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German Pages 347 Year 2018
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1373
Legitimation von Quoren in der direkten Demokratie
Von
Stefan Schwerdtfeger
Duncker & Humblot · Berlin
STEFAN SCHWERDTFEGER
Legitimation von Quoren in der direkten Demokratie
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1373
Legitimation von Quoren in der direkten Demokratie
Von
Stefan Schwerdtfeger
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster hat diese Arbeit im Jahr 2016 als Dissertation angenommen.
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Für Cathrin, Josephine und Ludwig
Vorwort Diese Arbeit wurde im Jahr 2016 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Ihr Gegenstand ist von unverminderter Aktualität und gründet sich auf die Frage, wie ausgeprägt die Einflussmöglichkeiten des Souveräns auf staat liche Willensbildungsprozesse sein sollen und können. Erstere ist eine politische, letztere eine juristische Perspektive. Es gilt, beide zu trennen und insbesondere eine verfassungsrechtliche Untersuchung frei von politischen Erwägungen zu halten. Erst jüngst urteilte das Hamburgische Verfassungsgericht am 13. Oktober 2016 in der Sache eines Volksbegehrens, mit dem eine Absenkung der Quoren bei Volksentscheiden erreicht werden sollte. Es entschied unter Heranziehung insbesondere des Mehrheitsprinzips als Bestandteil des unabänderlichen Kerngehaltes der Hamburgischen Verfassung, daß die angestrebten niedrigeren Quoren gegen das Demokratieprinzip verstoßen. Argumentativ reiht es sich in die im ersten Teil dieser Arbeit untersuchten Entscheidungen anderer Landesverfassungsgerichte ein. Ganz herzlich danken möchte ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Fabian Wittreck. Er stand mir stets mit Rat und Kritik bei der Erstellung der Arbeit zur Seite. Ich freue mich sehr, dass er die Arbeit betreut hat. Auf die von ihm vermittelte Methode und Präzision rechtswissenschaftlichen Arbeitens greife ich bis heute mit viel Gewinn zurück. Auf dieser Basis ist bei mir auch zu einem großen Teil die Freude an der Rechtswissenschaft gewachsen, ohne die eine Arbeit wie die vorliegende nicht hätte entstehen können und die für mich wesentlicher Bestandteil meines Berufslebens geworden ist. Herzlich danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Bodo Pieroth für die Erstellung des Zweitgutachtens. Diese Arbeit wurde berufsbegleitend über mehrere Jahre und bedingt durch Wohnsitzwechsel unter Nutzung diverser Bibliotheken angefertigt. Mein Dank gilt hier insbesondere den Mitarbeitern des Max-Planck-Institutes für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, deren Hilfe bei Recherche und Literaturbeiziehung erheblich zu den idealen Arbeitsbedingungen beigetragen hat, die ich dort vorfand. Sehr herzlich Dank sagen möchte ich schließlich meinen Eltern für ihren fortdauernden Zuspruch und ihre umfassende Unterstützung. Hannover, im Frühjahr 2018
Stefan Schwerdtfeger
Inhaltsverzeichnis Einleitung 19 A. Stand der Debatte um die direkte Demokratie in Deutschland . . . . . . . . . . . . 19 B. Quoren und direkte Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 C. Problemaufriß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 D. Definitionen und Funktionsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Volksgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Volksinitiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Volksbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Volksentscheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Referendum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 28 29 31 31 32
E. Volksgesetzgebung auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 F. Volksgesetzgebung auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung des Verfahrens und Volksinitiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Volksbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Volksentscheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34 35 37 38
Teil 1
Jüngste Rechtsprechung und Literatur
39
A. Freie Hansestadt Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 I. Volksgesetzgebungsverfahren in Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 II. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 III. Darstellung des Urteils des Staatsgerichtshofs Bremen vom 14. Februar 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 a) Eigenschaften beider Gesetzgebungsverfahren im Vergleich . . . . 43 aa) Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . 43 bb) Das Volksgesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 b) Die einzelnen Quorenregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 aa) Verfassungsänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 bb) Einfache Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
10 Inhaltsverzeichnis 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeinwohlorientierung von Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgleichsfunktion unmittelbarer Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . c) Instrument von Minderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verfassungsänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bremische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis parlamentarischer zu unmittelbarer Demokratie . . . . . . . . a) Sein-Sollens-Fehlschluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsethisches Niveau eines Minderheiteninstruments . . . . . . . . 3. Verfahrensrechtliche Interpretation des Demokratieprinzips . . . . . . . 4. Verfassungsänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46 46 46 48 48 49 49 50 50 50 51 52 52 53
B. Freistaat Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 I. Übersicht zu den Volksgesetzgebungsverfahren in Bayern . . . . . . . . . . . 54 1. Erste Stufe: Volksbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Zwischenschritt: Verfahren im Landtag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3. Zweite Stufe: Volksentscheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4. Sonderfall: Verfassungsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 5. Direktdemokratische Aktivität und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 II. Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs . . . . . . . . . . . 59 1. Bayerischer Verfassungsgerichtshof vom 2. Dezember 1949 . . . . . . . 59 a) Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Bayerischer Verfassungsgerichtshof vom 17. September 1999 . . . . . 62 a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 aa) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 bb) Systematische beziehungsweise rechtsvergleichende Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 cc) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3. Bayerischer Verfassungsgerichtshof vom 31. März 2000 . . . . . . . . . . 66 a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 III. Die Bayerische Diskussion in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Inhaltsverzeichnis11 a) Argumentation pro Quorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Argumentation contra Quorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Systematische und teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 a) Verhältnis von Parlaments- und Volksgesetzgebung . . . . . . . . . . . 75 aa) Art. 72 I BayVerf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 bb) Effektivität der Volksgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 cc) Verfassungsgerichtsbarkeit und besondere Sanktionen . . . . . 77 dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Legitimation durch Mehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 aa) Absolute Mehrheitsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (1) Gesamtheit des Volkes als Legitimationssubjekt . . . . . . 80 (2) Konstituierung bürgerlicher Mitwirkungsrechte durch Verfahrensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (3) Status activus als Konsequenz gemeinschaftlicher Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (4) Aktivistische beziehungsweise extreme Minderheiten . . 82 (5) 25 %-Quorum als Verfassungsrechtssatz . . . . . . . . . . . . . 82 bb) Relative Mehrheitsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (1) Volk bedarf keiner Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (2) Verfassungsrechtliche Einforderung staatsbürgerlicher Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (3) Boykott und Wertung von Passivität . . . . . . . . . . . . . . . . 84 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 c) Vergleichbarkeit von Wahl und Volksgesetzgebung . . . . . . . . . . . 86 aa) Geringer Umfang von Initiatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 bb) Geringe Wahlbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 cc) Beschlußfähigkeit von Repräsentativorganen . . . . . . . . . . . . 88 dd) Sperrklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 ee) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 d) Funktionsfähigkeit des Bayerischen Landtags . . . . . . . . . . . . . . . 89 aa) Quoren erforderlich zur Funktionssicherung . . . . . . . . . . . . . 89 (1) Höhere Schwelle für Verfassungsänderungen . . . . . . . . . 90 (2) Verantwortung von Machtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . 90 bb) Quoren zur Funktionssicherung nicht zwingend . . . . . . . . . . 91 cc) Sonderfall Volksinitiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 e) Erschwerte Abänderbarkeit / Verfassungsstabilität . . . . . . . . . . . . . 93 aa) Wortlaut des Art. 74 BayVerf. als Verstoß gegen den Vorrang der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 bb) Bayerische Verfassung schweigt zum Quorum beredt . . . . . 94 cc) Bayerische Verfassung genügt dem Vorrang der Verfassung 95 (1) BV ist auch ohne Quorum nur unter erschwerten Bedingungen abänderbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
12 Inhaltsverzeichnis (2) Gegenargumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (1) Häufigkeit von Verfassungsänderungen . . . . . . . . . . . . . 97 (2) Besondere Funktion von Plebisziten in Bayern . . . . . . . 97 (3) Instrumente der Erschwerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (4) Schutzkonzept der Bayerischen Verfassung bezüglich ihrer Abänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (a) Formeller Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (b) Materieller Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Die Bayerische Verfassung ist in sich folgerichtig . . . . . . . . . . . . 102 b) Die Bayerische Verfassung regelt die Quorenfrage abschließend . 103 c) Meinungsüberblick zur Quorenhöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 aa) Volksinitiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 bb) Volksbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 cc) Verfassungsändernder Volksentscheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 d) Weitere Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 C. Freistaat Thüringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung in die Sach- und Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Thüringer Verfassungsgerichtshof vom 15. August 2001 . . . . . . . . . . . . 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Reichweite von Art. 83 III ThürVerf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bürgerantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Volksbegehren und Volkssouveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Repräsentation des Staatsvolks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Materielle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fünfprozentklausel bei Landtagswahlen . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Volksentscheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Prävalenz der parlamentarischen Gesetzgebung . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vorrang der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Thüringer Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterstützungsquoren für Volksbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107 107 108 109 110 111 111 111 112 112 112 113 113 114 114 114 115 115 115 116 116 117 117 118
Inhaltsverzeichnis13 a) Unterstützungsquoren sichern Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 aa) Qualifikation durch Nachweis der Zustimmungsfähigkeit . 118 bb) Republikanisches Legitimationserfordernis . . . . . . . . . . . . . . 119 cc) Herstellung praktischer Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Unterstützungsquoren verfassungsrechtlich nicht geboten . . . . . . 120 aa) Volksbegehren keine Ausübung von Staatsgewalt . . . . . . . . . 120 bb) Keine Verschiebung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses . . . 121 cc) Keine drohende Handlungsunfähigkeit des Landtags . . . . . . 122 dd) Übrige Sicherungen des parlamentarischen Systems . . . . . . 122 ee) Fehlerhafte Vorstellung von Minderheiten . . . . . . . . . . . . . . . 122 ff) Republikanisches Prinzip fordert keine Legitimation . . . . . . 123 3. Beteiligungsquorum beim Volksentscheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Schutz vor Entscheidungszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Quoren sind bei Volksentscheiden verfassungsrechtlich nicht zwingend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 aa) Demokratie- und Mehrheitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 bb) Erheblichkeit und Gemeinwohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 cc) Kritik am Legitimationsbegriff des Thüringer Verfassungsgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 c) Abschaffung unter Vorbehalt zulässig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4. Konkrete Höhe der Quoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Verfassungsgenetische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Intraföderaler Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 c) Internationaler Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Teil 2
Spielraum des verfassungsändernden Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren in direktdemokratischen Verfahren
A. Systematik und Inhalt der normativen Vorgaben des Grundgesetzes für demokratische Verfahren in Bund und Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Demokratieprinzip des Art. 20 I und II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Demokratie als abstrakter Rechtssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erste Konkretisierungen des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Bundesstaatsprinzip und Art. 28 I 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktion von Art. 28 I 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reichweite des Homogenitätsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wirkung auf die Länderverfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prägung der Vorgaben für die Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die gewährleisteten Elemente des Demokratieprinzips . . . . . . . .
130
130 131 132 133 135 136 137 137 138 139
14 Inhaltsverzeichnis III. Die Ewigkeitsklausel des Art. 79 III GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Rechtstheoretische Einteilung von Normen in Regeln und Prinzi pien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Auswirkung auf das Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Auswirkungen auf die gerichtliche Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . 145 3. Weitere Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 IV. Funktionszusammenhang von Art. 20 I und II, 28 I 1 und 79 III GG . 147 1. Identität der durch Art. 28 I 1 und 79 III GG geschützten Kerngehalte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Argumente contra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Argumente pro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 B. Rechtfertigung von Quoren in direktdemokratischen Verfahren oder Rechtfertigung der Volksgesetzgebung durch Quoren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 I. Vorrangstellung der repräsentativen Demokratie im Grundgesetz? . . . . . 151 1. Normative Prägung des Grundgesetzes im Sinne repräsentativer Demokratie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Konsequenzen für den Kerngehalt des Demokratieprinzips des Grundgesetzes bei Annahme eines Repräsentativvorrangs . . . . . . . . . 153 3. Normatives Konzept der Bestimmung des Verhältnisses von indirekter und direkter Demokratie nach dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . 153 a) Art. 20 I GG – Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 aa) Rechtsphilosophische Grundgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 bb) Freiheit und Gleichheit als Kernelemente des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Art. 20 II 1 GG – Volkssouveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 aa) Differenzierung von Volkssouveränität und Staatsgewalt . . . 159 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 c) Art. 20 II 2, 1. Hs. GG – Wahlen und Abstimmungen . . . . . . . . . 161 d) Konsequenzen für die Zuordnung beider Formen von Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 e) Ergebnis nach rechtsprinzipientheoretischer Analyse . . . . . . . . . . 163 f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 4. Die Verfassungsrechtsprechung der Länder Bremen, Bayern und Thüringen in der Einzelkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Freie Hansestadt Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Freistaat Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 c) Freistaat Thüringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 d) Sächsischer Verfassungsgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 II. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
Inhaltsverzeichnis15 1. Gleichrangverhältnis von Wahl und Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rangverhältnis von Art. 20 II 2 GG und Ausführungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vergleichbarkeit von Wahl und Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vergleichsebene Gesetzesbeschluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Spielraum für die Länder bei der Ausgestaltung direkter Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
173 175 176 178 178 180
C. Das Mehrheitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 I. Leitbild des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 1. Erste Einordnung des Mehrheitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2. Erscheinungsformen des Mehrheitsprinzips im Grundgesetz . . . . . . . 183 3. Notwendigkeit einer Entscheidungsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4. Rechtfertigung dieser Entscheidungsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Freiheitsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) Verfahrensargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 5. Auswirkung von Quoren auf die Mehrheitsentscheidung . . . . . . . . . . 189 a) Die Ausgangslage: Entscheidungsermöglichung und Teilhabe . . . 189 b) Die Modifikation: Abstimmungsquoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 c) Die spezifische Wirkung von Quoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 aa) Problem der Ermöglichung von Boykotten . . . . . . . . . . . . . . 192 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 cc) Negatives Stimmgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (1) Maßstab: Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (2) Übertragung auf das Beteiligungsquorum . . . . . . . . . . . . 196 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 II. Gewährleistungsgehalt des Mehrheitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. Mehrheit als inhaltliche Repräsentation des Volkswillens . . . . . . . . . 199 2. Mehrheit als formelle Repräsentation der Nichtabstimmenden . . . . . 202 3. Mehrheit als zurückhaltendes Entscheidungspotential . . . . . . . . . . . . 202 4. Mehrheit als Selbstbestimmung durch Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . 204 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Folgepflicht der Unbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Abstimmungsergebnis und wahrer Volkswille . . . . . . . . . . . . . . . 208 c) Die schweigende Mehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 d) Keine dauerhafte Einteilung in Mehrheit und Minderheit . . . . . . 213 e) Faktische Abhängigkeit und rechtliche Sicherung gesellschaft licher Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 f) Autonomie und Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
16 Inhaltsverzeichnis I. Wortlautauslegung des Art. 20 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 II. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 III. Erscheinungsformen der Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Funktionelle und institutionelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Organisatorisch-personelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3. Sachlich-inhaltliche Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 IV. Ansätze zur Begründung der Notwendigkeit von Quoren bei Volksbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 1. Kompensation eines Legitimationsdefizits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 aa) Funktionelle Legitimation zur Kompensation untauglich . . . 228 bb) Teilnehmende an einem Volksbegehren kein Staatsorgan . . . 229 cc) Übertragbarkeit des Legitimationsprinzips auf direktdemokratische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 2. Ausübung von Staatsgewalt durch die Teilnehmenden an einem Volksbegehren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Ausübung von Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 3. Legitimation durch republikanische Gemeinwohlorientierung . . . . . . 236 a) Materiales Republikverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 b) Formales Republikverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 c) Möglicher Inhalt eines material verstandenen Republikprinzips . 238 aa) Der Grundsatz der Allgemeinheit des Gesetzes . . . . . . . . . . 238 (1) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 bb) Republik als Gemeinwohlkonkretisierung in Amtsrechtsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 (1) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 d) Beispiel einer verfassungsrechtlichen Gemeinwohlklausel . . . . . . 244 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 V. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Notwendigkeit von Quoren bei Volksbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 2. Ansätze zur Begründung von Quoren bei Volksbegehren in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 3. Demokratische Freiheits- und Gleichheitsidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 4. Legitimationsprinzip ohne Vorgaben für Volksbegehren . . . . . . . . . . 253 5. Fünfprozentklausel bei Wahlen als Maßstab auch für Einleitungsquoren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 E. Funktionsfähigkeit des Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 I. Die Debatte in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
Inhaltsverzeichnis17 II. Das Beispiel Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Obligatorisches Verfassungsreferendum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fakultatives Gesetzesreferendum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfassungsinitiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kooperation von Volk und Parlament . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beispiel für eine Beeinträchtigung staatlicher Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verfassungsinitiativen und Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Kantonsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Beispiel Kalifornien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Direktdemokratische Initiativgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Kooperation von Volk und Parlament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Finanzierung von Initiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Änderung der Volksgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Parlamentarische Änderung volksbeschlossener Gesetze . . . . . . . b) Finanzierung von Volksinitiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kooperation von Volk und Parlament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis Kalifornien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Übertragung der Ergebnisse auf die deutsche Diskussion . . . . . . . . . . . .
262 263 263 264 266 267 268 270 271 272 273 275 277 278 279 281 282 284 287 288 289 291 292 293
F. Erschwerte Abänderbarkeit der Länderverfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Inhalt des Prinzips des Vorrangs der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ableitungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erschwerte Abänderbarkeit der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verortung des Vorrangs der Verfassung im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . V. Pflicht der Länder zur Verfassunggebung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verneinende Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bejahende Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schlußfolgerungen für das Prinzip des Vorrangs der Verfassung . . . . VI. Erschwerte Abänderbarkeit des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundgesetz relativ leicht abänderbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundgesetz hinreichend schwer abänderbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
297 297 298 300 301 302 303 304 304 306 307 308 308 310 311 312 313
18 Inhaltsverzeichnis 3. Rückbindung an den Bürger durch Setzung von Verfassungsrecht . 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Gebotenheit der Kennzeichnung von Verfassungsänderungen . . . . . . . . VIII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
314 315 316 320
Schluß – Ergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
Einleitung Direktdemokratische Entscheidungen haben in Deutschland Seltenheitswert. In den Ländern kommen sie hin und wieder vor; auf Bundesebene dagegen faktisch überhaupt nicht. Oft erfährt der deutsche Bürger daher von einem Volksbegehren oder Volksentscheid in einem anderen Bundesland aus der Zeitung, kann aber mangels Stimmberechtigung nicht daran teilnehmen. Die Bedeutung der direkten Demokratie für den Rechtsetzungsprozeß insgesamt und den politischen Diskurs in der Öffentlichkeit in Deutschland ist daher beschränkt. Dabei sehen mittlerweile alle Länderverfassungen in Deutschland direktdemokratische Verfahren vor. Ein deutliches Übergewicht kommt dabei der Volksgesetzgebung zu, die in den Ländern flächendeckend eingeführt ist, wogegen sich andere direktdemokratische Beteiligungsmöglichkeiten wie die Parlamentsauflösung und das Referendum nur vereinzelt finden lassen.1 In sämtlichen direktdemokratischen Verfahren, die in Deutschland auf Landesebene vorgesehen sind, muß die Zahl der Teilnehmer auf allen Verfahrensstufen jeweils eine bestimmte Mindesthöhe erreichen. Diese Quoren wurden in den letzten Jahren in vielen Bundesländern abgesenkt. Teilweise schlugen jedoch auch direktdemokratische Initiativen Gesetze zur Absenkung einzelner Quoren bei der Volksgesetzgebung vor und scheiterten an den Verfassungsgerichten der Länder. In dieser Arbeit soll unter Betrachtung des Grundgesetzes sowie der Verfassungen der Länder Bremens, Bayerns und Thüringens untersucht werden, ob und wenn ja in welchem Maße Quoren in direktdemokratischen Verfahren – insbesondere bei der Volksgesetzgebung – abgesenkt werden können, ohne gegen Verfassungsrecht zu verstoßen beziehungsweise ob und falls ja in welcher Gestalt Quoren sogar verfassungsrechtlich zwingend sind.
A. Stand der Debatte um die direkte Demokratie in Deutschland Die Debatte um die Einführung und Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren weist in Deutschland einige Wendepunkte auf. In den Anfängen der Bundesrepublik herrschte noch eine historisch gespeiste und grundle1 Wittreck
2013 I, 43.
20 Einleitung
gende Skepsis gegenüber direktdemokratischen Elementen vor.2 In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Diskussion um bessere Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger durch bipolare radikaldemokratische Demokratietheorien geprägt; es standen sich Verfechter eines reinen Repräsentativsystems sowie Propagandisten direkter Demokratie gegenüber.3 In der Folgezeit wurde diese plakative Auseinandersetzung überwunden. Es formte sich immer mehr eine wissenschaftliche Debatte heraus, welche zunächst von der Frage bestimmt war, ob überhaupt direktdemokratische Verfahren in die Verfassungen von Bund und Ländern aufgenommen werden sollten. Gegenwärtig verlagert sich der Ansatz eher zu dem Problem hin, auf welche Weise direktdemokratische Verfahren am sachdienlichsten ausgestaltet werden könnten.4 Nach heutigem Stand gilt Deutschland bei der Umsetzung direktdemokratischer Teilhabemöglichkeiten im internationalen Vergleich als zögerlich.5 Dessen ungeachtet (oder gerade deswegen?) kommt eine neuere Untersuchung aufgrund einer Umfrage unter der deutschen Bevölkerung und Politikern aus dem Jahr 2008 zu dem Ergebnis, daß die Bürger die direkte Demokratie auf Bundesebene mit einer Zustimmung von 75 % befürworten. Diese Zustimmung hänge einerseits mit der Hoffnung auf mehr Mitbestimmung und andererseits vom Ausmaß an Politikverdrossenheit ab. Dagegen lehnen 56 % der befragten Politiker eine Einführung direkter Demokratie auf Bundesebene ab. Als bedeutendes Hindernis für die Einführung direkter Demokratie auf Bundesebene wird insofern angeführt, daß Politiker hierdurch ihre politische Entscheidungssouveränität mit den Bürgern teilen müßten.6 Nach einer weiteren Umfrage aus jüngerer Zeit sind 65 % der Bevölkerung überzeugt, daß es die Qualität der Demokratie in Deutschland verbessern würde, wenn die Bürger über wichtige Fragen in Volksabstimmungen entscheiden könnten.7 In der neueren Diskussion um das Für und Wider bezüglich direktdemokratischer Entscheidungen finden sich einerseits Stimmen, die direktdemokratischen Verfahren eher skeptisch gegenüberstehen. Bezweifelt wird, daß die Bürger vernünftige Entscheidungen in der Sache fällen können, da sie für zugespitzte Meinungen eher empfänglich seien als für wohlabgewogene Positionen. Einem Parlament traut man da schon eher gute Entscheidungen für 2 Meerkamp
2011, 17. näher Meerkamp 2011, 18. 4 Vgl. Meerkamp 2011, 18 f. 5 Feld / Hessami / Reil 2011, 111 f. 6 Feld / Hessami / Reil 2011, 133 f. 7 Renate Köcher: Der Ruf nach dem Plebiszit, in: FAZ vom 20.10.2010 (Nr. 244), S. 5. 3 Vgl.
A. Stand der Debatte um die direkte Demokratie in Deutschland 21
die Allgemeinheit zu.8 Selbst Kritik am repräsentativen System unter Konstatierung einer gegenwärtigen Schwäche der Demokratie und insbesondere der Parteien in der Bundesrepublik veranlaßt Skeptiker direktdemokratischer Verfahren nicht zwingend zur Befürwortung einer Stärkung der direkten Demokratie.9 Auf der anderen Seite wird eine stärkere Bürgerbeteiligung insbesondere vor dem Hintergrund einer diagnostizierten Krise der Legitimität der Demokratie in Deutschland für notwendig gehalten. Es fehle dem Parlamentarismus in Deutschland an Aufnahmefähigkeit für Meinungen aus dem Volk und aufgrund eines Mangels an Transparenz an Entscheidungsakzeptanz und Vertrauen in das politische System unter den Bürgern.10 Die politische Kultur der Bundesrepublik sei immer schon durch einen starken Zug zu einer Konsens- oder Konkordanzdemokratie geprägt gewesen. Da politische Entscheidungen in solch einem System immer größtmögliche Rücksicht auf alle nehmen müßten, müsse sich der Einzelne nicht darum kümmern und lasse es dann eben auch. Auf der anderen Seite steige die Tendenz zur symbolischen Inszenierung oder zu populistischem Ersatzhandeln. So habe beispielweise im Bundestagswahlkampf 2013 das einzige wirklich existentielle Problem der Zeit, die Finanz- und Staatsschuldenkrise, so gut wie nicht stattgefun8 So wird ein repräsentativdemokratisches System prononciert bevorzugt von Rudolf Steinberg: Das Volk und die direkte Demokratie, in: FAZ vom 16.2.2012 (Nr. 40), S. 7: Das Volk könne immer nur über Fragen entscheiden, die es sich selbst gestellt habe; bei Volksinitiativen werde über eine Frage abgestimmt, die nur von einer kleinen Gruppe formuliert werde; überhaupt sei der Mensch nur bedingt der Vernunft zugänglich. Deutlich abgemilderte, aber ähnliche Anklänge auch bei Andreas Voßkuhle: Über die Demokratie in Europa, in: FAZ vom 9.2.2012 (Nr. 34), S. 7: Kleine, gut organisierte Gruppen mit einer beschränkten Agenda verschafften sich in der Öffentlichkeit oftmals eher Gehör als breite Bevölkerungsgruppen. Vgl. des Weiteren erneut Rudolf Steinberg: Die Repräsentation des Volkes, in: FAZ vom 30.9.2013 (Nr. 227), S. 7, wo die These vertreten wird, daß angesichts des von Natur aus unvollkommenen Menschen kein Weg an einer Repräsentativverfassung vorbeiführe. Eine besondere Bedeutung der Parteien für das Gemeinwohl unter dem Aspekt guter repräsentativer Entscheidungen betont des Weiteren Hans Peter Bull: Demokratie ohne Politiker?, in: FAZ vom 11.3.2013 (Nr. 59), S. 7. 9 Hans H. Klein: Metamorphose der Demokratie, in: FAZ vom 29.8.2011 (Nr. 200), S. 7: „Die direkte Demokratie prämiert und privilegiert das politische Engagement, das immer ein solches von Minderheiten sein wird, zum Nachteil des demokratischen Prinzips gleicher Teilhabe – je niedriger die Abstimmungsquoren, desto mehr.“ 10 Hans Vorländer: Spiel ohne Bürger, in: FAZ vom 12.7.2011 (Nr. 159), S. 8. Vgl. auch Hermann Lübbe: Jenseits von Gut und Böse, in FAZ vom 16.12.2011 (Nr. 293), S. 9: „Mit der Dynamik und Komplexität unserer zivilisatorischen Lebensverhältnisse wächst zugleich wie nie zuvor die Vielfalt der Interessen, Betroffenheiten und Befindlichkeiten der Bürger, die man über seine gewählten Repräsentanten hinaus auch durch sich selbst vertreten sein lassen möchte. Kurz: Der Ruf nach direktdemokratischen Entscheidungsverfahren wird lauter.“
22 Einleitung
den.11 Direktdemokratischen Verfahren wird in diesem Zusammenhang zugetraut, einen positiven Einfluß auf die politische Kultur ausüben zu können, da eine Verbesserung der Kommunikation zwischen den Bürgern und ihren Repräsentanten herbeigeführt sowie eine Korrekturmöglichkeit bezüglich einzelner Entscheidungen der Parlamente seitens des Volks bereitgestellt werde.12 Auch zu einzelnen Sachthemen wird derzeit eine intensive Diskussion um die Vor- und Nachteile direktdemokratischer Verfahren und ihre Auswirkungen auf die politische Praxis geführt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier das Mitgliedervotum der SPD über das Zustandekommen der großen Koalition Ende 2013,13 die europäische Schuldenkrise14 sowie die Stuttgart 21-Problematik15 samt der damit zusammenhängenden Frage nach besserer Einbindung der Bürger in die Planung von Großprojekten16 genannt.
B. Quoren und direkte Demokratie Durch den Einsatz von Quoren in bestimmten Höhen kann der Gesetzgeber einen weitreichenden Einfluß auf die reale Bedeutung direktdemokratischer Verfahren in der Öffentlichkeit und im parlamentarischen Alltag nehmen. Hier entscheidet sich, ob diese Verfahren eine echte Alternative für die Bürgerbeteiligung darstellen oder eher Symbolpolitik bleiben.17 Quoren 11 Uwe Volkmann: Politik als Idyll, in: FAZ vom 2.12.2013 (Nr. 280), S. 7. Vgl. hierzu auch Nils Minkmar: Die große politische Leistungsverweigerung, in: FAZ vom 21.9.2013 (Nr. 220), S. 31, der eine „gedankliche Unschärfe, fehlende Struktur und intellektuelle Faulheit“ im Bundestagswahlkampf 2013 feststellt: „Es gelingt derzeit nicht, die wichtigen Fragen von den unwichtigen zu trennen.“ 12 Rux 2008, 904. 13 Vgl. Majid Sattar: Lasst uns reden, in: FAZ vom 7.12.2013 (Nr. 285), S. 5; Christoph Degenhart / Hans-Detlef Horn: Wer mit den Parteien heult, in: FAZ vom 13.12.2013 (Nr. 290), S. 7; Rudolf Steinberg: Zurück zur demokratischen Quelle, in: FAZ vom 10.1.2014 (Nr. 8), S. 7. 14 Vgl. Paul Kirchhof: Jeder Schuldschein sei zernichtet, in: FAZ vom 8.10.2011 (Nr. 234), S. 33; Bruno S. Frey / Vera Z. Eichenauer: Eine Volksabstimmung verstärkt die Schuldenbremse, in: FAZ vom 1.3.2012 (Nr. 52), S. 11. 15 Vgl. Rüdiger Soldt: Schwierigkeiten mit der Vertragstreue, in: FAZ vom 8.8.2011 (Nr. 182), S. 8; ders.: Stuttgart-21-Gegner: Quorum nicht verbindlich, in: FAZ vom 27.9.2011 (Nr. 225), S. 4; ders.: Koschte es, was es wolle, in: FAZ vom 22.11.2011 (Nr. 272), S. 3; Jasper von Altenbockum: Verfahrene Legitimation, in: FAZ vom 25.6.2012 (Nr. 145), S. 10. 16 Vgl. Caroline Freisfeld: Bauen ohne Proteste, in: FAZ vom 22.11.2011 (Nr. 272), S. 12; Kerstin Schwenn: Im Frieden mit der Infrastruktur, in: FAZ vom 24.11.2011 (Nr. 274), S. 10; dies.: Bahnhof als Lehrstück, in: FAZ vom 29.11.2011 (Nr. 278), S. 9. 17 Meerkamp 2011, 20.
B. Quoren und direkte Demokratie23
können daher den Einfluß auf die politische Kultur in einem Land ganz erheblich beeinflussen. Es spricht viel dafür, daß sich dieser Einfluß in Deutschland gegenwärtig eindämmend auf die Durchführung direktdemokratischer Verfahren auswirkt.18 Die Quoren und damit die Hürden sind immer noch relativ hoch und verhindern eine auch nur ansatzweise flächenmäßig relevante Entfaltung des Potentials direktdemokratischer Verfahren zuverlässig.19 Quoren werden in der Literatur als eine verfassungsrechtliche Einschränkung der Volksgesetzgebung bzw. direktdemokratischer Verfahren beurteilt, weil sie die Anwendbarkeit der einzelnen Verfahrenselemente erschwerten.20 Aber nicht nur der rechtstatsächliche Befund und dessen politikwissenschaftliche Bewertung, sondern auch der rechtswissenschaftliche, verfassungsnormative Diskurs haben sich verändert. In der verfassungsrechtlichen Literatur sei bis Ende der 1990er Jahre unbestritten gewesen, daß die auf die einfache und verfassungsändernde Gesetzgebung gerichtete Volksgesetzgebung auch ohne jedes Beteiligungs- oder Zustimmungsquorum beim Volksentscheid geregelt werden könne.21 Dies änderte sich mit einem 1997 / 1998 von der Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) im Freistaat Bayern initiierten Volksgesetzgebungsverfahren mit dem Motto „Schlanker Staat ohne Senat“. Dieses hatte zum Ziel, im Wege der Volksgesetzgebung den Bayerischen Senat, die zweite Kammer der bayerischen Legislative neben dem Landtag, abzuschaffen. In diesem Zusammenhang – insbesondere aufgrund des zugehörigen bayerischen verfassungsgerichtlichen Verfahrens – erfolgte in der Rechtswissenschaft die Umkehr eines verfassungsrechtlichen Konsenses. Wurde bis dahin nämlich untersucht, ob Quoren bei Volksentscheiden über einen verfassungsändernden Gesetzentwurf verfassungsrechtlich zulässig seien, wurde nun die Fragestellung anders herum formuliert – und zwar ob Quoren von der Verfassung nicht sogar geboten seien.22 Das Fehlen von Quoren bei Verfassungsänderungen wurde hier erstmals nicht als verfassungspolitisches, sondern als verfassungsrechtliches Problem benannt.23 Hier setzt vorliegende Arbeit an.
18 Vgl. zur Rolle von Zustimmungs- und Beteiligungsquoren auch Magsaam 2014, 495 ff. 19 Zu diesem Ergebnis kommt Rux 2008, 906. 20 Decker 2011, 49. 21 Neumann 2009, Rn. 662, 696 m. w. N. 22 Neumann 2009, Rn. 698 f. m. w. N. 23 Neumann 2009, Rn. 701.
24 Einleitung
C. Problemaufriß Im Folgenden soll ein kurzer Überblick zu den in dieser Arbeit untersuchten Teilkomplexen und Argumentationen gegeben werden. Die Rolle einer Weichenstellung und eines Fundaments für die weitere Untersuchung wird zunächst die Frage einnehmen, inwiefern eine „parlamentszentrierte“24 Begründung gegen eine Absenkung von Quoren tragfähig ist. In diesem Zusammenhang muß geklärt werden, in welchem Verhältnis direkte und indirekte Demokratie und somit Wahlen und Abstimmungen nach geltendem Verfassungsrecht in Deutschland stehen. Die Gesetzgebungspraxis in der Bundesrepublik und ihren Ländern ist ganz überwiegend durch parlamentarische Verfahren geprägt. Diese stellen selbstverständlich auch auf Landesebene die deutliche Mehrzahl dar; auf Bundesebene gibt es allerdings wiederum kaum oder nach anderer Ansicht gar keine Volksgesetzgebung. Auch wenn die Meinung vertreten wird, daß eine potentielle Einführung plebiszitärer Verfahren auf Bundesebene verfassungsrechtlich besonders zu begründen sei,25 ist im Ausgangspunkt wohl unstreitig, daß Art. 20 II 2 GG Raum für sowohl plebiszitäre als auch repräsentative demokratische Elemente eröffnet, indem er „Wahlen und Abstimmungen“ nebeneinander nennt.26 Nun wird die Beibehaltung von Quoren allerdings damit begründet, daß eine Absenkung derselben aufgrund der damit verbundenen erleichterten Anwendbarkeit direktdemokratischer Verfahren im Widerspruch zum repräsentativdemokratischen System stünde. Verschiedene Stimmen in Literatur und Rechtsprechung sind der Ansicht, daß das Demokratieprinzip des Grundgesetzes eine Vorrangstellung der parlamentarischen gegenüber der volksunmittelbaren Gesetzgebung festschreibe.27 Der Bremer Staatsgerichtshof geht davon aus, daß der direkten Demokratie lediglich eine „Ergänzungsfunktion“ zum parlamentarischen System zukomme.28 Über das Postulat der Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie, die nicht gefährdet werden dürfe, kommt schließlich auch der Bayerische Verfassungsgerichts24 Pointiert Isensee 1995, 31 f., wonach der „strenge Parlamentarismus“ die Demokratie des Grundgesetzes trage; sowie Brenner HStR III, § 44 Rn. 43, wonach dem Grundgesetz ein „antiplebiszitärer Zug“ innewohne. 25 So Müller-Franken 2005 II, 498, der eine Empfehlung des Grundgesetzes für eine repräsentative politische Ordnung sieht, über die sich eine Einführung unmittelbarer Demokratie hinwegsetzen müßte. 26 Vgl. Martini 2011, 19. 27 Vgl. nur Isensee 2006, 304 ff.; Krause HStR III, § 35; Badura HStR II, § 25; Müller-Franken 2005 II; deutlich auch der Thüringer Verfassungsgerichtshof, welcher eine „Prävalenz des Parlamentsgesetzgebers“ annimmt, vgl. ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (38). 28 So BremStGH NVwZ-RR 2001, 1 (2 f.).
C. Problemaufriß25
hof zu einem sehr kleinen Restbereich, den direktdemokratische Verfahren seiner Auffassung nach noch belegen können.29 Angereichert wird diese Frage durch das Problem, ob ein parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren generell höherwertiger ist als ein direktdemokratisches, da es per se bessere Ergebnisse produziert. Dem parlamentarischen Verfahren an sich werden nämlich im Vergleich zur Volksgesetzgebung die besseren Voraussetzungen zugeschrieben, aufgrund der Diskussion eines Gesetzesvorschlags im Forum des Parlaments eine höhere Gewähr für die Orientierung eines Gesetzes am Gemeinwohl bieten zu können.30 In einer Untersuchung über die Berechtigung beziehungsweise Notwendigkeit von Quoren in Verfahren direkter Demokratie ist insbesondere die Funktion des Mehrheitsprinzips zu problematisieren, da es bei Geltung eines Quorums nicht mehr ausreicht, daß die Mehrheit der Abstimmenden eine Entscheidung trifft. Vielmehr muß darüber hinaus – je nach Art des Quorums – ein bestimmter Prozentsatz von Stimmberechtigten an der Abstimmung teilnehmen oder der Abstimmungsfrage zustimmen. In diesem Zusammenhang wird zur Verteidigung von Quoren vorgebracht, daß eigentliches Legitimationssubjekt und damit Bezugspunkt der Mehrheitsermittlung nicht lediglich die Zahl der tatsächlich Abstimmenden, sondern die Gesamtheit des Volkes sei.31 Außerdem wird darauf hingewiesen, daß Volksgesetzgebungsverfahren strukturell Minderheiteninstrumente seien32 und darüber hinaus bei Volksentscheiden einem positiven, gültigen Votum durch eine geringe Zahl Stimmberechtigter33 oder sogar nur einen einzigen Stimmberechtigten vorzubeugen sei.34 Aus all diesen Gründen, die in Zusammenhang mit der Befürchtung gesehen werden können, daß der Einzelne tendenziell bei Entscheidungen im Rahmen direkter Demokratie ausschließlich im eigenen Interesse entscheide und außerdem die Rechts- und Sachlage nicht überblicken könne,35 werden Quoren insbesondere bei Volksentscheiden – vorbehaltlich deren Höhe – für zwingend notwendig gehalten. Dem gegenüber steht eine Auffassung, die Quoren in direktdemokratischen Verfahren und insbesondere bei Volksentscheiden als grundsätzlich unberechtigt und rechtfertigungsbe29 Vgl.
BayVerfGHE 52, 104 (131 ff.); 53, 42 (62 f.). explizit BremStGH NVwZ-RR 2001, 1 (2). 31 Isensee 1999, 53; Horn 1999 I, 433. 32 BremStGH NVwZ-RR 2001, 1 (2). 33 ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (37). 34 Isensee 1999, 41. 35 Vgl. stellvertretend für viele andere noch Theodor Meder, in: ders., Die Verfassung des Freistaates Bayern – Kommentar, 4. Auflage, Stuttgart u. a. 1992, Art. 74 Rn. 9; deutlich abgemildert nunmehr Brechmann, in: Meder / Brechmann, BV, Art. 75 Rn. 17, wonach sich die Volksgesetzgebung auf Ausnahmefälle beschränken müsse und die Gefahr von Minderheitsentscheidungen drohe. 30 So
26 Einleitung
dürftig ansieht. Da das Volk bei Wahlen und Abstimmungen gleichermaßen Staatsgewalt ausübe, benötige es keine darüber hinausgehende Legitima tion.36 Ein Bürger, der seinen Willen trotz der Möglichkeit dazu nicht tatsächlich äußere, müsse sich damit abfinden, daß dieser nicht berücksichtigt werde.37 In engem Zusammenhang mit der Frage, ob sich zu erlassende Gesetze in einer Demokratie am allgemeinen Wohl der Bürger zu orientieren haben, steht das Problem, ob die Teilnehmer an einem Volksbegehren einer besonderen Legitimationsbedürftigkeit unterliegen. Insbesondere für Volksbegehren wird vertreten, daß Quoren hier zwingend aus dem Republikprinzip des Grundgesetzes herzuleiten seien, welches dem zu Recht verfahrensrechtlich interpretierten Demokratieprinzip verfassungsgeschichtlich wie verfassungsdogmatisch zugrunde liege.38 Hier wird zu prüfen sein, ob sich der Grundsatz, daß alle Ausübung von Staatsgewalt der Legitimation und somit einer Rückbindung an das Volk bedarf, auf die Volksgesetzgebung übertragen läßt. Quoren werden des Weiteren für notwendig erachtet, um die Funktionsfähigkeit der Parlamente zu sichern, da ansonsten eine zu hohe Arbeitsbelastung drohe. So trüge nach Ansicht des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ein Quorum von 5 % bei Volksbegehren eine entsprechende Gefahr in sich, da der Landtag häufiger mit Themen befaßt wäre, die nicht innerhalb des politischen Konzepts lägen, dessen Verwirklichung bei der letzten Wahl in Auftrag gegeben worden sei.39 Auch hinsichtlich der thüringischen Rechtslage wird ausgeführt, daß eine Senkung des Unterstützungsquorums für Volksbegehren auf 5 % die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems gefährden könne, da kleine Gruppen den Landtag vor sich hertreiben und so in der Öffentlichkeit delegitimieren könnten.40 Ein völliger Entfall von Quoren bei Volksentscheiden wird daneben allenfalls unter der Auflage einer Beobachtungspflicht des (verfassungsändernden) Gesetzgebers dahingehend akzeptiert, ob nicht doch durch eine sich dann entwickelnde Staatspraxis eine Infragestellung des Vorrangs der repräsentativen Demokratie ermöglicht werde.41 Bei direktdemokratischen Verfassungsänderungen werden besonders hohe Quoren gefordert. Der Vorrang der Verfassung vor dem einfachen Gesetz verbürge die erschwerte Abänderbarkeit der Verfassung und stehe einem quorenlosen Volksentscheid über Verfassungsänderungen auch dann entgegen, wenn das Quorum bei dem vorangegangenen Volksbegehren doppelt so 36 Dreier
1999, 521; Wittreck 2005, 142. Jung 1999 I, 423, 427. 38 Gröschner 2001, 196. 39 BayVerfGHE 53, 42 (63). 40 Isensee 2001, 1167. 41 Huber / Storr / Koch 2002, 163 f. 37 Pointiert
D. Definitionen und Funktionsweise27
hoch sei wie bei der Änderung einfacher Gesetze.42 Aufgrund niedriger Quoren bei Verfassungsänderungen wird gar ein „plebiszitäres Überrollen“ des parlamentarischen Systems befürchtet.43 Vorab hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf den Bayerischen Verfassungsgerichtshof, der für einen verfassungsändernden Volksentscheid ein 25-prozentiges Zustimmungsquorums herleitete, obwohl weder die Bayerische Verfassung noch ein anderes Landesgesetz ein solches Quorum vorsahen.44 Nach der Gegenposition zu vorgenannten Ansichten indes beinhaltet der Vorrang der Verfassung nicht notwendig eine erschwerte Abänderbarkeit derselben.45
D. Definitionen und Funktionsweise Nachfolgend sollen die unterschiedlichen Verfahrenselemente direkter Demokratie definiert und eine Einordnung ihrer jeweiligen Funktionen vorgenommen werden. Die Terminologie ist nicht einheitlich. Es gibt Autoren, die ein direktdemokratisches Verfahrenselement, durch das die Bürger die Möglichkeit haben, ihre Stimme abzugeben, allgemein als „Plebiszit“ bezeichnen.46 In dieser Verwendung umfaßt der Begriff „Plebiszit“ somit einheitlich beispielsweise die direktdemokratischen Verfahrenselemente Volksbegehren und Volksentscheid. Mitunter wird der Ausdruck „Plebiszit“ dagegen nur für die ein direktdemokratisches Verfahren beendende Abstimmung – also in der Regel den Volksentscheid – verwendet.47 Da das Grundgesetz in Art. 20 II 2, 1. Hs. mit den „Abstimmungen“ einen eigenen Begriff für derartige verbindliche Entscheidungen durch das Volk zur Verfügung stellt48 und den Abstimmungen vorausgehende Verfahrenselemente differenzierter bezeichnet werden können, wird nachfolgend aus Gründen begrifflicher Klarheit auf die Verwendung des Begriffs „Plebiszit“ verzichtet.
NVwZ-RR 2001, 1 (3 f.); prägnant auch Rinken 2001, 419. 1999, 64 f. 44 BayVerfGHE 52, 104; 53, 42. 45 Dreier 1999, 516 f.; Sachs 1999, 149; Stuby 2001, 249 f. 46 Decker 2011, 43; vgl. auch Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 161, der den Begriff „Plebiszit“ als Oberbegriff verwendet, indem er ihn mit „Abstimmungen“ aus dem Wortlaut des Art. 20 II 2, 1.Hs. GG gleichsetzt; ebenso v. Münch / Mager, Staatsrecht I, Rn. 71. 47 Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 24. 48 Wohl in Anlehnung an diese Terminologie des Grundgesetzes Neumann 2009, Rn. 251, der als Oberbegriff für alle verbindlichen Sachentscheidungen durch das Volk den Terminus „Volksabstimmung“ verwendet. 42 BremStGH 43 Isensee
28 Einleitung
I. Volksgesetzgebung Die Volksgesetzgebung wird in der Literatur als die „klassische Form der direkten Demokratie“ bezeichnet49 und beschreibt ein mehrstufiges, vom Volk initiiertes Gesetzgebungsverfahren.50 Sie ermöglicht den Bürgern somit zumindest theoretisch einen weitreichenden Einfluß auf die Rechtsordnung eines Staates. Gemäß Art. 20 II 2, 1. Hs. GG wird die Staatsgewalt vom deutschen Volk in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt. Durch Abstimmungen werden, anders als bei Wahlen, bei denen es um Personalentscheidungen51 geht, Sachfragen entschieden.52 Zu den wichtigsten Instituten der hierdurch vom Grundgesetz ermöglichten direkten Demokratie gehören die Verfahrenselemente Volksbegehren und Volksentscheid, die zusammen die Volksgesetzgebung bilden.53 Auf erster Stufe wäre noch als nicht zwingend vorgesehenes Element die Volksinitiative zu nennen.54 Bei der Volksgesetzgebung geht es um direktdemokratische Initiativrechte, da sie ein durch das Volk selbst in Gang gesetztes Verfahren ermöglicht. Durch die einzelnen Verfahrenselemente der Volksgesetzgebung können Gruppen aus dem Volk aktiv ein Vorhaben in einen Gesetzgebungsprozeß einbringen und anstreben, daß dieses an dessen Ende in Gesetzeskraft erwächst. Es wird daher für die Volksinitiative auch die Umschreibung „positive Gesetzesinitiative“ verwendet.55 Auf kommunaler Ebene spricht man bezüglich direktdemokratischer Initiativrechte, die z. B. auf den Erlaß kommunaler Normen gerichtet sein können, dagegen von Bürgerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid.56 Im Unterschied beispielsweise zur Schweiz sind in den deutschen direktdemokratischen Verfahren durchgängig auf allen Ebenen Quoren normiert. Man unterscheidet Beteiligungs- und Zustimmungsquoren. Ein Beteiligungsquorum stellt dabei einen Bezug zur Gesamtzahl der Abstimmungsberechtigten her. Es legt fest, wie viel Prozent der Stimmberechtigten auf der jeweili49 Rux
2008, 40. 2009, Rn. 255. 51 Genauer: um die personelle Besetzung oder Zusammensetzung eines Staatsorgans, vgl. nur Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 158. 52 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 99; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 157 f., 161; Krause, HStR III, § 35 Rn. 19; vgl. auch Neumann 2009, Rn. 251: „Unter einer Volksabstimmung versteht man jede verbindliche Entscheidung, die das Volk unmittelbar in einer Sachfrage trifft.“ 53 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 99. 54 Vgl. nur Krause, HStR III, § 35 Rn. 30. 55 Decker 2011, 43. 56 Vgl. Krause, HStR III, § 35 Rn. 40 ff. 50 Neumann
D. Definitionen und Funktionsweise29
gen Verfahrensstufe an der Abstimmung teilnehmen müssen, damit deren Ergebnis bei Stimmenmehrheit verbindlich wird. Ein Zustimmungsquorum stellt dagegen einen Bezug zur Zahl der tatsächlich Abstimmenden her. Es legt somit fest, wie viel Prozent der Abstimmenden eine Abstimmungsfrage bejaht haben müssen, damit das Ergebnis der jeweiligen direktdemokratischen Verfahrensstufe verbindlich werden kann.57 Hinsichtlich der verfassungspolitischen Funktion der Volksgesetzgebung werden in der Literatur unterschiedliche Auffassungen vertreten. Einerseits gibt es die Meinung, daß allen direktdemokratischen Verfahren inklusive der Volksgesetzgebung ein primär oppositioneller Charakter innewohne, da sie dem Volk ermöglichten, die Rolle eines „Vetospielers“ im Regierungsprozeß einzunehmen.58 Andererseits wird die Ansicht vertreten, daß speziell die Volksgesetzgebung durch ihre Tendenz zur positiven Gestaltung und Veränderung der geltenden Rechtslage progressiv (und bildhaft gesprochen wie ein „Gaspedal“) im Repertoire der direktdemokratischen Instrumente wirke.59 1. Volksinitiative Unter einer Volksinitiative versteht man ein – oftmals einem Volksbegehren vorausgehendes – Antragsverfahren, das zur Einleitung eines Volksgesetzgebungsverfahrens dient, weil und wenn es auf dieser Stufe bereits zu einer parlamentarischen Behandlung des Anliegens kommt.60 Die Volksini tiative kann daher als ein Antrag an das Parlament beschrieben werden, sich mit einer Frage der politischen Willensbildung zu befassen; sie ist in den Ländern teils als eigenständiges Verfahren, teils als ein Verfahren, das in die eigentliche Volksgesetzgebung übergeleitet werden kann, ausgestaltet61 (siehe genauer nachstehend). Wenn eine Verfassung lediglich die Möglichkeit vorsieht, einen Zulassungsantrag bezüglich eines Volksbegehrens an eine staat liche Behörde zu stellen, der nicht an das Parlament weitergeleitet wird, handelt es sich somit nicht um eine Volksinitiative.
57 Vgl. Patzelt 2011, 80 ff.; Jürgens / Rehmet 2009, 205; Krause, HStR III, § 35 Rn. 35; Berlit 1993, 356 f. 58 Decker 2011, 43, der allgemein den Begriff „Plebiszit“ verwendet und sodann weiter unterscheidet und dem fakultativen Referendum die am stärksten ausgeprägte Oppositionsfunktion zumißt. Jedoch reagieren nach seiner Auffassung auch die Initiativrechte des Volkes primär auf ein Tun oder Unterlassen der Repräsentativorgane, vgl. a. a. O., S. 44. 59 Patzelt 2011, 92 f. 60 Weixner 2011, 258. 61 Wittreck 2013 I, 46 m. w. N.
30 Einleitung
Neben der Funktion, die Volksvertreter zu einer Befassung mit einem bestimmten Anliegen aufzufordern, welches durch diese bislang noch keine ausreichende parlamentarische Behandlung erfahren hat, kann das Parlament je nach rechtlicher Ausgestaltung durch eine Volksinitiative sogar verpflichtet werden, ein Handlungsprogramm oder einen Gesetzentwurf zu erarbeiten.62 Jedenfalls zwingt die Volksinitiative aber das Parlament zur Beratung und Beschlußfassung über den Gegenstand der Initiative63 und begründet damit zumindest eine Befassungspflicht des jeweiligen Parlaments.64 Dies unterscheidet die Volksinitiative auch von der Petition, die ebenfalls die Möglichkeit für den Bürger eröffnet, sich mit Bitten oder Beschwerden an das Parlament zu richten, vom Parlament allerdings lediglich zur Kenntnis genommen werden muß. Ein Befassungs- oder gar ein Anhörungsrecht ist für den oder die Betreiber einer Petition somit nicht gegeben.65 Der Volksinitiative wird unter anderem die politische Wirkung zugeschrieben, durch eine kommunikationsoffenere Gestaltung des repräsentativ-parlamentarischen Systems das Volksbegehren zu entlasten.66 Damit ist gemeint, daß es auf der Ebene der Volksinitiative in der Regel zunächst mehr darum geht, das Parlament auf Ansichten, Bedürfnisse und Interessen aus dem Volk hinzuweisen und dafür zu sensibilisieren, als ein konkretes Gesetzesvorhaben zu verfolgen. Bedeutsam für die Öffentlichkeitswirkung dürfte auch das bereits genannte Recht der Vertreter bzw. Initiatoren einer Volksinitiative sein, nach einer erfolgreichen Sammlung der notwendigen Zahl an Unterschriften in den Landesparlamenten angehört zu werden.67 Ein weiterer Vorteil von Volksinitiativen oder Volksanträgen kann es je nach rechtlicher Ausgestal62 Vgl. Patzelt 2011, 90, der dieses Instrument als „Volksantrag“ bezeichnet und es als das „mildeste“ aller plebiszitären Verfahren einordnet. Soweit ersichtlich, nennt nur die Sächsische Verfassung ein der Volksinitiative vergleichbares direktdemokratisches Verfahrenselement „Volksantrag“, vgl. Art. 71 I 1 SächsVerf. Aus Gründen begriff licher Klarheit wird im Folgenden nur die Bezeichnung „Volksinitiative“ verwendet. Vgl. ferner Decker 2011, 57 der in diesem Zusammenhang eine „konsultative Gesetzes initiative“ vorschlägt, die wohl dieselbe Funktion hätte wie eine Volksinitiative ohne Verpflichtung des Parlaments, einen Gesetzentwurf tatsächlich erarbeiten zu müssen. 63 Krause, HStR III, § 35 Rn. 30. 64 Neumann 2009, Rn. 263. 65 Rux 2008, 44; ähnlich Neumann 2009, Rn. 277 („Recht auf Beantwortung“ der Petition) und m. w. N. 66 Meerkamp 2011, 436. 67 Vgl. Kost 2008, 59, dort auch mit einer Übersicht der Voraussetzungen für Volksinitiativen in den Bundesländern, die sich allerdings auf dem Stand von 2004 befindet. Vergleicht man jene Zahlen mit neueren, z. B. bei Meerkamp 2011, 393, so zeigt sich, daß das Land Berlin die erforderliche Zahl von Unterschriften zur Einleitung einer Volksinitiative in der Zwischenzeit signifikant abgesenkt hat, nämlich von damals 90.000 (3,7 %) auf nunmehr 20.000 (0,8 %) bzw. 50.000 (bei Verfassungsänderungen) – vgl. hierzu auch Martini 2011, 26 sowie Jung 2013 II, 230 ff.
D. Definitionen und Funktionsweise31
tung sein, daß die Initiatoren nicht selbst einen Gesetzesvorschlag erarbeiten müssen, sondern hierfür gegebenenfalls das Parlament zuständig ist.68 2. Volksbegehren Ein Volksbegehren ist darauf gerichtet, einen Volksentscheid herbeizuführen. Bei einem Volksbegehren geht es daher für ein direktdemokratisches Vorhaben anders als bei der Volksinitiative – unter Umständen neben der erstmaligen Anrufung eines Parlaments – darum, daß dieses sich für eine im gesamten Staatsgebiet stattfindende Volksabstimmung qualifizieren muß.69 Damit ist ein Volksbegehren überall dort die erste „richtige Hürde“ für die Einleitung eines Volksgesetzgebungsverfahrens, wo eine Volksinitiative nicht vorgesehen ist.70 Volksbegehren können in den deutschen Bundesländern in ihren verschiedenen Erscheinungsformen auf den Erlaß, die Änderung oder Aufhebung einfachen Landesrechts, des Landesverfassungsrechts oder auf eine Parlamentsauflösung gerichtet sein.71 Die im Rahmen eines Volksbegehrens zu überwindenden Quoren bezeichnet man als Unterstützungs-, Begehrens- oder Einleitungsquoren. Dabei sollte der Begriff „Einleitungsquorum“ auf Ebene des Volksbegehrens sinnvoller Weise nur dann verwendet werden, wenn dem Verfahren keine Volksinitiative vorgeschaltet ist, die bereits das Verfahren mit einem auf einer eigenen Stufe zu überwindenden Quorum „einleitet“. Ist dies dagegen der Fall, so bieten sich die anderen Varianten der Bezeichnung an. 3. Volksentscheid Mit einem Volksentscheid wird ein direktdemokratisches Initiativverfahren beendet, wenn die vorausgehenden Verfahrenselemente erfolgreich durchlaufen wurden. Hier wird nun die definitive Entscheidung durch das Volk über eine ihm vorgelegte Sachfrage getroffen, wie beispielweise den Erlaß eines Gesetzes oder die Änderung der Verfassung.72 Wie bereits ausgeführt, unterscheidet man auch auf dieser Stufe des Verfahrens Beteiligungs- und Zustimmungsquoren. 68 Patzelt 2011, 91; in Nordrhein-Westfalen z. B. kann einer Volksinitiative ein mit Gründen versehener Gesetzentwurf zugrunde liegen, vgl. Art. 67a I 2 NRWVerf., ebenso in Sachsen-Anhalt gemäß Art. 80 I 2 SachsAnhVerf.; in Sachsen dagegen muß dem Volksantrag ein solcher zugrunde liegen, siehe Art. 71 I 3 SächsVerf. 69 Meerkamp 2011, 436. 70 In diesem Zusammenhang wird das Volksbegehren in der Literatur auch als „einleitendes Verfahrenselement“ bezeichnet, vgl. Patzelt 2011, 91. 71 Krause, HStR III, § 35 Rn. 31. 72 Vgl. Meerkamp 2011, 455.
32 Einleitung
II. Referendum Unter einem Referendum versteht man eine Vorlage der Regierung bzw. der Parlamentsmehrheit an das Volk, wobei es sich in der Regel um Gesetze handelt, die beschlossen werden sollen (Gesetzesreferendum). Hierdurch kann eine ausdrückliche Bestätigung eines umstrittenen Gesetzes durch das Volk mittels einer Volksabstimmung erreicht werden.73 Bei einem Gesetzesreferendum beschränkt sich die gestalterische Möglichkeit des Volkes somit im Ergebnis darauf, ein parlamentsbeschlossenes Gesetz wieder aufzuheben.74 Referenden über parlamentarisch beschlossene Gesetze können zwingend (obligatorisch) oder als Option (fakultativ) vorgesehen sein. Im Gegensatz zur Volksgesetzgebung nehmen insbesondere fakultativen Referenden, die auf einen Antrag aus dem Volk zurückgehen, die Rolle einer „Bremse“ bzw. eine Oppositionsfunktion unter den plebiszitären Elementen ein, da sie den Antragstellern beziehungsweise Initiatoren die Beibehaltung des status quo durch Aufhebung einer Parlamentsentscheidung ermöglichen, die ihrerseits die Rechtslage verändern sollte.75 Ein anderer Begriff für das fakultative Referendum ist „Vetoinitiative“.76 Dem fakultativen Referendum auf Antrag aus dem Volk wird das Potential zugesprochen, ein Ventil auch zum Beispiel für politische Parteien bereitzustellen, wenn diese sich im Parlament in der Opposition befinden. Diese könnten ihre Mobilisierungsfähigkeit nutzen und müßten nicht mehr wie in der Vergangenheit relativ häufig geschehen direkt auf das Instrument der abstrakten Normenkontrolle zum Bundesverfassungsgericht zurückgreifen, um ein politisch unerwünschtes Gesetz zu verhindern.77 Im Unterschied hierzu kann aber auch vorgesehen sein, daß ein fakultatives Referendum von staatlicher Seite, z. B. der Regierung oder der Parlamentsmehrheit initiiert wird (es wird dann als „einfaches Referendum“ bezeichnet).78 Diese Einleitung einer Volksbefragung durch Verfassungsorgane hinsichtlich der Lösung eines Sachproblems wird in der Literatur allerdings nicht nur positiv beurteilt, da es die Pflicht der Parlamentarier bzw. der 73 Patzelt
2011, 92. 2013, 44 f. 75 Patzelt 2011, 93; Decker 2011, 43. Enger faßt dagegen Rux 2008, 42 den Begriff des Referendums, indem er darunter nur solche Volksabstimmungen faßt, die nicht auf eine Initiative aus dem Volk, sondern auf einen Antrag und / oder auf eine Entscheidung einer staatlichen Körperschaft zurückgehen. 76 Decker 2011, 43, 58. 77 Patzelt 2011, 94. 78 Befürwortend hinsichtlich dieses Elements Decker 2011, 58. 74 Witteck
E. Volksgesetzgebung auf Bundesebene33
parlamentsgetragenen Regierung sei, Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten und eigene Entscheidungen zu treffen. So habe das Volk ein Recht darauf, daß sich seine Repräsentanten zunächst eigenständig mit einer Frage beschäftigten und einen konkreten Vorschlag zu deren Lösung erarbeiteten.79 Obligatorische Referenden schließlich werden zum einen im Zusammenhang mit parlamentarischen Verfassungsänderungen normiert. Diesem Instrument der Volksbeteiligung wird eine vorbeugende Funktion hinsichtlich textlich ausufernden und immer detaillierteren Änderungen der Verfassung – auch aus tagespolitischen Gründen – zugeschrieben.80 Zum anderen besteht die Möglichkeit, einen Katalog von Themen bezüglich der einfachen Gesetzgebung zu formulieren, die von vornherein als so wichtig angesehen werden, daß das Volk zwingend an Gesetzesbeschlüssen aus dem entsprechenden Themengebiet beteiligt werden soll.81
E. Volksgesetzgebung auf Bundesebene Auf Bundesebene gibt es in Deutschland nach geltendem Verfassungsrecht nur wenige direktdemokratische Verfahrenselemente. Zu nennen sind die sog. Territorialplebiszite gemäß Art. 29, 118 und 118a GG zur Neugliederung des Bundesgebietes beziehungsweise einzelner Bundesländer sowie die in Art. 28 I 4 GG geregelte Möglichkeit der Gemeindeversammlungen. Umstritten ist jedoch, ob diese Elemente überhaupt zu den „Abstimmungen“ im Sinn von Art. 20 II 2, 1. Hs. GG zu rechnen sind und damit in diesen demokratischen Kontext fallen.82 Verneint man jene Frage, so lautet der konse79 Patzelt 2011, 98, der als Beispiel nennt, daß 1991 im Bundestag erwogen worden sei, eine Volksabstimmung zu der Frage durchzuführen, ob das Parlament in Bonn bleiben oder nach Berlin umziehen solle. 80 Patzelt 2011, 94 f., der insb. darauf abstellt, daß ohne ein obligatorisches Referendum die politische Klasse danach strebe, den politischen Gegner bei schwierigen Entscheidungen unterstützungssichernd mit einzubinden und daher im Ergebnis detaillierte Kompromißregelungen in den Verfassungstext Aufnahme fänden; kurz angesprochen auch von Decker 2011, 58. 81 Patzelt 2011, 95 nennt insb. die Übertragung nationaler Souveränitätsrechte auf die EU und die Aufnahme weiterer Staaten in die EU. 82 Verneinend Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 100 f. m. w. N.; ebenso jedenfalls hinsichtlich der Territorialplebiszite Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 161. Beide Autoren führen als Begründung an, daß nicht das gesamte abstimmungsberechtigte Staatsvolk zur Teilnahme aufgerufen sei, sondern nur ein Teil desselben (Bevölkerungsteil der von einer Neugliederung betroffenen Länder) über die Frage abstimme. Zu den „Abstimmungen“ gezählt werden die genannten Normen dagegen von Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II. (2010) Rn. 112; bzgl. Art. 29, 118 und 118a GG auch Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 32; jedenfalls bzgl. Art. 29 GG ebenso v. Münch / Mager, Staatsrecht I, Rn. 685 sowie
34 Einleitung
quente Befund, daß es aktuell auf Bundesebene keine „Abstimmungen“ unmittelbar durch das Volk gibt.83 Hinsichtlich der Einführung direktdemokratischer Elemente auf Bundesebene geht die mittlerweile herrschende Auffassung davon aus, daß dies nur durch eine Verfassungsänderung und nicht durch einfaches Bundesgesetz geschehen könnte, mithin das Grundgesetz diesbezüglich einen Verfassungsvorbehalt enthält.84
F. Volksgesetzgebung auf Landesebene Auf Landesebene ist insgesamt eine ansteigende Tendenz zur direkten Demokratie zu beobachten. Die deutschen Länderverfassungen kennen dabei fast ausschließlich das Instrument der Volksgesetzgebung. Dies ist auch der Grund, warum diese in erster Linie als positive Gestaltungselemente gedachten Verfahren in Deutschland zugleich die Rolle eines fakultativen Referendums beziehungsweise einer Vetoinitiative übernehmen, sich gegen parlamentarisch verabschiedete oder geplante Gesetzesvorhaben zu wenden.85 Inzwischen eröffnen alle Länder ihren Bürgern in unterschiedlichem Ausmaß die Möglichkeit, an der Gestaltung der Landespolitik durch Volksentscheide mitzuwirken.86 Dabei gab es bis Ende 2011 mehr als insgesamt 200 Versuche, einen Volksentscheid herbeizuführen, von denen 19 schließlich zur Abstimmung kamen.87 Die thematischen Schwerpunkte lassen sich wie folgt fassen: Bildung und Kultur 27 %; Demokratie, Staatsorganisation und Innenpolitik 22 %; Soziales 18 %; Umwelt- und Verbraucherschutz und Gesundheit 11 %; Wirtschaft 10 %; Verkehr und Sonstiges jeweils 6 %.88 Bis Ende 2007 wurden 184 Verfahren der Volksgesetzgebung abgeschlossen bzw. beendet. Mit Abstand die meisten Verfahren (67 %) scheiterten dabei, ohne daß es zu einem Volksentscheid gekommen wäre. 25 % hatten, Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 24.; gleichsinnig wohl auch Krause, HStR III, § 35 Rn. 1, 29. 83 Deutlich Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 100 a. E. 84 Vgl. den Überblick zur Diskussion bei Engelken 2013 I, 307 – dort auch mit Hinweis auf die Gegenauffassung bei Meyer 2012, 541 ff.; vgl. weiterhin die Nachweise bei Wittreck 2013 I, 43 Fn. 9, 10. 85 Decker 2011, 44 m. w. N. 86 Martini 2011, 23 f. mit einer Übersicht der Normen der Landesverfassungen in Fn. 43. Eine detaillierte Darstellung der einzelnen Regelungen in den Bundesländern hat Rux 2008, 404 ff. vorgelegt; vgl. auch Neumann 2009 441 ff. bzgl. der neuen Länder sowie Meerkamp 2011 mit einem Schwerpunkt hinsichtlich der historischen Entwicklung der Quoren in den deutschen Ländern. 87 Martini 2011, 23 f. 88 Vgl. das Kreisdiagramm bei Jürgens / Rehmet 2009, 212.
F. Volksgesetzgebung auf Landesebene35
ebenfalls ohne daß es zu einem Volksentscheid gekommen wäre, dagegen Erfolg oder einen Teilerfolg i. S. des Volksbegehrens bzw. der Initiatoren. Diese Konstellation tritt ein, wenn ein Anliegen durch ein Gesetz des jeweiligen Landesparlaments ganz oder teilweise übernommen wurde. In den Fällen schließlich, in den es zu einem Volksentscheid kam, scheiterten vier Verfahren an den Abstimmungsquoren, drei erzielten einen Teilerfolg und sieben Verfahren waren vollumfänglich erfolgreich.89
I. Einleitung des Verfahrens und Volksinitiative Auf Landesebene gibt es zwei Verfahrensmuster, die in verschiedenen Ausgestaltungen auftreten. Sie unterscheiden sich grundsätzlich darin, daß sie zwei- oder dreistufig aufgebaut sind.90 So gibt es einerseits das zum Beispiel in Bayern angewendete zweistufige Verfahren, daß nur Volksbegehren und Volksentscheid kennt. In diesem Fall wird bereits mit dem Unterstützungsquorum auf der Ebene des Volksbegehrens eine entscheidende Erheblichkeitsschwelle gesetzt, an welcher die Gesetzesinitiative ihre Relevanz beweisen muß.91 Bei dem dreistufigen Verfahren wird dem Volksbegehren eine Volksinitiative vorgeschaltet, die zwar verhältnismäßig geringe, aber dennoch relevante Quoren aufweist.92 Dieses Modell tendiert allerdings dazu, auf Ebene des Volksentscheids relativ hohe Quoren vorzuschreiben.93 Die Volksinitiative ist dabei entweder obligatorisch vorgesehen (Brandenburg, Hamburg, Sachsen und Schleswig-Holstein)94 oder kann fakultativ in der Vorbereitungsphase zu einem Volksbegehren durchlaufen werden (Mecklenburg-Vorpommern, 89 Vgl. die Tabelle bei Jürgens / Rehmet 2009, 213 und detaillierter das Kreisdiagramm auf S. 214, das für den Zeitpunkt nach einem erfolgreichen Volksbegehren schließlich folgende Beendigungsgründe der Verfahren aufführt: gerichtliche Unzulässigerklärung (2 %), Erklärung als erledigt (2 %), keine weitere Verfolgung des Anliegens (2 %), Übernahme durch das Parlament (9 %). 90 Vgl. Meerkamp 2011, 417 f.; Weixner 2011, 258. 91 Meerkamp 2011, 417. 92 Vgl. auch Neumann 2009, Rn. 258 f., wo allerdings unklar bleibt, was den „Volksantrag“ im Rahmen eines nach dieser Auffassung dreistufigen Verfahrens von einem auch den zweistufigen Modellen vorgeschalteten „Antrag“ letztendlich unterscheiden soll. Es erscheint trennschärfer, nur solche Ausgestaltungen als dreistufig zu bezeichnen, die sich zur Einleitung nicht auf einen solchen Antrag beschränken, sondern die mit weitergehenden Rechten verbundene Volksinitiative oder ein vergleichbares Instrument vorsehen. 93 Meerkamp 2011, 417. 94 Dies ist auch das bevorzugte Modell für eine mögliche Einführung der Volksgesetzgebung auf Bundesebene, vgl. Meerkamp 2011, 393, Fn. 2218.
36 Einleitung
Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt).95 In der Gruppe der Länder, die die Volksinitiative entweder obligatorisch oder fakultativ in zwei- beziehungsweise dreistufige Verfahren integriert haben, liegen die Quoren zwischen 0,81 und 2 % der Stimmberechtigten.96 Bei der zweistufigen Variante ist dagegen ein Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens einzureichen, der einen unselbständigen Teil des Volksbegehrens darstellt. Zu diesen Ländern zählen Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, das Saarland sowie Thüringen. So entscheidet in Bayern aufgrund eines entsprechenden Antrags, der mit 25.000 Unterschriften versehen sein muß, das Staatsministerium des Innern, ob die Voraussetzungen für ein Volksbegehren vorliegen.97 Im Unterschied zur Volksinitiative hat dieses Zulassungsverfahren nur den Zweck, völlig aussichtslose oder rechtswidrige Volksbegehren zu einem frühen Zeitpunkt auszusondern98 – es geht noch nicht um eine Beschäftigung des Parlaments mit den Sachfragen. Schließlich gibt es Bundesländer, die zwar ein zweistufiges Volksgesetzgebungsverfahren vorsehen, trotzdem aber eine Volksinitiative kennen. In diesen Fällen ist die Volksinitiative als eigenständiges Verfahren ausgestaltet, das im Ergebnis unverbindlich bleibt, da es nicht in ein Volksbegehren oder einen Volksentscheid münden kann.99 Zu diesen Ländern zählen Berlin,100 Bremen, Hamburg,101 Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen, wobei sich die Quoren zwischen 0,5 und 2,62 % der Stimmberechtigten bewegen.102 95 Vgl. die Übersicht bei Meerkamp 2011, 393; eine Übersicht in Form einer „Synopse der wichtigsten Erfolgsvoraussetzungen landesrechtlicher Volksgesetzgebungs instrumente“ bietet auch Martini 2011, 26 ff. 96 Vgl. die Übersicht bei Meerkamp 2011, 393. 97 Brechmann, in: Meder / Brechmann, BV, Art. 74 Rn. 6 ff. 98 Möstl, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 74 Rn. 7. 99 Meerkamp 2011, 393 f., 395. 100 Kritik an dieser Ausgestaltung der Volksinitiative übt Jung 2013 II insb. hinsichtlich der berlinerischen Regelung. Sowohl für Einwohnerinitiativen [d. h. Volks initiativen, Anm. d. Verf.] als auch Volksbegehren sind dort 20.000 Unterschriften erforderlich, wobei bei Einwohnerinitiativen der Kreis der Berechtigten weiter ist als bei Volksbegehren, da hier die Altersgrenze für die Stimmberechtigung auf 16 Jahre abgesenkt wurde. Jung gibt zu bedenken, daß, wer immer gegen eine repräsentativdemokratische Entscheidung direktdemokratisch angehen wolle, sich taktisch fragen werde, ob er erst 20.000 Unterschriften für die Einwohnerinitiative sammeln wolle, die gegebenenfalls – wenn die Auseinandersetzung weitergehe – „verloren“ seien, oder ob er nicht lieber mit dem gleichen Aufwand sofort die Eröffnung eines Volksgesetzgebungsverfahrens anstreben solle (Hervorhebung i.O.). 101 Hamburg kennt sowohl eine eigenständige Volksinitiative i. S. einer Petition, als auch eine obligatorische i. S. einer Vorstufe zu einem Volksbegehren, vgl. Meerkamp 2011, 393. 102 Vgl. die Übersicht bei Meerkamp 2011, 393.
F. Volksgesetzgebung auf Landesebene37
Insgesamt bewegen sich die Quoren auf der Ebene der Volksinitiative in allen Bundesländern, die sie vorsehen, zwischen 0,5 % und 2,6 %, wobei der Durchschnitt bei 1,2 % liegt.103 Gemeinsam ist den zwei- und dreistufigen Verfahren schließlich, daß die Initiatoren in jedem Fall zweimal Unterschriften sammeln und für ihr Vorhaben werben müssen, bevor es zu einem Volksentscheid kommen kann: Zunächst auf der Ebene des Zulassungsantrags beziehungsweise wenn vorhanden der Volksinitiative und sodann im Rahmen des Volksbegehrens.104 Im Zeitraum 1946–2007 wurde in insgesamt 206 Fällen bundesweit damit begonnen, für einen Zulassungsantrag bzw. eine Volksinitiative Unterschriften zu sammeln.105 Dabei zeige sich ein Zusammenhang mit den Verfahrenselementen eines hohen Unterschriftenquorums, einer sehr kurzen Sammelfrist und einer Sammlung in Amtsräumen mit der Anwendungshäufigkeit des Volksgesetzgebungsverfahrens, da in denjenigen Bundesländern, in denen diese Faktoren erfüllt waren, die Zahl der initiierten Verfahren im Verhältnis geringer ausfiel.106
II. Volksbegehren Waren in der Bundesrepublik die Quoren bei Volksbegehren zunächst noch höher als in der Weimarer Republik (regelmäßig um 20 %), so senkten im Laufe der Zeit immer mehr Bundesländer diese ab, bis der Durchschnitt im Jahr 2009 ca. 10 % erreichte.107 Auch aktuell gibt oder gab es in verschiedenen Bundesländern Reformbestrebungen, die zu einer weiteren Absenkung der Unterstützungsquoren führten. So haben die Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen (hier unter der Voraussetzung, daß die Unterschriften nur in Amtsstuben und nicht frei gesammelt werden) die Quoren auf unter 10 % abgesenkt.108 Heute bewegen sich die Unterstützungsquoren in den meisten Ländern zwischen 5 % und 10 %.109 Ausreißer nach oben ist Hessen mit einem Quorum von 20 %. Eher niedrig liegen Brandenburg (ca. 4 %) und Hamburg (5 %).110 Die Höhe der Quoren variiert somit relativ stark, ein einheitliches normatives Konzept tritt nicht erkennbar hervor.111 die Übersicht bei Meerkamp 2011, 393. Habermann / Schaal 2009, 431 f. 105 Jürgens / Rehmet 2009, 209. 106 Jürgens / Rehmet 2009, 209. 107 Meerkamp 2011, 397. 108 Jürgens / Rehmet 2009, 204, sowie die Tabelle a. a. O. S. 203 f. 109 Wittreck 2013 I, 53. 110 Vgl. die Übersicht bei Kost 2008, 62. 111 Zu Recht Meerkamp 2011, 397. 103 Vgl. 104 Vgl.
38 Einleitung
III. Volksentscheid Auf der Ebene des Volksentscheids erfolgte in der jüngeren Vergangenheit nur eine moderate Absenkung der Quoren. Hauptsächlich sehen die Verfassungen der Länder nunmehr Zustimmungsquoren zwischen 20 % und 25 % bei einfachen Gesetzen vor. Für Verfassungsänderungen gelten durchweg höhere Hürden.112 In sieben Bundesländern gilt bei einfachen Gesetzen ein Zustimmungsquorum von 25 %, in vier Ländern ein solches zwischen 15 % und 33,3 %.113 Dabei haben fast überall Zustimmungsquoren das Beteiligungsquorum ersetzt. Nur noch in Rheinland-Pfalz gilt ein Beteiligungsquorum in Höhe von 25 % für einfache Gesetze.114 Bei Verfassungsänderungen sehen elf Bundesländer sogar ein 50 %-Zustimmungsquorum vor, teilweise unter der zusätzlichen Bedingung, daß eine Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht werden muß.115 Im Saarland ist eine direktdemokratische Verfassungsänderung gemäß Art. 100 IV der Landesverfassung sogar ausdrücklich ausgeschlossen.
112 Wittreck
2013 I, 53 f. 2011, 410. 114 Meerkamp 2011, 410; vgl. auch Kost 2008, 62. 115 Meerkamp 2011, 412 ff. (tabellarische Übersicht S. 414), wobei nicht einheitlich entweder genau 50 % oder 50 % plus eine Stimme verlangt werden. 113 Meerkamp
Teil 1
Jüngste Rechtsprechung und Literatur Im ersten Teil der Untersuchung werden die jüngere Rechtsprechung der Verfassungsgerichte der Länder Bremen, Bayern und Thüringen sowie die zur Thematik erschienene Literatur dargestellt. Der Fokus liegt dabei noch nicht so sehr auf einer Bewertung der einzelnen Argumente, sondern vielmehr auf deren Sammlung und Sortierung. Eine Klärung strittiger Fragen erfolgt in Teil I nur ausnahmsweise und insofern, als sich diese ausschließlich auf Normen einer einzelnen Landesverfassung beziehen und sich im Rahmen anderer Verfassungen nicht in der gleichen Weise stellen. Es wird sich einerseits zeigen, daß länderübergreifend viele Parallelen in den Argumentationen bestehen. Der besondere Gewinn liegt jedoch andererseits darin, daß sich aus diesen unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und Facetten herausarbeiten lassen, die sowohl zur Umgrenzung als auch zur inhaltlichen Diversifizierung der einzelnen Fragestellungen im Zusammenhang mit Quoren bei Verfahren direkter Demokratie beitragen.
A. Freie Hansestadt Bremen An den Anfang der Betrachtung sei ein Urteil des Staatsgerichtshofs Bremen gestellt, das am 14. Februar 2000 erging und am Beginn einer teilweise argumentativ ineinandergreifenden und aufeinander aufbauenden Rechtsprechung einiger Landesverfassungsgerichte zur verfassungsrechtlichen Gebotenheit von Quoren in Verfahren direkter Demokratie steht.1
I. Volksgesetzgebungsverfahren in Bremen Nach einer neueren Verfassungsänderung2 gelten gemäß der Bremischen Landesverfassung die folgenden Verfahrensregeln für das Volksgesetzgebungsverfahren hinsichtlich der zu erreichenden Quoren. bei Neumann 2009, 370 ff. Landesverfassung, Art. 69 ff. – geändert wurden hier einzelne Vorschriften mit Wirkung vom 13.9.2013 durch Gesetz vom 3.9.2013, vgl. Gesetzesportal der Freien Hansestadt Bremen im Internet. 1 Übersicht
2 Bremische
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Teil 1: Jüngste Rechtsprechung und Literatur
Für ein Volksbegehren bezüglich eines einfachen Gesetzes ist ein Unterstützungsquorum in Höhe von 5 % der Stimmberechtigten zu erfüllen, Art. 70 I d 1 BremVerf. Bei einem verfassungsänderndem Gesetz sind nunmehr nur noch 10 % (vorher 20 %) erforderlich, Art. 70 I d 2 BremVerf. Für den Volksentscheid bei einem einfachen Gesetz gilt ein Zustimmungsquorum in Höhe von 20 %, Art. 72 I BremVerf. Bei Verfassungsänderungen aufgrund eines Volksbegehrens müssen jetzt 40 % (vorher mehr als die Hälfte) der Stimmberechtigten für das Volksbegehren stimmen, Art. 72 II BremVerf. Außerdem geändert wurde Art. 87 II 1 BremVerf., der als selbständiges Verfahren einen Bürgerantrag (Volksinitiative) vorsieht, der von nunmehr 5.000 Stimmberechtigten unterzeichnet worden sein muß. Diese Regelungen gehen auch auf Reformbestrebungen zurück, die im Jahr 2006 initiiert worden waren und durch Sitzungen und Anhörungen in einem Reformausschuß im Jahr 2008 konkretisiert sowie schließlich 2009 umgesetzt wurden.3 Sie führten zu einer Absenkung der Quoren für Volksbegehren und Volksentscheide bezüglich einfacher Gesetze. So wurde das Unterstützungsquorum für Volksbegehren von 10 % auf 5 % abgesenkt und das Zustimmungsquorum für Volksentscheide von 25 % auf 20 %. Hinsichtlich Verfassungsinitiativen gilt jedoch seit der Verfassunggebung 1947 unverändert ein Unterstützungsquorum von 20 %, wobei diesbezüglich das Abstimmungsquorum in der Form eines Zustimmungsquorums im Rahmen der bereits angesprochenen Verfassungsänderung aus dem Jahr 2013 von 50 % auf 40 % abgesenkt wurde. Dem insgesamt vorgeschaltet ist seit 1994 ein Zulassungsantrag, mit dem ein Volksbegehren beantragt werden muß und der gemäß § 10 II Nr. 2 des Gesetzes über das Verfahren beim Volksentscheid von mindestens 5.000 Stimmberechtigten unterzeichnet sein muß.4
II. Bewertung Damit ist bei den bremischen Verfassungsnormen über die Volksgesetzgebung eine grundsätzliche Entwicklung hin zu plebiszitfreundlicheren Regelungen – insb. Quoren – festzustellen. Insgesamt wurde bis zum Jahr 2010 zehnmal das Antragsquorum für ein Volksbegehren überwunden und der Antrag auf ein Volksbegehren gestellt, davon alleine neunmal nach 1996. Von jenen zehn wurden fünf zugelassen, vier durchgeführt, wovon zwei am Unterstützungsquorum scheiterten. Ein Volksbegehren führte dazu, daß die 3 Zur Entwicklung der Regelungen und insbesondere der Quoren im Volksgesetzgebungsverfahren der Bremischen Verfassung Stauch / Maierhöfer, in: FischerLescano / Rinken, BremV, Art. 70 Rn. 5 ff. sowie Kramer, ebenda, Art. 72 Rn. 2 ff. 4 Vgl. die ausführlichen Darstellungen bei Meerkamp 2011, 132 ff., insb. 139 ff. sowie Schefold 2011, 135 ff.
A. Freie Hansestadt Bremen41
Forderungen in Gesetzesform übernommen wurden. Ein Volksbegehren war somit erfolgreich, dessen Forderung umgehend von der Bremer Bürgerschaft umgesetzt wurde. Zu einem volksinitiierten Volksentscheid ist es noch nie gekommen.5 Seit der Reform 2009 zählt Bremen hinsichtlich einfacher Gesetzesinitiativen zu den plebiszitfreundlichen Bundesländern, wenn man die zu erreichende Zahl von ca. 260 Unterschriften pro Tag als Maßstab nimmt. Für verfassungsändernde Volksgesetzgebungsverfahren stellt sich die Lage indessen anders da. Hier gehört Bremen weiterhin zu den Ländern mit der restriktivsten Quorengestaltung.6 Hinsichtlich auf Verfassungsänderungen gerichteter Volksbegehren wird das im Verhältnis zu Volksbegehren auf der Stufe einfacher Gesetze vierfach erhöhte Unterstützungsquorum von 20 % kritisiert (5 % bei einfachen Gesetzen). Da auch Landesverfassungsänderungen den Vorrang des Bundesrechts wahren müßten, seien rechtsstaats- und menschenrechtswidrige Volksbegehren auch auf Verfassungsstufe kaum denkbar. Insofern lasse sich allenfalls eine moderate Erhöhung der Quoren rechtfertigen.7 Ein weiteres Merkmal des bremischen Rechts sind auch die immer noch relativ hohen Quoren bei Volksentscheiden. Besonders gilt das für den verfassungsändernden Volksentscheid. Vor der Absenkung des hier einschlägigen Quorums wurde dieses zu Recht als prohibitiv gewertet.8 Nach der Absenkung auf 40 % dürfte sich an dieser Einschätzung nicht viel ändern. Auch im übrigen ist die Absenkung zurückhaltend ausgefallen. So besteht bei Volksentscheiden, die auf den Erlaß einfacher Gesetze gerichtet sind, immer noch ein Zustimmungsquorum von 20 %. Dian Schefold stellt daher zu Recht eine Tendenz in Bremen fest, Volksbegehren zwar zu erleichtern, Volksentscheide allerdings nach wie vor möglichst zu vermeiden.9
III. Darstellung des Urteils des Staatsgerichtshofs Bremen vom 14. Februar 2000 Die nachfolgend dargestellte Entscheidung des Staatsgerichtshofs Bremen vom 14. Februar 2000 bezog sich noch auf die Rechtslage aus dem Jahr 1997. Aufgrund vorstehender Überlegungen sowie der Argumentation in den Urteilsgründen ist es aber auch noch für die aktuell in Bremen geltende Rechtslage von Bedeutung. Gegenstand des Urteils waren unter anderem 5 Meerkamp
2011, 143 f. zu allem Meerkamp 2011, 144. 7 Schefold 2011, 146. 8 Schefold 2011, 146. 9 Schefold 2011, 148. 6 Vgl.
42
Teil 1: Jüngste Rechtsprechung und Literatur
verfassungsrechtliche Anforderungen an Quoren im Volksgesetzgebungsverfahren. Dies betraf insbesondere Verfassungs- und Gesetzesänderungen sowie die vorzeitige Beendigung der Wahlperiode des Parlaments durch Volksbegehren und Volksentscheid.10 1. Sachverhalt Dem Urteil lag ein vom Verein „Mehr Demokratie“ initiiertes Volksbegehren zugrunde, das durch Änderung der Landesverfassung eine Absenkung der Verfahrensvoraussetzungen für die Volksgesetzgebung anstrebte. Danach sollte das Unterstützungsquorum für einfache Gesetze vom damals noch bestehenden Quorum in Höhe von 10 % der Wahlberechtigten auf 5 % der bei der letzten Bürgerschaftswahl abgegebenen Stimmen, de facto also ca. 3 %, abgesenkt werden; für Verfassungsänderungen war dementsprechend eine Absenkung von 20 % auf ca. 6 % vorgesehen Für Volksentscheide sollte in beiden Fällen gleichermaßen die Mehrheit der abgegebenen Stimmen ohne Quorum entscheiden.11 Daraufhin legte der Senat der Freien Hansestadt Bremen dem Bremischen Staatsgerichtshof den Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens über den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen“ zur Entscheidung über die Zulässigkeit des Volksbegehrens vor. Der Bremische Staatsgerichtshof erachtete die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens als nicht gegeben.12 2. Entscheidungsgründe Der Staatsgerichtshof erkannte auf eine Verletzung des Art. 28 I 1 GG durch Berühren des in diesem enthaltenen Demokratieprinzips durch die von den Initiatoren des Volksbegehrens angestrebte Änderung der Bremischen Landesverfassung. Dieses gebiete die Legitimation aller Formen der Staatsgewalt durch das Volk. Zwar stelle Art. 28 I 1 GG es den Ländern frei, kraft ihrer Verfassungsautonomie eine eigenständige Ausgestaltung dieses Prinzips vorzunehmen. Jedoch müsse die verfassungsrechtliche Ausgestaltung des Demokratieprinzips durch die Volksgesetzgebung, ebenso wie jene durch Wahlen, bestimmte Voraussetzungen erfüllen.13
10 BremStGH
NVwZ-RR 2001, 1, Ls. 1. 2005, 132. 12 BremStGH NVwZ-RR 2001, 1 (1). 13 BremStGH NVwZ-RR 2001, 1 (2). 11 Wittreck
A. Freie Hansestadt Bremen43
a) Eigenschaften beider Gesetzgebungsverfahren im Vergleich Um die seiner Ansicht nach notwendigen Voraussetzungen eines demokratischen Gesetzgebungsverfahrens herauszuarbeiten, vergleicht der Bremische Staatsgerichtshof das Gesetzgebungsverfahren durch das Parlament mit jenem unmittelbar durch das Volk. Da die im Volksgesetzgebungsverfahren verabschiedeten Gesetze gemäß Art. 123 BremVerf. dieselbe Bindungswirkung wie die von der Bürgerschaft erlassenen Gesetze hätten, müßten diese in prinzipiell vergleichbarer Weise den Zwang zur öffentlichen Rechtfertigung ihrer Gemeinwohlorientierung unterliegen wie Parlamentsgesetze. Das im Volksgesetzgebungsverfahren erlassene Gesetz müsse deshalb verfahrensrechtlich die Gewähr für seine demokratische Verallgemeinerungsfähigkeit enthalten.14 aa) Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren Das Gericht beginnt seinen Vergleich mit den verfassungsrechtlichen institutionellen Eigenschaften, die seiner Ansicht nach im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren eine jedenfalls nicht unerhebliche Chance der Gemeinwohlverwirklichung verankern. Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren sei durch die verfassungsrechtliche Konstruktion des Willensbildungsprozesses in der Gesetzgebungskörperschaft darauf angelegt, daß sich die letztlich verabschiedeten Gesetze am Gemeinwohl orientierten. Partikulare Interessen und Werte würden in wechselseitiger Angleichung und Kompromißbildung durch spezifische Verfahren und Institutionen in einen Gemeinwillen umgeformt, wobei insbesondere das freie Mandat (Art. 38 I 2 GG, Art. 83 I BremVerf.) den Abgeordneten durch Bereitstellung eines politischen Handlungsspielraums den Ausgleich und die sachliche Integration partikularer Interessen ermögliche. Demzufolge sei die Gemeinwohlqualität der parlamentarisch verabschiedeten Gesetze in erster Linie von den Parteien, dem Parlament sowie den Abgeordneten und nicht entscheidend davon abhängig, daß eine möglichst große Zahl der Bürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht habe.15 bb) Das Volksgesetzgebungsverfahren Den Verfahren der unmittelbaren Demokratie gesteht nun der Gerichtshof nicht dieselbe Gewähr an potentieller Gemeinwohlverwirklichung zu. Diesen will er daher deswegen sowie aus Gründen struktureller Schwächen der re14 BremStGH 15 BremStGH
NVwZ-RR 2001, 1 (2). NVwZ-RR 2001, 1 (2).
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präsentativen Demokratie – die er zum Beispiel in der Erstarrung des politischen Betriebes oder Privilegierung einzelner Interessengruppen sieht – lediglich eine Ergänzungsfunktion zur Regelform der parlamentarischen Repräsentation zugestehen. Den direktdemokratischen Verfahren bliebe im wesentlichen nur die Funktion, Defizite der parlamentarischen Gesetzgebung zu mildern oder auszugleichen. So eröffneten jene Verfahren Chancen der Eindämmung bürgerlicher Entfremdung durch öffentliche Thematisierung vernachlässigter Themen, gäben Raum zum Engagement für bestimmte Werte oder Interessen und könnten durch das Aufgreifen einzelner parlamentarischer Entscheidungen das Parlament zu Selbstkorrektur sowie öffentlichen Rechtfertigung veranlassen. Hieraus folge, daß das Volksgesetzgebungsverfahren ein Instrument von Minderheiten sei, die sich von den im Parlament vertretenen politischen Parteien in bestimmten Fragen nicht hinreichend vertreten fühlten.16 cc) Ergebnis Da das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren somit nach Ansicht des Gerichtshofs im übergeordneten, allgemeinen Interesse liegt und das Volksgesetzgebungsverfahren daneben nur eine Ergänzungsfunktion erfüllt, stehen danach beide in einem Rangverhältnis für die Verwirklichung des demokratischen Prinzips. Daraus folgert das Gericht die Notwendigkeit unterschiedlicher institutioneller Anforderungen für beide Verfahrensarten. Dem Erfordernis der Sicherstellung demokratischer Legitimation durch ein Quorum könne daher nicht entgegengehalten werden, daß weder das Grundgesetz noch die Länderverfassungen Teilnahmequoren für Wahlen kennten. Darüber hinaus spreche gegen eine Vergleichbarkeit, daß Wahlen für die Funktionsfähigkeit des Staates zwingend erforderlich seien sowie sich periodisch wiederholten und damit von vornherein auf eine Korrekturmöglichkeit angelegt seien, während Gesetzgebungsakte in der Regel auf eine dauerhafte Regelung abzielten. Dagegen bestehe zwischen der häufig vorhandenen Partikularität der von Initiatoren der Volksgesetzgebung verfolgten Interessen einerseits und dem Anspruch des Gesetzes auf Allgemeinverbindlichkeit ein Spannungsverhältnis. Quoren bei Volksbegehren dienten somit der Qualifikation für das Recht, den Souverän zur Entscheidung anzurufen.17
16 BremStGH 17 BremStGH
NVwZ-RR 2001, 1 (2). NVwZ-RR 2001, 1 (3 f.).
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b) Die einzelnen Quorenregelungen Nach der Darlegung der seiner Ansicht nach gegebenen unterschiedlichen, nicht vergleichbaren Funktionen von parlamentarischem und Volksgesetzgebungsverfahren prüft der Staatsgerichtshof die einzelnen Quorenregelungen. aa) Verfassungsänderungen Für Verfassungsänderungen kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, daß die Mindestanforderungen an die demokratische Legitimation einer Verfassungsänderung unterschritten sind, wenn für das Volksbegehren ein Unterstützungsquorum in Höhe von effektiv ca. 6 % der Stimmberechtigten und gleichzeitig für den Volksentscheid weder ein Teilnahme- noch ein Zustimmungsquorum vorgesehen ist. Dieses Ergebnis sieht der Gerichtshof im Prinzip des Vorrangs der Verfassung begründet, wie ihn Art. 28 I GG enthält und gewährleistet. Die Verfassung gründe in der verfassunggebenden Gewalt des Volkes und habe daher den höchsten Rang im Stufenbau der Rechtsordnung. Darauf beruhten ihre allen anderen Gesetzen überlegene Autorität und ihr Vorrang, welcher einen erhöhten Bestandsschutz der Verfassung und damit ihre erschwerte Abänderbarkeit erfordere. Daneben stellt der Staatsgerichtshof auch auf einen intraföderalen Verfassungsvergleich ab. So forderten die Verfassungen fast aller anderen Länder im Bund die Zustimmung durch mindestens die Hälfte beziehungsweise die Mehrheit der Stimmberechtigten. Das im Gesetzentwurf vorgesehene, im Vergleich zu einfachen Gesetzesvorhaben doppelt so hohe Unterstützungsquorum bedeute zwar eine Erschwerung der Abänderbarkeit, bewirke aber nicht den von Art. 28 I 1 GG geforderten Bestandsschutz, da der Gesetzentwurf jedenfalls in Verbindung mit dem Fehlen eines Teilnahme- oder Zustimmungsquorums für den entsprechenden Volksentscheid die Landesverfassung in singulärer Weise zur Disposition von Minderheiten stelle, die sich mit dem demokratischen Prinzip nicht mehr vereinbaren lasse.18 bb) Einfache Gesetze Auch für die Volksgesetzgebung hinsichtlich einfacher Gesetze kommt der Bremische Staatsgerichtshof zum Ergebnis der Unvereinbarkeit des von ihm geprüften Gesetzentwurfs mit Art. 28 I 1 GG. Zur Begründung wählt er zunächst erneut den Ansatz einer Gesamtbetrachtung, nämlich daß jedenfalls die Kumulierung der drei Elemente Halbierung der Höhe des Unterstützungsquorums auf 5 %, Veränderung dessen Bezugspunktes auf die bei der 18 BremStGH
NVwZ-RR 2001, 1 (3 f.).
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letzten Bürgerschaftswahl abgegebenen Stimmen (daher im Ergebnis effektiv ca. 3 %) sowie Verzicht auf ein Quorum beim Volksentscheid es einer verschwindend geringen Zahl von interessierten aktiven Bürgern ermögliche, für die Gesamtheit verbindliches Recht zu setzen.19 Sodann führt der Gerichtshof aber noch das Argument ein, daß zu niedrige Hürden ggf. zur Entwertung der Volksgesetzgebung führen könnten. Zu niedrige Zugangsbedingungen könnten deren Integration in das politische System erschweren, indem sie jene in eine Art verfassungsrechtliches Sondergut mehr oder minder randständiger Minderheiten verwandele. Zu kleine Minderheiten könnten durch wiederholte oder wechselnde Begehren nämlich die Gemeinschaft der Stimmbürger zu wiederholter (Gegen-)Mobilisierung nötigen. Die Folge könnten sich ausbreitende Ablehnung und Diskreditierung der plebiszitären Gesetzesregelung bei den Stimmbürgern sowie mangelnde Respektierung dessen Bestands durch den parlamentarischen Gesetzgeber sein. Das alles könne das Institut der Volksgesetzgebung als einer ernsthaften Ergänzung zur parlamentarischen Repräsentation gefährden.20 3. Ergebnis Im Ergebnis scheiterte die Zulässigkeit des Volksbegehrens über den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen“ an der nach Ansicht des Staatsgerichtshofs nicht ausreichenden Höhe der Quoren sowohl hinsichtlich einfacher Gesetze als auch von Verfassungsänderungen. 4. Stellungnahme Bezüglich der tragenden Erwägungen im Urteil lassen sich verschiedene Grundannahmen herausgreifen. a) Gemeinwohlorientierung von Gesetzen Der Bremische Staatsgerichtshof leitet seine Urteilsgründe nach einigen grundsätzlichen Ausführungen zum Gewährleistungsinhalt des Homogenitätsgebots (Art. 28 I 1 GG) mit einem Vergleich der Verfahren der parlamentarischen und der volksunmittelbaren Gesetzgebung ein. Ausgangsthese des Gerichts ist es, daß formelle Gesetze aufgrund der ihnen eigenen Bindungswirkung einem Rechtfertigungszwang hinsichtlich ihrer „Gemeinwohlorien19 BremStGH 20 BremStGH
NVwZ-RR 2001, 1 (4). NVwZ-RR 2001, 1 (4 f.).
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tierung“ unterliegen. Diese Orientierung am Gemeinwohl, so die sich anschließende zweite These, kann dadurch nachgewiesen werden, daß das betreffende Gesetzgebungsverfahren eine Gewähr für die demokratische Verallgemeinerungsfähigkeit enthält. Sucht man nach einer ersten Einordnung dieses Gedankengangs, so fällt in seinem Ausgangspunkt der relativ unscharf anmutende Begriff des „Gemeinwohls“ auf, an dem sich formelle Gesetze nach Auffassung des Gerichtshofs orientieren sollen. Wenn damit eine materielle Richtigkeitskategorie gemeint sein sollte, wäre dieser Begriff durchaus geeignet, beim Leser Fragen grundsätzlicher Natur aufzuwerfen. Sollte ein formelles Gesetz neben dem Erfordernis seiner Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zusätzlich einer Rechtfertigungslast bezüglich seiner zumindest potentiellen Geeignetheit (der Gerichtshof spricht von Gemeinwohlorientierung) zur Verwirklichung eines gemeinen Wohls unterliegen? Bedauerlicherweise lassen die Urteilsgründe an dieser Stelle außer einem einzigen Literaturzitat den Nachweis des Ansatzes vermissen, aus dem sich diese juristisch nicht eben unbedeutende, da eine erhebliche Ausweitung richterlicher Prüfungskompetenz bewirkende, Ergänzung der Bestandskraftanforderungen an einen Legislativakt jenseits von Gesetz- beziehungsweise Verfassungsmäßigkeit ergeben könnte. Indessen ist ein derartiges Verständnis nicht zwingend. Zunächst ist die Tatsache nicht zu bestreiten, daß formelle Gesetze, die im Volksgesetzgebungsverfahren erlassen werden, Bindungswirkung in Bezug auf das gesamte Volk und insbesondere auch gegenüber denjenigen Bürgern entfalten, die sich der Abstimmung enthalten oder gegen den Gesetzentwurf gestimmt haben. Augenfällig ist aber, daß der Gerichtshof an dieser Stelle der Frage der Rechtfertigung dieses Umstands nicht zum Beispiel mittels einer Analyse des Mehrheitsprinzips nachgeht, sondern auf die „Gewähr der demokratischen Verallgemeinerungsfähigkeit“ abstellt, die ein Gesetz erfüllen müsse. Dieser Schritt in den Urteilsgründen ist mit der Konjunktion „deshalb“ an die Gemeinwohlthese angehängt und erweckt somit den Eindruck einer Schlußfolgerung und Präzisierung. Der gesamte Passus im Urteil könnte somit auch dahingehend verstanden werden, daß das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, wie es durch Art. 28 I 1 GG geschützt ist, Anforderungen an ein (Landes-)Gesetzgebungsverfahren stellt, nach denen dieses seine eigene Ergebnisspannweite als potentiell von einem hinreichend großen Teil des Staatsvolkes unterstützt garantieren muß. So verstanden, bewegte sich dieses These auf einer formellen Ebene, welche die inhaltliche Richtigkeit eines Gesetzes nicht zwingend bewerten müßte.
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b) Ausgleichsfunktion unmittelbarer Gesetzgebung Im Wege der Gegenüberstellung von parlamentarischer und unmittelbarer Gesetzgebung kommt der Staatsgerichtshof ferner zu dem Ergebnis, daß die Volksgesetzgebung nur als Ergänzung zur parlamentarischen Repräsentation in Betracht komme. Auffällig ist dabei zunächst, daß diese Einschätzung ausschließlich auf einer Untersuchung des tatsächlichen Ablaufs des Gesetzgebungsverfahrens beruht. So wäre es an dieser Stelle naheliegend, ausgehend vom Demokratieprinzip des Grundgesetzes und der Bremischen Verfassung Grundlagen für ein normativ zu bestimmendes Verhältnis der beiden Gesetzgebungsarten herzuleiten. Der Gerichtshof unterläßt dies, und seine rein empirischen Ausführungen resultieren in dem Ergebnis, daß sich die Bedeutung der unmittelbaren Gesetzgebung im wesentlichen auf den Ausgleich von Defiziten des parlamentarischen Verfahrens beschränke. Diese Aussage hat allerdings eine weiter einschränkende Qualität als die bloße Postulierung einer Ergänzungsfunktion zur parlamentarischen Gesetzgebung, denn eine derartige „Defizitausgleichsfunktion“ wird nicht mehr von einer grundsätzlichen – weiter zu bestimmenden – Koexistenz beider Gesetzgebungsarten und somit von der Gewährleistung einer verfassungsgemäßen Legislative her bestimmt, sondern ist schon im Ausgangspunkt auf die Gewähr eines ordnungsgemäßen Parlamentsverfahrens limitiert, da es seine Berechtigung ausschließlich von etwaigen Unzulänglichkeiten des Letzteren ableitet. c) Instrument von Minderheiten Nach dieser Funktionsbetrachtung folgert der Gerichtshof, daß es sich bei der Volksgesetzgebung um ein Minderheiteninstrument handele, um so gleichzeitig den Anknüpfungspunkt für die Verankerung von Quoren in direktdemokratischen Verfahren zu schaffen. Bestandteil dieser Argumentation ist aber genau besehen nicht, daß es fragwürdig sei, wenn Gesetzgebung durch absolute Minderheiten erfolge. Vielmehr erkennt der Staatsgerichtshof die Berechtigung und sogar Notwendigkeit von Partikularinteressen grundsätzlich an, errichtet aber die Hürde „demokratischer Qualifizierung für das Recht, den Souverän zur Entscheidung aufzurufen“. Hier tauchen „Minderheiten“ demnach nicht als illegitime Herrschaftsform auf, sondern als Gruppen mit dem legitimen Interesse der Geltendmachung eigener, vernachlässigter Interessen. Trotz allem wird zu untersuchen sein, ob der diagnostizierte Gegensatz von Partikularität der Interessen und Allgemeinverbindlichkeit des Gesetzes in dieser Form tatsächlich besteht.
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Weiterhin ist fraglich, ob es überhaupt zweckmäßig ist, in einem Verfahrensstadium von „Minderheiten“ zu sprechen, in dem noch kein Mehrheitsentscheid – ob parlamentarisch oder plebiszitär – stattgefunden hat. Insofern verwendet der Gerichtshof den Terminus des sachlichen Ausgleichs partikularer Interessen. Das ist bedeutend, weil diese „Integrationsfunktion“ im Urteil die zentrale Eigenschaft des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens ausmacht, die nach Auffassung des Gerichts geschützt werden muß. Ist die Argumentation hinsichtlich der Installation eines Quorums für Volksbegehren nachvollziehbar, so gilt dies nicht in gleicher Weise für die sodann stattfindende Vermischung mit Ausführungen zur „demokratischen Legitimation“. Der Leser fragt sich an dieser Stelle insbesondere, ob die verschiedenen Verfahrensstadien eines direktdemokratischen Gesetzgebungsverfahrens nicht sorgfältiger voneinander abgegrenzt werden müßten und letzteres Problem nicht im Rahmen der Anforderungen an einen Volksentscheid zu behandeln wäre. Damit zusammenhängend wird die Berechtigung der angestellten Gesamtbetrachtung von Unterstützungsquorum auf Ebene des Volksbegehrens und Quorum beim Volksentscheid zu prüfen sein. An dieser Stelle muß auch festgehalten werden, daß das Urteil zu Quoren beim eigentlichen Entscheid in der Sache durch das Volk keinerlei substantielle Ausführungen macht, da die Begründung jeweils auf der Ebene des Volksbegehrens abbricht und sich sodann auf eine „Gesamtbetrachtung“ zurückzieht. d) Verfassungsänderungen Hinsichtlich Verfassungsänderungen folgert das Gericht aus dem im Stufenbau der Rechtsordnung höchsten Rang der Verfassung quasi automatisch auf eine zwingend anzunehmende erschwerte Abänderbarkeit derselben. Bereits diese Schlußfolgerung bedarf der Überprüfung. Das Gleiche gilt für das unter Berufung auf einen intraföderalen Verfassungsvergleich vorgetragene Ergebnis, daß ein Quorum in Höhe von 10 % der bei der letzten Wahl abgegebenen Stimmen jedenfalls in Kombination mit einem quorenlosen Volksentscheid nicht den von Art. 28 I 1 GG geforderten Bestandsschutz bewirke.
IV. Bremische Diskussion Im Folgenden wird die Diskussion des Urteils des Staatsgerichtshofs in der Literatur dargestellt.21 Diese setzt sich insbesondere mit dem Verhältnis von parlamentarischer und plebiszitärer Gesetzgebung, der Rechtfertigung 21 Degenhart 2001; Gröschner 2001; Isensee 2001; Rinken 2001; Stuby 2001; Wittreck 2005.
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von Unterstützungsquoren bei Volksbegehren sowie dem Prinzip des Verfassungsvorrangs auseinander. 1. Prüfungsmaßstab Hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs wird eine Erörterung des normativen Spielraums vermißt, den der bremischen Verfassungsgesetzgeber im Rahmen von Art. 28 I GG auszufüllen berechtigt sein soll. Der Staatsgerichtshof habe an dieser Stelle fragen müssen, ob sich aus der von der Bremer Verfassung konzipierten Rollenverteilung von mittelbarer und unmittelbarer Demokratie Aufschlüsse über die Bandbreite zulässiger Veränderungen hätten gewinnen lassen.22 Es wird darauf hingewiesen, daß sich in diesem Zusammenhang eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angeboten hätte, welche ausdrücklich den Spielraum der Länder in der Frage der Einrichtung direktdemokratischer Verfahren betone.23 2. Verhältnis parlamentarischer zu unmittelbarer Demokratie Beim Problemkreis der Bestimmung des verfassungsrechtlich gesollten Verhältnisses von parlamentarischer zu unmittelbarer Demokratie geht es um die Ermittlung der zutreffenden Verfassungsinterpretation hinsichtlich des Gehalts des Demokratieprinzips, um die verfassungsrechtliche Stellung der direktdemokratischen Verfahren festzustellen. Der Bremische Staatsgerichtshof hat der Untersuchung der Eigenschaften beider Gesetzgebungsverfahren relativ viel Raum gewidmet. Freilich sind an dieser Stelle verschiedene Fragen aufgeworfen, denen auch im Rahmen der noch zu betrachtenden Verfassungsrechtsprechung aus anderen Ländern Elemente hinzugefügt werden. Für die bremische Verfassungsrechtsprechung gilt jedoch, daß insbesondere die Frage der Wertigkeit des direktdemokratischen Verfahrens problematisiert wird. a) Sein-Sollens-Fehlschluß Hinsichtlich der Untersuchungen des Staatsgerichtshofs zum Verhältnis von parlamentarischer als Regelgesetzgebung und volksunmittelbarer als einem Ergänzungsverfahren wird zunächst kritisiert, daß dem Gericht an dieser 22 Wittreck
2005, 133. 2005, 133, Fn. 107; ebenso Degenhart 2001, 203, Fn. 21 – beide mit Hinweis auf BVerfGE 60, 175 (208). 23 Wittreck
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Stelle ein Sein-Sollens-Fehlschluß unterlaufe. Bezweifelt wird nicht der empirische Ausgangspunkt der notwendig limitierten Funktion der Instrumente direkter Demokratie in modernen Staaten. Fehlerhaft sei es jedoch, dieser Tatsache den Sollenssatz zu entnehmen, daß die auf diese Weise festgestellte Funktionsbeschränkung auch aufrechtzuerhalten sei. Auch die rechtlich relevante Vermutung, daß Volksbegehren als Minderheitenpositionen besondere Legitimationsleistungen zu erbringen hätten, folge letztlich aus der Beobachtung, daß direktdemokratische Verfahren üblicherweise von Gruppen initiiert würden, die in Opposition zur augenblicklichen Parlamentsmehrheit stünden. Insbesondere letztere sei eine politikwissenschaftliche Beobachtung, die mittlerweile zu der Vermutung mit Überverfassungsrang mutiert sei, daß direkte Demokratie generell als ein Instrument zur Durchsetzung von Minderheitspositionen diene.24 b) Rechtsethisches Niveau eines Minderheiteninstruments Der Bremische Staatsgerichtshof erfährt aber auch Zustimmung hinsichtlich seiner Argumentation, daß Zulassungshürden bei Volksbegehren der Gefahr vorbeugen könnten, daß sich Minderheiten in die Isolierung manövrierten und daß die Einrichtung der Volksgesetzgebung durch Unterforderung der Bürger Schaden nehme. So müsse ein Vorhaben ein bestimmtes öffentliches Gewicht erreichen, damit der Landtag gezwungen werden könne, sich mit ihm zu befassen, und sich das Tor zum Volksentscheid auftue.25 Allerdings gehe die These des Gerichtshofs bezüglich der Gewähr der Gesetze hinsichtlich ihrer demokratischen Verallgemeinerungsfähigkeit zu weit. Die Zulassungshürde zwinge die Initiatoren dazu, ihr Vorhaben auf Akzeptanz in weiteren Kreisen der Gesellschaft zu überprüfen. Damit erzeuge sie im Verfahren der Volksgesetzgebung Druck, den Gesetzesvorschlag auf das Wohl der Allgemeinheit auszurichten und es nicht für das Partikularinteresse der Gruppe, von der das Begehren ausgehe, zu instrumentalisieren. Die Zulassungshürde hebe so das Verfahrensrecht auf ein rechtsethisches Niveau, das sich auf seine Weise dem des parlamentarischen Verfahrens annähere. Verfahrensrechtliche Vorkehrungen könnten insofern nicht die Gewähr des rechtsethischen Erfolgs bieten, sondern nur die erhöhte Chance seines Eintretens.26
24 Wittreck 2005, 134 f., 136; Kritik diesbezüglich und an der Begriffswahl „randständige Minderheiten“ seitens des Bremischen Staatsgerichtshofs äußert auch Degenhart 2001, 204. 25 Isensee 2001, 1166. 26 Isensee 2001, 1166 f.
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3. Verfahrensrechtliche Interpretation des Demokratieprinzips Hinsichtlich seiner Forderung der „Gemeinwohlorientierung“ von Gesetzen beziehungsweise ihrer „demokratischen Verallgemeinerungsfähigkeit“ erfährt der Gerichtshof schließlich Zustimmung in der Literatur insbesondere bezüglich Quoren bei Volksbegehren. Jene Formulierungen seien eine Paraphrase des ciceronischen Mottos „res publica res populi“ und stellten einen Rückgriff auf das Republikprinzip dar, welches dem vom Gericht zu Recht verfahrensrechtlich interpretierten Demokratieprinzip verfassungsgeschichtlich wie verfassungsdogmatisch zugrunde liege. In der Sache werde die Notwendigkeit eines Unterstützungsquorums demnach sowohl aus dem Republik- als auch aus dem Demokratieprinzip legitimiert.27 4. Verfassungsänderungen Kritik erfährt das Urteil wiederum hinsichtlich seiner Ausführungen zur erschwerten Abänderbarkeit der Bremischen Landesverfassung. Vorgeworfen wird dem Gerichtshof insbesondere, nicht nur eine erschwerte Abänderbarkeit zu schützen, sondern für eine „starre Verfassung“ zu votieren. Da letzteres als Homogenitätsgrundsatz dem Art. 28 I 1 GG entnommen und so der Verfügbarkeit des bremischen Landesverfassunggebers entzogen werde, zurre die bremische Entscheidung zum einen die landesverfassungsrechtliche Volksgesetzgebung auf das bayerische Niveau eines mindestens 25-prozentigen Zustimmungsquorums fest. Zum anderen präjudiziere sie mögliche Entwicklungen auf der Ebene des Grundgesetzes, da auch hier die Höhe des Zustimmungsquorums von 25 % des Art. 29 GG das Muster für eine mög liche Volksgesetzgebung auf anderen Gebieten des Bundesrechts bleiben werde.28 Außerdem wird bezweifelt, daß die zwingende Verknüpfung des Prinzips des Vorrangs der Verfassung mit deren erschwerter Abänderbarkeit überhaupt berechtigt ist. Der Vorrang der Verfassung habe nur indirekt etwas mit deren Stabilität zu tun. Es erscheine fraglich, die erschwerte Abänderbarkeit des Art. 79 II GG als aktuell geltende Verfassungsnorm in den durch Art. 20 III GG verorteten Vorrang zu transportieren. Auch gehöre Art. 79 II GG nicht so selbstverständlich zu den unabänderbaren „Ewigkeitsprinzipien“ des Art. 79 III GG, wie allgemein argumentiert werde. Zudem sei das dort verankerte Prinzip der erschwerten Abänderbarkeit nicht ohne weiteres mit der Forderung nach einem Quorum gleichzusetzen. Selbst wenn man aber einer Parallelisierung von Art. 79 III GG und Art. 28 I 1 GG folge, sei noch zu fragen, 27 Gröschner 28 Stuby
2001, 196. 2001, 248.
