Jongleur der Macht: Kardinal Mazarin, der Lehrmeister des Sonnenkönigs 3806237832, 9783806237832

Als Jules Mazarin 1630 die politische Bühne betritt, tut er dies zwar als päpstlicher Gesandter, aber ohne nennenswerten

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German Pages 304 [306] Year 2018

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Table of contents :
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Titel
Widmung
Impressum
Inhalt
Vorzeichen: Ein Königsmord und 25 Jahre Frieden
1. Großer Auftritt eines Unbekannten
2. Von Rom nach Paris
3. Zwei Kardinäle – eine Politik
4. Cinq-Mars auf dem Schafott
5. Die Regentin und der Kardinal
6. Die erste Etappe zum Siegfrieden
7. Fronde I – Defensive
8. Fronde II – Offensive
9. Fronde III – Exil
10. Die grenzenlose Bereicherung
11. Sieben Nichten und drei Neffen
12. Der Frieden auf der Fasaneninsel
13. Herrschaft bis zum Tod
Epilog: Ein großer König und fünf Kriege
Anhang
Zitatnachweise
Bildnachweis
Literaturverzeichnis
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Jongleur der Macht: Kardinal Mazarin, der Lehrmeister des Sonnenkönigs
 3806237832, 9783806237832

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Uwe Schultz

Jongleur der Macht Kardinal Mazarin, der Lehrmeister des Sonnenkönigs

Für Johannes Willms

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg THEISS ist ein Imprint der wbg. © 2018 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Lektorat: Daphne Schadewaldt, Wiesbaden Gestaltung und Satz: Anja Harms, Oberursel Einbandabbildungen: links: Kardinal Mazarin, Gemälde von Nicolas Mignard (1606–1668); © akg-images/Nimatallah rechts: Jean-Baptiste Colbert stellt Ludwig XIV. die Mitglieder der Königlichen Akademie der Wissenschaften vor, Gemälde von Henri Testelin; © Bridgeman Images Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-3783-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-3881-5 eBook (epub): 978-3-8062-3882-2

Inhalt

Vorzeichen: Ein Königsmord und 25 Jahre Frieden __7

1. Großer Auftritt eines Unbekannten __12 2. Von Rom nach Paris __29 3. Zwei Kardinäle – eine Politik __45 4. Cinq-Mars auf dem Schafott __60 5. Die Regentin und der Kardinal __79 6. Die erste Etappe zum Siegfrieden __97 7. Fronde I – Defensive __114 8. Fronde II – Offensive __140 9. Fronde III – Exil __163 10. Die grenzenlose Bereicherung __187 11. Sieben Nichten und drei Neffen __208 12. Der Frieden auf der Fasaneninsel __239 13. Herrschaft bis zum Tod __268

Epilog: Ein großer König und fünf Kriege __290

Anhang __297 Zitatnachweise __297 Bildnachweis __301 Literaturverzeichnis __302

Vorzeichen Ein Königsmord und 25 Jahre Frieden

A

m 14. Mai 1610 kam die Karosse Heinrichs IV. in der engen Straße La Ferronnerie zum Stillstand, weil zwei Wagen,

einer mit Heu, der andere mit Wein beladen, die Weiterfahrt blockierten. Der König hatte den Louvre verlassen, um im Arsenal seinen Finanzminister, den Herzog de Sully, zu besuchen. Die ihn begleitenden Edelleute und Diener nahmen eine Abkürzung über den nahen Kinderfriedhof („Les Innocents“), und der Kutscher des Königs versuchte, sich mit Schlägen auf die Pferde freie Fahrt zu verschaffen. Heinrich IV. war mit dem Herzog d’Épernon ins Gespräch vertieft, als ein groß gewachsener, kräftiger, rothaariger Mann, der der königlichen Karosse schon seit der Ausfahrt aus dem Louvre gefolgt war, auf die Hinterachse der Karosse sprang und mit einem Messer dreimal auf den König einstach. Der erste Stich drang durch sein Wams und verletzte ihn nur leicht an der zweiten Rippe, der zweite drang zwischen fünfter und sechster Rippe in die Brust ein und verletzte die Aorta – es war eine tödliche Verletzung –, der dritte glitt am Körper des Königs ab und traf nur den Ärmel des Herzogs de Montbazon. Blut floss aus dem Mund des Königs, der noch sagen konnte: „Ich bin verletzt“,1 dann zogen die Pferde die königliche Karosse im Galopp zurück in den Louvre. Dort angekommen, war Heinrich IV.

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bereits tot, er war das Opfer des siebzehnten Attentats auf ihn geworden – nach sechzehn Attentaten, die er mehr oder weniger verletzt überlebt hatte. Sein Mörder hieß François Ravaillac. Er hatte ein sozial und geistig ungeordnetes Leben geführt, war wie sein Vater in Rechtsgeschäften im Lande unterwegs, und in die Hauptstadt, wohin ihn vor allem seine Frömmigkeit getrieben hatte, war er zu Fuß gelangt. Sowohl beim Orden der Feuillanten, wo er als Laienbruder gedient hatte, wie bei den Jesuiten war er auf Zurückweisung gestoßen. Man misstraute ihm, da er, von Visionen getrieben, aus dem seelischen Gleichgewicht geraten war. Vor seiner Vierteilung, die auf der Place de Grève mit grausamer Härte vollzogen wurde, gab er als Motiv für seine Tat an: „Der König wollte Krieg führen gegen den Papst … den Heiligen Stuhl nach Paris bringen und die Häresie triumphieren lassen.“2 Zwar hatte der König im Jahr 1598 mit dem Edikt von Nantes für einen friedlichen Ausgleich zwischen Katholiken und Hugenotten gesorgt, aber nicht zuletzt katholische Theologen sahen in ihm weiterhin einen Ketzer und hatten die Theorie des Tyrannenmords gegen ihn entwickelt. In der Tat war Heinrich IV., als ihn der tödliche Messerstich traf, mit Épernon im Gespräch über die Planung eines unmittelbar bevorstehenden Krieges und auf dem Weg ins Arsenal, wo sich die gut gefüllte Kriegskasse befand: „Im Arsenal werde ich Ihnen den Plan zeigen, den Escures (der Generalmarschall für Stationierung und Verpflegung der Armeen) entworfen hat, um den Durchmarsch unserer Armee zu sichern. Sie werden damit zufrieden sein.“3 Es ging dem König nicht nur um die militärische Stärke, für die große finanzielle Aufwendungen notwendig waren. Seine Truppenkontingente erreich-

François Ravaillac, der Heinrich IV. am 14. Mai tötete. Zeitgenössischer Stich mit den ovalen Porträts von Heinrich IV., Maria de’ Medici und dem jungen König Ludwig XIII.

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ten die Mannschaftsstärke von 280 000 Mann – derartige Heeresstärken waren seit den Kreuzzügen nicht mehr erreicht worden. Das in Savoyen für den Einmarsch in Italien bereitstehende Kontingent wies 12 000 Infanteristen und 200 Reiter auf, und das verbündete Venedig hatte die Truppenstärke auf 14 000 Mann erhöht – deren Bezahlung leistete die französische Staatskasse. An der Südgrenze Frankreichs stand ein Heer von 25 000 Mann, bereit, in Spanien einzufallen. Der König selbst wollte das Kommando über ein in der Champagne aufgestelltes Heer von 35 000 Mann übernehmen, um in nordöstlicher Richtung in Deutschland einzudringen. Es ging ihm aber auch und vor allem um die politische und diplomatische Offensive – den „Befreiungskrieg“, der die geopolitische Umklammerung Frankreichs durch Habsburg und Spanien aufbrechen sollte. So unterstützte Frankreich den seit 1571 schwelenden Aufstand der „Geusen“ in den Spanischen Niederlanden. Die Allianz mit England unter Elisabeth I. war während des französischen Religionskrieges für Heinrich IV. von größter Bedeutung gewesen, auch hatte der Untergang der spanischen Armada im Jahr 1588 den Seeweg von Spanien in die Spanischen Niederlande unterbrochen, und den Landweg über die Alpenpässe versuchte Frankreich durch einen Vertrag mit Graubünden zu blockieren, der die Zahlung von 1,2 Millionen Livres einschloss – insgesamt verschlangen die Subsidienverträge mit seinen Koalitionspartnern nicht weniger als zwanzig Prozent des französischen Staatshaushalts. Und schließlich betrachtete Heinrich IV. den 1598 mit Spanien geschlossenen Vertrag von Vervins nur als einen Waffenstillstand. Es stand also eine Neuauflage der permanenten Kriege bevor, in die sich im 16. Jahrhundert Kaiser Karl V. und Franz I. verstrickt hatten. Dem habsburgisch-spanischen Herrscher ging es seinerzeit um die „Monarchia universalis“, die in der Einheit des katholischen Glaubens den Frieden und seine Herrschaft in Europa sichern sollte. Der

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französische König, der nicht zögerte, sogar mit dem Osmanischen Reich ein Bündnis zu schließen, um das Habsburgerreich auch im Rücken angreifen zu können, verfolgte sowohl eine Verteidigungspolitik seiner vorgeblich eingekreisten Lande wie eine offensive Strategie gegen den universalen Machtanspruch des deutschen Kaisers – schließlich ging es beiden um die Dominanz in Europa. Für die Wiederaufnahme des Kampfes um die europäische Hegemonie fehlte Heinrich IV. bis zum Jahr 1610 nur der wie auch immer legitimierte Kriegsgrund, der sich nun fand. Bereits Franz I. hatte Frankreich zur Schutzmacht für mehrere deutsche Reichsfürsten protestantischer Konfession erklärt, nun schaltete sich der französische König in die Erbfolge im Herzogtum Kleve und Jülich ein. Dessen Herzog Johann Wilhelm war am 25. März 1609 ohne männlichen Erben gestorben, sodass entsprechend den Reichsrechten das Herzogtum als Reichslehen an den Kaiser zurückfiel. Die Schwiegersöhne des verstorbenen Herzogs, der Markgraf von Brandenburg und der Sohn des Grafen von Pfalz-Neuburg, sahen in diesem kaiserlichen Recht nur den Versuch des Kaisers Rudolph II., das Herzogtum seinem Parteigänger, dem Kurfürsten von Sachsen, zukommen zu lassen. Der zweite Messerstich Ravaillacs ließ die grandiose Kriegskulisse Heinrichs IV. einstürzen und gewährte Frankreich eine Friedensfrist von 25 Jahren, während bereits acht Jahre später der Dreißigjährige Krieg in Deutschland ausbrach. Es sollte im Westfälischen Frieden die Frage der Vorherrschaft in Europa beantwortet werden – zugunsten Frankreichs. Dieser Friedensvertrag wurde die politisch-diplomatische Meisterleistung seines Ersten Ministers Kardinal Mazarin.

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1. Großer Auftritt eines Unbekannten

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euer Schauplatz des Machtkampfes zwischen HabsburgSpanien und Frankreich war zwei Jahrzehnte später

Norditalien – es ging um die mantuanische Erbfolge. Vincenzo II. Gonzaga, Herzog von Mantua, war im Dezember 1627 kinderlos gestorben. In seinem Testament hatte er sein Herzogtum einem Verwandten jener Nebenlinie vermacht, die seit Langem in Frankreich lebte – Karl I. Gonzaga, Herzog de Nevers. Kaiser Ferdinand II., der mit Eleonora Gonzaga, der Schwester des letzten Herzogs, verheiratet war, versuchte, das Herzogtum als erledigtes Reichslehen einzuziehen und danach an Ferrante II. Gonzaga zu geben, der der jüngeren Linie der Gonzaga-Guastalla angehörte und auf der Seite Spaniens stand. Auch Spanien machte seinen Machtanspruch geltend und forderte das Erbe für eine Nichte des Verstorbenen, die zudem Enkelin des Spanien zugeneigten Herzogs Karl Emanuel von Savoyen war. Karl Emanuel von Savoyen, der ein Militärbündnis mit Frankreich und dessen Verbündetem Venedig abgeschlossen hatte, wurde alsbald zum zwielichtigen Verräter gegenüber Frankreich, wollte er doch sein begrenztes Herrschaftsgebiet vergrößern und besetzte deshalb das Herzogtum Mantua. Spanien, das schon Herr des Herzogtums Mailand war, ließ ihn gewähren und wollte sich

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nur die Festung Casale sichern, deren zentrale Lage sie zum Sperrriegel in Norditalien machte. Das Kriegstheater baute sich in kleinen Schritten auf. Dem Herzog de Nevers gelang es, mit französischen Freiwilligen die Stadt Mantua zu erobern. Auch die Festung von Casale wurde zu einer französischen Enklave, die ihrerseits von Spanien belagert wurde. Noch war Kaiser Ferdinand II. in die wechselvollen militärischen Konflikte des Dreißigjährigen Krieges verstrickt, und Kardinal Richelieu, der 1624 in Frankreich zum dominierenden Ersten Minister aufgestiegen war, kämpfte vor La Rochelle die widerständigen Hugenotten nieder, um zunächst die innenpolitische und konfessionelle Einheit Frankreichs für König Ludwig XIII. zu sichern, bevor sich beide der außenpolitischen Offensive zuwenden konnten. Die heraufziehende Gefahr einer weiteren Konfrontation der beiden europäischen Großmächte beunruhigte den Papst Urban VIII., der vor allem den Frieden erhalten und die fremden Mächte von Italien fernhalten wollte. Er schickte als außerordentlichen Nuntius seinen Vertrauten Giovanni Francesco Sacchetti nach Mailand, der Giulio Mazarini als Hauptmann des päpstlichen Friedenskorps an seiner Seite hatte. Dieser, erst 26 Jahre alt, war weder Geistlicher noch Soldat, sondern Jurist in diplomatischer Mission. Nach dem Fall von La Rochelle war Kardinal Richelieu nicht länger gewillt, den französischen Herzog de Nevers zum militärischen Opfer von Savoyen und Spanien werden zu lassen. Im Februar 1629 überquerten, trotz widriger Winterverhältnisse, die französischen Truppen den Pass Montgenèvre und griffen die Stadt Susa an, die zum Herrschaftsgebiet des Herzogs von Savoyen gehörte. In dem Vertrag von Susa einigten sich Frankreich und Savoyen darauf, dass französische Truppen savoyisches Gebiet durchqueren durften – sie konnten somit ungehindert in die Po-Ebene eindringen. Nun sah sich Spanien in seiner Ehre herausgefordert und schickte seinen größten Heerführer und Belagerungstaktiker Antonio Spinola nach Mailand, dem 1625

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die Eroberung von Breda gelungen war und der nun mit den „Tercios“, den gefürchteten spanischen Infanteristen, vor Casale erschien. Er sollte die Festung erobern, die trotz wiederholter spanischer Angriffe noch immer in französischer Hand war – verteidigt von Jean de SaintBonnet de Toiras. Der Papst, um Neutralität bemüht, obgleich eher Frankreich zugeneigt, das in Italien als Befreier von Spanien begrüßt wurde, ließ den jungen Hauptmann Mazarini die Friedenschancen in dem sich aufbauenden Konfrontationsfeld erkunden. Es fand gleichsam ein Wettlauf zwischen den langsam sich aufeinander zu bewegenden Truppen und den schnellen Ritten des päpstlichen Emissärs statt. Mazarini suchte in permanentem Wechsel den Kontakt zu den drei Hauptakteuren der Heereskontingente – dem spanischen Feldherrn Spinola, dem Herzog Karl Emanuel von Savoyen und dem Marschall Créqui, der die in Norditalien vordringenden französischen Truppen befehligte. Um die französischen Kriegsziele genauer zu erkunden und möglichst zu beeinflussen, zögerte Mazarini nicht, im Eiltempo über die winterlichen Alpen nach Lyon zu reiten, um den persönlichen Kontakt mit Kardinal Richelieu zu suchen, der den militärischen Oberbefehl übernommen hatte. Im Rückblick ist diese erste Begegnung der Beginn einer langen, intensiven Kooperation beider mit dem Ziel, Frankreich zur dominierenden Macht in Europa aufsteigen zu lassen. Der Konflikt zwischen den Kriegsparteien spitzte sich zu. Am 4. September 1630 gelang es, in Rivalta einen vierzigtägigen Waffenstillstand auszuhandeln. Am 26. September starb Spinola, der, als Genuese Italiener wie Mazarini, von dem jungen Römer in eine fast freundschaftliche Beziehung gelockt worden war, die zur Verzögerung

Papst Urban VIII. (1623–1644), der gestrenge Dienstherr des jungen Mazarin, in dessen Pontifikat 1633 die Verurteilung Galileis durch die Inquisition fiel.

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der Kriegsentscheidung führte, wie ihm in Madrid vorgeworfen wurde – er hätte vor dem Fall von La Rochelle, solange der Kardinal Richelieu dort festgehalten war, angreifen sollen. Aus verletztem Stolz soll er plötzlich gestorben sein. Aber am 15. Oktober war der Waffenstillstand abgelaufen, und am 26. Oktober kam es zur dramatischen Zuspitzung. Die französischen Truppen unter dem Marschall Schomberg standen zum Angriff bereit, doch Mazarini ritt mit einem neuen Kompromissvorschlag des kaiserlichen Generals Rambaldo Collalto zu ihm: Ein Waffenstillstand sei noch möglich, wenn der Vorschlag zum Frieden von den Franzosen gemacht werde. Dem französischen Marschall skizzierte er einen völlig offenen Schlachtausgang, da die spanisch-habsburgischen Truppen sich inzwischen in Verschanzungen eingegraben hätten – die Folge könne ein langer mörderischer Stellungskrieg mit hohen Verlusten auf französischer Seite sein. Währenddessen aber setzten sich die französischen Truppen bereits in Marsch, und der französische Offizier Toiras auf der Festung Casale signalisierte mit einem Kanonenschuss seine Bereitschaft zum Ausbruchsversuch. Die spanischen Kanonen begannen zu feuern, und die spanisch-habsburgischen Soldaten standen gefechtsbereit in Erwartung des französischen Angriffs. Am Nachmittag um vier Uhr hielt Schomberg eine patriotische Aufputschrede vor seinen Soldaten. Dann knieten die Soldaten zum Gebet nieder, bevor sie sich in die Schlacht stürzen würden. In diesem hochdramatischen Augenblick tauchte in wildem Galopp aus den spanischen Linien ein einzelner Reiter auf und rief lauthals, seinen Hut schwenkend, mit letzter Lungenkraft nur das Wort „Frieden“ – „Pace! Pace!“ sowie auch „La paix! La paix!“. Den militärisch waghalsigen und zugleich theatralisch grandiosen Auftritt hat der französische Marschall La Force geschildert: „Die ganze Reiterei hatte den Degen schon in der Hand, da erschien der besagte Mazarini, aus den Reihen der Feinde auf uns zukommend, und schrie ‚Halt!‘.“1

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Auch Mazarini hat acht Jahre später, als er seinen Name bereits in „Mazarin“ französisiert hatte – was ab sofort hier auch geschehen soll –, seinerseits die entscheidenden Minuten, als er die Schlacht noch verhindern konnte, in einem Brief geschildert: „Ich kann Ihnen keinen detaillierten Bericht über das schicken, was bei Casale an jenem Tag geschah, als ich die Schlacht zwischen den beiden Armeen verhinderte. Ich werde Ihnen in aller Kürze sagen, dass, als ich die spanischen Reihen verließ und im Galopp auf den Marschall von Schomberg zuritt, der an diesem Tag kommandierte, einige Musketenschüsse auf mich abgefeuert wurden … Ich schwenkte als Zeichen, um auf mich aufmerksam zu machen, meinen Hut und rief ihnen zu, sofort den Angriff zu stoppen, denn ich brächte die Konditionen, die zum Frieden führen würden. Sie taten es, und ich gelangte vor den Marschall und unterbreitete ihm meine Mission. Ich erlangte seine Zustimmung und kehrte zu dem Marquis von Santa Croce (dem spanischen General) zurück, damit er seinerseits seinen Soldaten befehle, nicht länger mit den Schanzarbeiten an ihren Verschanzungen fortzufahren, die noch nicht vollendet waren. Als ich erhalten hatte, was ich wollte, ritt ich ein zweites Mal zum Marschall von Schomberg. Als alles geregelt war, schlug ich vor, dass sich zwanzig der wichtigsten Offiziere aus jedem Lager zu einer Stelle, die gleich weit von beiden Armeen entfernt wäre, begeben sollten: Ich erläuterte ihnen die Konditionen des Friedens, die von den jeweiligen Generalen ratifiziert seien, es habe nur an Zeit und Gelegenheit gefehlt, um sie schriftlich niederzuschreiben. So geschah es, und ich sprach vor ihnen ungefähr eine Viertelstunde. Alle stimmten dem zu, was ich sagte, und begannen, sich zu umarmen, so vollständig, dass man den Franzosen nicht von dem Spanier unterscheiden konnte …“2

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Mögen die Einzelheiten dieser Szene, die Mazarin gleichermaßen zum Regisseur wie zum Hauptdarsteller hatte, vielleicht nicht ihre volle historische Richtigkeit haben, das Resultat eines in letzter Minute geretteten Friedens zwischen Habsburg-Spanien und Frankreich war eine grandiose diplomatische Leistung, erbracht mit hohem persönlichem Risiko. Über die Konditionen dieses Friedens wurde man sich in groben Zügen schnell einig: Spanier und Franzosen hatten die Stadt Casale zu verlassen. Der von Frankreich unterstützte Herzog de Nevers sollte mit dem Herzogtum Mantua belehnt werden. Der neue Herzog musste garantieren, dass in Casale auf der Festung eine französische Garnison errichtet werde. Die genaue Festlegung der Details in einem Vertragswerk sollte einem Kongress vorbehalten bleiben, wie es dann auch geschah, aber schon der Frieden, den der junge Hauptmann des Vatikans gestiftet hatte, wies deutlich mehr Vorteile für Frankreich als für Spanien auf. Während der Zuspitzung des Konflikts zwischen den beiden dominierenden Mächten Europas war die Konfrontation vor und um Casale zu einem Brennpunkt der Aufmerksamkeit geworden, und als die Furcht vor einem erneuten Krieg sich in die Überraschung eines sogar stabilen Friedens verwandelte, war das europäische Interesse auf diesen Friedensstifter gerichtet. Wer war er, wie vermochte ein junger, unbekannter Hauptmann des Papstes das große Kriegstheater zum Stillstand zu bringen, welcher hohen Herkunft war er, über welche außergewöhnlichen Talente verfügte er, würde er Einfluss auf die politischen Abläufe in Europa nehmen? Doch bald war nur zu erfahren, dass er ein noch unbeschriebenes Blatt war – wohlgestaltet, klug, wendig, nicht adlig, nicht reich, aber ausgestattet mit der vitalen Energie eines zu allem entschlossenen Aufsteigers. Seine Familiengeschichte ist kurz, obwohl sie später gründlich erkundet und vielfältig ausgeschmückt wurde, nicht zuletzt von einem seiner ersten Biographen namens Abbé Elpidio Benedetti,

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der in den letzten Lebensjahren des Kardinals Mazarin sein Vertrauter war. Ein langes Halbdunkel liegt über der Herkunft, die später sogar bis ins 12. Jahrhundert aufgehellt werden konnte – wenngleich Zweifel bleiben. Seine Vorfahren lebten zunächst in Genua, waren sogar von niederem Adel, verließen aber im 16. Jahrhundert den Norden Italiens, um auf Sizilien, das seinerzeit als Region für schnellen Reichtum eine große Faszination ausübte, das Glück zu suchen. Mit der Mentalität eines Abenteurers, der auf seinen geringen Adel verzichtete, zog es den jungen Hieronimo Mazarini auf die Insel im Süden Italiens, wo er in Palermo Handwerker oder Händler wurde – Genaueres ist nicht überliefert. Er hatte zwei Söhne: Giulio, 1544 geboren, trat in den Jesuitenorden ein und stieg zu einem gefeierten Prediger auf, dessen theologische Rhetorik ihm Auftritte in ganz Italien erlaubte und der erst 1622 starb, und dessen Bruder Pietro, mehr als zwanzig Jahre jünger und wohl aus einer zweiten Ehe des Vaters hervorgegangen. Er hat im Wesentlichen das Verdienst, der Vater des später berühmt gewordenen anderen Giulio zu sein. Inwieweit sizilianisches Blut in den Adern des Vaters floss, ist schwer abzuschätzen, was die Verächter seines Sohnes nicht hinderte, diesen als „Briganten aus Sizilien“3 zu bezeichnen – schon damals stand die Insel in dem Ruf, dass überdurchschnittlich viele Kriminelle auf ihr zu finden seien. Gelegentlich ist der Name von dem Ort Mazara auf Sizilien abgeleitet worden, und der Herzog von Saint-Simon hat hochmütig diese angeblich topographische Herkunft des Familiennamens bespöttelt: „Nie hat man weiter zurückgehen können als bis zum Vater der berüchtigten Eminenz; auch weiß man nicht, wo sie geboren worden ist … Man weiß nur, dass die Familie aus Sizilien stammt. Es sollen Bauern aus dem Mazara-Tal gewesen sein, die den Namen Mazarini angenommen haben, wie es auch in Frankreich Leute gibt, die sich Champagne oder Bourgogne nennen.“4

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Die Unterstellung, man habe nicht gewusst, wo Giulio Mazarini geboren wurde, ist erwiesenermaßen falsch, auch wenn der spätere Kardinal eifrig bemüht war, den Ort seiner Geburt zu verheimlichen und gegen einen berühmten Ortsnamen auszutauschen – gegen Rom. Zwar war Pietro Mazarini nach Rom gezogen, um dort den sozialen Aufstieg zu versuchen, aber das erste Kind, das aus seiner Ehe mit Hortensia Buffalini hervorging, kam wegen der Hitze in den Sommermonaten nicht in Rom zur Welt, sondern der frischen Luft wegen am Fuciner See in den Abruzzen, wo der Bruder der Mutter Abt in der Abtei Pescina war. Die dortige Region stand unter spanischer Herrschaft, sodass er als spanischer Untertan geboren wurde. Später hat er mit Nachdruck darauf bestanden, ein Römer zu sein, sei er doch in Rom getauft worden. Zusätzlich ließ er in den Jahren 1646 bis 1650 im vornehmen Stadtteil Trevi die Kirche Santi Vincenzo e Anastasio errichten, an deren Giebelfront sein Name in großen Lettern prangt – in ähnlich strengen Buchstaben wie an dem Frontispiz des Institut de France in Paris. Schließlich wurde der mächtige Gebäudekomplex, in dem auch die von seinem Vorgänger Richelieu gegründete Académie française ihren Sitz hat, posthum aus Mitteln seines immensen Reichtums errichtet, und in dessen Vorhalle unter der vergoldeten Barockkuppel steht auch noch heute sein Sarg, über dem die von Antoine Coysevox gestaltete Statue des mächtigen Kardinals würdevoll ins Weite blickt. Eine weitere hochsymbolische Linie zieht sich von dem Anfang seines Lebens zum Ende seines Lebenswerks, war er doch am 14. Juli 1602 geboren, und ebenfalls an einem 14. Juli, doch fast zwei Jahrhunderte später, fand im Jahre 1789 die absolute Monarchie Frankreichs ihren Untergang – mit der Erstürmung der Bastille. Zurück zu seiner Familie. Der Vater war in die Dienste des Hauses Colonna getreten, eines hochrangigen Adelsgeschlechts, das mit Stolz darauf bestand, dass seine Abstammung bis auf Julius Cäsar

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Galleria im Palazzo Colonna in Rom, Gemälde von Giovanni Paolo Pannini (1691/2-1765).

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zurückreiche. Das Geschlecht der Colonna war der Kurie besonders verbunden, waren aus ihm doch nicht weniger als fünf Päpste hervorgegangen. Noch heute ist der Name mit der Piazza Colonna und dem Palazzo Colonna – beides an der Hauptachse Via del Corso im Zentrum Roms gelegen – überaus präsent. Unklar ist, in welcher Stellung Pietro Mazarini für den Fürsten Filippo Colonna, der zugleich Konnetabel des Königreichs Neapel war, tätig wurde – waren es niedere Haustätigkeiten oder höhere administrative Aufgaben? Gewiss aber ist, dass er sich in seiner Stellung wenig geachtet und schlecht bezahlt fühlte. Einen Gratisausgleich erhielt er nur dadurch, dass ihm die Gunst gewährt wurde, eines der Patenkinder des Fürsten namens Hortensia Buffalini heiraten zu dürfen. Mochte der Fürst auch generös zahlreiche Kinder aus den Familien seiner Bediensteten übers Taufbecken gehalten haben, meist persönlich nicht anwesend und nur mit seinem Namenszug die Patenschaft gewährend – Hortensia Buffalini stellte eine Bereicherung für Pietro Mazarini dar. Sie war sogar von Adel, zwar nicht vermögend, aber von besonderer Schönheit und zudem die Tochter einer gebildeten Römerin, die mit Gedichten auf sich aufmerksam gemacht hatte und deren Bruder Baron Paolo als Gründer der „Akademie der Humoristen“ geachtet wurde. Pietro und Hortensia führten ein glückliches Familienleben, aus dem außer Giulio noch ein weiterer Sohn Michele sowie vier Töchter namens Laura Margareta, Anna-Maria, Cleria und Hieronima hervorgingen. Die Vorliebe der Eltern für ihren ältesten Sohn wurde gerechtfertigt durch dessen besondere geistige Gaben – im Alter von fünf Jahren begleitete er seine fromme Mutter in die Kirche Sant’Onofrio und konnte danach die Predigt wortgetreu wiederholen. Ob es nur eine mechanische Gedächtnisleistung war oder gar ein erfassendes Verständnis, muss ebenso offen bleiben wie die Frage, ob nicht bereits seine ersten Lebensjahre zur Legendenbildung verleitet haben.

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Mit sieben Jahren trat er ins römische Kolleg der Jesuiten ein, das in unmittelbarer Nähe des Palazzo Colonna lag – hier dürfte der Einfluss seines Onkels Giulio wirksam gewesen sein, dem er auch seinen Vornamen verdankte. Die Jesuiten, die ein theologisch-pädagogisches Offensivprogramm gegen die sich in Europa ausbreitende Glaubenserneuerung von Luther und Calvin entwickelt hatten, offerierten auch Musik und Theater in ihrem weit gefächerten Bildungsprogramm. Den Höhepunkt bildeten für den jungen Mazarin die Festlichkeiten zur Kanonisierung des Ordensgründers Ignatius von Loyola und des Paters Franz Xaver, der für seine Missionsarbeit in Indien zum Heiligen erhoben wurde – sie dauerten drei Tage vom 22. bis zum 24. Mai 1622. Der für die Rolle des Ignatius vorgesehene Schüler fiel aus, Giulio Mazarin übernahm unvorbereitet den zentralen Part und gestaltete aus dem Stegreif die Figur – es wurde ein glanzvoller Auftritt. Die Kunst, in eine andere Identität zu schlüpfen, mittels Kostümen und Kulissen eine Scheinwelt zu errichten und mit musikalischen Finessen in verführerische Emotionen zu verlocken – Mazarin sollte lebenslang von den Maskeraden und Täuschungen des opulenten Barocktheaters fasziniert sein. In jener Zeit zeigte der Orden eine große Offenheit für die neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse. So unterstützten die Jesuiten im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts noch Galilei und sein heliozentrisches Weltbild, etwa anlässlich der Veröffentlichung von dessen „Sidereus nuncius“, bevor es 1616 zur Verurteilung des Astronomen durch das Heilige Officium kam und seine Himmelsforschungen auf den Index gesetzt wurden. Ähnlich verlief die Entwicklung in Frankreich, wo der 1596 geborene Descartes auf das von Heinrich IV. initiierte Jesuitenkolleg von La Flèche geschickt wurde, dort zu ersten Kenntnissen von Galileis Kosmossystem gelangte, aber nicht dessen Schicksal der kirchlichen Verurteilung erleiden wollte, weshalb er 1632 seine Schrift „Traité de l’homme“ mit denselben astronomischen

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Erkenntnissen nicht veröffentlichte und in die calvinistischen Niederlande auswich. Wie nah der junge Mazarin der gefährlichen Materie des heliozentrischen Weltbildes kam, verrät die These seines Doktorats – ihr Thema war der Komet. Im großen Saal des Jesuitenkollegs brillierte er bei der Verteidigung seiner These, offenbar ohne Anstoß zu erregen. Ob es ihm gelang, die Kometen so durch den Weltraum rasen zu lassen, dass sie die Himmelsschalen des ptolemäischen Systems nicht zertrümmerten, oder ob er wagte, die mechanisch autonomen Gravitätsgesetze des Kopernikus zu verteidigen, ist nicht überliefert. Dabei dürfte seine früh entwickelte geistige Geschmeidigkeit zur Anwendung gekommen sein. Derselben bediente er sich auch, als die Jesuiten des Kollegs, die „von seinem brillanten Geist, seinen vielfältigen Fähigkeiten und seinen eleganten Manieren begeistert“5 waren, mit großem Nachdruck bemüht waren, ihn für ihren Orden zu gewinnen. Diese Versuche erhöhten nur seinen Widerstand – er wollte, wie er es lebenslang tat, sich möglichst alle Optionen offenhalten. Nach dem glanzvollen Abschluss seiner Schuljahre im Collegium romanum stand ihm die Welt offen, ohne dass er selbst ein bestimmtes Tätigkeitsfeld anstrebte. Das Studium der Rechte, zu dem ihn der Vater zu überreden verstand – es war wohl auch damals oft die Wahl aus einer Verlegenheit, wenn über den konkreten Berufsweg noch nicht entschieden war –, fesselte kaum seine geistigen und vitalen Kräfte. Er schrieb sich in der berühmten Universität „Sapientia“ ein, an der juristische Berühmtheiten wie Cosimo Fideli glänzten, aber nun verlockte ihn die flirrende Vielfalt des sehr weltlichen Lebens. Er stürzte sich in Bälle und den Karneval, stieg zum Gesellschaftslöwen auf und verfiel dem Glücksspiel bis zu jener Spielsucht, die ihn Schmuck und sogar seine kostbar drapierte Kleidung verpfänden ließ. Seine Zukunft war offen und unklar. Um dem ziellosen Treiben seines Sohnes in der Fülle der römi-

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schen Versuchungen ein Ende zu bereiten, sprach der Vater mit seinem Herrn Filippo Colonna. Die beiden fanden eine Lösung, denn der spanische Konnetabel wollte seinen zweitältesten Sohn Girolamo nach Spanien schicken – er sollte an der berühmten Universität Alcalá studieren und am Hof von Madrid die Anfänge der Diplomatie erlernen, was vor allem einschloss, sich am spanischen Hof, an dem sein Vater eine bedeutende Rolle spielte, einführen zu lassen. Die beiden Männer – der junge Colonna war zwei Jahre älter – hatten gemeinsam studiert und waren durch den täglichen Umgang im Palazzo Colonna freundschaftlich miteinander vertraut. So lag es nahe, dass Mazarin nicht als „cameriere“ (Kellner), sondern als „camerata“ (Kamerad) von Girolamo Colonna auf die Reise ging. Diese Reise nach Spanien führte den zwanzigjährigen Mazarin in das Machtzentrum Spaniens, wo er erste Einblicke in den politischen und diplomatischen Mechanismus dieser Monarchie gewinnen konnte, die im Zusammenspiel mit dem Kaiser in Wien und der Kurie in Rom die „Monarchia universalis“ anstrebte – gemeinsame Basis war der Katholizismus mit seinem universalistischen Glaubensanspruch. Eher beiläufig, denn es soll in nur drei Monaten geschehen sein, erlernte er die Sprache des Landes, die ihm sowohl im späteren diplomatischen Umgang mit dem Gegner Frankreichs von Nutzen sein sollte wie auch den Zugang zum Vertrauen Annas von Österreich erleichterte. Zudem hatte er in Spanien die Gelegenheit, sich erstmals mit Machiavellis Werk „Il principe“ vertraut zu machen, denn dieses Handbuch des religions- und skrupelfreien Gebrauchs der politischen Macht war in Rom von der Inquisition verboten worden. Natürlich versäumte er nicht, seine Leidenschaft für das Theater auszuleben, waren doch die zeitgenössischen Dramatiker Lope de Vega, Tirso de Molina und Alarcón y Mendoza auf den Bühnen von Madrid überaus präsent. Aber er wurde auch das glückliche Opfer eines Theatercoups, den sein Freund Girolamo listig inszenierte. Neben der Spielleiden-

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schaft, der sich Mazarin ebenfalls in Spanien hingab, erlag er einer Liebesleidenschaft, die seinem Karriereaufstieg vor dessen Beginn ein abruptes Ende bereitet hätte. Seine grenzenlose Zuneigung fiel auf die Tochter eines würdigen Notars namens Nodaro, der den jungen Römer gern zu seinem Schwiegersohn gemacht hätte – er wäre in den staubigen Pandekten der dortigen Kanzlei zu einem der biederen Honoratioren verkümmert. Girolamo, der diese Gefahr erkannt hatte, brachte eine amüsante Doppelstrategie zur Anwendung. Er lobte die Schönheit der Angebeteten in den höchsten Tönen und gab vor, die Verheiratung zu befürworten. Gleichzeitig aber beauftragte er den Verliebten, ein geheimes Dokument von hohem politischem Informationswert persönlich zum Fürsten Colonna nach Rom zu bringen – es sei zugleich eine günstige Gelegenheit, die väterliche Genehmigung für die Eheschließung einzuholen. Mazarin ging in die Falle, denn das Geheimdokument enthielt nichts anderes als die Aufforderung, den Heiratssüchtigen um jeden Preis an der Rückkehr nach Spanien zu hindern. Es dürfte einer der sehr seltenen Fälle gewesen sein, in dem Mazarin die Rolle des Geprellten spielen und sich fügen musste. Übrigens ist über einen tragischen Liebeskummer seinerseits nichts bekannt. Ein zusätzliches Motiv des Freundes Colonna, Mazarin zur Rückkehr nach Rom zu veranlassen, könnte gewesen sein, dass sich die Situation von dessen Familie inzwischen desaströs gestaltet hatte. Sein Vater wurde, ohne dass heute die näheren Umstände bekannt sind, des Totschlags angeklagt und flüchtete aus Rom. Er dürfte, da sein gesellschaftlicher Aufstieg ausblieb, Enttäuschung bei seiner Frau ausgelöst haben, die aus besseren Verhältnissen stammte und die eigenen Lebensumstände als beengt und demütigend empfand, zumal die Kinderzahl den sozialen Druck erhöhte. Die Ehe zerbrach für einige Jahre. Durch den Einfluss, den zwei Schwäger Buffalini und die Familie Colonna ausübten, ließ sich die Strafverfolgung und Verurteilung Pietro Mazarinis abwenden.

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Der heimkehrende Sohn war nun gezwungen, bereits in jungen Jahren die Rolle des pater familias zu übernehmen – eine Position, die wohl ebenfalls dazu beitrug, keinesfalls Priester werden zu wollen. Denn er war, nachdem sein Bruder Michele in den Orden der Dominikaner eingetreten war, das einzige männliche Familienmitglied, das die Fortexistenz des Namens Mazarini hätte sichern können. Über seinem weiteren Lebensweg liegen zumindest drei Jahre Dunkelheit, die sich erst aufhellt, als er 1625 in den Dienst des Papstes trat. Die Tiara trug seit 1623 Urban VIII. aus dem Florentiner Geschlecht der Barberini, dessen Regierungszeit fast bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges andauerte – bis 1644. Er war ein selbstherrlicher Kirchenfürst, der bereits 1623 den endlich fertiggestellten Petersdom einweihte und in Rom fast ein ganzes Stadtviertel zerstörte, um für den klotzigen Barockbau des Palazzo Barberini Platz zu schaffen. Die Römer spotteten und seufzten: „Quod non fecerunt barbari, fecerunt Barberini“ („Was die Barbaren nicht schafften, schafften die Barberini“). Sogar als dichtender Papst fand Urban VIII. Anerkennung wie auch als Förderer der Wissenschaften, was ihn aber 1632 nicht hinderte, Galilei unter Androhung der Folter zum Widerruf des kopernikanischen Weltsystems zu zwingen. Vor allem aber protegierte er seine beiden Neffen Francesco und Antonio bis zur öffentlichen Schamlosigkeit. Der junge Mazarin gelangte nicht ohne die Unterstützung des einflussreichen Geschlechts der Colonna – schließlich lagen die jeweiligen Palazzi nur wenige Hundert Meter voneinander entfernt – in die Administration der Kurie. Um seinem Ehrgeiz und seiner politischen Neugier Genüge zu tun, trat er als Hauptmann in das päpstliche Heer ein, das den Frieden im Veltlin sichern sollte. Der 1626 geschlossene Vertrag von Monzon sah die Neutralisierung des Gebiets der Drei Bünde vor, das nacheinander von den habsburgisch-spanischen und von den französischen Truppen besetzt wor-

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den war. Frankreich war bestrebt, den spanischen Truppen den Verbindungsweg über die Alpen nach den Spanischen Niederlanden zu blockieren. Um die militärische Konfrontation zwischen den beiden europäischen Großmächten und damit einen generellen Krieg zwischen ihnen in Norditalien zu verhindern, war die päpstliche Diplomatie um die Neutralität der Region bemüht, was mit dem Vertrag gelang. Die Kurie wurde selbst Garant des Vertrags und musste sich verpflichten, die Neutralität mit eigenen Truppen zu sichern, deren militärische Bedeutung eher symbolischer Natur war. Vier Jahre später kam es zur geschilderten Schrecksekunde der militärischen Konfrontation vor Casale – sie rückte den jungen Hauptmann des Papstes ins Rampenlicht der europäischen Öffentlichkeit. Doch Papst Urban VIII., den Mazarin während der Krise um Mantua und Casale mit täglichen Berichten über die politisch-diplomatische Entwicklung informiert hatte, verweigerte seinem jungen Diplomaten jede Gunst und jeden weiteren Aufstieg, wohl auch, weil dieser sich trotz wiederholter Aufforderung nicht bereit zeigte, Priester zu werden. Vertraut mit der Machtbalance zwischen Spanien und Frankreich, die sich, wie er wohl bemerkte, bald zugunsten jenes Landes neigen würde, mit dessen Erstem Minister er im Jahr 1630 dreimal zusammengetroffen war, sah er seine persönliche Zukunft nicht länger in Rom und auch nicht in Madrid. Schließlich hatte schon ein Astrologe aus Parma dem jungen Mazarin im Alter von 24 Jahren die Schicksalsprognose in Gestalt einer Frage gestellt: „Warum er sich so große Mühe mache, den Spaniern zu dienen, anstatt alle seine Vorteile und seine Größe auf der Seite Frankreichs zu erreichen.“6

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2. Von Rom nach Paris

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ber wie hatte sich die erste Begegnung zwischen Richelieu und Mazarin gestaltet? War der Erste Minister Frank-

reichs, dessen Machtposition seit 1624 ständig gewachsen war, indem er seine Gegner mit eiserner Härte dem Henker übergab, bereit, dem jungen Emissär des Papstes Aufmerksamkeit zu schenken? Hatte der diplomatische Sendbote der Kurie, der als Hauptmann eines Friedenskorps nichts anderes als Frieden anstreben konnte, gegenüber jener Eminenz eine Chance, die trotz des kirchlichen Ranges eines Kardinals zum Krieg entschlossen war? Als Mazarin am 28. Januar 1630 in Lyon eintraf, hatte er zunächst Gelegenheit, die militärische Macht der französischen Truppen in ihrer makellosen Organisation zu bewundern. Nicht weniger als 25 000 Soldaten und 4000 Reiter, kriegserprobt sowie mit Waffen und Nahrungsmitteln wohlversorgt, standen zur Überquerung der Alpen bereit. Und nicht zuletzt die Waffenelite des französischen Adels war dem Aufruf Ludwigs XIII. gefolgt, um den französischen Machtanspruch bis nach Norditalien auszudehnen – war dies doch schon das ehrgeizige Ziel von Franz I. ein Jahrhundert zuvor gewesen. Am folgenden Tag hatte Mazarin dann Gelegenheit, sich mit einem Beglaubigungsschreiben des Papstes zu legitimieren und des-

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sen Position vorzutragen. Er durfte drei Stunden lang monologisieren, ohne dass Richelieu, den offensichtlich die geistige Wendigkeit und rhetorische Raffinesse des jungen Römers faszinierte, ihn unterbrach – sehr genau dürfte er diesen diplomatischen Artisten einer mentalen Überprüfung unterzogen haben. Auch erstaunte offensichtlich den mächtigen Minister, der stets eine kalte Würde ausstrahlte, dass Mazarin in ruhiger Souveränität seinem Status, der Gesandte einer gleichrangigen Macht Europas zu sein, Geltung verschaffte. Sein Konzept, den Frieden zu sichern oder wenigstens in einem Waffenstillstand diese Option offenzuhalten, sah vor, die Monatsfrist des Aufmarsches der französischen Truppen vor Casale zu Verhandlungen über einen Interessenausgleich zu nutzen. Es sollte und müsste doch möglich sein, in direktem Kontakt mit Spinola und Collalto deren Kriegsziele mit denen von Frankreich in einem Kompromiss so zu vereinbaren, dass ein militärischer Konflikt vermieden werden könne. Er, Mazarin, sei bereit, als Unterhändler die jeweiligen Kriegsziele der einen Kriegspartei mit denen der anderen abzugleichen, wenn ihm von allen das Verhandlungsmandat zugestanden würde. Richelieu blieb am Ende des offenen Gesprächs unnachgiebig – er wollte die militärische Auseinandersetzung, um die politische Präsenz Frankreichs in Norditalien zu etablieren und zu sichern. Weder Annäherung noch Vereinbarkeit der Positionen der kriegsbereiten Mächte, wie er sie mit seinem Mandat zu erreichen hoffte, konnte und wollte ihm Richelieu in Aussicht stellen. Dennoch ließ er es nicht an einer gnädig-günstigen Geste gegenüber dem päpstlichen Gesandten fehlen – man bat ihn zum Diner an den Tisch des Kardinals. In den nächsten zwei Tagen, als der politische Meinungsaustausch fortgesetzt wurde, gelang es Mazarin, wenigstens eine

Kardinal Richelieu, Erster Minister Frankreichs von 1624 bis 1642, Vorgänger und Förderer Mazarins. Gemälde (1635) von Philippe de Champaigne.

