn dort ward der Grundstein zu Deutschlands Befreiung vom Fremdjoche gelegt. Mit markigen Zügen führt uns der Autor hier den General York in seinem ganzen sittlichen Conflict vor, dort den Minister Stein, diesen urdeutschen Charakter , welcher der nationalen Bewegung jenen Impuls verlieh, der dieselbe zu einem unwiderstehlichen Strome machen sollte.

Nach einer Beleuchtung des russischen Haupt-

quartiers entrollt Charras im weitern Verlaufe vor des Lesers Augen das Dilemma der preußischen Regierung bis zur Kriegserklärung und das Getriebe der Metternich'schen Politik.

In

hehren Worten und mit begeiſterter Feder spendet er dem hohen patriotischen Aufschwunge des preußischen Volkes sein bewunderndes Lob. Und dem gegenüber zeigt

er uns , jeden Flitter serviler

Geschichtschreibung herunterreißend , das unter dem Schimmer des Napoleonischen

Tyrannenregiments seufzende Frankreich,

jenes Frankreich, das in dumpfer Verzweiflung seine kaum dem Knabenalter entwachsenen Söhne vom häuslichen Herde reißen sah, um dieselben im Dienste des Despotismus und einer ungezügelten Herrschsucht zur Schlachtbank des Ruhmesgößen zu führen.

Welche Contraste zwischen Deutschland und Frankreich

enthüllt er dabei vor unsern Augen ! Hier das Volk in Waffen, dort das

Soldatenkaiserthum ; hier hohe Begeisterung , dort

Thränen und Verwünschung. Die Thätigkeit der Diplomatie, die gegenseitigen Kriegsrüstungen und die militärischen Operationen behandelt Charras

Vorwort des Ueberseßers .

VII

an der Hand der Kritik in so erschöpfender und lehrreicher Weise , daß das Buch jederzeit eine hervorragende Stelle in der historischen Literatur einnehmen wird . Obwol aus französischer Feder geflossen, wird dieses Werk doch jedes wahrhaft deutsche Herz erwärmen, wird uns Deutſche an die großen Tage einer ruhmreichen Vergangenheit erinnern , wird an unſer Selbstgefühl appelliren und uns ermuntern, die Fahne des Deutschthums hoch und kräftigen Armes zu tragen.

Vorrede.

Dieses Buch sollte das Denkmal eines edlen Daseins werden, welches ganz dem Vaterlande und der Humanität gewidmet war . Es bleibt unvollständig und unfertig , aber doch das nur zu getreue Abbild eines Lebens , das zu früh dahingſchieden, bevor es noch sein Werk hatte ganz zu Ende führen können. Die Verbannung brach Charras' Degen , setzte seiner unmittelbaren Mitwirkung an den zeitgenössischen Ereigniſſen ein Ziel und unterwarf die Art seiner politischen Thätigkeit einer tiefgreifenden Veränderung.

Doch konnte sie ihm nicht seine

Feder entreißen ; vom Soldaten Schriftsteller geworden, hat er auch nicht einen einzigen Tag den Kampf unterbrochen.

Da

kam der Tod und entführte dieſe tapfere Hand in dem Moment, we sie sich ein Werk zu beenden anschickte, welches der gerechtesten Sache dienen, den Mann und das Vaterland ehren sollte. Von dem Buche blieb nur ein Fragment zurück , von dem Manne aber ein großes Beispiel und ein rühmliches Andenken.

Dies

ist genug, um das Vaterland den unermeßlichen Verlust, welchen es erlitten, fühlen zu lassen. Nachdem uns Oberſt Charras die eigentliche, unumſtößliche und , im Grunde genommen , nicht angefochtene Geschichte des

IX

Vorrede.

Feldzuges von 1815 vorgeführt, wollte er auch auf den Ursprung unserer Unglücksschläge zurückgehen , deren Ursache enthüllen und durch die Klarheit seiner Darstellung die mit seinem ersten Werke begonnene Belehrung vervollständigen.

Indem er so

seine Nachforschungen unverdrossen fortsette mit dem unerschütterlichen Entschluſſe , die Wahrheit , ſoweit es an ihm, zu ergründen und dieselbe unverblümt und schonungslos zu verlautbaren, sammelte er Stück für Stück alle Materialien zu einer Geschichte des Feldzuges von 1813 in Deutschland.

Um

den Quellen selbst näher treten zu können, erlernte er eine der schwierigsten Sprachen von Europa.

Er studirte und prüfte

alles, was in Frankreich, Deutschland, Rußland und England über jenen schrecklichen Völkerkampf veröffentlicht worden . Durch seinen ausdauernden Willen und mit Hülfe treu ergebener Freunde gelang es ihm, die Pforten der unzugänglichſten Archive zu öffnen.

Wichtige, noch unveröffentlichte Documente hatte

er zu seiner Verfügung, namentlich auch die militärische Correspondenz des Generals Bertrand .

Mehrfach befragte er noch

lebende Mitkämpfer der großen Schlachten und sammelte ihre Zeugnisse.

Seine Meinung über die Menschen und Thatsachen

war fest gegründet. Frei von National- und Kastenvorurtheilen , durch seine Geistes- und Willenskraft die hinreißendsten Gefühle seiner Was

Sympathie beherrschend, wollte er allen gerecht werden.

auch seine innerliche Ueberzeugung , ſein Schmerz , ſein bürgerlicher Zorn sein mochten , so erhob er sich doch über seine Zuoder Abneigungen und gab nur der strengen Stimme der Wahrheit Gehör. Seine unbestechliche Wahrheitsliebe ließ ihn schonungslos Thatsachen schildern und Meinungen Ausdruck geben, welche zuweilen wol mit nationalen Vorurtheilen , wahren Patriotismus in Widerspruch stehen. er sich ,

in

aber nie mit dem Deshalb weigert

Napoleon den bewaffneten Repräsentanten

der

X

Vorrede.

Revolution, das heißt des Rechts , zu sehen.

So wie Metter-

nich, welcher dem leßtern ſeine Sympathie zuwendete, und gleich den deutschen und ſpaniſchen Patrioten , die demſelben Haß geschworen, hat er unverrückt in jenem nur den furchtbarsten Urheber

der Gegenrevolution

erblickt

und verabscheut.

Tief

durchdrungen von dem modernen Rechtsbegriffe , welcher jedem Rechte gegenüber eine Pflicht aufstellt, und anerkennt, daß das, was für Ein Volk, für Einen Bürger rechtmäßig , es ebenso für alle ist - stand Charras nicht an , die Erklärung abzugeben, daß Frankreich, indem es Napoleon's Despotismus annahm oder sich gefallen ließ und indem es sich zum Mitschuldigen von Europas Knechtung machte , daß dieses Frankreich 1813 das Recht wider sich hatte; daß die durch den Misbrauch der Macht niedergeworfenen und bedrückten Völker behufs ihrer Befreiung zur Gewalt greifen mußten ; daß für sie die Erhebung gegen den Zwingherrn, nach dem Ausſpruche der tapfern Logiker von 1793,,,das heiligste Recht und die unerlaßlichste Pflicht" war. Diese hehre Lehre , welche Charras' Lebensregel wurde , iſt auch die Moral seines Buches .

In großmüthiger Weise wendet

er sie ebenso auf das unterjochte Europa an , wie er

die-

felbe für Frankreich in Anspruch nimmt. Unverzagt und unverhohlen spendet er sein Lob und seine Bewunderung Deutschlands patriotischer Erhebung ; er vergleicht sie mit Frankreichs hochherzigem Aufschwunge von 1792 ; er verherrlicht sie mit Recht als einen der heldenmüthigsten Acte, welche die Menschheit geehrt, und als eine neue Weihe der Principien , die Frankreich zu verlassen die Schwäche gehabt hatte , nachdem es dieselben in einer unsterblichen, großartigen Weise verkündet.

Noch nie-

mand hat, von dieſem erhabenen Standpunkte aus , mit einer solchen gründlichen Kenntniß der Thatsachen und einer derartigen freimüthigen Unparteilichkeit jene nationale Bewegung geschildert, welche, vom Volke ausgegangen, die Armee, den Adel und die Regierungen mit fortriß und Europas Zwingherrn niederwarf.

Vorrede.

ΧΙ

Das Buch des Obersten Charras

sollte in seinem weit

angelegten Ganzen eine vollständige militäriſche , politiſche und diplomatische Geschichte des Jahres unsers Jahrhunderts , liefern.

1813 ,

des tragiſchſten

Doch zeigt es nur die Schür-

zung des Dramas und schließt am Vorabende von Lüßen. Obwol unvollständig und unfertig, erschließt diese Schilderung nichtsdestoweniger vollkommen des Autors Absicht und seines Buches hohe Moral.

Indem wir dasselbe mit Hülfe

und unter den Augen derjenigen , welche Charras damit be traut, der Deffentlichkeit übergeben, ohne eine vorhergegangene Ueberarbeitung und ohne irgendwelche Aenderung, haben wir das Bewußtsein, dabei nicht allein eine Pflicht gegen ihn, sondern auch gegen seine Sache und das Vaterland zu erfüllen.

Ge-

stattet auch heute die Proscription, welche das Werk ſelbſt über des Autors Grab hinaus verfolgt, dessen Lesen Frankreich nicht, so wird es doch dieses Buch des Erils einſt kennen lernen, dieses Buch, welches von einem seiner treuesten Kinder unter beständiger

Sorge

für

das

Vaterland

geschrieben

wurde.

Es wird daraus an mehr als einer Stelle ersehen, wie es sich bis zum Aeußerſten hatte knechten laſſen, indem es ſich ſelbſt hingab, den Principien abtrünnig wurde, welche beim Beginne der Revolution seine Stärke und seinen Ruhm ausgemacht, und indem es seinen Willen

in die Hände Eines Mannes

niederlegte. Ferner wird Frankreich daraus ersehen, was unter der

Einwirkung eines

zügellosen

Despotismus nicht allein

aus des Landes materiellen Hülfsquellen , sondern, und dies ist noch von größerer Bedeutung , was aus dem wahrhaften Ruhme der Nation geworden wäre.

Keiner wird dieses Buch aus der Hand legen, ohne etwas von des Autors Geiste mitzunehmen.

Wie ehemals in seiner

ſo männlichen und lebendigen Rede , so werden in demselben die Schwachen eine Anspornung, die Starken aber neue Kraft finden.

Ganz , aber auch ganz gab sich Charras dem Werke

XII

Vorrede.

hin mit dem ihm angeborenen und dem durch Studium erworbenen Talent. Es ist ein Buch der Redlichkeit und Gewissenhaftigkeit, unverzagt und aufrichtig , beseelt von glühendem und um so durchdringenderm Eifer. Umsonst hat Charras den Verfall sich häufen, umſonſt hat er den übermüthigen Triumph der Gewalt, die klägliche Niederlage des Rechts und die fortschreitende Erniedrigung der Charaktere gesehen.

Der Kaltsinn, welcher um ihn her vorhanden, konnte

ihn nicht beschleichen.

Seine unbesiegte Haltung war für

manche ein Zügel, für andere ein Schrecken, für viele aber ein Beiſpiel und eine Aufmunterung.

Er war des überzeugten

und unerschütterlichen Glaubens an den schließlichen Triumph der gerechten Sache. edlen Herzen.

Dieser Glaube schwand niemals in seinem

Er hat ihn in den trübsten Tagen aufrecht er-

halten ; derselbe war seine Kraft, als er diese Geschichte schrieb und während er gegen die Krankheit ankämpfte, die ihn uns entriß.

Charras ist bis zu Ende auf seinem Posten geblieben ;

selbst der Tod hat ihn von demselben nicht ablösen können, denn sein Grab , welches seinem Willen gemäß in des Erils Erde gebettet, seht die Protestation seines Lebens fort und bekräftigt sie. Am 30. October 1865 .

V. Chauffour - Kestner.

CHE

SH

ITI

Erstes Kapitel.

Rückkehr der Trümmer der durch Napoleon in Rußland zu Grunde gerichteten Armee nach Preußen und dem Großherzogthum Warſchau. Ankunft ihres Oberbefehlshabers Murat in Königsberg. Seine Maßnahmen zu ihrer Sammlung an verschiedenen Punkten und ſeine Anstalten zur Reorganiſation der Ueberreste der verschiedenen Corps. - Truppen, welche bereits in Königsberg vereinigt oder demnächst dahin herangezogen werden können. - Die Corps von Macdonald, Schwarzenberg und Reynier. Was Napoleon hinsichtlich dieſer vergeſſen. — Er hält sie in vollständigem Irrthume. - Die zu spät an sie abgehenden Befehle. -- Ihre Lage und Stärke Ende December1812.-Murat's Zuversicht und Combinationen am Jahresſchluſſe.

Auf jener Politik beruhend, welche kein anderes Recht als das der Gewalt anerkannte und keinen andern Grund als den Ehrgeiz eines Mannes hatte, leichtfertig berechnet , kurzsichtig begonnen, lässig fortgeführt, dabei aber mit vermessenem Starrfinne verfolgt und zögernd aufgegeben, hatte der gegen Rußland unternommene Krieg in einem Verderben ohne gleichen geendet. Mit 610000 Mann¹ war in den letzten Tagen des Monats Juni 1812 der Einmarsch in jenes Reich erfolgt. Niemals. in der neuern Zeit, und vielleicht auch nicht im Alterthume, war ein so zahlreiches Heer unter einem Führer vereinigt geweſen und für ein solches Unternehmen in Bewegung gefeßt

1 Genau betrug die Zahl der in verschiedenen Zeiträumen in Rußland eingerückten Truppen - Offiziere, Unteroffiziere und Gemeine 610058 Mann , wie in dem vorzüglichen Werke des Generals de Chambray: Histoire de l'expédition de Russie", nachgewiesen. Chambray schöpfte aus den Standesausweisen , welche die betreffenden Corps am Tage ihres Einmarsches in Rußland an den Kriegsminister einzusenden gehabt hatten. 1 Charras, 1813.

2

Erstes Kapitel.

worden. In seinem außerordentlichen Umfange zählte dasselbe 10 Armeecorps , die französische Kaisergarde, ein österreichisches Auxiliar- und 4 Cavalerie- Reservecorps . Noch waren sechs Monate nicht verflossen und dieselbe Armee kam in der schrecklichsten Auflösung und im gräßlichsten Elende fliehend über die ruſſiſche Grenze zurück. Sie hatte 500000 Mann verloren, welche theils desertirt oder in feindliche Gefangenschaft gerathen, theils durch Schwert und Geſchoß, durch Erschöpfung und Entblößung, durch Hunger und Kälte eine Beute des Todes geworden; sie ließ ferner die Cadaver von 150000 Pferden, an 1000 Geschüße und 15-20000 Artillerie- und sonstige Fahrzeuge hinter sich zurück. Napoleon hatte dieselbe bereits verlassen, um nach Paris zu eilen und von Frankreich eine neue Armee zu fordern. Bei seiner Abreise hatte der unselige Schöpfer dieses Elends den König Murat beauftragt, die Trümmer von so vielen cinst prächtigen Heerhaufen zu führen und zu sammeln. Doch konnte Murat nichts anderes thun, als sich an die Spitze der schon damals ganz aufgelöſten Armee zu stellen.¹

Mit dem Schluſſe

in welchen er es mit 1 Napoleon schreibt in seinen Memoiren, der Wahrheit nicht genau nimmt, sobald seine Person dabei mit in Betracht kommt daß bei seiner Abreise „ die Garde noch vollzählig war und die Armee, ohne das an der Dwina befindliche Corps des Herzogs von Tarent (Macdonald) , 80000 Combattanten zählte". Dagegen erhellt aus einem amtlichen Standesausweise vom 2. Dec. , daß an diesem Tage die Zahl der Combattanten sämmtlicher Corps, welche Napoleon bei sich hatte, und zwar mit Inbegriff der Garde, nur 8823 Mann betrug, die mehr oder weniger geordnet marſchirten. ( S. Chambray, Bd . III .) Am 5. Dec. , dem Tage vor Napoleon's Abreise, hatte indeſſen jene Schar bereits zwei Drittheile eingebüßt. Das damals von Wrede befehligte 6. Corps, welches der aufgelösten Armee in der linken Flanke folgte, ist bei dem obenerwähnten Standesausweise nicht in Ansatz gebracht. Aber selbst wenn man deſſen Effectivbestand hinzuzählt , wird Napoleon's Rechenfehler nicht wesentlich vermindert, denn Wrede hatte am 2. Dec. höchstens 3—4000 Mann Combattanten, und sechs Tage später waren ihm gar nur 2000 Mann übriggeblieben. (S. Völderndorff_und_Waradein,,,Kriegsgeschichte von Baiern 2c.")

Murat's Ankunft in Königsberg.

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des Jahres 1812 fand endlich dieser lange verwirrte Rückzug sein Ende. Die russische Armee schien die weitere Verfolgung aufgegeben zu haben; selbst ihre unermüdlichen Vorläufer , die Kosacken, waren verschwunden. Man betrat jetzt den Boden Preußens und des Großherzogthums Warschau. Hier fand man Lebensmittel und schüßendes Obdach. Man athmete auf. Am 19. Dec. kam Murat, nur von einigen Reitern begleitet , in Königsberg an. Viele Flüchtlinge waren bereits vor ihm dort eingetroffen. Er ließ hier sofort für 25000 Mann Quartier und Verpflegung requiriren. Man erwartete ein Armeecorps. Aber anstatt dieſer mit Emphaſe angekündigten 25000 Mann sahen die erstaunten Einwohner zwei Tage später eine kleine Schar von 4-500 Mann zu Fuß und 2-300 Reitern, elend gekleidet, nicht wieder erkenntlich und kaum geordnet, einziehen. Das war alles, was von der 46000 Mann starken Kaiſergarde in Reih' und Glied geblieben, dieſem noch unlängſt ſo glänzenden und prächtig ausgerüsteten Corps , welches beinahe während des ganzen Feldzugs keinen Schuß gethan, und dem einzig eine so ziemlich regelmäßige Verpflegung zutheil geworden. Nun erschienen nur mehr Iſolirte und Nachzügler in einem noch viel elendern Zustande. Auf den andern Straßen und in den übrigen Städten, wo, wie in Königsberg, ähnliche Requisitionen ausgeschrieben worden, bot die französische Armee ein ebenso klägliches Bild und war hier die Zahl der militärisch Marschirenden noch viel geringer. Hier und da sah man Trupps von 150 bis kaum 200 Mann, welche die corpsweise vereinigten Adler der betreffenden Regimenter escortirten. Doch befanden sich jene Adler nicht mehr an den Fahnen. Schon lange waren sie von diesen abgenommen, die Fahnen wurden verbrannt, die Adler dagegen in den Tornistern der Soldaten geborgen. Bis Königsberg lagerte Entmuthigung über Murat, aber einmal hier, fand er die in den Schrecknissen der lezten Tage verlorene Energie wieder und traf Anstalten zum Sammeln der Als man Ueberbleibsel aus dem ungeheuern Schiffbruche. in Kowno , inmitten eines in trüber Erinnerung gebliebenen Wirrwarrs, den Niemen überschritten, hatte er, ebenso wie die 1*

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Erstes Kapitel.

andern Marschälle, die Unmöglichkeit einer Ralliirung an den Ufern dieses tief gefrorenen Flusses erkannt , und daher den leztern weiter rückwärts gelegene Punkte bezeichnet, wohin sie für ihre Person sich begeben und auch ihre in völliger Auflösung befindlichen, demoralisirten und erschöpften Soldaten zu dirigiren sich bemühen sollten. Durch einem unterm 20. Dec. ergehenden Befehl wurden dieſe damals proviſoriſchen Dispositionen weiter geregelt und präcisirt. Danach sollten die Ueberreste der kaiserlichen Garde in Königsberg sich sammeln, ferner die der unberittenen Cavalerie in Elbing , des 2. und 3. Corps in Marienburg, des 4 . und 9. in Marienwerder, des 1. und 8. in Thorn, des 6. in Plock, und endlich sollten die des 5., welche Napoleon selbst von Malodeczno auf Ollita am linken Niemenufer ſtradirt und die in der Folge nach Warschau marſchirt waren , in lezterer Stadt stehen bleiben . Gleichzeitig befahl Murat, alle bleſſirten und kranken Offiziere, welche transportfähig, weiter zurück und zwar nach Stettin und Küſtrin zu bringen. Ferner machte er bekannt, daß jeder Soldat, welcher ohne genügenden Ausweis am linken Weichselufer sich betreffen ließe, als Deserteur vor dem Feinde behandelt werden würde. Diese Anordnungen ließen doch endlich das Vorhandensein eines Oberbefehlshabers verspüren . Als die aufgelösten Trümmer über den Niemen zurückkamen, mögen ſie ſich vielleicht noch auf 35—40000 Mann belaufen haben. Doch war damit eine weitere Minderung dieser Zahl nicht abgeschlossen. Der verhältnißmäßige Ueberfluß , welcher plöglich auf den bisherigen Mangel folgte, und der schnelle Uebergang von den eisigen Bivuaks zur warmen Temperatur der eben bezogenen Quartiere vermehrten die Krankheiten und Todesfälle. In der Stadt Königsberg allein starben täglich 50-60 Mann. Am 31. Dec. war Murat in der Lage, aus den nach Königsberg eingelaufenen Rapporten zu ersehen, daß ungefähr 20000 Mann dienſttauglich geblieben oder dies wenigstens in der nächsten Zeit sein würden , und daß zu dieser Zahl noch 6-7000 Jolirte , Reconvalescenten und andere theils in

Reorganisation der Hecrestrümmer.

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Preußen , theils im Großherzogthum Warschau aufgefundene Leute kommen dürften, während aus den Spitälern nur noch Krüppel und Leichen zu erwarten waren . Die aus Rußland entkommenen Offiziere und Mannschaften trafen, nur wenige ausgenommen, ohne Waffen, Montur und ſonſtige Ausrüstung an den Sammelpläßen ein und sahen überhaupt keinen Soldaten gleich ; die Reiterei entbehrte der Pferde. Doch boten die Städte, welche die Endpunkte der verwirrten Flucht wurden, theils an sich selbst, theils durch die dort vorhandenen oder dorthin zu überführenden Magazine Hülfsquellen genug, um die Flüchtigen schnell bewaffnen, bekleiden, ausrüsten und verpflegen zu können. Man eilte, diese Quellen sich nußbar zu machen. Murat zeigte går den Cavaleriegeneralen das demnächstige Eintreffen von Remonten aus dem Großherzogthume Warschau an. Ueberall war man mit provisorischen Reorganiſationen beschäftigt ; die Ordnung ſchien zurückzukehren und es bedurfte nur noch einiger Wochen dieser schüßenden Ruhe, um, mit dem für den Lebensunterhalt Nöthigen verſorgt, auch die militärischen Tugenden wiedererwachen zu sehen, welche unter dem Eindrucke der ertragenen Leiden und des unsaglichen Elends geschwunden waren. Aber diese 20000 Mann, welche man in nicht langer Zeit gekleidet, bewaffnet, ausgerüstet und neu gestärkt daſtehen zu sehen erwartete, und die obenerwähnten 7000 Jſolirten ſollten nicht insgesammt zu Murat's Verfügung bleiben. Es waren höchstens 20000 Mann , die er zu behalten Aussicht hatte, denn es gab an 7—8000 Offiziere und Chargirte, welche, bei den hier in Angriff genommenen Reorganisationen entbehrlich, in den Depots um so dringender bedurft und demzufolge ohne Verzug dahin zurückgeschickt wurden , um bei den Neuformationen verwendet zu werden. Deſſenungeachtet hielt Murat zu dieser Zeit seine Lage keineswegs für verzweifelt oder auch nur gefährdet, wie manche Geschichtschreiber das Gegentheil behaupten. Wie die meisten Marschälle und Generale , wie alle oder beinahe sämmtliche Offiziere und Soldaten, ja selbst Neh, der Held des Rückzugs, war er ohne Zweifel gegen Napoleon erbittert und ließ sich heftig

6

Erstes Kapitel.

über ihn aus. Gewiß hätte Murat der ihm gewordenen Aufgabe das eitle Gepränge seines neapolitanischen Königthums und ebenso dem rauhen nordischen Klima den südlichen Himmel vorgezogen, aber sein Gefühl empörte sich gegen die allgemeine Demoralisation und gegen diejenigen , welche die Armee verEr suchte jeden und alle dem Pflichtgefühle 1 wieder zuzuführen . Er war der Ueberzeugung, daß die Ruſſen nur Kosackenabtheilungen auf das linke Niemenufer geworfen, daß ihre Armeen noch weit zurück und überhaupt nicht in der Verfassung , einen Winterfeldzug führen zu können . Um den niedergeschlagenen Gemüthern wieder Muth einzuflößen, ordnete er an, die Nachricht von diesem Nichtgerüstetſein des Feindes allerorten zu verbreiten.2 Aber selbst dann , wenn die Ruſſen wider sein Erwarten ihren Vormarsch ohne Aufenthalt fortſehen sollten, glaubte er die Weichſel, vielleicht auch die Paſſarge oder den Pregel bis zur Ankunft der Armee, welche Napoleon in Frankreich zu errichten gegangen, halten zu können. Und nach den einlaufenden Nachrichten, nachder Sachlage und Wahrscheinlichkeit zu urtheilen, hatte jene Meinung viel für sich, ja selbst wenn man , was sehr natürlich, den Fall vorausseßte, daß die von Napoleon herbeigeführte neue Armee nicht vor Ablauf mehrerer Monate an der Weichsel eintreffen follte. Die Russen in Schach zu halten und um nöthigenfalls den Kampf mit ihnen aufzunehmen , war Murat ermächtigt, noch über ganz andere Truppen zu verfügen als die 20000 Mann, welche die im Gange begriffene Reorganisation in einigen Wochen ihm zuführen sollte. lassen wollten.

Seit mehrern Tagen waren die Division Heudelet in einer Stärke von 10000 Mann Infanterie mit 24 Geschüßen aus Danzig und ferner die aus Hannover kommende Brigade Cavaignac mit 1500 Reitern in Königsberg zu ihm geſtoßen.

1 Schreiben Murat's an General Belliard, Königsberg , 26. Dec. 1812. 2 Schreiben Murat's an General Belliard , Königsberg , 29. Dec. 1812.

Schwarzenberg's und Macdonald's Corps.

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Weiter konnte Murat an sich ziehen : aus Danzig die Infanterie diviſion Detrés und Heudelet's dritte Brigade , womit ihm 6-7000 Mann zugeführt wurden , welche in jenem Playe eher entbehrt und durch die Ueberreste des 2. und 3. Corps ersetzt werden konnten ; ferner aus der Gegend von Thorn und Plock 2000 Franzosen , 4500 Baiern und 1500 Westfalen , welche, in Marschbataillonen formirt , aus Frankreich, Baiern und Westfalen eintrafen. Damit hätten also dem Feinde gleich 25000 Mann entgegengestellt werden können. Doch war dies bei weitem noch nicht alles. Wie zu Anfang erwähnt, bestand die Armee bei ihrem Einmarsche in Rußland aus 12 Armeecorps die kaiserliche Gar de und ein österreichisches Auxiliarcorps inbegriffen — und 4 Cavalerie-Reservecorps. Von diesen großen Abtheilungen der gewaltigen Truppenmacht hatten drei , nämlich : das 7. und 10. Armeecorps, ferner das österreichische Corps nicht unter Napoleon's unmittelbarer Führung operirt und waren dadurch nicht in den allgemeinen Untergang hineingerissen worden. Das 7. Corps wurde vom General Reynier, das 10. vom Marschall Macdonald und das Schwarzenberg commandirt. Befehlen.

österreichische vom Feldmarschall Reynier stand unter des leßtern

Während des Feldzuges operirte Macdonald in Kurland, Schwarzenberg aber in Volhynien und Litauen ; beide hatten keine großen Anstrengungen gehabt, aber auch kein wichtiges Resultat erzielt. Zur Zeit des Ueberganges über die Beresina, glorreichen und traurigen Angedenkens , lag der französische Marschall mit seinen in vorzüglicher Verfassung befindlichen 25000 Mann in Cantonnirungen vor Riga , ihm gegenüber höchstens 10-12000 Ruſſen. Der österreichische Feldmarschall hatte indeſſen den bei Wolkowisk geschlagenen General Sackendeſſen Truppen durch die erlittene Niederlage bis auf 20000 Mann zusammengeschmolzen - hinter die Muchawiza zurückgedrängt, um dann umzukehren und auf derselben Straße gegen Minsk abzurücken, welche einen Monat früher Tschitschagow bei seinem Marsche nach der Beresina eingeschlagen. Schwarzenberg hatte damals noch wenigstens 50000 Mann vollkommen

Erstes Kapitel. disponibel, darunter eine polnische Brigade von 4000 Mann, welche am Zusammenfluſſe des Bug und der Muchawiza zurückgelassen worden . Diese 50000 Mann unter Schwarzenberg und jene 25000 unter Macdonald hätten zu gleicher Zeit, wie Tschitschagow, an der Beresina sein können. Befanden sie sich hier, so würden sie dann unsere Heertrümmer aufgenommen und den Uebergang über diesen Fluß vorbereitet und erleichtert haben . Sie hätten damit 30-40000 Offiziere und Soldaten vom Tode oder der Gefangenschaft , die von jenem nur wenig unterschieden, errettet ; sie würden ferner verhindert haben, daß die Auflöſung weiter um sich griff und den lehten Mann mit fortriß. Und wenn sie nicht bis an die Beresina gekommen , so hätten sie doch wenigstens vor Wilna angelangt sein können, als die ganz aufgelöste Armee dort ankam. Unter ihrem Schuße würde diese hier halt gemacht und Athem geschöpft haben , um dann zu einem gemessenen und geordneten Rückzuge überzugehen, womit 20000 Mann und noch mehr gerettet worden. Und den= noch traten sie weder hier noch dort auf. Sie kamen nicht, weil Napoleon sowol Schwarzenberg als Macdonald ohne genaue Instructionen und ohne Befehle sich selbst überlaſſen, ja sie vielmehr durch seinen Minister des Auswärtigen, Maret, geflissentlich im Glauben erhalten ließ , daß die aus Moskau zurückkehrende Armee in der ausgezeichnetsten Verfaſſung sich befände und jeden ihrer Gefechtstage durch einen Sieg verherrliche. Auch nach dem Bereſina-Uebergange hatte Napoleon seine beiden Unterbefehlshaber von der Wahrheit nicht unterrichtet , und ohne ihnen dieſe bekannt zu haben , war er am 5. Dec. nach Paris abgereist. Er hatte damals an Macdonald weder einen Befehl zum Antreten des Rückzuges ertheilt, noch sich darauf vorzubereiten ihn angewiesen, und ſo kam es, daß der Marschall in seiner unnüßen Beobachtungsrolle vor Riga beharrte. Wahr ist es aber, daß Napoleon durch Maret unterm 4. Dec. an Schwarzenberg schreiben ließ, der Bewegung der Armee zu folgen und der jezigen Lage angemessen zu manövriren“ . Dabei hatte indessen Maret oder er selbst gerade über jene Bewegung und

Macdonald's Rückmarsch .

9

Lage sich näher zu äußern unterlassen. Dieses schon an und für sich leider verspätete Schreiben hatte denn auch keinen andern Erfolg, als den österreichischen Feldmarschall zum Stehenbleiben in Slonim, wo er ersteres empfing, zu bewegen; er beabsichtigte, hier den Eingang neuer Befehle oder die Rückkunft der vor einiger Zeit in Napoleon's Hauptquartier und nach Wilna entſendeten Kuriere abzuwarten. Bei der mörderischen Kälte jener schrecklichen Tage wollte es der Feldmarschall nicht auf sich nehmen , seine Truppen unnöthigerweiſe marſchiren zu lassen. Es war am 9. Dec. , als Murat in Wilna endlich an Macdonald und Schwarzenberg mit ihren 75000 Mann dachte, von denen Napoleon der unverzeihlichsten Unterlassung zufolge keinen Vortheil gezogen, um das Elend zu mindern, und welche durch jenes Vergessenwerden selbst in einer sehr gefährdeten Lage sich befanden. Er beauftragte den Major - General Berthier, ihnen den Befehl zum Rückzuge zu ertheilen , und zwar sollte diesen Macdonald auf Tilsit, Schwarzenberg aber gegen Bialystock bewerkstelligen; jener , um Königsberg und Danzig, dieser, um das Großherzogthum Warschau zu decken. Uebrigens wies sie Berthier bei Uebersendung dieses Befehls noch an, denselben so langsam als möglich zur Ausführung zu bringen . Er sprach dabei von der Armee, als ob sie nach wie vor eriſtire, und theilte ihnen mit, daß sie auf Kowno marſchire , um hier am linken Ufer des Niemen Winterquartiere zu beziehen, wobei der ebengenannte Plag als Brückenkopf dienen solle. Das grenzenlose Elend bei dem wenige Tage darauf erfolgenden Abmarſche von Kowno bewog indeſſen Murat , wenn auch nicht Schwarzenberg , so doch wenigstens Macdonald die Wahrheit hinsichtlich des erbärmlichen Zustandes der Armee zu bekennen, und so befahl er leyterm, den Rückzug auf Tilſit möglichst zu beschleunigen, dort sich aber nicht aufzuhalten, ſondern zu streben, schnellstens den Pregel zu erreichen. Macdonald kam diesen Befehlen pünktlich nach. Er verlor keinen Augenblick, um sich in Marsch zu sehen und dem ihm bezeichneten Ziele zuzustreben. Am 28. Dec. schrieb er Murat, um ihm zu melden , daß er mit der Hälfte seines Corps in

10

Erstes Kapitel.

Tilsit eingetroffen und daß die andere noch am gleichen oder spätestens am folgenden Tage dort zu ihm stoßen würde. Nach Bewerkstelligung dieser Wiedervereinigung sollte er wenigstens 22000 Mann in Reih' und Glied haben. 1 Schwarzenberg , welcher von dem Untergange der Armee und der Richtung , welche der wirre Fluchtstrom eingeschlagen, zufällig Kenntniß erhalten, war Berthier's obenerwähntem Befehl zuvorgekommen. Er war mit den Oesterreichern gegen Bialystock aufgebrochen und hatte gleichzeitig Reynier's Corps gegen Wolczyn an den Bug ſtradirt. Kaum war dieſe Doppelbewegung ausgeführt, als ein Abgesandter des russischen Generals Wassiltschikow (Commandanten eines den Desterreichern nachgeschickten leichten Corps) bei Schwarzenberg erschien. Er machte ihm den Vorschlag, zu Vermeidung weitern unnüßen Blutvergießens das russische Gebiet zu räumen, wogegen Wassiltſchikow deſſen Rückzug durchaus nicht zu stören ſich verpflichtete. Schwarzenberg ging darauf ein, unter der ausdrücklichen, auch vom ruſſiſchen General angenommenen Bedingung, daß er in den von ihm zu beziehenden Quartieren im Großherzogthume Warschau nicht beunruhigt würde, mit dem Vorbehalte , widrigenfalls Gewalt mit Gewalt zu vertreiben . Demzufolge ſette er sich am 24. Dec. in Marsch, um sein Hauptquartier nach Pultusk, sein Corps aber zwischen den Bug und die Narew zu verlegen, mit dem rechten Flügel in Nur, mit dem linken in Ostrolenka . Gleichzeitig ließ er Reynier über den Bug zurückgehen und wies ihn an, hinter dem Flüßchen Liwiec in der Umgegend von Wengrow Cantonnirungen zu beziehen. Während Schwarzenberg diesen am 30. Dec. beendeten Rückzug in ganz friedlicher Weise ausführte, war es ein sonder

¹ Das Macdonald'ſche Corps beſtand aus dem preußischen Contingent und einer Diviſion Polen, Baiern und Westfalen. Am 16. Dec. zählte ersteres nicht ganz 14000 Combattanten (ſ. ,,Tagebuch des Königl, preußischen Armeecorps 2c. von dem Generalmajor von Seydlik") ; die letztere hatte noch am folgenden 21. Jan. 6965 Maun unter den Waffen, woraus hervorgeht, da sie keine Verstärkungen erhalten, daß sie Ende December über 8000 Combattanten stark geweſen (ſ. des Kapitän Dartois „ Relation de la défense de Danzig en 1813").

Murat's Lage am Fahresschluß.

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bares Zuſammentreffen , daß er hintereinander zwei Schreiben, eins von Murat, das andere von Berthier 1 empfing , welche beide die gleiche Aufforderung an ihn enthielten, mit den ihm gegenüberstehenden feindlichen Corps eine solche schwebende Waffenruhe zu vereinbaren wie die bereits von ihm abgeschlossene. Die unter Schwarzenberg's Befehlen stehenden Streitkräfte beliefen sich damals noch auf 40000 Mann, ohne die obenerwähnte polnische Brigade, welche an Reynier sich heranzuziehen in Begriff stand. 2 Am legten Decembertage meinte also Murat , und allem Anscheine nach mit Recht, auf 25 Lieues zu seiner Linken gegen Tilsit hin 22000 Mann , welche demnächst am Pregel bei Wehlau anlangten , und auf beiläufig 50 Lieues zu seiner Rechten 45000 Mann in bester Verfaſſung und Disciplin zur Verfügung zu haben, während er bereits oder in wenigen Tagen, wie oben erwähnt, 25000 Mann bei Königsberg concentrirt haben konnte. Damit hätten also wenigſtens 90000 Mann der russischen Armee entgegengestellt werden können, sobald diese den Niemen überschritt, und es war wol nicht anzunehmen, daß sie viel mehr als 100000 Mann übrig behalten. Außerdem rechnete Murat, daß noch vor Ablauf von zwei Monaten eine Reserve zu seiner Unterſtüßung bereit stehen würde, welche umfassen sollte jene 20000 Mann, die er in den Städten an der Weichsel kleiden, bewaffnen und ausrüſten ließ ; ferner wenigstens 15000 Mann , welche das Großherzogthum Warschau stellen würde, dessen Regierung zu ausgedehnter Aufbietung ihrer Kräfte sich willig zeigte und ſelbſt ein Maſſeaufgebot ins Leben zu rufen versuchte; weiter eine aus Italien von

1 Das Schreiben Murat's war vom 23. Dec. , das Berthier's vom folgenden Tage datirt. Beide sind aufgeführt in Prokesch (,,Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Feldmarschalls Fürſten Karl zu Schwarzenberg", Wien 1823). 2 Das Corps Reynier's zählte am 20. Dec. noch 8000 Franzosen und 8-9000 Sachſen. (S. „ Die Feldzüge der Sachſen in den Jahren 1812 und 1813".) Das österreichische Corps war damals 24-25000 Mann stark.

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Erstes Kapitel .

Grenier herbeigeführte schöne Division in einer Stärke von 20000 Mann, die seit 14 Tagen bei Bamberg in Franken eingetroffen ; dann 2000 Mann von der jungen Garde , welche, aus Frankreich kommend, der untern Oder sich näherten ; 1200 erst kürzlich aus Karlsruhe abmarſchirte Badenſer und schließlich noch 10000 Preußen, um welche Napoleon auf seiner Flucht durch Deutschland mittels eines höchst dringenden Briefes den König Friedrich Wilhelm gebeten¹ , die zu organiſiren General Bülow den Befehl erhalten hatte und schon in Ostpreußen bei Königsberg zusammenzuziehen anfing. In der lehten Stunde, mit welcher das unheilvolle Jahr 1812 zu Ende ging, war also Murat weit davon entfernt, ſeine Lage für eine verzweifelte oder auch nur gefährdete zu halten. Er war, was hier wiederholt werden mag, der Meinung, daß die russische Armee nicht in der Verfassung sei, einen Winterfeldzug zu führen, war aber des zuversichtlichen Glaubens, ihr so= fort 90000 und noch vor Ablauf zweier Monate weitere 7000 Mann entgegenstellen zu können , wenn sie wider sein Erwarten den Niemen überschreiten sollte ; also Streitkräfte genug, ilm den Feind bei seinen ersten Schritten aufzuhalten und ihn bald auf russisches Gebiet zurückzuwerfen . Und , dies sei hier nochmals betont, alles sprach dafür, daß diese Ueberzeugung eine gerechtfertigte und jene Berechnungen richtig wären. Eine im Werden begriffene That hatte Murat jedoch nicht in Ansatz gebracht, welche ihm noch unbekannt war und deren Nachricht ihn demnächst überraschen sollte. Ein General von damals beinahe unbekanntem Namen wagte in ſeinem glühenden Patriotismus einen der kühnſten Entſchlüſſe in der Geschichte, eine jener Handlungen, welche den Lauf der Dinge verschieben und die Geſchicke von Reichen beschleunigen.

1 Schreiben aus Dresden vom 14. Dec. 1812.

Zweites Kapitel.

Das preußiZusammensehung des 10. Armeecorps unter Marschall Macdonald. General York. - Sein Verhältniß und ſeine Differenzen mit sche Contingent. Vez Seine geheimen Beziehungen zu den ruſſiſchen Generalen Macdonald. nachrichtigt darüber fortlaufend den König von Preußen. - Bittet lehtern um bestimmte Verhaltungsbefehle. - Seine Grundsäge hinsichtlich des unbedingten paſſiven Gehorsams.— Empfängt die ruſſiſchen Bulletins von dem Uebergange über die Beresina. - Betraut seinen Adjutanten Seydlig mit einer Miſſion an den — Empfängt ſichere Nachrichten aus Wilna und läßt Macdonald wegen des König. Macdonald weist solche VorRückzuges nach dem Niemen aufmerkſam machen. schläge zurück und will Napoleon's Befehle abwarten. - York erfährt, daß die Koſacken auf dem linken Niemenufer erschienen, zeigt dies dem Marschall an und läßt ihm nochmals den Rückzug nach jenem Fluſſe in Vorſchlag bringen. - Macdonald beſteht darauf, Napoleon's Befehle abzuwarten. - Infolge neuer, ernsterer Nachrichten schreibt ihm York und dringt in ihn , den Rückzug anzutreten. · Sein Brief gelangt beinahe zur ſelben Zeit an Macdonald, als dieſer Murat's Befehl zum Rückzuge des 10. Armeecorps auf Tilſit und Wehlau empfängt. - Macdonald's Seine beiden ersten Colonnen und er ſelbſt erreichen Tilſit. — Erwartet Rückzug. hier die dritte unter York's Befehlen. — Marsch der leßtern. — Der ruſſiſche General Diebitsch verlegt ihr den Weg. - York willigt in eine Unterredung mit ihm. Vorschlag des russischen Generals zu einer Neutralitäts - Convention. - York geht nicht darauf ein. — Schickt den Major Henckel an den König , ſezt seinen Rückzug langſam fort und unterhält seine Beziehungen zu Diebitſch weiter. · Kommt in Tauroggen an. — Seydliß kehrt zurück. — Ueberbringt keine Verhaltungsbefehle. York beſchließt nichtsdestoweniger seine Trennung von Macdonald. - Will schon von seinem Entſchluſſe zurücktreten, als er sich von den Ruſſen getäuscht glaubt. Aufklärungen, welche jenes Mistrauen beheben. — Schließt mit Diebitsch in Tauroggen eine Neutralitäts-Convention ab.

Das

10. Armeecorps unter dem Marschall Macdonald

bestand nur aus fremden Truppen. Zwei Drittheile waren Preußen, der Rest aber Polen, Westfalen und Baiern. Die Preußen formirten zwei Diviſionen - nämlich eine an Infan terie und eine an Cavalerie , die Polen mit den Westfalen und Baiern eine Infanteriedivision. Der Commandant der lettern, General Grandjean, war ein Franzose ; die seinen Be-

t

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Zweites Kapitel.

fehlen unterstehenden Brigadiers Franzosen und Polen. Dagegen waren bei den zwei preußischen Divisionen die Generale und andern Offiziere durchgängig Preußen ; ihre beiden Commandanten ſtanden unter einem Befehlshaber, welcher gleichfalls Preuße war. Unter allen Umständen konnte man mit Sicherheit auf die Division Grandjean rechnen , da in ihr das polnische Element vorwiegend war. Doch war dies nicht hinsichtlich der preußischen. Divisionen der Fall. Es war nicht anzunehmen , daß ihre Treue bei einem Umschlage des Glücks der französischen Armee und Napoleon's die Probe bestehen dürfte. Ein Preuße konnte den französischen Despoten nur verab scheuen. Napoleon hatte Preußen nicht allein eine überaus demüthigende Niederlage beigebracht , sondern dazu noch den Sieg ohne Edelmuth , Gerechtigkeit und Mitgefühl ausgenüßt. Indem er jenen Krieg mit der Beleidigung Friedrich Wilhelm's schöner und keuscher Gemahlin begonnen, verspottete er in deſſen weiterm Verlaufe die besiegte Armee und ihren König, und beendete ihn mit dem Ruin und der Zerſtückelung des Königreiches. Dieſes Preußen, das er zu Grunde gerichtet, zerstückelt, getheilt und dem er über die Hälfte an Flächenraum und Seelenzahl entriſſen, dieses Preußen belastete er zudem mit enormen Kriegscontributionen und erſt jüngst noch mit erdrückenden Requisitionen. Er hatte dessen Handel durch die Continentalsperre brach gelegt, er nahm die Hauptfestungen in Besit , und hatte es gezwungen, seine Armee auf einen schwachen Stand zurückzuführen. Tief empfand das preußische Volk diese vielen Mishandlungen, aber noch verzweifelte es nicht, dafür sich einst rächen zu können. Durch Tradition dem Hause der Hohenzollern treu ergeben, erhob es seine Stimme nicht gegen den König, um ihn der Verschuldung des Unglücks zu zeihen, sondern klagte deſſen nur die veralteten Institutionen wie die unfähigen Rathgeber an, und scharte sich in Liebe und Verehrung um seinen Herrscher, als es diesen einen an Geist und Charakter gleich großen Minister an seine Seite berufen sah , als die Aufhebung der Privilegien, die Beseitigung von Misbräuchen erfolgte und als

Das preußische Contingent.

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gleichzeitig die Umarbeitung des Civilcoder, mit Zugrundelegung der von der Französischen Revolution aufgestellten Principien, in Angriff genommen wurde. Die preußische Armee erfuhr eine strenge Läuterung in ihren Cadres, wurde der alten Reglements und der fremden Elemente entledigt, vom Corporalsstocke befreit und auf der breiten Ba= sis der Gleichheit vor dem Geseze reorganisirt. Ungeachtet der trüben Erinnerung an das erfahrene Misgeschick war sie stolz und trug in ihrem Herzen die traurigen Gefühle, den Groll und die Hoffnung des Vaterlandes . Sie hatte , ebenso wie das Volk, mit tiefem Schmerze ihren König das Bündniß mit Napoleon gegen Rußland zugleich anbieten und abſchließen ſehen. Sie hatte auf die gerade entgegengesezte Allianz gehofft und würde dieſe trog der damit verbundenen äußersten Gefahr gewünscht haben. Von den 1200 Offizieren der verschiedenen Truppentheile traten über 300 aus den Reihen der Armee, um nicht einer Sache zu dienen, deren Erfolg, wie sie der Ueberzeugung waren, die Unterjochung ihres Vaterlandes nur weiter befeſtigen mußte. Nach diesem Maſſeaustritt stellte aber die preußische Armee mit Resignation das von Napoleon gegen Rußland geforderte Contingent, jene zwei Diviſionen, welche, wie oben erwähnt, den größern Theil des 10. Corps unter Macdonald bildeten. Bei Eröffnung des Feldzuges war ihr Oberfehlshaber der 1 alte General Grawert, den Napoleon dazu ausersehen hatte. ¹ Aber nach sechs Wochen mußte Grawert - übrigens ein Soldat von unerschütterlicher Energie, aber ein Staatsbürger von schüchternem Patriotismus — Krankheits halber den Oberbefehl seinem zweiten Commandanten provisorisch übertragen. Letterer, welchen der König von Preußen sowol aus politischen als militärischen Rücksichten jenem zugetheilt hatte, wurde von seinem Kriegsherrn bald darauf in der neuen Würde bestätigt.

Zum Oberbefehlshaber dieses Corps (des preußischen Contingents) habe ich nach dem Wunsche des Kaisers Napoleon den Generallieutenant von Grawert ernannt . ". Schreiben des Königs von Preußen an den General York vom 12. März 1812.

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Zweites Kapitel.

Er hieß York. Aus der erst später legitim gewordenen Verbindung eines armen Offiziers von obscurem Adel mit der Tochter eines Handwerkers entsprossen , hatte York alles , was er war , nur ſeinen Leiſtungen zu verdanken. Der Anfang seiner Laufbahn war mit Schwierigkeiten und einem sehr bewegten Leben verbunden, sein Anvancement ein langſames . Bei den Wirren, in welche die preußische Armee und Monarchie nach den Unglücksschlägen von Jena und Auerstädt geriethen , hatte er sich durch seine Kaltblütigkeit damals Oberst der Infanterie und unerschütterliche Festigkeit hervorgethan. Von da ab datirt sein Glücksstern. Durch seine wohlverdiente Beförderung belohnt, wurde er in das nähere Vertrauen des Königs2 und der Königin gezogen. Zeuge ihrer edeln Einfachheit im Unglück wurde die für beide gehegte Anhänglichkeit nur um so inniger, während sein Herz Erbitterung über die Niederlage der Armee wie über das Unglück des Vaterlandes empfand und von Haß gegen Napoleon wie gegen Frankreich entflammt war. Fortwährend mit Commanden bekleidet , welche nach den vielen Unglücksschlägen mit um so mehr Schwierigkeiten verbunden waren, hatte er dieſelben dennoch derart geführt, daß er die Blicke seines Landes auf sich gelenkt. Nicht lange vor dem russischen Kriege zum Generallieutenant ernannt, war York damals 53 Jahre alt. Von mittlerer Größe, marligem Körperbau , mit hoher und breiter Stirn, von magerer Geſtalt, mit einem durchbohrenden Blicke und imponirenden Gesichtszügen, in Reden knapp , kurz angebunden und grob, barg

1 S. Droysen ,,,Das Leben des Feldmarschalls Grafen York von Wartenburg." (Bd. I, und Anhang zu Bd . II und III, zweite Auflage.) 2 Als der König unterm 12. März 1812 dem General York ſeine Ernennung zum zweiten Commandanten des preußischen Corps anzeigte, schrieb er ihm : „ Es ist mir äußerst viel daran gelegen, daß Sie die Ihnen bestimmte Stelle annehmen, da mir Ihre bewährte Treue, Anhänglichkeit und Kriegserfahrenheit zur Genüge bekannt ist und ein ſolcher zuverlässiger Mann bei dieſem Corps und unter ſolchen Umständen unumgänglich nothwendig wird."

York und Macdonald.

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York unter diesem kalten Aeußern einen feurigen und kühnen Geist, eine starke Willenskraft, großen Ehrgeiz und eine fanatische Vaterlandsliebe. Mürriſch und gallsüchtig , fügte er sich nur mit Mühe der Subordination, handhabte dieselbe dagegen mit unerbittlicher Strenge. So kam es , daß er bei seinen. Truppen zwar nicht beliebt war, aber doch hoch geschäßt wurde und ihnen volles Vertrauen einflößte. York hatte im russischen Feldzuge Beweise von Talent und Tapferkeit gegeben, während die unter seinen Befehlen stehenden beiden Divisionen sich als vorzügliche Truppen bewährt. Offiziere und Soldaten hatten auf dem Blachfelde, ohne deshalb ihrem Hasse und ihren Sympathien zu entfagen, die Schmach von 1806 von den preußischen Waffen abwaschen wollen. Sie hatten sich das größte Lob erworben, welches Macdonald ihnen reichlich zu spenden nicht unterließ, und auf Grund seiner Be richte fand der Name des Generals York in den Bulletins der Großen Armee in hervorragender Weise Aufnahme. Wohlwollend und freundlich, hatte sich Macdonald nicht darauf beschränkt, dieſem ſeinem Untergebenen Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen, ſondern zudem ihm gegenüber unendliche Nachsicht hinsichtlich der Commandoverhältniſſe geübt und fortwährend sehr entgegenkommend sich bewiesen. Von seiten York's sah er dies nur durch eine gemessene Ehrerbietigkeit und ſonſt conventionelle Höflichkeitsbezeigungen erwidert. Umſonſt bemühte sich Macdonald, den preußischen General in den Kreis seiner Vertraulichkeit zu ziehen. Doch dieser ging nicht darauf ein, und nichts vermochte seinen eisigen Charakter zu brechen. Je mehr er sich entgegengekommen sah, desto mehr zog er sich zurück. Im Verlaufe der Zeit kam es schließlich so weit, daß York nur noch in dienstlichem Verkehre zu Madonald ſtand , welcher ent. weder auf schriftlichem Wege oder durch Mittelspersonen gepflogen wurde, und ſelbſt dieſen hatte er so viel er konnte selten gemacht. Doch hatte sich York bis dahin in den Grenzen des seinem Vorgesetzten schuldigen Respects gehalten . Aber auch dies sollte mit deren Ueberschreitung sein Ende erreichen . Bei Eintritt des Winters beschränkte sich Macdonald darauf, die Angriffe der Ruſſen nur zurückzuweisen , Charras , 1813.

und

ließ 2

das

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Zweites Kapitel.

10. Corps Cantonnirungen beziehen. York nahm dabei Gelegenheit, zu Gunsten seiner Truppen den Marschall mit Reclamationen und Bitten zu beſtürmen. Ob diese Reclamationen be gründet, ob diese Bitten gerecht und leicht zu gewähren , läßt sich nicht genau sagen ; dagegen steht es fest, daß sie in einer nichts weniger als schicklichen Weiſe zum Ausdruck gebracht wurden . Dieser Vorfall wäre vielleicht noch nicht hinreichend geweſen, um Macdonald aus seiner ihm eigenen Gemüthlichkeit heraustreten zu machen . Aber bald wurden ihm, wie es scheint durch heimliche Zuträgereien, Mittheilungen hinterbracht, welche doch dem sonst so wenig mittheilsamen York bittere Worte über Napoleon, dessen Generale , die französische Armee und über Frankreich in den Mund legten ; und dieselben Berichte schilderten ihm die Gesinnungen des Generalstabes und gewisser preußischer Offizierkreise nicht weniger feindselig . Jeht machte sich Macdonald in den heftigsten Vorwürfen Luft. Indem er in höchst bitterer Weise an York ſchrieb, wies er deſſen Reclamationen und Bitten kurzweg ab, erinnerte ihn an den ſyſtematiſch in Vergessenheit gebrachten Gehorsam, bezichtigte ihn einer Reizbarkeit und eines wenig verhehlten Hasses gegen alles, was französisch wäre", und versicherte ihn (hierin liegt eine schwere persönliche Anschuldigung) ,,,daß er keine der täglich sich wiederholenden Wendungen verkenne, die dahin zielen, die Meinungen irrezumachen und die Entmuthigung unter den Führern und Truppen des preußischen Corps zu verbreiten“. Zum Schluſſe kündigte Macdonald dem General an, „ daß er dem Kaiser über sein Betragen und seine Gesinnung Rechenschaft gäbe, die man nicht unterlassen werde, dem Könige von Preußen vorzulegen“.¹ Der Bruch war schroff und vollſtändig. Auf jene Zornesausbrüche und Beschuldigungen antwortete York mit einem falten und in stolzem Tone gehaltenen Briefe , in welchem er an feine geleisteten Dienſte erinnerte , die Redlichkeit seiner Hand-

1 Brief vom 27. Nov. 1812.

York's Zerwürfniß mit Macdonald .

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lungsweise behauptete und jeder Untersuchung , jedem Gerichte zu unterwerfen sich erbot, indem er erklärte, daß er keine Nachsicht, wohl aber strenge Gerechtigkeit verlange. ¹ Macdonald erwiderte nichts und erwartete nur die von Napoleon erbetene Entscheidung in Betreff York's . Sein Mistrauen hatte sich aber derart gesteigert , daß ihm alles , was der preußische General that , verdächtig oder strafbar ſchien. So schrieb Macdonald dem Major-General Berthier über einige Vorpostengefechte, welche am Tage nach dem Austausche jener beiden Briefe ſtattfanden : „ Der General York hat am 30. Nov. die durch den glücklichen Erfolg ihm gebotenen Vortheile nicht zu benutzen verstanden oder vielmehr nicht benußen wollen ; er hat den Kampf und die Verfolgung abgebrochen, während er am andern Tage vier seiner Bataillone umgehen und in den nächstfolgenden Tagen seine Vorposten überfallen läßt." Durch seinen Groll befangen und durch falsche Nachrichten irregeführt , hatte Macdonald , welcher nicht Augenzeuge dieser Gefechte gewesen, seinen Untergebenen hier mit Unrecht angeklagt. York stand die preußische Waffenehre und seine Selbstachtung viel zu hoch, als daß er den Ruſſen gegenüber auch nur eine Anwandlung von Aengstlichkeit oder Nachgeben. gezeigt oder nur den Schein einer Schlappe so ohne weiteres auf sich genommen hätte. Ueberdies war schon damals seit einem Monate ein Plan in ihm rege geworden , dessen Ausführung eine starke und geachtete Stellung seiner Truppen den Russen gegenüber erforderte. Ohne Zweifel, in seinen Anfängen sehr unbestimmt , bildete sich jener Plan bald mehr heraus und gewann allmählich durch die Entwickelung der Ereignisse viel Aussicht auf ſein Gelingen. Der Keim dazu war Anfang November durch ein vom ruſſischen General Essen I. eingehendes geheimes Schreiben gelegt Essen , damals Gouverneur von Riga , hatte York worden.

1 Dieser vom 28. Nov. datirte Brief ist nur in dem Auszuge bekannt, welcher in dem ,,Tagebuch des Königl. Preußischen Armeecorps 2c. im Feldzuge von 1812" von dem Generalmajor v. Seydlig sich befindet. 2*

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Zweites Kapitel.

mitgetheilt, daß Napoleon Moskau zu verlassen gezwungen, die französische Armee in der Auflösung sich befände und daß sie wie ihr Führer dem sichern Untergange entgegenginge , da ihr durch die combinirten Bewegungen der Armeen Wittgenstein's und Tschitschagow's der Rückzug völlig abgeschnitten ſei. Diese so unerwartete Mittheilung schloß mit der Aufforderung zum offenen und unmittelbaren Abfall von der französischen Sache.¹ Offenbar wußte Eſſen von York's Gesinnungen, kannte aber deſſen ſo bedachtſamen Charakter nicht. Sein Brief blieb unbeantwortet. Enthielten diese Nachrichten auch nur etwas Wahres, so ― waren sie doch wie York mit scharfem Blicke durchschautevielleicht hinreichend, um Preußen zu einer politiſchen Schwenkung zu bestimmen. Er schickte daher jenen Brief dem Könige unter Beifügung einer kurzen Depesche, in welcher er bemerkte, daß er das Schreiben Eſſen's unbeantwortet gelaſſen und es „ ein tiefes Geheimniß“ bei ihm geblieben sei.2 Dieser Meldunglag augenscheinlich nur der Zweck zum Grunde, in indirecter Weise von dem Könige Verhaltungsbefehle zu erbitten, ob er das bisherige Stillschweigen auch ferner beobachten oder brechen solle. Ein das königliche Vertrauen genießender Offizier , der Rittmeister Graf Brandenburg, welcher York zugetheilt war, wurde mit jener Sendung beauftragt und ging am 5. Nov. nach Potsdam ab. Wettige Tage darauf wurde Essen in seinem Commando durch den Generallieutenant und kaiserlichen Adjutanten, Marquis Paulucci, ersetzt. Letterer, ein geborener Italiener³, hatte bis zum Sturze des Hauses Savoyen in piemontesischen Diensten gestanden, war dann in die österreichische und einige Jahre später in die russische Armee übergetreten , wo ihm eine sehr Listig und intriguant, rasche Beförderung zutheil wurde. verſtand er Keckheit und Schlauheit zu verbinden, und war

1 Seydlitz ,,Tagebuch des Königl. Preußischen Armeecorps". 2 Dieses Schreiben ist zu finden in Droysen, „ Das Leben des Feldmarschalls Grafen York von Wartenburg ". 3) Er stammte aus Modena.

York und die russischen Generale.

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demzufolge geeigneter als Eſſen zu Anknüpfung von Beziehungen mit York befunden worden, von denen der Kaiser Alexander durch ihre Rückwirkung auf die Ereignisse große Erfolge sich versprach. Kaum in Riga angekommen , ging Paulucci ans Werk, um das in ihn gesezte Vertrauen zu rechtfertigen. In einem an York gerichteten Briefe, der gewandt geschrieben und stellenweise mit Pathos untermengt war, beschwor und bedrängte er diesen, die glorreiche Rolle des unsterblichen La Romana zu spielen. ,,Die beiliegenden Bulletins werden Ihnen", schrieb er, „ die verzweifelte Lage Napoleon's zeigen. Dieser Umſtand ſett Preußen in den Stand , der Schiedsrichter über das Schicksal Europas zu werden, und Sie, der Befreier Jhres Vaterlandes zu sein." Indem Paulucci aber in Betracht zog , daß York nicht anders als nach dem freien Entschlusse seines Königs" würde handeln wollen, bat er, seinen Brief an leztern gelan1 gen zu laſſen. ¹ Diesem eindringlichen Schreiben des Gouverneurs von Riga folgte bald ein anderes vom General Wittgenstein, dem Commandanten einer der russischen Armeen, die Napoleon den Rückzug abzuſchneiden die Bestimmung hatten. Dieser, welcher schon vor dem Kriege in persönlichen Beziehungen zu York geſtanden, ſchrieb ihm aus der Gegend an der Ula, forderte ihn in warmen Worten auf, mit den Ruſſen gemeinschaftliche Sache zu machen, und schlug ihm die Vereinigung der beiderseitigen Truppen vor, um dem Könige von Preußen seine Gewalt zu restituiren und dann Deutschland von dem Schrecken der Barbaren zu befreien".2 Mit der Besorgung dieses Briefes hatte er den ihm unterstehenden General Fürsten Repnin betraut, welcher sich nach Riga begeben und von dort zu York zu gelangen

1 Dieser französisch geschriebene Brief Paulucci's ist sehr lang und findet sich, in das Deutsche übertragen, bei Droyſen, „ Das Leben des Feldmarschalls Grafen York 2c.". 2 Das Schreiben Wittgenstein's an York ist nur in den von russischen Geschichtschreibern gebrachten Auszügen bekannt geworden.

22

3weites Kapitel.

suchen sollte. Von dem bereits seitens Paulucci's bei dem lettern gethanen Schritte wußte Wittgenstein nichts . ¹ Der preußische General hatte schon dem von Paulucci abgesandten Offizier keine mündliche Unterredung gewährt. Auch der General Repnin, welcher das gleiche Ansuchen ſtellte, wurde abschlägig beschieden.. York befürchtete , bei Macdonald Argwohn zu erregen . Nachdem er aber mehrere Tage gezögert oder vielmehr vergeblich auf den Eingang von Verhaltungsbefehlen aus Potsdam gewartet, welche er auf seine durch den Rittmeister Brandenburg dahin überschickte Depesche zu empfangen hoffte , antwortete er zuerst Paulucci, dann Wittgenstein.2 Obwol kurz und reservirt gehalten, ging doch aus York's Briefen hervor, daß er mit den russischen Generalen in fernern Beziehungen zu bleiben wünschte; daß er den Untergang der französischen Armee wol für wahrscheinlich, aber noch nicht für so sicher hielt, als jene meinten, und daß er nichts ohne Befehl oder Zustimmung des Königs thun wollte. Mit dieser leztern Erklärung blieb York einem ihm zur Lebensregel gewordenen Grundsaße treu. Kein anderer, dachte er, kann besser wissen, was dem Staate frommt und nuht, als der Monarch und seine Räthe ; eine Meinung, welche vor und nach York allgemein als Lehre gegolten, mit welcher manche Schwächen und Verräthereien Deckung gefunden. Aber gerade diesem eifrigen Patrioten sollte es beschieden sein, von jener Lehre ſich loszusagen zum größten Ruhme und höchſten Glück seines Königs und seines Vaterlandes. Der lehte dieser beiden Briefe, in dem sich York, ſeinen Worten nach, gegen eine selbstwillige oder übereilte Handlung (une action emancipée ou prématurée 3) erklärte , war vom 26. Nov. datirt. Am 27. kam es zwischen Macdonald und ihm zu dem obenerwähnten Bruche. Am nächsten Tage

1 Bogdanowitsch, Generalmajor, „ Geſchichte des Feldzuges im Jahre 1812 2c.". Aus dem Ruſſiſchen von Baumgarten. (Leipzig 1863. ) 2 Droysen,,,Das Leben des Feldmarschalls Grafen York“. 3 Diese Briefe waren franzöſiſch geschrieben.

York's Depeschen an den König.

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ließ er die Meldung von diesem schwer wiegenden Vorfalle nach Potsdam abgehen. Aber bereits zwei Tage später nahm York daraus Veranlassung, den König von Preußen auf den Weg hinzuleiten, welchen er ihm mit der dem Rittmeiſter Brandenburg anvertrauten Depesche angebahnt hatte. Als Mensch und König nährte Friedrich Wilhelm einen ge heimen , unversöhnlichen und gerechten Haß gegen Napoleon. Aus ſeiner Erniedrigung sich zu erheben, war sein ganzes Streben. Aber ängstlich und unentschlossen, das militärische Talent und die Gewaltacte Napoleon's , welcher schon mehr als einmal bis zum Verbrechen gegangen , fürchtend , konnte der König, welchem der ebenso unentschiedene Freiherr v. Hardenberg als Hauptminiſter zur Seite stand, bei seiner fortwährend bewegten Gemüthsſtimmung zu keinem Entſchluſſe gelangen und hätte den Moment zur Vergeltung sich entschlüpfen lassen. York wußte dies . Aus den ihm fortlaufend zugehenden russischen Bulletins ersah er, mochten sie auch vieles übertreiben, daß die Aussichten für Preußens Befreiung sich immer günſtiger gestalteten. Seiner Ansicht nach mußte man den König auf die, wie es schien, sich überstürzenden Ereignisse nachdrücklich aufmerksam machen und ihn wenigstens sozusagen zum Anfange eines Entschlusses bewegen. Sollte Preußen nächstens von dem verderblichen Bündnisse mit Napoleon zurücktreten, so mußte man in Aussicht auf dieſe große Veränderung die nöthigen Dispositionen zu treffen sich beeilen . Sollte es aber im Gegentheil bei jener Allianz beharren , so war es unnüt, wo nicht gar gefährlich , wenn York ferner Beziehungen zu den feindlichen Generalen unterhielt. Von solchen Gedanken geleitet, entsendete er am 30. Nov einen seiner Adjutanten, den Hauptmann Schack, nach Potsdam, um dem Könige zwei Depeschen zu überbringen . Der genannte Offizier kannte wol den Inhalt der einen, aber nicht den der andern. Diese enthielt die zwischen York , Wittgenstein und Paulucci gepflogene Correspondenz und die von leßterm eingegangenen. Bulletins , erstere aber einen Bericht, in welchem der preußische General seine Mishelligkeiten und sein Zerwürfniß mit Macdonald in ihren Einzelheiten schilderte und in aller Form um

Zweites Kapitel.

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die Abberufung von seinem Commando nachsuchte. Der Hauptmann Schack hatte insbesondere den Auftrag, auf die Gewährung der obengedachten Bitte so viel als möglich hinzuwirken . York wies also den König darauf hin, wie äußerst wichtig seiner Ansicht nach die Ereignisse wären , und daß man sich auf dem äußersten Punkte befände, wenn man Vortheile aus denselben zu ziehen in der Lage sein wolle. Er gab ihm gleichzeitig ein leichtes und discretes Mittel an die Hand, entweder dem Eifer eines treu ergebenen Dieners Schranken zu sehen oder ihn zu ermuthigen. Der König konnte demzufolge seiner Willensmeinung hinlänglich Ausdruck geben , indem er einesfalls die Dimiſſion York's genehmigte oder andernfalls dieſelbe zurückwies . Bald darauf fand sich aber York durch die nämlichen Umstände in die Lage versezt, dem Könige ohne Umschweise und Zurückhaltung ſeine Rathſchläge und dringenden Bitten unterbreiten zu müſſen . Am 5. Dec. war ihm aus den ruſſiſchen , Bulletins der Uebergang über die Beresina bekannt. Er war überzeugt, daß das jetzt schon unermeßliche Misgeschick der französischen Armee mit raschem Laufe der weitern Erfüllung entgegengehe und daß lettere in wenigen Tagen nicht mehr eriſtiren werde. Mit jenen Nachrichten war ihm überdies noch eine geheime Botschaft von Paulucci zugegangen. Diesmal sprach der Gouverneur von Riga nicht mehr nur in seinem Namen . Wie er versicherte, hatte er vom Kaiser Alexander Vollmacht und Instructionen erhalten, um mit Preußen zu unterhandeln, wenn dasselbe der Allianz mit Napoleon entsagen wolle. Indem er York davon unterrichtete, theilte er ihm auch die Verheißungen mit , welche der Zar in diesem Falle gegen Preußen einzugehen bereit war. 1 Auf diese Nachrichten hin war es York klar , daß nun die Stunde gekommen, in welcher sein Land einen Entschluß und zwar einen definitiven faſſen müſſe. Er forderte einen solchen, York schrieb dem Könige : Die Ehre, das Wohl des Vater-

1 Seydlik,

Tagebuch :c.“.

York drängt zur Entscheidung.

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landes und des Hauses Hohenzollern erfordern die schnellste Entscheidung . Jeder Aufschub kann verderblich sein. Napoleon kann von einem Augenblick zum andern eine rettende Ausflucht in einem Frieden mit Rußland suchen, welcher ebenso unver muthet wie der von Tilsit und gleichfalls auf Kosten Preußens abgeschlossen würde. Preis beschwören .

Man muß dieses höchſte Unglück um jeden

Diesem ebenso dringlich als respectvoll gehaltenen Schreiben schloß er die lettern so wichtigen Mittheilungen Paulucci's wie auch die neueſten russischen Bulletins bei , und vertraute diese geheimnißvolle Depesche seinem in Diensteifer und Discretion erprobten ersten Adjutanten, dem Major v. Seydlig an, einzigen Menschen auf der Welt, vor dem er kein Geheimniß hatte. 1 Seydlig reiste ab. Er hatte den ausdrücklichsten Befehl, alles anzuwenden, um vom Könige schnell entscheidende Instructionen zu erlangen. Paulucci, welcher von dieser Mission unterrichtet worden, fuhr nichtsdestoweniger fort , York zuzusehen, um ihn ohne weiteres Abwarten zum Handeln hinzureißen. Sein überaus großer Eifer konnte sich einem Aufschube nicht anbequemen. Es schlug ihm aber fehl. Der Anfang November bei York nur in losen Umrissen auftauchende CPlan hatte sich mit den Ereignissen weiter entwickelt und trat jet in bestimmter Gestalt hervor. Indem York auf Gefahr seines Glückes und Lebens hin Beziehungen mit den russischen Generalen anknüpfte , bezweckte er damit , in die Lage zu kommen, über Napoleon's Rückzug schnell Näheres erfahren und dem Könige mittheilen zu können ; die Umstände abzupaſſen , welche den Abbruch des französischen Bündnisses begünstigen möchten, und für dieſen Fall den König auf eine vollständige Umänderung seiner Politik vorzubereiten, um ihn

In einem Briefe an Paulucci nennt York den Major v. Seydlig „ ſeinen vertrauteſten Adjutanten“, und erwähnt im weitern Verlaufe, daß dieser der einzige sei , „ der sein ganzes Vertrauen in einer so delicaten Sache besitzt".

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Zweites Kapitel.

energisch dazu aufzufordern, wenn der rechte Augenblick gekommen , indem man auf seine gewöhnliche Unschlüssigkeit einen Druck ausübte. Zu gleicher Zeit hatte aber York die Absicht gehabt, eine sichere und bequeme Mittelsperson zwischen dem Zar und dem Könige zu sein. Aber eben so entschieden war er gegen jede Handlung, welche der Entschließung ſeines Monarchen vorgreifen oder hinderlich werden könnte. Nach seiner Denkart sollte das Zeichen zum Abwerfen des fremden Joches vom Könige und konnte einzig nur von ihm gegeben werden, denn dieſer allein vermochte die erforderlichen Maßregeln für einen Fall von solcher Tragweite zu ermeſſen und zu ergreifen. ,,Ein Schritt von meiner Seite“, schrieb er unterm 8. Dec. an Paulucci,,,würde den König aus seinen Staaten entfernen, alle Kräfte würden zersplittert werden, es würde kein Vereinigungspunkt mehr statthaben, mit Einem Worte, der Staat würde verloren sein.“ Während der preußische General seine Correspondenz mit Paulucci weiter führte und mit einer ganz patriotischen Ungeduld dem Empfange der Befehle seines Monarchen entgegenſah, überkam Macdonald plöglich tiefe Besorgniß. Auch ihm waren die russischen Bulletins nicht unbekannt geblieben , aus welchen York anfangs recht gut die Wahrscheinlichkeit und bald danach die Gewißheit von dem Untergange der französischen Armee ersehen, indem der Feind die Cantonnirungen des 10. Corps damit überschwemmte; doch hatten sie keinen Eindruck auf ihn gemacht. Hatte er doch in der That sowol von dem MajorGeneral der Großen Armee als auch vom Minister Maret Mittheilungen erhalten, welche gerade das Gegentheil besagten. Einer wie der andere meldeten nur Erfolge und Siege; Nachrichten, an deren Wahrheit Macdonald nicht zweifeln zu dürfen glaubte. Auf Grund der von Napoleon inspirirten Versicherung Maret's lebte Macdonald ja noch in dem Wahne, daß Wittgenſtein und Tschitschagow an der Beresina vernichtet worden, als ein unvorhergeſehener Zwischenfall ihn plößlich aus seiner Zuversicht und Ruhe aufrütteln sollte. York hatte einen intelligenten, ſtrebſamen und zuverläſſigen Offizier, den Lieutenant v. Canih, nach Wilna gesandt , mit

Cani ' Sendung nach Wilna.

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dem oftenſibeln Auftrage , dem dasigen preußischen Gesandten, General v. Krusemark, einen Bericht wegen der mit Macdonald gehabten Mishelligkeiten zu überbringen, aber eigentlich mit der geheimen Weisung, die dortigen Vorgänge zu beobachten und so viel als möglich über die Lage der französischen Armee sich zu erkundigen. Am 3. Dec. von Mitau , dem Hauptquartier York's , abgegangen, kehrte Canik am 8. wieder dahin zurück, nachdem er am 6. abends Wilna verlassen. Schon kamen die flinkſten und am meisten vom Schrecken gejagten Flüchtlinge hier an. Er hatte ihre ausgehungerten, zerlumpten und verkommenen Banden sich in die Stadt wälzen sehen und von ihnen vernommen, daß ,, Erschöpfung und Elend alles zu Grunde gerichtet, daß es eine Armee nicht mehr gäbe“ („ que la fatigue et la misère avaient tout abîmé, qu'il n'y avait plus d'armée" ) . ¹ Er hatte von der Flucht Napoleon's gehört und ferner erfahren , daß Maret nach Warschau abzugehen im Begriffe stehe und die fremden Diplomaten, welche seit so langer Zeit bei ihm in Wilna residirt , schon abreisten , um noch vor ihm nach der Hauptstadt des polnischen Großherzogthums zu eilen. Canig war Augenzeuge der Bestürzung in den hohen Kreisen und der allgemeinen Verwirrung gewesen , was eine außerordentliche und verzweifelte Lage bekundete. Er berichtete York von diesen Thatsachen, Aussagen und Nachrichten, welche mit den russischen Bulletins so gut übereinstimmten , und schilderte mit den wenigen Worten die Situation : " Es ward mir klar, daß es dem General York binnen kurzem sehr gleichgültig ſein kann, ob Macdonald und ob der Kaiſer mit ihm zufrieden ſei oder nicht.“ Zudem überbrachte Canih ein Schreiben des Generals Kruſemark an York, deſſen Schluß, seiner ängstlichen Reserve ungeachtet, doch hinreichend war, um den tiefen Ernſt der Lage zu offenbaren.2

1 Canit' Bericht über seine Reise nach Wilna. In demselben sind die obenangeführten Worte französisch geschrieben. 2 Der Schluß dieſes vom 6. Dec. datirten Schreibens lautet: „ Ich reise daher noch heute von Wilna ab. Gern wäre ich hier geblieben, um

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Zweites Kapitel.

York verpflichtete Canih ausdrücklich, von dem, was er in Wilna erfahren, mit niemand zu sprechen , außer mit dem ihm unterstehenden General Kleist und seinem Generalstabschef. Dagegen theilte er das Wesentliche von dem eben Vernommenen sofort Macdonald mit und ließ ihm gleichzeitig Vorstellungen machen, das 10. Corps doch gegen den Niemen zu repliiren. Der Entschließung seines Monarchen entgegensehend, wollte er mit seinen Preußen nicht erponirt bleiben, um dann geſchlagen, umzingelt und gefangen zu werden. Denn der Sieger behandelt den Besiegten gerade nicht rücksichtsvoll. Macdonald nahm jene Mittheilungen York's mit Gleichgültigkeit auf und meinte sie nur für ,,Absurditäten" halten zu müssen. Doch waren sie in seinem Innern nicht ohne Eindruck geblieben, sodaß er als ihm in den nächsten zwei Tagen weder von Maret noch vom Major- General Nachrichten zugingen — an den erstern , welchen er noch in Wilna glaubte , einen von seiner Unruhe zeugenden Brief schrieb, in dem er dringend um Mittheilung bat über die Vorgänge auf jener Seite und „ über die Stellungen, welche die Armee zu beziehen im Begriffe ſtehe“.¹

vieles mit eigenen Augen zu ſehen, ich glaube aber, daß gerade hierzu man feines fremden Zuschauers bedarf. ,,Von der allgemeinen Lage der Dinge und dem Zustande der zurückkehrenden Armee erlaube ich mir nichts mehr zu sagen, als daß alles eine so wunderbare Wendung genommen, wie es die lebhafteſte Einbildungkraft wol nicht erwarten konnte. Ich habe dem Lieutenant Canitz alle mögliche mündliche Auskunft gegeben, ihn aber sehr gebeten, solche nur Ew. Exc. zur Kenntniß zu bringen. Was alles noch geschehen wird, weiß Gott allein. " 1 Dieser aus Stalgen, 10. Dec , datirte Brief wurde von den Ruffen aufgefangen. Derselbe fing folgendermaßen an : „ Da Sie mir keine Nachrichten zukommen lassen , muß ich mir solche holen“, und schloß mit den Worten : ,,Im Namen Gottes, mein theurer Herzog, schreiben Sie mir ein Wort, damit ich weiß , was für Stellungen man zu beziehen im Begriffe steht." Dieser ganze Brief ist in Clausewitz' Geschichte des Feldzuges in Rußland zu finden. (S. „ Der Feldzug von 1812 in Rußland. " Hinterlassene Werke des Generals Karl von Clausewitz, Band VII.)

Macdonald's Unschlüssigkeit.

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Seine Besorgniß stieg mit dem Andauern des officiellen Stillschweigens. Er schickte deshalb alsbald ſeinen Generalſtabschef ab, um Napoleon's Hauptquartier aufzusuchen und Befehle für das 10. Corps einzuholen. Um aber für alles beſſer vorbereitet zu sein, zog er seinen rechten Flügel, welcher sich an die Düna lehnte, an die Aa nach Bauske zurück, während der linke bei Mitau stehen blieb. Gerade als diese Bewegung ausgeführt wurde, theilte York dem Marschall mit, daß er aus Tilsit Berichte von dem dortigen Bezirkscommandanten und einem andern preußischen Staatsbeamten erhalten, welche die Rückkehr der Ueberreste der Großen Armee auf preußischen Boden und das Erscheinen von Kosackenabtheilungen auf dem linken Niemenufer bei Georgenburg meldeten. York benutte diese Gelegenheit, um Macdonald von neuem auf die Nothwendigkeit des Rückzuges nach dem Niemen hinzuweisen. Doch ließ sich dieser , trok seiner Besorgniſſe, nicht von der Meinung abbringen, daß er zur Ausführung einer solchen Bewegung den bezüglichen Befehl abwarten müsse . Er konnte sich nicht dazu bequemen, an den Untergang der französischen Armee zu glauben, was ihm insofern unmöglich schien, als Napoleon im Falle eines solchen Misgeschickes das 10. Corps zu Hülfe gerufen und ihn überhaupt nicht ohne Inſtruction und Nachrichten in einer iſolirten und äußerst bedrohten Stellung auf 60 Lieues vorwärts vom Niemen ſtehen gelassen haben würde. York war nicht weniger unruhig als der Marschall. Er wollte, ſei hier wiederholt, nicht als Besiegter oder Gefangener im russischen Lager erscheinen . Er beklagte aufrichtig die blinde Versessenheit seines Obercommandanten. Nachdem er endlich von einem preußischen Kriegscommissar die sichere Nachricht erhalten, daß Kosackenabtheilungen von Wittgenstein's Armee bei Rossiena und Worny (zwei Orten, von denen der eine etwas links , der andere etwas rechts von der mitau - tilsiter Straße gelegen, und beide an 20 Lieues von letterer Stadt entfernt) sich gezeigt, entschloß er sich zu einem noch directern Schritte, um Macdonald die Augen zu öffnen . Er schrieb ihm und machte ihn mit jener wichtigen Nachricht bekannt, durch welche das schon

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früher Mitgetheilte Bestätigung fand, und gab ihm unverhohlen den Rath, die Antretung des Rückzuges zu beschleunigen. Dieses am 17. Dec. 超 abends von Mitau abgefertigte Schreiben erreichte am 18. gegen 1 Uhr morgens Macdonald's Hauptquartier in Stalgen. Doch war der in ſelbem enthaltene Rathschlag bereits überflüssig geworden. Eine Viertelſtunde vorher hatte der Marschall die Depesche empfangen , welche Berthier aus Wilna an ihn richtete und deren wir bereits im 1 ersten Kapitel erwähnten. Wie man sich erinnern wird, befahl er ihm, so langsam als möglich sich auf Tilsit zurückzuziehen, ließ aber über die hereingebrochene Katastrophe nichts ver-. Iauten. Ungeachtet des Befehls, welcher ganz zur Unzeit Langsamkeit vorschrieb, und troß des ebenso unzeitigen Stillschweigens über den Untergang der Armee war diese Depesche dennoch von hoher Wichtigkeit, denn sie lieferte Macdonald wenigstens den Beweis, daß alles, wie wir oben gesehen, von Wilna nach Kowno retirire. Ueberdies war sie in drei Eremplaren ausgefertigt worden. Doch dem war noch nicht genug. Von den drei Kurieren erreichte nur einer den Bestimmungsort , und zwar hatte er neun Tage zu der Reise gebraucht, welche sonst in wenigstens 36 Stunden zurückgelegt werden konnte. 3 Der Ueberbringer der Depesche war ein preußischer Major, den seine gerade damals erfolgte Versehung zufällig nach Wilna geführt und der sei es in böser Absicht oder aus Bequemlichkeit oder Aengstlichkeit nicht nur einen großen Umweg über Ollita und Tilsit genommen, sondern zudem mit einer unerhörten Langsamkeit gereiſt war. Eben als Macdonald York's Schreiben beantwortete und ihm die Befehle des Major- Generals mittheilte, ging ihm eine

1 Schreiben Macdonald's an York, Stalgen, 18. Dec. , 1 Uhr morg. 2 Schreiben des Major- Generals Berthier an Macdonald , Königsberg, 23. Dec. 3 Der Lieutenant v. Caniß hatte den Weg in 34 Stunden, und zwar über Kowno, zurückgelegt. ( S. ,,Reise nach Wilna" von dem Lieutenant Frhrn. v. Canitz, in Droysen,,,Leben des Feldmarschalls Grafen York".

Macdonald's Rückzug.

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zweite Depesche des letztern zu. Es war die, welche Berthier beim Abgange von Kowno geschrieben und deren ebenfalls bereits oben gedacht wurde. Obwol weniger langsam als die erste befördert, kam sie dennoch nicht gerade schnell an den Bestimmungsort. Durch dieselbe erhielt , der Marschall endlich Kenntniß von dem Untergange der Armee und von der Unmöglichkeit, deren Ueberreste eher als an der Weichsel sammeln zu können, womit der Befehl verbunden war , das 10. Corps so schnell als möglich nach Tilſit und von da an den Pregel nach Wehlau zurückzuführen . Was Macdonald immer für unmöglich gehalten, war also

geschehen. Napoleon hatte in seinem Unglück weder daran gedacht , ihn zur Hülfe herbeizurufen, noch ihm auch nur unter ſo ſchrecklichen Umständen die allernothwendigsten Befehle zukommen zu laſſen. Murat hatte erst daran gedacht, nachdem er bereits seit vier Tagen den Oberbefehl übernommen , und zu den Nachtheilen dieser Vergeßlichkeit noch den Fehler begangen, sich nicht der raſchen Beförderung jener Ordre, welche ihm endlich die Noth abgezwungen, zu versichern. Macdonald's Lage war eine äußerst kritische . Er mußte befürchten und besorgte auch , seine Rückzugslinie von einer ganzen Armee abgeschnitten und sein Durchschlagen mislingen zu sehen, da ihm nur wenig über 22000 Combattanten ver blieben, von denen überdies zwei Drittheile Preußen waren, Preußen, deren Haß durch die fortwährenden Berichte der russischen Bulletins um so mehr angefacht worden , und welche ein General befehligte, dessen Person der Gegenstand großen Mis· trauens war. Dessenungeachtet verlor Macdonald als herzhafter Mann nicht den Kopf und ertheilte sofort, ohne seine Besorgniß merken zu laſſen, den Befehl zum ungeſäumten Rückzuge. Noch im Laufe des 18. Dec. ließ er seinen schweren Train nach Memel aufbrechen und stradirte seinen rechten Flügel — die • Division Grandjean und 8 preußische Escadronen - auf die Straße nach Tilsit. Die erwähnte Division zählte damals noch über 8000 Mann , von denen bekanntlich zwei Drittheile Polen waren. Am 19. brach Macdonald, noch einige Stunden

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-vor Tagesanbruch, mit seinem Centrum 3500 Preußen unter General Massenbach in der gleichen Richtung, wie Grandjean, auf und marſchirte bis Elley , während lezterer auf die Entfernung eines Marsches weiter vorwärts bivuakirte. Am 20. abends verließ endlich auch York, nachdem er seine Cantonnirungen in aller Stille aufgehoben, mit den übrigen 9-10000 Mann Preußen Mitau , rückte in der Nacht auf der tilsiter Straße nach Kalwe und erreichte nach einem zweiten Nachtmarsche Meszkucz . So bewegte sich also das Corps in drei Echelons getheilt auf einer und derselben Straße , das zweite auf einen Tagemarsch vom ersten und das dritte vom zweiten ebenfalls auf gleiche Diſtanz entfernt. Als York am 23. Schawli paſſirt hatte , ereilte ihn eine Ordre Macdonald's , der zufolge er seine Truppen in zwei .Colonnen theilte, welche beide nach Tauroggen marſchiren ſollten , und zwar die eine über Podubiecz , Kelm und Nimokſty, die andere über Wenghowa und Koltiniany. Grandjean hatte bereits den erstern dieser beiden Wege eingeschlagen , während Massenbach, bei welchem auch Macdonald, den andern verfolgte. Der Marschall hatte damals die Absicht, sein Armeecorps bei Tauroggen zu vereinigen, um dann von dort aus mit ganzer Macht auf Tilsit zu rücken und hier den Durchzug zu erzwingen , wenn die Ruſſen bereits im Besize dieses Punktes ſich befinden sollten. Er hatte das Corps in vier Colonnen getheilt, um einerseits das Bivuakiren in der mörderischen Kälte eher zu vermeiden und andererseits den Marsch möglichst zu beschleunigen. So strebte das 10. Corps dem ihm von seinem Chef bezeichneten Sammelpunkte zu. Eine Kälte von 20-24 ° R., das auf und absteigende Terrain , über welchem eine dicke und glatte Schneedecke lagerte, dazu die zahlreiche Artillerie, eine Menge von Wagen und Schlitten , von denen die einen jeden Augenblick die erſtarrten und ermatteten Leute aufnehmen mußten, während die andern beim Aufbruche mit den allernothwendigsten Lebensmitteln , deren man beim Marſche durch dieſen armen und ausgesogenen Landstrich bedurfte, beladen worden waren - alles dies erschwerte das Fortkommen und

Macdonald's Rückzug.

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zog die Märsche in die Länge. Vor Tagesanbruch angetreten, dauerten leßtere bis zum Einbruche der Dunkelheit oder gar bis in die Nacht hinein. Während das Auge über die Gegend schweifte und das Ohr dem Geräusche lauschte, marſchirte man in der spannenden Erwartung, jeden Augenblick Wittgenstein's Armee erscheinen zu sehen, welche zurückzuwerfen man sich nicht gerade im Stande fühlte , wenn dieselbe so stark wäre, wie manche Berichte besagten. Obwol fortwährend beunruhigt und tief bekümmert , aber doch nicht außer Fassung, schrieb Macdonald an Berthier, daß er auf dem Marsche begriffen . Er wies ihn auf die Gefahren. seines Rückzuges hin , gab seinem Mistrauen hinsichtlich der preußischen Truppen Ausdruck und beklagte das lange Vergessen seines Corps, welches Napoleon so nüglich, der Großen Armee ein Stüßpunkt, und vor der Räumung von Kowno an ihrer Seite hätte sein können , und schloß mit der Um das 10. Corps zu retten , werde festen Zusicherung : ich alles thun, was die Ehre gebietet und die Pflicht als das überhaupt Mögliche erheischt ; ich werde mehr thun .” Die verschiedenen Colonnen begegneten auf ihrem Marsche hin und wieder Kosackenabtheilungen und selbst Patrouillen regulärer Reiterei . Man nahm ihnen einige Gefangene ab, welche aussagten , daß sie einem von der Wittgenstein'ſchen Armee detachirten leichten Corps angehörten, das im Heranrücken begriffen sei, um Macdonald den Rückzug abzuschneiden. Diese Nachricht bestimmte leßtern, am 24. Dec. York den Befehl zu überschicken, ſeine beiden Colonnen wieder in eine zu vereinigen und dann seinen Marsch nach Tauroggen über Koltiniany zu bewerstelligen. Wie der Marschall hinzufügte, beabfichtigte er, jedes Gefecht in so lange zu vermeiden, bis sich das 10. Corps bei Tauroggen wieder vereinigt und erholt haben würde. Aber fast gleichzeitig gab er seinen Plan zu einer Vereinigung dort wieder auf, um durch eine neue Ordre dem preußischen General und Grandjean Tilsit als Sammelpunkt zu bezeichnen. Grandjean rückte demzufolge von Tauroggen weiter und 3 Charras, 1813.

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war am

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26.

Dec.

nur

noch

einen halben

Marsch

von

Tilsit entfernt, als seine Reiterei auf russische Truppen stieß, welche ihr den Weg zu verlegen Miene machten . Diese Reiterei bestand, wie oben erwähnt , ausschließlich aus Preußen. Nichtsdestoweniger griff sie den Feind tapfer an, warf ihn, sprengte ein Dragonerregiment auseinander, nahm von zwei Bataillonen die Hälfte gefangen und eroberte ein Geschüß . Da den Be siegten aber von Tilsit her Verstärkungen zu Hülfe kamen, befürchtete Grandjean , diese Stadt sehr stark besetzt zu finden . Er machte deshalb halt , um erst seine ganze Diviſion zu vereinigen, ehe er weiter vordrang . Nachdem er lange hatte warten müſſen, rückte er noch in der Nacht gegen Tilsit heran, welches die Russen bereits verlassen, um am linken Niemenufer aufwärts gegen Ragnit abzumarschiren. Am 27. Dec. sette er eine Abtheilung Infanterie mit einiger Cavalerie gegen dieses Städtchen in Marsch, wobei die lettere nochmals den russischen Nachtrab über den Haufen warf. Am nächsten Morgen kam auch Macdonald mit der Colonne Massenbach's in Tilsit an , nachdem er einen ziemlich weiten Umweg über Wainuth und Coadjuten gemacht. Die Aussagen der Gefangenen und Landesbewohner wie die eingehenden Rapporte ließen die Situation so ziemlich überſehen . Die Straße von Tilſit nach Königsberg war noch frei, ebenso der Landſtrich jenſeit derselben gegen die See hin. Die russischen Truppen , denen Grandjean's preußische Cavalerie in den lezten Tagen so übel mitgespielt , gehörten einem von der Wittgenstein'schen Armee entsendeten Corps an. Vom Generalmajor Kutuſow befehligt und erst kürzlich durch ein Detachement unter General Wlastow verstärkt, mochte dasselbe 4-5000 Mann stark sein. Es war am 21. Dec. in Tilsit eingerückt und hatte die Stadt bis zu Grandjean's Erscheinen besett gehalten. Außerdem war noch ein anderes , aber bei weitem schwächeres Corps von der Armee Wittgenstein's detachirt worden, welches unter der Führung des Generalmajors Diebitsch den Landstrich gegen Tauroggen und weiter hinaus durchſtreifte. Dessen Patrouillen waren es, denen man in den ersten Tagen des Rückzuges begegnete. Die Wittgenstein'sche Armee selbst,

York's Marsch.

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welche zu dieser Zeit nicht über 30000 Mann geschäßt wurde, stand in der Gegend vvn Georgenburg (drei Märsche aufwärts von Tilsit) am rechten Ufer des Niemen. Diese Nachrichten und die eben von der preußischen Cavalerie gegen die Russen bewiesene Tapferkeit waren dazu angethan , Selbſtvertrauen einzuflößen , und York's baldiges Eintreffen vorausgeseßt, war man im Stande, der Armee Wittgenstein's bei ihrem Vorrücken hinlänglichen Widerstand leisten zu können. Kam aber York und kam er überhaupt bald ? Macdonald hegte damals in dieser Beziehung keinen Zweifel , denn als er dem Major-General Berthier schrieb und ihm seine Ankunft mit der einen Hälfte des 10. Corps in Tilsit meldete, fügte er hinzu, daß der andere von York geführte Theil noch am 28. Dec. abends oder allerspätestens am nächsten Tage bestimmt zu ihm stoßen würde.

Allein sowol dieser Abend als auch der folgende Tag vergingen, ohne daß der preußische General gekommen oder auch nur etwas hatte von sich hören lassen. Tiefe Besorgniß überfiel jest Macdonald. Er war zu weit gegangen, als er Berthier die Ankunft York's für so bestimmt meldete. Weit davon entfernt, deſſen gewiß zu sein, war er überhaupt schon seit mehrern Tagen ohne alle Kenntniß davon, wo sich der preußische General befand, was er machte und ob ihm insbesondere die Ordre zu: gegangen, vermittels welcher Tilsit , anstatt wie ursprünglich Tauroggen, als Sammelpunkt für das 10. Corps bezeichnet wurde. Seit der Absendung dieses Befehls waren alle weitern Versuche zur Communication mit York misglückt. Um ihn aufzusuchen, waren Cavalerietrupps, einzelne zuverlässige Leute und Spione abgeschickt worden, doch hatten dieselben entweder, durch die Kosacken verhindert, nicht passiren können, oder waren nicht mehr zurückgekommen . In der That hatte York die Ordre wegen des Marsches auf Tilsit nicht empfangen. Hätte er sie aber auch erhalten,. so würde er doch ebenso wenig auf dem Sammelpunkte eingetroffen sein, wo ihn Macdonald in so großer Unruhe erwartete. In Verfolg des obenerwähnten Befehls wegen Wiederver3*

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Zweites Kapitel.

einigung der zwei Colonnen in eine, hatte sich York mit der stärkern von beiden am 25. Dec. von Kelm nach Kolti: niany in Marsch gesetzt , wo sich der General Kleist mit der andern von Wenghowa aufgebrochenen Colonne am selben Tage mit ihm vereinigen sollte. Kleist, welcher voranmarschirte , befand sich eben in einem engen Thale , nur noch eine Lieue von Koltiniany , als seine Avantgarde plöglich auf eine ziemlich stark ſcheinende Abtheilung russischer Cavalerie stieß , welche mit Geschütz und einiger Infanterie auf den nächstgelegenen Höhen Stellung genommen . Mit dem schwerfälligen Gewirre von mehrern hundert Wagen und Schlitten im Gefolge hatte Kleist's Colonne - in dieſem Moment eine Länge von mehr als einer Lieue. Nach einer kurzen Recognoscirung hielt er es wie versichert wird ¹ für unmöglich, sich durchzuschlagen. Diese Behauptung scheint indessen auf schwachen Füßen zu stehen. Wie dem aber auch ſei, Kleiſt empfing den von feindlicher . Seite eintreffenden Parlamentär und erfuhr dadurch , daß er dem General Diebitsch mit dem von der Wittgenstein'schen Armee detachirten Corps gegenüberstand , welchem man bereits einige Gefangene abgenommen hatte . Diebitsch ließ ihn zur einer Unterredung einladen , um sich gegenseitig zu verständigen und ein, wie er meinte, unnüßes Blutvergießen zu vermeiden . Kleist ging auf diesen Vorschlag nicht ein, indem er sich darauf berief, daß er unter des Generals York Befehlen stehe und ohne diesen nichts beschließen könne. Dagegen suchte er um die Einstellung der Feindseligkeiten bis zur Ankunft seines Chefs , welchen er. in einigen Stunden erwartete, nach, was ihm von Diebitsch bereitwilligst zugestanden wurde. Von dem hier Vorgefallenen in Kenntniß gesezt , säumte York nicht, an Ort und Stelle zu erscheinen. Gleichwie Kleist, hatte er einen schwerfälligen Train im Gefolge , weshalb seine Arrièregarde noch sehr weit zurück war.2

1 Seydlitz,,,Tagebuch 2c." 2 Mit Berufung auf das im folgenden Februar von York an den König gerichtete Rechtfertigungs -Mémoire sagt Seydlitz in seinem ,,Tage-

York's Unterhandlungen mit Diebitsch.

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Diebitsch war nicht allein der Commandant eines mehr oder weniger starken oder schwachen Corps , welches dem preußischen General den Weg verlegte, sondern er war auch, was zu beachten, Wittgenstein's Generalquartiermeister, der Mann seines ganzen Vertrauens und die Seele seiner Beschlüsse . Preuße von Geburt, war er aus dem Cadettenhauſe in russische Dienste getreten, wo ihm ein rasches , wohlverdientes Avancement zutheil wurde. Seine Stellung und Herkunft, für welche lettere er stets eine treue Erinnerung bewahrte, ließen ihn unter den jeßigen Umständen eine sehr wichtige Persönlichkeit für York ſein, mit welcher eine Unterredung zu pflegen für dieſen von überaus großem Interesse sein mußte. York beeilte sich daher, Diebitsch, welcher um diese Zuſam menkunft gebeten, mittheilen zu laſſen, daß er darauf eingehe. Bei Einbruch der Nacht kamen die beiden Generale zwischen den Vorposten zusammen. Mit Benutzung der Terraingeſtaltung hatte Diebitsch seine Truppen derart aufgestellt, daß man deren Stärke von preußischer Seite aus nicht übersehen konnte. Nichtsdestoweniger geſtand er York schon bei den ersten Worten ohne alle Umschweife , daß er nur 1400 Mann bei sich habe¹, und von jeder Verſtärkung zu weit entfernt ſei, als daß

buch 2c.“, daß dieſe Arrièregarde im Verlaufe des Tages von Truppen der aus Riga kommenden Diviſion des Generals Lewis angegriffen worden. Diese Angabe scheint aber mehr als zweifelhaft , denn drei Tage später war dieselbe Diviſion, welcher doch das Schnellmarschiren sehr angelegen sein mußte, noch auf mehr als 12 Lienes in gerader Linie von York entfernt. (Vergleiche Bogdanowitsch,,, Geschichte des Feldzuges im Jahre 1812“, ein Werk, welches auf Grund amtlicher Berichte genaue Angaben über die Truppenbewegungen enthält.) Uebrigens erwähnt auch Clausewitz, ein Augenzeuge, ausdrücklich , daß die Division Lewis am 26. Dec. noch auf mehrere Märsche hinter York zurück war. (Clausewitz,,,Der Feldzug von 1812 in Rußland".) 1 ,,Er war edel genug , um ihm ganz ehrlich zu sagen , was er habe und nicht habe - er fügte hinzu, daß er nicht daran denken könnte, ihm den Weg wirklich zu versperren, daß er aber allerdings alles Mögliche thun würde, ihm seinen Train, seine Artilleriefahrzeuge und einen Theil seiner Artillerie abzunehmen.“ (Clausewitz, „ Der Feldzug von 1812 in Rußland".)

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er ernstlich daran denken könne, ihm den Weg zu verlegen. Aber , sagte er weiter , ich werde alles Mögliche thun, Ihnen Ihren Train und vielleicht einen Theil Ihrer Artillerie abzunehmen. Ein solcher Versuch hatte zwar, wie nicht zu leugnen, Aussicht auf Erfolg ; doch weder seine Androhung noch Ausführung hätten auf einen Soldaten von York's Charakter Eindruck machen können. Diebitsch suchte denn auch sehr bald das Gespräch auf ein anderes Gebiet zu lenken. Als Augenzeuge erzählte er von Napoleon's verzweifelter Lage an der Beresina und von der gänzlichen Vernichtung der französischen Armee ; sette ihm, jedenfalls nicht ohne Uebertreibung , die Stärke des russischen Heeres auseinander und zeigte endlich York — was die Hauptsache bei der Zuſammenkunft die jüngst erflossenen Instructionen, mit welchen der Zar den russischen Generalen neue Vorschriften hinsichtlich ihres Verhaltens gegen die Preußen ertheilte. Der Zar befahl wie York mit eigenen Augen Lesen konnte , daß diese nicht mehr als Feinde, sondern wie alte Freunde behandelt werden sollten, mit welchen man sich aller Wahrscheinlichkeit nach bald wieder aussöhnen würde, und daß jedes freundschaftliche Abkommen, welches dieselben wünschen fönnten, mit ihnen zu treffen sei. Diebitsch machte demzufolge York den Vorschlag zum Abschlusse einer Neutralitätsconvention. Der preußische General ging zwar nicht darauf ein , traf aber in gewandter Weise ein Abkommen , welches ihm ohne Kampf und ohne Beunruhigung , ganz nach seinem Willen, . Raum und Zeit zu gewinnen ermöglichte. Indem er Raum , während Grenze vaterländischen der sich er gewann , näherte ihm innerhalb der gewonnenen Zeit die Befehle ſeines Monarchen zugehen konnten. Und sollte er diese Befehle endlich empfangen ? In dieser Hinsicht hegte er zwar nur wenig Hoffnung, glaubte aber noch sich so verhalten zu müſſen , als ob er jenen zuversichtlich entgegensähe. Aber schon fühlte er sich zu dem Entſchluſſe hingedrängt, wenn das Stillschweigen des Königs fortdauern ſollte, nur noch seinen Patriotismus , feine Entschlossenheit und die

Fortgang der Unterhandlungen.

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Lage der Dinge, welche die von Diebitsch gemachten Eröffnungen so grell beleuchteteten, zu Rathe zu ziehen. Ein neues Schreiben von Paulucci sollte ihn nur noch mehr in seinem Beſchluſſe beſtärken. Dieser überschickte ihm ein ganz kürzlich erfloſſenes Schreiben¹ des Zaren , welches ihn ermächtigte, dem General York mündlich oder schriftlich zu erklären, daß Rußland geneigt ſei, mit dem Könige von Preußen, wenn er gemeinsame Sache mit ihm mache, einen Vertrag abzuschließen , in welchem es die Verpflichtung übernähme , nicht eher die Waffen niederzulegen, als bis es gelungen wäre, für PreuBen eine Gebietsvergrößerung durchzusehen, groß genug , um es unter den Mächten Europas die Stelle wieder einnehmen. zu lassen, die es vor dem Kriege von 1806 gehabt hatte." Dies war die officielle Bestätigung, schwarz auf weiß, der am 5. Dec. von Paulucci gemachten Eröffnungen , welche die entscheidende Ursache zur Sendung des Majors Seydlig nach Berlin wurden . Von diesem Augenblicke an machte sich York, kann man sagen, mit dem Gedanken ganz vertraut, nächstens zu dem zu schreiten , was er noch wenige Tage zuvor ,,eine selbstwillige Handlung" genannt. Doch wollte er den König auf ein solches Ereigniß vorbereiten. Er schrieb ihm : ,, . . . Seit zwei Tagen bin ich getrennt von Marschall Macdonald, ich glaube nicht, daß ich wieder zu ihm stoßen kann, und werde ich, im Fall ich auf ein russisches Corps stoße, bemüht sein, alles so zu leiten, daß ich Ew. Majestät Truppen conservire , die Ehre der Waffen nicht compromittirt wird. . . . Ich bin noch immer ohne Leitfaden, weder der Kapitän v. Schack noch der Major v. Seydlig sind zu mir gekommen , selbst von der Grenze habe ich seit acht Tagen gar keine Nachricht, meine Lage ist wahrlich sehr peinlich , da ich beim besten Willen fehlgreifen kann. Handle ich unrecht , so werde ich meinen alten Kopf ohne Murren zu Ew. Majestät Füßen legen ; und der Gedanke, mir vielleicht die Unzufriedenheit Ew. Majestät zuzuziehen , macht mich sehr unglücklich ...

¹ Das Schreiben war Petersburg den 6./18. Dec. datirt.

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Mit der Ueberbringung des beregten Schreibens nach Potsdam beauftragte York den königlichen Flügeladjutanten Major Grafen Henckel , welchem er gleichzeitig noch einen Bericht über solche Sachen, die man ohne Gefahr zu Papier bringen konnte, einhändigte, während er das, was Geheimniß bleiben sollte , deſſen Gedächtniß anvertraute , um es dem Könige zu wiederholen. Henckel nahm seinen Weg über Memel und die Kurische Nehrung , um desto sicherer Macdonald auszuweichen. Während er seinem Bestimmungsorte entgegeneilte , ſezte York, von Diebitsch vor und seitwärts begleitet, seinen Marsch fort und erreichte Tauroggen. Hier war er nur noch 10 Lieues von Tilſit entfernt, welches Macdonald beſeßt hatte. Die Ordre, welche ihn ebendahin berief, war ihm nicht zugegangen. Diebitsch hatte kein Vertrauen zu dem preußischen General faſſen können , welcher fortwährend unterhandelte und doch nie zu einem Beſchluſſe kam, dabei aber mehr und mehr dem Niemen sich näherte. Schon glaubte er sich hintergangen und wollte endlich das Gewebe dieses zögernden Wesens zerreißen, hinter welchem er Falschheit vermuthete. Er schickte daher den Oberstlieutenant Clausewitz mit einer Art Ultimatum an York. Clausewitz - ein Offizier von hervorragenden Fähigkeiten

und großer Tapferkeit , welcher später die classische Geschichte war ein Preuße. Bei der Kriege dieser Zeit schreiben sollte seinem aufstrebenden Geiſte, feurigem Herzen und entschlossenem Charakter hatte ihn der Haß gegen den Zwingherrn und Bedrücker seines Vaterlandes wie viele andere aus den Reihen der preußischen Armee unter die russischen Fahnen getrieben. Seit York's Zusammenkunft mit Diebitsch hatte er zu wiederholten malen den Vermittler zwischen den beiden Generalen gemacht, wobei ihm ersterer eine gute Aufnahme hatte zutheil werden lassen. Am 29. Dec. in der Abenddämmerung kam Clauſewiß im preußischen Hauptquartier an. Am selben Tage morgens war auch der Major Seydlig

1 Henckel von Donnersmarck, Graf, k. p. Generallieutenant,,,Erinnerungen aus meinem Leben“.

Der zweifelhafte Bescheid des Königs.

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dahin zurückgekehrt. Nachdem er acht Tage lang gewartet, war er am 21. Dec. von dem Könige in Abschiedsaudienz empfangen worden. 1 Der völlige Untergang des französischen Heeres war damals noch nicht am preußischen Hofe bekannt. Seydlig hatte Potsdam verlassen, ohne von dem Könige, trot alles Bittens und Drängens , eine Antwort auf York's Botſchaft , ohne einen Wink oder eine Instruction empfangen zu haben. Dagegen überbrachte er eine vom 20. Dec. datirte Cabinetsordre , welche dem General York das Militärgouvernement der Provinz Preußen von dem Tage an übertrug , an welchem er mit seinen Truppen dahin zurückkehren würde, was für eine Art von Billigung seines Verhaltens gelten konnte. Das war aber bei weitem noch keine förmliche Einwilligung und überhaupt keine Autorisation, um Macdonald zu verlassen und mit den Ruſſen einen Waffenstillstand oder eine Neutralitätsconvention abzuschließen. Alles , was Seydlig seinem General mittheilen konnte , war , daß der König entſchloſſen sei , das von Napoleon so vielfach verlegte Bündniß aufzuheben, sobald sich die andern politischen Verhältnisse des Staats nur erst näher aufgeklärt haben würden". 1 Indem Friedrich Wilhelm einem treu ergebenen Unterthan, welcher auf einer so gefährlichen Bahn wandelte, die Richtschnur seiner Handlungsweise zu bestimmen unterließ , versäumte er seine Regentenpflicht und handelte, muß man sagen, nicht redlich. Er ließ York sich mehr und mehr compromittiren , und behielt sich, je nach dem Verlaufe der Dinge, Gutheißung oder Misbilligung vor. York überſah indeſſen jene egoistische Berechnung , deren Gegenstand er war , und wollte nur in dem von Seydlig Mitgetheilten die gewöhnliche Unschlüssigkeit des Königs erblicken, der zwar immer eifrig den Moment abpaßte , um sich aus dem Unglücke aufzuraffen, aber vielleicht unfähig war, ihn zu benußen, wenn er nicht mit Gewalt dazu gedrängt wurde. York warf also nochmals einen Blick in militärischer und

1 S. Seydlik, „ Tagebuch 2c.“

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Zweites Kapitel.

politischer Beziehung auf die Lage Europas nach Napoleon's Unglück und gab dann seinem Herzen einen Stoß, um die bisher so respectirten Bande des paſſiven Gehorsams zu brechen. Jezt oder nie", sagte er zu seinem treuen Adjutanten,,,ist der Zeitpunkt, wo ein rascher Entschluß von Preußen der Politik von Europa eine andere Gestalt und dem Könige wie dem Vaterland ſeine Unabhängigkeit wieder geben kann.“ ¹ Und hatte der König diesen Entschluß noch nicht fassen können , so war er entschieden, für ihn den Muth zu haben oder vielmehr eine That zu wagen , welche jenen , hoffte er , und mit ihm die Armeen, die Völker und unterdrückten Fürſten fortreißen würde. Zur selben Stunde kam ein Brief von Wittgenstein an, welcher York in seinem Entſchluſse nur bestärkte. Der ruſſische General schrieb ihm , daß er mit 50000 Mann am Ufer des Niemen sich befinde. Er schickte demselben zugleich eine von ihm an die Bewohner Preußens erlaſſene Proclamation, welche die wohlwollendsten Absichten gegen dieselben zum Ausdruck brachte, und erbot sich zur Vergewisserung dessen , die kürzlich in seine Gewalt gerathenen preußischen Soldaten mit Waffen und Bagage zurückzuschicken . Er versicherte, daß der Zar unter keinem andern Titel als dem eines Freundes einen Theil Preußens beſehen würde. Bevor aber York zur That schritt , wollte er, bei seiner tiefen Ergebenheit für den König, leßtern Napoleon gegenüber vor jedem Verdachte eines Einverständnisses mit ihm bewahren. Ein solcher Argwohn hätte seinem Monarchen - dessen Hauptstadt und beinahe sämmtliche Festungen noch französische Truppen besetzt hielten - jedenfalls die Freiheit , wenn nicht gar das Leben kosten können. Der preußische General behielt sich demnach vor, jeder mit Diebitsch abzuschließenden Convention den Anſchein eines rein durch militärische Nothwendigkeiten bedingten Actes zu geben. Dies erheischte, daß nicht nur ſeine ſeit

1 Seydlitz,,,Tagebuch 2c." 2 Dieser Brief war vom 15./27 . Dec. datirt. 3 Clausewitz, „ Der Feldzug von 1812 in Rußland “. Dohna, ein preußischer Offizier in ruſſiſchen Diensten, welcher von

Neue Zweifel York's.

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fünf Tagen abgeschnittene Communication mit Macdonald nicht wiederhergestellt werden konnte, sondern daß auch eine stärkere russische Truppenmacht als das Detachement unter Diebitsch auf der Rückzugslinie der Preußen stand. Diese beiden Bedingungen hatte York in seinen bis dahin gepflogenen Unterredungen als durchaus nothwendig bezeichnet. Auf Diebitsch Versicherung glaubte er die erſtere als bereits vorhanden, während die andere es demnächst sein sollte. Doch war dem nicht so . Ein am selben Tage von Tilsit abgegangener preußischer Offizier traf ganz unerwartet bei York ein . Er überbrachte ihm den Befehl, unverzüglich ebendahin zu marſchiren, und wußte, ebenso wenig wie Macdonald, nicht das Mindeste von dem Vorhandenſein eines ruſſiſchen Corps, welches stark und nahe genug wäre, um die unmittelbare Vereinigung des preußischen Generals mit dem Marschall verhindern zu können. Nur Diebitſch ſtand zwischen beiden. York, davon überrascht , war erbittert , die ihm gemachten Zuſagen nicht erfüllt zu sehen ; von Macdonald's Ordre zur schleunigen Fortsetzung des Rückzuges erreicht , hatte er keinen Grund, selbst keinen Vorwand mehr, seinen Marsch noch weiter zu verzögern und ferner mit den Russen zu verhandeln , an deren Stärke er , wie ihm Paulucci und Diebitſch vorgeſpiegelt, nicht mehr glauben konnte. York hatte demzufolge ſeinen kühnen Entschluß bereits wieder aufgegeben und sich entschieden, das schwache Corps unter Diebitsch beiseite zu werfen und nach Tilsit zu marschiren, als der bekanntlich von Diebitsch entsendete Oberstlieutenant Clausewitz bei ihm erschien. ,,Bleibt mir vom Leibe!" rief York dem eintretenden Clausewig zu ,,,ich will nichts mehr mit euch zu thun haben. Eure verdammten Kosacken haben einen Boten Macdonald's durchge-

Baulucci in Miſſion an York geschickt worden , schrieb ersterm unterm 28. Dec.:,,York wünscht aber auch einen Schein der Nothwendigkeit (für sich) zu haben ; er ist daher in kleinen Märschen gegen Tilfit vorgerückt, in der Hoffnung, daß morgen Graf Wittgenstein gewiß bei Tilsit eingetroffen ist und es ihm unmöglich gemacht ſei , ohne sehr große Opfer die Memel zu paſſiren.“ (Vergl. Droysen , „ Das Leben des Feldmarschalls Grafen York".)

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Zweites Kapitel.

laſſen . . . eure Truppen kommen nicht an, ihr seid zu schwach, ich muß marschiren und verbitte mir jegt alle weitern Unterhandlungen, die mir den Kopf fosten würden." Clausewit erschien bekanntlich, um ein Ultimatum zu ſtellen . York kam demselben aber darin zuvor, indem er ihm den vollständigen Abbruch ankündigte und, ohne ihn zu Worte kommen zu laſſen, ihn verabschiedete. Clausewit drang jedoch in den General, wenigstens von zwei Briefen, welche er ihm mitzutheilen beauftragt war, Kenntniß zu nehmen . Der eine , schon von altem Datum und durch die Kosacken aufgefangen, war jenes Schreiben Macdonald's an Maret , in welchem ersterer mit bittern Worten seiner Unzufriedenheit und ſeinem Mistrauen in Betreff York's Ausdruck gab , was aber sonst nichts enthielt, das legterm nicht bereits bekannt. 2 Den andern Brief hatte der General d'Auvray, Generalstabschef bei Wittgenstein, an Diebitsch geschrieben. Er meldete ihm, daß die Wittgenstein'sche Armee am 30. Dec. bei Schillupischken stehen und damit die Straße von Tilsit und Königsberg versperren würde. Er wies denselben ferner an, York davon in Kenntniß zu seßen und ihm zu erklären, daß man ihn als Feind behandeln würde, wenn er in seinem zweifelhaften Benehmen fortfahren sollte. 3 Solche Drohungen konnten bei dem preußischen General nicht verfangen. Er wußte wohl, daß er diese nicht zu fürchten brauchte, wenn er, wie ihm möglich, seine Vereinigung mit Macdonald bewerkstelligte. Erreichte indessen die Armee Wittgenstein's die Straße von Tilsit nach Königsberg , so war Macdonald damit unfehlbar zum schleunigsten Rückzuge nach letterer Stadt gezwungen, während er zwischen ihm und den in Tauroggen festgehaltenen Preußen sich einschob und dadurch der mit den Ruſſen abzuschließenden Convention gerade jener Anschein von Nothwendigkeit gegeben wurde, welchen York immer

1 S. Clausewitz,,,Der Feldzug von 1812 in Rußland“. 2 Es war das auf Seite 28 erwähnte Schreiben, welches in Clauſewitz,,,Der Feldzug von 1812 2c. “, zu finden. 3 Der Brief d'Auvray's war vom 17./29. Dec. datirt.

York entscheidet sich für den Abfall.

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gewollt, um den König von Preußen vor dem Argwohne und den Gewaltacten Napoleon's zu bewahren.

Still und unbeweglich, versank York einen Augenblick in tiefes Nachdenken , dann ging er auf Clausewiß zu und sagte in seiner barschen Weise zu ihm: "1 Clausewitz, Sie sind ein Preuße; glauben Sie , daß der Brief des Generals d'Auvray ehrlich iſt, und daß sich die Wittgenstein'schen Truppen am 30. wirklich auf den genannten Punkten befinden werden ? Können Sie mir Ihr Ehrenwort darauf geben ?" Clausewit erwiderte : „Ich verbürge mich Ew. Exc. für die Ehrlichkeit des Briefes . . . . ; ob dieſe Dispositionen so ausgeführt sein werden, kann ich freilich nicht verbürgen , denn Ew . Exc. wissen, daß man im Kriege oft mit dem besten Willen hinter der Linie zurückbleiben muß, die man sich gezogen hat." Wieder verfiel York in Stillschweigen und ernſtes Nachdenken. Endlich siegten in ihm die politische Ueberzeugung, die patriotische Hingebung des Staatsbürgers und die Energie des Soldaten. Dann reichte er Clausewitz die Hand und sagte: Ihr habt mich. Sagt dem General Diebitsch , daß wir uns morgen früh auf der Mühle von Poscherun sprechen wollen und daß ich jezt fest entschlossen bin, mich von den Franzosen und ihrer Sache zu trennen . . Ich werde aber", sagte er weiter,,,die Sache nicht halb thun , ich werde euch auch den Massenbach verschaffen." 1 Er ließ hierauf den preußischen Offizier, den lezten Boten von Macdonald, eintreten . Ungefähr wie Schiller's Wallenstein fragte er ihn, auf- und abgehend : "Was sagen eure Regimenter?" Und bei einem Worte hätte er gegen ihn von dem gefaßten Entschlusse etwas verlauten lassen. Enthusiastisch erklärte der Offizier, daß alle nur der Wunsch beseelte, von den Franzosen loszukommen. Ihr habt gut reden, ihr jungen Leute", erwiderte York lächelnd,,,mir Altem aber wackelt der Kopf auf den Schultern." Bald darauf versammelte York die Offiziere seiner Colonne

• S. Clauſewiß,,,Der Feldzug von 1812 in Rußland “.

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Zweites Kapitel.

um sich und hielt folgende kurze Ansprache an sie: ,,Meine Herren, das französische Heer ist durch Gottes strafende Hand vernich tet ; es ist der Zeitpunkt gekommen, wo wir unsere Selbständigfeit wieder gewinnen können, wenn wir uns jezt mit dem ruſſi= schen Heere vereinigen. Wer so denkt, wie ich, sein Leben für das Vaterland und die Freiheit hinzugeben , der schließe sich mir an ; wer dies nicht will, der bleibe zurück. Der Ausgang unserer heiligen Sache mag sein , wie er will , ich werde auch den stets achten und ehren, der nicht meine Meinung theilt und zurückbleibt. Geht unser Vorhaben gut , so wird der König mir meinen Schritt vielleicht vergeben; geht es mislich, so ist mein Kopf verloren. In diesem Falle bitte ich meine Freunde, sich meiner Frau und Kinder anzunehmen ." 1 Ein hochbegeisterter Jubel folgte diesen kernigen Worten. Bunt durcheinander umarmte man sich gegenseitig , und alle schwuren , ihrem General auf der Bahn zu folgen , welche er ihnen zeigen würde, um das Vaterland zu rächen und die Freiheit wieder zu erringen. Die Freude und Begeisterung unter den Truppen war grenzenlos . Am 30. Dec. kam zwischen Diebitſch und York nach gegenseitiger Vereinbarung eine Convention zu Stande , deren Grundzüge letterer feſtgeſtellt hatte. Sie erklärte das preußische Corps für neutral , und neutralisirte für dieſes einen ausgedehnten Landstrich zwischen Memel , Tilsit und Labiau. Für den Fall, daß die Convention von dem Könige oder dem Zar nicht ratificirt werden möchte , sollte das Corps ungehindert dahin marschiren können, wohin es die Befehle seines Monarchen riefen , aber unter der Bedingung , zwei Monate lang nicht gegen die Russen zu dienen. Ein Umstand, welcher jene so bewegte Zeit hinreichend kennzeichnet, ist, daß beim Abschlusse dieser Convention nur Preußen zugegen waren ; einerseits York, sein Generalstabschef Oberst

1 Droysen hat in seiner Biographie York's diese Worte nach den Aufzeichnungen des Herrn von Rieben auf Schildhorn (damals Hauptmann), eines Zeugen dieſer großartigen Scene, wiedergegeben .

Massenbach vereinigt sich mit York.

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Röder und Seydlig, und andererseits Diebitsch, Clausewitz und der Oberstlieutenant Dohna, sämmtlich gleichfalls Preußen wie die drei ersten . York sette den König von Preußen und Macdonald von seiner Handlung in Kenntniß . Allen beiden war er bemüht zu versichern, daß er nach dem von ihm selbst zuſammengestellten Märchen nur der militärischen Nothwendigkeit gewichen. Dem Könige wiederholte er dagegen , daß jezt oder nie der Zeitpunkt gekommen, von dem Bündniſſe mit Napoleon zurückzutreten und sich von den übermüthigen Forderungen eines Alliirten loszureißen, deſſen Plane mit Preußen in ein mit Recht Besorgniß erregendes Dunkel gehüllt waren , wenn das Glück ihm treu geblieben wäre. " Und“, fügte er hinzu, dieſe Ansicht hat mich geleitet. Gebe Gott, daß sie zum Heile des Vaterlandes führt.“ Im geheimen von York benachrichtigt , traf Maſſenbach ſofort alle Anstalten , um sich Macdonald's Machtbereich zu entziehen und mit erſterm zu vereinigen . Am Morgen des 31 . Dec. ging er mit ſeinen sämmtlichen Truppen nach dem rechten Niemenufer hinüber und marſchirte gegen Tauroggen. York war bereits von dort aufgebrochen und rückte ihm entgegen. Macdonald erhielt zu gleicher Zeit die Nachricht von York's Convention und Massenbach's Abmarsch. Groß war sein Erstaunen und noch größer seine Entrüstung. Sonderbare Inconsequenz und nur zu häufige Begriffsverwirrung ! Obwol aufrichtiger und treu ergebener Patriot, begriff Macdonald doch weder die kühne Größe von York's Handlung, noch die heilige Begeisterung , welche den preußischen Soldaten , fern von den Napoleonischen Adlern , erfaßte. Er erkannte einem Fremden nicht das Recht zu, seinem Vaterlande vor der Zwingherrschaft des französischen Despoten den Vorzug geben zu dürfen. erblickte eine verdammenswerthe Verlegung der Soldatenpflicht da, wo die Erhebung gegen den Eroberer und Tyrannen zum Ausbruche kam. Die preußische Nation aber und die Völker , welche bisher unter dem fremden Joche geseufzt, begrüßten in York ihren Befreier. Und solch großer Ruhm gebührte ihm auch. Seine

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Zweites Kapitel .

Convention mit Diebitsch mahnte die Fürsten - die freiwilligen oder gezwungenen Sklaven Napoleon's - daß , wenn sie sich nicht zum Befreiungskampfe entschließen könnten , ihre Völker zu den Waffen greifen würden, auch ohne sie und wider ihren Willen, vielleicht gar gegen sie selbst. Von ihren Fürsten, den feigen Opfern der bayonner Falle, verlassen und preisgegeben, trohten die Spanier mit Hülfe der Engländer ſeit -fünf Jahren dem Ehrgeize und allen Anstrengungen Napoleon's . Hier lag das Vorbild. Die Preußen, die Deutschen sollten dieſem folgen. Und waren nicht bereits die Russen die Engländer des Nordens?

Drittes Kapitel.

Kutuſow stellt aus eigener Machtvollkommenheit die Verfolgung der Trümmer des französischen Heeres ein. Seine Meinung über das dem Kriege zu gebende Endziel. - Kaiser Alexander ist ganz anderer Anſichten. - Seine Motive dazu. Will Deutſchland zur Unabhängigkeit und Freiheit aufrufen und ist fest überzeugt, daß es seinem Appell folgen wird. - Trifft große Anstalten zur Fortſezung des Krieges. - Ertheilt von Petersburg aus Kutuſow den ausdrücklichen Befehl zur sofortigen Wiederaufnahme des Vormarsches und begibt sich selbst einige Tage später nach Wilna in Kutusow's Hauptquartier. Stellungen, in welchen er die russischen Armeen findet. - Kutuſow's Einwürfe gegen eine allgemeine Vorwärtsbewegung. - Alerander beharrt bei seinem Befehle und beſchließt, in Zukunfi bei Kutuſow zn bleiben , um sich der Ausführung seines Willens zu versichern. Tſchitſchagow überkommt zu dem Commando der Donauarmee noch das der Wittgenstein'schen und des Kosackencorps unter Platow, und ſezt ſich in Marsch. — Auf Andringen Kutuſow's läßt Alerander die Hauptarmee noch in ihren Cantonnirungen. Nachricht von der Tauroggener Convention. Kutusow's Proclamation an das preußische Volk. - Macdonald entwischt mit der Diviſion Grandjean Wittgenstein. Kommt am 3. Jan. in Königsberg an , findet aber Murat nicht mehr hier, welcher mit den Ueberresten der Garde bereits am 1. gegen die untere Weichsel abmarschirt ist. - Vereinigt sich mit Heudelet, Marchand und Cavaignac. - Näumt alsbald Königsberg und repliirt sich auf Murat. - General Bülow zieht sich in derselben Richtung zurück. - Concentrische Bewegung der Donauarmee, der Wittgenſtein'ſchen und der Koſacken Platow's gegen Macdonald. - - Murat, welcher vollkommen entmuthigt ist, befiehlt ihm, ſeine sämmtlichen Truppen nach Danzig zu wer fen. - Seine Befehle an die Ueberreste der verschiedenen Armeecorps. - Reist schleunigst nach Posen ab. ― Beruft Eugen dahin , übergibt ihm das Obercommando und geht nach Neapel. Eugen's Reorganisation der Ueberreste der in Rußland gewesenen Armee und einiger andern französischen Truppen. — Reſultate dieser Maßregeln. Eugen's Dispositionen . - Wird von Napoleon im Obercommando bestätigt. - Bittet und erhält die Ermächtigung zur Verfügung über die Divisionen Grenier und Lagrange. - Seine Pläne. --- Napoleon's Illusionen über die Lage der Dinge.

Nach dem Uebergange über die Beresina wurden die traurigen Ueberreste von Napoleon's aufgelöstem Heere durch. drei Armeen in verschiedenen Abständen verfolgt , nämlich: von der unter Tschitschagow's Charras , 1813.

Befehlen stehenden

Donauarmee, 4

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Drittes Kapitel.

ferner von der Wittgenstein'ſchen¹ und der Hauptarmee unter persönlicher Führung des ruſſiſchen Generaliſſimus, Feldmarschalls Kutusow. Noch wenige Tage vor der Ankunft in Wilna gelangte Kutuſow zu dem Entſchluſſe, ſeinen Operationen sehr bald ein Ziel zu ſehen, und brachte dieſen zur Ausführung , ohne die weitere Entscheidung des Kaiſers abzuwarten . In Wilna angekommen, schlug er hier sein Hauptquartier auf und ließ die Hauptarmee auf der Linie von Wilkomir über Novi - Troki bis Woloschin Cantonnirungen beziehen. Tschitschagow und Wittgenstein befahl er, und zwar dem erſten bis auf zwei oder drei Märsche_oberhalb, dem andern aber bis auf gleiche Entfernung unterhalb Kowno vorzurücken und am rechten Niemenufer stehen zu bleiben, während Platow hinter unsern unglücklichen Soldaten her gegen Kowno weiter gehen sollte. Wasiltschikow , der bisher die Avantgarde der Hauptarmee gebildet hatte, wurde mit zwei bis drei kleinen Parteigängercorps gegen Schwarzenberg dirigirt; Sacken sollte am rechten Ufer des Bug abwärts vorrücken und durch zwei von der Beresina kommende Reservedivisionen mit Wasiltschikow in Verbindung treten. Wenn alle Corps in ihren Quartieren sich ausgeruht und

erholt, die Nachzügler und Reconvaleſcenten an sich gezogen, die aus dem Innern Rußlands erwarteten Verstärkungen eingetroffen und die immer noch übergroße Kälte nachgelaſſen, dann wollte der russische Generalissimus wieder zu einer allgemeinen Vorwärtsbewegung übergehen, um Preußen und das Großherzogthum Warschau bis zur Weichsel zu beſehen. Nach seiner Meinung sollte Rußland als Entschädigung für die durch die Invasion erlittenen Verluste und als Siegespreis seine Grenzen bis an jenen Fluß vorſchieben , um dann Napoleon einen auf der Anerkennung dieser Gebietserweiterung basirten Frieden vorzuschlagen, und Napoleon würde sich glücklich schäßen, seine großartige Niederlage nur auf Kosten Preußens , welches ihm zuwider war , und des Großherzogthums Warschau , auf

¹ Officiell hieß diese Armee : 1. detachirtes Infanteriecorps.

Alexander's Ansichten über das Kriegsziel.

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welches er nicht viel hielt, bezahlen zu können. Das wäre so ein Abkommen gewesen, wie es York's in die Zukunft blickender Patriotismus bekanntlich dem Könige von Preußen als eine drohende Eventualität bezeichnet hatte. Diese Meinung Kutusow's theilte nicht nur der Kanzler Romanzow , sondern sie fand auch zahlreiche Anhänger in der hohen Beamtenwelt und den aristokratischen Cirkeln von Petersburg ; sie war unter der Bevölkerung der durch den Krieg mitgenommenen Gegenden verbreitet und herrschte, außer im Hauptquartier , gleichfalls in den hohen Kreisen der ruſſiſchen Armee, wo man dieſes ſchrecklichen Feldzuges bis zum Uebermaße satt war. Dies wäre aber eine für den großen Haufen berechnete,

kurzsichtige Politik gewesen. Alexander theilte dieselbe nicht. Er hatte ein ganz anderes Ziel für den Krieg im Auge als eine bloße Gebietserweiterung, welche Napoleon dem ohne Verbündeten im Norden des Continents isolirt dastehenden Ruß land bald wieder hätte streitig machen können. Alexander war nicht mehr der junge Mann, welcher in Tilſit und Erfurt von dem kriegerischen Ruhme, dem Glücke und den gleisneriſchen Worten des fränkischen Eroberers geblendet wurde.¹ In einer für ihn kränkenden und für das ruſſiſche Volk schmerzlichen Weise war er eines beſſern belehrt worden. Er war hinter das Geheimniß dieses Kaiserthums gekommen , daß Napoleon zur Aufrechthaltung seiner auf Frankreich lastenden Tyrannei ein fortwährendes Bedürfniß nach Kriegen und Eroberungen hatte. Alexander war entschlossen, die Waffen nicht eher niederzulegen, bevor er nicht die den Continent umfassende Herrschaft dieses systematischen Feindes des Weltfriedens gebrochen. 2

1 ,,Ich kenne ihn (Napoleon) ; er wird mich nicht mehr täuschen.“ Worte Alexander's zum Obersten Michaud am 20. Sept. 1812, und von letzterm in einem am nächsten Tage geschriebenen Briefe an den Adjutanten Danilefsky angeführt. (Vergl. Bogdanowitsch,,,Geschichte des Feldzugs im Jahre 1812 2c.“) 2 Graf Nesselrode, welcher einige Monate später russischer Miniſter des Aeußern wurde, richtete im Januar 1813 eine Note an den Zar, in welcher es unter anderm heißt : „ Nach dem , was Ew. Majestät über 4*

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Drittes Kapitel .

In diesem Entschlusse fanden sowol der monarchische Ehrgeiz als auch die philanthropiſchen und politisch-liberalen Gefühle, welche damals das Herz des Zar durchwehten , gleiche Befriedrigung . Diesen Plan verfolgte er mit einer für jeden unerwarteten Beharrlichkeit, welcher ſeine frühere Unbeſtändigkeit und seinen Hang zu Chimären gekannt. Das Unternehmen war aber zu gewaltig , als daß es mit Rußlands Kräften allein hätte ausgeführt werden können. Alexander wußte das wohl, aber er zählte auf die Hülfe des durch Napoleon unterjochten, zerriſſenen, herabgewürdigten und bedrückten Deutschland. Er wollte es zur Unabhängigkeit und Freiheit aufrufen , und hegte keinen Zweifel , daß es seinen Appell mit einer allgemeinen Erhebung beantworten würde, sobald die russischen Armeen vorrückten , womit dem Haſſe , der Verzweiflung, Hoffnung und Hingebung der Soldaten, Fürsten und Völker ein Sammelpunkt und eine feste Stüße geboten wurde.

Diese furchtbare Erhebung hatten die zahlreichen Deut

schen vorausgesagt und als bestimmt in Aussicht gestellt, welche in Rußland entweder ein Asyl gegen den mordenden Zorn Napoleon's oder eine Fahne gefunden, unter welcher sie die

das wirkliche Ziel Ihrer Politik mir auzuvertrauen geruht haben, so bezwecken Allerhöchstdieselben , eine Ordnung der Dinge wiederherzustellen , welche mit der sichern Aussicht auf einen möglichst langen Frieden gleichzeitig Rußland auch die allein festen Garantien gegen neue Unternehmungen , welche Napoleon's Ehrgeiz veranlassen könnte , bieten würde. „ Dieſes Ziel möchte am vollkommenſten erreicht werden können , wenn Frankreich in seine natürlichen Grenzen zurückgewieſen wird, ſodaß alles, was nicht zwischen dem Rhein , der Schelde, den Pyrenäen und Alpen gelegen, ein integrirender Theil des französischen Kaiserthums zu ſein oder unter seiner Botmäßigkeit zu stehen aufhöre. Dies ist unfehlbar das Maximum der Wünsche, welche wir aufstellen könnten. Doch würde es ohne Oesterreichs und Preußens Mitwirkung nicht zu erreichen ſein. “ ( S. den betreffenden Auszug in ,,Geschichte des Krieges im Jahre 1813 für Deutschlands Unabhängigkeit“ von Bogdanowitsch, kaiserlich russischem General. Petersburg 1863.) Wie Bogdanowitsch erwähnt , befindet sich diese Note Neſſelrode's im Archiv des Ministeriums des Aeußern .

