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German Pages [280] Year 1986
V&R
DIETER BECKER
Karl Barth und Martin Buber Denker in dialogischer Nachbarschaft?
Zur Bedeutung Martin Bubers für die Anthropologie Karl Barths
VANDENHOECK & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N
Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von W o l f h a r t Pannenberg und Reinhard Slenczka
Band 51
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Becker, Dieter: Karl Barth und Martin Buber - Denker in dialogischer Nachbarschaft? : Z u r Bedeutung Martin Bubers f ü r d. Anthropologie Karl Barths / Dieter Becker. Göttingen ; Zürich : Vandenhoeck und Ruprecht, 1986. (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie ; Bd. 51) ISBN 3-525-56258-6 NE: G T
© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1986. - Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten. O h n e ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Druck und Bindearbeit: H u b e r t & Co., Göttingen
VORWORT Der vorliegende Band ist die gekürzte u n d an einigen Stellen überarbeitete Fassung einer Untersuchung, die 1982 v o n der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen wurde. Für die Veröffentlichung wurde der Titel neu formuliert. Herzlich danken möchte ich allen, die zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen haben. Einige seien namentlich genannt: Mein Doktorvater, Herr Professor Dr. Albrecht Peters in Heidelberg hat die Fragestellung angeregt und die Arbeit m i t geduldiger Gesprächsbereitschaft gefördert. Die Studienstiftung des deutschen Volkes hat mir für zwei Jahre ein Stipendium bewilligt. Herr Professor Dr. Wolfgang Schweitzer, dessen Assistent ich in Bethel für eineinhalb Jahre war, Herr Pfarrer Dr. Friedrich Hufendiek und die Bielefelder MatthäusKirchengemeinde haben mich in je besonderer Weise begleitet. Vom Karl Barth-Archiv in Basel wurde m i r freundlicherweise durch Herrn Dr. Stoevesandt ein bisher noch ungedruckter Text überlassen. Frau Emmy Meyer in Bielefeld hat m i t großer Hilfsbereitschaft verschiedene Vorstufen u n d auch die Endfassung des Manuskripts angefertigt. Ferner möchte ich den Herausgebern der Reihe der "Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie" meinen Dank für ihr Interesse an dieser Arbeit aussprechen. Für Beiträge zu den Druckkosten danke ich der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Evangelischen Kirche im Rheinland. Ein besonderer Dank gilt meiner Frau, die mir half, trotz vieler anderer Aufgaben in der Schlußphase jene Ruhe zu finden, ohne die wissenschaftliches Arbeiten nicht möglich ist. Ihr sei dieses Buch gewidmet. Pematang Siantar, im Februar 1985 Dieter Becker
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG I.
BEZUGNAHMEN MARTIN
II.
1 KARL
BARTHS AUF DIE
ANTHROPOLOGIE
BUBERS
8
1. Barths Denken im Widerspruch 2. Zu Barths unveröffentlichtem Diskurs über Buber von 1944 3. Rückbezug auf Buber in der "Kirchlichen Dogmati k"
12
KARL BARTH
31
UND M A R T I N BUBER ALS
ZEITGENOSSEN
1 . Aufkommen des Dialogismus 2. Vorläufer dialogischen Denkens 3. Dialogismus und dialektische Theologie .... 4. Dialektische Theologen und dialogische Denker 5. Beziehungen zwischen Barth und Buber 6. Fazit III. V E R G L E I C H
DER STRUKTUR
ANTHROPOLOGIE
DER
BEI M A R T I N
8
25
31 35 39 44 52 57
DIALOGISCHEN
BUBER UND KARL BARTH
1. Menschsein in der Dimension der Erfahrung bei Buber 2. Menschsein in der Dimension der Begegnung bei Buber a) Beziehung zum Du b) Duale Gemeinschaft c) Gegenseitigkeit des Verhältnisses Exkurs: die Sphäre des Zwischen d) Begegnung als Sprachgeschehen e) Subjektivität im Dialog . f) Analogische Fundierung g) Perspektive des Ich 3. Projektionale Konzeption von Menschsein bei Barth 4. Sein des Menschen in der Begegnung bei Barth a) Relationalität als conditio sine qua non b) Gesetz des Duals c) Intention auf Gegenseitigkeit d) Begegnung fordert den Dialog e) Subjektivität menschlichen Seins f) Analogische Bewegung g) Perspektivische Betrachtung 5. Fazit
59
60 62 62 65 67 71 72 78 81 85 87 92 93 94 99 105 110 112 115 116
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IV.
8
-
DIALOGISCHE ELEMENTE IN DER FUNDIERUNG DER ANTHROPOLOGIE KARL BARTHS
127
1. Widerspruch gegen den Ansatz beim Selbstverständnis des Menschen 2. Analogische Strukturiertheit der Anthropologie 3. Theologische Fundierung der dialogischen Anthropologie 4. Christologische Konstruktion von Menschsein im Dialog 5. Analoger Gebrauch der Begriffe Geschichte und Begegnung 6. Fazit V.
127 133 139 154 167 179
ZUM EINFLUSS VON BUBERS DIALOGISCHER ANTHROPOLOGIE AUF BARTHS LEHRE VOM MENSCHEN 1. Spannung zwischen idealistischen und dialogischen Denkelementen 2. Anthropologie als Ontologie des Dialogs 3. Personale Strukturen und der christologische Ansatz 4. Fazit
183
...
183 196 202 206
ANMERKUNGEN
209
LITERATURVERZEICHNIS
252
EINLEITUNG
"Der Einfluß des dialogischen Denkens in der
gegenwär-
tigen Theologie - wenigstens im deutschen Sprachraum bedarf keines Nachweises. Personale Kategorien sind te in allen Sparten der Theologie anzutreffen.
ist man sich der Herkunft dieser Kategorien nicht hinlänglich bewußt
heu-
Jedoch immer
... Eine Besinnung auf die Herkunft
der personal-dialogischen
Begriffe und ihre
Entfaltung
in der evangelischen und katholischen Theologie
er-
scheint notwendig"^. B. Langemeyer, der dieses 1967
nie-
derschrieb, hat die Rezeption dialogischen Denkens bei Emil Brunner und Friedrich Gogarten ausführlich 2 legt
. Die hier vorgelegte Untersuchung
darge-
fragt nach dem
Einfluß der Ich-Du-Philosophie Martin Bubers auf die theologische Anthropologie Karl Barths. Die linien
zur zeitgenössischen
Verbindungs-
Philosophie, die für Brun-
ner und Gogarten - und im Blick auf die
Fundamentalon-
tologie Heideggers auch für Bultmann - als erwiesen
gel-
ten, sind für Barth noch nicht entfaltet. Daß in dieser Untersuchung eine Beziehung
zwischen der
christologischen
Anthropologie Karl Barths und dem dialogischen Denken M a r tin Bubers hergestellt werden soll, mag überraschen. gelt G. Sauter nicht das verbreitete
Spie-
Problembewußtsein,
wenn er schreibt:"Mit der anthropologischen
Diskussions-
lage seiner Zeit, wie sie vor allem durch die
Philosophi-
sche Anthropologie und den Personalismus repräsentiert wurde, 3 hat Barth sich eigentlich gar nicht auseinandergesetzt" ? Liegt diese Anschauung nicht auch auf der Linie des von Barth - allerdings mit etwas anderer zung - geäußerten Selbstverständnisses?
Akzentset-
Er schrieb am
5.9.1967 an F.-W. Marquardt:"Das biblische Israel
als
solches gab m i r soviel zu denken und zu verkraften, ich einfach die Zeit und auch das geistige
daß
Umfassungs-
vermögen nicht fand, mich auch noch mit Baeck, 4 Rosenzweig usw. näher zu beschäftigen" .
Buber,
-
10
-
Eine andere Sicht der Dinge hat Martin Buber geäußert: Er wies 1951 in einem Brief an Maurice S. Friedman auf verschiedene Veröffentlichungen hin, die auf ihn in letzter- Zeit Eindruck gemacht hätten. Darunter nennt er auch "Karl Barths 'Die Kirchliche Dogmatik' III. Band, 2. Teil, 'Die Lehre von der Schöpfung', das Kapitel 'Die Grundform der Menschlichkeit', wo der Versuch gemacht wird, die Ich-Du-Philosophie zu christianisieren" . In die Richtung dieser Beobachtung Bubers weist auch, daß Barth selbst Buber in dem genannten Band seiner "Kirchlichen Dogmatik" namentlich erwähnt und ferner dies, daß sich Barth 1944 in einem unveröffentlichten Exkurs seiner Anthropologie-Vorlesung mit Martin Buber auseinandergesetzt hat . Bubers Urteil lautet in seinem Nachwort "Zur Ge7 schichte des dialogischen Prinzips" , daß Barth in seiner Schöfpungslehre "bei aller Fülle und Eigenkraft seines theologischen Denkens doch den spezifischen Erwerb einer Geistesbewegung in Anspruch (nimmt), die im 18. und 19. Jahrhundert von einem unkirchlich gläubigen Idealisten" g - er meint Jacobis Schlagwort:"ohne Du kein Ich"
- "und
einem ungläubigen Sensualisten" - Buber denkt an Ludwig 9 Feuerbach - "angebahnt warden war und im 20. Jahrhundert, unter dem nicht unbeträchtlichen Anteil einiger gläubiger Juden, einen einigermaßen zugänglichen Ausdruck gefunden hatte" - Buber denkt wohl insbesondere an Franz Rosenzweig^. Buber billigt Barth zu, er habe die Unterscheidung zwischen dem Es-Du und dem wahren Sein des Ich in der Begegnung "in der Weise des echten Selbstdenkens" übernommen. Hat Barth aber nicht die entscheidende Anregung für diese Sicht von den dialogischen Denkern empfangen? Nur vereinzelt sind diese Zusammenhänge bisher in der Forschung wahrgenommen worden. So hat A. Ebneter in seiner Untersuchung "Der Mensch in der Theologie Karl Barths"^ gemeint, in dem angeblich von Barth frisch gebahnten christologischen Weg einiges Altbekannte wiederzuerkennen.
- 11 Er stellt zwar fest, daß Barth in dem Band III/2 der "Kirchlichen Dogmatik" im Vergleich zu seinen früheren Veröffentlichungen wenig Namen nennt, die Hinweise geben auf Quellen und Vermittler seiner Gedanken. Dennoch gibt 12
es, so meint er, viele Querverbindungen
zu den Kirchen-
vätern und zu verschiedenen Barth gleichzeitigen Denkern. Neben den Vertretern des Existentialismus der neueren Zeit nennt er Ebner, Buber und Brunner als Vertreter des religiös-philosophischen Personalismus. Ohne diese Zeitgenossen sei das Menschenbild Barths nicht zu denken. "Der religiös-philosophische
P e r s o n a l i s m u s
eines
Ebner, Buber, Brunner hat immer schon die menschliche Existenz als Ich-Du-Existenz oder dialogische Existenz ... gesehen und beschrieben". Das geschieht, wie Ebneter richtig sieht:"in der Vertikalen als Ich-Du-Existenz von Gott und Mensch, in der Horizontalen als Ich-Du-Existenz von Mensch und Mitmensch"
So lautet das Urteil Ebneters,
Barth habe Gedanken des dialogischen Personalismus seinem christologischen Denkweg eingefügt und es sei ihm auf über zeugende Weise gelungen, das Ganze noch einmal ausschließlich von Christus her zu begründen und aufzubauen. "Manchmal möchte man sagen, dasselbe Bild, dem man schon anderwärts begegnet ist, werde nur in neuer Beleuchtung gezeigt Ja, Ebneter gewinnt den Eindruck, daß verschiedene Male zu einem von anderswoher vorliegenden Resultat erst nachträglich der biblische Zugang gesucht wurde. Diesen Beobachtungen entspricht ein Hinweis, den M. Theunissen gegeben hat. Er hat in seinem Werk "Der Andere" auf Barths Orientierung am Phänomen hingewiesen und von "Barths vorbildlich phänomenologischer Analyse der Mitmenschlichkeit" gesprochen. Auch A. Peters hat darauf hingewiesen, daß Barths christozentrische Sicht wirklichen Menschseins faktisch identisch ist mit einer anthropologischen Struktur, die aus dem dialogischen Personalismus rezipiert wur-
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Die hier vorgelegte Untersuchung möchte das Denken Barths und Bubers einfügen in Zusammenhänge, die die Forschung bisher noch zu wenig wahrgenommen hat, die aber durch die Veröffentlichungen von biographischen Texten und verschiedenem Nachlaßmaterial jetzt umso deutlicher zu erkennen 17
sind. Indem Barths "theologische Anthropologie" der Lehre vom Menschen bei Martin Buber gegenübergestellt wird, kommen auch die von Barth benannten fundamentaltheologischen Vorentscheidungen gleichsam neu auf den Prüfstand. Wurde Barths Anthropologie lange Zeit gesehen als unter Ausscheidung aller Elemente der natürlichen Theologie durchgeführte strenge, wenn auch1 8nicht enge Entfaltung eines christologischen Ansatzes , so wird dieses Urteil angesichts der hier postulierten anthropologischen Nachbarschaft zwischen Barth und Buber "frag-würdig". Ist Barths Lehre vom Menschen tatsächlich so ausschließlich christologisch ausgerichtet, wie von ihm selbst und anderen behauptet? Sind in seine Anthropologie nicht weitaus umfangreicher als von ihm selbst deutlich gemacht dialogische Elemente eingegangen? So wird in dieser Untersuchung der christologische Ansatz der Anthropologie Barths kritisch gesichtet und einer Art "Gegenprobe" unterzogen. Dabei wird im ständigen Vergleich mit dem Denken Martin Bubers die Frage verfolgt, ob sich die Denkmuster Barths nur in der behaupteten Weise legitimieren lassen und wenn ja, wieweit nicht auch versteckt Elemente der Philosophie des Dialogs stimulierend gewirkt haben? Von hierher gewinnt der Vergleich mit Martin Buber seine besondere Brisanz. Indem diese Untersuchung nach jenen anderen Implikaten der Theologie Barths als den zumeist von ihm aufgewiesenen fragt, verfolgt sie doch in - wie sich noch zeigen wird sehr spezifischer Weise eine Spur, auf die Karl Barth selbst gewiesen hat, als er im Nachwort zur SchleiermacherAuswahl von H. Bolli ein Problembewußtsein anregte, das sich nicht mit der Feststellung eines epochalen Gegensatzes zwischen dieser (einschließlich allem, wofür sie steht) und
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seiner Theologie begnügt, sondern einen Fortschritt in 19 dieser Fragestellung zu erreichen versucht Der Aufbau meiner Untersuchung orientiert sich an der genannten Aufgabenstellung. Schwerpunktmäßig werden die "Anthropologien" Bubers und Barths auf bestimmte Merkmale hin befragt und einander gegenübergestellt. Das geschieht in enger Anlehnung an ihre Hauptschriften. Diese Untersuchung setzt an für Barth mit dem zehnten Kapitel der "Kirchlichen Dogmatik", Band III/2:"Die Lehre vom Geschöpf". Für Buber beziehe ich mich besonders auf sein Hauptwerk "Ich und Du". Die Vergleichslinien werden aber - soweit im Einzelfall nötig - auch über diese opera hinaus, z.B. bis zu den kleineren Schriften und der Briefliteratur, ausgezogen. Der Vergleich wird dabei vor allem unter systematischen Gesichtspunkten durchgeführt. Das heißt: die Entwicklungen, die Bubers und Barths Denken im Laufe ihres Lebens durchmachten, werden nur insofern herangezogen, als sie für diesen Vergleich fruchtbar erscheinen^. Beim Studium der genannten Entwürfe und während der Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur traten mir sieben Merkmale von Menschsein in der Begegnung als Vergleichspunkte immer mehr vor 21
Augen . Ich gehe in dieser Arbeit deshalb methodisch so vor, daß ich sowohl das Denken Bubers als auch das Denken Barths von diesen Kategorien dialogischen Denkens her zu befragen und aufzuschließen suche. a) Quellort personalen Denkens ist vor allem die intensive Erfahrung der Beziehung zum Du. Von daher tritt diese Sichtweise in Opposition zu allem gegenständlichen Denken im "Subjekt-Objekt-Schema". Ich möchte deshalb von der R e l a t i o n a l i t ä t als erster Kategorie dieses Denkens ausgehen. b) Ein weiteres Kennzeichen dieses Denkens ist, daß die Partner der Beziehung immer nur im D u a l als Ich und Du, als der eine und der andere in den Blick kommen.
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Von daher wäre die Frage nach der Anzahl der Partner in der Begegnung in Betracht zu ziehen. c) Sodann ist die Frage nach der Reziprozität des Geschehens in der Begegnung zu stellen und nach den Auswirkungen dieses Geschehens auf die Partner selbst. Dieses Verständnis von Menschsein wird deshalb auf die Bedeutung des Merkmals t ä t
I n t e r a k t i o n a l i -
hin zu prüfen sein.
d) Beziehung ist sodann auf ihre sprachlichen Implikationen hin zu reflektieren. Es geht um das Verhältnis von Wort und Antwort, die Zuordnung von Gesten und Handlungen zur worthaften Kommunikation, die Inhalte des Sprechens usw. Mit diesen Hinweisen zur t ä t
V e r b a l i -
zeichnet sich eine weitere Kategorie von Mensch-
sein in Beziehung ab. e) Von den Interpreten dialogischen Denkens wird auch betont, in der Begegnung wende sich der Mensch willentlich und in Freiheit dem anderen zu. In der Begegnung erwache er zum freien Selbstvollzug und komme so erst zu sich selbst. Das Denken Barths und Bubers wird deshalb auf die Kategorie
S u b j e k t i v i t ä t
hin
zu befragen sein. f) Als weiterer Punkt wird zu berücksichtigen sein, daß im Dialogismus der Gedanke der Entsprechung zur Geltung gebracht wird. Das Wort des einen erfordert die Antwort des anderen. Das Reden des einen steht in Entsprechung zum Reden des anderen. Dieser Gedanke wird zugleich über die zwischenmenschliche Dimension hinaus geöffnet für die Dimension der Beziehung von Gott und Mensch. Es wird also nach der
A n a l o g i z i t ä t
zu fragen sein,
mit deren Hilfe die zwischenmenschliche Dimension und die Dimension von Gott und Mensch in eine Beziehung zueinander gesetzt werden. g) Zuletzt ist die Kategorie P e r s p e k t i v i t ä t zu nennen. Langemeyer sagt:"In der Sprache wechseln die
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Fürwörter dauernd hin und her, je nachdem wer gerade spricht und hört. Ich und Du sind nicht gleichbleibend dieselben Personen; der jeweils Angesprochene ist 'Du', 22
der Sprechende 'Ich' . Von daher ist zu fragen nach dem Blickwinkel, aus dem das Begegnungsgeschehen jeweils betrachtet wird. Der Aufbau der Untersuchung gliedert sich in fünf Kapitel. Im ersten Kapitel gehe ich auf das bisher unveröffentlichte Manuskript jener Anthropologievorlesung ein, in der sich Barth mit Bubers Werk "Ich und Du" ausführlich beschäftigt hat. Danach werden im zweiten Kapitel Barth und Buber als Zeitgenossen in den Blick genommen, und es wird nach den historischen Gegebenheiten der Entwicklung des Denkens zu Anfang des Jahrhunderts und nach möglichen Beziehungen zwischen Barth und Buber gefragt. Dem schließe ich im dritten Kapitel die vergleichende Gegenüberstellung der Grundstrukturen von Menschsein bei Buber und Barth an. Da die Aussagen Barths über das Sein des Menschen in der Beziehung zum Mitmenschen in Analogie stehen sollen zu den Aussagen über das Sein des Menschen in der Beziehung zu Gott, ist im vierten Kapitel auch jene Dimension auf die genannten Merkmale hin zu untersuchen. Entsprechendes gilt für die Rückfrage nach dem Sein Jesü in Beziehung zum Mitmenschen und zu Gott, da das Sein eines jeden Menschen bei Barth dem Sein Jesu analog gedacht sein soll. In einem letzten Kapitel wird nach der Bedeutung der gewonnenen Erkenntnisse für ein genaueres Verständnis der Theologie Barths gefragt.