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ob das Grundgesetz die aktuell geltende Norm der erschwerten Abänderbarkeit des Art. 79 II GG durch den parlamentarischen Gesetzgeber auch für die Landesverfassungsebene wollte, und dann auch noch undifferenziert für Volksgesetzgeber und parlamentarischen Gesetzgeber.29 Dem Bremer Staatsgerichtshof wird aber auch beigepflichtet, da er zu Recht den Zusammenhang von Verfassungsvorrang und erschwerter Verfassungsänderung herausgestellt und dadurch den Verfassungsvorrang als Institut des geltenden Verfassungsrechts gestärkt habe. So sei die konsequente und umfassende Institutionalisierung und Sicherung des Verfassungsvorrangs eine der strukturprägenden Entscheidungen des Grundgesetzes. Ausdrücklich würden nicht nur die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung, sondern würde auch die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden (Art. 20 III GG), werde diese Vorrangentscheidung für die Grundrechte nochmals eingeschärft (Art.1 III GG) und gegen jede Verfassungsdurchbrechung (Art. 79 I GG) und Verfassungsänderung (Art. 79 III GG) abgesichert. Zugleich werde der lückenlose Schutz des Verfassungsvorrangs der Verfassungsgerichtsbarkeit anvertraut (Art. 93 f., 100 GG). Es sei die normative Konsequenz dieser Grundentscheidung des Grundgesetzes, daß die vorrangige, für Mehrheit und Minderheiten in gleicher Weise verbindliche und für alles staatliche Handeln maßstäbliche Rahmenordnung nicht im Wege der einfachen Gesetzgebung geändert werden könne, daß Verfassungsänderungen vielmehr der erschwerten Verfahrensvoraussetzungen unterworfenen verfassungsändernden Gewalt unterworfen seien (Art. 79 II GG). Der Vorrang sei die materiale, der verfahrensmäßige Bestandsschutz die formale Seite der Maßstäblichkeit der Verfassung. Als strukturprägende Verfassungsentscheidungen gehörten Verfassungsvorrang und erschwerte Verfassungsänderung zu den auch für die Länder verbindlichen „Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaates“ im Sinne des Art. 28 I 1 GG.30
V. Fazit Die Untersuchung der Bremischen Verfassungsrechtsprechung sowie der entsprechenden Literatur ergibt, daß insbesondere Fragen der Wertigkeit des direktdemokratischen Gesetzgebungsverfahrens und seines Verhältnisses zum parlamentarischen Verfahren aufgeworfen werden. Gegenübergestellt wird dem die „Integrationsfunktion“ des Parlaments, die nach dem Staatsgerichtshof im wesentlichen die bevorrechtigte Stellung des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens erklären soll. Defizite weist diese Rechtsprechung in ihrer normativen Analyse des Demokratieprinzips sowie in ihren Ausführun29 Stuby
2001, 249 f. 2001, 419.
30 Rinken
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gen hinsichtlich des Verfahrensstadiums der endgültigen Entscheidung über einen staatlichen Legitimationsakt, den Volksentscheid, auf. Interessant ist der Ansatz des Bremischen Staatsgerichtshofs, die hohe Wertigkeit des parlamentarischen Verfahrens auf strukturell im Volk vorhandene Partikularinteressen zurückzuführen. Auch dies ist ein Punkt, der in den Problemkreis des Verhältnisses der beiden Gesetzgebungsarten fällt. Eng damit zusammen hängt die angesprochene Frage, ob die Gemeinwohlorientierung eines Gesetzes Quoren in dem Verfahren rechtfertigt, in welchem dieses Gesetz erlassen wird. Da der Bremer Staatsgerichtshof Art. 28 I 1 GG als Prüfungsmaßstab für die im Gesetzentwurf angestrebten Quorenregelungen gewählt hat, ist auch zu untersuchen, wie groß der Spielraum ist, den das Homogenitätsgebot des Grundgesetzes der Landesgesetzgebung bei der Ausgestaltung des Demokratieprinzips läßt. Schließlich ist in dem bremischen Urteil auch schon das Problem aufgeworfen, ob in Verfahren der Verfassungsänderung höhere Quoren gerechtfertigt sind als im einfachen Gesetzgebungsverfahren.
B. Freistaat Bayern Im Freistaat Bayern hat sich – angestoßen durch zwei jüngere Urteile des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs – eine besonders vielschichtige Diskussion um die Notwendigkeit von Quoren in Verfahren direkter Demokratie entwickelt.
I. Übersicht zu den Volksgesetzgebungsverfahren in Bayern Zentrale Norm für die Volksgesetzgebung ist in Bayern neben den Art. 71 BayVerf., der die Einbringung von Gesetzesvorlagen vom Volk durch Volksbegehren regelt, sowie Art. 72 I BayVerf., der bestimmt, daß „die Gesetze […] vom Landtag oder vom Volk (Volksentscheid) beschlossen“ werden, insbesondere Art. 74 BayVerf. Dieser regelt das Verfahren der Volksgesetzgebung, das im wesentlichen – unterbrochen nur durch die Behandlung im Landtag – durch die Aufeinanderfolge zweier selbständiger Verfahrensstufen gekennzeichnet ist: zunächst das Volksbegehren als erster Stufe und besonderer Form der Gesetzesinitiative sowie der Volksentscheid als zweiter Stufe.31 Eine Volksinitiative als eigenständiges Instrument, welches die parlamentari31 Möstl,
in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 74 Rn. 1.
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sche Behandlung eines Themas ermöglichte, ohne daß sich die Initiatoren bereits in diesem Stadium entscheiden müßten, ob sie tatsächlich ein Volksbegehren einleiten wollen, gibt es in Bayern nicht. Daher handelt es sich in Bayern um ein zweistufiges Verfahren direkter Demokratie, bestehend aus Volksbegehren und Volksentscheid.32 1. Erste Stufe: Volksbegehren Das Volksbegehren ist wiederum geteilt in ein Vorverfahren (das Zulassungsverfahren, Art. 63 f. LWG) und in das eigentliche Volksbegehren.33 Das Zulassungsverfahren soll völlig aussichtslose oder rechtswidrige Volksbegehren bereits in einem frühen Stadium aussortieren.34 Es wird durch einen beim Staatsministerium des Innern einzureichenden Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens eingeleitet, der mit 25.000 Unterschriften versehen sein muß (Art. 63 I LWG). Hält das Staatsministerium des Innern die Voraussetzungen der Zulassung nicht für erfüllt, so führt es eine Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs herbei.35 Dieser prüft den Antrag hinsichtlich seiner formellen und materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen.36 Wird dem Zulassungsantrag durch das Staatsministerium des Innern oder durch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs stattgegeben, so ist das eigentliche Verfahren des Volksbegehrens durchzuführen (Art. 66 ff. LWG). Von der Bekanntmachung der Zulassung eines Volksbegehrens bis zum Beginn der Eintragung in die Volksbegehrenslisten vergehen acht bis zehn Wochen.37 Das Volksbegehren bedarf der Unterstützung eines Zehntels der Stimmberechtigten nach dem Stand der letzten Wahl (Art. 74 I BayVerf., Art. 71 II LWG).38 Das sind derzeit ca. 900.000 Stimmen.39 Die Eintragung erfolgt bei den Gemeinden nach dem Prinzip der Amtseintragung (Art. 67 f. LWG),40 die Eintragungsfrist beträgt 14 Tage (Art. 65 III LWG).
32 Weixner
2011, 258. in: Meder / Brechmann, BV, Art. 74 Rn. 6. 34 Möstl, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 74 Rn. 7. 35 Brechmann, in: Meder / Brechmann, BV, Art. 74 Rn. 8. 36 Zu den einzelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen vgl. Möstl, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 74 Rn. 8 ff. 37 Weixner 2011, 262. 38 Brechmann, in: Meder / Brechmann, BV, Art. 74 Rn. 14. 39 Lindner 2011, Rn. 262. 40 Möstl, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 74 Rn. 13. 33 Brechmann,
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2. Zwischenschritt: Verfahren im Landtag Wurde das Unterstützungsquorum erreicht, hat der Ministerpräsident das Volksbegehren namens der Staatsregierung unter Darlegung ihrer Stellungnahme dem Landtag zu unterbreiten (Art. 74 III BayVerf.). Der Landtag ist nun befugt, die Zulässigkeit des Volksbegehrens einer erneuten Prüfung zu unterziehen, wobei sich im Falle einer vorausgegangenen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zum Zulassungsantrag gewisse Bindungen an diese ergeben, die sich danach richten, in welchem Umfang der Gerichtshof den Antrag geprüft hatte. Der Prüfungsumfang des Gerichtshofs kann sich nämlich dadurch beschränken, daß dieser nach neuerer Rechtsprechung die Zulässigkeit des Antrags nur noch im Maße der Beanstandungen des Innenministeriums prüft. Insoweit kann der Landtag neue Unzulässigkeitsgründe prüfen und in das Verfahren einführen. Bestreitet der Landtag die Rechtsgültigkeit des Volksbegehrens, so entscheidet hierüber auf Antrag von Unterzeichnern des Volksbegehrens der Verfassungsgerichtshof.41 Ein rechtmäßiges Volksbegehren kann der Landtag unverändert annehmen, das Gesetz ist dann beschlossen, und der Volksentscheid entfällt (Art. 73 III LWG). 3. Zweite Stufe: Volksentscheid Lehnt der Landtag den Gesetzentwurf ab, so hat er binnen drei Monaten einen Volksentscheid herbeizuführen. Er kann in diesem Fall dem Volk einen eigenen Gesetzentwurf zur Entscheidung mit vorlegen (Art. 74 IV, V 1 BayVerf.). Dabei sollen die Volksentscheide über Volksbegehren gewöhnlich im Frühjahr oder Herbst stattfinden (Art. 74 VI BayVerf.). Eine Weisung der Staatsregierung, die bündig und sachlich sowohl die Begründung der Antragsteller wie die Auffassung der Staatsregierung über den Gegenstand darlegen soll, hat den Gesetzentwurf zu begleiten (Art. 74 VII BayVerf.). Auch die Auffassung des Landtags ist einschließlich seines Abstimmungsergebnisses darzulegen (Art. 75 II Nr. 3 LWG). Der Erfolg des Volksentscheids ist grundsätzlich von keinem Quorum abhängig; es entscheidet allein die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, denn Art. 2 II 1 BayVerf. bestimmt insoweit, daß das Volk seinen Willen durch Wahlen und Abstimmungen kundtut. Art. 2 II 2 BayVerf. ergänzt hierzu aber: „Mehrheit entscheidet.“ Abschließend unterliegt die Durchführung des Volksentscheids der Prüfung durch den Landtag. Gegen die hierbei ergehenden Landtagsbeschlüsse kann der Verfassungsgerichtshof angerufen werden. Das durch Volksent41 Vgl.
zum Ganzen Möstl, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 74 Rn. 14.
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scheid zustande gekommene Gesetz kann jederzeit durch Parlamentsgesetz wieder geändert werden. Auch unterliegt es in vollem Umfang der Bindung an die Verfassung sowie den gewöhnlichen verfassungsgerichtlichen Rechtsbehelfen (insbesondere der Popularklage).42 4. Sonderfall: Verfassungsänderung Die Bayerische Verfassung kennt zwei Verfahren für ihre Abänderung. Das eine ist das in Art. 75 II BayVerf. geregelte parlamentarische Änderungsverfahren mit einem sich anschließenden obligatorischen Verfassungsreferendum. Für den Gesetzesbeschluß des Landtags ist eine Zweidrittelmehrheit der Mitgliederzahl erforderlich. Für den Volksentscheid gibt es in diesem Verfahren kein Quorum.43 Das andere ist das vollplebiszitäre Änderungsverfahren nach Art. 74 BayVerf. Da Art. 74 BayVerf. nicht zwischen einfachen und verfassungsändernden Volksgesetzen unterscheidet, es in Bayern aber anerkannt ist, daß eine vollplebiszitäre Verfassungsänderung möglich ist,44 müssen die Verfahrensregelungen des Art. 74 BayVerf. mangels einer anderen Norm nicht nur für einfache, sondern auch für verfassungsändernde Gesetze gelten. Ein Quorum für den Volksentscheid im Falle einer vollplebiszitären Verfassungsänderung sieht der Wortlaut des Art. 74 BayVerf. demnach ebenso wie bei einfachen Volksgesetzen nicht vor. An dieser Stelle setzen die neuere Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs sowie die für die bayerische Diskussion in der Literatur an, welche nachfolgend dargestellt werden sollen. 5. Direktdemokratische Aktivität und Bewertung Seit 1946 wurden in Bayern 18 Volksbegehren durchgeführt. Daraus resultierten sechs Volksentscheide. Davon waren drei im engeren Sinne – ohne Einschaltung des Landtags – erfolgreich. Zwei Volksentscheide führten zu einer Verfassungsänderung, nämlich die Abschaffung des Senats (Gesetz vom 20. Februar 1998 – GVBl S. 42) sowie die Einführung des kommunalen Bürgerentscheids (Gesetz vom 27. Oktober 1995 – GVBl S. 730).45 Abgesehen von dieser strengen Betrachtungsweise läßt sich jedoch eine weiche, politische Wertungen mit einbeziehende Analysemethode praktizieren, um den Erfolg bayerischer Volksgesetzgebungsverfahren zu erfassen. So wertet Möstl, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 74 Rn. 17 f. in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 75 Rn. 5. 44 Vgl. dazu Möstl, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 75 Rn. 6. 45 Weixner 2011, 256 ff. mit Detailübersicht; Lindner 2011, Rn. 262, Fn. 310 und Rn. 306 f., Fn. 365 f. 42 Vgl.
43 Möstl,
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Meerkamp einen Volksentscheid bereits dann als erfolgreich, wenn dessen formales Ergebnis in Gesetzeskraft erwächst, unabhängig davon, ob sich rein inhaltlich der Entwurf des Volksbegehrens oder ein Alternativentwurf durchsetzt; er kommt damit auf sechs erfolgreiche Volksentscheide.46 Überzeugender scheint es aber, wenn schon eine politische Wertung einbezogen werden soll, einen Volksentscheid (erst) dann als „erfolgreich“ zu definieren, wenn sich auch sein erstrebtes politisches Ziel durchsetzt. In diesem Fall kommt man auf vier erfolgreiche Volksentscheide; 1972 übernahm der Bayerische Landtag die Vorlage eines Volksbegehrens und es kam (lediglich) zu einem anschließenden obligatorischen Verfassungsreferendum.47 Mit insgesamt 32 beantragten Volksbegehren ergibt sich, daß in Bayern durchschnittlich alle 1,5 Jahre eine Initiative für ein Volksbegehren gestartet wird, alle 3,6 Jahre ein Volksbegehren stattfindet und alle 10,7 Jahre ein Volksentscheid auf Grundlage eines Volksbegehrens durchgeführt wird. Damit hat Bayern die ausgeprägteste Praxis direkter Demokratie unter den alten Bundesländern. Einzelne Länder holen erst seit 1990 auf.48 Eine neuere Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß diese Bilanz durch die der unmittelbaren Demokratie aufgeschlossene Verfassung von 1946 ermöglicht worden sei. Die Ausgestaltung der Bayerischen Verfassung lasse erkennen, daß die direktdemokratische Tradition der Weimarer Republik oder das Modell des Schweizer Regierungssystems nicht negativ bewertet worden seien. Der direktdemokratischen Praxis förderlich sei im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern die weniger eindeutige Orientierung an der Weimarer Verfassung hinsichtlich der Quorengestaltung. Aus partizipationsorientierter Sichtweise gehe die Quorengestaltung des Volksgesetzgebungsverfahrens deutlich über die der Weimarer oder der Bamberger Verfassung hinaus. Zwar sei das klassische 10 %-Quorum als Relevanztest beim Volksbegehren beibehalten worden, gelte jedoch sowohl für einfache als auch für verfassungsändernde Gesetze. Dafür habe die Bayerische Verfassung jedoch die herkömmlichen Erschwernisstufen beim Volksentscheid überwunden und auf das Abstimmungsquorum verzichtet. Somit liege die Folgerung nahe, daß die verhältnismäßig rege Nutzung der direktdemokratischen Verfahren mit dem niedrigen Unterstützungsquorum und mit der gesteigerten Motivationslage der Initiativen, daß die Chance eines Obsiegens mit der Überwindung des Unterstützungsquorums vergleichsweise hoch sei, zusammenhänge.49
46 Meerkamp
2011, 106. 2011, 263, Fn. 13. 48 Weixner 2011, 256 f. 49 Meerkamp 2011, 106. 47 Weixner
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2009 initiierte der Landesverband der ÖDP in Zusammenarbeit mit diversen anderen Gruppierungen in Bayern das Volksbegehren „Für echten Nichtraucherschutz!“. Inhaltlich wurde die Wiederherstellung eines weitreichenden Rauchverbots ohne Ausnahmen in öffentlichen Einrichtungen sowie Gastronomiebetrieben angestrebt.50 Nach seiner Zulassung überwand es das 10 %-Unterstützungsquorum und mündete in einem Volksentscheid am 4. Juli 2010, in welchem über den „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Gesundheit (Gesundheitsschutzgesetz – GSG)“ abgestimmt wurde.51 Die Unterstützung für das Volksbegehren stellt mit 13,9 % der Stimmberechtigten die zweithöchste Quote dar, die in Bayern je erreicht wurde.52 Nach dem erfolgreichen Volksbegehren formierte sich das Aktionsbündnis „Ja! Zum Nichtraucherschutz“. Es wurde von ÖDP, SPD, Grünen sowie zahlreichen Verbänden aus dem Bereich Sport, Gesundheit und Naturschutz unterstützt.53 Beim abschließenden Volksentscheid beteiligten sich 37,7 % der Stimmberechtigten. Der Gesetzentwurf wurde angenommen, da 61 % der Stimmen für das strenge Rauchverbot votierten.54
II. Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs In der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs existieren ein älteres Urteil sowie zwei Entscheidungen aus jüngerer Zeit, die für die Quorenproblematik besonders relevant sind. 1. Bayerischer Verfassungsgerichtshof vom 2. Dezember 1949 Grundlage der bayerischen Verfassungsrechtsprechung in der Quorenfrage war über 50 Jahre lang ein Urteil, in dem der Verfassungsgerichtshof ein einfaches Gesetz als verfassungsändernd verworfen hatte, welches unter anderem Quoren für das Volksgesetzgebungsverfahren einführen sollte. a) Entscheidungsgründe Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hatte in diesem Urteil festgestellt, daß die Bestimmungen über die wesentlichen Grundzüge der Staatsorganisation, insbesondere die zu den wichtigsten Materien dieser Art gehörende 50 Weixner
2011, 2011, 52 Weixner 2011, 53 Weixner 2011, 54 Weixner 2011, 51 Weixner
277. 255. 277, Fn. 29. 281 ff. m. w. N. 288.
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Gesetzgebung, bei Fehlen einer ausdrücklichen abweichenden Regelung abschließend und erschöpfend seien.55 Die Verfassung habe das Problem der Mindestbeteiligung bei der Ausübung der unmittelbaren Volksrechte keineswegs außer acht gelassen, sich jedoch darauf beschränkt, für das Volksbegehren 10 % der Stimmberechtigten und für den Volksantrag auf Auflösung des Landtags 1.000.000 Stimmen (vgl. Art. 18 III BayVerf.) zu verlangen. Daneben spreche eine dem Art. 14 V BayVerf.56 vergleichbare Ermächtigung des Gesetzgebers zum Erlaß eines die Verfassung auch materiell ergänzenden Vollzugsgesetzes gegen eine Lücke innerhalb des Art. 74 BayVerf. und für eine Ergänzungsmöglichkeit durch ein gleichwohl unentbehrliches Vollzugsgesetz nur hinsichtlich „technischer Einzelheiten“.57 Es folgt eine Wortlautanalyse zu Art. 2 BayVerf.58 Das Urteil unterscheidet hierbei nach Trägerschaft (Art. 2 I 2 BayVerf.) und Ausübung (Art. 2 II 1 BayVerf.) von Staatsgewalt. Gemäß Art. 2 BayVerf. liege die Staatsgewalt beim Volk, also bei der Gesamtheit der stimmberechtigten Staatsbürger. Ausgeübt werde sie aber durch die an der Volksabstimmung teilnehmenden Staatsbürger (Hervorhebung i.O.). Diese seien also für die unmittelbare Volksgesetzgebung als Organ des Staates tätig. Die Verfassung verfüge keine Abstimmungspflicht des Staatsbürgers, sondern stelle als einzige Voraussetzung für die Rechtsgültigkeit der Volksabstimmung auf, daß die Teilnehmenden stimm- beziehungsweise wahlberechtigt gemäß Art. 4, 14 BayVerf. seien. In dieser Rechtsstellung würden die Teilnehmenden jedoch beeinträchtigt, wenn als weitere Voraussetzung für die Gültigkeit der Volksabstimmung die Erreichung einer Mindestzahl festgelegt würde. Solch eine Einschränkung könne nicht das Parlament, das seine Macht vom Volk ableite, sondern nur die Verfassung selber bestimmen, was in Bayern nicht geschehen sei. Die nicht an einer Abstimmung Teilnehmenden seien dagegen nicht als Organ der staatlichen Willensbildung tätig und kämen für die Ergebnisfeststellung nicht in Betracht. Daher könne also nur im Wege einer Verfassungsänderung eine Mindestzahl für die Beteiligung am Volksentscheid vorgeschrieben werden.59 55 BayVerfGHE 2, 181 (217); im Unterschied zu Art. 74 BayVerf. sieht Art. 12 III 2 BayVerf. für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide ausdrücklich vor, daß „das Nähere“ durch ein Gesetz zu regeln ist. 56 Art. 14 BayVerf. trifft Regelungen über die Wahl zum Landtag. 57 BayVerfGHE 2, 181 (217 f.). 58 Art. 2 BayVerf. hat den folgenden Wortlaut: Abs. 1 Satz 1: Bayern ist ein Volksstaat. – Satz 2: Träger der Staatsgewalt ist das Volk. Abs. 2 Satz 1: Das Volk tut seinen Willen durch Wahlen und Abstimmungen kund. – Satz 2: Mehrheit entscheidet. 59 BayVerfGHE 2, 181 (218).
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Des weiteren meint der Gerichtshof zwar einen gewissen Widerspruch zwischen der infolge seiner Rechtsauffassung geringeren Hürden im Rahmen von Art. 74 BayVerf. und derjenigen in Art. 75 II BayVerf.60 zu erkennen, hatte aber zuvor im Urteil auch schon den Gedanken angeführt, daß aufgrund der geringeren Mobilisierungsleistung von Abstimmungen im Vergleich zu Wahlen und der Zurückhaltung der Bürger hinsichtlich aktiver politischer Betätigung durch die Festsetzung von Mindestzahlen für die Abstimmung der unmittelbaren Volksgesetzgebung unter Umständen die praktische Bedeutung genommen werden könne.61 b) Stellungnahme Es handelt sich hierbei um ein Urteil, daß fünf Jahrzehnte Bestand hatte und grundlegende Ausführungen zu Mehrheitsentscheidungen nach der Bayerischen Verfassung enthält. So denkt der Gerichtshof insbesondere nicht vom Ergebnis her, wenn er die Gültigkeit von Abstimmungen beurteilt, sondern legt zunächst den Inhalt einer bürgerlichen Verfassungsrechtsposition dar, um sodann die Vorgaben für eine demokratische Mehrheitsentscheidung aus dieser abzuleiten. Entscheidend ist dabei die Wortlautauslegung des Art. 2 I, II 1 BayVerf., welche die Basis für eine systematische Auslegung des Art. 2 II 2 BayVerf. schafft. So kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, daß die Referenzmenge zur Bestimmung der Abstimmungsmehrheit nicht die Zahl der Stimmberechtigten, sondern die Zahl der tatsächlich Abstimmenden ist.62 Träger der Staatsgewalt zu sein und einen Willen kundzutun wird zur elementaren Unterscheidung. An dem Urteil fällt weiterhin auf, daß eine für die Volksgesetzgebung charakteristische niedrigere Beteiligungszahl als bei Wahlen – dies sei an diesem Punkt der Untersuchung als empirischer Befund mit dem Gerichtshof unterstellt – nicht etwa zur Begründung der Notwendigkeit einer weiteren Hürde in Form von Quoren herangezogen wird. Vielmehr sieht der Gerichtshof darin angesichts sonstiger Erschwernisse, denen die 60 BayVerfGHE 2, 181 (219) – Art. 75 II BayVerf. schreibt neben einer Zweidrittelmehrheit der Mitglieder des Landtags die anschließende Durchführung eines Volksentscheids vor. 61 BayVerfGHE 2, 181 (217) – der sich hieran unmittelbar anknüpfende Gesichtspunkt der bei fehlenden Quoren gegebenen Gefahr der Abänderung einer Verfassung durch eine Minderheit gegen den wahren Willen der Mehrheit der Staatsbürger ist in Anbetracht der dargestellten weiteren Urteilsbegründung inkonsequent. Denn dort führt der Gerichtshof gerade aus, daß es nicht auf einen hypothetischen, „wahren“ Willen der „Mehrheit der Staatsbürger“ ankomme, sondern auf den tatsächlichen, „ausgeübten“ der Abstimmenden. 62 BayVerfGHE 2, 181 (218) – wobei die Wiedergabe des frappierend einfachen Wortlauts des Art. 2 II 2 BayVerf. („Mehrheit entscheidet.“) im Urteil als für sich stehende Begründung durch Betonung desselben verstanden werden muß.
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Volksgesetzgebung unterliegt (Fristenregelungen, Kostenrisiken, Motivation der Bürger zur aktiven Teilnahme an politischen Einzelfragen) gerade ein weiteres Argument gegen ein Quorum beim Volksentscheid. 2. Bayerischer Verfassungsgerichtshof vom 17. September 1999 Durch das Urteil vom 17. September 1999 änderte der Gerichtshof seine Auffassung dazu, wie sich die Bayerische Verfassung zu Quoren verhält, wenn durch ein Volksgesetzgebungsverfahren die Verfassung geändert werden soll, fundamental. a) Sachverhalt Beim Bayerischen Staatsministerium des Innern wurde die Zulassung eines Volksbegehrens über den Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung des Bayerischen Senates durch Änderung der Bayerischen Verfassung beantragt. Das Staatsministerium des Innern gab dem Zulassungsantrag statt. Das zur Herbeiführung des Volksentscheids gemäß Art. 74 I BayVerf. erforderliche Zustimmungsquorum von 10 % beim Volksbegehren wurde erreicht. Nach Ablehnung des Gesetzentwurfs durch den Bayerischen Landtag setzte die Bayerische Staatsregierung den Volksentscheid über den Bayerischen Senat fest. Dieser Volksentscheid hatte folgendes Ergebnis: An der Abstimmung beteiligten sich 39,9 % der Stimmberechtigten. Von den gültigen Stimmen entfielen 69,2 % auf den Gesetzentwurf des Volksbegehrens. Dies entsprach einer Zustimmung von 27,3 % der insgesamt Stimmberechtigten. Nach damaliger Gesetzeslage war damit der Gesetzentwurf des Volksbegehrens zur Abschaffung des Bayerischen Senats mehrheitlich angenommen; das Gesetz wurde ausgefertigt und verkündet. Neben anderen Beteiligten wendete sich der Bayerische Senat gegen seine Abschaffung und beantragte, das Gesetz zur Abschaffung des Bayerischen Senats wegen Verstoßes gegen die Bayerische Verfassung für ungültig zu erklären.63 b) Entscheidungsgründe Zunächst hält der Verfassungsgerichtshof an seiner Auffassung fest, daß die Bayerische Verfassung auch im Wege der Volksgesetzgebung nach Art. 74 BayVerf. geändert werden könne.64 Für diese Ansicht spreche neben der
63 Sachverhaltsdarstellung 64 BayVerfGHE
bei BayVerfGHE 52, 104 (106 ff.). 52, 104 (125).
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Entstehungsgeschichte65 vor allem die hohe Wertschätzung, welche die Bayerische Verfassung der Volksgesetzgebung entgegenbringe. Nach Art. 5 I BayVerf. stünden nämlich Volks- sowie Parlamentsgesetzgebung gleichwertig nebeneinander, was auch für die Verfassungsgesetzgebung gelten müsse.66 Sodann bricht der Verfassungsgerichtshof mit seiner 50-jährigen Rechtsprechung, nach welcher bei Verfassungsänderungen beim Volksentscheid in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des Art. 74 BayVerf. kein Quorum erforderlich war. Er kommt nunmehr abweichend von der Entscheidung vom 2. Dezember 1949 zu dem Ergebnis, daß die Bayerische Verfassung für den Volksentscheid über verfassungsändernde Gesetze in den Fällen des Art. 74 BayVerf. ein Quorum erfordere.67 Zentraler Gedanke des Verfassungsgerichtshofs, der gleich vorangestellt wird, ist, daß auch im vollplebiszitären Verfahren die Verfassung im Vergleich mit dem einfachen Gesetz erhöhten Bestandsschutz genießen müsse.68 aa) Historische Auslegung Nach dem Befund, daß der Wortlaut des Art. 74 BayVerf. kein Quorum für Volksentscheide vorsehe, geht der Gerichtshof zur historischen Auslegung über und betrachtet die Entstehungsgeschichte von Art. 75 II BayVerf., insbesondere die Tatsache, daß in den Beratungen des Verfassungsausschusses ein im Verfassungsentwurf zu Art. 75 II BayVerf. zunächst vorgesehenes Zustimmungsquorum in Höhe von 50 % auf Anraten der amerikanischen Besatzungsmacht weggefallen war. Hieraus ergebe sich jedoch nicht, daß auch im Rahmen von Art. 74 BayVerf. für den Fall eines Volksentscheids über ein verfassungsänderndes Gesetz auf ein Quorum verzichtet werden könne. Denn im Zuge des Wegfalls des im Verfassungsentwurf vorgesehenen Verbotes von auf eine Verfassungsänderung gerichteten Volksbegehren habe man diese Konsequenz nicht gesehen. Im Gegenteil sei den Beratungen zu entnehmen, daß dem Verfassungsgeber an ausreichender Legitimation und Stabilität der Verfassung besonders gelegen gewesen sei und dies folglich auch im Verfahren nach Art. 74 BayVerf. gelten müsse.69 65 Im Wege der Beratungen der Verfassungsgebenden Landesversammlung und ihres Verfassungsausschusses wurde im Verfassungsentwurf eine Regelung gestrichen, nach der vorgesehen war, daß Anträge auf Änderung der Verfassung nicht durch Volksbegehren eingebracht werden können, BayVerfGHE 52, 104 (126). 66 BayVerfGHE 52, 104 (126). 67 BayVerfGHE 52, 104 (127). 68 BayVerfGHE 52, 104 (127). 69 BayVerfGHE 52, 104 (127 f.).
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bb) Systematische beziehungsweise rechtsvergleichende Auslegung Im Folgenden vollzieht der Verfassungsgerichtshof einen intraföderalen Verfassungsvergleich mit anderen Bundesländern, wobei ihm Art. 75 II BayVerf. als Anknüpfungspunkt dient. Er kommt zu dem Ergebnis, daß einerseits in Bayern die höchsten Hürden für den parlamentarischen verfassungs ändernden Gesetzgeber errichtet worden seien,70 andererseits alle anderen Verfassungen, die eine vollplebiszitäre Verfassungsänderung zuließen, dies mit hohen 50 %-Quoren verbunden hätten.71 Die Schlußfolgerung ist: Wenn im Vergleich zu anderen Verfassungen die bayerische für parlamentarische Verfassungsänderungen die höchsten Hürden aufstelle, so stehe es damit in Widerspruch, wenn sie gleichzeitig im Volksgesetzgebungsverfahren einfacher abänderbar sei als in den anderen Verfassungsräumen. Außerdem sei es im Vergleich einmalig, daß an die Verfassungsinitiative dieselben Anforderungen gestellt würden wie an die Gesetzesinitiative.72 cc) Teleologische Auslegung Sodann wendet sich der Verfassungsgerichtshof einer Interpretation von Art. 2 II 2 BayVerf. und somit dem Mehrheitsprinzip zu. Der dort normierte Rechtssatz („Mehrheit entscheidet“) bedürfe angesichts seiner Allgemeinheit einer Interpretation. Ihm könne nicht entnommen werden, daß es stets auf die Mehrheit der Abstimmenden ankomme, wenn nicht die Verfassung selbst etwas anderes bestimme (so noch BayVerfGHE 2, 181), denn er enthalte keinen Hinweis, worauf sich die Mehrheit beziehe. Es spreche auch nichts dafür, daß Art. 2 II 2 BayVerf. die hergebrachten, teilweise nicht in der Verfassung verankerten Regelungen über die Beschlußfähigkeit von politischen Gremien für unzulässig erklären wolle. Ebenso ergebe sich aus dem Wortlaut des Art. 2 II 2 BayVerf. nicht, daß die Festsetzung von Beteiligungs- oder Zustimmungsquoren beim Volksentscheid über ein verfassungsänderndes Gesetz unzulässig sei.73 Gegen ein Quorum spreche auch nicht, daß den Wahlrechtsgrundsätzen der Verfassung Quoren fremd seien. Die Unterschiede zwischen beiden Legitimationsakten seien so grundlegend, daß ein Rückschluß aus jenen Normen nicht gezogen werden könne.74 Abschließend führt der Gerichtshof unter erneuter Postulierung des Grundsatzes der Stabilität der Verfassung den Schutz derselben vor einer Umgestal70 BayVerfGHE
52, 52, 72 BayVerfGHE 52, 73 BayVerfGHE 52, 74 BayVerfGHE 52, 71 BayVerfGHE
104 104 104 104 104
(129). (130). (130). (131). (131 f.).
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tung durch „relativ kleine aktive Minderheiten“ als Argument an. Es drohe ein Verlust an Integrationskraft der Verfassung, wenn diese entgegen dem Mehrheitswillen abgeändert würde.75 Dabei erachtet der Gerichtshof nunmehr das 10 %-Quorum beim Volksbegehren nicht als ausreichend, die Stabilität der Verfassung zu gewährleisten. Auch könne die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems geschwächt werden. Zu den demokratischen Grundgedanken im Sinne des Art. 75 I 2 BayVerf. zähle jedoch die Entscheidung für die parlamentarische Demokratie.76 dd) Ergebnis Der Verfassungsgerichtshof hält nach allem eine lückenfüllenden Auslegung von Art. 74 BayVerf. dahingehend für erforderlich, daß jedenfalls ein Zustimmungsquorum in Höhe von 25 % beim Volksentscheid über Verfassungsänderungen den Vorgaben der Bayerischen Verfassung entspreche. Aus den gegensätzlichen Zielen der Gewährleistung einer ausreichenden Verfassungsstabilität sowie der hohen Wertschätzung der Verfassung für plebiszitäre Gesetzgebung resultiere ein relativ enger Gestaltungsspielraum für den Gesetzgeber, den dieser nun zu nutzen habe.77 Dies sei auch mit etwaigen Bedenken hinsichtlich durch Quoren geförderter Boykottstrategien vereinbar, träfen solche Befürchtungen doch ausschließlich auf Beteiligungs-, nicht jedoch auf Zustimmungsquoren zu. Auch sei ein Fernbleiben von der Abstimmung durch die durch Art. 7 II BayVerf. gewährte negative Abstimmungsfreiheit gedeckt.78 c) Stellungnahme An dem Urteil wird erkennbar, daß der Gerichtshof, um sich von seiner alten Rechtsprechung abwenden zu können, einen anderen Mehrheitsbegriff einführen muß. Nahm die Entscheidung von 1949 den Satz „Mehrheit entscheidet“ noch wörtlich, so wird jetzt das zusätzliche Element einer Mindestbeteiligung in Form eines Quorums ergänzt. Die Bayerische Verfassung fordert nach der geänderten Ansicht des Gerichtshofs für den Volksentscheid 75 BayVerfGHE
52, 104 (133). 52, 104 (133). 77 BayVerfGHE 52, 104 (134 ff.); dieser Vorgabe ist der bayerische Gesetzgeber mittlerweile punktgenau nachgekommen – vgl. Art. 79 I Nr. 2 BayLWG, der im Falle der verfassungsändernden Volksgesetzgebung nunmehr für den Volksentscheid ein Zustimmungsquorum i. H. v. 25 % vorschreibt. 78 BayVerfGHE 52, 104 (133 f.); das Gesetz zur Abschaffung des Bayerischen Senats war damit verfassungsgemäß, da es beim Volksentscheid eine Zustimmung von 27,3 % der Stimmberechtigten erhalten hatte. 76 BayVerfGHE
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über verfassungsändernde Gesetze in den Fällen des Art. 74 BayVerf. ein Quorum. Ausgangspunkt ist die Überlegung, daß die Verfassung auch im vollplebiszitären Verfahren im Vergleich mit dem einfachen Gesetz erhöhten Bestandsschutz genießen muß. Zum Beleg seiner neuen Ansicht dienen dem Gerichtshof sodann die Entstehungsgeschichte der Bayerischen Verfassung, ein intraföderaler Rechtsvergleich sowie seine Ausführungen zur Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems. Bezüglich der Aspekte Mehrheitsprinzip und Wahlrechtsgrundsätze begnügt sich der Gerichtshof mit der Feststellung, aus diesen ergäbe sich kein Gegenargument für seine Ansicht. Zentral ist auch das Argument, zu niedrige Quoren ermöglichten die Gefahr einer „Minderheitenherrschaft“, wobei die Frage zu untersuchen sein wird, was unter dem „Mehrheitswillen“ zu verstehen ist, wenn das Ergebnis der tatsächlich Abstimmenden zumindest nicht allein entscheidend sein soll. 3. Bayerischer Verfassungsgerichtshof vom 31. März 2000 Nach der soeben geschilderten Entscheidung vom 17. September 1999 erließ der Bayerische Verfassungsgerichtshof am 31. März 2000 ein weiteres Urteil, welches mit dem ersten im Zusammenhang gesehen werden muß, da es jene Rechtsprechung in der bayerischen Ewigkeitsklausel verankert und so auch dem verfassungsändernden Gesetzgeber entzieht. a) Sachverhalt Der Verein „Mehr Demokratie e. V.“ hatte als Reaktion auf die vorstehend geschilderte Entscheidung über die Abschaffung des Bayerischen Senats ein Volksbegehren „Faire Volksrechte im Land“ in Bayern initiiert. Dieses zielte auf folgende Änderungen, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung von Interesse sind: das Unterstützungsquorum beim Volksbegehren von 10 % (Art. 74 I BayVerf.) sollte auf 5 % gesenkt werden; unabhängig vom Gegenstand der Abstimmung sollte im Volksentscheid die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden (Art. 74 IV E), also auch die vollplebiszitäre Verfassungsänderung ohne Quorum möglich sein. Schließlich sah der Entwurf vor, daß 25.000 Stimmberechtigte (ca. 0,3 %) im Wege der Volksinitiative den Landtag mit Gegenständen der politischen Willensbildung befassen können sollten (einschließlich eines Anhörungsrechts für die Vertreter der Initiative).79
79 Sachverhaltszusammenfassung bei Wittreck 2005, 138 f.; vgl. im übrigen die ausführliche Sachverhaltsschilderung in BayVerfGHE 53, 42 (44 ff.).
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b) Entscheidungsgründe Kern der Entscheidung ist die Festschreibung des Prinzips des erhöhten Bestandsschutzes der Verfassung, welches der Gerichtshof in der Entscheidung vom 17. September 1999 bereits zur Begründung der Notwendigkeit eines Quorums für Volksentscheide bei Verfassungsänderungen herangezogen hatte, im Sinne eines „demokratischen Grundgedankens“ gemäß Art. 75 I 2 BayVerf.80 Sonach wurde der Anwendungsbereich der eigenständigen Ewigkeitsklausel der Bayerischen Verfassung bejaht; Prüfungsmaßstab war mithin nicht Art. 28 I GG.81 Zusammen mit dem Grundsatz, daß für Verfassungsänderungen eine hinreichende demokratische Legitimation gegeben sein müsse, ergebe sich, daß die Regelungen über Verfassungsänderungen von denen einfacher Gesetze abgehoben sein müßten.82 Der Gerichtshof geht zunächst unter Hinweis auf Art. 72 I BayVerf. von der Gleichberechtigung repräsentativer sowie plebiszitärer Gesetzgebung aus, verknüpft dies aber mit dem Gedanken, daß nach der bayerischen Verfassung die Gesetzgebung durch das Parlament die Regel, die Gesetzgebung durch das Volk die Ausnahme hinsichtlich konkreter, einzelner Anlässe sei.83 Sodann legt der Gerichtshof den Inhalt von Art. 75 I 2 BayVerf. fest. Gemäß Art. 75 I 2 BayVerf. seien Änderungen der Verfassung, die den demokratischen Grundgedanken der Verfassung widersprächen, unzulässig. Der Schutzbereich der Ewigkeitsklausel umfaßt laut Bayerischem Verfassungsgerichtshof alle wesentlichen Merkmale freiheitlicher, rechtsstaatlicher Demokratie in der Ausprägung, die sie in der Bayerischen Verfassung gefunden haben.84 Im Folgenden führt der Gerichtshof drei Kerngedanken auf, durch die er seine weitere Argumentation bezüglich Art. 75 I 2 BayVerf. stützt. Zu den demokratischen Grundgedanken im Sinn des Art. 75 I 2 BayVerf. gehöre es zunächst, daß die Verfassung auch im Verfahren der Volksgesetzgebung einen erhöhten Bestandsschutz beanspruche und bei vollplebiszitären Verfassungsänderungen eine angemessene demokratische Legitimation sicherstellen wolle.85 Außerdem seien die Wahlen ein unabdingbarer demokratischer Legitimationsakt, durch den das Volk seine Repräsentanten mit der Wahrnehmung von Staatsgewalt beauftrage und der nicht entwertet werden dürfe. Daher könnten grundsätzlich nur diejenigen Personen, Gruppen und Meinungen das Forum des Parlaments und die Wahrnehmung von Staatsge80 BayVerfGHE
53, 42 2005, 138. 82 BayVerfGHE 53, 42 83 BayVerfGHE 53, 42 84 BayVerfGHE 53, 42 85 BayVerfGHE 53, 42 81 Wittreck
(65 ff.). (Leitsatz 1.). (61). (61); ebenso schon in BayVerfGHE 52, 104 (123). (62).
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walt in Anspruch nehmen, die hierzu in einer demokratischen Wahl legitimiert worden seien.86 Da die Bayerische Verfassung eine funktionierende Demokratie gewährleisten wolle, seien außerdem Verfassungsänderungen unzulässig, die die Funktionsfähigkeit der Repräsentativorgane, also der obersten Staatsorgane, Parlament und Regierung, sowie der rechtsprechenden Gewalt maßgeblich beeinträchtigten oder die Gefahr solcher Beeinträchtigungen mit sich brächten. Dabei zeige die Regelung über die 5 %-Klausel des Art. 14 IV BayVerf., daß die Erhaltung der Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Landtags ein von der Verfassung als wesentlich anerkanntes Ziel darstelle. Könnten nun aber die Hürden für Volksbegehren noch leichter als nach geltender Verfassungsrechtslage überwunden werden, müßten sich Parlamentsmehrheit und parlamentarische Opposition möglicherweise häufiger mit Themen befassen, die nicht innerhalb des politischen Konzepts lägen, zu dessen Verwirklichung sie vom Wähler beauftragt und demokratisch legitimiert worden seien.87 c) Ergebnis Der Gerichtshof befand die vorgeschlagenen Verfassungs- und Gesetzesänderungen für nicht mit der Bayerischen Verfassung vereinbar. Bezüglich des im Gesetzentwurf enthaltenen Volksentscheids ohne Quorum wiederholte er seine Ausführungen, die er in der Entscheidung vom 17. September 1999 hinsichtlich der erhöhten Bestandskraft der Verfassung sowie ausreichender demokratischer Legitimation bei Verfassungsänderungen gemacht hatte. Er weist ferner daraufhin hin, daß sein in jener Entscheidung gefundenes 25 %-Quorum als Mindestgrenze für einen verfassungsändernden Volksentscheid auch dem Spielraum im Sinn von Art. 75 I 2 BayVerf. des verfassungsändernden Gesetzgebers entspreche, insofern dieser das Verfahren der vollplebiszitären Verfassungsänderung modifizieren wolle.88 Hinsichtlich der Absenkung des 10 %- auf ein 5 %-Quorum beim Volksbegehren führt der Gerichtshof aus, daß es Sinn dieser keinesfalls zu niedrigen Hürde sei, aussichtslose Volksentscheide zu verhindern. Damit würden sowohl Kosten gespart als auch dem demokratischen Grundsatz genüge getan, daß jene politischen Gestaltungswillen, die keinen größeren Rückhalt im Volk hätten, von Akten der Gesetzgebung ausgeschlossen seien.89 Das 10 %-Quorum mache die Volksgesetzgebung nicht etwa unmöglich, sondern 86 BayVerfGHE
53, 53, 88 BayVerfGHE 53, 89 BayVerfGHE 53, 87 BayVerfGHE
42 42 42 42
(62). (63). (65 f.). (69).
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verleihe ihr erst die in einer Demokratie unabdingbare Legitimation und Dignität, die sie dem parlamentarischen Gesetzgebungsakt gleichstelle.90 Zu der vom Gesetzentwurf vorgesehenen Volksinitiative urteilt der Gerichtshof, daß es nicht zulässig sei, wenn mit lediglich 25.000 Unterschriften (entsprach im Zeitpunkt des Urteils etwa 0,3 % der rund 8,9 Mio. Stimmberechtigten in Bayern) die Legitimation erworben werden könne, das Forum des Parlaments für sich in Anspruch zu nehmen. Es sei mit den demokratischen Grundgedanken des Art. 75 I 2 BayVerf. unvereinbar, daß einerseits eine politische Gruppierung sich einer demokratischen Wahl stellen und dort mindestens 5 % der Wählerstimmen auf sich vereinigen müsse, um im Parlament ihre politischen Vorstellungen zum Ausdruck bringen zu können, während andererseits für die vorgesehene Volksinitiative eine Legitimation von nur etwa 0,3 % der Stimmberechtigten ausreichen solle. Das demokratischrepräsentative System der Bayerischen Verfassung sei bei einer solchen Situation nicht mehr im Gleichgewicht; der entscheidende demokratische Akt, die Wahlen durch das Volk, würden entwertet. Durch die Volksinitiative würde es kleinen, nicht ausreichend legitimierten Gruppen ermöglicht, das gewählte Parlament politisch unter Druck zu setzen, es von seinen eigenen Themen abzulenken und zu einer Auseinandersetzung mit Fragen und Themen zu zwingen, die nicht aus dem Parlament selbst und aus den Parteien kämen. Die Handlungs- und Funktionsfähigkeit des obersten Leitungsorgans eines repräsentativ-demokratischen Staates wäre erheblich eingeschränkt.91 d) Stellungnahme Auffällig ist zunächst ein gewisses Spannungsverhältnis, wenn der Verfassungsgerichtshof einerseits die Gleichberechtigung von Parlaments- und Volksgesetzgebung feststellt, parallel dazu aber ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der repräsentativen Gesetzgebung annimmt. Es wird zu untersuchen sein, in welcher Beziehung das normative Gleichordnungsverhältnis des Art. 72 I BV zur angenommenen untergeordneten Ausnahmefunktion der Volksgesetzgebung steht, mithin, ob sich beide Postulate nebeneinander überhaupt vertreten lassen. Weiter stellt sich die Frage, ob es richtig ist, einem Quorum bei Volksbegehren die Funktion der Sicherstellung von Legitimation zuzuordnen, da dieser Zweck von demjenigen der Feststellung eines hinreichend signifikan90 BayVerfGHE
53, 42 (70). 53, 42 (72 ff.); einen intraföderalen Verfassungsvergleich bezeichnet der Gerichtshof bezüglich der Volksinitiative angesichts der maßgeblichen Verhältnisse, insbesondere der rechtlichen Voraussetzungen einer solchen, die sich in den Ländern stark unterschieden, als problematisch. 91 BayVerfGHE
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ten Anliegens im Volk unterschieden werden muß. Fraglich ist dies insbesondere vor dem Hintergrund, daß der Gerichtshof einen Vergleich mit Wahlen und der 5 %-Hürde des Art. 14 IV BayVerf. jeweils auf der Ebene des Volksbegehrens und nicht etwa auf der des Volksentscheids anstellt.92 Schließlich ist die Berechtigung des Arguments zu untersuchen, wonach ein plebiszitäres Gesetz dem Grundgedanken nach den Konsens einer Mehrheit der stimmberechtigten Bürger erfordere – und sich das 10 %-Quorum beim Volksbegehren in der Bayerischen Verfassung unter dieser Prämisse als eine ganz erhebliche Absenkung der Hürden darstellen ließe – da auch auf parlamentarischem Wege eine Mehrheit des Parlaments erforderlich sei.93 Im Bereich der Volksinitiative taucht dann das Argument der Funktionsfähigkeit der demokratischen Verfassungsorgane wieder auf. Dies ist derselbe Ansatzpunkt wie bei der Argumentation der zu niedrigen Quoren beim Volksbegehren. 4. Fazit Betrachtet man beide Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, so wird deutlich, das sie aufeinander aufbauen sowie ineinandergreifen. In dem Urteil vom 17. September 1999 (BayVerfGHE 52, 104) stellt der Gerichtshof zunächst fest, daß bei Verfassungsänderungen im Wege der Volksgesetzgebung nach Art. 74 BayVerf. grundsätzlich entgegen dem Wortlaut der Verfassung ein Quorum beim Volksentscheid erforderlich ist. Lediglich hinsichtlich der Ausgestaltung des Quorums läßt die Entscheidung einen gewissen, recht engen Spielraum für den Gesetzgeber. In dem Urteil vom 31. März 2000 (BayVerfGHE 53, 42) erfolgt dann die Anwendung der Ewigkeitsklausel Art. 75 I 2 BayVerf. hinsichtlich der erschwerten Abänderung der Bayerischen Verfassung. Gleichsam davon erfaßt wird der Grundsatz der Unzulässigkeit einer quorenlosen vollplebiszitären Verfassungsänderung. Daneben erfolgt dann die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Absenkung des Zustimmungsquorums beim Volksbegehren von 10 % auf 5 %; wohlgemerkt ist an dieser Stelle Prüfungsgegenstand das plebiszitäre Gesetzgebungsverfahren hinsichtlich einfacher Gesetze94 – hinsichtlich verfassungsändernder Gesetzgebung nahm der Gerichtshof ja schon aufgrund des quorenlosen Volksentscheids Verfassungswidrigkeit an. 92 Vgl.
BayVerfGHE 53, 42 (62 f., 71). 53, 42 (69). 94 So explizit in einer Gesamtbetrachtung von 5 %-Quorum beim Volksbegehren und anschließendem quorenlosen Volksentscheid BayVerfGHE 53, 42 (Leitsatz 4 sowie S. 70). 93 BayVerfGHE
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Gleichwohl stellt es nach allem eine bayerische Besonderheit dar, daß ein Landesverfassungsgericht entgegen dem Wortlaut der Verfassung für die verfassungsändernde Volksgesetzgebung ein Quorum beim Volksentscheid einführt. Das hat zur Folge, daß in diesem Zusammenhang die Frage beantwortet werden muß, welchen Inhalt der Grundsatz des Vorrangs der Verfassung hat und ob eine erschwerte Abänderbarkeit der Verfassung darin enthalten ist.
III. Die Bayerische Diskussion in der Literatur Bezüglich der Bayerischen Verfassung ist in der Literatur umstritten, ob diese in ihrem Wortlaut, der für die verfassungsändernde Volksgesetzgebung nach Art. 74 BayVerf. für den Volksentscheid kein Quorum fordert, eine planwidrige Regelungslücke enthält, die durch den einfachen Gesetzgeber zu schließen ist. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat dies in seiner jüngeren Rechtsprechung bejaht, wie vorstehend dargestellt wurde (vgl. II.).95 Daneben geht es um die Frage, ob eine Absenkung des Unterstützungsquorums bei Volksbegehren möglich ist. Die Beiträge zu diesem Themenkomplex in der Literatur96 erschienen zum Teil vor den genannten Urteilen, zum Teil reagierten sie auch auf diese. 1. Historische Auslegung Der Verfassungsgerichtshof kam in seinem Urteil vom 17. September 1999 im Wege der historischen Auslegung zu dem Ergebnis, daß der Wille des bayerischen Verfassunggebers dem Ergebnis des Gerichtshofs, daß die Verfassung ein Quorum beim volksbegehrensbasierten, verfassungsändernden Volksentscheid verlange, jedenfalls nicht entgegenstehe.97 Im Verlauf der Beratungen des Verfassungsausschusses, der die Sitzungen der Verfassungsgebenden Landesversammlung vorzubereiten hatte, existierte zunächst eine Entwurfsfassung für den heutigen Art. 75 II BayVerf. – also das sog. obligatorische Referendum im Falle der Verfassungsänderung durch den Landtag –, der für diesen Fall ein Zustimmungsquorum in Höhe von 50 % vorsah. Dieses fiel später 95 Zunächst erging die Entscheidung, daß eine Gesetzeslücke in Art. 74 BayVerf. durch ein einfachgesetzliches Quorum bei Volksentscheiden über Verfassungsänderungen geschlossen werden muß (BayVerfGHE 52, 104); sodann diejenige, in der diese Rechtsprechung und das bestehende Unterstützungsquorum als Bestandteil der Ewigkeitsklausel eingeordnet wurden (BayVerfGHE 53, 42). 96 Zacher 1998; Dreier 1999; Horn 1999 I; Horn 1999 II; Isensee 1999; Jung 1999 I; Schulze-Fielitz 1999; Thum 2000; Rinken 2001; Schweiger 2000; Schweiger 2002; Wittreck 2005; Meerkamp 2011. 97 BayVerfGHE 52, 104 (128 f.).
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ebenso weg wie ein Verbot volksbegehrter Verfassungsänderungen. Durch diesen Mechanismus wurde nun auch die vollplebiszitäre Verfassungsänderung aufgrund eines Volksbegehrens ohne Quorum möglich.98 a) Argumentation pro Quorum Die Ansicht, daß der historische Verfassunggeber diese Konsequenz übersah, wird auch in der Literatur vertreten. Dies wird damit begründet, daß in den Protokollen der Sitzungen des Verfassungsausschusses keine eindeutige Erörterung dieses Problems festzustellen sei.99 Zum Beleg werden Äußerungen von an den Beratungen Beteiligten angeführt. Aus jenen Äußerungen lasse sich entnehmen, daß Beweggrund für die Streichung des Quorums innerhalb des späteren Art. 75 II BayVerf. für den einem Landtagsbeschluß nachgeschalteten Volksentscheid die Befürchtung gewesen sei, daß nach verbrieftem Konsens in der Volksvertretung keine ausreichende Motivation in der Öffentlichkeit zur Abstimmung mehr erzeugt werden könne und somit eine Verfassungsänderung, die vom Parlament gewollt sei, eventuell nicht zustande kommen könnte. Sodann wird ausgeführt, daß jene Erwägungen für das Verfassungsreferendum aufgrund eines Volksbegehrens hingegen nicht zutreffend seien.100 b) Argumentation contra Quorum Die Gegenansicht vertritt die Meinung, daß dem Verlauf der Sitzungen des Vorbereitenden Verfassungsausschusses jedenfalls nicht entnommen werden könne, daß die Möglichkeit zur Verfassungsänderung durch Volksentscheid ohne Quorum, der auf einem Volksbegehren basiert, nicht gesehen wurde. Zunächst habe der Vorentwurf, der den Beratungen im Vorbereitenden Verfassungsausschuß zugrunde gelegen habe,101 gezielt und begründet auf Weimarer Erfahrungen mit boykottierten Volksentscheiden die Quoren der Weimarer Reichsverfassung sowie der „Bamberger Verfassung“ nicht übernommen. Auch habe dieser bewußt nicht zwischen einfacher und verfassungsändernder Volksgesetzgebung differenziert. Dies sei die Ausgangslage in Form eines Vollbilds der Volksgesetzgebung gewesen, zu der, nachdem das Verbot der verfassungsändernden Volksgesetzgebung nur eine kurze Lebensdauer Jung 1999 I, 419 ff.; Meerkamp 2011, 96 ff. 1999, 57 ff.; zustimmend Horn 1999 I, 433 f.; ebenso Zacher 1998, 738 ff., der von einer „Achillesferse“ der Bayerischen Verfassung spricht. 100 Isensee 1999, 57 ff. m. w. N. 101 Entwurf des ehemaligen Reichstagsabgeordneten Wilhelm Hoegner, vgl. hierzu Jung 1999 I, 420 m. w. N. in Fn. 28, 29. 98 Näher
99 Isensee
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gehabt habe, zurückgekehrt worden sei. Außerdem sei anhand der Debatten um das strikte Textänderungsgebot (Art. 75 IV BayVerf.) zu erkennen, daß die Problematik der allzu häufigen Nutzung der volksbegehrensbasierten Verfassungsänderung gesehen wurde.102 Weiter kommt eine neuere Untersuchung des historischen Materials zu dem Ergebnis, daß der Ausschuß sich über die Konsequenzen der Streichung des Quorums bei Verfassungsreferenden durchaus im Klaren gewesen sei.103 Durch die Streichung des Zustimmungsquorums beim verfassungsändernden Volksentscheid sei nicht nur auf ein Zustimmungsquorum für die obligatorischen Verfassungsreferenden, sondern auch für verfassungsändernde Volksentscheide aufgrund eines Volksbegehrens verzichtet worden. Zwar sei in erster Linie über das Zustimmungsquorum für die obligatorischen Verfassungsreferenden diskutiert worden; trotzdem könne man nicht davon ausgehen, daß diese Frage übersehen worden sei. Der Ausschuß habe die Quorenproblematik erkannt und mehrmals die Quoren der Bamberger Verfassung analysiert und ins Spiel gebracht. Auch sei er sich bewußt gewesen, daß die Verfassung durch Volksbegehren und Volksentscheid geändert werden konnte, wie dies in späteren Sitzungen angeklungen sei.104 Der Verfassungsgerichtshof habe sich mit seiner Aussage, daß eine Grundentscheidung der Verfassung dahingehend anzunehmen sei, daß ein Mindestmaß an demokratischer Legitimation durch ein Quorum gewährleistet werden müsse, vielmehr selbst als verfassungsändernder Gesetzgeber betätigt.105 c) Stellungnahme Die Begründung der Vertreter der unbewußten Gesetzeslücke in Art. 74 BayVerf., insbesondere des Verfassungsgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 17. September 1999, bezieht sich hauptsächlich auf die Entstehungsgeschichte von Art. 75 II BayVerf. Insofern läßt sich tatsächlich darüber streiten, ob nicht lediglich für den Fall des Art. 75 II BayVerf. auf ein Quorum verzichtet werden sollte. Denn nimmt man den Willen an, diesen Fall der verfassungsändernden Volksgesetzgebung nur oder in erster Linie deshalb zu privilegieren, weil eine im Zweifel als „richtig“ empfundene Verfassungsänderung durch den Landtag vor mangelnder Einsicht des Volkes geschützt werden sollte,106 so ergibt sich hieraus in der Tat nicht zwingend die Absicht, 102 Jung,
1999 I, 420 ff. 2011, 97 f.; ebenso Schweiger 2000, 196. 104 Meerkamp 2011, 97 f. 105 Schweiger 2000, 196. 106 So ließe sich insb. die bei Isensee 1999, 58 wiedergegebene Stellungnahme Nawiaskys verstehen: „Kein Mensch will, daß, weil ein schöner Sonntag ist und die 103 Meerkamp
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eine vergleichbare Regelung für den Fall der rein plebiszitären Verfassungsänderung zu treffen.107 Rückt man dagegen eine angenommene Absicht in den Vordergrund, ein Unterbleiben von Verfassungsänderungen wegen zu geringer Beteiligung generell zu vermeiden, so spricht die Entstehungsgeschichte des Art. 75 II BayVerf. eher gegen eine Gesetzeslücke bei Art. 74 BayVerf., da dann die maßgeblichen Gesichtspunkte, die für einen bewußten Verzicht des Verfassunggebers anzuführen sind, für beide Normen identisch ausfallen.108 Diese Annahme unterstellt nun aber eine positive Grundauffassung der Verfassungsväter bezüglich Elementen direkter Demokratie im Allgemeinen und einer plebiszitären Verfassungsänderung im Besonderen. Eben das läßt sich aber – genauso wie die gegenteilige These der Absicht größtmöglicher Konservierung der bestehenden Verfassung – nicht genau klären, weil die Protokolle zum Problem der Verfassungsänderung nach einem Volksbegehren einen unübersichtlichen Beratungsverlauf wiedergeben. Eine historische Auslegung, die sich maßgeblich auf die Genese von Art. 75 II BayVerf. stützt, basiert daher relativ stark auf Annahmen und Vermutungen. Des Weiteren drängt sich der Eindruck auf, daß die Begründung des Gerichtshofs, der Verfassunggeber habe auf ausreichende Legitimation und Stabilität der Verfassung besonderen Wert gelegt, dem Umstand geschuldet ist, daß auch ihm nicht verborgen geblieben sein könnte, daß sich die Argumentation mit der Entstehungsgeschichte von Art. 75 II BayVerf. defizitär ausnimmt. Sie steht obendrein im Widerspruch zu jener. Denn zur Begründung seiner Ansicht, daß sich aus dem Wegfall des Quorums bei Art. 75 II BayVerf. nicht auf einen ebensolchen Plan bei Art. 74 BayVerf. schließen lasse, hatte er Beratungsauszüge angeführt, die im Gegenteil das Nichtzustandekommen einer Verfassungsänderung – wenn auch nach vorangegangenem Landtagsbeschluß – befürchteten.109 Hier liegt aber die Akzentuierung des erkennbaren angestrebten Zwecks des Wegfalls des Quorums gerade nicht auf einer Geringhaltung der Änderungsfrequenz der Verfassung beziehungsweise auf der Frage der ausreichenden Legitimation durch rein plebiszitäre Entscheidungen, sondern auf der Vermeidung zu hoher Hürden bei Verfassungsänderungen. Besser geeignet zur Beurteilung des Willens des Verfassunggebers scheint daher die große Bedeutung, die das Thema Volksgesetzgebung in den Sitzungen des Verfassungsausschusses einnahm, sowie die Tatsache, daß die verfassungsändernde Volksgesetzgebung zunächst erlaubt, später kurzzeitig verboLeute ins Gebirge gehen, eine Verfassungsänderung nicht zustande kommt, obwohl niemand sie verhindern will.“ 107 So auch die Formulierung bei BayVerfGHE 52, 104 (128 unten). 108 So argumentiert als Gegner der „Übersehensthese“ Schweiger 2000, 196. 109 Vgl. BayVerfGHE 52, 104 (128).
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ten und schließlich wieder gestattet wurde. Die besseren Gründe sprechen insofern dafür, daß im Zuge dieses Verlaufs das Aufleben der Möglichkeit, auch aufgrund eines Volksbegehrens ohne Beteiligung des Landtags einen Volksentscheid über eine Verfassungsänderung herbeizuführen, nicht übersehen wurde.110 Die Tatsache, daß dieser gleichfalls ohne ein Quorum durchzuführen wäre, ist aus dieser Perspektive lediglich eine sekundäre Folge der Veränderung der Entwurfsfassung. Naheliegend ist es daher, als Bezugspunkt der – je nach Sichtweise – vermißten oder befürworteten Kenntnisnahme auf die primäre Folge abzustellen. Es ist aber schlicht unwahrscheinlich, daß der Verfassungsausschuß eine derart systematische Weichenstellung wie ein zweites Verfahren der Verfassungsänderung nicht registriert haben könnte. Danach sprechen die besseren Gründe für die Annahme, daß die Teilnehmer der Beratungen die Möglichkeit der vollplebiszitären Verfassungsänderung gesehen hatten und bewußt keine weiteren Regelungen diesbezüglich trafen. Ein genaueres Ergebnis läßt sich mit der historischen Auslegung der Bayerischen Verfassung nicht erzielen, insbesondere nicht überzeugend die Frage nach dem Grund dafür beantworten. 2. Systematische und teleologische Auslegung Die systematische und die teleologische Auslegung bilden auch in Bayern den Schwerpunkt der Diskussion und ermöglicht die Sammlung vieler weiterführender Argumente. a) Verhältnis von Parlaments- und Volksgesetzgebung In den beiden maßgeblichen Entscheidungen betonte der Bayerische Verfassungsgerichtshof im Ausgangspunkt die Gleichstellung beider Formen der Demokratie – insbesondere parlamentarischer und plebiszitärer Verfassungsänderungen – nach der Bayerischen Verfassung,111 gelangte jedoch jeweils im Ergebnis zu Entscheidungen zu Lasten von Elementen direkter Demokratie. Dies wird in der Literatur mehrfach kritisiert, ist jedoch nicht die einzige Auffälligkeit. Denn betrifft dieser Aspekt die Frage nach dem Rang beider 110 Hierbei handelt es sich um einen für Juristen ganz gängigen Mechanismus, der sich auch dem Laien erschließt, wenn er sich das Ergebnis etwa einer doppelten Verneinung vor Augen führt. Er sollte darum insbesondere einem vorbereitenden Ausschuß der Verfassungsgebenden Landesversammlung aufgefallen sein. 111 BayVerfGHE 52, 104 (126); 53, 42 (61); vgl. zur Kritik diesbezüglich Wittreck 2005, 163 ff.; zur nicht abschließenden Verhältniszuordnung zwischen repräsentativen und plebiszitären Elementen durch das Grundgesetz und dem daraus resultierenden Spielraum für die Länder vgl. Martini 2011, 19, 23.
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Gesetzgebungsarten, so äußert sich der Gerichtshof auch zu deren tatsächlicher Funktion in der politischen Praxis, wenn er dem Parlament die Funktion eines Regel- und dem Volk diejenige eines Ausnahmegesetzgebers zuerkennt.112 aa) Art. 72 I BayVerf. Ausgangspunkt der Betrachtung des Verhältnisses ist der Textbefund des Art. 72 I BayVerf., der anordnet, daß die Gesetze vom Landtag oder vom Volk durch Volksentscheid beschlossen werden. Art. 72 I BayVerf. trifft, indem er Parlaments- und Volksgesetzgebung nebeneinander stellt, eine wichtige Grundsatzaussage zum Verhältnis zwischen diesen beiden Formen der Gesetzgebung und damit zum Verhältnis von repräsentativer und direkter Demokratie in der Bayerischen Verfassung insgesamt.113 Er ist bei der Auslegung des 6. Abschnitts der Bayerischen Verfassung („Die Gesetzgebung“, Art. 70–76) demnach maßgeblich zu berücksichtigen. bb) Effektivität der Volksgesetzgebung Die Argumentation des Verfassungsgerichtshofs erfährt grundsätzliche Kritik. Zwar habe der Gerichtshof die normtextliche Gleichordnung von mittelbarer und unmittelbarer Demokratie gemäß Art. 2 II 1, 5 I, 72 I BayVerf. gesehen, postuliere aber sodann, daß plebiszitäre Elemente innerhalb der repräsentativen Demokratie auf eine Ergänzungsfunktion beschränkt bleiben müßten, da sie sich nur zu punktuellen Regelungen eigneten. An dieser Stelle habe der Gerichtshof aber bei der Auslegung von Art. 75 I 2 BayVerf. berücksichtigen müssen, daß aus der im intraföderalen Verfassungsvergleich singulär starken Ausgestaltung der Volksgesetzgebung – durch die uneingeschränkte Eröffnung der verfassungsändernden Gesetzgebung sowie dem Fehlen jeglichen Abstimmungsquorums zumindest bei einfachen Gesetzen – ganz im Gegenteil folge, daß gerade die Effektivität der Volksgesetzgebung zu den demokratischen Grundgedanken der Bayerischen Verfassung zähle. Durch die Unterstellung eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses zugunsten der repräsentativen Demokratie werde Art. 75 I 1 BayVerf. jedoch zu einem Schutz des Vorrangs der repräsentativen Demokratie.114
112 BayVerfGHE 53, 42 (61); ebenso Hoegner 1949, 31; auf dieses Spannungsverhältnis zwischen parlamentarischer Gesetzgebung und Volksgesetzgebung weist auch Lindner 2011, Rn. 255 hin. 113 Möstl in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 72 Rn. 6. 114 Wittreck 2005, 141 f.
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cc) Verfassungsgerichtsbarkeit und besondere Sanktionen Schweiger beanstandet an der Rechtsprechung des Gerichtshofs, daß sie ein von ihm selbst lediglich befürchtetes – und nicht etwa nachgewiesenes – Mißbrauchspotential als Argument für eine Beschneidung der Volksgesetzgebung anführe und damit die „Wächterrolle“ der Verfassungsgerichtsbarkeit übersehe. So könne es insbesondere auf das Bestehen und die Höhe eines Quorums beim Volksentscheid aus jener Perspektive nicht ankommen, da ein mit Art. 75 I 2 BayVerf. nicht zu vereinbarender Gesetzentwurf eines Volksbegehrens zwar ggf. das Einleitungsquorum des Art. 64 I 3 LWG erreichen, dann aber noch vor der Befassung des Parlaments der Verfassungsgerichtshof über Art. 65 I 2, II 1 LWG i. V. m. Art. 67 BayVerf. zuverlässig für sein Scheitern sorgen könne.115 Insbesondere auf die Frage des Bestehens und der Höhe eines Quorums beim Volksentscheid könne es folglich gar nicht ankommen. Im übrigen stelle Art. 48 BayVerf.116 der Staatsregierung und dem Landtag bei drohender Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung weit über die Zurückweisung verfassungsfeindlicher Volksbegehren hinausreichende, gegen die Rädelsführer solcher Bestrebungen selbst gerichtete Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung. Wenn man Plebisziten gleichwohl staatszerstörerische Kraft zutraue, stelle man in Wirklichkeit die politische Frage ihrer Existenzberechtigung; von ihrem Rang, insbesondere von ihrem Gleichrang mit der parlamentarischen Gesetzgebung, könne dann nicht mehr die Rede sein.117 dd) Stellungnahme Es bleibt festzuhalten, daß der Verfassungsgerichtshof jeweils von einer normativen Gleichordnung direkter und indirekter Demokratie zu einer Bewertung gelangt, innerhalb derer er sich veranlaßt sieht, Sicherheitsvorkehrungen aufzurichten, um Gefahren, die seiner Ansicht nach bei plebiszitärer Gesetzgebung im allgemeinen und direktdemokratischen Verfassungsänderungen im Besonderen auftreten können, entgegenzuwirken. Ein maßgeb licher Aspekt, auf den er seine Argumentation aufbaut, ist ein von ihm an genommenes Verhältnis von parlamentarischer Gesetzgebung als Regel- und Volksgesetzgebung als Ausnahmeverfahren. 115 Schweiger 2002, 67 – eine verfassungsgerichtliche Überprüfung auf Antrag des zuständigen Ministeriums. 116 Art. 48 BayVerf. regelt die Möglichkeit der Suspendierung von Grundrechten. 117 Schweiger 2002, 67; auch Schulze-Fielitz 1999, 659 weist mit einer etwas mehr die föderale Vielfalt im Bundesstaat akzentuierenden Argumentation darauf hin, daß sich damit zugleich die Frage nach der Legitimität der (Landes-)Verfassungsgerichtsbarkeit stellen könnte.
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Fraglich ist, wie der Gerichtshof an dieser Stelle verstanden werden muß. Um eine formal korrekte Argumentation handelte es sich in der Variante, daß die Bayerische Verfassung zwar von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit beider Gesetzgebungsarten ausgeht, jedoch darüber hinaus die normative Vorgabe macht, daß die Volksgesetzgebung trotz allem eine Ergänzungsfunktion einnehmen soll. Für diese Ansicht spräche es, falls die Bayerische Verfassung bezüglich des Verhältnisses von repräsentativer und direkter Demokratie tatsächlich eine Grundentscheidung für die repräsentative Demokratie getroffen hätte, die durch Elemente einer lebendigen direkten Demokratie nur punktuell ergänzt und verbessert, nicht aber in ihrer prägenden Rolle in Frage gestellt oder in ihrer Funktionstüchtigkeit geschwächt werden soll.118 Diese Ansicht könnte mit der Funktionsfähigkeit des demokratischen Systems im Sinne der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Staats an sich begründet werden, obwohl die Bayerische Verfassung der direkten Demokratie eine hohe Wertschätzung entgegenbringt. Allerdings argumentiert der Verfassungsgerichtshof eben nicht so, denn für ihn ist die Ergänzungsfunktion der direkten Demokratie vielmehr Ausgangspunkt, um die Gefahr der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Repräsentativorgane zu untermauern. Diese Argumentation ist indes problematisch und wird in der Literatur zu Recht kritisiert, denn sie läßt zunächst eine genauere Erläuterung der normativen Herleitung der Ergänzungsfunktion aus einem Gleichordnungsverhältnis beider Gesetzgebungsarten vermissen und verengt die Betrachtung sodann auf nur einen Teil des Gesetzgebungsapparates der Bayerischen Verfassung, nämlich die Repräsentativorgane. Außerdem erscheint die Herleitung dieser Hierarchie im Zusammenhang mit der Bildung des Obersatzes zu Art. 75 I 2 BayVerf. in der Entscheidung vom 31. März 2000 problematisch. Denn legt der Gerichtshof zunächst die Inhaltsmerkmale der Ewigkeitsklausel fest, so fährt er dann mit einer Charakterisierung der direkten Demokratie fort, die „aufwendig und teuer“ sei, für den Bürger „die Last“ mit sich bringe, „sich über die Inhalte etwaiger Volksbegehren sachkundig machen zu müssen und zur Abstimmung zu gehen“ und einen Widerspruch in sich insofern berge, daß das Volk bei der Auswahl von Themen und der Formulierung des „Inhalts des Volkswillens“ von kleinen Gruppen abhängig sei, welche aber wiederum nicht als das „Volk im Sinn der Verfassung“ verstanden werden könnten. „Daher“ habe sich die Bayerische Verfassung 1946 für eine repräsentative Demokratie entschieden.119 An dieser Stelle drängt sich der Eindruck auf, daß der Verfassungsgerichtshof mit einem bestimmten Vorverständnis an seine Verfassungsinterpretation herangeht.120 Möstl in: Lindner / Möstl / Wolff, BayVerf., Art. 74 Rn. 2. 53, 42 (61). 120 Zu Recht Wittreck 2005, 141. 118 So
119 BayVerfGHE
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Die von ihm an dieser Stelle aufgeführten, der direkten Demokratie zugeschriebenen Eigenschaften müßten nämlich erst begründet werden, und das dann auch im Wege der Subsumtion und nicht an der Stelle der Festlegung eines Norminhaltes. So aber scheint der Ausgangspunkt eines weiten Normbereichs von Art. 75 I 2 BayVerf. über bedenkliche Eigenschaften von Elementen plebiszitärer Demokratie direkt zur Feststellung einer Systementscheidung der Verfassung für die repräsentative Demokratie zu führen. Selbstverständlich kann nicht in Frage gestellt werden, daß in einem modernen Staat Staatsgewalt hauptsächlich von seinen Organen ausgeübt werden muß. Der Gerichtshof benutzt aber als Blaupause, daß Demokratie nicht bedeute, „daß jegliches staatliche Handeln unmittelbar vom Volk vorzunehmen sei“. Dazu sollte das Gericht dann aber auch sagen, daß das heute niemand mehr ernsthaft vertritt. Es ist dagegen zu einfach, zu postulieren, daß angesichts der Pluralität und Komplexität der Gesellschaft eine absolute direkte Demokratie ausscheide, denn gerade an dieser Stelle hätte sich dem Gerichtshof ein guter Ansatzpunkt ergeben, um eine sorgfältigere Verfassungsauslegung vorzunehmen. So wird in der Literatur dieser Ausgangspunkt des Urteils auch zu Recht als Beispiel der Verwirklichung der Gefahr jeder „Ewigkeitsklausel“ zur Gleichsetzung von Prämissen der momentanen Ausgestaltung der Rechtsprechung mit dem kraft Überverfassungsrang Gebotenen beurteilt.121 b) Legitimation durch Mehrheit Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hatte in seiner Entscheidung vom 2. Dezember 1949 den Art. 2 II 2 BayVerf. noch wörtlich genommen. Die Norm habe den Charakter eines verbindlichen Rechtssatzes, der (ausschließlich) auf die Mehrheit der Abstimmenden abstelle. Eine andere Art der Mehrheitsermittlung – also jene der Stimmberechtigten – müsse in der Verfassung ausdrücklich angeordnet sein.122 Der Gerichtshof befürwortete demnach hier noch eine Methode der Mehrheitsermittlung, die als „relative Mehrheitsermittlung“ bezeichnet werden soll, da sie außer der Zahl der Abstimmenden keine externe Referenzmenge kennt. In seinen jüngeren Entscheidungen wich er von dieser Ansicht ab und befand Quoren für verfassungsrechtlich zwingend. Dies stellt jedoch eine „absolute“ Methode der Mehrheitsermittlung dar, da durch Beteiligungs- oder Zustimmungsquoren immer auf die Zahl der Stimmberechtigten insgesamt abgestellt wird; dabei ist es unerheblich, wie hoch das betreffende Quorum ist. Aus bayerischer Perspektive stellt sich dieses Problem innerhalb der Auslegung von Art. 2 und 74 BayVerf. und 121 Wittreck
2005, 140 f. 2, 181 (218 f.).
122 BayVerfGHE
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insbesondere wiederum hinsichtlich der Frage, ob Art. 74 BayVerf. eine planwidrige Regelungslücke insbesondere für den verfassungsändernden Volksentscheid enthält. aa) Absolute Mehrheitsermittlung Vertreter einer absoluten Mehrheitsermittlung kritisierten bereits vor den Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 17. September 1999 und 31. März 2000, daß der Gerichtshof in seiner bis dahin geltenden Rechtsprechung im Rahmen des Verfassungsgrundsatzes „Mehrheit entscheidet“ (Art. 2 II 2 BayVerf.) lediglich die Mehrheit der Abstimmenden zugrundelegte.123 Auf der anderen Seite des Meinungsspektrums stimmen Autoren, die Art. 2 beziehungsweise 74 BayVerf. nicht für abschließend halten, der geänderten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zu;124 diese Ansichten gehen daher mit ersterer argumentativ in die gleiche Richtung. (1) Gesamtheit des Volkes als Legitimationssubjekt Mit jener (nunmehr überholten) Rechtsprechung erscheine fehlerhaft das Individuum als Subjekt der Volksgesetzgebung und diese selbst als Gegenstand eines subjektiven Rechts, mit der Folge, daß die „Regeln des Plebiszits“125 als Einschränkungen der Individualfreiheit erschienen. Subjekt der Volksgesetzgebung sei jedoch nicht der einzelne Bürger, auch nicht die Summe der einzelnen (oder gar nur jener, die aktuell teilnähmen), sondern ihre integrale Gesamtheit: das Volk. Dieses sei Träger der Staatsgewalt und tue seinen Willen durch Wahlen und Abstimmungen kund (Art. 2 BayVerf.). Aus dieser Sicht komme es darauf an, ob die Akte der Volksgesetzgebung das hinreichende Niveau demokratischer Legitimation erreichten. Das erforderliche Legitimationsniveau der Änderung der Bayerischen Verfassung hänge daher vom objektiven Geltungsanspruch der Verfassung ab, nicht aber von subjektiven Interessen derer, die sich an einer Abstimmung beteiligen, unter Vernachlässigung jener, die ihr fernblieben.126
123 Horn 1999 I; Isensee 1999; BayVerfGHE 2, 181 (218) stellte maßgeblich auf eine Rechtsstellung des Bürgers von Verfassung wegen ab, die aus Art. 4, 14 BayVerf. hergeleitet wurde. 124 Horn 1999 II; Thum 2000, 76; nach seiner geänderten Rechtsprechung sieht der Gerichtshof Art. 2 II 2 BayVerf. bezüglich vollplebiszitärer Verfassungsänderungen als konkretisierungsbedürftig an (vgl. zu allem vorstehend A.). 125 Hier gemeint: Quoren und qualifizierte Mehrheit (vgl. Isensee 1999, 54 oben). 126 Isensee 1999, 53.
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(2) Konstituierung bürgerlicher Mitwirkungsrechte durch Verfahrensnormen Der Verfassungsgerichtshof verkenne auch den Charakter der bürgerlichen Mitwirkungsrechte (Art. 4 und 14 BayVerf.). Diese schützten nicht wie Abwehrrechte einen Raum privater Selbstbestimmung, sondern die Teilhabe an staatlicher Willensbildung. Deren Verfahren seien Voraussetzung, nicht aber Inhalt der Mitwirkungsrechte. Der Staatsbürger übe seine Befugnisse des status activus im Rahmen und nach Maßgabe der Regeln demokratischer Willensbildung aus, wie sie Verfassung und Gesetz vorgäben. Verlange die Verfassung eine qualifizierte Mehrheit, könne daher darin auch keine Einschränkung des Stimmrechts liegen. Das Gericht verkürze die Basis der Demokratie auf die aktuell engagierten Bürger und verkenne, daß das Handlungs- und Legitimationssubjekt der Demokratie das ganze Volk umfasse und nicht nach politischer Teilnahme oder Abstinenz unterscheide.127 (3) Status activus als Konsequenz gemeinschaftlicher Selbstbestimmung Ein weiterer Vertreter einer absoluten Mehrheitsermittlung ergänzt diese Ausführungen und mißt Art. 2 I 2 BayVerf. („Träger der Staatsgewalt ist das Volk“) die entscheidende Rolle in der Begründung der Quoren bei Abstimmungen zu. Art. 2 II 1 BayVerf. („Das Volk tut seinen Willen durch Wahlen und Abstimmungen kund“) sei demgegenüber nur eine Kundgabenorm, die aber nicht das Handlungs- und Legitimationssubjekt im Volksstaat variiere. Sie regele allein die Art und Weise, wie der zur Artikulation seiner selbst unfähige Volkswille zu empirischem Ausdruck gelange. Daß die Aktualisierung des Volkswillens der tatsächlichen Artikulation durch die je in ihm existenten Einzelwillen bedürfe, erhebe nicht die einzelnen (Stimm-)Bürger und auch nicht ihre schlichte Summe zum Träger des Volkswillens. Der status activus des Demokratiebürgers bestimme sich daher als politisches Mitwirkungsrecht nicht in Bezug auf seine private, gegen staatliche Ingerenz geschützten Autonomie, sondern als Teil des Staatsvolks, dem er zugehöre. Mit der Ausübung seines Stimmrechts nehme er an der staatlichen Willensbildung zum Zweck gesamthafter, nicht etwa individueller Selbstbestimmung teil.128 Auch das Mehrheitsprinzip ändere nichts daran, daß Legitimationssubjekt und damit Bezugsgröße der demokratischen Mehrheitsentscheidung die Gesamtheit der stimmberechtigten Bürger bleibe, denn die Stimmenmehrheit sei nicht Ausdruck des mehrheitlichen Volkswillens, sondern sei seine Funktion. Denn dadurch, daß der mehrheitliche Volkswille nur in der Mehrheit der 127 Isensee 128 Horn
1999, 53 f. 1999 I, 433.
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abgegebenen Stimmen empirisch feststellbar sei, werde der Volkswille nicht zum Mehrheitswillen derer, die sich aktiv beteiligten, oder gar derer, die die Stimmenmehrheit bildeten.129 (4) Aktivistische beziehungsweise extreme Minderheiten Isensee gibt zu bedenken, daß nicht die Mehrheit, sondern absolute Minderheiten die Entscheidungen im Staat für das gesamte Staatsvolk treffen könnten, wenn es bei Volksgesetzgebungsverfahren keine Quoren gäbe. Im theoretischen Grenzfall genüge es dann, daß ein einziger von einer Million Stimmberechtigten sich am Volksentscheid beteilige und ggf. sogar mit seinem Votum die Verfassung ändere.130 So diene insbesondere die erschwerte Abänderbarkeit der Verfassung der Verhinderung dessen, daß eine apathische Mehrheit der Bürgerschaft von einer aktivistischen Minderheit überspielt werde.131 Dieser Aspekt, den man als „Minderheitenherrschaftsargument“132 bezeichnen kann, verstärkt die Bedenken von Autoren, die ohnehin der Volksgesetzgebung per se nicht besonders aufgeschlossen gegenüberstehen. Das wird offen gesagt. Minderheiten ließen sich vielleicht von tendenziösen oder falschen Meldungen irreführen, seien nicht fähig oder willens, maßgebende Sachverhalte oder -zusammenhänge zu erkennen, suchten gegebenenfalls nur den – vermeintlichen – eigenen Nutzen oder verfolgten, angespornt von alerten Anführern, dem Gemeinwohl abträgliche Ziele. Bei den übrigen Bürgern versäumten es unter Umständen viele, ihre Nein-Stimme abzugeben, weil sie die Rechts- und Sachlage nicht überblickten oder weil es an politischem Verantwortungsbewußtsein fehle.133 (5) 25 %-Quorum als Verfassungsrechtssatz Horn, ein Vertreter der Notwendigkeit eines Quorums bei verfassungsändernden Volksentscheiden, unternimmt es, ein 25 %-Zustimmungsquorum aus den Rahmenvorgaben der Verfassung als konkreten Rechtssatz abzuleiten. Dieses sei das Ergebnis einer Verfassungsinterpretation, die den schonendsten Ausgleich zwischen dem Gebot „echter“ demokratischer Mehrheit im Sinne 129 Horn
1999 I, 433. 1999, 41. 131 Isensee 1999, 45; zustimmend Horn 1999 I, 433; zu Vertretern dieser Ansicht bzgl. der kommunalen Ebene vgl. die Nachweise bei Thum 2000, 38 f., Fn. 65 ff. 132 Wortschöpfung bei Dreier 1999, 519. 133 So noch Theodor Meder, in: ders., Die Verfassung des Freistaates Bayern – Kommentar, 4. Auflage, Stuttgart u. a. 1992, Art. 74 Rn. 9;Meder, BV, Art. 74 Rn. 9. 130 Isensee
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einer Zustimmung von mehr als 50 % der Stimmberechtigten und der Garantie negativer Abstimmungsfreiheit herzustellen habe. Eine solche Verfassungsinterpretation vermeide, daß der Nichtgebrauch des Stimmrechts in dem Ausmaß, in welchem er die Bildung „echter“ Mehrheiten vereitele, einseitig als Zustimmung (ohne jegliches Quorum) oder als Ablehnung (bei einem Quorum von 50 %) gewertet werde. Vielmehr werde Nichtbeteiligung je zur Hälfte den Befürwortern und den Gegnern der Abstimmungsvorlage zugerechnet.134 Auch Rinken beurteilt die Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs als „richtungweisend“. Ein Zustimmungsquorum beim verfassungsändernden Volksentscheid in Höhe von 20–25 % sei gegenüber prohibitiven 50 %-Quoren eine ganz erhebliche Erleichterung und werde als gelungener Ausgleich zwischen den Stabilitätsanforderungen der Verfassung und den Voraussetzungen effektiver Volksgesetzgebung auf weitgehende Zustimmung stoßen. Außerdem sei ein Zustimmungsquorum nicht den gegen Beteiligungsquoren bestehenden Boykotteinwänden ausgesetzt.135 bb) Relative Mehrheitsermittlung Befürworter von Quoren werden wiederum von Autoren kritisiert, die der Ansicht sind, daß der Wortlaut von Art. 2 II 2 BayVerf. abschließend sei. Insbesondere der Bayerische Verfassungsgerichtshof brandmarke mit dem Fallenlassen der Möglichkeit der vollplebiszitären Verfassungsänderung ohne Quorum seine bis dahin ständige Rechtsprechung ex post als Verstoß gegen die „demokratischen Grundgedanken“. Denn habe bis 1999 ein Quorum mit Blick auf Art. 2 II BayVerf. als verfassungsrechtlich unzulässig gegolten, so erscheine es nunmehr als von Art. 75 I 2 BayVerf. geboten.136 Dieses resultiere aus einem fehlerhaften Verständnis des Mehrheitsbegriffs. Da das Volk sowohl bei der Wahl des Parlaments als auch bei einer Abstimmung unmittelbar Staatsgewalt ausübe, ohne eines Legitimationstitels zu bedürfen, sei es rechtlich irrelevant, wie viele Bürger an jenem Legitimationsakt teilnähmen.137 Eine geringe Beteiligung am Volksentscheid beeinträchtige folglich nicht die demokratische Legitimation des unmittelbar volksbeschlossenen Gesetzes.138 Nicht das Fehlen von Quoren sei demokratietheoretisch rechtfertigungsbedürftig, sondern ihre Einführung.139 134 Horn
1999 II, 728. 2001, 425. 136 Wittreck 2005, 145 – dieser Beurteilung liegt bereits auch die Entscheidung vom 31.3.2000 zugrunde. 137 Wittreck 2005, 148; ebenso Schweiger 2002, 69. 138 Wittreck 2005, 148. 139 Dreier 1999, 521. 135 Rinken
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(1) Volk bedarf keiner Legitimation Wittreck wirft dem Verfassungsgerichtshof vor, schon im Ansatz eine einseitige Argumentation aus Sicht der repräsentativen verfassungsrechtlichen Elemente zu betreiben. Durch die Postulierung der Wahl als „unabdingbaren demokratischen Legitimationsakt“ werde der fehlerhafte Schluß gezogen, daß sowohl die Inanspruchnahme des parlamentarischen Forums als auch die Wahrnehmung von Aufgaben der Staatsgewalt von der demokratischen Legitimation durch Wahl abhängig seien. Einerseits müsse der Bürger vor einer Volksabstimmung jedoch nicht extra legitimiert werden, um Staatsgewalt ausüben zu können und andererseits entspreche dem Wahlakt der repräsentativen Demokratie funktional nicht die Einleitung eines Volksbegehrens, sondern erst die eigentliche Abstimmung.140 (2) Verfassungsrechtliche Einforderung staatsbürgerlicher Aktivität Auch Jung übt deutliche Kritik an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs. Nach der Konzeption der Bayerischen Verfassung sei Träger der Staatsgewalt das Volk gemäß Art. 2 I 2 BayVerf. Diese Staatsgewalt werde, soweit nicht besondere Organe handelten, durch die stimmberechtigten Staatsbürger selbst ausgeübt (Art. 4 BayVerf.), und zwar indem sie durch Wahlen beziehungsweise Abstimmung den Willen des Volkes kundtäten (Art. 2 II 1 BayVerf.). Wer jedoch nicht zur Wahl- beziehungsweise Abstimmung gehe, trage zu dieser Kundgabe nichts bei und könne folglich auch nicht erwarten, daß sein nicht geäußerter Wille berücksichtigt werde. So schaffe die Bayerische Verfassung einen gewissen Zwang zur staatsbürgerlichen Aktivität und fordere ohnehin in Art. 117 S. 2 BayVerf., an den öffentlichen Angelegenheiten Anteil zu nehmen. Die Verfassungsfamilie der ehemaligen Nachkriegs-US-Zone habe insgesamt eine Entscheidung für den Citoyen und gegen den Bourgeois getroffen.141 (3) Boykott und Wertung von Passivität Der Konstruktion von Szenarien der Machtausübung durch extreme Minderheiten bis hin zu einem einzigen Bürger attestiert Jung eine unrealistische Auffassung von Abläufen in einem demokratischen Rechtsstaat. Er sieht es als plausibler an, daß sowohl die aktiven Befürworter eines Volksbegehrens, weil sie sich für eine Sache engagierten, als auch deren aktive Gegner, da diese kein Machtvakuum dulden wollten, sich jeweils auch an einem entspre140 Wittreck 141 Jung
2005, 142. 1999 I, 423, 427.
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chenden, dem Volksbegehren nachfolgenden Volksentscheid beteiligen würden. Ein Quorum wirke diesem Bestreben aber durch Übervorteilung einer Boykottstrategie genau entgegen; Sinn einer quorenlosen Abstimmungsregel sei es dagegen, die Mehrheit zu Aktivität anzuspornen.142 Da man bei jeder Wahl und jeder Abstimmung von vornherein von einer Passivitätsgröße von um die 20 % ausgehen könne, so meint Dreier, sei jedes Abstimmungsquorum von Haus aus mit dieser Hypothek belastet. Dieser Verzerrungseffekt könne aber durch gezielte Boykottstrategien interessierter oder politischer Kreise rasch in einer Weise verstärkt werden, daß Anliegen, die in der Bevölkerung einen hohen Zuspruch fänden, letztlich ohne Erfolg blieben.143 Für bedenklich wird des Weiteren gehalten, daß durch eine absolute Mehrheitsermittlung die Nichtteilnahme als Nein-Stimme gezählt und so das Ergebnis durch reine Passivität der nicht Teilnehmenden bestimmt werde. Von diesen stehe aber in keiner Weise fest, in welcher Anzahl sie den Entwurf tatsächlich ablehnten, ihm zustimmten, ihm desinteressiert gegenüberstünden oder an der Teilnahme verhindert seien.144 cc) Stellungnahme Bei der Frage, ob und in welchen Verfahrensstadien bei Elementen direkter Demokratie Quoren verfassungsrechtlich zulässig oder sogar geboten sind, handelt es sich maßgeblich um den Aspekt der juristisch relevanten Bezugsgröße für die Ermittlung der „Mehrheit“. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof ist der Ansicht, daß für Verfassungsänderungen diese in der Gesamtheit der Abstimmungsberechtigten liegt. Abgesehen davon spielen jedoch dieselben Argumente wie bei der Volksgesetzgebung im Allgemeinen eine Rolle. Sie werden in Rechtsprechung und Literatur darum auch überwiegend nebeneinander verwendet. In Bayern darf jedoch die Besonderheit nicht übersehen werden, daß der Verfassungsgerichtshof sich mit der Forderung eines Quorums bei verfassungsändernder Volksgesetzgebung sowohl bezüglich Art. 2 II 2 als auch Art. 74 BayVerf. über den Wortlaut der Verfassung hinweggesetzt hat. Das Argument, Verfassungsnormen seien grundsätzlich abstrakt und konkretisierungsbedürftig,145 mutet vor diesem Hintergrund problematisch an, insbesondere wenn es in unmittelbarem Zusammenhang mit der Aussage angeführt wird, daß die Verfassung „relativ inhaltsarm“ und angelegt auf „Ergänzung […] durch das 142 Jung
1999 I, 427. 1999, 521. 144 Schweiger 2002, 68; ebenso Dreier 1999, 522. 145 Isensee 1999, 49. 143 Dreier
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einfache Recht“ sei. An dieser Stelle scheint die Gefahr besonders groß, daß die Bedingungen geschaffen werden, in eine Verfassung etwas hineinzulesen. Es ist ein Unterschied, ob eine Verfassungsnorm eine bestimmte Aussage bereits enthält und daher lediglich konkretisiert werden muß oder ob sie eine Aussage nicht enthält und deshalb als ergänzungsbedürftig empfunden wird. Es stellt sich noch ein weiteres Problem. Denn für denjenigen, welcher der Befürchtung, daß „relativ kleine Minderheiten“ Entscheidungen gegen den Willen „von großen Teilen der Bevölkerung“ treffen könnten,146 tragende Bedeutung für die eigene Argumentation zuzumessen bereit ist, sieht sich mit der Notwendigkeit des Hantierens mit einem so unscharfen Postulat wie dem „wahren Willen der Mehrheit der Staatsbürger“147 konfrontiert. Unklar erscheint in diesem Zusammenhang allerdings, welcher Natur ein solcher „wahrer Volkswille“ sein sollte. Wäre er hypothetisch – in dem Sinn, daß die Bürger sich einen solchen Willen im Falle vollständiger, umfassender Information im eigenen Interesse gebildet hätten –, so unterläge seine Inbezugnahme neben der Problematik, wie der „wahre Wille“ inhaltlich zu bestimmen wäre, dem Einwand, daß er sich tatsächlich eben gerade nicht ausbildete. Sollte sein Charakter als ein tatsächlicher – im Sinne von einer empirischen Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung – aufzufassen sein, so bedarf es in diesem Fall der Begründung, warum ein demokratisches Verfahren (Volksabstimmung) nicht für seine empirischen Feststellung relevant sein sollte beziehungsweise wie dieser sonst festgestellt werden könnte und warum diese Feststellung jener im Verfahren der Volksabstimmung vorrangig sein sollte. Die Überwindung dieses erkenntnistheoretischen beziehungsweise verfassungsjuristischen Problems obliegt damit den Vertretern des Arguments der Notwendigkeit, mit Hilfe von Quoren Entscheidungen durch Minderheiten verhindern zu müssen. Im Folgenden sei dieses mit dem Begriff „Minderheitenherrschaft“ benannt. c) Vergleichbarkeit von Wahl und Volksgesetzgebung Das Vorbringen des „Minderheitenherrschaftsarguments“ hat noch einen weiteren Aspekt. Es wirft nämlich die Frage auf, inwiefern die Volksgesetzgebung als Legitimationsakt vergleichbar ist mit dem Legitimationsakt der Wahl. Nach Ansicht des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ergibt sich aus der Tatsache, daß den Wahlrechtsgrundsätzen der Bayerischen Verfassung ein 146 BayVerfGHE
52, 104 (133). die Formulierung in BayVerfGH 2, 181 (217), wobei die bayerische Rechtsprechung zu diesem Zeitpunkt und für die folgenden 50 Jahre nicht zu jener Gruppe gehörte. 147 So
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Quorum fremd ist, kein Argument gegen ein Quorum beim verfassungsändernden Volksentscheid. Die Unterschiede zwischen beiden Legitimationsakten sprechen laut Gerichtshof gegen eine Vergleichbarkeit in diesem Sinne.148 Autoren, die gegen Quoren bei direktdemokratischen Verfahren argumentieren, berufen sich jedoch gerade auch auf einen ihrer Ansicht nach gebotenen Vergleich zwischen Wahl und Abstimmung. aa) Geringer Umfang von Initiatoren Vertreter des Minderheitenherrschaftsarguments führen auch das Problem an, das insbesondere bei Volksbegehren regelmäßig ein relativ kleiner Kreis von Initiatoren beteiligt sei. Dem wird entgegengehalten, daß auch im parlamentarischen Verfahren Gesetzesinitiativen mitunter von einer kleinen Gruppe Abgeordneter beziehungsweise sonstigen politischen Personals in staatlichen Führungspositionen ausginge. Wer die Dominanz von Minderheiten befürchte, der nehme das System der repräsentativen Demokratie verfassungsrechtlich wahr – (es handele der „Landtag“) – gehe aber bei der direkten Demokratie zu einer kritischen sozialwissenschaftlichen Analyse über („kleine außerparlamentarische Gruppen“). Diese negativ eingefärbte Wertung finde sich bezüglich des repräsentativen Systems nicht.149 bb) Geringe Wahlbeteiligung Befürwortet man die Vergleichbarkeit der Legitimationsakte Wahl und Abstimmung hinsichtlich der Beteiligungsquote, so kann man wie Dreier folgerichtig die verhältnismäßig geringe Wahlbeteiligung anführen, sowie auf die daraus resultierenden niedrigen absoluten Unterstützungsquoten der jeweiligen Regierungsmehrheiten in den Parlamenten hinweisen. Die Zustimmungswerte der Parlamentsmehrheiten in Bund und Ländern unter Berücksichtigung der Wahlbeteiligung lägen allenfalls bei ca. 35 %. Die Meinung, es herrschten Minderheiten im Land, sei also nur möglich, wenn man auf die Relation zwischen Wählerstimmen und der Gesamtzahl der Wahlberechtigten abstelle, was zumindest bei der Wahl von Repräsentativorganen niemand tue.150
52, 104 (131 f.); ebenso Horn 1999 I, 434. 1999 I, 426 unter Kritik an Isensee 1999, 65. 150 Dreier 1999, 520; ebenso Schweiger 2002, 68 f. 148 BayVerfGHE 149 Jung
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cc) Beschlußfähigkeit von Repräsentativorganen Der Bayerische Verfassungsgerichtshof betrieb seine Auslegung von Art. 2 II 2 BayVerf. unter Heranziehung eines Vergleichs mit den Regeln über die Beschlußfähigkeit politischer Gremien. Er befürwortet demnach eine Parallelisierung von Volk und Parlament. Sei zu einem wirksamen Gesetzesbeschluß die Mehrheit der Mitglieder des Parlaments erforderlich, so liege – zumindest dem Grundgedanken nach – einem plebiszitären Gesetz ebenso ein Konsens der Mehrheit der stimmberechtigten Bürger zugrunde.151 Diesen Ansatz zur Begründung der Zulässigkeit auch relativ hoher Quoren kritisiert Thum. Werde in einer Vertretungskörperschaft eine repräsentative Entscheidung gefällt, so übe das Volk im Unterschied dazu Staatsgewalt unmittelbar aus, die keiner Mindestbeteiligung oder Mindestanwesenheit bedürfe. In den entsprechenden Gremien jedoch käme den Regeln über die Beschlußfähigkeit von Vertretungskörpern die Aufgabe der Sicherstellung einer die Gesamtheit repräsentierenden Entscheidung zu.152 dd) Sperrklauseln Bei Wahlen gibt es keine vergleichbare Diskussion über die Notwendigkeit von Quoren. Jedoch existieren bei Wahlen Hürden für von den Parteien aufgestellte Wahlvorschläge. In Bayern konstituiert Art. 14 IV BayVerf. eine 5 %-Klausel unter Abstellen auf das landesweite Wahlergebnis. Danach erhalten Wahlvorschläge, auf die im Land nicht mindestens fünf vom Hundert der insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen entfallen, keinen Sitz im Landtag zugeteilt. Diese „Sperrklausel“ stellt eine Abweichung vom rein verhältniswahlrechtlichen Verteilungsprinzip dar und dient dem Interesse der Funktionsfähigkeit des Landtags sowie der Erleichterung der Bildung regierungsfähiger Mehrheiten.153 In diesem Zusammenhang wird bezüglich der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs angemerkt, daß es angesichts dessen Prämisse, daß nur derjenige Staatsgewalt ausüben oder sogar das Forum des Parlaments anrufen dürfe, der hierzu in einer demokratischen Wahl legitimiert worden sei, nicht nachvollziehbar sei, warum sich der Gerichtshof der Übertragung dieser sich aufdrängenden 5 %-Klausel auf das Begehrensquorum versage.154
151 BayVerfGHE 53, 42 (69); im Ansatz findet sich der Gedanke auch schon bei BayVerfGHE 52, 104 (131). 152 Thum 2000, 41. 153 Möstl, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 14 Rn. 17. 154 Wittreck 2005, 148.
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ee) Stellungnahme Eine Gegenüberstellung der demokratischen Legitimationsakte Wahl und Volksentscheid setzt zunächst die Untersuchung voraus, ob sich an dieser Stelle der richtige Ansatzpunkt für einen Vergleich findet, oder ob beziehungsweise in welcher Kombination noch andere Bezugspunkte der beiden Gesetzgebungsverfahren für diesen Vergleich in Frage kommen, namentlich der Gesetzeserlaß im Parlament durch Abgeordnete oder auf direktdemokratischer Seite die Stufe des Volksbegehrens. Nach Beantwortung dieser Frage kann dann auf jener Grundlage ein Beitrag zu einer Auslegung des Demokratieprinzips des Grundgesetzes oder auch der Landesverfassungen geleistet werden, insofern Unterschiede zwischen der Bundes- und den Landesverfassungen festzustellen wären. d) Funktionsfähigkeit des Bayerischen Landtags Der Bayerische Verfassungsgerichtshof sieht bei Verfassungsänderungen durch kleine Minderheiten die Gefahr der Beeinträchtigung der Funktions fähigkeit des parlamentarischen Systems.155 Grundsätzlich ist die Funktionsfähigkeit des Parlaments als verfassungsmäßiges Ziel des demokratischen Rechtsstaats meinungsübergreifend anerkannt. Uneinigkeit besteht dagegen bei der Frage, ob eine effektive beziehungsweise funktionsfähige direkte Demokratie156 diesem Ziel widerstreitet und wenn ja, wie sehr ersteres Postulat geeignet ist, letzteres zurückzudrängen. Konkret ist insofern streitig, ob Quoren zur Verhinderung einer Beeinträchtigung des Parlamentarismus erforderlich sind oder eher eine untergeordnete Rolle diesbezüglich spielen. aa) Quoren erforderlich zur Funktionssicherung Autoren, die eine Normierung von Quoren in Verfahren der direkten Demokratie befürworten, begründen dies unter anderem mit deren Notwendigkeit zur Funktionssicherung der Institutionen beziehungsweise Organe des Staates. Bei anderen Autoren liegt der Akzent generell in der Kontrollierung beziehungsweise Eindämmung direktdemokratischer Elemente, wobei nicht immer auf Quoren rekurriert wird. Da diese Argumentation jedoch strukturell in der Regel auch den Pro-Quorum-Argumenten zugrunde liegt, werden solche Auffassungen an dieser Stelle mit berücksichtigt.
155 BayVerfGHE 156 Diesen
53, 42 (63 f.); 52, 104 (133). Aspekt hervorhebend Schweiger 2002, 72; Jung 1999 I, 429.
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(1) Höhere Schwelle für Verfassungsänderungen Da in Bayern der Schwerpunkt der Meinungsstreitigkeiten auf direktdemokratischen Verfassungsänderungen liegt, beeinflußt diese besondere Verfahrensart auch den Gang der Argumentation hinsichtlich der Sicherstellung des Funktionierens der Repräsentativorgane. Im Ergebnis zeigt sich daher eine Akzentuierung des Gesichtspunktes eines gestuften Vergleichs, nach dem jedenfalls für Verfassungsänderungen höhere Quoren gelten müßten als für einfache Gesetze. Bei verfassungsändernden Gesetzen durch das Volk bestehe eine Bindung des Landtags, denn dieser könne jene nicht einmal mit Zweidrittelmehrheit ohne Beteiligung des Volkes aufheben oder ändern. Es drohe daher das plebiszitäre Überrollen des parlamentarischen Systems und somit dessen Funktionsunfähigkeit.157 Für den Volksgesetzgeber läge dagegen bei gleicher Hürde hinsichtlich einfacher und Verfassungsgesetzgebung die Versuchung nahe, schon aufgrund der weiterreichenden Bindungswirkung gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgeber im Zweifel zum verfassungsändernden Gesetz zu greifen, womit zugleich eine Veränderung der Entscheidungsmaßstäbe der Verfassungsgerichtsbarkeit einhergehe.158 (2) Verantwortung von Machtausübung Zacher sieht die bayerische Demokratie unter dem Aspekt der Funktion der Repräsentativorgane sogar in der Krise – bedingt durch den Aufbau einer zweiten Ebene der politischen Polarisation mittels der unmittelbaren Demokratie, welche das Mißverhältnis zwischen dem, was die Institutionen der repräsentativen Demokratie verantworten sollen, und dem, was sie faktisch beherrschen, immer weiter steigere.159 Demokratie lebe in der Polarisation von Mehrheit und Minderheit. In der repräsentativen Demokratie vollziehe sich diese Polarisation grundsätzlich im Parlament – in der Integration von Regierung und Regierungsmehrheit und in dem Gegenüber zur Opposition. Die Volksgesetzgebung eröffne jedoch eine zweite Ebene der Polarisierung, stelle sich häufig entweder als eine Bestätigung oder als ein In-Frage-Stellen, eine Delegitimation der Regierung und ihrer parlamentarischen Mehrheit dar. Im demokratischen Rechtsstaat jedoch müsse Macht verantwortet werden. In der repräsentativen Demokratie konzentriere sich der Mechanismus dieser Verantwortung auf den Satz: „Demokratie ist Macht auf Zeit.“ Dieses Mandat auf Zeit sei die Chance der Macht, sei der Takt, in dem Verantwortung eingefordert würde. Wo jedoch unmittelbare Demokratie einsetze, verantwor157 Isensee
1999, 64 f. 1999, 65 f. 159 Zacher 1998, 742. 158 Isensee
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teten Mehrheiten Entscheidungen, die nicht zur Wahl und nicht zur Abwahl stünden. Daraus folge, daß die Interventionen der unmittelbaren Demokratie so reguliert werden müßten, daß sie von der repräsentativen Demokratie beherrscht werden könnten und die Politik der Institutionen der maßgebliche Gegenstand der Verantwortung bliebe. Auch könne eine Annäherung an das Prinzip der Verantwortung durch Übertragung der Last kohärenter Entscheidungen auf die unmittelbare Demokratie durch Eingrenzung der freien Auswahl beliebiger Gegenstände sowie der Einrichtung einer hinreichenden Dichte von Entscheidungsverpflichtungen erreicht werden.160 bb) Quoren zur Funktionssicherung nicht zwingend Andererseits wird der Verfassungsgerichtshof in der Literatur für seine Auffassung kritisiert. Diese Position wird von Autoren vertreten, die nicht wie der Gerichtshof der Überzeugung sind, das relativ hohe Quoren aus Gründen der Funktionsfähigkeit der Repräsentativorgane erforderlich sind. Schweiger vermißt den Nachweis des Verfassungsgerichtshofs für dessen Ergebnis, daß der bayerische Verfassunggeber für Verfassungsänderungen einen erhöhten Bestandsschutz durch ein Quorum beim Volksentscheid gewährleisten wollte. So würden Überlegungen hinsichtlich der mangelhaften demokratischen Legitimation kleiner Gruppen und über die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit demokratisch legitimierter Repräsentativorgane angestellt, ohne weitere, konkrete Gefahren aufzuzeigen, die sich aus der aufgegebenen Verfassungsauslegung in BayVerfGHE 2, 181 ergäben.161 Darüber hinaus existierten andere Eingrenzungen für das Plebiszit; ein wichtiges Kriterium sei, daß ein Zehntel der stimmberechtigten Staatsbürger Bayerns fast 900.000 Stimmen bedeute, was jedoch ebenso wie die Hälfte davon (5 %-Quorum) für die Herbeiführung eines Volksentscheids keine „kleine Gruppe“ darstelle. Daneben benennt der Autor die verschiedenen Vorkehrungen im Verfahren der Volksgesetzgebung nach der Bayerischen Verfassung, die eine Überprüfung des Gesetzesvorschlags ermöglichen.162 Außerdem sei der Befürchtung des Gerichtshofs entgegenzuhalten, daß die Bayerische Verfassung dem Parlament die Behandlung der ihm vom Ministerpräsidenten unterbreiteten, ggf. vom Verfassungsgerichtshof zugelassenen Volksbegehren gerade auch in seinem eigenen Interesse übertrage und das ein Schutz des Landtags über ein Quorum beim Volksbegehren und nicht beim Volksentscheid erfolgen müsse.163 Ferner deute Art. 74 VI BayVerf. (Wortlaut: „Die 160 Zacher
1998, 742. 2002, 68. 162 Schweiger 2002, 68. 163 Schweiger 2002, 69. 161 Schweiger
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Volksentscheide über Volksbegehren finden gewöhnlich im Frühjahr oder Herbst statt.“) darauf hin, daß der Verfassunggeber mit der Behandlung von weit mehr Volksbegehren im Landtag gerechnet habe, als in den vergangenen 50 Jahren in Bayern angefallen seien.164 cc) Sonderfall Volksinitiative Bezüglich der vom Verfassungsgerichtshof verworfenen Volksinitiative auf Unterstützung von nur 25.000 Stimmberechtigten ist Schweiger weniger kritisch und der Ansicht, daß durch die Eröffnung dieses direktdemokratischen Verfahrenselements auch für allgemeine Gegenstände der politischen Willensbildung die Beschränkung der Volksentscheidung auf die Gesetzes- und Verfassungsinitiative in Bayern beseitigt und das Volksbegehren in den allgemeinen politischen Bereich erstreckt worden wäre. Volksbegehren und Volksentscheid hätten durch die notwendige Vorstufe einer Volksinitiative damit eine völlig neue Qualität bekommen. Eine verfassungsrechtliche Prüfung durch das zuständige Ministerium und ggf. durch den Verfassungsgerichtshof hätte nicht stattfinden können. Das Parlament wäre durch die Volksinitiative nicht nur in unkalkulierbarer Weise mit politischen Tagesfragen beschäftigt, sondern in die Behandlung von Angelegenheiten verstrickt worden, für die es nicht, allenfalls nur als Kontrollinstanz, zuständig gewesen wäre; die Behandlung einer Materie in einem zulässigen Gesetzentwurf hätte sich verzögert und den Landtag durch die späte Prüfungsmöglichkeit seiner Zuständigkeit häufig doppelt belastet.165 Hiergegen läßt sich freilich einwenden, daß es die Funktionsfähigkeit des Bayerischen Landtags nicht gefährden dürfte, sich mit einer entsprechenden Volksinitiative inhaltlich auseinanderzusetzen. Zum einen ist es ohnehin Aufgabe eines Parlaments, Anliegen der Bevölkerung zur Kenntnis zu nehmen und ggf. in gesetzliche Regelungen zu überführen. Zum anderen existiert mit dem Instrument der Petition bereits ein ähnlicher Zugang zu den Parlamenten, das deren Arbeitsfähigkeit bisher nicht beeinträchtigt hat.166
164 Schweiger 2002, 69 und Fußnote 22: „Von den 13 bisher zugelassenen Volksbegehren haben 7 das Quorum des Art. 74 I BayVerf. nicht erreicht, so daß nur 6 (davon 5 auf Verfassungsänderung / -ergänzung zielende) im Parlament zu behandeln waren (3 davon waren erfolgreich).“ 165 Schweiger 2002, 71 f. 166 Dieses Argument bringt der Thüringische Verfassungsgerichtshof in einem Urteil an, welches im übrigen in dieselbe Richtung bezüglich Quoren weist wie das jenige des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (34) – vgl. dazu ausführlich nachstehend C.