Alexander's Rüstungen. Schmach ihres Vaterlandes zu rächen bestrebt waren .

53 Sie be

stürmten den Zar , seine großen Plane weiter zu verfolgen. und die günstige, aber vielleicht bald entschwindende Gelegenheit zu benußen. Alerander traf alle Zurüſtungen, um seine Plane in ihrem ganzen Umfange zur Ausführung bringen zu können. Vom Monat December an ließ er den schon während des Krieges getroffenen Maßnahmen weitere bedeutende Vorbereitungen folgen. Er ordnete eine starke Rekrutirung wie auch beträchtliche Ankäufe und Requiſitionen von Pferden an , und befahl die . Formation zahlreicher Cadres aller Waffen . Er ließ die allerwärts von Napoleon zurückgelassene ungeheuere Menge von Gewehren , Säbeln und Artilleriematerial sammeln und in Stand sehen. Er befahl, daß die Waffenfabriken und Arſenale ihre Thätigkeit verdoppelten, und daß an Rußlands Weſtgrenze reichhaltige Proviantmagazine angelegt würden . Aber troß seiner abſoluten Macht und ſo feſt jener Entschluß bei ihm stand, glaubte er doch nicht die Großen seines Reiches vor den Kopf ſtoßen zu dürfen, welche sich für einen baldigen einträglichen Frieden aussprachen, ohne an Deutschlands Befreiung, das heißt ohne an die Zukunft zu denken. Vor allem wollte er gegen Kutusow schonend auftreten , den Abgott der Soldaten, welcher überall ,,als der Besieger Napoleon's und der Retter des Vaterlandes" gefeiert wurde. Als ihm indeſſen von seinem Generalissimus die Nachricht zuging, daß dieser seine Truppen Cantonnirungen habe beziehen lassen, sah er wohl ein, daß er nicht mehr warten dürfte, ſondern offen die von ihm zu befolgende Politik bekennen und auf das unverzügliche Weitervorrücken seiner Armee bedacht ſein müſſe. Die Fortſehung des Marſches war um so dringlicher, als ihm Paulucci's Berichte den Fortgang seiner Beziehungen zu York und die Mission von dessen Adjutanten Seydlik nach Potsdam meldeten, wie auch die unter dem preußischen Contingent herrschende aufgeregte Stimmung schilderten. Man durfte also nicht zögern , dem General York und seinen bereits wankenden Truppen die Hand zu reichen. Alexan der ließ deshalb sofort den ausdrücklichen Befehl an Kutusot

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Drittes Kapitel .

ergehen , seine Operationen nicht zu unterbrechen. „ Niemals ", ſchrieb er ihm, „ war die Zeit ſo koſtbar für uns, als unter den gegenwärtigen Umständen ; und daher kann nichts unsern den Feind verfolgenden Truppen gestatten , bei Wilna , wenn auch nur auf kurze Zeit , zu verweilen. Wenn ich auch die Gründe würdige, welche Sie in Ihrem Berichte anführen, ſo finde ich es doch für zweckmäßig, bei Wilna nur einen kleinen Theil der am meiſten zerrütteten Truppen stehen zu lassen, der dort die Nachzügler und Reconvalescenten sowie die Bataillone des Generalmajors Fürsten Urusow¹ zu sammeln hätte ; alle übrigen Truppen aber sowol der Hauptarmee als der Armee des Admirals Tschitschagow und des Corps des Grafen Wittgenſtein müſſen dem Feinde unablässig folgen und dabei eine folche Richtung nehmen , daß sie nicht nur innerhalb unserer Grenzen, sondern auch außerhalb derselben ein und daſſelbe Ziel verfolgen den Feind von seiner Verbindung und neuen Verſtärkungen abzuſchneiden. “ 2 Der Zar beschloß, sich selbst in die Mitte seiner Armee zu begeben, um deren Leitung zu übernehmen, da er aus bitterer Erfahrung wußte, daß Kutuſow nicht immer seinen Befehlen, selbst den drängendsten, sich anbequemte, sobald sie gegen seine Ansicht waren, und überdies glaubte er ihn des Krieges ernstlich müde, durch das Alter und die Strapazen abgeſtumpft, und überhaupt eher geneigt , seinen bereits erworbenen , aber überschätzten Ruhm in einer egoistischen Ruhe zu genießen, als neue Schlachtfelder aufzusuchen. In der Nacht vom 18. zum 19. Dec. von Petersburg abgereist, kam Alexander am 23. in Wilna an. Obwol seine Befehle bereits seit vier Tagen dort eingetroffen , waren sie dennoch ohne Ausführung geblieben. Er war es, der dies zuerst conſtatirte. Die Hauptarmee lag , bis auf die gegen Schwarzenberg entsendeten Detachements, ruhig in ihren Quartieren theils in Wilna, theils weit rechts und links von dieſer Stadt. Auch

1 Es waren 15 Reservebataillone. 2 Das beregte Reſcript war Petersburg , den 2./14. Dec. 1812 datirt, und findet sich bei Bogdanowitsch.

Alexander läßt Kutuſow's Entschuldigungen unbeachtet. 55 Tschitschagow und Platow hatten Cantonnirungen bezogen, dieser etwas vorwärts von Kowno, jener in der Gegend von Gesno am rechten Niemenufer. Daß Wittgenstein sich nicht ebenfalls der Ruhe hingegeben, kam nur daher, daß ihm der Generaliſſimus mehr Spielraum gelaſſen ; doch auch er hatte seinen Marsch durch einen Halt von sieben Tagen unterbrochen und infolge dessen noch nicht den Niemen erreicht. Er meldete übrigens, daß er zum Aufſuchen von Macdonald's Corps zwei leichte Abtheilungen unter Diebitsch und Kutuſow ausgeschickt , daß . der lettere nach einigen forcirten Märschen Tilsit beſeßt und daß er ſelbſt mit seiner Armee gegen dieſe Stadt zu operiren im Begriff stehe, um dem französischen Marschall den Rückzug abzuschneiden. Zur Entschuldigung seines Ungehorsams ſchüßte Kutuſow die überaus große Kälte dieſes Winters vor, ferner die Strapazen und ausgestandenen Leiden der Truppen, die bedeutenden Verluste , welche sie erlitten , weiter die Nothwendigkeit , die zahlreichen Nachzügler und Reconvalescenten sammeln und Verstärkungen abwarten zu müſſen, überhaupt um sich zu reorganisiren . Seinen Nachweisen zufolge war die Hauptarmee auf 42000, die Donauarmee auf 17000, die Wittgenstein'sche auf 34000, Platow's Kosacken auf 7-8000 Mann zuſammengeschmolzen, während die von der untern Beresina gegen den Bug im Marsche begriffenen zwei Reservedivisionen und das Corps Sacken's zusammen nicht mehr als 25000 Mann zählten. Jene Angaben waren zwar von Gewicht und diese Stärkenachweise genau , doch waren sie dem Zar schon bekannt, denn er hatte sie in dem Rapport gelesen , mit welchem ihm Kutuſow die beabsichtigte Unterbrechung der Operationen gemeldet. Aber ebenso wenig wie in Petersburg hielt er jest in Wilna dieſe Gründe für ausreichend, um von einer ſofortigen und möglichst weit gehenden allgemeinen Vorwärtsbewegung abzustehen. Die Corps von Macdonald und Schwarzenberg zu vernichten oder unschädlich zu machen; die Ueberreste der französischen Armee zu hindern, an der Weichsel wieder zu sich zu kommen, hier Fuß zu fassen und Verſtärkungen zu erhalten ; die siegreichen russischen Fahnen nach Deutschland zu tragen,

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Drittes Kapitel.

solange dasselbe nur sehr schwach von Napoleon's Truppen be sezt jei : das waren für Alexander dringende Erfordernisse, welche allen andern Rücksichten vorgingen , und denen er mit den in Reih' und Glied habenden Streitkräften gewachſen zu sein der festen Meinung war . Einmal auf deutſchem Boden angekommen, hatte er , wie schon erwähnt , die Ueberzeugung , daß ganz Deutschland ihm zu Hülfe eilen würde. Er beharrte daher bei dem Befehle zum Weitermarsche, welchen er bereits von Petersburg aus ertheilt und dem so wenig Folge geleistet worden. Indeſſen hatten die Bemühungen Kutuſow's, den Zar zum Ruhenlaffen der Soldaten zu überreden , legterm vollends den Beweis gegeben, daß der alte Marschall am Ende seines Eifers, seiner Energie , That- und Körperkraft angekommen und daß er die Bürde des Oberbefehls nicht länger zu tragen im Stande. Man hätte ihn eigentlich in den Ruhestand versehen müssen. Doch Alexander getraute sich das nicht , indem er, und nicht mit Unrecht, befürchtete, dadurch in der Armee Misſtimmung und Niedergeschlagenheit hervorzurufen , andererseits aber mit der öffentlichen Meinung in Zwiespalt zu gerathen, obwol weder der einen noch der andern die schwerwiegenden Fehler unbekannt waren, welche Kutusow troß der kaiserlichen Befehle vom Dnjepr bis zur Beresina begangen ; und ſo entschied er sich für einen Mittelweg . Er beließ den Generaliſſimus in seiner Stellung, beschloß aber, bei ihm zu bleiben, um ihn anzuregen, zu überwachen und ihn zu hindern , der Armee wieder eine schlechte Führung zu geben , in Wirklichkeit aber,

1 ,,I will, howewer, not again leave my army, and there shall be no opportunity given for additional misdirection by the marshal." (,,3ch will zum wenigsten meine Armee nicht nochmals sich ſelbſt überlassen und dem Marschall nicht wieder Gelegenheit zu einer schlechten Führung geben. ") Worte Alexander's zu dem englischen Bevollmächtigen im ruſſiſchen Hauptquartier , Robert Wilſon , und mitgetheilt in des leßtern Generals intereſſanter Schrift : „ Narrative of events during the invasion of Russia by Nap . Bonaparte 2c. " London 1860. General Bogdanowitsch, welcher ,,auf allerhöchsten Befehl“ geschrieben, erwähnt, auf das Tagebuch des Fürſten Galizin, Ordonnanzoffiziers

Vorrücken der Russen.

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um die militärischen Operationen im Nothfalle ſelbſt zu leiten, jedoch dabei alles zu vermeiden , was dies offenbar machen könne. Der Zar hatte keine andern Kriegserfahrungen als die beiden unglücklichen Feldzüge von 1805 und 1807 , bei denen er indessen mehr Zuschauer als Theilnehmer gewesen; doch fehlte es ihm nicht an militärischen Kenntnissen . Er bildete sich daher einen großen Stab , der ihn zu berathen und zu leiten im Stande, welcher aber von dem Kutusow's völlig gesondert war. Zu dessen Chef, berief er den General Fürsten Wolkonsky , der sein volles Vertrauen besaß und ganz von seinen Ideen durchdrungen war ; Generalquartiermeister wurde Toll, ein verdienstvoller Offizier im kräftigſten Mannesalter und voller Thatkraft, der kurz vorher zum Generalmajor anvancirt war und, noch viel anders als Wolkonsky befähigt, diesen bald in den Hintergrund stellte. Des Zar Anwesenheit und ſein mündlich wiederholter ausdrücklicher Wille gestatteten es Kutuſow nicht , noch länger in Unthätigkeit zu verharren. Als er überdies von Paulucci. die Nachricht von Macdonald's Rückzug erhielt und Wittgenſtein seine Bewegung gegen den erwähnten franzöſiſchen Marschall meldete, welchem kurz darauf die Anzeige von der ersten Begegnung zwischen Diebitſch und York folgte , da mußte der Generalissimus sich bequemen und Tschitschagow den Befehl ertheilen, seine Cantonnirungen aufzuheben und den Niemen zu überschreiten, um gegen Gumbinnen und Insterburg vorzurücken, an der Spize Platow's Koſacken, welche deſſen Befehlen

bei Kutusow , gestützt --- man habe sich (in Wilna) erzählt ,,,daß der Kaiser dem Feldmarschall die Unthätigkeit seiner Armee bei dem Rückzuge Napoleon's vorgeworfen" ; und sagt dann weiter : ,,Da der Monarch bemerkte, daß die Anstrengungen des letzten Feldzuges die Geſundheit und die Kräfte des Feldherrn sehr geschwächt hatten , so traf er,. mit Hülfe der Persönlichkeiten, die er eines besondern Vertrauens würdigte , die nöthigen Anordnungen selbst. Seine unmittelbare Stütze war der Generaladjutant Fürſt Wolkonsky I. in der Eigenschaft eines Chefs des großen Stabes." (,,Geschichte des Feldzuges im Jahre 1812.“)

Drittes Kapitel .

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unterstellt wurden. Er benachrichtigte Tschitschagow, daß Wittgenstein am 27. oder 28. Dec. den Niemen bei Georgenburg passiren würde , und wies ihn an , mit diesem General das Macdonald'sche Corps gemeinschaftlich zu vernichten oder gefangen zu nehmen und die Franzosen zur Räumung von Königsberg zu zwingen. Zwei Tage darauf stellte er aber Wittgenstein ſelbſt unter des erstern Befehle. Tschitschagow verfügte damit nunmehr über beinahe 60000 Mann. Nichtsdestoweniger wurde ihm die größte Vorsicht anempfohlen und er ermächtigt, in Königsberg ſtehen zu bleiben, wenn dem Feinde große Verſtärkungen zugehen sollten und er diesen sehr überlegen fände. ' Nur nicht weit vorrücken , blieb immer Kutusow's Grundgedanke , und suchte er schon zum voraus irgendeinen Vorwand für ſeinen Unterbefehlshaber zu ersinnen, um dieſen ſobald als möglich halt machen lassen zu können. Auch die Hauptarmee hätte sich in Bewegung sehen und rasch gegen die Weichsel Raum gewinnen sollen . Doch blieb ſie ruhig stehen. Nachdem Kutuſow wiederholt die überaus große Ermattung ihrer Truppen geschildert, welche nach zwei Monaten Marschirens und beständigen Kämpfens jezt ihre erste Ruhe fanden , und auf die Nothwendigkeit hingewiesen hatte, die Cadres dem äußerst geschwächten Effectivſtande entsprechend zu reduciren, um die überzählig Gewordenen nach den Depots zurückzuschicken und bei Eintheilung der Rekruten zu verwenden, da hatte er endlich die Bewilligung vom Zar erhalten, noch stehen bleiben zu dürfen. Mit dem Gewinne dieses Aufschubes glaubte der alte Marschall welcher ebenso in seine Meinung über die Beendigung und das anzustrebende Ziel des Krieges als in seinen Egoismus versessen war die Hoffnung nicht aufgeben zu dürfen, noch weitere Erfolge hinsichtlich des Stehenbleibens zu erzielen und schließlich den Zar für seine Ansichten ganz zu gewinnen. Derselbe ließ sich auch, bei seiner äußerst schonungsvollen Haltung, herbei, Kutusow's Einwendungen von neuem zu erörtern.

1 Schreiben Kutusow's an Tschitschagow vom 27. Dec. 1812.

Kutusow's Proclamation an die Preußen.

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Diese vertrauliche Discussion drohte einen längern Verlauf zu nehmen , als in Wilna die Nachricht von York's Convention mit Diebitsch einlief. Sie entsprach sowol Alexander's Planen, als den Prophezeiungen und Versicherungen der deutschen Emigranten. Die obenerwähnte Discuſſion erreichte damit auch ihr Ende. Kutuſow war zwar nicht überzeugt , aber er schwieg und trug diesem wichtigen Ereignisse nothwendigerweise Rechnung. Er ließ den Befehl an die Hauptarmee ergehen, die in Angriff genommene Reducirung ihrer Cadres schnell zu beenden , die vom Fürſten Uruſow herbeigeführten Reſervebataillone in ihre Reihen einzutheilen und sich für die nächsten Tage zum Aufbruche aus den Cantonnirungen bereit zu halten, um sich dann wieder zu concentriren und in der Richtung auf Merecz gegen den Niemen abzumarschiren. Zu gleicher Zeit mußte Kutusow , ganz im Widerspruche mit seinen Ansichten und seinem Wunsche nach Ruhe, eine Proclamation mit seinem Namen unterzeichnen , welche die erste öffentliche und sehr freimüthige Kundgebung der Politik und Plane Rußlands war. Mit diesem Schriftstücke , welches in des Zar Cabinet selbst verfaßt worden , und welchem bald andere der gleichen Art folgen sollten, wandte sich Kutuſow an die Preußen. Er erklärte ihnen, daß er von dem Kaiser, seinem Herrn, den ausdrücklichen Befehl habe, die Provinzen Preußens, welche er zu betreten im Begriffe stehe, nicht als Feindesland zu behandeln. Er verkündete, daß der Zar „ ſeinen Beiſtand allen den Völkern anböte , welche bisjest gegen ihn zu kämpfen gezwungen waren, die Sache Napoleon's verlassen würden, um nur der ihrer wahren Intereſſen zu folgen“. „ Ich fordere sie auf“ , fuhr er fort,,, die glücklichen Aussichten zu benußen, welche ihnen die ruſſiſchen Armeen geöffnet , und sich mit ihnen in der Verfolgung eines Feindes zu vereinigen, deſſen überſtürzte Flucht Beweis von seiner Ohnmacht gibt." Und er schließt mit dieſen noch deutlichern Worten: „ Hauptsächlich iſt es Preußen, an welches ich diese Aufforderung richte. Sr. Majeſtät des Kaisers Absicht iſt es, das auf demſelben laſtende Unglück aufhören zu laſſen , dem Könige Beweise der für ihn gehegten

Drittes Kapitel.

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Freundschaft zu geben und der Monarchie Friedrich's ihren Glanz und ihre Ausdehnung wiederzugeben." Er hofft, „ daß Se. preußische Majestät ― beseelt von den Gefühlen , welche diese freimüthige Erklärung in ihr entspringen laſſen möchte, unter diesen Umständen keinen andern Entschluß fassen wird als den, welchen das Wohl seiner Staaten und die Wünsche seiner Völker erheiſchen“. Um Kutuſow und die wie der alte Marschall den Frieden wünschenden Generale noch mehr zu überzeugen, daß nicht auf eine baldige Ruhe und eine knauſerige , kurzsichtige Politik betreffs einer Auseinanderseßung mit Napoleon zu rechnen sei, theilte Alexander denselben die von ihm eigenhändig zu Papier gebrachten Grundsäge mit , nach welchen er künftighin die Operationen seiner Armeen geleitet wissen wollte , Grundsäße, die sehr klar gehalten waren. Er sagte in dieser vertraulichen Mittheilung : ,,Es ist nun die Zeit gekommen, zu handeln, ohne sich durch die gewöhnlichen Regeln der Kriegskunst beengen zu laſſen , um mit Schnelligkeit die vollständige Ueberlegenheit zu benüßen, die wir erlangt haben , und das Uebergewicht, dem gegenüber nichts wagt, sich den Siegern zu widerſeßen, weithin geltend zu machen.“ Diese Sprache ließ keine, Replik zu . Es erfolgte auch keine. Kutuſow gab aber deſſenungeachtet in seinem Innern die Hoffnung nicht auf, daß es ihm gelingen würde, den Lauf des Zar zu hemmen und in kurzem zum Stillſtehen zu bringen. Schrieb er doch einige Lage später den Seinigen , als er ihnen die Aufhebung der Cantonnirungen anzeigte: ,,Fürchtet nichts ! - wir werden wol nicht sehr weit gehen; ich bin ja nicht jünger geworden. “ ¹ Wittgenstein hatte unterdeſſen ſein Manöver fortgesezt, um Macdonald den Rückzug abzuschneiden. Im Widerspruche mit Kutusow und vielen andern Generalen war er der Ansicht, daß man den Krieg ohne Unterbrechung und bis zu Deutschlands Be-

1 Brief vom 2./14. Januar in A. Michailofsky Danilefſky's ,,Denkwürdigkeiten aus dem Kriege von 1813“.

Macdonald entwischt Wittgenstein.

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freiung fortführen müsse. Er entwickelte in dieser Richtung den gleichen Eifer, welchen er bei der Vertheidigung des überfallenen Rußland bethätigt. Sein Generalstab, der zum Theil aus deutschen Offizieren bestand, dachte ebenso wie er. Dennoch war ihm Macdonald entwischt. Nachdem der französische Marschall gleichzeitig York's und Maſſenbach's Abfall erfahren, wodurch er sich auf die einzige Division Grandjean beschränkt und von aller Cavalerie entblößt sah , verließ er schleunigst Tilsit. Er wendete sich aber nicht nach Wehlau, wohin ihn die Ordre Murat's berief, sondern schlug die über Schillupischken und Labiau führende Straße von Tilsit nach Königsberg als die mehr sichere ein. Wittgenstein's Generalstabschef hatte in seinem an Diebitsch gerichteten Schreiben vom 29. Dec. - welches dieser durch -Clausewit' Vermittelung York mittheilen laſſen gemeldet, daß die Wittgenstein'sche Armee am nächsten Tage bei Schillupiſchken eintreffen würde. Obwol Macdonald erſt am 31. Dec. , dem gleichen Tage, wo er von Tilſit abmarſchirt, dieſes Défilé paſſirte, war er hier doch nur auf vier schwache Kosackenregimenter gestoßen, welche mit wenigen Flintenschüſſen ſchnell zerstreut waren. Die Raschheit seines Rückzuges hatte Wittgenstein getäuscht. Nachdem der russische General am 28. Dec. den Niemen bei Georgenburg überschritten , gerieth er auf schlechte Seitenwege. Seine Artillerie war deshalb viel langsamer als seine übrigen Truppen marschirt. In der Meinung, auf erstere warten zu müssen und dies ohne Nachtheil zu können, hætte er einen Tag mit ihrer Heranziehung verbracht, und diesem Aufenthalte war es zuzuschreiben, daß er die von Macdonald eingeschlagene Straße erst nach dessen Vorübermarsche erreichte. Unter solchem Misgeschick hatte er darauf gezählt, daß wenigstens ſeine Avantgarde zur rechten Zeit dort angekommen sein würde. Aber auch darin sollte er sich verrechnen. Die Unfähigkeit oder Unentschlossenheit des Generals Schepelew, welcher jene befehligte, hatte Macdonald die schreckliche Verlegenheit erspart, durch ein Défilé sich durchschlagen zu müſſen, das 5000 Mann, zum voraus hier aufgestellt, hätten vertheidigen können.¹ 1 Bogdanowitsch, „ Geschichte des Feldzugęs im Jahre 1812 “ .

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Dieser Gefahr entronnen , beschleunigte Macdonald auch weiterhin seinen Marsch. Dennoch wurde sein Nachtrab in Labiau von demselben General Schepelew eingeholt - welcher in der Eile verstärkt, und begierig, ſeinen Fehler wieder gut zu machen, gleichfalls sehr schnell marſchirt war und verlor ersterer dabei 7-800 Mann in einem ziemlich kurzen, aber sehr lebhaften Gefechte, dem ersten im Jahre 1813, welches von dem Getöse so vieler Kämpfe und Schlachten widerhallen sollte. Am 3. Jan. nachts kam Macdonald in Königsberg an.

Ungeachtet

des Thauwetters , welches plöglich eingetreten war und den Weg für seine Infanterie sehr schwierig gemacht , hatte er doch am erſten Tage 11 und in den drei folgenden 17 Lieues zurückgelegt. Er traf Murat nicht mehr in Königsberg an. Gerade inmitten der officiellen Kindereien am Neujahrstage durch die

Nachricht von York's Abfall überrascht, war Murat von seiner bisherigen Zuversicht plößlich wieder in tiefe Entmuthigung verfallen. Indem er ſeinen Neujahrsempfang ohne weiteres abbrach, beeilte er sich, den französischen Gesandten in Berlin schleunigst von dem Ereignisse , welches seine Plane vollständig durchkreuzte, zu benachrichtigen. Seinen Unterbefehlshabern in den Weichselstädten machte er gleichfalls davon vertrauliche Mittheilung, indem er sie anwies , in Zukunft recht auf ihrer Hut zu sein. In seiner Bestürzung sah er sich schon´ von den ruſſiſchen Armeen und einem allgemeinen Aufstande des Landes umringt, und so beschloß er , nachdem er mit Berthier — welcher krank und von der Gicht gelähmt , ebenso entmuthigt , wie er sich ins Vernehmen geſeht, ohne weiteres Zögern abzumarſchiren und der untern Weichsel zuzueilen. Mit einbrechender Nacht sahen die erstaunten Einwohner von Königsberg, welche kaum ihre Freude zurückhalten konnten, in der That die Wagen Murat's , Berthier's , ihres Gefolges, einer Menge von Generalen und iſolirten Offizieren , eine Anzahl von Transportfahrzeugen und alles , was von der kaiserlichen Garde an Leuten mehr oder weniger diensttauglich , bewaffnet oder unbewaffnet vorhanden , auf der Straße nach Elbing abziehen. Diese unverhoffte Entfernung des Oberbe fehlshabers, dieser übereilte Abmarsch des Hauptquartiers und

Murat bringt sich in Sicherheit.

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der Garde zur Nachtzeit glichen eher einer Flucht als einem Rückzuge, und waren gerade nicht zur Hebung des moralischen. Gefühls der Soldaten geeignet. Dies kümmerte aber Murat wenig. Ein General von fabelhafter Unerschrockenheit auf dem Schlachtfelde, war er in diesem Moment nur noch der Souverän, von dem alleinigen Gedanken erfüllt, die Majestät seiner königlichen Person vor der Gefahr, in feindliche Gefangenschaft zu gerathen, in Sicherheit zu bringen. Bei seinem" Abgange hatte er Ney beauftragt , Macdonald in Königsberg aufzunehmen. Zwar immer gegen Napoleon aufgebracht und erbittert, aber doch noch im Besige seiner Energie und Gesundheit, war Ney zu allem bereit. Murat hinterließ ihm die Division Heudelet , die Cavaleriebrigade Cavaignac und die schon etwas reorganisirten Ueberreste der Division Marchand, die durch die Bataillone verſtärkt worden, welche die lezte Besazung von Kowno gebildet, bei dem durch diesen Plaz gehenden Tumult der Retirade aber auseinandergekommen waren , um sich schließlich in Königsberg wieder zu vereinigen. Die Diviſion Marchand war dieselbe, welche, damals von Loison commandirt , das traurige und unvergessen gebliebene Los gehabt , ohne Kampf vier Fünftheile ihrer Effectivstärke einzubüßen , als sie in den fünf oder sechs kältesten Tagen jenes mörderischen Winters von Wilna aus Napoleon entgegengerückt war. Marchand stand in Königsberg selbst, Heudelet und Cavaignac dagegen in Wehlau. Auf die Nachricht aber, daß Macdonald nicht gegen diesen Punkt, sondern auf Königsberg sich repliire, hatte Murat den beiden lehtern den Befehl zugehen lassen, schleunigst nach der ebengenannten Stadt zurückzukehren , wo fie auch einige Stunden vor Macdonald's Ankunft eingerückt waren. Ney übergab diesem die somit in Königsberg vereinigten Truppen und reiste, den ihm gewordenen Befehlen gemäß, für seine Person dem Könige Murat nach. Die Division Grandjean kam , bis auf siebentausend und einige hundert Mann zusammengeschmolzen, zurück. Marchand hatte etwas über 3000 , Heudelet und Cavaignac zählten zu sammen etwa 11500 Mann , sodaß Macdonald über beinahe

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22000 Mann zu verfügen in der Lage war, genug, um, wenn auch nicht den Russen den Pregel und die Passarge , welche gefroren , streitig zu machen , so doch wenigstens mit rühmlicher und nußbringender Langsamkeit ihnen das Terrain zu überlassen. Der General Bülow, interimistischer Generalgouverneur der Provinz Preußen, hätte jedenfalls, wenn er gewollt, den Truppen Macdonald's einige Verstärkungen zukommen lassen können. Er war, wie bereits erwähnt, von seinem Monarchen mit der Bildung eines 10000 Mann starken Corps beauftragt worden, welches zu dem preußischen Contingent stoßen sollte. Er hatte bereits sowol in Königsberg wie in den weiter rückwärts gegen die Weichsel gelegenen Städten mehrere tausend zur Fahne einberufene Krümper und Beurlaubte zusammengezogen und ausgerüstet. Als er aber Murat abreisen sah , hatte er sich gleichfalls abzumarſchiren beeilt. Indem er die von Murat eingeschlagene Straße ſorgſam mied und unterwegs alle ſeine Truppenabtheilungen an sich zog , rückte er schnell gegen die Weichsel in der Richtung auf Graudenz , eine ausschließlich von preußischer Garnison besette Festung, und schien durchaus nicht gewillt, auch nur die geringste Unterſtüßung den Franzosen zu gewähren. Uebrigens hatte Macdonald nicht daran gedacht, ihn um eine solche anzugehen. Wir besaßen sehr gut versehene Magazine jeder Art in Königsberg. Ney hatte sie wollen räumen lassen , war aber kaum über den Anfang hinausgekommen, da ihm keine andern Transportmittel als die in der Stadt und deren nächſter Umgebung requirirten Fuhren zur Verfügung standen , welche bei weitem nicht ausreichten. Zudem hatten der plötzliche Abmarsch Murat's und der Garde , die dumpfen Gerüchte von York's Abfall und der Annäherung der Russen die Einwohner und die preußischen Beamten ermuntert, den legten Forderungen eines verhaßten Feindes mit Liſt und bösem Willen zu begegnen . Ebenso waren sie bemüht, die Vernichtung dieser großen Proviant- und Materialvorräthe, welche wir nicht fortführen konnten, zu hintertreiben, was ihnen um so eher gelang, als Macdonald dieser Arbeit, welche ihrer Wichtigkeit wegen auf eine gründliche

Schepelew verfolgt Macdonald.

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Weise hätte ausgeführt werden sollen , wenig Zeit und Sorgfalt widmete.

Am 4. Jan. abends ließ er seine Truppen Königsberg räumen und rückte mit ihnen auf der von Murat verfolgten Straße ab. Dem Edelmuthe der Einwohner und dem Mitleiden der Russen ließ er 8000 Kranke und Verwundete zurück, unter denen der Tod fortwährend aufräumte, und welche bald die schreckliche Typhusseuche über die Stadt verbreiten sollten. Am Tage nachher , als Macdonald Schillupischken passirt und aus den bereits geschilderten Ursachen dort nur auf einige Kosacken gestoßen war , erschien Wittgenstein , 3-4 Lieues vorwärts von diesem Punkte , in Skaigirren. Hier fand er die von Ragnit und Tauroggen kommenden leichten Corps von Kutusow und Diebitsch. Er hatte ihnen sofort 3000 Mann entnommen, um diese zu Schepelew's Avantgarde stoßen und den so verstärkten leztern hinter Macdonald her nachsehen zu laſſen, mit dem Befehle, Tag und Nacht zu marſchiren, um ihn einzuholen. Wittgenstein ſeßte dann den Marsch mit seiner Hauptmacht fort, indem er sich gegen Wehlau wendete, wo, wie ihm gemeldet, Heudelet und Cavaignac standen. Diesmal erfüllte Schepelew seinen Auftrag besser. Er hatte, wie wir oben gesehen , Macdonald's Arrièregarde in Labiau eingeholt und geschlagen ; die letzten franzöſiſchen Soldaten waren noch nicht 2 Lieues von Königsberg weg, als auch schon seine Kosacken hier erschienen: Am 5. Jan. mit Tagesanbruch zog er selbst an der Spiße seiner Colonne dort ein, unter dem Jubel und Beifall der freudetrunkenen Einwohnerschaft, welche die russische Fahne als das Zeichen der Befreiung begrüßte. Er entsendete ein starkes Detachement zur Beobachtung der kleinen Festung Pillau, welche die Einfahrt in das Frische Haff beherrscht und eine je zur Hälfte französische und preußische Besaßung hatte. Während er in Königsberg einige Truppen zurückließ, schlug er mit seiner Colonne , welche durch jene Detachirungen und infolge des Gefechts von Labiau bis auf 4000 Mann heruntergekommen war , ohne Aufenthalt die Straße nach Elbing ein , auf welcher Macdonald abgezogen war. Charras , 1813.

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Wittgenstein rückte indessen mit seiner Hauptmacht nach Wehlau, fand aber keinen Franzosen mehr hier , traf dagegen mit Platow's Kosackencorps zusammen , welches der im Marsch auf Königsberg begriffenen Armee Tschitschagow's um mehrere Tagemärsche vorausgeeilt war, und erhielt von legterm den Befehl, gleichfalls nach diesem Punkte zu rücken . Als er aber Schlag auf Schlag erfuhr, daß Murat und die kaiserliche Garde von dort abmarſchirt , daß daselbst Anstalten zur gänzlichen Räumung getroffen würden und endlich, daß auch Macdonald abgezogen , änderte er den erhaltenen Befehl ab. Er ließ Schepelew's Colonne auf der gleichen Straße von Königsberg nach Elbing den französischen Marschall verfolgen und verſtärkte sie noch durch 1200 Pferde, während er seine Armee selbst über Friedland, Heilsberg , Liebſtadt und Preußisch-Holland dirigirte. In der gleichen Richtung machte sich auch sofort Platow auf. Als Tschitschagow in Gumbinnen den Abzug der Franzosen von Königsberg erfahren , stimmte er den Maßnahmen seiner beiden Unterbefehlshaber bei, änderte selbst auf der Stelle seine Marschrichtung zur Linken und rückte gleichfalls gegen Elbing, auf einem Wege, welcher mit dem von Platow und Wittgenstein eingeschlagenen parallel lief. Macdonald, gegen den alle diese Truppenmassen sich rich teten , hatte einen äußerst schwierigen Marsch. Die Division Heudelet, welche beinahe die Hälfte seiner Streitkräfte ausmachte, bestand aus an Alter und Dienstzeit sehr jungen Soldaten, welche durch Napoleon's unmenschliche Rücksichtslosigkeit zu früh den Härten des Krieges ausgeseht worden. Dieser schleunige Rückzug untergrub vollends ihre Moral. Sie ertrugen weder die Kälte , welche nach dem vorausgegangenen kurzen Thau= wetter wieder mit Strenge aufgetreten , noch die Strapazen und Entbehrungen , und zwar waren die leßtern groß mitten in einem Lande , welches seit langem infolge des Durchzuges von Armeen ausgesogen worden, und unter einer Bevölkerung, deren Haß auf die Nachricht von York's Abfall und dem Anmarsche der Ruſſen unserer Hülflosigkeit gegenüber sich Luft machte. ,,Wir sind ohne Lebensmittel und Fourrage, und ſind nicht im Stande, danach auszuschicken und zu suchen “, schrieb

Demoralisation der Macdonald'schen Truppen.

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Macdonald an Murat. Jene jungen Leute zogen hinter den Colonnen her und verloren mehr und mehr den Muth ; täglich fielen ihrer einige in die Hände der Kosacken oder blieben unter den Anzeichen des Todes liegen . Mit den Soldaten der Division Marchand theils Franzosen , theils Deutsche, ― und gleichfalls Rekruten stand es womöglich noch schlimmer. Sie hatten die Schrecknisse der letzten Tage des Rückzuges aus Rußland wie den schrecklichen Wirrwarr in Kowno durchgemacht und waren durch das Uebermaß des Unglücks verwildert. Während ihres kurzen Aufenthalts in Königsberg den Banden. der Disciplin wieder zugeführt, hatten sie dieselben schnell von neuem abgeworfen. Am vierten Marschtage verblieben der Division nicht 1000 Mann in Reih' und Glied² ; die übrigen befanden sich in vollkommener Auflösung oder waren bereits gefangen. „ Aller Subordination ledig , plündernd und mit den unverschämtesten Redensarten im Munde, hatten sie jeder militärischen Tugend entsagt, um die Schande der Armee und die Geisel der von ihnen durchzogenen Gegenden zu werden."s So lautete das von Macdonald über sie gefällte Urtheil. Das Herz voller banger Sorgen, fügte er noch hinzu , daß er bei einem ernſten Zuſammenstoße faſt nur auf die Diviſion Grandjean rechnen könnte. Dem entgegen wies er auf die längsterprobten Ruſſen hin, welche, durch unerhörte Erfolge begeistert und überall als Befreier begrüßt, dennoch die strengste Disciplin beobachteten, nichts ohne Bezahlung entnahmen und im Ueberfluſſe lebten. Die Partie schien Macdonald doch zu ungleich. So antwortete er Murat — als ihn dieser drängte,

1 Schreiben, datirt Frauenburg, den 10. Jan. 2 Hier ist der Stand der französischen Truppen dieſer Division am 8. Jan.: 50 Offiziere , 437 Unteroffiziere und Soldaten. Die Stärke dieser Diviſion würde kaum zur Formirung eines Bataillons hinreichen." (Schreiben von Eugen Beauharnais an Napoleon, Posen, am 1. Febr.) Die gleiche Diviſion hatte, als sie sich einige Tage ſpäter in Danzig wieder gesammelt , 2515 Mann präſent unter den Waffen und 223 in den Spitälern. 3 Schreiben Macdonald's an Berthier, vom 8. Jan. 5*

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selbst um den Preis einer Schlacht dem Marsche des Feindes daß an den Versuch eines solchen Mit: Schranken zu sehen, tels nicht mehr zu denken sei, man würde weiter nichts erreichen, als den Feind einige Stunden aufzuhalten, würde dabei brave Soldaten unnügerweise hinopfern und müßte bei der geringsten Schlappe gewärtigen, sowol die Artillerie als die Bagage zu verlieren , deren Pferde vor Hunger und Ermattung ent kräftet.¹ Als Murat in so dringender Weise seinem Unterbefehlshaber eine Schlacht zu liefern empfahl, versprach er ihm, mit den Ueberresten der Garde zu ihm zu stoßen, um an der selben theilzunehmen. Aber er schickte sich gleichwol nicht an, sein Versprechen zu halten , sondern sette vielmehr seinen Rückzug fort und ließ die ganze Tageslast auf Macdonald ruhen. Beim Verlaſſen von Königsberg hatte Murat die Absicht kundgegeben , seine Truppen an der Weichsel zu vereinigen, und , auf die deren Lauf beherrschenden Festungen geſtüßt , an diesem Flusse sich zu behaupten , obwol das jedenfalls noch ziemlich lange anhaltende Frostwetter selben nur zu einer fingirten Vertheidigungslinie machen mußte. Dieses Project aber, welches sehr vernünftig und ausführbar, wenn die 15000 alten Infanteristen und Reiter York's zur Stelle gewesen, war ohne sie nur eine Chimäre, und ohne Zweifel hat Murat nicht ernstlich daran gedacht. Wie dem auch sein mag, er hielt sich hier nicht auf und ist deshalb gerade nicht zu tadeln. Es ist zwar wahr, daß er am 9. Jan. in Elbing einen Adjutanten des Königs von Preußen, den Major Nazmer , empfangen, welcher ihm officiell angezeigt, daß die Convention von Tauroggen verworfen , der General York seines Commandos entsetzt und das preußische Contingent zurückberufen worden sei. Dennoch ließen diese Maßregeln das baldige Eintreffen jenes Contingents bei der französischen Armee nicht erwarten, auch in dem nicht leicht anzunehmenden Falle , daß die Rückberufungsordre demselben zuginge und von ihm befolgt würde,

1 Schreiben Macdonald's an Berthier vom 9. und 10. Jan.

Murat's Rückzug nach Posen.

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denn es war in der Convention stipulirt worden, daß bei deren Verwerfung seitens des Königs das Corps zwei Monate lang nicht gegen die Ruſſen dienen dürfe. Zudem erhielt Murat in dieser Zeit einen neuen Beweis von der Stimmung der preußischen Armee. Er hatte von Elbing aus dem in Graudenz angekommenen General Bülow geschrieben , noch von diesem Plage aus Recognoscirungen vorzuschicken und mit ihm in beständiger Verbindung zu bleiben. Ohne aber darauf nur ein Wort zu erwidern und ohne einen Augenblick zu warten , war Bülow von dort abgerückt , um in Eilmärschen nach Pommern zu gehen. Als Murat daher in Erfahrung brachte, daß nicht allein Wittgenstein, sondern auch noch Platow und Tſchitſchagow gegen ihn im Anmarsche begriffen, er überdies durch die täglich feindlicher werdende Haltung der preußischen Bevölkerung sehr beunruhigt wurde , welche unsere Nachzügler und Jſolirten zu mishandeln anfing, und zudem durch die Briefe Macdonald's außer Fassung gebracht, der, obwol er Schepelew immer kräftig zurückwies, sobald ihn dieser angriff, doch behauptete, daß seine Regimenter sich vollständig auflösen würden , wenn man ihnen nicht bald in den Festungen Ruhe und sicheres Quartier gäbe, da beschloß er, ohne Zögern und weiteres Haltmachen an der Weichsel den Rückzug bis nach Posen auszudehnen. Hier im Großherzogthume Warschau unter einer freundlich gesinnten Bevölkerung, und nach vorn, obwol auf sehr weite Entfernung, durch Schwarzenberg gedeckt, welchem er geschrieben, alles Mögliche zu thun, um sich in Pultusk und Wengrow zu behaupten, hier dachte Murat Athem schöpfen und die so dringend von ihm verlangten Verstärkungen abwarten zu können , während er gleichzeitig mit seiner Scheinarmee Berlin und Dresden schüßte. Mit Berthier's Hülfe traf er sofort seine Dispositionen, wobei er sich aber zu sehr von Macdonald's Besorgnissen beeinflussen ließ. Er hatte bereits die unberittenen Reiter von Elbing, wo sie sich gesammelt, abrücken laſſen, mit der Weiſung, sich nach Magdeburg, Glogau und Hannover zu begeben. Er ließ sie ihren Marsch fortseßen. Ferner befahl er, die Ueberreſte des 2. und 3. Corps von Marienburg über Dirſchau

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durch Westpreußen nach Küſtrin, die des 4. von Marienwerder über Posen nach Glogau , des 9. ebenfalls von Marienwerder nach Posen , des 1. von Thorn nach Stettin und des 8. von Thorn nach Posen zu dirigiren ; die des 6. sollten sich von Plock auf Gnesen zurückziehen, vorher aber noch im Vereine mit denen des 1. eine Besaßung für die Festung Thorn abgeben. Endlich wurden die Ueberreste der Garde nach Posen zu rücken befehligt. Was Macdonald betrifft, ſo wies ihn Murat an, die beiden Arme der Weichsel schnell bei Marienburg und Dirschau zu . paſſiren und darauf nach Danzig zu marſchiren , wo seine sämmtlichen Truppen einrücken und unter den Befehlen des Generals Rapp, Gouverneurs dieser bedeutenden Festung, verbleiben sollten. Lehtere hatte bereits 7-8000 Combattanten in ihren Mauern. Es wäre zur Noth ausreichend gewesen, wenn man derselben noch 6-8000 Mann gegeben , um sie noch ziemlich geraume Zeit die ihr obliegende Aufgabe erfüllen zu sehen, nämlich die in ihren Magazinen aufgehäuften Munitions- und Materialvorräthe zu bewachen , angesichts von Preußen die französische Fahne wehen zu lassen , und hauptsächlich einen festen Stüßpunkt für Napoleon's Operationslinie zu bilden, wenn dieser, wie er selber nicht bezweifelte, nach dem Niemen zurückkehren würde. 1 Indem Murat aber 20000 Mann nach Danzig warf, entzog er sich ohne dringende Nothwendigfeit 12-14000 Mann , welche in Posen schmerzlich vermißt werden sollten . 1

Macdonald passirte am 13. Jan. Dirschau , begegnete unterwegs Rapp , welcher ihm entgegengekommen, übergab ihm das Commando seiner Truppen und reiste nach Frankreich ab. Rapp hatte gleich darauf im Laufe des Nachmittags ein ziem lich hißiges Arrièregardegefecht mit Schepelew und Platow. Doch waren lehterè wenig zu fürchten , da sie keinen Rückhalt hatten , denn am 13. Jan. kam Tschitschagow erst in Elbing ¹ Am 21. Jan. 1813 betrug der Effectivstand der Besatzung von Danzig 30015 Mann präſent unter den Waffen und 5919 Mann in den Spitälern.

Murat's Charakter und Plane.

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an, während Wittgenstein, noch einen Marsch davon entfernt, in Preußisch-Holland rastete , welches er am vorhergehenden Tage erreicht. Am nächsten und zweitnächsten Tage sette Rapp seinen Marsch auf Danzig kämpfend fort und befand sich am 16. Jan. so ziemlich unter den Kanonen dieſer Feſtung, in welche er sich einſchließen ging, und die er nur als Gefangener wieder verlassen sollte. Am gleichen Tage traf Murat in Posen ein. Bis zur Weichsel war er mit den Ueberresten der Garde militärisch marſchirt. Indem er aber schnell von einer Idee zur andern übersprang, hatte er, voller Ungeduld, jene plöglich verlassen und ihnen die Fortsetzung des Marsches nach Posen anbefohlen, während er mit seinem Hauptquartier die Post benutte und dieser Stadt zueilte. Von den Renegaten der Revolution und den Emporkömmlingen des Kaiserreiches war Murat einer der verdorbenſten . Durch Waffengewalt einem ihn hassenden Volke als Souverän aufgezwungen , feurigen und aufgeweckten Geistes , aber ohne Redlichkeit und Erhabenheit, ein unter scheinbarer Offenherzigkeit falscher Charakter, außer vor dem Feinde sonst überall kleinmüthig , - hatte er in seinem Abenteurer-Königthume die Achtung und Erinnerung für das Vaterland verloren.

In

sich selbst und seine Macht vernarrt und von der Leidenschaft des Regierens verzehrt, war er bereit , von Napoleon , und wenn es sein mußte, auch von Frankreich sich loszusagen, nur um seine Krone zu retten. In der Meinung , Napoleon's Glück ſchon ganz zuſammengeſtürzt zu ſehen , gelangte er plöglich zur Ansicht, daß er, um sich auf seinem Throne zu erhalten , nur auf sich selbst bauen dürfe und so schnell als möglich näch Seine Anwesenheit, seinem Königreiche zurückkehren müſſe. dachte er wirklich, wäre dort unerlaßlich , um die neapolitanischen Patrioten , welche die Nachrichten aus Rußland aufzumuntern nicht verfehlen konnten , im Zaume zu halten , da sie immer bereit, gegen ihn sich zu erheben und die Engländer, welche die Herren des Meeres und auf Sicilien lagerten , zu Hülfe zu rufen. Daß er sich in Neapel befand, war unbedingt nothwendig, um in der Lage zu sein, nach und nach seine Sache

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von der Napoleon's zu trennen und den Abfall, dem ſein kurzsichtiger Egoismus ihn entgegentrieb, einleiten, verhandeln und vollführen zu können. Er hatte sich alſo entſchloſſen, die Ankunft der gegen Posen ziehenden Ueberreste der Armee nicht erst abzuwarten, sondern unmittelbar nach Italien zu eilen. Souverän wie Napoleon , glaubte sich Murat im Rechte, in Posen dasselbe thun zu dürfen, was Napoleon in Malodeczno gethan. Er theilte Berthier seinen Entschluß , aber nicht im ganzen Umfange, mit, und eröffnete ihm, daß er sich matt und krank fühle, einiger Erholung bedürfe, und zwar beabsichtige er, bei seinem Schwager Jérôme Bonaparte, dem Könige von Westfalen, dieser zeitweiligen Ruhe zu pflegen. Umsonst rief ihm Berthier den äußerst nachtheiligen Eindruck , welchen Napoleon's Abreise auf die Offiziere und Soldaten gemacht, ins Gedächtniß zurück und versicherte ihm, wie er selbst genugsam überzeugt sei, daß die Entfernung ihres neuen Oberbefehlshabers das Uebel verschlimmern würde. Vergeblich wies er ihn auf den unfehlbaren Zorn Napoleon's hin ; Murat wollte nichts hören. Berthier rief dann Daru zur Hülfe, welcher, als vormaliger Kriegscommissar , die Aemter eines Generaldirectors der Armeeverwaltung und eines Miniſterstaatssecretärs miteinan der bekleidete. Daru, ein sehr eifriger und durch das kaiserliche Tyrannenregiment sehr reich gewordener Diener , ein oft vom Gebieter befragter Rathgeber, dem auch manchmal Gehör gegeben wurde , besaß in der Geschäftspraxis , wie ihm sehr nachgerühmt wurde, Verständniß und Entschlossenheit. In jeder andern Lage würde seine Meinung ohne Zweifel für Murat von großer Wichtigkeit gewesen sein , aber diesmal blieb sie ohne jeden Einfluß. Murat stellte ihr den unbeugſamen Starrsinn der Thorheit und Eigenliebe entgegen. Als nichts fruchtete, hielten Berthier und Daru ihm die Schwierigkeit wegen der Einsetzung eines Nachfolgers vor. Darauf erwiderte er ihnen jedoch, daß er bereits Eugen Beauharnais gebeten , für seine Person schleunigst nach Poſen zu kommen, daß er ihn für abends erwarte und an seiner Statt ihn mit den Functionen des Obercommandanten zu bekleiden gedächte.

Murat reist nach Neapel.

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Als Napoleon die in voller Auflösung befindliche Armee verließ, hatte er Murat den Oberbefehl übertragen , nicht weil dieser der Fähigste zum Sammeln und zur Führung derselben, sondern weil er König war. Und Murat seinerseits wählte wieder Eugen zu seinem Nachfolger, weil Eugen Vicekönig war. Man hätte es unter dem , alten Régime nicht schlimmer treiben. können , dessen Vernichtung . so viel Blut und Anstrengung gekostet. Dem an ihn ergangenen Rufe folgend , kam Eugen am selben Abende des 16. Jan. in Posen an. Noch wußte er nicht weshalb. Murat verständigte ihn sofort davon. Obwol an Alter und Dienstzeit viel jünger als die übrigen Marschälle des Kaiserreiches , hatte Eugen in Rußland das 4. Armeecorps mit vielem Muth und vieler Entſchloſſenheit geführt. Zwar ein mittelmäßiger General, war er doch so ―― was eine gescheit, seine Mittelmäßigkeit einzusehen und bescheiden Seltenheit in der Gesellschaft des Kaiserreiches genug, dies einzugestehen. Anfangs weigerte er sich, da er der Last, welche Murat ihm aufwälzen wollte , sich nicht gewachsen fühlte ; vielmehr drang er lebhaft in diesen , zu bleiben oder wenigstens sich nicht eher zu entfernen, bevor er nicht Napoleon's Befehle erbeten und empfangen . Aber ebenso wenig wie Daru und Berthier, gelang es ihm , jenen von seinem Entſchluſſe zurückzubringen. Dann gab er endlich dem Zureden Berthier's nach und willigte ein, Murat provisorisch zu ersehen 2, wovon er Napoleon in Kenntniß zu sehen sich beeilte. Am nächsten Morgen, noch vor Tagesanbruch, reiste Murat ab. Auch zu Eugen hatte er gesagt , daß er sich nach Kaffel begeben würde. Nichtsdestoweniger schlug er den Weg nach Neapel ein. 2

1 Schreiben Berthier's an Napoleon, Posen, 16. Jan. 1813. 2 Eugen - welcher gegen Murat , als den Gatten einer Bonaparte , den Haß empfand , welchen jeder Beauharnais gegen Napoleon's Brüder und Schwestern hegte - schrieb unterm 20. Jan. an seine damals in Mailand befindliche Gemahlin : „ Erkundige Dich doch , ob es wahr ist, daß der König durchgekommen , um sich nach Neapel zu begeben ,

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Drittes Kapitel.

Wider Willen Oberbefehlshaber geworden , ging Eugen, von dem zwar fortwährend kranken Berthier unterſtüßt , mit einer ihm sonst nicht eigenen Thätigkeit ans Werk. Seine creolische Indolenz schwand angesichts der schwierigen Verhält nisse. Wir müssen auf das , was er that, etwas näher eingehen , denn nichts würde einen bessern Begriff von seiner Stellung und der Lage der Dinge geben können, als die Schilderung dessen. Vorerst ließ er die von Murat angeordnete allgemeine Rückzugsbewegung zu Ende führen, nur daß er sie betreffs der Ueberreste des 3. Corps abänderte, welchen er den Befehl zuſchickte, nicht in Küſtrin halt zu machen, ſondern nach Spandau zu rücken. Einige Tage hindurch blieb er in Poſen ganz und gar ohne Truppen. Die ersten , welche er erhielt , waren zwei durch Murat's Befehl nach Posen beorderte Bataillone der jungen Garde. Sie hatten den russischen Feldzug nicht mitgemacht, sondern kamen von Frankreich über Stettin, waren 1800 Mann stark und führten 8 Geſchüße mit sich. Kurz darauf trafen auch die Marschälle Lefebvre , Mortier und Bessières mit den Trümmern der kaiserlichen Garde ein. Eugen ließ aus den leztern alle dienſttauglichen Infanteriſten herausziehen. Man fand deren nur 800 von der alten und kaum 100 von der jungen Garde. Diese wurden in die beiden von Stettin gekommenen Bataillone, die andern aber in zwei am Plaze organisirte Bataillonscadres eingetheilt . Dies ergab 4 Bataillone , welche, unter die Befehle des Generals. Roguet gestellt , eine Division formirten , zu der bald darauf noch ein Bataillon , als der Rest der königlich italienischen Garde, und zwei Bataillone toscanischer und piemontesischer Veliten (welche nicht nach Rußland einmarschirt und von Warschau zurückgerufen worden) stießen.

deun uns hatte er gesagt, daß er bei dem Könige von Westfalen sich auszuruhen gedächte. Für einen Kranken wäre es nicht übel, in Einem Curse bis Neapel zu gehen. Man muß zugestehen, daß der Kaiser von seiner eigenen Familie sehr schlecht bedient wird. Ich hoffe , daß ihm dies die Augen öffnen wird .“

Reorganisationen unter Eugen Beauharnais.

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Gleichzeitig ließ Eugen unter den Trümmern der Garde die diensttauglichen und berittenen Cavaleristen aussuchen. Es waren deren 800. Man formirte aus denselben fünf Escadronen , welche ebenfalls in Posen verbleiben sollten ; 200 litauische Gensdarmen wurden ihnen zur Seite geſtellt. Danach blieben bei der Infanterie 7-800 Offiziere und Chargirte übrig, welche mittels Poſt nach Paris ſtradirt wurden. Auch bei der Cavalerie waren 3-400 Offiziere und Chargirte mit mehr als tauſend unberittenen Leuten übrig. Sie wurden sämmtlich nach Fulda dirigirt, von wo diejenigen, welche bei Eintheilung der leztern in 4 Escadronen nicht nöthig, bald mittels Post nach Paris berufen wurden. Eugen verfuhr mit den Ueberresten der Gardeartillerie

ebenso wie mit denen der Cavalerie. Das gab ihm aber nur eine Compagnie ; die an Zahl schwachen Offiziere und Unteroffiziere, welche in diesen kleinen Truppenkörper nicht eintraten, ließ er nach Fulda abgehen. Von Fulda aus mußten sich diese, gleichfalls mittels Post, nach Frankreich, und zwar nach La-Fère begeben. Während diese Sichtung unter . Eugen's Augen selbst vor sich ging , geschah auf seinen Befehl ein Gleiches mit den Ueberresten der vier ersten Armeecorps je nach Maßgabe ihres Eintreffens in Stettin, Küstrin, Glogau und Spandau . Aus dem 1. Corps, welches bereits 400 Mann zur Besazung von Thorn abgegeben , zog man mit vieler Mühe drei Bataillone heraus, welche zusammen 1600 Mann stark; aus dem 2. ebenfalls drei Bataillone mit 1900, aus dem 3. zwei Bataillone von nur 1000 und aus dem 4. drei Bataillone, welche 1900 Mann zählten.

Diese so reorganisirten Truppen

erhielten die Bestimmung , einen Theil der Besazungen jener vier Festungen, in denen sie sich befanden, zu bilden. Nach Durchführung dieser Organisation blieben ungefähr 5-6000 Offiziere und Chargirte disponibel , von denen die den drei ersten Corps angehörigen auf Erfurt, die vom zweiten. aber über Augsburg nach Verona stradirt wurden . Die einen, wie die andern sollten binnen kurzem bei den Neuformationen verwendet werden.

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Drittes Kapitel.

Die von den zahlreichen schweizerischen , würtembergischen, hessischen, badischen, mecklenburgischen, illyrischen und portugie-. fischen Bataillonen Uebriggebliebenen, welche zu den vier ersten Corps gehört und nur noch einige Häuflein bildeten, wurden nach der Elbe zurückgeschickt. Von hier kehrten die einen, nämlich die Deutschen, welche zur Verfügung ihrer Fürsten geſtellt, in ihr Land heim, während die übrigen theils nach Erfurt, theils bis an den Rhein zurückgingen. Dagegen wurden 1200 aus ihrer Heimat kommende Badenser nach Glogau geschickt. Das ausschließlich aus Baiern zusammengesette 6. Corps hatte 2000 Mann aus Rußland gerettet. Nachdem dasselbe den Niemen wieder überschritten , hatte es 4500 Mann aller Waffengattungen vorgefunden , welche mit 12 Geſchüßen aus Baiern gekommen. Zur Beſaßung von Thorn stellte es 3500 Mann. So verblieben ihm alſo noch deren 3000. Aus dieſen wurden - nach Ausscheiden einiger hundert Offiziere und Chargirten, die nach Baiern zurückgingen — eine kleine Infanteriediviſion, zwei Batterien und ein schwaches Cavalerieregiment formirt, welche unter die Befehle des Generalmajors Rechberg traten. Das ganz aus Westfalen bestehende 8. Corps war in Rußland fast verschwunden.¹ Als aber das Wenige, was davon übriggeblieben , die Weichsel wieder paſſirte, war ein aus Westfalen kommendes Marschregiment von 1500 Mann zu felbem gestoßen. Aus dem Ganzen bildete Eugen zwei Regimenter und schickte " die als überflüssig entfallenden Offiziere und Chargirten in ihr Land zurück. Binnen kurzem hatte er ferner in Poſen 1200 Mann neapolitanischer Eliten , welche Murat aus Danzig abrücken laſſen , und drei französische Bataillone in einer Gesammtstärke von 1800 Mann , die unlängst aus Frankreich gekommen und eigentlich zur Verstärkung des 1. Corps bestimmt gewesen. Diese Franzosen, Neapolitaner und Westfalen vereinigte er zu einer Division , welche er Gérard

1 Napoleon schrieb von Paris aus unterm 23. Dec. 1812 an Jérôme Bonaparte : „ Von dem westfälischen Heere bei der Großen Armee ist nichts mehr vorhanden.“

Weitere Reorganisationen.

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anvertraute. Erst in Rußland zum Diviſionsgeneral ernannt, hatte sich Gérard an Ney's Seite in den schrecklichsten Tagen des Rückzuges hervorgethan. Aus einem Regiment der Weichsellegion, welches den ruſſischen Feldzug nicht mitgemacht , und aus den Ueberresten der andern Regimenter dieſer Legion und einiger gleichfalls polnischen und ebenso in französischem Solde stehenden Regimenter bildete Eugen eine weitere Infanteriediviſion ~ von ungefähr 3500 Mann, und gab derselben den General Girard , einen Offizier von großer Energie, zum Commandanten. Endlich formirten 400 Pferde, die Reste zweier litauischen Regimenter, eine kleine Brigade unter dem Fürsten Gedroiße. Aus den Trümmern der französischen Liniencavalerie , der italienischen und deutschen Reiterei konnte man nicht eine einzige berittene Escadron herausziehen. Anfangs in Elbing gesammelt, waren die unberittenen Cavaleristen, wie bereits erwähnt, auf Murat's Befehl von da theils nach Glogau, theils nach Magdeburg oder Hannover in Marsch gesezt worden. Die Fremden schickte man in die Depots nach ihren Ländern zurück, zog hingegen die Franzosen in Hannover und Braunschweig zusammen. Von diesen leztern waren beim Wiederüberschreiten der Weichsel an sechstausend gezählt worden , doch hoffte man , daß diese Zahl durch das Eintreffen der Nachzügler beträchtlich vermehrt werden würde. In Hannover und Braunschweig sollte mit der Neuformation vorgegangen werden. Die Reste der Fußartillerie wurden nach Magdeburg , die der reitenden nach Berlin geschickt. Eugen schrieb unterm 31 . Jan.:,,Der Chef des Artillerieſtabes , der einzige General von dieser Waffe, den ich bei mir habe, hat den Standesausweis der 50 Compagnien Fußartillerie , welche den Feldzug mitgemacht, an die Kriegskanzlei eingesendet , aus welchem ersichtlich, daß man an Offizieren kaum die Cadres für fünfzehn bis sechszehn, und an Unteroffizieren für sieben bis acht Compagnien zu formiren hoffen kann.“ Die übrigen aus Rußland zurückgekommenen Artilleriecompagnien boten nicht mehr Hülfsmittel als jene. Das 9. Corps hatte in Rußland wenn man , wie wir

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Drittes Kapitel.

es gethan, die Diviſion Loiſon oder Marchand nicht dazuzählt drei Divisionen gehabt, worunter eine französische. Die lettere hatte es an der Beresina ganz und gar verloren und nur einige hundert Deutsche aller Waffen von drei bis vier verschiedenen Rheinbundsſtaaten nach Posen zurückgebracht. Eugen ließ diese in ihre Länder zurückmarſchiren. Das 7. von Reynier commandirte Corps stand immer noch unter Schwarzenberg's Befehlen und neben dem österreichischen im Großherzogthume Warschau. Das 5., welches aus Polen gebildet war, bemühte sich, ſeine Reorganiſation mittels einer Aushebung von 25000 Mann zu bewerkstelligen, die feit drei Monaten ausgeschrieben, aber noch nicht vollzählig bei der Fahne war. An Poniatowski , welcher gleichzeitig das Commando dieſes Corps und die Functionen eines Kriegsministers des Großherzogthums bekleidete , schrieb Eugen , seine Depots nicht zerstreut zu laſſen , sondern alles , was er an Mannschaft und Material habe , möglichst zu concentriren, um nicht durch eine rückgängige Bewegung Schwarzenberg's und des 7. Corps überrascht zu werden. Der General Bülow , welcher einige Tage zuvor an der

Weichsel Murat so wenig Gehorsam geleistet, war aus eigener Machtvollkommenheit nach Neustettin im östlichen Pommern gerückt und hatte seine Truppen um diesen Punkt in ausgedehnte Cantonnirungen verlegt. Da Eugen von der preußischen Regierung wie von Murat die Versicherung erhalten, daß jener General unter sein Commando gestellt, befahl er ihm verschiedene Maßregeln an, namentlich sollte er Cavalerie an die Neße in der Höhe von Poſen vorſchieben und das Land weithin durchſtreifen lassen. Bülow entschuldigte sich aber, diesem Befehle nicht nachkommen zu können , indem er angab , daß seine Truppen bei weitem noch nicht feldtüchtig wären , daß man vor fünf bis sechs Wochen nicht auf dieselben rechnen könne und er nur 300 Pferde bei sich habe". 1

1 Schreiben Eugen's an Napoleon , vom 27. Jan. Eugen fügt hinzu : „ Ich habe das Schreiben (Bülow's) an Hrn. de St.- Marsan übermittelt, um der preußischen Regierung zu erkennen zu geben , wie

Die Resultate der Reorganisation.

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Die eben kurz geschilderte Reorganiſation, welche in etwa vierzehn Tagen und meiſt nach den fortwährend von Paris aus ertheilten Weisungen Napoleon's durchgeführt wurde, ergab einen großen Theil der Besaßungstruppen für Spandau und die drei Oderfestungen, und stellte zu Eugen's Verfügung 1415000 Mann Infanterie, 15-1700 Reiter und 28 Geschüße in feldtüchtiger Verfassung . In numerischer Hinsicht war dieses doppelte Resultat von geringer Bedeutung. Dagegen war es von unendlichem und gleichzeitig erzieltem Werthe , daß dieses Chaos , welchem die fläglichen Trümmer der Armee verfallen, endlich entwirrt wurde und die Ordnung sich wieder zu befestigen anfing ; daß einige tausend Offiziere und Chargirte, welche wegen Mangels an Mannschaft überflüssig und infolge der ausgestandenen Leiden nichts weniger als disciplinirt waren , weit nach rückwärts geschickt wurden, wo sie bei der Formation einer neuen Armee unerlaßlich nothwendig , wo sie wirklich dem Dienste obliegen und damit den Tugenden ihres Standes wieder zugeführt werden sollten. Außerdem war Eugen bemüht, sein Hauptquartier, die festen Pläße, die rückwärts gelegenen Städte und Berlin von einer Menge verwundeter, kranker, ermatteter und demoralisirter Marschälle , Generale, Generalstabs- und anderer Offiziere, Kriegscommiſſare und Adminiſtrationsbeamten zu säubern , indem er ihnen den Befehl ertheilte, sich nach Frankreich zu verfügen, um dort zur Disposition des Kriegsministers zu stehen. „Ich kann nicht schildern“ , schrieb er betreffs deſſen an Napoleon, „bis zu welchem Grade seit Wilna die Entmuthigung in der Armee um sich gegriffen. Sehr wenige Generale ſind auf ihrem Posten geblieben. Würden es Ew. Majestät zum Beispiel wol glauben, daß der General X . . . , ein sonst braver Offizier , sich in Küstrin nicht sicher glaubte und bis Berlin

illusorisch die von ihr getroffenen Maßregeln , ihre Truppen zu meiner Verfügung zu stellen , gewesen , da dieses Corps weder Artillerie noch Cavalerie hat, und aus neuausgehobenen, noch nicht eingekleideten Mannschaften zusammengesetzt worden ."

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Drittes Kapitel.

retirirt ist ? Ungeachtet dreier ihm zugegangener Befehle hat er sich noch nicht bei mir blicken lassen. Weil ich die Nothwendigkeit einsehe, bin ich stark willens, einige ſtrenge Beiſpiele zu statuiren, um etwas Ordnung herzustellen." 1 Dieser General X . . . hielt mit seiner bestürzten Flucht doch noch in Berlin an, während dagegen eine sehr große Anzahl anderer Offiziere dieselbe bis nach Frankreich ausdehnten und hier ein Schauspiel ihrer Demoralisation lieferten. Die Baiern ließ Eugen auf ungefähr 15 Lieues von Posen in Gnesen stehen, wohin sie auf Befehl Murat's gerückt. Girard stellte er in Rogasen, Gérard etwas vorwärts von Posen und Roguet in letterer Stadt selbst auf. Die kleine litauische Cavaleriebrigade unter Gedroiße wies er links rückwärts nach Zirke , um seine Verbindung mit Küstrin und Frankfurt an der Oder einigermaßen zu decken. Das hieß seine geringen Mittel so viel als möglich ausnüßen. Er behielt keine andern Marschälle unter seinem Oberbefehle zurück als Berthier, welcher, obwol krank, ihm doch von großem Nußen war ; ferner Gouvion Saint-Cyr, der, kaum von seinen Wunden hergestellt , wieder zur Fahne eilte ; endlich Davouſt und Victor , welche ihn nicht verlassen wollten. Er behielt den erstern als Major-General , den zweiten als Berather und Helfer, während er die beiden andern mit der Aufsicht in den rückwärtigen Festungen , nach denen sie die Ueberreste ihrer Armeecorps geführt, beauftragte. Die Verproviantirung dieser festen Pläße wurde ein wichtiger Gegenstand seiner Aufmerksamkeit. Napoleon drängte ihn , diese sicherzustellen, und befahl, was seinerseits und besonders

1 Schreiben datirt aus Posen , den 2. Febr. ( S. ,, Mémoires et Correspondance du prince Eugène", herausgegeben von A. du Caffe.) Du Caſſe hat den Namen des von Eugen erwähnten Generals unterdrückt. In einem selben Tags an seine Gemahlin gerichteten Briefe sagte Eugen: ,,Ich bin zu großer Strenge genöthigt, um dahin zu gelangen, die Disciplin wieder etwas einzuführen ; Du würdest nicht glauben können , bis zu welchem Grade sie in Vergessenheit gerathen ist."

Napoleon über Murat.

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mit Rücksicht auf Preußen befremden mußte , alles , was entnommen würde, zu bezahlen. Diese Sonderbarkeit dauerte aber in der That sehr kurze Zeit. Napoleon bestätigte Eugen im Armeecommando, und zwar bestätigte er ihn , indem er denselben in der öffentlichen Meinung zu heben bestrebt war , Murat dagegen herunterſeßte. Man las im Moniteur : „ Der König von Neapel hat krankheitshalber das Armeecommando, welches er in die Hände des Vicekönigs niedergelegt , abgeben müssen. Dieser lettere hat mehr Uebung in einer großen Adminiſtration und besißt das vollkommene Vertrauen des Kaisers." Diese flammenden Zeilen genügten indessen dem Zorne Napoleon's noch nicht. Er schrieb an seine Schwester Karoline : Ihr Gatte ist auf dem Schlachtfelde ein sehr tapferer Mann ; er ist aber verzagter als eine Frau oder ein Mönch, wenn er den Feind nicht sieht. 1 Er hat keinen moralischen Muth. “ Und als er sich an Murat selbst wendete, überhäufte er ihn mit den gleichen Schmähungen und ließ sich bis zu der Drohung hinreißen, ihn seines neapolitanischen Königthumes wie irgendeinen beliebigen Beamten zu entseßen. 2 Unbedingt war hier ein strenger Tadel nur gerecht. Aber nicht Murat, sondern vielmehr Napoleon verdiente am meisten getadelt zu werden , welcher , obwol er seinen Schwager so

gut kannte, aus jämmerlicher Rücksicht auf die monarchische Etikette ihm ein über seine Kräfte gehendes Commando anvertraute. Napoleon hätte sich dies vergegenwärtigen und überhaupt bedenken sollen, daß es, dieſen Emporkömmling ohne Patriotismus mit Beleidigungen und Drohungen zu überhäufen, Gefahr laufen hieß , ihn in die Arme des Feindes zu treiben, welcher der Eigenliebe des Menschen zu schmeicheln und den Egoismus des Königs zu bestärken wissen würde. Wie

1 Brief vom 24. Jan. 2 ,,Sie sind auf dem Schlachtfelde ein guter Soldat ; aber außer demselben haben Sie weder Muth noch Charakter. Der Königstitel hat Ihnen den Kopf verdreht. Wenn Sie denselben zu behalten wünschen, so führen Sie sich gut. " (Brief vom 26. Jan.) 6 Charras , 1813.

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Drittes Kapitel.

konnte er übrigens dabei vergessen , daß Murat und er durch die Gemeinschaft des Verbrechens und die gegenseitigen Dienste einander verbunden waren ? Mußte Murat für einen Thron Napoleon verbunden sein, so hatte wiederum Napoleon das Gelingen des Attentats vom 18. Brumaire größtentheils Murat zu verdanken. Schon stand er bestürzt und unschlüssig vor seiner Niederlage und der verdienten Strafe , als dieser Soldat mit seiner Prätorianerseele sich an die Spitze der getäuschten und hintergangenen Truppen stellte, in das Heiligthum des Gesetzes eindrang und die der Sache der Revolution getreuen Volksvertreter daraus vertrieb. Seit den ersten Augenblicken seines Aufenthalts in Posen -war Eugen zur Ueberzeugung gekommen, daß er hier nicht über 15000 Mann in feldtüchtiger Verfassung würde vereinigen. können. Er hatte Napoleon davon in Kenntniß gesetzt und ihn um die Ermächtigung angegangen, auch über die Divisionen Grenier und Lagrange, welche unter des Marschalls Augereau Befehlen standen, verfügen zu dürfen. Die Division Grenier - welche aus Italien kam, von wo sie erst spät abberufen wurde befand sich, wie wir schon

früher erwähnt, gegen Mitte December zu Bamberg in Franken. Nach einer vierzehntägigen Ruhe war sie von da auf Berlin gerückt und langte Mitte Januar hier an. In einer Stärke von 20000 Mann, worunter 1000 Reiter, und mit einer zahlreichen Artillerie ausgerüstet , bestand sie zu zwei Drittheilen aus Franzosen, im übrigen aus Italienern , und zählte mehr alte als junge Soldaten. Die Division Lagrange war die einzige , welche Augereau von denen übriggeblieben, die das unter seine Befehle gestellte 11. Corps bildeten, um während des russischen Feldzuges Berlin und Preußen in Gehorsam zu halten, während die übrigen nach und nach zur Großen Armee gestoßen waren. Sie ſtand in Spandau, Berlin und den drei Oderfestungen und hatte 10000 Mann mit 2 Batterien. Vorausgesezt , daß Napoleon seiner Bitte beitrat , war Eugen's Plan, Grenier und Lagrange nach Thorn zu stradiren, selbst aber mit sämmtlichen bei Posen vereinigten Truppen

Napoleon täuscht sich über die Situation.

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hinter Schwarzenberg zu deſſen Unterſtüßung aufzumarſchiren . Der österreichische Feldmarschall meldete übrigens , was auch wahr , wie wir sehen werden , daß die Ruſſen gegen ihn anrückten und ihn in seiner linken Flanke zu umgehen drohten. Jene Idee Eugen's war sehr klug; auch Napoleon hatte sie zugleich mit ihm gehabt, und zwar schrieb er ihm von Fontainebleau , daß er über die Divisionen Grenier und Lagrange verfügen solle, gerade zur selben Zeit, wo Eugen aus Posen ihn brieflich um die Ermächtigung , die lettere dahin berufen zu dürfen, anging. ¹ Als Napoleon diese Autorisation ohne Anstand ertheilte,

machte er sich gleichwol eine beruhigende Vorstellung von der Situation. Er äußerte sich, daß der Kaiser von Desterreich ein neues Armeecorps an der galizischen Grenze zuſammenzöge, indeſſen die vom Könige von Preußen unter Bülow's Befehlen in Pommern vereinigten Truppen das durch York's Abfall eingebüßte Contingent ersetzten sollten; daß der König von Sachsen 6-8000 Mann nach Glogau abrücken laſſe ; daß alles dies Veranlaſſung genug ſei, die Ruſſen bedächtiger zu machen; und ſollten ihre Armeen die Weichselfestungen einschließen, wobei sie in ihrer linken. Flanke Schwarzenberg und Reynier hätten, während sie anderntheils auf einen schwachen Stand heruntergekommen , ermattet erſchöpft und in einer gräßlichen Verfassung wären , so würde sich ihre äußerste Kraftanstrengung darauf beschränken, ,,leichte Cavalerie oder eine schwache Avantgarde gegen Posen vorzuschieben“. 2 Napoleon erkannte also nicht , daß seine Herrschaft durch die russische Katastrophe und York's patriotische Handlung in ihren Grundfesten erschüttert war ; er zählte auf Alliirte, welche wie wir bald zeigen werden - eine sehr zweibereits felhafte Haltung einnahmen, und nach der bei ihm eingewurzelten Gewohnheit stellte er sich die feindlichen Armeen nicht in

1 Jene vom 24. Jan. datirte Autorisation ging Eugen am 30. zu, wie er unterm 31. in einem Schreiben an Napoleon bemerkt. 2 S. hauptsächlich die Schreiben Napoleon's an Eugen vom 24. und 27. Jan. 6*

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Drittes Kapitel .

ihrem wirklichen, sondern in dem Zustande vor , wie er sie zu haben wünschte. Er nahm seine eigene Einbildung für die Wirklichkeit an und gab sie als solche aus . Eugen säumte keinen Augenblick , von der ihm ertheilten Ermächtigung Gebrauch zu machen. Bereits am 31. Jan. ließ er an Grenier den Befehl abgehen , sich auf Poſen in Marsch zu sehen , und wies Lagrange an , seine in Berlin und den Festungen zerstreute Diviſion zu sammeln , um erſterm zu folgen. Unter dem Schwalle von Gerüchten, Nachrichten, Rapporten und Ereignissen, welche auf ihn hereinſtürmten, ſäumte er doch nicht, zu einem Entſchluſsſe zu kommen.

Viertes Kapitel.

Kutusow's Befehle an Tſchitſchagow. — Dieser wird wieder auf das Commando der Donauarmee beschränkt. — General Lewis wird mit der Einschließung von Danzig beauftragt. ---- Wittgenstein rückt nach Dirſchau und nimmt eine beobachtende Stellung ein. - Platow's Kosackencorps wird aufgelöst. Detachements unter Tschernitschew, Benkendorf und Tettenborn. 1 Tschitschagow rückt auf Strasburg. - Die - Ihre einzelnen Colonnen . Hauptarmee marſchirt gegen die mittlere Weichsel vor. — Deren Stärke. -- Das Corps Sacken's . — Combinirtes Manöver der Hauptarmee und jenes Corps gegen Schwarzenberg. - Wird im Einverständniſſe mit leßterm zur Ausführung gebracht. — Uebereinkunft wegen eines Waffenstillstandes und des Rückzuges des öſterreichiſchen Corrs nach der galiziſchen Grenze.-Vorwände, welche Schwarzenberg zur Erklärung ſeines Rückzuges Eugen gegenüber anführt. Räumt Warſchau. Bewegungen Reynier's und Poniatowski's. - Freude beim österreichischen Corps. Tschitschagow vor Thorn und in Bromberg. — Wittgenstein in PreußischStargard. — Tschernitſchew's, Benkendorf's und Tettenborn's Streifzüge. — Tſchernitſchew erscheint in der Umgegend von Posen. – Eugen beschließt seinen Rückzug nach dem linken Oderufer. – Die von ihm getroffenen Dispositionen. — Sein RückKommt in Frankfurt a. d. Oder an. Glaubt an eine große Bewegung der zug. Russen in seiner Linken. - Sein Irrthum . -- Wieder durch Tschernitſchew's, Benkendorf's und Tettenborn's Streifzüge getäuscht, verläßt er die Oder und zieht sich auf Berlin. Seine neuen Dispositionen. - Seine Fehler. - Wittgenstein in Driesen. - Detachement, welches er von da zur Unterſtüßung seiner Koſacken gegen Berlin entſendet. — Winzingerode marſchirt auf Kaliſch und überfällt hier Reynier's Corps. - Reynier zieht sich, ohne verfolgt zu werden, über Glogau gegen Baußen zurück.— Poniatowski gibt die Wiedervereinigung mit ihm auf und bewegt sich gegen das österreichichische Corps. · Marsch von Miloradowitsch und Tormaſow auf Kaliſch. -— Alexander's Ankunft in lezterer Stadt. - Stellungen von Winzingerode, Miloradowitſch und Tormaſow Ente Februar. – Beharrliche Entschloffenheit Alexander's.

im Widerspruche mit dem, Die russischen Armeen waren was Napoleon dachte und schrieb nicht zum Stillſtehen Wohl hatten sie viel gelitten und ihr Truppengezwungen. stand war furchtbar gelichtet , doch verpflegt , gekleidet und geschont, waren sie nicht in Auflösung gerathen. Dieselben waren

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Viertes Kapitel.

noch in wirkungsfähiger Verfassung geblieben , und sie hatten nicht gefeiert. Nach dem Willen Alexander's und Kutuſow's Befehlen, welche des erstern gezwungener Ausdruck waren, hatten sie sich, des strengen Winters ungeachtet , vorwärts bewegt und, ohne gerade ſchnell vorzurücken, doch viel Raum gewonnen im Laufe dieses langen Monats Januar, welcher Murat's übereilten Rückzug von Königsberg nach Posen und die von Eugen in letterer Stadt vorgenommene schnelle Reorganiſation gesehen. Wie schon erwähnt, dirigiten sich auf der Rechten Wittgenstein, Platow und ihr Oberbefehlshaber Tschitschagow - welche gleichzeitig Königsberg , Wehlau und Gumbinnen erreicht gegen Macdonald , der sich hinter Murat her auf Elbing und die untere Weichsel repliirte. Doch hatten sie ihm den Rückzug nicht abgeschnitten. Der französische Marschall hatte nur einige Arrièregardegefechte zu bestehen gehabt gegen Schepelew, der in sehr unzulänglicher Stärke von Wittgenstein detachirt war, und gegen Platow , der nur über Kosacken gebot; zudem war letterer erst gegen Dirschau hin zum Vorschein gekommen und hatte einen Theil seines Corps auf Graudenz detachirt. In Dirschau übernahm Platow , als der im Range Höhere , das Commando , worauf er Rapp - welcher an Macdonald's Stelle getreten und Proviantvorräthe nach Danzig einführen zu laſſen bemüht war weiter und weiter zurückdrängte, sedaß er ihn bereits am 16. Jan. bis beinahe unter die Kanonen jener Festung gebracht hatte. Fünf Tage später, nach einigen noch vorausgegangenen Gefechten , schloß er Danzig ein und war zugleich dreist genug, Rapp zur Uebergabe aufzufordern, hatte aber eine Antwort erhalten , welche ihm den Beweis gegeben, daß es noch anderes als bloße Worte koſten dürfte, um den französischen General dahin zu vermögen . Wäre Wittgenstein selbst mit seiner Armee von Wehlau aus raſcher marſchirt, so hätte er Macdonald wenn auch nicht bei Elbing, so doch wenigstens bei Marienburg oder Dirschau vorkommen und unter Schepelew's und Platow's Mitwirkung ihm den Rückzug sehr schwierig, vielleicht gar unmöglich machen können. Sei es aber nun daß Wittgenstein , wie versichert

Wittgenstein, Platow und Tschitschagow.

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wird, durch seine Stellung unter Tschitschagow's Befehle verstimmt, seinen Eifer momentan nachlaſſen fühlte¹, oder sei es, daß er Bedenken trug , seinen schon sehr ermatteten Truppen mehrere Eilmärsche zuzumuthen , kurz und gut, er war , wie wir gesehen, am 13. Jan. dem Tage, an welchem Macdonald bereits Dirschau paſſirt — erſt in Preußisch-Holland . In acht Tagen hatte er nur 32 Lieues zurückgelegt. Er ließ sich selbst von Tschitschagow in Elbing überholen, welcher zur gleichen Zeit, als er Wehlau verlassen , von Gumbinnen aufgebrochen war. Aber auch Tschitschagow war nicht zur rechten Zeit auf Macdonald's Rückzugslinie angekommen. Indem er sich so in seinen Plänen gegen Macdonald und in der Hoffnung, ihn mit seiner Uebermacht zu erdrücken, enttäuscht gesehen, ließ er seine Armee erst in Elbing, dann in Marienburg ausruhen, und wies Wittgenstein an , auch mit der ſeinigen in Elbing zu rasten. Nur die gegen Rapp sich schlagenden Truppen und eine vom Generalmajor Woronzow befehligte fliegende Colonne beließ er in Thätigkeit. Er hatte die letztere seit mehrern Tagen in der Richtung auf Graudenz entſendet. Dieselbe machte sich hinter den damals im Marsch gegen Posen begriffenen Ueberresten der kaiserlichen Garde und andern Corps her auf und erſchien am 18. Jan. in Bromberg. Indeſſen gingen Befehle von Kutuſow ein, welche die nunmehr zwecklose Truppenanſammlung in Elbing und Marienburg aufhoben , und Wittgenstein , Platow und Tschitschagow einer neuen Bestimmung zuführten. Mit dem Erstgenannten hatte sich seit dem 5. Jan. die Division Lewis vereinigt , welche von Riga aus zur Verfolgung des im Rückzuge begriffenen Macdonald abgerückt war , ihn aber nicht erreicht hatte, und noch etwas über 5000 Mann zählte. Diese Division und noch 5-6000 Mann sollte Wittgenstein zu den Danzig einschließenden Truppen stoßen lassen 2 und die Blokade dieſes Plages

¹ Clauſewiß, „ Der Feldzug von 1812 in Rußland“. 2 Eine von Bogdanowitsch in seiner 11 Geschichte des Krieges im Jahre 1813" gebrachte Standesliste führt das Detachement Lewis vor Danzig zu 11800 Mann auf.

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Viertes Kapitel .

dem Generallieutenant Lewis übertragen, er selbst aber mit den 11-12000 Mann, welche ihm nach dieser neuen Detachirung verblieben, einstweilen eine Observationsstellung in Dirschau nehmen. » Das Kosackencorps Platow's wurde aufgelöst. Einen Theil desselben behielt man vor Danzig zurück, und bildete aus dem Reste , das heißt aus 5000 Mann , drei Corps von ziemlich gleicher Stärke, jedes mit 2 Geſchüßen ausgerüstet , die zur Armee Wittgenstein's übertraten und die Generalmajore Tschernitschew , Benkendorf und den deutschen Obersten Tettenborn zu Führern hatten, welche bereits durch die an der Spize dieser halbwilden Kinder Rußland's ausgeführten kühnen Handstreiche und verwegenen Reiterstückchen bekannt geworden. Tschernitſchew hatte zuleht Marienwerder überfallen und hätte beinahe Eugen mit den Ueberresten des 4. Armeecorps aufgehoben. Er machte sich sogleich auf den Weg durch Westpreußen, wohin ihm Benkendorf und Tettenborn folgten. Schließlich sollte Tschitschagow mit der Donauarmee nach Strasburg (etwa 12 Lieues von Thorn) rücken , welches er am 26. Jan. erreichte. Er hatte die Weisung, bis auf weitern Befehl hier stehen zu bleiben und sich bereit zu halten, je nach Umständen entweder Wittgenstein, welcher fernerhin seinen Befehlen nicht mehr unterstand , oder der Hauptarmee zu Hülfe zu kommen. 2

1 Nach einem amtlichen, detaillirten Ausweise, welchen Bogdanowitsch in seiner ,, Geschichte des Feldzuges im Jahre 1812 " producirt, beliefen mit den Detachements vor Pillau fich die Streitkräfte Wittgenstein's in Königsberg 2c., und vor Danzig, die Division Lewis mit inbegriffen am 12. Jan. 1813 auf 30400 Mann. Dagegen hatte Wittgenstein, nach einem vom gleichen Autor aufgeführten Rapport Kutusow's vom vorhergehenden 19. Dec., an dieſem letztern Tage 34483 Mann . Wenn man die Division Lewis , welche in den allerersten Tagen des Januar zu der Wittgenstein'schen Armee stieß, nur mit 5000 Mann (Bogdanowitsch ´schätzt sie höher) in Ansatz bringt , ersieht man also , daß letztere innerhalb 25 Tagen über 9000 Mann, also über den vierten Theil ihres Standes , durch Gefechte , Strapazen und Krankheiten verloren oder in den Spitälern gelaſſen hatte. 2 Befehle Kutuſow's vom 15. und 26. Januar. ( S. ,,Mémoires de Tchitchagof", unveröffentlichter Theil.)

Vorrücken der Hauptarmee.

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Die lettere Armee hatte sich endlich in Bewegung gesezt, um gegen die Weichsel vorzurücken. Sie hatte zwar durch Krankheiten und die Reduction der Cadres vielen Abgang gehabt, doch waren als Ersag dafür Nachzügler und Reconvalescenten wieder eingerückt, die beiden von der untern Beresina kommenden Divisionen, wie einige Reservebataillone und Escadronen zu ihr gestoßen, und dieselbe so unter dem ungeduldigen Drängen des Zar - welchen der Abfall York's in seinen weit gehenden Planen bestärkt, ermuntert und ermuthigt — raſch reorganisirt worden. So zählte sie 50000 Mann, die in fünf Colonnen eingetheilt waren. Die erste , Avantgarde benannt und 12-13000 Mann stark, wurde vom General Winzingerode befehligt, einem Deutschen und eifrigen Patrioten, welcher im vorhergehenden Jahre aus der österreichischen Armee geschieden, um in ruſſiſche Dienſte zu treten. Sie hatte den gefrorenen Niemen zwischen Merecz und Grodno überschritten, und war über Kollno am 20. Jan. in Chorzel angelangt, wo sie in Erwartung weiterer Befehle noch am 25. ſtand . Chorzel liegt 20 Lieues nördlich Pultusk, wo Schwarzenberg sein Hauptquartier hatte , indem er durch die Vorposten des österreichischen Corps auf seiner Linken die Umgegend von Praßniß, im Centrum Ostrolenka und auf seiner Rechten Ostrow mit Brock besetzt hielt , bei welchem leztern Punkte er an Reynier sich anschloß. Die zweite Colonne , welche aus Reservetruppen gebildet, nämlich dem Grenadier- und dem kaiserlichen Gardecorps, zwei Kürassierdivisionen und mehrern Kosackenregimentern , zählte 17000 Mann und stand unter den Befehlen des Generals Tormasow . Mit derselben marschirte der Zar, welcher Kutusow bei sich hatte. Sie war am 8. und 9. Jan. aus der Umgegend von Wilna abgerückt, und indem sie über Merecz, Suwalkh und Lyk eine mit dem von Wittgenstein eingeschla genen Wege parallel laufende und diesen beinahe berührende Route verfolgt , erreichte dieselbe am 23. Johannisburg , wo sie noch am 25. stand. herwärts Chorzel.

Die lettere Stadt liegt vier Märsche

In Lyk und Johannisburg war man in preußischen Landen.

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Biertes Kapitel.

Alerander wurde hier ein Empfang zutheil, welcher ganz dazu angethan war, ihn auf dem nach Deutschlands Herzen führenden Wege zu erhalten und vorwärts zu drängen. Durch die ihm dargebrachten enthuſiaſtiſchen Kundgebungen tief bewegt und in seiner gewöhnlichen Bescheidenheit beinahe in Verlegenheit gebracht, antwortete er den Beamten und Deputationen von Stadt und Land , die ihn zu begrüßen und in Ansprachen zu bewillkommnen herabgeeilt , mit der Wiederholung der Verheißungen, welche sie bereits in der Proclamation gelesen , die Kutuſow mit seinem Namen unterzeichnen mußte. Er erklärte ihnen , daß er keine Eroberungsabsichten gegen Preußen hege, sondern, weit davon entfernt, als Befreier zu ſelbem käme, und auf dessen und seines Königs Hülfe wie auf die Unterstützung der Deutschen zähle zur Befreiung von ganz Deutschland. Die dritte Colonne stand unter den Befehlen von Miloradowitsch und war nur 12000 Mann stark. Sie hatte den Niemen in Grodno passirt und marschirte von dort parallel mit Wingingerode's Colonne, etwas links von ihr, aber nicht in gleicher Höhe mit derselben. Sie befand sich am 15. Jan. in Goniondz , am 20. in Klein-Plock und am 25. bis , auf einen Marsch herwärts von Praßnih , so ziemlich halben Wegs zwischen Chorzel und Pultusk. Die vierte Colonne hatte den General Dokhturow zum Commandanten und eine Stärke von ungefähr 8000 Mann. Dieselbe rückte als Echelon hinter der vorerwähnten nach , an-

fangs auf ziemlich weite, dann auf ziemlich nahe Distanz. Die fünfte Colonne endlich war nur 3000 Mann ſtark und stand unter den Befehlen des Generals Ratt. Sie war am 11. Jan. in Bialystock und marschirte, nach einem kurzen Auf`enthalte hier, in der Richtung auf Warschau weiter. Sie hatte die Beſtimmung, die Verbindung der Hauptarmee mit dem Corps Sacken's zu unterhalten und dieses im Nothfalle zu unterstüßen. Den ihm bekanntlich gegen Mitte December aus Wilna zugefertigten Befehlen gemäß war Sacken über die Muchawiza gegangen und am rechten Ufer des Buz abwärts bis gegenüber von Reynier's Cantonnirungen gerückt.

Seit dem 10. Jan.

Stärke der russischen Corps.

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hatte er sein Hauptquartier in Chicanowitz und beobachtete den französischen General durch leichte Truppen . Er war un1 Während des Vormarsches der gefähr 12000 Mann stark. vier ersten Colonnen passirte Sacken den Bug. Langsam vorrückend , wobei es hier und da zu einigen unbedeutenden Vorpostengefechten kam, hatte er das Corps Reynier's vor sich zurückweichen sehen, und so stand er am 25. Jan. dem lehtern gegenüber, welches seine Hauptmacht bei Dobre (nur drei Märsche von Warschau) und auf seiner Linken gegen Brock hin mit den Desterreichern Fühlung hatte. Dokhturow, Ratt und Sacken standen momentan unter Miloradowitsch' Befehlen.

1 Es ist ziemlich schwierig, die Stärke der verschiedenen russischen Corps in dieser Zeit genau festzustellen . Selbst General Bogdanowitsch, welcher auf „ allerhöchſten Befehl“ und auf Grund amtlicher Actenſtücke geschrieben , wenigstens was die ruſſiſche Armee anbelangt, hat keine ganz genauen Standesausweise vorgefunden. Nach gegenseitiger Vergleichung der von ihm eingesehenen Acten ist er beinahe zu derselben Ziffer gelangt , welche Oberstlieutenant Plotho in seiner so bekannten Geschichte des Krieges von 1813 und 1814 (,,Der Krieg in Deutsch =land und Frankreich in den Jahren 1813 und 1814 ") anführt. Im allgemeinen haben wir die unserigen nach jenen beiden Geſchichtschreibern festgestellt, dabei aber auch in einigen Fällen den von andern gebrachten Rechnung getragen. So schwankt z . B. Bogdanowitsch hinsichtlich der Stärke von Winzingerode's Colonne zwischen der von Blotho angegebenen Ziffer von 9600 und der von 16000 Mann , welche ein Ausweis in dem ,,Journal der versendeten Schriftstücke" ergab. Wir haben deren Stärke zu 12-13000 Maun angenommen , wie sie der Generallieutenant Hoffmann in seinem gewiſſenhaften Werke über den Krieg von 1813 („ Zur Geschichte des Feldzuges von 1813 “ ) aufführt. Als Generalsstabschef des Prinzen Eugen von Würtemberg, deſſen Corps die ganze Infanterie von Winhingerode's Colonne bildete, hat dem General, damals Oberstlieutenant, Hoffmann, der Beſtand der Colonne jedenfalls mit hinlänglicher Genauigkeit bekannt ſein müſſen. Im ganzen differiren unsere Stärkeangaben mit denen von Bogdanowitsch nur hinsichtlich Winzingerode's Colonne. Wie wir, gibt er Tormasow gleichfalls 17000, und den Corps von Miloradowitsch, Dokhturow, Natt und Sacken zuſammen 35000 .

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Biertes Kapitel. Der Zweck des ganzen eben geschilderten Manövers , mit

dessen Entwickelung Schwarzenberg nicht unbekannt sein sollte, lag klar vor Augen. Die vier ersten Colonnen der Hauptarmee drohten , durch eine einfache Directionsänderung nach links, Schwarzenberg's linke Flanke zu umgehen und zu umwickeln , während Sacken's Corps , von der fünften Colonne unterſtüßt , Schwarzenberg's Rechte , nämlich das Reynier’ſche Corps , zu überflügeln bereit schien , sobald der österreichische Feldmarschall gegen die Maſſe der Hauptarmee sich wenden würde. Schwarzenberg hatte also eine wirkliche Thatsache gemeldet, als er, wie wir oben erwähnt, an Eugen schrieb , daß er sich auf dem Punkte befände, ven den Russen umgangen zu werden. Er hatte jedoch nicht die ganze Wahrheit gesagt , denn die Wahrheit war, daß er mit Fleiß das Manöver der Russen sich entwickeln lassen und noch entwickeln ließ , anstatt es zu stören und zu hindern, wie er es gekonnt hätte und noch konnte. In Wirklichkeit verblieben ihm , ungeachtet der Krankheitsfälle und Deſertionen , 24000 Desterreicher , 12000 Sachsen und Franzosen, und er konnte sich darauf verlassen, daß Poniatowski beim ersten Rufe mit 10-12000 Polen zu ihm stoßen würde, während die Hauptarmee und Sacken's Corps, welche im Heranrücken begriffen, zusammen nur 60-62000 Mann zählten. Er hatte also offenbar Truppen genug, um sich noch ziemlich lange vor der Weichsel zu halten und bis zu dem Zeitpunkte sich dort zu behaupten, wo Eugen zu seiner Unterſtüßung herbeikommen, wo Grenier und Lagrange über Posen gleichfalls gegen die Weichsel vorrücken würden. Doch in Wahrheit wollte sich Schwarzenberg nicht mehr gegen die' Ruffen schlagen und richtete danach alles ein. Desterreich hatte Rußland sozusagen möglichst wenig bekriegt. Nur unter dem Drucke der Furcht, welche ihm Napoleon einflößte, und unter dem Drange der Umstände hatte es in das Bündniß mit dem französischen Eroberer gegen jene Macht eingewilligt. Kaum hatte dasselbe den Vertrag unterzeichnet, welcher es an den letterwähnten band , als es auch dem Zar die Zusage gab,,,nicht die Hauptmasse seiner Strei-

Desterreich's Stellung zu Rußland.

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kräfte gegen Rußland in Bewegung zu sehen, sondern nur die gegen dieses stipulirten 30000 Mann auftreten zu laſſen.“ 1 Und es hielt dieses Versprechen so gut, daß der Zar ſeinerseits von einer projectirten großen Diversion in das Donauthal absah. Desterreich hatte dann ängstlichen Blickes die verschiedenen Phasen des russischen Krieges verfolgt, indem es, ohne daß es dies zu hoffen wagte, den Nichterfolg der Waffen desjenigen, der es so gedemüthigt und beraubt, wünschte. Seine Freude war daher eine hohe geweſen , als es erfahren , daß nicht nur Misgeschick, sondern eine Katastrophe über jenen hereingebrochen. Von da ab war Desterreich darauf bedacht, wie es sich dies zu Nutze machen könnte, um sich von seinen Niederlagen etwas oder vielleicht ganz wiederzuerheben ; und bevor es noch die Kataſtrophe in ihrem ganzen Umfange kannte, ließ es den Befehl an Schwarzenberg gelangen, vor allem ſein Armeecorps zu schonen und den Kampf mit den Ruſſen zu vermeiden , dabei aber soviel als möglich den äußern Schein zu wahren. Das erste Resultat dieſes Befehls war der in den lezten Decembertagen vom österreichischen Feldmarschall mit dem General Waſiltſchikow abgeſchloſſene Waffenstillstand gewesen, jener schwebende, stillschweigende und nicht schriftliche" Waffenstillstand, zu welchem Murat , wie man sich erinnern wird , im voraus seine Zustimmung gegeben. Als aber die österreichische Regierung in bestimmter Weise. wußte, daß Napoleon's Armee gänzlich vernichtet, beschloß sie, einen Schritt weiter zu thun , ihr Contigent vom Kriegsschauplaze zurückzuziehen und dasselbe an die galizische Grenze zu beordern , indem sie gleichzeitig zu dem Zar in geheime Beziehungen trat und ihm als für ganz gewiß von einer Allianz sprach, während sie doch sicherlich zum Abschlusse einer solchen angesichts der noch überaus dunkeln Zukunft sehr wenig geneigt sein mochte. 2

1 Schreiben Alexander's an Tschitschagow, Wilna , 7./19. Juni 1812. (S. ,,Mémoires de l'amiral Tchitchagof. " 2 Eine vom General Toll, dem Generalquartiermeister Alexander's, verfaßte und vom 11. Jan. datirte Denkschrift beginnt mit folgenden

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Biertes Kapitel.

Alerander hatte indeſſen nicht erſt dieſe ſchüchternen und in der Folge etwas verdächtigen Eröffnungen abgewartet, um den Versuch zu machen, ohne Schwertstreich in den Besit von Warschau zu gelangen und das öſterreichiſche Corps zu neutraliſiren , wenn nicht gar auf seine Seite zu ziehen. Er sandte einen seiner Staatsräthe, den Baron Anſtett, einen franzöſiſchen Emigranten, mit dem Auftrage an Schwarzenberg, diesen zu bewegen, dcm von York gegebenen patriotischen Beispiele zu folgen. Schwarzenberg besaß aber weder des preußischen Generals kühnen Charakter noch dessen glühenden Haß gegen Napoleon . Den ihm gemachten Vorschlag beantwortete er mit einer ausdrücklichen Zurückweisung. Anstett suchte dann, was gleichfalls zu seiner Mission gehörte , einen schriftlichen Waffenstillstand auf drei Monate oder kürzere Zeit zu erlangen , mit der alleinigen Bedingung , der österreichische Feldmarschall sollte sich insoweit gegen die Grenze seines Landes zurückziehen , daß die Ruſſen in ihren Bewegungen nicht beengt würden. Dieser wollte jedoch nichts schriftlich abmachen , und stellte zudem noch die Forderung, daß jeder Waffenstillstand auch auf das Corps Reynier's ausgedehnt werde ; in diesem Punkte sich zu verſtändigen war aber unmöglich, da der Zar , schien es , durchaus nicht mit einem französischen General ins Einvernehmen zu treten gewillt war. Nach einer leßten Unterredung bei den österreichischen Vorposten in Ostrow am 6. Jan. trennte man sich also , indem es bei dem schwebenden Waffenstillstand blieb, welcher früher zwischen Wasiltschikow und Schwarzenberg vereinbart worden und der bis dahin in Wirklichkeit auch dem Reynier'schen Corps, obwol es nicht in ſelben eingeſchloſſen, zugute gekommen. Als aber Schwarzenberg gleich darauf aus Wien den Befehl erhielt, ſich vom Kriegsschauplage zurückzuziehen und Galizien zu nähern , mit dem Bemerken , daß der Kaiser von Desterreich ihm , seiner Klugheit und Geschicklichkeit die Aus-

Worten: ,,Wenn Desterreich infolge der bereits begonnenen"?Unterhandlungen ein Bündniß mit Rußland ſchließt ....“ (Bernhardi , „ Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Generals Toll" .)

Schwarzenberg und die Russen.

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führung dieses heiligen Rückzuges , ohne zu starken Argwohn im französischen Lager zu erregen , überlasse , da nahm er die Unterredungen mit dem Baron Anstett sehr schnell wieder auf. Indem er nach mehrern Zusammenkünften auf jede Stipulation für das Reynier'ſche Corps Verzicht geleistet , andererseits aber darauf bestand , daß nichts geſchrieben , nichts unterzeichnet werde - ohne Zweifel, um der Geheimhaltung desto sicherer zu sein , vereinbarte er mündlich, aber in ausdrücklicher Weise mit dem Bevollmächtigten des Zar, daß der bestehende Waffenstillstand auf unbestimmte Zeit verlängert würde , das österreichiſche Corps ſich direct gegen Galizien zurückzöge und einen an diese Provinz angrenzenden Landstrich des Großherzogthums Warschau, welcher demnächſt in ſeiner Ausdehnung zu beſtimmen, beſehe. Dieser Rückzug ſollte mit dem Anmarſche der ruſſiſchen Colonnen seinen Anfang nehmen, ihr Heranrücken also selbem den Anſchein militärischer Nothwendigkeit geben und die Tendenzen der Politik , welche ihn anordnete , etwas verschleiern helfen. Jene Colonnen waren damals bereits im Marsche begriffen. Sobald die Patrouillen der erstern angesichts der äußersten Vorposten gegen Praßniß hin erſchienen, hatte sich Schwarzenberg`beeilt , Eugen davon in Kenntniß zu sehen , und damals war es, wo er ihm, wie bereits erwähnt , geschrieben , daß er in seiner Linken umgangen zu werden befürchtete. Fast unmittelbar darauf meldete er weiter in neuen Depeschen, daß die Bewegung der Russen nach der Weichsel eine allgemeine sei und mit großen Truppenmassen ausgeführt würde, daß dieselben ihn gleichzeitig in der Fronte, Flanke und Rücken anzugreifen gingen, daß seine Stellung nicht haltbar und er demzufolge eben den Oberst von Latour mit ausgedehnter Vollmacht zum Unterhandeln nach Ostrolenka habe abgehen lassen, wäre dies auch nur", sagte er,,,um Zeit zu gewinnen und sich in Ordnung und ohne seine Truppen zu sehr anzustrengen hinter die Weichsel zurückziehen zu können". Und um Eugen besser davon zu überzeugen , schickte er ihm einen Adjutanten, einen gewandten, einnehmenden Mann, welcher seine Depeschen des weitern

erläutern , seine Besorgniſſe rechtferti

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Biertes Kapitel.

gen und ferner anzeigen sollte , daß mehrere seiner Vorposten, von einer zahlreichen Reiterei beunruhigt, sich hätten zurückziehen müssen.¹ Es ist wol überflüssig, hier zu bemerken , daß jener Adjutant strenges Schweigen beobachten mußte über die Zuſammenkünfte des österreichischen Feldmarschalls mit Anſtett und was hierbei abgemacht worden. Alles dies stand im ſtarken Widerspruche mit den Mahnungen , welche Eugen , gleich wie Murat , an Schwarzenberg gerichtet, und mit den Verſicherungen, die er ihm bei Uebernahme des Obercommandos gegeben ; nämlich mit jenen Mahnungen, vor Warschau Stand zu halten , und mit den Versicherungen betreffs der Unmöglichkeit für die russischen Armeen, noch et was zu unternehmen in Rücksicht auf die vorgerückte Jahreszeit und die Unklugheit, welche es für sie sein würde , mitten unter die Festungen einzudringen, und weil sie vor Ermattung hin wären".2 Eugen's Ueberraschung war demnach auf die beunruhigenden Nachrichten aus dem österreichischen Hauptquartier eine große, und beeilte er sich daher , einen vertrauten Offizier, den Commandanten de Labédoyère, mit dem Auftrage dahin abzuschicken , über die wahre Sachlage sich zu vergewissern. Am 26. Jan. von Posen abgereist , war Labédoyère am 1. Febr. dahin zurückgekehrt. Er hatte schnell und richtig geſehen, errathen, was er nicht geſehen, und auf der Stelle er´kannt, was hier vorgehen sollte. „ Der Fürst Schwarzenberg ,“ sagte er zu Eugen,,,scheint den Befehl zu haben, seine Truppen in keiner Weise der Gefahr auszusehen , und kommt dem gewissenhaft nach. Er ist mit den Ruſſen im Einverständniſſe. Seine Vorposten trinken fortwährend mit ihnen Kameradschaft, feine Offiziere gefallen sich in der Erklärung , daß das öſterreichische Corps nicht allein gegen die russische Armee Stand halten kann, und daß es , weil die Große Armee nicht mehr eristirt, nichts Besseres zu thun gäbe als sich zurückzuziehen .

1 Schreiben Eugen's an Napoleon vom 25. Jan. 2 Schreiben Eugen's an Napoleon, Posen, 18. Jan. 2c.

Eugen und Schwarzenberg.

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Er wird nicht einen Zünder mehr abbrennen, und ist nur darauf bedacht, so schnell als möglich Galizien zu erreichen.“ 1 Labédoyère hatte das österreichische Corps theils einige Lieues vor Warschau , theils in Warschau selbst verlassen. Dasselbe war , ohne einen Flintenschuß zu thun , bis hierher zurückgegangen. In seiner Rechten stand Reynier vor und diesseit jener Stadt. Während seiner Rückzugsbewegung von Wengrow her hatte sein Nachtrab zu verschiedenen malen mit Sacken's leichten Truppen Zusammenstöße gehabt , welche zwar eigentlich nicht für Gefechte angesehen werden konnten, aber doch zur Genüge bewiesen, daß die Russen mit den Sachsen und Franzosen anders umgingen als mit den Oesterreichern . Um alle diese Scharmüßeleien aufhören zu machen, brauchte Schwarzenberg unmittelbar nach Labédoyère's Abreise das Corps Reynier's nur durch einige öſterreichische Escadronen zu decken, eine Demonstration, welche den Ausschlag gab. Eugen sollte übrigens binnen kurzem die officielle Beſtätigung von Labedoyère's Bericht erfahren. In Verfolg eines wiederholt von Napoleon ertheilten Befehls hatte er Schwarzenberg unterm 30. Jan. angewiesen , für den Fall , daß er sich nicht vor Warschau halten könne, mit Reynier auf Kaliſch und Posen zurückzugehen , und hatte ihn dabei benachrichtigt , daß er dem entsprechende Instructionen ebenfalls an Poniatowski erlaſſen. Am 3. Febr. wiederholte er ihm dieſe Ordre , bat und drang in ihn , derselben nachzukommen , indem er ihm zugleich die demnächſtige Ankunft der Divisionen Grenier und Lagrange in Posen anzeigte und ihn gegen Kaliſch hin mit 40000 Mann zu unterſtüßen versprach. Aber Befehle, Ersuchen und Bitten wurden von dem österreichischen Feldmarschall umgangen und abgelehnt. Er erwiderte Eugen ganz unverhohlen, daß er seine Desterreicher gegen Galizien zurückzuführen im Begriff stehe. Er hätte keine für die französischen Waffen nachtheiligere Richtung einschlagen können . Um seinen Entschluß zu erläutern und sich deshalb zu entschuldigen, schrieb er, daß 1 Schreiben Eugen's an Napoleon , Posen , 1. Febr. ― - Bericht des Commandanten Labédoyère an Eugen. 7 Charras , 1813.

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er sich von der Straße nach Krakau , auf welcher seine Artilleriereserve, Monturvorräthe, Verstärkungen und die Räumungslinie seiner Spitäler sich befänden, nicht entfernen könnte¹, und bemerkte weiter , daß es sich unnüßerweise erschöpfen hieße, wenn man einem an Zahl überlegenen Feinde das offene Land streitig zu machen suche, daß es besser wäre, seine Reorganisation sich angelegen sein zu laſſen, wie er es zu thun beabsichtige, und daß man, wenn das Frühjahr gekommen, leicht das ganze Land wieder gewinnen könnte , über welches die russischen Armeen sich ausgebreitet und wo sie sich, fern von ihren Hülfsquellen , erschöpft haben würden.2 Diese fonder baren und lächerlichen Gründe ließen den Mangel an Offenheit bei dem , welcher sie vorbrachte , nur in um so hellerm Lichte erscheinen. Nachdem Schwarzenberg seinen Entschluß , die französische Armee zu verlassen , Eugen zu erkennen gegeben , war er nur noch darauf bedacht , so schnell als möglich sich vom Kriegsschauplah zu entfernen . Am 24. Jan. hatte er noch in Wyzkow am Bug (7-8 Lieues von Pultusk) eine Zusammenkunft mit Anſtett. Man kam hierbei überein , daß der Waffenſtillſtand auf unbestimmte Zeit fortdauern und wenigstens 14 Tage vor Wiedereröffnung der Feindseligkeiten gekündigt werden sollte ; daß Warschau zeitig genug geräumt würde, damit die Ruſſen am 6. oder 7. Febr. dort einziehen könnten ; daß das österreichische Corps binnen acht Tagen von Warschau über Petrikau und Novomjaſto hinter die Pilicza sich begeben, hier sechs Tage rasten und von da an die Kamienna rücken sollte, wo es am 27. Febr. eintreffen und hinter diesem Wasser von Kunow bis Malagocz Cantonnirungen beziehen würde. Außerdem einigte man sich über die Art und Weise, in welcher Schwarzenberg nach und nach das Land bis zu den Thoren von Warſchau räumen sollte , und wie die verschiedenen ruſſiſchen Colonnen nach Maßgabe des Fortganges feines Rückwärtsmarſches

1 Schreiben Eugen's an Napoleon, Posen, 6. Febr. 2 Schreiben Schwarzenberg's an Eugen, Warschau , 5 Febr.

Schwarzenberg räumt Warschau.

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vorzurücken hätten. Schwarzenberg wollte seinem Rückzuge immer den Schein einer Bewegung geben , welche durch das numerische Uebergewicht der Russen und die Gefahr, umgangen zu werden, geboten würde, und danach richtete man alles ein. Nachdem dieses Programm der beiderseitigen Bewegungen einmal festgesetzt, ging man ohne Verzug an seine Ausführung. In Verfolg dessen war Schwarzenberg an dem Tage, wo Labédoyère sich bei ihm verabschiedete , um wieder nach Posen abzureisen, bereits bis in die Umgegend von Warschau zurückgewichen und hatte auch Reynier dahin gezogen , welcher immer noch seinen Befehlen Folge leistete, von dem Waffenstillſtand indeſſen nichts wußte, aber auch ſonſt auf jeden Fall in die Bewegung der Oesterreicher, an welche er seine linke Flanke 1 lehnte, hineingezogen worden wäre. In Warschau drangen Reynier, Poniatowski und der franzöſiſche Miniſter Bignon in Schwarzenberg , diese Stadt zu vertheidigen. Doch umsonst. Wenn man einmal , und noch dazu nach den Instructionen seiner Regierung, einen Entschluß wie der österreichische Feldmarschall gefaßt, tritt man davon nicht zurück, ohne durch einen ernsten und gewichtigen Grund dazu gezwungen zu werden. Ein solches Motiv hätte das plößliche Eintreffen Eugen's im österreichischen Hauptquartier sein können. An Ort und Stelle commandirend, hätte Eugen zweifellos Gehorsam gefunden , trotz der Befehle vom wiener Cabinet und der von Schwarzenberg mit den Ruſſen eingegangenen Verbindlichkeiten. War es nun aber Mangel an Verständniß für die Situation oder war es vielmehr Mangel an Charakter , kurz und gut , Eugen war in Posen geblieben und blieb dort, wo ihn Gouvion Saint- Chr ganz gut hätte erſeßen können. Wie dem auch sein mag , Schwarzenberg zog das Corps Reynier's am 1. Febr. nach Blonie , einen Marsch hinter Warschau an der Hauptstraße nach Kaliſch, und machte der großherzoglichen Regierung und Poniatowski die officielle Anzeige, daß er sie sich selbst zu überlassen im Begriff stehe. Unterdessen hatten die ruſſiſchen Colonnen, dem aufgestellten Programm gemäß , ihren Vormarsch nicht unterbrochen und denselben weiter fortgeseßt. Am 5. Febr. erschienen Sacken, 7*

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Viertes Kapitel.

Dokhturow und Miloradowitsch vor den Thoren von Praga, der Vorstadt Warschaus am rechten Weichselufer, während der Zar mit Tormasow's Colonne in Plock einzog, auf einige Lieues ihm zur Rechten Winzingerode , welcher drei Tage früher die Weichsel auf dem Eise passirt hatte. Diese beiden Colonnen schienen bereit, am linken Ufer jenes Flusses aufwärts vorzudringen , um sich in Schwarzenberg's Rücken zu werfen , wenn dieser seinen Rückzug nicht schnell weiter führen sollte. Er sezte denselben indessen ohne Säumen fort. Am 6. Febr. abends zog er seine äußerste Arrièregarde aus Warschau zurück und verlegte sein Hauptquartier auf einen Marsch herwärts dieser Stadt an die nach Galizien führende Straße. Poniatowski war seit drei Tagen mit ſeinen Polen, 10—12000 Mann an der Zahl, abmarſchirt und hatte, wie Reynier, den Weg nach Kalisch eingeschlagen. In Uebereinstimmung mit dieſem ließ er in der Festung Modlin, die wol hinlänglich verproviantirt , aber sehr schlecht mit Unterkunftsräumen versehen war, 4000 Polen, 600 Franzosen und 600 Sachsen, also über 5000 Mann zurück, welche er mitzunehmen klüger gethan hätte. Die nicht transportfähigen Verwundeten und Kranken in Warschau selbst überließ man dem Großmuthe der Ruſſen . Ihre Zahl • war bedeutend, nämlich 1500 Sachsen, 1000 Franzosen, 1000 Desterreicher und viele Polen, ungeachtet daß man in den leztverflossenen Tagen einen großen Theil der Kranken und Verwundeten von den Corps Reynier's, Schwarzenberg's und Voniatowski's aus den Spitälern entfernt hatte. Am gleichen Tage, an dem der letzte österreichische Soldat Warschau verließ, gelangte Reynier, welcher in mehrern Colonnen marſchirte, mit ſeinem Hauptquartier nach Brzezyn ; Poniatowski, der bis dahin feſt entſchloſſen ſchien, wie der Erstgenannte nach Kalisch zu rücken , schlug das ſeinige in Rawa , an der über Petrikau nach jener Stadt führenden Straße, auf.¹

1 ,,Ich habe die Ehre , Ew. Majestät anzuzeigen , daß der Fürst Poniatowski mir meldet, wie sämmtliche polnische Truppen auf Petrikau fich dirigiren, von wo sie nach Kalisch rücken werden, um hier mit den Desterreichern , wenn diese meine Befehle ausführen , oder mit dem

Entmuthigung der Polen.

Die Oesterreicher.

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Die flüchtig gewordene großherzogliche Regierung befand sich in der Mitte des polnischen Corps . Aller ihrer Bemühungen ungeachtet, troß ihrer rauſchenden Aufrufe zu den Waffen, trok einer ſchwülstigen Proclamation des König - Großherzogs und selbst eines das Masseaufgebot anbefehlenden Decrets war es ihr nicht gelungen, anch nur ein einziges Dorf gegen die Ruſſen zur Erhebung zu bringen. Es hatte ihr ebenso an Geld gefehlt, um das Poniatowski'sche Corps zu reorganiſiren und um mehr als einige hundert polnische Kosacken auf die Beine zu bringen, während doch 10000 Mann derselben hatten ausgehoben werden sollen. Durch die Continentalsperre ruinirt, war das polnische Volk des Despotismus , der Zölle , Requisitionen und Conſcriptionen überdrüßig , und durch Napoleon's zweideutiges Benehmen hinsichtlich Polens wie durch die russische Katastrophe mismuthig geworden. Der Adel war im ganzen weniger unzufrieden und minder entmuthigt , aber bereits unter sich uneins ; mehrere in seinen Reihen , ja ſelbſt Mitglieder der Regierung waren geneigt , die von Napoleon immer vertagte und umgangene Wiederherstellung der polnischen Nationalität von Alexander zu erbitten und von ihm zu hoffen. Hinter Poniatowski marſchirten die Oesterreicher. Die Freude, dem Vaterlande wieder näher zu kommen , war groß in ihren Reihen. Generale , Offiziere und Soldaten waren glücklich, Napoleon's Fahnen den Rücken zu kehren. Mit der offenherzigen Voreiligkeit in ihren Wünschen wollten alle in dem vor sich gehenden Rückzuge das sichere Pfand eines radicalen und schon vollzogenen Umschwunges der Politik ihres Monarchen erblicken ; alle waren von dem Wunsche beseelt, die alte Schmach zu rächen. Ich gestatte Ihnen", sagte ein in Warschau krank zurückgebliebener österreichischer Adjutant zu dem Engländer Robert Wilson , „ ich gestatte Ihnen , mir die äußerste Beschimpfung anzuthun¹ , wenn Sie mich je den Degen.

General Reynier sich zu vereinigen , wenn die Oesterreicher uns verlaffen." (Schreiben Eugen's an Napoleon vom 5. Febr.) 1 Wir mildern hier den englischen Text, welcher in seinem ſtarken Ausdruck lautet : ,,Spit in the face."

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Viertes Kapitel .

gegen die Russen wieder ziehen sehen, und Sie können versichert ſein, daß es in dem österreichischen Corps niemand gibt , der nicht wie ich denkt.“ i In einer Stunde der Demüthigung hatte der Kaiser Franz seine Tochter Napoleon hingegeben und in einem Moment von Furcht eine bewaffnete Allianz mit ihm geschlossen. Dieser doppelte Pact hatte aber den Haß der österreichischen Völker gegen den französischen Eroberer nur ſteigern können , und sie ergingen sich in bittern Vorwürfen darüber gegen ihren schwachen Kaiser. Als Miloradowitsch in Warschau einrückte , beauftragte er, in Verfolg der bezüglichen Befehle Kutusow's, Dokhturow mit der Beobachtung der Festung Modlin ; Sacken wies er an, etwas leichte Cavalerie den Oesterreichern nachzuschicken und Warschau nebst Umgegend zu beseßen ; Ratt sollte Zamosc blokiren, wo die polnische Regierung eine Garnison zu belaſſen den Fehler begangen , während er selbst mit seiner eigenen Colonne zum Weitermarsche sich bereit hielt. Nach der Uebereinkunft mit Schwarzenberg, welche weiter nichts als ein autorisirter Abfall war und den Ruſſen in ihrem Centrum und ihrer Linken die mittlere und obere Weichsel bis gegen Krakau hin preisgab , war der Zar um so entſchloſſener, sich nicht aufzühalten , wie dies nach York's freiwilligem Abfalle geschehen , mit dem er in seiner Rechten das ganze Land bis zur untern Weichsel in die Gewalt bekommen. So wie der Strom das Schiff , so trugen die Ereignisse seine Politik. Auf seinen Befehl dirigirte sich bereits Winzingerode gegen Konin, welches an der Warthe fünf bis sechs Märsche östlich von Posen liegt, indessen die Colonne Tormasow's Plock zu verlassen sich anschickte, um erſterm zu folgen, während Tschitschagow und Wittgenstein eine Vorwärtsbewegung machten, welche mit jenen in der Ausführung begriffenen correspondirte.

¹ Private diary of travels, personals services, and public events during mission and employment with the European armies in the campaigns of 1812 , 1813 , 1814 ., by general sir Robert Wilson. (London 1861.)

Weiteres Vorrücken der Russen.

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Tschitschagow war nach einer mehrtägigen Rast in Strasburg am 30. Jan. auf Thorn marſchirt , hatte vor diesem Plaze scheinbar Anstalten zum Sturme getroffen und selben vergeblich zur Uebergabe aufgefordert. Indem er 6000 Mann vor deſſen Mauern zurückließ , um jenen so lange zu blokiren, bis die Jahreszeit und die Ankunft der unerlaßlich nothwendigen Artillerie die Inangriffnahme der Belagerung gestatten. • würden , hatte er die Weichsel auf dem Eiſe paſſirt und war nach Bromberg gerückt mit dem Reste seiner Truppen , von welchem überdies 2000 Pferde in Abgang kamen, die unter des Generallieutenants Tschaplit Befehlen gleich nach Gnesen detachirt wurden, wo immer noch die schwache bairische Division. Rechberg postirt war. In Bromberg traf Tschitschagow eine kleine Abtheilung von Woronzow's fliegendem Corps , welches er bekanntlich vor mehr als drei Wochen detachirt hatte. Woronzow hatte im Bromberger Kanal mehrere im Eise festsigende Schiffe weggenommen, welche mit einer bedeutenden Menge von Montur- und Ausrüstungseffecten beladen gewesen. Er hatte einige hundert Mann zur Bewachung dieser Beute zurückgelaſſen und seinen Marsch gegen Posen fortgeſeht. Wittgenstein war von Dirſchau nur bis Preußisch-Stargard vorgegangen , wodurch er sich auf so ziemlich gleiche Höhe mit Bromberg sehte. Seine Kosacken waren ihm aber weit voraus. Unter Tschernitschew's, Benkendorf's und Tettenborn's Führung hatten sie, von der preußischen Bevölkerung mit Jubel begrüßt und gefeiert, die Cantonnirungen des Corps , welches Bülow um Neuſtettin formirte , paſſirt , wobei ihnen der herzlichste Empfang zutheil wurde.¹ Immer rührig und unermüdlich, er: schienen sie schon am 31. Jan. in Filehne, am 3. Febr. in

welchen Tschernitſchew 1 Der Rittmeister Graf Muffin-Puschkin an Bülow sendete, um sich wegen dessen Gesinnungen hinsichtlich der berichtet, daß der preußische General zu ihm Russen sicherzustellen - · fagte : ,,Nicht nur werde ich Ihnen nicht hinderlich sein, sondern werde an den König einen Offizier entſenden, um die Erlaubniß zu erlangen, mit den Ruſſen gemeinschaftliche Sache zu machen." (Bogdanowitsch, ,,Geschichte des Krieges im Jahre 1813".)

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Landsberg a. d. Warthe, und griffen am 5. bei Soldin die auf dem Marsche nach Stettin begriffenen Trümmer des 1. Armee corps an. Indem sie das Land in allen Richtungen durch streiften, breiteten sie sich einerseits unter Benkendorf und Tettenborn bis an die Oder und andererseits unter Tschernitschew bis in die Umgegend von Poſen aus . Schon das Aufgeben von Warschau und Schwarzenberg's ercentrischer Rückzug hatten Eugen sehr beunruhigt. Das Erscheinen von Tschaplig' Schwadronen und Woronzow's. fliegender Colonne, welche gegen Posen hin einander die Hände reichten , vermehrte ſeine Besorgniß , und es erreichte dieſe den höchsten Grad, als er den Anmarsch des Corps unter Wingingerode von Konin her erfuhr. Er wähnte , unmittelbar von beträchtlichen Truppenmassen angegriffen zu werden, und gelangte nach einigen unbedeutenden Vorpostengefechten zu dem Entſchluſſe, bis an die Oder zurückzugehen und letztere zu seiner Vertheidigungslinie zu machen. Demzufolge schrieb er an Grenier, welcher auf dem Marsche zu ihm jenen Fluß erreicht hatte, dort halt zu machen ; Lagrange sollte mit seiner Division auf Berlin rücken, Poniatowski und Reynier aber ihren Marsch auf Kalisch fortseßen und von da sich nicht mehr nach Posen, 1 sondern auf Glogau dirigiren. Es wäre jedoch für Eugen gerathener gewesen, seine Verstärkungen bis zu sich herankom men zu lassen und unterdeſſen mit den 15-16000 Mann, welche er zur Hand hatte , zu manövriren , um Poniatowski und Reynier aufzunehmen . Sein übereiliges Verlaſſen von Posen ist kaum zu entschuldigen. Dieſe Poſition war allerdings keine vortheilhafte, seitdem Schwarzenberg von Pultusk und Warschau abgezogen , doch war ihr Festhalten von Wichtigkeit, denn von da aus deckte man Dresden und Berlin, imponirte den deutschen Landen und schüßte die Aushebung von Leuten und Pferden in einem großen Theile von Posen. Man hätte nur vor einer vor einer bedeutenden Truppenentwickelung den Rückzug antreten sollen, also im Falle evidenter Nothwendigkeit, aber

1 Schreiben Eugen's an Napoleon, Posen, 9. Febr.

Eugen's Rückzug an die Oder.

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nicht auf vage Gerüchte hin und beim Erscheinen einiger leich ten Truppen der feindlichen Armee. Eugen sette auch Bülow von seinem Rückzuge in Kenntniß und verband damit die Ordre an denselben, sich auf Stettin zu repliiren. Diesmal erhielt er aber von dem Genannten eine Antwort, welche ihm den klaren Beweis lieferte , daß er weder auf deſſen Hülfe noch Gehorsam rechnen durfte. ¹ Eugen verließ in der Nacht vom 11. zum 12. Febr. Posen, wo an tausend nicht transportfähige Kranke zurückblieben. Rechberg , welcher von Gnesen kam , traf am nächsten Tage daselbst ein und rückte am 13. weiter. Seit einigen Tagen waren die Vorposten des leßtgenannten Generals unaufhörlich von Tſchaplig' Reitern angegriffen worden, und noch bei ſeinem Abmarſche von Posen hatte er welche hinter sich. Ihm war die Weiſung geworden, ſich direct nach Kroffen zu begeben und hier zur Bewachung der dasigen Oderbrücke Stellung zu nehmen. Er kam am 16. Febr. dort an, nachdem er den Weg sehr unnöthigerweise in Eilmärschen zurückgelegt. Auch er mußte viele Kranke zurücklaſſen und hatte nicht mehr als 2400 Mann unter den Waffen. 2 Eugen schlug mit dem Reste seiner Truppen die Landstraße ein, welche von Posen über Frankfurt a. d. Oder nach Berlin führt. In seinen Flanken und Rücken tummelte sich Tschernitschew. In der Nacht vom 12. zum 13. Febr. überfiel lezterer in Zirke die beiden schwachen litauischen Cavalerieregimenter unter dem Fürſten Gedroiße und nahm die Hälfte davon gefangen. Dies war der einzige erwähnenswerthe Vorfall während des in Rede stehenden Rückzuges. Die Witterung war wieder milder geworden und allgemein Thauwetter eingetreten. Am 18. Febr. kam Eugen in Frankfurt an. Unterwegs hatte er sich durch sehr ungegründete oder sehr falsch ausgelegte

1 Schreiben Eugen's an Napoleon vom 15. Febr. 1 Bölderndorff,,,Kriegsgeschichte von Bayern unter König Maximilian Joseph I."

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Viertes Kapitel.

Berichte zu dem Glauben verleiten lassen , daß die Russen in ſeiner Linken eine große Bewegung zur Ausführung brächten.¹ Schon diese Einbildung verursachte ihm viel Unruhe , als er von neuen Nachrichten ereilt wurde, die ihn vollends irremachten. Er erfuhr, daß die Koſacken die Oder am 17. Febr. - am Tage, bevor der Fluß aufging — bei Zellin kühn überschritten und nicht weit davon in Wrießen ein westfälisches Bataillon, welches aus Weſtfalen kam und nach Stettin marſchirte, angegriffen und gefangen hätten. Man versicherte ihm, daß eine russische Infanteriecolonne eben durch Königsberg passirt und die von einer Abtheilung der stettiner Garnison bewachte Oderbrücke in Schwedt forcirt worden wäre. Endlich erfuhr er , daß der Handstreich der Kosacken auf Wrießen in Berlin große Bewegung hervorgerufen, und empfing zudem einen Brief vom Marschall Augereau , welcher ihn aus Berlin selbst benachrichtigte, daß nicht weit von der Hauptstadt Kosacken fich gezeigt. Von alledem war weiter nichts wahr als das Erscheinen etlicher Kosacken einige Lieues von Berlin und ferner die Ge fangennahme des westfälischen Bataillons in Wrießen, welches unter der Einwirkung der Landesbewohner , des von York gegebenen Beispiels und des deutschen Patriotismus nicht gegen die Ruſſen, als Deutſchlands Befreier, sich hatte schlagen wollen . Nichtsdestoweniger glaubte aber Eugen in den ihm zugegangenen Berichten neue und sichere Anzeichen einer großen Bewegung der Ruſſen gegen seine linke Flanke zu erblicken.2 Was des Feindes eigentliche Stärke , die Ursache so vielen Lärmes , anlangte , so beschränkte sie sich auf Tschernitſchew's , Benkendorf's und Tettenborn's Kosacken , welche erst kürzlich durch einige schwache Husaren- und Dragonerescadronen verstärkt worden und mit dieſen zuſammen nicht mehr als 5500 3 Mann zählten. Die Oder passirte der erstere bei Zellin, der

1 Schreiben Eugen's an Napoleon, Bythin, 12. Febr. 2 Schreiben Eugen's an Napoleon, Frankfurt a. D., 19. Febr. 3 Tschernitschew hatte 2000 Mann , Benkendorf ebenso viel,

Eugen rückt nach Berlin.

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zweite bei Frankfurt und der lettere etwas oberhalb Schwedt. Sie durchstreiften das Land in Detachements, ohne aber weiter unterſtüßt zu werden , denn Woronzow war zur Bewachung Posens, welches indessen wenig Neigung zum Aufstande hatte, zurückgeblieben , während Tschaplih wieder zur Donauarmee gestoßen. Diese stand immer noch in Bromberg und vor Thorn, die Wittgenstein'sche aber in Westpreußen. Eugen hatte den Marschall Gouvion St.-Cyr nach der Oder vorausgeschickt und ihn zum Commandanten eines aus den Divisionen Lagrange und Grenier gebildeten Armeecorps ernannt. Aus der lettern hatte er, nach den Anordnungen Napoleon's, zwei Divisionen formirt, die eine unter Grenier's, die andere unter Charpentier's Befehlen. Bei Eugen's Ankunft in Frankfurt standen Grenier und Charpentier ebendort und in Küſtrin , die Diviſion Lagrange in und bei Berlin , mit Ausnahme von zwei ſehr zur Unzeit in Stettin zurückbehaltenen Bataillonen. In dem , wie man ſieht , unbegründeten Glauben an eine große Bewegung der Ruſſen in seiner linken Flanke und demzufolge der Meinung, daß Berlin von dieser Seite unmittelbar bedroht, beeilte sich Eugen, die zur Deckung dieser Stadt nöthigen Maßregeln zu treffen. Er befahl Gouvion St. Cyr , die Diviſion Charpentier längs der Oder von Küstrin abwärts nach Wrießen und Freienwalde marſchiren zu laſſen, und hinter sie die Division Grenier von Frankfurt nach Werneuchen . und Straußberg zu verlegen. Bald erſchienen ihm aber diese obenerwähnten Dispositionen zur Erreichung jenes Zweckes nicht genügend . Während er daher die Division Girard nach Küstrin schickte und die unter Gérard in Frankfurt beließ, rückte er mit der Division Roguet und der Gardecavalerie aus letterer Stadt ab, um sich Berlin zu nähern. Er war noch zwei Märsche davon entfernt , als ihm ein Bericht Augereau's meldete, daß der Oberst Tettenborn an der

Tettenborn dagegen nur 1500. (Bericht des Generalquartiermeisters Diebitsch, vom 11. Febr. S. bei Bogdanowitsch.)

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Biertes Kapitel.

Spize seiner Kosacken am 20. Febr. mit Tagesanbruch in Berlin eingedrungen, nachdem er Lagrange, welcher die Zugänge beſeßt hielt, ausgewichen. Dieſer kühne Reiterführer war jedoch in kurzer Zeit von der Garnison zurückgeworfen worden , da die Einwohnerschaft, wider ſein Erwarten, ihn nicht unterſtüht hatte; die Frauen allein empfingen ihn am besten , indem sie aus den Fenstern mit den Taschentüchern winkten. 1 Nichtsdestoweniger war der Alarm in Augereau's Hauptquartier ein großer. Augereau bat Eugen dringend um Verstärkung, hauptsächlich an Reiterei. Er hatte in Wirklichkeit nur zwei Escadronen großherzoglich würzburgischer Dragoner. Auf diesen Bericht hin rückte Eugen mit der Gardecavalerie, d. h. mit 1000 Pferden, unverzüglich nach Berlin, welches er im Verlaufe des 22. Febr. erreichte. Die sogleich von dort vorgeschobenen Recognoscirungen genügten, um Tettenborn und den zu dessen Unterſtüßung herbeigekommenen Tschernitschew ziemlich weit zurückzutreiben. Während diese beiden aber nördlich von Berlin retirirten , griff der General Benkendorf bei Müncheberg das 4. italienische Jägerregiment , welches allein die ganze aus Italien herbeigeführte Cavalerie bildete, an und vernichtete es bis auf ein kleines Häuflein.2 Und kaum hatte man in Berlin von dieſem rücksichtlich unsers Mangels an Reiterei um ſo verdrießlichern Vorfalle Kenntniß erhalten , als dort auch die Nachricht einlief, daß die Stadt Fürſtenwalde und ihre Spreebrücke von den piemonteſiſchen Veliten unter dem Commandanten Cicéron ohne Schuß dem General Benkendorf überlassen worden war. Diese Unfälle bestimmten Eugen, sich noch mehr zu concentriren. Er ließ die Division Lagrange in Berlin und zog Grenier, Charpentier und Roguet etwas vorwärts von dieſer

1 Schreiben Tettenborn's an Stein in Perß , „ Das Leben des Ministers Freiherrn vom Stein“. 2 Schreiben Eugen's an Napoleon vom 24. Febr.: „ Es find (d. h. vom 4. italienischen Jägerregiment) nur der Oberſt, 10 Offiziere und 33 Mann zurückgekommen." (Schreiben Eugen's an Napoleon vom 8. März.)

Eugen's Fehler.