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I. BEZUGNAHMEN KARL BARTHS AUF DIE ANTHROPOLOGIE MARTIN BUBERS
1. Barths Denken im Widerspruch Es gehört zu den Besonderheiten des theologischen Denkers Karl Barth, daß er sich selbst weniger als Theologie produzierendes Subjekt neben andere eingereiht hat, sondern vielmehr dazu tendierte, das eigene dogmatische Denken biblisch und offenbarungstheologisch verankert - mit der "Sache" der Theologie gleichzusetzen. Die Bezugnahme auf andere theologische Ansätze gestaltet sich deshalb - nicht nur in der dialektischen Periode - zumeist als kritische Abgrenzung. Mit dem Ziel, ganz und gar auf die Gottesoffenbarung in Jesus Christus zu blicken und alle anthropologischen Aussagen in einen notwendigen Bezug zur Existenz Jesu zu stellen, hat Barth die überkommene Struktur des Lehrstücks de homine tiefgreifend verändert. Barth sieht, daß es sich bei der von ihm geforderten "Begründung der Anthropologie auf die Christologie"^ in der Geschichte der theologischen Anthropologie um eine echte methodische Neuerung handelt. Er hat selbst betont, daß er nach seiner Kenntnis der Kirchengeschichte diesen Weg "als Pionier zum ersten Mal" gehe und gesagt, sein Versuch der Begründung der Anthropologie auf die Christologie stehe weit "von der dogmatischen Tradition entfernt". Es sei der Weg, den "von den älteren und neueren Kirchenvätern ... nun 2
eben keiner wählen" wollte . Dennoch hält er diesen Weg "für den a l l e i n möglichen" (VIII; Hervorhebung von mir). Die Unumkehrbarkeit des Weges von der Christologie zur Anthropologie schließt alle anderen Ansätze aus. Dieser Weg allein ist kein "willkürlich gewählter" (247) , er allein ist der der theologischen Anthropologie gewiesene. Von diesem Ansatz aus werden andere Entwürfe kritisiert, wenn sie nicht gar zur Nicht-Theologie erklärt werden. Jeder andere Weg führt "bestimmt ins Dickicht", weil er ein "Weg natürlicher Erkenntnis" (ebd.) ist. Karl Barth hat sich in dem Abschnitt über die "Phänomene
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des Menschlichen""^ mit Vertretern verschiedener anderer anthropologischer Positionen auseinandergesetzt. Dazu gehören J.G. Fichte, K. Jaspers, E. Brunner, dazu gehört auch Martin Buber. Diese Ansätze werden abgedrängt in eine Richtung, in der sie letztlich als problematische Erkenntnisbemühung des sich selbst über sich selbst belehrenden Menschen erscheinen · Ihnen eignet keine wahre Erkenntnis, weil sie die Konstitution des Menschen allein in der Gottesbegegnung nicht zum Thema machen oder machen können. So verbleiben diese Entwürfe unter dem Verdikt eines autonomen Selbstverständnisses. Gegen diese Ansätze wird betont, daß der Mensch nur aus der Offenbarung des Wortes Gottes zu verstehen ist. In der Besprechung von F i c h t e s
J o h a n n
G o t t l i e b 5 "Die Bestimmung des Menschen" skizziert
Barth diesen ethisierenden Ansatz, der die Fähigkeit des Menschen entfaltet, sich selbst verantwortlich zu entwerfen. Doch so rechtmäßig es auch sein mag, von menschlicher Freiheit im Gegensatz zu naturmäßiger Fremdbestimmtheit zu sprechen, es ist nach Barth zu kritisieren, daß der Mensch hier als ein Subjekt vorausgesetzt wird, das sich selbst als Objekt einsichtig und verfügbar ist. Unter dieser Perspektive ist es zu sehen, daß Barth philosophische Anthropologie als "spekulative Theorie vom Menschen" bezeichnet. Theologische Anthropologie steht zu jener in einem echten Konkurrenzverhältnis und hat sich an ihr nicht zu orientieren. Gegen die Versuche philosophischer Anthropologie, die er nur als Weltanschauungen wertet, grenzt sich Barth scharf ab. Gegen das Systemdenken wendet er ein, es sei ein Fehler, wenn der Mensch meint, "mit sich selbst bezw. mit seinem Urteil so etwas wie einen absoluten Anfang setzen zu können, von dem aus fortschreitend er es für erlaubt und geboten hält, endlich und zuletzt zu einer absoluten Synthese, zu einem die Wirklichkeit erschöpfenden System der
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18
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Wahrheit vorzudringen" und "vor allem sich selbst durchschauen, sich selbst über sich selbst Bescheid geben zu können" (24) . Barth markiert zwischen dieser Art von Anthropologie und der seinen eine scharfe Grenze. Barth befehdet auch die existenz-philosophische Sicht g eines K a r l J a s p e r s . Dieser Versuch der Weltund Selbsttranszendenz wird zurückgewiesen. Barth sieht: Jaspers weiß um die Nichtobjektivierbarkeit und Nichtdefinierbarkeit des Menschen. Er beschreibt menschliche Existenz als Bezogensein, als Sein in unaufhebbarer "Beziehung zu einem Anderen" (130), dem Menschen selbst Transzendenten. Wer menschliches Sein jedoch als so sich selber einsichtig versteht, setzt nach Barth immer schon die eigene Sicht von Existieren auf anderes hin voraus. Es ist nämlich immer der Mensch, der das Erfahrene von sich aus als Transzendentes bestimmt. Er kann das nur, weil er offensichtlich schon vorgängig um das Transzendente weiß. Demgegenüber verweist Barth darauf, daß die Fähigkeit des Menschen, sich selbst zu transzendieren, darin gründet, daß zuerst Gott sich auf den Menschen hin überschritten hat. Barth interpretiert die existenz-philosophische Anthropologie als in sich zirkelhafte Gestalt von Selbstbewußtsein. Sie ist nur dadurch aufzubrechen, daß die Transzendenzerfahrung - ausgehend vom Transzendenten als ein Sich-zur-Erfahrung-Bringen des Transzendenten gedacht wird. Bei Jaspers handelt es sich nach Barth also um eine Theorie des sich selbst setzenden Menschen, weil ihm die Wahlfreiheit der Entsprechung zum Transzendenten oder die Verweigerung dagegen bleibt. Der Gedanke, daß sich das Transzendente zur Erfahrung bringt, schließt nach Barth jedoch streng genommen den Gedanken einer freien menschlichen Wahl aus. Wo Gott begegnet, müßte gelten, daß sich dem Menschen a l l e i n die Möglichkeit der Entsprechung unwiderstehlich aufdrängt (138). Der existenzphilosophische Ansatz ließe sich allein in der Selbst-
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transzendenz Gottes "begründen". In seiner Auseinandersetzung mit E m i l B r u n n e r greift Barth den alten Streit aus den zwanziger und dreißiger Jahren wieder auf^. Barth und Brunner waren über der Frage nach dem "Anknüpfungspunkt" und einer "formalen Imago Dei" auseinandergegangen. Brunner lehrte, durch die Sünde sei die m a t e r i a l e Gottesebenbildlichkeit - darunter verstand er die ursprüngliche gottgewollte Art des Menschen - restlos zerstört. Durch die form a l e Gottesebenbildlichkeit bleibe der Mensch jedoch auch im Zustand der Wesensverkehrung durch die Sünde in die Beziehung zu Gott hineingebunden. Das Festhalten an der formalen Imago Dei zielt bei Brunner darauf, den Menschen in seinem Humanum, in dem, was ihn vor der gesamten übrigen Schöpfung auszeichnet, zu begreifen. Dabei soll deutlich werden, daß der Mensch durch die Sünde in seiner Menschlichkeit verkehrt ist, daß er schon, um seiner natürlichen Bestimmung entsprechend zu leben, auf Gott angewiesen ist. Durch den Verlust der materialen Imago ist auch des Menschen Vernunft nicht vernünftig, sind auch sein Reden und Tun nicht verantwortlich. - In der "Kirchlichen Dogmatik" stellt Barth Brunners Verfahren wiederum unter den Pelagianismusverdacht: sein Ansatz bei der Gnade Gottes verbleibe im Noetischen. Mit Bezug auf Brunners g
Monographie "Der Mensch im Widerspruch" schreibt Barth, der Mensch scheine "bei Brunner frei, sein Sein und Wesen e n t w e d e r in der Treue o d e r in der Untreue gegen Gott zu realisieren, e n t w e d e r Gott oder auch sich selbst oder den Teufel zu seinem Herrn zu erwählen" (156). Brunner rede faktisch doch "neutral" vom Menschen und seine Anthropologie stimme mit dem evangelischen Verständnis der Gnade nicht überein. Relativ positiv für die theologische Anthropologie bewertet dagegen Barth interessanterweise die exakten (Natur-)
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Wissenschaften vom Menschen. Wo sie wie A d o l f P o r t m a n n s 9 "Biologische Fragmente zu einer Lehre vom Menschen" innerhalb ihrer Grenzen bleiben, haben sie ein relatives Recht. Physiologie und Biologie, Psychologie und Soziologie bieten ja keine Sätze über das Wesen des Menschen, sondern Aussagen über die dem Menschen selbst möglichen, vorläufigen Einsichten über Bestand und Ablauf seiner Existenz. Sie fragen nicht, was der Mensch, sondern w i e er ist. Diese Art von Anthropologie liefert nach Barth - sofern sie exakt wissenschaftlich bleibt - Beiträge vor allem zur weiteren Ausbildung der therapeutischen Behandlung des Menschen (26). Ihre Bedeutung für die theologische Anthro10 pologie ist allerdings umstritten 2. Zu Barths unveröffentlichtem Diskurs über Buber von 1944 Der kritische Grundzug seines Denkens zeigt sich auch in Barths Haltung gegenüber M a r t i n B u b e r . Barth hat sich im Frühjahr des Wintersemesters 1943/44, als er im Basler Kolleg unter der Überschrift "Des Menschen Menschlichkeit" einen bis heute unveröffentlich11 ten Abschnitt vortrug , auf ca. fünfundzwanzig Schreibmaschinenseiten Text explizit mit Martin Bubers Schrift 12 "Ich und Du" beschäftigt . Dieses Dokument zeigt - obwohl sich Barth hier vornehmlich von Buber abzugrenzen sucht - eine Reihe von Verbindungslinien zwischen beiden Denkern. Seine Lektüre bestätigt, was sich auf Grund der Analyse der entsprechenden Texte vermuten läßt: Karl Barth hat Martin Bubers Hauptwerk gelesen und sich 1 3 - bis spätestens 1944 - intensiv darin eingearbeitet . Barth attestiert Buber in diesem Exkurs "eine Tiefe und einen Reichtum, die zur Beachtung und zur Achtung nötigen" (1084). "Die Grösse und das Verdienst von Martin Bubers Konzeption besteht in der unerbittlichen Klarheit und Konsequenz, in der er im Gegensatz zu allen Idealisten
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und Mystikern, aber auch zur großen Mehrzahl der christlichen Theologen auf die Ich-Du-Beziehung als auf das wesentlich Menschliche und eben damit als auf den Inbegriff des von Gott Gewollten hingewiesen hat" (1097 f). In "der klaren Entgegenstellung und Verbindung von Gott und Mensch" erkennt Barth "den Ursprung und Sinn von Bubers Thema und das eigentümliche Pathos seiner These, mit der er inmitten des verworrenen Humanismus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg bei aller Verbundenheit mit ihren Tendenzen und ihrer Sprache wie ein Gast aus einer längst vergessenen Welt auf den Plan getreten ist" (1098). Es liegt Anerkennung darin, wenn Barth über Bubers Sichtweise vom Menschen sagt:"Es konnte schon wegen dieses ihres geschichtlichen Zusammenhangs nicht anders sein als dass sie Eindruck machte und bis heute Eindruck macht" (1098 f). Man kann hier die Frage aufwerfen, was Barth eigentlich tat, als er sich 1944, als Hunderttausende von jüdischen Menschen in Massenvernichtungslagern zu Tode gequält wurden, auf den "jüdische(n) Dichter und Denker" Martin Buber bezog. Ist diese Bezugnahme nicht als solche, auch ohne daß Barth die Situation der Juden zu dieser Zeit in der Dogmatik darstellte, nicht als politische Aktion und als Zeichen des Protests zu verstehen? Ich bezweifle jedoch, daß man diese Bezugnahme auf Buber in der DogmatikVorlesung "politisch" deuten sollte. Zu diesen Fragen hat 14 sich Barth an anderer Stelle mutig und entschieden geäußert Es muß auch ins Gewicht fallen, daß Barth die Situation der Juden zu dieser Zeit hier überhaupt nicht erwähnt. Auch wenn sich Barth in dogmatischen Texten zu politischen Fragen verhaltener äußerte, hätte er es meines Erachtens nicht an der wünschenswerten Deutlichkeit fehlen lassen, wenn ihm an dem zeitgeschichtlichen Bezug etwas gelegen hätte^. Zudem fällt auf, daß sich Barth - wie noch zu zeigen sein wird - inhaltlich verhältnismäßig scharf gegenüber Bubers Konzeption von Menschsein abgrenzt und mit der hier bezogenen Position zurückbleibt hinter der zu diesem Zeitpunkt
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erreichten theologischen Betrachtungsweise von "Juden16
tum" und "Israel" . Dafür, daß sich Barth hier mit Buber auseinandersetzt, muß es andere Gründe gegeben haben. Sie sind nach meinem Dafürhalten in der Faszination zu suchen, die von Bubers anthropologischem Denken ausging. Hier trat eine nicht zu übersehende Ähnlichkeit in der Denkstruktur zutage. Hier hat Barth deshalb die Notwendigkeit empfunden, die eigenen Aussagen über den Menschen von denen Bubers zu unterscheiden. Barth beginnt den Exkurs mit der Bemerkung:"Es mag der Erläuterung dienen, wenn wir uns an dieser Stelle b e i l ä u f i g der Entwicklung und Darstellung zuwenden, die Martin Buber in seinem 1923 erschienenen Buch 'Ich und Du' unserem Gegenstand gewidmet hat" (1084; Hervorhebung von mir). Mit diesem Satz gab er seinen Hörern Auskunft über die Bedeutung, die er dem Denken Bubers für seine eigene Theologie einräumte. Dabei vermittelt das Wort "beiläufig" den Eindruck, Buber habe auf den Gang der Vorlesung und auf die Grundgedanken der Anthropologie nicht eingewirkt. Aber auch wenn die Bedeutung dieses Exkurses von Barth selbst gering eingeschätzt wurde, ist er im Zusammenhang der in dieser Arbeit entfalteten Fragestellung von besonderer Wichtigkeit. Es ist nämlich zu vermuten, daß sich schon von diesem Text her, der ja eine frühe Gestalt der dann "Werk" gewordenen Anthropologie Barths zeigt, Hinweise ergeben auf die Frage, ob und wo Barth mit Buber verbunden ist und was beide voneinander trennt. Unter diesem Aspekt soll deshalb der Inhalt des Diskurses skizziert werden. Barth gibt im ersten darstellenden Teil des Exkurses 17 Bubers Schrift "Ich und Du" von 1923 in Grundzügen wieder Er referiert, daß es nach Buber zwei "Grundworte" bzw. "Grundwortpaare" gibt: "Ich-Du" und "Ich-Es". Er erläutert die Ich-Es-Relation in ihrer "Dinglichkeit" und "Gegenständlichkeit" 1 8 . Er stellt die Ich-Du-Beziehung dar
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und sagt:"Das Grundwort Ich-Du kann im Unterschied zu dem Ich-Es nur mit dem ganzen Wesen des Menschen gesprochen werden" (1085) und:"Das Grundwort Ich-Du stiftet die Welt der Beziehung" (1086). Das Ich-Du-Verhältnis erläutert er in bezug auf die Natur an Bubers Aussagen über die Relation zu Baum und Hauskatze. Im Blick auf die Beziehung zum anderen Menschen referiert Barth Bubers Einsicht, daß der Mitmensch, zu dem ich Du sage, kein Gegenstand der Erfahrung ist. Barth geht auch auf das Bubersche "Leben mit den geistigen Wesenheiten" (1087) ein und darauf, daß der Mensch in ihnen nicht auf ein Ding und seine Gegenständlichkeit trifft. Er zeigt, daß der Mensch diese Welt als solche nicht erfahren oder beschreiben kann und daß er zu ihr in einer Beziehung steht, die er als Künstler und Erkennender verwirklicht. Barth stellt ferner Bubers Zuordnung von Ich-Es und IchDu heraus:"Zwischen den beiden Grundworten, Beziehungen und Welten bestehen aber die folgenden zwei echten V e r h ä l t n i s s e : Die Ich-Du-Welt transformiert sich notwendig fortwährend zur Ich-Es-Welt." So muß jedes Du wieder zu einem Es werden und umgekehrt kann sich auch die Ich-Es-Welt wieder in die Welt des Ich-Du transformieren. "Ohne Es-Beziehung lässt sich nicht leben. Aber wer mit dem Es allein lebt, ist nicht der Mensch" (1088). "Wie das einzelne Du nach Ablauf des Beziehungsvorgangs zu einem Es werden m u s s , so k a n n das einzelne Es durch Eintritt in den Beziehungsvorgang zu einem Du werden." Für das Ich heißt das:"In der Ich-Es-Beziehung bin ich nicht wirklich Ich. Ich bin Ich in der Ich-DuBeziehung" (1089). Barth stellt dann jene "Tiefendimension" dar, die der Ich-Du-Relation nach Buber darin zukommt, daß in der Beziehung zu einem einzelnen Du zugleich das Verhältnis zum "ewigen Du" mitgesetzt gedacht werden kann. Um zu dieser letzten Begegnung zu kommen, ist es nach Buber nötig, sich
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Vom "Bann des Abgetrenntseins" zu lösen und also die Welt gleichsam in der Gegenwart Gottes zu schauen. "Wer mit dem ganzen Wesen zu seinem Du ausgeht und alles Weltwesen ihm zuträgt, findet ihn, den er nicht suchen kann" (1092). So ist die "Gottesbeziehung ... also 'nicht eine Beziehung neben den anderen; sie ist die Allbeziehung, in die alle Ströme sich ausgiessen1" (1092 f). Barth hat nicht unerwähnt gelassen, daß sich Buber die Begegnung des Menschen mit dem ewigen Du nicht anders denn als ein unauflösliches Ineinander von "Erwähltwerden und Erwählen, von Passion und Aktion" (1091) vorstellen kann und daß es nach Buber keineswegs so ist, daß nur der Mensch die Initiative zu dieser Begegnung ergreifen muß. Gott als das ewige Du steht nach Buber bereit, "allzeit selbst zum Du zu werden und die DuWelt aufzutun". Dieser Gedanke wird präzisiert:"es steht nicht bereit, es kommt immerdar auf sie zu und rührt sie an" (1089). In der Tat kann Buber sagen, daß gleichsam der Impuls zur Begegnung von Gott ausgeht:"Das ewige Du tritt mir gegenüber(,) und ich trete in unmittelbare Beziehung zu ihm" (1091). In diesem Sinn spricht Buber auch von Gebet und Opfer und rückt sie von allem Verfügen über das Göttliche, von aller Magie ab. Gebet und Opfer "vernehmen" (!) (1093). Er verweist auf das "Atemanhalten im Dunkel" und das bereitende Schweigen (1097). In der Begegnung mit dem ewigen Du widerfährt dem Menschen "Gnade". Barth referiert:"Der vollkommene Beziehungsvorgang zwischen ihm und uns ist eine Begegnung, in der uns wohl unser Wille, nicht aber die uns widerfahrende Gnade einsichtig wird" (1091). Buber geht davon aus, daß es Begegnung des Menschen mit dem "ewigen Du" gibt. Bei ihm wird aber die Frage, ob einem Partner in der Begegnung der Vorrang gebührt, nicht nur nicht entschieden, sondern sie ist prinzipiell unentscheidbar, weil Buber seine Hinweise zum Begegnungs-
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geschehen beschränken will auf Aussagen über das, was dem Menschen als Partner in dieser Beziehung zu tun obliegt. So kommt bei Barth wohl heraus, daß sich für Buber nicht sagen läßt, daß die Begegnung von Gott und Mensch aus der Zuwendung des Menschen zum ewigen Du resultiere. Der heimliche Vorwurf an Buber lautet aber, daß dieser nicht ausgeschlossen habe, daß es keine Verwirklichung der Gottesbeziehung von Seiten des Menschen her gibt. Man spürt Barths Skepsis, wenn er urteilt, daß bei Buber die Dynamik dieser Begegnung reduziert werde auf die Aspekte mystischer Erfahrung oder die Form einer existentialen Struktur. Demgegenüber fordert Barth einen Standort jenseits der Konkurrenz der verschiedenen menschlichen Gewißheiten. Es gehe um "etwas prinzipiell Tieferes und Besseres ... als die allgemeine Möglichkeit der unmittelbaren Gewissheiten" (1107). Während Buber das Geschehen der Begegnung zwischen Gott und Mensch so aus der Sicht des Menschen beschreibt, will Barth die umgekehrte Blickrichtung betonen. Er moniert vor allem, die P e r s p e k t i v e , aus der Buber Menschsein im Dialog beschreibt. Barth erkennt, daß Bubers Beschreibung von Menschsein in Beziehung zu Gott nicht der abstrakte Entwurf eines Relationsmodells ist, bei dem die Interaktion beliebig aus der Sicht des einen oder des anderen Partners oder gar von einem dritten übergeordneten Standpunkt aus betrachtet werden kann und daß Buber Menschsein vielmehr konsequent aus der Sicht des Menschen beschreibt:"Das ewige Du tritt mir gegenüber und ich trete in unmittelbare Beziehung zu ihm" (1091;vgl.We 1,129). Der Dreh- und Angelpunkt von Bubers relationaler Anthropologie liegt nicht beim Gegenüber, sondern bei mir, nicht aus der Perspektive des Du, sondern aus der Perspektive des Ich wird alle Beziehung betrachtet. Buber kann nicht anders reden, weil - wie er sagt - Beziehung zu Gott für Menschen immer nur aus der
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eigenen Perspektive sichtbar wird. Demgegenüber fordert Barth, gerade in der Gottesdimension die eigene Sichtweise aufzugeben. Alles hänge hier daran, vom Ichsagen G o t t e s und damit in eins von seinem Dusagen zum Menschen auszugehen. In diesem Zusammenhang hat Barth auch Bubers O f f e n b a r u n g s v e r s t ä n d n i s referiert. Er hat dabei gesehen: Offenbarung bedeutet für Buber, daß dem Menschen im Ereignis der Begegnung etwas zuwächst, was er zuvor nicht hatte. Offenbarung steht für das Urphänomen, "dass der Mensch aus dem Moment der höchsten Begegnung nicht als der gleiche hervorgeht, als der er in ihn eingegangen ist, 'die Wirklichkeit, dass wir empfangen, was wir zuvor nicht hatten'" (1095). In der Offenbarung wird dem Menschen ein Geheimnis kund, das er als Heil erkennt. Sehr viel skeptischer hat Barth dagegen beurteilt, wenn Buber sagt, der Mensch empfange in der Offenbarung keinen Inhalt, kein Etwas, kein allgemeingültiges und annehmbares Wissen. Das Offenbarungsgeschehen sei "nicht objektivierbar". Offenbarung meine auch nicht die Mitteilung eines Sollens, das auf Tafeln verzeichnet werden könnte. Offenbarung heiße wohl, daß "die ewige Stimme tönt" (1096), er glaube aber "nicht an eine Selbstbenennung Gottes vor den Menschen" (1096). Gott gebe sich,auch wenn er Ich sage, keinen Namen. Das Wort, mit dem Gott sich offenbare, verberge ihn zugleich. Im Ereignis der Offenbarung gelange der Mensch zu keiner Erkenntnis, die ihm die Geheimnishaftigkeit minderte und milderte (1096). Im Glauben und im Kult dagegen drohe diese der Erstarrung zu verfallen. Es hat Barth mißfallen, wenn er bei Buber las: Die Kontinuität der Offenbarung sei darin gegeben, daß sich Begegnung immer wieder ereigne, und Glaube und Kult müßten sich im wahren Gebet immer wieder reinigen zur lebendigen Beziehung. Barth hat deshalb im Widerspruch zu Buber for-
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muliert, daß Offenbarung nicht nur in dem Neuen bestehe, das der Mensch jeweils aus der Begegnung an Kraft davontrage, sondern daß sich Offenbarung im Christusgeschehen ereigne, also in dem, was Gott einmal und ein für allemal für den Menschen getan habe. Er bemängelt, daß es bei Euber keine "gnädige Offenbarung" und keine "offenbarte Gnade" gebe, daß Buber - wenn er Offenbarung verstehe "als Bezeichnung einer allgemeinen, ... in aller und jeder Weise realisierbaren Möglichkeit" nicht sehe, daß diese "etwas Besonderes und Konkretes, ein einmaliges Geschehen von Gott her" (1104) meine. In "seiner großen Angst, es könnte auch ihre Wahrheit in ein Es zurückverwandelt werden", verdecke er sich "einen schlechthinnigen Anfang, ein als solches nicht mehr zurückzunehmendes, sondern unaufhebbare Tatsachen begründendes Handeln Gottes" (1104). So hat Barth deutlich empfunden, daß sich Bubers Denken in "Ich und Du" von 1923 nicht mit alttestamentlichjüdischen Glaubensvorstellungen zur Deckung bringen läßt. Wie Buber dagegen seine Grundeinsichten mit konkreten, geschichtlichen Inhalten der Heiligen Schrift hätte in Verbindung bringen können, hat Barth selber skizziert: "An die Stelle solcher allgemeinen Möglichkeit ist doch dort mit der Berufung Abrahams, aber genaugenommen schon mit der Erschaffung, dem Sündenfall und der Begnadigung Adams eine höchst besondere, eine einzige, aber dafür wirklich errettende und beseligende Wirklichkeit getreten - an die Stelle des Primats des Ich-Du der Primat des Du-Ich - an die Stelle dessen, was der Mensch für Gott und für sich selber zu tun hat, das, was'durch Gott für ihn getan ist - an die Stelle der unmittelbaren also gerade eine höchst mittelbare Gewissheit"· Barth fragt deshalb:"Wie konnte gerade Buber dessen nicht gewahr sein oder daran vorüber sehen wollen, um sein Haus nun doch wie alle Heiden auf jene Verwirklichungen zu bauen? Wie
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konnte er übersehen, dass solche Verwirklichungen durch die in der Botschaft des Alten Testamentes dargebotene Lösung seines Problems zwar nicht etwa in Abrede gestellt, wohl aber ihres Absolutheitanspruchs, wohl aber gerade der ihnen zugemessenen Tragweite entkleidet sind, dass ihnen gerade die entscheidende Funktion, die auch er ihnen zuschreiben will, genommen ist" (1108). In Aufnahme der Terminologie Bubers wird gegen ihn eingewandt, er berücksichtige nicht, daß der Heilige Israels nicht ewiges Du geblieben, sondern menschliches Du und Ich geworden sei; er berücksichtige auch nicht, daß Gott in sich selber schon Du und Ich und nicht nur Ich sei. Buber berücksichtige also letztlich nicht die Treue Gottes und den trotz der Untreue des Volkes in Freiheit mit Israel geschlossenen Bund. Buber gehe vom "Heiligen Israels" aus "unter Abstrich der Tatsache, dass dieser sich nicht begnügt hat, ewiges Du zu sein und zu bleiben, wie er auch in sich selber nicht nur ewiges Du, sondern Du und Ich ist, um daraufhin, in der Erfüllung seines in und mit der Schöpfung anhebenden Bundes dem Menschen zugute auch menschliches Du und Ich zu werden". Und Buber gehe vom "israelitischen Menschen" aus, "allerdings unter Abstrich der Tatsache, dass dieser Mensch nicht darauf angewiesen ist, dem ewigen Du im Du der Natur, des Menschen und der geistigen Wesenheiten zu begegnen, in der Wesenstat seiner Umkehr seiner Gnade teilhaftig zu werden und damit seine eigene Erlösung zu verwirklichen, dass er vielmehr das Wesen ist, dem das ewige Du Treue geschworen und gehalten hat trotz seiner Untreue und dem es sich ohne dessen Wesenstat und ihr entgegen zum Erlöser gesetzt hat" (1098). Dieser Einwand wird noch einmal verschärft, wenn Barth sagt, Buber habe seine Konzeption nicht in ein Verhältnis zum "wirklichen Alten Testament" (1099) gesetzt. Wie Barth dies versteht wird deutlich, wenn er gegen Buber einwendet, er lese das Alte Testament "ohne ernstliche Berücksichti-
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gung seines Zusammenhangs mit dem Neuen Testament" (1098). Bei ihm sei die Menschlichkeit Jesu nicht in Rechnung gezogen "als die im Alten Testament verheissene und laut des Neuen Testamentes in Erfüllung jener Verheissung verwirklichte Beantwortung des menschlichen Lebensproblems" (1108). Und so wäre es nach Barth "hoffnungsvoller gewesen, wenn Buber es vorgezogen hätte, den Gegensatz, in dem er hier steht, sich selbst und seinen Lesern klar zu machen, statt ausgerechnet Jesus mit Hilfe einer notorischen Umdeutung des Johannesevangeliums mit Sokrates und Goethe zusammen zum Exempel der Lehre zu machen, die durch Jesus nun wirklich antiquiert und erledigt ist" (1108 f). Im Grunde richtete sich Barths Interesse aber doch auch auf die in Bubers Schrift "Ich und Du" sichtbar gemachten dialogischen Grundstrukturen menschlicher Existenz. Das wird deutlich, wenn er in dem Hinweis auf die IchDu-Beziehung Größe und Verdienst Bubers sieht und hinzufügt: "Eben darum haben wir diese Konzeption hier zur Sprache gebracht" (1098). Wäre Barth an einer angemessenen Beurteilung der Stellung Bubers zum Alten Testament interessiert gewesen, hätte er Bubers biblische Schriften aus den späteren Jahren mit heranziehen müssen. Deshalb haftet der Kritik Barths etwas Halbherziges an. Er schreibt:"Buber hat es in dem Entwurf, an den wir uns hier zu halten haben, unterlassen wollen, sie - von einigen wenigen Anspielungen abgesehen - zu der Quelle, aus der er letztlich zweifellos geschöpft hat, nämlich aus dem
A l t e n
T e s t a m e n t
seines Volkes Israel,
in ein ausgesprochenes Verhältnis zu setzen" (1098). Barths Kritik wäre zutreffender ausgefallen, wenn Bubers Denken von ihm in seiner "ganzen Verflechtung mit allerlei modernen Philosophemen" (ebd.,) interpretiert worden wäre. Da Barth nicht sieht, wie sich bei Buber - nachdem mit "Ich und Du" ein neuer Ansatz des Denkens gefunden wurde - in seinen späteren Arbeiten zur "Schrift" dialo-
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gische und biblische Denkelemente gegenseitig interpretieren und kritisieren, wird seine Kritik Martin Buber nicht gerecht und muß auch die Beziehung zwischen Bubers Sicht von Menschsein und Barths eigener Anthropologie mehr verdunkeln als erhellen. In Barths Exkurs tragen die Kritik an und die Abgrenzung von Buber zweifellos den Akzent. Bubers Gedanken über die "Grundworte Ich und Du" sollen "exemplarisch" zeigen, "wie man ohne Berücksichtigung der Gnade Gottes in der Menschlichkeit Jesu Christi nun allerdings ... in der Bestimmung der Menschlichkeit zu einem ganz anderen Ergeb19 nis kommt" (1084) . Es geht Barth Buber gegenüber darum, "dass man eben das tatsächlich berücksichtigt, was er als jüdischer Dichter und Denker n i c h t berücksichtigen konnte und wollte" (1084). So wendet Barth erstens gegen Buber ein, daß bei diesem das Ereignis von Begegnung auch wenn das Du dazu unentbehrlich sei - als Sache des Ich gedacht werde, daß das Ich gleichsam Haftpunkt aller Beziehungen sei und daß dieser die "theologische Grammatik" nicht in der Weise umkehre, daß das Ich durch das "ewige Du" konstituiert gedacht wird. "Das Zentrum aller Überlegungen, das Gegebene und Gewisse, von dem sie alle ausgehen und zu dem sie alle zurückkehren, bleibt das Ich" (1099). "Und eine solche Gegenwart des ewigen Du, die dieses zum selbständigen u.z. zum ursprünglichen Thema machen und jenen Primat aufheben würde, ist nun einmal nicht vorgesehen, sondern ... grundsätzlich ausgeschlossen" (1099). Zweitens meine "Erlösung" bei Buber nicht Erlösung von der Ichbezogenheit, sondern sie werde verstanden als Rettung aus der Not des Es-Verhältnisses. Daher kämen die Termini "Sünde" und "Schuld" in Bubers Entwurf weder wörtlich vor, noch hätten sie inhaltliche Äquivalente. Damit hängt es nach Barth zusammen, "dass die Grenze der Menschlichkeit, in der nach Buber des Menschen Not besteht, aus der er erlöst werden kann, verhältnismässig harmlos die Es-
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Beziehung ist" (1100). - Drittens: Wie Buber das Abgleiten des Menschen vom Ich-Du- zum Ich-Es-Verhältnis als der Schöpfung innewohnende Dynamik und nicht als irreparablen "Abfall" verstehe, so sei bei ihm auch umgekehrt die ursprüngliche und kontinuierliche Treue Gottes gegenüber dem Menschen nicht im Blick. "Von einer Treue, in der dieses ewige Du dem Menschen in Sachen der Beziehung zu ihm und zu allem relativen Du von Haus aus zur Seite stünde, von einer ursprünglichen und durchhaltenden Gegenwart Gottes zugunsten des kämpfenden Menschen kann bei Buber jedenfalls keine Rede sein" (1101 f). Viertens kritisiert Barth, daß bei Buber der Mensch den Durchbruch von der Es- in die Du-Welt zu vollziehen, daß er seinen Teil bei der "Selbsterlösung des Alls" (1104) beizutragen habe. Bei Buber werde nicht deutlich, daß die Beseitigung der Not des Menschen nach biblischem Verständnis durch ein Handeln Gottes von außen bewirkt worden sei. "Da die unfehlbar gegenwärtige und genügende Menschlichkeit Jesu Christi als die Fülle der Gnade und der Offenbarung Gottes, die den Skopus des ganzen Alten Testaments bildet, von Buber nicht berücksichtigt werden kann, ... muß das mittelalterliche facere quod in se est auch sein letztes Wort sein" (1105). - Fünftens bemängelt Barth, daß Bubers "entzückte und entzückende Beschreibungen" (1105) der Beziehung zwischen dem Ich und gerade auch dem "ewigen Du" in nichts anderem gründen als in der Möglichkeit des eigenen unmittelbaren religiösen Erlebens. So fragt Barth:"Was könnte und würde er uns auf eine etwa (5.) aufzuwerfende Frage: woher er um solche Verwirklichungen wisse? antworten als dies, dass er selbst solche Verwirklichungen von solcher Tragweite nun eben - erlebt habe? Die Romantiker und die Mystiker aller Zeiten und Zonen haben auch gesagt, dass es solches gebe und sie haben auf die Frage, woher sie das wüssten? endlich, und zuletzt auch nur die Antwort geben können, dass sie solches nun einmal erlebt hätten" (1107).