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geringe Chance für sein Friedensvotum zu erhalten – als Zeichen seines guten Willens wollte Richelieu Befehl geben, dass der Marschall Créqui eine kurze Erkundungsreise nach Montferrat zu den gegnerischen Feldherrn Spinola und Collalto unternehme. Allerdings könne dies nur unter der Bedingung geschehen, dass Papst Urban VIII. sich offen und eindeutig zugunsten Frankreichs erkläre. Mazarin musste bekennen, dass damit sein Mandat überschritten sei. Es war dann nicht ein Monat, bis die französischen Truppen vor Casale aufmarschierten, sondern es wurden neun Monate, die Mazarin zu ständigen Verhandlungen mit den Kriegsgegnern nutzte. Vor und dann nach dem geschilderten Friedenskompromiss vor Casale in letzter Minute hatte aber auch eine Annäherung zwischen Richelieu und Mazarin stattgefunden, die zu Beginn des Jahres 1631 ihre Fortsetzung fand, als Mazarin nach Paris eilte, um die Feinheiten des endgültigen Friedensvertrages mit Richelieu abzustimmen. Es wurde ihm dort ein triumphaler Empfang bereitet, und er wurde dem König sowie der Königin vorgestellt. Bei dieser Gelegenheit soll sich Richelieu gegenüber Anna von Österreich die Taktlosigkeit, deren historische Richtigkeit jedoch auszuschließen ist, erlaubt haben, ihr Mazarin mit dem Satz zu empfehlen: „Madame, er wird Ihnen gefallen, er sieht aus wie Buckingham.“1 Es war eine Anspielung auf den Duke of Buckingham, den Günstling der englischen Könige Jakob I. und Karl I. und einflussreichen Politiker, der sich 1625 in einem Park von Amiens Anna von Österreich in unziemlicher Leidenschaft genähert hatte. Die definitiven Friedensverhandlungen fanden am 6. April und 19. Juni in Cherasco (Piemont) statt und hatten zur diplomatischen Ausgangslage, dass alle eroberten Plätze ihren ursprünglichen Besitzern zurückerstattet werden sollten. Dadurch konnte der Herzog de Nevers seine neuen Herzogtümer Mantua und Montferrat wieder in Besitz nehmen, die zwischenzeitlich von Spanien besetzt worden waren. Wäre diese Regel auch im Fall von Pinerolo zur Anwendung

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gekommen, hätte die Stadt an Savoyen zurückfallen müssen. Die Spanier schickten Kontrolleure dorthin, um die Übergabe zu überprüfen, waren aber so unachtsam, nicht in die Kasematten zu schauen, wo sich 227 der besten französischen Soldaten verborgen hielten. Um die endgültige Übergabe der Stadt an Frankreich zu gewährleisten, waren Geheimverhandlungen zwischen Mazarin und dem Herzog Viktor Amadeus erforderlich, die das ganze Jahr 1632 in Anspruch nahmen, bedurfte es doch einer scheinkriegerischen Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Savoyen. Diplomatische Voraussetzung des französischen Scheinsieges war die Zustimmung Savoyens, dass Pinerolo, allerdings gegen eine stattliche Summe für den Herzog, endgültig den Franzosen übergeben wurde, sodass die in der Festung verborgenen Soldaten wieder auf offener Szene erscheinen konnten. Nicht nur während der sich lange hinziehenden Verhandlungen am Hofe von Savoyen in Turin, der offiziellen wie der geheimen, sondern überall dort, wo er auftauchte, und nicht zuletzt in Paris, setzte Mazarin verführerisch duftende Essenzen für die Damen und überaus elegante Handschuhe für die Herren ein, um mit diesen Geschenken eine ihm und seiner Mission günstige Atmosphäre zu schaffen. Er selbst inszenierte sich in überwältigend kostbarer Garderobe und erwies sich als Meister kunstreich stilisierter Komplimente. Auch gegenüber Richelieu bediente er sich fein ziselierter Phrasen, die von seiner scheinbar grenzenlosen Unterwürfigkeit zeugen sollten und zugleich von seiner überläuferischen Bereitschaft, seine Talente zwar weiterhin für den Papst zum Einsatz zu bringen, aber zugleich überaus geneigt zu sein, sich dem bewunderten Kardinal in Paris zu verpflichten. Als er Richelieu den Erfolg seiner finessenreichen Manöver in Savoyen melden konnte, tat er es in vorgespielter Bescheidenheit: „Eminentissime und reverendissime Seigneur, mein sehr verehrter Maître … Ich gebe mich damit zufrieden, dass die Ereignisse Euer Eminenz meinen Wunsch offenbaren, Ihnen zu dienen.“2

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Er diente in der Tat Frankreich, das mit seiner Hilfe den habsburgischspanischen Korridor über die Altenpässe gesprengt hatte und sich in Norditalien fest etablieren konnte. Aber noch stand Mazarin in den Diensten der Kurie, und fast als Aufforderung an Richelieu, ihn aus dieser Abhängigkeit zu befreien, klang die Klage über seine gefährdete Rolle in Rom: „In Rom sind sehr bösartige Worte gegen mich gefallen, der Grund dafür ist die Ehre, die mir von seiner Majestät und Eurer Eminenz zuteil geworden ist. Daher stammt der Neid, von dem die Böswilligen getrieben wurden, tausend falsche Dinge über mich zu schreiben.“3 Der Hintergrund dieses Lamentos dürfte eher gewesen sein, dass Papst Urban VIII. zwar seinen so erfolgreichen Unterhändler feiern ließ – sogar eine Münze zu Ehren des Friedens von Casale wurde geprägt –, ihm aber ansonsten jede Gunst verweigerte und nicht zuletzt jede Aufstiegschance nur zögernd gewährte. Auch wollte und musste der Papst vermeiden, jenen Mann zu fördern, der zum Schaden Spaniens so bravourös agiert hatte, und Spanien dominierte in Rom bis zur Überzahl der Kardinäle und bis in den Palazzo des Fürsten Colonna, dem Mazarins Familie besonders verpflichtet war. Aber das wesentliche Motiv dieser Zurückhaltung war die Absicht Urbans VIII., seinen unruhig-weltoffenen Emissär, der so gern und verführerisch am vergnügungsreichen Hof von Savoyen in Turin als Gesellschafter der Damen agierte, an die Kurie zu fesseln – das Mittel dazu war, ihn zum Kleriker zu machen. So war Mazarin bereits im Dezember 1631 die durch einen Todesfall vakant gewordene Kanonikerstelle an der Kirche Santa Maria Maggiore offeriert worden, freilich mit der Auflage, Kleriker zu werden. Zudem hatte Papst Sixtus im Jahre 1589 in einer Bulle festgelegt, dass der Inhaber einer kirchlichen Pfründe nur über das mit ihr verbundene Geld verfügen könne, wenn er sich der Tonsur unterzogen habe und ein geistliches Gewand trage. Mazarin aber ging es nur um das Geld.

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Eine weitere mit 500 römischen Dukaten dotierte Pfründe eines Kanonikers, diesmal an der Kirche San Giovanni in Laterano, offerierte ihm der Papst im Mai 1632 – sogar mit der Konzession, dass Mazarin nur die erste Tonsur („prima tonsura“) absolvieren müsse und sich auch dieser nur in symbolischer Form unterziehen müsse, wie ihm ein Breve mit dem Titel „De non incendendo“ gestattete, dessen Inhalt ihm zudem diskret („per segreta“) mitgeteilt wurde. Auch könne die Prozedur von einem Bischof seiner Wahl vollzogen werden. Für die weitere Ausnahme, nicht die Soutane tragen zu müssen, fand sich im unendlich dehnbaren kanonischen Recht der gewünschte Dispens, der das Datum der Verbindlichkeit in eine unbestimmte Zukunft verlegte. Mazarin, der sich im Sommer 1632 am französischen Hof aufhielt, unterzog sich dieser Minimalzeremonie auf einer Reise, die Ludwig XIII. nach Lothringen unternahm – Mazarin wie der römische Nuntius Kardinal Alessandro Bichi zählten zum Gefolge des Königs. Am 18. Juni 1632 wurde Mazarin in Sainte-Menehould der fiktiven Tonsur unterzogen – die Schere klapperte über seinem Kopf ins Leere, ohne ein Haar zu berühren, während er vor dem Bischof niederkniete. Psalmen wurden gesungen und eine Messe abgehalten. Der spätere Kardinal und Erste Minister Frankreichs hat über diese Szene nie ein Wort geäußert und sie offensichtlich aus seinem Gedächtnis getilgt. Doch die Kurie verlangte von ihm, nach Rom zurückzukehren, wo das offizielle Vatikan-Journal am 20. November 1632 vermeldete: „Seigneur Mazarini hat bei seiner Rückkehr aus Frankreich und der Lombardei vor fünf Tagen das kirchliche Gewand angelegt, des Kanonikats von San Giovanni in Laterano wegen, das ihm seine Heiligkeit übertragen hat.“4 Schließlich fügte er sich und zog die Soutane an – seinen Widerwillen brachte er im Spott zum Ausdruck, als er Mademoiselle de Senneterre nach Paris meldete: „Wenn Sie wüssten, wie ungeduldig ich mich danach sehne, wieder in Paris zu sein, um

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Ihnen meine Verehrung zu Füßen zu legen, würden Sie mich, dessen bin ich sicher, noch mehr lieben. Bereiten Sie sich jedoch darauf vor, zu lachen, wenn Sie mich im Gewand eines Nuntius sehen werden, denn es ist arg verschieden von dem, das ich früher getragen habe.“5 Die „Liebe“ war im gehobenen Tonfall des Barock von sehr inflationärem Gebrauch, denn die „Verehrte“ war eine Dame von sechzig Jahren. Eine Aufwertung seiner Stellung in Rom erlangte Mazarin auch dadurch, dass er zu einem der Pronotare ernannt wurde. Der Pronotar war eine geachtete Institution, bestand seine Aufgabe doch darin, die päpstlichen Episteln aufzusetzen – in diesen geheimen Schriften konnte es um die Papstwahl, aber auch um die Umwandlung von nicht ehelichen in eheliche Kinder gehen. Die Pronotare gehörten dem Prälatenkollegium an und hatten Vorrang vor den anderen Mitgliedern dieses Kollegiums, sodass sie als Bischöfe in Wartestellung galten. Ihre violette Gewandung dürfte Mazarins ästhetische Erscheinung und sein hierarchisches Ansehen erhöht haben. Diese Rangerhöhung war ein weiterer Versuch des Papstes, seinen wendigen Emissär zufriedenzustellen und damit unter Kontrolle zu halten. Doch Mazarins Blick richtete sich mehr und mehr nach Frankreich, und das hieß, selbst und gerade in Rom politische Aktivität zugunsten Frankreichs zu entfalten. Papst Urban VIII. hatte den Nepotismus erneut zu besonderer Blüte gebracht, indem er seine beiden Neffen Francesco und Antonio Barberini zu Kardinälen erhoben hatte und mit hohen Ämtern in der Kurie betraute. In ihrem Gegensatz spiegelte sich auch die europäische Machtbalance, denn der gestrenge Machtpolitiker Francesco Barberini war Spanien zugeneigt, während der die schönen Künste fördernde Antonio Barberini sich mehr und mehr als Vertreter der französischen Interessen etablierte. So war es Antonio Barberini, nur wenig jünger als er selbst, in dem Mazarin einen Mit-

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streiter für den französischen Einfluss auf die Kurie fand – sogar freundschaftliche Nähe wusste er mit seinem scheinbar grenzenlosen Anpassungsvermögen herzustellen. Zunächst jedoch ernannte Urban VIII. Mazarin zum „Auditor des Kardinals Antonio für die Angelegenheiten in Avignon“, nicht zuletzt um dessen Lebensunterhalt zu sichern. Denn weder der Kardinal noch sein Auditor begaben sich in die ferne päpstliche Enklave, wies doch das faszinierend flirrende Luxusleben in Rom die raffiniertesten Verführungen auf. Auch ging der Palazzo Barberini gerade seiner Vollendung entgegen, sodass schon 1632 in dessen Theatersaal der Karneval gefeiert wurde und die Oper „Sant’Alessio“ – Libretto Giulio Rospigliosi, Musik Stefano Landi – zur Aufführung kam. Dass der Librettist Rospigliosi, Autor mehrerer melodramatischer Opern, 1667 als Papst Pius IX. den Stuhl Petri bestieg, zeigt die Symbiose von katholischer Kirche und überbordender Lebenskultur jener an Opulenz reichen Epoche. Maskiert und von erlesenen Düften umweht, stürzten sich der Kardinal Antonio und sein ihm eng verbundener Auditor in den festlichen Wirbel. Hier hat Mazarin seine Theaterleidenschaft, besonders für die römische Oper, entdeckt und erstmals ausgelebt, so intensiv, dass er später versuchte, diese Oper in Paris zu etablieren. Nur konsequent geriet der kunstsinnige und vielfältig sensible Kardinal Antonio in den Bannkreis der gefeierten Sängerin Leonora Baroni, die das vom Krieg zerstörte Mantua verlassen hatte und 1633 in Rom die Szene betrat. Sie hatte ihre Auftritte nur in den prächtigen Palazzi Roms, da im Kirchenstaat Frauen nicht in den Frauenrollen der Opern auftreten durften – an ihre Stelle traten Kastraten, die in ganz Europa überschwänglich gefeiert wurden. Leonora Baroni, hochgebildet und von strahlender Weiblichkeit, hat sogar den puritanischen englischen Dichter John Milton auf seiner Romreise derart fasziniert, dass einige seiner Gedichte ihr gewidmet sind. Auch Kardinal Antonio begann mit einer so schüchternen Ver-

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ehrung der Diva, dass es des Freundes Mazarin bedurfte, ihr wenigstens ein Zeichen seiner Zuneigung zu übermitteln, als er in jenen sommerlichen Tagen an der Seite seines päpstlichen Onkels in Castel Gandolfo weilte: „Ich habe nur Ruhe finden können bei dem Gedanken, dass es Ihnen gelingen möge, der Signora Leonora einen Gruß von mir auszurichten, ihr selbst zu schreiben, wage ich nicht, denn ich kann nicht hoffen, eine Antwort zu verdienen … Es wird also geschehen, o Gott, dass Sie in dieses gesegnete Haus gehen, dass Sie diesen Engel sehen und hören, während ich kein anderes Gespräch habe als das mit blühenden Büschen und den einsamen Wegen, die meine Gedanken nicht hindern, mich mit dem Gegenstand meiner Sehnsucht zu beschäftigen.“6 Noch recht lange hält diese sentimentale, der übertreibenden Rhetorik jener Epoche verpflichtete Suada an, aber sie richtet sich zunehmend direkt an Mazarin mit der Frage, „ob das Gesetz der guten Freundschaft zwischen uns“ nicht dadurch gefährdet werden könnte. Zur Gewissheit darüber, „ob ich eifersüchtig bin“, fand er jedoch auch nicht, schließlich bereitete es ihm Trost, dass die „Macht der Liebe“7 zu dieser Dame ihn wie zwangsläufig in ihren Bann geschlagen habe. Sicher ist, dass auch Mazarin bei einer der Soireen, die in ihrem Hause stattfanden, eigene Gedichte vorgetragen hat, nicht ganz sicher ist, ob auch er ihr Geliebter geworden ist – der spätere Kardinal hat sich dieser Frage wie auch in anderen Fällen mit höchster Diskretion entzogen. Sicher aber ist, dass Kardinal Antonio bald ans Ziel seiner weltlichen Sehnsüchte gelangte, die bei den hohen Kirchenfürsten Roms keine Seltenheit waren. Je höher der Rang des Gönners im Kirchenstaat, desto größer die Willfährigkeit der Damen – der junge Mazarin hat deshalb kaum hoffen dürfen. Als jedoch im Jahre 1640 die Neigung

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des Kardinals Antonio für die Dame Leonora ihr Ende gefunden hatte, verheiratete er sie mit seinem Sekretär Castellani. Es war zugleich der Beginn oder auch schon die Fortsetzung seiner Leidenschaft für den Kastraten Marc’Antonio Pasqualini, der 1630 Mitglied des Chors der Sixtinischen Kapelle geworden war. Die künstlerische Faszination, die in den Jahren 1632 bis 1634 der Sänger auf Mazarin ausübte, war so groß, dass er ihn 1647, inzwischen selbst zum die Politik Frankreichs bestimmenden Minister aufgestiegen, nach Paris kommen ließ, um in der Rolle des Aristeo in Giulio Rossis Oper „Orfeo“ zu brillieren. Aber in jenen turbulenten römischen Jahren verlor der Pronotar des Papstes nicht die familiären Pflichten aus dem Auge und verheiratete seine Schwester Laura Margareta mit dem Sohn Hieronimo des einflussreichen Majordomus Vincenzo Martinozzi – er führte den Hofstaat des Kardinals Antonio. Wie eng die persönlichen Verflechtungen in Rom waren, verrät schließlich die sentimentale Verbindung der anderen Schwester Anna-Maria, die Nonne geworden war, mit der umschwärmten Sängerin Leonora Baroni. Über ein Jahr hatte sich Mazarin auf das Legat in Avignon vorbereitet, aber er zögerte, denn die päpstliche Enklave in Südfrankreich könnte schnell zum Exil werden. Im August 1634 reiste er dennoch von Rom ab, da eine Verweigerung ihn um seine Stellung in der kurialen Hierarchie gebracht hätte, doch es geschah mit Pomp und großem Gefolge. Kardinal Antonio hatte für eine prunkvolle Karosse gesorgt, die von sechs kräftigen Maultieren gezogen wurde, und seine Begleitung war personenreich – sein Sekretär Dom Alessandro, der Violinspieler Michele Angelo und sein Vetter Niccolò Buffalini durften nicht fehlen. Kein Reisetempo beunruhigte die Karawane, die zu so manchem Umweg bereit war, um so manches historische Bauwerk in Augenschein zu nehmen. Nicht weniger als drei Monate waren für die gemächliche Reise über Florenz, Modena, Bologna, Ferrara, Parma, Mailand und Turin nach Avignon erforderlich.

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In dem gefürchteten Avignon, wie es die wechselvolle Gunst des Papstes so mit sich brachte, war sein Aufenthalt nur kurz – Urban VIII. hatte für seinen ehrgeizigen Diplomaten eine Mission, die auch eine Falle sein konnte. Als außerordentlicher Nuntius sollte er an den französischen Hof reisen, und sein Auftrag bestand in der Lösung von drei Aufgaben: König Ludwig XIII. zu überreden, sich von seinen protestantischen Bündnispartnern in Deutschland, vor allem aber auch von den Schweden, zu trennen, das Herzogtum Lothringen in seinen alten Grenzen zu restituieren und die Ehe, die sein Bruder Gaston d’Orléans heimlich mit Margarete, der Schwester des lothringischen Herzogs Karl IV., geschlossen hatte, nicht länger in ihrer sakralen Gültigkeit zu bekämpfen. Wohl eher in von Zweifeln begleiteter Hoffnung hatte der Papst seinen Friedensstifter von Casale nach Paris geschickt, wo Kardinal Richelieu seit Langem jenen Eroberungskrieg nach Nordosten führen wollte, den 1610 das Messer Ravaillacs verhindert – nunmehr nur verzögert hatte. In einem Dossier für den König hatte der Kardinal im Jahre 1633 formuliert, dass „es notwendig sei, an die Befestigung von Metz zu denken und dann bis Straßburg vorzudringen, um, wenn es möglich sei, einen Eingang (‚une entrée‘) nach Straßburg zu gewinnen“.8 Es müsse das Ziel des Königs sein, „sein Reich bis an den Rhein auszudehnen …Wenn er diese Pfänder in der Hand hätte, würde er zum Richter über Krieg und Frieden werden, über die man ohne ihn nicht entscheiden könnte.“9 Richelieu war schon über die Kriegsbereitschaft zur Kriegsentschlossenheit gelangt – die causa für einen bellum iustum dürfte sich finden. Auf dem Weg zum Rhein galt es, Lothringen zu minimieren und möglichst zu beseitigen, also in Abhängigkeit von Frankreich zu bringen oder zu einem Teil Frankreichs zu machen. Für den wiederholten Einmarsch in Lothringen und die Eroberung von Nancy diente der Vorwurf, Herzog Karl IV. habe Bündnisse mit frankreichfeindlichen

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Mächten geschlossen, als wäre dies nicht das Recht eines souveränen Staates. Ludwig XIII. zog die Okkupation des Herzogtums vor, da für die Annexion die Legitimation fehlte, aber sie kam de facto der Integration gleich. Herzog Karl IV. hatte bereits zugunsten seines Bruders Nikolaus Franz abgedankt, nachdem er gezwungen worden war, auf jedes Bündnis mit dem Kaiser zu verzichten. Er war in die Spanischen Niederlande nach Brüssel geflüchtet. Die Restitution des unabhängigen Herzogtums Lothringen war für Frankreich ausgeschlossen. Eine gewisse Genugtuung dürfte es dem neuen Herzog Nikolaus Franz verschafft haben, dass es ihm gelang, seiner Schwester Margarete von Lothringen-Vaudémont, die eine geheime Ehe mit Gaston d’Orléans eingegangen war, zur Flucht aus dem belagerten Nancy zu verhelfen – sie gelangte als Mann verkleidet nach Brüssel zu ihrem Gemahl, wohin auch seine Mutter, Königin Maria de’ Medici, vor ihrem ältesten Sohn geflohen war. Ludwig XIII. wollte die Ehe seines Bruders, da ohne seine Zustimmung geschlossen, annulliert sehen, doch Gaston hatte sich abgesichert und seine geheime Ehe kirchlich legitimieren lassen – von keinem Geringeren als von Papst Urban VIII. selbst, der nun seinen außerordentlichen Nuntius beauftragte, dafür zu sorgen, dass diese Ehe von Ludwig XIII. akzeptiert werde. Mazarin wusste, dass er zur dreifachen Erfolglosigkeit verdammt war, und versuchte dennoch, seine diplomatische Niederlage in einen persönlichen Sieg zu verwandeln. So nutzte er den grandiosen Empfang, der ihm in Paris bereitet wurde, zur Annäherung an die politische Position Frankreichs. Aber an den harten Fakten führte trotz des Wohlwollens, das Ludwig XIII. ihm entgegenbrachte, kein Weg vorbei, als es galt, mit dem Bruder des Königs zu einer Verständigung zu kommen. Gaston d’Orléans war nach der schmählichen Niederlage seines Heeres, das er gegen seinen königlichen Bruder aufgeboten hatte, in Brüssel trotzdem in einer Position der Stärke. Denn es war undenkbar, dass Richelieu den Krieg gegen Spanien beginnen konnte,

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solange sich Gaston im feindlichen Ausland aufhielt, war er doch der nächste Thronanwärter, da sein königlicher Bruder seit seiner Heirat mit Anna von Österreich im Jahre 1614, also seit über zwanzig Jahren, ohne den ersehnten männlichen Erben geblieben war. In der Kriegsfrage, die zunehmend zu einer militärischen Antwort führen musste, kam Richelieu Mazarin scheinbar entgegen, indem er dessen Vorschlag, die konfliktgeladene Situation auf einem Friedenskongress unter Beteiligung vor allem von Habsburg zu klären, nicht krass zurückwies, sondern diese Möglichkeit der Konfliktlösung nicht ausschloss. Geschickt hatte Mazarin diesen Kongress unter das Patronat Urbans VIII. gestellt, sodass es dessen Aufgabe war, den mit päpstlicher Autorität ausgestatteten Legaten zu benennen, und auch Frankreich und Spanien-Habsburg wurden eingeladen, ihren Kongressbevollmächtigten zu bestimmen – als Konferenzort war bereits Köln in Aussicht genommen. Diese noch weit entfernte Friedensperspektive, über die Mazarin ständig neue Depeschen an Urban VIII. schickte, verschaffte ihm immer neuen Aufschub, den französischen Hof nicht verlassen zu müssen. Gegenüber einem generell legitimierten Nuntius, der zeitlich unbegrenzt an einen ausländischen Hof entsandt wurde, war die Rolle des außerordentlichen Nuntius strikt an die speziellen Aufgaben seiner Mission gebunden – diese hätte im Fall der drei offenen Fragen nach zwei Wochen als negativ erledigt angesehen werden müssen, aber Mazarin verstand es, seine Anwesenheit in Paris auf nicht weniger als sechzehn Monate auszudehnen. Er nutzte diese Zeit intensiv und geschickt, um mit Richelieu zu einem tiefen Vertrauensverhältnis auf Gegenseitigkeit zu gelangen – sogar Freundschaft entwickelte sich zwischen beiden. Sie steigerte sich zu immer neuen Einladungen des Ersten Ministers nach Rueil, wo Richelieu sich ein glanzvolles Schloss errichtet hatte, von dem heute auch nicht die geringste Ruine erhalten ist. Mazarin hatte, keine Kosten bis hin zur persönlichen Verschuldung scheuend, ein stattliches

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Anwesen in unmittelbarer Nähe gemietet, wo er seinerseits Gäste empfangen und mit seinen bevorzugten Geschenken – feine Lederhandschuhe und verführerische Duftwässerchen – versehen konnte. Nach Rom skizzierte er seine Rolle als bevorzugter Gast des Ersten Ministers: „Zwei von dreimal lässt mich seine Eminenz zum Diner bleiben. Er veranstaltet kein Fest in seinem Haus, ohne mich dazu einzuladen, und besteht darauf, dass ich ihn zu den Festen des Königs begleite. Im Privaten erweist er mir viel Vertrautheit und im Öffentlichen besonderen Respekt. Wenn er sich gegen die Langeweile im Spiel unterhalten will, verpflichtet er mich, ihm Gesellschaft zu leisten.“10 Der Standes- und Altersunterschied erlaubte es dem mächtigen Minister, gegenüber dem jungen Diplomaten aus Rom seine kalt-verschlossene Haltung aufzugeben und ihn mit geistvollen Sentenzen und allerlei Spitznamen zu versehen – von dem Anagramm „Rinzama“ bis zu dem spöttischen Namen „Colmardo“. Dies die Bezeichnung des geringsten Mitbruders einer Klostergemeinschaft, dessen Auftrag im Kohlschneiden bestand. Aber schließlich brachte der im Mai 1635 von Frankreich erklärte Krieg die Friedensmission Mazarins um ihre Sinnhaftigkeit – und seinen Aufenthalt am französischen Hof ebenfalls. Es war nunmehr, immerhin schon April 1636, unvermeidlich, seine Position als Vizelegat in Avignon einzunehmen, wo er sich wie „im Grabe“11 fühlte, da die wenigen administrativen Aufgaben schnell erledigt waren und auch der wieder ausgebrochene Spieltrieb ihn nicht aus der Langeweile befreite, selbst dann nicht, wenn er hohe Summen verspielte. Doch nicht weniger als neun Monate musste er in der päpstlichen Enklave ausharren, bis ihn die freundschaftliche Gunst des Kardinals Antonio

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befreite, indem er ihn zu seinem Majordomus („maestro da casa“) ernannte. Diese Rückkehr nach Rom ließ ihn in die konfliktreiche Atmosphäre des Hauses Barberini geraten, an dessen Spitze sich Papst Urban VIII. auch deshalb nicht zu größerer Gunst gegenüber Mazarin entschließen konnte, weil damit der Vorwurf verbunden gewesen wäre, in seiner politischen Haltung zunehmend Frankreich zu begünstigen – und sich von Spanien abzuwenden. So verweigerte der Papst ihm sowohl eine bedeutende Rolle in der sich langsam etablierenden päpstlichen Delegation für den Friedenskongress wie auch eine Nuntiatur am Hofe Frankreichs – zumal die Nuntiatur am Hofe Ludwigs XIII. unmittelbar zur Würde des Kardinals geführt hätte. Auf der Vorschlagsliste für den nächsten Kardinalshut zugunsten Frankreichs stand, so wollte es Richelieu, an erster Stelle sein Vertrauter, der legendäre Père Joseph, an zweiter Stelle aber Mazarin. Als Père Joseph überraschend Ende 1638 starb, war Mazarin der erste Anwärter, den zu akzeptieren für den Papst nicht infrage kam. Seine Frankreichnähe brachte den Vertrauten Richelieus in Rom zunehmend in Gefahr, sogar seine nächtliche Ermordung musste er fürchten. Dennoch beließ ihn der mächtige Minister Frankreichs so lange wie möglich in Rom, war Mazarin doch der wertvollste Lieferant geheimer Informationen aus der Kurie. Im Dezember 1639 erreichte ihn schließlich die offizielle Einladung Ludwigs XIII., nach Paris zu kommen: „Es wäre mir sehr angenehm, wenn Sie sich so schnell wie möglich zu mir begeben könnten … um mich mit Ihnen über jene Angelegenheiten austauschen zu können, die mir sehr wichtig sind.“12 Von Civitavecchia gelangte er zu Schiff, da die Kriegswirren die Landwege sperrten, nach Marseille und von dort ungefährdet nach Paris, um Frankreich zu dienen. Er sollte niemals nach Rom zurückkehren.

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3. Zwei Kardinäle – eine Politik

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ls Mazarin am 4. Januar 1640 wieder in Frankreich eintraf, waren die politischen Eckwerte in Frankreich durch neue

Fakten verändert – besonders durch den langsamen Prozess, mit dem Frankreich in den militärischen Konflikt in Mitteleuropa eintrat. Denn Richelieu hatte bereits zehn Jahre zuvor die strategische Option festgelegt, mit militärischen Mitteln die nordöstliche Grenze Frankreichs bis an den Rhein zu verlegen – vielleicht sogar darüber hinaus. Und als im April 1632 der Kurfürst von Trier, Philipp von Sötern, von den Truppen Gustav Adolfs bedroht wurde, war bereits Gelegenheit gegeben, dessen Festungen Ehrenbreitstein und Philippsburg mit französischen Garnisonen zu belegen. Es ging Frankreich weniger um dessen Schutz als um die eigene geographische Machterweiterung. So konnte einer der mit dieser Operation betrauten Offiziere dem König melden: „Ich bin so ruhmreich durch die Ehre, die Eure Majestät mir zuteilwerden ließ, indem Sie mich auswählte, hierher zu kommen und Ihre Waffen bis an den Rhein zu tragen.“1 Es war jedoch unvorstellbar, dass Ludwig XIII. einen Krieg gegen Spanien begann, solange sich sein Bruder Gaston d’Orléans im Land des Feindes befand – in den Spanischen Niederlanden, wohin er ins freiwillige Exil geflüchtet und in Brüssel mit seiner Mutter zusam-

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mengetroffen war. Richelieu inszenierte eine perfekte Intrige, indem er dessen Günstling Antoine de Puylaurens, dem Gaston bis zur Abhängigkeit verfallen war, auf seine Seite zog, sogar bis in die eigene Familie, denn er verheiratete den ambitiösen Emporkömmling mit seiner entfernten Cousine Marguerite de Camboust. Dieser Schachzug hatte zudem eine verdeckte Option, die offenzulegen Richelieu um die Gunst des Königs und seinen Rang hätte bringen können. Denn sollte Ludwig XIII., dessen Gesundheit ständig und zunehmend gefährdet war, sterben, hätte der Erste Minister, der seit Langem der gnadenlose Gegner von Gaston d’Orléans gewesen war, auf die Chance hoffen können, auch an dessen Seite seine Machtstellung zu bewahren. Die Operation gelang, und der Bruder des Königs benutzte eine Jagd in den Wäldern von Soignes, um sich mit wenigen Getreuen nach La Chapelle auf französisches Hoheitsgebiet zu flüchten. Das Versteckspiel, das Richelieu in aller Öffentlichkeit trieb, um seine Kriegspläne nicht oder zumindest nicht verfrüht zu enthüllen, hatte sogar seinen Parteigänger und Vertrauten Mazarin eingeschlossen, als dieser in der Funktion des außerordentlichen Nuntius am französischen Hof einen Universalfrieden unter dem Patronat des Papstes zu erreichen versuchte. Mazarin hatte sogar nach Rom berichtet: „Ich erinnere mich nicht, den Kardinal … jemals mehr für den Frieden begeistert gesehen zu haben; als er mit mir darüber sprach, weinte er und beteuerte, er gäbe einen Arm darum, ihn zu erhalten.“2 Der Erste Minister, dem die Technik der exzessiven Emotionen stets unbegrenzt zur Verfügung stand, war von der Wahrheit meist am weitesten entfernt, wenn er weinte, ihr aber wohl im Spott viel näher, als Mazarin ebenfalls nach Rom meldete: „Seine Eminenz hat mir beim Aufstehen gesagt, ich würde dem Frieden den Hof machen, als sei er die Dame meines Herzens.“3 Es dürfte ein Kassiber gewesen sein, den als solchen zu erkennen Mazarin sich versagte – oder den er vielleicht auch unentschlüsselt nach Rom schicken wollte.

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Doch auch die militärische Entwicklung, die der Dreißigjährige Krieg in Deutschland nahm, drängte zu einer Entscheidung. Es war nicht länger möglich, auch nicht mit hohen Subventionen an Schweden unter dem Kanzler Axel Oxenstierna, nachdem König Gustav Adolf 1632 in der Schlacht von Lützen gefallen war, einen Stellvertreterkrieg zu führen. Ohne Beschönigung analysierte Richelieu seinem König die sich zuspitzende Lage im Zentrum Europas: „Es ist sicher, dass, wenn die Partei (der Protestanten) vollständig zerstört ist, die Auswirkung der Macht des Hauses Österreich auf Frankreich fallen wird. – Es ist auch sicher, dass nach der kürzlichen Niederlage (in der Schlacht von Nördlingen) die Partei sich nicht behaupten kann, wenn ihr nicht eine sofortige und dauerhafte Hilfe zuteilwird … Es ist ebenfalls sicher, dass der schlechteste Beschluss, den Frankreich fassen kann, der ist, dass es allein bleiben könne, um dem Angriff des Kaisers und Spaniens standzuhalten.“4 Ludwig XIII. drängte zum Kriegseintritt, Richelieu zögerte, da er die militärische Macht Frankreichs noch nicht ausreichend gesteigert glaubte. Am 13. Mai 1635 aber, als die Truppenstärke der französischen Armee von 60 000 auf 160 000 Mann – 134 000 Fußsoldaten und 26 000 Reiter – gestiegen war, ließ Ludwig XIII. durch einen königlichen Herold vor Brüssel nach altem Brauch Spanien den Krieg erklären. Wie leer diese Zeremonie war, beweist die Tatsache, dass französische Truppen bereits am 8. Mai die Grenze nach Luxemburg überschritten hatten und exakt am Tag der Kriegserklärung in den Ardennen ein französisches Heer von 25 000 Mann eine 13 000 Mann starke Armee des spanischen Statthalters, des Kardinalinfanten Ferdinand von Österreich, besiegte. Er war der jüngere Bruder des spani-

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schen Königs Philipp IV. sowie der französischen Königin Anna von Österreich, und auch er war, wie es im Hochadel nicht selten geschah, Kardinal geworden, ohne Priester zu sein. Siegesbewusst marschierten die Franzosen in Richtung Maastricht, wo sie sich mit den Truppen der Vereinigten Niederlande, die Frankreich ebenfalls mit hohen Subventionen an sich gebunden hatte, vereinigten. Doch das Kriegsglück wechselte schnell die Fronten, denn die französisch-niederländische Armee stieß alsbald auf den erneuten Widerstand der Truppen des Kardinalinfanten mit der Folge eines gefährlichen Stillstands, der zu Ruhr und Pest führte. Die Reste der französischen Armee mussten auf holländischen Schiffen zurück nach Frankreich transportiert werden, da die spanischen Truppen die Rückkehr auf dem Landweg blockierten. Richelieu musste Ludwig XIII. sogar den Verlust der königlichen Autorität melden, der mit dieser Niederlage verbunden war: „Das Herz blutet mir, wenn ich das Elend sehe, in dem die Flandern-Armee völlig zugrunde gegangen ist.“5 Am Ende des ersten Kriegsjahres musste Frankreich bittere Verluste hinnehmen. In dieser für Frankreich desaströsen Situation, die sich noch länger fortsetzte, ist Richelieu offensichtlich zu einem Urteil über seine Landsleute und ihren Nationalcharakter gelangt, das von tiefer Skepsis, wenn nicht Verachtung geprägt war: „Sie fürchten nicht die Gefahr, aber sie wollen sich ihr ohne jede Anstrengung aussetzen; die geringsten Schwierigkeiten sind ihnen unerträglich; sie haben nicht die Gelassenheit, auch nur einen Augenblick auf das Glück zu warten … auf lange Dauer werden sie einer Sache überdrüssig und verweichlichen bis zu dem Grad, dass sie weniger als Weiber sind.“6 Dieses vernichtende Urteil, das Richelieu in seinem „Politischen Testament“ ausspricht, stieß auf radikale Ablehnung in Frankreich, als die nur für

König Ludwig XIII. (1601–1643, seit 1610 König von Frankreich) begünstigte Mazarin. Gemälde (1635) von Philippe de Champaigne.

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den König bestimmte Schrift 1688 schließlich doch veröffentlicht wurde, und Voltaire hielt sie für eine Fälschung. Auch das folgende Jahr begann mit militärischen Niederlagen, zumal als die Festungen La Chapelle und Le Castelet in Feindeshand fielen, obwohl sie mit Munition, Nahrungsmitteln und Soldaten wohlversorgt waren. An dieser prekären Situation änderte sich auch nichts, nachdem ihre Kommandanten vom Kriegsgericht dazu verurteilt worden waren, von vier Pferden in Stücke gerissen zu werden – sie waren flüchtig. Als danach die Stadt Corbie fiel und die Somme-Linie von den spanischen Truppen überwunden wurde, sodass der Feind ungehindert auf Paris marschieren konnte, brach in der Hauptstadt Panik aus – eine Massenflucht in Richtung Orléans setzte ein. In dieser bedrohlichen Lage verlor Richelieu die Nerven, erkrankte schwer und bot seinen Rücktritt an – nicht nur zum Schein. Es war nun der König, der zum nationalen Widerstand aufrief und selbst einen Angriff auf Corbie wagte, von dem sein Kriegsrat abgeraten hatte – es gelang, die Mauern der Stadt so stark zu beschädigen, dass eine weitere Verteidigung unmöglich war. Man einigte sich auf ehrenvollen Abzug der spanischen Besatzung. Ludwig XIII. hatte mit der Sympathie seines Volkes sein Land gerettet, nicht jedoch sein mächtiger Minister, der wegen seiner politischen Härte, die ihn seine Gegner aufs Schafott schicken ließ, nur auf den Hass des Volkes rechnen konnte. Sogar bis in das königliche Umfeld war diese Verachtung für den Ersten Minister gegenwärtig, sodass eine erneute Verschwörung von Gaston d’Orléans vorbereitet wurde. Zwei seiner Günstlinge und drei Offiziere waren während der langen Belagerung von Corbie bereit, Richelieu in dem Augenblick zu ermorden, in dem er in Amiens den Kriegsrat verließ – seine Garde durfte nicht anwesend sein, solange die königliche den Kriegsrat des Königs schützte. Sie warteten auf das Zeichen, das der Bruder des Königs zu geben versprochen hatte. Im entscheidenden Augenblick aber zögerte Gaston und geriet in eine

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Nervenkrise – es war der Purpur des Kardinals, der Richelieu schützte, und auch sein Nachfolger wusste um den magischen Schutz, auf den ein Fürst der Kirche rechnen konnte. Nachdem die Spanier aus dem Land gedrängt worden waren, stabilisierte sich die militärische Lage für Frankreich, und es kam in den nächsten zwei Jahren auch zu einer radikalen Neuordnung der Thronfolge. Ludwig XIII., dessen Gesundheit von Tuberkulose bedroht war, ließ sich – so genau ist das Datum überliefert – von dem Hauptmann seiner Garden, François de Guitaut, am 5. Dezember 1637 überreden, im Louvre zu nächtigen, wo seine Gemahlin Anna von Österreich lebte, während der König selbst seinen Wohnsitz im Alten Schloss von Saint-Germain-en Laye hatte. Ein heftiger Regen soll die Rückkehr dorthin erschwert haben, und Ludwig XIII. folgte dem Rat seines Gardehauptmanns, seiner dynastischen Pflicht nachzukommen. So geschah es, dass der König sich in dieser Nacht erstmals nach drei Jahren wieder Anna von Österreich zuwandte, die er hasste. Ihre konspirative Nähe zu Spanien hatte zu dieser Abneigung ebenso beigetragen wie ihr vergnügungssüchtiger Leichtsinn, der zu mehr als einer Fehlgeburt geführt hatte. Bereits am 30. Januar des folgenden Jahres konnte die Zeitung „La Gazette“ von Théophraste Renaudot – es war die erste Tageszeitung Frankreichs – melden, dass sich die Spitzen des Hochadels in Saint-Germain-en-Laye versammelt hätten, „um gemeinsam mit Ihren Majestäten der gemeinsamen Freude Ausdruck zu geben, die eine sehr glückliche Nachricht ausgelöst hat, an der wir Sie, so Gott will, in Kürze teilhaben werden lassen“.7 Am 5. September 1638 kam dann der späte Dauphin zur Welt und wurde wegen der langen Wartezeit von mehr als zwanzig Jahren als „Dieudonné“ – Gottesgeschenk – begrüßt. Er war, wenn er die Jugendjahre überlebte, der Garant für die direkte Fortsetzung der Bourbonen-Dynastie und für die Stabilität der Monarchie in Frankreich.

