Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk: Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus aus deutsch-russischer Sicht 9783839454787

Der Begriff »Kanon« wird meist mit »Nationalkanon« gleichgesetzt. Die zunehmend globale Zirkulation von Kunst und Litera

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German Pages 348 Year 2021

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Table of contents :
Inhalt
Anmerkung zur Transliteration
Abkürzungsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
1.1 Moskauer Konzeptualismus ›unter Verdacht‹?
1.2 Materialbasis und Forschungsstand
2. Kanonbildung in transkulturellen Netzwerken: Theoretisch-methodische Grundlagen
2.1 Zur Einführung: Kanonbildung als transkulturelles Phänomen
2.2 Kulturtransfer versus Histoire croisée: Grundlagen und Desiderata
2.3 Kanonforschung und sozialwissenschaftliche Netzwerkanalyse
2.4 Kanonforschung und Akteur-Netzwerk-Theorie
2.5 Begriffsinstrumentarium für eine transkulturelle Kanonforschung
3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland
3.1 »Where Is the Line Between Us?« Die frühe Rezeption des Moskauer Konzeptualismus in Westeuropa (1970-1988)
3.2 Sotheby’s als ›Big Bang‹: Moskauer Konzeptualismus als Hype (1988-1992)
3.3 NOMA oder Prozesse der künstlerischen Mythenbildung (1993-1998)
3.4 Von Political zu Mystical Correct: Verfestigung des Kanons (1999-2020)
3.5 Fazit: »Not Everyone Will Be Taken into the Future«
4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland
4.1 »Noch nicht das Ende« (1991): Die frühe Rezeption des Moskauer Konzeptualismus in der Sowjetunion (1970-1991)
4.2 Der postsowjetische Kunstbetrieb als ›Tusovka‹: Die Aufarbeitung des Moskauer Konzeptualismus zwischen 1991-1994
4.3 Die Musealisierung des Moskauer Konzeptualismus: Verflechtungen zwischen dem russischen und dem internationalen Mittlernetzwerk (1995-2004)
4.4 »Ruhm für die Helden des Konzeptualismus«: Moskauer Konzeptualismus im Kanon der russischen Kunst (2005-2020)
4.5 Fazit: »The Necessity for Conceptualism May Be Returning Today«
5. Schluss
Bibliographie
Anhang
Index
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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk: Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus aus deutsch-russischer Sicht
 9783839454787

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Dorine Schellens Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Edition Kulturwissenschaft  | Band 244

Dorine Schellens, geb. 1991, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universiteit Leiden (Niederlande) im Bereich Germanistische und Slavistische Literatur- und Kulturwissenschaft. Sie promovierte an der Universität Freiburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind spät- und postsozialistische Literatur und Kunst, Intermedialität und Kulturtheorie.

Dorine Schellens

Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus aus deutsch-russischer Sicht

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein Dieses Buch stellt eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation dar, die im Mai 2019 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg eingereicht wurde.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Sabrina Scherzinger, www.sabrinascherzinger.ch Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5478-3 PDF-ISBN 978-3-8394-5478-7 https://doi.org/10.14361/9783839454787 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Anmerkung zur Transliteration ........................................................... 11 Abkürzungsverzeichnis...................................................................13 Vorwort .................................................................................. 15 1. 1.1 1.2

Einleitung........................................................................... 19 Moskauer Konzeptualismus ›unter Verdacht‹? ........................................ 19 Materialbasis und Forschungsstand ................................................. 29 1.2.1 Publizistik ................................................................... 33 1.2.2 Forschungsliteratur.......................................................... 35

2.

Kanonbildung in transkulturellen Netzwerken: Theoretisch-methodische Grundlagen ............................................. 39 Zur Einführung: Kanonbildung als transkulturelles Phänomen ........................ 39 Kulturtransfer versus Histoire croisée: Grundlagen und Desiderata................... 45 Kanonforschung und sozialwissenschaftliche Netzwerkanalyse ..................... 56 Kanonforschung und Akteur-Netzwerk-Theorie ..................................... 63 Begriffsinstrumentarium für eine transkulturelle Kanonforschung ................... 68 2.5.1 Kulturtransfer – Netzwerk.................................................... 68 2.5.2 Vermittler – Akteur/Aktant ................................................... 70 2.5.3 Vermittlung – Verbindung/Übersetzung ........................................ 71 2.5.4 Fazit ........................................................................ 72

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

3. 3.1

Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland......... 75 »Where Is the Line Between Us?« Die frühe Rezeption des Moskauer Konzeptualismus in Westeuropa (1970-1988) ........................... 75 3.1.1 »Aus Moskau verjagt: Bilder im Exil.« Die Rolle sowjetischer Emigrantennetzwerke im Transfer nicht-kanonkonformer Kunst .............. 79 3.1.2 Von Dissens zu Kultursemiotik: Die Bochumer und Bielefelder Slavistik als Mittler des Moskauer Konzeptualismus .......................... 102

3.1.3 Am Rande (1985): Kunsttransfer im wirtschaftsdiplomatischen Netz ........... 114 3.2 Sotheby’s als ›Big Bang‹: Moskauer Konzeptualismus als Hype (1988-1992) ........... 121 3.2.1 Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe (1988) im Kunstmuseum Bern.................. 124 3.2.2 »(Eu)Rope« (2007): Der Moskauer romantische Konzeptualismus ............. 130 3.2.3 Iskunstvo (1988) oder Diskurse des (Miss-)Verstehens ......................... 141 3.3 NOMA oder Prozesse der künstlerischen Mythenbildung (1993-1998) ................. 148 3.3.1 NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten (1993) .................... 150 3.3.2 Positionen des (Nicht-)Seins: Vsevolod Nekrasovs Dojče Buch ................ 154 3.3.3 Der Archivar: Vadim Zacharov und die Zeitschrift Pastor ...................... 161 3.4 Von Political zu Mystical Correct: Verfestigung des Kanons (1999-2020) .............. 166 3.4.1 Konzeptualismus als ›Weltkunst‹? Global Conceptualism (1999) ............... 168 3.4.2 Ein »›Archiv des konzeptuellen Wahns‹«: Berlin – Moskau (2003) ..............174 3.4.3 Kanon und kulturelle Erinnerung: Die totale Aufklärung (2008) ................. 177 3.5 Fazit: »Not Everyone Will Be Taken into the Future« ............................... 182 4. 4.1

4.2

4.3

4.4

4.5

Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland ........... 187 »Noch nicht das Ende« (1991): Die frühe Rezeption des Moskauer Konzeptualismus in der Sowjetunion (1970-1991) ...................... 187 4.1.1 Die Entstehung des Moskauer Konzeptualismus (1970-1979) .................. 189 4.1.2 Aufbau einer alternativen Kunstinfrastruktur (1970-1985)..................... 201 4.1.3 Zwischen Öffnung und Restriktion: Die Rezeption des Moskauer Konzeptualismus in der Perestrojka (1985-1991) ................ 208 Der postsowjetische Kunstbetrieb als ›Tusovka‹: Die Aufarbeitung des Moskauer Konzeptualismus zwischen 1991-1994 .................................214 4.2.1 Galerien als Mittlerinstanzen des Moskauer Konzeptualismus ................ 218 4.2.2 Rezeption und Kritik des Moskauer Konzeptualismus in der Presse ........... 225 4.2.3 »Moskauer Konzeptualismus für immer«? Moscow Art Magazine als Kanonisierungsmedium ............................ 229 Die Musealisierung des Moskauer Konzeptualismus: Verflechtungen zwischen dem russischen und dem internationalen Mittlernetzwerk (1995-2004) ..... 237 4.3.1 Kunst im Verborgenen (1995): Moskauer Konzeptualismus in internationalen Wanderausstellungen der Sammlung Caricyno ............ 238 4.3.2 Die Rückrezeption Il’ja Kabakovs im postsowjetischen Russland .............. 243 4.3.3 Moskau – Berlin (2004) aus Sicht der russischen Rezeption ................... 247 »Ruhm für die Helden des Konzeptualismus«: Moskauer Konzeptualismus im Kanon der russischen Kunst (2005-2020) ....................................... 251 4.4.1 Das goldene Buch des Moskauer Konzeptualismus (2005) .................... 254 4.4.2 Soz-Art oder Konzeptualismus? ............................................. 258 4.4.3 Moskauer Konzeptualisten als Meisterfiguren in der Triennale der russischen Gegenwartskunst (2017)....................... 262 Fazit: »The Necessity for Conceptualism May Be Returning Today«.................. 268

5.

Schluss ........................................................................... 273

Bibliographie ........................................................................... 289 Literaturverzeichnis..................................................................... 289 Abbildungsverzeichnis .................................................................. 321 Grafikverzeichnis ....................................................................... 322 Interviewverzeichnis .................................................................... 322 Anhang ................................................................................ 325 Gruppenausstellungen im deutschsprachigen Raum ...................................... 325 Gruppenausstellungen im (post-)sowjetischen Russland .................................. 329 Index ................................................................................... 338

Что за прелесть – эта легкая, вполне необременительная игра в мифотворчество – в ней есть и то, и се…1 (Lev Rubinštejn: 1983)

1

Lev Rubinštejn (1984a): »Predromantičeskie predpoloženija 1983 g. Nr. 32.« In: Günter Hirt/Sascha Wonders (Hg.): Kulturpalast. Neue Moskauer Poesie & Aktionskunst. Wuppertal: S Press Tonbandverlag. [Wie zauberhaft – dieses leichte, ganz unbeschwerliche Spiel, Mythen zu schaffen – darin ist dies und jenes…] (Übersetzung von Günter Hirt und Sascha Wonders)

Anmerkung zur Transliteration

In diesem Buch werden Zitate in der Originalsprache wiedergegeben. Russische Begriffe und kurze Zitate werden im Haupttext transliteriert und übersetzt, bei längeren Textstellen verwende ich die kyrillische Schrift. Wenn nicht anders verzeichnet, folgt diesen Zitaten eine von mir angefertigte Übersetzung ins Deutsche in einer Fußnote. Die Wiedergabe russischer Namen erfolgt im Fließtext nach der wissenschaftlichen Transliteration, in den Literaturangaben wird die publizierte Schreibweise angegeben. Eine Ausnahme mache ich im Haupttext für russische Namen, deren Schreibweise international etabliert ist (z.B. Groys statt Grojs). Topographische Bezeichnungen werden in der deutschsprachigen Form geschrieben (z.B. Moskau statt Moskva).

Abkürzungsverzeichnis

ANT: Akteur-Netzwerk-Theorie APT-ART: Appartement Art CAC: Contemporary Art Centre ChŽ (Chudožestvennyj Žurnal)/MAM: Moscow Art Magazine FSO: Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen GCSI (Gosudarstvennyj Centr Sovremennogo Iskusstva): Staatliches Zentrum für Gegenwartskunst, siehe NCCA ICA: Institute of Contemporary Art KD (Kollektivnye dejstvija): Kollektive Aktionen KLAVA (Moskovskij Klub Avangardistov): Moskauer Klub der Avantgardisten MANI (Moskovskij Archiv Novogo Iskusstva): Moskauer Archiv der Neuen Kunst MMOMA: Moscow Museum of Modern Art MoRA: The Museum of Russian Art NCCA: National Centre for Contemporary Arts, siehe GCSI NLO: Novoe Literaturnoe Obozrenie RFE/RL: Radio Free Europe/Radio Liberty RGGU (Rossijskij Gosudarstvennyj Gumanitarnyj Universitet): Russische Staatliche Universität für Geisteswissenschaften SCCA: Soros Center for Contemporary Art SNA: Sozialwissenschaftliche Netzwerkanalyse

Vorwort

Im Garten des Kunstmuseums Den Haag steht eine eigenartige Telefonzelle. Anstatt eines Telefons trifft man darin eine Büste von Stalin auf einem mit rotem Tuch drapierten Sockel, eine Tischlampe sowie einen Hering an – ein Verweis auf eine der Lieblingsspeisen des Diktators. Stand die Telefonzelle anfänglich in der Geleenstraat im Rotlichtviertel der Stadt, zog das Kunstwerk im Jahre 2002 in den Garten des Kunstmuseums um, womit sich seine Bedeutung änderte: »The transfer of the sculpture to the Kunstmuseum Den Haag in 2002«, so erklärt die Beschreibung an einer Seite der Telefonzelle, »has changed its connotations. The red lamp remains an allusion to Geleenstraat, but its aura is now mainly one of domesticity. Stalin appears to be ›cosily‹ enclosed in his own historical reality.«1 Urheber dieses besonderen Denkmals der sowjetischen Vergangenheit ist das Künstlerduo Vitalij Komar und Aleksandr Melamid. Sie stehen am Anfang zweier der heute bekanntesten russischen Kunstrichtungen des späten 20. Jahrhunderts: des Moskauer Konzeptualismus und der Soz-Art. Für mich persönlich wurde die Telefonzelle, die sich unweit von meiner Wohnung befindet, während meiner Spaziergänge durch das Viertel zu einer regelmäßigen Erinnerung an den Transfer von Kunst zwischen unterschiedlichen Zeiten und Kulturen, der Gegenstand dieser Studie ist. Die Arbeit an der Druckfassung dieser im Mai 2019 als Dissertation eingereichten Untersuchung, die Prozesse der transkulturellen Kanonbildung am Beispiel des Moskauer Konzeptualismus erforscht, erfolgte in einem – milde gesagt – außergewöhnlichen Kontext. Der Ausbruch der Covid-19-Pandemie hat das öffentliche Leben in großen Teilen der Welt tiefgreifend verändert und soziale wie kulturelle Ungleichheiten verstärkt bloßgelegt. Daraus resultierende Spannungen geben internationalen Protesten der Black-Lives-Matter-Bewegung und damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Debatten über die Revision unserer Geschichtsbilder und Kanons zusätzlichen Zündstoff. Die Notwendigkeit, einen Kanon nicht ausschließlich als Produkt von Nationalstaaten, sondern auch als Ergebnis von Kulturkontakt und Kulturtransfer zu rekonzipieren, unterstreicht auch diese Studie.

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[o.A.] (o.J.a): »Vitaly Komar & Alexander Melamid. Emergency Telephone Booth with Bust of Stalin, 1986.« Kunstmuseum Den Haag, Niederlande.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Sie zeigt empirisch, dass die Einschreibung kultureller Artefakte in einen Kanon nicht bloß das Resultat von nationalen Wissenschaftsdebatten und Bildungstraditionen darstellt, sondern sich im Zusammenspiel mit internationalen, weniger leicht identifizierbaren Kultur-, Medien- und Marktmechanismen entscheidet. Die Kulturwissenschaften können m.E. in der Interpretation solcher transkulturellen Vernetzungen eine zukünftig immer wichtiger werdende Rolle spielen. Die vorliegende Studie entstand zwischen 2015 und 2019 im Rahmen des Internationalen Graduiertenkollegs 1956: Kulturtransfer und ›kulturelle Identität‹ – Deutsch-russische Kontakte im europäischen Kontext, einer Kooperation zwischen der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Russischen Staatlichen Universität für Geisteswissenschaften [RGGU] in Moskau. Von der internationalen Kollegstruktur hat dieses Buch in vielfacher Hinsicht profitiert. Mein besonderer Dank gilt meiner Erstgutachterin Prof. Dr. Weertje Willms und meiner Zweitgutachterin Prof. Dr. Elisabeth Cheauré, die diese Arbeit stets auf interessierte und unterstützende Weise betreut haben. Für ihre Gesprächsbereitschaft danke ich auch meiner Betreuerin an der RGGU, Prof. Dr. Natalija Bakši. Prof. Dr. Joachim Grage sei für die Erstellung des Drittgutachtens, Prof. Dr. Hans Hubert für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes im Februar 2020 gedankt. Ohne die Hilfestellungen und Materialhinweise einer Vielzahl weiterer Personen hätte diese Studie nicht zustande kommen können. Erwähnen möchte ich insbesondere Dr. Sabine Hänsgen, die in der Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus eine außerordentlich wichtige Rolle gespielt und ihr Wissen an zahlreichen Gelegenheiten mit mir geteilt hat. Mein Dank gilt ebenfalls Irina Bogomolova (Laboratorium D.A. Prigov), Dr. Marina Sandmann (Galerie Sandmann und Art Management), Kathrin Becker (Neuer Berliner Kunstverein) und Andrej Monastyrskij, die ihre Erfahrungen sowie Materialien aus ihren Archiven mit mir geteilt haben. Auch die Mitarbeiter*innen aus dem Archiv der Forschungsstelle Osteuropa in Bremen und des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart und Berlin seien ganz herzlich gedankt. Erwähnen möchte ich außerdem Saša Obuchova und Anastasija Tarasova der Archivstelle des Garage Museum of Contemporary Art in Moskau, die mich im Frühjahr 2016 und 2017 mehrere Wochen als Gast aufgenommen haben. Für ihre hilfreichen Anmerkungen zur Endfassung des Manuskripts möchte ich Prof. Dr. Ellen Rutten sowie für ihre unglaublich aufmerksame Korrekturarbeit Isabell Oberle sehr danken. Sabrina Scherzinger danke ich für die Gestaltung des schönen Buchcovers und der Grafiken. Mein Dank gilt außerdem Prof. Dr. Anthonya Visser, die mich seit meinem ersten Studiensemester als unermüdliche und vertrauensvolle Gesprächspartnerin begleitet. Für ihre Diskussionsbereitschaft und ihre Freundschaft danke ich meinen Mitkollegiat*innen im IGK 1956, ganz besonders Natalja Salnikova, Jennifer Grünewald, Dr. Sonja Erhardt und Anna Sator. Dr. Katharina Bauer sei als Koordinatorin des Kollegs, Dr. Elena Korowin

Vorwort

und Dr. Charlotte Krauß als (ehemaligen) Postdocs gedankt. Erwähnen möchte ich, last but certainly not least, meine Familie, die mir durch ihr Interesse und Vertrauen immer Mut gibt.   Den Haag/Freiburg, 2020

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1. Einleitung »However odd the juxtaposition of these two words may sound, I know of no better term than romantic conceptualism to describe the present development in the moscow [sic!] art field.«1 (Boris Groys: 1979) »Moscow Conceptualism, at bottom, is nothing more than a rumor, a supposition, a suspicion. To create an archive for such a movement and to document it is to invent it.«2 (Boris Groys: 2003)

1.1

Moskauer Konzeptualismus ›unter Verdacht‹?

1979 eröffnete die erste Ausgabe der Pariser Tamizdat-Zeitschrift A-Ja. Unofficial Russian Art Review (1979-1986) mit dem zweisprachigen Essay »Мoskovskij romantičeskij konceptualizm/Moscow Romantic Conceptualism« des Kunst- und Kulturphilosophen Boris Groys. Dieser thematisiert eine Gruppe kaum bekannter Moskauer Künstler, unter ihnen Lev Rubinštejn, Ivan Čujkov, Fransisko Infante-Arana und die Performancegruppe Kollektivnye dejstvija [Kollektive Aktionen, KD], die dem Autor zufolge eine ›romantische‹ Version der ›naturwissenschaftlich‹ orientierten angelsächsischen Conceptual Art vertreten würden. Der Text konstruiert gleich zu Beginn ein Zwei-Welten-Szenario, in dem sich Russland und Nordamerika/England als grundsätzlich anders funktionierende Kulturen gegenüberstehen: 1

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Boris Groys (1979): »Moskovskij romantičeskij konceptualizm/Moscow Romantic Conceptualism.« In: A-Ja. Unofficial Russian Art Review 1. S. 3-11, hier S. 3. [Сочетание слов ›романтический концептуализм‹ звучит, разумеется, чудовищно. И все же я не знаю лучшего способа обозначить то, что происходит сейчас в Москве, и выглядит достаточно модно и оригинально.] In der englischen Fassung fehlt der letzte Satzteil »и выглядит достаточно модно и оригинально« [und sich recht modisch und originell ausnimmt]. Boris Groys (2003): »The Other Gaze: Russian Unofficial Art’s View of the Soviet World.« In: Aleš Erjavec (Hg.): Postmodernism and the Postsocialist Condition. Politicized Art Under Late Socialism. Berkeley/Los Angeles/London: University of California Press. S. 55-89, hier S. 87.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

»There are different forms of transparency. In England and America, where conceptual art originated, transparency meant the explicitness of a scientific experiment, clearly exposing the limits and the unique characteristics of our cognitive faculties. In Russia, however, it is impossible to paint a decent abstract picture without reference to the Holy light. The unity of collective spirit is still so very much alive in our country that mystical experience here appears quite as comprehensible and lucid as does scientific experience. And even more so.«3 Im Aufsatz unternimmt Groys einerseits den Versuch, sowohl die sowjetischen Künstler als auch sich selbst als Theoretiker in den in Nordamerika und Westeuropa institutionalisierten Diskurs über Konzeptkunst einzuschreiben.4 Mit dem Rekurs auf Wörter wie »mystical experience/mističeskij opyt«, »Holy light/Favorskij svet« und »collective spirit/kollektivnoj duši« – an späterer Stelle fällt außerdem der Begriff der »›Russian soul‹/›russkoj duši‹« –5 wird der Moskauer Konzeptualismus andererseits als spezifisch russische Variante vom angelsächsischen Paradigma abgegrenzt, womit ein Originalitätsanspruch einhergeht. Mit diesem Sinnbild des Ungleichen unter Gleichen vereint Groys einen heterogenen Kreis von Mos-

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Groys (1979): S. 4. [Однако, прозрачность прозрачности рознь. В Англии и Америке, где сформировалось концептуальное искусство, прозрачность – это эксплицитность научного эксперимента, делающего наглядным границы и свойства нашей познавательной способности. В России, однако же, невозможно написать порядочную абстрактную картину, не сославшись на Фаворский свет. Единство коллективной души еще настолько живо в нашей стране, что мистический опыт представляется в ней не менее понятным и прозрачным, чем научный. И даже более того.] Peter Osborne schreibt zu Groys’ Autorinszenierung in A-Ja (1979): »Retrospectively, with its dual columns and passport-type photograph of the author, this essay itself appears as something of a conceptual piece, effecting a certain auto-fictionalization of Groys as a character in his own story.« Peter Osborne (2018): The Postconceptual Condition. Critical Essays. Brooklyn: Verso. S. 169. Groys (1979): S. 4. »We can hardly reconcile ourselves with the idea that art should be regarded as being simply the total sum of its techniques, and that its purpose has been lost of sight. Therefore, romantic conceptualism in Moscow not only testifies to the continued unity of the ›Russian soul‹; it also tries to bring to light the conditions under which art can extend beyond its own borders.« [Вряд ли можно примириться с тем, что искусство – лишь совокупность приемов, ›цель‹ которых утрачена. ›Романтический концептуализм‹ в Москве – это, следовательно, не только свидетельство сохраняющегося единства ›русской души‹, но и позитивная попытка выявить условия, которые делают возможным для искусства выход за свои границы, т.е. попытка сознательно вернуть и сохранить то, что констатирует искусство как событие в Истории Духа и делает его собственную историю незавершенной.] Ebd.: S. 5.

1. Einleitung

kauer Lyrikern, Performance- und bildenden Künstlern unter dem Neologismus ›Moskauer romantischer Konzeptualismus‹.6 Etwa 25 Jahre nach der Erscheinung des Essays in der Zeitschrift A-Ja veröffentlichte Groys einen wissenschaftlichen Aufsatz mit dem Titel »The Other Gaze: Russian Unofficial Art’s View of the Soviet World« (2003), der Folgendes konstatiert: »It [Moskauer Konzeptualismus, D.S.] is not defined as an organized art movement. Its practice is bound together by hardly any exhibits, publications, or collections. Moscow Conceptualism, at bottom, is nothing more than a rumor, a supposition, a suspicion. To create an archive for such a movement and to document it is to invent it.«7 Das Argument, der Moskauer Konzeptualismus sei kein organisierter Künstlerkreis, sondern vielmehr ein Gerücht, eine Hypothese, ein Verdacht wirkt im Kontext der Erstpublikation von 1979 widersprüchlich. Dies umso mehr, da die einst unbekannten Moskauer Konzeptualisten seit Mitte der 1980er Jahre von einer Position am Rande der Kunst- und Literaturwelt zu einer national und international intensiv rezipierten Künstlergruppe avanciert sind. Im deutschsprachigen Raum waren Werke von Il’ja Kabakov, Vladimir Jankilevskij und Ėrik Bulatov zum ersten Mal Anfang der 1970er Jahre in Ausstellungen wie Russische Avantgarde in Moskau heute (1970) in der Galerie Gmurzynska in Köln, Sechs sowjetische Künstler (1970) in der Galerie Renée Ziegler in Zürich und Progressive Strömungen in Moskau (1974) im Museum Bochum vertreten.8 In die breite öffentliche Aufmerksamkeit geriet das Phänomen des Moskauer Konzeptualismus jedoch erst im Zuge von Michail Gorbačevs wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Reformpolitik in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre. Die außenwirtschaftliche Lockerung der Exportbestimmungen für nicht-kanonkonforme sowjetische Kunst sowie der vereinfachte Zugang zu Künstlerateliers für internationale Sammler*innen und Kurator*innen führten ab 1987 zu ersten großangelegten Ausstellungen wie Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe (1988) im Kunstmuseum Bern. Eine Versteigerung avantgardistischer und zeitgenössischer Kunst aus dem nicht-kanonkonformen Bereich, die das britische Auktionshaus Sotheby’s am 7. Juli 1988 in Moskau organisierte, löste schließlich einen regelrechten Ausstellungsboom in Westeuropa und den USA aus. Seit diesem Jahr

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In seinem Aufsatz in A-Ja von 1979 erwähnt Groys nur männliche Künstler, weshalb an dieser Stelle die nicht-gegenderte Schreibweise verwendet wird. Im Übrigen wird die Schreibweise mit Gender-Star benutzt. Groys (2003): S. 87. Diese Aussage erschien bereits 1994 in einem Katalogbeitrag des Verfassers. Vgl. Boris Groys (1994): »Die Moskauer Kunst zwischen Sowjetunion und Rußland.« In: Boris Groys (Hg.): Fluchtpunkt Moskau. Werke der Sammlung Ludwig und Arbeiten für Aachen. Aachen: Hatje Cantz Verlag. S. 25-41, hier S. 39. In Italien war Il’ja Kabakov bereits seit 1965 in mehreren Ausstellungen vertreten (vgl. §3.1.1).

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

haben im deutschsprachigen Raum allein ca. 70 unterschiedliche Gruppenausstellungen stattgefunden, in denen Repräsentant*innen des Moskauer Konzeptualismus prominent vertreten sind. In Russland sind dies ca. 150.9 Auch wächst bis heute die Zahl der publizistischen Beiträge und wissenschaftlichen Studien zum Künstlerkreis. Groys’ Charakterisierung des Moskauer Konzeptualismus als ›Verdacht‹ ruft auf provozierende Weise den ursprünglichen Konstruktcharakter des Kreises in Erinnerung, der im Laufe der internationalen Rezeptionsgeschichte allmählich in den Hintergrund geraten ist. Dieser geht in der Anfangsphase der Aufarbeitung noch deutlich aus der großen Begriffsvielfalt hervor, die in Ausstellungen auf den Moskauer Konzeptualismus projiziert wurde. So wechseln sich in Katalogen Zuschreibungen wie ›nonkonformistisch‹, ›dissident‹, ›inoffiziell‹, ›alternativ‹, ›nichtkanonkonform‹, ›apolitisch‹ oder ›Untergrund-‹ ab. Abhängig von der jeweiligen Sichtweise der Interpret*innen treten außerdem erhebliche Unterschiede in Hinblick darauf auf, welche Künstler*innen dem Kreis zugeordnet werden – ein Prozess, den letztere selbst aktiv mitgesteuert haben. Denn während Il’ja Kabakov, Dmitrij Prigov, Andrej Monastyrskij, Pavel Pepperštejn und Irina Nachova heute im Vordergrund der Aufmerksamkeit stehen, sind andere Konzeptkünstler, darunter insbesondere viele Künstlerinnen, mittlerweile in Vergessenheit geraten.10 Auch die wechselnden Eigen- und Fremdbezeichnungen der Gruppe, wie ›Moskauer romantischer Konzeptualismus‹, ›Moskauer Konzeptualismus‹, ›MANI‹, ›NOMA‹ oder ›Moskauer konzeptuelle Schule‹, sowie die schwere Abgrenzung zur ›SozArt‹ führen den hohen Konstruktcharakter des Künstlerkreises vor Augen. Interessant ist weniger die Feststellung, dass der Moskauer Konzeptualismus demnach diskursiv erfunden wurde – dies gilt für kunst- oder literaturgeschichtliche Schulen, Strömungen oder Paradigmen im Allgemeinen –, sondern vielmehr die Beobachtung, dass der Kreis seit der Erscheinung von Groys’ Aufsatz in der Pariser

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Einzelausstellungen von Künstler*innen werden nicht mitgerechnet. Es handelt sich zum einen um Gruppenausstellungen, die ausschließlich dem Moskauer Konzeptualismus gewidmet sind, wie Die totale Aufklärung (Frankfurt a.M., 2008), und zum anderen um Ausstellungsprojekte, in denen mindestens zwei Künstler*innen vertreten sind, die im Ausstellungsnarrativ dem Moskauer Konzeptualismus oder einer ihm verwandten Bezeichnung wie ›NOMA‹ oder ›MANI‹ zugeordnet werden. Der Anhang bietet einen Überblick über die Ausstellungen. Vgl. Elena Korowin (2015): Der Russen-Boom. Sowjetische Ausstellungen als Mittel der Diplomatie in der BRD. Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag. S. 19; vgl. auch Sarah Wilson (2012): »Moscow Romantic Exceptionalism: The Suspension of Disbelief.« In: Boris Groys (Hg.): Moscow Symposium: Conceptualism Revisited. e-flux journal. Berlin: Sternberg Press. S. 102-123, hier S. 110. Der Zusammenhang zwischen Kanonbildung und Gender spielt in dieser Untersuchung keine vorrangige Rolle. Er wird im Abschnitt §3.4.1 am Beispiel von Irina Nachova dennoch explizit thematisiert.

1. Einleitung

Tamizdat-Zeitschrift A-Ja (1979) rezeptionsgeschichtlich seine heutige Gestalt und Bedeutung in transkulturellen Transferprozessen angenommen hat. Seit Ende der 1980er Jahre hat sich der Moskauer Konzeptualismus zum Repräsentanten der freilich viel umfangreicheren nicht-kanonkonformen sowjetischen Kunstszene entwickelt – in nicht wenigen Ausstellungen steht er sogar synonym für letztere. Dies stellt der Kurator und Kritiker Iosif Bakštejn fest, wenn er schreibt, »что в течение последней четверти прошлого века понятия ›московкий концептуализм‹ и ›современное русское искусство‹ являются синонимами.«11 Damit ist der erfolgreiche Einzug des Künstlerkreises in den kunsthistorischen Kanon evident.12 Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die Aufarbeitung des Moskauer Konzeptualismus von den 1970er Jahren bis in die unmittelbare Gegenwart aus einer kanontheoretischen Perspektive zu erforschen, um rekonstruieren zu können, wie sich sein ursprünglicher Konstruktcharakter in eine Selbstverständlichkeit verwandelt hat.13 Der gewählte Fokus liegt auf der Rezeption des Künstlerkreises in der russischen und deutschen Kultur. Dieser Schwerpunkt impliziert nicht, dass die Kanonisierung der Gruppe m.E. das Resultat eines eindimensionalen, nationalstaatlich begrenzten Transfervorgangs von Russland nach Deutschland darstellt. Stattdessen wird der gegenseitige Austausch zwischen beiden Kulturen in ein größeres west- wie osteuropäisches und US-amerikanisches Mittlernetzwerk eingebettet und analysiert. Auf diese Weise soll vermieden werden, dass die kanonisierende Rezeption des Moskauer Konzeptualismus primär als ›Produkt des Westens‹ dargestellt wird.14

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Iosif Bakštejn (1998): »5 ›perspektivy konceptualizma‹ – Istorija i teorija odnoj vystavki.« In: document.wikireading.ru. URL: https://document.wikireading.ru/47490 (letzter Zugriff am 12.08.2020). [dass sich im Laufe des letzten Viertels des vorigen Jahrhunderts die Begriffe ›Moskauer Konzeptualismus‹ und ›zeitgenössische russische Kunst‹ zu Synonymen entwickelt haben.] Boris Groys argumentiert in eine ähnliche Richtung, wenn er schreibt: »However, it is fair to say that the end of Soviet Communism was also the end of Moscow conceptualism as an artistic movement. Now this movement belongs to the historical past. Nevertheless, contemporary Russian art perceives itself as remaining in the tradition of Moscow conceptualism and still relates to this tradition – be it in a positive or polemical way.« Boris Groys (2010): History Becomes Form. Moscow Conceptualism. Cambridge, Massachusetts/London: MIT Press. S. 33. Dies gilt ebenfalls für den literaturgeschichtlichen Kanon. Da der Schwerpunkt in dieser Studie auf bildender Kunst und Performance liegt, werden die Lyrik und die Prosa der Moskauer Konzeptualisten weniger stark berücksichtigt. Inspiriert ist diese Frage von Bruno Latours wissenschaftssoziologischen Essays, in denen er untersucht, wie »aus Sachverhalten Tatsachen und aus Tatsachen Selbstverständlichkeiten« werden. Bruno Latour (2015): Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. S. 193. Der Vergleich zwischen Russland und Deutschland soll dazu führen, dass Westeuropa, insbesondere Deutschland, ›provinzialisiert‹ wird. Vgl. dazu grundlegend Dipesh Chakrabarty

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24

Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Die Entscheidung, Russland und Deutschland als Untersuchungsräume in den Blick zu nehmen,15 erscheint aus drei Gründen sinnvoll. Diese begründet sich erstens durch die vergleichsweise hohe Zahl der in beiden Ländern organisierten Ausstellungen, in denen Moskauer Konzeptualisten vertreten sind, und die intensive akademische wie publizistische Auseinandersetzung mit ihren Werken. Zweitens stellt die Bundesrepublik neben den Vereinigten Staaten ein wichtiges Emigrationsland für Vertreter*innen des Künstlerkreises dar. Zu erwähnen sind u.a. Boris Groys als Haupttheoretiker und Vadim Zacharov als Archivar des Moskauer Konzeptualismus. Auch kamen mehrere Künstler in den 1990er Jahren als DAADStipendiaten nach Berlin, darunter Il’ja Kabakov (1989), Dmitrij Prigov (1990), Vladimir Sorokin (1992), Lev Rubinštejn (1994) und Boris Michajlov (1996). Mehrere von ihnen haben in Deutschland prominente Auszeichnungen für ihr Werk erhalten. So gewann Kabakov u.a. den Kunstpreis Aachen (1990) und den Max Beckmann-Preis der Stadt Frankfurt a.M. (1993), während Prigov mit dem Alexander-Puschkin-Preis der Alfred Toepfer Stiftung (1993) und dem Preis der Internationalen Biennale der Papierkunst in Düren (1998) ausgezeichnet wurde. Drittens steht Deutschland historisch betrachtet – und dies gilt ganz besonders für die Zeit des Kalten Krieges – in politischer, diplomatischer und kultureller Hinsicht in einem besonderen Spannungs-, aber auch Austauschverhältnis zur Sowjetunion und dem postsowjetischen Russland. Auf diese politisch-kulturelle Prädisposition lassen sich z.T. die frühe akademische und kulturpolitische Beschäftigung mit dem Moskauer Konzeptualismus sowie das anhaltende Interesse für den Künstlerkreis zurückführen. Theoretisch baut die vorliegende Untersuchung auf Ansätzen aus der Kanon-, Kulturtransfer- und Verflechtungsforschung auf und entwickelt diese weiter, indem sie das kanontheoretische ›invisible hand‹-Modell von Simone Winko um eine transkulturelle Perspektive ergänzt. Dazu entwirft die Studie in methodischer Hinsicht ein netzwerkanalytisches Begriffsinstrumentarium, mit dem sich der Einfluss von kulturübergreifenden Austauschprozessen auf Kanonbildung gewinnbringend untersuchen lässt. Dem Analyseteil dieses Buches liegen folgende strukturierende Leitfragen zugrunde: 1. Wie konnte sich in den 1970er Jahren ein transkulturelles Mittlernetzwerk um das diskursive Konstrukt des Moskauer Konzeptualismus formieren und wie hat sich dieses Beziehungsnetzwerk in diachroner Hinsicht entwickelt?

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(2000): Provincializing Europe. Postcolonial Thought and Historical Difference. New Jersey: Princeton University Press. Obwohl der Fokus auf Deutschland liegt, kann die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus nicht ohne Berücksichtigung der Schweiz und Österreich erforscht werden, die in der Untersuchung miteinbezogen werden.

1. Einleitung 2. Welche interpretativen Deutungsangebote sind aus der netzwerkinternen Interaktion von Akteur*innen mit transferierten Diskursen, Medien, Texten und Kunstwerken hervorgegangen? Werden im russischen und deutschsprachigen Mittlernetzwerk unterschiedliche Schwerpunkte in der Aufarbeitung des Moskauer Konzeptualismus sichtbar? 3. Welche Faktoren haben dazu beigetragen, dass bestimmte Interpretationen und Kunstwerke langfristig zirkulieren und den Diskurs um den Moskauer Konzeptualismus stabilisieren, während alternative Wissensangebote abgelehnt wurden? 4. Wie konnte der Diskurs um den Moskauer Konzeptualismus eine breitere gesellschaftliche Tiefenwirkung erlangen?

Mit dieser Verschränkung von diskurs- mit netzwerkanalytischen Fragen setzt sich die Untersuchung zum Ziel, Kanonbildung am Beispiel des Moskauer Konzeptualismus als Resultat von multilateralen Vernetzungen zwischen Kulturen zu erforschen. Obwohl die Studie mit diesem Erkenntnisinteresse auch selbst einen Beitrag zur Kanonisierung des Künstlerkreises liefert, nimmt sie einen betont metareflexiven Standpunkt gegenüber diesem Prozess ein. Die Beantwortung der Ausgangsfrage stellt nicht nur eine Forschungslücke dar, sondern erweist sich auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht als relevant. So bestand Ende der 1980er Jahre sowohl im internationalen als auch im sowjetischen Raum ein hohes kulturpolitisches Interesse an Vertreter*innen des Moskauer Konzeptualismus, die als »ambassadors and emissaries of Perestroika«16 interpretiert und vermarktet wurden. Aus diesem Grund verschafft die Untersuchung nicht nur Einblicke in die Wahrnehmung des Künstlerkreises, sondern – über die Rezeption seiner Kunst – auch in die Neuformulierung der deutsch-russischen Kulturbeziehungen nach dem Ende des Kalten Krieges. An dieser Stelle ist der Aufbau der Studie zu begründen. Nachdem das zweite Kapitel das theoretisch-methodische Gerüst für die Analyse gelegt hat, arbeiten das dritte und das vierte Kapitel die kanonisierende Rezeption des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland und im (post-)sowjetischen Russland auf. Auf der Grundlage von Ausstellungskatalogen, wissenschaftlichen und publizistischen Texten, bislang unveröffentlichten Korrespondenzen sowie von mir durchgeführten Interviews mit Künstler*innen, Kurator*innen und Forscher*innen werden Transferprozesse rekonstruiert und Interpretationsparadigmen erforscht, die den Diskurs um den Moskauer Konzeptualismus entscheidend geprägt haben. Auch

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Viktor Misiano (2016): »Soviet Art on the Road to a New Identity.« In: Kate Fowle/Ruth Addison (Hg.): Exhibit Russia: The New International Decade 1986-1996. Prag: Artguide s.r.o. S. 295-298, hier S. 296.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

die Künstler*innen selbst werden als Mittlerfiguren ihres Werks in den Blick genommen. Im Katalog zur Ausstellung Angels of History. Moscow Conceptualism and Its Influence (2005) charakterisiert Iosif Bakštejn die Kunst der Moskauer Konzeptualisten als Analyse der sowjetischen Massenkultur, die eine historisierende Perspektive auf das kommunistische Gesellschaftssystem ermöglicht habe.17 Aus diesem Grund seien die Künstler*innen dem Verfasser zufolge mit dem von Walter Benjamin geprägten Konzept des ›Angelus Novus‹ vergleichbar. Bakštejn fragt jedoch nach dem Schicksal des Moskauer Künstlerkreises nach dem Ende der Sowjetunion: »There is one sacramental question to ask: what happens to Angels of History when History comes to an end (as actually happened between 1989 and 1991)? Do they becomes fallen angels, or do they create new histories?«18 Aufbauend auf kultursoziologischen Studien wie Christiane Dätschs Sammelband Kulturelle Übersetzer (2018), Ellen Ruttens Sincerity After Communism (2017) und Andrew Wachtels Remaining Relevant After Communism (2006) erforscht diese Untersuchung den Umgang der Moskauer Konzeptualisten mit der Transformation der postsowjetischen Kunstlandschaft und der Vermittlung ihres Werks ins Ausland. Somit wird dem Zusammenhang zwischen Kulturtransfer und Künstlerinszenierung nachgegangen. Die Studie berücksichtigt nicht nur Beispiele gelungener Transfer- und Rezeptionsgeschichten. So werden am Beispiel von Vsevolods Nekrasovs Polemik Dojče Buch (1998, erw. Fassung 2002) Gründe für die Exklusion von Künstler*innen aus dem Kanon des Moskauer Konzeptualismus thematisiert. In diesem ersten Teil der Einleitung soll abschließend auf die gewählte Beschreibungssprache eingegangen werden. In dieser Untersuchung werden kunsthistorische und kulturpolitische Begriffe, die in der Rezeptionsgeschichte als Deutungsangebote auf den Moskauer Konzeptualismus projiziert worden sind, bezüglich ihrer Entstehung, Bedeutung und Zirkulation erforscht. Dies stellt die Analyse hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Beschreibungssprache vor eine Herausforderung, da die Objektsprache zwar kritisch reflektiert wird, dies jedoch nicht in einer etwa neutraleren Metasprache erfolgt. Wenn somit von ›dem Moskauer Konzeptualismus‹ die Rede ist,19 dann ist der oben erwähnte Konstruktcharakter dieser Bezeichnung stets mitzudenken. Um die künstlerischen Praktiken und die Werke der Moskauer Konzeptualisten im Kontext des sowjetischen Kunstfeldes zu charakterisieren, habe ich mich für die Adjektive ›nicht-kanonkonform‹ und

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18 19

Vgl. Joseph Backstein (2005): »History of Angels.« In: Joseph Backstein/Bart de Baere (Hg.): Angels of History. Moscow Conceptualism and Its Influence. Brüssel: Mercatorfonds. S. 16-20, hier S. 16. Ebd.: S. 17. Zu berücksichten ist auch, dass die beteiligten Künstler*innen nicht alle ursprünglich aus Moskau stammen, sondern viele von ihnen als Kinder oder Erwachsene aus anderen sowjetischen Städten oder Republiken in die russische Hauptstadt gezogen sind.

1. Einleitung

›nicht-kanonisiert‹ entschieden. Diese sind im Vergleich zu anfangs erwähnten Zuschreibungen wie ›inoffiziell‹ oder ›nonkonformistisch‹ weniger stark ideologisch konnotiert. Damit soll die Gefahr einer Fortschreibung binärer, in Kalter-KriegsRhetorik wurzelnder Metaphern wie ›offiziell/inoffiziell‹ so weit wie möglich umgangen werden,20 die Alexei Yurchak in seiner Studie Everything Was Forever Until It Was No More (2006) als eines der Hauptprobleme in der Forschung zur Sowjetunion identifiziert: »Binary metaphors are also widespread in retrospective analyses of socialism written inside the former Soviet Union since the ›collapse‹. In such accounts, Soviet culture is divided into the ›official‹ and the ›unofficial‹ – a division that, according to sociologists Uvarova und Rogov, can be traced back to a particular dissident ideology of the 1970s which held that ›nothing good could appear in an [official] Soviet journal in principle; and a real text could only be published in an unofficial publication (samizdat) or a foreign publication (tamizdat)‹ (1998). […] One reason for the persistence of these binary models is the particular ›situatedness‹ (Haraway 1991) of much critical knowledge about Soviet socialism: it has been produced either outside of, or in retrospect to, socialism, in contexts dominated by antisocialist, nonsocialist, or postsocialist political, moral, and cultural agendas and truths.«21 Ähnlich argumentiert Boris Groys, wenn er in Art Power (2008) darauf hinweist, dass ein Großteil des kulturtheoretischen Wissens in westeuropäischen und USamerikanischen Wissenschaftssystemen produziert wird, dieses allerdings nicht ohne Weiteres auf die Erforschung von (post-)kommunistischen Kulturen übertragen werden kann: »One can safely say that the cultural situation in the countries of post-Communist Eastern Europe is still a blind spot for contemporary cultural studies. Cultural studies has, that is, some fundamental difficulties in describing and theorizing the post-Communist condition. And, frankly, I do not believe that a simple adjustment of the theoretical framework and vocabulary of cultural studies to the realities of

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21

Die binäre Unterscheidung zwischen offiziellen und inoffiziellen Künstler*innen ist abgesehen von der ideologischen Konnotation dieser Begriffe noch aus einem weiteren Grund problematisch. Viele Kunstschaffende kombinierten nämlich eine ›offizielle‹ Arbeit als (Kinder-)Buchillustrator*in (Il’ja Kabakov, Irina Nachova) oder Bibliothekar*in (Lev Rubinštejn) – Berufe, die eine Mitgliedschaft im sowjetischen Künstlerverband voraussetzten – mit künstlerischen Tätigkeiten im privaten Bereich, die nicht dem kanonisierten Muster der sowjetischen Kunst und Literatur folgten und aus diesem Grund nicht öffentlich ausgestellt oder verlegt werden durften. Alexei Yurchak (2006): Everything Was Forever Until It Was No More. The Last Soviet Generation. Princeton: Princeton University Press. S. 6. [Hervorhebungen im Original]

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Eastern Europe – without reconsideration of some of the discipline’s fundamental presuppositions – would be sufficient to enable its discourse to describe and discuss the post-Communist reality.«22 Aus diesem Grund ist es unerlässlich, den kulturellen und fachlichen Entstehungskontext dieser Studie zu reflektieren. Aufgrund meiner akademischen Sozialisation zunächst im niederländischen und anschließend im deutschen Wissenschaftssystem ist mein analytischer Blickwinkel auf den Untersuchungsgegenstand ein fremdkultureller. Dieser zeichnet sich des Weiteren durch eine gewisse zeitliche Distanz zum Erforschten aus. So nehme ich im Gegensatz zu vielen Wissenschaftler*innen, auf deren Studien zum Moskauer Konzeptualismus diese Untersuchung aufbaut, nicht die Perspektive eines unmittelbaren Zeit- oder Augenzeugen ein. Mit ihrem interdisziplinären theoretisch-methodischen Zugang verortet sich die Studie im Bereich der Kulturwissenschaften und insbesondere der Kulturgeschichte. Verstehensmodelle, die in einem westeuropäischen Kontext entstanden sind, wie die für die Analyse zentralen Ansätze der Kulturtransferforschung und der Histoire croisée, werden mit Verweisen auf vergleichbare Entwicklungen innerhalb der russischen und der osteuropäischen Kulturtheorie kontextualisiert. Wie oben erwähnt, baut die Untersuchung auf einer Vielzahl unterschiedlicher Primärquellen auf. Um diesen sowie dem intermedialen Charakter der thematisierten Kunstwerke gerecht zu werden, die häufig sowohl visuelle als auch textuelle Elemente enthalten, wird mit einem multimodalen Diskursbegriff gearbeitet, der es erlaubt, sowohl die Rolle sprachlicher bzw. schriftlicher als auch bildhafter Äußerungen in Diskursen zu untersuchen.23 Obwohl eine solche fachübergreifende Vorgehensweise ein gewisses Risiko mit sich bringt, schließe ich mich in Anlehnung an interdisziplinär forschende Philolog*innen wie Glenn W. Most und Ellen Rutten an die von Most formulierte Ansicht an, dass »[t]he justification for this systematic trespass [die Interdisziplinarität der Studie, D.S] […] lies in the very nature of the study of cultural reception. Precisely because authors, artists, and their audiences have always tended to feel themselves free of disciplinary constraints, study of such processes of cultural transmission […] must necessarily transgress the boundaries that academic disciplines have, wisely or

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Boris Groys (2008a): Art Power. Cambridge, Massachusetts/London: MIT Press. S. 148. Vgl. dazu grundlegend auch Madina Tlostanova (2017): Postcolonialism and Postsocialism in Fiction and Art. Resistance and Re-existence. Cham: Springer International Publishing. Ich lehne mich an den multimodalen Diskursbegriff von Stefan Meier an, wie im Abschnitt §2.5 ausführlicher begründet wird. Vgl. Stefan Meier (o.J.): »Multimodalität im Diskurs: Konzept und Methode einer multimodalen Diskursanalyse (multimodal discourse analysis).« In: tu-chemnitz.de. URL: https://www.tu-chemnitz.de/phil/imf/mk/online-diskurse/pdf/meier/M eier_Multimodalität_im_Diskurs.pdf (letzter Zugriff am 19.08.2020). S. 1-28, hier S. 1.

1. Einleitung

not, seen fit to draw around themselves. Interdisciplinarity is the necessary burden – and at the same time the irresistible fascination and the great opportunity – for any serious study of cultural reception.«24

1.2

Materialbasis und Forschungsstand

Dieser Teil der Einführung thematisiert zunächst die verwendete Materialbasis und ordnet die Untersuchung anschließend in den bisherigen Forschungsstand ein. Eine umfassende Dokumentationsarbeit zum Moskauer Konzeptualismus haben in erster Linie die Künstler*innen selbst geleistet. So entstanden in den 1980er Jahren das Archivprojekt Papki i Sborniki MANI [MANI-Mappen und -Bände] sowie die ersten Sammelbände zu den Aktionen der Gruppe KD unter dem Titel Poezdki za gorod [Reisen aus der Stadt] (1980-), die von Andrej Monastyrskij zusammengestellt wurden. Ein Großteil dieser Materialien steht auf einer vom Musiker Sergej Letov, der vielfach mit Vertreter*innen des Moskauer Konzeptualismus zusammenarbeitet, initiierten Homepage frei im Netz zur Verfügung.25 1999 gab Monastyrskij außerdem das Slovar’ terminov Moskovskoj konceptual’noj školy [Terminologisches Wörterbuch der Moskauer konzeptuellen Schule] heraus. Auch Vadim Zacharov positioniert sich mit der Gründung der Zeitschrift Pastor (1992-2001) und dem Aufbau eines Videoarchivs (1989-2014) als Archivar des Künstlerkreises. Letzteres umfasst insgesamt 228 von Zacharov dokumentierte Ausstellungen von Künstler*innen aus dem (Um-)Kreis des Moskauer Konzeptualismus. Die Aufnahmen sind für die Untersuchung besonders interessant, da sie es ermöglichen, einen Großteil der thematisierten Ausstellungen visuell zu rekonstruieren. Die Videos, die in der Regel eine Durchschnittslänge von ca. zehn bis 15 Minuten haben, sind nicht rein dokumentarischer Natur, sondern gelten auch als eigenständiges künstlerisches Projekt. Zacharov selbst hat das Archiv folgendermaßen kommentiert: »Das Videoarchiv ist eine private Initiative des Künstlers Vadim Zakharov und kann als ein Teil seiner schöpferischen Tätigkeit betrachtet werden. Die Auswahl der Künstler und der Ausstellungen wurde durch Zakharovs Umgangsund Interessenskreis bestimmt. Ein Teil des Materials wurde ganz spontan, schnell und fragmentarisch aufgenommen, ein anderer dagegen bürokratisch

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Glenn W. Most (2005): Doubting Thomas. Cambridge, Massachusetts/London: Harvard University Press. S. xi. Ellen Rutten bezieht sich in ihrer Monographie Sincerity After Communism (2017) ebenfalls explizit auf Most. Vgl. Ellen Rutten (2017): Sincerity After Communism. A Cultural History. New Haven/London: Yale University Press. S. 14. Vgl. die Homepage unter URL: conceptualism.letov.ru/. Die von German Titov verwaltete digitale Biblioteka Moskovskogo Konceptualizma [Bibliothek des Moskauer Konzeptualismus] wurde aufgehoben.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

exakt. In diesem Dilemma zwischen ›Künstler‹ und ›Archivar‹ hat, so scheint es, jedesmal im Moment der Aufnahme einer den anderen dominiert. So bittet Vadim Zakharov diejenigen um Verzeihung, deren Material unter dem Einfluß des ›Künstlers‹ entstanden ist. Von jenen hingegen, die unter den Einfluß des ›Bürokraten-Dokumentalisten‹ geraten sind, nimmt er gerne Dankbarkeit entgegen.«26 Obwohl die künstlerischen Praktiken der Moskauer Konzeptualisten gut dokumentiert sind, ist die Erforschung der frühen (post-)sowjetischen Rezeption des Kreises quellentechnisch mit einigen Herausforderungen verbunden. Erste öffentliche Ausstellungen der Künstler*innen fanden ab Ende der 1980er Jahre überwiegend in neugegründeten Moskauer Galerien, darunter der XL Galerie, der L Galerie, der Ridžina Galerie und der Obscuri Viri Galerie, statt. Da vielen dieser Institutionen in den wirtschaftlich unsicheren 1990er Jahren die notwendigen finanziellen Mittel zur Herausgabe von Katalogen fehlten, befindet sich die Originaldokumentation dieser Ausstellungen überwiegend in Archiven.27 Ein wichtiger Impuls zur Aufarbeitung des unmittelbaren postsowjetischen Kunstbetriebs geht seit einigen Jahren vom Garage Museum of Contemporary Art in Moskau aus, das im Jahre 2016 die Sammelbände Exhibit Russia: The New International Decade 1986-1996 und Access Moscow: The Art Life of a City Revealed 1990-2000 veröffentlichte. Aufbauend auf Archivdokumenten geben die Publikationen einen guten Überblick über die Entstehung der postsowjetischen Kunstinfrastruktur in Moskau. Bisher unveröffentlichte Archivmaterialien fließen auch in diese Studie ein. Ein Großteil der Quellen wurde im Archiv des Garage Museum of Contemporary Art in Moskau, im Učebnonaučnaja laboratorija imeni D.A. Prigova [Ausbildungs- und Forschungslaboratorium D.A. Prigov] an der Russischen Staatlichen Universität für Geisteswissenschaften [RGGU] in Moskau, im Moskauer Archiv für Literatur und Kunst [RGALI], im Archiv der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen sowie in den Archiven des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart und der ifa-Galerie Berlin ermittelt. Weitere Materialien stammen aus privaten Beständen von Andrej Monastyrskij und der Berliner Galeristin Dr. Marina Sandmann. Neben der Beschaffung dieser Dokumente bestand eine weitere Herausforderung in dem Umgang mit Archiv- und Gedächtnislücken in historiographischen und persönlichen Rückblicken auf die russische Kunst- und Kulturlandschaft der 1990er Jahre. Diese, so stellt Ellen Rutten in Sincerity After Communism (2017) fest, »suffer from the same 26

27

Vadim Zakharov (2004): »Eine Videodokumentation von Ausstellungen zeitgenössischer Künstler aus Moskau 1989-2003.« In: Heinrich-Theodor Schulze Altcappenberg (Hg.): Moskauer Konzeptualismus. Sammlung Haralampi G. Oroschakoff. Sammlung Verlag und Archiv Vadim Zakharov. Köln: Walther König. S. 165. Die Archive dieser Galerien befinden sich in der Archivstelle des Garage Museum of Contemporary Art in Moskau.

1. Einleitung

›common social amnesia‹ that cultural critic Irina Prokhorova has diagnosed in perestroika-era historiography at large.«28 Ähnlich konstatiert Kate Fowle im Band Access Moscow (2016): »The task of providing an overview of a decade in a city’s art scene is fraught with subjectivity, mythologies, and inevitably plagued by omissions. But, in the case of Moscow in the 1990s, it is an important endeavor to undertake, if for no other reason than to begin tell a creation story that is little known to outsiders. For those involved, the 1990s were a period of action. The protagonists were intent on realizing their beliefs, rather than reflecting on their activities, which is why the documents that recall this history have, until now, never been pieced together. Even today, most of those who contributed to the establishment of the scene see what they are presently doing as far more urgent than the resuscitation of what they did then.«29 Diese Studie versteht sich als Beitrag zu einer solchen Rekonstruktionsarbeit, ist sich jedoch gleichzeitig der Schwierigkeit eines solchen Unterfangens bewusst, da Erinnerungen von Zeitzeug*innen selbstverständlich nicht nur in Russland, sondern ganz allgemein Lücken sowie ein gewisses Maß an Subjektivität aufweisen. Die wichtigste Primärquelle in dieser Untersuchung bildet der Ausstellungskatalog, weshalb auf seine Definition und seinen Gattungsstatus näher einzugehen ist. Der Katalog stellt laut Gabriele Mackert eine Hybridgattung dar,30 die als gedrucktes und/oder digitales Medium das temporäre Ereignis der Ausstellung überdauert und sowohl Bildreproduktionen als auch kommentierende Paratexte enthält.31 Seine Funktionen lassen sich Karin Mihatsch zufolge in zwei Bereiche ein28 29 30

31

Rutten (2017): S. 87. Kate Fowle (2016a): »Moscow Art Life: 1990-2000.« In: Kate Fowle/Ruth Addison (Hg.): Access Moscow: The Art Life of a City Revealed 1990-2000. Prag: Artguide s.r.o. S. 6-37, hier S. 33. Vgl. Gabriele Mackert (2004): »Katalog statt Ausstellung.« In: Dagmar Posse/Michael Glasmeier/Agnes Prus (Hg.): Der Ausstellungskatalog. Beiträge zur Geschichte und Theorie. Köln: Salon Verlag. S. 100-115, hier S. 107f. Mackert weist darauf hin, dass der Ausstellungskatalog nicht nur inhaltlich aufgrund der Integration von Text und Bild, sondern auch vermarktungstechnisch ein Hybrid darstellt: »Es muß sich um Publikationen handeln, die sich zweier Systeme bedienen und sich gleichzeitig davon emanzipieren. Also ein Hybrid, das formal nicht nur einer [sic!] Art der Veröffentlichung nutzt, die aus traditioneller Sicht nur sekundär die Medien der Bildenden Kunst (z.B. Malerei, Skulptur, Graphik, Zeichnung, Photographie) nutzt, nämlich dem [sic!] Buch, sondern darüber hinaus kontextuell das Vertriebssystem Buchmarkt durch das Betriebssystem Kunst ersetzt, sich also Gérard Genette folgend durch seinen verlegerischen Epitext (Funktion, Adressaten, Interviews, Diskurs, Rezensionen) in der Kunst verortet und damit die Definition künstlerischer Praxis thematisiert. Diese Veröffentlichungen versuchen das Medium Buch als Ort der Kunst zu definieren und so Werk und Bekanntmachung in eins zu setzen.« Ebd. Vgl. Karin Mihatsch (2015): Der Ausstellungskatalog 2.0. Vom Printmedium zur OnlineRepräsentation von Kunstwerken. Bielefeld: transcript. S. 26.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

teilen: Zum einen erfüllt der Katalog, falls er vor Ausstellungseröffnung vorliegt, für Rezipierende eine orientierende wie informierende Funktion beim Rundgang durch die Ausstellung.32 Zum anderen leistet er nach Schließung einer Schau eine dokumentierende und interpretatorische Arbeit.33 Auf der Bildebene bietet der Katalog eine kalkulierte, nicht immer vollständige Versammlung von Reproduktionen, die nicht notwendigerweise die Struktur der Ausstellung widerspiegelt, sondern eine zusätzliche hermeneutische Ebene einführt.34 Auf der Schriftebene legitimieren einführende Texte das Konzept und das Ziel der Ausstellung, während weiterführende Beiträge (wissenschaftliche Aufsätze, Künstlerinterviews usw.) die ausgestellten Werke in den kunstgeschichtlichen Kanon einzuschreiben versuchen und somit eine gedächtnisorientierte Funktion erfüllen.35 Diese Zweiteilung der Funktionsbereiche korrespondiert Mihatsch zufolge mit zwei unterschiedlichen Rezeptionsfeldern: Im ersten Fall findet die Rezeption des Katalogs im öffentlichen Raum eines Museums, einer Galerie oder Kulturinstitution statt, während die Lektüre im zweiten Fall überwiegend in einem privaten (oder beruflichen) Kontext erfolgt.36 Im Folgenden interessiert die zweite, dokumentierende und interpretatorische Funktion des Katalogs. Aufgrund ihrer dichten Verweisstrukturen eignet sich diese Hybridgattung besonders gut für diskursive Netzwerkanalysen, wurde unter diesem Blickwinkel bisher allerdings kaum erforscht. Bevor von der Materialbasis zum Forschungsstand übergeleitet wird, soll auf die besondere Rolle hingewiesen werden, die wissenschaftliche Publikationen zum Moskauer Konzeptualismus in dieser Studie spielen. Wie Nicole Seeberger angemerkt hat, erschwert die Tatsache, dass einflussreiche Interpret*innen wie Boris Groys oder Sabine Hänsgen dem Künstlerkreis als Mitglieder angehörten und seine Historiographie in dieser zweifachen Rolle beeinflusst haben, in einigen Fällen eine klare Unterscheidung zwischen »Produktion und Rezeption, Quellen und Forschungsliteratur«.37 Diese Arbeit baut einerseits auf dem vorhandenen Wissenstand zum Moskauer Konzeptualismus auf, versucht andererseits jedoch auch eine metareflexive Perspektive gegenüber jenen Publikationen einzunehmen, die eine katalysatorische Wirkung im Kanonisierungsprozess des Kreises ausgeübt haben. Angesichts der mittlerweile fast unüberschaubaren Fülle der erschienenen Veröffentlichungen wird im Folgenden zunächst die Publizistik und anschließend die

32 33 34 35 36 37

Vgl. ebd: S. 28. Mihatsch baut mit dieser Zweiteilung auf Überlegungen von Camille Morineau auf. Vgl. ebd. Vgl. ebd.: S. 32. Vgl. ebd.: S. 27. Vgl. ebd.: S. 28. Nicole Seeberger (2016): Ilya Kabakov. Der Konzeptkünstler und das Dialogische. Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag. S. 16.

1. Einleitung

Forschungsliteratur besprochen, wobei die für das Erkenntnisziel dieser Studie relevantesten Beiträge herausgegriffen werden.

1.2.1

Publizistik

Unter Publizistik fallen in dieser Untersuchung Rezensionen, Zeitungskolumnen und Essays.38 Berücksichtigt werden außerdem Egodokumente von Künstler*innen und Mittlerfiguren, darunter Korrespondenzen,39 Künstlerinterviews und (auto-)biographische Texte. Einblick in die frühe postsowjetische Rezeption des Moskauer Konzeptualismus geben in erster Linie Rezensionen und Kolumnen von Kunsthistoriker*innen wie Ekaterina Degot’, Andrej Kovalev, Irina Kulik und Milena Orlova, die in den 1990er Jahren Ausstellungen und Bucherscheinungen in den Periodika Kommersant, Segodnja, Vedomosti, Izvestija und Itogi besprachen. Sie verfassen bis heute ebenfalls regelmäßig Beiträge für die 1993 von Viktor Misiano gegründete Zeitschrift Chudožestvennyj Žurnal/Moscow Art Magazine [ChŽ/MAM], die sich zu einer der einflussreichsten medialen Plattformen für die zeitgenössische russische Kunstszene entwickelt hat. Im internationalen Raum thematisierten in den 1990er Jahren die amerikanische Journalistin und Übersetzerin Jamey Gambrell sowie die 1975 aus der Sowjetunion in die USA emigrierte Kunsthistorikerin Margarita Tupicyna den Künstlerkreis in Reportagen für die Zeitschriften Art in America und Flash Art. In Deutschland sind insbesondere Publikationen des ehemaligen Auslandskorrespondenten und Kunstsammlers Hans-Peter Riese, der »Kritiker mit dem west-östlichen Blick«,40 für die Analyse relevant. Innerhalb der Kategorie Egodokumente stellt die Autobiographie des sowjetischen Kunstsammlers und Dichters Aleksandr Glezer eine besonders wichtige Zeitzeugenquelle dar. Als einer der Hauptorganisatoren der sog. Bulldozer-Ausstellung vom 15. September 1974 sah sich Glezer gezwungen, die Sowjetunion zu verlassen. 1975 ließ er sich in Paris nieder, wo er sich aktiv für die Bekanntmachung von Künstler*innen aus dem nicht-kanonkonformen Bereich, unter ihnen Il’ja Kabakov, Komar & Melamid und Vladimir Jankilevskij, einsetzte. Seine Memoiren er38

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40

Essays nehmen eine Schnittstelle zwischen Publizistik und Forschungsliteratur ein. Ihre Zuordnung entscheidet sich im Folgenden durch ihre Vermarktung und ihre Rezeption. So werden Essays, die als wissenschaftliche Publikation vermarktet werden, in der Regel von einem Fachpublikum rezipiert, während essayistische Beiträge in Katalogen von einer breiteren Öffentlichkeit gelesen und als Publizistik vermarktet werden. Korrespondenzen wurden mit Einverständnis der Urheber*innen im Archiv der Forschungsstelle Osteuropa in Bremen und im Archiv des Garage Museum for Contemporary Art in Moskau eingesehen. SWR (2016): »Hans-Peter Riese, Journalist und Kunstsammler, im Gespräch mit Doris Maull.« In: SWR2 vom 22.01.2016. URL: https://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/ zeitgenossen/riese-hans-peter-journalist-und-kunstsammler/-/id=660664/did=16554836/nid= 660664/4rx3cm/index.html (letzter Zugriff am 18.08.2020).

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

schienen 1982 unter dem politisierten Titel Kunst gegen Bulldozer. Memoiren eines russischen Sammlers im Ullstein Verlag. Die weitaus umfangreichste Sammlung nichtkanonisierter Kunst aus der UdSSR legte zwischen den 1960er und 1990er Jahren der US-amerikanische Ökonom Norton Dodge an, dessen Leben John McPhee in der Biographie The Ransom of Russian Art (1994) beschreibt. Die Kollektion ist seit 1991 als Norton and Nancy Dodge Collection of Nonconformist Art from the Soviet Union im Zimmerli Art Museum in New Jersey untergebracht. Dodge ist an einem Großteil der in dieser Untersuchung thematisierten Ausstellungen als Leihgeber beteiligt. In Deutschland ist die Kunstsammlung des ursprünglich aus Polen stammenden Ehepaars Jacob und Kenda Bar-Gera zu erwähnen, die Werke von u.a. Griša Bruskin, Ėrik Bulatov, Ivan Čujkov, Il’ja Kabakov, Fransisko Infante-Arana, Vladimir Jankilevskij und Boris Orlov umfasst. Auch der Kölner Großindustrielle Peter Ludwig und der Stern-Gründer Henri Nannen legten sich ab Mitte der 1980er Jahre auf den Erwerb nicht-kanonisierter sowjetischer Kunst zu. Das deutsch-russische Netzwerk um diese einflussreichen Sammler arbeitet Elena Korowin in ihrer Studie Der Russen-Boom (2015) auf.41 In der Sowjetunion baute zwischen den 1950er und 1990er Jahren neben Georgij Kostaki, der sich schwerpunktmäßig auf die historischen Avantgarden konzentrierte, Leonid Taločkin ein umfangreiches Archiv und die weitaus größte Sammlung nicht-kanonkonformer Kunst im russischen Raum auf. Einblick in die internationale Rezeption des Moskauer Konzeptualismus in der Perestrojka verschaffen die Memoiren Memento aus Moskau: Begegnungen mit inoffiziellen Künstlern 1978-1997 des Schweizer Diplomaten und Kunstmäzens Paul R. Jolles sowie das autobiographisch geprägte Buch The Irony Tower: Soviet Artists in a Time of Glasnost (1991) des US-amerikanischen Publizisten Andrew Solomon. Jolles war am Zustandekommen der ersten Einzelaustellung Il’ja Kabakovs mit dem Titel Ilya Kabakov. Am Rande (1985) in der Kunsthalle Bern beteiligt, die zur breiteren Bekanntheit des Künstlers in Westeuropa beigetragen hat. Seine Memoiren bieten einen detaillierten Rückblick auf die Organisation dieser und weiterer Ausstellungen in den 1980er und 1990er Jahren, in denen Repräsentant*innen aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten vertreten waren. Solomons Buch, das als Reisebericht angelegt ist, setzt am Vorabend der Moskauer Sotheby’s-Auktion vom 7. Juli 1988 an und behandelt die turbulente Periode zwischen 1988 und 1990, in der es zu einem regelrechten Boom an Ausstellungen zum Moskauer Konzeptualismus kam. In den letzten Jahren sind außerdem mehrere Rückblicke von Künstler*innen und Mittlerfiguren selbst im Verlag Novoe Literaturnoe Obozrenie [NLO] erschienen. So gab

41

Vgl. zu Peter Ludwigs Mittlertätigkeiten als Sammler auch Boris Pofalla (2016): »Chocolate, Pop and Socialism: Peter Ludwig and the GDR.« In: Jérôme Bazin/Pascal Dubourg Glatigny/Piotr Piotrowski (Hg.): Art Beyond Borders. Artistic Exchange in Communist Europe [19451989]. Budapest/New York: Central European University Press. S. 81-89.

1. Einleitung

Georgij Kizeval’ter die Sammelbände Ėti strannye semidesjatye, ili Poterja nevinnosti [Die seltsamen siebziger Jahre, oder der Verlust der Unschuld] (2010) und Perelomnye vos’midesjatye v neoficial’nom iskusstve SSSR [Die Umbrüche der achtziger Jahre in der inoffiziellen Kunst der UdSSR] (2014) heraus, die Erinnerungen, Interviews und Essays von Moskauer Konzeptualisten, Kurator*innen und Interpret*innen umfassen. Damit versuchen die Bände, die eine Schnittstelle zwischen Publizistik, Egodokument und Forschungsliteratur einnehmen, die (eigene) Historiographie des Künstlerkreises aufzuarbeiten.

1.2.2

Forschungsliteratur

In den 1970er und 1980er Jahren haben namentlich die Bochumer und Bielefelder Seminare für Slavistik eine Schlüsselrolle in der Vermittlung nicht-kanonkonformer sowjetischer Kunst, Literatur und Kulturtheorie nach Deutschland gespielt. Wie im dritten Kapitel ausführlicher dargelegt wird, spiegelt die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus somit ein Stück Fachgeschichte der deutschsprachigen Slavistik wider. Für die Analyse sind Karl Eimermachers Aufsatz »Von der Einheit zur Vielfalt. Sozio-kulturelle Aspekte der sowjetischen Kunst zwischen 1945 und 1988 in Moskau« (1988) sowie sein Rückblick auf seine Laufbahn Vozzrenija i ponimanija. Popytki ponjat’ aspekty russkoj kul’turoj umom [Anschauungen und Erinnerungen. Versuche, Aspekte der russischen Kultur zu verstehen] (2018) besonders relevant. Während Karl Eimermacher (Bochum) und Hans Günther (Bielefeld) schwerpunktmäßig zu Vertreter*innen einer älteren Moskauer Künstlergeneration wie Vadim Sidur, Ėrnst Neizvestnyj und Vladimir Nemuchin forschten, lenkten die Bochumer Slavist*innen Georg Witte und Sabine Hänsgen in der ersten Hälfte der 1980er Jahre die Aufmerksamkeit auf die jüngeren Moskauer Konzeptualisten. Mit dem multimedialen Band Kulturpalast. Neue Moskauer Poesie & Aktionskunst, der 1984 im Wuppertaler S Press Tonbandverlag erschien, gaben die Forscher*innen unter dem Pseudonym Günter Hirt und Sascha Wonders die erste ausführliche deutschsprachige Publikation zum Künstlerkreis heraus. 1987 folgten unter dem Titel Moskau. Moskau sieben Videostücke mit Begleitheft, die Gedichtlesungen, Performances, Gespräche und Kunstwerke der Moskauer Konzeptualisten dokumentieren. Insbesondere Sabine Hänsgen hat sich in ihrer Karriere nicht nur als Wissenschaftlerin, sondern auch als Kuratorin und Künstlerin betätigt. Für diese Form der Vermittlung gilt, dass Prozesse der Produktion und der Rezeption ineinander überfließen. Eine Sonderstellung zwischen Primärquelle und Forschungsliteratur nehmen auch einige Publikationen von Boris Groys ein, der als einflussreichster Theoretiker des Moskauer Konzeptualismus gilt. In Gesamtkunst Stalin (1988) setzt sich der Kulturphilosoph mit dem Verhältnis zwischen dem Kunst- und Gesellschaftsverständnis des historischen Avantgardismus, des Sozialistischen Realismus und des

35

36

Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Moskauer Konzeptualismus auseinander. Der Sammelband Zeitgenössische Kunst aus Moskau (1991) umfasst Künstlergespräche und ausgewählte, zwischen 1979 und 1991 entstandene Essays zur Moskauer Kunstszene. Der von Groys edierte Band Zurück aus der Zukunft (2005) enthält Beiträge zur Entwicklung der unmittelbaren postsowjetischen Kunst- und Kulturlandschaft von u.a. Ekaterina Degot’, Michail Ryklin und Keti Čuchrov. Berücksichtigt wurde ebenfalls die Publikation History Becomes Form: Moscow Conceptualism (2010), in der eine überarbeitete Auswahl von Essays zum Moskauer Konzeptualismus erschien, die nach der Emigration des Autors in die BRD entstanden sind. Hingewiesen sei abschließend auf eine von Groys herausgegebene Aufsatzsammlung, die unter dem Titel Moscow Symposium: Conceptualism Revisited (2012) in der Reihe von e-flux journal erschien. Eine kritische Auseinandersetzung mit der internationalen Aufarbeitung nicht-kanonkonformer sowjetischer und osteuropäischer Kunst hat der 1980 nach Deutschland emigrierte ungarische Kunsthistoriker Thomas Strauss im Sammelband Westkunst – Ostkunst: Absonderung oder Integration? (1991) sowie in seiner Essaysammlung Zwischen Ostkunst und Westkunst. Von der Avantgarde zur Postmoderne. Essays (1970-1995) (1995) geleistet. Die Rezeption von Ausstellungen sowjetischer Kunst in der BRD der 1970er und 1980er Jahre untersucht unter dem Blickwinkel der Kulturpolitik und der Diplomatie die oben erwähnte Studie Der Russen-Boom (2015) von Elena Korowin. Der von Elisabeth Cheauré herausgegebene Sammelband Kunstmarkt und Kanonbildung (2000) nimmt Fragen des Transfers, der Vermarktung und der Kanonisierung von russischer Kunst und Literatur in den 1990er Jahren in den Blick. Mit der Herausbildung einer postsowjetischen Kunstinfrastruktur am Beispiel von russischen und polnischen Galerien befasst sich Thomas Skowroneks Untersuchung Marktgestalten in Sorge (2018). Berücksichtigt wurden ebenfalls mehrere Überblicksstudien zur Geschichte des Moskauer Konzeptualismus im breiteren Kontext der nicht-kanonkonformen sowjetischen Kunst. Besonders hervorzuheben sind der von Anna Florkovskaja herausgegebene Sammelband Neoficial’noe iskusstvo v SSSR, 1950-1980-e gody [Inoffizielle Kunst in der UdSSR, 1950er-1980er Jahre] (2014) sowie Ekaterina Degot’s Studie Russkoe iskusstvo XX veka [Russische Kunst des 20. Jahrhunderts] (2000). Eine weitere umfassende Untersuchung zu diesem Thema hat die Kunsthistorikerin Ekaterina Bobrinskaja unter dem Titel Čužie? Neoficial’noe iskusstvo: mify, strategii, koncepcii [Fremde? Inoffizielle Kunst: Mythen, Strategien, Konzepte] (2013) vorgelegt. Der von Jérôme Bazin, Pascal Dubourg Glatigny und Piotr Piotrowski edierte Sammelband Art Beyond Borders (2016) thematisiert den künstlerischen und kulturpolitischen Austausch zwischen Künstler*innen und Mittlerfiguren in Ost und West während des Kalten Krieges. Damit versucht die Publikation der nach wie vor beharrlichen Vorstellung einer völlig getrennten Entwicklung beider Kunstszenen entgegenzutreten. Eine transnationale Perspektive nimmt auch Valentina Parisi in ihrem Aufsatz »The Tamizdat-Journal A-Ja and Russian Unofficial Arts in the 1970s-1980s« (2013)

1. Einleitung

ein, der für die Analyse der frühen westeuropäischen Rezeption des Moskauer Konzeptualismus in dieser Untersuchung relevant ist. Mit den künstlerischen Praktiken der Moskauer Konzeptualisten beschäftigt sich eine Reihe aktueller deutschsprachiger Forschungsarbeiten.42 Dabei liegt ein deutlicher Schwerpunkt auf dem Werk Il’ja Kabakovs.43 Manuela Schöpp nimmt in Konzeptualismus diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs. Joseph Kosuth und Ilya Kabakov (2011) den Dialog zwischen angelsächsischer und sowjetischer Konzeptkunst in den Blick. Den Ausgangspunkt der Studie bildet die Installation »The Corridor of Two Banalities« (1994), die Joseph Kosuth gemeinsam mit Il’ja Kabakov realisierte. Mit dem Oeuvre Kabakovs befasst sich ebenfalls die Studie Ilya Kabakov. Der Konzeptkünstler und das Dialogische (2016) von Nicole Seeberger, die das Gesamtwerk des Künstlers unter dem von Michail Bachtin geprägten Konzept des Dialogischen betrachtet. Seeberger bezieht sich in ihrer Argumentation auf zwei einflussreiche Studien zu Sprechakten und Autorschaftsinszenierungen im Moskauer Konzeptualismus von Sylvia Sasse (Texte in Aktion: Sprech- und Sprachakte im Moskauer Konzeptualismus [2003]) und Stephan Küpper (Autorstrategien im Moskauer Konzeptualismus: Il’ja Kabakov, Lev Rubinštejn, Dmitrij A. Prigov [2000]), die an dieser Stelle abschließend zu erwähnen sind.

42

43

In der englischsprachigen Forschung befassen sich Mark Lipovetsky, Mikhail Epstein und Dennis Ioffe prominent mit den künstlerischen und literarischen Praktiken der Moskauer Konzeptualisten. Lipovetsky ist als Herausgeber des Gesamtwerks Dmitrij Prigovs tätig, das bisher in fünf umfangreichen Sammelbänden erschienen ist, darunter Nekanoničeskij klassik: Dmitrij Aleksandrovič Prigov [Der nicht-kanonische Klassiker: Dmitrij Aleksandrovič Prigov] (2014). Auch arbeitet er an einer Biographie des Künstlers. Epstein konzentriert sich in seiner einflussreichen Studie After the Future: The Paradoxes of Postmodernism and Contemporary Russian Culture (1995) und in aktuelleren Aufsätzen wie »The Philosophical Implications of Russian Conceptualism« (2010) schwerpunktmäßig auf die Theoretisierung des Moskauer Konzeptualismus als Teil des russischen Postmodernismus. Dennis Ioffe fokussiert unterschiedliche thematische und intermediale Aspekte in der Kunst und Literatur der Moskauer Konzeptualisten in Aufsätzen wie »Laughter in Moscow Conceptualism: Locating Prigov’s Irony Within the Conceptualist Milieu« (2014) und »On Semiotic ›Textuality‹ of Music: The Case of Moscow Conceptualism« (2015). In aktuellen literaturwissenschaftlichen Studien liegt der Fokus auf dem Werk Dmitrij Prigovs. Vgl. beispielsweise Philipp Kohl (2018): Autobiographie und Zoegraphie – Dmitrij A. Prigovs späte Romane. Berlin/Boston: Walter de Gruyter.

37

2. Kanonbildung in transkulturellen Netzwerken: Theoretisch-methodische Grundlagen »Все люди смертны, но концептуализм не человек«1 (Andrej Monastyrskij: 2016)

2.1

Zur Einführung: Kanonbildung als transkulturelles Phänomen

»The billing was jet-set«, so beschreibt der damals 24-jährige US-amerikanische Journalist Andrew Solomon die elektrisierte Atmosphäre kurz vor Beginn der Moskauer Sotheby’s-Auktion am 7. Juli 1988; »we were not going to an auction but to one of the most important events in the new communication between East and West. Anyone reading the advance material would have thought this was an occurrence beside which the signing of the Treaty of Versailles was shoddy and insignificant.«2 In The Irony Tower (1991) gibt Solomon einen detaillierten Einblick in die Auktion, auf der Werke von fünf Avantgardist*innen und 29 nicht-kanonkonformen Gegenwartskünstler*innen an ein eigens nach Moskau angereistes Publikum aus dem In- und Ausland versteigert wurden. Arbeiten aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten und der Soz-Art waren mit Il’ja Kabakov, Ivan Čujkov, Irina Nachova, Vadim Zacharov und Griša Bruskin prominent vertreten. Die Folgen dieser ersten kommerziellen Kunstauktion auf sowjetischem Boden, die Sotheby’s’ Russlandabteilung in Absprache mit dem Kulturminister der UdSSR Vasilij Zacharov organisiert hatte,3 waren weitreichend. Der große Erfolg des Verkaufs – insgesamt brachte er eine Rekordsumme von 2.085.050 Pfund ein –,4 löste in den Worten des US-amerikanischen Kurators David Ross ein regelrechtes »land1

2 3

4

Guzel’ Fajzrachmanova (2016): »›Vse ljudi smertny, no konceptualizm ne čelovek.« In: Biznez online vom 02.05.2016. URL: https://www.business-gazeta.ru/article/309543 (letzter Zugriff am 16.08.2020). [Alle Menschen sind sterblich, aber der Konzeptualismus ist kein Mensch.] Andrew Solomon (1991): The Irony Tower. Soviet Artists in a Time of Glasnost. New York: Alfred A. Knopf. S. 20. Vgl. Waltraud Bayer (2006a): »Der inoffizielle Markt: Kunst und Dissens in der Sowjetunion, 1956-1988.« In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 17. Nr. 2-3. S. 218-243, hier S. 239. Die Organisatoren hatten vorher mit einer Summe zwischen 796.800 und 1.068.400 Pfund gerechnet. Vgl. Solomon (1991): S. 31.

40

Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

rush fever«5 aus, das anfänglich zu mehr Verwirrung als Klarheit über die heterogene sowjetische Kunstszene führte. Jürgen Harten, der damalige Direktor der Kunsthalle Düsseldorf, charakterisierte die Monate unmittelbar nach der Versteigerung sogar als »Bild der Anarchie«.6 Obwohl die internationale Rezeption nichtkanonkonformer Kunst aus der Sowjetunion lange vor dem 7. Juli 1988 eingesetzt hatte, ermöglichte die Auktion den beteiligten Künstler*innen erweiterte Westkontakte und Reisemöglichkeiten, vergrößerte die Nachfrage ihrer Werke, deren gebührenfreie Ausfuhr das Auktionshaus garantierte, und etablierte ein kommerzielles Referenzsystem für ihre Einbindung in den internationalen Kunstmarkt.7 Nicht zuletzt förderte sie innenpolitisch die Anerkennung dieser Kunst in Moskau selbst, wie Waltraud Bayer erklärt: »Gleichsam über Nacht etablierte sich der Nonkonformismus, wenngleich nur kurzfristig, als dominante, vorwiegend zur Repräsentation nach außen eingesetzte Strömung. Im Sog dieser Aufwertung erfuhren die noch vor kurzem von der Partei hofierten Staatskünstler eine drastische Abwertung; der einst offizielle Bereich implodierte gewissermaßen.«8 Als historisches Ereignis gab die Sotheby’s-Auktion der Zirkulation von nicht-kanonkonformen Kunstwerken, die international rezipiert und allmählich kanonisiert werden konnten, einen entscheidenden Impuls. Vor der Versteigerung hatte das Auktionshaus bestimmte Modi der In- und Exklusion festgelegt. So umfasste die Auswahl an Arbeiten ausschließlich Gemälde und wurden Skulpturen, Installationen und Objektkunst vom Verkauf ausgeschlossen.9 Mit diesem Gattungsschwerpunkt und dem Fokus auf die nicht-kanonkonforme Moskauer Kunstszene beschleunigte Sotheby’s als fremdkultureller Akteur grundlegende Transformationsprozesse im spätsowjetischen Kunstfeld, indem Künstler*innen, die bis dahin in der Peripherie gearbeitet hatten, nun im Schnellzugverfahren in das Zentrum 5

6

7

8 9

David A. Ross (1990): »Provisional Reading: Notes for an Exhibition.« In: David A. Ross et al. (Hg.): Between Spring and Summer. Soviet Conceptual Art in the Era of Late Communism. Cambridge, Massachusetts: MIT Press. S. 1-30, hier S. 6. Jürgen Harten (1991): »Acht Stempel in diesem Paß oder ›Dort gibt es Wunder, dort spuken Geister…‹« In: Jürgen Harten (Hg.): Sowjetische Kunst um 1990/Sovetskoe iskusstvo okolo 1990 goda. Köln: DuMont Buchverlag. S. 6-15, hier S. 6. Vgl. Waltraud Bayer (2007): »Russische Bestseller. Der internationale Kunstmarkt als Indikator für die Wertschätzung von russischer Kunst seit 1988.« In: Ada Raev/Isabel Wünsche (Hg.): Kursschwankungen. Russische Kunst im Wertesystem der europäischen Moderne. Berlin: Lukas Verlag. S. 43-54, hier S. 46f.; vgl. Paul R. Jolles (1997): Memento aus Moskau. Begegnungen mit inoffiziellen Künstlern 1978-1997. Köln: Wienand Verlag. S. 133ff. Bayer (2007): S. 48. Vgl. Solomon (1991): S. 34. Diese Entscheidung traf Lord Gowri, der Vorsitzende von Sotheby’s und ehemalige britische Kulturminister, gemeinsam mit Simon de Pury und Julian Barran. Letztere waren zu diesem Zeitpunkt Geschäftsführer von Sotheby’s Europe bzw. France.

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

der Aufmerksamkeit gerückt wurden. Der große kommerzielle Erfolg einiger Werke trug außerdem dazu bei, dass sich unter den repräsentierten Künstler*innen alternative hierarchische Verhältnisse herausbildeten, die zum Teil ihrer bisherigen Selbstwahrnehmung widersprachen.10 So erzielte Griša Bruskin, eine bis dahin eher unauffällige Figur innerhalb der alternativen Kunstszene, den zweithöchsten Verkaufspreis für sein Werk »Fundamental’nyj leksikon« [Fundamentales Lexikon] (1986) – den höchsten Preis erhielt die Komposition »Linija« [Linie] von Aleksandr Rodčenko – und geriet damit sehr zu seinem eigenen Erstaunen in den Vordergrund des Interesses der internationalen Kunstwelt.11 Die Moskauer Sotheby’s-Auktion, auf die im nächsten Kapitel zurückzukommen ist, interessiert an dieser Stelle als Katalysator für Prozesse der transkulturellen Kanonbildung und damit als Einstieg in die Erörterung der theoretisch-methodischen Prämissen, die vorliegender Untersuchung zugrunde liegen. Zunächst soll der hier verwendete Kanonbegriff expliziert werden. Nach Jan Assmann stellt ein Kanon ein sowohl orientierendes als auch normierendes Instrument dar,12 dessen Korpus aus einer relativ kleinen Auswahl von mit Sinn aufgeladenen Texten oder Bildern besteht, die eine identitätsstiftende Funktion für Kollektive ausüben. In seiner Rolle als normative »Richtschnur«13 legitimiert der Kanon geltende ästhetische Werte durch ihre Verankerung in der Vergangenheit14 und setzt Maßstäbe zur Strukturierung des literarischen oder künstlerischen Markts, indem er bestimmte Richtlinien für die Rezeption von Werken vorgibt.15 Seit den 1960er Jahren hat der Kanondiskurs unter dem Einfluss postkolonialer und gender-Theorien sowie Jean-François Lyotards These vom Ende der großen Erzählungen verstärkt kritische Aufmerksamkeit erfahren. Lag der Fokus der Kritik mit dem Aufkommen feministischer Theoriebildung anfänglich primär auf dem männlichen Charakter des Kanons als bislang unangefochtene Metaerzählung, so führten die geopolitischen Umbrüche vom Ende der 1980er Jahre zu einer zunehmenden Schwerpunktverlagerung »from gender to geography-based exclusions«.16 10 11 12 13

14 15

16

Vgl. ebd.: S. 36f., 46. Vgl. Bayer (2007): S. 46. Vgl. Jan Assmann (2007): Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München: C.H. Beck. S. 112. Georg Witte (2000): »Die Kunst der Selbstkanonisierung.« In: Elisabeth Cheauré (Hg.): Kunstmarkt und Kanonbildung. Tendenzen in der russischen Kultur heute. Berlin: Berlin Verlag A. Spitz. S. 99-117, hier S. 103. Vgl. Renate von Heydebrand/Simone Winko (1996): Einführung in die Wertung von Literatur. Systematik – Geschichte – Legitimation. Paderborn u.a.: Ferdinand Schöningh. S. 334. Vgl. Simone Winko (2002): »Literatur-Kanon als invisible hand-Phänomen.« In: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur. Literarische Kanonbildung. Sonderband. München: Richard Boorberg Verlag. S. 9-24, hier S. 20. Ruth E. Iskin (2017): »Introduction: Re-envisioning the Canon: Are Pluriversal Canons Possible?« In: Ruth E. Iskin (Hg.): Re-envisioning the Contemporary Art-Canon. Perspectives in a Global

41

42

Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Obwohl das gegenwärtig starke Interesse für globale Vernetzungen zwischen Kulturen die Vorstellung stabiler nationaler (in erster Linie gemeint sind westlicher) Kanons entschieden ins Wanken gebracht hat, stellt die Theoretisierung solcher transkulturellen Wechselwirkungen ein bislang ungelöstes Problem in der Forschung dar. Komplex ist insbesondere die Tatsache, dass der Einfluss des Nationalen nicht einfach zugunsten des Transnationalen verschwindet, da Kanons Institutionen brauchen, die in der Regel eine nationale Basis haben, wie Mads Rosendahl Thomsen argumentiert.17 Die Herausforderung besteht also darin, die Interaktion zwischen nationalen und transnationalen Selektions- und Rezeptionsprozessen theoretisch und methodisch zu untersuchen. Ziel dieses Kapitels ist es, das sog. invisible hand-Modell, das die Germanistin Simone Winko als Instrument für die Erforschung von Kanonbildung vorgeschlagen hat,18 um eine transkulturelle Perspektive zu erweitern. Denn obwohl dieses Modell ein differenziertes analytisches Werkzeug darstellt, richtet es sich, wie im Folgenden zunächst dargelegt wird, in erster Linie auf intrakulturelle Kanonentwicklung. Im Anschluss daran entwirft das Kapitel ein netzwerkanalytisches Begriffsinstrumentarium, mit dem der Einfluss transkultureller Transferprozesse auf Kanonformierung methodisch untersucht werden kann. Zuerst sei auf die theoretischen Prämissen des invisible hand-Modells eingegangen. Ein Kanon entwickelt sich Winko zufolge als dynamische Wechselwirkung zwischen einer Mikroebene individueller Handlungen und einer Makroebene kontextueller Faktoren, die nach dem invisible hand-Prinzip funktioniert.19 Auf der Mikroebene bewerten Individuen kulturelle Artefakte nach ihrer Wichtigkeit, was zur Herausbildung eines bestimmten Text- oder Bildkorpus führt. Ihre Einschätzungen werden von überindividuellen Makrokontexten beeinflusst. So wirken auf

17

18

19

World. New York: Routledge. S. 1-41, hier S. 4. Kritik an Versuchen der Kanonrevision aus postkolonialer und/oder feministischer Sicht übte Mitte der 1990er Jahre der US-amerikanische Literaturwissenschaftler Harold Bloom, der das Konzept des ›westlichen Kanons‹, der, wie die Auswahl der von ihm besprochenen Werke in The Western Canon (1996) zeigt, in seiner Interpretation weiß und männlich dominiert ist, stark verteidigte. Mit diesem vielbesprochenen Buch erlangte Bloom große Bekanntheit in internationalen Kanondebatten und erntete für seine Thesen sowohl Kritik als auch Bewunderung. Vgl. Harold Bloom (1996): The Western Canon. The Books and School of the Ages. New York: Riverhead Books. Vgl. Mads Rosendahl Thomsen (2019): »Transnationalität und Kanon.« In: Doerte Bischoff/Susanne Komfort-Hein (Hg.): Handbuch Literatur & Transnationalität. Berlin/Boston: Walter de Gruyter. S. 215-227, hier S. 215. Obwohl für die Erforschung literarischer Kanonbildung gedacht, lässt sich das Modell aufgrund der Abstraktheit seiner Prämissen auch für kunst- und kultursoziologisch orientierte Untersuchungen verwenden. Das invisible hand-Prinzip betrachtet einen Kanon als das Ergebnis kontingenter Handlungen von Individuen, die ersteren zwar nicht absichtlich, allerdings auch nicht komplett willkürlich zusammengesetzt haben. Vgl. Winko (2002): S. 10.

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

jeden Bewertungsakt erstens kollektive Faktoren wie die kulturelle und habituelle Sozialisation einer Person ein.20 Diese determinieren die individuellen Bewertungsvorgänge zwar nicht, legen aber bestimmte Interpretationsangebote nahe und schränken somit den Spielraum einzelner Akteur*innen ein.21 Zweitens ist Kanonbildung makroperspektivisch betrachtet nur im Falle einer Akkumulation von ähnlichen Einschätzungen möglich. So wird das Urteil einer Einzelperson erst in dem Moment kanonrelevant, wenn sich weitere gleichgerichtete Meinungen anschließen.22 Der entscheidende Vorzug dieses Zwei-Ebenen-Modells liegt Winko zufolge darin begründet, äußere Faktoren (wie institutionelle und sozialkulturelle Makrokontexte) nicht als einzig ausschlaggebendes Kriterium für Kanonbildung zu betrachten und folglich nicht in die Falle eines eindimensionalen Ursache-Wirkungs-Schemas zu treten.23 Trotz dieses überzeugenden Vorteils sind bei der Anwendung des invisible hand-Modells in dieser Untersuchung drei Einschränkungen zu berücksichtigen, die es erforderlich machen, die Theorie weiterzudenken. Zuerst sollen die Einwände erklärt werden. Der Kulturhistoriker Alexander Kiossev hat auf vier implizite Annahmen in Winkos Ausführungen hingewiesen, die ihm zufolge auf einer deutschen Literaturtradition basieren, weshalb die Übertragung des Modells auf andere kulturelle Kontexte zu Problemen führen könne.24 Zwei seiner Kritikpunkte sind für diese Studie besonders relevant. Kiossev bemängelt erstens, dass das invisible hand-Modell implizit ein erfahrenes rezipierendes Publikum auf der Mikroebene sowie ein ausdifferenziertes Literatursystem auf der Makroebene voraussetzt.25 Damit verbunden sei zweitens die Prämisse, dass Personen und Institionen nach einem Routineprinzip handeln – das Modell befasse sich weniger mit der historischen Entstehung von Wertvorstellungen.26 Diese Vorbehalte sind in der Untersuchung zu berücksichtigen. Verkompliziert wird die Analyse nämlich durch die fundamentale Umstrukturierung nicht nur des russischen Gesellschaftssystems, sondern auch des Kunstbetriebs in den späten 1980er und 1990er Jahren. In dieser Periode bildete sich eine neue postsowjetische 20 21 22 23 24

25 26

Vgl. ebd.: S. 16. Vgl. ebd.: S. 18. Vgl. ebd.: S. 18f. Vgl. ebd.: S. 11. Vgl. Alexander Kiossev (2010): »›Visible Hands‹: Selbstkolonialisierung und Kanonbildung von oben (an Beispielen aus der bulgarischen Literatur).« In: Matthias Freise/Claudia Stockinger (Hg.): Wertung und Kanon. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. S. 77-99, hier S. 77. Vgl. ebd.: S. 80, 86. Vgl. ebd.: S. 80. Als weitere implizite Annahme des Modells erwähnt Kiossev die ›Korpusprämisse‹, d.h. die Voraussetzung, dass »Kanonbildung zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem ein Korpus von Literaturtexten bereits vorhanden ist«. Auch gehe das invisible hand-Modell davon aus, dass sich Mikro- und Makroebene (Individuen und Institutionen) gegenseitig ausbalancieren. Ebd.

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44

Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Kunstszene heraus, die sich zwar an einem westlichen Modell orientierte, aber dennoch nicht eins zu eins mit letzterem gleichgesetzt werden darf. So spricht Thomas Skowronek von einem »westliche[n] Importprodukt«, das auf »vielfältige Weise mit […] russischen Spezifika sowie mehrfach gebrochenen Spiegelungen von eigen und fremd überlagert« sei.27 Verdeutlichen lässt sich dies am Beispiel von russischen Galerien, die in ihrer Anfangsphase als »›hot spots‹ that were, in essence, noncommercial spaces used by the professional community«28 funktionierten. Die Rezeption des Moskauer Konzeptualismus fand in diesem neuen Kunstbetrieb zunächst hauptsächlich in neugegründeten Galerien, Zeitschriften wie Chudožestvennyj Žurnal/Moscow Art Magazine und Zeitungen wie Kommersant oder Izvestija statt und weniger, wie in Westeuropa und den USA, in Museumsausstellungen und an Universitäten. Diesen Spezifika sind in der Analyse Rechnung zu tragen. Es soll noch ein dritter Einwand gegen das invisible hand-Modell erwähnt werden, den Kiossev zwar beobachtet, aber nicht systematisch ausarbeitet. Anlass dazu gibt die eingangs geschilderte Problematik, dass sich Kanonisierungsprozesse nicht zwingend nur im eigenkulturellen Raum vollziehen müssen, sondern von fremdkulturellen Akteur*innen und Makrokontexten maßgeblich mitgesteuert werden können. Dies wird in Winkos Ausführungen ungenügend reflektiert, was dazu führt, dass Kanonbildung implizit als intrakultureller Vorgang verstanden wird, während in der Kanonisierungsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus nationale und transnationale Mechanismen ineinandergreifen. Zu berücksichtigen sind z.B. die Mittlertätigkeiten von transkulturell agierenden Akteur*innen wie Boris Groys sowie die Selbstinszenierungspraktiken der Künstler*innen im internationalen Raum, die mit ihrem »verspäteten Zugang[] zu den Medien der Historisierung«29 entscheidend zur erfolgreichen Kanonisierung des Moskauer Konzeptualismus beigetragen haben. Solche narrativen Selbsthistorisierungsstrategien lassen sich u.a. in Il’ja Kabakovs Ausstellung NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten (Hamburg, 1993), Vadim Zacharovs Samizdat-Zeitschrift Pastor (1992-2001) und seiner Installation »Die Geschichte der russischen Kunst – Von der russischen Avantgarde bis zur Moskauer Schule der Konzeptualisten« (2003) beobachten. Resümierend ist also festzuhalten, dass Kanonbildung im Falle der vorliegenden Untersuchung als Wechselwirkung zwischen eigen- und fremdkulturellen Rezeptionsmodi erfolgt. Diese Feststellung hat Konsequenzen für die zu verwendende Methode. In den nächsten Abschnitten dieses Kapitels wird argumentiert, dass sich die Interaktion

27 28 29

Thomas Skowronek (2018): Marktgestalten in Sorge. Kunstgalerien und ökonomische Ordnungen in Polen und Russland (1985-2007). Köln: Böhlau Verlag. S. 18. Elena Selina (2016): »A Time to Gather Stones.« In: Kate Fowle/Ruth Addison (Hg.): Access Moscow: The Art Life of a City Revealed 1990-2000. Prag: Artguide s.r.o. S. 56-61, hier S. 57. Witte (2000): S. 102.

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

zwischen intra- und transkulturellen Rezeptionsmechanismen in Kanonisierungsprozessen mit netzwerkanalytischen Ansätzen methodisch gewinnbringend erforschen lässt. Die Netzwerkanalyse ist besonders geeignet, die Handlungsstrategien von sozialen Akteur*innen sowie ihr Switchen zwischen verschiedenen kulturellen Kontexten – und damit zwischen verschiedenen Makroebenen – zu erfassen, ist sie doch, um Albrecht Koschorke zu zitieren, um »Fragen der Einheit und der dazugehörigen Reinhaltung von Grenzen wenig besorgt«.30 Folglich kann mithilfe von netzwerkanalytischen Verfahren an das oben erwähnte Desiderat des invisible hand-Modells angeknüpft werden, das Kanonbildung bislang zu sehr als nationalen und zu wenig als transnationalen Prozess versteht. Nach einer einleitenden Ausführung zu den Begriffen des Kulturtransfers und der Histoire croisée, die als heuristische Modelle vielfach mit der Netz- und Netzwerkmetapher arbeiten, ohne damit allerdings methodologische Überlegungen zu verbinden, entwirft dieses Kapitel ein netzwerkanalytisches Begriffsinstrumentarium für eine transkulturelle Kanonforschung. Zurückgegriffen wird dabei sowohl auf Erkenntnisse aus der sozialwissenschaftlichen Netzwerkanalyse als auch der Akteur-Netzwerk-Theorie, wobei die Anwendbarkeit dieser soziologischen Ansätze auf diese an kulturwissenschaftlichen Fragestellungen interessierte Studie kritisch zu prüfen ist.

2.2

Kulturtransfer versus Histoire croisée: Grundlagen und Desiderata

Die deutsch-französische Tradition der Kulturtransferforschung,31 auf der diese Untersuchung aufbaut, wurde von der Arbeitsgruppe um Michel Espagne und Michael Werner am Centre National de la Recherche Scientifique [CNRS] begründet, die den Begriff des Kulturtransfers Mitte der 1980er Jahre einführte. Die Gruppe beeinflusste die anfängliche Theorieentwicklung des Forschungsfeldes stark, indem sie sich mit Reihen wie der Leipziger Deutsch-Französischen Kulturbibliothek

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Albrecht Koschorke (2010): »Ein neues Paradigma der Kulturwissenschaft.« In: Eva Esslinger et al. (Hg.): Die Figur des Dritten. Ein kulturwissenschaftliches Paradigma. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. S. 9-31, hier S. 22. Sébastien Rossignol unterscheidet zwischen einer deutsch-französischen Tradition der Kulturtransferforschung, die sich schwerpunktmäßig auf Schriftlichkeit und Kunstgeschichte konzentriert und stark von Michel Espagne und Michael Werner geprägt wurde, und einer Richtung, die sich intensiver mit den Modalitäten kultureller Austauschprozesse befasst und vom Historiker Peter Burke vertreten wird. Vgl. Sébastien Rossignol (2009): »Eliten und Kulturtransfer im Mittelalter. Ausgangslage und Ergebnisse.« In: Anne Klammt/Sébastien Rossignol (Hg.): Mittelalterliche Eliten und Kulturtransfer östlich der Elbe. Interdisziplinäre Beiträge zu Archäologie und Geschichte im mittelalterlichen Ostmitteleuropa. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen. S. 205-236, hier S. 205f., 217.

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und Zeitschriften wie der Revue Germanique Internationale eigene Publikationsplattformen verschaffte und sich mit benachbarten Forschungsgruppen um Jacques Grandjonc, Gérard Raulet, Hans-Jürgen Lüsebrink und Etienne François vernetzte.32 Die rege Publikations- und Vernetzungstätigkeit der Gruppe stellt zweifellos einen der Gründe für die »eindrückliche[] Karriere«33 der Kulturtransferforschung dar, die sich besonders im deutschsprachigen Raum zu einem mittlerweile fest verankerten kulturwissenschaftlichen Verstehensmodell entwickelt hat. Von Kritik blieb der Ansatz vor allem in seiner ursprünglichen Ausprägung durch Werner und Espagne allerdings nicht verschont. Die Desiderata des Modells wurden insbesondere von Vertreter*innen der Histoire croisée aufgegriffen und weitergedacht. Aufbauend auf ausgewählten Grundlagentexten und aktuellen Publikationen wird in diesem Abschnitt die Entwicklung der Kulturtransferforschung unter Einbezug der von der Histoire croisée formulierten Einwände kritisch dargestellt, ist doch ein genaues Verständnis der Prämissen dieses Modells für die anschließende Darlegung eines netzwerkanalytischen Begriffsinstrumentariums für eine transkulturelle Kanonforschung unabdingbar, so wie es in diesem Kapitel entworfen werden soll. Im Aufsatz »Sur les limites du comparatisme en histoire culturelle« (1994) grenzt Espagne die Kulturtransferforschung sowohl von einer positivistisch verfahrenden Komparatistik als auch von dem klassischen historischen Vergleich in den Kultur- und Geschichtswissenschaften ab.34 Seine Argumentation gliedert sich entlang dreier zentraler Punkte, auf deren Grundlage die heuristischen Modelle der Kulturtransferforschung und der Histoire croisée argumentativ aufbauen. Kritisiert werden erstens die Vergleichskategorien, zweitens die wissenschaftliche Beobachterposition und drittens die Vergleichsebene der Komparatistik und der (Kultur-)Geschichtsforschung. Espagnes erster Einwand richtet sich gegen die Verwendung des Begriffes der ›Nation‹ als analytische Vergleichskategorie. Sowohl die Komparatistik als auch die vergleichende Kultur- und Geschichtswissenschaft

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Vgl. Thomas Keller (2006): »Kulturtransferforschung. Grenzgänge zwischen Kulturen.« In: Stephan Moebius/Dirk Quadflieg (Hg.): Kultur. Theorien der Gegenwart. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 106-119, hier S. 106. Achim Landwehr/Stefanie Stockhorst (2004): Einführung in die europäische Kulturgeschichte. Paderborn: Ferdinand Schöningh. S. 287. Den klassischen historischen Vergleich erklärt Hartmut Kaelble als »die systematische Suche nach Unterschieden und Ähnlichkeiten, nach Divergenzen und Konvergenzen zwischen mehreren Vergleichsfällen. Zu dem Vergleich gehört die Erklärung oder die Entwicklung von Typologien solcher Unterschiede und Ähnlichkeiten, dabei auch ihre Kontextualisierung.« Hartmut Kaelble (2005): »Die Debatte über Vergleich und Transfer und was jetzt?« In: H-SozKult. URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp?id=574&view=pdf&pn=forum&t ype=diskussionen (letzter Zugriff am 13.08.2020).

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

versäume es, diesen Leitbegriff historisch, kulturell wie auch sprachlich zu kontextualisieren. Stattdessen liege der Fokus darauf, nationale Unterschiede zwischen Gesellschaften zu bestätigen, ohne dass das Konzept der nationalen Differenz selbst als historisches Konstrukt hinterfragt werde: »La comparaison conforte le clivage national et rend problématique sa remise en question.«35 Unmittelbar verbunden mit diesem erkenntnistheoretischen Problem sei die Beobachterposition von Forscher*innen: Letztere würden aufgrund der fehlenden Infragestellung von abstrakten Vergleichskategorien wie Nation oder Gesellschaft diese nur bestätigen können. Espagne spricht an dieser Stelle eine grundsätzliche Schwierigkeit komparatistischer Methodik an, deren zentrale Frage nach Moritz Baßler lautet, »[w]ie man in einem gegebenen Korpus […] Äquivalenzen feststellen [kann], ohne die Äquivalenzkriterien aus dem eigenen Interessen- und Wissenshorizont zu importieren«.36 Auch Baßler problematisiert komparatistische Studien, die einen vermeintlich ahistorischen Oberbegriff zum Vergleich von Konzepten in unterschiedlichen Kulturen wählen, könne doch ein solches Vorgehen nur der Beschreibung der eigenen Kultur dienen: »Es handelt sich also auch hier um ein kulturpoietisches Verfahren, allerdings um eines, das – wie schon die Kulturvergleiche der Kolonialmächte seit der Renaissance – nur die jeweils eigene Kultur um ein Paradigma bereichert. Was dabei gerade nicht stattfindet, ist ein kulturwissenschaftliches Erfassen der Paradigmenstruktur, der Enzyklopädie jener fremden Kultur, die doch eigentlich erforscht werden sollte.«37 Der Grundsatzschwierigkeit der wissenschaftlichen Beobachterposition, die auch die Histoire croisée thematisiert, begegnet Espagne mit der Forderung nach einer kritischen Begriffsreflexion sowie einer Verlagerung der Vergleichsebene von einer makrohistorischen (Nation) auf eine mikrohistorische Perspektive (Region/Stadt).38 Ins Auge gefasst werden sollen kleinere Prozesse des kulturellen Transfers, ihre Vermittlerfiguren und die Akkulturationsmechanismen [»les mécanisme d’acculturation«].39 Dieses Erkenntnisinteresse führt dem Verfasser 35

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Michel Espagne (1994): »Sur les limites du comparatisme en histoire culturelle.« In: Genèses. Sciences sociales et histoire 17. Les objets et les choses. S. 112-121, hier S. 113. [Der Vergleich bestärkt die Spaltung der Nationen und erschwert ihre Infragestellung.] Moritz Baßler (2005): Die kulturpoetische Funktion und das Archiv. Eine literaturwissenschaftliche Text-Kontext-Theorie. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag. S. 162. Ebd.: S. 159. Solche von nationalen Implikationen losgelösten Kategorien bezeichnet Espagne als wertneutraler. Vgl. Michel Espagne (2006): »Jenseits der Komparatistik. Zur Methode der Erforschung von Kulturtransfers.« In: Ulrich Mölk (Hg.): Europäische Kulturzeitschriften um 1900 als Medien transnationaler und transdisziplinärer Wahrnehmung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. S. 13-32, hier S. 28. Espagne (1994): S. 115.

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zufolge zu einer prinzipielleren Offenheit für die Wahrnehmung von Kultur und kulturellem Gedächtnis als mehrschichtige Konstruktionen: »Lorsqu’on procède à des comparaisons on met l’accent sur des structures qui sont perçues comme spécifiques de l’espace national considéré, essentiellement les éléments d’une culture autour desquels se cristallise la mémoire du groupe national, c’est-à-dire des ›lieux de mémoire‹ au sens large (édifices scolaires, rues, monuments aux morts, bibliothèques). On perd de vue, ce faisant, que le tissu de la mémoire n’embrasse pas seulement un espace culturel mais plusieurs, de même que des lieux de culte peuvent avoir un sens pour plusieurs religions.«40 Die Kulturtransferforschung, die sich, so beschließt Espagne seinen Aufsatz von 1994, als »contribution à une correction méthodologique du comparatisme en histoire culturelle«41 begreift, richtete sich in ihrer Anfangsphase primär gegen die damals besonders in Frankreich stark ausgeprägte komparatistische Einflussforschung. Diese hält an der hierarchischen Vorstellung fest, dass die Ausgangskultur den zentralen Bezugspunkt für die Erforschung von Rezeptionsprozessen darstellt. Diese Annahme führt dazu, dass die Aufnahme eines literarischen Werks in einem fremdkulturellen Kontext nicht wertfrei untersucht wird, sondern auch sog. Fehldeutungen ermittelt werden.42 Stimmen innerhalb der Komparatistik, die dieses genetische Vergleichsmodell gleichermaßen kritisierten und ablösten, werden in Espagnes Ausführungen nicht referiert, sollen im Folgenden mit dem Hinweis auf das Erbe des russischen Literaturwissenschaftlers Aleksandr Veselovskij jedoch exemplarisch Erwähnung finden. Von dem französischen Philosophen und Soziologen Edgar Morin übernimmt die Kulturtransferforschung die Vorstellung, dass Kultur

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Ebd.: S. 117. [Wenn man komparatistisch vorgeht, legt man den Schwerpunkt auf Strukturen, die als spezifisch für den untersuchten nationalen Raum wahrgenommen werden, im Wesentlichen die Elemente einer Kultur, um die herum sich das nationale kollektive Gedächtnis herauskristallisiert, das heißt ›Erinnerungsorte‹ im breiten Sinne (Schulgebäude, Straßen, Gefallenendenkmäler, Bibliotheken). Wenn man so vorgeht, verliert man aus dem Auge, dass das Gewebe der Erinnerung nicht nur einen Kulturraum umfasst, sondern mehrere, wie auch Orte der Verehrung für mehrere Religionen bedeutungsvoll sein können.] Ebd.: S. 121. [Beitrag zu einer methodologischen Verbesserung der Komparatistik in der Kulturgeschichte] Vgl. Joseph Jurt (2002): »Das wissenschaftliche Paradigma des Kulturtransfers.« In: Günther Berger/Franziska Sick (Hg.): Französisch-deutscher Kulturtransfer im Ancien Régime. Tübingen: Stauffenberg Verlag Brigitte Narr GmbH. S. 15-38, hier S. 15f.; vgl. auch Keller (2006): S. 107. Aus diesem Grund plädiert Espagne für die Ablösung von binären Kategorien wie authentisch/nicht-authentisch. Vgl. Michel Espagne (1999): Les transferts culturels franco-allemands. Paris: Presses Universitaires de France. S. 25f.

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

»ein veränderliches Kommunikationssystem [ist], das etwa den individuellen Erlebnisraum in Verbindung zu dem institutionalisierten Wissen setzt, daher einen dauernden Stoffwechsel zwischen allen Individuen einer gegebenen Gesellschaft vollzieht und sich überhaupt mit dem sozialen Gefüge als ganzem artikuliert.«43 Diese kulturanthropologisch geprägte Sichtweise betont die für die Transferforschung wichtige Fokussierung auf die Leistungen individueller Mittlerfiguren oder Trägergruppen. Transferiert werden nicht Kulturen, wie der Begriff ›Kulturtransfer‹ implizieren könnte. Espagnes Forderung nach einer mikrohistorischen Perspektive folgend, spielen sich kulturelle Transfers vielmehr innerhalb eines Netzes [réseau] von Individuen, Institutionen, sozialen Gruppen und Medien ab, das zwischen Kulturen vermittelt.44 Diese Vorstellung weist eine Nähe zu Stephen Greenblatts Kulturbegriff auf, der Kultur als ein dynamisches »Netzwerk von Verhandlungen [negotiations] über den Austausch von materiellen Gütern, Vorstellungen und […] Menschen«45 begreift, die Voraussetzung für kulturelle Mobilität und damit Veränderung sind, im Umkehrschluss aber auch zu Grenzziehungen bzw. Restriktionen führen können.46 Komplexe Beziehungsgeflechte zwischen individuellen und/oder institutionellen Akteur*innen stellte die Kulturtransferforschung in ihrer frühen Ausprägung mit der Bezugnahme auf die klassische kommunikationstheoretische Sender-Kanal-Empfänger-Trias als relativ lineares Modell dar,47 das die Ebenen Ausgangskultur-Vermittlungsinstanz-Aufnahmekultur umfasst –, »das Ergebnis einer Vereinfachung«48 solcher Vorgänge, wie Espagne im Jahre 2006 einräumte. Da der Fokus in diesem Modell weniger auf der Ausgangskultur als vielmehr auf dem Austausch und der Umdeutung kultureller Artefakte liegt, stellen die kulturell und biographisch geprägten Handlungsstrategien, die Mittlerfiguren innerhalb von Transferprozessen entfalten, ein wichtiges Erkenntnisziel dar: »Selbstverständlich wird ein interkultureller Transfer nicht nur von abstrakten Konjunkturen und geistigen Konstellationen bestimmt: er ist zuallererst das Werk realer Vermittlerpersönlichkeiten. Ihre jeweilige Rolle läßt sich sowohl singulär-monographisch wie auch gegebenenfalls von spezifischen Gruppenbil-

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Michel Espagne/Michael Werner (1985): »Deutsch-französischer Kulturtransfer im 18. und 19. Jahrhundert. Zu einem neuen interdisziplinären Forschungsprogramm des C.N.R.S.« In: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte 13. S. 502-510, hier S. 504. Vgl. Keller (2006): S. 107. Stephen Greenblatt (1996): »Kultur.« In: Moritz Baßler/Stephen Greenblatt (Hg.): New Historicism: Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch-Verlag. S. 48-59, hier S. 55. Vgl. ebd.: S. 49. Vgl. Keller (2006): S. 108. Espagne (2006): S. 30.