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Die von Barth gegen Buber gemachten Einwände bewegen sich - wie mir scheint - vornehmlich im soteriologischen Rahmen. Barth interpretiert Bubers Rede vom Ergriffenwerden, vom Eingefaßtwerden des Menschen in die Beziehung zum ewigen Du als "Selbsterlösung" des Menschen. Umkehr soll eine "Wesenstat des Menschen sein" (1095 ff). Barth betont: Den Durchbruch zur Beziehung zum ewigen Du müsse der Mensch bei Buber selber schaffen. Hier hat Barth den Gegensatz zu Buber offensichtlich am deutlichsten empfunden. So zielt Barths Kritik auf eine fundamental-theologische Verortung Bubers. Die Position Bubers erscheint von der eigenen stricte getrennt. Indem Barth die Sichtweise von Christus her betont, glaubt er den eigenen Standort dem Bubers grundsätzlich "überlegen". Die postulierte Umkehrung der theologischen Grammatik besteht nach ihm darin, daß der Dialog aus der Perspektive Gottes beschrieben werden muß. Barth bemängelt, daß Buber diesen Dialog aus der Perspektive des Menschen darstellt. Er wirft Buber vor, daß von ihm "die unfehlbar gegenwärtige und genügende Menschlichkeit Jesu Christi als die Fülle der Gnade und der Offenbarung Gottes, die den Skopus des ganzen Alten Testamentes bildet", nicht berücksichtigt worden sei. Buber verbleibe beim mittelalterlichen facere quod in se est oder bei der Theologie Goethes:"Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen" (1105). Buber trage eine Lehre vor, die die offenbarungsgemäße Umkehrung der theologischen Grammatik nicht mitvollziehe, er bleibe "idealistischen" Zielen verhaftet. Darin sei Buber "'liberal' bis auf die Knochen" (1104). Dennoch wird auch in diesem Diskurs deutlich, daß Barth bestimmte Elemente Buberschen Denkens nicht kritisiert, sondern mit ihnen übereinstimmt. Barth markiert die "soteriologische Differenz", ohne seine Nähe zur Position Bubers in der zwischenmenschlichen Dimension anzuzeigen. So wird von Barth das Bubersche Verständnis von Mensch-
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sein in Beziehung nicht in Frage gestellt. Akzeptiert wird auch die ausschließliche Gestaltung der Relationalität von Menschsein als Zweierbeziehung. Auch das Verständnis von Humanität als Sein in Aktion findet so wenig Widerspruch wie die Zurückführung aller Relationalität auf die Wortbeziehung bzw. den Dialog. Daß die Beziehungen von Mensch und Gott und Mensch und Mitmensch in Analogie zueinander stehen, sagen Barth und Buber gemeinsam. Ähnlich verhält es sich mit Bubers Ansicht, daß sich Menschsein nicht im Fürsichsein, sondern im Mitsein verwirklicht. Es fällt auf, daß Barth Bubers Sichtweise, die Menschsein in relationalen Kategorien beschreibt und die Menschsein als Sein im Dialog verstehen lehrt, in wesentlichen Teilen nicht kritisiert. Die Ähnlichkeit seines Denkens mit dem Denken Bubers wird von Barth nicht verdeutlicht, wenn er betont, daß die Ich-Du-Relationalität des Menschen theologisch in der Christologie begründet ist und daß sie darum auch nur dort offenbar wird. Ja, die Ähnlichkeit seines Denkens mit dem Denken Bubers wird hier von Barth sogar bestritten, wenn er sagt, er komme im Gegensatz zu Buber "in der Bestimmung der Menschlichkeit zu einem ganz anderen Ergebnis" (1084). Ist aber nicht zu fragen, ob es sich hier wirklich um ein Entweder-oder handelt? Wird die Alternative nicht künstlich erzeugt, wenn bei Barth die Betonung der vorgängigen Zuwendung Gottes zum Menschen nicht vermittelt wird mit Bubers Aussagen über den "HuldCharakter" des "Eingefaßtwerdens" in die Begegnung?
3. Rückbezug auf Buber in der "Kirchlichen Dogmatik" Zu beachten ist deshalb, daß Barth diesen Exkurs über Buber "kassiert" hat und vier Jahre später in der in der "Kirchlichen Dogmatik" abgedruckten Gestalt seiner Lehre vom Menschen nur kurz auf Buber eingeht. Hier kommen Aspekte zur Geltung, die sich von den bisher genannten unterscheiden und die ich im folgenden darstellen und -
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soweit möglich - erläutern möchte. Erstens: Barth interpretiert Buber nun nicht mehr vornehmlich als einen eigentlich dem Alten Testament verpflichteten Denker, sondern Barth sieht Buber hier als einen der "Weiseren unter den Weisen dieser Welt". Mit dieser Formulierung stellt er den "Juden M. Buber" neben den "Heiden Konfuzius" und den "Atheisten L. Feuerbach"20. So sehr man auch meines Erachtens bezweifeln muß, daß es angemessen ist, wenn Barth Buber hier mit Feuerbach und Konfuzius gleichsam in einem 21 Atemzug nennt , so sehr ist ihm zuzustimmen, wenn er seine Auffassung über die Herkunft des Buberschen Dialo22
gismus damit in gewisser Weise korrigiert . Für Bubers Weg zur Ich-Du-Philosophie sind nämlich vorrangig philosophische Einsichten fruchtbar geworden,23besonders durch seine Freundschaft mit Franz Rosenzweig . Wie bereits gesagt, hat sich Buber erst von den grundlegenden Einsichten in die Wirklichkeit der Begegnung her dann auch der Interpretation von alttestamentlichen Texten zugewandt. Zweitens sieht Barth, daß Buber hinsichtlich der Humanität des Menschen nicht etwa zu divergenten, sondern zu ähnlichen Aussagen kommt wie er selbst. So hat er ihm das rechte Verständnis von Menschsein in dieser Dimension hier nicht mehr bestritten. "Und nun muß es ja nicht so sein - nun ist es jedenfalls faktisch nicht so gewesen -, daß diese weltliche, mit ganz anderen als unserem Kriterium arbeitende Weisheit immer und überall gänzlich in die Irre gegangen wäre". Barth erkennt, "daß die theologische Anthropologie hier auf ihrem eigenen Weg und indem sie diesen entschlossen zu Ende geht, zu Sätzen kommt, die denen ganz ähnlich sind, in denen die Humanität auch schon von ganz anderer Seite beschrieben worden ist" (333). So wird eine gewisse Konvergenz zwischen der eigenen Auffassung und der der "Weiseren dieser Welt" festgestellt. Barth vermutet, daß es sich bei genauem Zusehen nicht um "ein völliges Zusammentreffen, um eine exakte Koinzidenz der christlichen und solcher anderweitig begründeten Sätze"
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handeln dürfte (333 f). Er sieht aber doch "Annäherungen und Ähnlichkeiten" (334) . Drittens sieht Barth jetzt, daß die "Grundform der Menschlichkeit" auch - wie er formuliert - extra muros ecclesiae erkannt und beschrieben worden ist, und daß er sich mit den "Weiseren der Weisen" in erfreulicher N a c h b a r s c h a f t befinde. Die Erkenntnis dessen, was den Menschen zum Menschen macht, ist zwar ureigenste Aufgabe der christlichen Theologie, aber nicht deren Monopol. So kann diese Nachbarschaft kein Anlaß sein, sich am konsequenten Begehen des eigenen Weges irre machen zu lassen, vielmehr gilt:"wir haben keinen Anlaß, die Nachbarschaft, in der wir uns hier mit gewissen Weiseren unter den Weisen dieser Welt befinden - wie nahe oder ferne sie auch sein möge - als unheimlich zu empfinden" (335). Dies Urteil über Martin Buber in der Druckgestalt der Dogmatik lautet positiver als das seinerzeit mündlich vorgetragene. Barths Kritik scheint jetzt deutlich zusammengeschrumpft. Zugleich sucht Barth aber auch hier die Differenz gegenüber Buber zu markieren. Einmal gehört zur Humanität nach Barth "jene Freiheit des Herzens, in welcher Mensch und Mitmensch g e r n e miteinander sind" (333, Hervorhebung von mir), und es ist für ihn eine offene Frage, ob die Ubereinstimmung mit jenen Nachbarn "bis in die letzten und entscheidenden Konsequenzen" und d.h. bis zu der "Freiheit des Herzens" (334) geht, in der der eine mit dem anderen gerne zusammen ist. Barth hat gemeint, daß es "nun doch nicht so aus(sehe), als ob dies ... der Fall wäre" (334). - Martin Buber hat auf diese Anfrage geantwortet und wie Barth die "Freiheit des Herzens" betont, mit der der Mensch in der Begegnung ist. Ob der Mensch den göttlichen Willen ungern oder gern tue, steht auch für ihn nicht zur Wahl. Buber weist Barths diesbezügliche Kritik zurück und verweist darauf, daß bei den Chassidim - deren Leh-
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re letztlich der Kommentar zu einem gelebten Leben sei das "Gern" der Herzensfreiheit "zwar nicht Konsequenz, wohl aber die innerste Voraussetzung, Grund des Grundes" sei. "Man höre nur" sagt Buber, "wie da gesprochen wird: 'Klugheit ohne Herz ist gar nichts. Fromm ist falsch.1 Denn 'die wahre Gottesliebe fängt mit der Menschenliebe an'. Aber ich wollte, ich könnte Karl Barth hier, in Jerusalem zeigen, wie die Chassidim die Freiheit des Her24 zens zum Mitmenschen - tanzen" . Diese Antwort kann für Barth nicht überraschend gewesen sein, denn er hatte im Kontext dieser Anfrage schon formuliert, "die Humanität (sei) auch abseits vom christlichen Bereich und ohne alle Beziehung zum Begriff der christlichen Liebe ... auch schon da und dort durchaus in der Richtung gesucht und gefunden (!) worden . . . , in der wir uns bewegt haben" (333) . So sollte für den Fall, daß Konfuzius, Feuerbach und Buber dasselbe gemeint haben, sowieso gelten:"Wir dürften und würden kein Ärgernis nehmen" (335). Zum anderen hat Barth gegenüber Buber geltend gemacht, daß die Theologie an Jesus ein "Kriterium" habe, auf Grund dessen sie sich " z u m
v o r n h e r e i n "
auf eine dialogische Konzeption der Anthropologie hinbewege. "Die theologische Anthropologie hat und behält auch solchem besseren Wissen des natürlichen Menschen gegenüber den Vorsprung, ein Kriterium zu besitzen ... (,) das ihr erlaubt und gebietet, jenem schlechteren Wissen, jener Unwissenheit des Menschen um sich selbst zum vornherein in letzter Entschiedenheit und Unzweideutigkeit den Rücken zu kehren, sich zum vornherein und notwendig und darum doch wohl auch in viel größerer Folgerichtigkeit in der Richtung auf die Konzeption der Humanität und also der menschlichen Natur zu bewegen, laut welcher der Mensch ... nicht ohne den Mitmenschen, sondern mit ihm ist" (334) . So entsteht der Eindruck, der christologische Erkenntnisweg ermögliche der Theologie einen voll-
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kommen eigenen Zugang zu der Frage der menschlichen Geschöpflichkeit und "via Christologie" könne die Frage des Menschen nach sich selbst eigenständig - d.h. ohne irgendwelche Hilfe durch philosophisches Denken beantwortet werden. Die Frage nach einer Beeinflussung seiner Theologie durch die zeitgenössische Philosophie, konkreter, die Frage, ob und inwiefern das eigene anthropologische Denken durch die Philosophie des Dialogs beeinflußt worden ist, scheint sich für Barth nicht zu stellen. Der Gedanke, daß in der Theologie auch von anderswo kommende Denkweisen - nachdem sie gleichsam "christologisch geläutert" wurden - Eingang finden dürften, erscheint abwegig. Bleibt Barth damit nicht zurück hinter seinen in den Prolegomena der "Kirchlichen Dogmatik" formulierten Thesen über Offenbarung und Gotteserkenntnis, in denen es heißt:"Die Philosophie, und zwar grundsätzlich jede Philosophie kann im Dienst des Wortes Gottes kritisiert werden und dann auch legitime kritische Kraft gewinnen, kann erleuchtet werden und dann auch wirklich erleuchten, kann in Bewegung gebracht werden und dann 25 auch selbst bewegen" ? Der Vergleich mit dem personalistischen Denken Martin Bubers gerät so zur heimlichen Konkurrenz: "Es würde der theologischen Arbeit wirklich schlecht anstehen, wenn sie gewisse tatsächlich vorliegende Versuche zum Bessern und Guten, wie sie hier auch im außerkirchlichen Raum unternommen wurde(n), unterbieten ... würde"(333). Letztlich bleibt das Verhältnis zum Denken Bubers in der "Kirchlichen Dogmatik" aber im Unklaren, weil Barth auf die Darstellung Bubers verzichtet. Der Leser erfährt nicht, wie genau Barth Buber gekannt hat. Er bekommt den Eindruck, Barth sei selbst eines Tages überrascht gewesen, als er die enge Nachbarschaft zwischen dem eigenen anthropologischen Entwurf und dem Martin Bubers entdeckte. In jedem Fall will Barth davon, daß es hier dennoch Ähnlichkeiten
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gibt, "kein besonderes Aufheben machen", er sieht darin etwas, was ihm "gewissermaßen zufällt" (334) . So zeigt Barths Diskurs über Buber seine ambivalente Stellung diesem gegenüber. Barth sieht, daß die Entdeckung dialogischen Denkens nicht erst in unserem Jahrhundert erfolgte, sondern sehr viel weiter in die Geschichte des Denkens zurückreicht. Insofern schreibt er Buber zu Recht nur eine Wiederentdeckung des Dialogischen zu. Barth sieht zudem, daß Buber "in der deutschen protestantischen Theologie ein vielfältiges Echo erweckt hat" (1084). Er fragt allerdings nicht nach der Befruchtung, die sein eigenes Denken durch Buber empfangen hat. Das Verhältnis zwischen den anthropologischen Denkern Barth und Buber genauer zu untersuchen, ist deshalb eine unerledigte Aufgabe für die heutige Theologie.
II. KARL BARTH UND MARTIN BUBER ALS
1.
ZEITGENOSSEN 1
Aufkommen des Dialogismus
Das Denken Bubers ist nicht für sich zu betrachten, sondern ist Teil einer Geistesströmung, die man auf den ge2
meinsamen Nenner "Dialogismus" gebracht hat. Es geht dabei um eine neue Sichtweise menschlicher Personalität, bei der Menschsein nicht mehr mit Hilfe der Kategorie der Substanz, sondern durch ein dialogisches Relationsdenken anvisiert wird^. Die Entdeckung des Dialogismus ist - allgemein gesagt - die Du-Dimension, das heißt die Erkenntnis, daß die Wirklichkeit des Menschen nicht erfaßt werden kann, wenn sie nur in dem Gegenüber von Ich und Es, von Subjekt und Objekt gesehen wird. Die Brücke zum anderen ist das Wort und die Tatsache, daß der Mensch Sprache hat. Das Wort ist aber auch zugleich Schöpfungsgabe und Schöpfungsakt Gottes. Im Dialogismus werden die zwischenmenschliche Dimension und die Dimension Gott - Mensch immer in enger Beziehung gesehen. Der Dialogismus steht im Zusammenhang eines Neuaufbruchs des philosophischen und theologischen Denkens. Er hat sich durchweg in einer scharfen Polemik gegen das Denken der Neuzeit überhaupt und besonders gegen die Philosophie des 19. Jahrhunderts entfaltet. Der Dialogismus versteht sich als " d a s neue D e n k e n " . Diese Überschrift hat Franz Rosenzweig schon 1925 einem Aufsatz gegeben, in dem er kritisch über Geschichte und In4 tentionen des Dialogismus Rechenschaft ablegt . Auf das Neue dieses Denkens hinsichtlich der Philosophie Ferdinand Ebners verweist Theodor Steinbüchel in seinem Buch "Der Umbruch des Denkens", 1936 Auch Buber hat im Nachwort "Zur Geschichte des dialogischen Prinzips", 1954, von einer "neuen Denkweise" gesprochen^.
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Der Dialogismus ist als solcher und in der Wurzel eine Oppositionsbewegung. Die Dialogiker sind der Meinung, daß insbesondere die Philosophie des deutschen Idealismus einer Teilsicht der Wirklichkeit verhaftet sei. In der nihilistischen Wendung, die dieses Denken bis hin zur Philosophie Nietzsches genommen hat, sehen sie nicht eine schicksalhafte, sondern eine schuldhafte Folge der Abschließung des Ich vor dem Du. Demgegenüber betonen sie ihre Entdeckung einer nicht-gegenständlichen Dimension, aus der das Du des anderen jeweils an mich herantritt. Dies Du zeigt mir, daß ich nicht die Mitte des Weltalls bin, für die ich mich als forschender und denkender Mensch immer wieder halte. Der Dialogismus formuliert seinen Ansatz im wesentlichen im Widerspruch zum "metaphysischen" Denken, worunter hier eine von der Subjekt-Objekt-Logik beherrschte Denkart verstanden werden soll. Häufiger spricht man aber vom Gegensatz zum "idealistischen" Denken, was nicht ausschließt, daß auch andere, idealismuskritische Philosophien, wie zum Beispiel der Positivismus, als Gegenüber anvisiert werden können. Mit den fast klischeehaft anmutenden Begriffen "Idealismus" und "Metaphysik" haben diese Denker in der Tat häufig ihren wichtigsten Gegner bezeichnet. Der Idealismus kommt hier nur in der Weise zur Sprache, wie er im Dialogismus gemeinhin wahrgenommen wurde. Der Begriff fungiert also nicht im engeren Sinn zur Bezeichnung jener philosophiegeschichtlichen Epoche, für die die Namen Fichte, Schelling und Hegel stehen und die als solche nur von kurzer Dauer war, so daß die Zeit etwa nach 1835 7 als Verfallsgeschichte des Idealismus erscheint . Der Antiidealismus der dialogischen Denker sucht nicht nur die theoretische Diskussion mit den Vätern dieses Denkens, er verweist auch auf andere als die von den beteiligten Denkern gherausgestellten geistesgeschichtlichen Zusammenhänge .
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Die antiidealistische Reaktion des Dialogismus richtet sich auch auf ein Syndrom verschiedenster Einflüsse, wie es in den ersten beiden Jahrzehnten des Jahrhunderts entstand. War die idealistische und nachidealistische Philosophie durch den expandierenden Industrialisierungsprozeß beinah aus dem geistigen Horizont verschwunden, so kam es um die Jahrhundertwende im Widerspruch zur naturwissenschaftlichen, monistischen Welt9
anschauung zu einer Neubelebung dieses Denkens . Es entstand eine Gegenbewegung, die sich gegen die im Zuge der Industrialisierung dominanten Strömungen von Realismus und Positivismus stellte. Fichte wurde wiederent10 deckt und seine Gedanken für einen unförmigen Nationa11 lismus fruchtbar gemacht . Man wandte sich gegen die "Überfremdung" des Denkens durch Realismus und Positivismus und erwartete vom Weltkriegsgeschehen pathetisch die Rückbesinnung auf die innere Kraft deutschen Gei12 stes . Dieser romantische und nationalistische Neuidealismus wurde - einseitig interpretiert - ideologisch zum Steigbügelhalter der Kräfte, die den Ersten Weltkrieg 13
auslösten
. Der katastrophale Ausgang des Krieges brach-
te das Ende dieser Versuche, das deutsche Wesen durch Rückbesinnung auf Geist und Moral aus seiner Krise herauszuführen und zwang in allen 1 4 Bereichen des geistigen Lebens zu einer Neubesinnung
. Das führte einerseits
zu einer genaueren Besinnung 1 5 auf das Erbe des Idealismus, insbesondere Fichtes , und andererseits sowohl in der philosophischen als auch in der theologischen Diskussion zur kritischen Abgrenzung. Die Entstehung des Dialogismus ist in der historischen Perspektive einzuordnen in den Horizont der Idealismuskritik der Nachkriegszeit . Der Idealismus wird von den Dialogikern - wie Theunissen gezeigt hat 1 g - in doppelter Hinsicht kritisiert:
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a) Das Selbstverständnis dieses Denkens als Philosophie des "allgemeinen" Subjekts oder des reinen Bewußtseins wird verneint. Demgegenüber wird der Ausgang des Denkens von je meinem faktischen, menschlichen Ich betont
17
. Die Erfindung des ideellen und
abstrakten Ich wird eine "Seifenblase des spekulati18
ven Verstandes genannt"
. Nur das konkrete Ich er-
scheint als wirklich, und dieses kommt immer zugleich mit dem Du in den Blick. Es wird erkannt, daß das Ich keine geschlossene Denksubstanz ist und daß die Außenwelt nicht lediglich durch das Merkmal der Ausdehnung bezeichnet werden kann. b) Als anstößig an der alten Transzendentalphilosophie wird aber vor allem die Annahme empfunden, das Subjekt sei weltschöpferisch. Die für die idealistische Philosophie grundlegenden Begriffe werden als "Erzeu19
gungs- und Ursprungsbegriffe"
gesehen und damit
wird ausgesprochen, daß in ihnen die Welterfahrung nicht in ihrer reinen Tatsächlichkeit ausgesagt, sondern im Sinn der transzendentalen Reduktion vom Erfahrenden allererst erzeugt wird. Die neuzeitliche Philosophie wird als Konstitutionsphilosophie angeprangert, die sich unrechtmäßig weltschaffende Macht anmaßt, wenn sie alles auf das Ich zurückführt und darin die Welt- und Gotteserfahrung begründet sieht^. Dem Begriff der Konstitution wird der der 21
1 a t i ο η
entgegengestellt
Κ ο r r e -
. Die Korrelation ist
nach Rosenzweig die einzige Weise des Verhaltens zum Seienden, das dieses in der Tatsächlichkeit seines Seins sein läßt. Es wird also unterschieden zwischen einer Gegenständlichkeit, die ihren spezifischen Charakter dem erkennenden Ich verdankt, und einer aller Gegenständlichkeit wie Aufgegebenheit voraufgehenden Tatsächlichkeit.