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Das Machtgefüge im Umkreis dieser Monarchie ordnete sich neu. Gaston d’Orléans, der in immer neuen Konspirationen gegen seinen königlichen Bruder und dessen Minister landesverräterisch agiert hatte, sah seinen direkten Thronanspruch für den Fall, dass der kranke Ludwig XIII. einen frühen Tod erlitt, schwinden – er fiel an die dritte Stelle zurück. Anna von Österreich aber rückte in den Vordergrund, denn der Tod Ludwigs XIII. würde ihr die Regentschaft über ihren unmündigen Sohn verschaffen und damit die politische Lenkung Frankreichs übertragen. Es sei denn, dass Gaston d’Orléans ihr diese zentrale Machtposition streitig machen würde, was rechtlich möglich gewesen wäre. Aber um dies zu verhindern und sein politisches Werk nicht der beliebigen Preisgabe durch die instabile Persönlichkeit Gastons ausgesetzt zu sehen, musste es im Interesse Richelieus liegen, sich zunehmend der Königin zuzuwenden – die lange Gegnerschaft wandelte sich langsam in eine verdeckte Komplizenschaft. Er ließ es nicht an Schritten der Annäherung fehlen. So war die innenpolitische Szenerie Frankreichs gestaltet, als Mazarin um den Jahreswechsel 1639/40 wieder in Paris eintraf. Bereits im September 1640 gebar Anna von Österreich einen zweiten Sohn, der als Philippe d’Orléans die lange Nebenlinie der Orléans begründete, nun aber zur unmittelbaren Stabilität der BourbonenDynastie beitrug. Doch diese Dynastie hatte sich mit legitimen und legitimierten Kindern Heinrichs IV. an den europäischen Höfen bereits weit ausgefächert, und Richelieu zögerte nicht, den ehemaligen Nuntius des Papstes nun als Arrangeur der politischen Interessen Frankreichs auch außerhalb seiner Grenzen zum Einsatz zu bringen – in Savoyen, dessen innenpolitisches Geflecht Mazarin aus seiner Zeit als Friedensstifter des Papstes in Norditalien überaus bekannt war. Schließich hatte er stets freundschaftliche Kontakte zum Herrscherhaus der Herzöge von Savoyen gepflegt. Es ging wie im Fall von Lothringen um die Absicherung des mili-

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tärischen Glacis, das den unmittelbaren Berührungskontakt mit dem permanenten Gegner Spanien-Habsburg verhindern sollte. In beiden Fällen mussten eher nur mittelgroße Staaten, solange sie sich nicht in den Machtbereich Frankreichs integrieren ließen, in Abhängigkeit gehalten werden, also einen wesentlichen Teil ihrer Souveränität einbüßen – eben zugunsten Frankreichs. Die politische Bindung Savoyens an Frankreich war zusätzlich dadurch gefestigt worden, dass der Herzog Viktor Amadeus mit Christine, der zweiten Tochter von Heinrich IV. und Maria de’ Medici, verheiratet worden war. Es war eine rein politische Ehe, denn Christine war zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht älter als dreizehn Jahre – das Alter ihres Gemahls übertraf das ihre um mehr als zwanzig Jahre. Ein derart großer Altersunterschied war in jener Epoche jedoch keine Seltenheit. Während noch der Landesherr Karl Emanuel ein gewagtes Doppelspiel zwischen seinen beiden geopolitischen Nachbarn Frankreich und Spanien getrieben hatte, das Richelieu und Ludwig XIII. mit militärischer Gewalt und zum Schaden Savoyens beendet hatten, zeigte sein ältester Sohn und Nachfolger Viktor Amadeus keinerlei Bestreben, die Allianz mit Frankreich infrage zu stellen. Vater und Sohn unterschied auch, dass Karl Emanuel seiner Gemahlin in zwölf Jahren nicht weniger als zehn Schwangerschaften beschert hatte – an der letzten starb sie –, ganz abgesehen von zehn Bastarden, von denen sechs legitimiert wurden, während Viktor Amadeus sich in eine asketischreligiöse Abhängigkeit von dem Prediger Franz von Sales gebracht hatte, nachdem er seiner jungen, mit der Sinnlichkeit ihres Vaters ausgestatteten Gemahlin nur kurzes Entgegenkommen gezeigt hatte, das zu keinerlei Nachkommen führte. Schon 1630 war zu Ohren Richelieus die pikante Nachricht gelangt, dass die Prinzessin Christine einem jungen französischen Edelmann namens Pommeuse ihre Gunst geschenkt hatte – er starb aber in kurzer Frist, sodass ein Skandal vermieden werden konnte.

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Doch bereits im folgenden Jahr konnte und musste der französische Botschafter am Hofe von Turin, Abel Servien, dem Ersten Minister nach Paris melden, dass eine neue Leidenschaft die Fürstin erfasst hatte – diesmal zu dem Grafen Philippe San Martino d’Aglié, Leutnant der herzoglichen Garden, der mit körperlicher Wohlgestalt ebenso ausgestattet war wie mit der zu Leichtsinn gesteigerten Kühnheit des Adels jener Epoche. Dieser neuen Liaison konnte Richelieu, der wie Mazarin dergleichen Nachrichten als üble Nachrede abzuwerten versuchte, nicht länger mit Verachtung und Nichtbeachtung begegnen, als Servien nach Paris berichtete: „Das Verhalten von Philippe wird von Tag zu Tag skandalöser; nicht nur spielt er jeden Tag den Geliebten von Madame, er tut es auch bis zur Unverschämtheit … Unter den Augen aller erscheint er jeden Abend, um sich mit Madame in ein kleines, abseitiges Kabinett zurückzuziehen, wo er mit ihr drei Stunden bleibt.“8 Ungewöhnlich und unverständlich erschien dem französischen Botschafter die Haltung, die der Herzog Viktor Amadeus zu diesem Treiben einnahm – totales Schweigen, das sich gleichermaßen als Nichtwissen wie als Nichtwissenwollen deuten ließ. Da die Verbindung der Herzogin mit ihrem Geliebten sich ungestört fast zehn Jahre entfalten konnte, fehlte es nicht an mehreren Kindern, darunter zwei männliche, die der Herzog in der Gewissheit, dass ihm die Rolle des Gehörnten zugefallen war, als die seinen akzeptierte. Zumindest wusste er somit seine Nachfolge gesichert, was ihn zusätzlich von der Obligation des seinerzeitigen Ehrenkodex entband, seinem erfolgreichen Nebenbuhler mit dem Degen in der Hand entgegenzutreten und die Situation mit einem eklatanten Konflikt zur Explosion zu bringen. Als Viktor Amadeus jedoch 1637 starb, komplizierte sich die politische Konstellation am Hofe von Turin. Für den fünf Jahre alten Knaben Franz Hyazinth ließ sich die Herzogin Christine zur Regentin ausrufen, und die beiden jüngeren Brüder des verstorbenen Herzogs hatten sich politisch in Richtung Spanien orientiert. Der jüngere Graf

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Thomas von Savoyen-Carignan, der bereits 1634 das Kriegshandwerk gewählt hatte, war in die Dienste Spaniens getreten – vor Corbie hatte er als brillanter Offizier zum Schaden Frankreichs gefochten. Sein älterer Bruder Moritz, der als zweitgeborener Sohn wie üblich den kirchlichen Karriereweg eingeschlagen hatte und Kardinal geworden war, bemühte sich ebenfalls, die Herzogin Christine ins spanische Lager zu ziehen. Viktor Amadeus war zudem unter seltsamen Umständen nach einem üppigen Mahl gestorben – auch sein Vertrauter, der Graf von Verruë, war Opfer dieser exzessiven Nahrungsaufnahme geworden, sodass der Verdacht der Vergiftung nahelag. Aber warum hätte die Herzogin ihren so überaus toleranten Gemahl beseitigen sollen, da er ihre libertäre Lebensart nicht im Geringsten behindert hatte? So drängte sich der Verdacht auf, dass Spanien im Hintergrund agiert habe, um seinen Einfluss in Savoyen zu vergrößern und das Land unter seine Kontrolle zu bringen. Zumindest war die französische Position in Savoyen nun mehrfach geschwächt, da auch Graf Philippe d’Aglié sich der dritten Gruppierung, den unabhängigen Piemontesern, verschrieben hatte, auf welche Seite er seine herzogliche Geliebte zu ziehen verstand. Im Jahre 1639 kam es zum Eklat, als Graf Thomas sich an der Spitze spanischer Truppen zur Eroberung von Savoyen aufmachte und der Kardinal Moritz sich der Abwendung Savoyens von Frankreich nicht widersetzte. Graf Thomas konnte sich im Juli der Stadt Turin bemächtigen, allerdings nicht die Zitadelle der Stadt mit ihrer französischen Besatzung erobern. Nun geriet die Herzogin Christine mit ihrem zweitgeborenen, vier Jahre alten Sohn Karl Emanuel II. – der ältere Bruder war mit sechs Jahren gestorben – in höchste Bedrängnis und konnte, mit militärischer Bravour des Grafen d’Aglié die spanische Einkesselung durchbrechend, nach Grenoble fliehen. Dort geriet sie in heftigen Streit mit ihrem Bruder Ludwig XIII. und Richelieu. Lei-

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denschaftlich verteidigte sie ihre Politik der Unabhängigkeit Savoyens, ganz im Sinne von Aglié. Vorsorglich hatte sie ihren kleinen Sohn in die Zitadelle von Montmélian in Sicherheit gebracht, denn Richelieu forderte, um ihre Hinwendung zu Frankreich zu sichern, ihren Sohn als Geisel. Nun war es an Frankreich, Turin aus den Händen der Spanier zu befreien. Um die von Richelieu vorgegebenen Ziele zu erreichen, verließ Mazarin im September 1640 eilig Paris in Richtung Savoyen. Vor Ort gelang mithilfe des Grafen d’Harcourt die militärische Rückeroberung Turins, nicht jedoch die Festnahme des Prinzen Thomas, der sich in seine sichere Festung Ivrea zurückgezogen hatte. Außerdem war Mazarin beauftragt, die Herzogin Christine zurück nach Turin und in die Akzeptanz der Bewohner zu führen – auf die ängstliche Frage an Mazarin, ob es bei ihrem Einzug zu der gewünschten Akklamation kommen werde, antwortete er: „Ich bin da nicht sicher, Madame, aber wir müssen alles versuchen, damit es ihm (dem Volk) gefällt, in Beifallsstürme auszubrechen.“9 Die gewagte Aktion gelang. Ein weiterer Auftrag verpflichtete Mazarin schließlich, den Grafen d’Aglié gefangen zu setzen, was mithilfe eines französischen Obersten vollbracht wurde, der den Geliebten der Herzogin bei einer alkoholreichen Silvesterfeier in Gewahrsam nahm. Es folgte sein Transport über Pinerolo nach Frankreich und dort in das Staatsgefängnis von Vincennes. Schließlich war Mazarin die undankbare Aufgabe zugefallen, der Herzogin die Nachricht von der Gefangennahme ihres Geliebten zu übermitteln. Die dabei freigesetzten Gefühlseruptionen der Herzogin erreichten ein selten hohes Ausmaß, das Mazarin beeindruckte – darüber schrieb er dem französischen Außenminister Chavigny: „Wenn Sie gesehen hätten, wie zusammengebrochen Madame war und wie ihre Gesichtsfarbe wechselte, hätte sie auch Ihr Mitgefühlt erregt. Sie konnte nicht einmal das Bett verlassen, und welche Anstrengung sie auch immer machte, sie konnte nicht verhindern, immerfort zu wei-

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nen.“10 Freilich konnte aller Schmerz über den Verlust des Geliebten sie nicht hindern, in Jahresfrist einen neuen, jüngeren Aspiranten mit Namen Graf Tanna, der gerade die Kadettenanstalt verlassen hatte, zu erhören. Graf d’Aglié durfte erst beim Tod Richelieus das Gefängnis in Vincennes verlassen, wurde aber dort mit erlesener Verköstigung versorgt und mit exquisiter Höflichkeit traktiert. Nur langsam und auf Umwegen gelang es Mazarin, das familiäre Chaos in Turin in eine neue politische Ordnung zu verwandeln, immer daran orientiert, dass das Herzogtum in eine solide Allianz mit Frankreich zurückfinden musste. Nicht zuletzt die beiden Brüder des verstorbenen Viktor Amadeus, die sich erhofft hatten, in dem politischen Vakuum, das mit dem Tod des Herzogs entstanden war, eine führende Rolle zu spielen, waren zu neutralisieren und möglichst in französische Abhängigkeit zu bringen. Der Kardinal Moritz hatte, um zu weltlicher Macht gelangen zu können, den Purpur abgelegt und seine Nichte, deren Alter von dreizehn Jahren von dem seinen um nicht weniger als 36 Jahre übertroffen wurde, geheiratet, doch begnügte er sich schließlich mit einer bescheidenen Rolle neben der Herzogin. Dagegen konnte Mazarin sich des Prinzen Thomas, der in der Festung Ivrea den französischen Belagerern hartnäckigen Widerstand leistete, nicht bemächtigen – sogar eine Niederlage musste er hinnehmen, als die spanischen Entsatztruppen sich näherten und die Belagerung von Ivrea aufgegeben werden musste. Allerdings verstand es Mazarin später mit diplomatischem Geschick, ihn aus den militärischen Diensten Spaniens in die Frankreichs zu ziehen – die Gefahr, er könne erneut eine spanienfreundliche Rolle in Savoyen spielen, war gebannt. Parallel zu dieser diplomatischen Friedensmission in Savoyen war Mazarin, der sich stets als Römer verstand, bemüht, sich in Rom eine abgesicherte Position zu schaffen – dafür empfahl sich der Erwerb eines prächtigen Palazzo, der gleichermaßen den Papst Urban VIII. beeindrucken wie auch ihm als sichere Rückzugsbasis dienen sollte,

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falls sein Höhenflug in Frankreich zu einem krassen Absturz führen würde. Es galt zudem, seiner Familie, die immer personenreicher wurde, einen noblen Wohnsitz zu verschaffen, auch wenn sein Wunsch, die Familienmitglieder dort harmonisch zu versammeln, nicht in Erfüllung ging. Denn die Mutter Hortensia sah ihre Ehe mit Mazarins Vater als emotional gescheitert an – sie bevorzugte, zu ihrer Tochter Hieronima zu ziehen, die 1634 Lorenzo Mancini geheiratet hatte und ihm in enger Jahresabfolge neun Kinder gebar. Besonders diese Mancini-Nichten sollten Mazarin schon bald in Paris eine breitere Basis seiner Macht verschaffen wie ihm auch intrigenreichen Ärger bereiten. Schließlich zogen nur sein Vater und sein Sekretär Benedetti in den Palazzo Bentivoglio ein, nachdem der Vertrag über den Prestigebau im März 1641 geschlossen worden war – stellvertretend für ihn organisierte sein Schwager Hieronimo Martinozzi, der seine Schwester Laura Margareta geheiratet hatte, die Transaktion, die Aufsehen erregte. Er erlag, indem er sich hoch verschuldete, gleichsam wieder seiner Leidenschaft für das Glücksspiel, das ihm bei kleinem Einsatz großes Prestige verschaffen sollte: „Ich betrachte es selbst als eine phantastische Extravaganz, dass ich den Palast der Bentivoglio kaufe. Aber da ich einem großen König diene und mich der Protektion Seiner Exzellenz des Kardinal-Herzogs erfreue, glaube ich, nicht die üblichen Dinge machen zu müssen. Fügen Sie zu dieser Überlegung noch das verrückte Verlangen hinzu, das ich stets besaß, vor meinem Tode ein schönes Palais wie das der Bentivoglio zu besitzen.“11 Natürlich wusste er, dass dieser kostspielige Prachtbau ein optimistischer Vorgriff auf die Kardinalswürde war, die er seit Längerem anstrebte und anzustreben berechtigt war, da seine Kandidatur von Ludwig XIII. und Richelieu unterstützt, ja sogar von beiden mit Nach-

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druck gefordert wurde. Doch Papst Urban VIII. zögerte, zumal er von Spanien und Frankreich gleichermaßen bedrängt wurde und den spanischen Kandidaten zu akzeptieren nicht bereit war. Seinerseits war der spanische König Philipp IV. nicht bereit, seinen Kandidaten zurückzuziehen oder auszutauschen, womit auch die Kandidatur Mazarins blockiert war. Es fehlte nicht an diplomatischen Täuschungsmanövern auf beiden Seiten, bis Urban VIII. nach einer längeren Pause des Schweigens sich zu einem Überraschungscoup entschloss, um die Souveränität seiner Entscheidung zu demonstrieren. Ohne Vorankündigung ernannte er am 16. Dezember 1641 auf einen Schlag nicht weniger als zwölf neue Kardinäle, auch um das wegen Todesfällen sich entleerende Kardinalskollegium aufzufüllen. Mazarin war unter den Ernannten, und der französische Botschafter am Vatikan konnte dem Ersten Minister Frankreichs, der seinen Wunschkandidaten durchgesetzt hatte, mit ironischer Hochachtung melden: „Sie haben ihn (Mazarin) mehr zum Kardinal gemacht als der Papst selbst.“12 Das Ritual der Kurie verlangte diverse obligatorische Usancen, aber Mazarin entzog sich ihnen fast vollständig. Zwar wurde das Kardinalsbarett, dessen rote Farbe an das Blut von Christus erinnern sollte, mit großem Pomp an Ludwig XIII. gesandt, der es Mazarin am 26. Februar 1642 in Valence aufs Haupt setzte – der König reiste mit seinem Ersten Minister an der Spitze seines Heeres ins Roussillon. Es geschah allerdings nur per Prokuration, denn der vollwertige Akt blieb dem Papst vorbehalten. Auch schloss die Kardinalsernennung ein, in Jahresfrist nach Rom zu reisen und dort vom Papst direkt Hut und Ring in Empfang zu nehmen. Doch dafür fehlte angesichts der hochdramatischen Ereignisse um den Geheimvertrag mit Spanien, den die Gegner des Kardinals geschlossen hatten, die Zeit. Die dafür notwendige Zeit fand sich nie, und so blieben die Finger des Kardinals Mazarin auch auf dem berühmten Gemälde von François Chauveau aus dem Jahr 1659 ohne Kardinalsring – und darüber hinaus bis zu seinem Tod.

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4. Cinq-Mars auf dem Schafott

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ls Mazarin im Sommer 1641 aus dem Piemont nach Paris zurückkehrte, nahm er an der Seite Richelieus die bewusst

undefinierte Position eines vielfältig einsetzbaren Mitstreiters ein. Frankreich wurde zu jener Zeit von immer neuen Revolten erschüttert – einerseits von lokalen Volksaufständen, da die erhöhte Steuerlast wegen des Krieg gegen Spanien zunehmend unerträglich wurde, andererseits durch immer neue Konspirationen wie die der „Prinzen des Friedens“. An deren Spitze stand Louis de Bourbon-Condé, Graf de Soissons, der über ein Geflecht hochadliger Mitverschwörer vom Herzog de Bouillon bis zum Herzog de Guise verfügen konnte. Mit Geldern aus Spanien und Hilfstruppen des Kaisers errang er auf der Hochebene von La Marfée nahe Sedan einen Überraschungssieg über die königlichen Truppen. Der Weg zum Marsch auf Paris war frei, doch eine Kugel, die von ihm selbst beim Lüften seines Visiers mit der Pistole ausgelöst wurde, beendete diesen Aufstand. Sein Ziel war nicht gegen Ludwig XIII. gerichtet, sondern ausschließlich gegen dessen Ersten Minister. Ungewiss, aber nicht unwahrscheinlich ist, dass Mazarin bereits an der Seite Richelieus war, als der Erste Minister die Truppen vor Sedan in wilder Flucht sah und in eine psychische Krise geriet.

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War es in dieser turbulenten Phase der quasi permanenten Unruhe im Innern Frankreichs nicht widersinnig für Richelieu, seinen so überaus geschickten Diplomaten nach Münster zum sich nur langsam konstituierenden Friedenskongress zu schicken? Wäre der nächste Vertraute Richelieus auch am richtigen Platz gewesen, wenn ihn eine Mission nach Rom geführt hätte, wo es galt, beim sich abzeichnenden Tod Urbans VIII. im Konklave für eine machtvolle Vertretung Frankreichs gegenüber Spanien zu sorgen, zumal die vorgeschriebene Entgegennahme des Kardinalsbaretts durch den Papst einen unanfechtbaren Vorwand für sein dortiges Erscheinen geliefert hätte? Es gab Wichtigeres. Spanien geriet an zwei seiner Fronten in Bedrängnis. Portugal, das lange von Spanien beherrscht worden war, hatte seine Unabhängigkeit erklärt, indem es Johann IV. zum König ausgerufen hatte, und Frankreich hatte eine Allianz mit den Katalanen in Barcelona geschlossen – es ging um die günstige Gelegenheit, das Roussillon in einem Expansionsfeldzug in das französische Hoheitsgebiet zu integrieren. Im Frühjahr 1642 verließen Ludwig XIII. und Richelieu mit den Truppen Fontainebleau und zogen auf getrennten Wegen nach Süden. Es war keine gemeinsame Reise, denn ein sich steigernder Konflikt zwischen dem König und seinem Ersten Minister spitzte sich zu und drängte zur Entscheidung. Die Ursache für diese Distanz, auf die die beiden mächtigsten Männer Frankreichs zueinander gingen, lag in der instabilen Psyche des Monarchen. Eine emotionale Nähe zu Anna von Österreich hatte Ludwig XIII. nicht herstellen können, und mit Richelieu verband ihn zwar die solide Partnerschaft der politischen Zielsetzung, alles nur Mögliche für die Machtabsicherung und ihre Zentrierung auf die Monarchie zu tun, aber nicht ein Hauch von Freundschaft hatte sich zwischen ihnen eingestellt. Richelieu strebte, um sich abzusichern und seinen möglichen Sturz zu verhindern, nach der totalen Kontrolle über

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die Emotionen des Königs, der seinerseits seinem mächtigen Minister nur Misstrauen entgegenbrachte. Auch ein gewisses Maß an Widerwillen gegenüber der Überlegenheit und scheinbar unbegrenzten Willenskraft des Ministers dürfte bei Ludwig XIII. wirksam gewesen sein, obgleich dem König stets die ultima ratio seiner Souveränität unangetastet blieb, Richelieu mit einem einzigen Wort entlassen zu können. Die sicherste Methode, die psychische Kontrolle über Ludwig XIII. zu gewinnen, musste für Richelieu zwangsläufig sein, alle Personen, die in der Nähe des Königs lebten und ihn beeinflussen konnten, in seine Abhängigkeit zu bringen. Sie sollten Zuträger noch der geringsten Information aus dem Privatleben des Herrschers an den KardinalMinister sein wie auch Vollstrecker von dessen Direktiven zur Beeinflussung des Königs. Zunächst umwarb Ludwig XIII. Louise-Angélique de La Fayette bis zu dem Grade, dass sie seine Seelenfreundin wurde und sich damit zur Spionin des Kardinals empfahl. Aber sie war auch der Königin zugetan, sodass es dem König nicht gelang, sie auf sein verstecktes Jagdschloss in Versailles zu locken und zu seiner Geliebten zu machen. Sie flüchtete in die Pariser Niederlassung des Ordens Visitation Sainte-Marie von Paris, wo der König nur am Gitter des Sprechzimmers religiöse Reflexionen mit ihr austauschen konnte. Als ähnlich ungeeignet für die sentimentale Nähe zum König erwies sich für Richelieu eine weitere Hofdame der Königin mit Namen Marie de Hautefort, die für Ludwig XIII. nur erniedrigenden Spott aufbrachte. Daraufhin wechselte der Erste Minister, der um die sexuell ambivalente Disposition des Königs wusste, zu einem männlichen Kandidaten, um Kontrolle über den Herrscher zu erlangen. Er wählte einen jungen Mann aus verarmtem Adel aus – es war Henri d’Effiat,

Louise-Angélique de La Fayette als Nonne (1618–1665) – die vergeblich von Ludwig XIII. umworbene Hofdame Anna von Österreichs, die sich 1637 ins Klosterleben zurückzog. Gemälde der Zeit.

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Marquis de Cinq-Mars, noch nicht zwanzig Jahre alt, von großer körperlicher Ansehnlichkeit, dessen verstorbener Vater schon eine Kreatur Richelieus gewesen war. In der Abhängigkeit dieser Familie sah Richelieu die Gewähr für die Fügsamkeit des Jünglings. Er ließ ihn zum Kommandanten einer Kompanie der königlichen Garden ernennen und stattete ihn später sogar mit dem hochrangigen Amt des „Grand-Maître de la GardeRobe“ des Herrschers aus, das mit dem Titel „Monsieur le Grand“ verbunden war. Doch der zunehmend eigenwillige Schönling zögerte, das Amt anzunehmen, da es die Verpflichtung einschloss, stets in der Nähe des Königs anwesend zu sein. Damit war der von Richelieu programmierte Funke der königlichen Zuneigung von Marie de Hautefort auf Cinq-Mars übergesprungen, und Ludwig XIII. konstatierte: „Madame, meine ganze Zuneigung hat zukünftig Monsieur de Cinq-Mars. Ich habe erfahren, dass Sie sich ein Vergnügen daraus machen, schlecht über mich zu reden. Ich bin sehr unzufrieden.“1 Es folgte wenig später der Befehl, den Hof zu verlassen, und als Marie de Hautefort die Abschiedsszene in Fontainebleau dramatisch gestaltete, bedachte sie der König mit dem Ratschlag: „Verheiraten Sie sich.“2 Der Außenminister Chavigny konnte dem seinerzeit in Turin tätigen Mazarin die vertrauliche Nachricht zukommen lassen: „Wir haben einen neuen Favoriten am Hof, es ist Monsieur de Cinq-Mars, vollkommen abhängig von Monseigneur dem Kardinal.“3 Die Abhängigkeit und Fernsteuerung durch Richelieu fand aber bald ihr Ende, als das Treiben des Günstlings, der dem Herrscher nicht einen Hauch jener homoerotischen Gefühle entgegenbrachte, auf die Henri Coiffier de Ruzé, Marquis de Cinq-Mars, der staatsverräterische Günstling Ludwigs XIII. Gemälde von Leon de Lestang-Parade (1812–1887), nach einem den Frères le Nain zugeschriebenen Original.

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Ludwig XIII. so verzweifelt hoffte, außer Kontrolle geriet. Darüber hat Tallemant des Réaux bis in die Details einer delikaten Szene Auskunft gegeben: „Der König legte sich um sieben Uhr zu Bett. Er war nachlässig hergerichtet und trug nur gerade die Nachtmütze. Zwei große Hunde sprangen alsbald auf sein Bett, verunreinigten es völlig und begannen, seine Majestät zu lecken. Er befahl Monsieur le Grand, sich zu entkleiden – dieser kam zurück, geschmückt wie eine Braut. ‚Leg Dich nieder, leg Dich nieder‘, sagte er (der König) ungeduldig. Er gab sich damit zufrieden, die Hunde wegzujagen, ohne das Bett herrichten zu lassen, und der Geliebte (‚mignon‘) war noch nicht darin, als er ihm schon die Hände küsste. In dieser glutvollen Zuneigung, wobei er bemerkte, dass die von Monsieur le Grand der seinen nicht entsprach, denn er war mit seinen Gedanken ganz woanders, sagte er ihm: ‚Aber mein Freund, was hast Du? Was willst Du? Du bist so traurig.‘“4 Die Traurigkeit des Favoriten hatte ihre Ursache darin, dass er es vorgezogen hätte, in Paris bei seiner Geliebten Marion de Lorme zu sein, die als eine verführerische Schönheit auch am Hofe bekannt war. Um in ihre Arme zu gelangen, verließ er nicht selten den König, sobald dieser eingeschlafen war, und galoppierte ins Marais nach Paris. Von dort kehrte er erst im Morgengrauen erschöpft zurück und bedurfte eines regenerierenden Tiefschlafs, der ihn daran hinderte, den König auf der Jagd zu begleiten und, was er verabscheute, „die Füchse in ihren Erdlöchern aufzuspüren und mit Sperbern die Amseln auf den Schneefeldern zu jagen“.5 Nun veränderten sich die Rollen, wie sie Richelieu arrangiert hatte. Der Aufgabe, den König auszuspionieren, kam Cinq-Mars nicht länger nach, doch der König war dazu nun selbst allzu bereit,

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indem er Richelieu mit den Einzelheiten seiner Seelenqualen, die ihm sein liebloser Liebhaber bereitete, überreich versorgte – geradezu um Hilfe flehend: „Ich bin untröstlich, Sie mit den schlechten Stimmungen von Monsieur le Grand zu behelligen … Ich nahm meine Rede über seine Faulheit wieder auf, indem ich ihm sagte, dass dieses Laster einen Mann unfähig zu guten Taten mache, dass es nur gut für jene im Marais sei, die sich völlig ihren Vergnügungen ausgeliefert hätten … Er antwortete mir arrogant … Danach sagte ich ihm, dass angesichts der Verpflichtungen, die er mir gegenüber habe, er nicht in dieser Art mit mir sprechen sollte.“6 Es war jedoch bald mehr als eine aus den Fugen geratene Liebesgeschichte zwischen zwei Männern. Richelieu musste erkennen, dass erneut eine seiner Kreaturen, die er in der unmittelbaren Nähe des Königs platziert hatte, um möglichst alles über Ludwig XIII. zu erfahren, sich aus der Fesselung an diesen Aufrag befreit hatte. Doch darüber hinaus entwickelte sich der ungebärdig-ehrgeizige Günstling zunehmend zu einem gefährlichen Gegner. Denn Cinq-Mars wollte seinen steilen Aufstieg fortsetzen, indem er sich der Prinzessin Marie-Louise de Gonzaga näherte – sie war die Tochter des Herzogs de Nevers, und Ludwig XIII. hatte dessen Ansprüche auf Mantua zum Kriegszug nach Norditalien genutzt. Sie, die schön, klug und ambitiös war, hatte sich zur erklärten Gegnerin Richelieus entwickelt, als er ihr verwehrte, den Bruder des Königs zu heiraten. Nun verlangte der junge Cinq-Mars, dem die Prinzessin verheißungsvolle Blicke gewährt hatte, die Zustimmung des Kardinals zu einer ehelichen Verbindung mit der rangmäßig hoch über ihm stehenden Hochadligen, denn ihre Familie war sogar über weitläufige Verwandtschaftsbeziehungen mit dem König verbunden. Aber der mäch-

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tige Minister wies ihn mit eisigem Hochmut ab: „Sie ist nichts für einen so kleinen Monsieur.“7 Die sich daraus entwickelnde Feindschaft erreichte eine politische Dimension, als sich um Cinq-Mars das Geflecht einer weiteren Verschwörung entfaltete, in der neben dem Günstling des Königs Gaston d’Orléans eine führende Rolle einnahm. Auch dieser verdeckte Aufstand war nicht gegen den König, sondern gegen dessen mächtigen Minister gerichtet, der – dies war das dominierende Motiv der Verschwörer – sich jedem Frieden mit Spanien widersetzte und damit auch jeder wirtschaftlichen Erleichterung für das Volk, das unter den hohen Kriegssteuern litt. Auch der Herzog de Bouillon, der die Herrschaft über das unabhängige Fürstentum Sedan ausübte, sah sich in seiner Souveränität bedroht, da er bereits von Frankreich zu Vasallenpflichten gezwungen worden war, und wurde zum Mitverschwörer. Schließlich zeichnete sich die Chance ab, auch Anna von Österreich, die alsbald von der Verschwörung vertraulich in Kenntnis gesetzt worden war, zur Parteinahme für die Gegner Richelieus zu gewinnen. Der Aktionsradius der Verschwörer war im Innern Frankreichs begrenzt, und folgerichtig suchten und fanden sie schnell die Unterstützung des spanischen Königs Philipp IV., dessen militärische Situation sich ständig verschlechterte, da die Franzosen an nahezu allen Fronten siegten. Der spanische König sah in der Entmachtung oder Beseitigung Richelieus die letzte Chance, um mit dessen Fall eine radikale Änderung der Außenpolitik Frankreichs zu erreichen. So empfing sein Erster Minister Olivares den Geheimagenten der Verschwörer namens Marquis de Fontrailles, der in Ergebenheit Gaston d’Orléans verbunden war. Es kam zu einem konkreten Friedensvertrag, in dem beide Seiten auf alle seit Kriegsausbruch eroberten Gebiete verzichteten und Frankreich sich zusätzlich von seinen protestantischen Verbündeten in Deutschland trennte. Eine spanische Armee von 12 000 Fußsoldaten und 5000 Reitern sollte zur Durchsetzung dieser Kondi-

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tionen unter das Kommando von Gaston d’Orléans gestellt werden. Auch fand sich in dem Vertragstext eine spezielle Formulierung zugunsten Annas von Österreich – der Umsturz sei nicht „gegen die Rechte und die Autorität der regierenden, sehr christlichen Königin“ gerichtet, vielmehr seien ihre Rechte „mit Nachdruck zu unterstützen“.8 Es ergab sich im Sommer 1642 eine explosive Endzeitstimmung, als König und Erster Minister, beide dem Tode nicht mehr fern, in den Südosten Frankreichs reisten, um das Heer bei seiner Eroberung von Perpignan zu unterstützen. Im nahen Narbonne diktierte Richelieu sein Testament, da er sich nicht nur seinem Tode, sondern auch dem Verlust des königlichen Vertrauens nahe wusste. Auf den weiteren Machtverlust des Ersten Ministers hätte der Günstling des Königs hinarbeiten können, ja müssen, zumal er in der unmittelbaren Nähe des Herrschers dazu in der Lage war. Stattdessen ging Cinq-Mars seinen Vergnügungen nach, sodass Ludwig XIII. in einem weiteren anklagenden Brief an Richelieu dessen Gebaren bis in delikate Details beschrieb: „Es gibt keinen Menschen, der mehr den Lastern verfallen ist und der sich weniger gefällig aufführt. Das ist der Undankbarste der Welt. Er lässt mich manchmal Stunden in meiner Karosse warten, während er sich rumtreibt. Ein Königreich reicht nicht für seine Aufwendungen. Er besitzt mehr als dreihundert Paar Stiefel.“9 Durch seine Späher und Spitzel war Richelieu, der sich aus Sicherheitsgründen von Narbonne nach Arles zurückgezogen hatte, ausreichend darüber informiert, dass in Verbindung mit Spanien eine weitere Verschwörung gegen ihn gerichtet war, aber es fehlte an Beweisen. Mazarin, der den Hof auf seinem Feldzug begleitete, war in Arles in unmittelbarer Nähe Richelieus, als ein Bote, dessen Identität bis heute nicht geklärt werden konnte, dem Ersten Minister ein ihn rettendes Dokument aushändigte. Es war eine Kopie des Geheimvertrages mit Spanien, gegengezeichnet von Cinq-Mars und Gaston d’Orléans.

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Richelieu erlebte eine positive Schrecksekunde, die ihn gegenüber seinem Sekretär nur die Worte herausbringen ließ: „Bringen Sie mir eine Fleischbrühe, ich bin ganz verwirrt.“10 Eiligst wurden mehrere Abschriften erstellt, und sein Vertrauter Chavigny erhielt den Auftrag, mit dem die Konspiration verratenden Dokument zum König nach Narbonne zu eilen. Dort gelang es Chavigny, gemeinsam mit dem Sieur de Noyers, einem Parteigänger Richelieus, den König in einen Nebenraum zu ziehen und Cinq-Mars den Zutritt zu verwehren. Ludwig XIII. war wider Willen gezwungen, den Beweis der landesverräterischen Aktivität seines Günstlings zur Kenntnis zu nehmen, doch war die mentale Schockwirkung so groß, dass er in eine tiefe Melancholie versank. Noyers verlangte in dieser Notlage mit ungewissem Ausgang nach der schnellen Anwesenheit Mazarins, der das Vertrauen des Königs besaß und dem es mit einfühlsamer Rhetorik und geschickter Besänftigung gelang, den König von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich von Cinq-Mars zu trennen. Er erreichte sein Ziel nicht zuletzt mit der Zusage, dass nicht der König selbst, sondern Richelieu die juristische Aufarbeitung der Konspiration und die Verurteilung der Landesverräter übernehmen werde. Denn es gab keinen Zweifel darüber, dass am Ende des Prozesses gegen Cinq-Mars das Todesurteil stehen würde. Auch nur Augenzeuge von dessen Hinrichtung zu sein, wäre über die Kräfte des Königs gegangen. Nun beschleunigten sich die Abläufe, denn der wendige Fontrailles erkannte sofort die Gefahr, flüchtete und gelangte als Kapuziner verkleidet nach England. Cinq-Mars, dem ein Zettel mit den Worten „Man will Ihnen ans Leben“11 zugesteckt wurde, der aber leichtfertig vermutete, ihm könne als Höchststrafe nur die Verbannung drohen, blieb in Narbonne, als die Tore der Stadt geschlossen wurden und der Verhaftungsbefehl ausgerufen wurde. Er versteckte sich bei einer Madame de Siouzac, deren geheimer Liebhaber er war. Als am Morgen in der Stadt verkündet wurde, dass jeder, der den flüchtigen Cinq-

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Mars verberge, des Todes sei, gestand die verliebte Dame ihrem Gemahl ihren Seitensprung – Cinq-Mars wurde noch in ihrem Bett verhaftet. Sein Weg als Gefangener führte ihn umgehend in die sichere Festung Montpellier, wo er sein Schicksal mit einem selbstkritischen Seufzer beklagte: „Ach muss man mit zweiundzwanzig Jahren sterben, muss man in so glücklicher Zeit gegen sein Vaterland konspirieren?“12 Richelieu zögerte nicht, mit brutaler Hand das Netz der Verschwörer zu zerreißen. Gaston d’Orléans wurde zum Schein mit einem hohen Militärposten in der Auvergne bedacht, damit er nicht ins Ausland fliehe. Als dieses von dem Bruder des Königs mehrfach genutzte Ausweichmanöver nicht mehr möglich war, konfrontierte ihn der Kanzler Pierre Séguier mit der Drohung eines Exils in Venedig, dort nur ausgestattet mit den dürftigen Finanzmitteln eines kleinen Adligen. Auch bot man ihm ein einfaches Refugium im Tal der Loire an, allerdings unter der Bedingung, dort wie ein Privatmann zu leben und auf jede Beteiligung an der politischen Gestaltung Frankreichs zu verzichten. Die Verzichtserklärung, die man ihn schließlich zu unterzeichnen zwang, lautete: „Wir betrachten uns schon als gut behandelt und verpflichten uns dazu, wenn es Seiner Majestät gefällt, wie eine Privatperson in seinem Königreich zu leben, ohne Teilhabe an seiner Regierung, ohne Gendarmen und leichte Reiterei zu rekrutieren, ohne jemals einen öffentlichen Posten zu fordern …“13 Damit beabsichtigte Richelieu vor allem, dem Bruder des Königs den Weg zur Regentschaft über dessen unmündigen Sohn zu versperren, falls Ludwig XIII. verfrüht sterben sollte. Zwar hob der König dieses Verbot unmittelbar nach dem Tode Richelieus auf, da es eine eklatante Verletzung des salischen Rechts darstellte, aber es blieb Gaston d’Orléans verwehrt, zukünftig zum Mitgestalter der Geschicke Frankreichs zu werden. Eine ähnliche Entmachtung ereilte den Herzog de Bouillon, der sich ebenfalls in die Verschwörung hatte ziehen lassen. Da der Ver-

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dacht schon früh auf ihn gefallen war, war er mit dem Kommando der Italien-Armee betraut worden, um ihn von Frankreich und dem Umfeld von Cinq-Mars fernzuhalten. Der Auftrag, ihn mit den desaströsen Folgen seiner Teilnahme an der Verschwörung zu konfrontieren, fiel Mazarin zu. Die Alternative, vor die er den Herzog des Fürstentums Sedan stellte, lautete Todesurteil oder Abtretung von Sedan an die französische Krone. Die Niederlande hatten jedoch gedroht, ihr Bündnis mit Frankreich zu lösen, wenn den Herzog die Todesstrafe treffen sollte. Diese Drohung hatte sein Onkel Friedrich Heinrich von Oranien, der Stattholder der Niederlande, ausgesprochen. Es war der ausdrückliche Wunsch des Herzogs de Bouillon gewesen, dass Mazarin sein Verhandlungspartner für den Abtretungsprozess sein sollte. Das Dokument der Abtretung weist dessen Unterschrift auf. Auch fiel Mazarin die heikle Aufgabe zu, die Übergabe von Sedan an die französischen Streitkräfte zu organisieren – es gelang, ohne dass es zu einem Aufstand des Volkes kam. Ludwig XIII. war, um auch geographisch auf Distanz zum Hochverratsprozess gegen seinen ehemaligen Günstling in Lyon zu gehen, auf dem Landwege eilig nach Norden gereist. Richelieu reiste dagegen in einem Schiffskonvoi auf der Rhone langsam nach Lyon, wo CinqMars bereits eingetroffen war. Während der Erste Minister im mit rotem Samt ausgeschlagenen Prachtbett auf dem Schiff flussaufwärts glitt und an den Ufern militärische Wachposten für Sicherheit sorgten, folgte auf einem Gefängnisschiff der verhaftete Freund und Mitwisser Cinq-Mars’, der junge François de Thou, auf den in Lyon ebenfalls die sichere Todesstrafe wartete. Diese makabre Szenerie, die den sterbenskranken Richelieu in der Pracht seiner Machtfülle im Kontrast zu dem blutjungen, zum Sterben bestimmten de Thou zeigte, hat die Zeitgenossen empört. In Lyon stiegen die jungen Verschwörer, nachdem der Kanzler Séguier den Prozess auch dazu benutzt hatte, den Grad der Zustim-

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mung Ludwigs XIII. zu ermitteln, die dieser gezeigt hatte, als die Verschwörer die gewaltsame Entmachtung seines Ersten Ministers vorgeschlagen hatten, in aufrechter Haltung aufs Schafott. Diesen blutigen Akt hatte Richelieu nicht als Augenzeuge abwarten wollen und seine Fahrt auf der Rhone fortgesetzt. Als ihn dort die Nachricht erreichte, dass die beiden Todesurteile vollstreckt worden seien, schrieb er an seinen Vertrauten, den Außenminister Chavigny, darüber und auch über den erfolgreich abgeschlossenen Feldzug ins Roussillon: „Diese drei Worte mögen Sie darüber informieren, dass Perpignan in der Hand des Königs ist und Monsieur le Grand sowie Monsieur de Thou sich in einer anderen Welt befinden, wo sie, worum ich Gott bitte, glücklich sein werden.“14 Unzweifelhaft ist, dass Mazarin Richelieu auf dieser Rhonefahrt begleitete und bei dem Hochverratsprozess wie bei der Hinrichtung in Lyon anwesend war, doch hat er darüber nie ein Wort verloren – wenigstens kein überliefertes. Schließlich liegt ein Schleier des Geheimnisses und des Ungewissen über der Haltung, die Anna von Österreich in dieser dramatischen Staatsaffäre einnahm. Ausgangs- und Zielpunkt ihrer Absicht war, die sich abzeichnende Regentschaft über ihren Sohn ungeteilt ausüben zu können. Lange sah sie dieses Verlangen durch Richelieu blockiert, der ihr mit besonderer Härte entgegengetreten war, als ihre geheime Korrespondenz mit dem spanischen Hof entdeckt worden war. Aber eine gewisse Annäherung zwischen beiden hatte stattgefunden, als Ludwig XIII. ihr die Betreuung ihrer beiden Söhne entziehen wollte, da der Dauphin, wenn sein Vater sich ihm näherte, abwehrend zu schreien begann. Auch hatte sie absehen können, dass im Falle des Todes von Ludwig XIII., der gewiss seinen Ersten Minister mit der Regentschaft über seinen Nachfolger betraut hätte, dieser wegen seiner schweren Erkrankung einer solchen Aufgabe nicht mehr hätte nachkommen können. Der baldige Tod Richelieus war gleichfalls absehbar, und dazu bedurfte es nicht der Verschwörer um Cinq-Mars.