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dungen her beschreiben. Bei einigen Vermittlern greifen individuelle Leistung und soziale Integrationsfunktion ineinander.«49 Espagne sieht die Funktion von kulturvermittelnden Individuen oder Gruppen im »Abbau der Distanz«50 zwischen zwei kulturellen Kontexten. Mittlerfiguren würden aktiv zur Durchmischung [métissage] von Kulturen beitragen und damit eine Sichtweise auf Gesellschaften nicht als stabile nationale Gebilde, sondern als historisch gewachsene Konstrukte fördern. Der Ansatz der Kulturtransferforschung, so Wolfgang Schmale, ist in seiner ursprünglichen Konzeption somit emanzipatorisch, sogar politisch zu nennen.51 Die Fokusverschiebung weg von der Ebene der Ausgangskultur und Kategorien des Einflusses oder der Entlehnung hin zu Prozessen der Übermittlung und Transformation von Kulturgütern findet ihren Vorläufer in der vom russischen Komparatisten Aleksandr Veselovskij begründeten Tradition der Historischen Poetik.52 Mit dem Terminus der ›vstrečnye tečenija‹ oder ›entgegenkommenden Strömungen‹53 richtete Veselovskij den Blick auf diejenigen Mechanismen des Aufnahmefel-

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Espagne/Werner (1985): S. 506. Michel Espagne (1997): »Die Rolle der Mittler im Kulturtransfer.« In: Hans-Jürgen Lüsebrink/Rolf Reichardt (Hg.): Kulturtransfer im Epochenumbruch. Frankreich-Deutschland 1770 bis 1815 (Deutsch-französische Kulturbibliothek 9.1). Leipzig: Leipziger Universitätsverlag. S. 309-330, hier S. 312. Vgl. Wolfgang Schmale (2012): »Kulturtransfer.« In: Europäische Geschichte Online (EGO). URL: http://ieg-ego.eu/de/threads/theorien-und-methoden/kulturtransfer/wolfgang-schmale -kulturtransfer (letzter Zugriff am 13.08.2020). Martin Aust und Daniel Schönpflug üben Kritik an dieser emanzipatorischen Vorstellung und plädieren stattdessen für eine stärkere Berücksichtigung von Momenten der Abgrenzung und der Aggressivität. Vgl. Martin Aust/Daniel Schönpflug (2007): »Vom Gegner lernen. Einführende Überlegungen zu einer Interpretationsfigur der Geschichte Europas im 19. und 20. Jahrhundert.« In: Martin Aust/Daniel Schönpflug (Hg.): Vom Gegner lernen: Feindschaften und Kulturtransfers im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts. Frankfurt a.M.: Campus Verlag. S. 9-35, hier S. 12. Vgl. zu diesem Thema grundlegend Igor’ O. Šajtanov (2013): »Die vergleichende Methode und ihr Ort in der Historischen Poetik.« In: Dirk Kemper/Valerij Tjupa/Sergej Taškenov (Hg.): Die russische Schule der Historischen Poetik. München: Wilhelm Fink. S. 141-148. Veselovskij bezeichnete den Prozess der Entlehnung und der Umdeutung des Entlehnten in einer neuen Zielliteratur oder -kultur mit dem Begriff der ›entgegenkommenden Strömungen‹ [vstrečnye tečenija]. Sein Schüler Viktor Žirmunskij kommentierte den Terminus folgendermaßen: »[D]ie Frage nach der Entlehnung ist für Veselovskij immer mit der Frage nach dem Umdenken des Entlehnten in der neuen sozialen Umgebung verbunden, die das entlehnte Material an ihre eigenen Bedürfnisse anpasst.« Daraus folge, dass »jede Entlehnung bei dem Entlehnenden eine Gegenbewegung des Gedankens voraussetzt, also die analoge Tendenz in der gleichen Richtung, die vom fremden ›Einfluss‹ nur gestaltet wird«. Aleksandr V. Belobratov (2013): »Viktor Maksimovič Žirmunskij und die Historische Poetik von Aleksandr Veselovskij.« In: Dirk Kemper/Valerij Tjupa/Sergej Taškenov (Hg.): Die russische Schule der Historischen Poetik. München: Wilhelm Fink. S. 59-76, hier S. 68f.

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

des, die zur Umdeutung und Nostrifizierung eines transferierten Werks beitragen, deren Struktur in diesem Prozess jedoch auch selbst Veränderungen unterworfen ist.54 In diesem Modell tritt das rezipierte Kulturgut, wie der in der Tradition Veselovskijs stehende slowakische Komparatist Dionýz Ďurišin in seiner Vergleichenden Literaturforschung (1972) argumentiert, als »der aktive stimulierende Faktor« in Transferprozessen auf.55 Auch Werner und Espagne messen dem von der Ausgangskultur losgelösten kulturellen Artefakt eine aktive Rolle bei, indem sie argumentieren, dass dieses in einem neuen kulturellen Kontext eine sowohl legitimierende als auch eine subversive, untergrabende Funktion auf dort bestehende Wahrnehmungs- und Diskursformationen ausüben kann.56 Obwohl die Forscher ihre Position unabhängig von Komparatisten wie Veselovskij und Ďurišin formulieren, verlagern sie auf ähnliche Weise die Aufmerksamkeit auf die Strukturen des Aufnahmefeldes, wenn sie schreiben, dass die »Übertragung eines wissenschaftlichen, philosophischen oder überhaupt ideologischen Denksystems […] weitgehend eine Rekonstruktion des Empfängers [ist], der durch die Einfuhr fremder Vorstellungen auf eine besondere heimische Konjunktur reagiert.«57 Resümierend lassen sich somit zwei Schwerpunkte der Kulturtransferforschung unterscheiden: Diese interessiert sich erstens für die kulturell-biographisch geprägten Handlungsorientierungen und Beziehungsnetzwerke von Mittlerfiguren sowie zweitens für die Aufnahmebedingungen und die Diskurstransformationen, die im Zuge eines Transfervorgangs in der longue durée auftreten. Die oben skizzierten Ausführungen geraten jedoch in einige »methodische Sackgassen«,58 wie Espagne im Jahre 2005 selbst einräumte. Der erste Kritikpunkt 54 55

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Vgl. Šajtanov (2013): S. 147. Dionýz Ďurišin (1972): Vergleichende Literaturforschung. Versuch eines methodisch-theoretischen Grundrisses. Berlin: Akademie-Verlag. S. 129f. Auch Ďurišin argumentiert damit gegen die hierarchische Vorstellung eines ›Originalwerkes‹: »Contrary to the rationale of key concepts of the French School of comparative literature (›source‹ and ›influence‹), which advocated the authority of the source-literature and the passive role of reception, Ďurišin argued that the act of reception is as creative and original as the act of literary creation proper, for it is the receiver who selects materials in accordance with, on the one hand, the needs of the literary system wherein these new materials are to be integrated and, on the other, the position of this system within a network of literary relations.« Dionýz Ďurišin (2012): »World Literature as a Target Literary-Historical Category (1993).« In: Theo d’Haen/César Domínquez/Mads Rosendahl Thomsen (Hg.): World Literature. A Reader. Oxon/New York: Routledge. S. 150-159, hier S. 150. Vgl. zu diesem Thema grundlegend Charlotte Krauss (2018): »Die Geschichte der (vergleichenden) Literaturwissenschaft – ein europäischer Dialog mit frankophonem Zentrum?« Vorlesungsreihe im Sommersemester 2018 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.. Vgl. Keller (2006): S. 109. Espagne/Werner (1985): S. 505. Michel Espagne (2005): »Die anthropologische Dimension der Kulturtransferforschung.« In: Helga Mitterbauer/Katharina Scherke (Hg.): Ent-grenzte Räume. Kulturelle Transfers um 1900 und in der Gegenwart. Wien: Passagen Verlag. S. 75-93, hier S. 76.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

zielt auf die verwendeten Vergleichseinheiten des Transfermodells. Obwohl die Kulturtransferforschung, so wenden Michael Werner und Bénédicte Zimmermann in ihrem Entwurf einer Histoire croisée bzw. Verflechtungsgeschichte zu Recht ein, besser als der klassische Vergleich den »historischen Prozeßcharakter«59 ihrer Kategorien reflektiere, scheitere auch diese, da sie ihren eigenen Anspruch, nationale Bezugsrahmen zu relativieren, letztendlich nicht erfülle. Ähnlich wie der historische Vergleich entwickele die Transferforschung eine zu verallgemeinernde Sicht auf Analysekategorien wie Gesellschaft oder Nation – Begriffe, die das Forschungsfeld zwar hinterfrage, durch die Hintertür jedoch wieder einführe und folglich bestätige:60 »Zwar wird das ideologische Konstrukt der Nationalkultur hinterfragt, historisiert, zwar wird auf die Fremdanteile verwiesen, die es enthält, wird die Durchlässigkeit der Grenzen betont. Doch das in dieser Weise differenzierte Bild der nationalen Rezeptionskultur wird als solches nicht in Frage gestellt. Eher, so möchte man meinen, wird es gestärkt und gesichert. An die Stelle der ideologischen Fixierung tritt eine historisch konsolidierte Sicht, die zwar mehrere, miteinander interagierende Nationen umfaßt, aber die nationale Untersuchungseinheit nicht auflöst.«61 Aus dieser Kritik folgt eine doppelte Schwerpunktverlagerung der Histoire croisée gegenüber der historischen Komparatistik und der Kulturtransferforschung. Diese betrifft sowohl den Erkenntnisgegenstand als auch die Produktion von Erkenntnis: »Im Ansatz der Histoire croisée geht es um ein Verfahren, das soziohistorische Erkenntnis von einer spezifischen Raum-Zeit-Konstellation her zu erzeugen versucht. Die zeitliche Dimension sowohl der Produktion von Erkenntnis als auch des Gegenstands der Erkenntnis ist hier in Rechnung zu stellen. Es geht also um eine doppelte Form der Historisierung, bei der der historischen Dimension des Erkenntnisprozesses der gebührende Platz eingeräumt wird, insbesondere was den Standort der Beobachtung, das Beobachtungsinstrumentarium, die Perspektive und die Brennweite des Beobachtungsprozesses anlangt.«62 Zu ihren Untersuchungsgegenständen zählt die Histoire croisée erstens topologische Faktoren wie Beobachtungen oder Sichtweisen, zweitens abstrakte Gegenstände wie Denktraditionen oder Bildungssysteme, drittens konkrete Gegenstände wie Bücher oder Partituren und viertens menschliche Akteur*innen und ihre

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Michael Werner/Bénédicte Zimmermann (2002): »Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen.« In: Geschichte und Gesellschaft 28. Nr. 4. S. 607-636, hier S. 616. Vgl. ebd.: S. 615. Ebd. Ebd.: S. 609. [Hervorhebung im Original]

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

Beziehungsnetze.63 In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich nicht von der Kulturtransferforschung. In Abgrenzung zu letzterer, die bislang stark europazentriert arbeitet, untersucht die Histoire croisée kulturelle Wechselwirkungen allerdings nicht nur zwischen (mehr oder weniger) benachbarten Kulturen, sondern auch zwischen weit voneinander entfernten Gesellschaften64 und macht damit eine transnationale Perspektive auf Kulturaustausch stark. Anders als im Transfermodell wird außerdem das eigene Vorgehen erkenntnistheoretisch als »aktive[r] Verflechtungsfaktor«65 betrachtet. Dem Prozesscharakter transkultureller Wechselwirkungen soll Werner und Zimmermann zufolge Rechnung getragen werden, indem Forscher*innen nicht von apriorisch festgelegten Analysekategorien wie Nation oder Kultur ausgehen, sondern ihr Begriffsinstrumentarium mithilfe eines induktiven Verfahrens von der jeweiligen Problem- oder Fragestellung abhängig machen, das im Laufe der Analyse angepasst werden kann.66 Damit wird die von Espagne aufgeworfene Frage nach dem vom eigenen Interessenhorizont bedingten Blickwinkel des Forschers oder der Forscherin erneut thematisiert: Die Histoire croisée schlägt vor, für jede Fragestellung mindestens zwei Perspektiven zu berücksichtigen, um so eine fixierte Beobachterposition zu vermeiden.67 Ebenfalls als Reaktion auf das Kulturtransfermodell ist schließlich der Vorschlag von Werner und Zimmermann zu betrachten, mit variablen Untersuchungsebenen zu arbeiten. Plädiert Espagne bekanntlich für einen mikrohistorischen Fokus, sollen sich in der Histoire croisée lokale, regionale, nationale und transnationale Vergleichsebenen ergänzen, um die gegenseitige Bedingtheit von Mikro- und Makrogeschichten zu beleuchten.68 Die Histoire croisée ist weniger als konkrete Methode als vielmehr aufgrund der von ihr ausgelösten Debatte um eine neue Perspektive auf Geschichts- und

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Vgl. ebd.: S. 618. Vgl. Kaelble (2005). Die Histoire croisée reagierte auf Globalisierungsdebatten in den Geschichtswissenschaften der 1990er Jahre, die u.a. von Jürgen Osterhammel angestoßen wurden. Diese brachten nicht nur die Verflechtungsgeschichte, sondern auch die New Global History Initiative hervor und führten zu einer Rekonzeptualisierung von Globalgeschichte. Vgl. Debora Gerstenberger/Joël Glasman (2016): »Globalgeschichte mit Maß. Was Globalhistoriker van der Akteur-Netzwerk-Theorie lernen können.« In: Debora Gerstenberger/Joël Glasman (Hg.): Techniken der Globalisierung. Globalgeschichte meets Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld: transcript. S. 11-40, hier S. 12. Vgl. dazu grundlegend auch Jürgen Osterhammel (2001): Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Werner/Zimmermann (2002): S. 618. Vgl. ebd.: S. 617. Vgl. ebd.: S. 618. Forscher*innen werden als »mobile Beobachtungsposten« gedacht. Ebd.: S. 636. Vgl. ebd.: S. 619f., 622, 630.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Kulturanalyse interessant, wie Annette Werberger ausführt.69 Obwohl die Verflechtungsgeschichte einige zentrale Schwachstellen der Kulturtransferforschung identifiziert hat, weist der Ansatz jedoch auch seinerseits Lücken auf. So lässt sich erstens der Rekurs auf abstrakte Analyseeinheiten wie Gesellschaft oder Kultur trotz eines stark induktiven Verfahrens nicht umgehen. Sinnvoller scheint es stattdessen, solche heuristischen Kategorien als notwendige argumentative Behelfsmittel70 statt als realgeschichtliche Größen anzuwenden und entsprechend zu reflektieren. Zweitens ist die Frage berechtigt, inwieweit sich das komplexe ›verflochtene‹ Erkenntnisverfahren, das Werner und Zimmermann vorschlagen, praktisch umsetzen lässt. Auch fehlt letztendlich eine präzise Definition von Verflechtung in den Ausführungen der beiden Forscher*innen. Dennoch bezieht die vorliegende Studie wertvolle Anregungen aus der Histoire croisée, indem im Sinne von Werner und Zimmermann erstens mit variablen Untersuchungsebenen gearbeitet wird. So wird die kanonisierende Rezeption des Moskauer Konzeptualismus nicht nur aus der Perspektive von Gesamtnetzwerken, sondern auch von Egonetzwerken erforscht. Die Analyse der netzwerkinternen Zirkulation von Interpretationsangeboten, die in der Rezeptionsgeschichte zur Einordnung und Deutung des Künstlerkreises entstehen, erfolgt zweitens nach induktivem Prinzip. Die Histoire croisée regt drittens dazu an, die Kanonisierung des Moskauer Konzeptualismus nicht als Ergebnis eines binationalen Transferprozesses zwischen Russland und Deutschland zu betrachten, sondern einen breiteren, transnationalen Beobachtungsstandpunkt einzunehmen. Ein erster Blick auf die zu analysierenden Ausstellungskataloge zeigt nämlich, dass am Zustandekommen dieser Projekte in der Regel nicht nur deutsche und russische, sondern auch französische, US-amerikanische, tschechische, italienische, Schweizer und österreichische Kurator*innen, Interpret*innen und Leihgeber*innen beteiligt waren. In der Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus treten somit komplexe Formen transnationaler Verschränkungen zwischen Kulturen auf, die in der Analyse berücksichtigt werden müssen. Aus diesem Grund ergänzt diese Untersuchung das praxisorientierte Verständnis von Kultur als Netzwerk von Verhandlungsprozessen, das Stephen Greenblatt vertritt, um einen von den Postcolonial und Transcultural Studies inspirierten Kulturbegriff, der nicht nur von einem »interne[n] Hybridcharakter«, sondern auch einer »externe[n] Vernetzung«71 von Kulturen ausgeht. In dieser Vorstellung 69

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Vgl. Annette Werberger (2012): »Überlegungen zu einer Literaturgeschichte als Verflechtungsgeschichte.« In: Dorothee Kimmich/Schamma Schahadat (Hg.): Kulturen in Bewegung. Beiträge zur Theorie und Praxis der Transkulturalität. Bielefeld: transcript. S. 109-141, hier S. 122. Vgl. Espagne (2005): S. 79. Wolfgang Welsch (2012): »Was ist eigentlich Transkulturalität?« In: Dorothee Kimmich/Schamma Schahadat (Hg.): Kulturen in Bewegung. Beiträge zur Theorie und Praxis der Transkulturalität. Bielefeld: transcript. S. 25-40, hier S. 28. Vgl. zu diesem Punkt auch Helga Mitterbauer (2005): »Dynamik – Netzwerk – Macht. Kulturelle Transfers ›am besonderen

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

mutiert das recht linear gedachte Sender-Kanal-Empfänger-Modell der frühen Kulturtransferforschung zu einem »multiplexen Verfahren des Austauschs von Informationen, Symbolen, Praktiken, Gegenständen […], in dessen Zuge es ständig zu Transformationen und Re-Interpretationen kommt«,72 wie Helga Mitterbauer argumentiert. Die Analyse solcher transkulturellen Beziehungsgeflechte kommt nicht ohne Rückgriff auf Erkenntnisse aus der Kulturtransferforschung und der Komparatistik aus, da sich die Komplexität dieser Prozesse, darin stimme ich Werner und Zimmermann in ihrer Schlussbemerkung zu,73 nur mit einem selbstreflexiven Verfahren, das Bausteine aus der Vergleichs-, Transfer- und Verflechtungsforschung kombiniert, erfolgreich untersuchen lässt. Bislang, so bemängelt Hartmut Kaelble, gebe es jedoch »[w]eder für die ›entangled history‹ noch für die ›histoire croisée‹ noch für die Kombination von historischem Vergleich und historischer Beziehungsgeschichte […] eine große Zahl von empirischen Untersuchungen oder gar international bekannte, viel zitierte, viel übersetzte Modellstudien, mit denen sich zukünftige Untersuchungen methodisch auseinandersetzen können.«74 Die Erkenntnisinteressen der Kulturtransfer- und Verflechtungsforschung lassen sich, so legt dieses Kapitel dar, methodisch gewinnbringend mithilfe von Ansätzen aus der sozialwissenschaftlichen Netzwerkanalyse und der Akteur-NetzwerkTheorie umsetzen. Folgende Ausführungen sind somit als Beitrag zu einer »Praxis der empirischen Forschung«75 gedacht, für die Kaelble plädiert.

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Beispiel‹ der Wiener Moderne.« In: Helga Mitterbauer/Katharina Scherke (Hg.): Ent-grenzte Räume. Kulturelle Transfers um 1900 und in der Gegenwart. Wien: Passagen Verlag. S. 109-130, hier S. 111. Mitterbauer (2005): S. 111. Trotz ihrer Einwände gegen den historischen Vergleich und die Kulturtransferforschung lehnen Werner und Zimmermann diese Ansätze nämlich nicht gänzlich ab, räumen sie doch zum Schluss ein: »Die auf diese Weise produzierte transnationale Geschichte steht nicht im radikalen Gegensatz zu einer Geschichte, die auf Vergleich und Transferanalyse aufbaut. Sie geht lediglich einen – freilich wichtigen – Schritt weiter, indem sie die Selbstreflexivität systematisch in ihr Verfahren einbaut. So zielt sie auf eine geistige Versuchsanordnung, deren Bauteile – Vergleich, Transfer, Verflechtung – in verschiedenen Proportionen, je nach Gegenstand und Inhalt variabel konfiguriert und im Forschungsprozeß permanent justiert werden.« Werner/Zimmermann (2002): S. 636. Kaelble (2005). Vgl. dazu auch Schmale (2012). Kaelble (2005).

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

2.3

Kanonforschung und sozialwissenschaftliche Netzwerkanalyse

»›Netz‹ und ›Netzwerk‹«, so argumentiert Hartmut Böhme im Aufsatz »Aufgaben und Perspektiven der Kulturwissenschaft« (2007), »sind zu kulturellen Leitmetaphern der modernen Gesellschaft und ihrer Wissenschaften, aber auch modellgebend für Biologie und Ökologie geworden.«76 Böhmes Ausführungen stellen ein Plädoyer für eine Kulturwissenschaft dar, die sich stärker mit der Erforschung von Netzwerken befasst, die er als »Kulturtechnik ersten Ranges«77 bezeichnet. Netzwerkanalyse betrachtet der Verfasser dabei als geeignetes Instrumentarium für die »Beobachtungsbeobachtung von Kulturen in ihrer longue durée wie in ihrer aktuellen Realisierung«.78 Bereits in einer frühen Publikation von 1985 bieten Espagne und Werner einen direkten Anknüpfungspunkt der Kulturtransferforschung an die Netzwerkanalyse, wenn sie als eine der zentralen Aufgaben des Forschungsfeldes bestimmen, »ein (meist durch Privatkorrespondenzen dokumentiertes) Netz von Verbindungen [zu] rekonstruieren, das als eine Art Matrix neue geistige und ideologische Konstellationen und damit auch neue Kulturwerke hervorbringt.«79 Sowohl die Kulturtransferforschung als auch die Histoire croisée arbeiten vielfach mit der Netz- und Netzwerkmetapher,80 ohne daran methodologische Überlegungen zu knüpfen. Auch Böhme, der für eine kulturwissenschaftliche Netzwerkforschung plädiert, die sich sowohl von Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie als auch von der medienwissenschaftlichen Erforschung digitaler Netzkulturen unterscheiden soll,81 gibt in seiner Argumentation keine methodischen Vorschläge an die Hand. Im Folgenden wird das Potential der sozialwissenschaftlichen Netzwerkanalyse [SNA] für die kulturwissenschaftliche Fragestellung dieser Arbeit geprüft. Die SNA stellt kein einheitliches Verfahren, sondern vielmehr ein Sammelbecken für eine Vielzahl an theoretisch-methodischen Ansätzen und Anwendungsmöglichkeiten dar, wie Mustafa Emirbayer und Jeff Goodwin schreiben: »Network analysis is not a formal or unitary ›theory‹ that specifies distinctive laws, propositions, or correlations, but rather a broad strategy for investigating social structure. 76

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Hartmut Böhme (2007): »Aufgaben und Perspektiven der Kulturwissenschaft.« In: Iris Därmann/Christoph Jamme (Hg.): Kulturwissenschaften. Konzepte, Theorien, Autoren. München: Wilhelm Fink. S. 35-52, hier S. 48. Ebd. Ebd.: S. 52. Espagne/Werner (1985): S. 506. Für diesen Hinweis danke ich Prof. Dr. Stephan Packard (Universität Köln). Der Begriff des Netzwerkes oder des (Beziehungs-)Netzes fällt in Publikationen der Kulturtransferforschung häufig. So heißt es beispielsweise in einem Aufsatz Espagnes von 2006, dass »[d]ie kultursoziologische Annäherung an die Vermittlungsinstanzen […] sich notgedrungen mit dem Netzwerk der Zeitschriftenredaktionen und der Zeitschriftenautoren befassen [muß].« Espagne (2006): S. 27. Vgl. Böhme (2007): S. 45.

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

[…] Rather, […] it is more a ›paradigm‹ or a ›perspective‹ […] than a predictive ›social theory‹.«82 Die konzeptuelle Offenheit der SNA, die, wie von verschiedenen Seiten kritisch eingewendet wurde, aufgrund ihres heterogenen Charakters an Trennschärfe eingebüßt hat und die Gefahr läuft, zu einem »Catch-all-Konzept«83 zu werden, macht diese im Umkehrschluss als ›travelling concept‹84 für die Kulturwissenschaften interessant. Es stellt sich jedoch die Frage, wie die Netzwerkanalyse, die in ihrer quantitativen Variante mithilfe von mathematischen Auswertungsverfahren die Verbindungen (›Kanten‹) zwischen Akteur*innen (›Knoten‹) analysiert,85 konkret für diese an kulturwissenschaftlichen – und somit qualitativen – Themen interessierte Untersuchung produktiv gemacht werden kann. Folgende Ausführungen knüpfen an Überlegungen zum Verhältnis zwischen quantitativer und qualitativer Netzwerkanalyse von Rainer Diaz-Bone (2008), Mustafa Emirbayer/Jeff Goodwin (1994), Betina Hollstein/Florian Strauss (2006), Morten Reitmayer/Christian Marx (2010), Thomas Vordermayer (2016) und Harrison White (1992; 1993) an und spitzen die Diskussion dabei konkret auf die Analyse von Kanonbildung als Ergebnis von transkulturellen Transferprozessen zu.86 James Clyde Mitchells mittlerweile klassische Minimaldefinition bestimmt ein Netzwerk als »eine durch Beziehungen eines bestimmten Typs verbundene Menge

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Mustafa Emirbayer/Jeff Goodwin (1994): »Network Analysis, Culture, and the Problem of Agency.« In: American Journal of Sociology 99. Nr. 6. S. 1411-1454, hier S. 1414. Michael Bommes/Veronika Tacke (2006): »Das Allgemeine und das Besondere des Netzwerkes.« In: Betina Hollstein/Florian Straus (Hg.): Qualitative Netzwerkanalyse. Konzepte, Methoden, Anwendungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 37-62, hier S. 37. Unter ›travelling concepts‹ wird der Transfer wissenschaftlicher Methoden und Konzepte zwischen verschiedenen Forschungsdisziplinen verstanden. Vgl. dazu Mieke Bal (2002): Travelling Concepts in the Humanities: A Rough Guide. Toronto: University of Toronto Press. Vgl. Betina Hollstein/Florian Straus (2006): »Qualitative Methoden und Netzwerkanalyse – ein Widerspruch?« In: Betina Hollstein/Florian Straus (Hg.): Qualitative Netzwerkanalyse. Konzepte, Methoden, Anwendungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 11-35, hier S. 12; vgl. Andreas Hepp (2010): »Netzwerk und Kultur.« In: Christian Stegbauer/Roger Häußling (Hg.): Handbuch Netzwerkforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 227-234, hier S. 227. Netzwerkanalytische Ansätze haben bisher begrenzt Eingang in die Kulturtransferforschung gefunden. Zu verweisen ist insbesondere auf den Grazer Spezialforschungsbereich Moderne – Wien und Zentraleuropa um 1900 sowie auf die Studie von Helga Mitterbauer (2003): Die Netzwerke des Franz Blei. Kulturvermittlung im frühen 20. Jahrhundert. Tübingen/Basel: A. Francke Verlag und Mitterbauer (2005). Vgl. auch Dorothea Nolde/Claudia Opitz (2008) (Hg.): Grenzüberschreitende Familienbeziehungen. Akteure und Medien des Kulturtransfers in der Frühen Neuzeit. Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag; Katja Plachov (2017): »Biographie als Medium von Vermittlung: René Fülöp-Miller (1891-1963). Präliminarien zur Schnittstelle von Kulturtransfer- und Netzwerktheorie.« In: Sonja Erhardt/Jennifer Grünewald/Natalija Kopča (Hg.): Transfer und Transformation. Theorie und Praxis deutsch-russischer Kulturtransferforschung. Paderborn: Wilhelm Fink. S. 155-173.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

von sozialen Einheiten«.87 Die SNA analysiert die Beziehungen zwischen menschlichen und/oder institutionellen Akteur*innen (›sozialen Einheiten‹), den Reziprozitätsgrad dieser Kontakte und deren Dynamik in der longue durée. Theoretisch wird von einer strukturalen Einbettung (›Embeddedness‹) von Akteur*innen in Netzwerke ausgegangen, die ihr Handeln, ihre Wahrnehmung sowie die Art ihrer sozialen Beziehungen beeinflussen.88 Akteur*innen agieren folglich nicht nur aus individuellen Eigeninteressen, sondern berücksichtigen in ihrem Verhalten soziale Kontexte, die wiederum bestimmte Normen und Rollenvorschriften vorgeben.89 Im Gegensatz zu qualitativ ausgerichteten Untersuchungen stehen in der strukturalen Netzwerkanalyse weniger die individuellen Perspektiven und Sinnvorstellungen von Akteur*innen im Vordergrund.90 Stattdessen wird nach der formalen Struktur ihrer Beziehungen gefragt, die aus der Analyse von Orten mit einer höheren oder niedrigen ›Dichte‹ abgeleitet wird,91 womit das Verhältnis zwischen den tatsächlich vorhandenen Kontakten eines Akteurs bzw. einer Akteurin und der Zahl der theoretisch möglichen Beziehungen gemeint ist.92 Damit lässt sich zum Machtbegriff der SNA überleiten, der zur Erklärung netzwerkinterner Hierarchien herangezogen wird.93 Indikativ für die hierarchische Position eines Knotens im Netzwerk ist das Maß an ›Prestige‹ und ›Zentralität‹. Prestigereich ist die Position derjenigen Akteur*innen, die von einer hohen Zahl von sowohl direkten als auch indirekten Kontakten gewählt werden.94 Das Konzept der Zentralität besagt indessen, dass Akteur*innen sichtbar sind, sobald sie an vielen Beziehungen im Netzwerk beteiligt sind.95 Die SNA geht von der Prämisse aus, dass zentrale und prestigereiche Akteur*innen Zugang zu Netzwerkressourcen, Kontrollmöglichkeiten und Informationen haben und sich auf diese Weise durch ein höheres ›soziales Kapital‹ auszeichnen.96 Soziales Kapital, ein Begriff, der auf

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Franz Urban Pappi (1987): »Die Netzwerkanalyse aus soziologischer Perspektive.« In: Franz Urban Pappi (Hg.): Techniken der empirischen Sozialforschung. Bd. 1. Methoden der Netzwerkanalyse. München: R. Oldenbourg Verlag. S. 11-37, hier S. 13. [Im Original kursiv] Vgl. Rainer Diaz-Bone (2008): »Gibt es eine qualitative Netzwerkanalyse? [Rezension des Buches Qualitative Netzwerkanalyse. Konzepte, Methoden, Anwendungen, von B. Hollstein, & F. Straus].« In: Historical Social Research 33. Nr. 4. S. 311-343, hier S. 317. Vgl. Dorothea Jansen (2006): Einführung in die Netzwerkanalyse. Grundlagen, Methoden, Forschungsbeispiele. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 20. Vgl. Thomas Vordermayer (2016): Bildungsbürgertum und völkische Ideologie. Konstitution und gesellschaftliche Tiefenwirkung eines Netzwerks völkischer Autoren (1919-1959). Berlin/Boston: Walter de Gruyter. S. 16. Vgl. ebd. Vgl. ebd.; vgl. Jansen (2006): S. 108. Vgl. ausführlicher zum Machtbegriff der SNA Jansen (2006): S. 163ff., 237ff. Vgl. ebd.: S. 127. Vgl. ebd. Vgl. ebd.

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

Pierre Bourdieu zurückgeht, innerhalb der Soziologie jedoch weiterentwickelt wurde, eröffnet Akteur*innen neue und größere Handlungsmöglichkeiten.97 »Netzwerke«, so schließt Dorothea Jansen, »sind damit ein Wettbewerbsfaktor auf der Ebene von Einzelakteuren, von Akteursgruppen oder ganzen Gesellschaften«.98 Soziales Kapital und soziale Mobilität erschließen sich vor allem sog. ›weak ties‹, d.h. relativ schwach ausgeprägten Verbindungen zwischen Akteur*innen, die mehrere ›Cluster‹ (eng miteinander verbundene Subgruppen im Netzwerk) zu überbrücken und miteinander zu verbinden imstande sind.99 Sie stehen im Gegensatz zu ›strong ties‹, die auf intensiv gepflegte, emotionale (in der Regel familiäre, freundschaftliche usw.) Beziehungen zwischen Akteur*innen verweisen.100 Die starken Beziehungen, über die Akteur*innen verfügen, sind aufgrund ihrer Intensität in ihrer Zahl begrenzt und ermöglichen relativ wenig neuen Informationsgewinn und soziale Mobilität im Netzwerk.101 Stattdessen besteht das soziale Kapital in diesem Fall primär im hohen wechselseitigen Vertrauen zwischen Akteur*innen, wie Vordermayer ausführt.102 In ihrer quantitativen Ausrichtung behandelt die SNA kulturelle Inhalte und Narrative als Typen unterschiedlicher Verbindungen, die in der Regel unberücksichtigt bleiben.103 Diese Vorgehensweise geriet im Zuge des Cultural turns innerhalb der Soziologie zunehmend in die Kritik, wie der einflussreiche Aufsatz »Network Analysis, Culture, and the Problem of Agency« (1994) von Mustafa Emirbayer/Jeff Goodwin belegt: »It [SNA, D.S.] provides a useful set of tools for investigating the patterned relationships among historical actors. These tools, however, by themselves fail ultimately to make sense of the mechanisms through which these relationships are reproduced or reconfigured over time.«104 Aus diesem Grund plädieren die Verfasser für eine Netzwerkanalyse, die kulturellen Formationen die gleiche handlungsermöglichende und -prägende Wirkung wie sozialen Beziehungen zuschreibt.105 In den Vordergrund der Betrachtung rückt in ihrer Argumenta-

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Vgl. ebd.: S. 26. Ebd. Vgl. ebd: S. 187, 107. Vgl. Vordermayer (2016): S. 17. Vgl. Jansen (2006): S. 106. Vgl. Vordermayer (2016): S. 17. Vgl. Hepp (2010): S. 227. Emirbayer/Goodwin (1994): S. 1447. Ähnlich argumentieren Karola Franke und Andreas Wald, dass rein quantitative Analysen recht wenig Antworten liefern, »wenn es darum geht zu erklären, wie Akteure ihre Kooperationen aufbauen, warum und welche Faktoren ihr Handeln limitieren oder ermöglichen.« Karola Franke/Andreas Wald (2006): »Möglichkeiten der Triangulation quantitativer und qualitativer Methoden in der Netzwerkanalyse.« In: Betina Hollstein/Florian Strauss (Hg.): Qualitative Netzwerkanalyse. Konzepte, Methoden, Anwendungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 153-175, hier S. 171. 105 Vgl. Diaz-Bone (2008): S. 321.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

tion die gegenseitige Bedingtheit von sozialen Strukturen, Kultur und Handlungsmacht (›Agency‹): »Network analysis all too often denies in practice the crucial notion that social structure, culture, and human agency presuppose one another; it either neglects or inadequately conceptualizes the crucial dimension of subjective meaning and motivation – including the normative commitments of actors – and thereby fails to show exactly how it is that intentional, creative human action serves in part to constitute those very social networks that so powerfully constrain actors in turn.«106 Einen einflussreichen Beitrag zur Erweiterung der SNA um qualitative Fragestellungen hatte Harrison C. White zwei Jahre zuvor bereits mit Identity and Control. A Structural Theory of Social Action (1992) vorgelegt. Im Gegensatz zu seinen früheren antikulturalistischen Forschungsarbeiten vertritt White in dieser Studie einen netzwerkanalytischen Ansatz, der nicht nur die formalen Netzwerkbeziehungen zwischen Akteur*innen erforscht, sondern auch die Narrative (›stories‹) analysiert, mit denen interpersonelle Kontakte und Identitäten begründet und zementiert werden.107 Damit geriet der Begriff des Diskurses108 erstmals in den Fokus der SNA: »Social action is interaction that induces interpretations and thus builds continuing relations. Thus, discourse is the stuff of social networks.«109 Narrative bzw. ›stories‹ betrachtet White als Mittel, das Akteur*innen als (Selbst-)Beschreibung zur Stabilisierung ihrer Identitätskonstruktionen in einer »otherwise chaotic social world«110 benötigen: 106 Emirbayer/Goodwin (1994): S. 1413. [Hervorhebung im Original] 107 Vgl. dazu ausführlicher Hepp (2010): S. 228f. 108 Auf den in dieser Untersuchung verwendeten Diskurs-Begriff wird im Abschnitt §2.5.1 näher eingegangen. 109 Ann Mische/Harrison White (1998): »Between Conversation and Situation: Public Switching Dynamics Across Network Domains.« In: Social Research 65. Nr. 3. S. 695-724, hier S. 695. 110 Harrison White (1992): Identity and Control. A Structural Theory of Social Action. New York: Princeton University Press. S. 68. Emirbayer und Goodwin kritisieren an Whites Ausführungen die fehlende Analyse der eigenständigen Funktionsweise von Diskursen, Narrationen und kulturellen Formationen: »[…] White neglects to analyze closely the role of cultural idioms and normative commitments in helping to shape the very identities and aspirations of historical actors. Indeed, he devotes very little space at all to exploring the internal structure and patterning of these symbolic formations.« Emirbayer/Goodwin (1994): S. 1437. Mittlerweile haben verschiedene sozialwissenschaftliche Forscher*innen die quantitative Netzwerkanalyse um Ansätze aus der Narratologie, der Kommunikationsforschung und der Diskursanalyse erweitert. Vgl. u.a. Peter S. Bearman/Katherine Stovel (2000): »Becoming a Nazi: A Model für Narrative Networks.« In: Poetics 27. S. 69-90; John W. Mohr (1998): »Measuring Meaning Structures.« In: Annual Review of Sociology 24. S. 345-370; John F. Padgett/Christopher K. Ansell (1993): »Robust Action and the Rise of the Medici, 1400-34.« Americal Journal of Sociology 98. S. 1259-1315; Sophie Mützel (2009): »Geschichten als Signale: Zur diskursiven Konstruktion von Märkten.« In: Rainer Diaz-Bone/Gertraude Krell (Hg.): Diskurs und Ökono-

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

»Networks are phenomenological realities as well as measurement constructs. Stories describe the ties in networks. The contexts in which identities and their disciplines lie are shaped by further control attempts. It is the attempts that survive and concatenate which can be represented by ties in networks. […] A tie becomes constituted with story, which defines a social time by its narrative of ties. A social network is a network of meanings […].«111 Whites spätere Studie Careers and Creativity. Social Forces in the Arts (1993) befasst sich aus netzwerkanalytischer Sicht mit dem Konnex zwischen Identitätsbildung, Kunstproduktion und Kunstbewertung. Damit ist sie für diese Untersuchung, die Prozesse der Kanonbildung thematisiert, von besonderem Interesse. Kunstwelten (›art worlds‹) betrachtet White als heterogene Beziehungsgeflechte zwischen Künstler*innen, Sammler*innen, Kurator*innen und Institutionen, die gemeinsam bestimmte Bedeutungsnarrative produzieren: »An art world combines artists and their works with others into a pattern that can reproduce itself, may become aware of itself, and does impose itself as reality upon those in it before products reach out as a reality for others outside it.«112 Künstler*innen und Kunstwerke werden demnach in identitätsstiftende Deutungsmuster (z.B. Genres, Strömungen oder Schulen) integriert, die als realitätsstiftende Filter für die Wahrnehmung und die Bewertung von Kunst durch Rezipierende außerhalb des unmittelbaren Kunstbetriebs funktionieren. Solche Interpretationsparadigmen, die White mit dem Begriff der ›Karriere‹ (›career‹) umfasst, haben eine historiographische Funktion: »Artworks as well as artists can have careers […]. Careers […] are stories told both before and later so as to rationalize how opportunities chain successions together. Reputation develops for works of art as well, and that can attach variously to identity of collector, of patron and so on. An artwork’s reputation is generalized by genre and style, and an artist is generalized by school and guild of artist. Reputations help bind all art worlds into a larger universe. In so doing, careers can in turn induce a further level, such as a school or a generation of artists or artworks.«113 Whites Ausführungen ermöglichen es, Kanonbildung als Resultat von netzwerkinternen Verhandlungen zwischen Künstler*innen, Mittlerfiguren, Kunstinstitutionen und Rezipierenden zu betrachten. Ihre Beziehungen lassen sich mithilfe von Leitbegriffen wie ›soziales Kapital‹, ›Zentralität‹, ›Prestige‹, ›strong‹ und ›weak ties‹

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mie. Diskursanalytische Perspektiven auf Märkte und Organisationen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 263-284; Sophie Mützel (2007): »Marktkonstitution durch narrativen Wettbewerb.« In: Berliner Journal für Soziologie 17. S. 451-464. White (1992): S. 65, 67. Harrison C. White (1993): Careers and Creativity. Social Forces in the Arts. Boulder/San Francisco/Oxford: Westview Press. S. 9. Ebd.: S. 55.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

systematisch analysieren und in Netzwerkgrafiken visualisieren. Da sich solche Beziehungsnetzwerke nicht notwendigerweise auf einen bestimmten geographischen Raum begrenzen, sondern kulturüberschreitend angelegt sein können, lässt sich die transkulturelle Mobilität von Akteur*innen mit diesem Ansatz produktiv erfassen, womit die oben erwähnte Lücke im invisible hand-Modell geschlossen wird. Dabei werden die Handlungsstrategien von Mittlerfiguren in gesellschaftspolitische, institutionelle und kulturelle Makrokontexte eingebettet. Diese, so argumentieren Morten Reitmayer und Christian Marx, geben den Rahmen für Handlungsspielräume ab, während sie gleichzeitig aktiv von Akteur*innen mit- und umgestaltet werden.114 Eine solche sowohl von quantitativen als auch von qualitativen netzwerkanalytischen Ansätzen inspirierte Untersuchung zu transkultureller Kanonbildung weist jedoch erkenntnistheoretische Grenzen auf. So wird aufgrund der akteurzentrierten Perspektive der SNA hauptsächlich der erste Schwerpunkt der Kulturtransferforschung fokussiert, der bekanntlich danach fragt, von wem und wie kulturelle Artefakte selektiert und vermittelt werden. Der in Anlehnung an Aleksandr Veselovskij und Michel Espagne hervorgehobenen Rolle, die transferierte Kulturgüter selbst in Prozessen der Diskurs(trans-)formation spielen, indem sie nicht nur an die bestehenden Wahrnehmungsmuster des Aufnahmefeldes angepasst werden, sondern auch eine aktiv legitimierende oder subvertierende Wirkung auf diese ausüben können, wird in diesem Modell weniger Rechnung getragen. Die Beteiligung von Texten, Bildern und Objekten an Konstruktionen gesellschaftlicher Realität stellt ein für die Kulturtransferforschung hochrelevantes Thema dar. So betont Annette Simonis, dass Intermedialität »als Anregungshorizont für Kulturaustausch und für ästhetische sowie kulturpoetische Neuerungen [erscheint]. Umgekehrt können Momente des Kulturaustauschs und Kulturtransfers Kristallisationspunkte bilden, die mediale Verschiebungen, Synthesen und Interferenzen auslösen.«115 Die Interaktion zwischen kulturvermittelnden Akteur*innen mit transferierten Diskursen, Texten, Bildern und Objekten, die in der SNA ausgeklammert wird, lässt sich gewinnbringend unter Rückgriff auf Erkenntnisse aus der AkteurNetzwerk-Theorie [ANT] erfassen, wie im folgenden Abschnitt argumentiert wird.

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Vgl. Morten Reitmayer/Christian Marx (2010): »Netzwerkansätze in der Geschichtswissenschaft.« In: Christian Stegbauer/Roger Häußling (Hg.): Handbuch Netzwerkforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 869-880, hier S. 870. Annette Simonis (2009): »Einleitung. Intermedialität und Kulturaustausch.« In: Annette Simonis (Hg.): Intermedialität und Kulturaustausch. Beobachtungen im Spannungsfeld von Künsten und Medien. Bielefeld: transcript. S. 9-17, hier S. 12.

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

2.4

Kanonforschung und Akteur-Netzwerk-Theorie »Oh weh! Die historische Bezeichnung lautet ›Akteur-Netzwerk-Theorie‹, ein Name, der so ungeschickt, verwirrend und unsinnig ist, daß er beibehalten zu werden verdient.«116 (Bruno Latour: 2019)

Die Akteur-Netzwerk-Theorie (›actor-network-theory‹) hat ihre Wurzeln in wissenssoziologischen Studien von Michel Callon, John Law und Bruno Latour, die in den 1980er Jahren die Handlungsmacht nicht-menschlicher Wesen, darunter Mikroben, Muscheln, Felsen und Schiffe, in den Blick nahmen und auf diese Weise den traditionellen Akteur- und Netzwerkbegriff der Soziologie einer kritischen Reflexion unterzogen.117 Das von der ANT entworfene Netzwerkkonzept zeichnet sich durch zwei Hauptspezifika aus, die im Folgenden zunächst erläutert werden, bevor auf das Potential der ANT für eine transkulturelle Kanonforschung eingegangen wird: erstens der heterogene Charakter der untersuchten Entitäten und zweitens das asymmetrische Verhältnis zwischen den Knoten im Netzwerk. Die ANT kritisiert die von der Soziologie vertretene Vorstellung, dass nur menschliche Subjekte handlungs- und vernetzungsfähig seien. Ausgehend von einem »›erweiterte[n] Symmetrieprinzip‹«118 wird stattdessen die Annahme vertreten, dass sämtliche Entitäten – ob menschlich oder nicht-menschlich – über Handlungspotential verfügen und somit zu ›Aktanten‹ werden können.119 Der Begriff des Aktanten, der den Literaturwissenschaften entnommen ist, wird als neutralerer Ausdruck für die Handlungsmodi von sowohl menschlichen als auch nicht-menschlichen Entitäten angewendet, womit sich die ANT bewusst vom ›Figurationstyp‹, der dem Wort ›Akteur‹ inhärent ist, abzugrenzen versucht.120 Von der Literaturwissenschaft, die sich mit der »Vielfalt der auf dem Papier

Bruno Latour (2019): Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die AkteurNetzwerk-Theorie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. S. 23. 117 Vgl. dazu ausführlich Stephan Packard (2015): »Kommentar zu Haugs Latour-Kritik.« In: Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften 57. Nr. 3. S. 364-368, hier S. 365f.; vgl. Latour (2019): S. 25. 118 Birgit Peuker (2010): »Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT).« In: Christian Stegbauer/Roger Häußling (Hg.): Handbuch Netzwerkforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 325-335, hier S. 327. 119 Vgl. Andréa Belliger/David J. Krieger (2006): »Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie.« In: Andréa Belliger/David J. Krieger (Hg.): ANThology. Ein einführendes Handbuch zur AkteurNetzwerk-Theorie. Bielefeld: transcript. S. 13-50, hier S. 15. 120 Vgl. Latour (2019): S. 95. 116

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

erfundenen Welten der Fiktion« befasse,121 sollte die Soziologie Latour zufolge lernen, »die Geschmeidigkeit und den Spielraum der von ihnen in der wirklichen Welt Erforschten zu gewinnen. Nur durch eine fortgesetzte Vertrautheit mit Literatur und literarischer Analyse können ANT-Soziologen vielleicht weniger hölzern, weniger rigide, weniger steif werden, wenn sie definieren sollen, welche Art von Akteuren die Welt bevölkern.«122 Mit der Gleichbehandlung von Aktanten, unter die heterogene Kategorien wie Menschen, Texte, Bilder, Objekte, Techniken, Organisationen usw. fallen können, unterscheidet sich die ANT von der SNA. Denn während sich letztere für die sozialen Beziehungen zwischen menschlichen Akteur*innen interessiert, unterstreicht die ANT, dass interpersonelle Verbindungen durch materielle Gegenstände, diskursive Konzepte und technologische Handlungen gestützt werden, deren Interaktion es zu erforschen gilt: »Im Gegenteil, die meisten der Merkmale, die wir der sozialen Ordnung zurechnen – Größenordnung, Asymmetrie, Dauerhaftigkeit, Macht, Hierarchie, soziale Rollenverteilung –, ließen sich nicht einmal definieren, ohne auf sozialisierte nichtmenschliche Wesen zurückzugreifen. Es stimmt, die Gesellschaft ist konstruiert, aber sie ist nicht sozial konstruiert. Schon seit Millionen von Jahren haben Menschen ihre sozialen Beziehungen auf andere Aktanten ausgedehnt, mit denen sie viele Eigenschaften ausgetauscht haben und mit denen gemeinsam sie Kollektive bilden.«123 In der Rezeption stieß das erweiterte Symmetrieprinzip der ANT vielfach auf Kritik, da dieses dazu führe, dass sich die spezifische Handlungs- und Verantwortungsfähigkeit des menschlichen Subjekts nicht mehr begründen ließe – Latour selbst umschreibt den Einwand als das »›Tod des Menschen‹«-Argument.124 Die Vorstellung einer Zweiteilung zwischen einer aktiven sozialen Welt der menschlichen Akteur*innen und einer passiven materiellen Welt der Bilder und Objekte aufzugeben, führt Latour zufolge jedoch nicht dazu, dass die ANT Differenzen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Entitäten leugnet: »ANT ist nicht, ich wiederhole: ist nicht, die Behauptung irgendeiner absurden ›Symmetrie zwischen Menschen und nicht-menschlichen Wesen‹. Symmetrisch

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Ebd.: S. 96. Ebd.: S. 97. Latour (2015): S. 242. [Hervorhebung im Original] Bruno Latour (2006): »Über den Rückruf der ANT.« In: Andréa Belliger/David J. Krieger (Hg.): ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld: transcript. S. 561572, hier S. 562.

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

zu sein bedeutet für uns einfach, nicht a priori irgendeine falsche Asymmetrie zwischen menschlichem intentionalem Handeln und einer materiellen Welt kausaler Beziehungen anzunehmen.«125 Folglich streitet die ANT die Wichtigkeit von Konzepten wie Agency und Verantwortungsfähigkeit nicht ab, sondern löst sie, wie Stephan Packard anmerkt, »von der Frage nach [ihren, D.S.] Trägern«.126 Auch hebt Latour hervor, dass sich die Handlungsmodi und die Eigenschaften nicht-menschlicher Aktanten grundlegend von denen sozialer Akteur*innen unterscheiden: »Den Dualismus aufgeben heißt nicht, alles in einen Topf zu werfen und die unterschiedlichen Eigenarten der verschiedenen Mitglieder dieses Kollektivs zu leugnen. […] Das Ziel des Spiels besteht nicht darin, Subjektivität auf Dinge zu übertragen oder Menschen als Objekte zu behandeln oder Maschinen als soziale Akteure zu betrachten, sondern die Subjekt-Objekt-Dichotomie ganz zu umgehen und statt dessen von der Verflechtung von Menschen und nicht-menschlichen Wesen auszugehen. Mit dem neuen Bild wollen wir die Bewegungen einfangen, durch die ein bestimmtes Kollektiv sein soziales Gewebe auf andere Entitäten ausdehnt.«127 Agency stellt der ANT zufolge keine inhärente Eigenschaft von Aktanten dar. Diese ergibt sich erst durch die dynamischen Beziehungen zu anderen Entitäten im Netzwerk: »Mit jedem Neuarrangement der beteiligten Akteure«, so führen Georg Kneer/Markus Schroer/Erhard Schüttpelz aus, »findet zugleich eine Verschiebung, Medialisierung oder Übersetzung ihrer Eigenschaften und Fähigkeiten statt.«128 Im Unterschied zur SNA versteht die ANT unter einem Netzwerk kein aus Knoten und Kanten bestehendes Modell, sondern »eine Reihe von Transformationen«:129 »Mit diesem Wort [Netzwerk, D.S.] meine ich eine Reihe von Aktionen, bei denen jeder Beteiligte als vollwertiger Mittler behandelt wird. […] Somit bezeichnet Netzwerk nicht ein Ding da draußen, das im groben die Gestalt miteinander verbundener Punkte hätte, wie etwa ein Telefon-, Autobahn-

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Latour (2019): S. 131. [Hervorhebungen im Original] Packard (2015): S. 367. Latour (2015): S. 236f. [Hervorhebungen im Original] Georg Kneer/Markus Schroer/Erhard Schüttpelz (2016): »Vorwort.« In: Georg Kneer/Markus Schroer/Erhard Schüttpelz (Hg.): Bruno Latours Kollektive. Kontroversen zur Entgrenzung des Sozialen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. S. 9-12, hier S. 10. Latour (2006): S. 561. [Hervorhebung im Original] Die Aufgabe der ANT bestimmt Latour darin, »Akteure als Netzwerke von Vermittlungen zu entfalten – daher der Bindestrich im zusammengesetzten Wort ›Akteur-Netzwerk‹.« Latour (2019): S. 236. [Hervorhebungen im Original]

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oder Kanalisationsnetz. […] Es charakterisiert […] die Fähigkeit jedes Akteurs, die anderen Akteure dazu zu bringen, unerwartete Dinge zu tun.«130 Beziehungen zwischen Aktanten kommen durch Übersetzungsleistungen zustande, unter denen die ANT eine Vermittlung von Interessen zwischen Entitäten versteht.131 Es handelt sich nach Latour um »eine Verschiebung, Drift, Vermittlung und Erfindung, es ist die Schöpfung einer Verbindung, die vorher nicht da war und die beiden ursprünglichen Elemente oder Agenten in bestimmtem Maße modifiziert«.132 Beziehungen bestehen der ANT zufolge selten nur aus Menschzu-Mensch- oder Objekt-zu-Objekt-Verbindungen, sondern verlaufen in der Regel zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Aktanten.133 Obwohl jeder Entität grundsätzlich die Fähigkeit zum Handeln zugesprochen wird, entstehen in der Interaktion zwischen Netzwerkmitgliedern asymmetrische Verhältnisse. Die ANT verbindet damit ihr spezifisches Machtkonzept, das besagt, dass sich innerhalb eines hybriden Netzwerkes immer zentralere Knoten herausbilden, die mithilfe von Übersetzungsleistungen strategische Positionen in wissenschaftlichen, finanziellen oder informationstechnischen Strömen einnehmen134 und auf diese Weise bestimmte Wissenskomplexe durchsetzen und kontrollieren können, während konkurrierende Deutungsangebote unterdrückt werden. In »Über den Rückruf der ANT« (2006) distanziert sich Latour von Forscher*innen, die in der ANT eine alternative Sozialtheorie oder sogar eine Schule sehen.135 Eher sei diese als »negative argument«136 zu betrachten, die einen Impuls zur Reflexion des sozialwissenschaftlichen Netzwerkkonzeptes liefert.137 Sowohl für die Kanon- als auch die Kulturtransferforschung stellt die ANT, die in den Kulturwissenschaften seit einigen Jahren vor allem im Bereich der Mediensoziologie, der Literaturökologie und der Kulturtechnikgeschichte zunehmend auf Anklang

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Latour (2019): S. 223f. [Hervorhebungen im Original] Vgl. Peuker (2010): S. 328. Latour (2015): S. 217f. Vgl. Latour (2019): S. 130. Vgl. Sebastian Gießmann (2014): Die Verbundenheit der Dinge. Eine Kulturgeschichte der Netze und Netzwerke. Berlin: Kulturverlag Kadmos. S. 125f. Vgl. Latour (2006): S. 566. Der Anfang des Aufsatzes lautet: »Ich beginne damit festzustellen, dass es vier Dinge gibt, die bei der Akteur-Netzwerk-Theorie problematisch sind: das Wort Akteur, das Wort Netzwerk, das Wort Theorie und der Bindestrich! Vier Nägel zum Sarg.« Ebd.: S. 561. Bruno Latour (2004): »On Using ANT for Studying Information Systems: A (Somewhat) Socratic Dialogue.« In: Chrisanthi Avgerou/Claudio Ciborra/Frank Land (Hg.): The Social Study of Information and Communication Technology. Innovation, Actors, and Contexts. Oxford/New York: Oxford University Press. S. 62-76, hier S. 62. [Hervorhebung im Original] Vgl. Packard (2015): S. 364f.

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

stößt,138 eine interessante, bisher vernachlässigte Perspektive dar. Sowohl die SNA als auch die ANT vertreten einen prozesshaften, praxisorientierten Kulturbegriff, wobei letztere betont, dass Kultur nicht nur von sozialen Akteur*innen gemacht wird, sondern aus der Interaktion von Menschen mit diskursiven Konzepten, sozialen Praktiken und materiellen Objekten entsteht. Dieser Fokus ermöglicht eine neuartige Sichtweise auf die Formierung und die Funktionsweise von kulturellen Macht-Wissenskonstellationen, wie Tony Bennett darlegt: »The implication is that we should consider how distinctive kinds of cultural power are organized via the production of distinctive cultural assemblages – in museums, libraries, broadcasting, art galleries, heritage sites – which, as closely interacting components of the ›culture complex,‹ bring together persons, things, techniques, texts as parts of distinctive public organizations which, in turn, can be mobilized in distinctive ways to act on the social with a view to bringing about changes in conduct.«139 Konkret bedeutet diese Schwerpunktverlagerung für eine transkulturelle Kanonforschung, dass nicht nur menschliche und institutionelle Mittler*innen, sondern auch textuelle, visuelle, materielle und immaterielle Kulturgüter in Austauschprozessen als aktive weltbildende Katalysatoren auftreten können. Mit dieser Annahme schließt die ANT an den Material turn in den Kulturwissenschaften und den damit im Zusammenhang stehenden Hinweis Hans-Jürgen Lüsebrinks auf die allmählich stärkere Berücksichtigung von materieller Kultur innerhalb der Kulturtransferforschung an.140 Da die ANT die akteurzentrierte Sichtweise der SNA auf kulturelle Transferprozesse zugunsten eines hybriden Netzwerkmodells ablöst, lässt sich letzteres nicht ausschließlich diskursanalytisch untersuchen, sondern erfordert eine Herangehensweise, die medientheoretische, objekt- und bildwissenschaftliche Ansätze in ihr methodisches Programm integriert.

138

Vgl. u.a. Gießman (2014); Caspar Clemens Mierau (2012): »›There Is No Hardware‹. Reanimation durch Emulation.« In: Ulrike Hanstein/Anika Höppner/Jana Mangold (Hg.): Re-Animationen. Szenen des Auf- und Ablebens in Kunst, Literatur und Geschichtsschreibung. Wien: Böhlau Verlag. S. 311-328; Sven Kesselring (2006): »Topographien mobiler Möglichkeitsräume. Zur sozio-materiellen Netzwerkanalyse von Mobilitätspionieren.« In: Betina Hollstein/Florian Straus (Hg.): Qualitative Netzwerkanalyse. Konzepte, Methoden, Anwendungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 333-358. 139 Tony Bennett (2010): »›Culture Studies‹ and the Culture Complex.« In: John R. Hall/Laura Grindstaff/Ming-Cheng Lo (Hg.): Handbook of Cultural Sociology. Abingdon/New York: Routledge. S. 25-34, hier S. 28. 140 Vgl. Hans-Jürgen Lüsebrink (2005): »Kulturtransfer – neuere Forschungsansätze zu einem interdisziplinären Problemfeld der Kulturwissenschaften.« In: Helga Mitterbauer/Katharina Scherke (Hg.): Ent-grenzte Räume. Kulturelle Transfers um 1900 und in der Gegenwart. Wien: Passagen Verlag. S. 23-41, hier S. 35f.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Resümierend ist in Bezug auf das in dieser Studie vertretene Netzwerkkonzept festzuhalten, dass dieses als heterogenes Beziehungsgeflecht zwischen sozialen Mittlerfiguren, Kunstinstitutionen, Diskursen, Medien, Texten und Kunstwerken verstanden wird. Aufbauend auf der ANT geht die Analyse der Frage nach, welche Funktion Bilder (Gemälde, Fotografien, Covergestaltungen von Ausstellungskatalogen) und Objekte (Installationen und andere dreidimensionale Kunstwerke) in Konstruktionen sozialer Realität erfüllen.141 So lässt sich in der Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus beispielsweise beobachten, dass über Kunst gesellschaftspolitische Identitäts- und Alteritätsvorstellungen ausgehandelt werden, indem einzelnen Werken eine ›versöhnene Kraft‹ – und damit Agency – in den deutsch-russischen Beziehungen nach dem Ende des Kalten Kriegs zugeschrieben wird.

2.5

Begriffsinstrumentarium für eine transkulturelle Kanonforschung

Der abschließende Teil dieses Kapitels bezweckt eine Zusammenführung der einzelnen Theorie- und Methodenstränge, indem ein netzwerkanalytisches Begriffsinstrumentarium entworfen wird, auf das in der Analyse von Kanonbildung in transkulturellen Netzwerken zurückgegriffen werden kann. Zu diesem Zweck wird auf drei zentrale Begriffspaare näher eingegangen, wobei zu klären ist, in welchem terminologischen Verhältnis beide Komponenten jeweils zueinanderstehen: ›Kulturtransfer – Netzwerk‹, ›Vermittler – Akteur/Aktant‹ und ›Vermittlung – Verbindung/Übersetzung‹.

2.5.1

Kulturtransfer – Netzwerk

Sowohl die Kulturtransferforschung als auch die Histoire croisée vertreten ein dynamisches Verständnis von Kultur als Netzwerk, in dem Menschen, Institutionen, Medien, Texte, Bilder und Objekte miteinander interagieren. Beiden Verstehensmodellen fehlt jedoch ein ausgearbeitetes methodologisches Programm zur Analyse solcher kulturübergreifenden Vernetzungen. Dem Ziel der Kulturtransferforschung, die Handlungsstrategien von Mittlerfiguren (Mikroebene) und ihre Rückwirkung auf langfristige, überindividuelle Diskurstransformationen in einem eigen- oder fremdkulturellen Aufnahmefeld (Makroebene) zu erforschen, lässt sich mit einem Analyseinstrumentarium, das Ansätze aus der sozialwissenschaftlichen Netzwerkanalyse und der Akteur-Netzwerk-Theorie kombiniert, gewinnbrin-

141

Vgl. zu diesem Aspekt auch Gerstenberger/Glasman (2016): S. 31.

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

gend nachgehen. Netzwerke vermitteln zwischen einer Mikro- und Makroebene.142 Sie dienen der vorliegenden Untersuchung als hybrides Beschreibungsmodell, das zeitliche und geographische Vernetzungen zwischen menschlichen und institutionellen Akteur*innen, kulturellen Praktiken, Texten, Bildern und Objekten umfasst, die beständig Modifikationen und gelegentlich auch Störungen unterworfen sind, wie Sebastian Gießmann argumentiert.143 Mithilfe von netzwerkanalytischen Leitbegriffen, wie ›strong‹ und ›weak ties‹, ›Prestige‹, ›Zentralität‹, ›Dichte‹ und ›soziales Kapital‹, lassen sich die Struktur und die Qualität von Kontakten zwischen Mittlerinstanzen erforschen, wobei berücksichtigt werden soll, dass diese in unterschiedliche Richtungen und über längere Zeitperioden hinweg von verschiedener Qualität sein können.144 Mit der ANT kann darüber hinaus nach der spezifischen Rolle von Bildern und Objekten in der Etablierung oder Auflösung von Verknüpfungen im Netzwerk und damit in der Entwicklung von Wissenskonstellationen in der longue durée gefragt werden. Wie in der Einleitung dargelegt wurde, rekonstruieren das dritte und das vierte Kapitel die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus als hybride Gesamtnetzwerke. Obwohl der Fokus einmal stärker auf Deutschland, einmal stärker auf Russland liegt, weisen diese territorialen Netzwerke zahlreiche Überschneidungen und Verflechtungen auf. Zunächst komparativ erforscht wird, ob und wie transkulturell agierende Akteur*innen wie Boris Groys ihre Vermittlungsstrategien je nach kulturellem Makrokontext anpassen, welche sozialen Kontakte sie dabei eingehen und welche langfristigen Auswirkungen diese Faktoren auf die Diskursivierung des Moskauer Konzeptualismus haben. Dabei wird von einem breiten, von Jürgen Link und Stefan Meier inspirierten Diskursbegriff ausgegangen, der diskursive Praxis als gesellschaftlich geregelte, multimodale Zeichenverwendung bestimmt, die nicht nur sprachliche Äußerungen, sondern auch bildhafte Phänomene und ihre medialen und räumlichen Modellierungen umfasst.145 In einem weiteren Schritt wird festgestellt, ob abhängig von der jeweiligen territorialen Netzwerkstruktur andere interpretative Schwerpunkte im Kanonisierungsprozess des Moskauer Konzeptualismus in Russland und Deutschland gesetzt werden. Mit anderen Worten: Es werden sowohl Mechanismen der nationalen als auch der transnationalen Kanonbildung herausgearbeitet, wobei zu untersuchen ist, in welchem Ver-

142 Vgl. Marina Hennig/Steffen Kohl (2012): »Fundierung der Netzwerkperspektive durch die Habitus- und Feldtheorie von Pierre Bourdieu.« In: Marina Hennig/Christian Stegbauer (Hg.): Die Integration von Theorie und Methode in der Netzwerkforschung. Wiesbaden: Springer VS. S. 1332, hier S. 13. 143 Vgl. Gießmann (2014): S. 8, 127. 144 Vgl. Mitterbauer (2005): S. 113. 145 Vgl. Meier (o.J.): S. 1; vgl. Siegfried Jäger (2015): Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. Münster: UNRAST-Verlag. S. 17ff.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

hältnis diese beiden Dimensionen zueinanderstehen.146 Es kann in dieser Studie explizit nicht darum gehen, den Kanon des Moskauer Konzeptualismus festzulegen, indem bestimmt wird, welche Künstler*innen und Kunstwerke dazu gehören und welche nicht, sondern aus einer kulturhistorischen Perspektive Modi der Inund Exklusion aufzuzeigen, die von wechselseitigen Austauschprozessen zwischen Russland und Deutschland beeinflusst werden. In jeder Studie ist unvermeidlich die Frage nach den Grenzen des Untersuchungsgegenstandes zu stellen. Die Grenzziehung orientiert sich im Folgenden primär am Korpus der selektierten Ausstellungen und Kataloge (vgl. den Anhang), aus denen Netzwerke von vermittelnden Akteur*innen sowie textuelle und visuelle Ordnungsmuster generiert werden. Ergänzt wird die Materialbasis um Rezensionen, wissenschaftliche Publikationen, Egodokumente und Interviews mit Künstler*innen, Kurator*innen und Forscher*innen. Produktive Anregung bezieht die Untersuchung in der Analyse dieser unterschiedlichen Textgattungen aus dem New Historicism, der nicht nur Hochliteratur, sondern auch faktuale Textsorten, Anekdoten oder Gebrauchstexte als in gleichem Maße relevant behandelt und diese als Knotenpunkte versteht, an denen sich verschiedene ›Diskursfäden‹ kreuzen.147 Methodisch profitiert die Analyse darüber hinaus von bildwissenschaftlichen Ansätzen zum »wechselseitige[n] Funktionieren«148 von Text- und Bilddiskursen.

2.5.2

Vermittler – Akteur/Aktant

Der sozialwissenschaftliche Begriff des Akteurs bzw. der Akteurin unterscheidet sich von dem des Vermittlers bzw. der Vermittlerin, so wie er von der Kulturtransferforschung und der Histoire croisée verstanden wird, indem sich ersterer durch soziale Handlungs- und Vernetzungsfähigkeit auszeichnet, dieser jedoch erst dann zur Mittlerfigur wird, wenn diese Fähigkeiten (bewusst oder unbewusst) dazu eingesetzt werden, um zwischen unterschiedlichen Kulturen vermittelnd tätig zu werden. Wie in diesem Kapitel ausgeführt wurde, weitet die Prämisse des erweiterten

146 Auch Mads Rosendahl Thomsen hebt die Unterscheidung zwischen nationaler vs. transnationaler Kanonbildung als wichtig hervor, wenn er schreibt, dass »national canonization has a different logic and different values than international canonization.« Mads Rosendahl Thomsen (2008): Mapping World Literature. International Canonization and Transnational Literatures. London/New York: Continuum International Publishing Group. S. 3. 147 Vgl. Baßler (2005): S. 20. Vgl. dazu grundlegend Catherine Gallagher/Stephen Greenblatt (2000): Practicing New Historicism. Chicago/London: The University of Chicago Press. 148 Michel Foucault (2001): »Worte und Bilder.« In: Daniel Defert/François Ewald (Hg.): Michel Foucault. Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Band 1: 1954-1969. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. S. 794-797, hier S. 796. Vgl. dazu grundlegend Hermann Mitterhofer (2016): Das Repräsentations-Dispositiv. Narration, Gedächtnis und Pathos – zu den Bildern von 9/11. Paderborn: Wilhelm Fink.

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

Symmetrieprinzips der ANT – wenn bezogen auf die Kulturtransfer- und Verflechtungsforschung – das übliche Verständnis einer Mittlerfigur aus, indem jede Entität – menschlich oder nicht-menschlich – potentiell Handlungsmacht innerhalb eines hybriden Netzwerks erlangen kann. Dieser Argumentation folgend können demnach auch Artefakte als aktive weltbildende Katalysatoren in – um Greenblatt an dieser Stelle noch einmal aufzugreifen – Prozessen kultureller Mobilität und kultureller Grenzziehungen auftreten. Der Begriff des Akteurs bzw. der Akteurin wird in dieser Untersuchung neben dem des Vermittlers bzw. der Vermittlerin mitsamt den jeweiligen Bedeutungsunterschieden beibehalten und beschreibt Knoten, die mit einem anthropomorphen Charakter ausgestattet sind.149 Im Sinne der ANT wird von der Annahme ausgegangen, dass sich die Eigenschaften und die Handlungsspielräume, die sozialen Akteur*innen und kulturellen Artefakten in netzwerkartigen Beziehungsgeflechten zugeschrieben werden, unterscheiden und diese folglich einen jeweils anderen methodischen Zugriff verlangen.150

2.5.3

Vermittlung – Verbindung/Übersetzung

Mit dem Begriff der Verbindung stellt die SNA die Frage danach, was ein Netzwerk zusammenhält. Unter Verbindung wird die Herstellung einer – wie auch immer gearteten – Beziehung zwischen zwei oder mehreren sozialen Akteur*innen verstanden, die sich mit der Unterscheidung zwischen starken und schwachen sowie symmetrischen und asymmetrischen Verbindungen genauer bestimmen lässt. Das für die Kulturtransferforschung zentrale Konzept der Vermittlung kann in der Zusammenführung beider Ansätze als eine spezifische Art von Verbindung verstanden werden. Der Begriff verweist auf die zweite Komponente in dem von Espagne und Werner entworfenen Transfermodell – und zwar auf die Vermittlungsinstanz und den Transferkanal. Vermittlung bezeichnet den Übertragungsprozess eines Kulturguts zwischen zwei semantischen Systemen,151 das abhängig von den

149 Vgl. Malaika Rödel (2015): Geschlecht im Zeitalter der Reproduktionstechnologien. Natur, Technologie und Körper im Diskurs der Präimplantationsdiagnostik. Bielefeld: transcript. S. 31. Auch in der ANT wird der Begriff des Akteurs bzw. der Akteurin in der Regel beibehalten. 150 In der Analyse von Handlungs- und Vermittlungsstrategien von Akteur*innen baut diese Untersuchung auf Studien aus dem Bereich der Kultur- und Literatursoziologie auf, darunter Christiane Dätsch (2018) (Hg.): Kulturelle Übersetzer. Kunst und Kulturmanagement im transkulturellen Kontext. Bielefeld: transcript; Rutten (2017); Andrew Baruch Wachtel (2006): Remaining Relevant After Communism. The Role of the Writer in Eastern Europe. Chicago/London: The University of Chicago Press; Christopher F. Laferl/Anja Tippner (2014) (Hg.): Künstlerinszenierungen. Performatives Selbst und biographische Narration im 20. und 21. Jahrhundert. Bielefeld: transcript. In den Text- und Bildanalysen wird auf diskursanalytische und bildwissenschaftliche Ansätze zurückgegriffen. 151 Vgl. Mitterbauer (2003): S. 4.

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72

Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Strukturen des kulturellen Aufnahmefeldes entweder in angepasster Form angenommen oder abgelehnt wird, dessen Rahmenbedingungen es jedoch auch zu verändern vermag, indem es diese subversiv unterwandern kann. Netzwerkinterne Vermittlungsprozesse, so Gießmann, gelingen nicht automatisch, sondern sind immer Prozessen der Fluktuation und Störung unterworfen,152 indem sich eine vorher vorhandene Verknüpfung mit der Zeit auflösen oder sich der Charakter einer Beziehung grundlegend ändern kann. Auch die ANT arbeitet mit dem Begriff der Vermittlung bzw. der Übersetzung, koppelt diesen jedoch von der Bedeutung transkultureller Übertragungsvorgänge ab. Das verbindende Element von Netzwerken sucht dieser Ansatz zu erklären, indem von der Annahme ausgegangen wird, dass Übersetzungsleistungen die jeweilige Handlungsmacht eines Aktanten im Netzwerk konstituieren. Die vorliegende Untersuchung hält indessen an der transkulturellen Bedeutungskomponente von Vermittlung fest, die im Sinne einer »Vermittlung von Wissen über fremde Kulturen«153 laut Doris Bachmann-Medick auch unter den Begriff der ›kulturellen Übersetzung‹ subsumiert werden kann.

2.5.4

Fazit

In diesem Kapitel wurde sukzessive dargelegt, dass sich Prozesse der Kanonbildung, für die dem invisible hand-Modell zufolge ein Wechselspiel zwischen individuellen Handlungen und überindividuellen sozialen und kulturellen Faktoren konstituierend ist, methodisch gewinnbringend mithilfe von Ansätzen aus der sozialwissenschaftlichen Netzwerkanalyse und der Akteur-Netzwerk-Theorie erforschen lassen. Der Vorzug des Netzwerkkonzepts liegt für vorliegende Studie insbesondere in der Möglichkeit begründet, Kanonbildung als Ergebnis von transkulturellen Austauschprozessen zwischen Deutschland und Russland untersuchen zu können, da Netzwerke per definitionem grenzüberschreitend angelegt sind. Ein Netzwerk wird im Folgenden als hybrides Beschreibungsmodell verstanden. Dabei wird die These vertreten, dass die netzwerkinterne Interaktion zwischen Mittlerfiguren, Institutionen, Medien, Texten, Bildern und Objekten neuartige Rückschlüsse auf die Formierung von Wissenskonstellationen erlaubt, die mithilfe von diskursiven Ordnungsschemata und identitätskonstituierenden Narrationen – erinnert sei an Whites Konzept von ›stories‹ als soziales Kontrollmittel – zementiert werden. In der Analyse sind die Handlungsstrategien von Mittlerfiguren an die jeweilige Biographie des Akteurs bzw. der Akteurin zurückzubinden (Mikroebene),

152 153

Vgl. Gießmann (2014): S. 127. Doris Bachmann-Medick (1997): »Einleitung: Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen.« In: Doris Bachmann-Medick (Hg.): Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen. Berlin: Erich Schmidt Verlag. S. 1-18, hier S. 6.

2. Theoretisch-methodische Grundlagen

während gleichzeitig berücksichtigt wird, dass die Makrostruktur des Netzwerkes, in das diese*r eingebettet ist, bestimmte Handlungsdispositionen nahelegt.154 Da im Sinne von Goodwin und Emirbayer nicht von einer determinierenden Wirkung von Makrokontexten ausgegangen wird, weisen die Handlungsspielräume von Akteur*innen immer eine gewisse Kontingenz auf.

154

Vgl. Hennig/Kohl (2012): S. 15.

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74

Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Grafik 1: Vermittlungszentren in der deutschsprachigen Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus (1969-2020)

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland »Die Welt war erstaunt: nicht nur Raketen, GULAG und Ballett, sondern noch etwas, ein wenig ähnlich dem… Na und – wir haben doch nichts zu verlieren… Bulldozer walzten Gemälde nieder, jemandem wurden die Zähne ausgeschlagen, sie leisteten sich ein solches Ding, daß die ganze zivilisierte Welt bestürzt war. Dann das ›sowjetische Woodstock‹, an einem heißen Tag im Altweibersommer inmitten von Erdhügeln und Gebüsch – der ›Nonkonformismus‹.«1 (Nikita Alekseev: 1991)

3.1

»Where Is the Line Between Us?« Die frühe Rezeption des Moskauer Konzeptualismus in Westeuropa (1970-1988)

Zwischen 1975 und 1978 entstand aus der Bekanntschaft des US-amerikanischen Kunstkritikers und Medienkünstlers Douglas Davis mit den Moskauer Künstlern Vitalij Komar und Aleksandr Melamid ein transatlantisches Kunstprojekt, das den Titel »Questions: New York Moscow – Moscow New York« trägt. Davis, der Ende 1974 nach Moskau gereist war, um für das Wochenmagazin Newsweek über die Kollektion russischer Avantgardekunst des griechisch-sowjetischen Sammlers Georgij Kostaki zu berichten und dort auch das Künstlerduo kennengelernt hatte,2 1

2

Nikita Alexejew (1991): »›Wir – sie‹, Patrizier, Zigeuner und andere.« In: Jürgen Harten (Hg.): Sowjetische Kunst um 1990/Sovetskoe iskusstvo okolo 1990 goda. Köln: DuMont Buchverlag, S. 4253, hier S. 43. Davis sah Kostakis Sammlung als Anregung zu einer neuen Kunstgeschichtsschreibung. Für Camilla Grays bahnbrechende Studie The Great Experiment: Russian Art 1863-1922 (1962) hatte sie bereits als wichtige Quellengrundlage gedient. Davis schrieb 1974 in Newsweek: »What he [Georgij Kostaki, D.S.] has brought together may not be the most professional or conven-

76

Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Abb. 1: Douglas Davis/Vitalij Komar/Aleksandr Melamid: »Questions: New York Moscow – Moscow New York« (1975-1978), Fotografie von den Künstlern.

fotografierte sich in New York am 31. Dezember 1975 um Mitternacht vor einer weißen Wand stehend, die in der Mitte von einer schwarzen Linie geteilt wurde. In Moskau porträtierten sich Komar & Melamid zur selben Uhrzeit am 1. Januar 1976 um acht Uhr morgens auf identische Weise, wonach sie die Aufnahmen nach New York schickten. Dort kombinierte Davis die Fotografien, die insgesamt zu sechs verschiedenen Zeitpunkten gemacht wurden, zu Bildmontagen. Die durch die schwarze Linie getrennten Künstler befragen die Grenze zwischen ihnen mit kurzen Texten: »Where Is the Line Between Us?«, »Why Is the Line Between Us?«

tionally beautiful private collection of twentieth-century art. Many of his paintings are small in size; others are disappointing in quality – as in any large collection gathered in passion rather than dispassion. But the sheer quantity of fundamental and provocative information is extraordinary. When this information is finally disseminated, art historians will have to modify many conventional assumptions – in the West, particularly, the notion that cubism is the dominant modern movement. This idea will not fade easily – not until there is prolonged exposure to artists like Popova, Stepanova, Goncharova, Klyun, Boris Ender, Nikolai Suetin, Ilya Chasnik and Rozanova – whose startlingly simple single-stripe painting antedates similar work in America by 30 years.« Douglas Davis (1975): »Hidden Treasure in Moscow.« In: Newsweek vom 20.01.1975. S. 44-45, hier S. 44f.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

und »What’s Beyond the Line?« (vgl. Abb. 1). Die Fotografien kehren die zu erwartende Ost-West-Dichotomie um, indem Komar & Melamid auf der linken und damit westlichen Seite zu sehen sind, während Davis auf den Bildern rechts und somit östlich steht. Auch ihre jeweiligen Muttersprachen haben die Künstler vertauscht. Während das russische Künstlerduo die Texte auf Englisch präsentiert, richtet sich Davis auf Russisch und schließlich auf Hebräisch an die Betrachter*innen – Komar & Melamid emigrierten 1977 zunächst nach Israel und im darauffolgenden Jahr in die Vereinigten Staaten. Auf dem sechsten und letzten Bild der Serie (»The End of the Line«) ziehen sie 1978 gemeinsam mit Davis in der Ronald Feldman Gallery in New York demonstrativ die schwarze Linie von der Wand.3 Indem das Projekt die erschwerten Kommunikationsmöglichkeiten zwischen USamerikanischen und sowjetischen Künstler*innen in den 1970er Jahren unter die Lupe nimmt, werden verbreitete Vorstellungen über sowohl politisch-ideologische als auch kulturell-künstlerische Oppositionen zwischen Ost und West im Kalten Krieg kritisch hinterfragt. Als künstlerisches Projekt veranschaulicht »Questions: New York Moscow – Moscow New York« die Greenblattsche Wechselwirkung zwischen kulturellen Kontakt- und Austauschprozessen (›Mobilität‹) auf der einen Seite und einer Erschwerung oder gar Blockierung letzterer durch geopolitische Grenzziehungen (›Restriktionen‹) auf der anderen Seite. Diese Dynamik prägt die Rezeptionsgeschichte russisch-sowjetischer Konzeptkunst4 in Westeuropa und den USA zwischen 1970 und 1988 stark. Maßgeblich vorangetrieben von sowjetischen Emigrantenkreisen nahm die internationale Rezeption der russischen Konzeptualisten ihren Anfang in den 1970er Jahren (vgl. Grafik 2). Die frühe Transfergeschichte des Kreises bildet den historischen Rahmen für die spätere Kanonisierung des Moskauer Konzeptualismus, deren Auftakt die Sotheby’s-Auktion vom 7. Juli 1988 darstellt. Eine zentrale Position im sich formierenden Mittlernetzwerk nahm der 1975 nach Paris emigrierte sowjetische Kunstsammler und Dichter Aleksandr Glezer ein, der im ersten Teil dieses Kapitels (§3.1.1) exemplarisch im Vordergrund steht. Anhand seiner unterschiedlichen performativen Rollen als vermittelnder Akteur lässt sich die Entwicklung einer westeuropäischen Rezeptionsinfrastruktur 3

4

Vgl. ausführlicher zu diesem Kunstprojekt das Interview mit Douglas Davis in Tilman Baumgärtel (2001) (Hg.): [net.art 2.0] Neue Materialien zur Netzkunst/New Materials Towards Net Art. Nürnberg: Verlag für moderne Kunst. S. 50-65, hier S. 57ff. In der Ronald Feldman Gallery fand 1976 die erste internationale Ausstellung des Künstlerduos Komar & Melamid mit dem Titel Color Is a Mighty Power statt. Den Kontakt zum Galeristen Ronald Feldman stellte Davis her. Ich spreche bewusst von ›russisch-sowjetischer Konzeptkunst‹. Der Begriff ›Moskauer Konzeptualismus‹ wird erst in den 1980er Jahren geläufig, nachdem Boris Groys den Terminus ›Moskauer romantischer Konzeptualismus‹ 1979 in der Zeitschrift A-Ja. Unofficial Russian Art Review einführte. In den 1970er Jahren finden sich die Bezeichnungen ›sowjetische‹ bzw. ›russische Konzeptkunst‹ und ›Konzeptualisten‹, wie in diesem Kapitel dargelegt wird.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

für die nicht-kanonkonforme Kunst, bestehend aus Transfermedien (SamizdatZeitschriften und Ausstellungen), Ausstellungsplattformen (Biennale Venedig) und Kunstkritik, systematisch verfolgen. Grafik 2: Vermittlungszentren in der frühen Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Westeuropa (1965-1985)

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Der darauffolgende Abschnitt (§3.1.2) thematisiert die in der ersten Hälfte der 1980er Jahre prominenter werdende Rolle zweier geographischer Knoten, nämlich der Bochumer und Bielefelder Slavistik als Mittlerinstanzen nicht-kanonisierter sowjetischer Kunst, Literatur und Kulturtheorie. In Bochum entstand 1984 die erste (populär-)wissenschaftliche Publikation zum Moskauer Konzeptualismus im deutschsprachigen Raum. Der abschließende Teil (§3.1.3) nimmt den Schweizer Wirtschaftsdiplomaten Paul R. Jolles in den Blick, der als Akteur maßgeblich am Zustandekommen der ersten Einzelausstellung Il’ja Kabakovs in der Kunsthalle Bern beteiligt war. Die weitere Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus, die nach 1988 einen kanonisierenden Charakter annimmt, wird in drei größere Zeitabschnitte unterteilt. Da eine vollständige Darstellung des Transfernetzwerkes aufgrund der breiten Materialbasis nicht Ziel dieser Studie sein kann, ermöglichen jeweils drei Einzelanalysen pro Abschnitt es, repräsentative Mittlerfiguren, Ausstellungen sowie Text- und Bilddiskurse als Knotenpunkte im Beziehungsnetz genauer in den Blick zu nehmen: 1. Sotheby’s als ›Big Bang‹: Moskauer Konzeptualismus als Hype (1988-1992) 2. NOMA oder Prozesse der künstlerischen Mythenbildung (1993-1998) 3. Von Political zu Mystical Correct: Verfestigung des Kanons (1999-2020)

3.1.1

»Aus Moskau verjagt: Bilder im Exil.«5 Die Rolle sowjetischer Emigrantennetzwerke im Transfer nicht-kanonkonformer Kunst

Beim Aufschlagen der ersten Nummer von A-Ja. Unofficial Russian Art Revue (1979) springt Leser*innen direkt unter den einleitenden Worten der Herausgeber Igor’ Šelkovskij und Aleksej Alekseev (Pseudonym für Aleksandr Sidorov) ein SchwarzWeiß-Foto ins Auge mit der erklärenden Beschreibung: »A crowd of artists being dispersed by bulldozers at an open-air exhibition in Moscow, sept. 15th , 1974«.6 Das schlichte weiße Cover der Ausgabe ziert eine Farbreproduktion von Ėrik Bulatovs Gemälde »Opasno« [Gefährlich] (1973), auf dem eine idyllische, fotorealistisch gemalte Picknick-Szene in der Natur von dem rot gefärbten Warnungswort ›Opasno‹ gerahmt wird (vgl. Abb. 2). Die erste Ausgabe der Pariser Tamizdat-Zeitschrift referiert damit gleich auf den Anfangsseiten auf ein Ereignis, das als ›Bul’dozernaja vystavka‹ oder ›Bulldozer-Ausstellung‹ nicht nur in Russland, sondern international in das kollektive Gedächtnis eingegangen ist. Die Pervyj osennij prosmotr kartin na otkrytom vozduche [Erste herbstliche Bildervorführung unter freiem Him-

5 6

Thomas Schröder (1975): »Aus Moskau verjagt: Bilder im Exil.« In: Die Zeit 13 vom 21.03.1975. [o.A.] (1979a): [o.T.] In: A-Ja. Unofficial Russian Art Review 1. S. 2.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Abb. 2: Cover der ersten Ausgabe von A-Ja. Unofficial Russian Art Review (1979).

mel],7 wie sie in der Einladung der Organisatoren genannt wurde, sollte am 15. September 1974 von zwölf bis 14 Uhr auf einer unbebauten Fläche im Moskauer Stadtteil Beljaevo stattfinden.8 Obwohl die Ausstellung vorher bei der Kulturabteilung des Mossovet [Moskauer Stadtsowjet] sowie beim Künstlerverband angemel7

8

Eine Reproduktion von Originaldokumenten zur Bulldozer-Ausstellung, darunter die Einladung, enthält der Sammelband von Laura Hoptman/Tomáš Pospiszyl (2002) (Hg.): Primary Documents. A Sourcebook for Eastern and Central European Art Since the 1950s. Cambridge, Massachusetts/London: MIT Press. S. 65-77. Der Maler Oskar Rabin hatte die Organisation einer Freiluftausstellung bereits Ende 1969 vorgeschlagen. Vgl. Gleser (1982): 290.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

det und weder offiziell verboten noch erlaubt worden war, störten im Auftrag des KGB zunächst angebliche Voskresniki [Sonntagsarbeiter*innen] die Veranstaltung, wonach sie mit Bulldozern, Traktoren und Wasserwerfern gewaltsam abgebrochen wurde.9 Unter Druck der Resonanz in der internationalen Presse – unter den Anwesenden befanden sich Diplomat*innen und Korrespondent*innen aus Westeuropa und den USA, die der Kunstsammler Aleksandr Glezer und der Maler Jurij Žarkich am Tag nach der gescheiterten Freiluftausstellung zu einer Pressekonferenz einluden –, wurde am 29. September von zwölf bis 16 Uhr eine Zweite herbstliche Bildervorführung im Izmajlovskij Park bewilligt. An der Schau beteiligten sich über 70 Künstler*innen. Die Bulldozer-Ausstellung und ihre Folgen werden häufig als Beispiel für die sowjetische Kulturpolitik der Stagnationsperiode [period zastoja] unter Leonid Brežnev zitiert. Diese kennzeichnet sich Dirk Kretzschmar zufolge durch die parallele Entwicklung zweier Prozesse: Einerseits deutete die Erlaubnis der Ausstellung im Izmajlovskij Park auf eine Kompromisspolitik hin, die in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zur Etablierung einiger halbinstitutioneller Strukturen für nicht-kanonkonforme Künstler*innen führte.10 So wurde Ende Februar 1975 eine weitere, von Vladimir Nemuchin und Dmitrij Plavinskij organisierte Ausstellung im Pavillon für Bienenzucht auf dem Gelände des VDNCH bewilligt und richtete die Moskauer Grafikergesellschaft im Frühjahr 1976 eine Ausstellungssektion für die ›andere Kunst‹ ein. De facto dienten solche Konzessionen jedoch der Kontrolle von Künstler*innen,11 weshalb der KGB in dieser Periode andererseits mit unverminderter Härte gegen einzelne Kulturschaffende und Intellektuelle

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Obwohl die Organisatoren betonten, dass die Veranstaltung nicht als Protest gedacht sei, war sie dennoch für die Augen einer internationalen Öffentlichkeit bestimmt und hatte somit Konfliktpotential. Aus diesem Grund bezeichnet Ekaterina Degot’ die Ausstellung als »ästhetische[] Provokation der Macht«. Ekaterina Degot (2003): »Zwischen Massenreproduktion und Einzigartigkeit: offizielle und inoffizielle Kunst in der UdSSR.« In: Pawel Choroschilow et al. (Hg.): Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 1950-2000. Chronik. Berlin: H. Heenemann. S. 133-137, hier S. 137. Vgl. Dirk Kretzschmar (1993): Die sowjetische Kulturpolitik 1970-1985. Von der verwalteten zur selbstverwalteten Kultur. Analyse und Dokumentation. Bochum: Universitätsverlag Dr. N. Brockmeyer. S. 69. Vgl. ebd.: S. 82ff.; vgl. Waltraud Bayer (2006b): Gerettete Kultur. Private Kunstsammler in der Sowjetunion 1917-1991. Wien: Verlag Turia und Kant: S. 210. In der Zeitschrift Pastor von 2009 bezeichnete der an der Ausstellung beteiligte Künstler Vitalij Komar diese Konzessionen als »psichologičeskaja lovuška« [psychologische Falle]: »И вот мы попали в странную ситуацию, когда вроде разрешалось и одновременно не разрешалось.« [Und da landeten wir in der komischen Situation, in der uns gleichzeitig Sachen erlaubt und nicht erlaubt wurden.] Vitalij Komar/Vadim Zacharov (2009): »Razgovor v Aachene.« In: Vadim Zacharov (Hg.): Pastor. Sbornik izbrannych materialov opublikovannych v žurnale ›Pastor‹ 1992-2001. Vologda: Pastor Zond Edition. S. 263-273, hier S. 263.

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vorging.12 Repressionsmaßnahmen trafen u.a. einen der Hauptorganisatoren der Bulldozer-Ausstellung, den aus Baku stammenden Kunstsammler und Dichter Aleksandr Glezer. Dieser hatte seit 1967 mehrere, innerhalb kürzester Zeit von dem KGB geschlossene Ausstellungen mit Künstler*innen der Lianozovo-Gruppe in Moskau und Tiflis organisiert.13 Zusammen mit Glezer, der im Dezember 1974 zur Emigration aufgefordert wurde und nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Wien nach Paris zog,14 gehörte auch der an der Bulldozer-Ausstellung beteiligte Mathematiker und Philosoph Viktor Tupicyn zu der großen Gruppe von Intellektuellen, die im Zuge der dritten Emigrationswelle ab Anfang der 1970er Jahre die Sowjetunion verließ.15 Viele von ihnen, wie Viktor Tupicyn und seine Frau, die Kunsthistorikerin Margarita Masterkova-Tupicyna, ließen sich in New York, oder, wie Aleksandr Glezer und Igor’ Šelkovskij, in Paris nieder und engagierten sich von diesen Orten aus für die Bekanntmachung nicht-kanonkonformer sowjetischer Kunst im internationalen Raum. In seinen Memoiren Memento aus Moskau (1997) bezeichnet der Schweizer Diplomat Paul R. Jolles die französische Hauptstadt als »die erste internationale Plattform für die inoffizielle Moskauer Kunst«.16 Um das oben erwähnte Pariser Kunstbulletin A-Ja. Unofficial Russian Art Review formierte sich Ende der 1970er Jahre ein internationales Netzwerk von Moskauer Künstler*innen und großenteils emigrierten Kritiker*innen, Kunsthistoriker*innen, Übersetzer*innen und Investor*innen. Zwischen 1979 und 1986 publizierte der 1976 nach Paris ausgewanderte Bildhauer Igor’ Šelkovskij gemeinsam mit dem Moskauer Künstler Aleksandr Sidorov insgesamt sieben, ca. einmal jährlich erscheinende Editionen von A-Ja in englischer und russischer Sprache. Eine französische Übersetzung erschien in einer Beilage. 1985 kam außerdem eine einmalige Nummer unter dem Titel A-Ja. Contemporary Russian Literature heraus (ursprünglich geplant waren mehrere Ausgaben), die aktuelle Entwicklungen in der russisch-sowjetischen Dichtung und Prosa besprach.

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So wurden einige Künstler, die an den Bul’dozernaja- und Izmajlovskaja-Ausstellungen teilgenommen hatten, zum Wehrdienst eingezogen, andere wurden psychiatrisch zwangsbehandelt. Vgl. Kretzschmar (1993): S. 79f. Vgl. ebd.: S. 72. Der Lianozovo-Kreis, der nach der Lianozovo-Siedlung in einem Vorort von Moskau benannt wurde, bestand aus einer Gruppe nicht-kanonkonformer Künstler*innen, darunter Oskar Rabin, Lidija Masterkova und Vladimir Nemuchin, und Lyriker*innen, darunter Evgenij Kropivnickij, Genrich Sapgir, Igor’ Cholin und Vsevolod Nekrasov. Glezers Ausreise aus der Sowjetunion im Februar 1975 wurde u.a. in The New York Times kommentiert. Vgl. [o.A.] (1975): »Soviet Dissident Allowed to Leave.« In: The New York Times vom 17.02.1975. URL: https://www.nytimes.com/1975/02/17/archives/soviet-dissident-allowed-to-le ave-glezer-backer-of-modern-art.html (letzter Zugriff am 18.08.2020). Vgl. für einen Überblick John Glad (1993): Conversations in Exile. Russian Writers Abroad. Durham/London: Duke University Press. S. 290ff. Jolles (1997): S. 108.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Die Zeitschrift erschien in einem Umfang von 3.000 Exemplaren und überstieg damit drei- bis fünfmal die Auflage anderer Emigrantenzeitschriften, wie Šelkovskij selbst festhält.17 Für die Verbreitung von A-Ja wurden im Jahre 1980 Ansprechpartner*innen für einzelne Länder angewiesen: Aleksandr Kosolapov (Nr. 2-4) und Janet Kravetz Hollander für die USA (ab Nr. 5), Michail Kulakov für Italien, E. Mühlebach für die Schweiz (Nr. 2-4), die EST – OUEST Galerie d’Art für Japan, Michail Grobman für Israel, Igor’ Golomštok für Großbritannien (ab Nr. 3), Vadim Kosmačev für Österreich (Nr. 3-6) und Boris Groys für Deutschland (Nr. 7). Zusammen mit Šelkovskij und Sidorov beteiligte sich ab der dritten Ausgabe (1981) der 1975 nach New York emigrierte Künstler Aleksandr Kosolapov an der Herausgabe der Zeitschrift. Auch wurde ein internationales Redaktionskollegium bestehend aus Irina Baskina (Paris), Jamey Gambrell (New York), Igor’ Golomštok (London), Boris Groys (München), Sergej Esajan (Paris) und Margarita Tupicyna (Washington) gegründet. Die US-amerikanische Publizistin und Übersetzerin Jamey Gambrell trat als Lektorin für die englische Fassung auf. Die Finanzierung übernahm anfänglich der Schweizer Geschäftsmann und Kunstsammler Jack Melkonian unter dem Pseudonym Boris Karmašov. Dieser zog sich allerdings nach der Erscheinung der ersten Ausgabe zurück – möglicherweise aufgrund des politisierten Verweises auf die Bulldozer-Ausstellung, wie Natal’ja Prichod’ko vermutet.18 Für die zweite, vierte und fünfte Edition konnte die finanzielle Unterstützung der ursprünglich aus Chisinau stammenden Pariser Galeristin Dina Vierny gewonnen werden. Die Erscheinung der weiteren Nummern ermöglichte der Verkauf von Kunstwerken; so erwarb der nordamerikanische Sammler Norton Dodge u.a. Ėrik Bulatovs Gemälde »Opasno«.19 Vierny stand bereits seit längerer Zeit in engerem Kontakt zu Il’ja Kabakov, Ėrik Bulatov und Vladimir Jankilevskij und hatte 1973 eine der ersten westeuropäischen Ausstellungen ihrer Werke unter dem Titel Avantgarde russe. Moscou 1973 [Russische Avantgarde. Moskau 1973] in ihrer Galerie organisiert.20 17

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Vgl. Igor’ Šelkovskij (2010): »Moi semidesjatye.« In: Georgij Kizeval’ter (Hg.): Ėti strannye semidesjatye, ili Poterja nevinnosti. Ėsse, interv’ju, vospominanija. Moskau: NLO. S. 335-348, hier S. 347. Vgl. N. A. Prichod’ko (2014): »Žurnal ›A-Ja‹: ego mesto i značenie v russkom neoficial’nom iskusstve 1970-1980-x godov.« In: A. K. Florkovskaja (Hg.): Neoficial’noe iskusstvo v SSSR. 19501980-e gody. Moskau: BuksMArt. S. 323-333, hier S. 330f. Vgl. ebd.: S. 331; vgl. auch Matthew Jesse Jackson (2010): The Experimental Group. Ilya Kabakov, Moscow Conceptualism, Soviet Avant-Gardes. Chicago: The University of Chicago Press. S. 196. Nach Kabakovs Emigration unterstützte die Galeristin den Künstler während seines Aufenthalts in Paris im Jahre 1988 mit einem Studio in Mittenville. Die Bedeutung einzelner Galerist*innen wie Dina Vierny, Catherine Tieck der Pariser Galerie de France, Phyllis Kind in Chicago und Ronald Feldman in New York ist für das Zustandekommen einer internationalen Infrastruktur für die Rezeption des Moskauer Konzeptualismus nicht zu übersehen. Im deutschsprachigen Raum trat in den 1970er Jahren die Kölner Gmurzynska-Galerie als Mitt-

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Die Herausgeber des Pariser Kunstbulletins beanspruchten, einer ganzen Bandbreite nicht-kanonkonformer sowjetischer Künstler*innen (von ›A bis Ja‹, d.h. von ›A bis Z‹) einen nicht staatlich kontrollierten Ort für die Reproduktion und Interpretation ihrer Werke sowie eine Plattform für kunstkritischen und -theoretischen Austausch zur Verfügung zu stellen, der in der UdSSR fehlte. Auch sollte die Zeitschrift ein westliches Publikum mit Entwicklungen in der zeitgenössischen sowjetischen Kunst bekannt machen.21 Der Anschluss an die internationale Kunstwelt wurde gezielt gesucht.22 So erschien in der ersten Ausgabe von 1979 ein Kommentar von Aleksandr Kosolapov mit dem Titel »Russkij chodožnik na vystavke Džaspera Džonsa/Russian Artist on the Exhibition of Jasper Johns«, die er im New Yorker Whitney Museum besucht hatte, und fand sich in der zweiten Nummer von 1980 ein Interview mit Joseph Beuys. Auch Boris Groys’ Aufsatz »Мoskovskij romantičeskij konceptualizm/Moscow Romantic Conceptualism«, der in die erste Ausgabe einführte, zeugt von dieser Tendenz, indem der Verfasser einen direkten Vergleich zwischen angelsächsischer und russischer Konzeptkunst zieht (vgl. §3.2.2). A-Ja war in einige, im Verlauf der Jahre leicht variierende Rubriken unterteilt. Eröffnet wurde die Zeitschrift in der Regel mit der Kategorie »Kritik ob iskusstve/Art Critic About Art and Artists«, die theoretische oder kommentierende Beiträge von Kunstkritiker*innen und -historiker*innen wie Boris Groys, Vitalij Pacjukov, Igor’ Golomštok und Viktor und Margarita Tupicyny enthielt. In der zweiten Rubrik »Masterskaja« oder »Artists in the Studio« erschienen Texte von bzw. über einzelne Künstler*innen. Eine weitere Kategorie mit dem wechselnden Titel »Istoki avangarda/Roots of Avant-Garde«, »Nasledie/Legacies« oder »Chudožnik ob iskusstve/Artist on Art« war historiographisch angelegt und besprach die Bedeutung historischer Avantgardisten wie Kazimir Malevič (Nr. 1, 3 und 5), Pavel

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lerinstanz des Kreises auf. Seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre setzte sich außerdem der Wiener Galerist Peter Pakesch aktiv für Kabakov ein, indem er den Künstler 1987 als Stipendiat nach Graz einlud. Die Krings-Ernst-Galerie in Köln sowie die Dr. Marina Sandmann-Galerie in Berlin förderten in den 1990er Jahren die Rezeption von u.a. Dmitrij Prigov. In der ersten Ausgabe formulieren die Herausgeber folgende Ziele: »This review is published with the following objectives: to acquaint Russian artists – in and outside Russia with each other’s work; to inform the reader about the artistic creativity and developments in contemporary Russian art; to provide a forum where writers on art can express their opinions on artists or artistic phenomena; this review does not represent any particular group of persons. Its pages are open to all independent thoughts and new ideas.« [Настоящий журнал ставит перед собой следующие задачи: знакомить русских художников, как живущих в России, так и находящихся в эмиграции, с творчеством друг друга; информировать читателя, главным образом западного, о творчестве этих художников; дать возможность людям, пишущим об искусстве, высказаться по поводу того или иного художника или события в искусстве. Не являясь рупором какой-либо группировки, журнал предоставляет свои страницы всему новому, яркому и независимому.] [o.A.] (1979a): S. 2. Vgl. Prichod’ko (2014): S. 326.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Filonov (Nr. 2) oder Michail Matjušin (Nr. 6), die auf diese Weise den historischkünstlerischen Rahmen für die in A-Ja vertretenen Künstler*innen abgaben.23 Auch erschienen Beiträge zu Kunst und Architektur des Sozialistischen Realismus – so druckte die vierte Ausgabe von 1982 das erste Kapitel aus Vladimir Papernyjs Dissertation Kul’tura dva [Kultur zwei], die erst 1985, nach der Emigration des Autors, in den USA erscheinen konnte. Die Herausgeber betonten, mit A-Ja keine Plattform für eine bestimmte Künstlergruppe oder Strömung darstellen zu wollen: »[T]his review does not represent any particular group of persons. Its pages are open to all independent thoughts and new ideas,«24 hieß es in der ersten Nummer entsprechend. Valentina Parisi nimmt die Zeitschrift als erste Systematisierung der heterogenen russischen Kunstszene wahr: »Focusing on widely different phenomena – from conceptual art in Moscow to metaphysical paintings by Mikhail Shvarzman, from the colorful and irreverent ›New Wave‹ of Apt-Art to Francisco Infante’s Land Art – Shelkovskij’s journal imposed a certain order on the chaotic network of ideas fluttering in the air from the 1970s to the beginning of Gorbachev’s perestrojka, leading to the first systematization of Soviet unofficial art.«25 Obwohl dieser Einschätzung unbedingt zuzustimmen ist, findet außer einer Systematisierung auch eine erste Hierarchisierung der alternativen sowjetischen Kunst statt. So kommen bestimmte Künstler*innnen wiederholt in Editionen vor,26 darunter Il’ja Kabakov, Ivan Čujkov, Fransisko Infante-Arana, Ėrik Bulatov und Komar & Melamid, die sich durch engere Bekanntschaften und Freundschaften (›strong ties‹) nahestehen (vgl. §4.1.1). Sie sind zum einen mit eigenen Texten über ihr Schaffen vertreten, weshalb sie dessen Interpretation aktiv mitsteuern, zum anderen publizierten Kritiker*innen oder befreundete Künstlerkolleg*innen Beiträge zu ihrem Werk. Wie Šelkovskij selbst angibt, hing die Thematisierung von bestimmten Künstler*innen und Kunstwerken in der Zeitschrift erheblich von dem persönlichen Einsatz ersterer ab: »Начиная со второго номера на титульном листе всегда присутствовала охранная ремарка: ›Материалы авторов, находящихся в СССР, печатаются без их

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Vgl. dazu auch Valentina Parisi (2013): »Writing About Apparently Nonexistent Art. The Tamizdat Journal A-Ja and Russian Unofficial Arts in the 1970s-1980s.« In: Friederike KindKovács/Jessie Labov (Hg.): Samizdat, Tamizdat, and Beyond: Transnational Media During and After Socialism. New York: Berghahn Books. S. 190-205, hier S. 198. Angabe und russisches Original wie Anm. 21. Parisi (2013): S. 193f. [Hervorhebung im Original] Insgesamt 43 Prozent der in A-Ja publizierten Artikel sind Künstler*innen gewidmet, die in der späteren Rezeptionsgeschichte dem Moskauer Konzeptualismus zugerechnet werden.

