Justizberichterstattung in der direkten Demokratie: Kongress der Schweizerischen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie vom 22.–23. Juni 2017 in Bellinzona 3515123687, 9783515123686

Welche Rolle spielt die Justizberichterstattung für die Verwirklichung des Rechts in der direkten Demokratie? Diese Frag

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
(Daniel Kipfer / Anne Kühler)
Justizberichterstattung in der direkten Demokratie: zur Einleitung
I. Rechtshistorische und rechtsphilosophische Grundlagen
(Roy Garré)
Il processo penale e il suo pubblico: Uno sguardo storico
(Matthias Mahlmann)
Rechtsstaat, Demokratie, Öffentlichkeit
II. Legitime und illegitime Erwartungen der Öffentlichkeit an das Recht und deren Vermittlung in den Medien
(Mario Gmür)
Justiz und Medien – Inseln des Unrechtsstaates im Rechtsstaat
(Marianne Heer)
Legitime und illegitime Erwartungen der Öffentlichkeit an das Recht
und deren Vermittlung in den Medien – Strafrechtliche Massnahmen
(Stephan Bernard)
Vom Umgang der Strafverteidigung mit Medien
III. Die Sicht der Medien bzw. Medienschaffenden und des Presserates
(Alex Baur)
Mein Selbstverständnis als Justizkritiker
(Claudia Schoch Zeller)
Justizberichterstattung und das Verständnis der Öffentlichkeit für
die Institutionen und Prinzipien des Rechtsstaats
(Edy Salmina)
Medien und Strafjustiz: eine „attraction fatale“?
(Dominique von Burg)
Le sens des règles déontologiques des journalistes, en particulier dans
la couverture des procès
(André Marty)
Die eigene Rolle überdenken. Die beschränkte Wirkung des Schweizer
Presserates und der Umgang der Strafverfolgung mit Medienschaffenden
(Mascha Santschi Kallay)
Die Funktion der Justizberichterstattung in der direkten Demokratie:
Replik zur Sicht der Medien, der Medienschaffenden und des Presserats
IV. Podiumsdiskussion
Podiumsdiskussion
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Justizberichterstattung in der direkten Demokratie: Kongress der Schweizerischen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie vom 22.–23. Juni 2017 in Bellinzona
 3515123687, 9783515123686

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Justizberichterstattung in der direkten Demokratie Kongress der Schweizerischen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie vom 22.–23. Juni 2017 in Bellinzona Herausgegeben von Daniel Kipfer und Anne Kühler

ARSP Beiheft 159 Franz Steiner Verlag

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie

Justizberichterstattung in der direkten Demokratie Herausgegeben von Daniel Kipfer und Anne Kühler

archiv für rechts- und sozialphilosophie archives for philosophy of law and social philosophy archives de philosophie du droit et de philosophie sociale archivo de filosofía jurídica y social Herausgegeben von der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) Redaktion: Dr. Annette Brockmöller, LL. M. Beiheft 159

Justizberichterstattung in der direkten Demokratie Kongress der Schweizerischen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie vom 22.–23. Juni 2017 in Bellinzona Herausgegeben von Daniel Kipfer und Anne Kühler

Franz Steiner Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2019 Druck: Druckhaus Nomos, Sinzheim Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. Franz Steiner Verlag: ISBN 978-3-515-12368-6 (Print) Franz Steiner Verlag: ISBN 978-3-515-12371-6 (E-Book) Nomos Verlag: ISBN 978-3-8487-6103-6

Inhaltsverzeichnis Daniel Kipfer / Anne Kühler Justizberichterstattung in der direkten Demokratie: zur Einleitung

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I. Rechtshistorische und rechtsphilosophische Grundlagen Roy Garré Il processo penale e il suo pubblico: Uno sguardo storico

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Matthias Mahlmann Rechtsstaat, Demokratie, Öffentlichkeit

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II. Legitime und illegitime Erwartungen der Öffentlichkeit an das Recht und deren Vermittlung in den Medien Mario Gmür Justiz und Medien – Inseln des Unrechtsstaates im Rechtsstaat

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Marianne Heer Legitime und illegitime Erwartungen der Öffentlichkeit an das Recht und deren Vermittlung in den Medien – Strafrechtliche Massnahmen

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Stephan Bernard Vom Umgang der Strafverteidigung mit Medien

73

III. Die Sicht der Medien bzw. Medienschaffenden und des Presserates Alex Baur Mein Selbstverständnis als Justizkritiker

97

Claudia Schoch Zeller Justizberichterstattung und das Verständnis der Öffentlichkeit für die Institutionen und Prinzipien des Rechtsstaats

103

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Inhaltsverzeichnis

Edy Salmina Medien und Strafjustiz: eine „attraction fatale“?

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Dominique von Burg Le sens des règles déontologiques des journalistes, en particulier dans la couverture des procès

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André Marty Die eigene Rolle überdenken. Die beschränkte Wirkung des Schweizer Presserates und der Umgang der Strafverfolgung mit Medienschaffenden

131

Mascha Santschi Kallay Die Funktion der Justizberichterstattung in der direkten Demokratie: Replik zur Sicht der Medien, der Medienschaffenden und des Presserats

137

IV. Podiumsdiskussion Podiumsdiskussion

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

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Justizberichterstattung in der direkten Demokratie: zur Einleitung Daniel Kipfer / Anne Kühler

I. Zur Fragestellung und zu deren Anlass Die Schweizerische Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie stellte an ihrem Kongress 2017 die Frage ins Zentrum, welche Rolle die Justizberichterstattung für die Verwirklichung des Rechts in der direkten Demokratie spielt. Grund und Ausgangspunkt dieser Themenwahl für eine rechtsphilosophische Veranstaltung bildet die Feststellung, dass sich die Justizberichterstattung an die Bevölkerung richtet, welche in der Demokratie, umso mehr in einer direkten Ausgestaltung, auch die Funktion der Gesetzgeberin einnimmt. Die Öffentlichkeit als Adressatin der Justizberichterstattung kann in der Schweiz mittel- oder unmittelbar die Gesetze erlassen, deren Anwendung anschliessend den Gerichten obliegt. Die mediale Vermittlung der gerichtlichen Rechtsanwendung als dem „Resultat“ der Rechtsetzung im Einzelfall beeinflusst dabei die zukünftige Rechtsetzungstätigkeit. Insbesondere prägt sie auch die Erwartungen, welche der Gesetzgeber – Stimmbevölkerung und Parlament – dem Erlass von Gesetzen zu Grunde legt. Die Urteile der Gerichte zeigen dem Gesetzgeber, ob sich seine Erwartungen an die Zwecke der Rechtssetzung erfüllt haben oder nicht. In diesen Mechanismen liegen indes auch Gefahren, die sich immer wieder deutlich im Bereich des Strafrechts manifestieren, einem Bereich, in welchem die direkte Einwirkung der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mittels Sachabstimmungen durch unsachgemässe oder gar falsche Berichterstattung besonders einschneidend beeinflusst werden kann. Das „Volk“ agiert gerade dann, wenn es um die körperliche Unversehrtheit, um Leben und Tod geht, oft emotional und punitiv. Angst und Rachegefühle vermischen sich und die Berichterstattung bedient und nährt diese Erwartungen. Das Thema der Justizberichterstattung tangiert daher grundlegende rechtliche, gerichtspolitische und demokratietheoretische Fragen im Verhältnis zwischen Recht, Öffentlichkeit, Medien und Justiz. Dieses „Vierecks-Verhältnis“ erweist sich als ausserordentlich vielschichtig. Recht und Gerechtigkeit werden massgeblich durch die Rechtsprechung der Gerichte verwirklicht. Dies bedarf der öffentlichen Vermittlung und Wahrnehmung, damit „die Öffentlichkeit“ prüfen kann, ob das Recht auch richtig und angemessen durchgesetzt wird. Der in der Europäischen Menschenrechtskonvention

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Daniel Kipfer / Anne Kühler

und der Schweizerischen Bundesverfassung verankerte Grundsatz der Öffentlichkeit der Justiz und deren historisch damit verbundene „Sichtbarmachung“ wird zentral mit dem Argument begründet, dass er die Kontrolle der Justiz durch die Bürgerinnen und Bürger ermögliche. Diese Vorstellung äussert sich auch in den programmatischen Begriffen der demokratischen oder politischen Öffentlichkeit, welche zum Kern unseres Demokratieverständnisses gehören. Eine Wächterfunktion kann die Öffentlichkeit indes nur dann wahrnehmen, wenn sie um die Arbeit der Gerichte weiss, wobei die Bürgerinnen und Bürger durchaus auch einen Anspruch auf Information über die Tätigkeit der Gerichte haben. Und das für das Funktionieren eines Rechtsstaates unabdingbare Vertrauen der Rechtsadressaten wiederum kann sich nur einstellen, wenn die Justiz bereit ist, über ihre Arbeit Rechenschaft abzulegen. Die Justiz ist in diesem Zusammenhang auf die Medien angewiesen, um die Ergebnisse ihrer Urteile einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. So ist es denn auch der überwiegende Teil der Informationen über Gerichte und Rechtsprechung, welcher durch die Medien vermittelt wird – durch die Gerichtsberichterstattung. Luhmanns Diktum „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Medien“1 trifft auch auf das Wissen spezifisch über die Justiz weitestgehend zu. Die Art und Qualität der Berichterstattung spielen dabei eine zentrale und für den demokratischen Rechtsstaat fundamentale Rolle. Denn die Wahrnehmung der Justiz, und mit ihr des Rechts in der Öffentlichkeit, hängt maßgeblich davon ab, wie in den Medien darüber berichtet wird. Eine verzerrte Darstellung der Tätigkeit der Justiz in den Medien wirkt sich auf deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit unmittelbar aus. Geht man davon aus, dass die Rechtsanwendung, die Gerichtsverfahren und Urteile grundsätzlich Akzeptanz in der Öffentlichkeit finden sollten, zeigt sich die entscheidende Rolle der Medien deutlich. Die Medien sind im Stande, das Vertrauen in die Justiz und den Rechtsstaat und deren Akzeptanz sowohl zu stärken als auch zu schwächen. Darüber hinaus ist in kritischer Absicht zu fragen, wie stark die Medien auch die Justiz selbst, insbesondere die Rechtsprechungstätigkeit der Richterinnen und Richter, beeinflussen. Diese Überlegungen zum Verhältnis zwischen Recht, Öffentlichkeit, Medien und Justiz zeigen die Brisanz des Themas, das Gegenstand des Kongresses des Schweizerischen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie bildete. Ziel dieses Kongresses, der am Bundesstrafgericht in Bellinzona stattfand, war es, die gesellschaftlichen Rollen von Justiz und Medien in ihrer Wechselwirkung zu beleuchten, Spannungsverhältnisse sichtbar und die gegenseitigen Erwartungen ausdrücklich zu machen. Dabei sollte auch der Einfluss der Medien auf die Justiz und auf die Art und Weise, wie die Justiz – und genereller das Recht – in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, näher untersucht werden. Exemplarisch sollte zur Sprache kommen, wie sich die mediale Skandalisierung von Einzelfällen auf die Wahrnehmung der Justiz auswirkt und wie die Justizberichterstattung die Rechtsprechungstätigkeit und Politik beeinflusst.

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Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 2. Aufl., 1996, 9.

Justizberichterstattung in der direkten Demokratie: zur Einleitung

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II. Aufbau des Bandes Der vorliegende Band versammelt die schriftlichen Fassungen der Vorträge des Kongresses und gliedert sich in vier Teile. Teil I Im ersten Teil stecken zwei Grundlagenreferate den theoretischen Rahmen in rechtshistorischer und rechtsphilosophischer Hinsicht ab. Roy Garré eröffnet den Band mit einem rechtshistorischen Überblick über die Entwicklung des Verhältnisses von Justiz und Öffentlichkeit. Der Bogen, den er von der römischen Justizöffentlichkeit über das Mittelalter bis zum mediatisierten Prozess der Gegenwart schlägt, macht neben der Konstanz auch sichtbar, wie sich Gehalt und Funktion der Öffentlichkeit im Laufe der Zeit, als Ausdruck historisch kontingenter gesellschaftlicher Formationen, verändert haben. In seinem rechtsphilosophischen Beitrag zeigt Matthias Mahlmann sodann die gegenseitigen Spannungs- und Fundierungsverhältnisse von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Öffentlichkeit auf und stellt fest, dass sich im Alltagsphänomen der Justizberichterstattung Grundprobleme der politischen Ordnung des international eingebundenen Verfassungsstaats bündeln. Die Gerichtsbarkeit als fundamentaler Teil des Rechtsstaats und ihr Funktionieren stellten eine grosse Kulturleistung dar, für deren Selbstvergewisserung und Bestand die Öffentlichkeit unverzichtbar sei. Daraus leitet Mahlmann das Postulat eines Ethos der Berichterstattung ab, welches voraussetze, dass sich die Journalistinnen und Journalisten – wie andere Berufsgruppen für ihre Arbeit auch – stets die Frage vorlegen sollten, wem sie eigentlich dienen: bestimmten partikularen Interessengruppen oder der Idee einer Ordnung, in der die Autonomie aller Menschen tatsächlich gleich zählt. Zu erwähnen ist an dieser Stelle auch das für den Kongress sehr anregende medienwissenschaftliche Grundlagenreferat von Annik Dubied, das aufzeigte, wie die Berichterstattung über Kriminalität, Polizei und Justiz (fait divers, Unglücksfälle und Verbrechen, Vermischtes) als Indikator für die gesellschaftlich jeweils virulenten Fragen verstanden werden kann. Da der Vortrag nach Auffassung der Referentin selbst nichts wissenschaftlich Neues enthalten habe, wollte sie darauf verzichten, ihn im vorliegenden Band zu publizieren. Anstelle einer Publikation des Vortrags sei deshalb hier auf ihre einschlägigen Publikationen hingewiesen.2

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Siehe Annik Dubied / Marc Lits, Les publics du fait divers, Publictionnaire. Dictionnaire critique et encyclopédique des publics, 2017, 1–20, zugänglich unter http://publictionnaire.huma-num.fr/notice/ publics-du-fait-divers/; zuletzt besucht am 20. November 2018; Annik Dubied / Zelda Crottaz, Les représentations de la prison dans les médias. Faits divers et figures du criminel, in: Nicolas Queloz / Ulrich Luginbühl / Ariane Senn / Sarra Magri (Hrsg.), Druck der Öffentlichkeit auf die Gefängnisse: Sicherheit um jeden Preis? / Pressions publiques sur les prisons: la sécurité à tout prix?, 2011, 209–222; Annik Dubied, Catalyse et ‚parenthèse enchantée‘. Quand le fait divers rencontre la politique-people, Le Temps des Médias

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Daniel Kipfer / Anne Kühler

Teil II Der zweite Teil des Bandes ist exemplarisch dem Thema der psychiatrischen Begutachtung von Straftätern, den Legalprognosen und den Massnahmen sowie den Problemen mit deren öffentlicher Vermittlung gewidmet, wobei das Thema aus Sicht eines forensisch tätigen Psychiaters, einer Richterin und eines Rechtsanwalts beleuchtet wird. Mario Gmür zeigt auf, welche Schwierigkeiten der therapeutisch orientierte Psychiater hat, das auf Autonomie basierte humanistische Menschenbild gegen den technokratischen Zugriff der statistischen Legalprognosen öffentlich zur Geltung zu bringen. Am Kongress musste in der nachfolgenden Diskussion die Frage offenbleiben, ob eher die Medien oder aber der Zeitgeist bzw. die Erwartungen der Öffentlichkeit in der Risikogesellschaft verantwortlich seien für diese Schwierigkeiten. Aus der Sicht einer Richterin befasst sich Marianne Heer mit der Schwierigkeit, die ausdifferenzierte und komplexe Rechtslage und Rechtsprechung im Bereich der Begutachtung und der Massnahmen öffentlich verständlich zu vermitteln. Stephan Bernard hat seine anlässlich des Kongresses als Replik dazu vorgetragenen Überlegungen für die vorliegende Publikation zu einem umfangreichen Aufsatz ausgearbeitet. Er befasst sich darin mit allen Aspekten anwaltlicher Medienarbeit und deren Auswirkung auf die Klientschaft, auf das Verhältnis des Anwalts zur Klientschaft und auf den Verfahrensgang und -ausgang. Teil III Der dritte Teil vereint Beiträge von praktisch tätigen Fachpersonen im Medienbereich: einem Medienschaffenden, einem Rechtsanwalt, Medienverantwortlichen von Strafverfolgungsbehörden und Mitgliedern von Aufsichts- bzw. Rekursinstanzen im Medienbereich, die jeweils aus der Perspektive der eigenen beruflichen Funktion die Berichterstattung über Recht und Justiz reflektieren. Alex Baur eröffnet diesen Teil mit einem Beitrag zu seinem Selbstverständnis als Justizkritiker. Dass sich die Justiz nicht damit zufriedengeben dürfe, wenn 99 Prozent ihrer Verfahren rechtmässig, problem- und anstandslos über die Bühne gehen, wird in diesem Beitrag deutlich. Edy Salmina, ehemaliger Journalist und nunmehr als Strafverteidiger tätig, stellt fest, dass sich das kommunikative Verhältnis von Medien und Justiz grundlegend verändert habe. Davon ausgehend fragt er in pointierter Weise, ob es überhaupt noch sinnvoll sei, von der Öffentlichkeit des Prozesses im klassischen Sinn zu sprechen. Claudia Schoch, Rechtsanwältin, ehemalige Journalistin und Mitglied der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI), geht der Frage nach, wie sich die Justizberichterstattung auf das öffentliche Verständnis von Rechtsstaatlichkeit auswirkt und auswirken soll. Dabei stellt sie Bezüge zwischen dem journalistischen Alltag und theoretischen Grundfragen her und zeigt, unter welchen Umständen die Institutionen selbst in Gefahr geraten. Dominique 2008, 142–155; Annik Dubied, Les récits de fait divers et les récits people: norme, intimité, identités, Médias et Culture, Récits et dispositifs du fait divers 2008, 33–46.

Justizberichterstattung in der direkten Demokratie: zur Einleitung

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von Burg, ehemaliger Chefredaktor und aktuell Präsident des Presserats, stellt die vom Presserat mitdefinierten Standesregeln für die Berichterstattung über die Justiz und die Rechtsprechung vor. Mascha Santschi Kallay als Medienberaterin von Staatsanwaltschaften und Gerichten und André Marty, Medienverantwortlicher der Bundesanwaltschaft, reflektieren über die Herausforderungen der Öffentlichkeitsarbeit von Justizbehörden. Teil IV Der vierte Teil und Abschluss des Bandes beruht auf der von Iwan Rickenbacher geleiteten Podiumsdiskussion mit dem Medienwissenschaftler Mark Eisenegger, dem ehemaligen Chefredaktor des „Tages-Anzeigers“ und aktuell für die Ausbildung von Medienschaffenden Verantwortlichen Res Strehle, der ehemaligen Politikerin Gret Haller und Christian Rath, dem Berichterstatter für die deutsche Bundesanwaltschaft und die Bundesgerichte in Karlsruhe. Der abgedruckte Text stellt die redigierte Fassung des Transkripts der Podiumsdiskussion dar. Es wurde darauf geachtet, den Duktus der Mündlichkeit beizubehalten. III. Résumé Im Sinne eines Résumés sollen im Folgenden wichtige Ergebnisse der Beiträge und deren Diskussionen anlässlich des Kongresses kurz zusammengefasst werden. Die Entfaltung des Themas der Justizberichterstattung in der direkten Demokratie brachte dabei verschiedene Spannungsverhältnisse zwischen Gerichten, Parteivertretern, Öffentlichkeit im weiteren Sinn, Politik und Medien zutage. Zu nennen ist zunächst die ambivalente Einschätzung der Rolle der Medien angesichts von deren Entwicklungen in den letzten Jahren – als Stichworte müssen hier genügen: „Ressourcenabbau“, „Qualitätsverlust“ und „Boulevardisierung“. Das Tempo der Justizberichterstattung hat stark zugenommen und es soll möglichst bereits vor Prozessabschluss berichtet werden. Können die Medien ihre wichtige demokratische und rechtsstaatliche Wächterfunktion unter diesen Bedingungen noch wahrnehmen? So wird dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Justiz, welcher die heutige Berichterstattung überhaupt erst ermöglichte, in Zeiten zunehmender Medialisierung gerade im Bereich des Strafrechts eine Ambivalenz zugeschrieben. Denn die Wirkungen skandalisierender Medienberichterstattung können sich zu Lasten des Beschuldigten auswirken. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Richterinnen und Richter glauben, sich dem durch die Medien geförderten Druck auf ihre Arbeit beugen zu müssen. Das Verständnis von „Öffentlichkeit“ selbst oszilliert daher zwischen dem eines skandalgierigen Publikums und dem einer kritischen Instanz, welche die Justiz zu kontrollieren vermag. Die medial instruierte „Öffentlichkeit“ ist jedenfalls ein äusserst ambivalentes Gefäss. Sie bildet die Grundlage eines Kontrollmechanismus der Justiz, besteht aber auch aus – mitunter sensationslüsternen und empörungsbereiten – Konsumentinnen und Konsumenten.

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Daniel Kipfer / Anne Kühler

Die Berichterstattung über Prozesse in der Welt der Massenmedien hat unweigerlich das Potenzial, die Urteilsfindung der Richterinnen und Richter zu beeinflussen; die dritte Gewalt steht jedenfalls unter dem Einfluss der Medien. Teilweise wird dargetan, dieser Einfluss sei so stark, dass um die Unabhängigkeit der Justiz gefürchtet werden müsse. Es wird auch behauptet, dass die Justiz nicht mehr von der Öffentlichkeit, sondern von den Medien überwacht werde. Der Druck auf Richterinnen und Richter durch die Medien ist daher eine nicht zu unterschätzende und in der Praxis zum Teil spürbare Facette des vielschichtigen Verhältnisses zwischen Recht, Öffentlichkeit, Medien und Justiz. Wie am Beispiel von Fällen der strafrechtlichen Massnahme der lebenslänglichen Verwahrung aufgezeigt werden kann, agieren Richterinnen und Richter aufgrund von medialem Druck schärfer. Die Objektivität der Justizorgane scheint aber in Gefahr, wenn die Gerichte darauf Rücksicht nehmen, wie die Berichterstattung über einen bestimmten Urteilsspruch ausfallen wird oder wenn in solchen Fällen für den Urteilsspruch mitentscheidend wird, wie in den Medien berichtet wird. So überrascht es nicht, dass sich das Verhältnis zwischen den Medien und der Justiz als äusserst spannungsvoll erweist. Den Medien und der Justiz kommen je unterschiedliche Aufgaben zu und sie sind mit unterschiedlichen Erwartungen konfrontiert. Sie haben auch unterschiedliche Arbeitsweisen. Die Rechtsanwendung beruht auf der rechtskonformen und methodisch korrekten Ermittlung der relevanten Sachverhalte und der richtigen Subsumtion unter die für anwendbar befundenen Gesetzesnormen. Der Diskurs der Rechtsfindung im Einzelfall folgt einer spezifisch juristischen Rationalität, welche ihrerseits auf systematische Geschlossenheit zu achten hat, um dem Gebot der rechtsgleichen Anwendung zu genügen. Das Gericht legt mit seiner Urteilsbegründung Rechenschaft über diesen spezifischen Diskurs der Rechtsprechung ab. Die Justiz verstehen heisst also auch deren rationaler Argumentation folgen zu können. Das Spannungsverhältnis zwischen der Arbeitsweise der Justiz und den Gegebenheiten der Medienöffentlichkeit und des politischen Diskurses sind offensichtlich. Die Ideale der Rationalität, Berechenbarkeit, Ausgewogenheit als Leitbilder hier – Emotionalität, Aufregung, das Suchen von Aufmerksamkeit und Unterhaltung dort. Gerichtsreporterinnen und -reporter setzen zuweilen eigene Schwerpunkte und Themen, die nicht mit der „Wahrheit der Justiz“ korrelieren. Es versteht sich also keineswegs von selbst, dass die Justiz und die Bedingungen ihrer medialen Vermittlung zusammenpassen. Verschärft wird die Verschiedenheit zwischen der justiziellen und der medialen Logik durch interne Spannungsverhältnisse. Sie liegen bei den Gerichten darin, dass sie mit der spezifisch juristischen Rationalität der Rechtsanwendung private und öffentliche Erwartungen notwendigerweise häufig enttäuschen müssen. Und bei den etablierten Medien liegen sie zwischen redaktionellen Präferenzen, wirtschaftlichen Zwängen, dem Gebot der Sachangemessenheit und den strukturellen Herausforderungen durch die neuen internetbasierten Medien. Ungeachtet dieser Differenzen wird im Kontext der Medialisierung der Justiz indes auch eine Annäherung zwischen der Justiz und den Medien konstatiert, besonders für den Bereich des Strafrechts. Aufgrund des engen Kontakts zwischen Medien und Strafjustiz beeinflussen gar nicht mehr nur die Medien die Strafprozesse, sondern prägt umgekehrt auch

Justizberichterstattung in der direkten Demokratie: zur Einleitung

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die Sprache, die Argumentationsweisen und das Verfahren der Strafprozesse die Medien. Wie die Kongressbeiträge schliesslich auch zeigen, wird das Verhältnis zwischen der Justiz und den Medien unter der Prämisse behandelt, dass sowohl die Justiz als auch die Medien im Dienst der Allgemeinheit stehen. Aus diesen Gründen führt es nicht weiter, die Medien und die Justiz in der Demokratie als Antagonisten zu betrachten. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage aufgeworfen, ob eine aktivere Rolle der Gerichte bei der Kommunikation ihrer Urteile gewissen, als negativ wahrgenommenen Trends in der Medienwelt Abhilfe schaffen könnte. Liegt die Lösung in einer offensiveren Informationspolitik der Justiz, welche den Medien nicht die ganze Arbeit überlasst, sondern selbst eine gewisse Vorarbeit bei der Aufbereitung der Informationen leistet? Oder befeuern Gerichte mit ihren eigenen Medienmitteilungen einen Prozess, der sich schlussendlich als problematisch für die Gerichte selbst erweist? Welche Informationsaufgaben kommen den Gerichten in Zeiten medialer Pluralisierung gegenüber der Öffentlichkeit und den Medien überhaupt zu? Auch hinsichtlich der Rolle der Gerichte belegen die Beiträge ein Spannungsverhältnis zwischen einem Verständnis der Justiz, die sich auf ihr „Kerngeschäft“, auf die Entscheidfindung, beschränken will und einer Justiz, die eine aktivere Rolle im Wettbewerb der Meinungen einnehmen will, weil sie sich darauf angewiesen sieht, dass das Publikum um ihre Arbeit weiss. Pointierter formuliert geht es um das Bild des Gerichts zwischen Öffnung und Abschottung. Dabei ist erstens zu bedenken, dass alle von einem Urteil Betroffenen Anspruch auf den Schutz ihrer Persönlichkeit haben, so dass der gerichtlichen Informationstätigkeit klare Grenzen gesetzt sind. Zweitens wird aus journalistischer Sicht kritisiert, dass die Tendenzen der Verrechtlichung der Lebenssachverhalte und des Ausbaus des Rechtsschutzes gerade im Bereich des Strafrechts zu einem immer feiner verästelten System geführt hätten, das komplizierter, schwerfällig und undurchsichtiger zu werden drohe. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen ist die Frage nach der Informationspolitik der Justiz wohl in einem neuen Licht zu sehen, zumal Transparenz eine zentrale Voraussetzung für das Vertrauen in die Justiz bildet. Jedenfalls steigen die juristischen Anforderungen an die Journalistinnen und Journalisten, welche Bericht erstatten. Schliesslich verdeutlichen die Beiträge die grosse demokratische und rechtsstaatliche Verantwortung, welche die Justizberichterstattung trägt. Denn auffallend oft wird die Macht der Medien betont, welche das Vertrauen in den Rechtsstaat stärken oder schwächen können. Umso wichtiger werden Fachkenntnisse und besonders auch das gegenseitige Verständnis von Medien und Justiz. Dies umfasst es auch, die Rolle der Justiz zu verstehen und anzuerkennen, dass die Justiz als unabhängige dritte Gewalt nicht gleichsam die Sklavin oder Magd des Gesetzgebers und der Stimmbürgerin respektive des Stimmbürgers ist, sondern gleichgestellt mit dem demokratischen Gesetzgeber in wechselseitiger Gebundenheit besteht. Gleichzeitig ist es für die Demokratie lebensnotwendig, dass der Journalismus eine Kontrollfunktion – nicht nur über die Justiz – wahrnimmt. Angesichts der Verantwortung der Medien für die Verwirklichung des Rechts in der direkten Demokratie steht auch zur Diskussion, inwieweit die Medienschaffenden eine Pflicht haben, den Rechtsstaat zu unterstützen. In diesem Zusammenhang stellen sich wichtige Fragen, die nicht zuletzt das Institut des Presserates

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Daniel Kipfer / Anne Kühler

betreffen: Wer kontrolliert die Medien als sogenannte „vierte Gewalt“? Sollte nicht nur ein Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit, sondern auch der journalistischen Unabhängigkeit gelten? Die Presse ist dabei, wie in einem Beitrag zu diesem Band hervorgehoben wird, ein „Medium für den Transport guter Gründe“, so dass es nahe liegt, zu fordern, dass Journalistinnen und Journalisten die grosse Macht der Medien nutzen, um über den Rechtsstaat und dessen Grundlagen aufzuklären und dessen Akzeptanz zu fördern. Denn es ist für die Erhaltung des Rechtsstaats essenziell, dass mit Sachverstand, korrekt und sachangemessen über die Tätigkeit der Justiz berichtet wird. Nur wenn es gelingt, die Tätigkeit der Justiz zu vermitteln, kann Rechtsstaatlichkeit erhalten bleiben. Die Thematik der Justizberichterstattung erweist sich daher geradezu als Brennpunkt grundlegender Fragen von Recht, Demokratie, Öffentlichkeit und Rechtsstaatlichkeit. Dr. phil. et lic. iur. Daniel Kipfer Bundesstrafgericht, Viale Stefano Franscini 7, CH-6500 Bellinzona Dr. iur. Anne Kühler, LL.M. Rechtswissenschaftliches Institut, Universität Zürich, Treichlerstrasse 10, CH-8032 Zürich

I. Rechtshistorische und rechtsphilosophische Grundlagen

Il processo penale e il suo pubblico Uno sguardo storico Roy Garré

“Le questioni più profonde della vita possono essere espresse soltanto in immagini”. Olga Fröbe-Kapteyn

I. Da dove iniziare? Come in qualsiasi ricerca storica anche in questa si pone la questione dell’epoca da cui iniziare la trattazione. Potremmo in fondo cominciare dal Codice di Hammurabi o dall’antica Grecia. O dal paleolitico. Perché no? C’è sempre qualcosa di opinabile in queste scelte, se non peggio di arbitrario. In più c’è il mito dell’origine, con cui confrontarsi.1 Elementi irrazionali che vanno incanalati in un discorso scientifico, mediante il quale rendere conto delle proprie scelte. Dirò dunque subito che non comincerò dai greci o dai babilonesi. Non perché non ci fossero già allora processi e un loro pubblico.2 Al contrario. In fondo il processo è per sua natura pubblico: se è vero il brocardo “ubi societas, ibi ius”, anche nelle società del paleolitico doveva esserci, e in effetti c’era, una forma di pubblicizzazione del diritto3 (risp. di sue forme sostitutive come il sacrificio 1

2 3

Più ampiamente in merito v. Achim Landwehr, Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit. Essay zur Geschichtstheorie, 2016, in particolare il capitolo iniziale dal titolo “Gottersatz”. Da notare come nell’ambito della storia del diritto il mito dell’origine abbia fortemente influenzato il dibattito ottocentesco fra romanisti e germanisti (v. ad es. Gerhard Dilcher, Römisches Recht oder deutsches Recht?, adesso in Idem, Die Germanisten und die Historische Rechtsschule, 2017, 143–157; Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2a ediz., 1967, 359–367, 377–412, 416–430), lasciando traccia nella stessa dicotomia tralatizia diritto romano / storia del diritto che caratterizza ancora oggi la didattica universitaria in Paesi dell’Europa continentale come la Germania, la Svizzera, l’Italia, la Spagna (importanti riflessioni in merito si trovano in Pio Caroni, La solitudine dello storico del diritto, edizione italiana con presentazione di Italo Birocchi, 2009, 7–20, 36, 133–136, 142, 173–176, 234), a prescindere dalla sopravveniente crisi dell’insegnamento del diritto romano (v. a questo proposito Aldo Schiavone, La storia del diritto romano, in: Il contributo italiano alla storia del pensiero. Diritto, a cura di Paolo Cappellini, Pietro Costa, Maurizio Fioravanti e Bernardo Sordi, 2012, 734 ss.). V. ad es. Uwe Wesel, Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zur Gegenwart, 4a ediz., 2014, 71 ss., 118 ss. Seppure in contesti prestatali risp. in società cosiddette segmentarie (Wesel, nota 2, 25–45; Idem, Frühformen des Rechts in vorstaatlichen Gesellschaften, 1985, 324–339).

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espiatorio4), altrimenti il diritto sarebbe restato lettera morta, chiuso nella mente dei nostri progenitori5: se il diritto non è conosciuto nella società come fa a funzionare? Come fa a farsi rispettare? Che diritto sarebbe? E questo vale per le leggi (si pensi appunto al Codice di Hammurabi6 o anche al Decalogo biblico7), ma anche per le sentenze, e quindi per il diritto in azione. Se non comincerò dai greci o dai babilonesi è essenzialmente perché in quelle civiltà non esisteva ancora una riflessione “specialistica”, o se vogliamo “scientifica”, sul diritto, riservata ad una categoria specifica di esperti: i giuristi.8 Solo i romani inventeranno questo tipo di riflessione sullo ius, facendone una disciplina autonoma, una vera e propria ars, da loro presentata come ars boni et aequi.9 Questo permette di muoverci in un campo intellettualmente più vicino al nostro, come tale meglio comparabile alla nostra attuale esperienza del diritto. II. La pubblicità del processo nell’antica Roma Cominciamo dunque dall’antica Roma. Quanto fosse importante a Roma la pubblicità del processo lo racconta già solo l’etimologia di alcune parole chiave delle lingue moderne come tribunale o foro. Tribunale (tribunal in francese, inglese e spagnolo, Tribunal in tedesco) proviene da tribuna10, il palco che permetteva di rialzare e quindi rendere più visibile al pubblico la sella curule su cui prendeva posto il magistrato durante le udienze. Quest’ultime si svolgevano nel foro11, il luogo politicamente, socialmente, economicamente più importante di Roma e di tutte le principali città dell’Impero12: il luogo pub4 V. René Girard, La violenza e il sacro (ed. originale in francese 1972), trad. ital., 1980, 30–62. 5 Ciò non si scontra con il discorso fatto da Rodolfo Sacco, Il diritto muto. Neuroscienze, conoscenza tacita, valori condivisi, 2015, perché la pacifica esistenza di un diritto non verbalizzato, appunto muto, non implica che questo resti autoreferenzialmente chiuso nella mente, ma che sia comunque praticato sulla base di comportamenti spontanei e dunque che esca dal chiuso del cervello (v. altresì dello stesso Sacco, Antropologia giuridica. Contributo ad una macrostoria del diritto, 2007, 91–126, 313–326). 6 V. Claudio Saporetti, Antiche leggi. I “Codici” del Vicino Oriente antico, 1998, 21–31, 43–63. 7 V. Wesel, nota 2, 105 ss. 8 V. a questo proposito la magistrale ricostruzione di Aldo Schiavone, Ius. L’invenzione del diritto in Occidente, 2005, 28 ss., 41 ss., 361 ss. C’è addirittura chi parla, forse un po’ esageratamente, dei romani come giuristi nati, v. segnatamente Aglaia McClintock (curatrice), Giuristi nati: antropologia e diritto romano, 2016. 9 Così la definizione di Celso (II sec. d. C.), riportata da Ulpiano (170 circa – 228), contenuta in un famoso passo iniziale del Digesto (D. 1, 1, 1 pr), la parte scientificamente più raffinata del Corpus iuris civilis giustinianeo. V. ad es. Giuseppe Limone (curatore), Ars boni et aequi. Il diritto fra scienza, arte, equità e tecnica, 2016. 10 V. Giacomo Devoto, Avviamento alla etimologia italiana. Dizionario etimologico, 1966, 439; Duden, Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache, 5a ediz., 2014, 868; Friedrich Kluge / Elmar Seebold, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. ediz., 2002, 929; The Oxford English Dictionary, 2a ediz., a cura di John Andrew Simpson e Edmund S. C. Weiner, vol. 18, 1989, 505; Dictionnaire historique de la langue française, a cura di Alain Rey, vol. 2, 2016, 2504; Diccionario crítico etimológico castellano e hispaníco, 2a ediz., a cura di Joan Corominas e José A. Pascual, vol. 1, 1987, 406. 11 V. Max Kaser / Rolf Knütel / Sebastian Lohsse, Römisches Privatrecht. Ein Studienbuch, 21. ediz., 2017, 444; Roland Färber, Römische Gerichtsorte. Räumliche Dynamiken von Jurisdiktion im Imperium Romanum, 2014, 43–66, 195–203. 12 V. Florence Dupont, La vie quotidienne du citoyen romain sous la République, 1989, 185–199; Filippo Coarelli, Il Foro Romano. Periodo repubblicano e augusteo, 1985, 22–27, 190–199; John E. Stambaugh, The Ancient Roman City, 4a ediz., 1992, 101–122.

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blico per eccellenza, da cui etimologicamente derivano espressioni attuali come scienze forensi, conflitti di foro, principe del foro, eccetera.13 In effetti la visibilità pubblica dell’attività giudiziaria è una costante della storia romana. È un dato di fatto politico, prima ancora che giuridico, visto che l’attività forense rappresentava per molti dei suoi protagonisti, basti pensare a Cicerone, il palcoscenico per farsi conoscere e lanciarsi nella carriera politica. Senza processi pubblici come quello contro Verre, un homo novus quale Cicerone non sarebbe mai diventato il personaggio che noi conosciamo.14 Ma non solo il processo era pubblico. Anche l’esecuzione della pena, come ben sappiamo dall’iconografia cristiana: la crocifissione di Gesù si inserisce in una lunga serie di brutali forme di esecuzione pubblica tipicamente romane, il cui scopo era certo dissuasivo (oggi parleremmo di prevenzione generale negativa) ma poteva divenire a sua volta politico. Basti pensare alla crocifissione sulla via Appia di migliaia di schiavi che avevano partecipato alla rivolta di Spartaco e che servì ad un politico del calibro di Crasso per ostentare il proprio potere a Roma.15 Che non si trattasse di pura e gratuita brutalità, ma di una precisa strategia comunicativa del potere romano lo dimostra un altro elemento della medesima iconografia cristiana: la scritta INRI, molto diffusa nelle immagini della crocifissione di Gesù, acronimo di Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum e massima forma di sintesi per esprimere la motivazione di una sentenza penale, non a caso oggetto di discussione tra Ponzio Pilato e i membri del Sinedrio16: questi ultimi fecero notare al governatore romano che la condanna a morte non era legata al fatto che Gesù fosse re dei giudei ma che si fosse proclamato tale, rendendosi per questo colpevole di lesa maestà. Ma Ponzio Pilato, secondo la tradizione, tagliò corto e non accettò modifiche all’iscrizione: “quod scripsi, scripsi”.17 III. La pubblicità nel medioevo e nella prima età moderna Anche nel medioevo la pubblicità dei processi e dell’esecuzione delle pene restò una costante. Ecco quanto si legge in un’opera di riferimento in materia: “Die gesamte Rechtspflege war im Mittelalter und noch in der beginnenden Neuzeit öffentlich, aber in einem durchaus anderen Sinne, als wir das heute verstehen. Für uns meint die, Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung’, die durch die Verfassung garantiert wird – von vornherein ist der eigentliche Strafvollzug nicht-öffentlich –, die mögliche Kontrolle und damit den Aus13 V. Devoto, nota 10, 174; Gerhard Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 7a ediz., a cura di Renate Wahrig-Burfeind, 2000, 491; Simpson/Weiner, nota 10, vol. 6, 55–56; Manlio Cortelazzo / Paolo Zolli, Dizionario etimologico della lingua italiana, vol. 2, 1980, 451: originariamente significava “recinto”, rispettivamente “porta del recinto”, dalla stessa radice indeuropea da cui derivano anche “fores” (porta) e “foris” (fuori); sull’organizzazione e differenziazione dello spazio dove veniva amministrata la giustizia mediante recinzioni, sipari, cancelli (forensibus cancellis), v. Färber, nota 11, 283–327. 14 Emerge bene questo aspetto in un’opera di finzione, ma solidamente documentata, come quella di Robert Harris, Imperium, 2006. V. più ampiamente Wolfgang Schuller, Cicero: oder der letzte Kampf um die Republik, 2013, cap. 3. 15 V. Aldo Schiavone, Spartaco. Le armi e l’uomo, 2011, 106 ss. 16 V. Aldo Schiavone, Ponzio Pilato. Un enigma tra storia e memoria, 2016, 102 ss. 17 V. Schiavone, nota 16, 131.

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Roy Garré schluss von Willkürjustiz (Kabinettjustiz). Damals war das gesamte Verfahren von der Verfolgung bis zur Hinrichtung des Missetäters öffentlich, weil es unmittelbare Bedeutung für das Leben der Menschen hatte. Nur so konnten die des Lesens und Schreibens unkundigen Leute die rechtlichen Inhalte erfahren, wie sie auch von der Kanzel die göttlichen Verbote und Gebote gepredigt erhielten. Deshalb waren selbst die Kinder bei der Hinrichtung anwesend. Jedenfalls war das Recht auf diese Weise niemals eine abstrakte Ordnung, die vom ‘Verbrecher’ in formalem Sinne ‘gebrochen’ wurde, sondern es war die Lebensgrundlage aller, weshalb sich auch alle am Rechtsleben beteiligten”.18

Pubblicità come dato di fatto, dunque, non come teoria.19 Tutto il penale era immerso nella materialità della vita ed era quindi visibile, spesso en plein aire, sotto un albero secolare, una quercia oppure un tiglio (judicium sub tilia)20, dove la popolazione si riuniva per discutere di questioni di pubblica rilevanza, nonché appunto per assistere a processi o esecuzioni21, acquisendo in tal modo un’immagine immediata della giustizia e della sua amministrazione.22 Si tratta di una tradizione che affonda le proprie radici nelle antiche usanze delle popolazioni celtiche e germaniche.23 Già Eugen Huber, il padre del Codice civile svizzero, citava l’esempio degli Alemanni e dei Burgundi: “Zur Zeit der Volksrechte bestand bei den Alemannen eine Gerichtsverfassung ein sogenannter Ding, als Versammlung der Freien zum Gericht. Bei den Burgundern dagegen steht die Gerichtshoheit bei Beamten, die Grafen heissen, wahrscheinlich war aber doch auch hier eine Versammlung der Freien nicht unbekannt”24.

18 Wolfgang Schild, Alte Gerichtsbarkeit, 1980, 41. 19 V. anche Peter Oestmann, Wege zur Rechtsgeschichte: Gerichtsbarkeit und Verfahren, 2015, 60: “Das Verfahren vor der Dinggenossenschaft oder dem karolingischen Schöffengericht ist in den Einzelheiten unbekannt. Öffentlichkeit und Mündlichkeit, weitgehende Parteiherrschaft und Unmittelbarkeit waren weniger bewusste Prozessmaximen als vielmehr schlichte Notwendigkeiten in einer Zeit ohne ausgeprägtes hoheitliches Gewaltmonopol und ohne gelehrte Juristen”. 20 Simbolo suggestivamente scelto dagli architetti Valentin Bearth e Andrea Deplazes per decorare la cupola dell’aula penale del Tribunale penale federale (v. Roy Garré, La simbologia dell’albero nelle cupole delle sale per le udienze, in: Tribunale penale federale. La storia della Scuola Cantonale di Commercio e la nascita di un gioiello architettonico, a cura di Massimo Gabuzzi, 2013, 116 s.) dove si sono svolte le conferenze che sono alla base della presente pubblicazione. Un simbolismo ripreso poi nelle due sculture di bronzo di Conrad Jon Godly, dal titolo “il colpo 1” e “il colpo 2” (2014), appese simmetricamente alle pareti dei due cortili a lucernario dello stabile, rappresentanti un albero colpito dal fulmine, visione che non può non richiamare alcune intuizioni contenute nei pionieristici studi di James G. Frazer (Il ramo d’oro, ediz. originale 1922, vol. II, trad. ital., 1973, 1087–1091). 21 V. Benjamin Schindler, Justizöffentlichkeit im digitalen Zeitalter, in: Recht im digitalen Zeitalter. Festgabe Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen, 2015, 741. 22 Una buona sintesi adesso in Heiner Lück, Der Sachsenspiegel, 2017, 60: “Bis in die Neuzeit musste das Gericht unter freiem Himmel abgehalten werden, um zu garantieren, dass nichts zwischen Gott und dem Gericht steht und dass jeder dem Prozess zusehen kann. Diese Öffentlichkeit war für die Rechtmässigkeit der gerichtlichen Handlungen zwingend. Übergangsformen zu den viel jüngeren Gerichtsgebäuden bildeten die Gerichtslauben, die nach allen vier Seiten offen waren”. 23 V. Alexander Demandt, Der Baum. Eine Kulturgeschichte, 2a ediz., 2014, 229–230. V. già Frazer, nota 20, vol. I, 176–214, 250–254, 459–501. 24 Eugen Huber, Buchprojekt Rechtsgeschichte, in: Schweizerische Rechtsgeschichte aus Eugen Hubers Feder, a cura di Urs Fasel, Basilea 2015, 339.

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L’arrivo dei Franchi nulla cambierà in proposito.25 La pubblicità del processo è strettamente legata alla sua dimensione popolare: più ci si allontana da essa più il processo perde visibilità pubblica, più diventa segreto: “Der Strafprozess wurde am längsten vom Volk selbst gehandhabt. Das Volk tritt zum Ding zusammen, in welchem vornehmlich die Strafprozesse verhandelt wurden. Alleine es kam nun gegen Ende des Mittelalters und in neuerer Zeit immer häufiger vor, dass man auch die Strafprozesse dem Volke entzog und in die geschlossenen Stube verlegte. Das hängt mit der Wandlung in den strafrechtlichen Anschauungen zusammen. […] Man entschied mehr nach dem inneren Verfassen des Täters, nach psychologischen Momenten, es war nicht mehr bloss eine Sache des Landfriedens, sondern eine Frage der Psychologie des Verbrechers, und damit entzog sich mit der feineren Beurteilung des Falles die Rechtssache der Mitwirkung des Volkes, die Verhandlungen wurden in das Rathaus, in die Ratsstube verlegt, damit umso mehr dafür Sorge getragen werden kann, den Täter zu einer völligen psychischen Zerknirschung zu bringen und wenn das anders nicht gelingen wollte, so folterte man ihn, bis ein Geständnis herauskam. Das war die Grundlage für die Auffassung der neuen Richtung in Strafsachen. Im 15. Jahrhundert kommt es beispielweise in Bern noch vor, dass Strafprozesse an der Kreuzgasse bei offenem Ding zur Beurteilung gelangen, im 16. Jahrhundert dagegen werden sie teils an das Chor der Kirche, teils in die Ratsstube verlegt”26.

Così ancora Eugen Huber. In effetti nel corso dell’età moderna il processo si sposta sempre di più dall’aperto verso il chiuso, dalla dimensione pubblica della piazza a quella più segreta del palazzo municipale.27 Non a caso, quando nel 1730 un cittadino bernese avrà l’ardire di chiedere alle autorità di assistere all’interrogatorio di un imputato, il Landtag respingerà senza remore la richiesta28, perché una simile forma di pubblicità non era più nella logica che aveva ormai preso piede nella cultura giudiziaria dell’epoca. Accanto alla tradizione pubblica del processo all’aperto vi è infatti, a partire dal XIII secolo, un’altra tradizione con la quale occorre fare i conti e che costituisce l’altro polo della nostra storia: la tradizione instaurata dall’Inquisizione della Chiesa cattolica. Se il processo inquisitoriale portò ad una professionalizzazione del procedimento e a una riforma del sistema probatorio29, questo comportò delle conseguenze anche in ambito di pubblicità del procedimento, visto che la direzione della procedura venne sottratta ai laici per passare ad esperti del settore che non operavano più in pubblico ma nel segreto del palazzo di giustizia. Se nel sistema pubblico il popolo viene educato alla giustizia attraverso la visione immediata dei procedimenti, nel sistema dell’Inquisizione viene meno qualsiasi componente didattica che non sia fondata sull’arcano, sul mistero, sulla 25 Huber, nota 24. 26 Huber, nota 24, 350. 27 Con le poetiche parole di Jacob Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer, 2a ediz., vol. 1, 1854, XXII: “statt seines gerichts unter blauem himmel qualmende schreibstuben”. 28 Sybille Hofer, Richten nach kaiserlichen Rechten, Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins (ZBJV) 2017, 150. 29 V. Wesel, nota 2, 331–332; Mark Pieth, Strafrechtsgeschichte, 2015, 25–27. Paradigmatico il Directorium inquisitorum di Nicolau Eymerich (1376), ora disponibile in traduzione italiana a cura di Louis Sala-Molins, con introduzione di Valerio Evangelisti, 2000.

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paura30: pubblica resterà solo l’esecuzione, affidata al braccio secolare; ma questa sarà a sua volta una precisa strategia “educativa”, da considerarsi come prevenzione generale sia positiva che negativa.31 Al centro del sistema la regina delle prove: la confessione, spesso e volentieri ottenuta sotto tortura32, come drammaticamente e magistralmente descritto da Umberto Eco nel suo romanzo, Il nome della rosa (1980).33 Si tratta di un fenomeno diffuso anche in Svizzera, seppur meglio regolamentato dopo la recezione della Constitutio criminalis carolina del 1530/32.34 Il modello del processo inquisitoriale segreto rappresenta dunque il polo opposto con cui si dovrà fare i conti fino all’inizio dell’Ottocento e che venne poi ripreso in seguito da tutti i regimi autoritari o totalitari.35 IV. L’Ottocento e la nascita dell’opinione pubblica La pubblicità del processo assumerà nell’Ottocento una diversa valenza rispetto al periodo romano o medievale. È una pubblicità che va ricollegata all’emergere dell’opinione pubblica e che assume progressivamente una dimensione costituzionale.36 La stampa comincia a parlare dei processi, nascono rubriche dedicate al tema37, già dal Settecento vengono pubblicate raccolte di causes célèbres.38 Il pubblico si appassiona ai processi penali. Dopo la svolta della Rivoluzione francese e la nascita della giuria popolare, l’idea della pubblicità del processo diventa il naturale riflesso di una nuova concezione della

30 V. Adriano Prosperi, Tribunali della coscienza. Inquisitori, confessori, missionari, 2a ediz., 2009, 194–210. 31 V. Valérie Toureille, Crime et châtiment au moyen âge, 2013, 268–281; Adriano Prosperi, Delitto e perdono, 2013, 353–368. 32 A partire dal 1252 con la bolla Ad extirpanda di Innocenzo IV. Con le parole di Michel Foucault, a partire dal Medioevo, tortura e confessione sono divenuti “noirs jumeaux” (v. Histoire de la sexualité, vol. 1, La volonté de savoir, 1976, 79). 33 V. Roy Garré, Inquisizione, inquisiti, inquisitori: spigolature giusletterarie fra Fédor Dostoevskij, Umberto Eco e Valerio Evangelisti, in: “Toujours agité – Jamais abattu”, Festschrift für Hans Wiprächtiger, a cura di Marianne Heer, Stefan Heimgartner, Marcel Alexander Niggli e Marc Thommen, 2011, 542 ss., 550 ss. 34 V. Lukas Gschwend, Carolina, in: Dizionario storico della Svizzera, vol. 3, 2004, 83 s. 35 V. Cullen Murphy, God’s Jury. The Inquisition and the Making of the Modern World, 2012, 13–14, 198–208; 247–251, nonché Valerio Evangelisti, Leggenda nera e leggenda aurea, in Carlo Havas, Storia dell’Inquisizione, trad. italiana, 2010, 15–16. 36 Sul fluttuante affermarsi della libertà di stampa in quanto diritto costituzionale nel corso dell’Ottocento, già comunque contemplata nella libertà di opinione e di espressione di cui all’art. 11 della Dichiarazione dei diritti dell’uomo e del cittadino del 26 agosto 1789, v. ad es. Ernst Bollinger e Georg Kreis, Censura, in: Dizionario storico della Svizzera, nota 34, 182–184; Thomas Olechowski, Presse- und Meinungsfreiheit, in: Enzyklopädie der Neuzeit, vol. 10, 2009, 328–334. 37 V. Annik Dubied / Marc Lits, Le fait divers, 1999, 14 ss. 38 V. Hans-Jürgen Lüsebrink, Kriminalität und Literatur im Frankreich des 18. Jahrhunderts, 1983; Aldo Mazzacane, Letteratura, processo e opinione pubblica. Le raccolte di cause celebri tra bel mondo, avvocati e rivoluzione, Rechtsgeschichte 3 (2003), 70–97; Mathias Schmoekel, Fiat iustitia! Thema und Variationen über einen Mord in Triest, in: Mit den Augen der Rechtsgeschichte, a cura di Michele Luminati, Ulrich Falk e Mathias Schmoekel, 2008, 331 ss. Già gli almanacchi del resto se ne occupavano, come per es. Der Hinkende Bot, Gesammelte Mord- und Hinrichtungsgeschichten, 1733, Archiv Stämpfli Verlag (volume esposto durante l’esposizione 2017/2018 presso la Bibliothek Münstergasse di Berna; su questo almanacco ancora oggi pubblicato v. Norbert D. Wernicke, Die Brattig. 300 Jahre Hinkender Bot von Bern, 2017).

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partecipazione popolare all’amministrazione della giustizia.39 Se il popolo partecipa direttamente al processo nel ruolo di giurato40 e quindi come attore, seppure laico, del terzo potere è naturale che quello stesso popolo debba essere coinvolto anche come osservatore di quello che si svolge nelle aule di giustizia. Da un lato perché potrebbe essere chiamato un giorno a fungere da giurato, ma dall’altro perché diviene consapevole del suo ruolo di controllo sul funzionamento della giustizia. Un ruolo di controllo e un’autocoscienza della propria importanza che il popolo non poteva avere nell’Antico regime. Nell’Antico regime il popolo era spettatore passivo del processo e delle esecuzioni, nell’Ottocento invece diviene sempre di più spettatore attivo, si sente espressione della società civile, e quindi possiamo senza enfasi considerare questa nuova autocoscienza una forma embrionale di democratizzazione della giustizia41, destinata ad evolversi fra Otto e Novecento fino ad arrivare all’altissima pubblicizzazione che conosciamo oggi. V. Il fascino del processo fra Otto e Novecento Il fascino del processo è ben illustrato nelle celebri immagini di Honoré Daumier (1808– 1879)42, considerato uno dei padri del Realismo, il movimento culturale nato in Francia attorno al 1840.43 Con le sue caricature l’immagine della giustizia subisce una radicale metamorfosi. Gli attori della giustizia vengono rappresentati senza idealizzazioni, anzi con una vena satirica e impietosa che è anche espressione di disillusione. La giustizia non è più quella idealizzata delle immagini di Giotto nella Cappella degli Scrovegni a Padova44 o delle rappresentazioni allegoriche del Barocco45. La giustizia si personalizza, la giustizia si umanizza, la giustizia assume i contorni di persone in carne e ossa, con i loro pregi e i loro difetti: giudici, avvocati, procuratori, giurati, tutti vengono rappresentati con realismo e disincanto, non diversamente da tanti altri personaggi che compongono la sua variegata “Comédie humaine”. Ciò non toglie che il mondo della giustizia mantenesse il suo fascino46: un fascino che si nutre di nobili ideali ma anche di mor39 V. anche Oestmann, nota 19, 220–221. 40 V. a questo proposito Filippo Contarini / Ares Bernasconi (curatori), Giurie popolari, il mito scomodo, 2014. 41 Il risultato della votazione popolare del 28 novembre 2010 in Ticino, con la decisione di mantenere la figura dell’assessore-giurato (v. Rapporto della Commissione della legislazione sul messaggio 16 marzo 2011 concernente l’istituzione della figura di assessore-giurato del Tribunale cantonale e della Corte di appello e di revisione penale, 6474 R, 16 novembre 2011), esprime in definitiva la volontà di mantenere una forma di controllo democratico della giustizia penale anche dopo l’adozione a livello federale del Codice di procedura penale ed è in linea con questo filone storico. 42 A lui è stata recentemente dedicata una mostra al Museo civico di Villa dei Cedri a Bellinzona. Si veda il catalogo curato da Matteo Bianchi, Daumier: attualità e varietà, 2017. 43 V. Linda Nochlin, Il realismo nella pittura europea del XIX secolo, trad. ital., 2003. 44 V. Chiara Frugoni, Gli affreschi della Cappella Scrovegni a Padova, 2005, 91–93. 45 V. ad es. René Pahud de Mortanges, Absicherung der Macht: Die Justiz, in: André Holenstein (curatore), Berns Mächtige Zeit. Das 16. Und 17. Jahrhundert neu entdeckt, 2006, 47. 46 Che il fascino non coincida con la bellezza è ovvio, come del resto sottolineato nella famosa opera curata da Umberto Eco, Storia della bruttezza, 2007, che fece seguito alla Storia della bellezza, 2004, poi riunite in un solo volume.

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boso cinismo. È il fascino che promana dal principe del foro, che viene ascoltato nelle aule di giustizia con la stessa ammirazione con cui poteva venire ascoltato Cicerone nel foro romano47; è il fascino del potere, che era spesso potere di vita e di morte, espresso dalle figure di giudici, procuratori, ufficiali giudiziari, a cui guardare con un misto di ammirazione, paura, invidia; ma è anche il fascino del male, lo sguardo morboso verso gli abissi della criminalità, uno sguardo da cui poi il ben pensante si può ritrarre con sollievo, confortato nella sua certezza di non avere nulla da spartire con l’abiezione del criminale a processo. Vista così la pubblicità del processo è in definitiva un fattore di prevenzione generale positiva: serve a mantenere saldo il patto sociale: da una parte i cattivi, a processo, dall’altra i buoni, la società che processa, mediante i suoi giudici ma anche mediante i suoi spettatori. Spettatori diretti, che assistono dal vivo al processo, ma più spesso indiretti, che assistono al processo attraverso la mediazione della stampa, che diventa in tal guisa un fattore chiave nella diffusione del sapere giuridico. La stampa assume un ruolo divulgativo, insegna a capire come funziona il processo, illustra i ruoli dei vari attori del processo, descrive crimini e criminali, e attraverso il suo prezioso lavoro si forma un’opinione pubblica. Da qui il successo delle immagini di Daumier, non molto diversamente dal successo che avranno, con l’arrivo della televisione, serie come quelle dedicate all’avvocato Perry Mason, il personaggio uscito dalla penna di Erle Stanley Gardner (1889–1970) e reso famoso dall’attore Raymond Burr nella omonima serie televisiva andata dapprima in onda sulla CBS dal 1957 al 1966. VI. Il processo mediatico contemporaneo È appunto l’avvento del cinema48 e poi della televisione, con il successo internazionale di serie come quella di Perry Mason, che porta ad un’esponenziale amplificazione49 della dimensione pubblica del processo.50 La dialettica processuale, seppure in forma semplificata e spettacolare, diventa presente a tutti, al punto che tutti si sentono un po’ esperti di diritto processuale come tutti si sentono oggi criminologi con il successo di serie come CSI o Criminal minds. E si badi bene non lo dico con ironia, anzi. Ben venga l’interesse per il diritto penale che viene alimentato da queste trasmissioni se si accompagna ad una seria divulgazione del sapere giuridico e quindi all’apprendimento e alla cura di principi cardine come la presunzione di innocenza ed il principio in dubio pro 47 V. supra cap. 2. 48 V. Stefan Machura / Peter Robson (curatori), Law and Film, 2001; Stefan Machura / Stefan Ulbrich (curatori), Recht im Film, 2002. Fra le opere più originali in questo ambito vi è senz’altro il recente film di Milo Rau, Das Kongo-Tribunal, 2017, ambiziosa produzione che si incunea nelle lacune del perseguimento penale internazionale combinando senza soluzione di continuità processo, teatro e cinematografia. 49 Mutatis mutandis vi sono analogie con le dinamiche osservate in ambito artistico da Walter Benjamin a partire dal classico Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 1936. 50 Il discorso va inserito in un contesto socioculturale più ampio, che qui può essere solo abbozzato; si v. ad es. Giovanni Sartori, Homo videns. Televisione e post-pensiero, 2000; Andrea Pinotti / Antonio Somaini, Cultura visuale. Immagini, sguardi, media, dispositivi, 2016; Cornelia Vismann, Medien der Rechstprechung, 2011.

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reo. In questo senso programmi televisivi di successo come in Italia Quarto grado51 o Forum52 svolgono un ruolo significativo, catalizzando emozioni comunque presenti nel pubblico e canalizzandole in un discorso razionale, pur con i rischi insiti in qualsiasi forma di spettacolarizzazione del penale. Importante è che le emozioni non vengano mai alimentate ad arte, ma solo intercettate e appunto incanalate, con la piena consapevolezza che i processi si fanno comunque in aula, non in piazza o sui social.53 Il recinto processuale54 deve restare intatto e si deve evitare qualsiasi forma di gogna mediatica, pur rendendomi conto che sia più facile a dirsi che a farsi. Accanto a ciò vanno menzionate altre forme di pubblicizzazione del penale, molto di moda oggi in particolare grazie all’offerta in streaming di Netflix.55 Si pensi alla ricostruzione del processo ad O. J. Simpson56 o di quello per i crimini commessi dai leader giapponesi durante la Seconda guerra mondiale.57 Proprio il caso del processo ad O. J. Simpson è esemplare perché rappresenta una forma di rimediatizzazione di un processo a suo tempo già altamente mediatizzato, praticamente in diretta TV dall’arresto alla sentenza.58 La rimediatizzazione carica l’avvenimento originale di nuovi significati: rappresenta quindi anche una sua risemantizzazione, non da ultimo in virtù del maggiore distacco emozionale che la lontananza temporale dagli avvenimenti comporta.59 In più ci sono i vantaggi narrativi delle moderne serie TV, il cui formato viene suggestivamente paragonato a quello dei feuilletons della stampa ottocentesca.60 Esse permettono infatti di approfondire la psicologia dei personaggi in termini che il lungometraggio o il documentario, nella loro forma tradizionale, non si possono permettere, già solo per i limiti di durata connessi a questo tipo di opera.61 Ma non è soltanto la psicologia dei perso51 In onda dal 2010, attualmente condotto da Gianluigi Nuzzi, con la partecipazione di esperti quali il criminologo Massimo Picozzi, lo psichiatra Alessandro Meluzzi ed il criminalista Luciano Garofano. 52 In onda dal 1985 e attualmente condotto da Barbara Palombelli. 53 Inutile comunque negare che la mediatizzazione dei processi possa diventare una tattica processuale (cdt. litigation PR) da prendere in considerazione per un’efficace attività forense (v. ad es. Volker Boehme-Nessler, Die Öffentlichkeit als Richter? Litigation-PR als neue Methode der Rechtsfindung, 2010 e Daniel Jositsch, Medienarbeit als Bestandteil der Strafverteidigung, Rivista Penale Svizzera, 2004, 115–139). Anche questo è un fenomeno di cui essere consapevoli, senza moralismi ma con obiettività per evitare che porti a distorsioni processuali, a maggior ragione per quanto riguarda i rapporti fra mass media e autorità di perseguimento penale (v. a questo proposito TPF 2016 114). 54 Già contenuto etimologicamente nella parola foro (v. supra nota 13). 55 L’importanza sociologica di Netflix è evidente anche solo guardando le cifre del suo successo. Si parla infatti di 125 milioni di abbonati in tutto il mondo, con una crescita esponenziale, per cui è evidente la sua importanza nel creare una sorta di opinione pubblica mondiale. 56 The People v. O. J. Simpson. American Crime Story, di Scott Alexander e Larry Karaszewski, 2016. 57 Tokyo Trial, di Rob W. King e Pieter Verhoeff, 2016. 58 Ottimo il dossier di approfondimento di Daniel Victor, The O. J. Simpson Murder Trial, as Covered by The Times, New York Times del 2 febbraio 2016, con ulteriori rimandi. 59 V. James Poniewozik, Review: “The People v. O. J. Simpson”, Seen This Time in Double Vision, New York Times del 23 agosto 2016. 60 Dell’ampia letteratura esistente sul tema v. ad es. Gianluigi Rossini, Le serie TV, 2016; Dominique Moïsi, La géopolitique des series ou le trionphe de la peur, 2016; Luca Bandirali / Enrico Terrone, Filosofia delle serie TV. Dalla scena del crimine al Trono di Spade, 2013. 61 Si vedano comunque i recenti Ignoto 1 – Yara. DNA di un’indagine, a cura di Nick Fraser e Hugo Berkeley, 2017 e Amanda Knox, a cura di Rod Blackhurst e Brian McGinn, 2016.