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Um Richelieu ihre politische Annäherung zu signalisieren, hatte sie gegenüber ihrem Beichtvater Père Carré, der ebenfalls eine Kreatur des Ersten Ministers war, nur scheinbar beiläufig den Namen CinqMars erwähnt – es war eine Art Kassiber, der Richelieu ihrer beider gleiche Interessenlage signalisieren sollte. Denn würde die Konspiration gegen der Ersten Minister gelingen, würde beim Tode Ludwigs XIII. die Regentschaft über den jungen Ludwig XIV. an Gaston d’Orléans fallen. Dies zu verhindern, war in ihrem Interesse wie auch in dem des Kardinals, der wenig später dafür sorgte, indem er den Bruder des Königs nach dem Fall Cinq-Mars’ aus dem Zentrum der Macht entfernte. So spielte sich im Oktober 1642, als sie Richelieu in seinem Schloss in Rueil besuchte, eine symbolträchtige Szene ab. Der schwerkranke Erste Minister konnte oder wollte sich zur Begrüßung der Königin nicht aus seinem Sessel erheben und begründete diesen Mangel an Höflichkeit mit dem Hinweis auf eine Protokollregel am spanischen Hof, wonach dort die Kardinäle nicht gehalten seien, sich vor der Königin zu erheben. Anna von Österreich antwortete scherzhaft, dass diese Regel nicht länger für sie gelte, denn zukünftig sei sie „ganz Französin“ („toute française“).15 Gewiss hatte Anna von Österreich im voraufgegangenen Juni, als die diskrete Kenntnis der Verschwörung auch zu ihr gelangt war, die Option offengestanden, sich zu ihrem Vorteil für oder gegen die Verschwörer zu entscheiden. Sie traf ihre Wahl offensichtlich zugunsten des Ersten Ministers – ohne eine Spur ihres Verrats an den Verrätern zu hinterlassen. Hätte sich nachweisen lassen, dass sie es war, die die Kopie des staatsverräterischen Vertrages Richelieu zuspielen ließ, würde auch an ihr die blutige Rache, die dieser an seinen Gegnern nahm, haften geblieben sein. So weit wollte sie offensichtlich in ihrem Dank nicht gehen. Sein Gegendank war die penible Sorgfalt, die er dem den Hinrichtungsprozess gegen Cinq-Mars führenden Kanzler Séguier aufer-

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legte, bei der inquisitorischen Untersuchung keinesfalls der Frage nachzugehen, welche Rolle die Königin in dem Verschwörernetz gespielt haben könnte – ja alle Nachforschungen darüber zu unterdrücken. So sicherte er ihr eine unbelastete Regentschaft und sie ihm die Fortsetzung seiner Politik der fortschreitenden Zentrierung der Macht der Krone. Die Garantie dafür gab Anna von Österreich ihrem einst härtesten politischen Gegner noch über dessen Tod hinaus, indem sie Mazarin nicht nur zu seinem Nachfolger, sondern auch zum Erzieher des jungen Königs erklärte – er sollte das Monopol der Macht bis zur absoluten Monarchie führen. Die wenigen Wochen, die den Ersten Minister von seinem Tod am 4. Dezember 1642 trennten, nutzte er, um auch mit dem König abzurechnen – gleichsam als Angeklagtem in der Cinq-Mars-Konspiration. In mehreren Memoranden stellte er einen Katalog von Forderungen auf, denen sich der König unterwerfen musste. Dabei konfrontierte er ihn mit seinen Aussagen, die Cinq-Mars im Prozess preisgegeben hatte, wie etwa der, dass der König „nicht mehr den Zwang ertrage, den ihm der Kardinal auferlegte“.16 Nicht wenige Getreue, die im Umfeld des Königs gegen seinen Ersten Minister agitiert hatten, waren umgehend zu entlassen – Ludwig XIII. erfüllte diese Forderung, die ihn tief demütigte. Die wichtigste aber war, „dass Seine Majestät zukünftig keinen Favoriten habe außer dem Gelingen der Staatsgeschäfte, die allein seinen Geist beherrschen müssten“.17 Derart von seinem Ersten Minister diszipliniert, blieb dem König als einzige und letzte Gegenwehr nur dessen Entlassung. Aber dieser Schritt hätte das gemeinsam mit großen Anstrengungen vorangebrachte Werk, die geopolitische Machterweiterung Frankreichs, infrage gestellt, wenn nicht zerstört. So war Ludwig XIII. bereit, auch die Bedingungen für einen Siegfrieden gegen Habsburg-Spanien gemäß den Vorgaben Richelieus, wenn schon nicht von diesem selbst vorformuliert, in aller Öffentlichkeit festzuschreiben:

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„Was den Frieden betrifft, ist es notwendig, dass ich mich dem Gelächter der ganzen Welt aussetzen und meinen Feinden Gelegenheit geben würde, einen neuen Krieg gegen mich zu beginnen, wann es ihnen günstig erscheint, wenn sie nicht die Kosten des Krieges bezahlen würden, den zu führen sie mich gezwungen haben. Es darf nicht davon die Rede sein, weder Lothringen, Arras, Hedin noch Bapaume, Perpignan und das Roussillon, Breisach und jene Plätze im Elsass, die an Lothringen grenzen, zurückzugeben.“18 Beiden Verfechtern der territorialen Expansionspolitik Frankreichs war bewusst, dass der Sieg noch weit entfernt war und der Krieg sie beide überleben würde. Nun blieb dem sterbenskranken Ersten Minister, der in seinem permanenten Leiden Mazarin als seinen engsten Vertrauten zur Seite hatte, nur noch die Verteilung seiner Reichtümer. Das Palais Cardinal, das er gegenüber dem Louvre an der Stelle des heutigen Palais Royal errichtet hatte, war frühzeitig als Donation dem König überschrieben worden, da er fürchten musste, Ludwig XIII. würde es bei seinem Tod einziehen. Aber über das immense Vermögen, das er mithilfe seiner verschiedenen Staatsämter angehäuft hatte, konnte er testamentarisch frei verfügen und tat es, indem er seine zahlreichen Familienmitglieder bedachte. Er besaß nicht weniger als 22,4 Millionen Livres, denen allerdings Schulden in Höhe von 6,5 Millionen Livres gegenüberstanden. Damit hatte er in nur achtzehn Jahren das größte Vermögen nach der königlichen Staatsschatulle zusammengerafft – die nachfolgenden Vermögen waren das des Herzogs de Nevers mit 8 Millionen Livres und das des Herzogs de Sully mit 5 Millionen Livres. Es blieb seinem Nachfolger Mazarin vorbehalten, sich mit noch zwielichtigeren Methoden bis zu seinem Tod noch größerer Reichtümer zu bemächtigen.

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Das Palais Cardinal. Stich aus Topographia Galliae von Martin Zeiler, Frankfurt am Main 1655. Nach dem Tod Richelieus 1642 umbenannt in Palais-Royal. 1780 Neubau von Louis-Philippe d’Orléans, seit 1792 Philippe-Egalité.

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Ludwig XIII. besuchte seinen sterbenden Ersten Minister ein letztes Mal, und in dem vertraulichen Gespräch ohne Zeugen soll Richelieu dem König geraten haben, Mazarin zu seinem Nachfolger zu machen – nach einer wahrscheinlicheren Version dürfte sein Rat nur gewesen sein, auf die Dienste Mazarins nicht zu verzichten. Ebenso von mythischer Aura umweht ist die Beichte, die der Pfarrer Le Tonnier dem Kardinal abnahm – Richelieu war Mitglied der Kirchengemeinde von Saint-Eustache, da sein Palais Cardinal zu deren Sprengel gehörte. Auf die Mahnung des Priesters an Richelieu, jetzt angesichts des nahen Todes seinen Feinden zu verzeihen, soll er geantwortet haben: „Ich habe niemals andere Feinde als die des Staates gehabt.“ („Je n’ai jamais eu d’autres ennemis que ceux de l’État.“)19 Dieser apokryphe Ausspruch hat wie so mancher andere von ungesicherter Überlieferung eine größere historische Richtigkeit als so mancher in der korrekten Überlieferung. Am Tag nach dem Tod Richelieus berief Ludwig XIII. Mazarin als Mitglied in den Staatsrat und fünf Tage später begründete er gegenüber dem Gesandten Venedigs diese Entscheidung: „Ich will mich derselben Minister bedienen, und da der Kardinal mehr als jeder andere über die Projekte und Maximen des verstorbenen Kardinals informiert ist, will ich ihn in meinen Staatsrat aufnehmen.“20

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5. Die Regentin und der Kardinal

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er Tod Richelieus hatte Ludwig XIII. aus der demütigenden Rolle eines in der Staatsaffäre Cinq-Mars indirekt

schuldig gewordenen Mitwissers befreit. Der König nutzte diese Freiheit, um gegenüber den Feinden des Ersten Ministers eine gewisse Milde zu zeigen. Schon seit mehr als zehn Jahren saßen hochrangige Gegner Richelieus wie der Marschall de Bassompierre oder der Marquis de Vitry in der Bastille, wo sie mit exquisiter Kost höchst komfortabel traktiert wurden und in luxuriösem Mobiliar überaus standesgemäß etabliert waren – die Zeit hatte sie längst um ihre politische Bedeutung gebracht. Ludwig XIII. wurde die späte Nachsicht gegenüber den langjährigen Strafgefangenen auch mit einem Argument nahegelegt, das seiner Neigung zur Sparsamkeit entsprach: „Diese Gefängnisinsassen verursachen in der Bastille extrem hohe Kosten, sie wären genauso gut aufgehoben auf ihren Landsitzen, wo sie nichts kosten würden.“1 Nach kurzem Zögern folgte der König diesem Rat. Nun konnte auch Gaston d’Orléans hoffen, aus der erniedrigenden Entmachtung befreit zu werden, zu der ihn Richelieu nach seiner führenden Rolle in der Konspiration Cinq-Mars gezwungen hatte. Mazarin konnte den König mit der Anregung überzeugen, dass es von größerem politischem Nutzen wäre, den Bruder des Königs wieder an

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den Hof zu binden, da dadurch die ständige Beobachtung und Kontrolle des permanenten Unruhestifters besser gesichert sei. So durfte sich Gaston d’Orléans im Januar 1643 wieder am Hofe zeigen, und die Begnadigung gelang trotz der skeptischen Zurückhaltung, die sich Ludwig XIII. nicht versagen konnte. Laut dem Protokoll für einen solchen Akt hatte sich der Schuldige in drei Kniefällen dem Herrscher zu nähern. Ludwig XIII. erhob seinen Bruder zwar schon nach dem ersten, ließ es dann aber nicht an einer ernsten Ermahnung fehlen: „Ich habe Ihnen schon sechsmal verziehen. Ich möchte zukünftig die Erfolge von dem sehen, was Sie versprochen haben. Ich werde nicht mehr an Ihre Worte glauben, aber wenn Sie tun, was Ihre Pflicht ist, werde ich Ihnen beweisen, dass ich Sie liebe.“2 Es war zugleich eine Warnung, und Ludwig XIII. war bestrebt, den politischen Aktionsradius seines Bruders möglichst klein zu halten. Diese politische Eingrenzung Gastons d’Orleans erschien dem König umso dringlicher, als er nun in der ihm verbleibenden Lebenszeit, deren begrenzte Frist ihm bewusst war, seine letzten Kräfte auf die Regentschaft richten musste. Wer sollte nach seinem Tod die Regierungsgeschäfte für seinen nicht fünf Jahre alten Sohn bis zu dessen Volljährigkeit mit vierzehn Jahren führen? Als unfähig für diese Aufgabe beurteilte er seinen Bruder sowie seine Gemahlin, war sich jedoch auch dessen bewusst, dass es nicht erreichbar sei, beide völlig von dem Interregnum zwischen seinem Tod und dem Regierungsantritt seines Sohnes auszuschließen. In diese Beratungen über die zukünftige Regierung Frankreichs bezog Ludwig XIII. Mazarin diskret ein und zeichnete ihn zugleich öffentlich aus, indem er ihn zum Diner in sein verstecktes Jagdschloss nach Versailles einlud. Das Resultat war schließlich seine Entscheidung, dass Anna von Österreich zwar die Regentschaft ausüben solle, sie aber eingebunden werde in einen Staatsrat als letztinstanzlichen Entscheidungsträger. Ihm sollten auf kollegialer Basis als Vertreter des

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Hochadels der Prinz de Condé und Gaston d’Orléans sowie vier Minister angehören: der Kanzler Séguier, der Außenminister Chavigny, sein für die Finanzen zuständiger Vater Bouthillier und Mazarin. Im Fall der Abwesenheit der beiden Vertreter der königlichen Dynastie, die wechselweise den Vorsitz übernehmen sollten, würde diese Position an Mazarin fallen – begründet wurde diese Bevorzugung vor seinen Ministerkollegen mit seinem hohen Rang als Kardinal. Es war der ausdrückliche Wunsch des Königs, dass damit die letzte Entscheidung bei Mazarin liegen sollte, dem er bereits seit Kurzem die laufenden Regierungsgeschäfte anvertraut hatte – gleichsam als Zeichen seines höchsten Vertrauens. Um den Bruder des Königs von der Regierung weitgehend auszuschließen und zugleich in die Verantwortung für die Regierung einzubinden, sollte ihm das Amt des Generalleutnants zufallen und damit die Verantwortung für sämtliche Armeen Frankreichs. Diese testamentarische Regierungskonstruktion sollte beim Tode Ludwigs XIII. in Kraft treten, doch für deren Rechtskraft bedurfte es des feierlichen Aktes, in Anwesenheit des Königs darauf einen Eid abzulegen – so geschah es am 20. April 1643. Anna von Österreich, die sich als stolze Enkelin Kaiser Karls V. um ihr königliches Recht gebracht sah, war zur Einschränkung ihres legitimen Rechtsanspruchs nicht bereit und wählte einen listigen Ausweg, der in der Geschichte Frankreichs wiederholt benutzt wurde. Sie hinterlegte vor dem Eid auf das geplante Regierungssystem in einem notariellen Akt, dass ihr Schwur, den sie danach vor dem König leisten würde, null und nichtig sein sollte. So geschah es, aber Voraussetzung für die Nichtanerkennung ihres Eides war, dass ihr Widerspruch vorher festgeschrieben wurde – danach wäre er ungültig gewesen. Mazarin hat zu diesem Zeitpunkt als Variante seiner Zukunft ernsthaft erwogen, sich nach Rom zurückzuziehen, wo seine Karriere, wie ihm sein späterer Bibliothekar Gabriel Naudé anriet, bis auf den Stuhl Petri führen könnte. Ludwig XIII. wusste, dass sein wichtigster

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Vertrauter, der bereits souverän für den korrekten Fortgang der Regierungsgeschäfte sorgte, mit einer derartigen Rückzugsidee in seine Heimatstadt umging, und suchte ihn zu halten. Nicht nur erreichte Mazarin unvermutet eine finanzielle Pension sogar in jener Höhe, wie Richelieu sie erhalten hatte, unmittelbar nach der Beeidigung der zukünftigen Staatsverfassung ernannte ihn Ludwig XIII. auch offiziell zum Paten des minderjährigen Dauphins. Bei der feierlichen Taufzeremonie hatte Mazarin die Ehre, gemeinsam mit der Prinzessin de Condé den erstgeborenen Sohn des Königs über das Taufbecken zu halten, womit für das Kind die Konsequenz verbunden war, beim Tode seines Vaters unmittelbar über die Machtfülle eines französischen Königs zu verfügen und nur seinen Vornamen zu tragen – eben Ludwig XIV. Mazarin würde somit, wie es Pflicht und Recht des Paten war, bei Ludwig XIV. an Vatersstelle treten, sogar bis zu dessen Volljährigkeit. Diese Verpflichtung schloss seine langjährige Anwesenheit in Frankreich ein. Anna von Österreich, die sich ihrer begrenzten Fähigkeiten bewusst war, allein die Staatsgeschäfte mit allen ihren Detailproblemen zu führen, war auf die Kenntnisse und Fähigkeiten des gleichsam schon amtierenden Ministers Mazarin angewiesen. Zwar galt sie weiterhin als Parteigängerin der spanischen Interessen und damit eines baldigen Friedens mit Spanien nach dem Tode ihres Gemahls – die sie in dieser Haltung bestärkenden Personen wie die Herzogin de Chevreuse waren deshalb ins Exil verbannt worden –, aber schon kurz vor dem Tod Richelieus hatte sich unauffällig eine Annäherung an ihn und seine Politik vollzogen. Der Nachfolger und Vollstrecker dieser

Anna von Österreich (1601–1666, seit 1615 Königin von Frankreich) ernannte Mazarin 1643 zum Ersten Minister Frankreichs – er blieb es bis zu seinem Tod. Gemälde (ca. 1625) von Peter Paul Rubens.

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alle Macht in der Monarchie konzentrierenden Politik trat nun aktiv an ihre Seite. Es gab eine gewisse persönliche Nähe zwischen der Regentin und ihrem Ersten Minister, die später genauer zu untersuchen ist, aber schon die äußeren Fakten führten zu einer günstigen Konstellation. Anna von Österreich war nur ein Jahr älter als Mazarin, und der junge Römer hatte einst das kastilische Spanisch bei seinem Aufenthalt in Madrid so perfekt erlernt, dass beide es in ihren vertraulichen Gesprächen zur schnellen und diskreten Absprache über aktuelle Probleme nutzen konnten – Mazarin sprach es zu diesem Zeitpunkt sogar fehlerfreier als das Französische. Aber der entscheidende Faktor dürfte für Anna von Österreich gewesen sein, dass Mazarin in Frankreich Ausländer war und blieb. Er war damit frei von jeglicher Verflechtung mit dem Hochadel Frankreichs, dessen Mitglieder die Regentin beim Tod des Königs mit Ansprüchen auf die Teilhabe an der Macht bedrängen würden. Diese machtpolitische Isolierung Mazarins in Frankreich würde es ihr erleichtern, ihn, wie es ihr königliches Recht war, in jedem Augenblick zu entlassen, und zwar ohne auch nur die geringsten innenpolitischen Nachteile fürchten zu müssen. Wenn schon nicht die persönliche, so musste zumindest die politische Logik zu beider Annäherung führen. Aber noch, wenngleich schwer erkrankt, lebte Ludwig XIII. und ließ es seinen jungen Sohn nachsichtig-heiter wissen, als das Kind nach der Taufe zu ihm geführt wurde. Es hatte gerade den Namen Ludwig erhalten, und als der Vater an den Sohn die Frage richtete: „Wie heißt du denn nun?“, war dessen Antwort: „Ludwig XIV., mein Vater.“ Darauf gab Ludwig XIII. ihm die sanft belehrende Antwort: „Noch nicht mein Sohn, noch nicht! Aber es wird vielleicht schon bald geschehen, wenn es Gottes Wille ist.“3 Der König gab sich keinem Zweifel darüber hin, dass sein Ende nahe war. Bevor er in Agonie fiel, legte er die Hand Annas von Österreich, die fast ständig tränenreich

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an seinem Bett wachte, und die seines Bruders, der sich von der anderen Seite des Bettes genähert hatte, ineinander und beschwor sie, einig zu sein und gemeinsam über die Zukunft seiner Kinder zu wachen. Die gewünschte Einigkeit überlebte ihn nicht lange, es war der 13. Mai 1643, am nächsten Tag starb er. Die Königin, die ihren sterbenden Gemahl nur wenige Stunden vor dessen Tod verlassen hatte, begab sich auf die Nachricht von dessen Ableben hin zu ihrem Sohn, kniete vor ihm nieder und grüßte ihn als den neuen König von Frankreich – nunmehr Ludwig XIV. Bereits am nächsten Tag brach sie mit ihrem Hofstaat von Saint-Germain-enLaye nach Paris auf, während der Leichnam Ludwigs XIII., zum Skelett abgemagert und nur mit einem weißen Tuch bedeckt, auf einem einfachen Karren – so hatten es seine Bescheidenheit sowie seine tiefe Frömmigkeit verlangt – seinen Weg nach Saint-Denis nahm. Die dortige gotische Kathedrale und Grablege der französischen Könige nahm wie vorher Heinrich IV. und nach ihm Ludwig XIV. nun auch ihn auf. Bereits am 18. Mai griff Anna von Österreich nach der ungeteilten Regierungsgewalt über Frankreich, indem sie mit dem jungen Ludwig XIV. im Großen Saal des Parlaments von Paris erschien. Um das Testament ihres Gemahls um jede juristische Gültigkeit zu bringen, ließ sie ihren Sohn das feierliche „lit de justice“ vollziehen – dieses königliche Recht ging auf den alten Brauch zurück, dass der König einst in einer Sänfte wie in einem Bett hereingetragen wurde und sein dann gesprochenes Wort unmittelbar zum Gesetz wurde, wonach ein Einspruch des Parlaments nicht mehr möglich war. In violetten Purpur gekleidet, auf einem erhöhten Sitz über alle Anwesenden erhaben, nur Anna von Österreich zu seiner Rechten, während eine Stufe tiefer Gaston d’Orléans, der Prinz de Condé und zahlreiche Hochadlige Platz genommen hatten, sprach der königliche Knabe die ihm angelernte Formel: „Ich bin hierhergekommen, um dem Parlament meinen guten Willen zu bezeugen; der Kanzler wird das Übrige sagen.“4

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Nun erläuterte der Kanzler Pierre Séguier den unangreifbaren Willensakt des jungen Königs, genauer den Annas von Österreich und Mazarins, dass das politische Testament des verstorbenen Königs, das die letzte Entscheidung in den Regierungsgeschäften den Mitgliedern des Staatsrats auf der Basis der Mehrheit ihrer Stimmen übertrug, ohne jede Gültigkeit sei. Die staatsrechtliche Grundlage für diesen Akt war, dass die unteilbare Macht eines jeden Königs von Frankreich mit seinem Tod erlosch und unmittelbar sowie ungeteilt auf seinen dynastischen Nachfolger überging. Nun konnte Anna von Österreich, nachdem das Pariser Parlament sich gegen das Testament Ludwigs XIII. ausgesprochen hatte, allein und uneingeschränkt die Regentschaft für ihren minderjährigen Sohn ausüben. Einer, mit dessen Anwesenheit bei diesem feierlichen Staatsakt allseits gerechnet worden war, fehlte – Mazarin. Es hieß, er bereite seine Rückkehr nach Rom vor. Noch am Abend desselben Tages sorgte Anna von Österreich für – so drückte sich der Herzog de La Rochefoucauld aus, der bis zu diesem Zeitpunkt einer ihrer treuesten Anhänger gewesen war – „Überraschung und Erstaunen, wie man es sich kaum vorstellen kann“.5 In ihrer neuen Machtvollkommenheit ernannte sie Mazarin zu ihrem Ersten Minister und irritierte damit alle ihre Parteigänger des Hochadels, die wie sie Opfer des Kardinals Richelieu gewesen waren – war doch von ihnen, die von Richelieu um ihren Einfluss bei der Mitgestaltung der Staatsgeschäfte gebracht worden waren, eine radikale Kehrtwendung der Politik Frankreichs erwartet worden. Zu ihrer innenpolitischen Entmachtung hatte er nicht zuletzt die Intendanten eingeführt, die Empfänger und Vollstrecker des königlichen Willens bis in die tiefste Provinz hinein waren – unter Missachtung aller administra-

Kardinal Mazarin. Gemälde nach Philippe de Champaigne (undatiert).

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tiven Zwischeninstanzen. Diese treuen Anhänger Annas von Österreich hatten nicht nur erhoffen, sondern erwarten dürfen, nun ihre ehemaligen hohen Positionen am Hof wieder einnehmen zu können – und dass einer aus ihrem Kreis an die exekutive Spitze des Staats aufsteigen würde. Auch war damit gerechnet worden, dass kurzfristig der Frieden mit dem Heimatland der Regentin geschlossen und damit Frankreich von der nahezu selbstzerstörerischen Steuerlast befreit würde, zumal die Staatskasse leer war. Es war eine entscheidende Wegmarke, die Frankreich passierte, als Anna von Österreich sich für den engsten Mitarbeiter Richelieus und damit für eine expansionistische Außenpolitik auf Kosten einer konfiskatorischen Innenpolitik entschied. Mazarin war 1635 nicht Urheber des Krieges gegen Spanien gewesen, sondern hatte sich schon 1630 als Friedensstifter in Norditalien empfohlen. Aber nun zeigte er sich nicht bereit, eine radikale Kurskorrektur der Politik Frankreichs vorzunehmen – in enger Abstimmung mit Anna von Österreich, die, was bereits kurz vor dem Tod des Königs sichtbar geworden war, eine Annäherung an ihren langjährigen Gegner Richelieu vollzogen hatte. Diese Stimmung der enttäuschten Erwartungen und der aggressiven Haltung gegenüber Mazarin hat der Kardinal Retz, der später zum leidenschaftlichen Gegner Ludwigs XIV. werden sollte, in einem psychologischen Porträt des neuen Ersten Ministers festgehalten – es mag dessen Charakter nicht voll gerecht werden, verrät aber die ungezügelte Wut seiner Gegner, die von ihm reiche Entschädigung für ihre einstigen Verluste verlangten und die er mit vagen Versprechungen hinhielt, um ihre Feindschaft zu vermeiden: „Er hielt alles für Schande, was ein anderer als Ehre betrachtete. Er machte sich über die Religion lustig … Er war weder sanft noch grausam, weil er sich weder der Wohltaten noch der Beleidigungen erinnerte. Er sah das Übel gut voraus, weil er sich oft fürch-

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tete … Er besaß Geist, arbeitete mit Anspielungen, zeigte stets Heiterkeit, verfügte über Manieren.“6 Anna von Österreich ist zu dem Zeitpunkt, als sie Mazarin die höchste Machtposition unter und neben der ihren übertrug, gewiss weniger der persönlichen Faszinationskraft Mazarins erlegen. Sie dürfte vor allem davor zurückgeschreckt sein, die Verantwortung für die Staatsgeschäfte ihrem instabilen Schwager Gaston d’Orléans oder dem Prinzen de Condé zu übertragen. Zugleich war es ohne größeres Risiko, diesem Mann, der sich auf keine Machtposition in Frankreich stützen konnte, die hohe politische Position anzuvertrauen. Sie konnte ihm Vertrauen und Macht jederzeit wieder entziehen, sollte er ihren Erwartungen nicht gerecht werden. So verband beide eine politische wie persönliche Isolierung, die sie von ihrem Umfeld trennte und zugleich miteinander verband – im Rückblick eine politische Schicksalsgemeinschaft bis zu seinem Tod in achtzehn Jahren. Nun aber, am Beginn der Regentschaft, war die Erwartung nicht nur in Frankreich, sondern in Europa groß, dass es zu einer Neuorientierung der französischen Außenpolitik unter Anna von Österreich kommen werde – nicht zuletzt zu einem Frieden mit Spanien. Der wechselhafte Verlauf des Kriegsglücks wollte es außerdem, dass nur einen Tag nach der Ernennung Mazarins zum Ersten Minister die französischen Truppen unter dem Herzog d’Enghien, dem erst gut zwanzig Jahre alten Sohn des Prinzen de Condé, bei Rocroi einen glanzvollen Sieg über die spanischen Truppen erringen konnten. Dieser Erfolg war von umso größerer Bedeutung, als zuvor für die spanischen Truppen, deren Kampfstärke in den bisher unbesiegten „Tercios“ – quadratisch angeordneten Truppen – bestand, der Weg auf Paris frei gewesen war. Aus diesem Sieg, so wurde allgemein vermutet, würde sich militärisch wie politisch ein Frieden der Stärke für Frankreich durchsetzen lassen. Mazarin jedoch bestand darauf, dass dieser Sieg nicht

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das Geringste an der Notwendigkeit ändere, den Krieg gegen Spanien mit unverminderter Härte fortzusetzen, und er erklärte seinem Freund, dem Kardinal Bichi, die fatalen Folgen einer Friedensbereitschaft Frankreichs: „Meine stärksten Gründe waren, dass der bei Rocroi errungene Sieg entweder den Befehlen des verstorbenen Königs oder dem Feuereifer eines jungen und ruhmgierigen Prinzen oder dem Zufall zugeschrieben worden wäre, aber wenn man keine Früchte aus diesem großen Erfolg ziehen würde, würde man dies der Schwäche der Regentschaft zuschreiben und sagen, dass in das Grab des verstorbenen Königs auch dessen ganze Kriegsbereitschaft begraben worden wäre. Nicht nur unsere Feinde würden dadurch ermutigt, noch mehr würden unsere Alliierten entmutigt, und zwar mit der Folge, dass sie versuchen würden, sich nun ihrerseits in Sicherheit zu bringen, indem sie einen Sonderfrieden mit dem Hause Österreich schließen würden, von dem sie dazu kontinuierlich aufgefordert wurden. Sie würden umso mehr bestrebt sein, sich von Frankreich zu trennen, da sie, zumal sie es von der Schwester des Königs von Spanien regiert sähen, überzeugt sein würden, dass, wenn man keinen Nutzen aus dem Sieg ziehe, dies seine Ursache in der Zuneigung und Sympathie habe, die seine Majestät für das Herrscherhaus ihrer Herkunft habe, und in den Verbindungen mit den Ministern ihres Bruders, um die Feindseligkeiten zu beenden.“7 Auch hatte Mazarin wenig Mühe, Anna von Österreich zu überzeugen, dass der Krieg zum späteren Ruhme und zur Vergrößerung der zukünftigen Machtbasis ihres Sohnes fortgesetzt werden müsse, zudem gelte es, einst verlorene Gebiete Frankreichs nun zurückzuerobern. Dabei wusste er sehr wohl, dass dieses Argument sich nicht mit den Fakten

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Die Schlacht von Rocroi am 19. Mai 1643 – das französische Heer unter dem Herzog d’Enghien, dem späteren Grand Condé, siegte über das spanische Heer. Zeitgenössischer Stich.

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auf der Landkarte Europas begründen ließ, da Frankreich seit mindestens einem Jahrhundert eine ständige geographische Expansion betrieben hatte. Die schon von Richelieu bemühte Forderung, Frankreich müsse zu einem „dauerhaften, sicheren und allgemeinen Frieden“ gelangen, ließ ausreichend Raum für spätere Maximalforderungen. Je länger der Krieg dauere, desto größer die Expansionschancen, und so gab Mazarin umgehend den Befehl, nach Rocroi auch Thionville anzugreifen, das im folgenden August erobert wurde – wieder war der Herzog d’Enghien der strahlende Sieger, der sich mit den erbeuteten Fahnen in Notre-Dame feiern ließ. Außenpolitisch war Frankreich mit dem Beginn der Regentschaft auf dem sicheren Weg seiner geographischen Vergrößerung, aber es galt nicht weniger, auch innenpolitisch die Lage zu stabilisieren, die durch die Kriegswirren und die hohen Kriegssteuern belastet war. Der Tod Ludwigs XIII. hatte zur unmittelbaren Folge, dass dessen verbannte Feinde, die nicht selten die Freunde Annas von Österreich waren, nach Frankreich zurückkehrten. Der Herzog François de La Rochefoucauld, einer der stolzesten Regionalfürsten – zudem Autor der „Maximen“ – war lange einer ihrer treuesten Anhänger gewesen und hat diese Umbruchphase in seinen „Mémoires“ beschrieben: „Der Hof war bald gefüllt mit all jenen, die unter dem Kardinal Richelieu gelitten hatten; die Mehrzahl von ihnen war der Königin in den Wechselfällen ihres Schicksals verbunden gewesen, und jeder glaubte, sie würde ihnen in ihrer neuen Machtfülle dieselben Gefühle bewahren, die sie ihnen in ihrem Unglück gezeigt hatte.“8 Er wie so manch anderer sollte sich irren und wurde wenig später zu ihrem Gegner. Ähnlich erging es ihrer langjährigen Intimfreundin Marie de Rohan, Herzogin de Chevreuse, mit der Anna von Österreich sich einst in heitere Hoffeste gestürzt und turbulente Vergnügungen genossen hatte. Der politische Ehrgeiz hatte diese Intrigantin sogar zu der gefährlichen Versuchung Annas von Österreich verleitet, diese solle

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ihren Schwager Gaston d’Orléans heiraten, um die rigide Anti-Spanien-Politik zu sprengen. Aus diesem Grund war sie sogar mitschuldig an einem Sturz der Königin beim spielerischen Wettlauf in der steinigen Galerie geworden, um deren Schwangerschaft in einer Fehlgeburt enden zu lassen – Ludwig XIII. hatte deshalb veranlasst, sie in die Verbannung zu schicken. Der verzögerte Rückruf, der sie im Exil von Brüssel erreichte, führte jedoch nicht zur Erneuerung ihrer alten Freundschaft mit der Königin, wie deren Kammerfrau Madame de Motteville alsbald feststellte: „Die Herzogin de Chevreuse fand nicht mehr dieselbe Königin vor, die sie verlassen hatte. Die Königin war viel ernster und gläubiger geworden, und ihre Freundin war unverändert geblieben in ihren Gefühlen der Galanterie und Eitelkeit …“9 So wurde aus der einstigen Freundin schnell ihre Feindin, die sich kein geringeres Ziel setzte, als Mazarin aus der Gunst der Regentin zu verdrängen – mit welchen Mitteln auch immer. Ähnlich erging es ihrer seinerzeitigen Freundin Marie de Hautefort, die Ludwig XIII. einst umworben hatte und nach deren spöttischer Zurückweisung er sie mit der Empfehlung, sich zu verheiraten, vom Hof verbannt hatte. Gefühlvoll und großherzig hatte Anna von Österreich ihr für die Reise ihre eigene Sänfte geschickt: „Kommen Sie, meine geliebte Freundin, ich sterbe vor Ungeduld, Sie zu umarmen.“10 Wie seinerzeit bedachte sie alles und jeden mit ihrem Spott, erlaubte sich sogar, die Königin mit Ratschlägen zu bedenken, ohne darauf zu achten, dass eine derart stürmische Freundschaft nicht länger angebracht war bei einer Herrscherin, die zur höchsten Machtposition in Frankreich aufgestiegen war. Ganz ähnlich, doch mit erheblichen Konsequenzen für die Beziehung der Regentin zum Kardinal, verlief die Wiederbegegnung mit Pierre de La Porte, der am Hof ihr Vertrauter gewesen war, als es galt, geheime Briefe an ihren königlichen Bruder Philipp IV. nach Spanien zu transportieren – nicht zuletzt unter der Folter der Schergen Riche-

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lieus hatte er sich geweigert, die Geheimkorrespondenz zu verraten. Aus Dankbarkeit und auch aus Mitleid, dass er eine langjährige Verbannung hatte erdulden müssen, hatte Anna von Österreich ihn an den Hof zurückkommen lassen, wo er in der Hoffnung erschien, wieder und weiterhin ihr engster Vertrauensträger zu sein. Doch er fand diesen Platz durch den italienischen Kardinal besetzt, was zwangsläufig bei ihm Emotionen der Eifersucht und der Feindschaft auslöste. Um diesen einstigen Vertrauten nicht ohne sinnvolle Tätigkeit zu lassen, beauftragt sie ihn mit der delikaten Aufgabe, diskret in der Öffentlichkeit zu ermitteln, welche Urteile über sie am Hof und in dessen Umfeld kursierten, um mit der Stimmung ihr gegenüber vertraut zu werden. Seinem Auftrag wurde er alsbald gerecht, doch stießen diese Informationen bei ihr nur auf Ablehnung und Empörung: „Ich sagte ihr also, dass alle Welt über sie und Seine Eminenz in einer Weise spreche, die ihr zu denken geben sollte, dass ich ihren guten Ruf gegen ihre Feinde verteidigt hätte … wenn sie dem nicht gerecht werde, was man von ihr erwarte, und wenn sie ihren Feinden Gelegenheit gebe, sie zu verleumden, sie bald eine große Veränderung erleben werde, nicht nur in den Köpfen, sondern auch in den politischen Verhältnissen. Sie fragte mich, wer mir das gesagt habe. Ich sagte ihr: ‚Alle Welt‘, und das sei so verbreitet, dass man von nichts anderem spreche. Sie wurde rot und geriet in großen Zorn.“11 Derart vagfalsche Vorwürfe erreichten sie auch von anderer Seite – etwa von dem Bischof von Lisieux, Philippe Cospéan, der ihr ihre persönliche, ja private Nähe zu ihrem Ersten Minister vorwarf. Mazarin selbst hat um diese sich ihr und ihm gegenüber feindlich aufladende Stimmung gewusst und sie genau beobachtet, worüber er in seinen „Carnets“ Aufzeichnungen gemacht hat. Hintergrund der

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ihm feindlichen Stimmung war auch, dass die Königin nicht ihren einstigen Parteigängern ihre alten Standesrechte und Besitzungen zurückgab, was mit seinem Einfluss auf sie begründet wurde. So veranlasste er in der Tat die Regentin, das Gouvernement von Le Havre der Herzogin d’Aiguillon zu belassen. Sie war die Nichte Richelieus, der sie damit ausgestattet hatte – nun forderte La Rochefoucauld dieses Lehen vergeblich zurück. Mazarin verfolgte eine Politik des Ausgleichs mit Richelieus Favoriten, nicht der Rache an ihnen, sodass auch Jean Armand de Maillé, Herzog de Brézé, das hohe „Amt der Admiralität“ behalten durfte, das der Herzog de Vendôme ebenfalls vergeblich zurückverlangte. Es galt, den immer aggressiveren Forderungen der hochadligen Geschlechter, an ihrer Spitze der Prinz de Condé, Einhalt zu gebieten. Hintergrund dieser zunehmenden Absprache Mazarins mit der Königin, wenn nicht gar ihrer Steuerung durch ihn, soweit es die politischen Taktiken betraf, war nicht zuletzt der Charakter Annas von Österreich, den Madame de Motteville schonungslos offen geschildert hat, obgleich oder weil sie deren ergebene und sie verehrende Kammerfrau war: „Die Königin, die eine große Untätigkeit hinter sich gelassen hatte und die von ihrem Naturell aus faul war, befand sich plötzlich von einer großen Last bedrückt. Es dauerte nicht lange, um zu erkennen, dass sie der Hilfe bedurfte und es ihr unmöglich war, einen so großen Staat wie Frankreich zu regieren.“12 Sie hat aus unmittelbarer Nähe auch den Annäherungsprozess beobachten können, den ihre Herrin in Richtung des Kardinals vollzog – er dürfte sich in kurzer Frist und mit einem klaren Ziel vollzogen haben: „Sie (die Königin) war völlig geneigt, sich des Kardinals zu bedienen, dessen Geist und Person ihr seit den Gesprächen gefielen, die sie mit ihm führte … Sie schenkte ihm ihr Vertrauen, trat ihm ihre Autorität ab, und in ihrem Herzen nahm er in wenigen Tagen den ersten Platz ihrer Gunst ein.“13

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Madame de Motteville mag ein wenig zu weit gegangen sein in der Schilderung der Abhängigkeit, in die sich die Königin dem Kardinal gegenüber begeben hatte, denn Anna von Österreich war sich stets uneingeschränkt ihrer dominierenden machtpolitischen Position bewusst, die ihr die Rechte der Regentschaft gewährten. Gleichwohl war sie als Frau nicht ohne Koketterie – trotz ihrer 42 Jahre. Sie verzichtete zwar darauf, sich rot zu schminken, wie es Brauch und Pflicht der hohen Damen am Hofe war. Aber sie war nicht ohne Grund stolz auf ihre weißen, wohlgeformten Hände, die ihr ebenso wie ihre grünen Augen ein europaweites Renommee eingetragen hatten. Sie war zudem nicht abgeneigt, weiter Komplimente der Männer huldreich entgegenzunehmen, und Mazarin, der zu jener Zeit im Alter von 41 Jahren ein überaus schöner und verführerischer Mann war, war keineswegs ohne Talente, den Damen zu gefallen. Madame de Motteville hat dieses Bild bestätigt – offenbar nicht ohne selbst beeindruckt zu sein: „Der Kardinal war fähig, durch seinen gewandten Geist zu gefallen, der feinsinnig und geschickt zur Intrige war, und auf eine Art zu agieren, die von vollkommener Sanftheit war.“14 Es war also keine Überraschung, dass die Zeitgenossen nicht nur am Hofe viel und heftig darüber spekulierten, ob – und wenn ja, bis zu welchem Grad – das politische Vertrauen zueinander bis zur privaten Vertraulichkeit miteinander fortgeschritten sein könnte. Der Anblick, den beide boten, wenn sie sich täglich zur Abendstunde zum Gespräch in das kleine Kabinett der Königin zurückzogen, das schnell der Namen „kleiner Staatsrat“ erhalten hatte, kam dem Genrebild einer intimen Konversation gleich. In der Tiefe des Raumes saßen sie sich im direkten Gespräch gegenüber, aber bei geöffneter Tür, sodass die Hofdamen der Königin uneingeschränkt das Paar mit den Augen kontrollieren konnten, aber keinerlei Chance hatten, mit ihren Ohren den geringsten Gesprächsfetzen zu erfassen. Der Freiraum für Gerüchte jeder Art war und blieb unbegrenzt.