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Stadt bei Köpenick zusammen, indem er, sonderbarerweise, hauptsächlich das linke Spreeufer beſeßte. Girard ertheilte er den Befehl , zu ihm zu stoßen und in Küstrin zur Ergänzung der dortigen Besaßung die beiden weftfälischen Regimenter zurückzulaſſen, die er erſt kürzlich zu deſſen Verstärkung von Gérard abgerufen hatte. Dem lehtern schrieb er , Frankfurt nach dem Abbrennen der daſigen Brücke zu räumen und sich bis Müllrose an den Kanal, welcher die Spree mit der Oder verbindet, zu repliiren . Endlich befahl er Rechberg , mit seinen Baiern Kroſſen nach Zerstörung der dortigen Oderbrücke zu verlaſſen, um sich nach Guben zurückzuziehen und hier die Weisungen Reynier's abzuwarten , dessen Commando er ihr unterstellte und welcher zu dieser Zeit wieder in Sachsen einrückte. Er hätte jedoch besser gethan , Rechberg und Reynier zu sich heranzuziehen. Eugen verzichtete also vollkommen darauf, die Oder zu seiner Vertheidigungslinie zu machen. Er stand davon ab, als dieſer Fluß eisfrei und er deſſen drei Feſtungen im Beſize ſowie sämmtliche Brücken in seiner Hand hatte , und entschlug sich dieses Planes, nur durch die lärmenden Streifzüge einiger tausend Kosacken beirrt. Streng genommen, begreift man es, wenn man ihn auch nicht entschuldigen kann, daß er sich schleunigst von Poſen an die Oder zurückzog, ohne noch durch eine feindliche Truppenmacht gedrängt worden zu sein , ohne auf Reynier und Poniatowski zu warten und sich mit ihnen zu vereinigen. Das begreift man , weil die Warthe keine gute Vertheidigungslinie war. Wenn er aber seinen Rückzug von der Oder bis in die Nähe von Berlin fortsett und hier eine unbedeutsame Stellung bezieht , so wird dies unverständlich. Ohne Zweifel waren die Haltung des preußischen Volkes und gewiſſe eben vom Könige von Preußen anbefohlene Maßregeln nicht ohne Einfluß auf die Ueberstürzung , mit welcher Eugen seinen Rückzug bewerkstelligte. Seine Correspondenz mit Napoleon beweist dies, er befürchtete einen Volksaufstand . Mochten diese Besorgnisse noch so begründet sein , so rechtfertigten sie ihn doch nicht, denn an der Oder bei Küstrin würde er stärker als an der Spree bei Köpenick gewesen sein; und wofern er

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Biertes Kapitel .

nicht bis zum Rhein zurückging, durfte er nicht hoffen, irgendwo eine weniger feindselige Bevölkerung als in Preußen zu finden. York's kühne That , die Nachricht von der Besignahme Warschaus und von dem Uebergange der russischen Armeen über die Weichsel hatten im Zuſammenhange mit andern Ereignissen, welche der nächste Gegenstand unserer Erzählung ſein ſollen, überall in den deutschen Landen die Herzen entzündet und die Gemüther erhißt gegen Napoleon's Gewaltherrschaft. Mit der Hauptmacht seiner Truppen in und vor Küſtrin aufgestellt , hätte Eugen , wie die Folge bewies , sich lange an der untern Oder halten und hier selbst die ersten Verſtärkungen, welche Napoleon ihm ſchicken sollte, erwarten können. Doch wußte er keinen Vortheil aus dieſer Festung zu ziehen. Napoleon machte ihm deshalb harte und gerechte Vorwürfe. ,,Sie hat Jhren Operationen nicht mehr genügt , als wenn sie gar nicht vorhanden gewesen wäre“ , schrieb er ihm.¹ Und bemerkte anderweit, als er auf diesen Punkt wieder zu sprechen kam ,,,daß ein erfahrener General nicht so gehandelt hätte".2 Dieser Fehler , die Oder nicht gehalten zu haben , sollte Eugen sehr bald fühlbar werden. Am 27. Febr. verließ er

Köpenick und stellte sich bei Schöneberg , etwas rückwärts von Berlin, auf, indem er in leßterer Stadt nur eine Avantgarde beließ. Um uns noch weiterer Aeußerungen Napoleon's in dieser Hinsicht zu bedienen, waren diese neue retrograde Bewegung und diese neue Stellung nichts weniger als militäriſch. Nach dem Aufgeben der Oder hätte sich Eugen vorwärts von Berlin aufstellen müssen, aber nicht in der, wir wiederholen es, unbedeutsamen Stellung von Köpenick , sondern weiter vorn, und hätte ein Lager beziehen sollen , in welchem er die von Napoleon neuerrichteten Heerabtheilungen würde haben erwarten, ein Lager, in dem er nur durch große Dispositionen, die zu treffen er den Feind gezwungen, hätte angegriffen werden können".

1 Schreiben Napoleon's an Eugen vom 5. März. 2 Schreiben Napoleon's an Eugen vom 9. März. 3 Schreiben Napoleon's an Eugen vom 19. März.

Alexander rückt auf Kalisch.

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Solche große Dispositionen trafen indeſſen die ruſſiſchen Armeen nicht. Wittgenstein, welcher erwähntermaßen bis auf 11-12000 Mann heruntergekommen, war, indem er seine Bewegungen nach den aufeinander folgenden Befehlen Kutuſow's einrichtete , bis zum 14. Febr. ruhig in Preußisch-Stargard stehen geblieben und setzte sich an dem bezeichneten Tage in Bewegung, um sich der Oder zu nähern. Nach einem langſamen Marsche über Konig und Filehne erreichte er am 27. Febr. Driesen, hatte aber noch keinen Befehl zum weitern Vorrücken. Er nahm es indessen auf sich, den General Repnin mit 4000 Mann, größtentheils Reiterei , zur Unterſtüßung von Tschernitschew, Benkendorf und Tettenborn vorzuschieben. In Driesen war Wittgenstein noch 25 Lieues von der Oder und über 50 Lieues von Berlin entfernt. Er war also rücksichtlich der Distanz keine große Drohung für Eugen , und hinsichtlich seiner numerischen Schwäche gleich gar nicht. Die Donauarmee, bei welcher der aus einer nicht verdienten Ungnade wieder zu Gunsten gekommene Barclay de Tolly den entlassenen Tschitschagow erseßte , stand immer noch vor Thorn, das sie belagern ſollte, und in Bromberg ; Posen hielt sie durch Woronzow's fliegende Colonne besett. Sie war also für Eugen auch nicht drohend.

Ebenso wenig waren es die

andern Abtheilungen der ruſſiſchen Armeen , wie wir sehen werden. Jeder Sorge für seine Linke durch die mit den Desterreichern abgeſchloſſene Convention und durch ihren wie auch Reynier's und Poniatowski's Rückzug überhoben, hatte der Zar anfangs Winzingerode, bald darauf auch Miloradowitsch nach Kalisch dirigirt, und er selbst schlug gleichfalls die Richtung gegen die eben erwähnte Stadt ein. Weniger militärische Berechnung als politische Motive, welche wir demnächſt beleuchten werden , hatten ihn dahin gezogen. Indessen sollte die Concentrirung jener drei Colonnen gegen diesen Punkt hin augenscheinlich Eugen , wenn er nicht unterſtüßt würde , zum Aufgeben Poſens beſtimmen. Als aber Winzingerode auf dem Wege dahin in Erfahrung brachte, daß Reynier und

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Viertes Kapitel.

Poniatowski , anstatt ſich direct nach Posen zurückzuziehen, über Kalisch gingen, beschleunigte er seinen Marsch , um ihren Rückzug zu beunruhigen und in der Hoffnung , ihnen leßtern abzuschneiden. Er passirte die Warthe bei Konin, was Eugen, wie wir gesehen , zu dem Glauben verleitete , daß ruſſiſche Truppenmassen gegen Posen sich heranwälzten. Von Konin ging er gerade auf Kalisch los. Reynier war am 13. Febr. hier angekommen. Poniatowski 1 dagegen, welcher tief entmuthigt und ungern sein Land verließ , wollte seinen Rekrutenabtheilungen noch Zeit zur Vereinigung mit ihm verschaffen, und war deshalb so langsam marschirt, daß er zu dieser Zeit noch fünf bis sechs Märsche von dem französischen General entfernt war. Damit auf seine eigenen Truppen beschränkt , verfügte der lettere über die Sachsen, welche nicht mehr als 6000 Mann in Reih' und Glied hatten2, ferner über die Division Durutte, die gar unter jene Zahl herabgesunken 3 , und 3000 Polen, Reiter und Infanteristen, aber größtentheils Rekruten, welche man unterwegs und in Kalisch selbst angetroffen und die schlecht organisirt und noch schlechter ausgerüstet waren. Seit vier bis fünf Tagen war Reynier's linke Colonne durch Kosacken und selbst reguläre Reiterei beunruhigt worden. Er hätte sich also gegen eine Ueberrumpelung vorſehen sollen; dennoch ließ er seine Truppen ausgedehnte Quartiere beziehen. Seine Fahrlässigkeit ſollte ihm theuer zu stehen kommen. Am selben Tage, als er Kaliſch erreichte und sein Armeecorps in die neuen, ſo unvorsichtig gewählten Cantonnirungen

1 ,,Der Fürst Poniatowski war von Petrikau nach Kalisch abmarschirt. Er befindet sich in größter Entmuthigung.“ (Schreiben Eugen's an Napoleon vom 15. Febr.) 2 S. ,,Die Feldzüge der Sachsen 2c." 3 Diese aus 3 Brigaden bestehende Division zählte 19 Bataillone, von denen 16 aus den Disciplinarregimentern von Belle - Isle, Ile - de Rhé 2c. gezogen worden, während die 3 andern dem Großherzogthume Würzburg angehörten . Ein Standesausweis vom 2. Nov. 1812 führt fie 13592 Mann ſtark auf.

Gefecht von Kaliſch.

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eingerückt war , drang Winhingerode's Cavalerie mit größter Schnelligkeit unvermuthet in dieselben ein und brachte in einem Augenblicke große Verwirrung hervor. Dieselbe war 6000 Pferde stark und stand unter der tapfern Führung des Generals Lanskoy. Sie nahm den Sachsen einen General, 6 Geschüße und 2 Fahnen ab , brachte ihnen einen Verlust von 2000 Mann an Todten , Verwundeten und Gefangenen bei, und warf ferner 1500 Mann weit von Kalisch zurück, so: daß diesen , wie auch einem von Durulte's Bataillonen , kein anderer Ausweg blieb als der Versuch, sich mit Poniatowski zu vereinigen. Während dieser Vorgänge hatte Winzingerode seine Infanterie, sobald dieselbe herangekommen, gegen Kalisch selbst vorgezogen. Sie zählte 6000 Bajonnete und wurde vom Prinzen Eugen von Würtemberg befehligt. Nachdem die Stadt kurze Zeit von zwei Batterien beschossen worden war, griff er dieselbe sehr heftig an. Seine Attake scheiterte aber an dem energischen Widerstande Durutte's und der Sachsen, welche sich auf Kaliſch repliirt, und ſo trat er — es war schon finſtere Nacht— den Rückzug an, nachdem er 4—500 Mann verloren. Lanskoy hatte gleichviel eingebüßt. Um Mitternacht räumte Reynier Kalisch. Nachdem er mit einer gerade nicht nothwendigen und für seine Truppen sehr beschwerlichen Eile marschirt , wobei er einen Theil seiner Bagage im Kothe ſtecken und viele Nachzügler rückwärts laſſen mußte, erreichte er am 18. Febr. Glogau, ohne von Wingingerode beunruhigt worden zu sein. Er fand hier keine Spur von dem Corps vor, welches , nach einem schon vor einem Monate erflossenen Schreiben Napoleon's an Eugen , auf Befehl des Königs von Sachsen sich dort hätte zuſammenziehen sollen. Nach einer viertägigen Rast sette er, in Verfolg von Eugen's Weiſungen, seinen Rückzug ruhig fort , gelangte am 1. März nach Baußen und bezog hier Cantonnirungen , während er Rechberg , welcher unter sein Commando trat , von Guben auf Kalau zurückzugehen befahl, womit er diesen auf ziemlich gleiche Höhe mit sich und Eugen brachte. Mit der Niederlage Reynier's bei Kalisch hatte Winzingerode, außer daß er diesem einen sehr empfindlichen Verlust an 8 Gharras, 1813.

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Viertes Kapitel.

Leuten zufügte, noch ein anderes Reſultat erzielt , nämlich daß er ihn vollkommen von Poniatowski trennte. Auf die erste + Nachricht von der Schlappe bei Kalisch hatte sich der polnische General jedes weitern Versuches zur Vereinigung mit Reynier, oder um Glogau zu erreichen , für überhoben erachtet. Er wendete sich vielmehr nach Czenstochau , nahm hier die vom Reynier'schen Corps abgeschnittenen 2000 Sachsen und Franzosen auf, und marſchirte — indem er in dieser kleinen Festung, sehr mit Unrecht, eine ' Besayung von 1200 Polen beließ — zu gleicher Zeit wie die Oesterreicher gegen Krakau in den durch der leztern Waffenstillstand mit den Russen neutral erklärten Landstrich. Was für ein excentrischer Rückzug , mit dem dort ein Corps von 12000 Mann paralyſirt wurde, das anderwärts so nüßlich hätte ſein können ! Indessen hatte Winzingerode nach dem davongetragenen Erfolge , wie bereits erwähnt , Reynier's Rückzug nicht belästigt. Er ruhte vielmehr einige Tage in Kalisch aus, marschirte dann, den Befehlen Kutusow's gemäß , langsam gegen die schlesische Grenze und bezog am 27. Febr. um Rawicz (drei Märsche von Glogau) Cantonnirungen, während er nach dem jenseitigen Oderufer Streifpartien hinüberschickte. In dieser Stellung war er jedenfalls noch ziemlich weit von Eugen und konnte ihm nicht die mindeſte Unruhe verursachen. Dasselbe war mit Miloradowitsch der Fall. Am 12. Febr. von Warschau abmarschirt, hatte er Ende dieses Monats gleichfalls an der schlesischen Grenze, nicht weit und zur Rechten von Winzingerode, in der Umgegend von Gostyn Cantonnirungen bezogen. Der Zar endlich, welcher den immer zum Haltmachen ge-

neigten Kutusow mit sich fortzog, war nach einem durch lange und häufige Rasten unterbrochenen Marsche mit der Colonne Tormasow's von Plock am 24. Febr. in Kalisch angelangt und ließ dieselbe zwischen letterer Stadt , Rawicz und Gostyn Erholungsquartiere beziehen. Bei diesem Vormarsche gegen die preußisch-schlesische Grenze hatte der Zar zur Blokade von Modlin und zur Bewachung von Warschau Dokhturow mit 11000 Mann, von denen 3000 dem

Eugen's und der Russen disponible Streitkräfte. 115 Corps Sacken's entnommen , zurücklaſſen müſſen. Ratt, durch 3000 Milizen verstärkt , hatte er zur Einschließung von Zamosc abgeschickt, und Sacken befohlen, mit 9000 Mann am 9. März von Warschau abzurücken, um die Oesterreicher und Poniatowski an den Zugängen zu der neutralen Zone zu beobachten. Im ganzen genommen blieben also dem Zar zum Marsche ____ an die Oder und zu deren Ueberschreiten abgesehen von den drei leztern im Großherzogthume Warschau durchaus nothwendigen Corps, wie den vor Danzig und Thorn feſtgehaltenen Truppen einerseits Winzingerode , Miloradowitsch und Tormaſow, das heißt 40000 Mann, worunter 4000 Kosacken, und andererseits Wittgenstein mit 12000 Mann , welchem die 5000 Mann starken Kosacken unter Tschernitschew, Tettenborn und Benkendorf weit vorausgeeilt. Es waren demnach insgesammt 57000 Mann, diese Kosacken und die der andern Corps inbegriffen ; die lettern aber nicht mitgerechnet , höchstens nur 47000 Mann. Diese 47000 Mann waren in zwei Gruppen geschieden, zwischen welchen ein Raum von 50 Lieues lag, von denen die eine 50, die andere hingegen 80 Lieues und darüber von Berlin entfernt standen. Wir bleiben also dabei, daß in allem diesen keine Gefahr, keine Drohung für Eugen lag , welcher mit den Divisionen Grenier , Charpentier , Lagrange und den aus Poſen mitgebrachten Truppen 35—40000 Mann zur Hand hatte, zu denen er überdies noch Rechberg, Reynier und den mit ungefähr 3000 Mann in Schwedisch- Pommern stationirten General Morand heranziehen konnte. Deshalb ist das Aufgeben der Oderlinie, sein Rückzug auf Berlin und gar hinter Berlin nicht zu rechtfertigen. Und dieſen Rückzug sollte er noch weiter fortſeken ! Für den Zar war jener Marsch, welcher in zwei Monaten das Großherzogthum Warschau in seine Gewalt brachte und die russische Fahne vom Niemen bis zur Oder trug , ein bedeutender Erfolg. Indem er seine großartigen Plane im Auge behielt, war er weit davon entfernt, dieſes Reſultat hinreichend zu halten für den Ruhm seiner Waffen , für seinen Ehrgeiz und seines Reiches Sicherheit , das heißt für die Völker, 8*

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Viertes Kapitel.

welche er damals in dieſer ſchönen, aber so kurzen Zeit ſeines Lebens, unabhängig und frei zu machen den aufrichtigen Willen hatte. Er war also entschlossen, Kutuſow's versessener Meinung zum Trok, noch weiter vorzurücken und seinem Ziele unverrückt entgegenzustreben. Fortwährend alles vom beschränkten Gesichtspunkte seines Standes und einer knauſerigen Politik aus beurtheilend , sagte der alte Marschall , welcher mehr und mehr ermattete und dringend nach Ruhe verlangte , und wiederholte es ohne Aufhören, daß man Unrecht habe , nicht mit dem bis dahin eroberten Lande sich zu begnügen ; daß es unklug wäre, sich so von seiner Operationsbaſis , ſeinen Verſtärkungen und Hülfsquellen zu entfernen, und noch dazu mit solcher geringer Truppenzahl, indem man das kaum unterworfene Polen hinter sich, das zum wenigsten zweifelhafte Desterreich aber in seiner Flanke ließ, und daß man keinen Verbündeten , keine sichere Stüße habe, während bereits der Schritt der neuen Heertheile, welche zu Eugen's Verſtärkung aus Frankreich kamen, sich vernehmen ließ. Diese Vorstellungen überzeugten aber Alexander ebenso wenig wie vordem , und noch einmal sollte der Gang der Ereignisse dem Zar gegen die egoistische Versessenheit seines Feldherrn recht geben. Ein Volk, ein König standen auf und kamen ihm zu Hülfe. York hatte das Beiſpiel gegeben, und Preußen folgte ihm.

Fünftes Kapitel.

Der von York an den König von Preußen entsendete Major Henckel kommt in Pots- Ueberraschung, Entrüstung und Unruhe des Königs. - Am 4. Jan: 1813 dam and — gelangt die officielle Nachricht von York's Abfall nach Berlin. - York wird abge= ſeßt. -- Mission des Fürsten Haßfeld an Napoleon. - Ankunft des Majors Thile, welchen Vork unmittelbar nach der Convention von Tauroggen an den König geſendet. ---· Seine Berichte. -· Des Adjutanten Nazmer ostensible Miſſion bei York und seine geheime Sendung an den Zar. - Friedrich Wilhelm's Doppelspiel gegen Napoleon und den Zar. — Naßmer kann nicht bis zu York's Hauptquartier durchkommen und wendet sich nach dem Alexander's. - Stimmung in dem jenſeit der Weichſel gelege nen Preußen. Vork begibt sich nach Königsberg. — Conferirt hier mit Wittgenstein. Uebernimmt das Commando in der Provinz Preußen. — Bülow will sich York nicht anschließen. - Des leßtern Schreiben an Bülow. York will sich auf die Vermehrung der Stärke ſeines Armeecorps beſchränken, eine Volkserhebung aber umgehen. - Absichtliche Lässigkeit der Beamten. - Allgemeine Misstimmung. York zweifelt an dem Erfolge seines Unternehmens. Frhr. vom Stein kommt in Königsberg an. - Sein Charakter. - Seine seitherige politische Thätigkeit. Seine Vollmacht als Commiſſarius des Zar. - Läßt die Stände der Provinz Preußen einberufen. - Die von ihm getroffenen Maßregeln. — Der Oberpräsident Auerswald verweigert ihm seine Mitwirkung. - Mishelligkeiten zwischen Vork und Stein. - Ihr Bruch. - Ihre Aussöhnung. - Stein verläßt Königsberg. - Die Stände treten am 5. Febr. in Königsberg zusammen. — Ihr Entwurf zur Errichtung der Landwehr und des Landſturmes in dieſer Provinz. - Gehen am 9. Febr. wieder auseinander. Die Festung Pillau ergibt sich den Ruſſen. - Stimmung in den übrigen Provinzen der Monarchie. — Hardenberg. - Sein Charakter. -- Parteien, welche sich um den König von Preußen bewegen. -— Durch die öffentliche Meinung gedrängt, befiehlt der König die Einberufung der Reservisten (Krümper) und beurlaubten Soldaten, die Aushebung von Rekruten und Pferden in der Mark und Pommern. — Naßmer's Rückkehr nach Potsdam. — Der König verlegt ſeine Refidenz nach Breslau. - Sein Schwanken und seine Verlegenheit. Er läßt sich be= wegen, Preußen auf den größtmöglichen Kriegsfuß zu bringen. - Mit der Organi= ſation dieser Truppen wird General Scharnhorst beauftragt. Verordnung vom 3. Febr. 1813. - Verordnung vom 9. Febr. — St.-Marsan's, Napoleon's Gesandten, Einspruch gegen Preußens Rüstungen. -– Beſtändiges Doppelſpiel des Königs. · St.-Marsan läßt sich wieder täuschen. –– Miſſion des Obersten von dem Knesebeck beim Zar. - Es gelingt ihm nicht, sich mit leßterm zu verständigen. - Des Königs Schwanken dauert fort. -- Stein tritt ins Mittel. - Der Zar sendet ihn als Bevollmächtigten nach Breslau. — Er bestimmt den König zum Bündniß mit dem Zar.—

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Fünftes Kapitel.

Umstände, welche Stein's Wirksamkeit begünstigen. — Vertrag von Kaliſch. — Näheres über Preußens Rüstungen. – Opfermüthigkeit der Bürger. – Freiwillige Gaben. Aufruf des Königs an das preußische Volk. - Königliche Verordnungen über die Landwehr und den Landsturm. Proclamationen der russischen und preußischen Generale. - Außerordentlicher Enthusiasmus. Thätigkeit der Preſſe. - Flugschriften und Lieder. Frauenvereine. - Preußens Streitkräfte Anfang April. Geist der preußischen Armee.

York wollte bekanntlich nach seiner ersten Unterredung mit Diebitsch den König von Preußen auf die Nachricht von der kühnen Handlung , zu welcher er von da an so ziemlich ent1 schlossen , vorbereiten . Er hatte ihm geschrieben , daß er von Macdonald abgeschnitten, daß er sich mit demselben nicht wieder vereinigen zu können glaubte und , sollte er auf ein ruſſiſches Corps stoßen , sich genöthigt sehen würde , vor allem auf die Conſervirung seiner Truppen bedacht zu sein.2 Eine solche Erklärung seitens eines Soldaten von York's Charakter war schon an und für sich sehr bedeutungsvoll. Um aber ihre Tragweite noch bestimmter darzulegen , vertraute er dem Gedächtnisse des Ueberbringers von seinem Schreiben - es war der königliche Flügeladjutant, Major Henckel, die wichtigsten Stellen aus seiner Unterredung mit Diebitsch an, ferner Paulucci's lehte und so schwer wiegende Mittheilung, und endlich das Conventionsproject selbst, welches ihm damals im Kopfe herumging und beinahe zum feſten Entſchluſſe geworden war.³ Am 2. Jan. traf Hendel in Potsdam ein und entledigte sich seiner Miſſion. Wie er selbst berichtet , wurde sein Souverän dadurch außerordentlich überrascht , und seine Erzählung

beweist zur Genüge, daß diese Ueberraschung eine sehr peinliche

1 S. Zweites Kapitel. 2 Ebendort. 3 ,,Der königliche Adjutant , Graf Henckel , welcher vorgestern hier eingetroffen, hat blos berichtet, daß der General von York in der Lage sich zu befinden glaubte, nicht durchdringen zu können und capituliren zu müssen." (Brief St. - Marsan's an Berthier, Berlin, 4. Jan.) 4 Henckel v. Donnersmarck , Graf , k . p . Generallieutenant,,,Erinnerungen aus meinem Leben".

Eindruck von York's That.

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war. Daß aber der König damit einen tiefen Groll verband, steht vollkommen fest. Denn niemals hat Friedrich Wilhelm die bis dahin York bewiesene vertrauende Gunſt dieſem wieder zuwendet. Es war ihm wol im stillen recht geweſen , leßtern in geheimen Beziehungen zu den ruſſiſchen Generalen zu wiſſen. Dies war in der That ein Auskunftsmittel , welches für ihn von Werth und nur ganz allein für York gefährlich sein konnte, welchen er ohne allen Zweifel zu desavouiren , ja selbst zu strafen sich vorbehielt , wenn diese Beziehungen Napoleon enthüllt würden und die Umstände es erfordern sollten. Doch hatte er auch nicht einen Augenblick geglaubt , daß York ohne förmliche Autorisation bis zum Abfalle gehen würde , welchen Henckel als nahe bevorstehende und beinahe vollzogene Thatsache ankündigte. Mit andern Worten : er hätte es sich wol gefallen lassen, eine Pforte in das russische Lager offen zu haben, aber nie vermuthet , daß der vielleicht unterwürfigste seiner Unterthanen, der am meisten vor der königlichen Gewalt sich beugende, sich unterfangen würde, eigenmächtig dahin überzugehen und seine Truppen mit sich zu führen. Ihn daran zu hindern, war es jezt zu spät, und Friedrich Wilhelm befürchtete , daß York einen Abgrund aufgethan, von welchem die Monarchie verschlungen werden würde. Preußen war in Wirklichkeit auf eine Aenderung seiner Politik und eine Lossagung von seiner Allianz nicht vorbereitet , während Napoleon's Gewalt immer noch furchtbar schien. Dieser konnte meinen oder es zu glauben sich den Anſchein geben, daß der König York's Abfall befohlen, und daraus Anlaß nehmen, den Hohenzollern und ihrem Restkönigreiche den letzten Schlag zu verſeßen. Friedrich Wilhelm gebot Henckel Stillschweigen, und besprach sich, wegen der zu beobachtenden Haltung beim Eintreffen der schrecklichen Nachricht , mit seinem ebenso wie er überraschten und bestürzten Premierminister , Frhrn . v . Hardenberg . Jene ließ nicht lange auf sich warten. Am 4. Jan. gelangte sie nach Berlin. Ihr Ueberbringer war ein Offizier , welchen Macdonald von Tilsit aus an Murat , und dieser wieder von Königsberg an Napoleon's Gesandten beim preußischen Hofe, St. - Marsan, gesandt hatte. Die Nachricht wird Hardenberg

Fünftes Kapitel.

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wird dem Könige mitgetheilt. Der Minister eröffnet sogleich dem Vertreter Napoleon's , daß York's Verfahren den König überrascht und empört habe. Ohne Zeitverlust werden die strengsten Maßregeln gegen den ungetreuen General von St.Marsan in Vorschlag gebracht , von Hardenberg gebilligt und vom Könige anbefohlen. York wird des Commandos über das preußische Contingent enthoben. Sein Untergebener, General Kleist, wird zum Generallieutenant ernannt und an seine Stelle gesezt. Er wird ihn verhaften und nach Berlin abführen laſſen, um denselben hier vor ein Kriegsgericht zu stellen , und wäre diese Berhaftung nicht zu bewerkstelligen , so soll York in contumaciam verurtheilt werden. Diese Cabinetsordre wird in den preußischen Zeitungen veröffentlicht und mittels Tagesbefehls zur Kenntniß der preußischen Armee gebracht. Ein Adjutant des Königs , Major v. Nazmer , wird dieselbe unverzüglich an ihren Bestimmungsort überbringen und zwar über Königsberg gehen, um dort von Murat Befehle für Kleiſt entgegenzunehmen. Bei einem Halt auf seiner Flucht durch Polen und Deutschland schrieb Napoleon bekanntlich dem König und bat ihn, das preußische Contingent auf 30000 Mann zu bringen.¹ Der König schickte sich an, diesem Verlangen nachzukommen. Bereits unterm 16. Dec. befahl er dem General Bülow, auf dem rechten Weichſelufer ein Reſervecorps zuſammenzuziehen. Dieses Corps ist schon in der Formation begriffen und wird Murat zur Verfügung gestellt. 2

Zu diesen Beweisen von Bundestreue gegen Napoleon fügt der König noch eine Miſſion des Fürſten Haßfeld nach Paris. Haßfeld ist einer jener seltenen Preußen, welche, entweder aus Geistesschwäche oder Mangel an Muth, das einzige Heil für ihr Land nur in der Fortdauer seiner Erniedrigung erblicken.

1 S. Erstes Kapitel. 2 Schreiben, datirt Elbing, 8. Jan., welches der General Monthion, Generalstabschef des Major-Generals Berthier , in Murat's Namen an Bülow richtete.

Haßfeld's Mission nach Paris.

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Als solcher durfte er bei Napoleon willkommen sein. Er wird beauftragt, den leßtern der Entrüstung Friedrich Wilhelm's gegen York zu versichern, und wird alles aufbieten , um jedes Mistrauen hinsichtlich Preußens zu zerstreuen. Er wird dem Sieger von Jena die Worte des Königs mittheilen, und zwar hat der König erklärt : Ich bin Frankreichs natürlicher Verbündeter. Mit einer Aenderung des Systems würde ich meine Lage nur verschlimmern und dem Kaiser das Recht geben, mich als Feind zu behandeln ; ich kann zwar keine Geldopfer mehr bringen, wenn er mir aber Mittel gibt , so kann ich noch 50 bis 60000 Mann für seinen Dienst ausheben und bewaffnen." 1 In Erwiderung auf eine kürzlich von Napoleon erfaßte Idee, welche St. -Marsan Hardenberg insinuirt und dieser wieder dem Könige übermittelt, zeigt sich Friedrich Wilhelm zur Verhei rathung seines Thronerben mit einer Tochter der Bonaparte geneigt, wenn er bedeutende Vortheile und zwar von der Art dabei erblicken sollte , daß dadurch die Monarchie zu einem höhern Range erhoben würde, als den sie gegenwärtig einnähme“.2 St.-Marsan bleibt von der Aufrichtigkeit des Königs und ſeines Miniſters überzeugt, wie seine Berichte klar beweisen. ³ Der Marschall Augereau, Commandant der franzöſiſchen Truppen in Preußen, theilt jene Ueberzeugung. Er schreibt , daß er ,,das größte Vertrauen in die Anhänglichkeit des Königs von Preußen an Napoleon habe“.4 Fürst Haßfeld und der Flügeladjutant v. Nazmer haben indessen Potsdam noch nicht verlassen , als der Major Thile dort eintrifft. Er ist unmittelbar nach Unterzeichnung der

1 Schreiben St.-Marjan's´an Maret, Berlin, 12. Jan. 1813. 2 Schreiben St.-Marsan's an Maret, Berlin , 12. Jan. 1813. Napoleon hatte dabei jedenfalls die älteste Tochter seines Bruders Joseph im Auge, welche damals 12 Jahre wurde. Sie war wenigstens die älteste von den Töchtern der Familie Bonaparte. 3 Schreiben vom 4. und 5. Jan. , beide an den Major- General Berthier. 4 Schreiben an den Major- General Berthier, Berlin, 12. Jan. 1813.

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Fünftes Kapitel.

Convention York's mit Diebitsch von Tauroggen abgegangen. Derselbe überbringt dem Könige den Tert dieses furchtbaren Vertrages und das Schreiben, in welchem der preußische General seinem Monarchen die militärischen Scheingründe und die politischen Motive seiner Handlungsweise darlegt.¹ Thile war Augenzeuge des rasenden Enthusiasmus der Soldaten und Offiziere beim Bekanntwerden der Convention. Er hat Witt genstein's Hauptquartier paſſirt, wo ihm die herzlichste Aufnahme zutheil geworden. Derselbe bringt von dort die erneute Zusicherung mit, daß der Zar die besten Absichten gegen Preußen und dessen König hege, wie auch die Nachricht, daß die ruſſischen Armeen sehr stark und zahlreich seien und ohne Aufenthalt gegen die Weichsel rücken. Er ist ferner durch Gumbinnen gekommen, wo ihm der Präsident von Preußisch- Litauen die patriotiſche Aufregung des Volkes geschildert. Endlich ist er auf seiner Reiſe den Trümmern der französischen Armee begegnet und hat allerorten sich die Ueberzeugung verschafft, wie jene so schwach und jämmerlich, daß sie nicht mehr in Betracht zu ziehen. Mit einer ängstlichen Haſt ausgefragt, berichtet er, was er gesehen und gehört. Als ein Mann von Verſtand und Erfahrung, machen seine Mittheilungen auf den König und Har denberg einen sehr lebhaften Eindruck, welcher um so größer, als damit die schon nach Potsdam gelangten Nachrichten und Mel: dungen Bestätigung finden . Es scheint sich ein Weg für Friedrich Wilhelm zu öffnen, auf welchem er den Fesseln Napoleon's sich entziehen kann und auf dem ihm das ganze preußische Volk mit hingebender Be • geisterung folgen wird. Er ermannt sich, einen Schritt in dieſer Richtung zu thun. Wie es mit St. - Marsan verabredet , soll Haßfeld die königlichen Freundschafts- und Ergebenheitsbetheue: rungen nach den Tuilerien überbringen. Ebenso wird Nazmer abreisen; aber neben seiner ostensibeln Miſſion bei Murat und in York's Hauptquartier erhält er noch eine andere, welche, wie sich schon hinlänglich aus ihr ſelbſt ergibt, ihm als „ Staatsgeheimniß“ bezeichnet wurde. Hat er nämlich die französischen ¹ Zweites Kapitel, Seite 47.

Schwanken des Königs von Preußen.

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Vorposten paſſirt, so soll er sich - wenn es ihm die Ruſſen, in das preußische was gerade nicht wahrscheinlich, geſtatten Hauptquartier begeben und hier die Beschlüsse des Königs verlautbaren; doch soll er auch , was die Russen gewiß nicht hindern werden, zum Kaiſer Alexander sich verfügen und ihm eröffnen , daß Friedrich Wilhelm auf den durch York's und Paulucci's Vermittelung gemachten Allianzvorschlag einzugehen geneigt sei, wenn Rußland ſich verbindlich machen wolle, den Krieg mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln fortzusehen und ohne Aufenthalt gegen die Weichsel und Oder vorzurücken . Das Bündniß zwischen Preußen und Rußland ist der Wunsch aller preußischen Patrioten. Sie sind der Ueberzeugung, daß ihr Vaterland mit Hülfe des Zar seine Unabhängigkeit und Mächtigkeit wieder erobern wird. Deshalb trat auch eine bedeutende Anzahl von Offizieren im verflossenen Jahre eher aus den Reihen der Armee, als daß sie gegen Rußland gekämpft hätten, und die feurigsten von ihnen eilten selbst unter des lettern Fahnen. Friedrich Wilhelm wünscht ebenso wie sein Volk die russische Allianz . Alles drängt ihn zu ihr hin; die Sympathien für Alexander, ungeachtet der bittern Erinnerung an Tilsit; ferner der Haß gegen Napoleon , der Ehrgeiz , sich von der Niederlage wieder zu erheben , und die Befürchtung, das preußische Volk durch das Halten des Vertrags, welcher ihn an den französischen Zwingherrn bindet, zu erbittern. Wenn nun aber auch Friedrich Wilhelm nach York's Depeschen wie nach Henckel's und Thile's Berichten keinen Zweifel zu hegen braucht hinsichtlich der Aufnahme, welche der Zar Nagmer und dessen Botschaft zutheil werden laſſen wird , so hat er doch immer noch nicht die Gewißheit und woher sollte er sie haben? — , ob dieser Souverän auch ein hinlänglich starker und ausdauernder Bundesgenosse sein wird . Sind die ruſſischen Armeen wirklich in der Verfaſſung, schnell und ohne Verzug bis an die Weichsel und die Oder vorzudringen ? Könnten ihnen nicht , wenigstens an leßterm Flusse, beträchtliche, selbst überlegene französische Streitkräfte zuvorkommen? Dürfte der Zar nicht vielleicht des Kampfes müde werden oder binnen kurzem davor zurückschrecken und selben ebenso schnell aufgeben,

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Fünftes Kapitel.

wie er es noch vor sechs Jahren gethan , wo er Preußen Napoleon's Rache preisgab und mit dem diesem Geraubten sich bereicherte? Kann Preußen überhaupt unbedingtes Vertrauen in deſſen Verheißungen zur Wiederherstellung seiner Mächtigkeit ſehen? Und lief es nicht vielleicht Gefahr , indem es sich auf ihn stüßen wollte, um das Joch Napoleon's abzuschütteln , unter das von Rußland zu gerathen? Welche Zweifel! Und von der Lösung einer jeden dieser Fragen wird selbst Preußens Eriſtenz abhängen. Das von den Preußen und ihrem Könige so sehr gewünschte Bündniß ist also von seiner Besiegelung noch weit entfernt, und daß dies je der Fall, steht nicht fest. Selbst im Moment des Abſchluſſes könnte sich wol in Friedrich Wilhelm's Charakter ein unüberwindliches Hinderniß entgegenstellen.. Aengstlichen Gemüths und immer zum Hinausschieben eines definitiven, durchgreifenden Entschlusses und eines äußersten Schrittes geneigt , zicht er die Perspective eines Kampfes gegen Napoleon nicht ohne Besorgniß in Betracht , während sein Premierminiſter Hardenberg nicht weniger unentſchloſſen und noch ängſtlicher als er ist. Wenn nun Napoleon ehestens zu dem ganz schlichten Manöver griff, die Bedrückung Preußens aufhören zu laſſen ; wenn er ihm versprach, das demſelben zugefügte Leid, wäre es auch nur theilweise, wieder gut zu machen ; und gab er ihm ein einigermaßen unzweifelhaftes Unterpfand ſeines guten Willens , um die Aufregung im Volke wenn auch nicht ganz zu beschwichtigen, so doch wenigstens zu mindern, — dann ist es faſt für gewiß anzunehmen , daß Friedrich Wilhelm auch nicht einen Augenblick mehr der Idee eines Bruches mit Frankreich nachhängen , sondern es als vorzuziehen und weniger gewagt erachten würde, von der Fortdauer seiner Allianz mit leßterm eine theilweise Reſtauration seines Königreiches zu erwarten,

1 Im Frieden von Tilsit hatte Alexander das ganze Preußen abgenommene Departement Bialystod erhalten , welches 100 (deutsche) Quadratmeilen mit über 200000 Einwohnern umfaßte.

Sendung des Majors Natzmer.

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als auf deſſen mehr oder weniger vollständige Wiederherstellung mit Rußlands Hülfe auszugehen. 1 Was auch immer seine Sympathien für den einen und sein Haß gegen den andern sein mögen , so trieb Friedrich Wilhelm doch in der That ein Doppelspiel mit dem Zar und Napoleon. Dieses Spiel ist indessen voller Gefahren , ganz besonders dem legtern gegenüber. Die preußische Armee, welche infolge des Tilsiter Vertrages durch eine demüthigende Convention bis auf 42000 Mann heruntergesett, eristirt sozusagen nur noch dem Namen nach, indem sie durch York's Abfall auf die Hälfte jener Zahl reducirt und im übrigen , dem Allianztractat gemäß, in Schlesien, Graudenz, Kolberg und Potsdam vertheilt ist. Die drei Oderfeſtungen sowie Berlin und Spandau , welches gewissermaßen die Citadelle der vorgenannten Hauptſtadt, ſind mit franzöſiſchen Garnisonen beſeßt, während Grenier mit 20000 Mann auf dem Marsche nach der Spree begriffen ist. Der König befindet sich in Potsdam , nur von 2-3000 Mann seiner Garde umgeben, und ist dem leichtesten Handstreiche ausgesetzt. Beim ersten Argwohn kann Napoleon ihn und die Seinigen aufheben lassen und gegen sie wie Preußen überhaupt bis zum Aeußersten schreiten. Am 5. Jan. reiste der Major Nazmer ab . Am 9. traf er Murat in Elbing , welcher ihn sehr freundlich empfing. Nächsten Tags passirte er die französischen Vorposten und meldete sich bei denen der Russen als Parlementär , von wo man ihn nach Heilsberg in Wittgenstein's Hauptquartier geleitete. Hier wurde ihm die Weiterreise nach den Cantonnirungen des

1 Wenige Tage vor York's Abfall äußerte Hardenberg zu St.-Marsan, wie dieser in einer seiner Depeschen an Maret berichtet : „Für den Fall, daß der Kaiser Napoleon die Wiederherstellung des alten Polen als unabhängiger Staat für unmöglich halten sollte , könnte er vielleicht auf den Gedanken kommen , den König von Preußen zum Könige von Polen zu machen. Die Küſten und Territorien von Preußen und Polen bildeten solchergestalt ein geschlossenes Ganze , was eine achtunggebietende Schranke gegen die Uebergriffe der russischen Macht werden würde.“

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Fünftes Kapitel,

preußischen Contingents verweigert; dagegen bedurfte es nur eines Wortes, daß er seinen Weg zum Zar fortsehen konnte. In Begleitung eines ruſſiſchen Offiziers beſtieg er einen Schlitten und eilte jenem Monarchen entgegen , welcher sich damals dem Niemen näherte. 1 Während man zu Potsdam mit innerlicher Verlegenheit in diese doppelseitige Politik sich einließ , welche entweder zum Aufrechthalten oder zum Bruche der Allianz mit Napoleon führen. konnte, und je nachdem die definitive Verwerfung oder endgültige Gutheißung der Tauroggener Convention zur Folge haben mußte während dessen wurde die lettere von der öffentlichen Meinung als ein Rettungszeichen jubelnd begrüßt. In dem Maße, als Murat und Macdonald ihren Rückzug fortsezten und die Russen heranrückten , wuchs der Enthusiasmus. Ueber der Weichſel hin dehnt sich Ostpreußen aus . Von den Provinzen der preußischen Monarchie hegte diese den unversöhnlichsten Haß gegen Napoleon. Keine wie sie war vom Kriege so bedrückt und mitgenommen worden ; und dazu kamen noch nach dem Kriege die Contributionen , Requisitionen und Plackereien des Siegers. Im Jahre 1807 hatte Ostpreußen seine Bevölkerung durch das allgemeine Elend, die Verwüstung ſeiner Städte und des platten Landes um ein Fünftheil abnehmen sehen. Und kaum begann es sich zu erholen, so wurde es wieder in die schrecklichste Noth gestürzt , als Napoleon's Armee dasselbe auf dem Marsche nach Rußland langsam durchzog und ohne Abrechnung oder Zahlung dort zehrte, was sie brauchte, nahm und mit fortführte.2 Das Uebermaß der Leiden,

¹ Clausewiß,,,Der Feldzug von 1812 in Rußland “. 2 Die Erpreffungen und Verheerungen, welche Napoleon's Armee 1812 im Königreiche Preußen , d . h. einem befreundeten Lande , und ganz besonders in Ostpreußen verübte, sind ein hiſtoriſcher Gemeinplag geworden , nachdem sie lange Zeit von den Bonapartiſtiſchen Geſchichtschreibern abgeleugnet. Wir halten es indeffen für gut, hier die Zeugniffe zweier Offiziere zu citiren , von denen bei der Eröffnung des Feldzuges der eine dem Stabe Berthier's zugetheilt war und der andere eins der französischen Regimenter vom Corps Ney's commandirte.

Stimmung in Ostpreußen .

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der Haß gegen deren Urheber , die Liebe zum Vaterlande und zur Unabhängigkeit, alles das trieb zur Rache und Erhebung hin. Aber von jeher daran gewöhnt , nur nach dem Willen der Regierung sich zu rühren, erwartete man von ihr das Zeichen zum Losbrechen und sah demselben stündlich entgegen, in der Ueberzeugung, daß York durch seinen Vertrag. mit den Ruſſen nur einen Befehl zur Ausführung gebracht, welcher der Vorläufer von Preußens Kriegserklärung gegen

„ Diese Hauptstadt (Berlin), ſowie das übrige Preußen waren von Einquartierung und Requisitionen aller Art überlastet. Man weiß, welchen Plackereien die Bewohner der Länder, welche unsere Armeen durchzogen, ausgesetzt waren, aber nie sind sie so weit getrieben wor= den als zu dieſer Zeit. Es wurde für die Einwohner ein Muß, ihre Einquartierung in der während unsers Aufenthalts in Deutschland zur Norm gewordenen Weise zu verpflegen. Doch man nahm ihnen auch noch ihr Vieh ; man requirirte Pferde und Wagen , welche mindestens so lange behalten wurden, bis man an deren Stelle, andere gefunden. Ich bin oft Landleuten begegnet, welche, an 50 Lieues von ihrer Heimat entfernt , die Bagage eines Regiments fuhren , und dieſe armen Leute schätzten sich schließlich glücklich, mit Zurücklaffung ihrer Pferde fich retten zu können.“ (S. „ Journal de la campagne de Russie en 1812 , par M. de Fézenzac lieutenantgéneral. ") ,,Am 15. Mai bezog das 18. Regiment Cantonnirungen im Kreiſe Kulm. Man wies demselben mehrere Dörfer zur Beschaffung seines für die Eröffnung des Feldzuges benöthigten Proviants an. Jeder Truppentheil der Armee sollte nämlich beim Uebergange über den Niemen mit Zwieback für 14 Tage und Schlachtvieh für einen Monat verſehen ſein. Zu dieſem Zwecke wurde eine allgegemeine Razzia veranstaltet. Die Armeeadminiſtration mischte sich nur hinein, um ihr Theil wegzunehmen. Das ganze Land von der Weichsel bis zum Niemen wurde ausrabuschert.“ (S. ,,Souvenirs militaires et intimes du vicomte Pelleport, de 1793—1853. “) Uebrigens wurde in gleicher Weise, wie Preußen, auch das Großherzogthum Warschau in dem ganzen von der Großen Armee durchzogenen Striche mitgenommen. Unter andern gibt der Marschall Gouvion St.-Cyr in ſeinen bekannten ,, Memoiren " mit treffenden Worten davon Zeugniß. Der in Warschau commandirende General du Taillis ſchrieb unterm 31. Oct. an den General Reynier : ,,, Greuel geschehen im Rücken Ihrer Armee .." (Aus den Archiven des dépôt de la guerre in Paris.)

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Fünftes Kapitel.

Napoleon wäre. Bald sollte man indessen erfahren, daß York jenen Act eigenmächtig vollzogen und dieser vom Könige ver worfen worden, und sollte sich so in der Erwartung , um den desavouirten General in Waffen sich zu scharen , getäuscht sehen. York war von Tauroggen nach Tilsit gekommen. Hier war er vor allem auf die Mittel bedacht, sein Armeecorps mit den nothwendigsten Bedürfniſſen zu versehen und deſſen Zahl zu vermehren. Er schickte den General Kleist an den Zar, um eine Geldbeihülfe nachzusuchen. Ferner hatte er dem General Bülow geschrieben und denselben gedrängt , gemeinschaftliche Sache mit ihm zu machen. Bülow hatte aber nichts erwidert , sondern zugleich mit Murat Königsberg verlaſſen und sich, wie dieser, nach der Weichsel gewendet. Besorgt ge worden durch dieſes Stillschweigen und die eben erwähnte Bewegung , mit welcher ihm Truppen, auf die er gerechnet, ent zogen wurden, lud York den Präsidenten von Preußisch-Litauen, Schön , zu sich ein , um mit ihm Rath zu pflegen. Schön – ein ergebener Patriot, eine hervorragende Capacität und großer Popularität sich erfreuend -- schrieb ihm : ,,Ew . Exc. haben das Schicksal beim Schopf genommen , wie jeder große Mann //1 muß. Gott segne Sie Er kam nach Tilsit und fand York hinsichtlich der so kühn abgeschlossenen Conven2 tion getroſt. Er besprach sich mit ihm , was die Situation zu thun erfordere, und beide kamen dahin überein , daß man einzelne Aufstände in der Provinz Preußen nicht fördern, sondern alles auf dem Verwaltungswege in geordneter Weise und im ganzen aufnehmen müſſe. In dieser Art , dachten fie, könne man York's Corps ergänzen und verstärken, und ebenſo ſeine Bedürfniſſe befriedigen. Dem General, welcher in dieſem Moment ausschließlich den militärischen Gesichtspunkt im Auge hatte, schien das genügend.

1 Brief vom 4. Jan. 1813. 2 Noten von Schön im Jahre 1852 an Droysen mitgetheilt und in des lettern ,,Leben des Feldmarschalls Grafen York" angeführt.

York in Königsberg.

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Infolge dessen beschloß York, aus seiner seit einigen Tagen etwas unklaren Stellung herauszutreten. Am 8. Jan. verließ er Tilſit und kam , nur von wenigen Husaren begleitet, am folgenden Abend spät und unbemerkt in Königsberg an. Er conferirte sofort mit dem Oberpräsidenten von Ostpreußen, Auerswald, und danach auch mit Wittgenstein, welcher während des Marsches seiner Armee von Wehlau auf Elbing einen kurzen Abstecher nach Königsberg gemacht, wo er der Gegenstand von überaus enthuſiaſtiſchen Kundgebungen seitens der Bevölkerung wurde. Auerswald zeigte sich zum gemeinschaftlichen Handeln mit York geneigt. Wittgenstein machte dem preußischen . General das Anerbieten, das durch die Tauroggener Convention neutral erklärte Gebiet beliebig auszudehnen, und empfing von ihm die Zusicherung schneller Unterſtüßung im Falle unbedingter Nothwendigkeit. Nachdem dieses Abkommen getroffen , verließ Wittgenstein Königsberg und begab sich wieder zu seiner Armee. Man wird sich noch erinnern, daß durch die Cabinetsordre vom 20. Dec. York das Generalgouvernement in der Provinz Preußen von dem Tage an , wo er mit seinen Truppen in leştere zurückkehrte, übertragen wurde. Jene Cabinetsordre war zur öffentlichen Kenntniß gebracht worden , und empfing York dieſelbe bekanntlich in Tauroggen aus den Händen des von Potsdam zurückkommenden Seydlig, hatte sich indeſſen ihrer noch nicht bedient. Jezt machte er ſie ſeinen Planen nugbar. Am 9. Jan. machte er bekannt, daß er sich in Königsberg befinde, hier sein Hauptquartier aufgeschlagen und die ihm vom Könige übertragenen Functionen angetreten habe. Zu gleicher Zeit zog er sein Armeecorps gegen Königsberg heran , wo er eine preußische Besaßung einrücken ließ. Diese Nachrichten verseßten die Bevölkerung in ungeheuere Freude. Sie dauerte freilich nicht lange. Die von den Franzosen und Russen noch durchgelassene berliner Post brachte am 10. Jan. Privatbriefe, welche die Verwerfung der Convention von Tauroggen und die gegen York verfügten Maßregeln meldeten. Im Nu verbreitete sich das Gerücht davon nach allen Seiten. Also war dieser dermaßen bejubelte Act nicht vom Könige anbefohlen worden ! Also blieb der König dabei, 9 Charras , 1813.

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Fünftes Kapitel.

Preußen fernerhin an Napoleon's Gewaltherrschaft gekettet zu halten! Die Beamten, diese immer servile Kaste , und die Aengstlichen zogen sich von dem desavouirten und blamirten General, über welchem eine strafgerichtliche Untersuchung schwebte, 1 zurück. Dagegen nahm seine Popularität bei der Masse und den Muthigen zu . Man fing an , zu äußern , daß der König keinen freien Willen habe , daß die durch ihn unterzeichneten Befehle von den Franzosen dictirt seien und man denselben nicht Folge leisten müſſe. York war betroffen und betrübt, aber nicht niedergeschlagen. Er erwartete die officielle Anzeige der königlichen Entſchließung mit dem Vorsaße , sich nicht an dieselbe zu kehren und den Major Nazmer abzuweisen. Inzwischen kam der General Kleist nach Königsberg zurück.

Seine Mission war eine glückliche gewesen. Der Zar hatte ihn mit Beweiſen ſeiner Sympathie für ihn, für York, Preußen und Deutschland überhäuft, und ihm 500000 Silberrubel für das preußische Corps versprochen. An dieſe günſtigen Nachrichten sollte sich die etwas spät einlaufende Antwort Bülow's auf die an ihn ergangenen Aufforderungen, sich gleichfalls auf den Boden der Tauroggener Convention zu stellen, anschließen. Er schrieb aus Neuenburg, wo er auf seinem Rückzuge die Weichsel passirte, und gab York die Zusicherung , mit ihm gemeinschaftliche Sache zu machen, obwol er die officielle Anzeige von deſſen Abseßung und den königlichen Befehl empfangen, bis auf weiteres keine Verbindung 2 mit dem preußischen Contingent zu unterhalten. Diese Zusage war von großer Wichtigkeit. Sie würde es indeſſen bei weitem mehr gewesen sein , wäre ihr auch die That gefolgt. Bülow hätte zu der Fahne von Tauroggen stoßen können und konnte

¹ „ York ist sehr verlassen und dies fühlt der bejahrte Mann auf eine schmerzliche Weise ... " (Brief des Regierungsrathes Schulz an den Präsidenten Schön, datirt vom 18. Jan. 1813.) (S. bei Droyſen, ,,Leben des Feldmarschalls Grafen York".) 2 Das bezügliche vom Kriegsdepartement an Bülow erfloffene Schreiben war Berlin, 6. Jan., datirt.

York und Bülow .

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es noch, aber er wollte es nicht und hielt sich abseits , indem er einen Mittelweg zwischen dem königlichen Befehle und den Aufforderungen York's einschlug. Die Generale, welche das wagen, was leßterer gewagt, sind jelten. York forderte Bülow nochmals auf, aus seiner halb zurückhaltenden Stellung herauszutreten und so wie er die Schiffe hinter sich zu verbrennen, wobei er ihm gleichzeitig seine Ansichten und fernern Plane mittheilte. Er schrieb ihm am 13. Jan.: „Was für Ansichten hat man in Berlin ? Ist man denn schon so tief gesunken , daß man es nicht wagen darf, die Sklavenketten zu zerbrechen, die wir ſeit fünf Jahren ſo demüthig tragen mußten? Jezt oder niemals ist der Zeitpunkt, Freiheit Welch eine erbärmliche und Ehre wieder zu erlangen Politik hat man, wenn man immer noch den Gemeinspruch im Munde hat - man muß Zeit gewinnen. Unser Gegner gewinnt bei unserm Zögern nur Zeit , wir verlieren sie , jeder Moment iſt ein unerſeßlicher Verlust. Mit blutigem Herzen zerreiße ich die Bande des Gehorsams und führe den Krieg auf meine eigene Hand. Die Armee will den Krieg gegen Frankreich. Das Volk will ihn , der König will ihn ; aber der König hat keinen freien Willen. Die Armee muß ihm dieſen Willen frei machen, ich werde in kurzem mit 50000 Mann bei Berlin und an der Elbe sein. An der Elbe werde ich zum Könige sagen - > Hier, Sire, ist Ihre Armee ― und hier ist mein alter Kopf dem Könige will ich dieſen Kopf willig zu Füßen legen, aber durch einen Murat läßt sich York nicht richten und verurtheilen. Ich handle kühn, aber ich handle als treuer Diener, als wahrer Preuße , und ohne alle persönlichen Rücksichten. Sie , General , und alle wahren Anhänger des Königs und ſeines Dienſtes müſſen jezt handeln und kraftvoll auftreten. . . . Erkämpfen, erwerben wollen wir unſere nationale Freiheit und unsere Selbstständigkeit ; diese Freiheit und Selbstständigkeit als ein Geschenk annehmen und erhalten heißt die Nation an den Schandpfahl der Erbärmlichkeit stellen und sie der Verachtung der Mit- und Nachwelt preisgeben. Handeln Sie , General, es ist absolut nothwendig, 9*

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Fünftes Kapitel.

ſonſt iſt alles auf ewig verloren.

Glauben Sie es mir, die

Sachen stehen hier sehr schlimm.

Entferne ich mich von hier,

so ist das Corps aufgelöſt und die Provinz in Insurrection. Wo kann das hinführen? Das iſt nicht zu berechnen.“' ¹ Also den König als ohne freien Willen zu betrachten, das preußische Corps schleunigst zu verstärken, sich dann schnell gegen Berlin und die Elbe wenden, um dem Könige den Willen frei zu machen, auf der Degenspiße die nationale Selbständigkeit wieder zu erkämpfen und sie nicht als Geschenk von den Ruſſen das waren anzunehmen, die Volkserhebung aber zu umgehen damals York's Politik und seine Plane. Die Provinz, über welche er Generalgouverneur war, zerfiel in drei Regierungsbezirke , nämlich : Litauen oder Gumbinnen, Ostpreußen oder Königsberg, Westpreußen oder Marienwerder. Am Tage nach seiner Ankunft in Königsberg hatte York diese drei Regierungen aufgefordert, Commissarien mit den nöthigen. Vollmachten an ihn zu senden , um mit denselben über die Mittel zur Beschaffung der Bedürfnisse für ſein Corps und zu des letztern Verstärkung zu conferiren. Bei ihrer Zusammenkunft würden diese Commissarien über kleinliche Maßregeln berathschlagt haben und dabei ſtehen geblieben sein. Im Einverständniſſe mit ihnen hätte York Pferde ausgehoben, die Beurlaubten und Krümper, welche Bülow nicht mitführen gekonnt , einberufen , und sich so um einige tauſend Mann und Pferde verstärkt. Aber was war das , wenn es sich darum handelte, den Kampf gegen Napoleon aufzunehmen, dem, mußte es sein , alle Hülfsquellen Frankreichs zu Gebote standen ? Was die öffentliche Meinung erwartete , wollte und verlangte, war eben die Landesbewaffnung , das Aufgebot in Maſſe. Indeſſen machte keine Behörde den Anfang mit dieſer Bewaffnung und dem Aufgebote. York, welcher in Tauroggen noch so kühn, schien in Königsberg eher ängstlich, und war es auch in der That. Er hätte nur ein Zeichen zu geben brauchen

1 S. Varnhagen von Ense, „ Leben des Generals Grafen Bülow von Dennewitz".

Stein tritt auf.

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und die ganze Provinz wäre aufgestanden, bereit, alles daranzusetzen. Er wollte aber keine Volksbewegung und hatte auch kein Vertrauen zu einer solchen.2 Bei seinem methodischen und die Regel beobachtenden Wesen widerstrebte es ihm, ungeachtet der Bitten von seiten der eifrigsten Patrioten, aus dem Kreise seiner militärischen Befugnisse herauszutreten. Er erwartete alles von der Civilverwaltung und wollte nichts ohne fie thun, während diese aus Furcht, sich zu compromittiren, beinahe ganz unthätig blieb. Sie ließ vielmehr Personen, deren patriotische Begeisterung ihr gefährlich schien, verhaften. In solchem vergeblichen Harren verflossen die Tage. Die öffentliche Meinung wurde misgeſtimmt, und York, welcher durch die absichtliche Unthätigkeit der Beamten sich zum Stilleſtehen nöthigen ließ , begann schon an dem erfolgreichen Fortgange ſeines großen Unternehmens zu zweifeln, als ein Mann auftrat, der ihm eine Stüße werden sollte. Es war der Freiherr vom Stein, Preußens Reformator, der große Miniſter, den Friedrich Wilhelm vor nicht zu langer Zeit auf Napoleon's Antrieb geopfert. Ein tüchtiger und gescheiter Kopf, Philoſoph und doch zugleich praktiſch , ein ebenso kar blickender wie kühner Geist, und ein unerschütterlicher Charakter, hatte er begriffen , wo es seiner Zeit im Grunde noththat. Er, der Edelmann von altem und hohem Geschlechte, der Nachkomme der stolzen Barone vom Rhein , er hatte in seiner unerbittlichen Logik Hand an die Adelsprivilegien gelegt , die Erbunterthänigkeit aufgehoben, hatte das Grundeigenthum, die Industrie, den Handel und das Gemeindewesen emancipirt, und es unternommen, Preußen an den sprudelnden Quellen von 1789 zu regeneriren. Durch Napoleon in seinem Werke unterbrochen, von ihm verhöhnt , beraubt und geächtet , hatte noch mehr das Aufsehen , welches seine Verfolgung machte, als die Größe seiner Werke ihn den deutschen Patrioten als ihren

1 Brief des Regierungsrathes Schulz an York, vom 18. Jan. 1813. S. Drohsen,,,Leben des Feldmarschalls Grafen York". 2 S. das vorerwähnte Schreiben von Schulz an York.

134 Führer bezeichnet.

Fünftes Kapitel. Frankreich war damals wirklich so weit

herabgeſunken , daß seines Gebieters Schmähungen und Haß den Völkern ein sicherer Wegweiser sein konnten, wen sie achten und verehren sollten. Obwol flüchtig und ruinirt, war Stein doch eine Macht. Aus seinem Eril bearbeitete er die Gemüther, ermuthigte zum treuen Ausharren , fachte den Groll an und denuncirte die Feiglinge und Verräther. Seine Meinungen, Worte und Plane wurden intelligenten , rührigen und unerschrockenen Gesinnungsgenossen anvertraut, liefen durch das ganze von Napoleon über Deutschland ausgebreitete Späherund Angebernet, und hielten überall Treue und Hoffnung aufrecht. Und ebenso bekam er wieder von allerwärts her Aufschlüsse und Berichte über die Regierungen und Persönlichkeiten, über die Völker und Armeen.

Sein Patriotismus umfaßte in gleicher Liebe ganz und wiederum ganz Deutschland. Ich habe nur ein Vaterland", schrieb er, das heißt Deutschland ; ich bin nur ihm und nicht einem Theil desselben von Herzen ergeben.“ 1 Voll Verachtung und Haß gegen die Rheinbundsfürſten, ,,die Feigen, welche das Blut ihres Volkes verkauften, um ihr schamvolles Dasein zu verlängern “, 2 war sein Streben dahin gerichtet, dieselben zu brandmarken und verhaßt zu machen, und den Sturz ihrer durch Verrath und Servilität entehrten Throne vorzubereiten. Ueberzeugt , daß Deutschland , wie es dermalen conſtituirt , weder von Frankreich noch von Rußland je unabhängig sein würde , wollte er es von der Nordsee bis zum Main an Preußen, und vom Main bis zum Gipfel der Alpen an Desterreich geben, oder, was noch beſſer, es zu einem einzigen Reiche vereinigen 3, unter einem Fürsten oder auch unter.

¹ Brief Stein's an den Grafen Münſter, Ende 1812 von Petersburg aus geschrieben , und aufgeführt in Ludwig Häusser's ,,Deutscher Geschichte vom Tode Friedrich's des Großen bis zur Gründung des Deutschen Bundes“. Denkschrift Stein's an den Kaiser von Rußland , vom 18. Sept. 1812. S. Perth,,, Das Leben des Ministers Freiherrn vom Stein“. 3 Ebendort , und in dem obenerwähnten Briefe an den Grafen Münster. - · In seiner Denkschrift an den Kaiser Alexander gab Stein

Stein und die geheimen Verbindungen.

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einem andern, denn die Dynastien waren ihm damals gleich1 gültig. Er hatte sich zur Einheitsidee aufgeschwungen . Aber so wie Deutschland einen oder zwei Staaten bilden sollte, ebenso wollte er es mit den liberalsten Gesetzen ausgestattet wissen. Nach seiner vollkommenen Ueberzeugung mußte die Unabhängigkeit mit dem Freiheitsrufe erobert und konnte nur durch die Freiheit behauptet werden. Gewandt in der Behandlung und Anregung seiner Leute, rieth Stein unablässig zur Vorbereitung und Organiſation für den Kampf, um die erste günstige Gelegenheit benußen zu können. Volkserhebungen, Maſſenaufſtände, der Krieg, wie ihn vor nicht langem die Tiroler und jezt noch die Spanier führten , wie ihn der Convent geführt, mehr noch der Krieg der Völker als der Armeen, das war, was er vorschlug und was er für unwiderstehlich hielt. Bei der fortwährenden Propaganda für diese Ideen fand Stein in den geheimen Verbindungen ein mächtiges Hülfsmittel. Der Eroberer und Thrannen Schrecken, ein Mittel, um den Geist der Empörung gegen jene wach zu halten und aufzumuntern, ihren Sturz vorzubereiten und manchmal auch zu entscheiden, waren die geheimen Verbindungen die In natürliche Folge der Eroberung und Zwingherrschaft. Preußen nach dem Frieden von Tilsit gegründet und nach

auch dem Gedanken Naum, daß man bei einer Zweitheilung Deutſchlands einige Staaten, wie z . B. Hannover, beſtehen lassen könnte, indem man fie zu Desterreich oder Preußen in ein Bundesverhältniß brächte. Dem lag indeſſen jedenfalls wol nur die Absicht zu Grunde , der englischen · Königsfamilie bei Gelegenheit eine Conceſſion zu machen. Hinsichtlich der alten deutschen Verfassung schrieb er: „ Diese Verfassung war nicht das Ergebniß des Willens einer durch Erfahrung und Kenntniß ihres wahren Vortheils aufgeklärten Nation; sie verdankt ihren Ursprung den verderblichen Nänken der ehrgeizigen Päpste , der Treulosigkeit und dem aufrüherischen Geiſte der Deutſchen Fürsten, dem Einfluß der fremden Mächte.“ ¹ „ Mir sind die Dynaſtien in diesem Augenblick großer Entwicke." (Aus dem obencitirten Briefe an lung vollkommen gleichgültig ..." den Grafen Münſter.)

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Fünftes Kapitel.

Wagram fortbestehend , hatten sie sich unter den Armeen und Universitäten, unter dem Adel, dem Bürgerſtande, der städtischen wie ländlichen Bevölkerung vom Niemen bis zum Rhein ausgebreitet. Mochten sie hinsichtlich ihrer Namen, Organisation und politischen wie socialen Tendenzen untereinander verschieden. sein, so hatten sie doch ein gemeinsames Symbol , nämlich: die Unabhängigkeit Deutschlands oder , wie sie sagten , des deutschen Vaterlandes , die Freiheit und Gleichheit aller vor dem Geseße; den Haß gegen Napoleon und Frankreich , ſeinen Mitschuldigen, wie sie meinten. Wie viele male hatten nicht im Stübchen des Studenten oder im Hause des Adelichen die Vertrauten des Tugendbundes , des Deutschbundes und anderer Verbindungen in ihrer Verzweiflung über Deutschlands Unglück ſich verschworen , Napoleon nach antiker Art aus der Welt zu schaffen. Stein gehörte, wie es scheint , keiner dieser Verbindungen an, aber er verfügte durch Zwischenpersonen über ihre Actionsmittel. Sein Name wurde in diesen Kreisen verehrt, sein Wort war allmächtig. Beim Herannahen des russischen Krieges hatte der Zar Stein zu sich eingeladen. Lehterer leistete dieſem Rufe sogleich Folge und es dauerte nicht lange, so übte er einen ungemeinen Einfluß auf jenen Fürsten aus . Von Anfang an hatte er ihn darauf hingewiesen, daß Rußlands Heil auf einem ausdauernden, hartnäckigen und bis zum Aeußersten gehenden Widerstande gegen die franzöſiſche Invaſion beruhe, und daß dann seine beste Schuhmauer ein der Freiheit wiedergegebenes und auf liberaler Grundlage constituirtes Deutschland sein würde. Alexander lieh dem berühmten Geächteten unablässig ein aufmerkſames Ohr. Mit Zähigkeit befolgte er deſſen Rathschläge. Nachdem das französische Heer zerstreut, vernichtet und zu beſtehen aufgehört, hatte er seine Armeen über den Niemen vorgeschoben und marſchirte gegen die Weichsel , entſchloſſen , die Rolle als Befreier des Continents weiter zu verfolgen, indem er auf die entscheidende Mithülfe der Völker zählte, welche, wie ihm Stein versicherte , zur Erhebung bereit seien , ſobald die russische Fahne sich zeigen würde.

Stein in Königsberg.

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Stein war bei dem Zar Deutschlands Schußgeist, immer für dasselbe wachend, sprechend und wirkend. Nach Alexander's Abreise auf Wilna war er noch einige Zeit in Petersburg verblieben , hatte ihn aber am 16. Jan. eingeholt. Sogleich von der Lage der Dinge in der Provinz Preußen unterrichtet , erkannte er , was hier noththat, und bat den Zar, ihn als kaiserlichen Commiſſarius mit der ausgedehntesten Vollmacht nach jenem ihm so wohl bekannten Lande zu senden,,,um dessen Hülfsquellen zu Gunsten der guten Sache nuzbar zu machen". Nachdem er diese Vollmacht erhalten, kam er am 22. Jan. abends in Königsberg an. Er fand den Oberpräsidenten Auerswald und York sehr verstimmt wegen eines Vorfalls, gegen den sie bereits bei dem Zar Protest erhoben. Der General Paulucci (derselbe, welcher York in so zudringlicher Weise zum Abfalle aufgefordert) war nämlich, sobald er Macdonald's Rückzug wahrgenommen , mit 2000 Mann von Riga aufgebrochen, um — während General Lewis vergeblich den französischen Marschall einzuholen suchte auf Memel zu rücken. Ohne Widerstand war er hier eingezogen, hatte ein preußisches Bataillon , welches die dasige Beſaßung bildete, kriegsgefangen gemacht und im Namen des Zar von der Stadt Besitz genommen. Seitdem verfuhr er hier wie in einem bereits mit Rußland vereinigten Lande, ohne Rücksicht auf die Convention von Tauroggen und ganz im Widerspruche mit den allgemein bekannten Verheißungen des Zar. Stein zerstreute die Besorgnisse, welche jene Maßregeln hervorgerufen, denen eben nichts anderes zu Grunde lag , als daß Paulucci über das Ziel des Krieges die gleichen Anschauungen wie Kutuſow hatte. Er kündigte den beiden Obengenannten an, daß Paulucci abberufen und alle ſeine Anordnungen rückgängig gemacht worden. In die innerſten Plane des Zar eingeweiht, gab Stein die Verſicherung, daß man sich ganz und gar der kaiserlichen Politik , welche Preußen und Deutſchland durchaus günſtig, anvertrauen könnte und müßte. Nach dieser Erklärung machte sich Stein an den Zweck seiner Mission. Auerswald wie die beiden andern Präsidenten der Provinz -und mit ihnen die ganze Beamtenwelt warteten und warteten

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Fünftes Kapitel.

auf Instructionen aus Berlin. Es kamen aber keine. York blieb sowol ohne Geld als Hülfsmittel, und, wie er sich selbst zuzuschreiben, auf das militärische Gebiet beschränkt. Aber auch hier mußte er sich die Weigerung des Commandanten von Graudenz gefallen lassen, welcher weder Waffen noch Munition und andere Kriegsbedürfnisse für das preußische Corps aus den Magazinen der Festung verabfolgen wollte oder dies vielmehr nicht wagte. 1 Stein wies seine Vollmacht vor und ertheilte seine Befehle. Die drei Regierungsbezirke der Provinz Preußen hatten jeder eine Art Vertretung , die sogenannten „,Stände“, welche indeſſen nur ziemlich beschränkte Befugnisse besaßen. Indem man sie aber in einer Zeit allgemeiner Gärung und Aufregung einberief, mußten ſie ſich von der ängstlichen Zurückhaltung der Beamten lossagen, durften, dem Drange der Umstände weichend, die ihnen abgehenden Rechte sich selbst zu geben nicht zögern, und mußten gerade auf das Ziel lossteuern , welches jeder im Auge hatte und wollte , nämlich die Landesbewaffnung durch das Land selbst. Stein begriff dies und ebenso die Größe der moralischen Wirkung eines solchen Beispiels . Unverzüglich forderte er, kraft ſeiner kaiserlichen Vollmacht, Auerswald auf, die Stände der drei Regierungsbezirke der Provinz auf den kommenden 5. Febr. zu einem Generallandtage nach Königsberg einzuberufen.2 Auerswald - zwar ein aufrichtiger Patriot , aber ängstlicher Charakter und in einer solchen Krisis nicht recht an , sträubte sich, eine solche Berufung, welche nur seinem Plage der König anordnen konnte, ergehen zu lassen. Indessen gab er dem gebieteriſchen Andrängen Stein's nach. Er berief die Abgeordneten zu dem Tage und nach dem Orte, welche des Zar Bevollmächtigter beſtimmt. Aber noch waren ſeine Wahlausschreiben

1 Eine Cabinetsordre vom 28. Jan. billigte sein Verhalten und wies ihn an, bei ſelbem zu bleiben. 2 Für Westpreußen verlangte Stein nur die in den am rechten Weichselufer gelegenen Kreisen dieser Provinz zu wählenden Abgeordneten.

Einberufung der preußischen Stände.

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nicht alle an ihren Bestimmungsort gelangt , als er sie einer Modification unterwarf. In der Absicht, sich weniger zu compromittiren und weniger in die königlichen Prärogative einzugreifen, machte er bekannt , daß die Deputirten der Stände nicht zu einem Generallandtage, sondern blos zu einer Versammlung zusammentreten würden, deren Zweck es sein sollte, ,,die Eröffnungen zu vernehmen und darüber zu berathen, welche der Bevollmächtigte Sr. Majestät des Kaisers von Rußland machen werde". Stein ging über diesen sønderbaren Scrupel hinweg. An dem Wortlaute des Ausschreibens lag wenig ; die Hauptsache war, daß die Stände zuſammentraten . Jenes Berufungsschreiben und Stein's Anweſenheit kündigten endlich das Ende der seitherigen Unthätigkeit der Verwaltungsmaschine an ; es folgten schnelle und entſchiedene Maßregeln. Aller Blicke richteten sich nach Königsberg und auf den großen Miniſter , welchen das Präftigium der noch vor nicht langer Zeit Preußen geleisteten Dienste , der für lehteres erlittenen Verbannung und der Autorität des über Napoleon triumphirenden Zar umgab. Von allen Seiten eilten die Emissare der geheimen Verbindungen herbei, kamen die rührigſten Patrioten, um zu sehen , zu hören und Instructionen zu erbitten, jene raschen Boten, deren Berichte in weiter Ferne die Aufregung der Gemüther und die Kampfbegierde anschwellen machen sollten. Die öffentliche Meinung täuschte sich nicht. Stein war keineswegs der Mann, welcher in so kritischen Zeiten dem Zusammentritte der Stände in Unthätigkeit eutgegengesehen hätte. Er wartete nicht erst darauf. Indem er sich vorbehielt oder auch nicht vorbehielt, seine Acte der Genehmigung seitens der Obengenannten zu unterziehen, beeilte er sich, zu handeln. Er ließ die Patrioten, deren Begeisterung bei Auerswald Besorgnisse erweckt, ihrer Haft entlassen, nahm die öffentlichen Kaſſen in Beschlag, und hob für die Provinz die Continentalsperre, den Ruin aller , auf. Sämmtliche hinsichtlich letterer ergange= nen Bestimmungen erklärte er für suspendirt und gestattete die Ausfuhr aller preußischen Producte, mit Ausnahme des Roggens

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Fünftes Kapitel .

und des Hafers . Bei der patriotisch gesinnten Kaufmannschaft von Königsberg , Elbing und Memel entlich er als Vorschuß auf die Einnahmen aus den Seezöllen 500000 Thaler, die bei ihrer sofortigen Zahlung eine schäßbare Beihülfe für das York'ſche Corps wurden. Ferner legte Stein Beschlag auf die Befizungen, welche die Rheinbundsfürsten in der Provinz hatten. Für das russische Papiergeld, mit welchem der Zar seine Truppen beſoldete, decretirte er den Zwangscurs mit Zugrundelegung eines billigen Rückſichten entsprechenden Tarifs. Bei diesen Souveränetätsacten mußte Auerswald wider Willen durch seine Unterſchrift mitwirken auf Stein's Weiſungen, welcher in herrischer und oft unangenehmer Weise drängte und befahl. Zulegt wurde es aber Auerswald doch zu viel, und indem er sich am 2. Febr. krank und bettlägerig melden ließ , entzog er sich jeder weitern Verantwortlichkeit. ,,Er legt sich aus Furcht vor der Wiederkehr der Franzosen zu Bett", war Stein's schneidende Antwort darauf. Sein Bruch mit erſterm war also entschieden. Der gebieterische Vertreter des Zar stand zu York in keinem bessern Verhältnisse , hatte diesen indeſſen nicht so einſchüchtern können. Anfangs wollte er ihm befehlen und über

das preußische Corps wegen deſſen Vereinigung mit den Ruſſen verfügen , war aber dabei auf den entschiedensten Widerstand gestoßen. Ihre gégenseitigen Beziehungen hatten sich dadurch verbittert. Indessen bewies York gerade während dieser Streitigkeiten, daß , wenn er auch dem Bevollmächtigten des Zar nicht gehorchen wolle, er doch nicht gesonnen sei , auf der eingeschlagenen Bahn rückwärts zu gehen. 1 Die berliner Zeitungen vom 19. Jan. brachten die durch Napoleon geforderte und vom Könige bei der ersten Nachricht von York's Abfall zugesagte Bekanntmachung, welche man jedoch aus Furcht vor der öffentlichen Meinung möglichſt lange hinausgeschoben. Fünf Tage nachher langten diese Zeitungen in Königsberg an. Sie brachten den höchsten Unwillen des Königs

1 S. Pert,,,Das Leben des Ministers Freiherrn vom Stein“.

York's Erklärung in der Königsberger Zeitung.

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zur öffentlichen Kunde, ferner die gegen York anbefohlenen Maßregeln , ſeine Erſeßung durch Kleist , den Abgang des Flügeladjutanten Nazmer zum preußischen Corps und die Mission des Fürsten Haßfeld nach Paris. Obwol damit nur das be stätigt wurde, was man seit 14 Tagen aus Privatbriefen wußte, so machte diese Bekanntmachung , welche übrigens mit einem Ausbruche des allgemeinen Unwillens aufgenommen wurde, doch manche Offiziere wankend , sodaß sie die Absicht laut werden ließen, dem desavouirten und als strafbar hingeſtellten General nicht mehr Gehorsam zu leisten. York, der fest in ſeinem Vorſage, wahrte dagegen seine Autorität in der formellſten Weise. Auf jenen berliner Zeitungsartikel antwortete er in den Spalten der ,,Königsberger Zeitung," daß der Flügeladjutant Nakmer nirgends erſchienen , daß in Preußen eine Zeitung kein officielles Staatsblatt ſei und bisjezt noch kein preußischer General ſeine Verhaltungsbefehle durch die Zeitungen erhalten, weshalb er ohne Bedenken sein Commando ferner ausüben werde, und dies,,,um jede Irrung zu verhüten", öffentlich bekannt mache. Diese entschlossene Haltung hatte Stein's Zorn über York's Weigerungen etwas besänftigt. Doch dauerte dies nicht lange. York machte Stein Vorstellungen hinsichtlich der Allgewalt, welche dieser in des Zar Namen selbst in der Provinzialverwaltung ausübte ; Stein wies diese Vorstellungen zurück , die Discussion wurde immer gereizter und schließlich von York mit der Erklärung abgebrochen , daß er gar keine Beziehung mehr zu Stein haben wolle. So lagen die Dinge am Tage vor dem Zusammentritte der Stände. Stein, der eine Popularität ohne gleichen genoß, stand isolirt gegenüber dem Militärchef der Provinz und der Beamtenwelt , denn die lettere richtete sich nach York und Auerswald.

Indessen trafen die ständischen Deputirten in Königsberg ein. Man mußte ihnen einen Vorsitzenden geben, welcher durch seine Stellung und Erfahrung ihre Debatten zu beherrschen, zu leiten und zu beschleunigen die Befähigung hatte. Gefeßlichwenn bei so bewandten Umständen überhaupt noch von Gesetz-

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Fünftes Kapitel.

lichkeit die Rede sein konnte - hätte Auerswald den Vorsik übernehmen müſſen, welcher mit seinem Titel eines Oberpräsi denten den eines königlichen Commissarius bei den litauischen und oftpreußischen Ständen verband. Nachdem er sich aber beiseite gezogen , designirte er zur Vertretung des von ihm. vorweg im Stiche gelassenen Präsidiums den Director des per manenten ständischen Comité der beiden Regierungsbezirke , Brandt. ' Stein kehrte sich jedoch nicht an diese Designation, sondern trug den Vorsiz seinem alten Freunde Schön, Präsidenten von Litauen, an, und als dieser selbigen ausschlug, wendete er sich deshalb an York. Seine mit leßterm gehabten Streitigkeiten vergessend, bestürmte er ihn in einem beredsamen und warmen Briefe, die Leitung der Stände zu übernehmen. " Die Leitung ihrer Berathungen, damit sie zu einem zweckmäßigen weisen Resultat führen“, schrieb er ihm , „,kann von niemand vollkommener geschehen als von Ew . Excellenz, die Sie durch Ihren kräftigen und weisen Entschluß die Flucht des Feindes beschleunigt und dem König und Vaterlande ein Corps tapferer Männer zum Kampf für Freiheit und Ehre aufbewahrt haben.“ Und indem er ihn auf die Wichtigkeit des Moments hinwies, ſagte er : „ Klugheit, Ehre Vaterlandsliebe Rache gebieten keine Zeit zu verlieren, den Volkskrieg aufzurufen, die Waffen zu ergreifen und jede Kraft anzuspannen, um die Fesseln des frechen Unterdrückers zu brechen und die erlittene Schmach im Blut seiner verruchten Banden abzuwaschen."2 York lehnte den ihm dergestalt gemachten Antrag ab . Er wollte aus seiner militärischen Rolle nicht heraustreten und hauptsächlich nicht von Alexander's Bevollmächtigtem eine beherrschende Stellung in der Versammlung , von welcher er sozusagen eine Sanction der Tauroggener Convention erwartete, übertragen erhalten. Stein gab darauf die Absicht zu erkennen, in seiner Eigenschaft als russischer Commissarius den Ständen zu präsidiren. Seines hervorragenden Patriotismus ungeachtet

1 S. Friccius, und 1814".

„ Geschichte des Krieges in den Jahren 1813

2 Der betreffende Brief war vom 4. Febr. datirt.

Stein's Conflict mit York.

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wären dadurch die lettern doch ihres nationalen Charakters entfleidet worden, und ſtand zu befürchten , daß in dieſem Falle mehr als ein Deputirter wegbleiben würde. Besorgt wegen der Folgen eines solchen Entſchluſſes und den schlechten Eindruck fürchtend, welchen diese im Lande kundwerdenden und Vorurtheile hervorrufenden Meinungsverschiedenheiten auf die Deputirten machen dürften, versuchte Schön, sich ins Mittel zu legen und die Gefahr abzuwenden. Er bestimmte York, mit ihm zu Stein zu gehen. Auf ihre Vorstellungen trat letterer von der Idee, selbst den Vorsiß bei den Ständen zu übernehmen, zurück, gab ferner nach , daß York dieſen auch nicht führe , und willigte ein, daß Brandt damit beauftragt bliebe. Nach Erledigung dieser Punkte schleppte sich die Unterredung mühsam fort, bis es bei einer untergeordneten Frage zu einem heftigen Auftritte kam. Hihig , als ob er noch ein Zwanziger, obwol er beinahe ein Sechsziger, machte Stein den die fortwährenden Einwendungen und Bedenken jener beiden in Zorn gebracht - York den Vorwurf, daß er in Tauroggen ein großes Werk angefangen und jetzt nicht hinausführen wolle. Er warf ihm dies in so bitterer und beleidigender Weise vor, daß York aufſtand und ohne ein Wort zu verlieren das Zimmer verließ. Schön folgte dem General , ohne indeſſen ſeine Vermittlerrolle aufzugeben. Von der Meinung durchdrungen, daß die Ständeversammlung , wenn ſie überhaupt noch möglich, fruchtlos bleiben würde, übermannte York ein Anfall von Verzweiflung. Er wollte heimlich nach England gehen. Schön brachte ihn davon ab und begab sich bald darauf wieder zu Stein. Er fand ihn , wie er sagt , noch aufgeregt , aber doch 1 gefaßter. Er stellte ihm die unheilvolle Wirkung seines heftigen Zerwürfnisses mit York vor, appellirte an seinen Patriotismus, an seine Hingebung für die allgemeine Sache, und brachte ihn bald dahin, alle Schwierigkeiten selbst zu beheben. Doch Stein ging noch weiter.

Diesen Vollmachten, die bei

1 S. ,,Erinnerungen des Herrn Ministers v. Schön ", veröffentlicht im Anhange zum dritten Bande von Perk ,,,Das Leben des Miniſters Freiherrn vom Stein".

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Fünftes Kapitel.

York Anstoß erregt und die Beamten bestürzt gemacht, welche sich nicht compromittiren wollten und die königliche Autorität zu schirmen eifrigst bestrebt waren dieser Miſſion als Repräsentant des Zar, bei welcher ihn so viel Popularität begleitet, machte er auf der Stelle ein Ende, indem er Schön ankündigte, daß er innerhalb zwei oder drei Tagen zum Kaiſer Alexander zurückkehren würde. Er ging , um andern die Ehre zu überlaſſen, das zu vollenden, was er vorbereitet. „ Niemals“, schreibt Schön, „ iſt er mir größer als in dem Momente der Resignation erschienen. “ 1 Diese Selbstverleugnung war nicht frei von schmerzlichen Gefühlen. Indem aber Stein abtrat , konnte er sich mit ge rechtem Stolze sagen, daß er es war, welcher den Anstoß zur geregelten Erhebung des Landes gegeben, und zwar einen solchen Impuls, der von da an unwiderstehlich durchdrang. Die von ihm angeregte und geforderte Versammlung der Stände der Provinz Preußen war der Schlußstein der Convention von Tauroggen. Hier liegt eins von Stein's Ruhmesblättern vor; die Geschichte kann seinen Namen von dem York's nicht trennen in Bezug auf das Entstehen der Bewegung , welche Preußen und dann Deutschland zu dem Gigantenkampfe fortriß, in welchem sie ihre Befreiung fanden. Zur selben Zeit, als Stein die Stände einberufen ließ, war er bedacht gewesen, ihnen gleich am Tage ihres Zusammentrittes einen Plan zur Bewaffnung des Landes vorzulegen, denn er wollte auch nicht einen Augenblick verlieren. Seine Ideen in dieser Bewaffnungsfrage waren sich so ziemlich gleichgeblieben und stammten aus der Zeit, wo er , selbst noch Miniſter, an Preußens Reform gearbeitet. Er wollte eine Landwehr- oder Provinzialmiliz, welche in ihren Reihen Adeliche und Bürgerliche, Handwerker und Bauern aufnahm, mit Einem Worte, die ganze waffenfähige Bevölkerung, ohne Ausnahmen und Vorrechte, vom Jünglings bis zum gereiften Alter ; und hinter dieser Miliz sollte der Landsturm oder das Maſſenaufgebot stehen.

Stein

16. ,,Erinnerungen des Herrn Ministers v. Schön", in Pert ,,Das Leben des Ministers Freiherrn vom Stein“.

Landwehr und Landsturm.

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hatte die große Krisis der Französischen Revolution in der Nähe studirt. Er wußte, daß es Momente gibt , wo die stehenden Heere den Anforderungen des Gemeinwohls nicht genügen. Uebrigens waren diese Ideen nicht sein eigenes Product, sondern hatten im Gegentheil so wie die Namen Landwehr und Landsturm selbst , schon sehr weite Verbreitung gefunden. In der zweiten Hälfte des Jahres 1808 war in Desterreich eine Landwehr organiſirt worden, und als einige Monate später der Krieg ausbrach, leiſtete dieſe Miliz ihrem Lande so gute Dienste, daß Napoleon sie durch einen harten Befehl aufzulösen Veran1 lassung nahm. Ebenso wurde in Rußland, und zwar erst bei der Invasion in dieses Reich , eine Landwehr errichtet ; ihre Druschinen (Bataillone) befanden sich bereits seit mehrern Monaten bei den Armeen des Zar und bewieſen an der Seite der Linienbataillone eine gute Haltung. Aber es handelte sich darum , dieſe Inſtitution den Umſtänden, dem Charakter, den Gewohnheiten und Verhältniſſen der preußischen Bevölkerung anzupaſſen und sie in einem Entwurfe zu formuliren , welcher von den Ständen rasch geprüft und votirt werden konnte. Mit dieser Arbeit hatte Stein den

1 Dieser Befehl lautete : ,,I. Die Militz oder sogenannte Landwehre ist aufgelöset. II. Ein General - Pardon wird hiemit allen Gliedern derselben zugesichert, welche sich spätestens binnen vierzehn Tagen nach der Einrückung der Französischen Truppen in die Ortschaften, wohin fie gehören, nach Hause begeben werden. III. Sollten Offiziere derselben in dem gegebenen Zeitraume zurück zu kehren unterlaſſen, ſo ſollen ihre Häuser abgebrannt , und ihre Meubeln oder sonstiges Eigenthum confiscirt werden. IV. Die Ortschaften, welche Mannschaft zur Landwehre geliefert haben, sind gehalten, dieselbe zurück zu rufen, und die Waffen, die diese erhalten haben , sogleich abzuliefern. V. Den Commandanten der verschiedenen Provinzen ist aufgetragen , alle gehörige Maßregeln zur Vollziehung des gegenwärtigen Befehls zu ergreifen. Gegeben in unserem kaiserlichen Lager von Schönbrunn, den 14. May 1809. Napoleon. Auf Befehl des Kaisers, der Fürst von Neuchatel, Major - General der Armee, Alexander." 10 Charras, 1813.

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Fünftes Kapitel.

Grafen Alexander Dohna

betraut.

Vormals Minister bei

Friedrich Wilhelm und das Haupt einer der angesehenſten und geachtetsten Familien der Provinz Preußen , hatte Dohna zwei Brüder, welche gegen Napoleon kämpften, der eine in Spanien unter dem englischen Banner, der andere unter der russischen Fahne. Lehtern hatten die Truppenbewegungen nach Königsberg geführt. Graf Dohna zog ihn mit zu Rathe, ebenso seinen - einen ausgezeichneten Offizier , weldritten Bruder Ludwig cher seit dem Tilsiter Frieden seinen Abschied genommen — und endlich auch den gescheiten Oberstlieutenant v. Clauſewiß, deſſen Name bekanntlich mit der Convention von Tauroggen verknüpft iſt. Er legte denselben die Grundzüge der ihm auf Stein's Veranlaſſung übertragenen Arbeit vor und besprach ſich mit ihnen in der Sache. Aus diesen Berathungen ging ein Bewaffnungsentwurf hervor, welcher, von Stein durchgeſehen und einigen Modificationen unterworfen, York's Zuſtimmung erhielt. Am 5. Febr. versammelten sich die Stände. Die Abgeordneten, aus denen sie beſtanden, waren vom gleichen Geiſte beseelt und von denselben Gefühlen entflammt wie das Volk. Zum größern Theile in wohlhabenden Verhältnissen, waren sie für das Wohl des Vaterlandes zum Aeußersten und zu allen Opfern bereit, aber ebenso auch entschlossen , die Unthätigkeit der Regierung in energischer Weise zu ersehen. Sie gingen gerade auf das Ziel los . Sie wollten über die königliche Misbilligung und die Abseßung , welche York betroffen , hinweggehen, und so riefen sie ihn denn in seiner Eigenschaft als Generalgouverneur der Provinz in ihre Mitte , indem sie ihn einluden, ihnen mit seinem Rathe beizustehen und sie zu leiten. Durch diesen einstimmigen Beschluß fand York seine ganze Energie wieder. Er kam. Bei seinem Anblicke erhoben sich alle unter Händeklatschen. In kurzen mächtigen Zügen erinnerte er sie an Preußens Unglück und Leiden , an dessen Demüthigungen nnd Erniedrigungen, rieth dann zu einer mächtigen Bewaffnung, und erklärte, daß er einen darauf bezüglichen, ganz zur Ausführung geeigneten Plan habe; er wünſchte, daß ein Comité gewählt würde, welchem er jenen Entwurf vorlegen könne, und nach dessen Berichterstattung die Versammlung in

*

Der preußische Landtag.

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der Sache Beschluß fassen sollte. „ Ich hoffe“, so schloß er, „ die Franzosen zu schlagen, wo ich sie finde ; ich rechne hierbei auf die kräftige Theilnahme aller ; iſt die Uebermacht zu groß, nun so werden wir ruhmvoll zu sterben wissen.“ Nach dieſen kurzen Worten ging er, von dem begeisterten Zurufe der Versammlung begleitet. Diese Ovation war die Bestätigung der Convention von Tauroggen ; die Misbilligung des Königs wurde durch die Vertreter der erſten vom franzöſiſchen Joche befreiten Provinz ausgetilgt ; es war die Stimme des Volks , welche die des Monarchen beherrschte. Das von York gewünschte Comité ward sofort gewählt und begab sich noch am gleichen Tage in des erstern Wohnung, wo dasselbe von dem erwähnten Bewaffnungsplane Einſicht nahm. Dieser Entwurf war derselbe , welcher unter des Grafen Dohna Leitung ausgearbeitet worden, und den man unter der Autorität von York's Namen vor die Stände und das Land zu bringen beabsichtigte. Nachdem das Comité demselben noch einige Einzelheiten beigefügt, legte ihn der ständische Vorsigende, Graf Alexander Dohna, unter dem Titel ,,Verordnung über Landwehr und Landsturm" am 7. Febr. der Ständeversammlung vor. Nach diesem Entwurfe sollten sämmtliche waffenfähige Staatsbürger vom 18. bis zum 45. Jahre, mit Ausnahme der Geistlichen aller Confeffionen und der Lehrer , zur Landwehr verpflichtet sein. Das von dieser zu stellende Contingent sollte durch freiwillige Gestellung, und im Falle, daß diese nicht ausreichend , durch das Los aufgebracht werden. Ihre Uniform sollte einfach, ihre Exercitien auf das Allernothwendigste beschränkt sein. Vom Staate war der Wehrmann mit Waffen und Munition, von der Commune aber mit Mantel, Kopfbe= deckung und ſonſtigen Ausrüstungsstücken zu versehen. Für die eigentliche Kleidung , welche die gewöhnliche sein konnte, hatte jeder selbst, im Unvermögensfalle aber die Commune zu sorgen. Die Landwehr sollte blos aus Fußvolk bestehen, und in Compagnien , Bataillone und Brigaden eingetheilt werden, welche mit den betreffenden Heimatsorten der Wehrleute correſpondirten. 10*

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Fünftes Kapitel .

Die Brigade hatte vier Bataillone. Die Offiziere der Landwehr sollten aus ihren eigenen Reihen hervorgehen , und ihre Ernennung weder vom Könige noch von dessen Stellvertretern abhängig sein ; die der Brigadecommandanten allein war des erstern Bestätigung zu unterbreiten. Die Landwehr empfängt nur dann Sold, wenn sie gegen den Feind steht. Sie durfte überhaupt außerhalb der Provinz nicht verwendet werden , ein rein nomineller Vorbehalt, welcher von den Ereigniſſen umgeworfen werden sollte. Der Landsturm hatte aus allen tauglichen Männern unter 60 Jahren , soweit sie nicht bei der Linie oder Landwehr Dienst thaten, zu bestehen. Hinsichtlich des Landſturms sollte es vorläufig beim Entwurfe zu deſſen militärischer Organiſation bleiben, da derselbe erſt in Wirksamkeit zu treten beſtimmt war, wenn der Feind der Provinz sich nahte. Dann hatte er mit Jagd- und andern Gewehren, mit Piken, Senſen, Aerten und überhaupt mit jedem zum Angriffe geeigneten Werkzeuge sich zu bewaffnen und vorzugsweise mit der Aufhebung feindlicher Transporte, der Vernichtung von kleinen Abtheilungen Nachzügler und Marodeure sich zu befassen. Auf York's Vorschlag sezte zugleich das Comité die Höhe des sofort aufzustellenden Landwehrcontingents in der Provinz Preußen diesseit der Weichsel auf 30000 Mann fest, wovon 10000 Mann Reserven. Innerhalb sechs Wochen hatte diese Provinz an Bülow und York, an die Depots und die Garnisonbataillone 30000 Krümper und Rekruten abgegeben, und jezt forderten ihre Vertreter ohne Verzug wieder 30000 Wehrmänner von ihr. Sie war zu der Gestellung bereit , und brachte so die Zahl der Combattanten , welche in diesen denkwürdigen Tagen aus ihrem Schose hervorgegangen, auf 60000 Mann. Und ihre Bevölkerung überstieg kaum eine Million Seelen. ¹ Die Ausführung aller dieser Maßnahmen ward der Verwaltungsmaschine mit ihren Bedenken vor jeder Verantwortlichkeit,

1 Genau betrug die Zahl 1,003500 Seelen.

Die Landwehr- und Landfturm - Verordnung .

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mit ihrem Formenkrame und ihrer hierarchischen Langsamkeit entrückt , um einer Generalcommission von sieben Ständemitgliedern übertragen zu werden, welche von den Ständen selbst, im Einvernehmen mit York, gewählt und mit solcher Vollmacht ausgestattet wurde, daß fie jede Verzögerung beheben und jede Schwierigkeit schnell beseitigen konnte. Alle Beamten waren ihr Gehorsam zu leisten verhalten. Die Stände theilten das Land bis zur Weichsel in ebenso viele Bezirke, als Landwehrbrigaden zu formiren waren, und in jedem derselben wählten der Adel , die Bürger und die Bauergutsbesißer eine Specialcommission , welche das Organ der Generalcommiſſion ſein ſollte. Jede Specialcommiſſion ernannte die Offiziere der Brigade ihres Bezirks , vorbehaltlich der Bestätigung seitens der Generalcommiſſion , und lehtere defignirte wiederum die Brigadecommandanten unter Borbehalt ihrer Bestätigung durch den König oder seinen Stellvertreter. Das war in ihren Grundzügen die „ Verordnung über die Landwehr und den Landsturm" , welcher ein Widerhall in so großartiger Weise beschieden sein sollte. Dieselbe entsprach dem allgemeinen Wunsche, welcher in den treffenden Worten Alexander Dohna's an die Stände sich zusammenfassen läßt : „ Wir wollen alle Krieger sein, aber Bürger bleiben." 1 Die Ständeversammlung nahm den Entwurf beinahe ohne Discussion und mit Einstimmigkeit an. Sie stellte dann die Generalcommiſſion auf und theilte die Provinz in Bezirke. Ferner beschloß sie noch die Errichtung eines Freiwilligen-Cavalerieregiments von 1000 Mann, welche auf deren und der Provinz Kosten beritten gemacht, gekleidet und ausgerüstet werden sollten. Alles dies geschah innerhalb vier Tagen. Stein hatte also richtig vorausgesehen. Die Stände zauderten nicht, den engen Kreis ihrer Befugnisse zu überschreiten. Sie hatten das Aufgebot aller Streitkräfte der Provinz verfügt, Maßregeln wirklich für das Gemeinwohl getroffen und souverän gehandelt. Sie hatten den Titel „ Vertreter der Nation“ ver-

¹ Friccius,,,Geschichte des Krieges in den Jahren 1813 und 1814".

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dient, welchen ihnen die öffentliche Meinung zuerkannte und mit dem sie auch York begrüßt. Und sie waren ſich des Gefährlichen ihrer Handelsweise vollkommen bewußt. Unter aller Beiſtimmung hatte denn auch Alexander Dohna erklärt : „ Wir rüſten und erheben uns gegen den gemeinsamen Feind ; gelingt es uns nicht , so dürfen wir uns nicht verhehlen, daß wir nicht allein alles, was wir haben, verlieren, sondern mit allen, die uns nahe ſtehen, vertrieben und verfolgt werden .“ Tief monarchisch gesinnt und ungeachtet der Friedrich Wilhelm's Politik vorgeworfenen Schwachheitsfehler von einer wahrhaften Liebe zu ihm beseelt, hatten die Stände das Kühne ihrer Handlungsweise durch die Versicherungen vollkommener Ergebenheit für seine Person zu decken gesucht . Diese Betheuerungen waren in ihren Sizungsprotokollen niedergelegt worden, und mehrfach hatten sie dabei erklärt, daß sie, obwol ihr Zusammentritt durch einen Bevollmächtigten des Zar veranlaßt worden , doch nur unter Voraussetzung der Wohlfahrt des Vaterlandes und der Monarchie berathen und beschlossen , und zwar unter York's Leitung, welchen sie, „ den treuesten Diener" des Königs nannten. Doch schien ihnen das alles nicht genügend, und votirten fie vielmehr noch eine Adreſſe an den König, in welcher sie den Gefühlen ihrer Treue und Anhänglichkeit Ausdruck gaben, andererseits aber auch ihre Beschlüſſe dahin erklärten und rechtfertigten, daß bei den jezigen Conjuncturen die augenblickliche Genehmigung durch den König nachzusuchen nicht möglich, dagegen wegen der dringenden Gefahr keine Zeit zu verlieren gewesen ſei“ . Mit der Miſſion, dieſe Adreſſe dem Monarchen zu überbringen, betrauten die Stände eins ihrer Mitglieder, den Major Ludwig Dohna. Dies war ihr letter Act. Am 9. Febr. gingen sie auseinander , fest entschlossen - ohne sich das vielleicht selbst ein― zugestehen ihr großes und gefahrvolles Unternehmen auch ohne den König fortzuführen, wenn er sie, wie es mit York geschehen, desavouiren ſollte. Alles , was sie beschlossen und verordnet , wurde von der Provinz , der sie so viele Lasten und Opfer auferlegt, mit Beifall aufgenommen, und alsbald ertönte es überall, vom

Uebergabe von Pillau.

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Niemen bis zur Weichsel, vom Geräusche der Volksbewaffnung. Es war ein unerhörtes Fieber von patriotischem Aufschwunge. Die gleichzeitig mit den Beschlüssen der Stände bekannt werdende Uebergabe der Festung Pillau vermehrte noch, wenn dies überhaupt möglich, die allgemeine Begeisterung. Pillau schließt die Einfahrt in das Frische Haff und damit alſo den Zugang zu den Häfen von Königsberg und Elbing . Mit seiner Uebergabe wurde die von Stein verfügte Aufhebung der Continentalsperre vervollständigt und der so lange unterbrochen gewesene Seehandel und Verkehr mit England wiederaufgenommen, mit Einem Worte, es war die Rückkehr zu den frühern glücklichen Tagen , und daher die freudige Bewegung , welche jene Nachricht hervorrief. Bei dieser Gelegenheit hatte sich wieder ein Beiſpiel, und zwar ein sehr schlagendes , von der Gesinnung des preußischen Militärs ergeben. Die Festung Pillau war in gutem Vertheidigungszustande, mit Proviant und Munition hinlänglich versehen , hatte eine Besaßung von 1900 Mann , und dennoch capitulirte ihr Commandant, der General Castella, ohne Schwertstreich bei der ersten an ihn ergehenden Aufforderung von ſeiten des russischen Generals Siewers , welcher mit seinen zu einer Belagerung durchaus ungenügenden Truppen vor dem Plaze lagerte. Und zwar capitulirte er , weil beinahe die Hälfte der Besatzung aus Preußen bestand und diese, auf die Einwohnerschaft der Stadt und die handfesten Matrosen im Hafen geſtüßt, ausdrücklich erklärt hatten, daß sie nicht nur nicht gegen die Ruſſen kämpfen würden, sondern ſelbſt mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen fest entschlossen wären. In den Provinzen der Monarchie, welche die ruſſiſchen Armeen noch nicht betreten hatten und denen drohend gegenüberstanden die französischen Garnisonen in den Festungen und Berlin, die 20000 Mann Grenier's in der Mark Brandenburg und die in Poſen vor sich gehende Truppenanſammlung unter Eugen, welcher weiter vorwärts noch Reynier und Schwarzenberg stehen hatte - in ' diesen Provinzen beobachtete die Bevölkerung eine gewisse scheinbare Zurückhaltung , während sie im Innern nicht weniger entflammt und ungeduldig war , wie es jenseit

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Fünftes Kapitel.

der Weichsel der Fall , und nur auf die Gelegenheit wartete, um dann auch ihrerseits loszubrechen. Troß dieser Begeisterung und Ungeduld war Friedrich Wilhelm doch noch zu keinem Entſchluſſe gelangt ; er wußte nicht, ob er bei dem französischen Bündnisse bleiben oder der russischen Allianz sich in die Arme werfen sollte. Seit der Entsendung seines Flügeladjutanten Nazmer an Alexander hatte er zwar Schritte gethan , mit denen er sich legterm Bündniſſe näherte und von dem andern entfernte; doch war er mehr durch das Verlangen des Volkes als aus eigenem Antriebe dazu vermocht worden . Außerdem war er für das von Oesterreich in Paris gemachte Anerbieten einer Friedensvermittelung zwiſchen Napoleon und Alexander sehr eingenommen , und fragte er fich, ohne den Unterschied der Lage seiner und des Kaisers Franz Staaten in Berücksichtigung zu ziehen, ob er nicht der Politik des lettern , welcher ihn ermunterte , sich an ihm ein Beispiel zu nehmen, folgen solle. Baron Hardenberg , welcher unter dem vagen Titel eines Staatskanzlers die Ministerien des Innern, der Finanzen und des Auswärtigen, wie auch fast das der Justiz leitete , ein immer befragter und mit größtem Zutrauen gehörter Rathgeber Hardenberg that unter diesen schwierigen Verhältnissen nichts anderes, als daß er ebenso unentschlossen wie der König war. Ein ausgezeichneter Geiſt und durchdrungen von der Wahrheit und unwiderstehlichen Macht der Principien der Französischen Revolution, hatte er nach Preußens Niederlage dem Könige zu Reformen gerathen.2 Er nahm das von Stein begonnene 1 ,,Sie werden im übrigen fühlen, daß die wichtigsten Gegenstände, die Sie in diesem Augenblicke verfolgen müssen , die vom wiener Hofe 11 (Königliche Instruction für den angebotene Vermittelung iſt. . . . General v. Kruſemark, vom 31. Dec. 1812.) 2 Noch bevor Stein die Reform Preußens in Angriff. genommen, richtete Hardenberg von Riga aus , wo er damals eine Zufluchtsstätte gefunden, eine sehr umständliche Denkschrift an den König. Er wies in derselben darauf hin , daß der gehegte Wahn , der Revolution durch Festhalten am Alten und durch ſtrengė Verfolgung ihrer Grundsäße entgegentreten zu können , besonders zu ihrer Beförderung und Verbreitung

Hardenberg's Charakter.

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Werk mit Beifall auf , hatte es fortgeführt , weiter entwickelt und wollte es mehr und mehr ausdehnen. Im Jahre 1811 hatte er officiell die demnächstige Errichtung einer Volksrepräsentation verheißen. Indessen besaß er nicht die Festigkeit, Entschloffenheit und Kühnheit seines großen Vorgängers . Wie dieser durch seine Geburt , Familie und Erziehung Preußen fremd, diente er leßterm ſeit beinahe einem Vierteljahrhundert in den höchsten Aemtern mit treuer Hingebung ; es fehlten ihm jedoch der unversöhnliche Haß gegen Napoleon und die begeiſterte Liebe zum deutschen Vaterlande, welche Stein's Geiſt durchwehten und dessen Herz entflammten. Das hieß denn aber doch den treuen Eifer zu weit treiben, wenn Hardenberg - wie in mehr als • Einem Buche zu lesen jezt noch sprechen konnte von einer Familienverbindung zwiſchen den Hohenzollern und Bonapartes, und von seiner Hoffnung , Preußen durch Napoleon wieder erhoben zu ſehen, um aus ihm den „ Schlagbaum des Nordens“ zu machen, alles Aeußerungen, welche Stein vor Entrüstung und Wuth bersten gemacht hätten. Hardenberg war bei den Berathungen Friedrich Wilhelm's eine Schwäche. Stein würde dort eine Kraft, eine Macht gewesen sein. Zwei Parteien bewegten sich um den König.

Die eine, an

beigetragen. Weiter sagte er : „ Die Gewalt dieser Grundsätze iſt ſo groß, fie find so allgemein anerkannt und verbreitet , daß der Staat, der sie nicht annimmt , entweder seinem Untergange oder der erzwungenen Annahme derselben entgegensehen muß ; ja selbst die Raub- , Ehr- und Herrschsucht Napoleon's und seiner begünstigten Gehülfen ist dieser Gewait untergeordnet und wird es gegen ihren Willen bleiben. Es läßt ſich auch nicht leugnen, daß ohnerachtet des eisernen Despotismus, womit er regiert, er dennoch in vielen wesentlichen Dingen jene Grundfäße befolgt, wenigstens ihnen dem Scheine nach zu huldigen genöthigt ist. Also eine Revolution im guten Sinne , grade hinführend zu dem großen Zwecke der Veredelung der Menschheit, durch Weisheit und nicht durch gewaltsame Impulsion von innen oder außen. – das ist unser Ziel , unser leitendes Princip . Demokratische Grundsätze in einer monarchischen Regierung , dies scheint mir die angemessene Form für den jetzigen Zeitgeist." (S. Arndt,,,Hardenberg's Leben und Wirken", Berlin 1864.)

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Fünftes Kapitel.

Zahl unbedeutend , aber rührig und voller Intriguen , war Napoleon ergeben und wurde von dessen Gesandten beim preußischen Hofe inspirirt. Man nannte sie die franzöſiſche Partei. Ihr Haupt war eine angesehene Persönlichkeit, der Feldmarschall Graf Kaldreuth, und gehörten zu ihr der größte Theil der hohen Aristokratie, welche sich den im Staatswesen vorgegenommenen Reformen am feindseligsten gezeigt, und ferner einige aufrichtige, aber durch Napoleon's militärischen Ruhm geblendete Patrioten , die selbst nach dessen Unglücke schon vor dem Gedanken eines Kampfes gegen ihn zitterten, und glaubten oder sich zu glauben bemühten , daß Preußen beim Festhalten an ſeiner Allianz einen Theil von dem, was jener ihm genommen, wieder erlangen würde. Die andere Partei waren des Vaterlandes und des Königs beste Diener ; es war die ganze Nation außer jenem Häuflein ſelbſtſüchtiger, kleinmüthiger und nicht intelligenter Menschen. Mit Fug und Recht nannte ſie ſich die preußische Partei. Friedrich Wilhelm verachtete die erste , scheute sie aber , nahm dieselbe daher gut auf und stellte sich, als ob er sie zu Rathe ziehen wolle. Natürlich war er für die andere Partei eingenommen , fürchtete jedoch ihre Ueberſpanntheit und nahm sich in Acht vor ihren Unbeſonnenheiten. Hardenberg , als intimer Vertrauter von des Königs Gesinnung , ahmte dieſem nach in dem Verhalten gegenüber den beiden Parteien , bewies sich aber aufmerksam gegen St.-Marsan und bezeugte ihm eine äußerst rücksichtsvolle Ehrer bietigkeit, welche bis zur Unterwürfigkeit ging. Mit dem Bekanntwerden der Convention von Tauroggen

hatte die preußische Partei ihr Haupt erhoben, und ihre Zuversicht nahm zu, seitdem der vollständige Untergang der französischen Armee zur offenen und erwiesenen Thatsache geworden und von den der Katastrophe entronnenen Unglücklichen dem ganzen Lande kundgethan wurde. Die Partei verlangte eine Bewaffnung in großem Maßstabe, den Bruch mit Napoleon und das russische Bündniß. Laut schrie sie auf über die Verwerfung der Convention von Tauroggen , die gegen York beschlossenen Maßregeln und hauptsächlich über die in der Sache. ergangene Bekanntmachung. Diesen Forderungen und Vor-

Preußen rüstet.

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würfen gegenüber sah Friedrich Wilhelm wohl ein, daß man der aufgeregten öffentlichen Meinung ein Beschwichtigungsmittel geben müsse , wenn man die Bevölkerung nicht in übereilte und auf die Spite getriebene Unternehmungen sich stürzen 1 sehen wollte. Er befahl daher für Preußen , Pommern und die Mark die Einberufung aller Krümper und Beurlaubten wie auch die Aushebung von Rekruten und Pferden ; dabei sollten jene Provinzen auf ihre Kosten die Rekruten einkleiden und equipiren, ebenso die dies wurde durch ein gabe von 10 Mill. verfügt. 2 Zu St.-Marsan

Pferde bezahlen und ausrüsten. Ueberkönigliches Edict vom 19. Jan. die AusThlrn. Tresorscheinen mit Zwangscurs

und der französischen Partei sagte man, daß alle diese Anſtalten nur den Zweck hätten , das York'sche Corps zu ersehen , welches man nicht mehr zur Pflicht zurückkehren zu sehen hoffte, und um das Napoleon versprochene Contingent von 30000 Mann aufzustellen. Zu gleicher Zeit ließ man aber das Gerücht verbreiten, man rüste sich zum Abschütteln des Fremdjoches , ein Gerücht , welches mit Gier aufgefaßt wurde. Dies war die Sachlage, als Nazmer von seiner Miſſion bei dem Zar zurückkehrte. Er berichtete, daß er leztern auf dem Marsche nach der Weichsel begriffen angetroffen, daß derselbe von dem Vorschlage einer Allianz mit Preußen hocherfreut und zu deren Besiegelung bereit sei unter den Bedingungen, welche der König gleich oder später stellen würde. 3 Nach einer

1 Unterm 12. Jan. schrieb Augereau von Berlin aus an Berthier : ,,Dieses Land wird nur durch die ruhige Haltung seines Monarchen friedlich erhalten, und dieſer iſt darin von seinem ersten Minister vollkommen unterſtüßt. Alle übrigen möchten nur Verwirrung sehen. Es war die ganze Klugheit und Weisheit eines solchen Königs_nothwendig, um die Ordnung nur bis auf diesen Tag zu erhalten.“ 2 Der Zwangscurs dauerte nur bis zum kommenden Monat März . 3 Vergl. Droysen, „ Das Leben des Feldmarschalls Grafen York“. Droysen versichert, dies auf Grund durchaus authentischer Documente geschrieben zu haben.

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Fünftes Kapitel.

solchen Eröffnung und Antwort schien es , als ob Friedrich Wilhelm nur noch einen Bevollmächtigten zum Zar zu schicken brauchte, welcher mit diesem das Bündniß unterhandelte und unverzüglich abschloß. Doch wich er vor einem solchen Ent schlusse zurück. Indessen wurde der König durch die öffentliche Meinung mehr und mehr gedrängt, welche ihn in Potsdam nicht für frei hielt, und ihn lieber schon in York's und Alexander's Lager gesehen hätte. Zudem war es ihm selbst sehr daran gelegen, sich vor einem Attentat Napoleon's in Sicherheit zu bringen, welcher ihn jeden Augenblick seines Doppelspiels überführen und auch ohne dieses seiner Person sich bemächtigen konnte, um dann besser des Volkes Herr zu werden. So entschied sich der König zur Ausführung des bereits mit Hardenberg verabredeten Planes, seine Residenz nach Schlesien und zwar nach Breslau zu verlegen. In Schlesien befanden sich 8-9000 Mann preußischer Truppen und außer der schwachen Beſagung von Glogau sonst keine Franzosen. In Breslau und einem großen Umkreise, wie auch in Oberschlesien hatte er, kraft des Allianzvertrages mit Frankreich, weder den Durchmarsch noch den Aufenthalt französischer und anderer Truppen zu gewärtigen , und von hier konnte er leichter als von Potsdam aus den mit dem Zar angeknüpften Verkehr fortseßen. Als man dieſen kaum mit einem Vorwande bemäntelten Plan St.-Marsan mittheilte, stieß derselbe bei dem Genannten weder auf eine Einwendung noch einen Argwohn.1 St.-Marsan, ein für den Eroberer seines Vaterlandes eifrig ergebener Piemontese , war einer jener Diplomaten, deren das Kaiserreich viele zählte. Er konnte weder sehen, noch voraussehen, noch warnen. Sein Verdienst bestand eben in seiner Servilität. Am 22. Jan. reiste also der König in Begleitung des

1 Als St.-Marsan unterm 17. Jan. dieses Vorhaben dem MajorGeneral Berthier mittheilte , schrieb er ihm: „ Im allgemeinen ergibt sich kein Schwanken. in der Haltung dieser Regierung." Drei Tage später äußerte er : „ Das Benehmen der Regierung ist offen und ehrlich, der Volksgeist aber schlecht."

Friedrich Wilhelm geht nach Breslau.

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Kronprinzen ab und kam am 25. in Schlesiens Hauptstadt an, wohin ihm seine Familie, Hardenberg , der französische und der österreichische Gesandte und die Gardetruppen bald nachfolgten. Die Nachricht von des Königs Reise rief unter der Be• völkerung große Freude hervor. Nach ihrer Meinung konnte der König , welcher nunmehr frei und in Sicherheit , keinen Augenblick mehr zaudern, den verhaßten Pact zu brechen und das Zeichen zur Erhebung zu geben. Seine Abreise ward dem Volke durch eine Bekanntmachung Hardenberg's zur Kenntniß gebracht , 傲 welche jedoch nicht gerade danach angethan war, einer Hoffnung, wie der obenerwähnten, Raum zu geben.

Der

Vorgenannte zeigte in dieſem Actenstücke an, daß der franzöſiſche Gesandte den König nach Breslau begleite und daß lekterer alle seine Unterthanen, beſonders die berliner Bürgerschaft , ermahne, unter allen Umständen gegen das französische Militär sich so zu benehmen, wie es sich gegen Verbündete gezieme und wie es das freundschaftliche Verhältniß zwischen Preußen und dem Kaiser Napoleon erheische ; ferner wurde darin verlautbart, daß eine Oberregierungscommiſſion in Berlin eingeſeßt worden, welche insonderheit die freundlichen Verhältnisse mit den französischen Militärbehörden zu erhalten habe und die durch die Umstände gebotenen administrativen Maßregeln während des Aber in Königs Abwesenheit zu treffen beauftragt war. alledem

wollte

die

öffentliche Meinung nur eine politische

List und geschickte Täuſchung erblicken, und machte sich auf ein sofortiges Losbrechen gefaßt. Doch sollte sie sich in dieser Erwartung getäuscht sehen. Friedrich Wilhelm stand in Breslau wie in Potsdam unschlüssig einestheils zwischen seinem Hasse und seiner Furcht vor Napoleon, und anderntheils zwischen dem ehrgeizigen Bestreben , seine Krone wieder in die Höhe zu bringen , und der Besorgniß, sie für immer zu verlieren. Er erinnerte sich stets mit Schrecken an die Tage von Jena , Friedland und Tilsit. Er hatte nicht vergessen, wie ihn Alexander beim ersten Unfalle im Stiche gelassen und nach seiner Besiegung ohne Scrupel einen Theil des Preußen entrissenen Raubes angenommen ; auch

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Fünftes Kapitel.

zweifelte er an dessen Ausdauer in der Weiterführung des Kriegs. Er war der Meinung, daß Napoleon noch großartige, dem Zar aber wesentlich geringere Hülfsquellen zu Gebote ständen. Ebenso beunruhigte ihn das langsame Vorrücken der russischen Armeen, und ferner gewisse Berichte, welche die Stärke jener bedeutend niedriger angaben, als dieselbe ihm von Anfang an bezeichnet worden. Endlich besorgte er, daß bei dem preußischen Volke die patriotiſche Hingebung noch nicht bis zur Erbitterung gestiegen , und ersterm überhaupt die standhafte Ausdauer abgehen würde, um gegen Napoleon's wuchtige Kraft Stand zu halten und über sie den Sieg davonzutragen. So suchte Friedrich Wilhelm damals , wie jeder charakterschwache Mann, nach Vorwänden, um die Stunde der Entscheidung noch hinauszuschieben. Bald gab er sich der Chimäre einer bewaffneten Vermittelung von seiten Preußens und Deſterreichs hin, obwol lezteres ſeine Sprache geändert und ihm jezt zu einem Bündniſſe mit dem Zar rieth ; bald lieh er ſein Ohr den leeren Versicherungen St.-Marsan's, daß Napoleon ſchließlich mit der Abficht hervortreten würde, Preußens Macht zu reſtauriren, um aus ihr ein Bollwerk gegen Rußland zu machen. Dagegen wurde der König durch die eingehenden Berichte beunruhigt und zum Handeln gemahnt, nach welchen die Provinzen Preußen und Pommern nur mit großer Mühe von den Behörden im Zaume gehalten werden konnten und als der Herd eines demnächſtigen Aufſtandes, wenn man ferner bei der Indem französischen Allianz beharrte, geschildert wurden . Friedrich Wilhelm aus eigener Anschauung die Ungeduld der Gemüther in Schlesien wahrnehmen konnte, während er andererseits durch das wiener Cabinet ermuthigt, durch die angeſehensten und der Monarchie ergebensten Persönlichkeiten seines Staates gedrängt , gebeten und beschworen wurde, ließ er sich bald überzeugen, daß es, ohne seiner spätern Entschließung vorzugreifen, doch dringend nothwendig sei, Preußen auf den größtmöglichen Kriegsfuß zu bringen. Eine solche Bewaffnung ins Leben zu rufen, gab es einen Mann, den seine Bürgertugenden , Talente und geleisteten. Dienste dazu bezeichneten. Der König betraute denselben mit

General Scharnhorst.

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jener Aufgabe, indem er ihn zum Generalquartiermeiſter der Armee ernannte. Es war der General Scharnhorst. Ein geborener Hannoveraner, von niederer Abkunft und langſam emporgestiegen, war der Genannte der weise und kühne Reformator von Preußens militärischen Einrichtungen und Gebräuchen. Als treuer Freund Stein's theilte er deſſen Ideen, Plane und Hoffnungen. Ebenso begeistert wie dieser, war er doch zurückhaltender, aber mitthätig in dem Gewebe der geheimen Verbindungen. Voller Zuversicht in des Volkes Thatkraft und patriotische Hingebung, war sein Leben seit sechs Jahren nur Arbeit und Wirken für Preußens und Deutschlands Befreiung gewesen. Im vergangenen Jahre hatte er sich zur gleichen Zeit, als das Bündniß mit Frankreich zum Abschlusse gekommen, vom activen Dienste zurückgezogen. Kaum war Scharnhorst wieder eingetreten , so dehnte er auch die von Berlin an Preußen , Pommern und die Mark wegen Vermehrung das Armeestandes ergangenen Befehle und Anforderungen gleichfalls auf Schlesien aus . Bereits wußte man, daß in jenen Provinzen allem , was angeordnet und befohlen, mit einer unglaublichen Willfährigkeit unter allseitigem eifrigen Mitwirken nachgekommen wurde. Das Gleiche geschah alsbald in Schlesien und Breslau unter des Königs Augen. Scharnhorst nahm dabei Gelegenheit, ſeinen Monarchen zur Anordnung von Maßregeln zu beſtimmen , welche der Armee Elemente von unschäzbarer Kraft, die bis dahin in deren Reihen . unbekannt geweſen, zuführen ſollten. Ungeachtet der tiefgehenden Reformen, welche die Gesetzgebung in militärischer Beziehung erfahren , hatte dieselbe dennoch dem gebildetern und wohlhabendern Theile der Bevölkerung Vorrechte gewahrt , welche ihn vom Waffendienſte befreiten . Scharnhorst war der Meinung, daß man diese Klaſſe ebenfalls heranziehen müßte und auch heranziehen würde durch die Zusicherung gewiſſer Vortheile, welche zu andern Zeiten jedenfalls wenig geschäßt worden, dagegen unter den damaligen Verhältnissen ein mächtiges Reizmittel zu bilden nicht verfehlen dürften. Dem dieſerhalb von Scharnhorst gemachten Vorschlage zufolge gab der König seine Zustimmung zu einer vom 3. Febr. datirten Verordnung, mit

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Fünftes Kapitel.

welcher die Errichtung eines freiwilligen Jägerdetachements bei jedem Infanteriebataillon und jedem Cavalerieregiment ver fügt wurde. Diese Freiwilligen hatten sich auf ihre Koſten zu kleiden und auszurüſten, die von der Reiterei sich auch ſelbſt beritten zu machen . Sie sollten eine Uniform von besonderer Farbe tragen, wie auch von gewiſſen Laſten und Dienſten befreit fein. Während der ersten zwei oder drei Monate sollten fie von Offizieren und Unteroffizieren , welche von der Armee abcommandirt , befehligt werden ; dann sollten sie aber die Chargen ihrer Detachements nach ihrer eigenen Wahl besetzen und später bei eintretender Gelegenheit Unteroffiziere und Offiziere für die Bataillone und Escadronen , denen sie zuge theilt, abgeben. Weiter hieß es in dem Aufrufe , daß jeder Freiwillige, welcher durch Tapferkeit, Dienſteifer und Patriotismus sich auszeichnete, beim Rücktritte in das bürgerliche Leben vorzugsweise berücksichtigt werden sollte , und daß bei Fortsezung des Krieges kein diensttauglicher junger Mann vom 17 . bis zum vollendeten 24. Jahre zu irgendeiner Stelle, Würde oder Auszeichnung gelangen könne , wenn er nicht ein Jahr als freiwilliger Jäger oder sonst als Soldat gedient. Dieser Aufruf zum freiwilligen Eintritte war dadurch motivirt, daß die eingetretene gefahrvolle Lage des Staats eine schnelle Vermehrung der vorhandenen Truppen erfordere, während die Finanzverhältnisse keinen großen Aufwand gestatten“. Nicht ohne Bedenken hatte sich Friedrich Wilhelm dazu entschlossen , dieſen Aufruf an die wohlhabende Klaſſe zu richten. Er befürchtete, daß derselbe bei jener keinen Anklang finden würde. So überzeugt er auch war von deren Erbitte: rung gegen die Fremdherrschaft und von ihrem Unwillen gegen das Tragen des Joches , so zweifelte er doch an jener Klaſſe, wie am Volke überhaupt, und befürchtete, daß dessen Hingebung mit seinem Hasse nicht in gleicher Höhe stände. Dieser Zweifel war nicht begründet, wie die Folge zeigen sollte. Was aber zu befürchten ſtand und was man wirklich auch befürchtete, war, daß das äußerliche officielle Festhalten an dem Napoleonischen Bündnisse den begeisterten Aufschwung vieler Bürger lähmen müßte.

Die freiwilligen Jäger.

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Als eifriger Verfechter der Gleichheit vor dem Geſeße beeilte sich Scharnhorst, diese Befürchtung zu benußen, um das obengedachte, seinen Reformen entgangene Privilegium zu beseitigen. So erlangte er denn von dem Könige eine neue Verordnung, durch welche alle Eremtionen von der Militärpflicht aufgehoben wurden, mit alleiniger Ausnahme der im socialen Interesse gebotenen. Es wurde darin beſtimmt, daß jeder bisher von der Cantonpflichtigkeit befreit gewesene waffenfähige Preuße vom 17. bis zum vollendeten 24. Jahre gehalten sein sollte, binnen acht Tagen bei einer freiwilligen Jägerabtheilung oder der Artillerie sich zu melden, wofern er nicht zur Verfügung der Militärbehörde gestellt sein wollte, welche ihn dann bei der ersten Aushebung so wie jeden andern Rekruten nach ihrem Gutbefinden zu irgendeiner Truppengattung der Armee eintheilen könnte. Es war ein sonderbarer Zufall, daß der König diese Verordnung am 9. Febr. vollzog, dem gleichen Tage, an welchem die Stände der Provinz Preußen auseinandergingen , nachdem ſie decretirt , daß alle Bürger ohne Unterschied der Geburt, des Ranges und des Vermögens dem Vaterlande behufs seiner Vertheidigung zur Verfügung gestellt werden sollten. In Breslau wie in Königsberg brach die gemeinsame Noth einem der größten durch die Franzöſiſche Revolution bekräftigten Principien die Bahn. Von diesen beiden Erlaſſen wurde der eine am 9., der andere am 13. Febr. publicirt. Indem sie auf die Einberufung der Krümper und Beurlaubten , auf die Rekrutenaushebungen und Pferderequiſitionen erfolgten, ließen dieſelben doch endlich bei St.-Marsan Argwohn wach werden. Unter Hinweis auf die Verträge verlangte er Aufklärung über diese Rüstungen und erhob selbst lebhaften Einspruch dagegen , daß dieselben über das Erforderniß zur Aufstellung des Napoleon zugesagten Contingents von 30000 Mann ausgedehnt würden. ¹ Hardenberg bemühte sich , ihn über die Gesinnungen des

1 Schreiben St.-Marsan's an Eugen, Breslau, 18. Febr. 11 Charras, 1813.

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Fünftes Kapitel.

Königs zu beruhigen und lehterer trat selbst dazwischen , um die Worte seines ersten Ministers zu bekräftigen. „ Der Rückzug der französischen Armee nach der Oder" , sagte er zu St.Marsan,,,hat Schlesien und das Asyl, welches ich mir hier mit Zustimmung Ihres Souveräns gesucht , ganz bloßgeſtellt ; ich muß deshalb darauf bedacht sein , mich im Nothfalle zu vertheidigen; schon erscheinen die Russen in starker Zahl diesseit der Weichsel. Ueberdies bin ich die von mir ergriffenen Maßregeln meinem Volke schuldig. Es ist von der Dringlichkeit geboten , daß ich meinen Unterthanen einen Impuls und eine Richtung gebe, um ihrer Herr zu bleiben. Würde ich mich unthätig und gleichgültig verhalten , so liefe ich Gefahr , bei Annäherung des Feindes , sie wider meinen Willen und 1 selbst gegen mich fortgeriſſen zu sehen.“ Darauf betheuerte der König von neuem sein Ausharren in der franzöſiſchen Allianz und seinen festen Vorsaß , das zugesagte Contingent ſo bald als möglich zu stellen. So blieb St.-Marſan der Ueberzeugung , daß wenn Napoleon etwas für Preußen thun wollte, es troß der Erbitterung des Volks sehr leicht sein würde, Friedrich Wilhelm auf dem bisher von ihm verfolgten Wege zu erhalten".2 Napoleon war indessen weniger vertrauensselig als sein Gesandter. In der gleichen Zeit, wo leßterer jener Ueberzeugung in seinen Depeschen Ausdruck gab , empfing Eugen den unmöglich auszuführenden Befehl , die Rekrutirung für die preußische Armee überall einstellen zu laſſen. ³ Die wiederholten Betheuerungen und Zusicherungen, welche bei St.-Marsan eine gute Aufnahme gefunden , hatten einen bei weitem viel ausgesprochenern zweideutigen Charakter als

alle ihnen vorhergegangenen . Und wirklich hatte der König einen Schritt weiter gethan , und zwar einen großen Schritt gegen das Ziel, wohin ihn die öffentliche Meinung mit wachsen1 Schreiben St. -Marsan's an Eugen, Breslau, 18. Febr. 2 Schreiben St.-Marsan's an den Minister des Auswärtigen, Maret, und an Eugen, Breslau, 15. und 18. Febr. 3 Schreiben Napoleon's an Eugen, Paris 10. Febr.

Knesebec's Sendung an den Kaiser Alexander.

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der Macht drängte, Am 9. Febr. , das heißt drei Wochen nach Nazmer's Rückkehr aus dem Hauptquartier des russischen Kaisers - drei Wochen , welche , wie oben geſchildert, in Hinund Herschwanken und banger Sorge verflossen – also am 9. Febr., schickte er. endlich einen Unterhändler , den Obersten von dem Knesebeck, an den Zar, um über die Bedingungen des schon angebotenen und im Princip angenommenen Bündniſſes zu verhandeln . Um das Geheimniß seiner Reise zu wahren, mußte der Genannte einen großen Umweg machen , denn man wollte sich immer noch nicht offen erklären und gebrauchte deshalb die Vorsicht, den Zweck jener Sendung zu verbergen unter dem leeren Vorwande der Einleitung von Unterhandlungen mit Rußland, damit dieſes ebenso wie Napoleon die Neutralität eines Theiles von Schlesien anerkenne. Knesebeck traf das russische kaiserliche Hauptquartier am 15. Febr. in Klodawa. Der Zar, welcher seit einigen Tagen von Plock aufgebrochen war, marschirte mit der Colonne der Reservetruppen und begab sich nach Kalisch, wohin Winzingerode und Miloradowitsch ihm vorausgegangen. Er kam auf diese Weise Breslau näher und war dann eher in der Lage, mit dem preußischen Hofe schnell communiciren zu können , während er andererseits 40000 Mann an der schlesischen Grenze zusammenzog, um damit die Aufregung der Schlesier zu steigern und auf Friedrich Wilhelm's Unſchlüſſigkeit einen Druck auszuüben. Nachdem Kalisch in den Besit der Russen gekommen , war das Großherzogthum Warschau ― mit Ausnahme der vier ― ihren Festungen Thorn, Modlin, Czenstochau und Zamosc Waffen nicht mehr streitig gemacht, denn bekanntlich zog sich Eugen damals schleunigst von Posen nach der Oder zurück, indeſſen Reynier schnellstens nach Glogau marſchirte , und Schwarzenberg, von Poniatowski gefolgt, gegen die öſterreichische Grenze sich repliirte, während die polnische Bevölkerung in Theilnahmlosigkeit den Ereignissen zuſchaute. Alexander war mit sich einig , was er mit dem großen Ueberreste des alten Polen machen wollte. Seinen Weisungen gemäß mußten ſeine Generale und Truppen die Polen mit den größten Rücksichten und

zwar nach seinen

eigenen Worten ,,als Freunde und 11 *

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Fünftes Kapitel.

Er suchte sich unter den lehtern eine Partei und bildete sich auch eine solche bei der unter der Hand gegebenen schimmernden Menge seiner Verheißungen wegen Autonomie und Freiheit. In Petersburg Despot , sollte der Zar in Warschau der constitutionelle König. eines unabhängigen

Brüder" behandeln.

und freien Polen sein. Nach seiner von Ehrgeiz getragenen Meinung stand dieses Zwitterproject in untrennbarer Verbindung mit dem Plañe der Befreiung Deutschlands von der französischen Herrschaft. Diese Befreiung durchzuführen , hatte er mehr als jemals den festen Willen . Er wollte sie aus Rache gegen Napoleon und andererseits aus der tiefen Ueberzeugung, daß die Vernichtung der Macht seines Feindes eine Nothwendigkeit für Rußlands Sicherheit und die Ruhe der Welt ſei ; er wollte sie aus edler Begeisterung für die Rolle des Befreiers. Aber von Tag zu Tag kam er immer mehr zur Einſicht, daß die ihm zu Gebote ſtehenden Streitkräfte zur Erreichung ſeines Zieles ungenügend waren und daß er einer mächtigen, schnell gewährten Hülfe bedurfte. Das waren Alexander's Entschlüsse, Plane und Gedanken, als er den Obersten von dem Knesebeck empfing. Des leßtern Ankunft war ihm vorher angezeigt worden. Er kannte ihn und wußte, daß derselbe einen großen Einfluß auf den König ausübte und dessen Vertrauen besaß . Knesebeck war es ja, welcher im verflossenen Jahre von Friedrich Wilhelm unter dem Deckmantel eines ostensibeln und officiellen Auftrages nach Petersburg entfendet worden war, um dem Zar Rußlands Heil in dem Kriege des ,,Raumes und der Zeit" darzulegen. 1 Anfangs überhäufte ihn Alexander mit den schönsten Zusicherungen, indem er erklärte, daß er Preußens Wiedererhebung von seinen Niederlagen innigst wünsche und daß „ der Tag , an welchem er den König (Friedrich Wilhelm) in seine rechtmäßigen Be-

¹ Dies hat wenigstens Knesebeck, welcher später Feldmarschall wurde, in einem unterm 20. Mai 1844 an seinen Freund , den Feldmarschall Müffling , gerichteten Briefe beſtätigt , was in des letztern hinterlaffenen Memoiren zu lesen. (Vgl. F. C. Ferdinand Freiherr v. Müffling, ,,Aus meinem Leben“.)

Knesebec's Verhandlungen mit dem 3ar.