"Denn was sich wechselseitig aufein-
ander bezieht, das ist nicht in Gefahr, sich einander
- 43 die Wirklichkeit streitig zu machen, wie es der idealistische Erzeugerbegriff seinem Erzeugnis gegenüber fast notwendig muß ... In der Wechselseitigkeit dieser Beziehung hat es den Schutz gegen eine Auflösung seines eigenen Seins in das 'noch eigentlichere' Sein des anderen. So wird für beide Glieder der korrelativen Beziehung die Tatsächlich22
keit gerettet"
2. Vorläufer dialogischen Denkens Wer nach feststellen: den VorfahrenDie dialogischen Denkens fragt, wird schnell Dialogik ist in einem weiteren 23 Sinn so alt wie das menschliche Gespräch . Die Dialogikerhaben aber, wenn sie auf ihre Ahnen zurückblicken, vornehmlich auf Denker aus jüngerer Zeit verwiesen. In der Entdeckung der Bedeutung der Kategorie der Korrelation wissen sich die Dialogiker dem Spätwerk H e r m a n n C o h e n s verwandt. Buber hat sich in seinem Nachwort "Zur Geschichte des dialogischen Prinzips" auf Cohen zurückbezogen: "Als in der Zeit des ersten Weltkriegs aus der Erfahrung der vesuvischen Stunde das seltsame Verlangen erwacht, mit dem Denken dem Existieren selber gerecht zu werden, und auch den Systematiker ergreift, beginnt die Bewegung (sc. der Entdeckung von Ich und Du, der Verfasser) aufs neue. Es ist sinnreich, daß als erster der Neukantianer Hermann Cohen im Winter 1917/ 1918, dem Tode nah, in dem Buche 'Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums' (1919) die Sicht des Du 24 erneuert" . Die Bedeutung Cohens für die Entwicklung dialogischen Denkens wird aber vor allem von Rosenzweig betont. Rosenzweig hatte 1913 an der Berliner "Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums" Cohen kennengelernt, an die dieser ein Jahr vorher von Marburg aus übergesiedelt war 25 . Er nahm dort teil an der Übung
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über den "Begriff der Religion im System der Philoso2g phie" , der bereits auf Cohens Spätwerk "Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums" vorauswies. Das Werk selbst las er schon im Februar 1918 aus den Korrekturbögen. Am 5.3.1918 schrieb er an Rudolf Ehrenberg, der "Religion der Vernunft" sei "schwerlich auf christlicher Seite etwas Gleichwertiges gegenüberzustellen ... 27 seit Hegel und Schelling" . In den Augen Rosenzweigs hat diese Arbeit die philosophiegeschichtliche Bedeutung, mit dem Auftreten des Grundbegriffs der Korrelation zum dialogischen Wechselverhältnis von Ich und Du hinzufüh28
ren . Die bei Cohen angedeuteten Problemstellungen werden im Dialogismus dann eingehend erörtert. Als ein Vorläufer der personalistischen Philosophie wird von Buber L u d w i g F e u e r b a c h heraus29 gehoben . Bei Feuerbach ist das Pathos des spekulierenden autonomen Subjekts des Idealismus gebrochen. Menschsein wird nicht mehr begriffen im " M o n o l o g des e i n s a m e n D e n k e r s mit sich s e l b s t ", sondern im " D i a l o g z w i s c h e n Ich und Du Die Wirklichkeit des Menschseins erschließt sich nur in der Mitmenschlichkeit, und das heißt durch konkrete Erfahrungen in der Begegnung mit dem anderen. "Die Wahrheit existiert nicht im Denken, nicht im Wissen für sich selbst. Die Wahrheit ist 31 nur die Totalität des menschlichen Lebens und Wesens" Bei Feuerbach entwirft der Mensch seine Wirklichkeit nicht mehr selber. Dieser Denker sieht das Geistige im Menschen im Zusammenhang seiner Leiblichkeit, die zugleich eine zweigeschlechtliche ist. Das wirkliche Du ist für Feuerbach nicht geschlechtslos, sondern ist immer das andersgeschlechtliche Wesen als Mann oder als Frau. Philosophie vom Standort der Anthropologie aus zu betreiben, das heißt philosophieren unter Berücksichtigung der sinnlichen Wirklichkeit des Menschen und
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der Mitmenschlichkeit. Feuerbach unterscheidet drei Stufen der Sinnlichkeit des Menschen: theoretische Anschauung, sinnliche Empfindung und sinnliche Liebe. Liebend erschließt sich dem Menschen die Welt. Die Liebe wird zum Beweis dafür, daß es mehr gibt als das 32
Ich . Bei Feuerbach ist das Du in seiner daseinskonstitutiven Bedeutung entdeckt. "Zwei Menschen gehören zur Erzeugung des Menschen - des geistigen so gut wie des physischen: die Gemeinschaft des Menschen mit dem Menschen ist das erste Prinzip und Kriterium der Wahr33 heit und Allgemeinheit" . Feuerbach versteht seinen neuen Ansatz als Auflösung der Theologie in Anthropologie. Er denkt antitheologisch, weil er die Theologie im Bann metaphysischen Denkens sieht. Bei ihm wird das absolute Du Gottes aus der Transzendenz in die Immanenz des konkret begegnenden Du hereingeholt und diese Einheit von Ich und Du als Gott betrachtet. Demgegenüber hat Buber geäußert, hier werde die neu entdeckte Denkweise "ins Unbestimmte einer schlechten Mystik hin34
ein überschritten" . Er beschreibt sein Verhältnis zu Feuerbach, den er schon im Studium gelesen hatte, als von Anfang an durch die Ambivalenz eines Ja und Nein 35 36 gekennzeichnet . Neben Buber haben H. Ehrenberg und K. Löwith 37 die Bedeutung Feuerbachs für die Entdeckung des Dialogischen erkannt. Durch Ehrenbergs Einleitung wurde auch F. Ebner auf die Ich-Du-Philosophie Feuer38 bachs aufmerksam Die Linien dialogischen Denkens gehen des weiteren besonders zurück auf S ö r e n K i e r k e g a a r d , so daß man bereits sämtliche Vertreter der Philosophie des Dialogs in der Nachfolge dieses Philosophen gesehen 39
hat . Auch Kierkegaard hat gesehen, daß das Denken nicht vom Denker abgelöst werden kann. Bei ihm wird das dialogische Verständnis von Menschsein in Relation jedoch in spezifischer Weise variiert. Bei ihm zielt die
- 46 Stoßrichtung des Denkens auf das Individuum, das mit dem anderen Menschen brechen muß, um vor Gott "Einzelner" zu werden und mit ihm in Beziehung treten zu kön40
nen . Anders als bei Buber, bei dem - wie unten gezeigt wird - die Beziehung zum Mitmenschen und die Beziehung zu Gott eigentümlich verschränkt sind, gewinnt der Mensch bei Kierkegaard erst im Gegenüber zu Gott 41 sein Selbstbewußtsein . Neben den Genannten wurde das neue Denken von Vertretern der romantischen Sprachphilosophie - Hamann, Jacobi und Herder, aber auch Wilhelm von Humboldt wären hier zu nennen - vorbereitet. So 42 weist Buber gelegentlich auf Hamann und Jacobi hin Ebner führt sein dialogisches Denken vornehmlich auf Hamann und Humboldt, aber auch auf Jacob Grimm zurück. Hans Ehrenberg hat in seiner "Disputation I" die Intersubjektivitätstheorie J o h a n n G o t t l i e b F i c h t e s behandelt, und in der Tat liegen hier bereits Ansätze des personalen Denkens. Fichte konzentriert sich auf das Problem der Freiheit des menschlichen Subjekts. Dabei beschreibt er den Menschen als unendlich tätiges Wesen. Sein Bewußtsein ist tätig als Selbstbewußtsein; es steht unter der ständigen Forderung, sich selbst zu denken. Der Prozeß der Selbsterkenntnis als Tat der Selbstsetzung unterliegt dabei einer Beschränkung. Der Mensch kann sich nur in der spekulativen Unterscheidung von einem "Nicht-Ich" setzen; das 43
ist der Grund aller seiner Tätigkeiten . Für Fichte gilt, daß "das Bewusstseyn der Individualität ... nothwendig von einem anderen Bewusstseyn, dem eines D u , begleitet" wird, "und nur unter dieser Bedingung möglieh" 44 ist. Der Mensch bekommt sich in seiner Freiheit nur selbst in den Blick, wenn er sich "in einem andern 45
versteht, mit dem er Gemeinschaft hat" . Fichte sagt: Der einzelne "versteht und liebt sich selbst nur in einem anderen; und jeder Geist wickelt sich los nur von
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andern Geistern, und es giebt keinen Menschen, sondern nur eine Menschheit, kein einzelnes Denken und Lieben und Hassen, sondern nur ein Denken und Lieben und Has46 sen in und durch einander" . Trotz dieser Hinweise und trotz der Verwendung dialogischer Formulierungen, zum Beispiel in der Schrift "Anweisung zum seligen Leben", ist der Personbegriff bei Fichte noch nicht dialogisch gefaßt. Insofern bleibt dieser Denker deutlich vom Dialogismus getrennt. Bei Fichte werden allerdings bereits Fragen des Dialogismus angebahnt. Aus der Sicht des Personalismus stellt Fichte problemgeschichtlich - also in Umkehrung der historischen Reihenfolge - eine FortentWicklung des Hegeischen Idealismus dar 47 Die differenzierteste Sicht der Ahnen des dialogischen Denkens hat F. Rosenzweig entwickelt. Für ihn repräsentiert die Philosophie Hegels trotz aller berechtigten Kritik an ihr nicht nur das vollendete Ende des alten Denkens, von dem sich das neue abstoßen muß. Bei ihm deutet sich bereits an, daß das "neue" Denken gerade in der Negation des "alten" in seinem Schatten bleiben könnte. In diesem Sinn hat er gesagt, die "Unruhe" in 48 seinem Denkuhrwerk heiße "1800"
3. Dialogismus und dialektische Theologie An diesem Punkt lassen sich nun auch überblickartig einige Linien ausziehen zur Entstehung der mit dem Dialogismus gleichzeitigen d i a l e k t i s c h e n T h e o l o g i e . Ist es denkbar, daß ihre Vertreter an einer philosophischen Richtung, die sich gegen den auch von ihnen bekämpften Idealismus stemmte, uninteressiert vorübergegangen sind? Die dialektische Theologie löste nach dem Ersten Weltkrieg den Kulturprotestantismus ab und ent-
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faltete eine starke Sogwirkung im Raum der evangelischen Theologie. Eine Beziehung zwischen dem Dialogismus und der dialektischen Theologie ist mancherorts postuliert worden, ohne daß bisher eine umfassende Un49 tersuchung darüber vorgelegt wurde . So muß ich mich hier im folgenden mit einigen Hinweisen begnügen. Notiert sei zunächst, daß Barth sich mit den Ahnen dialogischen Denkens auseinandergesetzt hat. In der im Sommer 1926 in Münster gehaltenen Vorlesung über die Geschichte der neueren Theologie hat er sich mit Ludwig Feuerbach beschäftigt. Er skizziert Feuerbachs Gegenposition zu Kant, Fichte, Schelling und Hegel und referiert unter anderem genau jene Grundsätze Feuerbachs, auf die sich auch die Dialogiker zurückbezogen"^: "Die wahre Dialektik ist kein Monolog des einsamen Denkers mit sich selbst, sie ist ein Dialog zwischen Ich und Du". Und:"Mensch mit Mensch - die Einheit von Ich und D u - i s t G o t t " . Feuerbach kommt hier allerdings nur sehr indirekt als Vertreter eines neuen personalistischen Denkens in den Blick. Die Frage, wieweit Feuerbachs Ich-Du-Philosaphie dennoch auf Barth gleichsam abgefärbt hat, ist deshalb nur in einer Spezialuntersuchung zu beantworten. Von einer gewissen Bedeutung könnte dabei sein, daß Barth die "Philosophie der Zukunft" in der von Ehrenberg mit einem Vorwort ver52 sehenen Neuauflage zur Hand hatte Anders gestaltete sich Barths Verhältnis zu Kierkegaard. Anläßlich der Verleihung des Sonning-Preises und Kierkegaards 150. Geburtstag 1963 hat er die Geschichte seiner Beziehung zu diesem Denker dargestellt. "Ernstlich und in größerer Breite ist er (sc. Kierkegaard, der Verfasser) erst um 1919, in der kritischen Wende zwischen der ersten und zweiten Auflage meines "Römerbriefs" in mein Denken eingetreten, um dann auch in meinen literarischen
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Äußerungen in wichtiger Rolle sichtbar zu werden ... Was uns bei ihm besonders anzog, erfreute und belehrte, war die in ihrem Schneiden und Scheiden so unerbittliche Kritik, mit der wir ihn aller den unendlichen qualitativen Unterschied von Gott und Mensch verwischen53 den Spekulation ... zu Leibe gehen sahen" . "Ich halte ihn für einen Lehrer, durch dessen Schule jeder Theologe einmal hindurch gegangen sein muß. Wehe einem Jeden, der sie versäumt haben sollte! Nur daß er nicht in ihr sitzen bleiben und besser nicht in sie zurückkehren würde" 54 ! Grundsätzlich gilt für das Verhältnis von dialektischer Theologie und Dialogismus, daß auf beiden Seiten nach dem Verbindenden gefragt wurde. Im Zusammenhang des Verhältnisses von Barth und Buber ist zuerst die Beobachtung von E. Busch zu nennen, der gesehen hat, daß Buber seinerseits das Aufkommen der dialektischen Theologie mit Aufmerksamkeit verfolgte. Busch schreibt:"Diese 'Theologie des Wortes' wurde gleich als eine neue theologische Richtung und Schule empfunden. Sie zog als solche mancherlei bewegte Geister der damals überhaupt so bewegten Zeit an - bis hin etwa zu dem von 1923 an in Frankfurt lehrenden Martin Buber, der nicht mit Barth, 55 aber mit Thurneysen in einem gewissen Kontakt stand" In ähnlicher Weise hat sich auch G. Schaeder in ihrem Abriß der Biographie Bubers geäußert:"Auch mit den Anfängen der dialektischen Theologie hat sich Bubers 'neues Denken' zu Beginn der zwanziger Jahre auseinandergesetzt" . Umgekehrt hat man auch auf Seiten der dialektischen Theologen die geistige Bewegung des Dialogismus mit Interesse wahrgenommen. Besonders E. Brunner hat die Zusammenhänge gesehen, die zwischen dem biblischen Menschenverständnis und Bubers Uberwindung des neuzeitlichen Subjekt-Objekt-Schemas in seiner Lehre von "Ich und Du" bestehen. Er hat das neue Verständnis
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von Menschsein in der Begegnung mit Gott und mit dem anderen Menschen aufgenommen und von daher theologische topoi, wie zum Beispiel die Rechtfertigungslehre, entwickelt"^. Zwischen Brunner und Buber, aber auch Ebner ist eine in Werk und Briefen bezeugte Auseinan58 dersetzung zu verfolgen . Auch für Gogarten läßt sich eine Beeinflussung durch die gleichzeitige Bewegung des Dialogismus aufweisen. In der AufsatζSammlung "Glaube und Wirklichkeit", 1928, hat Gogarten im Vorwort selbst auf Bubers Werk "Ich und Du" hingewiesen. Auch Buber hebt in seinem Nachwort "Zur Geschichte des dialogischen Prinzips" hervor, daß Gogarten in seinem Werk "Ich glaube an den dreieinigen Gott", 1926, die Geschichte als Begegnung von Ich und Du verstehen wollte. Neben dem Verbindenden gab es zwischen Buber und Gogarten aber auch Trennendes, so im Blick auf Gogar59 tens Verständnis von Geschichte als Gottes Werk . Dennoch hat H. Kohn zutreffend geurteilt, wenn er 1930 schrieb, daß die dialektische Theologie Einflüsse des Dialogismus aufgenommen hat:"Bubers Wirklichkeitslehre berührt sich in vielem mit der Theologie der Krise"60. Und A. Anzenbacher hat in seiner 1965 veröffentlichten Untersuchung über Bubers philosophisches Denken geäußert: Es "kommt Buber in der Geistesgeschichte unseres Jahrhunderts die Bedeutung zu, auf die Entstehung und die Entwicklung der dialektischen protestantischen Theologie einen großen Einfluß ausgeübt zu haben"6^. Dialektische Theologie und Dialogismus sind darin vergleichbar, daß sich beide gegen den Idealismus stemmten. Eins der Hauptanliegen der dialektischen Theologie bestand darin, aufzuzeigen, daß der christliche Glaube keinen idea62
listischen Charakter hat . Ein anderer Vergleichspunkt besteht darin, daß in beiden Bewegungen die Negation stärker ist als die ausformulierte neue Position. Beide zielen auf den Beginn einer neuen Epoche, allerdings
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ohne schon zu wissen, wodurch diese Epoche bestimmt sein wird. Dialogismus und dialektische Theologie haben auch darin eine gewisse Affinität, daß es bei beiden um ein neues Verständnis des Wortes geht. Zugleich ist hier aber ein deutlicher Unterschied zu markieren. Die neue Ehrfurcht vor dem Wort Gottes erwuchs in der dialektischen Theologie aus der Enttäuschung über das geschichtliche Versagen des Menschen. Hier wurde Gott als der ganz andere in seiner Majestät im Gegenüber zum Menschen entdeckt. In der dialektischen Periode Barths kommt es zur Vernichtung des menschlichen Pols der GottMensch-Beziehung. In dieser Zeit fehlt Barth das Verständnis, diese Relation als eine Gemeinschaft aufzufassen, in der Gott und Mensch in einer Beziehung zueinander stehen, in der es sowohl Distanz als auch Verknüpfung gibt. In der Frühzeit der dialektischen Theologie findet nach Barth im Glauben keine Begegnung statt zwischen dem menschlichen Ich und dem göttlichen Du. Das Responsorische im Menschen kommt noch nicht recht zum Zuge. Es wird der Initiative, die aus der Antwort des Menschen erwächst, nicht wirklich Raum gelassen. Diese Sicht Barths war die Reaktion auf die Selbstvergöttlichung des menschlichen Ich im "Kulturprotestantismus". Barth hält noch bis in die Prolegomena der "Christlichen Dogmatik", 1927, die sprechende und angesprochene Person nicht recht auseinander. In Gottes Wort fallen beide gleichsam zusammen. Gott wird nur durch Gott erkannt, der Mensch erkennt ihn nur, soweit er von Gott erkannt ist. Buber dagegen sucht Gott und Mensch stärker zusammen zu denken. Gott ist wirklich, aber auch der Mensch ist wirklich, und das Leben ist ein Zusammenwirken von Gott und Mensch. Während für die frühe dialektische Theologie nur der Mensch glaubt, der gleichsam jedem eigenen menschlichen Gestaltungswillen entsagt hat, gibt es für
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Buber kein Absehen von dem Gegebensein des menschlichen Ich. In der dialektischen Theologie kommt es zu einer Diastase von Gottes Wort und menschlicher Wirklichkeit. Die Frage ist, wieweit die dialektische Theologie, indem sie, um das Wort Gottes ernst zu nehmen, eine Hinwendung zu Bibelstudium und einem positivistischen Denkansatz vollzog, wirklichkeitsfremd wurde und die Bezogenheit des Wortes Gottes auf den konkreten Menschen preisgab. H. Kohn hat geurteilt:"Der Theologie der Krise gebührt das Verdienst, mit ganzem Ernst wieder auf die Andersartigkeit Gottes, auf alle Mißverständnisse der liberalen und historischen Religionsphilosophie hingewiesen, das kreatürliche Bewußtsein des Menschen vertieft zu haben. ... Aber diese Theologie steht mit der Grundwahrheit der Bibel in Widerspruch, in der die Macht Gottes nur im Ringen mit den Tatsachen und Problemen der Zeit sich kundtut"
4. Dialektische Theologen und dialogische Denker Im folgenden gebe ich einige speziellere Hinweise vornehmlich biographischer Art - auf Beziehungen zwischen dialogischen Denkern und dialektischen Theologen. Die Wendung zu einer Philosophie des Dialogs hat sich zu Anfang dieses Jahrhunderts an einer Reihe von Denkern vollzogen*''*. Innerhalb des deutschen Sprachraums^ kommt der größte Grad an Bekanntheit wohl Martin Buber zu, 6 fi aber auch Ferdinand Ebner wäre hier zu nennen . Buber war 1923 mit seiner Schrift "Ich und Du" nicht der erste, der die entscheidenden Gedanken des dialogischen Seinsverständnisses äußerte. F. Ebner und besonders auch ., darin voraus67 F. Rosenzweig gingen ihm Als Wegbereiter des Dialogismus wird immer mehr F r a n z 68 R o s e n z w e i g erkannt . Er hat auf Bubers Weg
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69 zum Dialogismus prägend gewirkt . Rosenzweig hat schon sehr früh und mit erstaunlicher Klarheit Sein als geschehende Sprache verstanden. Rosenzweigs Hauptwerk "Der Stern der Erlösung" erschien 1921. Vorarbeiten zu diesem Buch verfaßte Rosenzweig 1918 in den Schützengräben der mazedonischen Front. Rosenzweig wollte damit ein "System der Philosophie" bieten . Ich möchte sein Denken im Hinblick auf die hier behandelte Fragestellung nur soweit heranziehen, als bei ihm die Frontstellung der Philosophie des Dialogs besonders deutlich wird^. Der entscheidende Gedanke in der Erfahrung der Grundphänomene der Geschichte und der Sprache war 72lange vor der Korizeptionszeit des "Stern" herangereift Darüber hinaus war Rosenzweig derjenige, der mit der größten Klarheit die geschichtliche Situation erfaßte, in der das dialogische Sein seine Stunde hatte. Er war durch seine naturwissenschaftliche Methodenkenntnis und seine geschichtlichen Studien der universalste Geist und besaß die genaueste Kenntnis des deutschen Idealis73 mus . Rosenzweig stand mit einem Freundeskreis in Verbindung, aus dem hier besonders die Vettern Hans und Rudolf Ehrenberg und Eugen Rosenstock-Huessy zu nennen sind. Der Beziehung zu E u g e n R o s e n s t o c k H u e s s y verdankt Rosenzweig wichtige Anregungen. Schon 1913 während Studienaufenthalts in Leipzig 74 . Auf Grund wurde er durch ihn eines stark beeinflußt der Gespräche mit R. Ehrenberg und Rosenstock erwog Rosen75 zweig damals, Christ zu werden . Rosenstock war auch entscheidender Anreger für das im "Stern" anvisierte neue Denken. Er hat 1916 den Entwurf seiner "Sprachlehre" geschrieben, die 1924 unter dem Titel "Angewandte Seelenkunde" erschien^. Das 77 Manuskript lag Rosenzweig von seiner Entstehung an vor . Rosenstock hat gemeint: "Franz Rosenzweig empfing von mir, wie er nicht müde geworden ist, sein ganzes Leben lang zu versichern, die
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78 Lehre vom Dich, das dem Ich vorhergeht" . Historisch geurteilt wird man jedoch allenfalls von einer wechselseitigen Beeinflussung beider Denker sprechen können, nicht aber von einer Abhängigkeit Rosenzweigs von Rosenstock 79 80 Mit seinem Vetter H a n s E h r e n b e r g verband Rosenzweig eine enge 81 und lange Freundschaft. Das belegt der Briefwechsel . Rosenzweig konnte sagen, er wisse sich mit Ehrenberg "in philosophischer Kampfge82
meinschaft" . Rosenzweigs "Stern" befruchtete Hans Ehrenbergs 1923 erschienene "Disputation I Fichte". Das Werk wurde 1921/22 geschrieben und ist dem "Stern" und dessen Autor gewidmet. Auch die Beziehung zu dem ande- 83 ren Vetter und Freund R u d o l f E h r e n b e r g verdient hier genannt zu werden. Seinen Brief vom 18. November 1917 an Rudolf Ehrenberg hat 84Rosenzweig später die "Urzelle" des "Stern" genannt . - Diese Hinweise deuten auf ein relativ enges Beziehungsgeflecht zwischen diesen Denkern. Meines Erachtens muß man hier deshalb viel stärker, als das in der Forschung bisher geschieht, von philosophischer Wechselwirkung v, 85 ausgehen Ein früher Kontakt zwischen Barth und den Vertretern des dialogischen Sprachdenkens entstand durch den Vortrag "Der Christ in der Gesellschaft", den Barth auf der Tambacher Konferenz im September 1919 hielt und der zuerst 1920 im Patmos-Verlag Würzburg erschien. Hier hatten sich Franz Rosenzweig, Eugen Rosenstock, Hans und Rudolf Ehrenberg, Leo Weismantel und Werner Picht zu einem Herausgeberkreis zusammengefunden, in 86
den auch Barth aufgenommen wurde . Über einen direkten Kontakt zwischen Barth und Rosenzweig sagen die Ο -η bisher veröffentlichten Quellen nichts aus . Aber sowohl zwischen Barth und Rosenstock als auch zwischen
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Barth und den Vettern Ehrenberg ist es verschiedentlich zum persönlichen Zusammensein gekommen. Das Verhältnis Barths zu E u g e n R o s e n s t o c k gestaltete sich kritisch. Als Mitglied des Patmos-Kreises war dieser auf Barth aufmerksam 88 geworden und hatte den Kontakt zu Barth gesucht . So kam es wohl "für eine kurze Zeit zu einem regen Aus89 tausch zwischen beiden" , der aber bald abgebrochen wurde. Barth wollte sich von Rosenstock nicht vereinnahmen lassen. Verlegen schreibt er seinem Freund Thurneysen:"Hier die Dokumente zurück vermehrt um die 'leisen, leichten Worte' Rosenstocks. Etwas seltsam Fremdes bleibt in all diesen Ergüssen, Erschließungen, Liebeserklärungen und Umarmungen - wie antwortest 90 du jeweilen auf solche 'leise, leichte' (sie!) Worte" ? Barths Reserviertheit ist wohl daraus zu erklären, daß er empfand, daß man ihn 91 hier mit "Gnosis überschwemmen und ersticken wollte" H a n s E h r e n b e r g schrieb das Geleitwort für die Veröffentlichung des Tambacher Vortrags. Barth stand Ehrenberg bei aller Distanz in der vertretenen Sache mit einer gewissen Sympathie gegenüber. Im Brief an E. Thurneysen vom 14. August 1920 schreibt er:"Ehrenbergs Beredsamkeit geht seit vier Tagen über mich ... wie eine Dampfwalze. Es geht mir wie dir: Persönlich ist er sicher durchaus echt und gut, aber das Zeug, das 92 er verzapft ..." . Ähnlich äußert sich Barth auch im Mai 1923:"Strahlend munter ist letzthin Hans Ehrenberg hier eingetroffen, und ich hatte zwei recht gute Tage mit ihm ... Sein 93 Aufsatz über mich wurde gründlichst durchgesprochen" . Auf diese Weise dürfte Barth recht früh mit der Wendung der Genannten zum Sprachdenken konfrontiert worden sein. Das spiegelt sich zum Beispiel in einem Brief an E. Thurneysen vom 16. August
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1920:"Ehrenberg hat uns gestern verlassen ... . Welch ein seltsames Licht und Irrlicht! Fertig wird man jedenfalls nicht mit ihm ... und was habe ich nicht alles hören müssen über Marienverehrung, Neubelebung der 94 Liturgik, 'Ich und Mich' (das ist seine Philosophie)" . Am 23. Januar 1922 wendet sich Barth wiederum an Thurneysen - jetzt allerdings nicht mehr aus Safenwil, sondern aus Göttingen - und schreibt, indem er über verschiedene Besucher berichtet:"Hans Ehrenberg nicht zu vergessen, dem ... die 'Gabe des Dialogs' geschenkt 95 worden ist" . Diese Briefstellen deuten darauf hin, daß Barth schon früh mit dialogischem Gedankengut in Berührung gekommen ist. Hingewiesen werden muß hier aber auch auf das Verhältnis Barths zu R u d o l f E h r e n b e r g . Er ist der Empfänger von Rosenzweigs "Urzelle" des "Stern". 96 Er hat Barth 1920 in der Schweiz besucht und war auch 97 in Göttingen bei ihm zu Gast . Schon 1921, als Barth in einem Brief an Thurneysen die Folgen der Annahme der Berufung nach Göttingen bedenkt, reflektiert er im Zusammenhang damit auch auf die wachsende Nähe zu Rudolf Ehrenberg 98 In der Beziehung zwischen Barth und den Vettern Hans und Rudolf Ehrenberg gab es - ähnlich wie in der Beziehung zu Eugen Rosenstock - nicht unerhebliche Meinungsunterschiede, besonders in theologischer Hinsicht. Im Rückblick hat Barth gesagt: Es waren wohl "positive, 99 wenn auch sehr ungeklärte Beziehungen" . Wichtig ist jedoch festzuhalten: Es gab mit den Vettern Ehrenberg und Eugen Rosenstock einen Kreis von Bekannten, die bei ihren Besuchen bei Barth zum Teil nachweislich ihre Hinwendung zum dialogischen Denken und dessen Entwicklung mit Barth besprochen haben. So wurde Barth schon früh mit dem Anliegen des Dialogismus bekannt gemacht.
- 57 Unabhängig von dem Freundeskreis um Rosenzweig ist F e r d i n a n d E b n e r auf die Dimension des Dialogischen gestoßen. Ebner, ein österreichischer Volksschullehrer und philosophischer Autodidakt, hat 1921 seine Hauptschrift:"Das Wort und die geistigen Realitäten. Pneumatologische Fragmente." veröffentlicht. Darin hat er seine Einsicht so formuliert:"Das Ich und das Du, das sind die geistigen Realitäten des Lebens. Die Konsequenzen hieraus und aus der Erkenntnis, daß das Ich nur in seiner Relation zum Du und nicht außerhalb ihrer existiere, zu entwickeln, das könnte wohl auch die seit jeher um die Behauptung des Geistes bemühte Philosophie ... vor eine neue Aufgabe stellen"^00. "Im Verhältnis des Ichs zum Du in seiner Verwirklichung hat der Mensch sein wahres geistiges 101 Leben" . Die Dimension des Du ist dabei in je eigentümlicher Weise für das Du Gottes geöffnet. "Die Realität Gottes ist uns nicht in irgendeinem versteckten, nur dem logischen Scharfsinn und der Spitzfindigkeit eines Metaphysikers oder Theologen zugänglichem Winkel der menschlichen Vernunft, sondern in nichts anderem verbürgt ... als in der Tatsache, daß das Ich im Menschen auf ein Verhältnis zum Du, außerhalb dessen es 102 gar nicht existierte, angelegt ist" . Für Ebner gilt als wichtigstes anthropologisches Apriori, daß ich durch das Du Gottes bin. Der Mensch muß vor das Du Gottes gebracht werden, um zur Realität seines geistigen Seins zu erwachen. Das Du Gottes versteht Ebner als "etwas Geistiges außer mir". Ebners Denken ist streng christozentrisch. Er geht davon aus, daß das Wort, das sich zwischen Menschen ereignet, sich vornehmlich und zuerst zwischen Christus und dem Glaubenden ereignet. "Was der Mensch denkt, fühlt, will und tut, solange er noch in seiner Icheinsamkeit gefangen ist, das ist nur 'Traum vom Geist'. Dies 'nur' ist kein abwertendes
- 58 Urteil, vielmehr weist Ebner in seinen tiefsinnigen Kulturanalysen nach, daß der menschliche Eros gerade in seiner herrlichsten Entfaltung in Philosophie, Kunst und Erlebnisfähigkeit eben nur Traum vom Geist ist, aus dem zu erwachen heißt, daß der Mensch an das Ende seiner Möglichkeiten kommt, weshalb er sich vor nichts so sehr fürchtet, wie vor diesem Erwachen. In Wahrheit ist dieses Erwachen jedoch das Heil des Menschen, weil er 103 in ihm dem göttlichen Du begegnet" Ebners "Pneumatologische Fragemente" sind im Winter 1918/19 geschrieben und erschienen erstmals 1921. Dieses Buch fand in Philosophie und Theologie zunächst kaum Beachtung. Die Sprache wirkt fragmentarisch und aphoristisch. Ebner äußert hierin seine Gedanken in eigentümlichen Kreisbewegungen, wobei - bald enger, bald weiter auf die Mitte bezogen - verschiedene Bezirke menschlichen Daseins und Erlebens berührt werden. Auf diese Weise werden - gleichsam von einem Mittelpunkt aus - alle Bereiche des Lebens erschlossen. Vor allem in dem Kreis der Gesinnungsgenossen um Rosenzweig wurde diese Arbeit jedoch schnell entdeckt und begrüßt. Rosenzweig erkannte die Verwandtschaft der Ebnerschen "Fragmente" 104 mit seinem eigenen Denken . Er sandte ihm den "Stern" zu. Daß Ebner dann auch seinerseits den "Stern" zur Kenntnis genommen hat, 105zeigen seine Anmerkungen in dem übersandten Exemplar . In der Folge kam ein Gespräch zwischen Rosenzweigs Vetter Hans Ehrenberg und Ebner zustände 106 4.
Martin Buber hat Ebners Fragmente vor der Endfassung von "Ich und Du" gelesen. Und umgekehrt gilt: Ebner nahm 107 Kenntnis von Bubers "Ich und Du" und hat gemeint, daß das Werk "in einer lyrisch-mystischen Fassung, wie sie eben Martin Buber eigentümlich sein mag - nichts108 anderes als den Grundgedanken der Fragmente" entwickele
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Wollte man Ebner hier einordnen, so müßte man ihm einen Platz mehr in der Nähe Rosenzweigs als Bubers geben. Ebner hat in "der Durchführung seines Gedankens nicht die systematische Strenge erreicht, die wir bei Rosenzweig finden. Das in Ebners fragmentarisch und inchoativ gebliebenem Denken erkennbare Seinsverständnis kommt jedoch weitgehend mit dem Seinsverständnis Rosenzweigs 109 überein" . Casper hat sich deshalb in seiner Untersuchung zuerst dem Werke Rosenzweigs und Ebners zugewandt und schließt dann erst die Darstellung der dialogischen Schriften Bubers an. Die Sprachphilosophie Ebners, die zugleich Sprachtheologie ist, hat insbesondere Emil Brunners spätere Wendung zum dialogischen Personalismus stark 110 beeinflußt
. In der Ebner-Gedenkschrift von 1935 hat
Brunner auf die Obereinstimmung seiner wichtigsten Erkenntnisse mit bzw. auf deren Vorwegnahme durch Ebners "Fragmente" hingewiesen und bekannt:"Ebner machte auf 111 mich einen bedeutenden Eindruck" . In seiner Anthropologie anerkennt Brunner den "Pionieren" des dialogischen Denkens gegenüber ebenfalls eine "tiefe Dankes112 schuld"
. Ähnlich schrieb Brunner kurze Zeit nach Er-
scheinen von Ebners Hauptwerk an den Verfasser:"es drängt mich Ihnen z.u sagen, wie freudig ich es begrüße, und wie sehr ich mich bei der Lektüre 113 unserer tiefen geistigen Gemeinsamkeit gefreut habe"
. Und bezüglich
der Lektüre eines Aufsatzes Ebners fast ein Jahr später: "Ihren Aufsatz habe ich mit großer innerer Anteilnahme gelesen und mit erneuter und verstärkter Freude über die tiefgehende Gemeinsamkeit unserer Erkenntnisse. ... Ihr Denken über Christus ist schon zu größerer Klarheit gediehen, so daß ich viel und gern von Ihnen gelernt ha11 4 be" . Am Ende der ersten Auflage seines Schleiermacherbuches, 1924, verwies Brunner auf Ebners "Fragmente" in einer Anmerkung zum Literaturverzeichnis ausdrücklich mit den Worten:"Dieses bedeutende Werk mußte ... hier
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genannt werden, weil es bisher von der Fachtheologie noch nicht bemerkt worden zu sein scheint. Wir verdan11 5 ken ihm mannigfache Anregungen" Von hier aus ergibt sich auch ein Rückverweis auf Karl Barth. Dieser hat Brunners Schleiermacherbuch 1924 in "Zwischen den Zeiten" rezensiert. Damals schrieb Barth: "Ob der ... Ast, auf den er (sc. Brunner, der Verfasser) sich gelegentlich ziemlich weit hinausgesetzt hat, die Ebnersche Theorie vom 'Wort1, wirklich tragfähig ist, kann ich nicht beurteilen. Ganz wohl ist mir nicht bei 116 diesem Vorgang" . Und noch Jahrzehnte später erinnert sich Barth, daß er Brunner damals "mindestens ebenso kräftig ... von F. Ebners antiidealistischer Logologie ... her wie in Geltendmachung des 'Wortes' (Gottes) gegen Schleiermacher kämpfen und siegen sah" 117 Diese Hinweise zeigen, daß Barth - auch wenn er Ebner nicht selbst gelesen haben sollte - auf den prägenden Einfluß seines dialogischen Denkens aufmerksam geworden ist und - vermittelt durch E. Brunner - auch Grundgedanken dieses Ansatzes zur Kenntnis genommen hat. Brunner seinerseits bemerkte nach Erscheinen von Barths Anthropologie: "Daß diese Lehre ... nun auch von Barth aufgenommen worden ist, wird ihr zweifellos neue Durchschlagskraft geben"^1®.