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naggi che può essere in tal modo approfondita, quant’anche la complessità del processo penale nell’integralità del suo flusso temporale. Basti confrontare la serie in questione con un classico capolavoro come Twelve Angry Men di Sidney Lumet (1957), che si è inevitabilmente concentrato sulla camera di consiglio, lasciando fuori dall’osservazione tutto il resto del procedimento: a livello di intensità drammatica il risultato è straordinario, ma a livello informativo la serie permette di introdurre molta più informazione e quindi molto più materiale di riflessione. Il penale è comunque parte integrante degli odierni servizi di streaming non solo per quanto riguarda il procedimento, ma anche per quanto riguarda l’esecuzione della pena: si pensi al successo di serie come Orange is the new black (2013) o Prison break (2005). E anche qui ben venga questo interesse, nella misura in cui è l’occasione per approfondimenti, ad esempio sulla discriminazione razziale nel sistema penale americano62 come quello svolto dall’ottimo documentario 13th di Ava DuVernay (2016), con la conversazione-postilla tra l’autrice e Oprah Winfrey (2017). In questo si riconosce una sorta di ritorno del rimosso, segnatamente di quei contenuti che Michel Foucault ha egregiamente descritto nei suoi studi sul passaggio dall’esecuzione pubblica di Antico regime (“lo splendore dei supplizi”) alla segretezza del sistema carcerario otto-novecentesco.63 Quell’universo che da Jeremy Bentham in poi doveva rimanere nascosto agli sguardi della società, lasciato al meccanismo di sorveglianza del Panopticon64, torna a galla in streaming-TV! Ma in fondo lo si poteva già intuire dal successo di film come Birdmann of Alcatraz (1962) o Escape from Alcatraz (1979), per non parlare del Conte di Montecristo (1846) di Alexandre Dumas … VII. La rivoluzione digitale e le sue conseguenze sulla pubblicità del processo La moderna serie televisiva non è la sola novità degli ultimi anni. Ci sono altre modalità di comunicazione che hanno rivoluzionato il nostro approccio alle informazioni e sono ovviamente legate alla rivoluzione digitale.65 Non è unicamente una questione di cambiamento del supporto (da cartaceo a digitale66), ma soprattutto di ritmi e tempi: se nel processo penale i tempi dei procedimenti si misurano in mesi e anni, sulla stampa tradizionale scritta o audiovisiva i tempi si misurano in giorni mentre su quella elettronica, per inquietante ma a quanto pare inesorabile pressione dei social media, si misurano in minuti e a volte in secondi.67 Vittime inevitabili di tutto ciò? La precisione, la riflessione, l’approfondimento. Si confonde sempre più la celerità con la fretta, e l’errore, anche grave, è subito in agguato. V. Michelle Alexander, The New Jim Crow. Mass Incarceration in the Age of Colorblindness, 2012. V. Michel Foucault, Surveiller et punir. Naissance de la prison, 1975. V. Pinotti/Somaini, nota 50, 176–179. Più ampiamente v. Luciano Floridi, La quarta rivoluzione. Come l’infosfera sta trasformando il mondo, 2017; con particolare attenzione al diritto v. Thomas Vesting, Die Medien des Rechts. Computernetzwerke, 2015. 66 In generale v. Pinotti/Somaini, nota 50, 137–192. 67 V. anche le riflessioni in proposito di Matteo Caratti, Prove, indizi e verità giudiziarie, LaRegione del 23 febbraio 2016. 62 63 64 65

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Il problema non è dunque tanto la brevità dei messaggi: riuscire a sintetizzare i contenuti essenziali in pochi caratteri, che siano i 140 di un vecchio tweet, adesso estesi a 280, può essere comunque una virtù, se si accompagna alla precisione: inarrivabili restano per altro i quattro caratteri della sopraccitata scritta INRI, con cui i romani riuscirono a sintetizzare il motivo essenziale della condanna a morte di Gesù.68 Il problema è dunque la qualità e precisione del contenuto, non la sua forma o brevità. Troppe in questo ambito le imprecisioni che si leggono sulla stampa, laddove si confondono Codice penale e Codice di procedura penale, pene e misure, Tribunale federale e Tribunale penale federale, ruolo del procuratore e ruolo del giudice, pena pecuniaria e multa, solo per fare alcuni esempi di svarioni che mi capita di leggere nelle cronache giudiziarie. Se si sbaglia su quello che è l’ABC del penale è difficile poi imbastire un discorso giornalistico credibile. Il mestiere del cronista giudiziario è un mestiere serio, presuppone solide conoscenze processuali, penali e criminologiche, e sarebbe auspicabile che le redazioni non risparmiassero in questo ambito69, altrimenti è impossibile pensare che il pubblico si formi una fondata opinione in materia di processi e in generale di diritto penale. È non da ultimo una questione di educazione civica perché sarà quello stesso pubblico/ popolo che viene regolarmente chiamato alle urne a votare su temi come l’espulsione dei criminali, l’internamento a vita, le pene accessorie contro i pedofili, il rapporto fra diritto nazionale e internazionale, il numero dei giudici per i provvedimenti coercitivi, eccetera. O addirittura, come a Ginevra, il pubblico/popolo chiamato a eleggere il Procuratore generale, il quale notoriamente definisce le grandi linee della politica criminale del Cantone.70 Anche la giustizia deve tuttavia fare la sua parte: in una società altamente mediatizzata non può arroccarsi in una torre d’avorio e rifiutare di comunicare con l’esterno.71 Il Tribunale penale federale mette ad esempio a disposizione una sala stampa altamente funzionale, non manca di informare attivamente con comunicati stampa, pubblica tutte le sue sentenze in internet, ha organizzato una giornata delle porte aperte, accoglie scolaresche, associazioni, autorità interessate a visitare la sua sede, organizza conferenze, tutte attività importanti per far conoscere al pubblico il funzionamento della giustizia. L’esigenza di comunicare deriva altresì dalla necessità di difendere l’operato della giusti-

68 V. supra cap. 2 in fine. 69 Lascia perlomeno perplessi in tal senso la recente, quasi contemporanea (seppur per diversi motivi) partenza da un giornale del calibro della Neue Zürcher Zeitung di due importanti ed esperte firme in questo ambito, Katharina Fontana e Brigitte Hürlimann (v. a questo proposito le critiche della stessa Hürlimann in un’intervista a Kaspar Surber sulla WOZ. Die Wochenzeitung del 12 ottobre 2017), dopo il precedente pensionamento di Markus Felber, storico e autorevole corrispondente dal Tribunale federale. Si auspica che questi cambiamenti non siano espressione di minore attenzione alla cronaca giudiziaria sia federale che cantonale. Chi scrive si ricorda infatti dell’epoca, pre-internet, in cui i resoconti delle sentenze del Tribunale federale contenuti nella Neue Zürcher Zeitung erano utilizzati dai professori a lezione per illustrare le novità giurisprudenziali, non ancora pubblicate nella raccolta ufficiale (cartacea) ed erano in quanto tali citabili nei lavori seminariali. 70 V. art. 122 Cost./GE. 71 V. il dibattito sulla Neue Zürcher Zeitung tra Brigitte Hürlimann (Der Richter und sein Publikum, 5 luglio 2016) e Roy Garré / Patrick Guidon (Die Türen der Gerichte stehen offen, 22 luglio 2016).

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zia: plateale il caso degli Stati Uniti già dopo i primi tweet di Trump72 contro i magistrati che hanno osato bloccare i suoi ordini esecutivi in materia di bando contro i cittadini provenienti da determinati Paesi mussulmani; comprensibile che dopo una famosa decisione del giudice della Corte federale distrettuale di Seattle, il repubblicano (!) James Robart73, l’ufficio del procuratore abbia subito informato con una conferenza stampa televisiva, dando un volto all’agire del terzo potere e mostrando che il sistema di check and balance non è solo una bella teoria costituzionale ma è difeso da persone in carne ed ossa, in grado di “mettere la faccia” e spiegare al pubblico i motivi delle proprie iniziative. Per capire quanto sia importante dare un volto alla giustizia nel diffondere la cultura della legalità si pensi all’importanza assunta dalla famosa foto dei magistrati antimafia Falcone e Borsellino, scattata da un fotoreporter palermitano della Reuters, che dopo gli attentati del 1992 è diventata una vera e propria icona della lotta contro la mafia.74 VIII. Distanza e affinità fra giustizia e media Giustizia e media hanno molte più affinità di quanto spesso si ritenga. Nella discussione fra attori della giustizia e attori della stampa si ha a volte l’impressione di una certa diffidenza reciproca. Ci sono indubbiamente pregiudizi da una parte e dall’altra. E questo nonostante i progressi che sono stati fatti negli ultimi decenni nella collaborazione fra il terzo e il quarto potere, con la nascita di addetti stampa specializzati, con corsi appositi75, con l’uso sempre maggiore di comunicati ai media accreditati ecc. In realtà andrebbe meglio evidenziato il ruolo di controllo che sia la giustizia che i media hanno nei confronti del primo e del secondo potere. È un ruolo democraticamente essenziale e trae origine dall’indipendenza che la giustizia e i media non devono mai smettere di difendere con intransigenza. Naturalmente indipendenza anche dei media nei confronti della giustizia e viceversa: un’indipendenza che porta a processare i media quando commettono reati, rispettivamente a criticare inflessibilmente giudici e procuratori quando commettono errori o comunque svolgono male il proprio lavoro. Questo è sacrosanto. Sacrosanta è però anche l’aspirazione alla verità dei fatti che ispira sia il terzo che il quarto potere.76 Verità processuale quella della giustizia, verità giornalistica quella della stampa, ma non 72 Particolarmente emblematico quello del 4 febbraio 2017: “The opinion of this so-called judge, which essentialy takes law-enforcement away from our country, is ridiculous and will be overturned!”. 73 V. Thomas Fuller, “So-Called” Judge Criticized by Trump is Known as a Mainstream Republican, New York Times del 4 febbraio 2017. 74 V. Lucio Luca, Tony Gentile: “L’immagine che ci ha dato la forza di reagire”, La Repubblica del 27 marzo 2017. Si v. anche la fiction Paolo Borsellino – i 57 giorni, per la regia di Alberto Negrin, 2012, prodotta per il ventesimo anniversario della morte di Falcone e Borsellino e delle loro scorte. 75 Si veda il corso sviluppato nel 2016 dal MAZ di Lucerna in collaborazione con l’Associazione svizzera dei magistrati (ASM/SVR), Journalist ruft an – Justizkommunikation konkret. 76 Per la vicina Germania non mancano comunque voci critiche che parlano di un preoccupante abbandono di una simile aspirazione nella giurisprudenza degli ultimi anni (v. Joachim Wagner, Ende der Wahrheitssuche. Justiz zwischen Macht und Ohnmacht, 2017). Meno pessimista Michele Taruffo, La semplice verità e la costruzione dei fatti, 2009.

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per questo “figlie di un dio minore”: entrambe, seppur con strumenti diversi a disposizione, aspirano infatti all’ideale della verità materiale.77 Anzi è proprio forse nell’intreccio metodologico di queste due verità che il cittadino viene messo nella migliore condizione per maturare le proprie opinioni in una società democratica78, imparando come distinguere i fatti concreti dalle fake news.79 In questo il giornalismo classico, a prescindere dal supporto e dalle modalità di diffusione (carta, internet, broadcasting eccetera) offre delle garanzie di qualità che la piattaformizzazione dei social media80 (per tacere della loro inquietante opacità81) non è in grado di offrire e che il cittadino maturo è indubbiamente in grado di capire e apprezzare. PD Dr. iur. Roy Garré Giudice, Tribunale penale federale, Viale Stefano Franscini 7, 6500 Bellinzona

77 V. ad es. art. 6 CPP nonché punto 1 della Dichiarazione approvata dal Consiglio di fondazione del Consiglio svizzero della stampa nella seduta costitutiva del 21 dicembre 1999 e riveduta il 5 luglio 2008. V. comunque le riflessioni critiche di Marc Thommen, Kurzer Prozess – fairer Prozess? Strafbefehls- und abgekürzte Verfahren zwischen Effizienz und Gerechtigkeit, 2013, 264–295. 78 Lo afferma bene la dichiarazione del Consiglio svizzero della stampa di cui alla nota 77, laddove viene sottolineato il dovere del giornalista di ricercare la verità e rispettare “il diritto del pubblico di venirne a conoscenza”. L’art. 6 CPP non postula un analogo obbligo di informazione in capo alla magistratura, ma i principi dell’informazione sono comunque disciplinati in altre normative come per esempio il regolamento del 24 gennaio 2012 del Tribunale penale federale sui principi dell’informazione (RS 173.711.33) e le relative direttive del 1. luglio 2012 della Commissione amministrativa sulla comunicazione della giurisprudenza, pubblicate nel sito del Tribunale. 79 V. a questo proposito Gabriele Cosentino, L’era della post-verità. Media e populismi dalla Brexit a Trump, 2017. 80 V. l’intervista a Gaetano Romano in LaRegione del 17 novembre 2017, 6, con riferimento all’uscita dell’annuario 2017 “Qualità dei media”. 81 V. a questo proposito Anna-Verena Nosthoff / Felix Maschewski, Der Monopolist des Lichts, Neue Zürcher Zeitung del 24 novembre 2017, 35, con richiamo anche allo studio di Frank Pasquale, Black Box Society. The Secret Algorithms That Control Money and Information, 2015.

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I. Der spannende Fall Die Gerichtsverhandlung ist nicht umsonst ein Stoff für packende Dramen der Weltliteratur und manchem Film, der zum Klassiker geworden ist. Vor Gericht spitzen sich Konflikte zu. Es steht viel auf dem Spiel und am Ende muss entschieden werden. Gerade im Strafprozess werden dabei spannende Fragen ausgefochten: Gewaltsamer Tod; Verletzungen von körperlicher Integrität und Rechten, die Kernaspekte der Persönlichkeit schützen; der Schutz von Elementen des Vertrauens, das eine Gesellschaft braucht; schreckliche Lagen, in denen man zum Eigenschutz zu Handlungen genötigt wird, die andere verletzen oder ihnen gar das Leben nehmen, Notwehr und Notstand; die alte Frage nach den Gründen und Grenzen von Schuld – all dies ist nur Teil der höchst differenzierten Welt des Strafrechts, in dem archetypische Fragen um Gerechtigkeit und Verantwortung ausgehandelt werden. Aber auch andere Rechtsgebiete bieten viel: Im Privatrecht stehen wichtige Interessen auf dem Spiel, für die streitenden Individuen und juristischen Personen sowie die Art der rechtlichen Beziehungen der rechtlich assoziierten Individuen insgesamt. Im öffentlichen Recht, vor allem im Verfassungsrecht, werden Fragen ausgefochten, die politische Grundweichenstellungen von Gesellschaften betreffen. In der Grundrechtsordnung werden die Umrisse der Rechtssphäre festgelegt, die staatlicher Macht, aber auch anderen Menschen entzogen ist. Dabei geht es immer wieder um Fragen, die hohe politische Wellen schlagen – in der Migrationspolitik zum Beispiel. Sogar der Umgang mit menschlicher Geschichte kann zum Objekt von Gerichtsentscheidungen werden. Solche Auseinandersetzungen sind dann geladen mit schwierigen Problemen der Politik mit kollektiven Identitäten, des Umgangs mit nationalistischen Mythen, der angemessenen Achtung von den Opfern der Untaten der Vergangenheit, der Meinungsfreiheit und Bedeutung der Wahrheit über die Vergangenheit im Recht – all das wird im Perinçek-Fall um die Strafbarkeit der Genozidleugnung eindringlich vor Augen geführt.1 Die Wichtigkeit der Berichterstattung in den Medien über diese Dramen und grossen Probleme versteht sich daher schon von selbst aufgrund des menschlichen Interes1

EGMR, Urteil vom 15.10.2015, appl. no. 27510/08, Perinçek.

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ses, das diese Fragen haben. Die Berichterstattung ist aber auch aus ganz praktischen Gründen von Bedeutung: Sie informiert über neue Entwicklungen der Rechtslage, über Konkretisierungen von Rechtsfragen, die die Menschen ganz allgemein in ihrem alltäglichen Leben angehen. Und noch ein Aspekt muss genannt werden. Die Justizberichterstattung hat eine bedeutende politische Funktion in einer Demokratie: Recht ist das normative Sediment der Politik, manchmal der schnell wechselnden Tagespolitik, manchmal politischer Grundweichenstellungen wie im Verfassungsrecht. Die Berichterstattung, wie Recht in der Gerichtspraxis konkret wird, ist deswegen ein wesentlicher Teil der politischen Kultur einer Gemeinschaft. Die Bedeutung der Justizberichterstattung wegen des menschlichen Interesses an den Gegenständen der Gerichtspraxis, aus praktischen und politischen Gründen ist mithin offensichtlich. Weniger offensichtlich könnte erscheinen, welche rechtsphilosophischen Fragen in diesem Kontext eigentlich aufgeworfen werden, insbesondere wenn man eine naheliegende Abneigung dagegen hat, hochtrabende Theoreme einem Alltag aufzuzwingen, zu dem sie nicht passen wollen. Die Vermittlung von juristischen Entscheidungen in der Öffentlichkeit bildet aber keinen solchen Fall, denn sie besitzt sehr wohl Dimensionen, die zu grundlegender Reflexion einladen und zwar aus folgenden Gründen: In der Berichterstattung über die Gerichtspraxis verschränken sich drei tragende Säulen des demokratischen Verfassungsstaates: Rechtsstaat, Demokratie und Öffentlichkeit. In der Gegenwart ist der demokratische Verfassungsstaat dabei in eine internationale Ordnung eingebunden, die dem Problemkreis eine weitere Dimension verleiht. Diese Ordnungsform ist nicht eine beliebige Art, menschliche Angelegenheiten zu organisieren, sondern ein aus Revolutionen geborener und in bitteren Auseinandersetzungen mühsam erkämpfter Mindestrahmen menschlicher Zivilisation, der mit guten Gründen Legitimität beansprucht.2 Die Justiz bildet ihrerseits eine Kerninstitution des Rechtsstaates, indem dieser konkret und fassbar wird. Die Öffentlichkeit und die Medien sind ein wichtiger Teil jeder Demokratie, in mehr als nur einer Hinsicht. Es geht um die Vermittlung von Informationen, aber auch um die Bildung von Meinungen, wie diese Informationen zu bewerten sind. Die Auseinandersetzung mit Gerichtsurteilen in der Öffentlichkeit hat immer wieder und so auch in jüngster Zeit zwei fundamentale politische Dimensionen: Es geht um Sachfragen, die nicht selten grundlegende Weichenstellungen der Politik betreffen, es geht aber auch um Fragen der Verteilung von politischer Macht in einer Gesellschaft. Nicht nur der Inhalt der Entscheidung, sondern auch wer zur Entscheidung überhaupt befugt ist, steht zur Debatte. Das zeigen nicht nur die Motive und Auswirkungen der Gerichtsschelte in den USA durch Donald Trump etwa im Zusammenhang mit dem Einreiseverbot für Bürger bestimmter islamischer Staaten, sondern auch die Debatten um die Entscheidungen oberster Gerichte in verschiedenen europäischen Ländern, in der Schweiz nicht zuletzt

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Vgl. näher Matthias Mahlmann, Der politische Moment der Rechtsphilosophie, Rechtswissenschaft 8 (2017), 181–220.

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des Bundesgerichts3 oder des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.4 Die begrenzte und wohlqualifizierte Verlagerung von gesellschaftlicher Macht auf Gerichte ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein bedeutende rechtskulturelle Errungenschaft. Die Idee von Rechtsstaatlichkeit, die sich darin verkörpert, setzt auf die Möglichkeit der Bestimmung von Handlungen durch allgemeine Gesetze und die Fähigkeit von Menschen, sie rational kontrolliert anzuwenden. Der Rechtsstaat ist eine institutionalisierte Wette auf die praktische Vernunft der Menschen. Die Teilung von Gewalten ist ein unbequemes Gut. Es ist dazu geschaffen, oberste Regierungsgewalten ebenso herauszufordern wie bestehende, wenn auch wechselnde politische Mehrheiten in der Gemeinschaft. Durch ihre eigenständige Rolle scheint die Justiz Demokratie zu begrenzen. Dies geschieht auch in einzelnen Fällen. Wie sich aber zeigen wird, ist es gerade diese Eigenständigkeit, die die Justiz als Teil des Rechtsstaates zu einem entscheidenden Element in der Architektur der Demokratie erhebt, die diese am Ende nicht einschränkt, sondern am Leben erhält. Dabei sind im politischen Prozess, und auch in den politischen Medien, in der Gegenwart nicht nur demokratiestärkende Haltungen zu vermerken. Im Gegenteil, die Gegenwart ist geprägt durch die Herausforderung durch politische Strömungen, die hinter einer demokratischen Fassade Kerngehalte der Demokratie aufs Spiel setzen, um kurzsichtig taktische politische Ziele zu befördern, oder demokratische Strukturen sogar unmittelbar angreifen.5 Die Auseinandersetzung um diese Fragen vollzieht sich vor dem Hintergrund eines tiefgreifenden Wandels der Medien, die zentral sind, um eine demokratische Öffentlichkeit zu schaffen. Der gegenwärtige Gebrauch des Internets mit seinen Verbreitungsmöglichkeiten stellt grundlegende Annahmen vernünftiger politischer Auseinandersetzung in Frage. Die Existenz von Qualitätsmedien ist bedroht. Man kann auch nicht sagen, dass die gegenwärtige politische Kultur einer anspruchsvollen Herrschaft von Gründen leidenschaftlich entgegenstürzt. Wirklichkeitsverlust ist kein Grund, Wahlen zu verlieren. Fehlinformation ist Teil mancher erfolgreichen politischen Strategie. 3 4

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Vgl. z. B. die Debatte um Bundesgerichtsentscheid BGE 142 II 35. Ein gutes Beispiel für die politische Dimension der Diskussion ist die Auseinandersetzung um die sog. „Selbstbestimmungsinitiative“, bei der gerade die Rechtsprechung des EGMR von zentraler Bedeutung war. Vgl. dazu etwa Andreas Auer et al., Stellungnahme zur Volksinitiative ‚Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)‘, Jusletter vom 20.02.2017; Jörg Paul Müller / Giovanni Biaggini, Die Verfassungsidee angesichts der Gefahr eines Demokratieabsolutismus, ZBl 116 (2015), 235–250; Jörg Paul Müller / Daniel Thürer, Landesrecht vor Völkerrecht?, ZSR 134 (2015) 3–20; Helen Keller / Natalie Balazs-Hegedüs, Paradigmenwechsel im Verhältnis von Landesrecht und Völkerrecht, AJP (2016), 712– 724; Helen Keller / Reto Walther, Konsequenzen der Selbstbestimmungsinitiative für die Wirtschaft, AJP (2016), 867–878; Helen Keller / Yannick Weber, Folgen für den Grundrechtsschutz und verfassungsrechtliche Gültigkeit der „Selbstbestimmungsinitiative“, AJP (2016), 1007–1023; vgl. auch Walter Kälin / Stefan Schlegel, Schweizer Recht bricht Völkerrecht? Szenarien eines Konfliktes mit dem Europarat im Falle eines beanspruchten Vorranges des Landesrechts vor der EMRK, 2014. Es gibt inzwischen ein ganzes Forschungsfeld zum „Populismus“ und seinen Gehalten, vgl. z. B. die Beiträge in Cas Mudde / Cristóbal Rovira Kaltwasser (Hrsg.), Populism in Europe and the Americas: Threat or Corrective for Democracy?, 2013; Cas Mudde / Cristóbal Rovira Kaltwasser, Populism: A Very Short Introduction, 2017; Jan-Werner Müller, Was ist Populismus?, 2016.

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Die Öffentlichkeit ist dabei ein theoretisch aufgeladener Begriff, an dem sich Grundelemente der menschlichen Existenz ebenso kristallisierten6 wie epochale Emanzipationsbewegungen der Neuzeit.7 Diskurstheorien der Moral und auf ihrer Grundlage entwickelte Theorien der deliberativen Demokratie verwandeln Öffentlichkeit sogar in einen erkenntnistheoretischen Begriff. Erkenntnis in normativer Hinsicht ist ohne Öffentlichkeit, so die These, nicht zu haben.8 Im Alltagsphänomen der Justizberichterstattung bündeln sich mithin Grundprobleme der politischen Ordnung eines international eingebundenen demokratischen Verfassungsstaates. Im Folgenden soll deshalb genauer untersucht werden, in welcher Weise Demokratie, Rechtsstaat und Öffentlichkeit miteinander normativ verflochten sind, und welche Schlussfolgerungen sich daraus für den Umgang mit rechtsstaatlichen Institutionen wie Gerichten in der öffentlichen Auseinandersetzung, nicht zuletzt durch Medien, ergeben. In Anbetracht der politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart steht dabei ein Grundbaustein der menschlichen Rechtszivilisation der Neuzeit in Frage.9 Um angesichts dieser Herausforderungen sicheren Boden unter den Füssen zu gewinnen, soll erst eine jeweils kurze Vergewisserung der Kerninhalte von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erfolgen, um dann zu erwägen, welche Konsequenzen sich daraus für die Idee der Öffentlichkeit und konkret für die öffentliche Reflexion rechtsstaatlicher Institutionen wie Gerichten ergeben. II. Demokratie Demokratie ist in der Gegenwart zu einem fundamentalen Massstab für eine gerechtfertigte politische Ordnung geworden. Wie auch bei anderen Begriffen – beispielweise den Menschenrechten, die ein ähnliches Schicksal haben – sieht man dies nicht zuletzt daran, dass politische Ordnungen, die sich gerade nicht an demokratischen Leitvorstel-

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Vgl. z. B. Hannah Arendt, die, anknüpfend an eine spezifische Interpretation der polis (und res publica), etwas, das öffentlich sei, zwei zentrale Funktionen für die condition humaine zuweist: „Es bedeutet erstens, dass alles, was vor der Allgemeinheit erscheint, für jedermann sichtbar und hörbar ist, wodurch ihm die grösstmögliche Öffentlichkeit zukommt. Dass etwas erscheint und von anderen genau wie von uns selbst als solches wahrgenommen werden kann, bedeutet innerhalb der Menschenwelt, dass ihm Wirklichkeit zukommt.“, id., Vita Activa, 1972, 62. „Der Begriff des Öffentlichen bezeichnet zweitens die Welt selbst, insofern sie das uns Gemeinsame ist und als solches sich von dem unterscheidet, was uns privat zu eigen ist, als dem Ort, den wir unser Privateigentum nennen“, ibid., 65. In dieser gemeinsamen Welt finde sich allein Freiheit und Dauer über das eigene Leben hinaus. Der Begriff hat dabei eine zentral herrschaftstheoretische und -soziologische Dimension, vgl. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1979, 294: „Am Strukturwandel der bürgerlichen Öffentlichkeit lässt sich studieren, wie es vom Grad und der Art ihrer Funktionsfähigkeit abhängt, ob der Vollzug von Herrschaft und Gewalt als eine gleichsam negative Konstante der Geschichte beharrt – oder aber, selber eine historische Kategorie, der substantiellen Veränderung zugänglich ist.“ (Herv. i. Org.) Vgl. z. B. Stefan Gosepath, The Publicity of Reason(ing), Yearbook for Eastern and Western Philosophy, 1 (2016), 27–38. Vgl. zu diesen Herausforderungen näher Matthias Mahlmann, Der politische Moment der Rechtsphilosophie, Rechtswissenschaft 8 (2017), 181–220.

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lungen orientieren, diese doch benutzen, um die eigene Herrschaft zu legitimieren. Die Einschränkung der Demokratie und die Festigung autoritärer Herrschaft in der Türkei haben sich nicht zufällig demokratischer Mittel bedient. Die Zerstörung der Demokratie in Ungarn wahrt den Anschein demokratischer Legitimation. Um die Bedeutung von Rechtsstaat und Öffentlichkeit für die Demokratie zu verstehen, muss man die Demokratie von ihrem normativen Kern her denken. Für Demokratie spricht dabei mehr als ein Grund. Eine spezifische Art von Demokratiebegründungen stammt aus zweckrationalen Erwägungen, die in verschiedenen Varianten formuliert werden – inspiriert etwa von Vertrauen in die Rationalität von Entscheidungen von Personenmehrheiten10 oder vom Geist des kritischen Rationalismus.11 Diese Begründungsweisen haben auch durchaus Bedeutung. Zwar wird man nicht behaupten wollen, dass demokratische Prozesse zwangsläufig bessere oder gar immer richtige Entscheidungen hervorbringen. Dennoch lässt sich sicher sagen, dass der demokratische Entscheidungsprozess nicht zuletzt durch den Einbezug – im Grundsatz jedenfalls – aller Bürgerinnen und Bürger, durch öffentliche Auseinandersetzung, kritische Reflexivität und Reversibilität Ergebnisse erzielt, die gegenüber anderen, etwa autoritären Ordnungen, vorzugswürdig sind. Der Normalfall von Diktaturen ist die Herrschaft von Einzelinteressen und Willkür, nicht die Herrschaft von Vernunft im Interesse aller. Demokratien beugen auch dem Machtmissbrauch vor, eine alte, aber festzuhaltende Erkenntnis, da Macht nach aller menschlichen Erfahrung zu diesem Missbrauch verführt. Demokratie ist aber nicht nur zweckrational vorzugswürdig, indem sie eine tendenziell gemeinwohlorientierte, effiziente Ordnung schafft, sondern hat auch ein normativ letztendlich ausschlaggebendes ethisches Fundament. Dieses Fundament besteht in der institutionellen Verwirklichung der Autonomie von Menschen, der Fähigkeit, die gleichzeitig ein Bedürfnis bildet, sich selbst zu bestimmen.12 Die Demokratie verlangt deswegen nach realen politischen Einflussmöglichkeiten, in denen diese Autonomie konkret und praktisch wird. Zentral ist für die demokratische Praxis das Mehrheitsprinzip, das man aber nicht zum Wahrheitskriterium von Entscheidungen stilisieren sollte. Auch sollte man die Realitäten der Mehrheitsentscheidungen der modernen Demokratie nicht verschweigen, die bei beschränkter Wahlbeteiligung immer nur einen begrenzten Teil der Stimmberechtigten abbilden. Identifikationen von spezifischen Mehrheiten mit einem homogen gedachten Volk oder anderen imaginierten Kollektiveinheiten sind deshalb unangebracht. Der Legitimationsgrund des Mehrheitsprinzips ist die Sicherung der gleichen Mitbestimmung unter den Realbedingungen moderner Gesellschaften. Wegen der Mög-

10 Vgl. zu einem klassischen Beispiel das Jury-Theorem, Condorcet, Essai sur l’application de l’analyse à la probabilité des décisions rendues à la pluralité des voix, 1785. 11 Vgl. z. B. Karl Popper, The Open Society and its Enemies, vol. I, 2003, 184 ff. 12 Es bildet ein Grundelement des Aufbruchs der Aufklärung in die demokratisch-konstitutionelle Epoche, für den einzelnen Menschen zu fordern, „keinem anderen Gesetz zu gehorchen, als zu welchem er seine Beistimmung gegeben hat“, Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, Akademie Ausgabe, Bd. VI, 314.

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lichkeit von Irrtum ist es dabei von grosser Bedeutung, bestimmte normative Mindestpositionen auch gegenüber Mehrheitsentscheidungen abzusichern. Das geschieht in der Gegenwart der modernen Verfassungsstaaten insbesondere durch gerichtlich geschützte Grundrechte. Dahinter steht nicht zuletzt das Bestreben, Demokratien langfristig zu sichern. Demokratie heisst nicht einmalige Selbstbestimmung in einem Akt bindungsloser Willkür, sondern einen dauernden, durch Normen und Institutionen gesicherten Prozess autonomer Selbstbestimmung. Eine Grundbedingung, diese Dauerhaftigkeit zu sichern, sind Rechte, die den demokratischen Prozess offenhalten, von politischen Rechten über Kommunikationsgrundrechte bis zum in keiner Weise selbstverständlichen Recht, auch als oppositioneller Demokrat am Leben zu bleiben. Grundrechte stehen in keinem Gegensatz zur Demokratie, sie sind die Konstitutionsprinzipien ihrer Wirklichkeit. Die Freiheit, die in der Demokratie möglich ist, ist grundsätzlich inhaltlich ungebunden, soweit sie gemeinverträglich ist.13 Demokratie besteht nicht darin, nur das von irgendwem als richtig Ausgezeichnete wollen zu dürfen. Dennoch besteht ein innerer Zusammenhang zwischen demokratischer Selbstbestimmung und Vernunftausübung bei der Urteilsbildung. Dazu gehört zunächst, dass die Gleichheit der Menschen im politischen Prozess gewahrt wird, also nicht einzelne Personen oder Gruppen ein entscheidendes Übergewicht in den politischen Auseinandersetzungen, etwa aufgrund wirtschaftlicher Macht oder Kampagnenfähigkeit, gewinnen. Das ist nicht nur aufgrund des Respekts vor einzelnen Personen von grosser Bedeutung, sondern auch aus epistemischen Gründen, weil nur so verhindert wird, dass gute Gründe nur deswegen keine Berücksichtigung finden, weil sie nicht genug Macht besitzen, sich Gehör zu verschaffen. Bedeutsam ist auch, dass menschliche Autonomie mit Einsicht verwoben ist. Autonom ist, wer selbstbestimmt mit guten Gründen handelt. Verfangenheit in Täuschung und Wahn dient der Selbstbestimmung nicht.14 Deswegen ist für die Demokratie von grosser Bedeutung, dass eine politische Kultur entsteht, die sich an Vernunftmassstäben orientiert. Politische Irrationalität kann die Demokratie entleeren, weil sie autonome Selbstbestimmung verhindert. Damit ist ein fundamentales Problem aufgeworfen, nämlich: Woher weiss man denn, was Vernunft ist? Gibt es irgendeinen Massstab, der hier entscheiden könnte, welcher von verschiedenen erhobenen Vernunftansprüchen tatsächlich – vernünftig ist? Sind hier die Meinungen nicht einfach geteilt, ohne dass ersichtlich wäre, welcher Massstab der entscheidende sein soll? Ist das nicht am Ende nur eine Machtfrage? Ist der Begriff der Vernunft in der Moderne nicht auch anrüchig geworden? Haben wir die dialektischen Pfade der Vernunft nicht lang genug verfolgt und wissen, dass die Vernunft Unvernunft gebären und zum Unheil werden kann?15 Kann ein Vernunftbegriff überhaupt 13 Vgl. zum Problem ursprünglicher inhaltlicher Bindung des Freiheitsgebrauchs, Isaiah Berlin, Two Concepts of Liberty, in: id., Liberty, 2002, 166 ff. 14 Vgl. Matthias Mahlmann, Konkrete Gerechtigkeit, 3. Aufl., 2016, 120 ff. 15 Max Horkheimer / Theodor W. Adorno, Die Dialektik der Aufklärung, 1969, 3: „Wir hegen keinen Zweifel – und darin liegt unsere petitio principii -, dass die Freiheit in der Gesellschaft vom aufklärenden Denken unabtrennbar ist. Jedoch glauben wir, genauso deutlich erkannt zu haben, dass der Begriff dieses

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jemals universal werden, ist er nicht immer an bestimmte, sehr genau benennbare partikulare Perspektiven16 und historisch kontingente epistemische Regime17 gebunden? Das sind weitreichende Fragen, auf die es keine leichten Antworten gibt. Es sind aber keine Fragen, auf die es gar keine Antworten gibt. Am Ende geht es um das Problem, ob wir berechtigt sind, in unsere eigene Urteilsfähigkeit ein skeptisches Vertrauen zu setzen. Aus meiner Sicht ist es an der Zeit, nachdrücklicher als es manchen epistemologisch erlaubt erscheint, an die Gründe für die Berechtigung dieses Vertrauens zu erinnern, die letztendlich alle grossen wissenschaftlichen Leistungen ebenso tragen wie das, was man berechtigterweise als gesellschaftlichen Fortschritt verstehen kann – wie etwa die Entwicklung eines demokratischen Rechts- und Verfassungsstaates, um den es hier geht. Bei aller Reflektion über Letztbegründungsfragen und skeptische Herausforderungen sollte man nicht vergessen, dass unser alltägliches Leben durch ein solches Vertrauen in unsere Erkenntniskräfte konstituiert wird. Dieses Vertrauen ist nicht nur der Austritt aus einem Skeptizismus, der sich im Alltag nicht durchhalten lässt, wie ihn Hume erörtert.18 Es geht vielmehr um die Möglichkeit von Einsicht, die eine kritische Erkenntnistheorie nicht beseitigt, sondern gerade bestätigt.19 Um es an einem Wittgenstein’schen Beispiel20 im epistemischen Nahbereich des Alltags durchzuspielen: Woher wissen wir etwa, dass unser Zug morgen um 8 Uhr abends geht? Man wird auf einen Blick in den Fahrplan verweisen, der diese Information bereithält. Woher wissen wir aber, dass unser Urteil über den Inhalt des Fahrplans nicht täuscht? Woher wissen wir, dass die Zeichen bedeuten, was wir meinen, dass sie bedeuten? Der Grund dafür ist: Wir trauen bestimmten Urteilsakten, dass nämlich zum angegebenen Zeitpunkt x der Zug y tatsächlich fährt und wir diese Information im Fahrplan richtig verstehen. Wie können wir aber sicher sein, dass uns unsere Erkenntnis nicht trügt, wir also Grund zu diesem Vertrauen haben? Nun, wir schauen vielleicht noch einmal zur Kontrolle in den Fahrplan, vergewissern uns, dass wir richtig gelesen haben, müssen aber irgendwann mit der Kontrolle einhalten und uns auf einen Erkennt-

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Denkens, nicht weniger als die konkreten historischen Formen, die Institutionen der Gesellschaft, in die es verflochten ist, schon den Keim zu jenem Rückschritt enthalten, der heute überall sich ereignet. Nimmt Aufklärung die Reflexion auf dieses rückläufige Moment nicht in sich auf, so besiegelt sie ihr eigenes Schicksal“. Jean-François Lyotard, Le différend, 1983, 208 ff. zur Nationalversammlung der Französischen Revolution, die sich als Menschheit imaginiert habe. Vgl. z. B. das entsprechende Erkenntnisprogramm, wie es Michel Foucault formuliert und in verschiedenen Varianten verfolgt hat: „Ich wollte gern wissen, ob die Individuen, die verantwortlich für den wissenschaftlichen Diskurs sind, nicht in ihrer Situation, ihrer Funktion, ihren perzeptiven Fähigkeiten und in ihren praktischen Möglichkeiten von Bedingungen bestimmt werden, von denen sie beherrscht und überwältigt werden. (…) Mir scheint, dass die historische Analyse des wissenschaftlichen Diskurses letzten Endes Gegenstand nicht einer Theorie des wissenden Subjekts, sondern vielmehr einer Theorie diskursiver Praxis ist.“, id., Die Ordnung der Dinge, 1974, 15. David Hume, A Treatise on Human Nature (hg. von Lewis A. Selby-Bigge / Peter H. Nidditch), 2009, 263 ff. Vgl. hierzu z. B. Matthias Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 5. Aufl., 2018, 396 ff. Vgl. Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 1984, 265.

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nisakt verlassen, nämlich, dass alles stimmt, wir richtig gelesen haben und dass der Zug tatsächlich um 8 Uhr fährt. Diese Art von für unser Leben konstitutiven Erkenntnisprozessen steht beispielhaft für das, was sich auch in anderen Wissensgebieten vollzieht. Auch eine naturwissenschaftliche Theorie wird in letzter Instanz durch das Vertrauen in bestimmte Erkenntnisakte fundiert – beispielsweise, dass der Blick auf das Display des Messgeräts nicht täuscht. Diese Erkenntnisakte sind gegen Zweifel nicht immunisiert, im Gegenteil. Vertrauen in Erkenntnisakte ist erst gerechtfertigt, wenn sie systematischem Zweifel unterworfen wurden. Es bedarf aber besserer Gründe, und das ist zentral, um dieses Vertrauen zu erschüttern, als die Gründe, die für das Vertrauen in diese Erkenntnisakte sprechen. Das fallible, aber belastbare Gewebe dieser Erkenntnisakte im Raum der Gründe ist der Stoff, aus dem menschliche Erkenntnis gewoben ist, die uns durch unser Leben trägt. Es gibt deshalb keinen Grund, die Idee von Vernunft und eben auch politischer Vernunft aufzugeben: Ihr Erkennungszeichen sind Gründe, die besser sind als die Argumente, die Zweifel nähren. Das gilt für die Sachverhalte, die politischen Entscheidungen zugrunde liegen, aber auch für bestimmte normative Prinzipien, die im politischen Prozess eine Rolle spielen. Die Marches for Science, die Demonstrationen für die Akzeptanz von Fakten, sind im Licht dieser Verteidigung der Möglichkeit belastbarer Vernunfteinsicht ein interessantes Zeitphänomen.21 Sie bedeuten ein politisches Aufstehen für eine Welt, in der Gründe zählen, eine Haltung, die – wie gezeigt – die besseren erkenntnistheoretischen Karten für sich hat als die skeptischen Alternativen. Diese Demonstrationen machen auch deutlich, wie die politischen Konsequenzen jenseits von akademischen Diskussionen einer Welt aussehen, die die Möglichkeit fallibeler Vernunfteinsichten und in diesem Sinne die Bedeutung von „Fakten“ oder „Wahrheit“ aufgibt und in der sich alles in kontingenten Erzählungen auflöst. In diesem Zusammenhang sind Women’s Marches22 ebenso bedeutsam, weil es hier um normative Prinzipien geht – etwa dass Männer und Frauen die gleichen politischen Rechte geniessen –, die so gut begründet sind, dass Zweifel an ihnen schon komisch wirkt. Auch hier ist vielleicht mehr Mut gefragt, zu sagen, dass eine solche Norm mehr ist als ein zufälliges Produkt aus dem Ungefähr gesponnener Erzählungen, die irgendwann vergehen und anderen Geschichten weichen, die die Gleichheit dieser Rechte verneinen, ohne dass man dagegen mit Wahrheitsanspruch etwas einwenden könnte. Diese erkenntnistheoretischen Andeutungen haben für die Demokratie politische Pointen: Sie machen zunächst deutlich, dass für eine Demokratie eine kritische politische Kultur von entscheidender Bedeutung ist. Dazu gehören pluralistische Medien, die 21 Vgl. z. B. Nicholas St. Fleur, Scientists, Feeling Under Siege, March Against Trump Policies, The New York Times, 22.04.2017. 22 Vgl. z. B. Perry Stein et al., Women’s marches: More than one million protesters vow to resist President Trump, The Washington Post, 22.01.2017; US Marches for Women’s Rights Slam Trump, Encourage Voting, The Associated Press/The New York Times, 20.01.2018.

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nicht nur möglichst frei von staatlichen Eingriffen arbeiten können, sondern die auch die tatsächliche Freiheit kritischer Berichterstattung ermöglichen. Dazu gehört die ökonomische Absicherung der Journalistinnen und Journalisten ebenso wie eine Vielfalt von Medienhäusern, die wirtschaftlich hinlänglich unabhängig sind, um eine derartige kritische Berichterstattung zu gewährleisten. Gerade dieser Aspekt einer demokratisch zentral wichtigen pluralistischen Medienlandschaft ist in der Gegenwart in hohem Masse gefährdet. Deswegen sind auch öffentliche Medien für eine Demokratie von grosser Bedeutung, um Mindeststandards pluralistischer Meinungsvielfalt und journalistischer Qualität zu erhalten. Für eine derartige kritische demokratische Kultur hat sich aber auch noch eine weitere Bedingung ergeben, die sich womöglich selbstverständlich anhört, aber in keiner Weise selbstverständlich ist. Diese besteht darin, dass in der Kultur Gründe überhaupt zählen. Das ist keineswegs ohne weiteres vorauszusetzen. In der Politik, in Medien und auch anderen Bereichen, selbst der Wissenschaft, wo dies gerade nicht der Fall sein sollte, kann man ein strategisches Verhältnis zu Gründen beobachten. Als Gründe zählt aus dieser Perspektive für manche, was ihren gerade gegebenen eigenen Interessen frommt. Eine solche Haltung kann dramatische politische Folgen haben, wenn man etwa an die Leugnung des Klimawandels durch einflussreiche politische Kräfte denkt. Sich an Gründe zu halten, setzt reflexives Erwachsensein voraus. Man muss in der Lage sein, sich von dem, was man sich wünscht, von den eigenen Interessen Abstand zu nehmen und sich bei der Urteilsbildung allein von dem leiten lassen, für das tatsächlich die besten Gründe sprechen, selbst wenn dies lieb gewonnene Überzeugungen in Frage stellt und gegen eigene Interessen verstösst. Eine solche Haltung ist ebenso zerbrechlich wie überlebensnotwenig für zivilisierte menschliche Gesellschaften. Zu den Erhaltungsbedingungen einer Demokratie als institutioneller Ausdruck politischer Autonomie gehört auch der Rechtsstaat. Das soll nunmehr erläutert werden. III. Rechtsstaat Menschen sind soziale Wesen, die sich selbstverständlich in Gemeinschaften wiederfinden und in diesen Gemeinschaften auch allein wesentliche Lebensgüter gewinnen können. Menschen sind anderen Menschen aber nicht nur deswegen verbunden, sondern auch aus moralischen Gründen der mitmenschlichen Solidarität und der Gerechtigkeit.23 Menschen finden sich als derartige soziale Wesen in Herrschaftsordnungen wieder, die naturwüchsig entstehen, die aber auch notwendig sind, um gesellschaft23 Vgl. das ist wohl der ethische Kern von Kants Grundsatz, „man müsse aus dem Naturzustande, in welchem jeder seinem eigenen Kopfe folgt, herausgehen und sich mit allen anderen (mit denen in Wechselwirkung zu gerathen er nicht vermeiden kann) dahin vereinigen, sich einem öffentlich gesetzlichen äußeren Zwange zu unterwerfen, also in einen Zustand treten, darin jedem das, was für das Seine anerkannt werden soll, gesetzlich bestimmt und durch hinreichende Macht (die nicht die seinige, sondern eine äußere ist) zu Theil wird, d. i. er solle vor allen Dingen in einen bürgerlichen Zustand treten“, Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, Akademie Ausgabe, Bd. VI, 312 (Herv. i. Org.).

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liches Zusammenleben zu organisieren. Rechtsstaatlichkeit wurzelt in der Idee, diese naturwüchsige Herrschaft zu überwinden und notwendige Herrschaft an bestimmte, festgelegte Regeln zu binden, die das Handeln voraussehbar macht und auf das geregelte Wohl der der politischen Herrschaft Unterworfenen begrenzt.24 Diese Idee hat ehrwürdige Wurzeln. Man findet sie etwa in Platons Überlegungen, nachdem er die Rechtsskepsis seiner früheren Reflexion abgelegt hatte und es zentral wird, dass die politische Herrschaft ein Diener der Gesetze bleibt.25 Auch bei Aristoteles heisst es, dass das Gesetz herrschen soll: „Man sieht also, dass es der Gerechtigkeitssinn ist, der einen nach einer unparteiischen Instanz suchen lässt, wie es das Gesetz ist.“26 Das Gesetz allein garantiert durch Unparteilichkeit Gleichheit und damit Gerechtigkeit. Hier wird ein fundamentaler Zusammenhang sichtbar, auch wenn Aristoteles diesen nicht expliziert. Im Hintergrund der Idee der Herrschaft von Recht steht der Schutz von bestimmten normativ wertvollen Gütern. Dazu gehört das Leben der der Herrschaft Unterworfenen, ihre Freiheit, die Grundlagen ihrer Lebenserhaltung und andere Güter, und zwar im normativen Modus eines Anspruchs, eines Rechts. Diese Einsicht ist zentral für die Einschätzung des Verhältnisses eines formalen und materialen Rechtsstaatsbegriffs. Ein formaler Rechtsstaatsbegriff bezieht sich auf bestimmte Eigenschaften, die die Herrschaft des Rechts ausmachen, wie den Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, das Bestimmtheitsgebot, das Willkürverbot, die Öffentlichkeit der Gesetze, das Rückwirkungs- oder Analogieverbot im Strafrecht oder in der Eingriffsverwaltung oder auch auf prozedurale Grundsätze wie rechtliches Gehör, die Rechtsweggarantie oder die Unschuldsvermutung, aber auch auf Prinzipien wie den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, der – man darf es unterstreichen – keineswegs eine Erfindung des 20. Jahrhunderts oder gar des deutschen Bundesverfassungsgerichtes ist, wie manchmal behauptet wird.27 Diese Prinzipien haben ein materielles Ziel und dieses besteht gerade darin, Leben, Integrität, Freiheit und Autonomie von Menschen zu schützen und zwar als Gleiche zu schützen.28 Der formale Rechtsstaatsbegriff weist deswegen zwangsläufig über sich selbst hinaus. Seine Formalität ist die Erscheinungsform des Schutzes bestimmter materialer Prinzipien. Wenn also moderne Vertreter eines solch formalen Rechtsstaatsbegriffs behaupten, dass ein Rechtsstaat existieren könne, der sich nicht auf den Schutz von menschlicher Würde richte, wird dieser fundamentale Zusammenhang und damit ein Kernelement von Rechtsstaatlichkeit verkannt.29 24 Vgl. Matthias Mahlmann, Konkrete Gerechtigkeit, 3. Aufl., 2016, 83 ff. 25 Platon, Nomoi, Werke (Griechisch und Deutsch, übersetzt von Friedrich Schleiermacher), Bd. 8, 2005, 715c. 26 Aristoteles, Politik (übersetzt von Eugen Rolfes), 1981, 1287b. 27 Vgl. z. B. zur Diskussion Aharon Barak, Proportionality, 2012. 28 Das ist der normative Fluchtpunkt z. B. von Lon F. Fullers Überlegungen zur Moral der Rechtstaatlichkeit, id., The Morality of Law, 1969, 162 ff. 29 Vgl. z. B. Joseph Raz, The Authority of Law, 2009, 221 f.: „The law can violate people’s dignity in many ways. Observing the rule of law by no means guarantees that such violations do not occur. But it is clear that deliberate disregard for the rule of law violates human dignity. It is the business of law to guide human action by affecting people’s options. The law may, for example, institute slavery without violating the rule of law. But deliberate violation of the rule of law violates human dignity.“

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Rechtsstaatlichkeit ist ein sperriges Gut. Die Verfahren des Rechtsstaates sind kompliziert, gewunden und häufig schwer durchschaubar. Sie sind zeitraubend, sie sind vielfältig gegliedert und der Sinn mancher Verfahrensschritte und Prinzipien erschliesst sich nicht auf den ersten Blick. Manches kann sogar kontraintuitiv wirken. Das Strafrecht und Strafprozessrecht schützt – und das ist ein Kernaspekt seines Gehalts – gerade auch Menschen, die schwerstes kriminelles Unrecht begangen haben. Dahinter steht die Idee, dass es für eine Rechtszivilisation von überragender Bedeutung ist, dass bestimmte Sanktionen nur in einem bestimmten Verfahren ergehen, es also wichtiger ist, dass diese Grundsätze eingehalten werden, als dass der materiale Strafanspruch einer Gemeinschaft im Einzelfall verwirklicht wird. Hier wird also aus nicht leicht nachvollziehbaren Gründen Gerechtigkeit im Einzelfall fundamentalen Rechtsprinzipien untergeordnet, um letztendlich aber – und das ist der schwierige und wichtige Gedanke – in einem tieferen Sinn Gerechtigkeit gerade zu dienen. Das ist manchmal schwer zu schlucken. Empörung empfindet jeder Mensch gegenüber bestimmten Taten. Ein intensiver Wunsch nach Strafe, vielleicht sogar nach Rache im Angesicht von Unrecht bewegt Menschen intensiv. Es mag auch eine Rolle für Strafwünsche spielen, dass man von der Macht angezogen wird, die sich im Strafanspruch verkörpert. Vergleichbare Probleme können sich in anderen Rechtsgebieten ergeben: Ein gutes Beispiel ist der Schutz von Äusserungen, die man mit guten Gründen für abwegig, ja abstossend empfindet oder von religiösen Praktiken, die einem fremd sind und für die es tatsächlich keine guten Gründe gibt.30 Es ist nicht ohne weiteres klar, warum ein demokratischer Rechtsstaat auch die Freiheit schützt, sich in dieser Weise zu verhalten. Auch hier können machtvolle Gefühle von solchen Verhaltensweisen provoziert werden. Der Rechtsstaat beansprucht derartige Empfindungen umzuleiten und zu beherrschen. Damit macht er sich ohne Zweifel verwundbar, denn an solche Empfindungen zu appellieren ist leicht, während die im Rechtsstaat verkörperten Prinzipien sich häufig weniger schnell erschliessen. Der Rechtsstaat ist ein Stück institutionalisierter Zweifel an der Standhaftigkeit und Richtigkeit des menschlichen Vernunftgebrauchs.31 Es werden in ihm Institutionen geschaffen, im politischen Prozess der Erzeugung von Recht, während der Anwendung von Recht etwa durch die Exekutive oder der Durchsetzung von Recht, die immer wieder die Möglichkeit eröffnen, Entscheidungen kritisch zu durchdenken, womöglich gar auszusetzen oder aufzuheben. Eine vielfach geschichtete Form der Kontrolle von menschlichem Handeln wird so etabliert. Eine solche Zivilisation macht nur Sinn, wenn man das blinde Vertrauen verloren hat, das Platon in seinem Frühwerk bewegte, dass Menschen allein aufgrund von anderen Mechanismen, insbesondere Vernunftgebrauch und Erziehung, zum richtigen Handeln bewogen werden könnten.32 Es ist zu30 Vgl. die ständige Rechtsprechung des EGMR zur Meinungsäusserungsfreiheit, vgl. grundlegend EGMR, Urteil vom 17.12.1976, appl. no. 5493/72, Handyside, para. 49, wo der Schutzbereich auch auf Meinungen erstreckt werden, die „offend, shock and disturb“. 31 Matthias Mahlmann, Konkrete Gerechtigkeit, 3. Aufl., 2016, 141. 32 Platon, Politeia (Der Staat), Werke (Griechisch und Deutsch, übersetzt von Friedrich Schleiermacher), Bd. 4, 2005.

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dem – und das ist wichtig – ein Stück Skepsis gegenüber sich selbst und der eigenen Fähigkeit, die Handlungen anderer Menschen richtig zu bewerten. Auch dies ist eine anspruchsvoll Haltung, setzt Selbstdistanz voraus und einen institutionell verkörperten Mangel an Selbstgerechtigkeit. Dieser Rechtsstaat ist kein Projekt, das im Gegensatz zur Demokratie stünde. Der Rechtsstaat schafft viel mehr den Rahmen, nicht zuletzt durch Grundrechte, in dem menschliche Selbstbestimmung sich überhaupt entfalten kann. Wer, wie etwa in der Türkei, Grundrechte angreift, greift die Demokratie an. Wer Grundrechte schützt, verteidigt die Demokratie. Die Demokratie des Verfassungsstaates ist der politische Ausdruck eines Selbstvertrauens von Menschen, das diesen Zweifel inkorporiert. Sie bedeutet Selbstvertrauen, insofern Menschen sich politische Autonomie zutrauen. Sie verkörpert einen Zweifel, insofern rechtsstaatliche Institutionen geschaffen werden, die sicherstellen, dass Menschen ihre Selbstbestimmungsfähigkeiten nicht zum Schaden von anderen und eben auch sich selbst ausnutzen. Demokratie richtet sich im Übrigen in letzter Instanz auf die Verwirklichung von menschlicher Autonomie und das ist, wie gezeigt worden ist, gerade die letzte Wurzel auch von Rechtsstaatlichkeit, in der es darum geht, Freiheit und Gleichheit von Menschen durch entsprechende Institutionen zu sichern. IV. Öffentlichkeit Die Öffentlichkeit ist ein in der Gegenwart theoretisch aufgeladener Begriff geworden. Es geht nicht nur um die Informationen einer Vielfalt von Personen, sondern um ein Grundprinzip moderner Gesellschaften.33 Öffentlichkeit wird sogar als Vernunftgarant, gar als Richtigkeitskriterium von normativen Prinzipien genannt.34 Dahinter stehen bestimmte erkenntnistheoretische Positionen, die von der Begründungsfähigkeit von Normen jenseits von öffentlichen Verständigungsprozessen, in denen Normen reziprok und allgemein gerechtfertigt werden, Abstand nehmen.35 Die deliberative Demokratie ist aus dieser Perspektive ein erkenntnistheoretisches Gebot, wenn man die Lehren der modernen Epistemologie des Normativen ernst nimmt, in denen Traditionen, eine Teleologie der Geschichte, die menschliche Natur und die moralische Urteilskraft der Individuen als Legitimationsquellen von Normen versiegt seien.36 Was ist von diesen Thesen zu halten und was heisst das für die Berichterstattung über die Gerichtspraxis? Zunächst sollte man festhalten, dass Öffentlichkeit mindestens auf zwei wichtige Probleme verweist. Öffentlichkeit ist zunächst ein Gegenbegriff zum Arcanum des Regierungshandelns. Sie wurde erkämpft als Teil des jahrhundertelangen Demokratisierungsprozesses, von dem wir heute zehren. Sie besitzt aber auch eine in33 34 35 36

Vgl. Arendt (Fn 6). Vgl. Habermas (Fn 7). Dazu etwa grundlegend Rainer Forst, Das Recht auf Rechtfertigung, 2007, 32 ff. Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, 17.

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haltliche Dimension, nämlich einen Bezug auf Gegenstände, die das Gemeinwesen betreffen und seinem Wohl dienen. Die Beseitigung von Geheimwissen der Regierungsgewalten soll dem Letzteren gerade dienen. Zutreffend ist nun, dass eine öffentliche Auseinandersetzung zur Rationalisierung von Positionen beiträgt. Es ist insbesondere deutlich schwieriger, in einer öffentlichen Debatte nackte Einzelinteressen und Partikularperspektiven zu vertreten, weil man in der öffentlichen Debatte derartige Haltungen einer Vielfalt von Personen gegenüber begründen muss, die diese Interessen gerade nicht teilen. Ähnliches gilt für moralische Prinzipien. Auch hier ist die Auseinandersetzung mit Menschen, die von diesen Prinzipien betroffen werden, regelmässig ein wesentlicher Schritt, gut begründbare Prinzipien zu formulieren. Dies ist keine neue Einsicht. Kant hat im ewigen Frieden formuliert, dass es jedenfalls gegen die Plausibilität von Prinzipien spricht, wenn man sie öffentlich nicht verteidigen kann.37 Die öffentliche Vertretbarkeit von Positionen ist damit noch kein Wahrheitskriterium, ihre Nichtvertretbarkeit nährt aber den Verdacht, dass es mit der Begründbarkeit von solchen Positionen nicht so weit her ist. Insofern hat die Öffentlichkeit zweifellos eine, wenn man so will, politisch heuristische Funktion. Die öffentliche Erprobung ist ein Katalysator für einen Prozess der Auseinandersetzung, der zutreffende Prinzipien und Wertungen politisch wahrscheinlich macht. Die öffentliche Auseinandersetzung hat eine spezifische Funktion in Demokratien, denn Demokratien leben davon, dass allen klar ist, auf welcher Grundlage bestimmte Entscheidungen getroffen werden, auch wenn diese Gründe nicht von allen geteilt werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass der demokratische Prozess sich selbst korrigieren kann und Minderheiten von heute zu Mehrheiten von morgen werden. Die Überlebensfähigkeit einer Demokratie setzt auch voraus, dass bei allen Meinungsunterschieden über bestimmte Dinge hinreichende Einigkeit besteht – mindestens über die Grundstrukturen der rechtstaatlichen Bedingungen der Demokratie. Die öffentliche Auseinandersetzung bietet die Möglichkeit, sich dieser Grundlagen immer wieder zu versichern. Dass Öffentlichkeit darüber hinaus ein Wahrheitskriterium sei, will nicht einleuchten. Die theoretischen Überlegungen, die davon ausgehen, beruhen auf der Behauptung, dass bestimmte Präsuppositionen normativer Prinzipien Diskurse fundierten und den Eintritt in einen Diskurs unter Einbezug aller geböten, sei es als notwendige pragmatische Voraussetzung der Diskurse oder als Ausdruck intakter verständigungsorientierter Lebensformen.38 Die Begründung dieser Prinzipien, etwa der Gleichheit der Menschen und Respekt vor ihrer Selbstbestimmung, hängt aber vom Subjektstatus, von der Würde von Menschen ab, die deswegen das eigentliche Begründungsproblem formuliert. Die menschliche Würde wird in letzter Instanz durch die humanen Eigenschaften fundiert, die die Zuschreibung von Würde tragen, nicht aber dadurch, dass die Menschen 37 Immanuel Kant, Zum Ewigen Frieden, Akademie Ausgabe, Bd. VIII, 381. 38 Vgl. Karl-Otto Apel, Transformation der Philosophie, Bd. 2, 1994, 418 ff. einerseits, Jürgen Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, 1991, 194 andererseits.

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tatsächlich einen Konsens über die Existenz dieser Würde erzielen oder faktisch eine Lebensform existiert, in der Würde einen Wert bildet.39 Menschen haben Würde auch, wenn dies verkannt wird und eine Lebensform herrscht, die menschlicher Würde nicht entspricht. Dass es einen belastbaren erkenntnistheoretischen Boden gibt, auf dem Einsichten zu normativen Prinzipien gewonnen werden können, wurde angedeutet. Der öffentlichen Auseinandersetzung in der Demokratie ist ein Gemeinwohlbezug, sowie die Annahme der Rationalität aller Beteiligten und der Existenz von Vernunftgründen als regulative Prinzipien unmittelbar eingeschrieben: Die Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit ist der Modus, in dem Entscheidungen über gemeinsame Anliegen unter Berücksichtigung der Interessen aller getroffen werden, die sich an diesen Prinzipien orientieren. Die öffentliche Auseinandersetzung ist zudem eine, in der man voraussetzt, andere überzeugen zu können, also dass für alle Gründe und nicht nur die eigenen Interessen zählen – keine Selbstverständlichkeit, wie erwähnt wurde und kein in Abstimmungskämpfen gepflegtes Gut. Schliesslich lebt die Auseinandersetzung davon, dass nicht der obsiegt, der am lautesten schreit, sondern der, der die besseren Gründe auf seiner Seite hat, was voraussetzt, dass es solche Gründe überhaupt gibt. Die Berichterstattung, die Darstellung von gerichtlichen Entscheidungen in der Öffentlichkeit ist in diesem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Öffentlichkeit zu verorten. Es geht darum, die Menschen, die sich in einer Demokratie organisieren, zu informieren über das, was in Gerichten geschieht, sie über Rechtsfragen ebenso zu unterrichten wie über die Lebenssachverhalte, die zu diesen Rechtsfragen und den entsprechenden Antworten Anlass gegeben haben. Auch das ist sehr wichtig, denn manche rechtliche Entscheidung ist nur begreifbar, wenn klar ist, welcher Lebenssachverhalt hinter dem rechtlichen Problem steht. Dabei gilt für diese Berichterstattung ebenso wie für andere Formen des Journalismus, dass sie sich an die Massstäbe einer geteilten Welt von Gründen zu halten hat. Das in Bezug auf die Wiedergabe von Fakten ebenso zentral wie für die Auseinandersetzung mit Rechtsproblemen, die bestimmten fachlichen Massstäben genügen muss. Dabei ist insbesondere wichtig, die Kritik von bestimmten Entscheidungen und die Kritik von Institutionen auseinanderzuhalten. Die Kritik an einer Entscheidung einer Institution ist das eine, die Kritik an der Institution selbst etwas ganz anderes. Ein kritikwürdiges Gesetz der Legislative bildet keinen Grund, die Kompetenzen der Legislative in Frage zu stellen, sondern nur dafür, das nächste Mal ein besseres Gesetz zu machen. Das Gleiche gilt für andere Institutionen wie Gerichte. Es ist ein Fehler aus polit-strategischen Gründen über den Umweg der Kritik spezifischer Entscheidungen Institutionen anzugreifen, die selbst grosse Kulturleistungen verkörpern. Hier ist Vor39 Vgl. zur Auseinandersetzung um den Begriff der Würde, z. B. Christopher McCrudden, In Pursuit of Human Dignity: An Introduction to Current Debates, in: id. (Hrsg.), Understanding Human Dignity, Proceedings of British Academy 192, 2013, 1 ff. und Matthias Mahlmann, The Good Sense of Dignity, in: Christopher McCrudden (Hrsg.), Understanding Human Dignity, Proceedings of British Academy 192, 2013, 593 ff.