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ſigungen wieder eingeseht sähe, der schönste seines Lebens sein würde". Bei einer solchen Erklärung schien es , als ob die Unterhandlungen auf der Stelle zum Abſchluſſe gelangen dürften. Als aber Knesebeck den Zar um nähere Auslaſſung bat, wie er es mit Preußens Wiederaufrichtung halte, verloren sich die Unterhandlungen in unendliche Kreuz- und Querzüge. Knesebeck brachte aus Breslau die in der Umgebung und vielleicht selbst im Cabinet des Königs vorgefaßte Idee mit, daß Alexander lüſterne Blicke auf Ostpreußen werfe , was bekanntlich wol bei einem Theile des ruſſiſchen Generalstabes , aber nicht bei dem Zar der Fall war. Dagegen ahnte Knesebeck kaum jenes Monarchen Absichten auf das Großherzogthum Warschau. In der That hatte der Zar diese nur einigen polnischen Adelichen mitgetheilt, welche, gleichgesinnt, von ſeinen Planen entzückt waren ; doch hütete er sich, dies in officieller Weise einzugestehen, aus Furcht, Preußen abzustoßen und Dester¹ reich in Napoleon's Arme zu treiben. Bei solchen Hintergedanken und Heimlichkeiten auf beiden Seiten konnte eine Uebereinkunft auf dem Boden, auf welchem Knesebeck fußte , nicht zu Stande kommen. Die Unterredungen folgten sich eine nach der andern und zogen sich in die Länge , ohne zum Ziele zu kommen. Obwol Friedrich Wilhelm von diesen Schwierigkeiten und dem Nichtvorwärtskommen der Verhandlungen unterrichtet worden, schickte er Knesebeck doch keine Instructionen , welche bestimmt genug gelautet hätten, um die Sache zu Ende führen zu können. Wir begegnen hier wieder dem Könige und seiner Unſchlüſfigkeit, welche immer und selbst mit dem sehnlichsten Wünschen in Zwiespalt gerieth. Es war ihm nicht unlieb, damit wieder einen neuen Grund zu haben, um den Moment des hochwichti

1 S. Alexander's Schreiben an den Fürsten Adam Czartoryiſki, veröffentlicht in Baron Bignon's „,Souvenirs d'un diplomate“, Paris 1864. (Hinterlassenes Werk.) Bignon hatte bereits einen umfaſſenden Auszug jenes Schreibens veröffentlicht in seiner ,,Histoire de France depuis le 18. brumaire jusqu'à la deuxième Restauration", einer langen Apologie der Regierung Napoleon's.

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Fünftes Kapitel.

gen Entschlusses noch hinausschieben zu können. Selbst in den Tagen jener Unterhandlungen hatte er den illusorischen Gedanken einer bewaffneten österreichisch- preußischen Intervention nicht völlig aufgegeben und immer rechnete er noch auf eine Umkehr Napoleon's zu beſſern und bethätigten Gesinnungen gegen Preußen. Er war durch eine kürzlich ihm zugegangene Depesche getäuscht worden , vermittels welcher sein Gesandter in Paris be richtete, Napoleon habe in einer Unterredung mit ihm geäußert, daß er den Frieden wünsche, daß er, um diesen zu Stande zu bringen, in Entschädigungen , welche in dem Großherzogthume Warschau und einem Theile des Königreichs Westfalen zu nehmen , einzuwilligen bereit wäre , wenn dieser Frieden nur ein continentaler sei ; würde es aber ein allgemeiner , ſo ſei er geneigt,,,größere Modificationen seines Systems" eintreten zu 1 Danach schienen also die Sachen Frankreich gegenüber lassen. nicht so ganz hoffnungslos zu stehen , und obwol Friedrich Wilhelm , wie die ganze Welt , wußte , daß auf Napoleon's Worte nicht zu bauen, so fragte er sich doch, ob es nicht beſſer wäre , zu riskiren , ihm Glauben zu schenken , als sich in die gewaltigen Gefahren eines Krieges gegen ihn zu stürzen. Friedrich Wilhelm hatte überdies noch einen Vorwand zum weitern Hinausschieben der Entscheidung gefunden. Wie er auf die inständigen Bitten der ergebensten Patrioten erwiderte, sollte sich Napoleon ,, erst ins Unrecht seßen" , bevor er sich gegen denselben erklärte. Das hätte indeſſen noch weit führen können. Mit diesen Worten spielte er hauptsächlich an auf die seit zwei Monaten fortwährend geforderte Abrechnung über den Rest der von ihm noch geschuldeten Kriegscontribution gegen die Liefe rungen, welche Preußen vor und während des russischen Feldzuges an die Große Armée abgeführt. Napoleon war dagegen fest entschlossen, auf diese billige Forderung nicht sobald eine bestimmte und für ihn bindende Antwort zu ertheilen, da die verlangte Abrechnung ihn mit einer beträchtlichen Summe zu Preußens Schuldner machen mußte, besonders wenn wie es die Billig-

1 Depesche Kruſemark's vom 9. Febr.

Stein's Sendung an den König von Preußen.

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keit erforderte und es schon längst hätte geschehen sollen - die Schäden vergütet wurden , welche diesem unglücklichen Lande verursacht worden waren durch die ungeheuern und ohne Ordnung eingetriebenen Requiſitionen und durch die von der Großen Armee im vergangenen Frühjahre ausgeübten Erpreſſungen. Zum Glück für Preußen wie für Rußland traf der von Königsberg zurückkommende Frhr. vom Stein beim Zar ein. Von allem unterrichtet, legte er sich ins Mittel und zeigte mit der ihm eigenen schnellen Auffaſſung und ſeinem klaren Blicke, wie jene Schwierigkeiten zu beheben. ,,Schicken Sie mich zum Könige“, sagte er zu Alexander,,,mit der Vollmacht, direct mit ihm verhandeln zu dürfen, und ich werde schnell die Allianz zu Stande bringen, welche Knesebeck hier nicht zu knüpfen versteht.' , Alexander schenkte ihm Gehör. Stein, obwol krank und an der Gicht leidend, achtete deſſen nicht, sondern beſtieg einen schlechten Wagen und reiste am 24. Febr. im geheimen nach Breslau ab. Am nächsten Tage hier angekommen , ging er , ohne sich nur eine Minute Ruhe zu gönnen, in das königliche Schloß und zeigte Friedrich Wilhelm, indem er sich ihm vorstellte, seine Ankunft und zugleich seine Mission bei demselben an. Mit der zuversichtlichen Ueberzeugung , welche Stein bei seiner Sendung nach Königsberg und bei seinen von oben bis tief in die Maſſen herabreichenden Beziehungen gewonnen, ſeßte er dem Könige auseinander, wie man durch das Festhalten an der französischen Allianz mit der Meinung des Landes in Zwiespalt gerathen und einen für den Thron verderblichen Conflict heraufbeschwören würde. Weiter legte er dar , wie Preußen von Napoleon nichts weiter als die Fortdauer seiner Erniedrigung und die Verschlimmerung seiner unglücklichen Lage zu gewärtigen habe ; wie dieses Mannes Gewalt bis zu dem Grade erſchüttert, daß es fraglich, ob er noch etwas gegen Rußland auszurichten vermöge ; daß Preußen sich nicht nach Oesterreichs Beiſpiel richten könne, da es sich in einer ganz andern Lage als dieſe Macht befinde, und wie endlich ein Aufnehmen des Kampfes gegen Rußland in die größte Gefahr sich stürzen hieße. Der Kaiſer Alexander iſt, wie Stein weiß und versichert, von den beſten Absichten beseelt, er will in aller Aufrichtigkeit Preußens

Fünftes Kapitel .

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Restauration und will es größer machen, als es jemals gewesen. Es handele sich aber in diesem Moment nicht darum, zu discutiren, wie es restaurirt und vergrößert werde, sondern ob es dies überhaupt werden solle, und daß jenes geschehe, müsse eben die Gelegenheit ergreifen. Nachdem schon zu viel verloren worden, darf man nicht noch mehr verlieren wieder in die Fehler der Vergangenheit verfallen.

man Zeit und Das

Schicksal der polnischen Länder soll dann entschieden werden, wenn Napoleon die Möglichkeit benommen worden, dieselben je Die Coalition zwischen wieder streitig machen zu können. Preußen und Rußland wird bald durch alle deutschen Staaten vergrößert werden und mit Napoleon's Niederwerfung enden. In der Hiße seines Eifers für das deutsche Vaterland ging Stein so weit, dem Könige zur erklären , daß , wenn derselbe nicht unverzüglich das französische Bündniß aufgeben würde, der Zar entschloſſen ſei , ohne weiteres die Provinz Preußen bis zur Weichsel Rußland einzuverleiben. ¹ Friedrich Wilhelm ließ wol den außerordentlichen Dienſten, welche Stein seiner Krone und Preußen geleistet , volle Anerkennung widerfahren , doch war er ihm weder zugethan noch gewogen. Er fürchtete sein Neuerungsgenie, ſeine ungeduldige Energie, und überdies wußte er, bis zu welcher kühnen Höhe ſein früherer Miniſter, seitdem er erilirt, die auf Deutschland angewandte Theorie vom Gemeinwohl getrieben. In diesem hochwichtigen Moment konnte er aber , wie vormals , deſſen Einfluß nicht widerstehen . Stein übte jene sozusagen magnetische Kraft über ihn aus , welche dem willensstarken, von der Ueberzeugung durchdrungenen und entschlossenen Manne einem schwachen und unschlüssigen Charakter gegenüber selten abgeht. Er überzeugte und gewann den König.

1 Vgl. Friccius , „ Geschichte des Krieges in den Jahren 1813 und 1814 c." ; ferner Beitzke,,,Geschichte der Deutschen Freiheitskriege“. Robert Wilson bemerkt in seinem ,,Tableau de la puissance politique et militaire de la Russie" (1817) , Friedrich Wilhelm habe nur in die ruſſiſche Allianz gewilligt ,,bei der Ankündigung , daß in seinem Königreiche wol eine provisorische Regierung eingesetzt werden dürfte".

Situation in Preußen.

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Stein's Vorstellungen, Rathschläge und selbst seine Grobhei ten wurden übrigens durch die Thatsachen außerordentlich unterstügt, welche von Stunde zu Stunde lauter und deutlicher zu Friedrich Wilhelm's Herzen sprachen. Die Kunde von der einmüthigen Erhebung und Bewaffnung der Provinz Preußen eine Nachricht, welche durch die Zeitungen dieses Landes und die zahllosen ruſſiſchen Emiſſäre Verbreitung fand —, der fortgesezte Rückzug Eugen's , die Streifereien der Kosacken am linken Oderufer und vor den Thoren Berlins , ihr Erscheinen in der Hauptstadt selbst alles dies hatte überall eine unbeschreibliche Bewegung hervorgerufen. Troß der von der Regierung ergangenen Verordnungen weigerten sich die Gemeindebehörden, den französischen Truppen Lebensmittel zu liefern ; die Landleute flohen bei deren Annäherung, um sie nicht verpflegen zu müſſen ; die Gemeindevorsteher zeigten die Bewegungen jener den Kosacken an und die Gensdarmerie cscortirte öffentlich die ¹ von den letztern gemachten Gefangenen. Die einzelnen französischen Offiziere und Soldaten waren oft der Gegenstand . schlechter Behandlung. Man befürchtete einen Aufruhr in Berlin. Selbst in Breslau fielen die freimüthigsten Aeußerungen in Gegenwart der Polizei, welche dieselben nicht mehr unterdrückte. Ein Hauch der Erhebung durchwehte das Land . Es bedurfte nur des geringsten Funkens und der Brand brach überall aus.2 Die Rekrutenaushebungen und freiwilligen Meldungen nahmen, troh Eugen's Verbot und seiner Anstrengungen zu ihrer Verhinderung , allerwärts schnellen Fortgang. Eines Tages sah der König, vom Balkon seines Schlosses aus, 80 Wagen mit jungen Leuten eintreffen, welche sich aus Berlin aufgemacht und in die freiwilligen Jägerdetachements einzutreten kamen. „ Sind Ew. Majestät nun überzeugt, daß es mit der Opferfreudigkeit Ihres Volkes Ernst ist?" fragte.ihn da Scharnhorst. Friedrich Wilhelm schwieg, aber Thränen entrollten seinen Augen. Was endlich noch einen tiefern Eindruck auf den König

1 Schreiben Eugen's an Napoleon, Frankfurt a. d. O. , 18. Febr. 2 ,,Der Brand ist zum Ausbruche ganz fertig.“ Schreiben Eugen's an Napoleon, Köpenick, 24. Febr.

Fünftes Kapitel.

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machte, war die vor kurzem erfolgte Ankunft des Majors Ludwig Dohna , der, von den Ständen der Provinz Preußen abgesandt, das Beschlußprotokoll dieser Vertreter der Nation" und ihre Adresse an den König überbrachte. Friedrich Wilhelm war, als absoluter Monarch, von der Nachricht , daß sich eine Provinz seines Königreichs erhoben und alle Autorität sich angemaßt, anfangs sehr peinlich berührt worden. Es lag darin wirklich etwas wie eine Bewegung nach spanischer Manier, welche bereits ihre volksthümliche Junta hatte, die als „ in Abwesenheit und während der Gefangenschaft des Königs" 1 auf eigene Faust zu regieren, zu verwalten und Krieg zu führen bereit. Die Eingeweihten bei Hofe, welche am ehesten des Monarchen Gedanken kannten, äußerten in bitterer Weise, daß die Stände der Provinz Preußen jedenfalls eine Bürgermonarchie zu Gunsten York's errichten wollten. Der Major Ludwig Dohna mußte deshalb mehrere Tage auf eine Audienz beim Könige warten , und fand eine kalte, Aber nach der zornigen Aufwallung, gestrenge Aufnahme. so hart sie auch war , gewann die ruhige Ueberlegung die Oberhand. Indem Friedrich Wilhelm die ungeheuern Opfer anerkennen mußte, die ſich ſeine Unterthanen am rechten Weichselufer auferlegten, und als er nach dem Maßstabe dieser Opferfreudigkeit die Streikräfte berechnete, welche der Patriotismus der andern Provinzen ihm zuführen würde , da empfand er ein Vertrauen , dessen er sich früher niemals bewußt gewesen. Ueberdies trieb Napoleon des Königs Erbitterung auf die Spize. Ohne ihn um seine Einwilligung anzugehen und selbst ohne ihn davon zu benachrichtigen, hatte der französische Despot den Besaßungen der Oderfestungen und von Spandau anbe fohlen, ihre Belagerungsproviantvorräthe auf Kosten der umliegenden Gegenden einzutreiben. Man fing an, diesen Befehl zur Ausführung zu bringen, und Friedrich Wilhelm hörte den Verzweiflungsschrei seiner Unterthanen, der Opfer dieser neuen und verderblichen Requisitionen. Ferner wurde ihm bekannt — was

1 Formel der von den ſpaniſchen Cortes erlaſſenen Decrete.

Friedrich Wilhelm und Stein.

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noch von einer viel größern Wichtigkeit , daß Napoleon in seiner Rede an den Gesetzgebenden Körper feierlich den festen Entschluß verkündet , allen seinen Verbündeten die Integrität ihrer Staaten aufrecht zu erhalten. Mit andern Worten, Napoleon widerrief gerade das , was er erst vor kurzem zu Kruſemark wegen Entschädigungen geäußert, welche zur Bewerkstelligung des Friedens in dem . Großherzogthume Warschau und dem Königreiche Westfalen genommen werden sollten. Er erklärte damit, daß Preußen von ihm nichts anderes zu erwarten und zu hoffen hatte als die fernerweite Verpflichtung, sein Blut im Dienste von des Eroberers Ehrgeize zu vergießen. Stein hatte also Friedrich Wilhelm im günstigsten Moment überrascht, um ihn seinen legten, aber immer noch mit Zähig keit festgehaltenen Bedenklichkeiten zu entreißen. Welche ſonderbare und große Bestimmung dieses mächtigen Geistes ! In Königsberg hatte er dem Volke den entscheidenden Impuls gegeben , und in Breslau gab er diesen dem Könige. Lehterer nahm jenen , wie die Geschichte bekennen muß , nicht ohne Bitterkeit entgegen. Er hatte für Stein weder einen Beweis von Wohlwollen noch ein Zeichen von Aufmerksamkeit. Der Mann, welcher eben eine Politik entschieden, die Preußens und Europas Geschicke ändern sollte, derselbe Mann mußte , als er sich von Friedrich Wilhelm verabschiedete, unter heftigen Schmerzen und gezwungen, vor den Spähern St.-Marsan's und der französischen Partei seinen Namen zu verschweigen und seine Anwesenheit zu verbergen, in dem mit fremden Gästen überfüllten Breslau auf gut Glück glücklich schäßen, ein solches in Gasthauses niedern Ranges zu Nachdem Friedrich Wilhelm

ein Nachtlager suchen und sich dem schlechtesten Stübchen eines finden. einmal seinen Entschluß gefaßt,

drängte es ihn, demselben weiter Folge zu geben. Von seiten des Zar war Stein bei seiner Mission der Staatsrath Anstett beigegeben worden. Friedrich Wilhelm beauftragte sofort Hardenberg, im Einvernehmen mit dem Vorgenannten den Vertrag, welcher Preußen und Rußland verbinden sollte, aufzusehen, und versah ihn, zur Vermeidung etwaiger neuer Verzögerungen, mit ziemlich ausgedehnten Instructionen. Alle Weiterungen wurden

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Fünftes Kapitel.

so glücklich umgangen, daß der Vertrag bereits am 27. Febr., also am zweiten Tage nach Stein's Ankunft, Hardenberg's und Anſtett's Unterſchriften erhielt, am 28. durch Scharnhorst dem Zar in Kalisch übergeben und noch am gleichen Tage von dem leßtgenannten General und Kutusow unterzeichnet wurde. Kraft dieses Vertrages schlossen die beiden Mächte ein Schuß- und Trußbündniß , deſſen Endziel Europas Befreiung, dessen unmittelbarer Zweck aber die Wiederherstellung Preußens war , unter Bedingungen , welche seine Ruhe und Sicherheit verbürgten. Keine von beiden sollte für sich allein weder Frieden, noch Waffenſtillstand, noch eine sonstige Uebereinkunft abschließen dürfen, und sie wollten gemeinsam alle Mühe aufwenden, um Desterreich für ihre Sache zu gewinnen. Beide Mächte machten sich einander verbindlich, alle ihre Streitkräfte im Dienste der Allianz zu verwenden , und zwar wurde das unmittelbare Contingent Rußlands auf 150000, das von PreuBen ohne die Festungsbesaßungen auf 80000 Mann beſtimmt. Ferner versprach Rußland, seinen neuen Verbündeten bei den Schritten zur Erlangung von Subsidien seiten Englands auf das wirkſamſte zu unterſtüßen. In den geheimen Artikeln dieses Vertrages machte sich Alexander verbindlich, die Waffen so lange nicht niederzulegen , als bis Preußen in den geographiſchen, ſtatiſtiſchen und - finanziellen Verhältniſſen wiederhergeſtellt ſei, die es vor dem Kriege von 1806 hatte ; indeſſen waren die Territorien , welche zu dieser Restauration dienen sollten, nicht näher bezeichnet. Doch verbürgte Alexander, daß Preußen und Schlesien angemessen miteinander verbunden werden sollten, was die Abtretung von Posen an Preußen vorausseßte. Dagegen ließ er nichts wegen des zukünftigen Loses verlauten, welches dem ganzen´ übrigen Theile des Großherzogthumes Warschau vorbehalten, das gegenwärtig als von Rußland erobert zu betrachten , und sich vor dem Tilſiter Frieden zur Hälfte in Preußens Beſik befand. Stein's Rathschläge waren also befolgt worden. Friedrich Wilhelm willigte in dieſe unbeſtimmten Abmachungen ein und stellte deren weitere Auseinandersetzung dem Zar und dem Glück Sechs Wochen oder einen Monat früher hätte er anheim.

Vertrag von Kalisch.

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jedenfalls günſtigere Bedingungen zugestanden erhalten. Preußen mußte die Strafe für seines Monarchen lange Unentschlossenheit tragen. Hinterher ist die Frage vielfach erörtert worden, für welchen von beiden Theilen der Vertrag von Kalisch zur Zeit seines Abſchluſſes am nußbringendſten und nothwendigsten war. In Wahrheit ist er für Preußen wie für Rußland gleich unerlaßlich gewesen. Wenn Preußen ohne Rußland gegen Napoleon hätte kämpfen wollen , ſo würde es zertrümmert worden sein, blieb es dagegen seiner Allianz mit letterm getreu , so mußte es in der Erniedrigung und dem Verfalle ausharren. Der Zar aber hätte ohne Preußen nicht allein mit seinen Armeen welche seit dem Uebergange über den Niemen infolge der

Detachirungen vor die Festungen, gegen das österreichische Corps und Poniatowski bis auf 50000 Mann heruntergekommen nicht weiter vorrücken können , sondern wäre nach dem rechten Weichselufer zurückzugehen genöthigt gewesen , und hier würde er, wie die Folge zeigen wird, zur rechten Zeit nicht so viel Truppen haben vereinigen können, um das Großherzogthum Warschau Napoleon siegreich streitig zu machen. Was den Frieden mit dem eben Genannten anbelangt, so wäre er nur um den Preis des Aufgebens jener Eroberung möglich gewesen , was ja Napoleon selbst offen genug erklärt, wie schon oben angedeutet wurde. Ein solcher Frieden, welcher Deutschlands Unterwerfung und Napoleon's Continentalherrschaft besiegelte, würde Rußland mehr als jemals mit dem unersättlichen Ehrgeize des franzöſiſchen Despoten in Collision gebracht haben. Jedenfalls fette Friedrich Wilhelm mit dem Vertrage von Kalisch bei weitem mehr ein als Alexander , denn er riskirte sowol seine Krone als Preußens Existenz. Wenn er sich aber damals nicht für den Kampf gegen Napoleon entſchieden, wanr hätte er denn erstern aufnehmen sollen ? Verbündete er sich nicht mit Alexander , so wäre dieser zum Rückzuge und zwar noch vor Ablauf zweier Monate dazu gezwungen gewesen. Damit würde aber jeder ernstliche Versuch zu Preußens Befreiung in eine ungewisse Ferne gerückt worden sein , denn befanden sich die Ruſſen einmal hinter der Weichsel und folgte

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Fünftes Kapitel.

ihnen Napoleon mit solchen ansehnlichen Streitkräften , wie er alsbald auftreten lassen sollte, so wäre es für Preußen nicht mehr möglich gewesen, seine Truppenaushebungen fortzusehen und sich für den Krieg vorzubereiten . Desterreich, welches nichts weniger als entschlossen und langsam in seinen Rüstungen, hätte die Lage gewiß nicht für günstig befunden, um sich gegen den französischen Eroberer zu erklären. Uebrigens muß bemerkt werden , daß weder Friedrich Wilhelm noch Alexander im Stande gewesen sein würden , der eine, das preußische Volk noch länger bei der französischen Allianz zu erhalten und der andere , die russische Armee und Nation, welche beide über die Invasion erbittert und durch ihre Erfolge berauſcht, einen Frieden ohne Entſchädigungen für die entseßlichen Leiden und unerhörten Verluste hinnehmen zu laſſen. Als Kutuſow und der größte Theil der ruffiſchen Generale den Frieden herbeiwünschten , waren sie wirklich der Meinung, daß durch denſelben Rußland im Beſiße von Preußen bis zur Weichſel und des Großherzogthums Warſchau wenigſtens bis zu dieſem Fluſſe beſtätigt würde, und in jener Erwartung lebten auch alle diejenigen, sei es in den Kreiſen der Aristokratie oder des Volkes , welche sich nach dem Ende des Krieges sehnten. Indeſſen erklärte sich Napoleon zum voraus gegen jede derartige Abmachung. Mit der Verbündung gegen lettern das heißt, dem Besten, was Preußen und Rußland thun konnten ― ergriffen die Monarchen dieſer beiden Länder also auch das einzige Mittel , welches sie des vollkommenen Gehorsams ihrer Unterthanen versicherte. Es gibt in dem Leben der Völker Momente , wo die absolutesten Monarchen nur die ersten Diener der öffentlichen Meinung sind. Rußland und Preußen legten bald nach Unterzeichnung jenes Allianzvertrages in einer besondern Convention einige Bestimmungen hinsichtlich ihres Verhaltens gegen Deutschland und ihrer dort gemeinſam auszuübenden Wirksamkeit nieder . Dieser am 19. März in Kalisch abgeschlossene Vertrag trug ganz das Gepräge von Stein's Geist. Vorerst beſtimmte derselbe, daß im Namen der beiden contrahirenden Mächte ein Aufruf an Deutschlands Fürsten und Völker verkündigt werden

Geheimhaltung des Kalischer Vertrages.

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sollte, um diese zur Mitwirkung für die Befreiung ihres Vaterlandes einzuladen , und um jedem Fürsten , welcher in einem bestimmten Zeitraume dieser Aufforderung nicht entsprechen sollte, mit Abſegung zu drohen. Nach dieser für Napoleon's Fürstensklaven bedenklichen Bestimmung stipulirte der Vertrag fernerhin die Errichtung eines Centralverwaltungsrathes mit unbeschränkten Vollmachten , welchem das Geschäft zugetheilt wurde , in den von den alliirten Armeen occupirten Ländern vorläufige Verwaltungen einzuſeßen, die nöthigen zu treffen, um die Hülfsquellen dieſer Länder der Sache nußbar zu machen , und namentlich sollte Bildung von Linientruppen, einer Landwehr und

Maßnahmen gemeinſamen er dort die einem Land-

sturme bewerkstelligen. Stein war anfangs Mitglied , später Vorsigender dieſes Verwaltungsrathes. Troß der drängenden Verhältnisse wollte Friedrich Wilhelm doch seine Kriegserklärung gegen Frankreich hinausschieben und ſeinen Allianzvertrag mit dem Zar noch für einige Zeit geheim halten. Alexander mußte darin einwilligen. Preußens Hauptstadt war noch in der Gewalt der Franzosen , und Friedrich Wilhelm fürchtete deshalb , daß dieselbe etwaigen Rachemaßregeln zum Opfer fallen könnte. Mit dem Abwerfen der Maske wollte er daher warten, bis Eugen die Hauptstadt geräumt und seinen Rückzug , der sehr nahe bevorzustehen schien , nach der Elbe fortgesetzt haben würde, sowie bis russische und preußische Truppen in etwas mehr Achtung gebietender Stärke herangekommen wären, um im Nothfalle einer Umkehr zur Offenſive von seiten des Obengenannten Widerstand leisten zu können. Das Geheimniß ward so gut gewahrt , daß St.-Marſan nichts ahnte. Schrieb er doch noch am 2. März an den Miniſter Maret, daß, wenn man etwas für den König thun würde, man ihn, ohne Zweifel bei der französischen Allianz erhalten dürfte. Preußens militärische Rüstungen nähmen indeſſen ihren Fortgang und wurden mit einer Rührigkeit, einem hingebenden Eifer betrieben, daß selbst dem Blindeſten die Augen aufgehen mußten .

Wir haben bereits der hauptsächlichsten Maßregeln

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Fünftes Kapitel.

erwähnt, welche bisher von Friedrich Wilhelm zur Wehrhaftmachung seines Königreiches angeordnet worden. Wir müſſen hier auf dieselben zurückkommen, um ihre Bedeutung näher ins Auge zu faſſen und ſie in ihrem Zuſammenhange und Reſultat zu betrachten , wir müſſen erzählen , wie sie schon seit langem angebahnt, erweitert und vervollſtändigt wurden , und wie die Hingebung des Volkes vor den außerordentlichsten Opfern nicht zurückscheute. Dies ist nöthig , um das von Preußen in die Kriegswagschale geworfene Gewicht schäßen und die Rolle begreifen zu können, welche ersteres in der eben gebildeten Coalition, die bald ganz Europa umfaſſen ſollte, spielen wird. Dieses Preußen, welches von 9 Millionen auf 42 Millionen Einwohner heruntergekommen und auf ein kleines Gebiet ohne militärische Grenzen beschränkt , welches durch den Krieg verwüstet und durch den Frieden ruinirt worden - dieses so lange unterm Joche schmachtende Preußen steht auf und hat sich erhoben, um die entscheidende Ursache zum Sturze von Napoleon's ungeheurer Macht und leider auch von Frankreichs legitimer Hoheit zu werden. Wenn die Coalition durch einzelne Unglücksschläge außer Fassung gerathen, oder durch ihre eigenen Erfolge unter sich uneins geworden , halt zu machen und mit jenem verderbendenbringenden Manne zu unterhandeln versuchen sollte, so wird sich immer eine weithin schallende und unversöhnliche Rächerstimme vernehmen laſſen, welche jeden Vertrag, Vergleich und Aufschub zurückweisen, welche " Vorwärts“ rufen und sich Gehör verschaffen wird , und diese Stimme wird die Preußens sein. Eine in Verfolg des Tilsiter Vertrages in Paris abgeschlossene Convention untersagte Preußen, wie bereits früher erwähnt , einen Truppenbestand von mehr als 42000 Mann zu unterhalten. Indessen hatte Scharnhorst, welcher seit dem Frieden an der Spiße der Militärverwaltung dieſes Staates stand , bei ſeinem schöpferiſchen Geiſte einen Ausweg gefunden, um jene demüthigende Verpflichtung , das Unterpfand für des Besiegten zukünftige Schwäche, zu umgehen. Er reducirte die Cadres bei der Infanterie um drei Viertel , bei der Cavalerie um zwei Drittel , bei den andern Waffen aber in minderm

Reorganisation der preußischen Armee nach 1807. 177 Maße. Tausende von Unteroffizieren und Soldaten , welch in den beibehaltenen Cadres keine Eintheilung hätten finden. können , entließ er in ihre Heimat , ohne daß der durch die Pariser Convention festgestellte Effectivſtand überschritten worden wäre, und zwar hatte er jene unter den geschicktesten und geübtesten ausgesucht. Ihre Entlassung war jedoch keine definitive, vielmehr verblieben sie alle zur Verfügung des Staates, um vorkommendenfalls wieder zur Fahne einberufen zu werden. Scharnhorst schuf alſo derart eine höchst schäßbare Reſerve, welche nach und nach weiter verstärkt wurde. Mehrfach hatte er eine gewisse Anzahl von hinlänglich ausgebildeten Mannschaften beurlaubt und sie durch Rekruten ersetzt , welche , einmal ausexercirt , wieder neuen Rekruten bei der Fahne Plaz machten und gleichfalls die Reserve vergrößern halfen. Dieses Syſtem hatte ſo gute Früchte getragen , daß man im Januar 1813 die Zahl jener durch Scharnhorst's vorsorgliche Gewandtheit im stillen ausgehobenen Soldaten auf 70000 veran= schlagte, welche zum Wiedereintreten in die Armee immer bereit standen. Diese waren es, welche man bei den nacheinander erfolgenden Aufrufen des Königs eilig und eifrig nach den bezeichneten Sammelpläßen herbeiſtrömen ſah. Um dahin zu gelangen, mußten sich viele der Ueberwachung seitens der franzöſiſchen Truppen heimlich entziehen . Sie mußten deshalb zur Nachtzeit marſchiren, bei Schnee, Kälte und Regen große Umwege machen, und nur in ihre ärmlichen Bauernkleider gehüllt, hatten sie keine andern Subsistenzmittel, als welche ihnen in der Eile vom Patriotismus der Städte und Dörfer, wo sie sich unverhofft einfanden, dargereicht wurden. Aber nichts konnte sie zurückhalten und alle fanden sich wieder bei der Fahne ein. Diese vom Urlaub einrückenden Mannschaften wurden in zwei Klaſſen getheilt. Die erste und schwächste ward dazu verwendet , die bestehenden Truppenkörper auf Kriegsfuß zu bringen ; mit der andern aber errichtete man neue Truppentheile. Ende 1812 hatte Preußen 11 Infanterieregimenter , jedes

zu 3 Bataillonen ; ferner 5 Grenadier , 3 Jäger- und 5 Gardebataillone, 20 Cavalerieregimenter, von welchen 2 zur Garde 12 Charras, 1813.

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Fünftes Kapitel.

gehörten, jedes zu 4 Escadronen; 45 Artillerie- und 6 Pionniercompagnien, endlich einige sogenannte Garnisonbataillone. Jedes Bataillon wurde auf 825 Mann¹, jede Escadron auf 160 Mann und 150 Pferde 2, jede Artilleriecompagnie auf 170 und jede Pionniercompagnie auf 100 Mann gebracht. Nachdem die bestehenden Stämme dermaßen completirt, errichtete man ein zwölftes Infanterieregiment. Jedes Cavalerieregiment erhielt eine zu formirende fünfte Escadron . Ferner wurden 52 Reservebataillone mit dem vollen Stande von 825 Mann und 20 Artilleriecompagnien zu 200 Mann aufgestellt, wie auch die Zahl der Garnisonbataillone auf 24 und die Effectivstärke eines jeden auf 825 Mann gebracht. Ebenso errichtete man einige Pionniercompagnien. Mit Hülfe dieſer neuen Cadres konnte man nicht allein sämmtliche vom Urlaub einbe rufene Mannſchaften, welche nicht benöthigt wurden, um die alten Truppentheile auf Kriegsfuß zu bringen , sondern auch noch einige zwanzigtauſend Rekruten einreihen. Die leßtern wurden ausgehoben und trafen sehr rasch bei den Depots ein. Scharnhorst hatte zur gleichen Zeit , als er die zahlreiche Reſerve vorbereitete, welche jezt aus der Erde herauszuwachsen ſchien, der Armee auch die Mittel zur einer schnellen , außerordentlichen Remontirung sichergestellt. Alle in Preußen vorhandenen diensttauglichen Reit- und Zugpferde waren jährlich gemustert worden , sodaß sie auf den ersten Wink schnell aufgeboten werden konnten. Von diesen Aushebungen machte man jezt Gebrauch , wodurch der Cavalerie und Artillerie die durch ihre Standesvermehrung benöthigten Pferde augenblicklich zugeführt wurden. Ferner war Scharnhorst darauf bedacht gewesen, was ihm auch troß der Erschöpfung des Staatsschazes durch Ausklügeln und Sparsamkeit gelungen , die enormen Verluste , welche die preußische Armee 1806 und 1807 an Material erlitten, wenigstens zum Theil erseßen zu können . Er hatte 100000 Gewehre in Vorrath und zudem 400 Geschüße auf Laffetten.

1 Mit Einschluß der Offiziere. 2 Ebenfalls.

Unterstübung der Rüstungen durch den Patriotismus. 179 Hingegen hatte das Geld gefehlt zur Beschaffung von Reservebeständen an Monturen und Ausrüstungseffecten . In dem Moment, wo nach Tausenden Urlauber eingerufen , Rekruten ausgehoben und Pferde aufgeboten wurden, baare Mittel aber auch noch mangelten , hatte der König , wie bereits erwähnt, die Provinzen aufgefordert , auf ihre Koſten die Bekleidung jener Soldaten und Rekruten sowie die Ausrüstung der Pferde zu bewerkstelligen. Mit Eifer und Enthusiasmus kamen ſie dieser Forderung nach. Tuch, Leinwand, Leder 2c. wurden von ihnen requirirt, gekauft und bezahlt, wie auch auf ihre Rechnung verarbeitet. Die Städte verwandelten sich in Werkstätten, wo die Handwerker Tag und Nacht an den für die Vaterlandsvertheidiger nöthigen Effecten arbeiteten. Da der Fiscus die ausgehobenen Pferde nicht bezahlen konnte, so kamen ihm auch darin die Provinzen zu Hülfe und trugen an deſſen Statt die Koſten dafür. Auf des Monarchen Ruf geschah aber noch mehr. Der Soldat wurde nämlich beim Bürger einquartiert, welcher erstern ohne jede Vergütung zu verpflegen gehalten war. Um allen den neuformirten Truppentheilen Offiziere zu geben, erschöpfte man die alten Cadres, durchstöberte die Unteroffiziersklaſſe bis zum Grunde, rief von den Offizieren, welche nach dem Tilsiter Frieden ihren Abschied genommen oder erhalten, sämmtliche brauchbaren und körperlich tüchtigen ein, und ebenſo alle diejenigen, welche im vorhergehenden Jahre aus der Armee getreten , um nicht an der Seite der Franzosen für Napoleon kämpfen zu müssen , ja selbst die Rückkehr derer wurde gefordert, welche zu des Königs großem Misfallen ihren Degen und entrüsteten Patriotismus nach Rußland getragen. Diese Hülfsquellen befriedigten aber kaum das augenblickliche Bedürfniß. Man mußte auch an die Zukunft denken, und mit Rücksicht darauf hatte Scharnhorst dem Könige die beiden obenerwähnten Verordnungen in Vorschlag gebracht, welche die Söhne der wohlhabendern Klassen der Bevölkerung, die bisher durch eine ungerechte Geſeßesbeſtimmung vom Militärdienste befreit gewesen, in die Reihen der Armee eilen zu machen bezweckte. Indessen erwartete Scharnhorst von dieſen Verordnungen nicht allein einen numerischen Zuwachs für die 12*

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Fünftes Kapitel.

Armee. Diese Tauſende von freiwilligen Jägern , welche auf ihre eigenen Kosten gekleidet, ausgerüstet und beritten bei den Regimentern eintrafen , waren die intelligentesten jungen Leute des Landes , auf die er hauptsächlich sein Augenmerk richtete, um aus ihnen bald eine Pflanzschule für Unteroffiziere und Offiziere zu machen. Und sie rechtfertigten seine Erwartung. Immer bedacht , alle Kräfte nußbar zu machen und keine verloren gehen zu lassen , bewog Scharnhorst den König , die Errichtung von Freicorps zu bewilligen , welche sich hauptsächlich aus nichtpreußischen Freiwilligen rekrutiren und den Fiscus nichts kosten sollten . Mehrere Offiziere schlugen sogleich den Werbetisch auf und sahen Patrioten aus allen deutschen Landen zum Eintritt herbeiſtrömen. In Breslau , also selbst unter den Augen von Napoleon's Gesandten , begann Mitte Februar der Major Lüßow , ein alter Waffengefährte des heldenmüthigen Schill, mit der Errichtung eines Freicorps, welches er befehligen und das seinen Namen führen sollte , unter dem ihm eine legendenhafte Berühmtheit beschieden war. Zu diesen vielen und so außerordentlichen Opfern , welche verlangt, angeboten und mit einer unvergleichlichen Hingebung dargebracht wurden , fügte die Bevölkerung gleichzeitig noch andere. Allerwärts bildeten sich Vereine, welche zu patriotiſchen Gaben aufforderten. Diese Gaben flossen in Menge. Die einen spendeten baares Geld, Silbergeräth , Waffen und Eiſen, die andern Tuch und Leinwand; hier brachten welche Pferde und Vieh , dort andere wieder Getreide und Fourrage. Die Frauen gaben ihren Schmuck, ſelbſt ihren Trauring hin , und erhielten dafür eiſerne Ringe mit der Inſchrift: „ Gold gab ich für Eisen“, zurück, ein Angedenken, welches heute noch in den betreffenden Familien wie ein Heiligthum aufbewahrt wird. In dem Moment, wo Preußens Allianzvertrag mit Rußland unterzeichnet wurde , war das preußische Volk also von jenem Fieber des Enthuſiasmus und patriotiſchen Aufſchwunges ergriffen , welches jede für des Vaterlandes Wohl getragene Laſt und jedes für dasselbe gethane Werk leicht werden läßt, das weder Schwierigkeiten, noch Hinderniſſe und Unmöglichkeiten fennt. Dieses Fieber ward aber noch heftiger und erreichte

Des Königs von Preußen Aufruf „ An meiu Volk". 181 seinen Höhepunkt, als Friedrich Wilhelm sich selbst an das Volk wendete und ihm verkündete, daß. er, im Bündnisse mit dem Zar,, Napoleon den Krieg erkläre. Dies geschah am 17. März. Damals hatte die französische Armee , wie wir später sehen werden , bereits seit mehrern Tagen Berlin geräumt, befand sich hinter der Elbe und stand nur noch mit den in den Oderfestungen und Spandau zurückgebliebenen Beſaßungen auf preußischem Boden . Es war das erste mal, daß in Preußen der Monarch ohne Mittelsperson zu „ seinem Volke“ sprach. Die Nothwendigkeit überwand das alte Formenwesen . Der Moment war erhaben, Friedrich Wilhelm's Rede einfach und männlich. Er erinnerte die Preußen an die Leiden, mit denen sie von Napoleon überhäuft worden. Er bedeutete sie , daß noch große Opfer von ihnen gefordert werden würden , Opfer , welche sich nach der Größe seines Beginnens, nach der Zahl und den Mitteln seines Feindes richten. Aber ,,gedenkt", sprach er zu ihnen,,,des großen Beiſpiels unserer mächtigen Verbündeten , der Ruſſen , gedenkt der Spanier und Portugiesen ; selbst kleinere Völker sind für gleiche Güter gegen mächtigere Feinde in den Kampf gezogen und haben den Sieg errungen. Erinnert Euch an die heldenmüthigen Schweizer und Niederländer." Und weiter hieß es: „ Es ist der lezte entscheidende Kampf , den wir bestehen für unsere Existenz , unsere Unabhängigkeit , unsern Wohlstand. Keinen andern Ausweg gibt es als einen ehrenvollen Frieden oder einen ruhmvollen Untergang." Auch an sein Kriegsheer richtete Friedrich Wilhelm eine kurze und kernige Ansprache , und verkündete demselben , daß er es nicht verlassen , daß er mit ihm kämpfen werde und alle Prinzen seines Hauses ihm zur Seite stehen würden . Der Tag war gekommen, wo man nicht allein die Armee, sondern das ganze Volk auf Kriegsfuß seßen mußte. Es wurden zwei Verordnungen erlassen , von denen die eine die fofortige Errichtung der Landwehr im ganzen Königreiche , die andere aber die Organiſation des Landsturmes oder das Maſſenaufgebot, sobald die der erstern beendet, anbefahl. Scharnhorst hatte den Entwurf zu diesen beiden Verordnungen in derselben

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Zeit gemacht, als er in Gemeinschaft mit Stein an dem großen Werke von Preußens Wiedergeburt arbeitete. Später hatte er dieselben vollends ausgeführt und dem Könige unterbreitet, welcher sie im stillen gutgeheißen. Sie enthielten im allgemeinen die gleichen Bestimmungen wie der fünf Wochen früher von den Ständen der Provinz Preußen ergangene Entwurf, ausgenommen, daß die Altersgrenzen von 18-45 Jahren auf 17—40 heruntergesetzt wurden. Dagegen trat rücksichtlich der Errichtung der Provinzial - Generalcommiſſionen die Regierung an Stelle der Stände und nahm gleichfalls anstatt der Bürger die Bildung der Specialcommiſſionen oder Kreisausschüsse in die Hand. Außer anderm hatte dies auch zur Folge, daß der König sich selbst oder seinen Vertretern die Ernennung der Offiziere aller Grade vorbehielt. Indessen anerkannte der König mittels eines besondern Erlasses das in Königsberg verfügte und bereits in der Vor-

Er begnügte sich mit bereitung fertige Organisationswerk. der Abänderung der Inschrift auf dem blechernen Kreuze an der Müße des Landwehrmannes , welche „ Wehrlos , ehrlos“ hatte lauten sollen , wie es die Stände beschlossen nach dem Vorschlage Stein's, welcher indeſſen die Schwächen des monarchischen Geistes zu schonen sich wenig angelegen sein ließ. Der König wollte dafür die Worte : „Mit Gott für König und Vaterland." In einer minder tief bewegten Zeit würde man jedenfalls Anstoß erregt haben durch Abänderungen an dem Werke der königsberger Versammlung , einem Werke , welches bereits durch die Presse und die geheimen Verbindungen populär geworden und dem alle Patrioten Preußens und Deutschlands Beifall zujubelten. Unter den rauschenden Ergüſſen der öffentlichen Meinung gingen solche Mistöne unbemerkt vorüber. Man war nur von dem einzigen Gedanken und Wunsche beseelt, das Gewehr zu ergreifen und so schnell als möglich zu gebrauchen. Die von der Provinz Preußen sich freiwillig auferlegten Opfer dienten dem Könige zum Maßstabe des Umfanges der an die andern Provinzen zu stellenden Forderungen. Ueberdies verfügte er dazu noch die Errichtung einer Landwehrreiterei. Für das ganze Königreich sollte die Landwehr 132 Bataillone zu 825

Die Verordnung über den Landsturm.

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Mann und 100 Escadronen mit einer durchschnittlichen Stärke von 100 Pferden betragen, sodaß also hinter der Armee eine Reserve von 120000 Mann in der Bildung begriffen war. Es mangelte an Gewehren. Während man dem Empfange der auswärts und bei den mit verdoppelter Thätigkeit arbeitenden Waffenfabriken Preußens bestellten entgegensah, befahl der König deshalb die Anfertigung von Piken , um damit einen Theil der Landwehr auszurüſten. Die Verordnung über den Landsturm entwickelte des weitern

in einer langen Reihe von Artikeln die diesfälligen kurz gefaßten Bestimmungen der königsberger Versammlung. Dieselbe athmete eine patriotische Wuth im wahren Sinne des Wortes. In ihrem Eingange spiegelte sich die wilde Energie der Spanier ab , und schien ſie deren unversöhnlichster Guerrillaführer dictirt zu haben. So heißt es in derselben , daß beim Heranrücken des Feindes die Landſturmmaſſen alle Dorfbewohner mit ihrem Vieh und der besten Habe wegführen sollen ; Mehl und Getreide soll fortgebracht oder verdorben werden , die Getränke lasse man auslaufen, die Mühlen und Kähne werden verbrannt, die Brunnen verschüttet, die Brücken zerstört, Korn und Getreide, wenn es der Reife nahe, wird in Asche verwandelt. Nach der Vertreibung des Feindes wird der Staat den Bürgern Entschädigung leisten. . . . Die Städte sollen in der Regel nicht verwüstet werden. Aber die Bildung einer Bürgergarde unter Einfluß des Feindes ist untersagt. Denn es ist weniger schädlich, daß einige Ausschweifungen zügellosen Gesindels stattfinden , als daß der Feind frei im Schlachtfelde über alle seine Truppen gebiete. In den vom Feinde besetzten Städten wird der Besuch von Bällen und öffentlichen Lustbarkeiten verboten. Kein Geistlicher darf darin ein Paar ehelich -- Doch der Landsturm soll auch kämpfen, und sagt einſegnen. darüber die Verordnung weiter : ,,Der Kampf, wozu der Landsturm berufen wird , ist ein Kampf der Nothwehr , der alle Mittel heiligt. Die schneidendsten sind die vorzüglichsten. Es ist daher die Bestimmung des Landsturmes, den Feind beständig außer Athem zu halten , ihn einzeln und in Trupps zu vernichten" ; Marodeurs sollen niedergemacht werden.

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Fünftes Kapitel.

Welche grausamen und barbariſchen Befehle ! hat man geſagt. Ja, sie sollten aber der Katechismus eines jeden Volkes werden, welches den Gewaltthaten der Eroberung und Thrannei preisgegeben ist. Die Eroberung ist barbarisch , die Tyrannei ist barbarisch. Man ist ihnen keine rücksichtsvolle Kriegführung schuldig. Und worin unterscheiden sich übrigens, vom philosophischen und moralischen Standpunkte aus , der Kampf in geordneter Schlacht und die Maſſenzerstörung von dem Kriege im Kleinen und der Vernichtung im Einzelnen ? Was mich anbetrifft, so erkläre ich es geradeheraus , daß , wenn mein Vaterland noch einmal den Schwall einer Invaſion über sich ergehen laſſen müßte, ich ihm einerseits eine Regierung wünſche, welche jene Landsturmverordnung zu unterzeichnen im Stande, und andererseits Bürger , die zu deren Ausführung fähig find. Nichts bringt den Kriegs- und Eroberungsgeist mehr aus der Fassung als der Anblick eines Volkes , das zum Kämpfen entſchloſſen nicht allein in von seinen Heerführern mehr oder minder geschickt geleiteten Schlachten, sondern auch unter seines letten Dorfrichters Führung . An diese Aufrufe und Verordnungen des preußischen Königthums das es dem Begeisterungstaumel des Volkes wol gleichthat , ihm aber nicht zuvorgekommen war --- reihten sich die Proclamationen und Tagesbefehle der russischen und preußischen Generale mit der Verkündigung des Bündniſſes ihrer Monarchen und Völker. Sie wurden an die Deutschen gerichtet und waren Manifefte im wahren Sinne des Wortes. Sie führten eine seit der französischen Republik nicht gehörte Sprache. In ihrem Munde gingen die Rechte der Völker den Interessen der Fürsten vor. Dieselben rüsteten die Völker mit den Principien der Freiheit und Gleichheit aus , um sie gegen Napoleon stürmen zu laſſen. Kutusow verhieß im Namen der beiden alliirten Monarchen die Freiheit. Ebenso verkündete er in ihrem Namen die AufLösung des Rheinbundes,,, dieser trügerischen Fessel, mit welcher der Allentzweiende das erst zertrümmerte Deutschland neu umschlang"; er forderte die jenen bildenden Fürſten zum treuen und ganzen Mitwirken auf, und drohte demjenigen von ihnen , welcher

Aufrufe der russischen und preußischen Generale.

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der deutschen Sache abtrünnig sein sollte, mit der Vernichtung durch die Macht der Waffen. 1 Ein bereits in Deutschland berühmter preußischer General, dem ein Weltruf beschieden war und welcher , aus seiner freiwilligen Muße herausgetreten , jezt ein in Schlesien formirtes Armeecorps befehligte, sagte zu den Sachsen : ,,Auf ! Vereinigt euch mit uns , erhebt die Fahne des Aufstandes gegen die 1 fremden Unterdrücker und seid frei." Und wie einer Eingebung folgend, ruft er aus : ,,Wir ziehen, wohin der Finger der Vorsehung uns weiſet. . . . Wir bringen euch die Morgenröthe eines neuen Tages . . ."; und verheißt die Freiheit , ohne welche eine solche nicht exiſtirt, nämlich die „ Preßfreiheit“. 2 Wittgenstein, welcher von deutscher Herkunft³ und von Mitgliedern der geheimen Verbindungen umgeben war, sprach noch viel entschiedener. " Wer aber ruhig bleiben wollte, den erkenne ich für keinen Deutschen. Wer nicht mit der Freiheit ist, der ist gegen sie. Darum wählt ! meinen brüderlichen Gruß oder mein Schwerdt ! ... Sehet, was um und neben euch geschieht. Die ganze (preußische) Nation erhebt sich in Maſſe. In ihren Reihen findet ihr den Sohn des Pflügers neben dem des Fürsten; .. es gibt keinen Unterschied mehr als den des größern Talents , des feurigern Eifers zum Kampfe für die große, heilige Sache. Freiheit oder Tod ! ist das Loſungswort, welches Friedrich Wilhelm ausgegeben hat , . . . — Sachsen! Deutsche ! Unsere Stammbäume, unſere Geſchlechtsregiſter ſchließen mit dem Jahre 1812. Die Thaten unserer Ahnen sind durch die Erniedrigung ihrer Enkel verwirkt. Nur die Erhebung 115 Deutschlands bringt wieder edle Geſchlechter hervor. . . .' Vom Katheder herab, in den Kirchen, an den Univerſitäten und von der für die Presse schnell aufgerichteten Bühne herunter erschallten dieselben Begeisterungsrufe für das deutsche

1 Aufruf Kutusow's vom 25. März 1813. 2 Aufruf Blücher's vom 23. März 1813. 3 Er war zwar in Rußland geboren, sein Vater aber ein Deutscher. 4 Aufruf vom 23. März. 5 Aufruf vom 30. März.

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Fünftes Kapitel.

Vaterland, die gleichen Drohungen gegen die Schwächlinge und Verräther, dieselben Aufforderungen zur Opfermüthigkeit aller, und Tausende von Stimmen verkündeten ,,die Morgenröthe des neuen Tages", die neue Aera , die Aera der Unabhängigkeit, Freiheit und Gleichheit. Und aus der Tiefe dieses großen Getümmels ließ sich ein beständiges Anathem gegen Napoleon und leider auch gegen das französische Volk vernehmen , denn der von den erduldeten Leiden erbitterte Patriotismus, welcher die ihm widerfahrenen Beschimpfungen zu rächen nicht erwarten konnte , sah da einen Mitschuldigen , wo die ruhige Ueberlegung nur ein Werkzeug und gezwungenes Opfer erblicken konnte. Der Freiheit stand die Arena offen und sie stürzte sich hinein zum Angriffe gegen die Eroberung und Thrannei. Morik Arndt hatte das Zeichen zum neuen Kampfe gegeben. Dieser , ein schon renommirter Schriftsteller, seit langem mit den geheimen Verbindungen verbrüdert , ganz von demokratischen Principien durchdrungen , ein treuer Freund Stein's und sein Gefährte in der Verbannung , war mit letterm nach Königsberg gekommen und hatte hier alsbald zwei mit Recht weithin bekannte Flugschriften veröffentlicht.¹ Das leidenſchaftliche Verlangen nach Freiheit , der wüthende Patriotismus, das Toben der Rache ergießen sich hier untermengt mit überspannten religiösen Gefühlen , durchaus gerechtfertigten und ſittlich erlaubten Grundsäßen , mit Lehren und Rathſchlägen, welche jedes Volk, das seine Feſſeln brechen will, sich zu Herzen nehmen und befolgen sollte. Napoleon, die franzöſiſche Armee und Nation werden darin mit Fluch und Schande überhäuft. Gegen ihn und gegen diese ruft Arndt alle Deutſchen zum Volkskriege, zum heiligen Kriege auf. Er prophezeit der von unversöhnlicher Rücksichtslosigkeit getragenen Maſſenerhebung

¹ Die erste dieser beiden Flugschriften ist betitelt: „ Katechismus für den teutſchen Kriegs- und Wehrmann , worin gelehret wird , wie ein christlicher Wehrmann ſeyn und mit Gott in den Streit gehen soll." Der Titel der andern lautet : „ Was bedeutet Landsturm und Landwehr? "

E. M. Arndt.

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den Sieg und sieht ihr Werk erst beendet mit der Wiedereroberung der uralten Grenzen Deutschlands und des ganzen Landes jenseit des Rhein ,,,so weit Gott in teutscher Zunge angebetet wird".1 Solchergestalt war also die durch Napoleon's unsinnige Eroberungen und Tyrannei hervorgerufene Reaction. Deutschland wollte Frankreich nicht nur die Rheingrenzen, welche die große Republik errungen und die von ganz Europa anerkannt worden, sondern selbst noch die Grenzen der alten Monarchie entreißen!

1 Um eine Vorstellung von Arndt's wüthender Begeisterung zu bekommen, mögen hier einige Stellen aus seinem ,,Katechismus für den teutschen Kriegs- und Wehrmann“ folgen : ,,Sechstes Kapitel. ,,Von dem großen Tyrannen. ,,Und der Abgrund hat sich aufgethan , spricht der Herr , und die Hölle hat ihr Gift ausgespieen und die Schlangen ausgelassen , die da giftig sind. ,,Und es ist ein Ungeheuer gebohren und ein blutgefleckter Gräuel aufgestanden. ,,Und heißt sein Name Napoleon Bonaparte , ein Name des Jammers , ein Name des Wehs , ein Name des Fluchs der Wittwen und Waiſen, ein Name, bei welchem sie künftig Zeter schreien werden, wann arme Sünder zum Nichtplaße gehen. ,,Doch haben viele ihn angebetet und zum Götzen ihrer Herzen und Gedanken gemacht , und haben ihn genannt Heiland und Retter und Befreier und den Mann , der da kommt im Namen des Herrn, daß er die Welt erlöse. ,,Und doch kenne ich ihn nicht, spricht Gott, und habe ihn verworfen und werde ihn verwerfen, und ist kein Heil und keine Rettung und Freiheit in ihm , und hat er kein Zeichen , daß man ihn nenne nach Gott. ,,Sondern durch Lügen ist er gewaltig geworden und durch Mord und Verrath hat er seinen Stuhl gebaut. Und ist ein Zeichen der Zeit, wie fündlich die Menschen sind und wie die Menschenkinder fern wandeln vom richtigen Pfade, daß sie die Knechtschaft haben Errettung genannt und die Verruchtheit gepriesen als Tugend des Königs. „ Auf, ihr Völker ! dieſen erschlaget , denn er ist verfluchet von mir, diesen vertilget, denn er ist ein Bertilger der Freiheit und des Rechts."

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Fünftes Kapitel.

Die Flugschriften Arndt's wanderten ven Hand zu Hand, liefen mit den Emiſſären der geheimen Verbindungen, „ mit den deutschen Brüdern", mitten durch die außer Fassung gebrachte Polizei Napoleon's und seiner Fürsten - Sklaven , und wurden nach allen Himmelsrichtungen getragen. So verbreiteten sie sich rasch über ganz Deutschland und fanden überall begierige und begeisterte Leser. Arndt griff jezt zum Liede. Seine, eines von Begeisterung getragenen Dichters Lieder erregten und erhißten noch mehr als seine Flugschriften die Volksleidenschaften. Seine Poesie schlägt manchmal die wilden Klänge unserer Marseillaise an. Das ist die Poesie des Krieges, Kampfes und Gemeßels . Sie macht die Herzen schaudern und bringt Soldaten hervor. An Arndt reihte sich eine Menge von Pamphletschreibern und Dichtern. Jeder Tag , jede Stunde brachte einen neuen Aufruf zu den Waffen, neue Verwünschungen gegen Napoleon und Frankreich, neue Rufe nach Freiheit und Gleichheit. Diese Epoche wird vollends charakterisſirt, daß Dichter und Schriftsteller in Napoleon nicht allein den unersättlichen Eroberer und Deutschlands Bedrücker , sondern auch noch den Zerstörer von Frankreichs Freiheit und den Usurpator seiner Rechte mit ihrem Zorne verfolgten und ihn in die öffentliche Acht er: klärten. 1

Von allen diesen Volksrednern in der Presse und allen den Volks -Tyrtäen blieben nur diejenigen in der Bethätigung ihrer begeisternden Worte durch das eigene Beiſpiel zurück, welchen die zum Waffendienſte erforderliche phyſiſche Fähigkeit abging. Die andern dagegen ergriffen das Gewehr des Frei-

¹ Dieses Anathem gegen den Mann des Brumaire, den Mann des Consulats und Kaiserreiches , sprach Fichte mit unvergleichlich hohem Schwunge in einer Vorlesung aus, wo ihn seine Abhandlung ,,Ueber den Begriff des wahrhaften Krieges" zu einer Schilderung von Bonaparte's Persönlichkeit führte. Der des Deutschen nicht kundige Leser findet eine vortreffliche Uebersetzung von Fichte's Worten in Julius Barni's bemerkenswerthem Buche : ,,Les martyrs de la libre pensée" (Genf 1862).

Hoher Aufschwung Preußens.

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willigen, Pateigängers oder Landwehrmannes und widmeten sich dem Dienste des Vaterlandes . Jenes schon durch die Muse geweihte Kind Sachsens, Körner, welcher so bald auf dem Blachfelde fallen sollte , dieses plöglich im Kriegsfeuer erstrahlende Genie, der erst 21 Jahre alte Dichter nahm bei Lüzow Waffendienste und legte die Uniform der schwarzen Jäger an. Am selben Tage , wo er unter das von Lüzow entfaltete Banner trat, richtete er auf deſſen Verlangen einen kraftvollen Aufruf an die Sachsen, in welchem er diese beschwor, das schwarze Corps verstärken zu helfen. ,,Laßt dieſe große Zeit nicht kleine Menschen finden" , rief er ihnen zu. Und in einigen Tagen antworteten 500 Jünglinge seiner Stimme. Wer hätte diesem Strome entfesselter Leidenschaften widerstehen können? Ob schwach oder stark, er riß alles mit sich fort. Das Comptoir, die Werkstatt und der Pflug wurden für den Kriegsdienst verlassen. Die Universitäten und obern Klassen der Gymnasien waren leer : Professoren und Schüler standen unter den Waffen. Sie hatten sich zuerst in den Kreuzzug für Unabhängigkeit und Freiheit gestürzt , sie , die der rauhe Jahn an Körper gestählt und geschmeidig gemacht , der unsterbliche Fichte aber mit dem Nektar seiner hehren Lehre, den Principien des modernen Stoicismus, genährt. Preußen war nur noch ein Feldlager. Hier die Soldaten und ihnen zur Seite die zum Eintritt in Reih' und Glied

bereiten freiwilligen Jäger und Freicorps ; dort die Landwehr bei der Errichtung ihrer Bataillone und Escadronen , und hinter ihr der Landsturm , welcher des Wildschüßen Gewehr schußfertig machte und des Landmanns Senſe ſchliff. Auch die Frauen hatten sich ihrerseits zu Vereinen zuſammengethan. Mit dem Rufe: ,,Das Vaterland ist in Gefahr !" 1 forderten fie auf zu Gaben und empfingen solche aller Art , zupften

1 Dies sind die Anfangsworte des unterm 23. März an die preußischen Frauen gerichteten Aufrufes von seiten eines Vereins, welchem die Prinzessin Wilhelm von Preußen präsidirte und dem noch sieben andere Prinzessinnen angehörten.

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Fünftes Kapitel.

Charpie, nähten das Hemd , deſſen der Torniſter des freiwilligen oder des schwarzen Jägers wartete. Ja einige Jungfrauen zogen selbst unter Verheimlichung ihres Geschlechtes die Freiwilligenuniform an.¹ Es war eine Begeisterung wie in Frankreich in den Tagen von 1792 und des Jahres II , als die Preußen — welche damals gleichfalls , wie sie sich hätten erinnern sollen , einem Despoten gehorchten , ihnen voraus das braunschweigische Manifest, heranrückten , um uns zu unterjochen , den niedergeworfenen Thron wieder aufzurichten und ein politisch wie ſocial verabscheutes Regiment zu restauriren. Unter dem befruchtenden Einflusse der von Stein unternommenen und von Hardenberg fortgesetten großen Reformen, unter der ausgedehnten Wirkſamkeit der geheimen Verbindungen, unter den zahllosen Ausschreitungen der Napoleonischen Gewaltherrschaft war auf dem preußischen Boden ein neues Volk geboren und aufgewachsen. Treu seinem Könige , welcher die reformirenden Miniſter berufen und gegen die Verfechter der Privilegien unterſtüßt, war dieſes Volk zugleich von den Principien der Freiheit und Demokratie tief durchdrungen. Es hob die Fackel der Revolution auf, welche Napoleon gelöscht und mit Füßen getreten, zündete sie wieder an und schwang sie unter ſprühenden Feuergarben über Deutschland . Hatte es bei den Unglücksschlägen von Jena und Auerstädt wenig Begeisterung bewiesen, so zeigte es jest um so mehr Hingebung für das Vaterland ; fanatisch war es entschlossen , für daffelbe alles zu opfern , zu seiner Rettung und Befreiung bis zum Leßten Mann zu kämpfen. Die preußische Armee kann wol unterliegen, doch ihre Niederlage wird den Krieg nicht beenden. Es muß dann noch das preußische Volk , welches hinter ihr steht, besiegt, niedergeworfen und vernichtet werden. Der Kampf gegen Napoleon nimmt einen ganz neuen Charakter an ; das

1 Die deutschen Geschichtschreiber nennen die Namen mehrerer dieſer freiwillig eingetretenen Jungfrauen , welche es bis zum Unteroffiziersgrade bei Linien oder Landwehrregimentern brachten.

Preußens Streitkräfte Anfang April.

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ist kein Streit der Könige mehr , sondern ein Streit der Völker mit jenem . Nach dem Beispiele der Franzosen in ihrer Heldenära trägt jeder Preuße die schwarz und weiße Cocarde, die Nationalcocarde. Sie ist das Zeichen einer von ihm eingegangenen Verpflichtung. Sie bedeutet, daß er bereit, mit dem Gewehr sich zu bewaffnen, das den Händen des unter der Fahne fallenden Soldaten entgleitet , und daß jede Lücke in den Reihen der Vaterlandsvertheidiger ſofort wieder ausgefüllt werden wird. Machen wir uns los von alter Feindschaft und altem Haſſe. Zollen wir so vielem Patriotismus, so vieler Aufopferung gerechte Anerkennung, und ziehen wir aus dem großartigen Vorbilde, welches uns Preußen in dieser feierlichen Stunde bietet, die schon in die Annalen der Französischen Republik eingegrabene Lehre, daß die Vaterlandsliebe, wenn sie im Herzen der Nationen unsers Zeitalters durch das Privilegium und den Despotismus erstickt worden , am Herde der Freiheit und Gleichheit wieder entbrennen wird. Die wirklich unbesiegbaren, der Eroberung und dem Joche ewig widerstrebenden Völker find diejenigen, welche nur gleiche und freie Bürger zählen. Dank seiner Anstrengungen , hatte Preußen in den ersten Tagen des April in erster Linie 56000 Mann und 200 Geschüße dastehen ; in zweiter Linie 44000 Mann theils bereits formirter , theils noch in der Bildung begriffener Truppen² ; und in dritter Linie , theils in den Festungen , theils in den Depots, 28000 Mann ³. Es hatte alſo ſeine durch den ruſſischen Feldzug bis auf 35000 Mann herabgekommene Armee in dritthalb Monaten auf den Stand von 128000 Mann gebracht, die auf einige Tausende fich belaufenden Freiwilligen in den Freicorps nicht mitgerechnet. Zu dieser Truppenmacht sollten noch stoßen : zuerst 20000 Mann Landwehrmänner aus der Provinz Preußen, denen Alexander 15000 franzöſiſche Gewehre , eine Beute aus unserer großen Katastrophe , geschickt,

156350 Mann in 55 Bataillonen, 71 Escadronen und 25 Batterien. 2 43800 Mann. 3 27610 Mann.

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Fünftes Kapitel .

und die sich bereits in Marſch ſeßten, um die Weichsel zu überschreiten ; ferner in zwei Monaten oder etwas später 100000 Mann Landwehr aus den übrigen Provinzen der Monarchie. Sind alle diese Streitkräfte erst einmal unter der Fahne beiſammen, so wird Preußen also , welches 4,500000 Einwohner zählt, 250000 Mann ausgehoben, equipirt, bewaffnet und organisirt haben. Es wäre das gleiche Verhältniß , wenn das Frankreich von damals mit ſeinen 45 Millionen Einwohnern 2,500000 Mann unter die Waffen gestellt. Diese von Scharnhorst in ihren Inſtitutionen und Gebräuchen reformirte Armee Preußens kannte weder glänzende Stäbe, noch unnöthige Chargen, noch glänzende Uniformen oder einen schwerfälligen Troß. Sie war einfach und beweglich wie die Armeen unserer großen Republik in den glorreicjen Tagen, wo Bonaparte noch nicht deren Charakter verdorben und ihre moraliſche Kraft untergraben. Und worin jene auch nur mit den von unserer Revolution hervorgebrachten Heeren zu ver gleichen, das ist der Geist , welcher sie beseelte. Alle in ihren Reihen, vom ersten General bis zum letzten Soldaten herunter, sind bis zum Fanatismus für ihres Vaterlandes Sache begeistert und brennen vor Begierde, ihre alte Schmach zu rächen. Wenn diese Armee geschlagen, wenn sie, was eigentlich nicht möglich, in Verwirrung gerathen sollte , so kann man doch überzeugt sein, daß sie sich von selbst wieder bilden und in den Kampf zurückkehren wird. Werfen wir jeßt unsern Blick auf Frankreich. Auch dieses reorganisirt seine Armeen. Doch wird es uns durch seinen Contrast gegen Preußen die schlagendste Lehre geben.

Sechstes Kapitel.

Napoleon verläßt die Trümmer seiner aufgelösten Armee. - Geheimhaltung seiner Reise. Raftet einige Stunden in Warschau. Eigenthümliche Scene. Sein Halt in Dresden. 1 — Seine Zuſammenkunft mit dem Könige von Sachſen. - Seine Sezt Briefe an den Kaiser von Desterreich und den König von Preußen. die Reise nach Paris fort. Veröffentlichung des 29. Bulletins der Großen Armee. Allgemeine Betrübniß und Erbitterung. — Urſprung von Napoleon's Macht. -Seine Regierungswerkzeuge . - Napoleon kommt in Paris an. - Die von ihm an• geordnete Scene. — Zweck dieser Scene. Seine Reden an den Senat und den Staatsrath. - Ihr Resultat. — Seine Hülfsmittel zur Bildung und Organiſation einer neuen, achtunggebietenden Armee. — Die sogenannten Cohorten der Nationalgarde. Die Conscription von 1813. - Die Nachricht von York's Abfall gelangt nach Paris. Senatsbeſchlüſſe wegen einer Aushebung von 100000 Mann aus den Altersklassen von 1812, 1811, 1810 und 1809, und einer Aushebung aus der von 1814. - Von den Gemeinderäthen werden Napoleon, auf seine Anregung, An= erbieten wegen Stellens von ausgerüsteten Reitern gemacht. Gesezwidrigkeit der behufs Ausführung jener Anerbieten auferlegten Vermögenssteuer. — Ankäufe und Requifitionen von Pferden. — Organiſation der Cohorten in Linienregimenter. Departemental-Reſervecompagnien. Marineartillerie. -· Bildung von vier Obſervationscorps an der Elbe, dem Rhein und der Etſch. – Sollſtärke ihrer Infanterie. — Reorganiſation der Infanterie von der alten und jungen Garde. — Reorganisation des 1. und 2. Armeecorps. Sollstärke ihrer Infanterie. Reorganisation der Liniencavalerie. --· Formation von 3 Reservecavaleriecorps. — Reorganiſation der Gardecavalerie. Reorganisation der Linien- und Gardeartillerie. — Streitkräfte, welche Napoleon Ende April an der Elbe, dem Rhein und der Donau zu haben hoffen kann. — Ebbe im Staatsſchaze. — Spoliirung mehrerer Tauſende von Gemein- Erbitterung den. · Napoleon's Rede bei Eröffnung des Geſeßgebenden Körpers. — der aus Rußland entronnenen Soldaten und der Conſcribirten . — Napoleon's Zuver= ficht. Empfängt Preußens Kriegserklärung. —- Macht sich eine falsche Berechnung über die Streitkräfte, welche ihm dieser Staat entgegenstellen wird. — Erfährt den Aufstand der 32. Militärdiviſion und der beiren Herzogthümer Mecklenburg. Senatsbeschluß betreffs einer Conſcription von 80000 Mann aus den Altersklaſſen 1807 bis 1812, ferner wegen des Aufgebots von 10000 Mann Ehrengarden und der Organiſation der Nationalgardecohorten zur Vertheidigung der Küſten und Haupte häfen des Reiches. — Die Constitution wird für die 32. Militärdiviſion außer Kraft erklärt. —Marschall Davout erhält den Befehl zur Unterdrückung des dortigen Aufstandes. -- Decrete wegen demnächstiger Bildung eines Reservecorps in Italien und zweier andern in Deutschland. 13 Charras, 1813.

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Sechstes Kapitel.

Als Napoleon seine auf ein Häuflein zuſammengeschmolzene und in völliger Auflöſung begriffene Armee zu verlaſſen beschlossen , reiste er am 5. Dec. nach Einbruch der Nacht von Smorgoni ab. In dickes Pelzwerk eingehüllt und hingestreckt in dem sorgfältig verschlossenen und auf einen Schlitten geſet= ten Wagen , neben sich den Großſtallmeister Caulincourt , vorn auf dem Bocke seinen Mamluk Rustan mit einem polnischen Dolmetscher , und als ganzes Gefolge nur Duroc und einen andern General - so eilte er nach Wilna, fuhr aber nicht in die Stadt hinein, ſondern hatte in einem nahe dabei gelegenen, verlassen stehenden Hause eine kurze Unterredung mit Maret, dem kaiserlichen Minister des Auswärtigen, und sehte von hier aus seine Reise über Marienpol nach Warschau fort. Noch mußte er ganz Deutschland durchfahren, dieses unterdrückte und vor Wuth knirschende Deutschland , über welches das Nek der geheimen Verbindungen sich erstreckte, die mit dem Brutusdolche . sich zu bewaffnen bereit. Daher hüllte sich Napoleon in tiefes Geheimniß ein, verbarg sich unter einem angenommenen Namen und war alles Aufsehen zu vermeiden bedacht. In Warschau hielt er sich einen vollen Tag auf. In einem Gasthofe abgestiegen , ließ er ganz im ſtillen ſeinen Gesandten, den Erzbischof de Pradt, ferner den großherzoglich polnischen Ministerpräsidenten und den Finanzminister dahin berufen. Hier in einem niedrigen Saale war es, wo bei halbgeschlossenen Fensterladen jene eigenthümliche Scene vor sich ging, welche de Pradt in unverlöschlichen Zügen wiedergegeben hat. Die jüngsten Nachrichten aus Wilna , Napoleon's plözliche Ankunft in so bescheidenem Aufzuge und das Geheimnißvolle seiner Reise , alles dies rief bei den Obengenannten Bestürzung hervor. Er wollte sie vorerst beruhigen. Doch erging er sich bald in einer Flut von Worten, die nichts weniger als seiner Absicht entsprachen. Es schien ihm zu schwindeln. Er rühmte seinen ausgezeichneten Geſundheitszustand ; ſagte, daß die Russen nicht mehr die Soldaten von Ehlau und Friedland wären ; daß er sie bei jedem Zusammenstoße geschlagen ; daß sie vor seiner Armee nicht mehr Stand zu halten wagten ; daß lettere in vorzüglicher Verfassung sich befände

Napoleon's Rückreise von Rußland nach Paris .

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und in Wilna stehen bleiben würde ; daß er dennoch 300000 Mann zu holen gehe, weil er den Russen zwei oder drei Schlachten an der Oder liefern wollte, daß er aber in sechs Monaten wieder am Niemen stehen würde. Das hieß sich selbst widersprechen ; doch bemerkte er dies nicht. Er gestand ſelbſt ein, große Verluste erlitten zu haben. Aber, fügte er hinzu, „ das thut nichts, das ist ein Unglück, es ist die Wirkung des Klimas, der Feind hat keinen Theil daran, ich habe ihn überall geschlagen . . . ich kann es nicht hindern, daß es in Rußland friert.“ Zu alledem ließ er noch Arten von Sprichwörtern einfließen, wie: ,,Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist es nur ein Schritt“ ; ,,wer nichts wagt, gewinnt nichts"; und verband damit greuliche Spötteleien über die Pferde und Menschen , welche ,,nicht über neun Grade Kälte ertrugen“ . . . . „ Ich lebe in der Bewegung," sagte er noch trivial, je mehr ich auf den Beinen bin, deſto beſſer befinde ich mich ; nur die königlichen Faulenzer ſind es, die sich in ihren Paläſten mäſten ; ich bin zu Pferde und im Lager." Wiederum rühmte er seine Frische und Ge- die Russen, ſundheit, belobte dann — ein neuer Widerspruch und hatte selbst Worte der Bewunderung für den Brand von Moskau. Von unzähligen Abschweifungen unterbrochen und unter fortwährenden Wiederholungen dauerte dieſes des Zuſammenhanges und der Würde entbehrende Gespräch zwei Stunden lang. Im weitern Verlaufe sagte Napoleon zu den beiden polnischen Ministern , daß ihr Land eine große Anstrengung machen müsse. Er setzte ihnen die militärischen Anstalten auseinander, welche er getroffen sehen wollte ; hauptsächlich bestand er auf der Dringlichkeit der schnellen Neubildung von Poniatowski's Corps und der Aushebung von 10000 leichten Reitern, welche polnische Kosacken" heißen und die Bestimmung haben sollten, den kühnen Streifzügen der russischen Kosacken Schranken zu sehen. Die beharrlichen Einwendungen der beiden polnischen Minister, daß die Finanzquellen des Großherzogthums erschöpft und aus selbigen die Kosten für die neuen Rüstungen nicht bestritten werden könnten , beantwortete Napoleon dahin, daß er diesem ruinirten Lande einige unbedeutende Hülfsmittel zur 13*

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Sechstes Kapitel.

Verfügung stellte und noch beträchtlichere demselben für die Zukunft versprach, sich aber wohlweislich hütete, diese Zeit näher zu bestimmen. Dann rief er nach seinem Schlitten, stieg hinein und nachdem er wieder versichert , daß seine Geſundheit nie besser gewesen , fuhr er ab , um seine Zuhörer in sprachlosem 1 Erstaunen zurückzulaſſen. ¹ Am nächsten Tage machte Napoleon wieder in einem polnischen Flecken halt und dictirte hier ein Schreiben an Maret, laut dessen er de Pradt seiner Functionen enthob , weil er ihn nicht der Lage gewachsen erachtete. Auch in Glogau, welches eine französische Besayung hatte, rastete er kurze Zeit, und hielt mitten in der Nacht vom 13. bis zum 14. Dec. in Dresden vor dem Thore ſeines Miniſters de Serra. Er hatte viel Noth, bis ihm aufgemacht wurde. Der sofort herbeigerufene alte König von Sachsen, welcher in seinem Leben noch kein Privathaus betreten, eilte ganz bestürzt zu demjenigen, welchem er wie der Vaſall ſeinem Suzerän zu dienen gewohnt war. Napoleon wollte den König beruhigen, damit dieſer wieder auf seine Umgebung beruhigend wirke. Er empfing ihn im Bette liegend2, und spiegelte ihm den Roman von ſeinem unglückseligen Feldzuge vor, hütete ſich aber wohl, dessen Geschichte ganz zu erzählen. Er kündigte ihm seine baldige Rückkehr an der Spize bedeutender Streitkräfte an, drang aber nichts destoweniger in den König, den Truppen-

1. de Pradt, archevêque de Malines , alors ambassadeur à Varsovie ,,,Histoire de l'ambassade dans le grand - duché de Varsovie". Michael Oginski entlehnt in seinen ,,Mémoires sur la Pologne et les Polonais depuis 1788 jusqu'à la fin de 1815" die Schilderung dieser eigenthümlichen Scene wörtlich dem Buche de Pradt's und bemerkt dabei : „ Graf Stanislaus Potocki, Präsident des Miniſterrathes, und der Finanzminister Matuszewic, mit denen ich die Ehre hatte; 1815 zuſammenzukommen, und welche ich über ihre Unterredung mit Napoleon, als ſie ſich ihm bei seiner Reiſe durch Warschau vorstellten , befragte, wiederholten mir fast Wort für Wort , was ich oben aus dem Werke des Herrn de Pradt citirt." . 2 S. ,,Mémoires du comte de Senfft, ancien ministre de Saxe".

Napoleon in Dresden.

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stand Sachsens und des Großherzogthums Warschau so viel als möglich zu verstärken , empfahl ihm ferner , das Verhalten der deutschen Höfe , besonders des österreichischen , aufmerksam zu beobachten und wenn er etwas erfahren sollte, ihm davon Mittheilung zu machen. Er legte dem Könige Stillschweigen auf, was mehr als je auf seiner Reise mitten durch die deutsche Bevölkerung geboten war , und verabschiedete ihn , wenn auch nicht ganz überzeugt , so doch wenigstens ohne zu große Beunruhigung. Noch beschäftigte Napoleon eine wichtigere Sorge bei ſeinem Aufenthalte in Dresden. Er schrieb an den Kaiser von Desterreich und den König von Preußen , ſeine Verbündeten , deren beinahe intacte Contingente die traurigen Ueberreste der von ihm vor Wilna verlassenen Armee rechts und links flankirten. Dem Kaiser Franz - welchen er einem lächerlichen Formenwesen zufolge „Mein Herr Bruder und sehr theurer Schwiegervater" nannte -- zeigte er seine Rückkehr nach Frankreich wie eine Sache von keiner wesentlichen Bedeutung an.

Er

sprach von der Großen Armee, als ob sie nach wie vor existire. Das Commando über dieselbe hatte er , wie er sagte , in Litauen an Murat übergeben, und wollte zur Besorgung der wichtigsten Geschäfte die Wintermonate in Paris zubringen. Er insinuirte ihm, „jemanden“ dahin abzusenden , um den Feldmarschall Schwarzenberg zu ersehen , „ deſſen Anwesenheit 1 bei der Armee von Nußen wäre“, und drückte den lebhaften Wunsch aus, daß das österreichische Contingent auf 60000 Mann gebracht würde. Den König Friedrich Wilhelm bat er, das preußische Corps um 10000 Mann zu verſtärken, und übermachte ihm zugleich warme Beglückwünſchungen wegen des Verhaltens der preußischen Truppen seit Beginn des Krieges. Diese Briefe athmeten ein großes Vertrauen in das treue Ausharren der beiden Monarchen beim französischen Bündnisse.

1 Schwarzenberg war dem Titel nach österreichischer Gesandter in Paris geblieben.

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Sechstes Kapitel.

Dagegen beobachteten die an die französischen Gesandten zu Wien und Berlin expedirten Depeschen in dieser Hinsicht eine gewisse Reserve, und waren danach angethan, erstere zur Wachſamkeit anzuregen.¹ Wie sehr auch Napoleon von seiner Macht geblendet und wie groß auch seine Bethörung sein mochte , so konnte er sich doch nicht verhehlen , daß Oesterreich und Preußen zu hart gedemüthigt und zu ſehr von ihm mitgenommen worden, als daß sie nicht zu den Bundesgenossen gehörten, welche man nur unter der Bedingung , immer der Stärkste zu sein, sich erhält, die aber immer den innigen Wunsch, sich von ihren Niederlagen wieder zu erheben , im Herzen tragen und dazu die Gelegenheit abzupassen fortwährend bestrebt sind. Indem sich Napoleon fortdauernd unter dem Incognito verbarg und zur größern Sicherheit zwei Unteroffiziere der sächsischen Garde auf seinem Schlitten mitgenommen 2 , er: reichte er von Dresden aus schnell die von den Franzosen besezt gehaltene Festung Erfurt. Er traf hier seinen bei dem kleinen weimariſchen Hofe beglaubigten Gesandten , de St.Aignan , überraschte ihn durch seine Ankunft nicht weniger, als diese den Herren de Pradt und de Serra unverhofft gekommen, ruhte einige Stunden aus , dictirte mehrere Briefe, um die Rheinbundsfürsten wegen Beschleunigung der Neuerrichtung ihrer Contingente anzutreiben , und seßte dann , nach-

In der von Dresden aus an den französischen Gesandten in Wien gerichteten Depesche heißt es: " .. Es iſt alſo nöthig , daß Desterreich eine große Anstrengung zum Triumphe der gemeinsamen Sache mache , daß es wenigstens das System nicht ändern wolle , was weder dem Charakter des Kaiſers Franz noch den Grundideen einer geſunden Politik entſpräche , weil es von da an die Hauptſache und damit nothwendigerweise der Kriegsschauplaß werden würde“ . 2 ,,Herr de Serra konnte nicht umhin, zu äußern, daß es jedenfalls in Deutschland viele Leute gäbe , welche , wenn sie wüßten , wen dieſes leichte Fahrzeug barg, selbem irgendeinen schlechten Streich zu spielen versucht hätten.“ (S. ,,Mémoires du comte de Senfft, ancien ministre de Saxe".)

Das 29. Bulletin.

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dem er seinen Schlitten mit St.-Aignan's Wagen vertauscht, die Reise über Mainz nach Paris fort. In Smorgoni hatte Napoleon das aber von Malodeczno datirte, nur zu bekannte 29. Bulletin , das lezte seines tollen Kriegszugs, geschrieben. Einem Ordonnanzoffizier übergeben und adressirt am Cambacérès , den kaiserlichen Erzkanzler und die Seele der Gewaltherrschaft in des Kaisers Abwesenheit, gelangte jenes Bulletin am 16. Dec. nach Paris . Seine Beförderung war danach berechnet worden , daß es etwas vor Napoleon's Rückkehr in die Tuilerien dort eintreffen und veröffentlicht werden konnte. Frankreich wußte damals so viel von der Kriegsfahrt nach Rußland , als was demselben mitzutheilen der Kaiſer für gut befunden ; und er verlautbarte ihm nichts , was bei jenem große Unruhe hätte hervorrufen können, Doch war es besorgt geworden , da ihm seit drei Wochen keine Nachrichten von der auf dem Rückzuge begriffenen Armee zugegangen, während der Winter in ganz Europa mit einer ungewöhnlichen Härte auftrat. Unter solchem bangen Harren war es , daß Frankreich von dem Berichte überrascht wurde, welchen Napoleon auf der legten Raſt unter den jämmerlichen Trümmern seiner ausgehungerten, erstarrten, abgeheßten und aufgelöſten Truppen zusammengestellt hatte. In einem künstlichen Gemische von aufrichtigen Geſtändniſſen und Unwahrheiten, als eine durch die Nothwendigkeit abgerungene Rechenschaftsablage , um die Opfer zu motiviren , welche demnächst zum Ausweßen der Katastrophe auferlegt werden sollten bekannte jener Bericht die außerordentlichen Verluste an Pferden und Material, schwieg aber über die ungeheuere Einbuße an Menschen. Dieses absichtliche Schweigen erfüllte aber kaum seinen Zweck, denn das Fehlende ergänzte sich in mancher Beziehung von selbst , und es war unschwer zu begreifen, daß beinahe die ganze französische Armee ihren Untergang gefunden. Mit der Verheimlichung der überaus großen Fehler, welche hinsichtlich des Entwurfs, der Berechnungen, Vorbereitungen und der Führung des Feldzuges begangen worden, schrieb Napoleon hier, wie er es in Warschau und Dresden gethan, sein Unglück lediglich der außerordentlich

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strengen und früh eingetretenen Kälte zu . In Wirklichkeit da- v gegen hatte die Kälte das vom Feinde, den Strapazen, dem Elende und hauptsächlich dem Hunger beinahe vollbrachte Werk der Auflösung und des Todes nur vollends erfüllt: Bei so bewandten Umständen kann die Wahrheit sich jedoch nur unter liberalen Regierungen enthüllen. Wohl vermutheten manche die eigentlichen Ursachen des Unterganges unserer Armee, welcher ein Gemeinplah in der Geschichte werden sollte; doch die Masse kannte sie nicht. Bei dieser schrecklichen und plößlichen Offenbarung der officiellen Reichszeitung ward Frankreich von stummem Entſeßen und Schmerz erfaßt.¹ Es gab keine Familie, welche nicht um einen Verwandten oder Freund im Herzen Trauer getragen hätte. Mit diesen schmerzlichen Gefühlen vermischten sich aber gleichzeitig ; wie Zeitgenossen berichten , Verwünſchungen gegen Napoleon's Ehrgeiz, gegen den Heerführer, welcher seinen durch übermenschliche Leiden zuſammengebrochenen Soldaten den Vorwurf machte, „ daß sie ihre Heiterkeit verloren hätten“, und gegen den Despoten, der einer eine halbe Million ihrer Kinder beweinenden Nation als ganzen Trost diese Worte eines grausamen Egoismus hinwarf: „ Ich habe mich nie beſſer befunden."2 Leider blieben diese schmerzlichen Gefühle und Zornesausbrüche auf den häuslichen Kreis beschränkt. Frankreich, seit 13 Jahren unter das Joch gekrümmt , hatte, um mit dem großen lateinischen Geschichtschreiber zu reden , die Gewohnheit der sklavischen Geduld angenommen. Als ob Napoleon diese Empörung der Gemüther vorausgesehen und ihren Ausbruch befürchtet, hatte er angeordnet, daß unmittelbar auf das 29. Bulletin die Nachricht von seiner ganz nahe bevorstehenden Rückkehr nach Paris veröffentlicht würde. Er hatte die Institutionen der Revolution untergraben und

¹ ,,Beim Bekanntwerden dieſes 29. Bulletins umhüllte Frankreich tiefe Trauer", hat ſelbſt Norvins, einer der überſchwenglichsten Lobredner Napoleon's in seinem ,,Portefeuille de 1813" gesagt. ,,Die Gesundheit Sr. Majeſtät ist nie beffer geweſen “ Schluß, worte des 29. Bulletins.

Napoleon's Regierungswerkzeuge.

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zerstört, um auf ihren Trümmern eine erbliche Monarchie zu errichten. Zugleich nach Art der absoluten Macht der lezten Könige von Frankreich, der prunkhaften Autokratie der orientaliſchen Despoten und der Cäsaren Roms , ſtand dieſe Monarchie Dem Scheine nach ohnegleichen in unserer Geschichte da. war sie durch die Volkssouveränetät gegründet, durch Volksvertretung und Geseße eingeschränkt , in Wirklichkeit dagegen ein Machwerk der Liſt und Gewalt. Napoleon selbst war es, der sich zu ihrem Haupte gemacht und nach seinem Gutdünken einzig unter der beständigen Eingebung seiner Leidenschaften und seines ungeheuern Ehrgeizes regierte. Ein Senat, ein Gesetzgebender Körper und ein Staatsrath, - stumm und ſervil, ohne andere Functionen , als für das Abfaffen von des Gebieters Befehlen in Decrete Sorge zu tragen und der Knechtung des Volkes die nöthige Form zu geben ; eine bewaffnete Macht , in allem zum passiven Gehorsam heruntergedrückt ; eine räuberische und über alle maßen centralisirte Verwaltung, welche mit der unerbittlichen Präciſion einer unter dem treibenden Motor thätigen Maschine arbeitete ; eine gefügige Obrigkeit , noch viel unterwürfigere Ausnahmegerichtshöfe, ein von barbarischen Strafen stroßender Coder ; eine unermüdliche Polizei, die durch Angebereien, Spioniren und Verletzung des Briefgeheimniſſes überall und ſelbſt in den Schos der Familie eindringt; die geheimen Verhaftungs-, Verweisungs- und Verbannungsbefehle, die Staatsgefängniſſe, das Zeitungsmonopol, die Büchercensur, der öffentliche Unterricht, welcher mit Eifer die jungen Generationen zur Knechtſchaft heranzog ; die dotirte und von neuem zur Staatsinſtitution gemachte katholische Kirche, welche unter Androhung der ewigen Verdammniß Gehorsam predigte¹ — dies 1 ,,Der Katechismus, welcher unter Bonaparte's Regierung in allen Kirchen eingeführt war, drohte mit ewiger Verdammniß jedem, welcher` Napoleon's Dynastie nicht lieben und beſchirmen würde. Wenn ihr nicht Napoleon und seine Familie liebt, sagte jener Katechismus (welcher, dieses ausgenommen, der von Bossuet ist) , was wird Euch dann geschehen? Antwort : Wir werden dann der ewigen Verdammniß verfallen." Frau von Staël fügt dieser Stelle in ihren ,,Considérations sur

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waren Napoleon's Regierungswerkzeuge und der conſtitutionelle Apparat seines Tyrannenregiments. Um aber den Menschen in Knechtschaft zu erhalten, genügt

es nicht , ihn einzuschüchtern , sondern er muß auch noch verdorben werden. Deshalb hatte Napoleon an Stelle der einfachen und sparsamen Verwaltung des republikaniſchen Frankreich ein zahlloses und hoch besoldetes Beamtenheer geseßt. Durch die Errichtung einer prunkhaften und privilegirten Garde zerstörte er die Gleichheit in der Armee. Den Generalstäben, die noch kürzlich in ihrem Aeußern so einfach und deren Besoldung eine so bescheidene war , verlieh er einen unerhörten Lurus und stattete ſie aus mit unnügen, nachtheiligen und reich, ja verschwenderisch dotirten Graden und Würden seiner eigenen Erfindung oder aus den Zeiten der vormaligen Monarchie aufgefrischt. Er schuf einen Hofstaat, deſſen Dienerschaft den alten Palast der Könige von Frankreich mit einer goldstrogenden Menge erfüllte, welche sich in mehr Chargen und Aemter, in mehr Gehalte und verschwendete Summen theilte als Ludwig's XIV. pomphafte Umgebung. Die Ritterorden, Adelstitel, persönlichen und erblichen Titel mit dem ganzen alten Schweife von Lehen , Dotationen , Majoraten , Fideicommiſſen , Wappen und der Todten Hand wurden von ihm wiederhergestellt. Er suchte wieder die Etikette von Versailles hervor und führte sie

la Révolution française" noch eine Blumenlese aus dem während des Kaiserreiches im Gebrauch gewesenen Katechimus bei. So heißt es u. a.: „ Was für Pflichten haben die Christen gegen die Fürſten , welche fie regieren , und was für Pflichten haben wir insbesondere gegen Napoleon I., unſern Kaiſer? Die Christen sind dem Fürsten, welcher sie regiert, und inſonderheit sind wir Napoleon I. , unserm Kaiſer, ſchuldig Liebe, Ehrfurcht, Gehorsam, Treue, den Militärdienst, die verordneten Steuern . . . . Unsern Kaiser verehren und ihm dienen heißt mithin Gott selbst verehren und dienen.“ Was muß man von denen denken , welche ihren Pflichten gegen unsern Kaiser nicht nachkommen ? ― Nach dem heiligen Apostel Paulus würden sie sich gegen die von Gott selbst eingeführte Ordnung auflehnen und der ewigen Verdammniß verfallen."

Frankreichs Demoralisation durch Napoleon.

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„ein. 1

Ebenso öffnete er von neuem das Rothe Buch der monarchischen Gunstbezeugungen und bestritt die damit verschwendeten Summen theils aus den Einkünften einer Civilliſte, reicher als die irgendeines andern Monarchen in Europa, theils aus den ungeheuern Geldquellen eines Privat- und

eines außerordentlichen Beſißthumes , welches dem Staatsvermögen entriſſen oder dem Auslande abgepreßt worden. Der Philosophie, den Wiſſenſchaften und Künſten verbot er die öffentliche Pflege des Schönen, Wahren und Großen. Er unterhielt Literaten in seinem Solde , welche die Principien der Revolution, die von ihr proclamirten Rechte und Pflichten bis zur Idee von dem moralischen Fortschritte der Menschheit entſtellen und verunglimpfen mußten. Mit Einem Worte, Napoleon war auf jede Weiſe bemüht, die Vorurtheile wiederaufleben zu machen , die Eitelkeit und Lüfternheit anzuregen, den Gelddurst, die Stellenjägerei, das Fröhnen des Lurus und der materiellen Genüſſe in den Herzen anzufachen , die Geiſter zu erniedrigen und zu verfinstern. Die Volkssitten erhielten damit tiefgehende und verderbliche Schläge. Keiner hat mehr als er die Franzosen demoralisirt , wenn nicht vielleicht noch diejenigen, welche ihn später glorificirt und der Welt das Schauspiel seiner Apotheose gegeben. Indem Napoleon derart auf die vergangene Zeit zurückgriff und das Alte wiedereinführte, hatte er ein Volk von Bürgern zu einer Unterthanenmasse umgebildet , welche zur unbedingtesten Knechtschaft gezwungen und unter seiner Hand zu zittern gewöhnt war. Man begreift also, welche furchtbare Bedeutung für sie die Nachricht von dessen

1 ,,Man stöberte alle darauf bezüglichen Bücher aus dem Staube der Bibliotheken auf. Ein alter Edelmann , der früher Page beim Könige, ward aus der Provinz herbeigerufen , um die Traditionen von Verſailles zu überliefern . ... . . . Mit ſeiner Hülfe gelang es , die Vorschriften der alten Etikette wiederaufzufinden und aus selbigen einen ebenso umfangreichen Band, wie der Civilcodex , zusammenzustellen . (Vergl. ,,Opinions de Napoléon sur divers sujets de politique et d'administration, recueillies par un membre de son Conseil d'Etat" ; und Baron Pelet de la Lozère, „ Récit de quelques événements de l'époque “.

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nahe bevorstehenden Rückkehr in die Hauptstadt seines Reiches, in das Centrum aller seiner Bedrückungs-, Corruptions- und Schreckensmittel, haben mußte. Am 17. Dec. hatte der Moniteur das 29. Bulletin veröffentlicht. Den zweiten Tag darauf verkündete derselbe Na= poleon's Anwesenheit in Paris . Im Laufe der vorhergehenden Nacht war der Flüchtling von Smorgoni in den Tuilerien angekommen , nachdem er Frankreich wie Deutschland heimlich durcheilt. Man hatte ihn um diese Stunde dort nicht er wartet und nur mit Gewalt konnte er sich durch die Wachen Eintritt verschaffen. Während seiner langen Reise hatte er sich die Veranſtaltung eines großen feierlichen Actus ausgedacht , welcher den doppelten Zweck haben sollte , einestheils bei den Organen seiner Macht die Hingebung für seine Person und Dynastie wieder rege zu machen , anderntheils aber die Aufmerkſamkeit und den Schmerz des Volkes von dem ungeheuern Unglücksschlage abzulenken. Als seit der Errichtung des Kaiserthumes der Senat, der Staatsrath, der Gesetzgebende Körper und die Chefs der hohen Verwaltungsbehörden Zutritt in den Tuilerien hatten , richteten sie kurze und sehr unterthänige Beglückwünschungen an Napoleon, der ihnen dann in einigen hochtrabenden Worten seine Befriedigung ausdrückte. Doch erhielt das Land von den derart ausgetauschten Förmlichkeiten keine Kenntniß. Diesem Gebrauche entgegen befahl Napoleon , daß die officielle Welt aus Anlaß seiner Rückkehr ihn , in großem Pomp auf dem Throne, begrüßen und dabei Ansprachen an ihn richten sollte, welche ebenso wie seine Entgegnungen darauf Das Thema der Oeffentlichkeit übergeben werden sollten. dieser Ansprachen stellte er mit Cambacérès fest, der seinerseits wieder die Redner, welche jene halten sollten , damit bekannt machte. Gerade in der Zeit, als Napoleon so spät die Ruinen von eins von den Moskau verließ , hatte der General Malet Opfern der kaiserlichen lettres de cachet , ein unbeugſamer Republikaner , scharf denkender Kopf und ein heldenmüthiges Sein kühnes Herz das Kaiserthum zu stürzen verſucht.

Malet's Verschwörung.

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und tiefdurchdachtes Unternehmen war aber leider gescheitert, nachdem es schon dem Erfolge nahe gewesen. Doch hatte es auch bei seinem Fehlschlagen die gründliche Schwäche dieser Regierung bloßgelegt, welche man und die sich selbst für sehr stark hielt, weil sie eine tyrannische war. Die falsche Nachricht von Napoleon's Tode und ein vorgebliches Decret des Senats hatten hingereicht, um einen ansehnlichen Theil der bewaffneten Macht von Paris zu Malet's Verfügung zu stellen ; um ferner diese zu bestimmen , den Polizeiminister und den Polizeipräfecten zu verhaften und in Gewahrsam zu bringen, und um den Seinepräfecten zu veranlassen , im Stadthause einen Saal für die Situngen einer provisorischen Regierung Herrichten zu lassen. War Napoleon todt, so schien es jenem Magistrat, jenen Offizieren und Soldaten ganz natürlich , daß eine andere Regierung an des Kaiserthums Stelle träte, und unter diesen Militärs hatten sich viele darauf gefreut , in dem Ende des Kaiserthums die Rückkehr der Republik zu sehen. 2 Keiner

1 „ Das moraliſche Frankreich iſt durch dieſe Verschwörung , welche man so leichthin einen dummen Streich nennt , erschüttert worden.“ (Schreiben Fiévée's, Referenten im Staatsrathe, an Napoleon , Paris, 23. Oct. 1812, in ,,Correspondance et relations de J. Fiévée avec Bonaparte , premier consul et empereur.) Sechs Wochent später ſchrieb Fiévée wieder an Napoleon : ,,Die Fortdauer der durch die Vorfälle am 23. Oct. in den Gemüthern hervorgerufenen Bewegung ist wirklich erstaunlich.“ (S. ebendort.) Fain, des Kaiserthums und Napoleon's unerſchütterlicher Lobredner, schreibt: ,,Malet hat ein fatales Geheimniß, nämlich das der Schwäche der neuen Dynastie, aufgedeckt. “ ( S. „ Manuscrit de 1813“.) 2 "" Die von Malet aufgebotenen Veteranen erhoben sich nicht, um über das Kaiserthum zu verfügen , sondern um es niederzureißen und die Republik wieder auszurufen. Die Soldaten waren nur da , um die Action zu beginnen ; war diese einmal im Gange, so würden es die alten Kämpen der Revolution übernommen haben, jene zu einem bestimmten Ziele zu führen. Sie hätten nicht an eines Mannes Stelle einen andern , sondern die Regierung mehrerer anstatt der eines einzigen eingesetzt. Malet hat die

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Sechstes Kapitel

dachte an Napoleon's Kind und Gattin. In den Volksgruppen, welche die Vorgänge der Verschwörung herbeigelockt, hatte man fich nicht weiter an die Erstgenannten erinnert, sondern vielmehr demokratische Gesinnungen und republikanische Wünsche kundgegeben, und beleidigende Worte gegen das Kaiserthum und ſein Oberhaupt fallen lassen.

Napoleon war durch zuverlässige

von ihm Getäuschten als Republikaner auftreten lassen, weil Frankreichs Zustand, trotz des äußern Scheines, doch derart ist, daß Volk oder Soldaten, hoch oder niedrig , überhaupt jeder, welcher den Plan, die kaiserliche Regierung anzugreifen , haben sollte , dies nur im Namen der Republik versuchen wird , wenn er auch andere Gedanken hätte.“ (Schreiben Fiévée's an Napoléon, Paris, im November 1812.) In dem Rechenschaftsberichte über den Proceß des Generals Malet und ſeiner Mitangeklagten findet sich ein mehr als genügender Beweis der Richtigkeit von Fiévée's dargelegter Meinung. Ein Mitglied des Kriegsgerichts sagte nämlich zu dem Lieutenant Régnier : " Als Sie sich in das Haus des Herrn Grafen Réal begaben, haben Sie , da dieser sich als Graf Réal zu erkennen gegeben, gesagt : Es gibt keine Grafen mehr." Der Angeklagte Régnier erwiderte darauf : „ Mit Verlaub. Nach dem, was uns General Malet erklärt, waren alle Ehrentitel abgeschafft. Er (Réal) ist gekommen und so habe ich denn zu ihm gesagt : Ich darf Sie nicht passiren lassen , und übrigens besagt meine an diesem Morgen empfangene Ordre, daß es keine Grafen mehr gibt." Auch findet man in den Acten des Proceſſes einen Bericht vom Generalpolizei-Inspector Veyrat , wo es u. a. heißt : „ Ohne einen Soldaten von der pariſer Garde und dem Poſten der Präfectur persönlich bezeichnen zu können, vermögen wir doch zu bestätigen , Herr Präfect, daß wir den größern Theil derselben gehässige Redensarten über den vorgeblichen Tod des Kaisers äußern gehört und daß diese Erbärmlichen schon sein Andenken beschimpften." ,,Auch die Soldaten waren nicht ohne einige Träumereien “, schrieb einer der obern Beamten der kaiserlichen politischen Polizei. ,,Eine in das Ministerium geschickte Person , welche sich nach dem, was vorging, erkundigen sollte , verlangte ihrerseits nach dem Grafen Réal. 3hr wurde aus der Cohorte erwidert : Es gibt keine Grafen mehr.“ (S. ,,Témoignages historiques ou quinze ans de haute police sous Napoléon, par Desmarest, chef de cette partie sous le Consulat et l'Empire".

Napoleon's Besorgniß für seine Dynastie.

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Berichte davon in Kenntniß gesezt worden , und vielleicht war diese Enthüllung die am meisten entscheidende Veranlassung zu seiner schleunigen Rückkehr nach Paris . Wie dem auch sein mag , so hatte ihn doch die Schwäche seiner Beamten in der Verschwörungskrisis sehr beunruhigt und aufgebracht, weshalb er ihnen eine nachdrückliche Lection geben wollte. Das allseitige Vergessen seines Sohnes war ein schlimmes Vorzeichen für seine Dynastie. Deshalb wollte er die Existenz dieses mit dem Titel eines Königs von Rom geschmückten Kindes feierlich ins Gedächtniß zurückrufen und die öffentliche Meinung selbst darauf vorbereiten , dasselbe in der Wiege krönen zu sehen. Indem er solche auf Vorurtheilen. beruhende Nebensachen in den Vordergrund zog , vermeinte er, damit die russische Katastrophe in den Schatten zu stellen und dieselbe in der allgemeinen Beurtheilung auf das Maß eines Ereignisses von untergeordneter Bedeutung zurückzuführen. Demzufolge berief er jene politischen Corporationen , welche er mit so hochlautenden Titeln belegte , aber nichtsdestoweniger zur Unbedeutendheit herabdrückte , ferner die Gerichtshöfe und die Vorstände der obersten Behörden in die Tuilerien . Ihre Redner sollten ihm Zeugniß ablegen, was ihm in der Art zutheil wurde, wie er es ihnen in Cambacérès ' vertraulichen Instructionen vorgezeichnet hatte.

1

" ... Es steht fest , daß dort (auf dem Vendômeplaße) die Menge republikanische Wünsche und höchst beleidigende Aeußerungen vernehmen ließ." (Schreiben Fiévée's an Napoleon, Paris, November 1812, in ,,Correspondance et relations etc.". ,,Indem die pariser Bevölkerung ihren Präfecten so nachgeben sah, kann man daraus folgern , wozu fie fähig gewesen wäre. Ein von Herrn de Ségur mir mitgetheiltes Geschichtchen mag davon einen Begriff geben. Er ging nämlich über den Vendômeplaß, ohne zu wiſſen, was der große Auflauf, welcher sich dort gebildet , zu bedeuten habe. Er näherte sich einem Arbeiter und fragte ihn : „ Wiſſen Sie, mein Herr, was es hier gibt?" — „ Bürger , der Kaiser ist todt und man procla= mirt eben die Republik. " (Vergl. Schreiben Fiévée's an Napoleon, Paris, 23. Oct. 1812, in ,,Correspondance et relations etc.".)

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Sechstes Kapitel. Der Redner des Senats und der des Staatsraths 1 er:

gingen sich in überschwenglichen Betheuerungen von Treue und Liebe für den Kaiser und die vierte Dynastie" ; sie bekräftigten, daß die ganze Nation von Anhänglichkeit für den König von Rom durchdrungen und daß jeder Franzose ,,in diesem erlauchten Kinde der Seinigen Sicherheit , seines Glückes Schuhwache und ein unüberwindliches Hinderniß für ſtaatliche Umſtürzungen“ sähe ; sie baten,,,daß eine Krone auf sein Haupt gesetzt werde als Pfand seines künftigen Herrscheransehens und als Sinnbild für die Dauerhaftigkeit seiner Regierung"; sie brandmarkten Malet's und seiner Genossen Andenken ; sie schmähten die russische Nation,,,weil dieselbe das Herz Napoleon's verkannt," und erwähnten nur des unheilvollen Rückzuges , um zu ver sichern, daß die Berichte des 29. Bulletins eine neue Ursache den Schußgeist wären , „ den erhabensten Charakter . . . Frankreichs" zu bewundern, „,welcher den Wirkungen unvorhergesehener Verluste vorzubeugen und daraus die Gelegenheit neuen Ruhmes zu schöpfen gewußt“. Nie war die Speichelleckerei und Servilität tiefer herabgestiegen. Das Widrige der Form kam der Verächtlichkeit der Denfart gleich. Napoleon anwortete dem Senat : " Ueber den Parteien und der Anarchie habe ich diesen Thron gegründet, an welchen fortan die Geschicke des Vaterlandes geknüpft sind . Furchtsame und feige Soldaten richten die Unabhängigkeit der Nationen zu Grunde, kleinmüthige Obrigkeiten aber zerstören die Herrschaft der Geseße, die Rechte des Thrones und ſelbſt die gesellschaftliche Ordnung.. Er wies darauf hin, daß das wichtigste Erforderniß des Staates muthvolle Magistratsperſonen wären. ,,Unserer Väter Vereinigungsruf" , fuhr er fort, war : Der König ist todt , es lebe der König! Diese wenigen Worte enthalten die hauptsächlichsten Vorzüge der Monarchie." Napoleon bedeutete dann, daß er den Wunsch, welchen er hinsichtlich der Krönung seines Kindes an sich hatte richten lassen, in Erwägung ziehen

1 Der Gesetzgebende Körper war nicht beiſammen.

Napoleon's Reden an den Senat und Staatsrath. 209 würde. Er versicherte ferner , die Freiheit der Leibeigenen in Rußland nicht haben verkünden zu wollen , um keinen ſocialen Krieg hervorzurufen, und erging ſich über das Misgeſchick ſeiner Waffen in folgenden lakonischen Worten : „ Mein Heer hat Verluste erlitten , aber nur durch die vorzeitige Strenge der Jahreszeit“ , Worte, welche sozusagen eine Weiſung waren und in der Beamtenwelt ihr Echo fanden. Zum Staatsrathe sagte Napoleon : ,,Wenn das Volk soviel Liebe für meinen Sohn (diesen so ganz vergessenen Sohn !) zeigt, so geschieht es deshalb, weil es sich von den Wohlthaten der Monarchie überzeugt fühlt." Dann ließ er ohne Uebergang folgende famose Apostrophe los : ,,Jener Ideologie und jener nebelhaften Metaphysik, welche, indem sie mit Spitfindigkeit die ersten Ursachen aufsucht , auf deren Grundlage sie die Gesetzgebung der Völker stüßen will . . . muß man alles Unglück Frankreichs zuschreiben. Diese Irrthümer mußten die Herrschaft von Blutmenschen herbeiführen und haben dies auch wirklich bewirkt. Wer, in der That , hat das Aufruhrprincip als eine Pflicht gepredigt ? Wer hat dem Volke geschmeichelt und es zu einer Souveränetät proclamirt, welche es auszuüben nicht im Stande ist? Wer zerstörte die Heiligkeit und Achtung vor den Geſeßen, indem er sie nicht von den geheiligten Grundsäßen der Gerechtigkeit und der Natur der Dinge, sondern allein von dem Willen einer Versammlung abhängig machte, die aus Männernzusammengesettwar, denen die Kenntniß der bürgerlichen , criminellen , administrativen , politischen und Militärgeseze fremd war? Wenn man berufen ist, einen Staat wiederherzustellen, ſo muß man ganz entgegengeseßte Grundsäge befolgen.“ Nie hatte Napoleon seine Worte und seine Regierung beſſer miteinander in Einklang gebracht. Nie hatte er mit einer kühnern Deutlichkeit erklärt , daß sein Princip nicht das der Humanität, ſondern ein begieriger und grenzenloser Egoismus ſei. Nie hatte er mit größerer Offenheit verkündet , daß seine Politik die Gegenrevolution in und mit allem zu seinem Vortheile wäre. Er handelte aber, ohne sich deſſen bewußt zu ſein, selbst gegen sein persönliches Intereſſe , als er zu dieſen auf 14 Charras, 1813.

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Sechstes Kapitel .

falter Berechnung bernhenden und durchdachten Aeußerungen schritt 1 und als er mit jenen Ausfällen auf die Vernunft, das Recht , die Wiſſenſchaft , die Geschichte und auf Frankreich ſo freigebig war. An den ,,Vereinigungsruf" der alten Monarchie erinnern , das Vortreffliche der Erblichkeit in der höchften Gewalt rühmen , die großen Volksvertretungen der Revolution und die von ihnen verkündeten Principien verdammen, die Souveränetät des Volkes leugnen und das Recht zum Aufstande verurtheilen , das hieß in der That die Revolution ganz und gar verwerfen , die Theorien und das Anathem der Emigration rechtfertigen ; das hieß Frankreich erklären, daß es mit der Zertrümmerung des alten Königthums einen Fehler und ein Verbrechen begangen, mit Einem Worte, das hieß die moralischen Grundlagen der Bourbonen-Monarchie wiederaufrichten, die Restauration der verbanntea Fürſten für rechtmäßig und nothwendig erklären ; denn Fehler und Verbrechen forGewiß war Napoleon dern Reue und Wiedergutmachen. der Meinung , daß man nicht einen derartigen Schluß

aus

feinen Reden ziehen würde2 ; indeſſen läßt die Logik solche

1 Der Gedanke zu einem fulminanten Ausfall gegen die Ideologie, das heißt gegen die Principien der Revolution und den Widerhall des Malet'schen Unternehmens , wurde Napoleon jedenfalls von Fiévée, ſeinem geheimen besoldeten Beobachter und Berichterstatter, eingegeben. Wirklich liest man in einem von deſſen Schreiben an Napoleon (November 1812) folgende Rathſchläge : „ Zufriedenheitsbezeugungen dem , der fie verdient; dem Seinepräfecten einfache , aber unausweisliche Ungnade, und von Anfang an etwas Humor hinsichtlich der vagen Worte : «Ideologen und politische Metaphysiker», welche eben nur das bedeuten, was man will ; dann die Geschäfte wieder aufnehmen.“ 2 " Er glaubte die Bourbonen für immer vergessen , und stellte sich so, als ob er selbst sie vergessen. Sein Abscheu vor Revolutionen und das Gefährliche ihres Beiſpiels ließen ihn wünschen, als der directe und natürliche Erbe der alten Dynastie betrachtet zu werden. Man konnte sich nicht, ohne sein Misfallen zu erregen, des Ausdrucks : « Seit der Revolution» bedienen. Es schien , als ob dies fie anerkennen und ihr eine neue Weihe geben hieß. Er hätte sie bis auf den Namen austilgen mögen. Nicht die Royalisten, ſondern die Ideologen und Republikaner fürchtete er.“ (S. des Barons Pelet de la Lozère ,,Opinions de Napoléon etc.")

Napoleon's Streitkräfte im Norden.

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Anforderungen nicht zu. Er , als Usurpator vor dem Volksrechte, als Usurpator vor dem monarchischen Rechte, er drückte ſich ſelbſt in auffälliger Weise das Siegel dieſer Illegitimität auf. Er erschütterte damit seinen Thron, anstatt denselben zu befestigen, ohne sich deſſen bewußt zu sein ! dünkel hatte er den klaren Blick verloren.

In seinem Macht-

Was den zweifachen Zweck anbelangt , den er bei dieser abgekarteten Scene im Auge hatte, so verfehlte er selben ganz und gar. Die Zeitgenossen und auch die Geschichte des Zuſammensturzes des Kaiserthumes geben davon Zeugniß , daß Senatoren, Staatsräthe und Beamte mit jeder an die Stelle dieser Dynastie tretenden Regierung sich zu vergleichen gewillt waren, sobald ihre Intereſſen geſchont wurden. Frankreich aber ließ sich nicht von der ruſſiſchen Katastrophe ablenken, sondern fluchte im innerſten Herzen dem ehrgeizigen Gebieter, dem es die Schuld an seinem Schmerze mit Fug und Recht beimaß. Diese unheilvolle Schlappe mußte wieder gut gemacht werden, wenigstens insoweit, als sie gut zu machen war. Napoleon verlegte sich darauf mit einem unendlich erfinderischen Geiſte, einer ungemeinen Thätigkeit und Ausdauer , wie auch mit der ganzen Härte seines Despotismus . Im ersten Kapitel dieses Buches haben wir die Truppen aufgezählt , welche Napoleon Ende December im Norden verblieben ; wir wollen sie uns hier nochmals vergegenwärtigen. Es waren dort : 22000 Mann , größtentheils Preußen , unter Macdonald , die damals aus der Umgegend von Riga nach dem Niemen zurückgingen ; ferner unter Schwarzenberg und Reynier 45000 Mann , nämlich 25000 Desterreicher , 15000 Sachsen und 5000 Polen, welche das Großherzogthum Warschau bei Pultusk und Wengrow deckten ; endlich 25000 Mann frischer Truppen, als : Franzosen , Westfalen und Baiern , die theils in Königsberg vereinigt waren, theils in wenigen Tagen dort zusammengezogen sein konnten. Mit Einem Worte , man war damals den Russen über 90000 Mann , eine wirkliche Armee in vortrefflicher Verfaſſung, entgegenzustellen im Stande. Außerdem konnte man innerhalb zweier Monate zur Unterſtüßung jenes Heeres unmittelbar hinter demselben aufstellen die an der 14 *

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Sechstes Kapitel.

Oder befindliche Brigade der Jungen Garde , die Division Grenier , welche in Franken halt machte, ferner 15000 Polen, die das Großherzogthum Warschau aufstellen sollte, an 20000 Mann, welche theils dem Untergange in Rußland entronnen, theils als Isolirte bei ihrer Rückkunft nach Preußen wiedergeſammelt wurden, und die man zu kleiden, zu equipiren, zu bewaffnen und zu reorganisiren beschäftigt war ; schließlich noch 10000 Preußen, um welche Friedrich Wilhelm ſein Contingent zu verstärken befohlen hatte. Dies wären demnach zusammen 70000 Mann gewesen. Also 90000 Mann schon in der Linie, welche binnen zwei Monaten mit 70000 Mann verstärkt werden konnten dies waren die Streitkräfte, auf welche Napoleon wirklich rechnen durfte, vorausgeseßt, daß die Preußen und Desterreicher weiter für ihn kämpften, daß Deutschland sich selbst überlassen bliebe und das Großherzogthum Warschau nicht von den Russen beſezt würde. So wie er sehr weit davon entfernt war, York's Abfall vorauszusehen ; so wie er nicht an eine rasche oder wenig stens baldige Frontveränderung Preußens und Desterreichs und noch weniger von seiten des Rheinbundes dachte, die russischen Armeen aber außer Stande glaubte , den Niemen und Bug überschreiten zu können - ebenso schien ihm seine Stellung hinlänglich fest, um ihm zur Bildung eines neuen Heeres mit den Hülfsquellen seines ausgedehnten Reiches Zeit zu lassen. Und zwar wollte er, daß diese Armee eine achtunggebietende Stärke habe, denn der verderbenbringende Mann entſagte seinen Anmaßungen auf die Weltherrschaft noch nicht. Er bestand selbst darauf , jenes Land , das er mit einer des Barbarenthumes würdigen Treulosigkeit und Falschheit überfallen und angegriffen, jenes unbezwingliche Spanien erobern zu wollen, wo jährlich 100000 französische Soldaten umkamen und wo die von ihm selbst zu deſſen Unterjochung entworfenen politiſchen und strategischen Pläne fortwährend fehlschlugen. Ebenso wie jener Hofkriegsrath in Wien, der ſonſt immer und mit Recht der Gegenstand ſeiner Spötteleien geweſen, meinte auch Napoleon den durch seine Unterfeldherren jenseit der Pyrenäen geführten

Die Cohorten der Nationalgarde.

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Krieg von Paris aus leiten zu können. Das eben zu Ende gehende Fahr war dort für die französischen Armeen ein Jahr des Misgeschicks und bedeutender Unfälle gewesen. Doch blieb diese Mahnung auf Napoleon's Stolz und Ehrgeiz ohne Einfluß. Er hatte 250000 Mann auf der Pyrenäischen Halbinsel, denen er befahl, dort zu bleiben, mit der fernerweiten und bis dahin misglückten Aufgabe, Wellington und deſſen Anglo-Portugiesen, die spanischen Armeen, die Guerrillas und den überall gegenwärtigen, allerorten bewaffneten und unversöhnlichen ſpaniſchen Patriotismus zu bekämpfen. Nur in Einem gab er nach, durch die russische Katastrophe dazu gezwungen, indem er näm lich aus den in Spanien verbleibenden Truppen einige Hülfsmittel zog, welche, ohne die Stärke jener gerade in empfindlicher Weise zu mindern, ihm doch bei der Bildung der Armee, welche die auf dem Wege nach Moskau zu Grunde gegangene zu ersehen bestimmt, von großem Nußen sein mußten. Die Elemente, welche zur Errichtung dieser neuen Armee dienen sollten, waren theils, wie die den Truppen in Spanien zu entnehmenden , schon vorhanden , theils waren sie noch zu schaffen. Zur Zeit, als die Rüstungen für den Zug nach Rußland ihrem Ende zugingen, hatte Napoleon im Monat März 1812 durch einen Einfall von Vorsicht bewogen, aber einer mit Rücksicht auf das Gewagte seines Unternehmens sehr unzulänglichen Vorsicht einen Senatsbeschluß fassen lassen , welcher 100 sogenannte Cohorten der Nationalgarde mit einem unbestimmten Effectivſtande zu des Kriegsministers Verfügung stellte, welche aus unverheiratheten und bei den Aushebungen der Conscriptionsklassen von 1807 , 1808 , 1809 , 1810 , 1811 und 1812 übergangenen Leuten rekrutirt werden sollten. Auf diesen so dehnbaren Senatsbeschluß folgte sofort eine kaiserliche Verordnung , welche die Organisation von 88 jener Cohorten anbefahl und den Effectivſtand einer jeden auf 888 Mann , den Cadre nicht inbegriffen, festsette. Jener Verordnung gemäß

1 Von den 88 Cohorten sollten fünf derselben 988 Mann ſtark ſein.

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Sechstes Kapitel.

sollte der betreffende Cadre durch Beamte der Executivgewalt ausgesucht werden unter den in Wartegeld stehenden oder verabschiedeten Offizieren und den früher schon mobil geweſenen Nationalgarden, welche wieder in Dienst zu treten willens sein würden ; im Falle, daß dergleichen Meldungen nicht in genügen: dem Maße eingingen, sollte der Kriegsminister, das heißt also durch Abcommandirungen von der Armee, die Cadres completiren. Die überdies der Militärjurisdiction unterworfenen Cohorten waren nur noch dem Namen nach Nationalgarde. Gegen lettere hatte Napoleon , wie gegen die übrigen Inſtitutionen der Revolution, tief erschütternde Streiche geführt. Jede Cohorte bestand aus 7 Compagnien , worunter eine Artillerie und eine Depotcompagnie . Zur Hälfte im April und zur Hälfte im Mai ausgehoben, ergaben die 88 derart organisirten Cohorten 84000 Mann Infanterie und 9000 Mann Artillerie. Um sie auf diesem Stande zu erhalten, theilte man gegen

Ende des nächsten October 17000 Mann , welche auf die Conscription von 1813 ausgehoben wurden , in ihre Reihen ein. Sie hatten Ende December eine Stärke von ungefähr 90000 Mann mit einer , von den Conscribirten abgesehen, sieben bis achtmonatlichen Dienstzeit. Das war eine werthvolle Hülfsquelle. Doch eristirte noch eine andere , die aber viel weniger zugerüstet als erstere, welche es selbst nur in ſehr unvollkommener Weise war. Ein Senatsbeschluß vom 1. Sept. 1812 hatte auf die Conscription von 1813 eine Aushebung von 120000 Mann angeordnet, abgesehen von den in die Cohorten eingetheilten 17000 Mann. Mehr als zwei Monate darauf einberufen und in Marsch gesett , waren die Conſcribirten dieser Aushebung durchschnittlich in den lezten Tagen des November in ihren Depots eingetroffen. Es war ihnen also kaum Zeit geblieben, um eingekleidet zu werden und einige Anfangsgründe in der Abrichtung zu bekommen . Außerdem befanden sich in den Depots an 40000 Mann , größtentheils Reiter und Artilleristen , als der Rest der Conscription von 1812 , deren Hauptmasse schon bei zeiten von der im Felde stehenden Armee absorbirt worden.

Rekrutenaushebungen.

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Napoleon hatte also im Innern Frankreichs an Conſcribirten des leztgedachten Jahres und von 1813 160000 Mann, welche mit den 90000 Mann der Cohorten zusammen 250000 Mann ergaben, die zum Theil mittelmäßig , zum Theil aber äußerst wenig ausgebildet waren. Doch erachtete er diese Zahl nicht für genügend . Er wollte noch 100000 Mann, welche vermittels eines wiederholten Rückgreifens auf die Conscriptionsklassen von 1812, 1811 , 1810 und 1809 aufgebracht werden sollten , und außerdem forderte er die Einberufung von 150000 Mann aus der 1814er Klasse. Die lettere Aushebung, welche eigentlich erst 1815 hätte stattfinden sollen, mußte Soldaten liefern, welche zum Ertragen der Strapazen des Waffendienstes wenig geeignet waren. Das aber war der von seinen Lobrednern so gepriesene Scharfblick Napoleon's ; nachdem er die alten Truppen der Republik verbraucht, hatte er mit Frankreichs neuer Generation so arg gewirthschaftet, daß er nach Verlauf von sechs Jahren 19jährige Conscribirte und endlich gar solche von 18 Jahren einzuberufen genöthigt war. Am 10. Jan. ließ er seine Entschließungen dem Senat kundthun, und der Senat fügte sich ihnen mit seiner gewohnten Servilität, nachdem er einen Bericht des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, Maret, und eine Rede des Staatsminiſters Regnault de St.-Jean-Angelh angehört. Die Nachricht von York's Abfall war am Tage vorher in den Tuilerien eingetroffen . Sie kam der Beredsamkeit der beiden Minister gefunden und wurde als die Ursache hingestellt, welche Napoleon zu den außerordentlichen Aushebungen nöthigte. War dies auch nicht andem, so gebührte doch York's kühner Handlung diese Ehre, denn sie war ein erschreckendes Symptom und Beiſpiel, eine Bedenken erregende Aufmunterung. Wenn man aber den preußischen General vorschob , hätte man doch mit etwas Anstand von ihm sprechen sollen. Dagegen schmähte man ihn und entblödete sich nicht , zu erklären , daß er durch englisches Gold bestochen worden. In die gleiche Verleumdung zog man auch die deutschen Patrioten hinein, welchen zur Last fiel, an ihres Landes Befreiung zu denken und diese zu wollen.

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Man klagte England an, den russischen Krieg herbeigeführt zu haben und Europas sociale Ordnung zerstörende Vulkane" in Bewegung zu seßen. Dieses verleumderische Phraſenthum ward vor die Oeffentlichkeit gebracht im Moniteur, dem Pranger, an welchen Napoleon jeden Fürsten , Minister und Bürger , wie jedes Volk stellte, welches seinem Tyrannenregiment nicht zu Willen war. Ist die Presse geknechtet, so hat die Lüge freien Lauf. Gleichzeitig mit der Votirung jenes neuen Contingents von 250000 Mann decretirte der Senat ferner , daß die vordem aufgebotenen 88 sogenannten Cohorten der Nationalgarde außerhalb des Reiches verwendet werden durften. Der Senats : beschluß , mit welchem deren Errichtung verfügt worden , hatte zwar festgestellt, daß jene nicht über die Grenzen rücken ſollten. Doch war dies nur einer der von Napoleon beliebten Köder, welche für einige Zeit das Land zu täuschen bezweckten. Er hatte immer darauf gerechnet, dieser Cohorten wie jeder andern. Linientruppe sich zu bedienen. War die Stunde gekommen, so verwendete er sie ebenso wie lettere. Um der neuen Verordnung einen etwas beschönigenden Anstrich zu verleihen , hatte man den Cohortecommandanten an die Hand gegeben, einen derartigen Antrag im Namen ihrer Soldaten zu stellen. Der Entfernung wegen konnten nur einige derselben auf dieſes Anſinnen antworten und zwar lautete ihre Rückäußerung in der verlangten Weise. Die Erklärungen der andern von denen übrigens mit Bestimmtheit vorauszusagen war, wie sie lauten würden wartete man nicht weiter ab. Man hat gesagt : Der Senat konnte nicht anders handeln, als sämmtliche von Napoleon geforderte Contingente so , wie es geschehen , bedingungslos und ohne Vorbehalt zu votiren, eine freie Volksvertretung hätte es auch nicht anders gemacht als jener! Zur Ehre der unabhängigen Volksvertretungen muß man jedoch gegen eine solche Behauptung proteſtiren. Ehe eine freie Volksvertretung dem Haupte der Regierung des Landes lette Hülfsmittel hingegeben, würde sie ihm eine Politik vorgeschrieben haben, welche des lehtern wirklichen Interessen und der Größe des Volkes entsprach. Diese Interessen und Größe

Die Servilität des Senats.

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standen aber im Gegensaße zu dem Napoleonischen Eroberungsund Tyrannensystem , welches uns in Europa verhaßt gemacht und dieses in seinem ganzen Umfange gegen uns zur Erhebung brachte. Als im Januar 1813 die Ruſſen , welche Napoleon gegen Fug und Recht angegriffen , noch weit , sehr weit von unsern Grenzen entfernt und diese zu verlegen nicht im Stande waren; als die Ehre unserer Waffen nicht in Frage stand, denn ihr Misgeschick war nur den falschen Combinationen und der - da würde eine. Kurzsichtigkeit eines Mannes zuzuschreiben freie Volksvertretung, selbst unter der Boraussetzung , daß sie bis dahin sich hätte blenden lassen, doch endlich begriffen haben, daß man zu einer vollkommenen Aenderung der Politik schreiten mußte und daß der Moment zur Ausführung deſſen ebenso günstig, als die Nothwendigkeit dazu dringend war. Der Vorſorge halber würde dieſelbe zwar die Aushebung von Mannschaften bewilligt , aber deren Verwendung genau und streng 1 So lautet die Wahrheit . vorgeschrieben haben. Uebrigens sind die Völker nicht immer ſolidariſch mit ihren Regierungen verbunden. Sie sollen es ganz besonders nicht sein , wenn diese Regierungen aus der Usurpation hervorgegangen und ſie in thörichte und ſträfliche Unternehmen ſtürzen. Einem Staatsoberhaupte gegenüber , welches ihr Vermögen ruinirt und ihre Moralität in den Augen der Welt herunter- . ſeßt , einem solchen gegenüber gebieten es ihnen ihr Intereſſe, das Recht, die Pflicht und die Ehre, die Ausübung der Sou-

1 Ein guter Richter in dieser Beziehung , der Marschall Gouvion St.-Cyr, schreibt darüber wie folgt : „ Er (Napoleon) empfing die Beglückwünschungen des Senats , und unter dem Vorwande , daß es sich um Frankreichs Ehre zu rächen handle, welche jedoch bis dahin nicht gelitten , schien kein Opfer zu groß. Die durch die Conſtitution bestellten Körperschaften beeilten sich, ihm Leute, Pferde und Geld zu bewilligen, und so des Staates letzte Hülfsmittel zu ſeiner Verfügung zu stellen , welche nur zur Vertheidigung des vaterländischen Bodens, aber nicht entfernter, seinen wahren Interessen so fremder Länder hätten verwendet werden sollen. “ (S. des Marschalls Gouvion St.-Cyr „ Mémoires pour servir à l'histoire militaire sous le Directoire, le Consulat et l'Empire" .)

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veränetät wieder in die Hände zu nehmen und die Sorge für Anders handeln, ihre Geschicke Würdigern anzuvertrauen . heißt auf der Bahn beharren, welche ins Verderben führt. Wer stimmt dem Senat Napoleon's bei , wer preiſt die Politik, welche das geschwächte, ausgesogene, demoralisirte und ohnmächtige Vaterland der Invaſion preisgibt? An jenes Votum des Senats , welches Napoleon also be dingungslos und ohne Vorbehalt, es ſei hier wiederholt, Leute im Ueberflusse lieferte, wollte jedoch lezterer noch andere Voten anreihen, welche ihm nochmals Menschen und hauptsächlich Pferde zusicherten , überdies aber mit dem Scheine einer Kundgebung der öffentlichen Meinung zu seinen Gunsten umkleidet werden sollten. Das von der Revolution geschaffene und im Kreise seiner Interessen unabhängig constituirte Gemeindewesen war dem allgemeinen Unterwürfigkeitssysteme des Kaiserthumes nicht entgangen. Ueberall wurden die Municipalbeamten vom Kaiser oder den Präfecten ernannt. Dank eines täuschenden Wahlmechanismus , deſſen Spiel durch die Sklaverei der Presse ge= sichert war , ernannte der Kaiser in den meisten Städten auch die Gemeinderäthe. In den andern Städten und den Landgemeinden lag die Ernennung jener Räthe in den Händen der Präfecten. Napoleon hatte also die Gemeinde zu seiner Verfügung. Um von ihr das Gewünſchte zu erlangen, genügte es, den Gegenſtand ſeines Begehrs anzudeuten , was er durch Mittelspersonen that. Am 15. Jan. machte ein obscures Mitglied des Municipalrathes von Paris dieſer Körperſchaft den Vorschlag, 500 Reiter, welche die Stadt geworben und auf ihre Kosten beritten gemacht, gekleidet und ausgerüstet, dem Kaiser anzubieten , wie der Betreffende sich ausdrückte. Noch in derselben Sizung ward die Propoſition angenommen und eine schwülstige Adreſſe an Napoleon votirt , welcher dieselbe dann eiligst veröffentlichen ließ. Dies war das Signal. Mit Hülfe der Präfecten wurde es überall verstanden. Von allen großen und nur etwas be deutendern Städten strömten sofort in Masse Adressen und Gaben herbei. Rom bot 240 Reiter an , ferner Lyon 120,

Die Gemeinden erbieten sich zur Stellung von Reitern. 219 Strasburg, Brüssel, Bremen, Hamburg und Amsterdam je 100 ; Bordeaur 80 ; Turin 50 ; Rennes , Nantes , Lille , Gent und Lüttich je 50 ; Marseille, Toulouse, Livorno je 30 ; Versailles, Clermont-Ferrand und Genf je 20 ; Chartres 10 ; St.-Quentin, Soissons und Speier je 8 ; Chambéry 4 ; Melun 2 ; und in diesem Maßstabe weiter erfolgten von den übrigen Städten dergleichen Anträge. Man wollte indessen auch von den Landgemeinden solche Anerbieten und Adreſſen. Deshalb wurden die Maires eines jeden Kreises bearbeitet, an deſſen Hauptorte zuſammenzukommen, um in des erstern Namen und auf seine Kosten speichelleckerische Phraſen , ferner Reiter und Pferde zu votiren , und sie thaten es . Einen Monat hindurch war der Moniteur mit diesen aus allen Theilen des Reiches kommenden Adressen angefüllt. In einem freien Lande, in einem Lande, wo die Gemeinde durch die von ihr ſelbſt Erwählten in ihrem Rathe vertreten wird, hätten jene Adreſſen und Geldopfer eine hohe Bedeutung gehabt und mit Recht für einen Ausdruck von des Volkes Begeisterung für die Regierungspolitik gegolten. Aber in dem kaiserlichen Frankreich, wo die Municipalbeamten und ihre Rathscollegien nur des Despoten unterthänige Delegirte waren, welche unter der Zuchtruthe des Präfecten zitterten ' , da hatte das Votum einer Gemeindevertretung moralisch keine größere Bedeutung als ein Votum des Senats. Niemand konnte sich darüber täuschen . Es war Napoleon's Unglück und Strafe , daß das Scheinwesen und das Täuschende der von ihm Frankreich verliehenen Institutionen von aller Augen durchschaut wurde. Indessen hatte er in Ermangelung des moralischen Erfolges doch den materiellen ; und das war von Wichtigkeit. Die seitens der Städte und Kreise gemachten Anerbieten von berittenen und ausgerüsteten Reitern erreichten die Zahl von 16000. Von den Vorständen der obern Verwaltungsbe-

¹ „ Die Municipalbeamten waren nur kaiserliche Organe.“ ,,Loi des Communes" , Einleitung vom Advocaten Dupin sen. )

(S.