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e) Erschwerte Abänderbarkeit / Verfassungsstabilität Wie schon für die bremische Verfassungsrechtsprechung ist es auch für die bayerische ein zentrales Problem, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe Quoren im direktdemokratischen Verfahren der Verfassungsänderung erforderlich sind, um eine zu leichte Abänderung der Verfassung zu verhindern, gleichzeitig aber auch dieses Instrument nicht zu sehr zurückzudrängen. aa) Wortlaut des Art. 74 BayVerf. als Verstoß gegen den Vorrang der Verfassung Der maßgeblichen Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, nach deren Auslegung bis zur Rechtsprechungsänderung über 50 Jahre später die Verfassungsväter bewußt kein Quorum bei Art. 74 BayVerf. vorsahen,167 wird von Isensee entgegengehalten, daß sie die Normen der Bayerischen Verfassung über die Gesetzgebung zu Unrecht als abschließend bewerte. Verfassungsnormen seien jedoch grundsätzlich abstrakt und konkretisierungsbedürftig durch das einfache Recht. Deshalb müsse ein Verfassungsvorbehalt jeweils nachgewiesen werden. Dieser Nachweis sei jedoch vom Verfassungsgerichtshof für das Verfahren der Volksgesetzgebung nicht geführt worden.168 Eine systematische sowie teleologische Auslegung der Bayerischen Verfassung führe statt dessen zu dem Ergebnis, daß das Verfassungsreferendum ohne Quorum beim Volksentscheid in Widerspruch zum Ziel der Verfassungsstabilität stehe und einen Systembruch im Vergleich zu dem anspruchsvollen Verfahren der parlamentarischen Verfassungsrevision darstelle.169 Die Bayerische Verfassung enthalte in dieser Frage eine Regelungslücke, da durch eine Zulassung des Verfassungsreferendums ohne Quorum und qualifizierte Mehrheit der Unterschied zwischen verfassungsänderndem und einfachem Gesetz nivelliert werde. Die Bestandskraft des Verfassungsgesetzes könne aber nur durch die formellen Erschwernisse ihrer Abänderbarkeit ge167 BayVerfGHE
2, 181 vom 2.12.1949. 1999, 49 f.; zustimmend Horn 1999 I, 432; zu beachten ist insofern, daß der Gerichtshof durchaus ein Vollzugsgesetz hinsichtlich der Einzelheiten des Verfahrens der Gesetzgebung für zulässig erachtet, nicht jedoch hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen, zu denen er die Frage des Quorums rechnet und die als die wesentlichen Grundzüge der Staatsorganisation von der Verfassung selbst abschließend geregelt worden seien (vgl. BayVerfGHE 2, 181 [217 f.]). Daher ist es unpräzise anzunehmen, daß der Gerichtshof die These aufgestellt habe, der Gesetzgeber dürfe ohne ausdrückliche Ermächtigung durch die Verfassung in der Materie des Plebiszits keine Regelungen treffen (vgl. Isensee 1999, 50). 169 Isensee 1999, 67. 168 Isensee
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währleistet werden, die Art. 75 II BayVerf. aufrichte. Genannt werden als Stabilitätsgarantien insbesondere die Zweidrittelmehrheit des Landtags sowie das obligatorische Referendum. Insgesamt dürfe das Niveau des Bestandsschutzes des Art. 74 BayVerf. daher nicht niedriger liegen als im Bereich des Art. 75 BayVerf.170 bb) Bayerische Verfassung schweigt zum Quorum beredt Diese Ausführungen haben ihrerseits Kritik von Jung hervorgerufen. Das Fehlen eines ausdrücklichen Zusatzes im Verfassungstext, welcher beim Volksentscheid die Mehrheit der abgegebenen Stimmen fordere oder die verfassungsändernde Volksgesetzgebung explizit dem Verfahren des einfachen, gesetzeserlassenden Plebiszits unterstelle, stelle ein beredtes Schweigen der Bayerischen Verfassung dar. So wird aus einem Verfassungsvergleich mit anderen deutschen Verfassungen, die weit überwiegend die wichtige Quorenfrage selbst regelten, sowie dem Fehlen einer Ermächtigung des Parlaments zum Erlaß eines Ausführungsgesetzes im Abschnitt der Bayerischen Verfassung über die Gesetzgebung die Folgerung gezogen, daß der Verfassunggeber der Bayerischen Verfassung es dem einfachen Gesetzgeber gerade nicht freistellen wollte, selbständig über die Regelung von Quoren zu entscheiden.171 Die Bayerische Verfassung mit Ansprüchen auf „Stabilität“, auf „Funk tionsfähigkeit und Dominanz der parlamentarischen Demokratie“ und „Systemgerechtigkeit“ zu überziehen, stellt nach Schulze-Fielitz ein Hereintragen allgemeiner staatstheoretischer Überlegungen in die Verfassung dar. Dadurch sei eine verfassungsrechtliche Weltneuheit herbeiargumentiert worden; nämlich ein ungeschriebenes verfassungsrechtliches Gebot für den „einfachen“ Ausführungsgesetzgeber, die volksunmittelbare Verfassungsrevision zu erschweren und so sicherzustellen, daß ein „breiter, parteiübergreifender Konsens unter den Aktivbürgern“ vorhanden sei, auch wenn der Verfassungstext keine eindeutigen Beteiligungs- und Mehrheitsquoren nahelege.172
170 Isensee
1999, 62 f. 1999 I, 418 – unter Hinweis auf die Bamberger Verfassung vom 14.8.1919 und das Grundgesetz in verfassungsvergleichender sowie auf Art. 14 V (Wahlrecht), 42 (Senat), 69 (Verfassungsgerichtshof) BayVerf. in systematischer Perspektive; kritisch zu diesem Punkt bei gleichzeitiger Hervorhebung der Notwendigkeit einer Verfassungsänderung auch Schweiger 2000, 196. 172 Schulze-Fielitz 1999, 659 (Zitierungen i.O. bzgl. Isensee 1999, 62 ff., 69). 171 Jung
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cc) Bayerische Verfassung genügt dem Vorrang der Verfassung Der Ansicht, daß die Bayerische Verfassung den Anforderungen des Grundsatzes des Vorrangs der Verfassung ohne ein Quorum beim verfassungsändernden Volksentscheid nicht gerecht werde, wird entgegnet, daß die Bayerische Verfassung alle drei wesentlichen Komponenten des Vorrangs der Verfassung umgesetzt habe. So weise sie erstens eine förmliche Verfassungsurkunde mit Regelungen über die Staatsorganisation auf, so daß sie den rechtslogischen Vorrang gewährleisten könne. Zweitens ermögliche sie gemäß Art. 65, 92, 98 S. 4 BayVerf. die Überprüfung von Landesgesetzen, die gegen die Landesverfassung verstießen. Drittens habe die Bayerische Verfassung insbesondere auch Vorkehrungen bezüglich ihrer erschwerten Abänderbarkeit getroffen, obwohl sie kein Quorum für den Volksentscheid über verfassungsändernde Gesetzgebung vorsehe.173 (1) B V ist auch ohne Quorum nur unter erschwerten Bedingungen abänderbar Dreier vertritt die Ansicht, daß die Bayerische Verfassung auch ohne Quorum beim verfassungsändernden Volksentscheid schon erschwert abänderbar ist. Unstreitig sei eine erschwerte Abänderbarkeit im Falle des Art. 75 II 2 BayVerf. gegeben, der auf einer Kombination von qualifizierter Mehrheitsentscheidung durch den Landtag und Bestätigung in einem Volksreferendum mit einfacher Mehrheit beruhe.174 Aber auch für jene Variante, daß ohne Einschaltung des Landtags das Volk nach einem erfolgreichen Volksbegehren selbst im Wege des Volksentscheids ein verfassungsänderndes Gesetz beschließen könne – also im Rahmen des Art. 74 BayVerf. – liege eine Erschwerung der Verfassungsänderung vor. In diesem Fall liege die Erschwerung auch ohne Quorum bereits allein darin, daß das Volk entscheide. Die Gesetzgebung durch das Volk und damit die Rückbindung an den Souverän sei selber die Erschwerung.175 Sinn und Zweck des Vorrangs der Verfassung als übergeordnetes Prinzip der erschwerten Abänderbarkeit der Verfassung sei nämlich der Vorrang gegenüber dem normalen, einfachen Gesetzgeber. Aus Gründen der Stabilitätswahrung solle der Prozeß der Verfassungsänderung sich abheben vom Normalfall der einfachen Gesetzgebung – also von derjenigen durch das Parlament – indem mit dem Volk ein außergewöhn 173 Nach dieser Ansicht kommt es folglich nicht darauf an, ob der Vorrang der Verfassung zwingend die erschwerte Abänderbarkeit der Verfassung umfaßt und dieses wiederum von Art. 28 I 1 GG gewährleistet wird; vgl. Dreier 1999, 518. 174 Dreier 1999, 518. 175 Dreier 1999, 518.
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liches Staatsorgan entscheide. Kennzeichen erschwerter Abänderbarkeit in anderen Verfassungen sei die Verknüpfung mit der Auflösung des Parlaments, das Vorsehen von Sperrfristen oder die Einschaltung anderer als der normalen Gesetzgebungsorgane.176 (2) Gegenargumentation Diese Auffassung hat Widerspruch von Horn hervorgerufen. Hier werde in der Volksgesetzgebung selbst das Erschwernis gesehen und so das vorausliegende Verhältnis von parlamentarischer und plebiszitärer Verfassungsänderung überhaupt problematisiert. Dieses stehe jedoch nicht in Frage, sondern die Anforderung an die plebiszitäre im Vergleich zur parlamentarischen Verfassungsrevision. Gerade gegenüber der behaupteten Weisheit des Souveräns sei jedoch eine Wehrlosigkeit der Bayerischen Verfassung zu vermeiden, denn beim parlamentarischen Zugriff seien hohe Sicherheitsstandards verfügt.177 dd) Stellungnahme Bei dem Problem, ob ein 25 %-Zustimmungsquorum bei verfassungsändernden Volksentscheiden von der Bayerischen Verfassung auch ohne ausdrückliche Erwähnung gefordert wird beziehungsweise sogar gemäß Art. 75 I 2 BayVerf. zu den demokratischen Grundgedanken der Verfassung zu zählen ist, sind zwei Fragen zu trennen. Erstens ist zu untersuchen, ob der Vorrang der Verfassung überhaupt das Prinzip der erschwerten Abänderbarkeit der Verfassung zwingend vorgibt beziehungsweise enthält. Es geht dabei um die Untersuchung der These, daß ein Verfassungsreferendum ohne Quorum beim Volksentscheid im Widerspruch zum Ziel der Verfassungsstabilität steht. Diese Frage soll in Teil II gesondert untersucht werden, da sie auch das Grundgesetz selber sowie die Verfassungen aller anderen Bundesländer betrifft. Zweitens stellt sich das Problem, inwiefern ein Systembruch innerhalb der Bayerischen Verfassung anzunehmen ist, weil im Textbefund des Art. 74 BayVerf. ausdrücklich kein Quorum für den verfassungsändernden Volksentscheid vorgesehen ist. Vergleichsmaßstab ist insofern Art. 75 II BayVerf. Auch hier ist wiederum zu differenzieren: Ein Systembruch ist nur denkbar, wenn das Änderungsverfahren des Art. 75 II BayVerf. als so hohe Hürde zu bewerten wäre, daß das Verfahren nach Art. 74 BayVerf. deutlich dahinter zurückbliebe, weil es Verfassungsänderungen in Bayern im Verhältnis dazu 176 Dreier 177 Horn
1999, 518. 1999 I, 430 f., der mit Isensee (1999, 42) einen „inneren Bruch“ feststellt.
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zu einfach ermöglichte. Damit zusammen hängt die Frage, ob nicht die Bayerische Verfassung ohnehin auch im Verfahren nach Art. 74 BayVerf. bereits erschwert abänderbar ist, indem sie für diesen Fall das Volk als Verfassungsgesetzgeber einsetzt. (1) Häufigkeit von Verfassungsänderungen An dieser Stelle bietet sich ein Vergleich zum Konzept des Grundgesetzes an, das in Art. 79 II GG lediglich eine Zweidrittelmehrheit im ansonsten keinen Abänderungen unterworfenen normalen Gesetzgebungsverfahren für seine Änderung fordert.178 Dabei ist der Vergleich zwischen der Anzahl an Verfassungsänderungen, die in den unterschiedlichen Verfahren ergangen sind (zum jetzigen Zeitpunkt 60 Änderungen des Grundgesetzes durch die üblichen Gesetzgebungsorgane;179 lediglich zwei aufgrund einer Verfassungsinitiative in Bayern bis zum Jahre 2010180) ein deutlicher Hinweis darauf, daß es eine signifikante Hürde für eine Verfassungsänderung darstellt, wenn diese aufgrund eines Volksentscheids, welcher auf ein Volksbegehren mit einem 10 %-Quorum folgt, zu bewerkstelligen ist. In der Literatur wird daneben auf die absolute Zahl an Verfassungsänderungen abgestellt und betont, daß die zwingende Beteiligung des Volkes in beiden Änderungsverfahren, welche die Bayerische Verfassung vorsehe, bis zum Jahre 2010 zu einer sehr viel geringeren Anzahl an Änderungen der Bayerischen Verfassung (11 Änderungsgesetze) als des Grundgesetzes geführt hat (57 Änderungsgesetze).181 (2) Besondere Funktion von Plebisziten in Bayern Des Weiteren kommt eine Untersuchung von zu Häufigkeit und Auswirkungen von Plebisziten generell in Bayern zu dem Ergebnis, daß der Volksgesetzgebung hinsichtlich Verfassungsänderungen eine Stabilisierungsfunktion zukomme. Maßgebliche Auswirkungen entfalte dabei zunächst das obligatorische Verfassungsreferendum gemäß Art. 75 II 2 BayVerf. unter dem Aspekt, daß die Mitwirkung des Volkes einen höheren Organisationsaufwand als eine einfache parlamentarische Abstimmung erfordere.182 Die Autorin nur Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 7. bei Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 79 II Rn. 17 (60 GG-Änderungsgesetze in 65 Jahren); aktuelle Zahl s. www.bundestag.de / dokumente / datenhandbuch / 13 / 13_02 / index.html, letzte Änderung durch Gesetz vom 21.7.2010. 180 Vgl. vorstehend I.5. 181 Lindner 2011, Rn. 302. 182 Mittenberger-Huber 2000, 222 f. 178 Vgl.
179 Argument
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Teil 1: Jüngste Rechtsprechung und Literatur
kommt weiter zu dem Ergebnis, daß der bayerische Volksgesetzgeber durchaus in der Lage sei, politische Themen nach ihrer Relevanz zu beurteilen, und sich auch bei wichtigen gesellschaftlichen Fragen an Abstimmungen beteilige. Insofern bezieht sich das Fazit dieser historischen Untersuchung, in der unter anderem die politischen Auswirkungen der Volksbegehren und Volksentscheide zwischen 1946 und 1999 betrachtet wurden, auch auf die Mobilisierungsfähigkeit direktdemokratischer Themen generell. Die Volksentscheide in Bayern hätten gezeigt, daß die Bayerische Verfassung eine Größe sei, die das Volk zu unmittelbarer Beteiligung veranlasse. So habe es auch ohne die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zur Notwendigkeit eines 25 %-Quorums bei rein plebiszitären Verfassungsänderungen keinen Anlaß zu Pessimismus gegeben. Die Beteiligung an Volksentscheiden in Bayern habe durchschnittlich bei 40,7 % gelegen. Es stehe deshalb nicht zu befürchten, daß extremistische Tendenzen Eingang in die Verfassung fänden. Eine konkrete Gefahr für die Stabilität der bayerischen Demokratie sei insofern derzeit nicht zu erblicken.183 Diese Ausführungen vermögen eher zu überzeugen als jene von Zacher, die in Bayern eine bedenkliche und systemdestabilisierende Tendenz hinsichtlich zunehmender Verfassungsänderungen auf Initiative aus dem Volk heraus feststellen wollen. Als Beispiele werden diesbezüglich unter anderem angeführt: 1967 / 68 seien drei Volksbegehren zum Charakter der Volksschulen initiiert worden, zwei davon seien erfolgreich gewesen – schließlich sei ein Gesetzentwurf des Landtags vom Volk angenommen worden; 1972 habe es ein erfolgreiches Volksbegehren zur Rundfunkfreiheit gegeben und sich dieser Ablauf wiederholt; schließlich sei ein ähnlicher Vorgang 1990 von dem Volksbegehren „Das bessere Müllkonzept“ ausgelöst worden.184 Diese Beispiele zeigen vielmehr, daß der Bayerische Landtag auf hinreichend gewichtige Anliegen des Volks reagiert und diese zum Anlaß genommen hat, eigene Konkurrenzentwürfe in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Auch die Beurteilung, daß es 1997 / 98 zu einer „Häufung“ von Verfassungsänderungen gekommen sei, in dessen Fortgang zwei Verfassungsänderungen von einem breiten Konsens im Landtag getragen worden seien und die dritte vom Volk ausging,185 gibt eher Anlaß zu der Vermutung, daß der Autor einer grundlegenden Skepsis gegenüber Verfassungsänderungen generell Ausdruck verleihen möchte und darüber hinaus dem Ergebnis der konkreten Modifika183 Mittenberger-Huber
2000, 224 ff. 1998, 740. 185 Zacher 1998, 741; vgl. dazu auch Weixner 2011, 268, die darauf hinweist, daß in Ländern ohne zwingende Beteiligung des Volkes an einer parlamentarischen Verfassungsänderung deutlich mehr Verfassungsänderungen stattgefunden haben als in solchen, die, wie Bayern und Hessen, ein obligatorisches Verfassungsreferendum vorsehen. 184 Zacher
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tionen – wie der Abschaffung des Bayerischen Senats durch die letztgenannte Änderung – inhaltlich nicht zuzustimmen vermag. Die Diagnose, daß „Volksbegehren zum Breitensport geworden“ seien,186 verliert insofern an Überzeugungskraft, denn neben dem Wert der Verfassungsstabilität muß auch die Notwendigkeit in die Beurteilung mit einbezogen werden, daß Verfassungen eine gewisse Flexibilität aufweisen sollten.187 Eine Änderungsfrequenz der Bayerischen Verfassung, die sich außerhalb dieser Parameter bewegte und darüber hinaus auf den Volksgesetzgeber zurückzuführen wäre, ist jedoch nicht ersichtlich. (3) Instrumente der Erschwerung Die Vermutung, daß plebiszitäre Elemente in Verfahren der Verfassungsänderungen eine bedeutende Erschwernis darstellen, ist auch naheliegend, wenn man die verschiedenen Instrumente vergleicht, derer sich eine Verfassung bedienen kann, um ihre Änderung zu erschweren beziehungsweise vom üb lichen Gesetzgebungsverfahren abzuheben. Gegenüber der qualifizierten Mehrheit in den regulären Gesetzgebungskörperschaften sowie formellen Hürden im Verfahren selbst (zum Beispiel Textsicherungsklauseln, wiederholte Abstimmungen) nimmt sich ein Volksentscheid als ein Bestandteil aus, der eine relativ starke Abweichung vom Normalfall und eine besonders enge Rückbindung an den Souverän ermöglicht.188 Das Volk handelt in diesem Fall als außergewöhnliches Staatsorgan,189 was ebenfalls darauf hindeutet, daß sich die oft festgestellte (faktische oder normative) Ergänzungsfunktion direkter Demokratie190 an dieser Stelle in einer besonderen Facette systemgerecht äußert. Deshalb kann auch der Argumentation nicht gefolgt werden, daß die Stabilität der Verfassung höher stehe als das politische Bedürfnis, das plebiszitäre Potential um seiner selbst willen zu optimieren und die Bürgerbeteiligung als solche zu maximieren.191 Die besseren Gründe sprechen vielmehr dafür, daß ein Volksentscheid insbesondere im Verfahren der Verfassungsänderung per se eine signifikante Hürde darstellt und die Verfassung vor allzu häufiger Abänderung schützt. Somit ist nicht etwa das Verfahren der parlamentarischen Verfassungsrevision nach Art. 75 II BayVerf. an sich ein 186 Zacher
1998, 741. nachfolgend, Teil 2. 188 Vgl. zum Ganzen Masing 2005, 4 f. sowie ausführlich in Teil 2. 189 Dreier 1999, 518. 190 Dazu Teil 2. 191 Isensee 1999, 67. 187 Genauer
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anspruchsvolles,192 sondern das Element des Verfassungsreferendums macht es erst zu einem solchen. (4) Schutzkonzept der Bayerischen Verfassung bezüglich ihrer Abänderung Beurteilt man den Grad der Erschwerung der Abänderbarkeit der Bayerischen Verfassung, so ist auch das dem Volksentscheid vorgeschaltete Volksbegehren zu berücksichtigen, welches eine zusätzliche Hürde darstellt.193 Daneben treten noch andere formelle Hürden und die bayerische Ewigkeitsklausel als zusätzliche Absicherung. (a) Formeller Schutz Jung hat einen Überblick über das Zusammenspiel der formellen Sicherungen gegeben, denen sich die Bayerische Verfassung unterwirft. Diese stelle die Hürde des Volksbegehrens dem qualifizierten Parlamentsbeschluß am Beginn des Verfahrens der parlamentarischen Verfassungsänderung gemäß Art. 75 II 2 BayVerf. gleich, weswegen ein systematischer Widerspruch zwischen Art. 74 und 75 II BayVerf. nicht gegeben sei, sondern vielmehr der Prozeßcharakter der Volksgesetzgebung gesehen werden müsse.194 Darüber hinaus verfolge die Bayerische Verfassung kein quorenbasiertes Schutzkonzept. Sie sichere sich gegen ihre Abänderung mit den Vorgaben, daß sie nur die formelle Gesetzgebung als Änderungsmechanismus zulasse (Art. 75 I 1 BayVerf.), also Verordnunggebung ausschließe, des Weiteren durch ein striktes Textänderungsgebot (Art. 75 IV BayVerf.) und schließlich beim parlamentarischen Weg der Verfassungsänderung durch die geforderte Zweidrittelmehrheit im Landtag sowie das sich anschließende Referendum (Art. 75 II BayVerf.).195 Daneben wird darauf hingewiesen, daß bei einer Beurteilung, wie stark das 10 %-Quorum beim Volksbegehren das Verfahren der direktdemokratischen Gesetzgebung erschwert, auch die sonstigen Hürden berücksichtigt werden müßten, die sich in der Praxis stellten. So dürften die Unterschriften ausschließlich in Amtsräumen abgegeben werden; eine freie Unterschriftensammlung sei nicht möglich. Dort komme es aber immer wieder zu Schwierigkeiten mit den Öffnungszeiten und der Erreichbarkeit der Amtsräume. Die nochmals Isensee 1999, 67. 1999, 518. 194 Jung 1999 I, 423. 195 Jung, 1999 I, 425, der die unterschiedlichen Konzepte mit dem Schlagwort „Schutz der Verfassung durch das Volk oder vor dem Volk“ belegt. 192 Vgl.
193 Dreier
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Eintragungsfrist betrage lediglich 14 Tage, in denen knapp 940.000 Unterschriften erreicht werden müßten.196 (b) Materieller Schutz Diese formellen Schutzmechanismen stehen freilich nicht alleine im Raum. Denn nicht übersehen werden darf, daß mit Art. 75 I 2 BayVerf. zusätzlich ein materieller Schutz der Bayerischen Verfassung gegen jegliche Verletzung ihrer demokratischen Grundgedanken gegeben ist. Die bayerische Ewigkeitsklausel ermöglicht eine landesverfassungsgerichtliche Prüfung beabsichtigter Verfassungsänderungen anhand des normativen Kerngehalts der Bayerischen Verfassung und sorgt dadurch für einen vollwertigen Bestandsschutz auch ohne Quorum beim verfassungsändernden Volksentscheid.197 Sie qualifiziert damit – ebenso wie Art. 79 III GG für die Bundesebene – die verfassungsändernde Gewalt in Bayern als einen Akt der verfaßten Gewalt. Diese ist daher im Unterschied zur verfassunggebenden Gewalt rechtlich begrenzte Gewalt.198 Ihre Aufgabe liegt damit in der Austarierung der Möglichkeit zur Anpassung der Bayerischen Verfassung an neue Einsichten einerseits und Bedürfnisse sowie des Schutzes der wesentlichen Identität und Stabilität derselben andererseits.199 (5) Ergebnis Die Bayerische Verfassung erweist sich nach allem ausreichend gegen Änderung gesichert; sie ist sogar schwerer abänderbar als das Grundgesetz.200 Nach allem kann damit auch der von Isensee diagnostizierte Systembruch zwischen dem Beschluß des Landtags mit Zweidrittelmehrheit und nach geschaltetem Verfassungsreferendum gemäß Art. 75 II BayVerf. und dem Volksentscheid über ein Volksbegehren ohne oder gegen den Willen des Landtages gemäß Art. 74 I BayVerf. nicht bestätigt werden.201 Denn wenn bereits die Entscheidung durch das Volk für sich genommen im Vergleich zu einer qualifizierten Mehrheit im Landtag die maßgebliche Erschwerung der Verfassungsänderung darstellt, so kann ihr die Rolle einer taugliche Hürde entweder zusätzlich zu einem Parlamentsbeschluß oder auch nachgeschaltet zu einem erfolgreichen Volksbegehren durch die Bayerische Verfassung zu196 Hahnzog
2009, 243. Schweiger 2002, 68. 198 Möstl, in Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 75 Rn. 1. 199 Möstl, in Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 75 Rn. 1. 200 Zutreffend Dreier 1999, 519. 201 Vgl. erneut Isensee 1999, 40 ff. 197 Vgl.
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gedacht sein. Schließlich begreift auch Jellinek die direkte Volksabstimmung als eine erschwerende Form der Verfassungsabänderung und führt als Variante dazu eine Änderung durch das Parlament unter Zugrundelegung einer qualifizierten Mehrheit an.202 Endlich bleibt noch der Einwand, daß die Bayerische Verfassung für die einfache sowie die verfassungsändernde Volksgesetzgebung die gleichen Hürden vorsehe und damit den Unterschied zwischen Verfassung und Gesetz einebne.203 Auch dieser Aspekt soll jedoch der abschließenden Untersuchung der Quoren bei Verfassungsänderungen vorbehalten bleiben. 3. Zusammenfassende Würdigung In Bayern hat seit längerem die Frage Schwierigkeiten bereitet, inwieweit die in Art. 74 BayVerf. getroffenen Regelungen abschließend oder einer einfachgesetzlichen Regelung zugänglich sind. Obwohl Art. 74 BayVerf. keine ausdrückliche Ermächtigung an den Gesetzgeber enthält, das Nähere zu regeln, wird es als offensichtlich eingeschätzt, daß die zentralen prozeduralen Weichenstellungen des Art. 74 BayVerf. der näheren Ausgestaltung bedürfen; welche in Art. 63 ff. LWG auch tatsächlich erfolgt ist.204 Den sich an dieser Stelle entfaltenden Streit, ob die fehlende ausdrückliche Normierung von Quoren bei Volksentscheiden das Tor für eine ergänzende Verfassungsauslegung öffnet205 oder der Wortlaut ein beredtes Schweigen bezüglich dieser Frage enthält,206 hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof im Sinne ersterer Ansicht entschieden. Dafür hatte er jedoch seine 50jährige Rechtsprechung in das Gegenteil umkehren müssen. a) Die Bayerische Verfassung ist in sich folgerichtig Die bisherigen Ergebnisse vorliegender Untersuchung konnten jedoch keine Bestätigung dieser Rechtsprechung feststellen, welche unmittelbar auf Besonderheiten der Bayerischen Verfassung zurückzuführen wäre. So spricht die historische Auslegung der Bayerischen Verfassung eher gegen eine unbewußte Regelungslücke betreffs Quoren bei Volksentscheiden über eine Verfassungsänderung aufgrund eines Volksbegehrens. Weiter ist aufgrund vorstehender Erwägungen bezüglich der anzunehmenden Erschwerung der Abän202 Jellinek
1914, 531 – darauf weist Dreier 1999, 518 hin. 1999, 46. 204 Möstl in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 74 Rn. 4. 205 So Isensee 1999, 39 f.; Horn 1999 I, 431. 206 So u. a. Jung 1999 I, 418. 203 Isensee
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derung der Bayerischen Verfassung bereits durch die plebiszitären Elemente Volksbegehren mit 10 %-Quorum sowie Volksentscheid ohne Quorum das Argument des Verfassungsgerichtshofs widerlegt, daß die Regelung des Art. 75 II BayVerf. eine bedeutende Richtschnur zur Ausfüllung einer planwidrigen Unvollständigkeit des Verfassungstextes unter dem Gesichtspunkt des erhöhten Bestandsschutzes enthalte.207 An dieser Stelle bewegt sich das Urteil zumindest sehr nah an der Grenze zu einer offenen Rechtsfortbildung.208 Bei einer offenen Rechtsfortbildung handelt es sich nicht mehr um Gesetzeskonkretisierung, wie sie bei einer Lückenschließung durch Auslegung gegeben wäre, sondern um eine Ergänzung des Textes der Bayerischen Verfassung.209 Ist eine Gesetzeslücke jedoch nicht nachweisbar – und dafür sprechen vorliegend die besseren Gründe – so geht es nicht mehr um bloße Rechtsfortbildung, sondern um Rechtsumbildung durch Gesetzesablehnung; mithin um eine aus den Augen des Richters zu berichtigende Fehlerhaftigkeit des Gesetzestextes. Diese Aufgabe ist dem Richter zwar ebenfalls zugewiesen, allerdings ist die Berichtigung gesetzlicher Gebote an besonders strenge Voraussetzungen gebunden, da die Gewaltentrennung und der Normsetzungsvorrang der Gesetzgebung vor der Justiz betroffen sind,210 wobei hier noch die verfassunggebende Gewalt des Volkes hinzukommt. Nach allem hat die Feststellung von Lege große Überzeugungskraft, wonach das 25 %-Quorum beim verfassungsändernden Volksentscheid nicht aus der Bayerischen Verfassung herausgelesen werden konnte, sondern der Bayerische Verfassungsgerichtshof es vielmehr in sie hineinlesen mußte.211 b) Die Bayerische Verfassung regelt die Quorenfrage abschließend Entgegengetreten werden muß in diesem Zusammenhang auch der These, daß aus dem notwendig fragmentarischen Charakter einer Verfassung ihre relative Inhaltsarmut und Anlage auf Ergänzung durch das einfache Recht zu folgern sei.212 Dies ist zumindest unpräzise. Bestritten werden kann dabei nicht, daß das Staats- beziehungsweise Verfassungsrecht weithin in wichtigen Teilen fragmentarisches Recht in dem Sinn ist, daß es nicht jede Materie des 207 So
aber BayVerfGH 52, 104 (134). die Analyse von Lege 2000, 285 f., der zum Ergebnis einer Verfassungsänderung durch den Gerichtshof kommt. 209 Vgl. zur Abgrenzung Zippelius 2005, § 13 am Anfang. 210 Rüthers / Fischer / Birk 2013, § 23 A.II. Rn. 826 f. 211 Lege 2000, 286; unter Kritik an der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ähnlich Schweiger, in: Nawiasky / Schweiger / Knöpfle, BV, Art. 2 (2000) Rn. 12 ff., insb. Rn. 16. 212 So aber Isensee 1999, 49 f., 68 f. 208 Ebenso
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staatlich-politischen Lebens ausdrücklich regeln kann.213 Daher ist auch eine Umsetzung oder Konkretisierung durch niederrangiges Recht unumgänglich, denn der Text der Verfassung soll kurz und prägnant bleiben. Dies erleichtert dem Leser die Beurteilung, was der Verfassunggeber als so wesentlich eingeschätzt hat, daß er es selbst ausdrücklich regeln wollte. Jedoch sollte dieser Umstand nicht die Konsequenz haben, daß einer Verfassung generell die Ergänzungsbedürftigkeit ihres Wortlauts unterstellt wird. Gerade umgekehrt ist davon auszugehen, daß das Verfassungsrecht seinem Inhalt nach konkrete Rechtsfragen zumindest abstrakt beantwortet.214 Die Umsetzung dieser Beantwortung ist jedoch – auch innerhalb des von der Verfassung vorgegebenen Rahmens215 – Aufgabe des einfachen Rechts sowie von Einzelfallentscheidungen. Dadurch stellt das Staatsrecht gleichzeitig sicher, daß Rechtslücken in den einzelnen Rechtsgebieten geschlossen werden können.216 Das Verfassungsrecht sollte daher nicht als lückenhaft charakterisiert werden; es stellt vielmehr durch seinen Inhalt den Gehalt für die Ableitung des normativen Entscheidungsspielraums der Staatsgewalten – auch im Sinne einer Rechtsanwendung im Einzelfall – zur Verfügung. Hinzu kommt aber noch der Aspekt, welche Einzelfragen die Verfassung selber beantworten will. Dabei soll nicht die Frage geklärt werden, ob ein Verfassungsvorbehalt im Sinne einer abschließenden Regelung durch die Verfassung eines gesonderten Nachweises bedarf.217 Jedoch gibt der vorliegende Fall Anlaß zu der Annahme, daß die Bayerische Verfassung die Frage nach dem Quorum bei verfassungsändernden Volksentscheiden bewußt negativ und abschließend entschieden hat. Es gibt die Antwort auf diese Frage selbst; eine Konkretisierung durch einfaches Gesetz ist nicht erforderlich und eine Ergänzung unzulässig. So begriff der Bayerische Verfassungsgerichtshof noch in seinem Urteil von 1949 ein Quorum als so bedeutsam, daß es durch die Verfassung selber hätte geregelt werden müssen. Ein Vollzugsgesetz kann danach zwar technische Einzelheiten, nicht aber Ergänzungen materieller Art treffen.218 Die Vermutung liegt nahe, daß der Gerichtshof im Bereich der Gesetzgebung – die er zu den wichtigsten Materien der Staatsorganisation zählte219 – eine Abstufung nach der Wichtigkeit der Regelungen vornehmen wollte. Ein Quorum war für ihn mehr als eine Verfahrensfrage. Er zählte es 213 Böckenförde
1983, 321 f. zur Verfassung als Idee im Sinne eines staatsrelevanten Grundgedankens Eichenberger 1991, 154 ff. 215 Zum Staatsrecht als Rahmenregelung vgl. Böckenförde 1983, 322. 216 Böckenförde 1983, 320. 217 Dafür Isensee 1999, 50. 218 BayVerfGHE 2, 181 (217 f.). 219 BayVerfGHE 2, 181 (217). 214 Vgl.
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vielmehr zu jenem Inhalt der Verfassung, der Grundlegendes, Wesentliches und Prinzipielles selber festlegt220 – im umfassenden Sinne. c) Meinungsüberblick zur Quorenhöhe Insgesamt läßt sich feststellen, daß es eine Frage der Höhe der Quoren ist, wie stark das Instrument der Volksgesetzgebung in der politischen Praxis genutzt wird. In Bayern betrifft dies die Höhe des Unterstützungsquorums beim Volksbegehren und des Zustimmungsquorums beim verfassungsändernden Volksentscheid. Es werden sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten, was als angemessenes Quorum angesehen werden kann. Daher sei im Folgenden eine kurzer Überblick gegeben, um einen gewissen Eindruck über das Spektrum dieser Ansichten zu ermöglichen, ohne nochmals auf die Gründe für diese Ansichten einzugehen. aa) Volksinitiative Die Volksinitiative sei an dieser Stelle hauptsächlich deswegen genannt, weil sich bereits hierzu völlig gegensätzliche Meinungen finden lassen. So vertritt Schweiger, daß 25.000 Stimmberechtigte (0,3 %) zu wenig für eine erfolgreiche Initiative seien;221 Möstl dagegen, daß eine Volksinitiative mit 25.000 Unterschriften die Funktionsfähigkeit des Landtags nicht gefährde.222 bb) Volksbegehren Hinsichtlich des Quorums bei Volksbegehren beurteilt Schweiger bereits ein 5 %-Zustimmungsquorum als angemessen, gibt aber zu, verfassungspolitisch eher einem 10 %-Quorum zuzuneigen. Er bezweifelt jedoch, daß ein 5 %-Quorum gegen die demokratischen Grundgedanken verstoßen würde, die in der bayerischen Ewigkeitsklausel Art. 75 I 2 BayVerf. geschützt sind. So lägen die Zulassungsquoren für Volksbegehren in anderen Bundesländern teils sowohl höher als auch niedriger im Vergleich zu Bayern, was auf eine in den Ländern unterschiedliche Wertung bezüglich dessen, was Demokratie ausmache, hindeute.223 Weiter geht Dreier, nach dessen Meinung ein 10 %-Unterstützungsquorum für das Verfahren der Verfassungsänderung eine zusätzliche, erhebliche Hürde darstellt, da deren Überwindung ein hohes 220 Eichenberger
1991, 158. 2002, 71 f. 222 Möstl in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 74 Rn. 4 a. E. 223 Schweiger 2002, 68; 71. 221 Schweiger
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Maß an bürgerschaftlichem Engagement, Überzeugungskraft, Organisation und Mobilisierung erfordere.224 Dagegen vertritt Möstl die Ansicht, daß das 10 %-Quorum der Bayerischen Verfassung jedenfalls so lange nicht abgesenkt werden könne, wie beim Volksentscheid kein Quorum erforderlich sei.225 cc) Verfassungsändernder Volksentscheid Besonders gut läßt sich die Vielfalt der Meinungen in Bayern anhand des Zustimmungsquorums beim verfassungsändernden Volksentscheid zeigen. Es beginnt mit der Ansicht Dreiers, der gar kein Quorum für notwendig hält, da der Gedanke der erschwerten Abänderung der Verfassung bereits im Wege der Abstimmung durch das Volk als außergewöhnliches Staatsorgan hinlänglich gewahrt sei.226 Auch wenn es verfassungsrechtlich tragfähige Gründe für ihre Einführung geben möge: auf keinen Fall sei es demokratietheoretisch oder verfassungsstaatlich zwingend geboten, für Volksentscheide Beteiligungs- oder Zustimmungsquoren einzuführen.227 Thum will Volksentscheide ebenfalls nicht mit Quoren belasten, hält es aber für erwägenswert, daß die Eingangshürden bei Volksbegehren in ihrer Funktion als Verfahrenssicherungen angehoben würden.228 Schweiger will sich hier nicht genauer festlegen, als daß er 25 % als Höchstgrenze für ein zulässiges Quorum annimmt.229 Auf der anderen Seite des Meinungsspektrums vertritt Horn dagegen, daß ein 25 %-Zustimmungsquorum als verfassungsrechtlich zwingende Untergrenze anzusehen sei, wobei lediglich oberhalb derselben der Abwägungsspielraum des verfassungsändernden Gesetzgebers zwischen dem erhöhten Bestandsschutz der Verfassung und der praktischen Realisierbarkeit plebiszitärer Verfassungsänderungen beginne.230 Isensee schließlich beurteilt selbst die beim Volksentscheid über die Abschaffung des Bayerischen Senats erreichte Mehrheit von 27,3 % der Stimmberechtigten als nicht ausreichend.231
224 Dreier
1999, 518. in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 74 Rn. 13 a. E. 226 Dreier 1999, 518. 227 Dreier 1999, 523. 228 Thum 2000, 79. 229 Schweiger 2002, 73. 230 Horn 1999 II, 728. 231 Isensee 1999, 69. 225 Möstl
C. Freistaat Thüringen107
d) Weitere Fragestellung Vorgegeben ist damit auch der Gang der weiteren Untersuchung, die sich auf die Frage konzentrieren wird, ob der Gestaltungsspielraum des (verfassungsändernden) Gesetzgebers hinsichtlich der Absenkung von Quoren tatsächlich nur in dem Maß besteht, wie ihm das von den Befürwortern verhältnismäßig hoher Quoren zugestanden wird. Aufgrund der vertretenen Meinungen in der bayerischen Rechtsprechung und Literatur kann dabei ein 25 %-Zustimmungsquorum – auch bei einem verfassungsändernden Volksentscheid – als ein relativ hohes Quorum in diesem Sinne gelten. Dieses bedingt, daß für die vorliegende Untersuchung zum Beispiel das Problem nicht untersucht wird, inwiefern die Zustimmungsrate bei Entstehung der Bayerischen Verfassung ein 50 %-Zustimmungsquorum bei verfassungsändernder Volksgesetzgebung rechtfertigen könnte.232 Denn hierbei würde gerade die umgekehrte Fragestellung untersucht, nämlich bis zu welcher Höhe im Wege der Anhebung von Quoren dieselben gerechtfertigt werden könnten. Die neueren Gesetzgebungstendenzen weisen jedoch in die Richtung der Absenkung von Quoren.
C. Freistaat Thüringen Abschließend soll die Frage nach der verfassungsrechtlichen Gebotenheit von Quoren bei Volksbegehren und Volksentscheid anhand der Diskussion in der Thüringer Literatur und der Rechtsprechung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs dargestellt werden.
I. Einführung in die Sach- und Rechtslage Die zum Zeitpunkt des Volksbegehrens „Mehr Demokratie in Thüringen II“ und der nachfolgend dargestellten Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs geltenden Regelungen für den Bürgerantrag, Volksbegehren und Volksentscheide wirkten sich in der politischen Praxis wie folgt aus: Einen Bürgerantrag hat es nicht gegeben. Vier Volksbegehren wurden versucht, von denen zwei als Petitionen behandelt wurden. Nur das Volksbegehren „Mehr Demokratie in Thüringen II“ war schließlich erfolgreich.233
232 Ablehnend unter Hinweis auf eine Zustimmung i. H. v. lediglich 49,6 % Jung 1999 I, 424. 233 Schiffers 2002, 192.
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1. Überblick Das Thüringer Volksgesetzgebungsverfahren ist zweistufig ausgestaltet, da der Bürgerantrag als eine Form der Bürgerinitiative strikt von der Gesetzgebung getrennt ist; das Volksbegehren (Art. 82 I–VI ThürVerf.) stellt demnach den Beginn des eigentlichen Volksgesetzgebungsverfahrens dar.234 Der Bürgerantrag dient demgegenüber (nur) dem Ziel, dem Repräsentativorgan bestimmte Gegenstände der politischen Willensbildung oder Gesetzentwürfe zu unterbreiten. Dieses muß den Antrag dann innerhalb einer bestimmten Frist behandeln beziehungsweise über den Inhalt des Antrags beraten und entscheiden. Seine Wirkung liegt in der Konzentration des Bürgerwillens auf konkrete Sachfragen und kann dadurch die Repräsentanten auf Meinungen, die unter den Bürgern vertreten werden, aufmerksam machen.235 Nach einer zunächst sehr restriktiven Quorengestaltung liegt diese nach einer Reform aus dem Jahr 2003, durch welche eine verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Neuregelung des Volksgesetzgebungsverfahrens beschlossen wurde,236 nunmehr im Mittelfeld der Bundesländer. Eine die Quorenregelungen in den Ländern vergleichende Studie kommt zu dem Ergebnis, daß Thüringen mittlerweile trotz weiterhin anspruchsvoll hoher Hürden bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Ausführungsgesetzes zu dem Drittel der Bundesländer gehöre, die ihre Volksgesetzgebung am beteiligungsfreundlichsten geregelt hätten.237 In den Jahren 2007 bis 2009 kam es in Thüringen zu einer Konkurrenzsituation von parlamentarischer und Volksgesetzgebung, die sich schließlich in einer Kooperation auflöste. Mitte 2007 war das Bürgerbegehren „Mehr Demokratie in Thüringer Kommunen“ mit einem erfolgreichen Antrag auf Durchführung eingeleitet worden, welches unter anderem eine Absenkung der Quoren für Bürgerantrag und Bürgerbegehren anstrebte. In der Folge unterstützten im Frühjahr und Sommer 2008 während der viermonatigen Sammlungsfrist eine ausreichende Zahl von Stimmberechtigten auch das Volksbegehren. Bereits während des Laufs der Sammlungsfrist wurde jedoch ein parlamentarischer Gesetzentwurf in den Thüringer Landtag eingebracht, der ebenfalls eine Absenkung der Quoren beinhaltete. Bereits am 18. Oktober 2008 trat ein entsprechendes, parlamentarisch beschlossenes Gesetz in Kraft. Da durch dieses Gesetz aber Normen der Thüringer Kommunalordnung geändert wurden, ergab sich die Konsequenz, daß nunmehr das unmitdazu Meerkamp 2011, 313. 2009, 6. 236 Zweites Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Thüringen vom 24.11.2003 (GVBl. S. 493), vgl. dazu Meerkamp 2011, 304 ff., insb. 311 f. 237 Meerkamp 2011, 314. 234 Vgl.
235 Koch / Storr
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telbar darauffolgend mit Bescheid vom 23. Oktober 2008 zustande gekommene Volksbegehren teilweise ins Leere lief. Denn das Volksbegehren hatte Änderungen der Thüringer Kommunalordnung vorgeschlagen, die sich auf den Rechtsstand von 2005 bezogen; ein erfolgreicher Volksentscheid hätte daher normative Brüche zur Folge gehabt.238 Schließlich einigten sich die Vertreter des Volksbegehrens und die Landtagsfraktionen auf einen Kompromißvorschlag unter weitgehender Übernahme der Regelungen des Volksbegehrens. In der Folge nahm der Landtag zunächst den Gesetzentwurf des Volksbegehrens an – womit sich der entsprechende Volksentscheid erledigte – und beschloß sodann die Änderungen der Kommunalordnung gemäß des Kompromisses.239 Bevor jener Kompromiß abzusehen war, wurde – auch im Rahmen eines rechtshängigen Verfahrens vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof – die Zulässigkeit einer solchen, ein Volksgesetz überholenden Gesetzgebung des Landtags diskutiert. In diesem Zusammenhang werden unterschiedliche Auffassung insb. zu den Fragen des Verhältnisses von Parlaments- und Volksgesetzgebung und den entsprechenden Gesetzen sowie zu dem Problem vertreten, ob der Thüringer Landtag durch sein Vorgehen gegen den Grundsatz der Organtreue verstieß.240 2. Aktuelle Rechtslage Nach gegenwärtiger Rechtslage gelten gemäß der Thüringer Verfassung (Stand: Februar 2010) folgende Regelungen: Das Zustimmungsquorum bei Volksbegehren sowohl bezüglich einfachen Gesetzes- als auch Verfassungsänderungen beträgt 8 % bei Eintragung in amtlich ausgelegte Unterschriftsbögen (Zeitraum zwei Monate) und 10 % bei freier Sammlung (Zeitraum vier Monate) gemäß Art. 82 V 2 ThürVerf.; die Zustimmungsquoren für Volksentscheide betragen bezüglich einfacher Gesetze mehr als 25 % (Art. 82 VII 3 ThürVerf.) und bezüglich Verfassungsänderungen 40 % (Art. 83 II 2 ThürVerf.). Die aktuelle Rechtslage stellt eine Umsetzung des gesetzgeberischen Ziels in Thüringen dar, eine Erweiterung der Beteiligungsmöglichkeiten des Volkes durch Erleichterung der Anwendung direktdemokratischer Entscheizu allem ausführlich Storr 2010, 286 f. 2010, 292 ff.; vgl. auch die ausführliche Darstellung bei Meyer 2012 II. 240 Vgl. insb. die Dokumentation der unterschiedlichen Positionen in den Schriftsätzen und Gutachten im Verfahren vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof bei Meyer 2012 III, 35 f.; Degenhart 2012 I, 76 ff.; Meyer 2012 IV, 91 ff.; Degenhart 2012 II, 128 ff.; sowie Huber 2012, 176 ff.; vgl. ferner Koch / Storr 2009; Hasse 2009; Storr 2010. 238 Vgl.
239 Storr
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dungsmöglichkeiten zu schaffen.241 Dies betrifft auch die kommunale Ebene, die hier nicht dargestellt werden soll.242 Durch Volksbegehren243 können Gesetzentwürfe in den Thüringer Landtag eingebracht werden (Art. 82 ThürVerf.). Dem Begehren ist ein Antragsverfahren vorgeschaltet (Art. 82 III ThürVerf.). Der Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens muß von mindestens 5000 Stimmberechtigten unterzeichnet sein. Hält der Landtag die Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens für nicht gegeben oder für unvereinbar mit höherrangigem Recht, hat er den Verfassungsgerichtshof anzurufen. Andernfalls setzt der Präsident des Landtags den Beginn und das Ende der Sammlungsfrist – abhängig von der gewählten Sammlungsart – mit der Bekanntmachung der Zulässigkeit des Antrags fest.244 Ist das Volksbegehren zustande gekommen, muß es der Landtag innerhalb von sechs Monaten abschließend behandeln (Art. 87 VII ThürVerf.). Der Landtag kann dem Volksbegehren entsprechen. In diesem Fall wird der Vorschlag Gesetz, und das Volksbegehren ist erledigt, beziehungsweise es kann bei teilweisem Entsprechen die Erledigung festgestellt werden. Der Landtag kann dem Volksbegehren aber auch nicht entsprechen. Dann kommt es zum Volksentscheid.245 Beim Volksentscheid246 kann der Landtag zugleich auch einen Alternativentwurf zu Abstimmung stellen. Ist der Volksentscheid erfolgreich, werden die Änderungsbefehle in die aktuelle Gesetzesfassung eingearbeitet. Mangels einer Sperrklausel in der Thüringer Verfassung können plebiszitäre Gesetze aber auch jederzeit durch Parlamentsgesetz wieder aufgehoben werden.247
II. Thüringer Verfassungsgerichtshof vom 15. August 2001 Am 15. August 2001 fällte der Thüringer Verfassungsgerichtshof ein Urteil, in welchem er ein Volksbegehren im Wege der vorbeugenden abstrakten Normenkontrolle für unzulässig erklärte und sich umfangreich zu Problemen äußerte, die im Zusammenhang mit Quoren und Verfahren der direkten Demokratie stehen.248
241 Koch / Storr
2009, 5. allem ausführlich Koch / Storr 2009, 5 ff. 243 Vgl. auch Hopfe, in: Linck / Jutzi / Hopfe, ThürV, Art. 82 Rn. 10 ff. 244 Koch / Storr 2009, 7. 245 Koch / Storr 2009, 7. 246 Vgl. auch Hopfe, in: Linck / Jutzi / Hopfe, ThürV, Art. 82 Rn. 16 ff. 247 Koch / Storr 2009, 8. 248 ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31. 242 Zu
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1. Sachverhalt Der Verein „Mehr Demokratie e. V.“ hatte in Thüringen ein Volksbegehren initiiert, das ein Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Thüringen (Gesetz zur Stärkung der Rechte der Bürger) betraf. Der Gesetzentwurf beinhaltete, daß das Unterstützungsquorum für ein Volksbegehren von 14 % auf 5 % gesenkt werden sollte. Dies wurde verbunden mit einer Verlängerung der Sammlungsfrist von vier auf sechs Monate. Außerdem sollte das Zustimmungsquorum beim Volksentscheid für einfache Gesetze entfallen. Hinsichtlich Verfassungsänderungen sollte beim Volksbegehren ebenfalls ein Zustimmungsquorum von 5 % und beim Volksentscheid ein solches in Höhe von 25 % gelten.249 2. Entscheidungsgründe Prüfungsmaßstab für den Gesetzentwurf des Volksbegehrens war die Ewigkeitsklausel des Art. 83 III ThürVerf., die insbesondere das Prinzip des demokratischen Rechtsstaats (Art. 44 I ThürVerf.) und die Volkssouveränität (Art. 45 ThürVerf.) von Verfassungsänderungen ausnimmt und so gleichzeitig den Rahmen für die Anforderungen der Landesverfassung an eine zulässige Verfassungsänderung vorgibt. An dieser Stelle setzt der Gerichtshof mit der Vorwegnahme des Endergebnisses ein, daß das Volksbegehren, als Gesetz beschlossen, elementare, das verfassungsmäßig konstituierte Staatswesen prägende Grundstrukturen aufgeben oder doch so verändern würde, daß nach der Verfassungsänderung das Gemeinwesen in seinen Gestaltungsprinzipien umstrukturiert sei.250 a) Reichweite von Art. 83 III ThürVerf. Im Hinblick auf historische Erfahrungen, insbesondere den Verfall der Weimarer Reichsverfassung, und in Anlehnung an Art. 79 III GG legt der Gerichtshof die Reichweite der thüringischen Ewigkeitsklausel fest. Nach dem von ihm vertretenen weiten Verständnis des Tatbestandsmerkmals „berühren“ überschreitet ein verfassungsänderndes Gesetz deren Grenzlinien nicht erst, wenn Grundelemente des geschützten Rechtsbestandes preisgeben werden, sondern berühren diesen bereits dann, wenn einer der darin enthaltenen Grundsätze in einem seiner konstituierenden Elemente dergestalt verändert wird, daß ein allmählicher Zerfallsprozeß eingeleitet wird.251 GleichzeiSachverhaltsdarstellung bei Wittreck 2005, 152 f. ThürVBl. 2002, 31 (32). 251 ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (32). 249 Umfangreichere 250 ThürVerfGH
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tig sieht der Gerichtshof aber auch die Gefahr einer normativen Zementierung und den damit einhergehenden Schwund der dauerhaften Akzeptanz der Verfassung durch seine Bürger und damit den Bestand der Verfassungsordnung selbst.252 Danach hält der Verfassungsgerichtshof die Grenze zur Ewigkeitsgarantie dann für verletzt, wenn ein Gesetz einen der in Art. 83 III ThürVerf. genannten Grundsätze ganz oder in einem Teilbereich außer acht läßt, sofern dieser Teilbereich zu den konstituierenden Elementen eines dieser Grundsätze gehört und wenn seine Außer-Acht-Lassung den Grundsatz einem allmählichen Verfallsprozeß aussetzt.253 b) Bürgerantrag Für verfassungsrechtlich unbedenklich hält der Gerichtshof die Absenkung des für einen Bürgerantrag erforderlichen Zustimmungsquorums von 6 % beziehungsweise ca. 120.000 Stimmberechtigten auf 25.000 Stimmberechtigte beziehungsweise 1,25 %. Ausübung von Staatsgewalt sei mit dem Bürgerantrag nicht verbunden, vielmehr solle nur das Parlament als das verfassungsmäßige Forum politischer Handlungs- und Gestaltungsinitiativen mit einem bestimmten politischen Thema befaßt werden. Dessen Funktionsfähigkeit sei in diesem Zusammenhang auch nicht gefährdet, da nicht ersichtlich sei, wieso der Thüringer Landtag selbst im Falle einer starken Zunahme von Bürgeranträgen diese nicht ebenso korrekt bearbeiten können solle, wie dies bisher mit Petitionen der Fall gewesen sei.254 c) Volksbegehren und Volkssouveränität Der Gerichtshof sieht den Schutzbereich des Art. 83 III ThürVerf. in Bezug auf das in Art. 44 I ThürVerf. verankerte Demokratieprinzip und die darin enthaltene Volkssouveränität durch die Senkung des Quorums beim Volksbegehren unter mehreren Aspekten verletzt. aa) Repräsentation des Staatsvolks Ausgangsthese des Gerichtshofs ist, daß die Gruppe der ein Volksbegehren initiierenden Personen mit ihrer Betätigung, einem Volksbegehren bei einer Abstimmung zu einer Mehrheit zu verhelfen (er nennt diese Gruppe „Träger eines Volksbegehrens“), Staatsgewalt ausübt, ohne das Staatsvolk zu reprä252 ThürVerfGH
ThürVBl. 2002, 31 (33). ThürVBl. 2002, 31 (33). 254 ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (34). 253 ThürVerfGH
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sentieren. Die Träger eines Volksbegehrens seien deshalb nicht als Repräsentanten der Gesamtheit der Staatsbürger zu bewerten, da sie ein partikulares Interesse verträten und dessen Anerkennung als gemeinwohlfördernd im erfolgreichen Volksentscheid erst erstrebten. Gleichzeitig übten diese durch ihre Gesetzesinitiative jedoch bereits Staatsgewalt aus. Von dem Zeitpunkt an, in dem die formalen Antragsvoraussetzungen erfüllt seien und das Volksbegehren in Gang komme, beginne nämlich ein verfassungsmäßiger Prozeß mit dem Ziel der Veränderung des geltenden Rechts, der ein Handeln des Staates darstelle.255 bb) Materielle Legitimation Zweite These des Gerichtshofs ist, daß Staatshandeln ohne Repräsentation der materiellen Legitimation bedarf. Den Trägern eines Volksbegehrens obliegt es danach, sich diese Legitimation (der Gerichtshof verlangt einen „Legitimationssachverhalt“) zu verschaffen. Da Staatsgewalt weniger im Verfahren als im Ergebnis des Volksbegehrens dergestalt zur Geltung gebracht werde, daß der Landtag die Initiative als Gesetz beschließe oder das Volk über sie abstimme, bedürfe gerade dieser Teil des Volksgesetzgebungsverfahrens der materiellen Legitimation. Die materielle Legitimation schaffe den Zusammenhang zwischen dem Partikularinteresse der Gesetzesinitiatoren und der Gemeinwohlorientierung der Ausübung von Staatsgewalt, indem und insofern sie einen Sachverhalt beinhalte, der ein zuverlässiger Indikator dafür sei, daß das Volksbegehren ein Anliegen verfolge, welches über das Partikulare hinaus den allgemeinen Belangen diene. Sie forme sich für ein Volksbegehren in den Unterstützungsquoren sowie in dem vorausgehenden Verfahren.256 cc) Fünfprozentklausel bei Landtagswahlen Eine Herleitung des Unterstützungsquorums aus Art. 49 II ThürVerf., der bei Landtagswahlen für die Zuteilung von Landtagssitzen einen Mindestanteil von 5 % der im Land für alle Wahlvorschlagslisten abgegebenen gültigen Stimmen fordert, lehnt der Gerichtshof ab. Die Wahl begründe nämlich für den Mandatsträger einen besonderen verfassungsrechtlichen Status, der nach Maßgabe der Geschäftsordnung des Landtags die Befugnis zur Gesetzgebungsinitiative einschließe, ohne daß der Abgeordnete hierzu einer weiteren, zusätzlichen Legitimation bedürfe. Außerdem unterscheide sich der parlamentarische Weg einer Gesetzesinitiative grundlegend von dem Weg, den die 255 ThürVerfGH 256 ThürVerfGH
ThürVBl. 2002, 31 (35). ThürVBl. 2002, 31 (35).
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Initiatoren eines Volksbegehrens bis zum Volksentscheid zurücklegen müßten. So unterlägen sämtliche Entschließungen und Entscheidungen des Parlaments dem Mehrheitsprinzip, so daß die Parlamentsmehrheit eine Gesetzesinitiative einer parlamentarischen Gruppe in ihren Auswirkungen verändern oder anhalten könne. Diese Filterfunktion bestehe bei der Volksgesetzgebung nicht, da das Mehrheitsprinzip hier erst am Ende des Gesetzgebungsverfahrens beim Volksentscheid zum Zuge komme und Volksgesetzgebung im übrigen von einer Stimmung getragen werden könne, die nicht immer auf wohlüberlegtem Handeln beruhe.257 dd) Zwischenergebnis Im Ergebnis sieht der Gerichtshof durch die Absenkung des Unterstützungsquorums für ein Volksbegehren auf 5 % in Verbindung mit der Ausdehnung der Sammelfrist auf sechs Monate, der Einführung einer freien Stimmsammlung sowie dem Wegfall des Zustimmungsquorums beim Volksentscheid für einfache Gesetze die mit dem Quorum verbundene Legitimationsfunktion für die Gesetzesinitiative nicht mehr gewährleistet. d) Volksentscheid Auch die vorgeschlagene Abschaffung des Zustimmungsquorums bei Volksentscheiden verletzt in den Augen des Gerichtshofs das Demokratieprinzip. aa) Legitimation Ein besonderer Legitimationsbedarf ist nach seiner Auffassung beim Volksentscheid jedoch nicht erforderlich. Im Stadium der Abstimmung handele das Volk als Souverän und übe wie bei sonstigen allgemeinen Wahlen Staatsgewalt aus. Eine unmittelbare Legitimation werde daher von Gesetzes wegen hergestellt. Dennoch müsse auch für den Volksentscheid sichergestellt sein, daß ein positives Ergebnis dem Willensbild des Volkes nicht widerspreche. Insofern bedürfe auch der Volksentscheid eines Sachverhalts, der seine Rückbeziehung zum Volkswillen indiziere. Das Zustimmungsquorum des Art. 82 VI 2 Hs. 2 ThürVerf. (z. Zt. des Urteils ein Drittel der Stimmberechtigten) sichere die Gefahr rechtlich ab, daß nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von Stimmberechtigten Gesetze schaffen oder Neuerungen in ein bestehendes Gesetz aufnehmen könne.258 257 ThürVerfGH 258 ThürVerfGH
ThürVBl. 2002, 31 (36). ThürVBl. 2002, 31 (37).
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bb) Prävalenz der parlamentarischen Gesetzgebung Sodann erklärt der Gerichtshof die institutionelle Absicherung der Prävalenz der parlamentarischen Gesetzgebung für unabdingbar, die er im thüringischen Demokratieprinzip angelegt sieht. Die Aufzählung in Art. 45 S. 2 ThürVerf. soll eine inhaltlich-wertende Ordnung zum Ausdruck bringen, von der auch der Verfassunggeber ausgegangen sei. Auch Art. 45 S. 3 ThürVerf., nach dem das Volk mittelbar durch die verfassungsmäßig bestellten Organe handele, sowie Art. 48 I ThürVerf., nach dem der Landtag das vom Volk gewählte oberste Organ der demokratischen Willenbildung sei, untermauerten diese Auffassung. Nur das Parlament, nicht aber das Volk, könne die Anforderungen an ein jederzeit und umfassend handlungsfähiges Gesetzgebungsorgan erfüllen.259 Daher müsse aufgrund einer Gesamtschau durch ausreichend hohe Anforderungen entweder zu Beginn oder am Ende des Volksgesetzgebungsverfahrens gewährleistet werden, daß die Gesetzgebungskompetenz im Regelfall beim parlamentarischen Gesetzgeber bleibe. Führe einerseits die Notwendigkeit, für Volksbegehren aussagekräftige Legitimationssachverhalte zu normieren beziehungsweise für den Volksentscheid die Rückbeziehung auf den Willen des Volkes zu statuieren, dazu, daß das Volksgesetzgebungsverfahren schwerfälliger und aufwendiger sei als die parlamentarische Gesetzgebung, so sei es andererseits dieser verlangsamte Verfahrensgang, welcher der Prävalenz des Parlamentsgesetzes Rechnung trage, sie herstelle und sichere.260 cc) Zwischenergebnis Auch in seinen Regelungen über den Volksentscheid ist das Gesetz danach verfassungswidrig, Art. 83 III ThürVerf. e) Vorrang der Verfassung Schließlich erkennt der Gerichtshof noch einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip in der Ausprägung des Vorrangs der Verfassung vor dem einfachen Gesetz, Art. 83 III i. V. m. Art. 47 IV ThürVerf., indem das Volksbegehren die Anforderungen an ein verfassungsänderndes plebiszitäres Gesetz herabsetzen wollte. Wie das bremische und das bayerische Verfassungsgericht zuvor hält auch der Thüringer Verfassungsgerichtshof die erschwerte Abänderbarkeit für ei259 ThürVerfGH 260 ThürVerfGH
ThürVBl. 2002, 31 (37). ThürVBl. 2002, 31 (38).
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nen wesentlichen Bestandteil des Verfassungsvorrangs. Die Bindung des einfachen Gesetzes an das höherrangige Verfassungsrecht entfalte nur dann die ihr zugedachte Wirkung, die Staatsgewalt rechtlich zu strukturieren, wenn die Verfassungsnorm anderen Änderungsvoraussetzungen unterläge als das einfache Gesetz. Könne dagegen die Verfassung schon mit einfacher Mehrheit an ein Gesetzgebungsvorhaben angepaßt werden, sei der Vorrang der Verfassung nur noch formaler, nicht aber inhaltlicher Natur. Erstrebt sei mit der Erschwerung der Verfassungsänderung aber neben einem erhöhten Bestandsschutz der Verfassung eine breite Akzeptanz des verfassungsändernden Gesetzes und der Schutz von Minderheiten, sei es als parlamentarische Opposition, sei es als Minderheit in der Bevölkerung. Diese Anforderungen seien jedoch allein durch ein Zustimmungsquorum von nur 25 % der Stimmberechtigten nicht mehr erfüllt. Dabei sei maßgeblich auf einen Vergleich mit den Mehrheitsanforderungen bei Verfassungsänderungen durch das Parlament sowie eine Gesamtbetrachtung mit dem Unterstützungsquorum abzustellen. Im Parlament sei jedoch gemäß Art. 83 II ThürVerf. eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich; außerdem könne dem Prinzip der erschwerten Abänderbarkeit auch unter dem Gesichtspunkt nicht nachgekommen werden, daß das Unterstützungsquorum für ein auf eine Verfassungsänderung gerichtetes Volksbegehren lediglich 5 % betragen solle.261 f) Ergebnis Da der Verfassungsgerichtshof einen Verstoß des Volksbegehrens „Mehr Demokratie“ gegen Art. 83 III ThürVerf. bejaht, erübrigte sich eine Überprüfung am Maßstab des Art. 28 I 1 GG. Der Gerichtshof erklärte das Volksbegehren insgesamt für unzulässig.262 3. Stellungnahme Wie schon der Bayerische Verfassungsgerichtshof zieht auch der Thüringer Verfassungsgerichtshof als Prüfungsmaßstab die Ewigkeitsklausel der Landesverfassung heran und kann daher, anders als der Bremer Staatsgerichtshof, auf eine Prüfung von Art. 28 I 1 GG verzichten. In der Argumentation ergeben sich Parallelen zum Urteil aus Bremen, da beide Entscheidungen einen Vergleich des parlamentarischen und des volksunmittelbaren Gesetzgebungsverfahrens unternehmen. Lag der Schwerpunkt des Bremer Staatsgerichtshofs noch mehr auf der Analyse der Qualitäten des 261 ThürVerfGH 262 ThürVerfGH
ThürVBl. 2002, 31 (44). ThürVBl. 2002, 31 (45).
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repräsentativen Verfahrens, akzentuiert der Thüringer Gerichtshof eher Fragen im Zusammenhang mit Volkssouveränität und materieller Legitimation. Er füllt damit eine Lücke des bremischen Urteils, das sein Hauptaugenmerk auf das Unterstützungsquorum und somit auf die Verfahrensstufe des Volksbegehrens legte. Hier sucht das Urteil aus Thüringen nun die Verknüpfung zur zweiten und abschließenden Verfahrensstufe, dem Volksentscheid, herzustellen. Dazu dient der Terminus des „Legitimationssachverhalts“, der die Funktion des Brückenschlags zwischen Partikularinteressen der Volksgesetzinitiatoren und der Gemeinwohlorientierung von Staatsgewalt übernimmt. Der Begriff der „Ausübung von Staatsgewalt“ ist seinem ersten Eindruck nach freilich ambivalent, verknüpft der Thüringer Verfassungsgerichtshof doch mit ihm sowohl Gesetzesinitiative als auch den eigentlichen Gesetzesbeschluß.
III. Thüringer Diskussion Auch die Frage, ob und inwiefern gerade die Thüringer Verfassung bei Verfahren direkter Demokratie Quoren fordert, erfreut sich in der Literatur einer angeregten Diskussion.263 1. Prüfungsmaßstab Prüfungsmaßstab für den Thüringer Verfassungsgerichtshof war, wie dargestellt, Art. 83 III ThürVerf. Mit dieser Bestimmung weist die Thüringer Verfassung eine eigene Ewigkeitsklausel auf. Kritisch in Bezug auf das Urteil des Gerichtshofs wird in der Literatur bereits diesbezüglich angemerkt, daß die in den Art. 82 und 83 ThürVerf. niedergelegten Quoren nur konkrete Ausformungen der in den Art. 44 I und 45 ThürVerf. normierten Verfassungsgrundsätze seien und daher diese nicht mit jenen verwechselt werden dürften – denn schließlich seien nur die Grundsätze selbst unantastbar und nicht deren Ausprägungen in einzelnen Verfassungsnormen.264 Auch wenn man aus den Grundsätzen der Art. 44 I und 45 ThürVerf. die Notwendigkeit bestimmter Quoren für Volksbegehren und Volksentscheid ableiten wolle, bedeute dies nicht, daß gerade die in Art. 82 und 83 ThürVerf. konkret festgelegten Quoren die allein mögliche Konkretisierung darstellten. Die konkrete Zuordnung und Gewichtung direktdemokratischer und repräsentativer Elemente werde durch die Unabänderlichkeitsgarantie des Art. 79 III GG ebensowenig vorgegebenen wie durch Art. 83 III ThürVerf.265 263 Degenhart 2001; Gröschner 2001; Isensee 2001; Huber / Storr / Koch 2002; Kirchgässner 2002; Koch 2002; Rux 2002; Wittreck 2005. 264 Degenhart 2001, 202. 265 Degenhart 2001, 202.
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2. Unterstützungsquoren für Volksbegehren Prägend für die thüringische Diskussion ist insbesondere die Frage, inwiefern schon auf der Ebene eines Volksbegehrens die Betreiber desselben einer Legitimation bedürfen. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof verknüpft an dieser Stelle seine Argumentation für ein Legitimationserfordernis ganz wesentlich mit einem späteren Verfahrensstadium, nämlich dem Gesetzeserlaß im Wege des Volksentscheids.266 Diese Sichtweise eröffnet den Weg zu einer im Vergleich zu den Urteilen aus Bremen und Bayern neuartigen Argumentation, denn indem der einheitliche Prozeß der Volksgesetzgebung stärker betont wird, vergrößert sich notwendig – durch Einbeziehung des Volksbegehrens – der Bezugspunkt des Legitimationserfordernisses. a) Unterstützungsquoren sichern Legitimation Die Befürworter von signifikanten Quoren sprechen denselben auch im Rahmen der thüringischen Diskussion legitimationsvermittelnde Wirkung zu. Freilich ergänzt das dargestellte Urteil mit seinem Konzept des expandierten Legitimationserfordernisses diese Ansicht fundamental. Im Einzelnen geht es insbesondere um eine schon auf Volksbegehrensebene abzuschätzende potentielle Zustimmungsfähigkeit des Gesetzesvorschlags und um eine Kompensationsfunktion innerhalb der demokratischen Legitimation. aa) Qualifikation durch Nachweis der Zustimmungsfähigkeit Isensee ist der Ansicht, daß schon auf der Ebene des Volksbegehrens mittels Quoren eine hinreichende Legitimation der aktiven Bürger gesichert werden muß und setzt ebenso wie der Verfassungsgerichtshof bei der Problematik an, daß diese Bürger regelmäßig eine Minderheit der Bevölkerung darstellen werden. Da das Volk als solches nicht organisiert sei, müsse es sich erst ad hoc zusammenfinden und sei auf Mittler angewiesen. Das Volksbegehren werde formuliert und gesteuert von einzelnen Personen und Organisationen, sei also das Werk aktiver, selbstermächtigter Minoritäten. Mithin verkörpere das Volksbegehren nicht den Willen des Volkes, sondern nur den Willen von Gruppen aus dem Volk. Das Parlament sei a priori demokratisch legitimiert. Die Initiatoren eines Volksbegehrens müßten sich dagegen erst durch den Nachweis, daß sie eine seriöse Chance hätten, für ihr Vorhaben die Zustimmung des Volkes zu finden, qualifizieren. Die Zulassungshürde für das Volksbegehren diene diesem Nachweis.267 266 Vgl.
nochmals ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (35). 2001, 1166.
267 Isensee
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bb) Republikanisches Legitimationserfordernis Für ein Legitimationserfordernis der Gesetzesinitiative führt Gröschner darüber hinaus das Prinzip der republikanischen Allgemeinheit des Gesetzes an. Dieses fordere von jedem Gesetz, daß als Vorlage in ein Gesetzgebungsverfahren eingebracht werde, daß es sich als allgemeines, nicht nur Partikularinteressen verfolgendes, sondern als am Gemeinwohl orientiertes Gesetz zu legitimieren habe. Das könne im plebiszitären jedoch nicht wie im parlamentarischen Verfahren durch das Zusammenwirken personeller, funktioneller und inhaltlicher Legitimationsformen erfolgen, sondern sei auf den Weg funktioneller Legitimation durch die Gesetzesbefürworter beschränkt. Diese könnten sich aber nur prozedural – durch Überwindung eines hinreichend hohen Unterstützungsquorums – legitimieren. Die Höhe des Unterstützungsquorums habe folglich die entfallenden personellen und inhaltlichen Legitimationsformen zu kompensieren. Gröschner belegt jenes republikanische Qualifikationserfordernis mit dem Schlagwort „Kompensationsfunktion“ und verortet an dieser Stelle eine Prüfung der Gemeinwohlorientierung des vorgeschlagenen Gesetzes.268 cc) Herstellung praktischer Konkordanz Auch in Thüringen ist Gegenstand der Argumentation in Bezug auf die Höhe des Unterstützungsquorums, wie sich direkte und indirekte Demokratie zueinander verhalten; dabei liegt der Akzent beim Vergleich der Legitima tionsakte Wahl und Abstimmung. Überwölbt wird die Diskussion wiederum von einem Vorrang der mittelbaren Demokratie, den manche Autoren bejahen. Aus den Art. 81 I sowie II ThürVerf.269 lasse sich entnehmen, daß die Thüringer Verfassung einen Vorrang der parlamentarischen gegenüber der plebiszitären Demokratie normiert habe. Gesetzesinitiativen durch Volksbegehren und Gesetzgebung durch Volksentscheid seien daher verfassungsrechtlich nicht die Regel, sondern die Ausnahme.270 Aus diesem angenommenen Regel-Ausnahme-Verhältnis wird zwar nicht auf ein generelles Zurücktreten der direkten gegenüber der indirekten Demokratie geschlossen, sondern praktische Konkordanz zwischen beiden demo268 Gröschner
2001, 195, 200 sowie 201. I ThürVerf: „Gesetzesvorlagen können aus der Mitte des Landtags, durch die Landesregierung oder durch Volksbegehren eingebracht werden.“; Art. 81 II ThürVerf.: „Gesetze werden vom Landtag oder vom Volk durch Volksentscheid beschlossen.“ 270 Gröschner 2001, 199; ebenso Isensee 2001, 1167. 269 Art. 81
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kratischen Erscheinungsformen angestrebt. Die plebiszitäre Demokratie sei nämlich integrales Moment des Demokratieprinzips als eines Optimierungsgebots, das bestmögliche Verwirklichung nicht nur einer Form der Demokratie verlange.271 Aus diesem Befund jedoch werden unterschiedliche Schlußfolgerungen gezogen. Während auf der einen Seite die Ansicht vertreten wird, daß die Grundsätze des Art. 83 III ThürVerf. im Sinne einer Effektuierung auch der Volksgesetzgebung ausgelegt werden müßten, da die plebis zitäre Gesetzgebung aufgrund ihrer faktischen Voraussetzungen stets nur punktuell und ergänzend neben die parlamentarische Gesetzgebung treten könne,272 wird auf der anderen Seite wegen des „verfassungsrechtlichen Vorrangs der repräsentativen Demokratie“ sowie der Tatsache, daß die Beteiligung an Abstimmungen in Deutschland deutlich geringer sei als an Wahlen eher eindämmend gegenüber direktdemokratischen Verfahren argumentiert – wobei auch berücksichtigt werden müsse, daß die Verfassung durch das Prinzip der primär parlamentarischen Demokratie dem Einzelnen Schutz vor allzu häufigen Abstimmungen, vermittelt durch ein hinreichend hohes Unterstützungsquorum, gewähre.273 In Bezug auf die Frage der Ausgeglichenheit des Verhältnisses beider Gesetzgebungsarten gibt Isensee weiter zu bedenken, daß auch die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems gewährleistet werden müsse. Eine Senkung des Unterstützungsquorums auf 5 % erleichtere es kleinen Gruppen aber erheblich, den Landtag durch das Diktat von Themen vor sich herzutreiben und so in der politischen Öffentlichkeit zu delegitimieren. Auch die Kalkulation von Risiken gehöre insofern zu den Erfordernissen einer rationellen Verfassungsgesetzgebung.274 b) Unterstützungsquoren verfassungsrechtlich nicht geboten Die Gegenansichten sehen mit Unterstützungsquoren nicht den Zweck verbunden, Legitimation zu sichern. So wird bereits die Notwendigkeit derselben auf Ebene des Volksbegehrens bestritten. Außerdem erfährt das Konzept des republikanischen Legitimationserfordernisses Kritik. aa) Volksbegehren keine Ausübung von Staatsgewalt An der Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs wird schon im Ansatz kritisiert, daß darin überhaupt eine materielle Legitimation für das 271 Gröschner
2001, 199. 2001, 203. 273 Gröschner 2001, 199. 274 Isensee 2001, 1167. 272 Degenhart
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Volksbegehren gefordert wird. Der Gerichtshof übersehe, daß die Notwendigkeit demokratischer Legitimation grundsätzlich nur für Handlungen mit Entscheidungscharakter gelte. Eine solche verkörpere das Volksbegehren jedoch gerade nicht. Es stelle lediglich die notwendige Vorstufe des plebiszi tären Gesetzgebungsbeschlusses dar.275 Das Konzept der Vorwirkung des späteren Gesetzesbeschlusses wird als nicht überzeugend beurteilt. Aus der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, daß die Unterstützer eines Volksbegehrens nicht allein ihre Individualrechte aus dem status activus wahrnähmen, sondern in ihrer Gesamtheit eine Funktion im Verfassungsleben erfüllten und insoweit in die Organisation des Staates einbezogen seien, lasse sich nicht ohne weiteres schließen, daß diese auch legitimationsbedürftige Staatsgewalt ausübten. Vielmehr unterscheide das Bundesverfassungsgericht diese besondere kompetentielle Funktion im Verfassungsleben – vergleichbar mit dem bürgerlichen Engagement für eine Partei – wohlweislich von der Ausübung von Staatsgewalt.276 Demgegenüber erschöpfe sich die rechtliche Bedeutung des Volksbegehrens darin, den Souverän zur Entscheidung aufzurufen. Für dieses Recht sei zwar die Forderung gerechtfertigt, die Ernsthaftigkeit der Initiative zu belegen, sei also eine Erheblichkeitsschwelle zu normieren. Bei welchen Prozentzahlen diese liegen solle, sei jedoch der Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers vorbehalten.277 bb) Keine Verschiebung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses In der Argumentation, die Verfassungsinitiative verschiebe das RegelAusnahme-Verhältnis in übermäßiger Weise zu Lasten der parlamentarischen Gesetzgebung, sieht Degenhart eine ungerechtfertigte Zurückdrängung der Volksgesetzgebung. Die Verfassungsinitiative kehre nämlich nicht ein faktisch bestehendes Regel-Ausnahme-Verhältnis der beiden Gesetzgebungsarten um, sondern erhöhe allenfalls die Realisierungschancen der Ausnahme. Deshalb komme es auch nicht entscheidend darauf an, ob und warum in den einschlägigen Bestimmungen der Thüringer Verfassung repräsentative vor direktdemokratischen Emanationen des Staatswillens genannt würden. Die Aufzählung Wahlen vor Volksbegehren und Volksentscheid unterscheide die Thüringer im übrigen weder von der plebiszitfreundlichen Bayerischen Verfassung noch vom antiplebiszitären Grundgesetz. Ebensowenig wie sich daher aus der Thüringer Verfassung ein Vorrang der plebiszitären Gesetzgebung ergebe, sei somit ein genereller Nachrang festzustellen.278 275 Koch
2002, 47. 2005, 157 unter Hinweis auf BVerfGE 96, 231 (239) sowie BVerfGE 60, 53 (61 f.); ebenso Degenhart 2001, 206; Rux 2002, 48. 277 Degenhart 2001, 206. 278 Degenhart 2001, 204 f. 276 Wittreck
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Teil 1: Jüngste Rechtsprechung und Literatur
cc) Keine drohende Handlungsunfähigkeit des Landtags Eine drohende Handlungsunfähigkeit des Thüringer Landtags wird in der Literatur unter Hinweis auf Erfahrungen der Staatspraxis anderer Länder bestritten. In Ländern mit einem niedrigen Unterstützungsquorum ließen sich keine nachteiligen Effekte auf die repräsentative Demokratie feststellen. Genannt werden hier insb. Schleswig-Holstein und Thüringen. In SchleswigHolstein sei es zwischen Mai 1995 und Mai 2000 bei einem Unterstützungsquorum in Höhe von 5 % zu zwei Volksbegehren, in Brandenburg zwischen 1993 und 2000 bei fünf Anläufen und einem Unterstützungsquorum in Höhe von ca. 4 % zu keinem zugelassenen Volksbegehren gekommen.279 Sogar in Sachsen, wo durch die dreistufige Ausgestaltung des Volksgesetzgebungsverfahrens bereits der von 40.000 Stimmberechtigten unterzeichnete Volksantrag das Parlament zur Befassung mit einem Gesetzesvorschlag zwinge, sei die repräsentative Demokratie nicht beeinträchtigt.280 Außerdem wird darauf hingewiesen, daß sich der Thüringer Landtag nicht schon durch jede noch so kleine Gesetzesinitiative beeinflussen lasse. Es sei kaum zu erwarten, daß sich das Parlament von einer Initiative unter Druck setzen lasse, wenn diese trotz einer niedrigen Hürde beim Volksbegehren das erforderliche Quorum nur knapp erreicht hätte.281 dd) Übrige Sicherungen des parlamentarischen Systems Gegen eine drohende Verdrängung des parlamentarischen Systems in Thüringen werden außerdem die Einbeziehung des Parlaments in das Verfahren der plebiszitären Gesetzgebung, wie zum Beispiel die Befugnis, einen Alternativvorschlag zur Entscheidung zu stellen, die präventive Einbeziehung der Verfassungsgerichtsbarkeit, sowie das Recht des Parlaments, ein volksbeschlossenes Gesetz sofort wieder zu korrigieren, angeführt.282 ee) Fehlerhafte Vorstellung von Minderheiten Dem Argument, eine bei Wahlen unterlegene Minderheit könne das parlamentarische System dadurch gefährden, daß es diesem gleichsam als eine Art 279 Huber / Storr / Koch
2002, 160. 2001, 205; zum Ergebnis, daß Volksbegehren auch bei einem Unterstützungsquorum von 5 % eine sehr seltene Ausnahme bleiben, kommt anhand einer Betrachtung der Erfahrungen aus Brandenburg und Schleswig-Holstein auch Rux 2002, 49. 281 Rux 2002, 49. 282 Degenhart 2001, 206; Huber / Storr / Koch 2002, 161. 280 Degenhart
C. Freistaat Thüringen123
außerparlamentarisch-direktdemokratische Opposition entgegenarbeite, wird eine grundsätzliche Fehlvorstellung von direkter Demokratie vorgeworfen. Wahlen und Abstimmungen seien nämlich unterschiedliche und selbständige Formen der Willensbetätigung des Souveräns. Mithin könne es den Stimmberechtigten nicht verwehrt sein, unabhängig von Wahlen und unabhängig davon, ob sie sich dort bei der „Mehrheit“ oder „Minderheit“ wiederfänden, sich in Abstimmungen neu zu formieren.283 ff) Republikanisches Prinzip fordert keine Legitimation Der Ansicht, nach welcher aus dem republikanischen Prinzip unter dem Gesichtspunkt republikanischer Allgemeinheit und Gemeinwohlorientierung bestimmte Unterstützungsquoren für Gesetzesinitiativen aus dem Volk abzuleiten sind, wird entgegengehalten, daß die damit zusammenhängenden Postulate an die Struktur des Staates und der Verfassungsordnung in ihrem Begriffsgehalt allgemeinerer Natur seien als etwa Festlegungen auf den demokratischen Gehalt der Verfassung. Weitergehende Anforderungen an die Legitimation der Gesetzesinitiatoren seien hieraus nicht ableitbar. Mit dem Begriff „Freistaat“ seien zwar über die Festlegung auf die republikanische Staatsform weitergehende historische Begriffsinhalte wie die Entscheidung für einen freiheitlichen, rationalen, antitotalitären Staat in die Thüringer Verfassung aufgenommen worden; dies stehe dem fraglichen Volksbegehren jedoch nicht entgegen. Im Gegenteil spreche die ideengeschichtliche Ableitung des Prinzips – die Republik als „Sache der Allgemeinheit“ – eher gegen einen Schutz des passiven Bürgers vor demjenigen, der sich aktiv beteilige.284 Die Vorstellung, daß Gesetzentwürfe nur dann eingebracht werden dürften, wenn das verfolgte Anliegen den allgemeinen Belangen diene, finde keine Grundlage im geltenden Staatsrecht. Vielmehr zeichne sich der Prozeß der politischen Willensbildung in einer pluralistischen Gesellschaft gerade dadurch aus, daß auch kleine Interessengruppen die Möglichkeit hätten, ihre Anliegen in das Entscheidungsverfahren einzubringen. Aus diesem Grund habe in einer parlamentarischen Demokratie nicht nur die Regierung oder die jeweilige Parlamentsmehrheit das Recht zu Gesetzesinitiative, sondern jeder einzelne Abgeordnete.285
283 Degenhart
2001, 206 (Hervorhebungen i.O.). 2001, 207. 285 Rux 2002, 48. 284 Degenhart
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Teil 1: Jüngste Rechtsprechung und Literatur
3. Beteiligungsquorum beim Volksentscheid Anders als bei der Frage nach einem Unterstützungsquorum bei Volksbegehren ist bezüglich Quoren bei Volksentscheiden unstrittig, daß der Souverän hier durch die Teilnahme an der Abstimmung unmittelbar Staatsgewalt ausübt. Streitig sind jedoch auch hier Funktion und verfassungsrechtliche Notwendigkeit solcher Abstimmungsquoren. a) Schutz vor Entscheidungszwang Eine Ansicht in der Literatur will die Notwendigkeit eines nicht unerheblichen Zustimmungsquorums beim Volksentscheid aus dem Charakter der Verfassung als einer freiheitlichen Ordnung ableiten und lehnte die – vom Thüringer Verfassungsgerichtshof schließlich verworfene – Streichung des Quorums in Höhe von einem Drittel der Stimmberechtigten (mittlerweile mehr als ein Viertel der Stimmberechtigten, vgl. Art. 82 VII 3 Hs. 2 ThürVerf.) ab. Die Teilnehmer eines Volksentscheids bezögen die Legitimation nicht aus einem demokratischen Naturrecht, sondern aus der Verfassung. Diese mute als freiheitliche Ordnung aber nicht jedermann zu, sich mit jedweder Gesetzesfrage vertraut zu machen und sich für ein Ja oder Nein zu entscheiden. Zur demokratischen Freiheit des Bürgers gehöre auch, sich nicht von anderen die politischen Themen oktroyieren zu lassen. Quoren schützten so die Bürger davor, sich mit allen privaten Gesetzgebungsvorstößen befassen und sie gegebenenfalls abwehren zu müssen – ihre Abschaffung dagegen begünstige die Dominanz selbstermächtigter Gruppen.286 b) Quoren sind bei Volksentscheiden verfassungsrechtlich nicht zwingend Die Gegenansicht sieht den Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht gehindert, für Volksentscheide auf ein Quorum zu verzichten. aa) Demokratie- und Mehrheitsprinzip Es gehöre zur Wahl- und Abstimmungsfreiheit des Einzelnen, von seinen staatsbürgerlichen Rechten Gebrauch zu machen – oder eben nicht. Aus dem Demokratie- und insb. aus dem Mehrheitsprinzip könne nicht das Erfordernis eines Quorums entnommen werden, denn das Volk brauche sich als Quelle 286 Isensee
2001, 1167.
C. Freistaat Thüringen125
der Staatsgewalt nicht gesondert zu legitimieren.287 Auch bei Wahlentscheidungen seien es meist absolute Minderheiten, welche die Parlamentsmehrheit bestimmten, weswegen die Aufhebung des bisherigen Zustimmungsquorums für Volksentscheide über einfache Gesetze in der Thüringer Verfassung nichts anderes bedeute als die Rückführung auf den urdemokratischen Grundsatz „Mehrheit entscheidet“.288 Zu einem anderen Ergebnis führe auch nicht eine etwaige Kombination aus niedrigem Unterstützungsquorum beim Volksbegehren und Aufhebung des Zustimmungsquorums beim Volksentscheid. Um Gesichtspunkte demokratischer Legitimation beurteilen zu können, müßten nämlich die verschiedenen Stadien des Gesetzgebungsverfahrens voneinander abgeschichtet werden; auch bei parlamentarischer Gesetzgebung würden zwischen Gesetzes initiative und Mehrheiten beim Gesetzesbeschluß keine Zusammenhänge hergestellt. Sei von der Initiativgruppe das Volksbegehren erfolgreich durchgeführt worden, so beruhe das anschließende Verfahren der Beschlußfassung auf einer in jeder Hinsicht legitimierten Initiative und sei in seinen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen selbständig zu beurteilen.289 bb) Erheblichkeit und Gemeinwohl Des Weiteren wird in Frage gestellt, ob es überhaupt berechtigt ist, von einer Gesetzesinitiative grundsätzlich zu verlangen, daß davon die Mehrheit der Bürger betroffen sein muß. Es gäbe eine Vielzahl von Regelungen, die nur für einen sehr kleinen Personenkreis, nicht aber für die Allgemeinheit von Bedeutung seien. Dieser Umstand dürfe aber nicht zu dem Schluß führen, daß die entsprechende Gesetzesvorlage unwichtig sei; demnach dürfe sich etwaige Indifferenz der absoluten Mehrheit nicht auf das Ergebnis der Abstimmung auswirken.290 Schließlich wird noch angemerkt, daß der Thüringer Verfassungsgerichtshof, indem er den Bürgern eine wohlüberlegte Entscheidung nicht zutraue, dem demokratischen Prinzip an sich die Legitimation entziehe. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso dieselben Bürger zwar bei Wahlen, nicht jedoch bei Abstimmungen ihre Stimme nach dem Gemeinwohl ausrichten können sollten.291 287 Koch
2002, 47. 2001, 207. 289 Degenhart 2001, 208. 290 Rux 2002, 48 unter beispielhafter Anführung des Fischerei- oder Jagdrechts bzw. einer Vielzahl von Berufsausübungsregelungen, die allenfalls mittelbar dazu dienten, die Qualität der erbrachten Leistungen und damit die Verbraucher zu schützen. 291 Rux 2002, 50; ebenso Wittreck 2005, 159. 288 Degenhart
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Teil 1: Jüngste Rechtsprechung und Literatur
cc) Kritik am Legitimationsbegriff des Thüringer Verfassungsgerichtshofs Kritik erfährt das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichts insbesondere hinsichtlich den Funktionen, die es den Abstimmungsquoren bei Volksentscheiden zumißt. Sowohl deren rückwirkende Indizfunktion für die Gemeinwohlverträglichkeit der Gesetzesinitiative als auch die Gewährsfunktion für eine dem wahren Volkswillen entsprechende Entscheidung auf Volksentscheidsebene seien abzulehnen. Das Gericht unterliege an dieser Stelle einem Zirkelschluß, der auf seinem Postulat eines materiellen Legitimationserfordernisses bereits im Volksbegehrensstadium beruhe.292 c) Abschaffung unter Vorbehalt zulässig Eine weitere Ansicht will einen Wegfall des Zustimmungsquorums in Thüringen grundsätzlich zulassen, jedoch nur unter dem Vorbehalt, daß durch eine Gefahrenprognose gesichert werde, daß das Parlament nicht gelähmt werde. Außerdem dürften rechtsstaatliche Grundsätze wie die Trennung und gegenseitige Kontrolle der Gewalten nicht zur Ausnahme verkümmern beziehungsweise die Verwirklichung des Gemeinwohls strukturell in Frage gestellt werden. Diese Schutzgüter seien zwar aktuell in anderen Ländern, die kein Zustimmungsquorum kennten, nicht beeinträchtigt. Den thüringischen Gesetzgeber treffe nach einer Aufhebung des Zustimmungsquorums jedoch eine Beobachtungspflicht, die ihn zur Nachbesserung verpflichte, falls sich eine Staatspraxis entwickeln sollte, durch die der Vorrang der repräsentativen Demokratie ernsthaft in Frage gestellt würde.293 4. Konkrete Höhe der Quoren Auch zur konkreten Höhe der Quoren werden in der Literatur Versuche gemacht, der Thüringer Verfassung zu entnehmen, in welchem Bereich der Gesetzgeber durch Verfassungsänderung seinen Gestaltungsspielraum nutzen kann. a) Verfassungsgenetische Interpretation So stellt Gröschner durch Analyse der Entstehungsgeschichte der Thüringer Verfassung die seiner Ansicht nach in Thüringen geltende Besonderheit 292 Wittreck
2005, 162.
293 Huber / Storr / Koch
2002, 163 f. unter Hinweis auf die Staatspraxis der Länder Bayern, Hessen, NRW und Sachsen, die keinerlei Anzeichen für einen Funktionsverlust der Landtage erkennen lasse.
C. Freistaat Thüringen127
eines dem objektivierten Willen des Verfassunggebers entsprechenden Unterstützungsquorums in Höhe von 10 % fest. Die verfassungsgenetische Interpretation der Plenums- und Ausschußberatungen habe ergeben, daß unterhalb dieser Schwelle die republikanischen und demokratischen Grundsätze des Art. 83 III ThürVerf. berührt seien.294 Er kommt allerdings aufgrund einer Bewertung der Erfolgsquote von Volksbegehren in anderen Bundesländern unter Berücksichtigung der jeweiligen Quorenhöhe auch zu dem Ergebnis, daß realistische Chancen für ein Volksbegehren nur dann bestünden, wenn das Unterstützungsquorum nicht höher sei als 10 %.295 Eine andere Meinung sieht Zulassungshürden von 20 % als klar prohibitiv an und schreibt selbst einem Unterstützungsquorum in Höhe von 10 % die Eigenschaft zu, Volksgesetzgebung allenfalls in mehrjährigem Abstand zu ermöglichen. Konsequent ist daher die weitere Annahme, daß sich die Thüringer Verfassungsinitiative, die vom Gerichtshof verworfen wurde, verfassungslegitime Ziele verfolge.296 Dem könne auch nicht entgegengehalten werden, daß der Verfassunggeber seinerzeit als Kompromiß höhere Hürden vorgesehen habe. Jenen mit einem verfassungspolitischen Kompromiß abgeschlossenen Entscheidungsprozeß neu aufzugreifen sei typische und legitime Funktion der Gesetzgebung unmittelbar durch das Volk.297 Des Weiteren sei eine historisch-genetische Verfassungsinterpretation bedenklich, die den damaligen kleinsten gemeinsamen Nenner nunmehr als Untergrenze verfassungsrechtlich zulässiger Quoren festlege. Dies sei nur dann möglich, wenn nachgewiesen werden könnte, daß mit der Festlegung der Quoren gleichzeitig die Zuordnung von parlamentarischer und plebiszitärer Gesetzgebung im Rahmen des Art. 83 III ThürVerf. festgeschrieben werden sollte.298 Dies sei jedoch nicht der Fall, da die Verfassungsberatungen ergäben, daß bei der Höhe des Unterstützungsquorums 10 % in einem Fraktionsentwurf die Obergrenze darstellte und ein anderer Entwurf sogar bei 5 % gelegen habe. Der objektivierte Wille des Verfassunggebers gehe daher nicht dahin, 10 % als Untergrenze festschreiben zu wollen, sondern stelle lediglich einen Kompromiß dar.299
294 Gröschner 295 Gröschner 296 Degenhart 297 Degenhart 298 Degenhart 299 Degenhart
2001, 2001, 2001, 2001, 2001, 2001,
197 ff. sowie 200 f. 199 f. 204. 204. 202, 204. 205.
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Teil 1: Jüngste Rechtsprechung und Literatur
b) Intraföderaler Rechtsvergleich Eine weitere Ansicht weist darauf hin, daß die Thüringer Verfassung die Grenzen für die Volksgesetzgebung planvoll erheblich enger ziehe als die Verfassungen Bayerns oder Bremens und daher in Thüringen erst recht gelten müsse, was der Bayerische Verfassungsgerichtshof für Bayern entschieden habe – daß nämlich jedenfalls bei einem Quorum von 5 % bei Volksbegehren und bei Verzicht auf ein Beteiligungsquorum im Volksentscheid ein Verfassungsverstoß gegeben wäre. Hinzu komme, daß in Thüringen das Unterstützungsquorum (zum Zeitpunkt des Beitrags) von 14 % wegen der offenen Stimmsammlung einfacher zu erreichen sei als zum Beispiel in Bayern die 10 %, wo eine Sammlung in Amtsräumen erfolge.300 Andere Autoren bewerten ein Unterstützungsquorum von 14 % als eine eher die Partizipationsmöglichkeiten des Einzelnen übermäßig beschränkende Hürde. Für Thüringen müsse dabei berücksichtigt werden, daß dort die über Wahlen zum Landtag vermittelten Partizipationsmöglichkeiten angesichts der fünfjährigen Legislaturperiode des Thüringer Landtags geringer als auf Bundesebene oder in Ländern mit einer vierjährigen Legislaturperiode ausfielen. Eine Ergänzung des Wahlrechts durch wirkungsvolle plebiszitäre Elemente werde vor diesem Hintergrund besonders dringlich.301 c) Internationaler Rechtsvergleich Eine weitere Meinung zieht einen Vergleich zwischen den Quoren, die in der Schweiz gelten und kommt zu dem Schluß, daß diese weit unter dem durch die Verfassungsänderung in Thüringen angestrebten neuen Unterstützungsquorum von 5 % lägen. Die Schweiz habe jedoch gute Erfahrungen mit ihrer ausgeprägten direkten Demokratie gemacht. So führten Verfahren direkter Demokratie zu einem intensiven Diskurs in der Bevölkerung. Diese sei politisch besser gebildet und weniger politikverdrossen als in Deutschland. Im übrigen zeigten Untersuchungen aus den USA, daß die positiven Auswirkungen direktdemokratischer Verfahren auf Budgetprozesse der amerikanischen Bundesstaaten zurückgingen, wenn die Quoren für Volksbegehren höher als 5 % seien.302
300 Isensee
2001, 1168. 2002, 161 f. 302 Kirchgässner 2002, 177 ff. 301 Huber / Storr / Koch
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5. Stellungnahme Die thüringische Rechtslage liefert mitsamt der zugehörigen Rechtsprechung und Literatur neue Facetten für eine Untersuchung der Funktion von Quoren. Es werden Probleme bezüglich der erforderlichen Legitimation einer Gesetzesinitiative aufgeworfen, die im Zusammenhang mit Fragen des Republikprinzips und der materiellen Legitimation stehen. Muß eine Volksgruppe die fehlende personelle und sachliche Legitimation durch Erfüllung erhöhter formaler Standards bereits auf Ebene des Volksbegehrens kompensieren? Wann wird in direktdemokratischen Verfahren Staatsgewalt ausgeübt? Entfaltet ein Volksbegehren in der Art eine Vorwirkung beziehungsweise ein Volksentscheid im Rahmen eines einheitlichen Verfahrens eine Rückwirkung derart, daß Letzterer zur Begründung eines Legitimationserfordernisses des Volksbegehrens angeführt werden kann, wie es die thüringischen Richter angenommen haben?
Teil 2
Spielraum des verfassungsändernden Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren in direktdemokratischen Verfahren Im zweiten Teil der Arbeit soll anhand der im ersten Teil gesammelten Argumente untersucht werden, über welchen Spielraum der verfassungsändernde Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene bei der Normierung von Quoren in direktdemokratischen Verfahren verfügt. Die vorgestellten Urteile der Landesverfassungsgerichte machen hier relativ enge Vorgaben und ließen jeweils Initiativen zur Absenkung der Quoren scheitern. Jene Urteile und die damit zusammenhängenden Diskussionen in der Literatur sollen als Ausgangspunkt der Untersuchung beibehalten werden; gleichwohl ist nunmehr ein Perspektivenwechsel vorzunehmen, da die Länderverfassungen in der Bundesrepublik Deutschland verschiedenen normativen Vorgaben der Bundesverfassung unterliegen. Im weiteren Fortgang werden daher sowohl dogmatische Grundfragen beantwortet als auch später zu treffende Abwägungen zwischen verschiedenen Verfassungsrechtssätzen aus Sicht des Grundgesetzes vorgenommen. Dies ändert freilich nichts daran und wird jeweils auch berücksichtigt werden, daß Verfahren direkter Demokratie in Deutschland momentan nur oder im wesentlichen auf Landesebene vorgesehen sind.
A. Systematik und Inhalt der normativen Vorgaben des Grundgesetzes für demokratische Verfahren in Bund und Ländern Der Absenkung der landesverfassungsrechtlichen Quorenregelungen standen nach der Rechtsprechung stets gewisse normative Kerngehalte entgegen. Dieser Schutz vor Abänderung soll entweder unmittelbar durch eigene Ewigkeitsklauseln der jeweiligen Landesverfassung (in Bayern und Thüringen) oder mittelbar durch Art. 28 I 1 GG (in Bremen) gewährleistet werden. In beiden Konstellationen stellt sich demnach das Problem, wie jener Mindestinhalt des Demokratieprinzips bestimmt werden kann und worin dieser besteht – somit, ob in diesen durch Absenkung der Quoren eingegriffen wird. Diese Fragen sind durch Anwendung von Art. 20 I, II, 28 I und 79 III GG zu
A. Normative Vorgaben des Grundgesetzes131
beantworten, weswegen im Folgenden ein Grundriß des Inhalts und der Funktion dieser Normen erstellt wird.
I. Das Demokratieprinzip des Art. 20 I und II GG Gemäß Art. 20 I GG ist „die Bundesrepublik Deutschland (…) ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“. Art. 20 I GG legt damit das Demokratieprinzip grundsätzlich fest, welches von Art. 20 II, 21, 38 GG sowie anderen Normen des Grundgesetzes konkretisiert und im Zusammenwirken näher entfaltet wird.1 Unter „Demokratie“ wird eine Staatsform verstanden, bei der sich der Staat von unten nach oben aufbaut und die einen Ausgleich zwischen der individuellen Freiheit des Einzelnen und der Autorität des Staates schaffen will.2 Die Gegenüberstellung dieser beiden Pole macht bereits deutlich, daß Demokratie nicht die Notwendigkeit der Einrichtung eines staatlichen Machtapparates bestreiten will, sondern es vielmehr ihr Ziel ist, staatlicher Herrschaft mit konkretem Bezug auf den Einzelnen zu Akzeptanz zu verhelfen. Es geht daher nicht um Ablehnung von staatlichen Entscheidungen, sondern um deren Rechtfertigung. Der Organisation von Herrschaft liegt dabei die Idee zugrunde, daß sich das Volk selbst regieren soll.3 Die Herrschaftsordnung legitimiert sich deshalb zunächst und theoretisch – bereits ohne daß Staatsorgane eingesetzt wurden – durch die unmittelbare Selbstherrschaft der Regierten.4 Da in einem modernen Staatswesen allerdings immer auch Staatsorgane vorhanden sind und auch sein müssen, bedürfen auch diese der Rechtfertigung. Insofern erlangt der Gedanke Bedeutung, daß die der Herrschaftsordnung Unterworfenen zugleich deren Schöpfer sind, da sich die Willensbildung in einem demokratischen Staat vom Volk zu den Staatsorganen vollzieht.5
1 Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II. (2010) Rn. 1; vgl. auch Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 1: „Art. 20 normiert – zusammen mit anderen Bestimmungen des GG – die rechtliche Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, indem er die fundamentalen Strukturprinzipien dieses Staates festlegt und Aufschluss über dessen Selbstverständnis gibt.“; bei Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 1 heißt es: „Art. 20 GG leitet den staatsorganisatorischen Teil des Grundgesetzes ein. Er definiert den Kern deutscher Staatlichkeit.“ 2 Schweiger, in: Nawiasky / Schweiger / Knöpfle, BV, Art. 2 (1989) Rn. 7. 3 Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II. (2010) Rn. 2; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 11. 4 Böckenförde, HStR III, § 34 Rn. 2. 5 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 1; Hofmann, in: SchmidtBleibtreu / Hofmann / Hopfauf, GG, Art. 20 Rn. 45; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 82.
132
Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
1. Demokratie als abstrakter Rechtssatz Bei der Interpretation des Verfassungsprinzips „Demokratie“ ist einerseits zu berücksichtigen, daß sich dessen Gehalt jeweils an einem konkret zu untersuchenden Problem erschließt, dabei aber nicht für alle Zeiten unabänderlich festzulegen ist. Es wird daher als Typus beschrieben, der sich nicht definieren, sondern nur umschreiben lasse.6 Außerdem handele es sich bei dem Begriff „Demokratie“ um ein in der politischen Theorie entwickeltes Prinzip. Solle die Staatsrechtsdogmatik daher auf dem Verfassungsrecht und nicht auf Verfassungspolitik basieren, müsse einerseits dem Verfassungstext durch Präzisierung des normativen Ausgangspunktes und andererseits der Verfassungsinterpretation durch eine klare Gedankenführung besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.7 Überdies kommt Art. 20 I GG jedoch die Funktion zu, mit der Vorgabe einer „Demokratie“ nicht weniger als ein grundlegendes Verfassungsprinzip für die Bundesrepublik Deutschland festzuschreiben. Die Norm nimmt daher für sich in Anspruch, zentrale normative Gehalte für den gesamten Staat vorzugeben und zu fixieren. Die Bedeutung des Rechtssatzes ergibt sich dabei aus jener Identitätsbestimmung selbst sowie aus der Unabänderlichkeitsgarantie des Art. 79 III GG, welche den Kerngehalt u. a. des Demokratieprinzips erfaßt.8 Die Festlegung der Staatsordnung auf die Demokratie wird daher auch als Grundentscheidung,9 Staatsfundamentalnorm10 oder Verfassungsprinzip11 innerhalb des Grundgesetzes bezeichnet. Dieses Spannungsverhältnis zeigt sich auch in dem verfassungsdogmatischen Problem, wie es zu bewerten ist, daß die Notwendigkeit der Konkretisierung des Art. 20 I GG mittels ungeschriebener Verfassungsinhalte gleichzeitig zu einer stetigen Vermehrung des Inhalts des unabänderlichen Verfassungskerns zu führen scheint. Herzog schlägt diesbezüglich vor, die in Art. 20 GG niedergelegten Verfassungsprinzipien als eigenständige, allgemeine Rechtsprinzipien zu begreifen, die nicht nur aus Art. 20 GG herzuleiten, sondern ebenso mittels Analogieschlüssen einer Gesamtschau der das jeweilige Rechtsprinzip konkretisierenden „Ausführungsbestimmungen“ zu entnehmen seien.12 6 Schnapp,
in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 3 f., 18. in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 5. 8 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Einführung) Rn. 5; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 12; vgl. zum änderungsfesten Kern des Demokratieprinzips auch die Übersicht bei Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 81 ff. 9 Stern, Staatsrecht I, S. 553. 10 Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 I. (1980) Rn. 7. 11 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Einführung) Rn. 12. 12 Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 I. (1980) Rn. 28 f. 7 Schnapp,
A. Normative Vorgaben des Grundgesetzes133
2. Erste Konkretisierungen des Demokratieprinzips Art. 20 I GG ist somit aufgrund seines allgemeinen Charakters konkretisierungsbedürftig. Erste Konkretisierungen finden sich in Art. 20 II GG, der festlegt: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Art. 20 II 1 GG enthält zunächst mit dem Satz, daß alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, das Prinzip der Volkssouveränität.13 Es bedeutet, daß das Volk Träger sowie Ursprung der Staatsgewalt ist. In einer gedachten Reinform der unmittelbaren oder direkten Demokratie wäre dieses Kriterium theoretisch stets erfüllt, da das Volk anstehende Fragen selbst unmittelbar entscheiden würde.14 Allerdings wird von Art. 20 II 1 GG gerade nicht gefordert, daß eine Identität von Innehabung und Ausübung der Staatsgewalt vorliegen muß. Es ist vielmehr ausreichend, wenn alle staatliche Gewalt auf den Volkswillen rückführbar ist.15 Die verfassungsrechtlich notwendige demokratische Legitimation erfordert sonach, daß sich die Staatsgewalt jedenfalls mittelbar auf das Volk zurückführen läßt.16 Das Kriterium der Rückführbarkeit aller staatlichen Gewalt auf das Volk als Träger der Staatsgewalt wird vor allem in jenem Regelfall aktuell, daß das Volk selbst nicht unmittelbar Staatsgewalt ausübt. Denn grundsätzlich sieht zwar das Grundgesetz eine unmittelbare Möglichkeit für die Ausübung von Staatsgewalt mittels Abstimmungen vor, vgl. Art. 20 II 2, 1. Hs. Var. 2 GG.17 Normalfall ist jedoch, daß das Volk mittels Wahlen gemäß Art. 20 II 2, 13 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 82; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 27; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 142; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf, GG, Art. 20 Rn. 42. 14 Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II. (2010) Rn. 62. 15 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 83; Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 23; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf, GG, Art. 20 Rn. 46; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 35. 16 BVerfGE 47, 253 (275). 17 A. A. jetzt Engelken 2013 I, 302 ff., wonach diesem Satzteil keinerlei normativer Gehalt zukommen soll; insbesondere nicht dahingehend, daß er das Stattfinden von Wahlen oder Abstimmungen „gebietet, erlaubt oder als Möglichkeit oder Verfassungsregelung gewährleistet, weder im Bund noch in den Ländern“, vgl. S. 304. Diesem Ergebnis kann – insoweit einer näheren Untersuchung nachstehend in B. vorgreifend – nicht gefolgt werden. Dabei kann insbesondere nicht überzeugen, daß im Rahmen einer Wortlaut- bzw. systematischen Auslegung des Art. 20 II GG mittels einer Umformulierung zwar dem Indikativ des Art. 20 II 1 GG der „fundamentale gebietende Gehalt“ in Form der normativen Aussage „Wenn Staatsgewalt (ausgeübt wird), muss sie vom Volk ausgehen.“ (Hervorhebungen i.O.) entnommen werden können, eine entsprechende Umformulierung bei Art. 20 II 2, 1. Hs. GG aber mit dem Argument unzulässig sein soll, daß Begriffe wie „Stattfinden oder Durchführen“ bei
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
1. Hs. Var. 1 GG Repräsentativkörperschaften besetzt, welche dann die Ausübung der Staatsgewalt übernehmen. Die Unterscheidung lautet also, daß das Volk durch Wahlen eine Entscheidung über die personelle Besetzung oder Zusammensetzung eines Staatsorgans, durch Abstimmungen aber eine Sachentscheidung trifft.18 Konsequent bestimmt daher Art. 20 II 2, 2. Hs. GG, daß die Ausübung von Staatsgewalt auch durch besondere Organe möglich ist. Spezielle Bedeutung kommt hier dem schon angesprochenen Zurechnungs- Verantwortungs- und insb. Legitimationszusammenhang zwischen Volk und Staatsorganen zu.19 Dieser setzt voraus, daß das Volk effektiven Einfluß auf die Ausübung der Staatsgewalt durch die Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung nehmen kann.20 Durch die beschriebenen Mechanismen verknüpft Art. 20 II GG außerdem die Volkssouveränität mit dem Repräsentationsprinzip und erteilt utopischen Demokratievorstellungen eine Absage, die eine Identität von Herrschern und Beherrschten postulieren.21
der Umformulierung eines Indikativs in eine normative Aussage nicht ergänzt werden dürften, vgl. S. 302 f. Engelken übersieht hier, daß Art. 20 II 1 GG auf die Trägerschaft und Art. 20 II 2 GG auf die Ausübung von Staatsgewalt abstellt (vgl. hierzu ebenfalls nachstehend B.) – der Aussagegehalt der beiden Sätze somit zu trennen ist. So müßte der Imperativ für S. 1 etwa heißen: „Wenn Staatsgewalt ausgeht, dann vom Volk.“ Und für S. 2: „Wenn Staatsgewalt ausgeübt wird, dann vom Volk in Wahlen und Abstimmungen oder durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung.“ Bezüglich der kritischen Gegenauffassung hinsichtlich der historischen Auslegung vgl. die Erwiderung auf Engelken 2013 I bei Jung 2013 I. Hier äußert Jung eingangs auch die Ansicht, daß die von ihm hierfür verwendete Methode der juristischen Zeitgeschichte derjenigen der genetischen Auslegung überlegen sei, da sie über die als Drucksachen in den parlamentarischen Prozeß eingespeisten Vorlagen und die Beratungsprotokolle hinausgehend auch noch auf alle im nachhinein erreichbaren Quellen wie interne Aktenvermerke, Besprechungsnotizen, Korrespondenzen und anderes mehr zurückgreife. Zur Replik auf Jung 2013 I vgl. wiederum Engelken 2013 II, der für seine Auffassung erneut anführt, daß eine Grundsatzentscheidung des Parlamentarischen Rats für eine „gemischte Demokratie“ (also eine gleiche Möglichkeit für Wahlen und Abstimmungen) nicht feststellbar sei, vgl. S. 759 (Hervorhebung i.O.). 18 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 158, 161; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 31. 19 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 109; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 35; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf, GG, Art. 20 Rn. 46. 20 BVerfGE 83, 60 (71 f.); 93, 37 (66). 21 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 143.
A. Normative Vorgaben des Grundgesetzes135
II. Das Bundesstaatsprinzip und Art. 28 I 1 GG Gemäß Art. 20 I GG handelt es sich bei der Bundesrepublik Deutschland um einen Bundesstaat. Für einen Bundesstaat ist kennzeichnend, daß zwei staatliche Ebenen existieren, die staatsorganisatorisch zunächst getrennt, je für sich strukturiert und schließlich wieder mittels Schnittstellen verbunden werden müssen. Insbesondere die verfassungsrechtliche Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Einzelstaat läßt sich dabei mit dem Schlagwort „vertikale Gewaltenteilung“ belegen.22 Die (verfassungs-)rechtliche Komplexität, die jene normative Festschreibung eines Bundesstaates nach sich zieht, rechtfertigt sich u. a. durch eine größere Nähe der entscheidenden gliedstaatlichen Organe zu den Menschen und ihren Problemen (Subsidiarität) sowie durch einen demokratischen Mehrwert, der sich aus der Etablierung einer zusätzlichen parlamentarischen Ebene in den Einzelstaaten ergibt.23 Ein weiteres Merkmal, das den Bundesstaat von einem regionalistisch aufgebauten Staat unterscheidet, ist, daß die Gliedstaaten des Bundesstaates selbst Staaten sind und neben dem Gesamtstaat eine originäre Befähigung zur Rechtsetzung haben, was auch und insbesondere die Verfassunggebung betrifft (Verfassungsautonomie).24 Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Umstand auf die Formel gebracht: „Das Eigentümliche des Bundesstaates ist, daß der Gesamtstaat Staatsqualität und die Gliedstaaten Staatsqualität besitzen. Das heißt aber, daß sowohl der Gesamtstaat als auch die Gliedstaaten je ihre eigene, von ihnen selbst bestimmte Verfassung besitzen. Und das wiederum heißt, daß die Gliedstaaten ebenso wie der Gesamtstaat in je eigener Verantwortung ihre Staatsfundamentalnormen artikulieren.“25 Die Länder der Bundesrepublik Deutschland sind also mit „eigener – wenn auch gegenständlich beschränkter – nicht vom Bund abgeleiteter, sondern von ihm anerkannter staatlicher Hoheitsmacht ausgestattet. In ihren Bereich gehört die Gestaltung der verfassungsmäßigen Ordnung im Lande.“26 In einem Bundesstaat gibt es daher grundsätzlich zwei verschiedene Ebenen, auf denen Verfassungsnormen existieren (können), so daß auch von der „doppelten Staatlichkeit von Bund und Ländern im Bundesstaat“27 gesprochen wird. 22 Starck
2012, Rn. 6 f. 2012, Rn. 10 f. 24 Starck 2012, Rn. 12. 25 BVerfGE 36, 342 (360 f.). 26 BVerfGE 1, 14 (34); 60, 175 (207). 27 Nierhaus, in: Sachs, GG, Art. 28 Rn. 1; Tettinger / Schwarz, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 3; zweifelnd an der Lehre von der Staatlichkeit der Länder jedoch Baldus, in: Linck / Baldus / Lindner / Poppenhäger / Ruffert, ThürV, E5 Rn. 1, der darauf abstellt, daß es den Ländern durch Art. 29 GG untersagt sei, eigenständig über ihr Staatsgebiet zu entscheiden, daß sie nicht über ein völkerrechtliches 23 Starck
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
1. Funktion von Art. 28 I 1 GG Art. 28 I 1 GG bestimmt: „Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen.“ Dieser Satz ist eine unmittelbare Konsequenz jeder Bundesstaatlichkeit, weil diese die Verfassungsautonomie der Einzelstaaten durch Homogenitätsanforderungen begrenzen muß.28 Art. 28 I 1 GG kommt somit eine maßgebliche Aufgabe bei der Synchronisation der Norminhalte der Verfassungsebenen zu. Er erfüllt dabei eine Doppelfunktion.29 Zunächst erkennt Art. 28 I 1 GG die Verfassungsautonomie der Länder ausdrücklich an;30 es handelt sich demnach um eine bloße Zurkenntnisnahme der rechtlichen Tatsachen. Denn wenn die Gliedstaaten ursprüngliche Staatsqualität besitzen, tun sie das nicht aufgrund einer Norm der Bundesverfassung, sondern gerade aus sich heraus und vorgelagert zur Frage nach den Aussagen Letzterer; die Inhaberschaft unabgeleiteter Staatsgewalt folgt vielmehr aus der Staatlichkeit der Länder.31 In seiner zweiten Funktion unterwirft Art. 28 I 1 GG die Verfassungsautonomie der Länder bestimmten Begrenzungen.32 Die gleichzeitige Existenz von verschiedenen Verfassungs- bzw. staatlichen Rechtssetzungsebenen auf einem identischen Gebiet erfordert insofern die Umsetzung oder zumindest Respektierung einheitlicher Grundprinzipien. Verlangt ist durch das Homogenitätsprinzip des Art. 28 I 1 GG ein Mindestmaß an verfassungsstruktureller und materieller Übereinstimmung.33 Den Ländern wird die bundesverfassungsrechtliche Vorgabe zu einem Mindestmaß an Homogenität durch Sezessionsrecht verfügten, daß Träger des völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechts das deutsche Volk als Nation und nicht das Volk eines Gliedstaates als Teil des deutschen Volkes sowie daß die Staatsgewalt der Länder umfassend durch die Bundesverfassung gebunden sei – die Staatsgewalt der Länder bezeichnet er daher als „eine Staatsgewalt ohne Souveränität“. 28 Starck 2012, Rn. 14, 17; daneben setzt ein Bundesstaat immer auch tatsächliche Homogenität in seiner Bevölkerung, gemeinsamen Geschichte und Regierungsform voraus, vgl. ebenda. 29 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 28 Rn. 42; Tettinger / Schwarz, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 14. 30 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 28 Rn. 42; Tettinger / Schwarz, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 13. 31 Löwer, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 28 Rn. 2; weniger überzeugend erscheint es daher, die Staatsqualität von Bund und Ländern dem Bundesstaatsprinzip zu entnehmen – dahingehend jedoch Kloepfer, Verfassungsrecht I, § 3 Rn. 1. 32 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 28 Rn. 42; Tettinger / Schwarz, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 11. 33 Tettinger / Schwarz, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 4; Stern, Staatsrecht I, S. 704.