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sicht geboten, denn der Aufbau solcher Institutionen, gerade der schwierigen und sperrigen Institution des Rechtsstaates, ist das Produkt häufig sehr langer Prozesse, während die Zerstörung auch dieser Institutionen sehr schnell gelingen kann, wie der Angriff auf Rechtsstaat und Demokratie in der Türkei, aber auch in Polen oder Ungarn dramatisch illustriert. V. Perspektiven Es gibt mithin gerade in der Gegenwart gute Gründe, sich einmal mehr auf Grundeinsichten der Aufklärung zu besinnen. Das heisst nicht, dass man die blinden Flecke der Aufklärung verleugnen sollte, aber man sollte auch das nicht übersehen, was richtig erfasst wurde und dazu gehört nicht zuletzt ein bestimmtes politisches Programm, das darin besteht, Demokratie einzufordern, diese Demokratie rechtsstaatlich zu strukturieren und durch Verfassungen und internationale Rechtsordnungen zu sichern. Den normativen Grund für Demokratie und Rechtsstaat bildet dabei die Würde und Autonomie von Menschen, die den gleichen Anspruch darauf haben, Subjekte ihres Lebens zu sein. Diese Idee ist nicht nur eine kohärente Erzählung unter anderen, sondern besser begründet als alternative Konzepte. Die Gerichtsbarkeit ist ein fundamentaler Teil des Rechtsstaates und ihr Funktionieren eine grosse Kulturleistung. Die Berichterstattung über das, was sich in der Gerichtsbarkeit vollzieht, und die differenzierte Darstellung, welche rechtsstaatlichen Prinzipien sich in ihr verwirklichen, sind deshalb von grosser Bedeutung. Das setzt eine kritische Auseinandersetzung voraus, aber auch Pflege der Grundprinzipien, die diese demokratische rechtsstaatliche Ordnung tragen. Deswegen ist auch ein Ethos der Berichterstattung nötig. Journalistinnen und Journalisten müssen sich immer wieder dieselbe Frage vorlegen, die sich auch andere Berufsgruppen inklusive Juraprofessoren und -professorinnen stellen sollten, nämlich, wem sie eigentlich dienen – bestimmten partikularen Interessengruppen oder der Idee einer Ordnung, in der die Autonomie aller Menschen tatsächlich gleich zählt. Das ist von entscheidender Wichtigkeit, denn trotz aller rechtsstaatlichen Institutionen wird diese menschliche Autonomie nur geschützt werden, wenn die Überzeugung in der politischen Kultur lebendig bleibt, dass sich der Kampf für einen Raum, in dem sie real wird, tatsächlich für Menschen lohnt. Prof. Dr. iur. Matthias Mahlmann Lehrstuhl für Philosophie und Theorie des Rechts, Rechtssoziologie und Internationales Öffentliches Recht Universität Zürich, Treichlerstrasse 10, CH-8032 Zürich

II. Legitime und illegitime Erwartungen der Öffentlichkeit an das Recht und deren Vermittlung in den Medien

Justiz und Medien Inseln des Unrechtsstaates im Rechtsstaat Mario Gmür

I. Einleitung Wie in der Demokratie Inseln der Diktatur, gibt es im Rechtsstaat Inseln des Unrechtstaates. Es ist meines Erachtens notwendig, diese zu benennen und zu beanstanden. Man würde von einem älteren Psychiater eine gewisse Altersmilde erwarten. Mit einer gewissen Beunruhigung kann ich diese Alterserscheinung bei mir ebenso wenig feststellen, wie eine altersadäquate Graufärbung der Haare. Ich sehe meine heutige Aufgabe vielmehr darin, den Journalisten und Juristen, aber auch den forensischen Psychiatern und mir selber ein schlechtes Gewissen zu machen. Ich gehöre zu jenen Psychiatern, die vor ca. zehn Jahren der forensischen Säuberungswelle zum Opfer gefallen sind. Damals wurden die Gesetze und Verordnungen so geändert, dass auch erfahrene Psychiater und Psychiaterinnen nicht oder nur sehr eingeschränkt bzw. in besonders begründeten Ausnahmefällen mit psychiatrischen Gutachten beauftragt werden dürfen. Leiter und Angestellte forensischer Institute ernannten sich selbst zu Mitgliedern der neu gegründeten SGFP (Schweizerische Gesellschaft für Forensische Psychiatrie) und sprachen sich die Kompetenz zu, psychiatrische Gutachten lege artis zu erstellen und erteilten sich damit selber die Lizenz dafür. Allerdings figurieren auf der Liste lizenzierter forensischer Psychiater und Psychiaterinnen viele, die eine nur minimale allgemeine Berufserfahrung in Psychiatrie und Psychotherapie haben. Von ihnen wird vor allem erwartet, dass sie die diagnostischen Codierungsinstrumente ICD-10, DSM IV sowie die neu entstandenen Prognoseinstrumente verwenden und eine sogenannte deliktorientierte Therapie durchführen. Solche Verfahrensweisen werden als Beiträge zur Qualitätssteigerung angepriesen. Wir müssen heute feststellen, dass die entsprechenden Erwartungen keineswegs erfüllt werden. Immer wieder kommt es aufgrund von Fehlbeurteilungen zu Aufsehen erregenden Rückfällen von der Art, welche eben mit diesen neuen Methoden hätten verhindert werden sollen. Die Überfüllung der Strafanstalten und Massnahmenvollzugseinrichtungen mit Häftlingen schafft ein grosses Unbehagen wegen humanitärer Fragwürdigkeit. Rechtsstaatliche Standards geraten in bedenklicher Weise ins Wanken. Die forensische Psychiatrie erleidet das Schicksal von ideologisch begründeten Herr-

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schaftsstrukturen, die von Besserwissern errichtet werden, die meinen, die Weisheit mit Löffeln gegessen zu haben. Psychiatrische Diagnostik, Prognostik und Therapien haben im Unterschied zur somatischen Medizin in den letzten 20 bis 30 Jahren nicht wesentliche Fortschritte gemacht. Es wurden damit vor allem neue Schläuche für alten Wein hervorgebracht. Es sind vorwiegend neue Namen für alte Tatsachen, semantische Neuerungen. Dieser Mangel an Fortschritt liegt vor allem daran, dass hervorragende Psychiater bereits im letzten und vorletzten Jahrhundert die Krankheitsbilder luzide und minutiös beschrieben und entsprechende Einteilungen/Klassifikationen geschaffen haben. Fortschritte wurden seit den Fünfzigerjahren vor allem in der psychopharmakologischen Behandlung und seit einigen Jahrzehnten auch in der Hirnforschung erzielt, welch letztere aber in der Praxis noch von beschränkter Bedeutung ist. Die sehr interessanten und beeindruckenden Erkenntnisse der neueren Hirnforschung haben, ähnlich wie die Mondlandung für die Erde und ihre Bewohner, keine handfesten Anwendungen für den psychiatrischen Alltag gezeitigt. Nach diesen einleitenden Bemerkungen möchte ich mich dem Tagungsthema, nämlich der Funktion der Medien zuwenden. II. Funktion der Medien Medien haben die Aufgabe, zu informieren, zu kommentieren, zu kritisieren und zu unterhalten. Journalisten und ihre Berichterstattung über Straffälle müssten dabei grundsätzlich das Funktionieren des Rechtsstaates in einer demokratischen und humanen Gesellschaft unterstützen. Sie verstärken durch die Gerichtsberichterstattung die generalpräventive Wirkung der Strafe und sie üben die Wächterfunktion aus, welche sie als vierte Gewalt im Staat wahrzunehmen haben. Vor allem die Boulevardmedien legen das Hauptgewicht aber eher auf die Unterhaltung. Allein schon das Thema Gewalt hat einen Unterhaltungswert. Unglücksfälle und Verbrechen geniessen bekanntlich seit je einen hohen Zuspruch der Medienkonsumenten. Entsprechend ist auch das Strafrecht ein ständiger und beliebter Gast in den Medien, der Aufmerksamkeit, Auflageziffern und Quoten erhöht und zur Geschäftsoptimierung beiträgt. Das Thema „Gewalt und Strafe“ stimuliert die Angstlust, befeuert und befriedigt voyeuristische und sadistische Bedürfnisse und lenkt so teilweise von gesellschaftlichen und politischen Konflikten und Missständen ab. Es bewirtschaftet das Empörungsbedürfnis der Bevölkerung, lenkt die Empörung von einem gesellschaftlichen Missstand, der geheim oder wenigstens klein gehalten werden soll, auf ein anderes Übel ab, das immer als Empörungsgegenstand zur Verfügung steht, nämlich auf den Delinquenten oder lieber noch und ganz besonders auf den König der Delinquenten, den Unhold. Dieser eignet sich als Sündenbock besonders, um von sozialpolitischen Spannungen abzulenken. Vor allem in wirtschaftlich krisenhaften Zeiten treten solch projektive Mechanismen vermehrt und verstärkt in Aktion, die sich in Hetzkampagnen gegen Ausländer, Scheininvalide und eben auch Delinquenten äussern. Die Psychiatrie hat sich in diese Fehlentwicklungen einspannen lassen und die emotionalen Ansprüche der sensationsgierigen Öffentlichkeit ausgiebig bedient. Das zeigt

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sich etwa in den zahlreichen verfrühten Medienauftritten von Psychiatern und Psychiaterinnen, die als Experten zu laufenden Verfahren ferndiagnostisch und mit voreiligen kriminalpsychologischen Analysen und Deutungen Stellung nehmen, anstatt auf die bevorstehenden oder laufenden gründlichen Abklärungen zu verweisen, womit sie den Eindruck von Mediengeilheit erwecken. Ein Psychiater sollte nie oder nur mit grösster Zurückhaltung in der Öffentlichkeit Aussagen machen. Entweder kennt er die Details nicht, dann ist er nicht kompetent genug. Oder er kennt alle Details, dann ist er an das Berufsgeheimnis gebunden. Zwar hat die forensische Psychiatrie ebenso wie die Rechtsprechung den mehrheitsfähigen Willen einer demokratischen Öffentlichkeit zu respektieren, das entbindet sie aber nicht von der Pflicht, sich an die Gebote von Sachgerechtheit und an die Maximen der Ethik zu halten. Gerichte befinden sich im Spannungsfeld zwischen dem Anspruch des Bürgers auf Information und seinem Anspruch auf Persönlichkeitsschutz. Der letztere umfasst erstens die Geheimsphäre, zweitens die Privatsphäre und drittens die Intimsphäre. Staatsorgane wie die Polizei und Untersuchungsbehörden sehen sich ebenfalls in diesem Spannungsfeld. Sie brauchen vom Bürger einerseits Informationen, sie sind z. B. auf Hinweise aus der Bevölkerung und Zeugenaussagen angewiesen, haben andererseits ein Interesse, Informationen in gewissen Stadien des Verfahrens geheim zu halten, etwa um Ermittlungen ungestört und unbehindert durchzuführen. Es geht dabei um eine Güterabwägung. Bei ihrer Abwägung ist das Verhältnismässigkeitsprinzip zu respektieren. Eine Verletzung der Persönlichkeit muss hinreichend durch die Dringlichkeit der Information legitimiert sein. Das zu beachten gilt auch, ja ganz besonders, für Staatsanwälte und Ermittlungsorgane. Unzulässig ist jede Instrumentalisierung der Medien zum Zweck der Stimmungsmache, der Vorverurteilung, Aufwiegelung der Öffentlichkeit und der Beeinflussung des ordentlichen Gerichtsverfahrens. Informationen haben also ausschliesslich funktionell zu sein und dürfen keine boulevardesken Erwartungen von Emotionalisierung, Dramatisierung und Entertainment bedienen. Justiz als Unterhaltung gehört in den Kriminalfilm und nicht in den Alltag der realen Justiz. Medienschaffende haben sich ebenfalls an die für die Justiz geltenden ethischen Richtlinien zu halten. Sie haben sich auf die kritische Gerichtsberichtserstattung zu beschränken und jede Tribunalisierung, in Parallel- und Vorausverfahren, zu unterlassen. Grobfahrlässige und erst recht vorsätzliche Verletzungen der Persönlichkeitssphäre durch Medien sollten scharf sanktioniert werden. Die Effizienz einer solchen Sanktion kann nur durch eine drakonische Strafe erzielt werden. Bei einer Boulevardzeitung wie z. B. der Bildzeitung ist meines Erachtens bei krassen und böswilligen Persönlichkeitsverletzungen eine Geldstrafe für den Verlag und die Redaktion in der Höhe eines Monatseinkommens oder mehr angebracht, um generalpräventive und individualpräventive Wirkung zu erzielen. Auch prominente Personen haben Anspruch auf Persönlichkeitsschutz und müssen nur insoweit Einschränkungen in Kauf nehmen, als politisch relevante Informationen über sie an die Öffentlichkeit gehen.

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III. Irrwege der forensischen Psychiatrie Diese Anforderungen betreffend die Einhaltung von ethischen Geboten gelten auch für die Psychiatrie. Nach meiner Beobachtung und Erfahrung hat im letzten Vierteljahrhundert die forensische Psychiatrie wissenschaftliche und ethische Maximen zunehmend verletzt. Konkret sind folgende Missstände zu monieren: 1. Persönlichkeitsschutz und Berufsgeheimnis werden nicht mehr oder nur ungenügend eingehalten. Deren Missachtung wurde zum Teil institutionalisiert und gehört zum courant normal. 2. Die Einbindung der Psychiatrie in die Führungsstrukturen des Straf- und Massnahmenvollzuges hebt die Unabhängigkeit der psychiatrisch-ärztlichen Tätigkeit auf. Diese enge Zusammenarbeit ist die Grundlage für die häufige Missachtung des Persönlichkeitsschutzes und des Arztgeheimnisses. 3. Die gebotene Trennung zwischen forensisch-urteilender und psychotherapeutischer Tätigkeit wird nicht eingehalten. Das führt dazu, dass faktisch der Therapeut eigenmächtig über Freiheit und Freiheitsentzug massgeblich mitbestimmt. Je nach seiner persönlichen Einstellung wird das Mass der gerechten Strafe unterschritten oder überschritten. Die Art und die Dauer von Massnahmen werden durch ihn anstatt durch das Gericht bestimmt. 4. Nach meiner Beobachtung werden in Schweizer Strafanstalten Massnahmepatienten in psychiatrie-ethisch inakzeptabler Weise drangsaliert, bedroht, herabgewürdigt und in ihrer Integrität verletzt. Es herrscht ein sektiererisch-repressives Angstund Drohklima. 5. Die Qualität der Prognoseinstrumente wird massiv überschätzt. Es wird eine Exaktheit und Treffsicherheit vorgetäuscht, die unrealistisch ist. Diese Instrumente sind bei der routinierten flächendeckenden Anwendung auch rechtsstaatlich fragwürdig, weil die Dauer des Freiheitsentzugs nicht nach dem Verschulden, sondern nach einer statistisch ermittelten Gefährlichkeitsziffer bemessen wird. Der verurteilte Delinquent wird nicht für seine Tat, sondern für seine Persönlichkeit weggesperrt. Das Prinzip der individualpräventiven Wirkung der Strafe und des dem Verschulden angemessenen Strafmasses wird ausgehebelt. Für meine folgenden Ausführungen erachte ich es als sinnvoller, nicht in eine Medienschelte zu verfallen, denn die Medienschaffenden wissen ja ganz genau, was sich gehört und was nicht, sondern vor der Haustüre jener Zunft zu wischen, der ich selber angehöre – also Kollegenschelte statt Medienschelte. Ich räume ein, dass ich selber auch schon Fehler begangen habe von jener Art, die ich im Folgenden beanstande. Ich will auf die beiden wichtigsten Kritikpunkte ausführlicher eingehen, nämlich erstens die Prognoseinstrumente (nachfolgend 1.) und zweitens die psychotherapeutischen Massnahmen (nachfolgend 2.).

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1. Die Prognoseinstrumente Die Zuständigkeit der Psychiatrie im Rahmen eines juristischen Verfahrens sollte sich auf die Erläuterung und Beurteilung psychiatrischer Krankheiten resp. psychischer Störungen beziehen und beschränken. Es handelt sich um Störungen wie Schizophrenie, manisch-depressives Kranksein (auch Affektpsychosen genannt), hirnorganische Krankheiten, Intelligenzschwäche, Suchtkrankheiten, Neurosen (wie Zwangsneurose, Hysterie etc.) und schwere Persönlichkeitsstörungen. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Psychiatrie mit Billigung von Justiz und Politik zu Übergriffen in den Zuständigkeitsbereich der Rechtsprechung hinziehen lassen, indem sie ausgiebig Kriminalistik betrieb, also nicht mehr nur Krankheiten untersuchte, sondern die Verbrecherpersönlichkeit als solche. Die Prognoseinstrumente, die sie entwickelt hat (z. B. FOTRES, VRAG und einige andere), sind nicht dazu da, Krankheitsverläufe vorauszusagen, sondern die Deliktneigung ganz allgemein aufgrund von Daten betreffend die Biographie, soziale Verhältnisse, Verhaltensmerkmale etc. Es ist nichts dagegen einzuwenden, ja wünschenswert, dass statistische Untersuchungen allgemeine Informationen liefern über Verläufe von delinquentem Verhalten und auch prädiktive Faktoren ermitteln. Es ist aber nicht zulässig, diese an Kollektiven erhobenen Befunde im Sinne eines Tests auf eine Einzelperson anzuwenden und für deren Rückfallwahrscheinlichkeit einen exakten Prozentwert bis zu zwei Stellen nach dem Komma zu berechnen, wie dies heute zur Gewohnheit geworden ist. Dies ist etwa so absurd und abwegig, wie wenn man aufgrund von Maturanoten, Sozialstatus der Eltern, Anzahl Tore im Fussball und Handball pro Jahr, Alter beim ersten Geschlechtsverkehr und Konfessionszugehörigkeit das mutmassliche Einkommen im Alter von 40, von 50 und von 60 Jahren prognostizieren würde. Oder es ist so absurd, wie wenn man die Aussage machen würde, dass ein Mensch, der einen Schweizerpass hat, weniger als 1, 60 Meter gross ist, mehr als 2 Liter Bier pro Tag trinkt, katholisch ist und eine überdurchschnittlich laute Stimme hat, mit 85, 25 % Wahrscheinlichkeit ein Appenzell-Innerrhoder sei. Der in der forensischen Psychiatrie zur Einschätzung des Gewaltrisikos angewandte Violence Risk Appraisal Guide (abgekürzt VRAG) enthält, um hier ein Beispiel anzuführen, nur 12 Kriterien, in denen u. a. nach Ärger in der Schule (keiner-wenig-viel), Anwesenheit der Eltern im Kindesalter (ja/nein), Zustand des Opfers (tot, im Krankenhaus, aus der Behandlung entlassen, unverwundet) gefragt wird. Dies ist ein sehr oberflächliches Raster. Im British Medical Journal wurde eine umfassende Metaanalyse publiziert, welche den häufig angewendeten kriminalprognostischen Instrumenten nur eine minimale Aussagekraft attestiert. Das internationale Forscherteam um den forensischen Psychiater Seena Fazel von der Universität Oxford analysierte Daten aus 68 Studien, in denen die Aussagekraft von 9 der regelmässig verwendeten Prognoseinstrumente untersucht worden waren. An den Studien hatten ca. 25’000 Menschen aus 12 europäischen Ländern und den USA partizipiert. Im durchschnittlichen Beobachtungszeitraum von 50 Monaten wurden 5’879 der Studienteilnehmer wieder rückfällig. Beim Vergleich mit den ursprünglich erstellten Risikoprognosen ergaben sich nur mittelmässige Trefferra-

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ten. Vor allem fiel der hohe Anteil von ungünstigen Prognosen auf. Nur 41 % der Gewalttäter, denen ein mittleres bis hohes Risiko zugeschrieben worden war, wurden rückfällig und nur 23 % der Sexualstraftäter. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Prognoseinstrumente den Anspruch auf objektive Aussagen zum Vornherein nicht erfüllen, weil die Punktezuteilung nach einer subjektiven Einschätzung des Gutachters erfolgt. Bei den Scores handelt es sich meistens um Fragebogen mit einer Punkteskala. Bei der weltweit verwendeten Psychopathie-Checkliste nach Hare wird eine Person anhand von 20 Merkmalen wie z. B. „übersteigertes Selbstwertgefühl“, „pathologisches Lügen“ oder „oberflächlicher Charme“ hin abgeklopft. Wer mehr als 30 Punkte erreicht wird als Psychopath diagnostiziert. Die Bewertungen sind aber meistens nicht transparent, unterliegen einer erheblichen Willkür und sind für die rechtsanwendende Instanz nicht überprüfbar. Gemäss einem Urteil des Bundesgerichtes vom 04.12.2015 hat der Sachverständige im Gutachten darzulegen, von welcher Begriffsbestimmung er bezüglich eines Merkmals ausgeht, an welchem Sachverhalt er im zu beurteilenden Einzelfall diesbezüglich konkret anknüpft und weshalb er das zu beurteilende Item wie bewertet. Nur unter diesen Voraussetzungen sind die Anwendung und das Ergebnis eines Prognoseinstrumentes als Teil der Risikoeinschätzung nachvollzieh- und überprüfbar. Beim in der Schweiz gebräuchlichen FOTRES wird der Anschein von wissenschaftlicher Redlichkeit dadurch erweckt, dass die Aussagekraft des Instrumentes durch neuere in die Studie einbezogene Fälle immer wieder angepasst worden ist. Doch gerade diese Methode der nachträglichen Korrektur der Basis der Untersuchung mindert deren Qualität und die des Testes, weil bei einer prospektiven Langzeit-Verlaufsstudie die Ausganspopulation nicht mehr verändert werden darf. Die Befürworter von auf Algorithmen beruhender Beurteilung entgegnen kritischen Einwänden, dass diese Beurteilung nur als Vorabklärung für eine individuelle Einschätzung zu verwenden sei. Die Gefahr, dass sie eine hohe Treffsicherheit suggerieren und dass wesentliche prognoserelevante Faktoren aus dem lebensnahen Alltag unterbewertet werden, bleibt aber bestehen. Die digitale Verbrechensprognose bewirkt auch eine persönlichkeitsverletzende Entpersonifizierung des Beurteilten, dem kein Zentrum eigener Willensbildung und Verantwortlichkeit zugebilligt wird. Das eigenverantwortliche Individuum wird durch ein quantifizierendes Risiko-Datenprofil ersetzt. Kategorisierung und Typisierung bewirken eine Entmündigung, die dem Täter das Gefühl verleiht, für sein Tun keine Verantwortung zu tragen. Das übersteigerte Sicherheitsverlangen der Gesellschaft ruft Methoden auf den Plan, die zu einer Entmenschlichung der Verbrechensbekämpfung führen. Die Hirnforschung und Genforschung bieten neue Techniken an, um kriminelle Neigungen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu durchleuchten. Die algorithmischen Prognosebestimmungen sind also ebenso mit Fehlern und Unsicherheit behaftet wie klinische und intuitive Methoden. Es besteht die Gefahr, dass wir der Überzeugung verfallen, dass die Wissenschaft mit Hilfe von Big Data, künstlicher Intelligenz und hochkomplexen für uns nicht mehr verständlichen Algorithmen die einzig wirkliche Wahrheit verkünde.

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Das übersteigerte Sicherheitsdenken und die Angst der Psychiater und Richter, für prognostische Fehlbeurteilungen zur Rechenschaft gezogen zu werden, trüben das Bewusstsein dafür, dass die Überprüfung nur in eine Richtung erfolgen kann. Während der Rückfall eines aufgrund günstiger Prognoseeinschätzung entlassenen Häftlings erkennbar ist, ist die Nichtrückfälligkeit eines aufgrund ungünstiger Prognose Dauerinhaftierten nicht überprüfbar. Ein rigoroses Eliminations- und Entsorgungsverfahren aufgrund von Anzeichen einer möglichen zukünftigen schädlichen Wirkung wird bei belanglosen Dingen oder Lebewesen, denen ein geringes Recht auf Würde oder eine geringe Empfindlichkeit und damit kein Schutzanspruch zugesprochen wird, bei gewissen Pflanzen und Tieren also, als ethisch mehr oder weniger unbedenklich eingestuft und geduldet. So etwa wird beim Pilzesammeln in dubio der gesunde Pilz auf den Abfallhaufen geworfen. Wo aber das Gut der Freiheit auf dem Spiel steht, wie im Strafrecht, ist eine höhere Umsicht geboten. Bei jeder freiheitseinschränkenden Massnahme ist die Verhältnismässigkeit zu wahren. Die Aufgabe des Rechtsstaates ist es, Täter, Opfer und Bürger vor ungerechtfertigten Strafen zu schützen. Vor allem aber hat sich der Rechtsstaat selber zu schützen vor Erosion und Verluderung. Der Preis, den wir dafür bezahlen müssen, ist das verhältnismässige Restrisiko, das wir nicht ausschlissen können. 2. Die therapeutische Massnahme Die Verhärtung der Rechtsprechung hat zur Erosion der über Jahre gewachsenen psychotherapeutischen Kultur und Ethik geführt, die buchstäblich über Bord geworfen wurden. Ich spreche hier wohlverstanden nicht von der Psychiatrie, sondern von der Psychotherapie. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass Psychiatrie auch ordnungspolitische Funktionen übernehmen muss, was ja im Institut der fürsorgerischen Unterbringung resp. des Erwachsenenschutzrechtes realisiert ist. Im Bestreben, den Sicherheitserwartungen einer der Nulltoleranz huldigenden Öffentlichkeit entgegenzukommen, haben forensische Psychiater und Psychologen eine ordnungspolitische Psychotherapie installiert. Sie haben quasi die Aufgabe übernommen, die ihr anvertrauten Delinquenten deliktfrei zu machen. Die Psychotherapie hat im Strafvollzug nach meinen persönlichen Beobachtungen persönlichkeitsverletzende, repressive, sadistische und damit insgesamt totalitäre Züge angenommen. Es ist eine jedermann bekannte und für jedermann nachvollziehbare Tatsache, dass eine Psychotherapie, in der das Gefühlsleben aufgearbeitet und intime Themen, auch scham- und schuldbesetzte, besprochen werden, nur in einem Klima des Vertrauens und des Verständnisses erfolgen kann, was auch die Wahrung des ärztlichen Berufsgeheimnisses voraussetzt. Sie hat ferner bei einem vom Patienten respektierten und ihm genehmen Therapeuten zu erfolgen und nach einer Methode, die ihm entspricht. Sodann soll sie auf freiwilliger Basis und ohne Androhung von negativen, strafverschärfenden Konsequenzen durchgeführt werden können. Eine Nötigung zu einer Behandlung, die den Delinquenten in einem psychotherapeutischen Gemurkse zur Deliktfreiheit zurechtbiegen will, ist nicht statthaft. Die Psychotherapie darf also keinen Strafcharakter haben und nicht eine vom

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Behandelten als seelische Folter erlebte Massnahme sein. Die Anordnung einer sog. kleinen Verwahrung gegen den Willen des Angeklagten, die heute schon beinahe routinemässig praktiziert wird, ist nichts als eine seelische Misshandlung und in Einzelfällen vielleicht sogar das grössere Verbrechen als jenes, das der Delinquent begangen hat. Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Zentrale Ethikkommission der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) Empfehlungen zur verbesserten Umsetzung der ethischen Prinzipien im Straf- und Massnahmenvollzug formuliert hat: 1. Gleichwertigkeit der medizinischen Versorgung Inhaftierte Personen haben Anrecht auf eine Behandlung, die medizinisch jener der Allgemeinbevölkerung gleichwertig ist (SAMW-Richtlinien Ziff. 5). Gestützt auf das Prinzip der gleichwertigen Behandlung (Äquivalenzprinzip), das sowohl im nationalen Recht als auch in internationalen Richtlinien und Empfehlungen verankert ist, stehen inhaftierten Personen dieselben Rechte zu wie jedem anderen Patienten. Sie haben Anrecht auf präventive, diagnostische, therapeutische oder pflegerische Massnahmen, die dem medizinischen Standard entsprechen. Das Recht auf eine gleichwertige medizinische Versorgung beschränkt sich jedoch nicht auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung und deren Umfang, sondern beinhaltet auch einen Anspruch auf Beachtung der Patientenrechte, wie z. B. das Recht auf Selbstbestimmung und Information und den Anspruch auf Wahrung der Vertraulichkeit. 2. Gewährleistung der Unabhängigkeit Unabhängig von den Anstellungsverhältnissen muss sich der Arzt gegenüber den polizeilichen oder den Strafvollzugsbehörden stets auf volle Unabhängigkeit berufen können. Seine klinischen Entscheidungen sowie alle anderen Einschätzungen des Gesundheitszustandes von inhaftierten Personen stützen sich ausschliesslich auf rein medizinische Kriterien. Um die Unabhängigkeit der Ärzte zu wahren, muss jegliche hierarchische Abhängigkeit oder sogar direkte vertragliche Beziehung zwischen den Letzteren und der Leitung der Anstalt vermieden werden (SAMW-Richtlinien Ziff. 12).

Ein Gefängnis ist eine repressive Einrichtung. Psychotherapie darf aber nie repressiv sein. Sie darf nur eine Hilfe für Patienten sein, sonst nichts. Der Nutzen für die Opfer ist selbstverständlich ein wünschenswerter und oft erzielter Nebengewinn, rechtfertigt es aber nicht, ethische Maximen ausser Kraft zu setzen. Sie darf nicht verletzend sein, darf keine Psychofolter bedeuten. Psychotherapie darf nicht zu Mitteln der Drangsalierung greifen, sie muss den Persönlichkeitsschutz garantieren und die Würde sowie Integrität des Patienten respektieren, auch wenn er ein Häftling ist. Sie darf nicht für persönlichkeitsfremde Zwecke instrumentalisiert werden und sie darf keine Zusatzstrafe sein. Sie darf insbesondere aber auch nicht einen Spionageauftrag für die Justiz erfüllen. Sie ist keine Seelenpolizei und kein Seelendetektiv, der für die Justiz kriminalistische Ermittlungsarbeit leistet. Sie muss das Arztgeheimnis weitestgehend wahren. Sie darf das Abhängigkeitsverhältnis, in dem sich der Häftling befindet, nicht ausnutzen. Der Rechtsstaat erfüllt dabei nicht immer die gegebenenfalls extremen Erwartungen des Opfers. So gibt es diverse Bestimmungen, die den Bestrafungsimpuls, den wir als

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Bürger und Opfer gegenüber dem einer Straftat Verdächtigen oder gegenüber einem überführten Täter empfinden, eindämmen und begrenzen: Mit dem Grundsatz in dubio pro reo bringt der Rechtsstaat zum Ausdruck, dass er nach Möglichkeit jedes Risiko vermeiden will, dass ein Unschuldiger bestraft wird. Er akzeptiert dabei bewusst und gewollt das Risiko, dass ein Schuldiger seiner gerechten Strafe entgeht. Sodann werden Strafen oft bedingt ausgesprochen. Schliesslich wird ein Drittel der Strafe bei guter Führung erlassen. Über die Wirksamkeit von Psychotherapien bei Persönlichkeitsstörungen gibt es keine verlässlichen Untersuchungsbefunde. Deren Erhebung ist mit schwer erfüllbaren methodischen Anforderungen verbunden. Es ist insbesondere schwierig zu sagen, in welchem Ausmass eine Psychotherapie die Deliktprognose verbessert und wie erzwungene Therapien im Vergleich zu freiwilligen abschneiden. Dr. Thomas Noll schrieb bereits schon vor einigen Jahren in der NZZ (13.05.2009), dass eine gross angelegte Studie mit 451 Teilnehmern im PPD des Amtes für Justizvollzug Zürich gezeigt habe, dass die Rückfallrate bei unbehandelten Tätern bei 10 %, bei deliktorientiert behandelten bei 5 % lag. Die Differenz zwischen behandelten und nicht behandelten Tätern bezüglich ihrer Rückfallgefährdung ist bemerkenswert gering. Sie rechtfertigt nicht, dass Psychotherapien durchgeführt werden, die ethische Standards verletzen und Psychotherapie und Strafjustiz in Verruf geraten lassen. IV. Schlussfolgerungen Welche Schlussfolgerungen sind zu ziehen und welche Empfehlungen sind aus meiner Sicht an die forensische Psychiatrie zu richten? Sie lassen sich aus meinen kritischen Bemerkungen ableiten: 1. Die forensische Psychiatrie soll sich im Wesentlichen auf die Beurteilung klinisch relevanter Fälle beschränken, wie Schizophrenie und andere Formen der Psychosen, Suchtkrankheiten und hirnorganische Störungen. Sie soll sich kriminalistischer Analysen und Stellungnahmen enthalten. Die Beurteilung gewöhnlicher Straftäter unter dem psychiatrischen Etikett „dissoziale Störung“ oder „akzentuierte Persönlichkeitsmerkmale“ gehört nicht in ihre Zuständigkeit. 2. Die Statistiken zur Verlaufsprognose sind nur als Hintergrundinformationen zu verwenden, nicht aber als Prognosetests für den Einzelfall anzuwenden. 3. Die forensische Psychiatrie soll auf breiter Basis Therapien anbieten, aber keine ordnungspolitischen Psychotherapien durchführen. Das Berufsgeheimnis und die Intimsphäre der Behandelten sind zu garantieren. 4. Die Gesellschaft muss zur Sicherstellung rechtsstaatlicher, humanitärer und medizinethischer Gebote ein Restrisiko akzeptieren. Sie hat sich damit abzufinden, dass Psychotherapien im Strafvollzug nur beschränkte Erfolge zeitigen.

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Es ist wichtig, dass die Medien – in der indirekten und in der direkten Demokratie – die Bevölkerung über die Prinzipien und Grundlagen des Rechtsstaates aufklären, um deren Akzeptanz zu fördern. Die direkte Demokratie ist Ausdruck des Misstrauens gegenüber der indirekten Demokratie, die indirekte Demokratie Ausdruck des Misstrauens gegenüber der direkten Demokratie. Gegenseitiges Misstrauen kann aber Vertrauen schaffen. Durch ihre sorgfältige und umsichtige Berichterstattung können die Medien das Vertrauen in den Rechtsstaat stärken. PD Dr. med. Mario Gmür Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, Rämistrasse 3, 8001 Zürich

Legitime und illegitime Erwartungen der Öffentlichkeit an das Recht und deren Vermittlung in den Medien Strafrechtliche Massnahmen Marianne Heer

I. Justizöffentlichkeit, ihre Phänomene und Auswüchse im Massnahmenrecht 1. Die Wahrnehmung der Medienarbeit aus der Sicht einer Strafrichterin Justizöffentlichkeit musste über eine lange Zeit hart erarbeitet werden. Obwohl Details immer wieder zu Diskussionen Anlass geben, gehört sie heute zu den unabdingbaren Selbstverständlichkeiten unseres Rechtsstaats (vgl. Art. 30 Abs. 3 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 14 UNO-Pakt II und Art. Art. 69 Abs. 1 StPO). Sie erlaubt Einblick in die Rechtspflege und sorgt für Transparenz gerichtlicher Verfahren. Bezweckt werden sollen damit der Schutz der direkt an gerichtlichen Verfahren beteiligten Parteien im Hinblick auf deren korrekte Behandlung und gesetzmässige Beurteilung. Weiter soll nicht verfahrensbeteiligten Dritten ermöglicht werden nachzuvollziehen, wie gerichtliche Verfahren geführt werden.1 Allerdings sind Fälle aus dem Massnahmenrecht, wo es nicht selten um gravierende Gewalt- und Sexualstraftaten geht, ein beliebtes Thema für Journalisten und Journalistinnen, wenn sie eine grosse Leserschaft ansprechen wollen. Dass Sex and Crime immer gut ist für eine Story und auf grosses Interesse stösst, nutzt mittlerweile nicht mehr nur die Boulevardpresse. Medien stehen unter Druck, eine hohe Rate der Leserschaft oder der Fernsehzuschauer muss jeden Tag erkämpft werden. Längst geht es hier nicht mehr um die Wahrnehmung einer Aufgabe als vierte Gewalt im Rechtsstaat. So sehen wir uns mit der Tatsache konfrontiert, dass Medien immer ausgeprägter über Straffälle berichten und dabei unter anderem auch Gerichtsverfahren intensiv begleiten. Die Berichterstattung erfolgt in spektakulären Fällen draussen vor der Tür des Gerichts, quasi als Direktübertragung des Prozessgeschehens. Einzelne Verfahrenshandlungen 1

Urteil des Bundesgerichts 1B_349/2016 vom 22. Februar 2017.

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werden kommentiert und kritisiert. Dies erfolgt von Fachleuten mit teilweise fragwürdiger Qualifikation, weil sich zu Recht die Entscheidungsträger selbst an Datenschutz und Berufsgeheimnis gebunden fühlen und deren pflichtbewusstes Umfeld sich nicht direkt exponieren will. Strafprozesse werden sehr stark personenbezogen abgehandelt. Fälle aus dem Massnahmenrecht bieten sich an als Tummelfeld für reisserische und wenig sachliche Berichterstattung. Nicht selten werden die Grenzen des ethisch Vertretbaren und journalistisch Korrekten ausgereizt oder gar überschritten. Journalisten verletzten Persönlichkeitsrechte oder missachten die Unschuldsvermutung. Sie zitierten schon vor Beginn der Hauptverhandlung detailreich aus den Ermittlungsakten, stellen sich vor allem gestützt auf die Anklage und damit auf die Behauptungen einer einzigen Partei auf die Seite der Strafverfolgungsbehörden, spielten Richter und sprechen Urteile. Der im Jahre 2016 in der französischen Schweiz beurteilte Fall „Marie“, in welchem Claude D. die 19jährige Frau erdrosselt hatte, ist beispielhaft für diese Beobachtungen. Der Straftäter hatte zuvor eine lebenslängliche Freiheitsstrafe abzusitzen, weil er seine Partnerin ins Chalet seiner Eltern verschleppt, vergewaltig und mit fünf Gewehrkugeln erschossen hatte.2 Er war 2012 bedingt entlassen worden und lernte Marie 2013 kennen. Die mediale Aufmerksamkeit und das Interesse der Öffentlichkeit am Prozess waren sondergleichen. Tag für Tag strömten mehr Zuschauer in den Gerichtssaal. Dank Live-Ticker und Twitter wusste zudem nicht nur das Publikum vor Ort, sondern jedermann mit Zugang zu einem Computer, über sämtliche Äusserungen und Zuckungen des Angeklagten Bescheid („er hat die Hände in den Hosentaschen“), wie Thomas Hasler im Tagesanzeiger eindrücklich beschrieb. Nicht zuletzt wurden Details zum Tathergang unzensuriert ausgeplaudert. Der Verteidiger des Beschuldigten Claude D. thematisierte denn auch in seinem Plädoyer die Frage, wie viel Voyeurismus tolerierbar sei, und schätzte das Verfahren als Schauprozess ein. Er stellte provokativ die Frage, ob das Gericht sich in der Urteilsfindung nicht von der aufgeheizten Stimmung in der Öffentlichkeit beeinflussen lasse. Der Präsident des Bezirksgerichts der Broye und des Nordens der Waadt stand offensichtlich unter Druck. Nur so lässt sich seine öffentliche Äußerung vom 24. März 2016 erklären, es sei nicht an der ersten Instanz, die Frage der Vereinbarkeit einer lebenslänglichen Verwahrung mit internationalem Recht zu klären. Als ob nicht auch die erste Instanz an das Recht, mithin auch das massgebliche internationale Recht, gebunden wäre. 2. Verfälschung des Bildes über unser Sanktionensystem und über die Erfolge der Strafjustiz Vor dem Hintergrund einer solchen Berichterstattung über einzelne spektakuläre Fälle geht vergessen, dass sich das Schweizer Sanktionenrecht sehr bewährt hat. Die Rückfallquote ist im Vergleich zu anderen zivilisierten Rechtsstaaten beneidenswert tief. Ein 2

Das Bundesgericht erachtete in seinem Urteil 6B_35/201 vom 26. Februar 2018 die Voraussetzungen für eine lebenslängliche Verwahrung nicht als gegeben.

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hartes Eingreifen der Strafgerichte, wie es beispielsweise in den USA zu beobachten ist, vermag offensichtlich Delinquenz nicht nachhaltiger zu verhindern, im Gegenteil. Die Belastung mit Gewaltdelikten ist in den USA um ein Vielfaches höher als in unserem Land. Die mediale Hochstilisierung einzelner brutaler, unverständlicher Straftaten von psychisch kranken Straftätern erweckt den Eindruck, die Öffentlichkeit befinde sich in einer akuten Bedrohungslage. Die Realität wird dabei verzerrt wiedergegeben. Dies befördert ein Klima der Angst. Das dargelegte Phänomen wird noch verstärkt dadurch, dass Politiker und Politikerinnen dies gezielt aufnehmen, nicht selten vorwiegend zum Zweck der eigenen Profilierung. Hier besteht eine eigentliche Symbiose zwischen Medien und Politik. Bei solchen Aktivitäten geht es kaum um eine konstruktive Verbesserung von geltend gemachten Mängeln, wie das folgende Beispiel deutlich aufzeigt: Die meisten politischen Vorstösse betreffen die Praxis der Verwahrung im Sinne von Art. 64 StGB, obwohl diese Art von sichernder Massnahme in der Praxis nicht eine annährend vergleichbar grosse Bedeutung hat, wie ihr in der Politik beigemessen wird. In der Praxis werden nach der Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches neu kaum mehr Verwahrungen angeordnet. Diese Massnahme wird ersetzt durch die sog. „kleine Verwahrung“, die gesicherte stationäre therapeutische Massnahme im Sinne von Art. 59 Abs. 3 StGB. Die Entlassung aus einer Verwahrung ist in der Realität des Vollzugs praktisch nie Thema. Aus dieser rein sichernden Massnahme heraus kommt kaum jemand heraus in einem Zustand, der noch Aktivitäten erlaubt. Dennoch werden immer wieder parlamentarische Vorstösse lanciert, die jene Massnahme betreffen und eine härtere Praxis fordern.3 II. Auswirkungen von „reisserischer“ Berichterstattung auf die Öffentlichkeit: Grosse Erwartungen an die Justiz und ihre Grenzen 1. Gefährlichkeit als Hauptthema im Massnahmenrecht Die Reaktion der Bevölkerung auf das erwähnte Klima der Angst sind Erwartungen an die Justiz, hier Abhilfe zu schaffen. Dies ist an sich verständlich und stellt nichts Ungewöhnliches dar. Aus dem Rahmen fällt indessen der Eindruck, mit der Justiz lasse sich mit vernünftigen Mitteln jeder Gefahr begegnen, die von einem Straftäter ausgehen kann. In einem freiheitsorientierten Rechtssystem gibt es kein Nullrisiko. Verzichtet man darauf, auch nur irgendwie potentiell gefährlichen Straftätern die Freiheit zu entziehen und sie möglichst für immer festzuhalten, liegt eine Wiederholungstat im Bereich des Möglichen. Dies gilt ebenso wie bei der Option, dass ein unbescholtener, bisher unauffälliger 3

So etwa die parlamentarischen Initiativen von Natalie Rickli „Bedingte Entlassung aus einer Verwahrung nur bei praktischer Sicherheit“ vom 27. September 2013, die scheiterte, oder „Obligatorische Verwahrung bei Wiederholungstätern“ gleichen Datums, die noch hängig ist (Stand: April 2018), oder die parlamentarische Initiative von Céline Amaudruz vom 7. Dezember 2015, wonach bei der lebenslänglichen Verwahrung Schändung als Anlasstat ins Gesetz aufgenommen werden soll, welcher Vorstoss nach knapper Annahme im Nationalrat im Ständerat erfolglos blieb.

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Bürger plötzlich unerwartet als Verursacher schwerer Delikte in Erscheinung tritt. Die Justiz wird im Rahmen ihrer Entscheidfindung regelmässig gestützt auf ein psychiatrisches Gutachten die Gefährlichkeit einer betroffenen Person abzuschätzen haben. Weiter wird sie nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip das Interesse der betroffenen Person an Freiheit dem Interesse der Öffentlichkeit an Sicherheit gegenüber zu stellen haben. Insbesondere die letztgenannte Problematik beinhaltet Rechtsfragen, die allein von der Justiz zu beantworten sind. Dabei fallen die verschiedensten Aspekte ins Gewicht. Diese zu durchschauen, ist in einer naturgemäss oberflächlichen Berichterstattung durch Medien, die über das Tagesgeschehen informieren, nicht oder jedenfalls nicht vertieft möglich. Es besteht bei Leserinnen und Lesern auch kaum die Bereitschaft, sich bei der Lektüre solcher Informationsquellen näher auf diese Fragen einzulassen. Weite Kreise des Publikums sind hier regelmässig überfordert. 2. Unmöglichkeit einer abschliessenden Beurteilung künftiger Gefärlichkeit eines Menschen und Konsequenzen auf das Verhältnis zwischen Gericht und Psychiatrie Dem Erfordernis der Gefährlichkeit eines Straftäters kommt im Massnahmenrecht eine zentrale Bedeutung zu und konfrontiert die Entscheidungsträger mit ausserordentlichen Schwierigkeiten. Der Schwerpunkt der Diskussion um strafrechtliche Massnahmen ist zweifellos auf die Frage fokussiert, ob von einem Täter eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausgehe. Der Gesetzgeber hat es allerdings unterlassen, die für eine Prognose erforderlichen Tatsachen und Erfahrungssätze juristisch abstrakt unter Bezugnahme der jeweiligen gesetzlichen Merkmale der Prognoseentscheidung festzulegen. Der Rechtsanwender wird hier weitgehend im Stich gelassen. Die Legal- bzw. Gefährlichkeitsprognose gehört zu den schwierigsten, verantwortungsvollsten und umstrittensten Aufgaben der forensischen Psychiatrie und damit auch der Justiz.4 Dies liegt einmal an der schicksalsträchtigen Bedeutung der entsprechenden Stellungnahmen für Täter und Opfer. Zum andern ist die Verlässlichkeit der individuellen Kriminalprognose im breiten Mittelfeld eines als Kontinuum zwischen fehlendem und ausgesprochen hohem Deliktrisiko gedachten Risikos keineswegs gesichert.5 Diagnose und Prognosemethoden ändern sich auch im Laufe der Zeit infolge einer Veränderung gesellschaftlicher Anschauungen. So legte bspw. früher eine alleinerziehende

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Dazu weiterführend Norbert Leygraf, Die Begutachtung der Gefährlichkeitsprognose, in: Klaus Foerster / Harald Dressing (Hrsg.), Psychiatrische Begutachtung, 2015, 414; Volker Dittmann, Was kann die Kriminalprognose heute leisten?, in: Stefan Bauhofer / Pierre-H. Bolle / Volker Dittmann (Hrsg.), „Gemeingefährliche“ Straftäter, 2000, 67 ff.; Mario Gmür, Die Gefährlichkeitsprognose, AJP 2004, 1307; Jürgen L. Müller / Norbert Nedopil, Forensische Psychiatrie, 5. Aufl., 2017, 346 ff. Vgl. statt vieler etwa Müller/Nedopil (Fn. 4), 360; Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band 2, 2006, § 12 N 8; Gmür (Fn. 4), 1317.

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Mutter den Verdacht eines Broken-home nahe, während dies in Grossstädten heute fast zum Normalfall gehört.6 Die Schwierigkeiten, die Gefährlichkeitsprognosen in sich bergen, sind vielschichtig. Einzugehen ist primär auf grundsätzliche Probleme. Es ist fraglich, ob menschliches Verhalten überhaupt je abschliessend vorausgesagt werden kann. Es ist abhängig einerseits von Eigenschaften der Persönlichkeit, die sich allerdings im Laufe der Zeit ändern können, sowie von momentanen Zuständen (z. B. Stimmungen als Reaktion auf vorausgegangene Einflüsse). All dies ist selbst bei besten Prognosemethoden nicht immer voraussehbar. Vorhersagen menschlichen Verhaltens sind nur dann mit akzeptabler Treffsicherheit möglich, wenn diese für bekannte Situationen und für begrenzte Zeiträume abgegeben werden. Je kürzer der Prognosehorizont ist und je genauer bekannt die Situationen sind, für die eine Prognose abgegeben wird, desto zuverlässiger ist auch die Vorhersage. Weiter handelt es sich bei einem gefährlichen Verhalten um ein seltenes Ereignis. Die Vorhersage seltener Ereignisse ist zwangsläufig unsicher.7 Eine Risikobeurteilung ist schliesslich sehr komplex. Selbst Eigenschaften der Persönlichkeit können wesentlich auch von Umgebungsfaktoren sowie situativen Einflüssen determiniert sein. Darüber hinaus beeinflussen situative Gegebenheiten auch menschliches Handeln im Einzelfall. Delinquenz ist meist auf das Zusammentreffen mehrerer Faktoren zurückzuführen, bei denen die Situation, in der sich der Täter befindet, eine grosse Rolle spielt.8 Welche situativen Konstellationen der Täter in Zukunft antreffen wird, kann mit seiner Persönlichkeit zusammenhängen. Dies muss aber keineswegs zwingend der Fall sein und ist entsprechend u. U. nicht zu antizipieren. Neben Persönlichkeit und Situation beeinflussen auch Interaktion und Motive menschliches Handeln, welche Faktoren ebenfalls nicht voraussehbar sind.9 Nicht selten erweisen sich Gewaltdelikte als „soziale Unfälle“, die auch im Nachhinein kaum vermeidbar erscheinen.10 Oft besteht ein sehr komplexer Zusammenhang von dissozialer Entwicklung und Krankheit. Eine günstige Krankheitsprognose bedeutet nicht zwingend eine ebenso günstige Legalprognose. Vor allem aber rechtfertigt ein ungünstiger Krankheitsverlauf allein nicht die Annahme einer ebenfalls weiterbestehenden Gefährlichkeit. Ohnehin erscheint eine monokausale Beziehung zwischen Krankheit und kriminellem Verhalten bei vielen psychisch kranken Straftätern fraglich.11 6 Müller/Nedopil (Fn. 4), 360 ff. 7 Zum Ganzen Müller/Nedopil (Fn. 4), 360 ff. 8 Olaf P. de Haas, Das 4-Faktorenmodell als Basis der Betreuung und Behandlung in der Dr. S. van Mesdagkliniek (Groningen-Niederlande), in: Rüdiger Müller-Isberner / Sara Gonzalez Cabeza (Hrsg.), Forensische Psychiatrie, 1998, 139 ff.; Norbert Leygraf (Fn. 4), 414. 9 Helmut Pollähne, Kriminalprognostik zwischen richtigen Basisraten und falschen Positiven: Theoretische, methodologische und juristische Aspekte, in: Stephan Barton (Hrsg.), „… weil er für die Allgemeinheit gefährlich ist!“, 2006, 245; Volker Dittmann, Was kann die Kriminalprognose heute leisten?, in: Frank Hässler / Elisabeth Rebernik / Kathleen Schnoor / Detlef Schläfke / Jörg M. Fegert (Hrsg.), Forensische Kinder-, Jugend- und Erwachsenenpsychiatrie, Aspekte der forensischen Begutachtung, 2003, 173. 10 Wilfried Rasch, Die Prognose im Massregelvollzug als kalkuliertes Risiko, in: Hans-Dieter Schwind (Hrsg.), Festschrift für Günter Blau zum 70. Geburtstag, 1985, 310; Leygraf (Fn. 4), 414 unter Hinweis auf Rasch. 11 Leygraf (Fn. 4), 415.

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Es lassen sich weitere Gründe für die Unzulänglichkeit von Gefährlichkeitsprognosen anführen, die vornehmlich in der Person des Sachverständigen liegen. Negativ fällt immer noch gelegentlich die mangelnde Kompetenz von Sachverständigen auf, die trotz Verbesserung der Situation in der jüngsten Zeit nach wie vor besteht. Daneben wird nicht nur von kritischen Juristen, sondern auch in der forensisch-psychiatrischen Fachliteratur auf methodische Unzulänglichkeiten hingewiesen, die sich bei der Begutachtung immer wieder finden. Es wird festgestellt, dass die Gefährlichkeit bei einem grossen Teil der betroffenen Personen überschätzt wird.12 Die Überprüfung der Prognose im Verlauf des Vollzugs ist nur sehr eingeschränkt möglich. Es wird ein verzerrtes Bild vermittelt. Diagnostiker erfahren i. d. R. nur von Pannen, d. h. Zwischenfällen im Urlaub, bei Vollzugslockerungen oder nach einer Entlassung. Über die Fälle, bei welchen fälschlicherweise ein Rückfall vorausgesagt wurde und Täter daher irrtümlich verwahrt wurden, erfolgt keine Rückmeldung. Die betroffenen Personen haben kaum Möglichkeiten, ihre effektive Bewährung unter Beweis zu stellen.13 Auch psychologische Aspekte sind hier nicht zu unterschätzen. Sachverständige und Entscheidungsträger haben mit weit weniger folgenschwerer Kritik zu rechnen bei fälschlicher Bejahung einer Gefährlichkeit als im umgekehrten Fall, in den sich nicht zuletzt auch Öffentlichkeit oder Politik einmischen. Generell wurde je nach älterer Quelle die durchschnittliche Zuverlässigkeit von Prognosen bei 60 bis 70 % eingeschätzt; andere Wissenschafter zeichnen ein deutlich negativeres Bild.14 Mit neueren Methoden wird in psychiatrischen Fachkreisen eine deutliche Verbesserung der Treffsicherheit generell als realistisch bezeichnet.15 Ob sich der hier geäusserte Optimismus rechtfertigen lässt, ist nicht klar. Selbst aus Kreisen der forensischen Psychiatrie wird eingestanden, dass Fehlprognosen nicht zu vermeiden sind.16 Jedenfalls sind zuverlässige Untersuchungen darüber, ob und welche Insassen fälschlicherweise verwahrt wurden, angesichts der derzeitigen Vollzugssituation (zufolge fehlender Lockerungen und sehr restriktiver Entlassungspraxis) für einen gewichtigen Teil der Straftäter kaum durchführbar. Entsprechend wurde von juristischer Seite moniert, dass sich die durchschnittliche Richtigkeit von 90 %, wie sie in der Literatur unter optimalen Bedingungen garantiert wird,17 lediglich auf die günstigen Prognosen bezieht.18 Neben den dargelegten fachspezifischen Problemen, die Gefährlichkeitsprognosen anhaften, ist auf einen weiteren Gesichtspunkt hinzuweisen. Eine Beurteilung der Vgl. u. a. Norbert Konrad / Wilfried Rasch, Forensische Psychiatrie, 4. Auflage, 2013, 385. Konrad/Rasch (Fn. 12), 386; Leygraf (Fn. 4), 414. Konrad/Rasch (Fn. 12), 385; Stratenwerth (Fn. 5), § 12 N 8. Volker Dittmann, Beurteilung und Behandlung sogenannter gemeingefährlicher Straftäter, in: Karl-Ludwig Kunz/Rupert Moser (Hrsg.), Innere Sicherheit und Lebensängste, 1997, 126; Volker Dittmann, Was kann die Kriminalprognose heute leisten?, in: Stefan Bauhofer / Pierre-H. Bolle / Volker Dittmann (Hrsg.), „Gemeingefährliche“ Straftäter, 2000, 78 ff.; Verschärfte Praxis der Gerichte: Im Zweifel für die Sicherheit, Interview mit Volker Dittmann, plädoyer 1998, 9. 16 Eingehend dazu Leygraf (Fn. 4), 414; Müller/Nedopil (Fn. 4), 349 ff.; weniger krit. Thomas Noll, Rückfallgefahr bei Gewalt- und Sexualstraftätern, Statistisches Risk-Assessment, 2. Aufl., 2012, 44 ff. 17 Dittmann (Fn. 15), 78 ff.; Volker Dittmann, plädoyer 1998, 9. 18 Günter Stratenwerth, Zur Rolle der sog. Fachkommissionen, Festschrift für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag, 2002, 891. 12 13 14 15

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Gefährlichkeit eines Individuums ist auch mit ethischen Fragen verbunden. Es muss von Juristen abgewogen werden, welches Risiko der Allgemeinheit zugemutet werden darf oder muss und inwieweit es zulässig ist, zum Schutz der Allgemeinheit vor Gefährdung durch schwere Straftaten einige Individuen möglicherweise ungerechtfertigt lange zu internieren. Entsprechend sind, wie bereits angesprochen, normativ-juristische Güterabwägungen vorzunehmen. Das Risiko, das der Öffentlichkeit zugemutet werden kann, ist dem Freiheitsinteresse der betroffenen Person gegenüberzustellen. Die Entscheidungsträger sind hier in besonderem Mass gefordert. Eine Risikoanalyse ist entsprechend nicht durch Angehörige einer einzigen Fachdisziplin vorzunehmen, sondern sollte aufgrund einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Psychiatern und Juristen erfolgen. Gerichte haben bei der Beurteilung der Gefährlichkeit einer betroffenen Person dazu Stellung zu nehmen, ob die Prognose im jeweiligen rechtlichen Rahmen ausreichend günstig bzw. hinreichend negativ ist für die Anordnung einer konkreten Massnahme oder deren Verzicht. Gerichte haben bei ihrer Risikobeurteilung die von der sachverständigen Person ermittelten Merkmale zur Wahrscheinlichkeitseinschätzung unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsprinzips und des Rechts auf persönliche Freiheit der betroffenen Person vorzunehmen. Die sachverständige Person soll mit ihren erfahrungswissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten dem Gericht bei der Feststellung der für die Prognose notwendigen Tatsachen helfen. Letztlich liefern sachverständige Personen eine wissenschaftlich begründete Aussage zur Höhe der Wahrscheinlichkeit, dass die begutachtete Person erneut Straftaten und allenfalls welche diese begehen wird.19 In diesem Sinn ist eine Kompetenzabgrenzung zwischen sachverständigen Personen und juristischen Entscheidungsträgern vorzunehmen. Mit Blick auf das gereizte kriminalpolitische Klima gibt die Frage nach der Aufteilung der Verantwortung für die Risikobeurteilung zwischen dem Gutachter und Entscheidungsträgern der Justiz indessen häufig zu Diskussionen Anlass. In den Kompetenzbereich des Sachverständigen fällt vorbehaltlos die Frage nach den von der betroffenen Person zu erwartenden künftigen Straftaten, nach dem Grad der entsprechenden Wahrscheinlichkeit, nach dem Grad der Gefährlichkeit der betroffenen Person, nach der Erreichung des Massnahmenzwecks, nach den generellen Behandlungsaussichten und nach der Erreichbarkeit der betroffenen Person für entsprechende Interventionen. Die Frage, ob die geschilderten Risiken eine Gefährlichkeit, welche bspw. die Anordnung einer Verwahrung im Sinne des Art. 64 StGB rechtfertigt, ist jedoch normativer Natur. Hier angesprochen ist Frage der Gesamtwürdigung i. S. v. Art. 64 Abs. 1 lit. a und auch lit. b StGB, die Frage nach der Gefährlichkeit für die Allgemeinheit, nach der Verantwortbarkeit unter Berücksichtigung des allgemeinen Sicherheitsinteresses oder nach dem vertretbaren Restrisiko. Hierzu liefert die sachverständige Person aufgrund ihrer erfahrungswissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten nur (aber immerhin) Entscheidungsgrundlagen. Die darauf aufgebaute Entscheidung, ob eine die Verwahrung rechtfertigende Gefährlichkeit be-

19 Axel Boetticher et al., Mindestanforderungen an Prognosegutachten, NStZ 2006, 539; Elmar Habermeyer et al., Begutachtung der Kriminalprognose. Spielt die Psychopathologie eine Rolle?, FPPK 2010, 259.

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steht, fällt aber allein in die Kompetenz des Gerichts. Von der Justiz alleine zu beantworten ist überdies die rechtspolitische Frage nach der Verhältnismässigkeit.20 III. Einfluss der Justizberichterstattung auf die Justiz Die oben aufgezeigte Verunsicherung der Öffentlichkeit durch eine verzerrende Berichterstattung der Medien und die Suggestion eines durchgängigen Risikos durch gewaltbereite Straftäter in unserer Gesellschaft lässt auch den Inhalt der Rechtsprechung nicht unberührt. Bei Vollzugsbehörden, die mit Lockerungen im Massnahmenvollzug und der Aufhebung von Massnahmen befasst sind, herrscht schon seit langer Zeit eine Mentalität des Nullrisikos. Dies hat zur Folge, dass therapeutische Massnahmen immer länger dauern.21 Ein nicht unbeachtlicher Teil der Verurteilten muss eine Zeit in einer stationären therapeutischen Institution verbleiben, welches einerseits das schuldangemessene Mass in vielen Fällen bei weitem überschreitet und anderseits vom Gefährdungspotential her oft nicht mehr gerechtfertigt ist. Verwahrte werden kaum mehr in Freiheit entlassen. Schleichend trägt auch die Justiz diese Haltung mit. Entsprechend nimmt die Zahl der Massnahmenpatienten jedes Jahr zu. Häufig kann unter diesen Umständen eine adäquate Therapie nicht mehr durchgeführt werden, die Vollzugskapazitäten sind nicht vorhanden. Dies wiederum führt zu einer Verlängerung der Massnahmen. Der Zirkelschluss ist evident. Die Beeinflussbarkeit der einzelnen Akteure im Gerichtsverfahren durch die Berichterstattung von Medien lässt sich nicht abstreiten. So ergab eine 2009 durchgeführte Studie, dass negative Medienberichte einerseits die Öffentlichkeit, anderseits aber auch Opfer, Beschuldigte, Verteidiger und Staatsanwälte sowie Zeugen nicht unberührt lassen. Bei Richterinnen und Richtern verhält es sich etwas komplizierter. Diese halten sich gemäss dieser Studie vorerst einmal selbst für medienresistent, was wohl einer Pflege ihres Berufsbildes entspricht. Anderseits geben aber 10 Prozent der Richterinnen und Richter zu, bei ihrer Arbeit intensiv an die Akzeptanz ihrer Urteile durch die Medien zu denken. 48 Prozent räumen ein, das ein wenig zu tun, während 42 Prozent dies verneinen. Dieselbe Studie ergab auch einen Einfluss der Medienberichterstattung auf den Gang des Verfahrens. Dabei fällt auf, dass die Aussagen von Zeugen in 77 Prozent der Fälle durch die Berichterstattung von Medien beeinflusst werden. Die Höhe der Strafe wird in 25 Prozent und die Verwahrung in 10 Prozent der Fälle dadurch beeinflusst.22

20 Vgl. die interessanten Ausführungen zu den Mindestanforderungen an Prognosegutachten bei Boetticher et al. (Fn. 19), 540. 21 https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kriminalitaet-strafrecht/justizvollzug/unter bringung-vollzugs aufenthalt.html#133147467, eingesehen am 2.4.2017. Simmler Monika, Sieben enttäuschte Hoffnungen? Zur statistischen Überprüfung der realen Folgen der AT-Revision, ZStrR 2016, 73–99, 90 ff. 22 Mathias Kepplinger und Thomas Zerback, Der Einfluss der Medien auf Richter und Staatsanwälte. Art, Ausmaß und Entstehung reziproker Effekte, Publizistik (54) 2009, 216–239.

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Was die Justiz im Massnahmenrecht leisten soll und welche Erwartungen entsprechend von Dritten an die Justiz gestellt werden, diese Fragen gehören gemäss den Lehrplänen der rechtswissenschaftlichen Fakultäten zum Stoff, der Studierenden in den ersten Semestern vorgestellt wird. Im Mittelpunkt des Interesses steht neben der Frage nach einer psychischen Störung und deren Schweregrad die von einem Straftäter ausgehende Sozialgefährlichkeit. Dem Rückfallrisiko ist über einen möglichst sachgerechten Massnahmenvollzug zu begegnen. Das mag auf den ersten Blick einfach erscheinen und hat auch seit Vereinheitlichung des Strafrechts in der Praxis während vieler Jahrzehnte nicht zu nennenswerten Problemen geführt. Verwahrungen gab es kaum und allenfalls höchstens von relativ kurzer Dauer. Man erinnere an an den brisanten Fall des Daniel L., der mit 37 Messerstichen eine Prostituierte tötete. Es wurde um die Höhe der Strafe gerungen. 17 Jahre sah die Zürcher Justiz 1992 für den praktisch schuldunfähigen Täter vor; im Rahmen einer Neubeurteilung nach Kassation des Urteils durch das Bundesgericht wurde eine Freiheitsstrafe von 16 Jahren verhängt. Der zuständige Staatsanwalt wies damals im Gespräch „off the records“ darauf hin, er habe keine Verwahrung beantragt, weil der Straftäter sonst nach kurzer Zeit bereits wieder auf freiem Fuss gewesen wäre. Das kann heute kaum mehr jemand nachvollziehen. Heute lässt sich eine zunehmende Psychiatrisierung des Strafrechts beobachten. Therapeutische Massnahmen bzw. deren Verlängerung über die ordentliche Dauer von fünf Jahren hinaus werden faktisch immer häufiger in erster Linie für die Ermöglichung eines längeren Freiheitsentzgs instrumentalisiert. Vor dem Hintergrund der prekären Vollzugssituation unterscheidet sich der Massnahmenvollzug gelegentlich nur ungenügend vom Strafvollzug.23 Immer häufiger stehen der Eingriff in die Freiheitsrechte eines Betroffenen nicht mehr in einem nachvollziehbaren Verhältnis zur Gefährlichkeit, die von ihm auszugehen scheint. Vor diesem Hintergrund empfinden Justizorgane die Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme trotz Behandlungsbedürftigkeit eines Betroffenen nicht selten als Belastung, besonders im Bereich der mittleren Kriminalität.24 Ein an sich wünschenswerter und erfolgversprechender Versuch, einen Betroffenen mittels einer Therapie zu rechtsgetreuem Leben zu befähigen, kann faktisch einzig über einen unbestimmt langen und regelmässig auch nicht schuldangemessenen Weg unternommen werden. Gerichte sehen sich vermehrt mit entsprechenden Moraldilemmata konfrontiert. Mit der zunehmenden Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung einher geht auch ein Verlust des Vertrauens in die Qualität der Justiz. Die Erkenntnisse von André Kuhn in seiner Studie „Die richtige Strafe gemäss Bevölkerung und Richter“, die an der Tagung 23 Zur Vollzugssituation beachte die aufschlussreichen Erkenntnisse in Jonas Weber et al., Studie zur Anordnung und zum Vollzug stationärer therapeutischer Massnahmen gemäss Art. 59 StGB mit Fokus auf den Vollzug in geschlossenen Institutionen vom 28. August 2015 im Auftrag der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF), http://www.krim.unibe.ch/unibe/portal/fak_rechtwis/d_dep_krim/ inst_krim/content/e62772/e62774, eingesehen am 29. Mai 2017. 24 Im Bereich der wenig gravierenden Kriminalität lässt sich aus Gründen der Verhältnismässigkeit die Anordnung einer stationären Massnahme zweifelsfrei nicht vertreten, was denn auch zu keinen Spannungsfeldern führt.