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hörden , von

den Universitäts- , den Berg , den Brückenund Straßencollegien , von der Rechnungskammer , den Justizhöfen , Tribunalen , Anwalts- und Notariatskammern 2c. , von vielen einzelnen Beamten, unter andern auch von den Bischöfen und einigen Privatleuten, wurden außer den obigen noch 6000 ausgerüstete Pferde, theils mit, theils ohne Reiter, angeboten. Die Gemeinden hatten in ihren Budgets keine Gelder zur Bestreitung der Ausgaben , welche die ihnen unter dem Titel von Räthen, Adjuncten und Maires vorgesetzten kaiserlichen Organe so bereitwillig votirt. In jeder Gemeinde beſtimmten dann eben dieſe Organe, daß ihre Freigebigkeit nach einem unverzüglich aufgestellten Vertheilungsplane durch die notorisch wohlhabendsten Bürger bezahlt würde. Selbst dem für die Willkür so wohl berechneten kaiserlichen Geseze gegenüber war jener Beschluß illegal; doch rechnete man nicht mit Geseßesverlegungen, wenn ſolche vom Gebieter gewünscht wurden. Die dergestalt aufgelegte Vermögenssteuer war bedeutend, und zwar belief sie sich in manchen Gegenden durchschnittlich auf 1500 Frs. für den dazu eingeschäßten Bürger. Nichtsdestoweniger wurde fie mit Strenge eingetrieben. Hier und da verweigerten zwar manche deren Zahlung. Diese wurden dann durch die Maires den Präfecten angezeigt und seitens der leztern zum Nachgeben gezwungen, indem sie ihnen ruinirende Executionen schickten , welche von jenen beherbergt , verpflegt und bezahlt werden mußten ¹ , oder sie verwiesen gar die Widerspenstigen

1 Hier mag unter vielen andern ein Beiſpiel zur Beſtätigung unſerer Angaben folgen : „ Ich verweigerte die freiwillige Gabe , welche man zur Beschaffung von Pferden für die französische Armee nach dem unheilvollen Feldzuge von mir forderte, crbot mich aber zur Zahlung meines Betrages , wenn die Municipalbehörde mir darüber eine schriftliche Aufforderung zugehen lasse. Man that dies nicht , sondern schickte mir einen Executor , worauf ich zahlte.“ ( S. „ Souvenirs biographiques du baron de Capellen, ministre d'Etat et ancien gouverneur des colonies néerlandaises dans les Indes orientales.") Der kaiserliche Erlaß vom 24. Juni 1811 verfügte , daß die baar zu zahlende Gebühr , welche von den Bürgern oder Gemeinden an die

Wie das Geld zu d. freiwill. Gaben aufgebracht wurde. 221 weit von ihrem Hause und ihren Geschäften weg in das Innere des Reiches . So weit ging die Gewalt der Präfecten unter dem kaiserlichen Regiment, welches oberflächliche , unwissende oder servile Geschichtschreiber als ein Muster hinstellen. Nachdem das erforderliche Geld derart aufgetrieben, suchten die Maires nach den nöthigen Leuten und Pferden . Mit Hülfe der von ihnen gebotenen mehr oder weniger hohen Handgelder und ganz besonders infolge der ihnen ertheilten Befugniß, unter dem letzten Aufgebote von 100000 Mann werben zu dürfen, fanden sie so ziemlich die durch ihre Adressen angebotenen 16000 Freiwilligen, die gleichfalls angetragenen Pferde brachten ſie theils mittels gütlicher Käufe, theils durch das Willkürmittel der Requisitionen ſammt und ſonders auf. Die obenerwähn ten Behördenstellen, Beamten und Privatleute konnten indeſſen meiſtentheils nur hinsichtlich der Pferde ihren Anerbietungen nachkommen, während es ihnen an Reitern fehlte. Die erfor derlichen Kleidungs- und Ausrüstungsgegenstände ließen die Gemeinden entweder bei sich selbst oder in den benachbarten Städten anfertigen. Zu andern Zeiten und wenn überhaupt Napoleon nicht darauf bestanden hätte, Europa unter seine Herrschaft zu brin gen , würden 22000 Cavaleriepferde ein enormes Contingent gewesen sein. Doch damals genügten sie bei weitem noch nicht den Bedürfnissen. Der in Portugal und Spanien erhaltenen empfindlichen Lehren ungeachtet war Napoleon's Umsicht doch nicht weiter gekommen , als daß er bei seinem Berechnungen faſt nur die Erfolge , aber nicht das Misgeschick in Ansat brachte. Anfang Januar 1813 waren nur 3000 Pferde in den Depots vorhanden , während kaum 1500 aus Rußland zurückkamen. Napoleon hatte auch nicht eine einzige Escadron in Bereitschaft, welche zu den Ueberresten der Armee hätte stoßen

Executionstruppen zu entrichten war, täglich für den Offizier 6 Frs., den Unteroffizier 5 und für den Corporal 4 Frs. 50 Cent. betragen sollte.

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Sechstes Kapitel.

können. Die Cavalerie war ganz und gar neu zu bilden und zu schaffen. Gegen Ende des Rückzuges aus Rußland hatte Napoleon endlich daran gedacht, den Befehl zur Ausſchreibung von Pferdemärkten im Großherzogthume Warſchau, in Preußen und Mecklenburg zu ertheilen. Doch konnte man nicht mit Sicherheit auf diese Hülfsquelle rechnen, denn sie war abhängig von dem Marsche der russischen Armeen , wie auch von der Haltung, welche die Bevölkerung jener Länder einnehmen würde ; überdies bedurfte sie zu ihrer Nußbarmachung hauptsächlich Zeit. Napoleon ordnete daher durch ein einfaches Decret vom 4. Jan. die Aushebung von 15000 Reitpferden für alle Waffen in Frankreich an. Selbst nach dem Wortlaute seiner Geseze hatte er kein Recht dazu. War aber doch immer sein Wille die Legalität, und dieser Wille begegnete keinem Hinderniſſe. Zwar wollte er bezahlen, was er nahm , aber er bezahlte es nur zu den von ihm selbst festgestellten Säßen. Also nach 13 Jahren sah sich diese — wir heben dies besonders hervor ihrer Vorsicht wegen so gerühmte Regierung , welche mehr als jede andere immer große Kriegsmittel aller Art in Reserve hätte haben sollen , da für sie der Krieg eine wahre Induſtrie und noch mehr als das, eine wesentliche Existenzbedingung war ſah sich dieselbe Regierung gezwungen, zu Mitteln ihre Zuflucht zu nehmen , welche zwanzig Jahre früher angewendet worden waren, als das plößlich überfallene Frankreich, in der Bildung einer neuen geſellſchaftlichen Ordnung begriffen , seine Revolution und Existenz gegen die verbündeten Könige und furchtbare Aufſtände vertheidigen mußte. Gleichzeitig mit der Verfügung betreffs der obengedachten Aushebung ließ Napoleon auch in Frankreich Märkte ausschreiben , welche ihm noch 7-8000 Reitpferde liefern sollten, während er andererseits deren 3-4000 von der Gensdarmerie entnahm . Anfangs hatte er darauf gerechnet , daß die im Großherzogthume Warschau und in Preußen befohlenen Ankäufe über 20000 Pferde ergeben würden ; auch waren. Contracte abgeschlossen worden , welche deren ziemlich baldige Lieferung sicherzustellen schienen. Doch ward dies durch die

Die Remontirung der Armee.



Ruſſen beinahe gänzlich vereitelt , den Kreis, in welchem die Ankäufe eingeſchränkt, daß man nicht über den Ländern jenseit des Rhein

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und hatte Eugen's Rückzug geſchehen konnten, dermaßen 12-13000 Reitpferde aus zu ziehen sich Rechnung

machen konnte , mochten auch die Thätigkeit und Gewandtheit des mit dieser Remontirung beauftragten Generals Bourcier, welchen die Ereignisse von der Weichsel bis nach Hannover zurückgeführt, noch so groß sein. Zu den in den Depots vorhandenen 3000 Pferden kamen also aus den Gaben der Gemeinden und Beamten 22000, durch die Aushebung 15000 , von den in Frankreich ausgeschriebenen Märkten 7-8000, von der Gensdarmerie 3-4000 und aus den Ankäufen des Generals Bourcier 12000, in runder Summe demnach insgesammt 60000 Pferde, auf welche Napoleon als die Hülfsmittel zur Wiedererrichtung seiner Cavalerie rechnete. An den Mitteln zur Herstellung der für jene benöthigten Ausrüstungen sollte es in den Depots und Privatwerkstätten nicht mangeln , aber freilich mit der Bedingung, daß man nicht gar zu sehr auf die Qualität der Arbeit sah. Es ist immer das unausbleibliche Gebrechen jeder derartigen Improvisation , daß die Schnelligkeit der Ausführung ein unvollkommenes Werk zur Folge hat. Die Zugpferde hatten in Rußland ein gleiches Schicksal wie die Reitpferde gehabt ; sie waren sämmtlich umgekommen. Zu ihrem Ersage waren keine in den Depots vorhanden , und doch bedurfte man deren allein wenigstens 20000 für die auf 600 Geschüße berechnete Artillerie und ferner 15000 für den Train. Auch hierin nahm Napoleon wieder seine Zuflucht zu Requisitionen und zwar sollten durch diese harte Maßregel 15000 Pferde aufgebracht werden ; für mehr als 10000 ließ er in Frankreich Märkte ausschreiben , während er die übrigen aus den Ankäufen des Generals Bourcier erwartete , welcher ihm Mitte Januar meldete , daß er 4-5000 Pferde jener Gattung in Posen , Glogau und Berlin stehen habe. Die erforderlichen Geschirre wurden , wie die Ausrüstung für die Cavaleriepferde überall, wo das möglich war, angefertigt. An Feuer- und blanken Waffen fehlte es nicht. Dagegen

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war das vorräthige Material an Artillerie- und Militärfahr zeugen nicht ausreichend, wenn auch nicht an Geſchüßrohren, ſo doch an Laffetten und Wagen. Man ließ solche unter zahlreicher Zuziehung von Civilarbeiten in den Land- und selbst den Seearsenalen herstellen. Bei allen diesen bereits getroffenen oder demnächst durchgeführten Anstalten hatte Napoleon mit scharfem Blicke die Verwerthung der vorhandenen mehr oder weniger nahe liegenden Hülfsmittel aufgefaßt und ordnete deren Nuzbarmachung an. Eine minder schlecht vorbereitete Hülfsquelle erschloß sich in den 88 sogenannten Cohorten der Nationalgarde. Beinahe durchgängig aus 20-26 Jahre alten, also sehr kräftigen Leuten gebildet , welche größtentheils eine sieben- bis achtmonatliche Dienstzeit hinter sich hatten, bedurften jene Cohorten doch einer festern Organiſation , wenn sie alle die von ihnen erwarteten Dienste leisten sollten. Dem ward schnell abgeholfen. Ihre Artillerie-Compagnien wurden in die Depots der Regimenter dieſer Waffe eingetheilt. Ihre Infanteriecadres , welche eine ſehr große Anzahl von verabschiedeten und in Wartegeld ſtehenden Offizieren aufgenommen , ließen aus diesem Grunde viel zu wünschen übrig. Alles, dem es an körperlicher Tüchtigkeit, Thätigkeit , Energie und Fähigkeit fehlte , wurde daher ausgeſchieden und die dadurch entſtandenen Lücken durch ausgesuchte Individuen beſeßt, welche theils von den Trümmern der ruſſischen Katastrophe und den im Reiche vorhandenen Cadres entnommen , theils von Eugen und Grenier abgegeben , und sämmtlich mit der Post nach ihrem neuen Bestimmungsorte befördert wurden. Aber ohne deren Ankunft weiter abzuwarten, formirte man aus den von ihren Kanonieren getrennten und von ihren untauglichen Offizieren¹ purificirten Cohorten 22 Regimenter, jedes zu 4 Feldbataillonen à 6 Compagnien und

1 Wir haben den Bericht des Generals Bertrand über die Purification der acht in Italien stehenden Cohorten vor uns liegen , und geht aus demselben hervor , daß man die Hälfte der Offiziere erſeßen mußte.

Die Conscription von 1813.

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weitern 4 Depotcompagnien. Die ihnen verliehenen Nummern schlossen sich in fortlaufender Reihe an die der Linienregimenter an. Sie erhielten dann den Befehl zum sofortigen Abmarsche theils nach der Elbe und dem Rhein , theils nach der Etsch; tüchtige ihnen vorgesetzte Oberste stießen unterwegs zu ihnen. Bei ihrem Abmarsche, mit Inbegriff der Offiziere, 847 Mann per Bataillon stark, sollten sie also 70-75000 Mann in Reih' und Glied aufweisen, welche zwar mittelmäßig abgerichtet und nicht abgehärtet, aber doch gut organisirt und mit Rücksicht auf ihr Alter wie ihre physische Entwickelung zum Ertragen der kriegerischen Strapazen ganz tüchtig waren. Wie schon erwähnt, traf die Conſcription von 1813 gegen Ende November 1812 in den Depots ein. In einer Stärke von 120000 Mann , gab sie . davon 90000 Mann an die Infanterie, die gewöhnlichen Abgänge, den Reſt von der 1812er Conſcription und die ziemlich wenigen freiwillig Eingetretenen dabei in Anschlag gebracht. Diese 90000 Mann hatten , bis auf einige tauſend , kaum Zeit gehabt , um einen Capot und ein Gewehr zu empfangen, und etwas von den Handgriffen zu erlernen; ja , eine gewisse Anzahl hatte gar keine Abrichtung bekommen.¹ Dazu waren diese Conſcribirten erst 19 Jahre alt. Dennoch besann sich Napoleon nicht, sie wie waffengeübte Soldaten und ausgewachsene junge Leute zu verwenden . Er zählte auf den unserer Nation angeborenen militärischen Getft, Muth und ihre Eigenliebe , auf jene Leichtigkeit, welche Napoleon bereits gemisbraucht und die er in maßloser Weise noch viel mehr zu misbrauchen im Begriffe stand. Um diese jungen Leute zu organisiren , zu unterweisen , zusammenzuhalten und anzufeuern , zählte er überdies noch auf die Cadres , in welche

¹ In einem an Napoleon erſtatteten Berichte des Generals Bertrand aus Verona vom 18. März 1813 lesen wir Folgendes : ,,Die 700 Conscribirten, welche das (23. Linien-) Regiment 48 Stunden vor seinem Abmarſche von Baſſano erhalten , sind schwächlich. Dieſelben sind im Depot zu Genua am gleichen Tage, wo sie dort eintrafen , eingekleidet worden und am nächsten von da abmarschirt ; sie haben folglich gar keine Dressur." 15 Charras, 1813.

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er sie einzutheilen befahl. Diese ihm zur Verfügung stehenden Cadres hatten tüchtige Elemente , und zwar waren sie theils bei der Hand, in den Depots der verschiedenen, besonders der in Spanien stehenden Regimenter, theils wurden sie aus lett`genanntem Lande herbeigerufen und konnten in einigen Wochen . ankommen, abgesehen noch von denjenigen, welche man aus den Ueberresten der in Rußland geweſenen Armee herauszuziehen beschäftigt war. Napoleon rechnete, daß die so zu organiſirenden Bataillone im März oder April zum Theil an der Elbe und am Rhein, zum Theil an der Etſch neben den aus den Cohorten formirten Regimentern eingetroffen ſein und dort, die Cadres inbegriffen, mit beinahe 90000 Mann auftreten würden . Außerdem befahl er, daß dieselben, je nachdem sie ihre Organiſation bewerkstelligt, in Marsch gesezt werden sollten ; die zuerst fertig, ſollten nicht auf die andern warten, und alle ihre Instruction unterwegs fortsehen, soweit es die Strapazen zuließen. Gleichzeitig verfügte Napoleon, daß jene Conſcribirten rasch in den allernothwendigsten Exercitien und Manövern eingeübt würden , und ließ sich angelegen sein, selbst des nähern zu bezeichnen , was er in dieser Hinsicht verlangte.¹

1 ,,Befehlen Sie Ihren Divisionsgeneralen, daß sie die Truppen zweimal in der Woche im Feuer exerciren , zweimal wöchentlich nach der Scheibe schießen und überdies noch dreimal in der Woche manövriren laffen. Man soll sie Bataillons-Angriffscolonnen formiren und in Angriffscolonnen chargiren laſſen , indem sie unter dem Feuer der ersten Division deployiren und , sobald sie auf der Bataillelinie ankommen, Feuer geben. Ebenso soll die Angriffscolonne formirt werden, während daß die mittlere Diviſion mit dem Gliederfeuer anfängt , und hat sie dann wieder unter Gliederfeuer zu deployiren. Nachher ist ein Angriff auf 100 Schritt zu machen , wobei der Sturmmarsch in gewöhnlicher Weise, ohne ,,Fion“ und Variation, zu schlagen ist, und wird man alle Pelotons , je nachdem sie sich auf der Bataillelinie formiren , Feuer geben lassen. ,Sie werden ferner befehlen, daß man öfters das Manöver ausführe, sich schnell in das Bataillonscarré zu formiren, indem hinter der letzten Division des Bataillons auf Pelotondiſtanz ployirt und Gliederfeuer gegeben wird. Dies ist das nothwendigste Manöver , auf welches die

Die Marineartillerie.

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In Jahre 1811 war er auf den Gedanken gekommen, 98 Compagnien aus den Depots von 98 Infanterieregimentern zu detachiren, um sie an Bord der in unsern von den Engländern blokirten Häfen festliegenden Schiffe zu verlegen . Da diese 98 Compagnien dort nicht unerlaßlich nothwendig waren, ließ sie Napoleon wieder ans Land gehen, in Marschbataillone formiren und sofort nach den Oderfestungen, deren Besatzungen sie verstärken sollten, abgehen. Das war ein Zuwachs von 4-5000 Soldaten; doch entwickelte sich Eugen's Rückzug so schnell, daß kaum der dritte Theil dieser Zahl den Weg jenſeit der Elbe frei fand. Auch die Departemental - Reservecompagnien wurden von Napoleon verwerthet. Im ersten Jahre der kaiserlichen Regierung errichtet, bildeten sie eine Art von Hülfsgensdarmerie und bestanden durchgängig aus alten Soldaten. Man nahm von ihnen 3000 Mann , welche nach Mainz geschickt wurden , wo sie Offiziere bekommen und ein Regiment von 4 Bataillonen formiren sollten. Ein anderes und noch beträchtlicheres Contingent alter Soldaten lieferte die Marineartillerie. Im Jahre 1792 errichtet ¹ und drei Jahre später bis auf einen Effectivſtand von 25000 Mann vermehrt2, hatte diese Truppe eine doppelte Ausbildung erhalten , nämlich im Infanterie- und Artilleriedienste, sei es an Bord oder zu Lande. Im heftigsten von den Kämpfen der Republik war jenes Corps für einige Zeit zur Verfügung des Kriegsdepartements gestellt worden. Dasselbe hatte darauf

Obersten recht Rücksicht nehmen möchten , denn das geringste Stocken kann die Truppe in Gefahr bringen. Schließlich befehlen Sie, daß jede Voltigeurcompagnie eingeübt wird, schnell das Bataillons- (sic !) Carré zu formiren und sofort Gliederfeuer zu geben, damit sie beim Tirailliren sich rasch railliren und gegen die Cavalerie vertheidigen kann. Machen Sie bekannt, daß dies ganz besonders die Manöver ſind , welche ich vor mir ausführen lassen werde." (Schreiben Napoleon's an den General Bertrand , Commandanten des Observationscorps in Italien .) ¹ Laut Gesetz vom 14. Juni 1792. 2 Auf Grund des Gesetzes vom 15. Oct. 1795. 15*

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3000 Mann zu der bei Marengo siegreichen Armee abgegeben und den Beweis geliefert, daß man es mit gleichem Zutrauen zu Lande wie zu Wasser verwenden konnte. Napoleon erinnerte sich dessen. Leider hatte er seit mehrern Jahren die Stärke dieser schönen Truppe um vieles reducirt. Am 1. Jan. 1812 zählte sie nur noch 14000 Mann , und war allein durch die im nächsten Monate erfolgte Eintheilung von 4000 Conſcribirten auf den Stand von 18000 Mann gebracht worden. Von diesen 18000 Mann konnte man indessen nicht mehr als 13-14000 Mann mobilisiren. Das mehrerwähnte Corps war in 4 Regimenter eingetheilt. Napoleon beschloß deren Verwendung als Infanterie und befahl , sie nach Mainz zu dirigiren. Die Armee hatte keine tüchtigere Truppe aufzuweisen. Die unterm 11. Jan. verfügte Aushebung von 100000 Mann aus den Conſcriptionsklaſſen 1812, 1811 , 1810 und 1809 sollte starke und kräftige Rekruten, wie die der Cohorten, liefern. Aber wie man es auch hätte anfangen wollen, so bedurfte es doch eines oder zweier Monate, bevor sie alle in den Depots eingetroffen. Napoleon beſtimmte 70000 derselben zur Infanterie. Er wollte sie ebenso verwenden wie die 1813er Conſcribirten , alſo die active Armee mit ihnen verſtärken , ſobald sie vier bis sechs Wochen in den Depots gewesen , ein unumgänglich nothwendiger Zeitraum , um jene einkleiden, ausrüsten , etwas aus dem Gröbsten herausarbeiten und in Feldbataillone formiren zu können. Auch diese sollten auf dem Marsche nach dem Kriegsschauplaße ihre weitere Ausbildung erhalten. Zu ihrer Aufnahme wurden die in Frankreich vorhandenen oder von den aus Rußland entkommenen Ueberresten gebildeten Cadres , und hauptsächlich die aus Spanien herbeorderten, bestimmt. Hinsichtlich der 150000 Mann aus der Conſcriptionsklaſſe von 1814 beschloß Napoleon, daß diese erst Anfang April in die Depots einberufen werden sollten , zu welcher Zeit leztere so ziemlich sich geleert und die Mittel zu deren Abrichtung, Einkleidung und Ausrüstung haben durften. Während die obenerwähnten Maßnahmen entworfen und

Formation von vier Observations corps.

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anbefohlen wurden , während man an ihre Ausführung ging, bestimmte Napoleon das Nähere wegen der Formation der Armeecorps, welche alle diese jungen Leute und alten Soldaten aufnehmen sollten, um im Vereine mit Eugen's erprobten Phalangen noch vor Ablauf von sechs Monaten, wie er glaubte, sein Glück wiederherzustellen und den kaiserlichen Adler von neuem über den Niemen zu tragen. ¹ Es wurden vier Observationscorps gebildet , nämlich eins an der Elbe, zwei am Rhein und eins an der Etsch. Das Observationscorps an der Elbe bestand aus 12 der aus der Infanterie von den Cohorten formirten 22 Regimenter und wurde in 4 Diviſionen eingetheilt, jede zu 3 Regimentern, also 12 Bataillone ſtark. Dasselbe sollte beim Ausmarsche 40000 Mann zählen. Zum Commandanten erhielt es den General Lauriston. Dieser war wol ein Mann von vielem Geiste und reichen Kenntnissen , war aus der Artillerie , bei welcher er sich ausgezeichnet, hervorgegangen , war lange Zeit bei Napoleon Adjutant und vor dem Ausbruche des russischen Krieges Gesandter in Petersburg gewesen, hatte aber noch nie. ein Armeecorps befehligt. Man war von seiner Ernennung überrascht, und mehrere fühlten sich dadurch zurückgesezt. Es wurden ihm vier tüchtige Divisionsgenerale untergeben. Seit Mitte Februar hatte Lauriston sein Hauptquartier in Magdeburg, wo seine Artillerie zu ihm stoßen sollte und seine Regimenter einzutreffen anfingen, indem man darauf bedacht gewesen, lettere aus den Cohorten zu formiren, welche in den benachbarten Departements standen. Schon Lauriston's Corps sollte eine mächtige Stüße für Eugen sein , welcher um diese Zeit nach der Oder und bald darauf bis Berlin zurückwich. Das erste Rhein-Observationscorps umfaßte 4 französische Divisionen , welche 8 der aus den Cohorten formirten Regimenter und 24 Bataillone von 1813er Conſcribirten enthielten.

1

11‚ Sie müſſen ſagen und werden davon wol überzeugt sein, daß ich im nächsten Feldzuge den Feind über den Niemen treibe." (Schreiben Napoleon's an Eugen, vom 29. Jan. 1813. )

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Sechstes Kapitel.

Lettere, deren Eintheilung wir oben besprochen, gehörten indeſſen verschiedenen Regimentern an. Diejenigen ihrer Bataillone, welche isolirt waren, wurden fe zwei und zwei zu provisoriſchen Regimentern zuſammengestellt , eine schlechte Organisation, welche durch die fortwährende und unüberlegte Vertheilung unserer Truppentheile über den Continent nothwendig geworden. Dagegen wurden die Bataillone, welche zu einem und demselben Regiment gehörten , bald zu zweien, bald zu dreien vereinigt unter der Nummer des betreffenden Truppenkörpers und unter dem Commando eines Majors oder eines Majors en second, selten aber unter den Befehlen ihres Chefs , des Obersten. Das derart formirte 1. Rhein-Observationscorps sollte nicht weniger als 45000 Mann Infanterie bei der Fahne haben. Mit dem Commando über dasselbe betraute Napoleon den Marschall Ney, welchen der russische Krieg über alle andern erhoben hatte. In den ersten Tagen des Februar versammelte sich Ney's erste Diviſion unter Souham vorwärts von Frankfurt bei Hanau. Die übrigen Diviſionen waren dagegen noch zurück und

konnten nicht vor

Mitte März zu jener

stoßen. Das 2. Rhein-Obſervationscorps sollte aus 4 Diviſionen bestehen und zu deren Formation erhalten 15 Bataillone Marineartillerie , das aus den Departementalcompagnien gebildete Regiment von 4 Bataillonen, und neben- dieſen alten Truppen 32 Bataillone der wie beim Ney'schen Corps in Regimenter zusammengestellten Conſcribirten von 1813 , ferner noch ein schwaches spanisches Bataillon, wie es scheint von sehr zweifelhafter Treue, denn Napoleon befahl deſſen ſtrenge Ueberwachung. Man rechnete, daß diese 52 Bataillone in der zweiten Hälfte des März bei Mainz einzutreffen anfangen, in den ersten Tagen des April sämmtlich dort versammelt sein und dann 40000 Mann unter den Waffen präsentiren würden. An die Spite des 2. Rheincorps berief Napoleon den Marschall Marmont. Ein reich begabter Geist, von vielseitigen und weit ausgebreiteten Kenntnissen, seit langer Zeit aus der Artillerie hervorgegangen, deren erster Generalinspector und ausgezeichneter Organisator -er geweſen, dazu beim Soldaten sehr beliebt — hatte Marmont,

Das italienische Observationscorps.

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als der jüngste der Marschälle des Kaiserreiches , nicht ohne Talent unter sehr schwierigen Verhältnissen die sogenannte Armee von Portugal befehligt. Aber es fiel ihm , halb verdienterweise , die Verantwortlichkeit für den Verlust der Schlacht an den Arapilen zur Last, wo er eine sehr schwere Wunde erhalten, von welcher er noch nicht ganz hergestellt war. Mit seinem scharfen Blicke prophezeite er lange voraus die schließliche Niederlage unserer Waffen auf der Pyrenäiſchen Halbinsel.¹ In den Friedenstagen sollte er seine Denkwürdigkeiten niederschreiben , welche für die Geschichte von Werth und für den Militär von großem Nußen. Das italienische Observationscorps sollte vier von diesem Am 4. Jan. Königreiche aufgestellte Divisionen umfassen. gingen die ersten Befehle zu seiner Formation von Paris ab und machten dem General Bertrand, Gouverneur der illyrischen Provinzen , bekannt , daß er mit der Organiſation des Corps beauftragt und dessen Commando auch später behalten sollte. Bertrand , ein überaus talentvoller Offizier und Erbauer der vor der Schlacht von Wagram über die Donau geschlagenen berühmten Brücken, Bertrand hatte noch kein derartiges Com-. mando, wie das unerwartet ihm übertragene, geführt. Gleich Lauriſton's Ernennung rief auch die ſeinige Eifersüchteleien und Bekrittelungen hervor. Doch sollte er diese zum Schweigen bringen, wenn auch nicht durch sein Talent, so doch wenigstens durch seine Bescheidenheit, ſeinen Eifer und die in des Krieges schwersten Tagen bewiesene unerschütterliche Standhaftigkeit. Die ihm zur Verfügung gestellten Truppen befanden sich beinahe sämmtlich in dem französischen Italien , im Königreiche gleichen Namens und den illyrischen Provinzen. Es waren, was die Infanterie anbelangt, 2 Regimenter von den Cohorten, • 25 andere französische Bataillone, 13 italienische, 2 kroatische und 3 neapolitanische desgl., also zusammen 51 Bataillone, von denen jedes beim Ausmarsche 845 Mann unter den Waffen

1 Vorzugsweise in einem langen Schreiben an Berthier aus dem Monat Februar 1812.

232

Sechstes Kapitel.

haben sollte. Abgesehen von den alte Soldaten enthaltenden neapolitanischen Bataillonen und den Regimentern der Cohorten, bestand ungefähr die eine Hälfte dieser Infanterie aus Conscribirten von 1813, die andere aber aus Soldaten von einjähriger und längerer Dienstzeit, welche jedoch sehr ungleichmäßig unter die verschiedenen Truppenkörper vertheilt waren. Von allen dieſen Bataillonen standen nur 10 isolirt da , worunter die Kroaten, und sollten deshalb zu provisorischen Regimentern zuſammengestellt werden. Napoleon befahl Bertrand die größte Thätigkeit in der Ausführung seiner Aufgabe an. Unterm 4. Febr. ſchrieb er ihm, daß er ſeine 4 Diviſionen unfehlbar zum 1. März bei Bassano, Vicenza, Verona und Brescia zusammengezogen haben müsse ; aber noch vor diesem Termin drängte er ihn, dieselben je nach Maßgabe ihrer Bereitschaft über Trient nach Augsburg in Marsch zu sehen.` Mit dem Tage, wo Bertrand's jeht in der Organisation

begriffenes Corps die Alpen überschreiten sollte , blieben , zur Vertheidigung und Niederhaltung der Apenniniſchen Halbinsel, dort nur zurück einerseits die neapolitanische Armee, andererseits französische und italieniſche Cadres , welche kurz vorher oder auch noch gar nicht mit Conscribirten betheilt worden. Die gegen ihren Eroberer sehr feindselig gesinnten illyrischen Provinzen ― von wo Bertrand 5—6 französische Bataillone zurückzog , als die einzigen unsers Landes , welche sich dort befanden diese illyrischen Provinzen wurden nur noch von einigen italienischen und eingeborenen Truppen , in die man kein großes Vertrauen sehen durfte, bewacht. Solche Aussichten beirrten jedoch Napoleon nicht. Italien und Illyrien sind nur Unternehmungen von seiten Englands ausgesetzt , welches aber in Spanien zu stark in Anspruch genommen ist , als daß es anderwärts sehr zu fürchten wäre; und was die Unterwerfung jener Länder anbelangt, so wird diese von dem Ausgange des Krieges in Deutschland abhängen. Es ist also für Napoleon bei weitem von größerer Wichtigkeit, dort, als dies- und jenseit des Isonzo stark zu sein. Während dieser Maßnahmen zur Aufstellung der Obser vationscorps am Rhein, der Elbe und in Italien traf er auch

Wiedererrichtung der kaiserlichen Garde.

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Anstalten, um die aus Rüßland von der Infanterie entkommenen Ueberreste so schnell als möglich nutzbar zu machen und sie zur Errichtung anderweitiger Armeecorps zu verwenden . Wir haben im dritten Kapitel dieses Buches gesehen, daß nach der Formation von zwei Bataillonen kaiserlicher und eines Bataillons königlich italienischer Garde in Poſen, ferner nach der Organiſation von 11 ziemlich schwachen französischen und italienischen Bataillonen in Stettin, Küstrin, Glogau und Spandau — von den aus · Rußland entronnenen Trümmern der franzöſiſchen und italieniſchen Infanterie an Dienſttauglichen nur noch 6—7000 Offiziere und Unteroffiziere übriggeblieben. Wie schon bekannt, wurden von dieser Zahl die zur kaiserlichen Garde Gehörigen anfangs nach Fulda dirigirt und von da mittels Post nach Paris be fördert; die andern von den drei ersten Armeecorps hatte man nach Erfurt geschickt, während die vom 4. Corps auf Augsburg und von hier weiter noch Italien, woher sie gekommen, hatten abrücken müſſen. Mit den nach Paris zurückkehrenden Ueberresten und dem, was dort verblieben, ferner mittels der Rückberufung von 25 Eliten von jedem der in Spanien stehenden Infanteriebataillone durch die Abgaben von allen Cadres, Depots, von den Departemental- und Schiffscompagnien , wie auch von einigen für unterBertrand's Corps bestimmten alten Bataillonen nahm es Napoleon , die Infanterie der alten Garde auf dem

vor dem russischen Feldzuge gehabten Fuße wieder zu errichten, Was die bis auf ein Regiment, welches aufgelassen wurde. Infanterie der jungen Garde betrifft, so stellte er nicht nur alle zu Grunde gegangenen Cadres wieder auf, sondern errichtete zudem noch 10 neue Regimenter. Er befahl, die einen wie die andern zu completiren mit den einigen tauſend Mann, welche sich in den Depots des genannten Corps befanden, ferner durch einige aus den Cohorten gezogene Abgaben und durch ein vorweg aus den Conscribirten der vier lezten Altersklassen entnommenes sehr bedeutendes Contingent , welches ausgewählte und besonders körperlich tüchtige Rekruten halten sollte.

ent-

Erst nach einigen Verzögerungen und theilweisen Wider-

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Sechstes Kapitel.

rufungen, welche ihren Grund in dem unvermeidlich langsamen Gange der Correspondenz zwischen Paris und Posen hatten, traf Napoleon auch seine Anordnungen betreffs der vier ersten Armeecorps. Das 1. Corps hatte in Rußland 17 franzöſiſche Regimenter, das 2. neun , das 3. sieben , das 4. acht dergl. gezählt; jedes dieser Regimenter war 4 oder 5 Bataillone stark gewesen. Auf Napoleon's Weisung sollte das 1. Corps zu 16 Regimentern wiedererrichtet werden und unter des Marschalls Davout Befehlen verbleiben , das 2. und 3. aber in * eins verschmolzen werden , welches die Nummer 2 führen, 12 Regimenter umfassen und vom Marschall Victor commandirt werden sollte. Ueberdies bestimmte Napoleon , daß jedes von den Regimentern dieſer beiden Marschälle 4 Bataillone ſtark sein sollte. Deren Wiedererichtung und Rekrutirung ging in folgender Weise vor sich. Ende Januar sendete Napoleon den General Doucet, einen in der Adminiſtrationspraxis ſehr tüchtigen Offizier, nach Erfurt, den von Stettin , Küſtrin und Spandau ebendahin rückenden Truppenüberresten voraus . Gleichzeitig ließ er von jedem Depot der wieder zu errichtenden 28 Regimenter ein Detachement von ungefähr 700 Conſcribirten der 1813er Klaſſe ebenfalls nach Erfurt in Marsch seßen. Doucet sollte aus den in dieſer Festung eintreffenden Ueberbleibseln so viel herausnehmen, als zur Bildung eines Bataillonscadre für jedes der obigen 28 Regimenter erforderlich, in denselben dann das aus dem ent sprechenden Depot kommende Rekrutendetachement eintheilen und alle überzähligen Offiziere und Unteroffiziere rasch nach Frankreich zurückschicken. Die so errichteten Bataillone sollten in ihren betreffenden Regimentern die No. 2 führen , je zwei und zwei zu provisorischen Regimentern unter dem Commando von Majoren vereinigt und nach Maßgabe ihrer Formation auf Magdeburg in Marsch gesetzt werden. Dort hatten die Marschälle Davout und Victor die für ihre resp . Armeecorps bestimmten Bataillone zu übernehmen , jeder aus denselben seine erste Diviſion zu formiren und dann mit ihnen , wenn nöthig, in die Linie einzurücken. Diese Organiſation konnte Anfang März durchgeführt sein , womit Eugen , zu welchem dann

Formation des 1. und 2. Armeecorps.

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bereits Lauriston's Corps gestoßen sein durfte , eine neue Verstärkung von über 20000 Mann zugeführt wurde. Um jenen 28 Regimentern von Davout und Victor ihre 4., 3. und 1. Bataillone zu geben - denn in dieser Reihenfolge sollten sie errichtet werden, um dann die 2. , 3. und 4 . Divisionen von den Armeecorps der beiden oben genannten Marschälle zu bilden ―― bestimmte Napoleon , daß dazu verwendet würden Rekruten aus den vier leßten Conſcriptionsklaſſen, ferner die vom General Doucet nicht benöthigten und nach Frankreich zurückgeschickten Ueberreste 1 , und weiter die Cadres , welche aus Spanien kamen , wohin man den Befehl abgehen ließ, sämmtliche Bataillone auf den Stand von 800 Mann zu formiren und die dadurch als überzählig entfallenden Stämme nach Frankreich zurückzuschicken . Man rechnete, daß die 4. Bataillone Mitte März , die 3. Bataillone aber fünf bis sechs Wochen später am Rhein eintreffen würden. Ihre Marschroute bestimmte sich im voraus durch die Nothwendigkeit, der Bevölkerung jenseit des Rhein, welche durch einen schmählichen Misbrauch der Gewalt zu Franzosen gemacht worden , und in den unter Jérôme Bonaparte's verhaßtem Scepter stehenden Ländern Truppen zu zeigen. Jene Bataillone ſollten, in provisoriſche Regimenter zuſammengestellt, bei Wesel den Rhein paſſiren, von da nach der Weser und weiter an die untere Elbe rücken , um hier zu Davout und Victor zu stoßen. War diese Vereinigung einmal bewerkſtelligt, so sollten alle provisorischen Regimenter aufgelöſt und die Bataillone eines und desselben Regiments unter der eigenen Nummer und dessen Fahne vereinigt werden. Was die 1. Bataillone anbelangt, so hatte Napoleon keine Aussicht, dieselben vor Ende Mai den Rhein überschreiten zu

1¹ Dieſe nach Frankreich zurückgeschickten Trümmer waren sehr gering an Zahl. Eugen schrieb betreffs deſſen an Napoleon : ,,Ich muß Ew . Majestät bemerken , daß die Regimenter bei weitem nicht im Stande sind, die Cadres für zwei Bataillone zu liefern." (Schreiben vom 4. Febr.)

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Sechstes Kapitel.

ſehen, denn er konnte für sie nur über die leßten aus Spanien kommenden Cadres verfügen. Die frühern drei erſten Corps hatten in Rußland, wie oben erwähnt, 33 französische Regimenter gezählt. Die beiden Corps unter Davout und Victor , welche jene zu ersetzen bestimmt, waren nur zu 28 dergl. wiedererrichtet worden , womit also die Ueberreste von 5 Regimentern und das in deren Depots vorhandene Material noch disponibel blieben. Der General Doucet erhielt deshalb die Weisung, die Ueberreste der letztern in Erfurt zurückzubehalten , ſie mit einigen hundert ihm von verschiedenen Seiten zugewiesenen Offizieren und Unteroffizieren zu vereinigen und aus dem Ganzen 10 Bataillonscadres zu bilden , in welche er 4000 von den Depots ihm zugeschickte Conscribirte der 1813er Klasse eintheilen sollte. Die so orga nisirten 10 Bataillone sollten etwas später durch Conscribirte aus den vier leßten Altersklassen completirt werden , gehörten aber bis auf weitern Befehl keinem Armeecorps an, sondern blieben in Erfurt in Garniſon und bildeten hier eine Division. Das 4. Armeecorps ward aufgelöst. In Rußland hatte dasselbe 6 franzöſiſche und eine gewisse Anzahl italieniſcher Regimenter gehabt. Da die Depots der einen wie der andern in Italien sich befanden , hatte Eugen , wie wir gesehen¹ , die Ueberreste ihrer Cadres von Glogau nach Verona stradiren laſſen. Napoleon modificirte indeffen jene Verfügung dahin, daß er erstere in Augsburg halt machen ließ, um aus ihnen 6 französische Bataillonscadres, also auf jedes Regiment einen solchen, zu formiren . In diese 6 Cadres sollten ebenso viele sofort aus den Depots in Marsch zu sehende Detachements, jedes zu 700 Conscribirten von 1813 , eingetheilt werden. Die aus dieser Organisation hervorgehenden 6 Bataillone wurden, je zwei und zwei zu provisoriſchen Regimentern vereinigt , für das italienische Observationscorps vorbehalten. Endlich erging der Befehl (denn es mag nichts vergessen werden, was auf die vier ersten in Rußland zu Grunde ge-

1 Siehe drittes Kapitel.

Wiedererrichtung der Reiterei.

. 237

gangenen Corps Bezug hat , da hier alles für den Militär lehrreich ist), daß jedes von deren Regimentern in seinem Depotbataillon die Compagnie oder die Compagnien figuriren laſſen ſollte, welche aus ihren Ueberresten in Stettin , Küſtrin , Glogau und Spandau herausgezogen worden , um die zur Bewachung dieſer Plähe zurückgelaſſenen 11 provisoriſchen Bataillone formiren zu helfen . Was die andern mehr oder weniger tief in Rußland vorgedrungenen Armeecorps anbelangt , so wurden sie demnächſt officiell, wie die vier ersten, aufgelöst. Da aber deren Truppen mit Ausnahme des 7. durchgängig fremdländische waren Corps , welchem die den Russen gegenüberstehende Division Durutte angehörte, und ebenso des 9. , bei dem die an der Beresina gefangen zurückgelassene Division Partonneaux gestanden —, konnte Napoleon eben nichts weiter thun , als auf schriftlichem Wege und durch seine Gesandten alle ihm alliirten Fürsten zur Wiedererrichtung ihrer durch den Krieg verschlungenen Contingente zu drängen. Doch wurden aus den Depots der französischen Regimenter von der frühern Division Loison oder Marchand 5 Bataillone herausgezogen und mit diesen eine Brigade formirt, welche bald darauf den Namen der Hamburger Brigade erhielt. Neben der großen Arbeit wegen Wiedererrichtung der Infanterie verwendete Napoleon nicht weniger Thätigkeit auch auf die Neuschaffung der andern Waffen. In Rußland war die franzöſiſche Cavalerie, welche beinahe die Hälfte der Reiterei von der Großen Armee ausmachte, 56 Linien- und Mann und mehr alles gezählt und von dem Ganzen

6 Garderegimenter , das heißt über 40000 als 40000 Pferde stark gewesen. Nachdem alle Nachzügler gesammelt , ergab sich , daß die Linie an 12000 diensttaugliche Leute -

etwas mehr, als man anfänglich gerechnet — und kaum einige hundert halb zu Grunde gerichtete Pferde, die Garde aber an 1000 berittene Leute und eine etwas größere Zahl Unberittener gerettet hatten. Wir haben schon oben gesehen , wie Eugen nach Napoleon's Weisungen über diese Trümmer verfügte . Er hatte sämmtliche Liniencavaleristen nach Braunschweig und

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Sechstes Kapitel.

Hannover dirigirt , während er aus den berittenen Leuten der Garde 5 Escadronen für seine kleine Armee formirt und zurückbehalten, die andern dagegen, welche ohne Pferde waren, nach Fulda stradirte, wo man wieder diese lettern in 5 Escadronen eintheilte und dann die überzähligen Offiziere und Unteroffiziere mittels Post nach Paris abgehen ließ. In Braunschweig und Hannover verfuhr man ebenso wie in Fulda. Es wurden nämlich für jedes Regiment so viel Compagnien¹ aufgeſtellt, so vielmal man hundert Mann in seinen Ueberresten fand ; alles, was bei dieſer erſten Organiſation nicht unterkam, ſchickte man in die Depots zurück. Nach diesem Abgange verblieben noch 10-11000 Mann in Braunschweig und Hannover. Jene 56 Liniencavalerieregimenter waren in Divisionen formirt geweſen, welche bei den Armee- und den Reſervecorps eingetheilt. Napoleon löste diese Corps und Diviſionen auf und befahl, aus den in Hannover und Braunschweig Geſammelten zwei Corps unter den Nummern 1 und 2 zu organiſiren, das erste in der Stärke von 4 , das andere zu 3 Divisionen. In Verfolg dieses Befehls ward jede dieſer Diviſionen zu 8 Regimentern formirt, welche, jedes durchſchnittlich eine Escadron ſtark, in provisorische Regimenter zusammengestellt wurden. Um aber mit diesen Escadronen in die Linie einrücken zu können, mußten sie vorher gekleidet, equipirt und bewaffnet werden, denn sie besaßen von ihrer militärischen Ausrüstung nichts mehr. Dazu mußten sie noch beritten gemacht und auch ihre Pferde equipirt werden. • Die Monturen , Rüstungsgegenstände und Waffen war man genöthigt, aus Frankreich zu beziehen, da die früher in Hannover errichteteten Magazine schlecht damit versehen waren. Man hätte glauben sollen, daß Napoleon , als ihm dieses Begehren verlautbart wurde, nur zu be fehlen brauchte, um es sofort zu erfüllen . Es fand ihn aber nicht darauf vorbereitet. Er hatte zwar noch Waffen in den Arsenalen, aber keine Vorräthe an Montur- und Ausrüstungs-

1 Bei der Garde wie bei der Linie war damals die Escadron in zwei Compagnien getheilt.

Ausrüstung der Reiterei.

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stücken. Mit deren Absendung mußte er warten, bis die Depots der Regimenter und die Lieferanten jene angefertigt hatten. Der General Bourcier, welcher mit der Remontirung in Norddeutschland und speciell mit derjenigen der beiden in Hannover. und Braunschweig sich bildenden Cavaleriecorps beauftragt war, hatte durch seine Bemühungen und unter des Generals Belliard Leitung vermittels Rührigkeit und baaren Geldes, und da er hinsichtlich des Alters wie auch mancher Fehler der Pferde sich nicht schwierig zeigte , Mitte März deren schon über 10000 Stück aufgebracht. Zur gleichen Zeit hatten aber jene beiden Corps , wegen Mangels an Ausrüstungseffecten, hauptsächlich an Sätteln und Zaumzeug , erſt 3000 Mann zu Pferde ; und derselben Ursache wegen stand es nicht zu erwarten, daß diese Zahl vor Ablauf von einem Monate oder sechs Wochen verdoppelt sein durfte. Dazu muß noch erwähnt werden , daß auch Bourcier die Hülfsmittel des Landes , wo er sich befand , nußbar zu machen und bei der Langsamkeit , mit welcher die von Frankreich kommenden Transporte eingingen, nachzuhelfen suchte, indem er so viel Effecten als möglich an Ort und Stelle anfertigen ließ. Jede Saumseligkeit in der Heeresadministration rächt sich durch die Einbuße an Streitkräften . Wenn Napoleon die Magazine , welche hätten gefüllt sein sollen , nicht leer gelaſſen hätte, so würde der General Belliard Mitte März 10000 tüchtige Reiter an Eugen haben schicken können , welcher sich, damals nicht ohne Grund , beklagte wegen des Mangels an Reiterei einem Feinde gegenüber , dem eine sehr zahlreiche Cavalerie zu Gebote ſtand. „ Geben Sie sich wegen der Cavalerie Mühe“ , schrieb Napoleon an Eugen , „ denn die Adminiſtration iſt ſo langsam, daß nichts von statten geht, wenn man nicht außerordentlich darum beſorgt ist.“ Dieser Rath war zwar an und für sich gut , seine Anempfehlung aber hier etwas überflüssig, denn was die Adminiſtration auch thun mochte, so konnte sie doch nicht in einem Nu Napoleon's Unvorsichtigkeit wieder gut machen. Das 1. Cavaleriecorps ward unter die Befehle des Generals Latour Maubourg, eines hochverdienten Offiziers , gestellt; das

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Sechstes Kapitel.

2. aber dem General Sebaſtiani anvertraut, welcher zwar sehr tapfer , aber wenig achtſam , und ebenso viel Kenntniſſe, aber nur eine mittelmäßige Begabung besaß. In Berücksichtigung , daß Bourcier schnell noch 2—3000 Cavaleriepferde aufbringen durfte, und in Erwägung, daß diese beiden Corps nur 10000 und etliche hundert Mann hatten, schickte ihnen Napoleon im Laufe des März aus den Depots in Frankreich 2600 eingekleidete und ausgerüstete , aber unbe rittene Reiter, womit erstern 12-13000 Mann in Reih' und Glied gesichert waren für den Tag, an welchem sie endlich die ihnen noch mangelnden Montur- und Ausrüstungsstücke empfangen haben würden. Die Reiter dieser zuwachsenden Verstärkung waren indessen keine alten Soldaten wie diejenigen , zu denen sie stießen , es waren vielmehr Rekruten , welche noch nicht ein Jahr dienten. Und Napoleon hatte keine tüchtigern zur Auswahl gehabt ! Damit trat in der That ein anderes und sehr schwer wiegendes Ergebniß seiner Unvorsichtigkeit zu Tage. Um die in Rußland verlorenen ausgezeichneten Reiter ersehen zu können, verfügte er nur über ungeübte Cavaleristen. Die Depots enthielten nur Conſcribirte theils von 1812, theils von 1813. Die lettern waren jetzt unbedingt nicht zu gebrauchen , da sie noch nicht im Stande waren, ſich auf dem Pferde halten zu können; dagegen wurden die erſtern ſo verwendet, als ob sie vollkommen ausgebildet wären. Napoleon beschränkte ſich indeſſen nicht darauf, zweitausend und einige hundert dieſer jungen Leute unter die alten Soldaten von Latour-Maubourg und Sebastiani einzutheilen , sondern er wollte sie ferner auch zur Formation eines dritten Cavaleriecorps gebrauchen, welches für sich allein so stark sein sollte wie die beiden andern zusammengenommen. Beſſer eine mittelmäßige Reiterei , wie jene es sein sollte , als gar keine haben, dachte er mit Recht. Wie wir gesehen, kamen aus Hannover und Braunschweig ziemlich ansehnliche Cadresüberreste in die Depots der in RußLand zu Grunde gegangenen 56 Liniencavalerieregimenter zurück. Napoleon fügte noch einige seit einem Jahre aus Spanien zurückberufene Cadres dazu, ferner eine ziemlich bedeutende Anzahl von Offizieren und Unteroffizieren, welche von der Gens-

Wiedererrichtung der Gardecavalerie.

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darmerie meiſtentheils unter gleichzeitiger Beförderung herübergenommen wurden , woran sich ein großes Avancement von Zöglingen der Cavalerieschule schloß. Er befahl mit allem , was in jedem der 56 Depots vorhanden, je nach Maßgabe der verfügbaren Hülfsmittel, die Cadres von zwei oder drei Compagnien zu organiſiren, dieselben dann mit 1812er Conſcribirten und in der Behandlung von Pferden vertrauten Leuten, welche aus den seitens der Städte angebotenen Reitern zu entnehmen, auszufüllen, um sie darauf, sobald man sie zu Pferde sehen konnte, nach Mainz zu dirigiren. Napoleon rechnete dabei, daß die derart gebildeten Compagnien im Laufe des April dort ankommen dürften. Sie sollten dann unter die Befehle des Generals Lebrun treten , welcher sie in 2 Divisionen , jede zu 4 Marschregimentern, zu formiren hatte, und zwar derart, daß die erſte alle Compagnien von den Depots der Regimenter des erſten, die zweite aber die von denen der Regimenter des zweiten Cavaleriecorps enthielt. Dieſe beiden Diviſionen ſollten zuſammen 12-13000 Mann stark sein. Napoleon behielt sich aber ihre Auflösung bei der ersten paſſenden Gelegenheit vor , um mit ihnen die beiden ersten Cavaleriecorps zu verstärken, indem jedem Regiment derselben die aus seinem Depot gekommene Compagnie zugetheilt wurde, und um dann, wenn dies geschehen, die 56 solchergestalt wiedererrichteten Regimenter unter LatourMaubourg, Sebastiani und Lebrun zu theilen. Mit dem Reste von den 1812er Conscribirten , mit den minder mangelhaft ausgebildeten Leuten der von den Städten dargebotenen Reiter und selbst der 1813er Conſcribirten, wie auch mit den aus Spanien zurückzuberufenden Cadres dachte Napoleon etwas später und ebenfalls bei Mainz eine gleiche Concentrirung , wie die unter Lebrun im Monat April dort vor sich gehende, zu veranstalten. Was die Gardecavalerie anbelangt , so wurde sie nicht zu sechs, sondern zu fünf Regimenetern wiedererrichtet, und zwar bildete sie sich aus den von Hannover und Braunschweig zurückgeschickten Ueberresten, aus allen Depots, in denen sich alte Solda= ten befanden, ferner aus der Gensdarmerie und den Armeen in Spanien, von welchen per Regiment 25 Eliten heimberufen 16 Charras , 1813.

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Sechstes Kapitel.

wurden. Napoleon beeilte sich , den in Fulda unberitten gebliebenen 5 Escadronen alles, deſſen ſie bedurften, überschicken zu lassen, bis auf die Pferde , welche die zu ihnen stoßenden Escadronen , mit denen sie gemeinschaftlich in die Linie einrücken sollten, aus Frankreich mitzubringen hatten. Nach Napoleon's Befehl sollte diese Vereinigung in Frankfurt am Main erfolgen. Außerdem behielt er sich vor, auch den ganzen Theil der Gardecavalerie , welchen Eugen bei sich hatte, ebendahin zu berufen , sobald letterer diese zu entbehren im Stande sein würde. Dort sollte dann die definitive Reorgani ſation dieses Elitecorps vor sich gehen. Napoleon dachte, daß ihm dieselbe 5000 Mann zu Pferde ergeben würde ; freilich konnte dies erst im Laufe des April der Fall sein. Außer der franzöſiſchen Cavalerie waren noch mehrere in französischem Solde stehende polnische Regimenter, welche gleich falls in Rußland zu Grunde gegangen , wieder zu errichten. Mit dieser Aufgabe wurde der General Dombrowſki betraut. Wegen der Schwierigkeit hinsichtlich ihrer Rekrutirung konnte man indeſſen wenig mehr als 2000 Reiter aufbringen. Endlich bildete man jenſeit der Alpen in Turin und Florenz zwei leichte Cavalerieregimenter und formirte von neuem die mit dem 4. Armeecorps in Rußland vernichteten 4 franzöſiſchen und italieniſchen Regimenter. Ferner wurden zwei Regimenter, welche den Feldzug nicht mitgemacht, completirt, und ſtand noch ein neapolitanisches Regiment zur Verfügung, ſodaß Napoleon darauf zählte, Bertrand werde mit 4000 Reitern aus Italien abmarſchiren, denen binnen kurzem 4000 andere folgten. Während auf diese Art die Reorganiſation der Infanterie und Reiterei vor sich ging, ließ sich Napoleon nicht mit weniger Rührigkeit auch die Wiedererrichtung der Artillerietruppe angeLegen sein , und zwar waren seine Anstalten danach bemessen, daß dieselbe eine größere Stärke als je zuvor haben sollte, denn seine Infanteristen und Cavaleristen waren sehr junge Leute, deren Neulingsmuth er durch achtunggebietende Batterien unterſtüßen wollte. Er beabsichtigte , jedem Armeecorps per Infanteriedivision 24 und per Cavaleriedivision 12 Geschüße

Wiedererrichtung der Artillerie.

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beizugeben, während er überdies noch deren eine große Anzahl in der Hauptreserve haben wollte.¹ Kaum die Cadres für 20 Fußartilleriecompagnien konnten aus der kleinen Anzahl von Offizieren und den 1000 Kanonieren, welche aus Rußland zurückgekommen , gebildet werden. Das Ganze ward in Magdeburg zusammengezogen, wo von dieser Waffe bereits einige nicht complete Compagnien standen und wohin man einige andere gleichfalls nicht vollzählige und in den Oderfestungen entbehrliche abrücken ließ. Ferner wurden aus Frankreich 52 Artilleriecompagnien von den Cohorten nach Magdeburg dirigirt, welche bei 5000 Mann zählten, aber nur einen Theil ihres Offiziercorps besaßen infolge der Purification, welcher sie, ebenso wie die Cohorten selbst, unterzogen worden waren. Der General Sorbier erhielt den Auftrag , aus allen diesen Elementen das Personal zu organisiren, welches erforderlich zur Vermehrung der indessen schon beträchtlichen Artillerie Eugen's war, und um diejenige von Lauriſton, Ney, Marmont, ferner der ersten Diviſionen von Davout und Victor zu bedienen. Mit dem Reste der Artillerie von den Cohorten ; aus den in den Depots vorhandenen Hülfsmitteln an 1812er Conſcribirten; mit einigen theils leeren, theils halb vollen Cadres und einigen hundert von der Marineartillerie entnommenen alten Soldaten, Offizieren und Unteroffizieren ; durch die Abgabe von je 10 Mann von jeder Artilleriecompagnie der Armeen in Spanien ; ferner vermittels eines außerordentlichen Avancements von Frequentanten der Artillerieſchule in Metz und ebenso, was noch nie geschehen, der Schule von St.-Chr - - damit wurde die Artillerie der alten und jungen Garde neu gebildet , die der leßtern zudem noch vermehrt , ſodaß die beiden , mit Inbegriff der reitenden Artillerie, nicht weniger als 26 Batterien zählten, während außerdem über 60 Liniencompagnien aufgestellt wurden. Zum Dienste in den Parks verwendete man überdies noch eine gewiſſe Anzahl von Compagnien , welche aus den Handwerkerbataillonen der Marine gezogen wurden.

1 ,,In diesem Kriege bedarf es vieler Artillerie." (Schreiben Napoleon's an Marmont, St.-Cloud, 14. April.) 16*

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Sechstes Kapitel.

Die reitende Artillerie ward in gleicher Weise theils in Magdeburg, theils in Frankreich neu errichtet. Die Kanoniere , welche in diese neuorganisirten Truppentheile eintraten, waren beinahe durchgängig Soldaten von 7-8: monatlicher Dienstzeit , also von sehr unfertiger Ausbildung. In Ermangelung anderer mußte man sie aber wohl oder übel verwenden. Napoleon's Umsicht war also auch hierin wieder, was bemerkt werden muß , nicht so weit gegangen , um sich für zwei oder drei Jahre voraus eine Reserve von auserercirten Artilleristen sicherzustellen. Diese mangelhafte Ausbildung machte sich bei der reitenden Artillerie um so fühlbarer, als deren Dienst sehr gewandte und mit dem Pferde vertraute Reiter erfordert. Das Kriegsmaterial wurde zu jener Zeit von einem Corps, dem sogenannten Artillerietrain, geführt, welcher unter der Leitung von Artillerieoffizieren stand. Von diesem Corps , welches 13 Linien- und 2 Gardebataillone stark in Rußland eingerückt, war beinahe nichts zurückgekommen . Dasselbe mußte ganz und gar neu errichtet werden. Indessen hatte es wenig Leute in den Depots, und die es hatte, bestanden nur aus Conscribirten von 1812 und 1813. Man verwendete dieselben zur sofortigen Formation einiger Feldcompagnien , theilte Mannschaften von der Infanterie in deren Reihen ein und completirte sie mit Rekruten von den vier letzten Altersklassen. Der in Magdeburg, Hannover und Frankreich reorganiſirte Train ſtand zu gleicher Zeit wie die Artillerie bereit; aber ebenso wie diese hatte derselbe nur ungeübte Soldaten , obwol sein Dienst viel Geschicklichkeit und Uebereinstimmung in seinen einzelnen Theilen erfordert. Der Train der französischen Militärequipagen war mit 17 Bataillonen, darunter 2 von der Garde, nach Rußland gerückt, die einen in der Stärke von vier, die andern von sechs Compagnien, das heißt : die einen bespannten 400, die andern Derselbe hatte Pferde wie Fahrzeuge verloren, 600 Wagen. und nur Ueberreste von Cadres und an tausend Soldaten gerettet. Wegen der unordentlichen Weise, in welcher der Krieg geführt worden, hatte jener Train dort nur wenig Dienste geleistet , aber es war doch unumgänglich nothwendig ,

deſſen

Napoleon's neugeschaffene Streitkräfte.

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zu Grunde gegangenes Personal wieder zu ersehen. Napoleon befahl demzufolge , daß die beiden Bataillone der Garde und zehn von der Linie reorganisirt , die übrigen aber aufgelöst werden sollten , da er in Deutschland nicht so viel Fahrzeuge wie in Rußland zu brauchen glaubte.

Für die Garde

und

6 Linienbataillone sollte die Reorganisation in den diesſſeit des Rhein und jenseit der Alpen gelegenen franzöſiſchen Ländern , für die vier andern aber zwischen der Elbe und dem Rhein erfolgen. Es wurden dazu Leute mit erfrorenen Fingern und hauptsächlich Conscribirte von den vier lezten Altersklaſſen verwendet. Faßt man alle die eben geschilderten Maßnahmen zusammen, so ergibt sich, daß Napoleon hoffen konnte, Ende April an der Elbe , dem Rhein und der Donau zu haben : Lauriston mit 48, Davout gleichfalls mit 48 , Victor mit 36 Bataillonen, Latour-Maubourg und Sebaſtiani mit 6000 Pferden, Ney mit 60, Marmont mit 52 Bataillonen, Lebrun mit 12000 Pferden, Bertrand mit 51 Bataillonen und 4000 Pferden , endlich die kaiserliche Garde in der Stärke von 60 Bataillonen und 5000 Pferden, alſo im ganzen 355 Bataillone, 27000 Pferde und über 600 Geschüße , zu welchen noch hinzutreten würden die bereits unter Eugen vereinigten Truppen und sämmtliche alliirte Contingente, deren Formation man zu beschleunigen ſuchte und die sich auf 100000 Mann belaufen sollten , das preußische und österreichische, wie auch das Poniatowski'sche Corps nicht mitgerechnet. Die Conſcribirten von 1814 sollten im Monat April in den Depots eintreffen und zum Ersage der Verluste dienen, welche die in der Linie befindliche Armee erlitten haben würde. 1 Diese großartigen Rüstungen Frankreichs erforderten Geld und zwar viel Geld. Man bedurfte dessen ferner zum Unter-

¹ Alle oben durchgegangenen Details über die Organiſation der Armee, welche früher oder später in die Linie einrücken sollte, sind aus Napoleon's Correspondenz mit dem Kriegsminister, mit Eugen , den Marſchällen und den die verſchiedenen Armeecorps commandirenden Generalen ausgezogen worden.

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Sechstes Kapitel.

halte der Armee, wenn sie einmal aufgestellt war , wenn auch Napoleon nicht die Absicht hatte, von seiner Gewohnheit abzugehen, erstere soviel als möglich auf Kosten der von ihr befeßten, gleichviel ob Freundes oder Feindes Länder, leben zu laſſen ; eine Gewohnheit, die zwar in ökonomischer Beziehung productiv, aber noch viel productiver hinsichtlich der Erzeugung von Haß war, und deren furchtbare Härten kennen zu lernen Frankreich leider nicht erspart bleiben sollte. Ungeachtet der Einnahmen aus den von Napoleon eingeführten unbilligen und drückenden Zöllen, aus dem unmoralischen Handel mit den Seelicenzen, aus den verhaßten Waarenconfiscationen, welche Tausende ruinirten, und ferner aus den Kriegscontributionen , die das Ausland uns einst wieder abnehmen sollte, wieſen dennoch die Reichsbudgets nicht nur keinen Einnahmeüberschuß zur Deckung unvorhergeſehener Bedürfniſſe auf, ſondern ſchloſſen zudem mit einem Deficit von 84 Millionen ab. Das für solche Bedürfnisse auf das Budget von 1813 entfallende Deficit ward auf 149 Millionen geschäßt. Man mußte alſo 233 Millionen außerordentliche Einnahmen ſchaffen. Napoleon hätte diese bedeutende Summe seinen Miniſtern zur Verfügung stellen können , ohne daß es jemand etwas gekostet und ohne daß etwas anderes als eine Reſtitution an das Land stattgefunden. Nach Art der orientalischen Despoten hatte er einen Schat in seinem Palaſte , einen Schaß von 160 Millionen in baarem Gold und Silber, und überdies beſaß er noch 40 Millionen in Actien, Obligationen und verſchiedenen leicht in Geld umzusehenden Werthen. Diese 200 Millionen bildeten mit andern sehr bedeutenden, aber nicht sofort realiſirbaren Werthen das, was Napoleon sein außerordentliches und sein Privateigenthum nannte. Als eine monströse Schöpfung dieser Regierung bestand das erstere aus gewiſſen auferlegten Kriegscontributionen und den in fremden Landen vorgenommenen Mobiliar- und Immobiliarconfiscationen, das lettere Besißthum schrieb sich aber her aus Ersparnissen an der in kecker Weise bis auf ein jährliches Einkommen von 40 Millionen hinaufgeschraubten Civilliste. Es wäre also sehr natürlich und billig gewesen, wenn Napoleon in diesem Moment des Geldmangels die in

Beschaffung der Rüstungskosten.

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den Tuilerien aufgehäuften 200 Millionen wieder in den Staatsschatz, dem er sie entzogen, hätte zurückfließen lassen. Und wenn er , was ohne übermenschliche Großmuth möglich , zu dieser Restitution noch 30 Millionen auf seine Civilliste für 1813 hätte übernehmen wollen, so würde das Deficit der frühern Budgets sofort gedeckt und die Beschaffung der Ausgaben für das laufende Jahr gesichert gewesen sein. Napoleon war aber nicht der Mann, der sich auf solche Art seiner Reichthümer begab , die in seinen Händen ein Regierungswerkzeug waren. Er wollte auch nicht die von ihm für seine Krone eingezogenen Forsten veräußern, welche ihm jährlich 4-5 Millionen eintrugen und rasch für 150-200 Millionen hätten verkauft werden können. Von diesen beiden Mitteln abgesehen , blieben noch andere übrig, nämlich: der Verkauf von Staatswaldungen , eine Erhöhung der Zölle und eine Anleihe. Jedenfalls war es für Napoleon nachtheilig, wenn man hätte ſagen können , er habe das Staatsvermögen geschmälert. Wenn man aber dem Volke seine Kinder für den Krieg entriß, wenn man dasselbe unter dem Scheintitel freiwilliger Gaben Millionen zahlen ließ und ihm seine Pferde auf dem Requiſitionswege wegnahm, so war der Moment jedenfalls gerade nicht ſehr günstig , um ihm noch eine Steuervermehrung aufzubürden. Nahm man aber den Credit - seiner Gewohnheit nach, in Anspruch, so würde dieser Credit — wenn er es mit einem Borger zu thun hat, dem die vor allem von ihm gesuchten Eigenschaften, nämlich Pünktlichkeit und Redlichkeit, abgehen es sich haben theuer und um so theurer bezahlen laſſen , als vor gar nicht langer Zeit die Besiergreifung von Holland durch einen Staatsbankrott von 67 Proc. ¹ inaugurirt worden war. Aber ungeachtet dieser Schwierigkeiten schien es doch, als ob Napoleon ſich würde entſchließen müſſen, die ihm mangelnden finanziellen Mittel auf einem jener

1 Laut Decret vom 9. Juli 1810. Bei dieser Gelegenheit strich Napoleon ohne weitere Umstände die Forderungen der Prinzen von Hessen und von Oranien aus dem großen holländischen Staatsschuldbuche, das heißt, er confiscirte ihr Vermögen.

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Sechstes Kapitel.

Wege oder allen dreien zusammen aufzubringen, als ihm plözlich sein Minister des Auswärtigen, Maret , noch ein anderes Auskunftsmittel zeigte.¹ Einige Tausende von den 60000 Gemeinden des Reiches besaßen außer den Waldungen, Auen, Hutungen und Torfgruben deren Nuznießung ihren Ortsgehörigen gemeinschaftlich zustand, auch noch Ackerländereien, Wiesen, Häuser und Hüttenwerke, welche sie verpachteten oder auf eigene Rechnung bewirthschafteten und deren Einkünfte ihrem Budget zuflossen. Jene Ländereien, Häuser und Hüttenwerke waren auf 370 Millionen abgeschäßt, während sich ihr jährlicher Ertrag auf 8-9 Millionen belief. Maret machte nun den Vorschlag, sich dieser Güter zu · bemächtigen, sie zu veräußern und dafür den depoſſedirten Gemeinden Inscriptionen auf das große Staatsschuldbuch in Höhe von 8-9 Millionen Rente zu geben, welche auf dem Geldmarkte verkauft werden sollten. Zum Zinsfuße von 5 Proc. reprä sentirten diese Inscriptionen nur 130 Millionen Kapital ; die Gemeinden verloren demnach 240 Millionen an ihrem Vermögen , 240 Millionen, welche in baarem Gelde den Staatskaſſen zufließen, und so das Deficit der frühern Jahre und das für 1813 vorgesehene decken sollten. Spoliirung war also das Losungswort von Maret's Vorschlag, und Napoleon ging darauf ein. Die Republik hatte , mochten ihre Gefahren und Bedrängnisse noch so groß gewesen sein, doch das Gemeindeeigenthum respectirt2 ; dagegen griff Napoleon daſſelbe an, ohne die Entschuldigung unbedingter Nothwendigkeit für sich zu haben. Man beſtimmte , daß die Amortisationskaſſe mit dem Verkaufe jener den Gemeinden abgenommenen Güter beauftragt würde. Da aber dieser Verkauf durch die zu erfüllenden Formalitäten sich verzögern durfte, und indem man andererſeits auch die Nothwendigkeit einsah, den Käufern gewisse Zahlungsfriſten zu

1 S. ,,Mémoires d'un ministre du trésor public". (Mollien.) 2 Der Convent hatte zwar die Theilung gewiffer Gemeindegüter unter den Einwohnern einer und derselben Commune verfügt, sich aber wohl gehütet, auch nur den geringsten Theil davon einzuziehen.

Spoliirung der Gemeinden.

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bewilligen , so wurde beschlossen , daß die genannte Kasse sofort Obligationen im Betrage der zu Händen des Staats gelangenden Summe auszugeben hatte. Diese Obligationen trugen Zinsen, waren zu bestimmten Terminen rückzahlbar und sollten für die zu verkaufenden Gemeindegüter in Zahlung genom men werden." Napoleon behielt sich vor, für einen Theil seines Tuilerienschaßes derartige vorzügliche Werthpapiere einzutauschen, und hatte auch die Absicht, solche durch die französische Bank und gewiſſe Staatskaſſen ankaufen zu laſſen. Ebenso hoffte er, daß die Lieferanten und Unternehmer der verschiedenen Ministerien dieselben für ihre Lieferungen in Zahlung nehmen, und auch das Publikum ſie als eine gute Kapitalsanlage betrachten würde. Nachdem das Nähere wegen jener Spoliirung der Gemeinden in mehrern Berathungen — welchen Maret mit dem Finanzminiſter Gaudin und dem Miniſter des Staatsschazes, Mollien, beigewohnt festgestellt worden, wollte Napoleon das Gehäſſige dieſer Maßregel sich nicht allein aufbürden , und berief daher den Gefeßgebenden Körper ein , damit auch dieſer ſein Theil daran nehme. In dem constitutionellen Mechanismus des kaiserlichen Thrannenregiments hatte die genannte Versammlung die Bestimmung , eine Art von Volksvertretung vorzustellen, welche die Staatseinnahmen und Ausgaben votirte und controlirte. Nach Napoleon's richtiger, cyniſcher Definition war dieselbe jedoch ohne Augen, Stimme und Ohren. Napoleon ließ ihr seine Beschlüsse durch die Organe seiner Gewalt verlautbaren und sie ſanctionirte dieſe durch ihr Votum mit einer Servilität, welche nur in der des Senats ihresgleichen fand. Sie wurde von einem Kammerherrn aus den Tuilerien präsidirt. Schickte ja Karl XII. seinen Stiefel, um den Präsidentensiz im schwedischen Senate einzunehmen. Napoleon , welcher seiner Gewohnheit nach die von ihm Frankreich verliehene Conſtitution selbst nicht respectirte , hatte 1812 den Gesetzgebenden Körper nicht einberufen , sondern das Budget dieses Jahres im Verordnungswege festgestellt ; daß er dasselbe für 1813 nicht auch in gleicher Art zu bestimmen bewogen wurde , dem lag nichts weiter zu Grunde als sein Wunsch, das Gehässige jener groß-

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Sechstes Kapitel.

artigen räuberischen Maßregel gegen mehrere tausend Gemeinden zum Theil von sich abzuwälzen . Man könnte sagen , daß er von da an so etwas wie eine Erschütterung seiner Autokratie verspürte. Die Zusammenberufung des Gesetzgebenden Körpers benußte Napoleon zur Kundgebung eines politischen Manifeſtes , welches Frankreich hinsichtlich seiner Lage gegenüber Europa täuſchen Am 14. Febr. er: und zugleich leßterm imponiren ſollte. ſchien er denn in großem Pompe mit jenem theatraliſchen Ceremoniell , das er in der Mitte derer zu entwickeln liebte , welche er die ,,Vertreter der Departements im Geseßgebenden Körper" nannte. Mit stolzer Miene und herrischer Stimme las er eine Rede ab , in welcher er eine unbedingte Befriedigung über die gegenwärtige Lage affectirte und aus der die schrankenlose Anmaßung, auch die Zukunft nach seinem Willen zu regeln , her: vorschaute. Es war eine Rede in jenem von ihm oft gebrauchten kernigen und packenden Stil. Napoleon begann mit der Wiederholung des bekannten Themas über die Kälte als die alleinige Ursache der in Rußland erlittenen Verluste und Calamitäten , und zwar schmückte er es mit der neuen Erfindung aus , daß die auf den Wegen unserer Armeen verübten Verwüstungen das Werk ,,eines Schwarmes von Tataren " wären , welche auf diese Art ihren alten Haß gegen die unglücklichen Moskowiter " gestillt. Er versicherte ferner, daß seine Völker des Königreiches Italien , des ehemaligen Holland und der hinzugekommenen Departements mit den Alt - Franzosen in der Liebe für seine Person und in ihrer Stimmung für die Integrität des Reiches wetteiferten. Und weiter sagte er , daß die kürzlich erlittenen Unfälle " die Größe und Festigkeit “ dieſes ſelben Reiches hätten hervortreten laſſen. Er beschuldigte England, bei allen unsern Nachbarn den Geiſt des Aufruhrs gegen die Fürſten zu verbreiten , zur Anarchie und zum Bürgerkriege hinzutreiben ; „ aber ", sagte er mit einer sonderbaren Zuversicht, ,, die Vorsehung hat es selbst als das erste Opfer der Anarchie und des Bürgerkrieges bezeichnet." Er verkündete , daß er unmittelbar mit dem Papst ein Concordat abgeschlossen , welches

Einberufung des Gefeßgebenden Körpers .

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alle Zwistigkeiten mit demselben beendet. Weiter erging er sich in folgenden hochtrabenden Aeußerungen : „ Die französische Dynastie herrscht und wird herrschen in Spanien . Ich bin mit dem Benehmen aller meiner Verbündeten zufrieden. Keinen derselben werde ich verlassen. Ich werde die Integrität ihrer Staaten aufrecht erhalten. Die Ruſſen werden in ihr abscheuliches Klima zurückkehren. “ „ Ich wünsche den Frieden , die Welt bedarf seiner" , sagte er noch unter anderm. Niemals hatte Napoleon das Recht mehr gemisbraucht als hier, wo er sich anmaßte, allein und ohne Widerspruch zu reden, der Wahrheit ins Gesicht zu schlagen und Lügen zu verbreiten. Aber auch noch nie war seine Rede mehr voller Ehrgeiz, Unglücksbotschaften und Katastrophen gewesen. Jene Alt - Franzosen , deren Liebe für seine Perſon und Hingebung für seine Dynastie Napoleon gepriesen , trauerten im Herzen um ihre Kinder , welche auf dem Wege nach Moskau gefallen , liegen geblieben und vor Hunger und Kälte umgekommen waren ; sie waren gegen seinen Ehrgeiz erbittert und der ihnen angelegten Fesseln müde. Jene Neu-Franzosen aber hatten mit einer teuflischen Freude die Nachricht von der russischen Katastrophe vernommen. Sie schäumten vor Wuth in der Erinnerung an ihre ihnen geraubte Nationalität ; sie warteten nur die Gelegenheit ab , um gegen den Räuber sich zu erheben, und zwar kam diese Gelegenheit immer näher. Jenes mit dem Papste abgeschlossene Concordat war nur der Pact eines ungerechterweise gefangen genommenen Souveräns mit dem , welcher ihn durch einen schmählichen Misbrauch der Gewalt in die Gefangenschaft geführt und noch darin zurückhielt. Doch widerrief bereits der Gefangene , bei welchem das Selbstbewußtsein wiedererwachte, die seiner Schwäche abgelistete Unterſchrift. 1

1 Pius VII. verdient keine Theilnahme. Indem er vor den Augen der gläubigen Katholiken Napoleon's Meineiden und Usurpationen die Weihe gab und , nach dem katholischen Ausdrucke , die heilige Salbung

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Sechstes Kapitel.

Die Verbündeten , über welche sich Napoleon in so befrie digender Weise geäußert , waren größtentheils in ihrer Allianz schwankend geworden. Der mächtigſte unter ihnen , der Kaiser von Oesterreich, zog sein Contingent im kritischsten Moment vom Kriegsschauplage zurück, gab das Großherzogthum Warschau den russischen Armeen preis und schloß mit ihnen einen Waffenstillstand ab. Der König von Preußen , welcher das durch York's Abfall der Allianz abwendig gemachte Corps nicht erſeßte und mit aller Macht rüstete , nahm eine so zweideutige` Haltung an , daß Eugen den Befehl erhielt , die erwähnten Rüstungen zu untersagen . Diese französische Dynastie , welche in Spanien regierte und regieren sollte, konnte sich nicht ohne ein Armeecorps vor die Thore von Madrid wagen , während die franzöſiſchen

der Stirn desjenigen ertheilte , welcher noch kurz vorher in Ettenheim dem Völkerrechte Hohn gesprochen und in Vincennes einen Justizmord begangen - damit hatte dieser Pfaffe der Pfaffen das allgemeine Gefühl empört. Beim Herannahen des Krönungstages urtheilte ſelbſt ein eifriger und hervorragender Katholik , Graf Joseph de Maiſtre , nicht anders. Er ſchrieb : „ Die Reiſe des Papſtes und die Krönung ſind in diesem Augenblicke der Gegenstand aller Geſpräche. .... Die Schandthaten eines Alexander VI. find nicht so empörend als die scheußliche Apoſtaſie ſeines schwachen Nachfolgers. " Und indem der Genannte ein andermal auf dieſe Sache zu sprechen kommt, läßt er sich noch folgendermaßen darüber aus : ,, Ich habe keine Worte , um Ihnen die Entrüſtung schildern zu können , welche der Schritt , den der Papst zu thun willens, in mir hervorgerufen hat. Wenn er denselben zur Ausführung bringen sollte, so wünsche ich ihm von ganzem Herzen den Tod , wie ich diesen ebenso und aus dem gleichen Grunde meinem Vater morgen wünſchen würde, wenn er seine Ehre beflecken sollte. " ( S. diese aus Petersburg geschriebenen Briefe in „ Mémoires politiques et Correspondance diplomatique du comte Joseph de Maistre ".) Entehrte sich Pius VII. durch Napoleon's Salbung , so ist wieder des letztern Benehmen gegen ihn nicht minder schmählich. Sich durch Büberei und Gewalt der Person und der Staaten eines Souveräns zu bemächtigen , welchen man anerkannt , ſich dieſer in tiefem Frieden zu bemeistern und jenen Souverän in Gefangenschaft zu halten , das find Handlungen , welche die Moral brandmarkt und die der Verdammung durch die Geschichte nicht entgehen.

Darstellung der Lage des Reiches.

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Armeen schon seit fünf Jahren nie weiter als über den Plak ihrer Wanderbivuaks Herr geworden. Der von Napoleon kundgegebene Wunsch nach Frieden, mit der gleichzeitigen Erklärung , in keinen solchen einwilligen zu wollen , wenn dieser nicht auf Europas Dienstbarkeit unter seinem Machtgebot basire, das war die zweifellose Ankündigung eines schrecklichen Krieges , deſſen Ende nicht abzusehen. Jene Rede Napoleon's hatte nur in sehr vager Weise auf die außerordentliche Finanzmaßregel , die vom Geseßgebenden Körper zu votirende Spoliirung der Gemeinden , hingedeutet. Lettere kam erst bei der Vorlage des Budgets zur Sprache, und zwar konnte der Staatsrath Molé , welcher dieselbe zu rechtfertigen den Auftrag hatte , zu dem Ende nichts Besseres vorbringen , als auf die Nothwendigkeit, Besitzungen nicht in todter Hand zu belassen, sich zu berufen. Sonderbares Argument im Munde des Dieners eines Herrschers , welcher allerorten Majorate gründete oder zu gründen sich angelegen fein ließ. Um aber einen hohen Begriff von den Hülfsquellen seines Reiches zu haben , welche man nach so vielen Kriegen für sehr geschwächt und für fraglich hätte halten können , und angesichts der zu Gunsten des Staatsschates an den Gemeinden begangenen Spoliirung , ließ Napoleon dem Geseßgebenden Körper eine Art von allgemeiner Statistik Frankreichs für die Jahre 1811 und 1812 vorlegen und unter dem Titel : ,, Darstellung der Lage des Reiches ", veröffentlichen . Es war das lachendste Bild , welches man sich denken kann , eine jener Schilderungen, die jede Regierung vorzulegen im Stande, wenn sie jedes Mittel zur Beleuchtung ihrer Reden und Handlungen , überhaupt alle Freiheit der Discussion abgeschnitten hat. Wir haben hier nicht näher darauf einzugehen , um aber nur anzudeuten , bis zu welchem Grade diese Darstellung auf das allgemeine Zutrauen Anspruch machen konnte, wird es zu be merken genügen , daß folgende zwei Behauptungen dort zu lesen find , nämlich : die Conscription habe zur Vermehrung der Bevölkerung beigetragen , und daß eine der Hauptursachen

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Sechstes Kapitel.

,,zur Wohlfahrt des Reiches die liberalen Geseze wären , mit denen dasselbe regiert würde ". Diese Schilderung trug die Unterschrift des Ministers des Innern , Montalivet , einer der niedrigſten Seelen unter dieſer höfiſchen, nach Napoleon's Niedrigkeit geformten Beamtengeneration . Es schien nicht, als ob die ſo ins Werk gesezte und mehr oder weniger anfechtbare Schaustellung der Hülfsquellen des Reiches den gehofften Eindruck auf die öffentliche Meinung hervorbrächte. Im Auslande zog man Montalivet und ſein Machwerk ins Lächerliche. In Frankreich dagegen hatte man aber doch in zu grausamer Weise mit der Wirklichkeit zu rechnen, als daß man sich mit Paradoren abfertigen und durch Versicherung einer vermeintlichen Wohlfahrt vertrösten ließ. Obwol die Völker des Reiches einen Augenblick durch den kriegerischen Ruhm irregeleitet und geblendet waren, so wurden sie doch eines bessern belehrt durch die bayonner Falle , den ſträflichen Krieg gegen die Spanier , durch die fortwährenden wider alles Recht und alle Vernunft vorgenommenen Annexionen zum französischen Gebiete, und schließlich durch den wahnwißigerweise nach Rußland hineingetragenen Krieg , der von einer beispiellosen Katastrophe gefolgt war. Es wurde ihnen endlich klar , daß Napoleon's selbstsüchtiger Ehrgeiz die Ursache der steten Unruhen in Europa und ihres Unglücks war , und deshalb nährten ſie , sei hier wiederholt , Erbitterung gegen ihn. Das ist eine Thatsache, welche selbst seine Lobredner nicht wegzuleugnen gewagt , denn die Beweise dafür sind nur zu reichlich vorhanden. Die Pferderequifitionen gingen vor sich , die sogenannten freiwilligen Gaben wurden gezahlt ; ebenso erhob man die rechtswidrigsten Zölle von Brest bis Rom , von Bayonne bis Hamburg und Lübeck, ohne andere Schwierigkeiten als seltene und vereinzelte Proteste , welche durch die strenge Willkür der Präfecten unterdrückt wurden. Das ist wahr. Die Umwandlung der Cohorten in Linientruppen und die Rekrutenaushe1 bungen nahmen - das ist auch wahr -- - ihren Fortgang mit wesentlichem Erfolge , trok einiger Meutereien , Deſertionen, wie auch zahlreicher Entweichungen von Conſcriptionspflichti-

Einziehung der Rekruten.

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gen¹, und obwol zum öftern das barbarische Mittel der Erecutionen in Anwendung gebracht werden mußte. Solche große Opfer wurden aber in schmerzlicher Weise empfunden. Zu der durch die ruſſiſche Katastrophe über Frankreich hereingebrochenen Trauer kam noch der Schmerz jener drei- bis vierhunderttauſend Familien, denen man ihre Kinder nahm , um sie auf das Schlachtfeld zu schleppen, wobei jeder begriff, daß es sich nicht um einen Streit des Vaterlandes Die Auslosung und der Abmarsch der Rekruten handelte. gaben fast überall Veranlassung zu den herzzerreißendsten Scenen, nicht nur am häuslichen Herde , sondern auch auf offener Straße. Angesichts der durch das Los getroffenen und zu diesem Kriege abmarſchirenden jungen Leute , vor denen keiner wiederkehren oder nur als Krüppel zurückkommen sollte , zerfloffen die Verwandten und Freunde in Thränen und brachen in Schluchzen aus . Ihr Jammer fand lauten und traurig mitfühlenden Widerhall im Schose der Menge und in den Herzen derer, welche ihre Söhne , mochten es Kinder oder wirkliche Männer sein , noch an ihrer Seite hatten. Die Conſcription, welche jezt vor und über das zwanzigste Jahr hinausgriff, schien in der That niemand mehr zu verschonen , um Napoleon's Feldlager zu bevölkern , oder , wie man sich ausgedrückt,,, um die Löwenhöhle mit Schlachtopfern zu versehen “. 2 In den Provinzen konnten die entwichenen und widerſpenſtigen Conſcriptionspflichtigen , wie auch der Deserteur auf Mitleid und Hülfe rechnen. Dort, wo das Land schwer zugänglich, in den damals nur mangelhaft von Straßen durchschnittenen Bergen von Mittel -Frankreich, in den dichten Wäldern der Vendée , in den weitausgedehnten Heiden der Bretagne und auf der Seite gegen die Pyrenäen hin , war es nicht selten,

1 Fain , einer der furchtlosesten von Napoleon's Lobrednern , fagt in dem unter Maret's Inspiration und auf Grund von deſſen Angaben geschriebenen ,,Manuscrit de 1813" : ,, Die Conſcriptionsliſten wieſen zusammen 160000 Rekruten auf , welche sich nicht mehr bei ihren Familien befanden , aber auch bei ihrer Fahne nicht eingetroffen waren. “ 2 Foy, général , „,, Histoire des guerres de la Péninsule ":

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Sechstes Kapitel.

daß die ihrer Beute nachspürende Gensdarmerie und die Erecutionstruppen - welche die Aeltern ruiniren sollten , um die angegriffen , gemisGestellung des Sohnes herbeizuführen handelt und zurückgetrieben wurden . Suchte man dann den Proceß über diese Gewaltthätigkeiten einzuleiten , so wollte niemand Zeuge davon gewesen sein. In Paris waren der Schmerz und die Erbitterung nicht minder groß und kamen selbst Napoleon gegenüber zum Ausbruche. Bei einem Ritte durch die Vorſtadt St.-Antoine wurde er in beleidigenden Worten von einem jungen Manne angesprochen , welcher gegen die Conscription proteſtirte ; und als Polizeiagenten diesen Kühnen ergreifen wollten , widerseßte sich dem die Menge. Mehrmals hatte das Volk auf verschie denen Punkten der Hauptstadt , durch das Geschrei der von den Behörden ins Gefängniß geschleppten Rekruten herbeigerufen, sich zu deren Hülfe zusammengerottet , und hatte leztere befreit oder den Versuch dazu gemacht.1 ,, Die Gemüther er hihen sich; am hellen Tage schlägt man für den Kaiser belei digende Plakate an ", schrieb der Polizeipräfect Pasquier in einem Berichte. In den Bürgerklassen waren die Trauer und Aufregung ebenso groß und machten sich in heftigen Aeußerungen Luft. Unter den hohen Beamten und selbst unter den Hoffchranzen der Tuilerien griff die Misstimmung um sich, und hatte man düstere Ahnungen. Sagte doch gar in den Tuilerien der Generalpoſtdirector Lavalette zum Schahminiſter Mollien : „ Der Kaiser hat sich nicht geändert. Die Unglückslehre hat nichts gefruchtet. Wann wird der Krieg enden, wenn er sein Glück wiederfindet ? Und was für ein Frieden wird es sein , wenn er unterliegt? 2 Derselbe Lavalette, eine Creatur Napoleon's, war damals und auch später einer von dessen ergebensten

1 Wir entlehnen dieſe Thatsachen aus_Thiers' „ Histoire du Consulat et de l'Empire ", welcher ste , seiner Angabe nach , aus den an Napoleon eingereichten Berichten der kaiserlichen Polizei geschöpft. 2 S. ,, Mémoires d'un ministre du trésor public". (Mollien.)

Erbitterung der Franzosen gegen Napoleon.

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Dienern. Ein anderer minder hochstehender, aber ebenso diensteifriger Helfer des kaiserlichen Tyrannenregiments hat lange Zeit nachher die Stimmung Frankreichs zu dieſer unglücklichen Zeit in folgenden kurzgefaßten und mild ausgedrückten Worten geschildert : „ Man war des Krieges müde und fand Napoleon's Joch drückend." 1 Dieses Joch abzuwerfen , besaß man leider nicht die Energie. Dreizehn Jahre eines ungezügelten Despotismus , einer ſyſtematischen Corruption und einer reactionären Politik hatten die Bürgertugenden zu Fall gebracht. Frankreich glich dem Sklaven, in dessen Herzen unter dem Uebermaße seiner Leiden der Aufstand gärt, der aber dennoch das Schwert des Spartacus zu ergreifen sich nicht getraut. Es wagte nicht , die am 18. Brumaire und im Jahre XII über sich usurpirte Macht wieder zurückzunehmen , sondern fuhr fort, die Sorge für seine Ge schicke zu verabsäumen. Schon seit langem standen die der Revolutionspartei treu Gebliebenen in ihren Voraussagungen über Bonaparte wie in ihrem Hasse gegen die Usurpation und den Usurpator gerecht: fertigt da , und mit jedem Tage sollten ihnen die Ereigniſſe noch mehr recht geben. Die Erbitterung der Nation fand sich auch im stillen bei den Conscribirten wieder , welche man nach der Elbe , dem Rhein und der Etsch in Marsch sehte , ohne vorher die Zeit gehabt zu haben, denselben Disciplin beizubringen und ihnen Subordination , den Fahnencultus und das Vergessen ihrer in Thränen zurückgelaſſenen Familien einzuimpfen , welche lettere in vielen Fällen durch deren Abmarſch in bittere Noth gerathen waren. Jene Erbitterung gab sich aber auch unter den aus Rußland entkommenen Ueberresten mit einer unerhörten Schärfe auf offener Straße kund . Generale und Offiziere führten faſt aufrührerische Reden im Munde ; die über Mainz nach Frankreich zurückkehrenden Cadres-Mannſchaften hörte man den auf dem Marsche zu ihren Corps begriffenen Rekruten zurufen : Wo geht ihr denn hin ? ...

1.S. Thibaudeau ,,, Le Consulat et l'Empire ". Charras, 1813.

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,, zur Armee ? ... Wartet wenigstens , bis euch der Kaiſer ſelbſt dahin führt ... “ 1 Beißende Anspielung auf die fluchtähnliche Abreise von Smorgoni ! Napoleon wußte dies alles , denn seine doppelte , die Civilund Militärpolizei , welche überall verbreitet und durch die von ihm nach Möglichkeit aufgemunterte Angeberei unterſtüßt wurde, hinterbrachte es ihm in ihren vielfachen und ziemlich wahrheitsgetreuen Berichten. Doch machte dies keinen Eindruck auf ihn . In der Ueberzeugung , die französische Nation so weit entnervt zu haben, daß sie ihre Souveränetät zurückzufordern nicht im Stande , misachtete er ihren Schmerz und Grimm. Hörte man ihn doch in seinem stolzen Uebermuth wiederholt sagen ,,, um TO seiner würdig zu sein , müßte - Frankreich von kleinmüthigen Wünschen abſtehen , und müßte es vielmehr vor allem ſein Verlangen sein , die verlegte Ehre zu rächen ; und daß der einzige Frieden , dem es zustimmen könnte , nur derjenige sein dürfte , den es durch neue Siege dictirt und welcher demselben alle seine Eroberungen beließ ... ". Uebrigens war Napoleon entschloſſen , jeden Versuch zur Auflehnung gegen seine Herrschaft in Blut zu ersticken. Das Blut! Er vergoß es zwar nicht , wie manche Tyrannen , aus Geschmack daran oder thörichter Grausamkeit ; doch sparte er es nicht , wenn es galt, ſein . persönliches Intéreſſe zu wahren und den Schrecken seines Namens aufrecht zu halten. Als Beweis dafür genügt es , an die Justizmorde des Herzogs von Enghien , des Buchhändlers Palm und der elf Offiziere , der Gefährten des heldenmüthigen Schill , zu erinnern. Doch wie viele Unglückliche ſind nicht inner- und außerhalb des Reiches ohne historischen Nachhall unter dem kaiserlichen Blei gefallen und demselben Zwecke hingeopfert worden ! Im vorhergehenden Jahre hatte Napoleon drei Männer und drei Frauen in Caen

1 Wir entlehnen Obiges aus „,Histoire du Consulat et de l'Empire ". Wie Thiers angibt , hat er dies aus den Napoleon vorgelegten militärischen Rapporten entnommen. 2 S. ,, Mémoires d'un ministre du trésor public ". (Mollien.)

Blutige Unterdrückung von Nuheſtörungen.

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erschießen lassen , welche infolge eines durch die außerordentliche Getreidetheuerung hervorgerufenen Tumults in wenigen Stunden von einer Militärcommiſſion ab- und verurtheilt wurden, obwol bei dieser Ruheſtörung niemand umgekommen oder verwundet worden war. Als es ganz kürzlich aus Anlaß der Rekrutirung im Großherzogthum Berg zu Unruhen gekommen, hatte man vierzig solcher Unglücklichen festgenommen , sie zu zweien aneinandergefeſſelt nach Düſſeldorf geführt und hier drei Viertheile ihrer Zahl erschossen. ¹ Ohne ernste Beunruhigung hinsichtlich der Unterwürfigkeit des Volkes zweifelte Napoleon auch nicht an der künftigen Haltung seiner alten Soldaten und Rekruten. Mit Fug und Recht zählte er darauf, daß leßtere , einmal auf dem Kampfplage angekommen , unsern Stamm nicht verleugnen würden, welcher in seinen Gefühlen des Hasses und der Zuneigung leicht veränderlich, dazu voller Eigenliebe und Muth und leidenschaftlich bis zur Tollkühnheit in den Kriegsgefahren. Was deren ältere ebenso erbitterte Kameraden anbelangt , so glaubte Napoleon , daß eine mehrwöchentliche Ruhe , Pflege , materielle Abhülfe und endlich der Anblick ihres ihnen den Feind zeigenden Generals nicht verfehlen könnten , sie zum Gehorsam und zur Reue zurückzuführen , um sie dann bereit zu ſehen , mit ihm neuen Abenteuern nachzugehen , ja selbst dem tollſten von allen, der Eroberung Europas nachzujagen. In der Gewißheit , Menschen , Geld , Pferde , Waffen und ein beträchtliches Material zur Verfügung zu haben , glaubte sich Napoleon des Sieges und definitiven Erfolgs sicher. In jenem Prophetentone, den er immer noch anzuschlagen beliebte troh der vielen und so schmerzlichen Widerlegungen , die sein Orakel durch Portugal, Spanien und Rußland erfahren - ver-

¹ Diese Unruhen hatten in Solingen am 23. Jan. , als dem Tage der Losziehung für die Conscription , angefangen und sich von da schnell nach Lennep , Wipperfürth , Ronsdorf , Barmen , Elberfeld 2c. fortgepflanzt. Die daran Betheiligten , welche sehr zahlreich waren, hatten sich keine andern Waffen als Stöcke beschaffen können , weshalb man sie im Lande ,, Knüppelruffen “ nannte. 17*

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Sechstes Kapitel.

kündete er im Moniteur universel : „ Sobald der Winter vorüber , werden die Ruſſen noch schneller , als sie vorgerückt , “verjagt und zurückgetrieben werden. “ Ein neues Drakel , welches, nachdem es einen Augenblick sich verwirklichen zu wollen schien, durch fürchterliche Katastrophen zu Schanden werden sollte. Während Napoleon mit einer unerschütterlichen Geistesgegenwart, einer unerschöpflichen Fruchtbarkeit an erfinderischen Gedanken , mit einer rastlosen Thätigkeit , und indem er mit der ganzen Gewalt seiner Ungeduld und seines Despotismus in seine Minister , Unterfeldherren , Verwaltungsbehörden und Völker drang während er also alles schuf und organisirte zu dem Kriege , welchen er zu einem furchtbaren und vernichtenden zu machen beabsichtigte , führte er seine auswärtige Politik ohne alle Gewandtheit oder vielmehr mit dem halsstarrigen Entschlusse , sein System einer Universaloberherrschaft und Unterdrückung in nichts zu modificiren. Und so zeigte Friedrich Wilhelm's Gesandter in Paris am 27. März dem Tuileriencabinet das erste Resultat dieses plumpen Starrsinns, nämlich die Kriegserklärung Preußens gegen Frankreich an. Dies war ein ebenso schwer wiegendes Ereigniß als jener Abfall York's , von dem jedermann wußte , und auch in den Tuilerien war es wohlbekannt, daß derselbe weit weniger durch die überdachte Entſchließung des preußischen Monarchen , als durch die einmüthige Erhebung des preußischen Volkes gegen die Uebergriffe der Eroberungswillkür sich vollzogen. Napoleon war indeſſen anderer Meinung. Er führte dieſen Krieg , deſſen Verlieren von entscheidender Bedeutung war , auf eine militärische Zahlen- und Stärkefrage zurück. " Preußen “, sagte er zu Maret bei der Nachricht von des erstern Kriegserklärung, ,, Preußen hat 4,500000 Seelen ; es wird mir in zwei Monaten 40000 Mann und nie mehr als 75000 entgegenstellen können. 1 Das ist eine Kleinigkeit ". Seine Rechnung war

¹ Als Napoleon einige Tage früher , am 14. März , an Eugen shrieb, stellte er beinahe dieselbe Schätzung auf. „ Vergeffen Sie nicht “, sagte er ,,, daß Preußen eine Bevölkerung von nur 4 Millionen beſitzt. In den glücklichsten Zeiten (als es 9 Millionen Einwohner zählte) hatte

Aufstand der 32. Militärdiviſion.

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aber gewaltig unrichtig . Dies kam daher, daß er der frühere Jakobiner , der Zeitgenosse der Kämpfe in den Jahren II und III - bei seinem längstgeübten Verrathe an der Revolution vergessen, was ein Volk vermag , welches durch die Liebe zum Vaterlande und das glühende Verlangen nach Unabhängigkeit zur Erhebung gebracht wird. Er hielt eben die moralische Kraft für nichts mehr. Gleichzeitig ging Napoleon eine andere Nachricht zu , welche ſchon an und für sich , und überdies noch durch Preußens Abfall , ein sehr beunruhigendes Symptom war , aber dennoch ebenso wenig ihn zur Vernunft brachte. Es ward ihm nämlich berichtet , daß Lübeck und Hamburg mit den drei Departements, welche die 32. Militärdiviſion bildeten , aufgestanden , und die beiden Herzogthümer Mecklenburg sich vom Rheinbunde losgesagt , um der russisch- preußischen Coalition beizutreten. Doch machte auch dies keinen Eindruck auf ihn , sondern er sah darin nur eine vorübergehende Aufwallung . So wenig er sich aus den Preußen und übrigen Norddeutschen, welche das Joch abschüttelten , machte , war er doch der Meinung , daß man neuen Feinden auch neue Streitkräfte entgegenstellen müßte. Er traf daher sogleich Anſtalten , um dem Stande der Armee weitere 90000 Mann hinzuzufügen und um die Vertheidigung der Häfen und des Küftengebietes des Reiches , mit möglichst geringer Verwendung von Linientruppen dabei , zu organisiren. Dies wurde der Gegenstand des Entwurfes zu einem Senatsbeschluffe , welchen er am 1. April dem Senate zuschickte unter Mittheilung einiger auf Preußens Kriegserklärung bezughabenden diplomatiſchen Actenstücke. Diesem Entwurfe zufolge sollten 80000 Mann aus den

Preußen nicht mehr als 150000 Mann , welche es zu verstärken und bis auf 300000 zu bringen nicht unterließ. Doch wird der König, trotz aller seiner Anstrengungen , im Monat Mai nicht 40000 Mann haben , von welchen höchstens 25000 disponibel bleiben würden mit Rücksicht auf den Bedarf zur Besetzung von Schlesien , der Festungen Graudenz , Kolberg und Pillau , und um ferner auch Truppen für den Sicherheitsdienst im Lande zu haben. “

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Sechstes Kapitel.

schon durch so viele Rekrutirungen betroffenen Klaſſen von 1807, 1808 , 1809 , 1810 , 1811 und 1812 ausgehoben , die andern 10000 Mann aber aus den jungen Leuten von 19 bis 30 Jahren entnommen werden , welche das Los oder die Stellvertretung bis dahin vom Militärdienſt befreit und die für wohlhabend genug galten , um sich auf ihre Kosten beritten machen , kleiden und ausrüſten zu können. Ferner sollten in den sechs Seebezirken, welche 48 Departements umfaßten , aus den Leuten von 20 bis 40 Jahren Nationalgardecohorten gebildet werden, denen die Bestimmung oblag , mobile Detachements zur Be wachung der Küsten zu stellen , während überdies noch in den Haupthäfen des Reiches von Vlieſſingen bis Toulon sogenannte Stadtcohorten organisirt werden sollten. Der Senat stimmte mit ſeiner gewöhnlichen Servilität allen dieſen Maßregeln zu . Gegründet , um den Acten des Despoten eine legale Form zu verleihen , um in speichelleckerischer Weise zu kriechen und alles gut zu heißen , aber nicht um zu discutiren, zu controliren, zu prüfen und um Abhülfe zu schaffen blieb dieser Vertretungskörper , ein Schandfleck in unserer Geschichte, das vollendete Urbild verächtlicher Herabwürdigung, seiner Mission getreu. Nicht Eine Stimme erhob sich aus seiner Mitte, um die Politik zu tadeln , welche dem erschöpften Vaterlande wieder so schwere Opfer aufbürdete , oder um ein endliches Ziel in Napoleon's Anmaßungen hinsichtlich der Continentalherrschaft zu fordern . Die neue Aushebung von 80000 Mann aus den Klaſſen von 1807 - 1812 sollte in der Weise wie die frühern zur Ausführung gelangen , nämlich unter Zugrundelegung der ursprünglichen Losungsliste und mit Beibehaltung der den Wohlhabenden offen stehenden Stellvertretung. Die diesen Rekruten beschiedenen Aussichten waren dieselben wie bei denen, welche vor ihnen die militärische Laufbahn betreten : Soldaten beim Ausmarsche , sollten sie Soldaten bleiben oder je nach ihren Fähigkeiten , Dienstleistungen und den Glücksfällen des Krieges von Grad zu Grad befördert werden. Hinsichtlich der 10000 Mann , welche die Zahl der von Napoleon geforderten 90000 vollzumachen bestimmt waren,

Errichtung der Ehrengarden.

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sollte es sich jedoch ganz anders verhalten. Der Senatsbeschluß erachtete für dieselben die Losziehung oder die Stellvertretung , welche sie bereits vom Dienste freigemacht, nicht für zulässig. Vielmehr würden sie von den Präfecten designirt, und einmal dazu bestimmt , waren sie durch das Factum dieser willkürlichen Entscheidung Soldaten geworden , konnten sich nicht durch einen Stellvertreter ersehen lassen , sondern waren gehalten, sich auf ihre Kosten beritten zu machen , auszurüsten und zu kleiden , wogegen sie die Zusicherung erhielten , daß sie sämmtlich nach Verlauf von 12 Monaten das Offizierspatent haben sollten. Also auf der einen Seite eine Ungerechtigkeit , auf der andern aber ein Vorrecht. Nichts ist gerechter und moralischer , nichts einträglicher für das Staatswohl, als daß keiner vom Militärdienst befreit, daß keiner an seiner Stelle einen seinesgleichen unter der Fahne tödten laſſen kann. Aber die Stellvertretung gestatten , um diese Begünstigung dann zu annulliren , wenn erstere bereits mit großen Kosten bezahlt worden, und sie zwar nach dem Gutdünken eines Beamten rückgängig machen ; ferner verfügen, daß das Los über die Verpflichtung zum Militärdienst oder über die Dispensation davon entscheidet , um dann den Vortheil dieser geſeßlich begründeten Anordnung den einen zu entziehen, für die andern aber in Geltung zu behalten , und dies noch das dazu von eines Beamten Laune abhängen zu lassen war eine jener autokratischen Maßnahmen, welche nur Napoleon, bei seiner Misachtung der erhabensten Principien , in Frankreich ersinnen konnte.

Jener Senatsbeschluß verlieh diesen jungen Leuten , deren Auswahl der Willkür der Präfecten anheimgegeben , den hochklingenden Namen ,, Ehrengarden ", und bestimmte ferner, daß fie in 4 Regimenter formirt werden sollten. In der sonderbaren Erläuterung der Motive zu dieser Aushebung ließ Napoleon die demnächstige Bildung von Garde- du - CorpsCompagnien anzeigen, welche, wie er sagte, für den Thron von. nöthen , und zwar sollten dieselben unter den Ehrengarden ausgesucht werden. Dies war wieder eine Institution der alten

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Sechstes Kapitel.

Monarchie , ein privilegirtes Corps von der schlimmsten Art, welches er aufzufrischen beabsichtigte. Wir dürfen hierbei darauf hinzuweisen nicht unterlaſſen, welchen verschiedenartigen Strömungen Preußen und Frankreich in dieser Zeit hingegeben waren . In Preußen war die Er richtung der Freiwilligen ein Schritt zum Princip der Gleich heit vorm Geseze, während in Frankreich die Formation von Ehrengarden gerade auf den entgegengesetzten Grundſaß zurückgreifen ließ. Die durch Senatsbeschluß angeordnete Organiſation von Nationalgarden sollte nach dem in Kraft bestehenden Gefeße zur Ausführung gebracht werden . Indessen war dieses Geset, ein Werk des Kaiserthums , die Negation der Principien , auf welchen von den Volksvertretungen der Revolution die Nationalgarde ins Leben gerufen worden. Man begegnet hier wieder jener perfiden, Napoleon eigenen Taktik, nämlich dem Namen. nach eine Institution der Revolution beizubehalten , sie aber in Wirklichkeit hinsichtlich ihres Weſens umzugeſtalten. Nach seinem Geseze waren es Commissionen, aus den Organen seiner Gewalt zuſammengeſeßt, welche die Nationalgardiſten deſignirten, während er ſelbſt es war , der ihre Offiziere ernannte. Er machte alſo aus der Nationalgarde etwas , das so ziemlich den Provinzialmilizen der alten Monarchie ähnelte. Sein Blick_war_ſtets nach der Vergangenheit gerichtet. Uebrigens behielt er sich vor, dieſe Nationalgarden nur nach Maßgabe des Bedürfniſſes zu bewaffnen. Im Besi jenes Senatsvotums , ertheilte Napoleon sofört die dringlichsten Befehle zur schnellen Aushebung der 80000 neuen Refruten und verfügte das Nöthige wegen Errichtung der Ehrengarden. Durch sein Decret wurden gewiſſe Klaſſen der bürgerlichen Gesellschaft bestimmt, innerhalb welcher jene Garden ausgesucht werden sollten ; doch wurden durch dasselbe die Präfecten ermächtigt , auch solche nicht zu den bezeichneten Kategorien gehörige Freiwillige zuzulassen , welche sich verpflichten würden, sich auf ihre Kosten beritten zu machen , zu kleiden und auszurüsten. Ferner verordnete das beregte Decret, daß

Formation der Ehrengarden .

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in jedem Departement die Liste des ausgeschriebenen Contingents, vor dem 1. Mai aufgestellt werden sollte. Jedes der vier Ehrengardenregimenter sollte 2500 Mann , welche in 10 Escadronen eingetheilt , ſtark sein , einen Oberſten vom Range eines Diviſions- oder Brigadegenerals und ein aus der Armee entnommenes Offiziercorps haben , während in Preußen dagegen die freiwilligen Jäger ihre Offiziere selbst wählten. Jene Regimenter wurden unter die leichte Reiterei klaſſificirt. Sie sollten nach Husarenart uniformirt , ausgerüstet , bewaffnet und ebenso mit Husarenpferden beritten gemacht werden. Zu Formationsplägen wurden ihnen Tours , Versailles , Lyon und Meg angewiesen. Es ist behauptet worden ¹ , daß Napoleon mit der Aushebung dieser Ehrengarden nicht allein ohne weitere Kosten 10000 Reiter , sondern auch und hauptsächlich Geiseln sich habe verschaffen wollen , deren Anwesenheit in seinen Feld: lagern ihm für die Unterwürfigkeit ihrer Familien im Innern. des Reiches Bürgschaft leisten sollte. Wenn diese Angabe, wie wir glauben , begründet ist , so wurde er in seiner Erwartung sehr getäuscht, denn mit Hülfe der Käuflichkeit der meisten Präfecten und der Parteilichkeit seitens einiger anderen derselben wußten die angesehenern Familien des alten Adels -und des Bürgerstandes auf welche er es , wie versichert wird, abgesehen hatte im allgemeinen ihre Kinder ihm zu entziehen. Die betreffende Aushebung erstreckte sich daher hauptsächlich auf den mittlern Bürgerstand , welcher weder Mittel noch Einfluß genug besaß , um die Präfecten für sich günstig zu stimmen, und ferner auf die Staatsbeamten, welche " aus Furcht , ihre Stellen zu verlieren und in der Hoffnung , deren bessere zu erlangen" 2, ihre Söhne als Freiwillige einzuschreiben sich beeilten oder keine Schritte wagten , um jene der officiellen De-

1 So Mollien in seinen 99 Mémoires ", Thibaudeau in seiner "2 Histoire du Consulat et de l'Empire " und viele andere Autoren. Thibaudeau war im Jahre 1813 Präfect. 2 S. ,,Mémoires d'un ministre du trésor public ". (Mollien).

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Sechstes Kapitel.

ſignation entschlüpfen zu laſſen . 1 Durch vertrauliche Instructionen wurden überdies den Präfecten gewaltige Zwangsmittel gegen die Widerspenstigen an die Hand gegeben, indem dieselben lettere in entfernte Gegenden verweisen, sie festnehmen und auf unbestimmte Zeit in Haft behalten konnten. Bekanntlich war unter dem Kaiserthume die persönliche Freiheit in derselben Weise wie unter Ludwig XV. gewahrt. Doch muß bemerkt werden , daß es in vielen altfranzösischen Departements , besonders in den westlichen , eine beträchtliche Zahl von jungen Leuten gab , welche sich freiwillig zu den Ehrengarden meldeten , und zwar wurden die einen durch die Zusicherung der baldigen Verleihung des Offizierspatents ge födert, die andern aber aus Furcht , in die Aushebung der 80000 Mann einbezogen zu werden , dazu vermocht. Diese freiwilligen Anmeldungen sollten indeſſen die Veranlassung zu neuen Gelderpressungen werden . Jene Aspiranten waren im allgemeinen wenig bemittelt und nicht im Stande , sich kleiden, Deshalb kamen ausrüſten und beritten machen zu können. die Präfecten auf den Gedanken , zur Abhülfe dieſes Geldmangels Subscriptionen zu eröffnen und zwangen ſelbſt unter der Hand zum Unterzeichnen , ja , in einigen Departements gingen sie gar so weit , einigen ihrer Verwaltung unterſtehenden Personen die Zahlung sämmtlicher dazu erforderlichen Kosten aufzulegen. Das Eigenthum der Bürger war demnach ebenso wie ihre Person der Willkür der Werkzeuge des kaiserlichen Tyrannenregiments preisgegeben. Diese in allem so neuartige und ungewöhnliche Aushebung von Ehrengarden , welche dem Anschein nach nicht vereinzelt dastehen bleiben sollte, trug die Misstimmung auch in eine Klaſſe von Bürgern über , welche bis dahin dem Kaiserthume entweder aus persönlichem Interesse oder aus kleinlicher Furcht vor der Rückkehr der Freiheit ergeben gewesen. Dadurch ward nur die Erbitterung vermehrt , welche unter dem alten Adel

1 Es wurde bei der Aushebung der Ehrengarden so tief in die Kreise der Beamten und Bediensteten hinuntergegriffen, daß man Söhne von Polizeicommiffarien , Postmeistern 2c. designirte.

Ergebniß bei Organisation der Ehrengarden. und dem Bürgerstande gegen Napoleon vorhanden war.

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gab in Zukunft keine Familie mehr , welche ihre Söhne dem mörderischen Dienste eines unersättlichen Ehrgeizes zu entziehen. die Hoffnung haben konnte. Wie großes Bedauern mögen damals nicht diejenigen empfunden haben , welche die Usurpation des Brumaire unterſtüßt , mit Beifall begrüßt und gebilligt ! Waren nicht alle Stürme der Freiheit einer Knechtschaft vorzuziehen, die beſtändig durch Kriege heimgesucht wurde, welche die jungen Generationen verschlangen , nicht nur ohne " Nußen für das Vaterland , sondern auch noch zum größten Nachtheil für seine Größe und ſein moraliſches Anſehen in der Welt ? In anderer Hinsicht ergaben sich noch manche Verrechnungen hinsichtlich jener Ehrengarden. Man zählte auf 10000 folcher Reiter , und nahm an , daß dieſelben Ende Juli oder Anfang August sämmtlich in ihren Depots versammelt und vorzüglich beritten sein würden. Doch ergab sich , daß viele Departements kaum drei Viertel oder gar nur zwei Drittel des von ihnen geforderten Contingents aufbringen konnten , sodaß eine gewisse Anzahl von den seitens derselben gestellten Ehrengarden sehr spät in den Depots eintraf und viele nur mit schlechten Klep1 Standen diese jungen Leute welche pern beritten waren. theils wirkliche Freiwillige , theils zwangsweise ausgehoben aber einmal im Felde , so wurden sie tüchtige und überaus muthige Soldaten. Dies waren die militärischen Maßregeln , zu denen Napoleon durch Preußens Abfall und die Erhebung von Nord-

1 Der Präfect von Puy-de-Dôme schrieb unterm 27. Jan. 1813 an den General St.- Sulpice , Commandanten des in Lyon zu formirenden Ehrengardenregiments : ,, Die außerordentliche Seltenheit der Pferde und der unerhört gestiegene Preis derselben machen es mir unmöglich , den Ehrengarden gute Pferde zu verschaffen , sodaß einige darunter ausgemusterte sind. " Dazu mag hier noch bemerkt werden , daß das Contingent von Puy-de-Dôme auf 142 Ehrengarden festgesetzt war , von denen aber dieſes Departement nur 97 stellte.

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Sechstes Kapitel.

deutschland veranlaßt wurde. Waren sie auch für das ausgesogene Frankreich äußerst hart, so standen sie, da Napoleon's Politik keine Aenderung erfuhr , dennoch nicht mit der schwerwiegenden Tragweite jener Ereignisse in gleichem Verhältnisse. Im Anschlusse daran wurden die drei Departements der 32. Militärdivision - nämlich die Departements der Elbemün dung , der Wesermündung und der obern Ems- als außer der Verfassung erklärt. Die Darlegung der Motive zu dem dieserhalb dem Senate vorgelegten Beschlusse stellte die Be- · hauptung auf, daß einzig und allein England den Anlaß zur Vereinigung dieser Länder mit dem französischen Reiche gegeben, welche übrigens in deren Interesse gewesen, und so kam erstere zu dem Schluſſe , daß die Erhebung jener Departements im höchsten Grade strafbar sei. Der Berichterstatter einer Commiſſion (ein ehemaliger régicide , ein Renegat der Revolution und von Napoleon mit einem feudalen Titel verkappt) fügte zu dieser schlagenden Begründung einen Schwall von Schmähungen hinzu . Dies wären, versicherte er , " feile Seelen , die durch den Reiz eines schmuzigen Intereſſes hingeriſſen ..... durch Aufwiegler von Profession in Bewegung gesezt würden , welche bei einer Umwälzung nur gewinnen , aber nichts verlieren könnten , und sich in Unordnung und Verwirrung gefielen ".

Auf dieſe ſo

lichtvolle Auseinanderſeßung hin und auf jene nichts weniger als begründeten Anschuldigungen (denn lettere betrafen , wie wir später sehen werden , Deutschlands erste Kaufleute , ſeine ehrbarsten Bürger und ergebensten Patrioten ) votirte der Senat mit Einstimmigkeit die ihm in Vorschlag gebrachte Maßregel. Das außer dem Geſetz und der Conſtitution Erklären hatte nicht viel zu bedeuten , für ein Departement eben nicht mehr als für den einzelnen Bürger , denn die Jury war ein leerer Begriff, die Specialmilitärgerichtshöfe dagegen eine permanente Inſtitution , und bei dem geringſten Aufruhr , bei dem kleinſten Tumult traten Militärcommissionen in Wirksamkeit. Ein ſchlimmes Anzeichen war es aber , daß der Marschall Davout,

Verwendung der lehtausgehobenen Rekruten..

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der unbarmherzige Vollstrecker der kaiserlichen Strafverfügungen, den Auftrag erhielt , die aufgeſtandenen Departements zum Gehorsam zurückzuführen. .zu gleicher Zeit , als Napoleon alles zur raschen Formation der Ehrengarden anordnete und die dringlichsten Weisungen zur Aushebung der 80000 Rekruten aus den sechs lezten Conſcriptionsklassen ertheilte , bestimmte er auch das Weitere wegen Verwendung dieser neuen Mittel und der 150000 Conſcribirten von 1814 , deren Einberufung , wie man sich erinnern wird, im jüngstvergangenen Monat Januar verfügt wurde. Der Befehl zum Einrücken der leßtern in die Depots war noch vor der Kriegserklärung Preußens ertheilt worden , sodaß dieselben UrsprüngAnfang April auf dem Marsch dahin waren. lich hatte man die Absicht gehabt, sie wenigstens einige Monate hier zu belaſſen , denn bei ihrer außerordentlichen Jugend war es für sie sehr von nöthen, sich erst mit dem Weſen und den Exercitien ihres neuen Berufes vertraut zu machen, bevor sie auf fern gelegenen Schlachtfeldern auftraten. Indessen mußte man der drängenden Lage gegenüber von diesem Plane abstehen. Jene jungen , unbärtigen Leute , wenigstens die zur Infanterie bestimmten , würden daher von ihrem Eintreffen in den Depots an als feldtüchtig betrachtet und in dieser Eigenschaft bei Napoleon's Berechnungen in Ansah gebracht. Mit mehr Grund war dasselbe der Fall hinsichtlich der 80000 Rekruten aus den sechs letzten Conſcriptionsklassen , welche vollkommen physisch entwickelt. Man rechnete übrigens , daß diese gegen Ende Mai oder Anfang Juni in den Depots eingetroffen ſein würden. Nach Napoleon's Beſchluß ſollte der größte Theil dieser lettern beſtimmt ſein zur Ergänzung der ersten Lücken, welche die Kämpfe und Strapazen unter den Truppen , die in der Kampflinie standen oder in dieſelbe einzurücken begriffen waren, verursacht haben würden ; Lücken, welche um so größer sein mußten , als dieſe Truppen noch jung und wenig abgehärtet waren. Der andere Theil jener Conscribirten sollte dagegen mit den 90000 Rekruten von 1814 vereinigt werden , um ein Reservecorps in Italien und zwei solche in Deutschland zu formiren , der verbleibende Rest der lektge.

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Sechstes Kapitel.

dachten Klaſſe aber zur Bewachung der Häfen und Küsten bestimmt sein. Die zur Organisation dieser neuen Bataillone erforderlichen Stämme kamen tagtäglich aus Spanien an , wo be kanntlich die Cadres auf das Allernothwendigste reducirt worden. Sobald sie den französischen Boden betraten, wurden. sie mittels Post , d. h. auf requirirten Wagen , befördert , sodaß sie demzufolge täglich zwei bis drei Etappen zurücklegten. Vorzügliche Cadres und Eintagssoldaten , welche angesichts des Feindes ihren Beruf erlernen und die erste Ausbildung erhalten sollten : dies waren die Elemente , mit denen Napoleon Armeecorps zu organiſiren fortfuhr . Jene lehte Aushebung von 80000 Mann und die der 150000 Rekruten von 1814 gaben vom Stande der öffentlichen Stimmung Zeugniß , denn sie wiesen ein großes Deficit auf , welches das schon bei der vorhergehenden Aushebung ſehr empfundene verhältnißmäßig um vieles überstieg. Die Correspondenz der Präfecten zeugt von den ernſten Besorgnissen in dieser Hinsicht. So schreibt einer derselben im Vertrauen an ſeine Unterpräfecten , daß bei jenen drei lezten Aushebungen die Zahl der entwichenen Rekruten eine sehr be: trächtliche wäre und überdies die Deſertion während des Marsches eine ungeheuere Ausdehnung angenommen habe. ,, Dieser Zustand kann nicht weiter fortgehen ", bemerkt der Betreffende dabei , „ ohne die Sicherheit des Reiches zu gefährden." Dieses hartnäckige Weigern so vieler jungen Franzosen, zur Fahne zu stoßen und die Laufbahn zu betreten , auf welche sich ihre Landsleute vor 20 Jahren um die Wette und in ungestümen , sehr ernstes Fingerzeig. Verständniß

unwiderstehlichen Massen gestürzt , das war ein Symptom. Für Napoleon ward es indessen kein Sein Gemüth war schon seit langem für das des menschlichen Herzens verschlossen. Der eitle

Stolz verdunkelte seinen Blick. Wo es sich um eine unheilbare Niedergeschlagenheit oder eine überlegte Erbitterung han delte, sah er nur einen vorübergehenden Unwillen , und erblickte

Napoleon's Berblendung hinsichtlich der Situation. 271 da ein Vorkommniß ohne Belang , wo eine enorme Thatsache vorlag , welche noch größere Dimensionen annehmen und über die maßen sich entwickeln sollte. Er hielt zwar Frankreich nicht gerade leidenschaftlich für seine Eroberungen eingenommen (so weit ging seine Verblendung nicht) , aber doch für deren Erhaltung interessirt , während doch diese Eroberungen jenem gleichgültig , wenn nicht gar zuwider waren . Er hatte ein Meisterwerk auszuführen geglaubt , als er die Franzosen aller politischen Rechte entkleidete und ihnen das Selbstregieren abgewöhnte ; und jetzt waren dieselben bereit , ihn ohne eine Volkshülfe , ohne einen Zug der Sturmglocke unter den Waffen des Auslandes fallen zu lassen. Er glaubte , dieselben disciplinirt zu haben ; doch hatte er sie entnervt und entmännlicht. Er hatte den unsterblichen Coder von 89 , durch die Theorie von der Bataillonsschule ersetzt und die Schlachtentaktik als das Evangelium der Menschheit proclamirt. Er begriff nicht, daß unter dem Kartätschenhagel der liberalen Ideen die stolzeften Bataillone weichen und die gelehrteste Taktik zu Schanden werden mußten . Spanien hatte sich gegen das Joch , welches ihm Napoleon aufbürden wollte , erhoben. Er hatte es als Rebellen behandelt , hatte einmalhunderttauſend , zweimalhunderttauſend, dreimalhunderttausend Mann , die schönsten Truppen von der Welt , auf jenes Land geworfen. Es hatte sie verschlungen ; und doch blieb er immer dabei , dasselbe mit Gewalt bezwingen zu können . Er hatte Rußland seinem Gebote unterwerfen wollen. Er hatte es mit Soldaten überschwemmt , deren Blut der russische Boden bis zum letzten Tropfen aufgesogen ; und dennoch beharrte er auf deffen Unterjochung. Ganz Preußen, deffen König , Adel , Geistlichkeit, Bürger und Bauern standen gegen ihn auf; Norddeutschland erhob sich , das ganze deutsche Land war vom Freiheits- und Unabhängigkeitsdrange durchfiebert. Und doch hielt Napoleon dies für einen gewöhnlichen Kriegsfall , dessen er durch hintereinanderfolgen von Bataillonen auf Bataillonen Herr werden würde. Für ihn war ein Volk eben nur ein Bauer auf dem ausgedehnten Schachbret seiner Strategie .

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Sechstes Kapitel.

Aber bereits sah er den Moment kommen , wo er dieses Schachbret noch zu erweitern sich genöthigt sehen würde. Desterreich, sein durch die Politik und die Blutsbande mit ihm verbundener Alliirter , sagte sich von diesem Bündniſſe los und nahm eine Haltung an, welche auf Napoleon's eifrige Berechnungen von schwerwiegendem Einfluß sein sollte.

3

Siebentes Kapitel.

Feindselige Stimmung aller Klaſſen der österreichischen Bevölkerung gegen NapoTeon. Franz I. und Metternich hegen die Hoffnung, dieRückgabe einiger Provinzen von Napoleon zu erlangen , weshalb sie Marie Luise hingegeben und die Allianz Metternich. - Sein Charakter und seine Politik. gegen Rußland geschlossen. Ist als Anhänger des franzöſiſchen Bündniſſes in Oesterreich unbeliebt. Nach dem russischen Kriege ſpricht sich die öffentliche Meinung mehr und mehr für eine ſofortige Allianz mit Alexander aus. - Franz I. und Metternich wollen die Umstände benußen, um Deſterreich wieder aufzurichten , ſei es mit Napoleon's Beiſtand , wenn er ſich zu Concessionen herbeiläßt , sei es mit Hülfe von deſſen Feinden. Metternich's erſte Eröffnungen gegen Otto hinsichtlich der Schwierigkeit des Ausharrens beim franzö fischen Bündnisse. — Otto's blinde Vertrauensseligkeit. - Franz I. bietet in einem eigenhändigen Schreiben Napoleon ſeine Vermittelung an . — Napoleon nimmt dieſe Vermittelung zwar an , stellt aber für den Frieden unmögliche Bedingungen und bietet Desterreich keine ernst gemeinten Vortheile. – Metternich beeilt sich, mit England und Rußland in officielle Beziehungen zu treten. — Geheime Unterhandlungen mit Preußen und den Hauptstaaten des Rheinbundes wegen einer bewaffneten Intervention . Rückberufung des Schwarzenberg'schen Corps. — Metternich verlangt die Auflösung des Großherzogthums Warschau. - Napoleon will in nichts nachgeben. - Vertrag von Kalisch. — Deſſen Folgen in politiſcher und militäriſcher Beziehung. - Narbonne trifft in Wien ein. - Hat den Auftrag , Desterreich um ſeine Vermittelung, und wenn diese fruchtlos , um seine wirkliche Allianz anzugehen , in welchem Falle er ersterm die Theilung Preußens vorschlagen soll. -- Metternich beantwortet diese lettere Proposition nicht , geht aber auf die Vermittelung ein. Infolge deffen erklärt er , das österreichische Contingent nicht zu Napoleon's Verfügung stellen zu können , doch werde Desterreich zu ihm stehen, wenn er vernünftige Vorschläge annehme. Franz I. und Metternich hegen den lebhaften Wunsch, Napoleon zum Nachgeben zu vermögen . - Napoleon verliert durch seinen Starrſinn die österreichische Allianz.

Die Völker des österreichischen Kaiſerſtaates , die Slawen, Ungarn und Deutschen , waren einmüthig gegen Napoleon feindlich gestimmt. Sie waren es aus Haß gegen seinen ungestümen Ehrgeiz , gegen die Continentalsperre und seine mit jedem Tage anmaßender und drückender werdende Herrschaft. Charras , 1813. 18

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Siebentes Kapitel.

Sie waren es in der bittern Erinnerung an ihre Niederlage, an die Lasten und die Noth , welche erstere über sie gehäuft. Sie waren es aus Groll über die dem gemeinſamen Vaterlande auferlegten Demüthigungen und der ſeiner Macht beigebrachten tiefgehenden Schläge. Die Aristokratie und der katholische Klerus , beide durch ihre Reichthümer und alten Privilegien sehr einflußreich, waren diesen Volkshaß anzufachen bemüht ; denn beim Adelichen wie beim Geistlichen war der Patriotismus gleich lebhaft , und überdies sah der erstere in Napoleon einen Thronräuber und , durch ein sonderbares Misverſtändniß , auch den Fortseher der Französischen Revolution, während der andere ihn verabscheute , weil er den Papst auf verrätherische Weise beraubt und sequeſtrirt. Von schwacher Gesundheit , ohne höhere geistige Bildung, indolent, knauserig , jeder Fortschrittsidee verschlossen, ein argwöhnischer , versteckter und unausgesprochener Charakter , dabei aber einer gewissen egoistischen Beharrlichkeit fähig , als Mensch und ebenso als Monarch für einigermaßen lebhafte Zu- oder Abneigungen nicht empfänglich — — — theilte Kaiser Franz I. die Empfindungen seiner Unterthanen nicht. Zweimal seit dem Frieden von Luneville hatte er unter den Anregungen seitens der großen Herren seines Hofes und der Glieder seiner Familie, unter dem Drucke der öffentlichen Meinung und der Umstände sich dahin bringen laſſen — aber ungern , weil er am Erfolge zweifelte und weil der Krieg seine Ruhe ſtörte —, gegen Napoleon's eroberungssüchtigen Ehrgeiz und deſſen über die Alpen, den Rhein und die Pyrenäen sich erstreckende Herrschaft zu kämpfen. Zweimal geschlagen, hatte er mit der ihm entriſſenen Beute seinen Sieger sich bereichern und sie an Oeſterreichs Nachbarstaaten vertheilen sehen. Auf 20 Millionen Unterthanen herabgekommen und bei einem mit ungeheuern Schulden und schweren Kriegscontributionen belasteten Staatsschake, welcher zu einem enormen demnächst erfolgenden Bankrott fertig 1) , hatte Kaiser Franz doch nicht , wie Friedrich Wilhelm,

¹ Dieser Bankrott ward unterm 20. Febr. 1811 verfügt. Derselbe belief sich auf mehr als 2 Milliarden Frs. und erfolgte durch

Kaiser Franz und Napoleon.

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die Wiederherstellung seiner Finanzen und die Hoffnung auf seines Reiches Restauration in tiefgehenden Reformen gesucht. Für ihn war die Niederlage ohne Lehre geblieben . Er hatte die Völker der Monarchie wie auch seine Armee bei den Gewohnheiten, Gefeßen und Unbilligkeiten eines halbfeudalen Regiments gelaſſen , während er bei Napoleon ſelbſt eine Garantie für die ihm verbliebenen Beſizungen suchte in der Aussicht auf die Möglichkeit , das Verlorene theilweise wieder erhalten oder für ſeine Einbußen Compenſationen erlangen zu können. Kaum hatte Napoleon in chnischer Weiſe Josephine verstoßen, als ihm Franz seine junge Tochter, die Erzherzogin Marie Luise, hingab , um in dem Tuilerienbette die gealterte und unfruchtbare Creolin zu ersehen. Dies war eine unerhörte Demüthigung des habsburger Stolzes. Die kaiserliche Familie, die Aristokratie , die Armee und das Volk waren dadurch verlegt und aufgebracht worden. Diese allgemeine Misbilligung einer sehr geistreichen, anmuthigen und fand in der Kaiſerin hochherzigen Frau - ein überzeugtes und lautes Organ. Franz war darin nicht weniger empfindlich als die Seinigen geweſen, und war nicht minder als diese von den Vorurtheilen hinſichtlich Geburt und Herkunft eingenommen , sodaß ihn die Misheirath , auf welche er einging , wirklich schmerzte. Der Meinung und Entrüstung seiner Familie und Unterthanen trug er jedoch als absoluter Monarch keine Rechnung und setzte sich ebenfalls über ſeine eigenen Gefühle hinweg. Nachdem er ſein Opfer einmal erfüllt , war er nur noch darauf bedacht, aus dieser Heirath , dem Gegenstande so vielen Anstoßes , Nußen zu 1 ziehen.

die Herabsetzung des im Umlaufe befindlichen Papiergeldes auf Nominalwerthes.

seines

1 Das österreichische Manifest vom 19. Aug. 1813 geſtand ziemlich offen die Berechnung zu , welche den Kaiser Franz bestimmt hatte, ſeine Tochter an Napoleon hinzugeben. Und zwar heißt es dort : „ Der Gang und die Resultate dieses Krieges hatten Seiner Majestät die volle Ueberzeugung gewährt , daß bei der einleuchtenden Unmöglichkeit un mittelbarer und gründlicher Heilung des tief zerrütteten politiſchen Zu18*

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Siebentes Kapitel.

So erlangte er die Zahlung des Restes der Kriegscontribution von 1809 gestundet und erwirkte ferner die Annullirung der geheimen Clausel des Friedensvertrags vom gleichen Jahre, welche die Stärke seiner Armee auf 150000 Mann beschränkte.¹ Von diesen beiden Zugeständnissen Napoleon's war aber das

ſtandes von Europa, die bewaffneten Rettungsversuche einzelner Staaten, anstatt der gemeinschaftlichen Noth ein Ziel zu setzen , nur die noch übriggebliebenen unabhängigen Kräfte fruchtlos aufreiben , den Berfall des Ganzen beschleunigen und selbst die Hoffnung auf bessere Zeiten vernichten mußten. ,,Von dieser Ueberzeugung geleitet, erkannten Seine Majeſtät, welch ein wesentlicher Vortheil es ſein würde , durch einen auf mehrere Jahre gesicherten Frieden den bis dahin unaufhaltsamen Strom einer täglich wachsenden Uebermacht wenigstens zum Stillstand zu bringen, Ihrer Monarchie die zur Herstellung des Finanz- und Militärweſens unentbehrliche Ruhe , zugleich aber den benachbarten Staaten einen Zeitraum der Erholung zu verschaffen , der , mit Klugheit und Thätigkeit benutzt, den Uebergang zu glücklichern Tagen vorbereiten konnte. Ein Frieden dieser Art war unter den damaligen gefahrvollen Umständen nur durch einen außerordentlichen Entſchluß zu erreichen. Der Kaiser fühlte es und faßte dieſen Entschluß : für die Monarchie, für das heiligste Intereſſe der Menschheit, als Schutzwehr gegen unabsehliche Uebel , gaben Seine Majeſtät , was Ihrem Herzen das Theuerste war , hin. In diesem , über gewöhnliche Bedenklichkeiten weit erhabenen , gegen alle Misdeutungen des Augenblicks gewaffneten Sinne wurde ein Band geknüpft , das , nach den Drangſalen eines ungleichen Kampfes , den schwächern und leidenden Theil durch das Gefühl eigener Sicherheit aufrichten , den stärkern und siegreichen für Mäßigung und Gerechtigkeit stimmen • sollte. " Wir müssen hier bemerken , daß Napoleon den getreuen Wortlaut dieses Manifestes weder zu veröffentlichen , noch selbst seinem Senate mitzutheilen wagte. Vielmehr verstümmelte und verfälschte er den Text mit einer Gewiſſenlosigkeit ohnegleichen , und vor allem unterdrückte er den ganzen oben aufgeführten Paſſus des Manifestes. Fain hat in seiner unerschütterlichen Apologie, welche im Jahre 1824 unter dem Titel ,,Manuscrit de 1813 " der Deffentlichkeit übergeben wurde, an Stelle des Originaltextes den von Napoleon verstümmelten und gefälschten Wortlaut jenes Schriftstückes gesetzt. Ein anderer Apologet, Norvins , hat es ebenso wie Fain gemacht. 1 Schreiben Napoleon's an Kaiser Franz , vom 4. Sept. 1810.