A. Normative Vorgaben des Grundgesetzes137
Bindung an die leitenden Prinzipien, nicht aber zu Konformität oder gar Uniformität34 gemacht. Sie ist für das Funktionieren eines Bundesstaates unerläßlich, da es der Konfliktvermeidung dient.35 2. Reichweite des Homogenitätsgebots Fraglich ist nun die Reichweite bzw. der Umfang der bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben durch das Homogenitätsgebot des Art. 28 I 1 GG für die Länder. Art. 28 I 1 GG gebietet, daß „die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern […] den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen“ muß. Dabei hat die Homogenitätsforderung keinen detailgenauen Inhalt, sondern gibt nur eine Bandbreite möglicher Lösungen vor; verläßt eine Landesverfassung das vorgegebene Band, verletzt sie die Bundesverfassung.36 a) Wirkung auf die Länderverfassungen An dieser Stelle sind zwei verschiedene Konstellationen auseinanderzuhalten. Der Bremer Staatsgerichtshof nahm Art. 28 I 1 GG als Prüfungsmaßstab, während der Bayerische und der Thüringer Verfassungsgerichtshof die beabsichtigten Änderungen der Landesverfassungen an den jeweiligen Ewigkeitsklauseln der Landesverfassungen Bayerns und Thüringens prüften. In der ersten Konstellation ist maßgeblich, welchen Spielraum Art. 28 I 1 GG den Ländern in Bezug auf die Aufnahme direktdemokratischer Elemente in ihre Verfassungen gewährt. In der zweiten Konstellation muß zusätzlich gefragt werden, welche Vorgaben die Ewigkeitsklauseln der Landesverfassungen diesbezüglich machen. Eine gedankliche Vorüberlegung hilft an dieser Stelle jedoch weiter, um den konkreten Inhalt der bayerischen und der thüringischen Ewigkeitsklauseln nicht bis ins letzte landesverfassungsrechtliche Spezifikum festlegen zu müssen. Für den Fall nämlich, daß sich in Landesverfassungen, die eigene Ewigkeitsklauseln vorsehen, keine Hinweise darauf finden lassen, daß die betreffende Landesverfassung einen vom Grundgesetz erheblich unterschiedlichen Kerngehalt des Demokratieprinzips schützen will, sind die Ergebnisse der Untersuchung auf die jeweilige Ewigkeitsklausel der Landesverfassung 34 BVerfGE 9, 268 (279); 27, 44 (56); Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 28 Rn. 49; Tettinger / Schwarz, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 4 f. jeweils zustimmend und m. w. N. 35 Vgl. Nierhaus, in: Sachs, GG, Art. 28 Rn. 1; Huber 2001, 172; als „klassisch“ bezeichnet von Tettinger / Schwarz, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 2. 36 Löwer, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 28 Rn. 6.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
übertragbar. Selbst wenn sich aber Hinweise auf ein deutlich verschiedenes Verständnis vom demokratischen Prinzip fänden, behielte jedoch der vom Grundgesetz mittels Art. 28 I 1 GG vorgegebene Kerngehalt seine Bedeutung auch für jene Länder, da er ihnen einen Mindestgehalt vorgäbe.37 Letztere Konstellation wäre etwa denkbar, wenn es Unterschiede im Textbefund der entsprechenden Normen oder aus dem systematischen Zusammenhang heraus geben sollte. Dies ist jedoch nicht ersichtlich, weswegen für die weitere Untersuchung davon ausgegangen wird, daß die untersuchten Normen der Landesverfassungen einen in den wesentlichen Aspekten mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip übereinstimmenden Rechtsgehalt aufweisen. Nicht bestritten werden soll damit, daß die Länder angesichts ihrer eigenen Verfassungshoheit einen nicht unerheblichen Spielraum haben, eigene Schwerpunkte auch hinsichtlich zentraler Verfassungsprinzipien zu setzen.38 Wenn also nachfolgend einzelne (Kern-)Elemente des Demokratieprinzips aufgezeigt werden, die in ihrer konkreten Form nicht nur durch das Grundgesetz, sondern aufgrund des Homogenitätsgebots auch von den Ländern gewährt werden müssen, so liegt die Vermutung nahe, daß der Inhalt dieser Elemente nach dem Grundgesetz und der jeweiligen Landesverfassung übereinstimmt.39 b) Prägung der Vorgaben für die Länder Fraglich ist darüber hinaus, welche Auswirkung es auf die Vorgaben hinsichtlich der Gewährleistung demokratischer Prinzipien auf Länderebene hat, daß Art. 28 I 1 GG Demokratie „im Sinne dieses Grundgesetzes“ vorgibt. 37 Vgl. Möstl, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 75 Rn. 3, der bzgl. Art. 28 I i. V. m. III GG ausführt: „In dem Maße aber, in dem bereits das Grundgesetz selbst materiell-rechtliche Schranken der Verfassungsänderung formuliert und eine Art bundesrechtliche Ewigkeitsklausel vorhält, kann es dem Grundgesetz gleichgültig sein, ob und in welcher Weise die Länder ihrerseits ihre Verfassungen durch den Schutz einer eigenständigen Ewigkeitsklausel flankieren. […] Art. 75 I 2 BayVerf. liegt auf einer Linie mit Art. 28 I, 79 III GG, wird jedoch als solcher nicht bundesrechtlich garantiert und kann über Art. 79 III GG hinausgehen oder hinter ihm zurückbleiben.“ 38 Bei BVerfGE 36, 342 (361) heißt es: „Die Länder haben im Bundesstaat […] grundsätzlich das Recht, in ihre Verfassung nicht nur Fundamentalnormen aufzunehmen, die das Bundesverfassungsrecht nicht kennt, sondern auch Staatsfundamentalnormen, die mit den entsprechenden Staatsfundamentalnormen der Bundesverfassung nicht übereinstimmen. Nur ein Mindestmaß an Homogenität der Bundesverfassung und der Landesverfassung ist gefordert.“ 39 Vgl. nochmals Möstl, in: Lindner / Möstl / Wolff: BV, Art. 75 Rn. 3, 8 – weshalb sich die Frage nach den Konsequenzen angesichts einer hinter dem Schutzgehalt von Art. 28 I, 79 III GG zurückbleibende landesverfassungsrechtliche Ewigkeitsklausel im Ergebnis als weitgehend theoretisches Problem erweisen dürfte.
A. Normative Vorgaben des Grundgesetzes139
Insofern ist zu prüfen, in welcher Intensität das Homogenitätsgebot vom Demokratieprinzip des Grundgesetzes geprägt ist. Die Tatsache, daß im Grundgesetz direktdemokratische Elemente nur als Ausnahme40 bzw. nach a. A. überhaupt nicht existieren41 bzw. der Dominanz repräsentativer Gesetzgebungsverfahren, könnte daher eine bedeutende Einengung des Spielraums der Länder hinsichtlich der weitergehenden Umsetzung direkter Demokratie darstellen. Es wird daher einer genaueren Untersuchung bedürfen, ob und inwieweit die Bundesländer durch das Grundgesetz einer Verpflichtung unterliegen, sich eine repräsentativ geprägte Verfassung zu geben. Die Einführung (zusätzlicher) direktdemokratischer Elemente in das Grundgesetz steht nach h. M. nur dem verfassungsändernden Gesetzgeber zu.42 Es könnte sich in diesem Zusammenhang aber auch herausstellen, daß die momentane Rechtslage nach dem Grundgesetz lediglich eine Ausprägung des Typus’ Demokratie darstellt und nicht als im Demokratieprinzip selbst verankert beurteilt werden kann (vgl. insoweit den Wortlaut von Art. 20 II 2, 1. Hs. GG: „Wahlen und Abstimmungen“). In dieser Auslegung stünde somit auch Art. 28 I 1 GG – vorbehaltlich der Frage nach seinem Inhalt im Vergleich zu Art. 79 III GG – einer starken Betonung plebiszitärer Elemente im Landesverfassungsrecht nicht entgegen.43 Insbesondere wäre dann auch ggf. das Grundgesetz selbst prinzipiell offen für beide Formen von Demokratie.44 c) Die gewährleisteten Elemente des Demokratieprinzips Art. 28 I 1 GG gewährleistet die Grundsätze von Republik, Demokratie, Sozialstaat und Rechtsstaat. Für das Demokratieprinzip umfaßt das die Volkssouveränität als Herrschaftsform Freier und Gleicher, die Geltung der Mehrheitsregel, zeitliche Limitierung der Herrschaftsbefugnisse, freie politi40 So bzgl. Art. 29, 118, 118a GG Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 32; Stern, Staatsrecht I, S. 607. 41 So Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 100, da es sich bei den allenfalls zu nennenden Art. 29, 118 sowie 118a GG um Territorialplebiszite handele, bei denen nicht das gesamte abstimmungsberechtigte Staatsvolk, sondern ein von einer Neugliederung des Staatsgebiets betroffener Bevölkerungsteil abstimme. 42 Stellvertretend Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 106 m. w. N. in Fn. 397 und der Darstellung der Gegenansicht, die ein einfaches Gesetz für ausreichend hält; als Vertreter dieser Gegenansicht sei hier Meyer 2012, 542 genannt, der mit der Tatsache, daß das Grundgesetz „Abstimmungen“ des Bundesvolkes erlaubt, einen etwaigen Verfassungsvorbehalt als bereits beachtet ansieht, da der Verfassunggeber nicht gezwungen sei, (verfahrensrechtliche) Detailregelungen vorzugeben. 43 So Löwer, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 28 Rn. 15 ff. und insb. Rn. 19; vgl. auch Hofmann 1985, 158. 44 So Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 106; vgl. dazu ausführlich nachstehend B.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
sche Willensbildung, demokratische Legitimation allen Staatshandelns und die Führungsrolle des Parlaments mit Rechtsetzungsprärogative und Budgetrecht sowie die Unabhängigkeit der gewählten Abgeordneten.45 Eine genauere Inhaltsbestimmung soll aufgrund dogmatischer Parallelen jedoch im Anschluß an eine Untersuchung des Schutzgehaltes von Art. 79 III GG vorgenommen werden.
III. Die Ewigkeitsklausel des Art. 79 III GG In Art. 79 III GG heißt es: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“ Damit entzieht die sog. Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG wichtige Grundprinzipien der Verfassung dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers und erklärt sie für normativ unantastbar.46 Verfassungsänderungen müssen sich daher in dem durch die Verfassunggebung gezogenen Rahmen halten; entspricht eine Änderung diesem nicht, ist sie allein deshalb unwirksam.47 Das Grundgesetz setzt somit im Unterschied zu der vorgrundgesetzlichen deutschen Verfassungstradition einschließlich der Weimarer Staatsrechtslehre materielle Grenzen für die Verfassungsrevision und schließt eine unbegrenzte Offenheit diesbezüglich aus.48 An Art. 79 GG zeigt sich auch der Unterschied von Verfassunggebung durch die verfassunggebende Gewalt (pouvoir constituant) und Verfassungsänderung mittels Staatsgewalt bzw. staatlicher Organe (pouvoirs constitués). Das Grundgesetz geht in seiner Präambel und in Art. 146 davon aus, daß die verfassunggebende Gewalt beim Volk als demokratischem Souverän liegt, der von Art. 79 GG nicht gebunden wird;49 es weist jedoch 45 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 28 Rn. 55; vgl. auch Nierhaus, in: Sachs, GG, Art. 28 Rn. 15; sowie Tettinger / Schwarz, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 42. 46 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 79 III Rn. 1; ähnlich Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG II, Art. 79 Rn. 25. 47 Sachs, in: Sachs, GG, Art 79 Rn. 6. 48 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 79 III Rn. 2 f. 49 Ganz h. M., vgl. Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG II, Art. 79 Rn. 3; Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 31, 36; Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 79 III Rn. 14; vgl. zur Gegenauffassung Tomuschat 1972, 107 ff., der im Ergebnis seiner Ausführungen auf S. 114 feststellt, „daß die Relativierung der verfassungsgesetzlich geregelten Revisionsgewalt durch eine mit ihr konkurrierende Urgewalt zur Verfassunggebung keine denknotwendige Folgerung aus den Prämissen eines demokratischen Staatsrechts darstellt. Entscheidend kann daher nur der im Grundgesetz zum Ausdruck gebrachte Wille sein.“
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die verfassungsändernde Gewalt in Art. 79 GG einer qualifizierten Mehrheit von Bundestag und Bundesrat zu.50 Besonders interessiert hier und im Folgenden das Verbot in Art. 79 III GG, „eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche […] die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden“, vorzunehmen. Dabei handelt es sich um das Zusammenspiel einer strengen Vorgabe – schon das Berühren geschützter Grundsätze ist untersagt – mit einem weiten Rechtsbegriff („Grundsätze“) für dieses Verbot. Schließlich handelt es sich hierbei – inklusive der Festlegung der Bundesrepublik Deutschland auf eine Demokratie – um abstrakte Verfassungsprinzipien (vgl. vorstehend I.). Das eigentliche Problem im Hinblick auf die Bestimmung der Grenzen der Verfassungsänderung liegt daher in der Ermittlung des normativen Gehalts der durch Art. 79 III GG geschützten Verfassungsgrundsätze im Einzelfall.51 Diesbezüglich vermag auch die Vorgabe, Art. 79 III sei eng auszulegen,52 nur eine grobe Richtung für die Verfassungsauslegung zu liefern.53 Ziel für den Verfassungsinterpreten muß es in einem ersten Schritt sein, die Leitgedanken zu ermitteln, die von der Sperrklausel erfaßt werden, und sie in einem zweiten Schritt von der konkreten Ausformung abzugrenzen, die dem verfassungsändernden Gesetzgeber offen steht.54 Zu beachten ist dabei, daß Art. 79 III GG die Art. 1 und 20 GG nicht gänzlich einschließt, sondern nur ihre Grundsätze für unabänderlich erklärt und somit auf den substantiellen Kerngehalt jener Normen abzielt.55 Nachstehend soll es daher zuerst um die Festlegung einer geeigneten Methode gehen, welche eine Differenzierung zwischen Verfassungssätzen, die vom Schutz der Ewigkeitsklausel umfaßt sind, und solchen, über die der verfassungsändernde Gesetzgeber disponieren kann, ermöglicht. 1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht beschränkt sich in seiner Rechtsprechung auf äußerst zurückhaltende Vorgaben für die Anwendung von Art. 79 III GG. 50 Bryde,
in: v. Münch / Kunig, GG II, Art. 79 Rn. 3 m. w. N. in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 32 a. E.; Evers, in: BK, Art. 79 III (1982) Rn. 152. 52 Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG II, Art. 79 Rn. 29 u.H.a. die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; vgl. auch Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 79 III Rn. 19. 53 Als „wenig hilfreich“, aber „berechtigte Warnung“ bezeichnet von Evers, in: BK, Art. 79 III (1982) Rn. 152. 54 Evers, in: BK, Art. 79 III (1982) Rn. 153. 55 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 79 III Rn. 26; vgl. auch Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG II, Art. 79 Rn. 29; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 39. 51 Hain,
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Danach soll nur die „prinzipielle Preisgabe“ der geschützten Grundsätze verboten sein, indem durch einen „formal-legalistischen Weg eines verfassungsändernden Gesetzes“ die materiellen Grundgehalte der Verfassung abgeschafft und ein „totalitäres Regime“ „legalisiert“ würde.56 Diese Rechtsprechung erfährt einerseits Kritik wegen ihrer minimalistischen Auslegung von Art. 79 III GG,57 andererseits aber auch Zustimmung unter der Ergänzung, daß Art. 79 III GG auch für den irrenden verfassungsloyalen Gesetzgeber gelten müsse.58 Beachtenswert ist aber, daß trotz dieses sehr weiten Ansatzes dem Bundesverfassungsgericht eine recht intensive Kontrolle von Verfassungsänderungen bescheinigt wird.59 Des Weiteren ist eine gewisse Uneinheitlichkeit in der Terminologie des Bundesverfassungsgerichts insofern festzustellen, als daß nicht hinreichend zwischen geschützten Grundsätzen und ungeschützten Ausprägungen jener Grundsätze differenziert wird. So spricht das Gericht einerseits davon, daß die Grundsätze nicht berührt würden, wenn sie nur für eine Sonderlage entsprechend ihrer Eigenart modifiziert würden.60 Andererseits heißt es, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber durch Art. 79 III GG nicht daran gehindert sei, die positivrechtliche Ausprägung dieser Grundsätze aus sachgerechten Gründen zu modifizieren.61 2. Rechtstheoretische Einteilung von Normen in Regeln und Prinzipien Einen weiterführenden Ansatz zur Ermittlung der geschützten Kerngehalte des Grundgesetzes stellt nach überzeugender Auffassung in der Literatur die Anwendung der rechtstheoretischen Differenzierung von Rechtsprinzipien und Rechtsregeln dar.62 Danach handelt es sich bei Prinzipien um solche 56 BVerfGE
30, 1 (24). Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 79 III Rn. 19 m. w. N.; Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts übt insb. auch Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 51. 58 Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG II, Art. 79 Rn. 29. 59 Das Bundesverfassungsgericht urteile – zumindest hinsichtlich grundrechtsrelevanter Änderungen – in einer weltweit wohl einzigartigen Subtilität, Herdegen, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 79 (2008) Rn. 61. 60 BVerfGE 30, 1 (24). 61 BVerfGE 84, 90 (121); 94, 49 (103) – wodurch die Verweisungskette E 94, 49 (103) – E 84, 90 (121) – E 30, 1 (24) problematisch erscheint. Auf diesen Widerspruch weist daher Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 51 zu Recht hin. 62 Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 45; vgl. auch Unger 2008, 89 f. m. w. N. zur Entwicklung dieses Konzepts. 57 Vgl.
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Bestandteile der Rechtsordnung, die lediglich unbedingte Leitgedanken enthalten, die erst, indem sie mit tatsächlichen Bedingungen und unter diesen Bedingungen zusätzlich zu berücksichtigenden Normen in Bezug gesetzt werden, einen konkreten Normbefehl entfalten.63 Erst unter dieser Voraussetzung führen Prinzipien zu den sog. Regeln hin. Regeln sind bedingte Normen, da sie Festsetzungen im Hinblick auf konkrete Fälle enthalten und somit von einem realen Sachverhalt abhängig sind.64 Weiterhin kann eine geltende Regel stets nur entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden. Es ist dann geboten, genau das zu tun, was die Regel verlangt, nicht mehr und nicht weniger.65 Quoren in direktdemokratischen Verfahren sind demnach grundsätzlich als Rechtsregeln zu qualifizieren, da sie eine Festsetzung für einen konkreten Fall der Abstimmung enthalten und nur entweder durch hinreichend hohe Beteiligung bzw. Zustimmung erreicht bzw. auch nicht erreicht werden können. Prinzipien sind dagegen Optimierungsgebote. Es handelt sich um Normen, die gebieten, daß etwas bezogen auf die tatsächlichen und die rechtlichen Möglichkeiten in einem möglichst hohen Maße realisiert wird.66 Sie können daher in unterschiedlichen Graden erfüllt werden, wobei dieses Maß an Erfüllung seinerseits durch Regeln und wesentlich durch gegenläufige Prinzipien bestimmt wird.67 Diese Voraussetzungen haben zur Folge, daß die für Prinzipien kennzeichnende Form der Rechtsanwendung der Modus der Abwägung ist.68 Die Unterscheidung zwischen Rechtsregeln und Rechtsprinzipien ist somit zugleich eine rechtstheoretische Methode zur Flexibilisierung der Rechtsordnung69 sowie zur Herstellung rechtlicher Bindung des Richters auch im Ermessens- bzw. Abwägungsbereich.70 Regeln und Prinzipien sind außerdem nicht nur dem Grade nach zu unterscheiden, sondern sind bereits unterschiedlicher logischer Struktur.71 Denn können Rechtsregeln entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden, berücksichtigen Rechtsprinzipien dagegen bereits die Existenz anderer, u. U. entgegenstehender Normbefehle und ge-
63 Hain,
in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 45. in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 45; vgl. auch Alexy 1995 I, 177 ff. (204), der die Differenzierung ideales Sollen von Prinzipien und reales Sollen von Regeln trifft. 65 Alexy 1995 II, 216; vgl. auch R. Dreier 1991, 104. 66 Alexy 1995 III, 268; ebenso Gröschner, in: Linck / Baldus / Lindner / Poppenhäger / Ruffert, ThürV, Art. 45 Rn. 4. 67 Alexy 1995 II, 216. 68 Alexy 1995 II, 216. 69 Unger 2008, 91. 70 R. Dreier 1991, 104. 71 Alexy 1995 I, 184 unter Bezugnahme auf Ronald Dworkin. 64 Hain,
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
bieten in Anbetracht dessen von vornherein nur ein möglichst optimales Maß an Erfüllung ihrer selbst.72 Obwohl jedoch die Regeln durch Konkretisierung der Prinzipien gewonnen werden, sind sie nicht Bestandteile der Prinzipien. Auch müssen sie die prinzipiellen Leitgedanken keineswegs erschöpfend erfassen, etwa wenn die Regeln wiederum aufgrund unbestimmter Rechtsbegriffe einer weiteren Konkretisierung zugänglich sind. Diese weitere Konkretisierung ist nichts anderes als die Anwendung unvollständiger Regeln, welche ihrerseits – je unvollständiger, desto mehr – unter Rückgriff auf die maßgeblichen Prinzipien vorzunehmen ist.73 Es bleibt festzuhalten, daß Prinzipien als Rechtsnormen einen ganz erheb lichen gestalterischen Spielraum zur Konkretisierung eröffnen, denn da die Prinzipien lediglich unrelativierte Leitgedanken enthalten, die noch keinen normativen Gehalt aufweisen, der sich auf die unter bestimmten tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen ihrer Umsetzung bezieht, können die Regeln nicht zwingend deduziert werden. Der Vorgang der Konkretisierung enthält dementsprechend in starkem Maße schöpferische Elemente, da die Leitgedanken selbst grundsätzlich Raum für verschiedene Möglichkeiten in Gestalt von Regeln lassen.74 Bei dieser Prinzipienkonkretisierung kommt es jedoch häufig vor, daß auf Ebene der Konkretisierung, also auf Regelebene, Normkollisionen auftreten. Auf unbedingter Ebene noch zu vereinbarende Leitgedanken werden nunmehr gegenläufig. In diesem Fall muß die Konkretisierung eine Abwägung dieser Leitgedanken umfassen.75 a) Auswirkung auf das Demokratieprinzip Da die Garantie der Demokratie nach Art. 20 I GG keinerlei bestimmte Festlegungen über die konkrete Ausgestaltung der Herrschaft des Volkes unter den tatsächlichen Voraussetzungen beinhaltet, ist sie als Prinzip im soeben dargelegten Sinn einzuordnen.76 Entscheidend ist nun, daß prinzipienausgestaltende Regeln selbst nicht Teil der Prinzipien sind und somit auch 72 Unger 2008, 92 m. w. N. und Hinweis auf die grundlegende Definition bei Robert Alexy. 73 Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 45 m. w. N. 74 Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 49; zur Definition des Verfassungsprinzips vgl. auch Reimer 2001, 249 ff., der dazu u. a. das Fehlen einer „Rechtsfolgenvorherbestimmung“ zählt. 75 Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 49; ähnlich Evers, in: BK, Art. 79 III (1982) Rn. 156. 76 Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 46; R. Dreier 1991, 104 f.
A. Normative Vorgaben des Grundgesetzes145
nicht von der Schutzwirkung des Art. 79 III GG erfaßt werden können. Nur die unbedingten prinzipiellen Leitgedanken sind als normative Gehalte von Prinzipien „unberührbar“ i. S. der Ewigkeitsklausel. Diese umsetzende Regeln sind dagegen grundsätzlich änderbar, wobei jedoch Änderungen im Bereich der bedingten Festsetzungen prinzipielle Leitgedanken durchaus berühren können. Dies führt zu der im Einzelfall zu klärenden Frage, ob eine solche Berührung unbedingter Leitgedanken durch bedingte Entscheidungen des verfassungsändernden Gesetzgebers von den Verfassungsgerichten angenommen werden kann.77 Zu fragen wäre demnach im Rahmen vorliegender Untersuchung, ob – vorbehaltlich der noch zu klärenden Frage des richtigen Prüfungsmaßstabs in Form einer jeweiligen Landes- oder der Bundesewigkeitsklausel – durch die Herabsetzung von Quoren, wie sie in den dargestellten Fällen durch den verfassungsändernden Gesetzgeber erfolgen sollte, unbedingte Leitgedanken des Demokratieprinzips, wie z. B. das Prinzip der Legitimation allen Staatshandelns oder das Mehrheitsprinzip, berührt worden wären. Erst und nur dann wären diese beabsichtigten Absenkungen von Quoren als Verstoß gegen den Kerngehalt des Demokratieprinzips zu bewerten, wie ihn die jeweilige Verfassung beinhaltet. In Bayern sind die Anforderungen freilich noch wesentlich höher. Dort müßte sogar der Nachweis gelingen, daß die Bayerische Verfassung ein Zustimmungsquorum von 25 % bei verfassungsändernden Volksentscheiden als Bestandteil ihrer „demokratischen Grundgedanken“ ausweist. b) Auswirkungen auf die gerichtliche Kontrolldichte Nach der dargelegten Theorie von der Unterteilung der Normstruktur in Prinzipien und Regeln enthält ein Prinzip selbst keinerlei konkrete Festlegungen und macht keine Vorgabe über die richtige Auswahl unter prinzipienkonformen Konkretisierungsmöglichkeiten. Für eine Gerichtsbarkeit, deren Kontrolltätigkeit auf die Überprüfung der Einhaltung von Prinzipien gerichtet ist, kann keine richterliche Handhabe zur Kontrolle einer Auswahl unter Alternativen, die den Prinzipien entsprechen, bestehen. Eine gerichtliche Optimierungskontrolle ist daher nicht möglich. Ein Gericht kann nur überprüfen, ob ein zu kontrollierender Hoheitsakt den prinzipiellen Leitgedanken überhaupt beachtet. Dabei muß aber das „Wie“ der Berücksichtigung auch eine Rolle spielen, denn nur eine effektiv spürbare Berücksichtigung des Leitgedankens i. S. eines Mindeststandards kann überhaupt als eine erfolgte Beachtung gewertet werden.78 77 Hain,
in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 48 f. in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 50 – nicht zwingend scheint jedoch der von Hain in Fn. 111 angenommene Widerspruch zu der Aussage 78 Hain,
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
3. Weitere Fragestellung Die soeben formulierte Perspektive für die weitere Untersuchung kann daher auch so verstanden werden, daß eine Absenkung von Quoren nicht dazu führen darf, daß geschützte Leitgedanken (z. B. das Mehrheitsprinzip, die Legitimation des Staatshandelns oder die Funktionsfähigkeit der Repräsentativorgane) überhaupt nicht mehr beachtet werden. Der Spielraum des verfassungsändernden Gesetzgebers ist damit nach unten durch einen Mindeststandard begrenzt. Noch genauer: Hätten die vom verfassungsändernden Volksgesetzgeber angestrebten niedrigeren Quoren in den Länderverfassungen Bremens, Bayerns bzw. Thüringens die notwendigen Mindestbedingungen erfüllt, die eingehalten werden müssen, damit angesichts der tatsächlichen Umstände eines Volksgesetzgebungsverfahrens diese Quoren noch als Ergebnis einer effektiv überhaupt spürbaren Berücksichtigung der maßgeblichen (von den Verfassungsgerichten als verletzt erachteten) Prinzipien und insofern als deren Konkretisierung anzusehen sind?79 Da somit die Festlegung konkreter Mindeststandards unausweichlich kontextabhängig und relativ ist, kann die Entscheidung, ob eine Berührung prinzipieller Gehalte durch bedingte Normen vorliegt, nur im Hinblick auf die entscheidungsrelevante Situation, in dieser Situation gegenläufige Leitgedanken sowie den jeweiligen historischen, politischen und kulturellen Kontext getroffen werden.80 Festzuhalten bleibt aber, daß diese Untergrenze für die Höhe der Quoren notwendig als Bestandteil des Rechtsprinzips „Demokratie“ klassifiziert werden müßte. Es handelte sich daher nicht mehr um reine Rechtsregeln, sondern um – wenn auch eine teilweise Konkretisierung beinhaltende – rechtsprinzipielle Bestandteile des Demokratieprinzips.
von Alexy 1995 I, 203 und R. Dreier 1991, 104 f., daß Prinzipien Optimierungsgebote darstellten. Denn dies liegt doch im von Hain dargestellten Charakter der Prinzipien an sich begründet; wenn das Grundgesetz das Demokratieprinzip normiert, dann geht es gleichzeitig davon aus, daß dieses so gut wie möglich – unter Berücksichtigung etwaiger Kollisionen – verwirklicht wird. Damit ist aber noch nichts darüber ausgesagt, in welcher Intensität die Abwägungen, die der Gesetzgeber bei der Konkretisierung des Demokratieprinzips trifft, der gerichtlichen Kontrolle unterliegen sollen. Anders formuliert: Optimierungsgebot muß nicht gleichbedeutend mit Optimierungskontrolle sein. 79 Formulierung gemäß der allgemeinen Formel bei Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 50. 80 Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 51 f.
A. Normative Vorgaben des Grundgesetzes147
IV. Funktionszusammenhang von Art. 20 I und II, 28 I 1 und 79 III GG Nunmehr soll das Problem untersucht werden, wie die Norminhalte der Art. 20 I und II, 28 I 1 und 79 III GG in ihren verschiedenen Funktionen ineinandergreifen. Zunächst können in diesem Zusammenhang solche Kerngehalte, die in jedem Fall gemäß Art. 79 III, 20 I, II GG vom Schutz der Unabänderlichkeitsgarantie umfaßt sind, relativ einfach festgelegt werden. Folgt man der These, daß nur Rechtsprinzipien, nicht aber Rechtsregeln vom Schutz der Ewigkeitsgarantie erfaßt sein können, geht es auf dieser Ebene – rechtsprinzipientheoretisch gewendet – um die Bestimmung der rechtsprinzipiellen Leitgedanken, die den Kerngehalt des grundgesetzlichen Demokratieprinzips ausmachen. Noch nicht beantwortet werden soll an dieser Stelle hingegen die davon nicht vollständig zu trennende Frage, wie sich direkte und indirekte Demokratie zueinander verhalten.81 Die für die vorliegende Untersuchung maßgeblichen Leitgedanken sind im Ausgangspunkt zunächst die Volkssouveränität, die Notwendigkeit demokratischer Legitimation des Staatshandelns sowie das Mehrheitsprinzip.82 Daneben ist im Grundsätzlichen unstrittig, daß – mit Unterschieden in den Formulierungen im Einzelnen – ein mit maßgeblicher Wirkmächtigkeit ausgestattetes bzw. funktionsfähiges Parlament für das Demokratieprinzip des Grundgesetzes unentbehrlich ist.83 1. Identität der durch Art. 28 I 1 und 79 III GG geschützten Kerngehalte? Nach mehrfach in der Literatur vertretener Ansicht stimmen die von Art. 79 III GG vor Verfassungsänderungen geschützten Verfassungsgehalte mit den materiellen Vorgaben des Art. 28 I 1 GG für die Länder hinsichtlich der Ausgestaltung ihres eigenen demokratischen Verfassungsstaates über81 Vgl.
dazu nachstehend B. in: Dreier, GG II, Art. 79 III Rn. 37; Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 77 ff.; Evers, in: BK, Art. 79 III (1982) Rn. 180 ff.; Herdegen, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 79 (2008) Rn. 125; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 64 ff. 83 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 79 III Rn. 42: „Leitfunktion des Parlaments“; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 72: „Volksvertretung mit maßgeblichen Befugnissen“; Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 81 a. E.: „aus Gründen der Funktionsfähigkeit notwendige repräsentative Grundstruktur“ – dieser Punkt ist jedoch nicht mit der noch zu diskutierenden Frage zu verwechseln, ob parlamentarisches und volksunmittelbares Gesetzgebungsverfahren in einem Rangverhältnis zueinander stehen. 82 Dreier,
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
ein.84 Nach anderer Ansicht sind die Grenzen der Verfassungsänderung mit dem Spielraum für die Länder nicht identisch.85 a) Argumente contra Vertreter der letztgenannten Ansicht gehen insbesondere davon aus, daß eine Ewigkeitsklausel enger als eine Homogenitätsklausel sein muß. So falle Art. 79 III GG primär in den Demokratiekontext und sei enger – und macht demnach weitreichendere Vorgaben – als die bundesstaatliche Norm Art. 28 I 1 GG, die ein Minimum an prinzipieller Übereinstimmung86 bzw. lediglich ein Mindestmaß derselben87 fordere. b) Argumente pro Dem ist entgegenzuhalten, daß die Freiheit des Landesverfassungsrechts zwar ein starkes Argument für eine zurückhaltende Homogenitätsklausel ist.88 So kann tatsächlich auf einer ausschließlich bundesstaatlichen Notwendigkeit zur Übereinstimmung in wesentlichen Norminhalten lediglich eine beschränkte Möglichkeit des Grundgesetzes gründen, dem Landesgesetzgeber überhaupt Vorgaben zu machen. Dies wird deutlich, wenn man sich an die originäre Staatsqualität der Länder,89 die der Bund zu respektieren hat, einerseits, sowie an dem bundesstaatlich notwendigen Maß an Homogenität für den Fortbestand der bundesstaatlichen Ordnung90 andererseits erinnert. Aber es spricht auch viel dafür, daß dieser gemäßigte Standard mit den Grenzen der Verfassungsänderung nach Art. 79 III GG übereinstimmt; denn „nur was für den Bund unabdingbare Grundlage der Art und Form seiner politischen Existenz ist, kann und muß er auch seinen Gliedern vorschreiben“.91 Dies liegt auch nahe, wenn man den Wortlaut der Vorschriften vergleicht. So gibt Art. 28 I 1 GG den Ländern ebenso die Grundsätze des republikani84 Hofmann 1985, 157; Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 28 Rn. 53; Huber 2001, 173; Menzel 2002, 252; Bovenschulte / Fisahn 2000, 50; Evers, in: BK, Art. 79 III (1982) Rn. 37; Isensee 2006, 305. 85 Vitzthum 1988, 30; Kersten 1993, 898; Storr 1995, 243 f., der allerdings den ganzen Absatz 1 des Art. 28 GG heranzieht. 86 Vitzthum 1988, 30 sowie Fn. 87. 87 Kersten 1993, 898. 88 Vgl. Menzel 2002, 253. 89 Vgl. nochmals – und insb. zur Formulierung der Staatsfundamentalnormen in eigener Verantwortung durch die Länder – BVerfGE 36, 342 (360 f.). 90 Vgl. nochmals Huber 2001, 172. 91 Hofmann 1985, 157; ebenso Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 28 Rn. 53.
A. Normative Vorgaben des Grundgesetzes149
schen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates als verbindlichen Rahmen vor, wie Art. 79 III GG den verfassungsändernden Gesetzgeber auf Bundesebene an die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze bindet.92 Den Zusammenhang zeigt Hofmann wie folgt auf: „Art. 20 GG legt die Grundsätze für den staatlichen Aufbau und das staatliche Leben der Bundesrepublik fest. Art. 28 I 1 GG macht eben diese „Grundsätze“ wegen der notwendigen föderalen Homogenität auch für die Landesverfassungen verbindlich, und Art. 79 III GG erklärt sie, die in Art. 20 GG niedergelegten „Grundsätze“ für unabänderlich“.93 Ein teleologisches Argument kommt hinzu: Nehmen sowohl Art. 28 I 1 als auch 79 III GG auf die Grundsätze des Art. 20 GG und somit des Grundgesetzes selber Bezug, so dienen sowohl das Homogenitätsgebot als auch die Ewigkeitsklausel letztlich der Bewahrung der Identität des Grundgesetzes.94 So betrachtet entfaltet Art. 28 I 1 GG eine ähnliche Funktion wie Art. 79 III GG. Denn indem er in den wesentlichen und über Art. 79 III GG geschützten Verfassungsprinzipien eine bundesstaatlich notwendige Homogenität der Bundesund Ländernormenhierarchie vorgibt, bewahrt er – verstanden sozusagen als vertikale Ewigkeitsklausel – gleichzeitig auch die Verfassungsordnung des Grundgesetzes selber. Anders formuliert kann man sagen, daß Art. 79 III GG in temporaler und Art. 28 I 1 GG in territorialer Hinsicht den Grundwertekonsens des grundgesetzlichen Verfassungsstaates sichern.95 Es ist dieser Gedanke, der an anderer Stelle als „Einheit der Verfassung“ bezeichnet wird.96 2. Ergebnis Damit sprechen die besseren Gründe für die Annahme eines „Korrespondenzverhältnisses“ zwischen Art. 20, 28 und 79 GG, da die durch Art. 28 I 1 und 79 III GG jeweils in Bezug genommenen Grundsätze übereinstimmen.97 Es liegt somit nahe, an die weitere Untersuchung einen einheitlichen Maßstab anzulegen. Diesen stellen die durch Art. 79 III GG geschützten und durch Art. 28 I 1 GG den Landesverfassungen vorgegebenen Kerngehalte des Art. 20 GG (insbesondere des Demokratieprinzips) dar.98 92 Huber
2001, 173. 1985, 157. 94 Huber 2001, 173. 95 Menzel 2002, 252. 96 Nierhaus, in: Sachs, GG, Art. 28 Rn. 9. 97 Zu Recht daher Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 28 Rn. 53; ebenso Möstl, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 75 Rn. 8. 98 Auch wenn man der Ansicht folgen würde, die Art. 28 I 1 GG weniger Regelungsdichte zuschreibt als Art. 79 III GG, ergäbe sich in letzter Konsequenz für die 93 Hofmann
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
B. Rechtfertigung von Quoren in direktdemokratischen Verfahren oder Rechtfertigung der Volksgesetzgebung durch Quoren? In heutigen, westlichen Industriestaaten kann eine Verfassung vernünftigerweise nicht dahin ausgelegt werden, daß direktdemokratischen Verfahren die Hauptrolle oder auch nur eine annähernd gleichgewichtige Rolle in der Gesetzgebungstätigkeit wie dem Parlament zugedacht sein soll. Die Selbstbestimmung des Volkes verwirklicht sich daher hauptsächlich in der Wahl von Organen eines Herrschaftsverbandes, die die öffentliche Gewalt ausüben.99 Direkte Demokratie kommt in modernen Großflächenstaaten stets nur als punktuelle Ergänzung, niemals als Substitution des Repräsentativ systems in Betracht.100 Es handelt sich deshalb um eine Grundbedingung der Funktionsfähigkeit des Staates, daß dieser seine Organe in weitreichender Form zur Wahrnehmung seiner Aufgaben ermächtigt.101 Dieser Notwendigkeit müssen sowohl das Grundgesetz als auch die Verfassungen der deutschen Länder durch ihre jeweilige normative Ausgestaltung Rechnung tragen.102 Berücksichtigt werden muß daher dem Grunde nach, daß nur ein Parlament als ständige Volksvertretung gewährleisten kann, daß ein jederzeit und umfassend handlungsfähiges Gesetzgebungsorgan existiert.103 Andererseits bedarf der Repräsentationsprozeß aber der ständigen Rückbindung an bzw. Verifikation durch das Volk. Die Ergänzung durch Elemente direkter Demokratie ist daher Aufgabe rechtlicher und politischer Gestaltung.104 Untersucht werden soll angesichts dieser Ausgangslage, ob sich bereits mit der rechtlichen Umsetzung der Funktionsbedingung moderner Staatlichkeit durch die Verfassungen eine grundsätzliche Einführung von Quoren in direktdemokratischen Verfahren begründen läßt. Insofern wird nämlich die Meinung vertreten, daß aus dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes für Bund und Länder die Verpflichtung abzuleiten sei, bestimmte BeteiligungsFragestellung ein Unterschied lediglich insofern, daß dies allenfalls zu einem weiteren Spielraum für solche Landesverfassungsänderungen führen könnte, die an Art. 28 I 1 GG zu überprüfen wären – wie dies die Richter des Bremer Staatsgerichtshof getan haben. 99 BVerfGE 123, 267 (366). 100 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 104; Rinken 2001, 404. 101 Böckenförde, HStR III, § 34 Rn. 12. 102 Ebenso Storr 1995, 258: Art. 28 I 1 GG verlange eine funktionierende Demokratie in den Ländern, weswegen direktdemokratische Elemente nur als Ergänzung des parlamentarischen Systems in Frage kämen. 103 ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (37). 104 Schefold 2011, 154.
B. Rechtfertigung von Quoren in direktdemokratischen Verfahren151
quoren bei Abstimmungen vorzusehen.105 Im Zusammenhang damit wird auch die Vergleichbarkeit von Abstimmungen und Wahlen, bei denen es keine Quoren gibt, abgelehnt.106 Dies wiederum ist eine Frage, die im Kontext eines grundsätzlichen Problems gesehen werden muß: Ist die Tätigkeit des Volksgesetzgebers und diejenige der Volksvertretung zu parallelisieren, oder bedarf es zur Ermittlung der verfassungsrechtlichen Einordnung von Quoren eines Vergleichs der Legitimitätsquellen Wahl und Abstimmung?107 Demnach ist zu fragen, ob aus dem Demokratieprinzip tatsächlich ohne Weiteres die Notwendigkeit von Quoren in direktdemokratischen Verfahren folgt, oder ob nicht vielmehr Quoren ihrerseits einen Eingriff in den Normalfall des demokratischen Systems – auch eines modernen Verfassungsstaates – darstellen und damit ihrerseits gerechtfertigt werden müssen.
I. Vorrangstellung der repräsentativen Demokratie im Grundgesetz? Verschiedenen Autoren zufolge bringt das Grundgesetz eine Bevorzugung der repräsentativen Demokratie zum Ausdruck. Nach einer Grundentscheidung des Verfassunggebers habe das Demokratieprinzip des Grundgesetzes eine Prävalenz bzw. einen Vorrang der parlamentarischen Gesetzgebung ausgesprochen.108 Nach dem ersten Eindruck, den der Wortlaut des Grundgesetzes liefert, werden dagegen Wahl und Abstimmung als gleichgeordnete Alternativen zur Verfügung gestellt: Art. 20 I i. V. m. II GG bestimmt, daß alle Staatsgewalt vom Volk in Wahlen und Abstimmungen sowie durch besondere Organe ausgeübt wird. Andererseits folgt das Grundgesetz in seiner weiteren Ausgestaltung und Konkretisierung diesem Grundsatz selber nicht, da auf Bundesebene demokratische Legitimation tatsächlich allein durch die Bundestagswahl gemäß Art. 38 I 1, 39 I 1 GG vorgesehen ist.109 Ist es also zutreffend, daß sich das Grundgesetz in Art. 20 II 2 GG grundsätzlich zur 105 Ritgen
2000, 130. 2000, 130. 107 Diese Weichenstellung sieht zu Recht Stuby 2001, 251. 108 Isensee 2006, 304 ff.; Krause HStR III, § 35; Badura, HStR II, § 25; Grawert 2008; Huber / Storr / Koch 2002, 163 f.; vgl. auch Böckenförde 1982, der aber in erster Linie Kritik an einem identitär-unmittelbaren Demokratiekonzept übt und daher an dieser Stelle eher eine Illusion abwehrt als eine positive Bestimmung eines Rechtsgehalts vorzunehmen; unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs vgl. auch Lienbacher 2012, 25: „Der repräsentative Charakter ist ein weiterer Bestandteil des Demokratieprinzips. Direktdemokratische Elemente dürfen daher die parlamentarische Entscheidungsfindung weder ausschalten noch deren Freiheit beeinträchtigen.“ 109 Dreier / Wittreck, 2010, 17. 106 Ritgen
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
repräsentativen Demokratie bekennt?110 Läßt sich eine Entscheidung des Grundgesetzes für die repräsentative Demokratie gar der Zuordnung der konkreten Entscheidungskompetenzen zu den verschiedenen Verfassungs- und Staatsorganen entnehmen?111 1. Normative Prägung des Grundgesetzes im Sinne repräsentativer Demokratie? Die Ansicht, die ein normatives Übergewicht der repräsentativen Demokratie nach dem Grundgesetz bzw. deren höhere Bewertung durch dasselbe vertritt, wird bereits am Wortlaut des Art. 20 II 2 GG festgemacht. Die Aufzählung „Wahlen und Abstimmungen“ wolle bewußt eine Reihenfolge zum Ausdruck bringen. Das Grundgesetz sehe damit in der Wahl die primäre Form der Willensbetätigung des Volkes.112 Die Nennung der „Abstimmungen“ in Art. 20 II 2 GG hat nach dieser Auffassung in erster Linie den Sinn, eine Verstärkung plebiszitärer Elemente des Grundgesetzes im Wege der Verfassungsänderung zu ermöglichen.113 Demgegenüber trage der „strenge Parlamentarismus“ die Demokratie des Grundgesetzes.114 Dies wird durch Anführung weiterer Normen unterstrichen, wie der Betonung der demokratischen Wahl in den Ländern und Gemeinden gemäß Art. 28 I 2 GG oder der Aufzählung der Wahlgrundsätze „allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim“ in Art. 28 I 2 und in Art. 38 I 1 GG.115 Demokratie als Staatsform wird mit Repräsentation gleichgesetzt, da nur eine repräsentative Ausübung politischer Gewalt eine Herrschaft nach Rechtsgesetzen ermögliche.116 Schließlich hätten Elemente direkter Demokratie im Grundgesetz eine geringe bis nicht vorhandene tatsächliche Ausgestaltung erfahren (vgl. Art. 29, 118, 118a und 146 GG).117 Der Blick auf die Realität beweise daher, daß die Wahl die wesentliche, allein erhebliche Form darstelle, in der die Aktivbürgerschaft ihren Willen äußere.118 Insgesamt habe das Grundgesetz ein parla110 So z. B. Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 157; Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 19, 24; Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II (2010) Rn. 63 f. 111 Robbers, in: BK GG, Art. 20 (2008) Rn. 796. 112 Krause, HStR III, § 35 Rn. 19. 113 Krause, HStR III, § 35 Rn. 21. 114 Isensee 1995, 31 f. 115 Krause, HStR III, § 35 Rn. 20. 116 Badura, HStR II, § 25 Rn. 35. 117 Badura, HStR II, § 25 Rn. 44; Krause, HStR III, § 35 Rn. 19 f.; Isensee 2006, 304. 118 Isensee 2002, 54.
B. Rechtfertigung von Quoren in direktdemokratischen Verfahren153
mentarisch-repräsentatives politisches System verwirklicht. Ihm wohne daher ein antiplebiszitärer Zug inne.119 Symptomatisch für diese Sichtweise ist, daß in Art. 20 GG eine vermeintliche Grundentscheidung des Grundgesetzes für die parlamentarische Demokratie verortet wird, weil die Volksgesetzgebung eine Rolle des Korrektivs gegenüber der parlamentarischen Gesetzgebung einnehme und daher nur die Ausnahme sei.120 2. Konsequenzen für den Kerngehalt des Demokratieprinzips des Grundgesetzes bei Annahme eines Repräsentativvorrangs Diese Ansicht hat konkrete Auswirkungen auf den Inhalt weiterer Normen bzw. Folgen für die Verfassungsinterpretation. So wird im Rahmen der Kommentierung der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalens gefolgert, daß Art. 28 I GG die Bundesländer zwinge, sich eine Verfassung zu geben, in der das Repräsentationsprinzip die Regel sei.121 An anderer Stelle wird festgestellt, daß die bereits vom Grundgesetz vorgegebene Grundentscheidung für die repräsentative Demokratie nicht nur ein Pendant in der Bayerischen Verfassung finde, sondern dort auch von der bayerischen Ewigkeitsklausel geschützt sei.122 Konsequenzen ergeben sich auch für den Gehalt der bundesverfassungsrechtlichen Ewigkeitsklausel. Art. 79 III GG schütze das Prinzip der parlamentarischen Demokratie im Sinne des Art. 20 GG und somit den Vorrang eines Repräsentativsystems.123 3. Normatives Konzept der Bestimmung des Verhältnisses von indirekter und direkter Demokratie nach dem Grundgesetz Im Unterschied dazu soll im Folgenden ein Konzept zur normativen Bestimmung des Verhältnisses von indirekter und direkter Demokratie nach dem Grundgesetz vertreten werden, welches die natürliche Funktion parlamentarischer Gesetzgebung im modernen Staat als Regelform oder die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen als Begründung nicht ausreichen läßt. Ausgangspunkt ist dabei der Text des Grundgesetzes, insb. Art. 20 I und II GG. Im Wege der Auslegung des Verfassungstextes soll so das Anliegen verfolgt werden, den naturgemäß abstrakten Gehalt jener Verfassungsnormen 119 Brenner,
HStR III, § 44 Rn. 43 unter Zustimmung zu Isensee 2002. 2006, 304 ff.; Isensee 2010, 120. 121 Grawert, NRWV, Art. 2 Anm. 4. 122 Möstl, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 72 Rn. 3. 123 Isensee 2006, 304 f. 120 Isensee
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
so genau wie möglich herauszuarbeiten. Innerhalb dieser Auslegung wird dabei auch der ideengeschichtlichen Hintergrund in einigen wesentlichen Grundzügen berücksichtigt. Hinsichtlich des systematischen Aspekts der Untersuchung ergibt sich ein in drei Stufen unterteilter Gedankengang. a) Art. 20 I GG – Demokratieprinzip Art. 20 I GG normiert mit dem Demokratiegebot einen zentralen Rechtssatz des Grundgesetzes. Er bildet die Ausgangsbasis jeglicher Auslegung des Grundgesetzes, die zur Beantwortung konkreter Rechtsfragen führen soll und stellt damit quasi die erste Stufe, das Fundament für die weitere Betrachtung dar. Die Allgemeinheit des Rechtssatzes macht es jedoch erforderlich, einige inhaltliche Konturen deutlicher zu zeichnen. Folgt man einer überzeugenden Differenzierung zwischen Staatsstrukturprinzipien und Staatszielbestimmungen, so handelt es sich beim Demokratieprinzip des Grundgesetzes zunächst um ein Staatsstrukturprinzip. Ein solches liegt vor, wenn ein Verfassungssatz grundlegende organisatorische oder verfahrensmäßige Festlegungen hinsichtlich der Modalitäten des Staatshandelns trifft,124 bzw. die Bauform oder Statik des Staates i. S. d. Staatsorganisation regelt.125 Um Staatszielbestimmungen handelt es sich dagegen immer dann, wenn ein Verfassungssatz das Staatshandeln auf ein bestimmtes inhaltliches Ziel ausrichtet.126 Im Vordergrund steht daher zunächst einmal die Organisation von staatlicher Herrschaft in Form bestimmter Verfahren. Diese Funktion des Demokratieprinzips deckt sich auch grundsätzlich mit der normativen Einordnung von Quoren, sind diese schließlich ebenfalls ein Verfahrensbestandteil im Rahmen der Ausübung unmittelbarer Staatsgewalt durch das Volk.
124 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 88; in dieselbe Richtung geht die Definition des demokratischen Prinzips als ein „Organisationsprinzip“, welches nicht etwa um seiner selbst willen gelte, vgl. Huster / Rux, in: Epping / Hillgruber, GG, Art. 20 Rn. 55. 125 Reimer 2001, 62 f., 196 f. 126 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 88, der bei Rn. 5 außerdem Republikprinzip und Bundesstaatlichkeit den Staatsstrukturprinzipien zurechnet, aber das Sozialstaatsgebot zu den Staatszielbestimmungen zählt. Ebenso bzgl. des Sozialstaats Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Einführung) Rn. 10, der aber darauf hinweist, daß sich das Rechtsstaatsprinzip wiederum wegen einer ganzen Reihe konkreter und unmittelbar anwendbarer Gehalte einer solchen Einordnung entziehe. Auch aus diesem Grund knüpft die dort vertretene Ansicht an den Prinzipiencharakter als solchen der Verfassungssätze in Art. 20 I GG an und betont auf diese Weise den Aufforderungscharakter hinsichtlich ständiger Realisierung und dynamischer Fortentwicklung, vgl. Rn. 12.
B. Rechtfertigung von Quoren in direktdemokratischen Verfahren155
Durch diese Charakterisierung ist nun aber nicht gesagt, daß das Demokratiegebot daneben nicht auch einem inhaltlichen, wertgesteuerten Zweck dienen soll. Ein Blick in die Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie verdeutlicht, daß wesentlicher Bestandteil des Grundgesetzes die demokratische Freiheitsidee als Legitimation staatlicher Herrschaft ist. Sie beruht auf dem Gedanken der Selbstbestimmung des Volkes, die gegen die monarchische Legitimität erkämpft worden ist.127 Dieser Aspekt des dem Grundgesetz innewohnenden Rechtfertigungskonzeptes staatlicher Machtausübung128 ist abzugrenzen von der grundrechtlichen Freiheitsidee. Letztere soll dem Bürger einen geschützten, von staatlichen Eingriffen freien Lebensraum zur Verfügung stellen und ist daher ein negativer, die staatliche Macht beschränkender Begriff.129 Somit ergeben sich zwei unterschiedliche Modi der Freiheitsbegründung; neben die private, liberale Freiheit vom Staat tritt die demokratische Freiheit zum Staat.130 aa) Rechtsphilosophische Grundgedanken Um das hier interessierende Konzept der demokratischen Freiheitsidee des Demokratieprinzips plastisch zu machen, lohnt sich ein Blick in die Ideengeschichte der Staatsphilosophie. Beim Grundgesetz handelt es sich um eine Verfassung, die aus einer Verbindung westeuropäischer und nordamerikanischer Verfassungstraditionen hervorgegangen ist und angesichts dieses westlichen Einflusses in die Kategorie einer freiheitlichen konstitutionellen Demokratie eingeordnet werden kann.131 Bereits im 17. Jahrhundert entwickelten die philosophischen Grundlagen des politischen Denkens einen zentralen Bezug zum Individuum Mensch, indem dieser und nicht mehr eine mit einem bestimmten Sinn und Zweck durchsetzte Natur oder eine göttliche Herleitung von staatlicher Legitimation im Mittelpunkt steht.132 Ausgangspunkt – aber auch zugleich Resultat einer langen Entwicklung – ist nun die Idee des autonomen Individuums. Autonomie wird dabei verstanden als uneingeschränkte, allen gesellschaftlichen Abhängigkeiten vorausgehende Verfügungsmacht eines jeden Menschen über sich selbst.133 Prägend sind im Verlauf dieser Epoche neuzeitlicher rationalistischer Naturrechtsphilosophie134 verschiedene 127 Starck,
HStR III, § 33 Rn. 9. neuartigen Erkenntnis, daß der Mensch seinem Wesen nach frei sei und der Umsetzung durch das rationalistische Naturrecht vgl. Kielmansegg 1977, 137 ff. 129 Starck, HStR III, § 33 Rn. 6 ff. 130 Dreier 1994, 741 (Hervorhebungen i.O.). 131 Maihofer 1994, Rn. 4 f. 132 Kersting 2007, 212. 133 Kielmansegg 1977, 230. 134 Kielmansegg 1977, 230. 128 Zur
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
Rechtsphilosophen135 gewesen, unter denen insb. Rousseau den Gedanken kollektiver Autonomie durch demokratische Selbstgesetzgebung ausformulierte.136 Die Arbeiten Rousseaus gründen sich auf dem Ausgangsproblem, wie eine rechtmäßige staatliche Herrschaft unter Erhalt individueller Freiheit bei gleichzeitiger Eingliederung des Einzelnen in einen kollektiven Machtapparat begründet werden kann.137 Auch die heutige Staatsrechtswissenschaft berücksichtigt als zentralen Gedanken der Demokratie die Idee politischer Freiheit.138 Der Einzelne soll sein eigener Gesetzgeber sein und so die autonome Verfügungsgewalt über die Maßstäbe für sein Handeln innehaben.139 Rousseau antwortet auf dieses Problem zunächst mit einer Differenzierung innerhalb der Kategorie „Freiheit“ und bestimmt so auch deren näheren Gehalt. Indem der einzelne durch Zustimmung zu einem gesellschaftlichen Konsens im übertragenen Sinne einen Gesellschaftsvertrag abschließt, verliert er einen Teil seiner natürlichen Freiheit. Diese natürliche Freiheit besaß er zur Gänze im sog. Naturzustand.140 Jener existierte nur bis zur Gründung eines Staates durch gegenseitige Übereinkunft. Unter den Geltungsbedingungen des Gesellschaftsvertrags wandelt sich nun die natürliche Freiheit in eine 135 Das Verdienst der Beweisführung hinsichtlich der philosophischen Neukonzeption, daß der Mensch sein eigener Herr ist und folglich das Individuum aller staat lichen Macht vorausgedacht werden muß, kommt v. a. John Locke zu. Seine Arbeiten entfalten das naturrechtliche Prinzip des self-ownership insb. auch gegen die Thesen Sir Robert Filmers, der vertrat, daß kein Mensch frei geboren worden, sondern von Natur aus der Herrschaft des Monarchen unterworfen sei. Danach besaß niemand etwas Äußeres ursprünglich, vielmehr gehörte alles dem König. Nach Locke ist dagegen jeder Mensch von Natur aus Eigentümer seines Körpers, seines Lebens und seiner Freiheit. Konsequenterweise sieht Locke daher auch die alleinige Aufgabe des Staates im Schutz dieser Rechtsgüter der Bürger durch die Herstellung von Rechts sicherheit und Gerechtigkeit; vgl. Brocker 2007, 262 f., 267. 136 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 11; Kelsen 1929, 7 spricht von Rousseau als dem „vielleicht […] bedeutendste[n] Theoretiker der Demokratie“. 137 Maihofer 1994, Rn. 11. 138 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 61. 139 „Der einzelne als Herr seiner selbst“, vgl. Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 35. 140 Das Gedankenexperiment des aller Staatlichkeit vorausgehenden Naturzustands wird u. a. auch von Thomas Hobbes angestellt. In diesem existieren weder (staatliche) Gesetze noch Institutionen. Bei Hobbes ist der Naturzustand jedoch – anders als bei Rousseau – ein Kriegszustand, in dem es für die Menschen angesichts ihres primär zu befriedigenden Selbstinteresses und allgemeiner Ressourcenknappheit hinsichtlich erstrebenswerter Güter und der zu ihrem Erwerb erforderlichen Mittel rational ist, offensives Mißtrauen gegeneinander zu hegen und vorbeugende Gewaltanwendung zu üben. Da dies nicht im eigentlichen Interesse der Menschen liegt und daher subjektive, individuelle Rationalität in objektive, kollektive Irrationalität mündet, ist es ein Gebot der Vernunftnatur des Menschen, sich aus diesem Zustand durch eine Staatsgründung zu befreien; vgl. Kersting 2007, 213 ff.
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bürgerliche Freiheit. Dies ist Folge des Verlustes des Teils der ursprünglichen Freiheit, die anderen Schaden zufügen kann. Vorteil der bürgerlichen Freiheit ist u. a., das der Einzelne zum Inhaber eines Eigentumsrechts wird, welches seinen Besitz schützt und auf das er sich im Naturzustand mangels Geltung staatlicher Gesetze nicht berufen konnte.141 Indem aber die unbeschränkte Freiheit des Naturzustands in eine zwar beschränkte, jedoch gesicherte Freiheit142 umgewandelt wird, findet gleichzeitig eine Transformation der natürlichen Ungleichheit in bürgerliche Gleichheit statt. Sind nämlich die Menschen von Natur aus mit unterschiedlichen geistigen und körperlichen Stärken und Schwächen ausgestattet, so werden diese Voraussetzungen in einem gesellschaftlichen Herrschaftssystem in einem gewissen Maße einander angenähert und kontrolliert.143 bb) Freiheit und Gleichheit als Kernelemente des Demokratieprinzips Das Nebeneinander von Freiheit und Gleichheit ist Kern auch des demokratischen Prinzips des Grundgesetzes und kann unmittelbar dem Normgehalt des Art. 20 I GG entnommen werden.144 In vorstehend skizzierten Gedanken klingen dann auch bereits diese beiden Elemente an, die notwendige Bedingungen darstellen, damit die Unterordnung eines Individuums unter einen staatlichen Machtapparat überhaupt widerspruchsfrei begründet werden kann. Diesem Ziel dient die Konzeption der Demokratie. Gerade die Synthese von Freiheit und Gleichheit ist für diese charakteristisch.145 Da in der Demokratie die geltende Rechtsordnung zumindest indirekt von denjenigen erzeugt wird, die ihr unterworfen sind, vermag sie das Bestehen politischer Herrschaft mit dem Prinzip individueller Freiheit und Selbstbestimmung zu vermitteln.146 Aufgabe der konkreten Verfassungsordnung und auf ihrer Grundlage der Gesetzgebung ist es daher, die Freiheit des Einzelnen zu sichern, ihr zugleich aber auch die gemeinschaftsnotwendigen Schranken zu setzen.147 Dabei wendet sich das Konzept der Gleichheit gegen Diskriminierung und Privilegierung Einzelner oder einzelner Gruppen.148 Zusätzlich hat die demokratische Gleichheit eine prozedurale Seite, die sich aus der zu allem Maihofer 1994, Rn. 11 ff. 1977, 149. 143 Maihofer 1994, Rn. 13 f. 144 Vgl. ausführlich Unger 2008, 249 ff., der diesen Umstand mit dem zwischen Anschaulichkeit und Theorie pendelnden Begriff der „rechtsprinzipiellen Tiefenstruktur“ beschreibt. 145 Kelsen 1929, 4. 146 Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 36. 147 Badura, Staatsrecht, D 1 b Rn. 7. 148 Badura, Staatsrecht, D 1 b Rn. 7. 141 Vgl.
142 Kielmansegg
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Grundannahme ergibt, daß alle Mitglieder des Volkes gemeinsam und in gleicher Weise Ausgangspunkt der Legitimation von Herrschaft sein sollen und in den politischen Mitwirkungsrechten seine Umsetzung findet.149 cc) Fazit Ein zentraler Gedanke der Theorie vom Gesellschafts- und Staatsvertrag ist der Freiheitsgedanke.150 Es kann in diesem Zusammenhang als Quintessenz verstanden werden, daß der Mensch durch die Zustimmung zu seiner Eingliederung vernünftig handelt, da er mehr gewinnt als verliert.151 Er kann seinen eigenen Stärken besser nachgehen, wenn er nicht ständig besorgt sein muß, angesichts seiner Schwächen von anderen geschädigt zu werden. Zwei Dimensionen werden angesichts des Freiheitsaspektes als Bestandteile der Rechtfertigung staatlicher Herrschaft über das Individuum deutlich. Zum einen der Gedanke, daß der Einzelne selbst und in gleicher Verantwortung wie seine Mitbürger für die Begründung und Ausgestaltung staatlicher Macht verantwortlich ist; diese somit auf ihn rückführbar sein muß.152 Zum anderen geht es aber auch um die Vermeidung unrechtmäßiger Eingriffe in den eigenen Rechtskreis, also um die Abwehr freiheits- und / oder gleichheitswidrigen Handelns. Hängt letzterer Gesichtspunkt eng mit der bereits angesprochenen grundrechtlichen Freiheitsidee zusammen, findet das Erfordernis der Rückführbarkeit staatlicher Autorität auf den Bürger seinen Anknüpfungspunkt im Prinzip der Volkssouveränität. b) Art. 20 II 1 GG – Volkssouveränität Art. 20 II 1 GG normiert, indem er festlegt, daß alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, das Prinzip der Volkssouveränität. Dieses Verfassungsprinzip 149 Böckenförde,
HStR II, § 24 Rn. 41. HStR II, § 24 Rn. 36. 151 Freilich wird der Aspekt des vernünftigen Abwägens der Vor- und Nachteile, die der Einzelne durch Zustimmung zum Gesellschaftsvertrag erfährt, primär von Hobbes und weniger von Rousseau betont. Rousseau geht einen wesentlich radikaleren Weg, da sein Bürger erst durch die Zugehörigkeit zur Republik zu sich selbst findet. Erst als citoyen wird dieser wirklich frei. Dies führt zu einer vollkommenen Verschmelzung des Bürgers mit dem Gemeinwesen – dieses wird schließlich zum Selbstzweck und Ansprüche auf privates Leben treten zurück; vgl. Herb 2007, 307, 309 f. 152 Vgl. dazu Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 1 ff.; dazu, daß der verfassungstheoretische Basiswert des Grundgesetzes in der Vorstellung von der Autonomie des prinzipiell vernunftbegabten Individuums liegt, der Mensch also in seinem Handeln und Erkennen auf sich selbst verwiesen ist vgl. Unruh 2002 – besonders die (sodann bestätigte) These auf S. 7. 150 Böckenförde,
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beruht auf dem Gedanken der Selbstbestimmung des Volkes,153 betrifft sonach die Konstituierung staatlicher Herrschaft und ist elementarer Ausdruck der demokratischen Freiheitsidee.154 Ging es Locke in der Endphase der Verfassungskämpfe des 17. Jahrhunderts noch darum, den Vorrang des Parlaments vor der königlichen Gewalt zu sichern,155 liegt der neue Schwerpunkt nunmehr in der staatsphilosophischen Berücksichtigung individueller Selbstbestimmung. Das bedeutet in der Demokratiekonzeption Rousseaus, auch im Rahmen staatlicher Herrschaft nur dem eigenen Willen unterworfen zu sein; und eben dieses Postulat soll nach der Idee der Volkssouveränität mit der Organisation eines Zusammenlebens mit anderen vereinbart werden.156 Damit befindet sich die Auslegung des Demokratieprinzips gleichsam auf der zweiten Stufe. Das Prinzip der Volkssouveränität in Art. 20 II 1 GG stellt sich nämlich als direkte Ableitung aus dem Freiheitsaspekt dar, wie ihn Art. 20 I GG bereits beinhaltet. Gleichzeitig verengt sich der Inhalt in seiner freiheitlichen Dimension auf dessen herrschaftsbegründende Wirkung. In der Literatur ist jedoch Kritik hinsichtlich der unzureichenden juristischen Berücksichtigung der Volkssouveränität geäußert worden. aa) Differenzierung von Volkssouveränität und Staatsgewalt Die Souveränität der Bürger hat einen maßgeblichen Aspekt, der auch für das hier interessierende Problem des Verhältnisses von repräsentativer und unmittelbarer Gesetzgebung von Interesse ist. So hat Maus die These aufgestellt, daß im 20. Jahrhundert die gedankliche Differenzierung von Souveränität und Staatsgewalt verloren gegangen ist. Sei der absolute Monarch bei Bodin oder Hobbes gerade deshalb (noch) der Souverän gewesen, weil ihm die Eigenschaft des alleinigen Gesetzgebers zugekommen sei, so habe Rousseau die Souveränität demokratisiert. Volksgesetzgebung besage, daß die Gesetzgebung ausschließlich dem „Volk“ zukomme, so daß jeder Einsatz der Staatsgewalt vermittels ihrer Gesetzesbindung durch die gesellschaftliche Basis kontrolliert und dirigiert werde.157 Die Folge der Demokratisierung der Souveränität ist demnach die Unterscheidung von Gesetzgebung und Gesetzesanwendung.158 Der Souverän ist nunmehr das Volk – und nicht mehr, wie 153 Starck,
HStR III, § 33 Rn. 9. HStR III, § 33 Rn. 45. 155 Kielmansegg 1977, 142. 156 Kielmansegg 1977, 149. 157 Maus 2010, 522, die darauf hinweist, daß Hobbes’ zentrale Leistung die Vergesetzlichung der Staatsgewalt sei, die allerdings noch ganz ohne Gewaltenteilung auskomme, vgl. S. 521. 158 Vgl. dazu, daß Rousseau noch keine Teilung in drei Gewalten konzipiert Herb 2007, 308 f. 154 Starck,
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
im Absolutismus, der Monarch. Diese Aufteilung von Legislative und Exekutive müsse genau von der Souveränitätsteilung unterschieden werden, wie sie die Unionsverfassung der USA normiere. Dort nämlich kontrollierten teilsouveräne Staatsapparate sich in einem Gleichgewichtssystem wechselseitig. Nach der Idee der Volkssouveränität jedoch verbleibe die ungeteilte Souveränität beim Volk; Souveränität und Staatsgewalt seien nunmehr auseinanderzuhalten.159 Die Kritik von Maus mündet in der These einer gegenwärtig zu konstatierenden Entdemokratisierung des Rechtsstaats. Nach dieser Kritik ist insbesondere die Funktion der Gesetzgebung vor dem Hintergrund der ursprünglichen Konstruktion der Volkssouveränität zu sehen. Laufe der extrem repräsentative Charakter des Grundgesetzes dieser bereits zuwider, indem es den Bürger auf seine äußerst beschränkte verfassungsmäßig institutionalisierte Kompetenz als Wähler reduziere, könne eine sich auf überpositive, elementare Verfassungsprinzipien berufende Verfassungsgerichtsbarkeit den Rechtsstaat überhaupt zur Disposition stellen, welcher die demokratische Vergesetzlichung aller Staatsgewalt bei gleichzeitiger Gewähr rechtsfreier Räume nur für den Souverän vorgebe.160 Eng damit zusammen hängen die Ausführungen Ridders, der die Gleichsetzung des Volkes im Wahlakt mit einem Staatsorgan durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kritisiert. Das Wählen sei nämlich nicht etwa kollektives Handeln, sondern annähernd gleichzeitiges individuelles Handeln, symbolisiert und tatsächlich gesichert durch die den Wähler umschließende Wahlkabine.161 bb) Stellungnahme Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, die Überzeugungskraft einer Kritik des Verhältnisses von Demokratie und Rechtsstaat abschließend zu beurteilen. Eine solche Untersuchung beanspruchte weit mehr Raum, als ihr vorliegend zugemessen werden kann. Gleichwohl leisten die vorgenannten Thesen einen Beitrag für das hier interessierende Problem des Verhältnisses von direkter und indirekter Demokratie. Denn handelt es sich bei dem Prinzip der Volkssouveränität um den zentralen Aspekt des auch in der Ideengeschichte verankerten Konzeptes freiheitlicher Herrschaftsbegründung des grundgesetzlichen Demokratieprinzips, so hat sich auch und vor allem die juristische Zuordnung beider Ausübungsformen der Demokratie daran zu 159 Vgl. Maus 2010, 522, wobei die dortige Kritik an der mangelnden Trennung zwischen Souveränität und Staatsgewalt in der Staatsrechtslehre in dieser Form nicht geteilt werden kann, vgl. dazu nachstehend D. 160 Maus 2010, 525, 531 ff. 161 Ridder 1975, 84.
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orientieren. Die Tatsache, daß dieser Umstand in der neueren Rechtsprechung vernachlässigt worden ist, zeigt eine Passage aus dem dargestellten Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 31. März 2000 deutlich. Dies betrifft jene Ausführungen, wonach die Wahlen ein unabdingbarer demokratischer Legitimationsakt seien und zu ihrem Schutz nur solche Personen, Gruppen und Meinungen das Forum des Parlaments und die Wahrnehmung von Staatsgewalt in Anspruch nehmen dürften, die hierzu durch Wahl legitimiert worden seien.162 Diese Herangehensweise kehrt die vorstehend gezeigte Bedeutung der Volkssouveränität geradezu um, denn dem Souverän wird ein parlamentarisches System übergeordnet, für welches sich der Bürger qualifizieren muß, um an ihm teilnehmen zu dürfen. Dem Gedanken der „Qualifikationshürde“ durch ein Unterstützungsquorum für Volksbegehren soll damit gar nicht seine Berechtigung abgesprochen werden. Festzuhalten ist vielmehr, daß das Parlament dem Souverän nachgeordnet ist, da es für den Bürger eine Variante darstellt, demokratische Selbstherrschaft ausüben zu können. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof reduziert demnach nicht nur den Souverän auf die Eigenschaft des Wählers, sondern baut aus dem Wahlakt zusätzlich eine Hürde für die sonstige demokratische Selbstbestimmung des Bürgers. Richtigerweise hätte er davon ausgehen müssen, daß die Legislative in ihrer Eigenschaft als staatliche Gewalt eine Erscheinungsform der Souveränität des Volkes ist. Die Frage demokratischer Legitimation des Staatshandelns ist demnach nicht aus der Perspektive des Parlaments zu beantworten, sondern vom Volk abzuleiten. c) Art. 20 II 2, 1. Hs. GG – Wahlen und Abstimmungen Die Untersuchung ist nun auf der dritten Stufe angelangt. Art. 20 II 2, 1. Hs. GG bestimmt, daß das Volk die Staatsgewalt mittels Wahlen und Abstimmungen ausübt. Innerhalb von Art. 20 II GG, der die zentralen Voraussetzungen demokratischer Legitimation nach dem Grundgesetz festlegt, bestimmt Art. 20 II 2, 1. Hs. GG das Legitimationssubjekt (Volk), den Kreis legitimationsbedürftiger Akte (Ausübung von Staatsgewalt) sowie die Legitimationsmodi (Wahlen und Abstimmungen).163 Als Legitimationsmodus bezeichnet man jene primären Vorgänge, in denen das Volk selbst als pouvoir constitué seinen Willen in verbindliche Entscheidungen der Ausübung staatlicher Gewalt umsetzt.164 Bei Wahlen handelt es sich um Personal-, bei Abstimmungen um Sachentscheidungen. Der Unterschied zwischen beiden Legitimationsakten liegt somit im wesentlichen darin, daß im Fall der Wahl die 162 Vgl.
nochmals BayVerfGHE 53, 42 (62). 1991, 337. 164 Schmidt-Aßmann 1991, 351. 163 Schmidt-Aßmann
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
Sachentscheidungen zu einem späteren Zeitpunkt während der Legislaturperiode von Repräsentanten getroffen werden und folglich nicht genau durch den Wähler determiniert werden können, da die Repräsentanten einen Entscheidungsspielraum besitzen.165 Die Gemeinsamkeit liegt aber darin, daß es sich bei beiden Arten der Vermittlung von Legitimation (Wahl und Abstimmung) um Ausübung von Volkssouveränität handelt. Bei der Abstimmung ist dieser Zusammenhang bereits unmittelbar daraus einsichtig, daß eine zustande gekommene Sachentscheidung die Realisierung eines politischen Willens im Rahmen freiheitlicher Herrschaftsausübung darstellt. Aber auch der Wahlakt setzt das Prinzip der Volkssouveränität um, da sich die darauf folgende parlamentarische Repräsentation ebenfalls als deren Ausprägung darstellt. Auf den nationalen Alleinvertretungsanspruch der Monarchie folgte schließlich egalitäre parlamentarische Repräsentation und ermöglichte damit erst ein handlungsfähiges Rechtssubjekt Staatsvolk.166 Auch wenn durch die Wahl an sich demnach noch keine verbindliche Entscheidung in der Sache getroffen wird, so übt der Wähler doch staatliche Gewalt aus, weil er durch das Wählen eine mit Rechtsfolgen versehene Entscheidung trifft.167 d) Konsequenzen für die Zuordnung beider Formen von Demokratie Das Volk hat zwei Möglichkeiten, seinen politischen Willen in konkrete Staatsgewalt umzusetzen: Wahl und Abstimmung. Im ersten Fall konstituiert das Wahlergebnis ein Vertretungsorgan, das Parlament. Sachentscheidungen lassen sich aber – vermittelt durch das Prinzip der Volkssouveränität – mittelbar auf das Volk zurückführen und werden auf diese Weise demokratisch legitimiert. Im zweiten Fall trifft das Volk die Sachentscheidung selber. Die Legitimation der Entscheidung ergibt sich unmittelbar aus ihr selbst. Lassen sich aber nun beide Legitimationsmodi gleichermaßen auf das Prinzip der Volkssouveränität zurückführen und läßt sich Volkssouveränität wiederum direkt aus der im allgemeinen Demokratieprinzip des Art. 20 I GG enthaltenen demokratischen Freiheitsidee ableiten, so ist dies gleichzeitig der juristisch richtige Weg zur Bestimmung des Verhältnisses von repräsentativer und plebiszitärer Demokratie. Die Antwort nach einer auf diese Weise erfolgten Auslegung kann daher konsequent nur lauten, daß beide Formen nach dem Grundgesetz als gleichwertige Formen der Ausübung von Staatsgewalt in Art. 20 II 2, 1. Hs. GG verankert sind. Nicht entscheidend kann daher 165 Schmidt-Aßmann 1991, 352 spricht von einem „eigenständigen Legitimationsgefüge“, das durch die Parlamentswahl geschaffen werde und für die Dauer der Wahlperiode Legitimation aus sich heraus schaffen und vermitteln müsse. 166 Hofmann / Dreier 1989, Rn. 22. 167 Ridder 1975, 84.
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auch die konkrete normative Ausgestaltung dieses Verhältnisses im Rahmen solchen Verfassungsrechts sein, das nicht eine Art. 20 I und II GG – durch Art. 79 III GG bewirkte – vergleichbar herausgehobene Stellung innehat.168 Die konkrete Ausgestaltung des Verhältnisses ist innerhalb des Rahmens vorzunehmen, der einerseits durch den demokratischen Freiheitsgedanken, welcher für eine möglichst weitgehende Verwirklichung direktdemokratischer Elemente spricht, sowie durch den demokratischen Gleichheitsgedanken, der vor übermäßiger Konfrontation mit Abstimmungsthemen schützt, vorgegeben wird.169 Damit läßt sich zugleich die Frage nach dem korrekten Ansatzpunkt für eine Prüfung der Berechtigung von Quoren beantworten: Nicht ist die Abstimmung durch Volksentscheid mit dem Parlamentsbeschluß zu vergleichen, sondern mit dem alternativen Legitimationsmodus Wahl. Das wiederum bedeutet, daß Ausgangspunkt einer solchen Prüfung auch nicht solche Normen sein können, die das parlamentarische oder das plebiszitäre Gesetzgebungsverfahren regeln. Auch hierbei handelt es sich um nachgeordnete Normen, die hinsichtlich einer Abänderung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber offen sind. e) Ergebnis nach rechtsprinzipientheoretischer Analyse Das Ergebnis dieser dreistufige Betrachtungsweise wird auch durch eine rechtsprinzipientheoretische Analyse des Demokratieprinzips gestützt. Danach ist das Rechtsprinzip „Demokratie“ in seiner Reinform ohne limitierende oder modifizierende Zusätze bereits und ausschließlich in Art. 20 I GG enthalten.170 Dieses Rechtsprinzip gibt sodann mit den inhaltlichen Prämissen der Freiheit und Gleichheit des Einzelnen die Faktoren für die Abwägung im Wege staatlicher Willensbildung sowie deren Spannbreite vor.171 Demgegenüber stellt die Festlegung auf die Volkssouveränität in Art. 20 II 1 GG bereits eine konkretisierende Ausführungsbestimmung zum generellen Demokratieprinzip dar.172 Aufgrund des sich bereits aus der grundgesetzlichen Garantie der Menschenwürde ergebenden Prinzips der Selbstbestimmung freier und gleicher Bürger173 ist jedoch die Verknüpfung der Souveränität des Volkes mit Art. 20 I GG so eng, daß man diese als integralen und Unger 2008, 288 f. 2008, 280 f. 170 Unger 2008, 282. 171 Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 76; Unger 2008, 249 ff. 172 Unger 2008, 287. 173 Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 76. 168 Ebenso 169 Unger
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nicht abtrennbaren Bestandteil des demokratischen Prinzips174 verstehen muß. Art. 20 II GG enthält insgesamt „erste Schritte in Richtung auf eine subsumtionsfähige Festsetzung der demokratiespezifischen Vorgaben des Art. 20 I GG“ und „setzt daher rechtsregelhafte Festsetzungen in das rechtsprinzipielle Nebeneinander von demokratischer Freiheit und demokratischer Gleichheit“.175 Zu diesen ersten Konkretisierungen zählt daher auch die grundsätzliche Festlegung auf die Ausübungsformen der Staatsgewalt durch das Volk in Form von Wahlen und Abstimmungen sowie durch besondere Staatsorgane gemäß Art. 20 II 2 GG.176 Diese Ausübungsformen der Staatsgewalt, mithin also die Möglichkeit des Volkes, im Wege direkter Betätigung durch Wahl und Abstimmung oder indirekt durch Repräsentation staatliche Herrschaft auszuüben, sind nun aber so eng mit dem Kerngedanken der Volkssouveränität verknüpft, daß es konsequent erscheint, auch diese Konkretisierung des Demokratieprinzips als vom Schutz der Ewigkeitsklausel des Art. 79 III GG und somit auch vom Gewährleistungsgehalt des Art. 28 I GG177 umfaßt anzusehen.178 Dies verdeutlicht eine Gegenüberstellung der Pole Volkssouveränität auf der einen und des Regierungssystems der Bundesrepublik als parlamentarische Demokratie auf der anderen Seite. Nimmt Ersterer nach allgemeiner Ansicht selbstverständlich am Schutz der Ewigkeitsklausel teil,179 so stellt Letzterer lediglich eine mögliche konkrete Ausgestaltung des demokratischen Prinzips dar. Denn dabei handelt es sich bereits um solche normativen Gehalte, die im Hinblick auf variable Bedingungen der Realität hin positiviert worden sind; sie gehen daher über den Gehalt des Demokratieprinzips, wie er sich auf dessen unbedingter Ebene charakterisieren läßt, vollständig hinaus.180 Das Nebeneinander von Wahl und Abstimmung enthält dagegen trotz seiner Eigenschaft als Rechtsregel einen derart offenen und von Art. 20 I GG – über die zentrale Verknüpfung der Volkssouveränität in Art. 20 II 1 GG – vorgegebenen Gehalt, daß es als elementarer Bestandteil des Demokratieprinzips zu qualifizieren ist.181 174 Hain,
in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 77. 2008, 287. 176 Zacharias 2003, 69. 177 Zum übereinstimmenden Gewährleistungsgehalt vgl. vorstehend A.IV. 178 Ebenso Unger 2008, 289. 179 Vgl. vorstehend A. 180 Zur Notwendigkeit der Einbeziehung der spezifischen Bedingungen der Realität zur Konkretisierung außerhalb der Rechtsprinzipien vgl. Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 80. 181 Vgl. die insofern ganz eindeutigen Ergebnisse der rechtsprinzipientheoretischen Untersuchungen bei Unger 2008, 282 ff. sowie Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 80 ff.; vgl. auch Unger 2008, 222 f., der die Festsetzungen inner175 Unger
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f) Zusammenfassung Mit vorstehenden Ausführungen sollte die enge Verknüpfung des grundsätzlichen Spielraums, den Art. 20 II 2, 1. Hs. GG dem Volk zur Ausübung von Staatsgewalt eröffnet, mit dem Prinzip der Volksouveränität gemäß Art. 20 II 1 GG und mit dem Demokratieprinzip des Art. 20 I GG veranschaulicht werden. Es ergibt sich daher ein dreistufiges System. Bei Maurer findet sich eine vierstufige Unterteilung, die einerseits enger ist, da sie das allgemeine Demokratieprinzip nicht umfaßt, sondern nur die Konkretisierungen desselben unterteilt. Andererseits geht sie weiter ins Detail, läßt sich aber mit dem vorliegenden Ergebnis sehr gut vereinbaren. Danach bildet der Grundsatz der Volksouveränität gemäß Art. 20 II 1 GG die erste Konkretisierungsstufe des allgemeinen Demokratieprinzips. Zweite Konkretisierungsstufe sind die von Art. 20 II 2 GG rechtsprinzipiell vorgegebenen Ausübungsformen der Staatsgewalt durch die Legitimationsakte Wahl und Abstimmung bzw. die Möglichkeit, das dies durch besondere, demokratisch legitimierte Staatsorgane erfolgt. Maurer weist ausdrücklich darauf hin, daß Art. 20 II 2 GG noch keine Kompetenz- oder Ermächtigungsnorm bilde, sondern lediglich auf die Mittel und Wege hinweise, über die das Volk die Staatsgewalt wahrnehme. Auf der dritten Konkretisierungsstufe wird nun erst geklärt, in welchen Fällen das Volk selbst durch Wahlen und Abstimmungen tätig wird oder werden kann (im Grundgesetz wie angesprochen ausschließlich durch die Wahlen zum Bundestag). Folglich wirkt die vierte Konkretisierungsstufe insoweit ausgleichend, bestimmt sie schließlich, welche Staatsorgane welche Staatsaufgaben wahrzunehmen haben. Hierbei sei wiederum zwischen dem unmittelbar gewählten und damit unmittelbar demokratisch legitimierten Bundestag und den übrigen Staatsorganen, die über den Bundestag (und teilweise über die Landesparlamente) die erforderliche demokratische Legitimität erhalten, zu unterscheiden.182 In der nachstehend vorzunehmenden Einzelkritik der Urteile der Landesverfassungsgerichte wird sich diese Ausgangsbasis als hilfreich erweisen, da die Gerichte über weite Strecken mit den Gesetzgebungsverfahren selbst – halb von Art. 20 GG als inhaltliche Grenzen für die unter den Baugesetzen (gleichzusetzen mit Rechtsprinzipien [Anm. d. Verf.]) der grundgesetzlichen Verfassungsrechtsordnung stattfindenden Entscheidungs- und Argumentationsprozesse einordnet. Insofern seien dann auch die Baugesetze Teil einer Zwischenstufe, auf der einige gegenläufige Prinzipien oder tatsächliche Möglichkeiten bereits berücksichtigt seien, andere aber noch nicht. Die Festsetzungen innerhalb von Art. 20 GG unterschieden sich demnach von den Festsetzungen außerhalb von Art. 20 GG, weil sie durch Art. 79 III GG als höherrangig ausgewiesen und also nicht bloß „Ausführungsbestimmungen“ zu den Baugesetzen der Verfassungsrechtsordnung, sondern zugleich Elemente dieser Baugesetze selbst seien. 182 Maurer 2007, § 7 Rn. 20; dem zustimmend Unger 2008, 287 f.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
also mit einem Gegenstand der dritten Konkretisierungsstufe nach Maurer – argumentieren. Der grundsätzliche Fehler liegt dabei darin, daß normative Gehalte oder faktische Umstände dieser nachrangigen Stufe den Inhalt einer höherrangigen Stufe – nämlich den der zweiten Konkretisierung, die das Verhältnis von Wahl und Abstimmung bzw. dasjenige von direkter und indirekter Demokratie betrifft – maßgeblich festlegen. 4. Die Verfassungsrechtsprechung der Länder Bremen, Bayern und Thüringen in der Einzelkritik Wendet man diese Prämissen hinsichtlich der Vorgaben des Grundgesetzes für die verfahrensmäßige Ausgestaltung des Demokratieprinzips in Bund und Ländern auf die bereits dargestellten Urteile der Landesverfassungsgerichte an, so vermag deren Argumentation nicht zu überzeugen. a) Freie Hansestadt Bremen Der Bremer Staatsgerichtshof begeht zunächst einen Sein-Sollens-Fehlschluß, indem er von Tatsachen auf einen Norminhalt schließt.183 Ist in einem modernen Staat die faktische Bedeutung direktdemokratischer Verfahren zwar notwendig begrenzt, weil das Parlament die dominante Gesetzgebungsfunktion übernehmen soll und muß, so läßt dies keinesfalls den Schluß zu, daß diesen Verfahren von der Bremer Verfassung i. V. m. Art. 28 I 1 GG ex ante nur eine Ergänzungsfunktion zu einem parlamentarischen System zugebilligt wird.184 Vielmehr zeigt eine normative Betrachtung, daß auch nach Art. 66 I BremVerf. alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht und gemäß Art. 66 II BremVerf. aufgrund der erlassenen Gesetze ausgeübt wird. Art. 66 II lit. a BremVerf. unterscheidet dann zwischen unmittelbarer Ausübung von Staatsgewalt durch Abstimmung und Wahl sowie mittelbarer Ausübung durch den Landtag (Bürgerschaft). Art. 66 BremVerf. wird wegen der Begründung des Prinzips der Volkssouveränität als Staatsfundamentalnorm verstanden und in der landesrechtlichen Literatur als die wichtigste Vorschrift der Landesverfassung bewertet.185 Flankiert wird die Norm von Art. 67 BremVerf. Danach steht die gesetzgebende Gewalt ausschließlich dem Volk per Volksentscheid und der Bürgerschaft als Repräsentativorgan zu.
Recht Wittreck 2005, 134 f., 136; Degenhart 2001, 204. aber BremStGH NVwZ-RR 2001, 1 (2 f.). 185 Neumann, BremV, Art. 66 Rn. 4. 183 Zu 184 So
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Somit hätte der Bremer Staatsgerichtshof richtigerweise von den verfassungsrechtlichen Möglichkeiten der bremischen Bürger zur Ausübung von Volkssouveränität ausgehen müssen. Je nach Wahl des Prüfungsmaßstabs hätte er dabei entweder ausschließlich auf die Formulierung in der Bremer Landesverfassung (Art. 66 BremVerf.) zurückgreifen oder die des Grundgesetzes (Art. 20 I, II GG) – in diesem Fall über die Schnittstelle Art. 28 I 1 GG – mit einbeziehen müssen. Es ist nicht ersichtlich, daß die entsprechenden Verfassungssätze der Bremer Landesverfassung und des Grundgesetzes einen solchermaßen unterschiedlichen Norminhalt aufwiesen, daß ihre Anwendung zu unterschiedlichen Ergebnissen im vom Bremer Staatsgerichtshof zu beurteilenden Sachverhalt geführt hätte. Ein weiterer Mangel des Bremer Urteils ist festzustellen. Er findet sich in der juristischen Argumentationskette. Sein Ergebnis der Ergänzungsfunktion zum parlamentarischen System leitet der Bremer Staatsgerichtshof nämlich aus dem Erfordernis der Gemeinwohlorientierung von allgemein gültigen Gesetzen ab, die sich im parlamentarischen Verfahren seiner Auffassung nach sehr viel eher erreichen läßt als im Volksgesetzgebungsverfahren. Vorbehaltlich einer Überprüfung der Berechtigung dieses Arguments hätte dieser Ausgangspunkt bei folgerichtiger Argumentation gar nicht zu dem vom Staatsgerichtshof gefundenen Ergebnis führen dürfen. Denn die Eigenschaften des parlamentarischen und des plebiszitären Gesetzgebungsprozesses sind aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Nachrangigkeit strikt von der Frage nach der verfassungsrechtlichen Stellung von Wahl und Abstimmung und somit der Bewertungsfrage hinsichtlich direkter und indirekter Demokratie zu trennen. Die Tatsache, daß eine Wahl mittelbar das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren nach sich zieht, ist kein hinreichender Grund, um anhand eines Vergleichs des Ablaufs eines Volksgesetzgebungs- und des Parlamentsverfahrens eine Funktionsfestlegung von Abstimmungen herzuleiten. Vielmehr hat dieses anhand des normativen Verhältnisses von Wahl und Abstimmung direkt zu geschehen. Es liegt die Vermutung nahe, daß die bremischen Richter vom Ergebnis her gedacht haben und von angenommenen Eigenschaften der beiden Gesetzgebungsverfahren auf das Verhältnis der beiden Varianten der unmittelbaren Ausübung von Staatsgewalt durch den Souverän geschlossen haben. Es ist daher im Ergebnis eine unrichtige Verschiebung der normativen Vergleichsebenen von den Legitimationsakten Wahl und Abstimmung hin zu den Normerzeugungsverfahren im Parlament und durch Volksgesetzgebung feststellbar. b) Freistaat Bayern Der Bayerische Verfassungsgerichtshof argumentiert im Unterschied zu seinen bremischen Kollegen von vornherein durchaus normativ. Er stellt
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
nämlich fest, daß die Bayerische Verfassung davon ausginge, daß plebiszitäre Willensbekundungen nur aus konkreten, einzelnen Anlässen eingeleitet würden und daher eine Ergänzung des repräsentativen Systems seien.186 Dieses Vorgehen bedarf grundsätzlich keiner Beanstandung, ist es doch regelmäßig auch Bestandteil jeder Norminterpretation, zu beurteilen, welche Vorstellungen der jeweilige Gesetzgeber bzgl. der betreffenden Norm von der Realität hatte. Ebenso kann – und sollte sogar – eine Norm ihrem Inhalt nach die tatsächlichen Folgen berücksichtigen, die ihr Normbefehl auslösen kann. Für den Rechtsanwender stellt sich daher die Aufgabe, den Regelungszweck des Gesetzgebers herauszufinden. Er muß folglich jenen Auslegungsgrundsatz berücksichtigen, der am Beginn jeder Norminterpretation steht: Will er den Rechtssatz zutreffend verstehen, muß er die regelungsbedürftige Sachlage verstehen, auf die der Rechtssatz eine Antwort geben soll.187 Normgeber wie auch Norminterpret bestimmen also den Inhalt von Normen insofern in der Tat anhand tatsächlicher Voraussetzungen bzw. Umstände, die der Norm vorgegeben sind, sowie auch tatsächlicher Auswirkungen, welche die Norm verursacht. Dabei geht es letztlich um die Berücksichtigung des rechtspolitischen Gestaltungswillens des Normgebers, der hinter jeder Rechtsnorm steht.188 Allerdings entbindet diese notwendige und legitime Vorgehensweise den Norminterpreten nicht von der Last einer überzeugenden Argumentation, daß reale Umstände tatsächlich in der von ihm angenommenen Art von der betreffenden Norm als gegeben erachtet werden bzw. vom Normsetzer im Zeitpunkt des Normerlasses als gegeben berücksichtigt wurden. An dieser Stelle nun verliert die Argumentation des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ihre Stringenz. Zunächst stellt er im Ansatz darauf ab, daß in der Bayerischen Verfassung Volksgesetzgebung und Parlamentsgesetzgebung gleichwertig nebeneinander stünden.189 Dem folgt zwar nicht eine ausgiebige Analyse der jeweiligen Gesetzgebungsverfahren wie im bremischen Urteil. Statt dessen ergänzt der Bayerische Verfassungsgerichtshof jedoch seine Argumentation um eine folgenreiche Aufwertung der repräsentativen Demokratie und schlägt so einen ähnlichen Bogen vom parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren zu einem Rangverhältnis beider Demokratieformen wie die bremischen Richter. Die demokratischen Wahlen sind nach seiner Auffassung ein „unabdingbarer demokratischer Legitimationsakt“.190 Außerdem zählt für 186 BayVerfGHE
53, 42 (61). 2013, § 22 B. I. Rn. 718 f. 188 Rüthers / Fischer / Birk 2013, § 22 B. I. Rn. 718. 189 Unter Bezugnahme auf Art. 5 I BayVerf. BayVerfGHE 52, 104 (126); unter Bezugnahme auf Art. 72 I BayVerf. BayVerfGHE 53, 42 (61). 190 BayVerfGHE 53, 42 (62). 187 Rüthers / Fischer / Birk
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ihn – trotz ausdrücklich anerkannter Wertschätzung der Bayerischen Verfassung für die direkte Demokratie191 – die „Entscheidung für die parlamentarische Demokratie“ zu den Grundgedanken der Bayerischen Verfassung gemäß Art. 75 I 2 BayVerf.192 Diese Argumentation ist entscheidend, weil sich daraus zwei weitere Obersätze ableiten. So erhält einerseits die ohne Zweifel bedeutsame Funktionsfähigkeit des „parlamentarischen Systems“193 bzw. der „demokratisch legitimierten Repräsentativorgane“194 eine fast unantastbare Position. Andererseits folgert der Bayerische Gerichtshof aus der ebenso unbestreitbar bedeutenden Stellung des Wahlvorgangs, daß grundsätzlich nur diejenigen Personen und Meinungen das Forum des Parlaments und die Wahrnehmung von Aufgaben der Staatsgewalt in Anspruch nehmen könnten, die hierzu durch Wahl legitimiert worden seien.195 Dafür, daß der bayerische Verfassunggeber ein derart unantastbares Parlament gewährleisten, außerdem quasi von der Maxime eines abgeriegelten parlamentarischen Raums ausgehen und von dieser Warte aus die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme des Volksgesetzgebungsverfahrens beurteilt wissen wollte, fehlen jedoch überzeugende Gründe. Im Gegenteil sprechen die besseren Argumente für eine Auslegung, die im Einklang mit dem Grundgesetz und den anderen hier untersuchten Landesverfassungen steht. Auch die Bayerische Verfassung gibt insofern nach dem eindeutigen Wortlaut der relevanten Normen eine Gleichrangigkeit von unmittelbarer und mittelbarer Demokratie vor. Gemäß Art. 2 II 1 BayVerf. tut das Volk seinen Willen durch Wahlen und Abstimmungen kund. Art. 5 I BayVerf. weist die gesetzgebende Gewalt dem Volk und den Volksvertretern zu. Schließlich ermöglicht Art. 72 I BayVerf., daß die Gesetze vom Landtag oder vom Volk beschlossen werden. Hat Art. 5 I BayVerf. eine primär die Gewaltenteilung normierende Komponente,196 so ist Art. 72 I BayVerf. zur konkreten Ausgestaltung der Gesetzgebungskompetenz zu zählen, da er den Rahmen „Abstimmungen“ aus Art. 2 II 1 BayVerf. mit einer konkreten Kompetenzzuweisung ausfüllt. Erst durch ihn hat das bayerische Volk nicht nur die theoretische Möglichkeit der Setzung einer Sachentscheidung (wie auch nach dem Grundgesetz das deutsche Volk), sondern erhält konkret die staatsorganisationsrechtliche Befugnis, Gesetze zu erlassen. Art. 72 I BayVerf. regelt also nicht das grundsätzliche Verhältnis von repräsentativer und volksunmittelbarer Gesetzgebung nach der Bayerischen Verfassung, sondern eine momentane rechtstatsächliche 191 BayVerfGHE
52, 104 (131). 52, 104 (133). 193 BayVerfGHE 52, 104 (133). 194 BayVerfGHE 53, 42 (63). 195 BayVerfGHE 53, 42 (62). 196 Dazu Lindner, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 5 Rn. 1. 192 BayVerfGHE
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Ausgestaltung. So ist Möstl insoweit zuzustimmen, daß Regelungsgegenstand des Art. 72 I BayVerf. das Verhältnis von repräsentativer und Elementen direkter Demokratie in Bayern ist.197 Zu widersprechen ist ihm aber insofern, als das die Notwendigkeit der Funktionsfähigkeit der Repräsentativ organe Einfluß auf die grundsätzliche Wertigkeit beider Demokratieformen i. S. einer Entscheidung für die repräsentative Demokratie nehmen kann.198 Somit liegt auch in Bayern die maßgebliche Funktion hinsichtlich der Festlegung des Verhältnisses von repräsentativer und unmittelbarer Demokratie bei jener Norm, welche die Ausübungsformen der Volkssouveränität mittels Wahlen und Abstimmungen gleichberechtigt nebeneinander vorgibt – bei Art. 2 II 1 BayVerf. Es ist diese Rückführbarkeit sowohl parlamentarisch als auch volksunmittelbar beschlossener Gesetze auf den Souverän, die dann auch die Gleichrangigkeit beider Gesetzgebungs- bzw. Gesetzesformen bewirkt. Diese konkurrieren nicht primär miteinander, sondern sollen sich vielmehr gegenseitig ergänzen und ineinandergreifen.199 Freilich ist es daneben eine weitere Facette des Nebeneinanders von indirekter und direkter Demokratie, daß es im politischen Tagesgeschäft immer wieder Konflikte bei der Abgrenzung der Kompetenzen geben und um den maßgeblichen Einfluß auf die Willensbildung in Staat und Kommunen gerungen werden wird.200 Storr bezeichnet das Verhältnis von Volks- und parlamentarischer Gesetzgebung darum überzeugend als „antagonistische Konkurrenz- und Koopera tionssituation, die das eigentümliche Gegen- und Miteinander von Volks- und parlamentarischer Gesetzgebung ausmacht“.201 c) Freistaat Thüringen Der Thüringer Verfassungsgerichtshof geht ebenfalls von einer Prävalenz der parlamentarischen Gesetzgebung – nach dem thüringischen Demokratieprinzip – aus. Dabei kann bereits sein Abstellen auf die Reihenfolge der Aufzählung von „Wahlen“ und „Volksbegehren“ in Art. 45 S. 2 ThürVerf. nicht überzeugen.202 Im weiteren Fortgang der Argumentation unterläuft dem Gerichtshof sodann ein Zirkelschluß. Denn hatte er in seinem Urteil zunächst begründet, warum seiner Ansicht nach für Volksbegehren und 197 Möstl,
in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 72 Rn. 1. in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 72 Rn. 3. 199 Lindner, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 2 Rn. 9 unter berechtigter Kritik an der besprochenen Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und Etikettierung als „Scheinproblem“. 200 Darauf weist Martini 2011, 38 hin. 201 Storr 2010, 285. 202 So zu Recht Wittreck 2005, 163 m. w. N. 198 Möstl,
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Volksentscheide erhöhte Legitimationsvoraussetzungen gelten müssen, so läßt ihn dieser Umstand an späterer Stelle zu der Feststellung kommen, daß das Volksgesetzgebungsverfahren schwerfälliger und aufwendiger sei als die parlamentarische Gesetzgebung. Aus diesem verlangsamten Verfahrensgang schließt das Gericht nun wiederum auf die Prävalenz des Parlamentsgesetzgebers.203 An dieser Stelle wird der Schluß von den Fakten (Verfahrensdauer) auf die Norm (Vorrangstellung des Parlamentsgesetzgebers) besonders deutlich.204 Darüber hinaus handelt es sich bei den Fakten (Verfahrensdauer) bereits um solche, die der Gerichtshof durch eigene normative Anforderungen (Legitimationssachverhalt) selbst befördert bzw. bewußt in Kauf nimmt.205 Auch für Thüringen muß dagegen gelten, daß nach der Thüringer Verfassung normativer Ausgangspunkt für die Beurteilung des Verhältnisses von direkter und indirekter Demokratie nur Art. 44 I i. V. m. 45 S. 1 und 2 ThürVerf. sein kann. Art. 44 I und 45 ThürVerf. normieren das Demokratieprinzip als unmittelbar geltenden Verfassungsgrundsatz für Thüringen. Sie lehnen sich dabei im wesentlichen an die Vorgaben des Grundgesetzes an.206 Nach Art. 44 I ThürVerf. ist der Freistaat Thüringen ein demokratischer Rechtsstaat. Art. 45 ThürVerf. füllt dieses Demokratieprinzip näher aus. Das Volk als alleiniger Souverän ist Ursprung und Bezugspunkt staatlichen Handelns und legitimiert durch Wahl ein Organ bzw. eine Entscheidung durch Volksbegehren und Volksentscheid.207 Danach ergibt sich aber auch für die Thüringer Verfassung eine Gleichrangigkeit von Volks- und Parlamentsgesetzgebung, da bereits Wahl und Abstimmung als vorausgehende bzw. direkt umsetzende Ausübungsformen von Staatsgewalt durch den Souverän gleichwertig sind.208 Nicht entscheidend können dagegen aus den dargelegten Gründen wiederum solche Normen sein, die das Gesetzgebungsverfahren selber regeln, wie Art. 81 I oder II ThürVerf.209
203 Vgl.
nochmals ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (38). Degenhart 2009, 274 wird „aus einer an sich zutreffend konstatierten Staatspraxis, in der die Gesetzgebung durch das Volk schon aus Gründen der praktischen Durchführbarkeit stets der Ausnahmefall bleiben wird, in unzulässiger Weise ein minderer verfassungsrechtlicher Stellenwert abgeleitet“. 205 Vgl. dazu auch Wittreck 2005, 162, der von einem „wahrhaft hermetischen Gedankengang“ spricht. 206 Huber, in: Huber 2000, Rn. 110. 207 Blanke, in: Linck / Baldus / Lindner / Poppenhäger / Ruffert, ThürV, Art. 45 Rn. 4, 23, 27. 208 Ebenso Blanke, in: Linck / Baldus / Lindner / Poppenhäger / Ruffert, ThürV, Art. 45 Rn. 29. 209 So aber Gröschner 2001, 199 sowie Isensee 2001, 1167. 204 Nach
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d) Sächsischer Verfassungsgerichtshof Einen anderen Weg als die aufgeführten Verfassungsgerichte zur Ermittlung der Zulässigkeit eines Volksantrags betreffend den Entwurf einer Änderung des Schulgesetzes des Freistaats Sachsen ging der Sächsische Verfassungsgerichtshof in einem Urteil vom 11. Juli 2002. Als Ausgangspunkt dient ihm Art. 3 I SächsVerf., nach welchem alle Staatsgewalt im Freistaat Sachsen vom Volk ausgeht. Sodann folgt die Ebene der Ausübung von Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen sowie durch besondere Organe. Mit der Normierung dieser Ausübungsformen sowie der Zuweisung der Gesetzgebung zu Landtag und Volk gemäß Art. 3 II SächsVerf. habe sich der Verfassunggeber dafür entschieden, dem Landtag den Volksgesetzgeber unmittelbar und gleichberechtigt an die Seite zu stellen.210 Möge auch die Volksgesetzgebung schon aufgrund ihres Verfahrens faktisch die Ausnahme darstellen, eine normative Nachrangigkeit ergebe sich daraus nicht. Eine bloße Ergänzungsfunktion ergebe sich weiterhin nicht aus dem verfassungspolitischen Motiv, etwaige Defizite der parlamentarischen Gesetzgebung zu kompensieren.211 Reibungsverluste, die durch den wechselseitigen Einfluß beider Formen der Gesetzgebung aufeinander entstehen könnten, seien nicht dazu geeignet, das Volksgesetzgebungsverfahren im Interesse der ungestörten Funktion des parlamentarischen Regierungssystems interpretatorisch zurückzuschneiden. Insofern könne das parlamentarische Regierungssystem für den Beriech der Gesetzgebung nicht den unveränderten Gravitationspunkt der Verfassungsinterpretation bilden. Eine sachgerechte Zuordnung beider Verfahren sei dadurch an solchen Stellen nicht gehindert, wo sie um der Effektivität beider Instrumente und ihrer Einpassung in die Verfassungsordnung willen geboten sei.212 e) Fazit Die Beispiele der Verfassungsrechtsprechung aus Bremen, Bayern und Thüringen zeigen, das im Verlauf der Argumentation eine regelrechte Umkehrung der Prämissen stattfindet. Wären aufgrund des normativen Ausgangspunkts die unmittelbar durch das Volk vorzunehmenden Legitimationsakte Wahlen der Repräsentanten zum Parlament und Abstimmungen zu parallelisieren213 und die Einführung von Quoren unter diesem Gesichtspunkt auf ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung hin zu untersuchen, schaffen 210 SächsVerfGH
NVwZ 2003, 472 (472). NVwZ 2003, 472 (473). 212 SächsVerfGH NVwZ 2003, 472 (473). 213 So überzeugend Wittreck 2005, 148. 211 SächsVerfGH
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die dargestellten Urteile die Basis für die Annahme einer grundsätzlichen Abschirmungsbedürftigkeit des jeweils angestrengten direktdemokratischen Verfahrens. Dabei geht es nicht um eine Abwertung volksbeschlossener Gesetze, da die Gleichwertigkeit von Volks- und Parlamentsgesetzen weithin anerkannt ist, sondern um eine Art Präventivkontrolle des Wegs dorthin. Die Resultate der beiden Verfahren der Gesetzgebung werden durchaus als gleichwertig beurteilt, nicht jedoch die Verfahren selber.214 Man traut dem Verfahren nicht und gelangt so von einer normativen Gleichordnung zu einer normativen Überordnung der repräsentativen Demokratie, falls nicht ohnehin aus Tatsachen auf normativen Gehalt gefolgert wird. Von hier aus ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, die Notwendigkeit nicht unerheblicher Quoren zu vertreten. Die Skepsis gegenüber dem Verfahren bereitet so den Weg zur Verankerung von Quoren auch unmittelbar im Demokratieprinzip des Grundgesetzes respektive einer Landesverfassung.