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ведома‹. На самом деле было в точности наоборот: инициатива исходила от самого художника. Те, кто не хотели печататься, просто не присылали материалов о себе ни прямо (т.е. не прямо конечно, а разными трудными путями), ни через нашего московского редактора Александра Сидорова.«27 Auch Groys’ Ausführungen zum Moskauer romantischen Konzeptualismus leiteten sowohl durch editorische Entscheidungen der Herausgeber als auch durch die verfolgte Argumentationslinie, die unter §3.2.2 analysiert wird, einen Hierarchisierungsprozess ein. Mit seiner Platzierung als Eröffnungsartikel der ersten Ausgabe und seiner Übersetzung in insgesamt drei Sprachen – im Anhang erschien eine französische Fassung des Textes – stellt Groys’ Aufsatz zu einer Zeit, in der Überblicke über die nicht-kanonkonforme sowjetische Kunstszene international fehlten, den Moskauer romantischen Konzeptualismus nicht nur als breitere, an angelsächsische Conceptual Art-Bewegungen anschlussfähige Tendenz heraus, sondern bietet gleichzeitig einen theoretischen Rahmen zu seiner Interpretation. Die direkt anschließende Rubrik »Masterskaja/Artists in the Studio« enthält Beiträge von Ivan Čujkov und Fransisko Infante-Arana, zwei Künstler, die Groys auf den vorigen Seiten als Repräsentanten des Moskauer romantischen Konzeptualismus introduziert. In »Masterskaja« erschien außerdem ein Artikel des Künstlerehepaars Rimma und Valerij Gerloviny, die ihr Schaffen ebenfalls in dem Paradigma des russischen Konzeptualismus verorten. Obwohl die Verfasser*innen eine nicht unähnliche Argumentationslinie wie Groys verfolgen,28 beziehen sich ihre jeweiligen 27

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Šelkovskij (2010): S. 345. [Seit der zweiten Nummer stand auf dem Titelblatt immer die schützende Anmerkung: ›Das Material der in der UdSSR lebenden Autoren wurde ohne ihr Wissen gedruckt‹. Tatsächlich war es genau umgekehrt: Die Initiative ging vom Künstler selbst aus. Diejenigen, die nicht veröffentlichen wollten, schickten einfach keine Materialien über sich selbst, weder direkt (d.h. nicht direkt, sondern über verschiedene komplizierte Wege), noch über unseren Moskauer Redakteur, Aleksandr Sidorov.] In A-Ja (1979) führten Rimma und Valerij Gerloviny aus: »Without attempting to analyse the causes, we would like to point out that most Russian art was founded on the desire to solve moral, religious and social problems on the basis of the artist’s philosophical views, the latter frequently of an intuitive nature. Typically, artists showed a certain indifference to the formal quality of a work of art. The above considerations lead us to believe that conceptual art finds its most favourable soil in Russia and, despite the State’s rejection of it, it is a very important and vital phase in the Russian creative effort.« [Не вдаваясь в исследование причин, нам хотелось бы подчеркнуть, что в основе творчества большинства русских деятелей искусства лежит стремление на основе своих философских воззрений, чаще всего интуитивного характера, решать нравственные, религиозные и социальные проблемы. При этом своеобразной чертой такого стремления является в какой-то мере безразличие к формальному совершенству работы. Все отмеченные факторы приводят нас к мысли, что концептуализм имеет самую благодатную почву в России и является наиболее актуальным и животворным этапом русского искусства.] Rimma i Valerij Gerloviny (1979): [o.T.] In: A-Ja. Unofficial Russian Art Review 1. S. 16-20, hier S. 17. Eine vergleichbare Einschätzung findet

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Texte nicht explizit aufeinander. Aus einem Interview mit den Gerloviny im Ausstellungskatalog Moskovskij konceptualizm. Načalo [Moskauer Konzeptualismus. Der Anfang] (Nischni Nowgorod, 2012) geht ein nachträglicher Aushandlungsprozess um das ›Urheberrecht‹ hervor, indem die Künstler*innen betonen, den Begriff des russischen Konzeptualismus bzw. der »›konceptual’nyj samizdat-art‹«29 [konzeptuellen Samizdat-Art] bereits Anfang der 1970er Jahre – impliziert wird: vor Groys – eingeführt zu haben: »Они [Komar & Melamid, D.S.] называли себя соц-артистами, а мы себя – концептуалистами. Борис Орлов вспоминает в своем интервью: ›Герловины внедрили в наше сознание слово ›концепт‹, до них никто его даже не произносил‹. […] Термин выплыл как-то очень натурально, как рыба из воды, если, конечно, рыбой считать искусство, а все остальное водой. В 1977 году в статье, опубликованной позднее в первом номере журнала ›А-Я‹, мы предсказали, что ›концептуализм имеет самую благодатную почву в России и является наиболее актуальным и животворным этапом русского искусства‹.«30

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sich in Boris Groys’ Aufsatz von 1979. Auch er argumentiert, dass der philosophische Aussagegehalt eines Werks in der russischen Kunsttradition wichtiger sei als dessen formale Komposition, weshalb die Konzeptkunst in Russland auf fruchtbaren Boden stoße: »The positivist view on art as an autonomous sphere of activity determined solely by an available historical tradition has always been alien to the Russian mind. We can hardly reconcile ourselves with the idea that art should be regarded as being simply the total sum of its techniques, and that its purpose has been lost of sight. Therefore, romantic conceptualism in Moscow not only testifies to the continued unity of the ›Russian soul‹; it also tries to bring to light the conditions under which art can extend beyond its own borders.« [Русскому сознанию всегда был чужд позитивный взгляд на искусство как на автономную сферу деятельности, определяемую лишь наличной исторической традицией. Вряд ли можно примириться с тем, что искусство – лишь совокупность приемов, ›цель‹ которых утрачена. ›Романтический концептуализм‹ в Москве – это, следовательно, не только свидетельство сохраняющегося единства ›русской души‹, но и позитивная попытка выявить условия, которые делают возможным для искусства выход за свои границы, т.е. попытка сознательно вернуть и сохранить то, что констатируют искусство как событие в Истории Духа и делает его собственную историю незавершенной.] Groys (1979): S. 4f. Rimma und Valerij Gerloviny schlugen diesen Terminus als Bezeichnung für den russischen Konzeptualismus vor. Rimma i Valerij Gerloviny (2010): »Retroperspektiva.« In: Georgij Kizeval’ter (Hg.): Ėti strannye semidesjatye, ili Poterja nevinnosti. Ėsse, interv’ju, vospominanija. Moskau: NLO. 58-65, hier S. 60. Jurij Al’bert (2014a): »Interv’ju s Rimmoj i Valeriem Gerlovinymi.« In: Jurij Al’bert (Hg.): Moskovskij konceptualizm. Načalo. Nischni Nowgorod: Izdanie Privolžskogo filiala GCSI. S. 46-49, hier S. 47. [Sie [Komar & Melamid, D.S.] nannten sich Soz-Art-Künstler und wir uns selbst Konzeptualisten. Boris Orlov erinnert sich in seinem Interview: ›Die Gerloviny haben das Wort ›Konzept‹ in unser Bewusstsein eingeführt, vor ihnen hat es gar keiner erwähnt‹. […] Der Terminus schwamm irgendwie ganz natürlich zu uns, wie ein Fisch im Wasser, wenn man natürlich einen Fisch als Kunst betrachtet und alles andere als Wasser. 1977 haben wir in einem

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In einen Dialog mit Groys’ Aufsatz tritt des Weiteren ein heute wenig bekannter Artikel mit dem Titel »Proekt – Mif – Koncept/Project – Myth – Concept« des Kunsthistorikers Vitalij Pacjukov, der 1980 in der zweiten Ausgabe von A-Ja erschien und in vielerlei Hinsicht komplementär zum erstgenannten gelesen werden kann (vgl. §3.2.2). Auch Pacjukov stellt die »sharply focused conceptual method«31 [pezko sfokusirovannom konceptual’nom metode] als charakteristische Tendenz der Moskauer Gegenwartskunst heraus und weist Il’ja Kabakov, Dmitrij Prigov, Leonid Sokov und Aleksandr Kosolapov, den Herausgeber von A-Ja auf New Yorker Seite, als deren wichtigste Vertreter an. Folglich findet hier eine erste signifikante Ausweitung des russischen Konzeptualismus um weitere Künstlernamen statt. Indem Pacjukovs Text genau wie Groys’ Aufsatz von 1979 als Eröffnungsartikel der zweiten Nummer von A-Ja erschien, wird sichtbar, wie die Zeitschrift durch gewisse editorische Überlegungen (die Auswahl und Platzierung von Texten) sowie durch den eigenen Einsatz der Beiträger*innen – ihre (In-)Aktivität und ihr Egonetzwerk beeinflussten wie dargelegt die thematische Ausrichtung der Ausgaben – bestimmte Künstler*innen, Kunstwerke und Deutungsangebote gruppiert, infolgedessen sich nicht nur eine Systematisierung, sondern auch eine erste Hierarchisierung der nichtkanonkonformen Kunstszene erkennen lässt. Die langfristige Bedeutung von A-Ja als Aktant in der Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus lässt sich an Vadim Zacharovs Zeitschrift Pastor Zond (1992-2001) erkennen, für die erstere Modell stand (vgl. §3.3.3). In Paris bot außer A-Ja auch der Almanach Muleta, eine Zeitschrift für experimentelle, multimediale russische Literatur und Kunst, die zwischen 1984 und 1993 vom emigrierten Künstler, Lyriker, Schauspieler und Redakteur Vladimir Kotljarov unter dem Pseudonym ›Tolstyj‹ [Der Dicke] herausgegeben wurde, eine Plattform für konzeptuelle (Performance-)Kunst und Literatur.32 Durch die persönlichen Bekanntschaften und die vielfältigen Briefwechsel des Herausgebers – letztere wurden unter der Bezeichnung ›semejnaja počta‹ [Familienpost] zum Teil in der Zeitschrift veröffentlicht –, stellte Muleta von Paris aus nicht nur ein Beziehungsnetz zu der experimentellen sowjetischen Kunst- und Literaturszene her, sondern verband darüber hinaus diverse Emigrantenmilieus in Deutschland, Österreich, Israel, Italien und den USA. Obwohl die von Tolstyj in Paris gegründete Vivrismus-

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Aufsatz, der später in der ersten Ausgabe der Zeitschrift ›A-Ja‹ veröffentlicht wurde, vorausgesagt, dass der ›Konzeptualismus in Russland auf besonders fruchtbaren Boden stößt und die aktuellste und lebendigste Etappe in der russischen Kunst darstellt‹.] Für den Hinweis auf dieses Interview danke ich Dr. Elena Korowin (Universität Freiburg). V. Pacjukov (1980): »Proekt – Mif – Koncept/Project – Myth – Concept.« In: A-Ja. Unofficial Russian Art Review 2. S. 3-12, hier S. 3. In Paris erschien zwischen 1978 und 1981 außerdem die von Nikolaj Bokov edierte Literaturzeitschrift Kovčeg, in der aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten Beiträge von u.a. Vsevolod Nekrasov publiziert wurden.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Bewegung33 im Fokus des Almanachs stand, wies das Netzwerk um Muleta mit Publikationen von/zu Vadim Zacharov, Vsevolod Nekrasov, Nikita Alekseev, Andrej Monastyrskij und Komar & Melamid, Beiträgen von Boris Groys und nicht zuletzt der Korrespondenz mit Viktor Tupicyn und Rimma und Valerij Gerloviny, die 1980 in die USA emigriert waren, zahlreiche Querverbindungen zu A-Ja auf. Für diese Untersuchung zusätzliche relevante Knoten ergeben sich durch weitere Briefpartner*innen der Zeitschrift, wie die sowjetischen Kunstsammler Leonid Taločkin und Aleksandr Glezer. Glezer gab nach seiner Niederlassung in Paris im Jahre 1975 ebenfalls einen Kunstalmanach mit dem Titel Tret’ja volna [Dritte Welle] (1976-1986) heraus,34 der thematisch auf seiner Kollektion sowjetischer Malerei des 20. Jahrhunderts aufbaute. Vergleichbaren Initiativen wie A-Ja stand der Sammler kritisch-ablehnend gegenüber, wie Šelkovskij rückblickend auf seine Bekanntschaft mit Glezer festhielt, da er sie als Konkurrenz zu betrachten schien.35 Bei seiner Emigration hatte Glezer 80 Bilder aus der UdSSR ausführen dürfen. Etwa 500 Werke waren auf verschiedenen Wegen bereits in den Westen gelangt.36 Sie bildeten die Grundlage für das mit Unterstützung der bekannten Dichter Aleksandr Galič und Vladimir Maksimov, die 1974 zur Emigration aufgefordert worden waren,37 am 24. Januar 1976 33

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Als ›Vivrismus‹ bezeichnete Tolstyj die Einheit zwischen Kunst und Leben [žiznetvorčestvo]. Mit dieser Bewegung werden neben Tolstyj auch Ėduard Limonov, Konstantin Kuz’minskij, Aleksej Chvostenko und Vagrič Bachčanjan assoziiert. Der Almanach Tret’ja volna erschien im gleichnamigen Verlag, den Glezer 1976 in Paris gründete. Mit der Emigration des Kunstsammlers wurde dieser 1980 zunächst in die USA und 1992 nach Moskau verlegt. Im Jahre 1999 wurde der Verlag geschlossen. Šelkovskij schrieb rückblickend: »Я приехал в Париж с жаждой помогать всем, кто борется с Советской властью. Пошел знакомиться к Глезеру, к Шемякину, потом к Максимову. […] У Глезера был какой-то начальственный тон, ему не нужна была помощь, других он воспринимал как конкурентов, отбирающих у него работу. Когда я стал делать журнал, то пришел с предварительным макетом к Максимову. Он посмотрел и сказал: ›Да, это не ›Третья волна‹ […].‹ […] В принципе вся эмиграция враждовала. […] Все были на ножах, и если ты попадал в какую-то компанию, то автоматически становился врагам для других.« [Ich kam nach Paris mit dem großen Wunsch, allen zu helfen, die mit der sowjetischen Macht kämpften. Ich ging zu Glezer, Šemjakin, danach zu Maksimov, um mich vorzustellen. […] Glezer hatte irgendeinen befehlenden Ton, er brauche keine Hilfe, andere nahm er als Konkurrenten wahr, die ihm Arbeit wegnahmen. Als ich anfing, die Zeitschrift zu machen, ging ich mit einer ersten Fassung zu Maksimov. Er schaute drüber und sagte: ›Ja, aber es ist keine ›Tret’ja volna‹ […].‹ […] Im Grunde war die ganze Emigration zerstritten. […] Alle waren angriffsbereit, und wenn man in irgendeiner Gesellschaft landete, dann wurde man automatisch zum Feind der anderen.] Šelkovskij (2010): S. 346. Vgl. Kretzschmar (1993): S. 318. In Paris gründete Maksimov die literarisch-religiöse Exilzeitschrift Kontinent (1974-1991), die sich bald zu einem der wichtigsten Publikationsorgane für die russische Emigration entwickelte. Galič war Teil des Redaktionskollegiums. 1991 wurde die Redaktion von Kontinent nach Moskau verlegt und 1992 von dem neuen Chefredakteur Igor’ Vinogradov übernom-

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im Süden von Paris eröffnete Musée Russe en Exil. Als Standort für das Museum diente das Château du Moulin de Senlis in Montgeron, das sich seit den 1950er Jahren im Besitz eines Hilfszentrums der russischen Emigration befand, das im Zuge der ersten russischen Emigrationswelle der 1920er Jahre gegründet worden war. Benutzt wurde das Château-Gebäude in der Nachkriegszeit zunächst als Unterkunft für Waisenkinder und politische Geflüchtete aus den Sowjetrepubliken, eine Arbeit, die mit dem erneuten Verstärken der Migrantenwelle in den 1990er Jahren wieder aufgenommen wurde, bis das »l’ex-château des dissidents russes« [exSchloss der russischen Dissidenten],38 wie die Boulevardzeitung Le Parisien titelte, im Jahre 2018 schließlich verkauft wurde. Am Vorabend der Museumsgründung stellte die damalige Vorsitzende des Hilfszentrums in der Wochenzeitung Russkaja Mysl’/La Pensée Russe vom 5. November 1975 das Château du Moulin als geradezu prädestinierten Ort für das Musée Russe en Exil heraus: »Les Parisiens russes connaissent bien la maison de Montgeron… Nous voulons qu’à l’avenir elle demeure utile à tous ceux qui en auraient besoin. Le nombre de centres russes en Occident n’est déjà pas si élevé et combien ne serait-il pas souhaitable de conserver cette magnifique propriété au service de la culture russe… La décision est déjà prise de consacrer une partie de la maison à une exposition permanente (c’est nous qui soulignons) [Anmerkung von Vladimir Maksimov, D.S.] de tableaux de peintres non-officiels de Moscou et de Léningrad. La base principale de l’exposition sera constituée par la collection d’Alexandre Gleser qu’il a sortie à grand peine de Russie.«39

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men. Maksimov verstarb 1995. Vgl. Birgit Menzel (2001): Bürgerkrieg um Worte. Die russische Literaturkritik der Perestrojka. Köln: Böhlau Verlag. S. 186. Vgl. ausführlicher zu Kontinent auch Wolfgang Kasack (1996): Die russische Schriftsteller-Emigration im 20. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte, den Autoren und ihren Werken. München: Verlag Otto Sagner. S. 66-78. Nicolas Goinard (2018): »Montgeron: l’ex-château des dissidents russes vendu 504 000 € aux enchères.« In: Le Parisien vom 11.04.2018. URL: www.leparisien.fr/montgeron-91230/montgeron-l-ex-chateau-des-dissidents-russes-vendu-504-000-eur-aux-encheres-11-04-20187658979.php (letzter Zugriff am 18.08.2020). Zitiert nach Vladimir Maksimov (o.J.): »Rappel des faits.« Bestand 01-210 Eimermacher. Archiv der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen. [Die russischen Pariser kennen das Haus in Montgeron gut… Wir wünschen uns, dass es auch in Zukunft für diejenigen von Nutzen bleibt, die es brauchen. Die Zahl der russischen Zentren ist in der westlichen Welt noch nicht so hoch und umso wünschenswerter wäre es, dieses prächtige Anwesen im Dienst der russischen Kultur zu behalten… Die Entscheidung wurde bereits getroffen, einen Teil des Hauses einer permanenten Gemäldeausstellung (wir unterstreichen das) [Anmerkung von Vladimir Maksimov, D.S.] von Werken nicht-offizieller Maler aus Moskau und Leningrad zu widmen. Die Basis der Ausstellung bildet die Kunstsammlung von Aleksandr Glezer, die er unter großen Schwierigkeiten aus Russland ausgeführt hat.] [Hervorhebung im Original]

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Das Museum, dessen Eröffnung die Kunstkritikerin Geneviève Breerette in Le Monde vom 2. Februar 1976 lobte,40 entwickelte sich jedoch rasch zu einem Politikum. So sahen sich Glezer, Galič und Maksimov als Gründer diversen Attacken in sowjetischen Zeitungen ausgesetzt. Man beschuldigte sie u.a. der Verbreitung von CIA-gesteuerter,41 antisowjetischer Propaganda aufgrund von ihren Auftritten bei russischsprachigen Sendungen von Radio Svoboda bzw. Radio Free Europe/Radio Liberty [RFE/RL], wie aus einem von V. Aparin und K. Brjancev verfassten Artikel mit dem Titel »Političeskie licemery i fal’šivye vekselja« [Politische Heuchler und falsche Wechsel] hervorgeht, der am 11. Juni 1977 in der Zeitung Izvestija erschien: »Назовем конкретные адреса. В Лондоне так называемый ›оперативный пресс-центр‹ оперативно сколачивают редактор нью-йоркского эмигрантского листка ›Новое русское слово‹ А. Седых, переметнувшиеся на Запад В. Максимов и А. Галич, которые являются штатными сотрудниками радиостанции ›Свобода‹, которой, как известно, руководят кадровые сотрудники ЦРУ. В активистах у них подвизается и небезызвестный маклер по купле-продаже модернистских полотен А. Глезер. Его политическая физиономия достаточно ясна. Что же касается физиономии Глезера в буквальном смысле слова, то

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In Le Monde erschien am 2. Februar 1976 folgender Artikel zur Museumseröffnung: »Vieux fief d’émigrés russes, le château du Moulin de Senlis, à Montgeron, qui, tout récemment encore servait d’orphelinat, est en passe de devenir un ›musée de l’art russe en exil‹. Ce changement de vocation coïncide avec l’arrivée à Paris, il y a quelques semaines, du poète, traducteur et collectionneur Alexandre Glezer. Celui-ci – dont l’appartement à Moscou a, pendant une bonne dizaine d’années, tenu lieu de véritable galerie d’art non officiel – a quitté l’Union soviétique avec une partie de sa collection personnelle: quatre-vingt œuvres sorties légalement, le reste par des voies détournées. Et ce sont ces tableaux, auxquels sont venus s’ajouter ceux d’anciens émigrés, ceux du jeune peintre, devenu parisien, Mihail Chemiakin, qui constituent l’exposition que l’on peut voir à Montgeron.« [Die alte Hochburg der russischen Emigration, das Schloss von Moulin de Senlis in Montgeron, das noch bis vor Kurzem als Waisenhaus fungierte, wird in ein ›Museum für russische Kunst im Exil‹ umgewandelt. Diese veränderte Nutzung fällt zusammen mit der Ankunft des Dichters, Übersetzers und Sammlers Aleksandr Glezer in Paris vor einigen Wochen. Glezer, dessen Moskauer Appartement gute zehn Jahre eine wahrhafte Galerie für nicht-offizielle Kunst beherbergte, hat die Sowjetunion mit einem Teil seiner Privatsammlung verlassen: 80 Werke sind legal ausgeführt worden, der Rest durch die Hintertür. Und es sind diese Bilder, zusammen mit Werken älterer Emigranten sowie des jungen, zum Pariser gewordenen Malers Michail Šemjakin, die die Grundlage für die Ausstellung bilden, die in Montgeron zu sehen ist.] Geneviève Breerette (1976): »Un musée d’art russe non officiel.« In: Le Monde vom 02.02.1976. URL: https://www.lemonde.fr/ archives/article/1976/02/02/un-musee-d-art-russe-non-officiel_2959054_1819218.html (letzter Zugriff am 20.08.2020). Vgl. zur Geschichte des RFE/RL und der CIA Gene Sosin (1999): Sparks of Liberty: An Insider’s Memoir of Radio Liberty. Pennsylvania Park, Pennsylvania: Pennsylvania State University Press. S. 132ff.

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недавно она оказалась сильно ›разукрашенной‹ его же дружками, которым почему-то не понравилось, что компаньон присвоил их личные деньги.«42 In einem »Rappel des faits« [Wiederholung der Fakten] ohne Datum,43 dessen Niederschrift sich auf das Jahr 1977 datieren lässt, berichtet Maksimov außerdem von einem zwischen dem Hilfszentrum und Glezer entstandenen Konflikt. So habe ersteres Maksimov zufolge während fortgesetzter Vertragsverhandlungen für das Museum neue, unakzeptable Klauseln einbringen wollen: »Hélas, il [der Vertrag, D.S.] ne présentait plus rien de commun avec le précédent et contenait des clauses inacceptables, telles que l’interdiction faite à Gleser de s’exprimer publiquement par écrit ou oralement au nom du Musée sans avoir au préalable fait viser ses textes par la direction du Comité.«44 Auch sei eine kürzere Vertragslaufzeit vorgeschlagen worden, obwohl die Museumsgründung ursprünglich als permanent gedacht sei, wie es in Russkaja Mysl’/La Pensée Russe hieß. Höchst politisch wurde der anschließende Aufruf zur Rettung des Musée Russe. Während eines von Michel Foucault und Pierre Victor organisierten »réception des dissidents sovietiques« [Empfangs zu Ehren der sowjetischen Dissidenten],45 der am 21. Juni 1977 im Théâtre Récamier als »Gegen-Empfang«46 zu Leonid Brežnevs Staatsbesuch im Élysée-Palast stattfand und an dem einflussreiche Intellektuelle wie Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Gilles Deleuze, Andrej Amal’rik, Vladimir Bukovskij, Andrej Sinjavskij, 42

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V. Aparin/K. Brjancev (1977): »Političeskie licemery i fal’šivye vekselja.« In: Izvestija vom 11.06.1977. [Nennen wir konkrete Adressen. In London haben sich im sog. ›operativen Pressezentrum‹ operativ der Redakteur des New Yorker Emigrantenblattes ›Neues Russische Wort‹ [und] die in den Westen übergelaufenen V. Maksimov und A. Galič zusammengetan, die festangestellte Mitarbeiter bei der Rundfunkstation ›Liberty‹ sind, die bekanntlich von CIAMitarbeitern geleitet wird. Unter den Aktivisten bei ihnen befindet sich auch der berüchtigte Händler für den Kauf und Verkauf modernistischer Gemälde A. Glezer. Seine politische Physiognomie ist ziemlich klar. Was Glezers Physiognomie im wortwörtlichen Sinne betrifft, so wurde diese von seinen Kumpels unlängst stark ›aufgeschmückt‹, denen es irgendwie nicht gefallen hat, dass sich der Kompagnon ihr Geld angeeignet hat.] Vgl. Maksimov (o.J.): »Rappel des faits.« Ebd. [Leider stimmt er [der Vertrag, D.S.] mit dem letzten nicht mehr überein und enthält unakzeptable Klauseln, wie das Verbot an Glezer, sich weder schriftlich noch mündlich öffentlich im Namen des Museums zu äußern, ohne vorher dem Vorstand des Komitees die Texte vorgelegt zu haben.] Die Einladung, die u.a. von Jean-Paul Sartre, François Jacob und Roland Barthes unterschrieben wurde, lautete folgendermaßen: »Au moment où Leonid Brejnev est reçu en France, nous vous invitons à une rencontre amicale avec des dissidents des pays de l’Est, au théâtre Récamier, le 21 juin, à 20 h 30.« [Im Moment, in dem Leonid Brežnev in Frankreich empfangen wird, laden wir Sie zu einem freundschaftlichen Treffen mit den Dissidenten der östlichen Länder im Theater Récamier, am 21. Juni um 20.30 Uhr, ein.] Zitiert nach Didier Eribon (2011): Michel Foucault. Paris: Flammarion. S. 444. Roman Léandre Schmidt (2017): Lettre internationale: Geschichte einer europäischen Zeitschrift. Paderborn: Wilhelm Fink. S. 207.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Michail Štern, Eugène Ionesco und Leonid Pljušč teilnahmen, wurde ein Comité de soutien [Förderkomitee] für das Museum gegründet.47 Glezer verließ Paris 1979 für die USA. Dort eröffnete er am 15. September 1980, dem sechsten Jahrestag der Bulldozer-Ausstellung, mit Unterstützung des Committee for the Absorption of Soviet Emigrés schließlich ein neues Museum of Russian Art in Exile (heute: The Museum of Russian Art, MoRA) in New Jersey. Werke aus der Sammlung Glezer waren nicht nur im Musée Russe en Exil zu sehen, sondern reisten zwischen 1975 und 1977 außerdem in verschiedenen Ausstellungsprojekten durch Österreich, die BRD, Frankreich und Großbritannien. Mit der Organisation der Biennale del dissenso culturale [Biennale des kulturellen Dissenses], die am 15. November 1977 in Venedig eröffnete, fand die Sammlung eine wichtige neue Ausstellungsplattform. Waren die Biennalen von 1974 und 1976 bereits politischen Themen gewidmet,48 kündigte ihr Präsident, der italienische Sozialist Carlo Ripa di Meana, anlässlich des 60. Jahrestages der Oktoberrevolution in der Zeitung Corriere della Sera vom 25. Januar 1977 das Phänomen des ›Dissenses‹ in den sowjetischen und osteuropäischen Ländern als zu untersuchendes Thema an.49 Dieses sollte in Ausstellungen über bildende Kunst, Buchkultur und Literatur sowie in einer Reihe von Konferenzen, Konzerten, Theater- und Filmvorführungen kritisch beleuchtet werden. Bereits während der Vorbereitungen stieß die DissensBiennale jedoch nicht nur außenpolitisch auf heftigen Widerstand – namentlich bei dem sowjetischen Botschafter in Italien, Nikita Ryžov, und dem stellvertretenden Minister für Kultur der UdSSR, Vladimir Popov, der das Vorhaben als »feindselig«50 bezeichnete –, sondern sorgte auch innenpolitisch für Unruhen.51 So sah sich 47

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Beteiligt am Comité de soutien waren laut Maksimovs »Rappel des faits« folgende Personen: Bernadette Bour, Tamara Borten, Vladimir Bukovskij, Marcel Bozonnet, Maria Bratianu de Dampierre, Elisabeth Cadot, Michail Šemjakin, Vadim Delaunay, Garry Faif, Aleksandr Galič, Pr Golicyn, Anatolij Gladilin, André Glucksmann, Natal’ja Gorbanevskaja, Eugène Ionesco, Marie-France Ionesco, Violetta Iverni, Basile Karlinsky, Claude Lavoix, Vladimir Maksimov, Jean Négroni, Viktor Nekrasov, Alexandre Nissen, Dimitrij Rafalský, Alexandra Svetchine, Françoise Vincent und Ėduard Zelenin. Vgl. Maksimov (o.J.): »Rappel des faits.« Die Dissens-Biennale fand zwischen zwei offiziellen Biennalejahren statt. So lautete 1974 das Thema »Libertà per il Cile« [Freiheit für Chile], das auf den Militärputsch von 1973 reagierte, und bildete Spanien 1976, ein Jahr nach dem Tod Francisco Francos, das Schwerpunktland der Biennale. Vgl. Matteo Bertelé/Sandra Frimmel (2014): »Einleitung.« In: Matteo Bertelé/Sandra Frimmel (Hg.): La nuova arte sovietica: una prospettiva non ufficiale. ZKK: Rereading. Die Dissens-Biennale 1977 in Venedig. Zürich: Edition Schublade. S. 9-11, hier S. 9. Vgl. Nikolaj Molok (2013) (Hg.): Russkie chudožniki na Venecianskoj biennale, 1895-2013. Moskau: Stella Art Foundation. S. 448; vgl. Bertelé/Frimmel (2014): S. 9. Vladimir Popov (1977): »Absage aus Moskau.« In: Vorwärts vom 21.04.1977. Zitiert nach Matteo Bertelé/Sandra Frimmel (2014) (Hg.): La nuova arte sovietica: una prospettiva non ufficiale. ZKK: Rereading. Die Dissens-Biennale 1977 in Venedig. Zürich: Edition Schublade. S. 13-14, hier S. 13. Vgl. Molok (2013): S. 448f.; vgl. Valentina Parisi (2007a): »Zwischen Unstimmigkeit und Andersdenken. Inoffizielle sowjetische Kunst auf der Biennale di Venezia 1977.« In: Ada Ra-

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die Kommunistische Partei Italiens aufgrund eines im März angedrohten Boykotts der Biennale vonseiten der Sowjetunion und der Warschauer Vertragsstaaten gezwungen, wie Jan May in seiner rekonstruierenden Analyse der Ereignisse schreibt, »to protest for the first time in its existence against the Soviet influence in its own country.«52 Die von verschiedenen Seiten geäußerten Proteste und Polemiken in der sowjetischen Presse führten nicht nur zum vorübergehenden Rücktritt Carlo Ripa di Meanas von seinem Posten als Veranstaltungsleiter, sondern auch zum tatsächlichen Boykott der Biennalen von 1978 und 1980 durch die UdSSR.53 Trotz dieser Widerstände eröffnete am 15. November 1977 die von Enrico Crispolti und Gabriella Moncada kuratierte Ausstellung La nuova arte sovietica: una prospettiva non ufficiale/Novoe sovetskoe iskusstvo: neoficial’naja perspektiva [Neue sowjetische Kunst: eine inoffizielle Perspektive] im Sportpalast in der Nähe vom Arsenale. Die Schau zeigte jene Kunst, »die von einer Minderheit der Künstler vertreten wird und die noch um ihre Existenzberechtigung kämpft«,54 wie Moncada im Katalog erklärt. Wie aus dem Ausstellungstitel hervorgeht, ersetzten die beiden Kurator*innen das Wort ›Dissens‹ durch ›inoffiziell‹. Unter den insgesamt 99 Künstler*innen befanden sich Repräsentant*innen der sog. Tauwettergeneration, wie Oskar Rabin, Lev Nusberg, Lidija Masterkova, Ivan Čujkov, Viktor Pivovarov, Il’ja Kabakov und Ėrik Bulatov, dessen Gemälde »Opasno« gezeigt wurde. Vertreten waren aber auch jüngere Künstler*innen, darunter Rimma und Valerij Gerloviny, Fransisko Infante-Arana, Georgij Kizeval’ter, Komar & Melamid und Nikita Alekseev. Obwohl Crispolti und Moncada ursprünglich auch Kunst aus den Warschauer Vertragsstaaten in die Ausstellung hätten aufnehmen wollen, wurden schließlich neben Dia- und Fotoreproduktionen nur Originalwerke gezeigt, die sich bereits in privaten Kunstsammlungen in Westeuropa und den USA befanden, infolgedessen sich der Fokus zugunsten von Künstler*innen aus dem russisch-sowjetischen Raum verschob.55 In der Ausstellungsdokumentation La nuova arte sovietica (1977) ordnete Moncada sowohl Komar & Melamid als auch Rimma und Valerij Gerloviny dem Paradigma der konzeptuellen Kunst zu: »Rimma i Valerij Gerlovin ritengono che nonostante la stato sovietico avversi l’arte concettuale, questa costituisce l’aspetto più attuale e vitale dell’arte russa. L’ar-

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ev/Isabel Wünsche (Hg.): Kursschwankungen. Russische Kunst im Wertesystem der europäischen Moderne. Berlin: Lukas Verlag. S. 166-171, hier S. 169; vgl. Jan May (2016): »›Biennale of Dissent‹ (1977): Nonconformist Art from the USSR in Venice.« In: Jérôme Bazin/Pascal Dubourg Glatigny/Piotr Piotrowski (Hg.): Art Beyond Borders. Artistic Exchange in Communist Europe [1945-1989]. Budapest/New York: Central European University Press. S. 357-368, hier S. 363ff. May (2016): S. 364. Die Biennale von 1978 boykottierten außerdem Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei. Vgl. ebd.: S. 367; vgl. Bertelé/Frimmel (2014): S. 9. Übersetzung zitiert nach Bertelé/Frimmel (2014): S. 22. Vgl. ebd.: S. 10.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

te concettuale infatti ha trovato in Unione Sovietica un terreno molto più fertile che altrove, perché è in linea con tutta una tradizione preesistente.«56 Die Argumentation der Künstler*innen erschien zwei Jahre später in ihrem anfangs erwähnten Essay in A-Ja (1979). Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Gerloviny im Katalog nicht die historischen Avantgarden, sondern die Peredvižniki [Wanderer] als Vorläufer der konzeptuellen Kunst in Russland anweisen: »E, como precedente, citano l’attività dei pittori ›ambulanti‹ della seconda metà dell’Ottocento, che […] viaggiavano per tutta la Russia e attribuivano alla loro arte un intento nettamente didattico, mostrando indifferenza per la perfezione formale.«57 Ein Großteil der in der Ausstellung gezeigten Werke entstammte der Sammlung von Aleksandr Glezer. Auch wurden Arbeiten aus den Kollektionen von Dina Vierny (Paris) und Ronald Feldman (New York) aufgenommen. Fotografisches Material stellte außer den beteiligten Künstler*innen die Kunsthistorikerin Ilaria Bignamini zur Verfügung.58 Bignamini hatte noch vor der Eröffnung der Biennale in der Juli/August-Ausgabe der Zeitschrift Flash Art (1977) einen Beitrag mit dem Titel »From the U.S.S.R./Dall’U.R.S.S« veröffentlicht und darin eine Reihe von Moskauer Künstler*innen, unter ihnen Fransisko Infante-Arana, Rimma Gerlovina, Ivan Čujkov, Leonid Sokov und die Performancegruppe um Nikita Alekseev, Georgij Kizeval’ter und Andrej Monastyrskij, mitsamt Werkreproduktionen zum ersten Mal einer internationalen Öffentlichkeit vorgestellt. Ihre einleitenden Bemerkungen unterstreichen die Heterogenität des selektierten Materials, das sich der Verfasserin zufolge am ehesten mit einer ›Kollage individueller Erfahrungen‹ vergleichen lasse. Boris Groys würde zwei Jahre später in der Zeitschrift A-Ja (1979) dagegen einige der genannten Künstler unter der Bezeichung des ›Moskauer romantischen Konzeptualismus‹ vereinen und damit gerade ihre Vergleichbarkeit hervorheben. In Flash Art ist zu lesen:

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Gabriella Moncada (1977): »Note su Nussberg, Jankilevskij, Kabakov, Melamid e Komar, Rimma e Valerij Gerlovin.« In: Enrico Crispolti/Gabriella Moncada (Hg.): La nuova arte sovietica. Una prospettiva non ufficiale a cura di Enrico Crispolti i Gabriella Moncada. Venedig: Marsilio Editori. S. 39-42, hier S. 42. [Rimma und Valerij Gerloviny glauben, dass obwohl der sowjetische Staat gegen die konzeptuelle Kunst ist, diese die aktuellste und lebendigste Form der russischen Kunst darstellt. Die konzeptuelle Kunst hat nämlich in der Sowjetunion einen fruchtbareren Nährboden als anderswo gefunden, da sie in einer bereits existierenden Tradition verwurzelt ist.] Ebd. [Und als Vorläufer erwähnen sie die ›Wanderer‹ der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die […] durch ganz Russland reisten und ihrer Kunst eine klare didaktische Intention zuschrieben, während sie sich gegenüber der formalen Perfektion indifferent zeigten.] Vgl. Parisi (2007a): S. 167.

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»Before leaving the reader to make his/her own free appraisal of the material herein presented, I would like to make a few comments which I feel to be essential for a correct interpretation. The material is not homogeneous and does not represent Soviet dissent. It can be viewed only as a collage of individual experiences which are each very different from the other. Semi-officiality and unofficiality are terms which show solely the contingent working possibilities of these different artists and, as such, do not nurture dissent. Very often the Western World, blind to its own problems, speculates on different (very different) situations for political reasons of internal order, and launches new stars in the artistic and literary firmament, thus forcing the terms of a wolly [sic!] ›dissent‹ to coincide with a ›genius‹ which is not always verifiable. The material presented here does not promote hidden and troubled culturalpolitical motives, but simply wishes to give information – increased information – about what is happening in the art world.«59 Die Ausführungen zeugen von der starken Tendenz in dieser Periode, nicht-kanonkonforme sowjetische Gegenwartskunst unter dem Blickwinkel des ›Dissenses‹ zu rezipieren, zu deuten und nicht zuletzt zu vermarkten. Nicht ohne Ironie ist dabei die Tatsache, dass fotografisches Material aus Bignaminis Beitrag in Flash Art einige Monate später in der Dissens-Biennale zu sehen war und folglich genau in das von ihr oben kritisierte politisierte Interpretationsnarrativ eingebettet wurde. Letztere Vermittlungsstrategie ist ebenfalls kennzeichnend für Aleksandr Glezers westeuropäische Ausstellungsprojekte in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Diese fanden schwerpunktmäßig in der BRD statt, weshalb von den französischen und italienischen Rezeptionslinien nun zu Westdeutschland übergeleitet werden soll. Nachdem Werke von Il’ja Kabakov 1965 zum ersten Mal international in einer von Enrico Crispolti organisierten Schau mit dem Titel Alternative attuali II [Aktuelle Alternativen II] in der italienischen Stadt L’Aguila zu sehen waren,60 fand die erste Ausstellung mit Arbeiten des Künstlers im deutschsprachigen Raum im Jahre 1969 in der Frankfurter Galerie Interior und der Stuttgarter Galerie Behr unter dem Titel Neue Schule von Moskau statt.61 1970 waren Kabakov und Vladimir Jankilevskij neben Künstlern wie Ülo Sooster und Jurij Kuperman in der Ausstellung Sechs sowjetische Künstler in der Galerie Renée Ziegler in Zürich sowie in Russische Avantgarde in Moskau heute in der Galerie Gmurzynska in Köln vertreten. 1973 folgte im Dortmunder Museum Ostwall die Schau Russische Kunst der Gegenwart, in der grafische Arbeiten der 1960er Jahre von Anatolij Brusilovskij, Michail Grobman, 59 60 61

Ilaria Bignamini (1977): »From the U.S.S.R./Dall’U.R.S.S.« In: Flash Art. The International Arts Review 76-77. S. 9-19, hier S. 9. [Hervorhebungen im Original] Vgl. Parisi (2007a): S. 166. Die erste Station dieser Wanderausstellung stellte die Galleria Pananti in Florenz dar.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Vladimir Jakovlev, Vladimir Jankilevskij, Il’ja Kabakov, Ėrnst Neizvestnyj, Dmitrij Plavinskij, Ülo Sooster und der Gruppe Dviženie62 [Bewegung] zu sehen waren. Es handele sich bei ihnen, wie der Kunstkritiker Horst Richter in seinem einführenden Katalogbeitrag schreibt, »in jedem Falle um Künstler, die entschlossen sind, anstelle des bloßen Anbetens schal gewordenen [sic!] Überlieferungen neue Ansätze zu finden und diese auszubauen.«63 Als Referenzgrößen, an denen ihre »Abkehr von jenem Akademismus […] des Sozialistischen Realismus«64 zu messen sei, führt Richter Vertreter der klassischen Moderne und der historischen Avantgarden auf, die den in der Ausstellung vertretenen Künstler*innen als orientierende »Wegemarken« gedient hätten: »Natürlich kann man sich nicht denken, daß es in der Sowjetunion je zu einem vulkanischen Ausbruch, je zu einer solch kreativen Revolte kommen könnte wie einst in Italien [gemeint ist der italienische Futurismus, D.S.]. Möglich war aber immerhin eine Evolution. Sie profitierte von der Lockerung der geistigen Fesseln im ganzen Lande und orientierte sich rasch an den Wegemarken, die die Kunst außerhalb der Sowjetunion inzwischen passiert hatte. In das Gesichtsfeld der jungen Künstler gerieten Picasso und Klee, Miro und Mondrian und nicht zuletzt Malewitsch und Kandinsky, die unterschwellig eigentlich stets fortgelebt hatten.«65 Wie aus dem Zitat hervorgeht, macht der an vielen Stellen politisierte Wortlaut des Textes eine Zweiteilung zwischen der Kunstentwicklung im Westeuropa bzw. in der Sowjetunion des 20. Jahrhunderts auf, indem Metaphern der Bewegung (›vulkanischer Ausbruch‹, ›kreative Revolte‹) jenen der Statik (›geistige Fesseln‹) gegenübergestellt werden – zugestanden wird den in der Ausstellung repräsentierten Künstler*innen lediglich eine ›Evolution‹ als Bewegungsindikator. Ihre Werke seien, darauf weist der Beitrag hin, ›nonkonformistisch‹, allerdings weder mit der sowjetischen ›Untergrundliteratur‹ noch der sog. ›entarteten Kunst‹ aus dem nationalsozialistischen Deutschland zu vergleichen: »Völlig verfehlt wäre es jedenfalls, ihre Arbeiten als eine Art Untergrundkunst zu betrachten, etwa wie die Kunst der sogenannten Entarteten während der Nazi62

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Die Gruppe Dviženie [Bewegung] wurde 1962 von Lev Nusberg gegründet und ist vor allem für ihre kybernetische Kunst bekannt. Der Kreis, dem u.a. Fransisko Infante Arana, Viktor Stepanov und Rimma Zanevskaja angehörten, hörte mit Nusbergs Emigration in die USA im Jahre 1976 auf zu existieren. Horst Richter (1973): »Zur Eröffnung der Ausstellung ›Russische Kunst der Gegenwart – Grafiken der Avantgarde‹ im Museum am Ostwall Dortmund am 12. August 1973.« In: Horst Richter (Hg.): Russische Kunst der Gegenwart, Grafiken der Avantgarde: Museum am Ostwall, Dortmund, 12. August bis 30. September 1973. Düsseldorf: Vömel. S. 2-5, hier S. 3. Ebd.: S. 4. Ebd.

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zeit bei uns. Es gibt zwar eine Untergrund-Literatur in der Sowjetunion und das böse Schicksal von Schriftstellern, die nicht der Staatsräson gehorchen, macht verständlich, warum das so ist. Aber das Wort hat doch eine andere Wirkung als das Bild, jedenfalls in der Sowjetunion der Gegenwart, und so gibt es drüben auch keine Malerei oder Grafik hinter der vorgehaltenen Hand. Protesthaltungen, soweit vorhanden, lassen sich durch die Wahl des Stils oder des Sujets verschlüsseln bis zu jenem Grade, der das Gemeinte nur wirklich dem Verständigen verstehbar macht. Das aber wiederum provoziert nicht Aktionen der Funktionäre.«66 ›Aktionen der Funktionäre‹, die sich – entgegen Richters Einschätzung – bekanntlich nicht nur gegen sowjetische Literat*innen, sondern auch gegen Künstler*innen richteten, hatten sich nach Nikita Chruščevs wütender Reaktion auf einige nicht-kanonisierte Kunstwerke in der Ausstellung 30 let MOSCH [30 Jahre Moskauer Künstlerverband] in der Moskauer Manež im Dezember 1962 wieder intensiviert. »Moskau gegen Jazz und neue Kunst«, titelte am 4. Dezember 1962 Die Welt, welche die Entwicklung als »Rückschlag« für die sowjetische Kunst bezeichnete, »soweit sie sich auch nach westlichen Vorbildern orientieren wollte«.67 In Aleksandr Glezers westeuropäischen Ausstellungsprojekten zwischen 1975 und 1977 bildete die von Chruščev abgebrochene Schau im Manež-Gebäude zusammen mit der BulldozerAusstellung von 1974 den gesellschaftspolitischen Interpretationsrahmen, in dem Werke von Vladimir Jankilevskij, Il’ja Kabakov, Vladimir Nemuchin, Vladimir Jakovlev, Valentina Kropivnickaja und Oskar Rabin verortet wurden. Es lassen sich noch weitere Bezugnahmen auf das damalige Zeitgeschehen in den Ausstellungsnarrativen entdecken. So bezeichnete Glezer den Maler Oskar Rabin im Vorwort zur Schau Sieben aus Moskau (1975) als »Solženicyn der Kunst«68 – ein nach der Erscheinung des Archipelag GULAG im Jahre 1973, dessen Rezeption international hohe Wogen schlug, besonders wirksames Argument für die öffentliche Wahrnehmung des Künstlers im Westen. Politisch brisant war 1976 auch eine Ausstellung im Konstanzer Kunstverein mit dem Titel Nonkonformistische russische Maler. Bilder der in Moskau verbotenen nonkonformistischen russischen Maler der Sammlung Alexander Gleser. In seiner Einladung zur Vernissage sprach der Vorsitzende des Kunstvereins, Ulrich Leiner, von »Nonkonformisten« und »oppositionellen russischen Maler[n]«.69 66 67 68

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Ebd. [o.A.] (1962): »Moskau gegen Jazz und neue Kunst. Angriffe der ›Prawda‹ – Warnung vor zu großen Freiheiten.« In: Die Welt vom 04.12.1962. S. 3. Alexander Gleser (1975): »Sieben aus Moskau.« In: [ohne Hg.]: Sieben aus Moskau. Russische Nonkonformistische Maler. Sammlung Gleser, Moskau. [ohne Ort und Verlag] [ohne Seitenzahlen]. Vgl. Ulrich Leiner (1976): »Einladung. Ausstellung. Nonkonformistische russische Maler. Bilder der in Moskau verbotenen nonkonformistischen russischen Maler der Sammlung Alexander Gleser.« Bestand FSO 01-210 Eimermacher. Archiv der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen. Im deutschsprachigen Raum war die Sammlung Glezer 1975 in den

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Den Begriff ›Nonkonformismus‹ machte Glezer in dieser Periode in sämtlichen Ausstellungen seiner Sammlung stark. Mit diesem Wort wurde eine heterogene Gruppe sowjetischer Künstler*innen bezeichnet, die seit den 1950er Jahren abseits vom Stilkanon des Sozialistischen Realismus arbeitete. Im Katalogbeitrag »The Struggle to Exhibit«, den Glezer für die Londoner Ausstellung Unofficial Art from the Soviet Union (1977) verfasste, differenziert er dabei lose zwischen Künstlern wie Vladimir Vejsberg und Boris Birger, »whose ambition was to expand the framework of official Socialist Realism and blur its edges«,70 einer ›Avantgarde‹, zu der er Il’ja Kabakov, Vladimir Jankilevskij und Ėrnst Neizvestnyj zählt, und schließlich der Lianozovo-Gruppe um Oskar Rabin und Lidija Masterkova. Auf die Arbeiten dieses letzteren Künstlerkreises konzentrierte sich der Sammler schwerpunktmäßig. Auch der an der Ausstellungsorganisation beteiligte Kunsthistoriker Igor’ Golomš tok, der 1972 nach London emigriert war, schlägt im Katalog wenig Kategorisierungen der vertretenen Werke vor. Stattdessen zeigt er eine ganze Bandbreite von Stilen und Sujets auf, die ihm zufolge nicht als Strömung oder Trend im engeren Sinne zu verstehen seien: »The chronology of unofficial art in the Soviet Union covers the last twenty years. Its representatives have never been united in an artistic grouping and have displayed no integrated stylistic trend. The styles in which their quests are carried out range from traditional realism […] to Pop art and Conceptual art. But even the boldest formal innovations by Soviet unofficial artists, which have departed so far from the generally required standards of Socialist Realism that in their own country they are seen as avant-garde extremism, seem at first sight here in the West to be only a feeble reflection of things discovered long ago in the art of Europe and the USA.«71 Charakteristisch für die Diskursivierung von konzeptueller Kunst aus der UdSSR, die sich in den 1970er Jahren in westeuropäischen und US-amerikanischen (Emigranten-)Zeitschriften und ersten Ausstellungsprojekten vollzog, ist Golomštoks

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Ausstellungen Sieben russische Künstler in der Wiener Galerie Christian Brandstätter, Russische nonkonformistische Maler. Sammlung Alexander Gleser im Kunstverein Braunschweig, im Kunstverein Freiburg i.Br. und im Kunstamt Charlottenburg in Westberlin sowie in Der russische Februar im Künstlerhaus Wien zu sehen. 1976 folgten die Ausstellung Russische nonkonformistische Maler. Sammlung Gleser im Kunstverein Konstanz und der Städtischen Galerie ›Die Fähre‹ in Bad Saulgau sowie die Schau Alternativen (Sammlung Gleser) im Kunstverein Esslingen. Alexander Glezer (1977): »The Struggle to Exhibit.« In: Igor Golomshtok/Alexander Glezer/Michael Scammell (Hg.): Unofficial Art from the Soviet Union. London: Martin Secker & Warburg Limited. S. 107-120, hier S. 109. Igor Golomshtok (1977): »Unofficial Art in the Soviet Union.« In: Igor Golomshtok/Alexander Glezer/Michael Scammell (Hg.): Unofficial Art from the Soviet Union. London: Martin Secker & Warburg Limited. S. 81-106, hier S. 81f.

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weiter unten zitierter Hinweis auf den ›zutiefst individuellen Charakter‹ dieser Kunst (Originalitätsargument). Diese spiegele sich nicht einfach an ›westliche Trends‹, sondern sei tief in der ›russischen Realität‹ verwurzelt (Exotismusargument), womit sie als entgegenkommende Strömung für die Rezeption durch ein internationales Publikum legitimiert wird, während der Text gleichzeitig die Vorstellung eines ästhetischen Einflussmodells demontiert: »It is possible that many will be inclined to explain disparities of this kind by referring to the ›enigma of the Russian soul‹ or the age-old isolation of Russia from world culture […]. However, the development of Russian art over the last three hundred years contradicts such a view, while a closer examination of unofficial art in the context of Russian reality reveals certain aesthetic traits which show that it is not merely a reflection of Western trends but a deeply individual artistic phenomenon.«72 Resümierend ist festzuhalten, dass sowjetische Emigrant*innen wie Aleksandr Glezer, Igor’ Šelkovskij und Igor’ Golomštok in den 1970er Jahren maßgeblich an der Entwicklung internationaler Mittlernetzwerke zwischen der UdSSR, Westeuropa (insbesondere Frankreich, Italien, der BRD und der Schweiz), Israel und den USA beteiligt waren, indem sie sich für die Zirkulation und die Aufarbeitung nichtkanonkonformer Kunst – darunter, allerdings nicht schwerpunktmäßig, Konzeptkunst – außerhalb der Grenzen der Sowjetunion engagierten. Eine zentrale wie auch prestigereiche Position im Transfernetzwerk erlangte insbesondere Glezer. Als emigrierter Kunstsammler, Dichter, Zeitschriftenredakteur, Publizist, Kurator und nicht zuletzt Museumsgründer übte er eine Vielzahl von performativen Rollen aus und trug auf diese Weise wesentlich zum Aufbau einer Rezeptionsinfrastruktur für sowjetische Kunst aus dem nicht-kanonkonformen Bereich bei. Als vermittelnder Akteur verfügte er sowohl über ›strong ties‹ innerhalb des sowjetischen Emigrantenmilieus in Paris – namentlich zu Aleksandr Galič und Vladimir Maksimov, die als Herausgeber der einflussreichen Zeitschrift Kontinent und durch Auftritte bei RFE/RL Zugang zu einer breiteren medialen Öffentlichkeit hatten. Über ›weak ties‹ stellte Glezer außerdem Kontakte zu verschiedenen Kurator*innen und Ausstellungsplattformen in der BRD, Österreich, Großbritannien und Italien her. Durch seine multiplexe Mittlertätigkeit entstanden wechselseitige rezeptionsgeschichtliche Verflechtungen zwischen diesen Kulturen. Allerdings nicht nur auf Freundschaften beruhende ›strong ties‹, sondern auch antagonistische Konkurrenzkämpfe innerhalb der sowjetischen Emigranten- und Dissidentenkreise dürfen bei der Analyse dieses transkulturellen Mittlernetzwerkes nicht aus dem Auge verloren werden. So vereinte die Sammelbezeichnung

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Ebd.: S. 82.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

›Dissidenten‹, wie Dietmar Neutatz in seiner Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert (2013) ausführt, »eine Vielzahl unterschiedlicher und zum Teil unvereinbarer politischer Überzeugungen. […] Gemeinsam war ihnen nur die Kritik am bestehenden Regime, während sie untereinander harte ideologische Auseinandersetzungen führten.«73 In diesem Milieu suchte Glezer als Vermittler sowjetischer Gegenwartskunst eine gewisse Monopolstellung auszubauen, indem er sich von anderen Initiativen, wie z.B. der Zeitschrift A-Ja, distanzierte. Periodika wie A-Ja, Tret’ja volna, Muleta und Flash Art, die als mediale Aktanten neben Ausstellungen die wichtigsten Transfermedien dieser Periode darstellen, druckten erste Beiträge zur konzeptuellen Kunstszene in Moskau, als deren Hauptvertreter Il’ja Kabakov und Vladimir Jankilevskij angewiesen wurden. Mittlerfiguren sprachen in diesem Jahrzehnt von ›russischer Konzeptkunst‹ bzw. von ›russischen Konzeptualisten‹ oder, im Falle von Boris Groys, vom ›Moskauer romantischen Konzeptualismus‹. Dieser wurde bis Anfang der 1980er Jahre jedoch kaum als breitere bzw. verbindende Stilrichtung oder Strömung wahrgenommen, wie die oben zitierten Ausführungen von Glezer und Golomštok belegen – die erwähnten Artikel von Groys und dem Künstlerehepaar Rimma und Valerij Gerloviny in der Zeitschrift A-Ja (1979) stellen international eher Ausnahmen dar. Stattdessen wurden Künstler wie Kabakov oder Jankilevskij in frühen westeuropäischen Ausstellungen unter den von Glezer popularisierten Terminus des ›Nonkonformismus‹ subsumiert. Auch ›Dissidenz‹ stellt ein wichtiges Schlagwort der 1970er Jahre dar. Ėrik Bulatovs Gemälde »Opasno«, das geradezu leitmotivisch in der Biennale-Ausstellung La nuova arte sovietica von 1977 und zwei Jahre später auf dem Cover von A-Ja erschien, wurde in dieser Periode bilddiskursiv in ein Narrativ der politischen Subversion eingebettet. Obwohl der Konnex zwischen Kunst und Politik in der späteren Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus zugunsten einer wesentlich unpolitischeren Betrachtung der Künstler*innen in den Hintergrund geriet – u.a. unter Einfluss der Konzeptualisten selbst, die die Zuschreibung ›Dissident‹ in Interviews aktiv ablehnten –, hat sich das Dissidenz-Narrativ als langlebig erwiesen. So erschien noch 1995 ein Sammelband mit dem Titel Soviet Dissident Artists, der Interviews mit einer Reihe von Künstler*innen aus dem ehemaligen nicht-kanonkonformen Bereich enthält, darunter für diese Untersuchung interessierende Personen wie Il’ja Kabakov, Leonid Sokov, Ėrik Bulatov, Ivan Čujkov, Dmitrij Prigov und Irina Nachova. Bereits im Titel und Vorwort der Publikation werden die Künstler*innen von den Herausgebern unter dem Blickwinkel der ›Dissidenz‹ betrachtet, auch ihre Fragen zielen explizit auf eine mögliche politische Oppositionshaltung der Befragten zum ehemaligen sowjetischen Staat hin. Am humorvollsten dekonstruiert Il’ja

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Dietmar Neutatz (2013): Träume und Alpträume. Eine Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert. München: Verlag C.H. Beck. S. 490.

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Kabakov schließlich diese Art der gelenkten Gesprächsführung, indem er auf die Eröffnungsfrage seines Interviewers Renee Baigell folgende Antwort gibt: »RB: When did you realize that you were a dissident artist? IK: I was not a dissident, and I even consider it problematic that I am an artist.«74

3.1.2

Von Dissens zu Kultursemiotik: Die Bochumer und Bielefelder Slavistik als Mittler des Moskauer Konzeptualismus

Im November 1984 erschien bei Edition S Press, einem kleinen Wuppertaler Tonbandverlag, spezialisiert in der Veröffentlichung von Audiokunst, Klangpoesie und akustischer Literatur, ein Multimediaband mit dem Titel Kulturpalast. Neue Moskauer Poesie & Aktionskunst. Erstellt und herausgegeben von den damals Bochumer Slavist*innen Georg Witte und Sabine Hänsgen unter dem Pseudonym Günter Hirt und Sascha Wonders75 enthält die zweisprachige Ausgabe einen Textband, eine Tonkassette mit Gedichtperformances sowie eine Kartensammlung mit seriellen Textkompositionen des Dichters Lev Rubinštejn. Die Metapher des Kulturpalasts symbolisiert laut Vorwort das herrschende kulturelle Paradigma der sowjetischen Gesellschaft, das als Palast eine gewisse Erhabenheit, Macht und nicht zuletzt (ewi-

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Renee Baigell/Matthew Baigell (1995) (Hg.): Soviet Dissident Artists. Interviews After Perestroika. New Brunswick, New Jersey: Rutgers University Press. S. 142. Im Vorwort heißt es: »We (Renee Baigell and Matthew Baigell) believed that it was important to hear the artists’ own words concerning their everyday experiences under Communism: When did they realize they were dissident artists? How were they harassed by the artists’ union, by the Ministry of Culture, and by the secret police (KGB)? How did they find and develop a supportive audience? When did they first see modern western art and what were their responses to it?« Ebd.: S. xi. In Novinki (2016) erklärt Hänsgen die Bedeutung der Pseudonyme, zu denen sich die Slavist*innen aus Gründen des Selbstschutzes entschieden: »Wir haben sie so gewählt, dass die Namen etwas künstlich wirken: Günter Hirt und Sascha Wonders. Ein germanisch-mythologisch anmutender und ein international klingender Name. Bei meinem Pseudonym – Sascha Wonders – weiß man nicht, welche Nationalität und welches Geschlecht sich dahinter verbergen. Das führte dazu, dass es in den Briefen an mich hieß: ›Sehr geehrter Herr Wonders…‹. Eine Frau vermutete man dahinter nicht.« Olga Martin: »Stimmt, im russischen Gebrauch hätte Sascha auch ein weiblicher Name sein können. Hat ›Wonders‹ auch mit ›wundern‹ und ›anders‹ zu tun?« Sabine Hänsgen: »Genau. Da gibt es verschiedene Klangassoziationen! Günther Anders ist zum Beispiel ein berühmtes Pseudonym aus dem deutschsprachigen Raum. Man kann aber auch an Stevie Wonder und die Popkultur denken. Also ein schillerndes Pseudonym, auf das ich durch poetische Spielereien gekommen bin. (lacht) Es war ein Nebenprodukt der Übersetzungstätigkeit und der Reflexion über offizielle und inoffizielle Kultur, Mainstream und Underground.« Olga Martin (2016): »Sabine Hänsgen. Am Rande, im Verborgenen, im Visier.« In: noviki (Hg.): Nachgefragt: novinki im Gespräch mit Autor_innen aus Osteuropa. Norderstedt: Books on Demand. S. 66-79, hier S. 73f.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

ge) Dauer ausstrahle.76 Neue Tendenzen in der Moskauer Kunst und Literatur, welche die Verfasser*innen unter die Bezeichnung ›Moskauer Konzeptualismus‹ subsumieren, hätten jedoch zu ersten Rissen im Palast geführt, der lange Zeit als unbetretbar und abweisend galt.77 Die Erscheinung des multimedialen Bandes bildete den Auftakt zu einer intensiven akademischen wie auch breiteren öffentlichen Vermittlung des Moskauer Konzeptualismus durch Hänsgen und Witte, die den Kreis in Kulturpalast als heterogene, aber dennoch klar erkennbare Strömung mit »eigenen Verkehrsformen«78 umschreiben. Ihre Leistungen können nicht losgelöst von fachgeschichtlichen Entwicklungen der deutschsprachigen, insbesondere der Bochumer und Bielefelder Seminare für Slavistik betrachtet werden, die sich in den 1970er und 1980er Jahren zu zentralen Akteuren in der Rezeptionsgeschichte der nicht-kanonkonformen sowjetischen Kunst, Literatur und Kulturtheorie herausbildeten. Wie in diesem Abschnitt dargelegt wird, wies das akademische Transfernetzwerk dabei zahlreiche Verbindungen (›Kanten‹) zu Akteur*innen aus dem musealen, verlegerischen und (wirtschafts-)diplomatischen Bereich auf. So besteht seit den 1960er Jahren eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Bochumer Seminar für Slavistik und dem Museum Bochum. Der erste Direktor des Museums, Peter Leo (1960-1972), schuf einen Ausstellungs- und Sammlungsschwerpunkt auf Kunst aus Osteuropa und der Sowjetunion, den sein Nachfolger Peter Spielmann (1972-1997), ein gebürtiger Tscheche, der nach dem Prager Frühling in die BRD emigriert war, weiter ausbaute.79 1974 fand eine erste Ausstellung dieser Werke, die sonst nur einem kleinen Fachpublikum zugänglich waren, unter dem Titel Progressive Strömungen in Moskau 1957-1970 statt, »eine kleine Sensation«,80 wie Spielmann rückblickend festhielt. Zu sehen war nämlich, um die Worte der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zu zitieren, »Schmuggelware aus Moskau«,81 d.h. Kunstwerke, die auf privaten Wegen nach Westeuropa gelangt waren und sich meist in Sammlungen von Galerist*innen wie Antonina Gmurzynska (Köln) oder Dina Vierny (Paris) befanden. Mit der Organisation der Schau strebte das Museum nicht nur an, ein breiteres Publikum mit dieser Kunst bekannt zu machen, sondern verfolgte auch ein klares kulturpolitisches Ziel:

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Vgl. Günter Hirt/Sascha Wonders (1984): »Vorwort.« In: Günter Hirt/Sascha Wonders (Hg.): Kulturpalast. Neue Moskauer Poesie & Aktionskunst. Wuppertal: S Press Tonbandverlag. S. 7-18, hier S. 7f. Vgl. ebd. Aus diesem Grund wurde den Herausgeber*innen zufolge die Trennung zwischen der kanonkonformen und der nicht-kanonkonformen sowjetischen Kunstszene immer durchlässiger. Ebd.: S. 8. Vgl. Peter Spielmann/Marek Spielmann/Peter Kropp (2010): Museum als Ort der Begegnung am Beispiel des Museum Bochum 1972-1997. Brünn: VUTIUM Verlag. S. 210. Ebd.: S. 38. Ebd.: S. 39.

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»Uns war es wichtig die Vorkriegssituation europäischer Zusammenhänge und Zusammenarbeit in der Kultur wieder herzustellen und die politische Teilung des Kontinents in diesem Bereich zu überwinden – und so auf eine zukünftige Einheit Europas hinzuarbeiten. […] Wir bemühten uns um ein Europa der Regionen. Bedeutend war uns die Authentizität der Kulturerscheinungen. Auf keinen Fall wollten wir ein Mittel- und osteuropäisches Ghetto schaffen, sondern die Kunst und Kultur dieser Regionen in die gesamteuropäische Kulturgeschichte zurückintegrieren.«82 Die Ausstellung Progressive Strömungen in Moskau 1957-1970 kündigte an, Werke der sog. ›Moskauer Avantgarde‹ zu zeigen, zu der u.a. die Gruppe Dviženie [Bewegung] sowie die Künstler Michail Grobman, Ülo Sooster, Vladimir Jankilevskij und Il’ja Kabakov gezählt wurden. Letzteren bezeichnet das Werkverzeichnis im Katalog als einen der »durchdringendsten Geister der Moskauer Avantgarde«, der ähnlich wie »sein Freund Bulatow […] unabhängig [vom Westen, D.S.] die Positionen des Konzeptualismus erreicht« habe.83 In seiner Einführung in die Thematik der Schau legt Spielmann eine politisierte Deutung der ausgestellten Werke vor. Vielgehörte Schlagwörter dieses Jahrzehnts, wie ›oppositionell‹ oder ›dissident‹, kennzeichnet der Museumsdirektor jedoch als falsch: »Sie [die Kunst, D.S.] ist nur deswegen oppositionell, weil sie keine Möglichkeit einer freien Entfaltung hat«.84 Stattdessen werden die Werke mit dem Adjektiv ›progressiv‹ versehen, das als Oberbegriff der Schau dient: »Wir haben bewußt diese Ausstellung mit dem Beiwort progressiv versehen. Diese Progressivität ist nicht nur im künstlerischen Sinne gemeint, sondern auch im gesellschaftlichen. Dieser Glaube an eine breitere, allgemeinere Sendung der Kunst ist aber in der Nachkriegszeit bei den Moskauer Künstlern nichts Neues. Es ist etwas, was die östliche Kunst schon immer charakterisierte, wenn wir von dem Sinn der Ikone als eines heiligen Gegenstandes absehen, lesen wir doch ganz genau und aufmerksam die Texte von Kasimir Malewitsch. Da müssen wir feststellen, daß es ihm bei der gegenstandslosen Kunst um mehr als nur formale Probleme ging. Er strebte ein gesellschaftliches Engagement an.«85 Nicht nur den Moskauer Künstler*innen, sondern auch ihren Werken schreibt Spielmann in seinen Ausführungen Agency zu: Beide seien sowohl im künst-

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Ebd.: S. 37. Arsen Pohribny/Peter Spielmann/Helmut Zumbro (1974) (Hg.): Progressive Strömungen in Moskau 1957-1970. Bochum: Heinrich-Druckerei GmbH. [ohne Seitenzahlen] Peter Spielmann (1974): »Progressive Strömungen und Tendenzen in Moskau 1957 bis 1970.« In: Arsen Pohribny/Peter Spielmann/Helmut Zumbro (Hg.): Progressive Strömungen in Moskau 1957-1970. Bochum: Heinrich-Druckerei GmbH. [ohne Seitenzahlen] Ebd.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

lerischen als auch im gesellschaftlichen Sinne ›progressiv‹ und ›engagiert‹, ein ›Charakteristikum‹ für die ›östliche Kunst‹, die für eine ›breitere, allgemeinere Sendung‹ stehe. »Es soll nicht nur eine Anlehnung an die Probleme der POP-ART oder OP ART oder des Surrealismus sein«, heißt es weiter, denn der »eigentliche Sinn dieser Äußerungen ist das menschliche und das gesellschaftliche Engagement.«86 Progressiv bedeutet für Spielmann progressiv links. Die Antithese dazu bilden in seiner Einführung die »rechte[n] und reaktonäre[n] [sic!] Tendenzen« des »Stalinismus und Dogmatismus«.87 Die gesellschaftspolitische Einstellung der in der Ausstellung vertretenen Künstler*innen weise dem Verfasser zufolge eine Nähe zum Konzept der ›Lebenskunst‹ [žiznetvorčestvo] historischer Avantgardebewegungen auf. Die Kunst- und Lebensphilosophien beider Künstlergenerationen werden im Katalog mit idealisierenden Attributen wie ›demokratisierend‹, ›befreiend‹ und ›solidarisch‹ versehen: »Es erinnert ein wenig an die Atmosphäre der ersten Jahre nach der Oktoberrevolution, wo sich alle progressiven Kräfte der sowjetischen Kunst im Einklang und Zusammenarbeit mit den progressiven Kräften der westlichen Kunst engagiert haben. […] Es war eine heroische Zeit, die bis zu dem brutalen Eingriff des Stalinismus gedauert hat.«88 Avantgarde89 wird im Zitat als ästhetischer wie gesellschaftlicher Konventionsbruch gedacht, als linke Utopie, die unter dem Stalinismus verfrüht zu ihrem Ende gekommen sei. Groys widerspricht einer solchen Auffassung bekanntlich in Gesamtkunstwerk Stalin (1988), indem er die Kunstavantgarden als Auftakt zum Totalitarismus betrachtet und demzufolge von einer gewissen Mitschuld ausgeht.90 Spielmanns Deutung der nicht-kanonkonformen Moskauer Gegenwartskunst durch das Aufzeigen einer direkten Parallele zu den historischen Avantgarden führte in der Rezeption der Ausstellung allerdings zu Missverständnissen, wie aus dem Katalog zur späteren Schau 20 Jahre unabhängige Kunst aus der Sowjetunion (1979)

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Ebd. Ebd. Ebd. Die Heterogenität der Strömungen und kunsttheoretischen Programme, die den historischen Avantgarden zugerechnet werden, geht mit dieser an futuristischen Manifesten orientierten Interpretation verloren. Vgl. Boris Groys (1988a): Gesamtkunstwerk Stalin: Die gespaltene Kultur in der Sowjetunion. München/Wien: Carl Hanser Verlag; vgl. Aage A. Hansen-Löve (2014): »Das Ende vom Anfang. Späte Avantgarden.« In: Wolfgang Asholt (Hg.): Avantgarde und Modernismus. Dezentrierung, Subversion und Transformation im literarisch-künstlerischen Feld. Berlin/Boston: Walter de Gruyter. S. 221-240, hier S. 224.

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im Museum Bochum hervorgeht, der das vorher benutzte Adjektiv ›progressiv‹ nun durch ›unabhängig‹ und ›inoffiziell‹ ersetzte: »Das zweite Mißverständnis hat auch die Künstler im Osten verwirrt: man hat jede Kunst, die nicht anerkannt wurde, nicht ausgestellt wurde, verboten wurde, als avantgardistische, als progressive angesehen; die westlichen Zuschauer wurden dann später bei direkter Konfrontation mit dieser Kunst enttäuscht und haben festgestellt, das [sic!] man in dieser Kunst ›nichts Neues‹ finden kann.«91 Progressive Strömungen (1974) fand etwa zeitgleich mit dem Beginn von Aleksandr Glezers westeuropäischen Ausstellungsprojekten statt. Vor allem nach der DissensBiennale von 1977 wurden das Sammeln und das (vereinzelte) Ausstellen von nichtkanonkonformer Kunst aus der Sowjetunion trotz der weiterhin bestehenden Barrieren zunehmend en vogue. Mit dieser Entwicklung verstärkten sich Versuche um die Kontrolle von Ressourcen und interpretativen Deutungsangeboten im Transfernetzwerk. So berichtet Spielmanns Einführung zu 20 Jahre unabhängige Kunst aus der Sowjetunion (1979) von Auseinandersetzungen mit Glezer während der Ausstellungsvorbereitungen, die einen antagonistischen Wettbewerbscharakter aufweisen: »Einige (fast skandalöse) Umstände bei der Vorbereitung dieser Ausstellung beweisen es. Da nimmt sich eine kleine Gruppe von bildenden Künstlern (Oskar Rabin, Michail Schemjakin, Oleg Tzelkow und Jurij Zarkich) gemeinsam mit dem Dichter, Sammler und Direktor des sog. ›Russischen Museum im Exil‹ Aleksander Glezer das Recht zu bestimmen, was wirklich objektiv ist, wenn man die Geschichte der jüngsten russischen Kunstgeschichte schildern oder zeigen will. Sie richten auch über die Kulturpolitischen [sic!] Konsequenzen der Arbeit anderer Künstler, sie wollen das Maß des Heldentums einzelner im Kampf um die Unabhängigkeit der Kunst alleine und endgültig feststellen. Ich hätte diese Episode nicht erwähnt, wenn diese Vorgänge nicht auch die Zusammensetzung unserer Ausstellung beeinflußt hätten. Denn sie haben befreundeten Sammlern verboten, Leihgaben an das Museum Bochum zu geben (Claude Day). Sie versuchten die Ausstellung zu verhindern, unter dem unbegründeten Vorwurf der ›Nichtobjektivität‹. Diese unverständliche Haltung hat verursacht, daß die Künstler Nemuchin, Kalinin, Plawinskij, Wetschtomow und Kandaurow fast überhaupt nicht oder schlecht in der Ausstellung vertreten werden.«92 Das Zitat zeigt eine Aushandlung um Zentralität und Prestige, indem Glezer laut Spielmann sowohl seine Ressourcen (seine Kunstsammlung) als auch sein Egonetz-

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Peter Spielmann (1979): »20 Jahre unabhängige Kunst aus der Sowjetunion.« In: Peter Spielmann et al. (Hg.): 20 Jahre unabhängige Kunst aus der Sowjetunion. Bochum: Druckhaus Schürmann & Klagges. S. 3-19, hier S. 3. Ebd.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

werk (befreundete Künstler*innen und Sammler*innen) dem Bochumer Ausstellungsprojekt vorenthalten habe. Auf diese Weise sei versucht worden, nicht nur die Zahl von Spielmanns vorhandenen Beziehungen zu reduzieren (Voraussetzung für Zentralität), sondern auch mögliche Kontaktaufnahmen anderer Akteur*innen zum Museumsdirektor zu verhindern (Voraussetzung für Prestige). Dieser Aushandlungsprozess um Fragen der Deutungshoheit und der Kontrolle von Verbündeten und sozialem Kapital wirkte sich wiederum auf die (Nicht-)Sichtbarkeit von Künstlern aus Glezers Egonetzwerk, wie Vladimir Nemuchin und Dmitrij Plavinskij, in der Bochumer Ausstellung und damit in einer breiteren rezipierenden Öffentlichkeit aus. In den Vordergrund der Aufmerksamkeit rückte Spielmann stattdessen Il’ja Kabakov, eine »verbindende, integrierende Figur«, deren Werk er im Katalog als »voller Ironie und Aufdeckung der Absurdität der zeitgenössischen Situation und auch sozialer Kritik« beschreibt.93 Ähnlich wie Vladimir Jankilevskij und Ėrik Bulatov zeichne sich der Künstler durch eine »Annäherung zur Konzeptuellen Kunst« aus, wobei er »aus dieser Gruppe eine[n] der originellsten Schöpfer« darstelle.94 Stärker als in Progressive Strömungen in Moskau (1974) verfolgt Spielmann in diesem Katalog ein historiographisches Ziel, indem er die in der Ausstellung vertretenen Künstler*innen nun Kategorien und Gruppen zuordnet. Die Bezeichnung ›Konzeptualisten‹, wozu der Verfasser Leonid Sokov, Vitalij Komar, Aleksandr Melamid, Ivan Čujkov, Oleg Vasil’ev, Aleksandr Kosolapov sowie Rimma und Valerij Gerloviny rechnet, fällt in seinen Ausführungen zwischen Anführungszeichen und wird in der Tradition der Avantgarden verortet: »Bald fingen viele von ihnen an Aktionen oder künstlerischen [sic!] Experimente zu organisieren. Sie nennen sich jetz [sic!] ›Konzeptualisten‹, sie erklären den Tod der Kunst. Nur ist dies in der Kunst doch nichts neues: wenn wir an die Jahre 1913-15 denken und ähnlichen [sic!] Theorien M. Duchamps, K. Malewitschs, ManRays, der italienischer [sic!] und russischer [sic!] Futuristen, Dadaisten und vieler anderen. Aber auch unter westlichen Künstlern gibt es solche, die mit ähnlichen Ansichten heute wieder vor die Öffentlichkeit treten.«95 Ähnlich wie das Museum Bochum, das in dieser Periode auf eine breitere Bekanntmachung nicht-kanonkonformer Kunst aus den osteuropäischen Ländern und der UdSSR zielte, engagierte sich das Bochumer Seminar für Slavistik in der Person von Karl Eimermacher, der Renate Lachmann 1979 als Lehrstuhlinhaber in der Literaturwissenschaft nachgefolgt war, über eine rein fachliche Beschäftigung mit der alternativen sowjetischen Kunst- und Literaturszene hinaus durch Dokumentations-

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Ebd.: S. 7. Ebd. Ebd.: S. 8.

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und Öffentlichkeitsarbeit. Nachdem er während eines Aufenthaltes in Prag zufällig auf Fotografien von Werken des Bildhauers Vadim Sidur gestoßen war,96 legte Eimermacher 1978 eine erste ausführliche Publikation zum Künstler vor.97 Weitere wissenschaftliche und publizistische Veröffentlichungen zu Sidur, dem das Museum Bochum 1984 die Ausstellung Vadim Sidur: Skulpturen widmete, und Künstlern wie Vladimir Jankilevskij, Anatolij Zverev, Vladimir Nemuchin und Ėrnst Neizvestnyj folgten.98 Durch persönliche Treffen und Korrespondenzen entstand mit den Jahren ein umfangreiches Beziehungsnetzwerk nicht nur zu Vertreter*innen der nicht-kanonkonformen Moskauer Kunstszene, sondern auch zu Sammlern wie Aleksandr Glezer, Leonid Taločkin, Georgij Kostaki, Norton Dodge, Peter Ludwig und Henri Nannen.99 Eine Inventarisierung der in Bochum gesammelten Materialien fand unter der Leitung des Kunsthistorikers Evgenij Barabanov und der Übersetzerin Beate Jasper-Volovnikov ihren Niederschlag in einer – bisher unveröffentlichten – Bibliographie.100 Austausch und Vernetzung mit anderen Mittlerfiguren erfolgten zudem in einer Reihe von Symposien, wie z.B. der Tagung Tendenzen der unabhängigen Kunst in der gegenwärtigen Sowjetunion (1985), die in Kooperation mit dem Bielefelder Slavisten Hans Günther ausgerichtet wurde. Letzterer war wie Eimermacher in der ersten Hälfte der 1980er Jahre aktiv an der Konzeption von Ausstellungen zu Künstlern wie Vladimir Jankilevskij, Ėduard Štejnberg und Il’ja Kabakov beteiligt, die meistens im Museum Bochum stattfanden. Der von Georg Witte und Sabine Hänsgen herausgegebene Band Kulturpalast (1984) entstand mit Mitteln aus dem von Eimermacher geleiteten und von der Volkswagenstiftung geförderten Forschungsprojekt Soziokultureller Normenwandel in der Sowjetunion der 1970er Jahre. Die Entscheidung für den kleinen Wuppertaler S Press Tonbandverlag als Veröffentlichungsort der Ausgabe sollte zum einen den

Vgl. Karl Ajmermacher (2018): Vozzrenija i ponimanija. Popytki ponjat’ aspekty russkoj kul’tury umom. Moskau: AIRO-XXI. S. 232. 97 Vgl. Karl Eimermacher (1978): Vadim Sidur. Skulpturen, Graphik. Konstanz: Universitätsverlag Konstanz. 1983 verfasste er auch einen Beitrag zu Sidur für die Zeitschrift A-Ja. Vgl. Karl Eimermacher (1983): »V. Sidur.« In: A-Ja. Unofficial Russian Art Review 5. S. 46-52. 98 Vgl. Karl Ajmermacher (2004): Ot edinstva k mnogoobraziju. Razyskanija v oblasti ›drugogo‹ iskusstva 1950-x-1980-x godov. Moskau: Izdatel’skij centr RGGU. 99 Vgl. Ajmermacher (2018): S. 235. 100 Vgl. ebd. Es bestand außerdem die Idee, in Bochum ein Dokumentationszentrum für bildende Kunst aus der Sowjetunion zu gründen. Dieses Vorhaben wurde in einem internationalen Workshop, der im Dezember 1984 im Museum Bochum stattfand, gemeinsam mit HansJürgen Drengenberg (Berlin), Wolfgang Eichwede (Bremen), Georgij Kostaki (Athen), Tolstyj (Paris), Margarita Tupicyna (New York), Igor’ Golomštok (London) und Peter Spielmann (Bochum) diskutiert. Realisiert wurde das Zentrum letztendlich nicht, wofür Eimermacher das Fehlen einer sowohl fachlichen – mit sowjetischer Kunst beschäftigte sich die damalige Forschung bis auf wenige Ausnahmen nicht – als auch finanziellen Infrastruktur verantwortlich sieht. Vgl. ein telefonisches Interview der Verfasserin mit Karl Eimermacher am 19.10.2018.

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3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Samizdat-Charakter des thematisierten Materials lebendig halten.101 Da S Press bereits konkrete, visuelle und akustische Poesie aus dem westeuropäischen Raum verlegte, bestand zum anderen der Wunsch, die Moskauer Künstler*innen in dieses Netzwerk einzubinden.102 Realisiert wurde dieses Vorhaben 1989 mit dem deutschrussischen Lyrikfestival Tut i Tam – Hier und Dort in Essen, Moskau und Leningrad, das Hänsgen und Witte gemeinsam mit dem Schreibheft-Herausgeber Norbert Wehr und der Literaturkritikerin Annette Brockhoff ausrichteten.103 Als Publikation nimmt Kulturpalast eine Schnittstelle zwischen Forschung und Dokumentation ein. Aufgrund der zugänglichen kommentierenden Texte der Herausgeber*innen spricht der Sammelband nicht nur ein fachliches, sondern auch ein nicht akademisches Publikum an. Während sich Karl Eimermacher und Hans Günther mit ihrem Fokus auf Sidur, Zverev und Nemuchin überwiegend auf eine ältere Künstlergeneration konzentrierten, steht in Kulturpalast ein jüngerer Künstlerkreis im Vordergrund, der als Moskauer Konzeptualismus bezeichnet wird. Dieser wird im Vorwort als heterogene Strömung definiert, die nicht nur verschiedene Stilrichtungen, sondern auch verschiedene Gattungen (Lyrik, bildende Kunst, Performance und Musik) umfasse: »Mit dem Begriff Konzeptualismus ist ein verbindendes Element für die sehr unterschiedlichen Stilrichtungen, künstlerischen Haltungen und Generationen dieser neuen Strömung vorhanden. Die spezifisch sowjetische Variante dieses internationalen Bemühens um eine neue Aufgabenbestimmung der Kunst – im Sinne einer Auflösung der hergebrachten Grenzen zwischen Kunst, Philosophie und Wissenschaft – läßt sich wohl am besten dadurch charakterisieren, daß es ihr um Bewußtseinsforschung unter den Bedingungen eines allmächtigen kulturellen Komplexes, eines tiefgestaffelten Systems von Zeichenwelten – von der Küche bis zur Kunsthalle – geht.«104 Bereits Boris Groys hatte in seinem Aufsatz »Moskovskij romantičeskij konceptualizm/Moscow Romantic Conceptualism« (1979) in A-Ja am Beispiel von Lev Rubinštejn auf die Textarbeiten der Moskauer Konzeptualisten hingewiesen. Diese stehen in Kulturpalast neben der Aktionskunst der Gruppe KD nun erstmals im Mittelpunkt, weshalb andere Künstlerpersönlichkeiten in das Blickfeld geraten. Denn

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Vgl. Sabine Hänsgen (2017): »Poètičeskie zapiski. Po povodu nemeckoj knigi Vsevoloda Nekrasova.« Vortrag im Rahmen der Konferenz Russkaja nepodcenzurnaja literatura XX veka: individual’nye praktiki, soobščestva, institucii an der Higher School of Economics, Moskau, 31.03.01.04.2017. 102 Vgl. Hänsgen in Martin (2016): S. 74. 103 Vgl. Annette Brockhoff et al. (1989) (Hg.): Tut i tam. Hier und dort. Russische und deutschsprachige Poesie. Essen: Thalia-Druck. 104 Hirt/Wonders (1984): S. 9. [Hervorhebung im Original]

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während der in den bisher besprochenen Ausstellungen immer vordergründig thematisierte Il’ja Kabakov als bildender Künstler lediglich eine kurze Erwähnung im einführenden Text der Herausgeber*innen findet, liegt der Fokus des Bandes auf dem dichterischen Werk von Vsevolod Nekrasov, Andrej Monastyrskij, Dmitrij Prigov und der Gruppe Muchomor [Fliegenpilz] sowie auf der Aktionskunst der KD und den Einzelaktionen Nikita Alekseevs. Die oben zitierten Ausführungen von Witte und Hänsgen zeugen außerdem von einem neuen heuristischen Ansatz zur Interpretation ihrer Werke. In A-Ja hatte Groys den Moskauer Konzeptualismus in einem romantischen Diskurs verortet, indem er den Versuch zur Artikulation einer anderen Welt im Medium der Kunst und der Literatur als zentrales Merkmal des Künstlerkreises identifizierte. Diese als metaphysisch, sogar religiös bezeichnete Suche stehe ihm zufolge im Gegensatz zur Kunst im Westen und sei tief in der russischen Kunsttradition verwurzelt: »Русское искусство от иконы до наших дней хочет говорить о мире ином. […] Поэтому художника можно любить за то, что он открыл область нежеланную. Искусство в России – это магия.«105 Weniger ein romantisches Streben nach einer anderen Welt als vielmehr die Hinwendung der Künstler*innen zu der sie direkt umgebenden sowjetischen Sprach- und Bilderwelt weisen Hirt und Wonders im Gegensatz zu Groys als Charakteristikum des Moskauer Konzeptualismus an, wie in den Anfangssätzen ihres Vorwortes zu lesen ist: »Seit etwa Mitte der siebziger Jahre zeichnet sich eine neue Tendenz in Moskauer Künstlerkreisen ab. Waren die sechziger Jahre bestimmt von der Entdeckung und Wiederentdeckung ›anderer‹ Welten […] – so läßt sich nun eine erneute Hinwendung der Künstler zu der sie unmittelbar umgebenden Wirklichkeit beobachten. Dies hat dabei nichts mit sozialistisch-realistischer Widerspiegelung einer absolut gesetzten Lebenswirklichkeit gemein. Zum Thema wird gerade die Überwucherung dieser Lebenswirklichkeit durch allzeit präsente Sprach- und Bilderwelten, die tief und prägend in das Bewußtsein der sowjetischen Menschen hineinwirken. Die Wirklichkeit wird als Zeichenwirklichkeit erlebt.«106 Die Kernaufgabe der Moskauer Konzeptualisten besteht laut Verfasser*innen in der Analyse der als Zeichenwirklichkeit erlebten sowjetischen Alltagskultur. Weiter ausgearbeitet wird diese These im Ausstellungskatalog Sowjetische Kunst um 1990/Sovetskoe iskusstvo okolo 1990 goda (1991), in dem Hirt und Wonders den sozialanthropologischen Begriff der »teilnehmenden Beobachtung« bzw. der »›Ethnographie von 105 Groys (1979): S. 11. [Russian art, from the age of icons to our time, seeks to speak of another world. […] We may love the artist for showing us a region we long for; we may hate and fear him for revealing a world we do not want. In Russia, art is magic.] In der russischen Fassung fehlt der Satz des englischen Textes »we may hate and fear him for revealing a world we do not want.« 106 Hirt/Wonders (1984): S. 7.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

innen‹«107 – Eimermacher spricht 1988 von einer »Ethnologie des Alltagsbewusstseins«108 – als Sinnbild für die Tätigkeit der Moskauer Konzeptualisten einführten. Dieser hat sich zu einer häufig zitierten Deutungsmetapher entwickelt, die bis heute vielfach in Forschungsliteratur und Publizistik zum Künstlerkreis begegnet (vgl. §3.2.1).109 Die Definition des Moskauer Konzeptualismus als »künstlerische[] semiotische[] Analyse«110 macht den Einfluss der russischen Kultursemiotik als Interpretationstheorie auf die Rezeption des Künstlerkreises sichtbar. Die Arbeiten der Moskau-Tartu-Schule stellten insbesondere unter den Professuren von Renate Lachmann und Karl Eimermacher einen Forschungs- und Lehrschwerpunkt am Bochumer Seminar für Slavistik dar, an dem 1989 das Lotman-Institut gegründet wurde. Die russischen Kultursemiotiker entwickelten eine Typologie zur Erforschung von Kultur als Zeichensystem, mit der sich jede Kultur empirisch erfassen wie vergleichend beschreiben lässt.111 Darin liegt einer der Gründe für die hohe Beachtung ihrer Arbeiten durch die deutschsprachige Slavistik in den 1970er und 1980er Jahren, wie aus Eimermachers Rückblick Vozzrenija i ponimanija [Anschauungen und Erinnerungen] (2018) hervorgeht. Rezipiert wurde die Kultursemiotik dem Verfasser zufolge nämlich als Ansatz, der ein Verständnis von Kultur als System vertritt, das sich nicht ausschließlich durch nationalkulturelle Eigenheiten auszeichne, sondern auch auf allgemeinen anthropologischen Grundkonstanten aufbaue.112 Damit avancierte die Theorie zu einem transkulturellen Verständigungsmodell, das dem Selbstverständnis der deutschsprachigen Slavistik als Brückenbauer zwischen Ost und West in der Periode des Kalten Krieges entgegenkam: 107 Günter Hirt/Sascha Wonders (1991): »Mit Texten über Texte neben Texten. Kulturtheoretische Nachfragen des Moskauer Konzeptualismus.« In: Jürgen Harten (Hg.): Sowjetische Kunst um 1990/Sovetskoe iskusstvo okolo 1990 goda. Köln: DuMont Buchverlag. S. 56-67, hier S. 57. 108 Karl Eimermacher (1988): »Von der Einheit zur Vielfalt. Sozio-kulturelle Aspekte der sowjetischen Kunst zwischen 1945 und 1988 in Moskau.« In: Hans Christoph von Tavel/Markus Landert (Hg.): Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe. Bern: Benteli AG. S. 171-204, hier S. 190. 109 So taucht der Begriff »ethnographic conceptualism« beispielsweise in mehreren aktuellen Publikationen von Nikolaj Ssorin-Čajkov auf, der allerdings nicht auf die diskursive Vorgeschichte der Verbindung zwischen Ethnologie und Konzeptualismus eingeht. Vgl. Nikolai Ssorin-Chaikov (2013): »Ethnographic Conceptualism: An Introduction.« In: Laboratorium 5. Nr. 2. S. 5-18. 110 Hirt/Wonders (1991): S. 56. 111 Vgl. Renate Lachmann (2012): »Jurij Lotman: Die vorexplosive Phase.« In: Susi K. Frank/Cornelia Ruhe/Alexander Schmitz (Hg.): Explosion und Peripherie. Jurij Lotmans Semiotik der kulturellen Dynamik revisited. Bielefeld: transcript. S. 97-118, hier S. 98; vgl. Roland Posner (2003): »Kultursemiotik.« In: Ansgar Nünning/Vera Nünning (Hg.): Konzepte der Kulturwissenschaften. Theoretische Grundlagen – Ansätze – Perspektiven. Stuttgart/Weimar: Verlag J. B. Metzler. S. 3972, hier S. 40. 112 Vgl. Ajmermacher (2018): S. 238f.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

»Они показывали, что литература, искусство базируются не только на национальной основе, но и на общих антропологических принципах, которые при всех отличающихся чертах имеют значительное сходство. Данное наблюдение создавало условия для того, чтобы рассматривать культурные взаимосвязи не как сопряжение национальных идентичностей, а как постоянную дискуссию о возможностях человеческого сосуществования в контексте семиотических принципов.«113 Mit ihrem weiten Textbegriff legt die Kultursemiotik eine medienübergreifende Perspektive auf Kulturforschung nahe. Die Prämisse, dass nicht nur Literatur, sondern auch bildende Kunst, Performance und Musik als geordnete, bedeutungsgenerierende Zeichenkonfigurationen aufgebaut sind,114 deren (wechselseitiges) Funktionieren zu erforschen ist, sucht disziplinäre Grenzen zwischen der Literatur-, Kunst- und Musikwissenschaft zu überwinden. Die Rezeption der Kultursemiotik innerhalb der deutschsprachigen Slavistik erklärt die fachübergreifende Beschäftigung von in erster Linie sprach- und literaturwissenschaftlich geschulten Forscher*innen wie Eimermacher, Hänsgen und Witte nicht nur mit nicht-kanonkonformer sowjetischer Literatur, sondern auch mit bildender Kunst und Performance: »Семиотический анализ любых широко понимаемых культурных связей при ежедневном преподавании в университете и долгосрочном исследовании имел решающий эффект: литература и изобразительное искусство могли при такой точке зрения разбираться и интерпретироваться не только как вещь в себе, но и вместе друг с другом. Да, их основополагающие принципы также подлежали взаимообмену или дополнению новыми функциями.«115 Die kultursemiotische Interpretationslinie von Witte und Hänsgen markiert eine zweifache rezeptionsgeschichtliche Paradigmenverschiebung im Vergleich zu damals existierenden Vermittlungsstrategien des Moskauer Konzeptualismus. Ers113

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Ebd.: S. 239. [Sie zeigten, dass Literatur und Kunst nicht nur auf einer nationalen Basis, sondern auch auf allgemeinen anthropologischen Prinzipien basieren, die trotz unterschiedlicher Merkmale eine bedeutende Ähnlichkeit aufweisen. Diese Beobachtung ermöglichte es, kulturelle Wechselwirkungen nicht als Aufeinandertreffen von nationalen Identitäten, sondern als fortwährende Diskussion über die Möglichkeiten des menschlichen Zusammenlebens im Kontext semiotischer Prinzipien zu betrachten.] Vgl. Lachmann (2012): S. 99. Ajmermacher (2018): S. 239. [Die semiotische Analyse kultureller Beziehungen im breiten Sinne im täglichen Unterricht an der Universität und in der Langzeitforschung hatte einen entscheidenden Effekt: Dieser Blickwinkel erlaubte es, Literatur und bildende Kunst nicht als Ding an sich, sondern auch nebeneinander zu betrachten und zu interpretieren. Ja, ihre unterliegenden Prinzipien stehen auch im Austausch oder ergänzen sich gegenseitig um neue Funktionen.]

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

tens grenzten sich die Slavist*innen von politisierten Deutungen dieser Kunst ab, so wie man sie in den 1970er Jahren vorfindet, indem sie die Künstler*innen nicht als oppositionell oder gesellschaftlich engagiert, sondern als beobachtende »Künstlerforscher«116 bezeichneten. Im Unterschied zu Groys, der den Moskauer romantischen Konzeptualismus im Jahre 1979 als kulturspezifisches und für westliche Betrachter*innen nicht ohne weiteres erschließbares Phänomen vermittelte, stellte der Deutungsansatz von Witte und Hänsgen die sowjetische Gesellschaft zweitens nicht als das Andere der westlichen Kultur, sondern als analysierbares semiotisches Zeichensystem dar, dessen grundlegende Strukturen die Konzeptualisten im Medium der Kunst, Literatur und Performance aufzeigen würden. Eine Besonderheit stellt der produktionsästhetische Einfluss der deutschsprachigen Slavistik auf die Rezeption des Moskauer Konzeptualismus dar. So ist Hänsgen seit Anfang der 1980er Jahre Mitglied der Performancegruppe KD. Nach der Erscheinung von Kulturpalast (1984) gab sie gemeinsam mit Günter Hirt außerdem sieben Videostücke unter dem Titel Moskau. Moskau (1987) bei Edition S Press heraus, in denen Künstler*innen aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten selbst zu Wort kommen.117 Die Videos, die Gedichtlesungen, Performances, Gespräche und Kunstwerke dokumentieren, arbeiten bewusst mit ästhetischen Mitteln. Entfernt wurde beispielsweise die Farbe aus den Aufnahmen, um einen ›veralteten‹, sprich: authentischen Effekt zu kreieren.118 Darüber hinaus ist Hänsgen in der Gruppe Aspei – Literatur und Kunst zwischen Ost und West um den Germanisten und Schriftsteller Martin Hüttel aktiv. Hüttel, der über das Thema seiner Dissertation zur Marxistisch-leninistischen Literaturtheorie (1977) in Kontakt zur nicht-kanonkonformen Moskauer Kunstszene kam, gründete Mitte der 1980er Jahre in Bochum einen deutsch-russischen Kreis von Literat*innen, Literaturwissenschaftler*innen und Künstler*innen unter dem Namen Aspei. Seit 1985 gibt die Gruppe Künstlerbücher zu u.a. Ėduard Štejnberg, Vladimir Jankilevskij, Fransisko Infante-Arana, Vladimir Nemuchin, Andrej Monastyrskij, Sabine Hänsgen und Martin Hüttel selbst heraus. Die Bilder und Illustrationen der frühen, noch zu Sowjetzeiten entstandenen Editionen entstammten privaten Sammlungen der beteiligten Künstler*innen und mussten über die Grenze geschmuggelt werden, wie Hans-Peter Riese 1999

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Hirt/Wonders (1991): S. 57. Vgl. Günter Hirt/Sascha Wonders (1987): Moskau. Moskau. Videostücke. Wuppertal: S Press Tonbandverlag. Die sieben Videostücke widmen sich der Gruppe KD (»Russische Welt«), Andrej Monastyrskij (»Gespräch mit der Lampe«), Dmitrij Prigov (»Der Milizionär«), Nikita Alekseev (»Außerhalb der Welt, in der ich gerne wäre«), Vadim Zacharov (»So wird es wohl gewesen sein«), Il’ja Kabakov (»Projekt der Ausstellung eines Bildes: ›Garten‹«), Iosif Bakštejn/Il’ja Kabakov/Andrej Monastyrskij (»Wie im Paradies«). Vgl. Sabine Hänsgen (o.J.): »video poiesis.« In: conceptualism.letov.ru. URL: http://conceptua lism.letov.ru/Sabine-Haensgen-video-poiesis.htm (letzter Zugriff am 18.08.2020).

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

in einem Rückblick in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärte.119 Auch publiziert Aspei Lyrik- und Prosaübersetzungen von Autor*innen wie Vsevolod Nekrasov, Dmitrij Prigov und Lev Rubinštejn (vgl. §3.3.2). Die Künstlerbücher zeugen nicht nur von der Kooperation, sondern auch von dem gegenseitigen Austausch zwischen den deutschen und russischen Beteiligten. So enthält das siebte Heft eine Beschreibung der von Monastyrskij und Hänsgen durchgeführten Aktion »Rosenkranz« und entstand das Heft »Main Sail« aus der Zusammenarbeit zwischen Hüttel und dem polnischen Künstler Andrzej Kuczmiński. Georg Witte identifiziert in Hüttels Lyrik außerdem eine produktionsästhetische Rezeption des Moskauer Konzeptualismus, die sich in der Auseinandersetzung des Autors mit einer Ästhetik der Leere äußere, die u.a. im Werk Il’ja Kabakovs und der Aktionskunst der KD eine wichtige Rolle spielt.120 Die Kunstvermittlung der Gruppe Aspei ist seit Ende der 1990er Jahre Thema einer Reihe von Ausstellungen in Offenbach am Main (1999, 2004, 2014-2015), Bochum (2000), Bielefeld (2006) sowie in Kaliningrad (2003), St. Petersburg (2008) und Odessa (2018).

3.1.3

Am Rande (1985): Kunsttransfer im wirtschaftsdiplomatischen Netz

Ein kontingentes Zusammenspiel zwischen Mittlerfiguren aus der akademischen und der wirtschaftsdiplomatischen Welt resultierte am 31. August 1985 in der Eröffnung der ersten Einzelausstellung Il’ja Kabakovs mit dem Titel Ilya Kabakov. Am Rande in der Kunsthalle Bern. In den darauffolgenden Monaten reiste die Schau nach Düsseldorf, Marseille und schließlich Paris. Am Rande bildete nicht nur den Auftakt zu weiteren Einzelausstellungen Kabakovs, sondern ebnete auch den Weg für die Rezeption des Moskauer Konzeptualismus als Künstlerkreis in Westeuropa. Der damalige Vorstandspräsident der Berner Kunsthalle, der Schweizer Diplomat Paul R. Jolles, hatte 1970 in der Zürcher Galerie Renée Ziegler die bereits erwähnte Ausstellung Sechs sowjetische Künstler besucht (vgl. §3.1.1), in der Arbeiten auf Papier von Evgenij Bačurin, Vladimir Andreenkov, Jurij Kuperman, Il’ja Kabakov, Ülo Sooster und Vladimir Jankilevskij zu sehen waren. Diese hatte die österreichische Slavistin, Schriftstellerin und Künstlerin Liesl Ujvary anlässlich eines Aufenthalts in Moskau in die Schweiz mitgenommen und der Galerie als Ausstellungsmaterial angeboten. Ujvary ist seit den 1970er Jahren als Übersetzerin russischer Gegenwartslyrik und Prosa aktiv. So veröffentlichte sie 1973 erstmalig ins Deutsche

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Vgl. Hans-Peter Riese (1999): »Die Flaschenpost. Botschaften aus dem Osten: Die ›Edition aspei‹ in Offenbach.« In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17.04.1999. S. 46. 120 Vgl. Georg Witte (1999): »Martin Hüttels Kettenschrift.« In: Martin Hüttel (Hg.): Aspei. Literatur & Kunst zwischen Ost und West. Klingspor-Museum, Offenbach am Main. 14. März bis 24. Mai 1999. Offenbach: Edition Aspei. S. 12-23, hier S. 18f.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

übersetzte Gedichte von Vsevolod Nekrasov, Igor’ Cholin, Genrich Sapgir und Vagrič Bachčanjan in der Wiener Zeitschrift Die Pestsäule. Monatsschrift für Literatur und Kulturpolitik (Nr. 6) und zeigte dabei deren Nähe zum deutschen Konkretismus auf (vgl. §3.3.2). Die Texte wurden 1975 mitsamt ihrem russischsprachigen Original in den Band Freiheit ist Freiheit. Inoffizielle sowjetische Lyrik (nach Nekrasovs Gedicht »свобода есть/свобода есть/свобода есть/свобода есть/свобода есть/свобода есть/свобода есть свобода«121 ) aufgenommen. Jolles, der sich in seiner Funktion als Staatssekretär für die Außenwirtschaft des Öfteren dienstlich in Moskau aufhielt, war über die kleine Ausstellung in der Galerie Ziegler auf Kabakov aufmerksam geworden und freundete sich mit dem Künstler an, nachdem er ihn Ende der 1970er Jahre zum ersten Mal in seinem Atelier besucht hatte.122 Gemeinsam mit Jean-Hubert Martin, der 1979 an der Organisation der einflussreichen Ausstellung Paris – Moscou 1900-1930 im Centre Georges 121

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Wsewolod Nekrassow (2016a): Ich lebe ich sehe. Gedichte. Aus dem Russischen von Günter Hirt und Sascha Wonders. Münster: Verlag Helmut Lang. S. 216f. [Freiheit ist/Freiheit ist/Freiheit ist/Freiheit ist/Freiheit ist/Freiheit ist/Freiheit ist Freiheit] (Übersetzung von Günter Hirt und Sascha Wonders). Publiziert wurde das Gedicht auch in der Literaturausgabe von A-Ja von 1985. Vgl. Jolles (1997): S. 12f., 26f. Jolles hält rückblickend fest: »Ich selbst wurde durch eine kleine Zeichnungsausstellung in der Galerie Ziegler Mitte der siebziger Jahre [gemeint ist die Schau von 1970, D.S.] auf die inoffiziellen Künstler aufmerksam. […] Die Zeichnungen waren durch eine Slawistin [Liesl Ujvary, D.S.] von einer Auslandsreise mitgebracht worden. In Moskau war sie zufällig Zeuge eines Scherbenhaufens geworden, als beim Versuch der Eröffnung einer Ausstellung inoffizieller Kunst die begutachtende Kommission die bereits gehängten Bilder von den Wänden riß und am Boden zerschmetterte. Für die betroffenen Künstler, wie Kabakov uns später erzählte, war dies ein so schrecklicher Anblick, daß sie bereitwillig auf den Vorschlag eingingen, die unversehrt gebliebenen Blätter ins Ausland zu schaffen – zu jedem Preis und ohne Wissen, wohin ihre Werke gelangten. Die Züricher Ausstellung wurde als belanglos erachtet und in der Presse nicht kommentiert.« Ebd.: S. 26f. Interessant ist im Vergleich dazu ein Kommentar des Kunsthistorikers und Künstlers Aleksandr Šumov, der im Jahre 2015 folgendermaßen auf die Schau zurückblickte: »Und dies (!) nach der Auflösung der Formalisten-Ausstellung in der Moskauer Manege 1962. Wenig vor der ›Bulldozer-Ausstellung‹ 1974.Auf den Triumph der Nonkonformisten in Venedig 1977 hinwirkend. Und (!) die Eröffnung der Ausstellung in der Galerie Ziegler wird plötzlich Teil des 100-Jahr-Jubiläums eines der berühmtesten politischen Zürcher Emigranten: Vladimir Ilyich Ulyanov Lenin. Nach der Walpurgisnacht. Im Moment des Erwachens der Naturkräfte am 1. Mai. Fast zeitgleich mit den feierlichen Kundgebungen auf dem Roten Platz in Moskau wird in Zürich eine Ausstellung präsentiert, die weder von zwischenstaatlichen Beziehungen noch von politischer Konjunktur beeinflusst ist. So gesehen: Eine Ausstellung, die den Kunstprozess im eigentlichen Sinne formuliert und formiert. Ein Prozess, der nach eigenen Gesetzen und Regeln verläuft.« Aleksandr Schumow (2015): »Eine Hommage an die Ausstellung ›6 Sowjetische Künstler‹ von 1970 in unserer Galerie.« In: artnet.com. URL: www.artnet.com/galleries/galerie-ziegler/6-sowjetische-k%C3%BCnstler-3-russische-positionen/ (letzter Zugriff am 17.08.2020).

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Pompidou beteiligt war und zwischen 1982 und 1985 die Berner Kunsthalle leitete, versuchte Jolles 1984 beim sowjetischen Kulturministerium die Erlaubnis für gleich mehrere Ausstellungen russischer Kunst als »›Ausstellungspaket‹ für die Schweiz« einzuholen.123 »Von den Wirrnissen der Handelspolitik zum Abenteuer der modernen Kunst«,124 bezeichnete Jolles selbst seine doppelte Tätigkeit als Diplomat und Kunstmäzen. Ebenfalls an den Verhandlungen beteiligt waren der Schweizer Kunstsammler und Unternehmer Baron Heinrich von Thyssen-Bornemisza, der eine Ausstellung mit Werken der russischen Avantgarden plante, sowie sein damaliger Konservator Simon de Pury,125 der 1988 die Moskauer Sotheby’s-Auktion initiieren und leiten würde. Wie Jolles festhält, wurde der Vorschlag zur Organisation einer Ausstellung mit Vertreter*innen der nicht-kanonkonformen Moskauer Kunstszene in der Berner Kunsthalle vom sowjetischen Kulturministerium nicht kommentiert, aber auch nicht abgelehnt.126 Obwohl die Kunsthalle für eine Gruppenausstellung plädiert hatte,127 entschied sich Martin nach mehreren Atelierbesuchen schließlich für eine Einzelausstellung mit Werken Il’ja Kabakovs, die ohne Erlaubnis des Kulturministeriums durchgeführt wurde. Aus Gründen des Selbstschutzes kam das Projekt offiziell ohne Wissen des Künstlers zustande, obwohl dieser einen detaillierten Ausstellungsplan entwarf, in dem sein Triptychon Po kraju [Am Rande] (1974) im Vordergrund stand.128 Leihgaben steuerte ein internationales Netzwerk von Mittlerfiguren und -institutionen bei: auf Pariser Seite die Galerie Basmadjian und die Galerie Dina Vierny, der Herausgeber von A-Ja Igor’ Šelkovskij, Anne Laurent, der Kurator Dominique Bozo sowie das Centre Georges Pompidou und das Musée National d’art Moderne. Beteiligt waren des Weiteren die Schweizer Diplomaten Paul R. Jolles und Martin von Walterskirchen (Bern), der Galerist Renée Ziegler (Zürich), der Bielefelder Slavist Hans Günther und schließlich die Sammler Norton Dodge (Maryland) und Georgij Kostaki (Athen). Die Ausstellung zeigte somit überwiegend Arbeiten, die sich bereits außerhalb der Grenzen der UdSSR befanden, weshalb Werke auf Papier (Zeichnungen, Grafiken und Alben) überwogen, die leichter unbemerkt über die Grenze gebracht werden konnten. Zu sehen waren außerdem einige Repliken von Gemälden.129 Eine Ausnahme stellte das namensgebende Tri-

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Jolles (1997): S. 97. Geplant waren ebenfalls Ausstellungen zu Pavel Filonov und Pablo Picasso mit Leihgaben aus dem Moskauer Puškin Museum und der Leningrader Ėrmitaž. 124 Paul R. Jolles (1983): Von der Handelspolitik zur Aussenwirtschaftspolitik. Ausgewählte Reden und Aufsätze. Bern: Stämpfli. S. 373. 125 Vgl. Jolles (1997): S. 98f. 126 Vgl. ebd.: S. 99. 127 Vgl. ebd.: S. 101. 128 Vgl. ebd.: 103f. 129 Vgl. Jean-Hubert Martin (1985): »Vorwort.« In: Jean-Hubert Martin/Claudia Jolles (Hg.): Ilya Kabakov. Am Rande. Bern: Benteli Verlag. S. 3-5, hier S. 4.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

ptychon Po kraju (1974) dar, das aus drei Tafelbildern im Umfang von jeweils 2,80 x 2 Meter besteht und unter schwierigen Bedingungen nach Bern transportiert wurde.130 Im Vordergrund des bewusst unpolitisch angelegten Katalogs steht die Interpretation des intermedialen Charakters der ausgestellten Werke in einem fremdkulturellen Kontext. Den Ausgangspunkt für Martins Überlegungen bildet das Triptychon Po kraju, drei weiße Gemälde mit kleinen menschlichen Figuren an den vier Rändern –131 laut Ausstellungsleiter ein Sinnbild für die Position des Künstlers Il’ja Kabakov innerhalb der internationalen Kunstwelt: »Er lebt abseits unserer Zentren und hat nichts mit jenen zu tun, deren Karrieren durch die obligatorischen Etappen in unserem System rhythmisiert werden. Er steht ausserhalb von all diesem.«132 Die Randposition Kabakovs führt Martin zufolge zu mehreren Schwierigkeiten in der Präsentation seiner Werke in einem westeuropäischen Kontext, darunter die Vermittlung der »spezifisch russische[n] Gegebenheiten« und des TextBild-Verhältnisses der Werke: »Zweites Handicap: Die Sprache spielt in Kabakows Werk eine gewichtige Rolle. Die Beziehung vom Bild zum Text stellt einen bevorzugten Faktor dar, aber für die meisten von uns ist die russische Sprache selbst phonetisch nicht erfassbar. Ebenso beziehen sich zahlreiche Werke direkt auf spezifisch russische Gegebenheiten. Aber jede menschliche Aktivität sollte man auch in einen anderen Kontext stellen können. Und dazu kommt noch, dass die Informationen, die jeder von uns über das Leben in Moskau besitzt, genügen dürften, um ein summarisches Verständnis zu garantieren. Das Werk pendelt zwischen unendlich Grossem und unendlich Kleinem. […] Dank dieser breiten Spanne zwischen zwei Positionen, die häufig als unvereinbare Extreme angesehen werden, erreicht Kabakow dieses Niveau der Verallgemeinerung, wo die Kenntnis der spezifisch russischen Realität für das Verständnis des Werkes nicht mehr absolut unerlässlich ist.«133

130 Vgl. ausführlicher dazu Jolles (1997): S. 104. 131 Kabakov kommentierte das Triptychon Po kraju (1974) im Ausstellungskatalog folgendermaßen: »Kurz zur eigenartigen Verteilung der Personen im Bild ›am Rande‹: Diese sind nämlich ›am Rande‹ angeordnet, in Relation zum leuchtenden Zentrum gesetzt, sich auf dieses und nicht auf uns beziehend; sie sind für immer und ewig ›unten‹. Diese Personen befinden sich ebenso wie die Landschaft immer nur ›am Rande‹, ›auf dem Rande‹; sie können nicht ›vom Rande‹ weggehen, sich um kein Jota dem Zentrum nähern, das ihnen nicht gehört.« Zitiert nach Jean-Hubert Martin/Claudia Jolles (1985) (Hg.): Ilya Kabakov. Am Rande. Bern: Benteli Verlag. S. 25. 132 Martin (1985): S. 4. 133 Ebd.

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Zugänglich für ein nicht russisches Publikum ist Kabakovs Werk laut Martin folglich erstens aufgrund der allgemeinen Russlandkenntnisse der Rezipierenden und zweitens aufgrund des Abstraktionsniveaus des Ausgestellten, weshalb die Arbeiten – wie »jede menschliche Aktivität« – auch außerhalb ihres kulturellen Entstehungskontexts verständlich seien. Kabakov wird im Text neben Ėrik Bulatov, Vladimir Jankilevskij, Ėduard Štejnberg, Ivan Čujkov und Viktor Pivovarov zur ›Moskauer Avantgarde‹ gerechnet, dabei wird auf die ›entfernten Beziehungen‹ seines Werks zu westlichen Strömungen hingewiesen: »Es besteht kein direkter Kontakt mit westlichen Künstlern oder zeitgenössischen Werken. Das Werk ist gewichtig und breitet sich über mehr als zwanzig Jahre aus. Seine Dichte und Konsequenz steht ausser Zweifel und seine Entwicklung entbehrt nicht Beziehungen, wenn auch nur entfernten, zu den westlichen Strömungen. Nichtsdestoweniger ist es tief in der russischen Realität und Kultur verankert.«134 Obwohl die Kombination von Wiedererkennungspotential (›westliche Strömungen‹) und Abweichung (›russische Realität und Kultur‹) wichtige Kriterien zur erfolgreichen Einbindung eines eigen- wie fremdkulturellen Werks in den zeitgenössischen westeuropäischen Kunstmarkt darstellen,135 stieß die Ausstellung aufgrund der Abwesenheit eines politisierten Interpretationsnarrativs in den Wochen unmittelbar nach der Eröffnung zunächst auf mangelndes Interesse bei Rezensent*innen und Besucher*innen. Jolles schreibt rückblickend: »Selbst die Kunstkritik übersah die künstlerische Qualität und konzeptuelle Doppelbödigkeit des besonders stark vertretenen zeichnerischen und graphischen Werks. Wenn man darin keinen Protest gegen das kommunistische System erblicken durfte, was blieb dann noch übrig?«136 Einige Wochen später fand die Ausstellung jedoch sowohl in der Presse als auch in der Öffentlichkeit eine zunehmend positive Resonanz. Eine Reaktion auf Am Rande vonseiten der sowjetischen Behörden blieb bis zur letzten Ausstellungsstation in Paris aus.137 In der Moskovskaja Pravda vom 20. April

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Ebd. Weertje Willms zufolge kann die Kombination von ›Vertrautem‹ und ›Abweichendem‹ zum Erfolg eines (fremdkulturellen) Buches auf dem deutschen Literaturmarkt beitragen. Das Argument lässt sich auf die Gesetze des Kunstmarkts übertragen. Vgl. Weertje Willms (2018): »Zu einigen Gesetzmäßigkeiten des deutschen Literaturmarktes der Gegenwart am Beispiel von Olga Grjasnowa und Natascha Wodin.« In: Isabell Oberle et al. (Hg.): Literaturkontakte. Kulturen – Medien – Märkte. Berlin: Frank & Timme. S. 165-201, hier S. 194. Vgl. zu diesem Punkt auch Rosendahl Thomsen (2019): S. 220. Jolles (1997): S. 106. Vgl. ebd.: S. 110.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

1986 gerieten Kabakov, Ivan Čujkov, Vadim Sidur, Nikita Alekseev, Vladimir Sorokin, Komar & Melamid sowie eine Reihe weiterer Künstler jedoch unter Angriff. Der Auslöser war die Erscheinung der siebten Ausgabe von A-Ja (1986). Darin war ein Essay von Kabakov mit dem Titel »Nozdrev i Pljuškin« [Nozdrev und Pljuškin] erschienen, in dem der Künstler einen Vergleich zwischen der Verfassung von Gogol’s beiden Romanfiguren und den Arbeitsumständen von Künstler*innen in westlichen Gesellschaften [»wide open and full of opportunities«] versus der UdSSR [»where life is impenetrable and stuffy«] zieht.138 Die sechste Edition der Zeitschrift von 1984 enthielt zudem eine Vorbemerkung der Herausgeber zu Ehren des fünfzigsten Geburtstags von Kabakov und Ėrik Bulatov, in der die Künstler als »outstanding representatives of the so-called ›Moscow Conceptualism‹« gelobt und ihre Bedeutung für die ›normale‹ Entwicklung der russischen Gegenwartskunst [»the normal development of all contemporary Russian art«] hergevorhoben wurden.139 Der Pravda-Artikel mit dem Titel »Putešestvie ot ›A‹ do ›Ja‹, ili Ot ›neoficial’nogo‹ iskusstva k propovedi antisovetčiny« [Eine Reise von ›A‹ bis ›Ja‹ (›Z‹), oder Von der ›inoffiziellen‹ Kunst zur Verkündung antisowjetischer Propaganda] griff Künstler wie Herausgeber von A-Ja gleichermaßen an. So argumentierte der Verfasser, dass die Zeitschrift nach »›непризнанных гениев‹ среди отщепенцев, проживающих как на Западе, так и в нашей стране«140 suchen würde. Der Antisowjetismus des Almanachs sei mit Publikationen wie der von Vladimir Maksimov herausgegebenen Tamizdat-Zeitschrift Kontinent und der ebenfalls in Paris erscheinenden Wochenzeitung Russkaja Mysl’ vergleichbar (vgl. §3.1.1).141 Als ›unverständlich‹ und ›verlogen‹ charakterisiert der Autor A. Stepanov des Weiteren die in A-Ja geübte Kritik an den deutschen Kunstsammlern Peter Ludwig und Henri Nannen – gezielt wird vermutlich auf Peter Engels Beitrag »Westerners on the Wrong Track: Reappraisal of Contemporary Soviet Art?/Zabluždenija zapada: Pereocenka sovremennogo sovetskogo iskusstva?« in der sechsten Ausgabe von 1984. Darin wirft Engel sowohl Ludwig als auch Nannen, die beide in Absprache mit dem sowjetischen Kulturministerium Werke von Vertreter*innen des Künstlerverbandes erwarben, die Vermittlung eines falschen Bildes der sowjetischen Gegenwartskunst

Il’ja Kabakov (1986): »Nozdrev and Plyushkin/Nozdrev i Pljuškin.« In: A-Ja. Unofficial Russian Art Review 7. S. 41-45, hier S. 45. [бесконечно отркытом, полном возможностей] [непроницаемой и душной] 139 Il’ja Kabakov (1984): »Ilya Kabakov/Il’ja Kabakov.« In: A-Ja. Unofficial Russian Art Review 6. S. 2431, hier S. 24. [яркие представители так называемого ›московского концептуализма‹] [нормального развития всего современного русского искусства] 140 A. Stepanov (1986): »Putešestvie ot ›A‹ do ›Ja‹, ili Ot ›neoficial’nogo‹ iskusstva k propovedi antisovetčiny.« In: Moskovskaja Pravda vom 20.04.1986. S. 3. [›verkannten Genies‹ unter den Abtrünnigen, die sowohl im Westen als auch in unserem Land leben] 141 Vgl. ebd. 138

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in Deutschland vor, da nicht-kanonisierte Arbeiten in ihren Sammlungsausstellungen fehlten. »Сказав ›A‹, so beschließt Stepanov seine Ausführungen, »издатели и авторы журнала вынуждены были говорить вплоть до оплаченного подрывными спецслужбами ›Я‹ – до вульгарной, набившей оскомину антисоветчины.«142 In Reaktion auf den Artikel wurde eine Rezension der Ausstellung Am Rande, die am 6. Juni 1986 im Düsseldorfer Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen eröffnen sollte, in A-Ja verhindert, um die Lage der kritisierten Künstler nicht zu verschlimmern. Dennoch verloren sowohl Kabakov als auch Bulatov nach der Erscheinung des Pravda-Artikels vorübergehend ihre Buch- und Illustrationsaufträge.143 Auch verzichtete das osteuropäische Institut in Bonn auf eine geplante Ausstellung mit nicht-kanonkonformen Künstler*innen.144 Im Dezember 1986 konnte in der Moskauer Grafikersektion jedoch wieder eine Schau mit Werken Kabakovs und weiterer Künstlerkolleg*innen stattfinden – eine Entwicklung, die Jolles zufolge die widersprüchlichen in- wie ausländischen Auslegungen der sowjetischen Kulturpolitik in der frühen Perestrojka geradezu paradigmatisch illustriert.145 Resümierend ist festzuhalten, dass sich die Bochumer und Bielefelder Seminare für Slavistik in den 1970er und frühen 1980er Jahren zu zentralen Knotenpunkten im Transfernetzwerk nicht-kanonkonformer sowjetischer Kunst, Literatur und Kulturtheorie entwickelten. Die von Georg Witte und Sabine Hänsgen edierte Publikation Kulturpalast (1984) stellte erstmals eine jüngere Künstlergeneration, die als ›Moskauer Konzeptualismus‹ bezeichnet wurde, in den Vordergrund der Betrachtung. Im Band machen die Herausgeber*innen, mitbedingt durch fachgeschichtliche Entwicklungen der deutschsprachigen Slavistik in dieser Periode, einen kultursemiotischen Interpretationsansatz stark, der die Rezeption des Künstlerkreises bis heute prägt. Das akademische Beziehungsnetzwerk um die Knotenpunkte Bochum und Bielefeld weist zahlreiche, z.T. kontingente Kanten zu Akteur*innen aus dem musealen, verlegerischen und diplomatischen Bereich auf, wie das Zustandekommen der Ausstellung Ilya Kabakov. Am Rande (1985) belegt. Als medialer Aktant trug die Schau zur Einbindung Kabakovs in den internationalen Kunstmarkt bei und beförderte langfristig die Kanonisierung des Künstlers. Auch ebnete sie den Weg für die Rezeption des Moskauer Konzeptualismus als Künstlerkreis, wie in den folgenden Abschnitten zu zeigen ist. Die Ausstellung erwies sich noch in einer weiteren Hinsicht als entscheidend für den späteren Verlauf der Rezeptionsgeschichte der Künstlergruppe. So knüpfte Simon de Pury, der 1984 als Konservator 142 Ebd. [Nachdem sie einmal ›A‹ gesagt hatten, sahen sich die Herausgeber und die Autoren der Zeitschrift gezwungen, bis zu dem von subversiven Geheimdiensten bezahlten ›Ja‹ [›Z‹, D.S.] zu gehen – zur vulgären, nervtötenden antisowjetischen Propaganda.] 143 Vgl. Jolles (1997): S. 108, 111. 144 Vgl. ebd.: S. 112. 145 Vgl. ebd.: S. 112ff.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

der Thyssen-Bornemisza-Sammlung neben Paul R. Jolles und Jean-Hubert Martin an den Verhandlungen mit dem sowjetischen Kulturministerium beteiligt war, während seines Aufenthaltes in Moskau Kontakte zur alternativen Künstlerszene. Diese wiederum beeinflussten im Jahre 1988 die Auswahl der zu versteigernden Werke auf der Moskauer Sotheby’s-Auktion, die de Pury organisierte und leitete. Die Versteigerung verschob die internationale Aufmerksamkeit von Künstler*innen der Tauwettergeneration, deren Rezeption in den 1970er Jahren insbesondere Aleksandr Glezer vorangetrieben hatte, hin zum Moskauer Konzeptualismus und bewirkte damit entscheidende Modifikationen im westeuropäischen Transfernetzwerk sowjetischer Kunst.