Desterreichs Bündniß mit Frankreich gegen Rußland. 277 eine von sehr geringer Bedeutung und das andere nur eine der Eigenliebe des österreichischen Monarchen gewährte Genugthuung, denn letterer schuldete seinem Sieger einzig noch 12 Mill. Frs. , während ihm der Zustand seiner Finanzen nur einen sehr bescheidenen Armeestand zu halten gestattete. Als Franz jedoch später Napoleon zum Angriff auf Rußland entschlossen fah , als er der Bundesgenoſſe ſeines gewaltigen Schwiegersohnes zu werden sich genöthigt fand und überdies an einen erfolgreichen Ausgang des Kriegs glaubte, suchte er wirkliche und bedeutendere Concessionen zu erlangen, indem er mittels Vertrags für den Fall , daß Napoleon in seinem Unternehmen glücklich , sich ,, Entschädigungen und Gebietsvergrößerungen " hatte verheißen laſſen. Als Kaiser Franz seine Tochter an Napoleon hingab und ſich mit dieſem gegen Rußland verbündete, hatte er sich jedoch im Innersten der Seele vorbehalten, nicht für immer ſein Glück an das des Zweitgenannten zu ketten. Eheallianzen und Kriegsbündniſſe waren , nach seiner Meinung , ganz und gar ſeinen eigenen Interessen untergeordnet. Als ein Monarch , welchem Staaten entrissen worden , die er wie sein Erbgut betrachtete, war deren Wiedererlangung ſein ſehnlichſter Wunſch ; und wie groß auch die Schwäche und Unentschiedenheit seines Charakters, wie groß auch seine Vorliebe für die Ruhe sein mochte, so war er doch nicht der Mann , welcher sich eine zur Erreichung jenes Wunſches entschieden günstige Gelegenheit entschlüpfen ließ , 'ſei es nun , daß er Napoleon diente , sei es , daß er gegen ihn kämpfte. 1 Troß seiner Indolenz nahm er doch diese beiden Chancen so wohl in Acht, daß er , nach dem Zustandekommen des Coalitionsvertrages gegen Rußland , in Petersburg die

In der Zeit , wo Napoleon dem Sturze seines ephemeren Thrones entgegenging , schrieb ihm der Kaiser Franz : „ Die Erfahrung von Jahrhunderten hat bewiesen , wie sehr bei den Mächten die Familienbezichungen den großen Staatsintereffen untergeordnet sind. “ (Schreiben, datirt Chaumont, 27. Febr. 1814. Dasselbe ist seinem ganzen Wortlaute nach in Hormayr's ,, Lebensbildern aus dem Befreiungskriege “ zu finden.)

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Siebentes Kapitel.

Mittheilung hatte machen laſſen, er habe jenes Bündniß einzig in der absoluten Unmöglichkeit , anders handeln zu können , abge1 schlossen. Dazu gab er dem Zar sein Wort , nur das Na. poleon zugesagte Contingent von 30000 Mann gegen ihn zu dirigiren , die Hauptmaſſe ſeiner Truppen aber nicht in Be wegung zu sehen und Rußland nur an Einem Punkte be kriegen zu wollen , wenn Alexander Desterreich auf seinen übrigen Grenzen nicht anzugreifen die Zusicherung geben 2 würde. Der Zar willigte darin ein , und Franz hielt sein Versprechen. Der Leiter und Minister dieser Politik , welche durch der Erzherzogin Marie Luise Vermählung mit Napoleon inaugurirt und durch die Allianz gegen Rußland weiter verfolgt wurde, war Graf Metternich. Aus einer der ältesten und angesehensten Familien des rheinischen Adels entsprossen und mit einer Enkelin des bekannten Fürsten Kaunit verheirathet , hatte Metternich in der österreichischen Diplomatie eine rasche Beförderung gefunden. Mit 23 Jahren Gesandter am Hofe im Haag , überkam er 1806, damals ein Dreiunddreißiger, den Geſandtschaftspoſten in Paris , den schwierigsten jener Zeit. Von verführerischer Schönheit,

1 Vergl. Viertes Kapitel , S. 93. 2 ,, Oesterreich hat mir mittheilen laſſen , daß es nur durch die unbedingte Nothwendigkeit und durch die Unmöglichkeit , in welcher es sich mit Rücksicht auf seine innern Zustände befindet , gegen Napoleon eine entschiedene Sprache führen zu können , zum Unterzeichnen seines Allianzvertrags mit letterm gezwungen worden ; daß es ſich aber darauf beſchränken wird , nur die gegen uns ſtipulirten 30000 Mann auftreten zu lassen. Wenn wir davon absehen , dasselbe anderwärts anzugreifen, so soll der Krieg nur auf einem einzigen Punkte vor sich gehen, und gibt es uns dann die Zusicherung , alle unsere übrigen Grenzen in Ruhe zu lassen , indem es sich verpflichtet , nicht die Hauptmaſſe ſeiner Streitkräfte in Bewegung zu setzen . ... Auf dieſe Eröffnungen habe ich erwidert , daß Oesterreichs Haltung . die meinige beſtimmen würde.“ (Schreiben Alexander's an Admiral Tschitſchagow , d. d . Wilna , am 7./19. Juni 1812 , welches sich in des lettgenannten „ Mémoires “ aufgeführt findet. Wir haben dieses Schreibens bereits auf Seite 93 gedacht.)

Metternich.

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einer unvergleichlichen Eleganz in den Manieren, dabei ungeheuer habſüchtig , einer maßloſen Verschwendung fröhnend, Vergnügen und Geschäfte nebeneinander betreibend und es auch nicht ver schmähend, bei Gelegenheit eine Liebesintrigue für ein politisches Interesse dienstbar zu machen , war dazu Metternich's Sprache einnehmend und blendend , ſein Beobachtungsgeiſt dagegen wol durchschauenden Blicks , aber doch mehr schlau als von eigentlicher staatsmännischer Tiefe. Indem er, abwechselnd geschmeidig øder feſt, mit einer unendlichen Kunst Zurückhaltung und Nachgiebigkeit , Offenheit und Zweideutigkeit zu paaren verstand, hat wol je keiner mehr als er in dem nur zu oft unredlichen Spiele der Diplomatie seinen Gegner überlistet , errathen und hintergangen. Wie es aber oft vorzukommen pflegt , so stand bei Metternich der Regierungs- und Staatsmann ungemein unter dem Diplomaten . Das Ideal seiner Politik befand sich genau mit den in Desterreich vorhandenen Verhältnissen in Uebereinstimmung , nämlich mit dem Vorhandensein eines absoluten Monarchen, einer Willkürregierung , eines reichen , privilegirten Adels und Klerus ' , einer im bureaukratischen Schlendrian beharrenden Verwaltung und eines bevormundeten Volkes , welches fast allein sämmtliche Staatslasten zu tragen hatte und sorgsam in politischer Unwissenheit , die zur Bewahrung solcher Zustände erforderlich, gehalten wurde. Die große Exploſion von 1789 , welche Stein's Geist erleuchtete , war in seinen Augen nur eine sträfliche Empörung . Mit Einem Worte, Metternich gehörte zu den Adepten der Doctrin , welche es als der göttlichen Ordnung gemäß erklären , daß Fürsten und Adeliche zum Befehlen und Genießen , Bürger und Bauern aber zum Gehorchen und Arbeiten geboren sind . So durchdrungen er auch von den Vorurtheilen seiner Kaste sein mochte , so war er doch dahin gelangt , Napoleon ganz anders , als jene , und zwar viel richtiger zu beurtheilen. In dem Zerstörer der Republik und der Volksherrschaft in Frankreich, Holland und Italien ; in dem Schöpfer des Concordats, dem Wiederhersteller des Thrones , der Ritterorden , Lehen, Majorate, Fideicommisse , der ,, lettres de cachet ", Staatsgefängnisse und der Negersklaverei ; in dem Verbanner jeder

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Siebentes Kapitel .

freien Schrift und jedes freien Gedankens ; in dem Verächter der Philosophie und dem Verderber der Bürgertugenden sah Metternich in der That nicht einen Revolutionär , sondern einen überaus mächtigen und gewandten Feind der Revolution, einen unversöhnlichen Gegner derselben , welcher ihr Werk schon beinahe gänzlich vernichtet, und der diese Zerstörung demnächſt. zu vollenden nicht verfehlen konnte. Ein solcher der Sache der alten socialen Ordnung in Europa geleisteter Dienst war es, dachte Metternich, wohl werth, die Illegitimität der Krone jenes außergewöhnlichen Mannes etwas zu vergessen , und so hatte er eine wirkliche Neigung für Napoleon, troß der Ers innerung an gewisse Grobheiten, welche er gegen das Ende seiner Gesandtschaft in Paris zu erdulden gehabt hatte. Als er 36 Jahre später , vor der Revolution flüchtig , in Belgien, dem bisweilen für Verbannte gastfreien Lande , ankam , rief er aus : Welches Unglück, daß Napoleon durch seinen unerſättlichen Ehrgeiz Europa gezwungen, ihn zu bekämpfen und zu stürzen. Wenn er noch zehn Jahre länger geblieben , würde die Gesellſchaft in den gleichen Zuſtand wie vor 1789 zurückgeführt worden sein. " Obwol wegen seiner zur Schau getragenen Meinung über Napoleon dem bittern Spotte und selbst der Feindseligkeit von ſeiten der österreichischen Ariſtokratie und der kaiserlichen Familie ausgesezt, wie auch unpopulär durch das Familien- und das Kriegsbündniß , für welches er, wie jedermann wußte , den Kaiser Franz bestimmt hatte, ertrug Metternich doch, auf seines Herrschers Gunst geſtüßt, mit Leichtigkeit seine Misliebigkeit bei Hofe und beim Volke. In der That war sein Gebieter moralisch von ihm abhängig geworden, sodaß dieser fast nur nach seines Miniſters Eingebung dachte und handelte. Die ersten Nachrichten von der russischen Katastrophe hatten die Unzufriedenheit, deren Gegenstand Metternich war , nur noch vermehrt. In aller Munde wurden die bitterſten Vorwürfe und Anschuldigungen gegen den Minister laut, welcher Defters reich an Napoleon gekettet und es dadurch in einen Krieg gegen die Russen verwickelt hatte , der mit des unersättlichen Eroberers Niederlage endete. Aus Haß gegen den letterwähnten

Metternich's Unpopularität.

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war die Nation in ihrer Gesinnung russisch geworden. Es wäre ihr daher recht gewesen , wenn die Politik der Regierung sofort und ganz offen ebenfalls für Rußland sich erklärt hätte. Der Kaiser Franz ward bestürmt von den Bitten seiner Gemahlin und Verwandten, der großen Herren seines Hofes und der begünstigten Generale ; jeder stellte ihm vor und erklärte mit dem nach Rang und Stellung des Betreffenden sich richtenden Tone, daß der Moment zur Vergeltung und Wiedererhebung gekommen. Sie baten ihn um Metternich's Entlassung und deffen Ersetzung durch den Grafen Stadion , einen erklärten, unbeugsamen Feind Napoleon's und der französischen Allianz. Dieses Bitten nahm zu , als neue Nachrichten das Misgeschick unserer Waffen in seinem ganzen Umfange enthüllten. Franz gab indessen nicht nach, sondern fuhr fort , seinem Lieblingsminister dasselbe Vertrauen wie bisher zu schenken und deſſen Einflusse sich hinzugeben. Der eine wie der andere von beiden besaß einerseits zu

wenig Leidenschaft und andererseits zu viel Kaltblütigkeit , als daß sie unter solchen Umständen etwas überſtürzt hätten. Sie schäßten Frankreichs Hülfsquellen sehr hoch, fürchteten Napoleon's militärisches Talent, und wußten nicht , was für Streitkräfte den Ruſſen am Schluſſe dieſes ſchrecklichen Feldzuges verblieben , während überdies Desterreich nur schwach gerüstet war. Dies waren selbst für leidenschaftliche Staatsmänner mehr als genug Gründe, um sich die Klugheit zur Pflicht zu machen. Kaiser Franz und Metternich waren demnach zu dem Entschlusse gekommen, die an der Tagesordnung stehende Unpopularität fortmurren zu lassen. Indem sie keiner andern Rücksicht als politischen Gründen Rechnung trugen , setzten sie die unter solchen neuartigen Umständen zu verfolgende Linie ihres Verhaltens feſt ; eine verschlungene Linie , welche Desterreichs geographische Lage in Bezug auf den Kriegsschauplak ihnen ziemlich lange innezuhalten gestattete und von der sie hofften , daß dieselbe zu einer beträchtlichen Restauration des Kaiserstaates, sei es durch die Diplomatie oder im Nothfalle durch die Waffen , führen würde. Von diesem Moment an waren der Kaiser Franz und sein Miniſter dahin übereinge-

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Siebentes Kapitel.

kommen , in möglichst schonender Weise von den Fesseln des mit Napoleon gegen Rußland geschlossenen Vertrages sich los: zumachen , gleichzeitig jedoch dem Zar sich etwas zu nähern, indem man gegen diesen von einer Allianz , gegen Napoleon aber von der Nothwendigkeit des Friedens sprach, und zwar eines Friedens , welcher auf Concessionen an Europas Unab: hängigkeit baſirte. Inzwischen wollte man schnellstens und ſo viel als möglich rüsten, und im geeigneten Moment als Vermittler zwischen den kriegführenden Theilen auftreten , indem man sich, wenn die angenommene Intervention zum Frieden führte , für seine Dienste einen guten Lohn ausbedang , oder im entgegengesetzten Falle, mit dem Degen in der Hand , auf die Seite desjenigen stellte , welcher die meisten Aussichten auf einen dauerhaften Erfolg für sich hätte und am meisten ver sprechen würde. Die ersten Schritte dieser neuen Politik erfolgten unver züglich. Die österreichische Regierung sendete in der ersten Hälfte des December einen geheimen Agenten an den Zar und ließ bekanntlich ſofort Schwarzenberg den Befehl zugehen, auf die Schonung des seinem Commando unterſtehenden Contingents bedacht zu sein , jedes ernsthafte Gefecht mit den Ruſſen zu vermeiden und, in Erwartung eines Beſſern, ſelbſt bis zu einem mündlichen Waffenstillstande mit deren Generalen zu gehen. Metternich's Haltung und Sprache gegen Napoleon's Ge sandten in Wien, Namens Otto, erfuhren gleichzeitig eine außer ordentliche Aenderung. Bis dahin mit den Betheuerungen unerschütterlicher Treue und Hingebung für die Allianz so freigebig, nahm Metternich plößlich die Miene an, als ob er unter dem Einflusse der öffentlichen Meinung für die Fortdauer.des Bündnisses fürchten müsse. Ja, er ging selbst so weit, darauf hinzudeuten, daß Desterreich, beim Ergreifen einer andern Partei, binnen kurzem 50 Millionen Menschen auf seine Seite sich stellen sehen, daß ganz Deutschland und ganz Italien sich für dasselbe erklären würden . Er gab zu verstehen, daß es , indem es sich nicht gegen Napoleon wendete, diesem eine besondere Gunst damit erwies, und spiegelte dabei dem französischen Gesandten vor , man habe bereits dem Kaiser Franz für seine Mithülfe

Kaiser Franz räth Napoleon zum Frieden.

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die illyrischen Provinzen, Italien, die Suprematie in Deutschland und die Restauration des alten deutschen Reiches zu ſeinen Gunsten angeboten. ¹ Diese schon an und für sich gewichtigen Aeußerungen erhielten noch eine ernstere Bedeutung mit Rücksicht auf die Anweſenheit ruſſiſcher und englischer geheimer Agenten in Wien ; ſie deuteten klar genug an, daß das öſterreichiſche Cabinet des ganzen Werthes seiner Allianz sich bewußt war und dies fühlen lassen wollte. Deshalb mußten sie bei Otto Ueberraschung und Argwohn hervorrufen. Die darüber berichtenden Depeschen kamen fast zu gleicher Zeit wie Napoleon in Paris an. Dieselben standen nicht im Einklange mit der seitens des leztern von Dresden aus an den Kaiser Franz gerichteten Bitte , das österreichische Contingent auf 60000 Mann zu bringen . Diese gegenseitige Differenz sollte sehr bald durch die auf jenes Ansuchen gegebene Antwort selbst Bestätigung finden. Franz war in der That weit entfernt, auf dieses Anliegen einzugehen, sondern gab seinem Schwiegersohne den Rath , ſobald als möglich Frieden zu schließen , ein zwar eigenhändiger geschriebener, aber offenbar von Metternich in die Feder dictirter Rathschlag. Sein Brief war zwar von jeder drohenden Andeutung frei und floß sogar von Zusicherungen der Bundestreue, herzlicher Theilnahme und aufrichtiger Freundschaft über. „ Niemals“, sagte Kaiser Franz,,,werde ich mich von der französischen Monarchie trennen; ich werde für die Dynaſtie Napoleon's stets die gleichen Gefühle wie für die meinige hegen.“ Indeſſen wurde durch das Ueberschwengliche der Sprache eine abſchlägige Antwort nicht verhüllt, welche, ohne schriftlich ausgedrückt zu sein, doch nicht minder unzweifelhaft war. Mit dem Gedanken , durch die kürzlich gegen Otto gethanen Aeußerungen sich hinlänglich verständlich gemacht zu haben, änderte die österreichische Politik jezt aufs neue ihre Sprache, ohne aber deshalb das Ziel zu wechseln.

1 Schreiben Otto's an den Minister Maret vom 9. und 16. Dec. 1812.

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Siebentes Kapitel.

Mit der Ueberbringung von jenem Schreiben des Kaisers einer der Franz an Napoleon ward der General Bubna wenigen Desterreicher, welche noch für Anhänger der franzöſiſchen Allianz galtenbeauftragt, und sollte er einstweilen den bei der Armee zurückgehaltenen Schwarzenberg auf dem pariſer Gesandtschaftsposten vertreten. Er erhielt die Weisung, hinsichtlich des Anliegens um Verſtärkung des österreichischen Contingents sich in keine ernstliche Unterhandlung einzulaſſen, keine Verbindlichkeit zu übernehmen, sondern zu beobachten, zu horchen, von Frieden und zwar gegen den Minister Maret wie auch Napoleon selbst viel davon zu sprechen, ihnen dessen Nothwendigkeit für Deutschland, Desterreich und überhaupt für alle, Frankreich inbegriffen, welches im Süden in einen schrecklichen und im Norden in einen entseßlichen Krieg verwickelt war , vorzustellen. Dabei sollte Bubna aufs neue, diesmal jedoch in dringlicher Weise , die Vermittelung des wiener Cabinets zum Anknüpfen von Unterhandlungen mit den kriegführenden Mächten anbieten und zu ermitteln suchen, unter welchen Bedingungen Napoleon zu unterhandeln geneigt sein dürfte. Alles dies sollte auf die schonungsvollste Weise gethan , gesagt und vorgeſtellt werden unter lebhaften und beständigen Ergebenheitsbetheuerungen für die Allianz . Es braucht wol nicht erst bemerkt zu werden, daß in Wien Metternich jest Otto gegenüber den Ausdruck seiner innigsten Sympathien für die Allianz und seiner Bewunderung für Napoleon schnell wiedergefunden hatte. Doch ließ er dabei beharrlich die gleichen Friedensrathschläge , dieselben Vermitte lungsanerbieten, welche Bubna nach Paris überbrachte, und die gleiche Weigerung gegen des Verstärken des österreichischen Contingents unterlaufen. Nichsdestoweniger war dies hinreichend, um Otto's kürzlich noch wach gerufenen Verdacht und seine Besorgnisse zu zerstreuen und ihn wieder in seine frühere Ver-

¹ Das wiener Cabinet hatte seine Vermittelung angeboten , sobald es den Beginn des Rückzuges von Moskau in Erfahrung gebracht, doch war demselben kaum darauf geantwortet worden.

Otto's Vertrauensseligkeit.

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trauensseligkeit einzuwiegen. Der Krieg “ , schrieb dieser mit so wenig Scharfsichtigkeit begabte Diplomat,,,ist in Desterreich unpopulär. Doch besaß die Regierung Festigkeit genug , um das Allianzsystem aufrecht zu halten, und man kann sagen, daß die leßten Unfälle nur dazu gedient haben , jene in ihren Gesinnungen zu bestärken. Die Wiederherstellung des Friedens ist gegenwärtig Desterreichs innigſter Wunsch." Hinsichtlich der persönlichen Gesinnungen des Kaiſers Franz war Otto nicht weniger zuversichtlich. Er schilderte ihn als unerschütterlich inmitten der allgemeinen Gärung der Gemüther gegen Frankreich , indem derselbe nur nach Ruhe suche und, um diese zu erlangen, alles zu thun geneigt und für die Consolidirung von Napoleon's Dynastie sehr eingenommen sei. ¹ Napoleon war nichts weniger als erbaut , seine Bitte um eine ausgedehntere Betheiligung am Kriege nur mit Versicherungen von Sympathien und Anhänglichkeit in Verbindung mit Friedensrathschlägen erwidert zu sehen. Doch unterdrückte er seinen Verdruß, was sehr klug von ihm war ; andererseits war es aber nichts weniger als klug, daß er, troßdem es auf der Hand lag, die Bedeutung der ihm gewordenen abschlägigen Antwort nicht erkennen wollte. Er mochte nicht einsehen, daß die ruſſische Katastrophe eine neue Situation geschaffen , aus welcher Desterreich Vortheil zu ziehen beabsichtigte, und daß für ihn der Moment gekommen, wo er ernstgemeinte Conceſſionen machen mußte, wenn er nicht nur den wiener Hof nicht mehr auf seiner Seite, sondern diesen gar bald zum Feinde und mit ihm noch viele andere neue Gegner haben wollte. Er meinte in jenen Vermittelungsanerbietungen nur den sehnlichen Wunsch nach einem sozusagen irgendwie zu Stande kommenden Frieden zu erblicken. Napoleon nahm erstere zwar an, stellte aber zum voraus solche unerlaßliche Bedingungen, daß von den Schritten der österreichischen Diplomatie ein Erfolg nicht zu hoffen stand. Während die Unterhandlungsagenten zum Zar und dem Cabi-

1 Schreiben an den Minister Maret vom 3. Jan. 1813 und 28. Dec. 1812.

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Siebentes Kapitel.

net von St.-James eilten, während gegenseitig lange diplomatische Noten und Gegennoten ausgetauscht wurden , betrieb Napoleon seine Rüstungen ruhig weiter , mit dem Gedanken, daß mit deren Vollendung Desterreich , von Schrecken erfaßt, an seine Allianz sich anklammern und bestrebt ſein würde, ihm in so wirksamer Weise , wie er es haben wollte , zu dienen. Uebrigens war es ihm genehm , während der ersten Momente von Frankreichs Aufregung und schmerzlichen Gefühlen von Frieden um sich herum sprechen zu machen. Napoleon selbst war es, der seinem Schwiegervater die Anzeige machte , daß er deſſen Vermittelungsanerbieten annehme, und er bezeichnete ihm die Basis, auf welcher er in Unterhandlungen zu treten geneigt wäre. Unmöglich kann man sich etwas weniger Versöhnliches , etwas Hochmüthigeres und Herrischeres denken als jenen von ihm geschriebenen Brief, welcher eine Thorheit gewesen sein würde, wenn sein Verfasser ernstlich an Frieden gedacht hätte. Nachdem Napoleon einige Worte in der ihm passenden Weise über sein Unglück in Rußland vorausge ſchickt, indem er nämlich die Ursache davon einzig und allein der strengen Kälte zuſchrieb, entwarf er eine überaus impoſante und in vielen Beziehungen sehr getreue Schilderung seiner militärischen und finanziellen Hülfsquellen ; versicherte dann weiter, daß er im nächsten Feldzuge die Ruſſen und mit ihnen jeden schlagen würde, der sich ihren Fahnen anzuschließen die Unklugheit begehen sollte; ein nebenbei laufender Fingerzeig, welcher wol eine nachträgige , drohende Antwort auf die Anfang December von Metternich gegen Otto gethanen Aeußerungen zu sein schien. Im weitern bot er dann die nöthigen Subsidien an für die 30000 Mann, um welche er das österreichische Contingent vermehrt zu sehen wünschte, und zwar that er dies, als ob er der Meinung wäre, der seiner ersten Bitte zutheil gewordenen abschlägigen Antwort läge nur eine finanzielle Verlegenheit zu Grunde. Nachdem Napoleon noch erklärt, daß er den Frieden wünsche , es aber nicht mit seiner Würde vereinbar sei, einen Schritt zu dessen Unterhandlung zu thun, ,,weil die lestvergangenen Ereignisse sich zu Rußlands Vortheil gewendet" gab er dann in ziemlich geringſchäßigen Aus-

Napoleon nimmt Desterreichs Intervention an.

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drücken seine Einwilligung dazu, daß Desterreich bei den Cabineten von Petersburg und London im Interesse des Friedens wirke und " nach seinem Gutdünken handle" ; gleichzeitig zog er aber demselben ein so beengtes Unterhandlungsfeld, daß er ihm damit jede Bewegung unmöglich machte. In Betreff Rußlands gab er die Erklärung ab , nicht dulden zu wollen , daß selbes den geringsten Gebietszuwachs an einer seiner Grenzen erhalte, und daß er unerschütterlich entschloſſen ſei ,,,nicht ein einziges Dorf vom Großherzogthume Warschau aufzugeben." Alles , was er diesem Reiche, welches verwüstet worden und unendliche Verluste erlitten, zugestehen wollte, war die Aufhebung der Artikel des Tilſiter Vertrages , welche dasselbe unlängst noch an die Continentalsperre gebunden, jenes Vertrages, der durch die Flammen von Moskau für immer vernichtet. Was England anbelangt, so behauptete Napoleon, gegen dieſes noch in der gleichen Lage wie vor dem russischen Kriege sich zu befinden, und hielt er die Grundbedingungen, auf welchen zu unterhandeln er erſterm vorgeschlagen, unbedingt aufrecht. 1 Nun war aber eine dieser Grundbedingungen die Anerkennung von Joseph Bonaparte's Königthume, was von dem britischen Cabinet peremtorisch und mit Recht zurückgewiesen worden. 2 Solche dermaßen gebieterische Forderungen bildeten für jeden Vergleichsversuch unüberwindliche Hindernisse. Aber , als ob Napoleon befürchtet hätte , daß jene noch einen Anknüpfungspunkt dazu offen ließen, fügte er überdies eine Bedingung hinzu, welche unveränderlich innegehalten werden sollte und von der er nie zurücktreten würde, nämlich , daß keins der auf Grund von Senatsbeschlüssen mit dem Kaiserreiche vereinigten Territorien von leßterm getrennt werden dürfte. Maret , der gleichzeitig mit seiner gewöhnlichen Emphaſe das übermüthige Wort seines Gebieters commentirte, schrieb in obiger Beziehung an Metternich: „ Eine solche Trennung wäre als eine Auflösung des Reiches selbst anzusehen ; um sie zu er-

1 Schreiben Maret's an Lord Caſtlereagh, vom 17. April 1812. 2 Schreiben Lord Castlereagh's an Maret, vom 23. April 1812.

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langen, müßten 500000 Mann die Hauptstadt umgeben und auf den Höhen des Montmartre lagern. Hamburg, Münster, Oldenburg und Rom sind durch constitutionelle Bande mit dem Reiche vereint und werden für immer mit demselben verbunden bleiben. . . ." 1 Napoleon beließ demnach Oesterreich kein wirkliches Ver-

handlungselement. Was insbesondere lettere Macht ließ er ihr die Möglichkeit der Wiedererlangung der Provinzen , selbst die Erwerbung von Corfu , dieses zum Adriatischen Meere , durchblicken , aber nur für

betraf, so illyrischen Schlüssels den Fall,

daß der Frieden zu Stande kommen und England in Reſtitutionen an Frankreich einwilligen würde.2 Also zur gleichen Zeit , wo man , nach Otto's Bericht , Oesterreich die blendendſten Erbietungen machte, um daſſelbe zum Kehren der Waffen gegen seinen Verbündeten hinzureißen , ge währte lekterer kaum eine Verheißung , und " nterſtellte deren Erfüllung dem Abschlusse eines vorweg von ihm unmöglich gemachten Friedens. Nichtsdestoweniger bekundete Metternich beim Lesen von Napoleon's und Maret's Schreiben eine aufrichtige Freude; ja er ging in der Aeußerung dieser Freude gegen Otto so weit , die für den Frieden vorgeschlagenen Grundlagen als „,sehr generös“ zu bezeichnen. Was ihn aber entzückte, war nicht jene Basis, von der er wußte, daß sie keine Aussicht auf Annahme hatte; es war auch nicht das Desterreich bedingungsweise gegebene Halbversprechen , welches wenigstens sehr knauserig in Hinsicht der Wichtigkeit seiner neuen Stellung wie auch mit Rücksicht auf seine Wünsche und still gehegten Ansprüche war ; nein, es war vielmehr die Autoriſation, officiell mit Rußland und England in fortlaufende Beziehungen , ohne irgendwelche Controle von seiten des Tuileriencabinets, treten zu dürfen. Der Kaiser Napoleon" , schrieb Maret, will auf keine Weise bei den anzu-

1 Schreiben vom 8. Jan. 1813. 2 Ebendaselbst. 3 Depesche an Maret, vom 16. Dec. 1812.

Preußen soll sich d. bewaff. Intervention anschließen. 289 knüpfenden Unterhandlungen figuriren ; der wiener Hof ist es, welcher die Initiative dazu ergriffen , und ist es also an ihm, 1 jene zu leiten und bestens durchzuführen . Jene Autorisation brach am ehesten dieser doppelzüngigen Politik die Bahn , von welcher Metternich und sein Monarch eine Restauration der Macht Oesterreichs erwarteten. Vermöge des geheimen Einvernehmens mit Alexander bei Annäherung des ruſſiſchen Krieges, ferner durch die kürzlich an Schwarzenberg ertheilten Befehle und mit Rücksicht auf Bubna's Mission nach Paris waren die beiden Obengenannten bereits auf jener Bahn begriffen, und schritten so auf ihr weiter fort. Der Kaiser Franz und der König von Preußen ſtanden in fortwährendem Verkehre miteinander. Indem beide von Napoleon gebrandſchaßt und beraubt worden, hatte das gemeinſame Unglück eine Art von Intimität zwischen ihnen zu Wege gebracht , vor welcher einstweilen der alte Antagonismus der Häuser Preußen und Desterreich zurücktrat. Metternich benutte dies , um der preußischen Regierung von Desterreichs Project betreffs einer bewaffneten Intervention Mittheilung zu machen. Er erklärte derselben zu wiederholten malen , daß es in ihrem Interesse läge, auf der Basis dieser Vermittelung , wenn der Tag zu deren Erklärung gekommen , sich an Desterreich anzuschließen, und rieth er ihr deshalb vorläufig, im möglichst größten Maßſtabe ſchnellstens zu rüſten, um dann zur Ausübung einer wirksamen Action in der Verfassung zu sein. Dabei ließ es jedoch Metternich nicht allein bewenden. Er war der Ueberzeugung , daß , je mehr sich Frankreichs Hülfsſtreitkräfte minderten und diejenigen der in Aussicht gestellten Intervention verstärkten, auch Napoleon um so mehr in seinen Forderungen nachgeben dürfte, indem er dabei auf Desterreichs Allianz Werth zu legen und dieselbe hoch zu bezahlen beſtimmt werden würde. Demzufolge wendete er sich ― doch nicht mit der Offenheit wie Preußen gegenüber - an die Haupt-Rheinbundsstaaten, nämlich Sachsen, Baiern, Würtemberg und Baden.

Aus dem schon oben citirten Schreiben Maret's vom 8. Jan. 19 Charras, 1813.

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Er insinuirte ihnen in tiefem Geheimnisse die Idee einer Intervention, aber einer durchaus friedlichen und für Napoleon ganz wohlwollenden, welche in Gemeinschaft mit Deſterreich zwischen den friegführenden Mächten ins Werk gesezt werden sollte, eine Vermittelung, welche nach Metternich's Versicherung im gegebenen Moment hinreichen würde, um dem Kriege ein Ende zu machen und Deutschland seine Selbständigkeit wieder zu verschaffen. Während der österreichische Minister durch die Bildung einer solchen Interventionsliga die Contingente jener von ihm angegangenen Staaten Frankreich abwendig zu machen suchte, so wie er dieſem auch das öſterreichische demnächſt zu entziehen im Begriffe stand , rechnete er übrigens und nicht mit Unrecht darauf, daß, wenn die Vermittelung nicht zum Frieden führte, sie doch wenigstens das schäßbare Reſultat haben dürfte, diejenigen Fürsten , welche sich im Anschluſſe an Oesterreich compromittirt, auf leichte Weise in das von leßterm zu wählende Lager zu drängen. Diese Insinuationen Metternich's fanden

in Karlsruhe,

Stuttgart , München und Dresden eine verschiedenartige Aufnahme. Der Großherzog von Baden, Napoleon's unmittelbarer Nachbar, weigerte sich , ihnen sein Ohr zu leihen und schwieg. Der König von Würtemberg wollte auch nichts davon hören, säumte jedoch nicht , den bei ihm versuchten Schritt Napoleon zu hinterbringen. Der König von Baiern gab jenen Insinuationen zwar anfangs Gehör und schwankte einige Zeit. Aber in der Voraussicht , daß er durch einen Frieden , wie ihn Metternich suchte , sicherlich einen Theil der Lande , mit denen ihn Napoleon auf Unkosten Oesterreichs bereichert , einbüßen würde, folgte er dann dem Beiſpiele des würtembergischen Monarchen. Obwol der König von Sachsen sich nicht verhehlen konnte, daß es sich für ihn um die Verzichtleistung auf die Krone des Großherzogthums Warschau und sogar noch um wesentlichere Opfer handelte, so schwankte er doch gleichfalls und zwar lange Zeit; es gab einen Moment , wo er , wie wir später darlegen werden , schon für Desterreichs Politik gewonnen ſchien und auf dem Punkte stand, ſein Contingent den franzöſiſchen Truppen zu verweigern. Aber beim ersten Gerüchte von einem

Desterreichs Verhandlungen mit den Rheinbund ſtaaten. 291 ephemeren Siege Napoleon's trat er zurück, um sich wieder unter des leztern Joch zu stellen , und war hinsichtlich der Enthüllungen über „ die österreichische Intrigue“ nicht minder mittheilsam als die Könige von Baiern und Würtemberg. Als Metternich jene Eröffnungen machte, rechnete er ohne Zweifel darauf, daß die obenerwähnten vier Fürsten , welche er nach und nach vom Rheinbunde abwendig machen wollte, fich beeinflussen lassen würden durch den schlechten Stand ihrer Finanzen, insbesondere aber durch die Misstimmung und Aufregung ihrer Unterthanen, die durch die Continentalsperre ruinirt, durch Abgaben ausgesaugt und unaufhörlich durch den Krieg decimirt wurden, welche der allgemeinen Knechtschaft müde und durch den Patriotismus , den Abfall York's und die Erfolge der russischen Armeen tief erregt waren. Doch ist es zu verwundern, wenn man Metternich sich einerseits so auf die Discretion jener Fürſten verlaſſen , andererseits aber dermaßen in ihrem Charakter und der beständigen Triebfeder ihrer Politik ſich täuſchen ſieht. Durch Napoleon waren die obigen drei leßtgenannten zur königlichen und der erste derselben zur großherzoglichen Würde erhoben worden ; dazu hatten sie ihm noch beträchtliche Gebietserweiterungen zu verdanken. Dies war hinreichend gewesen, um in ihnen das patriotische Gefühl und die Achtung ihrer Selbstwürde zu unterdrücken . Sie bekümmerten sich nicht um Deutschlands und ihrer Kronen Unabhängigkeit ; sie waren gleichgültig gegen die Meinung, die Wünsche und Leiden ihrer Unterthanen. Sie waren , im wahren Sinne des Wortes, Fürstensklaven, sie waren es bis zu dem Grade, daß sie Napoleon alles hinterbrachten , was sie erhaschen konnten von Umtrieben, welche auf die Befreiung der deutschen Lande hinzielten. Man mußte also gewärtigen , daß sie in ihrer Servilität beharren, daß sie dem Bedrücker Deutschlands ihren lezten Mann und lehten Gulden hingeben würden , wofern nicht die Umstände ihren fürstlichen Egoismus ins Spiel brachten und bei einem Nichtwechseln der Fahne der Verlust ihrer Krone für sie zu befürchten stand. Während sich Metternich so ganz seiner hinterlistigen Politik hingab , hörte er nicht auf, Otto mit Schmeicheleien für 19 *

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Napoleon's Perſon , mit Betheuerungen von Treue und Hingebung für die Allianz zu überhäufen. Er versicherte diesem leichtgläubigen Diplomaten , daß er Preußen zum Ausharren beim franzöſiſchen Bündniſſe ermahne; daß Oesterreich aus der Situation durchaus keinen Vortheil für ſein eigenes Intereſſe ziehen wolle; es ſei vielmehr durchaus uneigennüßig , begehre nichts für sich und wünsche nur Eins , nämlich den Frieden. Er rühmte sich, trotz des finanziellen Nothstandes der Mons archie doch 10 Mill . Pfd . St. (250 Mill. Frs .) , welche Eng: land um den Preis einer Aenderung der Politik geboten hätte, mit Verachtung zurückgewiesen zu haben. Ferner erzählte er, wie er in nicht officieller Audienz einen russischen Agenten, v. Stackelberg, empfangen, welcher ihm die Erfolge von des Zar Armeen überaus gerühmt und deren Hülfe zu Desterreichs Wiedererhebung von seinen Niederlagen angetragen ; wie er dann diesen überspannten Boten unbarmherzig perſiflirt, ihn sehr schnell besänftigt und dahin gebracht habe, nur noch von Frieden zu sprechen. Otto entzückt ob ſo vieler schönen Worte und aller dieser vertraulichen Eröffnungen, die er ,,wahr hafte Herzensergießungen“ nannte — übermittelte sie in seinen Depeschen eifrig an Maret, wobei er auch die folgenden Worte des österreichischen Miniſters zu erwähnen sich angelegen ſein ließ : „ Alles , um was man (Deſterreich) Frankreich bittet, iſt, die größten Vorbereitungen zu einem neuen Feldzuge zu treffen." Bei diesen zahllosen Unterredungen verstand es Metternich, Otto beizubringen und zwar ohne dieſen in seiner Ruhe zu stören , daß Oesterreich rüste, eine Thatsache, welche übrigens schwer zu leugnen gewesen wäre. Es rüstete wirklich im größten Maßstabe mit einer. bis dahin bei seiner weitschweifigen und zopfmäßigen Verwaltung ungekannten Rührigkeit. Es wurde für 45 Mill. Gulden ( 112 Mill. Frs.) Papiergeld creirt; die Arsenale wimmelten von Arbeitern ; große Proviantmagazine wurden angelegt , alles , was man an beurlaubten und im Reservestande befindlichen Militärs hatte, einberufen, überall zu freiwilligen Anwerbungen aufgefordert; eine große außerordent liche Rekrutirung vorbereitet, Ankäufe und hauptsächlich bedeu tende Requisitionen von Pferden veranstaltet; endlich befahl ein

Desterreich rüstet.

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kaiserlicher Erlaß die sofortige Aufstellung einer zur Besetzung von Galizien und der Bukowina beſtimmten Armee. Solche Maßregeln stimmten nicht recht überein mit der beharrlichen Weigerung wegen der Verstärkung des unter Schwarzenberg's Befehlen stehenden Corps. Doch fand Metternich gut ausgedachte Erklärungen für jene Rüstungen und Weigerungen. Die Rüstungen , sagte er , wären innere und hätten den Zweck, gegen Frankreichs Feinde eine nachdrücklichere Sprache führen zu können. Mit der Vermehrung des Auxiliarcorps um 30000 Mann würde Desterreich aber über die Verpflichtungen seines Vertrages mit Frankreich hinausgehen. und Rußland dadurch das Recht zum Zurückweisen seiner Intervention geben. ,,Bisjest" , sagte Metternich zu Otto , „ iſt der Krieg kein österreichischer. Wenn er es in der Folge wird, so werden wir die Ruſſen nicht mit 30000 Mann, ſondern mit der ganzen Macht der Monarchie angreifen. Indeſſen werden jene nicht ohne Besorgniß die Vermehrung unserer Truppen in Galizien wahrnehmen und sich wohl hüten, uns herauszufordern .“ Desterreich herausfordern ! Dem Zar lag ein solcher Gedanke fern , und Metternich hatte allen Grund , davon wohl überzeugt zu sein. Nichtsdestoweniger affectirte der österreichische Miniſter , zu Otto's großer Freude, ernste Besorgnisse in Betreff der Plane des Zar, mit Rücksicht auf deſſen Ehrgeiz , den in Tilſit und Erfurt zu sehr gehätschelt zu haben er Napoleon den Vorwurf machte. Er nannte Rußland den natürlichen Feind und Frankreich den ebenso natürlichen, ja selbst ewigen" Freund Desterreichs. Endlich befürchtete er die Bildung eines großen polnischen Königreiches mit Alexander an der Spize, welches eine beständige Gefahr für Desterreich , Preußen und Deutschland sein würde. Sicherlich lag Wahres und zwar sehr viel Wahres in dieſen Darlegungen. In Wirklichkeit jedoch fürchtete Metternich viel weniger Rußland , ja selbst das über Napoleon siegreiche Rußland, als Napoleon ohne Armeen, aber zur Bildung einer solchen über Frankreichs Hülfsquellen verfügend und zur Verfolgung seines Beherrschungs- und Eroberungsſyſtems entschlossen. Rußlands Expanſivkraft war begrenzt , während

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es die von Frankreich sozusagen nicht schien ; und obwol des Eroberers militärisches Genie besonders in Spanien irregegangen, in Rußland aber gar zu Schanden geworden und eine Niederlage erfahren, so konnte dasselbe doch recht gut sich noch nicht abgeschwächt haben, so sehr dies auch allerorten behauptet wurde. Indessen trug sich in kurzem ein wichtiger Vorfall zu , der ein helles Licht auf die österreichische Politik warf und welchem ohne Zweifel die Miſſion jenes russischen Agenten nicht fern stand, den Metternich so cavaliermäßig persiflirt zu haben sich gegen Otto rühmte. Von diesem Vorfalle haben wir bereits berichtet.¹ In den lezten Tagen des Januar schloß bekanntlich' Schwarzenberg mit den Ruſſen eine mündliche Convention, welche einen Waffenſtillstand von unbeſtimmter Dauer und den Rückzug seines Corps gegen die galiziſche Grenze ſtipulirte. Gegen Eugen's, ſeines Oberbefehlshabers, Bitten taub, zog er ohne weiteres in der vereinbarten Richtung davon. Dieſer excentrische Rückzug ohne eigentliche militärische Gründe hatte Reynier's schwere Schlappe bei Kalisch zur Folge ; zog Poniatowski hinter dem österreichischen Corps mit fort; bestimmte Eugen, von Posen bis Berlin zu weichen ; verschaffte dem Zar freies Feld, um die Bildung eben jenes Königreiches Polen vorzubereiten , welches Metternich als eine Gefahr bezeichnete und gab in Wirklichkeit den russischen Armeen den größten Theil von Preußen preis, darunter auch Schlesien, wohin Friedrich Wilhelm ſeit einiger Zeit ſein Hoflager verlegt. Indem Desterreich zu jener Zeit dem eben genannten Monarchen zuſprach, um ihn in Rußlands Arme zu treiben , konnte es sicherlich, um ihn dahin zu vermögen, nichts Beſſeres thun, als dem Zar

1 S. das vierte Kapitel. 2 Wir glauben nicht zu irren, wenn wir die an Preußen gerichteten Aufmunterungen zum Uebertritte in das Lager des Zar in diese Zeit verlegen, was der sehr bekannte Brief Metternich's an Hardenberg, vom 28. Oct. 1814, constatirt. In Schwarzenberg's excentrischem Rückzuge lag an und für sich schon eine stärkere Anregung in jener Richtung als in allen möglichen Worten.

Oesterreichs Wünsche hinsichtlich Polens.

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die Straße nach Breslau zu öffnen, wie es dies mit der Rückberufung des österreichischen Corps that. Es läßt sich nicht bezweifeln , daß Metternich durch jene Zurückbeorderung Schwarzenberg's, deren Folgen deutlich genug vor Augen lagen, einen ziemlich starken Eindruck auf Napoleon hervorzubringen hoffte. Ebenso gestand er Otto zu , daß Schwarzenberg mit den Ruſſen einen Waffenstillstand geschlossen und den Befehlen seines Monarchen gemäß auf dem Rückmarſche sich befände; doch gab er sich nicht erst die Mühe , für jene Anordnungen auch nur Scheinentſchuldigungen vorzubringen. Indessen ward er in seiner Hoffnung vollständig getäuscht. Napoleon war aufgebracht darüber , Desterreich gerade in dem Moment sich vom Kriegsschauplage zurückziehen zu sehen , wo deffen Hülfe dort am nothwendigsten und wo er daſſelbe zur Verdoppelung seines Contingents drängte. Doch blieb er bei dem Glauben, daß er es durch die Furcht vor seinen Waffen bald wieder umkehren machen würde , und dachte auch nicht einen Augenblick an ein Nachgeben in seinen gebieterischen Ansprüchen. Gleichwol begann der österreichische Miniſter in dieser Zeit, den Schleier etwas zu lüften , hinter welchem er bis dahin seine Politik gehalten. Durch die Annäherung der russischen Armeen ermuthigt und durch die in Preußen vorgehenden Ereignisse veranlaßt , wagte es Metternich , unverhohlen gegen Otto zu äußern, daß Oesterreich die Auflösung des Großherzogthums Warschau lebhaft wünsche ; ja er wagte selbst zu erklären, daß diese Auflösung für die Wiederherstellung des Friedens unerlaßlich wäre, und fügte in der weitern Ausführung dieser Auslassung noch hinzu: Von allen Combinationen ist die wünschenswertheſte , daß das Großherzogthum Warschau an Preußen gegeben würde. Preußen kann in seiner gegenwärtigen Verfassung nicht verbleiben. Es ist eine leere Annahme von eurer Seite, zu glauben, daß dieſes Königreich und das Großherzogthum in ihrer gegenwärtigen Geſtaltung wirksame Schranken gegen Rußlands Unternehmungen sein werden , wogegen das mit dem ganzen Gebiete des Großherzogthums vergrößerte Preußen im Vereine mit Desterreich stark genug ſein würde,

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um den Uebergriffen des Nordens ein unübersteigliches Hinderniß entgegenzustellen. " 1 Bei allen diesen Auslassungen war Metternich , wie man glauben kann , doch wol der Meinung, daß , wenn man das Großherzogthum Warschau an Preußen überließe , es demselben nicht in seinem ganzen Umfange ge geben , sondern Desterreich der ihm 1809 abgenommene Theil jenes Staates zurückerstattet werden würde. Die Antwort auf diese Eröffnungen war Napoleon's Rede an den Geseßgebenden Körper , in welcher er bekanntlich sich entschlossen erklärte , die Integrität der Staaten seiner sämmtlichen Verbündeten aufrecht zu halten. Metternich wurde durch diese Hartnäckigkeit, in nichts nachgeben zu wollen , tief betroffen , und verfiel wirklich in große Besorgniß. Die Volksgewalt, welche in Deutschland ihr Haupt erhob, verursachte ihm einen wahrhaften Schrecken. Die aufrührerischen Beschlüsse der Stände der Provinz Preußen machten ihn fürchten ; noch entsehlicher war es aber für diesen Eiferer des göttlichen Rechts der Könige, daß der Kaiser Alexander selbst an das Volksrecht und den Aufstand der Massen appellirte und die Unterthanen der in ihrer Unterwürfigkeit zu Napoleon beharrenden Fürsten aufmunterte , diese zur Rache und zum Ruhme mit fortzuziehen.2 ,,Schlesien ist der schrecklichsten Agitation hingegeben“, sagte Metternich zu Otto, daſſelbe iſt mit Böhmen der Fall. Westfalen rührt sich ; in Tirol , den ehemaligen preußischen Provinzen Baireuth und Ansbach, ferner am linken Rheinufer macht sich eine dumpfe Gärung bemerkbar ; der von den Ruſſen entzündete Brand breitet ſeine ver heerenden Flammen überallhin aus. Ich verhehle mir die Folgen dieser Volksbewegungen nicht; im Namen von Deutschlands Ehre und Unabhängigkeit hervorgerufen, werden sie nicht verfehlen, alle politiſchen und ſocialen Bande zu zerreißen, und sehe ich darin die traurigen Vorboten der größten Unglücksfälle und des Unterganges der Throne."3

¹ Schreiben Otto's an Maret. 2 Proclamation Alexander's, datirt aus Warschau vom 10. Febr. 1813. • Schreiben Otto's an Maret vom 19. Febr.

Stimmung in Oesterreich.

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In Desterreich selbst fühlte Metternich den Boden unter sich wanken. Umsonst verfolgte die Polizei die geheimen Verbindungen, und umsonst forderte man von den Beamten den Eid, solchen nicht anzugehören ; deffenungeachtet breiteten sich jene nach allen Seiten aus, um mündlich und durch eine Menge geheimer Schriften für die Freiheits- und Unabhängigkeitsideen zu propagiren. An öffentlichen Orten und selbst in den Hofkreisen fielen die kühnſten Reden, welche weder den Miniſter der kaiserlichen Politik noch den Kaiser schonten. In den Reihen der Armee war die Misstimmung gleichfalls groß , aber nirgends heftiger als beim Schwarzenberg'schen Corps . Auf ihrem Rückzuge von Warschau nach der vaterländischen Grenze saugten die Oesterreicher absichtlich das polnische Land - das Besigthum des Königs von Sachſen, Napoleon's unterwürfigen Vasallen durch übertriebene Requisitionen aus. Sie verhinderten daselbst die Aushebung von Rekruten und zerstreuten selbst die bereits zusammengezogenen Abtheilungen derselben. Die Bildnisse Napoleon's , welche sie in den polnischen Hütten und Häusern vorfanden, zerrissen sie oder brachten schmähende Inschriften darauf an , während ihre Offiziere Redensarten von einer bis dahin bei ihnen unerhörten Kühnheit im Munde führten. So besprach man eines Tages an der Tafel des durch seinen Eifer für das Napoleonische Thrannenregiment doch sehr bekannten Gesandten Bignon die Fragen der Zeit. Dabei rief einer der Gäste, der General Bianchi , Commandant einer österreichischen Division : „ Das Jahrhundert, in welchem wir leben, ist nicht das der Dynaſtien. Was liegt wol auch den Deutschen an diesen heruntergekommenen Rassen , welche über sie herrschen? Der Sturz dieser Familien wäre das geringste Unglück." Um dieſes so lebhaft gewordene Gespräch auf ein anderes Feld zu lenten , sagte Poniatowski: Lassen wir dies , die Bajonnete werden es entscheiden." ,,Nein“, erwiderte Bianchi,

1 Schreiben des Gesandten Bignon an Maret , vom 12. Febr. Bignon befand sich damals in Poniatowski's Hauptquartier.

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Siebentes Kapitel .

,,das werden vielleicht nicht die Bajonnete, sondern die Dolche entscheiden". 1 Zur Stillung einer solchen Gärung wäre die Verkündung von seiten Metternich's an den österreichischen Patriotismus er forderlich gewesen , daß Napoleon Desterreich einen Theil des diesem Entrissenen wieder zurückgäbe. Indessen schickte Bubna von Paris aus , wo er häufige Zusammenkünfte mit Napoleon und Maret hatte, nur nichtssagende Berichte, während in Wien selbst Otto's Unterredungen in dem alten Gleise des Allianzvertrages und der daraus für Oesterreich hervorgehenden Verpflichtungen sich bewegten. Metternich's Stellung ward indessen bald noch schwieriger, denn die Fortschritte der ruſſiſchen Armeen, die Erhebung von Lübeck und Hamburg , Preußens Kriegserklärung an Frankreich, Friedrich Wilhelm's Aufruf an die Preußen , seine Landwehrverordnung , die revolutionären Tagesbefehle der ruſſiſchen und preußischen Generale, der Abfall der Herzogthümer Mecklenburg, die enthuſiaſtiſchen Kundgebungen im ganzen deutschen Lande vom Niemen bis zur Oder und Weser alles das mußte die Aufregung der Gemüther vermehren. Desterreich fühlte sich zurückgesezt, indem es einen kleinen Staat, wie Preußen, seine Waffen entſchloſſen gegen den allgemeinen Zwingherrn kehren und zum Vorkämpfer von Deutschlands Unabhängigkeit sich aufwerfen sah , während Desterreich mit seinen 20 Millionen Einwohnern in einer be schämenden Vasallenschaft gehalten wurde. Man beharrte bei der Behauptung , daß der Kaiser von ſeinem an Napoleon's Politik verkauften Miniſter getäuscht würde und daß er wider seinen gemisbrauchten Willen jenem dienen müſſe. Metternich glaubte einen Augenblick ſein Leben durch eine Verschwörung bedroht. Um die Misſtimmung und Aufregung einzuschüchtern und im Zaume zu halten , ließ er zwei im Staatsdienſte ſtehende Persönlichkeiten , Hormahr und Schneider (ein Paar eifrige, durch ihre Theilnahme am Volksfriege von 1809 in Tirol und Vorarlberg sehr bekannte Pa-

1 S. Bignon,,,Histoire de France depuis le 18 brumaire etc.“.

Verhaftungen österreichischer Patrioten.

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trioten), nächtlicherweile von Wien wegführen , und zwar den einen nach der Citadelle von Munkacz , den andern auf den Spielberg. Ferner ließ er gleichfalls eine große Anzahl von Flüchtigen aus Tirol , Voralberg und dem Veltlin , welche in der Vorbereitung des Aufstandes ihrer Länder thätig waren, von Wien ausweisen und in entfernten Städten interniren . Auf seine Veranlassung wurden noch weitere Verhaftungen, Einkerkerungen und Internirungen vorgenommen ; diesmal befanden sich unter den Festgenommenen auch Offiziere von der Armee. Diese Maßregeln brachten indeffen die von Metternich gewünschte Wirkung nicht hervor. Doch wagte er es nicht, an denen sich zu vergreifen , welche ihrer Unzufriedenheit mit seiner Politik und ihrer Erbitterung wegen des Kaisers Schwäche am lauteſten und mit der meisten Autorität Ausdruck gaben, denn es würden die hochgestelltesten Persönlichkeiten des Landes, ja selbst die Brüder des Monarchen, die Erzherzoge Karl und Johann , davon betroffen worden sein. Letterer , Desterreichs erster General, ein sehr gescheiter und gemäßigter Mann , erklärte ohne Umschweife, daß, wenn die durch den Kaiſer eingegangene Familienallianz für deſſen Politik hinderlich , er die Krone einem in seinen Handlungen unabhängigen Habsburger abtreten müsse. Metternich war trostlos, der Kaiser Franz sehr beunruhigt. Noch nie hatte sich die öffentliche Meinung derart in Desterreich kundgegeben. Im Einvernehmen mit Frankreich", sagte Metternich eines Tages zu Otto,,,kann Desterreich der revolutionären Invasion ein Ziel seßen und zum Frieden gelangen." Dieses Einverständniß lag immer in des österreichischen Ministers Wünschen und Absichten ; doch weniger als jemals wollte noch konnte er an deſſen Herstellung anders als auf der Grundlage ernstlicher Zugeſtändnisse von ſeiten Napoleon's arbeiten. Er sah es wohl ein , daß Conceſſionen , welche beim Beginne der Krisis vielleicht ausreichend gewesen , sich mehr und mehr unzulänglich zeigten, je nachdem eben die Kriſis an Intenſität zunahm. Der österreichische Patriotismus beschränkte sich in ſeinen Ansprüchen und Forderungen nicht mehr auf Deſterreichs Interessen allein , sondern machte vielmehr gemeinsame Sache

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mit Deutschland und forderte, dieſes gleichfalls aus seiner Ernie: drigung erhoben und seine Unabhängigkeit wieder erlangen zu sehen , denn es begriff wohl , daß für Desterreichs Sicherheit ein selbständiges Deutschland nothwendig. Napoleon schien sich indessen hinter den in seinem Hochmuthe für den Frieden aufgestellten Grundzügen hartnäckig zu verschanzen. Bei Metternich verhielt es sich jedoch mit der Furcht vor der revolutionären Invasion wie mit der Besorgniß wegen des russischen Ehrgeizes . Sie war zwar wirklich vorhanden und war sehr groß, aber doch hielt sie nicht das Gegengewicht mit der Furcht , welche ihm Napoleon bei seinem verrannten Streben nach der Universalherrschaft einflößte. Er beschloß daher , noch ein bedeutendes Hinderniß vor der Revolution und dem Zar wegzuräumen und deren Impulskraft zu vergrößern. Am 29. März wurde nämlich in des Kaisers Alexander Hauptquartier zu Kalisch von seiten Oesterreichs durch Lebzeltern und für Rußland von Nesselrode ein Vertrag unter: zeichnet, vermittels dessen man das Uebereinkommen traf, daß der zwischen dem österreichischen Auxiliarcorps und den Ruſſen bestehende mündliche Waffenstillstand seitens der lettern in den ersten Tagen des April gekündigt werden sollte ; die Russen wollten dann in den Flanken des genannten Hülfscorps drohende Bewegungen machen, vor welchen die Oesterreicher den noch von ihnen besezt gehaltenen Theil des Großherzogthums Warschau zu räumen und sich auf das rechte Weichselufer , das heißt: nach Galizien, zurückzuziehen hatten , indem sie auf dem entgegengeseßten Ufer nur drei bestimmte Punkte besetzt hielten. War dieser Rückzug durchgeführt , so sollte von den einander gegenüberstehenden ruſſiſchen und österreichischen Generalen ein neuer Waffenstillstand auf unbestimmte Dauer und mit vierzehntägiger Kündigung abgeschloffen werden. Mit dem Rückmarsche der Oesterreicher in ihr Land wurde es Poniatowski — welcher nur über ein schwaches Armeecorps verfügte und den keine nationale Erhebung unterſtüßte — un möglich gemacht, sich in dem polnischen Großherzogthume zu behaupten. Er mußte jenen wohl oder übel folgen ; und befand er `sich einmal auf Desterreichs Gebiet , so waren alle ſeine

Desterreichisch - russischer Vertrag von Kalisch.

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Bewegungen von der Zustimmung dieser Macht abhängig. Das lag klar auf der Hand , und zwar sollte ihn Metternich dies fühlen lassen. Dieser Vertrag von Kalisch war nach ziemlich langem Zögern das erste Resultat der officiellen Mission des an den Zar ent sendeten Agenten Lebzeltern , welche , nach Metternich's Versicherung, die Anknüpfung von Friedensunterhandlungen auf den von Napoleon hingestellten Grundlagen bezweckte. Der beregte Vertrag sollte, nach dem Wortlaute seines Schlußartikels, zwischen den contrahirenden Mächten auf ewige Zeiten geheim bleiben und nur allein dem Könige von Preußen mitgetheilt werden. Derselbe hatte eine schnelle und bedeutende Wirkung, denn indem er die Ruſſen jeder Beſorgniß für ihre linke Flanke und ihren Rücken überhob , wurden dadurch auch Kutuſow's beständige Einwendungen gegen die Bewegung zum Schweigen gebracht, welche die Ruſſen mit ihren neuen Alliirten , den Preußen , auf das linke Elbufer führen und so Deutschlands patriotische Bewegung erweitern sollte. Jener Vertrag war ein wirklicher Verrath von seiten Metternich's gegen Napoleon, aber ein Verrath, welcher Desterreich nicht unwiederbringlich wider leztern verpflichtete. Mit dessen Abschlusse verfolgte der obengenannte Miniſter doch seine Chimäre weiter, nämlich seinen gebieterischen Verbündeten durch den Anblick eines mehr und mehr drohend werdenden Feindes zu Concessionen zu vermögen. Hatte er ja noch nicht seine Wahl zwischen den kriegführenden Mächten getroffen. Unterdeſſen betrieb Desterreich seine Rüstungen mit aller Thätigkeit. In Böhmen hatte es bereits 70000 Mann zusammengezogen, mit dem auf 30000 Mann completirten Auriliarcorps konnte es also , je nach Befinden, 100000 Mann in die Flanke der franzöſiſchen oder der ruſſiſch-preußiſchen Armeen werfen.¹ Desterreichs Stellung war daher eine drohende ge-

¹ Genau waren es 108267 Mann , nämlich : das Corps Frimont 30128, das Observationscorps in Galizien 48729, das neu aufgestellte Obſervationscorps in Böhmen 29410 , insgesammt wie oben 108267

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worden, und sollte diese durch den ununterbrochenen Fortgang seiner Rüstungen binnen kurzem einesehr achtunggebietende werden. Doch hatte Metternich bis dahin nur die eine sehr feste Absicht im Auge, nämlich, sich bald von den Banden des Allianzver: trages loszumachen und jene bewaffnete Interventionsstellung einzunehmen, welche seit drei Monaten das nächſtliegende Ziel seiner ganzen Politik geweſen. Unterdessen fuhr er fort in seinen Betheuerungen der Ergebenheit für Napoleon und der treulichen Innehaltung der gegen diesen eingegangenen Verpflichtungen; doch ließ er dabei immer Rathschläge zum Frieden schließen mit unterlaufen. Er kam wieder zurück auf die Noth wendigkeit der Auflösung des Großherzogthums Warschau, um dasselbe an Preußen , das gegen Napoleon erklärte Preußen zu übergeben. Ja, Metternich ging noch weiter und äußerte, daß die illyrischen Provinzen auf jeden Fall an Desterreich zurückkommen müßten. Mit einer gewiſſen Zuversicht ſprach er von dem vortheilhaften Einflusse , welchen eine Zurückgabe der Hanſeſtädte und der andern Gebiete, deren sich Napoleon in Norddeutſchland bemächtigt, auf die Förderung des Friedenswerkes ausüben würde; auch deutete er an, daß es gerathen wäre, Holland seine Selbständigkeit wiederzugeben. Die Zeit lag fern, wo er die von Napoleon für den Frieden aufgeſtellten illusorischen Grundlagen sehr generöse" nannte. Schwarzenberg kehrte Mitte Februar nach Wien zurück, nachdem er das Commando des Auxiliarcorps dem General Frimont übergeben. In den letzten Tagen des März ging er dann zur Wiederübernahme ſeines Botschafterspostens nach Paris ab. Er hatte den Auftrag, dort so ziemlich dasselbe zu wieder: holen , was Metternich dem französischen Gesandten in Wien ſagte und zu verstehen gab. Der lettere Gesandte war jedoch nicht mehr der gleiche wie früher. Napoleon war Otto's beharrlichen Optimismus in deſſen Berichten und seiner einer Null gleichen Wirksamkeit am wiener Hofe schließlich müde geworden , und um endlich

Mann. (S. Bernhardi,,,Denkwürdigkeiten aus dem Leben des K. R. Generals von der Infanterie Karl Friedrich Grafen von Toll “.)

Otto wird durch Narbonne erseßt.

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das Geheimniß der Politik jenes Cabinets zu ergründen , erſette er den eben Genannten durch den Grafen Narbonne, einen seiner Adjutanten. Aus alter Adelsfamilie , am Hofe Ludwig's XV. aufgewachsen, Conſtitutioneller von 91 und für einige Zeit Minister bei Ludwig XVI. ― hatte es Narbonne nicht wie Lafayette verstanden , seinen Gesinnungen treu zu bleiben und das Decorum seines Rückzuges zu wahren. Indem er die Sache der Freiheit aufgab und die der Bourbonen verleugnete , hatte er dem kaiserlichen Despotismus dienen wollen und diente ihm mit Eifer. Ein geschmeidiger Hofmann , gelegentlich auch ein unerschrockener Soldat , dabei ein Mann von vieler Grazie , von lebhaftem , durchdringendem , obwol etwas flüchtigem Geiste , war er , damals 57 Jahre alt , in Sitten , Manieren , Anzug und in gewissen Hoflächerlichkeiten, was der in die alte Etikette verliebte Napoleon nicht am wenigsten an dessen Person schäßte , der Typus der großen Herren von ehemals. Narbonne hatte sich bereits mehrerer ·diplomatischen Missionen zu seines neuen Gebieters Zufriedenheit entledigt. Durch seine Geburt, Eigenschaften und schwachen Seiten stand er in vollkommenem Contrast zu Otto, und gerade deshalb war er für geeignet gehalten worden , dort mit Erfolg zu wirken, wo jener nichts zu Wege gebracht. Napoleon erwartete von ihm Aufklärung über die eigentlichen Absichten der österreichiſchen Politik und genaue Nachrichten über Oesterreichs Rüstungen. Narbonne kam am 17. März in Wien an und hatte fast gleich darauf seine erſte Conferenz mit Metternich. Doch brachte er nicht, was die Anzeige seiner Ankunft den österreichischen Minister vielleicht hatte erhoffen laſſen und was letterer sehnlich wünschte , nämlich Concessionen , welche die Anknüpfung von Unterhandlungen ermöglichten und danach angethan waren, um den Sturm der öffentlichen Meinung zu beschwören . In dieser Hinsicht befand sich Narbonne, seinen Instructionen zu Gerade weil folge, durchaus in derselben Lage wie Otto. 1

,,Wir werden in keine Vergrößerung für Rußland einwilligen ; wir wollen nichts von unserm Territorium abtreten ... “ (Inſtructionen für Narbonne , unterzeichnet von Maret.)

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er mit leeren Händen kam, führte der durch die Ereignisse mehr und mehr gedrängte Metternich , wie wir sehen werden , eine deutlichere Sprache gegen denselben und machte ihm noch kühnere Insinuationen als dessen Vorgänger. Man dürfte wol nicht gerade zu sehr irren , wenn man annimmt , daß nach dieser ersten so wenig befriedigenden Conferenz die Weisung zum Abſchluſſe des geheimen Vertrages von Kalisch an Lebzeltern erging. Narbonne durchschaute rasch und richtig die Absicht des wiener Cabinets und deutete das Endziel an, welches deſſen Politik sich zu stellen ihm schien und auf das sie wirklich auch nach langen Winkelzügen hinauslief. So schrieb er denn unterm 1. April an Maret , daß die Zeitungen und Schriften, welche die Völker zu den Waffen riefen und ihnen eine Constitution versprachen , Metternich's Herz mit Verzweiflung erfüllten , und daß dieser nicht anstand , die Berathungen des Kaisers von Rußland und des Königs von Preußen mit Wohlfahrtsausschüssen zu vergleichen . Im weitern bemerkte er, daß er zwar an Metternich's Hingebung für das franzöſiſche System glaube , aber nur insolange, als uns dies zum Frieden hinführen würde , und hielt er es für unmöglich , daß Oeſter: reich anders als gegen Frankreich thätigen Antheil am Kriege nehmen dürfte. Indem er schließlich einen sehr richtigen Blick auf die Zukunft warf, sagte er in beinahe prophetiſcher Weiſe, Metternich's Benehmen scheine ihm von der Art zu sein , daß dieſer eben genannte Minister sich binnen kurzem bei den verbündeten Mächten durch folgende Erklärung verdient machen dürfte : „ Aus Liebe zum Frieden habe ich nichts gescheut. Da Frankreich die von euch angenommenen Bedingungen zurückweist, so bin ich es jezt , der euch den Vorschlag macht, uns an die Spitze seiner Feinde zu stellen und in Europa die Stellung und den Rang , welche uns gebühren , wiedereinzunehmen. " Diese Depesche war aber kaum an ihren Bestimmungsort gelangt, als Narbonne ein von Napoleon dem Minister Maret in die Feder dictirtes Schreiben empfing , welches einen ganz unerwarteten Vorschlag an Desterreich enthielt. Napoleon wollte

Napoleon's Anerbieten einer Theilung Preußens . 305 wol zugestehen, daß die Situation durch Preußens Abfall eine Aenderung erfahren , doch sah er darin nur eine Gelegenheit, um diesen ihm verhaßten Staat vollends zu Grunde zu richten, und um andererseits ohne ein von ihm gebrachtes Opfer das wiener Cabinet an seiner Allianz nicht nur festzuhalten , ſondern es durch den Reiz einer reichen Beute noch mehr als früher an dieses Bündniß zu feffeln. Da Desterreich den Frieden. will , sagte er , muß es sehr thätig sein, muß sich an Rußland wenden und dieses um die sofortige Eröffnung von Unterhandlungen angehen. Der Kaiser Alexander wird seine Einwilligung dazu geben. Zur Führung der gegenseitigen Verhandlungen soll ein Waffenstillstand vereinbart werden, und ist dieser erst einmal zu Stande gekommen, so werden Oesterreichs Sprache und Streitkräfte schnell den Abschluß des Friedens herbeiführen. Aber Napoleon wußte wohl, daß man nicht rechnen durfte auf die vorweg von ihm als eine vollendete Thatsache hingestellte Einwilligung Alexander's in einen Waffenstillstand und in Unterhandlungen ohne eigentliche Grundlagen ; vielmehr bediente er sich dessen nur , um den Vorschlag , mit welchem er Desterreich zu gewinnen hoffte, desto besser einkleiden zu können. Er ging daher auch schnell auf die einzige zulässige Vorausſeßung über , nämlich auf die Weigerung des Zar , in Unterhandlungen zu treten. In diesem Falle betrachtete er Rußlands und Preußens Niederlage als sicher, und ebenso als nicht weniger gewiß den Verfall des leztern Staates , welcher, gleichwie in Tilsit, von seinem Verbündeten im Stiche gelassen werden würde. Von dieser Versicherung aus gelangte er zum Vorschlage einer Theilung der preußischen Monarchie. Aus deren Bevölkerung von 5 Millionen Seelen werden , sagte er mit seiner gewöhnlichen Verachtung des Menschengeschlechts, drei Lose gemacht. Eine Million am rechten Ufer der Weichsel bliebe Preußen ; zwei Millionen kämen an Desterreich und die zwei übrigen an die Königreiche Sachsen und Westfalen. Er ließ wohlweislich merken, daß bei diesem Raube Desterreich der schönste Theil zufallen würde , da dieser kein anderer sein sollte als das reiche Schlesien, diese vormals österreichische und an Böhmen grenzende Provinz. Indem Napoleon dann ohne 20 Charras, 1813.

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weiteres auf die Mittel zur Ausführung dieses geiſtvollen Planes überging , bat er den Kaiser Franz , in den ersten Tagen des Mai 100000 Mann ins Feld rücken zu laſſen und dieselben in der ihm bereits bezeichneten Weise aufzustellen. Beim Lesen dieses von Napoleon gemachten Vorschlages dürfte man meinen , daß er in einer Welt der Einbildung lebte, in welcher es keine Wahrnehmung , selbst von der handgreiflichsten Wirklichkeit, mehr gab. Weder sah noch vernahm. er die steigende , wüthende Flut der gegen seine Gewaltherrschaft aufgestandenen oder in der Erhebung begriffenen Völker. Er sah nicht ein, daß sein Plan zur Zerstückelung Preußens, welcher sich so ganz und gar mit dem Kriege zu Deutschlands Unabhängigkeit kreuzte , ein grober Anachronismus war ; und daß, wenn Metternich und Franz wirklich thöricht genug ſein sollten , darauf einzugehen und ihre Hand dazu herzugeben, dann das wiener Volk augenblicklich dem Minister arg mitgespielt und den Kaiser entthront haben würde. Napoleon begriff nicht , daß das wiener Cabinet auf keiner andern Baſis mehr mit ihm unterhandeln konnte und wollte als einem unabhängigen Deutschland , einem restaurirten, vergrößerten und gefestigten Desterreich und Preußen ; daß überhaupt jeder außer halb dieser Zugeständnisse fußende Vorschlag ein Hirngespinst sei. " Ueberall hier ", schrieb Narbonne, welcher in dieser Hinsicht Otto's frühere Berichte bestätigte ,,,überall hier in den Kaffeehäusern , auf den Wällen und in den Auslassungen des Volkes thut sich der Abscheu gegen den franzö = sischen Namen kund. Alles auf diesem Lande lastende Misgeschick , die Theuerung der Lebensmittel , die Geldnoth, alles das schreibt man Frankreich zu. Der Haß der Salons gegen uns geht bis zum Delirium. " Es gibt keine Regierung , und ſei ſie noch so abſolut, welche, ohne eine Thorheit begehen zu wollen , solchen einmüthigen und leidenschaftlichen Zornesausbrüchen zu widerstreben ver suchen könnte. 1

¹ In der vom 22. April datirten Verbalnote Schwarzenberg's an Maret findet man ein leises Zugeſtändniß dieser Situation in folgenden

Metternich's Note vom 12. April. Als Narbonne jenes

Schreiben Maret's

vorlas ,

307 hörte

Metternich mit einer affectirten Kälte zu. Er fragte dann nochmals , ob Napoleon sich nicht entschließen dürfte zur Auflösung des Rheinbundes , wie auch zur Verzichtleistung auf die Länder, deren er sich in den lezten Jahren bemächtigt , hauptsächlich auf die Hanſeſtädte und Holland , und forderte einige Tage Bedenkzeit zur Beantwortung dieser ihm so unerwartet gewordenen, wichtigen Mittheilung. Die betreffende Erwiderung ward von Metternich am 12. April ertheilt. Sie war ein Meisterstück von Gewandtheit und Doppelsinnigkeit. Das Tuileriencabinet forderte Oesterreich auf, mit den verbündeten Mächten in einem sehr hohen Tone zu sprechen und zum Durchsehen des Friedens ihnen gegenüber eine drohende Haltung einzunehmen . Metternich welcher darin nur das erkannte, was ihm herauszufinden paßte antwortete , daß Oesterreichs Ansichten mit denen der französischen Regierung in glücklichster Uebereinstimmung sich befänden. Ebenso wie sie, wäre es auch der Meinung , daß der Frieden nur durch eine bewaffnete Intervention zu Stande kommen könnte , weshalb es eine dem entsprechende Haltung anzunehmen. bereit; in Voraussicht dieser neuen Rolle habe Desterreich seine militärischen Kräfte entfaltet und würde selbe, um letterer aufs wirksamste vorstehen zu können , noch weiter entwickeln. Mit dieser Erklärung verband Metternich noch die folgende, welche nach seiner Aeußerung nothwendigerweise aus der erstern sich ergebe und welche ebenso bedingt würde von der geographischen Lage Oesterreichs , das mit einem großen Theile seiner Grenzen an den Kriegsschauplah stieß. Die Rolle Desterreichs “, sagte Metternich ,,, kann nicht mehr die einer bloßen Hülfsmacht sein , und im Fall , daß seine Vermittelung

Worten:

Der Botschafter darf nicht unterlassen , aufs neue zu bemerken , wie sehr die eigenthümliche Lage , in welche die jeßigen Verhältnisse den Kaiſer ſeinen eigenen Völkern gegenüber gebracht haben, die Beachtung seines erhabenen Verbündeten erfordert, und wie sehr dieselbe bei seinen Berechnungen als wesentlich in Berücksichtigung gezogen zu werden verdient. " 20 *

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den gehofften Erfolg nicht hätte , bliebe ihm nur die Alternative : sich entweder hinter seine Grenzen zurückzuziehen oder als Hauptmacht am Kriege zu betheiligen. Die Verpflichtungen beschränkter Hülfe aus unserm Allianzvertrage sind nicht mehr anwendbar auf die gegenwärtigen Umstände. " Was den Vorschlag zur Theilung Preußens betrifft , welcher der Hauptpunkt bei der von Napoleon dictirten Depesche war, so umging der österreichische Minister denselben mit wenigen Worten, indem er erklärte , sich damit zu beschäftigen sei es Zeit genug , wenn die Vermittelung fehlgeschlagen ; doch hoffte er auf deren Gelingen. Nach diesen gewichtigen Worten machte er Narbonne die Mittheilung , daß er Schwarzenberg die Weisung zugehen laffe , die neuen Entschließungen der österreichischen Regierung zur Kenntniß des Tuileriencabinets zu bringen . Indem sich also Metternich derart die Miene gab , als ob er sich Napoleon's Wünschen fügte , erreichte er ohne Aufsehen und Schwierigkeit jene bewaffnete Vermittlerſtellung für Deſterreich, nach welcher seit vier Monaten seine ganze Politik hingestrebt. Von da bis zum vollkommenen Austritt aus der Allianz war nur noch ein Schritt, denn die Intervention zwischen den kriegführenden Mächten konnte nicht das Bündniß mit einer von denselben gestatten. Zu diesem Schritt sah sich Metternich rasch hingedrängt , und zwar schneller, als es ihm genehm gewesen sein dürfte. Am 18. April ersuchte ihn nämlich Narbonne infolge dringlicher Instructionen , welche am gleichen Tage aus Paris eingelaufen und vom 11. dieses Monats datirt waren ― alle die erforderlichen Anstalten zu treffen , damit das österreichische Auxiliarcorps fertig ſei zum Aufkündigen des Waffenstillstandes und um nach den Befehlen zu manövriren, welche demselben von Napoleon , der zur Eröffnung des Feldzuges bereit, in kürzester Zeit zugehen würden. Narbonne war benachrichtigt worden , daß Schwarzenberg gegen Maret und auch Napoleon gegenüber erklärt , das öfterreichische Auriliarcorps würde ohne allen Zweifel den ihm aus dem franzöſiſchen Hauptquartier zugehenden Befehlen Folge leisten. Er selbst hatte noch am 17. April die gleiche Zusicherung von Metternich erhalten. Konnte er aber daran

Narbonne's unzeitiges Drängen in Metternich.

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glauben , nachdem Desterreich die Rolle einer bewaffneten Vermittelung übernommen und erklärt , daß die beschränkten Verpflichtungen des Allianzvertrages nicht mehr anwendbar wären ? Konnte er dem noch Glauben schenken , er , der seit den ersten Tagen seiner Anwesenheit in Wien so sehr zur Ueberzeugung gelangt war, daß Oesterreich unmöglich activen Antheil am Kriege nehmen würde , wenn nicht gegen uns ? Und wenn Narbonne Metternich's Worten nicht traute , warum forderte er ausdrücklich deren Bethätigung ? Auf dem Punkte , wohin die Sachen gediehen, erheischte es offenbar Napoleon's Intereſſe, daß in den Augen Europas Desterreich noch für seinen Alliirten galt und daß es hauptsächlich zu ihm in Beziehungen blieb, welche , wenn er bei Beginn des Feldzuges Erfolge erzielte, eine vollkommene und leichte Umkehr zur Allianz gestatteten. Aus allen diesen Gründen hätte sich Narbonne durch die ihm zugegangenen Instructionen wegen Forderung der Mitwirkung des Auxiliarcorps nicht als gebunden erachten und mit dem Herausrücken dieſes gebieterischen Verlangens an Metternich so lange warten sollen , bis er wußte , ob die von Desterreich eingenommene neue Haltung nicht die Ansichten des Tuileriencabinets ändern dürfte. Und wenn er darauf zu warten sich nicht getraute, so hätte er wenigstens diesen Schritt in die mildeste Form einfleiden und nicht den österreichischen Minister zu einer beſtimmten Antwort hindrängen müssen. Doch that er gerade das Gegentheil. Vielleicht mehr durch seinen leichtblütigen Charakter hingerissen , als aus Furcht vor einem Ungehorsam gegen seinen Gebieter, führte Narbonne eine drängende, hochtönende 'Sprache, und um dieser mehr Nachdruck zu geben , schritt er selbst bis zum Vorlesen des mit seinen Worten sehr übereinſtimmenden Tertes der ihm zugegangenen Instructionen ; kurz und gut, er nahm so wenig Rücksicht auf die Ausflüchte Metternich's , mit denen sich dieser zu decken suchte, daß er nach zwei Conferenzen die förmliche Erklärung erhielt : das österreichische Corps stände nicht mehr und könnte auch nicht mehr zu Napoleon's Verfügung stehen. In der zweiten dieser Conferenzen geſtand ihm übrigens Metternich zu , daß jenes Corps , nachdem der Waffen-

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Siebentes Kapitel.

stillstand von seiten der Ruſſen gekündigt, sich vor den leztern nach Galizien zurückziehe , daß Poniatowski dieser Bewegung folgte und, wie der König von Sachsen darum gebeten, durch jene Provinz , dann weiter durch Mähren und Böhmen marſchiren würde. Nicht allein der geheime Vertrag von Kalisch, sondern auch noch eine andere und nicht minder geheime Convention ward dabei zur Ausführung gebracht, welche am 8. April zwischen der österreichischen Regie: rung und dem angsterfüllten , in Metternich's Intriguen verwickelten König von Sachsen zum Abschlusse gekommen war. Auf Grund dieses lettern Vertrages hatte der obengenannte Monarch, der zu gleicher Zeit als König von Sachſen und als Großherzog von Warschau auftrat , den wiener Hof um die ihm dann auch gewährte Genehmigung ersucht , das Corps Poniatowski's und die infolge des unglücklichen Gefechts bei Kaliſch im vergangenen Februar von Reynier getrennte ſächſiſche Brigade durch österreichisches Gebiet zu sich heranziehen zu dürfen. Durch eben dieses Geſtändniß von seiten Metternich's nur noch hißiger geworden , beeilte sich Narbonne, mittels einer Note Act zu nehmen von der hinsichtlich des österreichischen Auxiliarcorps ihm zutheil gewordenen abschlägigen Antwort und die Verlegung des Allianzvertrages zu constatiren. Als ob er nicht gewußt, daß Metternich die österreichische Politik leitete , als ob er gehofft , daß es ihm durch neue und in einem ganz andern Tone gehaltene Vorstellungen beim Kaiser Franz gelingen würde , eine Umkehr zu der so unverhohlen aufgegebenen Vergangenheit zu bewerkstelligen , suchte er um eine Audienz bei dem genannten Monarchen nach. Sie ward ihm gewährt. Anstatt zu fordern , bat Narbonne diesmal. Aber alle dieſe Bitten ergaben für ihn nur von neuem die Gewißheit , daß sich Desterreich durchaus auf die Rolle einer bewaffneten Vermittelung beschränkte und nicht weniger entschieden sich der Erfüllung der Allianzverpflichtungen weigerte. "" Es ist meine Ueberzeugung “, sagte der Kaiſer zu Narbonne , „ daß ich nicht zugleich Krieg führen und auch Vermittler sein kann. Diese Rollenvermengung würde alles Vertrauen zu mir zer stören." - ,,Dann wollen also Ew. Majestät“, erwiderte

Desterreichs Rücktritt von der französischen Allianz. 311 Narbonne ,,,den Allianzvertrag als nicht vorhanden betrachten ?" - ,,Ihr Gebieter ist es , der es so will ", entgegnete der Kaiser ,,, da er fordert, daß ich alle meine Truppen vereinigen und 200000 Mann zusammenziehen soll." Napoleon hatte indeſſen nur die Hälfte dieser Zahl verlangt, worauf hinzuweisen Narbonne Veranlaſſung nahm. Ohne aber dieſe Bemerkung in Berücksichtigung ziehen zu wollen , sagte der Kaiser weiter: ,, Das ist meine Ueberzeugung ; ich will , daß alle meine Truppen zusammengezogen werden , um mit den Ihrigen gemeinschaftlich zu handeln. " Diese Antwort war doch zu einladend , als daß sie der franzöſiſche Gesandte bei seiner Schlagfertigkeit so hätte vorübergehen lassen. ,,Werden diese Truppen also die Bestimmung haben , für uns zu wirken ?" fragte er. - „ Ja “, erwiderte der Kaiser ,,, in dem Falle , daß Ihr Gebieter , wie ich hoffe , billige Vorschläge annimmt.“ Wer sollte aber diese Vorschläge beurtheilen , und was sollte werden , wenn man in dieſen Hoffnungen getäuscht wurde ? Narbonne wagte , betreffs deſſen zu fragen. Der Kaiser ließ jedoch diese verfängliche Frage unbeantwortet. Jenes Schweigen war an und für sich ein sehr bedeutungsvoller Bescheid. So schwand also die in Wirklichkeit bereits nicht mehr bestehende österreichische Allianz auch noch in ihrer diplomatischen Scheinexistenz. Napoleon mußte demnach gewärtigen , Desterreich zum Feinde zu haben , falls der obenbezeichnete Umstand eintrat , nämlich, daß er auf die vom wiener Cabinet für billig erachteten Friedensvorschläge nicht eingehen würde. Bei der nothwendigen Beantwortung von Narbonne's so lebhaft gehaltener Note durch eine Gegennote hielt sich Metternich behutsam auf dem von der österreichischen Politik eben gewonnenen Terrain. Doch war er bemüht, das Anſtößige der Thatsache zu verhüllen unter den Falten einer phraſenreichen Rede, unter Betheuerungen des guten Willens und der Freundschaft, wie auch mit Hülfe einiger Unwahrheiten. Der größern Vorsicht halber ging er noch von der officiellen Redeweise zu dem über , was der naive Otto eine Herzensergießung genannt haben würde , und schrieb zugleich im Vertrauen an Narbonne : „ Ich

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Siebentes Kapitel.

hoffe , daß der Kaiser Napoleon einiges Zutrauen dem Manne schenkt , welcher zum großen Theile die zwischen Desterreich und Frankreich bestehenden Beziehungen begründet. Würde es wol in der Natur der Sache liegen, daß dieser Mann zum Umsturze eines mehrjährigen Werkes in dem Moment beitragen könnte, wo ihm ein dem Kaiser , Jhrem Gebieter , durchaus günſtiges Reſultat nicht zweifelhaft erſcheint ? “ Es ist behauptet und lange wiederholt worden , daß die österreichische Regierung sich schon in dieser Zeit zum Beitritte der gegen Napoleon gebildeten Coalition anheischig machte. Aber nichts entspricht weniger der Wahrheit. Das wiener Cabinet hatte zwar die französische Allianz verlassen , war aber noch zu keiner andern übergetreten. Dasselbe verrieth in einem gewissen Maße Napoleon ; doch hatte die Verrätherei nur den Zweck, leztern zu schwächen und ihm insoweit neue Schwierigkeiten zu bereiten , damit er dadurch zum Aufgeben von überspannten Forderungen bestimmt wurde. Die österreichische Regierung betrieb zwar ihre Rüstungen, wünschte aber von ganzem Herzen, keinen Gebrauch davon machen zu müssen. In ſehr aufrichtiger Weise wollte sie den Frieden , und zwar den Frieden , welcher der revolutionären Propaganda des Zar, der deutschen Patrioten , der russischen und preußischen Generale ein Ende machen würde ; den Frieden endlich, welcher den Fürsten gestattete , „ der Unterdrückung der sich täglich mehr entwickelnden jakobinischen Gärung ihre ganze Sorgfalt zuzuwenden , ihre ganze Aufmerksamkeit und alle ihre Anstrengungen widmen zu können “.¹ Diesen Frieden wünſchte das österreichische Cabinet Ende April , nämlich als die Ruſſen und Preußen, wie wir demnächst sehen werden , auf dem linken Elbufer standen und Streifparteien nach Thüringen und bis an die Thore von Kaſſel vorschoben, während andererseits Hamburg und Lübeck im Aufstande sich befanden. Es wollte denselben, dabei muß man stehen bleiben , und es war mehr als je genöthigt , ihn zu wünschen auf der Basis einer beträchtlichen

1 Metternich's Instructionen an Schwarzenberg .

Folgen von Napoleon's Starrsinn.

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Restauration des österreichischen wie des preußischen Staates und der Wiederherstellung von Deutschlands Unabhängigkeit. Auf andern Grundlagen mit Alerander und Friedrich Wilhelm zu unterhandeln suchen , wäre ein Hirngespinst gewesen ; und zu verlangen , daß die öffentliche Meinung in Wien und überhaupt in Desterreich sich mit solchen Verhandlungen zufrieden. gäbe , würde doch mit so großen Gefahren verbunden gewesen. sein, daß man einen derartigen Versuch nicht riskiren durfte. Jedenfalls konnten Siege von seiten Napoleon's und zwar große Siege diese Verhältnisse ändern , den Zar und den König von Preußen entmuthigen , die Gemüther einschüchtern. Doch hatte dies sehr geringe Wahrscheinlichkeit für sich, denn auf dem Punkte, bis zu welchem die allgemeine Aufregung gestiegen, müßte man im Gegentheil erwarten , Fürſten und Völker eher den verzweifeltſten Situationen trogen , als in den alten Zustand der Unterthänigkeit und Verachtung zurückkehren zu sehen. Nachdem Napoleon die preußische Allianz verloren , nachdem er durch Mishandlung und das Verweigern jeder Conceſſion den König von Preußen und deſſen Volk in des Zar Lager getrieben, sollte er sich auch das österreichische Bündniß verscherzen. Er büßte lezteres ein durch seinen Starrſinn, keinen Schritt thun zu wollen , wodurch ernstliche Friedensunterhandlungen ermöglicht worden wären. Desterreich nahm jezt eine vermittelnde Stellung ein , doch kündete es deutlich genug an, daß es aus der Vermittlerrolle zu einer feindlichen Haltung übergehen würde , wenn Napoleon hartnäckig an der Beherrschung von Deutschland festhalten sollte. Indessen blieb dieser nur um so entschiedener und mit einem unerhörten Starrsinn darauf bestehen , und betrachtete Oesterreichs Erklärung wegen der bewaffneten Vermittelung als eine lächerliche Anmaßung. Vielmehr hielt er die Politik Frankreichs des durch ihn mittels List und Keckheit zum Helotismus herabgedrückten Frankreich , dessen Stimme zu hören er sich wohl hütete , da er durch sie in eclatanter Weise desavouirt und verleugnet worden wäre - dieses Landes Politik hielt er in jener fluchwürdigen Bahn, auf welcher er seit ſeiner Usurpation wandelte,

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Siebentes Kapitel.

auf der wir den Haß aller Völker gegen uns heraufbeschworen, deren wüthende Angriffe wir binnen kurzem zu gewärtigen hatten; auf welcher wir endlich eine totale , vernichtende Niederlage erleiden und nicht allein Napoleon's ſträfliche Eroberungen, sondern auch noch die von der großen Republick in dem rechtmäßigsten Vertheidigungskampfe errungenen Grenzen einbüßen sollten.

1

Achtes Kapitel.

Schweden unter Bernadotte's Regierung. - Ist zum Beitritt der selbes ruinirenden Continentalsperre gezwungen , sucht sich ihr aber mittels List zu entziehen. — Napoleon's Gewaltacte gegen dasselbe. - Fällt ohne Kriegserklärung in SchwediſchPommern ein. - - Bernadotte protestirt dagegen. - Erklärt sich zwischen Frankreich und England neutral, und ſchließt einen Allianzvertrag mit Rußland. · Alexander England tritt dieſem Vertrage bei und zahlt Subverspricht ihm Norwegen. fidien. - Zusammenkunft in Âbo. — Bernadotte erklärt Frankreich den Krieg. – DieAusführung seines Planes einer Landung in Deutſchland wird wegen der Schwäche der russischen Armeen vertagt. - Sein Schreiben an Navoleon. - Sein Bündniß Sie mit Preußen. Bernadotte's und Alexander's Eröffnungen an Dänemark. ſchlagen lezterm die Abtretung von Norwegen an Schweden vor und bieten ihm als Ersaz dafür Schwedisch - Pommern und deutsche Gebietstheile. — Schwanken Friedrich's VI. - Mission des Fürsten Dolgoruky nach Kopenhagen. - Drängt den König Friedrich wegen des Beitritts zur Coalition , und um denſelben dahin zu beſtimmen, — Friedrich VI. willigt in alles ein. — verspricht er ihm die Erhaltung von Norwegen. Bernadotte's stolze Reclamation bei Alexander. — Dieſer desavouirt Dolgoruky, und kommt gleichfalls von der Abtretung deutscher Gebietstheile an Dänemark zurück. — Friedrich tritt deſſenungeachtet vorläufig der Coalition bei. - Unterstüßt das aufgestandene Hamburg mit Truppen.

Während Preußen rüstete , sich mit Rußland verbündete und Napoleon den Krieg erklärte, während sich Oesterreich allmählich von seinem Vertrage mit leßterm losmachte und den Standpunkt einer bewaffneten Vermittelung einnahm , erklärte sich auch Schweden und bereitete sich zum Angriffe gegen jenen vor. Seit Ende 1810 ward Schweden in Wirklichkeit von einem Franzosen , dem Marschall Bernadotte , regiert , welcher durch Erwählung mit dem Titel eines Kronprinzen auf die erste Stufe des von einem körperlich und geistig schwachen Monarchen eingenommenen Throns gelangt war.

Von Napoleon in Tilsit

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Achtes Kapitel.

unklugerweise den Waffen des Zar ganz und gar preisgegeben 1 , hatte Schweden das relative Glück gehabt , nur durch eine gerade nicht zahlreiche Armee angegriffen zu werden, da der Kaiser Alexander seinen Hauptstoß gegen das osmaniſche Reich richtete , welches deffen Streichen gleichfalls und in nicht minder thörichter Weise von Napoleon hingegeben worden war. So hatte Schweden Zeit gehabt zum Besinnen und auf seine Rettung bedacht zu sein. Es entthronte und vertrieb einen halbnärrischen König , welcher dasselbe in den Abgrund führte, und suchte dann den Frieden nach gleichzeitig bei Napoleon , in dessen Gewalt sich Pommern befand , und bei Alexander , der Finland erobert. Es erlangte den Frieden, und zwar bezahlte es selben an Rußland mit der Abtretung der letterwähnten Provinz , und an Napoleon , welcher ihm Pommern wieder zurückgab , mit der Verpflichtung , sich den Bedingungen des Continentalſyſtems zu unterwerfen. Diese Bedingungen waren aber Schwedens Ruin , weshalb es sich denselben durch mehr oder minder offenkundige Liſt zu entziehen suchte. Es würde eine kluge und gewandte Politik geweſen ſein , über dieses Verhalten , mochte es auch den auferlegten Verpflichtungen noch so zuwiderlaufen , die Augen zu schließen , denn die Chimäre der Continentalsperre war es nicht werth , daß man ein Volk sich abwendig zu machen riskirte, welches , vorübergehend durch einen wahnsinnigen Fürſten fortgerissen , jest doch in aufrichtiger Weise zu seiner hundert

1 Im Monat Februar 1808 richtete Napoleon an seinen Gesandten in Rußland , Caulaincourt , eine seither unbekannt gebliebene Depesche, welche dem petersburger Cabinet mitgetheilt wurde und sich in den russischen Archiven befindet. Dieselbe liefert den klaren Beweis , daß nicht Finland allein , sondern ganz Schweden der russischen Eroberung preisgegeben war. ,,Was Schweden anbelangt ", schrieb Napoleon ,,,fo würde ich keinen Anſtand nehmen, wenn der Kaiſer Alexander fich deſſen und selbst Stockholms bemächtigte. Niemals wird Rußland eine gleiche Gelegenheit wieder haben , um Petersburg in das Centrum zu verſeßen und sich jenes geographischen Feindes zu entledigen. “ ( S. Smitt, „ Zur nähern Aufklärung über den Krieg von 1812. " Nach archivalischen Quellen. Leipzig 1861.)

Napoleon's Gewaltacte gegen Schweden.

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jährigen Freundschaft mit Frankreich zurückgekehrt war. Napoleon dachte aber darin ganz anders. Er griff Schweden an mit Beleidigungen , die durch seine Zeitungen ausgeschleudert wurden , ferner mit hochmüthigen Bemerkungen , mit gebieterischen und polternden Reclamationen und Forderungen, die er theils selbst mündlich an den schwedischen Minister in Paris richtete, theils dem stockholmer Cabinet durch einen Gesandten übermittelte, welcher sich darin gefiel , seines Gebieters hochfahrendes und aufbrausendes Wesen noch zu überbieten. Napoleon ging aber darauf von Worten zu Thaten über. Er ließ gegen die schwedische Handelsmarine Kaper auslaufen und die im wirklich vorhandenen Falle oder unter dem Vorwand des unerlaubten Handels aufgebrachten Fahrzeuge für gute Prise erklären, während er , mittels eines strafbaren Misbrauchs der Gewalt , die Matrosen der leztern nach Toulon und Antwerpen zur Dienstleistung auf französischen Kriegsschiffen schichte. Er trieb aber die Beleidigung noch weiter, indem er schließlich in tiefem Frieden und ohne Kriegserklärung in Pommern einbrach. Auf seinen Befehl wurden die beiden in dieser Provinz liegenden Regimenter und selbst die Landesbeamten kriegsgefangen nach Frankreich abgeführt. Kurz und gut , auf theils wirklich erfolgte , theils vorgebliche Uebertretungen des tyrannischen Continentalsystems antwortete Napoleon mit verhaßten Attentaten gegen das Völkerrecht. Obwol Bernadotte reichlichen Gewinn vom Kaiserreiche gezogen, so hatte er doch als französischer General immer eine Art Selbständigkeit und eine oppoſitionelle Haltung gegen den Usurpator des Brumaire und des Jahres XII bewahrt. Als schwedischer Prinz empfand er sehr tief die seinem neuen Vaterlande zugefügten Beleidigungen und Gewaltthaten, welches dieſe nicht weniger fühlte als er. Lekteres war , sowie das übrige Europa , dahin gekommen , Frankreichs Zwingherrn zu verabscheuen. Bernadotte protestirte energisch gegen die Invasion von Pommern ; Napoleon kehrte sich jedoch nicht daran , ſondern fuhr fort, jenes Land occupirt zu halten, sette dort französische Zollwächter und Beamte ein, leerte die Staatskassen und legte Kriegscontributionen auf.

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Achtes Kapitel.

Der großartige Zusammenstoß zwischen Frankreich und Rußland stand damals vor der Thür. Berechnend, daß Schweden von Napoleon nichts anderes als Ruin und Knechtschaft zu gewärtigen, und mit scharfem Blick voraussehend, daß das ruſſiſche Gebiet dem Eindringling verderblich werden würde - zeigte Bernadotte dem Tuileriencabinet an, daß sich Schweden zwischen Frankreich und England neutral erkläre. Zu gleicher Zeit warf er sich aber in Alexander's Arme. Am 5. April 1812 verbanden sich nämlich Schweden und Rußland durch einen Vertrag , welcher die gegenseitige Garantie ihrer Territorien , ferner eine gemeinschaftliche Action gegen Napoleon und die militäriſche Unterſtügung des ersten der vorgenannten Staaten von seiten des zweiten zur Eroberung Norwegens von Dänemark , Frankreichs Alliirtem, stipulirte. Mit der Vergrößerung durch Norwegen , dachte Bernadotte , könnte Schweden Finland verschmerzen , welches doch der Hauptstadt der Zar zu nahe gelegen , als daß es nicht immer eine Versuchung für deren traditionellen Ehrgeiz und eine beständige Ursache zu Streitigkeiten gewesen wäre. Da aber die Ereignisse den eben gedachten Contrahenten nicht gestatteten , wenn sie es auch gewollt hätten , zur Ausführung jenes Vertrages zu schreiten , so hielten ſie deſſen Existenz geheim. Bernadotte nahm Napoleon gegenüber ſeine Zuflucht zur List, wie dies nur zu oft die Schwachen und Unterdrückten auf Kosten ihrer Würde thun , und brach nicht mit ihm , sondern gab sich vielmehr das Ansehen , als ob er unter gewissen Bedingungen auf ein Schuß- und Trußbündniß mit Frankreich einzugehen geneigt wäre. Gleichwol schloß er im Monat Juli mit England Frieden. Als das Kriegsglück gegen die russischen Waffen sich zu erklären schien , that er einen weitern kühnen Schritt , indem er bei einer Zusammenkunft mit Alexander in Åbo und durch eine Supplementarconvention die Bande zwischen Schweden und Rußland noch mehr befestigte. Doch blieb dieses Abkommen ebenso geheim wie der obenerwähnte Vertrag. Die diplomatischen Beziehungen zwischen den Cabineten von Stockholm und Paris dauerten fort, und be standen, obwol in sehr kühler und eingeschränkter Weise, noch

Bernadotte's offener Bruch mit Frankreich.

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zu der Zeit , als Bernadotte die Gewißheit von Napoleon's Katastrophe in Rußland erhalten . Jest warf er aber die Maske ab. Indem er alle Beschwerden Schwedens , ſeinen misachteten Protest gegen die Invasion von Pommern und seine vergeblichen Reclamationen ins Gedächtniß zurückrief, ließ er dem schwedischen Geschäftsträger in Paris den Befehl zugehen , auf der Stelle seine Pässe zu nehmen , während er andererseits den französischen Gesandten in einer Aufsehen erregenden Weise von Stockholm wegschickte. Einige Tage später, am 7. Jan. 1813 , erklärte die schwedische Regierung öffentlich, ,,daß die Schweden, stolz auf ihre Rechte , im Verein mit ihrem Fürsten ihren Feinden entgegenzugehen im Begriffe ständen“. Als die genannte Regierung eine solche Sprache führte, glaubte sie an das demnächstige Eintreffen eines russischen Hülfscorps von 30000 Mann , welches mit einer gleichen Anzahl Schweden an der deutschen Küste landen und im Rücken der französischen Armee operiren sollte. Bernadotte selbst hatte diese sehr gut durchdachte Expedition vorgeschlagen und sollte sie auch commandiren. Da aber die Schwäche der russischen Truppen nicht so bald eine derart bedeutende Detachirung gestattete , blieb er in Schweden , um von hier aus den Gang der Ereignisse zu beobachten und hauptsächlich um mit England zu unterhandeln. Er bezweckte, von dieser Macht den Beitritt zu den zwischen Rußland und Schweden bereits bestehenden Abmachungen in Betreff Norwegens zu erlangen und daß sie ihm für den Nothfall ihre Unterstützung bei Ausführung jener Stipulationen zusage ; außerdem wollte er noch zum Unterhalte der von ihm ins Feld zu stellenden 30000 Mann eine Subsidie von 25 Mill. Frs . seitens Englands gewährt haben, was eine sehr schäßbare Beihülfe für Schwedens zerrüttete Finanzen sein mußte. England willigte in alle diese Forderungen mittels eines am 3. März unterzeichneten Vertrages und trat selbst die vor nicht langer Zeit in seine Gewalt ge= rathene Insel Guadeloupe an Schweden ab.

Diese übereilte Cession und das bezüglich Norwegens getroffene Abkommen waren eine sehr schwere Verlegung des europäischen Staatsrechts .

Es war odiös , über das norwegische

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Achtes Kapitel.

Volk wie über sonst eine Sache zu verfügen.

Nichts kann

weniger bestritten werden , wie die Geſchichte öffentlich bekennen muß ; wenn diese aber hierbei England, Rußland und Schweden durch Napoleon's Apologisten heftig tadeln sieht , so muß sie Lestern Stillschweigen gebieten mit der Erklärung , daß ihnen am allerwenigsten das Recht zu solchen Vorwürfen zusteht , da dieselben kein Wort des Tadels finden , wenn Napoleon das Kurfürstenthum Hannover an Preußen gibt, wenn er im voraus seine Einwilligung ertheilt zur Annerion der Moldau , Walachei und Finlands durch Rußland ; andererseits haben die gleichen Geschichtschreiber nur Lobsprüche für die Einverleibung von Holland, Oldenburg , den Hanſeſtädten, von Wallis und Rom in das französische Reich, welche in tiefem Frieden und unter Misachtung der Verträge durch eine Reihe von Verbrechen gegen das Völkerrecht ausgeführt worden war. Man brachte eben Napoleon's verabscheuungswürdige Politik auf Frankreich und dessen Alliirten , Dänemark, zur Anwendung. Nachdem Bernadotte - der aus Liebe zu einer Krone dem Vaterlande abtrünnig , ein sehr schlechter Franzose , aber ausgezeichneter Schwede geworden. - dergestalt im Besize der ausdrücklichsten Zusicherungen wegen Gebietsvergrößerung sich befand und mit Geld versehen war , schickte er am 18. März eine Division seiner Truppen nach Schwedisch - Pommern , von wo sich damals , wie wir weiter unten sehen werden , die schwache franzöſiſche Division Morand zurückzog. Ferner traf er die nöthigen Vorkehrungen , um demnächst noch so viel Truppen dahin zu überführen , als zur Aufstellung des Contingents von 30000 Schweden erforderlich waren, welches mit einem gleich starken russischen Corps zusammen unter seinen Befehlen in Norddeutſchland operiren ſollte. In Erwartung dieses Zeitpunktes , welcher aber durch ver schiedene Zwischenfälle noch sehr hinausgerückt wurde, nahm Bernadotte Veranlassung, infolge der lezten Note, welche Maret dem schwedischen Geschäftsträger bei dessen Abgange von Paris übergeben , ein Schreiben an Napoleon zu richten , welches den Beweis lieferte , bis zu welchem Grade er gegen leztern erbittert und sich verbindlich gemacht hatte. Maret's Note war

Bernadotte's Schreiben an Napoleon.

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in einem hochfahrenden , harten Tone gehalten ; Bernadotte's Schreiben dagegen war eine stolze, strenge, kalte und Unversöhnlichkeit athmende Anklage gegen Napoleon , sein Verhalten rücksichtlich Schwedens und überhaupt gegen deſſen Gewaltherrschaft und unersättlichen Ehrgeiz , die Ursache jener Kriege, in denen „ eine Million Franzosen “ umgekommen. Als dieſes merkwürdige Schriftstück bald darauf der Oeffentlichkeit übergeben wurde, machte es einen mächtigen Eindruck in Europa. In Frankreich ward daſſelbe jedoch nicht bekannt, denn Napoleon hatte eine chinesische Mauer um jenes gezogen , welche die Wahrheit nicht überschreiten durfte. So kam es , daß Frankreich Schweden für neutral hielt , als ihm dieses bereits feindlich gegenüberstand , und fünf Monate sollten noch vergehen , bis Napoleon ihm dies einzugestehen sich entschied. Nachdem Bernadotte mit Rußland und England alliirt, säumte er nicht , sich auch , wie es die Situation erforderte, mit Preußen zu verbünden. Am 28. April schloß er mit dem eben genannten Staate ein Schuß- und Truzbündniß ab, durch welches sich lekterer verpflichtete , ein preußisches Hülfscorps von 27000 Mann in Norddeutſchland zu des Kronprinzen Verfügung zu stellen. 30000 Schweden , 30000 Ruſſen und 27000 Preußen waren also die Streitkräfte , mit welchen der vormalige französische Marschall gegen Napoleon zu Felde ziehen sollte. Doch waren dieselben nicht so schnell beieinander , als seine Verbündeten und er selbst dies gehofft.

1 In den ,, Memoiren von St. - Helena “ , einem Denkmal hiſtorischer Untreue , hat Napoleon behauptet , jenes Schreiben , welches er ohne weiteres als ein Pasquill bezeichnet, nie empfangen zu haben, und sagt ,,, daß man einen Monat vor Lützen nicht so an den Kaiſer der Franzosen geschrieben hätte ". Zum Unglück für dieſe ſeine Behauptung wurde jedoch eine Abschrift von dieser Depesche in den schwedischen Archiven niedergelegt und ist auch der Name des Kuriers , welcher sie nach Paris überbrachte , aufgezeichnet geblieben. Der Text dieser Depesche des Kronprinzen an Napoleon findet sich seinem ganzen Wortlaute nach in Castlereagh's Letters and dispatches ", Bd. VIII , Seite 350. 21 Charras, 1813.

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Achtes Kapitel. Als der Kaiser Alexander die Erwerbung von Norwegen

Bernadotte völlig garantirte, war er mit ihm dahin übereingekommen , daß man wegen der Annexion dieses Landes an Schweden nicht eher zu Gewaltmitteln greifen wollte, bevor man nicht dies durch eine friedliche Abtretung zu erreichen den Versuch gemacht. Beide Fürsten hofften , den König von Dänemark dazu durch das Anerbieten beträchtlicher Gebietsentschädigungen zu vermögen , und denselben dabei gleichzeitig von Napoleon abwendig zu machen , um ihn ihrer Allianz zuzuführen. So ließen sie denn im Laufe des Monats Januar 1813 durch ihre Gesandten in Kopenhagen darauf bezügliche Eröffnungen machen. Der Moment schien gut gewählt. Indem Friedrich VI. den Untergang der Armee Napoleon's sah und Dänemark demzufolge vor Verlauf mehrerer Monate unmöglich von lehterm Schuß erwarten durfte ; indem der König andererseits das Vorrücken der russischen Armeen erfuhr und dabei von einem demnächſtigen combinirten Angriff seitens Schwedens und Englands bedroht war ; da ihm außerdem die Aufregung der öffentlichen Meinung in Deutschland seit York's Abfall bekannt war und er wohl wußte, wie er sowol wegen seiner aus dauernden Anhänglichkeit an die französische Allianz als auch durch die vor noch nicht langem gegen den Herzog von Braunschweig und den heldenmüthigen Schill geleistete Hülfe dem Hafſe der deutschen Patrioten sich ausgesezt ; endlich , indem er die Klagen seiner durch die Continentalsperre ruinirten und gegen da hätte Napoleon aufgebrachten Unterthanen vernahm¹ Friedrich VI. allem Anschein nach den ihm vorgeschlagenen Gebietsaustausch bereitwillig annehmen und sich beeilen müſſen, bei der russisch-schwediſchen Coalition wie in einem Rettungshafen seine Zuflucht zu suchen.

Man machte ihm das Anerbieten , Schwedisch - Pommern,

1 Unterm 21. Jan. 1813 schrieb der französische Gesandte in Kopenhagen , Alquier , an den Minister Maret : „ Nach meiner Meinung ist der König der einzige Mann in seinen Staaten , welcher aufrichtig auf französischer Seite steht."

Der König von Dänemark und die Coalition.

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auf welches Schweden verzichten würde , ferner die damals von den Franzosen nur sehr schwach beseßten Hanſeſtädte , einige benachbarte, nicht im vormaligen Kurfürstenthum Hannover gelegene Gebiete und selbst einen Theil von Mecklenburg sofort in Besitz zu nehmen. Zum Glück für Deutschland , welches man zu Gunsten eines fremden Fürsten beschneiden wollte in einer Weise , die an Napoleon's Verachtung für die Völker erinnerte, und mit den Proclamationen, in denen sich Alexander als Befreier des Continents ankündete , sehr in Widerspruch stand zum Glück für Deutschland zögerte Friedrich VI. , sich zu erklären , und bemühte sich vielmehr um die Erlangung des Zugeständnisses , daß die Grenzen seiner Staaten keine Aenderung erfahren ſollten. Troß der schmerzlichen Erinnerung an die Wegnahme und Verbrennung seiner Flotte , wie auch an das Bombardement seiner Hauptstadt , diese Verbrechen gegen das europäische Staatsrecht, wendete er sich an England mit der Bitte , bei den Höfen von Stockholm und Petersburg zu seinen Gunsten sich ins Mittel legen zu wollen , wobei er sich bereit erklärte, das Napoleonische Bündniß aufzugeben , sich von den Verpflichtungen der Continentalsperre loszusagen, und daß er zu einem spätern Anſchluſſe an Rußland geneigt ſei. Gleichsam als Einleitung zu ſeiner Bitte unterſagte er officiell den dänischen Kapern , welche der englischen Handelsmarine vielen Schaden zufügten , das Kreuzen , öffnete ferner der leztern , zu seines Volkes großer Freude, die Häfen seines Königreichs , und ertheilte den an der holsteinischen Grenze ſtehenden Truppen den Befehl , die stricteste Neutralität zu beobachten , möge kommen, was da wolle. Zu gleicher Zeit benachrichtigte er Napoleon, daß er sich in der nothgedrungenen Lage befände , Dänemarks Politik ändern zu müssen. Aber weder Friedrich's Bitte noch die derselben vorausgehenden Maßregeln hielten England von dem am 3. März erfolgenden Abschlusse des Vertrags mit Schweden zurück. Einige Tage später kehrte der vom König zum Anknüpfen von Unterhandlungen nach London entsendete diplomatische Agent zurück und berichtete als ganze Antwort, daß jede Verhandlung durch das stockholmer Cabinet gehen sollte. Es war dem betreffenden Agenten selbst nicht einmal 21 *

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Achtes Kapitel.

gelungen, ein Handschreiben Friedrich's VI. dem Prinz- Regenten von England einhändigen zu können . Norwegen schien also verloren und unwiderruflich an Schwe den versprochen, als ein Abgesandter des Zar, Fürst Dolgoruky, in Kopenhagen eintraf. Dies geschah am 22. März. Er drängte den König wegen des Beitritts zur Coalition, und um denselben desto eher dahin zu vermögen, versicherte er ihm, ohne Rücksicht auf die Wahrheit , daß in Betreff Norwegens noch nichts entschieden , daß er durch die Einwilligung in die Ver einigung seiner Waffen mit denen von Rußland und Preußen die Integrität seiner Staaten sich sicherstellen würde, als Preis für seine Mithülfe aber die gleichen Territorien erhalten sollte, welche ihm zu Anfang des Jahres für die Abtretung Norwegens angeboten, und daß er eines Tages selbst mit der Herrschaft über Holland bekleidet werden könnte. Nach der Aeußerung eines dänischen Diplomaten schien Dolgorukh der „ Schußengel" Dänemarks zu sein, welcher zu deffen Rettung gekommen. Friedrich VI. trat allen ihm gemachten Vorschlägen bei und schickte demzufolge einen Abgesandten an den Zar, welcher mit der Regelung von Dänemarks Eintritt in die Coalition beauf tragt war. Der schwedische Gesandte in Kopenhagen hatte jedoch von den durch Dolgorukh gemachten Anerbietungen Kenntniß be kommen und seine Regierung davon unterrichtet , worauf sich Bernadotte beeilte, von Alexander , und zwar in sehr stolzem Tone, das Einhalten der zwiſchen Rußland und Schweden abgeſchloſſenen Verträge zu verlangen. Indem bei dem Zar ſogleich die Befürchtung wach wurde , Schweden wieder in seine neutrale Stellung zurückkehren und vielleicht gar das von Truppen entblößte Finland angreifen zu sehen , während er wiederum andererseits ungemein viel darauf hielt , einen vor: maligen Marschall von Frankreich (welcher in der franzöſiſchen Armee einen Ruf gehabt und beliebt gewesen) bei den Heeren - so erklärte Alexander gleich der Coalition zu haben von Anfang an dem dänischen Abgesandten , daß der Fürst Dolgorukh seine Vollmachten überschritten , wenn er Dänemark die Erhaltung von Norwegen zugesagt hätte. Schon dies war

Verhandlungen zwischen Rußland und Dänemark. 325 für die dänische Politik ein schmerzlicher Rechenfehler, welcher aber nicht der einzige bleiben sollte. Bernadotte hatte nämlich von seiner Reclamation zu viel Aufhebens gemacht , als daß nicht die deutschen Patrioten auf die in Kopenhagen gemachten Anerbietungen aufmerksam geworden wären ; bald sprachen auch die Presse und selbst die dänische officielle Zeitung von den. Friedrich VI. angetragenen Entschädigungen in deutschen Ländern. Die beiden Herzogthümer Mecklenburg hatten sich gerade damals vom Rheinbunde losgesagt, während Hamburg und Lübeck aufgestanden, und der Insurrectionsbrand über ganz Norddeutschland von der Elbe bis zur Ems sich ausbreitete. Wie konnte man wol daran denken, die hochherzigen Deutschen, welche kühn von der Napoleonischen Knechtschaft sich befreiten, unter das Joch eines fremden Herrschers zu bringen ? Wer von denselben würde in Zukunft wol noch den Worten des Kaisers von Rußland Glauben schenken, wenn ein Vertrag zu Stande käme, der ihnen das Vaterland schmälerte? Der Zar hatte sich als Deutschlands Befreier angekündigt und gab sich noch dafür aus, und er sollte mit dem Fremden über deutschen Boden handeln ? Und war es übrigens so beunruhigend , was der König von Dänemark thun oder nicht thun würde? Was vermochte er, mit seiner kleinen Armee und ohne einen bekannten General, für oder wider die Coalition ? Besser war es, ihn gegen als für sich zu haben, denn nach errungenem Siege konnte man ihm Holstein, dieses von ihm tyrannisirte deutsche Land, wieder abnehmen. So sprachen Stein uud seine Gesinnungsgenossen, wie auch jedenfalls die preußiſchen Staatsmänner zu Alexander. England äußerte sich gleichfalls wie jene , ſodaß daher Alerander die unglückliche Idee , mit einem Stücke Deutschland die dänische Allianz erkaufen zu wollen , aufgab. Am 3. Mai empfing demzufolge Dolgorukh einen kaiserlichen Erlaß , welcher ſeine ganze Verhandlung desavouirte , ſein Verfahren in herben Worten tadelte und ihm den Befehl zur sofortigen Abreise von Kopenhagen ertheilte. Das war eine auf Kosten der Wahrheit dem alarmirten uud aufgebrachten Patriotismus der Deutschen gegebene Genugthuung . Für das kopenhagener Cabinet war es jedoch ein Donnerschlag .

326

Achtes Kapitel .

Friedrich VI. hatte bei seinem Hin- und Herschwanken den rechten Augenblick vorübergehen lassen, wo er ohne bedeutenden Nachtheil und zur großen Freude der Dänen in die Coalition eintreten konnte. Durch seine fehlgeschlagenen Unterhandlungen mit letterer fand er sich nunmehr Napoleon gegenüber im höchften Grade compromittirt. Auf weffen Seite sollte er jezt treten? Der Coalition sich anschließen mit der Gewißheit, Norwegen einzubüßen und für diesen Verlust keine andere Entfchädigung zu empfangen, war zwar ein sehr schwerer Entschluß, der ihm aber doch seine Staaten auf dem Festlande erhalten hätte, wenn Napoleon unterlag. Würde aber Napoleon besiegt werden? Man sollte meinen , daß Friedrich VI. damals an dessen Niederlage glaubte , denn , wie wir sehen werden , ging er ſo weit , das aufgestandene Hamburg eine Zeit lang durch Truppen zu unterstüßen , die er erst bei dem Gerüchte von Napoleon's ersten Erfolgen wieder zurückzog. Also Schweden im Bündnisse mit England , Rußland und Preußen : es stellt 30000 Mann und seinen Kronprinzen, einen General von Ruf, zur Coalition. Dänemark ist beinahe letterer beigetreten. Dies war Anfang Mai 1813 die Situation, welche durch Napoleon's Politik und das in Rußland gehabte Misgeschickt seiner Waffen in den alten Landen der Skandinaven und Cimbern geschaffen worden.

Neuntes Kapitel.

Stellungen der rusfiſchen Armee am Tage der Unterzeichnung des Kaliſcher Vertrages. -Die derselben zum Vorrücken in Deutſchland verbleibenden Truppen. — Preußens sofort verfügbare Streitkräfte. Fehlerhafter Overationsplan , welcher von den Alliirten in Kalisch festgestellt wird. — Kutuſow bekommt zu dem Oberbefehle über das russische Heer noch das Commando der preußischen Armee. - Die den verschiedenen ruſſiſchen und preußischen Corps anbefohlenen Bewegungen. — York's, Bülow's und Borstell's noch vor Empfang jener Befehle eigenmächtig ausgeführte Bewegungen. - Wittgenstein's Marsch nach Berlin. - Sein Einzug in die genannte Hauptstadt. -– Eugen hat bereits den Rückzug angetreten. — Kommt in Wittenberg an. Reynier - Vereinigung des Elbe-Obſervationscorps in und bei Magdeburg. erreicht Dresden. — - Das 1. Corps unter Davout, das 2. Corps unter Victor. — Reſerve-Cavaleriecorps unter Latour-Maubourg und Sebaſtiani. Die zu Eugen's Verfügung stehenden Die ihm von Streitkräfte. - Seine Maßregeln zur Vertheidigung der Elblinie. Napoleon gemachten Vorwürfe und die von demselben empfangenen Instructionen. Ankunft des Marschalls Davout in Dresden. ― König Friedrich August von Sachsen. - Dessen Entfernung aus seiner Hauptstadt. Seine Unruhe und sein Schwanken. - Volkstumult in Dresden. - General Thielmann, Commandant der Festung Torgau , verweigert den Franzosen jede Unterſtüßung. -- Davout läßt auf Eugen's Befehl zwei Bogen der dresdener Brücke sprengen und rückt nach Magdeburg. - Die sächsischen Truppen erhalten von ihrem Könige den Befehl zum Marſche nach Torgau. Durch deren Abzug wird Durutte, Reynier's Nachfolger im Commando des 7. Corps, auf seine eigene Diviſion beſchränkt, räumt Dresden und zieht - Eugen's neue Dispositionen : er befiehlt die Concenfich gegen die Saale zurück. — trirung seiner Streitkräfte auf dem rechten Elbufer vorwärts von Magdeburg. - Die Herzoge von Mecklenburg-Schwerin und Lettenborn's Zug gegen Hamburg. — - HinrichMecklenburg-Strelig treten der Coalition bei. - Aufstand in Hamburg. — tungen. General Carra St.-Cyr räumt dieſe Stadt und zieht sich auf Bremen zurück. - Tettenborn greift den aus Schwedisch-Pommern kommenden General Morand bei Bergedorf und Zollenspieker an. - Lezterer passirt die Elbe und geht auf Bremen zurück. - Tettenborn zieht in Hamburg ein. - Lübeck, Lauenburg, Lüneburg und beinahe das ganze Land bis zur Ems erheben sich. Die Generale Carra St.-Cyr und Morand kommen in Bremen an. Unterdrückung des Aufstandes in Bremerlehe und Bleren. - Blutiges Strafgericht. ― In den aufgestandenen Ländern werden Freiwilligencorps organiſirt. — General Dörnberg paſſirt an ber Spise eines leichten Corps die Elbe, um gegen Hannover zu rücken. - Eugen

328

Neuntes Kapitel.

steht plözlich von der Concentrirung vorwärts von Magdeburg ab und vereinigt das Gros seiner Truppen an der Ohre. - Gefecht von Lüneburg, wo Dörnberg und Tschernitschew die ganze Colonne des Generals Morand vernichten. Eugen führt feine Truppen von der Ohre nach Magdeburg zurück und überschreitet hier die Elbe am 2. April. - Sein Operationsplan.

Als am letzten Februar der Allianzvertrag zwischen Preußen und Rußland in Kalisch unterzeichnet wurde , war die Armee des Zar , wie man sich erinnern wird , beträchtlich geschwächt. Da sie Danzig und die Festungen des Großherzogthums Warschau einschließen, andererseits aber das österreichische und Poniatowski's Corps beobachten mußte , war sie dadurch bis auf 56000 Mann , worunter 10000 Kosacken , heruntergekommen, und zwar fanden sich damals dieſe 56000 Mann in zwei un gleiche Maſſen getheilt, die auf 50 Lieues voneinander entfernt waren. Die eine commandirte Wittgenstein, die andere befand sich unter Kutusow's unmittelbaren Befehlen . Wittgenstein ſtand mit 8000 Mann in Driesen, 25 Lieues herwärts der Oder und noch einmal so weit von Berlin ; andere 4000 hatte er unter dem General Repnin detachirt zur Unterstüßung seiner Kosacken, welche sich gegen Berlin hin tummelten und bekanntlich Eugen so außerordentlich übertriebene Besorgniß verursachten . Kutusow hatte sein Hauptquartier in Kalisch , während zwischen dieser Stadt, Gostyn und Rawicz das Corps Tormasow's und insbe sondere bei den zwei leßtgenannten Punkten die Corps von Miloradowitsch und das Winzingerode'sche, welches bekanntlich einige Reitertrupps über die Oder vorgeschoben , cantonnirten. Diese Zahl von 56000 Russen , welche zum Vormarsche disponibel verblieben , entsprach nicht recht den pomphaften Versicherungen, mit denen die russischen Generale und der Zar ſelbſt bis dahin bei ihren Beziehungen zu Preußen so freigebig geweſen , und ebenso stand sie mit dem in Widerspruch , was der Zar zu dieser Zeit auch dem wiener Cabinet über die Zwar hatte Stärke der russischen Armee angeben ließ. 1 Bernhardi gibt darüber in seinem vortrefflichen Werke : „ Denkwürdigkeiten aus dem Leben des k. ruffisch. Generals Karl Friedrich Grafen von Toll", sehr genaue und merkwürdige Details.

Die russische Reservearmee .

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Alexander vor kurzem die Zusammenziehung einer Reservearmee im Großherzogthume Warschau und den russischen Grenzprovinzen anbefohlen , deren Commando dem Fürsten LabanowRostowski übertragen worden und welche 163 Bataillone , 92 Escadronen und eine zahlreiche Artillerie umfassen sollte.¹ Mit Rücksicht auf die Jahreszeit, wegen der großen Entfernun gen und des ziemlich fühlbaren Mangels an Offizieren konnte ſich indeſſen dieſelbe nur langſam bilden. So weit als gewiß anzunehmen war, durfte ſie der an der Elbe befindlichen activen Armee höchstens gegen Mitte Mai 25000 Mann , ferner 12000 vierzehn Tage später und gegen den 15. Juni noch 6000 Mann zuführen. 2 Innerhalb dritthalb Monaten hatte man also keine andere Aussicht , als sich auf dem schwachen Stand von 56000 Mann zu erhalten , indem man die täglichen Abgänge durch das allmähliche Sammeln der Nachzügler und Reconvalescenten ersetzte. Es wird erzählt , daß Alexander beim Empfange des Vertrages , der ihm Preußens Allianz sicherte , ausgerufen : „ Das ist eine Verstärkung , welche die Vorsehung mir schickt.“ Die Vorsehung war hier der preußische Patriotismus, welcher beim Heranrücken der russischen Armeen auf eine so glänzende und gewaltige Weise sich hatte kundgeben sollen. Preußen hatte jedoch , trok seiner Begeisterung , troß seines Thätigkeits- und

1 Kaiserlicher Befehl vom 5./17. Febr.; siehe bei Bogdanowitsch. 2 Ein in Kalisch vom Generalquartiermeister Toll entworfenes Marschtableau, welches sich in dem mehrerwähnten Werke Bernhardi's findet, diente uns zur Angabe obiger Zahlen und Daten. Wir nehmen das Bataillon zu 500 und die Escadron zu 120 Mann an zur Zeit ihres Eintreffens bei der activen Armee. Bogdanowitsch, welcher auf Grund amtlicher Materialien geſchrieben, erwähnt, daß von Anfang März bis Ende Juli 67707 Mann Infanterie, 14024 Mann Cavalerie und 18½ Compagnien Artillerie von der ReWie der Vorgenannte serve zur activen Armee abgeschickt wurden. berichtet, gelangten jedoch , infolge von Desertionen , Krankheiten und besonders wegen des in Polen wüthenden Typhus , nicht einmal zwei Drittheile der obigen Truppen an ihren Bestimmungsort.

330

Neuntes Kapitel .

Aufopferungseifers, die Zeit nicht ersehen können. Die Depots aller Truppentheile waren voller Rekruten , Freiwilligen und zur Fahne einberufenen Urlauber ; viele Bataillone und Esca cadronen waren in der Formation begriffen und gaben früher oder später auf Verſtärkungen Aussicht. Doch die zum ſofortigen Einrücken in die Linie bereiten Streitkräfte überſtiegen nur um ein Geringes diejenigen des Zar. In Schlesien, wohin sich der König die potsdamer Garnison hatte nachfolgen lassen und wo vor seiner Ankunft 8-9000 Mann standen , hatte man ein treffliches Armeecorps von 27000 Mann vollständig orga nisirt und demselben einen schon damals bekannten Führer, den General Blücher , gegeben , welcher troß seiner 70 Jahre doch die ganze Kraft, Thätigkeit und das ganze Feuer der Jugend bewahrt. Von den Generalen Bülow und Borſtell hatte der erstere in Neuſtettin eine Diviſion von 8000 , der andere in Kolberg eine solche von 6000 Mann formirt. York endlich hatte sein Corps auf 20000 Mann gebracht. Insge ſammt waren es demnach 61000 Mann , welche Preußen ſogleich zu den 56000 Ruſſen ſtoßen laſſen konnte. Dieſe 117000 Mann waren zu diesem Zeitpunkte eine ausreichende Macht , um den Krieg mit Nachdruck führen zu können. Das war Scharnhorst's Ansicht , welcher gleich darauf bei der Discussion des in Kalisch zu vereinbarenden Feldzugplanes seinen Rath zur Geltung bringen wollte. Man sollte meinen , daß rücksichtlich des nachstehenden Planes kein unschlüssiges Schwanken möglich gewesen wäre. Es sollten 15-16000 Mann zur Beobachtung aufgestellt werden theils gegen Glogau , welches kaum 4000 Mann Besagung enthielt, und gegen Torgau, das nicht viel mehr hatte²,

¹ In einer von Scharnhorst unterzeichneten vertraulichen Mittheilung vom 4. März, welche dem engliſchen General Robert Wilſon zu Händen kam, wird die Stärke der an diesem Tage disponibeln preußischen Truppen auf 61631 Mann angegeben. (S. Wilſon, „ Private Diary etc.") 2 Am 24. Febr. zählte die Besatzung von Torgau 4300 Mann, meiſtentheils Rekruten . (Vergl. Schreiben des Oberſtlieutenants Ludwig After an Langenau, datirt Torgau, den 24. Febr. 1813, in Heller von

Knesebec's Operationsplan.

331

theils Reynier gegenüber , deſſen ſchon bei Kaliſch sehr mitgenommenes Armeecorps unter dem Wüthen des Thphus sichtlich zusammengeschmolzen und kaum noch 10000 Mann sollten das von 8000 einschließen, während Woronzow's ebenso wol in Posen als auch bei

6000 Combattanten zählte. Mann vertheidigte Stettin fliegendes Corps , welches Barclay de Tolly zu der

beabsichtigten Belagerung von Thorn nicht nöthig, vor Küſtrin geschickt wurde. Mit dem ganzen Reste der Armee , das heißt

mit 90000 Mann , sollte, unter Zugrundelegung der

Operationslinie über Frankfurt und Posen auf Warschau, entſchloſſen und rasch gegen den zaghaft mit seinem Gros bei Berlin stehenden Eugen vorgerückt werden , um ihn mit Nachdruck anzugreifen und über die Elbe zurückzuwerfen , was ein Leichtes sein durfte, wenn nicht beträchtliche Verstärkungen zu demselben stießen. Einmal hier angekommen, hatte man dahin zu streben, Eugen's Aufmerksamkeit und deſſen Truppen durch fortwährende große Demonſtrationen auf sich zu ziehen , gleichzeitig aber sollte über die Elbe, gegen und selbst über das kaum bewachte Hamburg hinaus ein Corps von 20000 Mann geworfen worden, bei dem 4-5000 Reiter durch das Darbieten einer soliden Basis die Erhebung der des Joches müden und vor Ingrimm knirschenden Völker von der Elbe bis zur Weser, der Ems und dem Rhein zum Ausbruche zu bringen die Bestimmung hatten. Dies waren Operationen, welche den verbündeten Monarchen und ihren Generalen von der Lage der Dinge vorgezeichnet wurden und deren Resultat ein bedeutendes sein konnte. Die Erhebung des durch ein starkes Armeecorps unterſtüßten Norddeutſchland mußte die Holländer ermuthigen, die Fürstensklaven einſchüchtern , deren Unterthanen begeistern und außerdem Napoleon zwingen , 50-60000 Mann , deren Nichtvorhandenſein an der Saale und Elbe von ihm empfindlich gefühlt werden durfte , gegen dasselbe abzuschicken . Ging man auf diesen Plan nicht ein, so konnte man, und zwar nicht ohne Vortheil , in der linken Flanke in ähnlicher Hellwald, Friedrich, K. K. Feldmarschalllieutenant,,,Erinnerungen aus den Freiheitskriegen", Stuttgart 1864.)

232

Neuntes Kapitel.

Weise, wie auf der rechten, operiren, nämlich, indem man sich in Masse gegen Dresden wendete. Eugen dürfte sich vielleicht dahin ziehen lassen ; wollte er dann dort Stand halten , ohne bedeutend verſtärkt worden zu ſein, so würde man ihn mit leichter Mühe schlagen. In jedem Falle follte man möglichst weit vorrücken und das sächsische Land zur Erhebung bringen, was wiederum auf Baiern rückwirken dürfte. Inzwischen hatte aber ein großer Theil der leichten Reiterei , Husaren und Kosacken, zwischen Magdeburg und Hamburg über die Elbe zu gehen, um die bedrückten und tyrannisirten Unterthanen von Jérôme Bonaparte und Napoleon zu den Waffen zu rufen. Man konnte wol zwischen diesen beiden Planen schwanken, doch gab es außer selben keinen andern rationellen, keinen, welcher der hohen Meinung entsprach, die man Europa von sich, seinen Streitkräften, seiner Wirksamkeit geben wollte und zu geben nöthig hatte ; es gab sonst nichts, was zu einem baldigen, bemerkenswerthen Erfolge führen konnte. Der erste jener beiden Plane, und zwar nach unserer Meinung der bessere, ward von dem Obersten Knesebeck, einem sehr gefcheiten und tüchtigen Offizier, der andere dagegen von Scharnhorst vorgelegt. Bei sofortigem raschen Handeln war in dem einen wie dem andern Falle als gewiß anzunehmen, daß die allgemeine Concentrirung in der Zeit vom 18. bis 20. März durchgeführt sein durfte. Aber bei beiden Planen waren die raſche Concentrirung und die Schnelligkeit der darauf folgenden Operationen wesentliche Bedingungen zu deren Gelingen, indem man zum Angriff schreiten mußte, bevor Eugen durch die von Napoleon mit so vieler Rührigkeit und Geräusch organisirten Armeecorps unterſtüßt und verstärkt wurde. Dabei stießen aber Knesebeck und Scharnhorst von vornherein auf den von ihrem Könige erklärten Beschluß , den Krieg noch nicht an Napoleon erklären, sondern damit warten zu wollen, bis Eugen einigermaßen aus eigenem Antriebe Berlin und Preußen geräumt haben würde , und außerdem hatten ſie Kutuſow's eigensinnigen Einwendungen Rechnung zu tragen. Der alte Marschall war weniger als je für den Marsch nach Westen gestimmt. Schon in Kalisch befand er sich zu weit

Kutusow's Ansichten.

333

von seiner Operationsbasis . Er wollte auf russische Verstärkungen warten, obwol er wußte, daß diese nicht sobald eintreffen konnten. Er hatte kein Vertrauen in den Enthusiasmus und die Kraft der preußischen Nation ; er begriff nicht die moralische Revolution, welche sich bei dieser lettern seit sechs Jahren vollzogen , und sah in den Eintagssoldaten gern die armseligen Soldaten von 1806. Kutuſow wollte wissen, daß Polen, welches in Wirklichkeit nicht daran dachte , eine demnächſtige all1 gemeine Erhebung im Schilde führe. Er wies hin auf die noch in franzöſiſchem Beſiße befindlichen Weichselfestungen, ferner auf das Corps Poniatowski's, welches sich an die österreichische Grenze lehnte und auf das österreichische Contingent ſtüßte ; er deutete auf Böhmen und Mähren hin , die sich mit österreichischen Truppen füllten , und erinnerte an das wiener Cabinet, welches zwar gegen den Zar von Allianz sprach und den Waffenstillstand innehielt , aber andererseits jeder bestimmten Erklärung auswich, sich auf keine Verpflichtung einließ , ſo Zeit zu gewinnen suchte, und , durch verführerische Verheißungen hingerissen, zu jeder Stunde Napoleon's Ehrgeiz wieder dienen. konnte, um sich dann in die Flanke und den Rücken der ruffi schen Armee zu werfen. Unter solchen Umständen , behauptete Kutusow , erfordere es die Klugheit gebieterisch , sich auf keine große Unternehmung einzulassen. Durch das Alter, den Krieg und durch Krankheit angegriffen, sich immer nach Ruhe ſehnend, und hartnäckig auf der Idee beſtehend , daß Rußland die errungenen Erfolge nur zu seiner Vergrößerung benutzen und zu diesem Zwecke mit Napoleon verhandeln sollte konnte der Marschall nicht begreifen, daß es, um Polen jeden Aufstandsgedanken zu benehmen, um Desterreichs Unzuverlässigkeit schnell und sicher ein Ende zu machen , das beste Mittel wäre , von dem einen wie dem andern dieser beiden Länder die Franzosen weit zurückgeworfen, den Rheinbund gesprengt und einen großen Theil Deutschlands in Insurrection zu sehen .