II. Zusammenfassung der Ergebnisse Die Untersuchung der Fragestellung, in welchem Verhältnis direkte und indirekte Demokratie nach dem Grundgesetz stehen bzw. welche Vorgaben das Grundgesetz den Ländern im Bundesstaat diesbezüglich macht, führt zur Widerlegung der These, daß das Grundgesetz eine grundsätzliche normative Präferenz zugunsten der repräsentativen Demokratie hege. 1. Gleichrangverhältnis von Wahl und Abstimmung Es kann festgestellt werden, daß ein normatives Gleichordnungsverhältnis zwischen den Ausübungsformen staatlicher Souveränität durch Wahlen und Abstimmungen durch den Souverän gemäß Art. 20 II 2 GG und ebenso ein Gleichwertigkeitsverhältnis von repräsentativer und unmittelbarer Gesetzgebung im Grundgesetz angelegt ist.215 Daher ist es zutreffend, daß das Grundgesetz keine abschließende Verhältniszuordnung zwischen plebiszitären und repräsentativen Elementen der Demokratie vornimmt. Es zeigt sich in Art. 20 II 2 GG vielmehr offen für beide Formen, indem es „Wahlen und Abstimmungen“ als Formen der Ausübung von Staatsgewalt als gleichberechtigte nur Isensee 2006, 310. Recht daher Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 99 wie auch Degenhart 2005, 89; für die Bayerische Verfassung Lindner, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 2 Rn. 9; vgl. auch Huster / Rux, in: Epping / Hillgruber, GG, Art. 20 Rn. 64 f., die offenbar über eine Wortlautauslegung, welche das zweite „und“ in Art. 20 II 2 GG nicht auf das Volk bezieht, zu einer Gleichberechtigung der unmittelbaren Ausübung von Staatsgewalt im Wege von Wahlen und Abstimmungen gelangen. 214 Vgl. 215 Zu
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demokratische Mitwirkungsformen nennt.216 Konsequent ist folglich auch die Schlußfolgerung, daß angesichts der prinzipiellen Offenheit des Grundgesetzes für Sachentscheidungen des Volkes und der Möglichkeit, durch verfassungsänderndes Gesetz direktdemokratische Elemente in das Grundgesetz aufzunehmen, eine Streichung des Wortes „Abstimmungen“ aus Art. 20 II 2 GG von Art. 79 III GG untersagt ist.217 Das Grundgesetz gewährleistet daher sowohl Wahlen als auch Abstimmungen als gleichberechtigte Formen der Ausübung von Staatsgewalt. Von dieser grundgesetzlichen Vorgabe ist bei jeder Verfassungsinterpretation, die auf die Beantwortung konkreter Fragen aus diesem Spektrum abzielt, auszugehen. Weder ist die repräsentative Ausübungsform von demokratischer Willensbildung im Wege des Gesetzeserlasses durch die Repräsentanten aufgrund einer spezifischen „Ergänzungsfunktion“ der Abstimmungen höherrangig als die unmittelbare Demokratie.218 Andererseits ist auch Letztere nicht von höherem Wert als die parlamentarische Demokratie,219 was sich auch an der Stellung des Volksgesetzgebers zeigt. Handelt nämlich das Volk selber als Gesetzgeber, so liegt darin nicht etwa ein „mehr an Demokratie“, sondern es tritt als pouvoir constitué (verfaßte Gewalt) auf und ist ebenso wie das Parlament an das Verfassungsrecht gebunden.220 Wie verhält sich diese Tatsache nun aber zu der soeben dargestellten gedanklichen Trennung von Souveränität und staatlicher Gewalt (Maus)? An dieser Stelle wird deutlich, daß es neben der besonderen normativen Wertigkeit von allgemeinem Demokratieprinzip (Art. 20 I GG), Volkssouveränität (Art. 20 II 1 GG) und Ausübungsformen der Staatsgewalt (Art. 20 II 2 GG) noch eine weitere Begründung für die Vorrangigkeit jener Verfassungsgrundsätze im Verhältnis zu einfachen verfassungsrechtlichen Regeln über die jeweiligen Gesetzgebungskompetenzen bzw. Normsetzungsverfahren gibt. Notwendig ist dafür lediglich eine gedankliche Unterscheidung zwischen der einem jeden Gesetzgebungsvorhaben vorangestellten verfassungsdogmati216 Martini
2011, 19. in: Dreier, GG II, Art. 79 III Rn. 40; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 68; ebenso Vismann, in: AK-GG, Art. 79 (2002) Rn. 57; Zacharias 2003, 86; diese Möglichkeit sieht allerdings Herdegen, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 79 (2008) Rn. 127. 218 Auf die Spitze treibt es wie gezeigt der Bremer Staatsgerichtshof mit seiner These, daß die Funktion des Volksgesetzgebers ausschließlich von den Defiziten des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens her zu bestimmen sei. 219 Daher kann die repräsentative Demokratie auch keine Minderform darstellen; so zu Recht Böckenförde 1982, 305, der ganz entschieden und überzeugend gegen die illusionäre Vorstellung eines sich weitestgehend selbst beherrschenden Volkes mit dem Ziel der Aufhebung jeglicher Herrschaft argumentiert. 220 Martini 2011, 19, 21; ebenso Rossi / Lenski 2008, 418. 217 Dreier,
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schen Ausgangslage und der konkreten Schaffung der Produkte der entsprechenden Gesetzgebungsverfahren. Bei einer Bestimmung des verfassungsrechtlichen Spielraums zur theoretisch möglichen Verteilung zwischen beiden Gesetzgebungsarten, wie er durch Art. 20 I GG eröffnet wird, ist folglich die Stellung des Volks als Souverän zu berücksichtigen. Diese ist Ausgangspunkt der Legitimation des Parlaments und Basis für den Grundsatz der Abänderbarkeit der Verfassung im Verfassungsstaat;221 nicht etwa ist die Funktionsfähigkeit des Parlaments Maßstab für die Ausübungsbedingungen von Volkssouveränität durch Wahl und Abstimmung. Freilich ist die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems in eine Abwägung zur Bestimmung der Zulässigkeit von Quoren (mit)einzustellen. Sie kann aber nicht die Position eines Axioms einnehmen, an dem sich eine Untersuchung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Quoren von vornherein ausrichten muß.222 2. Rangverhältnis von Art. 20 II 2 GG und Ausführungsbestimmungen Ein Rangverhältnis ergibt sich erst im Verhältnis von Art. 20 II 2 GG und jenen Normen des Grundgesetzes, die eine konkrete normative Ausgestaltung des Regierungssystems oder der Gesetzgebungsverfahren vornehmen. Insofern erhält Art. 20 II GG wegen seines Schutzes vor Abänderung durch Art. 79 III GG223 einen besonderen Rang224 und muß den Ausgangspunkt für die weitere Interpretation des Textes der Verfassung darstellen. Somit stellt aber auch Art. 20 II 2 GG eine „Fundamentalentscheidung“ des Grundgesetzes dar, die es ausschließt, die gleichberechtigte Erwähnung von Wahlen und Abstimmungen etwa im Lichte von Art. 38 I GG oder des Bundeswahlgesetzes zu interpretieren.225 Diese Normen niedrigeren Ranges können in Form von Kreations-226 und Kompetenzvorschriften227 auftreten. Mit diesem hervorgehobenen Rang der Kerngehalte von Art. 20 I, II GG verträgt es sich nahtlos, daß Art. 79 III GG als Ausnahmevorschrift eher restriktiv auszulegen
221 Degenhart
2005, 89. Wittreck 2009, 406 f. 223 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 64. 224 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Einführung) Rn. 5 – hier zum höheren Rang von Art. 1 sowie 20 I–III GG. 225 Dreier / Wittreck 2010, 16 f. 226 Art. 38 I 1, 39 I 1 GG sind z. B. Kreationsvorschriften, da sie die Wahlrechtsgrundsätze und somit Anforderungen an das Wahlverfahren (Art. 38 I 1 GG) bzw. die Wahlperiode und somit Auswirkungen des Wahlvorgangs (Art. 39 I 1 GG) regeln. 227 Art. 77 GG ist z. B. eine Kompetenzvorschrift i. d. S., da er die vorrangige Stellung des Bundestags bei der Gesetzgebung normiert. 222 Ebenso
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ist und eben nur die Grundsätze des Demokratieprinzips unantastbar sind, nicht deren positive Ausprägungen in einzelnen Verfassungsnormen.228 Die vom Kerngehalt des Demokratieprinzips somit zu unterscheidende weitere Ausgestaltung einer Verfassung kann daher kein Maßstab für den verfassungsändernden Gesetzgeber bei der Einführung von Quoren im Rahmen direktdemokratischer Verfahren sein. Weder die aktuell strikt repräsentativdemokratisch ausgerichtete Verfassungsordnung des Grundgesetzes, noch eine vergleichsweise stark direktdemokratische Elemente hervorhebende Verfassungsordnung erlauben deshalb Rückschlüsse auf die Grenzen, die dem verfassungsändernden Gesetzgeber bei der Ausgestaltung beider Formen der Demokratie gezogen sind.229, 230 3. Vergleichbarkeit von Wahl und Abstimmung Das Prinzip der Volkssouveränität gebietet, die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Quoren vor dem Hintergrund der Gleichwertigkeit von Wahl und Abstimmung vorzunehmen.231 Sie sind als unmittelbar durch das Volk vorzunehmende Legitimationsakte funktional vergleichbar. Dabei geht es weder um die Verwirklichung eines „Traums von der Idee der Identität der Regierenden und Regierten“,232 noch des Ideals eines Bürgers, der sich rück228 Degenhart
2005, 89. Wittreck 2005, 141 f., der aufgrund der starken Ausgestaltung der Volksgesetzgebung in Bayern auf die Gewährleistung der Effektivität derselben durch Art. 75 I 1 BayVerf. schließt; nicht ganz sauber argumentiert an dieser Stelle der Sächsische Verfassungsgerichtshof, dem zwar nicht hinsichtlich seiner Feststellung, daß der sächsische Verfassunggeber durch die Einführung direktdemokratischer Verfahren das repräsentative parlamentarische Regierungssystem der grundgesetzlichen Ordnung plebiszitär modifiziert habe, jedoch bzgl. der Annahme, daß diese Tatsache Auswirkungen auf das Verhältnis beider Gesetzgebungsarten haben könnte, widersprochen werden muß, s. SächsVerfGH NVwZ 2000, 472, (472 f.). 230 Das Rangverhältnis zwischen Art. 20 II 2 GG und den Ausführungsbestimmungen betrifft auch die Normen über das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren. Dieser Gesichtspunkt spricht daher für die von Meyer 2012 I, 542 vertretene Argumentation, daß die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene auch durch einfaches Gesetz möglich wäre; vgl. hierzu für die Gegenansicht Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 106, der diese Möglichkeit dem verfassungsändernden Gesetzgeber vorbehalten will, da in den Art. 76, 77 GG die Gesetzesinitiative auf Bundesorgane beschränkt und keine Alternative für ein Volksgesetzgebungsverfahren wie etwa in Art. 72 I BayVerf. zugelassen werde. Das zusätzlich von Dreier angeführte Argument, für eine derartig gravierende Strukturveränderung des bisherigen grundgesetzlichen Entscheidungsmodus sei nach der Idee vom Verfassungsvorbehalt eine ausdrückliche Änderung der Verfassung unerläßlich, kann an dieser Stelle nicht untersucht werden, vgl. Rn. 106 m. w. N. 231 Ebenso (für die Länderebene) Neumann 2009, Rn. 742, vgl. auch Rn. 671. 229 A. A.
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haltlos mit dem allgemeinen Willen, wie er sich im Gesetz darstellt, identifiziert,233 sondern schlicht um eine konsequente Ermittlung des normativen Gehalts von Art. 20 I, II GG. Diese bildet die Ausgangsbasis und den Maßstab für die weitere Untersuchung und bietet den Vorteil, ein etwaiges Vorverständnis vom Inhalt des Demokratieprinzips bei der Interpretation der Verfassung verhältnismäßig weit zurückzudrängen. Eine Prüfung der Berechtigung von Quoren ist daher anhand der Parallelisierung von Wahl und Abstimmung durchzuführen, nicht vom Ergebnis der Normsetzung her.234 Widerlegt ist damit die These des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, wonach sich aus der Tatsache, daß den Wahlrechtsgrundsätzen (der Bayerischen Verfassung) ein Quorum fremd sei, kein Argument gegen ein Quorum beim (verfassungsändernden) Volksentscheid ergebe.235 Ebenso wenig kann der Standpunkt des Bremischen Staatsgerichtshofs überzeugen, wonach es gegen eine Vergleichbarkeit von Wahl und Abstimmung spreche, daß Wahlen sich periodisch wiederholten und damit von vornherein auf eine Korrekturmöglichkeit angelegt seien, während Gesetzgebungsakte in der Regel auf eine dauerhafte Regelung abzielten.236 Dieses Argument ist schon deshalb relativ schwach, weil Gesetze eben keine unantastbare und auf unabsehbare Zeit festgelegte Rechtslage zementieren, sondern jederzeit durch ein entgegenstehendes Gesetz (teilweise) gegenstandslos werden können. Insbesondere sind auch im Verhältnis zwischen Parlaments- und volksbeschlossenem Gesetz die gängigen Kollisionsregeln anwendbar.237 Deutlich zeigt sich die Inkonsequenz dieser Ansicht, wenn man bedenkt, daß der Staatsgerichtshof offenbar davon ausgeht, daß die Abstimmung eine weitreichendere Entscheidung als die Wahl sei. Das kann aber – dies einmal unterstellt – von vornherein nur in zeitlicher Hinsicht zutreffend sein. In sachlich-inhaltlicher Perspektive jedoch sind Wahlen der zentrale Legitimationsakt, da über die Parlamentswahlen und die parlamentarisch eingesetzte und verantwortliche Regierung die gesamte öffentliche Gewalt mit Ausnahme z. B. der kommunalen Selbstverwaltung demokratisch legitimiert ist.238 Im Gegenteil spricht daher der Umstand, daß Wahl und Abstimmung unterschiedliche Dimensionen staatlicher Herrschaftsbegründung betonen, eher für als gegen eine Vergleichbarkeit beider. 232 Isensee
2002, 68. 2010, 126. 234 Ebenso Jung 1999 II, 875. 235 Vgl. nochmals BayVerfGHE 52, 104 (131 f.) – die Unterschiede zwischen beiden Legitimationsakten sprechen daher nicht gegen eine Vergleichbarkeit. 236 Vgl. nochmals BremStGH NVwZ-RR 2001, 1 (3 f.). 237 Vgl. hierzu Storr 2010, 289 ff. 238 Starck, HStR III, § 33 Rn. 9. 233 Isensee
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4. Vergleichsebene Gesetzesbeschluß Jene Normsetzung ist nun eine nachgelagerte Frage und hat – quasi als Konsequenz aus dem durch Art. 20 II 2 GG mit dem Nebeneinander von Wahlen und Abstimmungen installierten Konkurrenzsystem239 – solche Problemstellungen zum Gegenstand, die sich im Verhältnis der jeweiligen Gesetzgebungsverfahren zueinander ergeben bzw. die daraus resultierenden Gesetzgebungsbeschlüsse betreffen. Hier wird die Fortführung der vorstehend bereits angesprochenen Trennung von Volkssouveränität als Ausgangspunkt staatlicher Herrschaft und Ausübung staatlicher Gewalt deutlich. Zwar sind Quoren als verfahrensmäßiges Spezifikum auf der Verfahrens- bzw. Gesetzesbeschlußebene eingebunden, dies rechtfertigt aber nicht, ihre Zulässigkeit vom Ausgangspunkt der Gesetzesbeschlüsse zu beurteilen.240 Von diesem Blickwinkel der Gesetzgebung betrachtet ergibt sich ebenfalls ein Gleichrang von Volks- und Parlamentsgesetzgeber, der eine praktische Konkordanz im Verhältnis zueinander nahelegt.241 Im Einzelnen ergeben sich daraus viele Streitfragen, die im Zuge der neueren Rechtsentwicklung der Stärkung direktdemokratischer Verfahren in den Bundesländern entstehen.242 Die Gestaltung dieses Verhältnisses wird die Literatur und Rechtsprechung noch beschäftigen – an dieser Stelle ist eine detaillierte Darstellung nicht erforderlich. Konkret stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob es ein Rangverhältnis der im Verfahren der Volksgesetzgebung bzw. im Verfahren der parlamentarischen Gesetzgebung erlassenen Gesetze gibt.243 5. Spielraum für die Länder bei der Ausgestaltung direkter Demokratie Dadurch, daß Art. 28 I 1 GG den Grundsätzen des Art. 20 GG im Bundesstaat Geltung verschafft, tritt jedoch die Bedeutung des Art. 20 GG und damit des grundgesetzlichen Demokratieprinzips auch für die Länder hervor. Denn unter der Prämisse, daß Art. 20 GG die wichtigste Quelle für die Homogeni239 Dreier / Wittreck
2010, 25. deshalb ist der Ausgangspunkt der Prüfung des Bremer Staatsgerichtshofs, wegen derselben Bindungswirkung direktdemokratischer und parlamentarischer Gesetze einen Vergleich der beiden Gesetzgebungsverfahren durchzuführen, unrichtig – vgl. nochmals BremStGH NVwZ-RR 2001, 1 (2). 241 Wittreck 2012, 17. 242 Vgl. für Thüringen Koch / Storr 2009; Hasse 2009; Storr 2010; Degenhart 2012 I, II; Meyer 2012 II–IV. 243 Vgl. dazu Borowski 2000, 481 ff. (insb. zu dem Problem, ob und wieweit der parlamentarische Gesetzgeber rechtlich gehindert ist, durch Volksentscheid erlassene Gesetze zu ändern). 240 Auch
B. Rechtfertigung von Quoren in direktdemokratischen Verfahren179
tätsgebote des Art. 28 I 1 GG darstellt,244 wird deutlich, daß u. a. das Demokratieprinzip des Grundgesetzes einen Mindeststandard für das auf Landesebene durch die jeweilige Verfassung gewährleistete Demokratieprinzip darstellt. Geht man von einem normativen Gleichrangverhältnis von Wahl und Abstimmungen aus, so folgt daraus im Ergebnis, daß auch die Länder diesen grundsätzlichen Spielraum für ihre eigene Ausgestaltung nutzen können. Das beinhaltet auch die Kompetenz, in stärkerem Maße Elemente direkter Demokratie vorzusehen, als das Grundgesetz dies tut. Insbesondere aus Art. 28 I 1 GG folgt nicht, daß die Länder ebenso zurückhaltend mit Abstimmungen sein müssen wie das Grundgesetz.245 Die Länder sind demnach durch Art. 28 I GG nicht daran gehindert, die unmittelbare Demokratie stärker auszubauen als dies auf Bundesebene der Fall ist.246 Denn wie bereits dargelegt, bezieht sich die Verpflichtung der Länder auf das Demokratieprinzip durch den Bund lediglich auf Kernbereiche. Das sind aber nur solche, welche gemäß Art. 20 I–III i. V. m. Art. 79 III GG auch für den Bund identitätsstiftend und daher veränderungsfest sind.247 Obwohl das Grundgesetz jedoch selbst so gut wie keine Elemente unmittelbarer Demokratie enthält,248 sichert es doch die Möglichkeit für die Gliedstaaten ab, jederzeit mehr direkte Demokratie in ihre Verfassungen aufnehmen zu können als dies im Grundgesetz geschehen ist. Der Bund wäre seinerseits auch nicht daran gehindert, weitere Elemente direkter Demokratie in das Grundgesetz aufzunehmen.249 Dieser Mechanismus, der erst durch ein konsequentes interpretatorisches Ausgehen vom normativen Gehalt des Art. 20 II 2 GG ermöglicht wird, wird durch die Erwähnung der „Abstimmungen“ geradezu zum Garanten der weiter ausgebauten direkten Demokratie in den Bundesländern.250 244 Evers,
in: BK GG, Art. 79 III (1982) Rn. 118. 2010, 295; ebenso Martini 2011, 23; sowie Baldus, in: Linck / Baldus / Lindner / Poppenhäger / Ruffert, ThürV, E5 Rn. 24 unter Kritik an ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31. 246 Lindner, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 2 Rn. 3. 247 Dreier / Wittreck 2010, 20. 248 Vgl. Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 100 m. w. N. 249 Dazu und zum Meinungsstreit, ob bzw. für welche Instrumente direkter Demokratie eine Verfassungsänderung erforderlich wäre oder ein einfaches Gesetz ausreichen würde Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 106 ff.; welchen Martini 2011, 20 als lösbare Fragen aufwerfend einordnet; weitergehend jetzt Meyer 2012 I, 542, der aus dem Wortlaut des Art. 20 II 2 GG, welcher ausdrücklich vorsehe, daß die Staatsgewalt auch im Wege der Volksabstimmung ausgeübt „wird“, auf einen bisher nicht erfüllten Gesetzgebungsauftrag zu einem entsprechenden Ausführungsgesetz schließt (Hervorhebung i.O.), vgl. auch S. 541: „selbstverständliche[r] Verfassungsauftrag an das Parlament (…), die Möglichkeit zu schaffen, das Instrument zu nutzen.“ 250 Dreier / Wittreck 2010, 20. 245 Pestalozza
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
III. Fazit Selbstverständlich soll nicht bezweifelt werden, daß das Grundgesetz mit der Entscheidung für die Demokratie keine abstrakte Doktrin, sondern eine konkrete Ordnung der augenblicklichen Gesellschaft normiert.251 Insofern ist durchaus eine von der Verfassung vorgesehene normative Ergänzungsfunktion direkter Demokratie anzunehmen, die sich aber erst als zweiter Schritt aus einer Gleichordnung beider Ausübungsformen der Demokratie ergibt. Eben dieser Umstand wird nicht hinreichend berücksichtigt – kann sich doch der Leser verfassungsrechtlicher Literatur mitunter des Eindrucks nicht erwehren, daß das Verhältnis von Wahl und Abstimmung nebulös bleibt. So mangelt es mitunter an präzisen Ausführungen, ob auf die Frage des normativen Rangverhältnisses abgestellt wird, den Art. 20 II GG für die Ausübung von Staatsgewalt vorgibt oder vielmehr auf die normativ-tatsächliche Ausgestaltung dieser Vorgabe im Grundgesetz. So heißt es beispielsweise, daß das Grundgesetz die Entscheidung zwischen unmittelbarer und repräsentativer Demokratie offenlasse, allerdings insgesamt eine deutliche Präferenz für die mittelbare Demokratie enthalte.252 Im Ergebnis kann weder die These von der Prävalenz parlamentarischer Gesetzgebung253 im Besonderen noch von der Vorrangstellung repräsentativer Demokratie254 im Allgemeinen überzeugen. Im Grundgesetz finden sich dafür keine Hinweise. Es enthält keine Entscheidung für eine Bevorzugung der repräsentativen Ausübungsform demokratischer Mitwirkung. Vielmehr ergibt sich aus Art. 20 I und II 2 GG eine Grundentscheidung der Verfassung für die demokratische Staatsform255 an sich. Nach den entscheidenden Normen des Grundgesetzes sowie der Landesverfassungen sind Wahlen und Abstimmungen gleichwertige Arten der Ausübung von Staatsgewalt durch das Volk. Sie stellen sich als zwei Seiten des maßgeblichen Prinzips der Volkssouveränität dar und sind eben als bloße Ausübungsformen einheitlich auf jenes – dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes ganz maßgeblich zugrunde liegenden – Prinzip rückführbar. Die vorgebrachten Argumente hiergegen, die eine Vorrangstellung der repräsentativen Demokratie begründen sollen, können daher nicht überzeugen. Sie stützen sich entweder auf die tatsächlichen Notwendigkeiten eines modernen Staatswesens oder auf die jene Notwendigkeiten unstreitig anerkennenden und vorgebenden Verfassungen. Vorbehaltlich der noch erfolgen251 Hesse
1995, Rn. 133. in: BK GG, Art. 20 (2008) Rn. 787, 796. 253 Vgl. nochmals ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (37). 254 Vgl. vorstehend I.1. 255 BVerfGE 44, 124 (138). 252 Robbers,
B. Rechtfertigung von Quoren in direktdemokratischen Verfahren181
den Untersuchung der Berechtigung einer Gefahrenprognose hinsichtlich der Funktionsfähigkeit der Repräsentativorgane läßt sich damit eine a priori anzunehmende Höherwertigkeit des parlamentarischen Systems oder des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens nicht begründen. Somit muß auch die Frage der Quoren bei direktdemokratischen Verfahren von dieser Prämisse ausgehen. Jede Argumentation bezüglich solcher Quoren muß sich bewußt sein, daß es sich bei repräsentativer und direktdemokratischer Gesetzgebung um zwei von der Verfassung als gleichrangig angesehene Verfahren handelt. Dies ergibt sich zwangsläufig aus der Gleichordnung von Wahlen und Abstimmungen, denn wenn jene beiden Arten der Ausübung von Volkssouveränität denselben Rang genießen, muß das erst recht für die entsprechenden Verfahren gelten, die dem zugrunde liegen bzw. sich hieran anschließen. In einem neueren Beitrag hat Meyer ausführlich dargelegt, daß die mangelnde Ausgestaltung der Möglichkeit zu Abstimmungen im Parlamentarischen Rat hauptsächlich deswegen unterblieb, weil man befürchtete, eine Volksabstimmung über das Grundgesetz selbst werde negativ ausgehen.256 Überzeugend geht daher auch Degenhart davon aus, daß einerseits die repräsentative Ausgestaltung des grundgesetzlichen Demokratieprinzips aus der historischen Situation im Entstehungszeitraum des Grundgesetzes resultiert, die von einer Umbruchsituation angesichts einer im Aufbau begriffenen demokratischen Ordnung gekennzeichnet war, und andererseits sich diese demokratische Ordnung mittlerweile in einem Maße stabilisiert haben dürfte, daß insbesondere auch der fortdauernde Ausschluß jeglicher Abstimmungsmöglichkeiten des Volkes auf Bundesebene der Rechtfertigung bedarf.257 Diese Überlegung drängt sich angesichts der vorstehenden Ergebnisse förmlich auf und führt zu der konsequenten weiteren Schlußfolgerung, welche die eingangs gestellte Frage beantwortet: nicht etwa bedürfen Volksgesetzgebungsverfahren einer grundsätzlichen Rechtfertigung, die durch Quoren sicherzustellen wäre, vielmehr stellen Quoren selbst einen Eingriff in das ver256 Vgl. Meyer 2012 I, 540: „Das Grundgesetz ist ein Produkt des kalten Krieges, der nach dem Ende des 2. Weltkrieges alsbald zwischen den Siegermächten entstand. Beide Seiten wollten für diese Machtprobe ihren Besatzungsbereich für sich sichern. Die Ministerpräsidenten der in den Westzonen entstandenen Länder waren zunächst gegenüber einer Verfassunggebung für Westdeutschland skeptisch, weil ihnen wie auch später dem Parlamentarischen Rat die spalterische Bedeutung des Vorhabens klar war.“ 257 Degenhart 2005, 90, der an anderer Stelle darauf hinweist, daß nach dem demokratischen Umbruch des Jahres 1989 in den neuen Bundesländern im Rahmen der Verfassunggebung von völlig anderen Voraussetzungen ausgegangen werden und folglich direktdemokratische Elemente verstärkt eingeführt werden konnten, s. Degenhart 2009, 271.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
fassungsrechtliche Gefüge von direkter und indirekter Demokratie dar und erweisen sich daher als rechtfertigungsbedürftig.258
C. Das Mehrheitsprinzip Im Folgenden soll untersucht werden, welche Funktion und welchen Regelungsgehalt das Mehrheitsprinzip nach dem Grundgesetz hat. Insbesondere interessiert dabei die Frage, ob das Mehrheitsprinzip bei Abstimmungen in Volksgesetzgebungsverfahren zwingend Quoren vorsieht – ob es also einen entsprechenden vor Verfassungsänderungen geschützten Kerngehalt hat – oder ob es dem verfassungsändernden Gesetzgeber einen größeren Spielraum läßt, solche Quoren zumindest abzusenken. Bei direktdemokratischen Verfahren wird auf mehreren Ebenen nach dem Mehrheitsprinzip entschieden. Dies betrifft, so sie vorgesehen sind, die Volksinitiative, das Volksbegehren und schließlich den Volksentscheid. Weil beim Volksentscheid die Wirkung des Mehrheitsprinzips am weitreichendsten ist – hier wird die definitive Entscheidung gefällt, ob eine Sachfrage positiv oder negativ beantwortet wird – und da auch in der Literatur die Verknüpfungen von Mehrheitsfragen mit direkter Demokratie zumeist auf der Ebene des Volksentscheids diskutiert werden, bezieht sich auch die folgende Untersuchung in erster Linie auf Volksentscheide.
I. Leitbild des Grundgesetzes Bereits in seiner frühen Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht den Charakter der freiheitlichen demokratischen Ordnung des Grundgesetzes als Maßstab für die Überprüfung von Normen skizziert.259 Grundsätzlich hat es ausgeführt, daß die freiheitliche Demokratie die Auffassung ablehnt, wonach die geschichtliche Entwicklung durch ein wissenschaftlich erkanntes Endziel determiniert ist und folglich einzelne Gemeinschaftsentscheidungen als Schritte zur Verwirklichung eines solchen Endziels inhaltlich von diesem her bestimmt werden können.260 Vielmehr geht das Grundgesetz von einem Konsens freier und gleicher Vernunftwesen aus, der an die Gestaltung des demokratischen Prozesses die Leitgedanken der Freiheit und Gleichheit anlegt.261 In diese Gestaltungsoffenheit, die sich auf den beschriebenen erwar258 Dreier 1999, 521 formuliert es so: „Nicht das Fehlen von Quoren ist demokratietheoretisch rechtfertigungsbedürftig, sondern ihre Einführung.“, vgl. auch ebenda S. 523; weiterhin Neumann 2009, Rn. 684. 259 BVerfGE 5, 85 (196). 260 BVerfGE 5, 85 (197). 261 Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 86.
C. Das Mehrheitsprinzip183
teten Konsens gründet, fügt das Grundgesetz das Mehrheitsprinzip ein und stellt damit eine Methode der Entscheidungsfindung zur Verfügung. 1. Erste Einordnung des Mehrheitsprinzips Das Mehrheitsprinzip, wie es in den Verfassungsordnungen sowohl des Grundgesetzes als auch der Länder als Entscheidungsregel vorgesehen ist, muß hierbei zunächst normativ eingeordnet werden. Dabei zeigt sich, daß die grundlegenden Verfassungsprinzipien Demokratie, Rechtsstaat sowie Sozialstaat ein Spannungsverhältnis aufbauen, in dem das Mehrheitsprinzip einen bestimmten Platz einnimmt. Aus der Sicht des Einzelnen betrachtet geht es bei diesem Spannungsverhältnis, welches damit gleichzeitig die Beziehung des Individuums zum Staat umreißt, um verschiedene verfassungsrechtliche Leitprinzipien. So wird durch das Demokratieprinzip die Teilhabe an Herrschaft ermöglicht. Das Rechtsstaatsprinzip sorgt – durch Limitierung von Herrschaft – für den Schutz des Einzelnen vor dem Zugriff der Staatsmacht und gewährt – im Zusammenspiel mit dem Sozialstaatsprinzip – dem Einzelnen einen Anspruch auf Leistungen des Staates.262 Das Mehrheitsprinzip jedoch schlägt die Brücke zum Bürger, indem es nach Erfassung der Stimmabgabe dessen Einfluß auf das Ergebnis anhand eines objektiven, vorher definierten Schlüssels garantiert. Es läßt sich somit auf die Funktion festlegen, die kollektive Teilnahme der Bürger an öffentlicher Herrschaft zu ermöglichen und verbürgt die simultane, gleiche Einflußnahme aller auf politische Entscheidungen.263 2. Erscheinungsformen des Mehrheitsprinzips im Grundgesetz Das Grundgesetz normiert das Mehrheitsprinzip allerdings nur für einzelne Fälle.264 Es trifft also keine allgemeine Anordnung, nach der das Mehrheitsprinzip für alle demokratisch gefällten Entscheidung zu gelten habe. Vielmehr beschränkt es sich darauf, das Mehrheitsprinzip als Entscheidungsregel für Abstimmungen in Repräsentativkörperschaften vorzugeben.265 Dies ist eine Konsequenz aus der bereits vorstehend diskutierten repräsentativen Ausgestaltung des Grundgesetzes. So werden die Beschlüsse des Bundestages und des Bundesrates mit Mehrheitsentscheid gefaßt (Art. 42 II 1 GG, Art. 52 III 1 GG). Gleiches gilt für die Wahl des Bundeskanzlers (Art. 63 II–IV GG), seine Ablösung aufgrund eines konstruktiven Mißtrauensvotums (Art. 67 I 262 Heun
1983, 37 f. 1983, 38. 264 Vgl. hierzu detailliert Magsaam 2014, 107 ff. 265 Gusy 1981, 330. 263 Heun
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
GG) sowie die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung (Art. 54 VI GG).266 Jedoch ist „Mehrheit“ im Rahmen von Beschlüssen in politischen Repräsentativorganen ein variabler Begriff. Für einen Beschluß des Bundestages ist gemäß Art. 42 II 1, 1. Hs. GG die „Mehrheit der abgegebenen Stimmen“ erforderlich. Es handelt sich demnach um die sog. einfache Abstimmungsmehrheit oder relative Mehrheit. „Mehrheit“ bedeutet hier, daß die Zahl der Ja-Stimmen die der Nein-Stimmen überwiegen muß. Stimmenthaltungen sowie ungültige Stimmen werden traditionell nicht zu den abgegebenen Stimmen gezählt.267 Dagegen heißt es in Art. 52 III 1 GG, daß für einen Beschluß des Bundesrates die „Mehrheit seiner Stimmen“ entscheidungserheblich ist. Da die Zahl der insgesamt im Bundesrat vorhandenen Stimmen durch Art. 51 II GG festgelegt ist,268 bedeutet „Mehrheit“ an dieser Stelle im Unterschied zu den Erfordernissen im Bundestag absolute Mehrheit. Die absolute Mehrheit beträgt im Bundesrat 35 Stimmen. Enthaltungen werden wie Gegenstimmen gewertet, und der Bundesrat ist nicht mehr beschlußfähig, wenn diese Stimmenzahl über die Mehrheit nicht vertreten ist.269 Auch der Bundestag entscheidet in besonderen Fällen mit absoluter Mehrheit. Dies ist der Fall in den schon angesprochenen Situationen der Wahl des Bundeskanzlers gemäß Art. 63 II–IV GG und des konstruktiven Mißtrauensvotums gemäß Art. 67 I GG.270 Die Bundesversammlung trifft das Erfordernis absoluter Mehrheit bei der Wahl des Bundespräsidenten gemäß Art. 54 VI GG. Für alle diese Fälle gibt Art. 121 GG die entsprechende Definition der „Mehrheit der Mitglieder des Bundestages und der Bundesversammlung“. Diese ist die Mehrheit der nach Hillgruber 2002, 463. in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 42 Rn. 4. 268 Die Regelung richtet sich nach der Einwohnerzahl der Länder und führt bei den momentanen Einwohnerverhältnissen dazu, daß Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen jeweils 6, Hessen 5, Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen 4, sowie Bremen, Hamburg Mecklenburg-Vorpommern und Saarland 3 Stimmen besitzen, Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 51 Rn. 4. Bzgl. des Landes Hessen ist anzumerken, daß sich aufgrund des Zensus’ 2011 zum Stichtag 31.12.2011 eine Einwohnerzahl von nunmehr 5.993.771 ergibt, vgl. Carsten Beck: Hessen hat gezählt – Erste Ergebnisse des Zensus 2011 zur Bevölkerung im Überblick, abrufbar im Internet unter www.zensus2011.de / SharedDocs / Down loads / DE / Publikationen / Aufsaetze_Archiv / 2013_11_Hessen_hat_gezaehlt.html. Damit stehen Hessen momentan nur noch vier Stimmen zu, vgl. Art. 51 II GG. 269 Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 52 Rn. 6. 270 Die Bezeichnung „konstruktives Mißtrauensvotum“ ist eine Umschreibung für den Vorgang der Wahl eines Nachfolgers des Bundeskanzlers mit absoluter Mehrheit im Bundestag sowie das Ersuchen des Bundestages mit absoluter Mehrheit an den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler zu entlassen, Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 67 Rn. 2. 266 Zusammenstellung 267 Pieroth,
C. Das Mehrheitsprinzip185
gesetzlichen Mitgliederzahl. Lediglich andere Begriffe für den Terminus „absolute Mehrheit“ sind „Abgeordnetenmehrheit“, „Mitgliedermehrheit“ oder „Kanzlermehrheit“.271 Hier deckt sich demnach die Stimmenzahl, die zu einem Mehrheitsentscheid in den Verfassungsorganen Bundestag und Bundesversammlung erreicht werden muß, mit den Anforderungen, denen der Bundesrat generell unterliegt. 3. Notwendigkeit einer Entscheidungsregel In Staatswesen heutiger Beschaffenheit müssen in kurzer Zeit eine große Anzahl von Entscheidungen in Bezug auf komplexe Materien getroffen werden. Es wäre daher illusorisch und kontraproduktiv, die Herstellung eines Konsenses im Sinne einer einstimmigen Entscheidung anzustreben oder zu verlangen.272 Illusorisch wäre dieses Erfordernis, da es praktisch nicht zu erreichen wäre und kontraproduktiv, weil es im Ergebnis zur Auflösung jeglicher staatlichen Ordnung führen würde.273 Damit eine Entscheidung Gültigkeit für den Staat entfalten kann, muß es daher genügen, wenn der zugrundeliegende Entscheidungsprozeß ohne völlige Übereinstimmung aller teilnehmenden Individuen abgeschlossen wurde.274 Auf diese Weise wird die Entscheidungsfähigkeit des Staates sichergestellt, womit der Modus der Entscheidung nach dem Kriterium der Mehrheit als eine legitime erste Konkretisierung der demokratischen Leitgedanken der Freiheit und Gleichheit angesehen werden kann.275 Das Mehrheitsprinzip gehört nach allem unstreitig zu den „fundamentalen Prinzipien der Demo kratie“.276 4. Rechtfertigung dieser Entscheidungsregel Allerdings bedeutet eine Entscheidungsregel, die – notwendig – nicht auf den Konsens aller Individuen angelegt ist, gleichzeitig eine Abweichung von dem Grundgedanken, daß jeder Einzelne solche Entscheidungen, die ihn selbst betreffen, auch selbst fällen können sollte. Das Mehrheitsprinzip ist in einem demokratisch verfaßten Staat daher vor dem Individuum rechtferti271 Pieroth,
in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 121 Rn. 1. in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 67. 273 Dreier 1997, 83 u.H.a. Kelsen 1929, 7. 274 Hesse 1995, Rn. 142; Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 86 m. w. N.; vgl. auch BVerfGE 123, 267 (366): „Die Organe (eines modernen Territorialstaates) müssen durch Mehrheitsentscheidung der Bürger gebildet werden“. 275 Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 86. 276 BVerfGE 29, 154 (165). 272 Dreier,
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
gungsbedürftig. Diese Rechtfertigung ergibt sich nicht schon aus der bereits angesprochenen Notwendigkeit eines realitätsgerechten Entscheidungsmodus’, denn Mehrheitsentscheidungen sind Machtausübungsentscheidungen.277 Auch eine demokratische Staatsordnung ist demnach eine Form der Herrschaftsausübung in Bezug auf den einzelnen Bürger.278 Alleine der Umstand, daß die jener Staatsordnung zugrundeliegenden Entscheidungsmechanismen effektiv funktionieren müssen, reicht zu ihrer Rechtfertigung gegenüber freien Individuen somit nicht aus.279 Mehrheitsentscheidungen bedürfen daher, um dem Anspruch einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, dem Bürger größtmögliche Freiheit zu gewähren, gerecht werden zu können, einer demokratischen Legitimation.280 Zu deren Begründung wird das Mehrheitsprinzip insbesondere unter Heranziehung eines Freiheits- und eines Verfahrensarguments gerechtfertigt.281 a) Freiheitsargument Unbeschränkte individuelle Freiheit für jeden Bürger würde der Staat dann gewähren, wenn er eine Unterworfenheit des Einzelnen allein unter seine eigenen Entscheidungen garantierte, beziehungsweise wenn alle staatlichen Entscheidungen einstimmig getroffen würden. Dies ist aber neben der offensichtlichen Unmöglichkeit mit Kelsen bereits im Ausgangspunkt für den Einzelnen deshalb fast nie der Fall, da er in der Regel in eine fertige Staatsordnung hineingeboren wird. Er sieht sich mit existenten Regeln konfrontiert, 277 Vgl. Unger 2008, 259: Es handelt sich hierbei um ein Spezifikum der demokratischen Freiheitsidee. Ihre Eigenart als positive Freiheit bedingt, das sie auf die Verwirklichung des eigenen Lebensentwurfs gerichtet ist und somit, wenn sie sich in verbindlichen, demokratisch legitimierten Entscheidungen niederschlägt, auch andere Angehörige des Staates betrifft. Daher ist die Ausübung demokratischer Freiheit, im Unterschied zur Ausübung grundrechtlicher Freiheit, auf Herrschaft ausgerichtet; s. a. Gusy 1981, 330, der den gemeinschaftlichen Aspekt der Herrschaftsausübung aufgrund des Gestaltungs- und Steuerungsbedarfs des Gemeinwesens akzentuiert. 278 Vgl. hierzu auch Dreier 2009, 25, der ausführt, daß staatliche Herrschaft dem Einzelnen gegenüber immer begründungspflichtig sei, da das Individuum dem Staat vorausliege und jener kein Selbstzweck sei. 279 Vgl. Zippelius 1987, 13: „Die ordnungsstiftende Kraft und Funktionsfähigkeit eines Systems, die selbst einem Konzentrationslagerregime zukommt, reicht für sich allein nicht schon zu dessen Rechtfertigung aus.“ Etwas anders Hillgruber 2002, 462, der „die Geltung des Mehrheitsprinzips im Hinblick auf die andernfalls nicht zu gewährleistende Stabilität und Funktionsfähigkeit der politischen Ordnung auch als konsentiertes Gebot praktischer Vernunft ausweisen und rechtfertigen“ will. 280 Dreier, in: Dreier, GG II, Art 20 (Demokratie) Rn. 67 f. 281 Einen umfassenderen Überblick mit weiteren Argumenten zur Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips liefern Hofmann / Dreier 1989, Rn. 49 ff., wobei die hier vorgestellten m. E. die aussagekräftigsten Argumente sind.
C. Das Mehrheitsprinzip187
die er entweder akzeptieren oder aber allenfalls fortbilden beziehungsweise abändern kann. Aus der Perspektive der Austarierung der entgegengesetzten Interessen in einem Gemeinwesen auf entweder Bewahrung oder Veränderung der bestehenden Staatsordnung sieht Kelsen nun das Prinzip der absoluten Majorität als relativ größte Annäherung an die Idee der Freiheit.282 Denn wenn schon nicht alle, so sollten doch zumindest möglichst viele Menschen frei sein, d. h. möglichst wenige mit ihrem Willen in Widerspruch zu dem allgemeinen Willen der sozialen Ordnung geraten.283 Dieser Rechtfertigungsansatz des Mehrheitsprinzips knüpft an den Gedanken der gleichen Freiheit aller an, welchem dadurch Rechnung getragen wird, daß bei einer Mehrheitsentscheidung mehr Menschen in Übereinstimmung mit ihrem eigenen Willen leben können als bei einer Minderheitsentscheidung.284 Beachtet werden muß hinsichtlich des Freiheitsarguments, daß es vor allem in Bezug auf den Staat und weniger auf den einzelnen Staatsbürger überzeugen kann. Insgesamt läßt sich von einem Gemeinwesen zwar sagen, daß in ihm ein höheres Maß an Freiheit herrscht, wenn Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip getroffen werden, da mehr Menschen zumindest in die Lage versetzt werden, durch Teilnahme an der Entscheidung zur Mehrheit zu gehören und somit Selbstbestimmung zu verwirklichen. Hinsichtlich des Bürgers, der zur Minderheit gehört, gilt das jedoch nicht. Der Grund dafür ist, daß es aus der Sicht des Einzelnen, der bei einer Mehrheitsentscheidung unterliegt, keinen Unterschied bedeutet, wie viele Personen hinter der erfolgreichen Entscheidung stehen. Denn der Fremdbestimmung in der entschiedenen Frage unterfällt er ja ohnehin – und ist insoweit an einer Selbstbestimmung gehindert.285
282 Kelsen 1929, 9 – die qualifizierte Mehrheit nimmt Kelsen explizit von diesem Gedankengang aus. 283 Kelsen 1929, 9 f.; vgl. auch Dreier 1997, 84 mit einer Analyse jenes Demokratieverständnisses Kelsens. 284 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 69. 285 Hofmann / Dreier 1989, Rn. 51; bei dem Freiheitsargument, welches die Mehrheitsentscheidung damit rechtfertigt, daß zumindest möglichst viele Menschen Selbstbestimmung verwirklichen können, handelt es sich daher im Grunde um eine utilitaristische Position. Für den Utilitarismus, wie insbesondere Jeremy Bentham in vertrat, ist kennzeichnend, daß er als Maßstab für die moralische Richtigkeit eines Handelns die Summe des Glücks aller Individuen, die von der Handlung betroffen sind, verwendet, vgl. Oswald Schwemmer, Artikel „Utilitarismus“, in: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Band 4, Sonderausgabe 2004, S. 461, li. Sp. Es zählt also nicht primär – angewendet auf das Mehrheitsprinzip – das individuelle Maß an Selbstbestimmung, sondern das Maß an Selbstbestimmung aller Staatsbürger.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
b) Verfahrensargument Als das Mehrheitsprinzip ganz maßgeblich rechtfertigender Gedanke erweist sich auch, daß mehrheitlich getroffene Entscheidungen prinzipiell jederzeit revisibel respektive abänderbar sind. Setzt man eine hinreichend homogene Gesellschaft sowie einen offenen Kommunikations- und Willensbildungsprozeß voraus, kann auf einen endgültigen Richtigkeitsanspruch seitens der Mehrheitsentscheidung verzichtet werden, da diese auch von jenen respektiert wird, die in der Sache nicht zustimmen.286 Daher ist das Recht der Mehrheit, allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen, unter Geltung eines demokratischen Mehrheitsprinzips stets auf einen bestimmten Zeitraum oder eine konkrete Sachfrage begrenzt. Es ist somit entweder – bei Personalentscheidungen – von vornherein zeitlich limitiert, oder – bei Sachentscheidungen – auf eine einmalige Ausübung beschränkt. Die in einem demokratischen Verfahren festgestellte „Mehrheit“ ist daher immer auch der konstanten Konkurrenz der aus demselben Verfahren notwendig resultierenden Minderheiten ausgesetzt. So können zum Beispiel die Anhänger einer bei der letzten Wahl unterlegenen Partei jederzeit aktiv auf einen Wechsel der Mehrheit bei der nächsten Wahl hinwirken. Minderheiten haben in der Demokratie somit stets die gleiche Chance – wie sie auch die aktuelle Mehrheit vor ihrer Legalisierung hatte – schließlich selbst zur Mehrheit zu werden.287 Es handelt sich bei diesem Rechtfertigungsargument gleichzeitig um eine Grenze des Prinzips der Mehrheitsentscheidung durch Verneinung eines Mehrheitsabsolutismus’288 beziehungsweise um eine dem Mehrheitsprinzip immanente Begrenzung aus den Bedingungen demokratischer Legitimität.289 Zu einer Verfassung, die das Mehrheitsprinzip zum zentralen Entscheidungsmodus erklärt, gehört daher notwendig, daß sie die Pluralität der Meinungen und die Offenheit politischer Entscheidungen zuläßt.290 Erfolgt die Mehrheitsbildung unter diesen Voraussetzungen, so kann auch der Umstand das Mehrheitsprinzip nicht delegitimieren, daß in der politischen Realität hauptsächlich politische Parteien und Verbände diese Aufgabe übernehmen. Indessen muß diese Gruppenbildung wiederum offen und in ihrem Anhängerbestand variabel sein.291 286 Sog. Verfahrensargument: Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 70 ff.; Hofmann / Dreier 1989, Rn. 53. 287 BVerfGE 44, 124 (145); Böckenförde HStR II, § 24 Rn. 54; Hillgruber 2002, 465; vgl. auch Scheuner 1973, 58 f.; Zippelius 1987, 24. 288 Böckenförde HStR II, § 24 Rn. 54. 289 Hillgruber 2002, 465. 290 Scheuner 1973, 58. 291 Scheuner 1973, 59.
C. Das Mehrheitsprinzip189
5. Auswirkung von Quoren auf die Mehrheitsentscheidung Nachdem die Berechtigung und die Funktion des Mehrheitsprinzips dargestellt wurde, soll nun darauf eingegangen werden, welche Auswirkungen es auf eine Mehrheitsentscheidung hat, wenn zusätzlich zu dem Mehrheitserfordernis ein Quorum vorgesehen ist. Daß dabei der Fokus auf Abstimmungen im Sinn von Sachentscheidungen liegt, rechtfertigt sich aus dem Ergebnis der vorstehenden Untersuchung, daß Wahlen und Abstimmungen nach dem Grundgesetz die gleiche Wertigkeit zukommt und daß sie als Legitimationsakte vergleichbar sind. a) Die Ausgangslage: Entscheidungsermöglichung und Teilhabe Denkt man das Mehrheitsprinzip zunächst einmal vollständig hinweg, so könnte durch einen Legitimationsakt bei Geltung des Einstimmigkeitsprinzips nur dann eine positive Entscheidung getroffen werden, wenn sich alle Bürger gleich entschieden. Dabei soll unter dem Begriff „Legitimationsakt“ der Vorgang der Sachentscheidung verstanden werden, also zum Beispiel der Volksentscheid. Staatliche Herrschaft stünde ohne das Mehrheitsprinzip daher unter einer Bedingung, die aufgrund der Unwahrscheinlichkeit ihres Eintretens dieselbe faktisch unmöglich machen würde, da eine Abänderung des status quo aussichtslos wäre. Dies ist der praktische Grund, der den Einsatz des Mehrheitsprinzips für einen funktionsfähigen Staat ganz grundlegend erfordert.292 Darüber hinaus hat das Mehrheitsprinzip aber auch einen konkreten Bezug zum Individuum, dessen demokratische Selbstverwirklichung betreffend. Denn durch die Normierung des Mehrheitsprinzips wird die Teilhabe des Einzelnen an staatlicher Herrschaft gleichzeitig unter die für den Einzelnen (im Vergleich zum Einstimmigkeitserfordernis) realistischerweise zu erreichende Bedingung gestellt, daß der von ihm geäußerte Wille mit dem Willen der Mehrheit der Teilnehmer am Legitimationsakt identisch ist. „Teilhabe an staatlicher Herrschaft“ sei dabei als Trägerschaft im Sinne einer Unterstützung der in Geltung gesetzten Sachentscheidung verstanden. Das Mehrheitsprinzip vereinfacht respektive ermöglicht somit individuelle demokratische Selbstverwirklichung.
292 Dieser wird bei Hofmann / Dreier 1989, Rn. 52 unter dem Stichwort „Plausibilitäts- und Praktikabilitätsargument“ auch als einer der Rechtfertigungsgründe für das Mehrheitsprinzip angeführt.
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b) Die Modifikation: Abstimmungsquoren Durch ein Abstimmungsquorum wird die Schwelle für den einzelnen Bürger, an einer Mehrheitsentscheidung teilzunehmen, nun jedoch wieder angehoben. Es reicht nun nicht mehr aus, daß die Stimme des Einzelnen zur Mehrheit der Abstimmenden gehört. Vielmehr muß bei einem Zustimmungsquorum seine Willensbekundung zusätzlich mit einem bestimmten Prozentsatz der Willensbekundungen der Gesamtheit der Stimmberechtigten identisch sein. Bei einem Beteiligungsquorum muß sich zusätzlich ein bestimmter Prozentsatz der Stimmberechtigten insgesamt an der Abstimmung beteiligt haben. Ein Zustimmungsquorum setzt somit die Teilmenge der mit der Stimme des Einzelnen identischen Willensbekundungen zusätzlich in ein Verhältnis zur Gesamtmenge der Stimmberechtigten. Ein Beteiligungsquorum setzt zusätzlich die Summe der abgegebenen Stimmen in ein Verhältnis zur Gesamtmenge der Stimmberechtigten. Daher unterscheiden sich die beiden Arten von Quoren lediglich in ihrem Anknüpfungs-, nicht jedoch in ihrem Bezugspunkt, welcher die Gesamtmenge der Stimmberechtigten ist. Im Ergebnis wird daher die Bedeutung der Abstimmenden für den Legitima tionsakt – unabhängig ob pro oder contra – vermindert. Andererseits wird aber eine Einflußnahme der Nichtabstimmenden auf die Abstimmung überhaupt erst ermöglicht. Denn bei Geltung des Mehrheitsprinzips ohne ein Quorum für eine zu treffende staatliche Entscheidung hat ein Stimmbürger, der nicht zur Abstimmung geht, keinen Einfluß auf das Ergebnis; durch das Stimmrecht hat er nur das Recht, zur Abstimmung zu gehen und teilzunehmen. Erst durch diese Teilnahme am Legitimationsakt durch Stimmabgabe erhält der Bürger schließlich auch das Recht, daß aus seinem (aktiven) Verhalten eine Beeinflussung eines legitimierenden Akts gemäß seiner Entscheidung entsteht. Wenn er darüber hinaus auch noch zur Mehrheit gehört, partizipiert er dann tatsächlich an der Legitimation der „herrschenden Entscheidung“ (im Sinne der legitimierten und in Kraft gesetzten Sachentscheidung). In individualistisch-aktiver Perspektive ergibt sich für den Staatsbürger somit die Schlußfolgerung, daß die Berechtigung, an einem Legitimationsakt teilzunehmen, von der Berechtigung, an Legitimation teilzunehmen, unterschieden werden muß. Anders gewendet: Die Berechtigung, an Legitimation zu partizipieren, wird erst durch die Teilnahme an der Abstimmung erworben. Die Berechtigung zur Teilnahme an der Abstimmung hat jeder Stimmberechtigte aber bereits ohne sein Zutun inne. Es ist diese Position des Staatsbürgers, die Böckenförde als Übergang von der individuell-autonomen Freiheit zur demokratischen Mitwirkungsfreiheit bezeichnet und die der Einzelne durch seine bloße Zugehörigkeit zum Staat erwirbt. Die demokratische
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Mitwirkungsfreiheit beinhalte das Recht und die Freiheit, an der Festlegung der gemeinsamen Ordnung, der man unterworfen sei, mitzuwirken. Sie forme sich aus den demokratischen Grundrechten, die diese Mitwirkung eröffneten und gewährleisteten.293 Das Mehrheitsprinzip läßt sich nach allem als Verfahren begreifen, das dem Einzelnen erst ermöglicht, über die Teilnahme an Abstimmungen zu einer realistischen Aussicht zu gelangen, an der staatlichen Ordnung mitzuwirken. Quoren haben demgegenüber einen anderen, gegenläufigen Effekt. Indem Quoren einen Bezug zur externen Referenzmenge der Abstimmungsberechtigten herstellen, beeinträchtigen sie zunächst jenes Recht auf potentielle Teilhabe durch neue Hürden und modifizieren so die Rechtsposition der Abstimmenden. Außerdem entbinden sie durch die Einführung dieser Verknüpfung demokratische Legitimation der Bedingung aktiver Teilnahme des Bürgers an einem Verfahren und stellen sie – zumindest bis zur Höhe des Quorums – unter die Bedingung der bloßen Existenz des Bürgers im Gemeinwesen als stimmberechtigter Bürger. Der Passive entfaltet Stimmgewicht, obwohl er keine Stimme abgibt – hierin liegt nun die Modifikation der Rechtsposition der Nichtabstimmenden. Wie sich aus den obigen Überlegungen ergibt, ist dies jedoch ein Status, der lediglich zur Teilnahme an einem Legitimationsakt, nicht jedoch zur Teilnahme an Legitimation selber berechtigt. Zu konstatieren ist demnach eine Erweiterung des Status’ des Bürgers; eine partielle Umformung von Passivität in Aktivität. Ein Quorum ist somit zugleich ein Element, daß das Recht des einzelnen Bürgers auf potentielle Partizipation an staatlicher Herrschaft in eine staatliche Gewähr auf potentielle Partizipation an staatlicher Herrschaft umformt. c) Die spezifische Wirkung von Quoren Die Auswirkungen von Quoren untersucht Jung in einem neueren Beitrag.294 Darin stellt er die These auf, daß Quoren den Boykott der Abstimmung fördern könnten, weil Stimmberechtigte, die nicht zu den Unterstützern der Initiative zählen, auf das Scheitern am Quorum spekulieren könnten. Außerdem ist er der Ansicht, daß insbesondere Beteiligungsquoren zu einer Verletzung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gleichheit der Wahl führen können.
293 Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 37, der hier das Wahlrecht und das Recht des Zugangs zu öffentlichen Ämtern sowie die Kommunikationsgrundrechte, wie Meinungsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit nennt. 294 Jung 2010.
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aa) Problem der Ermöglichung von Boykotten Besonders deutlich zeige sich die Boykottproblematik anhand der Erfahrungen aus der Weimarer Republik. Dort hätten auf Reichs- sowie auf Landesebene hohe Beteiligungsquoren von 50 % bei Volksentscheiden existiert. Diese hätten erfolgreiche Boykottaufrufe verschiedener politischer Lager ermöglicht. Dies sei teilweise mittels Überwachung der Abstimmungslokale durch Posten unter schriftlicher Erfassung derjenigen, die sich am Volksentscheid beteiligten, sowie Drohungen erreicht worden. Auf diese Weise hätten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden können, daß die Volksentscheide mangels Beteiligung scheitern mußten.295 Bei niedrigeren Beteiligungsquoren sinke zwar der Anreiz zum Boykottaufruf, da es entsprechend wahrscheinlicher werde, daß die Befürworter die Beteiligungshürde aus eigener Kraft nähmen. Jedoch ändere sich nichts an der Gefahr für die Sachgegner, den Befürwortern über die Hürde zu helfen. Diese steige, um so näher die Befürworter dieser Hürde aus eigener Kraft kämen.296 Aber auch hohe Zustimmungsquoren könnten eine hinreichende Motivation für Sachgegner darstellen, die Abstimmung durch Nichtbeteiligung zu boykottieren. Besonders deutlich werde das, wenn man die Zahlen historischer Fälle vergleiche: So fanden am 9. August 1931 und am 15. November 1931 zwei Volksentscheide statt, die in absoluten Zahlen gemessen eine relativ hohe Zustimmung erzielten (im ersten Fall knapp 10 Millionen Ja-Stimmen von gut 26,5 Millionen Stimmberechtigten [absoluter Zustimmungswert: 36,8 %] bei lediglich knapp 400.000 Nein-Stimmen; im zweiten Fall gut 41.000 Ja-Stimmen von gut 350.000 Stimmberechtigten [absoluter Zustimmungswert: 11,7 %] bei nur gut 2.300 Nein-Stimmen).297 Vergleiche man den Anteil an Nein-Stimmen bei Volksentscheiden mit hohen Zustimmungsquoren mit solchen, bei denen kein Quorum hätte erreicht werden müssen, so lägen diese in ersteren Fällen um ein vielfaches höher (aufgrund Boykottaufrufen bei 4–5 % im Vergleich zu einer ungefähren 50 / 50-Verteilung).298 Im Ergebnis geht Jung aufgrund seines Fallmaterials davon aus, daß ein 15prozentiges Beteiligungsquorum auf Kommunalebene beziehungsweise ein 25prozentiges Zustimmungsquorum auf Landesebene keinen Anreiz zum Boykott mehr böten, weist jedoch zugleich darauf hin, daß eine moderne Form des Boykotts gesehen werden müßte. Denn durch Verweigerung der öffentlichen Auseinandersetzung in der Sache könnten Sachgegner die medi295 Jung
2010, 43 ff. 2010, 57. 297 Jung 2010, 46. 298 Jung 2010, 47 mit weiteren Beispielen – bei Volksentscheiden ohne Quorum halten sich also Ja- und Nein-Stimmen in etwa die Waage. 296 Jung
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ale Beachtung absenken und damit auch eine gesellschaftliche Diskussion unterbinden.299 Gründe für die Annahme, daß auch Zustimmungsquoren Anreize schaffen können, der Abstimmung fernzubleiben, führt auch Neumann an. In einem Zustimmungsquorum verberge sich immer zugleich auch ein Beteiligungsquorum in gleicher Höhe respektive in einem Beteiligungsquorum verberge sich auch immer ein halbes Zustimmungsquorum.300 Eine isolierte Betrachtung des Zustimmungsquorums ohne Berücksichtigung seiner Wirkung auf die Entscheidungsfindung sei nicht möglich, da das Zustimmungsquorum lediglich eine über die Beteiligung hinausgehende Anforderung stelle, ohne auf die Beteiligung als solche zu verzichten.301 In der Hoffnung, die Befürworter der Vorlage würden mangels öffentlicher Aufmerksamkeit nicht an der Abstimmung teilnehmen, bliebe den Abstimmungsgegnern auch bei Zustimmungsquoren die erfolgversprechende Option, die Sachdiskussion zu verweigern.302 Beteiligungsquoren und Zustimmungsquoren seien daher im wesentlichen gleich zu bewerten. Das Beteiligungsquorum provoziere den Boykott förmlich, das Zustimmungsquorum vermöge ihn beziehungsweise die Diskussionsverweigerung nicht auszuschließen.303 bb) Stellungnahme Die von Jung angeführten Zahlen sind ein Hinweis darauf, daß hohe Quoren staatsbürgerliche Passivität fördern können. Freilich sind historische Erfahrungen aus Weimar aufgrund der politischen Situation und der sehr weitgehenden Maßnahmen zur Stützung damaliger Boykottaufrufe nur bedingt auf die heutige Bundesrepublik übertragbar. Vom Prinzip her wird jedoch anschaulich, daß es bei sehr hohen Quoren für Sachgegner wesentlich einfacher, kostengünstiger und sicherer ist, nicht zur Abstimmung zu gehen, als an ihr teilzunehmen und damit letztendlich selbst – vor allem bei Beteiligungsquoren – das Risiko zu erhöhen, daß das Quorum erreicht wird. Den Befürwortern der Vorlage wird so im Ergebnis alleine die Last aufgebürdet, die notwendige Beteiligung selber zu mobilisieren, wogegen sich die Sachgegner eine eigene inhaltliche Kampagne in der Regel sparen können. Dies wäre 299 Jung 2010, 58; kritisch auch Patzelt 2011, 80 f., der darauf hinweist, daß bei einem hohen Beteiligungsquorum zur Verhinderung einer plebiszitären Entscheidung die Nichtthematisierung des Streitgegenstands zur Verhinderung einer Auseinandersetzung in der Sache naheliegt. 300 Neumann 2009, Rn. 777. 301 Neumann 2009, Rn. 777. 302 Neumann 2009, Rn. 780 mit Beispielen aus der Praxis. 303 Neumann 2009, Rn. 781.
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sogar kontraproduktiv für die Sachgegner, denn wenn sie eine ungefähr gleich hohe Stimmenzahl auf Seiten der Befürworter wie Gegner erwarten sollten, könnte eine intensive öffentliche Auseinandersetzung das Risiko eines gültigen Volksentscheids nur steigern, da sich mutmaßlich nicht nur die Zahl der Teilnehmer an der Abstimmung erhöht (Beteiligungsquorum), sondern auch die Zahl der Ja-Stimmen (Zustimmungsquorum).304 Aber auch die Gegner eines mit einer Volksabstimmung angestrebten Gesetzes können sich negativen Folgen ausgesetzt sehen, wenn signifikante Quoren bestehen. Nehmen jene nur deshalb nicht an der Abstimmung teil, weil sie sich darauf verlassen, daß das Quorum ohnehin nicht erreicht werde, da die Sache nicht genügend Befürworter habe und erfüllt sich diese Annahme nicht, so führt das bei einer – dann gültigen – Annahme des Gesetzes zu einer Verfälschung des Ergebnisses. Die Seite der Gegner wird gar nicht beziehungsweise deutlich reduziert erfaßt.305 cc) Negatives Stimmgewicht Jung weist noch auf einen zweiten Effekt hin, den seiner Ansicht nach insbesondere Beteiligungsquoren bewirken, nämlich den des negativen Stimmgewichts. Der Verfasser konstruiert dafür zunächst das hypothetische Szenario einer verfassungsändernden Volksgesetzgebung in Nordrhein-Westfalen. Dort ist gemäß Art. 69 III 3 NRWVerf. das Erreichen eines Beteiligungsquorums von mindestens der Hälfte der Stimmberechtigten Gültigkeitsvoraussetzung für einen die Verfassung ändernden Volksentscheid aufgrund eines entsprechenden Volksbegehrens. Darüber hinaus müssen zwei Drittel der Abstimmenden dem Gesetzentwurf zustimmen. Nach dem Szenario sollen von 13,2 Millionen Stimmberechtigten bis zum Nachmittag des Tags der Abstimmung 6,5 Millionen ihre Stimme abgegeben haben. Davon sollen 5 Millionen mit „Ja“ und 1,5 Millionen mit „Nein“ gestimmt haben. Bereits zu diesem Zeitpunkt wäre damit – bei einer hypothetischen Stimmauszählung – die 2 / 3-Mehrheit gegeben. Da aber absolut gesehen die Zahl der Abstimmenden noch nicht ausreicht, um das 50prozentige Zustimmungsquorum zu erfüllen, könnten weitere 100.000 Gegner der Verfassungsänderung, die sich kurz vor Ende der Abstimmung noch beteiligen, das Erreichen jener Hürde bewirken. Diese Bürger würden nun aber das Gegenteil dessen erreichen, was sie beabsichtigten, nämlich einen gültigen Volksentscheid und ein Gesetz, das sie nicht wollten.306 Daher müsse entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum negativen Stimmgewicht bei Wahlen Recht Jung 2010, 52 ff. Recht Neumann 2009, Rn. 785. 306 Vgl. Jung 2010, 59 f. 304 Zu 305 Zu
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von einer Verletzung der Wahlgleichheit auf Seiten der Sachgegner des Volksentscheids ausgegangen werden.307 (1) Maßstab: Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts In einem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall bewertete das Gericht die Auswirkungen der von ihm überprüften Vorschriften, die eine unterschiedliche Behandlung der von den Wählern abgegebenen Stimmen zur Folge hatten (sog. negatives Stimmgewicht oder inverser Erfolgswert), dahingehend, daß die Ungleichbehandlung nicht mehr durch einen zwingenden Grund legitimiert werden könne.308 Konkret ging es um jenen Effekt bei den Bundestagswahlen, der im Zusammenhang mit Überhangmandaten bei der Verteilung von Mandaten auf verschiedene verbundene Landeslisten auftrat. Danach konnte ein Zugewinn von Zweitstimmen einer Partei zu einem Mandatsverlust bei derselben Partei und umgekehrt die Verringerung der Anzahl der Zweitstimmen zu einem Mandatsgewinn führen.309 Zu diesem Effekt des sog. negativen Stimmgewichts stellte das Bundesverfassungsgericht nun fest, daß dadurch der Wahlrechtsgrundsatz der Wahlgleichheit in seiner Ausprägung als Erfolgswertgleichheit verletzt sein kann: „Wahlgleichheit bei der Verhältniswahl (bedeutet), dass jeder Wähler mit seiner Stimme den gleichen Einfluß auf die Zusammensetzung der Vertretung haben muss. Ziel des Verhältniswahlrechts ist es, dass alle Parteien in einem möglichst den Stimmzahlen angenäherten Verhältnis in dem zu wählenden Organ vertreten sind. Zur Zählwertgleichheit tritt daher im Verhältniswahlrecht die Erfolgswertgleichheit hinzu.“310 Der Effekt des negativen Stimmgewichts jedoch „kann dazu führen, dass in bestimmten Konstellationen abgegebene Zweitstimmen für solche Parteien, die Überhangmandate in einem Land gewinnen, insofern negativ wirkten, dass diese Parteien in demselben 307 Jung 2010, 63 f. – Jung schlägt daher einen völligen Verzicht auf Beteiligungsquoren vor, S. 65; ebenso Dreier / Wittreck 2010, 29, die ausführen, daß Quoren zur Spekulation über den Aussagegehalt der Entscheidung derjenigen führten, die der Abstimmung aus welchen Gründen auch immer ferngeblieben seien, den Erfolgswert der Stimmen verzerrten und je nach Ausgestaltung im schlimmsten Fall die Geheimheit der Abstimmung aufhöben. 308 BVerfGE 121, 266 (298); vgl. zum Folgenden auch Jung 2010, 60 ff. 309 BVerfGE 121, 266 (267), vgl. detailliert zur Behandlung der Listenverbindungen der Parteien S. 272 f., zu der anschließenden Verteilung auf die einzelnen Landeslisten und der Anrechnung erzielter Überhangmandate S. 273, zu dem Effekt der Kombination beider Vorgänge S. 274 f., zu dem realen Fall bei der Bundestagswahl 2005 den Wahlkreis 160 (Dresden) in Form einer Nachwahl und dem entsprechenden Wählerverhalten S. 276 ff. 310 BVerfGE 121, 266 (296).
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oder einem anderen Land Mandate verlieren. Umgekehrt ist es auch möglich, dass die Nichtabgabe einer Wählerstimme der zu unterstützenden Partei dienlich ist.“311 Die Erfolgswertgleichheit fordere aber, daß der Erfolgswert jeder Stimme in dem Sinne gleich sei, daß sie für die Partei, für die sie abgegeben worden sei, positive Wirkung entfalten können müsse. Ein Wahlsystem aber, das darauf ausgelegt sei oder doch jedenfalls in typischen Konstellationen zulasse, daß ein Zuwachs an Stimmen zu Mandatsverlusten führe, lasse den demokratischen Wettbewerb widersinnig erscheinen.312 Deshalb wohne einer Wahlstimme in diesem Fall neben der Chance, zum beabsichtigten Erfolg beizutragen, auch die Gefahr inne, dem eigenen Wahlziel zu schaden.313 Dieser Effekt sei weder vorhersehbar noch planbar für den einzelnen Wähler und stelle daher in aller Regel eine zufällige Folge des Wählerverhaltens dar.314 Aus diesem Grund sieht das Gericht auch den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl als verletzt an. Dieser fordert danach ein Wahlverfahren, in dem der Wähler vor dem Wahlakt erkennen kann, wie sich die eigene Stimmabgabe auf Erfolg oder Mißerfolg der Wahlbewerber auswirken kann.315 Der Wähler könne aber unter den gegebenen Voraussetzungen nicht erkennen, ob sich seine Stimme stets für die zu wählende Partei positiv auswirke, oder ob er durch seine Stimme den Mißerfolg eines Kandidaten oder seiner Partei verursache.316 (2) Übertragung auf das Beteiligungsquorum An diesem Maßstab gemessen erweist sich das Beteiligungsquorum als problematisch. Sachgegner einer Abstimmung können nicht erkennen, in welchen Situationen ihr bekundeter politischer Wille, einen Gesetzentwurf abzulehnen, durch das Erreichen der Beteiligungsquote und gleichzeitiger Mehrheit der abgegebenen Stimmen für die Vorlage ins Gegenteil verkehrt wird, weil sie mit dieser Bekundung die Annahme der Vorlage bewirken. Dieses ist für sie in der Tat nicht vorhersehbar.317 Hinzu kommt, daß Differenzierungen, wie sie das negative Stimmgewicht bewirkt, nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur durch Gründe gerechtfertigt werden können, die durch die Verfassung legitimiert und von 311 BVerfGE
121, 266 (298 f.). 121, 266 (299). 313 BVerfGE 121, 266 (300 f.). 314 BVerfGE 121, 266 (299, 305). 315 BVerfGE 121, 266 (307). 316 BVerfGE 121, 266 (308). 317 So zu Recht Jung 2010, 63. 312 BVerfGE
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einem Gewicht sind, das der Wahlgleichheit die Waage halten kann.318 Berücksichtigt man, daß insbesondere Beteiligungsquoren die Tendenz zur Boykottierung einer Abstimmung aufweisen und daß eine Untersuchung von Riklin / Kley aus der Schweiz darauf hinweist, daß Quoren keine Anhebung der Abstimmungsbeteiligung bewirken,319 ist ein entsprechender Rechtfertigungsgrund schwerlich erkennbar. So läßt jene Studie keine Rückschlüsse darauf zu, daß die Einführung von Quoren mit einer Anhebung und Sicherung der Stimmbeteiligung begründet und gerechtfertigt werden könnte. Entscheidend sind vielmehr andere Faktoren. Beispielsweise wird die Herausbildung der schweizerischen Konkordanzdemokratie als Grund für den Rückgang der Stimmbeteiligung genannt. Eine Konkordanzdemokratie, die sich in repräsentativer Hinsicht durch die Vertretung aller großen Parteien in der Regierung auszeichne, lasse durch eine starke Tendenz der Kompromißbildung Innovationskraft vermissen und dränge den Bürger in eine bloße Akklamationsrolle. So mache bei den fakultativen Referenden in der Regel ein ausgereifter Kompromiß die Volksbefragung überflüssig. Eine Konkordanzpolitik schwäche daher die Aufmerksamkeit des Bürgers und befördere die Stimmabstinenz.320 Somit zeigt sich, daß es für eine hohe Stimmbeteiligung, die ja auch von den Befürwortern hoher Quoren positiv bewertet wird, förderlich ist, wenn eine gewisse Polarisierung in der öffentlichen Meinungsbildung im Vorfeld eines Sachentscheids stattfindet. Genau diese Wirkung haben Quoren aber nicht, sondern weisen sogar gegenteilige Effekte (Verhinderung öffentlicher Diskurse bezüglich einer Sachfrage) auf. Damit ist jedoch eine gegenläufige Tendenz von Quoren bezüglich des Rechts des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung festzustellen. Denn äußert sich dieses Recht in einer freiheitlichen Demokratie nicht nur in der Stimmabgabe bei Wahlen und Abstimmungen, sondern auch in der Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der politischen Meinungsbildung, der Bildung öffentlicher Meinung,321 so behindern Quoren die Wahrnehmung dieser Rechtsposition. Das Fällen einer Entscheidung durch absolute Minderheiten kann aus demokratischer Perspektive demnach sogar Ausdruck einer funktionierenden Demokratie sein. In der Schweiz ist es völlig selbstverständlich, daß direktdemokratische Verfahren nicht die Funktion haben, die genaue demoskopische Meinung wiederzugeben, sondern gerade durch ihr Entscheidungsumfeld bei den Bürgern Legitimation im Sinn von Akzeptanz erlangen. Als entscheidend werden 318 So
für den Grundsatz der Gleichheit der Wahl BVerfGE 121, 266 (297). 1981, 116 beurteilen Quoren dahingehend, keine der Ursachen von Stimmabstinenz beseitigen zu können. 320 Riklin / Kley 1981, 68 ff. – vgl. ausführlicher auch nachstehend E. 321 Schmitt Glaeser, HStR III, § 38 Rn. 31. 319 Riklin / Kley
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dabei die Möglichkeit zur öffentlichen Diskussion sowie zur verbindlichen Mitwirkung betrachtet.322 Gegenwärtig bewegt sich der Anteil an der Gesamtbevölkerung, der unter Berücksichtigung von Stimmberechtigung (ca. 65 % der Wohnbevölkerung der Schweiz) sowie Teilnehmerquote (ca. 40 %) als „entscheidende Mehrheit“ festgehalten werden kann, bei 12–22 % der Wohnbevölkerung.323 Eine Bezugnahme auf die Zahl der Stimmberechtigten oder die Zahl der Zustimmenden ist nach allem für eine demokratische Mehrheitsentscheidung nicht erforderlich. dd) Zwischenergebnis Beteiligungs- und Zustimmungsquoren bringen in unterschiedlicher Intensität die Gefahr mit sich, daß sich ein Boykott einer Abstimmung für die Sachgegner einer Gesetzesinitiative mehr lohnt als eine Teilnahme an der Abstimmung. Dies hängt maßgeblich von der Höhe der Quoren ab und kann durch Aufrufe zum Boykott verstärkt werden. Beteiligungsquoren können in bestimmten Konstellationen außerdem den Effekt des negativen Stimmgewichts nach sich ziehen, den das Bundesverfassungsgericht bei Bundestagswahlen für nicht vereinbar mit der Wahlgleichheit gehalten hat. Bei Abstimmungen bewirken Beteiligungsquoren demnach einen ähnlichen gleichheitswidrigen Effekt wie es die Berechnungsmodalitäten bei der Verteilung von Mandaten unter Berücksichtigung etwaiger Überhangmandate auf die Landeslisten in der dargestellten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts taten. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist somit auch bei Beteiligungsquoren die Voraussetzung nicht mehr erfüllt, daß jeder Abstimmende mit seiner Stimme den gleichen Einfluß auf den Ausgang der Entscheidung haben muß. Stimmt aber ein Abstimmender für eine Initiative und bewirkt die Abgabe seiner Stimme gleichzeitig das Überschreiten des Beteiligungsquorums, so verkehrt sich unter der zusätzlichen Voraussetzung, daß insgesamt eine Mehrheit die Initiative abgelehnt hat, sein Votum im Ergebnis in das Gegenteil. Es ist in Übertragung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts somit in solchen Fällen eine mangelnde Erfolgswertgleichheit324 in Form eines umgekehrten Erfolgswerts festzustellen. Beide Effekte – Boykottermöglichung und inverser Erfolgswert – unterscheiden sich freilich in der Gruppe der Betroffenen. Der Effekt des negati322 Linder
2005, 284. 2005, 283 f.; die Partizipation ist stark vorlagenabhängig, je nachdem, ob es sich um eine wichtige, kontroverse, oder lediglich sekundäre, unumstrittene Vorlage handelt, vgl. S. 285. 324 Vgl. erneut BVerfGE 121, 266 (296). 323 Linder
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ven Stimmgewichts kann sich nämlich nur für die Sachgegner eines Volksentscheids nachteilig auswirken. Die Boykottmöglichkeit wiederum erweitert den Handlungsspielraum der Sachgegner, benachteiligt daher strukturell die Befürworter eines Ziels, das mit einer Gesetzesinitiative aus dem Volk erreicht werden soll. Vergleicht man hinsichtlich des negativen Stimmgewichts Wahl und Volksentscheid, so müssen Quoren gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch einen „besonderen, sachlich legitimierten, zwingenden Grund“325 gerechtfertigt werden. Auch dieser Aspekt spricht somit dafür, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber im Bund nicht gehindert wäre, Quoren bei Volksentscheiden gar nicht beziehungsweise nur in geringer Höhe vorzusehen, respektive diese in den Ländern unter das aktuell bestehende Niveau abzusenken.
II. Gewährleistungsgehalt des Mehrheitsprinzips Der Bremische Staatsgerichtshof hat Volksgesetzgebungsverfahren als Minderheiteninstrument bezeichnet,326 der Bayerische Verfassungsgerichtshof das Mehrheitsprinzip der Bayerischen Verfassung gemäß Art. 2 II 2 BayVerf. dahingehend ausgelegt, daß dieser bei verfassungsändernden Volksentscheiden zwingend ein ungeschriebenes Zustimmungsquorum in Höhe von 25 % gebiete327 und sodann diesen Grundsatz als Verfassungsänderungen entzogenen Kerngehalt definiert;328 schließlich hat der Thüringer Verfassungsgerichtshof ein Quorum beim Volksentscheid als unabdingbar bezeichnet, um einer positiven Entscheidung durch eine geringe Zahl von Stimmberechtigten vorzubeugen.329, 330 Um die Richtigkeit dieser Ergebnisse zu beurteilen, müssen die verfassungsrechtlichen Wertungen, die hinter dem Mehrheitsprinzip stehen, in den Blick genommen werden. Zu fragen ist dabei insbesondere, welche Vorstellung das Grundgesetz vom Begriff der „Mehrheit“ hat. 1. Mehrheit als inhaltliche Repräsentation des Volkswillens Grundlegend wird dieses Problem in einem Beitrag von Horn aufgegriffen. Es stelle sich die Frage, unter welchen Bedingungen im Falle eines Plebiszits 325 BVerfGE
121, 266 (297). nochmals BremStGH NVwZ-RR 2001, 1 (2). 327 Vgl. nochmals BayVerfGHE 52, 104 (134 ff.). 328 Vgl. nochmals BayVerfGHE 53, 42 (65 f.). 329 Vgl. nochmals ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (37). 330 Magsaam 2014, 563 ff. kommt zu dem Ergebnis, daß zwar das Mehrheitsprinzip keine Quoren erfordere, es aber auch der Grundentscheidung des Verfassungsgesetzgebers unterliege, Quoren zu normieren. 326 Vgl.
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von einer demokratischen Mehrheitsentscheidung gesprochen werden könne.331 Insofern herrsche in der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung ein grundlegender Dissens über den eigentlichen Inhalt des Mehrheitsprinzips. So beriefen sich konträre Auffassungen – die einen hielten das Fehlen, andere die Einführung von Zustimmungsquoren in Verfahren direkter Demokratie für verfassungswidrig – gleichermaßen auf das demokratische Mehrheitsprinzip.332 Horn befürwortet – um das Ergebnis vorwegzunehmen – ein Zustimmungsquorum in Höhe von 25 %, da dieses eine Verteilung der für die Demokratie problematischen Nichtabstimmendenquote von bis zu 50 % (verstanden im Sinne einer denkbaren Bürgerpassivität) der Berechtigten zu gleichen Teilen auf die entstehende Stimmenmehrheit und Stimmenminderheit gewährleiste.333 Zwar nimmt Horn im Ausgangspunkt an, daß „Mehrheit“ in der Demokratie immer zuerst Stimmenmehrheit bedeute. Schließlich bedürfe die Mehrheit der empirischen Feststellung, analog zum Volkswillen, der ebenfalls zur Aktualisierung seines Inhalts durch Artikulation auf die Kundgabe der je in ihm existenten Einzelwillen334 angewiesen sei.335 Dabei läßt er es indessen nicht bewenden. Vielmehr deklariert er eine Verknüpfung des Mehrheitsentscheids mit der Zahl der Stimmberechtigten für ebenso notwendig. Den zentralen Grund sieht er in der Tatsache, daß die Mehrheit der Abstimmenden verbindlich für alle zum Staat gehörenden Bürger – inklusive derjenigen, die nicht an der Abstimmung teilgenommen haben – entscheide. Diese Erstreckung der Folgepflicht auf Unbeteiligte betreffs einer Sachentscheidung durch Volksentscheid lasse sich jedoch mit einem Mehrheitskonzept, das ausschließlich auf die Mehrheit der Abstimmenden fixiert sei, nicht mehr begründen.336 So gerate das Mehrheitsprinzip um so mehr unter Legitimitätsdruck, desto stärker die Mehrheit der Stimmen hinter der Mehrheit der Berechtigten zurückbleibe. Nur für den Fall, daß die Mehrheit der Stimmen zugleich mindestens die Mehrheit der Berechtigten bilde, sei die Folgepflicht der übrigen aus dem Mehrheitsprinzip heraus ohne weiteres legitimiert.337 Dazwischen liegt nach dieser Auffassung eine Grauzone, die, je stärker die Zahl der Abstimmenden abnehme, zu Lasten der Legitimität der Abstimmung gehen soll. 331 Horn
1999 III, 401 f. 1999 III, 410 ff. m. w. N. 333 Horn 1999 III, 421. 334 D. h. nichts anderes als Stimmabgabe durch die Bürger bei der jeweiligen Teilnahme an Wahl beziehungsweise Abstimmung. 335 Horn 1999 III, 412 f. 336 Horn 1999 III, 413. 337 Horn 1999 III, 415. 332 Horn
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Dem liegt eine grundsätzliche Ablehnung der Ansicht zugrunde, wonach eine Nichtteilnahme an demokratischen Entscheidungen negativ zu bewerten ist.338 Diese Ausführungen werden vor dem Hintergrund verständlich, daß der Autor ein Ergebnis- beziehungsweise output-orientiertes Demokratiekonzept339 befürwortet, bei welchem das Gesamtinteresse aller Individuen eine Maßstabsfunktion für den tatsächlich kundgegebenen Volkswillen übernimmt, indem das Abstimmungsergebnis das dahinterstehende – nicht tatsächlich geäußerte – gemeinsame Gesamtinteresse inhaltlich repräsentieren soll.340 Das Schweigen des Stimmberechtigten hält Horn demnach nur dann in seiner Wirkung als Bestätigung der Mehrheit – ohne Quorum wirken nicht abgegebene Stimmen wie Enthaltungen – für gerechtfertigt, wenn auch ein Bezug zur Gesamtzahl der Stimmberechtigten hergestellt wird. Die darin liegende Differenz bezeichnet er als „schweigende Mehrheit“. Dem Mehrheitsprinzip wird damit die Funktion zugeschrieben, eine größtmögliche Annäherung an die Übereinstimmung aller Einzelwillen mit dem Gemeinwillen zu leisten.341 Der Einzelne habe demokratische Mitwirkungsrechte in seiner Eigenschaft als Teil des Staatsvolkes inne. Nicht ergäben sich diese aus seiner privaten Autonomie. Darum gelte der Volkswille, weil er das Gesamtinteresse repräsentiere, nicht umgekehrt.342 So gelangt Horn zu einer Funktion des Mehrheitsprinzips, die sich von der empirischen Feststellung der Einzelinteressen unterscheidet.
338 Horn 1999 III, 414: „Den Nichtabstimmenden wird wenig bis keine Aufmerksamkeit gewidmet. […] Es liegt nicht fern, dieses Defizit im Horizont jenes tieferliegenden Diskredits zu verorten, der dem Schweigen in politicis anhaftet. Dem verfassungstheoretischen Verständnis von Demokratie bildet der stumme […] Bürger eine Provokation. Politische Abstinenz irritiert die Theorie vom Aktivbürger. […] Doch mit solcher Einschätzung ist vorderhand wenig gewonnen.“ 339 Unter „Output-Legitimation“ versteht man ein Konzept, das sich weniger an dem Zustandekommen als an den Ergebnissen eines politischen Prozesses orientiert und effektive Problemlösungen durch gutes (im Sinn von gemeinwohlorientiertem) Regieren anstrebt. Im Unterschied hierzu betont die „Input-Legitimation“ das Volk beziehungsweise den Volkswillen als Ausgangspunkt staatlicher Herrschaft und fordert eine Beteiligung der Bürger an den sie betreffenden Entscheidungsprozessen – vgl. Decker 2011, 39 f. 340 Horn 1999 III, 417 f.: „Der Volkswille gilt, weil er das Gesamtinteresse repräsentiert, nicht umgekehrt.“ – es geht an dieser Stelle um die Betonung „gesamthafter“ gegenüber individueller Selbstbestimmung des „vereinigten Volkes“. 341 Horn 1999 III, 418: „Repräsentationsfunktion des Mehrheitsentscheids“; und 419: „Als demokratisch hinreichend erweist sich allein die Mehrheit, die die Repräsentation der Mehrheit der Gesamtbürgerschaft als dem Träger des Volkswillens gewährleistet.“ 342 Horn 1999 III, 418.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
2. Mehrheit als formelle Repräsentation der Nichtabstimmenden Ein anderes Verständnis vom Repräsentationsbegriff vertritt Dreier.343 Nach seiner Ansicht resultiert die Folgepflicht der Nichtabstimmenden bzgl. einer positiven Mehrheitsentscheidung ausschließlich aus der autonomen Entscheidung, nicht von dem Recht auf potentielle Teilhabe an demokratischer Legitimation Gebrauch zu machen. Nach Art. 20 II 2 GG respektive Art. 2 II 1 BayVerf. artikuliere das Volk seinen für die Ausübung aller Staatsgewalt maßgeblichen Willen in zweierlei Arten, nämlich durch Wahlen und Abstimmungen. Handle das Volk als Wahlkörper, so würden die regelmäßig nur mit relativen Wählermehrheiten installierten Parlamente völlig zu Recht als Form legitimer Mehrheitsherrschaft anerkannt. Der Grund liege in einer zweifachen Stufung der Repräsentation. Die erste Stufe dieser Repräsentation sieht Dreier im Verhältnis zwischen Abgeordneten und Aktivwählern, indem diese mit Verpflichtungskraft für jene handelten. Die zweite Stufe liegt Dreier zufolge darin, daß die Wähler für die Nichtwähler mitgehandelt hätten. Die Passivität der Nichtwähler befreie diese daher nicht von der Bindungswirkung repräsentativ gefaßter Beschlüsse. Diese Bindung sei das verpflichtende Gegenstück des Satzes, wonach die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes seien (Art. 38 I 2 GG).344 Handle das Volk nun als Abstimmungskörper, falle lediglich die erste Repräsentationsstufe weg – jene, auf der bei Wahlen Sachentscheidungen auf Vertreter überantwortet würden. Die zweite Repräsentationsstufe der Wahlen sei jedoch auch bei Sachentscheidungen vorhanden. Die Aktivbürger handelten verbindlich für alle und repräsentierten so die Nichtabstimmenden. Daher gelte „für die Äußerung des Volkswillens durch Wahl wie durch Abstimmung gleichermaßen, daß die nicht an der Abstimmung Teilnehmenden, die Nichtwähler und Nichtabstimmenden, von den Wählern und Abstimmenden vertreten, also: repräsentiert“ würden.345 3. Mehrheit als zurückhaltendes Entscheidungspotential Eine positive Grundauffassung bzgl. eines passiven Verhaltens der Stimmberechtigten unter soziologischen Prämissen wird von Depenheuer vertreten, von der aus er sein Schutzkonzept zugunsten der „schweigenden Mehrheit“ entwickelt. Seine Ausgangsthese ist, daß der politisch aktive Zeitgeist stets nur eine relativ kleine Schicht der Staatsbürger erfasse, namentlich Politiker, 343 Dreier
1999, 520. 1999, 520. 345 Dreier 1999, 520. 344 Dreier
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Journalisten und Publizisten. Die im empirischen Sinne politisch Schweigenden seien darum in der Demokratie notwendig in der Mehrheit. Der Durchschnittsbürger finde Genügsamkeit im Medienkonsum und politisiere allenfalls im privaten Raum.346 Dabei könne dieses Schweigen nicht mit politischem Desinteresse oder Verantwortungslosigkeit gleichgesetzt werden. Wer schweige, behalte seine private politische Meinung in der Regel lediglich für sich. Es sei unzutreffend, die schweigende Mehrheit als gefährlich für das freiheitlich organisierte politische System einzuschätzen.347 Da vielmehr nach Art. 38 GG allen Bürgern ohne Rücksicht auf politische Aktivität das gleiche Stimmrecht ohne Unterschiede zustehe, sei die schweigende Mehrheit als politische Größe unkalkulierbar und die geheime Wahl ihr verfassungsrechtlicher Trumpf. Aus der Perspektive der demokratietheoretisch eingeforderten umfassenden Verantwortung des Bürgers für seinen Staat solle der Bürger jedoch öffentlich mitwirken und öffentlich zu dem stehen, was er politisch denke.348 Depenheuer hebt demgegenüber den Schutz des Grundgesetzes hervor, der demjenigen zuteil werde, der sich politisch nicht beteiligen wolle. Dabei ist die geheime Wahl nur ein Aspekt. Allen demokratischen Mitwirkungsrechten korrespondierten nämlich entsprechende negative Gewährleistungsgehalte, wie zum Beispiel die Freiheit, sich nicht an der öffentlichen Meinungsbildung zu beteiligen oder nicht zu demonstrieren.349 Da außerdem die Prämisse des klassischen demokratietheoretischen Liberalismus’ – der Glauben an die Rationalität der politischen Auseinandersetzung – insbesondere auch in der Öffentlichkeit auf einem falschen Menschenbild beruhe,350 sei fehlende Öffentlichkeit geradezu Voraussetzung für die Offenheit der Diskussion.351 Auch aufgrund der zunehmenden Ausdifferenzierung der Gesellschaft könne und müsse jeder Bürger nicht alles wissen; die repräsentative Demokratie erweise sich daher als das eigentliche Ideal der demokratischen Idee.352 Daher geht der Autor davon aus, daß gerade die schweigende Mehrheit grund346 Depenheuer
1997, 61 f. 1997, 63. 348 Depenheuer 1997, 65 f. 349 Depenheuer 1997, 64. 350 Der Mensch habe Angst vor gesellschaftlicher Isolation und zögere deshalb allzu leicht, eine Mindermeinung zu vertreten – dies bedinge die Zurückdrängung vermeintlich nicht mehrheitsfähiger Positionen im öffentlichen Diskurs. Demgegenüber lege sich der regelmäßige Teilnehmer an jenem öffentlichen Diskurs durch die öffentliche Kundgabe seiner Ansicht selbst fest und erschwere so die eigene Abkehr von dieser Ansicht – das mindere den Einfluß des öffentlichen Diskurses auf die in ihm kundgegebenen Meinungen, vgl. Depenheuer 1997, 68 ff. 351 Depenheuer 1997, 72. 352 Depenheuer 1997, 73 ff., 75. 347 Depenheuer
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sätzlich offen für neue Einsichten und Meinungswandel sei353 und Wahlkämpfe maßgeblich um die noch nicht entschiedene schweigende Mehrheit geführt würden.354 Innerhalb der parlamentarischen Demokratie, so schließt Depenheuer, komme der schweigenden Mehrheit eine positive Funktion zu. Sie halte das System für die Anpassung an veränderte Umstände offen, ermögliche den politischen Richtungswechsel und binde die Parteien durch die Geheimhaltung der Meinungen und die daraus folgende Unsicherheit in den Parteizentralen zurück an den Souverän.355 4. Mehrheit als Selbstbestimmung durch Teilnahme Einen anderen Ansatz als Horn vertritt Varain mit einer Ablehnung von Quoren. Auch er geht davon aus, daß „Mehrheit“ grundsätzlich und im gewöhnlichen Sprachgebrauch zunächst Stimmenmehrheit bedeute, kommt aber zu der Schlußfolgerung, daß daher, um die Theorie der Mehrheitsentscheidung aufrechtzuerhalten, entweder die schweigende Billigung der Nichtabstimmenden vorausgesetzt, oder aber die Zahlengesamtheit von Beginn an auf die Teilnehmer an einer Abstimmung eingeschränkt werden müsse.356 Sodann erkennt Varain die Bedeutung des Mehrheitsprinzips für die Demokratie in der Generierung verantwortlicher Teilhabe der Staatsbürger und deren Verknüpfung mit der Aufgabenverwirklichung eines freiheitlich-demokratischen Staates. Zwar sei auch in der Demokratie das Mehrheitsprinzip zunächst eine Form der Entscheidungsweise, doch sei es eben nicht nur von formal-instrumentalem Charakter.357 Vielmehr sei es gerade dem Inhalt der demokratischen Ordnung angemessen und für diese daher keine bloß willkürliche, auswechselbare Form. Den Kern jener Bezogenheit des Mehrheitsprinzips als Entscheidungsmodus auf materiale Inhalte der Demokratie sieht Varain in der Selbstbestimmung des Volkes.358 Den Grund dafür, daß durch das Mehrheitsprinzip keine inhaltlich richtige Entscheidung gefunden, sondern allein Personalentscheidungen, inhaltliche 353 Depenheuer
1997, 71. 1997, 76. 355 Depenheuer 1997, 77. 356 Varain 1964, 242 f. 357 Varain 1964, 245 (Hervorhebung i.O.). 358 Varain 1964, 246: „Durch die Mehrheitsentscheidung wird wesentliche Inhaltsverwirklichung – Teilnahme, Gleichheit, Freiheit – in größter Annäherung an das erreichbare Maß möglich. Selbstbestimmung des Volkes in gleicher Freiheit tritt so mit dem Mehrheitsprinzip als unauswechselbarem Institut der Willensbildung einer solchen Ordnung auf.“ – Hier wird die Parallele zum Freiheitsargument sichtbar. 354 Depenheuer
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Weisungen und Normsetzungsentscheidungen ohne diesen Anspruch getroffen werden können, sieht Varain in dem Gedanken, daß in einer Demokratie jederzeit die Chance auf den Wechsel der Mehrheitsposition bestehen muß.359 Auch dieses Argument ist daher eng verknüpft mit der Frage der Rechtfer tigung des Mehrheitsprinzips (Verfahrensargument). Die Möglichkeit zum Wechsel der Mehrheit gebe es aber nur in einer freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung und nur dort, wo eine echte Alternative eingeräumt werde. In einem pluralistischen Gefüge eröffne das Mehrheitsprinzip die immer neue Kombination von Minderheiten, die in der Summe jeweils zu neuen Mehrheiten führe. Im Gegenzug brauche die überstimmte Minderheit nicht anzuerkennen, daß sie sich mit ihrer Auffassung im Irrtum befunden habe.360 Abschließend weist Varain darauf hin, daß sowohl die Geltung des Mehrheitsprinzips als auch die dasselbe ermöglichende politische Ordnung von der Bereitschaft zur Teilhabe an Demokratie als Staatsform abhängig sei. Sowenig wie es ein natürliches Recht des Individuums gebe, in einer Ordnung des Schutzes und der Freiheit zu leben, sowenig gebe es ein Einfügen in ein politisches Gemeinwesen ohne Übernahme von Pflichten und Begrenzung von Ansprüchen. Die Verwirklichung des Rechts auf Teilhabe des Einzelnen hänge somit vom Willen ab, die Staatsordnung mit eigenem Tun zu tragen und zu prägen. Daher will Varain eine etwaige Kluft zwischen Abstimmungsberechtigten und Abstimmungsteilnehmern, die weit unter der eigentlichen Mehrheit aller Berechtigten liege, allein diesem fehlenden Willen zur Teilnahme und nicht dem zugrundeliegenden Entscheidungsprinzip zurechnen.361 5. Stellungnahme Ausgehend von den vorstehend dargestellten Konzepten soll im Folgenden eine Eingrenzung der verfassungsrechtlichen Wertungen erfolgen, die hinter 359 Varain
1964, 246 f. 1964, 247: „die überstimmte Minderheit […] ist nicht der irrende Einzelwille, der den wahren Gesamtwillen nicht erkannte. Eine Antwort darauf, ob etwas richtig oder falsch, gut oder schlecht, schön oder häßlich sei, liegt außerhalb der Möglichkeit dessen, was durch Mehrheitsspruch entschieden werden kann.“ 361 Varain 1964, 250: „Politik ist ein Prozeß ohne Ruhe; sie ist eine dauernde Auseinandersetzung um die Ordnung menschlichen Zusammenlebens. Keiner kann sich ihr entziehen; nur, ob er Subjekt oder Objekt ist, heißt die Frage. Das in seinen Grenzen erkannte und anerkannte Mehrheitsprinzip stellt nichts anderes dar als die angemessene Form politischer Entscheidung, die in größter Annäherung die Teilnahme aller in gleicher Freiheit ermöglicht. Wer das Angebot zur Teilnahme nicht nutzt, bringt sich selbst um das Recht auf Gehör.“ 360 Varain
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dem Mehrheitsprinzip stehen. Dabei ist auch das Demokratieprinzip zu berücksichtigen. a) Folgepflicht der Unbeteiligten Die Frage, ob sich das Mehrheitsprinzip auf die Teilnehmer einer Abstimmung beschränkt oder auch – zu einem durch ein Quorum näher festzulegenden Grad – die Nichtabstimmenden mit einbezieht, wird zunächst durch die Tatsache aufgeworfen, daß Letztere einer Entscheidung unterworfen werden, an der sie selbst nicht beteiligt waren. Dieser Effekt wirkt sich natürlich nur dann spürbar aus, wenn durch ein positives Votum eine Abstimmungsvorlage angenommen wurde und sich demzufolge die Rechtslage verändert. Quoren bei Volksentscheiden werden daher mit dem Argument gerechtfertigt, daß zur Sicherung der Legitimität einer Entscheidung der „Volkswille“ oder das „Gesamtinteresse“ berücksichtigt werden müßten. Nach der Gegenauffassung ergibt sich die Folgepflicht der Nichtabstimmenden ausschließlich aus der Mehrheit der Abstimmenden, unabhängig von der Zahl der Ab- beziehungsweise Zustimmenden im Verhältnis zur Zahl der Stimmberechtigten insgesamt. Diese Ansicht hat zunächst für sich, daß sie keine inhaltlichen Maßstäbe aufstellen muß. Denn sie kann strikt formal nach dem Ergebnis der Abstimmung entscheiden, ohne Rücksicht auf deren Inhalt im Verhältnis zum Gesamtinteresse. Die Vergleichbarkeit von Wahl und Abstimmung spricht zudem dafür, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht gehindert ist, Quoren für Volksentscheide abzusenken. Wenn Horn demgegenüber der Auffassung ist, daß das Abstimmungsergebnis auch die Funktion habe, den Gesamtwillen zu repräsentieren, so ist das deshalb problematisch, weil im Kern ein inhaltlicher Maßstab angelegt wird, an welchem sich die Mehrheitsentscheidung messen lassen muß. Dieses Gesamtinteresse oder alternativ ein wahrer Wille des Volkes sind aber im Ergebnis nicht bestimmbar, da weder das Eine noch der Andere tatsächlich geäußert wurden und somit objektiv nachprüfbar sind. Angesichts der Frage, wer nun diesen Maßstab bestimmen soll, weist daher ein materielles Verständnis von Repräsentation eine freiheitsbeschränkende Tendenz auf. Wird aber in einer Demokratie die Freiheit des gesamten Volkes nicht durch vorgegebene, sachliche Inhalte gebunden, sondern basiert sie auf einem sich frei und offen bildenden Gemeinwillen,362 so sollte dieser Willensbildungsprozeß als ergebnisoffene Auseinandersetzung legitimer Einzelinteressen stattfinden. Das Bundesverfassungsgericht hat auf dieser gedanklichen Linie klargestellt, 362 Vgl. Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 38 – dies ist demnach die Stufe vom Übergang von der allen Bürgern zukommenden demokratischen Mitwirkungsfreiheit zur kollektiv-autonomen Freiheit des Volkes insgesamt.
C. Das Mehrheitsprinzip207
daß das Grundgesetz durch sein Demokratieprinzip dem Bürger Verantwortung für die Gestaltung des Gemeinwesens aufgegeben hat, wenn gewisse Voraussetzungen gewahrt sind: „Und nur wenn die Mehrheit aus einem freien, offenen, regelmäßig zu erneuernden Meinungs- und Willensbildungsprozeß, an dem grundsätzlich alle wahlmündigen Bürger zu gleichen Rechten teilnehmen können, hervorgegangen ist, […] kann die Entscheidung der Mehrheit bei Ausübung von Staatsgewalt als Wille der Gesamtheit gelten und nach der Idee der freien Selbstbestimmung aller Bürger Verpflichtungskraft für alle entfalten.“363 Dieser Meinungs- und Willensbildungsprozeß ist auch bei direktdemokratischen Verfahren ergebnisoffen, weil davon auszugehen ist, daß einem Volksentscheid ein intensiver Diskurs vorausgeht, der dazu führen kann, daß eine Abstimmungsvorlage sich während des Verfahrens inhaltlich verändert. So haben die Initiatoren die Möglichkeit – und sind gegebenenfalls sogar gezwungen – ihren Vorschlag sachlich anzupassen, da sie wissen müssen, daß sie die Chance auf Zustimmung zu dem von ihnen verfolgten Anliegen nur dann steigern können, wenn eine hinreichend breite Schicht von Interessen einzelner Bürger erfaßt wird. Das kann auch durch Kompromisse mit entgegenstehenden Positionen geschehen, so daß die Vertreter eines inhaltlich sehr eng angelegten Gesetzesvorhabens auf diesem Weg um breitere Unterstützung werben können.364 Natürlich steht es ihnen genauso frei, sehr spezielle Einzelinteressen zu verfolgen und ein größeres Risiko einzugehen, daß ihr Vorschlag abgelehnt wird. Gegen eine inhaltlich verstandene Repräsentation spricht schließlich, daß sich die Folgepflicht der Nichtabstimmenden bezüglich des Ergebnisses eines Volksentscheids auch unter der Annahme eines formal verstandenen Repräsentationsprinzips erklären läßt. Dazu muß man zunächst beachten, daß die Repräsentation, um die es bei Abstimmungen geht, vergleichbar mit der zweiten Stufe der Repräsentation bei Wahlen ist. Dreiers Erklärungsmodell der zweifach gestuften Repräsentation zeigt, daß es nicht etwa um eine Repräsentation durch Volksvertreter für die Dauer der Legislaturperiode geht, sondern um stellvertretendes Handeln der Abstimmenden für die Nichtabstimmenden in der Ausführung des Legitimationsaktes selbst.365 Aus dieser Funktion der Abstimmung in Verbindung mit der freien Entscheidung der Nichtabstimmenden, nicht an dieser teilzunehmen, erklärt sich 363 BVerfGE
44, 124 (142). Gusy 1981, 343; Hesse 1995, Rn. 142 a. E. 365 Vgl. ergänzend Decker 2011, 39, der darauf hinweist, daß zu der Gruppe, die durch die Abstimmenden vertreten werden, auch diejenigen gehören, die nicht an der Abstimmung teilnehmen dürfen (zum Beispiel nicht stimmberechtigte Bürger). Die Nennung „künftiger Generationen“ scheint dagegen nicht zielführend. 364 Ebenso
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dann die Folgepflicht des gesamten Volkes bezüglich der Mehrheitsentscheidung. Ist es nämlich Ausdruck individueller Selbstbestimmung, für oder gegen eine Abstimmungsvorlage aktiv zu stimmen, so muß es unter den Geltungsbedingungen eines demokratischen Verfassungsstaates ebenfalls als Ausübungsform demokratischer Selbstbestimmung gelten, gar nicht an einer Abstimmung teilzunehmen. Die Folgepflicht der Nichtabstimmenden läßt sich somit weniger mit der Mehrheitsentscheidung, sondern besser damit begründen, daß ein demokratischer Staat das Mehrheitsprinzip als Entscheidungsregel akzeptiert. Nimmt ein Bürger an einer Wahl oder Abstimmung nicht teil, so ist ihm das Ergebnis unter Umständen egal, jedenfalls aber nicht wichtig genug, um teilzunehmen.366 Durch die Geltung des Mehrheitsprinzips wird nun jedoch ermöglicht, daß trotz seiner Nichtteilnahme eine Entscheidung getroffen wird. Im engeren Sinne kann somit gesagt werden, daß sich seine Folgepflicht gegenüber der Mehrheitsentscheidung nicht unmittelbar aus dem Mehrheitsprinzip, sondern vielmehr aus der Repräsentation respektive Stellvertretung durch die Wählenden beziehungsweise Abstimmenden ergibt. Das Mehrheitsprinzip ist für sich genommen eine Entscheidungsregel und bindet unmittelbar nur diejenigen, die an der Abstimmung teilgenommen und in der Sache unterlegen sind. Die normative Kraft eines rein formal verstandenen Mehrheitsprinzips kann daher nicht über den Vorgang der Abstimmung hinausreichen. Das Mehrheitsprinzip ermöglicht somit individuelle und somit zumindest annäherungsweise gesamthafte367 Selbstbestimmung, indem es eine verfahrenstechnische Voraussetzung bereitstellt, garantiert sie aber nicht. Hierzu sei noch einmal das Bundesverfassungsgericht zitiert: „Weil er der freien Selbstbestimmung aller unter Gewährleistung von Frieden und Ordnung einen institutionellen Rahmen verbürgt, kommt dem Staat Hoheitsgewalt, d. h. die Macht zu, Akte zu setzen, die für alle verbindlich sind, insbesondere Recht zu schaffen und Herrschaftsorgane einzusetzen.“368 b) Abstimmungsergebnis und wahrer Volkswille Es führt zu einer Vermischung von einer überhöhten Bewertung eines „gesetzgebenden Gemeinwillens“ einerseits mit der formalen Struktur369 des 366 Ein vergleichbares Rechtsinstitut existiert im Zivilrecht mit der Obliegenheit: Die Wahrnehmung dieser kann nicht erzwungen werden und ist somit ein Gebot des eigenen Interesses, da andernfalls ein Rechtsverlust oder andere rechtliche Nachteile eintreten können, vgl. Palandt / Heinrichs, BGB, v. § 241 Rn. 13. 367 Vgl. Horn 1999 III, 418, freilich mit entgegengesetztem Ergebnis. 368 BVerfGE 44, 124 (142, Hervorhebungen i.O.). 369 Ebenso Lindner, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 2 Rn. 12: „Verfahren gebietet nicht Richtigkeit“; Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 68: „Die Mehrheitsentscheidung kann nicht für sich reklamieren, eine (höhere) Wahrheit zum
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Mehrheitsprinzips andererseits, wenn in der Literatur gesagt wird, daß es nicht die Anzahl der Stimmen sei, die den Willen der Bürger vereinige, sondern das allgemeine Interesse und die sich in der Abstimmung äußernde „Staatsklugheit“.370 Das Mehrheitsprinzip ist nicht geeignet, eine Gewähr für die objektive Vernünftigkeit einer Entscheidung bereitzustellen371 oder über einen Konnex zu der mutmaßlichen Ansicht der Nichtabstimmenden eine Legitimation staatlicher Entscheidungen aus einem vermeintlichen, wahren Volkswillen zu beziehen. So läßt sich eher umgekehrt die These formulieren, daß das Mehrheitsprinzip seinerseits abhängig ist von der Legitimität der Staatsordnung an sich. Ist nämlich das Mehrheitsprinzip darauf angewiesen, daß die jeweilige Minderheit das Votum der Majorität akzeptiert, so ergibt sich genau diese Akzeptanz aus der Qualität des Verfassungskonsenses. Dieser wiederum zeichnet sich dadurch aus, daß er – auch durch rechtliche Fixierung der staatlichen Grundlagen in einer geschriebenen Verfassung – einen klar erkennbaren und abgegrenzten Rahmen bereitstellt, der eine Begrenzung und Mäßigung der Mehrheitsentscheidung garantiert.372 Läßt sich die Philosophie Rousseaus im Bereich der Begründung staatlicher Herrschaft und deren Vereinbarkeit mit der Freiheit und Gleichheit des Einzelnen noch zur Erklärung heranziehen und das Grundgesetz in diese ideengeschichtliche Dimension einordnen, so führt die Annahme eines einzigen Gemeinwillens, neben dem es nur einen Irrtum gibt, zur Verkehrung dessen in sein Gegenteil, was das Grundgesetz mit dem Mehrheitsprinzip erreichen will.373 Umgekehrt hat gerade das Mehrheitsprinzip zur Überwindung jener Anschauung im politischen Leben maßgeblich beigetragen,374 mit der von Rousseau das Konzept der Volkssouveränität als Realisierung des Autonomieprinzips radikal bis zum Ende seiner Möglichkeiten getrieben worden ist.375 Das Mehrheitsprinzip legitimiert die Mehrheitsentscheidung Ausdruck zu bringen oder eine immanente Richtigkeitsgewähr zu bieten.“; Hofmann / Dreier 1989, Rn. 53; Gusy 1981, 337; Hesse 1995, Rn. 142. 370 Vgl. die Formulierung bei Badura, HStR II, § 25 Rn. 51. 371 Ebenso Heun 1983, 90 f., der aber zumindest bei Mehrheitsvoten in kleinen Gremien die Vermutung gelten lassen will, daß die Mehrheit nach sachlichen Kriterien die richtige Entscheidung finden werde; eindeutig Kelsen 1929, 57 f., der darauf hinweist, daß auch in einem Parlament nicht etwa eine höhere, absolute Wahrheit gefunden, sondern durch eine Synthese unterschiedlicher Auffassungen lediglich ein Kompromiß hergestellt wird. 372 Heun 1983, 189. 373 Kritik diesbezüglich auch bei Zippelius 1987, 19; vgl. des weiteren Scheuner 1973, 43 speziell zu Rousseau. 374 Scheuner 1973, 57, der es zu den „Mängeln des deutschen idealistischen Denkens“ rechnet, „Recht und Sinn offen vertretener Interessen gegenüber einem verfehlten Bilde reiner Verfolgung des Gemeinwohls zu unterschätzen“, vgl. S. 58. 375 Heun 1983, 71.
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allein in einem verfahrensrechtlichen Sinne, legt aber nicht die richtige zu treffende Entscheidung beziehungsweise den richtigen zu bildenden Staatswillen inhaltlich fest.376 Dem prozeduralen Charakter des Mehrheitsprinzips entspricht darum eine pluralistische, offene Gemeinwohltheorie. Von einer solchen profitiert ein freiheitliches Gemeinwesen am meisten, da ein solchermaßen relativiertes Mehrheitsprinzip dafür Sorge trägt, daß das Gemeinwohl partiell und höchst vorläufig normativ verdichtet und entschieden werden kann.377 c) Die schweigende Mehrheit Können Quoren bei Volksentscheiden aber damit gerechtfertigt werden, daß sie notwendig sind, um den politisch inaktiven Teil als „schweigende Mehrheit“ der Bevölkerung zu schützen? Depenheuer mißt dieser einen besonderen Wert im Verfassungsstaat zu, indem er in ihr die wesentliche Quelle demokratischer Legitimation sieht. Durch die vom öffentlichen Diskurs abgeschirmte private Sphäre ist nach seiner Auffassung ein Informationsaustausch und Meinungsbildungsprozeß gewährleistet, der mehr leisten kann als jener. Diese Erwägungen haben insofern einen zutreffenden Kern, als daß nicht ersichtlich ist, warum gute Entscheidungen ausschließlich im öffentlichen Diskurs oder in staatlichen Gremien gefällt werden könnten. Gerade im privaten, vertrauten Rahmen läßt sich oftmals angenehmer und ergebnisoffener diskutieren als in aller Öffentlichkeit mit unbekannten Personen.378 Allerdings ist nicht zu erkennen, wieso ein Schutz jener privaten Sphäre durch Quoren auf der Entscheidungsebene – also bei Volksentscheiden – durch das Mehrheitsprinzip notwendig erscheint respektive gerechtfertigt werden könnte. Umgekehrt erscheint der Verzicht auf Abstimmungsquoren jedenfalls nicht geeignet, den grundgesetzlichen Respekt vor dem politisch eher passiven Bürger379 zu konterkarieren. Dieser ergibt sich bereits aus der Tatsache, daß für einen funktionierenden Staat Repräsentation notwendig ist und das Grundgesetz entsprechende Strukturen in großer Differenziertheit 376 Hillgruber
2002, 467; ebenso Berlit 1993, 336. 1977, 244; das Mehrheitsprinzip gewährleistet gerade ein für Meinungsvielfalt offenes Verfahren, vgl. Scheuner 1973, 56. 378 Dabei soll gar nicht beurteilt werden, ob die grundgesetzlichen Regelungen zum Schutz der schweigenden Mehrheit in Widerspruch zum demokratietheoretischen Modell der Bürgergesellschaft stehen, wie Depenheuer 1997, 67 annimmt. 379 Der als solcher unbestritten bleiben soll und eine völlig berechtigte Funktion innehat. Diese geht dahin, ein grundsätzlich auf Repräsentation angewiesenes Gemeinwesen als solches zu akzeptieren und daher konsequenterweise den Einzelnen vor Bestrebungen zu schützen, die ihn zum maßgeblichen Dreh- und Angelpunkt politischer Entscheidungen machen wollten. 377 Häberle
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auch vorsieht. Auch wenn Depenheuer in seinem Beitrag nicht explizit für Quoren eintritt, so scheint er doch einen permanenten öffentlichen Aktivismus der Bürger zu befürchten, wenn die schweigende Mehrheit nicht hinreichend beachtet werde. Näherliegend ist es jedoch, einen gewissen Schutz bereits auf der Ebene der Einleitung eines plebiszitären Verfahrens zu suchen.380 Weiterhin ist fraglich, ob öffentliche Diskussion wirklich hauptsächlich der Propaganda dient, da deren Teilnehmer ausschließlich von vornherein festgelegte Positionen verträten, die sie im öffentlichen Diskurs nie verändern würden.381 Ursächlich hierfür erscheint eher die ausgeprägte heutige Medienlandschaft. Insofern weist die mediale Form der Diskussion, wie sie zum Beispiel in Talkshows im Fernsehen stattfindet, sicherlich jene Züge auf. Berücksichtigt muß diesbezüglich jedoch werden, daß es sich dabei per se nicht um einen öffentlichen Diskurs mit einem gesteigerten Interesse an Erkenntnisfortschritt handelt, sondern es in der Tat um die Präsentation vorgefertigter Stellungnahmen geht. Dann jedoch sollte man an dieser Stelle besser nicht von öffentlichem Diskurs im Sinne eines Argumentationsaustausches, sondern vom Öffentlichmachen bestimmter Ansichten im Sinne eines „Verkaufsvorgangs“ an das Publikum sprechen. Auch der Umkehrschluß Depenheuers ist fraglich, nach dem ein höheres Maß an flexibler Entscheidungsfindung in der Demokratie im nichtöffentlichen Raum stattfinde und die passive Mehrheit daher auch aus diesem Grund besonders schutzwürdig sei.382 Die These der politisch noch nicht entschiedenen, schweigenden Mehrheit, die sich schließlich, wenn es darauf ankommt, gleichsam aus eigener Kraft und Motivation für die überzeugendere politische Alternative entscheidet und damit ein repräsentativdemokratisches System völlig ohne direktdemokratischen Input entscheidungstheoretisch optimal auszudiversifizieren vermag, ist wohl nicht haltbar. Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf zum Beispiel kann für rund vier Fünftel der Bundesstaaten regelmäßig mit großer Sicherheit vorhergesagt werden, ob 380 Vgl. dazu nachstehend D.; im übrigen würden Volksentscheide selbst ohne Quoren wohl das politische System der Bundesrepublik nicht automatisch so verändern, daß für demokratische Legitimation ein Dauerengagement der Bürger erforderlich würde – so aber Depenheuer 1997, 75. 381 So aber Depenheuer 1997, 69 ff. 382 Depenheuer 1997, 75 f.: „Die schweigende Mehrheit bildet das Bewegungspotential in der Demokratie: Wer sich nicht öffentlich äußert, ist politisch auch nicht festgelegt. Er kann seine politischen Präferenzen von Wahl zu Wahl ändern“. Und weiter: „Podiumsdiskussionen haben denn auch regelmäßig nicht die Funktion, den Diskussionspartner, sondern die noch nicht festgelegte schweigende Mehrheit im Publikum zu überzeugen. Wahlkämpfe werden um die schweigende Mehrheit geführt; hier werden Wahlen gewonnen und verloren.“
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der demokratische oder der republikanische Kandidat die jeweiligen Wahlmännerstimmen erlangen wird. Es handelt sich um eine meist über Jahrzehnte stabile parteipolitische Präferenz, die ihren Grund in der sozialen und ethnischen Zusammensetzung der Wählerschaft, ihrer Ideologie und religiösen Grundorientierung hat.383 Die schweigende Mehrheit scheint somit auch ein erhebliches Trägheitsmoment aufzuweisen. Die besseren Gründe sprechen daher dafür, daß das „Bewegungspotential“ der Demokratie insbesondere schon durch Entscheidungen anhand des Mehrheitsprinzips an sich – und ohne signifikant hohe Quoren – gewährleistet wird. Es ermöglicht erst die verfahrensmäßige Umsetzung der Eigenschaften einer funktionierenden pluralistischen Demokratie, daß „Mehrheit“ ein immer nur zeitweise einer bestimmten Personengruppe zuzuordnender Begriff ist. Die Mehrheit bestimmt sich immer nur vorläufig, ist eine Mehrheit auf Zeit, denn die heutige Mehrheit ist potentiell die Minderheit von morgen und umgekehrt.384 Diese Offenheit im System der Entscheidungsfindung macht das Mehrheitsprinzip gleichzeitig auch erst akzeptabel, denn es ermöglicht den Kompromiß, garantiert Innovationen und eröffnet Alternativen.385 Freilich verbürgt ein bloßes Mehr an Entscheidungsmöglichkeiten nicht automatisch die Güte der getroffenen Entscheidungen. Quantität ist auch im Bereich politischer Partizipation nicht mit Qualität gleichzusetzen.386 Ist das Mehrheitsprinzip in einem demokratischen Regierungssystem jedoch ein Element, welches bereits und insbesondere durch den Modus der Beendigung eines Verfahrens für eine ergebnisoffene Entscheidungsfindung sorgt, so liegt für die deutsche Rechtswirklichkeit die Schlußfolgerung nahe, daß es dieser Entscheidungsoffenheit guttut, wenn durch direktdemokratische Verfahren eine gewisse Steigerung der Anwendungsfälle des Mehrheitsprinzips erreicht werden kann. Mehrheitsentscheidungen stellen in diesem Zusammenhang 383 Da somit der Wahlausgang von den Ergebnissen in den restlichen Bundesstaaten abhängt, in denen der Ausgang offen ist, hat sich für diese Staaten der Begriff „Battleground States“ eingebürgert. Zu diesen „Schlachtfeldstaaten“ sind zum Zeitpunkt des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs 2012 acht Staaten zu zählen, namentlich Florida, Virginia, New Hampshire, Ohio, Wisconsin, Iowa, Colorado sowie Nevada. Von 538 insgesamt zu vergebenden Wahlmännerstimmen sind lediglich 95 Stimmen als auf der Kippe stehend zu beurteilen, 185 Stimmen sind klar für Barack Obama, 52 weitere weisen zumindest eine entsprechende Tendenz auf; 158 Stimmen sind klar für Mitt Romney, 48 weitere weisen eine entsprechende Tendenz auf. Vgl. Klaus-Dieter Frankenberger: Heiß umkämpft, in: FAZ vom 7.9.2012 (Nr. 209), S. 6, unter Bezugnahme auf Untersuchungen des Politikwissenschaftlers Larry Sabato. 384 Häberle 1977, 244. 385 Häberle 1977, 244. 386 Für die Schweiz und im Zusammenhang mit Überlegungen zum zahlenmäßigen Abbau (direkt-)demokratischer Entscheide vgl. Riklin / Kley 1981, 128.