3.2

Sotheby’s als ›Big Bang‹: Moskauer Konzeptualismus als Hype (1988-1992) »Quando una Porta non È una Porta?… Quando È Aperta«146 (Dan Cameron: 1988) »16. April 1988. In der Datscha bei Moskau. […] Sie haben von der ›Poljanka‹ aus angerufen und gesagt, dass Ludwig angekommen ist und dass er die Idee hat, eine Ausstellung zu machen. Diese russische Welle wird schlimm für uns enden. Man will uns ans allgemeine Netz anschliessen. Aber für viele wird diese Spannung die ›Katastrophe‹ bedeuten. Die Einzigartigkeit der Moskauer Kunstszene ist bereits zerstört. Das Alte wird nicht mehr zurückkehren, und auf das Neue muss man noch warten. Die Zeit der Versuchung ist angebrochen. Schon stehen Leute in der Ecke und offerieren, alles bis auf den letzten Halm aufzukaufen. Wer wird überleben? Wer wird der Vergewaltigung auf dem Fürstenbett entgehen? Schon in einem Jahr werden Punkte und Koordinaten gesteckt sein. Man wird Verzeichnisse von uns anlegen, uns zusammenzählen, uns in Handbüchern unterbringen und uns bewerten. Schon im Flüstern des Grases unter meinen Füs-

146 Dan Cameron (1988): »Quando una Porta non È una Porta?… Quando È Aperta.« In: MarieGeorge Gervasoni (Hg.): XLIII Esposizione Internazionale d’Arte La Biennale di Venezia. Il luogo degli artisti. Catalogo generale. Mailand: Edizioni La Biennale, Fabbri Editori. S. 265-269, hier S. 265. [Wann ist eine Tür keine Tür?… Wenn sie offen ist.] Ca. zehn Jahre nach der DissensBiennale von 1977 waren Il’ja Kabakov und Ėrik Bulatov erneut auf der Biennale Venedig von 1988 vertreten, allerdings nicht im russischen Pavillon, der in diesem Jahr den Künstler Aristarch Lentulov (1882-1943) zeigte, sondern in der separaten Aperto-Ausstellung im Arsenale, die neue Freiräume im Kontext der internationalen Entspannungspolitik in dieser Periode thematisierte.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

sen ist die Frage zu hören: ›Was haben Sie heute dem Iwan Iwanowitsch gesetzt, ein Kreuzchen oder eine Null?‹«147 Mit diesen Worten eröffnete Vadim Zacharov den Katalog zur Ausstellung Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe, die 1988 im Kunstmuseum Bern stattfand. Die großangelegte Schau bildete den Höhepunkt innerhalb einer Reihe von internationalen Ausstellungsprojekten zur nicht-kanonkonformen Gegenwartskunst aus der Sowjetunion, die 1987 mit der documenta 8 in Kassel, auf der Andrej Monastyrskij, Vsevolod Nekrasov, Dmitrij Prigov und Lev Rubinštejn in einer Sektion zu akustischer Poesie vertreten waren, ihren Anfang nahm.148 In der ersten Jahreshälfte von 1988 fanden anschließend die von Claudia Jolles konzipierte Ausstellung Erik Bulatov in Zürich sowie die Schau Ten Characters von Il’ja Kabakov in der New Yorker Ronald Feldman Gallery statt. Im Mai war zeitgenössische Kunst aus der UdSSR auf der Chicago Art Fair zu sehen. Der Kulminationspunkt wurde schließlich im Sommer 1988 mit der Aperto-Ausstellung auf der Biennale Venedig, der Berner Ausstellung Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe und nicht zuletzt der Moskauer Sotheby’s-Auktion vom 7. Juli 1988 erreicht. Ermöglicht wurde die Organisation dieser Projekte durch eine Lockerung der Exportbestimmungen für sowjetische Kunst und das Wegfallen der politischen Begutachtung von Werken in den Jahren 1987 und 1988.149 Eine Gesetzesänderung vom Frühjahr 1988 erleichterte zudem das Beantragen von Auslandspässen und Visa für Künstler*innen, während Sammler*innen, Galerist*innen und Ausstellungsmacher*innen nun uneingeschränkt Zugang zu Ateliers erhielten. Nicht alle Betroffenen betrachteten die neuen Entwicklungen jedoch als positiv. So vermitteln Zacharovs oben zitierte Ausführungen einen besorgten Eindruck von dem Kauf- und Ausstellungsfieber, in dem sich Kunstinteressierte Ende der 1980er Jahre befanden. Der Künstler befürchtete eine Geschichtsschreibung zur Moskauer Kunstszene von außen, deren »Einzigartigkeit« durch die z.T. konsum- und profitorientierten Interessen internationaler Akteur*innen bereits zerstört sei. Mit der Erwähnung Peter Ludwigs verwies Zacharov auf einen der einflussreichsten Kunstsammler Deutschlands. Ähnlich wie sein Sammlerkonkurrent,150 der SternGründer und Publizist Henri Nannen, hatte sich Ludwig anfänglich auf die historischen russischen Avantgarden und Werke von Künstler*innen aus dem sowjetischen Künstlerverband151 konzentriert. Im Zuge von Michail Gorbačevs Pe147

Wadim Sacharow (1988): »Gedanken zur Situation.« In: Hans Christoph von Tavel/Markus Landert (Hg.): Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe. Bern: Benteli AG. S. 8. 148 Auch das Künstlerduo Komar & Melamid war auf der documenta 8 von 1987 vertreten. 149 Vgl. Jolles (1997): S. 128. Von den mit dem Kunstverkauf verbundenen Provisionsgebühren profierte wiederum die sowjetische Staatskasse. Vgl. Korowin (2015): S. 263. 150 Vgl. dazu ausführlicher Korowin (2015): S. 244. 151 In A-Ja kritisierte Peter Engel 1984 diesen Schwerpunkt in einem Beitrag mit dem Titel »Westerners on the Wrong Track: Reappraisal of Contemporary Soviet Art?/Zabluždenija zapada: Pereocenka sovremennogo sovetskogo iskusstva?« Engel warf den Sammlern die Vermitt-

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

restrojkapolitik orientierten sich beide Sammler jedoch zugunsten eines stärkeren Fokus auf Künstler wie Il’ja Kabakov, Ėrik Bulatov und Griša Bruskin um,152 ein Umschwung, der paradigmatisch im Ausstellungstitel Russische Avantgarde im 20. Jahrhundert. Von Malewitsch bis Kabakov. Die Sammlung Ludwig, Köln (Köln, 1993-1994) zum Ausdruck kommt. »Im Westen am besten verstanden sind Künstler«, so stellte die Kunsthistorikerin Evelyn Weiss im Katalog zu Sowjetkunst heute (1988) fest, »deren Kunstpraxis im konzeptuellen Bereich sich artikuliert. Zu ihnen gehören die Künstler Ilja Kabakov, Grisha Bruskin, Erik Bulatov, E. Steinberg, A. Reuter, Vadim Sacharow. Aus Künstler [sic!] dieser konzeptuellen Ausrichtung rekrutieren sich auch die meisten, erfolgreichen Emigranten, wie z.B. L. Kosolapov oder Komar & Melamid.«153 Sowohl für Ludwig als auch für Nannen vollzog sich diese Umorientierung innerhalb von wenigen Jahren. So sprach 1982 der deutsche Maler und Kunstkritiker Hans Platschek im Katalog zu Nannens Ausstellung Russische Malerei heute. Bilder, Gouachen, Grafik (Hamburg u.a.) noch unverhohlen seine Abneigung gegenüber Konzeptkunst und Minimal Art aus, wenn er schreibt: »Es wäre unsinnig, die Bilder Stück für Stück aufzuzählen und ihnen eine Beurteilung anzuhängen. Einige sind besser, einige weniger gut: das soll auch mit westlicher Kunst passieren. Auffallend ist nicht nur in dieser Ausstellung die Privatheit der Sujets. […]. Es mag sein, ein paar Akte, ein paar Blumenstücke sind eine Spur zu kulinarisch gemalt. Wer sich daran stößt, sollte in Betracht ziehen, daß solche

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lung eines verformten Bildes der sowjetischen Gegenwartskunst aufgrund der Exklusion von nicht-kanonisierten Werken in ihren Wanderausstellungen vor, die durch ihre starke mediale Präsenz in der Presse sowie das finanzielle Kapital bzw. die Kaufkraft ihrer Veranstalter zu Unrecht einen repräsentativen Status im deutschsprachigen Raum erlangt hätten. Vgl. Peter Engel (1984): »Westerners on the Wrong Track: Reappraisal of Contemporary Soviet Art?/Zabluždenija zapada: Pereocenka sovremennogo sovetskogo iskusstva?« In: A-Ja. Unofficial Russian Art Review 6. S. 56-58. Auch in der deutschen Zeitungskritik stießen Ausstellungen der Sammlung Ludwig regelmäßig auf kritische Stimmen. So lauteten Überschriften von Rezensionen zur Ausstellung Aspekte sowjetischer Kunst der Gegenwart (1982) u.a. »Stil als Schablone. Sowjetische Propaganda mit westlichem Segen« (Hans-Peter Riese in Die Zeit) und »Im Osten kaum Neues: Sowjetische Kunst der Gegenwart aus Peter Ludwigs Besitz in Köln und Aachen« (Amine Haase in der Kölner Stadt-Anzeiger). Vgl. Hans-Peter Riese (1982): »Stil als Schablone. Sowjetische Propaganda mit westlichem Segen.« In: Die Zeit vom 16.07.1982. S. 30; vgl. Amine Haase (1982): »Im Osten kaum Neues: Sowjetische Kunst der Gegenwart aus Peter Ludwigs Besitz in Köln und Aachen.« In: Kölner Stadt-Anzeiger vom 03.07.-04.07.1982. Vgl. Korowin (2015): S. 267, 162, 177, 240. Evelyn Weiss (1988): »Moskau 1988. Gedanken zu einer Kunstszene.« In: Evelyn Weiss (Hg.): Sowjetkunst heute. Malerei, Graphik und Skulptur aus der Neuen Galerie-Sammlung Ludwig, Aachen und aus der Ludwig-Stiftung für Kunst und Internationale Verständigung, Aachen. Köln: Druckerei Locher GmbH. S. 9-17, hier S. 12. Vgl. ausführlicher zu dieser Ausstellung Korowin (2015): S. 240ff.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Bilder für ihn gewiß nicht gemalt worden sind. Es geschieht ihm nur recht, wenn er sich zu Hause mit Minimal-Art oder Konzeptkunst begnügen muß.«154 Ludwig betrachtete seine Sammlung sowjetischer Kunst als Mittel zur Völkerverständigung.155 Kunstvermittlung verknüpfte er bekanntlich aktiv mit Kulturpolitik. Entsprechend bestand das Egonetzwerk des Sammlers aus Kontakten zu zahlreichen Diplomat*innen und Politiker*innen im deutschen und russischen Raum. Die Rezeption von Künstler*innen aus dem nicht-kanonkonformen Bereich förderte er ab Mitte der 1980er Jahre, indem er Werke von u.a. Ėrik Bulatov, Il’ja Kabakov, Viktor Pivovarov, Vadim Zacharov und Dmitrij Prigov kaufte und seine Kunstbestände nicht nur in zwei Museen in Aachen und Köln, sondern auch in einer im März 1995 eröffneten Dependance des Ludwigs-Museums im Russischen Museum in St. Petersburg unterbrachte.156 Seine kulturpolitischen Ansichten suchte Ludwig 1988 auf die neue Sammlungslinie zu übertragen, indem er die nicht-kanonkonforme sowjetische Kunst nicht nur als ästhetische Erneuerung bezeichnete, sondern den Werken auch eine gesellschaftspolitische Agency zuschrieb, wie aus dem folgenden Zitat hervorgeht: »Die Umwälzung, für die Gorbatschow steht, hat sich in der sowjetischen Kunst seit Jahren vorbereitet. […] Die hier präsentierte Bildkunst hat die dramatische Entwicklung von Glasnost und Perestroika noch in den Jahren der Herrschaft Breschnews angekündigt und aktiv vorbereitet.«157

3.2.1

Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe (1988) im Kunstmuseum Bern

Auch die Ausstellung Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe, die am 11. Juni 1988 im Kunstmuseum Bern eröffnete, stellt ein Beispiel für die enge Verbindung zwischen Kunsttransfer und Kulturpolitik dar, die charakteristisch für die Rezeption des Moskauer Konzeptualismus in der Periode um die Moskauer Sotheby’s-Auktion ist. Im Projekt kommen Netzwerkkanten aus der musealen, diplomatischen und akademischen Welt sowie verschiedene Diskursfäden zusammen, die sich im Ausstellungsnarrativ bündeln. Organisiert von Hans Christoph von Tavel und Markus Lan-

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Hans Platschek (1982): »Die abstrakte Gurke, die Schein-Objektivität und die Kunst der Malerei.« In: Henri Nannen/Thomas Levy (Hg.): Russische Malerei heute. Bilder, Gouachen, Grafik. Gütersloh: Mohndruck Graphische Betriebe GmbH. S. 11-38, hier S. 38. Vgl. zu Ludwigs Weltkunstprojekt im Zusammenhang mit seinem kulturpolitischen Engagement Korowin (2015): S. 245. Vgl. ebd.: S. 263, 268. Peter Ludwig (1988): »Anmerkungen des Sammlers.« In: Evelyn Weiss (Hg.): Sowjetkunst heute. Malerei, Graphik und Skulptur aus der Neuen Galerie-Sammlung Ludwig, Aachen und aus der Ludwig-Stiftung für Kunst und Internationale Verständigung, Aachen. Köln: Druckerei Locher GmbH. S. 18-22, hier S. 20.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

dert, dem damaligen Direktor bzw. dem Direktionsassistenten des Kunstmuseums Bern, stand die Schau unter dem Ehrenpatronat der sowjetischen Botschafterin Zoja Novošilova in Bern und des Direktors des Bundesamtes für Kulturpflege Alfred Defago, woraus die kulturpolitische Bedeutung des Projekts hervorgeht. Während der Vorbereitungen hatten die Ausstellungsleiter, die in Moskau von dem Schweizer Botschafter Karl Fritschi, seinem Nachfolger Francis Pianca und dem Botschaftsrat Martin von Walterskirchen unterstützt wurden, erfolglich mit dem sowjetischen Kulturministerium und der Meždunarodnaja kniga158 [Internationales Buch] über die Aufnahme von »kritische[n] Stimmen«159 in die Schau verhandelt. Dabei konnte auf existierenden Kontakten aufgebaut werden, die im Rahmen der Berner Ausstellung Am Rande (1985) geknüpft worden waren. Die Thematisierung einer jungen Moskauer Künstlergeneration mit einem Schwerpunkt auf Konzeptkunst und Soz-Art wurde von den sowjetischen Behörden erlaubt, diese machten den Verkauf der gezeigten Werke jedoch zur Grundbedingung ihrer Kooperationsbereitschaft – eine in dieser Periode häufiger angewendete Strategie, um sich »der ohnehin unliebsamen Kunst [zu] entledigen und gleichzeitig die Staatskasse [aufzufüllen]«,160 wie Elena Korowin festhält. Leihgaben und konzeptionelle Unterstützung leistete eine Vielzahl internationaler Akteur*innen, darunter Norton Dodge (Maryland), Paul R. Jolles (Bern), die Phyllis Kind Gallery (Chicago) sowie Karl Eimermacher, Sabine Hänsgen und Georg Witte (Bochum). Letztere steuerten Bildmaterial bei und verfassten neben dem Kunsthistoriker Evgenij Barabanov und dem Kulturphilosophen Boris Groys Beiträge für den Katalog. Im Ausstellungskatalog kommen jedoch nicht nur die oben genannten Interpret*innen, sondern auch die Künstler*innen selbst in Interviews und Texten zu ihrem Schaffen zu Wort. Eigen- wie fremdkulturelle Perspektiven auf die Deutung und kunstgeschichtliche Einordnung der ausgestellten Werke treten somit in einen Dialog. Dabei werden z.T. erhebliche Unterschiede in der Bewertung sichtbar, wie aus einem Interview mit Vladimir Jankilevskij hervorgeht, der in der frühen Rezeptionsgeschichte der 1970er Jahre neben Kabakov als Vertreter der Moskauer Konzeptkunst par excellence angewiesen wurde: »Das Verstummen vieler Kunsthistoriker angesichts meiner Bilder kommt nicht daher, dass sie durch die Kunstwerke erschüttert werden, sondern daher, dass sie einfach nicht wissen, was sie dazu sagen sollen. Das bringt vollkommen merkwürdige Bezeichnungen hervor. So habe ich mich zum Beispiel mehrmals in der

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Die Meždunarodnaja kniga (1923-2013) war eine Außenhandelsorganisation für den Import und Export von Büchern, Fotokopien, Mikrofilmen, Schallplatten usw. 159 Hans Christoph von Tavel (1988): »Einleitung und Dank.« In: Hans Christoph von Tavel/Markus Landert (Hg.): Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe. Bern: Benteli AG. S. 9-11, hier S. 10. 160 Korowin (2015): S. 263.

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Eigenschaft des Leaders der konzeptuellen Kunst von Moskau gesehen. Ich habe mich aber gar nie mit Konzeptualismus befasst. Natürlich hat jeder beliebige Künstler eine Konzeption und irgendwie bringt er sie auch zum Ausdruck. Aber es ist nicht angebracht, das Konzeptualismus zu nennen.«161 Nicht nur Jankilevskij, sondern auch Vadim Zacharov und Nikita Alekseev verbinden mit der Rezeption ihrer Werke in einem fremdkulturellen Aufnahmefeld die Gefahr ›falscher Deutungen‹ – »[d]ie neue Situation ist eine tragische Prüfung für uns alle«,162 beteuert Jankilevskij sogar. Die Internationalisierung der Moskauer Gegenwartskunst wird damit in den Künstlerbeiträgen des Katalogs als grundsätzliches Problem thematisiert, wie auch bei Nikita Alekseev zu lesen ist: »Hier stellt sich wieder das Problem des Kontextes. Als beispielsweise Bilder von Wadim Sacharow, der ein Künstler mit sehr festem konzeptuellem Standpunkt ist, auf der Chicago Art Fair gezeigt wurden, sahen amerikanische Kunstkritiker eine neue Variante des Expressionismus darin, nur weil die Bilder ein grosses Format hatten und die Farbe pastos aufgetragen war. Sergej Wolkows Bild, das in Paris auf der FIAC 1987 von der Galerie de France ausgestellt wurde, verwandelte sich im perfektionistischen Kontext der Messe überraschend aus einem schweren, groben Gegenstand, der sich nicht vom drückenden Hintergrund der Wirklichkeit ablösen lässt, in ästhetisch annehmbare Malerei, die durchaus ihren Platz im künstlerischen Establishment des Westens fand.«163 Auch Evgenij Barabanov und Karl Eimermacher unterstreichen in ihren Texten aufgrund des noch »sehr fragmentarischen und unsicheren Wissens«164 über die Moskauer Kunst- und Literaturszene der 1970er und 1980er Jahre die Schwierigkeit einer über subjektive Deutungen hinausgehenden Beurteilung der in der Ausstellung gezeigten Werke. Indem die Verfasser existierende historiographische Deutungsansätze zusammenführen und reflektieren, wird ein Aushandlungsprozess um die In- und Exklusion von Interpretationen im Katalog sichtbar. So begegnen stark ideologisch geprägte Termini wie ›Nonkonformismus‹ oder ›Dissens‹ zur Einordnung der Künstler*innen nicht, infolgedessen der politisierte Diskursfaden in den Hintergrund tritt. Die bis dahin häufig verwendete Kategorie der ›Avantgarde‹ als Oberbegriff für die nicht-kanonkonforme Moskauer Gegenwartskunst wird

161

[o.A.] (1988a): »Wladimir Jankilewskij.« In: Hans Christoph von Tavel/Markus Landert (Hg.): Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe. Bern: Benteli AG. S. 63-67, hier S. 64. 162 Ebd. 163 Nikita Alexejew (1988): »Agitprop und Reklame: Vergleich der alltäglichen Bildwelten des Westens und des Ostens.« In: Hans Christoph von Tavel/Markus Landert (Hg.): Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe. Bern: Benteli AG. S. 210-217, hier S. 217. 164 Eimermacher (1988): S. 171.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

in mehreren Aufsätzen auf den Prüfstand gestellt. Obwohl diese Bedeutungszuschreibung im Katalog weiterhin benutzt wird, schlägt das Ausstellungsnarrativ im Unterschied zu beispielsweise Peter Spielmanns Projekt Progressive Strömungen in Moskau 1957-1970 (1974) im Museum Bochum keinen direkten Bogen zu den Kunstund Lebensphilosophien der historischen Avantgarden mehr. Insbesondere Boris Groys weist in seinem Beitrag »Kunst nach der Utopie« vielmehr auf den Unterschied zwischen beiden Künstlergenerationen hin. In seinen Ausführungen findet sich die Argumentation aus Gesamtkunstwerk Stalin (1988), das fast zeitgleich mit der Berner Ausstellung im Carl Hanser Verlag erschien, in knapper Form wieder, wenn es heißt, dass die »inoffizielle Kunst […] in der typisch avantgardistischen Vermischung von künstlerischen und politischen Projekten und der ebenfalls avantgardistischen Maxime von der gewaltsamen Umgestaltung der Welt zu Recht die Ursache für die repressive Natur der Kunst unter Stalin [sah].«165 An diesem Beispiel wird sichtbar, wie Fachwissen im Medium des Ausstellungskatalogs einer breiteren rezipierenden Öffentlichkeit vermittelt wird und somit eine (potentiell) weiterreichende diskursbildende Wirkung entfaltet. Während Groys den Moskauer Konzeptualismus und die Soz-Art als ›postutopische‹ Kunst bezeichnet, spricht Barabanov in seinem einführenden Beitrag von einer ›Post-Avantgarde‹ der 1980er Jahre, die auf der ›Proto-Avantgarde‹ der 1950 und 1960er Jahre sowie auf der ›Avantgarde‹ der 1970er Jahre aufbaue.166 Berührt die Diskussion um den Begriff der Avantgarde den historischen Platz des Moskauer Konzeptualismus in der russischen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, setzen Georg Witte und Sabine Hänsgen zur Deutung der künstlerischen Praktiken des Kreises die kultursemiotische Interpretationslinie aus Kulturpalast (1984) im Katalog fort. Diese macht sich nun auch in anderen Beiträgen bemerkbar und wird dabei um einen weiteren Diskursfaden ergänzt. So greifen mehrere Interpret*innen und Künstler*innen in ihren Analysen nicht nur auf Termini aus der Kultursemiotik und der Ethnologie – erinnert sei an den Begriff der ›teilnehmenden Beobachtung‹ –, sondern auch auf klinische Metaphern zurück, derer sich die 1987 gegründete Gruppe Inspekcija Medicinskaja Germenevtika [Inspektion Medizinische Hermeneutik] in ihrer Kunst vielfach bedient, wie der Name bereits vermutet lässt. Auf die Lebens- und Schaffensumstände von Künstler*innen aus dem nicht-kanonkonformen Bereich wird im Ausstellungskatalog ein semantisches Wortfeld bestehend aus Begriffen wie ›Gespaltenheit‹, ›Verdrängung‹, ›Schizophrenie‹, ›Degeneration‹, ›autistische Isolation‹, ›Chaos‹, ›Obszönitäten‹, ›Mas-

165

Boris Groys (1988b): »Kunst nach der Utopie.« In: Hans Christoph von Tavel/Markus Landert (Hg.): Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe. Bern: Benteli AG. S. 205-209, hier S. 206. 166 Vgl. Jewgenij Barabanow (1988): »Die Moskauer Avantgarde aus der Sicht des Jahres 1988.« In: Hans Christoph von Tavel/Markus Landert (Hg.): Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe. Bern: Benteli AG. S. 12-29, hier S. 12f.

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ke‹ und ›das Verbotene‹ projiziert. Damit appropriieren die Texte in einem Umkehrschluss medizinisch-pathologische Metaphern, welche die sowjetische Presse und Zensur lange Zeit den Künstler*innen zugeschrieben hatten.167 Ihre Kunst stelle als »Ethnologie des Alltagsbewusstseins« (Eimermacher) bzw. als »Akt der sozialen Psychoanalyse« eine »möglichst kalte, objektive Diagnose« (Groys) jener unterdrückenden gesellschaftlichen Strukturen dar.168 Charakteristische Verfahren der konzeptuellen Kunst, wie die Collage, das Zitat oder die Verwendung von Ironie, werden folglich mit einer therapeutischen Bedeutung aufgeladen. Eine ähnliche Argumentationsweise findet sich in Vitalij Pacjukovs Beitrag im Ausstellungskatalog Labyrinth. Neue Kunst aus Moskau (Schloss Wotersen bei Hamburg, 1989). Darin betrachtet der Kunsthistoriker die Verwendung von Humor innerhalb der nichtkanonkonformen Gegenwartskunst als »›befreiendes Ritual‹«,169 eine Interpretation, die an Michail Bachtins Konzept der karnavalesken Lachkultur erinnert: »Die neue Kultur in der UdSSR wendet sich hin zu Witz, Ironie, Lachen, sie gibt uns die Kindheit zurück, ihren frühen Zauber, der frei ist von irgendeiner psychologischen oder sozialen Entfremdung. Sie heilt und stellt eine Diagnose dieser Welt […].«170 Die Definition des Moskauer Konzeptualismus als künstlerische semiotische Forschung wird somit um einen Diskurs der Trauma- und Vergangenheitsbewälti-

So schreibt z.B. Jan May über Nikita Chruščevs wütende Reaktion auf die Ausstellung 30 let MOSCH [30 Jahre Moskauer Künstlerverband], die 1962 im Moskauer Manež-Gebäude stattfand: »But Khrushchev pronounced a political verdict on the works of new culture – either by renouncing or supporting them – and resorted to diplomatic ploy, to a compromise: he simply declared them to be private psycho-pathological distortions of the public conscience. […] For this reason, this date can justifiably be seen as the birthdate of nonconformist art. Over the entire period of its existence, clinical metaphors were key terms in describing its unregulated, nonformalized relations with the authorities.« May (2016): S. 360. In mehreren Fällen blieb es nicht bei Worten allein und wurden Künstler*innen psychiatrisch zwangsbehandelt. Die Appropriation dieses medizinisch-pathologischen Diskurses findet Ende der 1980er Jahre nicht nur im Ausstellungsnarrativ von Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe, sondern auch in anderen Texten zum Moskauer Konzeptualismus statt. So führt Kabakov im Ausstellungskatalog Gegenwartskunst aus der Sowjetunion (1987) in Bezug auf sein Werk aus: »Es geht hierbei, glaube ich, um das Bewusstsein und folglich um das permanente Gestalten eines schlechthin unlösbaren Widerspruchs, eines Risses, einer Kluft zwischen zwei wesentlichen Seiten unseres Seins, unserer Psyche, unseres Verhaltens; auf unsere hiesige Kultur bezogen: auch ihrer essentiellen Spaltung.« In: Museum für Gegenwartskunst Basel (1987) (Hg.): Gegenwartskunst aus der Sowjetunion. Ilya Kabakow und Iwan Tschuikow. Basel: Öffentliche Kunstsammlung. [ohne Seitenzahlen] 168 Eimermacher (1988): S. 190; Groys (1988b): S. 207, 209. 169 Witalij W. Patsyukow (1989): »Der Ausweg aus dem ›Labyrinth‹.« In: Marina M. Sandmann/Fritz J. Sandmann (Hg.): Labyrinth. Neue Kunst aus Moskau. Hamburg: Hans Christians Druckerei. S. xxi-xxiv, hier S. xxii. 170 Ebd.: S. xxiii. 167

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

gung ergänzt, der ab Ende der 1980er Jahre zunehmend an Prominenz gewinnt (vgl. §3.4.3). Abb. 3: Ėrik Bulatov: »Živu – Vižu« [Ich lebe – Ich sehe] (1982).

Die kultursemiotische Interpretationslinie im Ausstellungsnarrativ wird auf der Ebene der paratextuellen und der visuellen Gestaltung des Katalogs unterstützt. Der Ausstellungstitel Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe verweist auf ein Gedicht von Vsevolod Nekrasov sowie auf ein gleichnamiges Gemälde von Ėrik Bulatov, das auf dem Cover der Publikation abgebildet ist (vgl. Abb. 3): живу и вижу что нет

живут люди

что-то это непринципиально живем* живу дальше _______

и на той же самой нашей родине

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

*тоже но не все171 […] Aus der Vogelperspektive schauen Betrachter*innen von Bulatovs Gemälde über eine Landschaft von Dächern und Bäumen hin zu den goldenen Kuppeln der Kremlkirchen in der Ferne, ein Blick, der auf beiden Seiten von den Wörtern ›Živu‹ [Ich lebe] und ›Vižu‹ [Ich sehe] gerahmt wird. Da sich die Buchstaben perspektivisch verkürzen, lenken sie den Blickwinkel der Rezipierenden in Richtung der Kuppeln. Das Gemälde wurde 1982 erstmals im Museum der Stadt Tartu ausgestellt, eine Fotoreproduktion erschien 1983 in der fünften Ausgabe von A-Ja. Breiter international rezipiert werden konnte das Werk in der von Claudia Jolles kuratierten Ausstellung Erik Bulatov. Moskau (1988) in der Kunsthalle Zürich,172 in der »Živu – Vižu« einen prominenten Platz einnimmt. Im begleitenden Katalog interpretiert Bulatov Nekrasovs Gedichtzeile als eine »Formel für den Künstler, der in der ihn umgebenden Welt nicht nach Dingen sucht, um sie zu verurteilen oder zu besingen, sondern an seinem Ort und in seiner Zeit lebt und zuschaut, wie sich das Leben um ihn herum abspielt«.173 Seine Ausführungen unterstützen die kultursemiotische Interpretation der Moskauer Konzeptualisten als ›Künstlerforscher‹. Die Aufnahme des Gemäldes in eine Vielzahl von Ausstellungsprojekten ab 1988 unterstreicht auf der bilddiskursiven Ebene eine Bewegung weg von politisch-ideologischen Deutungen der Moskauer Gegenwartskunst – erinnert sei an die Einbettung von Bulatovs Werk »Opasno« [Gefährlich] in ein Narrativ des politischen Dissenses in den 1970er Jahren – hin zu einem kultursemiotischen Interpretationsparadigma. Dieses wird als Vermittlungsstrategie im folgenden Abschnitt in Beziehung zu Boris Groys’ Essay »Moskovskij romantičeskij konceptualizm/Moscow Romantic Conceptualismus« in der Zeitschrift A-Ja (1979) gesetzt.

3.2.2

»(Eu)Rope« (2007): Der Moskauer romantische Konzeptualismus »Выбор вариантов или можно выбрать«174 (Lev Rubinštejn: 1983)

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Nekrassow (2016a): S. 180f. [ich lebe ich sehe/dass nicht//das ist wohl/nichtprinzipiell///da leben/Leute//und das eben/in unserer Heimat//wir leben*/ich lebe/weiter/*auch/aber nicht alle] (Übersetzung von Günter Hirt und Sascha Wonders) Die Schau war anschließend in der Kunsthalle Portikus in Frankfurt a.M. sowie im Kunstverein Bonn zu sehen. Erik Bulatov (1988): »›Sewas Bläue‹/›Ich lebe – Ich sehe‹/›Der Dichter Wsewolod Nekrassow‹.« In: Claudia Jolles (Hg.): Erik Bulatov. Moskau. Zürich: Parkett Verlag. S. 26-27, hier S. 26. Lev Rubinštejn (1984b): »Ėto interesno (1983 g.). Nr. 32.« In: Günter Hirt/Sascha Wonders (Hg.): Kulturpalast. Neue Moskauer Poesie & Aktionskunst. Wuppertal: S Press Tonbandverlag.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Im Jahre 2007 führte die Gruppe KD eine Aktion mit dem Titel »Rope« durch.175 22 Zuschauer*innen durchquerten zusammen mit acht Organisator*innen, unter ihnen Andrej Monastyrskij, Nikolaj Panitkov und Sabine Hänsgen, ca. zwei Kilometer Tiefschnee im Nationalpark Losinyj Ostrov am Rande Moskaus, bevor sie ein Feld erreichten, wo 21 Porträts von 22 deutschen Romantiker*innen (die Gebrüder Grimm waren auf einem Porträt abgebildet) an Bäumen hingen.176 In der Mitte des Feldes stand ein CD-Rekorder auf einem weißen Karton, der die Aufnahme »Nemeckie romantiki« [Deutsche Romantiker], ein eigens für die Aktion komponiertes Stück vom Musiker Sergej Zagnij, spielte. Für den weiteren Ablauf der Aktion baten die Veranstalter*innen zwei Anwesende, zwei Meter lange Schnüre, die vorher an den Porträts befestigt worden waren, im Karton einzusammeln, auf dem das englische Wort ›Rope‹ geschrieben stand. Das Stück »Nemeckie romantiki« wechselte währenddessen zu einem am Tag zuvor aufgenommenen Dialog zwischen Monastyrskij und Panitkov mit dem Titel »Lučše čem vtoraja mirovaja vojna« [Besser als der Zweite Weltkrieg]. Nachdem sich alle Beteiligten schließlich 250 Meter vom Feld entfernt hatten, wurden den Zuschauer*innen als Teil der Faktographie177 der Aktion die Schnüre mitsamt laminierten Miniaturporträts der deutschen Romantiker*innen überhändigt, die Porträts an den Bäumen ließen die Organisator*innen zurück. Die Aktion Rope lässt sich als Zeugnis für die intensive Auseinandersetzung mit der deutschsprachigen Romantik innerhalb der Gruppe KD interpretieren, die in ihren Aktionen und Dokumentationen stark auf der romantischen Fragment- und

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[Wahl der Varianten/oder/man kann wählen] (Übersetzung von Günter Hirt und Sascha Wonders) Vgl. zur Dokumentation der Aktion [o.A.] (2007): »109. Rope«. In: conceptualism.letov.ru. URL: http://conceptualism.letov.ru/KD-ACTIONS-109.htm (letzter Zugriff am 18.08.2020). Vertreten waren Achim von Arnim, Jacob und Wilhelm Grimm, Friedrich Schleiermacher, Ludwig Tieck, Friedrich Schlegel, Adelbert von Chamisso, Joseph von Eichendorff, Bettina von Arnim, Heinrich von Kleist, Clemens Brentano, E.T.A. Hoffmann, Wilhelm Hauff, Jean Paul, Johann Joseph von Görres, Friedrich de la Motte-Fouqué, August Wilhelm Schlegel, Novalis, Ludwig Uhland, Eduard Mörike, Karoline von Günderrode und Wilhelm Heinrich Wackenroder. Vgl. ebd. Der Begriff der ›Faktographie‹ geht ursprünglich auf die historischen russischen Avantgarden zurück (namentlich auf Sergej Tret’jakov und die Zeitschrift Novyj lef ), erlangte im Kontext der KD jedoch eine andere Bedeutung, wie Marina Gerber darlegt: »Factography is in this sense some unambiguous information, some facts, which do not represent the event, but which connect it to some evidently external and objective circumstances. In other words, that which is described without analysis is not the Action event, but e.g. the attendance. […] For Collective Actions then, factography is any kind of information which constitutes the factual background of the Actions, such as, for example, the weather.« Marina Gerber (2018): Empty Action. Labour and Free Time in the Art of Collective Actions. Bielefeld: transcript. S. 58.

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Autonomieästhetik aufbaut.178 Im negativen Sinne verbindet der Kreis mit dem Erbe der Romantik die Gefahr einer reaktionären bzw. faschistischen Instrumentalisierung von Kunst, die der oben erwähnte Dialog »Lučše čem vtoraja mirovaja vojna« [Besser als der Zweite Weltkrieg] thematisiert. Das Wort ›Rope‹, das in der Aktion auf Englisch verwendet wurde und assoziativ den Begriff ›Europe‹179 hervorruft, repräsentiert einerseits die positiv besetzte Verbundenheit der KD mit der deutschsprachigen Romantik, erinnert im Sinne einer Galgenschlinge andererseits jedoch auch an die Geschichte ihrer ideologischen Vereinnahmung. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Tatsache, dass der Karton mit der Aufschrift ›Rope‹ gegen Ende der Veranstaltung mit einer Schnur an einen Baum gehängt wurde (vgl. Abb. 4). Darüber hinaus ruft die Aktion die Bedeutung von Boris Groys’ Aufsatz »Moskovskij romantičeskij konceptualizm/Moscow Romantic Conceptualism« (1979) für die Theoretisierung nicht nur der KD, sondern des Moskauer Konzeptualismus als breiteren Künstlerkreis ins Gedächtnis. Obwohl der Text eine diskursbegründende Wirkung ausübte, macht »Rope« auf einen zentralen Widerspruch der Rezeptionsgeschichte aufmerksam: Die Loslösung der Schnüre von den Porträts symbolisiert in diesem Fall das Verschwinden der mittleren Komponente aus Groys’ dreiteiligem Terminus: das Attribut ›romantisch‹. Während sich die Bezeichnung ›Moskauer Konzeptualismus‹ international langfristig durchgesetzt hat, erschien das Adjektiv ›romantisch‹ weder in späteren Texten von Groys selbst, noch wurde es nach 1979 von anderen Interpret*innen aktiv übernommen.180 In den Anfangszeilen seines Essays in A-Ja (1979) hatte der damals noch wenig bekannte Kunst- und Kulturphilosoph seine eigene Begriffskombination als ›monströs‹ bezeichnet, als er in der russischen Fassung schrieb: »Сочетание слов ›романтический концептуализм‹ звучит, разумеется, чудовищно. И все же я не знаю лучшего способа обозначить то, что происходит сейчас в Москве, и выглядит достаточно модно и оригинально.«181 Die Historiographie der Conceptual Art orientierte sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung stark an Künstler*innen und Kritiker*innen aus den USA und Großbritannien, darunter Joseph Kosuth, Sol LeWitt, Lucy Lippard und der Gruppe Art & Language. Die künstlerische Praxis, die das Konzept als wichtiger erachtet als die ästhetische

Der innerhalb der KD aktive Künstler Sergej Romaško legte 1983 eine Dissertation zu Lingvističeskaja koncepcija romantizma [Die linguistische Konzeption der Romantik] vor. Vgl. zur Romantikrezeption innerhalb der KD ausführlich Gerber (2018): S. 71ff. 179 Vgl. ein Interview der Verfasserin mit Sabine Hänsgen am 27.10.2018 in der Shedhalle Zürich. 180 Erneut ins Spiel gebracht wurde der Begriff ›romantisch‹ in der von Jörg Heiser kuratierten Ausstellung Romantischer Konzeptualismus (2007) sowie in Boris Groys’ Ausstellungsprojekt Die totale Aufklärung. Moskauer Konzeptkunst 1960-1990 (2008). 181 Groys (1979): S. 3. [Die Wortkombination ›romantischer Konzeptualismus‹ klingt natürlich monströs. Dennoch weiß ich keine bessere Bezeichnung dafür, was gerade in Moskau passiert, und recht modisch und originell erscheint.] [Hervorhebung der Verfasserin] 178

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Abb. 4: Die Aktion »Rope« (2007), Fotografie von Unbekannt.

und materielle Realisierung eines Kunstwerks, beschränke sich Groys zufolge jedoch nicht auf den angelsächsischen Raum: »The word ›conceptualism‹ may be understood in the narrower sense as designating a specific artistic movement clearly limited to place, time and origin. Or, it may be interpreted more broadly, by referring to any attempt to withdraw from considering art works as material objects intended for contemplation and aesthetic evaluation. Instead, it should encourage solicitation and formation of the conditions that determine the viewer’s perception of the work of art, the process of its inception by the artist, its relation to factors in the environment, and its temporal status.«182 182

Ebd. [Слово ›концептуализм‹ можно понимать и достаточно узко как название определенного художественного направления, ограниченного местом и временем появления и числом участников, и можно понимать его более широко. При широком понимании ›концептуализм‹ будет означать любую попытку отойти от делания предметов искусства как материальных объектов, предназначенных для созерцания и эстетической оченки и перейти к выявлению и формированию тех условий, которые диктуют восприятие произведений искусства зрителем, процедуру их порождения художником, их соотношение с элементами окружающей среды, их временной статус и т.д.] In Groys’ Essaysammlung

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Nicht Konzeptkunst (›conceptual art‹), sondern Konzeptualismus (›conceptualism‹) – bezeichnend ist die generalisierende ismus-Endung –183 kommt in dieser Argumentation der Status einer potentiell universellen184 Methode zu. Damit erscheint der Moskauer romantische Konzeptualismus als »local version«185 dieses ausgeweiteten Paradigmas, wie es Margarita Tupicyna im Ausstellungskatalog Global Conceptualism: Points of Origin, 1950s-1980s (New York, 1999) ausdrückt (vgl. §3.4.1). In A-Ja (1979) suchte Groys die Lokalität, sprich: Andersartigkeit und Originalität des Moskauer Konzeptualismus mit dem Hinweis auf den romantischen Charakter des Kreises zu begründen. Dieser würde im Gegensatz zu wissenschaftlich [»scientific«] orientierten Konzeptkunst-Bewegungen in den USA und Großbritannien stehen, wie in der Einführung dargelegt wurde. Eine Nähe der angelsächsischen Conceptual Art zur philosophischen Romantik schloss der Verfasser damit aus. Dieser Zusammenhang wurde in den letzten Jahren namentlich von Jörg Heiser in seinem Ausstellungsprojekt Romantischer Konzeptualismus (2007) sowie von Peter Osborne in seiner vergleichenden Lesung von Friedrich Schlegels Athenäums-Fragmente (1797-1798) und Sol LeWitts Sentences on Conceptual Art (1968) stärker in den Vordergrund der Diskussion über Konzeptkunst und Konzeptualismus gerückt.186 Bedingt sei die romantische Ausrichtung des Moskauer Konzeptualismus nach Groys hingegen durch die russische Kunsttradition, in welcher der Künstlerkreis verwurzelt sei: »Unless it culminates in a mystical experience,« so argumen-

History Becomes Form (2010) erschien eine überarbeitete Übersetzung des Aufsatzes, weshalb es zu seiner Interpretation unabdingbar ist, das Original aus der Zeitschrift A-Ja (1979) heranzuziehen. 183 Vgl. Osborne (2018): S. 170. Osborn hält in Bezug auf die Begriffe ›Konzeptkunst‹ bzw. ›Konzeptualismus‹ fest: »Groys does not mention the difference between ›conceptual art‹ and ›conceptualism‹ as critical and historical terms – although it was the silent choice of the latter over the former that allowed him to dispense with a comparative analysis of the relations of the Russian art in question of the ›founding‹ conceptual practices in New York in the 1960s. The ›ism‹ term marks a looser affinity, to the point of a critical slackening, in those relations.« Diese Unterscheidung wird ebenfalls getroffen in Luis Camnitzer/Jane Farver/Rachel Weiss (1999): »Foreword. Global Conceptualism: Points of Origin, 1950s-1980s.« In: Philomena Mariani (Hg.): Global Conceptualism: Points of Origin, 1950s-1980s. New York: D.A.P. S. vii-xi, hier S. viii. 184 Vgl. Ilja Kabakow/Boris Groys (1996): Die Kunst der Installation. München/Wien: Carl Hanser Verlag. S. 79. 185 Margarita Tupitsyn (1999): »About Early Soviet Conceptualism.« In: Philomena Mariani (Hg.): Global Conceptualism: Points of Origin, 1950s-1980s. New York: D.A.P. S. 99-107, hier S. 99. 186 Sol LeWitts erster Satz in seinen Sentences on Conceptual Art lautet bekanntlich »Conceptual artists are mystics rather than rationalists. They leap to conclusions that logic cannot reach.« Vgl. dazu ausführlicher Jörg Heiser (2007): »Eine romantische Maßnahme.« In: Jörg Heiser/Ellen Seifermann (Hg.): Romantischer Konzeptualismus/Romantic Conceptualism. Bielefeld: Christof Kerber. S. 10-27; vgl. Peter Osborne (2013): Anywhere or Not At All. Philosophy of Contemporary Art. London/Brooklyn: Verso. S. 55ff.

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tiert er in Bezug auf die ästhetische Praxis und Erfahrung von Kunst in Russland in A-Ja, »creative activity seems to be of inferior worth. […] Along with religious mysticism, and related to it, we also find a definite sort of ›lyrical‹ and ›human‹ quality in art – an element assigned even to those artists who have happily left such things far behind.«187 Der vielfache Rückgriff im Essay auf Begriffe wie ›Mystik‹, ›russische Seele‹ und ›Spiritualität‹, die der Charakterisierung des Moskauer romantischen Konzeptualismus dienen und einen semantischen Gegenpol zur »dryness of officialdom«188 [oficial’noj suchosti] des (sowjetischen) Alltags bilden, lässt sich zum einen vor einem transfergeschichtlichen Hintergrund erklären. Nicht vergessen werden darf nämlich, dass der Autor mit der Publikation seines Aufsatzes in der TamizdatZeitschrift A-Ja sowohl ein russisches als auch ein imaginiertes westliches Publikum vor Augen hatte.189 Mit der mystisch-romantischen Deutung des Moskauer Konzeptualismus knüpfte Groys an ein weit verbreitetes, slavophil190 geprägtes Bild von Russland als Mysterium an. Das Wort ›Sowjetunion‹ fällt im Essay bezeichnenderweise nicht, weshalb eine Kontinuität zur vorrevolutionären russischen Kunst und Kultur suggeriert wird. Ein vergleichbares semantisches Wortfeld aktiviert der Kunsthistoriker Vitalij Pacjukov in seinem Beitrag »Proekt – Mif – Koncept/Project – Myth – Concept«, mit dem 1980 die zweite Ausgabe von A-Ja eröffnete (vgl. §3.1.1). Pacjukov charakterisiert das Werk von Il’ja Kabakov, Dmitrij Prigov, Leonid Sokov und Aleksandr Kosolapov, das sich durch eine »sharply focused conceptual method«191 [pezko sfokusirovannom konceptual’nom metode] auszeichne, als Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Bild und Idee/Konzept, eine philosophische Diskussion, die bis in die antike Platonische Ideenlehre zurückreicht. Die Rückkehr der Konzeptkunst zum »image contained in the idea«192 [obraza, zaključennogo v ponjatii] umschreibt der Verfasser mit Ausdrücken wie »myth/mifu« (S. 4), »truth of existence/istine bytija« (S. 5), »spiritual authenticity/duchovnych dostovernostjach« 187

Groys (1979): S. 4. [Без увенчания мистическим опытом творческая активность кажется неполноценной. […] С мистической религиозностью связан и некоторый специфический ›лиризм‹ и ›человечность[‹] искусства, на которые претендуют даже те, кто на деле давно и счастливо от всего этого отделался.] 188 Ebd. 189 In History Becomes Form (2010) schreibt Groys: »I wanted simply to use terms that would make a certain kind of Russian art more understandable to a Western reader, as I imagined him or her at the time. But I also wanted to explain some aspects of Western art to potential Russian readers. The strategy of the essay is dictated by this twofold goal.« Groys (2010): S. 7. 190 Vgl. Marek Bartelik (2011): »The Banner Without a Slogan: Definitions and Sources of Moscow Conceptualism.« In: Alla Rosenfeld (Hg.): Moscow Conceptualism in Context. München et al.: Prestel Verlag. S. 2-23, hier S. 4. 191 Pacjukov (1980): S. 3. 192 Ebd.: S. 4.

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(S. 7) und »divine images, truth/božestvennych obrazcov, pravda« (S. 7-8), infolgedessen der Text das von der Romantik geprägte Bild des Dichters bzw. Künstlers als Prophet [›poèt-prorok‹] hervorruft. Es soll an dieser Stelle nicht der Eindruck entstehen, dass die romantische Tradition und mystisch-religiöse Aspekte193 in der Kunst und Literatur der Moskauer Konzeptualisten keine besondere Rolle spielen – so bezeichnete Il’ja Kabakov den NOMA-Kreis im Jahre 1993 als »›geheimen‹ esoterischen Orden […], in den man nur schwer aufgenommen werden konnte« (vgl. §3.3.1).194 Auch in den Aktionen der KD sind diese Aspekte evident. Dennoch ist es wichtig herauszustellen, dass metaphysische Metaphern, so wie man sie in ersten Aufsätzen von Mittlerfiguren wie Groys und Pacjukov in großer Zahl findet, vor einem transfergeschichtlichen Hintergrund bedeutsam sind, da sie mit Blick auf ein imaginiertes westliches Publikum langlebige und populäre Russlandbilder reaktivieren. Groys’ Ausführungen in A-Ja sind zum anderen vor dem biographischen Hintergrund des Verfassers zu deuten. Bislang nicht grundlegend berücksichtigt wurde in der Forschung nämlich der Umstand, dass der Text im Jahre 1978 bereits in der Leningrader Samizdat-Zeitschrift 37 (Nr. 15) erschienen war. Dieses von Tat’jana Goričeva und Viktor Krivulin zwischen 1976 und 1981 herausgegebene Periodikum war als Publikationsorgan eng mit dem Leningrader Religionsphilosophischen Seminar [Religiozno-filosofskij seminar] (1974-1980) verbunden, in dem Groys vom Zeitpunkt der Gründung an aktives Mitglied war.195 Entstanden im Kontext der religiösen Renaissance in der Sowjetunion der 1970er Jahre legte die Zeitschrift einen Schwerpunkt auf religionsphilosophische Fragestellungen und Literatur.196 Vielfach vertreten waren beispielsweise Lyriker*innen der Leningrader 193

Andrej Monastyrskij erklärte zu diesem Thema: »Wir fühlten uns irgendwie im Zentrum – die fernöstliche Kultur, die altchinesische Poesie, der klassische chinesische Roman, die japanische Kultur und der Buddhismus hatten für uns ebenso viel Bedeutung wie Bach, Thomas Mann oder die deutsche Romantik. In der Mitte war es sehr einfach, beide Seiten im Blick zu behalten.« [o.A.] (2013a): »Andrej Monastyrskij: ›Ein Kunstwerk funktioniert nicht unbedingt wie ein Verkehrszeichen‹.« In: juliafertig.de vom 06.02.2013. URL: http://juliafertig.de/?p=524 (letzter Zugriff am 18.08.2020). 194 Kabakov bezieht sich hier auf ein Zitat Iosif Bakštejns. Ilya Kabakov (1993): »Zur Installation ›Noma oder der Kreis der Moskauer Konzeptualisten‹, Hamburger Kunsthalle 1993.« In: Il’ja Kabakov (Hg.): NOMA ili Moskovskij konceptual’nyj krug. Installjacija/NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten. Installation. Ostfildern: Hatje Cantz Verlag. S. 185-189, hier S. 188. 195 Nach seiner Emigration im Jahre 1981 gründete Groys zusammen mit der Philosophin Tat’jana Goričeva, die als Herausgeberin der Zeitschrift 37 aktiv war und 1980 nach Paris emigrierte, das religionsphilosophische Periodikum Beseda (1983-1993), das in vielerlei Hinsicht als Fortsetzung von 37 gesehen werden kann. Vgl. Josephine von Zitzewitz (2016): Poetry and the Leningrad Religious-Philosophical Seminar 1974-1980. Music for a Deaf Age. Cambridge/Abingdon/New York: Modern Humanities Research Association/Routledge. S. 45. 196 Vgl. ausführlicher zur Geschichte des Leningrader Religionsphilosophischen Seminars ebd.: S. 4.

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Schule [Leningradskaja škola], deren Texte von religiöser Symbolik durchdrungen sind, wie Josephine von Zitzewitz ausführt: »The ›literary religiosity‹ of the Leningrad poets was to a significant extent inspired by ideas about the religious function of poetic language, which tended towards a playful interpretation of writing as a quasi-religious activity.«197 In diesem Kontext betrachtet lässt sich Groys’ religionsphilosophisch geprägtes Kunstverständnis, das am Ende seines Aufsatzes am ausführlichsten thematisiert wird, besser einordnen und verstehen: »The language of art differs from everyday language not because it speaks of the world in a more elegant and beautiful way or discloses the ›internal world of the artist‹. What makes it different is the message it has to convey about the other world – something that only art can say. […] What is the other world? It is the world opened up to us by religion. It is the world that opens itself to us only through the medium of art.«198 Die frühe Groyssche Interpretation und Vermittlung des Moskauer Konzeptualismus in A-Ja (1979) erklärt jedoch nicht ausreichend die bis heute anhaltende rezeptionsgeschichtliche Wahrnehmung des Künstlerkreises als mysteriöses, gar exzeptionelles Phänomen, zumal da der mystisch-romantische Deutungsansatz bereits in der ersten Hälfte der 1980er Jahre zugunsten einer kultursemiotischen Betrachtungsweise in den Hintergrund geriet, wie in den vorigen Abschnitten dargelegt wurde. In ihrem Aufsatz »Moscow Romantic Exceptionalism« (2012) fragt Sarah Wilson nach dem Grund für das Weiterwirken des Exzeptionalismus-Arguments, wenn sich doch, wie sie anhand einer Vielzahl von Beispielen zeigt, die künstlerischen Praktiken und die visuelle Bildsprache der Moskauer Konzeptualisten mit ähnlichen Entwicklungen in der internationalen Gegenwartskunst vergleichen lassen: »Why is Moscow Conceptualism ring-fenced with an ›exceptional‹ status? What is the fear of contamination, when it embraced various practices aligned with those in Europe, Eastern Europe, and America?«199 Ein wichtiger Grund liegt im Spannungsverhältnis zwischen zwei konfligierenden Sichtweisen auf den Gründungsmythos des Moskauer Künstlerkreises, die sich mit Peter Osborne als Gegensatz zwischen dem Konzeptualismus als »›international language‹« und als »export/import model of influence«200 beschreiben lassen. Obwohl Groys im Jahre 1978-1979 mit seiner breiten Auslegung des Konzeptualismus als internationaler 197 Ebd.: S. 2 198 Groys (1979): S. 11. [Язык искусства отличается от просто языка, от языка обыденности, не тем, в первую очередь, что он горовит о мире более красиво и изящно, и не тем, что он говорит о ›внутреннем мире художника‹ и т.д. Язык искусства отличается тем, что он горовит о мире ином, о котором может сказать только он один. […] Что же такое мир иной? Это и мир, который нам открывается только через искусство.] 199 Wilson (2012): S. 107. 200 Osborne (2018): S. 170, 177.

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künstlerischer Sprache bewusst von einem rezeptionsgeschichtlichen Einflussmodell wegzukommen suchte, löste der Terminus ›Moskauer romantischer Konzeptualismus‹ unter den Künstler*innen selbst eine gewisse Einflussangst [anxiety of influence] im Sinne Harold Blooms aus, wie aus mehreren Rückblicken des Kulturphilosophen hervorgeht: »The term seems to suggest that the Russian art movement was not an original phenomenon but was merely a variation of Western conceptual art – deeply dependent on its prototype. We have here a manifestation of the same offended nationalistic sentiment that motivated Russian futurists as they boycotted Filippo Tommaso Marinetti during his visit to Moscow and St. Petersburg before World War I: They did not want to accept him as a mentor, as the head of the international futurist movement to whom Russian futurism would be subordinated – because of a concern that their art would then be seen from the Western perspective as derivative. From a historical standpoint these worries seem to be completely unfounded. Today, nobody would see Russian futurism as derivative from Italian futurism. One would, rather, tend to overlook similarities more than differences. The term ›Moscow‹ is heavy enough to outweigh any Western term like ›futurism‹ or ›conceptualism‹.«201 Das im letzten Satz erwähnte geographische Attribut ›Moskauer‹ wog außerdem schwerer als das Merkmal ›romantisch‹, wie die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus nach 1979 zeigt. Die mögliche oder auch tatsächliche202 Projektion eines Einflussmodells auf die Historiographie des Künstlerkreises, das

201 Groys (2010): S. 7. In Die Kunst der Installation (1996) führt Groys im Gespräch mit Il’ja Kabakov außerdem aus: »Weißt du, jetzt sagt das Jura Lejderman, und ich höre das eigentlich von Kind an: ›Ich will kein russischer Künstler sein, ich will nicht mit Rußland assoziiert werden, ich will ein internationaler Künstler sein.‹ Das heißt in Rußland gibt es den Mythos, es gäbe den russischen nationalen Künstler und das internationale künstlerische Milieu.« Kabakow/Groys (1996): S. 76. 202 Der Kunsthistoriker Thomas Strauss führt diesbezüglich aus: »Die Kunstwerke, die östlich unserer Landschaft angesiedelt sind, stoßen bei uns, etwas vereinfacht gesagt, auf ein zweischneidiges Vorurteil. Wenn sie von unseren gewohnten Mustern der zur Zeit herrschenden Mode etwas abweichen, sind sie provinziell und darum uninteressant. Wenn sie sich andererseits mit unseren bekannten Vorbildern messen können und denen auf den ersten Blick irgendwie ähneln, ist das dann der Beweis ihrer Abgeleitetheit und Unoriginalität. Beide dieser sich im Grunde ausschließenden Betrachtungsweisen der Ostkunst sind falsch.« Thomas Strauss (1991): »Ost-West: besondere Gesetze der Kunstentwicklung?« In: Thomas Strauss (Hg.): Westkunst – Ostkunst. Absonderung oder Integration? Materialien zu einer neuen Standortbestimmung. München: scaneg Verlag. S. 3-19, hier S. 6.

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letzterem als »Schnee von gestern«203 seinen Originalitätsanspruch abspricht, erklärt die für viele interpretative Texte charakteristische Hervorhebung des fremdartigen, gar mysteriösen kulturellen Kontexts, in dem der Künstlerkreis entstanden sei, als Teil des Gründungsmythos der Gruppe. Ausgeführt wurde dies im Abschnitt §3.1.1 am Beispiel von Igor’ Golomštok, der im Ausstellungskatalog Unofficial Art from the Soviet Union (1977) argumentierte, dass sich die konzeptuelle Kunstszene in der UdSSR nicht an westliche Trends spiegeln würde, sondern tief in der russischen Realität verwurzelt sei.204 Eine solche auf einen westlichen Aufnahmekontext hin orientierte Geschichtsschreibung, so formuliert es Wilson etwas überspitzt, »insist[s] upon an autochthonic movement, born in snow.«205 Auch auf dem Kunstmarkt funktioniert dieser Mythos gut, da Kriterien wie ›Originalität‹ und ›Exotismus‹ bekanntlich erfolgreiche Vermarktungsstrategien darstellen. Seit Ende der 1970er Jahre haben verschiedene Interpret*innen, darunter Groys selbst, versucht, das Spezifikum des Moskauer Konzeptualismus als ›Ungleichen unter Gleichen‹ in neuen Begriffsbildungen zum Ausdruck zu bringen. Während Abschnitt §3.3.1 die Termini NOMA und MANI thematisiert, die in den 1980er Jahren vonseiten der Künstler*innen als Selbstzuschreibungen eingeführt wurden, soll an dieser Stelle auf die Bezeichnungen ›Moskovskij kommunističeskij konceptualizm‹ [Moskauer kommunistischer Konzeptualismus] (Ekaterina Degot’), ›Moskovskij kommunal’nyj konceptualizm‹ [Moskauer kommunaler Konzeptualismus] (Viktor Tupicyn) und schließlich ›Communist Conceptualism‹ (Boris Groys) eingegangen werden. Die erste und die zweite Bezeichnung teilen mit Groys’ ursprünglichem Begriff ihre dreiteilige Zusammensetzung. Im Sammelband Moskovskij konceptualizm/Moscow Conceptualismus (2005) unterstreicht Ekaterina Degot’ mit ›Moskovskij kommunističeskij konceptualizm‹ den Einfluss der ökonomischen Rahmenbedingungen in der Sowjetunion auf die Produktion von Kunst als Merkmal, das den Moskauer Konzeptualismus von angelsächsischen Varianten dieser Kunstrichtung unterscheide. So habe die Abwesenheit eines kommerziellen Kunstmarkts erstens zu einer stärkeren Hinwendung der Künstler*innen zu Zeitschriften, Verlagen und aktuell auch dem Internet als zu Galerien oder privaten Sammlungen für die Verbreitung ihrer Kunst geführt.206 Im Aufsatz »Moskovskij partizanskij konceptualizm« [Moskauer partisaner Konzeptualismus] interpretiert Viktor Tupicyn 203 Enzo Enzel (1990): »Der imaginäre Schnittpunkt zweier Linien im dreidimensionalen Raum.« In: Die Künstler (Hg.): Dokumentation Iskunstvo. I. Moskau – 1988 – Berlin. II. Berlin – 1989 – Moskva. Berlin: Movimento. S. 81-82, hier S. 81. 204 Vgl. Golomshtok (1977): S. 82. Die Mythologisierung des Moskauer Konzeptualismus trieben außerdem die Künstler*innen selbst voran, wie im Abschnitt §3.3 ausführlich dargelegt wird. 205 Wilson (2012): S. 105. 206 Vgl. Ekaterina Degot’ (2005a): »Moskovskij kommunističeskij konceptualizm.« In: Vadim Zacharov/Ekaterina Degot’ (Hg.): Moskovskij konceptualizm/Moscow Conceptualism. Moskau: Izdatel’stvo WAM. S. 11-15, hier S. 12.

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diese Haltung im weitergefassten Sinne sogar als Widerstand der Konzeptualisten gegen jegliche Institutionalisierung ihrer Kunst, der mit Carl Schmitts Konzept des Partisanentums vergleichbar sei.207 Das Fehlen eines kommerziellen Markts habe Degot’ zufolge zweitens ein grundlegend anderes Verständnis von Kunst in der Sowjetunion zur Folge gehabt, da diese nicht als kommerzielle Ware [tovar], sondern als Realisierung einer Idee gegolten habe: »Искусства нет, есть творчество: непрерывное производство идей, […] по отношению к которому отдельное произведение есть лишь одна из возможных инкарнаций. Произведение должно было перестать быть товаром и стать ›знаком творчества‹.«208 Der Einfluss der ökonomischen Rahmenbedingungen lasse sich drittens in den gegenseitigen Beziehungen zwischen den Künstler*innen beobachten, die auf kollektives und weniger auf individuelles Arbeiten gerichtet seien: »Главным произведением искусства без рынка являются отношения между людьми, сама группа художников; в коммунистическом искусстве институции строятся вокруг людей (кружки, союзы), а не вокруг произведений (галереи, коллекции).«209 Damit interpretiert Degot’ den Moskauer Konzeptualismus als idealistische Künstlergruppe, die eine Institutionalisierung ihrer Kunst bis heute ablehne. Sie verliert dabei jedoch die Tatsache aus dem Auge, dass die Konzeptualisten seit Ende der 1980er Jahre eine durchaus aktive Rolle in der Vermarktung und Musealisierung ihrer Werke gespielt haben (vgl. §3.3). Auch Viktor Tupicyn weist in The Museological Unconscious (2009) die Lebensbedingungen in der Sowjetunion als distinktives Merkmal des Moskauer Konzeptualismus an. Dabei legt er den Fokus, wie der Terminus ›Moskovskij kommunal’nyj konceptualizm‹ [Moskauer kommunaler Konzeptualismus] bereits andeutet, im

207 Vgl. Viktor Tupicyn (o.J.): »Moskovskij partizanskij konceptualizm.« In: conceptualism.letov.ru. URL: http://conceptualism.letov.ru/Viktor-Tupitsyn-Moscow-Partisan-Conceptualism.h tml (letzter Zugriff am 16.08.2020). 208 Degot’ (2005a): S. 13. Auf diesen Punkt geht die Kunsthistorikerin im Aufsatz »Ot tovara k tovarišču. K èstetike nerynočnogo predmeta« weiter ein. Vgl. Ekaterina Degot’ (2005b): »Ot tovara k tovarišču. K èstetike nerynočnogo predmeta.« In: Logos 5. Nr. 50. S. 201-210. [Es gab keine Kunst, sondern es gab den Schaffensprozess: ein stetiges Realisieren von Ideen, […] von denen das einzelne Werk nur eine der möglichen Verköperungen ist. Das Werk musste aufhören, Ware zu sein und stattdessen zum ›Zeichen des Schaffens‹ werden.] 209 Degot’ (2005a): S. 13f. [Als wichtigstes Kunstwerk gilt in einem Kontext ohne Markt die zwischenmenschliche Beziehung, die Künstlergruppe selbst; in der kommunistischen Kunst bilden sich die Institutionen um Menschen (Arbeitskreise, Verbände), und nicht um Werke (Galerien, Kunstsammlungen).]

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Gegensatz zu Degot’ weniger auf die sozialökonomischen Arbeitsverhältnisse, sondern betrachtet vielmehr die kommunalen Wohnumstände als wichtigen Einfluss auf das Werk von Künstlern wie Il’ja Kabakov, Andrej Monastyrskij und Komar & Melamid: »As a term, ›Moscow communal conceptualism‹ stresses not only the acute ›speech receptivity‹ of Kabakov, Komar and Melamid, or Monastyrsky, but also the fact that each of them was the product of communal upbringing and of the circumstances that accompany ›institutional‹ (i.e. obligatory) communality.«210 Sowohl Degot’ als auch Tupicyn gehen in ihren Ausführungen zum Verhältnis zwischen dem internationalen und dem Moskauer Konzeptualismus implizit von der Formel »Universalität plus Unterschied«211 aus. Dieser Unterschied wird jeweils mithilfe eines geographischen Attributs (›Moskauer‹) sowie eines praxisbezogenen Adjektivs (›kommunistisch‹/›kommunal‹) unterstrichen. Mit dem Begriff ›Communist Conceptualism‹ schließlich, den Groys im Sammelband Zurück aus der Zukunft (2005) einführte, betont der Philosoph die Abgeschlossenheit des Moskauer Konzeptualismus als historisches Phänomen. Aufgrund der intensiven Auseinandersetzung der Konzeptualisten mit dem kommunistischen Gesellschaftsprojekt, die er in ihren Arbeiten wahrnimmt, habe die sowjetische Geschichte in ihren Werken Form angenommen – aus diesem Grund lautete 2010 der Titel einer Essaysammlung zum Künstlerkreis von Groys auch History Becomes Form.212 Dieser Gedanke lässt sich auf die oben diskutierten Begriffsbildungen übertragen. Auch diese haben eine geschichtsbildende Kraft, indem sie der Geschichte des Moskauer Konzeptualismus eine Form verleihen und damit Teil der Erinnerungspolitik213 um den Künstlerkreis werden.

3.2.3

Iskunstvo (1988) oder Diskurse des (Miss-)Verstehens

»Hier liegt der Zündstoff für unseren Austausch: das Aufeinanderprallen zweier extremer Pole. Das ist kein Friedensprojekt. Eher fliegen die Fetzen, der Schlag-

210 Victor Tupitsyn (2009): The Museological Unconscious. Communal (Post)Modernism in Russia. Cambridge, Massachusetts/London: The MIT Press. S. 104. 211 Vgl. ausführlicher zu dieser Formel, die von Kwame Anthony Appiah stammt, Hans-Gerd Winter (2010): »›Universalität plus Unterschied?‹ Zu Theorien des Fremden und des Weltbürgertums.« In: Mark Arenhövel/Maja Razbojnikova-Frateva/Hans-Gerd Winter (Hg.): Kulturtransfer und Kulturkonflikt. Dresden: Thelem Verlag. S. 19-41, hier S. 37. 212 Vgl. Groys (2010): S. 2f.; vgl. Boris Groys (2005): »Die postkommunistische Situation.« In: Boris Groys/Anne von der Heiden/Peter Weibel (Hg.): Zurück aus der Zukunft. Osteuropäische Kulturen im Zeitalter des Postkommunismus. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. S. 36-48. 213 Vgl. dazu auch Bartelik (2011): S. 16.

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abtausch ist zuweilen sehr hart.«214 Mit diesen Worten führte die deutsche Künstlerin Lisa Schmitz in das Ausstellungsprojekt Iskunstvo ein, das im Herbst 1988 in der Künstlerwerkstatt Bahnhof Westend in Westberlin und anschließend im Sommer 1989 in Moskau auf dem Gelände des VDNCH stattfand. Eine Fortsetzung erhielt die Schau 1990 in Stockholm. Im Titel Iskunstvo, eine Kombination aus dem deutschen und russischen Wort ›Kunst‹ und ›Iskusstvo‹ [Kunst], kommt das Ziel der Ausstellung zum Ausdruck, das in der gemeinsamen Arbeit deutscher und sowjetischer Gegenwartskünstler*innen bestand. Entstanden war die Idee anlässlich eines Russlandaufenthalts von Schmitz im Jahre 1986, die sich im Anschluss daran erfolgreich auf ein DAAD-Stipendium bewarb und 1988 mehrere Monate in Moskau lebte. Einen ersten Einblick in die nicht-kanonkonforme Kunstszene vor Ort gewann Schmitz durch Archivmaterialien aus der 1982 von Wolfgang Eichwede gegründeten Forschungsstelle Osteuropa in Bremen und die Publikation Kulturpalast (1984) sowie durch die anschließende Bekanntschaft mit der Slavistin Sabine Hänsgen und dem Künstler Nikita Alekseev, der 1987 nach Paris emigriert war.215 In Berlin hatten sich die Künstler*innen des Atelier Bomba Colori, darunter Désirée Baumeister, Enzo Enzel, Mario Radina, Andrea Sunder-Plassmann, Werner Zein, Volker Nikel und Gabi Schilling, positiv zur Idee einer Zusammenarbeit geäußert. In Moskau besuchte Schmitz gemeinsam mit Hänsgen 25 Künstler*innen, von denen zwölf schließlich in der Ausstellung vertreten waren: Nikita Alekseev, Sergej Anufriev, Sven Gundlach, Andrej Monastyrskij, Irina Nachova, Nikolaj Ovčinnikov, Konstantin Zvezdočetov, Sergej Voronzov, Vadim Zacharov, Sergej Volkov, Dmitrij Prigov und Pavel Pepperštejn. Zur Mitarbeit schlossen sich außerdem Iosif Bakštejn, Boris Groys, Vladimir Sorokin und Vladimir Tarasov an. Das Ausstellungsprojekt, von dem Schmitz im Laufe des Jahres 1987 die Berliner Festspiele und die Karl Hofer Gesellschaft überzeugen konnte, sah einen mehrwöchigen Aufenthalt der sowjetischen Künstler*innen in Westberlin vor. Konkret möglich wurde dies jedoch erst, nachdem im Frühjahr 1988 ein neues sowjetisches Gesetz in Kraft getreten war, das die Beantragung von Auslandsvisa unter Vorlage einer Einladung aus dem Westen erlaubte. Während Schmitz bei den Verhandlungen mit dem sowjetischen Kulturministerium und dem Künstlerverband auf zahlreiche organisatorische Hürden stieß, wurde Iskunstvo auf westdeutscher Seite eine hohe kulturpolitische Bedeutung beigemessen. So erschienen zur Eröffnung laut dem US-amerikanischen Journalisten Andrew Solomon, der bei der Veranstaltung anwesend war, über 2.000 Gäste.216 Unter ihnen befanden sich der Senator

214 Lisa Schmitz (1990): »Die Natur der Ordnung und die Ordnung der Natur – Randbemerkungen aus dem Zentrum der Zone.« In: Die Künstler (Hg.): Dokumentation Iskunstvo I. Moskau – 1988 – Berlin. II. Berlin – 1989 – Moskva. Berlin: Movimento. S. 7. 215 Vgl. Solomon (1991): S. 157f. 216 Vgl. ebd.: S. 179.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

für Kulturelle Angelegenheiten Berlin, Vertreter*innen des DAAD, des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart und des Auswärtigen Amtes in Bonn sowie Abgeordnete aus verschiedenen Großunternehmen, darunter Siemens, Schering und der Deutschen Kredit- und Handelsbank. Die Förderungszusage dieser Konzerne ist indikativ für das hohe Interesse, das Kulturstiftungen von westdeutschen Wirtschaftsunternehmen nach der Moskauer Sotheby’s-Auktion an nicht-kanonkonformer Kunst aus der Sowjetunion zeigten, die als Symbol und Ausdruck der Perestrojka interpretiert und als gute Investierungsmöglichkeit gesehen wurde. Einen Konnex zwischen Kunst und Politik hoben auch der damalige Bürgermeister von Westberlin, Walter Momper, und Ulrich Roloff-Momin als Präsident der Hochschule der Künste in ihrem jeweiligen Vorwort zum Ausstellungskatalog hervor, indem sie die Zusammenarbeit der Künstler*innen als »Vision einer Zukunft« im Kleinen bezeichneten, die einzulösen die »große Politik« nun ebenfalls begonnen habe.217 Vertraten die politischen und wirtschaftlichen Förderer somit eine Vorstellung der Ausstellung als kulturelles Annäherungs- und Verstehensprojekt zwischen Ost und West, geben Solomons Rückblick auf Iskunstvo in The Irony Tower (1991) und der Katalog Einblick in einen komplexen Aushandlungsprozess um Arbeitsweisen, Künstlerinszenierungen und Terminologie zwischen den deutschen und sowjetischen Beteiligten, der von vielfachen Missverständnissen, Vorurteilen und ideologisch bedingten Feindbildern geprägt war. »Das ist kein Friedensprojekt«, betonte Schmitz demnach in ihrer Einführung, »[e]her fliegen die Fetzen«.218 Für die überwiegende Mehrheit der sowjetischen Künstler*innen bedeutete die Mitarbeit an der Westberliner Ausstellung ihren ersten Aufenthalt außerhalb der Grenzen der UdSSR und folglich ihre erste Konfrontation mit dem Westen, eine Begegnung, die Solomon treffend mit den Worten »Sotheby’s was a big bang. Arrival in Berlin was a bigger bang«219 umschreibt. In den Katalogbeiträgen bildet das geteilte Berlin eine naheliegende Metapher für die Beschreibung der als inkompatibel empfundenen westdeutschen und sowjetischen Lebens- und Arbeitsweisen,220 wobei die eine Sei217

»[D]ie Begegnung junger KünstlerInnen aus Moskau und Berlin, die gemeinsame Anstrengung künstlerischen Tuns«, so führt Ulrich Roloff-Momin weiter aus, ist »auch ein Ausdruck und ein Vorbild politischen Handelns […], das zukünftig eine unmittelbare Begegnung der Menschen immer leichter möglich machen wird.« Ulrich Roloff-Momin (1990): [o.T.] In: Die Künstler (Hg.): Dokumentation Iskunstvo. I. Moskau – 1988 – Berlin. II. Berlin – 1989 – Moskva. Berlin: Movimento. S. 6. 218 Schmitz (1990): S. 7. 219 Solomon (1991): S. 167. 220 Dmitrij Prigov schreibt im Jahre 2003 rückblickend über seine Ankunft in Berlin: »Hier muss man sagen, dass ich nach West-Berlin aus dem sich damals stürmisch ändernden und umgestaltenden Russland der Perestroika oder, genauer gesagt, aus der UdSSR kam, die sich katastrophal ins neueste Russland transformierte. Ich kam also aus unserer damaligen Gegenwart in die geplante, ersehnte nahe Zukunft in Form der westlichen Lebensweise. Doch

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te als »komfortabel, vernünftig und technologisch durchdacht«, die andere als ›infantil‹, ›neurotisch‹ und ›naturorientiert‹ imaginiert wird.221 »Welche historischen und psychologischen Steinbrocken liegen da im Weg«, so schreibt Schmitz, »wenn wir auf der einen Seite eine angstvolle Sehnsucht nach der Ordnung feststellen und auf der anderen Seite ein nostalgisches Bedürfnis nach der Natur«.222 Der bekannte Satz des russischen Schriftstellers Nikolaj Leskov (1831-1895) »Was dem Russen gut tut, ist dem Deutschen der Tod« [Čto russkomu chorošo, to nemcu smert’] fällt wiederholt. Die auffallend häufige Bezugnahme auf tradierte oder auch klischeehafte Eigen- und Fremdbilder im Katalog kann dabei als Versuch gewertet werden, die spürbar im Umbruch begriffenen deutsch-russischen Verhältnisse und die dadurch ausgelöste Verunsicherung auf beiden Seiten durch den Rückgriff auf bekannte Stereotypisierungen beschreibbar und damit erträglich, da distanzierbar, zu machen.223 Die ca. neun Wochen vor Iskunstvo durchgeführte Moskauer Sotheby’s-Auktion hatte grundlegende Transformationsprozesse innerhalb des sowjetischen Kunstfeldes stark beschleunigt. Die Öffnung hin zum internationalen Kunstmarkt und die Möglichkeit zu ersten Auslandsreisen riefen verstärkt Fragen nach dem kunsthistorischen Platz der sowjetischen Gegenwartskunst und der Position der Künstler*innen im nationalen wie internationalen Kontext hervor, die sich am Beispiel der Ausstellung Iskunstvo paradigmatisch aufzeigen lassen. So zeugen die Katalogtexte von einem konfliktreichen Aushandlungsprozess um das Verständnis von kunsttheoretischen Termini unter den Beteiligten. »Niemals zuvor habe ich so viele Künstler erlebt«, so hält der Berliner Künstler Enzo Enzel in Bezug auf die sowjetischen Kolleg*innen fest, »denen es wichtig war, unter Gruppenbegriffe wie Postmoderne, Konzeptualität, Neo-Avantgarde, Neo-Geo… subsumiert zu werden.«224 Enzels Beitrag thematisiert die in dieser Periode kontrovers und zum Teil wer-

zur selben Zeit gelangte ich durch das infernalische Jenseits von Unerbittlichkeit und steriler Steifheit am Grenzübergang Friedrichstraße umgekehrt in meine nächste, noch durchaus lebendige und greifbare Vergangenheit, nach Ost-Berlin. […] Und dabei spiegelte die perfekte topographische und geographische Realität des geteilten Berlins das soziokulturelle Modell unseres bisher geteilten Moskauer Lebens mit dessen offiziellen, ideologisch steifen Konstruktionen und der virtuell getrennten Existenz des Undergrounds wider. In der Friedrichstraße durchlief ich alle Initiationsprodezuren des Übergangsritus.« Dmitri Prigow (2003a): »Unser Treffen steht noch bevor.« In: Pawel Choroschilow et al. (Hg.): Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 1950-2000. Chronik. Berlin: H. Heenemann. S. 257-260, hier S. 257. 221 Josef Backstein (1990): »Notizen zur Kommunikation im Kunstprozeß.« In: Die Künstler (Hg.): Dokumentation Iskunstvo. I. Moskau – 1988 – Berlin. II. Berlin – 1989 – Moskva. Berlin: Movimento. S. 51; vgl. Schmitz (1990): S. 7. 222 Schmitz (1990): S. 7. 223 Vgl. zu diesem Punkt allgemein Winter (2010): S. 19. 224 Enzel (1990): S. 82.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

tend225 geführte Diskussion um die Übertragbarkeit der Kategorie des Postmodernismus auf die russische Kunst und Literatur der 1970er und 1980er Jahre, eine Frage, deren Beantwortung laut Verfasser dem Versuch gleiche, »einen akrobatischen Drahtseilakt vollführen zu wollen, rückwärts gen Osten mit Blick nach Westen.«226 Während kritische Stimmen in dieser Debatte die Existenz einer russischen Variante des Postmodernismus als »Russian Oxymoron«227 ablehnten, legten die Literaturwissenschaftler Mark Lipovetsky und Mikhail Epstein Ende der 1990er Jahre die bisher grundlegendsten Studien zu diesem Paradigma vor,228 als dessen Haupt-, jedoch nicht alleinige Vertreter sie den Moskauer Konzeptualismus und die Soz-Art anwiesen. Nach Enzel könne von einem russischen Postmodernismus nur dann gesprochen werden, falls dieser nicht primär als ästhetisches Stilgebäude, sondern vielmehr als philosophisches Beschreibungsmodell einer sich in der Krise befindenden Gesellschaft aufgefasst wird.229 Das tertium comparationis zwischen dem strukturell unterschiedlich funktionierenden westlich-kapitalistischen und sowjetisch-sozialistischen Gesellschaftssystem sieht der Künstler in der beidseitigen Auflösung ökonomischer und soziokultureller Makrostrukturen. Diese äußere sich im Westen in der Sinnentleerung von Warenproduktion als ehemals fetischisiertes Statussymbol und in der Sowjetunion – mangels Konsumgüter – im Sinnverlust ideologischer Ideen.230 Er beobachtet folglich einen vergleichbaren Verlust an bedeutungs- und identitätsstiftenden gesellschaftlichen Grundstrukturen und ideologischen Metanarrativen, den Charles Newman mit dem Begriff der ›Inflation‹ bezeichnet hat.231 Ähnlich wie Lipovetsky und Epstein betrachtet Enzel sowohl den angelsächsischen als auch den sowjetischen Konzeptualismus als künstlerischen Ausdruck dieser postmodernen Sinnkrise. Allerdings würden

225 So schreibt Eliot Borenstein im Vorwort zu Mark Lipovetskys Studie Russian Postmodernist Fiction (1999): »The debate has evolved over the years and continues to do so. The question very often takes on the tone of moral imperative: ›Should there be postmodernism in Russia?‹« Eliot Borenstein (1999): »Editor’s Introduction: Postmodernism, Duty-Free.« In: Mark Lipovetsky: Russian Postmodernist Fiction: Dialogue with Chaos. Armonk, New York: M. E. Sharpe. S. xvxviii, hier S. xv. 226 Enzel (1990): S. 82. 227 Mark Lipovetsky (1999): Russian Postmodernist Fiction: Dialogue with Chaos. Armonk, New York: M. E. Sharpe. S. 3. 228 Vgl. Mikhail Epstein (1995): After the Future: The Paradoxes of Postmodernism and Contemporary Russian Culture. Amherst, Massachusetts: University of Massachusetts Press; Mikhail Epstein/Alexander Genis/Slobodanka Vladiv-Glover (Hg.): Russian Postmodernism: New Perspectives on Post-Soviet Culture. New York/Oxford: Berghahn Books; Lipovetsky (1999). 229 Vgl. Enzel (1990): S. 81. 230 Vgl. ebd. 231 Vgl. Charles Newman (1985): The Post-Modern Aura. The Act of Fiction in an Age of Inflation. Evanston: Northwestern University Press. S. 6ff; vgl. Lipovetsky (1999): S. 5.

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beide Seiten auf unterschiedliche Weise mit der Beziehung zwischen ›Mensch‹ und ›Ding‹ umgehen, was im Essay auf die jeweilige gesellschaftliche Sozialisation der Künstler*innen zurückgeführt wird. Denn während für den angelsächsischen Konzeptualismus nicht nur die Reduzierung von Kunst auf ein Konzept, sondern auch die materielle Formgebung eines Werks wichtig sei, zähle im sowjetischen Konzeptualismus aufgrund des Fehlens materieller Güter laut Enzel nur die Idee bzw. das Konzept selbst: »Die Realisierung ins Material ist schnöde Profanierung in eine morbide weltliche Vergänglichkeit, die letztendlich für die meisten der sowjetischen Künstler unwichtig ist«.232 In Russland wie im Westen entwerfe der Konzeptualismus schließlich eine ähnliche Weltsicht, wie Enzel ausführt. Denn weder für die sowjetischen noch für die westlichen Künstler*innen sei die Wirklichkeit eine zusammenhängende oder harmonievolle, sondern diese nehme die Gestalt einer zerstückelten postmodernen Zitatlandschaft an: »Die Ideen werden vereinzelt betrachtet, und es gibt kein Bestreben, sie unter einen Hut zu bekommen. Hier kommt wieder die Postmoderne ins Spiel, deren eklektizistische Zitathaftigkeit diese Einstellung zur Wirklichkeit als Vereinzelung der Dinge bejaht. Die sowjetischen Künstler stehen der Welt indifferent gegenüber. So wird ausdrücklich der Wille zur unideologischen Kunst postuliert, der sie an die internationale Kunstszene anbinden soll. Zudem zwingt dieses Postulat die sowjetischen Künstler dazu, ihre Authentizität aufzugeben, da die Frage danach eine ideologische Antwort verlangen würde.«233 Die Internationalisierung der sowjetischen Kunstszene und die damit einhergehende Mobilität der Künstler*innen und ihrer Werke verbindet Enzel hier mit der Frage nach Authentizität, eine Diskussion, die eine unmittelbar wertende Komponente in sich birgt. In ihrer kulturhistorischen Studie Sincerity After Communism (2017) legt Ellen Rutten in Anlehnung an Susan Rosenbaum dar, dass sich Ängste um die Authentizität bzw. Aufrichtigkeit von Künstler*innen während gesellschaftlicher und literarischer Umbruchsphasen verstärken.234 Den Authentizitätsverlust, den Enzel den sowjetischen Künstler*innen als Problem unterstellt, führt dieser auf zwei Umstände zurück. Eine Ursache sieht er erstens in der Indifferenz, mit der die Künstler*innen der sie umgebenden Wirklichkeit begegnen würden, eine Haltung, die dem Postmodernismus im obigen Zitat implizit als inhärent zugeschrieben wird. Dieser Topos beruht jedoch vor allem auf einem »imagined postmo-

232 Enzel (1990): S. 82. 233 Ebd. 234 Vgl. Rutten (2017): S. 20.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

dernism«,235 wie Rutten in ihrem Aufsatz »Strategic Sentiments. Pleas for a New Sincerity in Post-Soviet Literature« (2008) argumentiert. Den postulierten Authentizitätsverlust verknüpft Enzel zweitens mit der kommerziellen Einbindung der sowjetischen Künstler*innen in die internationale Kunstszene, die eine Neudefinition ihres bisherigen künstlerischen Selbstverständnisses verlange – Nikita Alekseev vergleicht diese Situation im Katalog mit dem Zustand der Schizophrenie bzw. mit einem Spagat zwischen Ost und West.236 Das sich wandelnde Selbstbild der Moskauer Konzeptualisten, das Enzel zufolge nun weniger auf Gruppen und verstärkt auf Individuen gerichtet sei, weist der Verfasser als Gefahr für die deutsch-sowjetische Zusammenarbeit im Rahmen von Iskunstvo an, wenn er schreibt: »Diesen Prozeß der Individualitätsfindung machen die meisten der sowjetischen Künstler gerade durch. Dieser Prozeß ist es schließlich auch, die z.Zt. kollektive Projekte mit russischen Künstlern unmöglich macht. Ihre Individualität haben sie noch nicht gefunden, in die Gruppe können sie sich nicht mehr einfügen.«237 Für die Moskauer Konzeptualisten stellte das Aufeinandertreffen von Ost und West im Rahmen der Ausstellung Iskunstvo den Auftakt zu einer Neubestimmung ihrer Künstlerinszenierungen im nationalen wie internationalen Kunstfeld dar. Dieser Prozess, der sich namentlich in der ersten Hälfte der 1990er Jahre vollzog, steht im Mittelpunkt der folgenden drei Abschnitte, die der Funktion künstlerischer Mythenbildung für die Rezeptionsgeschichte des Kreises nachgehen. Damit rücken die Künstler*innen nun selbst als Mittlerfiguren ihres Werks in den Vordergrund der Betrachtung.

235 Ellen Rutten (2008): »Strategic Sentiments. Pleas for a New Sincerity in Post-Soviet Literature.« In: Sander Brouwer (Hg.): Dutch Contributions to the Fourteenth International Congress of Slavists. Amsterdam/New York: Rodopi. S. 201-217, hier S. 203. [Hervorhebung im Original] 236 Vgl. Nikita Alekseev (1990): [o.T.] In: Die Künstler (Hg.): Dokumentation Iskunstvo. I. Moskau – 1988 – Berlin. II. Berlin – 1989 – Moskva. Berlin: Movimento. S. 10. 237 Enzel (1990): S. 82.

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3.3

NOMA oder Prozesse der künstlerischen Mythenbildung (1993-1998) »В деятельности московских концептуалистов ›имена‹ всегда имели очень важное значение. Выбор названия для группы, для выставки, собственного псевдонима, или знание клички, доступной только узкому кругу друзей […] представлялись зачастую не менее важными, чем само производство искусства.«238 (Nikita Alekseev: 2009)

Mit Projekten wie Iskunstvo, Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe und der Moskauer Sotheby’s-Auktion erfuhr das Transfernetzwerk um den Moskauer Konzeptualismus im Jahre 1988 eine erhebliche Ausweitung um Akteur*innen aus dem kommerziellen Kunstbetrieb und dem kultur- und wirtschaftspolitischen Bereich. Insbesondere Kulturstiftungen von Großunternehmen zeigten in dieser Periode ein erhöhtes Interesse an der Förderung von Ausstellungen zu nicht-kanonkonformer Kunst, womit sie kulturpolitische wie auch wirtschaftliche Ziele verfolgten. Andere bauten bestehende Sammlungs- und Verkaufsverbindungen weiter aus. So hatte Volkert Klaucke, der als Investmentbanker im Bereich Mergers & Acquisitions der Deutschen Bank in den USA tätig war, Mitte der 1980er Jahre in New York den Verein ›Sovart‹ gegründet. Dieser erwarb in mündlicher Absprache mit dem sowjetischen Ministerium für Außenhandel Kunst in der UdSSR und verkaufte diese – im Gegensatz zu Sammlern wie Norton Dodge, Peter Ludwig oder Henri Nannen – mithilfe der Vermittlung von internationalen Kunsthändler*innen weiter, um sie in ein marktwirtschaftliches Netz einzubinden.239 In Art in America hält Amei Wallach 1989 Folgendes zum Unternehmen fest:

238 Nikita Alekseev/Aleksej Nikitin (2009): »D-r Chukuta Babuaobu.« In: Vadim Zacharov (Hg.): Pastor. Sbornik izbrannych materialov opublikovannych v žurnale ›Pastor‹  1992-2001. Vologda: Pastor Zond Edition. S. 17-20, hier S. 19. [In der Tätigkeit der Moskauer Konzeptualisten hatten ›Namen‹ immer eine sehr wichtige Bedeutung. Die Wahl von Bezeichnungen für die Gruppe, für eine Ausstellung, die Wahl des eigenen Pseudonyms, oder das Wissen um einen Spitznamen, der nur einem engen Kreis von Freunden bekannt ist […], waren oft nicht weniger wichtig als die Produktion von Kunst selbst.] 239 »Sovart aims at converting the ›symbolic value‹ of the exported art into ›exchange value‹, as it operates in capitalist economies, through placing the works in various commercial galeries«, schrieb Margarita Tupicyna 1987 in der Zeitschrift Flash Art. Margarita Tupitsyn (1987): »From Sots Art to Sovart. A Story of the Moscow Vanguard.« In: Flash Art. The International Arts Review 137. S. 75-80, hier S. 80.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

»Klaucke made his 1985 agreement with the Soviets as a private citizen. But it is probable that the Soviet government took into account his position at Deutsche Bank, which had lately made considerable loans to the Soviet Union. The Soviets doubtless saw him as a potential voice in the U.S. for official Soviet art in the same manner that Peter Ludwig was in Europe […].«240 Statt sich jedoch wie Peter Ludwig auf Werke des sowjetischen Künstlerverbandes zu konzentrieren, legte sich Klaucke auf den Erwerb von Kunst aus dem nichtkanonkonformen Bereich zu. »It is difficult to exaggerate the importance of Klaucke’s role in convincing the Soviets to sell the work of unofficial artists«, schreibt Wallach 1989, »and in opening the American market (a European market already existed).«241 1988 unterstützte er die von Simon de Pury organisierte Sotheby’s-Versteigerung, die im Vorfeld der Planungen auf kritische Stimmen aus der internationalen Kunstwelt gestoßen war.242 Außer Unternehmen übten westeuropäische Kunstfestivals und -messen zwischen Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre einen großen Einfluss auf die Rezeption des Moskauer Konzeptualismus aus. So waren auf der documenta 8 von 1987 Andrej Monastyrskij, Vsevolod Nekrasov, Dmitrij Prigov, Lev Rubinštejn sowie das Künstlerduo Komar & Melamid vertreten, während 1988 auf der Biennale Venedig Arbeiten von Ėrik Bulatov und Il’ja Kabakov im Arsenale zu sehen waren. Letzterer erregte auf der von Jan Hoet geleiteten documenta 9 (1992), der als Organisator bestrebt war, die europazentrierte Ausrichtung des Festivals zu überwinden, Aufsehen mit seiner Installation »Tualet« [Toilette]. 1993 stand der Künstler auf der Biennale Venedig mit der Installation »Krasnyj pavil’on« [Roter Pavillon] erneut im Vordergrund, für die er mit einem Ehrendiplom ausgezeichnet wurde. Mit der Installation NOMA ili Moskovskij konceptual’nyj krug/NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten führte Kabakov in diesem Jahr ein weiteres vielbeachtetes Ausstellungsprojekt in der Hamburger Kunsthalle durch. Dieses fand parallel zu der von Rudolf Zwirner betreuten Messe Art Hamburg statt, die zum ersten Mal in ihrer Geschichte osteuropäischen und russischen Künstler*innen und Galerien gewidmet war.

240 Amei Wallach (1989): »Import/Export. Marketing Perestroika.« In: Art in America 77. Nr. 4. S. 5367, hier S. 59. 241 Ebd.: S. 63. 242 Vgl. zur Kritik an diesem Vorhaben u.a. Douglas C. McGill (1988): »Western Dealers Rush To Sign Soviet Artists.« In: The New York Times vom 19.05.1988. URL: https://www.nyti mes.com/1988/05/19/arts/western-dealers-rush-to-sign-soviet-artists.html (letzter Zugriff am 20.08.2020).

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3.3.1

NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten (1993)

Kabakovs Installation NOMA, die 1993 in der Hamburger Kunsthalle ausgestellt war, lässt sich als ein hybrides Netzwerk analysieren. Stellwände teilten den runden Ausstellungsraum, der in der Mitte von der herabhängenden Decke beleuchtet wurde, in zwölf Sektoren bzw. Zimmer auf, die im Halbdunkel lagen. In den spärlich ausgestatteten Zimmern, die zwecks Durchgang in der Mitte offen waren, standen jeweils ein Bett mit Nachttisch, ein Stuhl und ein Tisch mit einer Schreibtischlampe. An der graugestrichenen hinteren Wand der Installation hingen Materialien zum gesellschaftspolitischen und künstlerischen Schaffensumfeld der Moskauer Konzeptualisten.243 Die zweite Wand jedes Zimmers war den Personen gewidmet, mit denen Kabakov im Dialog stand, während die dritte die subjektive Welt der in der Ausstellung vertretenen Künstler*innen repräsentieren sollte und Werkskizzen, Fotografien, Schemata und Notizen zeigte.244 Jede Kammer gehörte einem Mitglied des NOMA-Kreises. Zu den von Kabakov ausgewählten (bzw. auserwählten) Künstler*innen gehörten die Kunsttheoretiker Boris Groys und Iosif Bakštejn, die Literaten Dmitrij Prigov, Lev Rubinštejn und Vladimir Sorokin, die Gruppe Inspektion Medizinische Hermeneutik mit Sergej Anufriev, Pavel Pepperštejn und Vladimir Fedorov, die Objekt- und Performancekünstler Jurij Lejderman, Andrej Monastyrskij und die Gruppe KD (Nikita Alekseev, Andrej Monastyrskij, Nikolaj Panitkov, Georgij Kizeval’ter, Igor’ Makarevič und Elena Elagina) und schließlich die bildenden Künstler Nikita Alekseev, Vadim Zacharov und Kabakov selbst.245 Somit visualisiert die Installation Kabakovs Egonetzwerk, wobei die Zimmer die

243 Vgl. Kabakov (1993): S. 188. 244 Vgl. ebd. 245 Zitiert in der Reihenfolge des Katalogs. Die Auswahl umfasste zwei Künstlergenerationen. So wurden im Gegensatz zu älteren NOMA-Vertretern, darunter Il’ja Kabakov selbst, Mitglieder wie Sergej Anufriev und Pavel Pepperštejn erst in den 1980er Jahren künstlerisch aktiv. Mit der Inklusion von Groys und Bakštejn erkannte Kabakov die Kunsttheorie als inhärenten Teil des Kreises an. In einem Gespräch mit Groys führte Kabakov in Bezug auf die Auswahlkriterien aus: »Mein Kriterium dafür, ob jemand zu Noma gehört oder nicht, ist seine Neigung zur unaufhörlichen allseitigen Erörterung jedes beliebigen Problems, wobei kein einziges Problem in sich unverändert bleibt. […] Bedingung der Zugehörigkeit zu Noma ist nicht die bloße innere Bereitschaft zum Gespräch, sondern eine bereits vorhandene umfangreiche Praxis der Erörterung beliebiger Umstände vom Standpunkt beliebiger anderer Umstände.« Boris Groys/Ilya Kabakov (1993): »Beseda o Nome/Gespräch über Noma.« In: Il’ja Kabakov (Hg.): NOMA ili Moskovskij konceptual’nyj krug. Installjacija/NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten. Installation. Ostfildern: Hatje Cantz Verlag. S. 19-40, hier S. 21. Eine Auswahl von Gesprächen zwischen den Künstler*innen, die Kabakov im Rahmen der Ausstellung als »[u]nunterbrochenes ›Geschwätz‹« [nepreryvnye besedy] bezeichnete, wurde in den Katalog aufgenommen. Kabakov (1993): S. 186. [Hervorhebung im Original]

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Knoten und die Durchgänge zwischen den einzelnen Sektoren die Kanten zwischen den Akteur*innen repräsentieren (vgl. Abb. 5). NOMA stellt jedoch kein reines Akteurs-, sondern vielmehr ein hybrides Netzwerk im Sinne der ANT dar. So beruht das verbindende Element zwischen den einzelnen Mitgliedern nicht ausschließlich auf Freundschaften (›strong ties‹), sondern auch auf einem gemeinsamen Diskurs. Dieser besteht Kabakov zufolge aus »ziemlich präzise[n] Termini, eine[r] eigene[n] Sprache, ein[em] Kommunikationssystem, eine[r] eigene[n] Syntax etc.«.246 Aus diesem Grund integrierte der Künstler repräsentative Begriffe und Ausdrücke wie ›leere Handlung‹ oder ›Abwesenheit‹ als Aktante in die Installation, die mit einer erklärenden, manchmal auch bewusst ironischen Notiz versehen wurden.247

Abb. 5: Ansicht der Ausstellung NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten (1993), Hamburger Kunsthalle, Fotografie von Elke Walford.

246 Groys/Kabakov (1993): S. 25. 247 Im Slovar’ terminov Moskovskoj konceptual’noj školy [Terminologisches Wörterbuch der Moskauer konzeptuellen Schule] gab Andrej Monastyrskij die grundlegenden Begriffe des Moskauer Konzeptualismus gesammelt heraus. Vgl. Andrej Monastyrskij (1999): Slovar’ terminov Moskovskoj konceptual’noj školy. Moskau: Ad Marginem.

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Die Installation gilt als Versuch Kabakovs, die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus aktiv mitzugestalten und nicht dem ›invisible hand‹Prinzip zu überlassen. Im Gegensatz zu bisher thematisierten Ausstellungen treten die Künstler*innen selbst als die primär vermittelnden Akteur*innen auf und nehmen folglich eine Doppelrolle als »interpretierende und interpretierte Instanz« an,248 wie Pavel Pepperštejn in seinem Katalogbeitrag anmerkt. Kabakov führt diesbezüglich aus: »Die Installation soll uns in die Geschichte einführen, ehe die Geschichte das selbst, und womöglich auf die ungeschickteste Weise, tut (noch schlimmer ist die Vorstellung, daß sie es vielleicht überhaupt nicht tun wird), sie ist der Versuch, die Geschichte in ihrem langsamen Lauf zu überholen, eine frühe Mythologisierung jenes Phänomens zu leisten, das auf natürliche Weise noch nicht formuliert werden konnte.«249 Die Selbstrepräsentationsstrategie der Künstler*innen in der Ausstellung NOMA beruht auf der Mythologisierung und der Hermetisierung des Moskauer Konzeptualismus, der sich als der »›geheimnisvolle Unbekannte‹«250 dem unmittelbaren Verständnis externer, sprich: westlicher Betrachter*innen entziehen sollte. Mit der Installation kreierte Kabakov eine geheimnisvolle Atmosphäre im Hamburger Ausstellungsraum, die zwischen Sakralisierung (der von oben beleuchtete Kreis in der Mitte) und Pathologisierung (die Ausstattung der zwölf Sektoren als Krankenhauszimmer) schwankte. Mystisch ist auch der Ursprung des Begriffes ›NOMA‹, den Pavel Pepperštejn 1988 als alternative Bezeichnung für die Termini ›Moskauer Konzeptualismus‹ und ›MANI‹ vorschlug.251 Etymologisch führte er NOMA auf das altägyptische Wort ›nom‹ als Bezeichnung für den zerstückelten Körper des Osiris zurück; die Pluralform ›nomy‹ stehe für eine territoriale Einheit, in der ein Teil des Körpers begraben liege.252 Diese Vorstellung übertrug der Künstler auf den Kreis

248 Pawel Pepperstein (1993): »Rapport ›NOMA – NOMA‹.« In: Il’ja Kabakov (Hg.): NOMA ili Moskovskij konceptual’nyj krug. Installjacija/NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten. Installation. Ostfildern: Hatje Cantz Verlag. S. 8-18, hier S. 8f. 249 Groys/Kabakov (1993): S. 25. 250 Kabakov (1993): S. 185. 251 Vgl. Pepperstein (1993): S. 9. Der Begriff ›MANI‹ ist eine Wortschöpfung von Andrej Monastyrskij, Lev Rubinštejn und Nikita Alekseev von Mitte der 1970er Jahre und steht für Moskovskij Archiv Novogo Iskusstva bzw. Moskauer Archiv der Neuen Kunst. Vgl. Andrej Monastyrskij (2018): »Andrej Monastyrskij o Moskovskom archive novogo iskusstva.« In: Russian Art Archive vom 28.12.2020. URL: https://russianartarchive.net/ru/research/andrey-monastyrsky-on-th e-moscow-archive-of-new-art-mani (letzter Zugriff am 28.08.2020). 252 Vgl. Pepperstein (1993): S. 10.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

der Moskauer Konzeptualisten, den er als »kompakte[n] Kollektivkörper«253 mit einer gemeinsamen Beobachterperspektive und Sprache definierte. Der Neologismus ›NOMA‹ mitsamt seinem mythologischen Ursprung markiert eine bewusste Abgrenzung von geläufigen kunsthistorischen Kategorien und insbesondere dem internationalen Paradigma der Konzeptkunst bzw. des Konzeptualismus. Damit wird die Bedeutung von Eigen- statt Fremdzuschreibungen für die Moskauer Konzeptualisten sichtbar. Während Mittlerfiguren wie Boris Groys, Ekaterina Degot’ oder Viktor Tupicyn ihre Begriffsbildungen als vergleichende Termini254 anlegen (vgl. §3.2.2), indem sie das Wort ›Konzeptualismus‹ als Kern beibehalten, stellen Termini wie ›NOMA‹ und ›MANI‹ nach dem Vorbild von ›Dada‹ und ›Fluxus‹ bewusste Abgrenzungsversuche von internationalen ismen-Strömungen dar, wie aus einem Gespräch zwischen Andrej Monastyrskij, Vadim Zacharov und Jurij Lejderman von 2008 hervorgeht: »А. Монастырский: […] Вот, например, ›дадаизм‹ – это неправильно, ›dada‹ – это правильно. И ›fluxus‹ – это правильно. Потому что ›fluxus‹ и ›dada‹ – это самоназвания. Это абсолютно то же самое, что МАНИ или НОМА. Они выше направления – выше концептуализма, сюрреализма и т.д. Ю. Лейдерман: […] Поэтому, мне кажется, мы должны сегодня понять, от имени кого мы говорим. […] Ты всегда говоришь за себя, но при этом даешь голос чему-то другому. Вот в ситуации МАНИ для нас был важен наш круг, наша секта, ее голос. ›Мы – это не вы!‹ Это было очень мощно, но оказалось легко апроприируемо. На чем мы и погорели – критики вроде Тупицыной смешали нас в неразличимую массу, названную ими ›московский концептуализм‹. […] Надо понять, чей голос проходит через наш голос.«255 253 Ebd. Im Slovar’ terminov Moskovskoj konceptual’noj školy ist im Eintrag zu ›Noma‹ zu lesen: »Нома означает ›круг людей, описывающий свои края с помощью совместно вырабатываемого комплекса языковых практик‹.« [Noma bezeichnet ›einen Kreis von Menschen, der sein Umfeld mithilfe eines gemeinsam erarbeiteten Komplexes sprachlicher Praktiken beschreibt‹.] Monastyrskij (1999): S. 65. 254 Vgl. Yekaterina Dyogot (1995): »Der Verlust des Verlustes als Mittel gegen Nostalgie.« In: Kathrin Becker/Dorothee Bienert/Milena Slavická (Hg.): Flug – Entfernung – Verschwinden. Konzeptuelle Moskauer Kunst. Ostfildern: Hatje Cantz Verlag. S. 147-153, hier S. 150. 255 Andrej Monastyrskij/Vadim Zacharov/Jurij Lejderman (2008): »O terminologii ›Moskovskogo konceptualizma‹.« In: Moscow Art Magazine 70. URL: http://moscowartmagazine.com/issue/2 2/article/342 (letzter Zugriff am 16.08.2020). [A. Monastyrskij […] So ist zum Beispiel ›Dadaismus‹ nicht richtig, richtig ist ›Dada‹. Und ›Fluxus‹ ist richtig. Denn ›Dada‹ und ›Fluxus‹ sind Selbstbezeichnungen. Das ist absolut das Gleiche wie MANI oder NOMA. Sie stehen über Strömungen – über dem Konzeptualismus, dem Surrealismus usw.] [J. Lejderman: […] Deshalb, wie mir scheint, müssen wir heute verstehen, in wessen Namen wir sprechen. […] Du sprichst immer für dich selbst, aber gleichzeitig erteilst du etwas anderem eine Stimme. Im Falle von MANI war uns unser Kreis, unsere Sekte, ihre Stimme wichtig. ›Wir – das seid nicht ihr!‹ Das war ganz stark, aber hat sich als leicht appropriierbar herausgestellt. Daran schei-

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»›Noma‹ ist ein Wort«, so Ekaterina Degot’, »das dem Betrachter demonstrativ den Rücken zukehrt.«256 Die Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle zeigt einen Aushandlungsprozess um Handlungs- und Diskursmacht, an dem sich die Künstler*innen als vermittelnde Akteur*innen aktiv zu beteiligen suchten. Weder NOMA noch MANI setzten sich terminologisch langfristig durch – auch innerhalb des Künstlerkreises wurden sie als Selbstzuschreibungen schließlich verworfen. Mit seinem in der Installation visualisierten Egonetzwerk übte Kabakov dennoch einen nachhaltigen Einfluss auf die Etablierung von Modi der In- und Exklusion von Künstler*innen in den Kanon des Moskauer Konzeptualismus aus. Seine Sichtweise und seine zentrale Position im Transfernetzwerk gerieten im literarischen Pamphlet Dojče Buch (1998; 2002) des Lyrikers Vsevolod Nekrasov jedoch in die Kritik, wie im nächsten Teil dargelegt wird.

3.3.2

Positionen des (Nicht-)Seins: Vsevolod Nekrasovs Dojče Buch »о русская душа и ты уже в Drehscheibe на Kortumstraße«257 (Vsevolod Nekrasov: 2016a)

Vsevolod Nekrasovs (1934-2009) Pamphlet Дойче бух [Dojče Buch] erschien 1998 in Moskau bei Vek XX i mir. Eine erweiterte Fassung mit einer deutschen Übersetzung von Wolfram Eggeling gaben Günter Hirt und Sascha Wonders im Jahre 2002 unter dem Titel Dojče Buch. Der Eifer der Kunst des Nichtseins oder Chronik mein-deutscher Beziehungen der Reihe nach/Azart nichtsajn-arta ili chronika nemecko-moich otnošenij po porjadku im Bochumer Verlag Edition Aspei heraus. Den schwarz-weißen Umschlag gestaltete Ėrik Bulatov, ein enger Freund des Schriftstellers. Bei dem Buch handelt es sich um eine Schmähschrift, in der die Autorfigur Nekrasov, die mit ihrer Angriffs- und Aufklärungslust an Fedor Dostoevskijs Untergrundmenschen erinnert, ihre mangelnde literarische Anerkennung als Zustand des ›Nichtseins‹ [nichtsajn] beklagt, für den namentlich Boris Groys und die deutschsprachige Slavistik, im Text polemisch mit dem Wort »›Slawistenmafia‹«258 bedacht, verantwortlich ge-

terten wir – Kritiker wie Tupicyna haben uns zu einer homogenen Masse vermischt, die als ›Moskauer Konzeptualismus‹ bezeichnet wurde. […] Man muss verstehen, welche Stimme sich über unsere Stimme legt.] [Hervorhebungen im Original] 256 Dyogot (1995): S. 150. 257 Nekrassow (2016a): S. 128f. [o russische Seele/und schon bist du/an der Дрешайбе/in der Кортумштрасе] (Übersetzung von Günter Hirt und Sascha Wonders) 258 Vsevolod Nekrasov (2002): Dojče Buch. Der Eifer der Kunst des Nichtseins oder Chronik mein-deutscher Beziehungen der Reihe nach. Bochum: Edition Aspei. S. 45.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

macht werden. Mit ihrer durchdachten Komposition und zahlreichen Wortspielen ist die Schrift jedoch nicht nur als reine Polemik, sondern auch als literarisches Werk zu behandeln. Das Ziel der folgenden Überlegungen besteht weder in der Widerlegung noch in der genauen Überprüfung oder Bestätigung der Thesen. Letztere interessieren vielmehr aus einer kanontheoretischen Perspektive: Nekrasovs kommentierte Chronik seiner deutsch-russischen Beziehungen reicht von 1964 bis 1996 und gibt Einblick in das Egonetzwerk des Autors in dieser Periode. Anhand seiner Ausführungen zur eigenen Rezeption lassen sich die Einschreibung des Moskauer Konzeptualismus in bestimmte Interpretationsparadigmen sowie die damit einhergehende Herausbildung von diskursiven Wissenskonstellationen verfolgen. »Ich will nicht streiten; ich, wenn ich der Lyriker eines Jahrhunderts bin, dann nur des zwanzigsten – dafür aber eines ordentlichen Stücks dieses Jahrhunderts – 40 Jahre fast. Und mehr als 20, die Hälfte von vierzig, stehe ich, wie ich das sehe, in irgendwelchen Beziehungen mit dem deutschsprachigen Leser: so hat es sich ergeben.«259 Nekrasovs erste deutschsprachige Lyrikveröffentlichung erfolgte 1973 in der Übersetzung von Liesl Ujvary in der Wiener Literaturzeitschrift Die Pestsäule (vgl. §3.1.3). Davor waren ausgewählte Gedichte des Autors seit Ende der 1950er Jahre in dem von Aleksandr Ginzburg edierten Samizdat-Almanach Sintaksis, in verschiedenen tschechoslowakischen Publikationen wie Tvaž, My und Student, in der Pariser Literaturzeitschrift Kovčeg sowie im Leningrader Samizdat-Periodikum 37 erschienen.260 Für den deutschsprachigen Raum verzeichnet die Chronik in Dojče Buch ab Mitte der 1980er Jahre außerdem das von Norbert Wehr herausgegebene Schreibheft und die Münchener Literaturzeitschrift Akzente als wichtige Transfermedien. In Schreibheft erschienen ab 1987 regelmäßig lyrische und essayistische Texte von Nekrasov, Dmitrij Prigov, Pavel Pepperštejn und Lev Rubinštejn in der Übersetzung von Georg Witte und Sabine Hänsgen, mit denen Wehr und Annette Brockhoff 1989 den ersten Teil des Literaturfestivals Tut i tam. Hier und dort in Essen organisierten, an dem auch Nekrasov teilnahm (vgl. §3.1.2). Boris Groys publizierte in dieser Periode ebenfalls regelmäßig in Schreibheft, das sich somit zu einem bedeutenden Forum für die deutschsprachige Rezeption vor allem der Textarbeiten der Moskauer Konzeptualisten entwickelte. Die Zeitschrift gerät in Dojče Buch jedoch in die Kritik, nachdem die 42. Ausgabe von 1993 den Fokus auf russische Kunst, namentlich auf den Moskauer Konzeptua-

259 Ebd.: S. 36. 260 Einen Überblick über seine frühen Publikationen gibt der Autor in Vsevolod Nekrasov (1991): Spravka. Stichi. Moskau: PS. S. 71ff. Die große Rolle, die tschechoslowakische Periodika seit den 1960er Jahren im Transfer nicht-kanonkonformer Moskauer Kunst und Literatur zwischen Ost und West gespielt haben, wurde in der Forschung bisher noch nicht aufgearbeitet.

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lismus, gelegt hatte: »Groyssische, sehr Groyssische Kunst. Alles nach Groys, und vor allem Groys selbst. Ja, und Prigov-Rubinštejn, Bartov, der allerdings aus irgendeinem Grund von Groys etwas weniger geschätzt wird, und Sorokin.«,261 kommentierte Nekrasov. Der Autor, der in diesem Schwerpunktdossier nicht prominent vorkam, dafür 1994 mit einer umfangreichen Lyrikauswahl in der Zeitschrift vertreten war, betrachtete seine Polemik als Entlarvung der Repräsentation des Moskauer Konzeptualismus durch Boris Groys, dessen Interpretationen er im Aufsatz »Fikcija kak iskusstvo (no ne iskusstvo kak fikcija), ili: kak delo bylo s konceptualizmom« [Fiktion als Kunst (aber nicht Kunst als Fiktion), oder: Was es mit dem Konzeptualismus auf sich hatte] (1989) als zu dogmatisch bezeichnete.262 Groys’ »Spezkonzeptualismus«,263 der die Literaten Prigov, Rubinštejn und Sorokin favorisieren würde, funktioniere dem Autor zufolge zu sehr als Ausgrenzungsmodell, das die Bedeutung von Lyrikern aus dem Lianozovo-Kreis, wie Evgenij Kropivnickij, Igor’ Cholin, Genrich Sapgir und nicht zuletzt Nekrasov selbst, für die Entwicklung der russischen Gegenwartspoesie vernachlässigen würde: »Der Konzeptualismus hat sich hier als organische Tendenz manifestiert und entwickelt und nicht als spezifisches Dogma und dogmatisch abgegrenzte Sekte. Ob das nun der modernen deutschen Wissenschaft bequem ist oder nicht, ob das für irgendeinen sich mit Verspätung an diesen Konzeptualismus anhängenden Groys von Vorteil ist oder nicht. Ganz zu schweigen davon, wie durchsichtig sich in der Praxis die Etymologie dieser Groys’schen Lehre eines spezifischen Konzeptualismus erweist: Konzeption als Funktion der Falsifikation.«264 Mit Blick auf die letztgenannten Dichter machte Nekrasov statt Konzeptualismus den Begriff der Konkreten Poesie als Interpretationsmodell stark, auf das sich auch Liesl Ujvary 1973 in Die Pestsäule bezogen hatte (vgl. §3.1.3). Dabei identifizierte er sich vor allem mit der deutschsprachigen Tradition des Konkretismus: »Wir, wie auch die Deutschen, brauchen keine Poetizität ohne Faktizität – oder, meinetwegen, Realitätsbezug oder Konkretheit usw.«,265 heißt es in Дойче бух. Aus Sicht des Verfassers impliziere diese Gemeinsamkeit allerdings nicht, dass lite-

261 Nekrasov (2002): S. 31. 262 Vgl. Vsevolod Nekrasov (2014): »Fikcija kak iskusstvo (no ne iskusstvo kak fikcija), ili: kak delo bylo s konceptualizmom.« In: Jurij Al’bert (Hg): Moskovskij konceptualizm. Načalo. Nischni Nowgorod: Izdanie Privolžskogo filiala GCSI. S. 170-178, hier S. 170. Vgl. dazu auch Džeral’d Janeček (1993): »Teorija i praktika konceptualizma u Vsevoloda Nekrasova.« In: NLO 5. S. 196201. 263 Nekrasov (2002): S. 21. Den ›Spezkonzeptualismus‹ bezeichnet Nekrasov an anderer Stelle auch mit dem Begriff ›KGPS‹ (Kabakov, Groys, Prigov, Sorokin). Vgl. ebd.: S. 35. 264 Ebd.: S. 56. [Hervorhebungen im Original] 265 Ebd.: S. 62.