5. Beziehungen zwischen Barth und Buber Besondere Bedeutung kommt in dem hier untersuchten Beziehungsgeflecht der Relation Barth - Buber zu, so daß im folgenden besonders Buber sowohl als Gegenüber Barths als auch seine Stellung im Kreis der dialogischen Denker in den Blick genommen werden soll. M a r t i n
B u b e r
wurde 1878 in Wien geboren. Sei-
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ne Kindheit verbrachte er größtenteils bei seinen Großeltern in Lemberg und auf den Gütern seiner Familie in 119 Galizien . Nach dem Studium in Wien lebte er von 1906 bis 1916 in Berlin und danach in Heppenheim an der Bergstraße. Buber ist in einem ersten Wirkensabschnitt mit Chassidismus-Studien hervorgetreten, in den letzten Jahrzehnten hat er sich insbesondere biblischen Studien zugewandt. Dazwischen liegt seine Wende zum dialogischen Denken, die sich - wie die biblische Arbeit 1 20 auch - nicht ohne den Einfluß F. Rosenzweigs vollzog . Rosenzweig zog 1920 nach Frankfurt, um das Freie Jüdische Lehrhaus zu leiten. Er nahm zunächst schriftlichen Kontakt 121mit Buber auf und besuchte ihn am 4. Dezember 1921 . Es kam zu einem intensiven Gedankenaustausch, bei dem sich zeigte, daß die zentralen Punkte von Rosenzweigs "Athe122 istischer Theologie" keine Barriere zwischen ihnen bedeuteten. Man kann sagen, daß sich Buber in der Richtung einer Abkehr vom mystischen Denken weiterentwickelt hatte und der in dem genannten Artikel vertretenen Auffassung Rosenzweigs von einer Polarität von Gott und Mensch als Grund seines Offenbarungsverständnisses nähergekommen war. Diese Begegnung in Heppenheim bedeutete den Beginn einer engen Freundschaft, die bis zu Rosenzweigs Tod 1929 dauerte. Nach diesem Zusammentreffen lud Rosenzweig Buber ein, ans Freie Jüdische Lehrhaus nach Frankfurt zu kommen. Ausnahmsweise nahm Buber sofort an und hielt dann im ersten Trimester 1922 seine1 23 erste achtteilige Vorlesung "Religion als Gegenwart" Daraus entstand als erster Band eines auf fünf Bände angelegten Werkes seine Schrift "Ich und Du". In den Hinweisen "Zur Geschichte des dialogischen Prinzips" von 1958 verweist Buber für die Entstehung von "Ich und Du" auf eine Skizze von 1916 und eine erste Niederschrift von 1919. Er sagt explizit, daß die Werke Cohens, Rosenzweigs und Ebners ihn nicht beeinflußt
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hätten 1 2 4 . Aber diese Aussage wirkt - wie Horwitz herausgearbeitet hat - gezwungen, wenn man nämlich weiß, daß Buber den "Stern" zur Vorbereitung seiner Frankfurter Vortragsreihe las und daß auf der Grundlage die125
ser Texte im Frühjahr sein Hauptwerk entstand . Rivka Horwitz urteilt am Ende ihrer Untersuchung:"... for some reason Buber felt the need to prevent his sources 126 and the influence of contemporaries from being known" 127 Uber die Bedeutung dieser Lehrhaustätigkeit schreibt Rosenzweig schon vor Ablauf des ersten Lehrjahres: Buber ist, "eben weil er das Lehrhaus von vornherein als ein Ganzes verstanden hatte, sofort eine seiner Säulen geworden und zwar, was eben das Schöne ist, nicht der gewordene und gewesene Buber, sondern der werdende und zukünftige. Er hat dem Lehrhaus das Ereignis seiner Neugeburt und Reifwerdung 128eingebracht, sodaß es eine rechte Ehe geworden ist" . Zwischen dem Werk Rosenzweigs und dem Werk Bubers bleiben jedoch trotz wachsender Konvergenz bestimmte Unterschiede bestehen. So ist für Rosenzweigs Denken von Anfang an der entscheidende Horizont der der sich ereignenden Sprache und die Leitfrage schlechthin die Frage nach der Denkbarkeit von Offenbarung. Buber dagegen geht von dem intentionalen Schema aus, und noch in "Ich und Du" hält sich der Leitgedanke von der mystischen All-Einheit durch, die eben nur in der Ich-Du-Welt erreicht wird. "Im Mittelpunkt des Buberschen Denkens steht zunächst das vom Ich der beiden Grundworte her gedachte Haltungsschema, innerhalb dessen auf das Seinlassen der Ich-Du-Beziehung, die sich im Schweigen vollendet, hingezielt wird. Der äußerste Denkhorizont für den Buber von 'Ich und Du' besteht in dieser All-Einheit, in die ich im Schweigen gelange und 1 29
die in sich das Ewige ist" . Der Ausgang von der Sprache gewinnt für Buber erst später einige Bedeutung. Dabei wird noch in der späten Schrift "Das Wort, das ge-
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sprochen wird" im Grunde von dem Sprecher des Wortes her gedacht und nicht so sehr von der Sprache selbst , her 130 Diese Hinweise genügen, um zu zeigen, daß und inwie1 31 fern die in der Forschung verbreitete Ansicht , das dialogische Denken sei in seinen verschiedensten Vertretern unabhängig voneinander herangereift,für Buber jedenfalls nicht zutrifft. So sehr für Bubers Wende zum dialogischen Denken die Bedeutung von Ebner und Rosenzweig zu betonen ist, so sehr hat man bezüglich der Verbreitung und der Wirkungsgeschichte dieses Denkens allerdings herausgestellt: das Bubersche Werk hat "das Verdienst, dem dialogischen Gedanken überhaupt 132 eine breite Öffentlichkeit gewonnen zu haben" Wenn man an dieser Stelle nach einer persönlichen Bekanntschaft zwischen Buber und Karl Barth fragt, so ist auf Grund des bisher veröffentlichten Nachlaßmaterials Anlaß zu der Vermutung gegeben, daß sich Buber und Barth persönlich nicht begegnet sind. Die Beobachtung ist allerdings keineswegs selbstverständlich. Die Quellen zeigen, daß Buber seinerseits Barth durchaus als möglichen Gesprächspartner wahrnahm und daß Barth wiederum auf Buber aufmerksam gemacht wurde. Buber nennt am 9.12.1922 in seinem Brief an F. Gogarten neben anderen Karl Barth als Teilnehmer für eine ge133 plante Zusammenkunft . Am 1.2.1923 berichtet er dann in einem Brief an L. Ragaz, er habe unter anderem mit Barth und Gogarten für die Ostertage eine Zusammenkunft 134 vereinbart . Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ist es jedoch nicht zu diesem Zusammentreffen gekommen. Denn vermutlich hätte Barth seinem Freund Thurneysen davon berichtet^ . Eduard Thurneysen ist jedoch noch im Dezember dieses Jahres der Auffassung, Barth auf Buber überhaupt erst aufmerksam machen zu müssen. In-
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dem er von seiner eigenen Begegnung mit Buber berichtet, schreibt er am 7.12.1923 an Barth:"Oder reden w i r hauptet
wirklich bereits wieder zu 'voll'? - Dies beM a r t i n
B u b e r
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nicht von dir zwar
und Gogarten selber, aber von deinen, von unseren Schülern. Ich hatte ein paar sehr gute Stunden mit ihm. Buber ist ein gutes, aufrichtiges Weltkind mit einer weit offenen Türe nach Jerusalem, unter die er sich nun geradezu stellt, um von dort aus zu andern Weltkindern zu reden. Er versteht also unser Anliegen, sieht uns voll Sympathie zu, hat allerlei einsichtige und ernste Fragen an uns zu richten wegen letzter Dinge, und hat doch zugleich etwas - eben Weltlich-Naives, Unbewußtes, Untheologisches, so daß an ihm wie an einem guten Instrument allerlei abzulesen ist, was die Allzubewußten bereits nicht mehr wissen. ... Wenn du ihn einmal treffen kannst, so weich1 ihm jedenfalls nicht aus. Es lohnt sich ein Gespräch mit ihm, wenn es schließlich eben auch am Punkte Offenbarung auseinandergehen wird"
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1936 kam es zu einem Briefwechsel zwischen Buber und Barth. Buber setzte sich damals mit Gogartens "Politischer Ethik" auseinander und fragte nach dem angemessenen Ansatzpunkt, von dem aus Gogartens Verwechslung des Respekts vor Gott, mit dem vor "irdischen Instan137 zen" anzugreifen sei . Während die Initiative zu diesem Briefwechsel von Buber ausging, gibt es umgekehrt auch Hinweise dafür, daß Barth seinerseits auf Buber aufmerksam wurde und seine Arbeiten - jedenfalls in gewissem Umfang - zur Kenntnis nahm. In der "Kirchlichen Dogmatik", Band 1/2, der zuerst 1938 erschien, hat Barth auf Bubers Schrift "Königtum Gottes" von 1932 hingewiesen 138 . Im 1942 veröffentlichten Band II/2 kommt Barth im Rahmen eines Exkurses über die Bergpredigt auch auf eine Auslegung dieser Kapitel durch Martin Buber zu 139 sprechen . Im Band III/2 der "Kirchlichen Dogmatik"
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von 1948 hat Barth sich explizit auf Buber zurückbe1 40 zogen . Er beruft sich dabei nicht auf eine einzelne Schrift, aber wie oben gezeigt wurde, hat Barth sich in der Anthropologie-Vorlesung des Jahres 1944, auf die der Band III/2 zurückgeht, mit Bubers Werk "Ich und Du" beschäftigt und auseinandergesetzt. Dem entspricht, daß Barth im Vorwort dieses Bandes äußert, daß es "bei dem hier behandelten Gegenstand besonders viel wiederholten Sammelns, Durchdenkens und Gestaltens bedurfte" (VII). Wieweit sich in der Anthropologie Barths Denkstrukturen der Dialogik Bubers finden, soll in den nächsten Kapiteln unter systematischen Gesichtspunkten untersucht werden.
6. Fazit Dieses Kapitel zeigt: Es gab seinerzeit nicht nur die häufig untersuchten Beziehungen zwischen den Vertretern der dialektischen Theologie. Auch die Vorkämpfer dialogischen Denkens waren - mit Ausnahme von Ferdinand Ebner - durch ein enges Geflecht von Beziehungen untereinander verbunden. So erscheint Martin Bubers Wendung zur Philosophie des Dialogs nicht ohne den Einfluß Franz Rosenzweigs denkbar. Es wurden auch Kontakte zwischen Vertretern beider Gruppen geknüpft, so daß man in beiden Bewegungen in einem gewissen Rahmen voneinander Kenntnis hatte. Zudem sind beide Bewegungen durch eine bestimmte zeitgeschichtliche Situation geprägt. Sie stehen im Kampf gegen die Vorherrschaft "idealistischen Subjekt-Objekt-Denkens". Gogarten und Brunner haben bekanntermaßen die Erkenntnisse dialogischen Denkens in ihren theologischen Entwürfen aufgenommen. Umgekehrt hat man auch auf Seiten des Dialogismus das Entstehen
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der dialektischen Theologie interessiert beobachtet. Zu einem vergleichbaren Rezeptionsvorgang ist es aber nicht gekommen. In persönlichem Kontakt stand Karl Barth zu den Vettern Ehrenberg, auch Eugen Rosenstock-Huessy hat ihn besucht. Barth ist mit der Philosophie des Dialogs, aber vermutlich auch indirekt, und zwar vermittelt durch die Schriften Brunners und Gogartens bekannt geworden. Es ist denkbar, daß Barth jedenfalls in einem gewissen Umfang die Schriften der Dialogiker bereits in den zwanziger Jahren zur Kenntnis nahm. Einen literarischen Niederschlag hat Barths Beschäftigung mit diesem Denken allerdings erst in den dreißiger und vierziger Jahren gefunden. Dabei hat sich Barth explicite auf Buber zurückbezogen, die anderen Vertreter dieses Denkens werden von ihm in der "Kirchlichen Dogmatik" nicht genannt. Umgekehrt hat Buber gemeint, Elemente seines Denkens bei Barth wiederzuerkennen.
III. V E R G L E I C H DER S T R U K T U R DER D I A L O G I S C H E N GIE BEI M A R T I N BUBER UND K A R L
ANTHROPOLO-
BARTH
Buber hat in der Schrift "Ich und Du" von 1923 seine Konzeption erstmals und grundlegend herausgearbeitet^. Das zweifache Weltverhältnis des Menschen in den Dimensionen der personalen B e g e g n u n g und der objektivierenden E r f a h r u n g ist konstitutiv für sein Verständnis von Wirklichkeit. Weil es ihm um das menschliche Doppelverhältnis zum Sein geht, ist bei Buber der vornehmste 2
Gegenstand des Denkens die Anthropologie . Diese zwei Grundarten des Daseins mit dem Seienden unterscheidet er als Bereiche des " I c h - D u " und des " I c h - Ε s ". In welcher Weise das Sein von mir wahrgenommen wird, hängt jeweils von meiner H a l t u n g ab^. Es gibt kein Ich an sich, sondern "nur das Ich des Grundworts Ich-Du und das Ich des Grundworts Ich-Es" (We I, 79). In welcher Weise sich das Ich versteht, entscheidet sich - oder besser: hat sich schon entschieden - daran, ob es Du oder Es sagt. Die Unterscheidung des Weltverhältnisses der Begegnung von dem der Erfahrung ist für das Verständnis des Buberschen Denkens fundamental. Ähnlich ist Barths Sichtweise von Menschsein im Band III/2 der "Kirchlichen Dogmatik" von 1948 dadurch gekennzeichnet, daß Humanität als B e g e g n u n g s g e s c h e h e n in den Blick kommt. Das gilt grundsätzlich für die Beziehung zwischen Gott und Mensch, es gilt eingeschränkt auch für die Beziehung zur Kreatur, es gilt vor allem aber für die Beziehung von Mensch und Mitmensch. So kann Barth definieren:"die Humanität jedes Menschen besteht in der Bestimmtheit seines Seins als Zusammensein mit dem anderen Menschen" (290; Hervorhebung getilgt). Darin ist der Gedanke der Begegnung eingeschlossen. Dies zeigt sich in der Formulierung des Leitsatzes zum Paragraphen 45 der "Kirchlichen Dogmatik", wonach des Menschen "geschöpfliches Sein ein Sein in der B e g e g n u n g ist: zwischen Ich und Du, zwischen
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Mann und Frau. In dieser 4 menschlich" .
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B e g e g n u n g
ist es
Diese Sichtweise wird scharf unterschieden von einer Konzeption, nach der Menschsein in der Ρ r ο j e k t i ο η des eigenen Selbst besteht"*. Von der Konzeption projektionalen Menschseins sagt Barth:"Es bleibt doch dabei, daß man sich - immer angenommen, daß das christliche Urteil eine Weile suspendiert sei - in diesem Entwurf sofort wiedererkennt, daß es wirklich das Naheliegendste von der Welt ist, die Frage nach der Humanität mit dem Hinweis auf irgend eine möglichst vertiefte, geläuterte und glaubwürdige Modifikation dieses Entwurfs zu beantworten" (276). - Die Konzeption von Menschsein in Begegnung hat dagegen für sich das "Recht einer theologischen Notwendigkeit" (274). So werden beide Konzeptionen von Barth grundsätzlich unterschiedlich gewichtet. Während die eine als die dogmatisch vertretbare angesehen und breit entwickelt wird, sagt Barth von der anderen, daß an ihr "wortlos vorüberzugehen ist" (274) . Dennoch setzt er sich auch mit ihr auf den Seiten 274-290 ausführlich auseinander. Ich stelle hier zunächst Bubers Verständnis von Menschsein in den Dimensionen der Erfahrung und Begegnung dar.
1. Menschsein in der Dimension der Erfahrung bei Buber Was meint Erfahrung bei Buber? Der Begriff E r f a h rung wird einmal im wortwörtlichen Sinn verstanden. Der Mensch kann seine Welt erfahren, das heißt die Fläche der Dinge befahren, ein Wissen um ihre Beschaffenheit gewinnen, sehen, was an den Dingen ist. Die Dinge kommen so mit ihrer Unsumme von Eigenschaften in den Blick. Erfahrung bedeutet sodann die Kenntnis der Grenzen des einzelnen und den Erwerb der Fähigkeit, Dinge im räumlich-zeitlich-ursächlichen Zusammenhang zu ord-
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nen und zu koordinieren. Buber: Der Mensch stellt sich vor den Dingen auf "mit der objektivierenden Lupe seines Nahblicks über die einzelnen gebeugt oder mit dem objektivierenden Feldstecher seines Fernblicks sie zur Szenerie zusammenordnend" (We I, 98, vgl. 80 und 99). Das Verhältnis zum Es ist gekennzeichnet durch eine "Subjekt-Objekt-Struktur". Erfahrung führt zu Begriffen, sie läßt mich die Dinge "haben" und macht sie unter Umständen verwert- und brauchbar für mich. So läßt sich nach dieser Betrachtungsweise ein Baum zum Beispiel naturwissenschaftlich analysieren, einordnen, nach Ge6
setz und Zahl untersuchen . Wichtig ist aber, zu sehen, daß in diesem gleichsam experimentellen Weltverhältnis dem Menschen alles zum Ding wird, zum Etwas oder wie Buber sagt: zum Es. Erfahrung bringt dem Menschen eine Welt zu, "die aus Es und Es, aus Er und Er und Sie und Sie und Es besteht" (We I, 80). Das Weltverhältnis in der Dimension der Erfahrung begreift Buber in dem "Grundwort Ich-Es" (We I, 79) . Ein Gegenüber gibt sich einem Ich, das "Es" sagt, ganz anders als demjenigen, das "Du" sagt. In der Dimension der Welt-Erfahrung bleibt eine unaufgehobene Grenze zwischen Mensch und Welt. Der Mensch, der seine Welt erfährt, bekommt doch keinen Anteil an ihr. Die Welt läßt sich erfahren, aber gleichsam als ginge es sie nichts an. Erfahrung geschieht letztlich immer nur im Erfahrenden. Daran wird nichts geändert, wenn man zu den äußeren die inneren, zu den offenbaren die geheimen Erfahrungen fügt. "Erfahrung ist Du-Ferne" (We I, 83). Erfahren wird immer nur ein Etwas (We I, 80). Vom Weltverhältnis der Erfahrung sagt Buber:"ohne Es kann der Mensch nicht leben. Aber wer mit ihm allein lebt, ist nicht der Mensch" (We I, 101).
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2. Menschsein in der Dimension der Begegnung bei Buber Von der Wirklichkeit des Es unterscheidet Buber grundlegend das Weltverhältnis der " B e g e g n u n g . Das letztere steht dem ersten diametral gegenüber. Begegnung beschreibt Buber als ein Zusammentreffen des Ich mit dem Du als Du und nicht als Es. Sein in der Begegnung ist ein Sein im "Zwischen", das hier auf seine kategorialen Merkmale hin untersucht werden soll. Ich befrage Bubers Sicht von Menschsein in diesem Kapitel anhand der Kennzeichen: Relationalität, Dualität, Interaktionalität, Verbalität, Subjektivität, Analogizität und Perspektivität. a) Beziehung zum Du Menschsein in der Wirklichkeit der .Begegnung ist nach Buber zuerst als ein Sein in "Beziehung" zu Q verstehen. "Am Anfang ist die Beziehung" . Den Namen "Beziehung" erkennt Buber nicht der Relation g zu einem Es, sondern allein dem Verhältnis zum Du zu . Das ist darin begründet, daß Begegnung - anders als alle Welterfahrung - auf "Unmittelbarkeit"10 zum Gegenüber ausgerichtet ist. Beziehung meint Unmittelbarkeit. Das Sein in der Beziehung zum anderen ist nach Buber gekennzeichnet durch das Fehlen der Momente des Erfahrens und Gebrauchens. Das Du ist kein Etwas, es wird nicht durch Suchen gefunden. Es wird auch nicht vermittelt durch Begriffe, Vorwissen oder Phantasie. Es erscheint nicht eingegrenzt. Ich kann das Du nicht "haben", es dient keinem Zweck, ich kann es nicht für mich verwerten oder gebrauchen. Zwischen Ich und Du gibt es nicht das Hindernis eines auf Sinnstiftung zielenden Denkens. In der Begegnung tritt der eine dem anderen nicht gegenüber wie ein Subjekt dem Objekt, sondern beide erkennen sich als
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Partner in einem Lebensvorgang . "Die Beziehung zum Du ist unmittelbar. Zwischen Ich und Du steht keine Begrifflichkeit, kein Vorwissen und keine Phantasie ... Zwischen Ich und Du steht kein Zweck, keine Gier und keine Vorwegnahme ... Alles Mittel ist Hindernis. Nur wo alles Mittel zerfallen ist, geschieht die Begegnung" (We I, 85). Das Du-Verhältnis ist nach Buber nicht auf eine bestimmte Gruppe von Partnern einzuschränken. Ob der Mensch zu einem Gegenüber in einem Du- oder in einem Es-Verhältnis steht, liegt nicht an der Beschaffenheit des Gegenüber. Beziehung kann sich ereignen sowohl im Verhältnis des Menschen zum Mitmenschen, als auch im Verhältnis zur Natur- und Geisteswelt. Das Beziehungsgeschehen in jedem dieser drei Bereiche 12 wird von Buber näher erläutert . Von der Beziehung zu M e n s c h e n gilt: Wenn ich zum anderen Du sage, ist er kein Ding unter Dingen mehr und besteht nicht aus Dingen. Er steht vor mir als Einheit, nicht als ein lockeres Bündel von Eigenschaften. Achte ich aber auf die Beschaffenheit etwa seiner Haare oder die Klangfarbe seiner Worte oder aber auf seine Stellung in Raum und Zeit, ist er nicht mehr Du, sondern Er oder Sie. - Von der Beziehung des Menschen zur N a t u r sagt er: Es kann geschehen, daß der Mensch - willentlich und geschenkhaft zugleich - zum Beispiel mit einem Baum "zu schaffen" bekommt oder anders formuliert - "in die Beziehung zu ihm eingefaßt" wird (We I, 82). In dieser Beziehung ist der Baum mehr als ein Sinneseindruck, ein Spiel der Vorstellung oder ein Stimmungswert, sondern er "leibt" (ebd.) in bezug auf das menschliche Gegenüber. Von der Beziehung zu den " g e i s t i g e n Wes e n h e i t e n " heißt es: Hier tritt dem Menschen
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Gestalt gegenüber, die durch ihn ins Werk gesetzt werden will. Dies rührt an Bubers Verständnis der Kunst. Er begreift ein Werk nicht als der Einbildung des Künstlers entsprungen, sondern: Das Werk entsteht, indem der Mensch zu der erscheinenden Gestalt in Beziehung tritt. Die Gestalt "tritt ihn an" und verlangt die "Wesenstat". Die Gestalt, die entgegentritt, kann nicht erfahren, wohl aber verwirklicht werden. Bubers Rede von der Unmittelbarkeit betrifft zunächst die zwischenmenschlichen Verhältnisse, dann aber auch die Beziehung "zwischen dem Wesen Mensch und dem Ur13 gründe des Seins" . In der Unmittelbarkeit der Beziehung zum anderen verliert sich alles Teilhafte und Bedingte, das für die Es-Relation eigentümlich ist. Das heißt nicht, daß wir im Leben mit der Natur auf irgendeine Weise unserer Betrachtung verzichten müßten. Sondern: Bild, Bewegung, Gattung usw. sind in der Beziehung drin, aber sie sind ganz dem Geschehen der Begegnung eingeordnet. Die Beziehung zum Du ist ganz und ausschließlich. Buber hat dies am Beispiel der Beziehung zu einem Baum ausgesprochen. Alle unterschiedlichen Einzelheiten findet er hier zwar nicht weggelöscht, aber ununterscheidbar vereinigt zu einer Ganzheit. In diesem Sinne gilt:"Was weiß man also vom Du? Nur alles. Denn man weiß von ihm nichts Einzelnes mehr" (We I, 84). Gegen ein Mißverständnis sind diese Ausführungen abzugrenzen. Daß Buber Beziehung als Unmittelbarkeit erläutert, darf nicht dazu verleiten, von einer Identität der Partner auszugehen. Jeder Identitätsgedanke zerstört das Spezifische dieses Ansatzes. In-Beziehung-Sein ist nur möglich auf Grund der Einmaligkeit und Nichtidentität des einen mit dem anderen.
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Duale Gemeinschaft Des weiteren ist Bubers Ansatz dadurch gekennzeichnet, daß Beziehung in starkem Maße als Z w e i e r b e z i e h u n g gesehen wird. Buber betont die "Ausschließlichkeit" (We I, 82) in dem Verhältnis zum Gegenüber und sagt über den anderen in der Beziehung: "nachbarnlos und fugenlos ist er Du und füllt den Himmelskreis. Nicht als ob nichts andres wäre als er: aber alles andre lebt in s e i n e m Licht" (We I, 83). Insbesondere die Relation des Menschen zu Gott wird als duale Beziehung gedacht. Vor Gott steht der Mensch als einzelner und als einziger: "der Mensch kann nur als Einzelner, als der zum Einzelnen gewordene Mensch mit Gott Umgang haben"^4. Der Mensch mag sich dabei von der Gemeinschaft, der er zugehört, getragen wissen. Doch dem, was ihm widerfährt, vermag er nur als einzelner standzuhalten und zu antworten. Das heißt allerdings nicht, daß Buber das Geschehen, von dem die Bibel berichtet, etwa auf einen prinzipiellen Dual reduzierte. Es bleibt deutlich, daß das Schöpfungs-, Offenbarungsund Erlösungsgeschehen auf die ganze Menschheit zu 15 beziehen ist . Ähnliches gilt von den anderen Beziehungen, in denen der Mensch ist. Eine starke Konzentration auf das einzelne Gegenüber läßt sich auch hier nachweisen. Indem Buber die Partner der Beziehung als Ich und Du kennzeichnet, deutet er den dualen Charakter auch dieses Verhältnisses an. Das Denken in Zweierbeziehung wird allerdings nicht zu einem Prinzip. Buber weiß durchaus, daß der Sprechende sich oft an mehrere Partner wendet, und er kann den Begriff der Zwiesprache zu dem des "mehrstimmigen Dialog(s)" erweitern 1 6 In dem späten Werk "Das Problem des Menschen" führt
- 74 Buber eine neue, bisher von ihm so nicht bekannte Kategorie ein: die des " W i r ". Buber:"Das Entsprechende zum wesenhaften Du auf der Stufe des S-elbstseins im Verhältnis zu einer Schar von Men17 sehen nenne ich das wesenhafte Wir" . Dieses Wir gibt es nach Buber nur als eine Verbindung von Personen, die alle zum Selbst und zur Selbstverantwortung erwachsen sind. Das Wir gibt es nur auf Grund von Selbstheit und Selbstverantwortung. Anders ausgedrückt: Auch das Wir beruht - ganz genau wie das Ich-Du-Verhältnis - auf ontischer Unmittelbarkeit. In Geschichte und Gegenwart sieht Buber dieses Wir selten verwirklicht. Denkbar ist dieses Wir in revolutionären Gruppen, die sich um eine stille, langsam weckende und lehrende Aufgabe im Volke bemühen, und in religiösen Gruppen, die eine unpathetische und opferwillige Verwirklichung des Glaubens im Leben anstreben . Der Wir-Charakter wird aber sofort zerstört, sobald sich ein macht- oder geltungssüchtiger einzelner der Gruppe bemächtigt oder sie zur Verwirklichung eigener Zwecke benutzt. Von Buber hat man gesagt, er suche "die Mitte zwischen dem individualistischen und dem kollektivistischen Menschenbild"; denn:"beide Sichtweisen erfassen nur einen Teil, aber nicht das Ganze, denn der Individualismus sieht den Menschen nur in der Bezogenheit auf sich selbst, der Kollektivismus dagegen sieht ihn überhaupt nicht, sondern nur die Gesellschaft" 1 9. Bei Buber finden sich auch Aussagen über die E h e . Die "wahre Ehe" entsteht dadurch, "daß zwei Menschen einander das Du offenbaren" (We I, 108).