1 Etwas später bezeichneten geheime Berichte den Charfreitag (16. April) als den Tag zum Ausbruche jenes Aufstandes. (S. bei Bernhardi : „ Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Generals Toll. “)

334

Neuntes Kapitel .

Der Kaiser Alexander war zwar mit Scharnhorst's Vorschlag einverstanden , doch wußte er es nicht zu erreichen und machte auch nicht den Verſuch dazu, daß Friedrich Wilhelm mit ſeiner Kriegserklärung gegen Frankreich nicht länger zögerte, während er andererseits wieder nicht mit dem Gewichte seiner Autorität auf Kutusow's Starrköpfigkeit einen Druck ausüben wollte. Bei dieser Meinungsverſchiedenheit legte man sowol Knesebec's wie auch Scharnhorst's Plan zurück, befleißigte sich keiner weitern Beschleunigung, ließ es vielmehr bei halben und schlechten Maßregeln bewenden und verschlimmerte gar noch das Uebel, indem Kutusow auch das Commando über die preußische Armee erhielt. Das hieß die Allianz nicht zum beſten inauguriren. Dagegen gelangte man zu dem Beschlusse, daß die alliirten Streitkräfte vorläufig in zwei ziemlich gleich starken Colonnen operiren sollten, von denen jede ihr besonderes Operationsobject hatte. Auf der Rechten erhielt Wittgenstein den Befehl , sogleich an die Oder und von da, wenn möglich , auf Berlin zu mar schiren. York, Bülow und Borſtell sollten hinter ihm her vor: rücken, um bei Preußens Kriegserklärung zur Betheiligung an den Operationen des genannten russischen Generals bereit zu stehen. Woronzow wurde von der Donauarmee detachirt und zu Wittgenstein's Verfügung gestellt . Auf der Linken trat Winzingerode's Corps unter Blücher's Befehle, welcher daſſelbe zu seiner Avantgarde machte. Ersterer erhielt die Weiſung , ſeine Quartiere am 8. März aufzuheben, um über Köben und Bunzlau gegen Dresden zu rücken, während Blücher selbst, der um Breslau cantonnirte, am 16. von dort abzumarſchiren hatte. Miloradowitsch ward auf Glogau ſtradirt, mit der Beſtim mung , diese Festung insolange einzuschließen , bis er darin durch das preußische Corps, welches der General Schuler von Senden auf sehr rührige Weise mit Reservebataillonen in Schlesien formirte , abgelöst würde , um dann auf Sagan zu marschiren, wo er weitere Befehle vorfinden sollte. Tormasow ging die Weisung zu , sich gleichfalls in Marsch zu sehen und derart seine Direction zu nehmen, daß er ebenso

Das York'sche Corps.

335

Blücher wie Wittgenstein als Reserve dienen konnte, was aber nur möglich war, wenn beide Generale sich einander näherten. Der für Wittgenstein bestimmte Befehl ging dieſem am 2. März in Drieſen zu. In Erwartung weiterer Instructionen stand der genannte General bekanntlich seit dem 27. Febr. daselbst und hatte inzwiſchen , wie man sich vom Anfange dieſes Kapitels her erinnern wird, 3-4000 Mann unter Repnin zur Unterſtüßung seiner um Berlin ſich tummelnden Kosacken detachirt. York, Bülow und Borstell welche hinter Wittgenstein vorrücken sollten , um zu dessen Unterstützung bei Preußens Kriegserklärung bereit zu stehen --- wären , besonders der erstere, noch weit von dem russischen General entfernt gewesen, wenn sie zu ihren Bewegungen auf die Befehle ihres Monarchen gewartet hätten. Doch waren sie leztern bereits zuvorgekommen. Das ſeit einiger Zeit von demselben befolgte Verfahren und die Haltung des Königs ihnen gegenüber charakteriſiren Preußens moralische Situation ſo gut, daß man darauf etwas näher einzugehen nicht umhin kann. Am 23. Jan. hatte York ſein Armeecorps aus der Gegend von Tilſit und Königsberg auf Elbing und Marienburg in Marsch gesezt, um einestheils die in den beiden lehtgenannten Städten von Murat und Macdonald zurückgelaſſenen Vorräthe sich zu Nuze zu machen , und um anderntheils in der Lage zu sein , im Falle äußerster Noth , seinem Versprechen gemäß, sei es das Danzig blokirende russische Corps , sei es Wittgenstein selbst unterſtüßen zu können. Diese Bewegung war zu derselben Zeit, als die von Stein berufenen Stände zuſammentraten , durchgeführt. York's Corps war damals wieder auf 20000 Mann gebracht, während die Stärke der Depots in Preu1 ßen zwischen Weichsel und Niemen 13000 Mann betrug. ¹ Nachdem die Session der Stände geſchloſſen und alle Maßnahmen getroffen worden , um die Ausführung von deren Beschlüssen sicherzustellen , und während das Land zu den Waffen eilte , da erachtete York ſeine Anwesenheit auf dem rechten

¹ Nach einem Schreiben York's vom 10. Febr.

336

Neuntes Kapitel.

Weichselufer als hinfort nicht mehr nöthig. Mit Rücksicht auf die allgemeine Sachlage und die Volksbegeisterung von der Ueberzeugung durchdrungen, daß das Bündniß zwischen Preußen und Rußland unausbleiblich und nahe bevorstände , wollte er sich dem Kriegsschauplaze wie auch Wittgenstein nähern, welcher lettere von Preußisch- Stargard eben nach Konig gerückt, von wo er weiter marſchiren sollte, und den preußischen General gleich: falls vorzugehen bat. Demzufolge ließ York sein Armeecorps am 17. Febr. von Elbing und Marienburg nach Konig aufbrechen. Er selbst traf mehrere Tage vor seinen Truppen, und zwar am 22. Febr., daselbst ein, um sich mit Wittgenstein und Bülow zu besprechen. Man wird sich erinnern , daß Bülow mit einigen tauſend Mann , die er unterwegs zusammengezogen , einen sorgfältig isolirten Rückzug von Königsberg nach der Weichsel ausführte und diesen Fluß bei Neuenburg paſſirte. Indem er auch ferner hin den Franzosen und Kosacken möglichst aus dem Wege zu gehen bestrebt war , marschirte er nach Neustettin und bezog daselbst am 17. Jan. Cantonnirungen. Kaum hier angekommen, richtete er ein merkwürdiges Schreiben an den König , um ihn zu beschwören , in Preußens Intereſſe und , mit Rücksicht auf den einmüthigen Wunsch der erbitterten und zu allen Opfern bereiten Nation , mit Rußland sich zu verbünden und sofort 1 den Krieg gegen Napoleon zu eröffnen. Diese Vorstellungen blieben ohne Antwort. Einige Tage später erhielt Bülow durch eine Miniſterialdepeſche den wiederholten Befehl, keine Beziehungen mit York zu unterhalten , und überdies den Rath ,,,den russischen Umtrieben" nicht zu trauen. Ohne York's Kühnheit zu beſihen , war Bülow doch festen , entschiedenen Charakters und verband mit einer sehr gesunden Meinung große Umsicht wie auch die Erfahrung eines 58jährigen Lebens . Die Miniſterialdepesche machte daher keinen größern Eindruck auf ihn als das Stillschweigen des Königs. Er begriff, daß leßterer mit ſeiner gewöhnlichen Unschlüssigkeit im Kampfe war ; er sah voraus, daß

1 Schreiben aus Neustettin, vom 18. Jan.

Bülow in Neustettin.

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jener unter dem Drucke der Volksstimmung nicht zaudern würde, der Gewalt der Umstände, seinen eigenen Gefühlen und seinen Interessen nachzugeben. Bülow war demzufolge nicht allein mit York in Verbindung geblieben , sondern hatte sich auch, nach einigen vorausgegangenen Differenzen , mit Wittgenstein und deſſen Kosackenführern auf freundschaftlichen Fuß gestellt. Umſonſt ſchickte Eugen dem preußischen General Befehl über Befehl, um ihn in seinen Operationsrayon heranzuziehen. · Anfangs antwortete Bülow ausweichend, später wies er aber jene Ordres zurück. Der ihm die leßte derselben überbringende Offizier meldete Eugen, daß er mitten in den preußischen Cantonnirungen Kosacken und deren Offiziere auf einem in Bülow's Hauptquartiere gegebenen Balle gesehen. 1 Während dieses langwierigen Stillstandes in Neustettin arbeitete Bülow tüchtig an der Organiſation ſeiner Truppen, welche jenseit der Weichsel kaum über die ersten Anfänge hinausgekommen war. Durch Rührigkeit und Nußbarmachung der vorhandenen Quellen von seiten des genannten Generals, durch die von den Landesbewohnern in bereitwilliger Weise gebrachten Opfer und vermittels einiger aus der Festung Graudenz gezogener Hülfsmittel hatte er seine Truppen gekleidet und ausgerüstet, seine Cavalerie beritten gemacht und sich eine Artillerie geſchaffen, ſodaß zu der Zeit , wo ihn York und Wittgenstein zu der Conferenz nach Konig einluden, ſeine disponibeln Streitkräfte erwähntermaßen sich auf 8000 Mann beliefen. Bei der gedachten Zusammenkunft in Konig vereinbarten die drei Generale eine gemeinsame Bewegung nach der Oder, und zwar Wittgenstein, weil er von Kutusow den Befehl zum Vorrücken an diesen Fluß empfangen, York und Bülow dagegen, weil die ihnen aus des Zar Hauptquartier zugehenden Nachrichten sowie der Soldaten und des Volkes Ruf sie unwiderstehlich vorwärts drängten. Nichtsdestoweniger bedangen sich die preußischen Generale den Vorbehalt aus , nicht unmittel bar an den Feindseligkeiten wider die Franzosen theilzunehmen.

Schreiben Eugen's an Napoleon, vom 15. Febr. Charra 8, 1813.

22

338

Neuntes Kapitel."

Nach dieser Uebereinkunft brach Wittgenstein von Koniz auf und schlug die über Driesen nach Berlin führende Straße ein. Als er aber am 27. Febr. Driesen erreichte , mußte er auf des Zar Befehl dort halt machen und stand noch am 2. März daselbst, wie schon weiter oben erwähnt wurde. Das York'sche Corps erreichte am 27. Febr. Konik, blieb hier aber nicht ſtehen, ſondern dirigirte ſich über Schlochau und MärkiſchFriedland auf Soldin. Bülow endlich sette sich am 26. Febr. nach Aufhebung seiner Cantonnirungen in Bewegung , um direct nach Stargard zu marſchiren , wo er am 2. März anlangte und damit nur noch zwei Märsche von Stettin entfernt war. In Stargard stieß der Generalmajor Borſtell an der Spite von 6000 Mann aller Waffengattungen zu Bülow. Borstell, welcher in Pommern commandirte, hatte die zur Fahne einberufenen Krümper und Beurlaubten , die Rekruten und Freiwilligen aus jener Provinz in Kolberg und Umgegend zusammengezogen und deren Organisation , Bekleidung und Ausrüstung unter der patriotischen Mithülfe von seiten der Bevölkerung eiligst bewerkstelligt. Auch er hatte sich wegen des Krieges gegen Frankreich bittend an den König gewandt, doch waren seine Briefe gleichfalls unbeantwortet geblieben. Der Unentschlossenheit seines Monarchen endlich müde, hatte Borſtell sich ebenfalls dem Kriegsschauplahe nähern wollen. Ende Februar verließ er daher Kolberg mit allem, was er an dis ponibeln Truppen hatte , und ſeßte den König von dieſer aus persönlicher Initiative hervorgehenden Handlung in Kenntniß, mit der Meldung , daß er auf Königsberg (in der Neumark) marſchiren und hier deſſen Befehle erwarten würde. Doch ging Borstell noch weiter, indem er seinen eigenen Adjutanten nach London ſendete , um von der engliſchen Regierung Subſidien, Waffen und Munition zu erbitten. Und auch davon benachrichtigte er den König. Das waren die Ausschreitungen, zu welchen die preußischen Generale durch Friedrich Wilhelm's Winkelzüge , durch den Unwillen gegen das Fremdjoch und den Rachedurst hingedrängt wurden. Nach York ging es so mit Bülow, und nach Bülow mit Borstell .

Wittgenstein und die preußischen Generale.

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Dies war die Sachlage, als Wittgenstein die officielle Anzeige von dem Abschlusse des Kalischer Vertrages und den schon oben erwähnten Befehl empfing, von Driesen aufzubrechen und seinen Marsch fortzusehen, was er auch auf der Stelle that. Ferner machte er York und Bülow von der ihm zugegangenen wichtigen Nachricht Mittheilung und forderte sie aus eigenem Antriebe auf, ihm zu folgen. Als bald danach bei Wittgenstein die Meldung einging , daß seine leichten Truppen ohne Schwertstreich in Berlin eingezogen, zeigte er den beiden vorgenannten preußischen Generalen an , daß er gleichfalls nach jener Hauptstadt marſchire, wobei er York ersuchte, rasch hinter ihm nachzurücken, Bülow dagegen bat, auf dem linken Oderufer derart Stellung zu nehmen , um die, wie er wußte , ziemlich starke Besagung von Stettin im Zaum zu halten. York, der seinen Vormarsch fortsette , und Bülow , welcher in Stargard wartete, bis ersterer auf gleiche Höhe mit ihm gekommen fie beide antworteten Wittgenstein , sie hätten noch keine Nachrichten oder Befehle empfangen , und es wäre überhaupt jezt nicht möglich, daß ihnen solche gerade schnell zugingen, weshalb fie die Oder nicht eher überschreiten wollten , als bis sie von der Willensmeinung ihres Monarchen Kenntniß erhalten. York stand immer noch unter dem Verhängnisse einer allgemein bekannten Absehung und einer strafgerichtlichen Anklage. Seit zwei Monaten hatte ihm die Regierung weder Instructionen noch sonstige Mittheilungen zugehen lassen, außer der erst ganz kürzlich ergangenen Aufforderung , eine Rechtfertigungsschrift über sein Verhalten iu Tauroggen an den König einzureichen. 1 Ebenso wie Borstell , wußte auch Bülow nicht , ob ihre Be wegung gegen die Oder dürfte .

vom Könige

gutgeheißen werden

Infolge einer unter solchen Verhältniſſen kaum zu entschuldigenden Verzögerung gingen diese von den preußischen Gene-

1 Es wurde York aufgegeben,,, eine auf blos militärischen Gründen beruhende Rechtfertigung" einzureichen, und aus seinem diesfallsigen Berichte ersieht man, daß er jener Weisung entsprach. 22 *

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Neuntes Kapitel .

ralen mit Ungeduld erwarteten Befehle ihnen erst am 6. März zu. 1 Ohne von der Vergangenheit zu sprechen , ohne auch nur das Mindeste davon zn erwähnen und ohne einen Tadel oder Zufriedenheit zu äußern , kündigte der König dem General York den Vertrag von Kalisch an , befahl ihm aber , darüber Stillschweigen zu beobachten; stellte ferner Bülow und Borstell unter deſſen Befehle , und ertheilte ihm die Weisung , wegen ſeiner Operationen sich mit Wittgenstein ins Einvernehmen zu sehen , bis zur Kriegserklärung aber jede Feindseligkeit gegen die Franzosen zu vermeiden. Scharnhorst , welcher weniger zurückhaltend schrieb , fügte betreffs deſſen hinzu , daß man ſo schnell als möglich an die Oder rücken müſſe und dieselbe nach dem 10. März überschreiten könne, wenn sich dem nichts entgegenstellen sollte. York war in Arnswalde angekommen, als ihm die vorerwähnten Depeschen zugingen. Den gegen Berlin eilenden Wittgenstein benachrichtigte er darauf, daß er behufs der Vereinigung mit diesem seinen Marsch über Königsberg i . d . N. und Schwedt weiter fortzusehen im Begriffe stehe, während er andererseits an Bülow den Befehl ergehen ließ, mit Borstell gegen Stettin zu rücken, um dasselbe zu beobachten und Damm, den Brückenkopf dieser Festung, einzuschließen, womit er eigent lich die Grenze der ihm zugegangenen Instructionen überschritt. Diese Anordnung begann aber kaum ausgeführt zu werden, als York unter Wittgenstein's Befehle gestellt wurde, jedoch mit Beibehaltung des Obercommandos über Bülow und Borstell. Am 11. März zog der vorgenannte russische General in Berlin ein und zwar an der Spiße von 6000 Mann, nachdem er 2000 Mann auf seinem Hermarsche vor Küſtrin zurückgelaffen hatte. Seine Kosacken und Repnin's Abtheilung waren bereits sieben Tage früher in der preußischen Hauptstadt ange-

1 Prittwig und nach ihm auch Beißke geben, was gleichfalls schon spät gewesen sein würde , den 5. März an , Droysen dagegen den 6. als das von York eigenhändig auf die betreffenden Depeschen geschriebene Präsentationsdatum.

Wittgenstein's Einzug in Berlin.

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langt, wo sie mit einer grenzenlosen Freude und einem uners hörten Enthusiasmus begrüßt worden. Auch Wittgenstein ward der gleiche Empfang und dazu noch der ganze Glanz eines Triumphzuges zutheil. Welch peinlicher Contraſt, hundertmal beredter als alle Worte ! Napoleon hatte das Frankreich der Revolution bis zu dem Grade verunglimpft, daß von den Völkern die Russen und Kosacken als Befreier begrüßt, wir dagegen mit Fug und Recht als Unterdrücker verwünscht wurden ! Repnin verblieb in Berlin , während Tschernitschew's und Benkendorf's Kosacken nur durchmarschirten und sich zu Eugen's Verfolgung aufmachten, welcher auf dem Rückzuge nach der Elbe begriffen war. Wir haben bereits weiter oben gesehen, wie letterer, nachdem er jeder politischen und militärischen Rücksicht zuwider die untere Oder aufgegeben, anfangs ziemlich ungeschickt vorwärts von Berlin, und dann, was noch viel ungeschickter , eine Lieue hinter dieser Stadt Stellung genommen, indem er die genannte Residenz nur noch durch eine einfache Avantgarde bewachen ließ. Eugen erkannte wohl , wie wichtig es in jeder Hinsicht war, sich in Preußen zn behaupten , die Hauptſtadt dieſes Königreiches in seiner Gewalt zu behalten und den Marsch des Feindes zu hemmen . 1 An den nöthigen Mitteln dazu fehlte es ihm nicht. In Wirklichkeit hatte er 38000 Mann bei der Hand2 , die er, wenn er Morand aus Schwedisch - Pommern

1 ,,Ich halte viel auf die Besetzung von Berlin , denn ich zweifle nicht, daß die Besißnahme dieser Stadt durch den Feind ein Vorwand mehr für den König sein würde, sich gegen Ew. Majestät zu erklären. Indem ich hier stehe , verschaffe ich meinen Diviſionen Zeit zu ihrer Organisation, meiner Cavalerie zu ihrer Remontirung und unsern Verstärkungen zum Herankommen.“ (Schreiben Eugen's an Napoleon, Köpenick, 24. Febr.) 2 Das Corps Gouvion St.-Cyr's, nämlich die Divisionen Grenier, Charpentier und Lagrange , zählten noch 27000 Mann , die von der leztern in Stettin gelassenen 3 Bataillone inbegriffen, welche leicht von dort zurückgezogen werden konnten. Ferner hatten die von Posen nach Berlin geführten Truppen, das heißt : die Divisionen Roguet, Girard und Gérard, nebst der Cavalerie nicht weniger als 11000 Mann disponibel.

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Neuntes Kapitel.

herbeirief , bis auf 41000 Mann bringen konnte , welche hinreichend waren, um dem Lande zu imponiren und Wittgenstein, der nur über 12000 Mann reguläre Truppen und 6000 Kosacken verfügte, im Zaum zu halten. Bevor Preußen, was damals zu erwarten stand, an Frankreich den Krieg erklärte und seine Streitkräfte mit den russischen vereinigte , konnte Eugen, wie wir alsbald ſehen werden, sich in wenigen Tagen so weit verstärken, daß er über 60000 Bajonnete bei Berlin hatte.¹ Er hätte sich also hier halten und zwar hartnäckig behaupten müſſen bis zu dem Moment, wo die Ruſſen und Preußen beträchtlich überlegene Streitkräfte gegen ihn entwickelt hätten. Diese waren indeſſen bekanntlich gerade nicht dazu eingerichtet. Der um seine Meinung befragte Gouvion St.-Cyr - welcher schon be dauert, daß Eugen nicht an der untern Oder Stellung genom men , rieth dringend, sich bis zum Aeußersten bei Berlin zu behaupten. Seine Stimme fand jedoch kein Gehör. 2 Die täglich feindlicher werdende Haltung der preußischen Bevölkerung bereitete Eugen große Besorgniß ; andererseits wurde er wieder durch den Lärmen , welchen die Kosacken um ihn herum verursachten , befangen gemacht , und wußte er aus dem Gewirre von falschen oder übertriebenen Nachrichten nicht das Richtige herauszufinden.

Ferner befürchtete er, die Ruſſen

in Massen aus Schlesien in seine rechte Flanke debouchiren zu ſehen, nachdem er lange Zeit hindurch an eingerade entgegengeseztes Manöver derselben geglaubt.3 Er hielt sich deshalb für gefährdet, wenn er länger in Preußen stehen bleiben und wenn er, seinen Worten nach, sich nicht schnell anschicken würde,

1 Mit Berücksichtigung, daß wir auf diesen Punkt wieder zurückkommen werden, mag hier zur Bekräftigung unserer Behauptung nachstehende eigene Erklärung Eugen's Erwähnung finden: ,,In vier Marschtagen kann ich durch meine Vereinigung mit Lauriston über 60000 sehr tüchtige Bajonnete zur Verfügung haben." (Schreiben Eugen's an Napoleon, Schöneberg, 27. Febr.) 2. Gouvion St.-Cyr , maréchal , „ Mémoires pour servir à l'histoire militaire du Consulat et de l'Empire". 3 S. Viertes Kapitel.

Eugen's Rückzug nach Wittenberg .

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die großen Communicationslinien von Leipzig noch vor den 1 Russen zu erreichen. So kam es , daß der junge Vorgesetzte des geschickten Gouvion St.-Chr bis auf das linke Ufer der Elbe zurückgegangen war. Dieser am 4. März angetretene und mit einer unbedachtsamen Schnelligkeit ausgeführte Rückzug , welchen die Russen ziemlich wenig belästigten , endete am 8. in Wittenberg . Preußens Hauptstadt und das ganze Land zwischen der Oder und Elbe wurde somit, ohne Nothwendigkeit und jedem militärischen und politischen Grunde entgegen, von Eugen einigen tausend Kosacken preisgegeben , welche unmittelbar nur durch die 4000 Mann des Generals Repnin unterſtüßt waren. 2 Die Festungen Stettin , Küstrin , Glogau und Spandau waren nunmehr sich selbst überlassen. Dieselben befanden sich übrigens in gutem Vertheidigungszustande und hatten sich durch das harte Mittel von raschen und nicht bezahlten Requiſitionen verproviantirt, nachdem Napoleon die zu deren Verſehung mit Mundvorräthen durch den Generalintendanten der Armee angeordneten Einkäufe unter dem bequemen Vorwande , daß er fie zu lästig befunden , hatte einstellen lassen. 3 Stettin hatte 8000 Mann Besatzung , welche Eugen bis auf 6000 hätte heruntersehen sollen , Küstrin deren 3500 ; Spandau , wohin man 1800 aus Polen mitgeführte und kaum gekleidete polnische

1 Schreiben Eugen's an Napoleon , Schöneberg, 2. März, und an Jérôme Bonaparte, vom 3. März . 2 Gouvion St.-Cyr schreibt darüber wie folgt : „,... Der Vicekönig (Eugen) zog sich auf das linke Elbufer zurück ... und verſchlimmerte ſo den im Februar durch das Aufgeben der Oder begangenen Fehler. Er wartete nicht einmal ab, bis der Feind eine Angriffsbewegung ausführte, welche diesen ebenso unnützen als unpolitiſchen Rückwärtsmarſch entschuldigt oder motivirt hätte, deſſen Unzeitigkeit übrigens von ihm recht wohl eingesehen wurde. (S. Gouvion St.-Cyr, maréchal, „ Mémoires pour servir à l'histoire militaire etc.".) 3 Schreiben Napoleon's an Eugen vom 4. und 15. Febr. 4 Schreiben Napoleon's an Eugen vom 4. Febr.

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Neuntes Kapitel .

Rekruten geworfen, wurde von 3500 und Glogau von 4000 Mann vertheidigt. Man wird sich erinnern , daß der Stamm aller dieser Besaßungen aus den Bataillonen gebildet worden war, welche Anfang Februar mit einem Theile der aus Rußland zurückgekommenen Ueberreste von den vier ersten Armeecorps formirt wurde, denen man kurze Zeit nachher noch einige von Texel und der Schelde gekommene sogenannte Schiffscompagnien hinzugefügt hatte. Da Napoleon von seinen ehrgeizigen Herrscher- und Eroberungsplanen nicht abstehen wollte, war es , was schon oft gesagt , durchaus logisch, daß er, wenn auch nicht Spandau, so doch wenigstens die drei Oderfestungen hielt , welche ihm beim ersten davongetragenen Erfolge das nicht zu unterschäßende Mittel an die Hand gaben, nach Belieben auf beiden Ufern des genannten Flusses zu manövriren , und die überdies nicht verfehlen konnten, ihren Besahungen ziemlich gleiche, wenn nicht gar überlegene feindliche Streitkräfte vor ihren Mauern fest: zuhalten. Durch Eugen's Rückzug nach der Elbe wurden Reynier und die schwache bairische Division Rechberg, welche die Verbindung zwischen den beiden erstgenannten Generalen zu erhalten die Aufgabe hatte, ebenfalls zu einer gleichen Bewegung genöthigt. Reynier repliirte sich demzufolge von Baußen auf Dresden , während er Rechberg von Guben nach Meißen berief. Auch dachte Eugen, zwar etwas spät, daran , dem General Morand den Befehl zu ertheilen , mit seinen 3000 Mann Schwedisch-Pommern zu räumen, um nach Hamburg zu rücken. Doch hätte er besser gethan, denselben zu sich heranzuziehen. In Wittenberg angekommen , bewirkte Eugen einige im Commando und der Organiſation ſeiner Truppen nöthige Veränderungen. Der noch immer kranke Berthier war nach Paris zurückberufen und wurde seine Stelle als Major-General durch den Chef seines Generalstabes, den General Monthion, beſeßt.¹

¹ Monthion führte den Titel eines Chefs vom Generalstabe des Major-Generals.

Eugen in Wittenberg.

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Der Marschall Gouvion St.-Chr war plöglich vom Typhus befallen worden , weshalb das Commando seines Armeecorps provisorisch dem General Grenier übertragen werden mußte. Wie man sich erinnern wird , bestand dieses Corps aus den Divisionen Grenier , Charpentier und Lagrange. Mit der legtern, welcher die sehr zur Unzeit in Stettin zurückgelaſſenen 3 Bataillone abgingen , ließ Eugen die 5 Bataillone zu sammenstoßen , welche allein die Division Gérard bildeten, seitdem er die Westfalen von ihr zurückgezogen ; das Commando über diese beiden nunmehr in eine verschmolzenen DiviDie polnische sionen gab er dem leztgenannten General . Division Girard wurde aufgelöst.

Aus derselben zog man

2000 Mann , die hinlänglich organisirt , heraus , welche die Garnison von Wittenberg unter dem General Lapoype bildeten. Den Rest, der aus vielen Chargirten und allem, was an polnischen Rekruten aus Poſen mitgeführt worden, bestand, dirigirte man ungeſäumt nach Westfalen , um denselben dort weiter zu verwenden. Auf dem rechten Ufer der Elbe und in geringer Entfernung von diesem Flusse wurde die kleine Stadt Wittenberg, deren Festungswerke seit dem Siebenjährigen Kriege zum Theil niedergelegt , ein guter Posten und vortheilhafter Brückenkopf, dank der auf Napoleon's Befehl seit einigen Tagen hier vorgenommenen Arbeiten, wobei die Ueberreste ihrer alten Fortis ficationen und namentlich ihre Gräben, welche bis zu sechs Fuß unter Wasser gesezt werden konnten, ſehr zustatten kamen. Nachdem diese Maßnahmen getroffen , boten die an die Elbe zurückgeführten Truppen eine zum Manövriren disponible Streitmacht von beinahe 34000 Mann in 4 Infanteriediviſionen eingetheilt, wovon eine unter Roguet zur kaiserlichen Garde gehörte, und ferner eine kleine Cavaleriediviſion . Das Resultat der gewaltigen Arbeit, welche Napoleon zum Wiedereinbringen der russischen Katastrophe ausführte und die in einem der vorhergehenden Kapitel ausführlich besprochen wurde, begann sich bereits bis an die Ufer der Elbe zu äußern. Seit Ende Februar sammelte sich um Magdeburg das vom General Lauriston befehligte Observationscorps der Elbe. Am 5. März stand deſſen 3. Division in Deſſau ; am 9. waren

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Neuntes Kapitel.

ſeine 1. und 2. Division in Magdeburg selbst, mit Ausnahme eines Regiments, des 152., welches wegen der Gärung unter der Bevölkerung an der Niederelbe dort zurückgehalten wurde. Am gleichen Tage begann die von Mainz über Kaſſel kommende 4. Diviſion deſſelben Corps in Halberstadt einzutreffen und follte am 16. März vollständig hier vereinigt sein.¹ Dieſes Corps war bekanntlich aus zwölf der mit den Nationalgardecohorten zu 4 Bataillonen organisirten Regimenter gebildet worden, zu denen noch das 3. Fremdenregiment stieß , sodaß dasselbe insgesammt 51 Bataillone zählte. Vollzählig würde es 42000 Bajonnete aufgewiesen haben ; infolge der Detachirung des 152. Regiments , der Verluste auf dem Marsche , hier und da vorgekommener Krankheitsfälle und der Deſertionen war es jedoch nur 36000 Mann stark.2 Von der zahlreichen Artillerie, nämlich 96 Geschüßen, welche das Corps zu führen bestimmt, war es bereits mit einem guten Theile versehen, und ſollte es 3 dieselbe in wenigen Tagen vollständig bei sich haben. Jede von seinen Divisionen hatte ihre Geniecompagnie. Andererseits langte der Marschall Davout in Leipzig an mit den die 1. Division seines künftigen Armeecorps bildenden 16 Bataillonen, welche in Erfurt mit Hülfe der aus den Depots geschickten 1813er Conſcribirten und mit den Ueberresten der aus Rußland entronnenen Cadres formirt worden. Zu gleicher Zeit war derMarschall Victor auf dem Marsche gegen die untere Saale begriffen mit den 12 Bataillonen, welche die 1. Division ſeines künftigen Armeecorps zu bilden bestimmt waren und die gleich denen von Davout ebenfalls in Erfurt und aus denselben

¹ Operationsjournal des Obſervationscorps der Elbe unter dem General Lauriston. (Aus dem Archiv des Dépot de la guerre in Paris.) 2 Diese Bataillone waren im allgemeinen mit dem vorgeschriebenen vollen Stande von 846 Mann, incl. Offiziere, aus Frankreich abmarſchirt, an der Elbe hatten ſie indeſſen durchschnittlich nur noch 750 Mann. 3 Am 22. März hatte das Corps Lauriston's ſeine ganze Artillerie bei sich. (Operationsjournal des Obſervationscorps der Elbe unter General Lauriston.)

Eugen's Streitkräfte im März 1813.

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Elementen organisirt worden ; Davout hatte also 12000 und Victor 9000 Mann , denn ihre Bataillone besaßen nur eine Stärke von 750 Mann, nachdem die Strapazen des Marsches und die Deſertion ihre Reihen etwas gelichtet. Endlich hatten die beiden Cavaleriecorps welche Napo1 leon in der weiter oben geschilderten Weise mit den aus Rußland zurückgekommenen Reitern und einer gewiſſen Anzahl Rekruten in Hannover und Braunschweig organisiren ließ bereits nach Magdeburg geschickt werden können, das eine 1600, das andere 1800 Reiter stark. Das erste dieser beiden Corps stand unter des Generals Latour-Maubourg, das andere unter des Generals Sebaſtiani Befehlen. Mit allen diesen Verstärkungen würden Eugen's Streitkräfte auf 90000 Mann, worunter beinahe 5000 Reiter, geſtiegen ſein, die nach Meißen verlegte kleine bairische Division Rechberg und die in Dresden vereinigten Reſte des Reynier'ſchen Corps nicht mitgerechnet. Nimmt man selbst den hinlänglich zulässigen Fall an , daß Eugen die jungen Soldaten Davout's und Victor's an der Elbe und in Magdeburg einige Zeit ausruhen. lassen wollte, so sieht man doch, daß er, wenn er bei Berlin oder noch besser an der Oder stehen blieb, dort rasch, wie wir oben behauptet , 75000 Combattanten , worunter 60000 und noch mehr Infanteristen, hätte zusammenziehen können, während ihm anfangs nur Wittgenstein mit seinen 12000 Mann regulärer Truppen und seinen Kosacken gegenüberstand , wozu später, wenn von seiten Preußens die Kriegserklärung erging , noch York, Bülow und Borstell kamen. So wäre es ihm verſtattet gewesen, den von den Alliirten durch die Theilung ihrer Streitkräfte begangenen Fehler in ausgedehntem Maße sich zu Nuße zu machen. Doch verstand Eugen eine derartige Kriegführung nicht. Er hatte sich vielmehr entschieden, nur die Elbe zu vertheidigen, und traf zu diesem Zwecke Anstalten , welche nicht zu Gunsten seiner Befähigung zeugen.

An Morand ertheilte Eugen den Befehl zum Rückzuge nach

1 S. Sechstes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

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Hamburg . Lauriston trug er auf, zwei seiner Diviſionen in Magdeburg zu belassen und von den beiden übrigen die eine etliche Lieues unterhalb , die andere etwas oberhalb jener be deutenden Festung aufzustellen , sie sämmtlich aber auf dem linken Elbufer zu behalten. Sebaftiani's Reiterei wies er Lauriston zu. Grenier, welchem er momentan die Division Gérard entzog und dagegen Latour-Maubourg's Reiterei zutheilte , ſollte bei Wittenberg stehen bleiben, indem er links mit Lauriston, rechts aber mit Torgau in Verbindung stand , einer wie Wittenberg damals sächsischen Festung, in welcher alle sächsischen Rekruten zusammengezogen wurden. Die Baiern unter Rechberg sollten in Meißen zur Bewachung der dasigen Elbbrücke stehen bleiben. Gérard wurde nach Dresden dirigirt, um hier Reynier zu verstärken. Die Garde endlich rückte nach Leipzig . Am 9. März verlegte Eugen sein Hauptquartier gleichfalls nach dieser Stadt, um, wie er Napoleon schrieb ,,,mit Magdeburg , Wittenberg " 1 In Leipzig und Dresden besser beſſer in Verbindung zu sein." traf er nach einer Conferenz mit Davout noch weitere Dispositionen . Er befahl nämlich dem eben genannten Marschall , sofort nach Dresden abzugehen , indem er ihm das Commando der Elblinie vom Erzgebirge bis Torgau übertrug. Von den 16 Bataillonen, welche die 1. Division von Davout's Armeecorps bildeten, mußten 6 derselben ihrem Führer an den Ort seiner neuen Bestimmung nachfolgen, während die 10 andern Bataillone von Eugen mit der Weisung auf Bernburg und Magdeburg ſtradirt wurden , sich dort mit den daſelbſt anlangenden 12 Bataillonen von Victor's 1. Diviſion zu vereinigen und provisorisch unter dessen Commando zu treten. Man sieht alſo, wie Eugen die untere Elbe vernachläffigte, und dagegen deren mittlern und obern Lauf vertheidigen wollte.

1 Schreiben Eugen's an Napoleon, Wittenberg, 7. März.

Napoleon's Instructionen an Eugen.

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zur Durchführung deſſen wußte er nichts Beſſeres , als seine Truppen dieſſeit jenes Fluſſes aufzustellen und ſie hier zu zerstreuen, ähnlich wie bei dem sich selbst richtenden Cordonſyſteme, wo man überall etwas stehen hat, aber nirgends stark ist. Doch beharrte er nicht lange bei seinem Fehler , denn Napoleon's Tadel und Instructionen sowie die Ereignisse sollten ihn daran hindern. Napoleon hatte Eugen bekanntlich von Paris aus harte Vorwürfe darüber gemacht, daß derselbe in so überſtürzter Weise ohne Schwertstreich die Oder aufgegeben. Kurz darauf ertheilte er ihm den Befehl, sich so lange wie möglich in Preußen, beziehentlich in Berlin , zu halten und dabei im Nothfalle auch ein Schreckens- und Verheerungsregiment in Anwendung zu bringen. Bei der geringsten feindseligen Begegnung seitens einer preußischen Stadt oder eines Dorfes ", schrieb er mit einer wahren Wildheit, „ laſſen Sie daſſelbe niederbrennen, und wäre es selbst Berlin." 1 Gleichzeitig hatte er Eugen angewiesen, für den Fall eines unbedingt nothwendigen Rückzuges sich auf Magdeburg zu repliiren, und den größten Theil seiner Streitkräfte 2-3 Lieues vorwärts von dieser bedeutenden Festung in einem , wenn nöthig , durch einige Verschanzungen gedeckten Lager zu vereinigen ; seine Linke sollte er diesseit der Elbe zwischen Magdeburg und Hamburg aufstellen , Dresden und dem obern Laufe des erwähnten Flusses nur eine unterge= ordnete Bedeutung geben, dagegen Wesel als seine Operationsbasis betrachten und vor allem bedacht sein auf die Vertheidigung des Königreichs Westfalen und der 32. Militärdivision, das heißt der Departements der obern Ems , der Weser- und Elbemündung. Auf Magdeburg gestüßt", schrieb Napoleon an Eugen,,,meine ich, brauchen Sie keine Besorgniß wegen Ihrer Umgehung zu haben, da Sie sich á cheval eines so bedeutenden Flusses befinden. Wofern der Feind keine bedeutendere Stärke als 100000 Mann entwickelt , glaube ich nicht , daß er Sie zum Aufgeben von Magdeburg nöthigen könne."

1 Schreiben vom 5. März.

Der Wirk-

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Neuntes Kapitel.

lichkeit etwas vorgreifend, wies er Eugen darauf hin, wie die Armee, welche ihn in seiner Rechten umgehen wollte, jedenfalls davon abgehalten werden würde durch die Besorgniß , seitens des von Frankfurt auf Aschaffenburg ſich ſammelnden 1. RheinObservationscorps in ihrer Linken selbst umgangen zu werden. Indem er dann, aber als schwerlich zu erwarten, annahm, daß Eugen zum Aufgeben der Elbe gezwungen werden könnte , ertheilte er ihm die Weiſung , in diesem Falle eine sehr starke Beſaßung in Magdeburg zu belaſſen und sich in den Harz zurückzuziehen, womit er Kaſſel wie Hannover deckte, und zugleich immer Wesel zu seiner Operationsbaſis behielt. ¹ Napoleon hatte auch nicht einen Augenblick bezweifelt, daß diese Instructionen Eugen noch bei Berlin antreffen und daß ſie überhaupt nicht zur Ausführung gelangen würden. Aber kaum waren dieselben abgegangen , als eben von Eugen Depeschen einliefen , welche ihm sowol die Räumung von Berlin als auch den Rückzug auf Wittenberg meldeten . Dies ver mehrte nur Napoleon's Unzufriedenheit, und er machte sich in bittern, sarkaſtiſchen Worten Luft. Ich begreife nicht,“ ſchrieb er an Eugen,,,was Sie zum Aufgeben von Berlin nöthigte. Ihre Bewegungen sind so schnell, daß Sie die Ihnen bezeichnete Richtung (nämlich auf Magdeburg) nicht haben einhalten können. Man muß endlich anfangen, Krieg zu führen. . . . Unſere militärischen Operationen sind der Gegenstand des Gespöttes unserer Alliirten in Wien wie unserer Feinde in London und St.-Petersburg, weil die Armee beſtändig bei der Annäherung leichter Truppen und auf bloße Gerüchte hin , acht Tage früher, bevor die feindliche Infanterie anlangt , fich davonmacht. Es ist Zeit , daß Sie sich militärisch bewegen und handeln."2 Neben diesen verdienten Verweisen beschwerte ſich Napoleon sehr eindringlich über die Bedeutungslosigkeit und das Nichtssagende in Eugen's Correspondenz, wie auch in den Berichten von dessen Generalstabe. Er wiederholte, unter gleich

1 Schreiben Napoleon's an Eugen vom 5., 6. und 7. März. 2 Schreiben Napoleon's an Eugen vem 9. und 11. März.

Vertheidigung der untern Elbe.

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zeitiger Erläuterung, ſeine frühern Inſtructionen hinsichtlich der unbedingten Nothwendigkeit zum Beziehen der erwähnten Stellung vorwärts von Magdeburg, ferner in welcher Art dies zu geschehen und welche Vortheile dieselbe bot. Eine von Napoleon's Depeschen an Eugen schloß mit folgenden Worten : „ Dort muß man ſtehen. . . . Wenn Sie die von mir Ihnen vorgezeichneten Plane genau befolgen , wenn Sie (von dort) nach allen Richtungen Avantgarden vorgehen lassen, so werden Sie den Feind immer alert halten und damit die Ihnen zukommende Stellung wiedereinnehmen ; an Ihnen ist es , allerorten Alarm zu machen." In einer andern Depesche sagte Napoleon noch: Was ich vor allem als das Wichtigste betrachte, ist die untere Elbe."2

Die untere Elbe vertheidigen und zwar sie hartnäckig halten, war in Wirklichkeit das Mittel, um das Losbrechen des Patriotismus und des Hasses zu verhindern , der im Schose jener norddeutschen Volksstämme wallte , welche theils durch Eroberung unter Jérôme Bonaparte's verabscheutes Scepter gebeugt, theils durch eins der in Napoleon's Leben so gewöhnlichen Verbrechen gegen das Völkerrecht zu Franzosen gemacht worden waren. Und wenn einer solchen Erhebung nicht vorgegriffen wurde, wo durfte dieselbe dann halt machen ? An das deutsche Land grenzte Holland , gleichfalls wie jenes das Opfer eines Attentats gegen das Völkerrecht und ebenso seiner Knechtschaft müde; und neben legterm lag wieder das durch die Ausschreitungen der Gewaltherrschaft Frankreich abgeneigte Belgien! ,,Mit dem Rückzuge auf Wittenberg und wenn Sie die Operationslinie auf Mainz verlegen“, schrieb Napoleon an Eugen, stellen Sie nicht allein die 32. Militärdiviſion bloß , ſondern auch Holland nnd mein Schelde- Geschwader." Was zu vertheidigen für ihn am wichtigsten war , begriff er besser, als seine Feinde ihrerseits erkannten , wohin sie mit allen Kräften ihren Angriff zu richten gehabt hätten. Ich würde es vorziehen“,

I Schreiben Napoleon's an Eugen vom 11. März. 2 Schreiben vom 13. März .

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Neuntes Kapitel.

sagte er,,,den Feind eher in Leipzig, Erfurt und Gotha, als in Hannover und Bremen zu sehen." 1 Durchdrungen von diesen Ideen, welche vom rein militäriſchen Standpunkte aus sehr richtig , und es auch nicht weniger von demjenigen seiner selbstsüchtigen und Frankreich so verderb lichen, ehrgeizigen Politik aus waren , empfing Napoleon , wie leicht zu begreifen , mit lebhaftem Misfallen und wachsender Unruhe den Bericht, durch welchen ihm Eugen seine und ſeines Hauptquartier's Ankunft in Leipzig, wie auch die von ihm zur Vertheidigung der Elbe getroffenen sonderbaren Maßregeln anzeigte. Er schrieb daher sogleich und ohne die Wiederholung sich verdrießen zu laſſen, ſeinem jungen Feldherrn , daß dieſer das Gros seiner Streitkräfte unbedingt vorwärts von Magdeburg aufstellen müsse ; er wies ihn auf das Fehlerhafte und Lächerliche des von ihm zur Vertheidigung der Elbe eingeschlagenen Systems hin, ſeßte ihm in kurzen und klaren Zügen die eigentlichen Principien der Vertheidigung von Flüſſen auseinander 2, wandte dieselben auf die Defenfion der Elbe an, und indem er die dem Genannten zur Verfügung stehenden Mittel berechnete, schloß er damit, ſelbſt ſozusagen die Truppen Bataillon für Bataillon in dem zu beseßenden Terrain auf3 zustellen. Nachdem Eugen so getadelt , verwiesen , belehrt und ihm derart zugesetzt worden, blieb ihm eben nichts weiter übrig , als dem von Napoleon genau vorgezeichneten Leitfaden Folge zu geben. Das war und sollte ihm leicht werden , dank der Schwäche des ruſſiſchen Heeres , dank dem Hinausſchieben von

1 Schreiben an Eugen, vom 15. März. 2 Bei dieser Erläuterung schrieb Napoleon unter andern nicht minder vorzüglichen Sachen : „ Nichts iſt gefährlicher , als einen Fluß durch die Besetzung des (dem Feinde) entgegengesetzten Users vertheidigen zu wollen , denn hat der Gegner einmal den Uebergang ermöglicht und er wird selben immer zu Stande bringen so findet er die Armee in einer sehr ausgedehnten Defensivaufstellung und hindert ſie an ihrer Concentrirung." 3 Schreiben Napoleon's an Eugen, vom 15. März.

Davout in Dresden.

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Preußens Kriegserklärung und dem urfalschen Operationsplan, welcher zu Kalisch in Aussicht auf den Moment angenommen worden, wo die preußische Armee auf dem Kriegsschauplaze auftreten würde.. Davout war indessen, Eugen's ersten Befehlen gemäß, auf Dresden marschirt. Als er Meißen passirte, ließ er die dortige Brücke abbrennen und befahl die Zerstörung der auf der Elbe befindlichen Mühlen , Kähne und Fähren. Rechberg's Baiern waren unter dem Wüthen des Typhus bis auf 1400 Mann Infanterie und 200 Reiter zuſammengeschmolzen, abgesehen von einer schwachen Anzahl nicht eingetheilter Offiziere und Unteroffiziere.¹ Die erwähnten 200 Reiter dirigirte Davout nach Dresden, während er Rechberg's Infanterie die Bewachung des linken Elbufers übertrug, und zwar einerseits bis halbwegs von Meißen nach Dresden, andererseits bis unterhalb Strehla. Von dem lettgenannten Punkte aus sollte der bairische General mit den in der Festung Torgau befindlichen Sachsen in Verbindung treten, welche Davout zur Mitwirkung bei der Behauptung des in Rede stehenden Fluſſes aufforderte. Als der genannte Marschall am 13. März in der sächsischen Hauptſtadt ankam, fand er hier Reynier, welcher mit Vertheidigungsanſtalten beDer König von Sachsen war jedoch nicht schäftigt war. mehr in Dresden. -- ein alt gewordener und altersschwacher Friedrich August -

Despot, dabei verzagt, beschränkt, pedantiſch und ſehr glücklich, wenn er dem Waffenlärme und der Gefahr aus dem Wege gehen konnte - gerieth plötzlich in Schrecken , daß er seine Hände voll von der Preußen entriſſenen Beute sah; noch mehr wurde er aber durch die begeisterte Erhebung des eben genannten Landes und durch dessen Rüstungen beängstigt, während er sich außerdem auch durch die Haltung seiner eigenen, mit ihm unzufriedenen und gegen Napoleon erbitterten Unterthanen sehr beunruhigt fühlte.2

Beim ersten Gerüchte vom Erscheinen

¹ Diese kleine Division schickte täglich 40-50 Mann ins Spital. (S. bei Völderndorff und Waradein, „ Kriegsgeschichte von Bayern 2c.“) 2 ,,Die unglücklichen Verhältnisse der leztvergangenen Jahre hatten 23 Charras , 1813.

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Neuntes Kapitel.

der Kosacken Wingingerode's in der Lausitz schickte daher Friedrich Auguſt ſeine Archive und Schäße, ja selbst die Gemälde seines reichhaltigen Museums nach der Festung Königſtein, und verließ am 25. Febr. Dresden , um sich mit seiner Familic, dem Hofe und seinen Miniſtern, unter der Escorte einer kleinen Infanterieabtheilung, an die südwestliche Grenze Sachsens nach Plauen zu begeben. Kaum hier angekommen , berief er noch seine beiden Gardekürassierregimenter und sechs Escadronen leichter Reiterei zu sich, das heißt überhaupt alles, was ihm an Cavalerie verblieb außer der beim Reynier'schen Corps eingetheilten. Alle Ideen Friedrich August's waren verrückt und zu Schanden geworden. Er hatte Napoleon für unüberwindlich gehalten und doch hatte dieser mehr noch als eine Niederlage, eine Katastrophe ohne gleichen erfahren. Er war des Glaubens gewesen, ihn mit einer neuen Armee bald an der Elbe und der Weichsel wieder erscheinen zu sehen , und doch rührte sich Napoleon nicht aus Paris . Er hatte Rußland ohnmächtig, Deutschland für immer unterjocht und bezwungen gewähnt, und jezt standen die Russen schon an der Oder und sollten dem nächst auch die Elbe erreichen, während die Preußen im Begriffe waren, sich mit jenen zu verbinden und vielleicht ganz Deutſchland zu dem von ihnen gegebenen Beiſpiele hinzureißen. Wozu sich entscheiden ? Was thun, was wird geschehen, wenn man, wie Friedrich August, einer der diensteifrigsten Vasallen des Eroberers und Zwingherrn geweſen, wenn man dieſem bereit willig das Blut und Geld seiner Unterthanen hingegeben, um den Königstitel und eine Besißvergrößerung zu erlangen? Nicht wissend, wozu er sich entschließen sollte , suchte Friedrich

die Gefühle erkalten gemacht , die sonst das sächsische Volk an seinen Monarchen banden, in welchem es nur noch das Werkzeug einer verhaßten Macht fah." „ Die (Polizei-) Berichte ließen in der Zeit des Februar 1813 die schon durch das Misgeschick und die Entmuthigung der franzöfifchen Truppen veranlaßte Gärung der Gemüther wahrnehmen. Das Volk und der Hof hielten nicht mehr an sich.“ (S. „ Mémoires du comté de Senfft".)

Der König von Sachsen.

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Auguſt demzufolge Zeit zu gewinnen und sich in die Lage zu sehen, den Gang der Ereignisse beobachten zu können. Er schenkte daher dem franzöſiſchen Geſandten kein Gehör, welcher ihn bat, ſeine Hauptstadt nicht zu verlassen , und falls er sie verließ, sich nach Frankfurt oder Mainz auf französisches Gebiet zu begeben. Aber ebenso schlug er auch eine Einladung des Kaiſers Franz, in Böhmen seine Zufluchtsstätte zu suchen , ab. An feine Unterthanen richtete er eine Proclamation , in welcher er versicherte, die seit sechs Jahren innegehaltene Politik weiter verfolgen und seinem ,,großen Alliirten“ treu bleiben zu wollen. Doch antwortete er nur in ausweichender Weise auf die Bitten dieses großen Alliirten", welcher ihn um die nach Plauen berufene Reiterei anging, welche Eugen so nöthig hätte brauchen können. Die Ueberreste des sächsischen Contingents ließ Friedrich August zwar bei Reynier , wartete aber nur auf eine Gelegenheit oder einen Vorwand , um dieselben dem genannten General zu entziehen. Er ging nicht auf die Rathschläge derjenigen seiner Minister ein, welche ihn für die Sache der deutschen Freiheit beſtimmen und Sachsen in Alexander's Lager drängen wollten. Andererseits ließ er aber in Torgau unter des Generals Thielmann Befehlen die Depots und Rekruten der sächsischen Armee zusammenziehen, und billigte es, daß der gedachte General an der Vertheidigung der Elbe keinen Antheil nahm und die Thore jener ihm anvertrauten Festung vor den französischen Truppen geſchloſſen hielt. Beinahe trat er der Idee einer demnächst gemeinschaftlich mit Desterreich zwischen den kriegführenden Theilen auszuübenden Intervention bei ; Napoleon gegenüber verschwieg er aber jene Unterhandlungen mit letterer Macht und erging sich gegen ihn vielmehr in Ergebenheitsbetheuerungen . Mit Einem Worte : auch er suchte sein Heil in der Doppelseitigkeit, ohne aber den edeln Freiheitsaufschwung , von dem Deutschland beseelt war , im Herzen zu tragen. Seine einzige Triebfeder, sein ausschließlicher Leitstern waren ein engherziges Fürstenintereſſe. Verlassen von seinem Monarchen, aufgeregt durch das Anrücken der Russen , durch die aus Königsberg , Berlin und Breslau kommenden Schriften und Berichte , wie auch durch 23*

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Neuntes Kapitel.

die Preußen bis in deſſen Innerstes durchziehende Bewegung trat gleichfalls bei dem sonst so friedseligen sächsischen Volke eine Gärung ein. Bei hellem Tage sollte es davon Zeugniß geben. Reynier hatte bald nach seiner Ankunft in Dresden den Befehl ertheilt, daß ein Pfeiler der die Alt- und Neustadt miteinander verbindenden Elbbrücke unterminirt werden solle. Es war dies eine Vertheidigungsmaßregel , welche in nichts gegen das Kriegsrecht verstieß, und würde dieselbe zu andern Zeiten, obwol fie bedauert worden, doch selbst kein Murren hervorge rufen haben. Kaum hatte man aber diese Arbeit in Angriff genommen, als ein Auflauf entstand. Den Mineuren wurden ihre Werkzeuge entrissen unter den Ausrufen : „ Es lebe Alexander! Es leben die Ruſſen ! Fort mit den Franzosen, den Bedrückern , aus Sachsen und Deutschland!“ Es fehlte wenig, so wäre der die Arbeit leitende franzöſiſche Offizier in die Elbe gestürzt worden. Die rasch und ungeheuer angewachſene tumultuirende Menge zog dann vor Reynier's Wohnung , warf die Fenster derselben mit Steinen ein und würde dieſe gewaltthätige Demonſtration jedenfalls noch weiter getrieben haben , wenn nicht die Bürgergarde und der General Lecoq an der Spike von sächsischen Truppen dazwischengetreten wären. Diese Truppenentfaltung , einige sofort vorgenommene Verhaftungen und die eindringlichen Ermahnungen Lecoq's, eines von seinen Mitbürgern sehr geachteten Offiziers, welcher Reynier's Rechtlichkeit und Humanität wie dessen väterliche Commandoführung über den sächsischen Soldaten ins Gedächtniß rief, machten dem Tumulte, wenn auch nicht der Volksaufregung, ein Ende. Die Bürgergarde war eigentlich gegen die franzöſiſche Herrschaft nicht weniger feindlich gestimmt als das Bolk; doch war sie Auch die Linientruppen theilten vernünftiger als letzteres. dieſe feindselige Gesinnung¹ , wurden aber sowol durch die

1 ,,Noch niederschlagender war die Aussicht auf die ungewiffe Zukunft des Vaterlandes, dem seine Beschüßer nicht den Frieden, sondern den Krieg mit zurückbrachten. Und vor dem allen trugen nicht sie (die sächsischen Truppen) die Schuld, sondern allein die unbesonnene

Stimmung in Sachsen.

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Disciplin als auch aus Achtung und Anhänglichkeit für Reynier in Schranken gehalten. Durften aber jene und diese bei ihrer Berührung mit der aufgeregten Menge in dieser Haltung be harren ? Man konnte daran zweifeln. Deffenungeachtet ließ Reynier die durch den Tumult unterbrochene Arbeit wieder aufnehmen; doch kam es zu keinen weitern Ruheſtörungen. Zu der Zeit, wo Davout in Dresden einrückte, war also die Sachlage folgende: Der König von Sachſen abwefend, an das äußerste Ende seines Königreiches geflüchtet und in eine doppelseitige Politik verwickelt ; die Bevölkerung seiner Hauptstadt aber voller Aufregung , nachdem sie gewissermaßen einen Aufstand gegen die Franzosen versucht, während die sächsischen Truppen zum Kämpfen an der Seite der leztern nichts weniger als günstig gestimmt waren. 1 Das fortwährend durch den Typhus gelichtete Corps Reynier's konnte nicht mehr als 17-1800 Sachsen und kaum 3000 Mann von der Division Durutte unter die Waffen ſtellen 2 ; die mit ihm gekommenen 3000 Polen bedurften noch Zeit und Mittel jeder Art , um verwendbar zu werden. Die Division Gérard und die 6 Bataillone von Davout's erster Division, welche in Dresden anlangten , zählten zusammen 12000 Mann. Der lettgenannte Marschall verfügte demnach

Eroberungslust des Mannes, der in seinen öffentlichen Nachrichten ihre Thaten nicht einmal einer Erwähnung würdig hielt , dem sie umſonſt ein mühseliges Jahr geopfert hatten. An die Stelle der Bewunderung trat in ihre Brust nun bitterer Unwille , und der Gedanke , daß ihre Heimat allen Drangſalen der Länder eines Kriegsschauplatzes ausgesetzt werden sollte , verwandelte ihren Zorn in Haß gegen Napoleon und gegen Alles, was französisch war.“ (S. ,,Erinnerungen aus dem Feldzuge des sächsischen Corps , unter dem General Grafen Reynier , im Jahre 1812“, aus den Papieren des Generallieutenants von Funk.) Der General Funk commandirte während des Feldzuges von 1812 eine Zeit lang die Cavalerie des Reynier'ſchen Corps. 1 Unterm 13. März schrieb Eugen an Napoleon : ,,Mehrere Corps der Armee und namentlich das siebente (Reynier) werden fortwährend von Krankheiten heimgesucht. Es ist ein bösartiges Nervenfieber. ... “ 2 S. ,,Die Feldzüge der Sachsen 2c.“

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mit Inbegriff der in Meißen und Strehla postirten Baiern über 20000 Mann, vorausgesetzt , daß die sächsischen Truppen treu blieben; follten bei letztern aber ihre patriotischen Gefühle gegen die französische Herrschaft zum Durchbruche kommen , so hatte Davout noch 18000 Mann bei der Hand . Vorläufig war dies mehr , als man zur Behauptung von Dresden und der Bewachung der obern Elbe bedurfte , wie es in Eugen's Plan lag; denn in dieser Gegend, wie auch gegen Wittenberg hin, waren von feindlicher Seite nur erſt Koſackenabtheilungen sichtbar geworden, welche, jedem Armeecorps weit voraus, das Land durchstreiften . Davout, welcher zu einem nachdrücklichen Widerſtande entschlossen war, sette die von Reynier begonnenen Vertheidigungsanstalten fort, wobei die alte Umwallung von Dresden zustatten kam ; namentlich ließ er auch die zur Sprengung eines Pfeilers der Elbbrücke bestimmte Mine vollenden. Vergeblich hatte er bereits den General Thielmann aufgefordert, zur Vertheidigung der Elbe auf und abwärts von Torgau mit beitragen zu hel fen; er wiederholte dieses Verlangen , doch ohne mehr Erfolg. Der in jener Festung sich einschließende sächsische General, wel cher dieselbe mit Recht einen im Werden begriffenen Plak nannte, weigerte sich, Truppen, Material und Munition herauszulassen. Einmal schrieb er, daß er unter seinen Befehlen nur Rekruten habe, welche für den Felddienst noch nicht verwendbar ; ein andermal wieder, daß er seine sämmtlichen Truppen zu den Arbeiten an den unvollendeten Befestigungen von Torgau brauche; noch ein andermal erklärte er, daß er, ohne die Sicher heit des Plates in Frage zu stellen, weder ein Geſchüß , noch 1 einen Pulverkarren abgeben könnte. In gleicher Weise antwortete Thielmann auch Eugen , welcher ihn mit den gleichen

1 Schreiben Thielemann's an Davout vom 11., 13. und 16. März. Man hatte nämlich einige Geschüße zur Armirung von Wittenberg herausziehen wollen. Eugen schrieb betreffs deffen an Napoleon : ??Es ist nicht möglich gewesen , ein Geschütz aus Torgau herauszuziehen. Der Generalgouverneur dieser Stadt hat in der lezten Zeit einen ganz und gar ungewöhnlichen Ton angenommen." (Schreiben vom 24. März.)

Sprengung der dresdener Brücke.

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Aufforderungen wie Davout drängte. Man mußte also › die Vertheidigung der Elbe organisiren, ohne irgendwie auf Thielmann's Hülfe zu zählen, wobei man selbst leßterm, das heißt der sächsischen Regierung - welche zweifelsohne deſſen Verhalten guthieß - nicht trauen durfte. Davout hatte indeffen noch nicht die Zeit gehabt , alle seine Dispositionen treffen zu können, als ihm der Befehl zuging, mit den ihm nach Dresden gefolgten Truppen auf Magdeburg zu rücken. Eugen schickte sich nämlich an, Napoleon's oben erwähnte Befehle zur Ausführung zu bringen, und er ſelbſt ſtand im Begriff, Leipzig zu verläſſen, um ſein Hauptquartier nach Magdeburg zu verlegen. Am 19. März ließ Davout die fertige Mine an der Elbbrücke zünden und trat dann den befohlenen Marsch an . Eugen war es, der ihm jene Vertheidigungsmaßregel vorgeschrieben ¹, während die öffentliche Meinung lettere Davout zur Last legte. Die Explosion warf einen Pfeiler und zwei Bogen in die Elbe ; der Schaden war demnach nicht von großem Belang und sehr leicht auszubessern. Uebrigens war wir bleiben dabei stehen. die theilweise Zerstörung einer wenn auch noch so schönen Brücke auf das unbedingteste durch das Kriegsrecht begründet und stand durch die Umstände gerechtfertigt da. Deſſenungeachtet ward dadurch ein Sturm in allen Gemüthern vom Niemen bis zum Rhein hervorgerufen und eine wahrhafte Wuth gegen Davout erzeugt. Der König von Sachsen und sein Hof, welche doch gewöhnlich so behutsam und ängstlich, schrien laut auf. Davout wurde als Vandale und Barbar betrachtet und sein Name dem Fluche der civilisirten Welt preisgegeben. Deutschland hatte zwar ziemlich schwer wiegende und leider auch hinlänglich gerechtfertigte Gründe zum Ingrimm gegen dieſes unerbittliche Organ der Napoleonischen Gewaltherrschaft, um sich nicht betreffs dessen Persönlichkeit zu ungerechten Anschuldigungen hinreißen zu laſſen. Aber es war auf dem Punkte des Haſſes ange-

1 ,,Ich ertheile dem General Reynier den Befehl , für den Fall, daß er sich zurückzuziehen genöthigt ist, die dresdener Brücke sprengen zu laſſen.... " (Schreiben Eugen's an Napoleon , Leipzig, 17. März .)

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kommen, wo jede Handlung des Bedrückers, einzig weil sie von diesem ausgeht , für ein Verbrechen gilt. Dies ist deſſen erste Strafe und das sichere Anzeichen , daß der Tag herankommt, wo der Unterdrückte sich erheben und seiner Fesseln entledigen wird. Davout führte die Polen mit hinweg , welche nach dem Königreiche Westfalen rücken sollten , um sich hier unter des Generals Dombrowski Befehlen zu organisiren. Die Bewachung der obern Elbe überließ er Durutte. Reynier, mit seiner Unters ordnung unter den Marschall unzufrieden , hatte sich nämlich seit zwei bis drei Tagen krank gemeldet und war nach Frankreich abgereist , ohne bei jemand um die Genehmigung dazu eingekommen zu sein. In den Kreisen der hohen Generalität war die Disciplin nur noch ein bedeutungsloses Wort. Schon die Durutte zurückgelaſſenen Streitkräfte ſtanden zu seiner Aufgabe in einem sehr schlechten Verhältnisse , was sich binnen kurzem noch ungünſtiger gestalten sollte. Am 21. März erhielten nämlich die sächsischen Truppen von dem immer noch in Plauen weilenden König Friedrich Auguſt den Befehl , fich sofort von den Franzosen zu trennen, um nach Torgau zu rücken und unter das Commando des Generals Thielmann zu treten. Dieselben beeilten sich, dem Folge zu leisten. Diese Weisung wurde als eine Folge der Zerstörung der dresdener Brücke angesehen; eigentlich war aber Davout's Handlung nur ein von Friedrich August ergriffener Vorwand , um sich von seinen militärischen Verpflichtungen gegen Napoleon loszumachen und der von Desterreich beabsichtigten Intervention näher zu treten. Uebrigens hätte dies für Durutte zu keiner ungelegenern Zeit kommen können. Denn in dem Moment, wo die sächsischen

1 Unterm 27. März schrieb Eugen an Napoleon : „ Ich unterbreite Ew. Majestät das Schreiben des Generals Reynier, mit welchem er mir ganz einfach seine Abreise von der Armee meldet." In einem andern Schreiben an Napoleon äußerte Eugen noch in dieser Beziehung : „ Es ist unbegreiflich, wie es sich ein General erlauben kann, unter solchen Umständen die Armee ohne Genehmigung zu verlaffen."

Durutte räumt Dresden.

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Truppen Dresden verließen , erhielt man hier von Preußens Kriegserklärung gegen Frankreich Kenntniß. Die auf dem rechten Elbufer vorgeschobenen Recognoſcirungen stießen nicht mehr blos auf Kosacken , sondern auch auf mit Artillerie ver sehene reguläre Reiterei, und berichteten, daß diese Cavalerie zum Winzingerode'schen Corps , der Avantgarde Blücher's, gehörte. Auf diese Nachricht hin durfte Durutte nicht mehr daran denken, sich in Dresden zu behaupten und die Elbe zu halten. Er nahm daher einen ihm von den Ruſſen angebotenen Waffenstillstand sofort an, und beschleunigte die Entfernung derjenigen seiner zahlreichen Kranken , welche transportfähig waren. Der Waffenstillstand überlieferte am 22. mittags den Ruffen die Neustadt , erstreckte sich bis auf 2 Lieues oberhalb und ebenso weit unterhalb von Dresden, und konnte nach vorhergegangener wenigstens zwölfftündiger Kündigung abgebrochen werden. Lehteres geschah seitens der Ruffen am 24. Abends . Durutte ließ sofort den Baiern unter Rechberg den Befehl zugehen, etwas rückwärts von Dresden sich mit ihm zu vereinigen. Auf die Nachricht , daß starke feindliche Reiterabtheilungen die Elbe in seiner Rechten bei Pirna und in seiner Linken bei Merschwitz überschritten hatten, räumte er Dresden am 26. März mit Einbruch der Nacht. In Wilsdruf traf er mit den Baiern zusammen, welche sich ihm anschlossen. Indem er dann die für Cavalerie so günstigen großen Ebenen umging, welche sich gegen Leipzig und darüber hinaus erstrecken , nahm er seinen Marsch über Altenburg nach der Saale, welche er am 2. April in Jena passirte, wo die Verfolgung der Kosacken aufhörte, welche seinen Rückzug , ohne ihm aber weiter empfindliche Verluste zu verursachen , belästigt hatten. Von hier rückte er weiter auf Sandersleben und erreichte so die Ostseite des Fußes vom Harze, wo er sich, den ihm zugegangenen Befehlen gemäß , unmittelbar mit Eugen in Verbindung sehen sollte. Es verblieben ihm nicht 3000 Mann, die Baiern mitinbegriffen, welche nicht mehr als 1000 Köpfe zählten. * Eugen verließ am 20. März Leipzig, indem er die hier be: findlichen Truppen auf Magdeburg abrücken ließ , ferner auch Grenier, Latour-Maubourg und, wie wir gesehen, Davout nach

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der genannten Festung berief, während er sich andererseits von der Gardecavalerie trennte, die er auf Napoleon's Befehl nach Fulda schicken mußte. Am nächsten Tage schlug er ſein Hauptquartier in Magdeburg auf, und schickte sich endlich an , mit dem Gros seiner Truppen am rechten Elbufer das große Lager und die offensive Stellung zu beziehen , welche Napoleon von ihm eingenommen zu sehen in so gebieterischer Weise verlangt hatte , und womit er hauptsächlich das Königreich Westfalen und die 32. Militärdivision decken sollte. Wie er aber erfuhr, hatten die von ihm begangenen Fehler bereits schwere Folgen gehabt und äußerten sich noch in solchen. Bevor Wittgenstein mit dem Gros seiner Truppen Berlin erreichte, hatte er von Eugen's Rückzug nach Wittenberg und hinter die Elbe Kunde erhalten. Ermuntert durch seines Gegners Zaghaftigkeit, durch die Begeisterung des von ihm durchschrittenen Landes, durch die fortwährend ankommenden Berichte und Emissare aus den Hansestädten , aus Hannover , Oldenburg, Westfalen, mit Einem Worte, aus den von Eugen in so unge, nahm es Wittgenschickter Weise preisgegebenen Ländern ſtein auf sich , dem Obersten Tettenborn (welcher von Berlin gegen Magdeburg vorging, während Tschernitschew und Benkendorf Eugen auf Wittenberg verfolgten) den Befehl zu ertheilen, rasch nach Hamburg zu rücken , wo das Erscheinen der russischen Fahne , allem Vermuthen nach , zu einer Erhebung den Ausschlag geben durfte . Tettenborn, ein geborener Badenser, war frühzeitig in österreichische Dienste getreten , welche er aber bei der Verbündung dieser Macht mit Napoleon verließ, um nach Rußland zu gehen und hier gegen den Bedrücker der Völker zu kämpfen. Noch jung, dabei geiſtig begabt , rührig und tapfer , hatte er sich bald in der russischen Armee einen Ruf als Parteigänger erworben , wodurch sein Name auch in Deutschland populär geworden war.

Von einem durch seine Popularität herbeige-

1 S. Bernhardi ,,,Denkwürdigkeiten aus dem Leben des kaiserl. russisch. Generals der Infanterie Grafen Toll".

Tettenborn's Zug nach Hamburg.

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zogenen Schwarm deutscher Patrioten umgeben und mit den geheimen Verbindungen affiliirt , war er für das ihm von Wittgenstein übertragene Unternehmen sehr geeignet. Nach einem raschen Marsche erreichte er am 14. März Ludwigslust , die Residenz des Herzogs von Mecklenburg - Schwerin. Hier gab ihm der leztgenannte Fürst sogleich die Erklärung, sich unverzüglich vom Rheinbunde trennen zu wollen , um sich Rußland und Preußen anzuschließen , und ferner versprach er, so schnell als möglich ein Infanterieregiment , das sein in Rußland zu Grunde gegangenes einziges Regiment ersehen sollte , sowie außerdem noch ein besonderes Corps zu errichten, das zur Aufnahme junger Mecklenburger beſtimmt, welche mit lauter Stimme darum baten, das von der preußischen Jugend gegebene Beiſpiel nachahmen zu dürfen¹ ; dieſe beiden zu errichtenden Truppentheile sollten dann zu den alliirten Armeen stoßen. Eine gleiche Zusicherung erhielt Tettenborn am selben Tage auch seitens des kleinen Herzogs von Mecklenburg - Strelit. Von der gesammten Bevölkerung jubelnd begrüßt und gefeiert, ſeßte er am nächsten Tag seinen Marsch auf Hamburg fort. Diese Stadt, der Sit der 32. Militärdiviſion, war damals ſich ſelbſt überlaſſen. Am 24. Febr. war dort ein Volksaufruhr zum Ausbruche gekommen, welcher durch das brutale Betragen eines Zollwächters hervorgerufen worden. Die zwar der Waffen ermangelnde, aber sehr erhihte und zahlreiche Menge mishandelte Soldaten, Zollwächter, Steuerbeamte und Polizisten, der Maire wurde von ihr verfolgt und in die Flucht getrieben, der kaiserliche Adler überall heruntergerissen , die Zollstätten in Brand gesteckt, die Wachtlocale und das Haus des Polizeicommiſſars, eines mit Recht allgemein verhaßten Hamburgers , demolirt. Nach diesen Gewaltthätigkeiten, die nur eine schwache Wiedervergeltung gegen das Tyrannenregiment waren und mehrern unter den Kugeln der Zollwächter gefallenen Bürgern das

¹ Unterm 17. März richteten sämmtliche Studenten der Universität Rostock ein schriftliches Gesuch an den Herzog von Mecklenburg`und baten um die Einreihung in ein Freiwilligencorps .

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Leben gekostet, zerstreute sich die Menge von selbst wieder. Die Freiwillige Bildung einer Bürgerwehr und die Anwesenheit einer kleinen dänischen Cavalerieabtheilung, welche auf Ansuchen des Generals Carra St.- Chr aus Altona herbeigekommen , verhinderten die Erneuerung jeder gegen das kaiserliche Regiment feindseligen Kundgebung. Der eben genannte französische General verfügte damals in Hamburg nur über 3 Infanteriecompagnien , welche er gegen den Aufstand nicht auf das Spiel hatte sehen wollen. Aber kaum war es wieder ruhig geworden , so zog er die minder entfernten Gensdarmen und Zollwächter heran , wie auch 2 Bataillone vom 152. Linieninfanterie - Regiment¹ , von denen das eine zur Bewachung der Elbe unterhalb von Hamburg, das andere aber an der Trave bei Lübeck gestanden. Carra St.-Chr hatte damit 1800 Mann beieinander. Um der Bevölkerung Schrecken einzujagen , ließ er sechs der Theilnahme am Aufruhre beschuldigte Bürger verhaften, durch eine Militärcommiſſion ſummariſch aburtheilen und erschießen. Doch verfehlte dieſes blutige Strafgericht vollkommen ſeinen Zweck; denn weit entfernt, Schrecken einzuflößen , rief es vielmehr Erbitterung hervor. Carra St.-Chr ſah wohl ein, daß er hinfort ebenſo die von ihm mit Waffen betheilte Bürgerwehr als das Volk selbst zu fürchten hatte , und da er sich nicht mehr für stark genug hielt, eine zu jeder Stunde zum Aufstande bereite Stadt von 100000 Einwohnern im Zaume halten zu können, räumte er unter Mitnahme der französischen Behörden am 12. März Hamburg, um sich auf Bremen zurückzuziehen. Als der bereits in Boizenburg angelangte Tettenborn da von Kenntniß erhielt, glaubte er keinen einzigen Franzosen mehr auf dem rechten Elbufer anzutreffen. Da ging ihm die Meldung zu, daß der aus Schwediſch-Pommern kommende General Morand²

1 Dieses Regiment gehörte zu Lauriſton's Corps. 2 Die meisten deutschen Geschichtschreiber halten mit Unrecht dieſen General für den rühmlich bekannten gleichnamigen Divisionär , welcher mit Gudin und Friant so viel zum militärischen Rufe des Marschalls Davout beigetragen.

Rückzug des Generals Morand nach der Elbe.

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in Mölln eingetroffen wäre und nach Hamburg zu rücken beabfichtigte. Kühn und rasch wendete sich Tettenborn gegen jenen ; doch sollte sein Weg durch einen nichts weniger als vorausgesehenen Zwischenfall eine Abkürzung erfahren. Morand war von Eugen - der denselben, anstatt ihn nach der Elbmündung zu dirigiren, zu sich hätte heranziehen sollen zu spät aus Schwedisch- Pommern zurückgerufen worden und hatte deshalb erst am 9. März von Stralsund abrücken können. Nachdem er sehr schnell marſchirt und dies auch noch that, wendete er sich von Mölln gegen Hamburg, entschlossen, daſſelbe zu besetzen trok der dort herrschenden Gärung und ungeachtet des Abzuges von Carra St.-Chr auf Bremen. Da ging ihm, 5-6 Lieues von jener großen Hansestadt, seitens des im Auftrage seines Monarchen handelnden dänischen Generallieutenants Ewald die Anzeige zu , daß dieser sich jedem Einrücken von französischen Truppen in Hamburg mit Gewalt widerſehen würde. Der König von Dänemark suchte bekanntlich damals unter gewiſſen Bedingungen mit der Coalition zu unterhandeln, weshalb alle seine kürzlich an Ewald erflossenen Inſtructionen, welche von den frühern so verschieden, den Zweck hatten , den allirten Monarchen entgegenzukommen , und um zweifelsohne auch eintretendenfalls Ansprüche auf Hamburg zu erheben. Ewald stand mit 5-6000 Mann an der Hamburg berührenden äußersten holsteiniſchen Grenze; Morand hatte dagegen nur 2500-3000. Letterer konnte also nicht daran denken, dem Widerstande des dänischen Generals Troß zu bieten, um mitten unter eine feindlich gesinnte und tief aufgeregte Bevölkerung einzubringen zu suchen. Er marschirte daher sofort nach links ab und rückte auf Bergedorf, was er in 2 - -3 Stunden erreichte.

Das war am 16. März.

Am nächſten

Tage beabsichtigte er 2 Lieues von dort beim Zollenspieker auf Kähnen die Elbe zu passiren . Ohne es zu wissen, war er also Tettenborn zuvorgekommen . Doch kaum hatte er sein Bivuak bezogen , als er auch schon von jenem Kosackenführer beunruhigt wurde. Dieser Tag verlief indeſſen nur unter resultatløsen Scharmüzeleien. Als jedoch Morand am 17. nach dem Zollenspieker marſchirte, machten sich die Kosacken zu ſeiner

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·Verfolgung auf, drängten, von einigen zum Gewehr greifenden Landesbewohnern unterſtüßt , lebhaft dessen Arrièregarde , und zwangen ihn schließlich, sechs Geschütze am diesseitigen Ufer der Elbe zurückzulassen. Nachdem Morand einmal über den Fluß hinüber , ſezte Tettenborn, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern, seinen Marsch nach Hamburg fort und zog am 18. März hier ein. Auf ſeine Veranlaſſung hatte dieſe alte Handelsmetropole Deutſchlands am Tage vorher ihren frühern Senat wieder eingeſeßt, ihre Fahne wieder aufgezogen und ihre Unabhängigkeit proclamirt. Von ſeinem frühern Wohlstande heruntergekommen, ſeit der Continentalsperre ruinirt , seines Nationalcharakters beraubt und dem franzöſiſchen Reiche einverleibt , den unendlichen Härten einer beunruhigten , gierigen und oft grausamen Gewaltherrſchaft unterworfen gewesen - empfing Hamburg Tettenborn und dessen Kosacken mit dem tausend- und aber tausendfachen Rufe: ,,Vivat Alexander ! Es lebe unser Befreier!" Es gab sich Ergüssen der Freude und des Enthusiasmus hin , welche auch die übertriebenſte Sprache nicht zu schildern vermag . ,, Solange Hamburgs Wälle stehen “ , heißt es in einer Zeitung ¹ , welche gleich erſterm durch die Koſacken wieder frei geworden, „ iſt ſolch’ ein Tag der Freude nicht erlebt worden." So wie Hamburg durch die gleichen Rachegefühle und den ſelben Patriosmus hingeriſſen , pflanzten alsbald auch Lübeck, Lüneburg , Harburg , Buxtehude , Stade und fast das ganze Niederland zwischen der Elbe und Weser die Fahne der Unabhängigkeit auf, ſeßten die alten Beamten wieder ein und errichteten provisorische Behörden. Unter einstimmigen Freudenrufen , unter nicht enden wollender Hurrahs auf den Kaiſer Alexander und die Ruſſen als „ Deutschlands Befreier“ wurden die Zollwächter, Gensdarmen, Steuerbeamten verjagt und mishandelt, die Embleme

1 Es war die Staats- und Gelehrte Zeitung des Hams burgischen unpartheiischen Correspondenten. Seit Hamburgs Einverleibung in das französische Reich hatte diese Zeitung immer deutſch und franzöſiſch erſcheinen müſſen. Vom 12. März wurde sie wieder nur in deutscher Sprache ausgegeben.

Aufstand zwischen der Elbe und Weser.

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der kaiserlichen Herrschaft verbrannt und ins Wasser geworfen. Der Aufstand dehnte sich bis nach Oldenburg aus. Am 20. März ertönte die Sturmglocke selbst an den Ufern der Ems. 1 Die Engländer , welche auf Helgoland standen und fortwährend Schiffe vor der Elb- und Wesermündung hatten, eilten auf das erste Signal herbei . Sie landeten mit einer kleinen Abtheilung in Curhaven und besetzten letteres , während ihre Handelsschiffe auf der Elbe bis Hamburg fuhren. Ebenso ſezten ſie am rechten Weſerufer bei Bremerlehe ein Detachement ans Land, wo die Kanoniere der in der Nähe liegenden Küstenbatterie, Leute von der 7. Cohorte und Landeskinder², gemeinschaftliche Sache mit ihnen machten. Ihrem Beispiele folgten, beim Anblicke der rothen Uniformen , auch die Kanoniere des am andern Ufer jenes Flusses gelegenen kleinen Forts Bleren. aufrichtig gesagt -- zu dieser Zeit Die Engländer konnten dem Aufstande nur unbedeutende Unterſtüßung zutheil werden laffen , denn Helgoland war in ebenso geringem Maße mit Soldaten als mit Waffen und Munition versehen. Doch kümmerte man sich darum wenig, da man auf die Ruſſen rechnete ; von allen Seiten wurde deren Eintreffen in großer Stärke angekündigt und überall zählte man darauf, fie jeden Augenblick erscheinen zu sehen. Umlängst noch frei und blühend, wie Hamburg und Lübeck, jezt aber, wie diese, von Napoleon geknechtet, ruinirt und entnationalisirt, wollte auch Bremen dem von jenen gegebenen Beispiele folgen und das Joch abschütteln , als nacheinander

1 ,,Die Sturmglocke läutet in vielen Gemeinden des benachbarten Departements (Ober-Ems). In dem an die Oſt-Ems angrenzenden Theile des Departements der Wesermündung kann der Aufſtand als vollkommen fertig betrachtet werden." (Schreiben des Präfecten der Oſt-Ems an den Gouverneur Lebrun, datirt Jever, 20. März. -- Aus den holländischen Archiven.) 2 Die 7. Cohorte rekrutirte sich ausschließlich in den Departements der Elbmündung, der Wesermündung und der Obern Ems. S. Anhang zum Decret vom 14. März 1812.

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Carra St.- Chr und Morand vor seinen Thoren anlangten. Beide hatten den Marsch von der Elbe bis hierher ohne weitere Unfälle zurückgelegt, wenn auch nicht ohne einige Dersertiouen erfahren zu haben. Carra St.-Chr hatte unterwegs die zwei andern Bataillone vom 152. Linieninfanterieregiment an sich gezogen. Die Anwesenheit dieser Generale imponirte , und so blieb Bremen ruhig. Nachdem Carra St.-Cyr derart mit Morand sich vereinigt und durch die nach der genannten Stadt sich zurückziehenden Zollwächter und Mariniers eine kleine Verstärkung erhalten, wollte er sich nicht nur auf die Niederhaltung von Bremen be schränken. In einem wuthschnaubenden Tagesbefehle sagte er zu ſeinen Soldaten, daß er sie von der Elbe zurückgeführt habe, um den Ausschreitungen von Rebellen- und Räuberbanden Einhalt zu thun. Am 23. März schickte er demzufolge zwei mobile Colonnen ab , jede 1200 Mann stark, und zwar die eine auf Bremerlehe, die andere nach Bleren. Als die erstere am 25. vor Bremerlehe ankam , stieß sie auf 15-1800 Landleute und Städter, welche , durch einen kleinen Fluß gedeckt, ihr den Zugang in jenes Städtchen streitig machen wollten, obwol ſie, bis auf hundert mit Gewehren Be waffnete, nur mit Heugabeln und Knüppeln versehen waren. Ihr Führer war ein engliſcher Lieutenant. Nach einstündigem Kampfe wurden sie von der erwähnten Colonne auseinandergesprengt, welche ihnen 150 Mann tödtete und 80 mit den Waffen in der Hand ergriffene Gefangene ohne Erbarmen niederschoß. Die Colonne drang in die Stadt ein, wo sie viele Häuſer plünderte , wendete sich dann gegen die Küstenbatterie, nahm fie und machte die selbe vertheidigenden englischen Soldaten und die Kanoniere nieder. ¹1

¹ Das ,,Journal du département des Bouches - du- Weser" be richtet bei der sehr kurzen Schilderung dieses Gefechts : ,,Die Resultate dieser Affaire sind : 19 Engländer und 1 Offizier getödtet, 14 Engländer und ihr Commandant gefangen , 150 Bauern getödtet , 80 erschossen, weil sie die Waffen getragen haben, 12 Küſtenkanoniere oder Deſerteurs von der 7. Cohorte, die im Fort gefunden wurden, erschossen.“

Französisches Strafgericht in Blegen.

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Am gleichen Tage erſchien die zweite Colonne um Mittag vor Bleren . Auf das Läuten der Sturmglocke hatten sich mehrere hundert Bauern in dem genannten Dorfe zuſammengethan, welche, obwol beinahe durchgängig ohne Feuerwaffen, dennoch dasselbe vertheidigen wollten. Beim Anrücken jener Colonne riß aber Verwirrung unter ihnen ein und nahmen ſie die Flucht. Die aufſtändischen Kanoniere, welche sich in das Fort zurückzogen , suchten hier Widerſtand zu leiſten. Doch fanden sie kaum Zeit , einige Kanonenschüsse abzufeuern. Das Fort ward von einer Compagnie Zollwächter escaladirt und eingenommen, gleich darauf aber der in Gefangenschaft gerathene Anführer der Kanoniere, ein Sergeant, auf das Glacis geführt und erschossen. Andererseits griffen die Truppen hier und da flüchtige Bauern auf. Bleren wurde geplündert und mit einer Kriegscontribution von 50000 Frs. belegt. Doch hatte damit das Strafgericht sein Ende noch nicht erreicht ! Man hatte über zwanzig Gefangene. Am nächsten Tage wurden lettere sämmtlich auf den Kirchhof geführt und zehn derselben , je zwei und zwei, erschossen angesichts der andern und auch der zur Bürgschaft für den Eingang der Contribution genommenen Geiſeln. Dann wurde der Rückmarsch nach Bremen angetreten , wobei man zwei jener unglücklichen Gefangenen beim Durchzuge in Ovelgönne, zwei andere ebenso in Oldenburg, weitere fünf aber bei der Ankunft in Bremen erschoß. Bei den fünf leßten ging jedoch der Execution ein kriegsgerichtliches Verfahren , eine Scheinjustiz, voraus. ¹ Dieselbe Colonne führte auch von

1 S. Dunze, Paſtor in Rablinghausen,,,Bremen unter französischer Gewaltherrschaft". Rücksichtlich der beiden Expeditionen nach Bremerlehe und Blexen sagt der Moniteur in seiner Nummer vom 4. April lakonisch: „ Die Anführer der Insurgenten auf diesen Punkten sind gefangen und erschossen worden." In derselben Sache schrieb Eugen , was mit der von seinen Biographen ihm nachgerühmten Milde in sonderbarem Contrast steht, wie folgt an Napoleon : „ Aus den Berichten des Generals Carra St. - Cyr werden Ew. Majestät mit Wohlgefallen ersehen, daß man an einem Theile. 24 Charras , 1813.

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Oldenburg zwei angesehene und allgemein geachtete Männer, v. Finkh und v. Berger , als Gefangene mit nach Bremen zurück. Durch eine andere Militärcommission als Rebellen ver urtheilt , fielen beide wenige Tage darauf unter dem kaiserlichen Blei. Durch Eugen's und Napoleon's Befehle angetrieben, ſuchte Carra St.-Cyr mit ſolchen blutigen Strafgerichten die Gemüther einzuschüchtern. So floß also in Strömen das Blut der unglücklichen Deutschen , welche das ihnen durch Napoleon entrissene Vaterland zurückzufordern sich schuldig machten. Doch wurde Carra St.- Chr trok ſeines Eifers dem Strafgerichts- und Schreckenswerke nicht für gewachsen erachtet. Ein seitens Vandamme's aus Wesel erlassener Aufruf an die Bewohner der vom Aufstande ergriffenen Gegenden verkündete diesen die demnächstige Ankunft des erstern an der Spite zahlreicher Truppen. Vandamme war nicht allein wegen seiner militärischen Talente und Tapferkeit, sondern auch durch seinen harten, unbarmherzigen Charakter bekannt. Ich werde in der Erfüllung meiner Pflichten furchtbar sein“, erklärte er mit Wohlgefallen in seinem Aufrufe. Indessen breitete Tettenborn seine Cavalerie in kleinen Trupps auf dem rechten Elbufer aus, um dort das Aufstands: feuer zu unterhalten. Jene unermüdlichen Reiter sah man bis in der Umgegend von Bremen und dem von Cavalerie entblößten Carra St.-Chr Trok bieten. Tettenborn blieb für ſeine Perſon in Hamburg, war aber hier nicht unthätig. Gleich anfangs schickte er einen seiner Offiziere nach London , um dort Unterstüßung an Truppen, Geld, Waffen und Munition zu erbitten. Ferner veranlaßte er die Bildung eines Freiwilligencorps, welches 6000 Mann aller Waffen stark sein sollte. Es bildete sich unter dem Namen der Hanseatischen Legion und wurde mit Hülfe bedeutender freiwilliger Gaben bewaffnet, ausgerüstet, und besoldet. Ein Hamburger allein machte 200 freiwillige Reiter beritten, rüstete sie aus und trat in ihre Reihen ein.

der Aufſtändiſchen ein gutes Beiſpiel hat ſtatuiren können. “ vom 28. März.)

(Schreiben

Tettenborn in Hamburg. Ebenso

rieth Tettenborn ,

die

hamburger Bürgerwehr

371 auf

7—8000 Mann zu bringen , ein Rathschlag , welchem Folge gegeben wurde. Ferner ließ Tettenborn um die Stadt herum große Befestigungsarbeiten ausführen. Durch deutsche Offiziere aus seinem Gefolge und durch frühere Offiziere von der kurhannoverischen Armee betrieb er die Bildung von Freiwilligencorps, welche im Lauenburgischen , Lüneburgischen und andern Theilen Hannovers formirt wurden. Endlich erklärte er in des Zar Namen die Continentalsperre für aufgehoben , auch die Herzoge von Mecklenburg - Schwerin und Mecklenburg - Strelitz hatten die gleiche Kundmachung ergehen lassen, sodaß die englischen Schiffe in allen Häfen reiche Ladungen abſeßen konnten, welche sich bald im Lande verbreiteten, womit die Wiedereröffnung der alten Handelswege, die Rückkehr zu den glücklichen Zeiten sich kundgaben. Die Erhebung von Hamburg und die ihr folgenden Aufstände brachten in der Ferne eine bedeutende Wirkung hervor. Es war das erste Beispiel seitens der dem Kaiserreiche einverleibten Länder, daß sie sich in Maſſe erhoben, mit den Waffen in der Hand ihre Unabhängigkeit zurückforderten und mit Gewalt gegen die Gewalt proteſtirten. Man hegte keinen Zweifel, daß jenes Beispiel Nachahmung finden werde. In Berlin ward Tettenborn's Einzug in Hamburg gleich

einem Siege mit 100 Kanonenschüssen gefeiert. Der Zar dagegen beeilte sich, Tettenborn zum Generalmajor zu befördern und diese Ernennung bekannt machen zu lassen. Wittgenstein, der sein Hauptquartier noch in der preußischen Hauptstadt hatte , wollte dem Aufstand wenigstens durch die Unterstügung einiger leichten Truppen Beistand leiſten und jenen weiter ausbreiten. Zu dem Ende stellte er einige reguläre Truppen unter die Befehle des Generals Dörnberg, dabei auch ein treffliches preußisches Infanteriebataillon , denn , wie wir bald sehen werden, waren die Preußen endlich ins Feld gerückt. Wittgenstein dirigirte den lettern auf Havelberg, bei der Mündung der Havel in die Elbe. Gleichzeitig wies er den Wittenberg beobachtenden Generalmajor Benkendorf an, rasch zu Dörnberg zu stoßen und unter deſſen Commando zu treten . 24 *

War

372

Neuntes Kapitel .

diese Vereinigung bewerkstelligt, so befand sich Dörnberg an der Spike von 1200 Mann Infanterie und 2000 Pferden , mit denen er die Elbe überschreiten sollte , um auf Hannover zu rücken und Abtheilungen so weit als möglich nach dem Königreiche Westfalen vorzuschieben. Seine Streitkräfte waren zwar nichts weniger als bedeutend, doch sollte er binnen kurzem durch Tschernitschew mit 2000 Mann unterſtüßt werden ; zudem schien die Gegend , in welcher er zu operiren beſtimmt war , von Truppen entblößt, und endlich zählte man, wie er ſelbſt, darauf, daß sein und seiner Familie Einfluß in Verbindung mit ſeinen ſehr ausgedehnten Beziehungen ihm zahlreiche Hülfe zuführen würde. Dörnberg, ein Hannoveraner, hatte die Schwachheit gehabt, in die Garde Jérôme Bonaparte's, dieſes ſo verhaßten und erbärmlichen Abenteurerkönigs, einzutreten. Doch machte er diesen Fehler durch einen patriotischen Act wieder gut. Im Jahre 1809 fehlte wenig daran, daß ein größtentheils von ihm organisirter Aufstand sein Vaterland von dem aufgedrungenen Könige befreit hätte. Nach dem Fehlschlagen dieser Erhebung war es ihm England zu erreichen gelungen , wo er eine Anstellung als Oberst in der königlich deutschen Legion erhielt. Seit dem russischen Kriege befand er sich in Wittgenstein's Hauptquartier , mit dem officiellem Auftrage seitens der englischen Regierung , dieser über die Vorgänge unter seinen Augen Bericht zu erstatten. Einen Moment hatte man ihn selbst an die Spite einer Kosackenabtheilung gestellt. Durch die Confiscation seines Vermögens ruinirt und in contumaciam zum Tode verurtheilt , war er bei der Bevölkerung , welche er zu befreien versucht , in theurer Erinnerung geblieben . In den Bergen des Harzes und Thüringerwaldes, in den Heiden von Hannover und Westfalen , in und außer den Kreisen der geheimen Verbindungen knüpften sich vor allem an seinen Namen die Erinnerungen, Plane und Hoffnungen der Patrioten. Nachdem sich Dörnberg mit Benkendorf vereinigt , paſſirte er in der Nacht vom 25. zum 26. März die Elbe bei Quißöbel auf den aus der Havel herbeigeschafften Kähnen und bemächtigte sich sogleich des Städtchens Werben, welches er aber nicht Lange im Besize haben sollte.

Eugen in Magdeburg. Nachdem Eugen in Magdeburg angekommen war, er sich sofort mit den Vorkehrungen zu dem großen wärts von dieser Festung. Er traf Anstalten zur rung von Proviantvorräthen , ließ ferner die drei

373 beschäftigte Lager vorAufspeiche Divisionen

Maison, Lagrange und Rochambeau vom Lauriſton'ſchen Corps auf das rechte Elbufer übergehen , und recognoscirte sorgfältig das Terrain, welches besezt werden sollte , sobald die Garde, Latour-Maubourg, Grenier und Davout, die von Leipzig , Wittenberg und Dresden kamen, zu ihm gestoßen sein würden . Gleichzeitig schob er die von Lauriſton's Corps übrige Diviſion Puthod, welche er auf dem linken Elbufer beließ , nach Lüderit vor, und weiter abwärts auf Stendal das Cavaleriecorps Sebaſtiani's mit 10 Bataillonen von Davout's 1. Division , zu welchen noch die von Dresden zurückkommenden 6 andern der leztern zu stoßen bestimmt waren. Diese Truppen sollten die Elbe besonders an der Havelmündung bei Werben überwachen und sich dabei so weit als möglich ausdehnen , um das Land im Zaume zu halten und die Insurrection an der Nieder-Elbe zu bedrohen. Auch ertheilte Eugen dem General Morand die Weiſung, Bremen zu verlaſſen und unverzüglich auf Lüneburg vorzurücken. Dies alles geschah auf Napoleon's Instructionen, und war es auch in Verfolg derselben, daß Eugen den Marschall Davout mit dem Commando betraute über die gegen Stendal vorgeschobenen Streitkräfte, ebenso über das Elbufer von Magdeburg bis Hamburg, die 32. Territorial-Militärdiviſion und über die Truppen, welche Vandamme dahin führte.¹ Auf das schreckliche Andenken anſpielend, welches Davout von seinem Gouvernement über Norddeutschland her zurückgelaſſen , ſchrieb Napoleon an Eugen : ,, Stellen Sie den Fürsten von Eckmühl auf Ihren linken Flügel , er wird dort gut sein. Er kennt Hamburg und ist dort gekannt ; seine Nähe bei dieser Stadt wird sehr nüglich sein." Als Davout für seine Person in Magdeburg angekommen , hielt er sich kaum einige Stunden hier auf, und war am 28. März auf seinem neuen Posten in Stendal. 1 Schreiben Napoleon's an Eugen vom 18. März.

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Neuntes Kapitel.

Aber am gleichen Tage stand Eugen von dem Plane zu dem großen Lager vorwärts von Magdeburg ab, und von allen den lehthin erflossenen Befehlen blieben nur die auf Davout bezüg lichen in Kraft. Hatte er einerseits die officielle Nachricht von dem Bündnisse zwischen Rußland und Preußen empfangen ¹ , ſo wurde er andererseits durch den Aufstand an der Nieder- Elbe



und der untern Weser sehr beunruhigt. Indem er ferner vorwärts von Magdeburg nur auf nicht weiter unterstützte Kosackenpikets stieß und es ihm bekannt war, daß dies auch bei Wittenberg der Fall , während bei Stendal und Werben dagegen Abtheilungen jener kühnen Reiter fortwährend über die Elbe hinüber- und herübergingen, und er sich überdies seiner Gewohn heit nach durch die landläufigen Gerüchte beirren ließ — glaubte er, annehmen zu müssen , daß eine russisch-preußische Armee unterhalb von Werben sich zusammenzöge , welche er die Elbe passiren zu sehen befürchtete. Damit er deshalb in der Lage sich befände, jener auf der Straße nach Hannover zuvorzukommen, führte er zu dem Ende die Divisionen Maison, Lagrange und Rochambeau auf das linke Elbufer zurück, um sie an der Ohre, einem etwas unterhalb von Magdeburg in die Elbe sich ergießenden kleinen Fluſſe, aufzustellen , wohin er auch Grenier, Latour-Maubourg und die von Dresden zurückkehrenden Truppen berief.2 Victor blieb mit der ersten Division seines Corps an der untern Saale ſtehen. Eugen hatte bereits Napoleon's Lehre vergessen , nämlich daß Hannover am ſichersten vertheidigt wurde, wenn man Berlin zu bedrohen sich beeilte. Indessen stieß die erste von Stendal gegen Werben vorge schobene Recognoſcirung dort auf Dörnberg. In einer Stärke von 2000 Mann und 500 Pferden wurde dieselbe von dem Cavaleriegeneral Montbrun befehligt. Unter deſſen tapferer Führung drang sie in Werben ein , warf Dörnberg aus dem

1 Eugen erhielt diese Nachricht am 23. März von St.-Marjan . (Schreiben Eugen's an Napoleon, Magdeburg, 24. März.) 2 Schreiben Eugen's an Napoleon, Magdeburg, 26. März.

Dörnberg's Zug gegen Lüneburg.

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Städtchen hinaus und trieb ihn bis nach Neukirch zurück, wobei sie demselben einen Verlust von 100 Todten und Gefangenen beibrachte. Da Dörnberg befürchtete, es binnen kurzem mit viel bedeutendern Streitkräften zu thun zu haben, während er weder eine Reserve noch einen sonstigen Stüßpunkt hatte, beeilte er sich, mit Hülfe der Landesbewohner anf Kähnen wieder über die Elbe zurückzugehen. Aber durch Tschernitschew unterstützt, welcher Eugen's ersten Recognoſcirungen das Terrain vor Magdeburg geräumt und dort nur einige kleine Kosackentrupps zurückgelaſſen, erschien Dörnberg am 31. März wieder auf dem linken Ufer jenes Flusses , nachdem er seinen Uebergang bei Lenzen , 10 Lieues unterhalb von Werben , bewerkstelligt. An dem erwähnten Tage beseßte er Dannenberg und Lückow, während Tschernitschew bei Wustrow stand. Beide waren im Begriffe , auf der Straße von Hannover vorzurücken, als sie in Erfahrung brachten , daß der General Morand nach Lüneburg marſchire. Diese seit etwa zehn Tagen insurgirte Stadt hatte zu ihrer Vertheidigung nur etliche eben organisirte, kaum bewaffnete Bürgercompagnien , ferner einige in der Formation begriffene Huſaren und freiwillige Jäger mit einer kleinen Abtheilung von Tettenborn's Kosacken . Dörnberg und Tschernitſchew beschlossen, Lüneburg schleunigst zu Hülfe zu cilen, und brachen sofort dahin auf. Obwol sie schnell marſchirten , wurden sie doch bei ihrem Eintreffen vor Lüneburg gewahr, daß daselbst die französische Fahne an die Stelle der kurhannoverischen getreten. Am 1. April gegen Mittag war nämlich Morand trok des Widerstandes von seiten der Einwohner dort eingerückt , worauf eine Mitärcommiſſion sofort ihr Werk begonnen, indem sie 2 Bürger erschießen und 30 der angesehensten Personen der Stadt verhaften ließ. Morand hatte anfänglich von Eugen den gemessensten Befehl erhalten , von der Weser wieder nach der Elbe zu rücken, um die Debouchés von Bergedorf und Boizenburg zu be1 feßen. Am 25. März war er in dieser Richtung aufgebrochen.

1 Eugen meldete Napoleon den Abgang dieses Befehls in folgenden Worten : „ Ich sende einen Offizier an den General Morand, welcher

376

Neuntes Kapitel.

Als er aber Toſtädt erreicht , bekam er einen neuen Befehl, welcher ihn den Aufstand von Lüneburg niederzuwerfen anwies. Als er aber gleichzeitig von Tettenborn's Kosacken und dem zahlreichen Landsturm aus der Umgegend , welcher schon etwas organisirt und theilweise mit englischen Gewehren verſehen, angegriffen wurde , war er unschlüssig drei Tage in Tostädt stehen geblieben , hatte indeſſen ſchließlich seine Gegner mit Nachdruck gegen Harburg zurückgetrieben. Dann wendete er sich rasch nach rechts , um auf Lüneburg zu marſchiren , wo er, wie bereits erwähnt, am 1. April einrückte. Die in Bremen reorganisirte Colonne Morand's bestand aus einem sächsischen Regiment von 2 Bataillonen, ferner einem Bataillon des 152. Linieninfanterie-Regiments , einem halben Bataillon Zollwächter , und aus 50 franzöſiſchen Gensdarmen, Dragonern und Chaſſeuren, außerdem befanden sich bei derselben 10 Geschüße. Ihre Stärke betrug höchstens 2400 Mann. Morand mitten durch einen insurgirten und von russischen leichten Truppen durchstreiften Landstrich nach dem aufgeſtandenen Lüneburg zu beordern , ohne ihn unmittelbar unterſtüßen . zu lassen und ohne ihm aus der magdeburger Gegend die Hand reichen zu können , sobald er bei Lüneburg eintreffen würde das war unklug gehandelt. Morand sollte ſehr bald dafür büßen müſſen, als er am 2. April von Dörnberg und Tschernitschew angegriffen wurde. Lüneburg, eine Stadt von 10000 Einwohnern , liegt am linken Ufer der Ilmenau , war 1813 mit Wall und Graben umgeben und hatte fünf Thore. Die beiden feindlichen Generale richteten einen Scheinangriff gegen das Süd- und Westthor, während sie unter dem Schuße der vorgedachten Diversion, jeder an der Spiße eines Bataillons, gegen die zwei Ilmenau-Brücken

mir die Dummheit (bêtise) begangen zu haben scheint, das linke Elbufer zu verlassen. Ich weise ihn zur Rückkehr dahin an, um mit seiner Infanterie und Artillerie die Debouchés von Bergedorf und Boitzenburg zu besetzen.“ (Schreiben aus Magdeburg vom 21. März.) ¹ Eugen erwähnt dieſes zweiten Befehls in einem Schreiben an Napoleon vom 24. März.

Gefecht von Lüneburg.

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und die mit dieſen correſpondirenden Thore an der Ostseite vorgingen. Trog eines energischen Widerstandes bemächtigten sie sich aller dieser Zugänge. Mit Erbitterung ward der Kampf im Innern der Stadt fortgeführt. Auch die Einwohner nahmen daran theil , die einen bei den Truppen , während die andern aus den Fenstern auf Morand's kleine Abtheilung schoffen. Morand , ein alter Soldat , hielt unerschrocken und tapfer diesen Kampf lange Zeit einsah, sich in der Stadt selbe durch das Westthor 2 Geschüßen das Freie. von Lüneburg entfernten

aus. Als er aber die Unmöglichkeit behaupten zu können, verließ er dieund gewann mit 5-600 Mann und Er beabsichtigte, nach dem 1/2 Lieue Dorfe Reppenſtädt zu rücken , als er

von vorn mit einem heftigen Geſchüßfeuer begrüßt wurde und von einer Maſſe Reiterei sich umstellt sah. Dörnberg , welcher Morand's Plan durchschaut , war ihm nämlich auf Seitenwegen zuvorgekommen und verlegte ihm jezt die Rückzugslinie. So auf äußerste gedrängt und am Durchschlagen verzweifelnd, beſchloß der franzöſiſche General, wieder nach Lüneburg umzukehren, wo noch eins seiner Bataillone , welches er nicht hatte heranziehen können , Widerstand leistete. Unter beständigem Kampfe, erreichte er dasselbe Thor, durch welches er früher sich zurückgezogen, fand es aber stark besezt und auch durch Artillerie vertheidigt. Zu Pferde an der Spize seiner Truppe, den Hut auf der Degenspiße , im Sturmschritte und unter dem Rufe: l'Empereur !" ging er ohne Zaudern zum Angriffe gegen 99 ,,Vive das Thor vor. Doch waren alle seine Anstrengungen umsonst. Bald ward er selbst tödlich verwundet ; die wenigen hundert Mann, welche sich noch um ihn befanden, streckten endlich, von Ueberzahl erdrückt, das Gewehr. Es war jest 5 Uhr , nachdem das Gefecht zu Mittag seinen Anfang genommen . Auch im Innern der Stadt kam der Kampf zum Schweigen und endete hier gleichfalls der Widerſtand unter dem numerischen Uebergewichte des angreifenden Gegners. Von Morand's Soldaten entging keiner dem Sieger ; dochhatten sie nicht alle das gleiche Schicksal. Die Franzosen und der größte Theil der Sachsen blieben gefangen, 400 der lettern aber verließen

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Neuntes Kapitel.

die Sache ihres Königs für Deutschlands große Sache, um in die russisch-deutsche Legion einzutreten , ein Corps , das der Zar gerade in Aussicht auf eine derartige Rekrutirung errichtet hatte und welches aus Rußland nach Königsberg verlegt worden war. Die Russen und Preußen erzielten also mit diesem Erfolge nicht nur eine Minderung von ihres Feindes Streit kräften , sondern auch noch eine Vermehrung der ihrigen durch des leßtern Hülfstruppen . Dieser Umſtand allein dürfte hinreichen, um zu zeigen , inwieweit der Charakter des Krieges sich geändert. Das Gefecht von Lüneburg fand einen außerordentlichen Widerhall in ganz Deutschland und spannte die Hoffnungen über alles Maß hinaus. Preußen und Ruſſen beglückwünschten sich zu dieſem ersten Erfolge ihres Bündnisses wie zu einer gewonnenen Schlacht. Das Volk sah darin das sichere Pfand baldiger entscheidender Siege. So urtheilt der Geist unter dem Eindrucke des entflammten Herzens . Folgende Anzeige des preußischen Regierungsraths Haaſe und ſeiner Gattin, welche man mit Bewunderung las- und Bewunderung war hier nicht zu viel - zeugt hinlänglich von der Stimmung der Ge müther in Norddeutschland : „ Unser Sohn Georg wurde am 2. April, in seinem 22sten Jahre , in dem ewig denkwürdigen Gefecht in Lüneburg von einer Kugel getroffen . Als freiwilli ger Jäger ... focht er . . . mit Muth und Entſchloſſenheit, und starb so den Tod für Vaterland , deutsche Freiheit, National-Ehre und unsern geliebten König. Der Verlust eines solchen Kindes ist hart , aber es ist für uns ein Trost, daß auch wir einen Sohn geben konnten zu dem großen , heiligen Kampfe." Gleichwol war die unmittelbare Folge von Morand's Niederlage nicht die naturgemäße Unterhaltung der Gärung in den Gemüthern , da man dem im Gegentheile keine weitere

1 S. v. Quistorp , Hauptmann im K. Preuß. 31. Infanterieregi ment,,,Die kaiserl . ruffiſch-deutsche Legion“.

Dörnberg geht wieder über die Elbe zurück.

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Rücksicht schenkte. Am 3. April verließen nämlich Dörnberg und Tschernitſchew Lüneburg, um wieder über die Elbe zurückzugehen, und zwar der erste bei Boizenburg , der andere bei Dömiş. Auf die Nachricht von dem Anmarsche Davout's mit einer beträchtlichen Truppenmacht eilten sie, jenen Fluß zwischen sich und dem leztern zu bringen. Doch sollten sie gleich darauf wieder in Hannover einschreiten. Dörnberg erließ nämlich von Boizenburg aus eine Erklärung an die französischen Generale, welche damals großes Aufsehen machte. Indem er für die Bewohner der ehemals kurhannoverischen Lande die Wiederholung des von Carra St.-Cyr an der Weser und von Morand in Lüneburg geübten blutigen Strafgerichts befürchtete, erklärte er, daß er fest entschlossen sei, den Tod eines jeden Hannoveraners , welcher von den französischen Generalen als Rebell behandelt würde, an den Gefangenen zu ahnden, die sich in seiner Gewalt befänden oder noch in seine Hände fallen sollten. Wären dergleichen Represſalien auch grausam gewesen, so muß doch wiederum zugestanden werden, daß Carra St. - Chr's und Morand's Verfahren scheußlich war. Eine gleiche Erklärung ließen Tettenborn und bald darauf Wittgenstein selbst ergehen.

Die Dörnberg und Tschernitschew zugegangenen Nachrichten waren gegründet gewesen , denn kurze Zeit nach ihrem Abmarsche von Lüneburg rückte daselbst , zur Bestürzung der Einwohner, der General Montbrun ein an der Spiße von 4000 Mann, welche die Avantgarde Davout's bildeten . Letterer kam für seine Person am nächsten Tage dort an, während ihm in der Entfernung eines Marsches , weitere 4-5000 Mann folgten . Wenige Tage später erhielt Davout von dem am 4. April gefaßten Senatsbeschlusse Kenntniß , welcher die 32. Militärdiviſion als außer der Constitution erklärte. Er wurde von Napoleon behufs Unterdrückung des Aufstandes mit unbeschränkter Militär- und Civilgewalt bekleidet. Gleichzeitig ward er benachrichtigt, daß die von Vandamme dorthin geführten Truppen 28 Bataillone stark wären und daß denselben noch 33 andere Bataillone folgen würden. Davout ſollte also zur Durchführung seiner schrecklichen Miſſion 61 Bataillone erhalten.

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Neuntes Kapitel.

Dies war die Folge jener Erhebung, welche zum Ausbruche zu bringen das Erscheinen einiger Kosacken hingereicht hatte, einer Erhebung , die kaum über Waffen verfügte und keine weitere Unterſtügung fand. Napoleon war durch dieselbe ge= nöthigt worden, weithin nach dem linken Flügel des Kriegsschachbrets eine Truppenmasse zu werfen , auf welche er für ſeine Operationen im Centrum , als dem Hauptpunkte , gerechnet hatte. Diese Thatsache ist ein schlagender Beweis von der Tragweite der durch Eugen von der Oder bis zur Elbe begangenen Fehler, während sie andererseits ebenso klar darlegt , wie sehr Friedrich Wilhelm durch das Hinausschieben seiner Kriegserklärung der deutschen Sache geschadet, wie fehlerhaft der Stillstand der alliirten Armeen und der in Kalisch festgestellte Operationsplan waren. Welche Spannkraft , welche Expansivgewalt würde nicht jene Erhebung gehabt haben, wenn die Verbündeten anstatt einiger Abtheilungen leichter Truppen ein starkes Armeecorps nach der untern Elbe hätten vorrücken lassen! Und wie wäre dadurch nicht Napoleon's Verlegenheit vermehrt worden! Von den 61 Bataillonen, welche Napoleon nach den aufgestandenen Ländern dirigirte, gehörten 56 zu den aus 1813er Conſcribirten gebildeten , welche die 2. und 3. Diviſionen von Davout's und Victor's Corps zu formiren bestimmt waren, von denen jedes erst eine , nämlich die in Erfurt organisirte Division hatte. Davout's 2. Division wurde vom General Dumonceau, die 2. des Victor'schen Corps vom General Dufour befehligt; beide begannen an der Weser einzutreffen und sollten bald hier insgesammt angelangt sein. Die 3. Diviſionen konnten vor Ende April nicht dort erwartet werden . Was die übri gen fünf, nicht für Davout's und Victor's Corps beſtimmten Bataillone betrifft , so bildeten diese die sogenannte Hamburger Brigade und waren auf dem Marsche nach Bremen begriffen. Bis daß ein etwas ansehnlicherer Theil jener Truppen in Action treten konnte, ließ Eugen einstweilen die Diviſion Puthod

Eugen debouchirt am 2. April aus Magdeburg .

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und die auf den Stand von 2000 Pferden gebrachte Cavalerie Sebastiani's zu Davout's Verfügung , während er die 16 Bataillone, welche die 1. Division von des lettgenannten Marschalls Corps bildeten , auf Stendal und Werben echelonnirt hielt. Uebrigens sah Eugen gerade zu dieser Zeit ein, daß er sich wieder einmal durch falsche Berichte und ungegründete Gerüchte hatte täuschen lassen. Es erwies sich, daß weder eine Armee unterhalb von ihm die Elbe überschritten , noch sich dazu anschickte; er wurde gewahr, daß die Concentrirung an der Ohre abermals ein falsches Manöver gewesen, und kam schließlich wieder auf die Ausführung von Napoleon's Befehlen zurück. Am 2. April bei Tagesanbruch debouchirte daher Eugen mit ſeinen von der Ohre zurückgekehrten Truppen auf das rechte Elbufer vermittels der in Magdeburg vorhandenen Brücke und zweier andern , welche er neben ersterer hatte schlagen laſſen. Es war ihm nämlich eine Depesche zugegangen , in welcher Napoleon unter kurzer Zusammenfassung seiner frühern so oft wiederholten und erläuterten Instructionen ihm auftrug , „ drei bis vier Lieues vorwärts von Magdeburg ein Schlachtfeld auszusuchen, dort sein Lager zu errichten, wobei er beſonders auf die Wahl eines geſunden Ortes bedacht sein sollte¹ , und sich durch Redouten zu decken , welche so weit untereinander entfernt, daß man zwischen denselben manövriren könnte ; ferner die Linie seiner Vorposten von Dessau bis an die Mündung des Plaueschen Kanals in die Elbe auf der Sehne des von dem genannten Fluſſe beschriebenen Bogens auszudehnen und zwar dieselben, zur Sicherstellung gegen leichte Reiterei , mit Redouten und Palissaden zu verschanzen".

Diese Operation war es

1 Bei dieser Anempfehlung bemerkte Napoleon noch Folgendes : ,,Befragen Sie in dieſer Hinsicht die Aerzte und Landesbewohner . Sind Sie bei einem Sumpfe oder unter Waffer stehenden Wiesen, so ist dies , mag man sagen , was man will , ein ungesunder Ort. Sie müssen in die Höhe . . Ich möchte, daß Sie weniger die Aerzte , als Ihre Einsicht und die Landesbewohner befragen."

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Neuntes Kapitel.

also , welche Eugen bei seinem Debouchiren aus Magdeburg im Auge hatte. Er glaubte nicht , auf Hinderniſſe zu stoßen, welche ihn an der Ausführung jener behindern konnten. Doch sollte er solchen begegnen und sich zwar von deren Bedeutung eine so übertriebene Vorstellung machen , daß er sein Unternehmen definitiv aufgab .

Zehntes Kapitel.

York stößt in Berlin zu Wittgenstein. Die von der Einwohnerschaft dieser Stadt York dargebrachte Ovation. Wittgenstein's Dispositionen . - Detachirt Borstell auf Magdeburg und Tauenzien gegen Stettin. - Bülow erhält das Commando der 2. Division vom Vork'schen Corps und wird gegenMagdeburg ftradirt.— Borstell wird deſſen Befehlen unterstellt. —Wittgenstein's und Vork's übrige Truppen werden, in Verfolg der von Kutusow nach dem in Kalisch abgehaltenen Kriegsrathe ertheilten Instructionen , von Potsdam auf Wittenberg echelonnirt. Der von jenem Kriegsrathe entworfene Operationsplan . - Projectirte Vereinigung von Wittgenstein's und Blücher'sArmeen. -Die festgestellte Operationslinie.— Wittgenstein, welcher auf dem Marsche zu seiner Vereinigung mit Blücher begriffen , beschließt den Angriff gegen die unter Eugen behufs Ergreifung der Offensive aus Magdeburg debouchirten Fran zosen. - Treffen von Möckern. - Niederlage der Franzosen. Eugen's Fehler während des Kampfes und nach demselben. - Geht wieder über die Elbe zurück, läßt eine Besaßung in Magdeburg und zieht sich in das Saalethal. — Wittgenstein's Vereinigung mit Blücher. – Vorpostengefechte und Handstreiche der russischen nnd preußischen Parteigänger.- Wittgenstein's Angriff aufWittenberg wird vom General Lovoype abgeschlagen. - Die Citadelle von Spandau ergibt sich an eine Brigade von Bülow's Truppen. Der Zar und der König von Preußen kommen mit dem Corps Tormasow's in Dresden an.– Von der Bevölkerung enthuſiaſtiſch empfangen, ſuchen fie den König von Sachſen für die Coalition zu gewinnen. - Schwanken der sächsi schen Regierung. Stein räth zu energi schen Maßregeln gegen den König Friedrich August , die alliirten Monarchen weigern sich jedoch dessen aus Rücksichten für Desterreich. — Sachsen soll der Preis der ersten Schlacht ſein.

Wittgenstein hatte mit seinem Einzuge in die preußische Hauptstadt am 11. März das Ziel erreicht , welches ihm durch den zu Anfang des gleichen Monats in Kalisch aufgestellten Operationsplan gesteckt worden war. Nach der Besetzung von Berlin machte er halt, um auf weitere Befehle, wie auch auf

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Zehntes Kapitel.

die Generale York, Bülow und Borstell zu warten , indessen er einerseits etwas leichte Reiterei gegen Wittenberg und Magdeburg stehen ließ, andererseits aber Tettenborn , Dörnberg und Tschernitschew zu den schon oben geschilderten Unternehmungen entsendete. Während dieſes Haltes und während Eugen die bereits früher erwähnten falschen Manöver zur Ausführung brachte , schickte Wittgenstein eine Abtheilung zur Beobachtung von Spandau ab, rief dagegen das vor Küſtrin zurückgelaſſene Detachement zurück, nachdem Woronzow - welcher ihm, unter definitiver Abcommandirung von der Donauarmee , zur Ver: fügung gestellt war selbes abgelöſt hatte. York, welcher durch einige von Breslau aus angeordnete Truppenauswechselungen zwischen Bülow und sich an der Oder etwas aufgehalten wurde, traf am 17. März in Berlin ein. Kurz vorher war durch zwei königliche Erlaſſe zur Kenntniß der Armee gebracht worden, daß eine Untersuchungscommission die Convention von Tauroggen für vorwurfsfrei erkannt und daß Preußen mit Rußland eine innige Allianz geschlossen. Die preußische Hauptstadt bereitete York noch eine enthuſiaſtiſchere Ovation als Wittgenstein. In legterm hatte sie den fremden Befreier begrüßt ; mochte die Befreiung auch noch so berauschend sein, so war selbe doch nicht diejenige, welche Berlin in ſeinem patriotischen Stolze die erwünschteſte gewesen. In York feierte dagegen die Hauptstadt den preußischen General , der ihr die vaterländischen Soldaten wieder zurückführte, ferner den Kühnen, welcher zuerst der Knechtschaft Fesseln gebrochen und dem so lange Zeit hindurch kein anderer Lohn zutheil geworden als die von seinem Könige ihn betroffene Misbilligung und Ehrenkränkung. Beim Anblicke York's und dieser trog königlicher Befehle ihm treu gebliebenen Truppen schlugen aller Herzen höher, glänzten in aller Augen Thränen der Rührung und Freude, wie Zeitgenossen berichten. Wittgenstein mußte ferner noch auf Bülow und Borstell warten, welche für einige Zeit mit der Beobachtung von Stettin und der Einschließung von Damm , dem Brückenkopfe jener Festung, beauftragt geweſen . Borſtell, welcher zuerſt abmarſchirt und nur 5000 Mann

Borstell beobachtet Magdeburg.

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stark war¹, hatte sich nach Wittgenstein's Befehl auf Havelberg dirigirt, wo er die Elbe passiren und unmittelbar nach dem Hannoverischen vordringen sollte , um hier zu propagiren und die Insurrection zu unterstützen. Er hatte indessen Havelberg noch nicht erreicht , als er eine andere Bestimmung erhielt. Mit dem Einfalle nach Hannover war der General Dörnberg betraut worden, an welchen Borstell ein Bataillon und eine halbe Batterie abgeben mußte, wogegen drei schwache Kosackenregimenter und ferner ein Bataillon vom York'schen Corps zu ihm stießen. Nach Bewerkstelligung dieses Truppenwechsels rückte Borstell nunmehr befohlenermaßen über Rathenow zur Beobachtung von Magdeburg ab . Am 31. März stand Möckern, 6 Lieues von letterer Festung entfernt.

er bei

Bülow wurde am 18. März vor Stettin und Damm durch den Generallieutenant Tauenzien ersetzt , der vor kurzem zum Militärgouverneur der preußischen Provinzen zwischen der Weichsel und Oder , Schlesien ausgenommen , ernannt worden war. Drei Tage früher hatte Bülow , indem er Preußens Kriegserklärung vorgriff, unter Ankündigung des ruſſiſch-preußischen Bündnisses Stettin zur Uebergabe aufgefordert. Doch war die Antwort des französischen Commandanten , Generals Dufresſe, ebenso stolz, als die Sommation beleidigend gewesen. 2 Vor Stettin und Damm befanden sich 15 Reservebataillone und etwas Reiterei, welche früher von Bülow und Borſtell in Neustettin und Kolberg formirt worden. Sie waren wol hinreichend organisirt und für den Blokadedienst verwendbar, aber doch nicht für das Feld tüchtig. Bülow überließ dieselben an

¹ Genau 4250 Mann, nach dem von Prittwitz in ſeinem umſtändlichen Werke: ,,Beiträge zur Geschichte des Jahres 1813 “, producirten Standesausweise; jener Ziffer wurden aber von uns die nicht in Anſatz gebrachten freiwilligen Jäger noch hinzugerechnet. ( S. Beitzke, „ Geschichte der deutschen Freiheitskriege 2c. ") 2 Stettin hatte einen Gouverneur , den General Grandeau , und einen Commandanten , den General Dufreſſe. Wegen Krankheit des erſtern vertrat letzterer interimiſtiſch den Gouverneur. Charras, 1813. 25

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Zehntes Kapitel.

Tauenzien und rückte mit 9000 Mann¹ , wobei 1000 freiwillige Jäger, nach Schwedt. Durch mehrere für seine Truppen noch zu treffende Detailsanordnungen ſah sich Bülow genöthigt, hier einen kurzen Halt zu machen , worauf er sich gegen Berlin in Marsch sezte . Bülow war vor kurzem zum Generallieutenant befördert worden, und sollten seine Truppen künftig die von ihm commandirte 2. Diviſion des York'schen Armeecorps bilden. Am 31. März erreichten lettere Berlin , marschirten hier aber nur durch. Wittgenstein detachirte nämlich sogleich den dritten Theil derselben unter der Führung des Generalmajors Thümen zur Ablösung der Spandau beobachtenden ruſſiſchen Abtheilung. Bülow dagegen wies er an , über Brandenburg rasch gegen Magdeburg zu rücken , um diese Festung möglichst eng einzuschließen , und stellte zu diesem Behufe Borſtell unter deſſen Befehle. Seit dem 27. März hatte Wittgenstein seine russischen Truppen, welche ein Armeecorps unter dem Generallieutenant Berg bildeten , und diejenigen York's von Potsdam in der Richtung auf Wittenberg echelonnirt. Damals waren ihm die Instructionen, auf welche er hatte warten müssen , zugegangen und schickte er sich zu deren Ausführung an. Am 20. März hatte nämlich der Kaiser Alexander in Kalisch einen Kriegsrath versammelt. Er kam von Breslau zurück, wo er einen Triumphzug gehalten , und war ganz ent zückt von dem ihm zutheil gewordenen Empfange , von der Begeisterung Schlesiens , wie auch von seinen Unterredungen mit Scharnhorst , Stein und den eifrigsten Patrioten , welche wegen eines schnellen Vormarsches in ihn gedrungen waren. Er wollte darüber berathen , wie der schon vereinbarte und bereits in der Ausführung begriffene Operationsplan weiter zu führen, wenn der linke Flügel Dresden erreicht haben würde, nachdem bekanntlich der rechte in Berlin eingetroffen.

1 In ,,Beiträge zur Geschichte des Jahres 1813 " wird Bülow nur 8000 Mann stark aufgeführt, doch sind dabei die freiwilligen Jäger nicht in Ansatz gebracht.

Kriegsrath in Kalisch.

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Dieser linke Flügel war noch etwas zurück. Winzingerode kam zwar an eben dem 20. März in Baußen an , während Blücher, dessen Avantgarde ersterer bildete , am 16. desselben Monats, als dem vorgeschriebenen Tage, seine Cantonnirungen um Breslau aufgehoben ; Tormaſow jedoch, welcher ihm in dem Abstande von drei Märschen hätte folgen sollen , rührte sich noch nicht von Kalisch. Miloradowitsch dagegen stand vor Glogau und sah seiner Ablösung durch den General Schuler entgegen. In Kalisch waren neuerdings Nachrichten über die franzöfische Armee eingelaufen . Die von vertrauter Seite kommenden Mittheilungen und die aufgefangenen Depeschen stimmten in ihren Angaben dahin überein, das das feindliche Heer , ohne die durch Eugen von Berlin nach der Elbe zurückgeführten Truppen und die Contingente der Rheinbundsstaaten, 260270000 Mann stark sein sollte , welche theils aus Frankreich, theils aus Italien kämen. Ihre Sammelpunkte wären Hannover, Braunschweig und Erfurt, von wo sie sich auf Magdeburg und Leipzig wenden würden. Vorläufig dagegen, hieß es, zähle die französische Armee an jedem dieſer beiden Punkte nur 20000 Mann und bei Dresden 12-15000 Mann, doch sollte sie demnächst durch 40000 Mann , welche dem Vernehmen nach bei Erfurt sich concentrirten , verstärkt werden. Obwol diese Nachrichten in den Einzelheiten nicht gerade genau waren, so kamen sie doch im allgemeinen der Wahrheit nahe. Mit Zugrundelegung derselben entwickelte der General Toll, Generalquartiermeister von Alexander's persönlichem Generalstabe, in dem Kriegsrathe die Ansicht, daß der Hauptstoß gegen Napoleon nothwendigerweise in der Richtung von Dresden auf Altenburg und Erfurt zu erfolgen hätte und daß die beste von der alliirten Armee unbedingt einzuhaltende Operationslinie die von Leipzig und Altenburg über Dresden und Breslau wäre. Die gleiche Ansicht hatte auch Scharnhorst in einem Memoire niedergelegt. Der Kriegsrath trat dem bei , was klar genug beweist, wie er darauf rechnete, daß Oesterreich, an dessen Grenze er fortwährend die Linke der Armee stüßen wollte, sich nicht auf Napoleon's Seite stellen würde . Zugleich war 25 *

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Zehntes Kapitel.

man im Kriegsrathe der Ansicht , daß das Heer sobald als möglich bei Leipzig und Altenburg zusammengezogen und zwar daß diese Vereinigung mit allen Vorsichtsmaßregeln bewerkstelligt werden müßte , da Eugen jeden Augenblick durch die, wie man vorausseßte , bei Erfurt versammelten Truppen verstärkt werden konnte, weshalb jedem Zusammenstoße mit lehtern, bevor man sich nicht gehörig concentrirt, behutsam auszuweichen wäre. Demzufolge wurde denn beschlossen , daß Blücher bei Fortsetzung seines Marsches die Elbe in oder bei Dresden zu passiren hätte; ferner daß Wittgenstein - während er Bülow und Borstell zur Beobachtung von Magdeburg und Wittenberg belief - von dem Laufe des eben genannten Fluſſes gedeckt, mit seinen russischen und York's Truppen über Dahme, Elsterwerda und Großenhain rücken sollte , um die Elbe bei Meißen jedoch erst dann zu paſſiren , wenn er und Blücher sich gegenseitig unterſtüßen und sie zusammen auf Leipzig und Altenburg losgehen könnten. Die logische Folge dieser combinirten Bewegung des rechten und linken Flügels der alliirten Armee wäre der sofortige Aufbruch des Tormaſow': schen Corps gewesen, um den obengenannten als Reserve zu dienen , und übrigens hätte dasselbe, nach dem früher festgestellten Operationsplane, schon hinter Blücher her marschiren sollen. Diese wichtige Consequenz kam jedoch, mochte sie der Kriegsrath nun in Berücksichtigung gezogen haben oder nicht, in den nach seinen Beschließungen abgefertigten Befehlen nicht zum Ausdrucke. Kutuſow theilte unmittelbar darauf Wittgenstein die gefaßten Resolutionen mit. Doch verabsäumte er nicht , leßtern zu be deuten, daß er nicht unbedingt an jene Beschlüsse gebunden wäre, sondern dieselben, soweit sie ihn beträfen, den Umständen gemäß abändern und deren Ausführung von den ihm über den Feind zugehenden Nachrichten abhängig machen dürfe. Ueberdies empfahl er Wittgenstein ungemeine Vorsicht sowol hinſichtlich der Bewerkstelligung seiner Vereinigung mit Blücher, als auch dann, wenn er diese zur Ausführung gebracht haben würde. Um aber den genannten General jedenfalls nicht zu zuversicht lich zu machen, unterließ Kutuſow nicht, ihm zu eröffnen, daß das Tormasow'sche Corps noch zwei Wochen in seinen Canton-

Wittgenstein bricht von Berlin auf.

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nirungen bei Kalisch - 100 Lieues von der Elbe stehen bleiben würde ! 1 Dieser Rastverlängerung , welche Truppen und zwar Elitetruppen zutheil wurde, die schon über einen Monat ausgeruht , lag nichts weiter zu Grunde als die persönliche Bequemlichkeit des alten Feldmarschalls und sein Widerstreben gegen jede Vorwärtsbewegung. Alexander , der sich immer noch zu einem außerordentlich schonenden Benehmen. gegen ihn genöthigt glaubte , besaß die Schwachheit, ihn noch weiter in Unthätigkeit verharren zu laſſen. Sobald es Wittgenstein möglich , nämlich sobald er über York , Bülow und Borstell disponiren konnte , schickte er sich auch zur Ausführung jener Instructionen Kutusow's an , und so hatte er die beiden lettgenannten Generale gegen Magdeburg dirigirt, Berg und York aber von Potsdam in der Richtung auf Wittenberg echelonnirt. Am 31. März verlegte er selbst sein Hauptquartier nach Belzig und schob zugleich den General Kleist mit 5000 Preußen von den York'schen Truppen und 2000 Russen vom Berg'schen Corps gegen Wittenberg vor, um diese Festung auf dem rechten Elbufer eng zu blokiren. Es war damals Wittgenstein bekannt , daß die Franzosen, nachdem sie sich einige Tage hindurch in starker Zahl vorwärts von Magdeburg gezeigt, plöglich wieder über die Elbe zurückgegangen waren. Er glaubte daher, daß er nichts weiter zu thun habe, als seinen Marsch behufs seiner Vereinigung mit Blücher fortzusehen, als ihm bedenkliche Nachrichten zukamen, die ihn zaudern machten. Borstell theilte ihm nämlich mit, daß er Magdeburg recognoscirt und wahrgenommen, wie die Franzosen bei der Neu2 stadt zwei Schiffbrücken bauten, welche beinahe fertig und durch Verschanzungen gedeckt würden. Diese Arbeiten schienen Wittgenſtein das Anzeichen irgendeiner demnächst von Eugen beabsichtigten Unternehmung gegen Berlin und die untere Oder zu sein. Ehe er sich daher weiter entfernte, wollte er sehen, was geschehen würde. Als er jedoch am nächsten Tage - 1. April -- von Borstell die Meldung erhielt, daß vor Magdeburg alles ruhig , und

1 Schreiben vom 20. März. • 2 Eine unterhalb Magdeburg gelegene Vorstadt am linken Elbufer.

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Zehntes Kapitel.

andererseits aus dem Munde des auf der Reise von Dresden nach Berlin begriffenen Scharnhorst erfuhr , daß Wingingerode, welcher in der erstern dieſer beiden Städte am 27. März eingetroffen , dieselbe verlassen habe und auf Leipzig rücke, und daß Blücher in Dresden angekommen sei und ebenfalls vorrücken werde - da meinte Wittgenstein , keine Zeit mehr betreffs seiner Vereinigung mit dem leßtern General verlieren zu dürfen, und zwar wollte er dieselbe auf dem kürzesten Weg, gegen Leipzig selbst, bewerkstelligen . Er befahl daher, sofort zwei Brücken über die Elbe zu schlagen , die eine bei Elſter , nicht weit und oberhalb von Wittenberg, die andere 10 Lieues unter: halb dieses Plazes gegenüber von Roßlau . Mit der Herstellung der erstern wurde Kleist beauftragt, dem dieselbe zur directen Ver bindung mit Wittgenstein, wenn dieser bei Leipzig stehen würde, dienen sollte. Zur Deckung des Baues der zweiten mußte York 12 Bataillone, 2 Escadronen und 4 Geschüße detachiren. York stand zu dieser Zeit bei Görzke und vorwärts Belzig, als ihm Wittgenstein befahl , nach Senst, 5 Lieues von Roßlau , vorzurücken , wogegen er in den verlassenen Stellungen durch Berg ersetzt werden sollte. Diese Bewegung fand am Morgen des 2. April statt. Sie war aber noch nicht durchgeführt, als die Lage der Dinge vor Magdeburg sich vollkommen änderte. Indem nämlich Eugen seine Truppen von der Ohre zurückführte und endlich zur Ausführung von Napoleon's Befehlen schritt, debouchirte er, wie wir schon oben gesehen, am 2. April bei Tagesanbruch aus Magdeburg auf das rechte Elbufer. Borstell stand an dem gedachten Tage in und bei Nedlih, nur 4 Lieues von Magdeburg , während er Gommern , Gübs und Königsborn durch Posten besetzt hielt. Gegen 9 Uhr morgens ward die Abtheilung in leßterm Orte durch die Avantgarde der zum Lauriston'schen Corps gehörigen Division Maison angegriffen , welche auf zwei von den Sappeurs des Geniecorps rasch geschlagenen Brücken die Elbe passirte. Der erwähnte Posten repliirte sich alsbald auf Nedlig. Beinahe zu gleicher Zeit wurden auch Gübs und Gommern von den Avantgarden der Generale Lagrange und Rochambeau attakirt und zogen sich die dortigen Posten gleichfalls gegen Nedlig zurück.