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6. Die erste Etappe zum Siegfrieden

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ls Mazarin im Jahr 1643 als Erster Minister das Erbe Richelieus antrat, war der Krieg Frankreichs gegen

Habsburg-Spanien bereits in die Jahre gekommen. 1635 hatte Ludwig XIII. in Brüssel dem spanischen König Philipp IV. feierlich den Krieg erklärt, nachdem er mit den Generalstaaten der Vereinigten Niederlande einen Bündnisvertrag geschlossen hatte, um die Spanier von Norden wie von Süden angreifen zu können. Für seine militärische Offensive in Norditalien waren Savoyen, Mantua und Parma als Verbündete gewonnen worden – militärisches Ziel war, Mailand zu attackieren. Parallel zu der Kriegsinitiative Frankreichs an seiner Nordgrenze und in Norditalien hatte der französische König 1636 dem Kaiser Ferdinand II. den Krieg erklärt. Offizielle Begründung für diese Politik war die Doktrin, dass Frankreich sich in einer seine Existenz bedrohenden Defensive befinde und den angeblichen Einkreisungsring von Habsburg-Spanien offensiv durchbrechen müsse. Diese militärische Expansionspolitik Frankreichs geschah vor dem Hintergrund des seit 1618 tobenden Dreißigjährigen Krieges im Reich, wo Richelieu den Kaiser Ferdinand II. in das wechselvolle Kriegsgeschehen verwickelt wusste – dessen Kriegsziel war die „Restitutionspolitik“, um im Reich die vollständige Einheit von katholi-

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schem Glauben und kaiserlicher Reichssouveränität durchzusetzen. Schon seit Heinrich IV. war es dagegen französische Außenpolitik gewesen, sich mit deutschen Territorialfürsten protestantischer Konfession – nicht zuletzt mittels Subventionszahlungen – zu verbinden, um die Autorität des Kaisers mit der begrenzten oder gar aufgekündigten Loyalität einzelner Reichsfürsten zu untergraben. Folgerichtig waren die Landung des Schwedenkönigs Gustav II. Adolf im Jahr 1630 mit 10 000 Fußsoldaten und 3000 Reitern auf der Insel Usedom und dessen Siegeszug durch Deutschland zugunsten der protestantischen Reichsfürsten eine für Frankreich höchst willkommene Option gewesen, die durch einen Familienpakt verbundenen Mächte Habsburg und Spanien mit einem mächtigen Feind im Innern des Reiches zu bedrohen. Entsprechend verschaffte der Bärwalder Vertrag von 1631 den Schweden französische Subventionen in Höhe von 400 000 Reichstalern. So konnte Richelieu, der lange den Kriegseintritt Frankreichs verzögerte, weil er befürchtete, dass Frankreich als direkter Kriegsteilnehmer in das mörderische Geschehen im Reich verwickelt werde, einen kommoden Stellvertreterkrieg führen. Gleichsam von der Galerie aus beobachtete Frankreich das wechselvolle Kriegstheater zwischen dem schwedischen „Löwen aus Mitternacht“ und dem kaiserlichen Generalissimus Wallenstein – am 16. November 1632 blieben bei Lützen nicht nur auf beiden Seiten je 6000 Gefallene auf dem Schlachtfeld, sondern auch der schwedische König hatte den Tod gefunden. Als die Schweden unter ihrem Kanzler Axel Oxenstierna sich jedoch im Südwesten Deutschlands der französischen Grenze näherten und ihre Dominanz im Reich übermächtig wurde, reduzierte Richelieu die Subsidien. Er stellte vorsorglich auch einige Städte im Westen Deutschlands unter französischen Schutz, Gustav II. Adolf von Schweden (1594–1632) trat zugunsten der deutschen Protestanten in den Krieg ein und verbündete sich trotzdem mit Frankreich. Portät aus dem Jahre 1630 (deutsche Schule).

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und als Philipp von Sötern, der Erzbischof von Trier, den Schutz Frankreichs suchte, konnte Richelieu mit dessen Zustimmung die Festungen Ehrenbreitstein und Philippsburg unter seine Kontrolle bringen. Doch seit dem Kriegseintritt Frankreichs führte das militärische Geschehen an den Fronten in Deutschland wie in Italien nicht zu schnellen Erfolgen der französischen Truppen, und trotz gelegentlicher Friedenshoffnungen kam es auch im Reich nicht zu einem Ausgleich und zu einer Chance für den Frieden, zumal der Eintritt Frankreichs an der Seite Schwedens eine unabsehbare Kriegsverlängerung bedeutete. An dieser Situation hatte sich auch wenig geändert, als Richelieu im Herbst 1642 starb und Ludwig XIII. ihm im Mai des nächsten Jahres in den Tod folgte – Mazarin erbte ein frontenreiches und friedensfernes Kriegsgeschehen. So wurde es in Frankreich als überraschendes Hoffnungszeichen betrachtet, als fünf Tage nach dem Tod des Königs am 14. Mai 1643 der junge, erst 22 Jahre alte Offizier Louis de Bourbon, Herzog d’Enghien, bei Rocroi einen klaren Sieg über die spanischen Truppen errang. Es war ein Sieg, der nicht den taktischen Finessen altgedienter Militärs zu verdanken war, sondern dem Furor einer jungen, draufgängerischen Offiziersgeneration und nicht zuletzt den strategischen Talenten eines genialen Heerführers, wie sich in Zukunft mehrfach erweisen sollte. Doch dieser Sieg, in dem Frankreich alsbald eine entscheidende Wende des Krieges zu seinen Gunsten sehen konnte, wurde erhöht durch eine sofort einsetzende mythologische Glorifizierung. Noch am Vortag seines Todes soll der bettlägrige Ludwig XIII. seherisch dem Prinzen de Condé, dem Vater des Siegers von Rocroi, der überraschend in das königliche Schlafgemach getreten war, den Sieg von Rocroi versprochen haben – gleichsam als testamentarische Verheißung: „‚Monsieur, ich weiß, dass der Feind mit einer großen und starken Macht auf unsere Grenze vorgestoßen ist.‘ In Paris aber ahnt noch

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niemand etwas davon. Der König geht mit seiner Prophezeiung noch weiter: ‚Aber Ihr Sohn wird ihn mit Schande zurückschlagen und ihn besiegen.‘“1 Von einer „großen und starken Macht“ der Spanier in den Spanischen Niederlanden konnte jedoch spätestens seit dem Tod des Kardinal-Infanten Ferdinand nicht mehr die Rede sein. Dieser jüngste Bruder Annas von Österreich war seit 1634 Statthalter der Spanischen Niederlande gewesen und hatte als erfahrener Feldherr mit seinem Schwager und später kaiserlichen Vetter in der Schlacht von Nördlingen den Sieg gegen die Schweden errungen. Er hatte, da er um die isoliert-exponierte Lage der Spanischen Niederlande wusste, in Madrid für eine Reihe von Garnisonen im oberen Rheintal plädiert, um den Verbindungsweg von Spanien über Deutschland bis in die Spanischen Niederlande offen zu halten – vergeblich, denn Spanien verfügte nicht mehr über die dafür notwendigen militärischen Kräfte. Nicht zuletzt im Bewusstsein seiner militärisch aussichtslosen Position war er 1641 gestorben. Der Angriff, den der portugiesische Marquis Francisco de Melo, nachfolgender Statthalter der Spanischen Niederlande, an der französischen Nordgrenze unternahm, hatte keineswegs die militärische Kraft, weit nach Süden vorzudringen und Paris in Gefahr zu bringen, was in Frankreich befürchtet worden war. Es war lediglich ein von Madrid befohlener Entlastungsangriff, da die Franzosen unter Richelieu und Ludwig XIII. weit in Katalonien eingedrungen waren. Marquis de Melo war zudem gezwungen, sowohl den Mangel an erprobten Soldaten mit schnell angeworbenen Rekruten auszugleichen als auch auf eine gleichrangige Kavallerie zu verzichten, da für den Ankauf der Pferde das Geld fehlte. Ihm stand mit dem jungen General d’Enghien auch keineswegs eine zahlenmäßig weit überlegene Armee gegenüber, sondern die Truppenstärke beider Armeen betrug etwa 22 000 Mann.

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Als es im Vorfeld der Festung von Rocroi, die von den Spaniern erobert worden war, zur Schlacht kam, gelang es d’Enghien, der spanischen Armee Verluste von 7500 Soldaten zuzufügen – sein Heer hatte nur 4000 Mann verloren. Letzten und ausdauernden Widerstand leisteten nur die restlichen spanischen Elitetruppen, die zu „Tercios“ formiert waren. Es waren zu Karrees formierte Truppen, die mit Musketen und leichten Arkebusen die in ihrem Rücken angeordneten Infanteristen vor der angreifenden Reiterei des Feindes zu schützen hatten. Im Zentrum dieser Karrees waren Kanonen aufgestellt, die in der Endphase einer Schlacht durch überraschendes Zurückweichen der eigenen Mannschaften freies Schussfeld auf den Gegner hatten und den Sieg bringen sollten. Nur einem dieser Tercios, da günstig in einem Wäldchen platziert, gelang es, der um sich greifenden Auflösung der spanischen Truppen zu widerstehen, und da d’Enghien das baldige Eintreffen spanischer Verstärkungen fürchten musste, gewährte er diesem Truppenteil wie auch der Besatzung der Festung Rocroi die seltene Ehre, in voller Mannschaftsstärke mit Waffen und Fahnen abziehen zu dürfen – sogar quer durch Frankreich in ihre baskische Heimat. Zur symbolischen Verklärung des Sieges wurde sogar der Tragsessel, auf dem sich der ranghöchste Offizier der spanischen Armee, der „Maestre de campo general“ (Generalfeldmarschall) Paul Bernard de Fontaine, ein Lothringer, wegen einer Erkrankung in die Schlacht hatte tragen lassen und auf dem er den Tod gefunden hatte, als Kriegsbeute nach Paris gebracht und ist noch heute im Armeemuseum des Invalidendomes zu besichtigen. Dieser Sieg, erstmals in diesem Ausmaß über eine spanische Armee und speziell über die als unbesiegbar geltenden Tercios errungen, wurde zu Recht als ein Einschnitt, ja als ein Wendepunkt des französisch-spanischen Krieges empfunden. Er hätte auch für Frankreich der Anlass sein können, in der Position des Siegers und der Stärke mit

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Spanien Friedensverhandlungen zu beginnen. Doch Mazarin war im Gegensatz zu der Stimmung in weiten Teilen des Hochadels und der Bevölkerung für die konsequente Fortsetzung des Krieges. Eine weitere Chance für Friedensverhandlungen wurde von Mazarin radikal nicht genutzt, als Don Diego de Saaveda, der spanische Gesandte, seine Reise zum Friedenskongress in Osnabrück und Münster dazu nutzen wollte, in Kontakt mit Anna von Österreich zu kommen und sie zur Friedensbereitschaft anzuregen. Mazarin gewährte dem spanischen Diplomaten, wie es die internationale Gepflogenheit für derartige Gesandtschaften gebot, den Pass für freien Durchzug durch Frankreich nach Deutschland. Aber bereits in Bordeaux erwartete ihn eine französische Eskorte, die ihn auf dem gesamten Weg durch Frankreich und an Paris vorbei bis an die Grenze der Spanischen Niederlande begleitete – und unter Kontrolle hatte. Im Staatsrat war beschlossen worden, dass Anna von Österreich weder Briefe ihrer spanischen Verwandten entgegennehmen noch deren Abgesandte empfangen sollte. Dazu war die Regentin, die sich inzwischen emotional und politisch zur Französin gewandelt hatte, ohne weitere Umstände bereit, sogar bis zu dem Grade, dass Mazarin ihr schon nach der für Frankreich siegreichen, aber sehr verlustreichen Schlacht von Nördlingen im August 1645 hatte anraten müssen, eine gewisse Zurückhaltung zu wahren: „Madame, so viele Männer sind gefallen – es empfiehlt sich nicht, dass Eure Majestät über diesen Sieg in Freude ausbreche.“2 Mazarin, dessen bevorzugtes Tätigkeitsfeld lebenslang die Außenpolitik war, beachtete wenig – und musste diesen Aspekt auch vorerst außer Acht lassen –, welche innenpolitischen Folgen mit der zeitlich und konditionell unbegrenzten Fortsetzung des Kriegs verbunden waren. Schon Richelieu hatte, da nicht nur der Krieg, sondern auch die Subventionen für die Verbündeten Unsummen verschlangen, die Steuerlast in zehn Jahren um das Dreifache erhöht, und

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Mazarin musste die finanzielle Belastung der Steuerzahler weiter erhöhen und dabei das sich abzeichnende Risiko von Volksaufständen in Kauf nehmen. Zudem kam es zur Schaffung und zum Verkauf von immer neuen Ämtern, die sogar geteilt und gedrittelt wurden, um neue Geldquellen zu erschließen. Zu den willkürlichen Steuerlasten zählte bereits die „Paulette“, eine 1604 vom damaligen Finanzminister Heinrichs IV., Charles Paulet, erfundene Steuer, die Amtsinhaber jährlich in Höhe eines Sechzigstels ihrer Einkünfte zu zahlen hatten, um die Vererbbarkeit ihres Amts zu erkaufen. Schließlich verlangte die leere Staatskasse, dass die Steuereinkünfte schon der kommenden Jahre im Voraus an die Steuerpächter verkauft wurden – Mazarin hatte bereits die Steuereinnahmen der nächsten zwei Jahre verausgabt. Als skandalös wurde nicht zuletzt empfunden, dass sich der Erste Minister selbst schamlos bereicherte, an den Einkünften des Staates wie an dessen Ausgaben und natürlich an den Kriegskosten, wovon noch ausführlich die Rede sein wird. Die innenpolitischen Spannungen luden sich auf und drängten zur Explosion. Doch Mazarin gab weiterhin der expansionistischen Außenpolitik seines Vorgängers die absolute Priorität, und die Entscheidungen mussten auf den Kriegsschauplätzen wie auf dem Friedenskongress in Osnabrück und Münster fallen – nur militärische Siege konnten die maximalen Forderungen eines Siegfriedens erzwingen. Die französischen Angriffe richteten sich schwerpunktmäßig nicht direkt gegen Spanien, sondern gegen die Spanischen Niederlande, die Mazarin durch den Bündnisvertrag mit den Generalstaaten der Vereinigten Niederlande im Zangengriff hatte – zudem wusste er Spanien durch die Aufstände in Portugal und Katalonien gebunden. Zusätzlich suchte er den Durchbruch gegen den Kaiser in Deutschland zu erzwingen – nicht zuletzt mit dem Ziel, den Familienverbund von Österreich und Spanien zu sprengen.

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Das Ziel, die Position des Kaisers im Reich zu schwächen, sollte und konnte auch dadurch erreicht werden, dass Frankreich die Gegner des Kaisers in dessen Rücken aktivierte – dies war die Strategie Frankreichs seit Franz I., der sich sogar mit den Türken verbündete, und sie fand ihre Fortsetzung über die folgenden Jahrhunderte zumindest bis zum Ersten Weltkrieg, als es der Diplomatie der französischen Republik gelang, mit dem autokratischen Zaren von Russland einen Koalitionsvertrag zu schließen. Nun gewann Mazarin mit Subsidienzahlungen auch Georg Rákóczi, den Fürsten von Siebenbürgen, der 1644 in Ungarn einfiel. Derselben Strategie verpflichtet war die Verheiratung der klugen und reichen Prinzessin Marie-Louise de Gonzaga-Nevers, die bereits in der Staatsaffäre um Cinq-Mars eine Rolle gespielt hatte, mit dem mittellosen polnischen König Władysław IV. Auf dem Schlachtfeld addierten sich die Siege Frankreichs. D’Enghien eroberte in den südlichen Spanischen Niederlanden die Festungen Arras, Gravelines und Dünkirchen. Gemeinsam mit Henri de La Tour d’Auvergne, Vicomte de Turenne, dem jüngeren Bruder des Herzogs de Bouillon, den Mazarin zum Wechsel auf die königliche Seite bewegt hatte, rückte d’Enghien immer weiter nach Norden und Osten vor. Den Holländern erschien diese Annäherung zunehmend als Bedrohung, denn sie handelten gegenüber Frankreich nach der Maxime „Gallus amicus, sed non vicinus“ („Frankreich zum Freund, aber nicht zum Nachbarn“). Ihre Befürchtungen waren keineswegs unbegründet, denn Mazarin hatte die Eroberung der Spanischen Niederlande zum vorrangigen Kriegsziel erklärt: „Für die Stadt Paris würden sie ein unbezwingliches Bollwerk sein, und Paris könnte man dann wirklich das Herz von Frankreich nennen, es läge an der sichersten Stelle des Königreichs.“3 Nach Osten stießen die französischen Truppen bis an den Rhein und darüber hinaus vor, wobei sie auf zunehmend weniger Widerstand trafen, nachdem der kaiserlich-bayerische General Franz von

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Mercy in der Schlacht von Nördlingen gefallen war. So bemächtigten sie sich nacheinander der Städte Philippsburg, Landau und Trier, und auch vor Freiburg im Breisgau erlitt die kaiserlich-bayerische Armee eine vernichtende Niederlage. Da der bayerische Kurfürst Maximilian sich als treuer Verbündeter des Kaisers erwiesen hatte, gab Mazarin in Abstimmung mit Schweden das Kriegsziel vor, Bayern anzugreifen. So rückten die Truppen unter den Generalen Turenne und Wrangel, der die Schweden kommandierte, im Herbst 1646 in Bayern ein und verwüsteten das reiche Land, das es seit 28 Jahren verstanden hatte, sich den kriegerischen Zerstörungen zu entziehen. Der Kurfürst wurde dadurch veranlasst, im März 1647 zu schwören, niemals wieder dem Kaiser Hilfe zu leisten. Abgesehen davon, dass es dem Herzog d’Enghien, der 1646 nach dem Tod seines Vaters zum Prinzen de Condé geworden war, trotz längerer Belagerung nicht gelang, die Festung Lerida in Katalonien zu erobern, war Frankreich zur dominierenden Macht auf allen Kriegsschauplätzen geworden und konnte nun seine Friedensbereitschaft, die im eigenen Land seit Langem gefordert wurde, in die Tat umsetzen. Das Ringen um eine neue Friedensordnung für das Reich fand seit 1643 in Osnabrück und Münster statt und war ein zäher, finessenreicher und unsicherer Prozess, der bis zuletzt von den Wechselfällen auf den Kriegsschauplätzen abhängig blieb, die jedoch zunehmend zum Stillstand kamen, da die militärischen Kräfte der Kriegsparteien sich erschöpft hatten. Damit nahte die Stunde der Diplomatie, und Mazarin, seit Langem mit den französischen Diplomaten in Osnabrück und Münster in engem Kontakt, konnte hoffen, die schon von Richelieu definierte Formel eines „dauerhaften, sicheren, universellen Friedens“ mit Maximalforderungen durchsetzen zu können. Der für Frankreich entscheidende Verhandlungsort war Münster, wo der Kaiser und Frankreich verhandelten, während sich in Osnabrück der Kaiser und Schweden gegenüberstanden. Nicht weni-

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ger als 148 Delegierte und 37 Gesandtschaften waren anwesend, und viel Zeit war nötig, um die Streitigkeiten über die Rangordnung oder die protokollarische Sitzordnung zu klären. Auch galt es, die Beschlüsse, die an einem Ort gefasst wurden, ständig mit denen am anderen Ort in Einklang zu bringen und umgekehrt. Es gab viel abzustimmen und zu vermitteln, vor allem auch in den separaten Absprachen zwischen den Kriegsparteien und ihren Verbündeten. Frankreich war durch drei Diplomaten vertreten – durch den hochadligen Henri II. d’Orléans, Herzog de Longueville, durch den in zahlreichen diplomatischen Verhandlungen bereits erfahrenen Claude de Mesmes, Grafen d’Avaux, und den langjährigen Botschafter Abel Servien, mit dem Mazarin seit dessen Einsatz in Turin vertraut war. Die drei Gesandten hatten, trotz aller strategischen Vorgaben noch von Richelieu und später von Mazarin, einen gewissen Verhandlungsspielraum, nicht zuletzt um auf die wechselnden Positionen ihrer Verhandlungsgegner flexibel reagieren zu können. So ergaben sich auch unter ihnen differenzierte Positionen. Longueville und d’Avaux wollten mit größeren Konzessionen so schnell wie möglich den Frieden schließen, während Mazarin, der sich ständig den aktuellen Stand der Verhandlungen nach Paris übermitteln ließ und mit Direktiven antwortete, gemeinsam mit Servien auf maximalen Forderungen zugunsten Frankreichs bestand. Im Zentrum ging es um zwei gegensätzliche Konzepte der französischen Außenpolitik, mit denen die militärische Unangreifbarkeit des Landes gesichert werden sollte. Longueville und d’Avaux neigten zu einem ausgedehnten System mit Verbündeten wie Schweden oder den niederländischen Generalstaaten, mit denen gemeinsam die Sicherheit Frankreichs garantiert werden sollte. „Dagegen ersetzten Mazarin und Servien das Konzept der gegenseitigen Garantien, die das Sicherheitssystem über den Frieden hinaus hatte gewährleisten sollen, durch das geostrategische Konzept der Territorialexpansion.“4

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D’Avaux lehnte eine weiträumige Expansionspolitik ab, Longueville war frühzeitig nach Frankreich zurückgekehrt, und am Ende setzten sich Mazarin und sein Gefolgsmann Servien durch. Wie recht Mazarin mit seiner Politik einer rigorosen Expansionspolitik unter Vernachlässigung eines ausgedehnten Bündnissystems hatte, ergab sich bereits zu Beginn der Verhandlungen in Münster. Gegen alle diplomatischen Bemühungen Frankreichs erkannte Spanien die staatliche Unabhängigkeit der niederländischen Generalstaaten an, die 81 Jahre lang einen aufopfernden Befreiungskrieg geführt hatten. Damit entfiel für Frankreich die geostrategische Option, die Spanischen Niederlande auch von Norden angreifen zu können. Die Haltung der Vereinigten Niederlande, das Bündnis mit Frankreich zugunsten einer international anerkannten Souveränität zu opfern, wurde auch davon bestimmt, dass es nicht ihr politisches Interesse sein konnte, sich an der französischen Eroberung des fernen Kataloniens beteiligen zu müssen. Zudem betrieb Mazarin hartnäckig, aber vergeblich den Plan, Spanien zur Abtretung der Spanischen Niederlande an Frankreich im Gegenzug zu der Rückgabe Kataloniens zu veranlassen. Schließlich hatte der Kriegszug Ludwigs XIII. und Richelieus die lange verhohlene Strategie verfolgt, Spanien an seiner Nordostgrenze mit Katalonien so viel Territorialgewinn zu entreißen, dass Frankreich im Gegenzug für dessen Rückgabe die Spanischen Niederlande hätte fordern können. Dieser Plan blieb zur Genugtuung der niederländischen Generalstaaten unerfüllt. So verlagerte sich die Expansionspolitik Frankreichs nach Nordosten auf das deutsche Reichsgebiet, und hier waren die militärischpolitischen Vorgaben für Mazarin und Servien günstig. Kaiser Ferdinand III. hatte seinen erfahrenen Unterhändler Maximilian von Trauttmansdorff mit der Geheimorder nach Osnabrück und Münster geschickt, um jeden Preis zum Abschluss eines Friedensvertrages zu kommen. So konnte Frankreich die linksrheinischen Territorien Habs-

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burgs im Elsass gewinnen und zusätzlich die rechtsrheinischen Festungen Breisach und Philippsburg. Die drei Bistümer Metz, Toul und Verdun, die 1552 von Heinrich II. besetzt worden waren, aber bis 1648 zum Reich gehörten, gingen endgültig an Frankreich. Nicht entschieden wurde über die Zukunft Luxemburgs, denn darüber herrschte zwischen Longueville einerseits, der die Restitution des Herzogtums befürwortete, und Mazarin andererseits kein Einverständnis – sein Vertrauensmann Servien vertrat den Standpunkt, der Besitz Luxemburgs sei aus strategischen Gründen für Frankreich unverzichtbar. Im Reich, das aus 350 Staaten unterschiedlichster Größe bestand, wurde jedem Staat die absolute Souveränität, auch in Fragen der Religion, zugestanden und außenpolitisch das Recht der freien Koalitionswahl, die lediglich nicht gegen das Reich und den Kaiser gerichtet sein durfte. In dieser unantastbaren Souveränität sahen die Staatsrechtler in den folgenden Jahrhunderten gern einen staatstheoretischen und politischen Fortschritt, nicht wenige deutsche Politiker jedoch eine Schwächung des Reiches. Noch der deutsche Reichskanzler Fürst Bernhard von Bülow erinnerte am 14. November 1906 im Reichstag an das Wort vom Westfälischen Frieden, „der Frankreich gemacht und Deutschland aufgelöst hat“.5 Für Frankreich war es jedoch die sichere Garantie, von einem derart zersplitterten Reich nicht angegriffen werden zu können. Frankreich seinerseits hatte als Garantiemacht des Vertrages das Recht, sich mit jedwedem Staat des Reiches, der zu einer Allianz mit ihm bereit war, in einer Koalition zu verbünden und militärisch in das Reich einzudringen. Diese Politik Frankreichs hat lange verhindert, dass Deutschland zu staatlicher Einheit finden konnte, und war in gewandelter Form sogar noch wirksam, um die deutsche Wiedervereinigung im Jahre 1989 zu verhindern, was dem französischen Staatspräsidenten François Mitterrand jedoch nicht mehr gelang. Die politische Ordnung, wie sie im Vertrag von Münster festgeschrieben wurde, wies jedoch in Bezug auf das Elsass Widersprüche

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auf. Das in zahlreiche Reichslehen aufgestückelte Territorium bestand nicht nur aus zehn reichsunmittelbaren Städten wie Landau, Weißenburg, Hagenau, Schlettstadt und Kolmar, sondern auch aus je einem Bistum für Ober- und Unterelsass, die von zwei österreichischen Erzherzögen verwaltet wurden. In Artikel 75 des Vertrages heißt es dazu, dass „kein Kaiser oder Fürst des Hauses Österreich jemals irgendein Recht beanspruchen kann oder in den besagten Ländereien sich Macht aneignen kann und darf“.6 Dazu in Gegensatz steht der Artikel 89, der die Übergabe an Frankreich weitgehend zurücknimmt, da der französische König verpflichtet wird, vom Reich abhängige Stände wie die Stadt Straßburg sowie „Klöster, Lehnsherrschaften, die Reichsstädte und dazu den Adel des gesamten Unterelsass … in der Freiheit und zugleich in der Unmittelbarkeit gegenüber dem Reich“ zu belassen, „die sie bisher genossen haben, sodass er keinen Anspruch erheben kann auf königliche Vorrechte, sondern sich zufrieden gibt mit dem Gesamt der Rechte, die dem Haus Österreich gehören und durch den Friedensvertrag an die Krone Frankreichs abgetreten wurden“.7 Wenn aber das Elsass Reichsland bleiben würde, könnte und müsste der französische König in Erfüllung seiner Rolle als Herr dieser Territorien Mitglied des Reichstags werden, was sofort die protokollarische Schwierigkeiten nach sich gezogen hätte, dass dort seine Rolle nicht die eines mächtigen Fürsten, sondern nur die eines geringen Landesherrn über ehemals österreichische Territorien sein könnte – eine unvorstellbare Konsequenz. Offensichtlich haben die französischen Diplomaten sich bei den Verhandlungen mit der bedingungslosen Annexion des Elsass nicht durchsetzen können und in den bewusst strittigen Formulierungen eine juristische Option für die Zukunft gesehen, damit Frankreich sich später dieser Region uneingeschränkt bemächtigen könne. Dies hat dann auch 35 Jahre später Ludwig XIV. im Reunionskrieg getan, indem er die vielfach unklaren Rechte in der

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Der Friedensschluss zu Münster (Westfälischer Friede) im Jahr 1648, der Frankreich große territoriale Gewinne gegenüber dem Deutschen Reich brachte, aber nicht den Frieden mit Spanien.

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Region zur Begründung für einen Feldzug ins Elsass benutzte, um sie dort umgehend zu beseitigen und auch die unstrittig zum Reich gehörende Stadt Straßburg mit militärischer Gewalt zu erobern und einseitig zu einem Teil Frankreichs zu erklären. Mazarin konnte trotz geringer Konzessionen, die ihm abverlangt worden waren, mit den Territorialgewinnen an Frankreichs Grenzen zufrieden sein. Aber es war nur eine Etappe auf dem Weg zu einem umfassenden Siegfrieden, denn Spanien verweigerte den Friedensschluss mit Frankreich. Um auch Spanien militärisch in die Knie zu zwingen, musste Mazarin bis 1655 warten, als es ihm schließlich gelang, England zum Verbündeten im Krieg gegen Spanien zu gewinnen. Wie in der Koalition, die Richelieu mit Schweden eingegangen war, handelte es sich wieder um eine Partnerschaft mit einer protestantischen Macht, was ebenso den päpstlichen Zorn erregte wie der Friedenschluss von Osnabrück und Münster, gegen den Papst Innozenz X. durch seinen Gesandten vor Ort Protest einlegen ließ – ohne jede Wirkung. Damit war der Universalanspruch, den Ferdinand II. dem Katholizismus hatte verschaffen wollen, nicht länger aufrechtzuerhalten, auch wenn ihm Ludwig XIV. 1685 mit der Aufhebung des Edikts von Nantes zur absoluten Gültigkeit wenigstens in Frankreich verhelfen sollte. Mazarin hatte mit militärischer Macht und souveränem Verhandlungsgeschick Frankreich zu neuer Größe durch territoriale Vergrößerung aufsteigen lassen. Aber das gelang nur durch immer neue und bedrückende Steuerbelastungen des Volkes im Innern des Landes. Die soziale Misere hatte sich wie Mehltau über das Land gelegt, und so hatte man in Frankreich kaum Verständnis dafür, dass der Erste Minister aus Italien Frankreich zur ersten Macht in Europa gemacht hatte – eine begrenzte Anerkennung erreichte ihn erst posthum. Zu jener Zeit aber schlugen ihm Hass und grenzenlose Verachtung entgegen – etwa von dem Abbé Brousse, Pfarrer von Saint-Roch

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in Paris, der sich 1649 in den Chor seiner Verächter mit einer noch recht milden Stimme einreihte: „Wer immer in Zukunft den Vertrag lesen wird, der mit dem Beistand Frankreichs und zum Nachteil der Kirche zugunsten Schwedens und der deutschen Protestanten geschlossen wurde, wird sich nie überzeugen lassen, dass es sich um keinen anderen Geist und Ratschluss handelt als um den eines Türken oder Sarazenen, der sich unter dem Mantel eines Kardinals versteckt.“8 Die innenpolitische Explosion ließ nicht auf sich warten.

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7. Fronde I – Defensive

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ie dramatischen Unruhen, die Frankreich in den Jahren 1648 bis 1653 erschütterten und die Krone sogar in ihrer

Existenz bedrohten, hatten 1643 ein erheiterndes Vorspiel – das Komplott der „Wichtigtuer“ („Importants“). Der königliche Hof geriet nach dem Tod Ludwigs XIII. in Unordnung, da Anna von Österreich zahlreiche ihrer Freundinnen und Freunde, die Richelieu und der König verbannt hatten, nach Paris zurückkehren ließ. Eine herausragende Rolle in der Gunst der Königin hatte die intrigante und politisch ehrgeizige Herzogin de Chevreuse gespielt, als es in den Jahren der strengen und erniedrigenden Behandlung durch den König für die beiden Frauen darum ging, trotzdem in versteckten Vergnügungen und heiter-harmlosen Spielen einen Rest von Lebenslust auszuleben. Aber die Herzogin de Chevreuse fand – wie zahlreiche Hochadlige, die an den Hof zurückkehrten – den höchsten Platz in der Gunst Annas von Österreich bereits besetzt, und so richtete sich das Prestigegerangel am Hofe, das zu einer neuen Rangordnung finden musste, vor allem gegen den überraschend aufgestiegenen Ausländer, den Kardinal Mazarin. Ihm galt die vielfältige Verleumdung, an der sich auch die Bischöfe von Lisieux und Limoge beteiligten, die in dem Vertrauen, das Anna von Österreich dem Ersten Minister entgegenbrach-

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te, eine unziemliche Vertrautheit sahen und dies sogar gegenüber der Regentin zum Ausdruck brachten. Zum Eklat kam es wegen zweier Billetdoux ohne Absender und ohne Adressat, die die Herzogin de Montbazon, die Schwiegermutter der Herzogin de Chevreuse, auf dem Teppich ihres Salons fand. In ihnen ging es um die verletzten Gefühle einer Frau, wie sie beim Verlust der Liebe eines Mannes auftreten: „Ich würde die Veränderungen in Ihrem Verhalten viel mehr bedauern, wenn ich glaubte, den Fortbestand Ihrer Zuneigung zu verdienen. Ich gestehe, dass die meine, solange ich die Ihre für echt und heftig gehalten habe, Ihnen alle Vorteile gewährt hat, die Sie sich wünschen konnten. Jetzt erhoffen Sie nichts mehr von mir als die Achtung, die ich Ihrer Verschwiegenheit schulde … Ich bitte Sie, nicht mehr zu mir zu kommen, da ich nicht mehr die Macht habe, es Ihnen zu befehlen.“1 Die Herzogin, eine würdige Schönheit von mittleren Jahren, unterstellte die Urheberschaft der Herzogin de Longueville, einer blendenden Schönheit von jüngeren Jahren – fälschlich, denn später konnte als Briefschreiberin eine ganz andere Person namens Madame de Fouquerolles ermittelt werden. Damit war die Herzogin de Longueville, die zudem die Schwester des Herzog d’Enghien war, herausgefordert, und ihre Mutter, die Prinzessin de Condé, begab sich umgehend zur Regentin, um Satisfaktion für ihre Tochter zu fordern. Die kleine Pikanterie steigerte sich zur Hofkabale, als die Herzogin de Montbazon mit dem Clan ihrer Verehrer, an der Spitze ihr jugendlicher Liebhaber, der Herzog de Beaufort, der zudem hoch in der Gunst Annas von Österreich stand, zum Gegenangriff aufrief. Doch die Regentin verlangte, da die Herzogin de Montbazon nicht den Beweis erbringen konnte, dass die Herzogin de Longue-

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François de Vendôme, Herzog von Beaufort (1616–1669), verwickelte sich 1643 in eine Hofintrige und wurde in Vincennes gefangen genommen. Zeitgenössischer Stich aus dem Jahre 1660.

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ville die Briefschreiberin gewesen war, von der Denunziantin eine öffentliche Entschuldigung, und damit wurde Mazarin zum widerwilligen Mitspieler in dieser zunehmend ernst gemeinten Komödie. Er musste zwischen den streitbaren Damen einen Entschuldigungstext aushandeln, der die Ehre der einen wiederherstellen und die der anderen nicht ernsthaft verletzen durfte. Madame de Motteville hat den diplomatischen Aufwand in seiner Unverhältnismäßigkeit beschrieben: „Um jedes Wort wurde eine Stunde verhandelt. Der Kardinal, der die Sache erledigen musste, ging von einer Partei zur anderen, um ihre Differenzen zum Ausgleich zu bringen, wie wenn dieser Frieden notwendig für ganz Frankreich wäre … Ich habe niemals eine so vollkommene Albernheit gesehen; denn am Ende kam dabei nichts heraus.“2 Dieses Nichts gestaltete sich derart, dass die Herzogin de Montbazon den Kompromisstext, der auf der Innenseite ihres Fächers angeheftet worden war, vor ihrer Widersacherin und in Anwesenheit der Königin so hochmütig-verachtend vorlas, dass statt der Entschuldigung eine weitere Beleidigung die Folge war. Doch der Form war Genüge getan. Damit konnte die Herzogin de Chevreuse, die Schwiegertochter der Herzogin de Montbazon, nicht zufrieden sein und lud kurz danach zu einem Frühstück bei dem Konditor Renard in den Tuileriengarten ein, welcher Einladung Anna von Österreich Folge zu leisten bereit war. Auf die entsprechende Frage der Prinzessin de Condé gab sie die Versicherung ab, dass die Herzogin de Montbazon nicht anwesend sein werde, da sie erkrankt sei. Dem war jedoch nicht so, denn die Schwiegermutter der Herzogin de Chevreuse suchte den Eklat und erschien. Als sie der Forderung der Königin nicht nachkam, unter dem Vorwand einer Unpässlichkeit zu verschwinden, zog sich die Herrscherin erzürnt ins Palais Royal zurück – die Herzogin de Montbazon aber erhielt den Befehl, sich sofort auf ihre Ländereien zurückzuziehen.

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Ihre nächste Steigerung erfuhr die Affäre durch ihre politische Dimension, denn der Herzog de Beaufort war nun entschlossen, den Schlichter des Streits, der angeblich zu Ungunsten seiner Geliebten entschieden hatte, zu ermorden oder ermorden zu lassen. Mehrere Versuche scheiterten, wohl auch weil Mazarin von den Attentatsversuchen Kenntnis erlangt hatte. Damit war für Anna von Österreich die unabweisbare Notwendigkeit zum Einschreiten gegeben, und so ließ sie Beaufort, den sie huldvoll im Palais Royal empfangen hatte, just in dem Augenblick, als sie sich mit Mazarin in den Staatsrat zurückzog, vom Gardekapitän Guitaut verhaften und in der Festung Vincennes einkerkern. Mehrere Mitglieder des Beaufort-Clans mussten sich auf ihre Ländereien zurückziehen, und wenig später ereilte auch die Herzogin de Chevreuse die Aufforderung, auf Dauer ein Leben auf ihrem Landsitz zu führen, „ohne sich in irgendwelche Intrigen zu mischen, es sich in der Zurückgezogenheit gut sein zu lassen und ihr Leben in Gedanken an die andere Welt auszurichten“.3 Für fünf Jahre war am Hofe der Regentin für Ruhe gesorgt, einmal weil der Unruhestifter Beaufort in sicherer Haft war, zum anderen weil man ihm nicht den Prozess machen konnte, da es an juristisch handfesten Beweisen für seine Verurteilung fehlte. Mit dieser gestundeten Ruhe war es dann endgültig vorbei – trotz oder wegen der Friedensverträge von Osnabrück und Münster, die keinen Frieden mit Spanien gebracht hatten. Die Steuerlast war für das Volk unerträglich geworden, da ein Ende der Steigerungen nicht absehbar war, zumal nur der gemeine Mann der Steuerpflicht unterworfen war – Adel, Geistlichkeit, die Staatsbeamten und somit auch die Mitglieder des Parlaments jedoch nicht. Mazarin hatte die Parlamentsräte vor allem deshalb geschont, weil sie die neuen Steuergesetze der Regierung genehmigen mussten, aber selbst die Belastung nicht spüren sollten. Die Gesetzesgültigkeit wurde durch ein weiteres „lit de justice“ erreicht, indem Anna von Österreich ihren nun zehnjährigen Sohn ins

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Parlament führte und ihn die für das Inkrafttreten der Gesetze obligatorischen Formeln aufsagen ließ. Da passierte es gelegentlich, dass das Kind die für die Rechtskraft erforderlichen Formeln vergessen hatte, ratlos ins Stottern geriet und schließlich zu weinen begann. Die jüngeren Parlamentsräte sahen in diesem Ritual des „lit de justice“ einen Missbrauch der königlichen Macht, und Anna von Österreich lebte in ständiger Unruhe über diese angreifbare Rechtslage, bis Ludwig XIV. endlich, im Jahr 1652, mit vierzehn Jahren die Volljährigkeit erreicht hatte. Nun aber, am 15. Januar 1648, als die Königin erneut mit ihrem Sohn im Parlament erschienen war, schilderte der Präsident des Parlaments, Omar Talon, dem jungen König und seiner Mutter ohne jede Beschönigung die katastrophale Lage des Landes: „Seit nunmehr zehn Jahren ist die Landwirtschaft ruiniert, die Bauern müssen auf Stroh schlafen, ihre Möbel sind verkauft, um die Steuern zu bezahlen, ohne dies in ausreichendem Maße tun zu können, und um den Luxus in Paris aufrechterhalten zu können, sind Millionen unschuldiger Seelen gezwungen, sich von Schrotkleie und Hafer zu ernähren, und können keinen Schutz in ihrer Machtlosigkeit erhoffen. Diese Unglücklichen besitzen nichts zu eigen als ihre Seelen, weil diese nicht durch Versteigerung verkauft werden können …“4 War es vor diesem Hintergrund einer landesweiten Sozialmisere von Mazarin richtig gewesen, im Jahr 1647 den Komponisten Luigi Rossi mit seiner Oper „L’Orfeo“ aus Rom kommen zu lassen – einschließlich einer personenreichen Theatertruppe mit dem Maschinenmeister Giacomo Torelli und dem europaweit gefeierten Kastraten Atto Melani? Mazarin, der ein begeisterter Anhänger des opulenten Barocktheaters war, wollte diese Form der alle ernsten und heiteren

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Szenen in durchgängigen Gesängen präsentierenden Oper dem französischen Publikum vertraut machen, das einen Wechsel von Arien und Rezitationen bevorzugte, um das inhaltliche Verständnis zu gewährleisten – es misslang, trotz der im Publikum verteilten Gesangstexte, die jedoch nicht ins Französische übersetzt worden waren. Auf die Kritik wegen des nur begrenzten Erfolgs, denn mehr konnte das aufwendige Spektakel nicht erzielen, antwortete Mazarin, „dass er diese Sachen weniger für das Publikum machte als zur Unterhaltung Ihrer Majestäten und seiner eigenen und dass sie mehr die italienischen Verse liebten als die französischen“.5 Das Spektakel nahm im Palais Royal am 2. März 1647 nicht weniger als sechs Stunden in Anspruch, aber schon vor dessen Ende und mit dem Schlag Mitternacht zog sich Anna von Österreich in ihre Gemächer zurück, um sich auf die Messe am nächsten Vormittag vorzubereiten. So kam es denn am 13. Mai 1648 zur offenen Rebellion des Parlaments, als Mazarin und sein Finanzminister Particelli d’Émery gehofft hatten, eine weitere Steuer durchsetzen zu können, und zwar bei den drei Gerichtshöfen „Cour des Aides“ (Steueramt), „Chambre des Comptes“ (Rechnungskammer) und „Grand Conseil“ (Großer Rat). Deren Mitglieder sollten zusätzlich zu der Steuer, die sie jährlich in ihrem Amt bestätigte und die ein Sechzigstel des Wertes ausmachte, zu dem sie ihr Amt erworben hatten, einmalig vier Jahr lang auf ihre Gehälter verzichten und danach zehn Jahre steuerfrei bleiben. Diese Steuer auf die bereits bestehende Steuer stieß auf Unmut und Ablehnung bei den drei Institutionen, deren Mitglieder sich zur Unterstützung ihrer Interessen an das Parlament von Paris wandten. Das Parlament, dessen Mitglieder nach dem Willen des Ersten Ministers bewusst nicht betroffen waren, zögerte ein wenig, entschloss sich jedoch dann zur solidarischen Haltung mit den drei Kammern – eben zur radikalen Ablehnung. Um ihre Interessen tatkräftig zu vertreten, schlossen sich die vier

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Kammern „per Beschluss der Einheit“ („arrêt d’Union“) zusammen. Es kam sogar zu einer konstitutionellen Vereinigung des Parlaments und der drei Gerichtshöfe im „Gerichtssaal Saint-Louis“ („Chambre Saint-Louis“). Das Programm der gemeinsamen Forderungen umfasste nicht nur die Rücknahme der neuen Steuer, sondern auch einen Katalog von 37 Forderungen, die einen tiefen Einschnitt in die Regierungsgewalt der Krone darstellten: Abschaffung der Intendanten, keine neuen Staatsämter, keine Steuergesetze ohne die Zustimmung von Parlament und Gerichtshöfen, Verzicht auf die „versiegelten Verhaftungsbefehle“ („lettre de cachet“) und ein Schutzgesetz bei Verhaftung: „Kein Untertan des Königs, welchen Standes und Ranges er auch sei, darf länger als vierundzwanzig Stunden ohne Verhör gefangen gehalten werden.“6 Diese Forderungen wie auch die aufbegehrende Haltung des Parlaments sind unter dem Eindruck der revolutionären Ereignisse in England zu sehen, wo König Karl I. gegen sein aufrührerisches Volk kämpfte. Seine Gemahlin, Henrietta Maria von Frankreich, eine Schwester Ludwigs XIII. und die jüngste Tochter Heinrichs IV., war mit ihren Kindern bereits 1644 nach Frankreich geflohen. Dort wurde sie am Hofe Annas von Österreich aufgenommen, musste aber im nicht bewohnten Louvre Quartier nehmen. Madame de Motteville hat ihren Abstieg voll Mitgefühl registriert: „Die Prinzessin, nachdem sie die glücklichste der Frauen und die glanzvollste der Königinnen Europas gewesen war, war bis zu dem Grad erniedrigt worden, dass die Königin ihr die geringsten Gegenstände schicken musste, derer sie bedurfte.“7 Aber englische Verhältnisse, die ein Jahr später zur Hinrichtung von Karl I. und wenig später auch zu einer konstitutionellen Monarchie führten, waren in Frankreich nicht denkbar. Es fehlte nicht nur an einem Cromwell, sondern auch an einem revolutionären Staatskonzept. Diesseits des Kanals ging es lediglich um Partikularinteressen

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zwischen den die Gesellschaft tragenden Kräften und speziell um den Vorrang der Macht zwischen Krone und Parlament. Um die Prärogative der Krone zu wahren, entschloss sich Mazarin, der lange gezögert hatte, im August 1648 zu einer Gewaltaktion, die wenig seinem flexibel-ausweichenden Charakter entsprach. Er wartete lediglich, bis der Prinz de Condé, der wegen seiner siegreichen Schlachten immer mehr zum „Großen Condé“ wurde, am 20. des Monats bei Lens einen weiteren Sieg über die Spanier erzielt hatte, und gab, als das Volk sechs Tage später ein weiteres Mal in Notre-Dame vom Siegestaumel erfasst und zum Te Deum vereint war, den Befehl, drei Parlamentarier zu verhaften. Einer, Potier de Blancmesnil, wurde vor Ort festgenommen, ein zweiter namens Charton konnte fliehen, und ein dritter, der sich mit würdigem Bart als römischer Republikaner stilisierende Pierre Broussel, war zu Hause geblieben und löste bei seiner Verhaftung einen Volksaufstand aus. Broussel, der wegen seiner prinzipientreuen Haltung verehrt wurde, begründete seine Abwesenheit von dem feierlichen Staatsakt damit, dass er an einem „Durchlauf“ leide, welche Unpässlichkeit stets als diplomatische Ausrede benutzt wurde. Als Commings, Leutnant der königlichen Garde, mit dem Verhaftungsbefehl in dessen Haus erschien, saß die Familie beim Mittagsmahl, und der Hausherr versuchte unter Hinweis auf seinen medizinischen Notstand sich der Verhaftung zu entziehen. Nicht nur sorgte das Gejammer der Familie für eine erhebliche Verzögerung, währenddessen schrie auch eine Bedienstete alarmschlagend aus dem Fenster, dass Broussel die Verhaftung drohe, was sogleich eine tumultuöse Menschenansammlung nach sich zog. Nur mühsam gelang es dem Gardeoffizier, das geachtete Parlamentsmitglied ohne Mantel und in Pantoffeln in Gewahrsam zu nehmen – Broussel wurde nicht ins Palais Royal gebracht, sondern ins Gefängnis von Saint-Germain. Damit war das Signal für einen sich schnell ausbreitenden Volks-

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Pierre Broussel, Rat des Pariser Parlaments, wurde 1648 in Haft genommen – die Folge war der Aufstand des Parlaments und der Bau von Barrikaden in Paris. Zeitgenössische Gravur.