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c) Gegenseitigkeit des Verhältnisses Wesentliches Merkmal von Begegnung ist des weiteren die wechselseitige Interaktion oder, wie Buber formuliert: die " G e g e n s e i t i g k e i t " . "Beziehung ist Gegenseitigkeit. Mein Du wirkt an mir, 20 wie ich an ihm wirke" . Die Ich-Du-Beziehung ist somit von einem Subjekt-Objekt-Verhältnis zu unterscheiden, denn dort ist das Subjekt das Handelnde, das Objekt das Behandelte. Das Ich-Es-Verhältnis ist eine Verbindung, in der die Glieder ungleich sind, da die Aktivität des einen die Passivität des anderen zur Voraussetzung hat. In der Ich-Du-Beziehung 21 dagegen sind beide Partner zusammen in Aktion . Die Aktion des einen stößt den anderen nicht in Passivität. Begegnung heißt, daß zwei Partner aufeinander zukommen. Sie geschieht dort, wo sich mit der Aktion des einen die Aktion des anderen verbindet. Ich bin in der Begegnung, indem mir, indem ich handle, die Handlung des Du von der anderen Seite her entgegenkommt. Begegnung ist nach Buber Gemeinschaft ranggleicher Partner. Gegenseitigkeit bedeutet sodann die K o n s t i t u t i o n von Ich und Du im Akt der Begegnung. Dem Menschen ist sein Wesen nicht gegeben, es entsteht, indem der Mensch in die Begegnung eintritt. Das Ich wird bei Buber gedacht von einem Geschehen her, das nicht nur das Gegenüber, sondern auch das Ich formt. Der Mensch wird zum Menschen, indem Gemeinschaftlichkeit und ein Zueinanderhin Wirklichkeit werden. Die Ichwerdung des einzelnen bedarf dieser lebendigen und freien, sich austauschenden Zweiergemeinschaft. Sie geschieht nicht, wo sich der Mensch von jedem Gegenüber isoliert. Bubers Anthropologie beinhaltet die Abkehr vom monologisch-
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abstrakten Denken. "Es ist ein Denken der Beziehung, 22 ein Denken der Begegnung" . In ihm sind Ich und Du korrelational, wechselseitig aufeinander bezogen. Menschsein ist nach Buber Sein in actu, und zwar insofern, als das Geschehen der Begegnung Mensch und Mitmensch erst ins Sein ruft. Zur Begegnung gehört die Aktivität der Beteiligten; aber Begegnung setzt sich nicht aus den Akten der Beteiligten zusammen. Ich und Du sind, wenn sie in die Begegnung eintreten, nicht jeder für sich schon fertig, sondern nach dem Ansatz der Dialogik entspringen sie selbst erst dem Geschehen der Begegnung. In diesem Sinne ist auch Bubers Formel vom "Ich-wirkend-Du und Du-wirkendIch" (We I, 92) zu verstehen. Dieser Satz spricht von der gegenseitigen Konstitution der Partner. Dabei taucht die Frage auf, wie das möglich sein kann, daß das Ich das Du konstituiert, wenn es doch selbst erst durch das Du konstituiert wird? - Theunissen hat wohl zutreffend bemerkt:"Um das Du konstituieren zu können, müßte es seinerseits schon dasein. Es kann aber nach der These von der gegenseitigen Konstitution nicht dasein ohne das Du, das es doch erst zu konstituieren hat. Diesem circulus vitiosus entgeht man eben nur, wenn man das 'Ich-wirkend-Du und Du-wirkend-Ich1 als Ausdruck des gemeinsamen Gewirkt23 werdens in der Begegnung versteht" . So ist auch die Lehre von der gegenseitigen Konstitution der Partner Chiffre für ihre Herkunft aus der Begegnung. Sie formuliert den Gedanken der gleichen Ursprünglichkeit der Partner auf Grund ihrer Herkunft aus demselben Ursprung. Bubers Formel besagt, daß, indem sich Begegnung ereignet, sich in eins damit die Konstitution von Ich und Du ereignet. Hinsichtlich der Konstitution der Partner im Zwischen
- 77 ist bei Buber die Du-Beziehung radikal von dem EsVerhältnis unterschieden. Zwar gilt auch hier, daß das Ich des Ich-Es-Verhältnisses nur im Verhältnis zum Es existiert und daß das Es nur in bezug auf das intendierende Subjekt ist, was es ist. Dennoch muß das Ich, um als Pol dieser Relation fungieren zu können, vorher vorhanden sein und zugleich muß das, worauf sich der Akt des Subjekts richtet, die24 sem Akt bereits irgendwie vorgegeben sein . Hier läßt das Verhältnis das Sein der Verhältnisglieder nicht erst im vollen und eigentlichen Sinne aus sich herausgehen. Insofern bleibt das Verhältnis diesen äußerlich. Um überhaupt sein zu können, bedürfen das Ich und das Es nicht des Verhältnisses. Indem das Ich die Welt erfährt und gebraucht, gehen sich beide nicht entscheidend an. In diesem Sinn nennt Buber das Grundwort Ich-Es die geistige Gestalt der "naturhaften Abgehobenheit" im Gegensatz zum Grundwort Ich-Du als der 25 geistigen Gestalt der "naturhaften Verbundenheit" . Für Buber ist dies Ich ein solches, das per definitionem etwas außerhalb seiner zur Existenz bedarf. Darin erkennt er das Ende der kantischen Autonomie, für die die sich aus sich selbst entfaltende Mündigkeit der Vernunft bezeichnend ist. In der Begegnung gibt es weder meine Vorherrschaft über den anderen, noch eine Uberordnung des anderen über mich. "Die reine Beziehung als Abhängigkeit verstehen wollen heißt den einen Träger der Beziehung und damit sie selber entwirklichen wollen" (We I, 134). Das Ich-Du-Verhältnis ist nach Buber eine "Gemeinschaft gleichursprünglicher und gleichberechtigter 2 6 Wesen, von denen keines über das andere verfügt" Gegenseitigkeit ist nach Buber vor allem Kennzeichen
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des zwischenmenschlichen Verkehrs. In der Beziehung zur Kreatur verbleibt die Gegenseitigkeit im 27 Geheimnis . Es gibt wohl zwischenmenschliche IchDu-BeZiehungen, die sich nie zu voller Gegenseitigkeit entfalten können - Buber nennt das Erziehungsverhältnis von Erwachsenen und Heranreifenden oder zwischen Psychotherapeut und seinem Patienten den28 noch sind auch sie durch Gegenseitigkeit bestimmt Das Erlebnis der Gegenseitigkeit im Gegenüber zum Du transzendiert die Beziehung zwischen Menschen. Der "Wert der Werte" ist "die Gegenseitigkeit 29 der Beziehung zwischen Menschlichem und Göttlichem" . Gegenseitigkeit wird bei Buber zum Seinscharakter des Alls; in diesem Sinn30 spricht er von der "strömenden All-Gegenseitigkeit" . Gegenseitigkeit waltet zwischen dem Ich und der ganzen als Du angesprochenen Welt31. Im Zusammenhang der Konstitution von Menschsein im Zwischen spricht Buber auch von "Huld" (We I, 100), und von "Gnade". "Das Du begegnet mir von Gnaden" (We I, 85). Daß Begegnung geschieht, liegt nicht in meiner Verfügungsgewalt. Ich bin wohl daran beteiligt, aber wo ich Begegnung erlebe, geschieht das 32 doch immer "aus Willen und Gnade in einem" . Begegnung bedarf immer eines Entgegenkommens von der anderen Seite her und kann niemals nur durch meine Tat herbeigeführt werden. Ein Terminus, der auf die "Eigenmächtigkeit" des Gegenüber weist, ist: es 33 "tritt" mich "an" . Es ist zwar auch meine Tat gefordert, aber wirkliche Begegnung ist ein Geschenk, auf das der Mensch wohl34 harren, das er aber letztlieh nur empfangen kann . Aus dem abschließenden Satz des späten Werkes "Urdistanz und Beziehung" geht hervor, wie anders im Vergleich zur philosophi-
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sehen Tradition Buber das Wesen des Selbst ansieht: "einander reichen die Menschen das Himmelsbrot des Selbstseins"35.
Exkurs: Die Sphäre des Zwischen Die genannten Merkmale zeigen: Es geht Buber in seinen anthropologischen Erwägungen um das, was er die Sphäre des "Zwischen" nennt. Wo der Mensch dem anderen begegnet, bleibt er nicht bei sich selbst, nicht in der Sphäre der Subjektivität, sondern: er ist "im Zwischen". Die Entdeckung dieser Sphäre ist das eigentlich Neue von "Ich und Du" - auch gegenüber Bubers früheren Versuchen wie dem "Daniel" (1913). Der Weg von "Ich und Du" führt hinein in die "Sphäre z w i s c h e n den Wesen", in das "-Reich, das in unsrer Mitte, im Dazwischen sich birgt"36. In derselben Schrift nennt er das Zwischen auch eine "Urkategorie der menschlichen Wirklichkeit"3?. Von dieser Kategorie sagt Buber:"Sie steht ganz im Ungewohnten und wird wohl noch eine gute Weile im Ungewohnten verbleiben müssen; aber ich glaube nicht, daß der Menschengeist sie auf die Dauer entbehren kann"3®. Buber verdeutlicht die Bedeutung des Zwischen mit Hinweisen auf menschliches Sprechen und Lieben. Sprechen wird gewöhnlich als physischer oder psychischer Vorgang beschrieben. Bei solcher Betrachtungsweise bleibt aber außer acht, daß das sinnhafte Gespräch - das aus den Seelen hervorgeht und sich in ihnen spiegelt - z w i s c h e n den beiden Menschen vor sich geht. Ähnliches gilt vom Ereignis der Liebe:"Liebe ist ein ... Wirken". "Wer dies nicht weiß, kennt die Liebe nicht, ob er auch die Gefühle, die er erlebt, ... ihr zurechnen mag" (We I, 87). Die Liebe wohnt deshalb nicht im Menschen, sondern der Mensch wohnt in der Liebe3^. Das Eigentümliche des Buberschen Ansatzes beim Zwischen ist, daß dies Denken weder vom Ich noch vom anderen ausgehen will. Das Zwischen ist auch nicht als das beide Partner Umschließende zu denken. Es ist nicht in einem der beiden Partner, aber auch nicht in beiden zusammen anzutreffen. Wie nicht von mir als isoliertem Subjekt, so geht Buber auch nicht aus von einer aus mir und dem anderen bestehenden Einheit. Sodann könnten einige Ausdrücke und Wendungen Anlaß zu dem Mißverständnis geben, Buber nehme seinen Ausgang von einem beide Partner umgreifenden Dritten. So zum Beispiel, wenn er sagt: nicht das Ich umfängt Sprache und Liebe, sondern Sprache und Liebe umfangen das Ich 40 . Aber: diese Aussagen betonen
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nur die in der Ontologie des Zwischen intendierte Uberwindung des "Subjekt-Objekt-Schemas". Es ist deshalb zu interpretieren:"das Umgreifende sind die ontologischen Urphänomene Geist, Liebe und Sprache nur im Verhältnis zum Ich, nicht in bezug auf Ich und Du zusammen"^ . So versucht Buber keineswegs zu der "subjektiven" Ganzheitsbetrachtung zurückzukehren, die an Hegel kritisiert wird. Die Absage an die Egologie und deren Umkehrung führt bei ihm nicht zu einem "Dritten", das das Gegenüber der Partner überhöht. Das Ereignis des Zwischen "vollzieht sich nicht in dem einen und dem andern Teilnehmer, noch in einer beide und alle anderen Dinge umfassenden neutralen Welt, sondern im genauesten Sinn zwischen beiden, gleichsam in einer nur ihnen beiden zugänglichen Dimension"42. d) Begegnung als Sprachgeschehen Wesentliches Element der Anthropologie Bubers ist ferner die Reflexion auf Sprache und die Phänomene des S p r e c h e n s 4 3 . Die Welt der Beziehung wird gestiftet durch das G r u n d w o r t Ich-Du. Die Welt der Erfahrung wird eröffnet durch das G r u n d w o r t Ich-Es (We I, 81). Weil dem Menschen die Sprache gegeben ist, darum vermag er im Wechsel seiner Haltungen Seiendes als Du oder Es zu "setzen". Die beiden Dimensionen können auch als Bereiche des Ansprechens und des Besprechens unter44 schieden werden . Die Begegnung mit dem anderen vollzieht sich nach Buber nicht im Medium der sinn45 liehen Wahrnehmung , auch nicht in der "Werkwelt des fürsorgend-besorgenden Umgangs" 46 . Es gilt vielmehr: "Das Wort ersteht Mal um Mal substantiell zwischen den Menschen, die von der Dynamik eines elementaren Mitsammenseins in ihrer Tiefe ergriffen und er47 schlossen werden" . Bei Buber wie bei sämtlichen Vertretern der Philosophie des Dialogs ist der andere immer und wesenhaft der (oder das) Angesprochene 48 bzw. Angeredete . Menschsein in Begegnung ist durch Dusagen vermittelt. Zum Du in Beziehung treten heißt
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"Du" sagen. Das heißt: Wenn Menschsein in der Dimension der Begegnung nur möglich ist in existentieller Bedingtheit und eine bestimmte Haltung voraussetzt, ist damit nicht irgendein Gefühl gefordert, das das Ich dabei empfindet, sondern das Sprechen des Grundworts Ich-Du. Menschsein wird als dialogische Lebensform gesehen, und damit tritt die Sprache ins Blickfeld. Erst im MiteinanderSprechen entsteht jene dialogische Situation, die Buber die Sphäre des Zwischen nennt. Menschsein in Begegnung wird begriffen und ausgedrückt durch Reflexion auf das Sprachgeschehen. Auf der reifsten 49
Stufe ist Bubers Philosophie Sprachphilosophie
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Nach Buber geht es darum, Sprechen wieder in seinem elementaren Sinn zu verstehen. Bei der Mitteilung, bei Vorträgen und schriftlichen Darlegungen, auch beim Klatsch, überwiegt das Moment des Beredens. Das Interesse konzentriert sich nicht auf die beteiligten Personen selbst, sondern auf einen neutralen Sachverhalt oder nicht-anwesende andere. Der, die oder das Beredete ist Gegenstand, von ihm wird in der "dritten Person" geredet. Dabei steht der Gegenstand der Rede in Abhängigkeit von den Redenden. Er, sie oder es kommt nur zur Sprache unter den Hinsichten, unter denen davon die Rede sein soll. Diese Abhängigkeit von den Ansichten anderer besteht sowohl im Klatsch als auch in der wissenschaftlichen Diskussion. Der, die oder das Beredete verbleibt passiv; wer beredet wird, ist nicht gefragt. Dennoch: Wenn der oder die Beteiligten zu Gelesenem Stellung nehmen oder Gehörtes diskutieren, kann es geschehen, daß die Sache als Gegenstand zurücktritt und die eigene Beziehung dazu oder zum anderen ins Spiel kommt. Es gehört nach Buber zum Wesen des Sprechens, daß es sich, obwohl weithin nur zum Vergegenständli-
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chen gebraucht, nicht nur als Bereden verstehen läßt. Im Sprechen wird, ungeachtet seines objektivierenden Gebrauchs, immer wieder etwas sichtbar von seiner ursprünglich dialogischen Struktur. Dem Sprechen wohnt ursprünglich das Element der Anrede inne, und Anrede zielt auf die Aktivität des Gegenüber. So kann auch bei der Verständigung über eine Sache immer schon ein Dusagen mitschwingen. Sprechen ist nicht monologisch und erschöpft sich nicht im Begriff. Es erwächst aus der Situation. Es ermöglicht Kundgabe und Kundnahme eines Geschehens zwischen zwei oder mehreren Menschen. Ursprünglich und als ein ontologisch Erstes zielt Sprechen auf Dialog. Erst die abgebrochene oder zerbrochene Zwiesprache verkümmert zum Monolog. In der Anrede, die den anderen gerade zum Schweigen bringen will, ist Sprechen zur Fehlform degeneriert. Die grundlegende Erkenntnis der Philosophie des Dialogs ist, daß Miteinandersprechen die Möglichkeit der Gemeinschaft einschließt. Rede läßt sich nicht in das "Subjekt-Objekt-Schema" einordnen. Indem Sprechen ursprünglich immer ein Ansprechen ist, zielt es auf Unmittelbarkeit und Gegenseitigkeit. So ist bei Buber erkannt: Der Logos ist gemeinschaftlich. Er ermöglicht Gemeinschaft und von daher erst die Distanz des Individuellen. Aber auch wenn bei der Verständigung über eine Sache immer schon ein Dusagen mitschwingt: die Intention auf Unmittelbarkeit vollendet sich erst in jenen ganz unmittelbaren Anrufen, in denen ich nur "Du" sage und sonst nichts. Die Intention auf Unmittelbarkeit verleiht dem Dusagen seine einzigartige Stellung im dialogischen Leben"^. Die Anredefunktion des Sprechens hat Buber in seiner Frühschrift "Daniel" (1913) gleichnisträchtig an fol-
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gender Begegnung klargemacht. Er beschreibt, wie er am Ende eines Spaziergangs mit seinem Stock einen Eschenstamm berührt und sagt:"Wie jener Stab ist die Rede des Menschen, wo immer sie echte Rede, und das heißt, wahrhaft zugewandte Anrede ist. Hier, wo ich bin, wo Ganglien und Sprachwerkzeuge mir helfen, das Wort zu formen und zu entsenden, hier 'meine' ich ihn, an den ich es entsende, ich intendiere ihn, diesen einen unverwechselbaren Menschen ... Ich 51
umfasse ihn, an den ich mich wende"
Der Angeredete ist wohl Gegenüber, aber nicht Gegenstand dieser Relation. Anreden ist nicht der Versuch, das Gegenüber zu objektivieren, sondern ein Sich-wenden an den anderen, ein Appell an seine Aktivität. Die Anrede zielt darauf, daß der andere selber das Wort ergreift und sich insofern mir gleichstellt. Anrede zielt auf Gegenseitigkeit der Partner. In einem späteren Vortrag hat Buber das so ausgedrückt: Das "Wort, das gesprochen wird", will "nicht bei seinem Sprecher bleiben ... Es greift nach seinem Hörer aus, es ergreift ihn, ja es macht diesen selber zu einem 52
wenn auch vielleicht nur lautlosen Sprecher" . Indem der Partner sodann in Freiheit re-agiert, läßt sich seine Aktion von mir nicht entwerfen. "Je fragender meine Frage ist, desto entschiedener bringt mir die Antwort Neues, Plötzliches, Unvorhergesehenes. Wüßte ich bereits, was der53Andere mir antwortet, so würde ich nicht fragen" . Die Reflexion auf das Phänomen des Redens als Anreden zeigt: wo jemand das Grundwort Ich-Du spricht, tritt er zu dem Angesprochenen in eine Beziehung, die durch Unmittelbarkeit und Gegenseitigkeit gekennzeichnet ist. Buber erläutert das dialogische Leben in verschiedener Hinsicht. Die Beziehung zwischen Menschen nennt
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er sprachgestaltig und offenbar. Von der Relation zur Natur sagt Buber: Beziehung schwingt hier im Dunkel. Sie wird nicht zur Sprache, sondern haftet 54 an ihrer Schwelle . Auch das Verhältnis zu den geistigen Wesenheiten wird auf die Möglichkeit des Wechselgesprächs hin befragt. Dabei konstatiert Buber, daß auch die Beziehung zu den geistigen Wesenheiten "sprachlos" und verhüllt erscheine. Sie wirkt aber "sprachzeugend"55, denn: wortlos weiß sich der Mensch aufgerufen und antwortet nicht mit dem "Munde", sondern mit dem "Wesen" (We I, 81). Diese Stellen zeigen, daß Buber mit Sprechen mehr meint als stimmhaft geformte Rede. Das Grundwort IchDu vollendet sich in Sprache, in der das Wort nicht mehr verlautbart und artikuliert zu werden braucht. Es gibt Gemeinschaft und "Gespräch" auch unter dem 56 Zauber des stummen Zusammenseins . Bubers Auffassung ist, daß sich das "dialogische" Gegenüber nicht redend, sondern schweigend zu höchster Vollendung ent57 faltet . "In den wahrgenommenen Begebenheiten des Alltags wird der Mensch angeredet, hat er in die Situation einzugehen, sie in die Substanz des gelebten Lebens einzubewältigen, dem Augenblick zu antworten, ihn zugleich zu verantworten". "Es ist nicht darum zu tun, daß die Rede worthaft hin und her geht. Das eigentliche dialogische Leben ist die Geschichte. Der Mensch antwortet auf das, was ihm widerfährt, mit Tun, auchVersuchs mit seinem Versagen, in dem 58 noch seinem der Kern eines ist" Buber entwirft Menschsein als dialogische Lebensform, aber nicht nur im Verhältnis zum endlichen, sondern auch zum unendlichen Du. Wenn Buber die Lebenswirklichkeit des Menschen zurückführt auf das Ich und das Du, dann schließt er darin das Dusagen des Menschen
- 85 zu Gott ein. Im Dusagen zu Gott sieht er die große Unterschiedenheit sowohl anerkannt als auch aufgehoben. Daß es die Anredbarkeit Gottes gezeigt hat, das Dusagen zu ihm, macht die Bedeutung des Juden59
turns aus . Von den zehn Geboten soll gelten:"Sie werden von einem Ich an ein Du gesprochen, mit dem Ich beginnen sie und das Du wird in jedem von ihnen persönlich angeredet. Dieses Du ist ein jeder, der 60 dieses Du hört" . Buber sieht die Bedeutung Israels darin, daß es der Menschheit Gott als das große Du offenbart hat. Israel hat zuerst gelehrt:"Gott in aller Konkretheit als Sprecher, die Schöpfung als Sprache: Anruf ins Nichts und Antwort der Dinge durch ihr Erstehen, die Schöpfungssprache dauernd im Leben aller Kreatur, das Leben jedes Geschöpfs als Zwiegespräch, die Welt als Wort - das kundzugeben war Israel da. Es lehrte, zeigte: der wirkliche Gott ist 61 der anredbare, weil anredende Gott" An dieser Stelle ist weiter darauf hinzuweisen, daß Anreden des anderen - wie Buber betont - immer eine Bej a h u n g des anderen bedeutet. Das Grundwort Ich-Du sagen schließt "stets eine Bejahung des angesprochenen Wesens" ein (We I, 88). Wer den anderen total ablehnt, kann zu ihm nicht Du sagen. "Die wahrhafte Hinwendung seines Wesens zum andern schließt diese Bestätigung, diese Akzeptation ein. Selbstverständlich bedeutet solch eine Bestätigung keineswegs schon eine Billigung; aber worin immer ich wider den andern bin, ich habe damit, daß ich ihn als Partner echten Gesprächs annehme, zu ihm als Person Ja ge62
sagt" . Gilt das nicht auch für die Beziehung von Mensch und Gott?
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e) Subjektivität im Dialog In einem weiteren Schritt soll Bubers Ansatz unter der Frage nach seinem Verständnis der S u b j e k - t i ν i t ä t des Menschen dargestellt werden. Dabei ist zu betonen: Buber gebraucht den Terminus Subjektivität in einem ganz anderen als in dem herkömmlichen "Subjekt-Objekt-Denken" gebräuchlichen Sinn. Er schreibt:"Das Ich des Grundworts Ich-Es erscheint als Eigenwesen und wird sich bewußt als Subjekt (des Erfahrens und Gebrauchens). Das Ich des Grundworts Ich-Du erscheint als Person und wird sich bewußt als Subjektivität (ohne abhängigen Genitiv). Eigenwesen erscheint, indem es sich gegen andere Eigenwesen absetzt. Person erscheint, indem sie zu anderen Personen in Beziehung tritt" (We I, 120). Buber unterscheidet das Ich des Grundworts Ich-Es, das er als Eigenwesen bezeichnet, von dem Ich des Grundworts Ich-Du, das er Person nennt. Das Ich des Menschen ist zwiefältig. Es gibt kein Ich an sich. Das Ich ist immer bestimmt von dem Weltverhältnis, in dem es steht. In dem Weltverhältnis der Begegnung ist das Ich des Grundworts Ich-Du gesetzt. In dem Weltverhältnis der Erfahrung erscheint das Ich des Grundworts Ich-Es. Wenn der Mensch Ich spricht, tritt er in das eine oder andere Grundverhältnis ein. Ich sprechen heißt zugleich, das eine oder andere Grundwort sprechen*^. Bezüglich des Ich des Erfahrens und Gebrauchens heißt das: sowohl das Ich als auch das Es sind vor und unabhängig von ihrem Verhältnis vorhanden. Das Ich hat wie das Es ein Dasein gleichsam hinter und außerhalb der Verhältnisse, die es im Wechsel der Gegenüber eingeht. Insofern kann sich dieses Ich gegen andere absetzen und etwas Eigenes für sich sein. Trotz seiner individuellen Bestimmtheit bleibt dies Ich nach Buber aber gleich-
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sarn substanzlos. Es ist wohl als Eigenwesen vorhanden, aber es bleibt leer. Es existiert nur in abstrakter Potentialität. Es "mag sich noch so viel zu eigen machen, ihm wächst keine Substanz daraus ... All sein ausgedehntes und vielfältiges Sosein, all seine eifrige 'Individualität' kann ihm zu keiner Substanz verhelfen" (We I, 122). Nur von seinen Objekten her, erst, indem es sich als Eigenwesen zusammensetzt mit dem ebenfalls abstrakt für sich vorhandenen Es, gewinnt es seine Gegenständlichkeit. Anders das Ich des Grundworts Ich-Du, die Person. Sie hat kein von der Beziehung zu anderen Personen unabhängiges Sein und hat dennoch und gerade so teil an einem Sein, das sich nicht in leerem Vorhandensein erschöpft, sondern die absolute Fülle selber ist. "Die Person wird sich ihrer selbst als eines am Sein Teilnehmenden, als eines Mitseienden, und so als eines Seienden bewußt" (We I, 121). Das DuIch oder die Person macht nichts von sich abhängig und ist von nichts abhängig. Es steht in der Wirklichkeit der Begegnung und ist darin erfülltes Wesen. Wo das Du-Ich aus dem Ereignis der Begegnung in die Abgelöstheit zurücktritt, bleibt das Bewußtsein seiner "Selbst", das "Selbstbewußtsein". Buber spricht davon als dem "Goldfaden" (We I, 119), an dem sich die wechselnden Zustände gleichsam aufreihen. Daß dem Ich Subjektivität eignet, meint, daß es in einem seiner Abgelöstheit und seiner Verbundenheit innewird. Bubers Begriff der Subjektivität zielt nicht auf den Gedanken der Individualität des Eigenwesens ab. Das Ichbewußtsein klärt sich nach Buber im Wechsel der Beziehungsereignisse von Mal zu Mal wachsend. Es erscheint zunächst nur als Bewußtsein des gleich-
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bleibenden Partners in der Relation zum Du, "als Erkennbarwerden dessen, das nach dem Du langt und es nicht ist" (We I, 97). Erst indem diese Bindung einmal gesprengt wird, steht das Ich sich selbst gegenüber, vermag von sich Besitz zu ergreifen und "fortan in seiner Bewußtheit in die Beziehungen zu treten" (ebd.). Buber:"auf der Höhe des persönlichen Daseins muß man wahrhaft Ich sagen können, um das Geheimnis des Du in seiner ganzen Wahrheit zu 64 erfahren" . So ist nach Buber auch in der Begegnung das Ichsagen keineswegs ausgeschlossen, aber es gilt:"Wenn der Mensch Ich spricht, meint er eins von beiden. Das Ich, das er meint, dieses ist da, wenn er Ich spricht. Auch wenn er Du oder Es spricht, ist das Ich des einen oder das des andern Grundworts da. Ich sein und Ich sprechen sind eins. Ich sprecherf und eins der Grundworte sprechen sind eins. Wer ein Grundwort spricht, tritt in das Wort ein und steht darin" (We I, 79). Das Eigenwesen läßt Buber sagen:"So bin ich", die Person aber "Ich bin" (We I, 121). Während es für das Individuum vor allem um Erkenntnis des eigenen Soseins geht, steht für die Person ihr So-und-nicht-anders-Sein nicht im Blickpunkt. Kein Mensch ist nach Buber ganz Person oder ganz Eigenwesen. "Jeder lebt im zwiefältigen Ich" (We I, 122) . Es ist im Grunde zweitrangig, ob einer Du oder Es sagt. Denn "vieles gesagte Du (meint) im Grund ein Es" und "vieles gesagte Es meint im Grund ein Du" (We I, 120). Doch macht es einen Unterschied, ob einer vor allem Eigenwesen oder vor allem Person ist. Ob aber das Ich des Eigenmenschen oder das Ich der Beziehung gesprochen wird, ist nach Buber "das wahre Schibboleth der Menschheit" (We I, 122).