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rarische Verfahren von deutschsprachigen Autoren wie Eugen Gomringer,266 Ernst Jandl oder Gerhard Rühm in der russischen Literaturszene einfach übernommen und adaptiert wurden. Es handele sich vielmehr um eine unabhängige, parallele Entwicklung, die in Moskau nicht zur Herausbildung einer klar definierten Strömung oder Schule geführt habe.267 Deswegen wird die Bezeichnung »›Gruppa konkret‹« [›Gruppe Konkret‹], zu der Ėduard Limonov in der Pariser Literaturzeitschrift Apollon-77 (1977) u.a. Nekrasov, Igor’ Cholin, Genrich Sapgir und Jan Satunovskij zählte, vom Autor als »čistyj vymysel« [reine Erfindung] abgetan.268 Die Lyrik dieser Schriftstellergeneration betrachtete Nekrasov als entscheidende Wegmarke für die Textarbeiten von jüngeren Lyrikern wie Rubinštejn und Prigov. Aus diesem Grund rief Prigovs Erwähnung als Begründer des Moskauer Konzeptualismus durch Evgenij Popov in der Literaturnaja gazeta (1990) einen polemischen Brief des Autors an die Zeitungsredaktion hervor, der trotz seiner Bitte um Druck nicht erschien: »Вопрос – можно? Что, известная ›Школа для дураков‹ опубликованного в ЛГ, наконец, Саши Соколова и школа концептуализма, основатель которой, по словам Евгения Попова, помещенным на той же полосе, там же опубликованный Пригов – так вот две эти школы, это одно заведение, или два? Если одно – вопросов больше нет. […] Я же говорил, как непросто дело с создателями школы концептуализма. Скорее Хармс создатель, чем Пригов. Если только не Пушкин.«269 266 Die Nähe von Nekrasovs Lyrik zum deutschen Konkretismus unterstrich im Jahre 2016 auch Eugen Gomringer. Vgl. Eugen Gomringer (2016): »›Ich lebe ich sehe‹ – Lyrik der Welt russisch.« In: Wsewolod Nekrassow: Ich lebe ich sehe. Gedichte. Aus dem Russischen von Günter Hirt und Sascha Wonders. Münster: Verlag Helmut Lang. S. 7-9. Gomringers Lyrik hatte Nekrasov nach eigener Aussage 1964 über einen Aufsatz von Lev Ginzburg in der Literaturnaja gazeta kennengelernt. Vgl. Nekrasov (2002): S. 68. 267 1977 charakterisierte eine Belgrader Anthologie russischer Poesie Nekrasovs lyrisches Werk als Versuch zur Nachahmung der westlichen Konkreten Poesie. Nekrasov schrieb: »Zur Konkretheit und zu allem sonst noch Nötigen kamen wir eher auf eigenen Wegen und keinesfalls in der Nachahmung der Deutschen, sondern, als es Zeit dafür war, aus ähnlichen Gründen.« Wsewolod Nekrassow (2016b): »Erklärende Notiz.« In: Wsewolod Nekrassow: Ich lebe ich sehe. Gedichte. Aus dem Russischen von Günter Hirt und Sascha Wonders. Münster: Verlag Helmut Lang. S. 283-292, hier S. 283. Dieser Text erschien zuvor im Lyrikband Spravka (1991). Vgl. zu diesem Thema auch Günter Hirt/Sascha Wonders (2016): »Wsewolod Nekrassows poetische Notizen.« In: Wsewolod Nekrassow: Ich lebe ich sehe. Gedichte. Aus dem Russischen von Günter Hirt und Sascha Wonders. Münster: Verlag Helmut Lang. S. 315-330, hier S. 321f. 268 Nekrasov (1991): S. 38. 269 Ebd.: S. 76f. [Ist eine Frage erlaubt? Bilden die bekannte ›Schule der Dummen‹ von Saša Sokolov, der endlich in der LG publiziert wurde, und die Schule des Konzeptualismus, deren Begründer Prigov ist, wenn wir den Worten von Evgenij Popov glauben, die auf derselben Druckseite untergebracht sind wie der erwähnte Prigov – bilden diese zwei Schulen eine Institution oder zwei? Wenn sie eine bilden, habe ich keine weiteren Fragen mehr. […] Ich habe

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Dojče Buch gibt Einblick in eine Reihe interdependenter, werkunabhängiger Faktoren, die zur Entstehung und Verfestigung von kanonbildenden Wissenskonstellationen beitragen, nämlich zuerst die Qualität der Kontakte zwischen Akteur*innen, zweitens ihre Fremdsprachenkenntnisse sowie drittens ihr Zugang zur medialen Öffentlichkeit. Nekrasov thematisiert erstens einen Aushandlungsprozess um die In- und Exklusion von Akteur*innen, Kunstwerken und Interpretationsangeboten in den bzw. aus dem Diskurs um den Moskauer Konzeptualismus, wenn er Anklage gegen die Auswahl der vertretenen Künstler*innen und Arbeiten in Ausstellungen wie Iskunstvo (1988-1989) – »[a]uf der Speisekarte stehen nur ›kleine Kabakovs‹«270 – und Sowjetische Kunst um 1990/Sovetskoe iskusstvo okolo 1990 goda (19911992) erhebt: »Die Ausstellung ist eine einzige kolossale und grenzenlose KLAVA mit der angereisten deutschen Wissenschaft, Groys-Bakštejn u.a.«271 KLAVA ist die Abkürzung für den Terminus ›Moskovskij Klub Avangardistov‹ [Moskauer Klub der Avantgardisten], ein Künstlerklub, der zwischen 1987 und Mitte der 1990er Jahre eine Vielzahl gemeinsamer Ausstellungen in Moskau organisierte und dem u.a. Dmitrij Prigov, Andrej Monastyrskij, Vadim Zacharov und Nikita Alekseev als Mitglieder angehörten. Obwohl kein Vertreter des KLAVA, stellte auch Nekrasov durch seine hochgradige Vernetztheit und die aktive Übersetzungs- und Publikationstätigkeit seiner wichtigsten Vermittler*innen Georg Witte und Sabine Hänsgen keineswegs eine unsichtbare Gestalt in der deutschsprachigen Literaturlandschaft der 1980er und 1990er Jahre dar. Seine Position im Rezeptionsnetzwerk des Moskauer Konzeptualismus liefert jedoch ein Beispiel für den Unterschied zwischen Zentralität und Prestige. Denn obwohl Nekrasov an vielen Beziehungen beteiligt und somit zentral war, bestand das Netzwerk des Autors aufgrund seiner polemisch-oppositionellen Haltung gegenüber einflussreichen Mittlerfiguren wie Boris Groys, Iosif Bakštejn und einigen KLAVA-Künstler*innen, der er sowohl bei persönlichen Auftritten als auch in Briefen an Zeitschriftenredaktionen und Einzelpersonen Ausdruck verlieh, aus einer Vielzahl antagonistischer Beziehungen. Prestige setzt bekanntlich voraus, dass ein Akteur bzw. eine Akteurin von vielen Kontakten direkt oder indirekt gewählt wird. Im Falle Nekrasovs führte der Mangel an positiven Beziehungen zu zentralen Knoten im Transfernetzwerk langfristig jedoch zu einer gewissen Isolierung des Autors272 innerhalb der deutschen und russischen Kunst- und Literaerzählt, wie schwierig die Sache mit den Begründern der Schule des Konzeptualismus ist. Eher ist Charms als Begründer zu erwähnen als Prigov. Wenn nicht sogar Puškin.] 270 Nekrasov (2002): S. 16. 271 Ebd.: S. 22. 272 Eine ähnliche Einschätzung findet man bei Günter Hirt und Sascha Wonders, wenn sie schreiben: »Er nahm für sein rigoroses Festhalten an einer in den Jahrzehnten der Repression gelernten Haltung des Antiopportunismus seine Isolierung durch Kollegen, Verleger und Redakteure in Kauf.« Vgl. Hirt/Wonders (2016): S. 325.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

turlandschaft. Dies bestätigt auch ein Eintrag in Nekrasovs Chronik zum großangelegten Ausstellungsprojekt Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 1900-1950, das 1995 im Rahmen der 45. Berliner Festwochen zunächst in der deutschen Hauptstadt und im darauffolgenden Jahr in Moskau stattfand: »Und ich meine, daß ich völlig zu Recht als Antwort auf diese Briefe in Deutschland ein Veranstaltungs-Duett verstanden habe – die Programme ›Moskau in Berlin 1995‹ und ›Berlin in Moskau‹ 1996. Mit einer noch nie gesehenen Masse von Teilnehmern von hier: praktisch allen meinen Nachbarn. Aber ohne mich dort und dort. Eine Antwort ohne Laut, ohne Nennung. Eine Antwort ohne Antwort. Eine Antwort mit einem massiven, kolossalen Nichtsein. Groysnichtsein.«273 Zweitens beeinflusst der Faktor Fremdsprachenkenntnisse die Zirkulation von Interpretationsangeboten in kulturellen Transferprozessen. Nekrasov war, wie er in Dojče Buch an mehreren Stellen hervorhebt, für seine Selbstrepräsentation und die erfolgreiche Vermittlung seiner konträren Standpunkte an ein deutschsprachiges Publikum weitgehend auf die Übersetzungstätigkeiten anderer angewiesen: »Ich habe Witte und Hänsgen mehr als einmal gefragt, ob sie denn nicht wenigstens einen meiner Aufsätze übersetzen könnten. Und dann beschloß ich, das durchzusetzen: Wieso sollten die Deutschen über mich mit den Augen von Groys urteilen, ohne die Möglichkeit zu haben, über Groys zu urteilen. Mit meinen Augen.«274 Zur erfolglichen Inklusion eines Deutungsangebots trägt in direktem Zusammenhang mit dem letzten Punkt drittens der Zugang von Akteur*innen zur medialen Öffentlichkeit bei. Nekrasov setzte seine Sichtweisen nicht nur in Aufsätzen, sondern auch in einer Vielzahl von meist sehr umfangreichen Briefen auseinander, die er sowohl deutschen als auch russischen Zeitschriftenredakteur*innen, wie Norbert Wehr von Schreibheft, Tat’jana Michajlovskaja von NLO, Aleksandr Glezer, der neben Tret’ja volna (1976-1986) die Literaturzeitschrift Strelec (1984-1999) herausgab, und Viktor Misiano von Chudožestvennyj Žurnal/Moscow Art Magazine – oft vergebens – zum Druck anbot: »Da ich den Brief nicht als etwas Persönliches und die Dinge, von denen die Rede ist, schon lange nicht mehr als persönliche betrachte, habe ich währenddessen den Brief dem ›Novoe literaturnoe obozrenie‹ und dem ›Strelec‹ angeboten. Michajlovskaja führte mich schon seit einem Monat an der Nase herum, Glezer seit einem Jahr, und letztendlich konnte niemand sich dazu entschließen. Zum Vorschlag von Miziano, nur ein Viertel des Briefes abzudrucken, konnte ich mich

273 Nekrasov (2002): S. 34. 274 Ebd.: S. 19.

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wiederum nicht entschließen, da tatsächlich doch alle vier Viertel zugeschickt worden waren.«275 Die angeführten drei Punkte, nämlich erstens die Qualität der Beziehungen zwischen Akteur*innen, zweitens ihre Fremdsprachenkenntnisse sowie drittens ihr Zugang zur medialen Öffentlichkeit, stellen netzwerkdynamische Faktoren dar, die Einblick in grundlegende Mechanismen der Diskurs- und Kanonbildung verschaffen. Sie erklären die im Vergleich zu Literaten wie Prigov oder Sorokin weniger intensive Rezeption Nekrasovs im Diskurs um den Moskauer Konzeptualismus jedoch nicht erschöpfend.276 Wie bereits klar geworden sein dürfte, nahm der Lyriker insbesondere Prigov als Konkurrent wahr, eine Einschätzung, der er nicht nur in Dojče Buch und in Briefen, sondern auch in seinem Gedicht »Putešestvie v Germaniju i obratčo« [Reise nach Deutschland und zurück] Ausdruck verlieh, das mit den folgenden, Prigovs rhythmisch marschierende Milizionär-Figur ironisch imitierenden Versen endet: »немцы да немцы немцы да немцы немцы да немцы   где милиционер   есть и милиционер здесь милиционер   пригов«277 Aus seinem Ausschluss aus dem sich allmählich etablierenden Künstlerkanon des Moskauer Konzeptualismus, von dem er sich aktiv distanzierte, zog Nekrasov schließlich den drastischen Schluss, die weitere Rezeption seines Werks zu verbieten. Diese Entscheidung inspirierte im Jahre 2004 den linksaktivistischen Moskauer Lyriker und Performancekünstler Kirill Medvedev zu seinem bekannten »Manifest ob avtorskom prave« [Manifest über Urheberrecht], in dem er auf das

275 Ebd.: S. 32. 276 In Betracht gezogen werden können neben werkinternen Faktoren weitere Kriterien wie Künstlerinszenierung, Alter und Reisebereitschaft. Vgl. zu diesem Thema auch Willms (2017). 277 Nekrassow (2016a): S. 125. [deutsche ja deutsche/deutsche ja deutsche/deutsche ja deutsche//wo ist der milizionär//es gibt auch einen milizionär/hier ist der milizionär//prigow] (Übersetzung von Günter Hirt und Sascha Wonders) Vgl. zur Figur des Milizionärs Dmitri Prigow (1992): Der Milizionär und die Anderen. Leipzig: Reclam.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Copyright auf seine Texte verzichtete.278 In Dojče Buch verkündete Nekrasov in fettgedruckter Schrift: »Ganz ernsthaft erkläre ich hiermit: ich bitte in Deutschland nichts mehr von mir Verfaßtes zu veröffentlichen, bis in Deutschland und in deutscher Sprache dieser Text, diese Chronik der Erfolge und Errungenschaften und des stetigen Wachsens des Einflusses der Groys-Wissen-und-Gesellschaft erscheint, für deren Exaktheit ich bürge. Und in einer Auflage, die hinreichend hoch ist – das heißt es soll keine elitäre Auflage sein, nicht nur zehn Stück, sondern mindestens einige Hundert.«279 Mit der von Georg Witte und Sabine Hänsgen herausgegebenen Aspei-Edition des Buches von 2002 wurde diese Bedingung erfüllt. Die Forscher*innen publizierten im Jahre 2016, sieben Jahre nach dem Tod des Dichters, außerdem eine umfangreiche, zweisprachige Anthologie seiner Lyrik und Essays unter dem Titel Ich lebe ich sehe. Gedichte und referieren damit an die durch die Popularität von Ėrik Bulatovs gleichnamigem Gemälde wohl bekannteste Verszeile des Autors. Viele der positiven Kritiken, auf die der Band bislang sowohl in Deutschland als auch in Russland gestoßen ist, loben Nekrasov posthum als einen »der wichtigsten Vertreter des Moskauer Konzeptualismus«280 – ein Beispiel für die Dynamik von kanonbildenden Modi der In- und Exklusion.

3.3.3

Der Archivar: Vadim Zacharov und die Zeitschrift Pastor

Zwischen 1992 und 2001 gab der 1989 aus Moskau emigrierte Künstler Vadim Zacharov in Köln die Zeitschrift Pastor heraus, die in einer kleinen Auflage von 30 bis 50 Samizdat-Exemplaren in dem von ihm gegründeten Pastor Zond Verlag

278 »Мои тексты […] могут быть опубликованы, в России или за рубежом, на любом языке, ТОЛЬКО В ВИДЕ ОТДЕЛЬНОЙ КНИГИ, […] выпущенной ПИРАТСКИМ ОБРАЗОМ, то есть БЕЗ РАЗРЕШЕНИЯ АВТОРА […].« [Meine Texte […] dürfen, sowohl in Russland als auch im Ausland, in jeder Sprache, NUR ALS SEPARATE AUSGABE veröffentlicht werden, […] herausgegeben als RAUBDRUCK, das heißt OHNE GENEHMIGUNG DES AUTORS […].] Kirill Medvedev (2004): »Manifest ob avtorskom prave.« In: kirillmedvedev.narod.ru. URL: http://kirillme dvedev.narod.ru/manifest.html (letzter Zugriff am 20.08.2020). [Hervorhebungen im Original] 279 Nekrasov (2002): S. 51. [Hervorhebungen im Original] 280 Marion Poschmann (2018): »Wsewolod Nekrassow. Ich lebe ich sehe.« In: lyrik-empfehlungen.de. URL: www.lyrik-empfehlungen.de/2018/wsewolod-nekrassow-ich-lebe-ich-sehegedichte (letzter Zugriff am 19.08.2020).

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erschien.281 Gewidmet waren die insgesamt acht Hefte282 drei Generationen von Künstler*innen, die sich mit den Bezeichnungen MANI, Moskauer konzeptueller Schule und NOMA identifizierten. Während sie Beiträge und Umschlagentwürfe für die Zeitschrift lieferten, übernahm Zacharov die Editionsarbeit und trat als Autor und Interviewer auf – viele der Artikel stellen sog. ›besedy‹ [Gespräche] dar. Seine Initiative verortete der Künstler in der für den Moskauer Konzeptualismus wichtigen Tradition der kommunalen Gesprächskultur, die es nach der Emigration vieler Künstler*innen ins Ausland seit Ende der 1980er Jahre fortzusetzen gelte: »Его генеалогия доперестроечная и основана на московской традиции, придерживающейся до сих пор ›слухового‹ метода общения, приватных коммунальных форм. Журнал продолжает линию сборников ›МАНИ‹, маленьких книжечек, уютных бесед.«283 Als ›Pastor‹ bzw. Hirte stelle der Almanach laut Dorothea Zwirner demnach eine Diskussionsplattform dar, die das Netzwerk der ausgewanderten Künstler*innen sondiere [Zond] und zusammenhalte.284 In einem Beitrag für den Katalog NOMA (1993) verfolgt Zacharov eine klare Mythologisierungsstrategie, wenn er die mediale Genealogie der Zeitschrift auf Vasilij Žukovskijs Dlja nemnogich [Für Wenige] (1818), Aleksandr Puškins Sovremennik [Der Zeitgenosse] (1836-1866) und Igor’ Šelkovskijs A-Ja. Unofficial Russian Art Review (19791986) zurückführt.285 Zu A-Ja sieht der Verleger sogar eine dreifache Vergleichsmöglichkeit, da auch Pastor auf der privaten Initiative eines Künstlers (1) beru-

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Im Folgenden beziehe ich mich auf die 2009 erschienene Gesamtausgabe der Zeitschrift: Vadim Zacharov (2009a) (Hg.): Pastor. Sbornik izbrannych materialov opublikovannych v žurnale ›Pastor‹ 1992-2001. Vologda: Pastor Zond Edition. Die acht Ausgaben tragen folgende Titel: Heft 1: Imena [Namen], Heft 2: Geografija [Geografie], Heft 3: Naša poligrafija [Unsere Polygrafie], Heft 4: Naše buduščee [Unsere Zukunft], Heft 5: Ėmigracija i stranniki [Emigration und Wanderer], Heft 6: Kak ja stal chudožnikom [Wie ich Künstler wurde], Heft 7: Patologija i norma [Pathologie und Norm] und Heft 8: Vostočnaja tradicija v Moskovskoj konceptual’noj škole [Die östliche Tradition in der Moskauer konzeptuellen Schule]. Vadim Zacharov (2009b): »Ot izdatelja.« In: Vadim Zacharov (Hg.): Pastor. Sbornik izbrannych materialov opublikovannych v žurnale ›Pastor‹ 1992-2001. Vologda: Pastor Zond Edition. S. 13-16, hier S. 13. [Ihre Genealogie rührt aus der Vor-Perestrojka-Zeit und baut auf einer Moskauer Tradition der privaten kommunalen Form auf, die bis heute an einer ›auditiven‹ Kommunikationsmethode festhält. Die Zeitschrift setzt die Linie der ›MANI‹-Bände, der kleinen Büchlein, der gemütlichen Gespräche fort.] Vgl. Dorothea Zwirner (2004): »Vadim Zakharov – Sammlung, Verlag, Archiv. Zwischen Bewahren-Wollen und Verschwinden-Müssen.« In: Heinrich-Theodor Schulze Altcappenberg (Hg.): Moskauer Konzeptualismus. Sammlung Haralampi G. Oroschakoff. Sammlung, Verlag und Archiv Vadim Zakharov. Köln: Walther König. S. 145-151, hier S. 147. Vgl. Vadim Zacharov (1993): »Ein Verleger macht Seifenblasen oder: der Schal der Isadora Duncan.« In: Il’ja Kabakov (Hg.): NOMA ili Moskovskij konceptual’nyj krug. Installjacija/NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten. Installation. Ostfildern: Hatje Cantz Verlag. S. 154159, hier S. 158.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

he, der aus der geographischen Entfernung (2) die Moskauer (Konzept-)Kunstzene zum Hauptgegenstand seiner Zeitschrift (3) mache.286 Obwohl dieser Argumentation zuzustimmen ist, unterscheidet sich die mediale Agency beider Periodika grundlegend. Denn während der mehrsprachige Almanach A-Ja mit einer relativ hohen Auflage von 3.000 Exemplaren die Verbreitung von sonst kaum vorhandenen Informationen über die nicht-kanonkonforme Moskauer Künstlerszene im internationalen Raum anstrebte, stellt der ausschließlich russischsprachige Pastor ein künstlerisches Projekt dar, das mit seinem niedrigen Druckumfang nur eine kleine Leserschaft erreichte – als »Seifenblasenproduktion«287 bezeichnete Zacharov seine Herausgebertätigkeit selbst. Šelkovskijs Ziel der Repräsentation des Moskauer Künstlermilieus nach außen verkehrt Pastor daher geradezu ins Gegenteil, indem letzterer als »gebundene[r] und geheftete[r] Mikrokosmos«288 einen Rückzug aus der öffentlichen Diskussion um den Moskauer Konzeptualismus verkörpert: »Wir wollen nicht ›grob durchgesiebt werden‹«, argumentiert Zacharov im Ausstellungskatalog NOMA (1993), »sondern vielmehr den marginalen Status bewahren, den der Kollektivkörper der Moskauer Konzeptualistenschule hatte. Von dieser Absicht geleitet ist gleichfalls die vorübergehende Pastorsche Einsiedelei.«289 Im Gegensatz zu A-Ja galt Zacharovs Rückgriff auf die Publikationsmethode des Samizdat folglich nicht als Notlösung, sondern als bewusste Entscheidung für eine künstlerischästhetische Dokumentationspraxis. Das erste Pastor-Heft mit dem Titel Imena [Namen] (1992) kann als Auftakt zur Ausstellung NOMA (1993) gesehen werden, indem es die in der Ausgabe vertretenen Künstler*innen nach ihrer Identifizierung mit Begriffen wie MANI, Moskauer konzeptueller Schule und NOMA fragt. Auch werden die Einordnung ihrer Werke in kunsthistorische Paradigmen und ihre bisherige Repräsentation in internationalen Ausstellungen thematisiert. Diese Fragen bündeln sich in der »Анкетный опрос художников круга МАНИ, проведенный в течение 1991 года В. Захаровым« [Umfrage unter den Künstlern des MANI-Kreises, durchgeführt im Laufe des Jahres 1991 von V. Zacharov], die von Nikita Alekseev, Jurij Al’bert, Sergej Anufriev, Iosif Bakštejn, Konstantin Zvezdočetov, Jurij Lejderman, Andrej Monastyrskij, Pavel Pepperštejn und Viktor Pivovarov ausgefüllt wurde: 1. »Осознаете ли Вы свою деятельность находящейся в границах артикуляционного пространства, называемого Нома? 2. Что Вы подразумеваете под термином Нома?

286 287 288 289

Vgl. ebd. Ebd.: S. 154. Ebd.: S. 156. Ebd.: S. 157. [Hervorhebung im Original]

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk 3. Что, по Вашему мнению, отличает понятие Нома от предшествующего понятия – художник круга МАНИ? 4. Можно ли говорить о московском андерграундном искусстве как о сложившейся концептуальной школе? 5. Какие этапы в формировании московской андерграундной традиции Вам представлаются существенными? 6. Каковы, на Ваш взгляд, тенденции развития Московской концептуальной школы? 7. Топология московской андерграундной экзистенции складывалась вокруг определенных энергетических центров. Какова она сейчас? 8. Осталось ли для Вас важным рассмотрение вопросов культуры с позиции Восток – Запад? 9. В чем причина, как правило, неадекватной оценки Московской концептуальной школы Западом? 10. Какая выставка или презентация Московского круга на Западе удовлетворила бы Вас? 11. Возможно ли, на Ваш взгляд, деятельность Номы вне московской ситуации или параллельно ей?«290

Beinahe wie ein Glaubensbekenntnis bejahen sämtliche Teilnehmer die Einstiegsfrage nach ihrer Zugehörigkeit zu NOMA. Eine Ausnahme stellen lediglich Konstantin Zvezdočetov, der seine Identifikation mit dem Kreis auf ästhetisch-thematische Berührungspunkte und persönliche Sympathien für die Mitglieder beschränkt, und Andrej Monastyrskij, der die von ihm eingeführte Bezeichnung Mos-

290 [1. Verstehen Sie Ihre Tätigkeit als etwas, was sich innerhalb der Grenzen des Artikulationsraums befindet, der Noma genannt wird? 2. Was verstehen Sie unter der Bezeichnung Noma? 3. Was unterscheidet Ihrer Meinung nach die Bezeichnung Noma vom vorherigen Konzept – dem Künstler des MANI-Kreises? 4. Kann man von Moskauer Untergrundkunst als etablierter konzeptueller Schule sprechen? 5. Welche Entwicklungsstufen in der Tradition des Moskauer Untergrunds sind Ihrer Meinung nach wichtig? 6. Welche Entwicklungstendenzen in der Moskauer konzeptuellen Schule gibt es Ihrer Meinung nach? 7. Die Topologie der Moskauer Untergrundexistenz entwickelte sich um bestimmte Energiezentren. Wie sieht sie heute aus? 8. Bleibt es für Sie wichtig, kulturelle Fragen aus einer Ost-West-Perspektive zu betrachten? 9. Worin begründet sich die allgemein unzureichende Bewertung der Moskauer konzeptuellen Schule durch den Westen? 10. Welche Ausstellung oder Präsentation des Moskauer Kreises im Westen würde Sie zufriedenstellen? 11. Ist Ihrer Meinung nach die Tätigkeit von Noma außerhalb der Moskauer Situation oder parallel zu ihr möglich?] Vadim Zacharov (2009c): »Anketnyj opros chudožnikov kruga MANI, provedennyj v tečenie 1991 goda V. Zacharovym.« In: Vadim Zacharov (Hg.): Pastor. Sbornik izbrannych materialov opublikovannych v žurnale ›Pastor‹ 1992-2001. Vologda: Pastor Zond Edition. S. 32-45.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

kauer konzeptuelle Schule bevorzugt, dar.291 Zwischen den Begriffen MANI und NOMA werden mehrere Unterschiede festgestellt. MANI, der den Befragten zufolge als abgelöst gilt, wird mal als Vorstufe [pervoj stupen’ju, S. 34] (Sergej Anufriev), mal als poetisierte Variante [opoètizirovannyj variant, S. 40] (Andrej Monastyrskij), mal als neutralerer Gegenpart [bolee nejtral’noe, S. 33] (Jurij Al’bert) zu NOMA charakterisiert. Nur Jurij Lejderman nimmt beide Bezeichnungen als gleichbedeutend wahr, obwohl sich NOMA, so fügt er ironisch hinzu, durch »некоторыми обертонами мафиозности и блата« [einige Obertöne von Mafia und Vetternwirtschaft] auszeichnen würde.292 Ähnlich wie die Ausstellung NOMA (1993) gewährt die Umfrage einen Einblick in die Geschichtsschreibung des Moskauer Konzeptualismus durch die Künstler selbst. Die weit auseinandergehenden Reaktionen auf die Frage nach der historiographischen Entwicklung der sog. Moskauer Untergrundkunst, die ca. die Hälfte der Befragten mit der Geschichte des Moskauer Konzeptualismus gleichsetzt, sind ein Indiz für die Unabgeschlossenheit dieses Prozesses am Anfang der 1990er Jahre. So datieren einige Teilnehmer den Beginn der Moskauer Konzeptkunstszene beispielsweise auf die 1960er Jahre, während andere die Periode zwischen 1972 und 1979 als Anfangszeit vorschlagen (vgl. §4.1.1). Gemeinsam ist den sehr unterschiedlichen Ergebnissen lediglich die zentrale Rolle, die Il’ja Kabakov als Gründerfigur zugeschrieben wird, eine Position, die er laut zwei Befragten mit Ėrik Bulatov und Viktor Pivovarov teile. Die Antworten auf die von Zacharov konzipierte Umfrage lassen eine grundlegende Asymmetrie in der Diskursbildung über den Moskauer Konzeptualismus erkennen, auf die auch Kabakovs Installation NOMA reagiert, indem die Mehrheit der Teilnehmer angibt, die Repräsentation des Künstlerkreises in bisherigen internationalen Ausstellungen als unbefriedigend empfunden zu haben. Als Hauptgründe werden eine im Westen fehlende Sensibilität für den sowjetischen Entstehungskontext des Kreises und, damit zusammenhängend, die Projektion eines für die Künstler*innen fremdkulturellen Interpretationsrahmens auf ihre Werke angeführt. Sowohl die Ausstellung NOMA als auch die Zeitschrift Pastor sind somit als Künstlerinitiativen zu betrachten, die das Ziel verfolgen, anhand von Strategien der Mythologisierung und Hermetisierung selbst Einfluss auf die Rezeptionsgeschichte auszuüben. Dabei zeichnet sich ein klarer Hierarchisierungsprozess ab, wie am Beispiel von Vsevolod Nekrasovs Pamphlet Dojče Buch dargelegt wurde, indem sich bestimmte Künstler*innen zu zentralen, diskursmächtigen Akteur*in-

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Monastyrskij führte den Terminus ›MOKŠA‹ [Moskauer konzeptuelle Schule] im Jahre 1993 ein. Wie NOMA hat der Begriff mythologische Wurzeln. So bezeichnet das Wort ›Moksha‹ im Hinduismus ›Erlösung‹ oder ›Befreiung‹ und ist damit mit dem Konzept des Nirwana im Buddhismus verwandt. Vgl. Sylvia Sasse (2003): Texte in Aktion. Sprech- und Sprachakte im Moskauer Konzeptualismus. München: Wilhelm Fink. S. 18. 292 Zacharov (2009c): S. 39.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

nen im Transfernetzwerk entwickelten, während andere aus dem Künstlerkanon des Moskauer Konzeptualismus ausgeschlossen wurden.

3.4

Von Political zu Mystical Correct: Verfestigung des Kanons (1999-2020)

Im Jahre 2003-2004 stellte das Berliner Kupferstichkabinett die Kunstsammlung »Moskauer Konzeptualismus der 1980er und 1990er Jahre« des Künstlers und Publizisten Haralampi G. Oroschakoff neben Leihgaben und Geschenken aus Vadim Zacharovs Sammlungs- und Verlagsarchiv aus. Oroschakoff, der aus einer exilierten russischen Adelsfamilie abstammt und 1960 als Kind mit seiner Familie aus Bulgarien nach Wien geflohen war, hatte seit Ende der 1980er Jahre ein umfangreiches Netzwerk mit Vertreter*innen der nicht-kanonkonformen sowjetischen und osteuropäischen Kunst aufgebaut. Eine Sammlung mit 52 Werken von u.a. Jurij Al’bert, Sergej Anufriev, Dmitrij Prigov, Andrej Monastyrskij und Pavel Pepperštejn schenkte Oroschakoff dem Kupferstichkabinett im Jahre 2003 mit der Absicht, dort »›eine erste ständige Forschungsstätte dieser richtungsgebenden Bewegung im musealen Kontext‹«293 zu etablieren. Als Leihgeber war Oroschakoff ebenfalls an dem von Boris Groys, Margarita Tupicyna und Viktor Misiano organisierten Ausstellungsprojekt Kräftemessen (1995) in München sowie an der von Kathrin Becker kuratierten Schau Mystical Correct (1997) beteiligt. Letztere war in der Berliner Galerie Hohenthal und Bergen zu sehen, die von Oroschakoffs Ehefrau, Diana Gräfin von Hohenthal und Bergen, geleitet wird. Der Kunstsammler stellt einen verbindenden Akteur im deutsch-russischen Transfernetzwerk des Moskauer Konzeptulismus dar, das sich ab Mitte der 1990er Jahre an den geographischen Knotenpunkten Berlin und Frankfurt zu verdichten beginnt. Diese Entwicklung soll am Beispiel von zwei zentralen Vermittler*innen aus Oroschakoffs Egonetzwerk, Kathrin Becker (Berlin) und Boris Groys (Frankfurt), zunächst überblickshaft verdeutlicht werden. Seit ihrer Mitarbeit an Jürgen Hartens Ausstellung Sowjetische Kunst um 1990 (1991-1992) hat Becker, die in Bochum Slavistik und Kunstgeschichte studierte, eine Vielzahl von Einzel- und Gruppenausstellungen mit Vertreter*innen des Moskauer Konzeptualismus kuratiert.294 Häufig geschah dies in Kooperation mit der Berliner 293 Heinrich-Theodor Schulze Altcappenberg (2004): »Moskauer Konzepte – ein Dank.« In: Heinrich-Theodor Schulze Altcappenberg (Hg.): Moskauer Konzeptualismus. Sammlung Haralampi G. Oroschakoff. Sammlung, Verlag und Archiv Vadim Zacharov. Köln: Walther König. S. 79, hier S. 7. 294 Vgl. die Ausstellungen Der Schlaf der Walküren gebiert schlafende Ungeheuer (Berlin, 1993), Flug – Entfernung – Verschwinden (Prag/Berlin/Kiel, 1995), Mystical Correct (Berlin, 1997), Neues Moskau (Berlin/Stuttgart/Bonn, 1999-2000) und Vadim Zakharov/Niklas Nitschke (Berlin, 2013). Vgl. auch den Rückblick von Kathrin Becker in Sven Spieker (2002): »Russian Art, Western

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Kunsthistorikerin und Kuratorin Dorothea Zwirner, deren Ehemann, der Galerist Rudolf Zwirner, im Dezember 1993 die bereits erwähnte Messe Art Hamburg mit einem Schwerpunkt auf Osteuropa und Russland organisiert hatte. Auch arbeitete sie regelmäßig mit Barbara Barsch und Ev Fischer von der 1990 gegründeten ifaGalerie Berlin zusammen, die osteuropäische und russische Kunst und Kultur nach der Wiedervereinigung in mehreren Ausstellungen thematisierten. In Beckers kuratorischen Projekten der 1990er Jahre, wie Mystical Correct (1997) oder Neues Moskau (1999-2000), steht überwiegend eine jüngere Generation von Konzeptualisten, darunter Nikita Alekseev, Vadim Zacharov, Sergej Anufriev, Pavel Pepperštejn und Jurij Lejderman, im Vordergrund. Damit verschob sich der Fokus hin zu Gruppen wie Inspektion Medizinische Hermeneutik (1987-2001), die mit ihrer Kunst eine starke Psychologisierung und Mystifizierung des Moskauer Konzeptualismus betreibt, die Becker im Katalog zur Ausstellung Mystical Correct (1997) als ›Schizoanalyse‹ bezeichnet.295 Damit wurde der in NOMA (1993) vorbereitete Schwerpunkt auf mystisch-esoterische Aspekte in der Kunst und der Selbstrepräsentation der Moskauer Konzeptualisten als Narrativ aufgegriffen und weiterentwickelt.296 Der kanonisierte Status, der dem Moskauer Konzeptualismus als Repräsentant der nicht-kanonkonformen sowjetischen Kunst im Laufe der 1990er Jahre immer stärker zugeschrieben wurde, geht aus der prominenten Vertretung des Künstlerkreises in der New Yorker Schau Global Conceptualism (1999) (vgl. §3.4.1) sowie im monumentalen Ausstellungsprojekt Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 1950-2000

Style: ARTMargins Talks to Kathrin Becker.« In: ARTMargins Online vom 11.11.2002. URL: http s://artmargins.com/russian-art-western-style-artmargins-talks-to-kathrin-becker/ (letzter Zugriff am 17.08.2020). 295 »Der Moskauer Konzeptualismus […] hat die Methode der ›Schizoanalyse‹ als spezifische Form der ihm eigenen ontologische [sic!] Praxis entwickelt, um dem Zustand der kollektiven Schizophrenie Ausdruck zu verleihen.« Kathrin Becker (1997): »Vorwort.« In: Hohenthal und Bergen (Hg.): Mystical Correct. Köln: Salon Verlag. S. 5-7, hier S. 6. Als Ansatz wurde die Schizoanalyse von Gilles Deleuze und Félix Guattari als Gegenentwurf zur Psychoanalyse entwickelt. Vgl. zum Begriff der Schizoanalyse im Kontext des Moskauer Konzeptualismus Sasse (2003): S. 312. 296 Der Titel Mystical Correct basiert auf einem Spruch von Nikita Alekseev, an den sich Oroschakoff im Katalog zur Ausstellung Moskauer Konzeptualismus (2004) erinnert: »Unvergeßlich bleibt mir sein Interview mit dem Bayrischen Rundfunk, 1995 in München, während der Aufbauarbeit an ›Kräftemessen‹: […] Nachdem der Redakteur schließlich seine Frage formuliert hatte, – die Befindlichkeiten der Kunstszene im besonderen wie auch das Phänomen der Multikulturalität im allgemeinen berücksichtigend –, gab Nikita eine knappe Antwort: ›Ja‹, sagte er, ›das alles ist im Sinne der political correctness richtig. Wir bleiben dessen ungeachtet mysticle correct.‹« Haralampi G. Oroschakoff (2004): »Collection Oroschakoff – Un dictionnaire subjectif.« In: Heinrich-Theodor Schulze Altcappenberg (Hg.): Moskauer Konzeptualismus. Sammlung Haralampi G. Oroschakoff. Sammlung, Verlag und Archiv Vadim Zakharov. Köln: Walther König. S. 27-39, hier S. 28f. [Hervorhebungen im Original]

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

(Berlin, 2003-2004) hervor, in dem zentrale Mittlerfiguren aus dem musealen, wissenschaftlichen, kulturpolitischen und künstlerischen Bereich zusammenkommen (§3.4.2). Der als Interpret an dieser Schau beteiligte Boris Groys machte den Moskauer Konzeptualismus außerdem zum Gegenstand zweier großangelegter Ausstellungen mit dem Titel Traumfabrik Kommunismus (2003) und Die totale Aufklärung (2008) in der Schirn Kunsthalle, weshalb sich auch Frankfurt a.M. seit 2000 zu einem wichtigen geographischen Knotenpunkt im Transfernetzwerk entwickelt hat (vgl. §3.4.3).

3.4.1

Konzeptualismus als ›Weltkunst‹? Global Conceptualism (1999)

»›Global Conceptualism: Points of Origin, 1950’s-1980’s‹ at the Queens Museum of Art is an ambitious and groundbreaking exhibition. It is also tedious and confusing.«297 Mit dieser ambivalenten Einschätzung beginnt die Rezension des USamerikanischen Kunstkritikers Ken Johnson zur genannten Ausstellung, die im April 1999 im New Yorker Queens Museum of Art eröffnete.298 Global Conceptualism war nicht das einzige Ausstellungsprojekt, das in den 1990er Jahren die damals ca. 30 Jahre alte Geschichte der Conceptual Art zu rekonstruieren suchte, deren Musealisierung mit Ausstellungen wie Opening Exhibition: Normal Art (New York, 1967) und Xeroxbook (New York, 1968) angefangen hatte. Im Gegensatz zu anderen viel beachteten Überblicksausstellungen dieses Jahrzehnts, wie L’art conceptuel: Une perspective [Konzeptkunst: Eine Perspektive] (1989-1990) in Paris und Reconsidering the Object of Art: 1965-1975 (1995-1996) in Los Angeles,299 hatte sich Global Conceptualism zum Ziel gesetzt, den bislang üblichen Fokus auf angelsächsische und westeuropäische Konzeptkunst auszuweiten. Letztere sollten mit der Aufnahme von 135 Künstler*innen aus 30 Ländern in die neuformulierte Kategorie ›globaler Konzeptualismus‹ vielmehr provinzialisiert300 werden: »The present exhibition, with its highly ambitious global reach, puts forward a persuasive case for the historical importance of a view of contemporary art that breaks decisively with the heritage of modernism. That is to say, it explicitly rejects the customary practice of plotting out the topology of artistic connections in terms of ›center‹ and ›periphery‹: Paris or New York in relation to the various satellites that have come within their sphere of influence. Instead, Global 297 Ken Johnson (1999): »Conceptual but Verbal, Very Verbal.« In: The New York Times vom 07.05.1999. URL: https://www.nytimes.com/1999/05/07/arts/art-review-conceptual-but-verba l-very-verbal.html (letzter Zugriff am 21.08.2020). 298 Die Schau war anschließend im Walker Art Center in Minneapolis, dem Miami Art Museum und dem MIT List Visual Arts Center in Cambridge, Massachusetts zu sehen. 299 Vgl. zur Geschichte der Conceptual Art Lucy R. Lippard (1997): Six Years: The Dematerialization of the Art Object from 1966 to 1972. Berkeley/Los Angeles/London: University of California Press. 300 Vgl. Chakrabarty (2000).

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Conceptualism offers an alternative framework of multiple ›points of origin‹. The contention is that global conceptualism marks a radical shift, not merely in the morphology of modernist art but in the pattern of art’s development and diffusion worldwide.«301 Wie das Zitat belegt, stellte Global Conceptualism sowohl die bisherige Historiographie als auch den etablierten Künstlerkanon der Conceptual Art entscheidend infrage, ein Vorgehen, das namentlich in US-amerikanischen Rezensionen der Zeit auf heftige Kritik stieß – ein deutliches Zeichen für die Sensibilität dieses Themas. Indem sich die Ausstellung der globalen Transformation und Weiterentwicklung der angelsächsischen Conceptual Art widmete, wird sichtbar, wie die Rückrezeption dieser internationalen Bewegungen Ende der 1990er Jahre eine Neuformulierung des Ausgangsparadigmas in den USA einleitete. Denn obwohl Global Conceptualism das Wort ›Konzeptkunst‹ als Bezeichnung für eine im angelsächsischen Raum entstandene künstlerische Praxis beibehielt, lösten die Organisator*innen den Begriff ›Konzeptualismus‹ als globale Kunstrichtung mit lokalen Ausprägungen (›Konzeptualismen‹) von ersterer ab: »It is important to delineate a clear distinction between conceptual art as a term used to denote an essentially formalist practice developed in the wake of minimalism, and conceptualism, which broke decisively from the historical dependance of art on physical form and its visual apperception.«302 Boris Groys hatte in seinem Aufsatz »Moskovskij romantičeskij konceptualizm/Moscow Romantic Conceptualism« (1978-1979) bereits eine ähnliche Argumentationsweise entfaltet, wie unter §3.2.2 dargelegt wurde. Interessanterweise hat die intensive Rezeption des Moskauer Konzeptualismus in den Vereinigten Staaten ab Mitte der 1980er Jahre nachweislich zu der neuen Perspektive auf die Geschichte des Konzeptualismus beigetragen, die Global Conceptualism vertrat. So erwähnte die Hauptkuratorin, Jane Farver, die Gruppenausstellungen Exit Art: The Green Show (New York, 1989-1990) und Between Spring and Summer. Soviet Conceptual Art in the Era of Late Communism (Boston, 1990) als wichtige Impulse für die Organisation der Schau.303 Das kuratorische Konzept der Ausstellung orientierte sich an einer zeitlichen und einer geographischen Achse. Unterteilt waren die vertretenen Künstler*innen

301 Stephen Bann (1999): »Introduction.« In: Philomena Mariani (Hg.): Global Conceptualism: Points of Origin, 1950s-1980s. New York: D.A.P. S. 3-13, hier S. 3. [Hervorhebung im Original] 302 Camnitzer/Farver/Weiss (1999): S. viii. [Hervorhebungen im Original] 303 Vgl. Jane Farver (2015): »Global Conceptualism: Reflections.« In: post.moma.org. URL: https: //post.at.moma.org/content_items/580-global-conceptualism-reflections/ (letzter Zugriff am 19.11.2018, Link nicht mehr aktiv).

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

in zwei historische Abschnitte, denen die Organisator*innen insgesamt elf geographische Räume zuordneten, für die wiederum jeweils ein Kurator bzw. eine Kuratorin zuständig war. Japan, Westeuropa, Osteuropa, Lateinamerika, Nordamerika, Australien/Neuseeland fielen in den Zeitraum der 1950er bis 1970er Jahre, während die Sowjetunion, Afrika, Südkorea, Festlandchina/Taiwan/Hongkong in der Periode von 1973 bis Ende der 1980er Jahre repräsentiert waren.304 Wie an der Reihenfolge der genannten Kulturen und Kontinente ersichtlich wird, suchten die Ausstellungsmacher*innen die USA nicht als Ursprungsland der Conceptual Art in den Vordergrund zu stellen, um eine Präsentation lokaler Konzeptualismen unter dem Blickwinkel des pejorativ konnotierten Konzepts der Entlehnung oder auch des wertneutraleren Transferbegriffs zu vermeiden.305 Ästhetisch-thematische Berührungspunkte oder Verflechtungen zwischen den verschiedenen Sektionen stellte die Hängung kaum heraus. Folglich erwiesen sich weniger die Kontaktmomente zwischen Kulturen (die geographische Achse) als vielmehr die geteilten historischen Rahmenbedingungen (die zeitliche Achse) als entscheidendes Kriterium für die Inklusion der selektierten lokalen Knoten in das Ausstellungsnetzwerk, das den Konzeptualismus auf diese Weise nicht sosehr als »›global art‹«, sondern als »global scope of localities«306 bzw. als »multicentered map with various points of origin«307 darstellte. Global Conceptualism entwarf ein politisiertes Ausstellungsnarrativ, das die Entstehung des Konzeptualismus als globale Reaktion interpretierte auf »broadly destabilizing sociological and technological trends propelled by large historical forces, as the political, economic, and social landscapes of large parts of the world underwent significant, often traumatic, transition.«308 304 Zitiert wird die deutsche Übersetzung der englischen Originalbezeichnungen in der Reihenfolge des Katalogs. 305 Kritisiert wurde dieses Vorgehen in einer Rezension von James Meyer in Artforum International (1999): »But if ›Global Conceptualism‹ escaped such Western-centrism, its highlighting of the ›margins‹ at the expense of the ›centers‹ made for a tendentious show. The exhibition downplayed American efforts, and not only, one suspects, because the organizers assumed their familiarity.« James Meyer (1999): »Global Conceptualism: Points of Origin, 1950-1980s.« In: Artforum International 38. Nr. 3. URL: https://www.artforum.com/print/reviews/199907/glo bal-conceptualism-points-of-origin-1950s-1980s-32243 (letzter Zugriff am 19.08.2020). 306 Luis Camnitzer (2015): »Luis Camnitzer Looks Back: Thoughts on Global Conceptualism.« In: Culture Night Los Angeles vom 27.05.2015. URL: https://culturenightlosangeles.wordpress.co m/2015/05/27/global-conceptualism-articles-part-2-2015/ (letzter Zugriff am 26.08.2020). 307 Camnitzer/Farver/Weiss (1999): S. vii. Sowohl bei Ken Johnson als auch bei James Meyer stieß dieses kuratorische Konzept auf eine negative Reaktion. So ist bei Meyer zu lesen: »At its worst, ›Global Conceptualism‹ was canon reformation at its crudest kind. By simply replacing the canonical with the noncanonical, the ›formal‹ with the engage, the show offered a revisionist account as slanted as the most centrist presentation.« Meyer (1999). 308 Camnitzer/Farver/Weiss (1999): S. vii.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Als Beispiele erwähnt der Katalog machtpolitische Verschiebungen im Kalten Krieg, die weltweiten Proteste der 68er-Bewegungen, die gewaltsame Unterdrückung des Prager Frühlings, Dekolonialisierungsbewegungen im Globalen Süden sowie ein in dieser Periode verstärkt aufkommendes Bewusstsein für Klimawandel. Diese auf der Textebene dargelegte Interpretationslinie tritt auf der Bildebene in einen Dialog mit der visuellen Gestaltung des Covers und der Rückseite des Katalogs. So zeigt die Vorderseite eine Fotografie der Performance »Floor Event« (1970) des japanischen Künstlers Hikosaka Naoyoshi.309 In der Performance hatte Naoyoshi Latex über den Fußboden seines Zimmers gegossen und den mehrere Tage dauernden Vorgang des Trocknens in einer Reihe von Fotografien festgehalten. Ein Bild aus der Serie benutzte der Künstler später als Einladung zu seiner ersten Einzelausstellung Revolution (1971). Auch ohne genaueres Hintergrundwissen über das Abgebildete unterstützt die Bildsprache der Fotografie den politisierten Diskurs der Textebene, da zwischen den rot aufgemalten japanischen Schriftzeichen und Zahlen, die sich für ein internationales Publikum inhaltlich nicht erschließen, auf Englisch zweimal groß das Wort »Revolution« zu lesen ist. Auf der Rückseite des Katalogs ist eine Fotografie aus Wei Guangqings Performancereihe »Suicide Project« (1988) abgebildet, auf der ein in weiß gekleideteter Mann auf einem weißen Tuch mit rotem Kreuz auf einem Bahngleis liegt.310 Dabei wird er von einer Gruppe chinesischer Zuschauer*innen, die in einem Halbkreis um ihn herumsteht, beobachtet. Noch bevor der Inhalt des Katalogs konkret rezipiert werden kann, setzt die Bildsprache beider Fotografien das Ausgestellte somit assoziativ in Bezug zu Revolution und Gefahr, wobei der Fokus auf einen nicht westlichen Kontext gelegt wird. Für die Ausstellungssektion zur Sowjetunion war die 1975 in die USA ausgewanderte Kunsthistorikerin Margarita Tupicyna zuständig, die seit Anfang der 1980er Jahre mehrere Gruppenausstellungen zum Moskauer Konzeptualismus, darunter Russian New Wave (New York, 1981-1982) sowie die oben genannten Projekte Exit Art: The Green Show (New York, 1989-1990) und Between Spring and Summer (Boston, 1990), (ko-)kuratiert hatte. Sie unterhielt nach ihrer Emigration enge Kontakte zur Moskauer Kunstszene sowie zu ebenfalls in die Vereinigten Staaten übergesiedelten Künstlern wie Komar & Melamid und Il’ja Kabakov. Zwischen 1981 und 1983 arbeitete Tupicyna als Kuratorin in dem von Norton Dodge finanzierten Contemporary Russian Art Center of America in New York. Sie ist Autorin einer Vielzahl von Publikationen zum Moskauer Konzeptualismus und zur Soz-Art, die in Studien, Ausstellungskatalogen und Zeitschriften wie A-Ja, Flash Art und Art in America erschienen

309 Vgl. ausführlicher zu Naoyoshis Performance Reiko Tomii (2017): Floor Event. Hikosaka Naoyoshi. Tokio: Misa Shin Gallery. 310 Vgl. ausführlicher zu dieser Performance Thomas J. Berghuis (2006): Performance Art in China. Hongkong: Timezone 8 Limited. S. 73f.

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sind. Zusammen mit ihrem Ehemann, dem Kulturphilosophen und Kunstkritiker Viktor Tupicyn, stellt sie eine der aktivsten und international am besten vernetzten Mittlerfiguren des Künstlerkreises im nordamerikanischen Raum dar. Tupicynas Beitrag »About Early Soviet Conceptualism« im Ausstellungskatalog Global Conceptualism thematisiert überwiegend Künstler*innen aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten. Neben Il’ja Kabakov, Komar & Melamid, Andrej Monastyrskij, der Performancegruppe KD und Irina Nachova wird aber auch das Werk des ukrainischen Fotografen Boris Michajlov in den Blick genommen. Der Text ist damit eine der wenigen Publikationen, die den Fokus nicht ausschließlich auf Moskauer Konzeptkunst legt, sondern auch andere sowjetische Konzeptualisten in Betracht zieht. Dennoch ist die Moskauer Szene schwerpunktmäßig in der Ausstellungssektion vertreten. Der Moskauer Konzeptualismus wird im Katalogbeitrag ex negativo definiert, indem er sowohl von zwei einflussreichen Strömungen in der sowjetischen Kunst des 20. Jahrhunderts als auch von der angelsächsischen Conceptual Art abgegrenzt wird. So unterscheide sich die Moskauer Künstlergruppe zum einen sowohl vom sowjetischen dissidenten Modernismus der späten 1950er Jahre als auch vom Sozialistischen Realismus, wie Tupicyna argumentiert: »When considering the development of Soviet conceptualism, it is important to keep in mind this dual project of contesting the conventions of both dissident modernism and socialist realism.«311 Der Moskauer Künstlerkreis grenze sich Tupicyna zufolge zum anderen von der angelsächsischen Conceptual Art ab. Ein wichtiger Grund für den Unterschied sei der starke Fokus auf Narrativität bzw. das Erzählen in den Arbeiten der sowjetischen Künstler*innen. So durchziehe the »›aesthetic of communal babble‹«312 Il’ja Kabakovs Werk »Otvety èksperimental’noj gruppy« [Antworten der experimentellen Gruppe] (1970-1971) – erinnert sei an dieser Stelle auch an Viktor Tupicyns Begriff des ›Moskauer kommunalen Konzeptualismus‹ –, und subvertiere das Künstlerduo Komar & Melamid in der Performance »Kotlety ›Pravda‹« [›Pravda‹-Hamburger] (1975) die sowjetische Sprache der Macht und Bürokratie.313 Der Konnex zwischen Sprache und Macht spielt der Kuratorin zufolge auch in Irina Nachovas Installationsserie »Komnaty« [Zimmer] (1983-1987), einem Projekt, in dem auf den ersten Blick Visualität und weniger Verbalität dominiert, eine wichtige Rolle. Mitte der 1980er Jahre interviewte Nachovas (damaliger) Ehemann, der Kunstkritiker Iosif Bakštejn, eine Reihe von fast ausschließlich männlichen Künstlerkollegen aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten anlässlich ihres Besuchs des »Komnata No. 2« [Zimmer Nr. 2] (1984), eine Installation, die Nachova in ihrer Wohnung eingerichtet hatte. Die Dokumentation ihrer Eindrücke schrieb das

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Tupitsyn (1999): S. 99. Ebd.: S. 100. Vgl. ebd.: S. 100ff.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Werk in ein männliches Interpretationsnarrativ ein, das Tupicyna in ihrem Katalogbeitrag kritisch analysiert: »Significantly, Nakhova was (voluntarily) absent during these conversations. Other women’s voices were represented by the artists’ wives, whose comments were limited to empty epithets such as ›beautiful‹ and later presented parenthetically in the self-published volume. Therefore, the visual (here female) was effectively suppressed first by speech (here male) and then by its documentation, a text destined to become a final record of Nakhova’s installations.«314 Die Kuratorin ist bislang eine der wenigen Interpret*innen, die für eine Betrachtung der sowjetischen Kunstgeschichte aus einer Genderperspektive eintritt.315 Eine feministische Sicht auf die Historiographie des Moskauer Konzeptualismus bot die von Tupicyna kuratierte Ausstellung Irina Nakhova. The Green Pavilion (2015) auf der Biennale Venedig, in der zum ersten Mal eine weibliche Künstlerin den Kreis der Moskauer Konzeptualisten repräsentierte. In der Eingangshalle des Pavillons zeigte eine große Schwarz-Weiß-Fotografie der KD-Aktion »Russkij mir« [Russische Welt] (1985) Nachova inmitten von ihren drei Biennale-Vorgängern Il’ja Kabakov (1993), Andrej Monastyrskij (2011) und Vadim Zacharov (2013),316 womit auf konfrontierende Weise die Aufmerksamkeit auf die Unterrepräsentation von weiblichen Stimmen im Diskurs und im Kanon des Moskauer Konzeptualismus gelenkt wurde (vgl. Abb. 6). Trotz der Kritik, auf die Global Conceptualism anfänglich vor allem bei USamerikanischen Rezensent*innen stieß, hat die Ausstellung mit ihrem Versuch zu einer inklusiven Geschichtsschreibung einen nachhaltigen Einfluss auf den Diskurs über Konzeptkunst und Konzeptualismus nicht nur im nordamerikanischen, sondern auch im internationalen Raum ausgeübt. Dies geht nicht zuletzt aus der Aufnahme der Schau in den von Jens Hoffmann herausgegebenen Sammelband Show Time (2014) hervor, der Global Conceptualism zu den »50 most influential exhibitions of contemporary art« rechnet.317

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Ebd.: S. 106. Vgl. u.a. Margarita Tupitsyn (1990a): »Unveiling Feminism: Women’s Art in the Soviet Union.« In: Arts Magazine 65. S. 63-67. Vgl. zu diesem Thema auch Renee Baigall/Matthew Baigall (2001) (Hg.): Peeling Potatoes, Painting Pictures. Women Artists in Post-Soviet Russia, Estonia, and Latvia. The First Decade. New Brunswick, New Jersey/London: The Jane Voorhees Zimmerli Art Museum/Rutgers University Press. Vgl. Margarita Tupitsyn (2015) (Hg.): Irina Nakhova. The Green Pavilion. Köln: Walther König. S. 32ff. Jens Hoffmann (2014) (Hg.): Show Time. The 50 Most Influential Exhibitions of Contemporary Art. New York: D.A.P. S. 232-235.

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Abb. 6: Die Aktion »Russkij mir« [Russische Welt] (1985) mit Vadim Zacharov (links), Irina Nachova (Mitte), Il’ja Kabakov (Mitte) und Andrej Monastyrskij (rechts), Fotografie von Unbekannt.

3.4.2

Ein »›Archiv des konzeptuellen Wahns‹«: Berlin – Moskau (2003)

Knapp 15 Jahre nach dem Mauerfall eröffnete im Martin-Gropius-Bau das monumentale Ausstellungsprojekt Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 1950-2000 als Teil der Deutsch-Russischen Kulturbegegnungen von 2003-2004.318 Die Ausstellung entstand aus der Zusammenarbeit eines deutsch-russischen Kuratorenteams, das auf deutscher Seite von Jürgen Harten geleitet wurde, der 1991 die trinationale Schau Sowjetische Kunst um 1990/Sovetskoe iskusstvo okolo 1990 goda in Düsseldorf, Moskau und Jerusalem organisiert hatte. Unterstützt wurde er von Angela Schneider, der damaligen Leiterin der Neuen Nationalgalerie in Berlin und Christoph Tannert, dem Direktor des Künstlerhauses Bethanien. Auf russischer Seite traten Pavel Chorošilov in seiner Funktion als stellvertretender Minister für Kultur der Russischen Föderation sowie die Kunsthistoriker*innen Viktor Misiano und Ekaterina Degot’ als Kurator*innen auf. Wie an der aktiven Rolle Chorošilovs bereits ersichtlich

318

Die Ausstellung war als Fortsetzung der binationalen Schau Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 1900-1950 (1995-1996) angelegt.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

wird, schrieben die Veranstalter*innen der Ausstellung eine bedeutsame kulturpolitische Funktion zu. So sollte die Schau nach einer langen Geschichte der ideologischen Abschotting zwischen Russland und Deutschland nicht nur »eine gemeinsame Vergegenwärtigung der Vergangenheit«,319 sondern auch eine Annäherung zwischen beiden Kulturen über einen Dialog der Künste ermöglichen.320 Aus diesem Grund entwickelten die Organisator*innen ein integratives kuratorisches Konzept, das die deutschen und russischen Künstler*innen nicht voneinander trennte, sondern in thematischen Sektionen nebeneinander ausstellte.321 Integrativ angelegt war die Ausstellung außerdem aufgrund des intermedialen Fokus nicht nur auf bildende Kunst, sondern auch auf Architektur, Film, Theater, Musik und Literatur. Mit seiner umfangreichen Ausrichtung und intensiven Rezeption stellt Berlin – Moskau/Moskau – Berlin als medialer Aktant einen zentralen Knotenpunkt im deutsch-russischen Transfernetzwerk des Moskauer Konzeptualismus dar, in dem Kanten aus dem musealen, kulturpolitischen, wissenschaftlichen – darunter die Akteur*innen Boris Groys, Sabine Hänsgen, Wolfgang Eichwede, Sylvia Sasse, Evgenij Barabanov und Ekaterina Bobrinskaja – und nicht zuletzt dem künstlerischen Bereich zusammenkommen. Mit der Aufnahme von Textbeiträgen und Werkreproduktionen in einen Großteil der Ausstellungssektionen waren Moskauer Konzeptualisten prominent in der Schau vertreten.322 Einen Höhepunkt der Ausstellung stellte die von Vadim Zacharov entworfene Installation »Die Geschichte der russischen Kunst – Von der russischen Avantgarde bis zur Moskauer Schule der Konzeptualisten« (2003) dar (vgl. Abb. 7). Die Installation besteht aus fünf begehbaren Ordnern, welche die russische Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts in fünf Teilen chronologisieren und mit jeweils einem Stichpunkt charakterisieren: »Russian Avant-Garde: Utopia«, »Socialist Realism: Ideology«, »Non-Conformism (Unofficial Art of the 50s-60s): Art«, »Soz-Art: Self-criticism« und schließlich »Moscow Conceptual School: Archive«. Der letzte Ordner ist von innen mit weiteren Archivmappen gefüllt. Die Entscheidung für die Bezeichnung ›Moskauer konzeptuelle Schule‹ (statt Moskauer Konzeptualismus, MANI oder NOMA) begründete Zacharov im Katalog, indem er zwischen vier Phasen 319

Pawel Choroschilow/Joachim Sartorius/Peter-Klaus Schuster (2003): »Vorwort.« In: Pawel Choroschilow et al. (Hg.): Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 1950-2000. Kunst aus fünf Jahrzehnten. Berlin: H. Heenemann. S. 11. 320 Vgl. Jürgen Hartens Gespräch mit Wilhelm Christians im Rahmen der Ausstellung. [o.A.] (2003): »Politik und Kunst. Wilhelm Christians im Interview mit Jürgen Harten. Düsseldorf, 7. Oktober 2002.« In: Pawel Choroschilow et al. (Hg.): Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 19502000. Chronik. Berlin: H. Heenemann. S. 85-89, hier S. 89. 321 Vgl. Choroschilow/Sartorius/Schuster (2003): S. 11. 322 Moskauer Konzeptualisten und Soz-Art-Künstler*innen waren in den Sektionen »Prolog – Der Ruf der Kunst«, »Bilder aus dem sowjetischen Russland«, »Design und Aktion – Der erweiterte Spielraum«, »Kommunikative Systeme«, »Wendezeiten – Zeiten des Umbruchs« und »Spektakel – Die entlastete Vergangenheit« repräsentiert.

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Abb. 7: Ansicht der Installation »Die Geschichte der russischen Kunst – Von der russischen Avantgarde bis zur Moskauer Schule der Konzeptualisten« (2003), Martin-Gropius-Bau, Fotografie von Unbekannt.

in der Geschichte des Künstlerkreises unterschied. Die auf Mitte der 1970er Jahre datierte Entstehungsperiode des Moskauer Konzeptualismus kennzeichnete der Künstler als Phase der Ideologie, in der die grundlegenden Begriffe der Gruppe, wie ›leere Handlung‹ und ›Unscheinbarkeit‹, entstanden seien.323 Die zweite, bis 1988 dauernde Etappe sei eine Periode der Archivierung gewesen, die ihren Niederschlag in den MANI-Bänden und -Mappen gefunden habe (vgl. §4.1.2), während die dritte Entwicklungsstufe mit der Tätigkeit der Gruppe Inspektion Medizinische Hermeneutik und der Einführung des Begriffes NOMA (1988) durch Pavel Pepperštejn zusammenfalle.324 Für die vierte Phase schließlich, die mit der internationalen Rezeption des Kreises anfange, habe Andrej Monastyrskij 1993 die Bezeichnung Moskauer konzeptuelle Schule bzw. MOKŠA vorgeschlagen (vgl. §3.3.3).325 Auf die323 Vgl. Vadim Zakharov (2003): »Die Moskauer konzeptuelle Schule im Westen 1989-2003. Fazit, Perspektive, Lachen.« In: Pawel Choroschilow et al. (Hg.): Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 19502000. Kunst aus fünf Jahrzehnten. Berlin: H. Heenemann. S. 180-182, hier S. 180. 324 Vgl. ebd.: S. 180f. 325 Vgl. ebd.: S. 181.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

se letzte Phase bezieht sich Zacharov nach eigener Aussage in der Installation. Das Werk kann als Sinnbild für die eigenen historiographischen Bemühungen der Moskauer Konzeptualisten in der Form von kuratorischen (NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten, 1993) und verlegerischen (Pastor, 1992-2001) Projekten betrachtet werden.326 Gleichzeitig kommentierte Zacharov mit der Bezeichnung ›Moskauer konzeptuelle Schule‹ auf ironische Weise den ›schulbildenden‹ Rezeptions- und Kanonisierungsprozess des Moskauer Konzeptualismus, der sowohl von externen Interpret*innen als auch von den Künstler*innen selbst vorangetrieben wurde. Der »›Mythos der Schule‹«, so stellt Zacharov im Katalog fest, beruhe auf einem »›Archiv des konzeptuellen Wahns‹ […]. Das Archiv und das Lachen bilden die Moskauer Schule des Konzeptualismus.«327

3.4.3

Kanon und kulturelle Erinnerung: Die totale Aufklärung (2008)

»Seit der Perestroika der 1980er Jahre wird der Moskauer Konzeptualismus mittlerweile auch in Russland selbst allgemein als wichtigste russische Kunstbewegung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesehen. Der blinde Fleck füllt sich mit Bildern. Moskauer Konzeptualisten erzielen Auktionsrekorde.«328 Dies schreiben Max Hollein und Manuel Fontán del Junco im Vorwort zu der von Boris Groys kuratierten Ausstellung Die totale Aufklärung. Moskauer Konzeptkunst 1960-1990, die zwischen 2008 und 2009 in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt und der Fundación Juan March in Madrid zu sehen war. Während die Fundación Juan March den Moskauer Konzeptualismus zum ersten Mal schwerpunktmäßig thematisierte, stellte Die totale Aufklärung in der Schirn Kunsthalle den Abschluss einer Trias großangelegter Ausstellungsprojekte zur russisch-sowjetischen Kunst des 20. Jahrhunderts dar, angefangen mit Die große Utopie. Russische Avantgarde 1915-1932 (1992) und gefolgt von der ebenfalls von Groys kuratierten Schau Traumfabrik Kommunismus. Die visuelle Kultur der Stalinzeit (2003). Die Reihe zeigt eine historiographische Einteilung der russischen Gegenwartskunst, in der die historischen Avantgarden den Beginn einer Entwicklung im frühen 20. Jahrhundert bilden, die über den Sozialistischen Realismus schließlich zum Moskauer Konzeptualismus führt. Letzterem wird auf diese Weise eine stellvertretende

326 Weitere Beispiele sind zu erwähnen. So traten Nikolaj Panitkov und Sergej Romaško als Kuratoren bei der Ausstellung MANI Museum. 40 Moskauer Künstler (1991) im Frankfurter Karmeliterkloster auf und war Pavel Pepperštejn an der Erarbeitung des Ausstellungskonzepts von Flug – Entfernung – Verschwinden (Prag/Berlin/Kiel, 1995) beteiligt. 327 Zakharov (2003): S. 181. 328 Max Hollein/Manuel Fontán del Junco (2008): »Vorwort.« In: Boris Groys/Max Hollein/Manuel Fontán del Junco (Hg.): Die totale Aufklärung. Moskauer Konzeptkunst 1960-1990/Total Enlightenment. Conceptual Art in Moscow 1960-1990. Ostfildern: Hatje Cantz Verlag. S. 8-12, hier S. 8.

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Position für die spätsowjetische Kunst zugeschrieben, die auch das Anfangszitat unterstreicht, wenn die Verfasser den Kreis als »wichtigste russische Kunstbewegung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts« charakterisieren. Damit wird der Moskauer Konzeptualismus als fester Bestandteil des kunstgeschichtlichen Kanons präsentiert. Der Komparatist Herbert Lindenberger hat argumentiert, dass Kanonbildung weniger aus dem Wunsch entsteht, sich mit der Bedeutung einzelner Personen oder Werke zu beschäftigen, als vielmehr aus dem Bedürfnis, ein plausibles Narrativ für die Geschichte und die Identität einer Kultur zu entwerfen, das von einem Kanon repräsentiert werden soll.329 Die Ausstellung Die totale Aufklärung, die maßgeblich auf Groys’ Forschungsarbeiten zum Moskauer Konzeptualismus aufbaut,330 erhellt diesen Konnex zwischen Kanonbildung, kollektiver Erinnerung und kultureller Identität, wie im Folgenden dargelegt wird. Die Wortkombination ›die totale Aufklärung‹ führt Groys im Katalog als Sinnbild für die künstlerische Praxis der Moskauer Konzeptualisten ein, die in ihren Werken gesellschaftspolitische Diskurse und ideologische Machtverhältnisse in der sowjetischen Kultur sichtbar machen und analysieren würden: »Daher spielte der offizielle Diskurs darüber, was Kunst ist, in allen Bereichen der sowjetischen Kultur eine alles bestimmende Rolle. Das Hauptverfahren des Moskauer Konzeptualismus bestand darin, diesen offiziellen Diskurs privat, ironisch, profan zu benutzen, zu variieren und zu analysieren. In diesem Sinne praktizierte der Moskauer Konzeptualismus Aufklärung – und zwar totale Aufklärung.«331 Der Titel lässt sich ebenfalls auf einer Metaebene deuten. So versteht sich die Ausstellung als »fundamentalen Beitrag zur historischen Analyse einer der prägendsten Strategien der Kunst des 20. Jahrhunderts«.332 Der Katalog, dessen aus Graukarton bestehender Bucheinband optisch an die Drucktradition des Samizdat erinnert, weist einen beeindruckenden Umfang von 423 Seiten auf und umfasst neben interpretierenden Texten, Bild- und Objektreproduktionen eine Reihe historischer Dokumente – darunter Groys’ Essay aus der Zeitschrift A-Ja. Unoffical Russian Art Review (1979) – sowie eine ausführliche, von der Kunsthistorikerin Ekaterina Bobrinskaja zusammengestellte Chronologie des Moskauer Konzeptualismus. Damit sind die eigenen totalisierenden Aufklärungsansprüche des Projekts unübersehbar. 329 Vgl. Herbert Lindenberger (1990): The History of Literature: On Value, Genre, Institutions. New York: Columbia University Press. S. 141. 330 Vgl. Hollein/Fontán del Junco (2008): S. 9. 331 Boris Groys (2008b): »Die Konzeptkunst des Kommunismus.« In: Boris Groys/Max Hollein/Manuel Fontán del Junco (Hg.): Die totale Aufklärung. Moskauer Konzeptkunst 19601990/Total Enlightenment. Conceptual Art in Moscow 1960-1990. Ostfildern: Hatje Cantz Verlag. S. 18-25, hier S. 22. 332 Hollein/Fontán del Junco (2008): S. 8.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

In seinem einführenden Katalogbeitrag definiert Groys den Moskauer Künstlerkreis als »geschlossene, relativ klar definierte, sich von der übrigen russischen Kunst bewusst abgrenzende Kunstbewegung, die über ihre eigene, für den russischen Betrachter leicht identifizierbare Ästhetik und sogar über eine quasi-institutionelle innere Organisation verfügt.«333 Die interne selbstorganisatorische Infrastruktur der Konzeptualisten habe, so führt der Verfasser weiter aus, »die Keimzelle für die Entstehung einer neuen Kunstöffentlichkeit im neuen Russland«334 gebildet (vgl. §4.1.2). Diese Zuschreibungen lassen den Moskauer Konzeptualismus hier ausdrücklich nicht als ›Verdacht‹,335 sondern vielmehr als kanonfähig erscheinen. Ähnlich wie in bisher besprochenen Ausstellungen konstituiert sich das Identitätsnarrativ des Künstlerkreises im Katalog über Differenz. So unterscheide sich das Werk der Moskauer Konzeptualisten laut Groys nicht nur durch seine »für den russischen Betrachter leicht identifizierbare Ästhetik« (s.o.) von angelsächsischen Varianten des Konzeptualismus, sondern auch das Selbstverständnis der Künstler*innen und die Kunstauffassungen der Rezipierenden seien in Ost und West grundlegend anders. Diente die Begriffszusammensetzung ›Moskauer Konzeptualismus‹ besonders in der frühen internationalen Rezeptionsgeschichte als gleich-

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Groys (2008b): S. 19. Eine ähnliche Definition gibt in ihrem Beitrag Ekaterina Bobrinskaya (2008): »Der Moskauer Konzeptualismus. Ästhetik und Geschichte.« In: Boris Groys/Max Hollein/Manuel Fontán del Junco (Hg.): Die totale Aufklärung. Moskauer Konzeptkunst 19601990/Total Enlightenment. Conceptual Art in Moscow 1960-1990. Ostfildern: Hatje Cantz Verlag. S. 36-47, hier S. 36. Vertreten wird der Moskauer Konzeptualismus in der Ausstellung von Il’ja Kabakov, Viktor Pivovarov, Ivan Čujkov, Komar & Melamid, Ėrik Bulatov, Aleksandr Kosolapov, Leonid Sokov, Griša Bruskin, Dmitrij Prigov, Lev Rubinštejn, Boris Michajlov, Igor’ Makarevič, Elena Elagina, Nikolaj Panitkov, Andrej Monastyrskij, Jurij Lejderman, Pavel Pepperštejn, Sergej Anufriev, Jurij Al’bert, Vadim Zacharov, Georgij Kizeval’ter, Andrej Filippov und den Künstlergruppen KD und Inspektion Medizinische Hermeneutik. Nicht repräsentiert sind Künstler*innen wie Fransisko Infante-Arana, Rimma und Valerij Gerloviny, Vladimir Sorokin, Vsevolod Nekrasov, Irina Nachova, Natal’ja Abalakova, Anatolij Žigalov, Sergej Romaško, Viktor Skersis sowie die Gruppen Muchomor [Fliegenpilz] und Gnezdo [Nest]. Für die Exklusion dieser Künstler*innen gibt es verschiedene mögliche Gründe. Diese hängen mit Groys’ persönlichen Beziehungen zu einzelnen Künstler*innen sowie mit deren Bereitschaft zur Mitarbeit an der Ausstellung und der Verfügbarkeit von Leihgaben zusammen. Auch spielen der Bekanntheitsgrad der Künstler*innen in Deutschland – so werden Rimma und Valerij Gerloviny aufgrund ihrer Emigration in die USA bislang stärker dort als in Deutschland rezipiert – und das Abgrenzungsverhältnis einiger Personen zum Kreis (Vsevolod Nekrasov, Vladimir Sorokin) eine Rolle. Vgl. zu den Selektionskriterien Boris Groys (2008c): »Konceptualizm – poslednee avangardnoe dviženie.« In: Moscow Art Magazine 70. URL: http://moscowartmagaz ine.com/issue/22/article/348 (letzter Zugriff am 18.08.2020). 334 Groys (2008b): S. 25. 335 Wie in der Einleitung dargelegt wurde, argumentierte Groys im Jahre 2003, der Moskauer Konzeptualismus sei »nothing more than a rumor, a supposition, a suspicion.« Groys (2003): S. 87.

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zeitiges Originalitäts- und Wiedererkennungsargument, mit dem die Aufnahme des Kreises als entgegenkommender Strömung sowohl ideell als auch kommerziell legitimiert wurde (vgl. §3.1.1), eigneten sich die Künstler*innen das Alteritätsnarrativ in den 1990er Jahren als Mythologisierungs- und Hermetisierungsstrategie an, mit der die Deutungshoheit externer, nicht russischer Betrachter*innen infrage gestellt wurde (vgl. §3.3). Diese letztere Vermittlungsstrategie ist kennzeichnend für die Ausstellung Die totale Aufklärung. Hatte Groys die Andersartigkeit des Moskauer Konzeptualismus in der Zeitschrift A-Ja. Unofficial Russian Art Review (1979) mit dem Hinweis auf dessen romantischen bzw. lyrischen Charakter begründet, hebt er nun den sowjetischen Entstehungskontext der Werke als Alleinstellungsmerkmal des Kreises hervor, eine Argumentationslinie, die er 1995 im Katalog zur Schau Kräftemessen erstmals einführte: »Die russische Kunst sieht dagegen in Andersheit und Singularität der sowjetischen Geschichte eine Chance, sich selbst radikal zu privatisieren, indem sie sich vor allem vom Westen abgrenzt und als eine radikal andere in bezug auf die westliche kulturelle Szene proklamiert. Denn die russische Kunst glaubt nicht nur, ein anderes Bewußtsein, sondern auch ein anderes Unbewußtes zu haben.«336 Die Abgrenzung des Moskauer Konzeptualismus vom Westen und die damit einhergehende Charakterisierung der Perspektive von westeuropäisch sozialisierten Rezipierenden als unzureichend337 für die Interpretation des Künstlerkreises führt im Umkehrschluss jedoch zu einem grundsätzlichen Problem bei der Vermittlung seiner Werke an ein fremdkulturelles Publikum. Denn, so fragt Martina Weinhart in ihrem Katalogbeitrag »Verständliche Unverständlichkeit – Der Moskauer Konzeptualismus und der westliche Betrachter«, was »kann uns diese eigentümlich ›exotische‹ Kunst aus Moskau sagen, wenn sie als prinzipiell hermetisch, unintelligibel und von außen weder versteh- noch erklärbar deklariert wird?«338 Gemein-

336 Boris Groys (1995): »Privatisierungen/Psychologisieren.« In: Haralampi G. Oroschakoff (Hg.): Kräftemessen. Eine Ausstellung ost-östlicher Positionen innerhalb der westlichen Welt. Ostfildern: Hatje Cantz Verlag. S. 81-90, hier S. 85f.; vgl. zu diesem Punkt auch Manuela Schöpp (2011): Konzeptualismus diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs. Joseph Kosuth und Ilya Kabakov. Berlin: Univ. Diss. S. 241. 337 Im Katalog weist Groys außerdem darauf hin, dass bisherige Ausstellungen zum Moskauer Konzeptualismus eher nach dem Prinzip des Zufalls und der eigenen Intuition der Ausstellungsmacher*innen entstanden seien. Diese hätten die kunsthistorische Einordnung und den historischen Entstehungskontext des Künstlerkreises aufgrund fehlender Informationen unzureichend thematisiert. Vgl. Groys (2008b): S. 19f. 338 Martina Weinhart (2008): »Verständliche Unverständlichkeit. Der Moskauer Konzeptualismus und der westliche Betrachter.« In: Boris Groys/Max Hollein/Manuel Fontán del Junco (Hg.): Die totale Aufklärung. Moskauer Konzeptkunst 1960-1990/Total Enlightenment. Conceptual Art in Moscow 1960-1990. Ostfildern: Hatje Cantz Verlag. S. 62-67, hier S. 65f.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

sam »[ü]ber Parolen lachen«,339 lautet der Vorschlag des Literaturkritikers Uwe Wittstock in einer Ausstellungsrezension in Die Welt. Darin betrachtet Wittstock den Moskauer Konzeptualismus als Antwort auf den Umgang von Kunst mit Diktatur – eine Geschichte, die das postsowjetische Russland mit der Bundesrepublik Deutschland teilt. Dieser äußere sich nicht in der politischen Konfrontation, sondern in der ironisierenden Analyse von unterdrückenden Strukturen. Weniger im Erbe des Dissidententums, sondern im gemeinsamen Lachen über repressive Mechanismen sieht der Autor einen Anknüpfungspunkt für die deutschsprachige Rezeption des Moskauer Konzeptualismus. Den in der Rezension thematisierten Zusammenhang zwischen Konzeptkunst und Vergangenheitsbewältigung, der erstmals in Ausstellungen wie Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe (1988) und Labyrinth (1989) thematisiert wurde (vgl. §3.2.1), beobachtet auch Albena LutzkanovaVassileva, wenn sie schreibt, dass »[t]heir testimonies [der Moskauer Konzeptualisten, D.S.] […] attest to the traumatic abolition of communist reality, which had been largely seen as unattained and everlasting, as well as to its unforeseen displacement by an impenetrable political order. Rather than obstructing our dialogue with history, conceptualism thus records the psychic trauma accompanying the shift from Soviet to postSoviet society that, because of its sudden occurrence, had failed to attain immediate and direct registration in the human mind.«340 Die Ausstellung Die totale Aufklärung und ihre Rezeption in der Presse zeigen, dass der Moskauer Konzeptualismus im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre einen kanonischen Status als Kunst erlangt hat, die nicht nur das Trauma der sowjetischen Geschichte aufzeigt und verarbeitet, sondern auch die Übergangsphase zum postsowjetischen Gesellschaftssystem kommentiert. In den Vordergrund des Interesses rücken damit nicht primär ästhetische Kriterien, sondern es werden gesellschaftspolitische Fragestellungen verhandelt, die den Konnex zwischen Kanonbildung, Vergangenheitsbewältigung und Identitäts- und Alteritätsvorstellungen nach dem Ende des Kalten Krieges erhellen.

339 Uwe Wittstock (2008): »Über Parolen lachen. Frankfurts Schirn zeigt, wie Moskauer Konzeptkunst mit der Diktatur umging.« In: Die Welt vom 11.07.2008. URL: https://www.welt.de/welt_ print/article2201601/Ueber-Parolen-lachen.html (letzter Zugriff am 16.08.2020). 340 Albena Lutzkanova-Vassileva (2015): The Testimonies of Russian and American Postmodern Poetry. Reference, Trauma, and History. New York/London: Bloomsbury. S. 11.

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3.5

Fazit: »Not Everyone Will Be Taken into the Future«

»This chilling sentence«, so kommentiert Il’ja Kabakov das Zitat im Titel dieses Zwischenfazits, »contains the primordial division of all people into three categories, like children. 1. He who will take. 2. He who will be taken. 3. He who will not be taken. … I shall not be taken.«341 Im kurzen Essay »Not Everyone Will Be Taken into the Future/V buduščee voz’mut ne vsech«, der 1983 in der Zeitschrift A-Ja erschien, imaginiert Kabakov Kazimir Malevič als strengen Schuldirektor, der darüber entscheidet, welche Pionier*innen den Sommer im Ferienlager verbringen dürfen – eine Allegorie auf die Frage, welche Künstler*innen wohl mit in die Zukunft genommen oder der Vergessenheit anheimfallen werden. Sich selbst ordnete Kabakov 1983 der letzten Kategorie zu. Als Titel einer Installation, die 2001 auf der Biennale Venedig zu sehen war, und einer Überblicksausstellung in London, St. Petersburg und Moskau im Jahre 2018-2019 hat sich der Satz zu einem Leitmotiv im Werk des Künstlers entwickelt. An dieser Stelle dient er als Ausgangspunkt für eine schlussfolgernde Betrachtung der Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland zwischen 1969 und 2020. Die Analyse des deutsch-russischen Transfernetzwerkes, das in diesem Kapitel in ein größeres westeuropäisches und US-amerikanisches Beziehungsnetz eingebettet wurde, legte den Fokus auf zentrale Akteur*innen und ihre Rollensets. Auf diese Weise konnte gezeigt werden, dass namentlich sowjetische Emigrant*innen wie Aleksandr Glezer, Igor’ Šelkovskij, Igor’ Golomštok, Viktor und Margarita Tupicyny, die in den 1970er Jahren nach Paris, London und New York ausgewandert waren, am Aufbau einer internationalen Infrastruktur für die Rezeption nicht-kanonkonformer Kunst aus der UdSSR beteiligt waren. Sie gründeten nicht nur Zeitschriften (A-Ja) und Museen (Musée Russe en Exil), sondern organisierten außerdem Wanderausstellungen von Kunstsammlungen. Die Kollektion von Aleksandr Glezer fand mit der Dissens-Biennale in Venedig von 1977 eine einflussreiche mediale Plattform und belegt, wie die sowjetischen Mittler*innen neue mit existierenden Netzwerkclustern verbanden. Werke von Il’ja Kabakov, Ėrik Bulatov und Vladimir Jankilevskij, die in diesem Jahrzehnt als Hauptvertreter des russischen Konzeptualismus angewiesen wurden, waren in Ausstellungen meist neben Repräsentant*innen der Lianozovo-Gruppe, wie Oskar Rabin und Lidija Masterkova, zu sehen. Subsumiert wurden die Künstler*innen unter den politisierten und von Glezer popularisierten Terminus des ›Nonkonformismus‹.

341

I. Kabakov (1983): »Not Everyone Will Be Taken into the Future/V buduščee voz’mut ne vsech.« In: A-Ja. Unofficial Russian Art Review 5. S. 34-35, hier S. 34. [В этой леденящей фразе заключено изначальное разделение всех людей, как детей, на три категории: 1. Кто возьмет. 2. Кого возьмут. 3. Кого не возьмут. … Меня не возьмут.]

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Obwohl gesellschaftspolitische Makrostrukturen die internationale Rezeption der russischen Konzeptkunstszene in den 1970er und 1980er Jahren überwiegend blockierten, schufen sie in Ausnahmefällen auch Freiräume für den Kunsttransfer. Exemplarisch sichtbar wird dies am Beispiel der Mittlertätigkeit vom Schweizer Wirtschaftsdiplomaten Paul R. Jolles, der maßgeblich am Zustandekommen der ersten Einzelausstellung Il’ja Kabakovs Am Rande (1985) in der Kunsthalle Bern beteiligt war. In seinen Memoiren Memento aus Moskau (1997) erwähnt Jolles die Schweizer Neutralitätspolitik und die Vertragsfreiheit gegenüber der Sowjetunion als Faktoren, die das Knüpfen von russischen Kontakten für Schweizer Diplomat*innen nicht nur im wirtschaftlichen, sondern auch im kulturpolitischen und künstlerischen Bereich erleichterten.342 Diese wiederum bildeten die Voraussetzung für die Organisation der Berner Ausstellung. Gesellschaftliche und institutionelle Makrokontexte wurden auch in der Analyse von einzelnen Interpretationsparadigmen berücksichtigt. So macht sich in Boris Groys’ Essay »Moskovskij romantičeskij konceptualizm/Moscow Romantic Conceptualism«, der 1978 zunächst in der Leningrader Samizdat-Zeitschrift 37 und im Jahr darauf in der ersten Ausgabe des Pariser Kunstalmanachs A-Ja. Unofficial Russian Art Review erschien, der Einfluss eines religionsphilosophischen Diskurses bemerkbar, der in den 1970er Jahren in der Sowjetunion aufkam. Dargelegt wurde außerdem, dass die intensive Rezeption von Arbeiten der Moskau-Tartu-Schule innerhalb der deutschsprachigen Slavistik in den 1970er und 1980er Jahren die von Georg Witte und Sabine Hänsgen vertretene kultursemiotische Deutung des Moskauer Künstlerkreises im Band Kulturpalast. Neue Moskauer Poesie & Aktionskunst (1984) geprägt hat. Die Berücksichtigung von Makrokontexten erhellt die Entstehung von Deutungsangeboten, erklärt allerdings noch nicht deren langfristige Annahme oder Ablehnung im Rezeptionsprozess. Am Beispiel von Vsevolod Nekrasovs Pamphlet Dojče Buch (2002) konnte gezeigt werden, dass die transkulturelle Mobilität, die Sprachkenntnisse und der Zugang zur medialen Öffentlichkeit einer Mittlerfigur zur Diskursmacht beitragen und die Chance einer langfristigen Zirkulation von Wissenskomplexen erhöhen. Zu klären bleibt, warum gerade der Moskauer Konzeptualismus und keine andere Kunstrichtung einen stellvertretenden Status für die nicht-kanonkonforme sowjetische Kunst im deutschsprachigen Raum erlangen konnte. Bei der Beantwortung dieser Frage spielen sowohl ästhetische als auch kommerzielle und kulturpolitische Kriterien eine Rolle. In seinem diskursbegründenden Aufsatz in A-Ja (1979) charakterisierte Groys den Künstlerkreis als die sowjetische Antwort auf die angelsächsische Conceptual Art, die er als internationale künstlerische Strömung (›Konzeptualismus‹) definierte. Der Begriff ›Moskauer romantischer Konzeptualismus‹ war dabei bewusst als vergleichender Terminus angelegt. Erleichert wur342 Vgl. Jolles (1997): S. 12f.

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de die ideelle und kommerzielle Rezeption der Künstler*innen aufgrund der auch für nicht russische Betrachter*innen wiedererkennbaren Ästhetik ihrer Werke, die eine Nähe zu sowohl Konzeptkunst als auch Pop Art aufweist. Mit der Thematisierung von »sowjetischen Realien, für die damals der Westen eine große Vorliebe hatte«,343 positionierte sich der Kreis jedoch nicht als bloße Kopie dieser bekannten Strömungen, sondern als zutiefst originelle Kunstrichtung. Dies heben auch die Künstler*innen in ihrer Selbstinszenierung hervor. So suchte die Ausstellung NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten (1993) die Andersartigkeit, sprich: Originalität des Moskauer Konzeptualismus durch eine Mystifizierung des Künstlerkreises zu unterstreichen. Damit reaktivierte die Schau tradierte, slavophil geprägte Russlandbilder, auf die auch Groys in seinem Essay in A-Ja (1979) zurückgriff. Ein weiterer Grund für das (anhaltende) Interesse am Moskauer Konzeptualismus besteht nicht zuletzt darin, dass sich der Kreis aufgrund seiner internen Heterogenität als anschlussfähig an eine Vielzahl von Interpretationstheorien erweist – »ob nun Dekonstruktion oder feministische Theorie, ob Phänomenologie der visuellen Metapher oder Psychoanalyse«,344 wie der Kritiker Iosif Bakštejn schreibt. Deswegen ist dieser leicht kompatibel mit wandelnden Forschungsinteressen und regt bis heute zu neuen Studien an. Die intensive Rezeption des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland hat nicht nur ästhetische, sondern auch kulturpolitische Gründe. So interpretierte man die Kunstwerke Ende der 1980er Jahre vielfach als direkten Ausdruck von Gorbačevs Perestrojkapolitik. Ihre spezifische, aber dennoch wiedererkennbare Ästhetik wurde als kulturelles Bindeglied zwischen Deutschland und der (ehemaligen) Sowjetunion wahrgenommen, die den Annäherungsprozess zwischen beiden Kulturen symbolisieren und sogar aktiv fördern sollte. In dieser Vorstellung kommt Kunst als Aktant eine klare gesellschaftspolitische Agency zu. Diese Funktion wird dem Moskauer Konzeptualismus bis heute zugeschrieben, wie die Analyse der Schau Die totale Aufklärung (2008) gezeigt hat. Sowohl im Katalog als auch in der Rezeption der Ausstellung steht der Konnex zwischen Konzeptkunst und Vergangenheitsbewältigung im Vordergrund. Der Moskauer Konzeptualismus wird als Antwort auf den Umgang von Kunst mit Diktatur interpretiert, der sich nicht in politischer Opposition, sondern in Reflexion und Ironie äußert. Auf diese Weise wird sichtbar, wie sich die Interpretation des Künstlerkreises stets an die Bedürfnisse eines neuen kulturellen und zeitgeschichtlichen Kontexts anpasst.

343 Michail Ryklin (2003): »Grenznostalgie.« In: Pawel Choroschilow (Hg.): Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 1950-2000. Kunst aus fünf Jahrzehnten. Berlin: H. Heenemann. S. 274-276, hier S. 274. 344 Joseph Bakshtein (1995): »Der Moskauer Konzeptualismus: Leben und Schicksal.« In: Kathrin Becker/Dorothee Bienert/Milena Slavická (Hg.): Flug – Entfernung – Verschwinden. Konzeptuelle Moskauer Kunst. Ostfildern: Hatje Cantz Verlag. S. 141-145, hier S. 143.

3. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Deutschland

Die Verschränkung von ästhetischen mit kulturpolitischen Fragen in der deutschen Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus, so soll abschließend angemerkt werden, verschafft nicht nur Einblick in die fremdkulturelle Wahrnehmung des Kreises, sondern auch in die Neuformulierung der deutsch-russischen Kulturbeziehungen nach dem Ende des Kalten Krieges. Dies kommt nirgendwo deutlicher zum Ausdruck als in dem monumentalen Triptychon »Leben über Alles« (1999), das Griša Bruskin für den Clubraum des Bundestages schuf. Die 115 Einzelbilder im Werk thematisieren bekannte sowjetische Mythen und Topoi, darunter eine Kolchosbäuerin mit einer renten Ernte und einen Soldaten mit einem Grenzpfahl der UdSSR. Der Versuch zur ideologischen Indoktrination, den Bruskin im Triptychon reflektiere, so führt Andreas Kaernbach als Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages aus, »verbindet die beiden totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts, Kommunismus und Nationalsozialismus, und stellt auch mit Blick auf die DDR eine enge Beziehung zwischen Russland und Deutschland her.«345 »Der Betrachter«, so schließt er, »soll im Spiegel russischer totalitärer Mythen ihm vertraute Details der eigenen Geschichte entdecken.«346 Damit wird der Moskauer Konzeptualismus in einen breiteren gesellschaftlichen Diskurs über Vergangenheitsbewältigung integriert, der das wiedervereinigte Deutschland und das postsowjetische Russland miteinander verbindet.

345 Andreas Kaernbach (o.J.): »Grisha Bruskin.« In: bundestag.de. URL: https://www.bundestag.d e/besuche/kunst/kuenstler/bruskin/bruskin-199142 (letzter Zugriff am 27.08.2020). 346 Ebd.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Grafik 3: Vermittlungszentren in der russischen Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus (1967-2020)

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

4.1

»Noch nicht das Ende« (1991): Die frühe Rezeption des Moskauer Konzeptualismus in der Sowjetunion (1970-1991)

Im Jahre 1991 erschien ein Dokumentarfilm der Regisseurin Ol’ga Sviblova über die Entwicklung der Moskauer Kunstszene seit den späten 1980er Jahren mit dem Titel V poiskach sčastlivogo konca [Auf der Suche nach einem glücklichen Ende]. Unter den thematisierten Künstler*innen befanden sich mit Il’ja Kabakov, Dmitrij Prigov, Jurij Al’bert und der Gruppe Muchomor [Fliegenpilz] mehrere Repräsentanten des Moskauer Konzeptualismus.1 In den letzten Minuten des Films wechseln sich Bilder des Augustputsches von 1991 mit Aufnahmen von Kunstwerken ab, infolgedessen eine enge Verbindung zwischen Kunst und Gesellschaft hergestellt wird. Gezeigt wird u.a. ein Gemälde von Konstantin Zvezdočetov mit der Aufschrift »Ešče ne konec« [Noch nicht das Ende]. Der Text hat einen janusköpfigen Charakter. Betrachtet man den Satz im Kontext des Films einerseits als Metakommentar zum versuchten Staatsstreich der KPdSU von 1991, hebt dieser die Unabgeschlossenheit der kommunistischen Vergangenheit und das Fortbestehen alter Machtstrukturen hervor. Die Aufschrift kann andererseits aber auch aus einer zukunftsorientierten Perspektive interpretiert werden. In diesem Fall verweist das Gemälde auf die neuen Freiräume für Künstler*innen aus dem nicht-kanonkonformen Bereich, die – so zeigen Aufnahmen von Ausstellungen am Ende des Dokumentarfilms – nun nicht länger am Rande, sondern mitten in der Gesellschaft angesiedelt sind. Gegenstand dieses Kapitels sind die Rezeptionsgeschichte und die Kanonisierung des Moskauer Konzeptualismus in Russland. Die Entstehung dieses Kreises, der sowjetische Mythen in Kunst und Literatur häufig auf ironische Weise zu dekonstruieren sucht, hat sich im Laufe der Zeit selbst in einen Mythos verwandelt.

1

Ebenfalls vertreten sind die Künstler*innen Sergej Šutov, Ajdan Salachova, Nikolaj Ovčinnikov, Konstantin Latyšev und der Kunstkritiker Viktor Misiano. Der Dokumentarfilm ist unter dem folgenden Link verfügbar: URL: https://www.colta.ru/articles/ostrov90/8555-v-poiskah-s chastlivogo-kontsa (letzter Zugriff am 27.08.2020).

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Festzuhalten ist aber, dass Diskussionen über eine Moskauer Konzeptkunstszene ab Mitte der 1970er Jahre nicht nur in der Pariser Tamizdat-Zeitschrift A-Ja. Unofficial Russian Art Review, sondern auch in sowjetischen Samizdat-Periodika wie Metki [Zeichen] (Moskau) und 37 (Leningrad) aufkamen. Als mediale Aktanten begleiteten diese Kunst- und Literaturalmanache die Formierung eines wachsenden Netzwerkes von Künstler*innen, die ihr Werk in dieser Periode der Konzeptkunst bzw. dem Konzeptualismus zuordneten. Diesen Prozess rekonstruiert der erste Teil dieses Kapitels, indem eine Reihe egozentrierter Netzwerke von Vertreter*innen und Mittlerfiguren des Moskauer Konzeptualismus ausgewertet und analysiert wird (vgl. §4.1.1). Das öffentliche Ausstellen nicht-kanonkonformer Kunst war bis Ende der 1980er Jahre in der Sowjetunion bis auf wenige Ausnahmen verboten. Aus diesem Grund schufen die Moskauer Konzeptualisten eine alternative Rezeptionsinfrastruktur, die es erlaubte, gemeinsame Wohnungsausstellungen, Seminare und Dokumentationsprojekte durchzuführen. Diese Strategien der Selbstinstitutionalisierung und -archivierung werden im Abschnitt §4.1.2 erforscht. Der darauffolgende Teil (§4.1.3) thematisiert die allmähliche Öffnung des sowjetischen Kunstfeldes unter Michail Gorbačev, dessen wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Reformmaßnahmen in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zu einer zunehmenden Liberalisierung und Kommerzialisierung des Kunstbetriebs führten. Erste öffentliche Ausstellungen mit Künstler*innen aus dem nicht-kanonkonformen Bereich konnten in Moskau ab 1987 stattfinden. Diese Projekte legten die Basis für eine postsowjetische Kunstinfrastruktur, die sich in der Periode zwischen 1991 und 1994 weiterentwickelte. Schlüsselrollen in der Umstrukturierung des Moskauer Kunstbetriebs nahmen insbesondere Repräsentant*innen und Mittlerfiguren des Moskauer Konzeptualismus ein, die sich bereits seit den 1970er Jahren durch verschiedene Formen der Selbstorganisation ausgezeichnet hatten. Die Rezeption des Moskauer Künstlerkreises nimmt in Russland ab 1991 einen kanonisierenden Charakter an. Die Analyse dieses historiographischen Diskurses wird in drei größere Zeitabschnitte unterteilt. Jeweils drei Einzelanalysen pro Abschnitt ermöglichen es, repräsentative Mittlerfiguren, Ausstellungen, Texte und Bilder im Netzwerk genauer in den Blick zu nehmen, um diese Geschichte aufzuarbeiten: 1. Der postsowjetische Kunstbetrieb als ›Tusovka‹: Die Aufarbeitung des Moskauer Konzeptualismus zwischen 1991-1994 2. Die Musealisierung des Moskauer Konzeptualismus: Verflechtungen zwischen dem russischen und dem internationalen Mittlernetzwerk (1995-2004) 3. »Ruhm für die Helden des Konzeptualismus«: Moskauer Konzeptualismus im Kanon der russischen Kunst (2005-2020)

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

4.1.1

Die Entstehung des Moskauer Konzeptualismus (1970-1979)

Die Forschungsliteratur zum Moskauer Konzeptualismus datiert die Entstehung des Künstlerkreises in der Regel auf Mitte bis Ende der 1970er Jahre. Als entscheidendes Moment wird die Veröffentlichung von Boris Groys’ Aufsatz in der ersten Ausgabe der Zeitschrift A-Ja. Unofficial Russian Art Review von 1979 betrachtet, der Lev Rubinštejn, Ivan Čujkov, Fransisko Infante-Arana und die Gruppe KD unter den Sammelbegriff des ›Moskauer romantischen Konzeptualismus‹ subsumierte. Dennoch stellt gerade eine Analyse der Ursprünge des Kreises bis heute ein Desiderat in der Forschung dar. Wie im vorigen Kapitel am Beispiel von Vadim Zacharovs Umfrage zur Geschichte des Moskauer Konzeptualismus in der Zeitschrift Pastor (Nr. 1, 1992) deutlich wurde, zirkulieren unter den Künstler*innen mehrere Gründungsmythen (vgl. 3.3.3). Dies merkte im Jahre 2014 auch Jurij Al’bert im Katalog zur Ausstellung Moskovskij konceptualizm. Načalo [Moskauer Konzeptualismus. Der Anfang] (Nischni Nowgorod, 2012) kritisch an, als er schrieb: »Несмотря на то, что московский концептуализм давно уже считается классикой, начальный период его истории до сих пор не ясен, не изучен, и наши знания о нем – скорее мифы и легенды.«2 Im Rahmen dieses Ausstellungsprojekts führte Al’bert Interviews mit insgesamt zwölf Vertreter*innen und fünf Mittlerfiguren des Moskauer Konzeptualismus.3 In den Gesprächen suchte er das Aufkommen der Diskussion über die konzeptuelle Kunst in Moskau zu datieren, indem er die Beteiligten nach ihrer ersten Begegnung mit diesem Begriff sowie ihren Kontakten zu anderen Repräsentant*innen der nicht-kanonkonformen Künstlerszene fragte. Auf der Grundlage dieser Texte lassen sich 17 Egonetzwerke rekonstruieren, die Einblick in die Struktur und die Qualität der Beziehungen zwischen den Befragten geben. Obwohl die Interviews an manchen Stellen Suggestivfragen enthalten und die Künstler*innen aus einer zeitlichen Distanz von ca. 40 Jahren auf die Anfangsphase des Moskauer Konzeptualismus zurückblicken, weshalb ein gewisses Maß an Subjektivität und Gedächtnislücken unvermeidbar auftreten, erlaubt eine vergleichende Analyse der Texte neuartige Rückschlüsse auf die Formierung des Kreises, die im Folgenden thematisiert werden. 2

3

Jurij Al’bert (2014b): »Moskovskij konceptualizm. Načalo.« In: Jurij Al’bert (Hg.): Moskovskij konceptualizm. Načalo. Nischni Nowgorod: Izdanie Privolžskogo filiala GCSI. S. 6-14, hier S. 7. [Obwohl der Moskauer Konzeptualismus längst als Klassiker gilt, ist die Anfangsperiode seiner Geschichte bis heute unklar, nicht erforscht und besteht unser Wissen darüber eher aus Mythen und Legenden.] Jurij Al’bert führte Interviews mit den Künstler*innen Nikita Alekseev, Ėrik Bulatov, Rimma und Valerij Gerloviny, Vitalij Gribkov, Il’ja Kabakov, Vitalij Komar, Aleksandr Melamid, Andrej Monastyrskij, Viktor Pivovarov, Lev Rubinštejn, Viktor Skersis, Ivan Čujkov und den Mittlerfiguren Iosif Bakštejn, Boris Groys, Viktor und Margarita Tupicyny und Milena Slavická durch.

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Den frühesten Nachweis für die Verwendung des Wortes ›Konzeptualist‹ liefert Il’ja Kabakov in seinem Interview mit Al’bert, indem er ein Gespräch mit dem Maler Ėrik Bulatov zitiert, das zwischen 1963 und 1965 stattgefunden habe: »›Эрик, то что останется, что сохранится для будущего – это то, что мы концептуалисты‹.«4 Diese Erkenntnis sei von Entwicklungen in der internationalen Kunstszene nicht beeinflusst worden, wie der Künstler in Antwort auf Al’berts Rückfrage argumentiert: »А откуда тогда это слово? Оно придумалось или? Нет, оно как бы вынырнуло… Нет, придумать нечего было, это не супрематизм, это как бы взято такое, уже летающее где-то слово, обозначающее такое умозрительное, умственное отношение к изготовлению. […] Поэтому я хочу сказать, что слово ›концептуализм‹ прилетело в качестве, скорее, отличия от ›всего остального‹. Понимаете? Я же не знал Кошута, ничего.«5 Mit der Datierung des Gesprächs auf die erste Hälfte der 1960er Jahre impliziert Kabakov, dass die Moskauer Konzeptkunst gleichzeitig wie, wenn nicht sogar früher als, im angelsächsischen Raum aufgekommen sei – zum Vergleich: Sol LeWitts Sentences on Conceptual Art und die britische Art & Language-Gruppe entstanden beide 1968. Andere Künstler*innen heben in ihren Interviews dahingegen die Rolle von Transfermedien wie Ausstellungen und Periodika als Träger von Informationen über die internationale Kunst hervor.6 Acht Monate nach Nikita Chruščevs Geheimrede »O kul’te ličnosti i ego posledstvijach« [Über den Personenkult und seine Folgen] am 25. Februar 1956, der eine Kritik am Regime Iosifs Stalins enthielt und den Beginn der Tauwetterperiode einleitete, wurde im Staatlichen Puškin Museum für Bildende Künste in Moskau eine Picasso-Ausstellung eröffnet. Die

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5

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Jurij Al’bert (2014c): »Interv’ju s Il’ej Kabakovym. 12 oktjabrja 2010, Pariž.« In: Jurij Al’bert (Hg.): Moskovskij konceptualizm. Načalo. Nischni Nowgorod: Izdanie Privolžskogo filiala GCSI. S. 67-76, hier S. 72. [›Ėrik, das, was übrig bleibt, was für die Zukunft erhalten bleiben wird, ist, dass wir Konzeptualisten sind.‹] Ebd.: S. 72f. [Und woher kam dieses Wort damals? Wurde es erfunden oder? Nein, es ist irgendwie aufgetaucht… Nein, ausdenken musste man sich nichts, es ist kein Suprematismus, es ist so ein Wort, das man sich nimmt, das schon irgendwo rumfliegt, das dieses abstrakte, intellektuelle Verhältnis zum Schaffen beschreibt. […] Deshalb möchte ich sagen, dass das Wort ›Konzeptualismus‹ eher herangeflogen kam in einer Form, die sich von ›allem anderen‹ unterschied. Verstehen Sie? Ich kannte Kosuth nicht, ich kannte nichts.] [Hervorhebung im Original] Der Frage, über wie viele Informationen die Moskauer Konzeptualisten über die Entwicklung der angelsächsischen Conceptual Art verfügten, widmet sich Valentina Parisi (2007b): »Jurij Alberts Kunst anstatt Philosophie, oder Was die Moskauer Künstler über Conceptual Art wussten und wie sie sie interpretierten.« In: Heidrun Hamersky/Heiko Pleines/Hans-Henning Schröder (Hg): Eine andere Welt? Kultur und Politik in Osteuropa 1945 bis heute. Festschrift für Wolfgang Eichwede. Stuttgart: ibidem-Verlag. S. 115-120.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Schau durchbrach die ca. 30 Jahre lange Isolation der Sowjetunion von Entwicklungen in der internationalen Kunstwelt. Eine noch größere Wirkung übte 1957 die Internationale Ausstellung bildender und angewandter Kunst im Rahmen der VI. Weltjugendfestspiele in Moskau aus, die zum ersten Mal in großem Umfang experimentelle Gegenwartskunst aus dem internationalen und dem sowjetischen Raum präsentierte. So waren Künstler wie Jackson Pollock, Georges Mathieu und Hans Hartung neben Repräsentant*innen der nicht-kanonkonformen Kunst, unter ihnen Il’ja Kabakov, Viktor Pivovarov und Ėrik Bulatov, vertreten. Das Weltjugendfestival, so schreibt der Journalist Andrew Solomon in The Irony Tower (1991), »was the first sign in the cultural world that the days of Stalin were giving way to something less horrifying, and it was greeted with delight. […] The years following the World Festival of Youth were chaotic ones. There was an ebullient sense of freedom everywhere, and people tried experimental poetry, experimental painting, experiments of every kind.«7 Zeitgenössische Kunst aus den Vereinigten Staaten von großen Namen wie Mark Rothko, Edward Hopper und Jackson Pollock war zwei Jahre später außerdem in der Schau Amerikanskaja nacional’naja vystavka [Amerikanische Nationalausstellung] zu sehen, die kurz vor Chruščevs Amerikareise im September 1959 im Moskauer Sokol’niki Park stattfand. Auch wurden sowjetischen Künstler*innen aus dem nichtkanonkonformen Bereich in diesen Jahren mehr Möglichkeiten zur Ausstellung ihrer Werke in Kulturhäusern, Kinos, Cafés und Forschungsinstituten eingeräumt.8 Als es Anfang Dezember 1962 jedoch zu einem Eklat zwischen Chruščev und Vertreter*innen der alternativen Kunstszene anlässlich der Ausstellung 30 let MOSCH [30 Jahre Moskauer Künstlerverband] in der Moskauer Manež kam, verschwanden diese Freiräume weitgehend. Außer in Ausstellungsprojekten gelangten Informationen über die internationale Kunstszene über Kataloge und Bücher, die von Reisenden mitgebracht wurden, nach Moskau. Auch wurden Periodika wie Art Forum (1962-) und Flash Art (1967-) von Künstler*innen mit Fremdsprachenkenntnissen in Bibliotheken gelesen. Als wichtig im Transferprozess der konzeptuellen Kunst zwischen dem angelsächsischen und dem sowjetischen Raum erwies sich insbesondere der Kontakt zwischen dem US-amerikanischen Mathematiker Melvyn B. Nathanson, der zwischen 1972 und 1973 als Postdoktorand an der Moskauer Lomonosov-Universität tätig war, und Aleksandr Melamid. Den Künstler hatte der Forscher durch seine Freundschaft mit dem Moskauer Biochemiker Aleksandr Gol’dfarb – einem entfernten Cousin Mela-

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Solomon (1991): S. 70, 73. Vgl. zur kurzzeitigen Liberalisierung der Kunst unter Nikita Chruščev ausführlicher Ekaterina Degot’ (2000): Russkoe iskusstvo XX veka. Moskau: Trilistnik. S. 154f.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

mids – kennengelernt.9 Nach seiner Rückkehr in die USA korrespondierte Nathanson mit dem Künstlerduo Komar & Melamid und schickte per Post Materialien zur zeitgenössischen Kunst nach Moskau, darunter die Anthologie Conceptual Art (1972) von Ursula Meyer, die Texte von und Gespräche mit Schlüsselfiguren der nordamerikanischen und westeuropäischen Konzeptkunstszene, wie Joseph Kosuth, Sol LeWitt, Terry Atkinson und Hans Haacke, enthält.10 Auch setzte er sich aktiv für die Bekanntmachung beider Künstler ein, die 1977 zunächst nach Israel und von dort aus 1978 in die Vereinigten Staaten emigrierten, indem er sich an der Organisation ihrer ersten Einzelausstellung mit dem Titel Color Is a Mighty Power (1976) in der Ronald Feldman Gallery in New York beteiligte.11 Eine weitere Form des Wissenstransfers vollzog sich in dieser Periode, man könnte sagen: ex negativo, in der sowjetischen Kunstkritik. So erinnern sich sowohl Vitalij Gribkov als auch Vitalij Komar im Gespräch mit Al’bert an die Verwendung des Wortes ›Konzeptkunst‹ in Presseartikeln der 1970er Jahre, die sich kritisch zu aktuellen Entwicklungen in der internationalen Kunstszene äußerten: »О концептуальном искусстве я узнал из советских публикаций с критикой западных упадочных течений. Был особого рода поток литературы, где многие вполне грамотные и даже, в тайниках души, либеральные критики критиковали Запад. Они имели доступ к подлинным манифестам течений в западном искусстве и философии. Я думаю, в душе они прекрасно понимали, что таким образом у них появляется возможность обходить цензуру и знакомить художников и вообще интересующихся современным искусством людей с какимито выжимками того, что сейчас модно на Западе.«12 9

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Vgl. Jurij Al’bert (2014d): »Interv’ju s Aleksandrom Melamidom. 12 fevralja 2012, Moskva – N’ju-Jork, po skajpu.« In: Jurij Al’bert (Hg.): Moskovskij konceptualizm. Načalo. Nischni Nowgorod: Izdanie Privolžskogo filiala GCSI. S. 109-121, hier S. 110; vgl. Melvyn B. Nathanson (1979): »Komar/Melamid: Distortion of Soviet Reality.« In: Melvyn B. Nathanson (Hg.): Komar/Melamid: Two Soviet Dissident Artists. Carbondale: Southern Illinois University Press. S. ixxiii, hier S. ix. Vgl. Nathanson (1979): S. x; vgl. Ursula Meyer (1972): Conceptual Art. New York: E. P. Dutton. Vgl. Nathanson (1979): xi. Jurij Al’bert (2014e): »Interv’ju s Vitaliem Komarom. 14 oktjabrja 2010, Pariž, gostinica ›Mol’er‹.« In: Jurij Al’bert (Hg.): Moskovskij konceptualizm. Načalo. Nischni Nowgorod: Izdanie Privolžskogo filiala GCSI. S. 77-95, hier S. 77. [Über die Konzeptkunst lernte ich aus sowjetischen Publikationen, die verdorbene westliche Tendenzen kritisierten. Dies war eine besondere Form von Literatur, in der viele äußerst kompetente und insgeheim sogar liberale Kritiker den Westen kritisierten. Sie hatten Zugang zu den Manifesten von Strömungen in der westlichen Kunst und Philosophie im Original. Ich denke, dass sie im Herzen genau wussten, dass sie die Möglichkeit hatten, die Zensur zu umgehen und Künstler sowie Leute im Allgemeinen, die sich für zeitgenössische Kunst interessierten, mit den wichtigsten Informationen über das, was gerade im Westen Mode war, bekannt zu machen.] Eine ähnliche Aussage trifft Vitalij Gribkov in Jurij Al’bert (2014f): »Interv’ju s Vitaliem Gribkovym. 27 nojabrja 2010,

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Obwohl sich die erstmalige mündliche Verwendung des Begriffs ›Konzeptualist‹ als Selbstzuschreibung innerhalb der alternativen Moskauer Kunstszene nicht genau datieren lässt – neben Il’ja Kabakov besteht in den Interviews auch das Künstlerehepaar Rimma und Valerij Gerloviny darauf, den Terminus eingeführt zu haben –,13 zirkuliert dieser schriftlich spätestens seit 1973. So lautete der Titel einer kleinen Ausstellung der Gruppe Fikcija [Fiktion] um Vitalij Gribkov, der zwischen 1975 und 1980 die Samizdat-Zeitschrift Metki po novoj živopisi [Zeichen der neuen Malerei] herausgab, im Juni 1973 Fikcija No. 4. Konceptualizm. Refleksii [Fiktion Nr. 4. Konzeptualismus. Reflexionen].14 Zwei Jahre später verwendete der Kunsthistoriker Evgenij Barabanov den Begriff im Aufsatz »Sentjabr’skaja vystavka moskovskich chudožnikov« [Die September-Ausstellung Moskauer Künstler] für die Emigrantenzeitschrift Vestnik Russkogo Christianskogo Dviženija [Blatt der Russischen Christlichen Bewegung], die zwischen 1925 und 1991 in Paris erschien und seit 1992 in Moskau gedruckt wird. In diesem Text besprach Barabanov die Vystavka proizvedenij molodych chudožnikov Moskvy [Ausstellung von Werken junger Moskauer Künstler], in der 145 Vertreter*innen der nicht-kanonkonformen Kunst ihre Werke präsentierten. Die Eröffnung der Schau sollte am 20. September 1975 im Dom Kul’tury [Haus der Kultur] auf VDNCH stattfinden. Diese verzögerte sich jedoch, da die Behörden am Vorabend ca. 40 Arbeiten mit ›antisowjetischem Inhalt‹ aus der Ausstellung entfernt hatten, die nur dank erfolgreichem Protest vonseiten der Künstler*innen größtenteils wieder aufgenommen werden konnten. In seiner Rezension bezeichnet Barabanov den Modernisten Lev Bruni (1894-1948) und die Performancegruppe Gnezdo [Nest], die 1974 von Gennadij Donskoj, Michail Rošal’ und Viktor Skersis gegründet wurde, als Konzeptualisten: »Однако еще более интересно, на мой взгляд, творчество художниковконцептуалистов: В. Скерсиса, Г. Донского, М. Рошаля (авторы ›Гнезда‹) и Л. Бруни. В их работы обозначился принципиальный разрыв с ретроспективными и консервативными традициями ›неофициального‹ московского искусства. И в этом смысле Сентябрьская выставка может быть с полным правом названа первой выставкой московского ›авангарда‹.«15

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Moskva.« In: Jurij Al’bert (Hg.): Moskovskij konceptualizm. Načalo. Nischni Nowgorod: Izdanie Privolžskogo filiala GCSI. S. 50-54, hier S. 51. Vgl. das im Abschnitt §3.1.1 zitierte Interview mit dem Künstlerduo von Al’bert (2014a): S. 47. Beteiligt an der Ausstellung waren Vitalij Gribkov, Valerij Gerlovin, Vadim Lugovskoj und der befreundete Mathematiker Vladimir Kotrovskij. Die Gruppe Fikcija existierte von 1965 bis 1974. Evgenij Barabanov (1975): »Sentjabr’skaja vystavka moskovskich chudožnikov.« In: Vestnik RCHD 116. S. 232-245, hier S. 237. [Noch interessanter ist in meinen Augen jedoch das Werk der Konzeptualisten: V. Skersis, G. Donskoj, M. Rošal’ (die Gründer von ›Gnezdo‹) und L. Bruni. In ihren Arbeiten wird ein prinzipieller Bruch mit den retrospektiven und konservativen Traditionen der ›inoffiziellen‹ Moskauer Kunst sichtbar. In diesem Sinne kann die September-

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Neben ›Konzeptualist‹ zirkulierte in diesem Jahrzehnt auch das Wort ›postkonceptualizm‹ [Postkonzeptualismus], das 1977 als Werkbeschreibung in einem Text von Rimma und Valerij Gerloviny in der oben erwähnten Samizdat-Zeitschrift Metki [Zeichen] (Nr. 6) erschien.16 Interessant ist der Rückgriff auf diesen Begriff, der international ca. 1976 zum ersten Mal im Zusammenhang mit Arbeiten von Künstlern wie Robert C. Morgan und Yves Klein auftauchte, da dieser eine Weiterentwicklung des Konzeptualismus von einer Strömung in der Kunst hin zu einem breiteren erkenntnistheoretischen Paradigma impliziert. »›[P]ostconceptual art‹«, so erklärt Peter Osborne, »is not the name for a particular type of art so much as the historical-ontological condition for the production of contemporary art in general«.17 Die Begriffe ›Konzeptualist‹ und ›Postkonzeptualismus‹ waren jedoch nicht die einzigen Bezeichnungen, die in dieser Periode in der alternativen Moskauer Kunstszene verwendet wurden. Wie aus den Gesprächen mit Jurij Al’bert hervorgeht, war außerdem die Rede von ›Metakonzeptualismus‹ (Jurij Al’bert, S. 7), ›prodvinutoe iskusstvo‹ [fortgeschrittener Kunst] (Andrej Monastyrskij, S. 127) und ›umozritel’noe iskusstvo‹ [spekulativer Kunst] (Viktor Skersis, S. 127) – Termini, die 1978 von Groys’ Neologismus ›Moskauer romantischer Konzeptualismus‹ abgelöst wurden, wie weiter unten dargelegt wird. So wie es bis Ende der 1970er Jahre keine einheitliche Terminologie gab, existierte in diesem Jahrzehnt auch kein klar umrissener Kreis der Moskauer Konzeptualisten. Aleksandr Melamid erklärt in seinem Gespräch mit Al’bert: »За эти четыре с половиной года [1972 bis 1977, D.S.] не было одного названия, это точно. Не было структуры, не было никакого единства.«18 Aufbauend auf den Interviews, die Al’bert im Rahmen der Ausstellung Moskovskij konceptualizm. Načalo [Moskauer Konzeptualismus. Der Anfang] mit zwölf Künstler*innen und fünf Kunstkritiker*innen führte, lassen sich 17 Egonetzwerke rekonstruieren, die neue Aufschlüsse über die Struktur der alternativen Moskauer Kunstszene zwischen Mitte der 1960er und 1970er Jahre geben. Ausgewertet wurden sowohl die direkten als auch die indirekten Beziehungen zwischen den Befragten. Die quantitative Visualisierung dieser Verbindungen in einer Netzwerkgrafik zeigt die Zentralität der Akteur*innen (vgl. Grafik 4). Drei Punkte sind besonders auffällig. So lassen sich erstens ca. drei Cluster erkennen, in denen Il’ja Kabakov (1), Vitalij Komar (2) sowie Rimma und Valerij Gerloviny (3) zentrale Positionen einnehmen. Auf diese Formationen soll im Folgenden näher eingegangen werden. Kunstkritiker*innen wie Boris Groys, Iosif Bakštejn und Margarita Tupicyna, so die zweite Beobachtung, neh-

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Ausstellung mit vollem Recht die erste Ausstellung der Moskauer ›Avantgarde‹ genannt werden.] Vgl. Al’bert (2014b): S. 8. Osborne (2013): S. 51. Al’bert (2014d): S. 120. [In diesen viereinhalb Jahren [1972 bis 1977, D.S.] gab es keine einheitliche Bezeichnung, das stimmt. Es gab keine Struktur, keine Einheit.]