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Paul de Gondi, der spätere Kardinal Retz (1613–1679), der als Frondeur Mazarin herausforderte, der aber lebenslang nicht Erzbischof von Paris wurde, was Ludwig XIV. verhinderte. Porträt der Zeit.

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aufstand gegeben, der sich zum Bürgerkrieg entwickelte und unter dem Namen „La Fronde“ in die Geschichte Frankreichs eingegangen ist – er wurde auch später immer wieder als Synonym benutzt, wenn gesellschaftliche Kräfte aufeinanderprallten. Die Herkunft des Begriffs verdankte sich dem kleinkriminellen Straßenkampf, in dem sich Banden von Pariser Straßenjungen der Steinschleuder „la fronde“ bedienten – gegen Passanten, die Polizei und gegeneinander. Nun war die Krone der gemeinsame Gegner für die diversen sich unmittelbar auf der Straße zum Kampf gruppierenden Kräfte, und diese Gegnerschaft fand ihr Symbol in der Schleuder, die, als Modezeichen stilisiert, zum Verkaufsschlager wurde und sogar ihren Weg in die Frisur der mehr oder weniger feinen Damen fand. In diesem zunehmend aufständischen Paris setzte sich sogleich der Kirchenmann Paul de Gondi, der spätere Kardinal Retz, dessen Familie einst im Gefolge von Katharina de’ Medici nach Frankreich gelangt war, in Szene. Sein Onkel war Erzbischof von Paris, und die Königin hatte ihm die Position des Koadjutors zugestanden, die ihn beim Tode des Erzbischofs automatisch zu dessen Nachfolger machen würde. Unter abenteuerlichen Umständen gelang dies später auch, als Ludwig XIV. seine Ernennung zum Kardinal und zum Erzbischof zwar nicht verhindern konnte, ihn aber lebenslang von der Ausübung des hohen Kirchenamtes fernzuhalten wusste. Jetzt im Jahr 1648 war der Mann 35 Jahre alt, ein Frauenheld, was seine mehr als verehrende Zuneigung zu Anna von Österreich einschloss. Zudem bekannte er freimütig, „eine Seele“ zu besitzen, „die sogar auf das Universum bezogen vielleicht am weitesten von der Kirche entfernt“ sei.8 Sein politischer Ehrgeiz war nahezu unbegrenzt, und er sah seine Stunde gekommen, die ihn auf der Woge des Volksaufstandes bis in die Position des Ersten Ministers tragen sollte. Er suchte nun seine Rolle zwischen Parlament und Volk einerseits und der Krone andererseits – ein gewagter Spagat.

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Inzwischen war die Stadt in offenem Aufruhr, die Sturmglocke wurde geläutet, und nicht weniger als 1200 Ketten wurden quer über die Straßen gezogen und alsbald zu festen Barrikaden ausgebaut. In diesem sich schnell ausbreitenden Chaos begegnete der Marschall de La Meilleraye, der sich an der Spitze einer Kompanie der Garde und der leichten Reiterei den Weg durch die aufgewühlte Menge bahnte – Kinder bewarfen die Gardisten mit Steinen –, auf dem Pont Neuf dem Koadjutor. Sie beschlossen, da der Ernst der Lage ihnen unmittelbar vor Augen war, als Augenzeugen gemeinsam der Königin darüber im Palais Royal Bericht zu erstatten. Anna von Österreich, umgeben von Mazarin, dem Herzog d’Orléans, dem Herzog de Longueville und dem Gardehauptmann Guitaut, reagierte brüsk, als ihr die Hauptforderung der Aufständischen vorgetragen wurde – die Freilassung von Broussel. Schon seit Wochen über den Konflikt informiert und nun über die unsichere Lage erregt, antwortete sie hochroten Kopfes dem berichtenden Kirchenmann in einer Mischung aus Wut und Verachtung: „Ich verstehe Sie, Herr Koadjutor, Sie möchten, dass ich Broussel die Freiheit zurückgebe: Ich würde ihn eher mit meinen eigenen Händen erwürgen!“9 Mazarin, der Gondi als möglichen Verbündeten nicht verlieren wollte, versuchte, die Königin zu beschwichtigen: „Mein Gott, Madame, dass alle mit solchem Ernst wie der Herr Koadjutor sprächen. Er fürchtet um die Herde seiner Gläubigen, er fürchtet um die Stadt, er fürchtet um die Autorität Eurer Majestät. Ich bin überzeugt, dass die Gefahr schon auf dem Punkt ist, wie er es sich vorstellt; aber der Skrupel über diese Lage ist in ihm eine lobenswerte Religion.“10 Der Kardinal Retz, der Jahrzehnte später in seinen „Mémoires“ diese Szene wohl nicht ohne zusätzliche Überspitzung geschildert hat, konnte seinem Bericht dennoch Beachtung verschaffen. Am Ende versprach Mazarin, der stets etwas gewährte, wenn es mit einem ebenso großen Gegenwert verbunden war, die Freilassung Broussels unter

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28. August 1648 – „Tag der Barrikaden“ in Paris. Zeitgenössische Zeichnung.

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der Bedingung, dass das Volk seinen Aufstand beende und sich ruhig in seine Häuser zurückziehe. Als der Koadjutor für dieses Versprechen eine schriftliche Zusage der Königin verlangte, zog sie sich brüsk in ihre Gemächer zurück, und man antwortete ihm, dass das Wort der Königin größeren Wert habe als alles Geschriebene. Er wusste um die Falle und spendete, als er sich zurückzog, den Segen nach allen Seiten. Später teilte er einem Vertrauten schriftlich mit: „Sie können wahrlich glauben, dass dieser Auftrag mich nicht daran hinderte, mir alle angemessenen Gedanken über die schwierige Lage zu machen, in der ich mich befand.“11 Trotzdem gelang es ihm, sich beim aufgebrachten Volk so viel Respekt zu verschaffen, dass es die Waffen niederlegte. Mit dieser positiven Nachricht kehrte er ins Palais Royal zurück, wo man jedoch seinen Erfolg als rhetorisch aufgebauscht bewertete, wie man schon den Grad der Volksunruhe für übertrieben gehalten hatte. Missmutig und scheinbar gnädig verabschiedete Anna von Österreich den enttäuschten Kirchenmann: „Gehen Sie sich ausruhen, Monsieur, Sie haben gut gearbeitet.“12 Der ambitiöse Koadjutor sah sich eher verspottet als in seinem Verdienst anerkannt, Paris vor dem Chaos des Volksaufstandes gerettet zu haben. In diesem Augenblick wechselte er, wie er es später in seinen Memoiren darstellte, das Lager – von der Treue zur Krone zur Agitation des Volkes. Nun betrachtete er auch die Gegenleistung für die Gunst Annas von Österreich, ihn ins Amt des Koadjutors erhoben zu haben, als erbracht und abgegolten. Der nächste Tag brachte, zumal während der Nacht der Ausbau der Barrikaden fortgesetzt worden war, keine Entspannung, und als der Kanzler Séguier mit dem Auftrag ins Parlament geschickt wurde, die Ratsherren sollten das Volk zur Ruhe bringen, kam er nicht weit. Seine Karosse wurde vor den Barrikaden blockiert, und als er zu Fuß seinen Weg fortsetzen wollte, erkannte ihn das Volk, verfolgte ihn hartnäckig und schrie drohend, ihn in Stücke reißen zu wollen, um die

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Stücke sodann auf den öffentlichen Plätzen zur Schau zu stellen, wie man einst mit großen Verbrechern verfahren sei. Er konnte sich gerade noch in das Hôtel de Luynes flüchten, wo eine Dienerin ihn in einer Abstellkammer versteckte. Die aufgebrachte Menge, die seiner nicht habhaft werden konnte, plünderte in ihrer Wut das Palais. Als Anna von Österreich die Abordnung der Parlamentsmitglieder empfing, war sie in ihrem Zorn über den Volksaufstand noch zum Widerstand bereit und zeigte sich den sie bedrängenden Parlamentsräten gegenüber ungnädig. Deren Präsident schilderte ihr die Lage ohne jede Beschönigung: „Sie können nicht mehr sagen: ‚Ich will nicht …‘; es ist nötig, die Realität zu erkennen; man hat sie vor Ihnen verhüllt, um Ihnen zu schmeicheln. Alles ist jetzt möglich; die Aufständischen in der Rue Saint-Honoré, hinter ihrer Barrikade, sind keine zwanzig Schritte von Euren Garden entfernt. Euer Palais ist nicht zu verteidigen, weder der König noch Ihr selbst sind in Sicherheit. Helfen Sie uns, Sie zu retten, indem Sie uns Broussel übergeben.“13 Es bedurfte jedoch noch einer weiteren Eskalation, nachdem Anna von Österreich die Parlamentsräte abgewiesen hatte. Die Räte wurden auf dem Rückweg von der wütenden Volksmenge angegriffen und erneut ins Palais Royal geschickt, wo die Königin, gewiss von Mazarin beraten, noch die Konzession herauszuhandeln versuchte, dass die Freilassung Broussels an die Aufgabe der „Kammer Saint-Louis“ gebunden sei. Mehr als eine Verschiebung von deren nächster Versammlung bis zum Martinstag (11. November) vermochte sie allerdings nicht zu erreichen. Dann musste sie nachgeben und den Befehl zur Freilassung erteilen. Mazarin war in dieser entscheidenden Nacht nicht ohne vielfältige Aktivität geblieben. Nach dem Augenzeugen Nicolas Goulas

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erkundete er selbst die aufrührerische Stadt: „Er verkleidete sich und passierte einige Barrikaden, wo er Schlimmeres hörte, als man ihm berichtet hatte … Andere haben mir versichert, dass er sich keineswegs einer solchen Gefahr aussetzte und nur die Kleidung wechselte, um unerkannt für den Fall entweichen zu können, dass das Volk ins Palais Royal eindringen und sich des Königs bemächtigen würde.“14 Auch Madame de Motteville bestätigt, dass die akute Bedrohung eine Atmosphäre der Unruhe und Fluchtbereitschaft im Palais Royal geschaffen hatte – nicht jedoch bei der Königin: „Ihr ehrenvoller Stolz war so groß, dass sie sich in unserer Anwesenheit damit begnügte, nach den Nachrichten zu fragen, die von Zeit zu Zeit eintrafen; ihr Minister glaubte jedoch, dass er gezwungen wäre, Frankreich zu verlassen. Er kleidete sich in Grau, um sich zur Abreise bereitzuhalten: Die Pferde blieben die ganze Nacht angeschirrt.“15 Mazarin hatte eine Garde um sich versammelt, eine zweite am Ausgang des Palais Royal postiert, zudem waren zahlreiche Musketen in den Pferdeställen zur Verfügung. Im Bois de Boulogne erwarteten ihn einige Reiter, und später hat er auf Italienisch gestanden, „nicht einmal für das ganze Königreich Frankreich würde er noch einmal eine solche Nacht erleben“.16 Auffällig war die noble Statuarik der Königin im Kontrast zu der unruhigen Fluchtbereitschaft ihres Ersten Ministers. Am 28. August 1648 wurde Broussel freigelassen und konnte in sein Haus zurückkehren – Madame de Motteville hat dieses Ereignis bewundernd und indigniert festgehalten: „Die Freudenschreie waren grenzenlos, und niemals war der Triumphzug eines Königs oder eines römischen Kaisers größer als der dieses kleinen Mannes, der nichts Bemerkenswertes aufzuweisen hatte, als Verfechter des öffentlichen Wohls zu sein und Verächter der Steuern.“17 An dem allgemeinen Enthusiasmus dürfte auch der Koadjutor teilgenommen haben sowie der Herzog de Beaufort, der vor Kurzem unter abenteuerlichen Umständen aus der Festung Vincennes hatte fliehen können – ihm war

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ein ähnlich triumphaler Empfang bereitet worden. Anna von Österreich aber musste Bilanz ziehen – auch über Ihren Ersten Minister. Hatte Mazarin zu lange gezögert, die Macht der Regierung zur Geltung zu bringen? Die Königin war entschlossen, den ihr zugefügten Verlust ihrer Souveränität nicht hinzunehmen. Es galt, sich aus der Defensive zu befreien und die Initiative zurückzugewinnen – auf welche Weise auch immer. Die Strategie zur Rückeroberung der königlichen Souveränität wurde schnell gefunden – es war gewiss das Werk Mazarins. Drei Etappen waren vorgesehen: sich aus Paris zu befreien, es danach zu belagern und schließlich durch den Prinzen de Condé erobern zu lassen. So erklärte Anna von Österreich am 12. September ihren Entschluss zu einer Reise mit ihrem Sohn nach Rueil im Westen von Paris, das auf dem halben Weg nach Saint-Germain-en-Laye gelegen ist. Als Begründung galt offiziell die Notwendigkeit, „das Palais Royal reinigen zu lassen, das der Säuberung bedurfte“,18 wie Madame de Motteville festgehalten hat. In Rueil befand sich das Schloss Richelieus, das er seiner Nichte, der Herzogin d’Aiguillon, vermacht hatte. Mazarin hatte dafür Sorge getragen, dass die Besitztümer der Herzogin, die nach dem Tod Ludwigs XIII. bedroht waren, nicht eingezogen wurden. Die somit reich gebliebene Schlossherrin hatte sich dankbar gezeigt und Anna von Österreich noch vor dem Ausbruch der Fronde mit jenen für den Hofstaat notwendigen Geldmitteln versorgt, die sich wegen der fehlenden Steuereinnahmen in der Staatskasse nicht mehr fanden. Aus dieser sicheren Distanz gab Mazarin, natürlich im Namen der Königin, den Befehl zur Verhaftung von zwei potenziellen Gegnern der Krone, die ihr lange gedient hatten, aber nun drohten, zu den Aufständischen von Parlament und Volk überzulaufen. Es dürfte den Ersten Minister einige Überwindung gekostet haben, den etwa gleichaltrigen Grafen de Chavigny in Gewahrsam nehmen zu lassen, war

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dieser doch ein treuer Gefolgsmann von Richelieu und als dessen Minister sogar großzügiger Gastgeber Mazarins bei dessen erster Ankunft in Paris gewesen. Aber er hatte sich schon bald nach dem Tod Ludwigs XIII., als sich sein Ehrgeiz nicht erfüllte, selbst Erster Minister Annas von Österreich zu werden, zu einem verdeckten Feind Mazarins gewandelt. Zudem hatte er, der als Minister für die Festung Vincennes zuständig war, den dort einsitzenden Staatsgefangenen Beaufort so schlecht bewachen lassen, dass er entweichen konnte – wie abenteuerlich sich dessen Ausbruch auch gestaltet hatte. Der zweite der Konspiration gegen die Krone Verdächtige war der Marquis de Châteauneuf, der der voraufgegangenen Generation angehörte und lange Justizminister gewesen war. Unter Richelieu war er in Ungnade gefallen und hatte achtzehn Jahre in der Festung von Angoulême verbracht, ohne dass sein Hochmut und sein Machtanspruch geringer geworden wären. Er hatte die Erlaubnis erhalten, auf seine Ländereien in Montrouge zurückzukehren, von wo aus er ein Netz von Abhängigkeiten in Paris errichtet hatte – er wurde vor Ort festgenommen. Mit Chavigny erlaubte sich Mazarin eine ironische Pointe, denn die „lettre de cachet“ erreichte ihn nur scheinbar zufällig in der Festung von Vincennes, sodass er umgehend von deren Kommandanten zum Gefängnisinsassen wurde – just in der Zelle, in der Beaufort eingesessen hatte. Aus Sicherheitsgründen überführte man ihn alsbald nach Le Havre. Am 20. September 1648 erschien der Prinz de Condé in Rueil – es war seit Längerem sein Wunsch gewesen, die siegreiche Armee auf Zeit zu verlassen, um sich als lorbeerbekränzter Feldherr am Hofe zu präsentieren und jene weitreichenden Vergünstigungen zu fordern, zu denen er sich berechtigt fühlte. Er wurde höchst ehrenvoll empfangen, denn in ihm sah der Hof „den Erneuerer der Staatsgeschäfte, den Rächer der gerade vergangenen Aufstände, den Herkules, der alle Ungeheuer erschlagen würde“.19 Sein Erscheinen in Rueil betrachte-

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ten die Parlamentsräte jedoch als eine Gefahr und schickten eine Delegation zu Anna von Österreich, die ihren Zorn unter Kontrolle zu halten verstand und das Verlangen der Räte, mit ihrem Sohn nach Paris zurückzukehren, zurückwies. Sie könne wie jeder Pariser einen sommerlichen Landaufenthalt beanspruchen, und nach Paris zurückkehren werde sie, wenn es ihr gefalle – natürlich erst nach der Reinigung des Palais Royal. Außerdem erklärte sie, dem Parlament ihr Wohlwollen zu bewahren, wenn es sich dazu bereitfände, seine Befugnisse nicht zu überschreiten. Dieser distanzierenden Formulierungen bedienten sich auch die anwesenden Mitglieder des Hochadels wie Gaston d’Orléans und nicht zuletzt der Prinz de Condé. Nach der Verhaftung von Chavigny und Châteauneuf, deren Klientel nicht untätig blieb, steigerte sich die Kritik des Parlaments an Mazarin – sie betraf nicht nur wie bisher seine Position als Erster Minister, sondern nun auch seine Person und den Ausländer. Der Parlamentspräsident Portier de Navion beklagte, dass es befremdlich sei, sich von einem Fremden beherrscht zu sehen, den der Zufall und nicht seine Herkunft auf den Gipfel des Glücks getragen habe. Außerdem sei Frankreich ausreichend mit großen Männern versehen, sodass „man nicht jene Leute von ungewisser Abstammung berufen müsse“.20 Die Zeit drängte, da der Hof nach allgemeinem Dafürhalten spätestens im nächsten Frühjahr zur Gegenoffensive übergehen müsse. Darüber gab es im Staatsrat zwei gegenteilige Meinungen – die des Marschalls de La Meilleraye, der die königlichen Truppen in der Bastille und im Arsenal zusammenfassen wollte, um von dort aus einen blutigen Straßenkampf gegen die Aufständischen zu führen, und die Gastons d’Orléans, der zudem der Ansicht Mazarins war, dass die Stadt belagert und von jeder Versorgung von Lebensmitteln abgeschnitten werden müsse, was spätestens in zwei Wochen zu deren Kapitulation führen würde.

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Die Zentralfigur für beide Strategien war der Prinz de Condé. Für Mazarin galt es, ihn mit allen Mitteln fest an die Krone zu binden, was trotz seiner Anwesenheit keineswegs gesichert war. Denn der siegreiche Feldherr hielt seine Position offen, indem er heimlich mit dem Koadjutor zusammentraf und auch Kontakte zur parlamentarischen Opposition, etwa mit Broussel, unterhielt. Seine Aufgabe war außerdem, in seiner Familie für eine stabile Rangordnung zu sorgen, denn sein jüngerer Bruder, Prinz de Conti, verlangte nun seinerseits, auch eine militärische Karriere zu beginnen, obgleich er als Nachgeborener für den Dienst in der Kirche bestimmt war. Ihm wurde der nächste Frankreich zustehende Kardinalshut versprochen, was Streit mit Gaston d’Orléans auslöste, denn dessen graue Eminenz, der Abbé de La Rivière, war seit Langem für diese Auszeichnung vorgesehen und musste mit komplizierten Kompensationen zum Verzicht bewogen werden. Anna von Österreich war mit ihren Söhnen inzwischen, wie es das Parlament gefordert hatte, nach Paris zurückgekehrt, und dort kam es zu schwierigen Verhandlungen zwischen dem Hof und dem Parlament, wobei die Parlamentsopposition als pikante Variante durchsetzen konnte, dass Mazarin von den Gesprächen ausgeschlossen wurde und damit nur indirekt Einfluss nehmen konnte. Zwangsläufig verhärteten sich die Fronten, und am Ende sah sich Anna von Österreich derart radikalen Forderungen gegenüber, dass ein einschneidender Verlust ihrer Souveränität die Folge gewesen wäre. So wählte sie, wie sie es gegenüber dem Testament ihres Gemahls getan hatte, die juristische Ausweichmethode, vorher schriftlich ihre Zustimmung als nicht bindend zu erklären und zu dokumentieren – wozu diesmal als Garant nicht ein Notar des aufständischen Parlaments infrage kam. Sie wählte deshalb als Zeugen ihres geheimen Widerrufs Gaston d’Orléans und den Prinzen de Condé: „Was man dem Parlament zugesteht, ist so völlig außergewöhnlich und ihm

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gegenüber unmöglich einzuhalten, ohne den besten Teil des Königtums aufzugeben. Seine Majestät beabsichtigt, es nicht einzuhalten, und wird, wenn die Zeit dafür günstig ist, erklären und sagen, dass sie dazu gezwungen worden ist.“21 Die Ironie der Geschichte will es, dass Anna von Österreich exakt am 24. Oktober 1648 diese Absichtserklärung unterschrieb, als in Osnabrück und Münster der Friedensvertrag zum Abschluss des Dreißigjährigen Krieges unterzeichnet wurde, der Frankreich, wie geschildert, einen großen Gewinn an geographischer Größe und politischer Macht bescherte. Doch in Frankreich blieben Mazarins große Erfolge in der Außenpolitik in der unmittelbaren Folgezeit nahezu ohne Beachtung, und er beklagte sich am 30. Oktober gegenüber Servien: „Sie werden mir zugestehen, dass es einer leidgeprüften Hingabe und eines außerordentlichen Eifers bedarf, um, wie ich es tue, meinen Einsatz für das öffentliche Wohl zu verdoppeln, während man mich in dieser Zeit so schlecht behandelt, dass es mir erlaubt sein dürfte, ohne Eitelkeit zu sagen, dass man eine reiche Frucht aus meinen Schmerzen zieht.“22 Nun verlangte die Innenpolitik Frankreichs von ihm einen ähnlich seine Kräfte aufzehrenden Einsatz. Aber zunächst galt es, in engem Zusammenspiel mit der Königin zweimal hochpolitisches Theater zu spielen, um den Prinzen de Condé für die Krone zu gewinnen und die Krone vor dem aufständischen Paris zu retten. Der glorreiche Feldherr zögerte noch immer, obgleich er inzwischen mit immer neuen Vergünstigungen bedacht worden war. Am Ende inszenierte Mazarin zu dessen endgültiger Verführung seine eigene Abwertung – ihm vorgespielt von der Königin, doch das Regiebuch hatte er selbst geschrieben: „Es ist notwendig, dass die Königin sich gegenüber dem Prinzen in besonderer Weise darüber beklagt, von mir nachlässig behandelt zu werden und dass ein solches Verhalten nicht ihre Zunei-

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gung erhöhe; dass es nötig sei, wenn sie zukünftig besser ihre Maßnahmen ergreife, jene Personen zu erkennen, die mehr Wert darauf legten, dem Parlament zu schaden als dem König – bis zum Kardinal, dem Gott helfen und nicht jene schlechte Behandlung gestatten möge, die sie erfahren habe, und sogar im Namen des Königs … und an ihrer eigenen Person … dass dies alles ungestraft bleibe; dass sie einen Minister haben könnte, der sich mehr um die Beleidigungen kümmere, denen sie ausgesetzt sei, als ich es getan habe.“23 Es war eine indirekte Aufforderung an Condé, seinerseits den ersten Rang im Staatsrat einzunehmen – an ihrer Seite. Am Ende wurde der Feldherr gewonnen und erinnerte sich seiner ererbten Position in der königlichen Dynastie: „Ich heiße Louis de Bourbon, und ich will nicht die Krone ins Wanken bringen.“24 Nachdem die Entscheidung Condés, die Monarchie der Bourbonen mit militärischem Einsatz zur alten Machtfülle zu führen, am Ende durch Täuschung erreicht war, galt es nun, auch das aufrührerische Paris mit seinen nach der Macht greifenden Parlamentsräten zu täuschen. Es ging um die Person des jungen Königs, die Inkarnation der monarchistischen Macht, die auch von den Parlamentsherren nicht infrage gestellt wurde – sie sollte in der Stadt sein und bleiben, nicht zuletzt um dem politischen Druck ihrer Gegner ausgesetzt zu werden. Aus dieser Falle zu entfliehen, war für Anna von Österreich eine Existenzfrage der Krone, und wieder brachte Mazarin die schauspielerischen Talente der Regentin zum Einsatz. Am Abend des 5. Januar 1649 – die Szene ist oft beschrieben worden – saß Anna von Österreich, umgeben von ihren Damen, in ihrem

Anna von Österreich mit einem Kinderbild Ludwigs XIV. Gemälde des 17. Jahrhunderts.

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kleinen Kabinett und schaute dem Spiel des jungen Königs zu, dem sie versprach, ihn am nächsten Morgen mit nach Val de Grace zu ihrem traditionellen Besuch bei den dortigen Nonnen zu nehmen. Madame de Motteville hat die Regentin genau beobachtet: „Die Königin verbrachte den Rest des Abends mit der gleichen geistigen Gelassenheit, die sie in allen Handlungen ihres Lebens bewahrte; sie erschien nur noch heiterer als gewöhnlich.“25 Das Bohnenspiel des Dreikönigstages, das den Gewinn jenem zuspricht, der die Bohne in seinem Teil des Gebäcks findet, machte Anna von Österreich zur Bohnenkönigin. Ihr wurde die Papierkrone aufgesetzt, und sie trank sogar einen Schluck Wein, was zu den fröhlichen Erstaunensschreien führte: „Die Königin trinkt“ – sie trank sonst nie Wein. Als das Gerücht in der Gesprächsrunde auftauchte, die Königin werde in dieser Nacht die Stadt verlassen, gab es nur spöttisches Gelächter, denn die fröhliche Familienszene schien dessen sichtbare Widerlegung zu sein: „Wir waren am Ende selbst derart getäuscht, dass wir uns gemeinsam mit ihr über jene lustig machten, die gesagt hatten, sie würde in dieser Nacht abreisen; und niemals erschien sie uns herzlicher und besserer Laune.“26 Um drei Uhr in der Nacht ließ Anna von Österreich ihre beiden Söhne wecken und ankleiden. Sie stieg mit ihnen in eine Karosse, die hinter dem Palais Royal wartete, und gab den Befehl zur Abfahrt. Auf dem Cours-la-Reine erreichte sie jenen Treffpunkt, wo sie mit Gaston d’Orléans und dem Prinzen de Condé zusammentraf – sowie mit deren durch den überraschenden Aufbruch wenig frisierten Gemahlinnen. Hinzu kamen einige eingeweihte Minister und natürlich Mazarin, begleitet von drei seiner Nichten, die vor Kurzem in Paris eingetroffen waren. In der ausgelassenen Stimmung, an einem aufregenden Abenteuer teilzunehmen, brach der kleine Konvoi nach SaintGermain-en-Laye auf. Dort trübte sich die Stimmung merklich ein, als das alte Schloss erreicht war, wo – wie es die Vorsicht verlangt hatte – nichts zum Emp-

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fang vorbereitet war. Es war nicht übermäßig kalt, denn gerade hatte Tauwetter eingesetzt, aber in dem leeren, ausgekühlten Gebäude zu nächtigen, entsprach nicht der erwarteten vergnügungsreichen Landpartie. Mazarin hatte nur vier einfache Feldbetten diskret nach SaintGermain-en-Laye schaffen lassen – eins für die Königin, eins für den König, eins für dessen Bruder und das letzte ohne Bedenken für sich selbst. Unruhe und Unzufriedenheit verbreiteten sich, man kaufte eiligst Stroh zu Wucherpreisen und bettete sich so karg, wie es der hohe gesellschaftliche Rang nie verlangt hatte. Am nächsten Morgen gab es nur eine Person in all dem allgemeinen Unmut, die strahlte. Anna von Österreich wusste, dass sie nun in der Lage war, zur Rache an den Parlamentsräten und an der aufbegehrenden Volksmenge der Stadt überzugehen.

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8. Fronde II – Offensive

arlament und Volk von Paris sahen sich am Morgen des

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6. Januar 1649 der selbstkritischen Einsicht ausgesetzt, im

Kampf um die Initiative des Bürgerkriegs eine einschneidende Niederlage erlitten zu haben. Entsprechend aggressiv gestaltete sich die Wut der Bürger gegen jeden, der mit dem Hof in Verbindung gebracht werden konnte. Das galt vor allem für jene, die aus Königstreue dem Hof nach Saint-Germain-en-Laye folgen wollten. Zu ihnen zählten Madame de Motteville und ihre Schwester, die zwangsläufig von der nächtlichen Flucht ausgeschlossen worden waren: „Die Personen, die dem König treu verbunden und in Paris geblieben waren, waren die Einzigen, die zu beklagen waren, denn das Volk bedrohte sie unaufhörlich.“1 Die Hofdame der Königin hat exakt berichtet, wie sie und ihre Schwester aus Paris zu fliehen versuchten, dass aber das in Richtung Westen gelegene Stadttor Saint-Honoré von Pariser Soldaten streng kontrolliert wurde und alle, die nach Saint-Germain-en-Laye gelangen wollten, daran gehindert wurden. Um jede Wagendurchfahrt zu verhindern und über zusätzliche Bewaffnung zu verfügen, war das Straßenpflaster aufgerissen worden. Die beiden königstreuen Frauen wurden bedroht und retteten sich in die Kirche Saint-Roch und dort auf Knien in das Gebet vor dem Hauptaltar, bis wohin sie von einer wut-

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entbrannten Frau mit dem Vorwurf verfolgt wurden, zur Partei Mazarins zu gehören – es gelte, sie in Stücke zu reißen. Der Curé brachte die Furie schließlich zum Schweigen und begleitete die beiden Frauen schützend bis in ihr Quartier, wo die ansonsten couragierte Hofdame sich eingestand: „Ich bekenne zu meiner Schande, dass ich niemals eine Krankheit hatte, in der ich von größerer Todesangst erfasst wurde. Seit jenem Tag verlangte ich nicht mehr, Paris zu verlassen.“2 Wie taktisch versiert Mazarin die nächtliche Auszugsaktion der Regentin aus Paris organisiert und propagandistisch vorbereitet hatte, konnten die konsternierten Bürger der Stadt an einem Aufruf ersehen, denn dieser trug das Datum des 5. Januar – des Tages zuvor. Er war von dem jungen König unterzeichnet und in jener windungsreichen Phraseologie des Barock verfasst, die alles in einen Satz presste: „Zu unserem sehr großen Missfallen gezwungen, unsere gute Stadt Paris zu verlassen, um nicht länger den bösartigen Absichten von einigen Amtsträgern unseres Pariser Gerichtshofes ausgesetzt zu sein, die Verbindung zu den erklärten Feinden des Staates unterhalten, nach Angriffen auf unsere Autorität … und unter langem Missbrauch unseres guten Willens, was bis zu konspirativen Versuchen führte, sich unserer Person zu bemächtigen, war es unser Wille, auch die Ansicht unserer sehr ehrenvollen Dame und Mutter, Euch von unserer Entscheidung in Kenntnis zu setzen und Euch zu befehlen … alles, was von Euch abhängt, zu tun, und alles zu verhindern, was in unserer besagten Stadt die Ruhe stören und nachteilig für Eure Treue sein könnte.“3 Ziel des Aufrufs war es, die Bürger der Stadt von dem streitbaren Parlament zu trennen, zumal Mazarin von dem Vorsteher der Kaufleute diskret die Information erhalten hatte, dass dieser Konflikt keineswegs in ihrem Interesse sei.

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Nicht nur die Bürger vom Parlament zu trennen, sondern auch das Parlament zu spalten, war Mazarins Plan, und so überbrachte, ebenfalls schon am Tag danach, der Leutnant der königlichen Garde dem Pariser Parlament den Befehl, sich umgehend nach Montargis zu begeben – ins Exil und damit getrennt von der aufgebrachten Volksmenge. Sollte auch nur die Hälfte der Pariser Parlamentsräte dem Befehl nachkommen, wäre die andere Hälfte nicht mehr in der Lage, für das gesamte Parlament zu sprechen. Um Zeit zu gewinnen, ignorierte das Parlament den königlichen Befehl und trat in Streik. Schließlich schickte es eine Delegation zur Regentin nach Saint-Germain-enLaye, doch wurde ihr dort der Empfang verweigert. Die Parlamentsräte gerieten, als ihre Delegation erfolglos und zudem durch die Abweisung gedemütigt nach Paris zurückkehrte, in die allgemeine aufrührerische Empörung. Nun wurde Mazarin zum direkten Ziel ihrer Attacken, und unisono erklärten sie den Ersten Minister zum „notorischen Verursacher der staatlichen Unruhen und des gegenwärtigen Übels … und zum Störer der öffentlichen Ruhe, Feind des Königs und seines Staates“.4 Ihm wurde auferlegt, sich binnen eines Tages vom königlichen Hof und in acht Tagen aus Frankreich zu entfernen – danach sei er vogelfrei, und jedwede Person, die ihn aufnehme, sei es ebenfalls. Es war die offene Kriegserklärung. Gegen das Votum des Ratspräsidenten Mathieu Molé, doch einige Zeit der überprüfenden Reflexion verstreichen zu lassen, beschloss das Parlament, Truppen auszuheben, um die Stadt zu verteidigen, und für deren Sold zusätzliche Steuern zu erheben. Auch versäumte man nicht, das von Mazarin bewohnte Palais zu plündern und dessen Mobiliar zu Spottpreisen zu versteigern.

Anne-Geneviève de Bourbon-Condé, Herzogin de Longueville (1619–1679). Kupferstich nach einem Gemälde von Anselm von Hulle.

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Das Resultat der Attacken, die Mazarin gegen das Parlament geführt hatte, war wenig ermutigend für den Hof, denn anstatt es im Exil zerstreut zu sehen, stand es nun unter Waffen. Um die militärische Stärke von Paris zu steigern, war der Koadjutor, nachdem er die Bürger erfolgreich aufgewiegelt hatte, zudem bestrebt, den Aufstand durch das Engagement von Teilen des Adels zu verstärken. Mochte der Prinz de Condé sich zur Treue gegenüber Anna von Österreich verpflichtet haben, schon seine engsten Verwandten wendeten sich vom Hof ab. Seine Schwester, die schöne Herzogin de Longueville, war vorgeblich nur deshalb in der Januarnacht dem Hof nicht nach Saint-Germain-en-Laye gefolgt, weil eine fortgeschrittene Schwangerschaft sie daran gehindert habe. Nun wurde erkennbar, dass ihre Absicht gewesen war, bei den Aufständischen in der Stadt zu bleiben. Um ihre Solidarität mit dem Volk von Paris unter persönlichen Beweis zu stellen, bezog sie sogar Quartier im Rathaus und brachte dort einen Sohn zur Welt. Der Vater des Kindes war der von ihr seinerzeit bevorzugte Verehrer, der Herzog de La Rochefoucauld, und das Kind erhielt den ihrer Parteinahme verpflichteten Namen Charles-Paris, getauft natürlich vom Koadjutor. Die Herzogin de Longueville, der ihr 24 Jahre älterer Gemahl jede Freiheit in der Wahl ihrer Liebhaber ließ, wie sie ihm jede sexuelle Freizügigkeit gestattete, verband mit ihm jedoch die politische Hoffnung auf eine Adelsrevolte. Noch einmal, wenn auch verspätet, sollten die ritterlichen Gefolgsleute des Königs ihre hochrangigen und einflussreichen Plätze an der Seite des Monarchen einnehmen, und so kam es bei der sonst unter ihnen herrschenden Rivalität zu einer gemeinsamen Interessenlage und einer militärischen Solidarität. Die Herzogin zog sogar ihren jüngeren Bruder, den verwachsenen Prinzen de Conti, auf ihre Seite, und das hieß auf die Seite der aufständischen Pariser. Das geschah in einer gemeinsam mit seinem Schwager, dem Herzog de Longueville, begangenen nächtlichen Flucht aus Saint-Ger-

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main-en-Laye, wo ihrer beider älterer Bruder, der Prinz de Condé, aus Zorn über ihre Verweigerung der Familiensolidarität sich umso enger mit der Krone verband. Es war eine stattliche, aber völlig ungeordnete Gruppe von Hochadligen, die sich nun in Paris einfand und große Mühe hatte, eine leidliche Rangordnung für den militärischen Kampf zustande zu bringen. Der Herzog d’Elbeuf, der aus dem Haus Lothringen stammte, hatte schon am 9. Januar den Hof verlassen. Der Herzog de Beaufort, das erste Gefängnisopfer Mazarins, war ebenso zur Stelle wie der Herzog de Bouillon, der in der Cinq-Mars-Affäre seine Festung Sedan verloren hatte. Ihnen standen jedoch nur schnell angeworbene und meist kriegsunerfahrene Truppen zur Verfügung, die Paris verteidigen und die Wege für die Versorgungskonvois freihalten sollten. Nun begann der ruhmreiche Feldherr Condé die Belagerung der Stadt – den Ring um sie vollständig zu schließen, fehlte ihm die Truppenstärke. Aber die Versorgungswege zu sperren, war seine Armee in der Lage. Zudem gestaltete sich der militärische Widerstand der Verteidiger von Paris ziemlich chaotisch – eines der ersten Opfer wurde der Herzog de La Rochefoucauld, als er gemeinsam mit dem Herzog de Noirmoutier einen Nahrungsmittelkonvoi sichern sollte, der von dem Grafen de Grancey, einem General Condés, angegriffen wurde. Entgegen der Absprache, sich bei einem Angriff gegenseitig zu Hilfe zu kommen, sah sich La Rochefoucauld alsbald allein seinem Schicksal überlassen: „Beim ersten Schuss floh alles, was ich an Truppen hatte, und mein Pferd wurde getötet … Ein Edelmann an meiner Seite stieg von seinem Pferd ab, um es mir zu geben, aber ich konnte es nicht besteigen, da eine der (feindlichen) Reiterschwadronen, die die Flüchtenden verfolgten, zu nah war. An deren Spitze war der Graf de Hollac mit drei weiteren Reitern, die schrien, ich sol-

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Der Herzog de La Rochefoucauld (1613–1680) kämpfte in der Adelsfronde gegen die Krone und schrieb später „Réflexions ou sentences et Maximes morales“.