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der Schweizerischen Arbeitsgruppe für Kriminologie 2017 vorgestellt wurden, sollten eigentlich beruhigen und den Glauben an das Vertrauen der Bevölkerung in die Richterinnen und Richter bestärken.25 Häufig nimmt man als Betroffene die Verhältnisse allerdings im Justizalltag etwas anders wahr. Man erinnere sich, mit welch negativer, ja desavouierende Haltung im Abstimmungskampf für die Volksinitiative „Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer“ (Durchsetzungsintiative, Abstimmung vom 28.02.2016) der Justiz entgegen getreten wurde, und dies nicht nur in Kreisen von weniger gebildeten Bürgerinnen und Bürgern, wie man gemäss der Studie von André Kuhn vermuten müsste. Ein weiteres jüngeres Beispiel für eine negative Einstellung ist das Misstrauen des Gesetzgebers gegenüber den psychiatrischen Sachverständigen und damit auch generell gegenüber der Justiz im Zusammenhang mit der Regelung der lebenslänglichen Verwahrung nach Art. 64 Abs. 1 bis StGB. Zwei Sachverständige sind hier gefordert. Schliesslich sollen ganz allgemein politische Vorstösse im Bereich des Massnahmenrechts derzeit immer wieder dazu dienen, das Ermessen der Gerichte einzuschränken. Hält man sich die Gerichtspraxis vor Augen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Justiz dieser grossen Erwartungshaltung und diesem ernormen Druck leider immer weniger gewachsen ist. Dies zeigen beispielsweise Urteile von Gerichten, die offensichtlich unter dem Druck der öffentlichen Meinung trotz grössten juristischen Bedenken eine lebenslängliche Verwahrung anordnen. IV. Konkrete Beispiele als Ausdruck einer Verunsicherung der Strafgerichte durch den öffentlichen Druck Dass Gerichte von der öffentlichen Meinung nicht unberührt sind, zeigt das Beispiel einer symbolischen Rechtsprechung, wie sie sich wiederum im Zusammenhang mit der Verwahrung in einem Urteil des Bundesgerichts im Jahre 2016 zeigte. Eine Kumulation von lebenslänglicher Freiheitsstrafe und Verwahrung, wie sie das Bundesgericht bestätigte, macht unter rechtlichen Gesichtspunkten keinen Sinn. Würde im Rahmen der Prüfung einer bedingten Entlassung aus der Freiheitsstrafe, die einer Verwahrung vorauszugehen hat, eine rechtsgenügliche Gefährlichkeit fehlen, würde eine solche Einschätzung auch den nachfolgenden Vollzug einer Verwahrung hindern. Oder umgekehrt: Eine weiter bestehende Gefährlichkeit hindert eine Beendigung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe und es kommt gar nie zum anschliessenden Verwahrungsvollzug.26 Dem Sicherheitsdenken opfert das Bundesgericht auch gewichtige rechtsstaatliche Grundprinzipien, wie sich in der Praxis zur Sicherheitshaft in selbständigen gerichtlichen Nachverfahren im Sinne von Art. 363 ff. StPO zeigt. Lückenfüllung oder Analogie ist bei der Rechtsanwendung zu Ungunsten des Beschuldigten verpönt, wurde hier 25 André Kuhn, La juste peine selon la population et selon les juges, Résultats d’une triple étude empirique, in: André Kuhn et al. (Hrsg.), Strafverfolgung – Individuum – Öffentlichkeit im Spannungsfeld der Wahrnehmungen, Tagungsband der Schweizerischen Arbeitsgruppe für Kriminologie, Band 35, 2018. 26 BGE 142 IV 56.

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aber bedenkenlos zum Tragen gebracht.27 Auch einen Freiheitsentzug ohne Grundlage schützte das Bundesgericht. Eine therapeutische Massnahme war nicht verlängert worden. Trotzdem stützte das Bundesgericht nach 11 Monaten (!) die Sicherheitshaft und damit faktisch auch die Verlängerung der Massnahme bzw. Anordnung einer Verwahrung.28 Zu besonderen Bemerkungen gibt schliesslich die Auslegung von Art. 65 Abs. 1 StGB durch das Bundesgericht Anlass. Diese Bestimmung ist mit der EMRK nur vereinbar, wenn darin eine Revision zu sehen ist. Das Bundesgericht hält dagegen am Verfahren nach Art. 363 ff. StPO fest, argumentiert aber immerhin mit dem Vertrauensschutz.29 Die bundesgerichtliche Rechtsprechung fällt teilweise als sehr volatil auf. Es lässt sich kein Konzept erkennen. Die Urteile sind nicht selten stark auf den Einzelfall bezogen, was an sich einer höchstrichterlichen Rechtsprechung, die als Leitlinie wirken und für Rechtssicherheit sorgen sollte, schlecht ansteht. V. Problematik der Dominanz psychiatrischer Gutachten und mangelnde Relevanz anerkannter strafprozessualer Grundsätze bei deren Generierung An die Stelle einer einvernehmlichen Zusammenarbeit zwischen den Akteuren im Strafrecht auf der Seite der Gerichte oder Behörden, die der Erarbeitung einer sinnvollen Lösung dient, ist das Phänomen getreten, dass Justiz und Psychiatrie die Verantwortung für allfällige unrichtige Einschätzungen und damit für Rückfälle der betroffenen Person jeweils der anderen Disziplin zuschreiben. Es wird im Entscheidungsprozess sozusagen „die heisse Kartoffel“ jeweils dem anderen zugeschoben. In diesem Zusammenhang lässt sich beobachten, dass insbesondere das Bundesgericht sich scheut, Fragen des Massnahmenrechts zu entscheiden. Die Diskussion verlagert sich immer mehr von den eigentlichen materiellen Themen weg zu formellen Fragen. Im Vordergrund stehen hier die Entscheidungsgrundlagen, insbesondere die psychiatrischen Gutachten. Es werden immer höhere Anforderungen an psychiatrische Gutachten gestellt. Die forensische Psychiatrie reagiert darauf mit standardisierten Prognoseinstrumenten. Die Qualität ihrer Arbeit soll damit verbessert werden. Dies wird von der Justiz gerne aufgenommen. Erwünscht sind dort sichere Entscheidungsgrundlagen. Es werden grosse Hoffnungen auf diese gesetzt. Es lässt sich eine eigentliche Flucht in standardisierte Prognoseinstrumente beobachten. Durch den Einsatz von immer weiter verfeinerten Instrumenten vermittelt die forensische Psychiatrie den Eindruck, sie könne die Gefährlichkeit von Straftätern mit absoluter Sicherheit beurteilen, was nach dem Gesagten per se nicht möglich ist (dazu oben Ziff. II.2). Für kritische Juristinnen und 27 BGE 139 IV 175 E. 1.1–1.2 S. 178; 137 IV 333 E. 2.2–2.3 S. 336–338; je mit Hinweisen; Urteile des Bundesgerichtes 1B_490/2016 vom 24. Januar 2017; 1B_371/2016 vom 11. November 2016 E. 4.6; 1B_382/2015 vom 26. November 2015 E. 2.2–2.3. 28 Urteil des Bundesgerichts 1B_6/2012 vom 27. Januar 2012. 29 Im Einzelnen dazu Marianne Heer, Beendigung therapeutischer Massnahmen: Zuständigkeiten und Verfahren, AJP 2017, 592–607 m. w. H.

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Juristen störend ist überdies die Tatsache, dass die Anwendung solcher standardisierter Instrumente, die ohne Beteiligung der Justiz weitgehend von Psychologen entwickelt wurden, ohne Beachtung strafprozessualer Grundprinzipien erstellt wurden. Dies geht nicht an. Der Gesetzgeber hat mit den Art. 182 ff. StPO zum Ausdruck gebracht, dass Gutachten nicht in rechtsfreien Raum entstehen können, sondern die Regeln des Strafprozessrechts zu beachten sind. Entgegen dieser Maxime wird dem Grundsatz „in dubio pro reo“ in keiner Weise Nachachtung verschafft. Wohl ist anerkannt, dass der Zweifelssatz für die Beurteilung der Gefährlichkeit an sich nicht gilt. Er bezieht sich nur auf Tatsachen, die dieser Beurteilung zugrunde liegen. Ein Blick auf das Diagnose- und Prognoseinstrument PCL-R von Robert Hare zeigt aber, dass bei den 20 Items jeweils ein Punkt vergeben wird bei unvollständiger Erfüllung eines Merkmals. Gleich zu bewerten ist die Situation, dass gewisse Aspekte gegeben sind, aber zu viele Zweifel und Ausnahmen für 2 Punkte bestehen. 1 Punkt ergibt sich auch bei Unsicherheit über das Vorliegen eines Merkmals oder bei Widersprüchen zwischen den Erkenntnissen aus dem Untersuchungsgespräch und den Akten. Besonders ins Auge springt die Anweisung von Robert Hare im Handbuch zu diesem Instrument, dass bei unsicherer Bewertung mehrerer Merkmale einige mit der höheren, andere mit der niedrigeren Bewertung versehen werden sollen. Weiter soll eine Hochrechnung des Gesamt-Score („pro-rating“) erfolgen, wenn einzelne (bis max. 5) Bewertungen ausfallen. Und bei wenig glaubwürdigen Informationsquellen ist auf diejenigen abzustellen, welche am ehesten eine „psychopathy“ (eine besondere Art von Persönlichkeit, die auf eine hohe Gefährlichkeit der betroffenen Person schliessen lässt) zu begründen vermögen. Solche Vorgehensweisen sind mit einer juristischen Denkweise schlicht unvereinbar. Bei der Beurteilung verschiedener Items der PCL-R wird überdies das strafprozessuale Verbot der Doppelverwertung missachtet, was eine genaue Analyse der Kriterien unzweifelhaft ergibt. Gegen dieses Grundprinzip verstösst auch die Tatsache, dass die Ergebnisse des PCL-R ein Kriterium anderer gleichartiger Instrumente sind. Unbefriedigend ist schliesslich das Aufbauschung des Scores mit gleichartigen Eigenschaften der betroffenen Person. Verschiedene Kriterien für eine Beurteilung der Gefährlichkeit eines Exploranden stehen auch in Widerspruch zum Recht des Beschuldigten, ohne Nachteil schweigen, lügen oder bagatellisieren zu dürfen. Angesprochen sind die Merkmale „pathologisches Lügen“, „Mangel an Gewissensbissen oder Schuldbewusstsein“ und „mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen“. Mit solchen Argumenten lässt sich eine Punktezahl von mehr als 25, bei welcher dem Exploranden eine relevante hohe Rückfallgefahr attestiert wird, schnell einmal in Zweifel ziehen. Bemerkenswerterweise wurden solche Phänomene bisher in der Justiz kaum thematisiert. Der unkritische Glaube an die Aussagekraft von Instrumenten und das Bedürfnis der Justiz nach einer Absicherung liessen es zu, dass die Rechtsanwender hier die Augen verschliessen vor solchen Problemen. Weiter lassen sich kritische Bemerkungen aus ethischen Überlegungen gegen standardisierte Instrumente anführen. Durch deren Anwendung wird der Mensch über allgemeine abstrakte Kriterien erfasst, er wird zum Objekt degradiert. Im Gegensatz dazu haben aber Strafrichterinnen und Strafrichter die Persönlichkeit der betroffenen Per-

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sonen mit allen ihren Facetten zu erfassen und auf diese detailliert einzugehen. Unter anderem dieser Aspekt mag das Bundesgericht in seiner jüngeren Praxis dazu veranlasst haben, die Relevanz dieser Instrumente zu relativieren. Das Gericht betont dabei, diese würden für die Prognose zwar Anhaltspunkte über die Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos eines Betroffenen liefern. Sie seien indes für sich allein nicht geeignet, eine fundierte individuelle Gefährlichkeitsprognose tragfähig zu begründen. Es bedürfe über diese Hilfsmittel hinaus noch einer individuellen Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls. Generell ist zu wünschen, dass die psychiatrische Begutachtung in allen Teilen einer verstärkten Transparenz unterliegt, was nicht nur bei der Vergabe von Punkten im Zusammenhang mit standardisierten Prognoseinstrumenten, sondern auch bei der Exploration durch die sachverständige Person sowie bei der Generierung der Entscheidungsgrundlagen im Verlauf des Vollzugs zu beachten ist. Die Herleitung der Ergebnisse eines Gutachtens muss im Einzelnen nachvollziehbar sein. Aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung lässt sich schliesslich der Schluss ziehen, dass nicht primär die Methode die geforderte Qualität gewährleisten soll, sondern die Person des Sachverständigen im Vordergrund steht, d. h. dessen fachliche Qualifikation und Erfahrung. Entsprechend Wert wird auf die persönliche Ausführung des Auftrags durch die beauftragte Fachperson gelegt, die überdies eine psychiatrische Ausbildung genossen haben muss. VI. Schlussfolgerungen: Problematische Auswirkungen der tendenziösen Justizberichterstattung auf die Arbeit der Gerichte Unter den dargelegten Umständen, d. h. mit dem zunehmenden, durch die Medien geförderten Druck auf die Arbeit der Gerichte, ist unser Rechtsstaat in Gefahr. In einem gedanklichen Umfeld von übergrossen Erwartungen und Misstrauen objektiv zu arbeiten, ist äusserst schwierig. Durch die deutlich erkennbare Nulltoleranz in der Gesellschaft wird die Unabhängigkeit der Justiz, wie sie als tragende Säule eines Rechtsstaates unabdingbar ist, infrage gestellt. Letztlich steht heute auch das gesamte Konzept des Massnahmenrechts auf dem Prüfstand. Es wird von der Justiz erwartet, dass künftige Gefährlichkeit eines Menschen mit Sicherheit erkannt oder ausgeschlossen werden kann, was schlechterdings nicht möglich ist. Dies hat zur Folge, dass eigene Interessen der Entscheidungsträger zunehmend in den Vordergrund treten. Mit dem wohlgefälligen Inhalt von Urteilen kann eine „Medienschelte“ vermieden werden. Eventuell werden sogar Repressalien bei der persönlichen Wiederwahl durch das Parlament in die Überlegungen einbezogen. Und schliesslich und nicht zuletzt könnten sich einmal bei Rückfällen von Straftätern Haftungsfragen stellen. Immerhin wurde die mittlerweile glücklicherweise nicht weiterverfolgte parlamentarische Initiative von Natalie Rickli vom 4. Juni 2013 am 16.6.2017 vom Nationalrat nicht gleich abgeschrieben, was an sich bedenklich ist und eine bestimmte Haltung der politischen Akteure zum Ausdruck bringt. Nach dieser Initiative sollte in Analogie zu Artikel 380a StGB eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass das zuständige Gemeinwesen für einen Schaden haftet, der entsteht, wenn eine wegen eines schweren Ge-

walt- oder Sexualdelikts verurteilte Person bedingt entlassen wird oder Strafvollzugslockerungen erhält und diese Person daraufhin erneut ein solches Verbrechen begeht. Die Unabhängigkeit der Justiz als solcher und deren Protagonisten im Einzelnen ist ein gewichtiges und unabdingbares Gut in einem funktionierenden Rechtsstaat. Die Medien sind hier in die Pflicht zu nehmen. Auf eine sachliche Justizberichterstattung haben nicht nur Leserinnen und Leser Anspruch. Sie lässt es vermeiden, dass die juristischen Entscheidungsträger in die Enge getrieben werden und sie trägt dazu bei, dass Urteile nach rein rechtlichen Gesichtspunkten objektiv gefällt werden können. Prof. Dr. iur. Marianne Heer, LL. M., Richterin sowie Lehrbeauftragte an den Universitäten Freiburg und Bern Kantonsgericht des Kantons Luzern, Hirschengraben 16, Postfach 3569, 6002 Luzern

Vom Umgang der Strafverteidigung mit Medien1 Stephan Bernard

I. Medien: Alliierte oder Gegenspieler? Die Gerichte oder Staatsanwaltschaften müssen sich von öffentlichen Interessen leiten lassen. Diese widersprechen sich allenfalls untereinander und müssen gegeneinander abgewogen werden.2 Die Verteidigung vertritt dagegen ausschliesslich – und damit auch bei der Medienarbeit – die Interessen des Mandanten.3 In diesem Sinne besteht prima vista ein grundlegender Unterschied zwischen der Medienarbeit der Justiz und derjenigen der Verteidigung. 1. Zunehmende Mediatisierung a) Spektakelwert der Strafverteidigung Das Strafrecht weist einen nicht zu leugnenden Spektakelwert auf; Medien interessieren sich vornehmlich für dieses Rechtsgebiet.4 Eine Strafverteidigerin kommt rascher mit 1

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Der vorliegende Essay entspricht grosso modo einem Vortrag, den ich an der Tagung Die Funktion der Justizberichterstattung in der direkten Demokratie gehalten habe. Organisatorin dieser Tagung am Bundesstrafgericht vom 22. und 23. Juni 2017 war die Schweizerische Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie. Die mündliche Form wurde weitgehend beibehalten und es wurde keine Vollständigkeit der Verweise angestrebt. Für kritisches Mitdenken und substantielle Mitarbeit bei der schriftlichen Fassung danke ich Rafael Studer. Zum Auftrag der Justiz bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit statt vieler Hans Wiprächtiger, Kritikfähigkeit der Justiz – oder: Ein verbessertes Verhältnis von Justiz und Medien, in: René Schuhmacher (Hrsg.), Geschlossene Gesellschaft? Macht und Ohnmacht der Justizkritik, 1993, 81 ff.; siehe aber auch unten: III. Exkurs: Wer vertritt eigentlich öffentliche Interessen?. Nicht behandelt wird die Sicht der Anwaltschaft in weiteren Prozessrollen bspw. als Privat- und Strafkläger. Gleicher Meinung bereits Daniel Jositsch, Medienarbeit als Bestandteil der Strafverteidigung, ZStrR 2004, 132 ff. und 138 f.; vgl. dazu statt vieler auch Eliane Welte, Strafjustiz vs. Medien und Öffentlichkeit – zwei Akteure mit gegensätzlichen Interessen, sui-generis 2017, 201 ff.; Stephan Holzinger / Uwe Wolff, Im Namen der Öffentlichkeit, 2009, 75 ff.; ähnlich Valentin N. J. Landmann, Retten, was noch zu retten ist, Desasterkommunikation, 2016, 17 ff.; weiterführend Karl-Ludwig Kunz / Tobias Singelnstein, Kriminologie, 7. Aufl., 2016, 349 ff. und 383 ff.; zu den Kriterien journalistischer Berichterstattung beispielsweise Patrick Rohr, Erfolgreich präsent in den Medien, 2011, 17 ff.; Marcel Alexander Niggli, Was ist Mediengesellschaft? Gesellschaft und Recht in Zeiten globaler Kommunikation, ContraLegem 2018/2, S. 21 ff. und S. 24 ff.

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Medien in Berührung als Zivilrechtsanwälte.5 Sie muss der Klientschaft zum Umgang mit Medien eine juristische und taktische Einschätzung abgeben können.6 Bisweilen werden Straffälle in einem nicht vorhersehbaren Mass skandalisiert und die Verteidigung hat zu reagieren.7 Grundlagenwissen zum Umgang mit Medien scheint für Strafverteidiger demnach unabdingbar. Die Übernahme eines medienträchtigen Falls ohne eine Ahnung über die Funktionsweise der Medien zu haben, kann meines Erachtens daher sogar ein Übernahmeverschulden darstellen.8 Die Angst vor einer Medienlawine in jedem Strafverfahren ist aber unangebracht. Die Presse mediatisiert Straffälle meist, weil entweder die beschuldigte Person bereits bekannt oder prominent ist oder aber, weil die Fallumstände spektakulär sind oder sich zumindest spektakulär beschreiben lassen.9 b) Exemplifizierung: Fall Carlos, Jolanda Spiess-Hegglin und #MeToo Die ursprünglich beigelegten Informationen zu dieser Tagung erwähnen den Fall Carlos; vermutungsweise da er einen nahezu singulären Fall einer aufgeheizten (Straf-)Justiz-Berichterstattung darstellt. Die Fallumstände waren spektakulär beschreibbar. Der Fall ist ein Extrembeispiel; er zeigt aber gleichsam einen allgemeinen Trend zu einer verstärkt personalisierten Boulevardberichterstattung über die Justiz. Gerade im strafrechtlichen Kontext wird diese zunehmend durch soziale Medien flankiert.10 Ein nächster in der Form der Berichterstattung und öffentlichen Debatte vergleichbarer Fall folgte kurze Zeit später. Im Fokus standen Jolanda Spiess-Hegglin und Markus Hürlimann.11 Auch in diesem Fall waren die Fallumstände spektakulär beschreibbar und die Beteiligten zusätzlich bereits vor dem Ereignis „halbprominent“. Der im Juni 2017 gehaltene Vortrag wurde nunmehr von späteren Ereignissen teilweise überholt. Ein Hinweis auf den seit Oktober 2017 millionenfach verwendeten 5 Dazu weiterführend Jositsch (Fn. 4), 115 f.; Manfred Rehbinder, Die Aufgaben der Anwaltschaft in der Mediengesellschaft, in: André Kuhn et al. (Hrsg.), Kriminologie, Kriminalpolitik und Strafrecht aus internationaler Perspektive, Festschrift für Martin Killias zum 65. Geburtstag, 2013, 1071 ff. 6 Gleicher Meinung etwa Jositsch (Fn. 4), 138 f.; Holzinger/Wolff (Fn. 4), 225 f.; Ines Heinrich, Litigation-PR: Kommunikationsmanagement zum Schutz der Reputation im Gerichtssaal der öffentlichen Meinung, in: Lars Rademacher / Alexander Schmitt-Geiger (Hrsg.), Litigation-PR: Alles was Recht ist, 2012, 24 ff. 7 Weiterführend Ulrich Sommer, Effektive Strafverteidigung, 3. Aufl., 2016, 306. 8 Darauf hat bereits deutlich in der Schweiz hingewiesen Jositsch (Fn. 4), 138 f. 9 Ähnlich, wenn auch ausführlicher und differenzierender Landmann (Fn. 4), 17 ff.; eingehend zu potentiellen „Medienfällen“ Uwe Wolff, Medienarbeit für Rechtsanwälte, 2010, 85 ff. 10 Dazu Heinrich (Fn. 5), 24 ff. Holzinger/Wolff (Fn. 4), 147 ff.; eingehend und präzis zum Fall Carlos Mathias Ninck, Der Verrat, Das Magazin 7. März 2014 (, alle Online-Quellen zuletzt eingesehen am 3. März 2018); weiterführend zu diesen grundsätzlichen Trends etwa Daniel Aeschbach, Litigation-PR und der Court of Public Opinion, „Justice – Justiz – Giustizia“ 1/2013; Annelies Herzog, Öffentlichkeits- und Medienarbeit des Strafverteidigers (Litigation-PR), 2014, 42 ff., Rehbinder (Fn. 5), 1071 ff.; Welte (Fn. 4), 214 ff. 11 Vgl. dazu die Sendung der Reporter vom 27. November 2016 „Jolanda Spiess-Hegglin und ihr Ruf “, abrufbar unter .

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Hashtag #MeToo kann nicht unterbleiben. Unter diesem Stichwort sollte im Nachgang zum sogenannten Weinstein-Skandal auf weit verbreitete sexuelle Belästigungen und Übergriffe aufmerksam gemacht werden. Nachgerade Prominente wurden in sozialen, aber auch traditionellen Medien beschuldigt, sexuelle Übergriffe begangen zu haben. Nach dem heutigen Wissensstand war und wurde in den meisten Fällen kein Strafverfahren eröffnet.12 Anders als bei herkömmlicher Justizberichterstattung, und beispielsweise bei den Fällen Carlos und Spiess-Hegglin/Hürlimann wurde von einem Strafverfahren unabhängig, intensiv über strafrechtlich relevante Vorkommnisse berichtet. Die öffentliche Anschuldigung in sozialen und traditionellen Medien scheint die justizförmige Aufarbeitung eines strafrechtlichen Verdachts in manchen Konstellationen mittlerweile zu verdrängen. Zumindest scheint die juristische Aufarbeitung markant an Bedeutung zu verlieren. Darauf deutet auch das Ausmass der medialen Skandalisierung in den Fällen Carlos und Spiess-Hegglin/Hürlimann hin, welches in keinem Verhältnis zum juristischen Gewicht der Rechtsfälle stand. Bestätigte sich diese These, zeitigte sie fundamentale Auswirkungen auf das Verhältnis der Judikative zu herkömmlichen und sozialen Medien. Nachfolgend wird das Zusammenspiel der sozialen mit den herkömmlichen Medien und die Folgen dieser Wechselwirkung, auch und gerade für das Strafrecht, weitgehend ausgeklammert. Der Fokus liegt auf der strafrechtlichen Berichterstattung in traditionellen Medien. Dies wird sowohl den öffentlichen Diskursen, die sich durch die Digitalisierung ändern, als auch deren Einfluss auf gesellschaftliche Ordnungsmächte wie das Recht und auch traditionelle Medien wohl nur teilweise gerecht. Die weitere Entwicklung lässt sich derzeit aber kaum abschätzen.13 2. Einwirkung der Medien auf das Strafrecht Nicht nur in der Berichterstattung zu Einzelfällen, allgemein fand im letzten Jahrzehnt das Strafrecht verstärkte Aufmerksamkeit in den Medien. Es wurde politisiert und vermehrt Gegenstand öffentlicher Debatten, Schlagwort: Kuscheljustiz.14 Kritische Me12 Dazu . 13 Lesenswert zu den Erregungsmustern und den Informationsflüssen im digitalen Zeitalter: Bernhard Pörksen, Die grosse Gereiztheit, 2018. Aus Sicht des Juristen Niggli (Fn. 4). 14 Dazu econcept AG in Zusammenarbeit mit Stephan Bernard, Christoph Riedo sowie dem Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich, Evaluation der Wirksamkeit des revidierten AT-StGB, Studie im Auftrag des Bundesamtes für Justiz, 2012, 111 ff., abrufbar unter , und meine Publikation Stephan Bernard, Ungleiches Strafrecht für Alle, ZStrR 2017, vor allem 123 ff.; vgl. dazu auch weiterführend Marcel Alexander Niggli / Christof Riedo, Strafrecht in der Informationsgesellschaft, Sinn und Bedeutung von Strafe im juristischen und politischen Diskus, in: Marcel Alexander Niggli / Manon Jendly (Hrsg.), Strafsystem und Öffentlichkeit: Zwischen Kuscheljustiz und Scharfrichter, 2012, 3 ff. Es erstaunt nicht, dass sich im von Marcel Alexander Niggli und Manon Jendly herausgegebenen Tagungsband der Schweizerischen Arbeitsgruppe für Kriminologie Strafsystem und Öffentlichkeit: Zwischen Kuscheljustiz und Scharfrichter, 2012, zahlreiche Artikel mit dem gesteigerten öffentlichen Druck auf Poli-

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dienwissenschaftler wie der verstorbene Zürcher Soziologe Kurt Imhof würden diese Tendenz wohl in einen allgemeinen Trend einordnen. Sie diagnostizieren seit längerem eine Art Boulevardisierung und qualitative Verfallserscheinung der Medien.15 Und der englische Politologe Colin Crouch vertritt sogar die These, der Medienmarkt prämiere prinzipiell Sensationsjournalismus, Übertreibungen und den Gebrauch aller verfügbaren (auch illegalen) Mittel zur Generierung von Nachrichten ungeachtet des Wahrheitsgehaltes.16 a) Einwirkung auf die Justiz und Gesetzgebung Unabhängig davon, ob man diese medien- und kulturpessimistische Sicht teilt, dürfte feststehen, dass der Fall Carlos, der Fall Jolanda Spiess-Hegglin/Hürlimann, #MeToo und insgesamt die kritisch-skandalisierende Berichterstattung Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Justiz, Medien und Öffentlichkeit zeitigen. Gerade weil über strafrechtliche Fragen Volksentscheide getroffen werden, beschränkt sich der Einfluss nicht auf die Funktionsweise der Justiz, sondern es werden die verhandelten Inhalte und die erzielten Ergebnisse der direkten Demokratie tangiert. Unsere politischen Präferenzen und Entscheidungen sind zwangsläufig von den Medien geprägt.17 Um es mit Niklas Luhmann zu sagen: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“18 In der heutigen Zeit ist indessen

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zei, Staatsanwaltschaft, Gerichte und Strafvollzug beschäftigen, so beispielsweise Marianne Heer, Sanktionenrecht unter dem Druck der Öffentlichkeit, a. a. O., 141 ff.; Thomas Manhart, Vollzugslockerungen – Justizvollzug im Spannungsfeld zwischen Medien, Politik und Fachlichkeit, a. a. O., 193 ff.; Beat Hensler, Öffentlicher Druck auf die Polizei bei steigendem Sicherheitsbedürfnis, a. a. O., 215 ff.; Rolf von Felten, Öffentlicher Druck auf die Staatsanwaltschaften, a. a. O., 251 ff. Weil das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz von einer negativen Medienberichterstattung potentiell geschwächt wird, fordert Christof Schwenkel, Der Einfluss kantonaler Justizsysteme auf das Vertrauen der Bevölkerung in die Gerichte, 2016, 181 f., deshalb u. a. eine professionelle Medienarbeit und Krisenkommunikation der Justiz. Vgl. dazu nur Kurt Imhof, Die Krise der Öffentlichkeit: Kommunikation und Medien als Faktoren des sozialen Wandels, 2011; die Diskussion über den Wandel unserer medialen Öffentlichkeit anzuregen, ist sodann das erklärte Ziel der Jahrbücher Qualität der Medien, welche seit 2010 jährlich erscheinen und hohe wissenschaftliche Ansprüche erfüllen, die Hauptbefunde der sechs Jahrgänge lassen sich im Internet aufrufen, vgl. ; Medienskepsis scheint auch nicht mehr an eine bestimmte politische Provenienz gebunden zu sein; vgl. aus explizit linker Sicht beispielsweise Pascal Wicky, Grenzen der Medienfreiheit im Kapitalismus, Widerspruch 67, Medien, Internet – Öffentlichkeit, 2016, 7 ff. oder Werner A. Meier, Globale Medienkonzerne und digitaler Wandel, Zur Ökonomie des kommunikativen Kapitalismus, Widerspruch 67, Medien, Internet – Öffentlichkeit, 2016, 19 ff.; kritisch zur Rolle der Massenmedien aber auch aus konservativer Perspektive Peter Furth, Massenmedien, in: ders. (Hrsg.), Massendemokratie: Über den historischen Kompromiss zwischen Liberalismus und Sozialismus als Herrschaftsform, 2015, 105 ff. Colin Crouch, Die bezifferte Welt, Wie die Logik der Finanzmärkte das Wissen bedroht, 2017, 82; zu einem durchaus ähnlichen Schluss kommen in Bezug auf die Kriminalitätsdarstellung in den Medien Kunz/ Singelnstein (Fn. 4), 383 ff. sowie Welte (Fn. 4), 208 ff. Vgl. zu diesen Zusammenhängen weiterführend Niggli/Riedo (Fn. 14), 3 ff.; Kunz/Singelnstein (Fn. 4), 349 ff. und 383 ff.; Welte (Fn. 4), 207 f. und 214 ff. Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 2. Aufl., 1996, 9.

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der zunehmende Einfluss der sozialen Medien auf unsere Weltbilder zu ergänzen. Der Medienwissenschaftler Pörksen spricht bei den sozialen Medien sogar von einer fünften Gewalt, die als „Publikative eigenen Rechts“ neben die drei traditionellen Gewalten und die vierte Gewalt des traditionellen Journalismus trete.19 b) Einwirkung im Einzelfall aa) Entscheide Nehmen die Medien nicht bloss strafrechtspolitisch, sondern auch in Einzelfällen Einfluss auf die richterliche Entscheidungsfindung? Diese Frage lässt sich, ausser in Ausnahmefällen, nicht mit Sicherheit beantworten. Ein Laborvergleich, wie der Fall bei mehr oder weniger zahlreichen Berichten entschieden worden wäre, ist unmöglich.20 Die vielen in den letzten Jahren erschienenen Publikationen zu Litigation-PR suggerieren einen starken Einfluss der Medien auf die Justiz sowie die Möglichkeit der Beeinflussung der Medien durch geschickte Öffentlichkeitsarbeit. Manche Richter weisen den Einfluss der Medien auf ihre Arbeit verständlicherweise weit von sich, während andere dies nicht ausschliessen.21 Als Anwalt bin ich nicht dazu berufen, ein abschliessendes Urteil zu fällen. In eigenen Fällen entzieht sich dies aufgrund persönlicher Betroffenheit vollständig einer objektivierbaren Einschätzung. Ich muss auf allgemeine Überlegungen zu richterlicher Entscheidungsfindung verweisen: Das richterliche Vorverständnis spielt bekanntlich bei jeder Entscheidung mit. In demselben Fall lässt sich für unterschiedlichste Resultate eine juristische Begründung finden.22 Um es sinngemäss mit Bundesrichter Niklaus 19 Pörksen (Fn. 13), 81 ff., nachgerade 83; Niggli (Fn. 4). 20 Von dieser Regel gibt es sicher Ausnahmen. Der Mordfall Zwahlen wäre ohne das Wirken des Journalisten Hanspeter Born kaum nochmals aufgenommen und Bruno Zwahlen damit nicht freigesprochen worden, Herzog (Fn. 10), 37 ff. 21 Dazu beispielsweise Andrea Schmidheiny Konic, Litigation-PR aus der Perspektive der Zürcher Zivil- und Strafrechtspflege, „Justice – Justiz – Giustizia“ 4/2013, vor allem Rz. 12 und Rz. 74; Aeschbach (Fn. 10), 80 ff.; Welte (Fn. 4), 210 ff. 22 Statt vieler Gilbert Hunkeler, Mittendrin statt nur dabei – Reflexion über die Rolle des Rechtsanwenders, Jusletter vom 15. Juni 2009, insbesondere N. 80 ff.; insgesamt ist die Struktur richterlicher Entscheidungsprogramme jedenfalls in der Schweiz nicht allzu vertieft untersucht; Pionierarbeit leistet hier sicher unter anderem mit seiner Dissertation Mark Schweizer, Kognitive Täuschungen vor Gericht, 2005; ausserdem derselbe, Der Einfluss des ersten Angebots auf den Ausgang von (Gerichts-)Verhandlungen, Jusletter vom 8. März 2004; derselbe, Darstellungseffekt und Risikoverhalten im Zivilprozess: Trifft der Vergleichsdruck die Falschen?, Jusletter vom 7. März 2005; derselbe, Kontrast- und Kompromisseffekt im Recht am Beispiel der lebenslänglichen Verwahrung, ZStrR 2005, 438 ff.; derselbe, Intuition, Statistik und Beweiswürdigung, „Justice – Justiz – Giustizia“ 4/2006; derselbe, Bestätigungsfehler – oder wir hören nur, was wir hören wollen, „Justice – Justiz – Giustizia“ 3/2007; derselbe, Rückschaufehler oder ich wusste, dass das schief gehen musste, „Justice – Justiz – Giustizia“ 1/2008; derselbe, Urteilen zwischen Intuition und Reflexion, „Justice – Justiz – Giustizia“ 4/2009, weiterführend Karl-Ludwig Kunz / Henriette Haas, Zusammenhänge der strafgerichtlichen Entscheidungsfindung, Eine empirische Studie in drei Ländern, MschrKrim 2012, 158 ff.; Karl-Ludwig Kunz, Zur Herstellung des strafrechtlichen Schuld- oder Freispruchs, ZStrR 2014, 47 ff.; lesenswert sind beispielsweise auch Martin Withlin, Über die Tätigkeit des Sachrichters, über gute Juristen und besondere Aspekte gerichtlicher Entscheidfindung, recht 2012,

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Oberholzer zu sagen, kann ein Gericht möglicherweise nicht Blau zu Gelb, aber ganz bestimmt Blau zu Violett machen.23 Die Gefahr ist vorhanden, dass bei Entscheidungen, welche eine grosse mediale oder politische Tragweite aufweisen, die Farbwahl nachgepinselt wird.24 Dies bleibt natürlich vom Einzelfall, der Gerichtsbesetzung und zahlreichen weiteren Faktoren abhängig.25 bb) Reputation und Psyche In mediatisierten Fällen werden gesellschaftlichen Befindlichkeiten auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen. Der herkömmliche Rechtsschutz versagt. Eine echte Wiedergutmachung negativer Presse ist ohnehin kaum möglich. Die Tragweite, im Auge eines Shitstorms zu sein, ist enorm. Ein solches Erlebnis hat in vielerlei Hinsicht weichenstellende, vielfach traumatische Folgen für ein ganzes Leben. Selbst eine optimale nachträgliche gerichtliche Beurteilung vermag dies nicht zu ändern.26 II. Handlungsspielraum der Verteidigung Ein Rechtsfall, der nicht nur im Gerichtssaal der Justiz, sondern gleichermassen im Gerichtshof der Öffentlichkeit seinen Lauf nimmt,27 wirft für Betroffene und ihre Rechtsvertreter unweigerlich Fragen auf, welche die herkömmliche juristische Ausbildung nicht beantwortet. Dies verunsichert. Die Anwältin betritt Neuland und kann nie mit Sicherheit abschätzen, ob Schritte in oder wider die Medien sinnvoll sind.28 Als ehemali-

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137 ff.; Revital Ludewig / Juan La Llave / Bianca Gross-De Matteis, Einflussfaktoren bei Entscheidungen von Staatsanwälten: Zwischen Urteil und Vorurteil – Ausländer, Vorstrafe, Deliktschwere …, SZK 2/2012, 29 ff.; grundlegend bleibt nach wie vor Robert Weimar, Psychologische Strukturen richterlicher Entscheidung, 1969, unveränderter Nachdruck 1996. Mathias Ninck, „Beruf: Recht haben“, Interview mit Niklaus Oberholzer, Das Magazin Nr. 38/2012, abrufbar unter: . Bisweilen fragt man sich allerdings, ob in manchen (politisch gefärbten) Fällen nicht sogar manchmal aus Blau Gelb gemacht wird, wenn ein Resultat nur dringend erwünscht ist; vgl. dazu etwa Stefan Krauth, Kritik des Rechts, Stuttgart 2013, 33 ff. und 69 ff. sowie prägnant Marcel Alexander Niggli, Ist das Recht am Ende?, AJP 2012, 891, 891 ff. Gleicher Meinung Per Christiansen, Die Medien sollen es richten: Der rechtliche Rahmen für Litigation-PR, in: Lars Rademacher / Alexander Schmitt-Geiger (Hrsg.), Litigation-PR: Alles was Recht ist, 2012, insbesondere 126 ff.; 140 ff. Statt vieler Holzinger/Wolff (Fn. 4), 147 ff.; Schmidheiny Konic (Fn. 21), vor allem Rz. 21 ff.; Aeschbach (Fn. 10), Rz. 7; vgl. für einen konkreten Fall beispielsweise die Sendung der Reporter vom 27. November 2016 „Jolanda Spiess-Hegglin und ihr Ruf “, abrufbar unter ; Abhandlungen, welche die Sicht der Opfer des Shitstorms beleuchten, sind soweit ersichtlich, trotz intensiver Literartursuche, schwer auffindbar, vgl. aber die Publikation des Zürcher Psychiaters und Dozenten Mario Gmür, Der öffentliche Mensch, Medienstars und Medienopfer, 2002, welcher ausgehend von Praxisfällen aufzeigt, welche schwere Folgen es für die seelische Gesundheit der Betroffenen haben kann, wenn sie ins Visier der Medien geraten. Vgl. dazu auch den Medienwissenschaftler Pörksen (Fn. 13), 46 f., eingehend 92 ff., 136 f., 172 ff. Bereits im Jahr 1922 sprach Walter Lippmann in seinem Klassiker Public opinion prägnant vom „The court of public opinion, open day and night […]“: Walter Lippman, Public opinion, 1922, zitiert nach dem Neudruck, 2004, 196. Näheres dazu unter III. 3.

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ger Verteidiger von Carlos kann ich – ohne allzu fest aus dem Nähkästchen zu plaudern und das Anwaltsgeheimnis zu ritzen – offenbaren, dass ich mich im Umgang mit den Medien nie völlig souverän gefühlt habe.29 Die Verteidigung hat dreierlei zu bedenken: – ihren Einfluss auf die Berichterstattung selbst, – ihren mittelbaren Einfluss auf den Rechtsfall und schliesslich auch – die Beurteilung des anwaltlichen Vorgehens durch die Justiz.30 Die Schäden für die Reputation und die Einwirkungen auf die Psyche der betroffenen Person lassen sich meist weder juristisch noch mit Öffentlichkeitsarbeit wirksam abmildern. Wenn sich Betroffene mit rechtlichen und anderweitigen Mitteln zur Wehr setzen, ohne die Situation genau zu durchdenken, droht dies gar eine kontraproduktive Wirkung zu entfalten. Der Fall Jolanda Spiess-Hegglins zeigt dies exemplarisch: Die Zuger Politikerin wehrte sich sowohl juristisch als auch in den Medien mit Blogs und PR-Beratern und war deswegen weiterhin Teil einer aufgeheizten und sich weiter aufheizenden Berichterstattung.31 Feuer lässt sich bekanntlich nicht mit Benzin löschen. Diese bereits an sich schwierigen Fragen werden durch divergierende fachlich-juristische Ratschläge nicht erleichtert. Während beispielsweise Annelies Herzog in ihrer Dissertation zu anwaltlicher Zurückhaltung mahnt,32 propagiert Valentin Landmann das Gegenteil und hält eine offensive Krisenkommunikation für unabdingbar.33 Soweit 29 Meine Selbsteinschätzung steht damit in einem Kontrast zur Fremdwahrnehmung durch die Journalistin Brigitte Hürlimann, „Carlos’“ Mann an der Medienfront, NZZ vom 1. April 2014, ; zumal in dem Zeitpunkt die lesenswerte Arbeit von Herzog (Fn. 10) noch nicht veröffentlicht war und damit für die Schweiz keine vertiefte wissenschaftliche Grundlagenarbeit vorlag. Immerhin gab es an wissenschaftlicher Literatur bereits den Aufsatz von Jositsch (Fn. 4), 115 ff. Auch beispielsweise auf dem einzigen, mir bekannten deutschsprachigen Blog zu Litigation-PR gab es damals (und auch heute) lediglich zwei kurze Beiträge von schweizerischen Autorinnen: Rena Zulauf, Litigation-PR in der Schweiz: Was würde Dürrenmatt sagen?, , und Ulrike Weber, Litigation-PR in der Schweiz, Eine Bestandsaufnahme, . Literatur aus Deutschland, und erst recht aus den USA, ist wegen der unterschiedlichen Rechts- und Medienkultur zwar durchaus anregend, aber oft nicht unmittelbar übertragbar; gleicher Meinung für die Übertragbarkeit von den USA auf Deutschland Alexander Schmitt-Geiger, Deutschland und die USA: Ist US-amerikanische Litgation-PR auf Deutschland übertragbar?, in: Lars Rademacher / Alexander Schmitt-Geiger (Hrsg.), Litigation-PR: Alles was Recht ist, 2012, 57 ff.; zur völlig anders gelagerten Situation in den USA einführend Holzinger/Wolff (Fn. 4), 43 ff.; James F. Haggerty, The Origins and Current Status of Litigation-PR in the USA, in: Lars Rademacher / Alexander Schmitt-Geiger (Hrsg.), Litigation-PR: Alles was Recht ist, 2012, 41 ff. 30 Dazu eingehend mit zahlreichen Verweisen Herzog (Fn. 10), 57 ff., 82 ff., 98 ff., 136 ff., 150 ff.; 162 ff.; ähnlich Hans Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 8. Aufl., 2015, 69. Lesenswert zum Verhältnis von Anwälten und Journalisten auch Wolff (Fn. 9), 27 ff. 31 Vgl. dazu die Sendung der Reporter vom 27. November 2016 „Jolanda Spiess-Hegglin und ihr Ruf “ . Zu diesen Mechanismen aus Sicht des Medienwissenschaftlers Pörksen (Fn. 13), 62 ff., 156 ff. 32 Dazu Herzog (Fn. 10), besonders konzis 198 f. 33 Landmann (Fn. 4), zusammenfassend 127 ff. Weniger weitgehend, wenn auch in der Tendenz auch eher für eine offensive Medienstrategie Jositsch (Fn. 4), 133 ff.

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ersichtlich, fehlen in der Schweiz empirische Untersuchungen zur Wirkung dieser unterschiedlichen Vorgehensweisen.34 1. Rechtliche Rahmenbedingungen Ein Blick in Literatur und Rechtsprechung über die rechtlichen Grenzen der Medienarbeit ist bei medienwirksamen Fällen zentral. Lehre und Rechtsprechung geben vor, öffentliche Äusserungen eines Anwalts müssten inhaltlich richtig und sachlich sein. Das Mass des Zulässigen ist dabei, jedenfalls im Detail, in stetem Wandel begriffen.35 Bei hängigen Vorverfahren setzt der Gang in die Öffentlichkeit einen besonderen Anlass voraus. Er ist tendenziell zu vermeiden; und die Abgabe von öffentlichen Erklärungen muss zur Wahrung der Klienteninteressen geboten erscheinen.36 Etwas anders sieht es aus, wenn die Medien die Verteidigung kontaktieren und der Fall ohnehin rege öffentlich debattiert wird.37 In beinahe jedem Fall ist es, nach derzeitiger herrschender Auffassung, heikel, Prozessakten an Journalisten abzugeben.38 Ein Blick in die aktuelle Literatur und Rechtsprechung über die rechtlichen Grenzen der Medienarbeit bleibt unabdingbar.

34 Vgl. aber immerhin Schmidheiny Konic (Fn. 21), vor allem Rz. 35 ff., die an Zürcher Gerichten eine Umfrage gemacht hat. Insgesamt ist einschlägige schweizerische Literatur zu anwaltlicher Medienarbeit rar (gleicher Meinung Schmidheiny Konic [Fn. 21], Rz. 1), sodass die Sichtung zumindest Publikationen aus Deutschland vorliegend zumindest als Anregung unabdingbar ist. Dabei erachtete ich bei der Erarbeitung des vorliegenden Vortrags/Essays dennoch als zentral, mir immer wieder bewusst zu machen, dass sich die deutsche und schweizerische Rechts- und Medienkultur durchaus etwas unterscheidet, weshalb sich eben doch nicht alles aus der deutschen Literatur unmittelbar in die Schweiz transferieren lässt. 35 Zu diesen Rahmenbedingungen Walter Fellmann, in: Walter Fellmann / Gaudenz Z. Zindel (Hrsg.), Kommentar zum Anwaltsgesetz, 2. Aufl., 2011, N. 41 zu Art. 12; Walter Fellmann, Anwaltsrecht, 2. Aufl., 2017, 107 f.; Herzog (Fn. 10), 175 ff.; überdies auch Jositsch (Fn. 4), 129 ff., 137; Landmann (Fn. 4), 63 ff.; Rehbinder (Fn. 5), 1071 ff.; Niklaus Ruckstuhl, Vertretung von Tatverdächtigen im Vorverfahren, in: Marcel Alexander Niggli / Philippe Weissenberger (Hrsg.), Strafverteidigung, 2002, 128 f.; für Deutschland Dahs (Fn. 30), 66 f. 36 Dazu Fellmann, Kommentar Anwaltsgesetz (Fn. 35), N. 41 zu Art. 12; Fellmann, Anwaltsrecht (Fn. 35), 107 f.; Herzog (Fn. 10), 182 ff.; Jositsch (Fn. 4), 129 ff. 37 Dazu Fellmann, Kommentar Anwaltsgesetz (Fn. 35), N. 41 zu Art. 12; Fellmann, Anwaltsrecht (Fn. 35), 107 f.; Herzog (Fn. 10), 182 ff. 38 Dazu Fellmann, Kommentar Anwaltsgesetz (Fn. 35), N. 41 zu Art. 12; Fellmann, Anwaltsrecht (Fn. 35), 107 f.; Herzog (Fn. 10), 182 ff.

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2. Strategisch a) Ausgangspunkt Klienteninstruktion Leitlinie für Medienkontakt stellt – wie für jedes Verteidigungshandeln – das Interesse der Klientin dar.39 Eigene Profilierungsbedürfnisse des Anwalts oder Marketing- und PR-Strategien seiner Kanzlei stehen zurück.40 Dies setzt Klarheit darüber voraus, was mit dem Medienkontakt für den Klienten überhaupt erreicht werden soll und realistischer Weise erreicht werden kann. Solange die Zielsetzung von Medienkontakten nicht geklärt ist, sind diese zu vermeiden.41 Klienten schätzen die Chancen eines Gangs in die Öffentlichkeit vielfach falsch ein. Sie meinen, ihre Reputation lasse sich problemlos wiederherstellen und die Behörden würden sich durch Medien günstig beeinflussen lassen. Wie die öffentliche Debatte verläuft, lässt sich aber nur schwer prognostizieren; die Öffentlichkeit ist eine launische Verbündete.42 b) Anwaltliche Auffassung vs. gegenläufige Klienteninstruktion Durchaus interessant, wenn derzeit auch eher von akademischem Interesse, ist die Frage, wie der Anwalt reagieren soll, wenn der Klient einen grundlegenden, öffentlich geführten Kampf gegen die bestehende Rechtsordnung mit allen rechtlichen und medialen Mitteln verlangt; in den Worten von Jacques Vergès einen procès de rupture.43 In einer partnerschaftlichen Verteidigungskonzeption im Sinne Wolfgang Wohlers’ bleibt der Verteidigung, solange die Klientschaft nichts Illegales verlangt, keine andere Wahl als den Vorrang des Mandanteninteresses zu beachten und die Instruktion zu befolgen. Andernfalls muss sie das Mandat niederlegen.44 Nach meiner Erfahrung zeigen sich Konflikte im Innenverhältnis des Mandats allerdings weniger in politischen Fällen, sondern vor allem dann, wenn Klientinnen bei gewöhnlichen Straffällen allzu forsch den Gang in die Öffentlichkeit suchen. In diesen Fragen sind Klientinnen sorgfältig aufzuklären. 39 Dazu Herzog (Fn. 10), 152; Dahs (Fn. 30), 59 ff. 40 Dazu Herzog (Fn. 10), 152.; Rehbinder (Fn. 5), 1071 ff.; Dahs (Fn. 30), 59 ff. Passagen in Büchern zu Marketingstrategien der Advokatur, die sich dazu äussern, wie man als Anwalt in die Zeitung kommt (beispielsweise David Hoeflmayr, Kanzleimarketing für die anwaltliche und steuerberatende Praxis, 3. Aufl., 2008, 145 ff.), sind daher für die Medienarbeit bei der konkreten Fallführung kein guter Ratgeber. Kritisch zur zunehmend einseitigen Orientierung der Advokatur an betriebswirtschaftlichen Leitbildern bereits meine Publikationen Stephan Bernard, Anwaltliche Gewinnoptimierung ohne Schranken – eine Replik, Anwaltsrevue 2009, 529 ff.; derselbe, Klienteninteressen gehen Anwaltsinteressen vor, Plädoyer 2/2010, 68 ff.; derselbe, Take Care – Fürsorge als Basis der Verteidigung, forumpoenale 2015, 231 ff. 41 Im Ergebnis ähnlich Landmann (Fn. 4), 75 ff. 42 Dazu Herzog (Fn. 10), 150 ff.; Pörksen (Fn. 13), 62 ff., 156 ff. 43 Jacques Vergès, Konfrontation oder Anpassung, Verteidigungsstrategien in politischen Prozessen, 1979; dazu auch Francesca Caputo, Rolle und Funktion der Verteidigung in einem politischen Prozess, ZStrR 2015, 182 f. 44 Wolfgang Wohlers, Die Pflicht der Verteidigung zur Wahrung der Interessen der beschuldigten Person, ZStrR 2012, 55 ff., insbesondere 71 ff.

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Es gilt sie auch vor sich selber zu schützen. Selbstredend behält der Klient das letzte Wort und dem Anwalt bleibt nur, das Mandat niederzulegen, wenn er die Instruktion des Klienten nicht akzeptieren kann.45 c) „Kein Kommentar“ vs. offensive Medienstrategie Die klassische Strategie von Anwälten war lange, und ist es teils immer noch, auf Medienanfragen stets mit der Phrase „Kein Kommentar“ zu reagieren.46 Konsequent durchgehalten ist dies nicht allzu schwierig.47 In vielen Fällen erweist sich ein solches Vorgehen nicht als falsch; aber längst nicht immer. Aussitzen kann eine sinnvolle Strategie sein, sofern sie bewusst eingesetzt wird und es keine Vermeidungsstrategie ist. Der Betroffene gerät allerdings in eine reine Abwehrhaltung und kann die Berichterstattung nicht mit steuern.48 Eine Intervention zur Abwehr und Richtigstellung kann sogar geboten sein, wenn über einen Beschuldigten sehr negativ berichtet wird oder sich die Medien offenkundig von einer falschen Hypothese leiten lassen. Gleiches gilt, wenn eine negative Beeinflussung der Justiz droht.49 Öffentliche Themen weisen eine Eigendynamik auf. Einen Fall in der Öffentlichkeit kontrollieren zu wollen, ist illusorisch.50 Journalisten bestimmen den Inhalt und die Färbung ihrer Artikel. Selbst bei stark verzerrten Darstellungen lassen sie sich kaum und nicht in ausreichend kompensatorischem Mass zur Rechenschaft ziehen.51 Ohnehin stehen Anliegen der beschuldigen Person oder der Verteidigung bei einem grossen Teil von ihnen auf verlorenem Posten. Journalisten, selbst von sogenannten Qualitätsmedien, geht es bei der Berichterstattung über Strafverfahren oft nicht um ein wohlaustariertes Referat über rechtsstaatliche Beschuldigtenrechte. Eher selten sind es Beiträge zu einer qualitativ hochstehenden Strafrechtsdebatte in den Foren der direkten Demokratie. Das Strafrecht fasziniert das breite Publikum vor allem, weil es an den Krimi erinnert. Journalistinnen tragen dem Rechnung und bedienen diffuse und übersteigerte Sicherheitserwartungen der Öffentlichkeit im derzeitigen Zeitgeist.52 Eine grundrechtsgetra45 Dazu Jositsch (Fn. 4), 129 f.; 133 f.; völlig zu Recht billigte das Bundesgericht im aufsehenerregenden Fall Kröcher/Möller den Verteidigern bereits vor rund 35 Jahren eine anwaltliche Medienarbeit zu, wenn auch damals die Grenze noch eher eng gezogen wurde (BGE 106 Ia 100, Erw. 8 ff.), Wohlers (Fn. 43), 55 ff., insbesondere 71 ff. 46 Das anwaltliche Vorgehen in solchen Fällen divergiert erheblich, statt vieler Schmidheiny Konic (Fn. 21), vor allem Rz. 55. 47 Dazu Landmann (Fn. 4), 41 ff.; Sommer (Fn. 7), 306. 48 Ähnlich Landmann (Fn. 4), 42; zur Angst der Anwälte vor den Medien Wolff (Fn. 9), 31 ff. 49 Ähnlich Jositsch (Fn. 4), 121 ff.; Dahs (Fn. 30), 68 f.; Sommer (Fn. 7), 308. Im Regelfall sogar eine offensive Kommunikation befürwortend Landmann (Fn. 4), 42 ff. 50 Dazu Herzog (Fn. 10), 136 ff.; Sommer (Fn. 7), 308; Pörksen (Fn. 13), 167 ff. 51 Hierzu einführend und realistisch Rohr (Fn. 4), 142 ff. 52 Ähnlich Sommer (Fn. 7), 308 ff.; Jositsch (Fn. 4), 115 f.; Herzog (Fn. 10), 150 ff.; Kunz/Singelnstein (Fn. 4), 349 ff. und 383 ff.; Niggli/Riedo (Fn. 14), 3 ff.; Heer (Fn. 14), 141 ff.; Manhart (Fn. 14), 193 ff.; Hensler (Fn. 14), 215 ff.; von Felten (Fn. 14), 251 ff. Zur medialen Diskussion im Nachgang zum neuen AT StGB econcept AG/Bernard/Riedo/fög Universität Zürich (Fn. 14), 111 ff.; Welte (Fn. 4), 208 ff.

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gene Argumentation ist schwer vermittelbar, wobei es durchaus Journalisten gibt, die auch daran interessiert sind. Meist steht aber die beschuldigte Person oder die angeblich zu milde Justiz in der Schusslinie.53 In einem medienträchtigen Fall wendet sich der Fokus meist nur dann von der beschuldigten Person ab, wenn das Gericht oder die Staatsanwaltschaft einen gravierenden Fehler begehen, massiv überreagieren oder eine falsche Anschuldigung oder Vorverurteilung zumindest denkbar sind. In diesen Fällen kann es gelingen, eine öffentliche Gegenmacht zu bilden; das Blatt kann sich allenfalls wenden.54 Ansonsten stehen die Interessen eines Beschuldigten und der Verteidigung in der Öffentlichkeit kaum je günstig da. Die Öffentlichkeit milde zu stimmen vermag allenfalls, wenn sich der Beschuldigte reumütig zeigt.55 Entscheidet sich die Verteidigung zu aktiver Medienarbeit, ist es für ihre Glaubwürdigkeit besonders wichtig, stets transparent und konsistent zu orientieren. Ein Statement sollte eine bis drei Kernbotschaften enthalten; mehr sind schwierig vermittelbar.56 Es empfiehlt sich, in kurzen, knappen Sätzen zu kommunizieren, eine einfache Sprache zu verwenden und unnötige Fachausdrücke zu vermeiden.57 Weder sollte auf Gerüchte eingegangen werden, noch ist eine Ausweichstrategie empfehlenswert. Strikt bei den Tatsachen bleiben, wirkt immer besser.58 Und falls die Antwort auf eine kritische Nachfrage nicht bekannt ist oder diese wegen des Verfahrensstadiums oder rechtlichen Gründen nicht preisgeben werden darf, kann dies durchaus eingeräumt werden. Dieses Vorgehen ist besser, als Ausreden vorzubringen oder zu versuchen, den Journalisten hinters Licht zu führen.59 Zu vermeiden sind sicher Halbwahrheiten oder faktenwidrige Äusserungen in Medienstatements. Lügen haben kurze Beine und drohen eine negative Berichterstattung zu verschärfen.60 3. Taktisch a) Zeitpunkt der Intervention Aktionismus ist bei Medienkontakten, wie ganz grundsätzlich, keine empfehlenswerte Verteidigungsstrategie. Nur wer mehr oder weniger sichere Fallkenntnisse besitzt, kann Klienten sinnvoll beraten. Kurz nach der Übernahme eines Mandats ist dies regelmässig

53 Dazu etwa Sommer (Fn. 7), 308 ff.; Herzog (Fn. 10), 150 ff.; Niggli/Riedo (Fn. 14), 3 ff.; Heer (Fn. 14), 141 ff.; Manhart (Fn. 14), 193 ff.; Hensler (Fn. 14), 215 ff.; von Felten (Fn. 14), 251 ff. 54 Realistisch, wann und in wie weit es möglich ist, überhaupt solche Kontrastpunkte zu setzen Sommer (Fn. 7), 310 f. 55 Gleicher Meinung Landmann (Fn. 4), 51. 56 Wolff (Fn. 9), 138 ff.; Rohr (Fn. 4), 106 ff. 57 Wolff (Fn. 9), 138 ff. Rohr (Fn. 4),106 ff. 58 Wolff (Fn. 9), 138 ff.; zum Ganzen auch Landmann (Fn. 4), 41 ff., 53 ff.; 106 ff.; Rohr (Fn. 4), 106 ff. 59 Wolff (Fn. 9), 138 ff.; zum Ganzen auch Landmann (Fn. 4), 41 ff., 53 ff.; 106 ff. 60 Gleicher Meinung beispielsweise Wolff (Fn. 9), 135, 142 f.; Rohr (Fn. 4), 106 ff.

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nicht gegeben.61 Deshalb kann es sinnvoll sein, zu diesem Zeitpunkt keine Kommentare abzugeben, sondern zunächst an der Medienstrategie und Medientaktik zu arbeiten. Bei wirklich skandalisierten Fällen besteht aber keine Zeit; die Öffentlichkeit ist nicht geduldig.62 Es besteht ein Dilemma. Die Verteidigung sollte nur dann kommunizieren, wenn sie geklärt hat, was sie sagen und mit dem Medienkontakt erreichen möchte; gleichzeitig verschlechtert Zuwarten die Einflussmöglichkeiten markant; das öffentliche Bild ist relativ rasch gemacht und nur schwer korrigierbar.63 Selbst wenn der Sachverhalt genügend geklärt und das Ziel eines Medienkontakts definiert ist, gilt es zu prüfen, ob die eigenen Vorstellungen nicht zu ambitioniert sind oder einer sinnvollen juristischen Fallführung zuwiderlaufen. Es kann für den Ausgang des Strafverfahrens verhängnisvoll sein, sich inhaltlich zu früh festzulegen, gerade wenn ein Fall bereits im Vorverfahren publik wird. Strafverfahren nehmen oft eine schwer vorhersehbare Eigendynamik an und eine frühe eindeutige und öffentliche Positionierung kann einer wirkungsvollen Verteidigung zuwiderlaufen; auch wenn sie unter kommunikativen Gesichtspunkten wichtig erschiene.64 Auch in diesem Fall gilt die Einschränkung der partnerschaftlich verstandenen Verteidigungskonzeption: Für einen (prominenten) Beschuldigten oder ein Unternehmen kann ein Strafverfahren eine eher untergeordnete Rolle spielen und der Gerichtshof der Öffentlichkeit ist gewichtiger.65 Gerade für #MeToo ist kennzeichnend, dass herkömmliche Strafverfahren durch den Gerichtshof der Öffentlichkeit weitgehend ersetzt werden. Als Ausnahme von der Regel kann es deshalb im Klienteninteresse sein, wenn sich die rechtliche Strategie der Medienstrategie unterordnet. Der Klient muss dies aber ausdrücklich und bei vollem Bewusstsein der juristischen Risiken wollen.66 Sollte sich das Gewicht im Verhältnis der Ordnungsmächte Recht gegenüber traditionellen und sozialen Medien weiter verschieben, verliert diese Aussage allenfalls an Gültigkeit: Möglicherweise gewinnt mittelfristig die Verteidigung im Gerichtshof der Öffentlichkeit vermehrt an Bedeutung und wird der Verteidigung im Strafverfahren nicht mehr klar untergeordnet sein. b) Direktkontakt mit Medien und Umgang mit Journalisten Zentral ist, sich vor Gesprächen mit Journalisten in jedem Verfahrensstadium zu überlegen, welche Informationen preisgegeben werden und in welcher Form dies geschieht. Hier spielen zum einen rechtliche Grenzen eine Rolle, zum anderen aber auch taktische 61 62 63 64

Ausführlich dazu Landmann (Fn. 4), 53 ff. Zum Ganzen auch Landmann (Fn. 4), 89 ff. Weiterführend Landmann (Fn. 4), 89 ff. Zu diesem Zielkonflikt beispielsweise Alexander Bräunig / Ansgar Thiessen, Reden ist Silber, Schweigen auch: Eine grundlegende Gegenüberstellung öffentlicher Kommunikation von Public Relations und Legal Affairs, in: Lars Rademacher / Alexander Schmitt-Geiger (Hrsg.), Litigation-PR: Alles was Recht ist, 2012, 93 ff., insbesondere 101 ff.; Landmann (Fn. 4), 89 ff. 65 Gleicher Meinung Schmidheiny Konic (Fn. 21), vor allem Rz. 14. 66 Im Anschluss an Wohlers (Fn. 44), ZStrR 2012, 55 ff., insbesondere 71 ff.