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Bemerkenswert ist nun, daß Buber, um das Gesagte zu veranschaulichen, vom Ichsagen Jesu, aber auch vom Ichsagen Sokrates1, Goethes und Napoleons spricht. Von Jesus heißt es:"wie gewaltig bis zur Überwältigung, ist das Ichsagen Jesu, und wie rechtmäßig, bis zur Selbstverständlichkeit! Denn es ist das Ich der unbedingten Beziehung, darin der Mensch sein Du so Vater nennt, daß er selbst nur noch Sohn und nichts andres mehr als Sohn ist. Wann immer er Ich sagt, er kann nur noch das Ich des heiligen Grundworts meinen, das sich ihm ins Unbedingte hob. Rührt ihn je die Abgelöstheit an, die Verbundenheit ist größer; und nur aus ihr redet er zu den andern" (We I, 123). Als ein Ich der Beziehung und damit des Gesprächs - sei es mit den Mitmenschen, sei es mit dem Daimonion - beschreibt Buber auch das Ich des Sokrates. Und am Ich Goethes hebt Buber besonders sein Sein im Umgang mit der Natur hervor. Das Ichsagen beider Männer klingt "schön und rechtmäßig" (We I, 122). Ganz anders das Ichsagen Napoleons. Von ihm wird gesagt, ihm fehle jedes wirkliche Verhältnis zu einem Du. In der Nähe dieses Mannes werde alles seiner Sache dienstbar. Die Dimension des Du bleibe verschlossen. f) Analogische Fundierung Menschsein in der Begegnung ist weiterhin geprägt durch das Merkmal der A n a l o g i z i t ä t , der Entsprechung. Es gehört zu den Grundeinsichten der Dialogik, daß Ansprechen und Anreden immer auf Entgegennahme und Entgegnung aus sind. "Jede Ansprache ist ... Anspruch auf Entsprechung"^^. Indem einer den anderen anredet, behandelt er ihn nicht als Gegenstand. Anreden heißt, sich an den anderen wenden. In der Anrede appelliert einer an die Aktivität seines Gegenüber. Buber sagt: das Wort an den anderen
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will "nicht bei seinem Sprecher bleiben ... Es greift nach einem Hörer aus, es ergreift ihn, ja es macht diesen selber zu einem, wenn auch viel6 i) leicht nur lautlosen Sprecher" . So gründet alles Ansprechen in der Erwartung der Entsprechung. Die Intention auf Entgegnung konstituiert das Ansprechen Wo es um Analogizität als Kennzeichen Buberschen Denkens geht, ist aber zugleich ein weiterer Zusammenhang hervorzuheben. Bubers Bedenken der Du-Dimension steht in einem "theologischen" FundierungsZusammenhang . Das Ur-Du, dem der Mensch begegnen kann, ist das Du Gottes. Darauf geht Buber in einer seiner späten Schriften ein. Im Buch "Gottesfinsternis" (1953) heißt es, daß alle, wenn aller Wahn und Trug zerfällt und sie im einsamsten Dunkel ihm gegenüberstehen, nicht mehr "Er", "Er" sagen, sondern "Du", C Q "Du" seufzen, "Du" schreien . Diese Aussage ist allerdings nicht im Sinne der "christlichen Theologie" zu verstehen. Es gibt für Buber keinen "direkten" Zugang zur Gottesdimension. Das heißt: die Gottesbeziehung ist nicht möglich außerhalb der Sphären der Natur, des Mitmenschen und der "geistigen Wesenheiten", in denen sich die Ich-Du-Beziehung realisiert. Innerhalb eines jeden dieser Bereiche ist die Beziehung aber transeunt zu Gott . Gott läßt sich nicht suchen, denn er ist überall zu finden^. "Wer wahrhaft zur Welt ausgeht, geht zu Gott aus" (We I, 142). Das Gottesverhältnis ist gleichsam nur innerhalb der Beziehungen zum "weltlichen" Du gegenwärtig. "Buber ... ist durchdrungen von der Idee der Allgemeinheit und Allgegenwart des Gottesverhältnisses". "Der Gott der Dialogik offenbart sich ursprünglich ... da, wo ich ihm scheinbar abgewandt bin: wo mir im Gegenüber das Geheimnis eines Dings aufgeht,
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wo mir ein Mensch als er selbst gegenwärtig ist, 71 wo ich im Handeln den Anspruch einer Idee erfülle" Buber entfaltet seine Sicht der Beziehung zum ewigen Du in einem Bild. Mit Hilfe räumlicher Vorstellungen wird das "ewige Du" dabei gleichsam an der Stelle lokalisiert, wo die vom Ich zum Du verlaufenden Linien in ihrer Verlängerung zusammentreffen. Buber sagt:"Die verlängerten Linien der Beziehungen schneiden sich im ewigen Du. Jedes geeinzelte Du ist ein Durchblick zu ihm. Durch jedes geeinzelte Du spricht das Grundwort das ewige an" (We I, 128). Des näheren soll das so zu denken sein, "daß die Beziehungen der Menschen zu ihrem wahren Du, die Radien, die von all den Ichpunkten zur Mitte ausgehen, einen Kreis schaffen" (We I, 156) . Ich halte die Interpretation von M. Theunissen deshalb für zutreffend, der sagt:"Die Menschen, die Einzelnes als Du ansprechen, stehen nicht gradlinig nebeneinander. Sie formieren sich vielmehr zu einem Kreis, der den engeren Kreis derer, die von ihnen angesprochen werden, umschließt. Gott aber steht in der gemeinsamen Mitte dieser Kreise. In ihm treffen sich die verlängerten Beziehungslinien, die sich als Linien vom je einzelnen Ich zum je einzelnen Du ... nicht berühren" 72 Das, was hier über die Analogizität als Kennzeichen Buberschen Denkens zu sagen ist, will richtig verstanden sein. Es gibt bei Buber keine Übertragung von Aussagen, die zunächst für die Beziehung zu einem göttlich Seienden gelten, auf die Beziehung zu weltlich Seiendem. In der Hinwendung zu einem weltlichen Du wiederholt der Mensch nach Buber nicht die Hinwendung, in der er vorab zu einem anderen Seienden, das er Gott nennt, Du sagt. Umgekehrt kann man auch nicht sagen, Buber gehe von der Beziehung zu
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welthaft Seiendem aus und übertrage eine aus der Relation zum einzelnen Du gewonnene Aussage auf 73
die Beziehung zum ewigen Du . So gibt es bei Buber am Anfang und am Ende nur die Beziehung zu weltlich Seiendem. Von Analogizität als Kennzeichen des Buberschen Denkens kann man aber insofern sprechen, als das Seiende, auf das sich die Anrede Du richtet, zugleich nicht das Du ist, als das es angesprochen wird. Das Gegenüber wird nach Buber als Du angesprochen, das in seiner Reinheit und Vollendung Gott ist. Das in der Beziehung zu Seiendem erfahrene Erlebnis des Du ist als Erleb74 nis des r e i n e n Du die Begegnung mit Gott Mit Recht könnte man deshalb behaupten, "daß wir immer dann, wenn wir zu welthaft Seiendem Du sagen, diesem eine göttliche Bestimmung zusprechen. Danach wäre Gott ewiges Du nicht nach Analogie des einzelnen, sondern umgekehrt das einzelne Du nur das Gleichnis des ewigen. In diese Richtung zielt der Satz:'Die Beziehung zum Menschen ist75 das eigentliehe Gleichnis der Beziehung zu Gott'" . So findet im Bereich weltlicher Erfahrung eine Abschattung der "Urbegrenzung" statt. Die menschlichen Ich-Du-Beziehungen sind Gleichnisse für die Gottesbeziehung. Die Gott-Mensch-Beziehung liegt gleichsam "in" der menschlichen Ich-Du-Beziehung. "Der Einzelne entspricht Gott, wenn er, wie Gott seine Schöpfung göttlich, das ihm zugereichte Stück Welt menschlich umfängt. Er verwirklicht das Bild, wenn er soviel er personhaft vermag, zu den ihn umleben76 den Wesen mit seinem Wesen Du sagt" . Die Welt wird als Offenbarungsort Gottes in den Blick genommen. In jeder menschlichen Begegnung erscheint das Du Gottes, in jeder wirklichen Ich-Du-Beziehung offenbart sich das "ewige Du", das als "unendliches Ich" alles zu seinem Du machen kann.
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g) Perspektive des Ich Zuletzt soll hier auf Bubers Beschreibung seines Verständnisses von Menschsein in Begegnung aus einer bestimmten P e r s p e k t i v e hingewie77 sen werden . Diese zeigt sich, wenn Buber von der Konstitution von Ich und Du in der Begegnung spricht. Wohl ruft die Begegnung beide Partner erst ins Sein. Ich und Du kommen mit ihrer Aktion gleichrangig aufeinander zu. In der Begegnung stehen sie sich gleichsam frontal gegenüber und ihre Handlungen greifen gegenläufig ineinander. Und doch wird dies Wechselgeschehen aus der Perspektive des Ich beschrieben: Indem ich agiere, kommt mir die Aktion des anderen von der anderen Seite her entgegen. Ich werde des Geschehens der Begegnung in einer bestimmten Perspektive ansichtig. Buber betrachtet die Beziehung von Ich und Du nicht von einem übergeordneten Standort aus. Er beschreibt die Begegnung aus einer Innenperspektive, die davon herrührt, daß "ich" Begegnung nur aus meiner Sicht erlebe. So wird bei Buber das Begegnungsgeschehen als Auf-mich-Zukommen des anderen und nicht - gleichsam aus der 78 AußenPerspektive - als Auf-mich-Zugehen beschrieben Es geht um die Erhellung unseres eigenen Aktes und nicht darum, uns in die Bewegung des anderen einzufühlen. Ist das nicht auch im Blick auf das in der Begegnung tatsächlich Erlebte zutreffend? Buber sagt:"Wenn wir eines Wegs gehen und einem Menschen begegnen, der uns entgegenkam und auch eines Wegs ging, kennen wir nur unser Stück, nicht das seine, das seine nämlich erleben wir nur in der Begegnung" (We I, 129). Dem anderen begegnen heißt nicht, sich in den fremden Weg des anderen einfühlen. Begegnung ist vielmehr Widerfahrnis des fremden Aktes. Dieses Verständnis von Menschsein in der Begegnung ist durch
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ein Doppeltes geprägt: Die gegenseitige Interaktion kommt nur aus der Perspektive des Ich in den Blick, weil Buber sich methodisch nur an meiner Sichtweise und nicht an der des anderen orientieren will. So gilt: Mein Ich und das des anderen kommen aus der Begegnung her, aber zur Begegnung gibt es einen Zugang nur von je meinem Ich aus. Die Begegnung ist das ontologisch Erste, das Geschehen der Begegnung ist aber nur aus der Innenperspektive des Ich erlebbar. Buber möchte durch seine "Ontologie" die dem "Subjekt-Objekt-Denken" eigentümliche Zentrierung auf das Ich aufbrechen. In der Beschreibung dieser neuen Sichtweise bleibt aber alles auf die Innenper79 spektive des Ich ausgerichtet . Das Gesagte gilt analog auch für das Sein des Menschen in der Beziehung zu Gott. "Von dem vollkommenen Beziehungsvorgang wissen wir ... unser Ausgegangensein, unser Wegstück. Das andere widerfährt uns nur, wir wissen es nicht ... Womit wir uns zu befassen haben, ist nicht die andre, sondern unsere Seite; ist nicht die Gnade, sondern der Wille. Die Gnade geht uns insofern an, als wir zu ihr ausgehen und ihrer Gegenwart harren; unser Gegenstand ist sie nicht. Das Du tritt mir gegenüber. Aber ich trete in die unmittelbare Beziehung zu ihm" (We I, 129). Auch dieses Verhältnis kommt also nicht aus einer übergreifenden oder gar aus der Sicht Gottes, sondern nur aus der Sicht des Menschen in den Blick. Dialogisches Denken geht aus von dem Ich und seiner konkreten Situation. Nicht die Konkretheit der Perspektive des Ich ist aufzugeben, wohl aber jeder falsche Selbstbehauptungstrieb.
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Im folgenden wende ich mich der Grundstruktur der dialogischen Anthropologie Karl Barths zu und untersuche zunächst die projektionale Konzeption von Menschsein bei Barth und dann sein Verständnis von Menschsein in der Begegnung.
3. Projektionale Konzeption von Menschsein bei Barth Gleichsam als Folie, von der Barth seine eigene Position ständig abhebt, kann man die "projektionale Konzeption von Menschsein" bezeichnen. Bei dieser steht der Mensch zu allem, was ihn umgibt, in einem "dinglichen" Verhältnis (322) . Der Mensch erscheint umgeben von Gegenständen, die durch das Verhältnis zu ihm definiert werden. Er kann darüber verfügen. So ist dann Menschsein charakterisiert durch den Trieb, "mich selbst zu erhalten, ... etwas mit mir anzufangen, mich selbst zu entfalten, auf die Probe zu stellen, zu üben und zu bewähren". Und weiter: "ich muß und will mich in aller Entfaltung und Betätigung nach außen um jeden Preis selber behaupten und durchsetzen, mich also nicht zerstreuen und verlieren, sondern im Gegenteil, indem ich mich ausbreite, auch sammeln, indem ich mich hingebe, auch gewinnen; ich muß und will 'Persönlichkeit' bekommen und werden". Es gilt auch:"ich möchte und will leben, mich ausleben ...; ich möchte und will genießen, arbeiten, spielen, gestalten, besitzen, Macht erwerben und ausüben". Bei einem Selbstverständnis dieser Art "bin und bleibe ich selbst ganz allein" (274f). Dieses dingliche Verhältnis des Menschen zu Weltlichem und Göttlichem ist nach Barth keineswegs von vornherein zu verurteilen oder zu diskriminieren. Dies Verhältnis von Humanität ist nach Barth vorausgesetzt, daß man das christliche Urteil in dieser Sache einmal ausklammert - das eigentlich Selbstverständliche.
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Barth unterscheidet vier Dimensionen, in die hinein der Mensch sich selbst projiziert. Er nennt zuerst die Erweiterung des Ich in Richtung auf den Mitmenschen. Sie geschieht mit der "Frage, ob der und der mir wichtig oder gleichgültig ist, ob er mich anzieht oder abstößt, ob er mir hilft und dient oder ob er mich stört und schädigt, ob er mir überlegen ist oder ob ich ihm gewachsen und wohl meinerseits überlegen bin" (275). Er unterscheidet sodann terminologisch die Projektion in den "materiellen" von der in den "geistigen Kosmos", das heißt er unterscheidet zweitens das projektionale Verhältnis zu "den Gütern der Erde" von drittens dem entsprechenden Verhältnis zu "der Fülle des menschlichen Wissens und Könnens", "der Fortentwicklung der menschlichen Technik und Kunst und Lebensorganisation" (ebd.). Daneben stellt er viertens die Selbsterweiterung des Menschen bezüglich der "Herausbildung eines Verhältnisses zu dem, was in der Bibel der 'Himmel', sonst aber 'Gott1, die 'Götter' oder das 'Göttliche' genannt wird: die Herausstellung einer positiven oder negativen, gläubigen oder skeptischen, originellen oder konventionellen Beziehung zu den letzten Grenzen, zum Geheimnis des Lebens, zu dem Unbegreiflichen, das allem unserem Begreifen immer wieder gegenüberstehen wird" (ebd.). Dieses Verständnis von Menschsein setzt sich also zusammen aus den "mächtigen Projektionen des 'Ich bin' nach außen, in die Zeit und in den Raum" (ebd.). Es kann unter Umständen "einen gewaltigen Radius haben". Das projektionale Verständnis von Menschsein geht nach Barth davon aus, daß i c h b i n . "Wer dächte ... bei dem Worte 'Mensch' nicht alsbald und im Grunde auch definitiv an dasjenige in seiner Tiefe und Eigentlichkeit für sich seiende Wesen, das er im anderen seines-
- 97 gleichen allenfalls von ferne wiederzuerkennen meint, das er aber direkt und unmittelbar nur in sich selbst zu erkennen vermag, das er jedenfalls zuerst und zuletzt immer in sich selbst erkennen wird" (274). "'Ich bin' - das ist die gewaltige Setzung, in der wir alle begriffen sind und von der wir alle überzeugt sind, daß ihr an Wichtigkeit und Dringlichkeit keine andere gleich kommt: die Setzung unseres Selbst, in der wir uns durch niemand ersetzen, die wir uns aber auch von niemandem verwehren lassen können" (ebd.). Der Mensch wird nach dieser Konzeption wesentlich autistisch und solipsistisch gedacht. Er ist das "in seiner Tiefe und Eigentlichkeit für sich seiende Wesen" (ebd.). Menschsein besteht nach diesem Ansatz darin, daß der Mensch letztlich einsam ist und also weder vom anderen her noch zum anderen Menschen hin. Der Mensch wird ohne ein Gegenüber gedacht. Er existiert weder in Beziehung zur Welt, zum anderen noch zu Gott. Der Mensch "setzt sich selbst". Er lebt in einer Art selbstreflexen Beziehung zu sich selbst. Wohl rechnet der Mensch den Mitmenschen und das, was er Gott nennt und auch die nicht-menschliche Kreatur in seinen Lebensraum ein, aber es kommt zu keiner Begegnung. Wohl ahnt er die soziale, die religiöse und die kosmische Dimension seines Seins, aber er bleibt doch in der Tiefe und Eigentlichkeit seines Seins selbstbezogen und für sich. Er kann den Radius seines Seins gewaltig erweitern, aber er wird von sich aus weder Gott, noch dem Mitmenschen, noch der Welt begegnen. Er kann sich ihrer immer nur bemächtigen. In Wirklichkeit bleibt er nur bei sich selbst und muß sich mit seinem Für-sichSein begnügen. Die Grundbefindlichkeit ist in diesem Modell das Für-sich-Sein, und aus dieser Selbstbezogenheit kann sich der Mensch nicht befreien. Wohl kann er Gott, den Mitmenschen, die Welt in sein Sein einbeziehen, aber er kann dazu nicht in eine Beziehung treten,
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in jeder Dimension wird er immer nur sein Selbst projizieren. Diesen Versuch des Menschen, "Persönlichkeit" zu gewinnen, vergleicht Barth jedoch mit den Eruptionen eines (leeren) Kraters (275, 294) . Doch diese Humanität, die "aus ihrem Widerspruch gegen das Du heraus in immer neuem Gegensatz zum Du sich entfaltet" kann gerade darum "nie echte Ichhaftigkeit besitzen" (265). Es geht nach Barth nicht an, diesen Autismus und Solipsismus nur moralisch - etwa als Selbstsucht und Eigenliebe - zu schmähen. Die Problematik liegt darin, daß dieser Entwurf von Humanität das Sein des Menschen in wirklicher Beziehung im Ansatz erstickt. "Begegnung" ereignet sich nur in verstümmelter Form, bei der "die vielerlei Gestalten des Mitmenschen letztlich Elemente unseres eigenen Mythus, unserer eigenen Historie sind, nicht gefunden, sondern von uns selbst erfunden und kostümiert und im Grunde so redend, wie wir es ihm in den Mund legen" (275). In ihrer Andersheit aber, in ihrer Unterschiedenheit von sich selbst, kann der Mensch sich nicht auf sie beziehen. So bleibt er bei sich selbst. In diesem Modell von Menschsein ist auch der Kosmos nur ein Bereich der Selbstprojektion des Ich. Die angebliche Beziehung ist nur eine Täuschung. Die Initiative des Ich geht auch in dieser Dimension auf Besitzergreifung und Verfügung aus. Das Ich will sich "ausgeben im materiellen, aber auch im geistigen Kosmos", es will seinen "Anteil haben an den Gütern der Erde, an der Fülle des menschlichen Wissens und Könnens, an der Fortentwicklung der menschlichen Technik und Kunst und Lebensorganisation" (275). Die vermeintliche Relation zur Welt ist eine Ableitung der allzu mächtigen Selbstbezogenheit des Menschen. Jedes wirkliche In-Beziehung-Sein wird verunmöglicht durch die alles bestimmende reflexe
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Bezogenheit des Menschen auf sich selbst. - In der religiösen Dimension kommt es zu einer anderen Projektion des menschlichen Selbstverständnisses. Dabei spielt es nach Barth keine Rolle, ob einer die religiöse Dimension in einer positiven oder negativen, gläubigen oder skeptischen usw. Weise einbezieht und aufnimmt. Das vermeintliche Verhältnis zu "Gott", den "Göttern" oder dem "Göttlichen" bleibt nur Konstrukt, expliziert nur die eigene Selbstauffassung. So wird der Mensch an seinem Ort und in seinen Grenzen - "und wer weiß, wo diese Grenzen liegen?" (275) - "der souveräne Architekt, Dirigent, General, Diktator des Ganzen" (276) . Die autistische und egotistische Konzeption der Humanität läßt den Menschen zuerst und zuletzt ganz allein. Barth nennt diesen Entwurf von Menschsein die Konzeption "einer H u m a n i t ä t ohne den M i t m e n s c h e n " (274). Es ist der Entwurf einer "Humanität, in welcher der Mitmensch keine konstitutive Funktion hat" (276). In der autistischen und egotistischen Konzeption ist das Ich des einzelnen Quellpunkt seines projektionalen Selbstverständnisses. Das Individuum weiß sich als Mittelpunkt der Welt. Es fühlt sich dem Kosmos, Gott und seinem Mitmenschen gegenüber frei. Alles wird zur Projektion seiner Fragen, Bedürfnisse, Wünsche, Abneigungen, Fähigkeiten und Anliegen. Das Verhalten des Menschen geht in diesem Modell aus von und wird zurückbezogen auf den einzelnen, auf die Interessen seines Ich. Diesem Ich gegenüber wird alles andere dinglich. Den Satz "Ich bin" bezeichnet Barth als "Axiom" dieses Denkens (291). Das Mittelpunktbewußtsein dieses Ich entspricht aber nicht seiner Wirklichkeit, es ist nur eine Fiktion. Der ich-zentrierte Mensch ist der Mensch, der seine
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Wirklichkeit verfehlt. Im wirklichen Leben ist diese Position nie "rein" anzutreffen. Dies wird bei Barth so formuliert: Es kann sein, daß "der Mitmensch in seiner Andersheit und Eigenheit oft kräftiger, hartnäckiger, interessanter auf dem Plane (ist) als es zu diesem Aufriß passen will" (276). So kann einer, der den anderen für seine Ziele einsetzen will, nicht an dessen Anlage auf Beziehung vorbeigehen. Er wird dann allerdings nur deswegen "beim andern" sein, um noch mehr bei "sich selbst" sein zu können. Aber auch echtes Sein in Beziehung kann jederzeit in den Versuch umschlagen, sich auf den anderen hin zu projizieren. Das projektionale Verständnis von Menschsein kann nach Barth kein Bestandteil theologischer Anthropologie sein 80
Diese Sichtweise, die Barth an Nietzsche exemplifiziert, kommt nur polemisch in den Blick und wird ausgeschieden. Sie ist die "Humanität ohne und gegen oder mit einem nur beiläufig zu berücksichtigenden Mitmenschen" (274). Die theologische Anthropologie darf "gerade nach dieser nächstliegenden Möglichkeit nicht greifen", sondern muß "sich gerade ihr gegenüber a l i m i n e distanzieren" (276). 4. Sein des Menschen in der Begegnung bei Barth Im folgenden untersuche ich Barths Verständnis von Menschsein in der Begegnung. Dabei wird die Barthsche Textvorlage systematisierend durchgemustert, und es wird versucht, sie von den in der Einleitung genannten kategorialen Merkmalen dialogischen Seins her zu erschließen. Dies sind die Kennzeichen: Relationalität, Dualität, Interaktionalität, Verbalität, Subjektivität, Analogizität und Perspektivität.