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Kulminationspunkte öffentlichen Meinungsaustausches und privater Entscheidungsfindung dar, schlagen Schneisen in das Dickicht festgelegter oder nicht festlegbarer Ansichten und bilden Zäsuren im Hinblick auf neue Entscheidungsverfahren, indem sie Sachverhalte als öffentlichen Entscheidungsgegenstand erledigen und so auch den Weg für neue Themen und Problem lösungen miteröffnen. d) Keine dauerhafte Einteilung in Mehrheit und Minderheit Die Tatsache, daß das Grundgesetz auch Minderheiten als legitim anerkennt, läßt das Argument, daß ohne Quoren bei Volksentscheiden beständig Minderheiten herrschten, fragwürdig erscheinen. Denn wenn die normative Ordnung des Grundgesetzes auf der Akzeptanz pluraler Interessenvielfalt aufbaut, so ist bereits die umgekehrte Aussage, daß das Mehrheitsprinzip zu einer Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit führt, problematisch. „Mehrheit“ und „Minderheit“ lassen sich nämlich genau betrachtet weder dauerhaft abgrenzen noch personenbezogen festlegen. Ebensowenig überzeugt es daher, den Begriff der „Herrschaft“ zu verwenden, der ein fortdauerndes Unterworfensein unter eine höhere Macht insinuiert. Die vielfältigen Interessen, die jeder Einzelne hat, lassen insofern nur Momentanbetrachtungen zu.387 Eben hiermit korrespondiert auch das bereits angesprochene Verfahrensargument, welches das Mehrheitsprinzip durch die prinzipielle Revisibilität von Entscheidungen zu rechtfertigen vermag. Unter diesem Aspekt können Minderheiten auch nicht per se als illegitim verstanden werden. Im Gegenteil ist die Mehrheitsdemokratie darauf angewiesen, daß sich Mehrheiten aus engagierten, kritischen Minderheiten überhaupt bilden und organisieren.388 Die Demokratie fordert von niemandem, bereits einen eigenen Interessenausgleich für sich selber vorzunehmen und in einer internen Konflikt austragung alle möglichen Gegenargumente abzuwägen.389 Es gehört daher notwendig zum Angebot der Demokratie, an staatlichen Entscheidungen teilhaben zu können, auch die Bereitschaft, im Fall der Abstimmungsniederlage die jeweilige Mehrheitsentscheidung zu respektieren. Diese für richtig zu halten ist indessen niemand gezwungen – es steht jedem 387 Vgl. Gusy 1981, 342; ebenso Hesse 1995, Rn. 157: „(Die Minderheit) ist legitime Opposition, potentielle Mehrheit, wie umgekehrt die herrschende Mehrheit stets potentielle Minderheit bleibt.“ 388 Hofmann / Dreier 1989, Rn. 59; in die gleiche Richtung argumentiert Hesse 1995, Rn. 154; vgl. auch BVerfGE 5, 85 (199): „In die schließlich erreichte Mehrheitsentscheidung ist immer auch die geistige Arbeit und die Kritik der oppositionellen Minderheit eingegangen.“ 389 Vgl. Dreier 2009, 30, wo es pointiert heißt, daß niemand „sozusagen zum wandelnden Vermittlungsausschuß“ werden müsse.
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frei, sich für ihre Rücknahme oder Abänderung einzusetzen. Dementsprechend muß auch die grundsätzliche Bewertung der Nichtabstimmung durch das Mehrheitsprinzip dahin gehen, daß der Nichtabstimmende sich deshalb nicht an der Abstimmung beteiligt, da er den zur Abstimmung gestellten Varianten gleichgültig gegenübersteht. Er hat damit an der Abstimmung wahrscheinlich insgesamt kein ausreichendes Interesse, um an ihr teilzunehmen.390 Mit anderen Worten: es ist ihm egal, was bei der Abstimmung herauskommt. Das ist legitim, bedeutet jedoch, daß seine Entscheidung, nicht an der Abstimmung teilzunehmen, als Verzicht auf die Möglichkeit der Einflußnahme auf den Legitimationsakt gewertet werden muß. e) Faktische Abhängigkeit und rechtliche Sicherung gesellschaftlicher Voraussetzungen Wie kann aber ein formal verstandenes Mehrheitsprinzip, das sich weder einen materiellen Repräsentationsbegriff noch ein gemeinwohlabhängiges Demokratieverständnis zu eigen macht, für eine hinreichende Akzeptanz in der Bevölkerung sorgen und somit auch zur Legitimation von Rechtsetzungsentscheidungen beitragen? Zur Beantwortung dieser Frage soll kurz auf die Grundbedingungen der Geltung einer demokratischen Verfassung eingegangen und sodann gezeigt werden, wie das Demokratie- und das Mehrheitsprinzip als zentrale Verfassungsgehalte des Grundgesetzes diese Grundbedingungen wiederum sichern. Das Mehrheitsprinzip ist kein selbsttragendes Prinzip. Es bedarf zu seiner Anerkennung, ebenso wie die Demokratie an sich, Voraussetzungen wie eines Mindestmaßes an politischer, sozialer und kultureller Homogenität.391 Dazu zählt unter anderem eine Emanzipation der Gesellschaft von einer Stände- oder Sippenstruktur, ein gemeinsames Wir-Bewußtsein in der Bevölkerung hinsichtlich fundamentaler Wertfragen sowie ein entwickeltes Bildungssystem.392 Aber auch formale Voraussetzungen sind hier zu nennen, wie eine präzise Festlegung des abstimmungsberechtigten Personenkreises, Garantie der Stimmgleichheit und ein für alle Stimmberechtigten zugängliches Wahl- beziehungsweise Abstimmungsverfahren.393 In dieser Hinsicht ist 390 Heun
1983, 106; ebenso Rux 2008, 98. in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 71; vgl. auch nochmals Varain 1964, 249: „ Mehrheitsentscheidungen können immer nur innerhalb des festen Rahmens einer übergreifenden Ordnung Legalität begründen. Diese Ordnung selbst ruht auf der Anerkennung jener, denen sie als legitim gilt. Legitimität beruht auf Geltung.“ 392 Vgl. ausführlich Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 58 ff. 393 Hofmann / Dreier 1989, Rn. 54. 391 Dreier,
C. Das Mehrheitsprinzip215
die Regel, daß die Mehrheit entscheidet, ein Verfahren, um in einer für verschiedene Auffassungen offenen Gesellschaft im Sinne einer pluralistischen Ordnung394 zur Bildung eines größtmöglichen einheitlichen Willens für das Ganze zu gelangen.395 Der Aspekt der gesellschaftlichen Voraussetzungen für und deren Sicherung durch das Demokratie- und insbesondere das Mehrheitsprinzip ist somit eng verwandt mit der Frage nach den Grundbedingungen staatlicher Existenz überhaupt. Denn auch für die Begründung und Existenz staatlicher Herrschaft ist ein gesellschaftlicher Grundkonsens erforderlich.396 Hierin dürfte auch die Entgegnung auf die Befürchtung liegen, daß ein Volksentscheid ohne Quoren eine Entscheidung sogar durch eine einzelne Person ermögliche.397 Es dürfte außerhalb der Wirkmächtigkeit des Mehrheitsprinzips liegen, diese theoretische Möglichkeit vollkommen auszuschließen. Sollte sie dennoch jemals in einem konkreten Fall Realität werden, hätte die betreffende Gesellschaft vermutlich schwerwiegendere Probleme zu lösen, als sie durch eine tendenziöse Einzelentscheidung verursacht werden könnten. Setzt auch die Demokratie an sich demnach zwar Akzeptanz voraus, kann doch die Rechtsordnung durch Mißbrauchshemmnisse398 das formale Mehrheitsprinzip stützen und so letztendlich zumindest mittelbar für eine gewisse Sicherung des Systems sorgen. In politischer Hinsicht kommt der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit eine maßgebliche Funktion zu, da sie den gesellschaftlichen Grundkonsens hinsichtlich der Legitimität der staatlichen Herrschaft lebendig erhalten muß.399 Aus rechtlicher Perspektive stellt es einen wichti394 Heun
1983, 199. 1973, 55, der weiter formuliert: „In der Mehrheitsbildung liegt daher stets ein Moment vorweggenommener Einigung.“ 396 Scheuner 1973, 35 f. unter Hinweis auf die Konzeption des Grundvertrags in der Philosophie Pufendorfs und Lockes; vgl. auch Heun 1983, 83, der einen Verzicht auf die Möglichkeit einer materiellen Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips befürwortet und statt dessen für die Anerkennung des Mehrheitsprinzips allein den vorangehenden Grundkonsens in der Verfassung ausreichen lassen will; vgl. auch BVerfGE 44, 124 (147): „Die Demokratie des Grundgesetzes bedarf – unbeschadet sachlicher Differenzen in Einzelfällen – eines weitgehenden Einverständnisses der Bürger mit der vom Grundgesetz geschaffenen Staatsordnung.“ 397 Insb. befürchtet von Isensee 1999, 41. 398 Lindner, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 2 Rn. 12 nennt die Folgenden: (1) materielle, den Gesetzgeber unmittelbar bindende Vorgaben wie das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte, (2) organisationsrechtliche wie Begrenzung der Legislaturperiode, qualifizierte Mehrheitserfordernisse insb. für Verfassungsänderungen, verfassungsrechtliche Verankerung der Opposition (vgl. Art. 16a BayVerf.) und parlamentarische Aufklärungsrechte, sowie (3) die verfassungsrechtliche Absicherung einer kritischen Öffentlichkeit. 399 BVerfGE 44, 124 (147). 395 Scheuner
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gen Punkt hierbei dar, daß sowohl parlamentarische als auch direktdemokratische Rechtsetzung gleichermaßen durch das Verfassungsrecht gebunden sind.400 Daneben existieren Schutzvorschriften für strukturelle Minderheiten, welche allerdings nicht mit den temporären Minderheitenkonstellationen im Parlament verwechselt werden dürfen, wie sie infolge von Mehrheitsentscheidungen zwangsläufig entstehen.401 Grundsätzlich jedoch schützt eine Demokratie, in der nach dem Mehrheitsprinzip entschieden wird, Minderheiten automatisch. Denn ihre Voraussetzung freier und vielfältiger Kommunikationsstrukturen zur Gewährleistung der Veränderbarkeit der Mehrheitsverhältnisse bewerkstelligt in gleichem Maße einen Schutz politischer Minderheiten, wie sie dessen selber zu ihrer Akzeptanz bedarf.402 An dieser Stelle soll auf die Abgrenzung der unterschiedlichen Funktionen von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip im Grundgesetz durch Böckenförde hingewiesen werden: „Die Demokratie antwortet auf die Frage nach dem Träger und Inhaber, nicht nach dem Inhalt der staatlichen Herrschaftsgewalt; sie bezieht sich auf die Bildung, Legitimation und Kontrolle der Organe, welche die organisierte staatliche Herrschaftsmacht ausüben und die staat lichen Aufgaben wahrnehmen. Sie ist insofern ein organisatorisch-formales Formprinzip. Der Rechtsstaat antwortet demgegenüber auf die Frage nach Inhalt, Umfang und Verfahrensweise staatlicher Tätigkeit. Er zielt auf Begrenzung und Bindung staatlicher Herrschaftsgewalt im Interesse der Sicherung individueller und gesellschaftlicher Freiheit […], ist insofern ein material-verfahrensmäßiges Formprinzip.“403 Das Demokratiegebot des Grundgesetzes ist deswegen trotz seines materialen Sinngehalts, der darin besteht, daß sie die Freiheit und Gleichheit der Bürger anerkennt und verantwortungsvolles Handels voraussetzt, ein funktionales Prinzip, welches dieses Menschenbild staatsorganisatorisch umsetzt.404 Das Demokratie- und somit auch das Mehrheitsprinzip des Grundgesetzes stehen demnach zur Sicherung seiner Voraussetzungen nicht allein, sondern werden flankiert durch ein ausdifferenziertes Rechtsstaatsprinzip, welches insbesondere die Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit der Ausübung staatlicher Gewalt sicherstellt.405 400 Vgl. Berlit 1993, 344 f., der unter dem Aspekt des Minderheitenschutzes darauf hinweist, daß die Bürger bei der Volksgesetzgebung als verfaßte Gewalt agieren und somit den verfassungsrechtlichen Rahmen beachten müssen. 401 Vgl. Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 74 i. V. m. Rn. 59 – unter „strukturellen Minderheiten“ faßt man zum Beispiel besondere ethnische Gruppen. 402 Hofmann / Dreier 1989, Rn. 68. 403 Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 83. 404 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 91. 405 Fraglich erscheint dagegen die Aussage, daß rechtsstaatliche Verfassungsgrundsätze dazu dienten, demokratische Mehrheitsentscheidungen einem „vernünftigen und
C. Das Mehrheitsprinzip217
f) Autonomie und Selbstbestimmung Betrachtet man direktdemokratische Verfahren vom Ergebnis her – und somit der Mehrheitsentscheidung an sich – ergibt sich eine gute Vereinbarkeit mit dem demokratischen Kerngedanken der persönlichen Freiheit des Einzelnen. Sowohl unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Autonomie als auch der demokratischen Selbstbestimmung des Bürgers können direktdemokratische Mehrheitsentscheidungen nämlich zu deren Umsetzung beitragen, weil sie einen anderen Charakter hinsichtlich Umfang und Intensität staat licher Herrschaft als repräsentativ-demokratische Mehrheitsentscheidungen haben.406 Aus der Perspektive des bei der Abstimmung unterlegenen Bürgers betrifft dies den Umfang und die Intensität staatlicher Herrschaft. Akzeptanz und somit Legitimität des Mehrheitsprinzips hängt hier auch davon ab, daß diesem trotz der Unterworfenheit unter eine fremdbestimmte Entscheidung ein weitgehend autonomer Bereich verbleibt, der ihm ein ausreichendes Maß an individueller Selbstbestimmung erlaubt.407 Mehrheitsentscheidungen, d. h. staatliche Regelungen, dürfen also nicht soweit in den Bereich des Einzelnen hineinsteuern, daß diesem persönliche und selbstbestimmte Räume zur Gestaltung seines eigenen Lebens in einem signifikanten Umfang nicht mehr zur Verfügung stehen. Hängt mit den unmittelbar in ein Volksgesetzgebungsverfahren eingebrachten Interessen aber oft eine Beschränkung auf einen sehr spezifischen Sachverhalt oder eine genaue Fragestellung zusammen, so ist direktdemokratischen Entscheidungen unter diesem Gesichtspunkt immer zugleich auch eine Limitierung staatlicher Machtausübung zu eigen. Das Ergebnis des mittels Mehrheitsentscheids beendeten Volksgesetzgebungsverfahrens wird demzufolge ebenso einen sehr klar umrissenen und begrenzten Einfluß auf den Autonomiebereich des Einzelnen darstellen. Eine zunehmende und unter dem Aspekt der Legitimität des Mehrheitsprinzips bedenkliche Intensivierung staatlicher Herrschaftsentscheidungen könnte sich daher insofern vor allem aus der Akkumulation von direktdemokratischen Entscheidungen ergeben, welche allerdings angesichts der Aufwendigkeit eines direktdemokratisch initiierten und durchgeführten Verfahgerechten Interessenausgleich“ anzunähern, so aber Zippelius 1987, 28 f. Es geht um Gesetzeskonformität, nicht um Vernünftigkeit. 406 Gegen die Zulässigkeit dieser Gegenüberstellung kann nicht die unter vorstehend B. herausgearbeitete fehlende normative Vergleichbarkeit der Entscheidungen eines Repräsentativorgans mit Wahlen beziehungsweise Abstimmungen des Volkes angeführt werden, denn dort ging es um eine Beurteilung verfassungsrechtlicher Wertigkeit von Legitimationsakten, hier dagegen um den Einfluß staatlicher Entscheidungen auf die Freiheitssphäre des Bürgers. 407 Heun 1983, 225.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
rens unwahrscheinlich ist. Hier wird somit ein struktureller Unterschied zu der Legitimation eines staatlichen Repräsentativorgans wie dem Parlament deutlich. Dieses agiert im Hinblick auf die Intensivierung staatlicher Einflußnahme auf den individuellen Freiheitsbereich des Einzelnen grundsätzlich zwar gebunden durch das Rechtsstaatsprinzip mit all seinen Facetten, erlangt über den repräsentativen Charakter seiner Aufgabenstellung jedoch eine erheblich größere Reichweite hinsichtlich staatlicher Einflußnahme auf den autonomen Bereich des Bürgers. Autonomie und Selbstbestimmung sind demnach zwei Seiten derselben Medaille im demokratischen Verfassungsstaat, nämlich die legitimitätsstiftende Gewährleistung der Freiheit der Bürger im Staat. Beidem dient ein richtig verstandenes und zurückhaltend interpretiertes Mehrheitsprinzip. Die Frage hinreichender Autonomie betrifft dabei die Freiheit vor staatlichen Regelungen und Eingriffen in den persönlichen Lebensbereich und hängt somit eng mit der Dichte, Häufigkeit und Intensität staatlicher Mehrheitsentscheidungen zusammen. Selbstbestimmung betrifft demgegenüber die Möglichkeit, sich an staatlichen Mehrheitsentscheidungen aktiv zu beteiligen, für eigene Vorstellungen zu werben und diese gegebenenfalls unmittelbarer umsetzen zu können als durch Wahl von Personen oder Parteien. Daher geht es insofern auch um die Frage, ob eine realistische Aussicht darauf besteht, daß überhaupt Entscheidungen getroffen werden – eine notwendige Bedingung für ein legitimes demokratisches System.408 Das Mehrheitsprinzip ist daher nicht nur ein formales Entscheidungsprinzip, sondern birgt das für einen demokratischen Staat wertvolle Potential, Menschen zur Übernahme von Verantwortung zu bewegen und ihnen die Möglichkeit zu geben, eigene Vorstellungen umzusetzen.409 Dies muß nicht unbedingt mittels einer Initiative geschehen, sondern ist genauso legitim durch die Verhinderung von Veränderungen an der geltenden staatlichen Ordnung möglich. Direkte Demokratie ist nicht notwendig progressiv sondern kann ebenso konservativen Interessen und Auffassungen dienen. Nimmt man noch die Möglichkeit hinzu, daß durch direktdemokratische Entscheidungen staatliche Regelungen auch abgeschafft werden können, ohne daß deren Platz zwingend durch neue Vorschriften eingenommen werden muß, so werden schließlich die liberalen Möglichkeiten direktdemokratischer Mehrheitsentscheidungen deutlich.
III. Ergebnis Es sind keine Gründe dafür erkennbar, daß das Mehrheitsprinzip des Grundgesetzes bei Abstimmungen – insbesondere bei Volksentscheiden – 408 Heun 409 Vgl.
1983, 101. nochmals Varain 1964, 245 f.
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren219
Quoren erforderte. Die in den vorgestellten Urteilen der Landesverfassungsgerichte verworfenen beabsichtigten Absenkungen der Quoren berufen sich daher zu Unrecht auf das Mehrheitsprinzip. Durch die Herabsetzung von Quoren bei Volksentscheiden, jedenfalls über einfache Gesetze, würde daher das Mehrheitsprinzip als unbedingter Leitgedanke des Demokratieprinzips nicht berührt. Ein Verstoß gegen den Kerngehalt einer Landes- oder der Bundesverfassung und somit gegen eine entsprechende Ewigkeitsklausel beziehungsweise Art. 28 I 1 GG ist somit nicht ersichtlich.
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren Immer wieder wird seitens Befürwortern von Quoren in Verfahren direkter Demokratie argumentiert, daß diese – insbesondere auf der Ebene des Volksbegehrens – notwendig seien, um dem am Ende des Verfahrens erlassenen Gesetz demokratische Legitimation zu vermitteln.410 Bezugspunkt dieser These ist dabei der Anspruch des im Wege der Volksgesetzgebung erlassenen Gesetzes auf Allgemeinverbindlichkeit. Damit soll die Eigenschaft eines allgemeinen Gesetzes bezeichnet sein, gegenüber jedem einzelnen Bürger normative Wirkung zu entfalten, und zwar unabhängig davon, ob er an der Abstimmung, die zum Erlaß des Gesetzes führte, teilgenommen hat oder nicht. Jener Anspruch eines entsprechenden Gesetzes müsse nun jedoch mit einer möglichen Interessenpartikularität der Initiatoren des Volksgesetzgebungsverfahrens in Ausgleich gebracht werden.411 Im Folgenden soll untersucht werden, welchen verfassungsrechtlichen Gehalt der Begriff „Legitimation“ besitzt und inwiefern er geeignet ist, Quoren in Verfahren direkter Demokratie zu rechtfertigen bzw. ob er diese gar zwingend erforderlich macht.
I. Wortlautauslegung des Art. 20 II GG Das Prinzip, daß alle staatliche Gewalt im Wege einer demokratischen Legitimation auf den Volkswillen rückführbar sein muß, wird als tragender 410 BremStGH NVwZ-RR 2001, 1 (vgl. vorstehend Teil 1 A.III.); BayVerfGHE 53, 42 (vgl. vorstehend Teil 1 B.II.3.c); ThürVBl. 2002, 34 (vgl. vorstehend Teil 1 C.II.); aus der Literatur vgl. nochmals Gröschner 2001; Isensee 2001; unklar insofern Meerkamp 2011, der auf S. 446 ausführt, daß „auch bereits die Unterstützungsquoren die demokratische Legitimation der Gesetzgebung“ sichern, aber auf S. 447 zu dem Schluß kommt, „daß es [noch] nicht darum geht, die zu treffende Entscheidung zu legitimieren. […] Die Frage dieser Legitimation kann sich erst beim Volksentscheid selbst stellen.“ 411 Kühling 2009, 781.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
Grund- oder Kerngedanke des Demokratieprinzips gewertet.412 Demokratische Legitimierung bedeutet zunächst, den legitimierten Entscheidungen die institutionalisierte und verfassungsrechtlich vorgesehene Anerkennung durch das Volk zu sichern.413 Angelegt ist das Legitimationsprinzip bereits in Art. 20 II 1 GG – wonach alle Staatsgewalt vom Volk ausgehen muß – und weist daher einen engen Zusammenhang mit dem Prinzip der Volkssouveränität auf, in welchem es seinen Anknüpfungs- bzw. Ausgangspunkt findet.414 Grundsätzlich, so führt Schnapp aus, mache das Grundgesetz insoweit zwei explizite Aussagen: Subjekt der Legitimation sei das Volk, Legitimationsobjekt sei die Staatsgewalt.415 Das eigentliche Erfordernis einer verfassungsrechtlichen Kategorie der Legitimation staatlichen Handelns wird sodann auch erst mit Überbrückung dieser beiden Pole durch die Konstruktion des „Legitimationszusammenhangs“ sichtbar und folgt in dieser Form erst aus Art. 20 II 2 GG. Hier wird bestimmt, daß die Staatsgewalt vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt werden kann. Die Mittel zur Erzeugung unmittelbarer demokratischer Legitimation sind danach zunächst und auf einer ersten Stufe Wahlen und Abstimmungen.416 Durch Wahlen trifft das Volk dabei Entscheidungen über die personelle Besetzung oder Zusammensetzung eines Staatsorgans, durch Abstimmungen hingegen Sachentscheidungen.417 Im Fall der Wahl eines Repräsentativorgans findet die Ausübung von Staatsgewalt durch dieses selbst oder weitere besondere Organe statt, womit sich eine zweite Stufe ergibt, die vom Legitimationszusammenhang erfaßt sein muß. Eine Gesamtbetrachtung des Wortlauts der Sätze 1 und 2 des Art. 20 II GG zeigt, daß dieser Fall nicht zur Folge hat, daß die Staatsgewalt auf jener zweiten Stufe nicht mehr vom Volk „ausgeht“. Vielmehr bleibt das Volk Träger der Staatsgewalt, auch wenn es deren Ausübung besonderen Organen überläßt.418 Andererseits bedeutet der Fall der Ausübung von Staatsgewalt durch besondere Organe nicht, daß in dem vorausgehenden Wahlakt nicht 412 Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 23; Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 83; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 156. 413 Badura, HStR II, § 25 Rn. 30. 414 Vgl. Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 84; Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 23, 25. 415 Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 26; vgl. auch Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 144. 416 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 157. 417 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 158, 161, jeweils m. w. N. 418 Stein / Frank, Staatsrecht, § 8 II 1.
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren221
auch bereits Staatsgewalt – unmittelbar durch das Volk – ausgeübt worden wäre. Dies ergibt wiederum die Anordnung in Art. 20 II 2, 1. Hs. Fall 1 GG, daß die Staatsgewalt unter anderem „in Wahlen“ ausgeübt wird. Festzuhalten bleibt, daß auf dieser zweiten Ebene der Ausübung von Staatsgewalt die Sachentscheidung durch ein Staatsorgan getroffen wird, wogegen das Volk im Fall der Abstimmung gemäß Art. 20 II 2 1. Hs. Fall 2 diese unmittelbar eigenhändig trifft. Im Fall der Ausübung von Staatsgewalt durch Wahl und anschließende Organentscheidungen handelt es sich daher um mittelbare Ausübung von Staatsgewalt durch das Volk. In dieser Variante fallen Trägerschaft und Ausübung der Staatsgewalt auseinander.419 Das heißt wiederum, daß Satz 1 mit dem Prinzip der Trägerschaft von Staatsgewalt ein unteilbares, Satz 2 hingegen mit den verschiedenen Möglichkeiten der Ausübung von Staatsgewalt ein zwischen Volk und Staatsorganen aufteilbares verfassungsrechtliches Prinzip vorsieht. Anders gewendet: Verbleibt die Trägerschaft von Staatsgewalt mit dem Prinzip der Volkssouveränität in jedem Fall beim Volk, wird dagegen die Ausübung derselben – im Fall der Wahl und anschließenden Entscheidungen seitens des gewählten Repräsentativorgans und weiterer Staatsorgane – auf eine Volks- und eine Organebene aufgeteilt. Anhand von Art. 20 II 2, 2. Hs. GG wird auch deutlich, daß das Grundgesetz es ausdrücklich anerkannt und in seine normativen Vorgaben hinsichtlich der Ausübung von Staatsgewalt einbezogen hat, daß das Volk zur Ausübung der Staatsgewalt besonderer staatlicher Organe bedarf. So stellen insbesondere die Parlamentswahlen den für die Willensbildung im demokratischen Staat entscheidenden Akt dar.420 Insofern ein Legitimationszusammenhang demnach durch Wahlen hergestellt wird, geht es daher um die Legitimation der staatsleitenden obersten Staatsorgane.421
419 Ebenso Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 94, 109; nicht ganz eindeutig hinsichtlich der Ausübung von Staatsgewalt dagegen Stein / Frank, Staatsrecht, § 8 II 1, die einerseits von „ausschließlicher Ausübung durch das Volk“ sprechen, andererseits jedoch zugestehen, daß das Volk sich bei der Ausübung von Staatsgewalt besonderer Organe „bedient“. 420 BVerfGE 20, 56 (113) – nicht ganz eindeutig wird freilich, ob das Gericht an dieser Stelle auf die Willensbildung des Volkes oder die des Staates durch dessen Organe abstellt, die es zuvor unterschieden hatte (vgl. S. 98). Da das Gericht aber ausführt, daß beide Formen der Willensbildung vielfältig miteinander verschränkt seien (S. 99), muß man wohl davon ausgehen, daß die Parlamentswahl für beide Formen politischer Willensbildung – sowohl für diejenige im Volk als abschließender und kundgebender als auch für diejenige im Parlament als initiierender und legitimierender Akt – nach diesem Urteil von entscheidender Bedeutung ist. 421 Vgl. hierzu Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 35; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf, GG, Art. 20 Rn. 46; Meyer, HStR III, § 45 Rn. 4 formuliert:
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II. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führt zum Legitimationsprinzip aus, daß Art. 20 II 2 GG festlege, daß das Volk die Staatsgewalt außer durch Wahlen und Abstimmungen durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausübe. Dies setzte voraus, daß das Volk einen effektiven Einfluß auf die Ausübung der Staatsgewalt durch diese Organe habe. Deren Akte müssen sich demnach auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden.422 Dieser Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft werde vor allem durch die Wahl des Parlaments, durch die von ihm beschlossenen Gesetze als Maßstab der vollziehenden Gewalt, durch den parlamentarischen Einfluß auf die Politik der Regierung sowie durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung hergestellt.423 Dabei bestimmt sich die erforderliche Legitimation nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anhand des Zusammenwirkens der Unterteilungen institutioneller, funktioneller, sachlich-inhaltlicher und der personellen Legitimation. Entscheidend ist jedoch nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität, mithin ein bestimmtes Legitimationsniveau.424 Jenes zählt auch zum nicht antastbaren Gehalt des Demokratieprinzips gemäß Art. 79 III GG.425 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestimmen sich somit die Anforderungen an die Legitimation der obersten Staatsorgane danach, ob ein hinreichender Bezug – oder anschaulicher: Einfluß – des kundgegebenen Willens des Volkes auf staatliche Herrschaftsausübung gegeben ist.426 Dieser „Zurechnungszusammenhang“ zwischen dem Volkswillen und dem Handeln des jeweiligen Staatsorgans kann sich dabei aus verschiedenen Bausteinen zusammensetzen, die alle dem Zweck dienen, demokratische Legitimation herzustellen.
„Mit der Umsetzung des politischen Willens in staatliche Machtpositionen vermittelt die Wahl dem Staatsapparat zugleich die notwendige demokratische Legitimation.“ 422 BVerfGE 93, 37 (66). 423 BVerfGE 93, 37 (66). 424 BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (66 f.). 425 BVerfGE 89, 155 (182). 426 Ebenso Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 14; vgl. auch Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II (2010) Rn. 117.
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren223
III. Erscheinungsformen der Legitimation Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werden auch in der Literatur verschiedene Formen der Legitimation unterschieden. Unterteilt wird nach funktioneller, institutioneller, organisatorischpersoneller und sachlich-inhaltlicher Legitimation.427 1. Funktionelle und institutionelle Legitimation Die funktionelle und institutionelle demokratische Legitimation steht in engem Zusammenhang mit dem Prinzip horizontaler Gewaltenteilung. Diese Kategorie wird nicht überall im Schrifttum angeführt.428 Dort, wo sie als eigenständige Legitimationskategorie aufgeführt ist, wird ihr eine quasi gewaltentrennungs-stützende Funktion zugemessen. Der Verfassunggeber selbst habe die gesetzgebende, vollziehende und rechtsprechende Gewalt als je eigene Funktionen und Organe (Gewalten im organisatorischen Sinn) konstituiert. Diese Art Legitimation schließe es aus, unter Berufung auf das Demokratieprinzip etwa die vollziehende Gewalt einem allumfassenden Parlaments- oder Gesetzesvorbehalt zu unterwerfen; die jeweiligen Gewalten seien je für sich als demokratisch autorisierte Ausübung von Staatsgewalt anerkannt.429 In nicht wenigen Fällen wird der funktionellen und institutionellen Legitimation jedoch die Berechtigung als eigene Legitimationskategorie abgesprochen bzw. ihr Aussagegehalt stark reduziert. Der Sache nach gehe es nicht um einen eigenständigen weiteren Legitimationsstrang vom Volk als pouvoir constitué hin zu den anderen Staatsorganen, sondern um den verfassungsrechtlichen Rahmen bzw. um die vom Verfassunggeber als pouvoir constituant vorgegebene Struktur, in der sich die Verfahren der personellen und materiellen Legitimation vollzögen. Diese müßten immer noch hinzukommen, damit beispielsweise ein Richterspruch legitimiert werden könne.430 427 BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (66 f.); Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 14; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 35; Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II (2010) Rn. 120; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 164 ff.; Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 109 ff. 428 Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 11 ff. unterscheidet z. B. lediglich personelle und materielle Legitimation. 429 Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 15. 430 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 169; vgl. auch Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II (2010) Rn. 123 f., der diese Kategorie wegen ihres Bezugs zu Fragen der Gewaltenteilung und der abstrakten Funktionengliederung strukturell auf einer anderen Ebene als die personelle und die sachlichinhaltliche Legitimation ansiedelt, da diese jene Formen nicht ersetzen könne; ähnlich
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2. Organisatorisch-personelle Legitimation Übt ein Amtswalter Staatsgewalt aus, so muß bereits die das Amt wahrnehmende Person demokratisch legitimiert sein. Erforderlich ist daher die Bestellung des Amtswalters für ein konkretes Amt durch Wahl oder Ernennung und somit die Rückführbarkeit von dessen Einsetzung auf das Volk als Legitimationssubjekt.431 Hinsichtlich der organisatorisch-personellen demokratischen Legitimation wird in der Literatur die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen, nach der eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern der Verwaltung erforderlich ist; diese Anforderung bezieht sich einerseits unmittelbar auf die gewählten Volksvertreter, andererseits – im Wege einer mittelbaren Rückführbarkeit auf den Souverän – auf weitere Personalentscheidungen.432 Idealbild sei insofern die hierarchisch strukturierte Ministerialverwaltung.433 Bei der organisatorisch-personellen Legitimation geht es demnach insbesondere um die Frage, unter welchen Bedingungen eine Person bzw. ein Organ in seiner konkreten personellen Besetzung gegenüber dem Souverän als demokratisch berechtigt gelten soll, für diesen inhaltliche Entscheidungen zu treffen und dabei Staatsgewalt auszuüben, ohne vom Volk unmittelbar gewählt worden zu sein.
Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 110, der den Gehalt der funktionell-institutionellen Legitimation durch die Grundaussage der Verfassung erschöpft sieht, daß diese selbst die Funktionen bzw. Institutionen von Gesetzgebung, voll ziehender und rechtsprechender Gewalt vorsehe; wiederum ähnlich Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 27, der in dem Umstand, daß die drei Gewalten unmittelbar vom Grundgesetz konstituiert seien, keine Aussage über das Erfordernis demokratischer Legitimation unter dem Grundgesetz erkennen will. 431 Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II (2010) Rn. 121; Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 26; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 169. 432 BVerfGE 47, 253 (275); dementsprechend Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 16, der auf die zentrale Rolle des Parlaments für die mittelbare Legitimation sowohl der Minister als auch der durch diese ernannten Beamten hinweist; vgl. hierzu auch Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 111, der die Kette Parlamentswahl, Kanzlerwahl, Auswahl der Regierungsmitglieder sowie Ernennung von Beamten durch zuständige Ministerien anführt; vgl. außerdem Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 12; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 164 f. 433 Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 26.
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren225
3. Sachlich-inhaltliche Legitimation Die sachlich-inhaltliche oder materielle Legitimation soll schließlich sicherstellen, daß die Ausübung der Staatsgewalt ihrem Inhalt nach vom Volk hergeleitet wird434 bzw. ist gegeben, wenn sichergestellt ist, daß das Volk auf den Inhalt der Ausübung der Staatsgewalt hinreichenden Einfluß hat.435 Sie wird hergestellt durch die Bindung aller staatlichen Organe an die exklusiv vom Parlament zu beschließenden Gesetze (Art. 20 III GG) sowie durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung, welche wiederum gegenüber dem Parlament verantwortlich ist.436 Bei der Rechtsprechung bedeutet materielle Legitimation ausschließlich die Bindung an das Gesetz.437 Bezüglich der richterlichen Gesetzesbindung erläutert Schnapp anschaulich, welcher Grundgedanke damit umgesetzt werden soll. So entspringe die sachlich-inhaltliche Legitimation dem parlamentsbeschlossenen Gesetz, wobei der Legitimationsstrom in diesem Fall vom unmittelbar demokratisch ausgewiesenen Parlament über die „Stromleitung“ des förmlichen Gesetzes und unter Umständen gesetzesabgeleiteter Rechtsquellen in die Einzelfallentscheidung einfließe.438 Bei der Judikative entfällt die Weisungsabhängigkeit aufgrund der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 I und II 1 GG) und erklärt die strenge Bindung an das Gesetz ohne eigene Gestaltungsspielräume im Unterschied zur Exekutive, welcher das Gesetz Handlungsermächtigungen und Ermessensspielräume einräumen muß, sollen aus gesetzlichen Vorgaben konkrete Entscheidungen abgeleitet werden.439 Die Bindung des Richters an die Gesetze wird allerdings durch die richterliche Unabhängigkeit auch relativiert. Wird die sachliche Unabhängigkeit des Richters einerseits durch die Bindung an das Parlamentsgesetz gesichert und gefördert, so bedeutet dies aber auch, daß die Art und Weise im Kern unkontrolliert bleibt.440 Da die Gesetze, die von 434 Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 21 (Hervorhebung i.O.); ähnlich Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 112. 435 Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II (2010) Rn. 122. 436 Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 14; Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 21; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 41; Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II (2010) Rn. 122; Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 112. 437 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 168; Voßkuhle / Sydow 2002, 679. 438 Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 26 (Hervorhebung i.O.). 439 Vgl. Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 22. 440 Voßkuhle / Sydow 2002, 679, die deshalb eine „offensichtliche Legitimationslücke“ konstatieren und die unter anderem dem Instanzenzug unter dem Aspekt der gewalteninternen Kontrolle richterlicher Spruchtätigkeit sowie dem Kollegialprinzip, nach dem mehrere Richter innerhalb einer Kammer oder eines Senats gleichberechtigt an der Entscheidungsfindung mitwirken, eine große Bedeutung als Grundbaustein
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
der Legislative erlassen werden, notwendig lückenhaft sind und der Richter in seinen Entscheidungen diese bei Anwendung auf bestimmte Sachverhalte daher konkretisieren muß, betreibt die Judikative, indem sie Gesetze anwendet, immer auch ein Stück weit Rechtsschöpfung.441 Die Gesetzesbindung des Richters kann daher im Ergebnis, insbesondere in Rechtsgebieten, in denen Richterrecht prägend ist, als nicht besonders streng beurteilt werden.442 Anhand der sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation wird somit das Ergebnis des Staatsgewalt ausübenden Handelns überprüft. Es wird nicht auf den Vorgang der Bestellung einer Person als Amtswalter, sondern auf deren materielle Entscheidungen abgestellt. Dazu wird dem Parlament als einziger staatlicher Gewalt das Recht zum Erlaß von Gesetzen eingeräumt, deren Vollzug es mittels Kontrollrechten gegenüber der ihm insoweit verantwortlichen Regierung überprüfen kann. Die Regierung bzw. die einzelnen Minister sind ihrerseits gegenüber den nachgeordneten Behörden zu Vorgaben berechtigt und verpflichtet. Sie steuern in diesem Verhältnis Kontrolle und Verantwortlichkeit durch Aufsichts-, Weisungs- und exekutive Rechtsetzungsbefugnisse.443
IV. Ansätze zur Begründung der Notwendigkeit von Quoren bei Volksbegehren Nachfolgend werden drei Ansätze vorgestellt, die unter der Überschrift „Legitimation staatlichen Handelns“ eine verfassungsrechtliche Gebotenheit von Quoren bei Volksbegehren begründen wollen. 1. Kompensation eines Legitimationsdefizits Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie der Literatur kommt es für die Frage nach hinreichender Legitimation staatlichen Handelns darauf an, ob – jedenfalls durch das Zusammenwirken unterschiedfür die demokratische Legitimation des Richters zumessen, vgl. S. 679 f.; kritisch zur Effektivität der richterlichen Bindung durch das Gesetz aufgrund des zunehmenden Anteils an Richterrecht auch Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 Rn. 140 f. m. w. N.; Wittreck 2006, 174 stellt die Notwendigkeit fest, hinsichtlich einer effektiven sachlich-inhaltlichen Legitimation der Dritten Gewalt „alle bestehenden Rechtsinstrumente daraufhin zu untersuchen, ob sie generell oder im Einzelfall geeignet sind, der richterlichen Bindung an das Gesetz Nachdruck verleihen zu können.“ Konkret genannt werden Dienstaufsicht, Disziplinargewalt sowie die zivil- und strafrechtliche Verantwortung. 441 Tschentscher 2006, 183 f., 195 f. m. w. N. 442 Tschentscher 2006, 197. 443 Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II (2010) Rn. 122.
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren227
licher Bausteine – ein entsprechender Zurechnungszusammenhang zu bejahen ist. Stellte das Bundesverfassungsgericht lange Zeit nur auf das wechselseitige Ergänzungs- und Kompensationsverhältnis von sachlich-inhaltlicher und personell-organisatorischer Legitimationskomponente ab, wird in der Literatur erheblich mehr Spielraum bezüglich anderer Substitutionsmöglichkeiten gesehen.444 Grundsätzlich gilt, daß, je größer die Bedeutung und Reichweite der zu treffenden Entscheidung ist, desto höher das Legitimationsniveau sein muß.445 Das in vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen auftretende „Legitimationsniveau“ zieht auch Gröschner als Ausgangspunkt für seine Thesen in Bezug auf direktdemokratische Verfahren heran.446 a) Darstellung Jenes Legitimationsniveau sei nämlich auch bei der Beurteilung von Unterstützungsquoren im Volksgesetzgebungsverfahren die entscheidende Frage. Weil für die Abstimmung beim Volksbegehren aber das allgemeine Stimmrecht der einzelnen Aktivbürger für die Teilnahme genüge, komme als Legitimationskriterium für das organschaftlich ausgeübte Gruppenrecht der Gesetzesinitiative weder die personelle Legitimation der Abstimmenden wie bei Amts- und Mandatsträgern noch die inhaltliche Legitimation durch Sachkompetenz in Betracht. Das bundesverfassungsgerichtlich geforderte effektive Legitimationsniveau könne demnach hier nicht durch ein „Zusammenwirken“ der verschiedenen Legitimationsformen gewährleistet werden, sondern ausschließlich durch die Form der funktionellen Legitimation. Es entspräche daher der Logik der Legitimationsanforderungen, auf eine funktionelle Kompensation der entfallenden personellen und inhaltlichen Legitimation zu achten.447 Gröschner leitet im Ergebnis aus der von ihm so bezeichneten „Kompensationsfunktion“ einer insoweit erforderlichen prozeduralen Hürde ein 10 %-Quorum bei Volksbegehren ab.448 b) Stellungnahme Die These von der Kompensationsfunktion kann in dem von Gröschner verwendeten Zusammenhang nicht überzeugen. Fraglich ist bereits, ob die 444 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 114 m. w. N.; ausführlich zu den Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenwirkens der verschiedenen Legitimationsformen auch Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II (2010) Rn. 127 ff. 445 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 186. 446 Gröschner 2001, 195 (vgl. hierzu auch vorstehend Teil 1 C.III.2.a). 447 Gröschner 2001, 195. 448 Gröschner 2001, 201.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
Teilnehmer eines Volksbegehrens sich tatsächlich gemäß den Vorgaben des Legitimationsprinzips rechtfertigen müssen. Auch muß bezweifelt werden, daß die funktionell-institutionelle Legitimation überhaupt die ihr hier zugedachte Kompensationsfunktion erfüllen kann. aa) Funktionelle Legitimation zur Kompensation untauglich Die Bedeutung der „funktionellen Legitimation“ wird in der Literatur im Ergebnis im Wesentlichen auf die Gewährleistung und Sicherung der Teilung der drei staatlichen Gewalten durch die Verfassung beschränkt.449 Teilweise wird sie überhaupt nicht als eigenständige Legitimationskategorie aufgeführt.450 Selbst Böckenförde, der ihr noch eine relativ umfassende Darstellung und Erläuterung widmet, beläßt es bei einer Unterstützungsfunktion hinsichtlich der Gewaltenteilung.451 Betrachtet man die verfassungsdogmatische Rolle der Kategorie „funktionelle demokratische Legitimation“ daher genauer, wird deutlich, daß sie die ihr zugesprochene Kompensationsfunktion nicht leisten kann. Zusammen mit der Kategorie der institutionellen demokratischen Legitimation setzt die funktionelle Legitimation bei der Frage an, wie neben dem Parlament als unmittelbar legitimiertem Organ die Bestimmung und Berechtigung von Exekutive und Judikative zur Ausübung von Hoheitsgewalt begründet werden kann.452 Aus diesem Grund werden sowohl die institutionelle als auch die funktionelle Legitimation von Grzeszick strukturell auf einer anderen Ebene angesiedelt als die personelle und die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation. Während personelle und sachlich-inhaltliche Legitimation die Rückführung der konkreten Ausübung der Staatsgewalt auf den Willen des Volkes sicherstellen sollten, klärten institutionelle und funktionelle Legitimation Fragen der Gewaltenteilung und der abstrakten Funktionengliederung. Sie könnten deshalb auch nicht die erforderliche demokratische Legitimation der jeweiligen Organwalter und ihres Handelns im zugewiesenen Funktionsbereich ersetzen.453 449 Vgl. insb. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II (2010) Rn. 123 f.; Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 110; Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 27. 450 Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 11 ff. 451 Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 15. 452 Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II (2010) Rn. 123. 453 Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II (2010) Rn. 124; etwas anderes mag demgegenüber für die verfassungsrechtliche Einrichtung der rechtsprechenden Gewalt gelten, wenn man der funktionell-organisatorischen Legitimation in diesem Bereich trotz des Fehlens konkreter Zurechnungs- oder Ableitungszusammenhänge eine eigenständige Bedeutung für die legitimatorische Wirkung der demokratischen Kon-
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren229
Hinzu kommt, daß das Konzept der Gewaltenteilung an ein staatstheoretisches Modell anknüpft, welches in der Zeit der Aufklärung entwickelt wurde und die Beseitigung von Staatswillkür und Machtmißbrauch zum Ziel hat; es bildet insofern vor allem ein Gegengewicht zu der von Hobbes entwickelten Idee, daß zur Herstellung der Sicherheit des Einzelnen eine Machtkonzentration auf einer staatlichen Herrschaftsebene in Form einer Monopolisierung der Gewalt erforderlich ist.454 Gewaltentrennung ist daher im modernen Verfassungsstaat als ein Element formeller Rechtsstaatlichkeit einzuordnen, welches die Freiheit des Verfassungsrechtssubjekts – somit des Bürgers – durch Aufteilung jener staatlichen Machtkonzentration sichern soll.455 Das Demokratieprinzip wird durch das Prinzip der Gewaltentrennung nur insoweit tangiert, als daß auch eine gewaltenteilige Ausübung von Staatsgewalt ihren Beitrag zur Umsetzung des Volkswillens leistet.456 Nicht überzeugend zu begründen ist daher, warum ein Baustein des Legitimationsprinzips (funktionelle Legitimation), der sich ausschließlich auf ein freiheitssicherndes Element des Rechtsstaatsprinzips (Gewaltenteilung) bezieht, den Anspruch erheben können soll, bei einem Volksbegehren eine Kompensationsfunktion hinsichtlich der Abstimmenden einzunehmen, welche sich zu einer Gruppe jenes Volkes zusammenfinden, dessen Freiheit durch die maßgeblich involvierten Verfassungsprinzipien erst gesichert werden soll. Vielmehr verhält es sich eher umgekehrt, denn die Verfassung trennt im Wege der funktionell-organisatorischen Legitimation sowohl – institutionell – die Gewalten im organisatorischen Sinne (auf Bundesebene insbesondere Bundestag, Bundesregierung und Bundesgerichte) als auch – funktionell – nach den verschiedenen Handlungsformen des Gesetzgebens, Regierens und Urteilens.457 bb) Teilnehmende an einem Volksbegehren kein Staatsorgan Als weiterer Punkt ist zu bedenken, daß unter den handelnden Organen, die sich bezüglich der Ausübung von Staatsgewalt überhaupt erst zu legitimieren hätten, alle Staatsorgane und Amtswalter – insbesondere in Form der Organe von Bund, Ländern und Gemeinden – sowie alle sonstigen jurististituierung der Staatsgewalten und insbesondere der Judikative zumißt, da diese aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit einem besonderen Legitimationsbedürfnis unterliege, vgl. Voßkuhle / Sydow 2002, 676. 454 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 197. 455 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 197, 200, 203; vgl. auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 68; Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 56. 456 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 67. 457 Vgl. Tschentscher 2006, 56 f.
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schen Personen des öffentlichen Rechts zu verstehen sind.458 Wenig plausibel erscheint es aber, daß sich eine Gesetzesinitiative, die ausschließlich das allgemeine Stimmrecht wahrnimmt, institutionell zu einem Staatsorgan im genannten Sinne quasi selbst ernennen könnte. Denn im Ausgangspunkt, wenn noch nicht entschieden ist, ob ein Volksbegehren erfolgreich eine Mehrheit für sich gewinnen und zusätzlich das entsprechende Quorum zu überwinden vermag, kann auch noch nicht von einem „organschaftlich ausgeübten Gruppenrecht“ die Rede sein. Wird das Volksbegehren nämlich abgelehnt, so hat die Abstimmung im Rahmen eines Volksbegehrens keinerlei rechtliche Konsequenzen. Ob die Teilnehmer an einem Volksbegehren überhaupt eine verfassungsrechtliche Position erlangen, die einem Staatsorgan zumindest ähnlich ist, hängt somit vom Erfolg des Begehrens ab. Selbst wenn das Volksbegehren aber erfolgreich sein sollte, sprechen die besseren Gründe dafür, daß die Teilnehmer nicht einem Staatsorgan gleichstehen. Staatsorgane sind vielmehr dadurch gekennzeichnet, daß sie einer unmittelbaren demokratischen Legitimation durch Wahl oder mindestens einer mittelbaren Legitimation durch Ernennung als Amtsträger bedürfen, welche durch die Legitimationskette vom Volk zu den eingesetzten Staats organen im Wege der organisatorisch-personellen Legitimation hergestellt werden muß.459 Ein diesen Kriterien gleichkommender Legitimationsakt ist bei einem Volksbegehren nicht gegeben. cc) Übertragbarkeit des Legitimationsprinzips auf direktdemokratische Verfahren Schließlich muß die grundsätzliche Frage aufgeworfen werden, ob das Prinzip des demokratischen Legitimationserfordernisses staatlicher Machtausübung überhaupt auf direktdemokratische Verfahren übertragbar ist. Die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung weisen in eine andere Richtung. Dies betrifft insbesondere den bereits genannten freiheitssichernden Bezug zum Individuum, der in Form der funktionellen und institutionellen Legitimation und ihrer engen Verknüpfung mit dem rechtsstaatlichen Gewaltenteilungsgrundsatz hervortritt. Es spricht daher viel dafür, daß der Zurechnungszusammenhang, der sich durch Legitimation nachweisen lassen muß, vom Bundesverfassungsgericht von Art. 20 II 2 GG aus gedacht worden ist. Es geht demnach um die Legitimation bezüglich der Ausübung von Staatsgewalt durch Organe und Amtswalter.460 Ausgangspunkt ist somit das Auseinanderfallen von Trägerschaft 458 Dreier, 459 Vgl.
in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 86. vorstehend III.2.
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren231
und Ausübung von Staatsgewalt.461 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine „ununterbrochene demokratische Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern“ erforderlich.462 Damit ist gemeint, daß für die demokratische Legitimation eines staatlichen Organs dessen direkte Besetzung durch Volkswahl nicht zwingend ist.463 Sonach nimmt auch die organisatorisch-personelle demokratische Legitimation verfassungsrechtlich eine andere Funktion ein, als die Teilnehmer eines Volksbegehrens zum Handeln zu ermächtigen. Die personelle Legitimationskette zeichnet sich dadurch aus, daß der jeweilige Legitimationsmittler zur Verschaffung mittelbarer Legitimation die auf das Volk zurückführende Legitimation weiterreicht.464 Dabei nimmt mit jeder legitimationsmittelnden Auswahl und Kreation eines Funktionsträgers (Volksvertretung – Regierung – ministerberufene Amtswalter) das Niveau personell-demokratischer Legitimation ab; deren Maß bestimmt sich somit nach dem Grad der Unmittelbarkeit der Berufung durch das Volk.465 Diese Kriterien passen jedoch auf ein Volksbegehren nicht, da es seine Berechtigung, ein Gesetzgebungsverfahren einzuleiten, nicht aus einer Legitimationskette herleiten muß. Die Teilnehmer an einem Volksbegehren sind Staatsbürger und somit der Ursprung und nicht Bezugspunkt der Legitimationskette, die sich zu den Amtsinhabern erstreckt. Sie bedürfen nicht selbst einer personellen Legitimation.
460 Vgl.
nochmals BVerfGE 93, 37 (67). Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 109, der die Notwendigkeit eines Legitimationszusammenhangs von der Bedingung abhängig macht, daß das Volk nicht eigenhändig Staatsgewalt ausübt, sondern sich durch Staatsorgane dabei vertreten läßt: „Da Innehabung der Staatsgewalt (durch das Volk) und ihre Ausübung (durch besondere Organe) auseinanderfallen, stellt sich die Frage, welchen normativen Anforderungen der Zurechnungs-, Verantwortungs- und Legitimationszusammenhang zwischen Volk und Staatsorganen genügen muß.“ 462 BVerfGE 47, 252 (275). 463 Vgl. auch Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II (2010) Rn. 121 (m. w. N.): „Im Ergebnis erfordert die personelle Legitimation deshalb die individuelle Bestellung des Amtswalters für ein konkretes Amt. Amtswalter können dabei sowohl durch Wahl als auch durch Ernennung bestellt werden. Die Legitimationskette ist durchbrochen, wenn über die Auswahl des Amtswalters nicht demokratisch legitimierte Einheiten maßgeblich entscheiden.“ 464 Jestaedt 1993, 273. 465 Jestaedt 1993, 274, wobei die Wortwahl nicht ganz glücklich erscheint, da eine mittelbare Rechtsposition begrifflich keinen „Grad der Unmittelbarkeit“ darstellen kann, da sie eben nicht unmittelbar, sondern über Zwischenstationen abgeleitet ist; möglich wäre etwa „Grad oder Maß des Einflusses“. 461 Ebenso
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
2. Ausübung von Staatsgewalt durch die Teilnehmenden an einem Volksbegehren? Eng mit der Frage, ob die Teilnehmer an einem Volksbegehren als Staatsorgan zu qualifizieren sind, hängt das Problem zusammen, ob diese durch die Abstimmung selbst Staatsgewalt ausüben. Fraglich ist somit einmal mehr, welche Art des Staatshandelns überhaupt der Vermittlung von Legitimation bedarf; mithin, welcher Bezugspunkt für das Erfordernis demokratischer Legitimation richtigerweise zu wählen ist. Grundsätzlich ist ein Erfordernis für die Vermittlung hinreichender Legitimation dort gegeben, wo besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung für den Staat – und in einer Demokratie somit für das Volk – tätig werden (es handelt sich um den Fall des Art. 20 II 2 GG). Der Grund liegt darin, daß Innehabung der Staatsgewalt durch das Volk (Art. 20 II 1 GG: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“) und deren Ausübung durch das staatliche Organ auseinanderfallen.466 Ein weiterer Argumentationsstrang zur Begründung der Notwendigkeit eines Quorums bei Volksbegehren – vertreten vom Thüringer Verfassungsgerichtshof – besagt nun, daß die Teilnehmer an einem Volksbegehren selbst bereits auf dieser Stufe des Gesetzgebungsverfahrens Staatsgewalt ausübten, ohne das Staatsvolk zu repräsentieren. Als Ausgleich für diesen Mangel fordert der Gerichtshof nun eine materielle Legitimation in Form der Gemeinwohlorientierung, welche nur durch ein Unterstützungsquorum sichergestellt werden könne.467 a) Ausübung von Staatsgewalt Fraglich ist daher, ob die Abstimmenden mit der Teilnahme an einem Volksbegehren Staatsgewalt ausüben. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof bejahte dies, da es sich dabei um einen verfassungsmäßigen Prozeß handele, der die Veränderung des geltenden Rechts zum Ziel habe.468 Dies hat seitens verschiedener Autoren unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts469 das Gegenargument hervorgerufen, daß dies bei einem Volksbegehren gerade nicht der Fall sei, da es sich nicht um ein Handeln mit Entscheidungscharakter handele, sondern lediglich um die Wahrnehmung einer besonderen staatsorganisatorischen Funktion.470 466 Grzeszick,
in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 II (2010) Rn. 117. vorstehend Teil 1 C.II.2.c). 468 Vgl. nochmals ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (35). 469 BVerfGE 83, 60 (73); 107, 59 (87). 470 Vgl. vorstehend Teil 1 C.III.2.b)aa). 467 Vgl.
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren233
In der Literatur werden weitere verschiedene Aspekte hervorgehoben, um die Ausübung von Staatsgewalt zu charakterisieren. Es ergibt sich ein vielschichtiges Bild. So wird vertreten, daß der Begriff der Staatsgewalt weit zu verstehen sei und die gesamte Tätigkeit der Träger hoheitlicher Gewalt und ihrer Organe umfasse.471 Es komme nicht darauf an, ob die Tätigkeit Außenwirkung entfalte, weshalb im Ergebnis jede Tätigkeit des Staates, gleich welcher Handlungsform (Rechtsetzung, Verwaltungsakt, schlicht-hoheitliches Handeln) und gleich welcher Rechtsform (öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich) der demokratischen Legitimation bedürfe.472 Nach Böckenförde steht beim Gebot demokratischer Legitimation nicht wie beim Rechtsstaatsprinzip der Schutz vor Eingriffen in die Freiheit der Bürger im Mittelpunkt, sondern weitergehend die Innehabung und maßgebliche Steuerung der im Hinblick auf die Erledigung der gemeinsamen Angelegenheiten des Volkes organisierten staatlichen Gewalt.473 Laut Sachs umfaßt die Staatsgewalt die gesamte staatliche Herrschaftsmacht, wozu alle verbindlichen Entscheidungen der öffentlichen Gewalt einschließlich der Wahrnehmung von Mitentscheidungsbefugnissen, insbesondere auch im Rahmen der EU, zu zählen seien.474 Dreier schließlich will zwar in materieller Hinsicht keine Einschränkung auf Bereiche hoheitlichen Handelns vornehmen, knüpft jedoch die Ausübung von Staatsgewalt an alle rechtserheblichen Funktionen und Tätigkeiten der Staatsorgane und Amtswalter,475 womit ein Rückschluß zu der vorstehend diskutierte Frage entsteht, welche Eigenschaften ein Staatsorgan ausmachen. b) Stellungnahme Die besseren Gründe sprechen dafür, daß es sich bei einer Abstimmung im Rahmen eines Volksbegehrens, ob ein Volksentscheid zu einem bestimmten Thema stattfinden soll, nicht um eine „Entscheidung“ und somit um die Ausübung von Staatsgewalt im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts handelt. Dies ergibt zunächst ein Vergleich des Volksbegehrens mit den Legitima tionsakten Wahl und Abstimmung, bei denen der Bürger unmittelbar durch seine Stimmabgabe Staatsgewalt ausübt. Beide Betätigungsformen des Bürgers haben jeweils eine konkrete Entscheidung – hier über Personen, da über 471 Huster / Rux, in: Epping / Hillgruber, GG, Art. 20 Rn. 62; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 146. 472 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 146. 473 Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 12. 474 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 29. 475 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 87.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
Sachfragen – zum Gegenstand, die eine Bindungswirkung im Bereich des Umfangs der Entscheidung direkt nach sich ziehen. Dies ist bei einem Volksbegehren nicht der Fall. In der Literatur wird zwar zu Recht ausgeführt, daß es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für das Vorliegen von Staatsgewalt nicht darauf ankomme, ob die staatliche Tätigkeit Außenwirkung entfalte.476 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fällt es demnach auch unter den Begriff „Staatsgewalt“, wenn eine Entscheidung durch einen anderen Verwaltungsträger erst umgesetzt werden muß, sofern dieser dazu rechtlich verpflichtet ist.477 Die Teilnehmer an einem Volksentscheid, der auf ein erfolgreiches Volksbegehren folgt, sind jedoch in ihrer Entscheidung völlig frei, das Gesetz doch noch abzulehnen. Dies gilt ohnehin für solche Personen, die am Volksbegehren noch nicht teilgenommen hatten, da sie dem Anliegen der Initiatoren unentschieden oder ablehnend gegenüber standen. Es ist auch gut möglich, daß sich Teilnehmer, die zuerst im Rahmen des Volksbegehrens für die Sache gestimmt hatten, sich in der Zwischenzeit – eventuell auch aufgrund einer intensivierten öffentlichen Diskussion des Themas, die Aspekte zum Vorschein brachte, die vorher keine oder nur wenig Beachtung gefunden hatten – umentschieden haben und nunmehr gegen den Gesetzentwurf stimmen.478 Um Ausübung von Staatsgewalt handelt es sich nach einem früheren Beschluß des Bundesverfassungsgerichts dann nicht, wenn ein staatliches Organ (hier: Bezirksvertretung) lediglich Anhörungs- und Vorschlagsrechte wahrnimmt, die nur zu einer Beteiligung an der Vorbereitung der Entscheidung eines anderen Organs (hier: Stadtrat) führen und die Entscheidungsbefugnisse dieses Organs nicht einschränken.479 Hier wird auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutlich, daß das Gericht zwar nicht nur 476 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 146; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 29. 477 BVerfGE 83, 60 (73). 478 Ein Beispiel für solch eine im Ergebnis doch noch gescheiterte Initiative, die sich gegen den Erlaß einer Rechtsnorm richtete, schildern Preising / Messingschlager 2013, 65: Bei einem Bürgerentscheid am 20. März 2011 im bayerischen Lichtenfels ging es um die Frage, ob die Stadt in Vorbereitung der Errichtung eines Fachmarktzentrums einen entsprechenden Bebauungsplan erlassen sollte. Der Stadtrat hatte bereits einen positiven Beschluß über die Einleitung eines Verfahrens zur Aufstellung eines solchen gefaßt. Zur Enttäuschung der Vertreter einer Bürgerinitiative, die sich gegen das Vorhaben richtete und der es gelungen war, mit 2.680 Unterschriften die Hürde im Rahmen des Bürgerbegehrens zu nehmen, stimmten im sich anschließenden Bürgerentscheid nur noch 2.496 Einwohner gegen, aber ca. 69 % der Bürger für den Bebauungsplan. Damit war es der Initiative nicht gelungen, ihre anfängliche Anhängerschaft, die für das Bürgerbegehren unterschrieben hatte, auch im Rahmen des Bürgerentscheids zu einer positiven (und damit den Bebauungsplan verhindernden) Stimmabgabe zu bewegen. 479 BVerfGE 47, 253 (273).
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren235
Rechtsetzungs-, sondern sämtliche Entscheidungsbefugnisse unter die Ausübung von Staatsgewalt subsumiert,480 jedoch Finalität im Sinne eines direkten Zusammenhangs zwischen Entscheidung und Entscheidungswirkung fordert. Bei einem Volksbegehren wird – wie bereits ausgeführt – nur darüber abgestimmt, ob eine bindende Entscheidung in einem späteren, neuen Verfahren, dem Volksentscheid, getroffen werden soll. In dieses Ergebnis fügt sich auch die weitere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein, die das rechtsgültige Volksbegehren als Träger des Gesetzesinitiativrechts vom Landtag oder erfolgreichen Volksentscheid als Gesetzgeber unterscheidet.481 Träger des Gesetzesinitiativrechts ist demnach immer eine genauer definierte Gruppe von Personen, die über diese Definition und Fassung als Gruppe erst verfassungsrechtliche Relevanz erhält. Das Bundesverfassungsgericht hat insofern ausgeführt, daß die Unterzeichner eines rechtsgültigen Volksbegehrens mit diesem nicht nur ihre politischen Individualrechte aus dem status activus zur Geltung bringen, sondern die von ihnen gebildete Gruppe mit dem Gesetzesinitiativrecht eine Funktion im Verfassungsleben wahrnimmt.482 Das so ausgestaltete Gesetzesinitiativrecht unterscheidet sich von den politischen Individualrechten jedes einzelnen zu dieser Gruppe gehörenden Aktivbürgers, berechtigt die Gruppe als solches und verleiht der Gesamtheit der Träger eines erfolgreichen Volksbegehrens eine Funktion im Verfassungsleben und bezieht sie insoweit in die Organisation des Staates ein.483 Zuzustimmen ist daher Wittreck, der die Ansicht vertritt, daß nicht in jeder Erfüllung einer staatsorganisationsrechtlichen Funktion (hier das Initiieren eines Gesetzgebungsprozesses) zugleich eine Ausübung von Staatsgewalt liegen muß, da das Gericht diesen Begriff nicht verwende.484 Die fragliche Funktion beschränkt sich nach allem bei einem Volksbegehren – wenn es Erfolg hat – mangels Bindungswirkung hinsichtlich der Teilnehmer des Volksentscheids darauf, den Souverän zur Entscheidung aufzurufen.485 Die besseren Gründe sprechen daher dafür, daß die Teilnehmer an einem Volksbegehren durch ihre Stimmabgabe keine Staatsgewalt ausüben, die der demokratischen Legitimation bedürfte.486
480 So
ausdrücklich BVerfGE 47, 253 (273). 96, 231 (240) zu Art. 71 und Art. 72 I BayVerf. 482 BVerfGE 96, 231 (240). 483 BVerfGE 96, 231 (240 f.). 484 Wittreck 2005, 157 – vgl. vorstehend Teil 1 C.III.2.b)aa). 485 Zu Recht Degenhart 2001, 206. 486 Zustimmungswürdig daher Koch 2002, 47; Wittreck 2005, 157; Degenhart 2001, 206; Rux 2002, 48. 481 BVerfGE
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
3. Legitimation durch republikanische Gemeinwohlorientierung Die Forderung nach Quoren bei Volksbegehren wird weiterhin damit begründet, daß Gesetze eine Gemeinwohlorientierung aufweisen müßten, welche durch direktdemokratische Gesetzgebungsverfahren nicht von vornherein im selben Maße gewährt werden könne wie durch Gesetzgebungsverfahren in Repräsentativkörperschaften.487 Zur Stützung dieser Argumentation wird dabei auch und insbesondere auf das Republikprinzip des Grundgesetzes abgestellt.488 Hier lassen sich ein weites bzw. materiales und ein enges bzw. formales Republikverständnis unterscheiden.489 a) Materiales Republikverständnis Gemäß Art. 20 I GG handelt es sich beim deutschen Staat um die Bundesrepublik Deutschland. Vertreter eines materialen Republikverständnisses sind der Ansicht, daß das Republikprinzip weitreichende verfassungsrechtliche Vorgaben mache. So enthalte das republikanische Prinzip eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung über die innere Legitimität der Staatsgewalt.490 Insbesondere wird so das Gebot abgeleitet, daß sich staatliche Entscheidungen, die der Legitimation bedürfen, am Gemeinwohl orientieren müßten. Die republikanische Allgemeinheit des Gesetzes fordere, daß jedes Gesetz, das als Vorlage in ein Gesetzgebungsverfahren eingebracht werde, sich als allgemeines im Sinne eines nicht nur Partikularinteressen verfolgenden Gesetzes legitimieren müsse.491 Der Grundsatz der Republik verbiete nicht nur negativ die Wiedereinführung der Monarchie, sondern gebiete zugleich positiv die Ausrichtung von Herrschaft am Gemeinwohl.492 Die Republik sei legitima tionstheoretisch am Gemeinwohl orientiert und verlange eine Konkretisierung der Gemeinwohlidee durch das Gesetz und aufgrund des Gesetzes.493
487 Vgl. dazu insb. BremStGH vom 14.2.2000, NVwZ-RR 2001, 1, dargestellt vorstehend in Teil 1 A.III. 488 Vgl. vorstehend Teil 1 A.IV.3. 489 Vgl. zu dieser Systematisierung Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Republik) Rn. 20. 490 So die Formulierung bei Robbers, in: BK, Art. 20 (2008) Rn. 340; vgl. insb. auch Gröschner 2001; Gröschner HStR II, § 23; Müller-Franken 2005 I, 26 f. 491 Gröschner 2001, 200; vgl. auch vorstehend Teil 1 A.IV.3. sowie C. III.2.a)bb). 492 Müller-Franken 2005 I, 27. 493 Gröschner, HStR II, § 23 Rn. 74; ähnlich Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 14; Morlok / Michael, Staatsorganisationsrecht, § 6 II 2 Rn. 301; Huster / Rux, in: Epping / Hillgruber, GG, Art. 20 Rn. 203; wohl auch Zippelius / Würtenberger, Staatsrecht, § 10 I Rn. 2.
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren237
Als Begründung wird auf die komplexe Geschichte des Republikbegriffs verwiesen. So habe Cicero eine Traditionslinie begründet, nach welcher das republikanische Prinzip eng mit der Verfolgung des Gemeinwohls durch den Staat verknüpft sei.494 Für die Rechtsphilosophie des späten Mittelalters und der Renaissance habe „res publica“ insbesondere ein wohlgeordnetes Gemeinwesen eines freien Staates unter einer guten Verfassung bedeutet.495 Später sei die Republik von Montesquieu und Kant als Gegensatz zu einer Willkürherrschaft bzw. Despotie in Form eines Votums für eine freiheitliche politische Ordnung durch die Herrschaft des Gesetzes konzipiert worden.496 Diese Gehalte sprächen angesichts ihrer Relevanz für einen weiten Republikbegriff.497 b) Formales Republikverständnis Die Gegenauffassung versteht unter dem Republikprinzip, welches das Grundgesetz für den deutschen Staat normiert, ausschließlich die Aussage, daß es sich bei der Bundesrepublik nicht um eine Monarchie handelt.498 Dies hat zur Konsequenz, daß zur Ausgestaltung der republikanischen Staatsform durch weitere Staatszielelemente, unter anderem der Freiheitlichkeit und des Gemeinwohls, diese primär aus dem Demokratieprinzip und der Rechtsstaatlichkeit abgeleitet werden müssen.499 Republik beinhaltet nach dem formalen Begriffsverständnis, daß das Staatsoberhaupt durch Wahl (und nicht etwa durch Erbfolge) in sein Amt gelangen muß und daß es dieses Amt nur für einen begrenzten, vor der Wahl festgeleg494 Morlok / Michael, Staatsorganisationsrecht, § 6 II 1 Rn. 294; nach Gröschner, HStR II, § 23 Rn. 20 sei in der ciceronischen „res publica“ die Gemeinwohlorientierung der Republik – ganz in Übereinstimmung mit der von Cicero angestrebten „vom Himmel heruntergerufenen Philosophie“ – vollständig zu einem irdischen Gut in der Hand pragmatisch agierender römischer Juristen geworden. 495 Morlok / Michael, Staatsorganisationsrecht, § 6 II 1 Rn. 296; vgl. aber auch Gröschner, HStR II, § 23 Rn. 22, der insbesondere Augustinus eine Reduzierung des Volks- und Republikbegriffs auf einen rationalen Zusammenschluß unter Verlust der normativen Gehalte zuschreibt, die diesem noch durch Aristoteles und Cicero beigemessen worden seien. 496 Morlok / Michael, Staatsorganisationsrecht, § 6 II 1 Rn. 297. 497 Morlok / Michael, Staatsorganisationsrecht, § 6 II 2 Rn. 301. 498 Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 III (1980) Rn. 5; Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Republik) Rn. 17; Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 9; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 9; Roellecke, in: Umbach / Clemens, GG I, Art. 20 Rn. 12; Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 3; Stern, Staatsrecht I, § 17 II 2; Badura, Staatsrecht, D 1 d Rn. 27; Stein / Frank, Staatsrecht, § 8 VI. 499 Katz, Staatsrecht, § 8 II Rn. 136.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
ten Zeitraum ausüben können darf.500 Sei die Monarchie ursprünglich noch dadurch gekennzeichnet gewesen, daß im Monarchen alle Staatsgewalt konzentriert und er daher Souverän und Oberhaupt zugleich gewesen sei, sei die staatliche Gewalt jedoch in den meisten Monarchien in der Periode des Konstitutionalismus und der Demokratie bei Aufrechterhaltung der Funktion des Monarchen als Staatsoberhaupt mehr und mehr auf andere Organe des Staates übergegangen.501 Im Ergebnis bedeutet dies, daß nicht jede Form einer Monarchie unter dem Grundgesetz ausgeschlossen sein muß und insofern viel dafür spricht, daß verschiedene Beispiele demokratischer Monarchien in Europa der Gegenwart mit dem Republikprinzip vereinbar wären.502 Die Ansicht, die dem Republikbegriff des Grundgesetzes weitergehende materielle Inhalte zuweist, wird von den Vertretern eines formalen Republikverständnisses kritisiert. Weder das Vorbild der römischen res publica noch spätere ideengeschichtliche Anknüpfungen böten eine verfassungsrechtlich greifbare Grundlage für die Zuordnung weiterer Sinngehalte, die nicht gleichzeitig bereits im Demokratie- oder Rechtsstaatsprinzip verankert seien.503 c) Möglicher Inhalt eines material verstandenen Republikprinzips Fraglich ist, ob sich aus einem material verstandenen Republikprinzip – so es denn vom Grundgesetz vorgesehen wäre – die Anforderung der Gemeinwohlorientierung einer Gesetzesinitiative überhaupt herleiten ließe. aa) Der Grundsatz der Allgemeinheit des Gesetzes Maihofer ist der Ansicht, daß sich der Staat, den die Denker der Aufklärung unter der Bezeichnung „Republik“ erstrebten, nicht in einem Freistaat 500 Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 III (1980) Rn. 8; Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Republik) Rn. 17; Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 9. 501 Stern, Staatsrecht I, § 17 II 2 a). 502 In Britannien gilt z. B. das Verfassungsprinzip der Parlamentssouveränität. Das bedeutet, daß sich die Macht des Parlaments nicht vom Volk, sondern von der Krone ableitet, die das Parlament zur Ausübung der Souveränität legitimiert hat. Der britische Supreme Court übt dementsprechend auch keine verfassungsrechtliche Kontrollfunktion über das Parlament aus – Johannes Leithäuser: Die Macht der Krone – Britannien ohne Verfassungsgericht, aber Straßburg drückt, in: FAZ vom 16.7.2012 (Nr. 163), S. 10. Das britische Parlament kann somit „zu jeder Frage Gesetze beliebigen Inhalts verabschieden“, vgl. Sydow 2005, 7 f., der den Begriff „Parlamentssuprematie“ verwendet. 503 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 10; Roellecke, in: Umbach / Clemens, GG I, Art. 20 Rn. 12 mißt daher dem Merkmal „Republik“ kaum noch praktische Bedeutung zu.
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren239
erschöpfe.504 Er läßt sich somit in die Kategorie jener Autoren einteilen, die einen materialen oder weiten Begriff der „Republik“ vertreten. Zur Begründung seiner Ansicht bezieht sich Maihofer insbesondere auf das rechts- und staatsphilosophische Werk Kants. (1) Darstellung Sowohl Kant als auch das heutige Staatsverständnis begreife den Staat als „die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“ und dieses vom Staat gesetzte Recht als den „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“.505, 506 Kant habe daher unter einem bürgerlich verfaßten, republikanisch regierten Staat nicht nur einen „Freistaat“ im Sinne eines Staates, in dem nicht mehr der König oder der Adel herrsche, sondern einen Freiheitsstaat im Sinne eines Staates, der eine Einschränkung der Freiheit des Einzelnen nur insofern vornehme, als dieser anderen schade, verstanden.507 Maihofer leitet sodann aus dem Gedanken eines Freiheitsstaates weiter ab, daß auch gebotene Einschränkungen der Freiheit des Einzelnen nur durch ein solches Rechtsgesetz des Staates erfolgen könne, das dem Grundsatz der Allgemeinheit und damit zugleich der Allseitigkeit (Prinzip der Universalität – welches die wechselseitigen Betätigungen freier Menschen ordnen soll) sowie der Gegenseitigkeit (Prinzip der Reziprozität – welches die wechselseitigen Verbindlichkeiten gleicher Menschen regeln soll) entspreche. Anders gewendet leitet die Rechtsphilosophie Kants nach der Interpretation Maihofers aus einem jedem Menschen zustehenden Recht der Freiheit eine rechtlich gewährleistete Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür (nicht aber von einem allseitig auch alle Anderen „nötigenden“ allgemeinem 504 Maihofer
1994, Rn. 48. 1994, Rn. 51 (1. Abs.; Hervorhebungen i.O.) u.H.a. Kant, Die Metaphysik der Sitten, in: Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie, Ausgabe W. Weischedel bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Bd. IV (1966), S. 337 f. – entsprechend in: Kants Werke, Akademie Textausgabe, Bd. VI (1968), S. 230. 506 Ganz ähnlich insofern – freilich ohne dabei einen materialen Republikbegriff zu vertreten – auch Dreier 2004, 746, der auf die Affinität und Kompatibilität von Kants Theorien der zentralen Rolle des Individuums sowie der Legitimität und institutionellen Struktur des Staates mit den Grundinstitutionen des modernen, freiheitlichen Verfassungsstaates hinweist. 507 Maihofer 1994, Rn. 48 (1. Abs.), 49 (2. Abs.), 51 (2. Abs.; Hervorhebungen i.O.), bei Rn. 51 (2. Abs.) heißt es weiter: „dies hat für eine solche republikanische Konzeption auch die prinzipielle Konsequenz, daß in einem auf solche allgemeinen Freiheitsgesetze begründeten Gesetzesstaat folgerichtig der Grundsatz gelten muß: Was nicht verboten ist, ist erlaubt; und nicht umgekehrt.“ 505 Maihofer
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Gesetz der Freiheit) und aus dem Recht der Gleichheit eine Unabhängigkeit von einer Bindungsmöglichkeit durch andere ab, die nicht auch gegenseitig jene entsprechenden Anderen (ver-)bindet.508 (2) Stellungnahme Nach dieser Konzeption weist der Grundsatz der Allgemeinheit des Gesetzes, der in einem materialen Republikbegriff enthalten sein soll, zwei Dimensionen auf: Zunächst ist das eine inhaltliche, mit der dieser Grundsatz bedingt, daß eine Gesetzesbindung des Einzelnen nur durch ein Gesetz legitim ist, welches ein „Gesetz der Freiheit“ darstellt – und somit keine weitergehenden Einschränkungen machen kann, als diese notwendig sind, um einen Schaden durch diesen Einzelnen in Bezug auf andere zu vermeiden. Diese Dimension regelt also die republikanisch zulässige Intensität der Freiheitseinschränkung (Bindungsintensität) des gesetzesunterworfenen Bürgers hinsichtlich seines freiheitsentfaltenden Potentials. Hinzu kommt eine zweite Dimension, welche als formelle die Reichweite einer gesetzlichen Bindung regelt. Ein Prinzip „Gesetz der Gleichheit“ also, daß dadurch vor einer willkürlichen Bindung lediglich einzelner Gruppen schützt und eine gleichmäßige Unterworfenheit – somit auch der Initiatoren eines Gesetzes – erfordert. Genau betrachtet läßt das Republikprinzip in seiner Ausprägung als Grundsatz der Allgemeinheit eines jeden Gesetzes jedoch grundsätzlich durchaus zu, daß ein Gesetzesentwurf Partikularinteressen formuliert und erstrebt. Denn auch wenn dies der Fall sein sollte, kann ein schließlich mit entsprechendem Inhalt beschlossenes Gesetz als „allgemeines Gesetz“ alle Bürger gleich (ver-)binden. Voraussetzung in der Dimension der Reziprozität ist lediglich, daß das Gesetz seine Bindungswirkung gegenüber jedem Bürger als Adressaten gleichmäßig und gegenseitig entfaltet. Weitere Bedingung für ein allgemeines Gesetz der Freiheit ist neben dieser Bindungsreichweite die Bindungsintensität, d. h. daß es eine Freiheitseinschränkung des Einzelnen nur insoweit beinhaltet, als dieser ohnehin durch die Freiheitssphäre der anderen insofern gebunden ist, als er diesen keinen Schaden zufügen darf (Universalität) – und insofern deshalb im Ergebnis auch gar nicht freiheitseinschränkend, sondern freiheitssichernd wirkt.509 Das sich aus dieser Freiheitssicherung und der so ermöglichten und eingehegten Wechselwirkung 508 Maihofer
1994, Rn. 52 (1. Abs.; Hervorhebungen i.O.). dazu Maihofer 1994, Rn. 53 (4. Abs.): „Demzufolge ist für Kant, anders als für Hobbes, der entscheidende Vernunftgrund einer Staatserrichtung die gesicherte Freiheit und nicht mehr die bloße Sicherheit; mit anderen Worten: die Gewährleistung der Dynamik einer Ordnung der Freiheit, und nicht nur die Statik einer Ordnung der Sicherheit“; ähnlich Dreier 2004, 748: „Im Freiheitsbezug, in der Sicherung und Bewahrung der (äußeren) Freiheit des Einzelnen findet das Recht seinen zentralen Be509 Vgl.
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freier und gleicher Individuen ergebende Potential stellt nach Maihofer dann auch das eigentliche Kennzeichen der Republik einer Moderne im Sinne einer nach republikanischen Prinzipien organisierten freiheitlichen Demokratie dar.510 Die Verfolgung von Partikularinteressen steht demnach mit dem Grundsatz der Allgemeinheit des Gesetzes nicht zwingend in Widerspruch. Solange anderen Rechtsunterworfenen durch den Regelungsgehalt eines geltenden Gesetzes kein Schaden entsteht, ist dessen berechtigte Funktion als allgemeines Gesetz vielmehr die Sicherung gerade auch von Einzelinteressen als Ausdruck persönlicher Freiheitsentfaltung. Nicht gerechtfertigt erscheint jedenfalls, aufgrund eines im Republikprinzip enthaltenen Grundsatzes der Allgemeinheit des Gesetzes an eine Gesetzesinitiative den sehr engmaschigen Prüfungsmaßstab der „Gemeinwohlorientierung“ anzulegen – nach dem Prinzip, ein „Gesetz muß etwas Gutes wollen“. Die Prüfung ist statt dessen dahingehend durchzuführen, ob das Gesetz mit dem angestrebten Inhalt geeignet ist, in die Freiheitssphäre anderer einzugreifen und somit diesen zu schaden – so daß die Formulierung lauten muß: „Ein Gesetz darf nichts Schlechtes wollen“. bb) Republik als Gemeinwohlkonkretisierung in Amtsrechtsverhältnissen Ein Vertreter eines materialen Republikverständnisses ist auch Gröschner. Seine Ausführungen unterscheiden verschiedene Funktionen, die das Republikprinzip hinsichtlich Legitimation und Ausgestaltung der Rechtsordnung ausfüllen soll. (1) Darstellung Nach dem Konzept, wie es von Gröschner vertreten wird, besteht der Republikbegriff des Grundgesetzes aus einem Legitimations- und einem Gestaltungsprinzip hinsichtlich der freiheitlichen staatlichen Ordnung. Als Legitimationsprinzip habe das republikanische Prinzip antidespotische (gegen Herrschaft aus höherem Recht gerichtete), antitotalitäre (gegen freiheitsnegierende Ordnung gerichtete) und antianarchische (gegen ordnungsnegierende Freiheit gerichtete) Wirkung. Mit demselben Gehalt ausgestattet sieht der Autor auch das Gestaltungsprinzip, das als objektivrechtliches Optimiezugspunkt und seine wesentliche Legitimation, zugleich aber auch seine Begrenzung, seine Limitation.“ 510 Maihofer 1994, Fn. 64 zu Rn. 53.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
rungsgebot den bestmöglichen Ausgleich zwischen Freiheit und Ordnung bei der Konkretisierung des Gemeinwohls in Amtsrechtverhältnissen verlange.511 Die legitimatorische Funktion betrifft insbesondere die verfassunggebende Gewalt des Volkes, die als Grundlage politischer Einheit nur dienen könne, wenn ein Grundkonsens an der Legitimationsbasis herrsche. Das Demokratieprinzip sieht Gröschner dagegen für diese Funktion nicht verantwortlich – dieses betreffe nur die Frage nach dem Träger oder Subjekt der verfassunggebenden Gewalt.512 Jene Legitimation soll danach vom Republikprinzip nicht nur im Moment der Verfassunggebung, sondern auch während des gesamten Bestandes der betreffenden politischen Ordnung durch deren Ausgestaltung fortwirken.513 Als Gestaltungsprinzip wird das Republikprinzip somit insbesondere in Amtsrechtsverhältnissen wirksam, welche sich auf das Verfassungsrechtsverhältnis zwischen den Bürgern als Republikanern und der durch sie konstituierten Republik gründen. Der vom Bürger hier geschuldete Gehorsam sei kein Untertanengehorsam, sondern republikanischer Gehorsam gegenüber dem (legitimationstheoretisch) selbstgegebenen Gesetz und dessen (gestaltungstechnischer) Konkretisierung im jeweils besonderen Rechtsverhältnis.514 (2) Stellungnahme Gröschner definiert Amtsrechtsverhältnisse als Rechtsverhältnisse des öffentlichen Rechts, in denen Amtswalter aufgrund der ihnen durch die Verfassung zugewiesenen Funktionen der gesetzgebenden, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt und nach Maßgabe ihrer Zuständigkeiten, Aufgaben und Befugnisse das Gemeinwohl in generellen und individuellen, normativen und faktischen Entscheidungen gegenüber dem Bürger – einem, mehreren oder der Gesamtheit – konkretisieren.515 Wie aber vorstehend bereits untersucht, lassen sich die Teilnehmer an einem Volksbegehren nicht als Amtswalter in einer zugewiesenen Funktion der gesetzgebenden Gewalt, die hier als einzige in Frage käme, darstellen. Es fehlt sowohl an der Wahrnehmung eines öffentlichen Amtes als auch an der Ausübung gesetzgebender Gewalt, da die Abstimmungsbeteiligung der Einleitung und nicht etwa dem Abschluß eines Gesetzgebungsverfahrens dient. Es bleibt auch im Ergebnis unklar, welche konkreten normativen Konsequenzen sich hieraus gewinnen lassen. Gerade die Grenzziehung zum demo511 Gröschner,
HStR HStR 513 Gröschner, HStR 514 Gröschner, HStR 515 Gröschner, HStR 512 Gröschner,
II, II, II, II, II,
§ 23 § 23 § 23 § 23 § 23
Rn. 73. Rn. 36 f. Rn. 38. Rn. 53. Rn. 55.
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren243
kratischen Prinzip, wonach dieses staatliches Handeln qua Trägerschaft der Souveränität legitimiere und prozedural durch Wahl- und Abstimmungsverfahren funktioniere, das republikanische Prinzip jedoch legitimationstheoretisch am Gemeinwohl orientiert sei,516 erreicht im Ergebnis keine größere Klarheit als eben jene Rückführung auf einen zweifellos geschichtlich bedeutsamen Gehalt, der allerdings für eine konkrete verfassungsrechtliche Funktion nicht ausreichen kann. Hinzu kommt eine ebenso wenig aussagekräftige Abgrenzung zum Rechtsstaatsprinzip, welches die Bindung aller staatlichen Gewalt an das Gesetz verlange, die Republik dagegen eine Konkretisierung der Gemeinwohlidee durch das Gesetz und aufgrund eines Gesetzes.517 Hier fehlt es an der genauen Begründung, warum insbesondere die Bindung des parlamentarischen sowie des Volksgesetzgebers an höherrangiges (Verfassungs-)Recht unter republikanischen Gesichtspunkten einer Ergänzung und Festlegung auf das „Gemeinwohl“ bedarf. Dabei ist unbestritten, daß sich gesetzliche, tatbestandlich ausdrücklich festgelegte Verpflichtungen der Verwaltung und sogar der Rechtsprechung auf das Gemeinwohl in einer Vielzahl von Rechtsvorschriften finden lassen. Quoren werden allerdings nicht durch die Verwaltung oder die Rechtsprechung festgesetzt,518 sondern durch den (verfassungsändernden) Gesetzgeber. Hinsichtlich der Gesetzgebung ist aber zu beachten, daß diese durch ihre Bindung an die Verfassung sowohl eigene Gemeinwohl-Kompetenz innehat als auch (nur) durch dieselbe gleichzeitig einer Gemeinwohlgrenze unterliegt.519 Mit anderen Worten ist es gerade Aufgabe von Gesetzgebung, die Voraussetzungen für die Gewährleistung von einem möglichst hohen Maß an allgemeinem Wohl zu schaffen; garantiert wird diese Aufgabe aber durch die Verfassung als auch den Gesetzgeber bindendes höherrangiges Recht und nicht durch eine abstrakte, aus Verfassungsprinzipien herzuleitende normative Gemeinwohlbindung des Gesetzgebers seinerseits. Ganz ähnlich gelagert ist dann auch die Frage nach der Möglichkeit der Verpflichtung des Staates insgesamt auf das Gemeinwohl – zu Recht stellt Häberle die im Ergebnis zu verneinende rhetorische Frage in den Raum, ob eine derartige (nichtjuristische) Bindung des Staates eine richterliche Bindung an das Gemeinwohl parallel und sogar vorrangig zur Bindung an das Gesetz zur Folge haben solle.520 516 Gröschner,
HStR II, § 23 Rn. 74. HStR II, § 23 Rn. 74. 518 Eine Ausnahme stellt der Bayerische Verfassungsgerichtshof, wie geschildert, dar. 519 Häberle 1970, 47 f., der sowohl eine Systematisierung gesetzgeberischer Gemeinwohltatbestände (S. 720) als auch eine Übersicht über Interpretationsstützen für eine richterliche Gemeinwohlkonkretisierung (S. 724) bringt. 520 Häberle 1970, 46 f. 517 Gröschner,
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
Nach der hier vertretenen Auffassung sind damit in der Tat auch gemeinwohlwidrige Gesetze billigenswert.521 Abgesehen von dem Problem der inhaltlichen Einordnung von Gesetzen in die Kategorien „gemeinwohlkonform“ und „gemeinwohlwidrig“ spricht für dieses Ergebnis auch, daß eine rechtsstaatliche Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung eine Gemeinwohlbindung überflüssig macht. Eine Argumentation für eine Gemeinwohlunterworfenheit des Gesetzgebers kann des Weiteren auch nicht dadurch gestützt werden, daß man einschränkend zugesteht, daß dieselbe nicht gerichtlich überprüfbar sein soll und dies auch gar nicht sein kann.522 Die These einer Bindung des Gesetzgebers an ein allgemeines Wohl in Verbindung mit einer fehlenden gerichtlichen Überprüfbarkeit der Einhaltung dieser Bindung läßt sich nämlich nicht ohne Widerspruch zu den Erkenntnissen der neuzeitlichen Rechtsphilosophie, wie sie insbesondere auf Kant zurückgehen, vertreten. Kennzeichnend für Rechtspflichten ist es demnach gerade, daß diese im Gegensatz zu moralischen Pflichten äußerlich verpflichten und auch äußerlich erzwingbar sind. Die Tugendpflichten gehen zwar inhaltlich über Rechtspflichten hinaus, sind zu ihrer Umsetzung aber auf einen moralischen, inneren Zwang zum Selbstzwang angewiesen.523 Hier liegt somit der Unterschied zwischen Moralität und Legalität. Kennzeichnend für den Rechtsstaat ist es demnach, daß dieser sich mit der äußeren Befolgung der Gesetze zufrieden geben muß. Die innere Motivation – warum jemand sich an die Gesetze hält, etwa weil er das Gesetz seinem Inhalt nach billigt oder aber ablehnt und lediglich die Strafe bei Nichtbefolgung fürchtet – geht den Rechtsstaat nichts an; der Staat hat die Menschen nicht zu verbessern bzw. paternalistisch zur Tugendhaftigkeit zu erziehen.524 d) Beispiel einer verfassungsrechtlichen Gemeinwohlklausel Die Bayerische Verfassung hat dem Gemeinwohl eine explizite Erwähnung zukommen lassen. Nach Art. 3 I BayVerf. ist Bayern ein Rechts-, Kultur- und Sozialstaat, der dem Gemeinwohl dienen soll. Nach einschlägiger Kommen521 Hiergegen auch Hartmann 2009, 11, der sowohl parlamentarische Wahlen und Abstimmungen als auch Volksabstimmungen (nicht dagegen die Wahlen im Volk) einer Gemeinwohlbindung unterstellen will. 522 Vgl. insoweit Hartmann 2009, 28, der die Gemeinwohlbindung trotzdem als „echte Rechtspflicht“ einordnet und die mangelnde gerichtliche Überprüfbarkeit damit begründet, daß Regeln primär das Verhalten der Adressaten steuern sollten und erst sekundär Kontrollmaßstab seien. 523 Dreier 2004, 746; bei Kant heißt es: „Die Tugendpflicht ist von der Rechtspflicht wesentlich darin unterschieden: daß zu dieser ein äußerer Zwang moralischmöglich ist, jene aber auf dem freien Selbstzwange allein beruht.“, I. Kant, Metaphysik der Sitten (1797), in: Kants Werke, Akademie Textausgabe, Bd. VI (1968), S. 383. 524 Instruktiv Dreier 2004, 747.
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tierung von Lindner ist dieses Gemeinwohlprinzip der Bayerischen Verfassung als Korrektiv zur grundsätzlichen, in den Grundrechtsverbürgungen zum Ausdruck kommenden Ausgangsvermutung für die Freiheit des Einzelnen gedacht. Freiheit sei nicht anarchische, sondern gebundene Freiheit. Außerdem binde die Klausel die Staatsgewalt, indem es diese auf überindividuelle Interessen fixiere.525 Insgesamt habe der Verfassungssatz jedoch geringe praktische Bedeutung, da sich aus ihm keine unmittelbaren und konkreten Rechtsfolgen, etwa als Grundpflicht oder eigenständige Grundrechtsschranke, ableiten ließen. Vielmehr fungiere es in seinen verschiedenen Facetten als verfassungsrechtlich legitimierter Zweck im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung.526 Erweist sich somit das Gemeinwohlprinzip der Bayerischen Verfassung (lediglich) als Bestandteil einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, so bedeutet dies, daß es seiner Funktion nach ein Mittel zur Führung eines Rechtfertigungsnachweises im jeweiligen Einzelfall bezüglich einer staatlichen Grundrechtseinschränkung ist. Davon zu unterscheiden sind die verfassungs- oder grundrechtsimmanenten Vorbehalte. Erstere sind in der Verfassung, Letztere in dem jeweiligen Grundrecht selbst enthalten und ermöglichen grundsätzlich überhaupt erst die Einschränkung eines Grundrechts durch den Gesetzgeber.527 Der Unterschied zeigt sich am Beispiel der Schulpflicht gemäß Art. 129 I BayVerf., wonach alle Kinder zum Besuch der Volksschule und der Berufsschule verpflichtet sind. Die Schulpflicht ist ein Fall eines verfassungsimmanenten Vorbehalts528 und begründet eine staatsbürgerliche Grundpflicht, welche Kinder und auch deren Eltern trifft.529 Aus Art. 129 I BayVerf. folgt, daß die Schulpflicht eine verfassungsunmittelbare Rechtfertigung beanspruchen kann, die Grundrechte von Eltern (elterliches Erziehungsrecht, 525 Lindner,
in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 3 Rn. 7. in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 3 Rn. 7 – gemäß Art. 98 S. 1 BayVerf. dürfen die durch die Verfassung gewährleisteten Grundrechte grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Gemäß Satz 2 dieser Norm sind Einschränkungen durch Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen allerdings zulässig (sog. allgemeiner Gesetzesvorbehalt, vgl. Lindner, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Vor Art. 98 Rn. 62). Auch wenn Art. 98 S. 2 BayVerf. in der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs kaum praktische Bedeutung zukommt (dazu Lindner, Rn. 65 – der Verfassungsgerichtshof habe eine eigene, schwer überschaubare Rechtfertigungsdogmatik entwickelt, die jedoch zu vergleichbaren Ergebnissen führe), ist die Norm somit der Standort, in dem das „Gemeinwohl“ als legitimer gesetzgeberischer Zweck im Rahmen einer Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Grundrechtseinschränkung zur Anwendung kommen kann (vgl. Lindner, Rn. 69 ff.). 527 Dazu und zur genannten Unterscheidung vgl. Lindner, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, vor Art. 98 Rn. 61 ff. 528 Lindner, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Vor Art. 98 Rn. 64. 529 Möstl, in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 129 Rn. 4. 526 Lindner,
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
Art. 126 I BayVerf.) und Kindern (allgemeine Handlungsfreiheit) von vornherein immanent beschränkt und sonach im Grundsatz bereits verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.530 Dies schließt zwar nicht aus, daß die dem einfachen Gesetzgeber aufgetragene nähere Ausgestaltung und Bemessung der Schulpflicht die Grenze der verfassungsrechtlich zulässigen Einschränkung vorbezeichneter Grundrechte überschreiten kann – vom gedanklichen Ausgangspunkt her aber ist die Schulpflicht nach der Wertung der Verfassung und im Unterschied zum Gemeinwohlprinzip des Art. 3 I 2 BayVerf. gleichrangig mit jenen Rechten.531 Nach der Bayerischen Verfassung erlangt das Gemeinwohlprinzip somit nicht eine vergleichbare Bedeutung wie verfassungsunmittelbare Grundrechtsschranken. Es vermag nicht dieselbe Durchsetzungskraft zugunsten staatlicher Zielsetzungen zu entfalten, wie dies bei konkreten Grundpflichten der Fall ist.532 Gleichwohl ist das Gemeinwohl als Rechtfertigungselement hinsichtlich staatlicher Freiheitsbeschränkungen zu beachten. Dies gilt auch und insbesondere gegenüber Bürgerinitiativen, die neue gesetzgeberische Ziele erst formulieren und an die Öffentlichkeit herantragen.533 Insgesamt ist daher festzuhalten, daß auch unter Geltung einer expliziten Gemeinwohlklausel in Bayern das „Gemeinwohl“ kein eigenständiger Richtigkeitsmaßstab ist, der an erlassene Gesetze anzulegen wäre. Vielmehr beschränkt sich dessen Rolle darauf, einen Aspekt unter mehreren in einer Verhältnismäßigkeitsabwägung innerhalb der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vom Grundrechtseinschränkungen darzustellen. Dies ist von der Wirkung her nicht vergleichbar mit einem allgemeinen Richtigkeitsmaßstab, den verschiedene Stimmen in Rechtsprechung und Literatur der angeblichen Verpflichtung des Staates auf das „Gemeinwohl“ entnehmen wollen.
530 Möstl,
in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 129 Rn. 4. in: Lindner / Möstl / Wolff, BV, Art. 129 Rn. 4. 532 Vgl. dazu auch noch Jutzi in der Vorauflage des Kommentars zur Thüringer Verfassung: Linck, Joachim / Jutzi, Siegfried / Hopfe, Jörg, Die Verfassung des Freistaats Thüringen, Stuttgart u. a. 1994, Vorb. Rn. 60, der sich ablehnend bezüglich einer Gemeinwohlklausel für die Thüringer Verfassung in der Funktion einer Grundrechtsschranke äußert. 533 Nach Schweiger, in: Nawiasky / Schweiger / Knöpfle, BV, Art. 2 (1989) Rn. 5 seien solche politischen Gruppierungen einerseits Indikatoren für eine Lebendigkeit der Demokratie im Allgemeinen und für das politische Gewicht der verfolgten Ziele im Besonderen, erforderten andererseits aber auch aufgrund ihrer gegenständlich und oft auch örtlich begrenzten Zielverfolgung die Beachtung der Gebote des Gemeinwohls durch den Staat ihnen gegenüber. Vgl. auch ders., Art. 3 (1989) Rn. 19, wo der etwas unentschiedene Schluß gezogen wird, daß das Gemeinwohl durch den Gesetzgeber wohl zu wenig beachtet werde, das Vorhandensein einer breiten Mittelschicht aber als Indiz für die Ausrichtung des Staates am Gemeinwohl gelten könne. 531 Möstl,
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e) Zwischenergebnis Nach allem werden daher durch eine auch und insbesondere aus dem Republikprinzip hergeleitete Gemeinwohlbindung mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. So ist nicht ersichtlich, welchen Gewinn ein republikanisch-legitimatorischer Ansatz im Vergleich zu dem vorstehend dargestellten, auf Art. 20 II 2 GG basierenden und durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie durch die Literatur fortentwickelten Legitimationskonzept beisteuern kann. Bereits dieses zeichnet sich nicht durch letzte Klarheit aus, erreicht aber durch die Unterteilung in verschiedene Legitimationsformen – und hierbei insbesondere durch die Kategorie der organisatorisch-personellen Legitimation – sowie unter Bezugnahme auf die drei staatlichen Gewalten immerhin eine gewisse Aussagekraft bezüglich einzelner Grundsätze und kann somit Anhaltspunkte für die Entscheidung konkreter verfassungsrechtlicher Fragen liefern.534 Damit spricht viel dafür, daß ein material verstandenes Republikprinzip durch die Verrechtlichung schwer faßbarer Inhalte – Stichwort Gemeinwohlorientierung – einer klaren verfassungsrechtlichen Dogmatik entgegenwirkt und daher abzulehnen ist. Es ist daher Dreier zuzustimmen, der einerseits feststellt, daß eine extensive Ausdeutung des Republikprinzips zu mangelnder juristischer Trennschärfe führt und andererseits daran erinnert, daß das Gemeinwohl im demokratischen Verfassungsstaat keine fixe und vorgegebene Größe, sondern Produkt des pluralen, nicht interessefreien Prozesses politischer Willensbildung ist.535 Wenn man somit berechtigterweise zu dem Ergebnis kommt, daß das Gemeinwohl in einem demokratischen Staat nicht als vorgegeben angesehen werden kann, sondern vielmehr immer wieder neu bestimmt werden muß und daher das Ergebnis demokratischer Entscheidungsverfahren ist, 534 Vgl. z. B. Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 186 zum Parlamentsvorbehalt hinsichtlich der grundlegenden, wesentlichen Entscheidungen für das Gemeinwesen. 535 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Republik) Rn. 21 f.; gegen diese Auffassung vermag der Einwand Gerhard Robbers nicht zu überzeugen, daß mit der mehrfachen Erfassung derselben Inhalte durch verschiedene Verfassungsprinzipien jene Gehalte verstärkt und in ihrer Bedeutung hervorgehoben würden, da auch diese Argumentation keinen spezifisch juristischen Gewinn vermitteln kann – Robbers, in: BK, Art. 20 (2008) Rn. 378 – der dies in der folgenden Rn. vermutlich selbst sieht, wenn er ausführt: „Die Orientierung auf das Gemeinwohl im politischen Prozeß enthält aber zumindest die Mahnung und Erinnerung daran, daß legitime Interessen auch außerhalb des eigenen Interesses bestehen und Berücksichtigung verdienen.“, Robbers, Rn. 379 (Hervorhebungen durch den Verf.). Dieser berechtigte Hinweis auf die politische Bedeutung des Begriffs „Gemeinwohl“ vermag die Transformation eines moralischen Begriffs in eine verfassungsrechtliche Kategorie, der einen wie auch immer gearteten Maßstab für die juristische Bestandskraft von Gesetzen beinhalten soll, nicht zu rechtfertigen.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
dann ist es nur konsequent, anzuerkennen, daß im konkreten Anwendungsfall das Gemeinwohl nicht aus abstrakten Grundsätzen deduziert werden kann. Mangelnde juristische Maßstäbe machen sich dann auch bezogen auf die Frage nach der Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren bemerkbar. Hier kommen Vertreter eines materialen Republikbegriffs zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Leitet Maihofer noch aus dem Axiom optimaler Partizipation und damit optimaler Legitimation des politischen Prozesses durch den republikanischen Souverän die Forderung nach einer Verstärkung der direkten Demokratie ab,536 findet sich an anderer Stelle der Hinweis auf einen verfassungsrechtlichen Konflikt zwischen plebiszitärer Demokratie und dem Grundsatz der Republik in Bezug auf finanzwirksame Volksentscheide unter dem Aspekt der Gefahr fiskalischer Selbstbedienung.537 Insgesamt sprechen somit die besseren Gründe dafür, das Republikprinzip in einem engeren Verständnis zu interpretieren. Ihm können daher keine Aussagen entnommen werden, die über den demokratischen Gehalt des Grundgesetzes hinausgehen und etwa weitergehende Legitimationsanforderungen an Gesetzesinitiativen stellen würden.538
V. Stellungnahme Es ist festzuhalten, daß keines der vorgestellten Konzepte eine überzeugende Begründung der Notwendigkeit von Quoren auf der Verfahrensstufe des Volksbegehrens liefern kann. Weder muß die Gruppe der Abstimmenden einen Mangel an Legitimation kompensieren, noch üben die Teilnehmer bei einem Volksbegehren Staatsgewalt aus. Schließlich kann auch dem Republikprinzip keine Notwendigkeit einer besonderen Legitimation entnommen werden. Einer der Hauptgründe für dieses Ergebnis ist, daß das Konzept der demokratischen Legitimation nicht auf Volksbegehren übertragbar ist.539 1. Notwendigkeit von Quoren bei Volksbegehren Auf der anderen Seite finden sich in der Literatur – soweit ersichtlich – aber auch keine Stimmen, die sich bereits auf der Ebene eines Volksbegehrens explizit für eine völlige Abwesenheit von Quoren aussprechen. Dies erscheint auch einsichtig, da ein Volksbegehren völlig ohne Quorum jeder noch so kleinen Gruppe von Initiatoren – abgesehen von jenen Fällen, in 536 Maihofer
1994, Rn. 83. 2005 I, 26. 538 Zu Recht daher auch Degenhart 2001, 207. 539 Ebenso Neumann 2009, Rn. 753: „Die Frage einer irgendwie gearteten Legitimation, die für das Volksbegehren erforderlich sein soll, stellt sich nicht.“ 537 Müller-Franken
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren249
denen eine Volksinitiative dem Volksbegehren vorausgeht – die Möglichkeit eröffnen würde, zu jedem gesellschaftlich mehr oder weniger bedeutsamen Thema und in beliebiger Frequenz nicht nur ein Volksbegehren anzusetzen, sondern auch bei einer Abstimmungsmehrheit für die Initiative verbindliche Abstimmungen durch Volksentscheide herbeizuführen. Nicht zu folgen ist daher der These, daß die Frage nach Quoren im Kern lediglich eine Frage der Zweckmäßigkeit sei, die der Verfassungsgesetzgeber allein nach verfassungspolitischen Gesichtspunkten zu entscheiden hätte.540 Das würde nämlich bedeuten, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber des Grundgesetzes frei jeglicher Vorgabe durch das Demokratieprinzip i. V. m. Art. 79 III GG – und über Art. 28 I 1 GG in den Ländern – von Quoren bei Volksbegehren vollständig absehen könnte. Dagegen spricht jedoch, daß dies im Ergebnis einem Zwang für diejenigen Bürger gleichkäme, die keinen Änderungsbedarf der geltenden Rechtsordnung hinsichtlich des durch die Gesetzesinitiative verfolgten Ziels sehen, sich inhaltlich mit der Sache zu beschäftigen, eine Entscheidung zu treffen und zur Abstimmung zu gehen, allein um einen erfolgreichen Volksentscheid verhindern zu können. Das ist kein befriedigendes Ergebnis. 2. Ansätze zur Begründung von Quoren bei Volksbegehren in der Literatur So wird denn auch in der Literatur – sowohl von Befürwortern relativ hoher Quoren in direktdemokratischen Verfahren, als auch und vor allem von deren Kritikern – ganz überwiegend die Notwendigkeit gesehen, auf der Verfahrensstufe eines Volksbegehrens durch ein Begehrensquorum zumindest eine spürbare Hürde zu schaffen.541 Es wird gefordert, daß sich die Initiatoren eines Volksbegehrens erst durch den Nachweis, daß sie eine seriöse Chance haben, für ihr Vorhaben die Zustimmung des Volkes zu finden, „qualifizieren“ müßten.542 Ein Anliegen habe beim Volksbegehren einen „politischen Relevanzaber Neumann 2009, Rn. 753 (Hervorhebung i.O.). nur Stuby 2001, 255; bei Bovenschulte / Fisahn 2000, 55 heißt es: „Anzunehmen ist weiterhin, daß es irgendein Unterstützungsquorum beim Volksbegehren geben muß, weil sonst jeder einzelne Bürger einen Volksentscheid initiieren könnte. Die Frage ist, wie hoch dieses Quorum mindestens sein muß.“ Die Autoren halten sodann die Regelung, die der Bremische Staatsgerichtshof verwarf – 5 % der abgegebenen gültigen Stimmen bei der letzten Bürgerschaftswahl – für verfassungsrechtlich zulässig. 542 Isensee 2001, 1166, der dies allerdings ebenso wie die dargestellte Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte mit Legitimationsfragen vermischt und insofern ausführt, daß das Parlament a priori demokratisch legitimiert sei – vgl. vorstehend Teil 1 C. III.2.a)aa). 540 So
541 Vgl.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
test“ zu bestehen.543 Der direktdemokratische Willensbildungsprozeß sei in eine Qualifizierungs- und eine Entscheidungsphase gegliedert. Mit dem Zustandekommen des Volksbegehrens hätten die Initiatoren eines Vorhabens den „Relevanztest“ bestanden.544 Einleitungs- oder Begehrensquoren „qualifizierten“ die Initiatoren erst zur verbindlichen Fragestellung an das Volk als Staatsorgan.545 Für die verfahrenseinleitenden Stadien der Volksinitiative bzw. des Volksbegehrens müsse auch im Interesse der Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems die „Ernsthaftigkeit“ der Initiative belegt, andererseits aber hinreichende tatsächliche Realisierungschancen eingeräumt werden.546 Unterstützungs- bzw. Antragsquoren hätten eine Filterfunktion und sollten einerseits sicherstellen, daß auch eine Minderheit der Bürgerschaft Einfluß auf den politischen Prozeß nehmen könne und andererseits eine Vielzahl von unüberschaubaren und wirkungslosen Einzelaktionen verhindern.547 Nach allem ist daher grundsätzlich davon auszugehen, daß es sich bei der Qualifikationshürde um einen „Grundsatz des Demokratieprinzips im Sinne von Art. 79 III GG“ handelt.548 Im Ergebnis ist daher auch Isensee zuzustimmen, der ein „bestimmtes öffentliches Gewicht“ fordert, damit schließlich durch Volksentscheid ein Gesetz beschlossen werden kann.549 3. Demokratische Freiheits- und Gleichheitsidee Fraglich ist allerdings, wie die verfassungsrechtliche Notwendigkeit für ein Begehrensquorum – in einer verhältnismäßig geringen Höhe – genau begründet werden kann. Dabei ist auf die grundlegende Unterscheidung abzustellen, die innerhalb des Demokratieprinzips nach demokratischem Freiheits- sowie Gleichheitsgedanken differenziert. Demokratische Freiheit äußert sich zunächst in Form der positiven Freiheit, an der Ausgestaltung der staatlichen Ordnung mitzuwirken. Sie ist insofern demokratische Mitwirkungsfreiheit.550 Demokratische Gleichheit zielt in Ergänzung hierzu darauf 543 Berlit 1993, 355 f., der insofern ein Quorum von etwa 5 % der Stimmberechtigten oder auch 10 % der bei den letzten Wahlen abstimmenden Personen als ausreichend erachtet. 544 Jung 1999 II, 880. 545 Wittreck 2005, 182, der einen „enormen verfassungsrechtlichen Spielraum“ des verfassungsändernden Gesetzgebers sieht und die Untergrenze der notwendigen Relevanz bei ca. 1 % verortet. Vgl. auch Wittreck 2010, 557 – der hier unter Bezugnahme auf die Fünfprozenthürde bei Parlamentswahlen diese auch für Volksbegehren für „allemal ausreichend“ hält. 546 Degenhart 2005, 91. 547 Patzelt 2011, 79. 548 Zu Recht Wittreck 2010, 557. 549 Isensee 2001, 1166.