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Überlegungen. Teilt die Verteidigung einem Journalisten eine Information off the record mit, darf dieser seine Quelle nicht zitieren und aus dem Text darf nicht ersichtlich sein, von wem der Journalist die Information hat.67 Bei schlagzeilenträchtigen Fällen ist es meines Erachtens regelmässig ein Muss Vertrauensjournalisten auf diese unsichtbare Weise mit günstigen Informationen zu versorgen, in der Hoffnung dies wirke sich günstig auf die Berichtserstattung aus.68 Interviews, Statements und gerade Liveinterviews im Fernsehen sollten dagegen wohlüberlegt sein und nur spärlich eingesetzt werden; die Seriosität eines Anwalts kann angezweifelt werden, wenn er in Medien über seine Fälle plaudert. Ausserdem sind sich die meisten Anwältinnen nicht gewohnt, vor der der Kamera aufzutreten, weshalb viel schief gehen kann.69 Insgesamt gilt: Journalisten sollte weder von oben herab noch anbiedernd begegnet werden.70 Zitate sollten gegengelesen oder bei Fehlern beanstandet werden. Die Androhung von rechtlichen Schritten, ein Ersuchen um Gegendarstellung oder der Gang an den Presserat ergeben meist aber wenig Sinn.71 Dies gilt selbst dann, wenn man sich über einen Bericht ärgert; man bewegt sich nicht auf dem eigenen Fachterrain und der Artikel lässt sich nicht aus der Welt schaffen. Rechtliche Schritte und andere Gegenmassnahmen wirbeln nur weiteren Staub auf. Der Fall Spiess-Hegglin zeigt dies geradezu exemplarisch.72 Kontakte zu Vertrauensjournalisten pflegen, ist langfristig gewinnbringend, damit in einem konkreten Fall verlässliche Ansprechpartner vorhanden sind; solche liessen sich in der Hektik eines laufenden Verfahrens nicht leicht finden.73 Man muss bei dieser Kontaktpflege aber genau darauf achten, wo die Journalisten strafrechtspolitisch stehen 67 Rohr (Fn. 4), 138 ff.; dennoch bleibt es wichtig, dass man sich genau überlegt, was man „off the record“ preisgibt, Wolff (Fn. 9), 141. 68 Gleicher Meinung Dahs (Fn. 30), 68; dazu Herzog (Fn. 10), 139 ff. 69 Realistisch Herzog (Fn. 10), 150 ff.; zur Zurückhaltung mahnt ebenso Dahs (Fn. 30), 62. Aus grundsätzlicher Sicht im Umgang mit Medien (gerade in Krisen) Rohr (Fn. 4), 106 ff., 116 ff., 132 ff., 166 ff.; mit Vorsicht zu geniessen sind daher folgende Ratschläge, denn sie stammen von einem Anwalt, der in der Schweiz wie wohl kein anderer Verteidiger Routine im Umgang mit Medien hat: Landmann (Fn. 4), 106 ff. Auch hier gilt, dass Beiträge zu Auftreten im Fernsehen und Radio aus Marketingbüchern für die Anwaltspraxis wenig hilfreich für die kompetente Fallführung im Dienst der Klientschaft ist; vgl. beispielsweise Hoeflmayr (Fn. 40), 153 ff.; vor zu viel anwaltlicher Präsenz in den Medien wird teilweise sogar in der Literatur gewarnt, die eher aus der PR-Perspektive verfasst sind, vgl. nur Wolff (Fn. 9), 159 ff. 70 Rohr (Fn. 4), 110 ff.; Wolff (Fn. 9), 134 ff.; spezifisch zum Umgang von Anwälten mit Journalisten Holzinger/Wolff (Fn. 4), 215 ff. 71 Für einen grundsätzlichen Überblick über den Spielraum, aber pragmatischen Umgang mit rechtlichen Mitteln im Umgang mit Medien Rohr (Fn. 4), 152 ff.; für Deutschland Wolff (Fn. 9), 149 ff. Immerhin ist höchstrichterlich geklärt, dass bei einer eigentlichen Medienkampagne im Kontext eines Strafverfahrens der zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz greifen kann: Bettina Bacher, Persönlichkeitsverletzung durch eine Medienkampagne, sui-generis 2017, 245 ff. Dies heisst nicht, dass solche rechtlichen Schritte taktisch sinnvoll sein müssen. 72 Vgl. dazu die Sendung der Reporter vom 27. November 2016 „Jolanda Spiess-Hegglin und ihr Ruf “ ; illustrativ auch Wolff (Fn. 9), 154 ff. 73 Dazu Herzog (Fn. 10), 150 ff.; ähnlich Wolff (Fn. 9), 119; die Wichtigkeit von guten Medienkontakten betont auch Dahs (Fn. 30), 68; dabei ist es allerdings wichtig durch die Nähe bei der Kontaktpflege zu Journalisten nicht in Abhängigkeiten zu geraten, Sommer (Fn. 7), 311.

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und ob sie ein Sensorium für rechtsstaatliche Abläufe und nachgerade Beschuldigtenrechte haben. Und schliesslich sind auch Klienten vor einem Blindflug bei der Wahl der Medienkontakte zu warnen. c) Beizug von Litigation-PR? Ist der Fall von grösserer Tragweise und/oder die Klientschaft solvent, kann allenfalls ein Litigation-PR, d. h. strategische Rechtskommunikation und prozessbegleitende Öffentlichkeitsarbeit, einen Rechtsstreit günstig beeinflussen;74 hierfür ist es sinnvoll, entsprechende Fachkräfte im beruflichen Netzwerk zu wissen. Empirisch belastbare Erhebungen zur Wirkung strategischer Rechtskommunikation fehlen soweit mir ersichtlich für die Schweiz;75 Studien aus den USA und Grossbritannien lassen sich wegen der unterschiedlichen Justiz- und Medienkultur nicht übertragen;76 und auch die Literatur aus Deutschland lässt sich nicht unmittelbar in die Schweiz transferieren.77 Gerade in Deutschland erscheint in jüngerer Zeit reichlich Literatur. Das Thema scheint in Mode, so dass zeitgebundene optische Verzerrungen drohen;78 auch wenn das Phänomen nicht neu ist.79 Bei schlagzeilenträchtigen Fällen ist es unabdingbar, sich beraten zu lassen oder zumindest mit einer Fachkraft auszutauschen. Einige Arbeitsstunden eines PR-Beraters sollten nicht gescheut werden und gehören zu einer seriösen beruflichen Herangehensweise. Moderate Kosten müssten in Extremkonstellationen als Spesen bei amtlichen Verteidigungen verrechenbar sein.80 Selbstüberschätzung ist fehl am Platz. Rechtliche

74 Zur Definition von Litigation-PR statt vieler Holzinger/Wolff (Fn. 4), 17 ff.; Heinrich (Fn. 5), 27 ff. Zu Litigation-PR aus einer rechtssoziologischen Perspektive Volker Boehme-Nessler, Rechtsprechung im Gerichtshof der Öffentlichkeit? Rechtssoziologische Überlegungen zur Litigation-PR, in: Lars Rademacher / Alexander Schmitt-Geiger (Hrsg.), Litigation-PR: Alles was Recht ist, 2012, 75 ff. 75 Vgl. aber immerhin Schmidheiny Konic (Fn. 21), vor allem Rz. 35 ff., welche an Zürcher Gerichten eine Umfrage gemacht hat. 76 Gleicher Meinung für die Übertragbarkeit von den USA nach Deutschland Schmitt-Geiger (Fn. 29), 57 ff. 77 Vgl. für Deutschland beispielsweise folgende empirische Untersuchung Hans Mathias Kepplinger, Der indirekte Einfluss der Medien auf Richter und Staatsanwälte, in: Lars Rademacher / Alexander Schmitt-Geiger (Hrsg.), Litigation-PR: Alles was Recht ist, 2012, 219 ff. 78 Einen stattlichen Teil der Literatur findet sich in den Fussnoten des vorliegenden Essays. Soweit ersichtlich kaum vertieft diskutiert wurde zumindest im deutschsprachigen Raum, ob und gegebenenfalls wie Litigation-PR in sozialen Medien sinnvoll sein kann. Der PR-Branche kommt jedenfalls grundsätzlich im digitalen Zeitalter eine zunehmend prominente Rolle zu und soziale Medien werden längst für PR-Zwecke genutzt: Pörksen (Fn. 13), 172 ff. 79 Herzog (Fn. 10), 34 ff.; Aeschbach (Fn. 10), Rz. 27 ff. 80 In Ansätzen scheint jedenfalls anerkannt zu sein, dass Medienarbeit ins Pflichtenheft der (amtlichen) Verteidigung gehört, dazu eingehend Herzog (Fn. 10), 136 ff. Gehört eine zumindest Fall angepasste Medienarbeit tatsächlich zu den Pflichten auch der amtlichen Verteidigung, so ist ihr ein Spielraum zu gewähren, diese nach ihrem Gutdünken auszuüben, wobei auch ausnahmsweise der als Spesen entschädigte Beizug einer Fachkraft gehören kann.

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Risiken und Reputationsinteressen sowie die Auslotung einer optimalen Strategie können bisweilen nur inter- und transdisziplinär sorgfältig abgewogen werden.81 Der Entscheid über allfällige Massnahmen liegt allerdings im partnerschaftlichen Zusammenwirken von Klient und Anwältin.82 Dem PR-Berater kommt einzig die Rolle einer Hilfskraft zu, weshalb man sich meines Erachtens gut überlegen sollte, ihn für mehr als einen rudimentären Austausch zu mandatieren. Zumal der Einsatz von PR-Beratern immer den fahlen Beigeschmack einer kaschierenden, wenig authentischen Darstellung trägt.83 Wie so oft hängt dies aber vom Einzelfall und den finanziellen Möglichkeiten des Klienten ab.84 Auch hier ist allerdings eine Relativierung angezeigt: mit Blick #MeToo drängt sich die Spekulation auf, dass möglicherweise künftig der Verteidigung im Gerichtshof eine ungemein grössere Bedeutung zukommen könnte, was die Rolle von PR-Beraterinnen aufwerten würde. d) Vorkehrung: Weiterbildung Bei Standardfällen rechtfertigt sich indessen derzeit und wohl auch künftig der Beizug einer Fachkraft nicht. Strafverteidiger sollten deshalb einige Grundregeln für den Umgang mit Medien kennen, um mit dem Klienten in (halb-)öffentlichen Fällen ein rudimentäres Medienkonzept erarbeiten und als Verteidigung mit Journalisten in Kontakt treten zu können.85 Die Lektüre journalistischer Richtlinien sowie eines Buchs zum Thema Umgang mit Medien86 oder der Besuch einer entsprechenden Weiterbildung ist auch ohne konkreten Anlass gut investierte Zeit, ja geradezu eine Fortbildungspflicht, wenn man der These folgt, der Umgang mit Medien gehöre heute zum Handwerkszeugs eines soliden Strafverteidigers.87 Regelmässig stehen die Medien unvermittelt im Gerichtssaal oder rufen an und man ist zu wenig darauf vorbereitet.88

81 Holzinger/Wolff (Fn. 4), 17 ff.; 33 ff.; 229 ff.; vgl. dazu auch Bräunig/Thiessen (Fn. 64), 93 ff., insbesondere 101 ff. 82 Gleicher Meinung Aeschbach (Fn. 10), Rz. 25; anderer Ansicht Holzinger/Wolff (Fn. 4), 225 ff.; die Autoren räumen den Litigation-PR-Spezialisten eine zentralere Rolle. Sogar für dauerhafte Kooperationen zwischen PR-Agenturen und Anwaltskanzleien treten ein Dietrich Schulze van Loon / Tom Odebrecht / Ulrike Penz, Kommunikations- und Rechtsberatung: Kooperation zwischen Agenturen und Kanzleien als richtungweisendes Modell in: Lars Rademacher / Alexander Schmitt-Geiger (Hrsg.), Litigation-PR: Alles was Recht ist, 2012, 303 ff. 83 Zum Ganzen Landmann (Fn. 4), 103 ff. 84 Eher skeptisch zum Beizug von „Medien-Agenturen“ Dahs (Fn. 30), 68. 85 Die Wichtigkeit eines Medienkonzepts betont gerade Jositsch (Fn. 4), 133 ff.; gut als Einführung zum Umgang mit Medien aus Sicht der Advokatur, wenn auch etwas Anwalts-PR-lastig Wolff (Fn. 9). 86 Zu empfehlen ist für den Einstieg beispielsweise Rohr (Fn. 4). 87 Daher enthielt auch der Kurs „Fachanwalt Strafrecht SAV“ im Jahre 2017 ein dreistündiges Seminar zum Umgang mit Medien. Lesenswert als Einführung zum Umgang mit Medien aus Sicht der Advokatur, wenn auch etwas Anwalts-PR-lastig Wolff (Fn. 9). 88 Dazu Landmann (Fn. 4), 11 ff., 25 ff.

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4. Tatsächlicher Einfluss der anwaltlichen Medienarbeit? Aus Sicht der Verteidigung ist davon auszugehen, dass schweizerische Gerichte und Staatsanwältinnen kampagnenartige Druckversuche via Medien nicht schätzen. Es drohen Gegenreaktionen zu Ungunsten des Klienten, wenn er von sich aus den Gang in die Öffentlichkeit sucht oder bei öffentlichen Fällen zu offensiv auftritt.89 Die Taktik ist wohlüberlegt zu wählen. Allenfalls sind Medienkontakte zu vermeiden oder ein ausschliesslich diskretes Wirken hinter den Kulissen mit off the record-Gesprächen erweist sich als wirkungsvoller. Selbst wenn der Anwalt der konkreten Fallführung der Justiz kritisch gegenübersteht und sich für offensive und sichtbare Medienarbeit entscheidet, ist es heikel, wenn er mit Verlautbarungen die Justiz polemisch in Frage stellt. Zielführend ist eher, wenn er – durchaus pointiert – darlegt, aus welchen (grund-)rechtlichen Erwägungen er zu anderen Schlüssen kommt und sachbezogen auf Verteidigungsrechte hinweist.90 Ob dieses Vorgehen tatsächlich dazu führt, dass die Medien im gewünschten Sinne beeinflusst werden, steht auf einem anderen Blatt. Und erst recht auf einem anderen Blatt steht, ob die allenfalls günstig beeinflusste Stimmung in den Medien sich tatsächlich positiv auf die Fallbeurteilung durch Staatsanwaltschaft und Gericht auswirkt. Auch hier gilt: Der Laborvergleich, wie ein Fall mit einer anderen Medienarbeit ausgegangen wäre, ist nicht möglich.91 Ohnehin braucht ein Verteidiger nicht in die Tiefen der systemtheoretischen Literatur92 einzutauchen, um ein Bewusstsein für die Komplexität nach der passenden Vorgehensweise bei medial skandalisierten Fällen zu entwickeln. Gleiche Ursachen in komplexen Systemen mit zahlreichen Akteuren entfalten nicht stets gleiche Wirkungen. Selbst minimale Abweichungen der Ausgangsursachen und Zufälle können zu anderen, ja gegensätzlichen Resultaten führen. Damit wird nicht die nachträgliche Erklärbarkeit ex post in Frage gestellt, sondern bloss eine vorgängige Voraussehbarkeit und Beherrschbarkeit von komplexen Abläufen im Zusammenspiel von Verteidigung, Reaktion der Medien und Entscheidungen der Justizwie und auch ganz grundsätzlich in der Verteidigungsarbeit.93 Eine gleichermassen engagierte wie lebensklug-realistische Verteidigung versucht mit dieser Beschränkung zu leben. Es bleibt die Regel und nicht

89 Dazu Herzog (Fn. 10), 150 ff.; Schmidheiny Konic (Fn. 21), vor allem Rz. 41 ff.; Aeschbach (Fn. 10), Rz. 34 ff. 90 Dazu Herzog (Fn. 10), 150 ff., 175 ff. 91 Dazu auch Aeschbach (Fn. 10), Rz. 22. 92 Zur Einführung in die (allgemeine) Systemtheorie Fritz B. Simon, Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus, 5. Aufl., 2011; das Buch ist vom Erkenntnisinteressen eines systemischen Praktikers bestimmt und möchte den Lesenden dazu anregen, einen Theorierahmen für die eigene Praxis zu entwickeln (a. a. O., 7 f.). Damit bietet es mehr als einen Überblick über binnenuniversitäre Diskussionen. Für die Strafverteidigung besonders sinnvoll scheint mir auch der Einbezug psychologisch orientierter Systemtheorien, so etwa Arist von Schlippe / Willy Christian Kriz (Hrsg.), Personenzentrierung und Systemtheorie, Perspektiven für psychotherapeutisches Handeln, 2004. 93 Dazu Simon (Fn. 92), 28 f., 40.

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die Ausnahme, dass man ex ante nicht alle Folgen bedenkt und nicht bedenken kann.94 Dies auch wenn es nicht immer leicht ist, mit den begrenzten eigenen Möglichkeiten bei der Medienarbeit und auch anderswo umzugehen und von einer Kontrollillusion Abstand zu nehmen.95 Eine Medienarbeit der Verteidigung, welche eine fachlich fundierte Rechtskritik umfasst, kann kurz- und mittelfristig zu einer realitätsbezogenen Wahrnehmung der Justiz beitragen, und mittel- und langfristig zu einer funktionierenden direktdemokratischen Kultur und zum Verständnis für rechtsstaatliche Abläufe. Allenfalls zeitigt sie sogar positiven Einfluss auf den Erhalt und Ausbau von Grundrechten. Der Anwalt kommt bei kluger Medienarbeit in eine Art Doppelrolle: Primär bleibt er Vertreter des Klienten; und sekundär – sozusagen als Kollateralnutzen – leistet er einen Beitrag zur demokratischen Debatte und zur rechtsstaatlichen Kultur. Der mittel- und langfristige Einfluss der Medienarbeit von Juristen auf demokratische Prozesse bleibt schwierig abzuschätzen, zumal sowohl die Justiz als auch die Verteidigung Einzelfälle zu bewältigen haben und nicht primär Rechtspolitik oder Medienarbeit betreiben (sollen). Strafjuristen bewegen sich heute in einem politisierten Umfeld, und dieses Umfeld kann Einfluss auf die Justiz zeitigen.96 Im aktuellen gesellschaftspolitischen Klima wird die Skandalisierung von Einzelfällen kaum je zu einer Stärkung der Grundrechte und des Rechtsstaats beitragen. Politik, Massenmedien, soziale Medien und die Ängste in der Sicherheitsgesellschaft stehen derzeit in einem dynamischen, im Ergebnis wohl unheilvollen Wechselverhältnis.97 Eine pointierte, teilweise durchaus polemische, aber dennoch fachkundige Justizkritik in der Tradition von Kurt Tucholsky sucht man heute grösstenteils vergeblich.98 Dezidierte Justizkritik kommt heute, anders als früher, meist von rechts und nicht von links. Sie stellt rechtsstaatliche Abläufe und ausgebauten Grundrechtsschutz eher in Frage, statt für deren Ausbau einzutreten.99 Die Konjunkturlage für seriöse Justizbe94 Dazu Gerhard Roth, Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten, 2007, 261 ff.; Dietrich Dörner, Die Logik des Misslingens, Strategisches Denken in komplexen Situationen, 10. Aufl., 2011, 61. 95 Weiterführend zur Kontrollillusion lesenswert, Rolf Dobelli, Die Kunst des klaren Denkens, 17. Aufl., 2017, 65 ff. mit Verweisen auf 228 f. 96 Dazu eingehend meine Publikation Bernard (Fn. 14), 117 ff.; vgl. überdies auch beispielsweise Niggli/ Riedo (Fn. 14), 3 ff.; Heer (Fn. 14), 141 ff.; Manhart (Fn. 14), 193 ff.; Hensler (Fn. 14), 215 ff.; von Felten (Fn. 14), 251 ff. 97 Gleicher Meinung Kunz/Singelnstein (Fn. 4), 383 ff.; Niggli/Riedo (Fn. 14), 3 ff. Illustrativ auch: Pörksen (Fn. 13), vor allem 9 ff. ; Niggli (Fn. 4), S. 21 ff. und S. 24 ff. 98 Vgl. dazu etwa Kurt Tucholsky, zusammengestellt von Martin Swarzenzki, Politische Justiz, 1970; weiterführend zu Kurt Tucholsky als Justizberichterstatter Bernhard Weck, Kurt Tucholsky. „Schmerz über das Unrecht im Recht“, in: Kritische Justiz (Hrsg.), Streitbare JuristInnen. Eine andere Tradition, 2016, 513 ff. oder Uwe Wesel, Auch ein Kampf ums Recht, Kurt Tucholskys Justizkritik, in: Uwe Wesel (Hrsg.), Aufklärungen über Recht. Zehn Beiträge zur Entmythologisierung, 1981, 101 ff. Mit einem solchen Selbstverständnis hat in der Schweiz beispielsweise Laure Wyss aus Gerichtssälen berichtet, Laure Wyss, Kluge und scharfe Kritik ist notwendig, in: René Schuhmacher (Hrsg.), Geschlossene Gesellschaft? Macht und Ohnmacht der Justizkritik, 1993, 19 ff. 99 Vgl. meine Publikationen Stephan Bernard, Höchste Zeit, dass auch die Linke die Justiz wieder hinterfragt, NZZ am Sonntag vom 24. Juli 2016, 13 (Der externe Standpunkt); derselbe, Justiz- und Rechtskritik von lechts und rinks, Dislike. Magazin für Unmutsbekundung 2016, 100 ff.

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richterstattung ist nachgerade in Printmedien nicht gut. Morgenröte schimmert in der Schweiz seit Anfang 2018 auf; die „Republik“ berichtet jeden Mittwoch mit einem hochkarätigen Team aus den Gerichtssälen und setzt bei der Justizberichterstattung bewusst einen Schwerpunkt.100 Eine sachliche und fachlich hochstehende Berichterstattung über rechtliche Sachverhalte muss Juristinnen sowohl als Staatsbürgerinnen als auch Mitglieder des Berufsstandes gleichermassen am Herzen liegen. Weder die Strafrechtswissenschaft noch die Praktiker der Strafjustiz sollten sich deshalb in ein larmoyantes, medien- und kulturpessimistisches Réduit zurückziehen und eine Art geschlossene Gesellschaft bilden. Im Gegenteil sollten sie sich dem Blick der Öffentlichkeit auf die Funktionsweise der Justiz und des Rechts stellen. Ansonsten droht eine sich weitende Kluft zwischen Expertinnen und Bürgern, was einer funktionierenden (direkt-)demokratischen Kultur abkömmlich ist.101 Bei der derzeit in Fachkreisen überwiegend pessimistischen Einschätzung der Rolle der Medien im (straf-)rechtlichen Kontext geht deren wichtige demokratische und rechtsstaatliche Kontrollfunktion vergessen. Das Öffentlichkeitsprinzip, welches die heutige mediale Berichterstattung überhaupt erst möglich macht, wurde bekanntlich vor allem im 19. Jahrhundert gegen eine obrigkeitsstaatliche Kabinettjustiz mit dem Hang zu strafrechtlichen Exzessen erstritten. Es ist Bestandteil eines Ensembles von Prozessgrundsätzen des reformierten Strafprozess, oder – im Anschluss an Alexander Ignor – des reformierten Inquisitionsprozesses, welches grundsätzlich als Schutz des Beschuldigten angelegt ist.102 Und das Öffentlichkeitsprinzip kann sich heute sowohl im Einzelfall als auch hinsichtlich grundsätzlicher Entwicklungen nach wie vor positiv auswirken.103 Dennoch seien die mahnenden Worte des Berner Troubadours und Zürcher Rechtsanwalts Jacob Stickelberger aus dem Jahre 1999 in Erinnerung gerufen: Das Öffentlichkeitsprinzip möge einmal ein Segen für den 100 . 101 Dazu Herzog (Fn. 10), 19 ff., welche auch ausdrücklich die guten Seiten der Medialisierung betont. Eine offensive Informationspolitik der Justiz fordert auch Dominique Strebel, Das Ende der Omerta in der Justiz, „Justice – Justiz – Giustizia“ 1/2013; vgl. dahingehend insbesondere auch das von René Schuhmacher herausgegebene Buch Geschlossene Gesellschaft? Macht und Ohnmacht der Justizkritik, 1993; dort besonders dezidiert beispielsweise Wiprächtiger (Fn. 2), 81 ff. Skeptischer dagegen zur realen Reichweite der Justizkritik Alex Baur, Warum die Justiz von der Presse nicht viel Kritik erwarten darf, in: René Schuhmacher (Hrsg.), Geschlossene Gesellschaft? Macht und Ohnmacht der Justizkritik, 1993, 39 ff. oder im gleichen Band Peter Albrecht, Auf dem Weg zu einer Strafjustiz ohne öffentliche Kontrolle?, 127 ff. Pointiert auch der Zürcher Jugendanwalt Gürber, der als wichtigste Lehre aus dem „Fall Carlos“ nicht weniger, sondern mehr Transparenz der Justiz gegenüber der Öffentlichkeit fordert, siehe Hansueli Gürber, Krisen – Ursachen, Umgang, Lehren, in: Daniel Fink / Stefan Keller / Madleina Manetsch / Christian Schwarzenegger (Hrsg.), Evaluation, Kriminalpolitik und Strafrechtsreform, 2017, 83 ff.; dazu auch meine Publikation Bernard (Fn. 14), vor allem 143 f.; Welte (Fn. 4), S. 217 ff. 102 Grundlegend Alexander Ignor, Geschichte des Strafprozesses in Deutschland 1532–1846, 2002, 16 und 209 ff.; dazu auch Thomas Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, 2. Aufl., 2011, 91 f.; Mark Pieth, Strafrechtsgeschichte, 2015, 66 f.; Hinrich Rüping / Günter Jerouschek, Grundriss der Strafrechtsgeschichte, 6. Aufl., 2011, 87. 103 Während heute vornehmlich aus einer liberalen oder linken Optik die mediale Berichterstattung im Strafrecht kritisch angesehen wird, waren es bis vor nicht allzu langer Zeit nachgerade linksliberale und linke Juristen, die für eine kritische mediale Berichterstattung über die Justiz aktiv eintraten, vgl. etwa Wiprächtiger (Fn. 2), 81 ff. oder Uwe Wesel, Justiz und Öffentlichkeit, in: ders. (Hrsg.), Aufklärungen über Recht. Zehn Beiträge zur Entmythologisierung, 1981, 87 ff.

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Angeklagten gewesen sein, und habe nach wie vor seine Berechtigung, sei aber drauf und dran zum Fluch zu werden. Diese Worte wirken angesichts der medial aufgeheizten Debatten der letzten zehn bis zwanzig Jahren beinahe prophetisch und geben zu denken.104 Es gibt in der Tat Anzeichen, dass die Öffentlichkeit, ehemaliges Korrektiv eines drohenden staatlichen Strafexzesses, sich in ihr Gegenteil verkehrt und zum Treiber neuerlicher strafrechtlicher Exzesse wird. Sodann droht – unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung, sondern rein aufgrund eines strafrechtlichen Verdachts – sowohl durch #MeToo als auch beispielsweise die Internetfahndungen eine neue Form des Prangers.105 Ob sich diese Entwicklung weiter akzentuieren oder künftig justieren wird, wird sich weisen. III. Exkurs: Wer vertritt eigentlich öffentliche Interessen? Eingangs wurde die Rolle der Verteidigung vereinfachend als Vertreterin rein privater Interessen und die Justiz als Wahrerin öffentlicher Interessen umrissen. Gleichzeitig wurde soeben das gemeinsame Interesse der Strafjustiz und Strafverteidigung an einer guten, sachlichen und kritischen Medienberichterstattung betont. Eine weitere Relativierung vom simplen Bild der konvergierenden Interessen an sachlicher Berichterstattung von Justiz und Verteidigung scheint mir angebracht. Im Einzelfall können die Auffassungen zwischen Justiz und Verteidigung, was eine sachliche und korrekte Berichterstattung sei, divergieren. Die Interessen sind wegen des unterschiedlichen Auftrags bisweilen gegenläufig. Um nochmals den Fall Carlos aufzugreifen, bevor ich Sie mit diesem Schwank aus meinem Anwaltsleben definitiv in Ruhe lasse: Die Zürcher Justiz hatte von allem Anfang an ein grosses Interesse, den abrupten Massnahmeabbruch und die Versetzung des Jugendlichen ins Gefängnis bzw. in eine geschlossene Anstalt als rechtskonform zu legitimieren. Die Zürcher Justiz versuchte mit allen Mitteln der PR-Kunst eine entsprechende Medienberichterstattung zu erwirken.106 Meine Zielsetzung als Verteidigung war, dass die Medien dieses Bild hinterfragten; es ging um eine Korrektur dieses von der Justiz kolportieren juristischen Bildes. Dies war der Grund, weshalb ich zum ersten und bisher einzigen Mal in meiner dreizehnjährigen Strafverteidigertätigkeit in einem Publikumsmedium einen Kommentar zu einem laufenden Fall verfasst habe.107 Das Bundesgericht taxierte das Vorgehen der Züricher Justiz nachträglich als eklatanten Verfassungsbruch.108 In diesem Fall war, so mein dialektischer Schlenker, das vermeintlich private Interesse objektiv rechtlich geboten, im 104 Jacob Stickelberger, Tabuverteidigung, in: Paul Baumgartner / René Schuhmacher (Hrsg.), Ungeliebte Diener des Rechts, Beiträge zur Strafverteidigung in der Schweiz, 1999, 68. 105 Zu Recht aus einer grund- und strafprozessrechtlichen Perspektive kritisch gegenüber der Internetfahndung: Ingrid Indermaur, Internetfahndung, forumpoenale 2013, 223 ff. 106 Dazu Ninck (Fn. 10). Kritisch zu dieser Medienarbeit der Justiz Welte (Fn. 4), S. 219 f. 107 Stephan Bernard, Warum sich „Carlos“ gegen seine Inhaftierung wehrt, NZZ am Sonntag vom 8. September 2013, 18 (Der externe Standpunkt). 108 Urteil des Bundesgerichts vom 18. Februar 2014 (6B_85/2014).

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öffentlichen Interesse, während das vermeintlich öffentliche Interesse der Zürcher Justiz sich sogar als verfassungswidrig erwies. Wer öffentliche und wer private Interessen vertritt, ist weniger eindeutig als gemeinhin angenommen. Erlauben Sie mir einen zweiten dialektischen Schlenker. Bedenkt man die traditionell hohe Hürde der bundesgerichtlichen Rechtsprechung um einen Verfassungsbruch festzustellen, hätte der Fall diametral entgegengesetzt ausgehen können. Das vorgebrachte öffentliche Interesse der Zürcher Justiz hätte vom Bundesgericht als verfassungskonform und das private Interesse des Beschwerdeführers als subjektiv verzerrt eingestuft werden können. Was das Bundesgericht als verfassungswidrig einstuft und was nicht, kann ich in meiner anwaltlichen Praxis nie ansatzweise sicher vorhersagen. Dies lässt sich nach meiner Ansicht auch nicht abstrakt als „eine einzige richtige Antwort“ im Sinne von Dworkin bestimmen.109 Die juristische Welt, die Welt juristischer Medienarbeit, sowie die öffentliche und mediale Wahrnehmung der juristischen Welten wären im Fall Carlos nicht kollabiert, wenn das Bundesgericht die Beschwerde abgewiesen hätte und die abrupte Versetzung ins Gefängnis als verfassungskonform eingestuft hätte. Die Zürcher Justiz stände bei umgekehrtem höchstrichterlichem Verdikt für sachliche Objektivität, der Verteidiger wäre als der vermeintlich polemische, einseitige Justizkritiker höchstrichterlich entlarvt zurückgeblieben. Jede Seite hätte das strafrechtliche Spiel in dem Einzelfall mit der Rolle beendet, mit welcher sie es begonnen hatte. Der Grat zwischen juristischen Wahrheiten und juristischer Scharlatanerie ist schmal; schmaler wohl als man denkt. Die Fallhöhe in der öffentlichen Wahrnehmung ist für alle Akteure, Strafverteidigung und Strafjustiz, beträchtlich, sobald traditionelle und soziale Medien auf den Plan treten. IV. Ein relativierender Schluss Beschäftigt sich ein Vortrag oder Essay mit dem Umgang der Strafverteidigung mit Medien, droht eine optische Täuschung: Die Wichtigkeit der Thematik für den praktizierenden Verteidiger wird schnell überschätzt. In medienträchtigen Fällen mag der nötige anwaltliche Aktionsradius zwar weiter sein als üblich. Neben den herkömmlichen Verteidigungsobliegenheiten ist auch der Umgang mit Medien als zusätzlicher Parameter zu beachten. Der Kern der Verteidigungsarbeit bleibt aber durch die über 30 Jahre bestehenden bundesgerichtlichen Vorgaben klar umrissen. Der Anwalt, und insbesondere der Strafverteidiger, ist nicht staatliches Organ und nicht Gehilfe des Richters, sondern einseitiger Verfechter von Parteiinteressen. Er hat einseitig für seinen Mandanten tätig zu sein.110 Dieser Obliegenheit sind alle anderen Erwägungen auch die der Medienarbeit unterzuordnen. Damit leistet der Anwalt – in den Worten des Rechts- und Sozialphilosophen Otfried Höffe vor dem Bernischen Anwaltsverein am 7. Juli 1985 – einen unverzichtbaren Beitrag zur 109 Ronald Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, 1984, 448 ff. 110 BGE 106 Ia 100, 105.

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konkreten Gerechtigkeit.111 Als Faustregel zur Konkretisierung dieser Aufgabe der anwaltlichen Medienarbeit genügt Zurückhaltung. In nahezu allen Alltagsfällen, und in der Tendenz auch in skandalisierten Fällen, sollte die Verteidigung im Gerichtssaal und nicht in den Medien plädieren.112 Der anwaltlichen Medienarbeit kommt bei Lichte betrachtet in Einzelfällen eine zentrale, im Grossen und Ganzen letztlich aber marginale Rolle zu. lic. iur. Stephan Bernard, LL. M., Rechtsanwalt, Mediator Advokatur Aussersihl, Hallwylstrasse 78, Postfach 8866, CH-8036 Zürich

111 Otfried Höffe, Soll der Philosoph König sein?, in: Der Staat braucht selbst ein Volk von Teufeln, Philosophische Versuche zur Rechts- und Staatsethik, 1988, 21. Ähnliche Aussagen finden sich auch in zahlreichen Stellen der strafprozessualen Literatur zu Verteidigungsfragen, statt vieler Stephan Barton, Mindeststandards der Strafverteidigung, 1994, 54. 112 Der Satz lehnt sich an eine Formulierung von Lorenz Erni an; zitiert nach Markus Gisler, Der gefragteste Einzelkämpfer, Weltwoche 17/2011, ; grundsätzlich gleicher Meinung Dahs (Fn. 30), 67 f.; Sommer (Fn. 7), 306.

III. Die Sicht der Medien bzw. Medienschaffenden und des Presserates

Mein Selbstverständnis als Justizkritiker Alex Baur

Vor ziemlich genau einem Jahr war ich letztmals beim Bundesstrafgericht, hier in Bellinzona, als Berichterstatter im Fall Dieter Behring. 12 Jahre hatte der mutmassliche Betrüger auf seinen Prozess gewartet. Ob Behring wirklich der einzige Schuldige und ob er überhaupt der Hauptschuldige ist im wohl grössten Betrugsfall, den die Schweiz je erlebt hat – ich bezweifle es, ich weiss es nicht. Ein rechtsgültiges Urteil liegt bis heute nicht vor, im Jahre 13 nach Behrings Verhaftung.1 12 Jahre von der Verhaftung bis zum Prozess. Sie müssen sich das plastisch vorstellen. 2004 wurde mein Enkel geboren, heute ist er ein Teenager. Nach einer so langen Zeit kann man kaum noch einen vernünftigen Prozess führen. Ich räume ein: ich hatte den Überblick über den Fall nicht. Aber ich glaube, den hatte überhaupt keiner mehr. Vielleicht wäre es ehrlicher gewesen, einfach zu kapitulieren. Ein juristischer Supergau. Aber die Justiz kann man nicht einfach herunterfahren wie ein AKW. Das Verrückte ist: Man kann nicht einmal einen Verantwortlichen benennen. Irgendwie hat das ganze System versagt. Irgendwie irgendwo. Das Bedrückendste aber an der ganzen Geschichte war für mich jedoch die Gleichgültigkeit, mit dem man das Generalversagen der Justiz hingenommen hat. Nach dem Supergau Behring ging kein Ruck durchs Land. Es gab keinen Aufschrei, keine dringlichen Interpellationen oder Sonderkommissionen, keine Proteste. Dumm gelaufen, Schwamm drüber. Behring ist ein Extremfall, aber er ist kein Einzelfall. Wir erinnern uns an den Fall Hells Angels – Freisprüche und irgendwelche bedingte Warnstrafen in Nebenpunkten nach acht Jahren. Den Fall Holenweger – Freispruch, acht Jahre nachdem das Verfahren seine Bank ruiniert hatte. Den Fall des vermeintlichen Mafiosi Dario P.: Freispruch nach 12 Jahren Ermittlungen der Bundesanwaltschaft, 3 Jahre U-Haft inklusive. Seit 9 Monaten wartet Dario P. auf die schriftliche Urteilsbegründung, noch ist nicht entschieden, ob der Fall ans Bundesgericht weiter geht. Und solche Desaster fabriziert nicht nur der Bund. In Champs Dollon schmort Erwin Sperisen seit fünf Jahren in Untersuchungshaft – ohne rechtskräftiges Urteil.

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Im August 2018 hat das Bundesgericht die Verurteilung von Dieter Behring durch das Bundesstrafgericht zu einer Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren bestätigt; da Behring im März 2019 verstarb, konnte die Strafe aber nicht mehr vollzogen werden.

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23 Stunden am Tag in einer 9 Quadratmeter kleinen Zelle.2 Grundlage der vorinstanzlichen Verurteilung sind Aussagen von Kronzeugen, die nur so gespickt sind mit Widersprüchen. Aussagen, die nie zugelassen worden wären, wären sie in der Schweiz erhoben worden. Als damaliger Polizeichef von Guatemala soll Erwin Sperisen 2006 irgendwie in eine Verschwörung verwickelt gewesen sein, die zum Tod von sieben Gefängnisinsassen führte – was er wann genau getan haben soll, steht nicht in der Anklageschrift und auch nicht in den vorinstanzlichen Urteilen. Das Verfahren wurde in Guatemala geführt, unter Umständen, die wir nicht kennen. Nur so viel: Die guatemaltekische Sonderermittlerin Gisela Rivera wurde inzwischen zur Verhaftung ausgeschrieben, wegen Begünstigung und Nötigung von Zeugen. Sie ist flüchtig. Mit dem Fall Sperisen wollte der Genfer Generalstaatsanwalt Yves Bertossa der Weltöffentlichkeit einst zeigen, wie man Justiz macht. Inzwischen ist die Lage für die Genfer ziemlich prekär geworden. Sämtliche vermeintlichen Mitverschwörer von Sperisen – seine Vorgesetzten und seine Untergebenen – sie wurden allesamt freigesprochen, in Österreich, Spanien und Guatemala. Die spanischen Richter haben den wichtigsten Kronzeugen buchstäblich in der Luft zerrissen. Erwin Sperisen müsste sich mit sich selber verschworen haben. Über eine Schizophrenie ist aber nichts bekannt. Seit bald zwei Jahren ruht der Fall Sperisen nun unerledigt beim Bundesgericht. Bei einem Freispruch wird eine Genugtuung in Millionenhöhe fällig. Das wäre eine ungeheuerliche Schmach für die Justiz. Oder aber man verurteilt Sperisen nach dem Motto „Augen zu und durch“ zu einer langjährigen Freiheitsstrafe und nimmt damit ein Justizverbrechen billigend in Kauf. Dazwischen ist nichts. Ich räume ein: Beide Alternativen sind unattraktiv. Verständlich, dass man den Fall vor sich herschiebt wie eine heisse Kartoffel – aber trotzdem unverzeihlich. Mit Juristerei hat das nicht mehr viel zu tun. Das Bundesgericht hat letztes Jahr den Polizisten Roger Bobillier klipp und klar vom Vorwurf entlastet, einen Randständigen gefoltert und verprügelt zu haben. Leider kommt der Freispruch fünf Jahre zu spät. Dabei waren die Anschuldigungen von allem Anfang an so widersprüchlich wie abstrus; es gab weder Beweise noch Zeugen; das geisteskranke falsche Opfer hatte schon früher Polizisten zu Unrecht angeschuldigt. Trotzdem verlor Polizist Bobillier seinen Job. Fünf Jahre trölerte die Zürcher Justiz an diesem Fall herum, bis das Bundesgericht dem Trauerspiel ein Ende setzte. Die Existenz des Familienvaters ist trotzdem ruiniert, Freispruch hin oder her. Ich könnte Ihnen noch einige derartige Fälle nennen, die ich in meiner bald 30jährigen Tätigkeit als Gerichtsreporter mitverfolgt habe – und die mein Vertrauen in die Justiz doch erheblich beschädigt haben. Sie mögen mir erwidern: Es ging zwar lang, zu 2

Im Sommer 2017 hob das Bundesgericht den Genfer Schuldspruch gegen Erwin Sperisen wegen schwerwiegender Verfahrensmängel auf und wies den Fall zur Neubeurteilung ans Genfer Kantonsgericht zurück; wenig später musste auf Anordnung des Bundesgerichtes auch die Untersuchungshaft aufgehoben werden. Am 27. April 2018 verurteilte die Berufungskammer des Genfer Kantonsgerichts Erwin Sperisen wegen Beihilfe zum Mord zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren. Sperisen zog dieses Urteil ans Bundesgericht weiter. Bei Redaktionsschluss lag noch kein Entscheid aus Lausanne vor. Sämtliche Freisprüche des vermeintlichen Haupttäters bzw. dessen Komplizen in Spanien, Österreich und Guatemala sind mittlerweile rechtskräftig.

Mein Selbstverständnis als Justizkritiker

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lang, aber am Ende obsiegte das Recht; 95 Prozent der Gerichtsfälle werden innerhalb eines Jahres erledigt. Und ich antworte ihnen: Selbst wenn die Justiz zu 99 Prozent gut funktionieren würde, so frage ich Sie doch: würden Sie noch in ein Flugzeug steigen, wenn sie wüssten, dass einer von hundert Flügen mit einer Bruchlandung endet? Würden Sie noch in ein Restaurant essen, wenn Sie wüssten, dass eine von hundert Malzeiten zu einer Lebensmittelvergiftung führt? Auf Flüge und Restaurants, meine Damen und Herren, können sie verzichten. Ob sie angeklagt werden oder nicht, das entscheiden andere. Ich weiss, unsere Justiz hat nach wie vor einen recht guten Ruf. Man vertraut Ihnen. Noch. Doch mit dem Vertrauen ist es so eine Sache. Wenn es mal dahin ist, dann Gnad Gott. Und Vertrauen kann man auch zerstören, indem man Schwächen und Fehler versteckt oder schönredet. Lieber einmal zu viel und zu heftig kritisieren statt einmal zu wenig und zu sanft. Darum geht es bei der Justizkritik. Wie einige vielleicht wissen, habe ich einen guten Teil meines Lebens in Südamerika verbracht. Und ich kenne übrigens die guatemaltekische Justiz sehr gut. Ich weiss, wie sich systematische Willkür, Korruption und Unrecht anfühlen. Umso wichtiger ist mir der Rechtsstaat. Ich hüte mich davor, unsere Justiz leichtfertig schlechtzureden. Ich weiss auch: wir klagen auf hohem Niveau. Und trotzdem habe ich das schreckliche Gefühl: unsere Justiz entwickelt sich nicht zum Besseren. Sondern im Gegenteil, zum Schlechteren. Die erwähnten Fälle – alle jüngeren Datums notabene – zeigen mir eindrücklich, dass wir mehr als nur ein paar Problemchen mit den Fristen haben. Und wenn man das alles einfach so gelassen hinnimmt, so heisst das: unsere Justiz leidet auch an einem eklatanten Mangel an Kritik – und zwar an scharfer und leidenschaftlicher Kritik, an Kritik von aussen. Woran liegt es? – Wenn ich auf die letzten 30 Jahre zurückblicke, stelle ich fest: Die Verfahren sind nicht nur länger geworden, sondern auch viel komplizierter. Gleichzeitig ist es schwieriger geworden, die Schwächen in diesem zusehends kafkaesken System orten. Rechtsmittel, aber auch etwa die Beteiligung von Mitangeschuldigten und Opfern wurden ausgebaut. An sich ein nobles Anliegen: Der Rechtsunterworfene soll besser geschützt werden. Was dabei vergessen ging: Jedes Rechtsmittel macht das System noch schwerfälliger. Rechtsmittel entlasten die einzelnen Juristen aber auch von der Verantwortung. Bis sich irgendwann keiner mehr verantwortlich fühlt. Dazu ein Beispiel. Ein paar Jahre nach der Einführung des Haftrichters im Kanton Zürich zeigte eine Erhebung, dass die Zahl der Haftfälle und die Haftdauer nicht etwa zurückgegangen waren – beides hatte zugenommen. Die Erklärung: Den Staatsanwälten – damals noch Bezirksanwälte – fiel es nun leichter, mal präventiv eine Haft zu beantragen – schliesslich trugen andere die Verantwortung – und die Haftrichter entschieden sich im Zweifel für die Haft – sonst konnte man sie ja verantwortlich machen, wenn mal etwas schief ging. Niemand entscheidet abschliessend, alles kann angefochten werden – und alle sind sie damit fein aus der Verantwortung raus. Zweitens hat sich der Trend weg vom öffentlichen Prozess hin zur Kabinettsjustiz verschärft. Ich hatte noch das Privileg, über Geschworenenprozesse zu berichten, die es ja heute leider nicht mehr gibt. Das Unmittelbarkeitsverfahren mit den Geschwo-

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renen – eine Errungenschaft der französischen Revolution übrigens – war und bleibt für mich die höchste Form der Rechtsprechung, eine Versöhnung von akademischer Juristerei und Volk. Und ich habe nie ein Urteil erlebt, das mich nicht überzeugte. Auch dazu gibt es übrigens eine erhellende Statistik: Urteile des Zürcher Geschworenengerichts wurden von Kassations- und Bundesgericht viel seltener aufgehoben als jene des Obergerichtes. Welch’ ein Kontrast zu den heutigen Gerichten, die sich hinter Sicherheitsschleusen und Panzerglas verbunkern. Diese Trutzburgen stehen sinnbildlich für eine Justiz, die sich von der real existierenden Erde zusehends entfremdet hat. Ich frage Sie: Was ist passiert, dass Sie sich derart einbunkern? Haben Sie etwa Angst vor dem Volk, in dessen Namen Sie richten? Was haben Sie zu verbergen? Sie werden antworten: Noch ist nichts passiert, aber wenn mal etwas passieren würde, dann würde man uns vorwerfen, keine Vorkehrungen getroffen zu haben. Und ich entgegne ihnen: Vielleicht – aber Sie haben die Kehrseite des Bunkers übersehen, die verheerende Aussenwirkung. Es gibt noch einen weiteren Grund, warum ich Gerichtssäle heute wenn möglich meide. Die öffentliche Hauptverhandlung ist in vielen Fällen zur protokollarischen Pflichtübung verkommen. Was heute in den meisten Gerichtssälen gespielt wird, hat nur noch am Rande mit einem dynamischen Prozess zu tun. Wer sich als Berichterstatter nicht mit einer Partei verbündet, um an die Akten zu kommen – an sich ein No-Go für einen Journalisten – der hat keine Chance, sich selber ein Bild zu machen. Und dann gibt es ja noch das abgekürzte Verfahren. Das einzige Ehrliche an diesen Geheimverfahren ist, dass man sich nicht einmal mehr die Mühe nimmt, eine Öffentlichkeit vorzugaukeln. Diskretion und Strafrabatt sind die Daumenschrauben, mit denen man heute einen Verdächtigten zum Geständnis drängt. Dass sich einer auch mal mit einem falschen Geständnis aus der Affäre zieht, wird billigend in Kauf genommen. Es kann auch ein fauler Deal sein. Weil der Deal geheim ist, wird sich keiner daran aufhalten. Es gibt in solchen Fällen auch keinen Weiterzug an eine Oberinstanz. Als Ergänzung mit hohem Erpressungspotential hat man sodann noch den Art. 53 StGB ins System eingebaut. Dieser erlaubt es Gutbetuchten, sich diskret von Schuld und Strafe freizukaufen. Und alles bleibt geheim. Ehrlicherweise muss ich einräumen, dass auch die Medien nicht besser geworden sind in diesen drei Jahrzehnten, in denen ich mich mit der Strafjustiz befasst habe. Vollberufliche Gerichtsreporter sind rar geworden, die klassische Gerichtsreportage ist ein aussterbendes Genre. Nun könnten wir die Frage nach dem Huhn und dem Ei stellen: Haben sich die Journalisten von der Justiz abgewandt, weil sich diese zusehends in ihren Kabinetten eingebunkert hat – oder hat sich die Justiz von der Öffentlichkeit abgewandt, weil sich diese höchstens noch für ein paar spektakuläre Fälle interessiert? Was wir festhalten können: Im gleichen Mass wie die Justiz komplizierter und schwerfälliger geworden ist, sind die Medien schneller und flüchtiger geworden. Bis ein grosser Fall endlich vor Gericht kommt, ist das öffentliche Interesse längst anderswo. Dann ist die Geschichte längst erzählt, sind die Meinungen längst gemacht und gefestigt – je nach Quellenlage natürlich einseitig, und oft auch fehlerhaft. Das ist unbefriedigend, für beide Seiten. Die Glaubwürdigkeit leidet, auf beiden Seiten.

Mein Selbstverständnis als Justizkritiker

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Juristen und Journalisten ticken völlig verschieden. Das muss so sein. Was Sie als juristische Feinkost entzücken mag, ist für mein Publikum ungeniessbares Juristenfutter. Es schadet natürlich nichts, wenn ich Ihr Handwerk etwas kenne. Meine Hauptaufgabe ist ja die Berichterstattung: Verständlich zu machen wie die Justiz entscheidet. Doch die Richtschnur für meine Berichte ist der Common Sense, die subjektiv empfundene Gerechtigkeit. Als Juristen suchen Sie nach objektiven Kriterien, Sie orientieren sich am Gesetz, an Praxis und Lehre. Beides hat seine Berechtigung. Es gibt keine Gerechtigkeit ohne Recht – aber vergessen sie bitte nicht: es gibt auch kein Recht ohne Gerechtigkeit. Auf unsere Rollen übertragen bedeutet das: So verschieden unsere Aufgaben auch sein mögen, so eng sind sie miteinander verknüpft. Eine Justiz, die sich dem Volk nicht mehr erklären kann, hat ihre raison d’être verloren. Der Gerichtsreporter steht gleichsam als Vermittler zwischen Volk und Justiz. Ich bin der Übersetzer, der die Justiz der Allgemeinheit vermitteln soll. Zugleich sehe ich mich aber auch als Vertreter der Allgemeinheit, der juristische Vorgänge aus der Optik der Allgemeinheit, also am Common Sense, misst und kritisiert. Und ich masse mir diese Funktion an, in die mich niemand gewählt hat, weil mein „Urteil“ nicht durchsetzbar ist. Am Ende entscheidet der Leser, wer Recht hat. Ich komme damit – dem Finale zustrebend – auf die eingangs erwähnten Extremfälle zurück: Behring, Hells Angels, Holenweger, der grosse Polizeichef Sperisen und der kleine Polizist Bobillier. Ich messe die Fälle am Resultat – die juristische Begründung ist für mich Beigemüse. Ich zweifle nicht daran, dass die meisten Juristen, die an diesen Fällen beteiligt waren, nur das Gute wollten. Aber vergessen wir nie: Gut gemeint ist niemals gut genug. Am Ende zählt allein das Resultat. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Das Bieler Regionalgericht verurteilte kürzlich einen Automobilisten wegen fahrlässiger Tötung, weil er in der Nacht auf der Autobahn eine Frau überrollt hatte, die sich in suizidaler Absicht und in dunkler Kleidung auf die Fahrbahn gelegt hatte. Das Gericht verwies auf das Gesetz: Jeder Lenker muss so fahren, dass er jederzeit anhalten kann – und das hatte der Angeklagte, der zwar korrekt mit 100 km/h unterwegs war, offenbar nicht getan. Juristisch mag der Schuldspruch korrekt sein. Doch der gesunde Menschenverstand rebelliert. Das Resultat ist stossend. Solche Resultate sagen mir: Es ist höchste Zeit, dass sich die Juristen wieder auf das Wesentliche zurückbesinnen. Als Bürger und Kunde erwarte ich von der Justiz nur zwei Dinge: Rechtsfrieden und Rechtssicherheit. Ich erwarte von der Justiz, dass sie Konflikte schlichtet – zügig, nachvollziehbar und überzeugend. Ich erwarte von der Justiz, dass sie Gesetzesbrecher bestraft, aus einem einzigen Grund: weil die Menschen sonst zum Faustrecht greifen würden. Nichts anderes. Ich erwarte von der Justiz, dass Sie uns allen den Alltag erleichtert, indem sie die Gesetze so auslegt, dass jeder vernünftige Mensch die Regeln verstehen und sich danach richten kann. Nicht mehr und nicht weniger. Juristen und Journalisten haben etwas gemein: Beide stehen wir im Dienste der Allgemeinheit; und damit wir unsere Aufgabe erfüllen können, müssen wir unabhängig sein. Aber wir sind nicht frei. Journalisten und Juristen kontrollieren sich gegenseitig. Medienopfer können sich an die Justiz wenden – für Justizopfer ist der Gang an die Öf-

fentlichkeit die letzte Instanz. Gerichte sind oft lästig für Journalisten, Journalisten sind oft lästig für die Gerichte. Doch wir brauchen uns gegenseitig. Ich möchte diesen kleinen Vortrag mit einer kleinen Analogie beschliessen. Ich hatte einst ein schönes, klassisches britisches Motorrad, das ständig etwas Öl verlor. Ich fragte meinen Mechaniker, ob man nicht etwas dagegen unternehmen müsste – er antwortete mir: „Das Gute ist nie perfekt, wirklich Sorgen muss man sich erst machen, wenn kein Öl mehr raustropft – dann ist nämlich keines mehr drin“. So ist es mit der Justizkritik: wirklich gefährlich wird es, wenn die Justiz nicht mehr kritisiert wird. Denn dann nähme man die Gerichte nicht mehr wahr. Und das wäre die schlimmstmögliche Wende. Alex Baur Die Weltwoche, Förrlibuckstrasse 70, CH-8021 Zürich

Justizberichterstattung und das Verständnis der Öffentlichkeit für die Institutionen und Prinzipien des Rechtsstaats Claudia Schoch Zeller

Beim Thema „Justizberichterstattung“ denkt jedermann zunächst an die Gerichtsberichterstattung. Sie ist für die Justizbehörden die unmittelbarste journalistische Form. Ich will mich auch auf sie konzentrieren, werde mir aber erlauben, den Blickwinkel gegen Ende des Beitrags etwas zu öffnen, und zwar auf die Berichterstattung über den Rechtsstaat und über Fragen der Rechtsverwirklichung in der Demokratie. Zunächst zur Gerichtsberichterstattung. Sie erzählt zu einem grossen Teil Geschichten, die das Leben schrieb. Dies ist besonders der Fall bei der Berichterstattung über die Verfahren vor den ersten Instanzen. Im Vordergrund und wohl auch am häufigsten sind dabei Berichterstattungen über Straffälle. Die Berichterstattung in den Medien über zivilrechtliche Verfahren oder Verwaltungsverfahren fristen leider ein Mauerblümchendasein, obwohl ihre Bedeutung für die Gesellschaft nicht zu unterschätzen ist. Besonders anschaulich waren natürlich Berichte über Verfahren vor Geschworenengericht mit ihrer umfassenden Gerichtsunmittelbarkeit, die es aber seit der Einführung der eidgenössischen Strafprozessordnung im eigentlichen Sinne nicht mehr gibt. Das Tessin hat als einziger Kanton das Geschworenengericht beibehalten. Viele Journalisten sprechen von Gerichtsreportern statt von „blossen“ Gerichtsberichterstattern. Das ist bezeichnend. Sie verstehen ihre Aufgabe nicht allein in der Berichterstattung, auch nicht allein in der kritischen Darstellung des Prozessverlaufs. Sie stellen vielmehr erweiterte Ansprüche an sich und wollen eigene Recherchen anstellen. Manchmal versuchen sie auch, der Wahrheitsfindung des Gerichts vorzugreifen oder gar jener des Gerichts eine eigene Wahrheit gegenüberzustellen. Solches Bestreben ist insbesondere bei Verfahren zu beobachten, die in der Öffentlichkeit grossen Wiederhall finden und länger dauern. Zu erinnern ist etwa an den Prozess gegen den bekannten Fernseh-Wettermoderator Jörg Kachelmann vor einigen Jahren in Deutschland. Im Anschluss an das Verfahren stand auch die Gerichtsberichterstattung in der Kritik. Einzelne Verlagshäuser mussten später Entschädigungen an Kachelmann bezahlen.

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I. Auf der Suche nach Lesestoff – mehr als blosse Berichterstattung Norbert Leppert (*1945), der frühere Gerichtsreporter der Frankfurter Rundschau, meinte 2009 in einem Aufsatz zur Gerichtsberichterstattung in der Internationalen Zeitschrift für Journalismus, dass die Gerichtsreporter den Richtern oft wie bunte Vögel erscheinen dürften, die von Gerichtssaal zu Gerichtsaal hüpfen, immer auf der Suche nach Futter, nach Lesestoff.1 Die Berichte über Gerichtsverfahren müssen heute, wie andere Texte auch, Aufmerksamkeit wecken beziehungsweise Leser, Nutzer und Quoten generieren. Das fordern die wirtschaftlichen Gegebenheiten und der harte Konkurrenzkampf, dem die heutigen Medien ausgesetzt sind. Insbesondere Wochenzeitungen und überregionale Zeitungen erwarten, wie bereits Leppert feststellte, mehr von ihren Journalisten als die Wiedergabe des Prozessverlaufs, mehr als reine Berichterstattung. Sie fordern eine kritische Gerichtsreportage, Features. Das bedeutet eine lebendig gestaltete Gerichts- oder Prozess-Reportage, womit man sich von der Konkurrenz unterscheidet. Dazu müssen Journalisten etwa nach der Vorgeschichte des Prozesses fragen. Sie beschreiben, wie einzelne Verfahrensbeteiligte einzuschätzen sind. Hat die Staatsanwaltschaft sauber ermittelt, oder droht die Anklage ins Wanken zu geraten? Wer sind die Beschuldigten, welche Charakterzüge weisen sie auf? Werden sie von ihren Anwälten engagiert vertreten, oder haben sie einen desinteressiert wirkenden Pflichtverteidiger an ihrer Seite? Sind die Zeugen um präzise Angaben bemüht, oder nehmen sie es mit der Wahrheit nicht so genau? Wirkt der Richter unvoreingenommen, oder lässt der Gang seiner Beweisaufnahme darauf schließen, dass er sich längst sein Urteil gebildet hat? Das sind Fragen, die sich Journalisten, wie Leppert schreibt, zu stellen hätten. Dabei werden teilweise kommentierende Ausführungen mit Stimmungsbildern aus dem Gerichtssaal vermischt, Argumente und Analysen mit atmosphärischen Schilderungen angereichert. II. Richter – Gerichtsreporter, ein delikates Verhältnis Die Gerichtsberichterstattung berührt das Verhältnis zwischen Richterschaft und Gerichtsreportern unmittelbar und irritiert unter Umständen auch. Dieses Verhältnis ist ein delikates. Es wird umso konfliktreicher, je mehr der Journalist von der Wiedergabe des Prozessverlaufes abrückt und ergänzende Recherchen anfügt sowie Kommentare einfliessen lässt. Durch eine in dieser Art gestaltete Berichterstattung beziehungsweise präsentierte Reportage über den Prozess sehen sich die Richter nicht selten falsch verstanden beziehungsweise ihre Arbeit falsch interpretiert. Ähnlich empfinden je nach Situation auch die Anwälte und ärgern sich etwa darüber, dass ihre Eingaben von den Journalisten nicht oder falsch gewürdigt werden. 1

Norbert Leppert, Gerichtsberichterstattung – Der Sündenbock, Internationale Zeitschrift für Journalismus – Message 2/2009.

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Gerichtsreportagen während eines Prozesses bergen die Gefahr, dass sie auf den Gang der Justiz Einfluss nehmen. Dies kann selbst der Fall sein, ohne dass es vom Journalisten beabsichtigt ist. Zeugen schildern nicht mehr unbefangen die eigenen Wahrnehmungen, sondern vermischen diese mit in der Zeitung oder in andern Medien Gelesenem oder Gehörtem. Richter sehen sich mit den in der Öffentlichkeit aufgebauten Erwartungshaltungen konfrontiert. Es braucht je nach Situation eine rechte Portion Standfestigkeit, sich davon – auch unbewusst – nicht beeinflussen zu lassen. Das beschriebene Selbstverständnis und Verhalten der Gerichtsberichterstatter wirft Fragen auf. Was ist ihre Aufgabe? Was ihre Rolle? Je nach Situation und Zeitgeist wurde die Arbeit der Gerichtsberichterstatter denn auch von Richtern, Anwälten und andern Juristen kritisch hinterfragt. Denn Juristen und insbesondere Richter haben, wie erwähnt, eine andere Erwartung an die Gerichtsberichterstattung als Journalisten beziehungsweise ihre Redaktionen und allenfalls auch als der Leser, Zuhörer und Zuschauer oder in jüngster Zeit der Nutzer. Journalisten verstehen ihre Arbeit anders als von Juristen oft gewünscht. Sie wollen aktuell berichten und nicht abwarten, bis ein Verfahren abgeschlossen ist. Sie sind zwar in der Regel bereit, darauf zu achten, ein Verfahren nicht zu beeinflussen. Sie wehren sich aber, sich in welcher Form auch immer als Teilhalber oder Beteiligte eines Verfahrens zu verstehen. Das sind sie auch nicht, obwohl ihre Arbeit Einfluss auf die Wahrnehmung eines Verfahrens in der Öffentlichkeit haben kann. Welchem Geist sollen die Gerichtsreporter also folgen? Welche Ziele haben sie zu verfolgen? Welche Aufgabe haben sie insbesondere in der freiheitlich liberalen Demokratie wahrzunehmen, namentlich in der halbdirekten Demokratie der Schweiz? In Diktaturen wurden nicht nur die Medien durch eine staatstreue Justiz unter Druck gesetzt. Es gibt und gab auch den umgekehrten Fall, dass versucht wird oder wurde, über eine willfährige Presse nicht ganz so gefügige Richter zur Raison zu bringen. Dies war etwa zur Zeit der Nationalsozialisten in Deutschland der Fall. Als es zu Beginn der Diktatur unter rasch angepassten Richtern auch noch solche gab, die sich nicht ganz so rasch gleichschalten liessen und die versuchten, eine gewisse Unabhängigkeit zu wahren. Doch auch später kritisierte die NS-Presse die NS-Richterschaft immer wieder, worauf die inzwischen nazitreuen Gerichte die Aussprache suchten, um Verständnis bei der Presse zu finden, aber auch um die Berichterstatter aufzuklären, worum es geht. Mit etwas Beklemmung beschleicht einen der Verdacht, dass auch heute noch manch einer in der Justiz Tätige gerne den Journalisten einmal beibrächte, worum es geht. Dabei ist man sich aber selbstverständlich der grundlegenden Bedeutung unabhängiger Medien und auch der verfassungsmässig garantierten Medienfreiheit bewusst, weshalb man es doch lieber unterlässt, Medienschaffende auf Kurs zu bringen und sich auf Medieninformation beschränkt. An sich sollten freilich ein klar geführtes Verfahren und ein einleuchtend begründetes Urteil genügen, damit Medienschaffende korrekt berichten können. Doch leider nehmen sich oder können sich viele Berichterstatter die Zeit für eine aufmerksame Beobachtung eines Verfahrens heute nicht mehr nehmen. Damit wächst der Bedarf nach Medieninformation durch die Gerichte.