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

men in diesem Beziehungsnetz eine wichtige Rolle als Brückenakteur*innen ein. Drittens fällt auf, dass die Kunst- und Literaturszene nicht klar voneinander getrennt sind – Literaten wie Lev Rubinštejn, Dmitrij Prigov oder Vsevolod Nekrasov bilden beispielsweise kein eigenes Cluster, sondern sind Teil der Künstlergruppen um Kabakov (Rubinštejn, Prigov) bzw. die Gerloviny (Nekrasov). Die Künstler*innen innerhalb der erwähnten drei Netzwerkcluster, auf die nun näher einzugehen ist, gehören unterschiedlichen Generationen an. Die erste Gruppe, in der Il’ja Kabakov (Nr. 15) eine zentrale Position einnimmt, besteht aus Vladimir Jankilevskij (Nr. 14), Oleg Vasil’ev (Nr. 40), Ėrik Bulatov (Nr. 4), Ivan Čujkov (Nr. 7) und Viktor Pivovarov (Nr. 28) – Künstler, die in den 1930er Jahren geboren wurden und am Moskauer Kunstinstitut Surikov studiert hatten. Der Kreis korrespondiert weitgehend mit der sog. Sretenskij bul’var-Gruppe, der auch der Maler Ülo Sooster, der eng mit Jurij Nolev-Sobolev (Nr. 37) zusammenarbeitete, und der Bildhauer Ėrnst Neizvestnyj angehörten.19 Diese drei Künstler waren 1962 an der Jubiläumsausstellung 30 let MOSCH [30 Jahre Moskauer Künstlerverband] im Manež-Gebäude beteiligt, die von Nikita Chruščev kritisiert und daraufhin geschlossen wurde (vgl. §4.1.2). Dieses erste Cluster wird von mehreren Brückenakteuren, darunter Kabakov, Bulatov, Groys (Nr. 12) und Bakštejn (Nr. 2), mit einer zweiten Gruppe verbunden, in der das Künstlerduo Vitalij Komar (Nr. 16) und Aleksandr Melamid (Nr. 20) eine zentrale Position einnimmt. Komar & Melamid, die beide Anfang der 1940er Jahre geboren wurden, lehrten in den 1970er Jahren am Moskauer Polygraphischen Institut. Dort lernten sie die jungen Künstler Gennadij Donskoj (Nr. 8), Michail Rošal’ (Nr. 30) und Viktor Skersis (Nr. 34) kennen. Diese gründeten 1974 die Performancegruppe Gnezdo [Nest], die Teil des Clusters um das Künstlerduo ist. Nach eigener Aussage verwendeten Komar & Melamid in dieser Periode sowohl den Begriff ›Konzeptualist‹ als auch den Neologismus ›Soz-Art‹, ein Wortspiel aus ›Sozialistischem Realismus‹ und ›Pop-Art‹, als Bezeichnung für ihre künstlerische Praxis (vgl. §4.4.2).20 Auf Nachfrage von Al’bert rechnet Vitalij Komar im Gespräch außer Gnezdo auch Rostislav Lebedev, Aleksandr Kosolapov (Nr. 17), Leonid Sokov (Nr. 35), Boris Orlov (Nr. 25) und Dmitrij Prigov (Nr. 29) zur Soz-Art,21 ohne sie jedoch als Kontakte zu erwähnen, weshalb Verbindungen zu diesen Akteuren in der Grafik fehlen.

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Ülo Sooster, Jurij Nolev-Sobolev, Il’ja Kabakov, Viktor Pivovarov und Vladimir Jankilevskij waren zwischen Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre außerdem Teil des sog. Klubs der Surrealisten [Klub sjurrealistov], der sich in der Tradition René Magrittes und Max Ernsts verortete. Ekaterina Degot’ betrachtet die Gruppe als wichtige Vorstufe für die spätere Entstehung des Moskauer Konzeptualismus. Vgl. Degot’ (2000): S. 163. Vgl. Al’bert (2014e): S. 80. Vgl. ebd.: S. 81.

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Grafik 4: Die Entstehung des Moskauer Konzeptualismus zwischen Mitte der 1960er und 1970er Jahre

Wie aus ihren Interviews mit Al’bert hervorgeht, sahen Komar & Melamid im Jahre 1968 zum ersten Mal Arbeiten von Il’ja Kabakov, Oleg Vasil’ev und Ėrik Bulatov in einer Schau im Café Sinjaja ptica [Blauer Vogel]. In diesem Moskauer Jazz Ca-

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

fé fanden Ende der 1960er Jahre häufiger Ausstellungen von Vertreter*innen der nicht-kanonkonformen Kunst statt, die als wichtige Treffpunkte für die Künstler*innen fungierten, wie Komar rückblickend festhält: »При нем, на седьмой молодежной [gemeint ist das sechste Jugendfestival von 1957, D.S.] выставлялся и Илья Кабаков, и Эрик Булатов, и Олег Васильев, и Виктор Пивоваров, и Владимир Янкилевский, и Миша Гробман и все другие ›иЗнаСильники‹, – так называли художников, которые иллюстрировали журнал ›Знание – сила‹. Художественным редактором там был замечательный, до сих пор не оцененный концептуалист и автор киноинсталляций Юрий Соболев. Он же был членом совета кафе ›Синяя птица‹. Наша с Аликом выставка была там в ноябре 1967 года. После нас, в начале 1968-го там были выставки Кабакова, Васильева, Булатова и Миши Одноралова. Но после этого жуткого августа 1968 года [gemeint ist das gewaltsame Ende des Prager Frühlings, D.S.] выставки в ›Синей птице‹ прикрыли тоже. Нас загоняли в подполье.«22 Persönlich begegneten Komar & Melamid dem zwölf Jahre älteren Kabakov allerdings erst im Jahre 1972, als dieser die beiden Künstler einlud, ihr Werk in seinem Atelier zu präsentieren: »Где-то в 1972 году мы познакомились с Кабаковым, были в его мастерской, он заходил к нам. Тогда был очень важный момент, начало так и не законченного диалога. Илья сразу же пригласил нас публично показать слайды к себе в студию. […] Кабаков всегда чувствует появление нового. Позднее он стал ездить на акции ›Коллективных действий‹.«23 Standen bisher die Struktur und der Kontakt zwischen den Clustern um Kabakov und Komar & Melamid im Vordergrund, soll nun auf die Qualität ihrer Beziehung 22

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Al’bert (2014e): S. 84. [Unter ihm stellten auf dem siebten Weltjugendfestival [gemeint ist das sechste Weltjugendfestival von 1957, D.S.] Il’ja Kabakov, Ėrik Bulatov, Oleg Vasil’ev, Viktor Pivovarov, Vladimir Jankilevskij, Miša Grobman und andere ›iZnaSil’niki‹ aus – so wurden Künstler genannt, die die Zeitschrift ›Znanie – sila‹ [Wissen ist Macht, D.S.] illustrierten. Der Kunstredakteur war dort der bemerkenswerte, bisher noch nicht anerkannte Konzeptualist und Autor von Filminstallationen Jurij Sobolev. Er war Vorstandsmitglied des Cafés ›Blauer Vogel‹. Eine Ausstellung von Alik und mir fand dort im November 1967 statt. Nach uns gab es Anfang 1968 Ausstellungen von Kabakov, Vasil’ev, Bulatov und Miša Odnoralov. Aber nach dem grausamen August 1968 [gemeint ist das gewaltsame Ende des Prager Frühlings, D.S.] wurden auch die Ausstellungen im ›Blauen Vogel‹ geschlossen. Man jagte uns in den Untergrund.] Ebd.: S. 85. [Irgendwann im Jahre 1972 lernten wir Kabakov kennen, wir waren in seinem Atelier und er kam auf uns zu. Das war ein sehr wichtiges Moment, der Anfang eines bisher unvollendeten Dialogs. Il’ja lud uns sofort ein, in seinem Studio öffentlich Dias zu zeigen. […] Kabakov spürt die Entstehung von etwas Neuem immer. Später fing er an, an den Aktionen der ›Kollektiven Aktionen‹ teilzunehmen.]

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eingegangen werden. Komar beschreibt das Verhältnis zu Kabakov Mitte der 1970er Jahre als ein angespanntes. Grund dafür war die Bulldozer-Ausstellung vom 15. September 1974, an deren Organisation das Künstlerduo zusammen mit dem Maler Oskar Rabin und dem Kunstsammler Aleksandr Glezer beteiligt war. Kabakov hingegen lehnte die Teilnahme ab: »Настороженность появилась (или проявилась) года через два, когда мы с Оскаром приглашали его на ›бульдозеры‹ – он отказался и с обезоруживающей откровенностью сказал: ›Ты, Оскар, занимаешь позицию здравого, стоящего на двух ногах человека; они (это про нас с Аликом), как дадаисты стоят вверх ногами; а я всю жизнь на четвереньках…‹. Ну, конечно: одинаковых людей не существует. Это банальность. Но речь шла не об этом. Речь шла о поддержке. О солидарности.«24 In seinem Gespräch mit Al’bert umschreibt Iosif Bakštejn die Beziehung zwischen Kabakov und Komar & Melamid als »два пласта, две картины мира, которые потом в сочетании создали школу московского концептуализма«.25 Er selbst sei eine der wenigen Mittlerfiguren zwischen beiden Künstlerkreisen gewesen, wie der Kurator betont.26 Neben Bakštejn gab es aber durchaus noch andere Brückenakteur*innen zwischen beiden Clustern, wie die Grafik zeigt. Eine dritte Gruppe formierte sich zwischen Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre um Rimma und Valerij Gerloviny. Sie stehen einerseits in Verbindung zu zentralen Akteuren wie Lev Rubinštejn (Nr. 31), Aleksandr Melamid und Il’ja Kabakov, haben andererseits aber auch Beziehungen zu peripheren Knoten, darunter Igor’ Šelkovskij (Nr. 33), dem späteren Herausgeber der Zeitschrift A-Ja. Unofficial Russian Art Review, Sergej Šablavin (Nr. 32) und Jurij Nolev-Sobolov. Eine weitere wichtige Verbindung ergibt sich mit dem Kontakt der Gerloviny zu Andrej Monastyrskij (Nr. 21), der 1976 gemeinsam mit Nikolaj Panitkov (Nr. 26), Nikita Alekseev (Nr. 1) und Georgij Kizeval’ter die Performancegruppe KD gründete. Dieser Kreis stellt ein weiteres wichtiges Cluster dar, das aufgrund des hier gewählten Zeitrahmens in der Grafik noch nicht auftaucht.

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Ebd. [Ein angespanntes Verhältnis wurde ca. zwei Jahre später spürbar (oder entwickelte sich), als Oskar und wir ihn zu den ›Bulldozern‹ einluden – er lehnte ab und sagte mit entwaffnender Offenheit: ›Du, Oskar, nimmst die Position eines gesunden Menschen ein, der auf zwei Beinen steht; sie (da ging es um mich und Alik), stehen wie Dadaisten auf dem Kopf; und ich gehe mein ganzes Leben auf allen vieren…‹. Natürlich sind wir nicht alle gleich. Das ist eine Banalität. Aber darum ging es nicht. Es ging um Unterstützung. Um Solidarität.] Jurij Al’bert (2014i): »Interv’ju s Iosifom Bakštejnom. 18 janvarja 2012, Moskva, masterskaja Il’i Kabakova.« In: Jurij Al’bert (Hg.): Moskovskij konceptualizm. Načalo. Nischni Nowgorod: Izdanie Privolžskogo filiala GCSI. S. 31-38, hier S. 32. [zwei Ebenen, zwei Weltbilder, die in ihrer späteren Kombination die Schule des Moskauer Konzeptualismus hervorbrachten] Vgl. ebd.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Neben der vermittelnden Rolle, die Brückenakteur*innen wie Boris Groys, Iosif Bakštejn und Margarita Tupicyna zwischen den drei vorgestellten Netzwerkclustern spielten, fungierten auch Ausstellungen, die Gennadij Donskoj, Leonid Sokov und Michail Odnoralov im Laufe des Jahres 1976 in ihren Wohnungen organisierten, als Treffpunkte für Künstler*innen verschiedener Generationen. Die zunehmende Vernetzung der alternativen Moskauer Kunstszene leitete einen Prozess der Neugruppierung ein, der durch die Emigration von zentralen Akteur*innen wie Komar & Melamid, Viktor und Margarita Tupicyny sowie Rimma und Valerij Gerloviny in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre beschleunigt wurde.27 Als entscheidend erwies sich in dieser Hinsicht auch die Erscheinung von Boris Groys’ Aufsatz »Moskovskij romantičeskij konceptualizm/Moscow Romantic Conceptualism« (1978-1979) in der Leningrader Samizdat-Zeitschrift 37 und dem Pariser TamizdatPeriodikum A-Ja. Unofficial Russian Art Review.28 Mit dem Fokus auf Lev Rubinštejn, Fransisko Infante-Arana und Ivan Čujkov konzentrierte sich der Philosoph in diesem Essay auf drei Künstler, die – wie er selbst auch – in engem Kontakt zu Il’ja Kabakov standen. Indem er einen direkten Vergleich zwischen ihren Arbeiten und den Aktionen der Gruppe KD zog, die er unter dem tertium comparationis des ›romantischen Konzeptualismus‹ vereinte, vollzog er einen Brückenschlag zwischen diesen Clustern. Kabakov selbst wurde im Aufsatz nicht erwähnt, da er an der ersten Ausgabe der Zeitschrift A-Ja nicht teilnehmen wollte.29 Nicht vertreten war ebenfalls die Gruppe um Komar & Melamid und Gnezdo [Nest]. Im Gespräch mit Al’bert begründet Groys die Auswahl der thematisierten Künstler folgendermaßen: »Когда я приехал в Москву [aus Leningrad im Jahre 1976, D.S.], я уже что-то знал. А к тому времени, когда я писал эту статью, я уже знал всех. Так что выбор это был сознательный. Конечно, все это тонкие различия и их десять раз можно пересмотреть, но Комар и Меламид, Косолапов и другие сами себя определяли как соц-артистов. Что такое соц-арт? Это русско-советский вариант поп-арта, – так они себя понимали. […] Значит, если мне кто-то говорит: ›я – русский поп-артист‹, – зачем я буду считать его концептуалистом? Для этого

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Vgl. Al’bert (2014a): S. 10. 1977 erschien unter dem Pseudonym ›Igor’ Suicidov‹ ein Essay von Boris Groys mit dem Titel »Chorche-Luis Borches i èkzistencial’nye predposylki konceptual’nogo iskusstva« [Jorge Luis Borges und die existentiellen Voraussetzungen der konzeptuellen Kunst] im Leningrader Samizdat-Periodikum 37 (Nr. 12), in dem drei Kurzgeschichten von Borges den Ausgangspunkt für eine Abhandlung zur konzeptuellen Kunst darstellen. Der Text bildete den Auftakt zu seiner späteren Publikation »Moskovskij romantičeskij konceptualizm«, die 1978 unter dem Pseudonym B.G. in der 15. Ausgabe der Zeitschrift erschien. Vgl. Jurij Al’bert (2014h): »Interv’ju s Borisom Grojsom. 1 aprelja 2011, Kel’n.« In: Jurij Al’bert (Hg.): Moskovskij konceptualizm. Načalo. Nischni Nowgorod: Izdanie Privolžskogo filiala GCSI. S. 54-66, hier S. 57.

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нет никаких оснований. Или, например, группа ›Гнездо‹ занималась перформансом. Перформанс не есть концептуалистская форма деятельности.«30 Statt Gnezdo [Nest] wurde jedoch die Performancegruppe KD dem Konzeptualismus zugeordnet. Diesen Widerspruch greift Groys an späterer Stelle im Interview auf: »Но мне кажется, что этот концептуальный момент был осью, вокруг которой все вертелось. Это было, конечно, очень сильно у Монастырского, потому что он все время говорил об интерпретации, о том, что текст важнее события, он, в отличие от ›Гнезда‹, стремился подорвать перформанс. Базис перформанса – непосредственность, событийность, присутствие, вместо этого у Монастырского были отсутствие, неважность события. Это чисто концептуальный ход.«31 Groys’ Aufsatz »Moskovskij romantičeskij konceptualizm/Moscow Romantic Conceptualism« postulierte zum ersten Mal eine Einheit zwischen den Netzwerkclustern um Il’ja Kabakov einerseits und Andrej Monastyrskij andererseits. Damit spielt der Text eine sehr wichtige Rolle in der diskursiven Konstruktion des Moskauer Konzeptualismus. Publikationen in den Samizdat-Zeitschriften Metki und 37 sowie privat organisierte Ausstellungen in Wohnungen von Künstler*innen, die Mitte der 1970er Jahre zu einer zunehmenden Vernetzung der alternativen Kunstszene führten, bilden eine wichtige Vorstufe für den Aufbau einer alternativen Kunstinfrastruktur durch die Moskauer Konzeptualisten, die im nächsten Abschnitt thematisiert wird.

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Ebd. [Als ich [1976 aus Leningrad, D.S.] nach Moskau kam, wusste ich schon einiges. Aber als ich den Aufsatz schrieb, kannte ich schon alle. Die Auswahl wurde also bewusst getroffen. Natürlich handelt es sich um subtile Unterschiede und man kann sie sich zehnmal erneut anschauen, aber Komar und Melamid, Kosolapov und andere bezeichneten sich selbst als Soz-Art-Künstler. Was ist Soz-Art? Es ist eine russisch-sowjetische Variante von Pop-Art – so haben sie sich selbst verstanden. […] Das bedeutet, dass wenn mir jemand sagt: ›Ich bin ein russischer Pop-Art-Künstler‹, warum sollte ich ihn dann als Konzeptualisten bezeichnen? Dafür gibt es keine Gründe. Oder die Gruppe ›Gnezdo‹ beschäftigt sich zum Beispiel mit Performance. Performance ist keine konzeptuelle Kunstform.] Ebd: S. 59. [Aber mir scheint, dass dieses konzeptuelle Moment die Achse war, um die sich alles drehte. Das war natürlich bei Monastyrskij sehr stark, weil er die ganze Zeit von Interpretation sprach, davon, dass der Text wichtiger sei als das Ereignis, anders als ›Gnezdo‹ versuchte er, die Performance zu untergraben. Die Grundlage für die Performance ist Unmittelbarkeit, Ereignishaftigkeit, Präsenz, stattdessen gab es bei Monastyrskij Abwesenheit, ein unwichtiges Ereignis. Das ist ein klarer konzeptueller Schritt.]

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

4.1.2

Aufbau einer alternativen Kunstinfrastruktur (1970-1985)

Nach der Schließung der Jubiläumsausstellung 30 let MOSCH [30 Jahre Moskauer Künstlerverband] durch Nikita Chruščev, der sich während der Vernissage im Manež-Gebäude im Dezember 1962 über die »›von Eselsschwänzen gepinselten‹«32 Bilder der nicht-kanonkonformen Moskauer Kunstszene empört hatte, verschwanden die wenigen Freiräume weitgehend, die den Künstler*innen in den Jahren zuvor eingeräumt worden waren. Eine Öffnung im restriktiven kulturpolitischen System unter Chruščevs Nachfolger Leonid Brežnev versuchten zwölf Jahre später, am 15. September 1974, die Organisatoren der Pervyj osennij prosmotr kartin na otkrytom vozduche [Ersten herbstlichen Bildervorführung unter freiem Himmel] zu bewirken. Die Schau, die auf einer unbebauten Fläche im Moskauer Stadtteil Beljaevo stattfand, wurde allerdings innerhalb kürzester Zeit mithilfe von Bulldozern und Wasserwerfern abgebrochen (vgl. §3.1.1). Der Skandal, den das Auftreten der Behörden in der internationalen Presse auslöste, führte zur Etablierung einiger halbinstitutioneller Strukturen für Künstler*innen aus dem nicht-kanonkonformen Bereich. Nachdem am 29. September 1974 zunächst eine Schau im Izmajlovskij Park bewilligt worden war, richtete die Grafikergesellschaft des Gorkom [Gorodskoj komitet, Stadtkomitee] im Frühjahr 1976 einen Ausstellungsraum für nichtkanonisierte Kunst in der Malaja Gruzinskaja-Straße 28 ein.33 Hier fand im Januar 1977 die Gruppenausstellung 1-ja vystavka sekcii živopisi Gorkoma grafikov [Erste Ausstellung der Sektion Malerei der Grafikergesellschaft des Gorkom] statt, in der u.a. Nikita Alekseev und Georgij Kizeval’ter vertreten waren. Im Februar 1979 folgte die Schau Cvet, forma, prostranstvo [Farbe, Form, Raum] mit Werken von Il’ja Kabakov, Fransisko Infante-Arana, Ivan Čujkov, Vladimir Jankilevskij und Viktor Pivovarov.34 Mit der Malaja Gruzinskaja 28 schuf der Staat einen Ort, in dem die Ausstellungstätigkeiten von Künstler*innen aus dem nicht-kanonkonformen Bereich kontrolliert und begrenzt werden konnten. In einer Gegenbewegung dazu bauten die Moskauer Konzeptualisten in den 1970er und 1980er Jahren eine alternative Kunstinfrastruktur abseits vom öffentlichen Raum auf, die es ihnen erlaubte, ihre Arbeiten (privat) auszustellen und ihren Austausch zu dokumentieren. Den Kollektivcharakter des Kreises, der sich auf diese Weise herausbildete, hat Vladimir Sorokin

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Christine Engel (2011): »Vom Tauwetter zur Perestrojka (1953-1990).« In: Klaus Städtke (Hg.): Russische Literaturgeschichte. Stuttgart/Weimar: Verlag J. B. Metzler. S. 349-396, hier S. 353. Im Februar 1975 fand außerdem eine von Vladimir Nemuchin und Dmitrij Plavinskij organisierte Ausstellung nicht-kanonkonformer Kunst im Pavillon für Bienenzucht auf dem VDNCH-Gelände statt. Künstler*innen aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten waren 1983 ebenfalls in der Ausstellung Akvarel’. Risunok. Ėstamp [Aquarell. Zeichnung. Lithografie] sowie 1986-1987 in der Vystavka živopisi [Malereiaustellung] in der Malaja Gruzinskaja 28 repräsentiert.

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mit dem Begriff der »sobornost’«35 [Gemeinschaftlichkeit] beschrieben, ein Wort, das eine unmittelbar geistlich-religiöse Konnotation trägt.36 Auf die Omnipräsenz des Staates sowohl im Kunstfeld als auch im Alltag reagierten die Konzeptualisten mit introspektiven, selbstreferentiellen künstlerischen Praktiken. Nicht nur psychische, sondern auch topologische Innenräume, wie das Zimmer oder die Küche, spielten für den Kreis eine äußerst wichtige Rolle.37 In den 1970er Jahren dienten Wohnungen und Ateliers als Treffpunkte für Theoretiker*innen und Künstler*innen, bei denen Kunstwerke, KD-Aktionen sowie theoretische und literarische Texte diskutiert wurden. Insbesondere die Treffen im Studio Il’ja Kabakovs sowie die wöchentlichen Seminare im Wohnzimmer von Aleksandr und Leonid Čačko, an denen u.a. die Dichter Lev Rubinštejn und Dmitrij Prigov, die Kunsttheoretiker Boris Groys und Vitalij Pacjukov sowie der Regisseur und Philosoph Evgenij Šiffers teilnahmen,38 entwickelten sich zu einflussreichen Veranstaltungen, die den Entstehungsprozess des Moskauer Konzeptualismus begleiteten. Namentlich hier, so erklärt Nikita Alekseev, wurde die theoretische Basis für die Künstlergemeinschaft gelegt.39 Das kommunale Zimmer spielt nicht nur als Ort für Diskussionsrunden eine wichtige Rolle, sondern figuriert ebenfalls prominent in der Kunst der Moskauer Konzeptualisten, wie am Beispiel von Il’ja Kabakovs bekannter Installation »Čelovek, uletevšij v kosmos iz svoej komnaty« [Der Mann, der aus seinem Zimmer in den Kosmos flog] (1985) sowie Irina Nachovas »Komnaty«-Serie [Zimmer] (1983-1987) ersichtlich wird (vgl. §3.4.1). »In the 1980s«, so argumentiert der Kulturphilosoph Viktor Tupicyn in The Museological Unconscious (2009), »›contractual‹ communality ceased to be only a means of ›subcultural survival‹ and became an

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Vladimir Sorokin/Nikolaj Šeptulin (2008): »Razgovor o moskovskom konceptualizme (Sostojavšijsja zimnim dekabr’skim večerom 2007 goda v podmoskovnom Vnukove.« In: Moscow Art Magazine 70. URL: http://moscowartmagazine.com/issue/22/article/344 (letzter Zugriff am 17.08.2020). Der Begriff ›sobornost’‹ leitet sich vom Wort ›sobor‹ ab, das Kathedrale, Gottesdienst oder Geistlichkeit bedeuten kann. Vgl. zu ›sobornost’‹ im Kontext des Moskauer Konzeptualismus auch Matthias Meindl (2018): Reiner Aktivismus? Politisierung von Literatur und Kunst im postsowjetischen Russland. Köln/Weimar: Böhlau Verlag. S. 64f. Vgl. zur Rolle des kommunalen Zimmers in der nicht-kanonkonformen Moskauer Kunstszene ausführlicher Senem Yildirim (2020): ›Formations, Reformations, Deformations‹. Tracing Architectural History of the Communal Room in the Works of Soviet Nonconformist Artists: 1975-1991. Ankara: Univ. Diss. Vgl. Sergei Khripun (2016): »Who’s Who in Contemporary Art in Moscow, 1993.« In: Kate Fowle/Ruth Addison (Hg.): Access Moscow: The Art Life of a City Revealed 1990-2000. Prag: Artguide s.r.o. S. 76-177, hier S. 77; vgl. auch Il’ja Kukulin/Mark Lipoveckij (2019): »›Iskusstvo predposlednich istin‹. Ėstetika D.A. Prigova.« In: Il’ja Kukulin/Mark Lipoveckij (Hg.): Dmitrij Aleksandrovič Prigov. Mysli. Izbrannye manifesty, stat’i, interv’ju. Moskau: NLO. S. 6-41, hier S. 6. Vgl. Khripun (2016): S. 77.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

object of aesthetic reflection as well.«40 In diesem Kontext ist auch Nikita Alekseevs APT-ART-Projekt (1982-1984) zu betrachten, das die Kommunal’ka in einen Schauplatz für Ausstellungen verwandelte. Bereits seit den 1960er Jahren fanden in Wohnungen von Künstler*innen oder Sammler*innen wie Aleksandr Glezer und Georgij Kostaki kleinere Kunstausstellungen statt. Alekseev institutionalisierte diese Praxis, als er 1982 eine APT-ART-Galerie in seiner Wohnung gründete. APT-ART, eine Abkürzung für Appartement Art,41 entstand nicht nur in Reaktion auf fehlende öffentliche Ausstellungsmöglichkeiten, sondern auch in Abgrenzung von einer älteren Künstlergeneration, deren Einfluss einige der jüngeren Kolleg*innen als zu dominant empfanden, wie Alekseev darlegt: »APTART was a collective phenomenon. And to some extent it was a reaction to the isolation, rigidity, or dictatorship of the older generation of artists. There was a certain degree of confrontation then too […]. When this idea emerged, I found myself in the position of director, since everything took place in my apartment. I was a curator insofar as I tried to be helpful, but this was really a joint project and I didn’t have the final say on anything. The co-founders of APTART Gallery were Sven Gundlakh and Mikhail Roshal. APTART was an offshoot from NOMA, like a system of filters. It was a space were potential future actions were tested.«42 Die erste von insgesamt 13 APT-ART-Ausstellungen wurde am 20. Oktober 1982 eröffnet. Beteiligt waren Georgij Kizeval’ter, Vadim Zacharov, Natal’ja Abalakova, Andrej Monastyrskij, Nikolaj Panitkov, Sergej Anufriev, Michail Rošal’, Nikita Alekseev und die Künstlergruppen Muchomor [Fliegenpilz] (Sven Gundlach, Konstantin Zvezdočetov, Aleksej Kamenskij, Vladimir und Sergej Mironenko), TOTART (Natal’ja Abalakova und Anatolij Žigalov) und SZ (Viktor Skersis und Vadim Zacharov). Sie gehörten einer jüngeren Generation von Künstler*innen an, die sich mit Ausnahme der Gruppe TOTART damals im Alter zwischen 18 und 33 befanden. Die Liste der Beteiligten macht eine interne Differenzierung des Moskauer Konzeptualismus sichtbar, der in den 1980er Jahren von unterschiedlichen Gruppen weiterentwickelt wurde. Dieser Prozess widerspiegelt die Entstehung des heterogenen Kreises aus unterschiedlichen Künstlernetzwerken in den 1970er Jahren. Die erste APT-ARTAusstellung bezeichneten Natal’ja Abalakova und Anatolij Žigalov als ›Anti-Show‹,43

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Tupitsyn (2009): S. 87. Der erste Teil der Abkürzung, ›APT‹, kann außerdem als die kyrillische Schreibweise von ›ART‹ interpretiert werden, da der kyrillische Buchstabe ›P‹ dem lateinischen ›R‹ entspricht. Vgl. Margarita Tupitsyn (2017): »Imagine No Shows.« In: Margarita Tupitsyn/Victor Tupitsyn/David Morris (Hg.): Anti-Shows. APTART 1982-84. Köln: Walther König. S. 22-47, hier S. 39. Khripun (2016): S. 77. Vgl. David Morris: »Introduction: Anti-Shows.« In: Margarita Tupitsyn/Victor Tupitsyn/David Morris (Hg.): Anti-Shows. APTART 1982-84. Köln: Walther König. S. 8-21, hier S. 9.

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in der im Gegensatz zur traditionellen Schau nicht das fertige Kunstwerk, sondern der Prozess des kollaborativen Arbeitens im Vordergrund stehe: »This event is not an exhibition in the normal sense of the term. This is the continuation of explorative work, one of its phases, not in specifically artistic surroundings but in a real live apartment. And those who come here will find work and cooperation rather than the normal ›viewing of art objects‹. There are no ›art objects‹ here in the usual sense. These are not ›finished works‹, but rather, artin-making.«44 Eine Anti-Show stellte APT-ART auch aufgrund der Inszenierung der gezeigten Werke dar (vgl. Abb. 8). So markierte der überladene Ausstellungsraum des kommunalen Zimmers – sogar Alekseevs Kühlschrank und die Zimmerdecken wurden in Kunstwerke verwandelt – einen ironischen Widerspruch zum Konzept des White Cube, das für eine sparsame Hängung von Arbeiten auf weißen Wänden steht. Stattdessen erinnerte die extrem dichte Werkplatzierung in Alekseevs Wohnung eher an ein Kuriositätenkabinett. Die APT-ART-Ausstellungen erregten im Laufe des Jahres 1982 zunehmend die Aufmerksamkeit des KGB. Dieser schloss am 15. Februar 1983 eine Einzelausstellung der Gruppe SZ, die seit Januar in Alekseevs Wohnung zu sehen war, und beschlagnahmte die Arbeiten, darunter die Fotoserie »Laski i pocelui delajut ljudej urodlivymi« [Liebkosungen und Küsse machen die Leute hässlich] (1982-1983). Die nackten Selbstporträts des Künstlerduos Skersis und Zacharov führten zum Vorwurf der Pornographie und der Homosexualität – beides strafbare ›Vergehen‹ im sowjetischen Rechtssystem.45 Aufgrund der ständig drohenden Verhaftungen von Teilnehmer*innen fand die nächste APT-ART-Ausstellung unter dem Titel APTART na plenere [APTART im Freien] im Mai 1983 auf einem Feld in Kolistovo in der Nähe von Moskau statt. In einem Brief an Margarita und Viktor Tupicyny charakterisierte Zacharov die Schau als »a ›whole new Izmailovo‹«46 – ein Verweis auf die öffentliche Ausstellung vom 29. September 1974 im Izmajlovskij Park. Der Rückzug der APT-ART-Gruppe in die Natur weckt unmittelbar Assoziationen mit den Poezdki za gorod [Reisen aus der Stadt] der KD, die seit 1976 organisiert wurden. Zacharov schrieb den Tupicyny, die 1975 in die Vereinigten Staaten emigriert waren: »Remember Kollektivnye deistvii [Collective Actions group, CA]? We repeated that, but in summer conditions; otherwise, the

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Natalia Abalakova/Anatoly Zhigalov (2017): »Analysis – Action. TOTART.« In: Margarita Tupitsyn/Victor Tupitsyn/David Morris (Hg.): Anti-Shows. APTART 1982-84. Köln: Walther König. S. 92-93, hier S. 93. Vgl. Tupitsyn (2017): S. 42. Vadim Zakharov (2017): »On the Most Important.« In: Margarita Tupitsyn/Victor Tupitsyn/David Morris (Hg.): Anti-Shows. APTART 1982-84. Köln: Walther König. S. 147.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Abb. 8: Ansicht der Wohnungsausstellung APTART. Gruppovaja vystavka na kvartire Nikity Alekseeva [APTART. Gruppenausstellung in der Wohnung von Nikita Alekseev] (1982), Fotografie von Unbekannt. Zu sehen sind das Transparent und das Plakat »Iskusstvo prinadležit« [Die Kunst gehört] (1982) der Gruppe TOTART.

structure was exactly the same as CA’s.«47 In einem Gespräch mit Jurij Al’bert von 2010 bezeichnete Vitalij Komar die Bulldozer-Ausstellung vom 15. September 1974 als Vorläufer der KD-Aktionen. Mit dieser Schau habe die nicht-kanonkonforme Kunst den ersten Schritt außerhalb des kommunalen Zimmers gewagt: »К 1974 году на выставочные залы никто уже и не надеялся. Поэтому начался поиск альтернативного места, который привел нас – Оскара Рабина, Женю Рухина, Владимира Немухина и других, – к выходу из подполья на улицу. […] В результате произошла знаменитая ›Бульдозерная выставка‹, на которой

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вместе с работами других художников, власти уничтожили многие работы нашего соц-арта. Это было историческое событие. После ›бульдозеров‹ начались ›поездки за город‹ московского концептуализма. Я не знаю, понимает ли это Андрей Монастырский, но хронологически это так. ›Бульдозеры‹ – первый выход из комнаты. Потом начались все другие выходы: и Инфантэ [sic!], и группа ›Коллективные действия‹, и группа ›Гнездо‹. И концептуализм зазвучал.«48 Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass der Außenraum für die KD eine grundlegend andere Funktion als für die Künstler*innen der Bulldozer-Ausstellung erfüllte. Letztere setzten mit der Organisation einer Freiluftausstellung ein durchaus politisches Zeichen, indem sie sich eine brachliegende, unbenutzte Fläche in Beljaevo, die, wie die Reaktion der Behörden zeigte, dennoch als Teil des öffentlichen Raums galt, für die nicht-kanonkonforme Kunst anzueignen versuchten. Die KD hingegen, die ihre Aktionen meist auf leeren, schneebedeckten Feldern außerhalb des »mit Zeichen und Texten gesättigten Raum[s] der Metropole«49 durchführte, war am Außenraum als Gegenstand psychologischer Reflexionen interessiert. Für die Poezdki za gorod luden die jeweiligen Organisator*innen der Aktion eine Gruppe von Teilnehmer*innen zu einer gemeinsamen Fahrt außerhalb Moskaus ein. Die Reise ging mit bestimmten Erwartungen einher, die zum eigentlichen Objekt des Interesses avancierten. Die Performance selbst wurde währendessen auf minimale Handlungen reduziert, wie z.B. das Erscheinen oder Verschwinden einer Person oder eines Gegenstandes.50 Die Verfremdung solcher alltäglichen Hand48

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Al’bert (2014e): S. 84. [Im Jahre 1974 hoffte niemand mehr auf Ausstellungsräume. Deshalb fing die Suche nach alternativen Orten an, die uns – Oskar Rabin, Evgenij Ruchin, Vladimir Nemuchin und andere – aus dem Untergrund heraus auf die Straße führte. […] Als Resultat fand die berühmte ›Bulldozer-Ausstellung‹ statt, bei der die Autoritäten viele Arbeiten unserer Soz-Art wie auch Werke anderer Künstler zerstörte. Das war ein historisches Ereignis. Nach den ›Bulldozern‹ fingen die ›Reisen aus der Stadt‹ des Moskauer Konzeptualismus an. Ich weiß nicht, ob sich Andrej Monastyrskij dessen bewusst ist, aber chronologisch betrachtet war es so. Die ›Bulldozer‹ veranlassten uns, das Zimmer zum ersten Mal zu verlassen. Danach fingen auch andere an: Infante, die Gruppe ›Kollektive Aktionen‹, die Gruppe ›Gnezdo‹. Und der Konzeptualismus begann zu ertönen.] Sabine Hänsgen (2007): »Kollektive Aktionen. Ästhetische Grenzerfahrungen in den Performances des Moskauer Konzeptualismus.« In: Ada Raev/Isabel Wünsche (Hg.): Kursschwankungen. Russische Kunst im Wertesystem der europäischen Moderne. Berlin: Lukas Verlag. S. 236244, hier S. 239. Vgl. ebd. Andrej Monastyrskij schreibt 1980 über das Ziel der Aktionen: »В сугубо же эстетическом смысле можно было бы охарактеризовать представленные здесь акции как попытки сделать необычным восприятие обычного появления, исчезновения, удаления, света, звука и т. д.« [Im strikt ästhetischen Sinne könnte man die hier präsentierten Aktionen als Versuche charakterisieren, die Wahrnehmung des ganz normalen Erscheinens, Verschwindens, Sich-Entfernens, des gewöhnlichen Lichts, Klangs usw. ungewöhnlich zu ma-

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

lungen sollte die Rezipierenden zur Reflexion anregen. Der Außenraum des Feldes, so schreibt Andrej Monastyrskij im Vorwort zum ersten Band der Poezdki za gorod (1980), interessierte in den Aktionen somit als Zugang zum »oblast’ psichičeskogo, ›vnutrennego‹«51 [Bereich des Psychischen, des ›Inneren‹]. Da sich die Beteiligten dazu verpflichteten, ihre Eindrücke und Interpretationen der Aktionen schriftlich festzuhalten, sind die Poezdki za gorod umfassend dokumentiert. Unter der Herausgeberschaft von Andrej Monastyrskij erschienen zwischen 1980 und 1989 fünf Materialbände als Samizdat-Ausgaben. Zwischen 1994 und 2015 wurden weitere acht Editionen erstellt. Die künstlerische Dokumentation und Archivierung von Kunstwerken, Literatur, Aktivitäten und Gesprächen stellt neben der Organisation von Ausstellungen, Aktionen und Seminaren eine wichtige Komponente im Aufbau der alternativen Kunstinfrastruktur durch die Moskauer Konzeptualisten dar. Unmittelbar nach der Erscheinung des ersten Poezdki za gorod-Bandes nahm Monastyrskij ein weiteres Archivprojekt unter dem Titel Papki MANI [MANI-Mappen] in Angriff, eine Abkürzung für ›Moskovskij Archiv Novogo Iskusstva‹ [Moskauer Archiv der Neuen Kunst]. Die erste MANI-Mappe vom Februar 1981 enthält 21 Umschläge mit Werkbeschreibungen, Kritiken, Zeichnungen, Fotografien und Texten von insgesamt 19 Künstler*innen und Künstlergruppen, deren Namen in alphabetischer Reihenfolge erscheinen: »It so happened that the folder opened with A for Abramov and closed with Ya, the 33rd and last letter of the Russian alphabet, for Iavorsky. So, it was from A to Ya, which was also the name of the magazine that had been published in Paris since 1979.«52 Zwischen Juni 1981 und 1986 entstanden weitere vier Ausgaben, die von unterschiedlichen Künstler*innen herausgegeben wurden. So edierten Viktor Skersis und Vadim Zacharov die zweite Mappe (1981), während Elena Elagina und Igor’ Makarevič die dritte Edition (1982) besorgten und Natal’ja Abalakova und Anatolij Žigalov für die vierte Ausgabe (1982) zuständig waren. An der fünften und letzten Mappe waren anfänglich Konstantin Zvezdočetov und die Gruppe Muchomor [Fliegenpilz] beteiligt, fertiggestellt wurde sie jedoch erst 1986 von Georgij Kizeval’ter. Mit Ausnahme dieser letzten Ausgabe stieg die Zahl der aufgenommenen Materialien mit jeder neuen MANI-Mappe, die insgesamt 895 Umschläge mit Beiträ-

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chen.] Andrej Monastyrskij (1980): »Predislovie k pervomu tomu ›Poezdok za gorod‹.« In: conceptualism.letov.ru. URL: http://conceptualism.letov.ru/KD-preface-1.html (letzter Zugriff am 19.08.2020). Monastyrskij (1980). Andrej Monastyrskij in Alexandra Danilova/Elena Kuprina-Lyakhovich (2017): »MANI: An Experiment in Modelling Cultural Space.« In: Margarita Tupitsyn/Victor Tupitsyn/David Morris (Hg.): Anti-Shows. APTART 1982-84. Köln: Walther König. S. 232-247, hier S. 236.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

gen von 54 unterschiedlichen Beteiligten enthalten.53 Gesammelt wurden nicht nur Materialien von Moskauer Konzeptualisten, sondern auch von Theoretiker*innen wie Boris Groys und Evgenij Šiffers. Damit verschaffen die Mappen Einblick in ein wachsendes Netzwerk von Künstler*innen und Mittlerfiguren, das sich im Laufe der 1980er Jahre in der russischen Hauptstadt um den Moskauer Konzeptualismus formierte. Das Projekt stellte ebenfalls Verbindungen zu Akteuren wie Viktor Pivovarov und Igor’ Šelkovskij her, die sich in dieser Periode in der Emigration in Prag und Paris befanden und von diesen Orten aus zentrale Rollen im westeuropäischen Transfernetzwerk des Moskauer Konzeptualismus ausübten (vgl. §3.1.1). 1988 ging ein Teil der Archivmaterialien in das MANI-Museum über, das Nikolaj Panitkov auf seiner Datscha in der Nähe von Moskau gründete. Die Sammlung war 1991 in der Ausstellung MANI Museum im Frankfurter Karmeliterkloster zu sehen.54 Der Einfluss der alternativen Kunstinfrastruktur der Moskauer Konzeptualisten auf die spätere Rezeption des Kreises ist nicht zu unterschätzen. So waren die Werke und die Aktivitäten der Künstler*innen aufgrund der Organisation von Seminaren, Ausstellungen und Archivprojekten nicht nur gut dokumentiert, sondern auch theoretisch aufgearbeitet, während zum Zeitpunkt der Moskauer Sotheby’sAuktion vom 7. Juli 1988 zu anderen Vertreter*innen der nicht-kanonkonformen Kunst vergleichsweise weniger Informationen vorlagen. Auch in Russland bildete diese Infrastruktur eine wichtige Grundlage für die weitere Rezeption der Gruppe, wie im Folgenden dargelegt wird.

4.1.3

Zwischen Öffnung und Restriktion: Die Rezeption des Moskauer Konzeptualismus in der Perestrojka (1985-1991)

Am 26. November 1986 eröffnete die 17-ja vystavka proizvedenij molodych moskovskich chudožnikov [17. Ausstellung junger Moskauer Künstler] auf Kuzneckij most. Aufsehen erregte die vom Moskauer Künstlerverband ausgerichtete Schau, da ebenfalls Werke von Repräsentant*innen der nicht-kanonkonformen Kunstszene in das Programm aufgenommen wurden. »Ran’še takogo ne bylo« [Früher gab es das nicht], titelte in Reaktion auf die Entscheidung die Zeitschrift Sovetskij èkran, in der 1987 ein Interview mit dem an der Ausstellungsorganisation beteiligten Kulturwissenschaftler und Filmkritiker Daniil Dondurej erschien. Dieser betrachtete das Projekt als Zeichen dafür, »как остро нынешнее поколение отстаивает свое право на заявленную самостоятельность, собственные эстетические программы, свои 53

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Vgl. ebd.: S. 233. Einen Überblick über den Inhalt der ersten vier MANI-Mappen bietet die Homepage von Sergej Letov unter dem folgenden Link: URL: http://conceptualism.letov.ru/ MANI/folders.html (letzter Zugriff am 28.08.2020). Vgl. den Ausstellungskatalog von Linda Reisch/Klaus Klemp/Nikolai Panitkow (1991) (Hg.): MANI Museum. 40 Moskauer Künstler im Frankfurter Karmeliterkloster. Frankfurt a.M.: Amt für Wissenschaft und Kunst.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

представления о мире и о себе.«55 Im Rahmenprogramm der Schau fand eine von Michail Rošal’ durchgeführte Gruppenausstellung mit dem Titel Iskusstvo protiv kommercii, ili Bitca za iskusstvo [Die Kunst gegen Kommerz, oder Bitca für die Kunst] im Bitcevskij Park statt, in der aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten Nikita Alekseev, Sergej Anufriev, Sven Gundlach, Georgij Kizeval’ter, Vadim Zacharov, Jurij Al’bert, Konstantin Zvezdočetov und Rošal’ selbst vertreten waren. Die neuen Entwicklungen innerhalb der Moskauer Kunst- und Kulturlandschaft bezeichneten viele Künstler*innen als erfreulich, aber auch verwirrend, da die Grenze zwischen der Staatskunst und der alternativen Szene allmählich verschwamm. Dies führte zu einer allgemeinen Orientierungslosigkeit. Im Widerspruch zu der beschriebenen Öffnung des Moskauer Kunstfeldes steht Dmitrij Prigovs Verhaftung durch den KGB, die sich kurz vor der Eröffnung der Ausstellung auf Kuzneckij most ereignete. Anlass war eine Aktion des Künstlers, in der er Zettelchen aus der Serie »Graždane!« [Bürger!] (1985-1987) im öffentlichen Raum verteilt hatte, darunter den Aufruf: »Граждане! Все, все будет хорошо, я вам обещаю! Дмитрий Алексаныч« [Bürgerinnen und Bürger! Alles, alles wird gut, ich verspreche es Ihnen! Dmitrij Aleksanyč]. Die Ausstellung auf Kuzneckij most auf der einen Seite und Prigovs Verhaftung auf der anderen Seite machen eine Dialektik zwischen Öffnung und Restriktion sichtbar, die den Rezeptionsprozess des Moskauer Konzeptualismus und der nicht-kanonkonformen Kunst im Allgemeinen in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre stark prägte. Anfang 1986 verkündete Michail Gorbačev, der im März 1985 als Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU angetreten war, eine Politik der Glasnost’ [Transparenz], die eine Schlüsselrolle in der Perestrojka bzw. Umgestaltung der Wirtschaft und der Partei spielen sollte.56 1987 wurde die Forderung nach mehr Offenheit und Modernisierung auf das gesamtgesellschaftliche System der Sowjetunion ausgeweitet. Während der Presse mehr Freiheit zur Besprechung von vorher tabuisierten Themen gewährt wurde, bedeutete Glasnost’ für die Künste eine Verringerung der Zensur, infolgedessen erste öffentliche Ausstellungen mit nichtkanonkonformen Künstler*innen organisiert werden konnten. Die Reformen, deren Grenzen häufig allerdings nicht klar definiert wurden,57 führten vor allem in der Anfangsphase der Perestrojka immer wieder zu widersprüchlichen Auslegungen. Denn während im November 1986 auf der einen Seite Dmitrij Prigov aufgrund 55

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Tat’jana Moskvina (1987): »Ran’še takogo ne bylo.« In: Sovetskij èkran 14. S. 6-7, hier S. 6. [wie stark die heutige Generation ihr Recht auf die eingeforderte Selbstständigkeit, eigene ästhetische Programme, eigene Vorstellungen über die Welt und über sich selbst durchzusetzen versucht.] Vgl. Monika Müller (2001): Zwischen Zäsur und Zensur. Das sowjetische Fernsehen unter Gorbatschow. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. S. 57. Vgl. Joseph Gibbs (1999): Gorbachev’s Glasnost. The Soviet Media in the First Phase of Perestroika. College Station: Texas A&M University Press. S. 13.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

seiner oben erwähnten Kunstaktion durch den KGB (kurzzeitig) in die Psychiatrie eingewiesen wurde, vollzog sich auf der anderen Seite eine rasante Umorientierung in der sowjetischen Kunstkritik. Dieser Prozess wird anhand eines exemplarischen Vergleichs der Berichterstattung zu Il’ja Kabakov in der Periode zwischen April 1986 und August 1987 sichtbar. 1985 war auf Initiative des Schweizer Diplomaten Paul R. Jolles die erste Einzelausstellung des Künstlers mit dem Titel Ilya Kabakov. Am Rande in der Kunsthalle Bern eröffnet worden (vgl. §3.1.3). Die Organisation der Schau hatte das sowjetische Kulturministerium im Voraus weder offiziell bewilligt noch verboten. Der Erfolg der Wanderausstellung in Bern, Düsseldorf, Marseille und Paris löste in Kombination mit der Erscheinung der siebten Ausgabe der Zeitschrift A-Ja. Unofficial Russian Art Review, in der Kabakov ebenfalls vertreten war, schließlich eine harte Kritik am Künstler in der Moskovskaja pravda vom 20. April 1986 aus: »Удивление вызывает поведение художников, которые, казалось бы, должны отличать черное от белого. Пока можно только гадать о том, что почувствовали члены Союза художников СССР график И. Кабаков, живописец И. Чуйков, скульптор В. Сидур, увидев свои работы в ›А-Я‹ рядом с дилетантскими поделками бойких малых от ›неофициального‹ искусства. Приносит ли им чувство удовлетворения та грязная возня, которая устроена дельцами от ›А-Я‹ вокруг их имен и имен некоторых их знакомых? Как долго они собираются это терпеть?«58 Der Pravda-Artikel, der im vorigen Kapitel analysiert wurde, interessiert an dieser Stelle als Kontrastfolie für einen Beitrag von Kabakov selbst, der am 19. August 1987 in der Literaturnaja gazeta erschien. Die Zeitung stellte Kabakov nun mit folgenden Worten vor: »Статья известного художника, члена Союза художников СССР Ильи Кабакова (его персональные выставки проходили в Берне, Марселе, Дюссельдорфе, Париже, Базеле), по существу, открывает новую тему, хотя проблема, которой она посвящена, возникла давно: какими могут и должны быть взаимоотношения между ›официальной‹ и ›неофициальной‹ культурой?«59 58

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Stepanov (1986): S. 3. [Das Verhalten von Künstlern, die imstande sein sollten, schwarz von weiß zu unterscheiden, ruft Erstaunen hervor. Vorläufig kann man nur darüber spekulieren, wie sich der Grafiker I. Kabakov, der Maler I. Čujkov und der Bildhauer V. Sidur als Mitglieder des sowjetischen Künstlerverbands gefühlt haben, als sie ihre Arbeiten in ›A-Ja‹ neben den dilettantischen Basteleien der findigen kleinen der ›inoffiziellen‹ Kunst gesehen haben. Befriedrigt sie etwa das schmutzige Spiel, das die Geschäftsleute von ›A-Ja‹ aus ihren Namen und denen ihrer Bekannten machen? Wie lange wollen sie das noch dulden?] Il’ja Kabakov (1987): »Cypljata belye, cypljata černye.« In: Literaturnaja gazeta 34 vom 19.08.1987. S. 8. [Der Artikel des bekannten Künstlers [und] Mitglieds des sowjetischen Künstlerverbandes Il’ja Kabakov (seine Einzelausstellungen waren in Bern, Marseille, Düsseldorf,

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Obwohl zwischen beiden Publikationen nur knapp anderthalb Jahre liegen, könnte der Kontrast in der Repräsentation des Künstlers kaum größer sein. In seinem Beitrag für Literaturnaja gazeta, dessen Titel »Cypljata belye, cypljata černye« [Weiße Kücken, schwarze Kücken] direkt an die Schwarz-Weiß-Metaphorik des PravdaArtikels anknüpft, plädiert Kabakov für eine Neubewertung der nicht-kanonkonformen sowjetischen Kunst. Diese sei dem großen Publikum bisher ausschließlich aus negativen Kritiken – zitiert werden die Phrasen »›ubogoe ditja ambicii‹« [›armseliges Kind der Ambition‹] und »›diletantskij blud‹« [›dilettantische Wollust‹] – in der Presse bekannt.60 Im Versuch, stattdessen die Normalität dieser Kunst zu unterstreichen, verweist Kabakov zum einen auf historische Künstlerpersönlichkeiten wie Arthur Rimbaud, Paul Verlaine und die Peredvižniki [Wanderer], deren Werk zu Lebzeiten ebenfalls auf Ablehnung gestoßen sei, heute jedoch einen kanonischen Status erreicht habe.61 Auffällig ist zum anderen die Analogie aus der Biologie, die der Künstler heranzieht, um Abweichungen vom Stilkanon in der zeitgenössischen sowjetischen Kunst zu erklären: »Однако они [nicht-kanonkonforme Künstler, D.S.] не исчезают, а возрождаются вновь, доказывая свою жизнестойкость. Может быть, стоит задуматься над тем, почему они вообще возникают, какая в этом логика? Можно провести аналогию, несколько неожиданную для разговора об изобразительном искусстве. Говорят, что биологические опыты показывают: если в курятнике появляется сотня цыплат, то на девяносто восемь абсолютно белых непременно будет два черных цыпленка.«62 Kabakov, der die Notwendigkeit zur offiziellen Anerkennung und Aufarbeitung der nicht-kanonkonformen sowjetischen Kunstgeschichte im Artikel mehrmals betont, beschließt seine Ausführungen mit folgender Prognose: »Что же касается пред-

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Paris und Basel zu sehen) eröffnet ein neues Thema, obwohl das Problem, dem er sich widmet, vor langer Zeit entstanden ist: kann und soll es eine gegenseitige Beziehung zwischen der ›offiziellen‹ und ›inoffiziellen‹ Kultur geben?] Ebd. Vgl. ebd. Ebd. [Allerdings verschwinden sie [nicht-kanonkonforme Künstler, D.S.] nicht, sondern werden wiedergeboren, womit sie ihre Widerstandsfähigkeit unter Beweis stellen. Vielleicht sollte man darüber nachdenken, warum sie überhaupt auftauchen, worin die Logik besteht? Man könnte eine Analogie heranziehen, die für ein Gespräch über bildende Kunst etwas unerwartet erscheint. Man sagt, dass biologische Versuche zeigen: Wenn in einem Hühnerstall 100 Kücken geboren werden, dann gibt es neben 98 absolut weißen Kücken auf jeden Fall auch zwei schwarze.]

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

ставителей ›неофициального‹ искусства, работавших в 60-70-е годы, то они будут признаны лет через пятьдесят. И тогда придут в музеи.«63 Die Anerkennung erfolgte schneller als gedacht. Nach der eingangs erwähnten 17. Ausstellung junger Moskauer Künstler (1986) auf Kuzneckij most konnten zwischen 1987 und 1991 in zunehmendem Maße Ausstellungsprojekte mit Vertreter*innen der nicht-kanonkonformen Kunst stattfinden. Den Auftakt bildete im Februar 1987 die Schau Chudožnik i sovremennost’ [Der Künstler und die Gegenwart], in der die Konzeptualisten Ėrik Bulatov, Il’ja Kabakov, Irina Nachova, Boris Orlov und Dmitrij Prigov repräsentiert waren. Daraufhin fand im Mai eine weitere, von Vladimir Nemuchin konzipierte Ausstellung mit dem Titel Ob”jekt-I [Objekt-I] in den Räumen der Malaja Gruzinskaja statt, die Objektkunst von sowohl älteren als auch jüngeren Künstlergenerationen der alternativen Moskauer Szene zeigte. Von September bis Ende Oktober war außerdem die zweiteilige Gruppenausstellung Retrospekcija tvorčestva moskovskich chudožnikov. 1957-1987. Živopis’ [Rückschau auf das Werk Moskauer Künstler. 1957-1987. Malerei] in der Galerie Beljaevo zu sehen, in der nicht-kanonkonforme Kunst zum ersten Mal in ihrem historischen Entstehungskontext präsentiert wurde.64 Organisiert wurden die Projekte von dem Kunsthistoriker Leonid Bažanov und dem Sammler Leonid Taločkin, der seit den 1950er Jahren die umfangreichste Kollektion nicht-kanonisierter Kunst auf sowjetischem Bodem aufgebaut hatte, auf die später in diesem Kapitel eingegangen wird (vgl. §4.3.1). Die Lockerung der Exportbestimmungen für sowjetische Kunst im Jahre 1987 leitete eine Internationalisierung der Moskauer Kulturlandschaft ein, die von der Sotheby’s-Auktion vom 7. Juli 1988 stark beschleunigt wurde. Eine Verflechtung zwischen dem russischen und dem deutschen Mittlernetzwerk des Moskauer Konzeptualismus ergab sich parallel zur Versteigerung anlässlich der Ausstellung Labirint [Labyrinth], die am 3. Juni 1988, etwa drei Wochen vor der 19. Unionskonferenz der KPdSU, im Palast der Jugend eröffnete. Die Schau, die Werke von ca. 130 Künstler*innen präsentierte, besuchte das Ehepaar Fritz und Marina Sandmann, das sich anschließend die Erlaubnis einholte, die Ausstellung in der BRD zeigen zu dürfen.65 Ein Ausstellungsraum für die Schau, die am 16. Januar 1989 anlief,

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Ebd. [Was die Repräsentanten der ›inoffiziellen‹ Kunst betrifft, die in den 1960er und 1970er Jahren arbeiteten, so werden diese in etwa 50 Jahren anerkannt werden. Und dann landen sie in Museen.] Vgl. Kate Fowle/Ruth Addison (2016) (Hg.): Exhibit Russia: The New International Decade 19861996. Prag: Artguide s.r.o. S. 327. 1989 gründete Marina Sandmann in Berlin die Dr. Marina Sandmann-Galerie und Art Management, die Repräsentant*innen der nicht-kanonkonformen sowjetischen Kunst, darunter Dmitrij Prigov, Ivan Čujkov, Viktor Pivovarov, Vladimir Nemuchin und Vladimir Jakovlev, vertritt.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

wurde im Schloss Wotersen in der Nähe von Hamburg gefunden. Eine Kooperation mit einem der etablierten westdeutschen Museen kam aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit von nur wenigen Monaten nicht zustande, wie Marina Sandmann 1998 rückblickend in Die Welt erklärte.66 Als problematisch im Transferprozess von Labirint erwies sich insbesondere der Versuch, die Ausstellung nach der Sotheby’s-Auktion, die das internationale Interesse an nicht-kanonkonformer Gegenwartskunst aus der Sowjetunion enorm gesteigert hatte, in ihrem ursprünglichen Format in Hamburg zu zeigen, wie Fritz und Marina Sandmann im Vorwort zum Katalog erklären: »Und dann begannen auf beiden Seiten die eigentlichen Schwierigkeiten: Auf sowjetischer Seite das Bemühen, die Ausstellung im wesentlichen geschlossen zu erhalten, entgegen dem Bestreben einzelner Künstler, den Ausstellungserfolg in schnelles Geld umzusetzen oder anderen Verlockungen westlicher Galerien und Museen nachzugeben. Auf unserer Seite die kurzfristige Beschaffung geeigneter repräsentativer Räumlichkeiten, die dem Anspruch dieser Ausstellung gerecht werden.«67 Unter dem Titel Labyrinth. Neue Kunst aus Moskau waren in der Hamburger Ausstellung, die einen kleineren Umfang als die Moskauer Ausgangsvariante aufwies, schließlich 17 Künstlergruppen vertreten. Darunter befanden sich das Künstlerduo Natal’ja Abalakova und Anatolij Žigalov von TOTART sowie der 1987 gegründete Moskauer Klub der Avantgardisten [KLAVA], der von Georgij Kizeval’ter und Dmitrij Prigov repräsentiert wurde. KLAVA war die erste offiziell registrierte Vereinigung nicht-kanonkonformer Künstler*innen in Moskau und bestand aus ca. 40 Mitgliedern aus dem (Um-)Kreis des Konzeptualismus. 1987 fand eine erste Schau der Gruppe mit dem Titel Pervaja vystavka Kluba Avangardistov KLAVA [Erste Ausstellung des Klubs der Avantgardisten KLAVA] im Ausstellungsraum des Proletarskij Bezirks statt, wo in den 1980er und 1990er Jahren mehrere Ausstellungen der alternativen Moskauer Kunstszene stattfanden.68 KLAVA gilt als Beispiel für eine neue Form der Selbstverwaltung, mit der Künstler*innen in der späten Perestrojka auf die sich rasch verändernden Bedingungen des Kunstfeldes reagierten. In diesem Zusammenhang sind auch die Ateliers in der Furmannyj pereulok zu erwähnen, 66

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Vgl. Jost Nolte (1998): »Bilder brauchen Diplomaten. Marina Sandmann bereitet russischer Kunst den Weg.« In: Die Welt vom 20.06.1998. URL: https://www.welt.de/print-welt/article621 230/Bilder-brauchen-Diplomaten.html (letzter Zugriff am 18.08.2020); vgl. ein Interview der Verfasserin mit Marina Sandmann am 24.09.2016 in der Dr. Marina Sandmann-Galerie und Art Management, Berlin. Marina M. Sandmann/Fritz J. Sandmann (1989): »Vorwort der Herausgeber.« In: Marina M. Sandmann/Fritz J. Sandmann (Hg.): Labyrinth. Neue Kunst aus Moskau. Hamburg: Hans Christians Druckerei. S. viii-ix, hier S. viii. Vgl. den Anhang dieses Buches für einen Überblick über weitere Ausstellungen von KLAVA.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

in denen ein Großteil der ehemaligen APT-ART-Mitglieder zwischen 1986 und 1989 eigene Ausstellungsprojekte organisierte sowie internationale Sammler*innen und Kurator*innen empfing. Die Studios, so führt Margarita Tupicyna aus, »functioned from early 1986 on, as the key places for foreign dealers who saw Soviet art as a profitable product for the Westen art market, for collectors bewildered by Sotheby’s triumphant auction, and for curators asked to put together hasty exhibitions. In the words of the artist Konstantin Zvezdochetov, if … ›Aptart was one kind of socio-cultural psychopathology,‹ the glasnost period created ›a different type.‹«69 Mit diesen selbstorganisatorischen Initiativen standen die Moskauer Konzeptualisten an der Basis der postsowjetischen Kunstinfrastruktur, die in den 1990er Jahren unter der Bezeichnung ›Tusovka‹ bekannt wurde.

4.2

Der postsowjetische Kunstbetrieb als ›Tusovka‹: Die Aufarbeitung des Moskauer Konzeptualismus zwischen 1991-1994

Die Implementierung marktwirtschaftlicher Elemente in die sowjetische Planwirtschaft unter Michail Gorbačev, der 1987 eine ›Demokratie in der Produktion‹ ankündigte,70 führte in der späten Perestrojka zu einer Liberalisierung des zentralistisch geregelten Kunstbetriebs. Die allmähliche Umstrukturierung des Kunstfeldes stellte in den Worten von Kate Fowle eine »potential weapon and Achilles heel«71 des Zentralkomitees dar, das mit den Reformmaßnahmen einerseits positives Selbstmarketing vor den Augen der internationalen Gemeinschaft zu betreiben suchte. Andererseits ging der Übergang zu einem zunehmend kommerziellen Kunstmarktsystem – und dies war die ›Archillesferse‹ der sowjetischen Autoritäten – mit einer »schocktherapeutischen Infragestellung der eigenen kunstökonomischen und kulturellen Leistungsfähigkeit«72 einher, wie Thomas Skowronek in Marktgestalten in Sorge (2018) festhält.

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Margarita Tupitsyn (1990b): »U-Turn of the U-Topian.« In: David A. Ross et al. (Hg.): Between Spring and Summer. Soviet Conceptual Art in the Era of Late Communism. Cambridge, Massachusetts: MIT Press. S. 35-51, hier S. 38. [Hervorhebung im Original] Vgl. Petra Becker (2003): Verlagspolitik und Buchmarkt in Russland (1985 bis 2002). Prozess der Entstaatlichung des zentralistischen Buchverlagswesens. Wiesbaden: Otto Harrassowitz Verlag. S. 92f. Kate Fowle (2016b): »The New International Decade 1986-1996.« In: Kate Fowle/Ruth Addison (Hg.): Exhibit Russia: The New International Decade 1986-1996. Prag: s.r.o. Artguide. S. 6-35, hier S. 6. Skowronek (2018): S. 17.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Die Moskauer Sotheby’s-Auktion vom 7. Juli 1988 hatte die Nachfrage nach nicht-kanonkonformer Kunst aus der Sowjetunion im internationalen Raum stark vergrößert. Dies trug zu der »hocheuphorisierte[n] Exportmentalität«73 bei, die den Kunstbetrieb der russischen Hauptstadt zwischen 1991 und 1994 beherrschte. Als hochproblematisch erwies sich der Export von Kunst ins Ausland auf Dauer für die russischen Museen, die in dem Aufbau neuer Sammlungen zeitgenössischer Kunst stark eingeschränkt wurden. Während sich existierende staatliche Kunstinstitutionen und Medien in den 1990er Jahren zu einer grundlegenden Umorientierung gezwungen sahen oder aufgrund weggefallener finanzieller Ressourcen verschwanden, entstand gleichzeitig eine Vielzahl neuer Initiativen. So eröffnete der Kunsthistoriker und Kurator Leonid Bažanov im Jahre 1990 das Contemporary Art Centre [CAC] in Moskau. Die Institution beherbergte mehrere neue Galerien, wie die 1.0 Galerie, die Škola Galerie und die Marat Gel’man Galerie, und organisierte Vernissagen sowie Seminare zu Kulturtheorie und Kunstmanagement. Bažanov, der 1992 zum Direktor der Abteilung für Bildende Künste im Ministerium für Kultur der Russischen Föderation ernannt wurde, legte in dieser Funktion außerdem die Basis für das erste staatliche Zentrum für zeitgenössische Kunst, das National Centre for Contemporary Art [NCCA]. Die Leitung des CAC übernahm daraufhin der Kunsthistoriker und Kurator Viktor Misiano.74 Dieser gründete 1993 die Zeitschrift Chudožestvennyj Žurnal/Moscow Art Magazine, die in dieser Periode neben dem Periodikum Mesto Pečati (1991-2003) eine wichtige Plattform für die russische Rezeption des Moskauer Konzeptualismus darstellte. Mit der Organisation von Kunstmessen wie Art Mif (1990-1993) und Art Moscow (1996-2013) versuchte man, die neugeschaffenen Institutionen in den (inter-)nationalen Kunstmarkt einzubinden und die kommerzielle Position insbesondere von Galerien, die sich in den 1990er Jahren vom Kunstverkauf allein kaum finanzieren konnten, zu stärken. Auf diesen Messen boten Kunsthistoriker*innen und Kurator*innen mit Erfahrung im internationalen Kunstbetrieb, darunter Ekaterina Degot’, Viktor Misiano und Iosif Bakštejn, Workshops zu Kunstmanagement und kuratorischen Praktiken an.75 Daran wird sichtbar, dass sich die Implementierung des kommerziellen Kunstmarktsystems im postsowjetischen Russland stark an ei-

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Ebd. Das CAC hörte 1997 auf zu existieren. Grund dafür waren mangelnde finanzielle Ressourcen und interne Konflikte innerhalb der Organisation. Vgl. Andrei Kovalev (2016): »Installing the 1990s.« In: Kate Fowle/Ruth Addison (Hg.): Access Moscow: The Art Life of a City Revealed 19902000. Prag: Artguide s.r.o. S. 38-55, hier S. 53. Vgl. Valentin Diaconov (2016): »Twenty Years Is Not Much Compared to Eternity: Galleries as Commissioners and Promoters of the Art of Young Russian Capitalism in the 1990s.« In: Kate Fowle/Ruth Addison (Hg.): Access Moscow: The Art Life of a City Revealed 1990-2000. Prag: Artguide s.r.o. S. 62-67, hier S. 64.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

nem westlichen Modell orientierte.76 Dies verursachte aber auch Frustrationen, wie der Kurator Valentin Diaconov ausführt: »[T]he focus on the economic and political model of Western countries resulted in an extremely high bar being set for the construction of art institutions. Because the artists, curators, and researchers of the underground thought of themselves as part of a global system (even if on the social and economic levels they were not), they set themselves and the state an impossible task: to provide Western standards in all areas representing artistic production, from newspapers to museums. We see the consequences of this frustrated leap into civilization in a multitude of arguments about how things ›should be‹ in place of the too-painful analysis of how things are.«77 Der Einfluss der kulturellen Spezifika des postsowjetischen Kunstbetriebs auf die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus ist in der Analyse in diesem Kapitel zu berücksichtigen. Als eigenkulturelle Bezeichnung für das Funktionieren der russischen Kunstlandschaft kursierte in den 1990er Jahren der Begriff der ›Tusovka‹. Abgeleitet vom Verb ›tasovat’‹, das ›mischen‹ (von Karten) oder ›durcheinanderbringen‹ bedeutet, bezeichnet ›Tusovka‹ eine formelle oder informelle Gruppe von Menschen mit ähnlichen (beruflichen, privaten, politischen usw.) Interessen.78 1990 verwendete der Musikkritiker Artemij Troickij das Wort im Titel seines Buches Tusovka: Who’s Who in the New Soviet Rock Culture, das sehr zur Popularisierung der Bezeichnung beigetragen hat.79 Im Essay »Kul’turnye protivorečija tusovki« [Die kulturellen Widersprüche der Tusovka] (1999) definiert Viktor Misiano ›Tusovka‹ als »форма самоорганизации художественной среды в ситуации отсутствия институций и государственного протекционизма«.80 Der Kunsthistoriker erwähnt drei Charakteristika dieser Infrastruktur, die für die Analysen in diesem Kapitel relevant sind. So funktioniere der Kunstbetrieb als Tusovka aufgrund fehlender institutioneller Strukturen erstens als personales Netzwerk:

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Ein anderes Beispiel ist die Gründung des Institute of Contemporary Art [ICA] (1991-) in Moskau durch Iosif Bakštejn, der sich am Vorbild des ICA in Boston orientierte, mit dessen Direktor, David A. Ross, er die Gruppenausstellung zum Moskauer Konzeptualismus Between Spring and Summer (1990) kuratiert hatte. Vgl. Fowle (2016b): S. 26f. Diaconov (2016): S. 65. In der Jugendsprache wird das Wort ›Tusovka‹ auch für Freizeitveranstaltungen (z.B. Partys, Konzerte, Kinobesuche usw.) verwendet. Vgl. Artemy Troitsky (1990): Tusovka: Who’s Who in the New Soviet Rock Culture. London: Omnibus Press. Viktor Misiano (1999): »Kul’turnye protivorečija tusovki.« In: Moscow Art Magazine 25. URL: htt p://moscowartmagazine.com/issue/76/article/1658 (letzter Zugriff am 19.08.2020). [Form der Selbstorganisation des künstlerischen Milieus im Falle der Abwesenheit von Institutionen und staatlichem Protektionismus]

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

»В силу того что встреча в тусовке лишена какого-либо институционального или идеологического опосредования, она обречена быть укорененной исключительно в сфере межличностных отношений, в face-to-face relations (Э. Гофман). […] Лишенная институтов, она замещает их персонализированными суррогатами. Тусовка не знает музея, но у нее есть человек-музей, она не знает полноценных периодических изданий, но у нее есть человек-журнал, у нее нет художественной критики, а есть критик, нет экспозиционных структур, а есть куратор […].«81 Als charakteristisch für die Tusovka betrachtet Misiano zweitens die fließende Grenze zwischen unterschiedlichen beruflichen Rollen. So würden z.B. Galeriebesitzer*innen gleichzeitig als Kurator*innen, Theoretiker*innen und Kritiker*innen auftreten.82 Dies konstatierte 1992 auch die Publizistin Jamey Gambrell in einer Reportage für die Zeitschrift Art in America: »There is a general consensus in Moscow that a shortage of qualified people in the emerging art world and market has led to glaring conflicts of interest: critics are opening galleries or dealing privately while continuing to write, often about the artists they represent, and to serve on corporate and museum acquisitions committees.«83 Kennzeichnend für die Tusovka sei drittens der ›serielle‹ Charakter des Kunstdiskurses, der seinen Niederschlag weniger in Sammelbänden und Monografien und stattdessen in Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln finde.84 Diese drei Charakteristiken, nämlich erstens der personale Charakter des Netzwerkes, zweitens die fließende Grenze zwischen einzelnen Berufen und drittens der serielle Charakter des Kunstdiskurses, werden in den folgenden drei Abschnitten thematisiert, indem die Aufarbeitung des Moskauer Konzeptualismus in der postsowjetischen

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Ebd. [Da die Interaktion in der Tusovka keine institutionelle oder ideologische Basis hat, findet diese gezwungenermaßen nur im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen, der face-to-face relations (E. Goffman) statt. […] Fehlende Institutionen ersetzt sie durch personalisierte Surrogate. Die Tusovka kennt keine Museen, aber es gibt ein Mensch-Museum, sie kennt keine vollwertigen Periodika, aber es gibt eine Mensch-Zeitschrift, sie kennt keine Kunstkritik, aber es gibt einen Kritiker, sie kennt keine Ausstellungsstrukturen, aber es gibt einen Kurator […]. Vgl. ebd. Jamey Gambrell (1992): »Report from Moscow Part II. The Best and the Worst of Times.« In: Art in America 80. Nr. 11. S. 51-59, hier S. 53. Vgl. Misiano (1999). »Поэтому за десять лет существования тусовка так и не породила ›книги‹, а лишь собранные под одной обложкой газетно-журнальные статьи.« [Deshalb hat die Tusovka in den zehn Jahren ihres Bestehens noch keine ›Bücher‹ hervorgebracht, sondern nur eine Sammlung von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln unter einem Deckblatt.]

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Moskauer Galerielandschaft (§4.2.1), der Pressekritik (§4.2.2) und der Zeitschrift Chudožestvennyj Žurnal/Moscow Art Magazine (§4.2.3) in den Blick genommen wird.

4.2.1

Galerien als Mittlerinstanzen des Moskauer Konzeptualismus

Im Rahmen der wirtschaftlichen Reformpolitik unter Michail Gorbačev ermöglichte ein Gesetz vom Mai 1988 die Gründung von Kooperativen bzw. Privatunternehmen. Dies führte dazu, dass binnen weniger Jahre zahlreiche Galerien ins Leben gerufen wurden – in Moskau allein entstanden zwischen Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre über 80 neue Kunsthandlungen.85 Der Erfolg der Sotheby’sAuktion vom 7. Juli 1988 gab diesen Institutionen einen Impuls, eine zentrale Rolle in der Bestandsaufnahme und der Institutionalisierung sowjetischer Gegenwartskunst zu übernehmen, die russische Museen in dieser Periode nicht zu leisten imstande waren, da ihre bisherigen Ausstellungskonzepte umgedacht sowie ihre existierenden Finanzierungsmodelle neu verhandelt werden mussten. Aus diesem Grund schließt die Kunsthistorikerin Saša Obuchova, dass »in the 1990s galleries were the main builders of the art process. The gallery programs […] built the art situation. Other institutions either were not formed or were not visible.«86 Obwohl sich die Moskauer Galerien an einem westlichen Importmodell orientierten, weisen sie kulturelle Spezifika auf.87 So finanzierte sich die Mehrheit dieser Institutionen im ersten Jahrzehnt ihrer Existenz nicht über den Verkauf von Kunstwerken, sondern mithilfe von Spenden und Sponsoren. Aufgrund der häufig mangelnden wirtschaftlichen Ressourcen sah sich bis Anfang der 2000er Jahre keine Kunsthandlung in der Lage, Künstler*innen exklusive Ausstellungs- und Verkaufsverträge anzubieten, weshalb letztere in der Regel mit mehreren Galerien zusammenarbeiteten.88 Auch im Tagesgeschäft der Neugründungen stand im Gegensatz zum westlichen Modell die kommerzielle Vermittlung von Kunst zunächst nicht im Vordergrund: »The activities of the first Russian galleries […] united the functions of intellectuals’ kitchens, bohemian cafés, and artistic salons. The gallery was not just a room with a store, but a complex layer-cake of motivations and roles. That said, the personality-driven strategy of showing the new art came into conflict with the epoch of the first accumulation of capital, although it was precisely this epoch that facilitated the appeareance of the new institutions.«89

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Vgl. Skowronek (2018): S. 16. Saša Obuchova in [o.A.] (2013b): »Mesta sily/Places of Power.« In: Sasha Obukhova/Elena Selina (Hg.): Rekonstrukcija. 1990-2000. Čast’ 1/Reconstruction. 1990-2000. Part 1. Moskau: Art Gid. S. 40-55, hier S. 49. Vgl. dazu auch Diaconov (2016): S. 62. Vgl. Skowronek (2018): S. 18. Vgl. [o.A.] (2013b): S. 55. Diaconov (2016): S. 62.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Der Umstand, dass Künstler*innen nicht vertraglich gebunden waren, führte dazu, dass ein breites Netzwerk von Moskauer Galerien, darunter die Marat Gel’man Galerie (1990-2012), die Ridžina Galerie (1990) (seit September 2018 die Ovcharenko Galerie), die L Galerie (1991), die XL Galerie (1993) und die Obscuri Viri Galerie (1993-2001),90 Moskauer Konzeptualisten eine Ausstellungsplattform boten. Die Gründungsgeschichten und Ausstellungsschwerpunkte dieser Kunsthandlungen divergieren stark. So steht hinter der Marat Gel’man Galerie der Kunstsammler und Politikberater Marat Gel’man, der in den 1990er Jahren bis zu 20 oder mehr Ausstellungen im Jahr organisierte und sich damit rasch zu einem der aktivsten, aufgrund des gesellschaftspolitischen Charakters vieler Projekte allerdings auch einem der umstrittensten Moskauer Galeristen entwickelte.91 Nachdem sich Gel’man mit Künstlern wie Avdej Ter-Ogan’jan, Aleksandr Brener und Oleg Kulik zunächst auf die Gruppe der Moskauer Aktionisten konzentriert hatte, die mit radikalen Körperkunstaktionen auf die Transformationsgesellschaft der 1990er Jahre reagierte,92 fanden ab 1994 verstärkt Repräsentant*innen des Moskauer Konzeptualismus und der Soz-Art, wie Dmitrij Prigov, Boris Michajlov, Konstantin Zvezdočetov, Pavel Pepperštejn, Komar & Melamid und Boris Orlov, Eingang in das Ausstellungsprogramm der Galerie. Eine weitere private Kunsthandlung, die Aufsehen mit ihren Ausstellungen erregte, gründete im September 1990 der Unternehmer Vladimir Ovčarenko mit der Ridžina Galerie. Als Kurator trat bis 1993 der Schock- und Skandalkünstler der Moskauer Aktionisten Oleg Kulik auf, der mit Aktionen wie »Pjatačok delaet podarki« [Ferkel verteilt Geschenke] (1992) und Ausstellungen wie Apologija zastenčivosti, ili Iskusstvo iz pervych ruk [Apologie der Schüchternheit oder Kunst aus erster Hand] (1992) für mehrere Kontroversen sorgte. Während in der erstgenannten Aktion ein Schwein geschlachtet und das Fleisch unter den Anwesenden in der Galerie verteilt wurde, zeigte die Ausstellung Apologija zastenčivosti Werke aus Ovčarenkos Kunstsammlung, darunter Arbeiten von Il’ja Kabakov, Aleksandr Kosolapov, Sergej Anufriev, Jurij Lejderman, Andrej Monastyrskij und Ivan Čujkov,93 die während der Schau von russischen Soldaten gehalten wurden.

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Von diesen Moskauer Galerien existieren die Marat Gel’man Galerie (später die Marat und Jurij Gel’man Galerie) und die Obscuri Viri Galerie heute nicht mehr. Im postsowjetischen Kunstbetrieb der 1990er Jahre überlebten viele neugegründete Institutionen langfristig nicht. Die oben erwähnten Galerien stellen daher eher die Ausnahme als die Regel dar. Die Jahreszahlen in Klammern deuten das Gründungs- und ggf. das Schließungsjahr an. Vgl. Zoja Katašinskaja (2013): »Galereja Gel’mana/Guelman Gallery.« In: Sasha Obukhova/Elena Selina (Hg.): Rekonstrukcija. 1990-2000. Čast’ 1/Reconstruction. 1990-2000. Part 1. Moskau: Art Gid. S. 148. Vgl. Gesine Drews-Sylla (2011): Moskauer Aktionismus. Provokation der Transformationsgesellschaft. München: Wilhelm Fink. S. 11. Vgl. ausführlicher zu dieser Ausstellung Skowronek (2018): S. 37ff.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Den stärksten Ausstellungsschwerpunkt auf den Moskauer Konzeptualismus legte in diesem Jahrzehnt neben der heute nicht mehr existierenden Obscuri Viri Galerie die L Galerie (1991), die von Ljubov Sal’nikova geleitet und den Kunsthistorikerinnen Elena Romanova und Elena Selina kuratiert wurde. Die nicht kommerzielle Galerie finanzierte sich anfänglich aus kommunalen Mitteln. Selina verließ die L Galerie 1994, nachdem sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Sergej Chripun im Dezember 1993 die XL Galerie gegründet hatte. Wie aus diesem Überblick hervorgeht, vermischen sich in der Leitung der genannten Kunsthandlungen die Rollen von Geschäftsperson, Kunsthistoriker*in, Kritiker*in, Kurator*in und Künstler*in. Diese Situation, charakteristisch für die Tusovka, stieß in den 1990er Jahren von mehreren Seiten auf Kritik. So wendete Nikita Alekseev in der von Sergej Chripun edierten Publikation Kto est’ kto v sovremennom iskusstve Moskvy [Wer ist wer in der zeitgenössischen Kunst in Moskau] (1993) ein: »Sometimes people are both curator and critic at the same time. I think these roles should be separated.«94 Unter der kuratorischen Leitung von Oleg Kulik erzielte die Ridžina Galerie namentlich als Plattform für die skandalträchtigen Happenings der Moskauer Aktionisten, unter ihnen Anatolij Osmolovskij, Aleksandr Brener und Kulik selbst, Bekanntheit. In ihrer Inszenierung als neue Avantgarde suchten sich die Künstler radikal von den Moskauer Konzeptualisten abzugrenzen,95 deren Werke und Praktiken sie aufgrund ihres stark theoretischen und philosophischen Gehalts als zu unpolitisch, hermetisch und selbstreferentiell kritisierten.96 Diese gelte es, wie Osmolovskij in Anlehnung an das berüchtigte Diktum der russischen Futuristen

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Khripun (2016): S. 77. Für Kto est’ kto führte Sergej Chripun Anfang der 1990er Jahre Interviews mit russischen Künstler*innen, Kurator*innen und Kunsthistoriker*innen durch. Die Gespräche erschienen im Sammelband Access Moscow (2016) erstmals in englischsprachiger Übersetzung. Vgl. zum Verhältnis zwischen dem Moskauer Aktionismus und dem Moskauer Konzeptualismus ausführlicher Meindl (2018): S. 60ff. und Drews-Sylla (2011): S. 13f. In einer polemischen Kritik an den Moskauer Konzeptualisten erklärte Osmolovskij im Jahre 2004: »Аполитичность, хайдеггеровская мутная и двусмысленная терминология, литературное жеманство и философское самовлюбленное позерство, бесконечные похороны авангарда, ускользание от прямых высказываний и понятных смыслов. Вам это ничего не напоминает? Да это же ›московский романтический концэптуализм‹ [sic!] собственной персоной!« [Die apolitische Haltung, die verschwommene und zweideutige Heideggersche Terminologie, das literarische Getue, das selbstverliebte Posieren, die ewige Beerdigung der Avantgarde, das Vermeiden von direkten Aussagen und klaren Bedeutungen. Erinnert euch das an etwas? Ja, das ist der ›Moskauer romantische Konzeptualismus‹ in eigener Person!] Anatolij Osmolovskij (2004): »Zdravstvujte, dorogie čitateli!« In: Guelman.ru vom 01.03.2004. URL: www.guelman.ru/artists/headings/osmolovsky/vetka3/21/view_print/ (letzter Zugriff am 18.08.2020).

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

polemisch erklärte, ›vom Dampfer der Gegenwart‹ zu werfen.97 In Kto est’ kto (1993) reagierte Nikita Alekseev auf diese Kritik: »There is a very strong social pathos in what Anatoly Osmolovsky’s E.T.A. Movement is doing in its actions at Regina Gallery. Osmolovsky is undoubtedly talented, but in repeating the gestures of the likes of Mayakovsky or the Dadaists in a less interesting way he is struggling with the bourgeoisie. Even with the notorious story involving a pig – which was a slap in the face of public taste – it somehow didn’t matter that the person behind it all was a millionaire. After all, the Futurists had patrons too. Osmolovsky just tosses meaningless bombs, but it’s not clear at whom. […] The irritation of young artists also is understandable in that the older generation has almost monopolized the whole scene. It looks that way, but what can you do – they were the first to show internationally, they were the first to be of interest. Obviously, if young artists are willing to work, there will be enough space for everyone. For me the war between young and old doesn’t make sense. NOMA is made up of a specific group of people who have long known each other. It is a vague thing that is practically impossible to join. I don’t see active confrontation on the part of NOMA. It is a sect, albeit a good-natured one. […] NOMA is an artistic movement with its own language. Why engage in confrontation or rivalry?«98 Trotz seiner kritischen Einstellung zum Moskauer Konzeptualismus widmete Kulik zwischen 1991 und 1993 ca. ein Drittel der von ihm kuratierten Ausstellungen in der Ridžina Galerie Vertreter*innen des Künstlerkreises, darunter Ivan Čujkov, Jurij Lejderman, Konstantin Zvezdočetov, Fransisko Infante-Arana und Boris Orlov. Einige waren als personale Ausstellungen angelegt, wie Ivan Čujkovs Teorija otraženija I [Theorie der Reflexion I] (1992). In anderen Projekten trat Kulik selbst als Autor der Ausstellung auf und nahm in dieser Rolle die Vormachtstellung des Moskauer Konzeptualismus in der postsowjetischen Kunst- und Kulturlandschaft auf kritisch-ironische Weise unter die Lupe. Dies ist der Fall in Andrej Monastyrskij – Okrestnosti galerei ›Ridžina Art‹ [Andrej Monastyrskij – Die Umgebung der Galerie ›Ridžina Art‹], die im August 1991 stattfand. Kuliks – ungewöhnliche – Liste der Ausgaben verschafft einen ersten Eindruck der Ausstellung:

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Vgl. Anatoly Osmolovsky (2017): »A Generation Kills a Generation.« In: Viktor Misiano/Ruth Addison (Hg.): Critical Mass: Moscow Moscow Art Magazine 1993-2017. Prag: Artguide s.r.o. S. 2023, hier S. 22. Khripun (2016): S. 76. Mit ›E.T.A. Movement‹ ist die von Anatolij Osmolovskij gegründete Künstlergruppe ›Ė.T.I.‹ [wortwörtlich: ›diese‹] gemeint, eine Abkürzung für ›Ėkspropriacija Territorii Iskusstva‹ [Enteignung des Territoriums der Kunst].

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

»Аренда помещения – 15 тысяч рублей. Пригласительный буклет, реклама – 5 тысяч. Живой дерн, доставка, укладка – 20 тысяч. Могильный камень (его втаскивал в зал взвод солдат) – 2 тысячи. Графика, обрамление – 2 тысячи. Наглядная агитация с Москожкомбината (щиты, план и проч.) – 1 тысяча. Стволы деревьев – с кладбища и выловленные в реке Яузе (доставка) – 1 тысяча. Керамический объект ›Пойма р. Яуза под цехами завода ›Красный богатырь‹[‹] – 2 тысячи. Два баяниста (душераздирающе играли на подходах к выставочному залу в день открытия выставки) – 0,5 тысячи. Живопись – 0,3 тысячи. Слайды – 2 тысячи. Видеофильм – 0,5 тысячи. Всего – 55 тысяч рублей.«99 Ein Stadtplan auf der Einladung zeigte die Umgebung der damals an der Malaja Čerkizovskaja-Straße gelegenen Ridžina Galerie.100 Als Autor der Ausstellung führte Kulik Andrej Monastyrskij auf, die in der oben zitierten Liste erwähnten Werke stammten jedoch von Pavel Ševljagin, Aleksandr Kulik,101 Kirill Markušin und Anna Čižova. In der Ausstellungsinszenierung suchte Kulik dennoch einen deutlichen Bezug zu Monastyrskij herzustellen (vgl. Abb. 9). So holte sich der Kurator das Rasenstück vom Kievogorskoe pole, einem der wichtigsten Schauplätze für die Aktionen der KD, und verwiesen die Baumstämme ebenfalls auf ein Leitmotiv des Künstlers, das u.a. in Monastyrskijs Einzelausstellung Vetka [Zweig] (1996) in der XL Galerie sowie in der Schau Empty Zones (2011) für die Biennale Venedig eine wichtige Rolle spielt. Kulik selbst erklärte zum kuratorischen Konzept: »[…] ›I took literally everything that it [sic!] was possible to remove from the road leading from Regina to Andrei Monastyrsky’s house, and dragged it into the gallery. Sticks, logs, planks we pissed on, gravestones we sat on […]. But my best

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Zitiert nach ArtGid (2018): »›Ridžina‹ sotrjasaet chudožestvennyj Olimp.« In: Subbotnij Rambler vom 12.04.2012. URL: https://weekend.rambler.ru/places/39595783-ridzhina-sotryasaethudozhestvennyy-olimp/ (letzter Zugriff am 18.08.2020). [Raummiete – 15 Tausend Rubel. Einladung, Werbung – 5 Tausend. Lebender Rasen, Zustellung, Anordnung – 20 Tausend. Grabstein (eine Gruppe von Soldaten hat ihn in den Saal geschleppt) – 2 Tausend. Grafik, Einrahmung – 2 Tausend. Visuelle Werbung des Moskožkombinats (Schild, Plan usw.) – 1 Tausend. Baumstämme vom Friedhof und aus dem Fluss Jausa herausgefischt (Zustellung) – 1 Tausend. Keramikobjekt ›Flussaue der Jausa under den Werkhallen der Fabrik ›Krasnyj bogatyr‹[‹] – 2 Tausend. Zwei Akkordeonspieler (die am Tag der Eröffnung herzzerreißend vor dem Eingang vom Ausstellungssaal spielten) – 0,5 Tausend. Gemälde – 0,3 Tausend. Dias – 2 Tausend. Video – 0,5 Tausend. Insgesamt – 55 Tausend Rubel.] 100 Vgl. [o.A.] (o.J.b): »Andrej Monastyrskij. Okrestnosti galerei Ridžina Art. Invitation.« In: Russian Art Archive. URL: https://russianartarchive.net/en/catalogue/document/E65 (letzter Zugriff am 18.08.2020). 101 Ein Wortspiel auf die Namen ›Aleksandr Brener‹ und ›Oleg Kulik‹.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

idea was to go to Kievogorskoe Field […], cut a piece of turf the size of the gallery, and cover the gallery floor with it‹.«102

Abb. 9: Ansicht der Ausstellung Andrej Monastyrskij – Okrestnosti galerei ›Ridžina Art‹ [Andrej Monastyrskij – Die Umgebung der Galerie ›Ridžina Art‹] (1991), Ridžina Galerie, Fotografie von Unbekannt.

In Access Moscow (2016) interpretiert der Kunsthistoriker Andrej Kovalev die Installation als ödipalen Akt, mit dem Kulik eine neue Ära in der russischen Gegenwartskunst anzukündigen versucht habe.103 Dafür würde u.a. der Grabstein im Ausstellungsraum sprechen. In einem Kommentar zur Ausstellung in der Zeitschrift Dekorativnoe iskusstvo (1991) lenkte Monastyrskij währenddessen die Aufmerksamkeit auf die kuratorische Inszenierung selbst und den darin hergestellten Bezug zu den Aktionen der KD: 102 Zitiert nach Kovalev (2016): S. 40. 103 Vgl. ebd.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

»Я бы не стал говорить о какой-либо связи этой выставки с практикой ›Коллективных действий‹. Там была совершенно другая проблематика, другое демонстрационное пространство, другой зал. И там был единый жанр. Да, эмоционально это может быть чем угодно, может показаться похожим – трава, как бы поле… Но это психолоческие проблемы, и тут можно говорить все что угодно – похороны, поминки, кремация… Все это очень психологизировано. А на структурном этапе для меня здесь интересно наблюдение за историей движение экспозиционных жанров.«104 Statt die Ausstellung als ›Leichenschmaus‹ des Moskauer Konzeptualismus zu deuten, nimmt Monastyrskij die Installation zum Anlass, den Bedeutungswandel von Kunst im Prozess ihrer Musealisierung zu reflektieren. In der Galerie ist der Kontext der KD-Aktionen, Kievogorskoe pole, verschwunden und durch ein Rasenstück ersetzt worden, wie der Künstler festhält. Obwohl der Rasen den Erstkontext als pars pro toto repräsentiert, gehe die ursprüngliche Bedeutung der Performances im Ausstellungsraum laut Monastyrskij verloren. Stattdessen eröffne der museale Galerieraum neue semantische Interpretationsmöglichkeiten. Mit dieser Thematik befasst sich auch eine Installation in der Ausstellung V predelach prekrasnogo [In den Grenzen des Schönen] von Elena Elagina und Igor’ Makarevič, die 1992 in der L Galerie stattfand. In der Schau verwandelten die Künstler*innen das Landschaftsgemälde »Nad večnym pokoem« [Über der ewigen Ruhe] (1894) des PeredvižnikiMalers Isaak Levitan, auf dem eine Kirche mit Friedhof zu sehen ist, in eine Installation, indem sie das Werk mithilfe von durchsichtigen Rohren an drei Särge anschlossen, die das Abgebildete in dreidimensionaler Form repräsentieren.105 Auf diese Weise wurde die Aufmerksamkeit auf die Inszenierung des Kunstwerks im Ausstellungsraum gelenkt, der einen neuen Interpretationskontext schafft. Für die Moskauer Konzeptualisten, die bis Ende der 1980er Jahre abseits vom öffentlichen Raum arbeiteten, gewinnt die Erfahrung der Musealisierung ihrer Kunst in den

104 Andrej Monastyrskijs Beitrag in der Zeitschrift Dekorativnoe iskusstvo (Nr. 9-10, 1991) wurde erneut gedruckt in Sasha Obukhova/Elena Selina (2014) (Hg.): Rekonstrukcija. 1990-2000. Čast’ 2/Reconstruction. 1990-2000. Part 2. Moskau: Art Gid. S. 52-54. [Ich werde nicht über irgendeinen Zusammenhang zwischen dieser Ausstellung und den Praktiken der ›Kollektiven Aktionen‹ sprechen. Dort handelte es sich um eine ganz andere Problematik, ein anderes Demonstrationsfeld, einen anderen Raum. Und es handelte sich um ein einheitliches Genre. Ja, emotional kann das alles sein, es kann ähnlich erscheinen – der Rasen ist wie ein Feld… Aber das sind psychologische Probleme und hier kann man alles sagen – eine Bestattung, ein Leichenschmaus, eine Einäscherung. Das ist alles sehr psychologisiert. Auf der strukturellen Ebene interessiert es mich, die Geschichte der Dynamik von Ausstellungsgenres zu beobachten.] 105 Vgl. Elena Elagina/Igor Makarevich (1995): [o.T.] In: Kathrin Becker/Dorothee Bienert/Milena Slavická (Hg.): Flug – Entfernung – Verschwinden. Konzeptuelle Moskauer Kunst. Ostfildern: Hatje Cantz Verlag. S. 156-157, hier S. 156.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

1990er Jahren an Relevanz. Sie ist mit einer gewissen Problematik verbunden, da der historische Entstehungskontext der Werke durch einen neuen, oft fremdkulturellen musealen Kontext ersetzt wurde,106 worauf sowohl Monastyrskij als auch das Künstlerduo Elagina und Makarevič hinweisen.

4.2.2

Rezeption und Kritik des Moskauer Konzeptualismus in der Presse

Im Mai 1987 erschien ein Artikel mit der Schlagzeile »Raznye kolei« [Kurswechsel] in der Zeitung Sovetskaja kul’tura, der nach der veränderten Rolle der bildenden Künste in der Perestrojka fragte: »Главный вопрос, на который предстоит ответить нашему съезду художников, – что такое перестройка в изобразительном искусстве и какое место она должна занять в общей перестройке духовной культуры страны.«107 Die Umstrukturierung des russischen Kunstfeldes ging Hand in Hand mit einer Umorientierung der (post-)sowjetischen Kunstkritik, die sich ebenfalls in einer Umbruchssituation befand, da ihre bisherigen ästhetischen wie thematischen Richtlinien rasch an Gültigkeit verloren. Der Kurator Viktor Misiano kommentierte diese Situation folgendermaßen: »The art critic is a novelty in Soviet culture. The underground avant-garde had no use for the art expert. Denied entry into the official infrastructure, it cultivated its own unique socio-cultural figure; the friend-valuer, the intellectual sympathizer and thinking dilettante. Nor did the ruling culture need any art critics. The Artists’ Union is nothing if not an artist’s utopia. […] The new socio-political directive […] caught the artistic intelligentsia unawares. Having grown up on a diet of foul language and political invective, the official critic was ill equipped to come up with any analysis of the new art which discussed its meaning adequately.«108 Im Gegensatz zur sowjetischen Presse spielte die postsowjetische Zeitungskritik der 1990er Jahre eine entscheidende Rolle in der Rezeption des Moskauer Konzeptualismus. Während im internationalen Raum die Übersetzerin Jamey Gambrell und die Kuratorin Margarita Tupicyna den Wandel des postsowjetischen Kunstfeldes in Zeitschriften wie Art in America und Flash Art kommentierten, verfassten in Russland Ekaterina Degot’, Andrej Kovalev, Michail Bode, Milena Orlova, Irina Kulik und Konstantin Kedrov Kunstkritiken und Ausstellungsrezensionen für die Pe106 Vgl. zu diesem Thema grundlegend Boris Groys (1997): Logik der Sammlung: Am Ende des musealen Zeitalters. München/Wien: Carl Hanser Verlag. S. 163f. 107 [o.A.] (1987): »Raznye kolei.« In: Sovetskaja kul’tura vom 16.05.1987. [Die wichtigste Frage, die unser Künstlerkongress beantworten muss, ist die nach der Bedeutung der Perestrojka in den bildenden Künsten und ihrem Platz in der allgemeinen Umorientierung der geistigen Kultur unseres Landes.] 108 Misiano (2016): S. 297.

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riodika Kommersant (Degot’/Orlova/Kulik/Bode), Segodnja (Kovalev), Vedomosti (Kovalev), Iskusstvo (Bode) und Izvestija (Kovalev/Kedrov). Auch aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten sind seit den 1990er Jahren mehrere Künstler*innen journalistisch tätig. So schreibt Nikita Alekseev bis heute für eine Vielzahl an Zeitungen und Zeitschriften, darunter Inostranec, ArtChronika und Iskusstvo, während Lev Rubinštejn viele Jahre als Kolumnist für u.a. Kommersant, Itogi und Eženedel’nyj žurnal aktiv war. Die Tatsache, dass sowohl Vertreter*innen als auch Mittlerfiguren des Moskauer Konzeptualismus als Kunstkritiker*innen in der Presse auftraten bzw. auftreten, hat dazu geführt, dass die russische Zeitungskritik einen verhältnismäßig großen Einfluss auf die Kanonisierung des Künstlerkreises ausgeübt hat. Der serielle Charakter dieser Diskursbildung in der frühen postsowjetischen Presse, der Misiano zufolge kennzeichnend für die ›Tusovka‹ ist, stellt eine Besonderheit der russischen Rezeption des Moskauer Konzeptualismus dar, die sich im Vergleich zu Westeuropa und den USA anfänglich weniger im wissenschaftlichen und musealen Bereich abspielte. Grund dafür war die höhere finanzielle Sicherheit, die Periodika im Vergleich zu Universitäten und Museen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion boten, wie Ekaterina Degot’ erklärt: »›There were many texts written and many catalogues published, but nobody has written the history, because this whole period was totally cut from art history. One has to understand that with the end of the Soviet Union, with the turn to capitalism, the science was fundamentally over. Working in a university as an art historian you were getting a salary of around $3 a month. When I started to write for a newspaper as an art critic, immediately my salary was $300 a month. So, you can see the difference. This is why everybody who could began to write for newspapers. It led to an interesting critical scene in the 1990s with vivid exchanges of ideas in the press, but in the university there was nothing; contemporary art was deemed irrelevant‹.«109 Die russische Zeitungskritik konstruierte im Laufe der 1990er Jahre eine Geschichte der nicht-kanonkonformen sowjetischen Kunst, in welcher der Moskauer Konzeptualismus eine Schlüsselrolle spielt. In diesem historiographischen Diskurs erfüllt die Bulldozer-Ausstellung vom 15. September 1974, die seit 1994 Gegenstand von Jubiläumsfeiern ist, die Funktion eines Erinnerungsortes. Dabei fällt auf, dass Kritiker*innen die Schau nun als geplanten Protest gegen die sowjetischen Autoritäten interpretieren. So wird die Veranstaltung mit Zuschreibungen wie ›Märtyrertum‹ gefeiert, der zum ›Sieg der Nonkonformisten‹ über den ›totalitären Staat‹ geführt habe, wie Irina Kulik im Jahre 2004 anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Bulldozer-Ausstellung in der Zeitung Kommersant schreibt:

109 Zitiert nach Fowle (2016b): S. 24f.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

»Бульдозерная выставка осталась в истории этакой Голгофой авангарда, одним из самых эффектных символов мученичества независимых художников в тоталитарном государстве. Но, возможно, это событие также было одной из главных побед русского нонконформизма – как в социальном, так и в эстетическом плане.«110 Im Artikel »Bul’dozer kak poslednij argument socrealizma« [Bulldozer als letztes Argument des Sozrealismus], der im September 1994 zum 20. Jahrestag der Schau in der Zeitung Izvestija erschien, charakterisiert der Schriftsteller und Kolumnist Konstantin Kedrov die Ausstellung als »mračnejšij èpizod« [finsterste Episode] der sowjetischen Kunstgeschichte: »Костер, возжженный советскими властями 15 сентября 1974 года на пустыре Беляево, означал, что Россия ушла из семьи цивилизованных государств, превратившись за годы коммунистического правления в становище вандалов и гуннов.«111 Wichtig sei die Erinnerung an die Schau laut Kedrov, da der russische Staat nach wie vor wenig Bereitschaft zum Aufbau einer Infrastruktur für die Aufarbeitung der nicht-kanonkonformen sowjetischen Kunstgeschichte zeige. Dieser Prozess finde bisher ausschließlich im Westen statt: »А где, кстати, можно увидеть сегодня картины Оскара Рабина, Мастерковой, Немухина, Янкилевского? Поезжайте в Париж, друзья! Там все есть для наших художников: и мастерские, и галереи. У нас же так и не нашлось приличного здания для музея современного искусства. Вечная песня об отсутствии средств ни в чем не убеждает.«112 Kritik an der Stilisierung der Bulldozer-Ausstellung als Erinnerungsort der alternativen sowjetischen Kunstszene übt dahingegen der Kunsthistoriker Andrej Ko110

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Irina Kulik (2004): »Nonkonformizm na voskresnike. 30-letie bul’dozernoj vystavki.« In: Kommersant vom 15.09.2004. URL: https://www.kommersant.ru/doc/505340 (letzter Zugriff am 20.08.2020). [Die Bulldozer-Ausstellung wurde in der Geschichte zum Kalvarienberg der Avantgarde, einem der effektivsten Symbole des Märtyrertums der unabhängigen Künstler im totalitären Staat. Aber möglicherweise wurde dieses Ereignis auch zum wichtigsten Sieg des russischen Nonkonformismus, sowohl im sozialen als auch im ästhetischen Sinne.] Konstantin Kedrov (1994): »Bul’dozer kak poslednij argument socrealizma.« In: Izvestija vom 15.09.1994. [Das Feuer, das die sowjetischen Behörden am 15. September 1974 auf der unbebauten Fläche in Beljaevo anzündeten, bedeutete, dass Russland die Familie der zivilisierten Staaten verlassen und sich nach Jahren der kommunistischen Herrschaft in einen Ort für Vandalen und Barbaren verwandelt hatte.] Ebd. [Und wo kann man heute übrigens Gemälde von Oskar Rabin, Masterkova, Nemuchin, Jankilevskij sehen? Fahren Sie nach Paris, Freunde! Dort gibt es alles für unsere Künstler: sowohl Studios als auch Galerien. Bei uns hat man noch nicht mal ein anständiges Gebäude für ein Museum der zeitgenössischen Kunst gefunden. Das ewige Lied von fehlenden Mitteln überzeugt nicht im Geringsten.]