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le, um mein Leben zu retten, mich ergeben … Ich war entschlossen, das nicht zu akzeptieren, und wollte ihm (dem Grafen de Hollac) meinen Degen in den Leib stoßen, aber ich traf nur die Schulter seines Pferdes, und mein Degen blieb in seinem Sattel stecken … Er schoss auf mich, und der Schuss war so heftig, dass ich zu Boden fiel – fast die ganze Schwadron ritt über mich hinweg … Obgleich meine Verwundung sehr groß war, hatte ich noch die Kraft, mich zu erheben …“5 Mit letzter Kraft und der Hilfe eines Marquis de Sillery gelang es ihm, nach Paris zurückzukehren, aber „meine Verletzung, die groß und gefährlich war, verweigerte mir die Möglichkeit, selbst zu sehen, was im restlichen Verlauf des Krieges passierte“.6 Er wurde am Kopf schwer verletzt und verlor ein Auge. Dieser Krieg verlief nicht zugunsten der Dreierkoalition aus Parlament, Volk und Adel, denn Condé gelang es, durch Aushungern die Stadt Paris zur Friedensbereitschaft zu zwingen. Und Mazarin bemühte sich erfolgreich, der aufständischen Metropole jede Hoffnung auf Entsatz zu nehmen. Der Herzog de Longueville, der als Gouverneur der Normandie nach Rouen gesandt worden war, brachte zwar auch diese Stadt zum Aufruhr gegen die Krone, aber der Graf d’Harcourt versperrte ihm den Weg nach Saint-Germain-en-Laye, wo er für den Hof zur tödlichen Gefahr hätte werden können. Ihre letzte Hoffnung setzten die Pariser Aufständischen auf den Feldherrn Turenne, den jüngeren Bruder des Herzogs de Bouillon, der in Süddeutschland eine königliche Armee kommandierte. Dem Ersten Minister, der ihn um seine Herrschaft über Sedan gebracht hatte, begegnete Bouillon mit krasser Ablehnung. In diese Gegnerschaft gegen Mazarin auch seinen Bruder zu ziehen, gelang ihm nicht nur aufgrund der stabilen brüderlichen Solidarität, sondern auch, weil Turenne den Sturz beziehungsweise die Landesverweisung des Kar-

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dinals nahe glaubte. Dessen Sturz, so hoffte Bouillon, würde ihm eine unbegrenzte Machtfülle an der Seite der Regentin verschaffen und die Herrschaft über weite Landesteile. Turenne und Mazarin waren seit 1639 miteinander vertraut, als beide in Piemont für den französischen Einfluss in Norditalien agiert hatten – sogar zu einer freundschaftlichen Haltung auf Gegenseitigkeit war es gekommen. Nun aber, 1649, stand der Feldherr vor der Entscheidung, den Treueeid auf den König zu brechen und mit der königlichen Armee den Aufständischen in Paris zu Hilfe zu eilen – die Folge wäre eine demütigende Niederlage und Entmachtung der Regentin gewesen. So bemühte sich Mazarin, dem die schwankende Haltung Turennes nicht verborgen geblieben war, den Feldherrn mit großen Versprechungen, darunter die Position des Gouverneurs von Oberund Unterelsass – der Landgewinn im Westfälischen Frieden erlaubte diese Großzügigkeit –, in der Treue zur Krone zu halten. Es war vergeblich – Turenne ließ zwar Mazarin zunächst noch eine warnende Forderung zukommen: „Ich beschrieb dem Kardinal mit großen Klagen das Unglück, in dem sich unsere Familie befand, und ich erwartete eine verbindliche Abhilfe, die mich verpflichten würde, auch zukünftig sein Diener zu sein.“7 Doch bald danach erfolgte der Bruch, der dem Kardinal durch einen Spion zur Kenntnis gebracht wurde: „Ich kann nicht mehr der Diener des Kardinals sein.“8 Der stets wachsame Mazarin hatte offensichtlich auch diesen Treuebruch Turennes vorausgesehen und besondere Vorsorge getroffen. Die französischen Truppen in Deutschland waren ohne Soldzahlungen, und das inzwischen vertraglich fixierte Kriegsende mit dem Kaiser würde sie in Armut und Arbeitslosigkeit stürzen. Dieser Lage der Soldaten trug Mazarin Rechnung, indem er einen seiner Bankiers, Barthélemy Harvart, mit 300 000 Écus zu den Offizieren der Armee schickte. Die Summe würde nur unter der Bedingung ausgezahlt werden, dass die Offiziere der Befehlsgewalt Turennes nicht

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länger nachkommen würden. So sah sich der Feldherr von seinen Soldaten verlassen und floh mit wenigen Gefolgsleuten ins Exil nach Brüssel. Bouillon musste in Paris auch diese letzte Hoffnung auf eine Wende des Bürgerkriegs zugunsten der Aufständischen begraben. Woher die enorme Geldsumme stammte, über die Mazarin so kurzfristig verfügen konnte, obgleich die Staatskasse eine eklatante Leere aufwies – davon wird später die Rede sein, wenn es um die finanzartistischen Talente Mazarins und nicht zuletzt um die Methoden seiner Bereicherung gehen wird. Die Offensive Condés, der Paris in die totale Niederlage zwingen wollte, die besonders von der Regentin gefordert wurde, kam jedoch zum Stillstand, als sich eine spanische Armee von Brüssel aus in Richtung Süden in Bewegung setzte. Nun bedurfte es der um Paris agierenden Truppen, und um nicht an den zwei Fronten des inneren Bürgerkriegs und der äußeren Aggression gleichermaßen in Gefahr zu geraten, musste Mazarin den Vorschlag der Pariser Magistratsmitglieder zu einem Verhandlungsfrieden akzeptieren. Schnell einig wurde man sich über den Verhandlungsort – Rueil, gleichsam in der Mitte zwischen Saint-Germain-en-Laye und Paris. Keineswegs schnell einig wurden sich jedoch beide Parteien über die Konditionen des Friedens. Zwar waren die Pariser Bürgerkriegsparteien zum Frieden bereit, zumal ihnen mit der Hinrichtung des englischen Königs Karl I. vor Augen geführt wurde, wie ein Streit über die Höhe neuer Steuern zu einem langjährigen Bürgerkrieg führen konnte. Zu der englischen Konsequenz, den Kopf des Königs zu dessen Füßen zu legen, waren sie indes nicht bereit – die Monarchie stand in Frankreich nicht zur Disposition. Anna von Österreich zog ihrerseits die Konsequenz aus den englischen Ereignissen, dass die Preisgabe des Kardinals sie auf die schiefe Bahn der sukzessiven Entmachtung führen würde und dass sie, „wenn sie ihn weiter stützen würde, sie die königliche Autorität

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Das Parlament von Paris – erster Gerichtstag Ludwigs XIV. am 18. Mai 1643 nach dem Tod Ludwigs XIII. am 14. Mai 1643. Zeitgenössische Handzeichnung.

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wiederherstellen und verhindern würde, dass ihr die Regentschaft entrissen werde“.9 Doch die Verhandlungspositionen lagen weit auseinander, und es begann schon damit, dass die Delegation der Parlamentsräte zur nicht verhandelbaren Bedingung machte, nicht mit Mazarin zu verhandeln, dessen Entmachtung und Entfernung aus Frankreich ihr primäres Ziel war. Aber der Kardinal wich unter Anwendung von zwei getrennten Verhandlungsorten, wie sie in Münster und Osnabrück zum Frieden geführt hatten, nunmehr in Rueil nach derselben Methode geschickt dieser Forderung aus. Man verhandelte separat in zwei Sälen, zwischen denen die Boten in hektischer Bewegung gehalten wurden. Das Ergebnis kam einem Waffenstillstand gleich, und die Nachgiebigkeit, zu der sich die Regentin gezwungen sah – ihr Zorn auf die Aufständischen hatte ursprünglich deren tiefe Demütigung verlangt –, resultierte aus der Gefahr, dass eine weitere spanische Armee die nördliche Grenze Frankreichs überschritten hatte und auf Paris marschierte. Hugues de Lionne hat diese erneut bedrohliche Situation und ihre Folgen in einem Brief an Servien festgehalten: „Die wahre Ursache, dass es notwendig wurde, zu einem Abschluss zu kommen, war, dass sich der Erzherzog näherte … Ohne dessen Erscheinen hätte man keineswegs auf die Bestrafung der Aufständischen verzichten müssen oder hätte sie zumindest ins Exil geschickt.“10 Die Truppen Condés wurden zur Abwehr der spanischen Invasion abgezogen, und das Druckmittel, die Hauptstadt auszuhungern, entfiel. Zwar gelang es, die spanische Armee zum Rückzug zu zwingen, aber erst nach der Unterzeichnung des Vertrages von Rueil am 1. April 1649. Ebenso wie die Regentin mit der Festschreibung des Status quo zufrieden sein musste, so sahen auch die Aufständischen ihre Forderungen nicht im Geringsten erfüllt – der Vertrag trug sogar die Unterschrift Mazarins, mit dem sie keinesfalls hatten verhandeln wollen.

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Zur Entspannung trug bei, dass der Hof für die Sommermonate von Saint-Germain-en-Laye nach Compiègne wechselte. Danach konnte, exakt am 8. August, die Regentin mit großem Pomp, der sie als Siegerin erscheinen lassen sollte, in Paris einziehen – auf der einen Seite ihrer Karosse paradierten zu Pferde der junge König und sein Onkel, Gaston d’Orléans, auf der anderen Condé und Mazarin. Der Erste Minister, der leicht zum Ziel einer Muskete hätte werden können, zeigte sich lächelnd der Volksmenge, die überrascht war und reichlich Beifall spendete: „Sie schworen, dass er ein ehrlicher Mann sei, und sagten, sie seien getäuscht worden, als sie so heftig gegen ihn protestiert hätten.“11 Mazarin war weder der Erste noch der Letzte, der sich über den Wankelmut und die leichte Verführbarkeit der Pariser erstaunt zeigte. Nun war es an den aufständischen Adligen, sich in neuer Loyalität der Regentin zu präsentieren, da ihre Allianz mit dem Parlament mit dem Vertrag von Rueil, den die Räte ausgehandelt hatten, zerbrochen war. Sogar die Herzogin de Longueville fand den Weg ins Palais Royal und zu tiefer Verneigung vor der Königin und dem jungen König. Der Herzog de Vendôme, der sich aus Zorn über die Ernennung von Mazarin zum Ersten Minister früh vom Hof zurückgezogen hatte, bot seine Unterwerfung an, indem er die aufrührerische Aktivität seines zweiten Sohnes, des Herzogs de Beaufort, gegenüber der Regentin missbilligte und dagegen die Heiratsbereitschaft seines ersten Sohnes, des Herzogs de Mercœur, als Versöhnungsgeste anbot. Die Wahl der Braut war ein Skandal für die Mitglieder des Hochadels und eine symbolträchtige Rangerhöhung für Mazarin, der damit zum Mitglied des Hochadels wurde – es war seine älteste Nichte Vittoria, die in Frankreich Laure genannt wurde. Madame de Motteville

Vittoria bzw. Laure Mancini (1635–1657), die älteste Nichte von Kardinal Mazarin. Gemälde von Louis Ferdinand Elle d. Ä.

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hat die beiderseitigen Vorteile der Hochzeit festgehalten: „Sie war vorteilhaft für den Minister und konnte dem Prinzen große Vergünstigungen bringen, der mit diesem Akt hoffen konnte, in hohe Gunst zu gelangen.“12 Es war jene hohe Gunst, die nur Anna von Österreich durch die Vergabe von hohen Ämtern und Pensionen gewähren konnte – natürlich auf Anraten ihres Ersten Ministers. Mazarin war seinerseits nun zu einem Schuldner gegenüber dem Prinzen de Condé geworden, der den Preis für seine Belagerung von Paris verlangte – mit immer neuen Forderungen, nicht nur für seine Familienmitglieder, sondern auch für die Mitglieder seiner politischen Anhängerschaft, deren Treue einzig an die Ämter und Dotationen gebunden war, die er ihnen verschaffte und verschaffen musste. So geriet Mazarin in die erniedrigende Rolle, sich gegenüber nahezu allen Forderungen nachgiebig zu zeigen, auch wenn dazu nicht ausreichend hohe Staatsämter oder Gouverneursposten zur Verfügung standen. In dieser für ihn zunehmend prekären Situation dürfte das Wort des Koadjutors und späteren Kardinals Retz in dessen Memoiren seine Richtigkeit gehabt haben: „Er verspricht alles, weil er nichts einzuhalten entschlossen ist.“13 Der Wahrheit entsprach jedoch auch, dass Mazarin, um den maßlosen Forderungen Condés auszuweichen, sich hinter der Formel versteckte, er werde darüber mit der Regentin sprechen. Als Condé nicht nur den strategischen Ort Pont-de-l’Arche, der die Dominanz in der Normandie garantierte, für seinen Schwager, den Herzog de Longueville, forderte, sondern auch die hohe Position der Admiralität, die bis 1646 der Seeheld Jean Armand de Maillé-Brézé, ein Neffe Richelieus, innegehabt hatte, für sich selbst verlangte, kam es zum Eklat. Denn Mazarin hatte diese hoch dotierte Position bereits dem Vendôme-Clan versprochen – gleichsam als Hochzeitsgeschenk für den Herzog de Mercœur, der seinen Hochadel mit der Nichte Laure zu teilen bereit war – deren Aufstieg musste teuer bezahlt werden.

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Der Erste Minister, bedrängt und gedemütigt von dem siegreichen Feldherrn, wartete auf seine Chance zur Attacke, die stetig näher rückte, da die grenzenlose Gier des Feldherrn ihn zunehmend um seine Popularität und auch um die Würdigung seiner militärischen Lorbeeren bei Hofe brachte. Ebenfalls – und noch gravierender – zu seinem Nachteil war sein herausforderndes Auftreten gegenüber der Regentin, von der er vergeblich ein Tabouret für seine Parteigängerin Madame de Pons forderte. Diese niedrigen Sitzplätze waren, wenn die Königin in ihrem Salon Hof hielt und zum Gespräch einlud, nur den Damen von königlichem Geblüt vorbehalten – alle anderen hatten stehend an der Konversation teilzunehmen. Dieser Absage begegnete Condé mit dem Manöver, dass Madame de Pons, bereits 33 Jahre alt und auch mit Kindern schon reichlich versehen, aber Witwe, in großer Diskretion den Herzog de Richelieu heiratete, einen Neffen des einst allmächtigen Kardinals, allerdings erst achtzehn Jahre alt. Doch der junge Gemahl war im Vollbesitz der ererbten Rechte seines Onkels, und seine Gemahlin hatte somit das Recht auf ein Tabouret. Anna von Österreich konnte in diesem Manöver nur einen Affront auf ihre königliche Würde sehen. Derartige Finessen eines Kleinkrieges, in dem es um veritable Machtpositionen und deren symbolische Rituale ging, ließen Mazarin schließlich zu dem Entschluss einer radikalen Gegenwehr kommen, um die Initiative zurückzugewinnen. Nichts Geringeres als die Verhaftung Condés und seiner engsten Familienmitglieder musste die Konsequenz sein, und Mazarin, der in engster Absprache mit Anna von Österreich die Aktion plante, ließ sich von ihr zugleich einen Freibrief ausstellen, dass er nur ihrem Willen Folge geleistet habe: „Ich erkläre Ihnen, dass mein letzter und absoluter Wille ist, mich der besagten Prinzen ohne Verzögerung zu bemächtigen – es geschieht in der festen Überzeugung, dass es keinen anderen Weg als diesen gibt, um die Krone meines Sohnes, des Königs, zu retten.“14

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Am 18. Januar 1650 vollzog sich der Akt der Entmachtung Condés. Anna von Österreich lud ihn, seinen Bruder Conti, seine Schwester Madame de Longueville und deren Gemahl, den Herzog de Longueville, ins Palais Royal ein. Auch den Adligen von höchstem Rang war verboten, in den Gemächern der Königin Waffen zu tragen. Von den vier Eingeladenen erschienen drei – Madame de Longueville war abwesend, als die königliche Einladung in ihrem Palais eintraf. Dem jungen Ludwig XIV. hatte Mazarin eine kleine Rolle in dieser Inszenierung zur Erhaltung der zukünftigen Machtvollkommenheit der Krone zugewiesen – er begrüßte die Eintreffenden mit der Aufforderung: „Mama sagt, dass man in die Galerie gehen soll.“15 Dort empfing sie der Kommandant der königlichen Garde, und ihre Verhaftung war nur eine Formalität. Die gelungene Aktion hatte einzig den Makel, dass Madame de Longueville die Zeit gefunden hatte, sich ihrer Verhaftung zu entziehen, und in die Normandie geflohen war, an ihrer Seite der ihr in jeden Aufstand folgende Liebhaber La Rochefoucauld. Die Pariser, die ihre Hungersnot infolge der Belagerung Condés noch in frischer Erinnerung hatten, feierten seine Verhaftung mit Freudenfeuern. Für Mazarin galt es nun, die wiedergewonnene Aktionsfreiheit zu nutzen, solange seine Widersacher in den Mauern des Donjons von Vincennes – kalt und unmöbliert – festgehalten wurden. Ziel musste es sein, die Herrschaft über die mehr oder weniger aufständischen Provinzen wiederherzustellen, und dazu wählte der Erste Minister jene traditionelle Rundreise durch das Land, die für eine stabile Loyalität zur Krone sorgen sollte – allerdings in der Variante, dass der von der Armee geschützte Hof nach jeder Etappe in einer Provinz nach Paris zurückkehrte. Die Normandie war das erste Ziel – die Provinz, in die Madame de Longueville sich geflüchtet hatte, bekannte sich mühelos zum Gehorsam gegenüber der Krone, zumal der junge Ludwig XIV. wie eine Ikone präsentiert wurde. Man war gegen höhere Steuern und den Ausländer Mazarin, aber nicht gegen die Monarchie

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– sie war und blieb die unangefochtene Herrschaftsform. Madame de Longueville, die in Dieppe eine Machtposition zu finden gehofft hatte, wurde vom Magistrat zur Abreise gedrängt und konnte auf einem englischen Schiff gerade noch nach Rotterdam fliehen. Ähnlich konfliktfrei gestaltete sich die Reise in die Champagne, wo der Herzog de Vendôme, Gouverneur der Provinz, nun durch die Heirat seines Sohnes mit der Nichte Mazarins für einen unangefochtenen Einzug in Dijon sorgte – waren es in Rouen 300 000 Livres gewesen, die die Normandie als Beweis ihrer Königstreue der Staatskasse spendete, so waren es in Dijon 800 000 Livres für das Burgund. Nur die Festung Bellegarde an der Saône, gut ausgestattet mit Waffen und Lebensmitteln, leistete militärischen Widerstand. Es kam sogar zu einer eher symbolischen Feuertaufe für den jungen König, der sich bis an die Festungsmauern vorwagte, aber dort auf das sichere Danebenschießen der Besatzung rechnen durfte, da deren Königstreue außer Zweifel stand und auch der höchstrangige Offizier sich nicht mit der untilgbaren Schuld eines Königsmordes belasten wollte. Schließlich folgte das ausgehandelte Gegengeschäft von Übergabe der Festung und Amnestie ihrer Besatzung. Im Juli des Jahres 1650, das fast vollständig für solche Loyalitätsexpeditionen genutzt wurde, war das Reiseziel die Provinz Guyenne mit der reichen und weitgehend unabhängigen Stadt Bordeaux, die ihre Weinproduktion eher nach England als in das Innere Frankreichs verkaufte. Dort hatte sich auch der Herzog de Bouillon etabliert, um den Kampf für die Befreiung der Prinzen zu organisieren – 6000 Infanteristen und 1000 Reiter standen bereit, jeden Angriff auf die gut befestigte Stadt abzuwehren. Zudem konnten die Aufständischen auf militärische Verstärkung aus dem nahen Spanien hoffen. Es ging auch um den verhassten Gouverneur der Guyenne, den fallen zu lassen Mazarin sich nicht erlauben konnte, ohne dass die Autorität der Krone Schaden nahm.

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Die Unterwerfung der Provinz musste in einemWaffenstillstand aufgegeben werden, der durch den Einfall Turennes im Norden Frankreichs erzwungen wurde – der Bruder Bouillons marschierte Seite an Seite mit dem österreichischen Erzherzog Leopold Wilhelm, Fürstbischof von Straßburg, auf Paris. So musste Mazarin vor Bordeaux eine Amnestie für Bouillon, die Prinzessin de Condé und den ebenfalls wieder in der Front der Aufständischen präsenten La Rochefoucauld akzeptieren. Seine politisch-militärische Offensive war an ihr Ende gelangt, und der eilige Rückzug nach Paris war geboten, denn Turenne zeigte sich entschlossen und fähig, die Gefangenen in Vincennes zu befreien – sie wurden eilig nach Marcoussis nahe Rambouillet verlegt. In Paris, wohin die erkrankte Anna von Österreich nur in mehreren pausenreichen Etappen gelangt war, brach die Fronde, nun vom Adel dominiert, mit neuer Wucht aus. Mazarin versuchte einen Gegenschlag, indem er die Stadt Rethel an der Aisne, bis wohin Turenne vorgedrungen war, im Dezember angriff – selbst vor Ort anwesend und das strategische Konzept gestaltend, war er sogar zur Präsenz auf dem Schlachtfeld entschlossen, wurde aber von der Gicht daran gehindert, wie er seinen Offizieren eingestehen musste: „Ohne den grausamen Schmerz würde ich mit Ihnen allen dorthin aufbrechen.“16 Es wurde ein glanzvoller Sieg der königlichen Truppen, und Mazarin säumte nicht, nun seinerseits ein Te Deum in Notre-Dame zelebrieren zu lassen, wie es Condé so oft und weihevoll getan hatte. Selbst seine Gegner, die sich in Paris neu gruppierten, waren gezwungen, voll Widerwillen an seiner Siegesfeier teilzunehmen – an erster Stelle der Koadjutor. Nachdem ihm Mazarin den Kardinalshut verweigert und ihn mit einer pfründenreichen Abtei zufriedenzustel-

Gaston d’Orléans, der Onkel des Königs (1608–1660), konspirierte gegen seinen Bruder Ludwig XIII. und kämpfte gegen seinen Neffen Ludwig XIV. Anonymes Porträt der Zeit.

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len versucht hatte, war er zum unversöhnlichen Gegner des Ersten Ministers geworden. Er organisierte eine neue Koalition aus Parlament, Volk und Adel – am Ende gelang es ihm sogar, Gaston d’Orléans von seiner Schwägerin zu trennen. Er, der als Generalleutnant des Königreichs in letzter Instanz über die Befehlsgewalt der königlichen Truppen verfügen konnte und während der Abwesenheit von Anna von Österreich und Mazarin schon erste Vorverhandlungen über einen Frieden mit Spanien geführt hatte, weigerte sich nun, zur Königin ins Palais Royal zu kommen. Als er nicht einmal bereit war, die kranke Königin im Palais de Luxembourg zu empfangen, war deutlich geworden, dass er ins Lager der Aufständischen gewechselt war. Sogar ihr letzter Versuch, ihren Schwager mit einem generösen Angebot zu gewinnen, scheiterte – es war der Vorschlag, ihren Sohn mit der elf Jahre älteren Tochter ihres Schwagers, der Mademoiselle de Montpensier, zu verheiraten, die durch ihr mütterliches Erbe zur reichsten Frau des Königreichs geworden war. Auch dieses Entgegenkommen stieß auf keine Gegenliebe, obgleich seine von grenzenlosem Stolz getriebene Tochter stets behauptet hatte, niemand anderen als Ludwig XIV. heiraten zu wollen. Die aufrührerische Konfrontation, speziell gegen Mazarin und nicht gegen Anna von Österreich und ihre Söhne, spitzte sich zu, und so entschloss sich Mazarin, der den Kampf vor Ort für aussichtslos ansah, zumal das Palais Royal nicht zu verteidigen war, zum Verlassen von Paris und von Frankreich. Am 6. Februar 1651 verabschiedete er sich von der Königin, „die keinerlei Erregung in ihrem Gesicht sehen ließ“, obgleich sie, wie Madame de Motteville hinzufügte, befürchten musste, „dass es das letzte Mal wäre, dass sie ihn sehen würde“.17 Gewandet wie ein Edelmann verließ Mazarin zu Fuß das Palais Royal, und am Stadttor „Richelieu“ erwartete ihn eine starke Eskorte, die ihn sicher nach Saint-Germain-en-Laye gelangen ließ. Doch hatte der Erste Minister, der alle Varianten des Zufalls zu kalkulieren liebte,

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an jedes Stadttor einen wie er selbst gekleideten Mann geschickt. Trotz dieser Flucht, die mehr als ein taktisches Ausweichmanöver war, zumal zahlreiche Risiken der zukünftigen politischen Entwicklung Frankreichs offenblieben, waren Anna von Österreich und Mazarin überzeugt, dass es sich nur um ein zeitweiliges Zurückweichen handeln würde. Es war eine allseits Überraschung, Erstaunen und Verachtung auslösende Reaktion, der sich die Pariser und ihre nun die Stadt dominierenden Aufständischen hingaben. Der politische Zorn darüber, nun nicht mehr die Person Mazarin als greifbaren Gegner zur Verfügung zu haben, machte sich Luft, als am 9. Februar das Parlament seinen Ausweisungsbefehl beschloss: „Innerhalb von fünfzehn Tagen nach diesem Beschluss haben besagter Kardinal Mazarin, seine Verwandtschaft und seine ausländischen Diener das Königreich Frankreich, Land und Städte, die unter der Herrschaft des Königs stehen, zu verlassen – ist besagte Zeit verstrichen, kann gegen sie in außerordentlicher Strenge vorgegangen werden …“18 Er war nunmehr vogelfrei. Für die Nacht desselben Tages plante Anna von Österreich wie zwei Jahre zuvor eine nächtliche Flucht mit ihren Söhnen, um außerhalb von Paris ihre politische Freiheit wiederzugewinnen. Doch diesmal stand ihr nicht Gaston d’Orléans solidarisch zur Seite, sondern war in das Lager ihrer Gegner gewechselt. Auch war er unter den direkten Einfluss des Koadjutors geraten. Diesem gelang es, gemeinsam mit der „Grande Mademoiselle“, der Herzogin von Montpensier, den zögernden Schwager der Königin zu dem Befehl an den Kapitän der Garden, Des Ouches, zu veranlassen, vor Ort persönlich die ungeklärt-verdächtige Situation zu überprüfen. So drang man gemeinsam mit zahlreichen Neugierigen bis in das Schlafgemach des jungen Königs vor. Die Vorbereitungen zu seiner Flucht waren bereits so weit gediehen, dass er zum Verlassen des Palais Royal angekleidet war und in

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der Eile nur unter die Bettdecke fliehen konnte. Die zog er bis zum Hals hoch und simulierte einen tiefen Schlaf. Der Auftrag des Gardekapitäns bestand lediglich darin, sich der Anwesenheit des Königs zu versichern, der seinerseits mit geschlossenen Augen höchst wachsam registrierte, bis zu welchem Grade er unter die Kontrolle der Frondeure und nicht zuletzt des Volkes von Paris geraten war. Er fühlte sich gefangen und entwürdigt. Die Bedrohung seiner Person durch das aufständische Paris begründete früh seine Entscheidung, zu seiner unruhig-unkontrollierbaren Hauptstadt auf Distanz zu gehen und das Zentrum seiner Macht nach Versailles zu verlegen. Später machte er das dortige rustikal-bescheidene Jagdschloss seines Vaters zum glanzvollen Mittelpunkt Frankreichs. Das Trauma des Jahres 1651 ließ das Traumschloss entstehen. Noch in hohem Alter, als er seinem Sohn, dem „Großen Dauphin“, die bittere Erfahrung seiner jungen Jahre als Warnung vor Paris vergegenwärtigen wollte, hat Ludwig XIV. sich im Zorn erinnert: „Es ist notwendig, sich den Zustand des Staates zu vergegenwärtigen: schreckliche Unruhen im ganzen Königreich vor und nach meiner Volljährigkeit; ein widersinniger Krieg, in dem die inneren Unruhen Frankreich um Abertausende Vorteile brachten; ein Prinz meines Geblüts und ein sehr großer Name (Condé) an der Spitze der Feinde; viele Intrigen im Staat; die Parlamente noch im Besitz und in der Ausübung einer angemaßten Autorität.“19 Er wusste lebenslang, dass die Fronde ihn um seine Krone hätte bringen können.

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9. Fronde III – Exil

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ie Flucht Mazarins gestaltete sich keineswegs in hektischer Hast, denn bereits auf dem Weg nach Saint-

Germain-en-Laye verfügte er über eine Reitereskorte von hundert Mann. Die erste von mehreren Etappen zu erreichen, war dennoch von politischer Eile bestimmt. Die inzwischen in Le Havre gefangen gehaltenen Prinzen würden, sobald sich die aufständischen Adligen in Paris von dem Ersten Minister befreit sahen, mit ihrer Befreiung rechnen können, und um dieser weiteren Demütigung zuvorzukommen, inszenierte Mazarin ein Scheinmanöver. Er selbst würde den Akt ihrer Freilassung scheinbar großzügig vollziehen, doch vor allem deshalb, weil er ihn nicht verhindern konnte. Die Herzogin d’Aiguillon, Nichte des Kardinals Richelieu und Gouverneurin der Normandie, ließ seinen Empfang durch den Kommandanten der Zitadelle noch in jener vollen Würde gestalten, die seinem Rang zustand – donnernde Salutschüsse. Dann wurde er, zumal er über die entsprechende Vollmacht der Regentin verfügte, zu den Gefangenen geführt, mit denen über Konditionen ihrer Freilassung zu verhandeln nicht mehr in seiner Macht lag, was Condé überaus bekannt war. Der ruhmreiche Feldherr zeigte sich gegenüber jenem, dem er seine Haft von dreizehn Monaten zu verdanken hatte, von per-

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fekter Grandezza – man tafelte gemeinsam. Mazarin vermochte sodann nicht mehr, als Condé und seinen zwei Mitgefangenen nahezulegen, der Regentin, dem jungen König und ihm selbst gewogen zu bleiben – eine perfekte Komödie, gemeinsam belächelt. Während die Prinzen nach Paris eilten, wo ihnen eine triumphale Begrüßung zuteilwurde, analog dem Fest, mit dem die Pariser vor Jahresfrist ihre Verhaftung gefeiert hatten, zögerte Mazarin in Nordfrankreich, die Grenze zu überschreiten. Denn bei seinem eiligen Aufbruch aus Paris hatte er seine Nichten und Neffen zurücklassen müssen. Anna von Österreich gelang es nun, sie ihm nachzuschicken. Die Familienmitglieder waren schließlich in Péronne vereint, und gemeinsam begab man sich ins Exil. Um der Einladung des Erzbischofs und Kurfürsten von Köln, Maximilian Heinrich von Bayern, der ihm großzügig sein Schloss Brühl als Wohnsitz angeboten hatte, folgen zu können, musste Mazarin durch das Gebiet der Spanischen Niederlande reisen. Der spanische Kriegsgegner zeigte sich generös, wohl nicht ohne den Hintergedanken, den Mann, der nun in Frankreich verfemt war, in das eigene Lager zu ziehen – er erhielt einen Pass für seine Durchreise und zudem eine standesgemäße Eskorte. Nach zweimonatiger Reise fand er in Brühl die notwendige Ruhe zu einer bitteren Bilanz, wie er sie in einem Brief an Madame de Motteville festgehalten hat: „Ich hatte sehr gehofft, Madame, vor den Fremden die schlechte Behandlung, die mir zuteil geworden war, zu verbergen, damit die Schande nicht zurückfalle auf eine Nation, die ich mit so viel Hingabe geehrt und geliebt habe; aber wenn Sie mich mit jenen Personen, die mir am nächsten stehen, herumirren sehen, um Schutz zu finden, werden Sie Grund haben, darüber erstaunt zu sein, einen Kardinal, der die Ehre hat, Taufpate des Königs zu sein, derart behandelt zu sehen und dass die zweiundzwanzig

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Jahre treuen Dienstes ihm nicht einen sicheren Rückzugsort in irgendeiner Ecke des Königreiches verschaffen konnten, dessen Grenzen durch seine Anstrengungen nachweisbar erweitert worden sind.“1 Doch an einen Ort des ruhigen Rückzugs dachte er am wenigsten – seine größte Sorge war, durch seine Abwesenheit im Ausland im Machtzentrum von Paris in Vergessenheit zu geraten und seine dortige Machtposition endgültig zu verlieren. Um diese Gefahr zu bannen oder wenigstens zu verringern, hatte er eine ausländische Region gewählt, die eine möglichst geringe Entfernung zu der französischen Hauptstadt aufwies. Ein anderes Fluchtziel hatten sich seine Gegner in Paris gewünscht – seine Rückkehr nach Rom. Gaston d’Orléans hatte für diesen Fall bereits mit dem Parlament eine Anklage Mazarins vor dem päpstlichen Gerichtshof vorbereitet, da sein Rang als Kardinal ihn vor jeder Anklage durch ein weltliches Gericht schützte. Nur in Rom und dort unter dem negativen Einfluss des Papstes Innozenz X., dessen Wahl er zu verhindern versucht hatte, konnte er durch einen Richterspruch um seine kirchliche Würde gebracht werden. Zu seiner Verurteilung konnte auch beitragen, dass er sich der Zeremonie, den purpurnen Kardinalshut in Rom aus den Händen des Papstes zu erhalten, ebenso entzogen hatte wie dem Ritual, das ihn zum Priester gemacht hätte. In Paris, das nun von dem mit besonderer Arroganz auftretenden Prinzen de Condé beherrscht wurde, versuchte man vieles, um eine Rückkehr Mazarins zu verhindern. Das Parlament fasste den Beschluss, dass dem Staatsrat, der von Mazarin dominiert worden war, niemals wieder ein Ausländer angehören dürfe. Sogar ein weiteres Gesetz, mit Nachdruck von Condé gefordert, war in Vorbereitung, wonach niemals wieder Kardinäle Mitglieder des Staatsrats werden sollten, weil sie der päpstlichen Justiz unterständen – eine Invektive,

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die ebenso und unverhohlen auch auf den Koadjutor zielte, der die Kardinalswürde als sein Familienerbe betrachtete. Es erlangte nicht Gesetzeskraft, was deutlich zeigte, dass die Front der Frondeure erste Risse aufwies. Anna von Österreich, die wider Willen gezwungen wurde, diverse Gesetze, die gegen Mazarin gerichtet waren, zu unterzeichnen, hatte durch die Abwesenheit des Kardinals eine neue politische Bewegungsfreiheit gefunden. Sie empfing, obgleich sie ihn hasste, den Koadjutor sogar zu nächtlichen Séancen in ihrem Gebetsraum, spielte ihm ihre Verführbarkeit vor und zog ihn, von Mazarin aus der Ferne dirigiert, in Opposition zu Condé. Diesen Frontwechsel bezahlte sie jedoch teuer mit dem Versprechen, ihm das Kardinalat seines Onkels und das Erzbistum von Paris bei dessen Tod zu verschaffen, was später erhebliche Schwierigkeiten nach sich zog, als es darum ging, den zum Kardinal Retz aufgestiegenen Koadjutor von der Ausübung seines Amtes als Erzbischof fernzuhalten. Sich aus der Abhängigkeit von Condé zu lösen, hatte der Koadjutor umso mehr Grund, als der ruhmreiche Feldherr auch die geplante Ehe seines Bruders Conti mit der verführerisch-schönen Tochter der Herzogin de Chevreuse auf dem Altar der Familienehre opferte, obgleich die Herzogin durch die Verbindung mit den Condés gerade einen Machtzuwachs ihrer Familie zu erreichen erhofft hatte. Condé nahm nicht zuletzt Anstoß daran, womit auch eine pikante Komponente des Privaten zu dem politischen Chaos beitrug, dass die Braut seines Bruders die Geliebte des Koadjutors war. So wechselten die intrigenfreudige Chevreuse und der agitatorisch hochtalentierte Kirchenmann in das Lager der Regentin. Zunehmend prekärer wurde die Situation für den Koadjutor, der sich, indem er seine Rolle als einer der Anführer der Fronde zugunsten seiner Parteinahme für die Krone aufgab, damit die Gegnerschaft des Parlaments und der Prinzen einhandelte. Einen Höhepunkt erreichte

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Ludwig XIV. wurde am 5. September 1651 volljährig und ritt am 7. September in die „Grande Chambre“ des Pariser Parlaments auf seiner Stute Isabella. Zeitgenössische Druckgraphik.

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dieser politische Spagat des Kirchenmannes, als er am 21. August im Justizpalast in einer Tür eingeklemmt wurde – den Degen von La Rochefoucauld und den Parteigängern Condés, die schon auf ihn gerichtet waren, konnte er sich nur in letzter Sekunde entziehen. Condé selbst, dem das Pariser Pflaster wegen der ständigen Gefahr eines Attentats zu heiß geworden war, zog sich auf sein Schloss Saint-Maur zurück und blieb aus politischer Opposition dem Staatsrat fern, der im Palais Royal tagte. Dort aber sah Anna von Österreich nun endlich den Tag nahen, auf den sie gemeinsam mit Mazarin seit Langem in hoher Erwartung hingelebt hatte – die Volljährigkeit Ludwigs XIV. am 5. September 1651. Am 7. September lief die feierliche und hochpolitische Zeremonie in der „Grande Chambre“ des Pariser Parlaments ab, wohin der junge König auf seiner Stute Isabella ritt – nicht nur sein Gewand, sondern auch die Decke seines Pferdes waren mit goldenen Lilien und den Kreuzen des Heilig-Kreuz-Ordens, der höchsten Auszeichnung Frankreichs, übersät. Sodann vollzog sich der feierliche Akt der Beendigung der Regentschaft Annas von Österreich, deren begrenzte Rechte erloschen und in die volle Souveränität des Königs übergingen. Sie übergab „mit großer Genugtuung“ die Regierungsgeschäfte ihrem Sohn, dessen Fähigkeiten zur Ausübung der Regierung aufgrund seiner Jugend natürlich begrenzt waren. Darüber war er sich im Klaren und antwortete mit einer Formulierung, die gewiss nicht von ihm verfasst worden war, ihm aber in ihrer vollen Tragweite bewusst gewesen sein dürfte: „Madame, ich danke Ihnen für die Sorgfalt, die es Ihnen gefallen hat, auf meine Erziehung und die Regierung meines Königreiches zu verwenden. Ich bitte Sie, damit fortzufahren, mir Ihre guten Ratschläge zuteilwerden zu lassen, und ich wünsche, dass Sie nach mir das höchste Mitglied in meinem Rat sind.“2 Zu der Machtfülle, die sich nun in der Person des Königs konzentrierte, zählte nicht zuletzt die

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Position des höchsten Militärs, des „lieutenant-général“ der königlichen Armeen, die bisher Gaston d’Orléans innegehabt hatte – auch er war in das Lager der Frondeure gewechselt, verfügte aber nun nicht länger über das höchste militärische Kommando. Mochte Condé aus aggressiver Verachtung und politischem Kalkül dem feierlichen Staatsakt ferngeblieben sein, war Mazarin wider Willen zur Abwesenheit gezwungen und harrte nun schon seit Monaten in Brühl aus, stets in der Erwartung, nach Paris zurückgerufen zu werden. Die Entfernung hinderte ihn jedoch nicht, die Politik Frankreichs durch seine permanente Korrespondenz mit Anna von Österreich weiterhin zu bestimmen – auch wenn es eines ausgedehnten und komplizierten Netzes von vertrauensvollen Adressaten bedurfte, um seine Briefe unbemerkt und unbehindert ins Palais Royal gelangen zu lassen. Zugleich erlaubte die erzwungene Distanz zwischen Mazarin und Anna von Österreich, deren direkte verbale Kommunikation im gemeinsam bewohnten Palais Royal nun unterbrochen war, zum ersten Mal einen unverhüllten und indiskreten Blick auf ihre auch persönlich-private Beziehung, über die schon die Zeitgenossen lebhaft spekulierten. Auch die Historiker sind bis heute nicht zu letzter Klarheit gelangt, wollten es bisweilen wohl auch zu einem endgültigen Urteil über die Intimsphäre beider nicht kommen lassen. Der Briefwechsel zwischen beiden ist weder komplett noch in direktem Austausch erhalten. Für die Zeit von Mazarins Exil in Brühl sind nur seine Briefe, für die spätere Zeit der Trennung in Frankreich nur ihre erhalten. Aber in seinen Briefen herrscht sogleich eine Atmosphäre unmittelbarer emotionaler Nähe, wie in seinem Schreiben vom 11. Mai 1651: „Mein Gott! Wie glücklich wäre ich und Sie in Zufriedenheit, wenn Sie in mein Herz schauen könnten oder wenn ich Ihnen schreiben könnte, was darin ist, und sei es nur die Hälfte dessen,

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was ich mir vorstelle. Sie hätten in diesem Fall keine große Mühe, mit mir zu dem Eingeständnis zu gelangen, dass es niemals eine Freundschaft (‚amitié‘) gegeben hat, die an die heranreicht, die ich für Sie empfinde. Ich gestehe Ihnen, dass ich mir nicht hätte vorstellen können, dass sie (die Freundschaft) so weit gehen könnte, dass sie mir jede Zufriedenheit raubt, wenn ich meine Zeit auf etwas anderes verwenden würde, als an Sie zu denken, aber das ist der Fall und bis zu dem Grade, dass es mir unmöglich wäre, mich mit was auch immer zu beschäftigen, wenn ich nicht glaubte, es Eurem Dienst (‚service‘) schuldig zu sein.“3 Die Gefühle der Zuneigung, zu denen sich Mazarin bekennt, sind grenzenlos, aber die Grenzen, dass alles Emotionale im aufopfernden Dienst für die Regentin geschieht, werden respektiert. Er war bestrebt, auch wenn es zum Ritual seines Respekts ihr gegenüber zu gehören schien, seinen Gefühlen die letzte Offenheit einer grenzenlosen Hingabe zu versagen – gewiss um noch weiteren Spielraum für die verbale Steigerung zu haben, aber auch um die gegenseitige Gefühlsfreiheit zu respektieren, wie es in seinem Brief vom 8. August 1651 deutlich wird: „Ich endige, indem ich Ihnen sage, dass Sie sich niemals besser erklären und mir mehr verpflichtende Dinge sagen, als wenn Sie Ihre Feder anhalten und sich daran hindern, gewisse Gefühle zu äußern. Glauben Sie, ich bitte Sie darum, an dieselbe Haltung auf meiner Seite und rechnen Sie zu jeder Zeit und bei jeder Gelegenheit auf Ihren ohne Reserve verpflichteten Diener.“4 Es blieb gegenüber Anna von Österreich eine letzte Distanz der emotionalen Freiheit, die Mazarin nicht antasten wollte und auch nicht anzutasten wagte – das Risiko der gegenseitigen emotionalen Enttäuschung war groß und auch die Gefahr, das gegenseitige politische Vertrauen zu verlieren.