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III. Nicht vierte Macht im Staat – sondern gesellschaftliche Kraft Doch sind sich die Journalisten ihrer Rolle und Funktion sowie Verantwortung auch bewusst? Oft bezeichnen sie sich als vierte Gewalt im Staat, die über allem wacht. Sie können sich damit vermeintlich auf namhafte Autoren wie Edmund Burke oder den ehemaligen amerikanischen Richter am Supreme Court Potter Stewart berufen.2 Darin wie manche Medien sich heute freilich als vierte Gewalt im Staat sehen wollen, liegt auch eine Anmassung. Denn die Medien wären die einzige Macht in unserem Staat, der jegliche demokratische Legitimation abgeht. Die Medien sind vielmehr als gesellschaftliche Kraft zu verstehen, der allerdings einige nicht zu unterschätzende informale Macht zukommt. Sie sind wie Daniel Thürer schreibt, „zu Gesellschaft und Staat vielfältig und intensiv durchdringenden, prägenden Faktoren des öffentlichen Lebens geworden“.3 Die Medien machen unter anderem die Abläufe und das Funktionieren von Politik, Verwaltung, Regierung und eben auch der Justiz öffentlich, stellen dar, analysieren, hinterfragen und bewerten. Medien setzen Bürger ins Bild und eröffnen Plattformen zur allgemeinen Diskussion. Durch die Medienfreiheit und eine Medienvielfalt – durch die Konkurrenz unter einander garantiert – soll die Meinungsbildung möglichst offen erfolgen können. Freilich unter dem Trend zur Konzernbildung schwindet die Konkurrenz. In vielen mittelgrossen Agglomerationen sind Medienunternehmen mit annähender Monopolstellung entstanden. Damit spielen das Korrektiv und die Begrenzung der Einflussnahme durch den Wettbewerb nur noch beschränkt. Als „ausgleichende“ Konkurrenten stehen sich zunehmend nur noch die öffentlich-rechtlichen Veranstalter mit ihren Regionalprogrammen und die Medienkonzerne mit ihren regionalen Produkten gegenüber. Das Bundesgericht hat in einem Entscheid vom Februar 2017 die zentrale rechtsstaatliche und demokratische Bedeutung der Medien hervorgehoben. Die Gerichtsberichterstatter nehmen, hält es fest, eine wichtige Brückenfunktion wahr, „weil sie der Öffentlichkeit Einblicke in die Justiztätigkeit eröffnen und diese über die geltende Rechtswirklichkeit orientieren“. Die Kontrolle staatlichen Handelns, welche durch das Öffentlichkeitsprinzip für Gerichtsverfahren etwa ermöglicht wird, dient laut Bundesgericht sowohl den Verfahrensbeteiligten als auch der Öffentlichkeit. Das Bundesgericht erblickt in der Anwesenheit des Publikums und namentlich auch der Medien eine gewisse Gewähr für korrektes und gesetzmässiges staatliches Handeln.4 Eine ganz besondere Rolle kommt den Medien sodann zu, wenn übergeordnete Instanzen über den staatlichen Institutionen fehlen, an welche Beschwerde geführt werden könnte oder die zur Aufsicht berufen wären. Dies ist etwa bei den obersten Gerichten, namentlich dem Bundesgericht, der Fall. Über sein Tun wacht letztlich, abgesehen von der Beschwerdemöglichkeit an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg, nur die öffentliche Meinung. Die Medien sind hier Mittler und eine Art 2 3 4

Daniel Thürer, Justiz und Medien, in: ders., Kosmopolitisches Staatsrecht, 2005, 107 ff. Thürer, a. a. O., 125. Bundesgerichtsentscheid vom 22. Februar 2017, 1B_349/2016, 1B_350/2016 E. 3.1.

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Fermenter. Sie setzen in Kenntnis, sollen aber auch kritisch problematische Ergebnisse, Widersprüche oder Fehlleistungen aufdecken und diskutieren. Manche Journalisten machen allerdings den Anschein, stets allein auf der Lauer nach einem Justizskandal zu sein und unterlassen es, genau hinzuschauen, was im Gerichtssaal wirklich vor sich geht, und die geltende Rechtslage darzustellen. Es sei dahin gestellt, ob aus Desinteresse, Unkenntnis oder gar politischem Kalkül. IV. Ärger über Journalisten hat Tradition Der Ärger über Journalisten und die Klage, es fehlten bei ihnen die erforderlichen Kenntnisse, hat freilich Tradition. Über die grossen Vorbilder der Gerichtberichterstattung Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky oder Stefan Zweig ärgerten sich bereits die Richter der Weimarer Republik. Die Richter standen damals stark in der Kritik. Ihnen wurde in der jungen deutschen Republik zu Beginn der zwanziger Jahre von eher linksstehenden Journalisten und Literaten vorgehalten, republikfeindliche Entscheide zu fällen und einer Klassenjustiz Vorschub zu leisten.5 Der promovierte Jurist Tucholsky soll ihnen 1921 unter dem Eindruck der allgemeinen Nachsicht mit den Mördern von Carl Liebknecht und Rosa Luxemburg etwa vorgeworfen haben, sie fällten den Rechtsspruch nach Stand und Rang. Die Richter sollen laut Ralph Angermund in seinem Werk zur deutschen Richterschaft zwischen 1919 und 1945 auf die damalige Kritik mit grosser Empfindlichkeit reagiert haben. Allerdings müsse man einräumen, meint Angermund, dass gewisse Gerichtsberichterstattungen geradezu reisserisch gewesen seien. Die Richter fühlten sich einer diffamierenden Berichterstattung ausgesetzt, insbesondere von der sogenannten Linkspresse und „Revolverblättern“, heute würden wir Boulevardmedien sagen.6 Kritik an Gerichtsurteilen zu üben galt damals als schwere Schädigung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Justiz und damit als Gefährdung der staatlichen Autorität. Auf dem Deutschen Richtertag von 1925 verlangte man Massnahmen zur Förderung einer sachlichen Presse, einer Presse, welche die Autorität der Richter und die Interessen des Staates respektieren und stützen sollte. Richter beklagten laut Ralph Angermund eine vom „Parteigeist“ getrübte Berichterstattung. Es wurde gar ein „Richterschutzgesetz“ gefordert, das selbst jede Kritik an richterlichen Entscheiden unter Strafe stellen sollte.7

5 6 7

Ralph Angermund, Deutsche Richterschaft 1919–1945, 1990, 26. Angermund, a. a. O., S. 27. Angermund, a. a. O., S. 26 f.

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V. Kritik setzt Kenntnisse voraus Und heute? Autoritäten und so auch die Richter haben in der rechtsstaatlichen Demokratie gelernt, mit Kritik zu leben und sie zu akzeptieren. Die Klagen sind aber geblieben. Man wünscht sich auch heute noch oft mehr Sachlichkeit und mehr juristischen Sachverstand von den Gerichtsreportern. Tatsächlich: Kritik setzt Kenntnis voraus. Wenn ein Berichterstatter einer namhaften Zeitung, wie im Swissair/SAirGroup-Prozess vor zehn Jahren geschehen, nach einem langen Prozesstag in seinem Bericht meinte, der Richter habe wiederum ungeachtet der Antworten seinen wohl über hundert Fragen umfassenden Katalog verlesen, wobei bisweilen der Eindruck einer Überforderung des Gerichts entstanden sei, es fehlten anknüpfende, vertiefende Fragen, dafür sei offensichtlich bereits à fond Erklärtes nochmals versucht worden zu erfragen, zeugt dies nicht von allzu grosser Kenntnis über das Beweisverfahren. Dieses wird nach Schweizer beziehungsweise damals Zürcher Prozessrecht nämlich vornehmlich von der Staatsanwaltschaft durchgeführt. Nicht alle berühmten Gerichtsberichterstatter hatten wie Kurt Tucholsky in Jura promoviert, aber die meisten hatten sich, wie etwa Gerhard Mauz, der legendäre Spiegel-Reporter zwischen 1964 und 1990, juristische Kenntnisse angeeignet. Auch der Neuen Zürcher Zeitung, die seit 1913 einen speziellen Korrespondenten für das Bundesgericht in Lausanne beschäftigt, war eine fachlich fundierte Berichterstattung wichtig. Zu erinnern ist etwa an die Korrespondenten Roberto Bernhard und Markus Felber, beide ausgebildete Juristen. Für journalistische Berichte über Verfahren vor den unteren Gerichtsinstanzen sind juristische Kenntnisse zwar nicht von ganz so grundlegender Bedeutung wie für eine gute Berichterstattung vor oberen Instanzen. Denn vor erster Instanz geht es oft auch darum, mit gesundem Menschenverstand zu beschreiben, was passiert ist, wie der Beschuldigte zum Täter wurde. Es werden Geschichten erzählt, die das Leben schrieb. Dabei werden allenfalls auch gesellschaftliche Umstände dargetan. Die rechtliche Seite des Verfahrens, etwa ob und wie Zeugen und andere Beweise die Tat untermauern und mit welchen rechtlichen Überlegungen die Richter zu ihrem Urteil gelangen, sind für die Berichterstattung oft eher nebensächlich. Der Journalist ist dabei weitgehend in der Rolle des kritisch beobachtenden Bürgers. Begibt er sich freilich auf das juristische Glatteis, sollte er seine allfälligen Grenzen bezüglich seiner juristischen Urteilskraft kennen und beachten. Leider ist dies nicht immer der Fall. Äussern sich Journalisten in ihren Berichten zu Verfahren vor erster Instanz zur Rechtslage oder stellen sie Fragen und verweisen sie auf eine gesellschaftliche Problematik, auf ein Auseinanderklaffen allenfalls der Prozessführung oder der Entscheidung des Gerichts mit dem Gerechtigkeitssinn der Bürger, gehört dies durchaus zu ihrer Aufgabe. Doch nicht wenige glauben, es besser als die Richter zu wissen, und wollen dem Leser oder Nutzer sagen, wie das Gericht zu entscheiden, wie es vorzugehen gehabt hätte, ohne über genaue Kenntnisse des Rechts zu verfügen. Wenn Journalisten ohne genügendes juristisches Wissen sich dies anmassen, ist das schlechter Journalismus.

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VI. Gute juristische Kenntnisse für Bundesgerichtskorrespondenten unerlässlich Regelmässig unerlässlich sind für den Gerichtsberichterstatter gute juristische Kenntnisse und ein gutes juristische Urteil vor den oberen Gerichten, namentlich vor Bundesgericht. Denn hier sind regelmässig und in Lausanne gar ausschliesslich Rechtsfragen Prozessthema. Wie soll ein Nicht-Jurist oder ein Journalist mit nur minimalem juristischem Wissen hierüber kritisch berichten? Und kritisch wollen heute Journalisten sein. Es besteht fast ein berufsethischer Zwang dazu. Dabei ist es eine kaum weniger grosse journalistische Herausforderung, die für den Laien trockenen und komplizierten juristischen Abwägungen eines Gerichts in eine allgemeinverständliche Sprache und journalistische Form umzusetzen und so deren Aktualität und allenfalls Bedeutung für die Gemeinschaft herauszuschälen. Darüber eine spannende Geschichte zu erzählen ist anspruchsvoll und verlangt fundierte juristische Kenntnisse und gute journalistische Fähigkeiten. VII. Exakte Analyse heute wenig gefragt Die exakte Analyse wird im heutigen Journalismus allerdings eher verdrängt und hat im Kampf der Medien um Aufmerksamkeit bald nur noch ein Randdasein – diese Tendenz ist leider auch in Qualitätsmedien zu beobachten. Die juristischen Überlegungen eines Gerichts dem breiten Publikum attraktiv darstellen, kann, wie gesagt, nur ein Journalist mit guten Rechtskenntnissen. In den Chefredaktionen scheint man dafür aber leider immer weniger Verständnis zu haben – möglicherweise auch aus wirtschaftlichen Überlegungen. Oft begnügen sich die Medien damit, über das Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens, den Entscheid, das Urteil zu berichten. Dann gehen sie gleich dazu über, sich mit diesem kritisch auseinander zu setzen. Weshalb und gestützt auf welche rechtlichen Grundlagen und Überlegungen das Gericht indessen zu seinem Urteil gelangt war, erfährt der Leser beziehungsweise Nutzer kaum. Diese Art der Berichterstattung scheint zurzeit auch vor den obersten Gerichten einzureissen, wo es eben keine Geschichten zu erzählen gibt. VIII. Klarheit und Wahrhaftigkeit Nur das Urteil festzuhalten und sodann daran Kritik zu üben, ist zumeist unfair gegenüber den Richtern und, was viel schwerer wiegt, nachteilig für den Leser, den Nutzer, den Bürger. Denn dieser wird so schlecht, wenn nicht gar falsch informiert. Auf diesem Weg lässt sich aber eine politische Diskussion füttern, die in Unkenntnis der rechtlichen Grundlagen und Überlegungen unter Umständen von falschen Gegebenheiten ausgeht. Im Bundesgerichtsentscheid vom 26. November 2015 (2C_716/2014) zur Frage nach dem Verhältnis neueren Verfassungsrechts zu den Verträgen mit der EU zur Personen-

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freizügigkeit äusserte das Gericht die Ansicht, dass die neue Verfassungsbestimmung 121 a, wonach die Schweiz die Zuwanderung eigenständig steuert, nicht dazu führen kann, die Methodik zur Auslegung des Freizügigkeitsabkommens (FZA) zu ändern und das FZA etwa restriktiver auszulegen oder die Rechtsprechung des EuGH aus der Zeit nach der Unterzeichnung des FZA nicht mehr zu befolgen. Das Gericht gelangte mit differenzierten Überlegungen zu dieser Ansicht. In den Berichterstattungen über den Entscheid in den Medien wurden diese Ausführungen dem Leser nicht oder nur äusserst verkürzt vermittelt. Mit der Verkürzung auf das Entscheid-Ergebnis liess sich in der Folge Politik machen und die Empörung über das EU-hörige Bundesgericht befeuern. Wirklich informiert über die Rechtslage und die rechtlichen Überlegungen des Gerichts wurde der Bürger dabei nicht. Doch selbst der Presserat, der anlässlich einer Beschwerde gegen die Berichterstattung über die schriftliche Urteilsbegründung Stellung nahm, sieht im Verzicht auf die Darstellung der rechtlichen Herleitung und somit in der Konzentration allein auf den Entscheid keine Verletzung der journalistischen Pflicht zur Wahrheitssuche und keine Unterschlagung wichtiger Informationen. Er rügte den Bericht lediglich, weil er am Schluss zwischen Kommentar und Berichterstattung zu wenig klar getrennt hatte.8 Laut Presserat verlangen die journalistischen Sorgfaltspflichten somit nicht eine Berichterstattung, die auch die Begründung eines Gerichtsurteils umfasst und damit nachvollziehbar macht. Dies gilt offenbar selbst, wenn der Berichterstatter Kritik am Entscheid übt. Damit greift der Presserat zu kurz: Man kann die Meinung des Gerichts teilen oder nicht. Zunächst sind aber in jedem Fall seine Beweggründe, die rechtlichen Grundlagen und deren Auslegung, für den Entscheid des Gerichts darzutun. Danach ist es jedem Berichterstatter absolut unbenommen, Kritik zu üben. Diese Klarheit und Wahrhaftigkeit erfordert eine Berichterstattung im demokratischen und vor allem im direktdemokratischen Rechtsstaat. IX. Harmonisierung von Rechtsstaat und Demokratie – keine Über- oder Unterordnung Rechtsstaat und Demokratie, für die Schweiz gar halbdirekte Demokratie, müssen in enger Verbundenheit und Wechselbeziehung zu einander stehen, quasi Hand in Hand in gegenseitiger Rückkopplung gehen. Zwar werden auf demokratischem Weg Gesetze erlassen, die Verwaltung und Gerichte anzuwenden haben und an die sie gebunden sind. Die Justiz ist aber nicht die Sklavin der Demokratie und auch nicht ihre Magd. Ihr Verhältnis zu einander ist weit komplexer. So ist die Justiz als Wahrerin und Hüterin des Rechtsstaates an die demokratisch erlassenen Gesetze in ihrer Fülle gebunden und gleichzeitig zur Beachtung der Rechtsstaatsprinzipien aufgerufen. Die Demokratie und mit ihr das Volk sind aber auch nicht völlig ungebunden, sie sind vielmehr ihrerseits zur 8

Schweizer Presserat, Stellungnahme Nr. 22/2016.

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Beachtung der Grundprinzipien des Rechtsstaates verpflichtet. Rechtsstaat und Demokratie müssen in ihrem genseitigen Verhältnis immer wieder neu zu einer Harmonisierung finden. In der direkten Demokratie ist es wichtig, dass der Bürger, der mit seiner Stimme in der Gesetzgebung und teilweise in Sachfragen entscheidend mitbestimmt, beide Prinzipien – jene der Demokratie und genauso jene des Rechtsstaates – versteht und die Entwicklungen angesichts der Globalisierung begreift. Wichtige Mittler sind die Medien. Zentral ist deshalb nicht zuletzt für den Rechtsstaat eine gute und kenntnisreiche Gerichtsberichterstattung. X. Traditionsreiche Demokratie – relativ junger Rechtsstaat Die Schweiz ist eine alte traditionsreiche Demokratie, hingegen ein eher junger Rechtsstaat. Dies kommt unter anderem im Verständnis der Bürger für die rechtsstaatlichen Institutionen und Prinzipien zum Ausdruck. 120 Rechtsprofessoren erklärten Anfang 2016 in ihrem Aufruf gegen die Durchsetzungsinitiative den Bürgern die Bedeutung der rechtsstaatlichen Grundsätze der Verhältnismässigkeit, der Gewaltenteilung und der Geltung der Grundrechte. Sie unterstrichen am Schluss ihres Appells: „Die rechtsstaatliche Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit und muss verteidigt werden.“9 Undenkbar, dass ein solcher Appell an die Stimmbürger auch im Interesse der direkten Demokratie je nötig gewesen wäre. Zu selbstverständlich und zu stark verankert ist der Wert der direkten Demokratie im Staatsverständnis der Schweizer. Tradition und geschichtliche Erfahrung spielen in einem Land eine wichtige Rolle. So fürchten etwa in Deutschland viele Bürger und auch mancher Staatsrechtsprofessor die direkte Demokratie. Hingegen scheint in Deutschland der Rechtsstaat mit seinen Grundprinzipien weit grössere Wertschätzung zu geniessen. Das Verständnis für seine grundlegende Bedeutung für die Freiheit der Bürger ist in der Bevölkerung breit verankert. In der Schweiz dagegen ist manch einer überzeugt, durch die direktdemokratischen Institutionen seien auch die Rechte der Menschen ausreichend – für manche gar am besten – geschützt. Zum Rechtstaat fehlt es weitgehend an einer emotional patriotischen Beziehung. Er wird vielmehr von vielen als einengend für den freien und souveränen Willen des Volkes empfunden. Deshalb ist es wichtig, die Bedeutung der zentralen Prinzipien des Rechtsstaats für die Freiheit und den Schutz der Würde des Menschen auch in der direkten Demokratie aufzuzeigen und die Harmonisierung von direkter Demokratie und Rechtsstaat zu thematisieren. Dies wird mit der multikulturellen Gesellschaft, zu der die Schweiz geworden ist, zunehmend bedeutender. Denn solange der direktdemokratische Staat auf eine eher homogene Gesellschaft trifft, wird das Volk die Rechte seiner Bewohner kaum verletzen. Doch je zahlreicher die Minderheiten inner9

Simon Gemperli, 120 Rechtsprofessoren gegen die Durchsetzungsinitiative, Neue Zürcher Zeitung, 14.01.2016.

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halb der Bevölkerung sind, umso grösser wird die Gefahr, dass die Rechte einzelner durch die Mehrheit übergangen oder gar verletzt werden könnten. Medien sollten deshalb mehr Raum für die Fragen des Rechtsstaats und für kritische Berichte über die Rechtsverwirklichung in unserem Land einräumen und ihren Lesern nahebringen. Eine solche Möglichkeit besteht in einer Gerichtsberichterstattung, die sich die Mühe nimmt, die Entscheidungsgrundlagen sorgfältig darzutun und danach auch durchaus kritisch zu hinterfragen. Genauso ist aber auch die Politik, insbesondere die Rechts- und Staatspolitik, gefordert, die Verwirklichung und Durchsetzung der rechtsstaatlichen Prinzipien immer wieder von neuem zu thematisieren und nicht zuletzt auch das Verhältnis zum internationalen Recht aufzugreifen und zu analysieren. Ebenso sollte im politischen Journalismus nicht allein die Auseinandersetzung mit den Ausmarchungen von Interessen und die Darstellung und Analyse parteipolitischer Machtpolitik im Zentrum stehen. Auch hier ist den Fragen nach der Verwirklichung des Rechtsstaates in der halbdirekten Demokratie mehr Raum zu geben. Doch mit dem Ruf und dem Werben bei den Medien um Interesse an der Rechtspolitik und an der Verwirklichung des Rechtsstaates stösst man auf eher wenig Verständnis und taube Ohren. Zu abstrakt erscheint vielen das Thema, das sich für das Erzählen einer Geschichte wenig zu eignen scheint. Es stellt aber die Herausforderung guten Journalismus’ dar, anhand konkreter Vorfälle und politischer Projekte auch auf die für unser Zusammenleben entscheidenden Grundprinzipien hinzuweisen. Dr. iur. Dr. h. c., Claudia Schoch Stiffler und Partner Rechtsanwälte, Dufourstrasse 101, CH-8008 Zürich

Medien und Strafjustiz: eine „attraction fatale“? Edy Salmina

Eines hatten die Strafjustiz und die Medien immer gemein. Beide rufen Emotionen hervor: Interesse, Begeisterung, Zorn, Wut. Die Medien wollen nicht nur News, sondern vor allem Stories, und Gerichtsverhandlungen bieten davon eine Fülle. Schon immer haben sie Aufsehen und damit das Interesse der Öffentlichkeit erregt: Strepitus fori, Gerichtsgeschrei, wie dieses Phänomen auf Lateinisch ausdrücklich hiess. Mittlerweile hat sich aber das kommunikative Verhältnis zwischen Medien und Justiz dermassen verändert, dass man sich fragen muss, ob es überhaupt noch sinnvoll ist, von der Öffentlichkeit des Prozesses im klassischen Sinn zu sprechen. Dazu vorab eine Anekdote. Nach einer fast zwanzigjährigen Tätigkeit in den Medien1 kehrte ich 2012 als Anwalt in die Gerichtssäle zurück. Bei einem der ersten Prozesse, an dem ich als Verteidiger teilnahm, hatte ein regelrechtes Aha-Erlebnis. Wie so oft in Justizgebäuden ist auch der Strafgerichtssaal von Lugano als Amphitheater eingerichtet, und der Gerichtspräsident sitzt dabei deutlich höher als allen anderen. Ich beobachtete, dass er sich während der Verhandlungen nie vom Fleck rührte, sondern dass, wie es Usus ist, es die anderen Richter, der Staatsanwalt und Verteidiger waren, die sich, wenn immer nötig, zu ihm hinauf bewegten. Er selbst erhob sich hingegen nur ein einziges Mal: Als ein Journalist in den Gerichtsaal trat, stieg er sofort zu ihm herab und drückte ihm die Hand. Damit war für mich das neue Hierarchieverständnis zwischen Medien und Justiz erkennbar geworden. Bereits kurz nach dem Erlass des sogenannten Licensing of the Press Act (1662) stürzten sich die englischen Gazetten gierig auf die damaligen Kriminalfälle. Die Geschichte des Kriminaljournalismus ist in der Tat sehr aufschlussreich.2 Das komplizierte Zusammenspiel von Medien und Strafjustiz begann also schon vor Jahrhunderten, und nie war dieses Verhältnis einfach: „Die Ehe zwischen dem Strafprozess und der öffentlichen Meinung war schon immer schwierig“.3 Mit der Aufklärung und den liberalen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts wurden die Prozesse allmählich öffentlich: „Die Öf1 2 3

Als Journalist und später als Chefredaktor der Radiotelevisione svizzera di lingua italiana (RSI), der Tochtergesellschaft der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) in italienischer Sprache. Vgl. zum Beispiel Philippe Nieto, Unes sanglantes, in: Crime et châtiment, 2010, 295 ff. Luigi Lacchè, Alle origini di un matrimonio difficile: processo penale e opinione pubblica, in: Loredana Garlati / Giulio Enea Vigevani (Hrsg.), Processo e informazione, 2012.

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fentlichkeit ist die Seele der Justiz“ schrieb sogar Jeremy Bentham 1823 in seinem Traité des preuves. Die Prozesstüren öffneten sich letztlich aber auch, weil die Vorstellung von Justiz als etwas Privatem zwischen Täter und Opfer überwunden wurde. Und schliesslich gilt, womit Paul Ricoeur vermutlich ins Schwarze getroffen hat: „L’opinion publique est d’abord le véhicule, ensuite l’amplificateur, enfin le porte-voix du désir de vengeance. On ne saurait donc trop insister sur l’effet de publicité, au sens de rendre public, donné entre autres par les médias à la cérémonie du procès et à la promulgation des peines. Cette publicité devrait consister en une éducation à l’équité, en disciplinant l’impur désir vindicatif“.4 So wundert es nicht, dass sowohl unsere Bundesverfassung5 als auch die Europäische Menschenrechtskonvention6 eine öffentlich zugängliche Gerichtsverhandlung vorschreiben, deren gängige Rechtfertigung sich auf zwei Argumente stützt: „eine Absage an jede Form geheimer Kabinettsjustiz“7 und die Kontrolle der Justiz durch die Bürger.8 Gerade diesbezüglich wird den Medien eine besonders wichtige Rolle zuerkannt: „Da nicht jedermann jederzeit an beliebigen Gerichtsverhandlungen teilnehmen kann, übernehmen die Medien mit ihrer Gerichtsberichterstattung insofern eine wichtige Brückenfunktion, als sie die richterliche Tätigkeit einem grösseren Publikum zugänglich machen“.9 Ein allfälliges, aus einer solchen Veröffentlichung resultierendes individuelles Leiden wird zwar höchstrichterlich nicht verschwiegen, doch sind „solche Unannehmlichkeiten (…) angesichts der hohen rechtsstaatlichen Bedeutung des Öffentlichkeitsprinzips grundsätzlich in Kauf zu nehmen“.10 Ob es sich dabei nicht oft um weit mehr als um blosse Unannehmlichkeiten handelt, bleibe für den Moment dahingestellt; die bundesgerichtliche Wortwahl ist allerdings vielsagend. Weit mehr als um eine blosse Ausdrucksweise geht es dabei nämlich um die Festlegung einer Priorität: Publicity first. Die Brückenfunktion der Medien ist allerdings weit mehr als nur dies. Die Öffentlichkeit der Justiz ist nur theoretisch durch die direkte Präsenz der interessierten Zuschauer gewährleistet, in Wirklichkeit aber durch deren indirekte mittelbare Anwesenheit. Vor Ort sind meist nur die Medienschaffenden, und die durch die Publizität angestrebte Kontrolle der Justiz ist in Wirklichkeit eine Kontrolle durch die Medien: Die Justiz wird von den Medien überwacht, nicht vom Publikum. Ein Prozess ist deswegen für den grössten Teil der Öffentlichkeit immer nur das, was Zeitungen, Radio, Fernsehen und Online-Medien darüber berichten. Für die klar überwiegende Mehrheit der Bürger sind Strafprozesse in diesem Sinne nicht unmittelbaren Erfahrungen oder Erkenntnisse, sondern Erzählungen. Da Ton- und Bildaufnahmen im Gerichtsaal untersagt sind11, wird die Rolle der journalistischen Berichterstattung noch zentraler: da nichts gezeigt werden darf, muss alles erzählt werden. 4 5 6 7 8 9 10 11

Paul Ricoeur, Le Juste 1, 1995, 200. Art. 29 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV, SR 101). Art. 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101). BGE 119 IV 99 Erw. 4. BGE 129 III 529 Erw. 3.2. BGE 129 III 529 Er. 3.2. BGE 119 IV 99 Erw. 4a. Art. 71 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0).

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Dieser Zustand ist zwar anerkannt, wird aber zumeist ausgeblendet. Eine solche Situation ist keineswegs prozessspezifisch; man denke etwa an Parlamentsdebatten. Anders als die Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben sich aber die von Justizverfahren Betroffenen den Gang in die Öffentlichkeit nicht ausgesucht. Selbstverständlich käme heute niemand auf die Idee, dass Angeklagte aus Gründen des fair trial oder des Persönlichkeitsschutzes besser im Geheimen verurteilt würden. Das Problem liegt jedoch im Umstand begründet, dass die heute noch geltenden Regeln der Prozessöffentlichkeit vor ungefähr 150 Jahren erdacht wurden, als Justizwesen, Gesellschaft und Medien völlig anders strukturiert waren, als sie heute sind. Die Gesellschaft legte allergrössten Wert auf Gehorsam und Geheimhaltung, die Medien waren handwerkliche Kleinbetriebe, das Justizwesen ein autoritärer Staats- und Machtapparat. Ein Zustand, der sich grundlegend verändert hat. Nicht der in unserer Zeit weitestgehend unbestritten freie Zugang zu den Gerichtssälen sollte daher heute das prioritäre Thema darstellen, sondern wie man die Justiz vor der Gefahr der Politisierung und Emotionalisierung schützt, die sich zwangsläufig aus ihrer Medialisierung ergibt. Wenn wir schon von der Brückenfunktion der Gerichtsberichterstattung sprechen, sollten wir die Gefahr nicht ausser Acht lassen, dass diese Brücke heute oft zum wahren Fluss wird. Es stellt sich allerdings auch eine umgekehrte Frage, nämlich wie man die Gesellschaft vor einem allgegenwärtigen Justizialismus schützen kann, der gerade durch ausufernde Prozessberichterstattung geschürt wird. Wir stehen hier vor einer Art kultureller Doppelbewegung: Einerseits verschwindet die Grenze zwischen Justiz und Gesellschaft, anderseits werden die Gesellschaft und ihre Konflikte von den Medien immer häufiger nach dem Muster des Strafprozesses dargestellt. Das Problem hatte Jürgen Habermas bereits 1962 auf den Punkt gebracht: „(…) die Strafprozesse, die interessant genug sind, um von den Massenmedien dokumentiert und kolportiert zu werden, verkehren das kritische Prinzip der Publizität (…); statt einer Kontrolle der Rechtsprechung durch die versammelten Staatsbürger dient es immer mehr den Präparaten der gerichtlich verhandelten Vorgänge für die Massenkultur (…)“.12 Der deutsche Philosoph stellte weiter fest, dass dadurch „… eine neue Kategorie von Einfluss [entstand], nämlich eine Medienmacht, die, manipulativ eingesetzt, dem Prinzip der Publizität seine Unschuld raubte“.13 Da er ideologisch und elitär gefärbt ist, gefällt mir der Begriff Massenkultur weniger, doch wenn wir ihn durch Unterhaltung ersetzen, bleibt das angesprochene Grundproblem erkennbar. Damit wird das Risiko angesprochen, dass Strafprozesse nicht mehr nur vor den Medien, sondern für die Medien abgehalten werden. Eine regelrechte Zweckentfremdung, die das deutsche Bundesverfassungsgericht in einer hier bereits erwähnten Entscheidung treffend beschrieben hat: „Prozesse finden in der, aber nicht für Öffentlichkeit statt“.14 Die Gefahr, dass die Medien dadurch letztlich einen Einfluss auf das Prozessgeschehen, auf das Verhalten, auf die Prioritäten und sogar auf die Entscheidungen der Gerichte, 12 Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, (1. Aufl. 1961) 1990, 307. 13 Jürgen Habermas, a. a. O., 28. 14 BVerfG, Urteil vom 24.01.2001, II/3 aa.

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und zwar vor allem bezüglich des Strafmasses, ausüben, nimmt dabei unweigerlich zu.15 Fair trial und press trial geraten in Konflikt. Die klassischeren Gefahren der Prozessöffentlichkeit sind bekannt: Gefährdung der Untersuchung, sowie Persönlichkeitsschutzes der Betroffenen, vorab der Opfer und der Angeklagten und Einflussnahme auf die Justizpersonen.16 Diese sozusagen traditionellen Risiken sind nicht zu unterschätzen; durch den heutigen Gesamtkontext werden sie im Gegenteil noch besorgniserregender. Je stärker die Strafjustiz medialisiert wird, desto grösser werden diese Risiken. Das Grundproblem liegt aber anderswo. Die formale Grenzziehung zwischen öffentlich und geheim hat sich in den letzten hundert Jahren bei Strafverfahren kaum geändert: Die Untersuchung ist geheim, der Prozess publik. Auch die durchaus als historisch zu qualifizierende Vereinheitlichung der Schweizer Strafprozessordnung von 2007 hat diesbezüglich nichts Neues gebracht. Nur der eigentliche Prozess, die Verhandlung, ist öffentlich17, nicht das vorangehende Verfahren.18 Die fehlende Öffentlichkeit in der Frühphase des Verfahrens wird durch den späteren öffentlichen Teil sozusagen kompensiert. Dadurch sollte eine Art prozessuales Kommunikationsgleichgewicht entstehen, welches seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eben im Grossen und Ganzen formell unverändert geblieben ist. Inzwischen bedeutet aber „öffentlich“ etwas ganz anders als im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Das ursprünglich gewollte Gleichgewicht ist längst verschwunden. Das gesamte Strafverfahren wird heute medial öffentlich gemacht, nicht nur der eigentliche Prozess, bei dem am Ende über Schuld und Strafe entschieden wird. Die Untersuchungsphase ist zwar von Gesetzes wegen immer noch geheim, doch sieht die Realität häufig ganz anders aus. Ist die Öffentlichkeit – sprich die Medien – daran interessiert, so findet heute jede diesbezügliche Information früher oder später ihren Weg dorthin. Verhaftungen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmen, Augenscheine, Vorladungen, Rechtshilfebegehren, Einvernahmen und dergleichen mehr werden medial immer öfter aufgegriffen, obwohl sie eigentlich dem Verfahrensgeheimnis unterliegen. Die Situation im Tessin ist zugegebenermassen vom italienischen Beispiel besonders negativ beeinflusst. Mag auch der Südkanton vorläufig noch einen Schweizer Sonderfall darstellen, so geht die Entwicklung europaweit – man denke etwa an Italien oder Frankreich – jedoch überall in die Richtung einer substantiellen Transparenzmachung auch der an sich geheimen Untersuchungsphase. Sobald sich hinter einem Verfahren eine möglicherweise interessierende News – oder auch nur ein Kuriosum – verbirgt, steigt die Wahrscheinlichkeit rapide an, dass schon lange vor dem Prozess öffentlich darüber berichtet wird; eine übrigens auch in Zürich, Genf oder Basel nicht gänzlich unbekannte Entwicklung. 15 Siehe etwa Nancy Mehrkens Steblay / Jasmina Besirevic / Solomon M. Fulero / Belia Jimenez-Lorente, The Effects of Pretrial Publicity on Juror Verdict: A Meta-Analytic Review, Law and Human Behavior 23 (1999), 219–235. 16 Zu diesem Thema siehe z. B. Christine Danziger, Die Medialisierung des Strafprozesses, 2009; Joachim Bornkamm, Pressefreiheit und Fairness des Strafverfahrens, 1980. 17 Art. 69 Abs. 1 StPO. 18 Art. 69 Abs. 3 StPO.

Medien und Strafjustiz: eine „attraction fatale“?

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Oft werden solche Dinge publik gemacht durch Weitergabe von Informationen, die gar eigentlich nicht – oder erst später – an die Öffentlichkeit gelangen sollten, an die Medien. Wer gegebenenfalls daran schuld ist, ist hier nicht die entscheidende Frage. Die Untersuchung ist jedenfalls nicht öffentlich19 und die Behörden sind an das Amtsgeheimnis gebunden.20 Private Prozessparteien und deren Vertreter sind diesbezüglich in rechtlicher Hinsicht freier21, was aber m. E. ihre kommunikative und/oder berufsethische Verantwortung nicht mindert. Soweit es um behördliche Kommunikation nach aussen geht, ist diese nach Gesetz nur ausnahmsweise zulässig22; nur in Bezug auf Sonderfälle von öffentlichem Interesse, man denke dabei an die besondere Bedeutung des Vorkommnisses oder an die Notwendigkeit, die Bevölkerung bei der Aufklärung oder bei Fahndungen um Mitwirkung zu bitten.23 In der Praxis ist das Risiko aber gross, dass die Behörden eine Information deshalb als öffentlich relevant einstufen – und sie demnach verbreiten – weil sie von den Medien eben dazu aufgefordert werden. Wenn aber schon die Medienanfrage solche genügt, um ein öffentliches Interesse an der Kommunikation zu begründen, schliesst sich der mediale Kreis: Die Nachfrage steuert das Angebot. Zur Handhabung des Verhältnisses zwischen Justiz und Medien haben inzwischen Gerichte und Staatsanwaltschaften „Kommunikationskonzepte“ entwickelt und Mediensprecher eingestellt.24 Die Informationspolitik der Justiz zu professionalisieren, anstatt sie dem Zufall, der Geschicklichkeit bzw. dem Ehrgeiz einzelner Magistraten zu überlassen, ist gewiss von Vorteil. Die Journalisten haben es dadurch mit Ansprechpartnern zu tun, die ihre Bedürfnisse besser einschätzen und verstehen können. Gleichzeitig lassen sich auf diese Weise Kommunikationsverfahren und Kriterien besser vereinheitlichen. Unbeantwortet bleibt aber die Frage, die mir hier am wichtigsten zu sein scheint: Kann die Professionalisierung der Justizkommunikation nicht selbst ein Teil des Problems werden? Beeinflusst sie nicht nur die Frage, wann die Behörden etwas sagen, sondern schliesslich auch, was sie sagen und wie sie es sagen? Forderte sie – systembedingt – nicht auch eine zusätzliche mediale Öffnung des Justizsystems? Dass eine Medienstelle sich formell nur um die Aussenkommunikation einer Behörde kümmert, macht das Risiko nur noch grösser, dass deren mittelbare interne Auswirkungen unterschätzt werden: Wer heute kommuniziert, führt. Ob gewollt oder nicht, entfaltet jedes Kommunikationskonzept Auswirkungen auf die gesamte Arbeits- und Erscheinungsweise der betroffenen Dienststelle. Wer heute als Politiker eine Kandidatur anstrebt, muss bekanntlich „arenatauglich“ sein: Der Einfluss der Medien auf die Politik hat sich sogar durch die Schaffung dieses neues Wortes bestätigt. Die Frage sei erlaubt, ob in Zukunft auch Justizpersonen „arenatauglich“ sein müssen. Wer eine solche Begabung aufweist, wird zum Symbol der jeweiligen Behörde, d. h. ihr tatsächlicher 19 20 21 22 23 24

Art. 69 Abs. 3 StPO. Art. 73 StPO. Edy Salmina, L’opinione pubblica come parte processuale, Rivista ticinese di diritto (RtiD) I-2005, 428 ff. Art. 74 StPO. Art. 74 Abs. 1 StPO. Siehe etwa für die Bundesanwaltschaft: www.ba.admin.ch.

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Chef. Nur, wer entscheidet über das Vorliegen einer solchen Tauglichkeit? Zumeist der Mediensprecher aufgrund seiner Medienkompetenzen oder eine Redaktion je nach ihren Bedürfnissen: Quod erat demonstrandum. Behördliches Kommunikationskonzept hin oder her – die Medien suchen sich ihre Ansprechpartner im Justizsystem meist selber aus. Unbemerkt und unauffällig werden diese dann in kooperativ oder nicht kooperativ, in medientauglich oder nicht medientauglich unterteilt und dem Publikum gegebenenfalls auch gleich entsprechend dargestellt. Nimmt diese anderswo – beispielsweise in der Politik – bereits vorherrschende Entwicklung auch im Hinblick auf die Justiz überhand, so werden am Ende nur noch diejenigen als justiztauglich erachtet werden, die sich als medienfreundlich bzw. mediensmart erweisen. Die mediale Begabung und die mediale Beliebtheit werden so zu einem unausgesprochenen Anstellungs- oder Erfolgskriterium für Berufe, die eigentlich primär gar nicht öffentlich arbeiten sollen. Die Medien suchen sich so letztlich ihre Gesprächspartner selber aus, und im Gegenzug werden sie dann diesen gegenüber eher gut gesinnt sein. Mit ihrem wachsenden Einfluss können die Medien also auch unmittelbar auf Personalentscheide einwirken, besonders wenn politische Organe die Justizpersonen ernennen, wie das in der Schweiz sehr häufig der Fall ist. Politische Instanzen sind weit mehr als andere auf ein gutes Image der Kandidaten und daher auf deren allfällige positive Vor-Beurteilung durch die Medien angewiesen, womit sich der Kreis wieder schliesst. Dem Mediendruck systembedingt besonders ausgesetzt sind die Staatsanwaltschaften, da gerade bei diesen der grosse Teil an Informationen über die meisten möglicherweise interessierenden Verfahren zusammenläuft. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass diese Amtsstellen nicht umsonst „öffentliche Ankläger“ genannt werden, wobei dies tatsächlich auch bedeutet, dass sie in einem gewissen Sinn im Namen der Öffentlichkeit handeln. Seit den 90er Jahren verstehen sich deshalb die wichtigsten Schweizer Staatsanwaltschaften nolens volens auch als grosse News-Anbieter und haben dementsprechend begonnen, ihre Beziehungen zu den Medien zu pflegen und zu professionalisieren. Gleichzeitig werden Staatsanwälte oft – und wahrlich nicht immer unfreiwillig – zu gesuchten und beliebten Mediengästen. Auch hier ist Italien einmal mehr Vorreiter. Doch auch anderswo ist der Übergang vom Staatsanwalt oder Staatsanwältin zur Person der Öffentlichkeit, die schliesslich die politische Bühne betritt, immer häufiger zu beobachten. Wir kennen diesen Vorgang aus den USA, aber auch aus dem kleineren Rahmen von vielen Schweizer Kantonen. Zwischen den Staatsanwaltschaften und den Medien scheint somit eine Art kommunikativer Wettbewerb um die Wahrnehmung der Publikumsinteressen im Gange zu sein. Wenn auch nicht im Namen des Gesetzes, so handeln die Medien doch im Namen der Öffentlichkeit: Sie zeigen zwar niemanden an, zeigen aber dem Publikum Personen und Fakten auf. Diese Konkurrenzlage erzeugt auf beiden Seiten Spannungen. Die Medialisierung der Justiz birgt somit auch die Gefahr, dass die öffentlichen Ankläger sich von den medial dargestellten öffentlichen Interessen leiten lassen. Das öffentliche Interesse nimmt dann die Form der dargestellten Publikumserwartungen an, denen die Behörden – in ihrer Eigenschaft als „Öffentlichkeitsvertreter“ – zu entsprechen hätten.

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Das öffentliche und das mediale Interesse fallen zusammen: Das ministère public wird am Ende zu einem ministère du public, zum ministère für die veröffentlichte Meinung. Gleichzeitig verstärkt sich die Tendenz, dass die Medien selbst, gleichsam stellvertretend für die Gesellschaft, eine Art öffentliche Anklagefunktion wahrnehmen. Der soziale Pranger ersetzt dabei die sowieso schon oft unter Beschuss stehende Abschreckungs- und Bestrafungsfunktion des Strafverfahrens. Es kommt zu einer Art Repräsentationskurzschluss zwischen Justiz und Medien: Wer ist der bessere Kämpfer? Dabei haben die Medien den längeren Atem. Die den Justizbehörden auferlegten rechtlichen und kommunikativen Schranken können von der Presse – und somit letztlich von der Gesellschaft – leicht als Spitzfindigkeiten, Intransparenz oder Formalismus abgetan werden, hinter denen man sich nur verstecken will. Die Karikatur ist dann perfekt, wenn die Positionen wie folgt besetzt sind: mutiger Journalismus vs. ängstliche Justiz – und entsprechend wächst der Unmut gegenüber den öffentlichen Anklägern. Beugen sich diese dem medialen Erwartungsdruck nicht, werden sie ins Visier genommen. In Zeiten, da Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung zu einem Hauptpolitikum geworden sind, wird ihre Lage immer unangenehmer. Entsprechen sie hingegen der medialen Nachfrage, und sei es auch nur symbolisch, werden sie zu Medienlieblingen und somit früher oder später auch zu politischen Figuren wahrgenommen. Am Ende „repräsentiert die Öffentlichkeit die Gesellschaft“, und dann „stehen sich letztlich Gesellschaft und Staat gegenüber“.25 Die Staatanwaltschaft steht aber auf der Medienbühne selten allein, und auch Strafverteidiger sind begehrte Gesprächspartner. Auch unter ihnen ist so mancher, der in den Medien eine gute Figur macht. Die Gefahr der Übermedialisierung der Justiz kann auch von ihnen ausgehen. Selbstredend gibt es Fälle, in denen auch die Verteidigung nicht nur öffentlich Stellung beziehen kann, sondern dies geradezu muss.26 Ebenso gehört öffentliche Kritik an der Justiz unter Umständen zur Anwaltspflicht.27 Bei der Justizmedialisierung geht es aber auch für die Anwaltschaft letztlich um ihre berufliche Stellung und damit um den eigentlichen Sinn ihrer Arbeit. Die Tatsache, dass in Zukunft die Medienbearbeitung eine ihrer Hauptaufgaben sein könnte, kann auf lange Sicht die Entwicklung des Anwaltsberufs grundlegend verändern. Litigation PR nennt sich diese Kommunikations-Sparte, und dafür gibt es bereits spezialisierte Fachleute. Werden Prozesse systematisch in eine mediale Bearbeitung eingebettet, riskiert auch die Anwaltschaft, mit der Erwartung konfrontiert zu werden, im Prozess vor allem mediengerecht handeln zu müssen, das heisst von den Medien gesteuert zu werden. Der

25 Günther Kaiser, Funktionswandel der Öffentlichkeit und Strafrecht, in: Andreas Donatsch / Niklaus Schmid (Hrsg.), Strafrecht und Öffentlichkeit, Festschrift für Jörg Rehberg zum 65. Geburtstag, 1996, 173. 26 Dazu Daniel Jositsch, Medienarbeit als Bestandteil der Strafverteidigung, Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht (ZStrR/RPS) 122/2004, 115 ff.; Niklaus Ruckstuhl, Vertretung von Tatverdächtigten im Vorverfahren, in: Marcel Alexander Niggli / Philippe Weissenberger (Hrsg.), Strafverteidigung, Handbücher für die Anwaltspraxis, Bd. VII, 2002, 53 ff. 27 Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EMRG) vom 13.12.2007, Appl. Nr. 35865/04.

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Mandant wird dann von seinem Rechtsvertreter genau dasjenige Verhalten erwarten, dass die Medien üblicherweise als eine gute Verteidigung darstellen. Mit der etappenweise verwirklichten Liberalisierung des Verfahrens wuchs auch die Möglichkeit, dass Informationen aus dem Verfahren nach aussen dringen. Ein partizipativer Strafprozess zeichnet sich auch durch eine offenere Kommunikation aus, und dass dabei Informationen auch an die Öffentlichkeit gelangen, ist durch das System bedingt. Der liberale Strafprozess ist gegenüber der Aussenwelt offener und vergrössert die externe Verfahrensöffentlichkeit. Dies wiederum befeuert die Mediatisierung der Strafjustiz. In der Tat können Parteien heute aktiv an der Untersuchung teilnehmen, sie sind von Beginn an mit von der Partie und erhalten „Akteneinsicht“, wie die Möglichkeit der internen Kenntnisnahme des Prozessmaterials juristisch genannt wird.28 In früheren Strafverfahren, die nicht umsonst als „inquisitorisch“ bezeichnet werden, wurden sie hingegen möglichst lange im Dunkeln gehalten, was auch zeigt, wie autoritär das Verhältnis des Staates zu den Bürgern einst war. Interessant dabei ist in erster Linie, dass nicht die Medien es waren, die bei der Überwindung des nota bene auf strenge Geheimhaltung abzielenden alten Inquisitionsprozess eine aktive Rolle eingenommen haben. Trotz seiner Besessenheit vom Geheimnis hat das frühere, autoritäre Strafverfahren als solches nie ein besonderes kritisches Interesse seitens der Medienschaffenden hervorgerufen. Geführte Strafprozesse im eigentlichen Sinn sind heute in der Kriminaljustiz zur Ausnahme geworden. Die moderne Verfahrensgestaltung mit sogenannten Nichtanhandnahmeverfügungen und Strafbefehlen29 führt heute dazu, dass es in über 90 Prozent der Strafverfahren gar nichtmehr zu öffentlichen Gerichtsverhandlung kommt: Ein Prozess findet nicht statt, verurteilt oder freigesprochen wird aber trotzdem. Dabei geht es um Fälle, in denen eine Höchststrafe von sechs Monate Gefängnis in Frage kommt.30 Da sie meist von geringer Bedeutung sind, besteht daran auch kaum journalistisches Interesse. Sobald jedoch Tat oder Täter als medial interessant eingestuft werden, ändert sich das Szenario. Die öffentliche Justizkontrolle ist auch in diesen Fällen gewährleistet31, und die Medien haben auch zu Strafverfahren Zutritt, für die gar keine öffentliche Verhandlung vorgesehen ist. Sogar bei einem prozesslosen Verfahren stehen die Türen des leeren Gerichtssaals also symbolisch weit offen. Neben der Justizmedialisierung, welche auf die beschriebene Liberalisierung des Strafverfahrens zurückgeht, hat auch der bereits angesprochene Kulturwandel die Entwicklung in Richtung intimité publique befeuert. Dabei denke ich sowohl an die zunehmende Bereitschaft des Individuums, öffentlich auch über höchst private Angelegenheiten zu sprechen, als auch an die technologische Möglichkeit für jedermann, sich in ein Medium zu verwandeln. Im Grunde genommen beruhte die Geheimhaltung im Strafverfahren lange Zeit auch darauf, dass es den Parteien nie in den Sinn gekommen 28 29 30 31

Art. 142 StPO. Art. 310 und 352 StPO. Art. 352 StGB. BGE 124 IV 234 Erw. 3c/3e.

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wäre, selber offen darüber zu sprechen. Im Prozess war es nicht so sehr die Tugend des Schweigens, sondern eher die Scham des Aussprechens, die dafür sorgte, dass die Diskretion gewahrt blieb. Die heutige Schamschwelle ist jedoch viel niedriger geworden, und auch in Bezug auf die Strafverfahren wurden viele Tabus gebrochen. Die zunehmende kommunikative Aufweichung des Verfahrensgeheimnisses war damit kulturell geradezu vorprogrammiert. Kommt hinzu, dass die heutigen schier unendlichen Möglichkeiten zum Kopieren, Aufbewahren und Verbreiten von Daten auch für Prozessunterlagen zur Verfügung stehen. Die Akten eines auch noch so gewaltigen Verfahrens finden bequem auf einem USB-Stick oder einem Smartphone Platz und können mit einem Mausklick gestreut werden. Ist ein Verhörprotokoll erst einmal mit einem Handy fotografiert, kann es innert Sekunden weltweit in Umlauf gebracht werden. Eine Prozesspartei hat es in der Hand, das gesamte Prozessmaterial auf einer Website oder auf einem ad-hoc-Blog zu veröffentlichen. Kann man unter diesen Umständen noch damit argumentieren, dass die Medien den einzelnen gegen die Missstände einer autoritären und geheimnisbesessenen Justiz schützen könnten und müssten? Das ist aber bei weitem nicht alles. Man denke etwa nur an die Möglichkeit, das Publikum via Website, Facebook oder Twitter zu informieren oder aufzufordern, ähnliche Fälle zu melden oder sich über einen Richter, eine Zeugin, eine Anwalt oder eine Staatsanwältin zu äussern. Was wie ein prozessualer Albtraum aussehen könnte, ist bereits kommunikative Wirklichkeit geworden und hat konkrete Folgen: Prozessiert wird immer öfter online, Internauten werden mit einem Klick zu Richtern, die Online-Bewertung eines Verhaltens gerät zum Justizersatz. So hält der kanadische Kriminologe Alvaro P. Pires fest: „(…) un phénomène nouveau émerge dans la deuxième moitié du XXme siècle : la juridicisation de l’opinion publique et du public par le système pénal. En effet, le public devient une composante du système pénal et cela produit un rapprochement problématique entre le système politique, les projets de toute sorte de mouvements sociaux et le système pénal. On pourra alors mieux voir certains embarras que posent la rationalité et la structure normative du droit pénal moderne pour les démocraties contemporaines.“.32 Gerade aus diesem Grund lautet die heute entscheidende Frage nicht, ob ein Strafverfahren transparent genug ist, sondern umgekehrt, wie man verhindern kann, dass es letztlich vom Publikum, und das heisst von den Medien, mitbestimmt wird. Die Autonomie und Unabhängigkeit der richterlichen Entscheidungen stehen dabei auf dem Spiel. Nicht per Zufall, schützt die durchaus medienoffene Europäische Menschenrechtskonvention nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Unvoreingenommenheit der Justiz.33 Diese kann auch durch den medialen Druck in Frage gestellt sein. Der Prozess soll nicht nur offen, sondern auch fair sein. Jede Übermedialisierung, jeder press trial stellt ein Risiko für den fair trial dar: Mit fair ist eben auch ein Prozess gemeint, der entsprechend den Prinzipien der Fairness geführt wird, der frei 32 Alvaro P. Pires, La rationalité pénale moderne, la société du risque et la juridicisation de l’opinion publique, Sociologie et sociétés 33 (2001), 181. 33 Art. 6 Abs. 1 EMRK.

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von externer Beeinflussung bleibt. Die Gefahr ist heute gegeben, dass die öffentliche Meinung zu einer neuen und externen Prozesspartei wird, die sich durch die Medien vertreten lässt. Im Namen des von ihnen vertretenen Publikums beanspruchen sie im Verfahren dann eine Art Einsichts- und Antragsrecht. Dieses Bild mag im Moment noch etwas überzeichnet sein – oder wollen wir es nur noch nicht wahrhaben? – doch mir scheint, dass die Entwicklung in diese Richtung läuft. Doch wohin führt sie? Die Medialisierung der Strafjustiz betrifft aber auch eine oft ausgeblendete politische Frage. In den modernen Risikogesellschaften richtet sich das öffentliche Interesse häufig auf die Strafjustiz. Schuldige müssen her, und zwar möglichst rasch, und wenn immer möglich auch hinter Gitter gebracht werden.34 Im Rahmen des bekannten Kurzschluss-Reaktionsmusters „Problem-Alarm-Empörung-Verbot“ scheint die strafrechtliche oft die einzige oder zumindest die schnellste Lösung zu sein, die offen steht. Taucht ein neues, schwer zu meisterndes und Empörung auslösendes Problem auf, so wird sofort das strafrechtliche Instrumentarium mobilisiert. Der Strafrechtler Klaus Lüderssen hat diese Entwicklung folgendermassen zusammengefasst: „Ein neues Interesse taucht auf (…) und der Gesetzgeber fühlt sich (als unmittelbarer Agent der gewandelten oder endlich ins allgemeine Bewusstsein tretenden Moral) aufgerufen, neue Strafdrohungen in die Welt zu setzen.“.35 Das Strafrecht ist somit zu einem beliebten Mittel und zugleich zum Spielball der Politik geworden. Die politischen Akteure des gesamten Spektrums nutzen es ausgiebig, um die eigenen Thesen zu erhärten und diejenigen des Gegners zu bekämpfen. Steht für die einen die „Kuscheljustiz“ oder die Ausländerkriminalität im Fokus, unterstreichen die anderen, dass der wichtigste Auslöser von Straftaten die soziale Benachteiligung sei. Auf der einen Seite wird die angebliche Langsamkeit und Ineffizienz der Justiz bemängelt, auf der anderen findet man, dass dies allenfalls eine Folge der ihr zugeteilten zu knappen Personalressourcen sei. Aufsehen erregende Kriminalfälle – etwa die Fälle des im Kanton Aargau am 4. März 2009 ermordeten Au-Pair-Mädchens Lucie oder der im Mai 2013 in Payerne durch einen Widerholungstäter ermordeten Marie oder der Fall des jugendlichen Straftäters Carlos in Zürich – wirken unmittelbar auf die politischen Entscheidungen im Justiz- und Strafvollzugswesen.36 Volksinitiativen bieten dafür das geeignete politische Instrument; man denke an diejenigen für die Einführung der lebenslangen Verwahrung (2004), die Ausschaffung krimineller Ausländer (2010) oder den Schutz vor pädophilen Straftätern (2014). Wenn Schlagzeilen über Strafverfahren die öffentliche Diskussion beherrschen, hat dies also nicht nur Einfluss auf die Verfahren selbst, sondern auch auf die eigentliche Straf- und Strafvollzugsgesetzgebung. Die Prozessöffentlichkeit stellt dadurch nicht mehr nur das hergebrachte Bindeglied zwischen Prozess und Gesellschaft dar, sondern 34 Didier Fassin, Punir, une passion contemporaine, 2017. 35 Klaus Lüderssen, Abschaffen des Strafens?, 1995, 22. 36 Dazu Thomas Manhart, Vollzugslockerungen – Justizvollzug im Spannungsfeld zwischen Medien, Politik und Fachlichkeit, in: Marcel Alexander Niggli / Manon Jendly (Hrsg.), Strafsystem und Öffentlichkeit: Zwischen Kuscheljustiz und Scharfrichter, 2012, 193 ff.

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verbindet unmittelbar Prozess und Politik. Die Gefahr des Strafrechtspopulismus lauert dann gleich um die Ecke: „le récit médiatique est le corps conducteur de ce populisme (…) Rien de nouveau depuis que la presse existe, sans doute. Sauf qu’à l’ère des puissants médias de masse, ce récit se substitue à l’institution chargée d’opérer cette fonction: la justice“.37 Zugegebenermassen sind es weder nur die Medien, die das Interesse für Kriminalfälle wecken, noch haben die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung ausschliesslich mediale Ursachen, besonders in Zeiten globaler terroristischer Bedrohung. Und noch weniger können und sollen die Medien Verbrechen ausblenden oder gar beschönigen. Da aber Kriminalität und Sicherheit durch den Journalismus zur alarmierenden öffentlichen Priorität gemacht werden, nicht selten mehr durch Emotionalisierungen als durch fundierte Berichterstattung, haben es die Verfechter der verschiedensten politischen Thesen leicht, gerade Strafprozesse zu benützen, um ihre Argumente zu untermauern und sich zu profilieren. Auf diese Weise wird jedoch der Prozess selbst allmählich zur politischen Arena, und inhaltliche Rückwirkungen auf das eigentliche Strafverfahren sind unvermeidlich. Wenn man mit Strafprozessen Politik zu machen beginnt, nimmt die die Gefahr zu, dass die Politik selbst eine prozessuale Rolle spielt. Dadurch wird die publizistische Verantwortung für die journalistische Handhabung von Justizfällen nur noch grösser. So überrascht es nicht, dass der bekannte US-amerikanische Jurist David Garland die politischen Folgen der massiven Kriminalberichterstattung folgendermassen beschreibt: „This is not to say (…) that it has produced the popular punitiveness that appears as such a strong political current today (…) My point is rather that the mass media has tapped into, then dramatized and reinforced, a new public experience (…) and doing so it has institutionalized that experience (…) This institutionalization increases the salience of crime in everyday life (…) Public knowledge and opinion about criminal justice are based upon collective representations (…)“.38 Die massive Medialisierung der Strafjustiz löst aber noch weitere Reaktionen aus. Der immer lauter werdende Ruf nach strafrechtlichen Lösungen und damit danach, Exempel zu statuieren, ist eine bekannte gesellschaftliche Angstreaktion in der sogenannten Risikogesellschaft. Ulrich Beck spricht sogar vom Vorliegen einer „dirigistischen Politik des Ausnahmezustandes“.39 Situationen, in denen man „null Toleranz“ oder sofortige Handlungsbereitschaft zeigen will, werden dabei systematisch an das Strafsystem delegiert. Handeln bedeutet Bestrafen, und umgekehrt. Die Folge davon ist unter anderem eine Inflation sowohl der Strafnormen als auch der Verfahren selbst. Unsere Gesellschaft scheint zu glauben, der beste Weg zur Risikominimierung bestünde darin, potentiell schädliche Verhaltensweisen als Straftatbestände zu deklarieren. Ein solches Phänomen ist übrigens in vielen Bereichen zu beobachten, man denke zum Beispiel ans Bankwesen, den Umweltschutz oder den Strassenverkehr. Noch nie hat es auf der Strasse so wenig Tote und Verletze gegeben, dennoch führen Geschwindigkeitsübertretungen immer häufiger vor den Strafrichter. Kaum ein Sektor ist derart 37 Denis Salas, La volonté de punir. Essai sur le populisme pénal, 2005, 57 u. 60. 38 David Garland, The Culture of Control. Crime and Social Order in Contemporary Society, 2001, 158. 39 Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986, 104.

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dicht reguliert wie die Finanzbranche, nichtdestotrotz werden nach jedem auftauchenden Bankproblem neue und womöglich noch strengere Regeln verlangt. Auch hier steht oft die mediale Berichterstattung an vorderster Front, und gerade dadurch erhält die schon an sich beunruhigende Strafrechtsinflation zusätzlichen Auftrieb. Strafrecht ist zur problematischen Dauerbaustelle geworden.40 Nicht nur werden immer mehr Handlungen strafrelevant, sondern ziehen Strafverfahren auch immer öfter Konsequenzen nach sich, die weit über das Strafrecht hinausgehen und zum Beispiel in das Verwaltungs-, Banken- und Steuerwesen oder sogar unmittelbar in die Politik ausufern. Dies hat einmal mehr auch fürs Verhältnis zwischen Strafjustiz und Massenmedien Konsequenzen. Zum einen nimmt die Medienaufmerksamkeit weiter zu, denn je mehr Konsequenzen ein Verfahren hat, desto interessanter wird es, darüber zu berichten. Dabei sind es oftmals gerade die nicht unmittelbar strafrechtlichen Aspekte, die es noch spannender machen. Tritt der Verdächtigte ab, wird er entlassen, kommt es zur Scheidung oder zum Aktienkurszerfall? Diese Fragen interessieren die Öffentlichkeit oft mehr als die rechtliche Verantwortlichkeit im engeren Sinn. Andererseits wird über die weiteren, durch den Strafprozess ausgelösten Verfahren ebenso ausgiebig berichtet: Die Strafjustiz wirkt hier sozusagen als journalistischer Zünder. Nach einer dem Strafprozess im engeren Sinn gewidmeten Erstmedialisierung findet eine Folgemedialisierung statt, und zwar in Bezug auf alle durch ihn verursachten weiteren Folgen. In einen Strafprozess involviert zu sein, wiegt deshalb durch die drohende Verfahrenmedialisierung heute oftmals schwerer als die Frage, ob man schuldig ist oder nicht. Diese klärt sich übrigens erst viel später, wenn sich oft niemand mehr für den Fall interessiert. Folgenschwerer ist, was am Beginn der Geschichte steht und die Bühne der Kommunikation beherrscht. Wie gesagt: Es mag für die Justiz das letzte Wort, die res judicata, wegweisend bleiben – auf der Kommunikationsebene ist hingegen meist das erste Wort entscheidend. Dass dabei die Unschuldsvermutung zur Stilübung, beziehungsweise zur rein sprachlich-formalen Vorsichtsmassnahme zu verkommen droht, liegt auf der Hand. Lange vor Prozessende treten gesellschaftliche Folgen ein, die eigentlich eine Verurteilung voraussetzen würden. Von allen Seiten wird man bedrängt, zwar noch unschuldig, aber oft bereits „untragbar“ geworden. Es wird einem suggeriert, man solle rasch verschwinden, am besten vorgeblich spontan und unter dem Vorwand, sich so unbelastet auf die eigene Verteidigung konzentrieren zu können. Nicht die gerichtliche Verurteilung, sondern bereits das Strafverfahren und dessen Medialisierung lösen also für den Betroffenen weit reichende Konsequenzen aus. Die soziale und/oder berufliche Verurteilung findet ausserhalb des Gerichtssaals statt, im und durch den öffentlich gewordenen Strafprozess. Sämtliche rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien drohen dabei zu einem flüchtigen Ritual zu werden. Der Strafprozess schlägt aber sozusagen kommunikativ zurück: Seine unwiderstehliche Anziehungskraft hat für die Medien selbst Konsequenzen. Nicht nur beeinflus40 Dazu z. B. Niklaus Oberholzer, Von der Normeninflation im Strafrecht, in: Franz Riklin / Hans-Peter von Däniken (Hrsg.), Straflust oder Straffrust? Vom Zustand des Strafwesens in der Schweiz, 2011.