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valev im Artikel »Čto delat’? Iskusstvo bez bul’dozerov« [Was tun? Kunst ohne Bulldozer], der Ende September 1994 in Segodnja erschien: »Тем не менее, в истории модернизма бульдозер занимает ключевое место, поддерживая у прогрессивных мастеров всего мира убежденность в собственной богоизбранности.«113 Besonders kritisch äußert sich Kovalev in dieser Periode auch zur Position des Moskauer Konzeptualismus in der postsowjetischen Kunst- und Kulturlandschaft, weshalb seine Beiträge Einblick in die Rezeption des Künstlerkreises in den 1990er Jahren verschaffen. So berichtet der Autor spöttisch, dass die wenigen Schlüsselpositionen im Moskauer Kunstbetrieb von Konzeptualisten und deren Sympathisant*innen eingenommen worden seien: »В разных местах белокаменной открылось несколько выставок, устроенных московскими концептуалистами или с их преимущественным участвием. […] Тем не менее их появление существенно украшает и усиливает общую диспозицию на арене московского художественного цирка. […] Настоящими академистами и консерваторами теперь стали как раз члены распавшегося где-то в 1990 году ›Клуба авангардистов‹. […] Пожалуй, было бы очень даже правильно устроить засилье концептуалистов, о котором так громко кричит на площадях столицы и примыкающих к ней поселков господин Глезер.«114 Nicht als Repräsentant, sondern als »čistyj raritet« [reine Rarität] der nicht-kanonkonformen Kunstszene bezeichnet der Kritiker den Moskauer Künstlerkreis aufgrund von seiner »[n]ezdorovoe sektantstvo, kuchonnaja kollektivnost’« [ungesunden Sektiererei, Küchenkollektivität].115 Eine Rezension zur Ausstellung NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten (Hamburg, 1993), in der Kovalev Kabakovs

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Andrej Kovalev (1994): »Čto delat’? Iskusstvo bez bul’dozerov.« In: Segodnja vom 23.09.1994. [Dennoch nimmt der Bulldozer eine Schlüsselposition in der Geschichte des Modernismus ein, was die progressiven Kollegen auf der ganzen Welt in ihrem Glauben an die eigene Auserwähltheit unterstützt.] Andrej Kovalev (1995): »Kritika po-dobromu. Konceptualisty na marše.« In: Segodnja vom 20.10.1995. [An unterschiedlichen Orten im weißsteinigen Moskau finden einige Ausstellungen statt, die von Moskauer Konzeptualisten organisiert wurden oder an denen sie prominent beteiligt sind. […] Dennoch schmückt und stärkt ihr Erscheinen die allgemeine Ordnung in der Arena des Moskauer Kunstzirkus erheblich. […] Die Mitglieder des ›Klubs der Avantgardisten‹, der sich irgendwann im Jahre 1990 aufgelöst hat, sind jetzt echte Akademiker und Konservative geworden. […] Vielleicht wäre es sogar richtig, die Dominanz der Konzeptualisten zu akzeptieren, über die Herr Glezer auf den Plätzen der Hauptstadt und der angrenzenden Ortschaften so laut schreit.] Ebd.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Installation mit einem Mausoleum vergleicht, beschließt er deswegen mit der zynischen Bemerkung: »Spi spokojno, dorogoj drug!« [Ruhe sanft, lieber Freund!]116

4.2.3

»Moskauer Konzeptualismus für immer«? Moscow Art Magazine als Kanonisierungsmedium

Im September 1993 erschien die erste Ausgabe der Zeitschrift Chudožestvennyj Žurnal/Moscow Art Magazine, die sich heute zu einem der einflussreichsten Diskussionsforen für zeitgenössische russische Kunst und Kultur entwickelt hat. Der Moskauer Konzeptualismus stellt einen der thematischen Schwerpunkte des Periodikums dar. Gegründet wurde das Magazin von einer Schlüsselfigur im postsowjetischen Kunstbetrieb, dem Kunsthistoriker und Kurator Viktor Misiano, der seit den 1980er Jahren in engem Kontakt zu Vertreter*innen der alternativen Kunstszene steht. 1957 in Moskau geboren als Enkel von Francesco Misiano (1884-1936), einem prominenten Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens, der in den 1920er Jahren in die UdSSR emigriert war, wurde Viktor Misiano das Recht auf freie Einund Ausreise gewährt. Auf diese Weise gelang es ihm, bereits zu Sowjetzeiten ein umfangreiches internationales Netzwerk aufzubauen. So reiste er als Mitarbeiter des Staatlichen Puškin Museums für Bildende Künste Mitte der 1980er Jahre in die Schweiz, um den Export von Picasso-Bildern für eine Ausstellung im Berner Kunstmuseum zu begleiten. Dort traf er den Diplomaten Paul R. Jolles, den er bei den Vorbereitungen zur Einzelausstellung Ilya Kabakov. Am Rande (1985) in der Kunsthalle Bern zu unterstützen suchte.117 Selbst kuratierte Misiano im Jahre 1989 die Gruppenausstellung Mosca: La terza Roma. Opere di sette artisti contemporanei Sovietici [Moskau: Das dritte Rom. Werke von sieben zeitgenössischen sowjetischen Künstlern] in Rom, in der Vadim Zacharov, Konstantin Zvezdočetov, Georgij Litičevskij, Boris Orlov, Dmitrij Prigov, Andrej Rojter und Andrej Filippov vertreten waren. Nach dem Ende der Sowjetunion übernahm er von 1992 bis 1997 die Leitung

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Andrej Kovalev (1993): »Tormozy russkogo iskusstva, ili Was ist Noma?« In: Segodnja vom 30.12.1993. Wie Jolles schreibt, war der anfängliche Kontakt zu Misiano von Misstrauen geprägt: »Wir luden ihn [Misiano, D.S.] privat zum Bleiben ein, damit er das Interesse des westlichen Publikums an dieser Kunst miterleben könne. Indem er die Bewilligung zur Annahme dieser Einladung zuerst in Moskau einholen und jeden Morgen mit der Botschaft telefonieren mußte, vermuteten wir eine ›politische Sonderfunktion‹. Unser Mißtrauen war groß, als er am Frühstückstisch unvermittelt dafür plädierte, daß wir alle Alben Kabakovs zur treuhänderischen Verwahrung übernehmen sollten – ein Wunsch, den zu erfüllen wir im übrigen bereits begonnen hatten. Typischer agent provocateur oder Freund und Vertrauter dieses Künstlers, dessen Werk er feinfühlig zu schildern verstand?« Jolles (1997): S. 100f. [Hervorhebung im Original]

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des CAC, nachdem der Gründer des Zentrums, Leonid Bažanov, zum Direktor der Abteilung für Bildende Künste im Ministerium für Kultur ernannt worden war. Misiano folgte 1992 außerdem Stella Bazaz’janc als Hauptredakteur des Kunstmagazins Dekorativnoe iskusstvo [Dekorative Kunst] nach. Der Fokus dieser ursprünglich sowjetischen Zeitschrift (1957-1993) auf angewandte Kunst und Design, die im Vergleich zur bildenden Kunst in geringerem Maße von der Doktrin des Sozialistischen Realismus betroffen waren, führte dazu, dass Dekorativnoe iskusstvo inhaltlich über einigen Spielraum verfügte und sich auf diese Weise zu einem verhältnismäßig liberalen Periodikum entwickeln konnte.118 Als es dem Redaktionsteam unter Misiano allerdings nicht gelang, ein erfolgreiches neues Format für die Zeitschrift zu entwickeln, gründete dieser 1993 das Kunst- und Kulturmagazin MAM. Finanziert wurde die Zeitschrift anfänglich mit Geldern der Soros-Stiftung. Auch erhielt Misiano Unterstützung von Moskauer Galerist*innen wie Ksenia Kistjakovskaja und Marat Gel’man, die für die Mietkosten der Redaktionsräume aufkamen und Werbefläche erwarben.119 MAM erscheint viermal im Jahr in russischer Sprache. Seit 2005 werden ausgewählte Beiträge ins Englische übersetzt und in Sammelbänden herausgegeben.120 Den internationalen Anspruch der Publikation, die mit einer Auflage von 1.000 Exemplaren nicht nur in Russland, sondern auch im Ausland verbreitet wird, unterstreicht auch der zweisprachige Titel ›Chudožestvennyj Žurnal/Moscow Art Magazine‹. Dennoch dienten Misiano bei der Gründung der Zeitschrift weniger die bekannten internationalen Kunstmagazine Flash Art, Artnews oder Artforum, die auch in Russland einen einflussreichen Status genießen, als Vorbild. Stattdessen orientierte er sich am Konzept von Periodika wie Documents sur l’art (1992-2000), dessen Herausgeber Nicolas Bourriaud er im Jahre 1992 während eines Aufenthaltes in Paris kennengelernt hatte, und Georg Schöllhammers Kulturmagazin springerin (1995-), das zwei Jahre nach MAM gegründet wurde.121 Während Documents sur l’art in direkter Zusammenarbeit mit Künstler*innen entstand, die als Gastredakteur*innen auftraten, legt springerin einen Schwerpunkt auf Kulturtheorie und aktuelle gesellschaftspolitische Themen. Beide Aspekte fließen in die redaktionelle und thematische Ausrichtung von MAM ein. So sind bis heute wechselnde Künstler*innen im Redaktionsteam vertreten. In den 1990er waren dies der Moskauer Konzeptualist Konstantin Zvezdočetov, der an der Gründung 118

Vgl. Kate Fowle (2017): »The Making of Moscow Art Magazine. Kate Fowle in Conversation with Viktor Misiano.« Viktor Misiano/Ruth Addison (Hg.): Critical Mass: Moscow Art Magazine 1993-2017. Prag: Artguide s.r.o. S. 7-15, hier S. 7. 119 Vgl. ebd.: S. 10. 120 Bisher erschienen die Bände Moscow Art Magazine. Digest 1993-2005 (2005), Moscow Art Magazine. Digest 2005-2007 (2007), Moscow Art Magazine. Digest 2007-2014 (2014) und Critical Mass: Moscow Art Magazine 1993-2017 (2017). 121 Vgl. Fowle (2017): S. 8.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

der Zeitschrift beteiligt war, sowie die Moskauer Aktionisten Anatolij Osmolovskij und Dmitrij Gutov. Nach der Jahrtausendwende gestalteten Mitglieder aus dem aktivistischen Kollektiv Chto Delat [Was tun], darunter der Künstler Dmitrij Vilenskij und die Philosophin Oxana Timofeeva, das Magazin inhaltlich mit. Aktuell sind u.a. Chaim Sokol und Ivan Novikov in der Redaktion aktiv. MAM verstand sich in den 1990er Jahren als Sprachrohr für eine neue Ära und thematisiert bis heute ausschließlich Entwicklungen in der unmittelbaren russischen Gegenwartskultur und -kunst. Das Magazin veröffentlichte in diesem Jahrzehnt außerdem erste russischsprachige Übersetzungen von Denkern wie Walter Benjamin, Roland Barthes, Gilles Deleuze, Jean Baudrillard und Jacques Derrida und stellte damit ein wichtiges Transfermedium für die postsowjetische Rezeption westeuropäischer Kulturund Literaturtheorie des 20. Jahrhunderts, insbesondere des Postmodernismus, dar. Aufgrund der redaktionellen Zusammenarbeit mit Anatolij Osmolovskij und Dmitrij Gutov legte MAM in den 1990er Jahren einen Schwerpunkt auf den Moskauer Aktionismus. So publizierte die Zeitschrift die manifestähnlichen Beiträge »Pokolenie ubivaet pokolenie« [Eine Generation tötet eine Generation] (Nr. 3, 1994) von Osmolovskij und »Političeskoe životnoe obraščaetsja k vam« [Das politische Tier wendet sich an euch] (Nr. 11, 1996) von Ljudmila Bredichina und Oleg Kulik. Mit ihrem anfänglichen A3-Format und ihren auffälligen Covern nahm die Zeitschrift laut Misiano auch selbst die Form eines Manifests an: »Moscow Art Magazine itself was an expression of this era: a new kind of periodical for a new kind of art. This is why the magazine’s first issues not so much described and analyzed artistic processes as introduced the radical, future-oriented positions of the times, publishing manifestos by artists and intellectuals. In fact, the first issues, with their striking design and provocative A3 format, were themselves a manifesto of sorts.«122 Zwei Jahre vor MAM hatte Nikolaj Šeptulin, der in den 1990er Jahren als Kurator der Galerie und des gleichnamigen Verlags Obscuri Viri tätig war, die Zeitschrift Mesto Pečati [Druckort] (1991-2003) gegründet. Während sich dieses Periodikum fast ausschließlich dem Moskauer Konzeptualismus widmete, bot MAM in den 1990er Jahren eine Plattform für den oft polemisch geführten Dialog zwischen Vertreter*innen des Moskauer Aktionismus und des Moskauer Konzeptualismus.123 So enthält die vierte Ausgabe von 1994 auf der einen Seite einen Beitrag von Sergej 122

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Viktor Misiano (2017): »It’s the End? It’s Only the Beginning: A Time for Manifestos.« In: Viktor Misiano/Ruth Addison (Hg.): Critical Mass: Moscow Art Magazine 1993-2017. Prag: Artguide s.r.o. S. 19. [Hervorhebung im Original] Einige Vertreter*innen der jüngsten Generation des Moskauer Konzeptualismus, darunter Konstantin Zvezdočetov, arbeiteten häufig mit Moskauer Aktionisten zusammen, weshalb die Grenzen nicht allzu rigide gezogen werden dürfen.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Kuskov mit dem Titel »Proščanie s ličnost’ju« [Abschied von der Persönlichkeit], in dem sich der Kurator ablehnend zu NOMA äußert, und auf der anderen Seite Pavel Pepperštejns Aufsatz »Noma-Noma«, der auf die Kritik am Künstlerkreis reagiert. In seinem Essay stellt Pepperštejn die ironisch-distanzierte Analyse der sowjetischen Massenkultur in der Kunst der Moskauer Konzeptualisten als wichtigste Errungenschaft des Kreises heraus. Die Effektivität dieses Verfahrens habe dem Künstler zufolge dazu geführt, dass »NOMA possesses a striking and unprecedented functionality, taking on the role of an authority whose statements require interpretation and which exerts an enormous influence on the Moscow cultural milieu.«124 Dieser Einfluss des Moskauer Konzeptualismus auf die postsowjetische Kunst- und Kulturlandschaft wird jedoch von Sergej Kuskov kritisiert: »Став, по сути дела, официальным искусством теперешнего времени […] эта ›нома‹ превратилась в группу мягкого, ›вежливого‹ давления. Она пытается представить себя монопольным репрезентантом всего того интересного, что есть в искусстве последних десятилетий, вытеснив из поля зрения как мистичных и интересных одиноких шестидесятников, так и те явления молодого искусства, которые то ли по стилевым, то ли по иным пристрастиям не вписываются в иронико-критическую эстетику, этой ›номой‹ репрезентируемую. Короче, она превратилась в благопристойное искусство истеблишмента; ее ироничность по поводу советского монстра прекрасно вяжется теперь с новыми пропагандистскими механизмами. […] Произошла канонизация этого искусства, изначально избавлявшегося от всякой канонизации. […] Короче, оно стало выполнять ту же функцию в нашей культуре, что когда-то соцреализм.«125 Der kanonisierte Status des Moskauer Konzeptualismus impliziert für Kuskov, dass dieser sein kritisches Potential verliere. Damit vertritt der Kurator eine 124 Pavel Pepperstein (2017): »Noma-Noma.« In: Viktor Misiano/Ruth Addison (Hg.): Critical Mass: Moscow Art Magazine 1993-2017. Prag: Artguide s.r.o. S. 38-47, hier S. 38. 125 Sergej Kuskov (1994): »Proščanie s ličnost’ju.« In: Moscow Art Magazine 4. URL: http://mosco wartmagazine.com/issue/53/article/1060 (letzter Zugriff am 20.08.2020). [Als die eigentlich offizielle Kunst unserer Gegenwart hat sich ›noma‹ in eine Gruppe des weichen, ›höflichen‹ Drucks verwandelt. Sie versucht sich als die alleinige Repräsentantin von allem Interessanten zu inszenieren, was in der Kunst der letzten Jahrzehnte passiert ist, wobei sie sowohl die mystischen und interessanten Künstler der 1960er Jahre als auch die Entwicklungen in der jungen Kunst aus dem Gesichtsfeld verdrängt, die aus stilistischen oder anderen Gründen nicht in die ironisch-kritische Ästhetik hineinpassen, die ›noma‹ vertritt. Kurz gesagt, sie ist zur anständigen Kunst des Establishments geworden; ihre Ironie gegenüber dem sowjetischen Monster passt jetzt ganz schön zu den neuen propagandistischen Mechanismen. […] Es hat eine Kanonisierung dieser Kunst stattgefunden, die sich eigentlich von jeglicher Kanonisierung befreit hatte. […] Kurz gesagt, sie erfüllt die gleiche Funktion in unserer Kultur, wie einst der Sozialistische Realismus.]

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

vergleichbare These wie Peter Bürger in seiner klassischen Studie Theorie der Avantgarde (1974), der zufolge sich eine Avantgarde durch eine grundsätzliche Auflehnung gegen jegliche Form der Institutionalisierung und der Kanonisierung auszeichne.126 Mit dem Skandalkünstler Oleg Kulik, der 1991 die ironische Ausstellung Andrej Monastyrskij – Okrestnosti galerei ›Ridžina Art‹ [Andrej Monastyrskij – Die Umgebung der Galerie ›Ridžina Art‹] organisierte, dem Kunstrezensenten Andrej Kovalev und schließlich dem Kurator Sergej Kuskov sind Kritiker des Moskauer Konzeptualismus in diesem Teil des Kapitels prominent zu Wort gekommen. Anzumerken bleibt, dass die Kanonisierung des Künstlerkreises in der Moskauer Kulturlandschaft der 1990er Jahre nicht trotz dieser kritischen Stimmen stattfand, sondern letztere diesen Prozess auch gefördert haben, da sie die einflussreiche Position der Gruppe ex negativo bestätigten. Die Diskussion um die historische Bedeutung des Moskauer Konzeptualismus wurde im Jahre 2008 erneut in MAM aufgegriffen, als Künstler*innen und Interpret*innen in zwei thematischen Heften mit dem Titel Konceptualizm – navsegda [Konzeptualismus – für immer] Gründen für die nach wie vor starke Präsenz des Künstlerkreises in der russischen Kunstlandschaft nachgingen. Dabei wies Vladimir Sorokin auf die Relevanz konzeptueller Methoden für die Analyse der gesellschafspolitischen Entwicklung Russlands unter Vladimir Putin hin: »Интересно и то, что политически и во многом эстетически Россия сейчас опять возвращается к советской модели. И очень может быть, что в ближайшие годы, если все так будет развиваться, как сейчас, опять возникнет необходимость нового андеграунда. А вот будет ли тот андеграунд преемником собственно московского концептуализма или нет?«127 Das künstlerische Verfahren der »distancija i refleksija« [Distanz und Reflexion], das Sorokin in MAM als »glavnyj brend« [wichtigstes Markenzeichen] des Moskauer Konzeptualismus herausstellt,128 gewinne dem Autor zufolge im Russland der 2000er Jahre wieder an Aktualität.129 Die Interpretation des Kreises als avantgardistische Untergrundkunst untermauert auch der dystopische Zukunftsroman 126 127

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Vgl. Peter Bürger (1974): Theorie der Avantgarde. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. Sorokin/Šeptulin (2008). [Es ist interessant, dass Russland im politischen und in vielerlei Hinsicht auch ästhetischen Sinne jetzt wieder zum sowjetischen Modell zurückkehrt. Und wahrscheinlich, wenn sich alles so weiterentwickelt wie jetzt, entsteht in den nächsten Jahren wieder die Notwendigkeit einer neuen Avantgarde. Aber wird diese Avantgarde dann im Grunde zum Nachfolger des Moskauer Konzeptualismus oder nicht?] Ebd. Eine ähnliche Ansicht vertritt Groys in der MAM-Ausgabe: »Если признать, что московский концептуализм занимался идеологическими кодами, регулирующими искусство и массовую культуру, то его актуальность становится очевидной. Анализ идеологического кода господствующей культуры никогда не может устареть.« [Wenn wir erkennen, dass sich der Moskauer Konzeptualismus mit ideologischen Codes befasste, welche die Kunst und die

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Den’ opričnika [Der Tag des Opritschniks] (2006) des Autors, dessen Protagonist, der treue Staatsdiener Andrej Komjaga, Russland vor feindlichen Künstler*innen des Konzeptualismus bzw. des »Komm-zapp-du-das-mal-weg-mus« schützen möchte: »Und schließlich Kanal 7 dieses Gossenradios, der wie immer der Dichtung des russischen Minimalismus und Komm-zapp-du-das-mal-weg-mus vorbehalten ist. Wsewolod Nekros rezitiert mit Dunkelmännerstimme seine hauptsächlich aus Räuspern und Krächzen nebst Füllwörtern bestehenden Verse. Hü und hott Das ist der liebe Gott Hott und hü Das ist ein Déjà vu Piff paff puff Das ist der Puff, wie gesagt. Und das genügt dann auch. Tja. Was soll man dazu sagen. Von solchem Dreck, solchem Auswurf, so viel hohlem Schall nährt sich bei uns der intellektuelle Untergrund. Ekle Polypen am Leib unserer gesunden russischen Kunst. Minimalismus, Paradigma, Diskurs, Komm-zapp-du-das-mal-weg-muss… wenn ich das schon höre! Von Kindesbeinen an sind diese Wörter mir geläufig. Aber was sie eigentlich bedeuten, ist mir bis heute ein Rätsel.«130 Komjagas Vorgehen gegen den literarischen Untergrund findet eine Entsprechung in den politisch motivierten Attacken durch regierungsnahe Organisationen wie Iduščie vmeste [Gemeinsamer Weg], denen sich Sorokin Anfang der 2000 Jahre wiederholt ausgesetzt sah.131 Die düstere Zukunftsprognose des Autors über die Notwendigkeit einer neuen Avantgarde hat sich in den vergangenen Jahren bewahrheitet. So kann die Schlagzeile »The Necessity for Conceptualism May Be Returning Today«,132 die 2015 in Russia Beyond erschien, als paradigmatisch für die produktionsästhetische Rezeption des Moskauer Konzeptualismus in der russischen Gegenwartskunst und Literatur gesehen werden, die sich seit Putins Wie-

Massenkultur regulieren, wird seine Aktualität offensichtlich. Die Analyse des ideologischen Codes der dominierenden Kultur wird nie alt werden.] Groys (2008c). 130 Vladimir Sorokin (2008): Der Tag des Opritschniks. Köln: Kiepenheuer & Witsch. S. 141f. 131 Vgl. dazu ausführlicher Christine Engel (2007): »Der Kampf um Deutungsmacht als inszenierter Skandal. Vladimir Sorokin im Bol’šoj-Theater.« In: Stefan Neuhaus/Johann Holzner (Hg.): Literatur als Skandal. Fälle – Funktionen – Folgen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. S. 707-717. 132 Oleg Krasnov (2015): »Irina Nakhova: The Necessity for Conceptualism May Be Returning Today.« In: Russia Beyond vom 21.04.2015. URL: https://www.rbth.com/arts/2015/04/21/irina_nakh ova_the_necessity_for_conceptualism_may_be_returning_today_45407.html (letzter Zugriff am 20.08.2020).

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

derwahl zum Präsidenten im März 2012 intensiviert hat. Zu erwähnen sind insbesondere das Werk des linksaktivistischen Lyrikers und Musikers Kirill Medvedev und die Aktionen von Künstlerkollektiven wie Vojna, Pussy Riot und dem Laboratorija poètičeskogo akcionizma [Laboratorium für poetischen Aktionismus].133 Mit der expliziten Bezugnahme auf die Moskauer Konzeptualisten schreiben diese Künstler*innen mit ihren Arbeiten ein neues Kapitel in der Rezeptionsgeschichte des Kreises. Diese Entwicklung soll am Beispiel einer Aktion des Laboratorija poètičeskogo akcionizma kurz illustriert werden. Das St. Petersburger Künstlerkollektiv existiert seit 2010 als Kooperation zwischen den Lyrikern und Performancekünstlern Pavel Arsen’ev und Roman Osminkin.134 Ihre Aktionen bewegen sich zwischen Kunst und Aktivismus, eine Kunstform, die Lilo Schmitz in Anlehnung an den Kurator und Künstler Peter Weibel als »Artivismus«135 bezeichnet. In die breitere öffentliche Aufmerksamkeit geriet das Laboratorija erstmals während der Massenproteste anlässlich der russischen Parlamentswahl im Dezember 2011, an denen sich die Künstler mit einem Transparent mit der Aufschrift »Vy nas daže ne predstavljaete« [Ihr könnt euch uns nicht mal vorstellen/repräsentieren] beteiligten.136 Semantisch spielt der Slogan mit dem russischen Verb ›predstavljat’‹, das sowohl ›vorstellen‹ als auch ›repräsentieren‹ bedeuten kann. Der mehrdeutige Satz, der von anderen Demonstrierenden übernommen und variiert wurde, hat mittlerweile einen geradezu ikonischen Status erlangt – das Künstlerkollektiv selbst spricht vom »glavnogo znameni rossijskoj revoljucii 2012 goda«137 [wichtigsten Banner der russischen Revolution von 2012]. 133

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Vgl. zu diesem Thema ausführlicher Marijeta Bozovic (2018): »Performing Poetry and Protest in the Age of Digital Reproduction.« In: Birgit Beumers et al. (Hg.): Cultural Forms of Protest in Russia. Abingdon/New York: Routledge. S. 200-220; Masha Gessen (2014): Words Will Break Cement: The Passion of Pussy Riot. New York: Riverhead Books; Gabriella Elina Imposti (2015): »Dissident ›Street Art‹ Resisting Neo-Soviet Discourse: The ›Voina‹ and ›Pussy Riot‹ Groups.« In: Between 5. Nr. 10. S. 1-26; Nariman Skakov/Mark Lipovetsky (2016): »Prigov as a Challenge.« In: The Russian Review 75. Nr. 2. S. 183-185; Yngvar B. Steinholt (2018): »Cats, Punk, Arson and New Media: Art Activism in Russia 2007-2015.« In: Graham Meikle (Hg.): The Routledge Companion to Media and Activism. Abingdon/New York: Routledge. S. 153-161. Anfänglich waren u.a. auch die Medienkünstlerin Dina Gatina, die Performancekünstlerin Ksenija Sorokina sowie die Künstlergruppe ›Verchotura‹ Teil des Kollektivs. Lilo Schmitz (2015): »Einleitung.« In: Lilo Schmitz (Hg.): Artivismus. Kunst und Aktion im Alltag der Stadt. Bielefeld: transcript. S. 9-16, hier S. 9. Vgl. dazu ausführlicher Dorine Schellens (2018): »St. Petersburg als Palimpsest: subversive Geschichtskonstruktionen als Gegendiskurs in der Performance- und Aktionskunst des Laboratoriums für poetischen Aktionismus.« In: Agatha Frischmuth/Therese Hoy/Christina Färber (Hg.): Erinnerungsraum Osteuropa. Zur Poetik der Migration, Erinnerung und Geschichte in der slavischen Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts. Berlin: Peter Lang. S. 173-189. [o.A.] (2012): »Učastie banera ›Vy nas daže ne predstavljaete‹ v odnoimennoj vystavke.« In: Laboratorija poètičeskogo akcionizma vom 22.02.2012. URL: https://poetryactionism. wordpress.com/2012/02/22/%D1%83%D1%87%D0%B0%D1%81%D1%82%D0%B8%D0%

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Dabei nimmt das rote Transparent auf eine nicht weniger ikonische Vorlage Bezug, nämlich auf die Losungsaktionen der KD, wie die Literaturwissenschaftlerin Natal’ja Fedorova angemerkt hat (vgl. Abb. 10 und 11).138

Abb. 10: Laboratorija poètičeskogo akcionizma: »Vy nas daže ne predstavljaete« [Ihr könnt euch uns nicht mal vorstellen/repräsentieren] (2012), Fotografie von Unbekannt; Abb. 11: Kollektive Aktionen: »Lozung« [Slogan] (1977), Fotografie von Unbekannt.

Bei der ersten Losungsaktion der KD im Januar 1977 wurde ein rotes Transparent in einer Moskauer Schneelandschaft zwischen zwei Bäumen aufgehängt. Als Aufschrift diente ein Zitat aus Andrej Monastyrskijs Buch Ničego ne proischodit [Nichts geschieht]: »Я ни на что не жалуюсь и мне все нравится, несмотря на то, что я здесь никогда не был и не знаю ничего об этих местах.« [Ich beklage mich über nichts und mir gefällt alles, ungeachtet dessen, dass ich noch nie hier war und nichts über diese Gegend weiß.] Indem das Transparant seine politischideologische Funktionalität in der isolierten Schneelandschaft verliert,139 kann die Aktion als Metakommentar zu der Omnipräsenz propagandistischer Bilder und Texte in der sowjetischen Gesellschaft gedeutet werden. Dies geschieht zum einen durch seine »räumliche und zeitliche Deplatzierung und zum anderen durch die Beschriftung mit lyrischen Texten in der Tradition von Koan-Sprüchen, die eine Überschreitung der symbolisch-sprachlichen Ordnung intendieren«,140 wie Sabine Hänsgen argumentiert. Die konzeptuelle Praxis der linguistischen Verfremdung durch poetische Rede wenden auch Pavel Arsen’ev und Roman Osminkin an. B5-%D0%B1%D0%B0%D0%BD%D0%B5%D1%80%D0%B0-%D0%B2%D1%8B-%D0% BD%D0%B0%D1%81-%D0%B4%D0%B0%D0%B6%D0%B5-%D0%BD%D0%B5-%D0% BF%D1%80%D0%B5%D0%B4%D1%81%D1%82%D0%B0%D0%B2/ (letzter Zugriff am 18.08.2020). 138 Vgl. Vanessa Place (2012): »Conceptualist ostranenie: A Dialogue Between Derek Beaulieu (Canada) and Natalia Fedorova (Russia).« In: Jacket2 vom 10.08.20120. URL: https://jacket2. org/commentary/conceptualist-ostranenie-dialogue-between-derek-beaulieu-canada-andnatalia-federova-russ (letzter Zugriff am 18.08.2020). 139 Vgl. Hänsgen (2007): S. 242. 140 Ebd.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Ähnlich wie in den Losungsaktionen soll der mehrdeutige Slogan der Künstler Betrachter*innen zur Reflexion anregen. Im Gegensatz zur Gruppe KD dient die Bewusstwerdung von Sprache für das St. Petersburger Kollektiv jedoch einem politisch-aktivistischen Zweck. Denn während die Konzeptualisten ihre Aktionen abseits der Gesellschaft im »unbezeichneten ›leeren‹ Naturraum«141 durchführten, ist das Laboratorija poètičeskogo akcionizma um die Sichtbarkeit seines Auftretens in der Öffentlichkeit bemüht und nutzt das Genre der Performance für politische Stellungnahmen. Die Interventionen des Kollektivs, die von Lyrikrezitationen und Videopoesie bis hin zu Textinstallationen und sog. ›stichov-stikerov‹ [Lyrikaufklebern] reichen, vergleichen die Künstler dabei mit ›Hacktivismus‹: So wie Hacker in digitale Systeme eindringen und diese verändern, strebt das Künstlerkollektiv eine Überschreibung des urbanen Raums als Palimpsest an.142

4.3

Die Musealisierung des Moskauer Konzeptualismus: Verflechtungen zwischen dem russischen und dem internationalen Mittlernetzwerk (1995-2004)

Nachdem die Basis für den postsowjetischen Kunstbetrieb in der ersten Hälfte der 1990er Jahre gelegt worden war, vollzog sich zwischen 1995 und 2004 ein Prozess der Musealisierung des Moskauer Konzeptualismus. Anfang der 1990er Jahre verfügte die russische Hauptstadt zwar über eine immer größer werdende Galerieund Kunstmessenlandschaft, aber weder über ein Museum für Gegenwartskunst noch über eine repräsentative Kunstsammlung. Mit dem Aufbau einer staatlichen Kollektion zeitgenössischer Kunst wurde im Jahre 1989 der Kunsthistoriker Andrej Erofeev beauftragt, der als Kurator am Caricyno-Museum tätig war. Das Museum beherbergte die Sammlung bis zur Jahrtausendwende, nahm sie jedoch nicht offiziell in seine Bestände auf und stellte Erofeev auch keine eigene Ausstellungsfläche zur Verfügung. Aus diesem Grund reiste die Kollektion, in der sich eine Vielzahl von Arbeiten aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten befindet, in den 1990er Jahren durch Russland und Westeuropa, bevor sie 2001 schließlich in die Tret’jakov Galerie überging. Kunstsammlungen spielen eine wichtige Rolle in der Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus. Im vorigen Kapitel wurden die Kollektionen von Aleksandr Glezer (Moskau/Paris/New Jersey), Norton Dodge (Maryland), Paul R. Jolles (Bern) und Peter Ludwig (Köln) thematisiert, die Werke aus der alternativen sowjetischen Kunstszene nicht nur konservierten, sondern durch Leihgaben an Ausstellungen außerdem ihre internationale Zirkulation in den 1970er und 1980er Jah141 Ebd.: S. 239. 142 Vgl. Schellens (2018): S. 174f.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

ren ermöglichten. Auch in der Sowjetunion legten Privatpersonen Sammlungen nicht-kanonisierter Kunst an. Die weitaus umfangreichste Kollektion baute zwischen den 1960er und 1990er Jahren der Moskauer Sammler Leonid Taločkin aus Schenkungen von befreundeten Künstler*innen auf. Taločkin eröffnete im Jahre 2000 das Museum ›Drugoe Iskusstvo‹ [Andere Kunst] (2000-2014) im Hauptgebäude der Russischen Staatlichen Universität für Geisteswissenschaften [RGGU], in dem eine Dauerausstellung mit Werken aus der Kollektion eingerichtet wurde. Die Institutionalisierung des Moskauer Konzeptualismus nicht nur in Kunstsammlungen, sondern auch in Museen – zu erwähnen sind neben ›Drugoe Iskusstvo‹ das Moscow Museum of Modern Art [MMOMA] (1999-) und das Garage Museum of Contemporary Art (2008-) – hat die Kanonisierung des Künstlerkreises in der Periode nach 1995 maßgeblich vorangetrieben. Dieser Prozess vollzog sich nicht ausschließlich auf einer intrakulturellen Ebene, sondern wurde von fremdkulturellen Akteur*innen und institutionellen Makrokontexten beeinflusst, wie in den folgenden drei Abschnitten dargelegt wird. So bezog die Caricyno-Sammlung ihr Material direkt aus den von Erofeev kuratierten Wanderausstellungen, die sich sowohl an ein eigen- wie auch fremdkulturelles Zielpublikum richteten (vgl. §.4.3.1). Der kulturelle Transfer von kuratorischen Strategien und diskursiven Deutungsmustern verlief dabei nicht immer konfliktfrei, wie die Ausstellung Moskva – Berlin/Berlin – Moskva 1950-2000 (2004) im Staatlichen Historischen Museum am Roten Platz exemplarisch zeigt, die in der russischen Presse kontrovers diskutiert wurde (vgl. §4.3.3). Zu Verflechtungen zwischen dem russischen und dem internationalen Mittlernetzwerk des Moskauer Konzeptualismus kam es nicht zuletzt in der Rückrezeption Il’ja Kabakovs im postsowjetischen Russland. Den Auftakt dazu bildete 2003 die Eröffnung der ersten Einzelausstellung des Künstlers in Moskau, der seit seiner Emigration im Jahre 1988 ausschließlich im Ausland ausgestellt hatte (vgl. §4.3.2). Damit richten die folgenden drei Abschnitte den Blick auf die Dynamik zwischen transkulturellem Austausch und Konflikt im Musealisierungsprozess des Moskauer Konzeptualismus.

4.3.1

Kunst im Verborgenen (1995): Moskauer Konzeptualismus in internationalen Wanderausstellungen der Sammlung Caricyno

»Gegenwärtig«, so heißt es im Vorwort zum Ausstellungskatalog Kunst im Verborgenen (1995), »befindet sich inmitten eines Neubaugebietes in Moskau eine brisante Sammlung zeitgenössischer Kunst. Untergebracht ist sie in einem Bunker – im ›Verborgenen‹ also –, in einer ähnlichen Situation, wie die Werke meist auch

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

entstanden sind.«143 Gemeint ist die Caricyno-Sammlung alternativer spätsowjetischer Kunst, in der Arbeiten von Moskauer Konzeptualisten prominent vertreten sind. Im Zuge der Liberalisierung des Kunstbetriebs in der späten Perestrojka wurden in Moskau vermehrt Stimmen laut, die für eine Neuorientierung der bisherigen Kunstsammlungspolitik und die Einrichtung eines Museums für Gegenwartskunst plädierten. Das Ausbleiben einer solchen Institution stieß in den 1990er Jahre wiederholt auf Kritik – erinnert sei an Konstantin Kedrovs Artikel »Bul’dozer kak poslednij argument socrealizma« [Bulldozer als letztes Argument des Sozrealismus] in Izvestija (1994), der dem Staat ein mangelndes Interesse an der Aufarbeitung der sowjetischen Kunstgeschichte vorwarf (vgl. §4.2.2). Der Aufbau neuer musealer Sammlungen wurde durch den Export von Kunstwerken und die Emigration vieler Künstler*innen in den Westen seit Ende der 1980er Jahre jedoch erschwert. Auch vertraten einige Museen bis weit in die 1990er Jahre hinein eine nach wie vor ablehnende Haltung gegenüber der ehemaligen nicht-kanonkonformen Kunstszene, wie Kate Fowle am Beispiel der Tret’jakov Galerie ausführt: »Sasha Obukhova, who started work as a curator at the Tretyakov in 1999, describes one of the main hurdles in creating the post 1950s department as ensuring that works by established unofficial artists – such as Ilya Kabakov and Eric Bulatov – were accepted as worthy of collecting alongside those of the ›official‹ Soviet Realist, or Artists Union artists. She explains that on numerous occasions, acquisitions were blocked at the last minute and secured funds were reallocated.«144 Weniger der Staat als vielmehr Banken und Investitionsfirmen wie Stoličnyj bank oder RINAKO investierten Anfang der 1990er Jahre in den Erwerb von (post-)sowjetischer Kunst und unterstützten Kunstmessen wie Art Mif als Sponsoren, womit sie nicht nur finanzielles, sondern auch symbolisches Kapitel akkumulierten, da der Aufbau von Kunstkollektionen vor allem bei ausländischen Handelspartnern angesehen ist.145 Beauftragt mit der Etablierung einer zeitgenössischen Kunstsammlung in einer staatlich geförderten Einrichtung wurde im Jahre 1989 der Kunsthistoriker Andrej Erofeev, der als Kurator im Caricyno-Museum angestellt wurde.146 Auf dem Gelände Caricynos war 1984 ein Museum für Völkerkunde und Angewandte Künste der UdSSR gegründet worden, das in der Perestrojka zu einem Kunst[o.A.] (1995): »Vorwort.« In: Andrei Erofeev/Jean-Hubert Martin (Hg.): Kunst im Verborgenen. Nonkonformisten Rußland 1957-1995. Sammlung des Staatlichen Zarizino-Museums, Moskau. München/New York: Prestel. S. 7-8, hier S. 7. 144 Fowle (2016a): S. 31. 145 Insbesondere die umfangreiche Kunstsammlung der Investitionsfirma RINAKO umfasst viele Arbeiten von Künstler*innen aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten. 146 Vgl. Andrei Erofeev (2016): »Building a Museum Collection Through Curating Exhibitions.« In: Kate Fowle/Ruth Addison (Hg.): Exhibit Russia: The New International Decade 1986-1996. Prag: Artguide s.r.o. S. 114-115, hier S. 114.

143

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

museum und kulturhistorischen Zentrum umfunktioniert wurde.147 Der Schwerpunkt auf Gegenwartskunst sollte mit einer von Erofeev kuratierten Sammlung weiter ausgebaut werden. Da jedoch weder das Caricyno-Museum noch das Kulturministerium ein Budget zum Kauf von Kunstwerken zur Verfügung stellten, deren Wert durch ihre Einbindung in den westlichen Kunstmarkt mittlerweile stark gestiegen war,148 verfolgte Erofeev eine alternative, nicht unumstrittene Sammlungsstrategie. So organisierte er in Kooperation mit den Caricyno-Kurator*innen Vladimir Levašov, Natal’ja Tamruči und Evgenija Kikodze in der ersten Hälfte der 1990er Jahre eine Trias von Ausstellungen mit den Titeln V storonu ob”ekta [Zum Objekt] (Moskau/Amsterdam, 1990), V komnatach [In Zimmern] (Bratislava, 1991-1992) und Chudožnik vmesto proizvedenija [Künstler statt Kunstwerk] (Moskau, 1994), die den Fokus auf Installations-, Objekt-, Video- und Performancekunst legten. Nach Ende der jeweiligen Schau gingen die ausgestellten Arbeiten automatisch in die Sammlung über, wie Erofeev erklärt: »While curating the exhibitions, we managed to get from artists’ studios a large number of objects that had never been shown, including photo documentation of performances. Many new works were produced for the exhibitions, and most of them were not returned to the artists. They were either given or lent to Tsaritsyno. Not everone was eager to do this but delaying tactics and persuasion, plus the ever-higher profile of the collection, were of help. After several years of traveling with the exhibitions, many of the works on loan became part of the collection.«149 Um die Jahrtausendwende umfasste die auf diese Weise aufgebaute Kollektion ca. 2.000 Werke von 120 Künstler*innen aus dem Zeitraum zwischen 1950 und 1990. Da Erofeev im Caricyno-Museum über keine eigene Ausstellungsfläche verfügte – die Kunst wurde dort lediglich gelagert –, legte er seine kuratorischen Projekte als Wanderausstellungen an, die durch Russland, Deutschland, die Niederlande und die Slowakei reisten. Die Sammlung, die ihr Material direkt aus den Projekten bezog, entstand somit in einem transkulturellen Dialog. Diese Besonderheit hat dazu beigetragen, dass Repräsentant*innen aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten und der Soz-Art, die in den 1990er Jahren international bereits großes Ansehen genossen, schwerpunktmäßig in der Caricyno-Kollektion vertreten sind. Eine umfangreiche Schau fand 1995 mit der eingangs zitierten Wanderausstellung Kunst im Verborgenen. Nonkonformisten Rußland 1957-1995 statt, die im WilhelmHack-Museum in Ludwigshafen am Rhein, in der documenta-Halle in Kassel, im 147

Vgl. Roman Abramov (2013): »The Modern Park as a ›Recreational Machine‹. Barrier Technologies and Surveillance in Moscow’s Tsaritsyno.« In: Elisa T. Bertuzzo et al. (Hg.): Kontrolle öffentlicher Räume. Unterstützen Unterdrücken Unterhalten Unterwandern. Münster: Lit Verlag. S. 118-130, hier S. 123. 148 Vgl. Erofeev (2016): S. 114. 149 Ebd.: S. 115.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Staatlichen Lindenau Museum in Altenburg und schließlich in der Moskauer Manež zu sehen war. Erofeev kuratierte das Projekt gemeinsam mit Jean-Hubert Martin, der 1985 mit dem Schweizer Diplomaten Paul R. Jolles die Einzelausstellung Ilya Kabakov. Am Rande in der Berner Kunsthalle organisiert hatte (vgl. 3.1.3). Mit den Titelwörtern ›Kunst im Verborgenen‹ und ›Nonkonformisten‹ reaktivierten die Kuratoren ein Interpretationsparadigma der 1970er Jahre, das mit der Charakterisierung der gezeigten Werke als ›geheimnisvoll‹ und ›verboten‹ die Schaulust des westlichen Publikums zu erwecken suchte. An diesen etablierten Diskurs knüpfen auch die Katalogtexte an, indem diese die Ablehnung nicht-kanonkonformer Kunst nicht auf das sowjetische Gesellschaftssystem beschränken, sondern auf eine Wiederholung von Ausgrenzungsmechanismen im postsowjetischen Russland hinweisen. In Erofeevs Beitrag ist zu lesen: »Für die Inoffiziellen war der Zweck ihres Schaffens in sich selbst begründet, und sie verstanden es daher nicht, daß sich ein Publikum dafür interessierte. […] Doch ihre Kunst war nicht sehr lange in Mode. Die inoffizielle Kunst gefällt der neuen russischen Gesellschaft immer weniger aus dem gleichen Grund, aus dem sie auch von der vorherigen Gesellschaft nicht angenommen wurde. […] Doch kann man heute der inoffiziellen Kunst nicht mehr die Tür weisen. […] Man wird sie viel eher ganz einfach in die Geschichte verbannen, in die sowjetische Abteilung des neuen Museums, in der die Führer mit teilnahmsvoller Miene von der Hetzjagd, den Repressionen, den schrecklichen Lebensbedingungen und den verbotenen Ausstellungen erzählen werden, die letztlich diesen ›tapferen Leuten‹ nicht erlaubten, sich in normale Künstler zu verwandeln.«150 Die Frage nach der dauerhaften Musealisierung der durch Westeuropa und Russland wandernden Erofeevschen Sammlung blieb bis Anfang der 2000er Jahre ungeklärt – das Caricyno-Museum entschied sich Ende der 1990er Jahre gegen eine offizielle Aufnahme der Kollektion in seine Bestände. Im Mai 2001 wurde bekannt, dass die Sammlung stattdessen der Staatlichen Tret’jakov Galerie übergeben werden sollte. »Эпопея с созданием Музея современного искусства разрешилась«,151 titelte in Reaktion auf den Beschluss die Zeitung Kommersant. Außer der Tret’jakov Galerie hatte sich der umstrittene georgische Künstler Zurab Cereteli um die Überführung der Werke in seine Kollektion bemüht, die ebenfalls einen Schwerpunkt auf alternative sowjetische Kunst legt. Die Sammlung ist im Moscow Museum of 150 Andrei Erofeev (1995): »Die Kunst der Nonkonformisten.« In: Andrei Erofeev/Jean-Hubert Martin (Hg.): Kunst im Verborgenen. Nonkonformisten Rußland 1957-1995. Sammlung des Staatlichen Zarizino-Museums, Moskau. München/New York: Prestel Verlag. S. 9-16, hier S. 15f. 151 Aleksandr Panov (2001): »V Moskve pojavilsja novyj Muzej sovremennogo iskusstva. Im stala Tret’jakovskaja galereja.« In: Kommersant vom 19.05.2001. URL: https://www.kommersant.r u/doc/267183 (letzter Zugriff am 18.08.2020). [Das Epos der Gründung eines Museums der Gegenwartskunst hat sich entscheiden]

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Modern Art untergebracht, das Cereteli im Jahre 1999 mit Unterstützung des befreundeten Moskauer Oberbürgermeisters Jurij Lužkov gründete. Cereteli, der 1997 das kontroversielle, ca. 100 Meter hohe Denkmal für Peter den Großen in Moskau errichtet hatte, wurde in dieser Periode von der Presse häufig als ›Hofkünstler‹ Lužkovs bezeichnet, der die russische Hauptstadt zwischen 1992 bis 2010 regierte und für mehrere politische Skandale verantwortlich war. Institutionalisiert wurde die Geschichte der nicht-kanonkonformen Kunst in dieser Zeit in noch einem weiteren Museum. Anfang 2000 eröffnete Leonid Taločkin, der seit den frühen 1960er Jahren die weitaus größte Sammlung alternativer sowjetischer Kunst im russischen Raum sowie ein umfangreiches Archiv mit Bildmaterialien und Korrespondenzen angelegt hatte, das Museum ›Drugoe Iskusstvo‹ [Andere Kunst] im Hauptgebäude der RGGU. Der ausgebildete Ingenieur war über seine Bekanntschaft mit Vertreter*innen der Lianozovo-Gruppe in den 1960er Jahren in Kontakt zu weiteren Moskauer Künstler*innen gekommen, unter ihnen die Konzeptualisten Ėrik Bulatov, Ivan Čujkov, Fransisko Infante-Arana und Nikita Alekseev. Seine Kollektion baute er aus Schenkungen aus der Kunstszene auf. 1976 gelang es ihm, die Sammlung unter sowjetischen Staatsschutz zu stellen. Die Besonderheit dieser Situation wird deutlich, wenn sie mit dem Schicksal des griechisch-sowjetischen Diplomaten Georgij Kostaki verglichen wird, der schwerpunktmäßig Werke der historischen Avantgarden sammelte (vgl. §3.1). Kostaki, der im Gegensatz zum Gelegenheitsarbeiter Taločkin aufgrund seiner internationalen diplomatischen Tätigkeiten in der Öffentlichkeit bekannt war, wurde 1977 zur Ausreise aufgefordert, wobei er sich gezwungen sah, 80 Prozent seiner Kollektion dem sowjetischen Staat zu überlassen. Heute ist ein Teil dieser Kunstwerke in der Staatlichen Tret’jakov Galerie zu sehen. Bereits zehn Jahre vor der Eröffnung des RGGU-Museums hatte Taločkin die erste umfassende Überblicksausstellung zur Geschichte der nicht-kanonkonformen Kunst unter dem Titel Drugoe iskusstvo: Moskva 1956-1976 [Andere Kunst: Moskau 1956-1976] (1990-1991) in der Neuen Tret’jakov Galerie am Krymskij Val organisiert.152 Im Jahre 2014 entschied sich Taločkins Witwe Tat’jana Vendel’stejn, die Kunstsammlung dauerhaft der Tret’jakov zu übergeben, woraufhin das Museum ›Drugoe Iskusstvo‹ im RGGU-Gebäude geschlossen wurde.153 Als Konservator der Caricyno-Sammlung und der Kollektion Leonid Taločkins verfügt die Tret’jakov Galerie heute über die größte Sammlung alternativer sowjetischer Kunst in Russland. 152

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Parallel zur Ausstellung erschienen zwei umfassende Dokumentationsbände zur Geschichte der alternativen Kunst. Vgl. L.P. Taločkin/I.G. Alpatova (1991) (Hg.): Drugoe iskusstvo. Moskva 1956-1976. K chronike chudožestvennoj žizni. V dvuch tomach. Moskau: SP ›Interbuk‹. Vgl. dazu ausführlicher [o.A.] (2014): »Muzej ›Drugoe iskusstvo‹ v RGGU zakryvaetsja.« In: Artgid vom 30.03.2014. URL: http://artguide.com/news/349-muziei-drughoie-iskusstvo-v-rggu -zakryvaietsia (letzter Zugriff am 18.08.2020). Taločkins Archiv erwarb das Garage Museum of Contemporary Art in Moskau.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Ein Teil der ca. 5.000 Werke umfassenden Bestände war in der Überblicksausstellung mit dem Titel Sovremennoe iskusstvo: 1960-2000. Perezagruzka [Gegenwartskunst: 1960-2000. Neustart] (2016-2017) im Museum am Krymskij Val zu sehen, in der Arbeiten der Moskauer Konzeptualisten einen der thematischen Schwerpunkte bildeten, worauf im letzten Teil dieser Kapitels ausführlicher eingegangen wird (vgl. §4.4).

4.3.2

Die Rückrezeption Il’ja Kabakovs im postsowjetischen Russland

Im Juli 2004 erschien anlässlich der Eröffnung einer Einzelausstellung von Il’ja Kabakov mit dem Titel Clučaj v muzee i drugie installjacii [Vorfall im Museum und andere Installationen] in der St. Petersburger Ėrmitaž eine Rezension in der Wochenzeitung Kul’tura, die mit den folgenden Worten beginnt: »Раньше российский турист лишь вздыхал в парижском Центре Помпиду, один из этажей которого был отдан под инсталляцию Ильи Кабакова. Переполняли и гордость, и жалость: да почему же творчество Кабакова представлено почти везде, но только не на родине?«154 Während die Rezeption Il’ja Kabakovs in Westeuropa und den USA seit Mitte der 1980er Jahre Gegenstand mehrerer aktueller Studien ist,155 bleibt der Rücktransfer seiner Werke in das postsowjetische Russland in der Forschung bislang weitgehend unberücksichtigt. Eine vollständige Aufarbeitung dieses Themas ist nicht Ziel dieser Untersuchung, dennoch sollen in diesem Abschnitt am Beispiel zweier Ausstellungen einige grundlegende Tendenzen in der russischen Rezeption des Künstlers aufgezeigt werden. Clučaj v muzee (2004) war die erste Einzelausstellung Kabakovs in Russland, deren Eröffnung er persönlich beiwohnte. Dies stellt eine Besonderheit im Vergleich zu anderen bekannten Vertreter*innen des Moskauer Konzeptualismus wie Dmitrij Prigov, Irina Nachova oder Pavel Pepperštejn dar, die seit Ende der 1980er Jahre

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Ksenija Basilašvili (2004): »Total’naja installjacija v velikom muzee.« In: Kul’tura vom 08.07.14.07.2004. [Früher seufzte der russische Tourist im Pariser Centre Pompidou, in dem ein Stockwerk eine Installation von Il’ja Kabakov beherbergte. Er wurde sowohl mit Stolz als auch mit Traurigkeit erfüllt: Denn warum ist Kabakovs Werk fast überall ausgestellt, nur nicht in seiner Heimat?] Vgl. u.a. Seeberger (2016); Olga Keller (2018): »Ilya Kabakov: A Representative Émigré Artist and the International (Émigré) Art Discourse.« In: Christoph Flamm/Roland Marti/Ada Raev (Hg.): Transcending the Borders of Countries, Languages, and Disciplines in Russian Émigré Culture. Newcastle: Cambridge Scholars Publishing. S. 215-228; Anja Tippner (2014): »An Alternative History of Art: Il’ja Kabakovs sowjetisch-jüdische Fallgeschichten im Feld der Kunst.« In: Christopher F. Laferl/Anja Tippner (Hg.): Künstlerinszenierungen. Performatives Selbst und biographische Narration im 20. und 21. Jahrhundert. Bielefeld: transcript. S. 167-190.

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sowohl in Russland als auch international ausstellen. Kabakov hingegen besuchte Russland zwischen 1988 und 2004 kein einziges Mal. Auch lehnte er Interviews mit russischen Journalist*innen lange Zeit ab. »Илья Кабаков – великий русский художник, который не был в России почти десять лет«,156 schrieb Ekaterina Degot’ 1997 in der Wochenzeitschrift Itogi. 1987 hatte der Wiener Galerist Peter Pakesch Kabakov als Stipendiat des steirischen herbst-Festivals nach Graz eingeladen.157 Für den Künstler bedeutete dies seine erste Reise außerhalb der Sowjetunion. 1988 emigrierte er nach einem mehrmonatigen Zwischenaufenthalt in Paris, wo die befreundete Galeristin Dina Vierny ihn mit einem Studio in Mittenville unterstützte, dauerhaft in die Vereinigten Staaten.158 Dort lebt und arbeitet er mit seiner Ehefrau Ėmilija Kabakova, die seit Ende der 1990er Jahre als offizielle Koautorin seines Werks auftritt, auf Long Island. Kabakov, der nach seiner ersten Einzelausstellung Am Rande (1985) in der Berner Kunsthalle international rasch an Ansehen gewonnen hat, gilt derzeit als einer der bekanntesten russischen Gegenwartskünstler, dessen Arbeiten Auktionsrekorde erzielen – als »[k]onceptualist-mul’timillioner«159 [Multimillionär-Konzeptualist] bezeichnete ihn die Zeitung Kommersant im Jahre 2007. Auf diesen Status wird in der russischen Pressekritik regelmäßig mit Stolz verwiesen, wie exemplarisch aus einem Artikel von Kira Dolinina hervorgeht, der 2004 in Kommersant erschien: »Лидер московского концептуализма, мэтр, гуру для нескольких поколений российских радикалов, господин Кабаков и в отечественном, и в западном контексте не имеет себе равных. Ему – лучшие залы и музеи, ему – премии и почетные степени, про него – каталоги и монографии.«160 Kabakovs erste Einzelausstellung auf russischem Boden fand 2003 zu Ehren seines 70-jährigen Geburtstags in Moskau statt. Das zweiteilige Projekt umfasste eine Ausstellung der Installation Desjat’ personažej [Zehn Personen] in der Tret’jakov 156

Ekaterina Degot’ (1997): »Kul’turno-peremeščennoe lico. Il’ja Kabakov – velikij russkij chudožnik, kotoryj ne byl v Rossii počti desjat’ let.« In: Itogi vom 09.09.1997. S. 69-72, hier S. 69. [Il’ja Kabakov ist ein großer russischer Künstler, der seit fast zehn Jahren nicht mehr in Russland war] 157 Vgl. Seeberger (2016): S. 205. 158 Vgl. ebd. 159 Tat’jana Markina (2007): »Konceptualist-mul’timillioner. Rekord na proizvedenie Il’i Kabakova.« In: Kommersant vom 27.06.2007. URL: https://www.kommersant.ru/doc/778165 (letzter Zugriff am 20.08.2020). 160 Kira Dolinina (2004): »Polnaja installjacija. Il’ja i Ėmilija Kabakovy v Ėrmitaže.« In: Kommersant vom 24.06.2004. URL: https://www.kommersant.ru/doc/485062 (letzter Zugriff am 16.08.2020). [Als Leader des Moskauer Konzeptualismus, Meister, Guru für einige Generationen russischer Radikalen hat Herr Kabakov weder im vaterländischen noch im westlichen Kontext seinesgleichen – er bekommt die besten Ausstellungssäle und Museen, er erhält Preise und Auszeichnungen, über ihn werden Kataloge und Monografien geschrieben.]

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Galerie sowie eine weitere, von Vitalij Pacjukov kuratierte Schau mit dem Titel Izbrannye mesta [Ausgewählte Orte] im NCCA. Letztere zeigte Gemälde und Grafiken des Künstlers aus privaten russischen Sammlungen und hatte einen bescheidenen Umfang, da sich zu diesem Zeitpunkt fast sämliche Werke Kabakovs außerhalb von Russland befanden. Aus diesem Grund bezeichnete der Kritiker Andrej Kovalev den Ausstellungsraum des NCCA in der Tageszeitung Vedomosti ironisch als »[p]ustotnyj centr«161 [luftleeres Zentrum]. Als der Künstler zur Eröffnung von Desjat’ personažej nicht persönlich erschien, wurde dies in der Presse breit thematisiert. Ein Jahr später beteiligten sich die »nevozvraščencami«162 [Nichtheimkehrer], wie die Kunstkritik das Ehepaar Kabakov in dieser Periode bezeichnete, jedoch an der Durchführung der oben erwähnten Einzelausstellung Clučaj v muzee [Vorfall im Museum] (2004). Diese kam als Kooperation zwischen der St. Petersburger Ėrmitaž und der Moskauer Stella Art Foundation zustande, die 2003 gegründet worden war. Die Besitzerin der Galerie, Stella Kesaeva, hatte sich in diesem Jahr die exklusiven Verkaufsrechte auf Kabakovs Werk in Russland gesichert und spielte eine aktive Rolle in der Organisation von Clučaj v muzee (2004) in der Ėrmitaž. Bei der Eröffnung der Schau zeigte sich Kabakov zurückhaltend gegenüber russischen Journalist*innen – in Interviews gab er auf viele Fragen lediglich kurze oder gar keine Antworten.163 Sein Auftreten kann als Teil seiner Selbstinszenierung betrachtet werden. Die Inszenierung der eigenen Künstleridentität stellt ein wichtiges Motiv im Oeuvre Kabakovs dar. Installationen wie Na kommunal’noj kuchne [In der kommunalen Küche] oder Tualet [Toilette] – Werke, die nach seiner Emigration in die Vereinigten Staaten entstanden – werden im internationalen Raum häufig als Repräsentation des »microcosm of communal living in the former Soviet Union, with all its attendant tensions, power struggles, lack of privacy, suspicion and banality«164 rezipiert. Diese Lesart unterstreicht den Abbildcharakter von Kabakovs Arbeiten und interpretiert das in den Installationen dargestellte Leben vor allem als traumatische Erfahrung.165 »With its harrowing echoes of repression, deprivation and murder«, so berichtete z.B. The Guardian anlässlich der Ausstellung Not Everyone Will Be Taken into the Future (2017-2018) in Tate Modern, »the Kabakovs’ art is a Andrej Kovalev (2003): »Pustotnyj centr. V Moskve prazdnujut jubilej Il’i Kabakova.« In: Vedomosti vom 10.10.2003. 162 [o.A.] (2010): »Komissar Stella Kesaeva.« In: Russkij Portret vom 10.11.2010. URL: http://rupo. ru/m/2743/komissar_stella_kesaewa.html (letzter Zugriff am 18.08.2020). 163 So wiederholte Kabakov in einem Gespräch mit der Kritikerin Milena Orlova in Kommersant die Phrase: »Очень приятный вопрос. Трудно ответить.« [Eine sehr angenehme Frage. Schwierig zu beantworten.] Milena Orlova (2004): »Il’ja i Ėmilija Kabakovy otvetili konceptual’no.« In: Kommersant vom 22.06.2004. URL: https://www.kommersant.ru/doc/484346 (letzter Zugriff am 18.08.2020). 164 Juliet Bingham (2017): »Introduction.« In: Juliet Bingham (Hg.): Ilya and Emilia Kabakov. Not Everyone Will Be Taken into the Future. London: Tate Publishing. S. 11-17, hier S. 11. 165 Vgl. zu einer Kritik an dieser Lesart Keller (2018): S. 215. 161

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magnificent, moving monument to the millions crushed by communism«.166 Auch Kabakov selbst thematisiert in mehreren Egodokumenten und Interviews traumatische Erfahrungen oder Gefühle der Angst.167 Die lange Abwesenheit des Künstlers aus Russland kann daher als Bestandteil dieses Identitätsnarrativs betrachtet werden. Die Rückrezeption von Kabakovs Werk in Moskau findet seit 2003 weniger in traditionellen Kunstinstitutionen wie der Tret’jakov Galerie oder dem Staatlichen Puškin Museum für Bildende Künste statt, da der Künstler Verhandlungen mit diesen Museen lange Zeit ablehnte.168 Stattdessen bevorzugt er die Zusammenarbeit mit jüngeren Initiativen wie der Stella Art Foundation und dem von Dar’ja Žukova und Roman Abramovič gegründeten Garage Museum of Contemporary Art. Für die Eröffnung dieses Museums konzipierte Kabakov 2008 die Installation Al’ternativnaja istorija iskusstv [Alternative Geschichte der Kunst]. Die Stella Art Foundation hat unter der Leitung von Stella Kesaeva seit 2004 mehrere Einzelausstellungen des Künstlers durchgeführt: »Галерея Стелла-арт сделана то, что давно пора бы сделать, но профессиональному сообществу было не по средствам. Илья и Эмилия Кабаковы открылись публике не в государственном музее, а в частной галерее. […] Впервые нам показано столько Кабакова, что можно наконец-то осознать его значительным художником, а не легендарным привидением из анналов отечественной истории.«169 Zwischen 2011 und 2015 trat Kesaeva als Kommissarin des russischen Pavillons auf der Biennale Venedig auf. Die Galeristin, die in dieser Funktion an der Auswahl der Künstler*innen und Themen beteiligt war, hat in dieser Periode zu dem Schwerpunkt der Biennale auf dem Moskauer Konzeptualismus beigetragen. So wurde 166 Jonathan Jones (2017): »A Terrifying Trip to the USSR’s Dark Heart – Ilya and Emilia Kabakov. Review.« In: The Guardian vom 17.10.2017. URL: https://www.theguardian.com/artan ddesign/2017/oct/17/ilya-and-emilia-kabakov-tate-modern-london-review (letzter Zugriff am 11.09.2020). 167 Vgl. dazu u.a. Tupitsyn (2009): S. 109; Svetlana Boym (1999): »Ilya Kabakov: The Soviet Toilet and the Palace of Utopias.« In: ARTMargins Online vom 31.12.1999. URL: https://artmargins.co m/ilya-kabakov-the-soviet-toilet-and-the-palace-of-utopias/ (letzter Zugriff am 11.09.2020). 168 Vgl. Degot’ (1997): S. 72. 169 Elizaveta Plavinskaja (2004): »Uspechi muchozavodstva. Il’ja Kabakov nakonec-to polnocenno vystavlen v Rossii.« In: Vedomosti vom 17.12.2004. [Die Galerie Stella Art hat geleistet, was längst hätte geleistet werden sollen, wozu die Fachwelt aber nicht in der Lage war. Il’ja und Ėmilija Kabakovy werden dem Publikum nicht in einem staatlichen Museum, sondern in einer privaten Galerie zugänglich gemacht. […] Zum ersten Mal bekommen wir so viel von Kabakov zu sehen, dass wir ihn endlich als bedeutenden Künstler erkennen können, und nicht als legendären Geist aus den Annalen der vaterländischen Geschichte.] Die Galerie vertritt neben Kabakov u.a. auch Andrej Monastyrskij, Vadim Zacharov, Jurij Al’bert und Boris Orlov.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

der Künstlerkreis in Andrej Monastyrskijs Ausstellung Empty Zones (2011), in Vadim Zacharovs Installationsprojekt Danaë (2013) und in Irina Nachovas Schau The Green Pavilion (2015) repräsentiert (vgl. §3.4.1). Im Prozess des Rücktransfers von Il’ja Kabakovs Werk in das postsowjetische Russland hat die Stella Art Foundation somit eine entscheidende Brückenfunktion zwischen dem internationalen Mittlernetzwerk des Moskauer Konzeptualismus, in dem der Künstler seit Mitte der 1980er Jahre einen zentralen Platz einnimmt, und der russischen Rezeptionslandschaft ausgeübt, die existierende institutionelle Aktanten wie die Tret’jakov Galerie oder das Staatliche Puškin Museum für Bildende Künste nicht zu erfüllen imstande waren. Eine Verflechtung zwischen beiden Netzwerken war in diesem Fall folglich erst durch die Entstehung eines neuen Knotens, nämlich der Stella Art Foundation, möglich.

4.3.3

Moskau – Berlin (2004) aus Sicht der russischen Rezeption

Im März 2004 eröffnete der Moskauer Teil der Ausstellung Moskau – Berlin/Berlin – Moskau 1950-2000 im Staatlichen Historischen Museum am Roten Platz. Die Schau war ein Jahr zuvor im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen gewesen (vgl. §3.4.2). Im Gegensatz zu den überwiegend positiven Reaktionen in Deutschland wurde das Projekt in der russischen Presse kontrovers diskutiert. So geben Rezensionen und Interviews mit den Organisator*innen Einblick in einen konfliktreichen Aushandlungsprozess um kuratorische Strategien und diskursive Deutungsmuster, die in beiden Ländern auf unterschiedliche Erwartungshorizonte trafen. Im Mittelpunkt stand die Frage, inwieweit der Westen – in diesem Fall Deutschland – Deutungshoheit über die sowjetische Kunst- und Kulturgeschichte hat. Diese Diskussion kam in der russischen Presse bereits Anfang der 1990er Jahre in Reaktion auf die Wanderausstellung Sowjetische Kunst um 1990/Sovetskoe iskusstvo okolo 1990 goda auf, die zwischen 1991 und 1992 in Düsseldorf, Jerusalem und Moskau stattfand. Charakterisierte der Initiator dieses Projekts, Jürgen Harten, der bei Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 1950-2000 das deutsche Kuratorenteam leitete, die deutsch-israelischsowjetische Zusammenarbeit im Vorwort zum Katalog als »Bekenntnis zur kulturpolitischen Verantwortung«170 der Stadt Düsseldorf, stieß die Initiative in einer Rezension von Andrej Kovalev in Segodnja (1992) dahingegen auf erhebliche Kritik: »Дюселльдорфский Кунстхалле, который и выступил инициатором трансферта, занимает в мировой иерархии необычайно высокое место, на которое допускаются самые мощные и значительные течения актуального искусства. В этом смысле Кунстхалле можно ассоциировать с большим национальным 170 Jürgen Harten/Tair Salachow/Martin Weyl (1991): »Vorwort und Dank.« In: Jürgen Harten (Hg.): Sowjetische Kunst um 1990/Sovetskoe iskusstvo okolo 1990 goda. Köln: DuMont Buchverlag. S. 5.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

банком, регулирующим и квалифицирующим могучие денежные потоки. При этом Израиль и Россия равно квалифицируются маломощных провинциальных филиалов. Впрочем, Советский Союз не рассматривается даже в качестве филиала, так как израильтяне собрали свой сегмент трансферта БиНАЦИОНАЛЕ самостоятельно, тогда как композицию ›советской части‹ акции пришлось взять на себя кураторам из Дюссельдорфа.«171 Im Gegensatz zu Sowjetische Kunst um 1990 wurde die binationale Ausstellung Moskau – Berlin/Berlin – Moskau 1950-2000 von einem Team bestehend aus drei deutschen (Jürgen Harten, Angela Schneider und Christoph Tannert) und drei russischen (Pavel Chorošilov, Ekaterina Degot’ und Viktor Misiano) Kurator*innen konzipiert (vgl. §3.4.2). Auch beteiligten sich dieses Mal beide Parteien an der Finanzierung des umfangreichen Projekts. Die Tatsache, dass die russische Presse diesen letzten Punkt wiederholt betonte, weist auf eine Fortsetzung der Diskussion um eigen- versus fremdkulturelle Deutungsmacht hin. Dennoch gaben verschiedene andere Aspekte der binationalen Schau Moskau – Berlin auf russischer Seite Anlass zu Unzufriedenheit. So wies Ekaterina Degot’ in einem Gespräch mit Irina Kulik in der Zeitung Kommersant erstens auf das Fortbestehen ideologisch geprägter Identitäts- und Alteritätsvorstellungen als Problem hin, das die Kommunikation zwischen den Berliner und Moskauer Kurator*innen während der Vorbereitungen beeinträchtigt habe: »Разумеется, между русскими и немецкими кураторами были противоречия. Надо всеми нами тяготеет идеология холодной войны, в которой немцы хотят считать себя победителями, у русских возникает искушение считать себя побежденными и на этом основании жаловаться на судьбу и требовать привилегий.«172

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Andrej Kovalev (1992): »Moskovskij čičerone. Transfert, ili ›Sovetskoe iskusstvo okolo 1990 goda‹.« In: Segodnja vom 03.04.1992. [Die Düsseldorfer Kunsthalle, die den Transfer initiiert hat, nimmt einen außergewöhnlich hohen Platz in der Welthierarchie ein, zu dem nur die mächtigsten und bedeutendsten Strömungen der zeitgenössischen Kunst zugelassen werden. In diesem Sinne könnte man die Kunsthalle mit einer großen nationalen Bank vergleichen, die große Geldströme reguliert und qualifiziert. Israel und Russland kann man dabei mit schwachen regionalen Filialen vergleichen. Übrigens betrachtet man die Sowjetunion nicht mal als Filiale, da die Israelis ihren Teil der BINATIONALE selbst zusammengestellt haben, während die Kuratoren aus Düsseldorf die Zusammensetzung des ›sowjetischen Teils‹ der Aktion übernehmen mussten.] [Hervorhebung im Original] Irina Kulik (2003): »›Bez Chruščeva i Gagarina nam ne obojtis’.‹ Gotovitsja vystavka ›Moskva – Berlin‹.« In: Kommersant vom 29.04.2003. URL: https://www.kommersant.ru/doc/379806 (letzter Zugriff am 20.08.2020). [Natürlich gab es Widersprüche zwischen den russischen und deutschen Kuratoren. Wir alle werden von einer Ideologie des Kalten Kriegs dominiert, in der die Deutschen sich selbst als Gewinner betrachten möchten, während die Russen dazu

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Das Gewinner-Verlierer-Modell, das Degot’ anspricht, prägt den Tenor vieler Ausstellungsrezensionen, wie exemplarisch an einem Artikel von Grigorij Revzin in Kommersant ersichtlich wird: »Так что в целом мы выиграли. Пусть поддались на безумные немецкие правила, но зато утвердили площадку. А что до всего остального, то, в конце концов, всю эту выставку можно рассматривать просто как заготовку. Как материал, из которого в Москве можно собрать нечто внятное. И если это удастся, то мы утвердим не только достоинство русских художников, но и достоинство русских кураторов.«173 In der russischen Rezeption der Ausstellung wurden zweitens die Auswahl der Kunstwerke und das kuratorische Konzept bemängelt. Als nicht repräsentativ für die (post-)sowjetische Kunstgeschichte zwischen 1950 und 2000 empfanden mehrere Kritiker*innen die Dominanz von Vertreter*innen des Moskauer Konzeptualismus und der Soz-Art gegenüber nur wenigen Repräsentant*innen des Sozialistischen Realismus – eine Entscheidung, die als Zugeständnis an ein westliches Zielpublikum gewertet wurde.174 Auch die Einbettung der Arbeiten in thematische statt chronologische Sektionen stieß auf Kritik. So sei es wünschenswert gewesen, wie Revzin argumentiert, den gesellschaftshistorischen Kontext der Arbeiten stärker in den Vordergrund zu stellen: »Юрген Хартен заявил, что он не собирался делать экспозицию, представляющую собой музей изобразительных искусств с хронологической осью. Куда важнее произведение искусства, которое автономно от своего времени, это самостоятельная ценность, которую и нужно показывать. […] На практике это означает следующее. Есть индивидуальные мифы художников, и они важнее того, что происходило в этот момент с Москвой и Берлином.«175

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neigen, sich selbst als besiegt wahrzunehmen und sich auf dieser Grundlage über ihr Schicksal zu beschweren und Privilegien einzufordern.] Grigorij Revzin (2003): »Chudožnikov prinudili k slučajnym svjazjam. Otkrylas’ vystavka ›Berlin–Moskva‹.« In: Kommersant vom 29.09.2003. URL: https://www.kommersant.ru/doc/414933 (letzter Zugriff am 19.08.2003). [Und so haben wir insgesamt gewonnen. Zwar mussten wir uns den verrückten deutschen Regeln beugen, aber wir haben unsere Position gestärkt. Und was alles andere betrifft, kann man die Ausstellung letztendlich einfach als Vorbereitung betrachten. Als Material, aus dem in Moskau etwas Verständliches gemacht werden kann. Und wenn das gelingt, dann bekräftigen wir nicht nur die Würde russischer Künstler, sondern auch die Würde russischer Kuratoren.] Vgl. Kulik (2003); vgl. auch Sergej Chačaturov (2003): »Ekaterina Degot’: ›Neoficial’noe iskusstvo sponsirovalos’ sovetskoj èkonomikoj.« In: Vremja novostej vom 25.08.2003. Revzin (2003). [Jürgen Harten erklärte, dass er nicht vorhabe eine Ausstellung zu machen, die einem Museum der bildenden Künste mit einer chronologischen Achse gleiche. Weitaus wichtiger sei ihm zufolge ein autonomes Kunstwerk, das einen eigenständigen Wert habe,

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Den Entwurf thematischer Ausstellungssektionen, für den die russische Presse wiederholt explizit das deutsche Kuratorenteam verantwortlich macht, kritisieren auch Irina Kulik und Milena Orlova in Kommersant, wenn sie schreiben, dass »зрителю предложили какие-то абстрактные категории, выбранные произвольно, вокруг которых чуть ли не по принципу пасьянса группировались произведения разных эпох и стилей.«176 Der deutsch-russische Transfer von kuratorischen Strategien und interpretativen Katagorien im Rahmen der Schau Moskau – Berlin (2004) ging auf russischer Seite mit einer Ablehnung der fremdkulturellen Deutungsmacht über die eigene Kunst- und Kulturgeschichte einher. Wie die zitierten Auszüge aus den Ausstellungsrezensionen zeigen, liegen diesem Diskurs der Selbstbehauptung postkolonial geprägte Denkmuster zugrunde. Denn auch wenn Russland historisch betrachtet nie in einem kolonialen Abhängigkeitsverhältnis zum Westen stand, lebten in der Rezeption des Projekts Moskau – Berlin ideologisch geprägte Eigen- und Fremdbilder aus dem Kalten Krieg fort. Diesem Thema widmet sich Degot’ in ihrem Aufsatz »How to Obtain the Right to Post-Colonial Discourse«, der 2005 in der Zeitschrift MAM erschien:177 »These ideas [der postkolonialen Theorie, D.S.] can easily be applied to the identity of Eastern Europe and Russia. We can find many cases in which the West usurps the right to represent the East, subjecting it to discursive exploitation. For an example, it will prohibit a person from the East to express himself in theoretical terms and only allow him to speak about his region. It orders the Russian (or any other) artist to be authentic and exotic, thus placing him beyond the borders of the West; however, when authenticity and independence are proclaimed at the artist’s own will, they are usually criticized as nationalism. In this context, any Western expression is understood as violence. Both the request not to be an ›other‹, to conform to the models of the West, and the request to be an ›other‹, to fight against the West’s cultural imperialism, are understood as examples of the West’s cultural imperialism.«178

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den man zeigen müsse. […] In der Praxis bedeutet dies Folgendes. Es gibt individuelle Künstlermythen und diese sind wichtiger als das, was in dem Moment mit Moskau und Berlin geschah.] Irina Kulik/Milena Orlova (2004): »Kremlevsko-berlinskaja stena. ›Moskva – Berlin/Berlin – Moskva‹ v Istoričeskom muzee.« In: Kommersant vom 03.04.2004. URL: https://www.komme rsant.ru/doc/463291 (letzter Zugriff am 20.08.2020). [Dem Zuschauer wurden irgendwelche willkürlich ausgewählten abstrakten Kategorien präsentiert, um die sich Werke verschiedener Epochen und Stile fast nach Solitaire-Prinzip gruppierten.] Vgl. dazu grundlegend Tlostanova (2017). Ekaterina Degot (2005c): »How to Obtain the Right to Post-Colonial Discourse.« In: Moscow Art Magazine 1. URL: http://moscowartmagazine.com/en/issue/41/article/798 (letzter Zugriff am 16.08.2020).

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Wichtig sind Degot’s Ausführungen, da sie Einblick in die Dynamik zwischen Mobilität und Restriktion als Folge von Kulturaustausch geben, um Stephen Greenblatts Begriffspaar an dieser Stelle aufzugreifen. Wie die drei Abschnitte in diesem Teilkapitel dargelegt haben, verlief die Institutionalisierung des Moskauer Konzeptualismus in Kunstsammlungen, Museen und (Wander-)Ausstellungen in der Periode zwischen 1995 und 2004 als ständiger Aushandlungsprozess zwischen eigenund fremdkulturellen Akteur*innen und Makrokontexten. Dieser transkulturelle Dialog führte einerseits zu neuartigen Verknüpfungen zwischen dem internationalen und dem russischen Mittlernetzwerk des Künstlerkreises, andererseits entstanden durch gegenseitige Stereotypisierungen des jeweils Eigenen und Fremden Reibungsflächen und Störungen in der Kommunikation, die der Netzwerkverflechtung Grenzen setzten, wie die russische Rezeption der binationalen Ausstellung Moskau – Berlin (2004) zeigt. Die Institutionalisierung des Moskauer Konzeptualismus seit Mitte der 1990er Jahre bildet die Voraussetzung für die Einschreibung des Künstlerkreises in den russischen Kunstkanon. Dieser Prozess ist Gegenstand des letzten Teilkapitels.

4.4

»Ruhm für die Helden des Konzeptualismus«: Moskauer Konzeptualismus im Kanon der russischen Kunst (2005-2020)

Auf der zehnten Kunstmesse Art-Moskva, die im Mai 2006 im Zentralen Haus der Künstler eröffnete, war ein Gemälde von Vladimir Dubosarskij und Aleksandr Vinogradov ausgestellt, auf dem ein Transparent in einer Schneelandschaft mit der Aufschrift »Slava gerojam konceptualizma« [Ruhm für die Helden des Konzeptualismus] abgebildet ist (vgl. Abb. 12). Das Werk, das die Losungsaktionen der KD von Ende der 1970er Jahre parodiert, verweist ironisch auf den kanonisierten Status des Moskauer Konzeptualismus innerhalb der russischen Kunstgeschichte. Seit 2005 spielt der Künstlerkreis eine Hauptrolle in mehreren Überblicksausstellungen, die in einflussreichen Moskauer Institutionen wie der Neuen Tret’jakov Galerie, der Ekaterina Cultural Foundation und dem Garage Museum of Contemporary Art stattfanden. In der Neuen Tret’jakov Galerie eröffnete am 15. April 2016 die Ausstellung Sovremennoe iskusstvo: 1960-2000. Perezagruzka [Gegenwartskunst: 1960-2000. Neustart], die insgesamt 200 Kunstwerke verteilt über 16 thematische Sektionen zeigte.179 Arbeiten aus dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten, die in den Kategorien »Soc-art« [Soz-Art], »Konceptualizm – obraz v golove« [Konzeptualismus – das Bild im Kopf], »Performans« [Performance] und »Konceptualizm – novoe 179

Vgl. [o.A.] (2016): »Sovremennoe iskusstvo: 1960-2000. Perezagruzka.« In: tretyakovgallery.ru. URL: https://www.tretyakovgallery.ru/exhibitions/perezagruzka/ (letzter Zugriff am 18.08.2020).

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Abb. 12: Vladimir Dubosarskij/Aleksandr Vinogradov: »Slava gerojam konceptualizma« [Ruhm für die Helden des Konzeptualismus].

pokolenie« [Konzeptualismus – die neue Generation] vertreten waren, konstituierten einen Großteil der Schau. Etwa die Hälfte der gezeigten Werke entstammte der Kunstsammlung von Leonid Taločkin, die im Jahre 2014 in die Tret’jakovschen Museumsbestände übergegangen war (vgl. §4.3.1).180 Auch die Ekaterina Cultural Foundation hat in den letzten Jahren mehrere Ausstellungsprojekte mit einem Schwerpunkt auf dem Moskauer Konzeptualismus durchgeführt, darunter Pole dejstvija. Moskovskaja konceptual’naja škola i ee kontekst. 70-e-80-e gody XX veka [Aktionsfeld. Die Moskauer konzeptuelle Schule und ihr Kontext. Die 1970er-1980er Jahre des 20. Jahrhunderts] (2010) und Pjat’ papok MANI: opyt modelirovanija kul’turnogo prostranstva [Fünf MANI-Mappen: Versuch zur Modellierung des kulturellen Raums] (2011). Die Foundation, die im Jahre 2002 als nicht-kommerzielle Organisation gegründet wurde, fördert die Aufarbeitung von Kunst aus dem ehemaligen nicht-kanonkonformen Bereich nicht nur, indem sie Ausstellungen organisiert, sondern auch Publikationen zu diesem Thema herausgibt, Kunstwerke sammelt und Vortragsreihen veranstaltet. Eine umfangreiche Schau mit dem Titel Rekonstrukcija. 1990-1995 [Rekonstruktion: 1990-1995] organisierte die Ekaterina Cultural Foundation von September bis November 2013 in ihren Ausstellungsräumen auf Kuzneckij most. Der zweite Teil 180 Vgl. ebd.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

des Projekts, das die Entwicklung der Moskauer Kunst- und Kulturlandschaft zwischen 1996 und 2000 thematisierte, fand von Januar bis März 2014 statt. Die Ausstellungen, in denen Künstler*innen und Mittlerfiguren des Moskauer Konzeptualismus prominent vertreten waren, entstanden in Kooperation mit der Neuen Tret’jakov Galerie, dem Staatlichen Puškin Museum für Bildende Künste und dem Garage Museum of Contemporary Art. Die kuratorische Leitung übernahm die Kunsthistorikerin Elena Selina, die 1993 die Moskauer XL Galerie gegründet hatte. Neben der Ekaterina Cultural Foundation stellt das Garage Museum einen einflussreichen Aktanten im Kanonisierungsprozess des Moskauer Konzeptualismus dar. Gegründet im Jahre 2008 von Roman Abramovič, einem der vermögendsten Unternehmer Russlands, und seiner (ehemaligen) Ehefrau Dar’ja Žukova, verfügt das Garage Museum als private Initiative über eine bedeutend höhere finanzielle Schlagkraft als staatlich finanzierte Kulturinstitutionen. Durch die starke Orientierung an sowohl der internationalen als auch der russischen Kunstszene konnte sich das Museum innerhalb weniger Jahre zu einem der bedeutendsten Mitspieler im Moskauer Kunstbetrieb entwickeln. Den Trend zur Durchführung von retrospektiven Ausstellungs- und Dokumentationsprojekten zur Geschichte der alternativen sowjetischen Kunst, der die museale und wissenschaftliche Landschaft in Moskau seit einigen Jahren prägt, gestaltet die Archivstelle des Garage Museums aktiv mit, indem diese zwischen 2016 und 2017 die umfangreichen Sammelbände Exhibit Russia (2016), Access Moscow (2016) und Critical Mass: Moscow Art Magazine (2017) herausgab, die als Vertiefung und Weiterführung der Rekonstrukcija-Ausstellungen von 2013 und 2014 betrachtet werden können.181 In den folgenden Abschnitten stehen drei Projekte im Vordergrund, die Einblick in den aktuellen historiographischen Diskurs um den Moskauer Konzeptualismus in Russland verschaffen. Einen umfassenden Überblick über die Werke und Praktiken der Künstler*innen geben Ekaterina Degot’ und Vadim Zacharov im Band Moskovskij konceptualizm [Moskauer Konzeptualismus] (2005), der aufgrund seines goldenen Umschlags unter der Bezeichnung ›zolotaja kniga moskovskogo konceptualizma‹ [goldenes Buch des Moskauer Konzeptualismus] bekannt wurde (vgl. §4.4.1). In der Publikation wird der Kreis von insgesamt 20 Künstler*innen und Künstlergruppen repräsentiert. Vertreter*innen der Soz-Art kamen mit Ausnahme von Komar & Melamid nicht vor. Das Verhältnis zwischen dem Moskauer Konzeptualismus und der Soz-Art thematisierte im Jahre 2012 die von Jurij Al’bert kuratierte Ausstellung Moskovskij konceptualizm. Načalo [Moskauer Konzeptualismus. Der Anfang] in Nischni Nowgorod (vgl. §4.4.2). Im letzten Abschnitt dieses Teilkapitels steht die Triennale rossijskogo sovremennogo iskusstva [Triennale 181

Parallel zu den Ausstellungen erschien die Dokumentation Rekonstrukcija/Reconstruction. 1990-2000.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

der russischen Gegenwartskunst] im Vordergrund, die 2017 im Garage Museum of Contemporary Art stattfand. Das Ausstellungsnarrativ hob die kanonisierte Bedeutung des Moskauer Konzeptualismus hervor, indem Dmitrij Prigov und Andrej Monastyrskij in der Schau als »Master-figury« [Meisterfiguren] der russischen Gegenwartskunst repräsentiert waren (vgl. §4.4.3).

4.4.1

Das goldene Buch des Moskauer Konzeptualismus (2005)

»Kabakova ozolotili« [Kabakov wurde vergoldet],182 kündigte am 25. Februar 2005 eine Schlagzeile in der Zeitung Izvestija an. Damit reagierte der Kunsthistoriker Nikolaj Molok auf die Erscheinung des Bandes Moskovskij konceptualizm/Moscow Conceptualism (2005) im Verlag WAM [World Art Muzej]. Das von Ekaterina Degot’ und Vadim Zacharov edierte Buch, das die Größe eines Ausstellungskatalogs hat, weist einen beeindruckenden Umfang von 415 Seiten auf und wiegt ca. fünf Kilogramm. Noch bemerkenswerter ist jedoch die goldene Farbe des Umschlags und eines Großteils der Seiten. Das von Zacharov entworfene Buchdesign, das Assoziationen mit vergoldeten Ausgaben der Heiligen Schrift erweckt, wurde in Rezensionen als bewusst provozierende Geste aufgefasst,183 die den Moskauer Konzeptualismus fest in den Kanon der russischen Kunst einschreiben sollte. Zu verstehen sei der Band, wie Zacharov im Vorwort erklärt, allerdings nicht als »золотой монумент тому, что было и прошло, а секундная вспышка, высветившая сегодня удивительную матрицу живого творческого процесса.«184 Neben Kunstwerken aus den 1970er und 1980er Jahren wurden aus diesem Grund auch Arbeiten in das Buch aufgenommen, die erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden sind. Beispiele stellen Il’ja Kabakovs Installation NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten (1993) sowie Zacharovs Zeitschriftenprojekt Pastor (1992-2001) dar. Der Band enthält außerdem eine Reihe von Paratexten, darunter Boris Groys’ Aufsatz »Moskovskij romantičeskij konceptualizm/Moscow Romantic Conceptualism« (1978-1979) und Auszüge aus dem von Andrej Monastyrskij edierten Slovar’ terminov Moskovskoj konceptual’noj školy [Terminologisches Wörterbuch der Moskauer konzeptuellen Schule] (1999), die auf diese Weise als bedeutsam für die sowjeti-

Nikolaj Molok (2005): »Kabakova ozolotili.« In: Izvestija vom 25.02.2005. In Vremja novostej bezeichnen Georgij Litičevskij und Sergej Chačaturov die goldene Farbe als »ostroumnaja provokacija« [scharfsinnige Provokation]. Georgij Litičevskij/Sergej Chačaturov (2005): »Registratura.« In: Vremja novostej vom 10.03.2005. 184 Vadim Zacharov (2005): »Zolotaja kniga moskovskogo konceptualizma.« In: Ekaterina Degot’/Vadim Zacharov (Hg): Moskovskij konceptualizm/Moscow Conceptualism. Moskau: WAM. S. 7-10, hier S. 8. [goldenes Monument für das, was war und vergangen ist, sondern als kurzer Blitz, der die erstaunliche Matrix eines heute lebendigen künstlerischen Prozesses beleuchtet.] 182 183

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

sche und postsowjetische Entwicklungsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus gekennzeichnet werden. Der Künstlerkreis wird im Buch von insgesamt 20 Personen und Gruppen repräsentiert. In der Reihenfolge des Bandes sind dies Nikita Alekseev, Jurij Al’bert, Sergej Anufriev, die Gruppe Gnezdo [Nest], Vadim Zacharov, Il’ja Kabakov, die Gruppe KD, Komar & Melamid, Jurij Lejderman, Igor’ Makarevič und Elena Elagina, die Gruppe Inspektion Medizinische Hermeneutik, Andrej Monastyrskij und Sabine Hänsgen, die Gruppe Muchomor [Fliegenpilz], Nikolaj Panitkov, Pavel Pepperštejn, Viktor Pivovarov, Dmitrij Prigov, Lev Rubinštejn, die Gruppe SZ [Skersis/Zacharov] und schließlich Ivan Čujkov. Diese Liste, so erklärt Andrej Monastyrskij in seinem Beitrag »Batiskaf konceptualizma« [Der Bathyskaph des Konzeptualismus], hätte um weitere Namen ergänzt werden können: »Исследовательский характер концептуалистской практики требует высокой степени герметичности. Раньше в эту герметичность (1970-80-е годы) было вовлечено довольно много людей. Недавно я насчитал (по папкам МАНИ) более пятидесяти художников, поэтов, литераторов и музыкантов, работавших в те годы в рамках московского концептуализма! Население герметического ›пузыря‹ МОКШИ было очень большим! […] Теперь по разным причинам это ›население‹ сократилось до нескольких человек (в Москве).«185 Auf die Kriterien für die In- und Exklusion von Künstler*innen geht weder Zacharov noch Degot’ im Vorwort ausführlicher ein.186 Begründet wird lediglich das Fehlen von Repräsentant*innen der Soz-Art, wie Leonid Sokov und Aleksandr Kosolapov. Im Gegensatz zu vielen Publikationen und Ausstellungen, die keine strikte Trennung zwischen dem Moskauer Konzeptualismus und der Soz-Art postulieren oder beide Termini sogar synonym verwenden (vgl. §4.4.2), charakterisiert Zacharov diese Kategorien als unabhängige Kunstrichtungen. Eine Ausnahme stelle lediglich das Künstlerduo Komar & Melamid dar, das die Soz-Art nicht als alternative 185

Andrej Monastyrskij (2005): »Batiskaf konceptualizma.« In: Ekaterina Degot’/Vadim Zacharov (Hg): Moskovskij konceptualizm/Moscow Conceptualism. Moskau: WAM. S. 17-21, hier S. 18. [Der forschende Charakter der konzeptuellen Praxis verlangt ein hohes Maß an Hermetik. Früher (in den 1970er-80er Jahren) waren recht viele Leute in dieser hermetischen Situation involviert. Vor kurzem habe ich (anhand der MANI-Mappen) mehr als 50 Künstler, Lyriker, Literaten und Musiker gezählt, die in diesen Jahren im Rahmen des Moskauer Konzeptualismus gearbeitet haben! Die Bevölkerung der hermetischen ›Blase‹ MOKŠA war sehr groß! […] Jetzt hat sich diese ›Bevölkerung‹ aus unterschiedlichen Gründen auf wenige Leute (in Moskau) reduziert.] [Hervorhebungen im Original] 186 Nicht vertreten sind z.B. Ėrik Bulatov, Sergej Volkov, Rimma und Valerij Gerloviny, Fransisko Infante-Arana, Konstantin Zvezdočetov, Andrej Filippov, Sergej und Vladimir Mironenko, Vladimir Sorokin, Leonid Sokov, Aleksandr Kosolapov, Vsevolod Nekrasov und die Gruppe TOTART. In Zacharovs Vorwort heißt es diesbezüglich: »Да, в списке есть существенные пробелы.« [Ja, in der Liste gibt es erhebliche Lücken.] Zacharov (2005): S. 8.

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Bewegung, sondern als weiteres konzeptuelles Projekt verstehen würde: »Впервые соц-артовская линия оказалась отделена от концептуальной. Исключением стали лишь основатели этого направления – Комар и Меламид, для которых соц-арт – одна из концептуальных идей, но не больше.«187 Eine Explikation der Auswahlkriterien für die aufgenommenen Kunstwerke fehlt ebenfalls im Band. Entschieden wurde den Herausgeber*innen zufolge lediglich darüber, wie charakteristisch eine Arbeit für das Gesamtwerk eines Künstlers bzw. einer Künstlerin sei: »Показалось возможным и важным выявить ту характерную черту художника, которая является доминантой его творчества и одновременно выявляет уникальность его места в московской концептуальной традиции.«188 Viele der auf diese Weise selektierten Werke zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Kollektivcharakter des Moskauer Konzeptualismus unterstreichen. Dies gilt beispielsweise für Zacharovs Installation »Die Geschichte der russischen Kunst – Von der russischen Avantgarde bis zur Moskauer Schule der Konzeptualisten« (2003) und die oben bereits erwähnten Projekte NOMA (1993) und Pastor (19922001). Unterstützt wird dieser Eindruck des Weiteren durch die Tatsache, dass neben Einzelpersonen eine große Zahl von Künstlergruppen im Band vertreten ist. Auf humorvolle Weise thematisieren Jurij Al’berts »Tekstovye raboty« [Textarbeiten] (1980-1987) den Moskauer Konzeptualismus als eine Kunst der kollektiven Beziehungen, wie im Folgenden gezeigt werden soll (vgl. Abb. 13).189

187

Ebd. [Zum ersten Mal trennte sich die Linie der Soz-Art von dem Konzeptualismus. Eine Ausnahme bilden lediglich die Begründer dieser Richtung, Komar und Melamid, für die Soz-Art eine konzeptuelle Idee ist, aber nicht mehr.] 188 Ebd. [Es erschien uns möglich und wichtig, das charakteristische Merkmal eines Künstlers zu identifizieren, das sein Werk dominiert und gleichzeitig die Einzigartigkeit seines Platzes in der Tradition des Moskauer Konzeptualismus unterstreicht.] 189 Vgl. [o.A.] (o.J.c): »›V sovremennom iskusstve neponimanie ne menee važno, čem ponimanie.‹ Jurij Al’bert o konceptualizme, individual’nom i gruppovom tvorčestve, ob intellektual’noj prirode sovremennogo iskusstva i o vesel’e – ego neobchodimom komponente.« Sreda obučenija. URL: https://art.sredaobuchenia.ru/albertlecture (letzter Zugriff am 18.08.2020).

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Abb. 13: Jurij Al’bert: »Tekstovye raboty« [Textarbeiten] (1980-1987), Fotografie von Jurij Želtov.

  »Я работаю под влиянием:

»Я влияю на художников

»Приходите

Арнольд:

Захарова,

в гости!

Группы Art & Language:

Скерсиса,

Я буду рад

Донского/Рошаля/Скерсиса:

Столповскую.«

показать вам

Захарова:

Ю. Альберт

свои работы.«

Лутца:

XI/1981г. (2)

Ю. Альберт

Комара/Меламида:

I/1983г. (3)

Скерсиса: Столповской: Тынянова.« Ю. Альберт I/1981г. (1) |Ich arbeite unter dem Einfluss von:/Arnold:/der Gruppe Art & Language:/Donskoj/ Rošal’/Skersis:/Zacharov:/Lutz:/Komar/Melamid:/Skersis:/Stolpovskaja:/Tynjanov. Ju. Al’bert I/1981 (1)| |Ich übe Einfluss aus auf die Künstler/Zacharov,/Skersis,/Stolpovskaja. Ju. Al’bert XI/1981 (2)| |Kommen Sie/zu Besuch!/Ich würde mich freuen/Ihnen meine Arbeiten/zu zeigen. Ju. Al’bert I/1983 (3)|

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Al’berts »Tekstovye raboty« [Textarbeiten] bestehen aus einer Reihe von Schildern, auf denen mal gedruckte, mal handgeschriebene Texte zu lesen sind. Die ersten beiden oben zitierten Beispiele zählen Künstler*innen auf, unter deren Einfluss die Autorfigur Jurij Al’bert arbeite oder die er selbst beeinflusst habe. Manche Listen werden in späteren Textarbeiten korrigiert oder erweitert. So lautet eine Aufschrift von 1987: »Никита Алексеев/как-то сказал мне,/что он тоже работает/под моим влиянием/что-то непохоже…«.190 Die Texte konstruieren auf diese Weise kleine Egonetzwerke, die sowohl Verbindungen zu internationalen (Art & Language) als auch zu russischen Künstler*innen (Zacharov, Skersis usw.) umfassen. Das dritte zitierte Beispiel thematisiert eine weitere Art von Beziehung, nämlich die zwischen dem Kunstwerk und dem Betrachter als Rezipient. Als kleine Netzwerke zeigen die »Tekstovye raboty« ein Spannungsverhältnis zwischen individuellem und kollektivem Arbeiten auf, indem die Autorfigur die Einordnung ihrer Position als Künstler durch die Erstellung von ständig überarbeiteten Namenslisten im Grunde ad absurdum führt. Damit dekonstruiert Al’bert auf ironische Weise den häufig hervorgehobenen Kollektivcharakter des Moskauer Konzeptualismus. Die Diskussion über interne Kategorisierungen und Differenzierungen innerhalb des Künstlerkreises ist auch Gegenstand des nächsten Abschnitts, der das Verhältnis zwischen Soz-Art und Konzeptualismus in den Blick nimmt.

4.4.2

Soz-Art oder Konzeptualismus? »соц-арт – это-де концептуализм порусски«191 (Anna Tolstova: 2012)

Im September 2012 eröffnete im NCCA in Nischni Nowgorod das von Jurij Al’bert kuratierte Ausstellungsprojekt Moskovskij konceptualizm. Načalo [Moskauer Konzeptualismus. Der Anfang], das die Entstehungsphase des Künstlerkreises zu rekonstruieren suchte. Die Schau stellt das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen mehreren Moskauer Kulturinstitutionen dar, die den Rezeptionsprozess des Moskauer Konzeptualismus seit 2000 maßgeblich fördern, darunter die Neue Tret’jakov Galerie, das RGGU-Museum ›Drugoe Iskusstvo‹, das MMOMA, die Ekaterina Cultural Foundation sowie die Organisation E. K. ArtBjuro, die seit 2004 die Kunstsammlung und das Archiv des MANI Museums verwaltet. In der Ausstellung waren neben großen Namen wie Il’ja Kabakov, Komar & Melamid und Dmitrij Prigov 190 [Nikita Alekseev/hat mir mal gesagt/dass er auch/unter meinem Einfluss arbeitet/irgendwie anders…] 191 Anna Tolstova (2012): »Nonkonformizm izbavili ot kompleksa. ›Moskovskij konceptualizm. Načalo‹ v nižegorodskom Arsenale.« In: Kommersant vom 23.11.2012. URL: https://www.komm ersant.ru/doc/2073100 (letzter Zugriff am 18.08.2020). [Soz-Art ist Konzeptualismus auf Russisch]

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

auch weniger bekannte Konzeptualisten wie Rimma und Valerij Gerloviny, Aleksandr Julikov und die Gruppe Gnezdo [Nest] vertreten, die weder in Russland noch international oft in Gruppenausstellungen des Künstlerkreises repräsentiert sind. Ihre Exklusion aus dem Kanon des Moskauer Konzeptualismus bemängelte Al’bert in einem Interview mit Igor’ Gulin in der Zeitung Kommersant vom 28. September 2012: »Я думаю, что в нашем профессиональном сознании существует немного искаженная иерархия. Мне кажется, что, например, ›Гнездо‹ или Герловины незаслуженно отодвинуты на периферию. А их роль была очень велика. И я пытаюсь выправить это неравновесие.«192 Schloss der von Ekaterina Degot’ und Vadim Zacharov edierte Band Moskovskij konceptualizm/Moscow Conceptualism (2005) die Soz-Art weitgehend aus der Künstlerauswahl aus, wird diese in der Ausstellung Moskovskij konceptualizm. Načalo neben dem Moskauer Konzeptualismus präsentiert. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen beiden Termini wird seit den 1980er Jahren in Katalogen und wissenschaftlichen Publikationen wiederholt gestellt, allerdings jedesmal recht unterschiedlich beantwortet. Denn während einige Akteur*innen die Begriffe ›Moskauer Konzeptualismus‹ und ›Soz-Art‹ synonym verwenden, bewerten andere den Moskauer Konzeptualismus als den »neutralere[n] und ruhigere[n] Terminus«193 oder charakterisieren ihn als »Oberbegriff und Weiterentwicklung der Soz-Art«.194 In »Die Ethik der Soz-Art« (2003) spricht Dmitrij Prigov von einer fließenden Grenze zwischen beiden Bezeichnungen, nimmt den Moskauer Konzeptualismus aber letztendlich als Hyperonym wahr, wenn er argumentiert, dass dieser Künstlerkreis die Soz-Art miteinschließe.195 Besonders ausführlich thematisiert der Kulturjournalist und Sammler Hans-Peter Riese im Ausstellungskatalog Das Rote Haus. Zeitgenössische russische Kunst aus der Sammlung Bierfreund (2000) die Beziehung zwischen beiden Begriffen, wobei er die künstlerischen Praktiken der Soz-Art von den Verfahren des Moskauer Konzeptualismus abgrenzt: 192

Igor’ Gulin (2012): »›Ja pytajus’ vypravit’ neravnovesie.‹ Jurij Al’bert o svoej vystavke ›Moskovskij konceptualizm. Načalo.« In: Kommersant vom 28.09.2012. URL: https://www.kommersan t.ru/doc/2028608 (letzter Zugriff am 21.08.2020). [Ich denke, dass wir eine etwas verstellte Hierarchie in unserer professionellen Wahrnehmung haben. Es scheint mir, dass z.B. ›Gnezdo‹ oder die Gerloviny zu Unrecht in die Peripherie gedrängt wurden. Denn ihre Rolle war sehr wichtig. Und ich versuche dieses Ungleichgewicht auszugleichen.] 193 Wassili Rakitin (1991): »Das Phänomen der nichtoffiziellen Kunst (nach 1985).« In: Thomas Strauss (Hg.): Westkunst – Ostkunst. Absonderung oder Integration? Materialien zu einer neuen Standortbestimmung. München: scaneg Verlag. S. 165-173, hier S. 168. 194 Engel (2011): S. 394. 195 Vgl. Dmitrij Prigov (2003b): »Die Ethik der Soz-Art.« In: Pawel Choroschilow et al. (Hg.): Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 1950-2000. Kunst aus fünf Jahrzehnten. Berlin: H. Heenemann. S. 165166, hier S. 165.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

»Während die Konzeptualisten dabei vor allem in die Sprache und damit in die Metaebene ausgewichen sind (man kann auch sagen, sich und dem Betrachter diese erst erschlossen haben), wählten die Vertreter der Soz-Art den vielleicht schwierigeren Weg, indem sie unmittelbar auf die Bilder selbst als Material zurückgriffen. […] Will man allerdings eine Grenze ziehen, dann ist es bei den SozArtisten die stärkere optische Prägung, der unmittelbare Umgang mit den propagandistisch abgenutzten Polit-Ikonen. […] Nahezu alle Arbeiten der Soz-Art haben eine sehr direkte, manchmal simple, manchmal brutale Aussage. Die Ironie, die die Kunst des Konzeptualismus auszeichnet, wandelt sich in der Soz-Art zuweilen in einen bitteren Zynismus […].«196 Der Begriff ›Soz-Art‹ entstand Komar & Melamid zufolge Ende 1972, nachdem der Moskauer Architekturhistoriker Vladimir Papernyj die Arbeiten des Künstlerduos als sowjetische Pop-Art charakterisiert hatte. Als Wortspiel aus ›Sozialistischem Realismus‹ einerseits und ›Pop-Art‹ andererseits setzt sich ›Soz-Art‹ ähnlich wie Boris Groys’ Bezeichnung ›Moskauer romantischer Konzeptualismus‹ terminologisch in Bezug zur internationalen Kunstszene. Im Katalog Moskovskij konceptualizm. Načalo betont Komar die Entstehung des Wortes rückblickend allerdings vor allem als Abgrenzungsversuch von westlichen Kunstparadigmen: »Если бы мы были политики, мы бы сразу назвали это ›концептуализм‹. Просто взяли бы западное слово, как предтечи русского авангарда: они брали кубизм из Франции, футуризм из Италии и говорили: ›кубофутуризм‹. А мы решили новый термин придумать. Мы обсуждали сразу три. ›Сов-арт‹ – советское искусство. Но ›сов-арт‹ звучал как ›совать‹, неприличное что-то звучало или совиное даже. Потом, ›ком-арт‹ – коммунистическое искусство, но Алик сразу сказал: ›Это слишком твою фамилию напоминает‹. Поэтому мы и остановились на ›соц-арте‹.«197 Die internationale Zirkulation des Wortes Soz-Art begann nach der Erscheinung von Evgenij Barabanovs Aufsatz »Sentjabr’skaja vystavka moskovskich chudožnikov« [Die September-Ausstellung Moskauer Künstler] in der Emigrantenzeitschrift 196 Hans-Peter Riese (2000): »Das Rote Haus. Die Sammlung Bierfreund und die russische Kunst der 80er Jahre.« In: Hans-Peter Riese (Hg.): Das Rote Haus. Zeitgenössische russische Kunst aus der Sammlung Bierfreund. Köln: Wienand Verlag. S. 8-56, hier S. 45f. 197 Al’bert (2014e): S. 82. [Wenn wir Politiker gewesen wären, hätten wir es sofort ›Konzeptualismus‹ genannt. Wir hätten einfach ein Wort aus dem Westen genommen, wie die Wegbereiter der russischen Avantgarde: Sie nahmen den Kubismus aus Frankreich, den Futurismus aus Italien und sagten: ›Kubofuturismus‹. Aber wir entschieden uns, einen neuen Begriff zu erfinden. Wir haben gleich über drei diskutiert. ›Sov-Art‹ – sowjetische Kunst. Aber ›Sov-Art‹ hört sich an wie ›seine Nase in jeden Quark stecken‹, es klang als etwas Unanständiges oder Eulenartiges sogar. Danach kam ›Kom-Art‹ – kommunistische Kunst, aber Alik sagte sofort: ›Das erinnert zu sehr an deinen Nachnamen.‹ Deshalb sind wie bei ›Soz-Art‹ geblieben.]

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Vestnik RCHD (1975), in dem ebenfalls der Begriff ›Konzeptualist‹ als Bezeichnung für eine aktuelle Tendenz in der alternativen Moskauer Kunstszene fiel (vgl. §4.1.1). Der Aufsatz war eine Rezension der Vystavka proizvedenij molodych chudožnikov Moskvy [Ausstellung von Werken junger Moskauer Künstler], die im September 1975 im Haus der Kultur auf VDNCH stattfand, wie am Anfang dieses Kapitels ausgeführt wurde. Mehrere Künstler*innen mit jüdischen Wurzeln, so erklärt Barabanov, hatten aufgrund antisemitischer Äußerungen während der Ausstellungsvorbereitungen ihre Teilnahme an der Schau abgesagt, unter ihnen die »известные живописцы В. Вайсберг, Д. Краснопевцев, Д. Плавинский, В. Немухин, Б. Свешников, И. Кабаков, В. Янкилевский, Э. Штейнберг, группа ›соц-арт‹«.198 Mit der ›Gruppe Soz-Art‹ sind im Aufsatz Komar & Melamid gemeint. Die Zuordnung von Künstler*innen zu dieser Kategorie unterscheidet sich im Laufe der Rezeptionsgeschichte erheblich, ähnlich wie dies beim Begriff ›Moskauer Konzeptualismus‹ der Fall ist. In den von Jurij Al’bert durchgeführten Interviews für die Ausstellung Moskovskij konceptualizm. Načalo bezeichnen Komar & Melamid selbst die Performancegruppe Gnezdo [Nest] als Teil des Soz-Art-Kreises. Viktor Skersis weitet das Netzwerk zusätzlich um die Künstler Dmitrij Prigov, Leonid Sokov, Boris Orlov, Rostislav Lebedev und Aleksandr Kosolapov aus.199 Ausstellungen, die das Wort ›Soz-Art‹ hingegen als Fremdzuschreibung verwenden, nehmen häufig alternative Einteilungen vor. So erwähnt der Kunsthistoriker Jürgen Harten im Katalog Sowjetische Kunst um 1990 (1991) als Hauptvertreter dieser Kunstrichtung »namentlich Bulatow und Kabakow, aber auch Orlow und Tschujkow, dazu die Emigranten Komar und Melamid sowie Kossolapow«,200 während der Kurator Gérard Goodrow in Russische Avantgarde im 20. Jahrhundert. Von Malewitsch bis Kabakov (1993) außerdem Viktor Pivovarov und Griša Bruskin als Repräsentanten der SozArt aufführt.201 Bruskin selbst protestierte im Katalog zur Berner Ausstellung Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe (1988) gegen diese Einordnung: »Zuerst einmal stelle ich die Frage: Was ist Soz-art? Dieser Begriff wird oft sehr eng ausgelegt: er wird gewissen Künstlern zugesprochen, vor allem Komar und Melamid, auch um sie von Bulatow abzugrenzen. Andere schliessen Kabakow,

198 Barabanov (1975): S. 236. [bekannten Maler V. Vajsberg, D. Krasnopevcev, D. Plavinskij, V. Nemuchin, B. Svešnikov, I. Kabakov, V. Jankilevskij, Ė. Štejnberg, die Gruppe ›Soz-Art‹] 199 Vgl. Jurij Al’bert (2014g): »Interv’ju s Viktorom Skersisom. 5 fevralja 2011, Moskva.« In: Jurij Al’bert (Hg.): Moskovskij konceptualizm. Načalo. Nischni Nowgorod: Izdanie Privolžskogo filiala GCSI. S. 148-154, hier S. 151. 200 Harten (1991): S. 7. 201 Vgl. Gérard A. Goodrow (1993): »Die zweite Avantgarde. Inoffizielle, Post-Stalinistische, PräPerestroika-Künstler aus Moskau.« In: Evelyn Weiss (Hg.): Russische Avantgarde im 20. Jahrhundert. Von Malewitsch bis Kabakov. Die Sammlung Ludwig, Köln. München/New York: Prestel. S. 31-37, hier S. 35ff.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Bulatow, Orlow, Prigow, Lebedew und andere ein. Ich möchte nicht, dass dieser Begriff auf mein Schaffen bezogen wird. Erstens bezieht er sich auf jene, die dieses Wort gefunden haben, die es ausgedacht und irgendein analoges Popart-System geschaffen haben, in dem lokales, sozio-ideologisches Material verwendet wird. Zweitens ist mir der Gedanke, mich auf vorgefertigtes oder auf einen bestehenden Stil zu beziehen, fremd.«202 Insbesondere der Maler Ėrik Bulatov wird in der Rezeption abwechselnd dem Moskauer Konzeptualismus oder der Soz-Art zugerechnet. In einem Gespräch mit dem Künstler, das 1979 in der ersten Ausgabe der Zeitschrift A-Ja erschien, grenzte Boris Groys dessen Schaffen – sogar auf etwas wertende Weise – noch explizit von der Soz-Art ab, wenn er argumentiert, dass »[e]veryone who comes to you is grateful, of course, that you have managed to present that social world without irony and without turning your back to it. You have not made fun of it in the manner, say, of Komar and Melamid. Your work shows no traces of sotsart (social art or ›soc-art‹) or of mockery.«203 Seit Ende der 1980er Jahre erwähnen mehrere Ausstellungen Bulatov jedoch als Vertreter der Soz-Art par excellence. Im Prozess der Zuordnung von Künstler*innen zum Begriff ›Soz-Art‹ einerseits und ›Moskauer Konzeptualismus‹ andererseits spielt die Mobilität von einzelnen Akteur*innen im Rezeptionsnetzwerk eine wichtige Rolle. So entstand nach der Emigration von Komar & Melamid, Aleksandr Kosolapov und Leonid Sokov in die Vereinigten Staaten ab Mitte der 1970er Jahre in New York ein neues Zentrum für die Weiterentwicklung der Soz-Art. Dementsprechend wird diese Kunstrichtung bislang intensiver in den USA rezipiert als in Russland und Westeuropa, wo der Fokus stärker auf der Kategorie des Moskauer Konzeptualismus liegt. Die transkulturelle Mobilität von Akteur*innen und die Entstehung von (neuen) Rezeptionszentren im Transfernetzwerk dürfen in der Analyse beider Termini daher nicht aus dem Auge verloren werden.

4.4.3

Moskauer Konzeptualisten als Meisterfiguren in der Triennale der russischen Gegenwartskunst (2017)

Im Frühjahr 2017 fand im Moskauer Garage Museum of Contemporary Art die erste Triennale rossijskogo sovremennogo iskusstva [Triennale der russischen Gegenwarts202 [o.A.] (1988b): »Grischa Bruskin.« In: Hans Christoph von Tavel/Markus Landert (Hg.): Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe. Bern: Benteli AG. S. 33-37, hier S. 33. 203 [o.A.] (1979b): »Erik Bulatov.« In: A-Ja. Unofficial Russian Art Review 1. S. 26-33, hier S. 30f. [Все, кто приходит к тебе, конечно, благодарны за то, что ты сумел этот мир социального представить не иронично, не отмахнувшись от него, не высмеяв, как это делают, скажем, Комар и Меламид. В тебе нет ничего от соцарта и от несмешки.] [Hervorhebung im Original]

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

kunst] statt. Die umfangreiche Ausstellung, die von sieben Kurator*innen konzipiert wurde, umfasste Werke von über 60 Künstler*innen aus ganz Russland. Mit der Inklusion von Kunst aus den Regionen sollte der übliche Schwerpunkt auf den Künstlerszenen Moskaus und St. Petersburgs durchbrochen werden. Unterstrichen wurde diese Botschaft in der Schau von einem rosafarbenen Transparent mit der Aufschrift »Zdes’ vam ne Moskva« [Das hier ist nicht Moskau], das an zentraler Stelle in der Sektion »Iskusstvo dejstvija« [Aktionskunst] platziert war (vgl. Abb. 14). Der Performancekünstler Artem Loskutov hatte das Spruchband für die jährliche Monstration204 – eine öffentliche Performance, die als ironisches Gegenstück zu Demonstrationen am Maifeiertag angelegt ist – am 1. Mai 2016 in Nowosibirsk entworfen. Im Kontext der Triennale unterstützte das Werk auf humorvolle Weise die Zielsetzung der Kurator*innen, nicht nur die Zentren, sondern auch die Peripherien der russischen Gegenwartskunst in den Blick zu nehmen. Die beteiligten Künstler*innen waren in sieben Sektionen mit den Titeln ›Master-figura‹ [Meisterfigur], ›Avtorskie mifologii‹ [Urhebermythologien], ›Vernost’ mestu‹ [Ortstreue], ›Obščij jazyk‹ [Gemeinsame Sprache], ›Morfologija ulic‹ [Straßenmorphologie], ›Lokal’nye istorii iskusstva‹ [Lokale Kunstgeschichten] und ›Iskusstvo dejstvija‹ [Aktionskunst] eingeteilt. Der thematische Fokus auf dem Verhältnis von Kunst zum (regionalen) Raum verband die unterschiedlichen Bereiche. Im Folgenden wird die Sektion ›Master-figura‹ im Vordergrund stehen, in der die Moskauer Konzeptualisten Dmitrij Prigov und Andrej Monastyrskij neben Pavel Aksenov, Dmitrij Bulatov, Anatolij Osmolovskij, Il’gizar Chasanov und der Künstlergruppe 33+1 vertreten waren. Das Ausstellungsnarrativ begründete die Bezeichnung ›Meisterfigur‹ folgendermaßen: »Художников этого раздела можно назвать носителями ›авторитетного художественного языка‹, чье влияние распространяется далеко за пределы их физического присутствия и места жительства. Мастер-фигуры влияют на творческие практики в регионах, формируют идеалы искусства у молодежи и демонстрируют примеры успешной карьеры в пределах страны.«205 204 Am 1. Mai 2004 organisierte Artem Loskutov zusammen mit der Künstlergruppe ›Contemporary Art Terrorism‹ [CAT] zum ersten Mal eine Monstration in Nowosibirsk. Eine Monstration parodiert die Demonstrationen am Maifeiertag, indem Teilnehmer*innen mit ironischen Plakaten und absurden Slogans durch die Straßen ziehen. Seit 2004 finden in einer Vielzahl russischer Städte, darunter Perm, Wladiwostok, Tomsk, Moskau und St. Petersburg, jährlich Monstrationen statt. Obwohl Loskutov die Veranstaltungen nicht als politische Proteste verstanden haben möchte, werden sie vonseiten der Behörden häufig als solche betrachtet. Aus diesem Grund sind Loskutov und weitere Beteiligte in den vergangenen Jahren wiederholt verhaftet worden. 205 [o.A.] (2017): »Chudožniki triennale.« In: garagemca.org. URL: http://triennial.garagemca.or g/ru/artists (letzter Zugriff am 18.08.2020). [Künstler dieser Sektion können als Träger einer ›angesehenen künstlerischen Sprache‹ betrachtet werden, deren Einfluss weit über die Gren-

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Abb. 14: Artem Loskutov: »Zdes’ vam ne Moskva« [Das hier ist nicht Moskau] (2016), Garage Museum of Contemporary Art, Fotografie von Dorine Schellens.

Mit Dmitrij Prigov und Andrej Monastyrskij wies die Triennale zwei Vertreter des Moskauer Konzeptualismus als ›Meisterfiguren‹ an und hob auf diese Weise ihren kanonisierten Status hervor. Für die Wahl dieser Künstler sprach nicht nur ihr Bekanntheitsgrad, sondern auch die regionale Herkunft Monastyrskijs, der 1949 als Andrej Viktorovič Sumnin in Petschenga an der finnisch-norwegischen Grenze geboren wurde, während der in Moskau gebürtige Prigov ab Mitte der 1980er Jahre russlandweit mit Performances und Lesungen auftrat. Die Tatsache, dass nur Künstler*innen mit einem Hauptwohnsitz in Russland an der Ausstellung teilnehmen durften, wie im letzten Satz der zitierten Beschreibung zu lesen ist, führte zum Ausschluss Il’ja Kabakovs aus der Sektion.206 zen ihrer physischen Präsenz und ihres Wohnortes hinausgeht. Meisterfiguren beeinflussen die künstlerischen Praktiken in den Regionen, prägen die Ideale der Kunst unter jungen Menschen, liefern Beispiele für eine erfolgreiche Karriere im Inland.] 206 In einem Interview mit der Verfasserin führte die Triennale-Kuratorin Snežana Kr”steva in Bezug auf die Selektionskriterien für die Sektion ›Master-figura‹ aus: »D.S.: How did you select the artists for the ›Master Figures‹-theme in the exhibition? Why do Andrej Monastyrskij and Dmitrij Prigov figure in the section, as opposed to, for example, Il’ja Kabakov?« S.K.: »We wanted artists who have lived in Russia during the last five years and who had a major influence on a new generation of artists in Russia. I think that answers your question about Kabakov, as he does not live in Russia. Prigov is the only dead artist in the exhibition. We

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Für die Triennale konzipierte Monastyrskij vier Videoarbeiten mit dem Titel »Četyre maršruta« [Vier Strecken] (2017). Die Spaziergänge, die der Künstler in den Kurzfilmen durch Moskau unternimmt, führen in das Vysokopetrovskij Kloster, das Kosmonautenmuseum, in das Savelovskij Computerzentrum und schließlich in den Stadtteil Rogožskaja sloboda. Den Anfangspunkt dieser Strecken bildet jeweils das Hauptgebäude des Ölkonzerns Lukoil an der Kreuzung zwischen Sretenskij bul’var und Ulanskij pereulok, zwei Straßen, die in der Historiographie des Moskauer Konzeptualismus eine wichtige Rolle spielen. Wie im ersten Teil des Kapitels dargelegt wurde, entstand hier in den 1960er Jahren zum einen die Sretenskij bul’var-Gruppe, die aus Il’ja Kabakov, Vladimir Jankilevskij, Viktor Pivovarov, Ülo Sooster, Jurij Nolev-Sobolev, Ėrik Bulatov, Ėrnst Neizvestnyj und Ivan Čujkov bestand, die in diesem Jahrzehnt Ateliers in dieser Gegend bezogen. Diese Künstlergemeinschaft bildete eine wichtige Vorstufe in der Entstehung des Moskauer Konzeptualismus (vgl. §4.1.1). An der Ulanskij pereulok befindet sich zum anderen die Wohnung von Andrej Monastyrskij, die in den 1970er und 1980er Jahren als Treffpunkt für die Moskauer Konzeptualisten fungierte. Mit der Dokumentation seiner Spaziergänge durch Moskau entwirft Monastyrskij in den Videos folglich eine Topographie des Künstlerkreises. Dmitrij Prigov war der einzige in der Triennale vertretene Künstler, der zum Zeitpunkt der Ausstellung nicht mehr am Leben war. Er verstarb am 16. Juli 2007 mit 66 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts in Moskau. Seit seinem Tod hat die Aufarbeitung seines Werks eine starke Institutionalisierung erfahren, die sogar mit einem eigenen Begriff als ›Prigovedenie‹ [Prigovkunde] bezeichnet wird. So erscheint das Gesamtwerk des Künstlers derzeit in einer Reihe von umfangreichen Sammelbänden, darunter Nekanoničeskij klassik [Der nicht-kanonische Klassiker] (2007). Auch wurde im Jahre 2010 die Dmitri Prigov Stiftung in Berlin gegründet, die 2011 mit dem Laboratorija imeni D.A. Prigova [D.A. Prigov Laboratorium] an der RGGU ein Pendant in Moskau erhielt. Beide Institutionen beteiligen sich an der Ausrichtung der jährlichen ›Meždunarodnye Prigovskie čtenija‹ [Internationalen Prigov-Lesungen], die an wechselnden Orten in Russland und Europa stattfinden. Parallel zu der akademischen Aufarbeitung von Prigovs Leben und Werk setzt sich die russische Gegenwartskunst seit einigen Jahren intensiv mit dem Erbe des

debated about that, but during our travels, we discovered that Prigov was really a travelling artist and that everybody we met was citing his works and his poetry. He really is very influential. As for Andrej Monastyrskij, he is still very active today. He is also involved in our other exhibition Towards the Source in the Garage Museum. We wanted to show different sides of him and his work. He is a true master figure. Contemporary Russian art would not be thinkable without Monastyrskij.« Interview der Verfasserin mit Snežana Kr”steva am 30.03.2017 im Garage Museum of Contemporary Art.