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren251
ab, daß jeder einzelne Bürger die gleiche Chance hat, daß seine Stimme in staatliche Macht umgesetzt wird.551 In der Literatur wird die Einführung direktdemokratischer Elemente auf den demokratischen Freiheits-, deren Eindämmung dagegen – also auch die Einführung von Quoren – auf den demokratischen Gleichheitsgedanken zurückgeführt. Der demokratische Gleichheitsgedanke bilde ein Regulativ zur Ausübung demokratischer Freiheit, welche strukturell auf die Ausübung von Herrschaft mit dem Ziel der verbindlichen Durchsetzung des eigenen Lebensentwurfs gegenüber konkurrierenden Lebensentwürfen anderer Freiheitsträger ausgerichtet sei.552 In einer reinen Referendumsdemokratie gewönnen vorwiegend diejenigen politische Macht, die dafür die meiste Zeit und das meiste Geld einsetzen könnten. Während der demokratische Freiheitsgedanke insofern für unmittelbar-demokratische Elemente streite, als der Einzelne mit ihnen seinem Lebensentwurf unmittelbar Ausdruck verleihen könne, schütze der demokratische Gleichheitsgedanke umgekehrt den Einzelnen davor, sich im Rahmen plebiszitär-demokratischer Strukturen permanent mit konkreten Fragen politischer Willensbildung beschäftigen zu müssen, um nicht majorisiert zu werden.553 Im Hinblick auf die Möglichkeit, eine Volksabstimmung ins Leben zu rufen, zu organisieren und die Abstimmungsfrage zu formulieren, wird darüber hinaus die Gefahr der Bildung einer gleichheitswidrigen Elitenstruktur gesehen.554 Das Abstellen auf die demokratische Gleichheit sollte jedoch insofern ergänzt werden, als daß sich die Notwendigkeit eines nicht völlig unerheblichen Quorums auf der Ebene der Einleitung eines direktdemokratischen Verfahrens unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung zu häufiger Inanspruchnahme des einzelnen Bürgers zur (gezwungenen) Stimmabgabe pro oder contra m. E. zwingender aus dem demokratischen Freiheitsgedanken herleiten läßt. Es ist sicher zutreffend, daß die Mehrzahl der Bürger mit der täglichen Bewältigung ihres Berufs- und Privatlebens stark ausgelastet ist und daher schon rein praktisch nur eng begrenzte Möglichkeiten hat, sich in ein politisches Anliegen einer bestimmten Gruppe hineinzudenken, die Relevanz desselben für die eigene Person zu prüfen und gegebenenfalls selbst eine Pro- oder Contra-Entscheidung zu fällen.555 Fraglich ist nur, ob die 550 Böckenförde,
HStR II, § 24 Rn. 37. HStR II, § 24 Rn. 41. 552 Unger 2008, 259. 553 Unger 2008, 280 f. 554 Müller-Franken 2005 II, 494. 555 Hierauf weist Müller-Franken 2005 II, 494 zu Recht hin; vgl. auch Böckenförde, HStR III, § 34 Rn. 6: „Die Bereitschaft [der Bürger], permanent am politischen Prozeß mitzuwirken, kann jedoch nicht allgemein vorausgesetzt werden.“ 551 Böckenförde,
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
hieraus resultierende Befürchtung, direktdemokratische Verfahren könnten somit leichter von denjenigen initiiert werden, die viel Zeit und / oder Geld zur Verfügung hätten, die Notwendigkeit eines Begehrensquorums vollständig begründen kann. Ein Rückgriff auf die demokratische Freiheitsidee erscheint insofern naheliegend. Die demokratische Freiheitsidee setzt zunächst eine negative Freiheit vom Staat voraus. Diese negative Freiheitssphäre wird dem Menschen um seiner selbst Willen in einem Rechtsstaat durch die Grundrechte garantiert. Da hierdurch jedoch ebenso ein Freiraum für die (positive) Gestaltung des eigenen Lebens geschaffen wird, ist mit der grundrechtlichen zugleich auch die Grundlage für die demokratische Freiheitsidee gelegt.556 Da Grundrechte die freie Entschließung zum Gebrauchmachen von der durch sie verbürgten Freiheit schützen, existiert auch keine Grundpflicht, sondern nur das Recht dazu – ebenso wie im Grundgesetz keine Wahl- oder Stimmpflicht vorgesehen ist.557 Der Einzelne sieht sich daher zwar einer Verfassungserwartung gegenüber, daß er Verantwortung in der politischen Ordnung des Gemeinwesens übernimmt.558 Die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte, auf die es in einer Demokratie entscheidend ankommt (Parteien, Interessenverbände, Medien und schließlich der einzelne Bürger), haben somit die Möglichkeit, an der politischen Willensbildung des Volkes über die grundrechtlichen Freiheiten zur Mitwirkung aktiv teilzunehmen; eine dahingehende Verpflichtung besteht jedoch nicht.559 Im demokratischen Verfassungsstaat kann Bürgerverantwortung daher nur so verstanden werden, daß jedes verantwortliche Handeln – sowohl gemeinwohlorientiertes560 als auch privatnütziges – von ihr umfaßt ist.561 Ein engeres Verständnis müßte auf moralische Anforderungen zurückgreifen, welche jedoch nicht rechtlicher Bestandteil der Verfassungsordnung des Grundgesetzes sind.562 Sind aber im demokratischen Verfassungsstaat gesellschaftsorientiertes und privatnütziges Handeln dem Grunde nach gleichwertig, so müssen auch beide Betätigungsformen bürgerschaftlichen Engagements im Sinne von Erscheinungsformen demokratischer Freiheitsentfaltung als verfassungsrechtlich gleichermaßen schutzwürdig bewertet werden. 556 Starck,
HStR III, § 33 Rn. 16. 1996, 21, 31. 558 Depenheuer 1996, 108; ebenso Schmitt Glaeser, HStR III, § 38 Rn. 11. 559 Schmitt Glaeser, HStR III, § 38 Rn. 11. 560 Wegen des problematischen Deutungspotentials dieses Begriffs und dem Umstand, daß Demokratie nicht vor Einzelinteressen schützt, erscheint „gesellschaftsorientiert“ passender, worunter dann z. B. das Betreiben einer Gesetzesinitiative fiele. 561 Depenheuer 1996, 108. 562 Depenheuer 1996, 103, zur Theorie der Bürgergesellschaft. 557 Merten
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren253
Somit ist die Funktion eines Quorums auf Volksbegehrensebene definiert: Es dient der Austarierung des Verhältnisses von direktdemokratischen Initiativen im gesellschaftlichen Bereich zum politikfreien, privaten Raum. Zu diesem Zweck setzt es eine Zulassungshürde fest, die ihrer Höhe nach so bemessen sein muß, daß einerseits Befürworter eines Gesetzesvorhabens eine reelle Chance haben, ihr Anliegen zu einem Volksentscheid zu bringen, andererseits aber solche Bürger, die dem Vorhaben indifferent oder ablehnend gegenüberstehen, nicht aufgrund eines faktischen Zwangs zur Teilnahme von ihrerseits verfolgten Zielen im Rahmen demokratischer Freiheitsentfaltung wesentlich abgehalten werden. In dieser Höhe – deren Festlegung im Einzelfall Sache des Gesetzgebers ist – bildet sonach die demokratische Freiheit in ihrer Ausprägung als freies privatnütziges Handeln in Verbindung mit der demokratischen Gleichheit den Rechtfertigungsgrund für ein Begehrensquorum als Einschränkung demokratischer Freiheit in ihrer Ausprägung als gesellschaftsorientiertes Handeln. Somit ist ein entsprechendes Einleitungsquorum verfassungsrechtlich sogar geboten; an dieser Stelle ist es Aufgabe des Gesetzgebers, durch Abwägung der in diesem Aspekt genannten gegenläufigen Leitgedanken diese zu konkretisieren563 und ein entsprechendes Quorum festzusetzen. 4. Legitimationsprinzip ohne Vorgaben für Volksbegehren Noch einmal betont sei, daß die sich hier gegenüberstehenden, in Ausgleich zu bringenden prinzipiellen Rechtsgehalte nicht im Grundsatz der Rückführbarkeit aller staatlichen Entscheidungen auf das Volk (Legitima tionsgrundsatz), sondern unmittelbar im Demokratieprinzip des Art. 20 I GG enthalten sind. Festzuhalten bleibt daher, daß ein Quorum auf der Ebene des Volksbegehrens in Höhe einer Qualifikations- oder Relevanzhürde vom Demokratieprinzip zwar geboten ist, sich jedoch nicht mit dem Legitimationsoder dem Mehrheitsprinzip des Grundgesetzes begründen läßt, weswegen auch eine auf Art. 28 I 1 GG gestützte Argumentation insofern ins Leere geht. Art. 28 I 1 GG kann den Ländern nur ein Quorum in Höhe eben jener Qualifikationsschwelle als unbedingten Leitgedanken des Demokratieprinzips in seiner freiheitlichen Dimension – unter Umständen unter ergänzender Heranziehung des Gleichheitsgedankens – vorgeben, in der dieses Quorum zu diesem Zweck gerechtfertigt ist. Der Bremer Staatsgerichtshof befürchtet insbesondere, daß niedrige Quoren zu mangelnder Akzeptanz der Volksgesetzgebung in der Bevölkerung 563 Zur Vermeidung einer Prinzipienberührung in Form einer Unterschreitung eines konkreten Mindeststandards an effektiver Umsetzung prinzipieller Leitgedanken i. S. v. Art. 79 III GG vgl. Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 49.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
führen könnten, wenn sich weite Teile derselben regelmäßig mit den unterschiedlichsten Begehren konfrontiert sähen.564 Hierzu ist nach allem anzumerken, daß sich der Befund zu niedriger Quoren insbesondere bei Volksbegehren erst dann überzeugend erheben ließe, wenn sich aus der Gesamtzahl tatsächlich durchgeführter Volksbegehren eine gewisse „Gesamtbelastung“ für den Einzelnen ergäbe, die mit dem Freiheits- und Gleichheitsgedanken des Demokratieprinzips nicht mehr zu vereinbaren wäre. Angesichts der geringen Häufigkeit direktdemokratischer Verfahren in der Bundesrepublik ist jedoch anzunehmen, daß momentan eher das Gegenteil der Fall ist und der Volksgesetzgebung relativ gefahrlos die Möglichkeit gegeben werden könnte, sich Akzeptanz durch Vermehrung ihrer Anwendungsfälle zu erarbeiten. Das bedeutet wiederum, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber nach dem jetzigen Stand der politischen Realität nicht durch elementare Kerngehalte des Demokratieprinzips – insbesondere durch das Legitimationsprinzip – daran gehindert sein kann, die Quoren für Volksbegehren als derjenigen Verfahrensstufe, welche unmittelbar zu einem verbindlichen Volksentscheid führen kann, abzusenken. In diesem Zusammenhang spricht viel dafür, daß der Spielraum des verfassungsändernden Gesetzgebers auch größer ist, als dies der Bayerische Verfassungsgerichtshof zugestehen wollte, als er eine Absenkung des bayerischen Unterstützungsquorums bei Volksbegehren von 10 % auf 5 % als verfassungswidrig beurteilte.565 Es ist kaum vorstellbar, daß eine Zahl von ca. 450.000 Bürgern, die 5 % der stimmberechtigten Staatsbürger Bayerns entspricht, für den Nachweis der hinreichend hohen Bedeutung und gesellschaftlichen Relevanz eines Gesetzgebungsanliegens nicht ausreichen sollte und sich in einer derartigen Regelmäßigkeit zusammenfinden würde, daß die demokratische Freiheit und Gleichheit der Bürger angesichts der Häufigkeit von Volksbegehren bzw. -entscheiden verfassungswidrig beeinträchtigt sein könnte.566 5. Fünfprozentklausel bei Wahlen als Maßstab auch für Einleitungsquoren? Nach § 6 III 1, 1. Hs. BWahlG werden bei der Verteilung der Sitze des Bundestages auf die Landeslisten nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 % der abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind derartige Sperrklauseln bei der Wahl zu Repräsentativorganen zulässig, wenn und weil sie mehrere gegenläu564 So sinngemäß BremStGH NVwZ-RR 2001, 1, insb. S. 4 f., vgl. vorstehend Teil 1 A.III.2.b)bb). 565 BayVerfGHE 53, 42, vgl. vorstehend Teil 1 B.II.3. 566 Zu Recht daher Schweiger 2002, 68, der auch die Zahlen anbringt.
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren255
fige Funktionen erfüllen. Innerhalb eines Verhältniswahlrechts können Sperrklauseln danach eine gerechtfertigte Modifikation des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl – insbesondere des gleichen Erfolgswertes der Stimmen – darstellen, wenn dies notwendig ist, um Splitterparteien vorzubeugen567 bzw. die Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung zu sichern.568 Das Bundesverfassungsgericht hat dabei bereits in seiner Ausgangsentscheidung zu dem Thema herausgestellt, daß der Gesetzgeber bei der Einführung solcher Sperrklauseln und bei der Bestimmung der Höhe des Quorums Spielraum für eine freie Entscheidung hat.569 Bei seiner Entscheidung muß der Gesetzgeber jedoch auch die Funktion der Wahl als eines Vorgangs der Integration politischer Kräfte sicherstellen und zu verhindern suchen, daß gewichtige Anliegen im Volk von der Volksvertretung ausgeschlossen bleiben.570 Insgesamt ist es daher grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, die Belange der Funktionsfähigkeit des Parlaments, das Anliegen weitgehender integrativer Repräsentanz und die Gebote der Wahlrechtsgleichheit sowie Chancengleichheit der politischen Parteien zum Ausgleich zu bringen.571 In der Literatur wird unter Bezugnahme auf die Bundestagswahlen eine Relativierung der Höhe der Sperre im Sinne einer Absenkung angeregt, da „Splitterpartei“ keineswegs mit „Interessenpartei“ gleichzusetzen, eine Spaltung der großen Parteien in der Vergangenheit weder erfolgt noch zu befürchten und eine Parteigründung angesichts der Konzentration der Parteienlandschaft schwierig sei.572 Der Zweck, die Entscheidungsfähigkeit eines Parlaments zu erhalten, könne eine Sperrklausel rechtfertigen, allerdings nur in einer Höhe, die noch verhältnismäßig sei – was hinsichtlich der Erforderlichkeit bei einem Quorum von 5 % bezweifelt wird.573 Die erheblichen Schwierigkeiten, die Hürde zu überwinden und eine daraus folgende Entmutigung der Alternativenbildung lasse das politische System auf längere Sicht verkrusten.574 Andere Stimmen halten die Fünfprozenthürde auch ihrer Höhe nach für berechtigt.575 Insbesondere nach der Bundestagswahl 2013 wird die 567 So
noch die ältere Rechtsprechung, vgl. BVerfGE 1, 208 (252). die neuere Rechtsprechung, vgl. BVerfGE 71, 81 (97); 82, 322 (338). 569 BVerfGE 1, 208 (256). 570 BVerfGE 95, 408 (419). 571 BVerfGE 95, 408 (420). 572 Meyer, HStR III, § 46 Rn. 40. 573 Morlok, in: Dreier, GG II, Art. 38 Rn. 112. 574 Trute, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 38 Rn. 59; ähnlich auch Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 43, der eine Durchbrechung der demokratischen Gleichheit durch Sperrklauseln angesichts der dadurch bewirkten Erschwerung politischer Innovationen und der Verkrustung des Parteiensystems als problematisch beurteilt. 575 Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 38 (2007) Rn. 127; Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38 Rn. 94. 568 So
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Sperrklausel kritisch betrachtet. Deren bisherige Rechtfertigung beruhe auf dem Vorverständnis einer bestimmten Parteienlandschaft. Nun habe sich gezeigt, daß 14 % der Zweitstimmen, die insgesamt auf nur fünf Parteien entfallen seien, bei der Sitzzuteilung nicht berücksichtigt worden seien. Daher führe die Bundestagswahl vor Augen, daß über die Fünfprozentklausel bei einer Kumulation nicht berücksichtigter Zweitstimmen wegen des Gebots der Gleichheit der Wahl neu nachgedacht werden müsse.576 Für eine Orientierung eines Einleitungsquorums an der Fünfprozenthürde spricht die grundsätzliche Parallelität von Wahl und Abstimmung, da beides gleichwertige Instrumente der Ausübung von Staatsgewalt unmittelbar durch das Volk sind.577 Allerdings dient die Sperrklausel bei Wahlen noch anderen Zwecken als dies bei einem Begehrensquorum der Fall ist, wie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu entnehmen ist. Diese sind das Verhindern der Bildung von Splitterparteien sowie die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments. Sie gehen daher über den Zweck eines Begehrensquorums, die Verwirklichung und den Ausgleich demokratischer Freiheit und demokratischer Gleichheit zu gewährleisten, hinaus. Auf der anderen Seite ist die Fünfprozentklausel durchaus Kritik seitens Stimmen ausgesetzt, die ihre Absenkung fordern und deren Notwendigkeit für den Erhalt der Funktionsfähigkeit des Parlaments zumindest in der aktuellen Höhe bezweifeln. Hinzu kommt, daß die Fünfprozentklausel bei Wahlen sich auf die abgegebenen, gültigen Stimmen bezieht, ein 5 %-Unterstützungsquorum bei einem Volksbegehren jedoch an die Zahl der Stimmberechtigten insgesamt anknüpft, was eine Vergleichbarkeit relativiert.578 Außerdem kennt auch das Wahlrecht mit der sog. Grundmandatsklausel des § 6 VI 1, 2. Hs. BWG eine Ausnahme zur Fünfprozenthürde. Danach nimmt eine Partei, die nicht 5 % der Zweitstimmen erreicht hat, trotzdem an der Verteilung der Mandate nach dem Verhältnis der Zweitstimmen über die Landeslisten teil, wenn diese Partei drei Direktmandate errungen hat. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber einen Ausgleich zu der Fünfprozentklausel schaffen und den Integrationscharakter der Wahl sichern, wobei er in dem Fall, daß eine Partei immerhin drei Direktmandate erreicht hat, davon ausgehen konnte, daß die betreffende Partei ein hinreichend gewichtiges Anliegen aus Sicht des Volkes vertreten hat.579
576 Frank
S. 9.
577 Vgl.
Schorkopf: Die Grammatik der Macht, in: FAZ vom 4.10.2013 (Nr. 230),
dazu ausführlich vorstehend B. Recht Meerkamp 2011, 454. 579 Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 87 u.H.a. BVerfGE 95, 408 (420 f.). 578 Zu
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Es spricht also viel dafür, daß die Klausel als Anhaltspunkt für eine zulässige Höhe eines Begehrensquorums herangezogen werden kann,580 daß jedoch der (verfassungsändernde) Gesetzgeber nicht daran gehindert wäre, das Quorum für ein Volksbegehren niedriger anzusetzen.581
VI. Ergebnis Die Trägerschaft von Staatsgewalt ist nicht teilbar. Sie verbleibt immer beim Volk. Die Ausübung von Staatsgewalt hingegen kann und muß zwischen dem Volk und „seinen“ Staatsorganen aufgeteilt werden. Trifft das Volk durch Wahlen und Abstimmungen Personal- oder Sachentscheidungen selbst, ergibt sich die demokratische Legitimation der Entscheidung daraus, daß nach dem Mehrheitsprinzip in einem Verfahren entschieden wird, das rechtsstaatlichen und demokratischen Maßstäben gerecht wird. Gruppen aus dem Volk unterliegen daher unabhängig von ihrer Größe keinem Legitimationserfordernis.582 Werden von den Volksvertretern Entscheidungen getroffen und Staatsgewalt ausgeübt, bedürfen diese ebenfalls und insbesondere demokratischer Legitimation. Die Notwendigkeit der Rückführbarkeit der Entscheidung auf den Volkswillen, des effektiven Einflusses des Volkes auf die Entscheidung, des Zurechnungszusammenhangs, ergibt sich überhaupt erst aus dieser Variante. Denn damit trotz der Vielzahl von Einzelentscheidungen geeignete Verfahren zur Entscheidungsfindung mit einem Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit gewährleistet werden können, muß der Einzelne die primäre Verantwortung und Berechtigung, Sachverhalte nach eigenen Maßstäben zu entscheiden, an staatliche Organe abgeben. Das Prinzip demokratischer Legitimationsvermittlung ist somit eine Notwendigkeit im modernen Staat, in welchem die mit Abstand meisten Entscheidungen nicht von den Bürgern selbst getroffen werden können. Besteht nun bei einer Eigenentscheidung der Mitglieder des Volkes noch ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Volkswillen und Entscheidung, ist dies bei staatlichen Entscheidungen durch das Volk repräsentierende Amtsträger nicht mehr gegeben.583 Dieser Umstand mindert die Entscheidungen staatlicher Organe nicht in ihrer verfasauch Patzelt 2011, 80. widersprechen ist daher dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof, der eine Absenkung des Quorums bei Volksbegehren von 10 % auf 5 % mit dem Argument zurückgewiesen hatte, daß das 10 %-Quorum der Volksgesetzgebung erst die unabdingbare Legitimation und Dignität verleihe, die sie dem parlamentarischen Gesetzgebungsakt gleichstelle, vgl. erneut BayVerfGHE 53, 42 (70). 582 Zutreffend daher Koch 2002, 47. 583 Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 83. 580 Befürwortend 581 Zu
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sungsrechtlichen Wertigkeit. Allerdings bedarf es in diesen Fällen einer Vermittlung von Legitimation in Form einer permanenten Rückführbarkeit der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und der Ausübung staatlicher Befugnisse auf das Volk, damit staatliches Handeln separater Organe als Ausübung von Staatsgewalt durch das Volk im Sinn von Art. 20 II 2 GG angesehen werden kann.584 Für die gesamte demokratische Legitimationsordnung des Grundgesetzes ist somit wesentlich, daß sie eine hinreichende Vermittlung zwischen dem Volk als Träger der Staatsgewalt und den Organhandlungen sicherstellt.585 Überträgt man jedoch die Anforderungen, die das Grundgesetz ausweislich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die demokratische Legitimation der Staatsorgane stellt, auf das Volksbegehren, so werden diesbezüglich Bedingungen aufgestellt, die auf einen anderen Sachverhalt zugeschnitten sind. Dabei ist es nicht grundsätzlich methodisch verfehlt, wenn sich bei der Verfassungsinterpretation verschiedene und teilweise gegenläufige Rechtsprinzipien gegenseitig beeinflussen und begrenzen. Dieser Vorgang hat sich jedoch in Grenzen abzuspielen, die einer Veränderung des Inhalts einzelner Verfassungsprinzipien vorbeugen. Herzog formuliert insoweit: „Keines der in Art. 20 niedergelegten Verfassungsprinzipien kann ausschließlich aus sich heraus und insbesondere aus seiner eigenen historisch-dogmatischen Tradition interpretiert werden, sondern es muß so interpretiert werden, daß es einerseits so weit wie irgend möglich wirksam ist, daß aber auch die anderen Verfassungsprinzipien des Art. 20 sich ebenfalls so weit wie irgend möglich praktisch entfalten können.“586 Die vorgestellten Auffassungen interpretieren das Legitimationsprinzip jedoch in einer Art und Weise, daß es die Prinzipien der Volkssouveränität und der gleichwertigen Legitimationsakte von Wahl und Abstimmung übermäßig einschränkt. Ein Volksbegehren erfüllt nicht die vom Thüringer Verfassungsgerichtshof angenommene rückwirkende Indizfunktion hinsichtlich der Gemeinwohlverträglichkeit einer Gesetzesinitiative, da eine solche Funktion vom Legitimationsbegriff des Grundgesetzes nicht umfaßt ist.587 Auch dem Bremischen Staatsgerichtshof ist hinsichtlich seiner Annahme zu widersprechen, daß (gerade) direktdemokratische Gesetzesinitiativen einer besonderen Rechtfertigungslast bezüglich ihrer Geeignetheit zur Verwirklichung eines Gemeinwohlaspektes unterliegen. Eine Gewähr für eine demokratische Verallgemeinerungsfähigkeit von Gesetzen gibt es nicht. Jedoch kann eine Qualifika 584 Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 79 Rn. 83; Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 11. 585 Schmidt-Aßmann 1991, 366. 586 Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 I. (1980) Rn. 37. 587 Zu Recht daher Wittreck 2005, 162 sowie Rux 2002, 48.
D. Vermittlung von Legitimation durch Quoren259
tionshürde bei der Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens durchaus auch die Wahrscheinlichkeit dafür erhöhen, daß das später beschlossene Gesetz allgemein akzeptiert wird. Neben dieser Signifikanzschwelle, die völlig unbedeutende und abwegige Anliegen aussondert, tritt dabei noch die Möglichkeit für jeden Einzelnen, im nach erfolgreichen Volksbegehren sich anschließenden Volksentscheid an der Abstimmung teilzunehmen. Aufgrund der erfolgreichen Überwindung des Begehrensquorums ist das auch zumutbar und vom Grundgesetz vorausgesetzt, weil es zwei gleichwertige Gesetzgebungsverfahren vorsieht. Die Tatsache, daß sich die Abstimmung bei einem Volksbegehren insofern auf das später unter Umständen durch einen Volksentscheid beschlossene Gesetz auswirkt, rechtfertigt jedoch nicht die von den Verfassungsgerichten der Länder vorgenommene Gesamtbetrachtung unterschied licher Verfahrensstadien, um daraus die Höhe einzelner Quoren abzuleiten bzw. den Spielraum des verfassungsändernden Gesetzgebers diesbezüglich festzulegen.588 Vorzugswürdig ist es im Ergebnis daher, das Legitimationsprinzip nicht mit inhaltlichen Anforderungen zu überfrachten. Bereits der Begriff der „materiellen Legitimation“ erweist sich bei näherem Hinsehen als weniger aussagekräftig als dies zunächst den Eindruck haben könnte. Diese wird – wie vorstehend ausgeführt – durch die Bindung aller staatlichen Organe an die ausschließlich durch das Parlament beschlossenen Gesetze sowie durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung gewährleistet. Bedenkt man aber, daß diese Kriterien insbesondere auf die Exekutive zugeschnitten sind, da die Weisungsgebundenheit bei der Judikative entfällt589 – und diese beim Volksgesetzgeber ohnehin keine Bedeutung erlangen kann – bleibt unter dem Strich bei Legislative und Judikative nur die Gesetzesbindung übrig. Diese ist jedoch durch die Prinzipien der Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an das Gesetz sowie die Normenhierarchie als unmittelbare Vorgabe für die Legislative bereits durch das Rechtsstaatsprinzip garantiert. Auch für das Demokratieprinzip ist somit festzuhalten, daß materielle Inhalte fast zwangsläufig die Gefahr außerverfassungsrechtlicher Gebote mit sich bringen.590
588 Kritisch zur Gesamtbetrachtung insb. Neumann 2009, Rn. 755: „Das Abstellen auf eine Gesamtschau zum Zwecke der Feststellung hinreichender Dignität ermöglicht Wertungen jenseits sachlicher, insbesondere verfassungsrechtlicher Kriterien.“ 589 Vgl. Böckenförde, HStR II, § 24 Rn. 22. 590 Kritisch zur Output-Legitimation auch Unger 2008, 278 ff. m. w. N.; ablehnend zu einer Verpflichtung der Abgeordneten auf eine inhaltliche Repräsentation des Volkswillens des weiteren Janssen 2010, 956 f.
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E. Funktionsfähigkeit des Parlaments Nach verbreiteter Auffassung umfaßt die Ewigkeitsklausel des Art. 79 III GG – und nach richtiger Ansicht damit übereinstimmend auch Art. 28 I 1 GG – als einen von mehreren Bestandteilen den Schutz eines funktionsfähigen Parlaments.591 Zu fragen ist demnach, ob und unter welchen Bedingungen direktdemokratische Verfahren die Funktionsfähigkeit des Parlaments in einem Staat beeinträchtigen können. Da diese Frage theoretisch kaum zu beantworten ist,592 soll der Blick auf zwei Länder gerichtet werden, die eine viel größere praktische Erfahrung mit direktdemokratischen Verfahren haben als die Bundesrepublik und die deutschen Länder – die Schweiz sowie Kalifornien. Gibt es dort Anzeichen dafür, daß die intensive Nutzung direktdemokratischer Verfahren die Funktion des Parlaments oder anderer Staatsorgane behindert? Wenn ja, liegt das zumindest auch an den Quoren? Vorab soll aber nochmals kurz auf Bayern und Thüringen zurückgekommen werden, um zu veranschaulichen, wie die Debatte in Deutschland geführt wird.
I. Die Debatte in Deutschland In Bayern geht die Diskussion um eine etwaige Bedrohung der Funktionsfähigkeit des Bayerischen Landtags einher mit dem Problem plebiszitärer Verfassungsänderungen. Beides läßt sich hier kaum voneinander trennen. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hatte in seinem Urteil vom 31. März 2000 ausgeführt, daß der Schutzbereich der bayerischen Ewigkeitsklausel (Art. 75 I 2 BayVerf.) insbesondere auch die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Landtags umfasse. Konkret gab der Gerichtshof zu bedenken, daß eine Absenkung der Hürden bei Volksbegehren (ausgehend von einem 10 %-igen Begehrensquorum, welches in Bayern auch nach aktuellem Verfassungsrecht noch gilt) dazu führen könnte, daß sich Parlamentsmehrheit und parlamentarische Opposition häufiger mit Themen befassen müßten, die nicht innerhalb des politischen Konzepts lägen, zu dessen Verwirklichung sie vom Wähler beauftragt und demokratisch legitimiert worden seien.593 Eine Kollision mit 591 Vgl. vorstehend A.IV; vgl. außerdem speziell zur Funktionsgarantie für das Parlament Bovenschulte / Fisahn 2000, 55 ff. m. w. N., die diese allerdings Art. 28 I 2 GG entnehmen wollen. Jene Norm bestimmt, daß das Volk in den Ländern, Kreisen und Gemeinden eine Vertretung haben muß, die aus demokratischen Wahlen hervorgegangen ist. 592 Zu einem solchen Versuch vgl. erneut Bovenschulte / Fisahn 2000, 56 (m. w. N.), wonach „dem Parlament […] die Kompetenz belassen werden [muß], insbesondere komplexe und strukturell und institutionell verflochtene Beratungen durchzuführen und Regelungen aufeinander abzustimmen.“ 593 BayVerfGHE 53, 42 (63) – vgl. dazu ausführlich vorstehend Teil 1 B.II.3.b).
E. Funktionsfähigkeit des Parlaments261
Art. 75 I 2 BayVerf. sah der Gerichtshof in derselben Entscheidung auch in der beabsichtigten Einführung einer Volksinitiative, die es 25.000 Stimmberechtigten (was zum Zeitpunkt des Urteils ca. 0,3 % der Stimmberechtigten in Bayern entsprach) ermöglicht hätte, einen Gegenstand politischer Willensbildung in den Landtag hineinzutragen. Kleinen Gruppen würde es so ermöglicht, das gewählte Parlament politisch unter Druck zu setzen, es von seinen eigenen Themen abzulenken und zu einer Auseinandersetzung mit Fragen und Themen zu zwingen, die nicht aus dem Parlament selbst und aus den Parteien kämen.594 In der Literatur wird des Weiteren insbesondere bei Verfassungsänderungen ein plebiszitäres Überrollen des parlamentarischen Systems aufgrund von zu niedriger Quoren befürchtet.595 Die Polarisierung zwischen Mehrheit und Minderheit solle im Parlament, nicht auf einer zusätzlichen Ebene der Volksgesetzgebung stattfinden, auf der sich keine mit einem Mandat auf Zeit ausgestatteten Volksvertreter vor den Wählern verantworten müßten und die darüber hinaus zu einer Delegitimation von Regierung und parlamentarischer Mehrheit führen könnten. Interventionen der unmittelbaren Demokratie müßten daher so reguliert werden, daß sie von der repräsentativen Demokratie beherrscht werden könnten.596 Auch in der bereits dargestellten thüringischen Diskussion finden sich ähnliche Positionen. Eine Senkung des Unterstützungsquorums für Volksbegehren könne die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems gefährden, da kleine Gruppen den Landtag vor sich hertreiben und so in der Öffentlichkeit delegitimieren könnten.597 Hinsichtlich eines möglichen Szenarios, welches einen vollständigen Wegfall des Zustimmungsquorums bei Volksentscheiden über einfache Gesetze beinhaltet, wird eine Beobachtungspflicht des (verfassungsändernden) Gesetzgebers angenommen. Zwar stünden weder das Grundgesetz noch die Thüringische Verfassung einer Streichung der Zustimmungsquoren entgegen. Allerdings müsse in so einem Fall der Gesetz geber dafür Sorge tragen, daß sich keine Staatspraxis entwickele, die eine Infragestellung des Vorrangs der repräsentativen Demokratie ermögliche.598
594 BayVerfGHE 53, 42 (72 ff.) – vgl. dazu ausführlich vorstehend Teil 1 B .II.3.c); zustimmend insofern Schweiger 2002, 71 f. – vgl. vorstehend Teil 1 B.III.2.d)cc). 595 Vgl. nochmals Isensee 1999, 64 f. sowie vorstehend Teil 1 B.III.2.d)aa)(1). 596 Vgl. nochmals Zacher 1998, 742 sowie vorstehend Teil 1 B.III.2.d)aa)(2); vgl. auch Möstl 2013, 366 f., der aus den Ewigkeitsgarantien der Länder und des Bundes sowie aus dem Vorrang der repräsentativen Demokratie herleitet, daß die „Funktionstüchtigkeit der repräsentativen Demokratie durch plebiszitäre Elemente niemals geschwächt werden darf“. 597 Vgl. nochmals Isensee 2001, 1167 sowie vorstehend Teil 1 C.III.2.a)cc). 598 Vgl. nochmals Huber / Storr / Koch 2002, 163 f. sowie vorstehend Teil 1 C.III.3.c).
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
II. Das Beispiel Schweiz In der Schweiz stehen den Bürgern, den Parteien und auch den Gesetzgebungsorganen vielfältige Instrumente der direkten Demokratie auf Bundessowie auf Kantonsebene zur Verfügung.599 Dieses System, das unter anderem auf der Idee beruht, daß das Volk ein um so größeres Mitspracherecht haben muß, je bedeutender die politische Entscheidung ist, die getroffen werden soll, wird in der Literatur als „Grundkonzept der halbdirekten Demokratie“ bezeichnet.600 Innerhalb dessen strukturiere die Verfassung durch den Einsatz verschiedener Referenden im Sinne von plebiszitären Nachentscheiden die Letztentscheidungskompetenz des Volks, des Parlaments und der Regierung hinsichtlich politischer Fragen.601 Im Einzelnen gilt: Das Volk behält die Letztentscheidungskompetenz über alle Fragen auf Verfassungsebene; es entscheidet entweder im Wege des obligatorischen Referendums oder der Volksinitiative über Änderungen und Ergänzungen der Verfassung sowie vereinzelt über Staatsverträge und dringliche Bundesbeschlüsse. Das Parlament entscheidet über die nächstwichtigen Fragen, auf Gesetzesebene. In den meisten Fällen ist dies eine endgültige Entscheidung, die allerdings in Einzelfällen durch das fakultative Referendum auf das Volk übertragen werden kann. Die Regierung ist schließlich für die Verordnungsebene zuständig; hier ist sie unabhängig von Volk und Parlament, es gibt weder eine Nachkontrolle durch Referenden und auch keine Volksinitiative für Regierungsgeschäfte.602 Für die Abstimmungen sind zwei bis vier nationale Termine vorgesehen, an denen in der Regel ein bis vier Vorlagen zur Entscheidung anstehen. Die durchschnittliche Beteiligung im Zeitraum 1991–2007 lag bei fast 44 % und erreicht damit annähernd den Wert der Wahlen mit 45 %.603
599 Überblick bei Häfelin / Haller / Keller 2012, Rn. 1383 bzgl. der einzelnen politischen Rechte der schweizerischen Bürger auf Bundesebene. 600 Linder 2005, 242 f. mit guter Übersicht in tabellarischer Form; vgl. auch Rhinow / Schefer 2009, § 21 zu den verschiedenen Aspekten dieses Kennzeichens der schweizerischen Demokratie. 601 Linder 2005, 243 f., der besagten Grundgedanken so formuliert: „Alle wichtigsten Entscheide dem Volk, wichtige Entscheide in der Regel dem Parlament, übrige Entscheide der Regierung.“ 602 Zum Ganzen Yvan Rielle / Christian Bollinger, in: Linder / Bollinger / Rielle 2010, 677 mit tabellarischer Übersicht. 603 Heußner / Jung 2009, 121.
E. Funktionsfähigkeit des Parlaments263
1. Die Bundesebene Auf der schweizerischen Bundesebene zählt zunächst ein fakultatives esetzesreferendum zum Repertoire der direktdemokratischen Verfahren. G Mit dem Gesetzesreferendum können 50.000 Stimmberechtigte (ca. 1 % der schweizerischen Stimmberechtigten)604 verlangen, daß ein vom Parlament beschlossenes einfaches Bundesgesetz dem Volk zur Abstimmung vorgelegt wird.605 Daneben sind bezüglich Verfassungsänderungen ein obligatorisches Verfassungsreferendum und die Volksinitiative vorgesehen. Im Wege des obligatorischen Verfassungsreferendums muß jede vom Parlament beschlossene Verfassungsänderung dem Volk vorgelegt werden. Die Bürger stimmen sodann mit einfacher Mehrheit ohne Quorum606 darüber ab. Die Volksinitiative auf schweizerischer Bundesebene ist ausschließlich als Verfassungsini tiative ausgestaltet und kann sich auf eine Total- oder auf eine Partialrevision der Verfassung beziehen.607 Sie erfordert, daß 100.000 Stimmberechtigte (ca. 2 % der schweizerischen Stimmberechtigten) einen Entwurf für eine Verfassungsänderung vorlegen. Die Abstimmung erfolgt wiederum mit einfacher Mehrheit und ohne Quorum.608 a) Obligatorisches Verfassungsreferendum Gemäß Art. 140 der Bundesverfassung der Schweiz sind alle vom Parlament vorgeschlagenen Verfassungsänderungen dem obligatorischen Volksentscheid mit doppeltem Mehr von Volk und Ständen unterstellt. Unterliegt eine Vorlage dem obligatorischen Referendum, so wird sie von Amts wegen der Abstimmung zugeleitet.609 In der Schweiz betrifft der größte Teil der obligatorischen Referenden die Erweiterung oder Veränderung von Bundesauf gaben. Die Verfassungsvorlagen von Bundesrat und Parlament werden von 604 2013 betrug die Zahl der Stimmberechtigten Bürger der Schweiz 5.189.673, vgl. die Internetseite des Schweizerischen Bundesamts für Statistik. 605 Heußner / Jung 2009, 118. 606 Allerdings gibt es das zusätzliche interne Erfordernis des Ständemehrs, so daß eine annehmende Volksmehrheit einer ablehnenden Kantonsmehrheit gegenüberstehen kann und umgekehrt, Linder 2005, 249 sowie 184 ff. – es handelt sich hierbei um einen Kollisionsfall von Demokratie- und Föderalismusprinzip, S. 184. 607 Tschentscher 2010, 205 f.; die Einführung einer allgemeinen Volksinitiative, bei der die Bundesversammlung Gelegenheit erhalten hätte, das Anliegen der Initiatoren sachgerecht auf Verfassungs- und Gesetzesstufe zu verteilen, scheiterte an komplizierten und praxisuntauglichen Detailregelungen, vgl. Tschentscher 2010, 206. 608 Heußner / Jung 2009, 118. 609 Tschannen 2011, § 49 Rn. 9; Biaggini, BV, Art. 140 Rn. 3; zum obligatorischem Referendum vgl. auch Rhinow / Schefer 2009, § 22 Rn. 2205 ff.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
Volk und Ständen relativ häufig, nämlich in über einem Viertel aller Fälle, abgelehnt.610 Als spezifische Bremse bzgl. politischer Entscheidungsprozesse erweist sich allerdings nicht die Beteiligung des Volkes an sich, sondern die Kombination mit dem im föderalistischen System der Schweiz gründenden Ständemehr. Da in der Schweiz jeder Gliedstaat gleiches Stimmgewicht hat, kommt dem einzelnen Stimmbürger aus einem kleinen Gliedstaat ein höheres Stimmgewicht zu als demjenigen eines bevölkerungsreichen Gliedstaats. Im Vergleich zu anderen föderalistischen Staaten ist in der Schweiz die Stimmbürgerschaft aus kleinen Kantonen daher besonders begünstigt.611 So kam es, daß 1980 der Bundesrat eine Verfassungsänderung vorschlug, die eine stärkere Autarkie der Schweiz in der Energieversorgung (Import von Öl, Gas und Uran) sicherstellen sollte. Der schließlich ausgearbeitete Entwurf der Verfassungsänderung erreichte 1983 in der Volksabstimmung eine Mehrheit, verfehlte aber das Ständemehr. Daraufhin dauerte es weitere sieben Jahre, bis ein neuer Energieartikel ausgearbeitet war. Insgesamt dauerte es 17 Jahre, bis die entsprechende Verfassungsänderung, die neue Kompetenzen für die Regierung im Bereich der Energiepolitik begründete, schließlich verabschiedet war.612 Die Wirkung des Verfassungsreferendums wird von Linder dahingehend beurteilt, daß sie Wirtschaftsinterventionismus des Staates erschwere und auf der Einnahmenseite des Staates zu Diversifikation führe. Die Staatsquote in der Schweiz betrage rund 40 %, auf den Bund entfalle nur ein Drittel der Staatseinnahmen. Alle Steuern von Bund, Kantonen und Gemeinden seien referendumspflichtig. Die Haupteinnahmequellen des Staates in Form der Mehrwert- und Bundessteuer seien bis heute nur provisorisch und befristet.613 b) Fakultatives Gesetzesreferendum In der Schweiz gibt es seit 1874 auf Bundesebene ein fakultatives Gesetzesreferendum, Art. 141 I der Bundesverfassung. „Fakultativ“ bedeutet, daß diese Referenden eines besonderen Anstoßes bedürfen und somit nicht etwa von Amts wegen durchführbar sind.614 Danach stehen alle Parlamentsentscheidungen zu Bundesgesetzen und ein erheblicher Teil der Bundesbeschlüsse unter Referendumsvorbehalt. Erfor610 Linder
2005, 248 f. 2005, 184; ebenso Tschentscher / Blonski / Baumgartner 2013, 160. 612 Linder 2005, 166, vgl. zu dem Problemkreis auch S. 185 ff. 613 Linder 2005, 263. 614 Biaggini, BV, Art. 141 Rn. 3. 611 Linder
E. Funktionsfähigkeit des Parlaments265
derlich ist, daß innerhalb von 100 Tagen durch Sammlung von 50.000 Unterschriften ein Referendum zustande kommt.615 Wird diese Zahl erreicht, ist das Gesetz der Volksabstimmung zu unterbreiten. Damit es dann in Kraft treten kann, ist die Genehmigung des Gesetzes durch die Mehrheit der Abstimmenden erforderlich. In der Schweiz gab es von 1874 bis 2003 insgesamt 2108 referendumspflichtige Vorlagen. Definitiv abgestimmt wurde schließlich über 147 Referendumsvorlagen – d. h. in lediglich 7 % der Fälle wurde eine Abstimmung über Bundesgesetze oder vergleichbare Beschlüsse tatsächlich erforderlich.616 Trotzdem ist das Verfahren des fakultativen Gesetzesreferendums kein wirkungsloses Verfahren der direkten Demokratie, da dieses, wenn es tatsächlich zu einer Abstimmung über das Gesetz kommt, eine hohe Erfolgsrate hat. In mehr als der Hälfte der Fälle sind nämlich die Protagonisten eines Referendums erfolgreich.617 Linder bewertet das fakultative Gesetzesreferendum dahingehend, daß es zu einer grundsätzlichen Einbindung der Opposition führe. Verbände und Parlament hätten in der Vermeidung des Referendums ein großes Gespür entwickelt. Das schweizerische System belohne insgesamt nicht die systematische Opposition einer Parlamentsminderheit, dafür aber die „fallweise Opposition“, die sich der Nutzung des Referendums (nur) in solchen Fällen bediene, in denen der politische Kompromiß (Parlamentsgesetz) über par tielle Interessen in einer Volksabstimmung angreifbar erscheine.618 Dennoch stelle das Gesetzesreferendum nicht per se ein „Minderheiteninstrument“ dar. Denn ausgelöst werde es von ganz verschiedenen Gruppen, praktisch allen Parteien, Verbänden, sonstigen Interessengruppen oder sozialen Bewegungen.619 Auch sei das Gesetzesreferendum geeignet, labile Parlamentskom615 Vgl. dazu Linder 2005, 249; man spricht in diesem Fall von einem Volksreferendum – Gegenteil: Kantonsreferendum, vgl. Tschannen 2011, § 49 Rn. 11; zum fakultativen Referendum siehe auch Rhinow / Schefer 2009, § 22 Rn. 2210 ff. sowie Häfelin / Haller / Keller 2012, Rn. 1814. 616 Linder 2005, 250. 617 Linder 2005, 250. 618 Linder 2005, 251. 619 Linder 2005, 251; vgl. aus neuerer Zeit z. B. die Ablehnung des „Steuerpakets 2001“ durch ein fakultatives Referendum vom 16.5.2004: Durch das abgelehnte Gesetz sollte unter anderem die Besteuerung von selbstgenutztem Wohneigentum, der sog. Eigenmietwert, abgeschafft werden. Insbesondere wegen der massiven finanziellen Einbußen, die infolge dessen befürchtet wurden, gaben 20 Kantonsregierungen die Neinparole aus. Auch der Bundesrat äußerte trotz offizieller Unterstützung der Vorlage im Abstimmungsbüchlein Kritik an derselben. Außerdem bekämpften Linke und Grüne sowie SVP und SD die Vorlage, Roswitha Dubach, in: Linder / Bollinger / Rielle 2010, 646 f. Vgl. auch die Ablehnung der Revision des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterbliebenenversorgung durch eine deutliche Mehrheit (67,9 %) der Abstimmenden und in allen Kantonen ebenfalls durch ein fakultatives Referendum vom 16.5.2004, nachdem – hier allerdings deutlich „lagerorientierter“ –
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promisse aufzulösen. Es sei nämlich nicht selbstverständlich, daß eine Regierungsfraktion ihre entsprechende Partei in jedem Fall von dem Regierungskompromiß überzeugen könne. So habe es Fälle gegeben, in denen kein unterstützender Parteibeschluß für den Gesetzentwurf der eigenen Regierung im Vorfeld einer Abstimmung erreicht worden sei.620 Dem fakultativen Referendum seien nach allem eher innovationshemmende Eigenschaften zuzuschreiben. Insgesamt begünstige es nicht direkt die politische Rechte, sondern die Verteidiger des status quo (was – je nach politischer Fragestellung – ja auch von der Linken betrieben werden kann), und es benachteilige ebenso nicht immer die politische Linke, sondern allgemeiner die Veränderungs- und Reformtendenzen.621 Dafür habe das Referendum eine starke Integrationsfunktion: es integriere verschiedenste gesellschaftliche Gruppierungen in immer wieder unterschiedlichen Konstellationen über die jeweilige Mehrheitsrolle in den politischen Entscheidungsprozeß – alle Akteure, auch Regierungsparteien, machten die Erfahrung der Minderheitenrolle.622 c) Verfassungsinitiative Praktische Bedeutung erlangt in der Schweiz auf Bundesebene hinsichtlich Verfassungsänderungen insbesondere die Volksinitiative auf Partialrevision der Schweizer Verfassung gemäß Art. 139 der Bundesverfassung. Sie wird als das wirkmächtigste Instrument auf Bundesebene eingeschätzt, auch weil das Instrument der Gesetzesinitiative im Bund nicht verwirklicht sei.623 100.000 Stimmbürger (ca. 2 % der schweizerischen Stimmberechtigten) können die Aufhebung, Änderung oder Ergänzung einer Verfassungsbestimmung verlangen. Im Zeitraum zwischen 1891 und 2005 sind ca. 250 Begehren von Seiten der Linken, Grünen sowie Gewerkschaften die geplante Revision als reine „Sozialabbauvorlage“, die das wichtigste und erfolgreichste Sozialwerk der Schweiz aushöhle, betitelt worden war, Roswitha Dubach, in: Linder / Bollinger / Rielle 2010, 643 f.. Dagegen waren die bürgerlichen Parteien und die Wirtschaftsverbände mit der Unterstützung eines fakultativen Referendums erfolgreich, das am 8.2.2004 zur Ablehnung eines Gesetzentwurfs zu einer mieterfreundlichen Reform des Mietrechts (Herabsetzung des Referenzwertes für mißbräuchliche Mietzinsen, stärkere Limitierung von Mieterhöhungen) führte, Manuel Graf, in: Linder / Bollinger / Rielle 2010, 641 f. 620 Beschlossen werden dann „Ja-Parolen“ oder „Nein-Parolen“, Linder 2005, 251 – u. a. gab es 1976 den Fall des Raumplanungsgesetzes, in dem durch das Ergreifen des Referendums durch eine Außenseitergruppe die Opposition großer Verbände und mehrerer Parteien ausgelöst wurde. 621 Linder 2005, 260; ähnlich Kriesi / Bernhard 2014, 9. 622 Linder 2005, 262 f. 623 Tschentscher 2010, 214; vgl. zu den verschiedenen Formen der Volksinitiative auch Rhinow / Schefer 2009, § 22 Rn. 2157 ff.
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eingereicht worden.624 Der einfachste Fall ist derjenige der Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung in Form eines ausgearbeiteten Entwurfs. Solche Initiativen werden im Ergebnis mit oder ohne parlamentarischem Gegenentwurf der Volksabstimmung zugeleitet.625 Nur dieser Fall wird im Folgenden betrachtet. aa) Wirkungen Die Volksinitiative ist grundsätzlich auf politische Veränderungen angelegt. Allerdings haben Volksinitiativen auf Bundesebene in der Schweiz noch nicht einmal zu 10 % vollen bzw. direkten Erfolg, weswegen deren „mittelbare Wirkungen“ in der Literatur als besonders wichtig beurteilt werden.626 Im Einzelnen wurden nach Zählung von Linder zwischen 1848 und 2003 insgesamt 318 Volksinitiativen lanciert, wovon 67 nicht zustande kamen und 244 eingereicht wurden; schließlich zur Abstimmung wurden 157 gebracht, wovon dann 13 angenommen und 144 abgelehnt wurden. Von insgesamt 15 Gegenvorschlägen der Bundesversammlung im gleichen Zeitraum wurden 6 angenommen und 9 abgelehnt.627 Hinzu kommt, daß das Parlament in der Mehrheit der Fälle im Rahmen seiner Stellungnahme gegen die Annahme der Initiative votiert (vgl. dazu ausführlicher nachstehend). In der Praxis hat eine Volksinitiative in der Schweiz gegen die Empfehlung des Bundesrats zwar nur selten Erfolg628 – jedoch ist dies nicht unbedingt entscheidend, weil von ihr trotzdem noch die besagten zahlreichen mittelbaren Effekte (Werbewirkung, Sensibilisierung, Mobilisierung, Aktivierung, Profilbildung) ausgehen können.629 Die Wirkung von Initiativen sei oft indirekt, da sie die Gesetzgebung beeinflußten.630 In der politischen Praxis wird die Volksinitiative dann auch von einzelnen Gruppen teilweise gezielt zur Erzeugung von Aufmerksamkeit für ein be624 Linder 2005, 253; eine Übersicht mit kurzer thematischer Darstellung aller Initiativen, die zu einer Volksabstimmung geführt haben, sowie aller sonstigen durchgeführten Volksabstimmungen in der Schweiz im Zeitraum zwischen 1848 und 2007 bietet das Werk Linder / Bollinger / Rielle 2010. 625 Tschannen 2011, § 49 Rn. 12. 626 Tschentscher 2010, 215, mit Aufzählung der erfolgreichen Initiativen in Fn. 49. 627 Linder 2005, 254. 628 Tschentscher / Blonski / Baumgartner 2013, 162, mit Beispielen aus dem Jahr 2012. 629 Tschentscher / Blonski / Baumgartner 2013, 162. 630 Kriesi / Bernhard 2014, 10 (Hervorhebung i.O.).
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stimmtes Thema oder als Verhandlungsmasse eingesetzt. Der formelle Erfolg der Initiative ist sonach nicht immer angestrebt, weil die Initiatoren berechtigten Anlaß zu der Hoffnung haben können, allein durch politischen Druck die Richtung der Gesetzgebung zu beeinflussen, welcher Regierung und Parlament zu einem Gegenvorschlag veranlaßt, der zumindest einen Teil der ursprünglichen Vorstellungen der Initiatoren umsetzt.631 Ein Beispiel aus den letzten Jahren ist der Wahlkampf im Zuge der Nationalratswahlen 2011, in denen Volksinitiativen eine wichtige Rolle spielten. Diese wurden durch die Parteien lanciert, um durch Sachfragen ihr inhaltliches Profil zu schärfen, indem sie Verfassungsänderungen zu verschiedenen Themen vorschlugen.632 In der Schweiz können die Parteien die direkte Demokratie zur Mobilisierung ihrer Anliegen nutzen, müssen dafür aber auf der anderen Seite akzeptieren, daß sie ihre führende Rolle im repräsentativdemokratischen Entscheidungsprozeß ein Stück weit einbüßen.633 Aus den potentiellen Wirkungen der Volksinitiative folgt somit, daß diese systematisch einem direktdemokratischen Instrument entspricht, durch welches für die Staatsverwaltung und das Parlament seitens der Bürger relativ viel Arbeitsaufwand produziert werden kann, da es nicht um einen bereits vom Parlament (eventuell in Kooperation mit der Opposition) ausgearbeiteten Gesetzentwurf, sondern unter Umständen um ein völlig neues Thema geht, daß aktiv und von außen auf die Agenda des Parlaments gesetzt werden kann.634 Tschentscher bewertet die Volksinitiative im Unterschied zum Referendum als nicht bloß reagierend, sondern aktiv mitgestaltend; sie habe das größte „Inputpotential“ aller direktdemokratischen Elemente.635 Zu fragen ist daher, ob inabesondere im Zusammenhang mit der Verfassungsinitiative auf Bundesebene in der Schweiz eine Funktionseinbuße für Verwaltung und / oder Parlament in der Praxis ersichtlich ist. bb) Verfahrensablauf Um einen Eindruck der verfahrensmäßigen Verknüpfung einer lancierten Volksinitiative mit den staatlichen Organen zu geben, soll kurz der Ablauf Linder 2005, 264 ff.; Tschentscher 2010, 215. 2012, 140 f. 633 Vatter 2007, 86. 634 Bei Vatter 2007, 89 heißt es: „Im Unterschied zum obligatorischen oder fakultativen Referendum, bei dem es grundsätzlich um die Verhinderung einer Parlamentsvorlage geht, will die Volksinitiative gerade das Gegenstück zum Status quo, nämlich die Veränderung.“ 635 Tschentscher 2010, 214 u.H.a. eine Untersuchung von R. Kampwirth (Hervorhebungen i.O.). 631 Vgl.
632 Tschentscher / Blonski
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von der Einreichung bis zur Abstimmung über eine Verfassungsinitiative zusammengefaßt werden.636 Jede Initiative muß bereits vor der ersten Unterschriftensammlung im Rahmen einer Initiierungsphase von einem Initiativkomitee bei der Bundeskanzlei zur Vorprüfung eingereicht werden. Die Bundeskanzlei prüft lediglich Form, Übersetzungskorrektheit und den Titel der Initiative auf etwaige Irreführung.637 Die geprüfte und nötigenfalls formell korrigierte Initiative wird sodann im Bundesblatt veröffentlicht, womit die 18-monatige Sammlungsfrist für die Unterschriften beginnt.638 Kantonale Behörden müssen Bescheinigungen über die erreichte Zahl von Unterschriften ausstellen, und nach Übergabe der Unterschriften an die Bundeskanzlei stellt diese die ausreichende Zahl von Unterschriften in einer Verfügung über das Zustandekommen fest, die ebenfalls im Bundesblatt veröffentlicht wird.639 In der sich anschließenden Botschafts- und Beratungsphase wird die zustande gekommene Volksinitiative dem Bundesrat zugeleitet, der in einer Botschaft an die Bundesversammlung diese zur Annahme empfehlen oder dagegen votieren kann. In aller Regel ist Letzteres der Fall. In der Schweiz hat die Exekutive maßgeblichen Anteil an der Gestaltung der Gesetze im Vorverfahren. Die Ausarbeitung der meisten Gesetzentwürfe erfolgt entweder durch Fachbeamte oder durch Expertenkommissionen. Durch das Vernehmlassungsverfahren werden Informations- und Anhörungsrechte der Kantone umgesetzt (Art. 147 BV).640 Im Einzelnen stellt der Bundesrat Antrag zur Gültigkeit der Initiative, zur Abstimmungsempfehlung an Volk und Stände sowie zur Frage eines Gegenentwurfs.641 Die Frist hierfür beträgt ein Jahr. Die Bundesversammlung macht jedoch trotz Ablehnung nur selten von der Möglichkeit Gebrauch, einen förmlichen Gegenvorschlag zu erarbeiten (die Frist beträgt in diesem Fall 18 Monate)642 und beginnt statt dessen mit den Arbeiten an einem the636 Vgl. zum Folgenden Tschentscher 2010, 215 ff. sowie das Schema bei Möckli 1994, 105 f.; außerdem zum Verfahrensablauf die Erläuterungen bei Biaggini, BV, Art. 139 Rn. 5 ff. 637 Tschentscher 2010, 215. 638 Tschentscher 2010, 215. 639 Tschentscher 2010, 215 f. 640 Häfelin / Haller / Keller 2012, Rn. 1812. 641 Tschannen 2011, § 44 Rn. 59. 642 Jedoch kommt es auch vor, daß eine Initiative zurückgezogen und nur noch über den direkten Gegenentwurf des Parlaments abgestimmt wird. Ein Beispiel ist die Geldspielinitiative, mit der die Verwendung von Erträgen für Sport, Kultur und Soziales konkretisiert werden sollte und nach deren Rückzug 2012 der Gegenentwurf mit deutlicher Mehrheit angenommen wurde (87,1 % Ja-Stimmen), vgl. Tschentscher / Blonski / Baumgartner 2013, 161.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
matisch verwandten Gesetz, also unterhalb der Verfassungsebene (sog. indirekter Gegenentwurf).643 Die beiden Kammern des Parlaments prüfen auch die Gültigkeit der Initiative. Prüfungsmaßstab sind (nur) die Einheit der Form oder Materie und zwingendes Völkerrecht.644 Die Bundesversammlung muß dann innerhalb von 30 Monaten über die Empfehlung (und ggf. über den Gegenentwurf) des Bundesrats beschließen, wobei die Frist noch um ein Jahr verlängert werden kann, wenn in sachlichem Zusammenhang mit der Volksinitiative beraten wird.645 Auf den Beschluß der Bundesversammlung folgt nun die Abstimmungsphase. Der Bundesrat muß die Initiative innerhalb von zehn Monaten dem Volk zur Abstimmung unterbreiten. Rechnet man die Maximalsumme der Fristen aus, so können über den gesamten geschilderten Prozeß bis zu sieben Jahre vergehen.646 Diese große Zeitspanne, die nach einer erfolgreichen Volksinitiative bis zur Abstimmung vorgesehen ist, könne zwar Entscheidungen verzögern, befördere aber Überlegung und Verhandlung. Das Parlament könne Gegenvorschläge machen (direkte in der Volksabstimmung und indirekte, die es [nach Rücknahme der Initiative, Anm. d. Verf.] selbst umsetze; dabei könnten auch Teilforderungen der Initianten berücksichtigt werden) und Minderheiten könnten einbezogen werden.647 Wird der Volksinitiative ein indirekter Gegenvorschlag entgegengestellt, kann das Initiativkomitee die Initiative bedingt zurückziehen mit dem Vorbehalt, daß der Gegenvorschlag in Kraft tritt. Wenn gegen die Gesetzesänderung das Referendum ergriffen oder zustande gekommen ist, kann die Bedingung auch dahin gehen, daß der Gegenvorschlag in einer Volksabstimmung angenommen wird, wobei kein Ständemehr erforderlich ist.648 cc) Stellungnahme Die Analyse dieser verschiedenen Phasen ergibt, daß auf der Stufe der Initiierung für das Volk im Grunde keine Hürden bestehen, die über die Erarbeitung eines Vorschlags bezüglich einer Verfassungsänderung hinausgingen. Freilich wird auch nur wenig Verwaltungsaufwand produziert, muß doch die Bundeskanzlei lediglich eine Vorprüfung der Initiative in formeller Hinsicht vornehmen. Die eigentliche Arbeit für die Kammern des Parlaments 643 Tschentscher
2010, 216; Biaggini, BV, Art. 139 Rn. 26. 2010, 216. 645 Tschentscher 2010, 216 f. 646 Tschentscher 2010, 217. 647 Heußner / Jung 2009, 119. 648 Vgl. die Informationen für Bürger auf der Internetseite http: / / www.ch. ch / de / initiativen. 644 Tschentscher
E. Funktionsfähigkeit des Parlaments271
beginnt erst in der Botschafts- und Beratungsphase, da hier eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Vorschlag und Alternativentwürfen erfolgt. Die Hürde ist diesbezüglich das 2 %-Quorum (100.000 Stimmen). In der Regel wird dann kein förmlicher Gegenvorschlag ausgearbeitet; vielmehr gibt die Volksinitiative primär Anstoß für parlamentarische Debatten und eine öffentlichkeitswirksame Beschäftigung mit einem eventuell konkurrierenden Gesetzentwurf. Damit liegt der Effekt einer zustande gekommenen Volksinitiative zunächst darin, die Aufmerksamkeit des Parlaments auf eine relevante gesellschaftliche Themenstellung zu lenken. Ein gesetzgeberisches Arbeiten an einem völlig neuen Gesetzentwurf, der dann auch zur Verabschiedung gebracht werden muß, ist nicht in jedem Fall erforderlich. Eine Arbeitsbelastung des schweizerischen Parlaments, die eine Einschränkung seiner Funktionsfähigkeit zur Folge haben könnte, ist der einschlägigen Literatur nicht zu entnehmen. (1) Kooperation von Volk und Parlament Diesen Befund bestätigt auch ein Blick auf fachübergreifende schweizerische Literatur, die sich mit den allgemeinen Auswirkungen direkter De mokratie auf den Staat beschäftigt. Dort stehen im Zusammenhang mit der Volksgesetzgebung nicht etwa Befürchtungen hinsichtlich einer drohenden Behinderung der parlamentarischen Gesetzgebungstätigkeit im Mittelpunkt.649 Vielmehr versteht man in der Schweiz – wo Anliegen aus ganz verschiedenen Lebensbereichen und Interessenlagen heraus zum Gegenstand von Verfassungsinitiativen gemacht werden – zustande gekommene Volksinitiativen (und somit eine erfolgte Abgabe von 100.000 Unterschriften für eine Vorlage) als Hinweis darauf, daß die Forderung dieser Gruppe aus dem Volk wichtig genug sei, um die Einleitung eines Gesetzgebungsprozesses zu dem Thema zu rechtfertigen. Dieser einer erfolgreichen Initiative entgegengebrachte Respekt hindert das Parlament dann auch des Öfteren, eine Volksinitiative wegen Rechts649 So erwähnen Linder 2005 und auch Kriesi / Bernhard 2014 die Frage der Funktionsfähigkeit der Repräsentativorgane im Zusammenhang mit den Auswirkungen der Volksinitiative auf das politische System der Schweiz überhaupt nicht; Adrian Vatter stellt zwar im Rahmen seiner Analyse der schweizerischen Diskussion um die Wirkungen direkter Demokratie auf die Staatstätigkeit Vertreter einer These vor, nach der dieselbe eher einen „Bremseffekt“ bewirke; jene These bezieht sich aber nicht auf die Funktionsfähigkeit der Staatsorgane, sondern auf die Frage, ob durch institutionelle Vetospieler in Form von direktdemokratischen Beteiligungsformen ein [inhalt licher] Politikwechsel blockiert oder verlangsamt werde und wie die Auswirkungen der direkten Demokratie auf das staatsinterventionistische Engagement zu beurteilen seien, vgl. Vatter 2007, 87 ff.; auch bei Möckli 1994 wird das Thema allenfalls am Rande angesprochen, so daß sich daraus kein ernstzunehmendes Problem für den schweizerischen Staatsapparat entnehmen läßt.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
mängeln für ungültig zu erklären – was in seiner Kompetenz läge. Statt dessen zieht das Parlament den Test durch die Volksabstimmung der Ungültigkeits erklärung vor.650 Für die Fälle, in denen das Parlament doch einmal einen Konkurrenzvorschlag zur Abstimmung stellt, wird in der Literatur die Integra tionsfunktion des Stichentscheids hervorgehoben. Da die Abstimmenden sowohl für den Initiativ- als auch für den parlamentarischen Gegenvorschlag stimmen und dieses Votum um einen Stichentscheid ergänzen dürften, werde eine Integration verschiedener Auffassungen und Vorschläge in den Volkswillen erreicht.651 So wird die Verfassungsinitiative auf der schweizerischen Bundesebene im Ergebnis dahingehend beurteilt, daß sie ein fruchtbares Zusammenspiel zwischen Initianten und Parlament ermögliche.652 (2) Beispiel für eine Beeinträchtigung staatlicher Verfahren Ein Beispiel für eine tatsächlich eingetretene Funktionseinschränkung ist das konstruktive Referendum im Kanton Zürich. Dieses war 2006 mit Inkrafttreten der neuen Kantonsverfassung eingeführt worden und sollte als Gegengewicht zum einfachen Referendum den Stimmberechtigten ermöglichen, einer Gesetzesvorlage einen ausformulierten Gegenvorschlag gegenüberzustellen. Allerdings stellte sich bald heraus, daß das konstruktive Referendum nicht die erhofften Wirkungen zeigte und mehrfach zu komplizierten Verfahrensabläufen in den Kommissionen, im Rat und an der Urne führte. Die Stimmberechtigten schafften das konstruktive Referendum 2012 darum wieder ab.653 Das Beispiel zeigt, daß durchaus direktdemokratische Verfahren denkbar sind, die durch ihre Konstruktion keinen Mehrwert hinsichtlich der Beteiligung der Bevölkerung an Gesetzgebungsverfahren haben und darüber hinaus die Funktionsfähigkeit der Staatsorgane beeinträchtigen können, da keine effektiven Verwaltungsabläufe erzielt werden. Weiterhin wird jedoch deutlich, daß ein gut integrierter Volksgesetzgeber im Falle eines festgestellten Systemfehlers ebenso zur Ziehung der Konsequenzen und Beschneidung der eigenen Kompetenzen durch Abschaffung eines mißglückten direktdemokratischen Instruments in der Lage ist, wie er auf seinen institutionalisierten Mitwirkungsrechten an staatlichen Gesetzgebungsprozessen grundsätzlich bestehen und von diesen Gebrauch machen wird.
650 Linder
2005, 255. detailliert Linder 2005, 253. 652 Heußner / Jung 2009, 119. 653 Tschentscher / Blonski / Baumgartner 2013, 176 f. 651 Vgl.
E. Funktionsfähigkeit des Parlaments273
(3) Verfassungsinitiativen und Völkerrecht Die Schwierigkeiten liegen in der Schweiz im Zusammenhang mit der Volksinitiative eher in anderen Bereichen als in einer potentiellen Funk tionsunfähigkeit des Parlaments. So ist immer wieder Diskussionsgegenstand, daß Volksinitiativen vom Parlament nur für ungültig erklärt werden können, wenn sie zwingendem Völkerrecht widersprechen (ius cogens, insbesondere Folter, Völkermord und Sklaverei).654 Dieses Problem hat in der Schweiz im Nachgang zur Minarettsverbotsinitiative655 und der Ausschaffungsinitiative656 verstärkte Aufmerksamkeit erfahren.657, 658 In diesem Zu654 Tschentscher / Blonski
2012, 143. Minarettsverbotsinitiative wurde am 29.11.2009 angenommen. Art. 72 III der Bundesverfassung lautet nunmehr: „Der Bau von Minaretten ist verboten.“ Nach Ansicht in der Literatur steht diese Bestimmung in Widerspruch zu internationalen Menschenrechtsgarantien, insbesondere der Europäischen Menschenrechtskonvention, vgl. Proelß / Bajić 2012, 82 m. w. N. Vor sowie nach der Abstimmung wurden in der Schweiz intensive Diskussionen über die Auswirkungen der Initiative geführt, vgl. dazu Tschentscher / Blonski 2011, 171 f. 656 Die Ausschaffungsinitiative wurde am 28.11.2010 angenommen. Nach den neuen Art. 121 III bis VI der Bundesverfassung verlieren in der Schweiz ansässige Ausländer unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status ihr Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz, wenn sie rechtskräftig wegen eines in der Norm aufgezählten Delikts verurteilt werden. Diese Vorschriften verstoßen nach Ansicht in der Literatur jedoch gegen verschiedene internationale Gewährleistungen, u. a. die Genfer Flüchtlingskonvention, vgl. Proelß / Bajić 2012, 82 f.; vgl. zu den Folgen der Ausschaffungsinitiative, insbesondere deren Ergänzung, der Durchsetzungsinitiative, die einen ausdrücklichen Vorrang vor völkerrechtlichen Verpflichtungen sowie eine eigenständige Definition zwingenden Völkerrechts enthält, auch Tschentscher / Blonski / Baumgartner 2013, 156. 657 Vgl. nunmehr auch zur am 9.2.2014 mit knapper Mehrheit angenommenen Initiative Gegen Masseneinwanderung: Jürgen Dunsch: Schweizer für Begrenzung von Einwanderung, in: FAZ vom 10.2.2014 (Nr. 34), S. 1. Diese Initiative begrenzt die Einwanderung in die Schweiz. Die Schweiz müsse nun neue Verträge mit der EU aushandeln; gelinge dies nicht, habe Bern dem Antrag zufolge einseitig eine Zuzugsbeschränkung zu verhängen. Dies könne insbesondere aufgrund der „Guillotine“Klausel, wonach bei Verletzung auch nur eines der zwischen der Schweiz und der EU bestehenden sieben Verträge, welche deren Sonderbeziehung zueinander regelten, die Aussetzung aller Verträge die Folge sein könne, weitreichende Konsequenzen haben. 658 Zu der grundlegenden und die Rechtswissenschaft in ihrer Verwandtschaft zu und gegenseitigen Befruchtung mit der Philosophie sowie Theologie betreffenden Frage, ob und inwiefern die Menschenrechte Errungenschaften des Christentums sind vgl. Wittreck 2013 II mit umfangreichem Fußnotenapparat, der zu dem Ergebnis kommt, daß das offizielle Christentum die modernen Menschenrechte zwar lange geradezu erbittert bekämpft und erst spät erkannt habe, daß seine heiligen Schriften die Grundlage für eine eigene christliche Theologie der Menschenrechte bildeten, jedoch Raum dafür gelassen habe, daß weltliche Denker den im christlichen Menschenbild zumindest angelegten Individualismus konsequent zu Ende gedacht hätten, S. 39. 655 Die
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sammenhang hat der Nationalrat vorgeschlagen, die Ungültigkeitsgründe für Volksinitiativen auf den Kerngehalt der Grundrechte zu erstrecken.659 Hinzugefügt werden muß an dieser Stelle, daß die schweizerische Bundesverfassung – anders als zum Beispiel das deutsche Grundgesetz – bisher keine Ewigkeitsklausel kennt und auch daher für Verfassungsänderungen nur sehr enge m aterielle Schranken – d. h. wenig rechtliche Vorgaben – bestehen.660 Eine davon ist eben diejenige der zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts, die gemäß Art. 139 III, 193 IV und 194 II Bundesverfassung sowohl für Teil- als auch für Totalrevisionen gilt.661 Umstritten ist hierbei, ob die Bundesverfassung mit der Verwendung der „zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts“ nur die bereits von der Völkerrechtsgemeinschaft bereits als ius cogens anerkannten Normen oder einen eigenen schweizerischen Rechtsbegriff meint.662 Die soeben geschilderte Problematik besteht bei kantonalen Initiativen, selbst wenn sie auf die Änderung der Kantonsverfassung gerichtet sind, nicht. Der Grund liegt darin, daß das kantonale Recht normhierarchisch unter dem gesamten Bundesrecht steht und daher für ungültig erklärt werden kann und muß, sollte es gegen eine Bestimmung dieses Rechts verstoßen.663 Art. 49 I der Bundesverfassung der Schweiz bestimmt insoweit, daß Bundesrecht entgegenstehendem kantonalen Recht vorgeht. Es handelt sich um eine 659 Tschentscher / Blonski 2012, 143, die allerdings die Auffassung vertreten, daß hierdurch die Minarettsverbotsinitiative auch nicht hätte gestoppt werden können. 660 Tschentscher 2010, 220, der auf einen Vorschlag hinweist, nach dem die Europäische Menschenrechtskonvention als ein Mindeststandard für Änderungen der schweizerischen Bundesverfassung festgelegt werden könnte. Damit wäre jedoch das Problem geschaffen, daß im praktischen Ergebnis die Auslegung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte über dem Initiativrecht des schweizerischen Volkes stünde, vgl. S. 221 – eine in der Tat sich jeglicher Vorstellungskraft entziehende Aussicht. 661 Häfelin / Haller / Keller 2012, Rn. 1756. 662 Vgl. zum Problem Häfelin / Haller / Keller 2012, Rn. 1756a. 663 Tschentscher / Blonski 2011, 186. Dafür existieren in diesem Zusammenhang andere Probleme, wie zum Beispiel dasjenige einer „fremdbestimmten Minderheit“ im Zuge der Zweitwohnungsinitiative. Hier hat eine schweizweite Mehrheit am 11.3.2012 entgegen der Empfehlung des Bundesrates und der Bundesversammlung und zur Überraschung der Öffentlichkeit knapp beschlossen, daß der Zweitwohnungsanteil pro Gemeinde auf höchstens 20 % der Bruttogeschoßfläche beschränkt wird. Dies behindert das stärker auf den Zweitwohnungsbau ausgerichtete Wirtschaftsmodell der Ferienregionen wie der Gemeinden im Wallis, im Tessin, im Berner Oberland und in den Waadtländer Alpen, die zum Teil über bis zu 78 % Zweitwohnungsanteil verfügen. Für die dortige Bevölkerung stelle es ein empfundenes Diktat der Bevölkerungsmehrheit im Unterland dar, wenn sich ihre Einnahmequellen nach einem bestimmten, gewünschten Landschaftsbild richten sollen, vgl. Tschentscher / Blonski / Baumgartner 2013, 152 f.
E. Funktionsfähigkeit des Parlaments275
Konfliktbereinigungsregel, die Normkonflikte zwischen den Bundes- und Kantonsebenen lösen soll. Von einem Normkonflikt spricht man immer dann, wenn auf einen bestimmten Sachverhalt sowohl eidgenössische als auch kantonale Vorschriften anwendbar sind und die Anwendung zu widersprüch lichen Ergebnissen führt (Unvereinbarkeit der Norminhalte).664 Allerdings führt es mitunter zu Diskussionen im Rahmen der kantonalen Abstimmungspraxis, wenn eine Entscheidung des Kantonsvolkes durch eine mögliche bundeseinheitliche Regelung wieder in Frage gestellt werden soll.665 2. Die Kantonsebene Auf kantonaler Ebene gibt es eine noch größere Auswahl an direktdemokratischen Verfahren als auf schweizerischer Bundesebene. So sehen alle 26 Kantone bzw. Halbkantone unter anderem das obligatorische Verfassungsreferendum, die Initiative auf Total- oder Teilrevision der Verfassung, das Gesetzesreferendum und – im Unterschied zur Bundesebene – die Volksinitiative in Form der Gesetzesinitiative vor.666 Bei der Verfassungsinitiative liegen die Quoren in den Kantonen in einem Spektrum zwischen 2 % und 5 %.667 Bezüglich der Gesetzesinitiative liegt der langjährige Durchschnitt aller Kantone bei 0,5 %.668 Daneben gibt es in allen Kantonen das fakultative und bzw. oder das obligatorische Gesetzes- und Finanzreferendum.669 Insbesondere auch mit dem Referendum in Finanzfragen geht die kantonale schweizerische Demokratie damit weit über die direktdemokratischen Elemente auf deutscher Landesebene hinaus, da in Deutschland traditionell Finanzausschlußklauseln bzw. Haushaltsvorbehalte vorherrschen.670 Die sehr starke Ausprägung direktdemokratischer Verfahren auch auf den Ebenen unterhalb des Bundes hat in der Schweiz Untersuchungen hinsicht664 Tschannen
2011, § 22 Rn. 2 f. 2010, 235. 666 Heußner / Jung 2009, 117; Tschentscher 2010, 209 f. 667 Tschentscher 2010, 211. 668 Vgl. die Stellungnahme Uwe Schütts vom Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) an der Universität Zürich vor der Enquete-Kommission 16 / 2 „Bürgerbeteiligung“ des Rheinland-Pfälzischen Landtags vom 6.12.2013, S. 3, abrufbar im Internet unter http: / / www.landtag.rip.de / landtag / vorlagen / 2-253-16.pdf. 669 Tschentscher 2010, 210. 670 Tschentscher 2010, 210; damit ist in der Schweiz nicht nur ein Gesetzesreferendum über ein die Finanzierung regelndes Gesetz oder über ein solches, das Staatsausgaben verursacht, möglich, sondern steht ein zusätzliches Instrument für Finanzfragen zur Verfügung, das sich auf Finanzbeschlüsse des Parlaments richtet, sofern diese bestimmte Kreditlinien überschreiten. Das Finanzreferendum gibt es in der obligatorischen und in der fakultativen Variante, S. 211. 665 Tschentscher
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
lich der Einflußfaktoren auf die Stimmbeteiligung hervorgebracht. In der Vergangenheit gab es Phasen, in denen diese deutlich abgesunken war. Das betraf einerseits das Verhältnis von Wahlbeteiligung und Beteiligung an direktdemokratischen Entscheidungen. In einer Studie aus dem Jahr 1981 von Riklin / Kley wird konstatiert, daß die durchschnittliche Partizipation bei den Sachabstimmungen in den Jahren 1945–1975 18 Prozentpunkte unter der Wahlbeteiligung gelegen habe.671 Aber auch wenn man die Beteiligung der Bürger an den Wahlen sowie den Sachabstimmungen isoliert jeweils für sich betrachtet, ist in der Schweiz durchaus das Phänomen rückläufiger Beteiligungsquoten bekannt. Bei den Nationalratswahlen sei die Stimmbeteiligung von 72 % im Jahre 1947 auf 48 % im Jahre 1979 gesunken, bei Sachabstimmungen habe der Durchschnitt der Beteiligung in der Legislaturperiode 1944–47 noch 62 % betragen und sei abgesunken bis auf 37 % in der Legislaturperiode 1972–75, bevor er dann für die Legislaturperiode 1976–79 immerhin wieder auf 44 % gestiegen sei.672 Sinkende Stimmbeteiligung war in der Schweiz sogar noch früher untersucht worden und ist insofern nicht zum ersten Mal aufgetreten. Nachdem bereits in der Nachkriegszeit das Problem sinkender Stimmbeteiligung bei Wahlen und Abstimmungen in der schweizerischen Öffentlichkeit diskutiert worden war, begann die Wissenschaft in verstärktem Maß, das Thema der Stimmabstinenz zu erforschen.673 Jene älteren Untersuchungen waren noch zu dem Ergebnis gekommen, daß es einen wichtigen Einfluß auf die Stimmbeteiligung habe, wie gut ausgebildet, sozial integriert sowie politisch informiert und interessiert die Menschen seien.674 Riklin / Kley kommen dagegen in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, daß die Ursachen der Stimmabstinenz in erster Linie in der Häufung direktdemokratischer Verfahren zu suchen sind. Wenige Urnenentscheide pro Jahr hätten eine eher hohe Stimmbeteiligung zur Folge, wogegen die intensive Nutzung der direkten Demokratie eine eher niedrige Beteiligung nach sich ziehe.675 Kein Land der Welt kenne eine so hohe Frequenz der Urnengänge wie die Schweiz. Zwischen 1945 und 1975 habe es auf Bundesebene 8 Wahlen und 81 Sachabstimmungen gegeben.676 Berücksichtige man, daß bei ein und demselben Urnengang in der Schweiz regelmäßig mehrere Entscheide zu fällen seien, belaufe sich die Anzahl sogar auf 122 Sachabstimmungen in 671 Riklin / Kley
1981, 25. 1981, 39. 673 Vgl. die Nachweise bei Riklin / Kley 1981, 1 ff. 674 Vgl. Riklin / Kley 1981, 4 f. 675 Riklin / Kley 1981, 79 f. 676 Riklin / Kley 1981, 25 f. – in Deutschland dagegen hat es nur 7 Wahlen gegeben. 672 Riklin / Kley
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diesem Zeitraum.677 Auf kommunaler Ebene schildert die Studie ein ähnliches Bild. Während in der Stadt St. Gallen zwischen 1956 und 1979 66 Wahlen und 117 Sachabstimmungen stattgefunden hätten, seien in der Stadt Konstanz nur 22 Wahlen und 2 Sachabstimmungen abgehalten worden.678 Diese Zahlen zugrunde gelegt, ist für den Stimmbürger der Stadt St. Gallen eine hohe Belastung festzustellen. Denn berechnet auf den angegebenen Zeitraum bedeutet dies einen Urnengang spätestens alle 6 Monate679 (über den langen Zeitraum von 23 Jahren). Das deutlichste Bild ergibt sich aber, wenn man die Summe aller Sachentscheidungen betrachtet, zu denen der Stimmbürger der Stadt St. Gallen auf allen staatlichen Ebenen (Bundes-, Kantons-, Bezirks- und Gemeindeebene) in einem Zeitraum von gut 20 Jahren aufgerufen war. Hier zählt man tatsächlich im Zeitraum von 1956 bis 1979 insgesamt 503 Urnenentscheide, davon 124 Wahl- und 379 Sachentscheide.680 Das bedeutet rund 20 Urnenentscheide pro Jahr. Läßt sich diese hohe Zahl zwar auch aus der Praxis in der Schweiz, in der Regel bei den Abstimmungsterminen gleich mehrere Vorlagen abzuhandeln, erklären,681 zeigt sich dennoch eine enorme Inanspruchnahme der schweizerischen Stimmbürger, hier exemplarisch an den Einwohnern der Stadt St. Gallen. 3. Ergebnis Schweiz Eine Betrachtung der direkten Demokratie in der Schweiz läßt keine Hinweise darauf erkennen, daß die relativ niedrigen Quoren in den Verfahren – insbesondere unter Berücksichtigung der besonders input-geprägten Verfassungsinitiative auf Bundesebene und der Verfassungs- sowie Gesetzesinitiative auf Kantonsebene – zu einer Funktionsbeeinträchtigung des Staates oder der Parlamente geführt hätten. Etwas anderes gilt jedoch für das Phänomen der Stimmabstinenz – hier lassen sich Anzeichen für eine gewisse Ermüdung des Stimmbürgers angesichts der hohen Zahl an Abstimmungen erkennen.682 Wirkt sich dabei einerseits die starke Ausprägung direktdemokratischer Verfahren auf den verschiedenen staatlichen Ebenen in der Summe für den Einzelnen aus, so sind als weitere Ursache die sehr niedrigen Quoren bei diesen Verfahren zu nennen, da aufgrund dieser die Hürden für die Durchführung plebiszitärer Verfahren gering sind. Berücksichtigt werden muß aber 677 Riklin / Kley
1981, 29. 1981, 27. 679 Riklin / Kley 1981, 28. 680 Riklin / Kley 1981, 31 mit tabellarischer Übersicht. 681 Riklin / Kley 1981, 31. 682 Vgl. auch Jürgen Dunsch: Volk der Volksentscheide, in: FAZ vom 21.11.2011 (Nr. 271), S. 10: „Der ständige Appell an die Mitbestimmung der Bürger stumpft ab, die Demokratie mutiert vom geschätzten Recht zur lästigen Pflicht.“ 678 Riklin / Kley
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auch, daß die Schweizer über ungefähr 150 Jahre683 ein Selbstverständnis entwickelt haben, wonach möglichst viele politische Entscheidungen im Wege von Sachabstimmungen zu fällen seien und dieses Ziel einen Wert an sich darstellt.684 Ein direkter Schluß auf mögliche Wirkungen niedriger Quoren in Deutschland ist daher nur bedingt möglich, da eine ähnliche Einstellung bei den deutschen Bürgern nicht festzustellen und nicht erkennbar ist, daß selbst bei einer Absenkung der Quoren (von vergleichsweise hohem Niveau) zukünftig in Deutschland auch nur annähernd so viele direktdemokratische Verfahren wie in der Schweiz durchgeführt würden. Insgesamt zeigen sich die Gesetzgebungsverfahren in der Schweiz gut vernetzt. Direkte Demokratie übt einen ernstzunehmenden Einfluß auf das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren aus und umgekehrt. Bei der Verfassungsinitiative auf Bundesebene können parlamentarische Debatten gezielt auf Anliegen in der Bevölkerung reagieren. Es erfolgt dann eine inhaltliche Auseinandersetzung durch Erörterung in der Volksvertretung, so daß oftmals ein direkter Gegenentwurf und eine Abstimmung entbehrlich sind. Dennoch werden konkrete Lösungen für Verfassungsänderungen erreicht, welche den Gegenstand von Initiativen aus dem Volk zumindest teilweise umsetzen. Dagegen wirken sich das obligatorische Verfassungsreferendum und das fakultative Gesetzesreferendum auf Bundesebene eher abbremsend auf Verfassungsänderungen durch das Parlament bzw. dessen Gesetzgebungstätigkeit aus und bilden so funktional einen Gegenpart zur Verfassungsinitiative.
III. Das Beispiel Kalifornien Die US-Gliedstaaten nehmen neben der Schweiz eine entscheidende Rolle als Referenzmodelle hinsichtlich der Debatte über direkte Demokratie ein.685 Im Zeitraum zwischen 1904 und 2005 wurde in allen Gliedstaaten der USA 683 In den 1830er Jahren wurden in fast allen damals neu geschaffenen Kantonsverfassungen obligatorische Verfassungsreferenden, in den 1860er Jahren in vielen Kantonen obligatorische Gesetzesreferenden und Frühformen der Gesetzesinitiative eingeführt, womit abgesehen von der späteren Einführung des Proporzwahlrechts und einzelnen Erweiterungen der Volksrechte die wichtigsten Eckpfeiler der noch heute gültigen Verfassungs- und Demokratiestrukturen der Kantone eingeschlagen waren, vgl. Vatter 2007, 72 f. Auch die Bundesverfassung von 1848 statuierte bereits das obligatorische Verfassungsreferendum für Partial- und Totalrevisionen sowie die Ini tiative auf Totalrevision der Verfassung, vgl. Möckli 1994, 61. 684 Vgl. auch Kriesi / Bernhard 2014, 3: „Die Schweiz ist der einzige Staat, in dem das politische System auf allen Ebenen entscheidend von Institutionen der direkten Demokratie geprägt wird.“ 685 Heußner 2012, 175.
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zusammengenommen über 2155 Volksinitiativen abgestimmt, von denen 41 % angenommen wurden.686 Bei der Untersuchung direktdemokratischer Verfahren in den USA muß Kalifornien jedoch besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, weil der Staat mit 37 Mio. Einwohnern die mit Abstand größte Bevölkerung in den USA hat, eine bedeutende Fläche aufweist sowie sich unter den zehn wirtschaftsstärksten Ländern der Welt findet.687 Hinzu kommt, daß in Kalifornien bis zum Jahr 2010 seit Einführung der Volksgesetzgebung im Jahr 1911 über mehr Gesetzes- und Verfassungsinitiativen (345) sowie fakultative Gesetzesreferenden (47) abgestimmt worden ist als in der Schweiz seit dem Jahr 1874 (338).688 Insbesondere unter den US-Gliedstaaten, welche die Initiativgesetzgebung vorsehen, ist Kalifornien damit deutlich der aktivste.689 Aktuell befindet sich Kalifornien jedoch in keiner guten Lage. Seit nunmehr 20 Jahren treten mit zunehmender Heftigkeit Budgetkrisen auf, brechen öffentliche Investitionsspielräume aufgrund notwendiger Ausgabenkürzungen weg und gehen die Staatseinnahmen zurück.690 Zu fragen ist daher auch hier, ob und inwieweit direktdemokratische Verfahren zu diesem Zustand beigetragen haben, wie Kritiker der Volksgesetzgebung diesbezüglich meinen.691 1. Direktdemokratische Initiativgesetzgebung Am Beispiel Kaliforniens soll die dort übliche direktdemokratische Initiativgesetzgebung dargestellt werden. Die Initiative im Sinne des Rechts des Volkes, einen Legislativakt zu initiieren, ist schon seit langem ein wichtiger Bestandteil kalifornischer (Selbst-)Regierung. Eingeführt wurde dieses direktdemokratische Instrument im Jahr 1911.692 Die Volksinitiative ist in Kalifornien sowohl in Form der Verfassungs- als auch der Gesetzesinitiative vorgesehen. Im Unterschied zur Schweiz ist sie allerdings nicht indirekt, sondern direkt ausgestaltet, d. h. daß die Initiative in Kalifornien nicht im Parlament vorberaten und optional mit einem Gegenvorschlag versehen wird, sondern daß diese im Erfolgsfall ohne weitere 686 Möckli 2007, 27 u.H.a. eine Zusammenstellung des Initiative and Referendum Institute an der University of Southern California aus dem Jahr 2006. 687 Heußner 2012, 175 f. m. w. N. 688 Heußner 2012, 176. 689 Grodin / Massey / Cunningham, CalConst., Art. II sec. 8. 690 Heußner 2012, 178. 691 Zu den Kritiken an der kalifornischen Volksgesetzgebung vgl. die Nachweise bei Heußner 2010, 169 f. sowie Heußner 2012, 176 ff. 692 Dubois / Feeney 1998, 3.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
Verfahrensstufe direkt zur Abstimmung gelangt.693 Auch wird in den USA insgesamt die „Direct democracy“ eher als Möglichkeit verstanden, das Parlament und die Exekutive zu umgehen und direkt an das Volk zu appellieren.694 An dieser Stelle zeigt sich ebenso wie am Beispiel der Schweiz der Unterschied zwischen der dortigen Terminologie und derjenigen in der Bundesrepublik, insbesondere der in den deutschen Bundesländern vorgesehenen Verfahrensstufen der direktdemokratischen Gesetzgebungsverfahren. Systematisch entspricht nämlich die Volksinitiative in der Schweiz und in Kali fornien nicht der gleichnamigen deutschen „Volksinitiative“, sondern dem Volksbegehren, da in Deutschland nur beziehungsweise erst das Volksbegehren – und nicht die Volksinitiative – im Erfolgsfall zu einer verbindlichen Abstimmung durch einen Volksentscheid führen kann. Gemäß Art. 2 § 8 California Constitution kommt eine Verfassungsinitiative – die sich auf die Revision von Teilen der Verfassung beschränken muß – zustande, wenn sie 8 % der Stimmen, die bei der letzten Gouverneurswahl abgegeben wurden, für sich gewinnen kann. Für eine Gesetzesinitiative gilt entsprechendes bei 5 % der Stimmen.695 Dies ist der einzige Unterschied zwischen beiden Formen der Legislativinitiative.696 Umgerechnet auf Stimmzahlen sind dies auf Basis der Gouverneurswahlen 2010 für einfache Gesetze ca. 500.000 und für Verfassungsänderungen ca. 800.000 Stimmen; dies wiederum ergibt ein Quorum in Höhe von 2,1 % für Gesetzes- und in Höhe von 3,4 % für Verfassungsinitiativen der Stimmberechtigten.697 Sowohl Verfassungs- als auch Gesetzesinitiativen erfordern für eine erfolgreiche Abstimmung auf Ebene des Volksentscheids lediglich die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen, verzichten somit auf dieser Verfahrensebene völlig auf ein Quorum.698 Grundsätzlich wird die Volksinitiative in der Literatur als ein positives Element in der Staatspraxis bewertet. Sie erlaube eine institutionalisierte Opposition gegenüber den politischen Entscheidungsträgern und führe zu einer Öffnung des Systems für Anliegen verschiedenster Interessengruppen.699 Die kalifornische Variante wird jedoch in der Literatur aus verschiedenen Gründen als verbesserungsbedürftig angesehen. 693 Möckli
2007, 25; Möckli 1994, 111. 1994, 111; Kriesi / Bernhard 2014, 4. 695 v. Arx 2002, 41 ff., 366 (dort findet sich auch ein Überblick zu den anderen direktdemokratischen Elementen in Kalifornien); Heußner 2012, 179. 696 v. Arx 2002, 43. 697 Wobei die Sammelfrist 150 Tage beträgt, vgl. Heußner 2012, 179. 698 Heußner 2010, 174; v. Arx 2002, 43; Heußner 2012, 179. 699 v. Arx 2002, 67, 71. 694 Möckli
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2. Keine Kooperation von Volk und Parlament Ein wesentlicher Grund dafür, daß in Kalifornien kein optimales Ergänzungsverhältnis zwischen parlamentarischer und plebiszitärer Gesetzgebung herrscht, wird in der Literatur im Ablauf der direktdemokratischen Gesetzgebungsverfahren gesehen. So kommt Heußner zu dem Schluß, daß die in den meisten US-Gliedstaaten praktizierte direkte Initiative die parlamentarischen Potentiale nicht nutze. Es bestünden keine hinreichenden institutionellen Vorkehrungen und Anreize, die eine Kompromißlösung nach Verhandlungen bzw. einen parlamentarischen Gegenvorschlag förderten. Im Unterschied dazu hätten im Rahmen der in den deutschen Bundesländern üblichen indirekten Initiativen die Parlamente in der Regel ein Gegenvorschlagsrecht bzw. könnten die Initiatoren selbst Veränderungen an dem Gesetzesvorschlag bei erkannten Mängeln vornehmen.700 Auch an anderer Stelle wird unter dem Aspekt des Minderheitenschutzes empfohlen, daß im kalifornischen Gesetzgebungsverfahren bei Verfassungsänderungen eine engere Verknüpfung mit dem Parlament vorgesehen werden sollte. Hierbei würden insbesondere eine längere Frist für das Parlament, um sich mit der Vorlage zu beschäftigen und die Gelegenheit, sodann einen Gegenentwurf auszuarbeiten und zur Abstimmung zu stellen, dazu beitragen, vor Gesetzeserlaß über dessen Folgen reflektieren zu können.701 In einer rechtsvergleichende Studie, welche die Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren in Kalifornien und der Schweiz untersucht, wird diese Problematik genauer beschrieben. Demnach ist es ein wichtiger Effekt der plebiszitären Gesetzgebung, daß bereits von einer Initiierung eines entsprechenden Verfahrens Änderungsimpulse auf die Rechtsordnung ausgehen können. Diese Interaktionen zwischen Volks- und Parlamentsgesetzgebung werden als „indirekte Wirkungen“ der direktdemokratischen Gesetzgebungsinitiative bezeichnet.702 Insbesondere auch durch die Wirkung auf die Öffentlichkeit habe diese strategische Funktion, um bestimmte politische Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Durch die Versorgung der Bürger mit Abstimmungsmaterial, in welchem die Argumente der Befürworter und der Gegner der Initiative sowie alternative Lösungsvorschläge zugänglich gemacht würden, verursache die Volksinitiative einen hohen Anreiz für die Bevölkerung, sich mit politischen Fragen zu befassen. Daneben könne eine gewisse Beeinflussung des Parlaments als Ergänzung zum klassischen Lobbying erreicht werden.703 700 Heußner
2010, 171. 2009 / 2010, 615 f. 702 v. Arx 2002, 67. 703 v. Arx 2002, 67 f. 701 Chrysler
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All diese Wirkungen seien jedoch in der Schweiz weit stärker ausgeprägt als in Kalifornien. Dies läge an grundlegenden Verfahrensunterschieden. So könnten in der Schweiz die Initianten eines Gesetzgebungsvorhabens dieses bei einer zumindest teilweisen Umsetzung durch staatliche Institutionen wieder zurücknehmen. Auch bestünde in der Schweiz die Möglichkeit eines sog. indirekten Gegenvorschlags, d. h. eines Parlamentsgesetzes oder einer Regierungsverordnung, welcher in unmittelbarem Zusammenhang mit der Volks initiative stünde und deren Forderungen in abgeschwächter Form umsetze.704 In Kalifornien dagegen sei die Verhandlungsphase bereits mit Zustandekommen der Initiative beendet, da danach keine Rücknahmemöglichkeit mehr bestünde und auf jeden Fall durch Volksentscheid abgestimmt werde. Direkte oder indirekte parlamentarische Gegenvorschläge seien in Kalifornien so kaum von Bedeutung, die indirekten Wirkungen dieser direktdemokratischen Verfahrensvariante damit sehr viel schwächer.705 Es fehle so ein erheblicher Anreiz für die Behörden, einen attraktiven Gegenvorschlag auszuarbeiten, da ab dem Stadium des erfolgreichen Begehrens ohnehin keine Rücknahme seitens der Initiatoren mehr erfolgen könne.706 Das kalifornische Parlament verfüge außerdem nur über ein aus seiner allgemeinen Gesetzgebungskompetenz abgeleitetes Recht zum Gegenvorschlag. Es werde hierdurch allerdings keine hinreichend enge Verknüpfung mit der Volksinitiative geschaffen, da der Gegenvorschlag bei der Abstimmung nicht als direkte Alternative auf dem Stimmzettel erscheine, sondern sich inmitten der sonstigen Referendumsvorlagen wiederfände.707 Parlamentarische Gegenvorschläge seien in Kalifornien kaum von Bedeutung, da durch sehr kurze Abstimmungsfristen wirkungsvolle und ernsthafte Alternativvorschläge verhindert würden. So seien weitgehend die zu spät ausgearbeiteten und substanzarmen parlamentarischen Gegenvorschläge der kalifornischen Staatspraxis zu erklären.708 3. Finanzierung von Initiativen Zur Verhinderung parlamentarischer Gegenvorschläge durch das kalifornische Rechtssystem komme aber noch hinzu, daß Gegeninitiativen, d. h. Alter704 v.
Arx 2002, 69. Arx 2002, 70 – auf S. 91 schildert der Autor ein Beispiel, in welchem durch die Initianten selbst den Abstimmenden nahegelegt worden war, wegen der zu befürchtenden Verfassungswidrigkeit der Initiative das Begehren zu verwerfen. Dieses wurde jedoch im Volksentscheid entgegen dieser Empfehlung angenommen und schließlich als ungültig aufgehoben. 706 v. Arx 2002, 91. 707 v. Arx 2002, 89 f. 708 v. Arx 2002, 90. 705 v.
E. Funktionsfähigkeit des Parlaments283
nativvorschläge aus dem Volk, befördert würden. Diese seien in Kalifornien so häufig geworden, daß nicht mehr von Ausnahmen, sondern von einem „Gegeninitiativensumpf“ gesprochen werden müsse. Gegnerische Wirtschafts-, Industrie- oder Bürgergruppen reichten solche Vorschläge ein, die weniger weitgehende Regelungen enthielten oder entgegengesetzte Lösungen vorschlügen. Ziel dieser Gegenvorschläge sei es aber oftmals, als reine Kampfmittel die gegnerische Initiative zu besiegen und durch mehrere Vorlagen betreffs derselben Materie die Abstimmenden zu verwirren. So werde es den Bürgern aber erschwert, sich über die Auswirkungen und Urheber der verschiedenen Initiativen zu informieren. In der Tendenz steige in solchen Konstellationen die Rate der verworfenen Begehren. Der status quo werde gewahrt und die Gegner von Reformen hätten ihr Ziel erreicht.709 In diesem Zusammenhang muß auch darauf hingewiesen werden, daß es in Kalifornien üblich ist, daß plebiszitäre Kampagnen durch Firmen gegen Entgeld betrieben werden.710 Solche Agenturen seien in der Lage, mit Hilfe bezahlter Stimmsammler fast jede beliebige Vorlage für den Volksentscheid zu qualifizieren.711 Eine Professionalisierung der Kampagnen habe in den USA nicht nur bei Wahlen, sondern auch bei Abstimmungen stattgefunden. Entsprechende Firmen übernähmen von der Lancierung der Initiative über die Unterschriftensammlung bis hin zur Führung der Abstimmungskampagne sämtliche Tätigkeiten.712 In einer auch von Heußner in Bezug genommenen Studie wird festgestellt, daß in Kalifornien der Zugang zu einer verbindlichen Abstimmung gekauft werden könne, wenn ein bestimmter Ausgabenbetrag überschritten werde. In der gesamten Geschichte kalifornischer Volksgesetzgebung habe es lediglich zwei Fälle gegeben, in denen für die Initiative mehr als $500.000,– ausgegeben wurde und diese trotzdem nicht zur verbindlichen Abstimmung gelangt sei. Allerdings habe sich der Preis für eine erfolgreiche Initiative in der Vergangenheit stark erhöht. Sei es in den frühen 1990er Jahren noch möglich gewesen, ab einem Betrag von $500.000,- den Erfolg einer Initiative zumindest vernünftigerweise in Erwartung zu stellen und ab einem Betrag von $1.000.000,– sogar zu garantieren, hätten zwischen den Jahren 2000 und 2006 bereits die deutliche Mehrheit der insgesamt 39 Initiativen in diesem Zeitraum mehr als $1.000.000,– sowie 16 hiervon mehr als $2.000.000,– ausgegeben. Diese Entwicklung, wonach der Zugang zu 709 v.
Arx 2002, 92.
710 Grodin / Massey / Cunningham,
CalConst., Art. II sec. 8 subsec. (b). 2010, 170 u.H.a. Center for Governmental Studies (CGS), Democracy by Initiative: Shaping California’s Fourth Branch of Government, 2. Auflage, Los Angeles 2008, 71, 182, 197, 284 ff. Die Studie ist abrufbar im Internet: http: / / www.cgs.org / images / publications / cgs_dbi_full_book_f.pdf. 712 Möckli 2007, 29; sehr detaillierte Übersicht der spezialisierten Aufgabenbereiche innerhalb der „Initiative Industry“ bei Glaser 1997, 127 ff. 711 Heußner
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einer verbindlichen Abstimmung in Dollar gemessen werden könne, stehe klar im Widerspruch zum ursprünglichen Sinn und Zweck des direktdemokratischen Initiativverfahrens in Kalifornien.713 Um solche Zustände verhindern zu können, empfehle sich das in Deutschland praktizierte Amtseintragungsverfahren, welches eine Trennung von Unterschriftenwerbung und Unterschriftensammlung vorschreibe.714 Auch sei es als richtig zu beurteilen, daß in Deutschland kommerzielle politische Werbung im Rundfunk verboten sei.715 Die in einigen Bundesländern bestehenden Regelungen zur öffentlichen Erstattung von Abstimmungskampf kosten sollten in allen Bundesländern eingeführt und fortentwickelt werden.716 Patzelt geht davon aus, daß nach einer etwaigen Absenkung der Hürden für direktdemokratische Verfahren in Deutschland der Einfluß bezahlter, professioneller Kräfte hinter den Initiativen zunehmen werde. Jedoch sei dies auch im parlamentarischen Betrieb seit je der Fall.717 Kriesi / Bernhard bezweifeln dagegen die These von der Käuflichkeit eines Abstimmungserfolgs. Untersuchungen zeigten, daß in den USA viel Geld nicht mit großem Einfluß gleichgesetzt werden könne, da der Zusammenhang zwischen finanziellem Einsatz und der Beeinflussung eines Abstimmungsergebnisses viel komplexer sei.718 4. Änderung der Volksgesetze In Kalifornien gibt es die Besonderheit, daß eine Änderung oder Aufhebung im Wege der Volksinitiative beschlossener Gesetze nur mit erneuter Beteiligung des Volkes möglich ist. Will das Parlament ein Volksgesetz ändern oder aufheben, muß es gemäß Art. 2 § 10 California Constitution das entsprechende Änderungsgesetz dem Volk im Wege eines obligatorischen Referendums vorlegen;719 d. h. das Volk muß einem parlamentarischen Änderungsgesetz, das ein volksbeschlossenes Gesetz betrifft, zwingend zustim713 CGS,
a. a. O., S. 182 f. 2010, 170, 198. 715 Heußner 2010, 198, sowie auf S. 172 u.H.a. § 7 VIII, nunmehr § 7 IX 1 Rundfunkstaatsvertrag in der Fassung des 15. Änderungsstaatsvertrags, in Kraft getreten am 1.1.2013, der bestimmt: „Werbung politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art ist unzulässig.“ 716 Heußner 2010, 198; hingegen scheinen die von Heußner auf S. 197 als begrüßenswert eingestuften finanziellen Offenlegungsvorschriften bzgl. der hinter den Initiativen stehenden Gruppen zumindest in Kalifornien keine Verbesserung des Zustands bewirken zu können. 717 Patzelt 2011, 103 f. 718 Kriesi / Bernhard 2014, 10. 719 v. Arx 2002, 42. 714 Heußner
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men.720 Mit der Konstituierung dieses strengen Vorrangs ist Kalifornien der restriktivste Staat in den USA in diesem Bereich.721 Dies ist einerseits der Fall wegen der parlamentarischen Abänderung erfolgreicher Verfassungs initiativen. Zwar können diese in fast allen US-Gliedstaaten nur geändert werden, wenn das Volk in einem Verfassungsreferendum zustimmt. In Kalifornien jedoch kann das Parlament dem Volk eine Verfassungsänderung nur mit Zweidrittelmehrheit vorlegen, das Volk selbst kann jedoch über Verfassungsinitiativen mit einfacher Mehrheit beschließen. Andererseits wird die Inflexibilität der parlamentarischen Demokratie in Kalifornien jedoch durch vorgenanntes obligatorisches Referendum noch gesteigert, indem das Parlament auch einfache Volksgesetze nicht ändern darf. Auch hier muß das Volk – wie gezeigt – zwingend zustimmen.722 Eine Ausnahme kann nur die Initiative selbst schaffen, indem sie das Parlament durch eine in dem volksbeschlossenen Gesetz enthaltene Vorschrift vom Referendum befreit, also eine Änderung ohne Volksbeteiligung erlaubt.723 Zwar sind solche Klauseln mittlerweile die Regel, jedoch werden die Hürden hierbei für das Parlament häufig sehr hoch gelegt. Gewöhnlich verlangen die Initiativen qualifizierte Parlamentsmehrheiten (oft zwei Drittel der Abgeordneten, teilweise gar vier Fünftel), so daß faktisch die einfachen Volksgesetze in den Rang von Verfassungsrecht gehoben werden. Hinzu kommt, daß eine Änderung ggf. auch der ursprünglichen Zielsetzung des Begehrens entsprechen muß.724 Als Hintergrund und teilweise Erklärung dieser starken Zurückdrängung der Kompetenzen des kalifornischen Parlaments führt Heußner an, daß zum Zeitpunkt der Einführung direkter Volksgesetzgebung in Kalifornien Parteien und Parlament korrupt gewesen seien und sich regelmäßig von Wirtschaftsunternehmen hätten kaufen lassen.725 Nach allem führe die erschwerte Abänderbarkeit volksbeschlossener Gesetze insgesamt zu Inflexibilität726 und im Ergebnis zu einer Höherwertigkeit des plebiszitären Gesetzgebungsverfahrens im Vergleich zum parlamen720 Heußner
2012, 180. 1998, 79 (vgl. auch den dortigen Überblick sowie Staatenvergleich); Heußner 2012, 180. 722 Besonders deutlich Heußner 2012, 230; vgl. auch Grodin / Massey / Cunningham, CalConst., Art. II sec. 8. 723 Grodin / Massey / Cunningham, CalConst., Art. II sec. 10 subsec. (c). 724 v. Arx 2002, 42 f.; Dubois / Feeney 1998, 79; Heußner 2012, 180. 725 Heußner 2012, 181 f., der insb. die Eisenbahngesellschaft Southern Pacific Railroad nennt, die mit Hilfe öffentlicher Subventionen aufgebaut worden sei und mehr als 85 % des Schienenverkehrs in Kalifornien beherrscht habe. Die Gesellschaft habe Parteitage ebenso kontrolliert wie wichtige Kandidatenaufstellungen sowie das Parlament und habe Zeitungen und Kommunen beeinflußt. 726 Heußner 2010, 171. 721 Dubois / Feeney
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tarischen Verfahren. Diese Problematik im Zusammenhang mit der Änderung von Volksgesetzen in Kalifornien wird in der Literatur insbesondere auch im Zusammenhang mit volksbeschlossenem Verfassungsrecht als problematisch beurteilt. Ein konkretes Beispiel ist insofern die chronische Unterfinanzierung des kalifornischen öffentlichen Schulsystems,727 zu deren Linderung eine Anhebung der Property Tax728 erforderlich wäre. Diese war 1978 durch Volksentscheid deutlich gesenkt worden, da das Parlament auf die Not vieler Eigenheimbesitzer, die ihre Häuser nicht mehr finanzieren konnten, nicht oder zu spät und unzureichend reagiert habe.729 Infolgedessen gingen die Staatseinnahmen stark zurück.730 Um somit die finanziellen Ressourcen für die öffentlichen Schulen, die sich maßgeblich aus der Property Tax ergeben, wieder zu aktivieren, wäre eine flexiblere Regelung notwendig. Da jedoch der ursprüngliche Volksentscheid Proposition 13 und nachfolgende Entscheidungen die Verfassung geändert hatten, könnte das kalifornische Parlament diese in der Verfassung festgeschriebenen Vorgaben für die Property Tax nur unter extrem schwierigen Bedingungen ändern, zumal es sich dabei um eine Gesetzgebung handelte, die eine Erhöhung der Staatseinnahmen zum Ziel hätte.731 Es wird deshalb vorgeschlagen, daß das Parlament die Möglichkeit haben sollte, auch volksbeschlossene Gesetze veränderten tatsächlichen Umständen anzupassen.732, 733 Die Abwicklung der Regierungsgeschäfte des Staates KaHeußner 2012, 191 ff. kalifornische Property Tax ist eine auf Grundstückseigentum erhobene Kommunalsteuer, die mittels des Volksentscheids Proposition 13 auf 1 % des Schätzwertes eines Grundstücks zum Zeitpunkt des Grundstückskaufs limitiert worden ist; außerdem ist die jährliche Steigerungsrate des zu Grunde zu legenden Grundstückswertes auf die Inflationsrate begrenzt worden, maximal jedoch 2 %, vgl. Heußner 2012, 190 m. w. N. 729 Heußner 2012, 190 f. 730 Vgl. auch Paul Krugman: State of Paralysis, in: New York Times vom 25.5.2009, S. A 19 (abrufbar im Internet unter http: / / www.nytimes.com / 2009 / 05 / 25 / opinion / 25krugman.html) – Proposition 13 habe es für den Staat extrem schwierig gemacht, Steuern zu erhöhen. 731 Heußner 2012, 195; damit in Kalifornien das Parlament eine volksbeschlossene Verfassungsänderung abändern kann, ist eine Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern des Parlaments sowie die Zustimmung des Volks in einem obligatorischen Verfassungsreferendum erforderlich; dasselbe gilt seit Proposition 13 für alle parlamentarischen Änderungen staatlicher Steuern, die Einnahmeerhöhungen zum Ziel haben, vgl. jeweils S. 190. Im Jahr 2010 wurde die Regelung auf Gebühren und Beiträge ausgedehnt, S. 224. Als einzige Alternative steht eine Verfassungsinitiative aus dem Volk zur Verfügung, S. 198. In dieser Konstellation sieht Heußner einen wesentlichen Faktor für die beständigen kalifornischen Budgetdefizite, vgl. S. 224. 732 Heußner 2012, 198, 225. Konkretes Beispiel ist hierfür die Property Tax des Staates Massachusetts; bzgl. jener ging es um die parlamentarische Änderung eines 727 Detailliert 728 Die
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lifornien könnte auf diese Art erleichtert werden; nach gegenwärtiger Praxis müsse stets für jede noch so triviale Änderung das Volk befragt werden. Dies führe jedoch in der kalifornischen Praxis zu einer hohen Zahl an Referenden und befördere deren Unübersichtlichkeit.734 Außerdem wird zwar einerseits die Notwendigkeit gesehen, daß das Volk die Möglichkeit haben müsse, gegen parlamentarische Korrekturen volksbeschlossener Gesetze wiederum direktdemokratisch aktiv zu werden.735 Um nach einer erfolgten Reform eines Volksgesetzes zu verhindern, daß verstärkt und allzu leicht auf das Instrument der Verfassungsinitiative zurückgegriffen werden könne, wird jedoch andererseits eine Erhöhung der Hürden für Verfassungsinitiativen vorgeschlagen.736 Als weiterer Punkt wird herausgestellt, daß bessere Ergebnisse eines Volksgesetzgebungsverfahrens – insbesondere unter dem Gesichtspunkt funktionierender Staatsfinanzen – erreicht werden könnten, wenn das Parlament in das Volksgesetzgebungsverfahren eingebunden sei (Indirect Initia tive).737 5. Stellungnahme Die vorstehenden Ausführungen zeigen, daß im wesentlichen drei entscheidende Punkte zu nennen sind, welche die mangelnde Funktionsfähigkeit des kalifornischen Regierungssystems zum jetzigen Zeitpunkt bedingen.
volksbeschlossenen einfachen Gesetzes, was in Massachusetts ohne weiteres möglich war, so daß das Parlament bereits 1981 Veränderungen an dem Gesetz vornehmen konnte, vgl. Heußner 2012, 195 f., der auf S. 197 noch als weitere Beispiele für Staaten, die unter den Bedingungen der Volksgesetzgebung ausreichende Bildungsausgaben vorsehen, Michigan, Maine, Arkansas und Alaska nennt. 733 Als wiederum negatives kalifornisches Beispiel führt Heußner die Proposition 184 aus dem Jahr 1994 an, die mit der sog. Three Strikes-Regel die zwingende Verhängung einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe bei dem zweiten Rückfall eines Täters bzgl. des gleichen Delikts vorsieht. Die hiervon betroffenen Rückfalltäter machen in Kalifornien 26,4 % (Stand 2010) aller Strafgefangenen aus. Da die kalifornischen Gefängnisse aufgrund von Überfüllung und Unterfinanzierung unzumutbare Zustände für die Gefangenen produzieren, kommt Heußner zu dem Schluß, daß auch dies ein Fall unzureichender Änderungsmöglichkeit eines volksbeschlossenen Gesetzes durch das Parlament sei, vgl. Heußner 2012, 203 ff. 734 Dubois / Feeney 1998, 80. 735 Heußner 2012, 225. 736 Dubois / Feeney 1998, 81; Heußner 2012, 230, 232, der insofern vorschlägt, daß Verfassungsinitiativen ebenso wie parlamentarische Verfassungsänderungen einem Zweidrittelmehrheitserfordernis unterliegen sollten. 737 Heußner 2012, 198.
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a) Parlamentarische Änderung volksbeschlossener Gesetze Es ist den vorgestellten Autoren zuzustimmen, daß eine parlamentarische Änderung volksbeschlossener Gesetze ohne Erschwernisse im Vergleich zur Änderung parlamentarischer Gesetze zumindest möglich sein sollte. Jede politische Entscheidung muß in einem funktionierenden Staat prinzipiell reversibel bzw. korrigierbar sein.738 Gleichwohl erscheint eine angemessene Anhebung der Voraussetzungen für parlamentarische Abänderungen volksbeschlossener Gesetze vertretbar. Beispielsweise gibt es in Hamburg seit ein paar Jahren ein fakultatives Referendum, wenn die Bürgerschaft ein Volksgesetz abändern will.739 Das Beispiel Kalifornien zeigt, wie eine bestimmte Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren zu gesetzestechnischem Stückwerk führen kann, welches sich außerdem nur unzureichend – insbesondere in Reaktion auf veränderte Umstände – abändern bzw. reformieren läßt.740 Es spricht viel dafür, daß besondere Schutzregelungen zu Gunsten direktdemokratisch beschlossener Gesetze die parlamentarische Gesetzgebungstätigkeit behindern sowie die Staatsfinanzen in ein Ungleichgewicht bringen und dadurch tatsächlich zu einer Einschränkung der Funktionsfähigkeit des Staates führen können. Vorschläge, volksbeschlossene Gesetze mit einem besonderen Bestandsschutz zu versehen, sind also mit Vorsicht zu prüfen. Dies gilt jedenfalls für Konzepte, bestimmte Fristen vorzusehen, innerhalb jener der parlamentarische Gesetzgeber auf plebiszitär zustande gekommene Gesetze nicht zugreifen darf bzw. eine Regelung, welche die Aufhebung oder Korrektur eines solchen Gesetzes von einem erneuten Volksentscheid abhängig macht.741 Auf die konkrete AusRecht Glaser 1997, 369. tritt ein parlamentarisches Änderungsgesetz frühestens drei Monate nach Verkündung in Kraft. Innerhalb dieser Frist besteht die Möglichkeit zur Durchführung eines Referendums, wenn 2,5 % der Wahlberechtigten unterschreiben, vgl. v. Arnauld 2010, 117. Gerechtfertigt wird dies auch mit der Schwerfälligkeit des Volksgesetzgebers im Vergleich zum parlamentarischen Gesetzgeber, vgl. S. 116. 740 Gleichwohl erscheint fraglich, ob eine Einschränkung der parlamentarischen Abänderungskompetenz dahingehend erforderlich ist, daß erst bei einer Änderung der Sach- und Rechtslage vom Votum eines Volksentscheides abgewichen werden können sollte, wie es v. Arnauld 2010, 116 f. empfiehlt. Denn die Erkenntnis aus der Betrachtung kalifornischer Verhältnisse ist ja primär, daß das Parlament aus Gründen der Funktion des Gemeinwesens auf veränderte Umstände reagieren können muß – und weniger, daß es dies ausschließlich im Falle veränderter Umstände können sollte. Des Weiteren hätte eine solche „Schutzklausel“ Rechtsunsicherheit zur Folge, wann der parlamentarische Gesetzgeber im Normbereich eines volksbeschlossenen Gesetzes handeln dürfte und wann ihm das untersagt wäre. Ein Gericht müßte dann im Zweifel darüber entscheiden. 741 So aber Decker 2011, 45, dessen Argument, daß die Volksgesetzgebung andernfalls „ad absurdum“ geführt würde, nicht überzeugt, denn dies wäre doch nur 738 Zu 739 So
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gestaltung käme es bei dem Vorschlag an, daß das Ergebnis eines obligatorischen Referendums nur unter Einschluß einer Vorlageninitiative abgeändert werden können sollte.742 Derartige Maßnahmen könnten zu leicht zu einer ungerechtfertigten Überhöhung von Volksgesetzen führen, welche die direkte Demokratie auch gar nicht nötig hat. Der politische Druck eines in Deutschland durch Volksentscheid verabschiedeten Gesetzes wäre wahrscheinlich so hoch, daß für eine absehbare Zeit ohnehin die Parlamentsmehrheit von einer Aufhebung oder wesentlichen Abänderung desselben zurückschrecken dürfte, wenn nicht im Einzelfall überragend wichtige Gründe dafür sprächen.743 b) Finanzierung von Volksinitiativen Grundsätzlich spielt die Finanzierung durch private Spenden von Einzelpersonen, Unternehmen, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften eine bedeutende Rolle in kalifornischen Abstimmungskämpfen. In Kalifornien wurden 2010 / 2011 für bzw. gegen die insgesamt 14 Vorlagen 236 Mio. Dollar ausgegeben.744 Auf der anderen Seite ist es auch in Kalifornien möglich, einen Abstimmungskampf zu gewinnen, wenn man wenig finanzielle Mittel zur Verfügung hat. Dies zeigt das Beispiel Proposition 16 aus dem Zeitraum 2010 / 2011.745 Diese Initiative wollte die Möglichkeit für Kommunen zur Gründung von Energieversorgungsunternehmen unter Verwendung öffentlicher Mittel oder Kreditaufnahmen einschränken. Dies sollte nach der vorgeschlagenen gesetzlichen Lösung nur noch dann möglich sein, wenn die Bürger dies vorher in einem Referendum mit Zweidrittelmehrheit befürwortet haben. Die Unterstützer der Initiative – unter ihnen die Pacific Gas and Electricity Company, eines der drei größten privaten Energieversorgungsunternehmen in Kalifornien – beriefen sich im Kern auf die demokratische Kontrolle kommunaler dann der Fall, wenn ein Parlament jedes oder nahezu jedes volksbeschlossene Gesetz sofort wieder aufhöbe – mag dies auch in Hamburg in einigen Fällen durchaus vorgekommen sein; weniger spezifisch, aber in dieselbe Richtung wie Decker gehend auch Patzelt 2011, 84. 742 Vgl. hierzu Patzelt 2011, 94 f. – insbesondere beträfe das wohl die Höhe des Antragsquorums, mit dem das Volk die Vorlage des parlamentarischen Gesetzentwurfs zur Billigung durch eine Volksabstimmung verlangen könnte. 743 Ein Gegenbeispiel stellt freilich die Einführung der Rechtschreibreform in Schleswig-Holstein durch Landtagsbeschluß vom 17.9.1999 dar. Erst unmittelbar zuvor hatte eine Mehrheit von 41,6 % der Stimmberechtigten in Schleswig-Holstein in einem Volksentscheid vom 27.9.1998 gegen die Einführung der Rechtschreibreform gestimmt und die Beibehaltung der hergebrachten Rechtschreibung „wie sie in der Bevölkerung seit langem anerkannt ist“ beschlossen, vgl. dazu Kliegis / Kliegis 1999. 744 Heußner 2013, 217. 745 Vgl. Heußner 2013, 194.