- 101 Relationalität als conditio sine qua non Menschsein wird nach Barth als Sein in Beziehung zum mitmenschlichen Gegenüber gedacht. Definitorischen Charakter hat der Satz:"Wir nennen die Humanität ein Z u s a m m e n s e i n des Menschen mit dem anderen Menschen" (291). Und ähnlich:"Mensch lichkeit ist in ihrer Grundform Mitmenschlichkeit" (344). Das Wesen des Menschen beschreiben heißt, sein Sein in dieser Beziehung beschreiben. Der Mensch steht in einem Verhältnis, und sein Sein stellt eine Beziehung dar. Der Mensch ist nicht in sich, er ist wesentlich aus auf das mitmenschliche 81 Gegenüber . Der Einsatz bei einem Menschen an sich ist illegitim, denn der Mensch ist nicht isoliert, er ist nicht einsam. 8"Ein isolierter Mensch für 2 sich ist kein Mensch"" . Der in sich ruhende, der be ziehungslose Mensch ist ein Unmensch. In der Isolation verfehlt sich der Mensch, in der Vereinzelung verkehrt er sein Wesen. Der Mensch ist nach Barth immer " v o n einem Anderen h e r " und "zu einem Anderen h i n " (274). Diese Formulierung ist typisch für den Barthschen Sprachgebrauch. Unangemessen erscheint ihm jede Konzeption, nach der der Mensch nur für sich ist. Eine Interpretation des Menschen, die auf dessen Fürsichsein und Einsamkeit hinausläuft, wird als Illusion bezeichnet (293). Zur Kennzeichnung des Wesens des Menschen werden von Barth dynamische und nicht statische Begriffe verwendet. Abgewiesen wird jeder Versuch, den Menschen wesenhaft und ursprünglich als Indivi83 duum oder Persönlichkeit zu denken ."Wirkliches" Menschsein - und Barth sagt in verwandelnder Aufnahme der Terminologie des abgewiesenen Ansatzes das "wirkliche Ich" steht in einer echten Beziehung zum anderen. Dieses Ich ist nicht einsam, es ist
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nicht für sich, es genügt sich nicht selbst. Es ist "nicht rein und absolut", "nicht leer", "nicht Abgrund" (294). Das Ich steht immer in einem Gegenüber. Es steht immer in der Beziehung zu einem anderen. Es ist nur Ich, indem es mit dem anderen zusammen ist. Indem das Ich ist, ist auch das menschliche Gegenüber. Das Ich ist immer bestimmt durch den Bezug zum Mitmenschen. Es ist immer Pol in einer Relation. Wenn einer Ich sagt - auf die sprachlichen Implikationen des Ichsagens ist unten einzugehen -, tritt er aber nicht nur in eine B e z i e h u n g : er vollzieht auch eine U n t e r s c h e i d u n g . Ichsagen unterscheidet unaufhebbar zwischen Ich und Du. Mensch und Mitmensch sind verschieden. Das Du ist für das Ich immer der oder die andere, Neue, Frem84 de . Ich bleibt Ich und Du bleibt Du. Das Ich wird nicht Du und das Du wird nicht Ich. Das Sein des einen und das Sein des anderen hat seine je "eigene Geltung, Würde, Selbstgewißheit" (297). Im Ichsagen wird festgehalten, "daß die Begrenzung zwischen Ich und Du nicht Zufall, nicht Willkür ist, daß sie dem Begriff des Menschen nicht beiläufig, sondern wesentlich eigentümlich ist" (ebd.). Trotz der Verschiedenheit von Ich und Du ist der eine auf den anderen bezogen. "Indem ich mich von diesem anderen unterscheide, setze ich voraus, bejahe und vollziehe ich, soviel an mir liegt, auch die Beziehung zu ihm" (292) . Gesetz des Duals Wird Humanität so als Miteinander- und Zusammensein verstanden, so gilt es jetzt aufzuzeigen, daß Menschlichkeit nach Barth aber auch in ganz genauem Sinn das Sein des e i n e n mit dem a n d e r e n meint. Das Miteinander von Mensch und Mitmensch ist quantitativ bestimmbar. Es meint nicht das Zusammen-
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sein einer Vielzahl von Menschen. Humanität als das "Zusammensein mit dem anderen Menschen" ist in einem konkreten Sinn das "Zusammensein d e s Menschen mit d e m anderen Menschen" (291). Es zielt auf das Gegenüber in einer bestimmten Anzahl, auf das Zusammensein zu zweit. Nicht indem der Mensch "für sich, sondern indem er mit dem anderen Menschen zusammen ist, nicht in der Einsamkeit, sondern in der Zweisamkeit ist er konkret menschlich" (290). Menschsein ist nach Barth wesentlich d u a l e s Miteinander. Durch Dualität, durch seinsmäßige Zweiheit, ist das Menschsein ausgezeichnet. Der Dualis des Miteinander ist nach Barth nicht beliebig, sondern im dualen Zusammensein finden wir "die G r u n d form der Humanität" (291). Die besondere Bestimmtheit des menschlichen Seins, seine Art, seine Eigentümlichkeit besteht in der Dualität, in dem Sein des einen mit dem anderen. Die duale Grundform des menschlichen Seins wird nach Barth anschaulich am " A u g e n b l i c k " zwischen zwei Menschen. Es sind immer nur zwei Menschen, die füreinander offensein, die sich gegenseitig in die Augen sehen können. Deshalb wird Humanität immer "nur in der Zweisamkeit, wortwörtlich Auge in Auge ... geschehen können" (301). Daß der Mensch relational konstituiert ist, heißt nach Barth also, daß das Sein des Menschen ein Sein in der Z w e i s a m k e i t ist. Wer übersieht, daß das relationale Sein des Menschen auf die Beziehung zu einem einzelnen anderen zielt, der "tappt" hinsichtlich des Begriffs des Menschlichen "im Dunkeln". Die Bestimmtheit des menschlichen Seins als Zusammensein mit dem anderen nennt Barth auch die "Plurali85 tät"
des Menschseins. Dieser
P l u r a l
verlangt
aber immer "den Singularis auf der einen wie auf der
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anderen Seite" (291). So kann Barth formulieren: "Es ist der Singularis - nicht für sich, aber in dieser Doppeltheit, es ist also der Dualis die Voraussetzung, ohne die es Humanität im Pluralis nimmermehr geben könnte" (ebd.). Die Formulierung zeigt, wie Barth versucht, mit seiner Definition von Humanität geschickt zwischen den Klippen von Scylla und Charybdis, das heißt zwischen den Abwegen eines abstrakten Individualismus und Kollektivismus hindurchzukommen. Gegen das individuelle Menschenverständnis sagt er:"Humanität ist nicht in der Einsamkeit" (ebd.). Gegen allen Kollektivismus richtet sich die Formulierung: Die christliche Botschaft "ist der 86
unerbittliche Protest gegen ... den Massenmenschen" Humanität soll diesen traditionellen Gegensatz übergreifen: "sie zielt und auf Q η ... auf den Einzelnen die Gemeinschaft" . Das christliche Menschenverständnis stellt so den Dualismus von Individualismus und Kollektivismus in Frage. Humanität soll meinen: "den Einzelnen im konkreten Gegenüber zum anderen Einzelnen" und "die Gemeinschaft ... in der gegen88 seitigen und beiderseitigen freien Verantwortung" Darum gilt:"wo Einer mit Vielen oder Viele mit Einem oder Viele mit Vielen zusammen sind, hängt die Humanität des Vorgangs daran, daß in Wahrheit, eben in der Grundform solchen Geschehens, je einer und einer zusammen sind" (291). Von Barth wird hier wie alle Einsamkeit ausgeschlossen, so auch alle Gemeinschaft auf den beiderseitigen Singularis reduziert: Voraussetzung der Humanität im Pluralis ist der Dualis, und das heißt der doppelseitige Singularis. Hat Barth hier aber wirklich den traditionellen Gegensatz: Individualismus - Kollektivismus überwunden, oder hat er ihn mit seinem dualen Verständnis von Menschsein nicht nur verdrängt und statt dessen die Dualität
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zum abstrakten Prinzip des Menschseins erhoben? Die Dualität des menschlichen Seins koinzidiert nach Barth mit seiner "geschlechtliche(n) Differenzierung als M a n n und F r a u . Humanität besteht in Sonderheit in einem besonderen Miteinander, "nämlich 90 in dem von Mann und Frau" . Das Miteinander des Men 91 sehen als Mann und Frau ist Urbild und "Paradigma" des Zusammenseins des Menschen überhaupt, des einen mit dem anderen Partner. Sein geschöpfliches Sein ist Zusammensein des einen mit dem anderen und insofern dem Zusammensein von Mann und Frau ähnlich. Auf die herausragende Bedeutung des Verhältnisses von Mann und Frau weist auch, 92 daß es im Leitsatz des Paragraphen 45 genannt wird . Das Geschlechtsverhältnis ist das "streng Natürliche" und "Kreatürliche". Es ist die Urgestalt des geschöpfliehen Seins und 93 "das Humane" schlechthin . Ihm kommt eine ganz besondere Würde zu, denn der Mensch i s t , indem er Mann oder Frau ist. Der Mensch ist nur darin Mensch, "daß er Mann ist im Verhältnis zur Frau und 94 Frau im Verhältnis zum Mann" . Alle sonstige Beziehung zwischen den Menschen soll sich nach Barth demgegenüber, daß sie Mann und Frau sind, immer wieder als sekundär erweisen. Barth findet die "geradezu definitionsmäßig(e) Erklärung", daß das Wesen des Menschen in dem Gegenüber von Mann und Frau zu finden ist: Gen 1,27. Der Text soll besagen, daß das Wesen des Menschen in der "Beziehung zwischen Mensch und Mensch" nicht nur, sondern "schlicht und gerade95 zu in seiner Existenz als Mann und Frau" besteht In der Berufung auf Kohlbrügge, der den Menschen in der Auslegung von Gen 1,27f als Ehepaar begreifen will, und im Anschluß an Bonhoeffer scheidet Barth in der Exegese der genannten Stelle das frühere
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Verständnis des Wesens des Menschen als Anlage, Fähigkeit, Struktur, Seinsbeschaffenheit usw. aus. Er betont vielmehr:"das eigentlich und unterscheidend Menschliche" hat der Mensch "nicht in sich". Es hat Gott gefallen, "den Menschen in dieser Lebensform zum ... Zeugen seiner eigenen Lebensform zu machen"96 Humanität ist nach Barth da auf dem Plan, wo "je der eine konkrete Mensch für den anderen konkreten Menschen ... sichtbar wird" (301). Dies duale Verständnis von Menschsein führt zu deutlichen A b g r e n z u n g e n . Das gruppenmäßige Dasein, Denken und Reden ist als solches für den anderen Menschen verschlossen und blind. Nur wo die gruppenmäßige Ausrichtung auf der einen oder auf der anderen Seite durchbrochen wird, verwirklicht sich Humanität. Als Fehlform der Organisation des menschlichen Zusammenlebens bezeichnet Barth jede Bürokratie. Bürokratie ist die Form des Zusammenlebens, in der "die Menschen selbst - die Behandelnden und die Behandelten - sich gegenseitig unsichtbar werden" (302). Bürokratie erscheint als das Zusammensein von "Blinden mit solchen, die von diesen als Blinde behandelt werden" (ebd.). Damit wird das mitmenschliche Gegenüber "um der Einfachheit einer allgemeinen Betrachtung und eines allgemeinen Verfahrens willen umgangen" (ebd.). Wo das Zusammenleben der Menschen bürokratisch organisiert wird, ist die Grundform der Humanität zerstört. Zwar waltet nach Barth nicht in jedem Büro "Bürokratie", sondern er versucht, zwischen dem "Bü97 rokraten" und dem "Bürolisten" zu unterscheiden Aber jedes Büro steht hart an der Grenze zur Inhumanität . Barth wendet sich gegen das individuell-ideologische wie gegen das gesellschaftlich-ideologische Verständ-
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nis des Menschen. Seine duale Schau von Humanität soll auf eine gefährliche Grenze aller Politik und allen Sozialismus, aller Fürsorge und Wohltätigkeit, aller Lehre und Erziehung hinweisen. "Wo Einer eine Gruppe ... zu sehen und zu erkennen meint, da ist mindestens Zweideutigkeit schon im Anzug" (301). Psychologie, Pädagogik, Soziologie und andere Wissenschaften werden unter dem Gesichtspunkt relativiert, daß sie nicht den einzelnen anderen, nicht das einzelne Kind usw. zum Gegenüber erheben. Die von ihnen anvisierte Allgemeinaussage kann die geforderte über das Sein in dualen Relationen nicht ersetzen. Wenn so für Barth jede die duale Beziehung übergreifende gesellschaftlich ausgerichtete Sichtweise des Menschen von vornherein zweideutig wird, erhebt sich die Frage, ob sein Humanitätsverständnis nicht einen ganzen weiten Bereich der Wirklichkeit des Menschseins verdeckt?
c) Intention auf Gegenseitigkeit Barths Verständnis von Sein in der Begegnung kann man des weiteren näher erläutern, indem man sagt: Sein in der Begegnung erfordert die wechselseitige I n t e r a k t i o n . Sein in der Begegnung meint Gegenseitigkeit. Barth formuliert: Zur Humanität jedes Menschen "gehört notwendig die Reziprozität: daß der Mitmensch für ihn ist wie er für den Mitmenschen" (291) und: "hier geht alles auf Gegensei98 tigkeit" . Das Sein des einen ist nicht zu begreifen unter Absehung vom Sein des anderen. Zur Begegnung "gehört ein gegenseitiges Sichbetrachten" und auch ein "gegenseitiges Sichberühren" (303). Zur Begegnung gehört "gegenseitige Aussprache und gegenseitiges Vernehmen von Aussprache, gegenseitige Ansprache und gegenseitiges Vernehmen von Ansprache"
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(ebd.), daß also "die Aussprache und die Ansprache zwischen Ich und Du eine g e g e n s e i t i g e ist" (310). Zur Begegnung gehört ein "Sichüberschneiden des beiderseitigen Seins und also Handelns" (303), daß also Ich und Du einander "gegenseitig Beistand leisten"99. Menschsein in Beziehung zum anderen meint kein "Subjekt-Objekt-Verhältnis". Es gibt hier nicht die Trennung von handelndem Subjekt und behandeltem Objekt. Das Ich-Du-Verhältnis ist keine Verbindung von Ungleichen. In der Ich-Du-Beziehung sind beide Partner zusammen in Aktion. Nach Barth gilt: indem ich Ich sage, unterscheide ich mich "mit diesem Wort von einem Anderen, das nicht Ich ist, aber auch nicht Es, nicht irgend ein Gegenstand" (292) . Sondern: es geht um ein Verhältnis zum anderen, "der meine Ankündigung 'Ich' entgegennehmen, sie würdigen und verstehen kann, weil er sich mir in derselben Weise anzukündigen in der Lage ist" (ebd.). Wenn ich mich also als Ich ankündige, enthält mein Wort die "Erwartung, daß das andere Wesen, dem ich mich so ankündige, mir Gegenrecht halten, mich ebenfalls als 'Etwas wie Ich' behandeln, bezeichnen und auszeichnen werde" (ebd.). "Ich bin" heißt, daß "ich gar nicht 'Ich' sagen kann, ohne eben damit 'Du1 zu sagen, ohne für dieses 'Du' wieder Du zu sein und erst damit bestätigt zu bekommen, daß ich Ich bin" (293) . "Ich bin" heißt: ich bin "in der Unterscheidung und Beziehung zu dem Anderen, das eben damit, daß ich Ich bin, Du, mein Du ist, und für das ich wieder Du bin, um allein so, von ihm, von seinem Sein her, die Bestätigung zu empfangen, daß es auch mit meinem Sein, mit dem 'Ich bin' seine Richtigkeit hat" (294).
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So heißt Sein in Interaktion:"ich stoße, indem ich mich selbst setze, sofort - ich wäre nicht Ich, wenn es anders wäre - auf die Tatsache, daß ein ganz entsprechendes Sichselbstsetzen, ein ganz entsprechendes Sein auch von dem her stattfindet, den ich, indem ich mich als Ich denke und ankündige, als Du ansehen und behandeln muß". "Was ich bin und als mich selbst setze, das bin und setze ich also im Verhältnis zu seinem Sein und Setzen" (ebd.). In der Begegnung kommen zwei Menschen gleichsam wie zwei Wanderer auf einem engen Weg aufeinander zu. "Mit dieser seiner Selbstsetzung ... kommt das Du (denn das ist er ja, indem ich im Verhältnis zu ihm Ich bin!) mir e n t g e g e n , und zwar so entgegen, daß ich ihm nicht ausweichen kann, in meinem e i g e nen Raum, der ... nicht nur mein, sondern auch sein Raum ist" (ebd.). In der Begegnung kommt es zu einem Hinüber und Herüber von der einen zur anderen Seite. Begegnung meint nicht ein richtungsgleiches Miteinander, sondern der eine Mensch stößt auf den anderen, das Du kommt dem Ich " e n t g e g e n " (ebd.). Barth beschreibt Begegnung als das frontale Zusammentreffen von Partnern, die in der Bewegung aufeinander zukommen. Dabei greifen die Akte der Beteiligten gleichsam gegenläufig ineinander. In Frage und Antwort, in Rede und Wechselrede kommt es zur Verschränkung der Existenz von Ich und Du. Begegnung meint also kein statisches Sich-Entgegenstehen, sondern ein dynamisches Wechselverhältnis. Interaktionalität als Kennzeichen von Sein in der Begegnung heißt, daß der eine und der andere nur sind, indem sie in ihrem Handeln je durch das Gegenüber in Anspruch genommen sind. So gilt ein Doppeltes: Auf der einen Seite muß Barth sagen:"das Sein und Setzen
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von diesem Du her geht mich an" (ebd.) und auf der anderen Seite:"Indem ich selbst bin, mich selbst setze, gehe ich den Anderen ebenso an, wie er mit seinem Sein und Setzen mich angeht". "Ich bin seine Begegnung, wie er die meinige ist"^ftc£ im "qualifizierten Sinn des Begriffs". Und zweitens sagt er damit: er lebe "ganz allein von dem, was Gott mit ihm redet". Er sagt, daß er als Mensch "nicht darauf angewiesen sei, Brot zu haben". Dieser Text ist darum nicht so auszulegen, daß Jesus "zwar auch des Brotes, aber doch nicht nur des Brotes bedürfe". Sondern: Daß er ist und erhalten bleibt, das schafft vielmehr allein das Reden Gottes. Allein das allmächtige Wort Gottes verschafft ihm Leben. Barth räumt wohl ein, daß Jesus ja nicht im-
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mer gehungert, sondern auch gegessen und getrunken hat. Konstitutiv für sein Sein ist aber, daß er als Mensch lebte "in der Kraft der ihm durch Gottes Wort zugewendeten Fürsorge". Barth redet von der ewigen Konstitution des Menschen Jesus, wenn er sagt:"Er ist, indem er im Worte Gottes ist"118. ee) Nach Barth ist weiterhin der Mensch Jesus Subjekt und existiert in der Beziehung zu Gott selbständig. Es kann deshalb "nicht in Frage kommen, daß Jesus bloß eine Art Hohlraum wäre, bloß der Ort, wo ein Anderer, Fremder, Gott, sein Wesen hat und sein Werk treibt. Wenn es heißt, daß der Vater den Sohn liebt, . . . , so ist er schon damit mindestens als ein von diesem liebenden Subjekt verschiedenes Objekt bezeichnet. Und daß dieses Objekt selber Subjekt ist und als solches selbständig existiert, geht daraus hervor, daß auch der Sohn den Vater liebt" (74 f). Es werden von Barth auch die Stellen im Johannes-Evangelium aufgenommen, die von der Bedeutung des Willens Jesu für sein Tun reden. Das Leiden Jesu, der Einsatz seines Lebens ist seine eigene freie Absicht und Tat:"Niemand nimmt es (sc. das Leben, der Verfasser) von mir, sondern ich setze es von mir aus ein und habe die Macht, es wieder zu nehmen" (Joh 10, 18). Zugleich gilt: Die Subjektivität Jesu besteht noch nicht darin, daß er willentlich leidet und stirbt, sondern darin, daß er als H e i l a n d den Tod erleidet"!1 9 . Die Subjektivität Jesu besteht gerade darin, daß er in dem allen als Sohn G o t t e s handelt. Die neutestamentlichen Zeugen haben erkannt:"Er handelt in G o t t e s und e b e n damit und s o in seiner e i g e n e n Sache" (72). In dem Werk des Menschen Jesus geschieht zugleich Gottes Werk. ff) Das Sein des Menschen Jesus in der Beziehung zu Gott ist a n a l o g e s Sein. Das zeigt sich darin, daß diese Relation von Barth in Entsprechung zum innertrinitarischen Sein Gottes gedacht ist. Der Bund Gottes mit dem Menschen Jesus entspricht einer Beziehung, die Gott selber als Gott nicht fremd, sondern natürlich ist. "Gott w i e d e r h o l t nämlich in dieser Beziehung nach außen eine Beziehung, die ihm selbst in seinem inneren göttlichen Wesen eigentümlich ist. Gott schafft, indem er in diese Beziehung tritt, ein N a c h b i l d seiner s e l b s t " . Barth entwickelt sein Verständnis von Menschsein in Begegnung, indem er ausgeht von dem immanenten trinitarischen Sein Gottes. Als der Dreieinige ist Gott in Beziehung. Diese innertrinitarische Relation ist das U r b i l d , das alle anderen Relationen widerspiegelt121. Als das Urbild aller anderen Relationen ist die innertrinitarische relatio zugleich der Grund, dem sich alle anderen in ihrer Abbildlichkeit verdanken122. Daß Gott den Menschen Jesus erwählt, heißt:Er setzt sich in eine Be-
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Ziehung zu ihm. Es handelt sich dabei um eine analoge Beziehung, weil die Erwählung Jesu Christi ihren Grund in nichts anderem hat als in dem Wesen des innertrinitarischen In-Beziehung-Seins: der Liebe^23. "Weil Gott in derselben Liebe, in der er in sich selbst ist, den Menschen Jesus erwählt, darum ist die Beziehung zwischen dem erwählenden Gott und dem erwählten Menschen analog der Beziehung im Sein Gottes"124. gg) Ein weiteres Merkmal des Barthschen Entwurfs von Menschsein besteht darin, daß auch das Sein des Menschen Jesus im Gegenüber zum Vater aus einer bestimmten P e r s p e k t i v e gesehen wird. Der Mensch Jesus ist wohl irdisches, kosmisches Geschöpf, aber er ist das nur auf Grund seiner besonderen Zugehörigkeit zu Gott. Dieser Gesichtspunkt ist oben schon angesprochen, bedarf aber noch der eigenen Betonung. Bei Barth gilt auch für die Beziehung des Menschen Jesus zu Gott, daß man, wenn man Jesus als Gottes Geschöpf verstehen will, ihn "von oben, von Gott her" betrachten muß. Diese Perspektive ist durch die "Selbstoffenbarung" Gottes eröffnet. Nach Barth ist alles, was die Existenz des Menschen Jesus ausmacht, von seinem ewigen Sein bei Gott her in den Blick zu nehmen. In diesem Sinne wird auch hier ein Verhältnis von Vorund Nachordnung in Anschlag gebracht. Die Fleischwerdung des Menschen Jesus wird "begründet" gedacht in einem freien Handeln Gottes. Wenn gilt, daß das Menschsein Jesu sich in der Beziehung zu Gott ereignet, so ist nach Barth zu betonen, daß diese Beziehung eine durch Gottes Freiheit und Liebe gesetzte Beziehung ist. Auch das Gegenüber von irdischem Jesus und Gott soll allein durch die analogische "Begründung" und das heißt durch die betont perspektivische Sicht dieser Relation unzerstörbar und unaufhebbar sein. Erst von Gott her wird so der Blick frei für das, was das Menschsein Jesu konstituiert.
5. Analoger Gebrauch der Begriffe Geschichte und Begegnung Im Blick auf Barths Darstellung der Beziehung von Gott und Mensch in der "Kirchlichen Dogmatik" fällt auf, daß diese Relation häufiger mit dem Terminus "Geschichte" als mit den 125 Begriffen "Begegnung" oder "Dialog" beschrieben wird . Im Leitsatz zum Paragraphen 44 "Der Mensch als Gottes Geschöpf" (64 ff) steht dieser Begriff an zentraler Stelle: "Das Sein des Menschen ist die
G e s c h i c h t e
, in
welcher eines von Gottes Geschöpfen, von Gott erwählt und aufgerufen, in seiner Selbstverantwortung vor ihm begrif-
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fen ist und in welcher es sich dazu als befähigt er126 weist" . Da des Menschen Sein in der zwischenmenschlichen Begegnung in Analogie steht zu der Beziehung von Gott und Mensch, ist zwar zu vermuten, daß Barth die Begriffe Geschichte und Begegnung analog verwendet, hier ist jedoch eine eigene Untersuchung erforderlich. Die Bedeutung dieses Wortes bei Barth kontrastiert so ziemlich mit allem, was man herkömmlicherweise unter diesem Begriff verstanden hat. Dantine hat bemerkt: Barths Begriff von Geschichte steht "in unverhohlenem Gegensatz zu all dem, was wir sonst bei diesem Worte assoziieren. Es findet in dieser Barthschen Diktion eine ausgesproche127 ne Verfremdung des normalen Sprachgebrauches statt" Will man Barths Aufnahme des Wortes Geschichte richtig verstehen, muß man sich klarmachen, daß er hier ein unserem Denken vermeintlich vertrautes Wort verwendet, seinen Sinn aber radikal verändert und neu bestimmt. Der Terminus Geschichte wird von Barth so definiert, daß er nichts zu tun hat mit der Vorstellung des Verfließens von Zeit, der Abfolge von Epochen, der Wiederkehr des Gleichen, des Ablaufs von Naturprozessen oder der Perspektive einer aufsteigenden Entwicklung. Auch die Rede von der Geschichtlichkeit des Menschen ist nicht zu verstehen als Ausdruck des Wissens um sein Gewordensein über lange Zeiträume hin, auch nicht als Hinweis auf ein Verständnis des Menschen aus den Bedingungen seines In-der-Welt-Seins. Barths Geschichtsverständnis hat nichts zu tun mit der Erfahrung des Endes, des Scheiterns der Schuld. Auf diesen wichtigen Unterschied zwischen dem Barthschen und anderen Geschichtsverständnissen hat Dantine aufmerksam gemacht: Barths Geschichtsbegriff wird nicht verbunden mit den Erfahrungen "des Kreuzes, der Schuld, des Bruches und des Todes", denen Menschen ausgesetzt sind und die für sie fest mit 1 28
dem Geschichtsverständnis verbunden sind . Nach Dantine fehlt in dem "eigentlichen Geschichtsbegriff Barths Kreuz
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und Elend, Tod und Zusammenbruch, Ende, Aufhören, Katastrophe und Leid". Unbezweifelbar weiß Barth auch "von all dem in gewaltigen und bezwingenden Worten und tiefen Gedanken zu reden . . . , aber ihm verbindet sich das Gedächtnis an diese Kategorien des menschlichen Existie129 rens nicht mit dem, was ihm Geschichte bedeutet" . Der Geschichtsgedanke dient ihm vielmehr zur "ontologischen" Bestimmung des menschlichen Seins in seiner transeunten Beziehung zu Gott. Und innerhalb dieses neuen und spezifischen Verstehenhorizonts verändert sich auch die Bedeutung des Terminus Geschichte. Wenn Barth sagt: Menschsein ist eine Geschichte, so heißt das: Menschsein ist Sein in B e w e g u n g 130# Dabei bedarf der Begriff der Bewegung der Erläuterung. Nach Barth gilt:"Wir haben ... des Menschen Geschichte dann noch nicht vor Augen, wenn wir bloß die Fülle - die immerhin begrenzte Fülle - der ihm eigentümlichen Bewegungen in ihrem Nebeneinander und in ihrer Folge, in ihrer Kontinuität und in ihrem kausalen Zusammenhang ... vor Augen haben". Geschichte meint nicht den "Inbegriff" der dem Menschen "möglichen und von ihm verwirklichten Veränderungen und Verhaltungsweisen" (189). Ist das menschliche Sein so gedacht, daß es nur "begrenzter" Bewegungen fähig ist, dann ist es noch nicht als Geschichte gedacht. Barth erläutert seinen Geschichtsbegriff dadurch, daß er ihn von dem Terminus Z u s t a n d abhebt^3''. Mit dem Begriff des Zustandes ist gewöhnlich "die Vorstellung starrer Einheit, Gleichförmigkeit und Unbeweglichkeit" verbunden. Barth geht darüber hinaus mit der Feststellung, daß der Begriff des Zustandes Bewegung mitzudenken erlaubt. Zuständliches Sein findet er aber von geschichtlichem unterschieden durch "die Vorstellung der grundsätzlichen Geschlossenheit dessen, was sich in dem betreffenden Zustand befindet". Das menschliche Sein ist nur dort zutreffend als Sein in Geschichte verstanden, wo es als in einer bestimmten Bewegung begriffen in den Blick kommt. Menschliches Sein als Geschichte ist ein Sein, in dem "die Geschlossenheit seiner Bewegung i η sich von außen durchbrochen wird durch eine Bewegung z u i h m und die entsprechende Bewegung aus i h m " (189). Geschichtliches Sein hat einen Ursprung und ein Ziel. Die Bewegung läßt sich beschreiben als Bewegung "von her - zu hin". Menschliches Sein gibt es nur als von Gott ausgehendes und zu Gott zurückkehrendes Geschehen, als U m k e h r b e w e g u n g . Das Sein des Menschen vollzieht sich innerhalb einer reziproken Bewegung, die nun aber zugleich eine transeunte ist. "Geschichte eines Wesens hebt darin an ...,daß ... ein seiner
- 178 Natur Transzendentes ihm begegnet, ... sein Sein ... bestimmt, so daß es seinerseits genötigt und befähigt wird, sich selbst in der Richtung auf dieses Andere und Neue und im Verhältnis zu diesem zu transzendieren" (189). Menschliches Sein als Geschichte ist ein Uberschrittensein v o n a u ß e n und ein Sich-Uberschreiten η a c 1 a u ß e n . Menschliches Sein als Geschichte ist ein Sein im Durchbruch durch die Kreaturgrenze und als solches Sein in der Grenzüberschreitung sowohl von Gott her als auch zu Gott hin132. "Geschichte eines Wesens findet dann statt, wenn es in d i e s e r Bewegung, in d i e s e r Veränderung, in d i e s e m Verhalten begriffen" ist (189). Daraus ergibt sich als wesentlicher Aspekt: Man kann nicht sagen, daß der Mensch eine Geschichte
h a t ,
muß sagen, daß der Mensch eine Geschichte
sondern man
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Die For-
mulierung: der Mensch hat eine Geschichte, muß die Vorstellung erwecken, daß der Mensch zwar auch diese Geschichte hat, daß sein Wesen aber nicht in, sondern außerhalb dieser Geschichte liegt. Der Satz: das Sein des Menschen ist eine Geschichte, besagt demgegenüber, daß das menschliche Sein ein Element dieser Geschichte ist. Der Mensch ist, indem und sofern er von Gott her überschritten ist und sich in Richtung zu Gott hin und im Verhältnis zu Gott überschreitet. Dieser Geschichtsbegriff wird vornehmlich nicht durch zeitliche, sondern durch
r ä u m l i c h e
Vorstellungen er-
läutert. Geschichte wird als ein räumliches und nicht als ein zeitliches Geschehen gedacht. Geschichte ist keine Bewegung, die bestimmt wird durch die Ekstasen der Zeit, sondern sie ist vorzustellen als in Form eines Kreisbogens vollzogene Überschreitung einer räumlich vorgestellten Grenze zwischen Gott und Mensch. Sein des Menschen als Geschichte meint, daß sich Menschsein vollzieht in einer von außen kommenden und nach außen zurückkehrenden Bewegung. Barths Ausführungen über das Sein des Menschen in der Beziehung zu Gott sind stark geprägt durch r ä u m l i c h e V o r s t e l l u n g e n . Die Aufgabe der Theologie kann bestimmt werden als "Anzeige des Ortes"133,