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sen sie die Prozesse, sondern umgekehrt auch die Prozesse die Medien: Unbemerkt fliessen die den Verfahren eigene prozessuale Sprache, die juristische Argumentation und die Erzählungslogik in die Medien ein und formen sie sozusagen sprachlich und damit auch inhaltlich um. Der enge Kontakt zwischen Medien und Strafjustiz lässt allmählich eine strafrechtlich geprägte Mediensprache entstehen, welche weit über die Kriminalberichterstattung hinaus reicht. Nicht nur werden Strafprozesse des Öfteren zu Sendeformate und Talkshows.41 Sondern es entstehen Sendeformate, mit welchen schliesslich über sämtliche gesellschaftlichen Ereignisse berichtet wird, als handle es sich eben um Strafprozesse. Immer häufiger wird im Stil des Gerichtsjournalismus geschrieben, gesprochen und gefilmt. Durch den Kontakt von Medien und Strafjustiz wird die Mediensprache zunehmend strafrechtlich geprägt: Politiker werden durch das Volk „abgestraft“, machen sich der Lüge „schuldig“ oder werden von den Wählern „freigesprochen“; fehlbare Manager handeln „kriminell“, enttäuschte Verbraucher sind „Opfer“; interne Parteidebatten gelten als „Prozesse“; unzufriedene Aktionäre „büssen“ ihren Verwaltungsrat. Nicht nur finden Strafprozesse in den Medien statt, die Medien berichten umgekehrt immer häufiger „prozessual“: Sie orientieren ihre Gesamtsprache am Gerichtsberichterstattungsstil. Das prozessuale Erzählmodell mit Wahrheit gegen Unwahrheit, richtig gegen falsch, schuldig gegen unschuldig, Opfer gegen Täter, dehnt sich aus. Auch politische oder wirtschaftliche Ereignisse werden in den Medien mithilfe dieser Deutungsmuster beschrieben. Die Welt verkommt zu einer Prozess-Szene, die gesellschaftliche Auseinandersetzung zur Gerichtsverhandlung. Da die Sprache und die spezifischen Argumentationsweisen der Medien allmählich auch auf das Publikum übergreifen, ist mit weitreichenden gesellschaftlich-politischen Folgen zu rechnen. Nicht verwunderlich ist es deshalb, wenn die öffentlichen Debatten immer stärker an den Ton von Strafprozessen erinnern. Der Schritt zum öffentlichen und mithin auch zum politischen Justizialismus ist damit nur noch klein. In einer halbdirekten Demokratie wie der unseren ist dies erst recht problematisch. Edy Salmina, Rechtsanwalt Viale S. Franscini 15, C. P. 6462, CH-6901 Lugano

41 Dazu z. B. Ennio Amodio, Estetica della giustizia penale. Prassi, media, fiction, 2017, 141–186.

Le sens des règles déontologiques des journalistes, en particulier dans la couverture des procès Dominique von Burg

Par souci de clarté, j’ai divisé cet exposé en trois temps : avant le procès ; la couverture du procès ; après le procès. I. Avant un procès, le journaliste doit-il faire preuve d’une retenue particulière ? Non, dans le sens où il est libre de parler d’une affaire avant qu’elle soit jugée, au nom du droit du public d’être informé. Il peut le faire sur la base d’une enquête propre, d’un acte d’accusation, ou à partir d’autres sources. Oui, dans le sens où il doit respecter la présomption d’innocence. Non pas en s’interdisant de parler de l’affaire, mais en faisant en sorte que le lecteur soit averti que l’affaire n’est pas jugée. Pour respecter la présomption d’innocence, les médias doivent en particulier faire attention à la titraille ou aux affichettes. A titre d’exemple, je vous résume la prise de position 61/20031 du Conseil de la presse : – Avant le procès contre le patron du Centre pour paraplégiques de Nottwil la « Sonntags Zeitung » publie une affichette avec la teneur suivante : « Guido Zäch : Spenden-Missbrauch ». – Or celui qui ne lit que cette affichette peut penser que le célèbre médecin est déjà condamné. La présomption d’innocence est donc violée. – Pour les titres, dans sa pratique constante, le Conseil de la presse admet les hyperboles, à condition toutefois qu‘elles soient relativisées ou précisées dans le sous titre ou dès le début de l’article. Enfin, avant un procès, le journaliste doit veiller à protéger la personnalité du prévenu (et bien sûr de la victime). A titre d’exemple, on peut consulter l’avis 17/2013 du Conseil de la presse : 1

Tous les avis du Conseil de la presse peuvent être consultés sur www.presserat.ch.

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– L’Illustré enquête sur le « pédophile de Gland », dont l’arrestation vient de faire les gros titres. L’Ordre des avocats vaudois saisit le Conseil de la presse, alléguant une violation de la présomption d’innocence. – Le Conseil de la presse rejette la plainte sous cet aspect, car il est évident pour le lecteur que l’affaire n’est pas jugée. – En revanche, le Conseil juge que trop de détails de faible valeur informative, dont le magazine aurait donc dû faire l’économie, risquaient de faciliter l’identification du suspect. Dans les affaires à grand retentissement provoquant des emballements médiatiques, le journaliste doit veiller à respecter ses règles déontologiques, et notamment le devoir de vérification d’une information. Se saisissant de la couverture de l’affaire Hirschmann à Zurich, le Conseil de la presse a émis les recommandations suivantes (58/2010) : – Une masse de comptes-rendus sur une procédure pénale en cours ne viole pas la présomption d’innocence, dès lors qu’ils indiquent qu’aucune condamnation valable n’a encore été prononcée et pour autant qu’il soit encore possible au tribunal de juger en toute indépendance. – Mais les rédactions ne doivent pas publier, sans vérification, de simples rumeurs ou suspicions, dans le but unique d’apporter autant que possible de nouvelles « révélations ». – Avant de publier de graves accusations contre des personnes en détention préventive, les journalistes ont l’obligation de les contacter, le cas échéant leur représentant pour obtenir son point de vue. – Les journalistes et les rédactions devraient se fier à leur sens de la mesure. Ils doivent penser à l’effet que peut produire une avalanche médiatique sur la personne concernée – sans même parler du fait que de tels emballements réduisent l’attention apportée à des sujets potentiellement plus importants. II. A quoi le journaliste doit-il veiller en rendant compte d’un procès ? Le respect de la présomption d’innocence va de soi – et elle est généralement évidente pour le lecteur, puisque le procès est en cours. Mais cette présomption d’innocence doit également être appliquée après un jugement non encore exécutoire. Le journaliste a-t-il une obligation de « neutralité » ou d’ « équilibre » dans ses comptes rendus ? Le Conseil de la presse répond clairement par la négative, il n’y a pas d’obligation déontologique à une telle « neutralité ». Si donc le journaliste peut prendre parti, il doit toutefois être clair pour le lecteur qu’il s’agit d’une position personnelle du journaliste. De plus, les arguments contraires doivent également être mentionnés, même si on peut leur donner moins d’importance. Le journaliste doit prêter une attention particulière à la protection de la victime. Sauf exception (par exemple si la victime est une célébrité) la victime ne doit pas être identifiée, et sa dignité doit être respectée. C’est le cas notamment dans les affaires mœurs.

Le sens des règles déontologiques des journalistes

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Deux exemples, l’avis 48/2007 d’abord : – Une adolescente sourd muette a été abusée. Dans son compte rendu de procès, « Le Matin » précise qu’elle est Camerounaise. – Le Conseil de la presse tance le quotidien : l’indication de la nationalité, nullement nécessaire à la compréhension de l’affaire, rendait la victime reconnaissable en tout cas dans la communauté des sourds muets de Suisse. Puis l’avis 30/2012 : – Rendant compte d’un procès d’abus sur une fillette, les « Wyler Nachrichten » citent tous les détails contenus dans l’acte d’accusation. – Pour le Conseil de la presse, un tel luxe de détails – non indispensables – a porté atteinte à la dignité de la victime. La personnalité du prévenu doit également être protégée, même après un verdict de culpabilité. En principe, le journaliste ne donne donc pas l’identité d’un prévenu. Il y a toutefois des exceptions. Par exemple si le prévenu jouit d’une grande notoriété, et que le délit supposé est en lien avec les raisons de sa notoriété. Ou encore si le prévenu exerce une charge publique ou sociale importante et qu’il y a un rapport avec le délit supposé. Quand on est face à des crimes particulièrement odieux et retentissants, il peut être justifié de révéler l’identité du prévenu. Par exemple dans le cas d’un Osterwalder en Suisse, d’un Dutroux en Belgique, ou encore d’un Fritzl en Autriche. A ce propos, on lira avec intérêt la prise de position 42/2015 du Conseil de la presse, qui se rapporte à l’identification du copilote de la Germanwings ayant précipité tous les passagers dans la mort. Il y a enfin des cas où l’anonymat n’a plus beaucoup de sens. Dans certains pays qui nous entourent, l’anonymat du prévenu n’est pas la règle. Par exemple, la meurtrière du banquier Stern à Genève a été identifiée par la presse française. Dans ces questions touchant au respect ou non de l’anonymat, comme dans toute question déontologique, c’est dans les rédactions que la réflexion doit se faire. On peut donc aboutir à des politiques rédactionnelles différentes. Par exemple, récemment, la presse genevoise n’a pas nommé le meurtrier de la socio thérapeute, alors que la presse alémanique au contraire l’a fait. Que dit la déontologie journalistique à propos de la couverture « en direct » des procès sur les I phone ? Le Conseil de la presse ne s’est pas encore prononcé. D’une part il n’a pas été saisi de la question, d’autre part ce n’est pas son rôle de donner des instructions aux rédactions. A titre personnel, je ne suis pas opposé a priori, si les règles déontologiques sont respectées (respect de la vérité, présomption d’innocence, etc.). Cela dit, il est vrai que le journalisme en ligne, par sa volonté d’être rapide pour « griller » la concurrence, peut être problématique. Les informations sont parfois publiées sans vérification ou sans que les personnes qui font l’objet de reproches graves soient entendues (quitte à « compléter » la news dans un deuxième temps, ce que le Conseil de la presse juge insuffisant).

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III. Après le procès, quelles règles déontologiques ? La règle de la non identification d’un condamné demeure. A la fois pour ne pas compromettre sa réinsertion sociale et pour protéger son entourage. Par ailleurs, les décisions de non lieu, les classements ou acquittements devraient être rendus publics « de manière comparable » aux comptes rendus antérieurs. C’est une règle qui n’est malheureusement pas toujours respectée. Enfin, y a-t-il un « droit à l’oubli » ? Le Conseil de la presse reconnaît un tel droit, mais pas de manière absolue. Il a fixé sa doctrine à cet égard dans l’avis 22/2008 : – Un prêtre jadis soupçonné de pédophilie, jamais jugé à cause du délai de prescription, a été replacé dans une paroisse. Suite à une dénonciation, les médias s’emparent de l’affaire. Le prêtre se suicide, les proches – ainsi que l’évêque – crient à l’assassinat médiatique. – Le Conseil de la presse estime pourtant que les médias ont agi de manière correcte. L’affaire était d’intérêt public, et le prêtre en question n’a pas été identifié. – En conclusion, le Conseil de la presse est d’avis que les médias sont légitimés à ne pas respecter un « droit à l’oubli » pour autant qu’un intérêt public prépondérant l’exige, et que le principe de la proportionnalité soit respecté. Ce peut être en particulier le cas quand il y a une relation entre une affaire passée et l’activité sociale ou professionnelle présente de la personne – ce qui était le cas dans cette affaire. Dominique von Burg Präsident Schweizer Presserat, Geschäftsstelle, Münzgraben 6, CH-3011 Bern

Die eigene Rolle überdenken Die beschränkte Wirkung des Schweizer Presserates und der Umgang der Strafverfolgung mit Medienschaffenden André Marty

„Nous sommes responsables non seulement de ce que nous faisons mais également de ce que nous ne faisons pas.“ (Molière)

Die Ausgangslage ist klar: „Der Schweizer Presserat dient Publikum und Medienschaffenden als Beschwerdeinstanz.“1 Weiter hat der Presserat in seiner „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ die Möglichkeiten und Grenzen der Gerichtsberichterstattung skizziert. Grundlegende Einwände gegen diese Erklärung, soweit sie sich auch auf die Gerichtsberichterstattung bezieht, dürften spärlich ausfallen. Die Akteure sind sich weitestgehend der besonderen gesellschaftlichen Bedeutung der medialen Begleitung von Strafverfolgung und Justiz bewusst. Deshalb sei es erlaubt, den Fokus im Folgenden auf die Rolle und die Relevanz des Schweizer Presserates hinsichtlich des Umgangs von Medienschaffenden mit Strafverfolgung und Justiz zu legen. „Der Schweizer Presserat beurteilt als Selbstregulierungsorgan Verstösse gegen den Journalistenkodex. Damit leistet die Institution einen entscheidenden Beitrag zur Durchsetzung der medienethischen Prinzipien im Schweizer Journalismus. (…) Der Schweizer Presserat prüft nicht nur die Einhaltung der ethischen und handwerklichen Prinzipien im hiesigen Journalismus, sondern er beurteilt und rügt gegebenenfalls auch deren Verletzung. (…) Darüber hinaus beurteilt der Presserat Fragen zur Medienpraxis und Medienethik, er verteidigt die Informationsfreiheit, nimmt Stellung zu Fragen der Berufspraxis in der Medienbranche, bildet Journalistinnen und Journalisten in medienethischen und -rechtlichen Fragen aus und berät Dritte in Fragen der Medienethik und des Medienrechts.“2 1 2

Schweizer Presserat, Unser Angebot. Siehe: https://presserat.ch/der-presserat/aufgaben/. Markus Spillmann: Ethik im Journalismus; NZZ, 14. Juni 2017. Siehe: https://www.nzz.ch/meinung/ journalistenkodex-ethik-im-journalismus-ld.1300701.

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Dies sind die Worte von Markus Spillmann, dem Präsidenten des Stiftungsrates des Schweizer Presserates in einem NZZ Gastkommentar vom 14. Juni 2017. Erlaubt sei dazu ein Reality Check aus der Sicht eines Praktikers, der für die Kommunikation der schweizerischen Bundesanwaltschaft als Informationschef verantwortlich zeichnet. Im Jahr 2017 hat der Presserat bis dato insgesamt 14 Beschwerden behandelt und Stellungnahmen dazu online gestellt. In der breiteren Öffentlichkeit – aber noch viel wichtiger, in den Medien selber – wurde eine einzige davon knapp aufgenommen. In dieser ging es um den Sachverhalt, dass „Blick“ und „Blick am Abend“ in ihren Print- und Online-Ausgaben am 13. März 2017 einen Artikel veröffentlichten, welcher die Türkinnen und Türken in der Schweiz aufruft, am 16. April 2017 Nein zum Referendum und damit Nein zu einem autoritären System in der Türkei zu stimmen. Die Beschwerde wurde als offensichtlich unbegründet abgelehnt3 – den „Blick“ hat’s gefreut, und die Leserschaft wurde darüber kurz ins Bild gesetzt.4 That’s it?, stellt sich die Anschlussfrage – that’s it in Sachen Presserat im ersten Halbjahr 2017, in der Tat. Interessierte haben darauf gehofft, dass der Presserat im Rahmen seiner selbst definierten Aufgabe – es sei der anfangs erwähnte Stiftungsratspräsident des Presserates zitiert – „einen entscheidenden Beitrag zur Durchsetzung der medienethischen Prinzipien“ leistet. Bezüglich Justizberichterstattung oder zumindest damit verwandter Themen hätte das erste Halbjahr 2017 einige Möglichkeiten geboten. Eines der Themen, welche die Medienwelt diesen Frühling stark beschäftigt hatte, war das Buch „Jürg Jegges dunkle Seite“ – ein journalistischer Frontalangriff auf einen ehemaligen Sonderschullehrer, der jugendliche Schützlinge mutmasslich sexuell missbraucht hatte. Fernsehen und Radio SRF hatten im Gegensatz zu andern Medienorganen auf eine Berichterstattung anfänglich verzichtet; dies unter Hinweis auf die Pflicht zur Anhörung von Beschuldigten als einer zentralen journalistischen Regel. Der Presserat hat sich zu dieser in den Medienhäusern (endlich) heftig diskutierten Frage dahingehend geäussert, dass er dazu nichts zu sagen habe. Denn, so die Medienmitteilung des Presserates: „Die Zuständigkeit des Presserates erstreckt sich nicht auf Bücher.“5 Damit ist die Frage nach der Wirkung der Entscheide des Presserates aber noch nicht abschliessend behandelt. Ein Thema, das die Bundesanwaltschaft, dieses Gericht und auch die breite Öffentlichkeit – und gewissermassen unseren gesellschaftlichen Kitt – betrifft, ist die Berichterstattung über den Terrorismus. Am 23. Juni 2015 publizierte die meistgelesene Zeitung der Schweiz, 20 Minuten, einen Artikel unter dem Titel „Kellogg’s und Exekutionen zum Frühstück“6. In diesem Artikel konnte ein ehemaliger Thaibox-Weltmeister ausführlich sein Leben beim IS schildern. Die Arbeit sei nicht 3 4 5 6

Vgl. Stellungnahme Nr. 9/2017, Politischer Aufruf (X. c. „Blick“ und „Blick am Abend“). Siehe: https:// presserat.ch/complaints/politischer-aufruf/. BLICK-Aufruf an Türken war regelkonform, Blick, 18. Mai 2017. Siehe https://www.blick.ch/news/politik/ erdogan-fan-laeuft-beim-presserat-auf-blick-aufruf-an-tuerken-war-regelkonform-id6660519.html. Schweizer Presserat zur Anhörung von Jürg Jegge, 10. April 2017. Siehe: https://presserat.ch/schweizerpresserat-zur-anhoerung-von-juerg-jegge/. Kellogg’s und Exekutionen zum Frühstück, 20 Minuten, 23. Juni 2015. Siehe: http://www.20min.ch/ ausland/news/story/Kellogg-s-und-Exekutionen-zum-Fruehstueck-25930403.

Die eigene Rolle überdenken

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anstrengend, er sehe das alles als Freizeit. Der IS würde Zivilisten helfen, sicher über den Euphrat zu kommen. Wohnung und Essen bekomme er gratis und selbst Milchschnitten und Kellogg’s gäbe es. Hinrichtungen würden nur in Folge eines rechtsgültigen Urteils durchgeführt. Das Leben im Kalifat mache ihn glücklich und er sei froh, nicht mehr in Europa zu sein. Hier könne er nach den Regeln der Scharia leben und den Islam richtig praktizieren. Die gegen diesen Artikel „Kellogg’s und Exekutionen zum Frühstück“ eingereichte Beschwerde hat der Presserat ein gutes Jahr später in allen Punkten abgewiesen.7 Dieser Abweisung ist in den Erwägungen unter anderem zu entnehmen: „Überspitzt ist ein Titel dann, wenn er wahrheitswidrig ist und somit die Gefahr besteht, die Leser zu täuschen. Der vorliegende Titel mag zugespitzt sein, doch es steht nicht fest, dass er wahrheitswidrig ist.“8 Und weiter hält der Presserat fest: „Der Artikel berichtet, es gebe öffentliche Hinrichtungen, nennt aber weder Details zu den Personen noch zur Art der Hinrichtung. Insofern ist für den Presserat nicht ersichtlich, inwiefern das Leid der Betroffenen und die Gefühle der Angehörigen nicht respektiert worden sein sollen, zumal es grundsätzlich möglich sein muss, über solche Geschehnisse zu berichten.“9 Weiter wird in den Erwägungen festgehalten: „Gemäss Beschwerdeführer hat 20 Minuten ein zweifelhaftes Angebot wahrgenommen, um die Klickraten in die Höhe zu treiben, und sich nicht von journalistischen Interessen leiten lassen. Damit setzt der Beschwerdeführer vermutete, jedoch nicht nachgewiesene hohe Klickraten mit Vorteilen und Versprechen gleich. Diese Gleichsetzung entbehrt jeglicher Grundlage.“10 Warum wird ausführlich aus dieser Beschwerdeantwort zitiert? Offensichtlich findet die Auseinandersetzung mit Medienwirkungen auch dort nicht statt, wo sie gemäss eigenem Selbstverständnis stattfinden sollte. In der Konsequenz lässt sich festhalten: Der Frage der medialen Propaganda für extremistisches Gedankengut wird nicht jene zentrale Beachtung geschenkt, die sie benötigt. Trotz der kommunizierten Tatsachen, dass im Terrorbereich rund 70 Strafverfahren bei der Bundesanwaltschaft hängig sind und rund 400 Personen auf dem Präventiv-„Radar“ des Nachrichtendienstes des Bundes stehen, hat die Mitverantwortung von Medienschaffenden und deren ethischem Selbstreflexions-Organ an einem kleinen Ort Platz. Die imminente Wechselwirkung zwischen Berichterstattung und Terror, die gemeinhin als zentraler Bestandteil jeder Terrorismus- Definition gilt, wird mit gar nicht oder schlecht reflektierter Medienarbeit bewusst in Kauf genommen. Wie stellen sich die Medienschaffenden selber zu diesen Fragen? Zwei Medienhäuser haben sich im letzten Jahr – ohne Beitrag des Presserates – für ihre Terror-Berichterstattung gewisse Schranken auferlegt: Schweizer Radio und Fernsehen SRF und Tages-Anzeiger/Sonntagszeitung wollen Terroristen und Attentäter nicht mehr mit vol7 Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 23. September 2016, Nr. 30/2016 (X. c. „20 Minuten“). Wahrheitspflicht/Ansehen des Berufs/Quellen/Menschenwürde/Vorteile und Versprechungen. 8 Siehe a. a. O. 9 Vgl. a. a. O. 10 A. a. O.

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lem Namen nennen und von ihnen auch keine Bilder mehr veröffentlichen. Die entsprechenden Leitlinien haben sie im letzten Sommer in Kraft gesetzt. Sehen wir also heute keine Namen und Bilder von Attentätern mehr? Anis Amri, der Name des Attentäters von Berlin und die Bilder der Attentäter vom London Bridge-Anschlag – beides ist nach wie vor zu finden bei SRF und Tages-Anzeiger.11 Die Ökonomisierung der Medienwelt holt auch Schweizer Medienunternehmungen ein, zeitlich verzögert zwar, aber umso ungewohnter für die Medienschaffenden. Ressourcen werden gekürzt, konzentriert oder verlagert. Dies zeigt sich etwa daran: – Der Journalismus verliert Orientierungspunkte. Anstelle von richtig oder falsch tritt das Tempo. Die Handykamera tritt an die Stelle des Duden. – Um der Komplexität entgegenzuwirken, werden Sensationen geschaffen. Dadurch wird ein Thema vereinfacht und kann nun dramatisiert werden – ein Feld, das für Medien wie geschaffen ist. – Die Beschleunigung und die Verdichtung der Kommunikation führt zur zentralen Bedeutung der Frage: „Wer hat’s zuerst?“ – es zählt nicht, ob richtig, sondern ob zuerst berichtet wird. – Entwertung der Qualität: Es gibt kaum noch Fachredaktionen und Fachwissen – man ist geneigt, von einer neuen Kategorie von Volontärjournalismus zu sprechen. Aber auch hier gilt es, eine Wechselwirkung festzuhalten: Qualität hat ihren Preis, den die Leser-, Hörer- und Zuschauerschaft zu zahlen bereit sein müsste. – Newsroom und Konzernjournalismus zerstören die Identität und das Zugehörigkeitsgefühl vieler Medienschaffenden. – In den sozialen Medien haben sich Parallelwelten der Informationsvermittlung entwickelt. Anstelle einer Auseinandersetzung mit der Sache findet eine permanente, persönlich fabrizierte Skandalisierung statt. Was genau in der heutigen realen Medienwelt geschieht, fasst Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, wie folgt zusammen: „Die Medienwelt befindet sich in einer Phase des Übergangs vom redaktionellen Journalismus (…) hin zum Jahrhundert des unsichtbaren Journalismus der Zukunft, den die vernetzten vielen im Verbund mit den Digitalmonopolisten produzieren. Es ist eine Form der Publizistik, die sich selbst gar nicht mehr als Journalismus begreift, aber doch vergleichbare Öffentlichkeitseffekte erzeugt, Themen setzt, Enthüllungen produziert, Bilder liefert – und letztlich darüber bestimmt, was für wichtig und wahr gehalten wird.“12

11

Siehe dazu stellvertretend: http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/Nach-Terrorattacke-wird-MaysRuecktritt-gefordert/story/13516973 sowie: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/anis-amri--meistgesuchter-mann-europas?id=70617275-7c6d-407b-9688-9fddb3fd4d54. 12 Bernhard Pörksen, Pöbeleien im Netz ersticken Debatten. Wir brauchen endlich Regeln!, in: Die Zeit, 25. Juni 2015, S. 11.

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Kurzfristig sind folgende Konsequenzen auszumachen: – Das sogenannte „Litigation PR“: Von medial entsprechend bearbeiteten Strafverfahren ist praktisch täglich zu lesen, ohne dass die Hintergründe, sprich die Quelle, die ihre eigenen Interessen verfolgt, transparent gemacht oder die Sache journalistisch eingeordnet würde. – Institutionen-Kritik wird undifferenziert und ohne Kontextualisierung geübt. – Reflexion und eine lösungsorientierte Interessenvertretung ziehen gegenüber dem individuellen Auftritt den Kürzeren. – Die Personalisierung des Systems und der Institutionen. Noch gibt es zwar kein öffentliches Ranking der Schweizer Richterschaft, aber wie jüngste Fernseh-Soap-Operas über die allfällige Schuld eines Piloten rund um einen fiktiven Terror-Ereignisfall zeigen, scheint die mediale Annäherung an Volksgerichte populär. – Die Legitimationsfalle schnappt häufiger zu: Amts- und Untersuchungsgeheimnis verbieten teilweise eine rasche und prospektive Kommunikation. Deshalb finden sich Justiz und Strafverfolgung immer häufiger in der Rolle derjenigen Partei, die ihre Position nicht gebührend darstellen kann. Was also ist zu tun? Nüchtern betrachtet, darf nicht primär auf das Instrument einer medialen Selbstregulierungsorganisation gebaut werden. Ihre Wirkung ist zu gering. So sehr Justiz und Strafverfolgung ein eminentes Interesse an einer fundierten und einordnenden Berichterstattung haben: Wir, die Vertreter der Institutionen, müssen lernen umzugehen mit dem SEIN DES SCHEINS; mit der Schlagzeile als Berufsziel, mit fundamentaler Systemkritik – teilweise kaschiert als Ruf nach Transparenz; mit einer beschleunigten Welt, in der reflektierende Justiz und Strafverfolgung als Anachronismus wahrgenommen werden. Beleidigt sein ist die zweitbeste Antwort darauf. Ein neuer Umgang mit der Öffentlichkeit, also nicht nur mit den Medien, erscheint aus Sicht der Strafverfolgung angezeigt. Wie könnte er aussehen? Zunächst gilt es, Ruhe bewahren beim Umgang mit den nicht abbrechenden medialen Tageszuckungen. Schlagzeilen kommen und Schlagzeilen gehen. Im Sinne eines offenen Umgangs mit der Öffentlichkeit sind Begriffe wie Transparenz neu zu denken, oder zu überdenken. Das Amts- und Untersuchungsgeheimnis sollte einem Reality-Check unterzogen werden. Sodann ist eine klare und unmissverständliche Sprache unumgänglich. In Zeiten von social media entscheidet die inhaltliche Schärfe in der Wortwahl. Das ist eine grosse Herausforderung, der sich Justiz und Strafverfolgung stellen müssen. Emotionalisierten Debatten sind Fakten entgegenzuhalten. Nicht nur die Medien können eine aktive Rolle spielen in gesellschaftlichen Prozessen. Spätestens seit Justiz und Strafverfolgung vermehrt gesellschaftspolitische Aufgaben zugeordnet werden, sind wir keine neutralen Beobachter mehr. Das Credo lautet, mit Fakten und Perspektiven den geschürten Emotionen entgegenzuwirken. Denn Terroranschläge haben in erster Linie zum Zweck, das Vertrauen jeder Gesellschaft in sich selbst zu untergraben. Deshalb können wir seitens der Strafverfolgungsbehörden und gar der Gerichte in aussergewöhnlichen Zeiten auch durch öffentliche Stellungnahmen zu grundsätzlichen rechtsstaatlichen Fragen Position beziehen, unsere Überlegungen und Bedürfnisse ein-

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bringen. Unsere Unabhängigkeit sollten wir leben und darlegen, gerade auch in der Zusammenarbeit mit den Medien. Mit dem Ziel einer konstruktiven und sachangemessenen Berichterstattung könnten beispielsweise gemeinsame Weiterbildungen angeboten und Checklisten erstellt werden mit bedenkenswerten Punkten für Medienarbeitende beim Umgang mit Justiz- und Strafverfolgung. Hier seien einige konkrete Themenbereiche vorgeschlagen: – Wie könnten die Elemente einer reflektierten und angemessenen Berichterstattung im Terrorbereich aussehen? – Wie könnte eine kontextuelle Justizberichterstattung unterstützt werden? – Was ist bedenkenswert für eine Berichterstattung? – Was ist bedenkenswert beim Umgang mit Medienrealitäten? Neue Zeiten erfordern es, die eigenen Rolle zu überdenken. Unsere Unabhängigkeit sollten wir leben und darlegen, gerade auch in der Zusammenarbeit mit den Medien. Justiz und Strafverfolgung können sich der Debatte über ihren Sinn und Zweck nicht verschliessen; idealerweise in Ergänzung zur Selbstregulierung durch den Presserat und die Selbstreflexion der Medienschaffenden, nötigenfalls auch alleine in den möglichst offenen – und eben nicht verschlossenen – Strafverfolgungs- und Justizhallen. André Marty Schweizerische Bundesanwaltschaft, Taubenstrasse 16, CH-3000 Bern

Die Funktion der Justizberichterstattung in der direkten Demokratie Replik zur Sicht der Medien, der Medienschaffenden und des Presserats Mascha Santschi Kallay

Die Medien dürfen – als sog. vierte Gewalt im Staat – Kritik an den Gerichten üben. Zum einen sollten Justizvertreter auf mediale Schelte daher nicht zu empfindlich reagieren. Zum anderen setzt glaubwürdige Justizkritik aber auch Journalisten voraus, die von der Sache – der Rechtsprechung und der Judikative als Institution – tatsächlich etwas verstehen. Da dies in der Praxis nicht immer zutrifft und sich die Medienrealität durch die Digitalisierung stark verändert hat, ist es notwendig, dass die Judikative heute eine aktivere Rolle in der Kommunikation übernimmt als noch vor zwanzig Jahren. Gerichte sollten die Öffentlichkeit von sich aus über ihre Rechtsprechung und regelmässig auch über ihre eigene Bedeutung als dritte Gewalt im demokratischen Rechtsstaat informieren. Ich verweise hier auf die Dissertation von Christof Schwenkel, der den Einfluss kantonaler Justizsysteme auf das Vertrauen der Bevölkerung in die Gerichte untersucht hat.1 Darin wird erstmals wissenschaftlich belegt, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit in die kantonalen Gerichte umso höher ausfällt, je besser sie über die Gerichte und ihre Tätigkeit informiert ist.2 Allerdings stellt Schwenkel auch fest, dass die kantonalen Gerichte nicht das gleich hohe Vertrauen geniessen wie die eidgenössischen Gerichte.3 Dies zeigt, dass eine verbesserte und professionalisierte externe Gerichtskommunikation gerade auch auf kantonaler Ebene einem starken allgemeinen Bedürfnis und einem Gebot der Zeit entspricht. Journalisten, die sich der Gerichtsberichterstattung widmen, werden jedoch bei ihren Anfragen von den Gerichten häufig auf die richterliche Pflicht zur Zurückhaltung verwiesen. Diese stünde, so wird den Medienschaffenden gerne erklärt, einer gerichtli1 2 3

Christof Schwenkel, Der Einfluss kantonaler Justizsysteme auf das Vertrauen der Bevölkerung in die Gerichte, 2016. Schwenkel, a. a. O., N 349 f. Schwenkel, a. a. O., N 317.

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chen Auskunft in hängigen Verfahre von vornherein entgegen. Die richterliche Zurückhaltung leitet sich aus der verfassungsmässigen Garantie der richterlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ab (Art. 30 Abs. 1 BV). Dass die richterliche Unabhängigkeit für ein faires Gerichtsverfahren unabdingbar ist, steht ausser Zweifel. Doch auch die Justizberichterstattung sollte dem Gebot der Fairness und der sachlichen Angemessenheit entsprechen. Deshalb: Wer kümmert sich eigentlich um die journalistische Unabhängigkeit und stellt diese sicher? In der Praxis treffen die Prozessparteien oder deren Anwälte mit Journalisten Abmachungen, welche die journalistische Freiheit beschränken. So verpflichten sich Medienschaffende – im Austausch gegen volle oder faktisch allenfalls auch nur selektive Akteneinsicht –, über einen Rechtsfall nur dann zu berichten, wenn dies der Partei, die auf den Journalisten zugegangen ist, zum Vorteil gereicht. Teilt dieser deren Auffassung hingegen nicht – oft handelt es sich aus Sicht der Partei resp. des Anwalts um einen vermeintlichen „Justizpfusch“ –, verpflichtet er sich, nicht über den Rechtsfall zu berichten. Aber ist es nicht höchst bedenklich, dass sich Journalisten überhaupt auf solche Deals einlassen? Fragwürdig ist weiter, wie unkritisch sich Medienschaffende teilweise von den Parteien mit spezifischen Informationen füttern lassen. Oder dass Journalisten ihren Kollegen einfach abschreiben, ohne die angeblichen Fakten selber überprüft zu haben. Weiter beobachte ich, wie etablierte Journalisten Nebengeschichten eines Rechtsfalls, die für sie selbst nicht von hinreichendem Interesse sind, an jüngere, manchmal sogar an redaktionsfremde Medienschaffende weitergeben, damit diese dann aus den Brosamen eine neue Geschichte basteln, welche die Hauptgeschichte stützt. Fazit: Nicht nur die richterliche, sondern auch die journalistische Unabhängigkeit ist zu thematisieren. Denn wer für sich in Anspruch nimmt, dem Publikum für die Meinungsbildung bedeutsame Informationen zu vermitteln und die Staatsgewalten zu kontrollieren, der muss auch seine eigene berufliche Unabhängigkeit unbedingt bewahren. Damit komme ich zum nächsten Stichwort: Litigation-PR. Die Meinungsäusserungsfreiheit von Rechtsanwälten reicht weit, wie ein Blick nach Strassburg zeigt.4 Ich habe in der neuen Auflage des Standardwerks „Anwaltsrecht“5 nach dem Stichwort „Litigation-PR“ gesucht – jedoch vergeblich. Dabei wäre es an der Zeit, dass sich die Anwaltschaft, die Justizbehörden, die Gerichte und vielleicht auch die involvierten Medienschaffenden des Themas annehmen und die mit Litigation-PR verbundenen Gefahren für eine unabhängige und sachgerechte Justizberichterstattung erkennen. Es ist wünschbar, dass das Anwalts- oder das Standesrecht einer überbordenden strategischen Öffentlichkeitsarbeit von Rechtsanwälten Grenzen setzt. So oder anders bleibt die Feststellung: Ein Gericht, das sich der Kommunikation mit Medienschaffenden verweigert, kann auch nicht erfahren, was im Hintergrund eines Prozesses abläuft. Es weiss nicht, wer die Informationsflüsse zu den Medien steu4 5

Siehe etwa die Urteile des EGMR (Grosse Kammer) Morice c. Frankreich (Appl. Nr. 29369/10) vom 23. April 2014 und Gouveia Gomes Fernandes c. Portugal (Appl. Nr. 1529/08) vom 29. März 2011. Walter Fellmann, Anwaltsrecht, 2. Aufl., 2017.

Die Funktion der Justizberichterstattung in der direkten Demokratie

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ert oder welche – an sich geheimen – Verfahrensakten bereits in der Halböffentlichkeit kursieren. Auch dies ist ein Grund, weshalb die Justizvertreter den Dialog mit den Journalisten suchen sollten. Denn unsachgerechte oder gar tendenziöse Justizberichterstattung gefährdet die Fairness des Verfahrens, die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, aber auch das sachangemessene Bild der Justiz in der Öffentlichkeit und ihr Ansehen. Effektive kommunikative Gegenmassnahmen kann ein Gericht erst treffen, wenn es sich einen Überblick über die im Hintergrund laufende strategische Medienarbeit der Parteien verschafft hat. In diesem Zusammenhang möchte ich auch das Kommunikationsverhalten der Staatsanwaltschaften und der Polizei ansprechen. Das Untersuchungsverfahren ist bis zum Erlass eines Strafbefehls oder bis zur Anklageerhebung grundsätzlich geheim.6 Diese Phase eines Strafverfahrens fällt – im Gegensatz zum anschliessenden Gerichtsverfahren – nicht unter das Justizöffentlichkeitsprinzip.7 Faktisch ist es aber so, dass Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden häufig viel intensiver extern kommunizieren als die Gerichte. Erreicht eine im Untersuchungsverfahren von den Strafbehörden gegen aussen kommunizierte Strafsache das Gericht, besteht bereits ein Mass an Öffentlichkeit, welches das Gericht nicht mehr zu verringern vermag. Das Gericht ist in solchen Fällen von Beginn weg mit einer sehr hohen Erwartungshaltung der Journalisten bezüglich der behördlichen Information konfrontiert. Es stösst nun auf Unverständnis bei den Medienschaffenden, wenn es restriktiver informiert als die zuvor mit dem Fall befassten Strafbehörden. Daher plädiere ich für mehr Zurückhaltung in der Medienarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaften. Liegen überzeugende Gründe für das Informieren aus einer laufenden Strafuntersuchung vor8, so ist gegen eine angemessene externe Kommunikation nichts einzuwenden. Wenn es den Strafbehörden aber nur darum geht, das mediale Sommerloch zu füllen, Präsenz zu markieren oder PR in eigener Sache zu machen, dann würde mehr Zurückhaltung auch dem später zuständigen Gericht dienen. Mit anderen Worten: Mancherorts wird im Untersuchungsverfahren zu viel und im Gerichtsverfahren zu wenig extern kommuniziert. Diese Entwicklung widerspricht, wie erwähnt, der verfassungsrechtlichen Konzeption (Art. 30 Abs. 3 BV), wonach allein das gerichtliche Verfahren unter das Justizöffentlichkeitsprinzip fällt. Bestrebungen nach vermehrter Transparenz im Untersuchungsverfahren werden aber auch in der Lehre verfochten: Eliane Welte plädiert in ihrer Dissertation dafür, dass nicht nur Strafbefehle, sondern auch Einstellungs- und sogar Nichtanhandnahmeverfügungen für jede interessierte Person zugänglich sein sollten.9 6 7

8 9

Art. 69 Abs. 3 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0). Art. 30 Abs. 3 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV, SR 101); Art. 6 Ziff. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101). Siehe zur Öffentlichkeit von Strafbefehlen aber BGE 124 IV 234 sowie zur Einsicht in Einstellungsverfügungen BGE 134 I 286. Die Frage, ob auch nicht rechtskräftige Strafbefehle öffentlich aufgelegt werden müssen, hat das Kantonsgericht Luzern in seinem Beschluss 2N 16 129 vom 20. Oktober 2016 verneint (siehe medialex 2/17). Vgl. Art. 74 Abs. 1 StPO. Eliane Welte, Information der Öffentlichkeit über die Tätigkeit der Strafjustiz, 2016, insb. 57 f.

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Nun möchte ich ein paar Worte über den Presserat verlieren. Ich halte dieses Gremium, das über die Einhaltung der medienethischen Standards wacht, für sehr wichtig. Leider hat der Presserat einerseits aber zu wenig Schlagkraft, da er lediglich Stellungnahmen veröffentlichen kann, jedoch nicht über eigentliche Sanktionsmöglichkeiten verfügt. Zudem muss er mit wenig finanziellen Mitteln auskomme.10 Andererseits ist es für (Gerichts-)Juristen oft nicht ganz nachvollziehbar, wie der Presserat aus medienethischer Sicht Rügen aus dem Bereich der Justizberichterstattung beurteilt. So etwa ist es medienethisch in Ordnung, wenn der Gerichtspräsident bei der Urteilsschelte als Verantwortlicher namentlich genannt wird. Dabei ist zumindest jedem Juristen klar, dass der Vorsitzende von seinen Richterkollegen im Spruchkörper überstimmt worden sein könnte.11 Ein anderes Beispiel: Spricht das Medium von „vergewaltigen“, wenn es in Wahrheit aber um eine Verurteilung wegen „mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern“ geht, so ist dies gemäss Presserat eine gerade noch zulässige Zuspitzung.12 Hinzu kommt, dass der Anspruch von Richtern, bei heftigen Vorwürfen seitens der Medien vorher angehört zu werden, stark relativiert wird: Sie müssen sich fast schon eines illegalen oder damit vergleichbaren unredlichen Verhaltens schuldig gemacht haben, damit sie die Medienschaffenden vorgängig zwingend mit den entsprechenden Vorwürfen konfrontieren müssen.13 In Analogie zum Gerichtsprozess darf man wohl sagen, dass im Verfahren vor dem Presserat die journalistische Unschuldsvermutung gilt. So bleibt die Frage, wer denn nun eigentlich die vierte Gewalt im Staat kontrolliert. Ich nehme als Beispiel das Strafverfahren gegen einen ehemaligen Nachtclubbetreiber, dessen Fall erneut vor dem Obergericht des Kantons Uri liegt und – dank der intensiven Öffentlichkeitsarbeit des Verteidigers – über die Sprach- und Landesgrenzen hinaus für Medienaufsehen gesorgt hat. Die Urner Justizbehörden mussten in den letzten Jahren ein massives „Justizbashing“ über sich ergehen lassen. Im April 2017 hat das Bundesgericht nun aber entschieden, dass der Schuldspruch wegen Gefährdung des Lebens zu Recht ergangen ist und der Freispruch betreffend Mordversuch in Mittäterschaft vom kantonalen Gericht nochmals überprüft werden muss.14 Kaum einer der Medienschaffenden, welche die Angelegenheit zuvor wortreich als Justizskandal bezeichnet hatten, schrieb nun aber auch über die neue Wendung aufgrund des überraschenden Bundesgerichtsentscheids. Auch die Tatsache, dass das Bundesgericht in seinem Urteil das Verhalten einiger Medien als manipulativ bezeichnete und diese Erwägung in die amtliche BGE-Sammlung aufnimmt, wurde in kaum einem Medium erwähnt.15 Einer der Vorzüge des Presserats ist es, dass er Fälle von sich aus aufgreifen könnte.16 Es wäre wünschbar, dass er von dieser Kompetenz auch Gebrauch machen würde, um gerade im Bereich der Justizberichterstattung die Qualität zu fördern. Es entspräche ei10 11 12 13 14 15 16

Siehe . Vgl. Stellungnahme des Presserats Nr. 72/2011 E. 4a Abs. 2 (Ziegler/KG SZ c. SonntagsBlick). Stellungnahme des Presserats Nr. 55/2015 (X. c. Tele M1). Vgl. die Stellungnahme des Presserats Nr. 15/2010 E. 1b (EDÖB c. Basler Zeitung). BGer-Urteil 6B_824/2016 vom 10. April 2017 (= BGE 143 IV 214). BGE 143 IV 214 E. 16, 224 ff. Art. 1 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 2 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserats.

Die Funktion der Justizberichterstattung in der direkten Demokratie

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nem verantwortungsvollen Journalismus, wenn im Anschluss an heftige oder über das Ziel hinausschiessende mediale Justizkritik eine journalistische Nachbearbeitung der Berichterstattung gemacht würde. Die Fähigkeit und der Wille zur Selbstkritik sind der Glaubwürdigkeit der Medien zuträglich. Ich möchte meine Replik mit einer provokativen These abschliessen. Eines der erklärten Ziele der Justizöffentlichkeit ist es, die Gerichte durch die Verbesserung der allgemeinen Rechtskenntnis in der Bevölkerung zu entlasten. Wenn die Öffentlichkeit dank der Justizberichterstattung aus den Medien erfährt, wie gewisse Rechtsstreitigkeiten von der Judikative beurteilt werden, verzichten die Bürger möglicherweise häufiger auf die Beschreitung des Rechtswegs. Angesichts der erwähnten Entwicklungen ist jedoch auch festzuhalten, dass die Redaktionen der Medienunternehmen die Gerichte mittlerweile so entlasten: Dass sie unqualifizierte Journalisten, die eine inhaltlich akzeptable Gerichtsberichterstattung nicht zu gewährleisten vermögen, mit eben dieser Aufgabe betrauen. Unter diesen Umständen wird manch ein vernünftiger Bürger oder sein Anwalt zum Schluss gelangen, dass ein Gerichtsverfahren auf jedem Fall zu vermeiden sei, da es im – von den Medien bewirtschafteten, für die Zukunft der Parteien aber nicht minder relevanten – court of public opinion von vornherein nur Verlierer geben wird. Mascha Santschi Kallay, Rechtsanwältin CH-6045 Meggen

IV. Podiumsdiskussion

Podiumsdiskussion Abschliessende Podiumsdiskussion mit Gret Haller, Mark Eisenegger, Christian Rath, Res Strehle; Leitung und Moderation: Iwan Rickenbacher Iwan Rickenbacher: Ich freue mich sehr, mit diesem Podium einige Fragen vertiefen zu können, die ich aufgenommen habe und die wir uns auch vorgängig überlegt hatten. Frau Gret Haller, sie lebten während etlicher Jahre in Deutschland und arbeiteten an der Universität in Frankfurt am Main im Bereich der Rechtsphilosophie. Haben Sie Unterschiede festgestellt zwischen Deutschland und der Schweiz, wo Sie als Nationalrätin tätig waren, hinsichtlich der Art und Weise, wie über Recht und Gerichte berichtet und diskutiert wird? Gret Haller: Das war für mich eine ganz entscheidende Erfahrung, und zwar weniger aus der Perspektive der rechtsphilosophischen Arbeit. Aber ich habe fünf Jahre dort gelebt und habe Deutschland als Politikerin intensiv wahrgenommen. Dabei habe ich einen unglaublichen Gegensatz zur Schweiz wahrgenommen. Es sind heute Leute hier im Saal, die das aus der deutschen Perspektive besser umschreiben können. Aber mir als Schweizerin und immer noch ein bisschen animal politique ist ganz stark aufgefallen: In Deutschland werden politische Frage immer sofort verrechtlicht. Der Rechtsstaat geht vor. Die Schweiz hingegen hat die Tendenz – das wurde heute Morgen von Frau Schoch ausgeführt –, das Verhältnis von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie umgekehrt zu sehen. Die Schweiz entscheidet die Dinge in letzter Konsequenz politisch. Das wäre für die deutsche Wahrnehmung und Identität undenkbar. Als Schweizerin habe ich dieses Spannungsverhältnis und die Prioritäten hier und dort ganz stark empfunden und sehe darin den grossen Unterschied. Rickenbacher: Sie haben jetzt bezüglich der Schweiz feine Worte gewählt. Sie haben gesagt, in Deutschland würde Politik verrechtlicht, das Recht gehe vor, und vielleicht wird bei uns Recht etwas verpolitisiert, die Demokratie geht vor, aber so haben Sie es nicht gesagt. Wir werden darauf noch zu sprechen kommen. Deutschland ist angesprochen. Herr Rath, Sie sind u. a. Mitglied der Justizpressekonferenz, das ist eine Organisation der Berichterstatter über die Gerichte in Karlsruhe. Stimmt diese Einschätzung bezüglich des Rechtsstaats, dass die Berichterstattung über den Rechtsstaat eine besondere Sorgfalt erfährt in Deutschland und vielleicht aufgrund der Geschichte Deutschlands diese Sorgfalt auch geliebt wird in den Medien?

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Christian Rath: Ich kann meiner Vorrednerin nur zustimmen. So, wie Frau Schoch heute Morgen diesen Gegensatz zwischen Deutschland und der Schweiz charakterisierte, dass die Demokratie in der Schweiz ganz hoch eingestuft ist und der Rechtsstaat eher ein bisschen prekär; und in Deutschland sei es anders herum. So sehe ich es auch. Ich glaube, dass der Rechtsstaat in Deutschland deutlich tiefer verankert ist als die Demokratie. Wir sind eine relativ späte Demokratie, die erst 1918 entstanden ist; aber vorher gab es bereits eine starke rechtsstaatliche Tradition, es gab Gerichte, die nach Gesetzen entschieden haben, und man hat auf das Recht gebaut. Man musste ja auch einen modernen Staat aufbauen, der dann einigermassen Rechtssicherheit gewährleistet hat. Und das führte eben dazu, dass diese kurze Phase von Weimar mit parlamentarischer Demokratie negativ bewertet wurde, wo das Parlament ja auch nicht sehr hoch angesehen war und als Schwatzbude abqualifiziert wurde. Und dann kam der Faschismus, der das alles weggeräumt hat, zunächst natürlich die leidlich funktionierende Demokratie. Und ja, insofern ist der Parlamentarismus in Deutschland weniger verankert – und die direkte Demokratie schon gar nicht – als der Rechtsstaat. Das führt dazu, dass bei uns in Deutschland Debatten, über neue Gesetzgebung, gerade zum Beispiel im Bereich innere Sicherheit, immer auf zwei Ebenen geführt werden. Die eine Frage ist, ob man etwas gut findet, zweckmässig, und die andere, ob die vorgeschlagene Neuerung denn eigentlich überhaupt verfassungskonform ist. Jede Debatte wird sofort auf diese Ebene gehoben, wenn die Kritiker sagen, wir gehen nach Karlsruhe, wir halten diese Neuerung für verfassungswidrig. Die Gegenposition argumentiert da natürlich auch verfassungsmässig. Das führt dann dazu, dass wir als Justizberichterstatter, die in Karlsruhe sitzen (da kommen wir nachher noch ein bisschen genauer dazu) uns häufig schon sehr früh auch in politische Debatten einschalten, die eigentlich in Berlin, also weit weg, geführt werden. Wir haben eben die Fachkunde zu sagen, das könnte in Karlsruhe beim Verfassungsgericht durchgehen oder es könnte sehr schwierig werden. Also sind wir Justizberichterstatter sozusagen die Kommentatoren der zweiten Ebene in Debatten um die Gesetzgebung. Rickenbacher: Herr Eisenegger, und hier bei uns gibt es nicht wenige, die der Auffassung sind, direkte Demokratie und direktdemokratische Entscheide seien per se rechtsstaatlich korrekt und das Volk habe immer Recht – so etwa in dem Sinn. Ich gehe davon aus, dass die meisten Medienschaffenden wissen, dass dem nicht so ist. Führt das dazu, dass die Berichterstattung in der Schweiz gerade in diesem direktdemokratischen System, wo der Leser oder die Leserin einer Zeitung als Souverän mit ja oder nein über rechtliche Fragen entscheidet, über die Verwahrung bestimmter Menschen zum Beispiel, dass das eine besondere Sorgfalt erfährt oder eine andere Sorgfalt erfährt bei uns? Mark Eisenegger: Sorgfalt würde ich nicht unbedingt sagen, aber sicherlich ein grosses Interesse, eine grosse Aufmerksamkeit. Ich glaube, das zeichnet die schweizerische Öffentlichkeit aus, dass Rechtsfragen, juristische Fragen die schweizerische Medienöffentlichkeit, den Souverän umtreiben, und das ist etwas, das wir verfolgen, das ist eindeutig. Was ich spannend finde, ist, wie sich das aber doch verändert über die Zeit –

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wenn Sie Sorgfalt ansprechen. Damit werfen sie auch die Qualitätsfrage auf, und das haben wir untersucht für die letzten zehn Jahre. Da gibt es viele Dinge, die ich jetzt sagen könnte, aber was ich besonders spannend finde, ist, dass wir nochmals eine deutliche Konzentration der Aufmerksamkeit haben auf schwere Verbrechen gegen Leib und Leben. Das haben wir dann querverglichen mit der Polizeistatistik, und da geht es dann um den Faktor 500. Um diesen Faktor ist das überrepräsentiert in der Medienberichterstattung gegenüber der Polizeistatistik. Und das wiederum korreliert mit der Art und Weise, wie die Bevölkerung Kriminalität wahrnimmt, als wie kriminell gleichsam die Gesellschaft wahrgenommen wird. Oder mit anderen Worten: die Art und Weise, wie die Gesellschaft und ihre Kriminalität in der Presse dargestellt werden, hat auch direkt damit zu tun, wie die Bevölkerung die Gesellschaft in Bezug auf kriminelle Fragen wahrnimmt. Das ist spannend. Vielfalt und Differenzierung leiden auch im Bereich von Recht und Justiz. Andere Aspekte als schwere Kriminalität, etwa zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Fragen fallen tendenziell unter den Tisch. Obwohl die Medienqualität in der Schweiz immer noch sehr gut ist, vermutlich eine der besten international, haben wir doch zunehmend ein Problem hierzulande, die Qualität nimmt ab. Auch vor dem Hintergrund der Ressourcen, die abfliessen, dem Geld, das abfliesst, muss man die zunehmende Boulevardisierung sehen, und diese Boulevardisierung verändert auch die Justiz- und die Gerichtsberichterstattung. Besonders besorgniserregend finde ich die zunehmende Häufung von Vorverurteilung gegenüber potentiellen Angeschuldigten. Das ist auch etwas, was man gut aufzeigen kann über die Zeit, wie diese Voranklagen und -verurteilungen in der Berichterstattung zunehmen. Rickenbacher: Ein richtig graues Bild, das Sie, Herr Eisenegger, hier zeichnen, obwohl Sie in einem Diskussionsvotum heute Morgen gesagt haben, dass die Medienredaktionen durchaus über juristischen Sachverstand verfügen, dass dort Medienschaffende arbeiten, die auch das Zivilrecht oder andere Rechtsmaterien kennen, nicht nur das Strafrecht, und die durchaus in der Lage seien, die Phänomene, über die sie berichten, auch rechtlich einzuordnen. Versagen da die Chefredaktionen, indem sie die falschen Schwerpunkte setzen? Eisenegger: Nein, ich denke, man muss vielleicht noch etwas differenzieren. Ich habe gesagt, dieser Sachverstand ist da – oder vielleicht habe ich es nicht so deutlich gesagt, dann würde ich es jetzt machen – in den grösseren Redaktionen ist dieser Sachverstand vorhanden … Rickenbacher: Sie hatten durchaus deutlich gesagt, … in den grösseren Redaktionen. Ich wollte jetzt bei der Zusammenfassung die kleineren Redaktionen einfach nicht diffamieren … Eisenegger: In den kleineren Redaktionen besteht häufig das Problem – auch im Tessin und in der Westschweiz, wo es fast keine grossen Redaktionen mehr gibt ausserhalb des gebührenfinanzierten Radios und Fernsehens –, dass dieser Sachverstand fehlt.

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Gerade die juristische Logik, da haben wir beim Mittagessen drüber diskutiert, ist ja nicht so einfach zu verstehen. Und Juristen haben doch eine gewisse Ähnlichkeit mit Mathematikern, sie sind strenge Logiker, nicht wahr? Und das dann zu übersetzen für Leserinnen und Leser, ihnen auch differenziert nahe zu bringen … und das in immer kürzer werdenden Artikeln und innerhalb der immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspannen, die wir heute feststellen, das sind halt schon grössere und vielleicht immer schwieriger zu lösende Aufgaben. Rickenbacher: Ich frage den Rechtsphilosophen: Sind Juristen etwas wie Mathematiker? Matthias Mahlmann: Ich würde sagen, was Juristen sicherlich tun, ist, mit einem bestimmten methodischen Instrumentarium hoffentlich überzeugend Dinge zu begründen. Aber ihre Argumente beruhen eben auch auf bestimmten Wertungen, das ist ein wesentlicher Unterschied zur Mathematik. Das heisst aber nicht, dass diese Wertungen irgendwie unvernünftig sein müssen. Aber aus meiner Sicht ist das ein Element, das dazu kommt. Dieses Element sollte auch bei der Diskussion der Gedanken von Herrn Strehle hervorgehoben werden, da es um mehr als nur um Technik geht. Rickenbacher: Eben diese Wertung kann durchaus auch ihren Platz haben in der Berichterstattung, Herr Strehle, aber sie muss als solche gezeichnet sein. Res Strehle: Wenn Sie erlauben, darf ich vielleicht kurz einmal selbstkritisch sein? Und dann die Verteidigungsrede gleich anschliessen – oder wollen wir das drehen? Rickenbacher: Das ist ein Vorzug von ehemaligen Chefredaktoren, da kommt die Selbstkritik wieder auf, sonst müssen Sie ihr Produkt verteidigen. Ist ja klar, verstehen wir. Herr Strehle selbstverständlich, bitte. Strehle: Um selbstkritisch zu sein: es gibt ein paar wirkliche Probleme, die wir ansprechen sollten. Es ist gefährlich, dass wir, die Medien, nur noch in der Defensive sind und uns verteidigen, wenn wir kritisiert werden, und die Probleme nicht mehr beim Namen nennen. Herr Eisenegger hat einige davon angesprochen: Es ist wichtig festzuhalten, dass die Ressourcen kleiner geworden sind. Das ist so. Es gibt nur noch in grösseren Redaktionen wirklich Kollegen und Kolleginnen, die über die Sachkompetenz in diesen Dingen verfügen, gerade in solch differenzierten Fragen, wie Gerichtsfälle das häufig sind. Wir wissen inzwischen, was die Leute lesen wollen, das ist eigentlich nicht neu, aber wir wissen es erst seit fünf oder sechs Jahren. Es ist übrigens nicht so ernüchternd wie befürchtet, es ist nicht so, dass die Leute nur Boulevard lesen wollen, sondern es gibt Wirtschafts- und Politikthemen, die kompliziert sind, und für welche sich das Interesse der Leserschaft erstaunlich gut hält. Aber die Aufmerksamkeitsspanne der Leute wird kürzer, wir haben Durchschnittslesezeit von nur noch 30 Sekunden in den digitalen Medien. Das sind Probleme, die sich stellen, auch für die Redaktionen. Die Medien

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glauben auch, sie müssten sehr stark um Aufmerksamkeit kämpfen. Da bieten sich die spektakulären Fälle, wie Mark Eisenegger das genannt hat, Mordfälle und Gewalttaten, natürlich an. Es sind dann solche Dinge, die natürlich überproportional stark bewertet werden. Es gibt in den Medien auch das Verhalten der Lemminge, gegen das die Weltwoche zum Teil ja durchaus verdienstvoll ankämpft. Wenn alle derselben Meinung sind, dann ist ein Problem vorhanden, da sollten wir ehrlich sein, selbstkritisch: Es gibt das hyperventilierende Verhalten der Medien, nicht wahr? – Eine Art Kollektivhysterie. Das sind, so denke ich, im Moment die heikelsten Punkte, welche die Medien betreffen. Rickenbacher: Was mich im Moment überrascht, diese Selbstkritik der Medienschaffenden selber, der Medienhäuser, der Chefredaktionen, und dann gibt es da zum Beispiel eine Organisation wie die Justizpressekonferenz – eine Organisation von Medienschaffenden, nicht ein Presseanlass – in Karlsruhe, zu der Herr Rath gehört. Vielleicht zwei Worte dazu: Trägt Ihre Organisation, die Justizpressekonferenz, dazu bei, Schwierigkeiten, die Res Strehle jetzt beim Namen genannt hat, anzusprechen und eventuell auch zu belegen? Rath: Wir sind eine Organisation in Karlsruhe, wo das Bundesverfassungsgericht, der Bundesgerichtshof und die Bundesanwaltschaft ihren Sitz haben. Als Mitglieder sind in der Justizpressekonferenz die dort akkreditierten Rechtskorrespondenten vereinigt, also die auf Recht und Justiz spezialisierten Medienschaffenden. Das sind 30 Vollmitglieder in Karlsruhe. Man muss aus Karlsruhe berichten, um da Mitglied sein zu können. Und dann gibt’s nochmal 35 Gastmitglieder, die irgendwo im Bundesgebiet sitzen und auch über Rechtspolitik berichten. Der Vorteil ist, dass man engen Kontakt zu den Gerichten hat. Es gibt jährliche Empfänge der Gerichte, wo dann eben die Vollmitglieder der Justizpressekonferenz eingeladen werden. Wir machen auch selbst Veranstaltungen, zu denen auch Richter kommen. Das ermöglicht Kontakte und Austausch mit den Mitgliedern der Gerichte in informellem Rahmen. Rickenbacher: Was sind das für Fragen, über die sie sich gegenseitig austauschen und die sie besprechen? Können Sie Beispiele nennen? Rath: Die Veranstaltungen, die wir machen, sind von allgemeinem rechtspolitischem Interesse. An einer der nächsten Veranstaltungen kommt der EuGH-Präsident, um ein Referat zu halten. Das ist sozusagen der offizielle Rahmen, und informell sitzt man hinterher noch zusammen und spricht dann natürlich auch über einzelne Fälle und über die Berichterstattung dazu. Rickenbacher: Und über Ärger, den man miteinander hat – kommt solches auch zur Sprache? Rath: Ja, schon. Aber wir haben gar nicht so viel Ärger. Es ist eher so, dass man zum Beispiel von einem Mitglied des Verfassungsgerichts wissen möchte, wenn ein Verfahren

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lange dauert, wie weit es ist und wann mit einer Entscheidung gerechnet werden kann. Da haben die Mitglieder der Justizpressekonferenz sicher einen privilegierten Zugang. Rickenbacher: Diese „Selbsthilfemassnahmen“ der Justizberichterstatter in Deutschland, Herr Eisenegger, reichen die aus und wäre das auch etwas für die Schweiz? Oder bräuchte es Konferenzen und Kontaktstellen, wo man sich austauschen und kennenlernen kann, wo man auch über grundsätzliche Fragen diskutiert? Bräuchte es andere Instrumente, um gewisse Entwicklungen, die Sie und Herr Strehle angesprochen haben, zu korrigieren? Eisenegger: Es ist auf jeden Fall ein gutes, ein nützliches Instrument, solche Plattformen zu haben, die dem wechselseitigen Austausch dienen; dem Austausch über nicht ganz einfache Fragen. Juristische Fragen sind häufig hoch komplex, und dafür entsprechende Gefässe, Plattformen zu schaffen, die eben diesem Austausch dienen und damit dem Verständnis, das ist auf jeden Fall sinnvoll. – Aber nein, es genügt nicht! Wir brauchen die Presseräte, die bissiger sind, sein sollten, glaube ich, ganz eindeutig. Der Presserat wäre ein sehr wichtiges Instrument in der Schweiz, er ist aber schlecht ausgestattet, weil rein ressourcenmässig wenig Personal zur Verfügung steht, da müsste man viel weiter gehen. Man sieht auch, wie viele beziehungsweise wenige Fälle überhaupt diskutiert werden. Wenn Sie das über die Zeit abtragen, dann ist die Tendenz negativ, die Fälle nehmen tendenziell ab. Wir sollten meines Erachtens diese Presseräte unbedingt besser ausstatten. Da gab es im letzten Jahr auch eine Diskussion, dass der Verband Schweizer Medien deutlich weniger Geld investieren wollte. Das ist natürlich das völlig falsche Zeichen in einer Zeit, wo wir Presseräte als Selbstregulierungsinstanz – was ich für den richtigen Weg halte, Selbstregulierung – je länger desto mehr unbedingt brauchen und deshalb heute ganz besonders diese Organe auch mit Geld ausstatten müssen. Und was noch dazu kommt, ist die Ressourcenschwäche des Informationsjournalismus überhaupt, darüber sprechen wir viel zu wenig. Wir brauchen einen Journalismus, der diese ganz zentrale Funktion, diese Kontrollfunktion wahrnimmt und wahrnehmen kann, nicht nur gegenüber der Justiz, ganz generell für unsere Gesellschaft. Und das kann er nur dann qualitativ angemessen tun, wenn er über die nötigen Ressourcen verfügt, finanziell und intellektuell. Über dieses Problem müssen wir sprechen. Rickenbacher: Gret Haller, wenn man jetzt über diese Ressourcen spricht, gibt es ja in der Schweiz auch Vorstellungen, dass der Staat eigentlich, wie die Gebühren bei der SRG, Mittel zur Verfügung stellen müsste, um angesichts der schwierigen Situation der Presse diese Recherche-Arbeit und diese Vielfalt zu ermöglichen. Was sagen Sie als ehemalige Politikerin? Und Sie haben sich ja als de facto animal politique bezeichnet, darum frage ich Sie so direkt. Haller: Ja, ich mache natürlich nicht mehr aktiv Politik. Deshalb möchte ich eigentlich lieber noch einmal etwas aus der Perspektive des Vergleichs Deutschland-Schweiz dazu sagen. Dass in der Schweiz im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, und insbesondere

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zu Deutschland, die Politik nicht finanziert wird, bedeutet, dass wir hier offensichtlich ein Problem haben. Man will ja nicht einmal, dass öffentlich bekannt gegeben wird, wer wieviel Geld in welche politischen Aktionen investiert. Dass wir die Finanzierung der Öffentlichkeitsarbeit und des politischen Ablaufes so stark auf private Ressourcen gebaut haben, das ist ein grosser Unterschied zu Deutschland, wo die Politik staatlich mitfinanziert wird. Dies zeigt die Bedeutung und die Wertschätzung für die Funktion der Politik auf, wenn die Parteien, wenn die Politik, die Berichterstattung darüber mit öffentlichen Mitteln finanziert und die Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Das hat in Deutschland natürlich einen Grund: Man weiss, was funktionierende Politik wert ist. Wir hatten heute über Mittag eine Diskussion zu diesem Thema mit unserem Gast aus Deutschland. Ich habe Herrn Rath erklärt, seit wann ich erst stimm- und wahlberechtigt bin, und ich nannte einen der Gründe dafür: dass wir nicht direkt involviert waren in das schreckliche Geschehen von zwei Weltkriegen. Und ich würde nie rückblickend wünschen, wir hätten Erfahrungen wie Deutschland, die letztlich dazu geführt haben, dass dort Politik finanziert wird. Aber der Mangel in der Schweiz und die Frage, die Sie mir gestellt haben geht in dieses Kapitel. Was muss eigentlich der Staat selbst dafür tun, dass die Institutionen funktionieren, nicht nur formell, sondern in der Substanz? Rickenbacher: Res Strehle, wir haben heute Morgen gespürt, welche unterschiedlichen Bedürfnisse Gerichtsberichterstattung de facto erfüllt. Bedürfnisse beim Publikum, bei den Leserinnen und Lesern des Tagesanzeigers, der NZZ, Bedürfnisse der Anwaltschaft, des Angeklagten, des Geschädigten, der Parteien im Gerichtsverfahren im weiteren Sinn, Bedürfnisse der Staatsanwaltschaft, die ihre Position darlegen möchte, Bedürfnisse des Gerichts, mindestens nach dem Urteil, vielleicht vorher schon, vielleicht der Politik, dann gibt es vielleicht noch andere Bedürfnisse, die noch gar nicht Thema waren: der Journalisten selber und ihres Berufsstolzes, dem Vorsprung gegenüber der Konkurrenz … Und in diesem Umfeld muss ein Journalist, eine Journalistin arbeiten. Strehle: Und es gibt eine kleine, wichtige und bewährte Regel, die heisst: kritische Distanz zu allen Quellen und zu allen Bedürfnissen und allen Interessen. Das ist nicht immer einfach zu sehen und zu akzeptieren für die Betroffenen. Ein klassischer Fall ist für mich jener des Investors ägyptischer Herkunft in der Innerschweiz, der in Andermatt ein grosses Resort aufbaut. Sie haben heute Morgen schon gelernt, dass man Namen im Verfahren nicht nennen soll. Dieser Herr S. hat fast regelmässig bei uns vorgesprochen, er oder seine in der Politik ausgebildeten Kommunikationsberater, immer mit dem Anspruch oder mit der Erwartung, dieser Investor macht etwas Gutes für die Schweiz, die Medien sollten ihn doch bitte unterstützen. Aber das geht nicht. Und diese Erwartung haben wir heute häufig, sehen wir auch bei den Gerichten, die vielleicht angefeindet werden, vielleicht kritisiert werden, und dann sind sie empört oder enttäuscht, wenn ein Urteil kritisiert wird. Teilweise empfinden sie es auch als eine Anmassung. Das mag auch mit dem speziellen Status von Gerichten zu tun haben. Es ist mir heute aufgefallen, als ich da durch die Türe in dieses Gebäude hereinkam, durch dieses Portal: Da ist ein