Eugen dringt aus Magdeburg vor.

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Lauriston's Vorrücken erfolgte in der Art, daß Maiſon die Linke, Lagrange das Centrum und Rochambeau die Rechte bildete. Hinter ihm marschirten Latour-Maubourg's Cavaleriecorps , und auf ziemlich große Distanz folgten dann noch das Corps Grenier's und die Diviſion der kaiserlichen Garde. Doch machte Eugen bald halt und ließ Lauriston auf den kleinen Anhöhen bei Königsborn , ferner bei dem 1 Lieue herwärts Nedlig gelegenen Dorfe Wahlih und bei Gommern Stellung nehmen, während Grenier im zweiten und die Garde im dritten Treffen , Lauriston verblieb.

Latour - Maubourg's

Reiterei

aber bei

Da sich Borstell nicht mehr gedrängt sah und noch nicht hatte wahrnehmen können, was für Streitkräfte ihm gegenüberstanden, blieb er mit seinem concentrirten Detachement ruhig in Nedlig. Als er aber in der Nacht durch sichere Berichte erfuhr, daß er es mit beinahe sämmtlichen Truppen Eugen's zu thun habe, beeilte er sich, sowol Wittgenstein davon zu verständigen. als auch an Bülow zu schreiben, um diesen wegen Beschleuni gung seines Marsches zu bitten. Bereit , den Rückzug anzutreten , sobald Eugen den ersten Schritt weiter vorwärts thun würde, nahm Borſtell eine abwartende Stellung ein. Dies geschah erst am Nachmittage des 3. April. Während Lauriston in seinen am vorhergehenden Tage bezogenen Positionen ſtehen blieb, rückte Eugen mit den Corps von Grenier und Latour-Maubourg gegen Nedlik. Bei deſſen Anmarsch räumte Borstell das letzgenannte Dorf und zog sich fechtend auf das nur ungefähr 2 Lieues von Nedlig entfernt liegende Städtchen Möckern zurück, wohin er jedoch nicht verfolgt wurde. Eugen machte nämlich wieder nur eine Recognoscirung , um das Terrain für das zu errichtende Lager vollends zu beſtim Er ließ dann Grenier ein Bivuak beziehen , mit dem Centrum in Nedlig, in das erste Treffen Borstell stieß in auch noch nicht der

sodaß deſſen ganzes Corps vor Lauriſton zu stehen kam . Möckern nicht mit Bülow zusammen, was Fall sein konnte. Dagegen gingen ihm

hier Befehle von Wittgenstein zu. Nachdem nämlich der russische General erfahren , daß das

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Zehntes Kapitel.

Gros der französischen Armee aus Magdeburg vorrücke , hatte er dieselbe anzugreifen beschlossen. Er wollte sie deshalb von Magdeburg wegziehen, indem er sie in der Front durch Bülow und Borstell heranlocken ließ , um dann , wenn dieselbe weit genug vorgerückt , mit York und Berg ihr in den Rücken und die rechte Flanke zu fallen. Zu dem Ende ertheilte er folgende Befehle: Borstell hat , sobald er sich nicht mehr in Möckern halten kann , gegen Görzke zurückzugehen ; Bülow , welcher sich am 3. April in Brandenburg befinden sollte , marſchirt am nächstfolgenden Tage von da nach Ziesar ; Berg und York aber, welche am 3. April resp . bei Belzig und Senst standen, haben gleichfalls am nächsten Tage von dort aufzubrechen und indem . sie ihre Marschdirection nach rechts nehmen , der erſtere nach Leißkau, der andere dagegen nach Zerbst zu rücken. Während Wittgenstein alle diese Dispositionen zum Angriffe der franzö sischen Armee traf, wollte er jedoch den Bau seiner Brücken über die Elbe weder aufschieben noch gefährden. Er beließ daher Kleist vor Wittenberg und bei Elster, ebenso in Roßlau das früher dahin entſendete Detachement, dem noch 2 Bataillone und eine Batterie, welche wieder von York's Truppen abgegeben , zur Verstärkung nachgeschickt wurden. Auch befahl Wittgenstein , von dort aus ein Kosackenregiment auf das linke Elbufer zu werfen, welches in der Richtung gegen Leipzig die Verbindung mit Winzingerode aufsuchen sollte. Borstell konnte den von Eugen entwickelten Streiffräften gegenüber nicht daran denken, in Möckern ſtehen zu bleiben. Er räumte es daher in aller Stille am 4. April zwei Stunden vor Sonnenaufgang. Das war sein Glück, denn bei Tagesanbruch erschienen die Franzosen in einer Stärke von 7-8000 Mann vor Möckern, in der Hoffnung , die Preußen überfallen zu können. Eugen führte diese Truppen persönlich. Ohne weitern Erfolg disponirte er seine Reiterei gegen die einige hundert Pferde starke äußerste Arrièregarde des preußischen Generals. Bald entdeckte er , von einer jenseit Möckern gelegenen Höhe aus , in der Ferne die preußische Infanterie , wie sie in Hohenziah die berliner Straße , auf welcher sie anfänglich ihren Rückzug bewerkstelligt, verließ, um sich gegen Görzke zu wenden. Eugen

Wittgenstein's Streitkräfte z. Angriffe gegen Eugen. 393 ging dann auf Nedlig zurück. Am gleichen Tage begann man französischerseits mit der Erbauung der Verschanzungen , durch 1 welche man seine Stellung zu verstärken beabsichtigte. ¹ Am Abende des 4. April ſtand Borstell bei Gloina, halbwegs von Hohenziah nach Görzke ; Bülow war noch ziemlich hinter Ziesar zurück, hielt aber diesen Ort durch seine Avantgarde besezt ; Berg befand sich bei Leikkau und York in Zerbſt, wohin auch Wittgenstein abends sein Hauptquartier verlegte. In des leztern Auftrage ſchrieb York am gleichen Abende um 11½ Uhr an Borstell und Bülow, um sie des nähern zu verständigen, in welcher Weise der gegen die französische Armee beabsichtigte Angriff erfolgen sollte. Nachdem er beiden von seiner und Berg's Stellung Mittheilung gemacht , wies er sie an, sich am nächsten Tage bei Hohenziak zu vereinigen , um dann derart vorzugehen , daß sie die Franzosen beschäftigten und heranlockten, ohne sich aber dabei bloßzustellen ; am darauf folgenden Tage, als am 6. April, sollten sie dann den Feind, wenn ſie das Kanonenfeuer • von Leißkau herüber hörten, auf das kräftigste attakiren, indem gleichzeitig der General Wittgenstein von der erwähnten Seite her zum Angriffe vorgehen würde. Ueberdies bemerkte York noch, daß die in sehr bedeutender Stärke von Magdeburg vorgedrungenen Franzosen sich fast in allen Richtungen ausgebreitet hätten , mit dem Gros aber vorzugsweise auf Möckern sich gewendet zu haben schienen. Berg verfügte kaum über 8000 Mann, nachdem er 2000 vor Wittgenberg und bei Elster , wie auch einige hundert Mann auf Roßlau detachirt hatte, die gegen Spandau zurück2 gelassene Abtheilung aber noch nicht wieder eingerückt war. Borstell hatte, die Kosacken nicht mitgezählt, nur gegen 5000 ; Bülow höchstens 6000 , während York fast nur 9000 Mann verblieben. Wittgenstein stand also im Begriffe, mit ungefähr 28000 Mann Eugen anzugreifen , der ihm mit 40000 gegen: überſtand , und der überhaupt mehr als 60000 zur Verfügung hatte. 5 Das Unternehmen war daher ein kühnes , aber eben

1 Operationsjournal des Observationscorps der Elbe. 2 1 3 und 5. Dieſe Noten finden sich zwar im Manuſcript ver-

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diese Kühnheit war der Ausfluß der Zuversichtlichkeit , welche den Alliirten durch das Misgeschick unserer Waffen eingeflößt worden.

Bülow und Borstell hatten am 5. April ihre Vereinigung noch nicht bewerkstelligt, als sie durch ein Schreiben York's in Kenntniß gesezt wurden , daß der beabsichtigte Angriff am gleichen und nicht erst am nächsten Tage stattfinden sollte. Wittgenstein hatte nämlich die Nachricht erhalten, daß die französische Armee sich wieder zum Rückzuge über die Elbe anschickte, welchen er dieselbe nicht ungestört ausführen laſſen wollte. Es war 11 Uhr vormittags . Wie am vorhergehenden Abende schrieb York im Auftrage des Commandirenden und zwar in folgender sehr lakonischer Weise : „ Der Feind stehe hinter Danigkow , Vehliz und Zehdenick. Graf Wittgenstein ſei im Marſch, um ihn heute noch anzugreifen. General York werde dies in der Richtung über Danigkow gegen Gommern, General-Lieutenant Berg über Vehliz thun. General v. Bülow möge sich nach Zehdenick wenden , .um wo möglich den Feind in seiner linken Flanke zu umgehen und ihn zu beschäftigen, und sich dabei nach dem Kanonenfeuer richten.“ Wittgenstein beeilte sich dermaßen , mit dem Feinde zu ſammenzustoßen , daß er sich nicht die Zeit nahm , seine Generale in Uebereinstimmung untereinander handeln zu laſſen. Verläßt man Magdeburg in der Richtung nach Osten, so findet man zwei Straßen , deren eine links , die andere aber rechts abgeht. Die zur linken Hand führt durch das Dorf Gerwisch und weiter über Burg nach Brandenburg ; die zur Rechten dagegen durchschreitet auf dem sogenannten Klusdamme

zeichnet, sind aber nicht weiter ausgeführt , ſondern nur in Chiffern vom Autor niedergelegt worden , die in ihrer Bedeutung nicht haben fest gestellt werden können . Anmerkung des Herausgebers. 4 General Scharnhorst sagt in einem unterm 2. April aus Wittgenstein's Hauptquartiere geschriebenen Briefe an Knesebeck : „ Bei Magdeburg sind 40000 Mann , wie viel bei Erfurt, das wiſſen wir nicht."

Eugen's Stellung am 5. April.

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eine sumpfige Niederung , theilt sich dann , auf 2 Lieues von der Festung, in zwei Zweige, von denen der eine durch das Dorf Nedlig über Möckern und Zieſar geht , um schließlich in Berlin auszulaufen , der andere aber im Elbthale aufwärts über Gommern, das Dorf Danigkow, die beiden kleinen Städte Leikkau und Zerbst führt, von wo derselbe sich weiter über Roßlau bis Wittenberg fortzieht. In dem Moment, wo die russischen und preußischen Colonnen gegen Eugen anmarschirten , waren dessen Truppen weit davon entfernt , auf dem Rückzuge begriffen zu sein, wie Wittgenstein glaubte, sondern standen vielmehr im Bivuak und arbeiteten an den angefangenen Verschanzungen. Das Corps Grenier's hielt ein nur wenig erhöhtes und eine Lieue breites Plateau besett, mit seiner Linken an Nedlih, mit der Rechten bei Gommern . Lauriston hatte zwei von seinen Diviſionen bei Gerwisch und Woltersdorf, und stand rechts mit Grenier in Verbindung ; seine dritte Division unter Lagrange war im zweiten Treffen bei Wahlik , am Kreuzungspunkte der Straßen nach Berlin und Wittenberg, und hielt mit einer Ab theilung Gommern beseßt. Die Garde befand sich im dritten Treffen am östlichen Ausgangspunkte des Klusdammes . Grenier war in seiner Front durch die Ehle gedeckt, welche zwar weder breit, noch tief, jedoch ihrer sumpfigen Ufer wegen schwer zu passiren ist. Nachdem dieses Flüßchen bis zum Dorfe Zehdenick in der Richtung von Ost nach West geflossen, wendet es hier plöhlich seinen Lauf gegen Süden , geht vor Vehliz und dann hinter Danigkow vorbei , nimmt bei lehterm Orte wieder eine westliche Richtung , fließt dann bei dem an seinem rechten Ufer liegenden Städtchen Gommern vorüber, um sich 1½ Lieue von da nach Norden zu wenden , paſſirt bald darauf eine am östlichen Ausgangspunkte des Klusdammes befindliche Brücke und ergießt sich einige Lieues unterhalb Magdeburg in die Elbe. Dieses Flüßchen deckte also die Linke von Eugen's Position. In Danigkow und Vehliz, von denen jedes eine Brücke besigt , sowie in Zehdenick , welches halbwegs zwischen Nedlig und Möckern liegt , standen vorgeschobene Abtheilungen von je 2 Compagnien .

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York hatte die beiden Brigaden Hünerbein und Horn zur Verfügung. Die erstere, welche in der vergangenen Nacht bei Schorau bivuakirte , war im Laufe des Morgens bis Leizkau vorgeschoben worden, während die andere mit York noch ruhig in Zerbst stehen blieb. Daher kam es, daß die lettere Brigade, als sie sich um 11 Uhr vormittags in Marsch sette , an 5 Lieues von der andern entfernt war. Nichtsdestoweniger ließ Wittgenstein dem General Hünerbein die Weisung zugehen, um ein Uhr mittags gegen Danigkow vorzurücken und daſſelbe sofort anzugreifen. Dieser Befehl kam zur Ausführung. Um zwei Uhr begann der preußische General jenes Dorf zu be schießen. Eugen war in dieſem Moment zu Pferde und durchritt ¹ eben das Terrain seines Lagers . Er sprengte in der Richtung gegen den Kanonendonner, erkannte , daß hier ein ernstlicher Angriff vorlag, und sah voraus , daß derselbe nicht vereinzelt bleiben würde. Er befahl daher sogleich Grenier , 2 Bataillone gegen Danigkow heranzuziehen , die gleiche Anzahl nach Vehliz und ebenso viel auch nach Zehdenick vorgehen zu laſſen. Die beiden Compagnien, welche Danigkow vertheidigten, gehörten zu dem aus Cohorten gebildeten 134. LinieninfanterieRegiment . Mit vieler Bravour angegriffen , vertheidigten sie sich gleichfalls so, und leisteten sie nach mehr als zweistündigem Kampfe noch weitern tapfern Widerstand , obwol sie nur durch eine einzige von Gommern gekommene Compagnie ihres Regiments verstärkt worden waren. York, welcher mit der Brigade Horn marſchirte , war noch 1 Lieue von Danigkow entfernt. Weder von Bülow's, noch von Berg's Seite her ließ sich Geſchüßfeuer vernehmen. Doch sollte dieſes Stillschweigen nicht lange mehr dauern. Gegen 4% Uhr schlugen die ersten feindlichen Kugeln in Vehliß ein . Borſtell war nämlich auf Bülow's Befehl gegen Zeppernick gerückt, um dann von hier aus den Poſten von Zehdenick in

1 Schreiben Eugen's an Napoleon , vom 5. April.

Treffen von Möckern am 5. April.

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der Rechten anzugreifen , während dies von Bülow selbst in der Linken geschehen sollte. Als er aber den ersten jener beiden Punkte erreicht und das von Danigkow herüberschallende Geſchüßfeuer vernahm , machte er in seinem Kampfeifer von York's Befehle Gebrauch, welcher bekanntlich die Weisung erhielt, sich nach dem Kanonendonner zu richten. Er marschirte daher dieſem nach. Bald jedoch ging noch näher bei ihm , gegen Vehliz hin , Geſchüßfeuer los , worauf er dahin eilte und gewahrte , daß es der General Berg war , welcher von seiner Artillerie das lettgenannte Dorf beschießen ließ. Sofort sette er sich mit diesem wegen des Angriffs auf den Ort ins Einvernehmen. Vehlitz ist mit dem linken Ehleuser durch eine Brücke verbunden, deren einziger Zugang in einem schmalen Damm besteht, welcher durch eine 3-400 Meter breite sumpfige Niederung führt. Während 24 Geschüße gegen das Dorf in Thätigkeit waren , formirten der russische und der preußische General 2 Colonnen, jede in der Stärke von 2 preußischen Bataillonen; die eine ward etwas rechts, die andere etwas links von jenem Damme dirigirt, und 2 russische Bataillone zu ihrer Unterstügung disponirt . Ungeachtet eines heftigen Geſchüß- und Gewehrfeuers durchschritten die erwähnten beiden Colonnen die ſumpfige Niederung, paſſirten dann durch Fuhrten die Ehle , wobei ihnen das Wasser bis an die Hüften reichte, und faßten auf der andern Seite Fuß. Die linke Colonne warf ſich ſofort gegen eine Batterie von 4 Geschützen, seitens welcher sie mit einem Kartätschenhagel überschüttet wurde, und nahm deren zwei, worauf sie sich gegen Vehliz wendete, um dieses Dorf von Süden her anzugreifen, während die rechte Colonne lezteres bereits an der Nordſeite attafirte. Der Ort wurde in diesem Moment von 3 Compagnien des Grenier'schen Corps vertheidigt, deren unmittelbares Soutien 2 Bataillone der italienischen Brigade Zucchi waren. Nach einem energischen Widerstande ward das Dorf erobert und seine Vertheidiger von Zucchi aufgenommen. Doch gaben sich die Angreifer damit nicht zufrieden. Durch die Ruſſen verstärkt, warfen sie sich auf den vorgenannten General, umſtellten

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Zehntes Kapitel.

denselben und forderten ihn zum Strecken der Waffen auf, erhielten aber nur Flintenschüsse zur Antwort. 1 Mittlerweile war es dunkel geworden. Zucchi degagirte sich und ging zurück , durch den vom Plateau heruntergerückten Reſt der Brigade unterstüßt, ohne vom Feinde weiter verfolgt zu werden. Im legten Moment dieses erbitterten Kampfes wurde der General Grenier , welcher selben inmitten des Feuers zu beobachten herbeigekommen, von einer Kugel im Gesichte schwer verwundet. Wie mit Vehlit, so ging es auch und zwar fast zu gleicher Zeit mit Danigkow . Hünerbein nahm das genannte Dorf unter York's Augen ein. Aber obwol lekterer die Brigade Hünerbein durch die Horn'sche hätte unterstüßen können , so befahl er jener doch, stehen zu bleiben gegenüber der Diviſion Gérard und der 5—600 Pferde, die vorwärts von Gommern ſtanden und die braven Conſcribirten , welche Danigkow vertheidigt, aufnahmen. Während sich Eugen auf diese Art ſeine Vorposten und ſeine Brücken über die Ehle nehmen ließ , erfuhr er auch bei Zehdenick eine empfindliche Schlappe. Hier hatte er es mit Bülow zu thun. Der ebengenannte preußische General verfügte bekanntlich nicht mehr über Borstell , welchen wir Vehliz angreifen sahen, und hatte demzufolge nur noch eine Brigade bei sich. Da dieselbe ihm indessen im Verhältnisse zu seinem durch den fernern Kanonendonner angefachten Kampfeifer nicht schnell genug vorrückte , wartete er jene nicht ab , sondern eilte an der Spize einer einfachen Avantgarde auf Möckern, ging durch den Ort durch und rückte dann, alles in Einem Zuge, gegen Zehdenick, welches eben geräumt worden war. Doch wurde Bülow etwas hinter diesem Dorfe Infanterie und Reiterei gewahr ; es waren 2 Bataillone des Grenier'schen Corps und ungefähr 800 Pferde von der 1. leichten Cavaleriedivision des Corps Latour-Maubourg's . Seine Infanterie und Artillerie , das heißt ein

1 Schreiben Eugen's an Napoleon vom 5. April.

Betrachtungen über das Treffen von Möckern.

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Bataillon und eine reitende Batterie, bei Zehdenick aufstellen, und seine 6-700 Pferde starke Reiterei gegen die ruhig ſtehen bleibende französische Cavalerie werfen - das alles war für Bülow nur das Werk eines Augenblicks. Hinter einem nicht bedeutenden Hindernisse aufmarschirt, warteten unsere Schwadronen stehenden Fußes die Attake ab, wurden zusammengehauen, über den Haufen geworfen und in die Flucht getrieben ¹ , wobei fie außer 100 Todten und Verwundeten eine gleiche Anzahl Gefangener in des Feindes Händen zurückließen. Zum großen Glücke gewährten ihnen unsere sofort in Quarrés formirten Bataillone Schuß zur Raillirung und gingen sie dann mit diesen ohne weitern Zwischenfall auf Nedlig zurück. Es war unterdeſſen dunkel geworden. Die preußische Cavalerie kehrte, ohne eine neue Unternehmung zu versuchen, nach Zehdenick zurück. An diesem Nachmittage des 5. April war man also in Danigkow , Vehliz und bei Zehdenick aufeinandergestoßen, wobei Eugen überall unterlegen. Wittgenstein hatte bei seiner Ueberstürzung in einer Weise manövrirt , daß er hätte total geschlagen werden können. Er griff an drei auf einer Linie von 2 Lieues liegenden Punkten. an , jede seiner Colonnen eröffnete bei ihrer Ankunft an der betreffenden Stelle eilig das Gefecht , hier gegen 2 Uhr , dort gegen 42 Uhr und weiter gar noch zwei Stunden später, ohne daß eine die andere hätte unterſtüßen können. Wäre Eugen bei Danigkow allmählich zurückgewichen , so würde er York's beide Brigaden gegen Gommern herangezogen haben; wäre er ferner in gleicher Weise bei Vehlik zurückgegangen , so hätte er Borstell und Berg bis auf das Plateau nachgezogen. Ließ er nun Grenier rasch die Front verändern, den linken Flügel vorgenommen , warf er ihn dann mit der kaiserlichen Garde und Lagrange auf die kühnen Gegner, welche ihm so unklugerweise Troh bieten wollten , so hätte

1 Eugen's eigene Worte in seinem Schreiben an Napoleon vom 5. April.

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Zehntes Kapitel.

er dieselben durch sein numerisches Uebergewicht erdrückt und gegen die Elbe, außerhalb jeder Rückzugslinie, zurückgetrieben. Er würde dann die Straße nach Berlin und der untern Oder ganz offen daliegen gehabt haben , wäre in die preußische Hauptstadt eingezogen , hätte Stettin sowie Küstrin deblokirt, und auf diese Weise Schläge geführt, welche in Kaliſch, Breslau, in ganz Preußen, Hamburg und überhaupt ganz Deutschland einen gewaltigen Eindruck hervorrufen mußten. Dieses Manöver mit solchen Resultaten stand sozusagen auf dem Terrain geschrieben. Doch entging dies Eugen's Blicken, oder aber wagte er es nicht auszuführen . Ging ihm der flare Blick und die Kühnheit ab , so hätte er wenigstens , was bei der Tapferkeit seiner Soldaten und seinem numerischen Uebergewichte leicht gewesen, die Wegnahme von Danigkow und Vehlih verhindern oder nöthigenfalls die beiden Orte nach deren Verluste wieder zurückerobern müssen. Doch that er auch dies nicht. Nach Eugen's Berichte kostete ihm der Tag 900 Mann, worunter an 100 Gefangene , welche lettere fast durchgängig von der 1. Cavaleriediviſion waren.¹ Nach den Angaben der preußißischen und russischen Geschichtschreiber waren bei den Alliirten nur ungefähr 600 Mann kampfunfähig geworden. Die somit versäumte Gelegenheit zu einem leichten und bedeutenden Erfolge hätte sich Eugen am nächsten Tage wieder geboten, da Wittgenstein seine Angriffe am 6. zu erneuern ent schlossen. Eugen wartete dieselben jedoch nicht ab. Vielmehr bewerkstelligte er während der Nacht seinen Rückzug nach Magdeburg , zerstörte dabei die Brücke am Klusdamme, und brachte, ohne weiter beunruhigt worden zu sein, die Elbe zwischen sich und seine Gegner. Auf diese Art verzichtete er also vor einem gegen ihn um die Hälfte schwächern Feind auf jenes Lager vorwärts von Magdeburg und jene Offenſivpoſition, die zu beziehen ihm von Napoleon in so gebieterischer Weise anbefohlen worden ; er gab dieselbe auf, nachdem er sie bereits vier Tage innegehabt, was mit Rücksicht auf den moralischen

1 Schreiben Eugen's an Napoleon vom 5. April.

Eugen und das Treffen von Möckern.

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Effect nachtheiliger war , als wenn er sie überhaupt gar nicht im Besize gehabt hätte. Zur Erklärung und Entschuldigung dieses plöglichen Abgehens von Napoleon's Befehlen schrieb er lehterm, daß er nicht eine Affaire hätte riskiren wollen, deren Ausgang zweifelhaft sein konnte mit Rücksicht auf die wenige ihm zu Gebote stehende Cavalerie, und , was noch mehr , in Betracht des geringen Vertrauens auf einen glücklichen Erfolg“ . Dazu bemerkte er weiter: ,,er dächte , daß es seine Pflicht wäre, nichts aufs Spiel zu ſehen , bevor sich nicht eine gute Gelegenheit bieten würde.“ 1 Wann sollte man aber dem Feinde die Stirn bieten, wann demselben eine Schlacht liefern, wenn zur Aufnahme des Kampfes erst eine zahlreiche Cavalerie und dann noch eine günstigere Gelegenheit als die , wo man sich 2 gegen 1 und dazu auf einem ausgesuchten Terrain befand, abgewartet werden mußte? Wir haben in dem vorigen und in diesem Kapitel Eugen's Manöver an den Ufern der Elbe sowol dies: als jenſeit von Magdeburg und deren Ursachen einer eingehenden Schilderung unterzogen, da bisjest weder die einen noch die andern eine genaue Darstellung gefunden. Während sie für manche Geſchichtſchreiber unerklärlich geblieben² , sind sie wieder von andern systematisch in einer der Wahrheit nicht entsprechenden Weise Der wirkliche Sachverhalt findet sich in erklärt worden. Eugen's und Napoleon's Correspondenz , wie auch in den auf feindlicher Seite ergangenen Anordnungen. An diesen Quellen schöpften wir die Wahrheit , und zwar steht dieselbe nicht im

Schreiben Eugen's an Napoleon vom 5. April. 2 Unter jenen Autoren ſei hier des einſichtsvollen Gouvion St. -Cyr gedacht. Indem er nicht weiß, wie er Eugen's Erscheinen vor Magdeburg und deffen plötzlichen Rückzug vor einem numeriſch ſo viel schwächern Gegner rationell erklären soll , begnügt er sich mit der Angabe , „ daß ihm eine bei dem Prinzen Eugen ziemlich im Vertrauen gestandene Persönlichkeit versichert, letzterer hätte kein anderes Motiv dazu gehabt, als einen seiner Generale auf die Probe stellen zu wollen". ( S. ,,Mémoires pour servir à l'histoire du Consulat et de l'Empire etc.") 26 Charras, 1813.

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Einklange mit der Behauptung gewisser Biographen Eugen's, diesen für einen General ersten Ranges gelten laſſen zu wollen. Eugen vermehrte nur die Reihe seiner Fehler , welche ihn in so kurzer Zeit bis an die Elbe zurückgeführt, wenn er leßtern Fluß vertheidigen zu können wähnte, indem er deſſen linkes Ufer besezte und dabei seine Truppen iu einem langen , der Stärke ermangelnden Cordon verzettelte. Damit erleichterte er Tettenborn's Streifzug nach Hamburg , den Abfall der Herzogthümer Mecklenburg, die Erhebung der Hansestädte und des Niederlandes zwischen der Elbe, Weser und Ems , ein Aufstand , welcher die Remontirung der französischen Cavalerie in Hannover zunichte machte, ferner Napoleon über 40000 Mann dahin zu schicken nöthigte und dem Prästigium der kaiserlichen Herrschaft einen schweren Schlag beibrachte. Auf Napoleon's detaillirte, wiederholte und drängende Befehle änderte Eugen sein System und concentrirte sich bei Magdeburg. Kaum hatte er dies aber bewerkstelligt, so ließ er sich durch einige Kosackenstreifzüge täuschen und zog seine Hauptmacht, der ihm gewordenen Instructionen schon nicht mehr eingedenk, an der Ohre zusammen. Nach Verlauf einiger Tage sah er seinen Irrthum ein , kehrte nach Magdeburg zurück und debouchirte auf das rechte Elbufer. Sein Erscheinen vorwärts von Magdeburg hatte hingereicht, um Wittgenstein auf ihn zu ziehen. Dies mußte ihm den Beweis liefern, wie richtig Napoleon's Berechnungen, und ihm zeigen, wie vortrefflich die eben von ihm bezogene Offensiv stellung war. Anstatt aber lettere zu halten , beeilte er sich mit deren Räumung ; anstatt die glücklichen Umstände zu be nugen, welche ihm durch die unkluge Kühnheit des mit bedeutend geringern Streitkräften angreifenden Wittgenstein geboten wurden , ließ er vielmehr seine Vorposten schlagen , wich einer Schlacht aus, machte sich nächtlicherweile auf und verließ seine angefangenen Verschanzungen, um wieder über die Elbe zurückzugehen, womit er sich den Anschein des Besiegten gab. Das ist der quellenmäßig erhärtete und wahrheitsgetreue kurze Abriß von Eugen's Verhalten seit dem 8. März , als dem Tage , an welchem er nach der Räumung Berlins in Wittenberg die

Eugen macht gegen die Saale Front.

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Elbe passirte, bis zum 6. April, wo er diesen Fluß abermals in Magdeburg überschritt. Wir bleiben also dabei stehen, daß es schwer fallen dürfte , darin einen Beweis für Eugen's Begabung mit Feldherrntalenten zu finden. Für das Treffen von Möckern , wie jene drei vor Magde: burg stattgehabten Vorpostengefechte in sehr unzutreffender Weise genannt werden , für dieses vom schleunigen Rückzuge der französischen Armee hinter die Elbe gefolgte Treffen nahmen die Ruſſen und Preußen die Ehre eines großen Sieges in Anspruch. Wittgenstein berichtete , und war auch jedenfalls des Glaubens , daß Eugen auf dem Marsche nach Berlin begriffen gewesen und durch den Sieg von Möckern daran gehindert worden wäre. In Berlin schoß man Victoria, während in den Kirchen Dankfeste gehalten wurden ; allerorten feierte man den Ruhm der Vaterlandsvertheidiger und ihrer Bundesgenossen, der Ruſſen , überall wuchs die Begeisterung der Bürger und Soldaten. Als Eugen derart das rechte Elbufer geräumt , war ihm inzwischen die Nachricht aus Dresden zugegangen , daß der linke Flügel der Alliirten dort jenen Fluß überschritten , wodurch er zu dem irrigen Glauben gelangte , es läge in deren Absicht, sich gegen das damals aus dem Mainthale auf Erfurt im Marsche begriffene Corps Ney's zu wenden. Er beschloß demzufolge, in das Saalethal zu rücken, um in der Lage zu ſein, einem derartigen wie dem vermutheten Unternehmen sich entgegenstellen zu können. Wäre dies im Plane der Alliirten gelegen, so würde er sie zum sofortigen Aufgeben desselben genöthigt haben, wenn er von neuem aus Magdeburg debouchirte, Berlin bedrohte und den unbedachtsamen Wittgenstein, was er so leicht konnte, schlug. Doch auch im weitern Verlaufe begriff er dieses folgenreiche Manöver nicht oder wagte es nicht auszuführen. In Magdeburg standen nur

2 westfälische Regimenter,

1 Schreiben Engen's an Napoleon vom 7. April. 26*

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Zehntes Kapitel.

denen man nicht trauen durfte¹ , und ferner einige Schiffs: compagnien. Infolge dessen verlegte Eugen noch 6 Bataillone von Davout's 1., und 4 dergl. von Victor's 1. Division in die Festung , und überließ den dermaßen beſeßten Plaz ohne Besorgniß der tapfern Leitung des Geniegenerals Haro. Am 12. April hatte Eugen ſein Hauptquartier in Aſchersleben, seine von Lauriston gebildete Linke lehnte sich bei Bernburg an die Saale , seine Rechte unter Grenier erſtreckte fich dagegen bis nach Blankenburg im Harze und weiter noch bis Elbingerode, wohin er Durutte gerufen , welchen die Baiern eben behufs des Rückmarsches nach ihrem Vaterlande verlassen, sodaß dieser General nicht mehr als 1000 Mann hatte, Victor , der mit 8 Bataillonen an der untern Saale sich befand, bewachte die Debouchés von Bernburg und Calbe. In dieser Aufstellung stand die französische Armee auf einer beinahe geraden Linie von 15-20 Lieues und hatte Magdeburg zur Operationsbasis . Wenn der Gegner, was jezt aber nicht mehr anzunehmen , mit einer starken Truppenmacht die Elbe unterhalb Magdeburg überschritt, so konnte sie durch eine einfache Frontveränderung und das Zurücknehmen der Linken wieder Wesel zu ihrer Basis machen und das Königreich Westfalen decken, wobei sie mit Davout in nächſter Verbindung ſtand , welcher bekanntlich insbesondere mit der Vertheidigung der 32. Militärdiviſion beauftragt war. Wollte der Feind aber im Gegentheile, wie Eugen glaubte, nach Thüringen auf Erfurt vordringen , so war die franzöſiſche Armee zur Hand , um mit über 60000 Mann in dessen Flanke und Rücken zu fallen und ihm auf das schlimmste mitzuspielen. War Eugen nicht in seiner Position vorwärts von Magdeburg geblieben, so hätte er keine bessere als die eben geschilderte wählen können, wenigstens von dem Gesichtspunkte des seinerseits bei den Alliirten vermutheten Planes aus betrachtet.

Wittgenstein indeſſen

ganz

ruhmesbegeistert , von

1 Schreiben Eugen's an Napoleon vom 28. April.

Wittgenstein geht über die Elbe.

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nahm ohne Eugen das Terrain sich überlassen zu sehen der Elbe Ueberschreitung beabsichtigte ihm von Säumen die wieder auf. Während er Bülow, bei welchem er Borstell beließ , mit der ziemlich engen Einschließung von Magdeburg auf dem rechten Elbufer beauftragte, rückte er mit York und Berg nach Roßlau. Die dort in Angriff genommene Brücke war fertig und ein Brückenkopf gebaut worden ; auch hatte man Dessau besetzt. Am 8. und 9. April überschritten York und Berg die Elbe , ersterer rückte bis Köthen vor , während der andere in Dessau blieb und Acken, an der Straße nach Calbe, mit einer Brigade besezte. Mittlerweile war das Detachement wieder zu Berg gestoßen , welches ihn Wittgenstein für einige Zeit gegen Spandau hatte stellen laſſen. Winzingerode war seit dem 3. April in Leipzig, hielt durch Abtheilungen Merseburg und Halle an der Saale besezt und ließ das weiter vorliegende Land von seiner leichten Reiterei durchstreifen. Blücher , des erstern Oberbefehlshaber , war, nachdem er Dresden passirt , über Chemnitz nach Altenburg gerückt , hatte leichte Truppen bei Plauen stehen , beobachtete die Debouchés aus Baiern und schob Parteigänger nach Thüringen vor. Nachdem also Wittgenstein und Blücher mit dem Gros

ihrer Streitkräfte auf einer 20 Lieues langen Linie standen und miteinander in Verbindung getreten waren, hatten sie die hinsichtlich ihres Vormarsches ihnen kürzlich von Kutuſow gesteckte Grenze erreicht. Lehterer schrieb denn auch untem 29. März an Wittgenstein : „Ich glaube , man müsse nicht weiter als bis an die Elster gehen ; hier ist die äußerste Grenze; doch hat dies keinen Bezug auf die Parteigänger." 1 Wittgenstein und Blücher befanden sich auf diese Art in ihren Bewegungen bes engt, während Eugen ſeinerseits keine andere Intention hatte, als erstere an dem Vordringen nach Thüringen, was aber nicht in deren Absicht lag, zu hindern. So kam es, daß der Krieg

1 S. das betr. Schreiben in Michaelowsky-Danielewsky's,,,Denkwürdigkeiten aus dem Kriege von 1813".

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Zehntes Kapitel.

auf kleine Vorpostengefechte, auf Zuſammenſtöße bei Recognoscirungen theils etwas diesseit , theils etwas jenseit der Saale, und auf einige von russischen und preußischen Reiterſtreiftrupps im Harze und in Thüringen ausgeführte Handstreiche sich beschränkte. Eins von dieſen Detachements erschien für einen Augenblick in Nordhauſen, 20 Lieues von Kaſſel ; ein anderes überfiel in Langensalza Rechberg und deſſen Baiern , welche auf dem Rückmarsche nach ihrem Vaterlande begriffen waren, und nahm ihnen ihre sämmtlichen Geſchüße bis auf eins¹ ; ein drittes solches Streifcorps schickte ein ganzes herzogl. fächſiſches Bataillon an Blücher , welches sich ohne einen Schuß in Eiſenach hatte gefangen nehmen laſſen und das unter dem Unabhängigkeits- und Freiheitsrufe insgesammt in die preußische Armee übertrat. Die Einwohner jener Gegend leisteten um die Wette durch ihre Nachrichten den Russen und Preußen Vorschub, und mehr als einer von ihnen schloß sich denselben bei Gelegenheit an. Wittgenstein wollte indessen den ihm anbefohlenen Halt viel nüßlicher verwerthen. Er trat nämlich mit dem General Thielmann, dem Gouverneur von Torgau, in Verkehr und be mühte sich, dieſen zu bereden, sich zu Sachſens York zu machen. Doch gelang ihm dies nicht. Der für Deutschlands Sache sehr begeisterte sächsische General hatte bereits mit Kleist und Winzingerode Zusammenkünfte gehabt , ja er hatte sich selbst dem leztern gegenüber ausdrücklich verbindlich gemacht2, Torgau übergeben zu wollen , falls der König von Sachſen nicht der Coalition sich anschließen würde. Da er aber wegen deſſen Beitritts noch nicht alle Hoffnungen aufgegeben, wollte er nichts ohne seines Kriegsherrn Zustimmung thun, und überdies hatte er den Befehl erhalten, weder den Franzosen noch den Alliirten in Torgau Eintritt zu gewähren. Doch ließ er Wittgenstein mittheilen ,

daß

Wittenberg ,

eine

gleich Torgau sächsische

¹ S. bei Völderndorff, Kriegsgeschichte von Bayern 2c.“ 2 Stein schrieb unterm 11. April jene Thatsache dem ruffischen Minister Nesselrode.

Wittgenstein's Angriff auf Wittenberg.

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Festung , in sehr unzulänglichem Vertheidigungszustande sich befinde und folglich leicht zu nehmen sei. Auf diesen Fingerzeig hin gelangte Wittgenstein zu dem Entschlusse , ohne weiteres Säumen einen Sturm auf jene Stadt, und zwar unter seiner eigenen Leitung, zu versuchen. Am 16. April traf er für seine Person in Kleist's Hauptquartier ein. Am andern Morgen ließ er bei Tagesanbruch 3 Colonnen gegen Wittenberg vorgehen. Der General Lapoype, ſeit 1792 Divisionär , hatte die Vorstädte des Plates abbrennen lassen und , soweit es Raum und Zeit gestattet, alle Vertheidigungsmaßregeln getroffen, welche indeſſen noch nicht zu Ende geführt waren ; zudem hatte er nur 20 Feldgeschüße auf den Wällen und verfügte nur über 2000 Mann Besatzungstruppen mit 3-400 jungen Artilleriſten und Sappeurs.

Nichtsdesto-

weniger leistete er den Preußen und Ruſſen ſo tapfern Widerstand, daß er dieselben um 2 Uhr nachmittags von ihren erbitterten , aber erfolglosen Angriffen abstehen sah. Als sie dann, troß ihres fehlgeschlagenen Angriffs , den franzöſiſchen General am andern Morgen zur Uebergabe aufzufordern sich erkühnten , würdigte er sie keiner Antwort. Er hatte danach das Feuer mehrerer Batterien, welche die Stadt in Brand zu schießen bezweckten, auszustehen, ließ aber dabei seine Geschüße schweigen und beschränkte sich nur auf das Löschen der ausgebrochenen Brände. Wie der Mann, so die Festung . Der Plah war zwar schwach, der Mann aber tapfer; und so stand Wittgenstein von seinem und jedem neuen Versuche auf Wittenberg ab. Der eben genannte ruſſiſche General ließ daher 3 Bataillone, eine kleine Abtheilung regulärer Reiterei, ein Kosackenregiment und eine Batterie zur Beobachtung vor Wittenberg zurück, während er Kleist mit allen dessen übrigen Truppen die Elbe bei Roßlau überschreiten hieß. Es blieb darauf Wittgenstein nicht anderes zu thun übrig, als sich Blücher zu nähern , was er auch that, indem er eine allgemeine Bewegung gegen Leipzig ausführte, in dessen nächster Nähe er am 26. April sein Hauptquartier aufschlug . Das russische Detachement, an welches sich im Februar

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Zehntes Kapitel.

Pillau ergeben und das jezt vom General Harppe commandirt wurde, stieß in dieser Zeit wieder zur Armee, und zwar schickte Wittgenstein dasselbe zur Verstärkung der vor Wittenberg gelassenen Truppen ab . Woronzow, welcher kürzlich vor Küstrin durch den von der Reservearmee in Polen kommenden General Kapzewitsch abgelöst worden, näherte sich mit 5500 Mann der Elbe. Er erhielt den Befehl, gegen Magdeburg zu marschiren und diese Festung mit Borstell gemeinschaftlich auf dem rechten Elbufer einzuschließen. Durch seine Ankunft ward dort Bülow disponibel. Wittgenstein befahl daher dem leztern , mit der durch Woronzow zu ersehenden Brigade nach Deſſau zu marſchiren, und dehnte deſſen Commando auf die vor MagdeIndem er burg und Wittenberg stehenden Truppen aus. Bülow ferner benachrichtigte , daß er seine Operationsbaſis auf die obere Elbe nehmen würde 1 , wies er den preußischen General an, den Brückenkopf von Roßlau zu vertheidigen, und trug ihm auf, eintretendenfalls Berlin zu decken, zu welchem Zwecke Bülow dann sämmtliche vor Magdeburg und Wittenberg befindliche Blokadetruppen zu sich heranziehen sollte. Uebrigens stand für Bülow nächstens der Zuwachs einer Verstärkung durch die gegen Spandau detachirte Brigade in Aussicht. Die gedachte Citadelle (denn die Stadt war , einer gegenseitigen Uebereinkunft gemäß, weder in den Angriff noch in die Vertheidigung einbezogen worden) hatte nämlich am 24. April capitulirt nach einem mehrtägigen Bombardement , bei welchem die Escarpe einer Bastion durch die Explosion eines in der Nähe gelegenen Pulvermagazins in den Graben geworfen worden. Obwol stärker als der Belagerer, hatte die Besaßung, um zu capituliren, den Sturm nicht abgewartet. Dörnberg , Tschernitschew und Tettenborn standen nicht Die eben genannten mehr unter Wittgenstein's Befehlen. Generale und die an der Niederelbe sich bildenden Freicorps

1 Unterm 18. April hatte Kutusow an Wittgenstein geschrieben, nur auf seine Vereinigung mit Blücher bedacht zu sein und mit dieſem zuſammen zu bleiben, ohne sich von Dresden zu entfernen.

Alexander und Friedrich Wilhelm in Dresden.

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waren dem Commando des kürzlich aus österreichischen in russische Dienste getretenen Generallieutenants Wallmoden zugewiesen worden , welcher in seiner Stellung von Wittgenstein unabhängig war. Zu der Zeit, wo letterer sich Leipzig näherte, langten der Zar und der König von Preußen mit Tormasow's Corps am 24. April in Dresden an. Fünf Tage früher war Miloradowitsch in der sächsischen Hauptstadt eingetroffen und dann auf Chemnitz weiter gerückt, nachdem er vor Glogau seit einem Monate durch Schuler abgelöst worden. Doch Kutuſow befand sich weder in Chemniß, noch in Dresden. Am 7. April war er endlich von Kalisch aufgebrochen, um mit Tormasow den Marsch nach der Elbe anzutreten. Ezenstochau hatte nach einer kurzen und schwachen Vertheidigung am 25. März capitulirt. Am 29. März war der Vertrag mit Deſterreich unterzeichnet worden, demzufolge das österreichische Corps wieder auf österreichisches Gebiet zu rücken hatte, wodurch Poniatowski demselben zu folgen gezwungen werden sollte. Das Großherzogthum Warschau rührte sich nicht ; zudem waren die dort gelassenen Truppen und diejenigen , welche behufs Bildung der Reservearmee fortwährend daselbst anlangten, mehr als hinreichend, um nöthigenfalls die Bevölkerung niederzuhalten. Es gab also keinen Vorwand mehr zum längern Stillſtehen, und hatte sich demzufolge Kutusow , wie erwähnt, endlich in Marsch geſeht. Als er aber ' Bunzlau , nächſt der sächsischen Grenze , erreichte , warf ihn eine Erkältung aufs Krankenlager , von welchem er sich nicht mehr erheben sollte, und nahmen ſeine Kräfte so rasch ab , daß sein Zuſtand ein vollkommen hoffnungsloser war. Alexander's und Friedrich Wilhelm's Marsch durch Sachsen und ihr Einzug in Dresden waren nur eine fortlaufende Reihe officieller und vom Volke dargebrachter Ovationen geweſen, die denen nicht nachstanden , welche den beiden Monarchen in Schlesien zutheil geworden. Diese Kundgebungen waren der unverfälschte Ausdruck der Gefühle des sächsischen Volkes, und gleichwol hatte dasselbe noch nichts für das deutsche Vaterland gethan. Dresden hatte vor einem Monate die Franzosen aus

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Zehntes Kapitel.

seinen Mauern abmarschiren sehen, während Eugen sich hinter die Saale zurückgezogen, und dennoch war von seiten Sachſens bis auf die tausend Freiwilligen, welche nach Körner's Beispiel bei den Freicorps in Preußen eingetreten der Coalition noch kein Beistand geworden. Es war wol unzufrieden darüber, daß sich sein König nicht für die Sache der Freiheit erklärte, aber doch wagte es nicht , deſſen Unschlüssigkeit nachzuhelfen. So wie Sachsen in dieser Zeit , geht es unter gleichen Umständen auch andern Völkern , welche lange hindurch von der absoluten Gewalt disciplinirt worden sind , fie verlieren jeden Geist der Initiative. Jedenfalls wäre das seitens der im Lande zurückgebliebenen Beamten gegebene Signal ausreichend gewesen, um das Volk zur Erhebung zu bringen. Der König hatte jedoch eine Regierungscommission in Dresden eingesetzt, welche, aus geſchmeidigen Höflingen und zopfmäßigen Bureaukraten bestehend , keinen andern Gedanken hatte , als erſterm nicht zu misfallen. So wie die königliche Gewalt selbst, hielt jene Commission die Beamten aller Klaſſen in ſtrengſter Abhängigkeit, gebot ihnen Ruhe und diese leisteten Gehorsam. Sie ermäch tigte dieselben zwar, den Kundgebungen zu Ehren der verbündeten Truppen und Monarchen sich anzuschließen, wie sie selbst daran theilnahm, doch wollte sie, daß es nur bei Acclamationen, Triumphbogen und Illuminationen sein Bewenden haben solle. Es ging in Sachsen, wie vor noch nicht langem in der Provinz Preußen bis zu Stein's Ankunft. Gleichwol befand sich Stein in Dresden und zwar als Vorſizender des in Gemäßheit des Kalischer Vertrages vom 19. März eingeſeßten Centralverwaltungsrathes. Doch fehlte ihm die unbeschränkte Vollmacht , welche ihm in Königsberg zur Seite gestanden. Mit Recht gegen den flüchtigen König , dessen Winkelzüge und doppelseitige Politik aufgebracht, und der Discussionen mit den Vertretern von des erstern Gewalt müde , welche wegen der nothwendigsten Proviantlieferungen an die alliirten Armeen markteten rieth Stein den Monarchen zu energischen Maßregeln. Doch fand er kein Gehör. Er hatte dasselbe thun wollen und bat um die Ermächtigung dazu, was er mit so vielem . Erfolge in der Provinz Preußen gethan, nämlich : die Stände

Die, Coalition und Sachsen.

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des Königreiches einberufen, und von ihnen eine permanente Commiſſion ernennen laſſen, um alles durch dieſe Commiſſion zu leiten. Die Monarchen gaben indessen ihre Einwilligung nicht dazu. Den sächsischen Patrioten, welche Stein drängten, so zu handeln , wie es gerade in seinem Wunsche lag , gab er die bittere Antwort: ,, So klug wie Sie bin ich auch; aber ich bin weder der Kaiser von Rußland noch der König von PreuBen." Bei seiner patriotischen Energie und Logik dachte Stein, daß die Stunde gekommen, wo man Kutusow's bekannte Proclamation , dieses im Namen der verbündeten Monarchen verfaßte Manifest, in Anwendung zu bringen anfangen müßte. Lettere gingen aber auf diesen Vorschlag nicht ein. Sie waren wol nicht minder als Stein der vom Könige Friedrich August beobachteten Haltung müde und darüber aufgebracht, denn nachdem dieser viele schöne Worte ins Hauptquartier gesandt, hatte er, und zwar noch Mitte April, als ihn Friedrich Wilhelm in einem warmen Briefe2 aufgefordert , sich unter die Fahne der Unabhängigkeit zu stellen , legterm nur eine ausweichende Antwort zutheil werden laſſen. Obwol Friedrich Auguſt der verlangten Mitwirkung sich weigerte, entfernte er sich doch allmählich von Napoleon, um sich Desterreich zu nähern, um deſſen Client zu werden und in das Lager der bewaffneten Intervention überzugehen. Indessen wagten die alliirten Monarchen nicht, ihn hierüber zu belangen , indem sie dadurch den Kaiser Franz , um dessen Allianz sie so eifrig warben , sich abgeneigt gemacht hätten. Als daher Friedrich August am 20. April Regensburg verlassen , um sich in die österreichischen Staaten nach Prag zu begeben, ertheilten die beiden Monarchen alsbald Stein, Stein selbst, den Auftrag zur Uebermachung der schönsten Vorschläge an erstern. Wenn der König nämlich seine Einwilligung gab , daß die Festung Torgau den Alliirten geöffnet, daß deren Besaßung sich mit lettern verbinde, und wenn

1 ¹ S. bei Arndt, E. M.:,,Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn Heinrich Karl Friedrich von Stein.“ 2 Schreiben vom 9. April.

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Zehntes Kapitel.

er der sächsischen Bevölkerung gestattete, der Sache der Freiheit sich anschließen zu dürfen , so garantirten ihm der Zar und der König von Preußen die Integrität seiner deutschen Staaten, ferner eine Compensation für den an Preußen zurückfallenden Kottbuser Kreis , und verpflichteten sich zur baaren Bezahlung aller seitens seiner Unterthanen an ihre Armeen gemachten Lieferungen. Mit allen diesen Rücksichten gegen den kleinmüthigen, egoistischen König hatte man die Gelegenheit vorübergehen Lassen, Sachsen in die Coalition eintreten zu machen , sich mit deſſen Truppen und Volke zu verſtärken und sich eine Festung an der Elbe zu verschaffen. Ueberdies erfuhr man noch eine schwere moralische Schlappe. Sachsen sollte der Preis der ersten Schlacht sein, und dieſe Schlacht stand nahe bevor. Seit Mitte April meldeten die Berichte der Parteigänger , die von vertrauter Seite kommenden Mittheilungen und alle andern einlaufenden Nachrichten , daß die Straßen in Franken und Thüringen mit französischen Colonnen bedeckt seien, welche gegen Erfurt und die Saale marschirten. Alles dies war begründet ; eine neue Große Armee war in Bereitschaft, sie war im Vorrücken begriffen und an ihrer Spize stand Napoleon.

Elftes Kapitel.

Napoleon in Mainz. - Die ihm zu Gebote stehenden Streitkräfte sind in drei Gruppen getheilt. — Die aus Eugen's Armee beſtehende erste Gruppe an der untern Saale. - Die zweite Gruppe unter Davout's Befehlen an der Weser und Niederelbe. – Die dritte Gruppe, welche von Mainz auf Erfurt und Bamberg echelonnirt, umfaßt: das 1. Rhein-Obſervationscorps unter Ney, das 2. Rhein-Observationscorps unter Marmont, das durch Bertrand organisirte und von Verona nach Bamberg geführte italienische Observationscorps, endlich die kaiserliche Garde, ſowie die bairiſchen und würtembergiſchen Contingente. – Die von Napoleon in Mainz entwickelte Thätigkeit, um seine Truppen wieder in Stand zu ſeßen , zu verpflegen, auszurüſten und zu kleiden. Er gibt den verschiedenen Corps Nummern und reconstituirt die Große Armee. Worin diese von der frühern Großen Armee unterſchieden ist. — Jugendliches Alter der Truppen , Mangel an Zusammenhang , Misverhältniß der einzelnen Waffengattungen zueinander, Lässigkeit der Commandanten , Lurus der Generalität und Stabsoffiziere. Die Soldaten sind guten Muthes und voller Enthusiasmus. Die sehr erschütterten italienischen und deutschen Hülfstruppen verlieren viel an Deserteuren. — Nach Ertheilung der Marſchordres an die verschiedenen Corps verläßt Napoleon Mainz. — Erfährt in Erfurt das Schwanken des Königs von Sachsen und den Abbruch der österreichischen Allianz. - Seine Drohdepesche an Desterreich. — Ist voller Zuversicht auf einen erfolgreichen Ausgang des Krieges

In der Nacht vom 15. zum 16. April reiste Napoleon von Paris ab. Achtundvierzig Stunden später war er in Mainz . Berthier war zwei Tage früher hier angekommen ; wiederhergestellt und körperlich wie geistig neu gestärkt , hatte er seine Functionen als Major-General von neuem übernommen, aber doch fiel ihm das Gewicht seiner sechszig Jahre und so vieler Kriege sehr schwer, und ebenso kam es ihn sehr hart an , seine großen Reichthümer nicht in behaglicher Muße genießen zu können . Eugen's Rückzug hinter die Saale, die Ueberschreitung der Elbe seitens der Alliirten, der anhaltende Aufſtand in Nieder-

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Elftes Kapitel.

deutschland, die nothwendigerweise gebotene Störung und Hinderung des Fortganges von Preußens Rüstungen , der günstige Moment zur Führung eines Schlages gegen die Coalition, bevor noch die russischen Reserven eingetroffen, das zweideutige Benehmen des Königs von Sachsen, Desterreichs Haltung, der immer drohender werdende Zustand der öffentlichen Meinung in den Rheinbundsstaaten und die für die großen Operationen alles das drängte Napoleon zur günstige Jahreszeit schnellen Eröffnung des Feldzuges . Außerdem befand er sich durch die ihm zur Verfügung stehenden Streitkräfte in der Lage, mit einer großen numeriſchen Uebermacht ins Feld zu rücken. War die Zahl dieser Truppen auch nicht so beträcht lich, wie er für dieſen Zeitpunkt gerechnet und gehofft, so war sie dennoch schon sehr ansehnlich und noch um vieles im Wachsen begriffen. Dieselben theilten sich in drei Gruppen. Die erste , welche wir unter Eugen in Thätigkeit gesehen und die um Mitte April an der untern Saale stand, umfaßte die Division Roguet von der kaiserlichen Garde, das Corps Grenier's , 3 von den 4 Divisionen Lauriston's , die schwachen Ueberreste der Division Durutte , 8 Bataillone von der 1. Division des Victor'schen , 10 dergleichen von der 1. des Davout'schen Corps (die übrigen Bataillone dieser beiden letztern Divisionen befanden sich in Magdeburg) , ferner das Cavaleriecorps unter Latour - Mauburg und 186 Geschüße. Diese erste Gruppe war , mit Ingriff aller Waffengattungen , 73000 Mann stark, und sollte binnen wenigen Tagen , durch das Eintreffen von 3000 Conscribirten und von 1500 Mann würzburgischer Infanterie bei der Division Durutte, auf etwa 77000 Mann gebracht werden. Die zweite Gruppe bildeten die zur Niederwerfung der Insurrection an der Nieder-Elbe unter des Marschalls Davout Befehle gestellten Truppen. Es waren : die Division Puthod vom Corps Lauriston's und das Cavaleriecorps Sebastiani's, welche beide momentan von Eugen's Armee detachirt worden ; ferner die kleine Division Carra St.-Chr, wie auch die (2.) Diviſionen (der Corps von Davout und Victor) , Dumonceau

Napoleon's Streitkräfte in Deutschland.

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und Dufour , von denen die eine schon an der Weser stand, die andere aber dort ankam. Ohne die ziemlich bald zu Davout stoßenden weitern Verstärkungen in Ansah zu bringen, gebot der genannte Marschall somit über 32000 Mann und 68 Geschüße. Zur dritten Gruppe gehörten das 1. und 2. Rhein-Observationscorps , das italienische Observationscorps und die kaiserliche Garde. Das 1. Rhein - Observationscorps unter Marschall Ney hatte 4 französische Infanteriedivisionen , welche von Souham, Girard, Brenier und Ricard befehligt wurden ; ferner eine deutsche, aber gleichfalls von einem Franzosen , dem General Marchand, commandirte Diviſion ; dazu eine zur Hälfte franzöſiſche und zur Hälfte deutsche Cavaleriebrigade und 122 fast durchgängig französische Geschüße. Die Divisionen Souham, Girard, Brenier und Ricard waren den betreffenden Anordnungen zufolge in der schon oben geſchilderten Weise zuſammengesetzt worden 1 ; sie zählten nämlich 8 von den aus den Cohorten zu 4 Bataillonen formirten Regimentern und 24 Bataillone von 1813 er Conscribirten , welche lettere in die aus den Depots der in Spanien stehenden Regimenter entnommenen Cadres eingetheilt worden. Die Division Mar chand war ein Gemisch von den noch unvollzähligen Contingenten der Großherzogthümer Baden , Hessen und Frankfurt, und zwar enthielt sie einzig 11 Bataillone mit nur jungen Soldaten. In dieser Zusammenstellung ergab das Corps Ney's , alle Waffengattungen inbegriffen , 53000 Mann in Reih' und Glied , daß heißt 44000 Franzosen und 9000 Deutsche. 2 Wären seine französischen Bataillone complet gewesen , wie

1 S. Sechstes Kapitel. 2 Nämlich 3678 Mann badischer Infanterie und Artillerie (vergl. ""‚Denkwürdigkeiten des Generals der Infanterie Markgrafen Wilhelm von Baden 2c. “) ; ferner 4329 Mann heſſiſcher Infanterie und Artillerie (ſ. ,, Die großherzoglich. hessischen Truppen in dem Feldzuge von 1813" von M. C. J. K. v. D. ) ; schließlich etwa 600 Mann frankfurter Infanterie und 450 badische Dragoner.

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Elftes Kapitel.

man es für diesen Zeitpunkt zu bewerkstelligen gehofft , so würden sie allein eine Gesammtstärke von 47000 Mann gehabt haben. Die nach und nach in Mainz , Frankfurt und Hanau organisirten Divisionen Souham, Girard, Brenier und Ricard waren gegen Mitte März über Aschaffenburg auf Würzburg in Marsch gesetzt worden. Zugleich marschirend und mit ihrer Organiſation beſchäftigt, erercirten ſie fortlaufend unter Ney's energischer Aufsicht. Der eben genannte Marſchall hatte am 25. März sein Hauptquartier in Würzburg , wo sich ſeine deutſche Diviſion zuſammenzog. Nachdem er hier mehrere Tage gerastet , war er dann langſam über Meiningen auf Erfurt gerückt , wo er mit seiner 1. Division am 17. April, dem Tage von Napoleon's Ankunft in Mainz , eintraf. Mit diesem Marsche von Frankfurt über Würzburg nach Erfurt erfüllte Ney eine von Napoleon wohlausgedachte Rolle. Einerſeits imponirte er damit der durch die Ereigniſſe und den Patriotismus sehr aufgeregten Bevölkerung von Franken und Thüringen, und war zugleich andererseits eine Drohung für die Alliirten , wenn diese entweder einen Einfall in Baiern versucht, oder wenn sie auf der großen Straße von Leipzig nach Mainz vorzudringen beabsichtigt oder behufs Eugen's Umgehung hätten manövriren wollen. Das

2.

Rhein-Observationscorps

konnte sich

nicht so

zeitig formiren wie das 1. , welchem die Truppentheile aus den Mainz nächstgelegenen Depots zugewiesen worden waren. Dessen Commandant, der Marschall Marmont, hatte nach ſeiner am 26. März erfolgenden Ankunft in Frankfurt sogleich die Organisation des Corps in Angriff genommen ; doch war selbst zu diesem späten Termine noch ein großer Theil der zu des 1 leztern Bildung bestimmten Truppen hinter ihm zurück. Marmont follte 4 Infanteriedivisionen unter Compans, Bonnet, Friedrich und Teste, ferner 88 Geschüße, an Reiterei aber nur

¹ Unterm 2. April schrieb Marmont dem Major- General : „ Die Diviſion Compans und die Diviſion Friedrich haben die eine noch 6 und die andere 7 Bataillone zurück , welche erst in einigen Tagen bei selben einrücken werden."

Das 2. Rhein - Observations corps.

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250 großherzogl. bergische Lanciers. Jene 4 Divisionen ſollten beſtehen aus 15 Bataillonen Marinekanonieren , die beinahe durchgängig alte Soldaten , aber im Manövriren mittelmäßig ; weiter aus 32 Bataillonen 1813 er Conſcribirten , deren Eintheilung in die Cadres ebenso wie bei denen vom Ney'schen Corps erfolgt war ; ferner aus 4 Bataillonen des mittels der Reserve ፡ Departementalcompagnien neugebildeten 37. leichten. Regiments und aus einem spanischen Bataillon , deſſen guter Wille zwar sehr zweifelhaft , aber doch noch hinreichend war, um ihm die Verwünschungen ihrer heldenmüthigen Landsleute zuzuziehen. Obschon Marmont noch nicht wieder in den Gebrauch seines durch einen Schuß in Spanien zerschmetterten Armes gelangt , war er dennoch sehr thätig und betrieb die Organisation seines Corps ziemlich rasch, sodaß er 14 Tage nach seiner Ankunft in Frankfurt sich in Marsch sehen konnte. Doch mußte er die Diviſion Teſte zurücklassen, welche aus 12 Bataillonen 1813 er Conscribirten gebildet werden sollte , aber noch nicht den vierten Theil ihres Truppenstandes beiſammen hatte. Nach Gießen in Cantonnirungen verlegt, war die lettere Division am rechten Plage , um während ihrer Formation zugleich die wankenden Regierungen von Berg und Westfalen gegen deren eigene Unterthanen einigermaßen zu schüßen . Marmont marschirte mit 27000 Mann aller Waffengattungen (denn seine Bataillone waren durchschnittlich kaum 600 Mann storf) und mit 78 Geschüßen ab. Er nahm seinen Weg über C alda , parallel mit Ney, und befand sich am 17. April einen Marsch herwärts von Eisenach, wohin er am zweitnächsten Tage sein Hauptquartier verlegen sollte. Eisenach ist nur einen Marsch von Erfurt entfernt. Das italienische Observationscorps , welches der General Bertrand mit ungemeinem Eifer organisirt , begann am 13. März aus der Gegend von Verona nach Deutschland aufzubrechen, indem es im Etschthale aufwärts und durch Tirol marſchirte. Dasselbe umfaßte 3 franzöſiſche Infanteriediviſionen unter den Generalen Morand , Pacthod und Lorencez ; eine italienische Infanteriedivision unter General Pehri und eine italieniſche Cavaleriedivision ; ferner hatte das Corps 80 Ge27 Charras, 1813.

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Elftes Kapitel.

schüße , welche in nächster Zeit durch 22 Stück vermehrt werden sollten , die Napoleon mit 150 Artilleriefahrzeugen aus Strasburg ihm zuschicken ließ. Die französischen Diviſionen zählten zuſammen 2 Regimenter von den Cohorten , jedes zu 4 Bataillonen ; 2 alte Linienregimenter, Nr. 13. und 23., das eine zu 5, das andere zu 4 Bataillonen ; ferner 16 Bataillone 1813 er Rekruten , mit einer kleinen Anzahl 1812 er Conſcribirten untermengt ; endlich 3 neapolitanische und 2 kroatische Bataillone. Die 13 Bataillone starke italienische Division be ſtand im allgemeinen aus zwar alten , aber doch nicht abgehärteten Soldaten ; dasselbe war der Fall hinsichtlich ihrer Reiterei, welche 11 Escadronen zählte. Das italieniſche Obſervationscorps trat , alle Waffengattungen zuſammengenommen, in einer Präsenzstärke von 42500 Mann den Marsch an. Seine französischen Bataillone waren durchschnittlich 675, die italienischen 800 Mann und seine Escadronen 225 Pferde ſtark.¹ Außerdem hätte es noch 2 französische leichte Reiterregimenter haben sollen; doch waren dieselben, welche sich in Florenz und Turin formirten , noch nicht in der Verfaſſung , um ins Feld rücken zu können. Am 30. März kam Bertrand's 1. Diviſion in Augsburg an. Sie machte hier einen kurzen Halt und rückte dann nach Bamberg, wo Bertrand, von seiner italienischen Division und seiner Reiterei in der Nähe gefolgt , am 17. April ſein Hauptquartier aufschlug , während die beiden andern Divisionen noch um mehrere Märsche zurück waren. In Augsburg hatte er die 6 Bataillone vorgefunden , welche mit 1813 er Conscribirten und einem Theile der unter Eugen aus Rußland entronnenen Cadres bekanntlich dort organisirt worden waren. Auf Napoleon's Befehl löfte er diese Bataillone auf, schickte deren Cadres nach Italien und verstärkte mit dieſen

¹ Wir entnehmen dieſe und die vorhergehenden Zahlen aus der Correspondenz und den Berichten des Generals Bertrand , welche uns vorliegen. Um noch etwas genauer zu sein , möge hier bemerkt werden, daß die aus den Cohorten gebildeten 2 Regimenter die stärksten Bataillone hatten , indem letztere durchschnittlich 733 Mann zählten.

Das italienische Observations corps.

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Conscribirten , deren Zahl 2500 betrug , seine schwächsten Regimenter. Dasselbe that Bertrand mit einem von Würzburg herbeigerufenen Bataillon , welches , aus Schiffscompagnien gebildet, ursprünglich zur Besaßung von Glogau bestimmt gewesen. Somit kam sein Armeecorps auf die Stärke von 45000 Mann. 1 Sein Marsch machte in Tirol und dem Donauthale Eindruck. Bertrand schrieb betreffs dessen an Napoleon: ,,Die Ankunft der alten Soldaten von der 1. Division - das 13. und 23. Linienregiment -in Augsburg hat große Sensation hervorgerufen , da man der Meinung war, daß es keine französischen Regimenter mehr gäbe ; in wenigen 112 Tagen haben darauf die Geſichter und Gespräche sich geändert.' Jedenfalls änderten sich die Gesichter und Geſpräche, aber nicht die Gesinnung. Die kaiserliche Garde hatte eine viel geringere Stärke, als man gehofft. Sie zählte bei Mainz nicht mehr als 16 Bataillone , worunter nur 2 von der alten und 14 von der jungen Garde, ferner 3000 Reiter , eine fast gleiche Anzahl von den übrigen Waffen und 80 Geschüße. Unter jenen 3000 Mann Cavalerie befanden sich dazu noch diejenigen , welche Eugen von Leipzig aus behufs der Reorganisation nach Fulda geschickt hatte, wie auch die aus Rußland unberitten Zurückgekehrten, welche Ende Januar nach der zweitgenannten Stadt dirigirt worden waren. Die aus Frankreich kommenden Reiter brachten die lettern mangelnden Pferde an der Hand mit. So zählte die Garde im ganzen nur 18000 Mann , wovon über die Hälfte , nämlich die Bataillone der jungen Garde, nur aus Conſcribirten der vor drei Monaten angeordneten Aushebung von 100000 Mann beſtand . Die beiden Marsch - Cavaleriedivisionen , welche Napoleon zur Verſtärkung der Corps von Latour - Maubourg und Sebaſtiani beſtimmt hatte³ , fingen an sich vorwärts von

Schreiben Bertrand's an den französischen Kriegsminister, Augsburg , 8. April. 2 Schreiben Bertrand's an Napoleon, Augsburg, 4. April. 3 S. Sechstes Kapitel. 27 *

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Elftes Kapitel.

Mainz zusammenzuziehen. Obwol die betreffen den Truppen ziemlich rasch anlangten , so konnten sie doch nicht vor Ablauf mehrerer Wochen verfügbar werden. Dasselbe war auch der Fall hinsichtlich des kleinen Corps, welches Dombrowski zwischen Gießen und Kaffel in Marburg

mit den theils von Reynier aus Kaliſch, theils von Eugen aus Posen mitgeführten polnischen Truppen , die in Spandau und Wittenberg belassenen ausgenommen, organisirte. Einigen Ersag dafür erhielt man durch die Könige von Baiern und Würtemberg, welche einen Theil des auf ſie als Rheinbundsmitglieder entfallenden Contingents stellten und große Anstrengungen zu deſſen ganzer Aufbringung machten. Der erstere zog bei Baireuth eine Infanteriediviſion von 9 Bataillonen, ferner 6 Escadronen Reiterei und 16 Geſchüße, insgesammt 8000 Mann 1, ¹ , unter dem Generallieutenant Raglowitsch zusammen. Der Zweitgenannte concentrirte bei Mergentheim (zwei Märsche südlich von Würzburg) eine Division von 10 Bataillonen , eine Brigade von 8 Escadronen und ferner 12 Geschüße , in allem 7000 Mann , unter dem Generallieutenant Franquemont.2 Um die betreffenden Contingente auf die volle Stärke zu bringen , waren vom Könige von Baiern noch 22000 und seitens des Königs von Würtemberg weitere 9000 Mann zu stellen . Jérôme Bonaparte, König von Westfalen, hatte gleichfalls einen Theil des Napoleon schuldigen Contingents organiſirt, und zwar 8 Bataillone, 8 Escadronen und 16 Geſchüße, welche er unter des Generallieutenants Hammerstein Befehle stellte. Doch konnte er dieſe Truppen noch nicht entbehren, da er sowol gegen die Erbitterung seiner Unterthanen als auch gegen die Einfälle der russischen und preußischen Parteigänger auf seiner

¹ Das Operationsjournal des 12. Corps welchem letztern, wie wir demnächſt ſehen werden, die Baiern zugetheilt wurden — führt die Bataillone durchschnittlich zu 750 und die Escadronen zu 120 Mann auf. (Aus den Archiven des Dépôt de la guerre in Paris.) 2 Genau 7261 Mann. (S. ,,Tagebücher aus den Feldzügen der Würtemberger unter der Regierung Königs Friedrich".)

Napoleon in Mainz. Hut sein mußte. südlichen Grenze links mit Eugen Zu der Zeit

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Er ließ daher Hammerſtein an der östlichen und von Westfalen Stellung nehmen , sodaß dieser und rechts mit Ney in Verbindung stand. also , wo Napoleon in Mainz eintraf, stand

Eugen mit 78000 Mann an der untern Saale, welche die Alliirten zu überschreiten nicht im Sinne hatten ; ferner an der Weser Davout mit 32000 Mann, die jedenfalls zur Bezwingung des dortigen Aufstandes hinreichten , welcher weder durch die Beschaffenheit des Landes noch durch eine einigermaßen ansehnliche Abtheilung regulärer Truppen unterſtüßt ward ; und überdies standen von Mainz nach Erfurt und Bamberg oder sollten in wenigen Tagen sich dort befinden 158000 Mann, welche vollkommen kriegsbereit. Napoleon konnte demnach der Coalition bereits 269000 Mann entgegenstellen, wovon 230000 Mann Infanterie, 15000 Reiter und 24000 Mann Artillerie, Sappeurs und Trainsoldaten. Diese Streitmacht sollte sich aber noch um ein Beträchtliches vermehren! Kaum war Napoleon aus dem Wagen gestiegen, so ließ er durch Berthier an Eugen, Davout und alle Commandanten seiner Armeecorps schreiben, um ihnen seine Ankunft in Mainz anzuzeigen, mit der Aufforderung, ihm schleunigst zu melden, was sie an Offizieren , Mannschaften , an Monturen, Ausrüstungseffecten und Material hatten oder was ihnen daran fehlte ; anderntheils erhielten sie auch die Weisung , über die ihnen betreffs des Feindes zugegangenen Nachrichten zu rapportiren . An die Commandanten der Oder- und Weichselfestungen ließ Napoleon geheime Boten abgehen, um auch sie von seiner Ankunft am Rhein in Kenntniß zu sehen. Ebenso benachrichtigte ſein Großſtallmeiſter Caulaincourt die Rheinbundsfürſten davon. Für alle, für die Marschälle, Generale und Fürsten, lag darin eine Anspornung sondergleichen. Um sich eine Vorstellung von Napoleon's Thätigkeit in den darauf folgenden Tagen machen zu können , muß man seine von diesem Moment ab datirende Correspondenz wie auch die des Major - Generals und des Armee - Generalintendanten lesen, denn durch nichts anderes kann eine bessere Anschauung geboten werden von der unendlichen Mannichfaltigkeit der

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Elftes Kapitel.

Gegenstände , auf welche das Augenmerk des Feldherrn gerichtet sein soll. Der größte Theil der aus den Cohorten, wie auch die meisten der aus Bataillonen von 1813er Conscribirten formirten Regimenter, und selbst die Marineartillerie hatten sehr unvollzählige Cadres. In Marmont's , dem am mangelhafteſten ausgeſtatteten Armeecorps, hatte manches Bataillon nur einen Offizier und kaum einen Unteroffizier per Compagnie. 1¹ Zur Ergänzung dieser Lücken hatten die Armeecorps - Commandanten Beförderungsvorschläge und verschiedene Anfragen an den Kriegsminister gerichtet. Die betreffenden Eingaben und Anfragen waren jedoch unbeantwortet geblieben. Davon unterrichtet, ließ sich Napoleon von Ney, Bertrand und Marmont die Duplicate jener in Clarke's Kanzleien vergraben gebliebenen Schriftstücke einreichen und vollzog alle in Vorschlag gebrachten Ernennungen und die auf die Regimenter Bezug habenden Veränderungen. Als dann noch viele Offiziere fehlten 2, deren aber täglich mittels Post aus Spanien ankamen , änderte er die Bestimmung dieser oder ertheilte selbige je nach dem Bedarf der Regimenter 3. So musterte er zu öftern malen bei einer Parade oder Audienz auf einen Zug die betreffenden Offiziere und ihre Dienſtfähigkeit , und beförderte sie dann . Unter den Bataillonen der Garde nahm er bei deren Durchmarsche durch Mainz gleichfalls Avancements vor und überwies die Neubeförderten an Ney , Marmont und Bertrand. So wurden in kurzer Zeit die Lücken ergänzt und die Cadres completirt.

1 Schreiben Marmont's an Napoleon, Hanau, 2. April. 2 Marmont schrieb unterm 19. April an den Major - General : ,,Ich bedarf 60 Hauptleute , einen Zahlmeister, 2 Adjutant-Majors und 67 Lieutenants , welche wegen Mangels an geeigneten Individuen von den Truppenkörpern nicht aufgebracht werden können.“ 3 ,,Die Ihrerseits benöthigten Offiziere sollen Ihnen von den aus Spanien zurückgekommenen überwiesen werden. Schicken Sie daher einen Nachweis ein , was Ihnen an Obersten , Majors , Majors en second , Hauptleuten 2c. fehlt." (Schreiben Napoleon's an Marmont, vom 17. April.)

Napoleon's vielseitige Thätigkeit in Mainz.

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Manchen Regimentern fehlten die Feldgeräthschaften , sodaß sie demzufolge im Bivuak nicht die Suppe hätten kochen können. Napoleon befahl deshalb den Ankauf oder die ſofortige Herstellung der benöthigten Geräthschaften überall , wo es möglich, wie z . B. in Mainz , Frankfurt , Hanau u. s. w. Da die provisorischen und Marineartillerie - Regimenter keine Sappeurs hatten, so gab er die Weisung , dieselben mit lettern zu versehen. Diese Sappeurs bedurften aber Aerte und zwar gute Aerte, wie er selbst zu schreiben sich angelegen sein ließ , weshalb er solche in der nämlichen wie der oben erwähnten Weise zu beschaffen befahl . Jenen Regimentern fehlten überdies auch Packpferde, welche zum Transport der Rechnungssachen , der Medicamente , ferner des vom ärztlichen Personal benöthigten Geräths und Leinenzeugs unerlaßlich nothwendig ; wieder gab er die Weisung zum Ankauf solcher Pferde (denn er hatte deren noch viele im Lande) und zur Herrichtung der für dieselben erforderlichen Ausrüstung. Zu allen diesen Ankäufen war Geld , und zwar baares Geld erforderlich ; Napoleon hatte solches mitgebracht und fügte ſeinen Befehlen die zur Ausführung nöthigen Mittel bei. In manchen Bataillonen hatten die Soldaten nur Kamisole, bei andern wieder nur Capots , was für die Jahreszeit und das Klima ungenügend . Die ihnen fehlenden Effecten waren zwar im allgemeinen von den Depots nachgeschickt worden, befanden sich aber , auf langsam vorwärts kommenden Fuhrmannswagen verladen , noch unterwegs ; Napoleon schickte deshalb Ordonnanzoffiziere mit dem Auftrag aus , die Ankunft jener mittels Vorspanns zu beschleunigen. Hier und da ließ er auch Tuch im Lande ankaufen und daraus auf der Stelle die benöthigten Monturen durch Civilarbeiter anfertigen .

So

uniformirte z . B. Bertrand in Augsburg eine ganze Compagnie vom Equipagentrain , welche in Bauernkleidern aus Italien gekommen . Und während an des Soldaten Montur gearbeitet wurde, war dieser fortlaufend auf dem Marsche und empfing unterwegs seine rasch nachgeschickte Uniform. Viele Bataillone hatten ihre Elitecompagnien noch nicht formirt. Napoleon befahl , mit deren Aufstellung vorzugehen.

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Elftes Kapitel.

Diese so improvisirten Grenadiere und Voltigeurs mußten Säbel haben; er ließ ihnen diese aus den Arsenalen von Mainz und Strasburg zuſchicken . Sie mußten auch Epauletten haben, obwol ihnen das Geld zu deren Anschaffung mangelte ; er schoß das Geld vor und man fand Epauletten. Von den aus Rußland zurückgekommenen Offizieren warteten noch manche auf die ihnen zustehenden Entschädigungsgelder, deren sie zu ihrer Equipirung beim Beginn des Feldzuges bedurften ; Napoleon ließ dieselben auf der Stelle an jene verabfolgen. Auch der Soldzahlung — mit welcher er vor kurzem noch , wenn es im Auslande, gern im Rückstande verblieb widmete er seine Fürsorge und zwar ließ er selbe überall bis zum 1. Mai richten. Man muß die Bedrückung des Landes vermeiden, schrieb er betreffs dessen.

Diese Vorsorge war sonst

aber nicht seine Gewohnheit, und lag darin ein Anzeichen, daß er die erbitterte öffentliche Meinung Deutschland's doch in Berücksichtigung zog. Nichtsdestoweniger lebten seine Truppen am rechten Rheinufer auf Kosten der Einwohner. Außerdem gab er seinen Unterfeldherren den Befehl, an mehrern Punkten vermittels nicht bezahlter Requisitionen Schlachtviehparks zu bilden und beträchtliche Mehlmagazine anzulegen , wie auch große Quantitäten von Zwieback backen zu laſſen. An ſeinen Bruder Jérôme und den König von Baiern , deren Präfecten und Generalcommissare sich jenen Requisitionen nicht willfährig genug zeigten , ließ er sein Misfallen verlautbarende Schreiben abgehen. An Ney , Marmont und Bertrand schrieb er, dafür Sorge zu tragen , daß es ihren Soldaten an nichts mangele ; und damit deren Bewegungen nach allen Richtungen unverzüglich und rasch zur Ausführung gebracht werden könnten, befahl er , daß ihre Soldaten stets für vier Tage Brot im Tornister haben und deren Equipagenwagen beſtändig mit Mehl versehen sein sollten. Durch eine neuerdings

ergehende Verfügung wurden die

Bezeichnungen : Elbe- , Rhein- und italieniſches Observationscorps abgeschafft und allen Corps der Armee Nummern gegeben. Die Corps von Davout und Victor führten demzufolge Nr. 1 und 2 ; die unter Ney, Bertrand, Lauriſton und

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Die neue Große Armee.

Marmont erhielten resp . Nr. 3 , 4 , 5 und 6 ; die demnächst um etwas zu verstärkende Division Durutte, mit der man wie im vorigen Jahre das sächsische Contingent zu vereinigen. hoffte , behielt die Benennung als 7. Corps bei ; das immer noch an der Südgrenze des Großherzogthums Warschau stehende Poniatowski'sche Corps erhielt Nr. 8 ; Nr. 9 wurde für das bairische Contingent aufbehalten ; von den Nrn. 10 und 11 ward erstere der Besaßung von Danzig, die andere dem Corps Grenier's beigelegt. Das Commando des leztern wurde dem. Marschall Macdonald übertragen. Im weitern verfügte Napoleon , daß Nr. 9 vacant zu bleiben hatte; ferner daß das 4. Corps künftig aus zwei seiner jetzigen Divisionen, Morand und Peyri , aus der italienischen Reiterei und der würtembergischen Division Franquemont bestehen sollte ; aus Bertrand's beiden andern Divisionen Pacthod und Lorencez sollte dagegen mit der bairischen Division Raglowitsch ein 12. Corps gebildet werden , zu dessen Führung Dudinot aus Paris berufen. wurde. So war die Große Armee beschaffen. Welcher Unterschied aber zwischen ihr und den großen Truppenvereinigungen, welchen Napoleon in den letzten 10 Jahren nacheinander jenen Namen gegeben und mit denen er so gewaltige Schläge geführt ! Wir haben oben gesehen , daß bei derselben alles jung und unerfahren war , ausgenommen das Corps Macdonald's , einige Bataillone von Bertrand, Marmont und die kaiserliche Garde, einige tausend Reiter und Artilleristen und endlich die Cadres ; aber auch bei den Cadres , selbst bei denen von der Artillerie, war die Zahl der Corporale von nur 4-5monatlicher Dienstzeit und die der Sergeanten , welche keine größere aufzuweisen. hatten, eine bedeutende. Ebenso hatte diese Armee die Mängel junger und neuformirter Truppen. Ihre Regimenter, Bataillone und Escadronen , welche aus in der Eile vereinigten und zusammengewürfelten Elementen bestanden, die sich untereinander nicht kannten, ermangelten des Zusammenhanges .

Ferner war

1 Schreiben Berthier's an Bertrand , Erfurt , 26. April.

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Elftes Kapitel.

diese Armee nicht manövrirfähig und konnte es auch noch nicht sein. Man durfte ihr nicht jene verstärkten , schleunigen und überraschenden Märsche , welche ein so gewaltiges Hülfsmittel der Strategie , zumuthen , wenn nicht die Straßen mit Nachzüglern , das platte Land mit Marodeuren und die Spitäler mit Kranken sich füllen sollten.

Man mußte dieſe noch nicht

ausgewachſenen jungen Leute schonen oder aber gewärtigen, ihre Bataillone wie den Schnee an der Sonne schmelzen zu sehen. Darin lagen ebenso viel Gründe und zwar schwerwiegende Gründe der Schwäche. Ein anderer ebenfalls ſehr ins Gewicht fallender Fehler war das numeriſche Verhältniß Mit Rücksicht der verschiedenen Waffengattungen zueinander. auf die vorhandene Infanterie hätte die Reiterei 40-50000 Mann stark sein müssen, und doch zählte sie nur 15000 Pferde, welche nicht genügend , um der Armee voraus zu eclairiren und um die Siege auszunußen. Und wenn es vortheilhaft war, so junge Truppen durch zahlreiche Batterien zu unterstüßen, so hatte doch andererseits das Nachschleppen eines umfangreichen Materials seine große Schwierigkeit, indem dies die Bewegungen hindernd beeinfluſſen und selbe schwerfällig machen mußte. Im ganzen genommen war die in Rede stehende Armee

guten Muthes . Die aus Rußland zurückgekehrten alten Soldaten hatten in Frankreich ihren Humor und ihre Schwärmerei für Napoleon wiedergefunden. Wie jeder unter den Waffen ergraute Soldat, freuten sie sich, von neuem den Gefahren, Glücksfällen und ſtarken Aufregungen des Krieges nachgehen zu können ; denn der Krieg wird bis in die leßten Reihen der Miliz herunter zur Leidenschaft. Ohne sich zu fragen , ob die Russen nicht in ungerechter Weise angegriffen worden , ob den Preußen und Deutschen nicht das Recht zustand , unabhängig zu sein und sich nach ihrem Belieben zu regieren ―― waren die betreffenden Soldaten entzückt, sich gegen jene schlagen zu können. Ob Napoleon recht that, diesen Krieg zu führen, danach fragten sie nicht weiter. Fortgezogen in den Wirbel der Instructionen , Exercitien und Märſche hatten die Conſcribirten ihre Thränen getrocknet,

Innere Verhältnisse der französischen Armee.

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hatten die Glocke des Heimatsdorfes und ihre in Schmerz zerfließenden, oft ohne Brot zurückgelassenen Familien vergessen . Sie hatten den Schritt der Alten angenommen , dachten so ziemlich wie diese , wenn dies überhaupt denken hieß , empfanden im Herzen den der französischen Nation angeborenen Muth und marſchirten frohen Sinnes den Schlachten entgegen. Doch gab es unter ihnen, hauptsächlich bei denen, welche nur durch Napoleon's Machtgebot dem Rechte, der Geſchichte, Geographie, der gesunden Vernunft und ſogar ihren eigenen Intereſſen zuwider Franzosen geworden, es aber durchaus nicht von Herzen waren unter denen gab es viele , die im Innern dem Kriege und Napoleon abhold waren; doch beugten sie sich unter das Joch der Disciplin , und stellten sich ― indem sie auf die wenig gehoffte Gelegenheit , erſterm entweichen zu können , warteten scheinbar zufrieden. Dieselbe Stimmung gab sich nicht weniger kund unter den Contingenten des Rheinbundes und des kleinen Königreiches Italien , wie auch unter den andern Fremdtruppen. Die hessischen und badischen Regimenter erfuhren auf dem Marsche aus ihren Ländern nach Würzburg beträchtliche Verluste durch Desertionen. Ein italienisches, das 7. Linienregiment, hatte zu der Zeit, wo es die Etsch verließ, auf einen Schlag in einer Nacht 280 Deserteure gehabt. 1 Nachdem man die Donau hinter sich , benutten die Kroaten die Nähe Böhmens und entwichen in ziemlich großer Anzahl. 2 Dies waren bedeutsame Thatsachen, welche den Beweis lieferten, daß der neuen Armee die moralische Einheit fehlte , daß sie durch Unglücksschläge in mehr als einer Hinsicht geschwächt und erschüttert werden dürfte. Dagegen waren die franzöſiſchen Truppenoffiziere ſehr begeiſtert, hauptsächlich die von den in Spanien stehenden Regimentern , welche sich freuten, nicht mehr über die Pyrenäen zurückgehen zu müssen , sondern jezt unter der Führung und den Augen Napoleon's kämpfen zn können . Mochten die aus-

1 Schreiben Bertrand's an Napoleon, vom 15. März. 2 Schreiben Bertrand's an Berthier, vom 22. April.

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Elftes Kapitel .

ländischen Offiziere zum größten Theile auch noch so sehr von den Freiheitsideen eingenommen sein , so schienen sie doch fest entschlossen zur Erfüllung der militärischen Pflicht , welche ihnen die selbstsüchtige und servile Politik ihrer Fürsten auflegte. In den Kreisen der hohen Generalität war hier und da Lässigkeit vorhanden, obwol sich dieselbe noch nicht merken ließ. Was aber sehr augenscheinlich, das war der Lurus , dieſes Uebel der Heere, welchem Napoleon das Thor in unsern Armeen geöffnet und das von ihm wohlweislich gepflegt wurde, um die Offiziere Reichthümern nachjagen und um so abhängiger vom Throne zu machen. Er selbst gab das Beiſpiel dazu, indem er zu seinem Bedarfe außer 30 Wagen und Fourgons 200 Pferde hatte. Jeder seiner Adjutanten besaß einen Wagen, 4 Zug , 6 Pack- und 12 Reitpferde ; seine übrigen Offiziere und Beamten waren im Verhältnisse danach ausgestattet. Das kaiserliche Hauptquartier reichte aus, um eine Straße für sich einzunehmen und um täglich so viel Fourrage wie ein starkes Cavalerieregiment zu verbrauchen. Diesem Ueberfluſſe von Wagen und Pferden begegnete man aber auch im Hauptquartier jedes Corpscommandanten und Generals ; und dies ging ſelbſt bis zu den einfachen Obersten und Majors herab , von denen jeder seinen Reisewagen hatte.¹ Die Zeiten der Rhein-Armee und der Armee von Italien lagen fern ! Die Große Armee war demnach in ihrem Ganzen so gut conſtituirt , als es bei der sehr kurz bemeſſenen Zeit und den zum großen Theile mangelhaften Elementen möglich gewesen. In den hohen Kreisen zwar schlaff und nichts weniger als diensteifrig , war sie dennoch in ihrer Gesammtheit von sehr gutem Geist beseelt. Diese Gefühle hegte sie jedoch für Einen Mann, für Napoleon. Dagegen weilten ihre Blicke nicht auf. dem großen Bilde des Vaterlandes, welches in den Augen der improviſirten Soldaten von 1792 und dem Jahre II erstrahlte und dieſe bei den gewaltigen Proben im Ausharren aufrecht hielt. Der Enthusiasmus für den Feldherrn fällt indeſſen bei

¹ S. die Verordnung vom 22. Februar 1813.

Napoleon's Befehle an Davout , Eugen zc.

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Nichterfolgen und schwindet bei Niederlagen , wie man am Schlusse des russischen Feldzuges genugsam hatte wahrnehmen können. Während Napoleon allen diesen Einzelheiten und noch vielen andern auf die Durchführung der Organisation der Truppen Bezug habenden Gegenständen seine Aufmerksamkeit widmete ; während er täglich Revuen abhielt und die Huldigungen der nächſt Mainz reſidirenden Fürſtensklaven entgegennahm, welche sich vor ihm zu verneigen herbeikamen ; während er mit ſeinen Ministern correspondirte , die er aus der Ferne immer ebenso wie in der Nähe leiten wollte - drängte er auch seine Unterfeldherren mit den Instructionen zu den Operationen, welche er zu eröffnen im Begriffe stand. Davout hatte Lüneburg verlaſſen zu müſſen geglaubt. Er war auf Celle gerückt und begab sich dann nach Bremen, während er an der Aller Sebaſtiani mit ſeinem Cavaleriecorps und die Diviſion Puthod beließ , mit der Aufgabe, Hannover und Braunschweig zu decken. Napoleon tadelte ihn, sich so von der Elbe entfernt zu haben, und befahl ihm demzufolge, unverzüglich Vandamme gegen diesen Fluß und Hamburg vorgehen zu laſſen. Andererseits wies er Eugen an , sich bereit zu halten, um auf die erste Ordre hin am linken Saaleufer aufwärts zu marschiren; auch dessen Soldaten sollten immer für 4 Tage Brot im Tornister haben und ihre Equipagenwagen mit Mehl versehen sein. Beinahe gleichzeitig, am 22. April, ließ er an den Genannten den Befehl ergehen, auf Halle und Merseburg zu rücken , welche beiden Punkte derselbe als Brückenköpfe besehen sollte, ferner auf dem Marsche dahin die etwa bei Wettin vorhandenen Brücken des Feindes zu zerstören und überdies noch Querfurt zu occupiren. Weiter gab Napoleon Bertrand den Auftrag, von Bamberg nach Koburg und von da auf Saalfeld zu marſchiren. Die bairische Diviſion ſtellte er einstweilen unter deffen Befehle, mit der Weiſung , dieselbe bis auf die Höhen bei Ebersdorf vorrücken zu lassen. Bertrand sollte mit jener und mit Ney sorgfältig in Verbindung bleiben und unablässig Recogno:

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Elftes Kapitel.

ſcirungen auf das rechte Saaleufer vorſchieben. Wenn es die Ereigniſſe nöthig machten, hatte Bertrand unter Ney's Befehle zu treten. Der ebengenannte Marschall war am 18. April bis Weimar vorgerückt, von wo seine Reiterei am gleichen Tage eine vom Major Blücher geführte preußische Cavalerieabtheilung vertrieben. Außerdem hatte er noch Kranichfeld , Berka und Rudolstadt besetzt, wodurch er mit Bertrand in Verbindung trat. Ney empfing die Weisung , den leztern Punkt zu verlaſſen , ſobald Bertrand bei Saalfeld eingetroffen , was am 25. oder 26. April der Fall sein würde ; ferner sollte er , während er in Weimar verblieb, Jena wie auch die übrigen Saaleübergänge bis Camburg und Auerstädt beseßen. Marmont wurde angewiesen, mit seiner Linken über Langensalza und Weissensee bis in die Höhe von Weimar, mit ſeiner Rechten aber über Erfurt nach Weimar selbst vorzurücken. Die vom Marschall Bessières geführte Garde , welche im Marsche auf Erfurt war, sollte diese Bewegung fortsetzen. Die Divisionen Pacthod und Lorencez endlich erhielten den Befehl, ihren Marsch zu beschleunigen und so schnell als möglich zu der bairischen Diviſion zu stoßen , mit welcher zu sammen sie das 12. Armeecorps zu bilden hatten. Der Mar schall Oudinot, welcher am 26. April bei dieſem Corps eingetroffen sein sollte, wurde beauftragt , mit demſelben rasch in Bertrand's Linke zu rücken. Sämmtliche Armeecorps unterwegs der Ausbildung das Marschquartier erreicht sollte man lettere exerciren ,

hatten den ausdrücklichen Befehl, der Truppen obzuliegen . War und etwas ausgeruht worden , so manövriren und nach der Scheibe

schießen lassen, ferner sie bataillonsweise im Uebergange aus der Colonne in das Quarré und umgekehrt einüben und dies bis zur Genüge wiederholen. ,, Das bataillonsweise Formiren des Bataillonsquarré ," schrieb Napoleon an Marmont,,,ist das wichtigste Manöver . . . es ist das einzige Mittel , um sich vor Cavalerieangriffen sicherzustellen und um ein ganzes Regiment zu retten ." 1 1 Schreiben an Marmont, Mainz , 17. April.

Napoleon in Erfurt.

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Nachdem Napoleon alle diese Befehle hatte ergehen laſſen und als er deren Ausführung weit genug vorgeschritten glaubte, brach er von Mainz auf, um seinen im Marsche begriffenen Armeecorps wieder näher zu kommen. Am 25. April abends traf er demzufolge in Erfurt ein. Erfurt war im Kriege von 1806 in Napoleon's Gewalt gekommen, und hatte er, bei seinen fortwährenden Herrscherund Eroberungsgelüften , dasselbe wieder herauszugeben sich wohl gehütet. Mit einer in gutem Stande befindlichen Umwallung versehen und im Besize von zwei Citadellen, bildete dieſer an der großen Straße von Dresden und Leipzig nach Mainz gelegene Plaß einen sichern Stüßpunkt für die Operationslinie der Armee und einen schätzbaren Depotplay. Napoleon besichtigte die Festung , befahl die Inangriffnahme verschiedener Vertheidigungsarbeiten daselbst und bestimmte die Gebäude, welche zur Anlage umfangreicher Hospitäler und großer Proviantmagazine dienen sollten. Früher schon hatte Napoleon den Befehl erlaſſen , gleiche Maßregeln auch in Würzburg zu treffen , welcher an der Straße von Dresden über Hof nach Mainz gelegene Plaz seine Operationslinie von dieser Seite her ebenfalls schüßte ; der größern Sicherheit halber war eine französische Beſagung dahin verlegt worden. Außerdem ernannte er Augereau zum Militärgouverneur der Großherzogthümer Frankfurt und Würzburg , und beauftragte denselben mit der Organisation von zwei Reservearmeecorps im Mainthale, die er aus einem Theile 1 der 1814er Conscription und der leztverfügten Rekrutirung ¹ zu errichten beschlossen. In Erfurt befand sich bekanntlich die Division, welche der General Doucet bilden sollte aus 1813er Conscribirten, ferner mit Mannschaften der Rekrutirung von 100000 Mann und aus den Ueberresten der Regimenter von den früher bestandenen drei ersten Corps , welche zur Formation der gegenwärtigen Corps von Davout und Victor nicht verwendet worden . Die

1 S. Sechstes Kapitel.

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Elftes Kapitel.

gedachte Division war jedoch noch nicht in feldtüchtiger Ver fassung , und verfügte Napoleon , daß dieselbe bis auf weitern Befehl als Besagung in der erwähnten Festung zu verbleiben hatte.

Ebenso wie in Mainz , hielt er auch in Erfurt Truppenrevuen ab, prüfte alles, ließ sich über alles Rechenschaft geben, war auf alles bedacht , überzeugte sich manchmal mit eigenen Augen von der Ausbildungsstufe seiner Truppen, untersuchte, ob der Tornister des Soldaten gehörig ausgerüstet, fertigte Adjutanten und Ordonnanzoffiziere an die auf dem Marsche befindlichen Armeecorps ab , empfing deren Meldungen und ließ jene von neuem an seine Unterfeldherren abgehen. Die lettern von Mainz aus anbefohlenen Bewegungen waren in voller Ausführung begriffen. Eugen marschirte am linken Saaleufer aufwärts . Er zerstörte die Brücke bei Wettin und rasirte den dortigen seitens der Alliirten aufgegebenen Brückenkopf. Am 28. April ließ er Halle, welches zu beseßen er die Weisung hatte, durch Lau riston angreifen. Die erwähnte Stadt ward jedoch tapfer vertheidigt. Dieselbe liegt am rechten Ufer der Saale ; den Zugang zu ihr vermitteln sehr lange Brücken , welche über ver schiedene Arme des in Rede stehenden Fluſſes führen . Der Angriff wurde abgeschlagen , hatte aber dennoch das wichtige Resultat, den Brückenkopf in unsere Hände zu bringen und den Feind zur theilweisen Zerstörung der Brücken zu nöthigen, wodurch deſſen Debouchiren auf das linke Ufer leicht verhindert werden konnte. Eugen hatte sein Hauptquartier in Eisleben und hielt Querfurt durch eine Division beseßt , während er Macdonald den Befehl ertheilte, am nächsten Tage auf Merseburg zu rücken, um daſſelbe einzunehmen. Ney stand zu dieser Zeit mit seinen 5 Diviſionen in Naumburg, Camburg und Dornburg an der Saale. Marmont hatte eine Division bei Weimar , eine zweite zwischen dieser Stadt und Naumburg , die dritte aber bei Freiburg, sodaß er die Verbindung zwischen Neh und Eugen, welcher bekanntlich Querfurt beſezt hielt, ausmachte.

Napoleon's Operationsplan.

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Die kaiserliche Garde befand sich bei Auerstädt auf dem bekannten Schlachtfelde von 1806. Bertrand hatte sein Hauptquartier in Jena und bewachte die Saaleübergänge oberhalb dieser Stadt bis nach Saalfeld. Dudinot sollte am zweitnächsten Tage (30. ) in Jena eintreffen. Die russischen und preußischen Streifparteien waren sämmtlich vom linken Saaleufer verschwunden. Die fleißig auf das andere Ufer vorgeschobenen Recognoscirungen stieß n nur auf Patrouillen von leichter Reiterei. Napoleon's Plan gab sich zu erkennen. Indem er nämlich die Saale, seinem eigenen Ausdrucke zufolge, als Rideau benußte, strebte er die Vereinigung Eugen's , welcher an jenem Flusse aufwärts rückte , einerseits mit Marmont , der Garde und Neh an , die senkrecht zum Laufe der Saale marſchirten oder schon marschirt waren , andererseits aber mit Bertrand und Dudinot , welche an der Saale abwärts sich bewegten. War diese Vereinigung bewerkstelligt, so wollte Napoleon, wie er weiter sagte, in Maſſe gegen Naumburg und Merseburg in 1 der Richtung auf Leipzig debouchiren mit ganz zurückgehaltenem rechten Flügel. Nach der Besetzung der Saale war sein Ziel die Besetzung der Elbe2 , womit er den Plan verband, die Alliirten wenn sie es wagen sollten, in Baiern eindringen zu lassen , um dann Dresden zu erreichen , bevor noch dieje dahin zurückkehren konnten, und sie durch eine seinem berühmten Manöver von 1806 entgegengesette Bewegung von Preußen abzuschneiden.

1 ,,Sie müssen wissen , daß es mein Grundsatz ist , in Masse zu debouchiren ; ich werde daher in Maſſe von der Saale aus debouchiren.“ (Schreiben Napoleon's an Eugen, vom 28. April.) 2 ,,Mein erstes Ziel ist die Besetzung der Saale und die möglichst .. Meine zweite Operation baldige Wiedereinnahme von Hamburg wird die Besetzung der Elbe sein.“ (Schreiben Napoleon's an Eugen, Erfurt, 26. April.) 3 Schreiben an Ney vom 6. April und an Bertrand vom 11. des gleichen Monats. 28 Charras , 1813.

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Elftes Kapitel.

Dieser auf so geschickte und kluge Weise durchgeführten Concentrirung der französischen Streitkräfte gegenüber hatten die Alliirten nichts gethan , um sich ihr zu widerſeßen , und deutete auch nichts darauf hin, daß sie die Absicht hatten, jene noch in dem Moment, wo selbe zu Ende geführt wurde, stören Napoleon , welcher nichts weniger als genaue zu wollen. Nachrichten über die Bewegungen der Verbündeten hatte, manövrirte deſſenungeachtet nur mit großer Vorsicht weiter. Inmitten jener Mühen und unaufhörlichen Geschäfte , die bei einer so jungen und schleunig formirten Armee unausbleiblich sind, widmete Napoleon seine Aufmerksamkeit auch den Beziehungen zu Sachsen und Oesterreich. Bei seiner Abreise von Paris war er , auf Grund von Schwarzenberg's Zusicherung , im Glauben , daß das österreichische Auxiliarcorps zu ſeiner Verfügung bleiben würde. Nach seiner Ankunft in Mainz hatte er deshalb dem jenes commandirenden General Frimont den Befehl zugehen lassen , sich bereit zu halten , um auf die erste Weisung hin den mit den Russen bestehenden Waffenstillstand zu kündigen. Der diese Ordre überbringende Offizier war aber faum unterwegs , als ein Schreiben des Königs von Sachsen und Berichte seitens des Königs von Würtemberg ' " einliefen, welche die Aufrichtigkeit von Schwarzenberg's Zuſicherung in Zweifel ziehen ließen. Indem sich Friedrich Auguſt gegen Napoleon in Betheuerungen ,, unveränderlicher Ergebenheit " erschöpfte , zeigte er leßterm an , daß er sich auf des Kaiſers von Oesterreich Einladung nach Prag begäbe und durch die seither ihm zur Escorte dienende Reiterei dahin begleiten lasse , das heißt durch die gleichen Escadronen , um welche ihn Napoleon schon vor geraumer Zeit vergeblich angegangen . ſein Doppelspiel weiter fort.

Friedrich Auguſt trieb

1 „ Durch den König von Würtemberg sollte er (Napoleon) Kenntniß bekommen von dem Gebaren des Königs von Sachſen, von Oeſterreichs geheimen Absichten und den von letterm gethanen Schritten, um alle deutschen Bundesfürſten zu deſſen neuem System herüberzuziehen.“ (S. Norvins, „ Portefeuille de 1813".)

Napoleon und Oesterreich Ende April.

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Die oben erwähnten einlaufenden Berichte hinterbrachten die Existenz der unterm 8. April zwischen Desterreich und Sachsen abgeschlossenen Convention¹ und offenbarten außerdem, wie eine von deren Clauseln dahin laute, daß das Poniatowski'sche Corps unbewaffnet durch das österreichische Gebiet zu marſchiren gehalten sein sollte. In Erfurt entrollte eine sehr unerwartet kommende Depesche die Situation noch etwas klarer vor Napoleon's Augen. Narbonne benachrichtigte nämlich leßtern von dem Ergebniſſe des drängenden Schrittes , den er auf seines Gebieters Weiſung bei Metternich gethan. Dieses Resultat beſtand bekanntlich in der Erklärung , daß nach Oesterreichs Uebergang in die Stellung einer bewaffneten Intervention das Frimont'sche Corps nicht mehr zu Napoleon's Verfügung stände und überhaupt ſtehen könnte. Ferner berichtete Narbonne , daß jenes Corps , nach Auffündigung des Waffenstillstandes seitens der Russen , auf österreichisches Gebiet zurückmarschirt , und daß auf Ansuchen des Königs von Sachsen Poniatowski mit seinen Polen durch 2 Desterreich sich zurückziehen sollte. Weiter meldete Narbonne, daß er eine die Verlegung des Allianzvertrages constatirende schriftliche Note an Metternich übergeben, deren Beantwortung er entgegensähe , und daß er auch eine Audienz beim Kaiser Franz erbeten , in der Hoffnung , von diesem ein anderes Resultat als von dessen Minister zu erlangen. Napoleon wollte das Schreiben des Königs von Sachsen gar nicht beantworten. Da er ihn in die österreichische Politik verwickelt sah , wendete er sich nur letterer zu . Er dictirte daher Caulaincourt eine von Drohungen stroßende Depesche für Narbonne an die Adresse des wiener Cabinets. Wenn das Frimont'sche Corps nicht in bestimmter Weise zu Napoleon's Verfügung stände , wenn die Antwort auf die von Narbonne übergebene Note nicht befriedigend , wenn das Resultat der beim Kaiser erbetenen Audienz nicht derart wäre, wie man zu

1 S. Siebentes Kapitel. 2'S. ebendort.

436

Elftes Kapitel.

zu erwarten berechtigt

sollte Narbonne ankündigen, daß ohne die Italiener und den Rheinbund bereits 1,100000 Mann unter den Waffen habe“, sofort ,,weitere 200000 Mann", ausheben würde. Napoleon war demnach mehr als je nicht zu dem Versuche geneigt , Desterreich durch Concessionen zurückzuführen. In nichts nachgeben , sondern alles terroriſiren, war das lezte Wort ſeiner Politik. In der Caulaincourt dictirten Depesche gedachte er auch Napoleon, welcher

des Poniatowski'schen Corps, welches das wiener Cabinet , in Uebereinstimmung mit dem Könige von Sachsen als Großherzog von Warschau, beim Marſche durch das neutrale österreichische Gebiet entwaffnen wollte. Ohne sich um die von lezterm Monarchen gegebene Zustimmung zu bekümmern, wies er Narbonne an, Metternich die Erklärung abzugeben, daß Poniatowski den Befehl erhalten hätte , sich eher als Parteigänger nach Galizien zu werfen , als seine Waffen auch nur einen Augenblick herzugeben. Um seine von Herrschsucht geleitete , unbeugſame Politik aufrecht halten zu können , mußte Napoleon binnen kurzem kriegerische und zwar große Erfolge erzielen. Daß er deren rasche und entscheidende erringen würde , daran zweifelte er nicht ; ſeine Briefe, 'ſeine Haltung und gleichzeitige glaubwürdige Nachrichten geben davon Zeugniß . Er hatte vollkommenes Vertrauen in den erfolgreichen Ausgang des Krieges . Durchaus ſtolz auf seine junge Armee , sah er mit Ungeduld dem Werke entgegen .

Basel, am 23. Jan. 1865 .

Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.

No I.

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Nº II

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Inhalts - Verzeichniß.

Seite V VIII

Vorwort des Uebersezers Vorrede Erstes Kapitel. Rückkehr der Trümmer der durch Napoleon in Rußland zu Grunde gerichteten Armee nach Preußen und dem Großherzogthum Warschau. -— Ankunft ihres Oberbefehlshabers Murat in Königsberg. - Seine Maßnahmen zu ihrer Sammlung an verschiedenen Punkten und ſeine Anstalten zur Reorganiſation der Ueberreste der verſchiedenen Corps. — Truppen, welche bereits in Königsberg vereinigt oder demnächst dahin herangezogen werden können . – Die Corps von Macdonald, Schwarzenberg und Reynier. — Was Napoleon hinsichtlich dieser vergessen. - Er hält sie in vollständigem Irrthume. — Die zu spät an sie abgehenden Befehle. - Ihre Lage und Stärke Ende December 1812. - Murat's Zuversicht und Combinationen am Jahresschluffe . .

Zweites Kapitel. Zusammensehung des 10. Armeecorps unter Marschall Macdonald. - Das General York. - Sein Verhältniß und seine preußische Contingent. Differenzen mit Macdonald. — Seine geheimen Beziehungen zu den ruſſischen Generalen. - Benachrichtigt darüber fortlaufend den König von Preußen. - Bittet lehtern um bestimmte Verhaltungsbefehle. Seine Grund= Empfängt die fäße hinsichtlich des unbedingten paſſiven Gehorsams. russischen Bulletins von dem Uebergange über die Beresina. --- Betraut ſeinen Adjutanten Seydlig mit einer Miſſion an den König. Empfängt sichere Nachrichten aus Wilna und läßt Macdonald wegen des Rückzuges nach dem Niemen aufmerksam machen. — Macdonald weiſt ſolche Vorschläge zurück und will Napoleon's Befehle abwarten. York erfährt, daß die Kosacken auf dem linken Niemenufer erſchienen , zeigt dies dem Marschall an und läßt ihm nochmals den Rückzug nach jenem Fluſſe in Vorschlag bringen. - Macdonald besteht darauf, Napoleon's Befehle abzuwarten. Infolge neuer, ernsterer Nachrichten schreibt ihm Vork und dringt in ihn, den Rückzug anzutreten. - Sein Brief gelangt beinahe zur ſelben Zeit an Macdonald, als dieser Murat's Befehl zum Rückzuge des 10. Armeecorps auf Tilsit und Wehlau empfängt. — Macdonald's Rückzug. Seine beiden ersten Colonnen und er selbst erreichen Tilſit, Erwartet hier die dritte

1

· XIV

Inhalt.

Seite unter York's Befehlen. Marsch der lettern. Der russische General Diebitsch verlegt ihr den Weg. — York willigt in eine Unterredung mit ihm. Vorschlag des russischen Generals zu einer Neutralitätsconvention. York geht nicht darauf ein. — Schickt den Major Henckel an den König, ſezt ſeinen Rückzug langſam fort und unterhält seine Beziehungen zu Diebitſch weiter. Kommt in Tauroggen an. --- Seydlig kehrt zurück. — Ueberbringt feine Verhaltungsbefehle. York beschließt nichtsdestoweniger seine Trennung von Macdonald . -- Will schon von seinem Entschluſſe zurücktreten , als er sich von den Ruſſen getäuscht glaubt. - Aufklärungen , welche jenes Mistrauen beheben. – Schließt mit Diebitsch in Tauroggen eine Neutraliz 13 tätsconvention ab .

Drittes Kapitel. Kutusow stellt aus eigener Machtvollkommenheit die Verfolgung der Trümmer des französischen Heeres ein. Seine Meinung über das dem Kriege zu gebende Endziel. -— Kaiſer Alexander ist ganz anderer Ansichten. — Seine Motive dazu. - Will Deutschland zur Unabhängigkeit und Freiheit aufTrifft rufen und ist fest überzeugt, daß es seinem Appell folgen wird. große Anstalten zur Fortseßung des Krieges. - Ertheilt von Petersburg aus Kutuſow den ausdrücklichen Befehl zur sofortigen Wiederaufnahme des Vormarsches und begibt ſich ſelbſt einige Tage später nach Wilna in Kutusow's Hauptquartier. Stellungen , in welchen er die russischen Armeen findet. Kutusow's Einwürfe gegen eine allgemeine Vorwärtsbewegung. -Alexander beharrt bei seinem Befehle und beschließt, in Zukunft bei Kutuſow zu bleiben, um sich der Ausführung seines Willens zu versichern. —Tschitscha gow überkommt zu dem Commando der Donauarmee noch das der Wittgen stein'schen und des Kosackencorps unter Platow, und ſezt sich in Marſch. — Auf Andringen Kutuſow's läßt Alexander die Hauptarmee noch in ihren Cantonnirungen. Nachricht von der Tauroggener Convention. - Kutu ſow's Proclamation an das preußische Volk. - Macdonald entwiſcht mit der Diviſion Grandjean Wittgenstein. — Kommt am 3. Jan. in Königsberg an, findet aber Murat nicht mehr hier, welcher mit den Ueberresten der Garde bereits am 1. gegen die untere Weichsel abmarschirt ist. Vereinigt sich mit Heudelet, Marchand und Cavaignac. Räumt alsbald Königsberg und -repliirt sich auf Murat. General Bülow zieht sich in derselben Richtung zurück. — Concentrische Bewegung der Donauarmee, der Wittgenstein'schen und der Koſacken Platow's gegen Macdonald. — Murat, welcher vollkommen entmuthigt ist, befiehlt ihm, seine sämmtlichen Truppen nach Danzig zu werfen. Seine Befehle an die Ueberreste der verschiedenen Armeecorps. — Reist schleunigst nach Posen ab. – Beruft Eugen dahin , übergibt ihm das Obercommando und geht nach Neapel. Eugen's Reorganisation der Ueberreste der in Rußland gewesenen Armee und einiger andern französischen Truppen. Resultate dieser Maßregeln. Eugen's Dispositionen. Wird von Napoleon im Obercommando bestätigt. Bittet und erhält die Ermächtigung zur Verfügung über die Divisionen Grenier und. Lagrange. 49 – Seine Pläne. — Napoleon's Illusionen über die Lage der Dinge

Viertes Kapitel. Kutusow's Befehle an Tschitschagow. - Dieser wird wieder auf das Commando der Donauarmee beschränkt. General Lewis wird mit der Einschließung

Inhalt.

XV ·

Seite von Danzig beauftragt. Wittgenstein rückt nach Dirſchau und nimmt eine Platow's Kosackencorps wird aufgelöst. beobachtende Stellung ein. Detachements unter Tschernitſchew, Benkendorf und Tettenborn . — Tschitschagow rückt auf Strasburg. Die Hauptarmee marschirt gegen die mittlere Weichsel vor. Ihre einzelnen Colonnen. Deren Stärke. Das Corps Sacken's. - Combinirtes Manöver der Hauptarmee und jenes Corps gegen Schwarzenberg. — Wird im Einverständniſſe mit leßterm zur Ausführung gebracht. Uebereinkunft wegen eines Waffenstillstandes und des Rückzuges des österreichischen Corps nach der galiziſchen Grenze. -- Vorwände, welche Schwarzenberg zur Erklärung ſeines Rückzuges Eugen gegenüber anführt. Räumt Warschau. - Bewegungen Reynier's und Poniatowski's.—Freude beim Tschitschagow vor Thorn und in Bromberg. österreichischen Corps. - Tschernitſchew's, Benkendorf's und Wittgenstein in Preußisch-Stargard. — Tettenborn's Streifzüge. — Tschernitschew erscheint in der Umgegend von Posen. Eugen beschließt seinen Rückzug nach dem linken Oderufer Die von ihm getroffenen Dispositionen. - Sein Rückzug. - Kommt in Frankfurt a. d. Oder an. - Glaubt an eine große Bewegung der Russen Sein Irrthum. --- Wieder durch Tschernitschew's, Benin seiner Linken. kendorf's und Tettenborn's Streifzüge getäuscht , verläßt er die Oder und Seine Fehler. zieht sich auf Berlin. Seine neuen Dispositionen. Wittgenstein in Driesen. - Detachement, welches er von da zur Unterſtüßung seiner Kosacken gegen Berlin entsendet. Winzingerode marschirt auf Kalisch und überfällt hier Reynier's Corps. Reynier zieht sich, ohne verPoniatowski gibt folgt zu werden, über Glogau gegen Baußen zurück. die Wiedervereinigung mit ihm auf und bewegt sich gegen das österreichiſche Corps. Marsch von Miloradowitsch und Tormaſow auf Kalisch. Alexander's Ankunft in lezterer Stadt. Stellungen von Winzingerode, Miloradowitsch und Tormaſow Ende Februar. — Beharrliche Entſchloſſen85 heit Alexander's Fünftes Kapitel. Der von York an den König von Preußen entsendete Major Henckel kommt in Potsdam an. — Ueberraschung, Entrüstung und Unruhe des Königs . — Am 4. Jan. 1813 gelangt die officielle Nachricht von York's Abfall nach Berlin. York wird abgeſeßt. - Mission des Fürsten Hazfeld an Napoleon. — Ankunft des Majors Thile, welchen Vork unmittelbar nach der Convention Des von Tauroggen an den König gesendet. - Seine Berichte. Flügeladjutanten Nazmer ostensible Mission bei Vork und seine geheime Sendung an den Zar. - Friedrich Wilhelm's Doppelspiel gegen Napoleon und den Zar. - · Nazmer kann nicht bis zu York's Hauptquartier durchkommen und wendet sich nach dem Alexander's. — Stimmung in dem jenseit der Weichsel gelegenen Preußen. -- York begibt sich nach Königsberg. -Uebernimmt das Commando in der Conferirt hier mit Wittgenstein. Provinz Preußen. — Bülow will ſich York nicht anſchließen. — Des leztern Schreiben an Bülow. - York will sich auf die Vermehrung der Stärke seines Armeecorps beschränken , eine Volkserhebung aber umgehen. ·--- Ab= sichtliche Lässigkeit der Beamten. - Allgemeine Misstimmung . York zweifelt an dem Erfolge seines Unternehmens. -— Frhr. vom Stein kommt in Königsberg an. Sein Charakter. - Seine seitherige politische Thätig feit. Seine Vollmacht als Commiſſarius des Zar. Läßt die Stände

XVI

Inhalt.

Seite der Provinz Preußen einberufen. — Die von ihm getroffenen Maßregeln. – Der Oberpräsident Auerswald verweigert ihm seine Mitwirkung. — Mishelligkeiten zwischen Vork und Stein. — Ihr Bruch. — Ihre Aussöhnung. Stein verläßt Königsberg. -— Die Stände treten am 5. Febr. in Königsberg zuſammen. —Ihr Entwurf zur Errichtung der Landwehr und des Landſturmes in dieser Provinz. - Gehen am 9. Febr. wieder auseinander. – Die Festung Pillau ergibt sich den Russen. -- Stimmung in den übrigen Provinzen der Monarchie. - Hardenberg. -·Sein Charakter. - Parteien, welche sich um den König von Preußen bewegen. – Durch die öffentliche Meinung gedrängt, befiehlt der König die Einberufung der Reservisten (Krümper) und beurlaubten Soldaten, die Aushebung von Rekruten und Pferden in der Mark und Pommern. -— Naßmer's Rückkehr nach Potsdam. -- Der König verlegt seine Residenz nach Breslau. - Sein Schwanken und seine Verlegenheit. Er läßt sich bewegen, Preußen auf den größtmöglichen Kriegsfuß zu bringen. Mit der Organiſation dieſer Truppen wird General Scharnhorst beauftragt. — Verordnung vom 3. Febr. 1813. — Verordnung vom 9. Febr. — St.-Marſan's, Napoleon's Geſandten, Einspruch gegen Preußens Rüstungen. - Beständiges Doppelspiel des Königs. St.-Marsan läßt sich wieder täuschen. — Miſſion des Obersten von dem Knesebeck beim Zar. -- Es ge= lingt ihm nicht, ſich mit leßterm zu verſtändigen. - Des Königs Schwanken dauert fort. -- Stein tritt ins Mittel. · Der Zar sendet ihn als Bevoll mächtigten nach Breslau. — Er beſtimmt den König zum Bündniß mit dem 3ar. Umstände, welche Stein's Wirksamkeit begünstigen. — Vertrag von Kalisch. Näheres über Preußens Rüstungen. Opfermüthigkeit der Bürger. - Freiwillige Gaben. - Aufruf des Königs an das preußische Volk. -— Königliche Verordnungen über die Landwehr und den Landsturm. – Proclamationen der ruſſiſchen und preußischen Generale. — Außerordentlicher Enthusiasmus. — Thätigkeit der Preſſe. — Flugschriften und Lieder. -- Frauenvereine. Preußens Streitkräfte Anfang April. - Geist der 117 preußischen Armee Sechstes Kapitel. Napoleon verläßt die Trümmer seiner aufgelösten Armee. Geheimhaltung seiner Reise. Raftet einige Stunden in Warschau. Eigenthümliche Scene. Sein Halt in Dresden. Seine Zusammenkunft mit dem Könige von Sachsen. Seine Briefe an den Kaiser von Desterreich und den König von Preußen. Sezt die Reise nach Paris fort. -— Veröffentlichung des 29. Bulletins der Großen Armee. - Allgemeine Betrübniß und Erbitterung. - Ursprung von Napoleon's Macht. - Seine Regierungswerkzeuge. - Napoleon kommt in Paris an. --- Die von ihm angeordnete Scene. - Zweck dieser Scene. - Seine Reden an den Senat und den Staatsrath. ---- Ihr Resultat. Seine Hülfsmittel zur Bildung und Organiſation einer neuen, achtunggebietenden Armee. — Die sogenannten Cohorten der Nationalgarde. - Die Conſcription von 1813. - Die Nachricht von York's Abfall gelangt nach Paris. Senatsbeſchlüſſe wegen einer Aushebung von 100000 Mann aus den Altersklaſſen von 1812, 1811, 1810 und 1809, und einer Aushebung aus der von 1814. Von den Gemeinderäthen werden Napoleon, auf seine Anregung, Anerbieten wegen Stellens von ausgerüsteten Reitern gemacht. - Geſezwidrigkeit der behufs Ausführung jener Anerbieten auferlegten Ver- Organiſation mögenssteuer. - Ankäufe und Requisitionen von Pferden. –

Inhalt.

XVII

Seite der Cohorten in Linienregimenter. - Departemental-Reservecompagnien.Marineartillerie. Bildung von vier Observationscorps an der Elbe, dem Rhein und der Etsch. – Sollstärke ihrer Infanterie. - Reorganisation der Infanterie von der alten und jungen Garde. Reorganisation des 1. und 2. Armeecorps. -- Sollstärke ihrer Infanterie. — Reorganisation der Liniencavalerie. Formation von 3 Reſervecavaleriecorps . — Reorganiſation der Gardecavalerie. Reorganisation der Linien- und Gardeartillerie. - Streitkräfte, welche Napoleon Ende April an der Elbe, dem Rhein und der Donau zu haben hoffen kann. - Ebbe im Staatsschaze. - Spoliirung mehrerer Lausende von Gemeinden. — Napoleon's Rede bei Eröffnung des Geſeßgebenden Körpers. Erbitterung der aus Rußland entronnenen Soldaten und der Conscribirten. · Napoleon's Zuversicht. - Empfängt Preußens Kriegserklärung. — Macht sich eine falsche Berechnung über die Streitkräfte, welche ihm dieser Staat entgegenstellen wird . — Erfährt den Aufstand der 32. Militärdiviſion und den Abfall der beiden Herzogthümer Mecklenburg. Senatsbeschluß betreffs einer Conscription von 80000 Mann aus den Altersklaffen 1807 bis 1812, ferner wegen des Aufgebots von 10000 Mann Ehrengarden und derOrganisation der Nationalgardecohorten zurVertheidigung der Küsten und Haupthäfen des Reiches. - - Die Constitution wird für die 32. Militärdivision außer Kraft erklärt. - Marschall Davout erhält den Befehl zur Unterdrückung des dortigen Aufſtandes. ---- Decrete wegen demnächstiger Bildung eines Reservecorps in Italien und zweier andern in Deutſchland . 193 Siebentes Kapitel. Feindselige Stimmung aller Klaſſen der österreichischen Bevölkerung gegen Napoleon. - Franz I. und Metternich hegen die Hoffnung , die Rückgabe einiger Provinzen von Napoleon zu erlangen , weshalb sie Marie Luiſe Metternich. -hingegeben und die Allianz gegen Rußland geschloffen. Sein Charakter und seine Politik. Ist als Anhänger des französischen Bündnisses in Desterreich unbeliebt. - Nach dem russischen Kriege spricht sich die öffentliche Meinung mehr und mehr für eine sofortige Allianz mit Alerander aus. —- Franz I. und Metternich wollen die Umstände benußen, um Desterreich wieder aufzurichten , ſei es mit Napoleon's Beistand , wenn er sich zu Conceſſionen herbeiläßt, ſei es mit Hülfe von dessen Feinden. Metternich's erste Eröffnungen gegen Otto hinsichtlich der Schwierigkeit des Ausharrens beim franzöſiſchen Bündniſſe. — Otto's blinde Vertrauensseligfeit. Franz I. bietet in einem eigenhändigen Schreiben Napoleon ſeine Vermittelung an. - Napoleon nimmt diese Vermittelung zwar an , stellt aber für den Frieden unmögliche Bedingungen und bietet Desterreich keine ernst gemeinten Vortheile. — Metternich beeilt sich, mit England und Rußland in officielle Beziehungen zu treten. Geheime Unterhandlungen mit Preußen und den Hauptstaaten des Rheinbundes wegen einer bewaffneten Rückberufung des Schwarzenberg'schen Corps. - Metter: Intervention. Napoleon nich verlangt die Auflöſung des Großherzogthums Warschau. will in nichts nachgeben. — Vertrag von Kaliſch. — Deſſen Folgen in politiſcher und militärischer Beziehung. Narbonne trifft in Wien ein. — Hat den Auftrag , Desterreich um seine Vermittelung, und wenn dieſe fruchtlos, um seine wirkliche Allianz anzugehen , in welchem Falle er erſterm die Theilung Preußens vorschlagen soll. Metternich beantwortet diese leztere Proposition nicht, geht aber auf die Vermittelung ein. Infolge

XVIII

Inhalt.

Seite deſſen erklärt er, das österreichiſche Contingent nicht zu Napoleon's Verfügung stellen zu können, doch werde Oesterreich zu ihm stehen, wenn er vernünftige Vorschläge annehme. - Franz I. und Metternich hegen den lebNapoleon ver haften Wunsch, Napoleon zum Nachgeben zu vermögen. •. 273 liert durch seinen Starrsinn die österreichiſche Allianz Achtes Kapitel. Schweden unter Bernadotte's Regierung. —Ift zum Beitritt der ſelbes ruinirenden Continentalsperre gezwungen, ſucht sich ihr aber mittels List zu entzichen. Napoleon's Gewaltacte gegen dasselbe. Fällt ohne Kriegserklärung in Schwedisch- Pommern ein. - Bernadotte protestirt dagegen. ·- Erklärt sich zwischen Frankreich und England neutral, und schließt einen Allianzvertrag mit Rußland. - Alexander verspricht ihm Norwegen. - England tritt diesem Vertrage bei und zahlt Subsidien. Zusammenkunft in Übo. Bernadotte erklärt Frankreich den Krieg. - Die Ausführung seines Planes einer Landung in Deutſchland wird wegen der Schwäche der ruſſiſchen Armeen vertagt. Sein Schreiben an Napoleon. - Sein Bündniß mit Preußen. Bernadotte's und Alexander's Eröffnungen an Dänemark. Sie schlagen leßterm die Abtretung von Norwegen an Schweden vor und bieten ihm als Erfaz dafür Schwedisch - Pommern und deutsche Gebietstheile. --- Schwanken Friedrich's VI. — Miſſion des Fürsten Dolgoruky nach Kopenhagen. Drängt den König Friedrich wegen des Beitritts zur Coalition , und um denſelben dahin zu beſtimmen, verspricht er ihm die Erhaltung Friedrich VI. willigt in alles ein. - Bernadotte's stolze von Norwegen. Reclamation bei Alexander. - Dieser desavouirt Dolgoruky , und kommt gleichfalls von der Abtretung deutscher Gebietstheile an Dänemark zurück. Friedrich tritt deſſenungeachtet vorläufig der Coalition bei. -- Unterstüßt das . 315 aufgestandene Hamburg mit Truppen

Neuntes Kapitel. Sellungen der ruſſiſchen Armee am Tage der Unterzeichnung des Kaliſcher Vertrages. Die derselben zum Vorrücken in Deutſchland verbleibenden Truppen. - Preußens sofort verfügbare Streitkräfte. - Fehlerhafter Opera tionsplan, welcher von den Alliirten in Kaliſch festgestellt wird. — Kutuſow bekommt zu dem Oberbefehle über das russische Heer noch das Commando der preußischen Armee. -- Die den verschiedenen ruſſiſchen und preußischen Corps anbefohlenen Bewegungen. York's, Bülow's und Borſtell's noch vor Empfang jener Befehle eigenmächtig ausgeführte Bewegungen . — Wittgenstein's Marsch nach Berlin.. Sein Einzug in die genannte Hauptſtadt. - Eugen hat bereits den Rückzug angetreten. Kommt in Wittenberg an ; Reynier erreicht Dresden. - Vereinigung des Elbe-Obſervationscorps in und bei Magdeburg. -- Das 1. Corps unter Davout, das 2. Corps unter Victor. — Reserve-Cavaleriecorps unter Latour-Maubourg und Sebaſtiani. – Die zu Eugen's Verfügung stehenden Streitkräfte. -- Seine Maßregeln zur Vertheidigung der Elblinie. – Die ihm von Napoleon gemachten Vorwürfe und die von demselben empfangenen Instructionen. — Ankunft des Marschalls Davout in Dresden. -- König Friedrich August von Sachſen. Deſſen Entfernung aus seiner Hauptſtadt. - Seine Unruhe und sein Schwanken. Volkstumult in Dresden. General Thielmann, Commandant der Festung Torgau , verweigert den Franzosen jede Unterſtüßung. —

Inhalt.

XIX

Seite Davout läßt auf Eugen's Befehl zwei Bogen der dresdener Brücke sørengen und rückt nach Magdeburg. - Die sächsischen Truppen erhalten von ihrem Könige den Befehl zum Marſche nach Torgau. — Durch deren Abzug wird Durutte, Reynier's Nachfolger im Commando des 7. Corps, auf seine eigene Division beschränkt, räumt Dresden und zieht sich gegen die Saale zurück. Eugen's neue Dispositionen : er befiehlt die Concentrirung seiner Streit kräfte auf dem rechten Elbufer vorwärts von Magdeburg. — Tettenborn's Zug gegen Hamburg. – Die Herzoge von Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelig treten der Coalition bei. — Aufstand in Hamburg. - Hin richtungen. General Carra St.-Cyr räumt diese Stadt und zieht ſich auf Bremen zurück. Lettenborn greift den aus Schwediſch-Pommern kommenden General Morand bei Bergedorf und Zollenspieker an. —- Lez terer paſſirt die Elbe und geht auf Bremen zurück. - Lettenborn zieht in Hamburg ein. - Lübeck, Lauenburg, Lüneburg und beinahe das ganze Land bis zur Ems erheben sich. Die Generale Carra St.- Cyr und Morand kommen in Bremen an. - Unterdrückung des Aufstandes in Bremerlehe und Bleren. Blutiges Strafgericht. In den aufgestandenen Ländern werden Freiwilligencorps organiſirt. General Dörnberg passirt an der Spize eines leichten Corps die Elbe, um gegen Hannover zu rücken. Gugen steht plößlich von der Concentrirung vorwärts von Magdeburg ab und vereinigt das Gros seiner Truppen an der Ohre. — Gefecht von Lüneburg, wo Dörnberg und Tschernitſchew die ganze Colonne des Generals Morand vernichten. Eugen führt seine Truppen von der Ohre nach Magdeburg zurück und überschreitet hier die Elbe am 2. April. - Sein Operationsplan 327 Zehntes Kapitel. York stößt in Berlin zu Wittgenstein. ― Die von der Einwohnerſchaft dieſer Stadt Vork dargebrachte Ovation. - Wittgenstein's Dispositionen. Detachirt Borstell auf Magdeburg und Tauenzien gegen Stettin. — Bülow erhält das Commando der 2. Diviſion vom York'schen Corps und wird gegen Magdeburg stradirt. - Borstell wird deſſen Befehlen unterstellt. — Wittgenstein's und York's übrige Truppen werden, in Verfolg der von Kutuſow nach dem in Kalisch abgehaltenen Kriegsrathe ertheilten Instructionen, von Potsdam auf Wittenberg echelonnirt. - Der von jenem Kriegsrathe entworfene Operationsplan. — Projectirte Vereinigung von Wittgenstein's und Blücher's Armeen. Die festgestellte Operationslinie. - Wittgenstein , welcher auf dem Marsche zu seiner Vereinigung mit Blücher begriffen, beschließt den Angriff gegen die unter Eugen behufs Ergreifung der Offenſive aus Magde burg debouchirten Franzosen. — Treffen von Möckern. - Niederlage der Franzosen. Eugen's Fehler während des Kampfes und nach demſelben. Geht wieder über die Elbe zurück, läßt eine Beſaßung in Magdeburg und zieht sich in das Saalethal. — Wittgenstein's Vereinigung mit Blücher. Vorpostengefechte und Handstreiche der russischen und preußischen Parteigänger. - Wittgenstein's Angriff auf Wittenberg wird vom General Lapoype abgeschlagen. Die Citadelle von Spandau ergibt sich an eine Brigade von Bülow's Truppen. - Der Zar und der König von Preußen kommen mit dem Corps Tormasow's in Dresden an. Von der Bevölkerung enthu ſiastisch empfangen, suchen sie den König von Sachsen für die Coalition Stein räth zu zu gewinnen. Schwanken der sächsischen Regierung. energischen Maßregeln gegen den König Friedrich August, die alliirten Mon-

XX

Inhalt.

archen weigern sich jedoch deſſen aus Rücksichten für Defterreich. soll der Preis der ersten Schlacht ſein

Seite Sachsen .383

Elftes Kapitel. Napoleon in Mainz. Die ihm zu Gebote stehenden Streitkräfte ſind in drei Gruppen getheilt. Die aus Eugen's Armee bestehende erste Gruppe an der untern Saale. Die zweite Gruppe unter Davout's Befehlen an der Weser und Niederelbe. – Die dritte Gruppe, welche von Mainz auf Erfurt und Bamberg echelonnirt, umfaßt : Das 1. Rhein-Observationscorps unter Ney, das 2. Rhein-Obſervationscorps unter Marmont, das durch Bertrand organisirte und von Verona nach Bamberg geführte italieniſcheObſervationscorps, endlich die kaiserliche Garde sowie die bairischen und würtembergiſchen Contingente. Die von Napoleon in Mainz entwickelte Thätigkeit, um ſeine Truppen wieder in Stand zu ſehen, zu verpflegen, auszurüſten und zu fleiden. - Er gibt den verschiedenen Corps Nummern und reconstituirt die Große Armee. Worin diese von der frühern Großen Armee unterſchieden ist. Jugendliches Alter der Truppen, Mangel an Zusammenhang, Mis verhältniß der einzelnen Waffengattungen zueinander, Läſſigkeit der Commandanten, Lurus der Generalität und Stabsoffiziere. - Die Soldaten find guten Muthes und voller Enthusiasmus. — Die ſehr erschütterten italieniNach schen und deutschen Hülfstruppen verlieren viel an Deſerteuren. Ertheilung der Marſchordres an die verschiedenen Corps verläßt Napoleon Mainz. -— Erfährt in Erfurt das Schwanken des Königs von Sachſen und den Abbruch der österreichischen Allianz. - Seine Drohdepesche an Desterreich. Ist voller Zuversicht auf einen erfolgreichen Ausgang des Krieges. 413

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