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Künstlers auseinander. Insbesondere in der linksaktivistischen Kunstszene ist Prigov mittlerweile zu einer Kultfigur avanciert,207 auf die in Protestaktionen häufig Bezug genommen wird. So erinnerte Pussy Riot im Juli 2018 an den elften Todestag des Künstlers, als vier Mitglieder der Gruppe während des Finales der Fußball-WM in Polizeiuniformen das Spielfeld stürmten, womit sie auf die bekannte MilizionärFigur des Dichters verwiesen (vgl. §3.3.2). Die Triennale suchte Prigovs Einfluss nicht nur auf die Moskauer und die St. Petersburger, sondern darüber hinaus auch auf die gesamtrussische Gegenwartskunst zu unterstreichen, indem die Sektion ›Master-figura‹ seine Reisen durch Russland thematisierte. Ein Zettelkasten listete sämtliche Performances und Lesungen des Künstlers auf, während Fotografien und Videos ausgewählte Auftritte zeigten (vgl. Abb. 15). Aufgenommen wurde auch Prigovs Text Putešestvie iz Moskvy v Perm’ [Reise von Moskau nach Perm] (1997), in dem die Ich-Figur in zwölf Sätzen ihre Fahrt durch Siberien humorvoll kommentiert: 1. »Я выехал из Москвы и доехал до Владимира – за это мне полагается поощрение от Министерства путей сообщений. […] 8. Доехал до Кеза – полегчало, полегчало, заслужил чайку с сахаром. […] 12. Доехал до Перми – Господи, спасения заслужил!«208 Parallel zur Triennale war die Ausstellung Po napravleniju k istočniku/Toward the Source (2017) im Garage Museum zu sehen, die ausgewählte Archivmaterialien zur Geschichte der alternativen sowjetischen Kunst zum Thema machte. Für das Projekt 207 Dies geht exemplarisch aus einem Text hervor, den der Performancekünstler und Aktivist Kirill Medvedev an Prigovs Todestag verfasste: »Prigov died today. It’s been a crazy summer. A transitional summer. Yesterday we watched Cargo-200. It’s a very timely film about the death of the Soviet Union. And the death of Prigov is also the death of the Soviet Union. […] There were many arguments about Prigov. For some he was the soulless project of mechanical conceptualist evil, in response to which it felt so good to be a divinely inspired poet! For others he was a symbol of the fact that for all the pathos, heartache, historical searching of his poems, one could in the end just relax and receive ›pleasure‹ (or torture) from the ›text‹. For a third kind of reader or writer (the ›post-conceptualist‹ kind), Prigov was the one figure you needed to overcome and push away. But, any way you looked at it, he was a father. And just as we now consider arguments about whether or not Brodsky and Vysotsky were ›good‹ poets absurd, so too it no longer matters whether Prigov was good or bad, but only how we’ll live and form ourselves and our world without Prigov, just as we must now do without the Soviet Union.« Kirill Medvedev (2012): »Dmitri Prigov (November 5, 1940-July 16, 2007).« In: Kirill Medvedev: It’s No Good: poems/essays/actions. New York: n+1. S. 253-255, hier S. 253ff. [Hervorhebungen im Original] 208 Dmitrij Prigov (2006): »Putešestvie iz Moskvy v Perm’.« In: Topos. Literaturno-filosofskij žurnal vom 18.06.2006. URL: www.topos.ru/article/4754 (letzter Zugriff am 18.08.2020). [1. Ich bin aus Moskau losgefahren und habe Vladimir erreicht – damit hätte ich eine Auszeichnung vom Eisenbahnministerium verdient. […] 8. Ich habe es bis nach Kes geschafft – es geht aufwärts, es geht aufwärts – ich habe mir eine Tasse Tee mit Zucker verdient. […] 12. Ich habe Perm erreicht – Herr, ich habe Erlösung verdient!]

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Abb. 15: Ansicht der Ausstellungssektion ›Master-figura‹ [Meisterfigur] in der Triennale rossijskogo sovremennogo iskusstva [Triennale der russischen Gegenwartskunst] (2017), Garage Museum of Contemporary Art, Fotografie von Aleksej Narodickij.

hatte die Leiterin des Museumsarchivs, die Kunsthistorikerin und Kuratorin Saša Obuchova, die Künstler*innen Andrej Monastyrskij, Ol’ga Černyševa, Vladimir Logutov, Kirill Savčenkov und den Autor Vjačeslav Kuricyn eingeladen, einen Teil der Archivbestände aufzuarbeiten und auszustellen. Gezeigt wurden u.a. Materialien des Moskauer Kunstsammlers Leonid Taločkin und des Konzeptualisten Igor’ Makarevič, infolgedessen wichtige Akteure aus dem russischen Rezeptionsnetzwerk des Moskauer Konzeptualismus in der Schau zusammenkamen. In den 1970er und 1980er Jahren hatte Makarevič gemeinsam mit der Künstlerin Elena Elagina, mit der er seit 1981 verheiratet ist, ein privates Archiv mit einem Schwerpunkt auf dem Kreis der Moskauer Konzeptualisten aufgebaut. Dieses wurde im Jahre 2001 mit Unterstützung der von George Soros finanzierten Moskauer Open Society Foundation in die Stiftung ›Chudožestvennye proekty‹ [Künstlerische Projekte] (20012012) umgewandelt.209 Der Fonds, in dem außer Makarevič und Elagina auch die Kurator*innen Ekaterina Degot’, Viktor Misiano und Andrej Erofeev aktiv waren, übernahm das Archiv und die Bibliothek des Soros Center for Contemporary Art 209 Vgl. [o.A.] (o.J.d): »Archivnaja kollekcija i RAAN.« In: garagemca.org. URL: https://garagemca. org/ru/archive-collection-and-raan (letzter Zugriff am 18.08.2020).

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

[SCCA], das seit 1992 in Moskau existierte.210 Das Moskauer SCCA war Teil eines größeren Netzwerks kulturpolitischer Organisationen und Institutionen, die in den 1990er Jahren auf Initiative des Unternehmers und Philanthrops George Soros in vielen osteuropäischen und postsowjetischen Ländern gegründet wurden. Diese sollten den Aufbau einer neuen Infrastruktur für die Kunst fördern, im politischen Sinne jedoch auch die Transition vom Kommunismus hin zu ›offenen Gesellschaften‹ bzw. liberalen Demokratien unterstützen.211 Im Jahre 2012 bildeten die in der Stiftung ›Chudožestvennye proekty‹ gesammelten Dokumente die Basis für die Gründung der Archivstelle des Garage Museum of Contemporary Art, die einen thematischen Schwerpunkt auf die Geschichte der nicht-kanonkonformen sowjetischen Kunst der 1950er bis 1980er Jahre legt. Mit dem Erwerb privater Archivbestände und Nachlässe von Künstler*innen, Mittlerfiguren und Kulturinstitutionen versucht das Museum, das heute bereits über die umfangreichste Materialsammlung zur alternativen sowjetischen Kunst verfügt, eine gewisse Monopolstellung auszubauen. In dieser zentralen Position bestimmt das Garage Museum die aktuelle Entwicklung der Historiographie des Moskauer Konzeptualismus, der, wie die letzten drei Abschnitte dargelegt haben, seit 2005 in Russland zum festen Bestandteil des Kanons zählt, entscheidend mit.

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Fazit: »The Necessity for Conceptualism May Be Returning Today«

Der Moskauer Konzeptualismus, der zentrale Mythen der sowjetischen Gesellschaft zum Gegenstand von Kunst, Performance und Literatur macht, hat sich mittlerweile selbst in einen Mythos verwandelt. Eine vergleichende Analyse der Egonetzwerke von zwölf Vertreter*innen und fünf Theoretiker*innen der alternativen Moskauer Kunstszene in diesem Kapitel hat jedoch neue Einblicke in die Formierung des Künstlerkreises verschafft. Gezeigt werden konnte, dass zwischen Mitte der 1960er und 1970er Jahre ca. drei Künstlergemeinschaften um Il’ja Kabakov, Komar & Melamid sowie Rimma und Valerij Gerloviny entstanden, die ihr Werk im Paradigma der Konzeptkunst bzw. des Konzeptualismus verorteten. Die erstmalige mündliche Verwendung dieser Begriffe lässt sich als Selbstzuschreibung nicht genau datieren – mehrere Künstler*innen beanspruchen heute das ›Urheberrecht‹ für sich. International zirkuliert das Wort ›Konzeptualisten‹ als 210 Vgl. [o.A.] (o.J.e): »Elagina Elena, chudožnica.« In: artprotest.org. URL: http://artprotest.org/cg i-bin/news.pl?id=2383 (letzter Zugriff am 18.08.2020). Auch der Kunstkritiker Andrej Kovalev und die Galerist*innen Marat Gel’man, Elena Selina und Ajdan Salachova beteiligten sich an der Organisation der Stiftung. 211 Vgl. dazu ausführlicher Lioudmila Voropai (2017): Medienkunst als Nebenprodukt. Studien zur institutionellen Genealogie neuer künstlerischer Medien, Formen und Praktiken. Bielefeld: transcript. S. 227.

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

Bezeichnung für eine aktuelle Tendenz in der Moskauer Kunst allerdings spätestens seit der Publikation von Evgenij Barabanovs Aufsatz »Sentjabr’skaja vystavka moskovskich chudožnikov« [Die September-Ausstellung Moskauer Künstler] (1975) im Pariser Almanach Vestnik RCHD. Das Aufkommen einer Diskussion über russische Konzeptkunst belegen ab 1977 auch Beiträge in den sowjetischen SamizdatZeitschriften Metki [Zeichen] (Moskau) und 37 (Leningrad). Im religionsphilosophischen Periodikum 37 erschien 1978 der Essay »Moskovskij romantičeskij konceptualizm«, in dem Boris Groys das Werk von Lev Rubinštejn, Ivan Čujkov, Fransisko Infante-Arana und der KD unter dem gemeinsamen Nenner des ›Moskauer romantischen Konzeptualismus‹ vereinte und damit einen Brückenschlag zwischen den Künstlergemeinschaften um Kabakov und Monastyrskij vollzog. Die Gruppe um Komar & Melamid kam im Text nicht vor – eine Entscheidung, die Groys retrospektiv mit dem Hinweis darauf begründete, dass dieses Künsterduo seine Arbeiten der Soz-Art zugerechnet habe. Folglich begründete der Text nicht nur den Moskauer romantischen Konzeptualismus als eigenständige Kategorie, sondern markierte mit der Exklusion von Komar & Melamid gleichzeitig die Soz-Art als distinktive Kunstrichtung. Das Netzwerk um den Moskauer Konzeptualismus erweiterte sich im Laufe der 1980er Jahre um eine wachsende Zahl von Kunsthistoriker*innen, Theoretiker*innen und Sammler*innen. Der Austausch zwischen diesen Akteur*innen fand in Wohnungsausstellungen, Seminaren, KD-Aktionen und Archivprojekten wie den Papki MANI [MANI-Mappen] (1980-1986) statt. Im Katalog Moskovskij konceptualizm. Načalo [Moskauer Konzeptualismus. Der Anfang] (2014) beschreibt Margarita Tupicyna diese Entwicklung folgendermaßen: »То, что раньше было сектой, превратилось в социальную сеть.«212 Schlüsselfiguren in diesem Netzwerk, wie Ekaterina Degot’, Viktor Misiano und Iosif Bakštejn, spielten zwischen 1987 und 1994 wichtige Rollen in der Umstrukturierung des Moskauer Kunstbetriebs. Sie führten neue Formen der Kunstkritik ein (Degot’), gründeten Zeitschriften wie Chudožestvennyj Žurnal/Moscow Art Magazine (Misiano) und Kulturinstitutionen wie das Institute of Contemporary Art [ICA] (Bakštejn). Obwohl sich die postsowjetische Kunstinfrastruktur an einem westlichen Vorbild orientiert, zeichnet sie sich durch eine Vielzahl kultureller Spezifika aus, die in den 1990er Jahren mit dem eigenkulturellen Begriff der ›Tusovka‹ bezeichnet wurden. Die makrostrukturellen Rahmenbedingungen führten dazu, dass anders als in Deutschland hauptsächlich Einzelpersonen und weniger Institutionen die frühe russische Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus stark geprägt haben. Auch fand die Aufarbeitung des

212

Jurij Al’bert (2014j): »Interv’ju s Margaritoj Masterkovoj-Tupicynoj i Viktorom AgamovymTupicynym. 24 fevralja 2012, Pariž.« In: Jurij Al’bert (Hg.): Moskovskij konceptualizm. Načalo. Nischni Nowgorod: Izdanie Privolžskogo filiala GSCI. S. 96-108, hier S. 102. [Das, was früher eine Sekte war, hat sich in ein soziales Netzwerk verwandelt.]

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Künstlerkreises anfänglich weniger in der Wissenschaft als vielmehr in der Presse statt, weshalb die Diskursbildung einen seriellen Charakter aufwies. Die Institutionalisierung des Moskauer Konzeptualismus in Kunstsammlungen und Museen vollzog sich in Russland zwischen 1995 und 2004. Prominent vertreten waren Arbeiten der Moskauer Konzeptualisten in dieser Periode zum einen in der von Andrej Erofeev aufgebauten Caricyno-Sammlung und zum anderen in Ausstellungen zur Geschichte der nicht-kanonkonformen sowjetischen Kunst im RGGU-Museum ›Drugoe Iskusstvo‹ und dem Moscow Museum of Modern Art. Die Musealisierung des Künstlerkreises verlief als ständiger Aushandlungsprozess zwischen eigen- und fremdkulturellen Akteur*innen und institutionellen Kontexten. Sichtbar wird dies am Beispiel von Wanderausstellungen, die zu neuen Verknüpfungen zwischen dem russischen und dem westeuropäischen Mittlernetzwerk führten. Zu erwähnen sind u.a. die deutsch-russischen Kooperationen Iskunstvo (Berlin/Moskau, 1988-1989), Labyrinth (Moskau/Hamburg, 1988-1989), Kunst im Verborgenen (Ludwigshafen am Rhein/Kassel/Altenburg/Moskau, 1995) und Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 1950-2000 (Berlin/Moskau, 2003-2004) (vgl. Grafik 5). Dem Prozess der Netzwerkverflechtung waren jedoch gewisse Grenzen gesetzt. Anhand der binationalen Schau Moskau – Berlin (2004) wurde dargelegt, dass der deutsch-rusissche Transfer von kuratorischen Strategien und Interpretationsmustern in Moskau eine Diskussion über die fremdkulturelle Deutungshoheit über die sowjetische Kunst- und Kulturgeschichte auslöste. Während die deutschen Organisator*innen die Annäherung zwischen beiden Kulturen als kulturpolitische Errungenschaft der Schau hervorhoben, wurde in der russischen Rezeption der Ausstellung ein Diskurs der Selbstbehauptung sichtbar, dem postkolonial geprägte Denkmuster zugrunde liegen. Seit der Jahrtausendwende stellt der Moskauer Konzeptualismus sowohl in Russland als auch in Deutschland einen festen Bestandteil des kunstgeschichtlichen Kanons dar. Dies geht exemplarisch aus der großangelegten Triennale rossijskogo sovremennogo iskusstva [Triennale der russischen Gegenwartskunst] (2017) im Garage Museum of Contemporary Art hervor, in der Dmitrij Prigov und Andrej Monastyrskij als ›Meisterfiguren‹ der zeitgenössischen Kunst repräsentiert waren. Einzigartig für den russischen Rezeptionsprozess ist die starke Kritik, die Künstler*innen aus dem Kreis der Moskauer Aktionisten sowie Kunsthistoriker*innen wie Andrej Kovalev in den 1990er Jahren an der empfundenen Monopolstellung des Moskauer Konzeptualismus übten. Seit einigen Jahren macht sich ein Umschwung in die andere Richtung bemerkbar. Lehnten die Moskauer Aktionisten die künstlerischen Praktiken der Moskauer Konzeptualisten mit der Begründung ab, diese seien zu hermetisch und unpolitisch, werden konzeptuelle Verfahren derzeit innerhalb der linksaktivistischen russischen Kunstszene intensiv rezipiert und mit einer politisch subversiven Bedeutung aufgeladen. »The

4. Die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Russland

necessity for conceptualism«, so folgerte Irina Nachova in Reaktion auf diese Entwicklung im Jahre 2015, »may be returning today.«213 Grafik 5: Verflechtungen im russisch-deutschen Mittlernetzwerk des Moskauer Konzeptualismus am Beispiel von Wanderausstellungen (1988-2005)

213

Krasnov (2015).

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5. Schluss

Die vorliegende Untersuchung griff ein aktuelles Problem der Kanonforschung auf, das darin besteht, jene Prozesse der Kanonbildung, die sich nicht nur auf einer intrakulturellen, sondern auch auf einer transkulturellen Ebene vollziehen, theoretisch und methodisch zu erforschen. Als Fallstudie stand die Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus zwischen 1970 und 2020 im Vordergrund, wobei der bisher unerforschten Fragestellung nachgegangen wurde, wie und aus welchen Gründen sich der Künstlerkreis von einem diskursiven Konstrukt zu einer kanonisierten Schule entwickeln konnte. Es wurde die These aufgestellt, dass der repräsentative Status der Gruppe nicht nur im russischen, sondern auch im internationalen Kunstkanon das Resultat von multiplexen Transferprozessen zwischen mehreren Kulturen, allem voran zwischen Russland, Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Italien, Tschechien, Großbritannien und den USA, darstellt. Erforderlich war es daher, die Rezeption des Kreises nicht nur im eigenkulturellen, sondern auch im fremdkulturellen Raum zu untersuchen und die Vernetzung zwischen beiden Seiten herauszuarbeiten. Neben Russland wurde als weiterer Untersuchungsraum Deutschland gewählt, wo bis heute eine intensive akademische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Moskauer Konzeptualismus stattfindet. In theoretischer Hinsicht baute die Analyse auf Simone Winkos invisible hand-Modell auf, das Kanonbildung als Wechselspiel zwischen einer Mikroebene individueller Handlungen und einer Makroebene struktureller Rahmenbedingungen begreift. Diesem Ansatz zufolge beeinflussen institutionelle, sozionormative, bildungstechnische, gesellschaftspolitische und ökonomische Faktoren die Meinungsbildung einzelner Akteur*innen, die kulturelle Artefakte nach ihrer Wichtigkeit beurteilen, ohne ihre Einschätzungen jedoch zu determinieren. Die Rückwirkung individueller Entscheidungen auf den Makrokontext führt dazu, dass auch dieser Modifikationen unterworfen ist. Indem das Modell die Dynamik zwischen beiden Ebenen in den Blick nimmt, weist es einen überzeugenden Vorteil gegenüber jenen Theoriegebilden auf, die makrostrukturelle Faktoren als das einzig ausschlaggebende Kriterium für Kanonbildung betrachten. Das invisible hand-Modell stößt allerdings an eine Grenze, wie diese Untersuchung dargelegt hat, sobald sich ein Kanonisierungsprozess nicht ausschließlich im eigenkultu-

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

rellen Raum vollzieht, sondern dieser von fremdkulturellen Akteur*innen und Makrokontexten maßgeblich mitgesteuert wird, eine Komplexität, die in Winkos Ausführungen nicht berücksichtigt wird. Um den Einfluss von mikro- und makrostrukturellen Vernetzungen zwischen Kultursystemen auf die Kanonisierung des Moskauer Konzeptualismus zu erforschen, war es notwendig, das invisible hand-Modell weiterzudenken. Aus diesem Grund entwarf die Untersuchung ein netzwerkanalytisches Begriffsinstrumentarium, mit dem die Lücke zwischen dem intrakulturell ausgerichteten invisible hand-Modell und dem transkulturell orientierten Verstehensmodell der Kulturtransferforschung methodisch geschlossen werden konnte. Zurückgegriffen wurde sowohl auf Erkenntnisse und Verfahren der sozialwissenschaftlichen Netzwerkanalyse [SNA] als auch der Akteur-Netzwerk-Theorie [ANT]. Das analytische Potential, das diese soziologischen Ansätze für die kulturwissenschaftliche Erforschung von Kanonbildung aufweisen, wurde bislang kaum herausgestellt. Die SNA untersucht die Beziehungen zwischen menschlichen und institutionellen Akteur*innen, den Reziprozitätsgrad dieser Kontakte sowie deren langfristige Dynamik. Mithilfe von Leitbegriffen wie ›strong‹ und ›weak ties‹, ›Zentralität‹, ›Prestige‹, ›Dichte‹ und ›soziales Kapital‹ wird die hierarchische Position von Knoten in einem Netzwerk ermittelt. Ähnlich wie das invisible hand-Modell betrachtet die SNA die Handlungs- und Vernetzungsstrategien von Akteur*innen vor dem Hintergrund ihrer Einbettung in gesellschaftliche Makrokontexte, die bestimmte Verhaltensdispositionen nahelegen, jedoch nicht fest vorschreiben, infolgedessen ein Spielraum für Kontingenz eröffnet wird. Im Zuge des Cultural turns fanden neben quantitativen zunehmend auch kultursoziologische Fragestellungen Eingang in die SNA. Einen einflussreichen Beitrag zur Entwicklung einer qualitativen Netzwerkanalyse hat Harrison White mit Identity and Control (1992) geleistet, in dem er dafür plädiert, nicht nur die formale Beziehungsstruktur zwischen Knoten auszuwerten, sondern auch die Funktion von Narrativen in der Konstruktion sozialer Identität und der Entstehung interpersoneller Kontakte zu berücksichtigen. Diesen Konnex arbeitete er in der Studie Careers and Creativity (1993) weiter aus, die im Gegensatz zum primär theoretischen Werk Identity and Control (1992) stärker auf Fallstudien aufbaut. Am Beispiel des Kunstbetriebs, den White als heterogenes Beziehungsgeflecht zwischen Künstler*innen, Sammler*innen, Kurator*innen und Kunstinstitutionenen definiert, nimmt er die narrative Einordnung von Künstler*innen und Kunstwerken in interpretative Deutungsmuster (Genres, Strömungen, Schulen) in den Blick, die dem Verfasser zufolge als realitätsstiftende Filter für die öffentliche Wahrnehmung und Bewertung von Kunst funktionieren. Die vorliegende Untersuchung knüpfte an Whites Ausführungen an, da diese eine Perspektive auf Kanonbildung als Resultat von Verhandlungen zwischen menschlichen und institutionellen Akteur*innen ermöglichen, die sich mit einer Kombination von netzwerk- und diskursanalyti-

5. Schluss

schen Ansätzen untersuchen lassen. Da sich solche Beziehungsnetzwerke nicht notwendigerweise auf einen bestimmten geographischen Raum begrenzen, sondern kulturüberschreitend angelegt sein können, ließ sich das Switchen von Akteur*innen zwischen unterschiedlichen semantischen Systemen – und damit zwischen unterschiedlichen Makroebenen – in der Analyse produktiv erfassen. Ermöglichte die SNA die Erforschung von Kanonbildung aus einer akteurzentrierten Perspektive, konnte mithilfe der Akteur-Netzwerk-Theorie nach der Rolle gefragt werden, die Kunstwerke selbst in diesem Prozess spielen. Die ANT vertritt ein hybrides Netzwerkmodell, dem zufolge nicht nur Menschen und Institutionen handlungs- und vernetzungsfähig sind, sondern auch nicht-menschliche Entitäten als aktive weltbildende Katalysatoren auftreten können. Aufbauend auf dieser Prämisse vertrat diese Studie die These, dass eine Analyse der Interaktion zwischen Mittlerfiguren, Kunstinstitutionen, Transfermedien, Texten, Bildern und Objekten neuartige Rückschlüsse auf die diskursive Einschreibung des Moskauer Konzeptualismus in den zeitgenössischen Kunstkanon erlaubt. Untersucht wurde daher nicht nur die Beteiligung von vermittelnden Akteur*innen, sondern auch die von Transfermedien (Zeitschriften, Ausstellungen und Katalogen) und Kunstwerken (Gemälden, Fotografien und Installationen) an Konstruktionen gesellschaftlicher Realität. Der Analyse lagen vier strukturierende Leitfragen zugrunde, die in der Einleitung formuliert wurden. Diese sollen nun zu einer schlussfolgernden Betrachtung der Ergebnisse erneut aufgegriffen werden. Abgeschlossen wird die Diskussion mit einer theoretischen Reflexion zum Konnex zwischen Transkulturalität und Kanonbildung. 1. Wie konnte sich in den 1970er Jahren ein transkulturelles Mittlernetzwerk um das diskursive Konstrukt des Moskauer Konzeptualismus formieren und wie hat sich dieses Beziehungsnetzwerk in diachroner Hinsicht entwickelt? 2. Welche Deutungsangebote sind aus der netzwerkinternen Interaktion von Akteur*innen mit transferierten Diskursen, Medien, Texten und Kunstwerken hervorgegangen? Werden im russischen bzw. deutschen Mittlernetzwerk unterschiedliche Schwerpunkte in der Aufarbeitung des Moskauer Konzeptualismus sichtbar? 3. Welche Faktoren haben dazu beigetragen, dass bestimmte Interpretationen und Kunstwerke langfristig zirkulieren und den Diskurs um den Moskauer Konzeptualismus stabilisieren, während alternative Wissensangebote abgelehnt wurden? 4. Wie konnte der Diskurs um den Moskauer Konzeptualismus eine breitere gesellschaftliche Tiefenwirkung erlangen? 5. Zum Schluss: Transkulturalität und Kanonbildung

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Zur Entwicklung des transkulturellen Mittlernetzwerks um den Moskauer Konzeptualismus Historiographische Rückblicke auf die Anfangsphase des Moskauer Konzeptualismus unterscheiden sich je nach Betrachter*in erheblich. Da einzelne Darstellungen von Augenzeugen nicht selten mit Mythen aufgeladen sind, erschien es sinnvoll, die Formierung einer Moskauer Künstlergruppe, die ihr Werk im Paradigma der Konzeptkunst bzw. des Konzeptualismus verortet, anhand von Egonetzwerken zu rekonstruieren. Zur Datenerhebung wurden 17 Interviews ausgewertet, die Jurij Al’bert zwischen 2010 und 2012 im Rahmen der Ausstellung Moskovskij konceptualizm. Načalo [Moskauer Konzeptualismus. Der Anfang] (Nischni Nowgorod, 2012) mit zwölf Vertreter*innen und fünf Vermittler*innen der ehemaligen alternativen Moskauer Kunstszene führte. In den Gesprächen wurden die Befragten gebeten, ihre erste Begegnung mit dem Wort ›Konzeptkunst‹/›Konzeptualismus‹ zu datieren und ihre Kontakte zu anderen Künstler*innen in der Periode zwischen ca. 1965 und 1975 aufzuzählen. Eine vergleichende Analyse ihrer Antworten deutete auf die Entstehung von drei Netzwerkclustern hin, in denen Il’ja Kabakov, Komar & Melamid sowie Rimma und Valerij Gerloviny eine zentrale Position einnahmen. Gemeinsame Wohnungsausstellungen und Publikationen zur alternativen Moskauer Kunst in den Samizdat-Zeitschriften Metki [Zeichen] (Moskau) und 37 (Leningrad) beförderten die gegenseitige Vernetzung zwischen diesen Gruppen in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Eine besonders wichtige Rolle in der Entstehungsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus spielte darüber hinaus Boris Groys’ Aufsatz »Moskovskij romantičeskij konceptualizm« [Moskauer romantischer Konzeptualismus], der 1978 zunächst im Leningrader Samizdat-Periodikum 37 und im darauffolgenden Jahr in der Pariser Tamizdat-Zeitschrift A-Ja. Unofficial Russian Art Review erschien. Im Essay vollzieht Groys einen Brückenschlag zwischen den Künstlergruppen um Il’ja Kabakov und die Kollektivnye dejstvija [Kollektive Aktionen], indem er das Werk von Lev Rubinštejn, Fransisko Infante-Arana und Ivan Čujkov einerseits, die Kabakov nahestehen, und der KD andererseits unter den gemeinsamen Nenner des ›Moskauer romantischen Konzeptualismus‹ subsumiert und auf diese Weise eine Einheit zwischen beiden Clustern postuliert. Komar & Melamid werden im Text nicht erwähnt, da sie ihre künstlerischen Praktiken weniger dem Konzeptualismus als vielmehr der Soz-Art zuordnen würden, wie Groys im Jahre 2011 rückblickend argumentierte. Ihr Fehlen im Aufsatz führt dazu, dass dieser nicht nur den Moskauer romantischen Konzeptualismus als eigenständige Kategorie begründet, sondern ex negativo auch die Soz-Art als distinktive Kunstrichtung markiert. Trotz der von Groys hervorgehobenen Vergleichbarkeit der erwähnten Künstler stellt der Moskauer Konzeptualismus zu keinem Zeitpunkt einen einheitlichen, klar definierten Kreis dar. Die Gründung einer Vielzahl von Gruppen seit Ende der

5. Schluss

1970er Jahre, wie Muchomor [Fliegenpilz] oder TOTART ist vielmehr ein Indiz für die anhaltende Heterogenität der Moskauer Konzeptkunstszene. Der Austausch zwischen Künstler*innen und Theoretiker*innen, die sich mit dem Hyperonym ›Moskauer (romantischer) Konzeptualismus‹ identifizieren, fand in den 1970er und 1980er Jahren abseits vom öffentlichen Raum in Seminaren, APTART-Ausstellungen und nicht zuletzt Archivprojekten wie den Papki MANI [ManiMappen] statt. Die künstlerischen und theoretischen Beiträge, die zwischen 1980 und 1986 in den MANI-Mappen gesammelt wurden, verschaffen Einblick in ein stetig wachsendes Netzwerk, das sich sowohl in der Sowjetunion als auch im Ausland um den Kreis formierte. So stellte das Projekt Verbindungen zu emigrierten Akteur*innen wie Viktor Pivovarov (Prag), Igor’ Šelkovskij (Paris) und Boris Groys (München) her, die Materialien nach Moskau schickten. Sie gehörten zu der großen Gruppe von Intellektuellen, die im Zuge der dritten Emigrationswelle die Sowjetunion verließ. Zur Ausreise aufgefordert wurde im Dezember 1974 auch der Kunstsammler und Dichter Aleksandr Glezer, der am 15. September 1974 eine Freiluftausstellung nicht-kanonkonformer Kunst auf einer unbebauten Fläche in Beljaevo organisiert hatte. Nach der skandalträchtigen Intervention der sowjetischen Behörden erlangte die Schau als ›Bulldozer-Ausstellung‹ international Bekanntheit. Glezer, der sich 1975 in Paris niederließ, übte eine zentrale Funktion im Transfer alternativer sowjetischer Kunst nach Westeuropa aus. Am Beispiel seiner multiplexen Rollen als vermittelnder Akteur – er war nicht nur als Sammler, sondern auch als Zeitschriftenredakteur, Publizist, Kurator und Museumsgründer in mehreren Ländern aktiv – konnte der Aufbau einer westeuropäischen Rezeptionsinfrastruktur für diese Kunst in der Periode zwischen 1975 und 1988 rekonstruiert werden. In Paris gründete Glezer nicht nur den Kunstalmanach Tret’ja volna [Dritte Welle] (1976-1986), sondern eröffnete 1976 mit Unterstützung von Vladimir Maksimov und Aleksandr Galič auch das Musée Russe en Exil, das seine Kunstsammlung beherbergte. Letztere reiste in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre außerdem in verschiedenen Wanderausstellungen durch die BRD, Österreich, Großbritannien und Italien. Eine einflussreiche mediale Plattform erhielt die Sammlung mit der Biennale del dissenso culturale [Biennale des kulturellen Dissenses] (1977) in Venedig, auf der 99 sowjetische Künstler*innen aus dem nicht-kanonkonformen Bereich vertreten waren. Unter ihnen befanden sich u.a. Il’ja Kabakov, Ėrik Bulatov und Vladimir Jankilevskij, die in dieser Periode als Hauptvertreter der ›russischen Konzeptkunst‹ rezipiert wurden – die Bezeichnung ›Moskauer Konzeptualismus‹ zirkuliert international erst seit Anfang der 1980er Jahre. Ihre Werke subsumierte Glezer in seinen Ausstellungsprojekten unter den Sammelbegriff des ›Nonkonformismus‹ und bettete sie damit in ein Narrativ der politischen Subversion ein. Indem der Kunstsammler neue (das Musée Russe en Exil) mit existierenden Netzwerkclustern (der Biennale Venedig) verband, gelang es ihm, ein geographisch breites und heterogenes Egonetzwerk aufzubauen. Aufgrund der großen Zahl seiner Kontakte konnte er

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als Mittlerfigur ein hohes Maß an sozialer Kontrolle im Transfernetzwerk ausüben und auf diese Weise eine gewisse Monopolstellung sichern. So distanzierte er sich von mehreren konkurrierenden Initiativen, wie der von Igor’ Šelkovskij herausgegebenen Pariser Tamizdat-Zeitschrift A-Ja. Unofficial Russian Art Review (1979-1986). Als Leihgeber entzog er außerdem der von Peter Spielmann kuratierten Ausstellung 20 Jahre unabhängige Kunst aus der Sowjetunion (1979) im Museum Bochum seine Unterstützung, da er mit dem Konzept und der Organisation der Schau nicht einverstanden war. Als eine der wenigen westeuropäischen Kunstinstitutionen legte das Museum Bochum in den 1970er und 1980er Jahren einen Ausstellungs- und Sammlungsschwerpunkt auf Kunst aus dem osteuropäischen und dem sowjetischen Raum. Unter dem Direktor Peter Spielmann bestand eine enge Zusammenarbeit mit dem Bochumer Seminar für Slavistik, das in dieser Periode eine zentrale Position im Transfernetzwerk nicht-kanonkonformer Kunst aus der UdSSR erlangte. Während der Slavist und Lehrstuhlinhaber Karl Eimermacher schwerpunktmäßig zu Kunst aus der Tauwetterperiode forschte, rückten Georg Witte und Sabine Hänsgen Anfang der 1980er Jahre den Moskauer Konzeptualismus in den Vordergrund der Betrachtung. Mit dem multimedialen Band Kulturpalast (1984) legten sie die erste ausführliche (populär-)wissenschaftliche Publikation zum Kreis in Deutschland vor. Die Schwerpunktverlagerung weg von Künstler*innen der 1950er und 1960er Jahre hin zu Repräsentant*innen der spätsowjetischen Kunst verstärkte die Moskauer Sotheby’s-Auktion vom 7. Juli 1988, auf der Arbeiten von Moskauer Konzeptualisten hohe Verkaufspreise erzielten. Einen werkexternen Grund für ihren Erfolg stellte u.a. das jüngere Alter der Künstler*innen dar, das auf dem Kunstmarkt schneller auf Interesse stößt, während auf der werkinternen Ebene die auch für ein nicht russisches Publikum wiedererkennbare Ästhetik ihrer Arbeiten die Einbindung des Kreises in den internationalen Kunstbetrieb erleichterte. Die Sotheby’s-Versteigerung bewirkte eine rasante Ausweitung des Transfernetzwerkes um eine Vielzahl neuer Akteur*innen aus dem musealen, akademischen, kulturpolitischen und wirtschaftlichen Bereich. Diese Erweiterung nivellierte die bis dahin hohen Zentralitätswerte von Aleksandr Glezer und führte zur Herausbildung einer alternativen hierarchischen Netzwerkstruktur. So entwickelte sich in Westeuropa nach 1988 Deutschland zum Rezeptionszentrum des Moskauer Konzeptualismus. Als entgegenkommende Strömung stieß der Künstlerkreis hier auf ein hohes kulturpolitisches Interesse. Die international bekannte konzeptuelle Ästhetik der Werke bei gleichzeitiger Auseinandersetzung mit der sowjetischen Kultur führte dazu, dass diese Kunst als Symbol für den Annäherungsprozess zwischen Deutschland und Russland nach dem Mauerfall interpretiert wurde. Das Interesse schlug sich nicht nur in der Organisation einer Vielzahl von Ausstellungen, sondern auch in der Vergabe von DAAD-Stipendien und Preisen an mehrere Ver-

5. Schluss

treter*innen des Moskauer Konzeptualismus in der ersten Hälfte der 1990er Jahre nieder. Bilden in der deutschen Rezeptionslandschaft Bochum, Köln, Berlin und Frankfurt a.M. zentrale Knotenpunkte in der musealen und akademischen Aufarbeitung des Künstlerkreises, hat sich der Kanonisierungsprozess der Gruppe in Russland bislang fast ausschließlich in Moskau vollzogen. Das russische Netzwerk weist nicht nur eine andere geographische, sondern auch eine abweichende MikroMakro-Struktur im Vergleich zum deutschen Netzwerk auf. Dieser Unterschied ist bedingt durch die fundamentale Umstrukturierung des Moskauer Kunstfeldes zwischen 1987 und 1994. Obwohl sich die postsowjetische Kunstinfrastruktur an einem westlichen Modell orientiert, wies diese vor allem in ihrer Anfangsphase eine Vielzahl kultureller Spezifika auf. Fehlende institutionelle Strukturen führten Anfang der 1990er Jahre dazu, dass sich das russische Mittlernetzwerk des Moskauer Konzeptualismus erstens durch eine stärkere personale als institutionelle Prägung im Vergleich zu Deutschland auszeichnete. Die Aufarbeitung des Künstlerkreises fand in dieser Periode zweitens weniger in der Wissenschaft als in einzelnen Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln statt, weshalb die Diskursbildung einen seriellen Charakter hatte. Die Frage, ob die unterschiedliche Struktur des russischen und deutschen Netzwerkes zu anderen diskursiven Schwerpunkten in der Rezeption des Moskauer Konzeptualismus geführt hat, soll beantwortet werden, indem die Produktion von Deutungsmustern in den Blick genommen wird, in die der Künstlerkreis in beiden Kulturen eingeschrieben worden ist. Die Diskursivierung des Moskauer Konzeptualismus in diachron-vergleichender Sicht Der Begriff ›Konzeptualisten‹ als Bezeichnung für eine Gruppe nicht-kanonkonformer Moskauer Künstler*innen zirkuliert international spätestens seit der Erscheinung von Evgenij Barabanovs Aufsatz »Sentjabr’skaja vystavka moskovskich chudožnikov« [Die September-Ausstellung Moskauer Künstler] (1975) in der Pariser Tamizdat-Zeitschrift Vestnik Russkogo Christianskogo Dviženija [Blatt der Russischen Christlichen Bewegung]. Die erste grundlegende Theoretisierung der Moskauer Konzeptkunstszene leistete Boris Groys im oben erwähnten Essay »Moskovskij romantičeskij konceptualizm« [Der Moskauer romantische Konzeptualismus] (1978). Darin vertritt der Verfasser eine mystisch-romantische Deutung des Moskauer Konzeptualismus, indem er den Versuch zur Artikulation einer anderen, höheren Welt im Medium der Kunst und Literatur als charakteristisch für das Werk der thematisierten Künstler identifiziert. Diese als metaphysisch, sogar religiös bezeichnete künstlerische Praxis stehe ihm zufolge im Gegensatz zur Kunst im Westen und sei tief in der russischen Kunsttradition verwurzelt. Groys’ Argumentation wurde bereits oft analysiert. Den diskursiven Entstehungskontext des Aufsatzes hat die Forschung bislang jedoch kaum berücksichtigt. Die vorliegende Untersu-

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chung hat dargelegt, dass die Ausführungen des Autors von einem religionsphilosophischen Diskurs geprägt sind, der in den 1970er Jahren in der Sowjetunion aufkam. Der Aufsatz erschien 1978 in der Samizdat-Zeitschrift 37, die als Publikationsorgan des Leningrader Religionsphilosophischen Seminars (1974-1980) fungierte, in dem Groys vom Zeitpunkt der Gründung an aktives Mitglied war. Am Beispiel des Essays lässt sich veranschaulichen, wie ein Deutungsansatz im Wechselspiel zwischen einem Akteur bzw. einer Akteurin auf der Mikroebene und einem breiter gesellschaftlichen, in diesem Fall religionsphilosophischen Diskurs auf der Makroebene entsteht (vgl. Grafik 6). Grafik 6: Die Entstehung von Deutungsansätzen aus dem Wechselspiel zwischen Makro-, Meso- und Mikroebene am Beispiel von Boris Groys’ Aufsatz »Der Moskauer romantische Konzeptualismus«

5. Schluss

Kennzeichnend für Groys’ Aufsatz ist der Versuch, den Moskauer Konzeptualismus nicht als bloße Kopie oder Nachahmung der angelsächsischen Conceptual Art, sondern als zutiefst originelle Kunstrichtung darzustellen, die sich dennoch als anschlussfähig an einen westlichen Kunstdiskurs erweist. Als Wiedererkennungsargument verwendet Groys den Begriff ›Konzeptualismus‹, den er als internationale künstlerische Sprache bzw. Praxis definiert, während er die kulturell bedingte Andersartigkeit und damit Originalität des Moskauer Künstlerkreises mit Wörtern wie ›Mystik‹, ›russische Seele‹ und ›Spiritualität‹ unterstreicht. 1979 eröffnete der Text die erste Ausgabe der Pariser Tamizdat-Zeitschrift A-Ja. Unofficial Russian Art Review. Die mystisch-romantische Interpretation beförderte die ideelle wie kommerzielle Aufnahme des Moskauer Konzeptualismus im internationalen Raum, da diese ein slavophil geprägtes Russlandbild als fremde, mysteriöse Kultur hervorruft, das im Westen überwiegend positiv konnotiert ist. Der langfristige Erfolg dieser Vermittlungsstrategie geht aus der Tatsache hervor, dass die Künstler*innen das Alteritätsnarrativ Ende der 1980er Jahre aktiv aufgriffen und adaptierten. Exemplarisch sichtbar wird dies in der Hamburger Ausstellung NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten (1993), in der Il’ja Kabakov den Moskauer Konzeptualismus stark mythologisierte und mystifizierte. Als geheimnisvolles Phänomen sollte sich der Künstlerkreis dem unmittelbaren Verständnis externer, sprich: westlicher Betrachter*innen entziehen, um auf diese Weise selbst Deutungsmacht zu erlangen. Die mystisch-romantische Interpretation des Moskauer Konzeptualismus begegnet bis heute sowohl in Russland als auch international als Argument, um die Projektion eines ästhetischen Einflussmodells auf die Historiographie des Künstlerkreises zu demontieren. Als dominante Vermittlungsstrategie hat sich seit Mitte der 1980er Jahre jedoch ein alternativer Deutungsansatz durchgesetzt, der seinen Ursprung in der deutschen Rezeptionslandschaft hat. Im Band Kulturpalast (1984) führten die Bochumer Slavist*innen Georg Witte und Sabine Hänsgen eine kultursemiotische Perspektive auf die künstlerischen Praktiken der Moskauer Konzeptualisten ein. Weniger ein romantisches Streben nach einer anderen Welt als vielmehr die Hinwendung der Künstler*innen zu der sie direkt umgebenden sowjetischen Sprach- und Bilderwelt weisen die Verfasser*innen im Vorwort dieser Publikation als zentrales Merkmal des Kreises an. Die Charakterisierung der Kunstwerke als semiotische Analyse der sowjetischen Massenkultur macht den Einfluss der russischen Kultursemiotik als diskursiven Makrokontext auf die Entstehung dieses Deutungsmusters sichtbar. Die Kultursemiotik der Moskau-Tartu-Schule, die seit den Professuren von Renate Lachmann und Karl Eimermacher einen Forschungsund Lehrschwerpunkt am Bochumer Seminar für Slavistik bildet, betrachtet Kulturen als geordnete Zeichensysteme, die sich durch vergleichbare Grundstrukturen auszeichnen. In der deutschen akademischen Rezeption avancierte die Theorie im Laufe der 1970er Jahre zu einem kulturellen Verständigungsmodell, das eine Sicht-

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weise auf Russland nicht als das Andere des Westens, sondern als analysierbares Zeichengebilde ermöglichte. Dies kam dem Selbstverständnis der Slavistik als Brückenbauer zwischen Ost und West in der Periode des Kalten Kriegs entgegen. Die kultursemiotische Interpretationslinie des Moskauer Konzeptualismus, die Witte und Hänsgen nach Kulturpalast (1984) in weiteren Publikationen ausarbeiteten, wurde ab Ende der 1980er Jahre sowohl von anderen Mittlerfiguren – darunter Boris Groys – als auch von den Künstler*innen selbst aufgegriffen, wie der Ausstellungskatalog Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe (Bern, 1988) belegt. Nach dem Mauerfall und dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde der kultursemiotische Deutungsansatz um einen Diskurs der Vergangenheitsbewältigung erweitert. Die Grundlage dafür bildet der Gedanke, dass die Moskauer Konzeptualisten mit der Analyse von politisch-ideologischen Mechanismen in ihrer Kunst das Trauma der sowjetischen Geschichte aufzeigen und reflektieren würden. Konzeptuelle Verfahren wie die Collage, das Zitat oder die Verwendung von Ironie werden in dieser Sichtweise mit einer therapeutischen Bedeutung aufgeladen. In der deutschen Rezeption wurde diese Vorstellung an ein eigenkulturelles Zielpublikum angepasst, indem im Moskauer Konzeptualismus eine Antwort auf den Umgang von Kunst nicht nur mit der Geschichte der kommunistischen, sondern auch der nationalsozialistischen Diktatur gefunden wurde, der sich nicht in der politischen Konfrontation, sondern in der ironisierenden Betrachtung von unterdrückenden Strukturen äußert. Das Thema Vergangenheitsbewältigung stand im Vordergrund der binationalen Ausstellung Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 1950-2000 (Berlin/Moskau, 20032004). Die Schau wurde von einem deutsch-russischen Kuratorenteam organisiert, was zu weiteren Verknüpfungen zwischen beiden Mittlernetzwerken führte. Der Transfer von kuratorischen Strategien und Interpretationsmustern löste auf russischer Seite eine Diskussion über die Frage aus, inwieweit Deutschland Deutungshoheit über die sowjetische Kunst- und Kulturgeschichte hat. Gegenseitige Stereotypisierungen des jeweils Eigenen und Fremden verursachten Reibungsflächen und Störungen in der Kommunikation zwischen beiden Seiten, die der Netzwerkverflechtung Grenzen setzten. Das Beispiel zeigt, dass der Einfluss des Nationalen mitsamt den kollektiven Emotionen, die mit der Idee einer nationalen Identität verbunden sind, in Prozessen der Kanonbildung nicht einfach zugunsten des Transnationalen abgelöst wird, sondern die lokale Ebene fremdkulturelle Impulse auch blockieren kann. Modi der In- und Exklusion von Deutungsmustern in multimodalen Diskursen Netzwerke, so verdeutlicht Vsevolod Nekrasovs polemische Schrift Dojče Buch (2002), in der er seinen Ausschluss aus dem Künstlerkanon des Moskauer Konzeptualismus beklagt, funktionieren nicht nur als Ermöglichungsstruktur, sondern

5. Schluss

auch als Wettbewerbsmodell. Die Entstehung von Deutungsmustern konnte in der Untersuchung erhellt werden, indem die Wechselwirkung zwischen Mikround Makrokontexten in diesem Prozess berücksichtigt wurde. Die langfristige Annahme oder Ablehnung einer Interpretation im Diskurs war damit noch nicht geklärt. Am Beispiel von Nekrasovs Dojče Buch (2002) ließen sich vier Faktoren unterscheiden, welche die Zirkulation und die langfristige Verfestigung eines Wissensangebots befördern: 1. 2. 3. 4.

die Größe und die Qualität des Egonetzwerkes einer Mittlerfigur ihr Zugang zur medialen Öffentlichkeit die Multiplexität ihrer Rollen ihre nationale wie internationale Mobilität und ihre Sprachkenntnisse

Dies soll anhand eines weiteren Fallbeispiels demonstriert werden. Wie oben erwähnt, griffen Ende der 1980er mehrere Mittlerfiguren die von Georg Witte und Sabine Hänsgen in Kulturpalast (1984) eingeführte kultursemiotische Deutung des Moskauer Konzeptualismus aktiv auf. Innerhalb der Bochumer Slavistik waren die Verfasser*innen in ein größeres deutsch-russisches Transfernetzwerk um die nicht-kanonkonforme sowjetische Kunst eingebunden, weshalb sie Zugang zu informationellen Ressourcen hatten und über ›weak ties‹ Verbindungen zu anderen Akteur*innen herstellen konnten. Ihre kultursemiotische Interpretationslinie arbeiteten Witte und Hänsgen ab Mitte der 1980er Jahre nicht nur in wissenschaftlichen Publikationen, sondern auch in publizistischen Beiträgen für Ausstellungskataloge und Periodika wie Schreibheft aus. Die Multiplexität ihrer Rollen als Forscher*innen, Publizist*innen, Kurator*innen und Übersetzer*innen hat dazu geführt, dass ihre Vermittlungsstrategie in unterschiedlichen Medien zirkulierte und somit in mehreren Netzwerkclustern ein Zielpublikum erreichte. Ihre internationale Mobilität ermöglichte es, sowohl in der deutschen als auch in der russischen Rezeptionslandschaft Diskursmacht zu erlangen und Einfluss auf die Aufarbeitung des Moskauer Konzeptualismus auszuüben. Aufbauend auf einem multimodalen Diskursbegriff ging die vorliegende Untersuchung von der Prämisse aus, dass nicht nur Texte, sondern auch Bilder eine Schlüsselrolle in der Formierung und Stabilisierung von Diskursen spielen. Anhand einer Gegenüberstellung von Ėrik Bulatovs Gemälde »Opasno« [Gefährlich] (1973) und »Živu – Vižu« [Ich lebe – Ich sehe] (1982) wurde dargelegt, dass Interpretationsmuster dann erfolgreich sind, wenn sich Text- und Bildebene gegenseitig unterstützen. »Opasno« wurde 1977 in die Schau La nuova arte sovietica [Die neue sowjetische Kunst] auf der Dissens-Biennale in Venedig aufgenommen und erschien zwei Jahre später auf dem Cover der ersten Ausgabe von A-Ja. Unofficial Russian Art Review (1979), die auf der Eröffnungsseite die Bulldozer-Ausstellung vom 15. September 1974 thematisierte. Folglich wurde das Werk in ein Narrativ der poli-

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tischen Subversion eingebettet, das die Rezeption nicht-kanonkonformer sowjetischer Kunst in den 1970er Jahren stark prägte. Bulatovs Gemälde »Živu – Vižu« erschien 1988 auf dem Katalogcover einer gleichnamigen Schau im Kunstmuseum Bern und unterstützte die kultursemiotische Deutung der Moskauer Konzeptualisten als ›Künstlerforscher‹ im Ausstellungsnarrativ, indem der fokussierende Blick des Betrachters bzw. der Betrachterin das zentrale Sujet des Werks darstellt. Die Inklusion von »Živu – Vižu« in eine Vielzahl von Ausstellungsprojekten ab Ende der 1980er Jahre markiert auf der bilddiskursiven Ebene eine Bewegung weg von politisch-ideologischen Deutungen des Moskauer Konzeptualismus hin zu einem kultursemiotischen Interpretationsparadigma, das sich in dieser Periode allmählich als dominante Vermittlungsstrategie durchsetzte. Die gesellschaftliche Tiefwirkung des Diskurses um den Moskauer Konzeptualismus Die kanonisierende Rezeption des Moskauer Konzeptualismus hat sich weder in einem strikt akademischen noch in einem strikt musealen oder kulturpolitischen Bereich, sondern in einem Wechselspiel zwischen diesen Ebenen vollzogen. Insbesondere Ausstellungen haben eine vermittelnde Funktion zwischen diesen unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen ausgeübt, indem sie als Knotenpunkte fungierten, an denen Akteur*innen aus der musealen, wissenschaftlichen, kulturpolitischen und wirtschaftlichen Welt zusammenkamen. So waren am Zustandekommen der in dieser Untersuchung thematisierten Ausstellungen in der Regel nicht nur deutsche und/oder russische, sondern auch französische, US-amerikanische, tschechische, italienische und österreichische Kurator*innen, Interpret*innen, Leihgeber*innen und Sponsor*innen beteiligt. Als mediale Aktanten bündelten Ausstellungen diskursive Einflüsse aus diesen Kulturen zu einem neuen Narrativ und vermittelten dieses an eine breitere Öffentlichkeit, wobei je nach Zielkultur und Aufnahmebedürfnis andere Schwerpunkte gesetzt werden konnten, wie oben ausgeführt wurde. Somit haben namentlich Ausstellungen und Kataloge als Transfer- und Speichermedien zu der gesellschaftlichen Tiefenwirkung des Diskurses um den Moskauer Konzeptualismus beigetragen. Zum Schluss: Transkulturalität und Kanonbildung Anhand eines Kanons, so die Annahme, entwirft eine Kultur ein plausibles Narrativ für ihre eigene Geschichte. In unserer zunehmend globalisierten Welt gilt es, den Einfluss von transkulturellen Austauschprozessen auf die Entstehung solcher Identitätsnarrative stärker zu berücksichtigen, ohne die Bedeutung des Lokalen aus dem Auge zu verlieren. In diesem Teil sollen daher einige abschließende Überlegungen zum Verhältnis zwischen nationalen und transnationalen Mechanismen der Kanonbildung angestellt werden, die eine Diskussionsgrundlage für weitere Studien in diesem Feld bilden.

5. Schluss

Rezeptionsnetzwerke dienten der vorliegenden Untersuchung als analytisches Modell zur Erforschung von Prozessen der Kanonkonstruktion, die von mehreren kulturellen Kontexten gesteuert werden. Solche Netzwerke stellen komplexe Gebilde dar, in denen Menschen, Institutionen, Medien, Texte, Bilder und Objekte miteinander interagieren. Ihre Beziehungen können sozial, politisch, wirtschaftlich, kulturell und medial motiviert sein und kommen in einer spezifischen Raum-ZeitKonstellation zustande. Je nach Art und Dynamik dieser Verbindungen können Rezeptionsnetzwerke verschiedene Formen annehmen, die von relativ klar strukturierten, abgeschlossenen Modellen bis hin zu offenen, rhizomartigen Gebilden reichen. Ihrer Entwicklung liegt ein Wechselspiel zwischen Mobilität und Restriktion bzw. zwischen Öffnung und Grenzziehung zugrunde, um das bekannte Begriffspaar von Stephen Greenblatt aufzugreifen. Dieser Prozess läuft nicht immer nach logischen Gesetzen ab, sondern folgt in der Regel einer invisible hand-Logik, die Spielraum für Kontingenz lässt. Trotz der unterschiedlichen Struktur von Rezeptionsnetzwerken lassen sich einige Regelmäßigkeiten in der Interaktion zwischen intra- und transkulturellen Mechanismen der Kanonbildung feststellen. Diese sollen im Folgenden erläutert werden, indem zunächst auf die makrokontextuelle Infrastruktur für Kanonformierung eingegangen wird, die primär national orientiert ist. Die transkulturelle Zirkulation von Menschen, Kulturgütern, Wissen und Finanzen bewirkt jedoch, dass solche Makrokontexte extern mit anderen Kulturen verbunden sind und dadurch auch verändert werden. Auf die Voraussetzungen für die Vernetzung von Rezeptionsnetzwerken ist anschließend einzugehen. Zu den Makrokontexten, die Prozesse der Kanonbildung beeinflussen, zählen gesellschaftspolitische, institutionelle, kulturelle und wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Die Idee eines nationalen Kanons spielt spätestens seit dem 18. Jahrhundert in Selbstbegründungsdiskursen von Staaten eine wichtige Rolle und wird besonders in Krisenzeiten immer wieder erneut zur Diskussion gestellt. Ein aktuelles Beispiel ist die vom russischen Ministerium für Bildung und Wissenschaft veröffentlichte Lektüreliste von 100 Büchern für Schüler*innen im Jahre 2013, die auf eine Initiative von Vladimir Putin zurückgeht und als Teil eines gesellschaftspolitischen Prozesses der Nationenbildung betrachtet werden kann. Zur Verbreitung eines sinnstiftenden Geschichts- und Identitätsnarrativs braucht ein Kanon auf institutioneller Ebene eine Infrastruktur, die Bildungsinstitutionen, Verlage, Kunstund Kulturinstanzen sowie eine Medienlandschaft umfasst, die sowohl kulturell als auch wirtschaftlich verankert sind. Diese Institutionen, die, wie Mads Rosendahl Thomsen argumentiert, häufig eine nationale Basis haben,1 kultivieren bestimmte Selektionskriterien und Wertvorstellungen, die auf einem Archiv von vorhandenen Deutungsmustern aufbauen. Gespeichert und weitergegeben werden diese Vorstellungen in wissenschaftlichen Publikationen, Lehrbüchern, Publizistik und 1

Vgl. Rosendahl Thomsen (2019): S. 215.

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Ausstellungen. Bestätigt werden sie außerdem durch die Vergabe von Preisen und Stipendien. Dabei hat ein Kulturgut, das in mehreren gesellschaftlichen Teilbereichen (z.B. in Wissenschaft, Museen und Publizistik) gleichzeitig zirkuliert, eine wesentlich höhere Chance, in den Kanon aufgenommen zu werden, wie diese Studie dargelegt hat. Die primär national orientierte Rezeptionsinfrastruktur ist jedoch auf vielfältiger Weise mit anderen kulturellen Kontexten verbunden. Eine wichtige Voraussetzung für die Vernetzung von Rezeptionsnetzwerken sind erstens Migrationsbewegungen sowie weltweite Diskussionen über den Umgang mit der Geschichte des Kolonialismus.2 Beide Faktoren können die Vorstellung entscheidend verschieben, was zu einem als national gedachten Kanon gehört, wie die Aufnahme des surinamischen Widerstandskämpfers und Autors Anton de Kom (1898-1945) in den niederländischen Geschichtskanon für den Schulunterricht im Jahre 2020 exemplarisch zeigt. Auf Versuche zur Revision und Entgrenzung des Kanons reagieren auch diverse Kunst- und Literaturpreise, die statt national nun transnational vergeben werden,3 sowie Stipendien- und Förderprogramme für ausländische Kulturprojekte. Die vorhandene Rezeptionsinfrastruktur in einer Kultur kann von Migrant*innen außerdem aktiv erweitert werden, indem sie neue Institutionen oder Medien gründen, wie das Beispiel des sowjetischen Kunstsammlers Aleksandr Glezer in dieser Untersuchung deutlich macht, der nach seiner Emigration aus Moskau im Jahre 1975 ein Museum und einen Verlag in Paris eröffnete. Mittlerfiguren spielen nicht zuletzt als Übersetzer*innen von Texten und Wissen eine äußerst wichtige Rolle in globalen Austausch- und Vernetzungsprozessen. Die Frage, was transkulturell rezipiert und kanonisiert wird, hängt jedoch nicht nur von migratorischen und markttechnischen Faktoren ab, sondern hat auch ästhetische und gattungspoetische Gründe. Auf den letzten Punkt konzentriert sich Franco Moretti, wenn er sich in seiner Studie Graphs, Maps, Trees (2005) weniger für die Zirkulation von einzelnen kanonischen Werken und stattdessen für die Verbreitung von einflussreichen Genres wie dem Roman interessiert, die er als Zentren in der Literaturgeschichte betrachtet, um die herum sich Clusters bilden.4 Auch Harrison White hebt in Careers and Creativity (1993) die wichtige Rolle hervor, die Gattungen, Strömungen und Schulen in der Rezeption spielen, da sie als realitätsstiftende Filter für die Wahrnehmung von Kunst funktionieren und damit einen Rahmen für Auswahl- und Bewertungsvorgänge vorgeben.5 Ein solcher Wiedererkennungseffekt erweist sich in Prozessen der transkulturellen Kanonbildung besonders dann als erfolgreich, wenn er gleichzeitig mit Elementen des 2 3 4 5

Vgl. zum Konnex zwischen Postkolonialismus und transnationaler Kanonbildung ebd.: S. 222. Vgl. ebd.: S. 226. Vgl. Franco Moretti (2005): Graphs, Maps, Trees: Abstract Models for a Literary History. London: Verso. Vgl. zu diesem Punkt auch Rosendahl Thomsen (2019): S. 219f. Vgl. White (1993): S. 55.

5. Schluss

Unbekannten oder Exotischen verbunden ist.6 Was jedoch letztendlich als ›bekannt‹ bzw. ›neu‹ wahrgenommen wird, hat mit dem Aufnahmebedürfnis einer Kultur zu tun. Dabei lässt sich beobachten, dass vor allem die Kunstwerke, die in mehreren kulturellen Kontexten als Antwort auf gesellschaftliche Debatten oder Sinnfragen betrachtet werden,7 eine relativ große Chance haben, in den Kanon aufgenommen zu werden. So wurde der Moskauer Konzeptualismus, um zur Fallstudie dieser Untersuchung zurückzukehren, nach 1989 in einen Erinnerungsdiskurs über die Geschichte des Totalitarismus und des Kalten Kriegs integriert, der eine globale Dimension mit nationalen Schwerpunkten hat. Obwohl Rezeptionsinfrastrukturen, so ist resümierend festzuhalten, bislang primär national verankert sind, sind sie durch Migrationsbewegungen, Übersetzungen, Förder- und Investitionsprogramme mit anderen Kulturen vernetzt. Auch Wünsche nach ästhetischer Erneuerung und die Suche nach Antworten auf gesellschaftliche Sinn- und Orientierungsfragen in einer sich rasch verändernden Welt, die in Kunst und Literatur gefunden werden, spielen eine wichtige Rolle in Prozessen der transkulturellen Kanonbildung. Mit ihrer Verschränkung von kulturwissenschaftlichen mit soziologischen Fragestellungen und Erkenntnissen hofft diese Untersuchung, über die Fallstudie des Moskauer Konzeptualismus hinausgehend zu weiteren Forschungsarbeiten zur transkulturellen Zirkulation von Kultur und Wissen anzuregen.

6 7

Vgl. Willms (2018): S. 194; vgl. Rosendahl Thomsen (2019): S. 220. Vgl. zu diesem Thema auch ebd.

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Grafikverzeichnis Grafik 1: Vermittlungszentren in der deutschsprachigen Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus (1969-2020) Grafik 2: Vermittlungszentren in der frühen Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus in Westeuropa (1965-1985) Grafik 3: Vermittlungszentren in der russischen Rezeptionsgeschichte des Moskauer Konzeptualismus (1967-2020) Grafik 4: Die Entstehung des Moskauer Konzeptualismus zwischen Mitte der 1960er und 1970er Jahre Grafik 5: Verflechtungen im russisch-deutschen Mittlernetzwerk des Moskauer Konzeptualismus am Beispiel von Wanderausstellungen (1988-2005) Grafik 6: Die Entstehung von Deutungsansätzen aus dem Wechselspiel zwischen Makro-, Meso- und Mikroebene am Beispiel von Boris Groys’ Aufsatz »Der Moskauer romantische Konzeptualismus«

Interviewverzeichnis Interview der Verfasserin mit Kathrin Becker am 19.09.2016, Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.), Berlin.

Bibliographie

Interview der Verfasserin mit Ev Fischer am 21.09.2016, ifa-Galerie, Berlin. Interview der Verfasserin mit Dr. Marina Sandmann am 24.09.2016, Dr. Marina Sandmann-Galerie und Art Management, Berlin. Interview der Verfasserin mit Snežana Kr”steva am 30.03.2017, Garage Museum of Contemporary Art, Moskau. Interview der Verfasserin mit Andrej Monastyrskij am 15.04.2017, Wohnung von Andrej Monastyrskij, Moskau. Interview der Verfasserin mit Dr. Sabine Hänsgen am 27.10.2018 in der Shedhalle Zürich, am 10.05.2017 und 11.05.2017 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie am 31.03.2017 an der Higher School of Economics, Moskau. Interview der Verfasserin mit Prof. em. Dr. Karl Eimermacher am 19.10.2018, telefonisches Gespräch.

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Anhang

Gruppenausstellungen im deutschsprachigen Raum Die Liste gibt einen Überblick über Gruppenausstellungen im deutschsprachigen Raum, in denen mindestens zwei Künstler*innen vertreten sind, die im Ausstellungsnarrativ dem Moskauer Konzeptualismus oder einer ihm verwandten Bezeichnung wie NOMA, MANI usw. zugeordnet werden. Einzelausstellungen werden mit Ausnahme der Schau Ilya Kabakov. Am Rande (Bern, 1985), die einen großen Einfluss auf die deutschsprachige Rezeption der Moskauer Konzeptualisten ausgeübt hat, nicht aufgelistet. Bei Wanderausstellungen werden die Ausstellungsstationen im deutschsprachigen Raum genannt. Vollständigkeit wurde so weit wie möglich angestrebt.

1960-1970 1969 Neue Schule von Moskau, Galerie Interior, Frankfurt a.M./Galerie Behr, Stuttgart 1970 Russische Avantgarde in Moskau heute, Galerie Gmurzynska, Köln 1970 Sechs sowjetische Künstler, Galerie Renée Ziegler, Zürich

1971-1980 1973 Russische Kunst der Gegenwart. Grafiken der Avantgarde, Museum am Ostwall, Dortmund 1974 Progressive Strömungen in Moskau 1957-1970, Museum Bochum 1975 Sieben russische Künstler, Galerie Christian Brandstätter, Wien 1975 Russischer Februar 75 in Wien. Sammlung Alexander Gleser, Künstlerhaus Wien 1975 Nonkonformistische russische Maler. Sammlung Alexander Gleser, Kunstverein Braunschweig/Kunstverein Freiburg i.Br./Kunstamt Charlottenburg, Berlin 1976 Alternativen (Sammlung Gleser), Kunstverein Esslingen

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

1976 Russische nonkonformistische Maler. Sammlung Gleser, Kunstverein Konstanz/Städtische Galerie ›Die Fähre‹, Bad Saulgau 1978 Russische Malerei der Gegenwart, Saarlandmuseum, Saarbrücken 1979 20 Jahre unabhängige Kunst aus der Sowjetunion, Museum Bochum

1981-1990 1983-1984 Das Prinzip Hoffnung. Aspekte der Utopie in der Kunst und Kultur des 20. Jahrhunderts, Museum Bochum 1985 Ausstellung Moskauer Künstler: Jankilevskij, Kabakov, Stejnberg, Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld/Museum Bochum 1985-1986 Ilya Kabakov. Am Rande, Kunsthalle Bern/Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf (Einzelausstellung Il’ja Kabakov) 1987 documenta 8, Kassel 1987 Gegenwartskunst aus der Sowjetunion. Ilja Kabakow und Iwan Tschuikow, Museum für Gegenwartskunst Basel 1988 Erik Bulatow, Wladimir Jankilewskij, Ilya Kabakow und Oleg Wassiljew. Zeichnungen und graphische Blätter von vier Moskauer Künstlern, Kupferstichkabinett Dresden 1988 Sowjetkunst heute. Malerei, Graphik und Skulptur aus der Neuen Galerie-Sammlung Ludwig, Aachen und aus der Ludwig-Stiftung für Kunst und Internationale Verständigung, Aachen, Museum Ludwig, Köln 1988 Glasnost. Die neue Freiheit der sowjetischen Maler, Kunsthalle Emden 1988 Živu – Vižu/Ich lebe – Ich sehe. Künstler der achtziger Jahre in Moskau, Kunstmuseum Bern 1988 Iskunstvo I. Berlin – Moskau, Künstlerwerkstatt Bahnhof Westend, Westberlin 1988-1989 Hommage-Demontage, Neue Galerie – Sammlung Ludwig, Aachen/WilhelmHack-Museum, Ludwigshafen am Rhein/Städtisches Museum Gelsenkirchen/Museum Moderner Kunst, Wien 1989 Momentaufnahme – Junge Kunst aus Moskau, Altes Stadtmuseum Münster/Stapelhaus Frankenwerft, Köln/Ravensberger Spinnerei, Bielefeld 1989 Labyrinth. Neue Kunst aus Moskau, Schloss Wotersen bei Hamburg 1989 Von der Revolution zur Perestroika. Sowjetische Kunst aus der Sammlung Ludwig, Kunstmuseum Luzern

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1989 Moskau – Wien – New York. Kunst zur Zeit, Wiener Festwochen im Messepalast, Wien 1989 Jenseits des Streites – Neue sowjetische Kunst, Krings-Ernst-Galerie, Köln 1989 V/O Medhermeneutica, Krings-Ernst-Galerie, Köln 1990 UdSSR. Sowjetische Kunst aus der Sammlung Ludwig, Neue Galerie – Sammlung Ludwig, Aachen 1990 Berlinische Mauer, East-Side Gallery, Berlin

1991-2000 1991 Sowjetische Kunst um 1990/Sovetskoe iskusstvo okolo 1990 goda, Städtische Kunsthalle Düsseldorf 1991 MANI Museum. 40 Moskauer Künstler im Frankfurter Karmeliterkloster, Karmeliterkloster, Frankfurt a.M. 1991 Kunst, Europa. BRD und Sowjetunion, Kunstverein Hannover 1992 documenta 9, Kassel 1992-1993 Humanitäre Hilfe. Päckchen für Deutschland, Tränenpalast Berlin 1993 NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten, Hamburger Kunsthalle 1993-1994 Die Sprache der Kunst: Die Beziehung von Bild und Text in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Kunsthalle Wien/Frankfurter Kunstverein 1993-1994 Russische Avantgarde im 20. Jahrhundert. Von Malewitsch bis Kabakow, Museum Ludwig in der Josef-Haubrich-Kunsthalle Köln 1994 Fluchtpunkt Moskau. Werke der Sammlung Ludwig und Arbeiten für Aachen, Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen 1994 Tyrannei des Schönen. Architektur der Stalin-Zeit, Österreichisches Museum für angewandte Kunst, Wien 1994 6 Moskauer Konzeptualisten, Galerie Rigassi, Bern 1994 Europa, Europa: das Jahrhundert der Avantgarde in Mittel- und Osteuropa, Bundeskunsthalle, Bonn 1995 Kunst im Verborgenen. Nonkonformisten Rußland 1957-1995. Sammlung des Staatlichen Zarizino-Museums Moskau, Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen am Rhein/documenta-Halle, Kassel/Staatliches Lindenau Museum, Altenburg

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1995 Unser Jahrhundert: Menschenbilder – Bilderwelten, Museum Ludwig, Köln 1995 Kräftemessen. Eine Ausstellung ost-östlicher Positionen innerhalb der westlichen Welt, Künstlerwerkstatt Lothringer Straße 13, Kulturreferat der Landeshauptstadt München 1995 Der Aufstand der Bilder. Moskauer Maler 1974-1994, Hallescher Kunstverein, Halle 1995 In Moskau… in Moskau…, Badischer Kunstverein, Karlsruhe 1996 Flug – Entfernung – Verschwinden. Konzeptuelle Moskauer Kunst, Haus am Waldsee, Berlin/Stadtgalerie im Sophienhof, Kiel 1996-1997 Zeitgenössische Kunst im Museum Ludwig. Neuerwerbungen 1992-1996, Museum Ludwig, Köln 1996-1997 Nonkonformisten. Die zweite russische Avantgarde 1955-1988. Sammlung BarGera, Städel Museum, Frankfurt a.M./Museum Morsbroich, Leverkusen/Kulturhaus der Bayer AG, Leverkusen/Josef Albers Museum Quadrat, Bottrop 1997 Die Epoche der Moderne. Kunst im 20. Jahrhundert, Martin-Gropius-Bau, Berlin 1997 Mystical Correct, Galerie Hohenthal und Bergen, Berlin 1998-1999 7. Triennale der Kleinplastik 1998. Zeitgenössische Skulptur aus Europa und Afrika, Südwest-LB Forum, Stuttgart 1998-2001 Präprintium: Moskauer Bücher aus dem Samizdat, Staatsbibliothek zu Berlin/Weserburg Museum, Bremen/Minoritenkloster Graz/Österreichische Nationalbibliothek, Wien/Prinz-Max-Palais Karlsruhe 1999-2000 Kunst im Untergrund. Nonkonformistische Künstler aus der Sowjetunion, Albertina Museum, Wien 1999-2000 Neues Moskau. Kunst aus Moskau und St. Petersburg, ifa-Galerie Berlin/ifaGalerie Stuttgart/ifa-Galerie Bonn 2000 Samizdat: Alternative Kultur in Zentral- und Osteuropa. Die 60er bis 80er Jahre, Akademie der Künste, Berlin 2000 Herausforderung Tier – Von Beuys bis Kabakov, Städtische Galerie Karlsruhe

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2001-2020 2000-2001 Die zweite russische Avantgarde. Nonkonformisten 1955-1988. Bilder und Fotodokumente aus der Sammlung Bar-Gera, Märkisches Museum Witten 2000-2002 Das Rote Haus. Zeitgenössische russische Kunst aus der Sammlung Bierfreund, Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen/Städtische Galerie Villa Zanders, Bergisch Gladbach 2003-2004 Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 1950-2000, Martin-Gropius-Bau, Berlin 2003-2004 Traumfabrik Kommunismus. Die visuelle Kultur der Stalinzeit, Schirn Kunsthalle, Frankfurt a.M. 2003-2004 Moskauer Konzeptualismus. Sammlung Haralampi G. Oroschakoff. Sammlung, Verlag und Archiv Vadim Zacharov, Kupferstichkabinett Berlin 2004 Privatisierungen. Zeitgenössische Kunst aus Osteuropa, Kunst-Werke Berlin 2004 Nonkonformisten aus Moskau, Ludwig Museum im Deutschherrenhaus Koblenz 2005 Avantgarde im Untergrund. Russische Nonkonformisten aus der Sammlung BarGera, Kunstmuseum Bern 2008 Die totale Aufklärung. Moskauer Konzeptkunst 1960-1990, Schirn Kunsthalle, Frankfurt a.M. 2009 1968. Die große Unschuld, Kunsthalle Bielefeld 2009-2010 1989. Ende der Geschichte oder Beginn der Zukunft?, Kunsthalle Wien 2011-2012 Passion Bild: Russische Kunst seit 1970 – Die Sammlung Arina Kowner, Kunstmuseum Bern

Gruppenausstellungen im (post-)sowjetischen Russland Die Liste gibt einen Überblick über Gruppenausstellungen im (post-)sowjetischen Russland, in denen mindestens zwei Künstler*innen vertreten sind, die im Ausstellungsnarrativ dem Moskauer Konzeptualismus oder einer ihm verwandten Bezeichnung wie NOMA, MANI usw. zugeordnet werden. Einzelausstellungen von Künstler*innen werden nicht erwähnt. Bei Wanderausstellungen werden die Ausstellungsstationen in Russland genannt. Vollständigkeit wurde so weit wie möglich angestrebt.

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

1960-1970 1967 Retrospektivizm [Retrospektivismus], Ausstellung von Vitalij Komar und Aleksandr Melamid, Café Blauer Vogel, Moskau 1968 Eintagesausstellungen von Ėrik Bulatov, Oleg Vasil’ev und Il’ja Kabakov, Café Blauer Vogel, Moskau

1971-1980 1973 Fikcija No. 4. Konceptualizm. Refleksii [Fiktion Nr. 4. Konzeptualismus. Reflexionen], Moskauer Künstlerverband, Moskau 1974 Pervyj osennij prosmotr kartin na otkrytom vozduche [Erste herbstliche Bildervorführung unter freiem Himmel] bzw. Bul’dozernaja vystavka [BulldozerAusstellung], Beljaevo, Moskau 1974 Vtoroj osennij prosmotr kartin na otkrytom vozduche [Zweite herbstliche Bildervorführung unter freiem Himmel], Izmajlovskij Park, Moskau 1975 Dvadcat’ moskovskich chudožnikov [Zwanzig Moskauer Künstler], Pavillon für Bienenzucht auf VDNCH, Moskau 1975 Vystavka proizvedenij molodych chudožnikov Moskvy [Ausstellung von Werken junger Moskauer Künstler], Haus der Kultur auf VDNCH, Moskau 1976 Gruppenausstellung in der Wohnung von Gennadij Donskoj, Moskau 1976 Gruppenausstellung in der Wohnung von Michail Odnoralov, Moskau 1976 Gruppenausstellung in der Wohnung von Leonid Sokov, Moskau 1977 1-ja vystavka sekcii živopisi Gorkoma grafikov [Erste Ausstellung der Sektion Malerei des Gorkom der Grafiker], Malaja Gruzinskaja, Moskau 1979 Cvet, forma, prostranstvo [Farbe, Form, Raum], Malaja Gruzinskaja, Moskau

1981-1990 1982-1984 APT-ART-Ausstellungen, Wohnung von Nikita Alekseev, Moskau 1983 Akvarel’. Risunok. Ėstamp [Aquarell. Zeichnung. Lithografie], Malaja Gruzinskaja, Moskau 1986 17-ja vystavka proizvedenij molodych moskovskich chudožnikov [17. Ausstellung junger Moskauer Künstler], Kuzneckij most, Moskau 1986 Iskusstvo protiv kommercii, ili Bitca za iskusstvo [Die Kunst gegen Kommerz oder Bitca für die Kunst], Bitcevskij Park, Moskau

Anhang

1986 Oh, Malta, Botschaft der Republik Malta, Moskau 1986 Odnodnevnaja vystavka rabot moskovskich chudožnikov [Eintagesausstellung von Werken Moskauer Künstler], Haus der Kultur der Fabrik ›Dukat‹, Moskau 1986-1987 Vystavka živopisi [Gemäldeausstellung], Malaja Gruzinskaja, Moskau 1987 Pervaja vystavka Kluba Avangardistov (KLAVA) [Erste Ausstellung des Klubs der Avantgardisten (KLAVA)], Ausstellungssaal des Proletarskij-Bezirks, Moskau 1987 Chudožnik i sovremennost’ [Der Künstler und die Gegenwart], Ausstellungssaal Na Kaširke, Moskau 1987 Ob”jekt-I [Objekt-I], Malaja Gruzinskaja, Moskau 1987 Žilišče [Wohnstätte], Galerie Beljaevo, Moskau 1987 Retrospekcija tvorčestva moskovskich chudožnikov. 1957-1987. Živopis’. Čast’ 1 [Rückschau auf das Werk Moskauer Künstler. 1957-1987. Malerei. Teil 1], Galerie Beljaevo, Moskau 1987 Retrospekcija tvorčestva moskovskich chudožnikov. 1957-1987. Živopis’. Čast’ 2 [Rückschau auf das Werk Moskauer Künstler. 1957-1987. Malerei. Teil 2], Galerie Beljaevo, Moskau 1987 Vystavka kubizma (KLAVA) [Kubismusausstellung (KLAVA)], Galerie Dmitrij Vrubel’, Moskau 1987 Vizual’naja chudožestvennaja kul’tura [Visuelle künstlerische Kultur], Galerie Beljaevo, Moskau 1987-1988 Vystavka v adu, ili Vystavka dlja žitelej nižnego i verchnego mira (KLAVA) [Ausstellung in der Hölle, oder Ausstellung für Bewohner der niederen und höheren Welt (KLAVA)], Caricyno Park, Moskau 1988 Geometrija v iskusstve [Geometrie in der Kunst], Ausstellungssaal Na Kaširke, Moskau 1988 Labirint [Labyrinth], Palast der Jugend, Moskau 1988 Vtoraja vystavka Kluba Avangardistov (KLAVA) [Zweite Ausstellung des Klubs der Avantgardisten (KLAVA)], Ausstellungssaal des Proletarskij-Bezirks, Moskau 1988 Banja [Banja], Männerabteilung in den Sandunovskie bani, Moskau 1989 Foto v živopisi [Das Foto in der Malerei], Pervaja galereja, Moskau 1989 Dorogoe iskusstvo [Teure Kunst], Palast der Jugend, Moskau

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

1989 Iskunstvo II. Moskau – Berlin, VDNCH, Moskau 1989 Perspektivy konceptualizma (KLAVA) [Perspektiven des Konzeptualismus (KLAVA)], Galerie Peresvetov pereulok, Moskau 1989 Novyj Ierusalim (KLAVA) [Neues Jerusalem (KLAVA)], Novyj Ierusalim, Moskau 1989 Raušenberg – nam, my – Raušenberg [Rauschenberg zu uns, wir zu Rauschenberg], Pervaja galereja, Moskau 1989 …do 33-x […bis 33], Palast der Jugend, Moskau 1989-1990 Tranzit: russkie chudožniki meždu Vostokom i Zapadom [Transit: russische Künstler zwischen Ost und West], Zentrales Haus der Künstler, Moskau/Russisches Museum, Leningrad 1990 Logika paradoksa [Die Logik des Paradoxes], Palast der Jugend, Moskau 1990 V storonu ob”ekta [Zum Objekt], Ausstellungssaal Na Kaširke, Moskau 1990 Rabotnica [Arbeiterin], Ausstellungssaal Oktjabr’skaja ulica, Moskau 1990 Katalog [Katalog], Palast der Jugend, Moskau 1990 Šizokitaj: Galljucinacija u vlasti [Schizo-China: Halluzination der Macht], VDNCH, Moskau 1990 Za kul’turnyj otdych [Für eine kulturelle Auszeit], Ausstellungssaal Na Kaširke, Moskau

1991-2000 1990-1991 Drugoe iskusstvo: Moskva 1956-1976 [Andere Kunst: Moskau 1956-1976], Tret’jakov Galerie, Moskau 1991 Oblava [Razzia], Galerie ČP, Moskau 1991 Malaja Gruzinskaja 28 [Malaja Gruzinskaja 28], Manež, Moskau 1991 Poseščenie (KLAVA) [Der Besuch (KLAVA)], Galerie Peresvetov pereulok, Moskau 1991 Privatnye zanjatija [Privatunterricht], Galerie 1.0, Moskau 1991 Novečento. Opyt muzeefikacii novogo iskusstva [Novecento. Der Versuch zur Musealisierung der neuen Kunst], Zentrales Haus der Künstler, Moskau 1991-1992 Topografija [Topografie], L Galerie, Moskau

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1992 Batalija i idillija [Schlacht und Idylle], Galerie Velta, Moskau 1992 Klub Avangardistov [Klub der Avantgardisten], Butyrskaja tjur’ma [ButyrkaGefängnis], Moskau 1992 Sovetskoe iskusstvo okolo 1990 goda, Zentrales Haus der Künstler, Moskau 1992 Moskovskij romantizm [Moskauer Romantik], Zentrales Haus der Künstler, Moskau 1992 Soc-art. Iz fondov muzeja Caricyno [Soz-Art. Aus den Beständen des CaricynoMuseums], V. I. Lenin Museum, Moskau 1992 Apologija zastenčivosti, ili Iskusstvo iz pervych ruk [Apologie der Schüchternheit oder Kunst aus erster Hand], Ridžina Galerie, Moskau 1992 Sud’ba teksta [Das Schicksal des Textes], L Galerie, Moskau 1992 Opasnye svjazi [Gefährliche Beziehungen], CAC, Moskau 1992-1993 Gumanitarnaja pomošč’. Posylki dlja Germanii [Humanitäre Hilfe. Päckchen für Deutschland], Zentrales Haus der Künstler, Moskau 1993 Filosofija imeni [Die Philosophie des Namens], CAC, Moskau 1993 Iskusstvo kak vlast’. Vlast’ kak iskusstvo [Kunst als Macht. Macht als Kunst], Zentrales Haus der Künstler, Moskau 1993 Konversija [Konversion], Gel’man Galerie, Moskau 1993 Inspekcija Medicinskaja germenevtika. Pustye ikony [Inspektion Medizinische Hermeneutik. Leere Ikonen], L Galerie, Moskau 1994 Moskovskie chudožniki. Novyj vzgljad [Moskauer Künstler. Ein neuer Blick], Ausstellungssaal der Moskauer Galerie, Moskau 1994 Majskaja vystavka [Mai-Ausstellung], Ausstellungssaal des Künstlerverbands der UdSSR, Moskau 1994 Pobeda i poraženie [Sieg und Niederlage], Obscuri viri, Moskau 1994 Chudožnik vmesto proizvedenija [Künstler statt Kunstwerk], Zentrales Haus der Künstler, Moskau 1994 Russian Artists of the 1990s (Towards the Moscow International Biennale of Contemporary Art), Zentrales Haus der Künstler, Moskau

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

1994 Iskusstvo prinadležit narodu I [Die Kunst gehört dem Volk I], unterschiedliche Ausstellungsorte, Moskau 1994 Pograničnye zony iskusstva [Grenzzonen der Kunst], Kunstmuseum Sotschi 1995 Suchaja voda [Trockenes Wasser], Museum Bachčisaraj, Krim 1995 Esotericum, XL Galerie, Moskau 1995 Čistaja Rodina [Reine Heimat], ICA, Moskau 1995 Zimnij sad [Wintergarten], Kulturzentrum Feniks, Moskau 1995 Sud’ba teksta 2 [Das Schicksal des Textes 2], L Galerie, Moskau 1995 Mul’tiplikacija [Animation], Ausstellungssaal Na Kaširke, Moskau 1995 O krasote [Über Schönheit], Ridžina Galerie, Moskau 1995 Iskusstvo umirat’ [Die Kunst des Sterbens], Manež, Moskau 1995 Iskusstvo pod zapretom. Chudožniki nonkonformisty v Rossii 1957-1995 [Kunst im Verborgenen. Nonkonformisten in Russland 1957-1995], Manež, Moskau 1995 Progulki za gorizont [Spaziergänge über den Horizont], Ausstellungssaal in der Profsojuznaja ulica, Moskau 1995 Iskusstvo prinadležit narodu II [Die Kunst gehört dem Volk II], unterschiedliche Ausstellungsorte, Moskau 1996 Copyright-96, Galerie Ajdan, Moskau 1996 The Second Russian Avantgarde 1955-1988. The Bar-Gera Collection, Russisches Museum, St. Petersburg/Tret’jakov Galerie, Moskau 1996 Art Moskva 1996 [Art Moskva 1996], Zentrales Haus der Künstler, Moskau 1996 Moskovskij forum chudožestvennych iniciativ 1996 [Moskauer Forum für künstlerische Initiativen 1996], Manež, Moskau 1996 Zona [Zone], Tret’jakov Galerie, Moskau 1996 KLAVA-96 [KLAVA-96], Ausstellungssaal des Proletarskij-Bezirks, Moskau 1996-1997 V gostjach u skazki [Zu Besuch in einem Märchen], Zentrum für zeitgenössische Kunst, Moskau

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1997 Istorija v licach. 1956-1996 [Geschichte in Gesichtern. 1956-1996], Ausstellungskomplex Nischni Nowgorod/Kunstmuseum Nowosibirsk/Kunstmuseum Samara/Kunstmuseum Jekaterinburg/Kunstmuseum Perm 1997 Mir čuvstvennych veščej v kartinkach – konec XX veka [Die Welt der sinnlichen Dinge in Bildern vom Ende des 20. Jahrhunderts], Staatliches Museum für Bildende Künste A. S. Puškin, Moskau 1998 Art Moskva 1998 [Art Moskva 1998], Zentrales Haus der Künstler, Moskau 1998 Letnie kanikuly [Sommerferien], Fine Art Gallery, Moskau 1998 Prava čeloveka [Menschenrechte], Museum A. D. Sacharova, Moskau 1998 Fauna [Fauna], Manež, Moskau 1999 Russkoe iskusstvo konca 1950-ch, načala 1980-ch (ot abstrakcii do konceptualizma [Russische Kunst vom Ende der 1950er bis Anfang der 1980er (von der Abstraktion bis zum Konzeptualismus)], Zentrales Haus der Künstler, Moskau 1999 Kniga chudožnika: Rossija 1970-1990-e gody [Das Künstlerbuch: Russland von den 1970er bis 1990er Jahre], Staatliches Museum für Bildende Künste A. S. Puškin, Moskau 1999 Forbidden Art: The Postwar Russian Avant-Garde, Russisches Museum, St. Petersburg/Tret’jakov Galerie, Moskau 1999-2000 Bezumnyj dvojnik. Vystavka smešnogo iskusstva [Der verrückte Doppelgänger. Eine Ausstellung lustiger Kunst], Zentrales Haus der Künstler, Moskau/ NCCA, Nischni Nowgorod/Kunstmuseum Samara/Kunstmuseum Jekaterinburg 1999-2000 ›Zvezda M.G.‹ Psichodeličeskaja linija v rossijskom iskusstve 1990-ch godov [›Der Stern M.G.‹ Die psychedelische Linie in der russischen Kunst der 1990er Jahre], Kultur- und Ausstellungszentrum Krasnojarsk/Kunstmuseum Kemerowo/Kunstmuseum Nowosibirsk 2000 Rodina ili smert’ (KLAVA) [Heimat oder Tod (KLAVA)], Museum für nonkonformistische Kunst, St. Petersburg 2000 Otkrytie muzeja ›Drugoe iskusstvo‹ (kollekcija L. Taločkina) [Eröffnung des Museums ›Drugoe iskusstvo‹ (Sammlung L. Taločkin)], Museum ›Drugoe iskusstvo‹ an der RGGU, Moskau 2000 Drugie raboty chudožnikov galerei [Andere Werke von Künstlern der Galerie], Ridžina Galerie, Moskau 2000 Art Manež 2000 [Art Manež 2000], Manež, Moskau

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

2001-2020 2001 Glubinnaja Germanija [Tiefes Deutschland], Ausstellungssaal Na Kaširke, Moskau 2001 The Second Russian Avantgarde 1955-1988. The Bar-Gera Collection, Kunstmuseum Samara/MMOMA Moskau 2001 Inspekcija ›Medicinskaja germenevtika‹ i russkoe iskusstvo 1990-ch godov [Inspektion ›Medizinische Hermeneutik‹ und die russische Kunst der 1990er Jahre], Zentrales Haus der Künstler, Moskau 2002 Aktual’naja russkaja živopis’. 1992-2002. [Aktuelle russische Malerei. 19922002], Manež, Moskau 2002 Moskovskij meždunarodnyj forum chudožestvennych iniciativ 2002. Rodina/Otečestvo [Moskauer internationales Forum für künstlerische Initiativen 2002. Mutterland/Vaterland], Manež, Moskau 2002 Melioracija ili iskusstvo dlja lučšej žizni [Melioration oder Kunst für ein besseres Leben], Kljaz’minskoe vodochranilišče, Moskau 2003 ArtKljaz’ma 2003 [ArtKljaz’ma 2003], Kljaz’minskoe vodochranilišče, Moskau 2003 Artkonstitucija [Kunstverfassung], MMOMA, Moskau 2004 ArtKljaz’ma 2004 [ArtKljaz’ma 2004], Kljaz’minskoe vodochranilišče, Moskau 2004 Moskva – Berlin/Berlin – Moskva 1950-2000, Staatliches Historisches Museum, Moskau 2004 Rossija, vpered! [Vorwärts, Russland!], Ridžina Galerie, Moskau 2004 Moj Kabakov [Mein Kabakov], Stella Art Foundation, Moskau 2005 APTART. 1982-1984. Istorija. [APTART. 1982-1984. Die Geschichte], E. K. ArtBjuro, Moskau 2005 First Moscow Biennale of Contemporary Art, Moskau 2005 Soobščniki. Kollektivnye i interaktivnye proizvedenija v russkom iskusstve 19602000-x godov [Komplizen. Kollektive und interaktive Werke in der russischen Kunst der 1960er bis 2000er Jahre], Tret’jakov Galerie, Moskau 2005 Russkij pop-art [Russische Pop-Art], Tret’jakov Galerie, Moskau 2005 Essence of Life – Essence of Art. Graphic Art of Conceptual Artists of Russia and Eastern Europe, Tret’jakov Galerie, Moskau

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2006 Essence of Life Art. Graphic Art of Conceptual Artists of Russia and Eastern Europe, Museum Ludwig im Russischen Museum, St. Petersburg 2007 Innovacija [Innovation], NCCA, Moskau 2007 Soc-art. Političeskoe iskusstvo v Rossii i Kitae [Soz-Art. Politische Kunst in Russland und China], Tret’jakov Galerie, Moskau 2009 Kollekcija i archiv Vadima Zacharova [Sammlung und Archiv Vadim Zacharov], NCCA, Moskau 2009 Russkij lettrizm. Rabota chudožnika so slovom ot konceptualizma do aktual’nogo iskusstva [Russischer Lettrismus. Künstlerische Arbeit mit dem Wort vom Konzeptualismus bis zur aktuellen Kunst], Zentrales Haus der Künstler, Moskau 2009 3rd Moscow Biennale, unterschiedliche Ausstellungsorte, Moskau 2010 Pole dejstvija. Moskovskaja konceptual’naja škola i ee kontekst. 70-e-80-e gody XX veka [Aktionsfeld. Die Moskauer konzeptuelle Schule und ihr Kontext. Die 1970er1980er Jahre des 20. Jahrhunderts], The Ekaterina Cultural Foundation, Moskau 2011 Pjat’ papok MANI: Opyt modelirovanija kul’turnogo prostranstva [Fünf MANI Mappen: Versuch zur Modellierung des kulturellen Raums], The Ekaterina Cultural Foundation, Moskau 2012 Moskovskij konceptualizm. Načalo [Moskauer Konzeptualismus. Der Anfang], NCCA, Nischni Nowgorod 2013 Rekonstrukcija. Čast’ 1: 1990-1995 [Rekonstruktion. Teil 1: 1990-1995], The Ekaterina Cultural Foundation, Moskau 2014 Rekonstrukcija. Čast’ 2: 1996-2000 [Rekonstruktion. Teil 2: 1996-2000], The Ekaterina Cultural Foundation, Moskau 2014 Manifesta 10. The European Nomadic Biennial, Ėrmitaž, St. Petersburg 2016-2017 Sovremennoe iskusstvo: 1960-2000. Perezagruzka [Gegenwartskunst: 19602000. Neustart], Tret’jakov Galerie, Moskau 2017 1-ja Triennale rossijskogo sovremennogo iskusstva [Erste Triennale der russischen Gegenwartskunst], Garage Museum of Contemporary Art, Moskau 2019 Moskovskij konceptualizm. Svjaz’ [Moskauer Konzeptualismus. Verbindung], Design Center Artplay, Moskau

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Index

A Abalakova, Natal’ja, 197, 203, 207, 213 Abramovič, Roman, 246, 253 Alekseev, Nikita, 75, 79, 89, 94, 95, 110, 113, 119, 126, 142, 147, 148, 150, 152, 158, 163, 166, 167, 189, 198, 201–205, 209, 220, 221, 226, 242 Al’bert, Jurij, 163, 164, 166, 179, 187, 189, 190, 192, 194–196, 198, 199, 205, 209, 246, 253, 255–259, 261, 276 Andreenkov, Vladimir, 114 Anufriev, Sergej, 142, 150, 163, 164, 166, 179, 203, 209, 219, 255 Aparin, V., 91, 92 Arsen’ev, Pavel, 235, 236 Assmann, Jan, 41 B Bachčanjan, Vagrič, 89, 115 Bachmann-Medick, Doris, 72 Baigell, Renee und Matthew, 102 Bakštejn, Iosif, 23, 26, 113, 136, 142, 150, 158, 163, 172, 184, 189, 194, 195, 198, 199, 215, 216, 269 Bal, Mieke, 57 Barabanov, Evgenij, 108, 125–127, 175, 193, 260, 261, 269, 279 Bar-Gera, Jacob und Kenda, 34 Barran, Julian, 40

Barsch, Barbara, 166 Barthes, Roland, 92, 231 Baßler, Moritz, 47 Baudrillard, Jean, 231 Bayer, Waltraud, 40 Bažanov, Leonid, 212, 215, 230 Bazaz’janc, Stella, 230 Beauvoir, Simone de, 92 Becker, Kathrin, 166, 167 Benjamin, Walter, 26, 231 Bennett, Tony, 67 Bertelé, Matteo, 93, 94 Beuys, Joseph, 84 Bignamini, Ilaria, 95 Bloom, Harold, 42, 138 Bobrinskaja, Ekaterina, 36, 175, 178 Bode, Michail, 225, 226 Böhme, Hartmut, 56 Bourdieu, Pierre, 59 Bozo, Dominique, 116 Breerette, Geneviève, 91 Brener, Aleksandr, 219, 220, 222 Brežnev, Leonid, 81, 92, 201 Brjancev, K., 91 Brockhoff, Annette, 109, 155 Bruni, Lev, 193 Brusilovskij, Anatolij, 96 Bruskin, Griša, 34, 39, 41, 123, 179, 184, 261 Bukovskij, Vladimir, 92, 93 Bulatov, Dmitrij, 263

Index

Bulatov, Ėrik, 21, 34, 83, 85, 94, 101, 107, 118–124, 129, 130, 149, 154, 165, 179, 182, 189–191, 195, 196, 197, 212, 239, 242, 255, 262, 265, 277 Bürger, Peter, 233 C Callon, Michel, 63 Cameron, Dan, 121 Cereteli, Zurab, 241, 242 Chakrabarty, Dipesh, 23 Cholin, Igor’, 82, 115, 156, 157 Chorošilov, Pavel, 174, 248 Chruščev, Nikita, 98, 191, 195, 201, Chvostenko, Aleksej, 89, 96 Crispolti, Enrico, 94 Č Čuchrov, Keti, 36 Čujkov, Ivan, 19, 34, 39, 85, 86, 94, 95, 101, 107, 118, 119, 179, 189, 195, 199, 201, 210, 212, 219, 221, 242, 255, 265, 269, 276 D Dätsch, Christiane, 26, 71 Davis, Douglas, 75–77 Defago, Alfred, 125 Degot’, Ekaterina, 33, 36, 81, 139–141, 153, 174, 195, 215, 225, 226, 244, 248–250, 253–255, 259, 267, 269 Deleuze, Gilles, 92, 167, 231 Derrida, Jacques, 231 Diaconov, Valentin, 216 Diaz-Bone, Rainer, 57 Dodge, Norton, 34, 83, 108, 116, 125, 148, 171, 237 Donskoj, Gennadij, 193, 195, 199, 257 Dostoevskij, Fedor, 154

Dubosarskij, Vladimir, 251, 252 Duchamp, Marcel, 107 Ď Ďurišin, Dionýz, 51 E Eichwede, Wolfgang, 108, 142, 175 Eimermacher, Karl, 35, 107–109, 111, 112, 125, 126, 128, 278, 281 Elagina, Elena, 150, 179, 207, 224, 225, 255, 267 Emirbayer, Mustafa, 56, 57, 59, 60, 73 Engel, C hristine, 234 Engel, Peter, 119, 122, 123 Enzel, Enzo, 142, 144–147 Epstein, Mikhail, 37, 145 Erofeev, Andrej, 237–240, 267, 270 Espagne, Michel, 45–51, 53, 56, 62, 71 F Farver, Jane, 169 Fedorov, Vladimir, 150 Fedorova, Natal’ja, 236 Feldman, Ronald, 77, 83, 95, 122, 192 Filippov, Andrej, 179, 229, 255 Filonov, Pavel, 85, 116 Fischer, Ev, 166 Florkovskaja, Anna, 36 Foucault, Michel, 70, 92 Fowle, Kate, 31, 214, 230, 239 Frimmel, Sandra, 93 Fritschi, Karl, 125 G Galič, Aleksandr, 89, 91–93, 100, 277 Gambrell, Jamey, 33, 83, 217, 225 Gel’man, Marat, 215, 219 Gerlovin, Valerij, 86, 87, 89, 94, 95, 101, 107, 179, 189, 193, 194, 195, 198, 199, 255, 259, 268, 276

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Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Gerlovina, Rimma, 86, 87, 89, 94, 95, 101, 107, 179, 189, 193, 194, 195, 198, 199, 255, 259, 268, 276 Gießmann, Sebastian, 69, 72 Ginzburg, Aleksandr, 155 Ginzburg, Lev, 156 Glezer, Aleksandr, 33, 77, 81, 82, 89–93, 95, 98–101, 106, 108, 121, 159, 182, 198, 203, 228, 237, 277, 278, 286 Gmurzynska, Antonina, 21, 83, 96, 103 Golomštok, Igor’, 83, 84, 99–101, 108, 139, 182 Gomringer, Eugen, 156 Goodwin, Jeff, 56, 57, 59, 60, 73 Gorbačev, Michail, 188, 209, 214, 218 Goričeva, Tat’jana, 136 Gray, Camilla, 75 Greenblatt, Stephen, 49, 54, 71, 285, Gribkov, Vitalij, 189, 192, 193 Groys, Boris, 11, 20–24, 28, 32, 35, 36, 44, 69, 77, 83, 86, 87, 89, 95, 101, 105, 109, 110, 125, 127, 128, 132–139, 141, 150, 154–156, 159, 166, 167, 169, 177–180, 183, 184, 195, 199, 200, 202, 208, 225, 233, 234, 262, 269, 276, 277, 279–282, 299, 319 Guangqing, Wei, 171 Gundlach, Sven, 142, 203, 209 Günther, Hans, 35, 108, 109, 116 Gutov, Dmitrij, 231 H Haacke, Hans, 192 Hansen-Löve, Aage A., 105 Hänsgen, Sabine, 108–110, 112–114, 120, 125, 127, 131, 132, 142,

155, 158, 159, 161, 175, 183, 236, 255, 278, 281–283 Harten, Jürgen, 40, 166, 173, 174, 247–249, 261 Heiser, Jörg, 132, 134 Hepp, Andreas, 57, 60 Hirt, Günter, 35, 102, 110, 113, 154, 158 Hoet, Jan, 149 Hollstein, Betina, 57 Hüttel, Martin, 113, 114 I Infante-Arana, Fransisko, 19, 34, 85, 86, 94, 95, 97, 113, 179, 189, 199, 201, 206, 221, 242, 255, 269, 276 Ionesco, Eugène, 93 Ionesco, Marie-France, 93 J Jacob, François, 92 Jäger, Siegfried, 69 Jakovlev, Vladimir, 97, 98, 212 Jandl, Ernst, 157 Jankilevskij, Vladimir, 21, 33, 34, 83, 96–99, 101, 104, 107, 108, 113, 114, 118, 125, 126, 182, 195, 197, 201, 227, 261, 265, 277 Jansen, Dorothea, 58, 59 Johns, Jasper, 84 Johnson, Ken, 168, 170 Jolles, Claudia, 122, 130 Jolles, Paul R., 34, 79, 82, 114–116, 118, 120, 121, 182, 210, 229, 237, 241 Julikov, Aleksandr, 259 Jurt, Joseph, 48 K Kabakov, Il’ja, 21, 22, 24, 27, 33, 34, 37, 39, 83, 84, 85, 88, 94,

Index

96, 97, 98, 99, 101, 102, 104, 107, 108, 110, 113, 114, 115, 117–125, 128, 135, 136, 138, 141, 149–152, 154, 156, 165, 171, 173, 174, 179, 181, 182, 187, 189, 190, 191, 193–201, 210, 211, 212, 219, 229, 239, 241, 243–246, 254, 255, 258, 261, 264, 265, 268, 269, 276, 277, 281 Kabakova, Emilija, 244, 245 Kaelble, Hartmut, 46, 55 Kamenskij, Aleksej, 203 Kedrov, Konstantin, 225–227 Keller, Olga, 245 Keller, Thomas, 46 Kesaeva, Stella, 245, 246 Kind, Phyllis, 83, 125 Kiossev, Alexander, 43, 44 Kizeval’ter, Georgij, 35, 95, 198, 201, 213 Klaucke, Volkert, 148, 149 Komar, Vitalij, 15, 33, 75–77, 81, 85, 87, 89, 94, 95, 107, 119, 122, 123, 141, 149, 171, 172, 179, 189, 192, 194–200, 205, 253, 255, 256, 257, 258, 260, 261, 262, 268, 269, 276 Korowin, Elena, 34, 36, 88, 122–125 Kosolapov, Aleksandr, 83, 84, 88, 107, 123, 135, 179, 195, 200, 219, 255, 261, 262 Kostaki, Georgij, 34, 75, 108, 116, 203, 242 Kosuth, Joseph, 37, 132, 190, 192 Kovalev, Andrej, 33, 223, 225, 226, 228, 229, 233, 245, 247, 248, 268, 270 Kretzschmar, Dirk, 81 Krivulin, Viktor, 136 Kropivnickaja, Valentina, 98

Kropivnickij, Lev, 82, 156 Kuczmiński, Andrzej, 114 Kulik, Irina, 33, 225–227, 248, 250 Kulik, Oleg, 219–223, 231, 233 Kuperman, Jurij, 96, 114 Kuskov, Sergej, 232, 233 Kuz’minskij, Konstantin, 89 L Lachmann, Renate, 107, 111, 281 Landert, Markus, 125 Latour, Bruno, 23, 56, 63–66 Law, John, 63 Lebedev, Rostislav, 195, 261 Leiner, Ulrich, 98 Lejderman, Jurij, 138, 150, 153, 163, 164, 166, 179, 219, 221, 255 Lenin, Vladimir, 115 Leo, Peter, 103, Leskov, Nikolaj, 144 Letov, Sergej, 29, 208 Levitan, Isaak, 224 LeWitt, Sol, 134, 190 Limonov, Eduard, 89, 157 Lindenberger, Herbert, 177 Link, Jürgen, 69 Lipovetsky, Mark, 37, 145 Lippard, Lucy, 132, 168 Loskutov, Artem, 263, 264 Lotman, Jurij, 111 Ludwig, Peter, 34, 108, 119, 121–124, 148, 149, 237 Lüsebrink, Hans-Jürgen, 46 Lutzkanova-Vassileva, Albena, 181 Lyotard, Jean-François, 41 M Mackert, Gabriele, 31 Makarevič, Igor’, 150, 179, 207, 224, 225, 255, 267

341

342

Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Maksimov, Vladimir, 89–93, 100, 119, 277 Malevič, Kazimir, 84, 181 Martin, Jean-Hubert, 115–117, 121, 241 Martin, Olga, 102 Marx, Christian, 57, 62 Masterkova, Lidija, 82, 94, 99, 182, 227 Mathieu, Georges, 191 Matjušin, Michail, 85 May, Jan, 94, 128 Medvedev, Kirill, 160, 235, 266 Meier, Stefan, 28, 69 Melamid, Aleksandr, 15, 33, 75–77, 85, 87, 89, 94, 95, 107, 119, 122, 123, 141, 149, 171, 172, 179, 189, 192, 195–197, 199, 200, 219, 253, 255–258, 260–262, 268, 269, 276 Melkonian, Jack, 83 Michajlov, Boris, 24, 171, 179, 219 Mihatsch, Karin, 31, 32 Mironenko, Sergej, 203, 255 Mironenko, Vladimir, 203, 255 Misiano, Viktor, 33, 159, 166, 174, 187, 215–217, 225, 226, 229–231, 248, 267, 269 Mitterbauer, Helga, 54, 55, 57 Momper, Walter, 143 Monastyrskij, Andrej, 22, 29, 30, 39, 89, 95, 110, 113, 114, 122, 131, 136, 141, 142, 149–153, 158, 163, 164, 166, 171, 173, 174, 176, 179, 189, 194, 198, 200, 203, 206, 207, 219, 221–225, 233, 246, 267, 269, 270 Moncada, Gabriella, 94, 95 Moretti, Franco, 286 Morin, Edgar, 48

N Nachova, Irina, 22, 27, 39, 101, 142, 171–174, 179, 212, 243, 271 Nannen, Henri, 34, 108, 119, 122, 123, 148 Naoyoshi, Hikosaka, 170 Nathanson, Melvyn B., 191, 192 Neizvestnyj, Ėrnst, 35, 97, 99, 108, 195, 265 Nekrasov, Vsevolod, 82, 88, 89, 110, 114, 115, 122, 129, 149, 154–161, 179, 195, 255 Nemuchin, Vladimir, 35, 81, 82, 98, 106–109, 113, 201, 206, 212, 227, 261 Neutatz, Dietmar, 101 Newman, Charles, 145 Nolev-Sobolev, Jurij, 195, 198, 265 Novikov, Ivan, 231 Novošilova, Zoja, 125 Nusberg, Lev, 94, 97 O Obuchova, Saša, 218, 267 Odnoralov, Michail, 197, 199 Orlov, Boris, 34, 87, 195, 212, 219, 221, 229, 246, 250 Orlova, Milena, 33, 225, 226, 245, 261 Oroschakoff, Haralampi G., 165–167 Osborne, Peter, 20, 134, 137, 194 Osminkin, Roman, 235, 236 Osmolovskij, Anatolij, 220, 221, 231, 263 Osterhammel, Jürgen, 53 Ovčarenko, Vladimir, 219 Ovčinnikov, Nikolaj, 142, 187 P Pacjukov, Vitalij, 84, 88, 135, 136, 202, 245 Packard, Stephan, 56, 63, 65

Index

Pakesch, Peter, 84, 244 Panitkov, Nikolaj, 131, 150, 176, 179, 198, 203, 208, 255 Papernyj, Vladimir, 85, 260 Parisi, Valentina, 36, 85, 190 Pepperštejn, Pavel, 22, 142, 150, 152, 155, 163, 166, 176, 179, 219, 232, 243, 255 Pianca, Francis, 125 Picasso, Pablo, 97, 116, 190, 229 Pivovarov, Viktor, 94, 118, 124, 163, 165, 179, 189, 191, 195, 197, 201, 208, 212, 255, 261, 265, 277 Platschek, Hans, 123 Plavinskij, Dmitrij, 81, 97, 107, 201, 261 Pljušč, Leonid, 93 Pollock, Jackson, 191 Popov, Evgenij, 157 Popov, Vladimir, 93 Popova, Ljubov’, 76 Prigov, Dmitrij, 22, 24, 37, 84, 88, 101, 110, 113, 114, 122, 124, 135, 142, 143, 149, 150, 155–158, 160, 166, 179, 187, 195, 202, 209, 212, 213, 219, 229, 243, 254, 255, 258, 259, 261, 263–266, 270 Pury, Simon de, 40, 116, 120, 121, 149 Puškin, Aleksandr, 157 Putin, Vladimir, 233, 234, 285 R Rabin, Oskar, 80, 82, 94, 98, 99, 106, 182, 198, 206, 227 Raulet, Gérard, 46 Reitmayer, Morten, 57, 62 Richter, Horst, 97, 98 Riese, Hans-Peter, 33, 113, 123, 259

Rimbaud, Arthur, 211 Ripa di Meana, Carlo, 93, 94 Rodčenko, Aleksandr, 41 Rojter, Andrej, 229 Roloff-Momin, Ulrich, 143 Romanova, Elena, 220 Romaško, Sergej, 132, 176, 179 Rošal’, Michail, 193, 195, 203, 209, 257 Rosendahl Thomsen, Mads, 42, 70, 118, 285, 286 Ross, David, 39, 216 Rubinštejn, Lev, 9, 19, 24, 27, 102, 109, 114, 122, 130, 149, 150, 152, 155–157, 179, 189, 195, 198, 202, 226, 255, 269 Rutten, Ellen, 26, 28–30, 71, 146, 147 Ryklin, Michail, 36 Ryžov, Nikita, 93 S Salachova, Ajdan, 187, 268 Sandmann, Fritz, 212 Sandmann, Marina, 30, 84, 212, 213 Sapgir, Genrich, 82, 115, 156, 157 Sartre, Jean-Paul, 92 Sasse, Sylvia, 37, 167, 175 Satunovskij, Jan, 157 Schmale, Wolfgang, 50 Schmitz, Lilo, 235 Schmitz, Lisa, 142–144 Schneider, Angela, 173, 248 Seeberger, Nicole, 32, 37 Selina, Elena, 220, 253, 268 Sidorov, Aleksandr, 79, 82, 83, 86 Sidur, Vadim, 35, 108, 109, 119, 210 Simonis, Annette, 62 Sinjavskij, Andrej, 92 Skersis, Viktor, 179, 189, 193–195, 203, 204, 207, 255, 257, 258, 261 Skowronek, Thomas, 44, 214, 219 Slavická, Milena, 189

343

344

Kanonbildung im transkulturellen Netzwerk

Sokol, Chaim, 231 Sokov, Leonid, 88, 95, 101, 107, 135, 179, 195, 199, 255, 261, 262 Solomon, Andrew, 34, 39, 142, 143, 191 Solženicyn, Aleksandr, 98 Sooster, Ülo, 96, 97, 114, 195, 265 Sorokin, Vladimir, 24, 119, 142, 150, 155, 156, 160, 179, 201, 233, 234, 255 Soros, George, 230, 267, 268 Spielmann, Peter, 103–108, 127, 278 Stalin, Iosif, 15, 127, 190, 191 Stepanov, A., 119, 120, 210 Stepanov, Viktor, 97 Strauss, Florian, 57 Strauss, Thomas, 36, 138 Sviblova, Ol’ga, 187 Š Šelkovskij, Igor’, 79, 82, 83, 85, 89, 100, 116, 162, 182, 198, 208, 277, 278 Šemjakin, Michail, 89, 91, 93 Šeptulin, Nikolaj, 231 Šiffers, Evgenij, 202, 208 Štejnberg, Eduard, 108, 113, 114, 261 Štern, Michail, 93 T Taločkin, Leonid, 34, 89, 108, 212, 238, 242, 252, 267 Tannert, Christoph, 174, 248 Tarasov, Vladimir, 142 Tavel, Hans-C hristoph von, 124, 125 Ter-Ogan’jan, Avdej 219 Tieck, Catherine, 83 Timofeeva, Oxana, 231 Titov, German, 29 Tlostanova, Madina, 28, 250 Tolstyj, 88, 89, 108 Troickij, Artemij, 216

Tupicyn, Viktor, 82, 89, 139, 140, 141, 153, 171, 202 Tupicyna, Margarita, 33, 82, 83, 108, 134, 148, 153, 166, 171–173, 194, 199, 214, 225, 269 U Ujvary, Liesl, 114, 115, 155, 156 V Vasil’ev, Oleg, 195, 196 Verlaine, Paul, 211 Veselovskij, Aleksandr, 48, 50, 51, 62 Victor, Pierre, 92 Vierny, Dina, 83, 95, 103, 116, 244 Vilenskij, Dmitrij, 231 Vinogradov, Aleksandr, 251, 252 Vinogradov, Igor’, 89 Volkov, Sergej, 142, 255 Vordermayer, Thomas, 57, 59 Voronzov, Sergej, 142 W Wachtel, Andrew, 26, 71 Walterskirchen, Martin von, 116, 125 Wehr, Norbert, 109, 155, 159 Weinhart, Martina, 180 Weiss, Evelyn, 123 Welsch, Wolfgang, 54 Werner, Michael, 45, 46, 51–56, 71 White, Harrison, 57, 60, 61, 72, 274, 286 Willms, Weertje, 118 Winko, Simone, 24, 42–44, 273, 274 Witte, Georg, 35, 102, 103, 108–110, 112–114, 120, 125, 127, 155, 158, 159, 161, 183, 278, 281–283 Wittstock, Uwe, 181 Wonders, Sascha, 35, 102, 110, 154, 158

Index

Y Yurchak, Alexei, 27 Z Zacharov, Vadim, 24, 29, 39, 44, 88, 89, 113, 122, 124, 126, 142, 150, 153, 158, 161–163, 165, 166, 173–177, 179, 189, 203, 204, 207, 209, 229, 246, 247, 253–259 Zagnij, Sergej, 131 Zanevskaja, Rimma, 97 Ziegler, Renée, 21, 96, 114–116 Zimmermann, Bénédicte, 52–55 Zverev, Anatolij, 108, 109 Zvezdočetov, Konstantin, 142, 163, 164, 187, 203, 207, 209, 219, 221, 229–231, 255 Zwirner, Dorothea, 162, 166 Zwirner, Rudolf, 149, 166 Ž Žarkich, Jurij, 81, 106 Žigalov, Anatolij, 179, 203, 207, 213 Žirmunskij, Viktor, 50 Žukova, Dar’ja, 246, 253 Žukovskij, Vasilij, 162

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Kulturwissenschaft Gabriele Dietze

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