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überweltlicher Anspruch, der irgendwie in der Justiz noch drinsteckt, sichtbar geworden. Und auch von Anwälten, das sehen wir häufig, wenn Anwälte beispielsweise Informationen schon vorab preisgeben. Dies ist immer, wenn auch meistens nicht explizit, verbunden mit der Erwartung, dass man als Medium ihre Position mitübernimmt, und das dürfen wir nicht. Wir müssen kritische Distanz gegenüber allen Seiten wahren. Wir sind eigentlich, wenn ich es jetzt etwas böse ausdrücke, wir sind eigentlich illoyal nach allen Seiten. Aber positiv illoyal sind wir dann, wenn wir die gleiche kritische Distanz gegenüber allen Seiten haben, aber auch die gleiche Fairness. Das ist wichtig. Rickenbacher: Herr Rath, in dieser Einwirkung auf die Medien, haben da eigentlich alle gleich lange Spiesse? Oder gibt es solche, die gewisse Vorteile haben? Ich denke an den Anwalt eines Beschuldigten, der viel grössere Spielräume hat als zum Beispiel ein Richter, um sich zu äusseren. Und andere Beteiligte oder Interessierte haben vielleicht überhaupt keine Möglichkeiten, sich in einer bestimmten Phase Gehör zu verschaffen. Da kämpfen doch verschiedene Interessenträger mit ganz unterschiedlich langen Spiessen. Rath: Bei den Gerichten in Karlsruhe, an denen wir tätig sind, ist es immer sehr punktuell. Wir haben nicht die langen Strafprozesse, wo jahrelang verhandelt wird, sondern die Verhandlung am Bundesverfassungsgericht oder am Bundesgerichtshof findet an einem Tag statt. Das ist natürlich auch reizvoll, es gibt ständig neue Dinge, aber da hat eigentlich niemand ein grosses Interesse daran, langfristig irgendjemanden zu positionieren oder mit Material auszustatten, sondern wir gehen hin, erleben wirklich, was in der öffentlichen Verhandlung passiert. Beeinflussung und Instrumentalisierung der Medien gibt es in diesem Umfeld eigentlich nicht. Das ist aber in Karlsruhe eine spezielle Situation. Das ist nicht für alle Gerichte so, dort, wo die langen erstinstanzlichen Prozesse stattfinden, ist es ganz anders. Rickenbacher: Genau! Die Frage, Herr Eisenegger, haben alle die gleich langen Spiesse oder merkt man, dass die einen Spiesse länger sind als die andern? Wie sieht das aus Ihrer Sicht aus? Eisenegger: Ja, ich glaube, das merkt man schon, insofern, dass Richter und Staatsanwälte, das wird Sie vielleicht überraschen, wenn ich das so sage, aber die Amtsträger haben eine grössere Definitionsmacht, wie das so schön heisst. Weil sie eine hohe Glaubwürdigkeit haben, immer noch. Alle Vertrauensumfragen zeigen, dass man den Richterinnen und Richtern glaubt, obwohl auch sie zunehmend angegriffen werden; auch von politischer Seite, Stichwort Kuscheljustiz zum Beispiel. Aber die Glaubwürdigkeit, das Vertrauen in die Richterschaft und auch in die Staatsanwaltschaften ist immer noch sehr gross. Aber deren Handlungsspielraum ist kleiner, sie sind an die Objektivität gebunden, oder in gewissen Phasen so gebunden, dass sie schlicht gar nichts sagen dürfen. Umgekehrt dürfen sich die Anwältinnen und Anwälte immer äussern. Aber sie sind häufig nicht in gleichem Mass definitionsmächtig. Speziell dann, wenn

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sie Personen vertreten, die selber wirklich einen zweifelhaften Ruf haben, wenn sie zum Beispiel eine Person vertreten, die des Kindsmissbrauches bezichtigt wird, haben sie als Anwälte ganz schlechte Karten für die Öffentlichkeitsarbeit. Was ich wichtig finde, und da stimme ich Res Strehle vollumfänglich zu: Die Medien müssen kritische Distanz wahren, zu allen Beteiligten. Was aber auffällt, ich habe das schon gesagt, ist eben diese grosse Zahl an Vorverurteilungen in der Öffentlichkeit. Die hat massiv zugenommen. Und ich glaube, da ist es ganz wichtig, dass Journalistinnen und Journalisten insbesondere auch gegenüber Staatsanwälten eine kritische Distanz wahren und nicht einfach den Kurzschluss machen, aha, der ist schuldig, wenn das Wort vom dringenden Tatverdacht fällt. Und das passiert leider sehr häufig. Sie können sich vielleicht erinnern: Ein Gymnasiallehrer aus Zürich, der im Jahr 2009 beschuldigt wurde, pornografische Werke gelesen zu haben mit seiner Maturitätsklasse. Die Staatsanwaltschaft hatte eben vom dringenden Tatverdacht gesprochen, zwei Tage später wurde der Lehrer in 20 Minuten als der Pornolehrer etikettiert, das ging dann durch alle möglichen Boulevard-Medien. Er wurde freigestellt. Drei Jahre später wurde er dann komplett freigesprochen, es war Weltliteratur, die er mit seiner Klasse gelesen hatte, Frühlingserwachen von Wedekind, das lief unter pornografischer Literatur, und darauf gestützt wurde ein Strafverfahren eröffnet, ein völliger Unsinn. Das hat aber genügt, den Ruf dieses Lehrers komplett zu zerstören. Er konnte danach nicht mehr auf seinem Beruf arbeiten, man versuchte ihn dann zu rehabilitieren. Das ist nicht wirklich gelungen. Mir scheint es einfach wichtig, dass man auch gegenüber den Autoritäten mit Definitionsmacht und Glaubwürdigkeit einen Schritt zurück macht und bewusst offenlässt, ob es nicht doch noch anders herauskommen könnte … Rickenbacher: Darf ich fragen wer unter Ihnen als Richterin oder Richter tätig ist? … Darf ich Ihnen eine Frage stellen zur Länge der Spiesse in Ihrer täglichen Arbeit? Wie erfahren Sie das, haben Sie das Gefühl, dass Sie einen leichteren Zugang, die besseren Chancen haben, sich in den Medien Gehör zu verschaffen als die anderen? Richterin im Publikum: Insbesondere die Gerichte, aber auch die Staatsanwaltschaften sind an das Amtsgeheimnis gebunden. Sie müssen aus prozessualen Gründen häufig schweigen und sind zur Objektivität verpflichtet. Sie können deshalb, vor allem eben während des Untersuchungsverfahrens, die Gerichte aber auch im Hauptverfahren, nie so kommunizieren, wie Anwälte das können und dürfen. Einige jedenfalls wollen heute da oft auch die Medien ein bisschen instrumentalisieren, sie für ihre Zwecke einspannen und gute Stimmung machen für ihre Sache, manchmal gelingt es, manchmal auch nicht. Ich bin übrigens mit Herrn Strehle nicht ganz einverstanden. Die Parteien, auch die Staatsanwaltschaften, können Behauptungen aufstellen – die Gerichte sind hingegen der Wahrheit verpflichtet. Mir geht es nicht darum, dass ich als Richterin gut dastehe in den Medien. Ärgerlich aber finde ich, und in gewisser Weise ein systemisches Problem, wenn in den Medien, aus welchen Gründen auch immer, objektive Unwahrheiten verbreitet werden und ich als Richterin dazu schweigen muss. Die Medien müssten sich zum Anwalt der Wahrheit machen. Und die ist nicht schon gewährleistet, wenn sie

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Äquidistanz zu allen Stakeholdern wahren, gleichmässige Illoyalität nach allen Seiten, wie Sie sich ausdrückten, Gerichte eingeschlossen. Rickenbacher: Herr Eisenegger hat von der Reputation, der Glaubwürdigkeit der Richterschaft und der Gerichte gesprochen. Es gibt eine regelmässig durchgeführte Umfrage zum Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen. Und das sind in der Tat die Gerichte immer zuoberst. Spüren Sie das, wenn Sie mit Leuten, die Sie noch nicht so gut kennen, darüber reden, dass Sie in einem Gericht tätig sind? Richter im Publikum: Ja, das spürt man schon, den Respekt vor den Gerichten und vor der Richterschaft. Gegenüber der Staatsanwaltschaft würde ich sagen weniger, dort hat der Respekt wohl eher etwas abgenommen. Und ja, die Medien haben natürlich einen Einfluss auf dieses Bild, und es ist eigentlich erstaunlich, dass trotz dieser eigentlich immer wieder kehrenden Kritik an der Justiz das Bild der Gerichte und auch der Staatsanwaltschaften so solide ist, dass in Meinungsumfragen ein grosser Respekt und hohe Glaubwürdigkeit zum Ausdruck kommen. Rickenbacher: Einen Anwalt habe ich heute Morgen kennen gelernt. Ich frage ihn: Haben Sie als Anwalt in der Auseinandersetzung um öffentliche Wahrnehmung in den Medien, generell oder im Einzelfall, die längeren Spiesse als die Gerichte? Anwalt im Publikum: Eher nicht, würde ich meinen. Umgekehrt bin ich zur Auffassung gekommen, dass in der gegenwärtigen Entwicklung des Verhältnisses zwischen Anwälten und Medien das Berufsgeheimnis die Anwälte kaum schützt. Sie werden heute regelrecht bedrängt. Der Anwalt, die Anwältin darf ohne Risiko gar nicht so viel den Medien sagen, wie die Medien eigentlich erwarten würden. Sonst entstehen diese Karikaturen von vielsprechenden und in den Medien dauerpräsenten Anwälten. Aber der grosse Rest des Berufsstandes ist glücklicherweise noch etwas schweigsam geblieben. Und es gibt bekanntlich auch solche, die kategorisch mit Medien nie über einzelne Fälle sprechen. Rickenbacher: Frau Schoch, hat Ihnen schon jemand gesagt, dass sich nur schon Ihr Vortrag allein gelohnt hätte, um hier herzukommen heute Morgen? Schoch: Nein, noch nicht, aber herzlichen Dank. Rickenbacher: Dann habe ich es Ihnen jetzt gesagt, das war grossartig. Als alter Lehrer darf ich das sagen. Und auch Ihre Impulse, Frau Santschi, waren sehr gut. Deshalb kann ich nun hier und jetzt mit den Kolleginnen und Kollegen so diskutieren, sonst ginge das nicht. Herr Strehle: Reputation unbeschädigt! Haben Sie eine Erklärung dafür, dass das Bild gar nicht so negativ ist, wie die direkt Beteiligten meinen, obwohl gelegentlich etwas kritisch geschrieben wird?

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Strehle: Die Reputation der Gerichte, ja, die ist vergleichsweise unbeschadet, wenn man das mit anderen Berufsständen vergleicht. Rickenbacher: Zum Beispiel mit den Bankiers? Strehle: Ja, zum Beispiel. – Aber ich glaube, dass es auch richtig ist. Wenn wir die Schweizer Gerichtsbarkeit ansehen, dann können wir uns doch darauf etwas einbilden, meine ich, denn da ist wirklich fast ausschliesslich grosse Unabhängigkeit zu sehen. Manchmal ist die Rechtsprechung für Laien nicht immer nachvollziehbar in den Begründungen, aber umso wichtiger wäre es dann, dass die Medien zumindest versuchen, die Begründungen, die juristische Logik zu vermitteln, ohne dass es heisst, die Medien würden den Inhalt vorbehaltlos teilen. Aber die Reputation ist hoch, ich glaube, dass das, was den Pfarrern, den Ärztinnen und Ärzten und uns Medienschaffenden passiert ist, der Verlust oder die Beschädigung des sozialen Status, dass die Richter und Richterinnen das noch nicht erlebt haben; sie sind noch ein bisschen auf dem Sockel. Das sieht man ja jetzt auch hier in der Raumarchitektur, sie sitzen noch erhöht. Dieser Schock könnte allerdings noch bevorstehen. Es ist mir auch aufgefallen, als ich über den Fussgängerstreifen vor dem Gericht ging. So anständig fahren die Autos eigentlich nirgends wie vor einem Gerichtsgebäude, man wird also über die Strasse gewinkt … selbst wenn man gar nicht hinüber gehen will. Was aus meiner Sicht für die Gerichte vor allem wichtig zu wissen ist, dass das Tempo der journalistischen Berichterstattung sehr, sehr stark zugenommen hat in den letzten Jahren, bedingt durch die neuen Medien. Und das führt schliesslich dazu, dass alle die ersten sein wollen, die in Echtzeit berichten. Und es geht noch weiter: Jetzt kommt natürlich der Ehrgeiz auf, über einen Rechtsfall schon vorher möglichst umfassend zu berichten. Darauf, glaube ich, sind die Gerichte gar nicht vorbereitet. Das hat sicher mit dem Amtsgeheimnis zu tun. Wie wir gehört haben, reden die Anwältinnen und Anwälte wenigstens zum Teil über ihre Verfahren, verbunden häufig mit der Erwartung, die Presse instrumentalisieren zu können. Und die Presse geht darauf ein, sie möchte über die wenigen Prozent der Straffälle, die abgedeckt werden, natürlich häufig die spektakulären Fälle, möglichst bereits vor dem Prozess berichten und damit im Vorsprung sein. Während die Gerichte in dieser Phase schweigen. Rickenbacher: Geschwindigkeit, Herr Eisenegger, lässt sich dieses Bedürfnis nach Geschwindigkeit, das auch ein Bedürfnis der Nutzerinnen und Nutzer ist, überhaupt noch korrigieren, beeinflussen? Oder was lässt sich da, auch für die Medien insbesondere, machen? Eisenegger: Ich weiss, dass man bei der Nutzung von Apps folgendes festgestellt hat: Wenn eine App nicht in acht Sekunden reagiert, dann sind die Leute weg, denn sie haben bei Google gelernt, dass man es in vier Sekunden kann. Also muss man aufrüsten, wenn man überhaupt noch Aufmerksamkeit will. Also die 30 Sekunden, die für die Lektüre eines Artikels aufgewendet werden, sind schon eine Ewigkeit. Bei Apps geht es noch viel schneller.

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Rickenbacher: Was aber ist die Antwort darauf? Eisenegger: Also eine Antwort darauf ist sicher zu sagen: Diese fundamentale Beschleunigung, dass alles schneller sein muss und alle das auch wollen, ist sicher auch ein bisschen ein Mythos, dass das quasi einfach zwingend ablaufen muss und man sich dem nicht entziehen kann. Das glaube ich überhaupt nicht. Herr Strehle hat darauf hingewiesen: Wenn wir die empirischen Untersuchungen anschauen, was die Menschen konsumieren und konsumieren wollen – natürlich auch das schnelle Kurzfutter. Vor allem die Jugendlichen, wenn ich an meine Kinder denke, die ganz junge Generation, die ist vor allem am Ticker unterwegs. Aber wir stellen auch fest, dass die langen Geschichten, die langsamen und hintergründigen Geschichten immer noch gelesen werden, dass das auch ein Bedürfnis ist, vielleicht gerade in Zeiten, die schnell sind und komplex, da wollen die Leute Berichte, die diese komplexen Verhältnisse, Entwicklungen und Prozesse auch entsprechend einordnen und deuten. Ich bin da eher optimistisch, dass man da auch etwas dagegensetzen kann, und ich warte übrigens schon lange darauf, dass ein Online-Portal kommt, das diese blödsinnige Beschleunigung der Berichterstattung so nicht mitmacht und sagt, wir setzen ganz dezidiert auf Hintergrundberichterstattung. Eine Chance auch für die Gerichte also. Rickenbacher: Das heisst für die Gerichte aber, dass die Idee guter, umfassender Fact Sheets, die man zur Verfügung stellt, die es dann auch erst erlauben, längere Beiträge überhaupt zu produzieren, dass diese Idee gut ist und ein Beitrag, dass solche Geschichten dann auch entstehen. Eisenegger: Da bin ich überzeugt, ja. Ich glaube nicht, dass das auf den ganz schnell getakteten Online-Portalen etwas bewegt; aber wir haben eine doch sehr vielfältige Medienlandschaft, das würde auf jeden Fall etwas bringen. Rickenbacher: Herr Rath, wir haben die Wirkung der Medienberichterstattung auf die Reputation der Justiz angesprochen. Bei uns ist es in der Tat seit Jahrzehnten so, dass die Gerichte an oberster Stelle figurieren bezüglich Glaubwürdigkeit, übrigens kommt gleich nachher die Polizei. Ich kenne einige europäische Länder, wo das nicht so wäre, aber in der Schweiz ist das so. Wie steht es denn mit dem Einfluss auf die Urteile? Kann man nachweisen oder gibt es Indizien dafür, dass lange Pressekampagnen, Medienkampagnen, im Zusammenhang mit bestimmten Fällen einen Einfluss auf die Urteilsfindung haben? Rath: Es gibt ja bei uns zum Beispiel aktuell den Fall Kachelmann, er wurde heute Morgen schon erwähnt. Der Fall ist ja für Sie auch interessant, weil der Hauptakteur ein Schweizer ist. Das ist so ein Beispiel für ein mediales Spektakel. Da haben sich die Medien, glaube ich, zwar zu weiten Teilen instrumentalisieren lassen, berichteten aber dann eben auch sehr pluralistisch: es gab zwei Lager, die sind dann gefüttert worden, die einen eben aus der Verteidigerperspektive, die anderen aus der Nebenklageperspektive,

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da wurde zwar auch die Staatsanwaltschaft verantwortlich gemacht, aber ich meine, die Nebenklage selbst war da auch sehr aktiv, also die Anwälte der Nebenklägerin. Und das hat am Ende dazu geführt, dass es ein sehr ausgewogenes öffentliches Bild gab. Man wusste, wo die beiden Lager sind, und man hat sehr viele Informationen bekommen, und die Medien in der Mitte waren dann sozusagen die Schiedsrichter. Das war eigentlich sogar, auch wenn es oft kritisch rezipiert wird, geradezu mustergültig – abgesehen davon, dass die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen permanent verletzt worden sind. Auf der anderen Seite gibt es auch Themen, bei denen die öffentliche Meinung ziemlich eindeutig ist, und wo man feststellen kann, dass dies eine massive Verschärfung von Strafurteilen, von Strafmassen bewirkt hat, angetrieben durch die Medien. Da sind zurzeit die tödlichen Raser-Fälle zu erwähnen, also junge Leute, die mit aufgemotzten Autos auf öffentlichen Strassen Wettrennen machen und dabei unbeteiligte Passanten zu Tode kommen. In diesen Fällen sind in Deutschland bis vor kurzem noch Bewährungsstrafen wegen fahrlässiger Tötung ausgesprochen worden. Der nächste Schritt war dann, weil es viel öffentliche Kritik gab, Vorsatz anzunehmen, und jetzt gab es Anfang des Jahres in einem solchen Fall in Berlin, eine Verurteilung wegen Mordes, also mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe. Das ist in der Tat vor allem die Wirkung der öffentlichen Meinung, vermittelt und beeinflusst durch Medien, die zu einer Radikalisierung der Gerichte beigetragen hat. Rickenbacher: Würden Sie also sagen, es könne in bestimmten, sich wiederholenden Fällen so sein, dass die Berichterstattung und die Verdichtung der Berichterstattung in der öffentlichen Meinung auf die Urteile Einfluss haben kann? Rath: Erstens bin ich der Meinung, dass die alte Rechtsprechung, in solchen Fällen Bewährung zu verhängen, falsch war, dass die Kritik also berechtigt war und es gut war, dass die Gerichte sich korrigiert haben. Jetzt aber Mord daraus zu machen mit bedingtem Vorsatz, das ist wahrscheinlich das andere Extrem, das hoffentlich auch wieder korrigiert wird. Aktuell gibt es beim Bundesgerichtshof auch einen noch nicht entschiedenen Fall, wo es ganz offen um die Wirkung der öffentlichen Meinung geht. Da war die Frage, ob man bei einem tödlichen Raserunfall wirklich Bewährung verhängen kann, wie es das Landgericht gemacht hat. Die Staatsanwaltschaft sagte: Das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung wird es nicht verstehen, wenn es hier nur Bewährung gibt. Also da spielte dann im Prozess als rechtliches Argument tatsächlich das Rechtsempfinden der Gesellschaft eine Rolle, an das angeknüpft wird. Da wird aber auch an eine gesetzliche Norm angeknüpft, die hier auf das Rechtsempfinden der Bevölkerung abstellt. Und da spielte es dann tatsächlich auch vor Gericht eine ganz offizielle Rolle, was in der Zeitung gestanden hat, dass die Medienberichte nach dem Landgerichtsurteil ganz negativ waren. Rickenbacher: Herr Eisenegger, sollen wir also in der Medienwelt einige Jahre lang tüchtig auf die Trommel hauen und dann ändern sich die Gerichtsurteile?

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Eisenegger: So zugespitzt würde ich es nicht unterschreiben, aber es geht in diese Richtung. Wir sollten das vorab aber differenzieren: Wir sprechen jetzt über Wirkungen der öffentlichen Empörung, für welche die Medien eine Rolle spielen. Diese Empörung kann sich zunächst auswirken auf die Regulierung, die wir politisch dann diskutieren und möglicherweise dann Gesetze ändern oder neue Gesetze verabschieden. Da gibt es eine ganze Reihe von Studien, die das zeigen: Wenn also zum Beispiel sich die Öffentlichkeit, mit und durch die Medien, wenn sich die Journalistinnen und Journalisten empören über gehäufte Angriffe von Kampfhunden auf Erwachsene, vor allem aber auf Kinder, dann löst das politische Diskussionen aus, die in neue Regulierungen, Gesetze münden. Das ist ein ganz direkter und gut nachgewiesener Effekt, dass die öffentliche Empörung die Regulierungsdiskussion und damit auch die mögliche Regulierung beeinflusst. Das andere ist – da gibt es auch Studien, aber leider im Moment nicht für die Schweiz, sondern nur für Deutschland: Kepplinger/Zerback haben gezeigt, dass Richter durchaus, das ist ja auch nachvollziehbar, verfolgen, wie über ihren Fall berichtet wird, und sie konnten nachweisen, auf der Basis eines komplexen Untersuchungsdesigns, dass der Effekt der öffentlichen Debatte zwar nicht den Schuldspruch oder Freispruch bedingt oder erklärt oder Auswirkung darauf hätte, aber auf die Höhe des Strafmasses sehr wohl. Wenn draussen auf der Strasse, oder eben in den Medien als tatsächlichem oder vermeintlichem Sprachrohr der Meinung auf der Strasse, eine rigide Form von Bestrafen gefordert wird, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die Richter sich in diese Richtung bewegen, ein bisschen zumindest. Rickenbacher: Gret Haller, aus der Zeit, in der Sie selber politisch aktiv waren im schweizerischen Parlament, im Nationalrat, können Sie sich an ein Ereignis erinnern, das unmittelbar zu höherem Druck in Richtung Regulierung geführt hat – um das vielleicht noch etwas zu illustrieren, was Herr Eisenegger jetzt gesagt hat? Haller: Zuerst zu meiner eigenen Entschuldigung, ich bin Ende 1994 bereits nach sieben Jahren aus dem Nationalrat zurückgetreten. Man wird mir somit nicht Demenz anlasten können, wenn ich jetzt diesen Zeitraum, der lange zurück liegt, nicht mehr ganz präsent habe. Ich kann mich jedoch an ein Vorkommnis erinnern, das allerdings nicht mit dem Strafrecht im Zusammenhang stand. Ich habe erlebt, wie ein einziger Zeitungsartikel, konkret ein Artikel im Blick, einem Geschäft eine ganz neue Wendung gegeben hat. Ich war damit konfrontiert, dass die Presseberichterstattung einen unglaublichen Einfluss gehabt hat auf ein Geschäft, in dem ich selber sehr aktiv war. Seither weiss ich, dass man mit dem richtigen Wort im richtigen Medium zum richtigen Zeitpunkt massiv Macht ausüben kann. Dabei war es nicht einmal die Berichterstattung über ein Ereignis, sondern es war eine Meinungsäusserung, die dann sehr viel ausgelöst hat. Rickenbacher: Es war also sozusagen ein Auslöser. Haller: Ja, genau.

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Rickenbacher: Nun haben wir über Beziehungen durchaus auf Augenhöhe zwischen Gerichten und Gerichtsberichterstattung geredet, wo es Einflüsse gibt, wo man sich trifft und wo es langfristig vielleicht Veränderungen gibt in der Beurteilung gewisser Phänomene. Nun kann es aber auch sehr viel härter werden, es kann Versuche geben, die Justiz regelrecht zu instrumentalisieren, und da hat Gret Haller ein Beispiel, das sie uns vorschlägt, welches wir uns kurz ansehen und nachher auch diskutieren. Bitte Frau Haller. Haller: Instrumentalisierung heisst das Stichwort; Instrumentalisierung des Stellenwertes der Justiz für politische Zwecke. Das Beispiel, das ich erläutern möchte, betrifft ein Thema, dessen öffentliche Behandlung in den letzten 14 Tagen ganz stark zugenommen hat und präsent war. An dieser Tagung zum Thema Justizberichterstattung in der direkten Demokratie sollte das wenigstens erwähnt werden. Die schweizerische Öffentlichkeit spricht seit langem davon, aber seit zwei Wochen im Zusammenhang mit dem Rahmenabkommen zu den institutionellen Fragen mit der EU noch viel häufiger von „fremden Richtern“. Ich möchte kurz darlegen, warum ich hier von Instrumentalisierung – man könnte auch sagen: von der Verteufelung – der Justiz spreche. Im Zusammenhang mit der Streitschlichtung mit der EU wird das Gespenst der fremden Richter an die Wand gemalt, die sozusagen die – schweizerische – Demokratie übersteuern. Der konkrete Ablauf der Streitschlichtung zwischen der Schweiz und der EU zeigt aber, dass bei Differenzen über die Interpretation des Rechts alle möglichen Entscheidungswege entweder zur Akzeptanz durch das Parlament oder zum fakultativen Referendum oder zum obligatorischen Referendum führen.1 Die Schlussfolgerung ist schnell gezogen: der Entscheid zur Streitschlichtung ist in der Schweiz letztlich immer ein politischer und nicht der eines fremden Richters. Und der europäische Gerichtshof interpretiert nur EU-Recht genauso wie das Bundesgericht schweizerisches Recht interpretiert. Fremde Richter haben also keinen Einfluss. Hier wird mit einem dämonisierten Bild der Justiz politisch Stimmung gemacht, und damit wird natürlich dem Richterbild geschadet. Damit wird die Justiz verteufelt, und zwar mit einer falschen Darstellung von Fakten für politische Zwecke. Rickenbacher: Fremde Richter, ein inzwischen gängiger Begriff in der politischen Auseinandersetzung, verwendet von einer bestimmten, ganz grossen Partei, die im Bundesrat vertreten ist. Ich bin ein fleissiger Zeitungsleser, aber ich glaube, dass kaum ein Journalist diese Analyse von Gret Haller einmal dargelegt und gesagt hat, was fremde Richter am Schluss entscheiden: Ihr habt mehr oder weniger Konsequenzen zu tragen mit diesen Entscheiden, aber es sind nicht die Entscheide von Gerichten und eure Volksrechte sind nicht tangiert. Ich habe das bislang nie so gelesen. Das heisst, ich muss allerdings insofern ein wenig korrigieren, als ausgerechnet diese Woche in der NZZ eine Seite erschienen ist, wo genau das dargelegt worden ist, sehr sachlich, von Heidi Gmür, 1

Eine Grafik zu diesen Abläufen ist abrufbar unter: https://www.sga-aspe.ch/wp-content/uploads/2017/10/ Binnenmarktrecht.pdf (abgerufen letztmals am 26.10.2018).

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wirklich hervorragend, es war genau dieser Punkt, und ich hoffe natürlich auch, und das ist auch Teil meines Jobs, der Qualitätsberatung, dass solche Beiträge auch in den TA-Medien vermehrt erscheinen werden. Haller: Ich muss auch sagen, dass ich Verständnis gehabt habe für Bundesrat Didier Burkhalters Rücktritt, genau aus diesem Grund. Die Medien haben kein Verständnis für seine Position und haben auch seine Probleme, die mit der EU zu lösenden bilateralen Probleme und die Schwierigkeiten, die ihm dabei in der nationalen Politik gemacht worden sind, nicht angemessen wiedergegeben. Die Medien haben dann gesagt, er verlasse ein sinkendes Schiff und setze persönliche Interessen über alles. Ich habe Verständnis gehabt, weil er diesen Weg für vernünftig eingeschätzt und gleichzeitig dafür keine Chance mehr gesehen hat. Und warum hat er keine Chance mehr gehabt? Es gibt eine neue Studie der deutschen Hirnforscherin Elisabeth Wehling über politisches Framing. Sie lehrt und forscht in Berkeley. In ihrem neuen Buch zu dem Thema hat sie einen wichtigen Gedanken entwickelt und belegt: Dass die kognitiven Deutungsrahmen, die nationalen Mythen zum Beispiel oder was auch immer, wichtiger sind für die politische Meinungsbildung, als die Fakten, die mit diesen Deutungsrahmen „geframt“ werden. Sie hat gesagt, die Fakten, die machen eigentlich nur 5 % der Meinungsbildung aus, 95 % ist Mythos, ein Deutungsrahmen, innerhalb dessen die Fakten verstanden werden. Gestern habe ich in Solothurn Wilhelm Tell mit Armbrust auf der Strasse gesehen. Dieser Mythos ist stärker als die Fakten, und wer in den Diskurs zur Streitbeilegung im Verhältnis zur EU kommt, merkt, dass beim Zuhörer praktisch beim dritten Satz dieser Gedanke an den Mythos 1291 aufkommt. Die fremden Richter sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Und das scheint mir das Problem der Medien zu sein, dass sie das nicht durchbrechen. Umso wichtiger sind solche Beiträge wie jetzt eben in der NZZ … Rickenbacher: Ich lebe in der Innerschweiz, da verschwindet der Wilhelm Tell übrigens plötzlich, man übersieht ihn, wenn man nahe genug dran ist, und wird sozusagen resistent gegen den Mythos. Herr Eisenegger, Begriffe wie fremde Richter oder Kuscheljustiz, Sie haben dieses Wort gebraucht, solche Begriffe können sich festsetzen und sie sind ganz schwer kurierbar, dienen die eigentlich auch dem Framing? Über diese fremden Richter lesen und hören wir jetzt seit Monaten und Jahren und jetzt – ein sehr aufschlussreicher Artikel in der NZZ, ich hoffe, der hat seine Wirkung noch. Der sollte das doch kurieren. Wie ist das mit solchen Frames, die man setzt? Und müsste man von den Gerichten her nicht selber dafür sorgen, die richtige Begrifflichkeit in die Welt zu setzen, die den Menschen gleich einfährt und die sie nicht mehr vergessen? Eisenegger: Ja, es ist ein spannendes Phänomen. Und übrigens zeigt sich das auch in unserer Studie zur Zunahme der Kriminalitätsberichterstattung und deren Verhältnis zur Entwicklungsdynamik in der Wahrnehmung von Kriminalität. Zur Justizberichterstattung muss ich sagen, dass die ja auch getrieben ist von derartigen Begriffen. Die werden eingesetzt wie beispielsweise Kuscheljustiz im Zusammenhang mit den beiden Morden Lucie T. und Adeline. Sie werden sich alle an diese Mordfälle erinnern. Und

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wir hatten danach heftige politische Debatten. Diese Straftäter müsse man lebenslänglich wegsperren, verwahren, das wurde sehr hoch emotionalisiert von politischer Seite eingebracht. Und das hat die Konjunktur, die Aufmerksamkeit der Justizberichterstattung über längere Zeit ganz extrem geprägt. Ob die Gerichte dem etwas entgegensetzen können, weiss ich nicht. Diese Begriffe haben einen starken Effekt. Man sollte das Phänomen, Kritik an Kuscheljustiz oder am vermeintlichen Einfluss der fremden Richter im grösseren Kontext sehen: im Kontext der aktuellen Elitenkritik, die wir beobachten können. Das ist nicht einfach nur ein Einzelfall, in dem man kritisch auf die Gerichte schaut, sondern es steht exemplarisch für das, was im Grossen als falsch behauptet wird: dass sich die, welche die Macht haben, die Eliten eben, zum Beispiel in den Gerichten, nicht an dem orientieren, was die Bevölkerung will. Wir haben auch den Vorwurf der Lügenpresse, nicht bei uns, aber das kommt vielleicht ja auch noch. Also die Eliten kriegen im Moment breit ihr Fett weg, von politischer Seite. Ich glaube, wir müssen das auch in diesem Kontext sehen. Eine Gesellschaft, die hochgradig verunsichert ist, in der grundlegende Projekte in Schieflage geraten sind, Stichworte sind „Europa“ und „Brexit“, und wir wissen ja nicht so genau, wie das da weiter geht. Menschen suchen nach neuer Orientierung, und das führt, vielleicht auch aus Enttäuschung über die Eliten, zu einer neuen Vehemenz, welche die Institutionen, auch die rechtsstaatlichen Institutionen in Frage stellen kann. Das fordert auch die Gerichte heraus, ohne Zweifel. Sie müssen sich verständlich machen können. Rickenbacher: Herr Rath, können Sie unseren Wortschatz noch um die eine oder andere Wortschöpfung aus der Bundesrepublik bereichern? Gibt es bei Ihnen auch solche Begriffe, mit denen eine justizpolitische Stimmung erzeugt wird? Gelegentlich schwappen diese Begriffe dann zu uns über, wenn sie bei Ihnen zum Unwort des Jahres geworden sind. Rath: Wir hatten einmal, das ist jetzt aber auch schon fast 20 Jahre her, in Hamburg tatsächlich eine Partei, die von einem Richter gegründet wurde, da kam also die politische Bewegung gewissermassen aus der Justiz selbst. Der Richter hiess Schill; er wurde in der Presse „Richter Gnadenlos“ genannt. Er hat die Schill-Partei gegründet, die im Widerstand gegen seine Kollegen, welche er der Kuscheljustiz gescholten hat, gesagt hat: So, jetzt machen wir hier mal richtig auf Härte. Er hat aus dem Stand mit seiner Partei 15 Prozent der Stimmen bekommen. Das war eine sehr populistische Partei, die aber auch im Senat Regierungsverantwortung übernommen hat. Als Schill jedoch versuchte, den homosexuellen CDU-Bürgermeister von Hamburg zu erpressen, ist er rausgeflogen. Jetzt soll er irgendwo in Südamerika leben. Die Sache hat sich dann relativ schnell erledigt, aber das war jedenfalls eine Phase der kriminalpolitischen Aufregung. Dann hatten wir eine Zeit, als über die Sicherungsverwahrung gestritten wurde. Darüber gab es eine sehr grosse Auseinandersetzung, weil wegen Rückwirkungsproblematiken Leute entlassen werden mussten. Das haben viele nicht verstanden. Es wurden etwa zwanzig sicherungsverwahrte Straftäter entlassen, die dann rund um die Uhr überwacht werden mussten. Das gab Anlass zu heftigen Diskussionen. Das war vor etwa sieben oder

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acht Jahren. Es wurden in der Folge Kampagnen gegen die Richter geführt, vor allem von der Bildzeitung. Die Bildzeitung ist inzwischen ja sehr human, integriert Migranten, integriert die Homosexuellen. Nur wenn es um Sexualstraftäter geht, dann fährt sie manchmal noch die Krallen aus. Aber ansonsten haben wie eigentlich in Deutschland eine justizpolitisch relativ ruhige Debatte. Rickenbacher: Ich möchte nun einigen von Ihnen eine Frage stellen, die ich dann auf das Podium nehme. Wenn Sie am nächsten Montag zwischen Tür und Angel drei Minuten Zeit haben, einer Kollegin oder einem Kollegen einen Gedanken mitzuteilen, den Sie aus diesen zwei Tagen mitnehmen, an dem Sie etwas noch weiter denken, reflektieren, einen Gedanken, und ihre Kollegin muss schon weg, was wäre der Satz den Sie mitteilen würden? Wir werden das nachher hier im Podium nochmals aufnehmen. Einen Satz, den Sie einer Kollegin, einem Kollegen mitgeben, was Sie gestern und heute so gehört und mitgenommen haben, das Sie vertiefen möchten. Um ein Beispiel zu nehmen, ich nehme Ihre Aussage Frau Schoch von der direkten Demokratie und dem Rechtsstaat mit, ich werde meinen Sprachgebrauch prüfen und ich werde meine Überlegungen da noch vertiefen. Sie geben zu denken, Frau Schoch, aber im guten Sinn. Was wäre ein Satz den Sie einer Kollegin oder einem Kollegen mitgeben? Teilnehmerin A: Ich würde sagen, wenn Sie das Gerichtsurteil kritisieren wollen, kritisieren Sie das Urteil und nicht die Institution als solche. Ich möchte hier an das Votum von Herrn Professor Mahlmann anknüpfen. Er hat das in diesem Sinne ausgedrückt und ich möchte an einen Fall erinnern, den dieses Gericht, das Bundesstrafgericht, zu beurteilen hatte. Es ging um Anklagen gegen vier Unterstützer des IS, die dann zu bedingten Freiheitsstrafen verurteilt wurden und einer wurde freigesprochen. Ein nationaler Politiker und Journalist hat in einem wirklich groben Kommentar in einer Tessiner Zeitung geschrieben, man sollte die Richter einsperren, die solche Urteile fällten. Das ging als direkter Angriff zur Stimmungsmache auf die Institution und, sogar mit Namensnennung, auf die Richter. Mit dem angewendeten Gesetz, mit Urteil und mit dessen Gründen, die zu den bedingten Strafen geführt hatten, hat sich der Journalist überhaupt nicht auseinandergesetzt. Rickenbacher: Wie auch immer, wenn wir in eine Kritik gehen, kritisieren wir den Fall und seine Lösung, wir kritisieren nicht gleich die Institution, das wäre so eine Aussage, die Sie weitergeben. Weiter, ich glaube, Sie wollten etwas sagen? Die Frage war, wenn Sie nur knapp Zeit haben, einer Kollegin oder einem Kollegen eine Impression dieser Tagung zu geben, was wäre die Impression? Teilnehmer B: Mein Eindruck ist, dass die Journalisten zwischen Tür und Angel arbeiten, und das ist problematisch. Ich würde sagen, dass es in diesen Dingen mehr Sorgfalt braucht. Rickenbacher: Und was würden Sie einer Kollegin, einem Kollegen mitgeben?

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Teilnehmer C: Ja, ich würde sagen, dass ich mir nach diesen zwei Tagen noch mehr Gedanken machen muss zu den verschiedenen Rollen: Welches ist die Rolle, die Aufgabe der Justiz, und welches die Rolle der Presse? Und wie verhalten sie sich zueinander? Die Medien formulieren – als tatsächliches oder usurpiertes Sprachrohr der Öffentlichkeit Erwartungen an die Justiz, Erwartungen an das, was Richterinnen und Richter tun sollten. Wir haben es heute Morgen gehört, dass und inwiefern Richterinnen und Richter beeinflusst werden, durch generelle Erwartungen, zum Beispiel härtere Strafen für bestimmte Delikte, oder Erwartungen im Einzelfall. Die Gerichte sollten dem widerstehen können, jedenfalls nicht gesellschaftliche Erwartungen oder Entwicklungen eins zu eins umsetzen. Wir sollten uns darauf besinnen, welchen Charakter und welche Aufgabe das Recht hat. Richterinnen und Richter sind Kinder ihrer Zeit und der Gesellschaft, in der sie leben, davon müssen sie ein Bewusstsein haben, sich zugunsten des Rechts aber auch davon distanzieren können. Sie sind schliesslich die Garanten von Recht und Gerechtigkeit, und die Verwirklichung von Recht und Gerechtigkeit kann ja durchaus den medial vermittelten gesellschaftlichen Erwartungen widersprechen. Ich finde interessant, was Herr Baur heute Morgen gesagt hat, dass wir doch Gerechtigkeit ins Recht bringen sollten. Aber das erreicht man nicht einfach damit, dass öffentliche Erwartungshaltungen ins Recht inkorporiert werden. Rickenbacher: Sie sind Medienschaffender? Teilnehmer C: Nein, Rechtsphilosoph. Rickenbacher: Rechtsphilosoph, wunderbar! Vielen Dank. Nun komme ich zu Ihnen, Herr Baur, Sie haben heute geredet, aber Sie haben auch zugehört. Was nehmen Sie mit? Alex Baur: Ich möchte einfach auch noch etwas Demut in Erinnerung rufen. Die Justiz ist keine exakte Wissenschaft, wenn das Recht überhaupt eine Wissenschaft ist. Wir haben von Gret Haller gehört, man könne das nur so sehen, wie von ihr dargelegt, mit den fremden Richtern, und jeder, der es anders sehe, liege einfach falsch. Die Populisten sind immer die andern. Selbst ist man immer rational, die andern sind emotional. Ich bin einverstanden, dass man sich gegen die Kritik, die heute auf die sogenannten Eliten trifft, auch zur Wehr setzen muss. Aber man sollte die Kritik doch zur Kenntnis nehmen, sie auch ernst nehmen und sich nicht allzu leichtfertig darüber hinwegsetzen. Sie ist nicht einfach nur ganz und gar und in jeder Hinsicht verfehlt. Rickenbacher: Wenn Sie einen Gedanken, den Sie sicher noch vertiefen werden, einer anderen Person mitgeben möchten, was wäre das? Teilnehmer D: Dass man als Jurist nur dem Recht verpflichtet ist, nicht der öffentlichen Meinung.

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Rickenbacher: Ein klares, ein starkes Wort. In der Praxis kann das sehr harte Konsequenzen haben. Teilnehmer D: Wenn man als Richter, Gerichtsschreiber nicht versucht, nach diesem Prinzip zu leben, gibt man sich selber auf und wahrscheinlich auch seine Berufsehre. Rickenbacher: Danke. – Und vielleicht noch auf der anderen Seite ein Wort, einen Gedanken den Sie mitnehmen würden? Teilnehmerin E: Erstens finde ich, dass wir den Respekt vor Richterinnen und Richtern, die versuchen, sich an ihre Grundsätze zu halten, auch wenn es von aussen ganz harte Kritik gibt, und die das trotzdem durchziehen – dass wir diesen Raum, den die Gerichte brauchen, um unabhängig zu sein, schützen sollten. Und das Zweite: Ich finde wichtig, das Folgende besser zu reflektieren. Man kann das Thema hier nicht ohne dies diskutieren: Die Anwendung des Rechts, seine Funktionsweise ist auf Wertungen bezogen. Ich stelle fest, auch an mir, dass ich das Ergebnis als rechtlich korrekt anschaue, wenn ich die Wertungen teile. Und wenn ich sie nicht teile, dann halte ich das Urteil für politisch motiviert. Rickenbacher: Danke. – Gibt es noch jemanden, der einen Gedanken mitteilen möchte, den er von hier mitnimmt? Teilnehmer F: Der Gedanke knüpft an einen Ausdruck an, den Mascha Santschi heute verwendet hat: Dass die Journalisten sich füttern lassen. Als Journalist muss ich dazu sagen, dass wir tatsächlich auch Hunger haben; gerade auch vor den eigentlichen Prozessen, die wir abdecken wollen. Bei all dem, was ich in den beiden Tagen gehört habe, ist es eben vielleicht doch auch die Aufgabe der Justiz, auch der Staatsanwaltschaft, aktiver zu kommunizieren. Der Wunsch, die Bereitschaft, das dann auch aufzunehmen, ist auf unserer Seite, auf der Seite der Medien, jedenfalls vorhanden. Ja, das könnte man doch auch mitnehmen, wenn es der Justiz daran liegt, dass ihr Geschäft besser vermittelt wird. Rickenbacher: Danke schön. – Frau Schoch, Sie erleben, beurteilen und gestalten die Medienwirklichkeit, über die wir hier reden, seit einigen Jahren mit. Was geht Ihnen nach dem, was Sie auch von Kolleginnen Kollegen gehört haben, jetzt durch den Kopf? Schoch: Ja, es ist natürlich etwas, das wir schon gewusst haben, aber das mich nun doch innerlich beschäftigt: dass Medienkampagnen – das wissen wir aus der Politikforschung – häufig auch aufgenommen werden und einen Effekt haben. Und sie können sich bis in die Gerichte hinein niederschlagen, und zwar ohne, dass eine Rechts- und Gesetzesänderung erfolgt ist. Es ist schon verständlich, warum das geschieht, das weiss ich als Juristin, aber bedenklich ist es dennoch, und es stimmt mich nachdenklich. Medienkampagnen haben mit Macht zu tun und sie sind demokratisch nicht legitimiert. Ihren Einfluss habe ich heute nochmals erlebt in den Diskussionen, und gestern ging

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dies aus den Erläuterungen zu den jüngsten Entwicklungen bei der Anordnung von Massnahmen und Verwahrung durch die Justizbehörden hervor. Rickenbacher: Ja, es geht den Richterinnen und Richtern wie uns allen: Unser Essverhalten, unser Verhalten im öffentlichen Verkehr oder im privaten Verkehr auf der Strasse, unser Verhalten in anderen Bereichen, ist nicht ganz nur aus uns selbst heraus entstanden, sondern wird durch die Diskussionen, die um uns herum stattfinden, durch Ereignisse natürlich mitbeeinflusst. Und das geht bis ins Gericht. Sie haben diese Stimmen gehört, welche Kritik an der Elite übt, Herr Eisenegger, da war mindestens von Herrn Baur so ein Halbsatz zu hören, die verdienen es auch zum Teil … Eisenegger: Zuhören soll man immer, das ist für mich ein Lebensprinzip. Wir sollten die Gesellschaft, unsere Diskussionen so organisieren, dass sich am Schluss das beste Argument durchsetzt. Und deshalb bin ich immer offen, auch für andere Argumente als die, die meine Position stützen. Wenn Sie mich wirklich mit Argumenten überzeugen, dass sie recht haben, dann bin ich bereit, meine Meinung zu revidieren. Im Moment überzeugt mich jedoch die Argumentation von Frau Haller noch mehr als die Kritik an den fremden Richtern. Rickenbacher: Herr Strehle, der Appell, dass alle Beteiligten ihr eigenes Rollenverständnis regelmässig überprüfen sollen, und vielleicht auch auf neue Gegebenheiten ausrichten: Auf was sollten sich Medienschaffende heute einrichten? Mit welchen neuen Gegebenheiten müssen sie ihr Rollenverständnis konfrontieren? Strehle: Ich denke, dass die Qualitätsfrage eines der grossen Themen sein wird. Das hat zu tun mit den sinkenden Ressourcen und auch mit dem erhöhten Tempo, das wir erwähnt haben. Ich bin überzeugt, dass die Qualitätsfrage uns in den nächsten Jahren sehr stark beschäftigen wird. Wir haben jetzt, auch für die TA-Media, ein solches Programm gestartet und ein kleines Büchlein mit den wichtigsten Grundsätzen verfasst. Dabei haben wir auch die Wissenschaft mit einbezogen, unter anderen auch Mark Eisenegger, und wir werden jetzt regelmässig alle Medien, alle TA-Media auf diese Qualität hin untersuchen, auf viele Fragen hin, die hier auch diskutiert wurden. – Für mich persönlich, wenn ich das vielleicht auch noch anfügen darf, meine Antwort auf die Frage, was nehme ich mit? Für mich war es sehr interessant zu hören, wie die Medien wahrgenommen werden, auch von Gerichten, Staatsanwaltschaften, von Anwälten. Zwei oder drei Punkte, die mir am meisten geblieben sind: Heute Morgen habe ich das Gefühl gehabt, ich hätte teilweise doch auch Vorurteile gehört, fast stammtischmässige Vorurteile gegen die Medien, auch von Justizseite. So zum Beispiel die Frage, wer kontrolliert die Medien? Da möchte ich doch darauf hinweisen, dass es die Justiz selber ist, die die Medien kontrolliert. Wir sind nicht in einem rechtsfreien Raum, sondern wir wissen, dass mit jedem Text, den wir schreiben, uns eine Verurteilung drohen kann, nicht wahr? Und ich möchte darauf hinweisen, möchte Sie, die Vertreterinnen und Vertreter von Justiz und Anwaltschaft bitten, unsere Unabhängigkeit zu respektieren, sie auch einzufordern, zu

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respektieren, dass wir unabhängig sind, kritisch unabhängig, aber auch dass wir schnell sind. Und dass sie bei Ihrer Medienarbeit mitberücksichtigen, dass die Medien immer früher berichten, bei wichtigen Prozessen, auch vorprozessual bereits. Das lässt sich nicht ändern. Und mir scheint es sehr wichtig, dass die Gerichte sich dazu Gedanken machen. Rickenbacher: Gret Haller, was sagen Sie zu dem Appell von Herrn Baur, den Begriff des Populismus nicht als Kampfwaffe zu benützen, den man zu schnell und zu leicht in die Diskussion einwerfe, wenn einem die damit verbundene Position nicht passe? Haller: Darf ich vorher noch ganz schnell von dem Recht Gebrauch machen, das hier alle gehabt haben, zu sagen, was ich mitnehmen werde, und Ihre Frage danach beantworten? Mir hat sich der Vortrag von Edy Salmina sehr eingeprägt und er hat weitergewirkt. Es ist mir aufgefallen, als ich darüber nachgedacht habe, wie stark sich heute ein strafrechtlich-punitives Vokabular breit gemacht hat – auch im gesellschaftlichen Diskurs. In den Börsenberichterstattungen wird ein Unternehmen abgestraft, wenn der Aktienkurs fällt. Und eine Partei wird abgestraft, wenn sie die Wahlen verliert. Herr Salmina hat das wunderbar dargestellt. Und jetzt die Antwort auf die Frage: Populismus als politisches Phänomen ist analysiert. Man kann ziemlich genau sagen, was er umfasst, wie er funktioniert, die zwei oder drei wichtigsten Elemente benennen. Populismus richtet sich tendenziell gegen rechtsstaatlich verfasste Demokratie, er ist eigentlich ein Gegenbegriff zur Demokratie: Jemand sagt, wer das Volk ist, und das Volk sind diejenigen Leute, die in ihren Ansichten mit der Führerpersönlichkeit übereinstimmen. Die anderen gehören nicht zum „Volk“. Das ist das eine der Merkmale. Das zweite ist, dass die Führungsperson weiss, was dieses Volk will, es muss gar nicht mehr diskutiert werden. Das heisst, da bin ich mit Herrn Baur einverstanden, man sollte das Wort Populismus nicht für alles verwenden, was einem nicht in den Kram passt. Aber man sollte das, was wirklich dem Begriff des Populismus entspricht – man kann das bei Jan-Werner Müller in seinem kleinen Büchlein perfekt zusammengefasst lesen –, also die Elemente, die dazu führen, beim Namen nennen. Rickenbacher: Sie mögen einige Ereignisse Ihrer politischen Zeit vergessen haben, Frau Haller, aber streitbar in einem guten Sinn sind Sie nach wie vor. Das finde ich sehr schön. Herr Rath, ich stelle Ihnen die vorsichtigere Frage, jetzt nachdem Frau Haller gesprochen hat: Was nehmen Sie mit aus dieser Schweizer Diskussion mit in ihre Arbeit in der Bundesrepublik? Rath: Ich habe natürlich die Gelegenheit auch genutzt, nochmals über die eigene Tätigkeit nachzudenken. Das macht man im Arbeitsalltag ja normalerweise nicht, man arbeitet einfach. Für mich sind es zwei Gedanken, die wichtig sind und die ich mitnehme. Das eine ist ein konstruktiver Gedanke: Wir haben gesehen, dass die Bevölkerung bei Ihnen wie bei uns in Deutschland eine hohe Meinung von den Richterinnen und Richtern hat, aber eigentlich nur abstrakt, weil sie sagen, die sind unabhängig, die sind nicht

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Partei, und sollen dann das Richtige entscheiden. Dieser Öffentlichkeit aber sollte man immer auch vermitteln, dass es nicht einfach irgendwie um unabhängige und richtige Entscheidung geht, sondern um spezifisch juristische Rationalität, um Gesetze, die ja auch wieder vom Gesetzgeber kommen und nicht von den Richtern, und um die methodische Auslegung dieser Gesetze. Dies zu erklären macht den Eigenwert unserer Tätigkeit als Justizberichterstatter aus: die abstrakte Akzeptanz gegenüber der Justiz für die Öffentlichkeit dann auch wirklich mit Substanz zu füllen. Und das andere: Wenn man als Journalist kritisiert, dann finde ich es wichtig, dabei nicht nur auf Beifall oder auf Einschaltquoten zu achten, also gleichsam nur zu fragen, ob diese Kritik auch populär sei, sondern darauf zu schauen und zu hoffen, die Richter überzeugen zu können, also sie auf einem Niveau zu kritisieren, bei dem sie sagen, ja, der hat es verstanden und er hat eine andere Meinung und da denke ich jetzt auch nochmal darüber nach. Oder anders gesagt: Gute journalistische Justizkritik sollte sich auch an die Justiz selbst richten. Rickenbacher: Wenn Ihnen und Ihren Kollegen das gelingen könnte, dann wären wir miteinander ein grosses Stück weiter. Ich denke, in diese Richtung sollten wir arbeiten. Ich möchte Ihnen, Frau Haller, und Ihnen, meine Herren, ganz herzlich danken für dieses Gespräch und Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit nach dem Mittagessen und bei höheren Temperaturen. Chapeau. Vielen Dank.

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Alex Baur, Redaktor „Die Weltwoche“ Stephan Bernard, lic. iur., LL. M., Rechtsanwalt und Mediator in Zürich Dominique von Burg, Journalist und Präsident des Schweizer Presserates Mark Eisenegger, Prof. Dr., Ordentlicher Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IKMZ) der Universität Zürich; Institutsleiter des fög – Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich Roy Garré, PD Dr. iur. (Universität Bern), Bundesstrafrichter, Vizepräsident der Beschwerdekammer des schweizerischen Bundesstrafgerichts Mario Gmür, PD Dr. med., FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, Forensischer Psychiater, Zürich Gret Haller, Dr. iur., Dr. h. c. rer. publ., alt Nationalratspräsidentin, alt Botschafterin, Publizistin Marianne Heer, Prof. Dr. iur., Kantonsrichterin Luzern und Lehrbeauftragte an den Universitäten Freiburg und Bern Daniel Kipfer, Dr. phil. et lic. iur., Bundesstrafrichter, zur Zeit Ombudsperson für die Überprüfung individueller Antiterrorsanktionen beim UN-Sicherheitsrat Anne Kühler, Dr. iur., LL. M. (Columbia), Oberassistentin im Bereich der Grundlagen des Rechts und Habilitandin am Rechtswissenschaftlichen Institut der Universität Zürich Matthias Mahlmann, Prof. Dr. iur., Lehrstuhl für Philosophie und Theorie des Rechts, Rechtssoziologie und Internationales Öffentliches Recht, Universität Zürich André Marty, Informationschef der Bundesanwaltschaft, Bern Christian Rath, Dr. jur., rechtspolitischer Korrespondent verschiedener deutscher Tageszeitungen (u. a. der „taz“), Vorstandsmitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe Iwan Rickenbacher, Prof. Dr., Kommunikationsberater Edy Salmina, Rechtsanwalt, Mitglied der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI), ehemaliger Chefredaktor der Radiotelevisione svizzera di lingua italiana, Lugano

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Mascha Santschi Kallay, MLaw, Rechtsanwältin, selbständige Kommunikationsberaterin für Gerichte und Staatsanwaltschaften, Santschi & Felber JustizKommunikation GmbH Claudia Schoch Zeller, Dr. iur., Dr. h. c. (Universität Zürich), Rechtsanwältin, Stiffler & Partner, Zürich, ehemalige Redaktorin und Rechtskonsulentin der „Neuen Zürcher Zeitung“ Res Strehle, Journalist und Autor, Präsident Medienausbildungszentrum MAZ in Luzern, ehemaliger Chefredaktor des „Tages-Anzeigers“

a rc h i v f ü r r e c h t s - u n d s o z i a l p h i l o s o p h i e



beihefte

Herausgeben von der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR). Die Bände 1–4 sind im Luchterhand-Fachverlag erschienen.

Franz Steiner Verlag

ISSN 0341–079x

139. Tetsu Sakurai / Makoto Usami (Hg.) Human Rights and Global Justice The 10th Kobe Lectures, July 2011 2014. 167 S., kt. ISBN 978-3-515-10489-0 140. Bernhard Jakl / Beatrice Brunhöber / Ariane Grieser / Juliane Ottmann / Tim Wihl (Hg.) Recht und Frieden – Wozu Recht? Tagungen des Jungen Forums Rechtsphilosophie (JFR) in der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) im September 2012 in Münster und im April 2013 in Berlin 2014. 206 S. mit 3 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10806-5 141. Axel Tschentscher / Caroline Lehner / Matthias Mahlmann / Anne Kühler (Hg.) Soziale Gerechtigkeit heute Kongress der Schweizerischen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie, 7. Juni 2013, Universität Bern 2015. 139 S., kt. ISBN 978-3-515-10907-9 142. Daniela Demko / Kurt Seelmann / Paolo Becchi (Hg.) Würde und Autonomie Fachtagung der Schweizerischen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie, 24.–25. April 2013, Landgut Castelen, Augst 2015. 216 S., kt. ISBN 978-3-515-10949-9 143. Jean-Christophe Merle / Alexandre T. G. Trivisonno (Hg.) Kant’s Theory of Law Proceedings of the Special Workshop “Kant’s Concept of Law” held at the 26th World Congress of the International Association for Philosophy of Law and Social Philosophy in Belo Horizonte, 2013 2015. 138 S., kt. ISBN 978-3-515-11037-2 144. Júlio Aguiar de Oliveira / Stanley L. Paulson / Alexandre T. G. Trivisonno (Hg.) Alexy’s Theory of Law

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Proceedings of the Special Workshop “Alexy’s Theory of Law” held at the 26th World Congress of the International Association for Philosophy of Law and Social Philosophy in Belo Horizonte, 2013 2015. 187 S., kt. ISBN 978-3-515-11043-3 Annette Brockmöller / Stephan Kirste / Ulfrid Neumann (Hg.) Wert und Wahrheit in der Rechtswissenschaft 2015. 113 S., kt. ISBN 978-3-515-11053-2 Marcelo Campos Galuppo / MÔnica Sette Lopes / Karine Salgado / Thomas Bustamante / Lucas Gontijo (Hg.) Human Rights, Rule of Law and the Contemporary Social Challenges in Complex Societies Proceedings of the 26th World Congress of the International Association for Philosophy of Law and Social Philosophy in Belo Horizonte, 2013 2015. 155 S. mit 2 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11130-0 Paul Tiedemann (Hg.) Right to Identity Proceedings of the Special Workshop “Right to Identity” held at the 27th World Congress of the International Association for Philosophy of Law and Social Philosophy in Washington DC, 2015 2016. 185 S., kt. ISBN 978-3-515-11244-4 Hajime Yoshino / Andrés Santacoloma Santacoloma / Gonzalo Villa Rosas (Hg.) Truth and Objectivity in Law and Morals Proceedings of the Special Workshop Held at the 26th World Congress of the International Association for Philosophy of Law and Social Philosophy in Belo Horizonte, 2013 2016. 158 S., kt. ISBN 978-3-515-11260-4

149. Alain Papaux / Simone Zurbuchen (Hg.) Philosophy, Law and Environmental Crisis / Philosophie, droit et crise environnementale Workshop of the Swiss Society for Philosophy of Law and Social Philosophy, September 12–13, 2014, Swiss Institute of Comparative Law, Lausanne / Congrès de l’Association Suisse de Philosophie du Droit et de Philosophie Sociale, 12–13 septembre 2014 2016. 153 S. mit 2 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11387-8 150. Markus Abraham / Till Zimmermann / Sabrina Zucca-Soest (Hg.) Vorbedingungen des Rechts Tagungen des Jungen Forums Rechtsphilosophie (JFR) in der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) im September 2014 in Passau und im April 2015 in Hamburg 2016. 231 S., kt. ISBN 978-3-515-11389-2 151. André Ferreira Leite de Paula / Andrés Santacoloma Santacoloma / Gonzalo Villa Rosas (Hg.) Truth and Objectivity in Law and Morals II Proceedings of the Second Special Workshop held at the 27th World Congress of the International Association for Philosophy of Law and Social Philosophy in Washington D.C., 2015 2016. 210 S. mit 4 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11484-4 152. Kosuke Nasu (Hg.) Insights about the Nature of Law from History The 11th Kobe Lecture, 2014 2017. 146 S., kt. ISBN 978-3-515-11570-4 153. Jochen Bung / Armin Engländer (Hg.) Souveränität, Transstaatlichkeit und Weltverfassung Tagung der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) im September 2014 in Passau 2017. 133 S., kt. ISBN 978-3-515-11620-6 154. Bénédict Winiger / Matthias Mahlmann / Sophie Clément / Anne Kühler (Hg.) La propriété et ses limites / Das Eigentum und seine Grenzen

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Congrès de l’Association Suisse de Philosophie du Droit et de Philosophie Sociale, 26 septembre 2015, Université de Genève / Kongress der Schweizerischen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie, 26. September 2015, Universität Genf 2017. 274 S., kt. ISBN 978-3-515-11688-6 Gralf-Peter Calliess / Lorenz Kähler (Hg.) Theorien im Recht – Theorien über das Recht Tagung der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) im September 2016 in Bremen 2018. 224 S., kt. ISBN 978-3-515-12102-6 Dennis-Kenji Kipker / Matthias Kopp / Peter Wiersbinski / Jan-Christoph Marschelke / Falk Hamann / Martin Weichold (Hg.) Der normative Druck des Faktischen: Technologische Herausforderungen des Rechts und seine Fundierung in sozialer Praxis Tagungen des Jungen Forums Rechtsphilosophie (JFR) in der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) im September 2016 in Bremen und im September 2017 in Regensburg 2019. 261 S., geb. ISBN 978-3-515-12196-5 Miguel Nogueira de Brito / Rachel Herdy / Giovanni Damele / Pedro Moniz Lopes / Jorge Silva Sampaio (Hg.) The Role of Legal Argumentation and Human Dignity in Constitutional Courts Proceedings of the Special Workshops Held at the 28th World Congress of the International Association for Philosophy of Law and Social Philosophy in Lisbon, 2017 2019. 239 S. mit 3 Abb., kt. ISBN 978-3-515-12235-1 André Ferreira Leite de Paula / Andrés Santacoloma Santacoloma Law and Morals Proceedings of the Special Workshop held at the 28th World Congress of the International Association for Philosophy of Law and Social Philosophy in Lisbon, Portugal, 2017 2019. 377 S., geb. ISBN 978-3-515-12278-8

Welche Rolle spielt die Justizberichterstattung für die Verwirklichung des Rechts in der direkten Demokratie? Diese Frage tangiert sowohl rechtliche und gerichtspolitische als auch demokratietheoretische Themen im Verhältnis zwischen Recht, Öffentlichkeit, Medien und Justiz: So hängt die Wahrnehmung der Justiz – und mit ihr des Rechts – in der Öffentlichkeit maßgeblich davon ab, wie in den Medien darüber berichtet wird. Die mediale Vermittlung der Rechtsprechungstätigkeit beeinflusst in der

direkten Demokratie auch die zukünftige Gesetzgebung, wodurch die Art und die Qualität der Justizberichterstattung eine für den demokratischen Rechtsstaat fundamentale Bedeutung erlangen. Die Autorinnen und Autoren beleuchten die gesellschaftlichen Rollen von Justiz und Medien in ihrer Wechselwirkung. Sie untersuchen den Einfluss der Medien auf die Rechtsprechungstätigkeit und auf die Art und Weise, wie die Justiz in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-12368-6

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