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Ausgaben. Allein die Pacific Gas and Electricity Company brachte 46,4 Mio. Dollar auf, um die Angelegenheit zu unterstützen; die Initiatoren beschäftigten mehrere kommerzielle politische Agenturen, wobei sie einer einzelnen allein 2,2 Mio. Dollar für das Sammeln von Unterschriften bezahlten. Die Gegner wiederum – unter ihnen die California Democratic Party, die Con sumer Federation of California sowie Interessenvertreter kommunaler Versorger – brachten als Argument im Wesentlichen vor, daß die Initiative das Monopol kommerzieller Versorger sichern solle, da diese sich kaum noch dem Wettbewerb kommunaler Anbieter ausgesetzt sehen würden. Die Gegner brachten lediglich einen Betrag von $140.000,- zusammen, um ihr Anliegen öffentlich zu vertreten. Sie behalfen sich unter anderem mit selbstgedrehten Videos im Internet. Trotzdem – oder gerade deswegen? – verlor die Vorlage Proposition 16 mit 47,2 % Ja-Stimmen.746 Inwieweit eine große finanzielle Unterstützung zum Erfolg einzelner Ini tiativen geführt hat, kann nicht genau beantwortet werden. Heußner schätzt, daß der Anteil der Abstimmungskämpfe in Kalifornien, deren Ausgang 2010 / 2011 tatsächlich entscheidend von einseitiger Finanzüberlegenheit bestimmt worden ist, ca. 10 % betrage.747 Aber die Kriterien, die dieser Berechnung zu Grunde liegen, sind nicht besonders nachvollziehbar definiert. Denn was genau bedeutet es, wenn eine Initiative ein „deutliches Befürworterübergewicht“ aufweist, bzw. bei welchem Verhältnis fängt ein „deutliches Finanz übergewicht“ an und welche Abstimmungskämpfe fallen noch unter die Kategorie „finanziell ausgeglichen“?748 Hinzu kommt, daß natürlich auch andere Faktoren – naheliegender Weise eine gute öffentliche Argumentation für die eigene Position – einen maßgeblichen Einfluß auf den Ausgang von Abstimmungen haben.749 Im Ergebnis läßt sich daher nur schwer bestimmen, welchen Einfluß ein Sponsoring auf den Erfolg einer Volksinitiative tatsächlich haben kann. Selbst wenn man aber akzeptiert, daß ca. 10 % der Abstimmungen entscheidend von Geldgebern gesteuert wurden, so muß dies nicht per se zu dem Verdikt führen, in Kalifornien herrschten undemokratische Zustände. Denn einerseits heißt das auch, daß immerhin ca. 90 % der Abstimmungs746 Heußner
2013, 194. 2013, 218. 748 Vgl. Heußner 2013, 218. 749 Ebenso insofern noch Heußner 1994, 411: Die US-Erfahrung zeige, daß massive und einseitige Werbekampagnen nicht in der Lage seien, einen Vorschlag entgegen den Tatsachen oder bestimmter Grundüberzeugungen in der Bevölkerung durch übertrieben positive Darstellung erfolgreich zu „verkaufen“. Auf S. 412 heißt es: „Auch in Deutschland konnten besonders irreführende und emotionalisierende Werbekampagnen bisher kein Volksbegehren ‚durchbringen‘.“ 747 Heußner
E. Funktionsfähigkeit des Parlaments291
kämpfe durch finanzielle Unterstützung nicht oder nicht maßgeblich beeinflußt werden konnten. In einer Demokratie können und sollen jedoch alle gesellschaftlichen Gruppierungen und Schichten an der Meinungsbildung mitwirken. Finanziell gut ausgestattete bzw. organisierte Interessengruppen sind deshalb grundsätzlich genauso legitim wie idealistisch handelnde Personen, wobei unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten eine Pflicht zur Offenlegung gegeben sein kann.750 Auf der anderen Seite erscheint es bedenklich, wenn sich die Zugangsmöglichkeit zu einer verbindlichen Abstimmung in Dollar festlegen läßt, wie das kalifornische Center for Governmental Studies festgestellt hat. Unter diesem Gesichtspunkt erscheinen die deutschen Vorkehrungen wie das Verbot politischer Werbung im Rundfunk oder die Erstattung von Abstimmungskampfkosten daher zustimmenswert. c) Kooperation von Volk und Parlament Besonders wichtig erscheint jedoch, daß die direktdemokratischen Verfahren so ausgestaltet werden, daß Volk und Parlament aufeinander reagieren können. Hier spielen die Möglichkeit des Parlaments, einen indirekten Gegenentwurf anzufertigen, der eventuell nur Teilbereiche des ursprünglichen direktdemokratischen Entwurfs aufgreift, sowie die Möglichkeit der Betreiber der Initiative, diese jederzeit zurücknehmen oder modifizieren zu können, eine zentrale Rolle. Deutlich wird hier, daß es nicht so sehr um die Frage gehen kann, ob schließlich ein Volks- oder ein Parlamentsgesetz in Geltungskraft erwächst. Diese sind nach richtiger Ansicht ohnehin normativ gleichwertig. Entscheidend ist dagegen viel öfter der Weg dahin, die Ausgestaltung des Prozesses, der integrierend und selektierend zugleich ablaufen sollte und an dessen Ende im Idealfall ein mit großer Legitimation beschlossenes Gesetz steht. Dies zeigt insbesondere das Beispiel der Schweiz, wo das Parlament jederzeit die Möglichkeit hat, einen eigenen Gesetzentwurf zum fraglichen Thema zu erarbeiten. Dabei muß es noch nicht einmal sämtliche Forderungen der Initiative umsetzen. Es reicht in den meisten Fällen, einen weniger weitreichenden Entwurf zu präsentieren, den nicht nur die Vertreter der Initiative, sondern auch die Mehrheit im Volk akzeptieren kann. Im Gegenzug ziehen dann oftmals die Vertreter der Initiative dieselbe wieder zurück. Letztere Möglichkeit besteht in Kalifornien nicht, so daß in einem wichtigen Bereich keine Kooperation, sondern gegenseitige Blockade erzielt wird, die auch auf die Tatsache zurückzuführen ist, daß in Kalifor750 Vgl. zur Parteienfinanzierung BVerfGE 20, 56 (105), wonach das Grundgesetz den mit größeren privaten Spenden erstrebten Einfluß weder billigt noch verbietet, sondern als geläufige Form tatsächlicher politischer Interessenwahrnehmung unter der Maßgabe öffentlicher Rechenschaftslegung hinnimmt.
292
Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
nien das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung nicht stark genug ausgeprägt und gefestigt ist.751 6. Ergebnis Kalifornien Insgesamt kam eine Studie bereits im Jahr 1997 zu dem Ergebnis, daß in Kalifornien die Initiativ-Tätigkeit des Volksgesetzgebers einen Umfang erreicht habe, der die parlamentarische Arbeit zu beeinträchtigen geeignet sei. Durch Professionalisierung, Fragmentierung, Politisierung, Instabilität und Deinstitutionalisierung der Rahmenbedingungen parlamentarischer Gesetzgebungstätigkeit habe in den USA ein genereller Einflußverlust der Parlamente stattgefunden.752 Dies sei auch auf die Entwicklung der Nutzung direktdemokratischer Instrumente zurückzuführen.753 Außerdem sei die generelle Handlungsfähigkeit der Parlamente teilweise eingeschränkt, da Abgeordnete und Vertreter der Exekutive bestimmte Themen meiden müßten, wollten sie nicht mit einer entsprechenden Gegeninitiative konfrontiert werden.754 Auch in Kalifornien liegt jedoch nicht alles im Argen. Dies zeigt ein Volksgesetzgebungsprozeß aus den Jahren 2010 / 2011, durch welchen die Bürger mit der Verfassungsinitiative Proposition 25 das in Kalifornien bis dahin geltende Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit im Parlament für die Verabschiedung des jährlichen Haushaltsplans aufhoben.755 Jenes war 1933 im Wege eines Referendums eingeführt und 1962 ebenfalls mittels eines Referendums sogar auf solche Haushaltsgesetze ausgeweitet worden, die weniger als zweijährlich um 5 % anstiegen. Dies führte dazu, daß die Parlamentsminderheit fortan ein Vetorecht selbst gegen im Volumen rückläufige Haushalte hatte.756 In der Folge wurde zwischen 1980 und 2010 der Haushalt meistens nicht rechtszeitig verabschiedet; außerdem war Kalifornien 1992 und 2009 jeweils zahlungsunfähig.757 Proposition 25 schafft nun das Quorum ab und bestimmt zusätzlich, daß die Abgeordneten des kaliforni751 Zu dem Aspekt des mangelnden Vertrauens in die Regierung bzw. staatliche Organe in Kalifornien vgl. Griffin 2009, der allerdings auch hervorhebt, daß dieser Umstand für den nordamerikanischen und insbesondere den kalifornischen Konstitutionalismus kennzeichnend sei und gerade die direkte Demokratie hervorgebracht und etabliert habe. 752 Glaser 1997, 111 f. 753 Glaser 1997, 112. 754 Glaser 1997, 112 m. w. N. 755 Heußner 2013, 192, der diesen Vorgang als „historisch“ bezeichnet und ihm eine hohe Bedeutsamkeit für die kalifornischen Staatsfinanzen beimißt. 756 Heußner 2012, 210 f. 757 Heußner 2013, 192.
E. Funktionsfähigkeit des Parlaments293
schen Parlaments für jeden Tag, den das Parlament das jährliche Haushaltsgesetz verspätet verabschiedet, ihre Diäten verlieren.758 Insgesamt aber ist für Kalifornien momentan festzustellen, daß die praktizierte Kombination von Volks- und Parlamentsgesetzgebung relativ viele Probleme verursacht und Fragen aufwirft. Auch in der Ausgestaltung der einzelnen Verfahren selbst zeigt sich Reformbedarf.
IV. Übertragung der Ergebnisse auf die deutsche Diskussion Daß in Deutschland eine Funktionseinbuße staatlicher Organe – insbesondere des Bundestags oder eines der Länderparlamente – aufgrund zu niedriger Quoren im Rahmen direktdemokratischer Gesetzgebungsverfahren bereits eingetreten ist, behauptet, soweit ersichtlich, derzeit niemand. Indes gibt es einige Stimmen in Rechtsprechung und Literatur, die eine solche Beeinträchtigung ordnungsgemäßer Staatsfunktionen befürchten, sollten entsprechende Quoren abgesenkt werden. Das reicht bis zu einer Art Unantastbarkeit des Parlaments, wenn ausgehend von einem „parlamentarischen Prinzip“ in der Literatur angenommen wird, daß eine relevante Ergänzung der Entscheidungsgewalt des Parlaments durch direktdemokratische Verfahren von vornherein nicht in Betracht komme.759 Problematisch ist an dieser Argumentation zunächst ganz grundsätzlich, daß sie eine Grenzziehung am Maßstab des status quo betreibt. Dieser wird als Ausprägung eines rechtlichen Möglichkeitsspektrums und Momentaufnahme normativer Entwicklung herausgegriffen und präventiv zementiert. Zutreffend an diesem Gedankengang ist, daß den bisherigen, zur Zeit gegebenen Verfahrensbedingungen keinerlei Einschränkungen von Staatsfunktionen zuzuschreiben sind. Gegen eine Abänderung geltender Gesetze kann aber nie allein angeführt werden, daß diese in der Vergangenheit gut funktioniert hätten. Vielmehr sind die Auswirkungen der beabsichtigten Änderungen möglichst genau zu prognostizieren. Ergeben sich aber aus den bisherigen Anwendungsergebnissen praktizierter Verfahrensbedingungen – insbesondere Quoren – keinerlei Anzeichen für die befürchteten Einschränkungen, ist eine Unantastbarkeitserklärung diesbezüglich schwer zu rechtfertigen. Sind derart angenommene Gefahren auch nicht zu beweisen, so sollten sie doch substantiiert dargelegt werden.760
758 Heußner
2013, 192. Brenner, HStR III, § 44 Rn. 3. 760 Vgl. Wittreck 2009, 407: „Gefahren aber haben es an sich, dass man sie nur behaupten, nicht aber beweisen muss.“ 759 Pointiert
294
Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
Festzuhalten ist auch nach den vorstehenden Betrachtungen der Schweiz sowie Kaliforniens zunächst, daß das Parlament durch ein niedrigeres Quorum auf Ebene des Volksbegehrens oder der Volksinitiative – je nachdem, wann das Parlament sich aufgrund der konkreten Ausgestaltung des Volksgesetzgebungsverfahrens erstmalig inhaltlich mit dem Anliegen der Initiatoren auseinandersetzen muß – aller Wahrscheinlichkeit in stärkerem Maß veranlaßt wird, sich mit volksinitiierten Gesetzgebungsverfahren zu befassen.761 Außerdem ist davon auszugehen, daß sich für die Staatsorgane zusätzliche Aufgaben durch die Lenkung und Administrierung direktdemokratischer Prozesse ergeben.762 Eine unmittelbare Gefährdung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments wird man aus dieser Tatsache aber nicht ableiten können. Hiergegen spricht zunächst, daß definitive Entscheidungen, die den Charakter der Ausübung von Staatsgewalt innehaben, nicht auf der Ebene der Volksinitiative oder des Volksbegehrens, sondern auf der Ebene des Volksentscheids getroffen werden.763 Bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird, besteht demnach noch die Möglichkeit zur Einflußnahme auf das Entscheidungsergebnis. Diese endgültige Entscheidung ist in Deutschland auch im Unterschied zur Schweiz auf allen staatlichen Ebenen einer gerichtlichen Überprüfung auf ihre Verfassungsmäßigkeit unterworfen. Die Bundes- bzw. Landesverfassungsgerichtsbarkeit kann also eine Initiative für ungültig erklären, wenn sie gegen höherrangiges Recht verstößt.764 Die vorstehende Untersuchung zeigt aber auch, daß dem Parlament unter Funktionsgesichtspunkten auch die Möglichkeit gegeben werden sollte, auf den direktdemokratischen Entscheidungsprozeß einzuwirken und ihn gegebenenfalls in eine bestimmte Richtung zu steuern. Die stärkere Arbeitsbelastung des Parlaments im Rahmen einer somit zu bevorzugenden „indirekten Initiative“ bedingt allerdings nicht die Gefahr einer wie auch immer gearteten Funktionsbeeinträchtigung – quasi im Sinne eines drohenden Kollapses des Systems – sondern vielmehr einen funktionierenden Staat, indem durch Einbindung des Parlaments in direktdemokratische Verfahren Diskurse und Möglichkeiten des politischen Ausgleichs geschaffen werden, die es bei isolierten Volksgesetzgebungsverfahren in dieser am Ergebnis gemessenen wertvollen Funktion nicht gibt.765 zu Recht Degenhart 2002, 63. 2007, 34. 763 Berechtigtes Argument bei Degenhart 2002, 62; vgl. weiterhin vorstehend D.IV.2. 764 Vgl. nochmals Martini 2011, 19, 21; Rossi / Lenski 2008, 418; sowie speziell für Bayern Schweiger 2002, 67. 765 Ebenso Möckli 2007, 34. 761 So
762 Möckli
E. Funktionsfähigkeit des Parlaments295
Mithin ist die Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs unter dem Gesichtspunkt zu kritisieren, daß sie dieses (direkt-)demokratische Potential von indirekter Volksinitiative bzw. Volksbegehren in ihrer Gefahrenprognose zu den möglichen Auswirkungen einer Absenkung der Quoren nicht berücksichtigt und statt dessen allein auf befürchtete negative Konsequenzen abhebt, die sich anhand der vielfach praktizierten direktdemokratischen Verfahren in der Schweiz und in Kalifornien nicht belegen lassen. Die Verengung auf eine Folgenabschätzung unter der Prämisse, daß sich Parlamentsmehrheit und parlamentarische Opposition häufiger mit Themen befassen müßten, die nicht innerhalb des politischen Konzepts lägen, zu dessen Verwirklichung sie vom Wähler beauftragt und demokratisch legitimiert worden seien,766 führt in die falsche Richtung. Sie tendiert dazu, einen inhaltlichen Schutzbereich für das Tätigwerden des Parlaments abzugrenzen. In diesem geschützten Raum könnte dieses dann den Anspruch erheben, ungestört und unbehelligt vom Wähler eine politische Agenda umzusetzen, die es sich selbst auferlegt hat bzw. völlig autonom jederzeit modifizieren darf. Dies liefe aber im Prinzip auf ein subjektives Freiheitsrecht eines Verfassungsorgans hinaus, aufgrund dessen der Bayerische Landtag sich darauf berufen könnte, Inhaber eines unantastbaren Mandats des Wählers zu sein, in welches der Souverän nachträglich durch Sachentscheidungen zu konkreten Fragen nicht mehr eingreifen könnte. Kehrt diese Rechtsprechung einerseits das Verhältnis von Parlament und Souverän zumindest für die Dauer der Legislaturperiode annähernd um,767 zeigt sich die diffuse Wirkung auch an der niemals zu bewerkstelligenden inhaltlichen Fixierung eines solchen „politischen Konzepts“, wie es der Gerichtshof annimmt. Zu Recht wird daher auch dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof vorgeworfen, daß er durch das einseitige Verständnis von einer funktionsfähigen Demokratie als einer funktionsfähigen repräsentativen Demokratie einen Bestandsschutz für die mit der Wahl getroffene politische Richtungsentscheidung konstruiere und somit den bloßen Machterhalt der Repräsentanten betreibe.768 Anschauungsmaterial aus der deutschen Praxis direkter Demokratie dafür, daß manche Befürchtungen hinsichtlich der Funktionsunfähigkeit der Parlamente nicht zutreffend sein dürften, vermag darüber hinaus der thüringische Fall des im politischen Kompromiß unter Bürgern und Abgeordneten gelösten Konflikts zwischen Volks- und Parlamentsgesetzgebung769 zu liefern, 766 BayVerfGHE
53, 42 (63). Recht Jung 1999 I, 426; vgl. auch Schweiger in: Nawiasky / Schweiger / Knöpfle, BayVerf., Art. 73 Rn. 5 (2003) zu den Auswirkungen der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte hinsichtlich finanzwirksamer Volksbegehren auf das Budgetrecht des Parlaments. 768 Wittreck 2005, 143. 769 Vgl. dazu Teil 1 C.I.1. 767 Zu
296
Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
zeigt er doch, daß sich beide Verfahren durchaus gegenseitig ergänzen können.770 Eine Behinderung der Gesetzgebungstätigkeit des Thüringer Landtags war in jenem „Thüringer Verfassungsstreit“ in den Jahren 2007 bis 2009 nicht ersichtlich. Der ausgelöste Diskurs zwischen Initiatoren, staatlichen Organen, Volk und Prozeßbeteiligten führte allerdings zur Konzentration auf einen gesetzgeberischen Aspekt, dem sich das Parlament ohne die Initiierung eines Volksgesetzgebungsverfahrens vermutlich nicht gewidmet hätte. Die Arbeitskraft und Funktionsfähigkeit des Thüringer Landtags wurde in der Folge aktiviert und im Sinne eines vernünftigen Gesamtergebnisses nutzbar gemacht – nicht etwa wurde durch ein Volksgesetzgebungsverfahren die Funktionsfähigkeit des Landtags beeinträchtigt. Selbst wenn man aber unterstellt, daß sich in jenem Thüringer Verfassungsstreit Volks- und Parlamentsgesetzgeber zu keinem Kompromiß hätten durchringen können, wäre nicht zu befürchten gewesen, daß eine (zumindest punktuelle) Funktionsbeeinträchtigung des Landtags hätte entstehen können. In diesem Fall hätte das Parlamentsgesetz ohne Behinderung durch das Volksgesetzgebungsverfahren in Kraft treten können, auch wenn dann Letzterem durch die veränderte Rechtslage der Boden entzogen worden wäre. Das bereits vor dem Inkrafttreten des parlamentarischen Gesetzes in Gang gesetzte Volksgesetzgebungsverfahren hätte das Gesetz des Thüringer Landtags nicht verhindern können, da das Volksgesetzgebungsverfahren keine Sperrwirkung zum Nachteil des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens zu entfalten vermocht hätte.771 Dieser Ansicht ist zuzustimmen – lediglich insofern jene mangelnde Sperrwirkung mit der Prävalenz des parlamentarischen Gesetzgebers begründet wird,772 kann der Argumentation aufgrund der gezeigten Gleichwertigkeit von Volks- und Parlamentsgesetzgeber nicht gefolgt werden.773 Kalifornische Verhältnisse sind also auch unter diesem Aspekt nicht zu erwarten. Parlamentarier können sich durch Übernahme von Bestandteilen aus Volksinitiativen oder Volksbegehren der Unterstützung durch das Volk versichern. Der Volksgesetzgebungsprozeß wird dadurch gleichzeitig beschleunigt. Die Vertreter des Volksbegehrens nehmen dabei eine Scharnierfunktion ein. Anschaulich wird hier auch, daß der Befund, daß das Volksgesetzgebungsverfahren unflexibel sei, da nur mit Ja oder Nein entschieden werden könne,774 zu kurz greift. Modifikationen sind einmal dadurch möglich, daß auch Storr 2010, 285 ff. Meinung bei im übrigen kontroverser Auseinandersetzung – vgl. Meyer 2012 III, 35; Degenhart 2012 I, 75; Degenhart 2012 II, 118; Huber 2012, 173. 772 So Degenhart 2012 I, 75; Degenhart 2012 II, 118; Huber 2012, 173. 773 Vgl. nochmals vorstehend B.II.1. 774 Isensee 2010, 128. 770 Vgl.
771 Einhellige
F. Erschwerte Abänderbarkeit der Länderverfassungen297
das Parlament einen Alternativvorschlag zur Abstimmung unterbreiten kann, aber auch durch eine „Kooperation“ von Volks- und Parlamentsgesetzgebern. Hinweise darauf, daß die sehr niedrigen Quoren in der Schweiz oder die relativ niedrigen Quoren in Kalifornien für eine Funktionsbeeinträchtigung der Repräsentativorgane verantwortlich sein könnten, haben sich nicht finden lassen.
F. Erschwerte Abänderbarkeit der Länderverfassungen Abschließend soll das Problem untersucht werden, ob die Länder aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben Abänderungen ihrer Verfassungen, welche im Volksgesetzgebungsverfahren erfolgen sollen, erschwerten Bedingungen unterstellen müssen oder ob sie vielmehr frei sind, Verfassungsänderungen an dieselben Voraussetzungen zu knüpfen wie den Erlaß einfacher Gesetze.
I. Ausgangslage In der Rechtsprechung sowie in der Literatur wird die Vorgabe erschwerter Abänderbarkeit der Landesverfassungen im Vergleich zu einfachen Gesetzen aus dem Grundsatz des Vorrangs der Verfassung hergeleitet.775 Die Landesverfassungsgerichte begründeten mit diesem Erfordernis der erschwerten Abänderbarkeit in den bereits vorgestellten Urteilen die Verfassungswidrigkeit beabsichtigter Absenkungen von Quoren in solchen direktdemokratischen Verfahren, mit denen Verfassungsänderungen angestrebt und umgesetzt werden sollen. Im Ergebnis bedeutet diese Rechtsprechung, daß für direktdemokratische Verfassungsänderungen höhere Quoren verfassungsrechtlich vorgeschrieben sind, da höhere Quoren schwieriger zu nehmende Hürden für Verfassungsinitiativen auf Ebene des Volksbegehrens oder des Volksentscheids darstellen. Höhere Hürden bedeuten nach allem eine erschwerte Abänderbarkeit der Landesverfassungen. Die einschlägige Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte sei an dieser Stelle noch einmal kurz wiedergegeben. Nach dem Bremer Staatsgerichtshof enthält Art. 28 I 1 GG das Prinzip des Vorrangs der Verfassung und schreibt dieses den Ländern verbindlich vor. Da die Verfassung in der verfassunggebenden Gewalt des Volkes gründe und den höchsten Rang im Stufenbau der Rechtsordnung innehabe, habe diese eine allen anderen Gesetzen überlegene Autorität und Vorrang. Dies wiederum erfordere einen erhöhten Bestandsschutz der Verfassung und damit ihre erschwerte Abänderbarkeit.776 775 Siehe 776 Vgl.
zum Ganzen detailliert vorstehend Teil 1. nochmals BremStGH NVwZ-RR 2001, 1 (3 f.).
298
Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat insbesondere in zwei Urteilen zu der Frage Stellung genommen. Bereits in dem ersten seiner beiden Urteile vom 17. September 1999 hatte der Gerichtshof entschieden, daß auch im vollplebiszitären Verfahren die Verfassung im Vergleich mit dem einfachen Gesetz erhöhten Bestandsschutz genießen müsse.777 In seinem zweiten Urteil vom 31. März 2000 stellte der Gerichtshof sodann fest, daß der Grundsatz des Vorrangs der Verfassung Bestandteil der Ewigkeitsklausel der Bayerischen Verfassung sei.778 Art. 75 I 2 BayVerf. schreibe vor, daß die Regelungen über Verfassungsänderungen von denen einfacher Gesetze abgehoben sein müßten.779 Schließlich entschied auch der Thüringer Verfassungsgerichtshof am 15. August 2001, daß eine Absenkung der Quoren für verfassungsändernde plebiszitäre Gesetze gegen das Rechtsstaatsprinzip in der Ausprägung des Vorrangs der Verfassung verstoße. Der Gerichtshof stellte dabei ebenso wie der Bayerische Gerichtshof auf die Ewigkeitsklausel der Landesverfassung ab. Eine Verfassungsnorm müsse nach diesen Vorgaben anderen Änderungsvoraussetzungen unterliegen als das einfache Gesetz. Nur dann könne durch das Verfassungsrecht eine Strukturierung der Staatsgewalt erreicht werden. Daher hielt der Gerichtshof eine Erschwerung von plebiszitären Verfassungsänderungen und somit einen erhöhten Bestandsschutz zugunsten der Verfassung für unumgänglich.780
II. Fragestellung In der Literatur zum Bundesrecht wird die Auffassung, daß der Vorrang der Verfassung781 notwendig mit einer erschwerten Abänderbarkeit einhergeht, des Öfteren auf dem Ausgangspunkt basierend vertreten, daß es dabei um eine erschwerte Abänderbarkeit der Verfassung im Vergleich zum normalen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren geht.782 Dies stellt somit eine die parlamentarischen Verfahren783 der Gesetzgebung und der Verfassungsänderung 777 Vgl.
nochmals BayVerfGHE 52, 104 (127). nochmals BayVerfGHE 53, 42 (65 ff.). 779 BayVerfGHE 53, 42 (Leitsatz 1.). 780 Vgl. nochmals ThürVerfGH ThürVBl. 2001, 31 (44). 781 Zum Vorrang der Verfassung vgl. in der Literatur Badura, HStR VII, § 160; Dreier 1999; Grabenwarter 2010; Horn 1999 I; Isensee 1999; Kirchhof, HStR I, § 19; Lecheler 1985; Limbach 2001; Rinken 2001; Sachs 1999; Schilling 1994; Schönberger 2011; Starck, HStR VII, § 164; Storr 1995; Unruh 2002; Wahl 1981; Winterhoff 2007. 782 So Badura, HStR VII, § 160, 3; Starck, HStR VII, § 164 Rn. 9; Kirchhof, HStR I, § 19 Rn. 31; Winterhoff 2007, 111. 783 Im Folgenden soll der Begriff „parlamentarisches Verfahren“ aus Vereinfachungsgründen stellvertretend für die Gesetzgebungsverfahren in den Repräsentativ778 Vgl.
F. Erschwerte Abänderbarkeit der Länderverfassungen299
vergleichende Sichtweise dar und ist im Rahmen verfassungsrechtlicher Grundlagenliteratur mutmaßlich dem Umstand geschuldet, daß primär die Verfassungsordnung des Grundgesetzes betrachtet wird. Diese sieht aktuell jedoch keine Volksgesetzgebungsverfahren vor – sowohl hinsichtlich des Erlasses einfacher Gesetze als auch hinsichtlich des Erlasses verfassungsändernder Gesetze. Dessen ungeachtet sind diese Ansichten für die vorliegende Untersuchung relevant, da sie zum Meinungsspektrum zählen, anhand dessen das Prinzip des Vorrangs der Verfassung inhaltlich zu erfassen ist. Zufolge vorstehend benannter Ansichten verlöre der Vorrang der Verfassung jedenfalls dann seine Bedeutung, wenn der Gesetzgeber durch einfaches Gesetzesrecht die durch die verfassunggebende Gewalt des Volkes geschaffene Verfassung ohne weiteres abändern könnte.784 Maßgebendes Argument ist somit, daß der verfassunggebenden Gewalt des Volkes eine gewisse „Fernwirkung“ gegenüber den staatlichen Organen in Form einer besonderen Wertigkeit zukommen soll. Isensee geht in der Argumentation weiter und führt aus, daß Art. 28 I 1 GG einen Homogenitätsgrundsatz beinhalte, aufgrund dessen die Länder ihren Verfassungen durch deren erschwerte Abänderbarkeit Bestandsschutz und somit Vorrang vor dem einfachen Gesetz gewährleisten müßten. Die erschwerte Abänderbarkeit einer Verfassung diene unter anderem dazu, ihre Geltung zu festigen, die Dominanz der repräsentativen Demokratie zu schützen, sowie eine apathische Mehrheit vor aktivistischen Minderheiten zu schützen.785 Eng mit dieser Sichtweise hängt der – vorstehend in Teil I B. erörterte – Aspekt zusammen, inwiefern das plebiszitäre Verfahren bezüglich einer Verfassungsänderung bereits aus sich heraus im Verhältnis zum parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren erschwert ist. Diesbezüglich wird das Argument vertreten, daß Sinn und Zweck des Vorrangs der Verfassung gerade der Vorrang gegenüber dem normalen Gesetzgeber sei. Die Gesetzgebung durch das Volk und damit die Rückbindung an den Souverän stelle insofern bereits die maßgebliche Erschwerung dar, da eine Verfassungsänderung durch das Volk viel seltener und schwieriger bewerkstelligt werde als im Parlament.786 körperschaften nach dem Grundgesetz sowie nach den Landesverfassungen verwendet werden, auch wenn dieses auf Bundesebene wegen der Einbindung des Bundesrates kein ausschließlich parlamentarisches Verfahren darstellt. 784 Winterhoff 2007, 110 f.; Starck, HStR VII, § 164 Rn. 9; Kirchhof, HStR I, § 19 Rn. 31; zu gedanklichen Grundzügen der Konstruktion des Vorrangs der Verfassung basierend auf der Unterscheidung zwischen verfassunggebender und verfaßter Gewalt in der Französischen Revolution vgl. Unruh 2002, 155 ff. 785 Isensee 1999, 44 ff.; zustimmend Horn 1999 I, 431 f. 786 Vgl. nochmals Dreier 1999, 518; sowie ausführlich in Bezug auf die Parallelproblematik für die Bayerische Verfassung vorstehend Teil 1 B.III.2.e)cc).
300
Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
Literatur, die sich mit dem Landesverfassungsrecht beschäftigt, nimmt dagegen eher eine Perspektive innerhalb der Volksgesetzgebung ein. Dabei werden die Anforderungen, die ein Volksgesetzgebungsverfahren hinsichtlich des Erlasses eines einfachen Gesetzes erfüllen soll, mit solchen bezüglich eines Volksgesetzgebungsverfahrens, durch welches eine Verfassungsänderung angestrebt wird, ins Verhältnis gesetzt. Hätten die Volksentscheide über einfache Gesetze und über Verfassungsänderungen die gleiche Hürde, würde der Volksgesetzgeber im Zweifel zu einem verfassungsändernden Gesetz greifen, welches der parlamentarische Gesetzgeber wiederum nur unter seinerseits erschwerten Bedingungen abändern könne, lautet die Befürchtung. So drohe das plebiszitäre Überrollen des parlamentarischen Systems und eine Änderung auch der Entscheidungsmaßstäbe der Verfassungsgerichtsbarkeit.787 Nach der Gegenauffassung ist der Grundsatz des Vorrangs der Verfassung nicht notwendig mit einer erschwerten Abänderbarkeit der Verfassung verbunden.788 Bei der letztgenannten Perspektive, die innerhalb der Volksgesetzgebung vergleicht, scheint auch der Schwerpunkt für die folgende Betrachtung liegen zu müssen. Es ist also zu fragen, ob das Prinzip des Vorrangs der Verfassung eine erschwerte Abänderbarkeit der Landesverfassungen bedingt, und zwar in der Weise, daß der verfassungsändernde Volksgesetzgeber höhere Hürden überwinden muß als der ein einfaches Gesetz erlassende Volksgesetzgeber. Im Folgenden soll dabei ausschließlich geprüft werden, ob Art. 28 I 1 GG den Ländern über den Vorrang der Verfassung die so verstandene bundesrechtliche Vorgabe macht, ihre Verfassungen einer erschwerten Abänderbarkeit zu unterwerfen. Bereits vorstehend ist für Bayern nachgewiesen worden, daß die Bayerische Verfassung jedenfalls im Verhältnis zur parlamentarischen Verfassungsänderung (auch) im reinen Volksgesetzgebungsverfahren erschwert abänderbar ist und insofern keinen internen Systembruch aufweist.789 Im Folgenden wird zunächst kurz dargestellt, welchen Inhalt das Prinzip des Vorrangs der Verfassung hat und wo es im Grundgesetz verankert ist. Sodann müssen die verschiedenen Schichten der Diskussion auseinandergehalten und soll schließlich die Fragestellung beantwortet werden.
III. Inhalt des Prinzips des Vorrangs der Verfassung Eine Rechtsordnung, die einen Verfassungsvorrang vorsieht, muß notwendig in einem Stufenbau konstruiert sein. Eine Norm ist dabei um so höhernochmals Isensee 1999, 64 ff. 1999, 516 f. 789 Vgl. dazu vorstehend Teil 1 B.III.2.e). 787 Vgl.
788 Dreier
F. Erschwerte Abänderbarkeit der Länderverfassungen301
rangiger, je weiter oben sie in diesem System steht. Dieser Stufenbau einer Rechtsordnung läßt sich abstrakt in verschiedene Bestandteile zerlegen, welche sich in ihren Wirkungsweisen unterscheiden. 1. Ableitungszusammenhang Zunächst bewirkt der Stufenbau der Rechtsordnung, daß die Rechtsvorschriften innerhalb dieser aufeinander aufbauen und somit in einem Konstruktionszusammenhang stehen. Dadurch lassen sie sich voneinander ableiten und stehen deshalb in einem Ableitungs- oder Entstehungszusammenhang in der Weise zueinander, daß die abgeleitete Norm nicht nur zeitlich nachfolgend zu, sondern aus der jeweiligen Bezugsnorm erzeugt wird. Unter der Bezugsnorm versteht man dabei die bedingende Norm, d. h. diejenige, die sowohl formal als auch inhaltlich den Maßstab und die Ressource bildet, um als Erzeugungsregel eine abgeleitete Norm formen zu können.790 Besonders deutlich wird die Funktion des Ableitungszusammenhangs, wenn man sich die formale Seite desselben vor Augen führt. Voraussetzung für den Stufenbau nach dem rechtlichen Erzeugungszusammenhang ist insofern, daß in der Verfassung Aussagen über die Staatsorganisation enthalten sind, also die Kreation von Verfassungsorganen und die Fixierung von deren Kompetenzen.791 Ergebnis eines Ableitungsvorgangs ist regelmäßig, daß die abgeleitete Norm aufgrund ihrer Bedingtheit durch die Erzeugungsregel im Rang innerhalb des Stufenbaus der Rechtsordnung niedriger steht. Umgekehrt hat die Erzeugungsregel insofern einen höheren Rang als diejenigen Normen, die in Anwendung Ersterer entstanden sind.792 Indem der Stufenbau der Rechtsordnung den Ableitungszusammenhang zwischen Normen unterschiedlichen Rangs regelt, ergibt sich somit eine Normenhierarchie. Aus Sicht der Verfassung bedeutet dies, daß sich im Ergebnis die Geltung einer jeden Norm im Sinne von ihrer Existenz auf die Verfassung zurückführen läßt. Die Verfassung eines Staates schließt somit den Stufenbau der Rechtsordnung – von „unten“ betrachtet – ab, beziehungsweise leitet ihn – von „oben“ (also der Konstruktionsspitze) betrachtet – ein. Da es zur Geltung der Normen auf den einzelnen Stufen erforderlich ist, daß die jeweils höhere Norm die Erzeugung der Normen niederen Ranges regelt (respektive zu deren Erlaß ermächtigt), ermöglicht der Stufenbau der Rechtsordnung die Ein790 Vgl. Grabenwarter 2010, 394 ff.; Dreier 1999, 516 beschränkt den Ableitungszusammenhang dagegen auf den formalen Aspekt. 791 Dreier 1999, 516. 792 Grabenwarter 2010, 395.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
teilung sämtlicher in einer Rechtsordnung geltender Normen nach ihrer rechtlichen Bedingtheit.793 2. Bindungswirkung Der Stufenbau der Rechtsordnung beinhaltet als weitere Funktion, die Geltungskraft des materiellen Gehalts der jeweils höherrangigen Norm gegenüber der Norm niederen Ranges zu bewahren und zu schützen. Sollte eine rangniedrigere Norm dem Inhalt einer ranghöheren Norm inhaltlich widersprechen, wird die Wirksamkeit der rangniedrigeren Norm durch die Bindungswirkung der ranghöheren Norm deshalb eingeschränkt.794 Diese Komponente wird auch als Stufenbau nach der derogatorischen Kraft bezeichnet. Dabei hat eine Norm derogierende Kraft, wenn sie eine andere Norm in ihrer Geltung aufhebt, ihr mithin derogiert.795 Aus der Verfassungsperspektive stellt sich dies maßgeblich als Bindungswirkung gegenüber den Staatsgewalten dar.796 Der Vorrang der Verfassung umfaßt dabei gemäß Art. 1 III, 20 III GG insbesondere auch den förmlichen Gesetzgeber. Die Normen der Verfassung haben gegenüber den einfachen Gesetzen kraft ihres höheren Ranges somit eine Maßstabsfunktion.797 Begreift man eine Norm niedrigeren Ranges, die den Bedingungen einer Norm höheren Ranges nicht entspricht, als eine fehlerhafte Norm, so handelt es sich bei der Aufhebung der Geltung der fehlerhaften Norm um die Korrektur eines jederzeit erwartbaren Fehlers im Rechtssystem.798 Insbesondere und mit herausgehobener Wirkungsmacht kann ein Verfassungsgericht – so es die betreffende Staatsordnung vorsieht – durch Überprüfung und gegebenenfalls Verwerfung eines einfachen Gesetzes im Falle des Widerspruchs zur Verfassung diesem Vorrang zur Umsetzung verhelfen.799 Die Verfassung wird in diesem Fall zu einem rechtlichen Maßstab, der mittels einer besonderen Gerichtsbarkeit Anwendung findet. Dieser Maßstab 793 Schilling
1994, 163 f. zu dieser Wirkungsweise des Vorrangs einer Norm Schilling 1994, 458 ff.; vgl. auch Badura, Staatsrecht, D 3 c Rn. 51; Sachs 1999, 147 sowie S. 148: „Der Vorrang der Verfassung ist […] eine Kollisionsnorm.“ 795 Grabenwarter 2010, 396. 796 Vgl. hierzu Limbach 2001, 9. 797 Dreier 1999, 516; vgl. auch Schönberger 2011, 387: „Die Redeweise vom Vorrang der Verfassung konzentriert also die Frage nach der rechtlichen Bedeutung der Verfassung auf deren Durchsetzung gegenüber dem Gesetz, auf Normenkonflikt und Normenkontrolle im Verhältnis von Gesetz und Verfassung.“ 798 Grabenwarter 2010, 399: „Lehre vom Fehlerkalkül“. 799 Dreier 1999, 516; ebenso Limbach 2001, 15. 794 Vgl.
F. Erschwerte Abänderbarkeit der Länderverfassungen303
muß sich vom einfachen Recht deutlich abheben und von diesem durch eigenständige verfassungsrechtliche Begriffe getrennt sein, soll er diese Rolle mit Gewinn für einen Staat ausfüllen.800 Dabei geht es insbesondere auch um die Bestimmung des Umfangs des Nachrangs des Gesetzgebers gegenüber der historischen verfassunggebenden Institution, dem verfassungsändernden Gesetzgeber und jeweils aktuell gegenüber der Instanz, welche die Verfassung verbindlich auslegt.801 3. Erschwerte Abänderbarkeit der Verfassung Als drittes Element des Stufenbaus der Rechtsordnung, wie er vom Vorrang der Verfassung vorausgesetzt wird, ist schließlich die erschwerte Abänderbarkeit zu nennen. Die Meinungen gehen jedoch – wie bereits angesprochen – hinsichtlich der Frage auseinander, ob die erschwerte Abänderbarkeit der Verfassung als notwendiger802 oder nur möglicher803 Bestandteil des Vorrangs der Verfassung zu verstehen ist. Die oft zitierte Fundstelle bei Jellinek dagegen läßt sich nicht ohne Weiteres in eine dieser beiden Kategorien einordnen. Dafür, daß Jellinek die „erhöhte formelle Gesetzeskraft“ eines Verfassungsgesetzes als zwingend ansieht, spricht, daß er dieselbe als dessen „wesentliche[s] rechtliche[s] Merkmal bezeichnet.804 Andererseits scheint Jellinek maßgeblich (lediglich) auf die Konsequenz beziehungsweise Folgerichtigkeit innerhalb einer Rechtsordnung abzustellen, wenn er formuliert: „Irgendwelche praktische juristische Bedeutung kommt den Verfassungen in den Staaten, die keine besonderen erschwerenden Formen für deren Feststellung und Abänderung haben, nicht zu.“805 Deshalb könnte man Jellinek auch so verstehen, daß er es zwar für praktisch sinnvoll, aber nicht für rechtlich zwingend hält, daß die Verfassung einer erschwerten Abänderbarkeit unterliegt. 800 Wahl
1981, 486 f. 1981, 487, der weiter ausführt, daß durch die Entfaltung einer umfassenden Verfassungsgerichtsbarkeit, indem sie die rechtlichen Bindungen des politischen Prozesses effektuiere, eine Steigerung der partiellen Verrechtlichung des politischen Prozesses erreicht werde, S. 487 f. Zur Frage der Unterschiedlichkeit von Verfassungsordnungen mit und ohne Verfassungsgerichtsbarkeit vgl. sodann S. 488 ff. 802 So BremStGH NVwZ-RR 2001, 1; BayVerfGHE 53, 42; ThürVerfGH ThürVBl. 2001, 31; Isensee 1999; sowie – wie gezeigt – unter etwas anderer Prämisse Badura, HStR VII, § 160, 3; Starck, HStR VII, § 164 Rn. 9; Kirchhof, HStR I, § 19 Rn. 31; Winterhoff 2007, 111. 803 So Sachs, in: Sachs, GG, Einführung Rn. 8; Sachs 1999, 149; Dreier 1999, 516 f. 804 Jellinek 1914, 534. 805 Jellinek 1914, 534. 801 Wahl
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
4. Zwischenergebnis Die erschwerte Abänderbarkeit der Verfassung stellt nur einen Teilaspekt des Prinzips des Vorrangs der Verfassung dar. Wesentliche Funktionen innerhalb einer stufenweise aufgebauten Rechtsordnung kann der Vorrang der Verfassung somit auch ohne diesen leisten, weswegen das Argument des Thüringer Verfassungsgerichtshofs, daß die Bindung des einfachen Gesetzes an das höherrangige Verfassungsrecht nur dann die ihr zugedachte Wirkung, nämlich die Staatsgewalt rechtlich zu strukturieren, entfalte, wenn die Verfassungsnorm anderen Änderungsvoraussetzungen unterliege als das einfache Gesetz,806 so pauschal nicht überzeugen kann. Es ist aber auch nicht eindeutig widerlegbar, daß das Prinzip des Vorrangs der Verfassung unter keinen Umständen Vorgaben hinsichtlich einer Anhebung der Voraussetzungen eines Verfahrens zur Verfassungsänderung im Vergleich zum Verfahren der einfachen Gesetzgebung macht.
IV. Verortung des Vorrangs der Verfassung im Grundgesetz Das Grundgesetz ist eine Verfassung, welche in der deutschen Rechtsordnung das Prinzip des Vorrangs der Verfassung verankert. Grundsätzlich bezieht sich der Vorrang der Verfassung auf alles übrige innerstaatliche Recht. Jenem gegenüber hebt sich das Verfassungsrecht ab. Dies äußert sich ganz grundsätzlich dadurch, daß das Verfassungsrecht nicht durch einfache Gesetze abgeändert oder aufgehoben werden kann und sich kein staatlicher Akt in Widerspruch zum Verfassungsrecht setzen darf.807 Verortet wird das Prinzip des Vorrangs der Verfassung in Art. 1 III GG808 sowie in Art. 20 III GG.809 Art. 1 III GG bestimmt, daß die staatlichen Gewalten des Bundes und der Länder810 an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht gebunden sind. Damit normiert Art. 1 III GG eine Grundrechtsbindung jeglicher staatlichen Herrschaftsausübung. Die Grundrechte des Grundgesetzes haben somit einerseits eine objektiv-rechtliche Bedeutung811 und 806 ThürVerfGH
ThürVBl. 2002, 31 (44). 1994, Rn. 14. 808 Dreier 1999, 516; Dreier, in: Dreier, GG I, Art. 1 III Rn. 1; Hesse 1994, Rn. 14; wohl auch Lecheler 1985, 362 f. 809 Grabenwarter 2010, 400; Dreier 1999, 516; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 95; Hesse 1994 Rn. 14; Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG II, Art. 79 Rn. 46; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 81. 810 Dreier, in: Dreier, GG I, Art. 1 III Rn. 37; auf die Bedeutung des föderalen Problems des Vorrangs des Bundesrechts gegenüber dem Landesrecht weist auch Schönberger 2011, 387 f. hin. 811 Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG I, Art. 1 Rn. 153, 170. 807 Hesse
F. Erschwerte Abänderbarkeit der Länderverfassungen305
verbürgen andererseits – im Unterschied zur Weimarer Reichverfassung, wo sie aus unterschiedlichen Gründen nur eine geringe Wirkkraft hatten812 – gerichtlich durchsetzbare subjektive Rechte des einzelnen Bürgers.813 Nach Art. 20 III GG sind die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung sowie die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden. Damit kennzeichnet Art. 20 III GG wesentliche Elemente des Rechtsstaatsprinzips,814 welches durch Normen ausgeprägt wird, die die staatliche Machtausübung rechtlich binden, organisieren und begren zen.815 Die Gesetzgebung nimmt dabei – abgetrennt von Verwaltung und Rechtsprechung – eine Schlüsselfunktion im demokratischen Rechtsstaat ein, weil der Staat nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes in Freiheit und Eigentum des Einzelnen eingreifen darf.816 Die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung bedeutet daher den Vorrang der Verfassung vor dem Gesetz.817 Dem Rechtsstaatsprinzip ist der Vorrang der Verfassung am ehesten zu entnehmen.818 Über Art. 28 I 1 GG wird dann der Vorrang der Verfassung für die Länder relevant. Das Grundgesetz gibt den Ländern über das Homogenitätsgebot den von ihm selbst praktizierten Vorrang der Verfassung als Bestandteil der Verpflichtung auf das Rechtsstaatsprinzip819 beziehungsweise Resultat der Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung820 verbindlich vor.821 Diese 812 Dreier,
HGR I, § 4 Rn. 13 ff. mit detaillierten Ausführungen. in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 31; Kunig, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 1 Rn. 48, 50; Dreier, in: Dreier, GG I, Art. 1 III Rn. 32, 35; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG I, Art. 1 Rn. 146, 152 f. 814 Konstatierend Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 37; zur Herleitung des Rechtsstaatsprinzips zumindest auch aus Art. 20 III vgl. Sommermann, in: v. Man goldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 Rn. 226 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 38; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 75; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf, GG, Art. 20 Rn. 57; ablehnend diesbezüglich jedoch Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 32 ff., insb. Rn. 34. 815 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 38. 816 Badura, Staatsrecht, D 3 c Rn. 49. 817 Badura, Staatrecht, D 3 c Rn. 50; zur Abgrenzung der Prinzipien des Vorrangs der Verfassung vom Vorbehalt der Verfassung vgl. Pitzen 2013, 28 f., wonach die Beantwortung der Frage, ob das Grundgesetz im Einzelfall überhaupt eine Norm enthalte, die gegenüber nachrangigen Normen die Wirkung des Vorrangs der Verfassung entfalten könne, in den Anwendungsbereich des Letzteren gehöre und damit auch auf Verfassungsebene nicht funktionslos sei. 818 Sachs 1999, 141. 819 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 28 Rn. 56. 820 Tettinger / Schwarz, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 55. 821 A. A. Sachs 1999, 147, wonach Art. 20 III GG für die Länder unmittelbar den Vorrang der Verfassung vorgibt. 813 Jarass,
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
Modalitäten gelten freilich nicht eins zu eins für die Länder. Bei den in Art. 28 I 1 GG enthaltenen Elementen handelt es sich um Rahmenvorschriften, d. h. um Normativbestimmungen des Grundgesetzes in Bezug auf die Verfassungen der Länder, wodurch Art. 28 I 1 GG Anforderungen an die Landesverfassungen und an das übrige Landesrecht stellt.822 Der Charakter von Art. 28 I 1 GG als Normativbestimmung bewirkt somit, daß den Bundesländern ein Spielraum bei der Ausgestaltung ihrer verfassungsmäßigen Ordnung in eigener Verantwortung verbleibt.823 Nur, wenn das Absehen einer Landesverfassung von einer erschwerten Abänderbarkeit nicht mehr dem geforderten Mindestmaß der in Art. 28 I 1 GG ausgesprochenen Bindung der verfassungsmäßigen Ordnung in den Ländern an die dort genannten Grundsätze (des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats) entspräche, ergäbe sich somit aus Art. 28 I 1 GG eine bundesverfassungsrechtliche zwingende Vorgabe für die Länder, ihre Verfassungen mit einer erschwerten Abänderbarkeit (auch) im Volksgesetzgebungsverfahren auszustatten.824
V. Pflicht der Länder zur Verfassunggebung? Art. 28 I 1 GG bindet die „verfassungsmäßige Ordnung“ in den Ländern an die Grundsätze des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes. Bei der Prüfung, ob der Grundsatz des Vorrangs der Verfassung den Ländern zwingend eine erschwerte Abänderbarkeit ihrer Verfassungen vorgibt, stellt sich nun die Frage, ob die Länder durch Art. 28 I 1 GG verpflichtet werden, sich überhaupt eine Verfassung zu geben. Dabei geht es nicht um den unzweifelhaft zu bejahenden Aspekt, daß die Länder durch materielles Verfassungsrecht die Grundfragen ihrer staatlichen Herrschaftsordnung und die Position des einzelnen Bürgers regeln müssen, sondern um die Notwendigkeit formellen Landesverfassungsrechts, worunter ein Bestand von in einer Verfassungsurkunde zusammengefaßten Bestimmungen zu verstehen ist, die als „Verfassung“ gekennzeichnet sind.825 Unter der materiellen Verfassung versteht auch die Definition von Jellinek „die Rechtssätze, welche die obersten Organe des Staates bezeichnen, die die Art ihrer Schöpfung, ihr gegenseitiges Verhältnis und ihren Wirkungskreis festsetzen, ferner die grundsätzliche Stellung des Einzelnen 822 Mehde, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 28 I. (2014) Rn. 30; vgl. auch Stern, in: BK GG, Art. 28 (1964) Rn. 14. 823 Vgl. ausführlich vorstehend A.II. 824 Ebenso für das Subproblem der Verpflichtung der Länder auf die Gebung einer förmlichen Verfassung Sachs 1999, 141. 825 Sachs 1999, 137.
F. Erschwerte Abänderbarkeit der Länderverfassungen307
zur Staatsgewalt“. Die formelle Verfassung ist in Abgrenzung zu den materiellen Gehalten auch bei Jellinek die „geschriebene Verfassung, d. h. die Gesamtheit aller Rechtssätze, die in einer Verfassungsurkunde zusammengefaßt sind“.826 1. Verneinende Ansichten Argumentiert wird an dieser Stelle von Dreier, daß die Länder keiner grundgesetzlichen Pflicht zur förmlichen Verfassunggebung unterlägen827 und daher erst recht die Freiheit besäßen, die Änderung ihrer Verfassungen eigenen Regeln zu unterstellen. Dies umfasse auch die Freiheit der Länder, sich nicht am Modell der erschwerten Abänderbarkeit zu orientieren, welches das Grundgesetz verfolge.828 Dem stehe auch nicht entgegen, daß Art. 28 I 1 GG ausdrücklich davon spreche, daß die „verfassungsmäßige Ordnung“ in den Ländern den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaates entsprechen müsse. Denn dieses Merkmal stelle das gesamte Landesrecht zur Prüfung am Maßstab des Art. 28 I 1 GG, ohne Rücksicht darauf, ob es in einer förmlichen Verfassungsurkunde niedergelegt sei oder nicht. Dementsprechend verfahre auch das Bundesverfassungsgericht mit großer Selbstverständlichkeit.829 Die Ausführungen von Sachs gehen in die gleiche Richtung. Der Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung“ werde im Grundgesetz mehrfach verwendet. Seine Bedeutung könne zwar nicht für alle Anwendungsfälle einheitlich bestimmt werden – an keiner Stelle könne er jedoch als Synonym für „die Verfassung“ im Sinne des formellen Verfassungsrechts verstanden werden. Selbst im Rahmen von Art. 20 III GG beziehe sich die Bindung der materiellen Staatsfunktion Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung nicht allein auf das Grundgesetz, sondern bezeichne alle aufgrund der Normenhierarchie höherstehenden Normen im Verhältnis zur jeweiligen Gesetzgebung.830 826 Jellinek
1914, 505, 534. in: Dreier, GG II, Art. 28 Rn. 43; zustimmend Tettinger / Schwarz, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 28 Rn. 3, Fn. 11; ausführlich auch Sachs 1999, 140 ff.; tendenziell ebenso, aber im Ergebnis offen lassend dagegen Sachs 1997, 489 f. 828 Dreier 1999, 514. 829 Dreier 1999, 514 unter Hinweis auf BVerfGE 9, 268; 83, 60; ebenso hinsichtlich des Prüfungsgegenstands von Art. 28 I 1 GG Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 28 Rn. 3. Das Bundesverfassungsgericht erklärte in BVerfGE 9, 268 (278 ff., 291) Teile des Bremer Personalvertretungsgesetzes und in BVerfGE 83, 60 (76 ff.) Teile des Hamburger Ausländerwahlgesetzes für unvereinbar mit Art. 28 I GG. Dabei handelte es sich um Normen von einfachem Gesetzesrang. 830 Sachs 1999, 138. 827 Dreier,
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
Auch Storr vertritt die Auffassung, daß Art. 28 I 1 GG in seinem Merkmal „verfassungsmäßige Ordnung“ nicht auf die formelle, sondern auf die rechtlichen Grundlagen des Landes überhaupt abstelle. So habe der Parlamentarische Rat bewußt vom Begriff „Verfassungen“ abgesehen und statt dessen „verfassungsmäßige Ordnung“ gewählt. In den Ländern habe es zu diesem Zeitpunkt noch nicht überall Verfassungskodifikationen gegeben, weswegen es auf den tatsächlichen und rechtlichen Zustand in den Ländern ankommen sollte.831 Bestätigt werde dieses Ergebnis durch den Umstand, daß nach Sinn und Zweck des Art. 28 I 1 GG auch die „Verfassungswirklichkeit“ mit einbezogen werden sollte. Diese umfasse nicht nur die Rechtssätze, sondern den Sinn und die Wirklichkeit der Verfassung, mithin die konkrete Anwendung und Auslegung von Verfassungsrechtssätzen.832 2. Bejahende Ansichten Nach Ansicht von Löwer begründet Art. 28 I 1 GG dagegen eine objektive bundesverfassungsrechtliche Pflicht der Gliedstaaten, den Mindestbestand beziehungsweise ein Organisationsstatut einer staatsgrundgesetzlich verfaßten Ordnung zu schaffen. Gefordert sei eine Ordnung nach dem Maß einer Verfassung, das bestimmten qualitativen Elementen genüge. Dazu zählt Löwer neben der Schriftlichkeit und der Kraft, alle Staatsgewalt zu binden, auch die erschwerte Abänderbarkeit.833 Auch nach Stern setzt das Rechtsstaatsprinzip die Existenz einer Verfassung als rechtlicher Grundordnung und höchstrangiger staatlicher Rechtsnorm voraus.834 3. Stellungnahme Im Ergebnis sprechen die besseren Gründe dafür, daß Art. 28 I 1 GG den Ländern zur Sicherstellung bundesstaatlicher Homogenität lediglich Vorgaben hinsichtlich materieller Rechtsgehalte macht und ihnen darüber hinaus keine Pflicht zur Kodifikation einer förmlichen Verfassung auferlegt. So wäre zunächst eine kaum zu erklärende Lückenhaftigkeit in der am Maßstab des Art. 28 I 1 GG überprüfbaren Rechtsmaterie zu konstatieren, wenn Art. 28 I 1 GG sich mit dem Terminus der „verfassungsmäßigen Ordnung in den Ländern“ in Folge und Konsequenz einer Verpflichtung der 831 Vgl.
Rat.
Storr 1995, 179 f. m. w. N. zu den Verhandlungen im Parlamentarischen
832 Storr 1995, 180; ebenso, allerdings unter Ausklammerung der Entstehungsgeschichte von Art. 28 III GG Sachs 1999, 139. 833 Löwer, in: v. Münch / Kunig, GG I, Art. 28 Rn. 9. 834 Stern 1984, 784.
F. Erschwerte Abänderbarkeit der Länderverfassungen309
Länder zur formellen Verfassunggebung nur auf formelles Landesverfassungsrecht bezöge. Denn in diesem Fall könnten die Länder ihre Rechtsordnungen dem bundesverfassungsrechtlichen Homogenitätsgebot zumindest teilweise entziehen, indem sie verstärkt Regelungen im Wege einfacher Gesetzgebung erließen. Da deren materieller Inhalt dann aber nicht am Maßstab des Art. 28 I 1 GG überprüfbar wäre, könnte ein entsprechender Verstoß auch nicht sanktioniert und aus der bundesstaatlichen Ordnung entfernt werden.835 Festzuhalten bleibt daher, daß materielles Verfassungsrecht auch durch einfaches Gesetz begründet werden kann.836 Dieses muß jedoch genauso wie formelles Verfassungsrecht an Art. 28 I 1 GG zu überprüfen sein. Hinzu kommt, daß das Grundgesetz selbst für einen rechtsstaatlichen Mindeststandard in den Ländern Sorge trägt, indem es in den Ländern über Art. 1 III GG die Grundrechtsbindung der Landesstaatsgewalt einschließlich der Landesgesetzgebung sicherstellt und auch die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG unmittelbar auf die Rechtsordnungen der Länder wirkt.837 Insofern findet bundesverfassungsrechtlich bereits eine nicht unerhebliche Beschränkung der Verfassungshoheit der Länder statt.838 Art. 1 III GG bindet die gesamte Staatsgewalt in den Ländern inklusive der verfassunggebenden Gewalt; gemäß Art. 31 GG bricht Bundesrecht jeder Art und Stufe kollidierendes Landesrecht jeder Art und Stufe.839 Art. 31 GG ist als Durchgriffsnorm eine effektive Norm, um etwaigen Widersprüchen zwischen Bundes- und Landesrecht zu begegnen. Durchgriffsnormen unterscheiden sich von den Normativbestimmungen, zu denen auch Art. 28 I GG zählt. Normativbestimmungen wie das Homogenitätsgebot stellen lediglich eine normative Vorgabe für die Länder dar. Durchgriffsnormen setzen dagegen unmittelbar in den Ländern verbindliches Recht.840 So flankiert Art. 31 GG das Homogenitätsgebot des Art. 28 I 1 GG und kann auch neben ihm zu Anwendung kommen. Das liegt daran, daß Normwidersprüche zwischen Landesverfassungs- und Bundesrecht auch innerhalb der durch Art. 28 I 1 GG abgesteckten Verfassungsautonomie keineswegs ausgeschlossen sind. Dies betrifft zum Beispiel Staatsfundamentalnormen, die von den Ländern in ihre Verfassungen aufgenommen werden können. Stimmen solche nicht mit den entsprechenden Staatsfundamentalnor835 Zu Recht daher Dreier 1999, 514; Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 28 Rn. 43, 60; Storr 1995, 180 (zur Rechtsfolge der Nichtigkeit von Landesrecht im Falle eines Verstoßes gegen Art. 28 I GG vgl. ebenda S. 197 f.). 836 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 28 Rn. 43. 837 Sachs 1999, 142 f. 838 „Empfindlich“ nach Dreier 1999, 514. 839 Dreier 1999, 514 f. 840 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 28 Rn. 50.
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men der Bundesverfassung überein, ist das ein Anwendungsfall von Art. 31 GG.841 Somit spricht viel dafür, daß Art. 28 I 1 GG den Ländern keine Pflicht zur Verfassunggebung auferlegt und bundesstaatliche Homogenität anhand einer „materiellen Ergebniskontrolle“ sicherstellt, indem es neben den – flexiblen – Vorgaben des Art. 28 I 1 GG sog. Durchgriffsnormen wie Art. 1 III GG vorsieht und einen generellen Vorrang des Bundesrechts jeder Stufe gegenüber dem Landesrecht jeder Stufe einschließlich des Landesverfassungsrechts normiert.842 4. Schlußfolgerungen für das Prinzip des Vorrangs der Verfassung Geht man davon aus, daß Art. 28 I 1 GG die Länder nicht zu einer förmlichen Verfassunggebung verpflichtet, so spricht in der Tat einiges für die Schlußfolgerung, daß Art. 28 I 1 GG dann den Ländern auch nicht eine bundesrechtliche Pflicht des Inhalts auferlegt, ihre autonom kodifizierten Verfassungen einer erschwerten Abänderbarkeit zu unterstellen.843 Diesem Gedanken hält Horn freilich entgegen, daß der Inhalt des Homogenitätsgebots hinsichtlich einer Vorgabe der erschwerten Verfassungsänderung unabhängig von der Frage, ob Art. 28 I 1 GG es den Ländern auferlege, sich überhaupt eine Verfassung zu geben, festzustellen sei. Der Vorrang und die typische Formqualität des Verfassungsgesetzes knüpfe an die bloße Existenz desselben an, so daß sie im Fall der Nichtexistenz einer Verfassung zwar ins Leere griffen, nicht aber entfielen.844 Auch Rinken argumentiert in eine ähnliche Richtung: Selbst wenn man den Ausgangspunkt von der fehlenden Pflicht zur Verfassunggebung als richtig unterstelle, ergebe sich aus ihm keinerlei Aufschluß über die Folgen, die sich aus dem Vorhandensein einer geschriebenen maßstäblichen Verfassung ergäben. Zwar erschöpfe sich der Vorrang der Verfassung nicht in der Erschwerung von Verfassungsänderungen, er habe diese Erschwerung aber zur prozeduralen Konsequenz.845 Vorgenannte Ansichten befürworten somit im Ergebnis eine Verpflichtung zur Kodifikation verfahrensmäßiger Erschwernisse bei Verfassungsänderun841 Storr
1995, 201 m. w. N. Dreier 1999, 515. 843 So Dreier 1999, 514: „Wenn ein Bundesland die Freiheit hat, auf eine förmliche Verfassung zu verzichten, dann hat es auch die Freiheit, die Änderung seiner Verfassung nach eigenen Regeln zu organisieren, die […] gegenüber der einfachen Gesetzgebung keine Erschwerung darzustellen scheinen. Das Land kann sich am Modell erschwerter Abänderbarkeit orientieren, muß es aber nicht.“ 844 Horn 1999 I, 432. 845 Rinken 2001, 420 f. 842 Vgl.
F. Erschwerte Abänderbarkeit der Länderverfassungen311
gen jedenfalls für diejenigen Länder, die sich eine förmliche Verfassung gegeben haben. Konsequenterweise wäre daraus allerdings auch zu folgern, daß die Pflicht aus dem Vorrang der Verfassung, Länderverfassungen einer erschwerten Abänderbarkeit zu unterstellen, nur für solche Länder gölte, die sich eine Verfassung tatsächlich gegeben haben. Diese Auffassung würde somit eine Art Selbstbeschneidung der Länder in ihrer eigenen Rechtssetzungskompetenz aufgrund autonomer Kompetenzwahrnehmung durch formelle Verfassunggebung bejahen. Ein Land, daß auf eine förmliche Verfassung verzichtete, unterläge nämlich nicht der Pflicht, eine erschwerte Abänderbarkeit für seine materiellen Verfassungsnormen vorzusehen; ein Land hingegen, daß von seinem Recht zum Erlaß einer förmlichen Verfassung Gebrauch gemacht hat, unterläge jener Verpflichtung dagegen sehr wohl. Diese rechtliche Konsequenz allein mit einem prozeduralen Reflex zu begründen, erscheint jedenfalls nicht hinreichend zu sein; insbesondere, da jener Mechanismus eine Ungleichbehandlung im Rechtskreis zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten846 bedeutete. Denn in diesem Fall würde ein Bundesland durch die Entscheidung, sich eine Verfassung zu geben, eine Einschränkung seiner Souveränität erfahren, die ein Bundesland, das auf eine förmliche Verfassung verzichtete, nicht träfe. Letzteres wäre nämlich nicht gehindert, seine einfachen Gesetze, die in diesem Fall seine materielle Verfassung ausmachten, einer genau gleich schweren oder leichten Abänderbarkeit zu unterwerfen wie seine übrigen Gesetze.847 Es bedarf daher einer weiteren Suche nach verfassungsrechtlichen Kerngehalten, die das Prinzip des Vorrangs der Verfassung unter Umständen den Länderverfassungen über Art. 28 I 1 GG vorgibt.
VI. Erschwerte Abänderbarkeit des Grundgesetzes Das Grundgesetz regelt seine eigene erschwerte Abänderbarkeit in Art. 79 II GG. Dieser stellt für verfassungsändernde Gesetze ein besonderes Mehrheitserfordernis auf, indem zwei Drittel der Mitglieder des Bundestages und zwei Drittel der Stimmen des Bundesrates dem Gesetz zustimmen müssen. Ein Erschwernis ergibt sich somit im Verhältnis zum normalen Gesetzge846 Zu den drei Rechtskreisen innerhalb der Konstruktion des Bundesstaats des Bundesverfassungsgerichts vgl. Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 24. 847 Weitergehend freilich Sachs 1999, 145 f., der unter der Prämisse, daß weder Art. 28 I 1 GG noch andere Bestimmungen des Grundgesetzes eine Verpflichtung der Länder begründe, eine formelle Landesverfassung zu haben, annimmt, daß dann auch keine Rechtsfolgen durchgreifen könnten, die zwingende Eigenschaften derselben (wie eine erschwerte Abänderbarkeit) vorgeben könnten.
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
bungsverfahren daraus, daß der Bundestag seine Beschlüsse grundsätzlich mit relativer (einfacher) Mehrheit (Art. 42 II 1 GG) und der Bundesrat dieselben grundsätzlich mit absoluter (einfacher) Mehrheit faßt. In der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte wird gegen eine Absenkung von Quoren in Verfahren, die Verfassungsänderungen durch ein direktdemokratisches Verfahren zum Gegenstand haben, auch die erschwerte Abänderbarkeit des Grundgesetzes angeführt, welche über Art. 28 I GG zur verbindlichen Vorgabe für die Länder werde. Die erschwerte Abänderbarkeit von Verfassungen gehöre im Bund und in den Ländern daher zum festen Bestand des Verfassungsrechts.848 In der Literatur ist dem beigepflichtet und die erschwerte Abänderbarkeit im Sinne eines verfahrensmäßigen Bestandsschutzes als die formale Seite der Maßstäblichkeit der Verfassung begriffen worden. Danach sei dieser Aspekt eine wesentliche Ergänzung zum materialen Vorrang der Verfassung im Konzept der Sicherung des Verfassungsvorrangs durch das Grundgesetz.849 Umstritten ist jedoch, wie hoch das Grundgesetz angesichts dieser Rechtslage die Erschwerung seiner eigenen Abänderbarkeit überhaupt gewichtet. Eine entsprechende verfassungsrechtliche Wertung könnte sich nämlich auch in den Vorgaben für die Abänderbarkeit der Landesverfassungen niederschlagen, welche das Grundgesetz über Art. 28 I 1 GG den Ländern als Kernelement der Verfassung vorgibt. 1. Grundgesetz relativ leicht abänderbar Gemäß Art. 79 II GG besteht die Hürde für eine Grundgesetzänderung – wie ausgeführt – ausschließlich in dem Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit im normalen Gesetzgebungsverfahren in den regulären Gesetzgebungsorganen Bundestag und Bundesrat.850 Verschiedene Autoren kritisieren diese Regelung als eine relativ niedrige beziehungsweise zu geringe Hürde für die Abänderung des Grundgesetzes. Insbesondere bei Einigkeit zwischen den großen politischen Parteien werde das Fehlen zusätzlicher Sicherungen oder Korrekturmöglichkeiten im Verfahren einer angestrebten Grundgesetzänderung besonders deutlich.851 Die Revisionsbestimmungen einer Verfassung müßten aber in einer solchen Art ausgestaltet sein, daß das Verfassungsrecht nicht im Ergebnis zur Disposition 848 BremStGH
NVwZ-RR 2001, 1 (3). 2001, 418. 850 Vgl. dazu nur Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 79 II Rn. 15; Herdegen, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 79 (2008) Rn. 42; Böckenförde, HStR III, § 34 Rn. 21. 851 Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 79 II Rn. 15. 849 Rinken
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des einfachen Gesetzgebers stünde. Die augenblickliche Ausgestaltung des Art. 79 II GG, bei der die üblichen Gesetzgebungsorgane alleine und im normalen Gesetzgebungsverfahren über eine Verfassungsänderung entschieden, liege bereits an der unteren Grenze von Revisionserschwernissen.852 Für diese Ansicht wird auch empirisch argumentiert. Die verhältnismäßig leichte Abänderbarkeit des Grundgesetzes lasse sich statistisch belegen und bestätige, daß eine Koordination der politischen Kräfte zur Erlangung einer Zweidrittelmehrheit offenbar relativ problemlos möglich sei. Konkret zeige sich das an der hohen Änderungsfrequenz des Grundgesetzes, zu dem beinahe jährlich ein Änderungsgesetz erlassen werde, an der absoluten Anzahl der Änderungen im Text sowie dem um 50 % gewachsenen Textumfang des Grundgesetzes.853 In der Verfassungswirklichkeit habe sich die Schranke des Art. 79 II GG sonach als nicht sonderlich hoch erwiesen. Der Parlamentarische Rat habe sich dagegen – auch angesichts Weimarer Erfahrungen – eine Zweidrittelmehrheit damals noch kaum vorstellen können.854 Andere Autoren schlagen in diesem Zusammenhang des Weiteren vor, daß angesichts der Wichtigkeit von Verfassungsänderungen und der damit einhergehenden notwendigen Sensibilisierung des politischen Betriebes in Deutschland diese grundsätzlich dem Volk im Wege eines dann obligatorischen Referendums vorgelegt werden sollten.855 2. Grundgesetz hinreichend schwer abänderbar Auf der anderen Seite wird die Meinung vertreten, daß Art. 79 II GG eine hinreichende Regelung zur Erschwerung der Änderbarkeit des Grundgesetzes darstelle. Art. 79 II GG habe die innere Logik der grundgesetzlichen Kompetenzordnung für sich. Überantworte die Verfassung selbst Gesetzgebungsmaterien höchster Bedeutung allein den Organen Bundestag und Bundesrat, so sei es nur konsequent, wenn auch die verfassungsändernde Gewalt bei den gesetzgebenden Körperschaften liege. Der Volksgesetzgebung insoweit Raum zu verschaffen stelle sich deshalb innerhalb des Grundgesetzes als Systembruch dar.856 Die hohe Änderungsrate des Grundgesetzes sei zwar auf eine Verwischung der Unterschiede zwischen Verfassungsänderung und einfacher 852 Bryde,
in: v. Münch / Kunig, GG II, Art 79 Rn. 46. Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 79 II Rn. 16 f. m. w. N. 854 Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG III, Art. 79 Rn. 55. 855 Vgl. nur Wittreck 2010, 562; Pestalozza 2010, 314; kritisch zum geringen Unterschied zwischen den Verfahren der Gesetzgebung und der Verfassungsänderung auch Dieter Grimm: Ändert das Grundgesetz!, in: FAZ vom 29.12.2010 (Nr. 303), S. 6. 856 Herdegen, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 79 (2008) Rn. 43. 853 Vgl.
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Gesetzgebung zurückzuführen. Ursächlich hierfür sei aber nicht die Regelung der Zweidrittelmehrheit, sondern die Tatsache, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber einen getrübten Blick auf die unterschiedlichen Funktionen von Verfassungsnorm und einfachem Gesetz richte.857 3. Rückbindung an den Bürger durch Setzung von Verfassungsrecht Masing hat eine systematische Einordnung der Abänderbarkeit des Grundgesetzes vorgenommen. Seiner Ansicht nach ist das Grundgesetz zwischen solchen Verfassungen anzusiedeln, die eine Anpassung ihrer selbst an geänderte Lebensumstände eher als einen Prozeß der Rechtsentwicklung sähen und solchen, die Verfassungsänderungen als Akt der bewußten Rechtsetzung – insbesondere auch unter Beteiligung des Volkes – begriffen. Insbesondere Verfassungen, die zu ihrer Änderung das Volk selbst einschalteten, verstünden ihre Hervorbringung aus der Freiheit der Bürger als eine reale Rückbindung. Sie bedienten sich somit des Modus’ der Entscheidung.858 Solche Verfassungen betonten das Element der willensgesteuerten Rechtsetzung relativ stark – was sie letztendlich auch von jenen Verfassungen unterscheide, die Verfassungsänderungen als Ausdruck des Wachsens von Recht verstünden. Bei letzteren Verfassungen sei der Prozeß der Fortbildung des Verfassungsrechts vor allem bei den Richtern angesiedelt, die dieses durch Interpretation ausbauten.859 Für das Grundgesetz sieht Masing als kennzeichnend an, daß es sich hinsichtlich seiner Änderung zwar grundsätzlich dem Modus der Entscheidung unterstelle, die Rückbindung aber auf die Repräsentanten des Volks beschränke, wodurch das Element der bewußten Verfassungsrechtsetzung zwar eingeführt, zugleich aber wieder reduziert würde.860 Im Ergebnis sieht Masing diese Mischform bei einer Verfassung durchaus kritisch. Vor allem durch die Belassung der politischen Entscheidung über eine Verfassungsänderung in der bestehenden Ordnung – d. h. bei den üblichen Gesetzgebungsorganen – werde die Verfassungsänderung den Strukturen der Parteieinstaatlichkeit unterworfen. Sie gleite dadurch in Technizität ab und gerate in Gefahr, ihren Sondercharakter zu verlieren.861
857 Herdegen,
in: Maunz / Dürig, GG, Art. 79 (2008) Rn. 44. 2005, 7 f. 859 Masing 2005, 5 f.; Beispiele sind insb. die ungeschriebene Verfassung Großbritanniens und die formelle Verfassung der USA. 860 Masing 2005, 10 ordnet darum die Verfassungsänderung ausschließlich durch Wahl legitimierte Verfassungsorgane einem dritten Modell zu. 861 Masing 2005, 10 f. 858 Masing
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4. Stellungnahme Betrachtet man die verschiedenen Konzepte der Verfassungsänderung, so lassen sich vier Elemente unterscheiden, die, eingebaut in eine Verfassung, zu deren erschwerter Abänderbarkeit beitragen können: Erstens das Erfordernis qualifizierter Mehrheiten in den durch die Verfassung eingerichteten Vertretungskörperschaften; zweitens das Erfordernis der Zustimmung verschiedener Bundesländer; drittens Form- beziehungsweise Verfahrensvorschriften wie Textsicherungsklauseln, wiederholte Abstimmungen oder Fristen; schließlich viertens die Anrufung des Volkes.862 Das Grundgesetz hat seine Abänderung einem erschwerten Verfahren im Vergleich zu dem normalen Gesetzgebungsprozeß unterstellt, indem es eine Zweidrittelmehrheit in den Gesetzgebungsorganen verlangt. Beide Verfahren sind parlamentarisch und damit repräsentativer Natur. Daneben findet sich in Art. 79 I 1 GG das Gebot, daß eine Verfassungsänderung nur über die ausdrückliche Änderung des Textes des Grundgesetzes erfolgen darf und in Art. 79 III GG die bereits mehrfach angesprochene Ewigkeitsklausel. Damit hat das Grundgesetz (nur) zwei der vier vorstehend genannten Möglichkeiten zur Erschwerung seiner Abänderung ausgeschöpft. Deshalb und wegen der hohen Änderungsanzahl sowie der Wirkung von Plebisziten auf eine Anhebung der Änderungshürden863 (siehe Bayern) ist den Ansichten zuzustimmen, die das Grundgesetz als zumindest nicht besonders schwer abänderbar beurteilen. Festzuhalten bleibt aber auch, daß das Grundgesetz seiner beziehungsweise der erschwerten Abänderbarkeit der Verfassung einen nicht unerheblichen Stellenwert beimißt. Mag eine Zweidrittelmehrheit im Parlament zur heutigen Zeit in der praktischen Politik keine allzu hohe Hürde (mehr) sein, so liegt dem sicher auch eine Veränderung und Konzentration der Parteienlandschaft seit den Anfängen der Bundesrepublik zu Grunde, die bei der Entstehung des Grundgesetzes sich so nicht abzeichnete. Insbesondere ein obligatorisches Verfassungsreferendum ist nach allem als ein taugliches Mittel der legitimationsstiftenden Rückbindung der Verfassungsänderung an den Souverän zu werten.864 Es hätte neben der Demokratisierung der Verfassungsentwicklung auch den Effekt, daß die Staatsorgane unter den Druck gesetzt würden, nach Lösungen für konkrete Probleme zu suchen, ohne eine verfrühte Verfassungsänderung zu erwägen.865 Wahrscheinlich würde dies auch dazu beitragen, die Ausuferung des Textumfangs des Grundgesetzes einzudämmen, denn die Aufgabe einer Verfassung liegt in 862 Masing
2005, 4 f. hierzu vor allem Dreier 1999, 518. 864 Vgl. nochmals Masing 2005, 5 ff. 865 Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG II, Art. 79 Rn. 57. 863 Vgl.
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der Normierung vor allem grundsätzlicher Werte und Aspekten der Staatsorganisation, nicht im Treffen von Detailregelungen.866 Daher liegt auch in knappen und präzisen Formulierungen ein maßgebliches Zeichen der Qualität einer Verfassung, der über einen bloß textästhetischen Aspekt hinausgeht.
VII. Gebotenheit der Kennzeichnung von Verfassungsänderungen In der einschlägigen Literatur wird eine Vorgabe aus dem Kerngehalt der deutschen Verfassungen hinsichtlich einer Erschwerung ihrer Abänderbarkeit oft mit dem Argument abgelehnt, daß es zwar verfassungspolitisch zu begrüßen,867 nicht jedoch verfassungsrechtlich zwingend sei,868 daß eine Verfassungsänderung gegenüber der einfachen Gesetzgebung erschwerten Bedingungen unterliege. Der Preis dieser Ansicht ist jedoch, daß die Rechtswissenschaft die Deutungshoheit über einen zentralen Aspekt der Abgesetztheit des Verfassungsrechts vom übrigen, normalen Gesetz aus der Hand gibt. Dem gegenüber steht am anderen Pol des Meinungsspannungsfelds die sehr weitgehende und vorstehend in Teil I dieser Arbeit ausführlich vorgestellte Auffassung Isensees, wonach die erschwerte Abänderung „heute zum festen Bestand des Verfassungsrechts“869 gehöre und durch eine unterschiedslose Abänderbarkeit von Verfassung und einfachem Gesetz „die Stabilität der Verfassung der unmittelbaren Demokratie geopfert“870 werde. Der Preis letzterer Meinung ist nun aber eine stark unitarisierende und nivellierende Argumentation, welche, wie Schulze-Fielitz zu Recht bemerkt, die föderale Vielfalt der Normen der Landesverfassungen gefährdet und mögliche staatstheoretische und verfassungspolitische statt zwingender verfassungsrechtlicher Gründe anführt.871
Dreier, in: Dreier, GG II, Art. 79 II Rn. 18. nur Neumann 2009, Rn. 800; Stuby 2001, 255. 868 Wittreck 2005, 184 hält fest: „Zwar ist ein erhöhter Bestandsschutz der Verfassung nach richtiger Auffassung weder vom Rechtsstaats- noch vom Demokratieprinzip verfassungsrechtlich geboten […], doch erscheint eine gegenüber der einfachen Gesetzgebung distinkte Behandlung aus eher ‚verfassungspädagogischen‘ Gründen durchaus erwägenswert.“ 869 Isensee 1999, 45. 870 Isensee 1999, 46 – daß im Fall unterschiedsloser Quoren allerdings „der Unterschied zwischen Verfassung und Gesetz eingeebnet“ werde, sollte dadurch vorgebeugt werden, daß die Verfassung gegenüber dem einfachen Gesetz aufgrund ihres höheren Ranges im Stufenbau der Rechtsordnung im Kollisionsfall vorgeht (lex superior). 871 Schulze-Fielitz 1999, 659. 866 Vgl. 867 Vgl.
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Der Bedeutung einer Verfassung erscheint jedoch eine vermittelnde Lösung am ehesten zu entsprechen. Anklänge hierzu finden sich auch bei den zitierten Autoren. So bemerkt auch Dreier, der einer zwingenden Erschwerung bei Verfassungsänderungen ablehnend gegenübersteht, in diesem Zusammenhang, daß „hervorstechendes Kennzeichen“ einer Verfassung als „bleibender, grundlegender, fundamentaler“ Ordnung eine „zumindest intendierte“ Unabänderbarkeit sei.872 Auch nach Sachs, der ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, daß der Vorrang der Verfassung eine erschwerte Abänderbarkeit der Verfassungen nicht vorgebe, ist es „allerdings […] nicht zu verkennen, daß bei Fehlen erschwerender Anforderungen für die Verfassungsänderungen die praktische Wirksamkeit der Verfassung als Grenze auch der einfachen Gesetzgebung weitgehend entfallen könnte.“873 Außerdem ist zu berücksichtigen, daß es durchaus als nicht zu unterschätzende Möglichkeit bewertet werden muß, daß eine nicht hinreichende „Kennzeichnung“ im Sinne einer Unterscheidbarkeit und eines Hinweises auf die vom einfachen Gesetz abgehobene Bedeutung einer Verfassung dazu führen kann, daß Verfassungen – im Wege direktdemokratischer Verfahren – häufigeren Änderungen und stärkeren Ergänzungen unterzogen werden können, als ihnen guttut. Dies zeigen insbesondere auch die Erfahrungen aus Kalifornien.874 Bedenkt man, daß im Jahr 2008 in Kalifornien 39 Gesetzesund 29 Verfassungsinitiativen lanciert wurden, wobei von Letzteren 41,3 % erfolgreich waren, so kann man mit einiger Berechtigung feststellen, daß die Kalifornische Verfassung mit „einfachem“ Recht überfrachtet wird.875 Der Effekt der Aufnahme von Detailregelungen in den Verfassungstext ist auch Gegenstand der schweizerischen Debatte. Regelungen, die über mehrere Seiten materielles Strafrecht mit langen Deliktskatalogen, detaillierten Zuständigkeits- und Fristbestimmungen für die Behörden sowie neu eingeführte Straftatbestände enthielten, seien ein Fremdkörper in der jetzigen Bundesverfassung, mit der seit der Totalrevision 1999 die Flickenstruktur des damaligen Verfassungsdokuments habe überwunden werden können.876 Für die schweizerische Bundesebene, auf der es momentan nur eine Verfassungsinitiative gibt, wird daher die Einführung einer Gesetzesinitiative empfohlen, ohne die eine Zerfaserung der Verfassung durch Detailregelungen, die keinen verfassungswürdigen Inhalt aufwiesen, zu befürchten sei.877
872 Dreier
1999, 515. 1999, 151. 874 Vgl. vorstehend E. 875 Zu Recht daher Heußner 2010, 174 sowie Heußner 2009, 146. 876 Tschentscher / Blonski / Baumgartner 2013, 156. 877 Tschentscher 2010, 222. 873 Sachs
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Teil 2: Spielraum des Gesetzgebers bei der Normierung von Quoren
Auch auf europarechtlicher Ebene ist ein weit fortgeschrittener Prozeß der Konstitutionalisierung der europäischen Verträge durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes festzustellen, worauf erst kürzlich Grimm hingewiesen hat. Verfassungen pflegten jedoch den politischen Prozeß im Sinne der Zwecke, der Kompetenzen, der Organe, der Verfahren sowie der Grundrechte zu regeln. Verfassungen bestimmten also den Entscheidungsprozeß, überließen aber die inhaltlichen Entscheidungen der demokratischen Politik. Dagegen träfen die europäischen Verträge die Entscheidungen gleich selbst, da sie voll von Regeln seien, die normalerweise nicht in der Verfassung, sondern in den Gesetzen stünden.878 Diese Gefahr kann aber auch für die deutschen Verfassungen auf Landesund Bundesebene nicht von der Hand gewiesen werden. Hier liegt der Grund freilich im Bereich der repräsentativen Demokratie. So wird ebenfalls von Grimm folgende Bilanz hinsichtlich der bisherigen Änderungen des Grundgesetzes gezogen: „Das auffälligste Merkmal der Geschichte der Änderungen des Grundgesetzes ist aber die Missachtung der Ebenendifferenzierung. Hier liegt der wesentliche Grund dafür, dass sich der Umfang der Verfassung verdoppelt hat. Viele Neuregelungen strukturieren nicht mehr politische Entscheidungen, sondern nehmen sie vorweg. Der neue Asyl-Artikel 16a ist vierzigmal so lang wie sein Vorgänger. Spricht man darüber mit Politikern, so geben sie bereitwillig zu, dass ihnen keine verfassungsästhetischen Meisterwerke gelungen seien. Indessen geht es nicht um Verfassungsästhetik, sondern um die Funktion der Verfassung.“879 Es soll hier nicht darum gehen, die Angemessenheit oder die verfassungsrechtliche Gebotenheit des Unterschieds zwischen den parlamentarischen Verfahren der Gesetzgebung und der Verfassungsänderung zu beurteilen. Festzuhalten ist jedoch, daß unterscheidbare Verfahrensvoraussetzungen durch das Grundgesetz diesbezüglich den repräsentativen Institutionen vorgegeben sind. Auch dieser Gesichtspunkt spricht daher dafür, daß entsprechendes dem Grunde nach auch für das Volksgesetzgebungsverfahren gelten muß. Im Unterschied zur verfassunggebenden Gewalt ist die verfassungsändernde Gewalt immerhin – auch wenn sie vom Volk unmittelbar im Wege von Volksbegehren und Volksentscheid ausgeübt wird – eine verfaßte Gewalt, 878 Dieter Grimm: Die Stärke der EU liegt in einer klugen Begrenzung, in: FAZ vom 11.8.2014 (Nr. 184), S. 11. Freilich ist zuzugeben, daß die europäische Situation aufgrund des dort grassierenden Demokratiedefizits (dazu ebenfalls luzide Grimm: Abkopplung der exekutiven [Kommission] und judikativen [EuGH] Institutionen von den demokratischen Prozessen sowohl in den Mitgliedstaaten als auch in der EU selber) nicht eins zu eins mit den Ebenen deutscher Staatlichkeit verglichen werden kann. 879 Dieter Grimm: Ändert das Grundgesetz!, in: FAZ vom 29.12.2010 (Nr. 303), S. 6.
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die der verfassunggebenden Gewalt nachgeordnet ist.880 Der Gedanke, daß dem parlamentarischen Gesetzgeber eine gewisse Distanz zum ursprünglich gesetzten Verfassungsrecht auferlegt werden sollte, wenn er die Verfassung ändern will,881 läßt sich also auch auf den verfassungsändernden Volksgesetzgeber übertragen. Auch bezüglich des Volksgesetzgebers ist daher eine vergleichende Perspektive zwischen den direktdemokratischen Verfahren der Gesetzgebung und der Verfassungsänderung einzunehmen. Es erscheint somit kein ausreichendes Argument zu sein, daß die Volksgesetzgebung per se ein erschwertes Verfahren gegenüber dem parlamentarischen darstelle, auch wenn sich auf diese Weise gut vertreten läßt, daß eine Verfassung, die zusätzlich zum parlamentarischen Verfahren der Verfassungsänderung ein obligatorisches Referendum vorsieht, im Verhältnis zu einer Verfassung, die auf ein solches direktdemokratisches Instrument verzichtet, allein bereits deshalb erschwert abänderbar ist.882 Wenn eine Rechtsordnung sich – wie es das Grundgesetz getan hat – für die Gewährleistung der Geltung des Prinzips des Vorrangs der Verfassung entscheidet und dessen Wirkung durch das Vorsehen einer Verfassungsgerichtsbarkeit noch verstärkt, so ist darin eine besondere Konsequenz zu sehen, die bei der Auslegung der grundgesetzlichen Normen berücksichtigt werden muß. Dies betrifft damit zunächst die vorstehend angeführten Normen, die in Verbindung mit der Ewigkeitsklausel des Art. 79 III GG den Kerngehalt des Vorrangs der Verfassung vor Abänderung schützen, sowie für das Homogenitätsgebot des Art. 28 I 1 GG, der diese Gehalte den Ländern vorgibt. Das Grundgesetz ist nicht aus derselben verfassungsrechtlichen Tradition wie zum Beispiel derjenigen Nordamerikas entstanden, wo es bereits im 18. Jahrhundert eigene Verfassungskonvente zur Ausübung der konstituierenden Gewalt des Volkes zum Zweck der Abhebung dieser vom gewöhnlichen Gesetzgebungsprozeß gab. Auch wurde aus dieser verfassungsgeschichtlichen Entwicklung heraus der entscheidende Durchbruch mit der Ausbildung der Vorstellung von der Verfassungswidrigkeit ermöglicht.883 Jedoch kennzeichnet die deutsche Entwicklung die Überwindung des Dualismus’ zwischen Krone und Volksvertretung, in dem die Verfassung eine eher programmatisch-fordernde Wirkung eingenommen hatte hin zu einer Verfassung, der rechtliche Bindungskraft im Sinne eines einheitlichen Maßstabs für alle staatlichen Gewalten zukommt.884 880 Böckenförde
2011, 100 f. dazu nochmals vorstehend II. sowie Winterhoff 2007, 110 f.; Starck, HStR VII, § 164 Rn. 9; Kirchhof, HStR I, § 19 Rn. 31. 882 Vgl. dazu vorstehend Teil 1 B.III.2.e) – dort den Vergleich der Bayerischen Verfassung mit dem Grundgesetz betreffend. 883 Dazu Wahl 1981, 489. 884 Wahl 1981, 491 ff. 881 Vgl.
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Es ist daher zu konstatieren, daß eine Rechtsordnung wie das Grundgesetz angesichts dieser Verfassungsentscheidungen und der zugrundeliegenden Verfassungsentwicklung auch der Eigenständigkeit und Geltung seiner Verfassungsnormen besonderen Wert beimißt. Wahl ist darin zuzustimmen, daß das Verfassungsrecht insbesondere als Maßstab eines eigenen Gerichtsverfahrens über höchstmögliche Klarheit und Exaktheit verfügen muß.885 Es ist daher naheliegend, das Element der Distanz zwischen den Normebenen als Konzept der Trennung zwischen einfachem Recht und Verfassungsrecht nicht nur als politische, sondern als rechtliche Kategorie einzuordnen.
VIII. Ergebnis Das Grundgesetz verpflichtet die Länder nicht, sich eine formelle Verfassung zu geben. Es setzt aber gemäß Art. 28 I 1 GG (lediglich) den Bestand von Normen auf Länderebene voraus, welche die Grundsatzfragen der staatlichen Organisation des Landes regeln. Bestimmungen hinsichtlich der Einrichtung und Besetzung der obersten Staatsorgane, der Verteilung der Kompetenzen auf diese Organe sowie der Verfahren ihrer Ausübung sind für ein geordnetes Staatswesen unabdingbar.886 Diese materiell-inhaltliche Landesorganisation im Sinne eines geordneten Staatswesens will Art. 28 I 1 GG durch eine Homogenität der Rechtsordnungen gewährleisten, die durch den Maßstab des Grundgesetzes geprägt wird. Hinzu kommt, daß die Bedeutung des Vorrangs der Verfassung maßgeblich in der Bindungswirkung gegenüber den Staatsgewalten, gerade auch des förmlichen Gesetzgebers liegt.887 Diese Maßstabsfunktion der Verfassungsnormen gegenüber den einfachen Gesetzen wird vom Merkmal der „verfassungsmäßigen Ordnung“ sichergestellt und erlangt durch die Verfassungsgerichte von Bund und Ländern praktische Bedeutung.888
885 Wahl 1981, 486, vgl. zum Problem der Abgrenzbarkeit von Verfassungsrecht – insbesondere den Grundrechten – und einfachem Recht des Weiteren S. 502 ff. Pointiert auch S. 513: „Eigenständigkeit des Verfassungsrechts und seine Distanz zum Gesetz sind die Leitgedanken, die in den generellen Überlegungen aus dem Charakter des Grundgesetzes als einer Verfassung mit ausgebauter Verfassungsgerichtsbarkeit abgeleitet worden sind, und deren Fehlen oder Gefährdetsein bei einigen dogmatischen Figuren heterogener Herkunft im besonderen kritisiert worden ist.“ 886 Sachs 1997, 488 f. 887 Vgl. hierzu statt aller Wahl 1981, 487 – insbesondere auch dazu, daß in den nordamerikanischen Kolonien in den Jahrzehnten vor deren Unabhängigkeit nicht nur gedacht, sondern auch erlebt worden ist, daß auch ein Parlament Unrecht tun kann, S. 490. 888 Dreier 1999, 516.
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Gleichwohl kann einer geschriebenen Verfassung eine spezifische Bedeutung zugeschrieben werden. Loewenstein sieht diese in zwei Funktionen. Erstens komme ihr die Aufgabe zu, den politischen Prozeß – verstanden als Kampf um die politische Macht im Staat – zu ordnen und festzulegen, wie der verbindliche Staatswillen gebildet wird. Zweitens schütze sie die Freiheit der Machtadressaten respektive Staatsbürger, indem sie die Staatsfunktionen durch Gewaltentrennung aufteile.889 Diese Funktionen kann eine geschriebene Verfassung dadurch besonders gut für den Bürger kenntlich machen, daß sie einen besonderen, vom übrigen Recht im Idealfall klar abgesetzten Textbestand aufweist. Dieser sollte nicht zu lang, gut lesbar und so präzise wie möglich sein, damit ihn möglichst viele auch tatsächlich lesen. Eine Abwägung aller vorgenannten Gesichtspunkte führt daher zu dem Ergebnis, daß eine Anhebung der Quoren in direktdemokratischen Änderungsverfahren den Ländern von Art. 28 I 1 GG über das Prinzip des Vorrangs der Verfassung vorgegeben ist. Da die vorliegende Untersuchung zu dem Ergebnis geführt hat, daß sich Quoren bei Volksentscheiden nicht mit dem Mehrheitsprinzip rechtfertigen lassen, kommt hier primär die Anhebung der Quoren auf der Ebene des Volksbegehrens in Betracht.890 Die konkrete Höhe dieser Quoren und die Differenz zur einfachen Gesetzgebung obliegt im Rahmen der Konkretisierung von Verfassungsprinzipen dem Einschätzungsspielraum des verfassungsändernden Gesetzgebers. Auch der Notwendigkeit der Balance zwischen Stabilität und Anpassungsfähigkeit einer Verfassung891 wird man mit dieser Lösung am ehesten gerecht werden können. Die damit verbundene Konsequenz, daß damit Länder, die sich eine förm liche Verfassung geben, weitergehenden Anforderungen unterstellt werden als solche, die auf eine geschriebene Verfassung verzichten (vgl. dazu vorstehend V.4.), erscheint hinnehmbar. Die Beteiligung des Volkes an Verfassungsänderungen kann dazu beitragen, die Distanz der Bürger zu „ihrer“ Verfassung möglichst gering zu halten. Verfassungen haben insofern auch eine Symbolfunktion für die Staatswerdung einer Nation. Diese kann sich selbst bewußt und auch von anderen Nationen als solche erkannt werden.892 Jede Volksbeteiligung an der Verfassungsänderung ist daher ein Beitrag zur politischen Erziehung und ein Element politischer Integration.893 Der normativen Erwartung einer demokratischen Verfassung sollte somit auch durch tatsächliche Möglichkeiten der
889 Loewenstein
1961, 11 f. 2013 II, 241 schlägt eine Verdoppelung der Unterstützungsquoren vor. 891 Vgl. dazu Masing 2005, 12. 892 Loewenstein 1961, 9 f.; Masing 2005, 7. 893 Loewenstein 1961, 64. 890 Jung
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aktiven Beteiligung Raum gegeben werden.894 Daß mit den daraus resultierenden großen Freiheitsräumen ein moderates Risiko politischer Fliehkräfte und Konfliktträchtigkeit einhergeht,895 läßt sich nicht vermeiden und ist eine wünschenswerte Konsequenz der heutigen Gesellschaftsordnung unter dem Grundgesetz und den Länderverfassungen.
894 Loewenstein 1961, 64 formuliert es so: „Eine Nation wird nur dann demokratisch leben, wenn man es ihr auch ermöglicht, sich demokratisch zu benehmen.“ 895 Dreier 2010, 38.
Schluß – Ergebnisse in Thesen (1) Die Bayerische Verfassung ist sowohl im Verfahren nach Art. 75 II BayVerf. (Landtagsbeschluß mit Zweidrittelmehrheit und obligatorischem Referendum) als auch nach Art. 74 I BayVerf. (Volksbegehren und Volksentscheid) auch ohne Zustimmungsquorum beim Volksentscheid schwerer abänderbar als das Grundgesetz gewesen. Ein Systembruch zwischen beiden Verfahren liegt nicht vor. (2) Verfassungsrecht ist kein lückenhaftes Recht. Es regelt vielmehr wesentliche und prinzipielle Rechtsfragen selbst und stellt daneben umfassend den Gehalt für konkretisierende Einzelfallentscheidungen und Füllung von Gesetzeslücken zur Verfügung. (3) Die Bayerische Verfassung hat die Frage nach einem Quorum beim verfassungsändernden Volksentscheid bewußt negativ und abschließend entschieden. Ein 25 %iges Zustimmungsquorum ist ihr darum auch nicht durch Konkretisierung zu entnehmen. Es handelt sich insofern um richterliche Rechtsfortbildung. (4) Art. 28 I 1 und Art. 79 III GG sind in ihrem Gewährleistungsumfang hinsichtlich eines Mindestgehaltes der durch Art. 20 GG vorgeschriebenen Verfassungsprinzipien deckungsgleich. Sie unterscheiden sich jedoch in der Wirkrichtung – Art. 28 I 1 GG verpflichtet die Länder, Art. 79 III GG den Bund. (5) Das Prinzip der Volkssouveränität ist der zentrale Aspekt des auch in der Ideengeschichte verankerten Konzeptes freiheitlicher Herrschaftsbegründung unter der Geltung des Demokratieprinzips des Grundgesetzes. Die Legislative ist als Vermittlung von Legitimation eine Erscheinungsform der Volkssouveränität. (6) Direkte Demokratie ist rein faktisch im modernen Staat auf eine Ergänzungsfunktion zur repräsentativen Demokratie verwiesen. Ein normativer Wertverlust ist damit für diese nicht verbunden – weder sieht das Grundgesetz eine Prävalenz parlamentarischer Gesetzgebung noch eine Vorrangstellung repräsentativer Demokratie vor. (7) Wahl und Abstimmung lassen sich als Legitimationsmodi gleichermaßen auf das Prinzip der Volkssouveränität zurückführen. Beide sind gemäß Art. 20 II 2, 1. Hs. GG gleichwertige Formen der Ausübung von Staatsgewalt.
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Schluß – Ergebnisse in Thesen
(8) Das Prinzip der Volkssouveränität ist mit seiner konkreten Ausgestaltung in Form der Ausübungsmöglichkeiten von Staatsgewalt durch Wahlen und Abstimmungen so eng verknüpft, daß auch Letztere als von Art. 28 I 1 sowie Art. 79 III GG gewährleistet betrachtet werden müssen. (9) In welchem Umfang das Grundgesetz tatsächlich Gesetzgebungskompetenzen zuteilt, in welchem Verhältnis es repräsentativ- sowie direktdemokratische Gesetzgebungsverfahren vorsieht und wie es den Ablauf dieser Verfahren regelt, ist eine nachgeordnete Frage, welche nicht durch Art. 28 I 1 bzw. 79 III GG vor Abänderung geschützt ist. Jene konkreten Ausgestaltungen des Grundgesetzes sind somit nicht abschließend und können folglich dem verfassungsändernden Gesetzgeber auf Landesebene in Bezug auf die Verhältnisbestimmung zwischen repräsentativer und direkter Demokratie keine bindenden Vorgaben machen. (10) Obwohl das Grundgesetz selbst momentan keine direktdemokratischen Verfahren vorsieht, sichert es doch über Art. 28 I 1 GG die Möglichkeit der Gliedstaaten ab, direktdemokratische Verfahren in ihre Verfassungen aufzunehmen. Die Länder sind insbesondere nicht gehindert, die direkte Demokratie stärker zu nutzen, als dies auf Bundesebene der Fall ist. (11) Quoren kommt in diesem Verfassungsgefüge nicht die Funktion zu, etwaige Ergebnisse von Volksgesetzgebungsverfahren gegenüber der Allgemeinheit zu rechtfertigen – vielmehr stellen Quoren selbst grundsätzlich einen Eingriff in diese Verhältniszuordnung von direkter und indirekter Demokratie dar und erweisen sich somit als rechtfertigungsbedürftig. (12) Das Mehrheitsprinzip ermöglicht als Entscheidungsregel erst individuelle demokratische Selbstverwirklichung, indem es die Möglichkeit der Teilhabe des Einzelnen an einem Legitimationsakt nicht an ein Einstimmigkeitserfordernis knüpft, sondern unter die erreichbare Bedingung stellt, daß dessen geäußerter Wille zur Mehrheit gehört. (13) Abstimmungsquoren bewirken durch das in Bezug setzen der Mehrheitsentscheidung zur Gesamtzahl der Abstimmungsberechtigten auf Seiten des Abstimmenden eine Anhebung der Voraussetzungen dieser Teilhabe. Auf Seiten des Nichtabstimmenden bewirken sie dagegen eine Erweiterung der Rechtsposition, indem sie diesem ermöglichen, auch durch Nichtteilnahme an einem Legitimationsakt an Legitimation teilzuhaben. (14) Hohe Quoren können zu Lasten der Befürworter einer Initiative die Motivation ausüben, nicht an Abstimmungen teilzunehmen. Dies gilt
Schluß – Ergebnisse in Thesen325
insbesondere für Beteiligungsquoren, in geringerem Maße aber auch für Zustimmungsquoren. Damit wirken sie tendenziell einer Sachdiskussion sowie einer hohen Stimmbeteiligung entgegen. (15) Beteiligungsquoren unterliegen angesichts ihres möglichen Effekts des negativen Stimmgewichts zu Lasten der Sachgegner einer Initiative einer besonderen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungslast unter dem Aspekt der Wahlgleichheit. (16) Die Folgepflicht der Nichtabstimmenden in Bezug auf eine Mehrheitsentscheidung ergibt sich nicht aus dem Mehrheitsprinzip an sich, sondern aus der Repräsentation der Nichtabstimmenden durch die Abstimmungsteilnehmer. Das Mehrheitsprinzip bindet als formale Entscheidungsregel nur diejenigen Abstimmungsteilnehmer, die zur unterlegenen Minderheit zählen. (17) Eine Mehrheitsentscheidung muß sich nicht mit einem „wahren Volkswillen“, einem „Gesamtinteresse“ oder anderen eine überpositive Richtigkeit insinuierenden Begrifflichkeiten decken, um in Geltung zu erwachsen, da diese Begriffe keine verfassungsrechtliche Qualität besitzen. (18) Quoren können jedenfalls bei Volksentscheiden nicht damit gerechtfertigt werden, daß sie das Entscheidungspotential einer unter Umständen passiven Mehrheit der Stimmberechtigten schützen. Das Mehrheitsprinzip ist seiner verfassungsrechtlichen Funktion und seinem staatsorganisatorischen Nutzen nach auf eine Maximierung seiner Anwendungsfälle und nicht auf eine Schutzfunktion zugunsten abstrakter Meinungsressourcen ausgelegt. (19) Quoren bei Volksentscheiden können nicht damit gerechtfertigt werden, daß sie eine Herrschaft der Minderheit über die Mehrheit verhindern sollen. „Mehrheit“ und „Minderheit“ sind im demokratischen Staat keine abstrakt definierbaren und auf Dauer zuzuordnenden Begriffe. Mehrheitsentscheidungen sind außerdem prinzipiell jederzeit erneuerbar. (20) Das Mehrheitsprinzip dient der Umsetzung der persönlichen Freiheit des Einzelnen, indem es persönliche Autonomie sowie demokratische Selbstbestimmung ermöglicht. Dem bei einer Abstimmung unterlegenen Bürger wird dagegen nur in einem sehr spezifischen Bereich die Unterordnung unter eine staatliche Machtausübungsentscheidung zugemutet. (21) Das Mehrheitsprinzip des Grundgesetzes erfordert nach allem weder Quoren bei Volksentscheiden, noch kann es sie verfassungsrechtlich rechtfertigen. (22) Die Abstimmenden bei einem Volksbegehren handeln nicht als Staats organ und üben auch keine Staatsgewalt aus. Es ist hier auch keine
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Schluß – Ergebnisse in Thesen
verfassungsrechtliche Kompensation vermeintlich fehlender personeller oder inhaltlicher Legitimation erforderlich, weil die Teilnehmer dergleichen als Ursprung der demokratischen Legitimationskette nicht bedürfen. (23) Eine verfassungsrechtlich bindende Vorgabe für den Gesetzgeber und insbesondere für eine direktdemokratische Gesetzesinitiative, den Inhalt von Gesetzen an einem „Gemeinwohl“ zu orientieren, läßt sich weder aus dem Republikprinz des Grundgesetzes noch aus dem Grundsatz demokratischer Legitimation ableiten. (24) Unterstützungsquoren bei Volksbegehren lassen sich durch ihre Funk tion der Austarierung des Verhältnisses von direktdemokratischen Initiativen im gesellschaftlichen Bereich zum politikfreien, privaten Raum im Sinne einer Qualifikationshürde rechtfertigen. Einerseits müssen dabei die Betreiber einer Gesetzesinitiative eine reelle Chance haben, ihr Anliegen zu einem Volksentscheid zu bringen, andererseits darf aber auch kein faktischer Zwang zur Teilnahme an Volksbegehren für alle anderen Bürger entstehen. In einer solchen Höhe – die konkret durch den verfassungsändernden Gesetzgeber festzulegen ist – sind Quoren bei Volksbegehren sogar verfassungsrechtlich geboten. (25) Unter Berücksichtigung der tatsächlichen politischen Verhältnisse in Deutschland ist der verfassungsändernde Landesgesetzgeber nicht gehindert, die Quoren bei Volksbegehren abzusenken. Die Schwelle unterhalb der Kerngehalte des Demokratieprinzips ist bezüglich der Höhe der Unterstützungsquoren derzeit in keinem Bundesland erreicht. (26) Bei einer Betrachtung der Schweiz und Kalifornien ergeben sich keine Hinweise darauf, daß niedrige Quoren zu einer Funktionsbeeinträchtigung des Parlaments führen können. In der Schweiz – wo allerdings weitaus mehr Abstimmungen als in Deutschland durchgeführt werden – läßt sich ein gewisser Ermüdungseffekt angesichts der hohen Zahl an Abstimmungen bei den Bürgern feststellen, was sich durch wiederkehrende Stimmabstinenz ausdrückt. In Kalifornien fehlt es an hinreichenden Verknüpfungen von direktdemokratischen und parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren, so daß hier die indirekten Wirkungen der Volksgesetzgebung nicht zum Tragen kommen und eine Funktionsbeeinträchtigung allein unter diesem Gesichtspunkt festzustellen ist. Nach allem steht die Funktionsfähigkeit des Parlaments in Deutschland einer Absenkung der zur Zeit geltenden Quoren nicht entgegen. (27) Mit dem Verfassungsprinzip des Vorrangs der Verfassung gibt Art. 28 I 1 GG den Ländern vor, die Quoren bei direktdemokratischen Verfassungsänderungsverfahren auf der Ebene des Volksbegehrens so deutlich
Schluß – Ergebnisse in Thesen327
von den Quoren im Rahmen eines einfachen Volksgesetzgebungsverfahrens nach oben abzusetzen, daß der besondere Rang und die Eigenständigkeit des Verfassungstextes für die Betreiber einer Gesetzesinitiative erkennbar wird. Damit stellen höhere Quoren gleichzeitig eine Entscheidungshilfe für die Frage dar, ob der Erlaß eines einfachen oder eines verfassungsändernden Gesetzes mit der Initiative angestrebt werden soll.
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Sachverzeichnis Bundesstaatsprinzip (grds. Funktion, insb. i. V. m. Art 28 I 1 GG) 135 ff. Demokratieprinzip – als Rechtsprinzip 125 ff. – Autonomie des Einzelnen 155 – Freiheit und Gleichheit 157 – Freiheitsidee des Grundgesetzes 155 ff. – grundlegende Normierung im GG 131 direkte Demokratie – in ihrer besonderen Ausprägung in Bayern 57 ff. – Verhältnis zur indirekten Demokratie 119 f., 150 ff., 173 ff. Ewigkeitsklausel – des Grundgesetzes 140 ff. – Verhältnis der Landesverfassungen zum GG 137 – Zusammenhang mit dem Homo genitätsgebot 119 ff. Funktionsfähigkeit des Parlaments – Kalifornien 278 ff. – Schweiz 262 ff. – Übertragung auf Deutschland 293 ff. Gemeinwohlorientierung von Gesetzen 247 Homogenitätsgebot des Grundgesetzes 109 ff. – Funktionszusammenhang mit der Ewigkeitsklausel 147 ff. Kooperation von Volk und Parlament 281, 291
Legitimationsprinzip – Ausgangspunkt bzw. Legitimationssubjekt 80 ff. – Formen 223 ff. – Republikprinzip 236 ff. – speziell bei Volksbegehren 248 ff. – Wahl als Legitimationsakt 67 Mehrheitsprinzip – absolute im Unterschied zur relativen Mehrheitsermittlung 80 ff., 83 ff. – Gehalt 199 ff. – gewandeltes Verständnis des BayVerfGH 59 ff., 64 – Notwendigkeit und Rechtfertigung 185 ff. Parlamentarismus des GG 152 Prävalenz der parlamentarischen Gesetzgebung 115 Quorum – Begehrensquorum 31 – Beteiligungsquorum 28 – Einleitungsquorum 31, 35 – Gesamtbetrachtung Volksbegehren und Volksentscheid 45 – Kennzeichnungsfunktion bzgl. Verfassungsänderungen 316 ff. – Überblick bzgl. der Landesebene 37 – Unterstützungsquorum 31 – Zustimmungsquorum 29 Rechtsregeln und Rechtsprinzipien 153 ff. Referendum – Definition, Funktion, Erscheinungsformen 32
346 Sachverzeichnis Republikanisches Legitimations erfordernis 119, 123 Staatsgewalt – Abgrenzung zur Volkssouveränität 159 ff. – Ausübung durch Teilnehmer an einem Volksbegehren 232 ff. – Trägerschaft und Ausübung 161 Verfassungsänderung – Gebotenheit des Abhebens von einfachen Gesetzesänderungen 316 ff. – Vorrang der Verfassung 300 ff. Volksbegehren – Ausübung von Staatsgewalt 120 – Definition und Funktion 31
– Legitimationsfunktion 316 ff. Volksentscheid – Definition und Funktion 31 – Quorum 198, 218 Volksgesetzgebung – Änderung von Volksgesetzen 284 ff. – Definition 28 – Verhältnis von Wahl und Abstimmung 173 ff. – Verhältnis zur parlamentarischen Gesetzgebung 178 Volksinitiative – Definition und Funktion 29 – zwei- und dreistufiges Verfahren auf Landesebene 35 ff. Volkssouveränität 158 ff.