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Trotz aller emotionalen Ovationen an die Königin, wohl auch im Bewusstsein von deren Notwendigkeit, war sich Mazarin ihrer nicht sicher. Er wusste – und seine Gegner in Paris hofften darauf – um das angeblich unbegrenzt gültige Gesetz, dass die Abwesenheit einer Person deren mittel- oder langfristiges Vergessen nach sich zieht. La Rochefoucauld äußerte gegenüber Condé die Zuversicht, dass auch die Entfernung Mazarins im Innern Annas von Österreich diesem Gesetz unterworfen sei – sie habe zwar „eine große Zuneigung zu dem Kardinal, doch diese sei trotzdem nicht unaufhebbar; alle Tage passiert es, dass eine Abneigung zwischen Personen entsteht, die auf das Engste verbunden waren“.5 Die einst engste Freundin Annas von Österreich, die zu jeder Intrige bereite Herzogin de Chevreuse, war sich sicher, dass „man nur den Kardinal Mazarin von der Königin entfernen müsse und dass, sie kenne sie schließlich aus eigener Erfahrung, sie sicher wäre, dass, sobald sie ihn nicht mehr sähe, sie ihn vergessen würde“.6 Es war nicht zuletzt ihre eigene Erfahrung, da der Wechsel ihrer Liebhaber sie nicht im Geringsten betrübte. Auch Mazarin war keineswegs sicher, dass Anna von Österreich ihm ihre Treue und nicht zuletzt den Posten als Ersten Minister bewahren würde. Diese Zweifel erfassten ihn schon bei seiner Flucht aus Paris, da er erwartet hatte, die Regentin sowie ihre beiden Söhne würden ihm ins Exil folgen. Auch hatte sie sich seinem ursprünglichen Plan widersetzt, den Kampf gegen die Frondeure in Paris auszutragen. Es wäre ein Bürgerkrieg mit offenem Ausgang geworden, zumal sie Gaston d’Orléans fürchten musste, der sich die wichtigsten Kommandeure der Stadt verpflichtet hatte. Sie wollte ihre Söhne und die Krone nicht dem Zufall des Straßenkampfes in Paris aussetzen. Mazarin versuchte, aus der Ferne die Einzelheiten ihres Lebens zu beeinflussen, sogar zu bestimmen und zu kontrollieren. Sein Zorn flammte auf, als er erfuhr, dass der junge König im Palais Royal in einem Ballett getanzt hatte. Derart heiteres Treiben schien ihm der

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desperaten Lage, in der sich die Königin befand, nicht angemessen, geradezu frivol. Stattdessen wäre es angemessen gewesen, dass sie und ihre Söhne sich „in allem und überall wie gefangene Personen aufführten, um jedermann zu beeindrucken und Mitleid auf sich zu ziehen“.7 Seine Aufforderung, sich wegen ihrer schlechten Behandlung ins Parlament zu begeben und dort „eine Rede unter Tränen zu halten, wenn es möglich wäre“,8 stieß bei Anna von Österreich auf Ablehnung. Ihr königlicher Stolz verbot ihr, sich zu einer derart erniedrigenden Komödie bereitzufinden. Seine Isolierung ließ ihn in Brühl in tiefe Selbstzweifel fallen, sodass er seine Vertrauensleute in Paris aufforderte, die Königin nachdrücklich an jene treuen und politisch grandiosen Dienste zu erinnern, die er ihr und Frankreich geleistet habe, nicht zuletzt bei der geographischen Vergrößerung des Landes. Er verdächtigte sie sogar einer Gesinnungsänderung und eines Frontwechsels, als ihm durch seine überall und allzeit präsenten Spione übermittelt wurde, dass sie nicht nur Madame de Beauvais an den Hof zurückgerufen hatte, die er aus ihrer Nähe verbannt hatte, sondern auch einen neuen Kanzler ihres Hofstaates berufen habe, just jene Position, die er innegehabt hatte und nicht preisgeben wollte. Seine Klage richtete er jedoch nicht an Anna von Österreich, sondern an einen seiner Vertrauten: „Obgleich ich die Ehre habe, Oberintendant des Hauses der Königin zu sein, welches ein Rang ist, den ich mehr als alle anderen schätze und in dessen Ausübung ich zu sterben beanspruche, beruft man nun jemanden auf diese Position des Kanzlers ihres Hauses, ohne dass ich weiß, was das soll …“9 Zu seiner erhöhten Verbitterung trug auch bei, dass der neue Betreuer des königlichen Hofstaates ein gewisser René de Longueil war, der sowohl, so sein Vorwurf direkt an die Regentin, ein Aufständischer des Parlaments wie auch ein Komplize des Koadjutors sei: „Ich sehe, dass seine Majestät Schritt für Schritt jene beruft und ihnen bei sich Zutritt gewährt, die mich am meisten hassen.“10

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Doch seine Zuneigung zu Anna von Österreich blieb, wie viel Vortäuschung und Doppelbödigkeit auch immer im Spiel war, ungebrochen, und die ihre zu ihm umso mehr, zieht man ihre vierzehn Briefe aus den Jahren 1652/53 zum Vergleich heran, die mehr als dreihundert Jahre unbeachtet in der Nationalbibliothek Frankreichs geruht haben. Anna von Österreich schrieb am 19. August 1652 an Mazarin, nachdem ihrer beider Trennung beendet worden war, sie zu unzweifelhafter Intimität gelangt waren und sich nun auf Zeit wieder trennen mussten – die Chiffrierung ihrer Namen behindert kaum das Verständnis: „Alles ist dem Untergang geweiht oder ich sehe Sie in fünfzehn Tagen wieder. Indem ich dies sage, bin ich außer mir. Träumen Sie, ich bitte Sie, davon, was passieren wird, wenn 26 (er) 22 (sie) sehen wird. Ich sage darüber nicht mehr, denn Sie wissen den Rest, weil (Mazarin) und (Anna von Österreich) in vollkommener Vertrautheit vereint sind, unabhängig davon, was alles unternommen wurde, sie zu entzweien.“11 Nun, da beide bereits die Schwelle von fünfzig Jahren erreicht hatten, fanden sie zu einer Leidenschaft, die Mazarin endlich auch das unangreifbare Vertrauen Annas von Österreich sicherte, das er für seine ungestörte Regierungsarbeit benötigte. Die monatelange Trennung beider hatte Anna von Österreich offensichtlich in eine Emphase sinnlicher Erwartung versetzt, als sie am 26. Januar 1653 an Mazarin schrieb: „Ich weiß nicht mehr, wann ich Ihre Rückkehr erwarten soll, da sich jeden Tag neue Hindernisse auftürmen. Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass ich mich sehr danach sehne und dass ich diese Verzögerung höchst ungeduldig ertrage. Wenn 16 (er)

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wüsste, wie sehr 15 (sie) in dieser Hinsicht leidet, bin ich sicher, er würde darüber sehr gerührt sein. Ich bin im Augenblick nur so stark, dass ich nicht die Kraft finde, ausführlich zu schreiben, und ich weiß nicht recht, was ich sage … (Sie gehört ihm) bis zum letzten Atemzug … Adieu, ich kann nicht mehr. (Er) weiß warum.“12 Es ist der einfachen Logik geschuldet, dass ihre körperliche Trennung ihre körperliche Vereinigung verraten hat. Gerade während des Exils, das Mazarin doch der unmittelbaren Beobachtung und Beurteilung der Pariser Pamphletisten entzogen hatte, erreichte die Produktion der Schmähschriften und Spottgedichte, der „Mazarinaden“, einen Höhepunkt. Deren Phantasie schwärmte in vielerlei sexuelle Unterstellungen aus, natürlich in kritischer Aggressivität getrieben von dem Wunsch, die Regentin und ihren Ersten Minister in der Rolle der Staatsverräter zu zeigen: „Jules, den ich mehr liebe als den König und den Staat, Ich will Dir meine äußerste Leidenschaft beweisen, Indem ich das Königreich zugrunde gehen lasse wie mich selbst, Damit Du Nutzen ziehen kannst aus diesem noblen Attentat.“13 Wider alle gesicherten Fakten, eben aus rein polemischer Wut, kam es dann auch zur Mazarin unterstellten Vaterschaft Ludwigs XIV.: „Ohne die Hilfe von Mazarin, Wo wärst Du, sehr christlicher König? Die Dame Anna, sehr erfahren, Ließ Euch entstehen durch seinen Kanal, Ältester Sohn der Kirche, Ihr entstammt einem Kardinal.“14

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Natürlich wurde dem „Schurken aus Sizilien“ („gredin de Sicile“) auch unterstellt, die Königin Frankreichs mit einer seiner Heimat zugeschriebenen Variante der Sexualität vertraut gemacht zu haben: „Sein Verbrechen ist noch schwärzer, als man denkt. Sie stimmte, die Infame, der italienischen Sünde zu, Und glaubte, ihre Ausschweifung sei weniger vollkommen, Wenn ihr Hintern nicht seine schmutzigen Vergnügungen hätte.“15 Auch ein klassisches Symbol der sexuellen Diffamierung, das ein Jahrhundert später noch passender auf die Beziehung zwischen Madame de Pompadour und dem Marschall Moritz von Sachsen zur Anwendung kam – das Sinnbild von Degen und Scheide –, wurde bemüht. Es geschah etwas zwanghaft, denn der Kardinal Mazarin hatte allenfalls in seiner frühen Jugend einen Degen getragen: „Was den Krieg Frankreichs auslöst, ist, Wie es seine Heiligkeit sagt, Die Klinge seiner Eminenz, Die Scheide Ihrer Majestät.“16 Doch das satirisch-aggressive Spiel der Mazarinaden, das sich während der Fronde in besonderer Üppigkeit entfalten konnte, fand danach bald ein Ende – jedenfalls war das Risiko, das der die Krone diffamierende Polemiker und sein Verleger eingingen, nicht gering. Es konnte die Todesstrafe zur Folge haben, und deshalb blieben die Autoren dieser Produkte vorsichtshalber in der Anonymität, auch wenn einige von ihnen namentlich bekannt wurden. Sechs Jahre später allerdings ließ man sich sogar in den gepflegten Kreisen des Hochadels auf das Wagnis einer Attacke gegen Anna

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von Österreich und Mazarin ein. Zu Ostern 1659 verspürten einige Libertins nicht die geringste Neigung, ihre Zeit mit den langweiligen Zeremonien des Osterfestes am Hof zu vergeuden, und zogen sich auf den Landsitz von Victor de Rochechouart, Herzog de Vivonne, in Roissy zurück. Zu dem exquisiten Kreis der mondänen Freigeister zählte auch Philippe Mancini, jener von seinem Onkel nicht sehr geschätzte Neffe, dem er dennoch im selben Jahr das Herzogtum Nevers gekauft hatte – von ihm wird noch die Rede sein. Als heiteres Sakrileg zelebrierten die Teilnehmer des Zirkels die Taufe von Fröschen und einem Schwein, bevor sie die Tiere töteten – nach ihrer Verarbeitung in der Küche wurden sie anstatt der heiligen Oblaten verspeist. Zum lästerlichen Zeitvertreib gehörte gleichfalls die Spottpoesie auf die königliche Familie. Ein weiterer Teilnehmer, Roger de Bussy-Rabutin, Edelmann aus dem Burgund, übrigens der Vetter von Madame de Sévigné und wegen seiner literarischen Talente vom König zum Mitglied der Académie française erhoben, hielt die diffamierenden Verse schriftlich fest und ließ sie unter dem Titel „Alléluias de Roissy“ sogar zirkulieren. Ein Exemplar gelangte zu dem 21-jährigen Ludwig XIV., der darin über seine Mutter und Mazarin lesen konnte: „Mazarin hat es endlich satt, Eine F… so weit geöffnet zu f…, Die außerdem entsetzlich stinkt. Alléluia!“17 Dieser Rückfall in die frivole Freiheit der Fronde, die Ludwig XIV. lebenslang als Bedrohung im Bewusstsein blieb, wurde umgehend geahndet. Der Chevalier de Bussy-Rabutin musste sich auf das Schloss seiner Väter ins Burgund zurückziehen, und seine Verbannung dauerte nicht weniger als 22 Jahre. Seine Karriere als hoher Offizier fand ein abruptes Ende.

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Doch zurück nach Paris und in die unruhig-aufrührerische Atmosphäre der sich zunehmend bekämpfenden Fraktionen der Fronde. Noch vereinte sie der Hass auf den abwesenden Ersten Minister, und da sie seiner nicht habhaft werden konnten, hielten sie sich an seine Besitztümer. Nach der Versteigerung von dessen Mobiliar bediente man sich seiner Bibliothek, und zwar mit einer aggressiven Zielsetzung. Denn als Mazarin am 24. Dezember 1651 wieder französischen Boden betrat, geschützt durch ein Heer von 6000 Mann, das er selbst angeworben hatte, setzte das Parlament ein Kopfgeld von 50 000 Écus auf ihn aus, das durch die Schleuderpreise für seine überaus exquisite Büchersammlung erzielt wurde. Der Kardinal Mazarin hatte in seinem offiziellen, zunächst nur gemieteten Hôtel Chevry-Tubeuf, das bald den Namen Palais Mazarin trug – es lag an der Stelle der heutigen Alten Nationalbibliothek –, eine höchst breit gestreute Sammlung zusammengetragen, die gleichermaßen wertvolle Gemälde wie seltene Bücher enthielt. Obgleich er selbst kein intensiver Leser war, hatte er in seinem Bibliothekar Gabriel Naudé einen leidenschaftlichen Kenner und Liebhaber bibliophiler Raritäten. Schon in Rom, als Naudé noch in den Diensten des Kardinals Barberini stand, hatte er auch für Mazarin gesammelt und war dann in Paris in dessen Dienste getreten. 40 000 Bücher umfasste die Bibliothek des Kardinals, darunter nicht weniger als 3500 Spezialwerke über Mathematik. Zu besonderer Breite entfaltete sich, wie es für einen Kirchenfürsten gleichsam immanente Pflicht war, seine Sammlung von Bibeln in mehr als zweihundert Sprachen. Eine Novität, die in den Vatikanischen Sammlungen zur Regel geworden war, wo sich schon Michel de Montaigne davon begeistert gezeigt hatte, war der öffentliche Zugang zu den erlesenen Werken. An jedem Donnerstag fanden sich nun auch im Palais Mazarin gebildete Besucher ein, unter ihnen der Astronom Ismaël Bouillaud sowie der Mathematiker und Physiker Pierre Gas-

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sendi, der Freund Descartes’ und dessen wissenschaftlicher Statthalter in Paris. Es ist schwer verständlich und nur durch das Übermaß an blindem Hass zu erklären, das Mazarin in Paris entgegenschlug, dass die Parlamentsräte, die zu der am höchsten gebildeten Schicht der Hauptstadt zählten, sich zu einem derartigen Gewaltakt hinreißen ließen. Als Naudé dem Kardinal mitteilte, wie die Bücher seiner Bibliothek zu Spottpreisen verkauft worden waren, beklagte er nicht nur sich, sondern auch die Franzosen: „Ich gestehe Ihnen, dass ich nicht die Goten, die Vandalen und die noch barbarischeren Nationen zu einem solchen Vorgehen für fähig gehalten hätte.“18 Mit der Genehmigung Mazarins machte sich sein Bibliothekar, der in Paris um seine geliebten Bücher gebracht worden war, auf die Reise nach Stockholm, um die Bibliothek der Königin Christina von Schweden zu ordnen und zu erweitern. In dieselbe Richtung hatte sich schon wenig früher der Philosoph Descartes aus Frankreich und den Niederlanden entfernt, um der hochgebildeten und eigensinnigen Monarchin sein System des Rationalismus nahezubringen – er war darüber jedoch 1650 in Stockholm gestorben. Als Mazarin sich Ende Oktober 1651 nach zehn Monaten im deutschen Exil entschloss, mit eigenem Heer, dessen Soldaten er an der Landesgrenze rekrutierte, nach Frankreich zurückzukehren, flammte der Bürgerkrieg erneut auf und erreichte seine zerstörerischste Periode. Es ist unter Historikern darüber gestritten worden, ob der Kardinal seinem zweiten Heimatland nicht den größten Dienst erwiesen hätte, wenn er im Ausland und fern der französischen Politik geblieben wäre. Dieser Vorwurf betraf seinen eigenen politischen Ehrgeiz, auf den zu verzichten ihm hohen humanitären Ruhm eingebracht hätte. Doch zugleich ist immer wieder und mit Recht betont worden, dass nur die Anwesenheit des politisch initiativreichen Ersten Ministers die Gewähr bieten konnte, dass diese letzte Phase der Fronde, die vom Hochadel bestimmt wurde, zu dessen endgültiger Niederlage führen

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Kampf zwischen den Truppen Condés und denen des Königs unter Turenne im Faubourg Saint-Antoine am 2. Juli 1652. Der Lieblingsneffe des Kardinals, Paolo Mancini, wurde tödlich verletzt. Gemälde der Zeit.

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würde, um das mittelalterliche Feudalsystem zwischen dem König und seinen mit ihm rivalisierenden Vasallen definitiv zu beenden. Diesen Kraftakt, die Monarchie als einzige und zweifelsfrei dominierende Macht in Frankreich zu etablieren, hatte Richelieu nicht vollenden können – es gelang schließlich Mazarin, und keinesfalls zu seiner persönlichen Glorifizierung, sondern zur Erhöhung Ludwigs XIV. über alle innenpolitischen Gegner. Dieses System des Absolutismus sollte selbst seinen Schützling und dessen langjährige Regierung noch über siebzig Jahre hinaus überdauern. Der mit zahlreichen Frontwechseln verbundene dritte Krieg der Fronde begann, als Mazarin mit seiner Armee zu dem königlichen Heer in Poitiers stieß, wohin sich auch der Hof begeben hatte, um die Konfrontation mit dem Prinzen de Condé zu suchen. Dieser wich nach Guyenne aus, wo der Kampf um Bordeaux noch nicht sein Ende gefunden hatte und er auf die Unterstützung Spaniens rechnen konnte, mit dem er hochverräterische Verhandlungen führte. Doch diese Entfernung in den Süden gab dem inzwischen wieder zur Krone gewechselten Feldherrn Turenne die Chance, sich Paris zu nähern und seine Truppen in Saint-Denis in Stellung zu bringen. Wie auf einem Schachbrett wechselte daraufhin Condé in einem Parforceritt ebenfalls in das Umfeld von Paris nach Saint-Cloud und bereitete sich dort mit einem zahlenmäßig eher unterlegenen Heer auf den entscheidenden Kampf gegen die von Turenne geführten Truppen des Königs vor. Am Ostrand von Paris, direkt in den Außenbezirken vor der Bastille, kam es zum Entscheidungskampf. Turenne gelang es, die Truppen Condés wie in eine Sackgasse gegen das östliche Stadttor von Paris zu drängen – seine endgültige Niederlage schien unausweichlich. La Grande Mademoiselle, Anne Marie Louise d’Orléans, die Tochter von Gaston d’Orléans (1627–1693), wollte den König heiraten und ließ die Kanonen der Bastille auf seine Truppen schießen. Porträt um 1680.

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Doch wie in einem Theatercoup öffnete sich plötzlich das massive Stadttor, und die Truppen Condés konnten sich in die Stadt retten. Als ihnen die Soldaten der königlichen Armee folgen wollten, wurden sie zum Opfer von Kanonenkugeln, die von der Plattform der Bastille abgefeuert wurden – sie mussten sich zurückziehen, und das Stadttor schloss sich vor ihnen. Es war gleichsam der romantisch-heroische Höhepunkt und Abschluss der Fronde. Die „Grande Mademoiselle“, die Tochter Gaston d’Orléans, die von den einsam-aufrechten Helden der spätmittelalterlichen Ritterromanen fasziniert und verführt war, hatte ihren stets entscheidungsschwachen Vater dazu gebracht, ihr die Vollmacht über den Einsatz der Kanonen auf der Bastille zu übertragen. Diese wirr-heroische Aktion hatte gravierende Folgen – eine erneute und blutige Fortsetzung des Bürgerkriegs. Mazarin, der auf der Anhöhe von Charonne das blutige Gemetzel beobachtet hatte, äußerte, als einige Kugeln in Richtung auf ihn und den jungen König abgefeuert wurden, den ebenso sarkastischen wie folgenreichen Satz: „Dieser Kanonenschlag hat den Gemahl von Mademoiselle getötet.“19 Denn die hochmütige Heroine hatte es stets als unter ihrer Würde erachtet, jemals einen anderen Mann als den elf Jahre jüngeren Monarchen Frankreichs zu heiraten – jede Hoffnung darauf war von ihrer Kanoneneskapade zerstört worden, und später sollte sie sich in einer Mesalliance verlieren. Aber auch Mazarin zählte sehr direkt zu den Geschädigten dieses heftigen und zudem überflüssigen Gefechts, denn sein junger Neffe Paolo Mancini, der mutig im Heer des Königs gekämpft hatte, wurde so schwer verwundet, dass er wenig später starb. Die Trauer des Kardinals war umso größer, als er in diesem Neffen seinen Nachfolger und Erben gesehen hatte – es blieb ihm nur sein Neffe Philippe Mancini. Nun war Condé wieder Herr der Hauptstadt, die er bereits belagert und beherrscht hatte. Um die Bürger in eine engere Abhängigkeit

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zu sich zu bringen, wurde ein neues Emblem der Fronde erfunden – ein kleiner Strauß Stroh. Er war von jedem Mann zu tragen, meist am Hut, aber auch die Soldaten Condés steckten ihn an ihre Muskete. Sogar den Kopf der Pferde, die die Karossen durch die Stadt zogen, zierte dieses Kennzeichen, das die eindeutige Parteinahme signalisieren sollte: „Keineswegs Mazarin!“20 Doch zeigten sich Gaston und seine Tochter bald von diesem Gesinnungsterror indigniert und gingen auf Distanz – ähnlich wie das wohlsituierte Bürgertum, das ein weiteres Mal in seinem geschäftlichen Treiben gestört war. Die Folge war eine Art Terrorherrschaft Condés über die Stadt, die er, da seine Truppen reduziert und geschwächt waren, nicht verlassen konnte – Turennes starke Armee beherrschte die umliegenden Hügel. Der Hof, nun im nahen Pontoise installiert, verfolgte die Strategie des Abwartens – in der begründeten Erwartung, dass das rigide Regime Condés in der Stadt zu einem Selbstzerstörungsprozess führen würde, der sich zunehmend auch vollzog. Um ihn zu beschleunigen, forderte der König vom Parlament in Paris, sich ihm anzuschließen, und als wenigstens dreißig Parlamentsräte dieser Aufforderung Folge geleistet hatten, wurde deren Versammlung zum „Parlament von Pontoise“ erklärt. Dessen Legitimierung stellte zwangsläufig die Autorität der Pariser Parlamentsmitglieder infrage, die zudem mehr und mehr bestrebt waren, ebenfalls den Weg nach Pontoise zu finden. Um wenigstens auf Zeit das Feindbild Mazarin aus der Ziellinie der Attacken zu nehmen, die weiterhin von den Fronde-Fraktionen in Paris ausgingen – es war nur noch diese Aversion, die sie einte –, kam es zu dessen Entlassung. Er selbst ersuchte den König darum, und der junge Monarch fand in der Entlassungsurkunde, die natürlich von dem Entlassenen formuliert worden war, nur Formulierungen des höchsten Lobes. Zudem äußerte er die Hoffnung, „nicht lange an der Unterdrückung eines Unschuldigen leiden zu müssen“, und erklärte, „mit Bedauern auf einen Minister verzichten zu müssen, der ihm stets mit

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großer Leidenschaft und Treue gedient habe“.21 Mazarin zog sich nach Bouillon zurück, doch auch dieses neue Manöver wurde schnell von den Pamphletisten durchschaut: „Der Mazarin ist nur eine Art Marionette, die sich heute versteckt und sich morgen wieder zeigt … aber der Faden, der ihn vorwärts und rückwärts zieht, ist der der königlichen Autorität“22 – also er selbst. Am 19. August 1652 entfernte sich Mazarin aus Pontoise, und am 26. August erließ der Monarch ein Edikt der Amnestie, wonach „alles Geschehene für nichtig und als nicht stattgefunden“23 erklärt wurde. Ausgenommen von diesem Gnadenakt waren Gaston d’Orléans, Condé, Conti und die Herzogin de Longueville. Bedingung für die Begnadigung war, sich in nur drei Tagen der königlichen Autorität zu unterwerfen. Damit war für die Pariser das Signal gegeben, nicht länger die Terrorherrschaft Condés zu ertragen, und auch für Condé zeichnete sich eine unerträgliche Situation ab, die der Marquis de Montglat in seinen Memoiren festgehalten hat: „Er habe ein so großes Herz, dass er sich niemals dazu hätte entschließen können, vom Kardinal Mazarin abhängig zu sein.“24 Am 13. September verließ Condé Paris – begleitet von den Letzten seiner Getreuen. Nun etablierte sich die königliche Autorität neu und in neuer Machtfülle. Ludwig XIV. zog am 21. Oktober in Paris ein, aber nicht in das Palais Royal, das nicht zu verteidigen war, sondern in den alten Louvre, seinerzeit eine mittelalterliche Festung. Condé wechselte die Front und trat in spanische Dienste, was die Fortsetzung der spanischen Kriegshandlungen gegen Frankreich nun unter dem französischen Feldherrn zur Folge hatte. Gaston d’Orléans erhielt den Befehl, sich nach Orléans zurückzuziehen, eine Verbannung, die acht Jahre später mit seinem Tod endete. Der Koadjutor, den Anna von Österreich in der turbulenten Phase der Fronde auf ihre Seite gezogen hatte, indem sie ihm den Kardinalshut versprach, wurde schließlich von Papst Innozenz X. zu dieser

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Würde erhoben – gegen den entschiedenen Willen Mazarins. Nunmehr Kardinal Retz, konnte der weiterhin zum Widerstand gegen die Krone bereite Kirchenfürst auf die Nachfolge seines Onkels und den Sitz des Erzbischofs von Paris hoffen. Der an Syphilis erkrankte Onkel würde ihm schon bald, was dann im März 1654 geschah, die Chance eröffnen, die hohe und einflussreiche Position des Erzbischofs von Paris einzunehmen. Um dieser Gefahr frühzeitig zu begegnen, ließ Mazarin ihn im Dezember 1652 verhaften – dieser Gegner blieb Mazarin aber noch lange erhalten. Seinen Wiedereinzug nach Paris verzögerte der nun in seiner Machtposition unangefochtene Erste Minister bis zum 3. Februar 1653 – dann aber konnte er einen ungetrübten Triumph erleben. Das Ereignis hat der Herzog de La Force, den Anna von Österreich zum diskreten Beobachter der Stimmung im Volk bestellt hatte, festgehalten: „Ich bewunderte die Unbeständigkeit der Franzosen, die, was den Kardinal Mazarin betrifft, ihn zunächst mit Zetergeschrei bekämpften und sich bei seiner Rückkehr zu Tode drängten, um ihn zu sehen; und selbst jene, die seine größten Feinde gewesen waren, beeilten sich, um sich ihm zu zeigen und ihm ihre Reverenz zu erweisen … Alle Welt sagte laut zum König und zur Königin, dass ganz Frankreich jetzt mazarinistisch sei und dass es niemanden gäbe, der es zu sein sich nicht zum Ruhm anrechne.“25 Die Fronde war schließlich mit der Adelsfronde beendet, und die innenpolitische Macht des Königs war unangefochten. Doch der junge Ludwig XIV. blieb lebenslang wachsam gegenüber der Bedrohung durch seinen Adel. Um sich nicht der Gefahr durch die unkontrollierbare Volksmasse und seine unruhigen Parlamentsmitglieder auszusetzen, wich er später nach Versailles aus, und um seinen Adel ständig kontrollieren zu können, fesselte er ihn dort an seine Feste. Die einst

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mächtigen Vasallen des Königs wurden zu demütigen Höflingen, die schon beim Lever des Herrschers um Gunst und Pfründen buhlten. Entfernt von ihren Ländereien waren sie zur kostspieligen Hofpräsenz und damit zu immer größerer Verschuldung gezwungen. Es war eine geniale Doppelstrategie Ludwigs XIV., sowohl zu Paris auf Distanz zu gehen wie auch seinen einst machtvoll-aufrührerischen Adel im Glanz der königlichen Sonne von Versailles verglühen zu lassen. Aber Ludwig XIV. war auch nicht schuldlos daran, dass sein Adel Ludwig XVI., den letzten Erben seiner zentralistischen Machtpolitik, im Jahre 1789 nicht verteidigte, wie es einst die Vasallen des Königs getan hatten, sondern ihn hilf- und mitleidslos dem Untergang preisgab.

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10. Die grenzenlose Bereicherung

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ie fünf Jahre der Fronde und das erzwungene Exil Mazarins stellten einen tiefen Einschnitt in den inzwischen an-

gehäuften Reichtum Mazarins dar, nicht jedoch in den Methoden, deren er sich zu seiner Bereicherung bediente. Es ging stets nicht nur um klingende Münze, sondern um alles, was sein persönliches Vermögen vergrößern und seinen Rang erhöhen konnte – direkte Dotationen der Königin, Pfründen von Klöstern, Anteile von Steuereinnahmen, Beteiligungen an diversen Geschäften und auch der möglichst günstige, wenn nicht gar kostenlose Erwerb von Kunstgegenständen aller Art – vom flandrischen Wandteppich über reich dekoriertes Mobiliar bis zu den Gemälden großer und kleiner Meister des Abendlandes. Hinzu kamen Erwerbungen, die nicht seinen materiellen Wohlstand steigerten, sondern ihm durch ihren ideellen Wert zusätzlichen Glanz verliehen: das Ansehen eines die Künste fördernden Staatsmannes, seine Leidenschaft für die italienische Oper, der Ruhm des größten Diplomaten seiner Epoche, der sein zweites Heimatland nicht nur geographisch vergrößert, sondern ihm auch den Rang der Europa dominierenden Nation verschafft hatte. Da er jedoch kein ausgewiesener Kenner von Gemälden war, war es ihm gestattet – und niemand wagte daran Anstoß zu nehmen,

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auch wenn seine Auswahl gelegentlich belächelt wurde –, dass er seinem persönlichen Geschmack folgte. So verlangte ihn, in den Besitz eines grandiosen Bildes zu gelangen, das „Die Hochzeit der heiligen Katharina“ darstellte – es gehörte seinem ehemaligen Patron in Rom, dem Kardinal Antonio Barberini. Trotz ihrer alten, fast freundschaftlichen Verbindung wagte Mazarin nicht, es von ihm zu erbitten – zu welchem Preis auch immer, denn das Risiko, mit einer demütigenden Absage konfrontiert zu werden, war zu groß. So wählte er einen Umweg, der für zahlreiche Aktionen zu seiner Bereicherung Methode wurde. Er arrangierte ein offizielles Interesse Annas von Österreich an dem Gemälde, und dieser königlichen Bitte konnte sich der römische Kardinal, der 1646 nach dem Ableben seines Onkels, des Papstes Urban VIII., sogar Schutz am französischen Hof gesucht und gefunden hatte, nicht verweigern. So wanderte das Bild von Rom nach Paris und dort in das Schlafgemach der Königin, die es an der Wand gegenüber ihrem Bett in devotionaler Hingabe bewundern konnte. Doch kaum war der Kardinal Antonio Barberini von der Szene verschwunden, gelangte das Werk in das Eigentum Mazarins, und zwar auf dem Wege der Schenkung, zu der sich Anna von Österreich wie bei zahlreichen anderen Gelegenheiten in nahezu unbegrenzter Großzügigkeit bereitfand. Dem getäuschten römischen Kardinal blieb nur die späte und geringe Genugtuung, nach dem Tod Mazarins den jungen Ludwig XIV. darauf aufmerksam zu machen, dass das Gemälde nicht zur Erbmasse des Ersten Ministers, sondern zum Eigentum der Krone gehöre, weshalb es seinen Weg in die Kunstsammlung des Louvre fand. In dieser trickreichen Akquisition wird der Dreh- und Angelpunkt nicht nur der politischen Aktivität Mazarins, sondern auch seiner ständig zunehmenden Bereicherung sichtbar: die Gunst Annas von Österreich. Aus der Staatskasse floss ihm eine Grundpension von 18 000 Livres zu, dazu kamen 6000 Livres für seinen Sitz im Kronrat,

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als Erster Minister erhielt er 20 000 Livres, und schließlich erreichten ihn weitere 100 000 Livres – deklariert als außerordentliches Gehalt, das für welche Dienste auch immer gezahlt wurde. Dazu kamen für das Amt als Erzieher des Königs 60 000 Livres. Die ebenfalls regelmäßig gezahlten Gehälter für das Amt des Oberintendanten des Hofes der Königin und für die Erziehung des Herzogs von Anjou, des königlichen Bruders, sind in ihrer Höhe nicht überliefert. Die Liste der Mazarin offen und offiziell aus diversen Ämtern zufließenden Einkünfte weist ferner 200 000 Livres für das Amt des Oberintendanten der königlichen Bauten, 80 000 Livres für das Amt des Gouverneurs von Toulon und zwischen 120 000 und 180 000 Livres für die Verwaltung der königlichen Schlossanlage Fontainebleau aus – und doch ist sie damit noch lange nicht an ihr Ende gelangt. Der Versuch, tief beziehungsweise möglichst bis auf den Grund der offiziellen und auch der dubiosen Einkünfte Mazarins vorzudringen, ist der französischen Historikerin Claude Dulong zu verdanken. Aber auch sie stieß an Grenzen, da Mazarin offensichtlich nicht nur zu Lebzeiten, sondern auch nach seinem Tod die Spuren seiner skandalösen Bereicherung verwischt wissen wollte: „Man weiß, dass der Kardinal ein grandioses Vermögen anhäufte; man weiß weniger gut Bescheid über die Methoden von dessen Erwerb – aus dem einfachen Grunde, weil er darauf bedacht war, sie zu verheimlichen. Man weiß ungefähr, was er bei seinem Tode besaß, weil es eine Erbfolge zu regeln galt; man weiß weniger gut, über was er am Beginn seiner Karriere in Frankreich verfügte.“1 Zur charakterlichen Eigenart Mazarins ist zu rechnen, dass er zwar viel Phantasie und Energie zum Einsatz brachte, um möglichst schnell möglichst viel Geld zusammenzutragen, aber dessen Bilanzierung und

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finanztechnische Vermehrung ohne größeren Überblick betrieb. Stattdessen errichtete er ein weitgespanntes Netz von Bankiers in Frankreich sowie in den umliegenden Ländern. Dort waren auf der Basis von gegenseitigem Vertrauen und gemeinsamen Gewinninteressen erfahrene Finanzstrategen für ihn tätig, denen nicht zuletzt die Rolle von Strohmännern zufiel, galt es doch, das ständig sich vergrößernde Vermögen des Ersten Ministers zu verstecken oder wenigstens gegenüber Neugierigen wie den Frondeuren kleinzurechnen. Eine zentrale Figur in diesem weit ausgelegten Versteckspiel seiner Finanzen war der Abbé Monin, den Mazarin früh am Hofe von Savoyen kennengelernt hatte und der gerade dank der geographischen Distanz zu Paris diverse Geschäfte stellvertretend abwickeln konnte. Für diskrete Dienste stand auch der Bankier Contarini zur Verfügung, der nicht nur seinerseits mit zahlreichen Geschäftspartnern assoziiert war, sondern auch einer der offiziellen Bankiers der Krone war. Die diversen Transaktionen reichten vom Waffenhandel über den Zwischenhandel mit Kupfer bis zum Erwerb von Diamanten. Schon 1642, noch bevor er endgültig sein Aktionszentrum nach Paris verlagerte, hatte er in Piemont für die Garnison von Turin, das zwar zu Savoyen gehörte, aber unter französischer Kontrolle war, Kanonen, die dazugehörigen Kugeln und Pulver auf persönliche Rechnung erworben. Als dieses Kriegsmaterial in Norditalien nicht länger benötigt wurde, war er bestrebt, es an die Nordgrenze Frankreichs zu verkaufen – nicht nur durch einen am Gewinn beteiligten Mittelsmann, sondern auch unter der vorgetäuschten Etikette, dass der Verkauf im Namen des Königs geschehe, ja sogar auf dessen Befehl, wie er in einem Brief aus dem Jahre 1645 verrät: „Ich hatte geglaubt, Sie würden verstehen, dass das erwähnte Pulver auf Anordnung des Königs gekauft würde, wodurch die Aktion sich in größerer Ruhe abwickeln lässt, und ich würde mich mit der halben Kommission zufriedengeben.“2 Anfand 1651, als Mazarin noch im Exil war, bedurfte es beim Ver-

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kauf von 615 Doppelzentnern Kupfer eines Mittelsmannes namens Jobart, der 15 Livres pro Unze anbot. Doch der Verkauf verzögerte sich um zwei Jahre, in denen der Kupferpreis auf 90 Livres pro Unze anstieg. Das Geschäft warf Gewinn aber nicht nur aus dieser Differenz ab, sondern dürfte zu einem hundertprozentigen Ertrag geführt haben, da die Ware nicht gekauft war. Sie war wohl, da die Aktion in Le Havre stattfand, ein Teil der Prisenbeute, an der Mazarin als Oberintendant der Meere erst mit einem Viertel, später dann mit einem Drittel beteiligt war – dieses mit hohen Gewinnchancen verbundene Amt war ebenfalls eine großzügige Schenkung der Regentin. Zu den diskreten Geschäften, die der Abbé Mondin im Auftrag Mazarins abzuwickeln hatte, zählte nicht zuletzt der Handel mit Diamanten und wertvollen Steinen. Zu diesem Zweck reiste der geschäftige Abbé in den Jahren 1647/48 nach Portugal – es war das Land, wo die rohen Edelsteine aus Afrika, Amerika und dem Vorderen Orient eintrafen. Zwar galt auch Spanien als ideales Land für den Umschlag derartiger Preziosen, aber da der Krieg mit Spanien auch nach dem Westfälischen Frieden andauerte, war dieser Markt den Franzosen verschlossen oder galt zumindest als risikoreich. So fand sich im Auftrag Mazarins nicht nur der Abbé Mondin in Lissabon ein, sondern auch der Goldschmied Lescot, den der Erste Minister als Experten für edle Steine nach Portugal geschickt hatte – er versteckte seine Identität unter dem Namen „Monsieur de l’Isle“. Nun schrieb Mazarin an Mondin, wie das Geschäft abzuwickeln sei: „Es gibt da eine Anzahl von Diamanten in Lissabon, die zu kaufen Sie ihm Vollmacht geben müssen. Achten Sie darauf, sie sehr sorgsam einzupacken … das Geld … soll er überbringen und gut das Geheimnis wahren, indem Sie es ihm mit eigenen Händen übergeben – mit dem beigefügten Brief. Aber vor allem ist keine Zeit zu verlieren und so viel Geld wie Ihnen möglich zu schicken.

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Achten Sie darauf, dass einzig Sie und Monsieur Contarini das Geschäft machen, um zu verhindern, dass andere als Sie beide darüber die geringste Kenntnis haben. Es ist notwendig, dass Sie beide an Lescot schreiben, damit er sich erinnert, sich besonders damit zu beschäftigen, große Steine zu kaufen und keineswegs Sachen von geringem Wert.“3 Die in Portugal erworbenen Steine fanden dann ihren Weg nach Italien, wo sie unter Aufsicht von Lescot ihren kunstvoll ausgeführten Schliff erhielten, denn für diese Veredelung waren die italienischen Ziseleure die beste Adresse in Europa. Schließlich gelangten die Steine nach Antwerpen, wo Mondin in Kontakt zu einem Vertrauensmann namens Luigi Martini stand, der den Verkauf organisierte – der Gewinn wurde an das Bankhaus Cenani transferiert und blieb häufig im Ausland, allerdings stets zur Disposition Mazarins, wenn die französische Innenpolitik zusätzliche Finanzmittel verlangte, die aus der häufig leeren Staatskasse nicht zur Verfügung standen. Die Diamanten Mazarins haben ihre eigene Geschichte, die vor ihm begann und sich nach ihm lange fortsetzen sollte. Er war fasziniert von den edlen Steinen, bei deren Bewertung er die Sensibilität eines Experten entwickelte. Neben der fast magischen Aura der Diamanten, derer sich die Monarchen über Jahrhunderte zur glanzvollen Legitimierung ihrer Herrschaft bedienten, zählte auch ihre banale Nützlichkeit, die Mazarin während seines Exils zu schätzen lernte. Sie waren bei geringem Volumen von höchstem Wert, ließen sich leicht verbergen und umstandslos bewegen, zudem besaßen sie jenseits der diversen Währungen einen international sicheren und schnell zu realisierenden Handelswert. Der große Diamant „Sancy“, 1657 von Mazarin erworben und testamentarisch Ludwig XIV. vermacht. Heute in der Galerie d’Apollon des Louvre in Paris.

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So besaß Mazarin eine erlesene Sammlung von Diamanten, die zeit seines Lebens einem diskreten Austausch unterworfen war – er kaufte und verkaufte, wie es sowohl die politischen als auch die privaten Erfordernisse verlangten. Ein Diamant aber, der größte und bekannteste jener Epoche, der Sancy, blieb bis zu seinem Tod in seinem Besitz. In mythischem Halbdunkel liegt seine Herkunft, und der erste Besitzer des 55,23 Karat aufweisenden glasklaren Steines soll der Burgunderherzog Karl der Kühne gewesen sein, der ihn 1476 in der Schlacht von Morat im Kampf gegen eine Schweizer Armee verlor – wie sein Leben. Über einen unbekannten Söldner, der sich des Diamanten bemächtigt hatte, gelangte er 1489 nach Portugal und wurde dort Teil der königlichen Juwelen. Für die Summe von 40 000 Livres kaufte ihn 1570 der französische Edelmann Nicolas Harlay de Sancy, der später Finanzminister Heinrichs IV. wurde. Eine symbolische Gunst wurde dem Sieur de Sancy dabei zuteil – der Stein trug fortan und trägt bis heute seinen Namen, obgleich er durch mehrere königliche Hände ging. Obgleich Nicolas de Sancy ihn zahlreichen Hochadligen Frankreichs anbot, fand der wertvolle Stein, von dessen kunstvollem Schliff der Urheber ermittelt werde konnte, einen Käufer erst 1604 in London, wo er von dem Bruder des Sieur de Sancy angeboten wurde. Es war Königin Elisabeth I., die damit ihre Kronjuwelen bereicherte. Als Henrietta Maria von Frankreich, die Gemahlin des englischen Königs Karl I., zurück nach Frankreich fliehen musste, bot ihr der kostbare Stein die Gewähr, ihre Schulden bezahlen zu können, da sie, wie erwähnt, am französischen Hof nicht auf Unterstützung für eine würdige Hofhaltung rechnen konnte. Sie sah sich gezwungen, auf Kredit zu leben, und die nötigen Gelder stellte ihr Mazarin zur Verfügung. Der Erste Minister versorgte auch andere Hochadlige mit der ihnen fehlenden Liquidität, sogar den Herzog d’Orléans, solange sich ihre Beziehung – und das heißt die Beziehung zwischen dem Herzog und

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Anna von Österreich – konfliktfrei gestaltete, was nicht immer der Fall war, und besonders nicht während der Fronde. Zur selben Zeit stiegen die Schulden von Henrietta Maria sukzessive bis zur Höhe von 427 566 Livres, auf die sie einen jährlichen Zins von fünf Prozent zu zahlen hatte. Als die Summe 1657 die Höhe von 597 416 Livres erreicht hatte und ihr absehbar keine Einkünfte aus England, das von revolutionären Unruhen erschüttert wurde, zufließen würden, musste sie sich zum Verkauf ihrer wertvollsten Diamanten entschließen. Es waren der „Sancy“ und der „Spiegel von Portugal“, wobei Letzerer dreißig Karat aufwies, in goldenes Email gefasst und von kleinen Diamanten umkränzt war. Auch diese Verkaufsaktion bedurfte zweier Vermittler, die sich jedoch unter Strohnamen verbargen – es waren der Herzog d’Épernon und der Bankier Barthélemy Hervart, deren sich Mazarin auch bei zahlreichen anderen Geschäften bediente. Er selbst musste und wollte, wie es sein Rang als Kirchenfürst verlangte, im undurchschaubaren Halbdunkel bleiben. Die beiden hochkarätigen Edelsteine wurden auf nur 300 000 Livres geschätzt, wohl um den Preis im Interesse Mazarins gering zu halten. Doch als schließlich Jean-Baptiste Colbert, der 1651 zum Vermögensverwalter Mazarins aufgestiegen war und die Kontrolle über die verwirrend vielfältigen Reichtümer Mazarins übernommen hatte, das Geschäft abwickelte, ging der Sancy zum Preis von 460 000 Livres in das Vermögen des Ersten Ministers über. Sein Wert wurde mit 600 000 Livres veranschlagt, als kurz vor dessen Tode die Transaktion der „18 Mazarins“ an den König stattfand. Diese Schenkung an die Krone erfolgte im Gegengeschäft gegen die Freigabe des großen und in seiner Herkunft teilweise dubiosen Vermögens, das an Mazarins Erben fiel und über das er in seinem Testament frei verfügen konnte. Eine der Bedingungen, unter denen die Schenkung erfolgte, war, dass die Diamanten fortan seinen Namen „Mazarins“ tragen sollten – an diese Bedingung hat sich die Nachwelt

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nicht gehalten. Der Sancy gelangte später über Ludwig XV. und Marie Antoinette, die ihn bei Staatsakten als Symbol ihrer königlichen Würde präsentierten, schließlich in Staatsbesitz und wird heute in der Galerie d’Apollon des Louvre ausgestellt. Zurück in das Halbdunkel, in dem Mazarin seine Bereicherung in unzähligen Varianten fortsetzte. Das galt zwangsläufig auch für seine zwei Paläste in Rom und in Paris. 1641 hatte er den Palazzo Bentivoglio samt der dort vorhandenen Gemäldesammlung für 275 000 Livres erworben – einige kleinere Diamanten erlaubten ihm, die erste Abschlagszahlung zu leisten. Der ihm kreditierte Kaufpreis zog eine gewaltige Verschuldung nach sich, die er allerdings sogar während der Fronde durch hohe Zahlungen so weit zu verringern wusste, dass schließlich auf dem Palazzo Bentivoglio nur eine Restschuld von 15 000 Livres lastete. Da die kostspielige Immobilie in Rom, die er selbst nie bewohnte und nach dem Kauf nicht einmal besichtigte, nur immense Aufwendungen für Unterhalt und Reparaturen verursachte, klagte er in einem Brief: „Was mir großen Ärger bereitet, ist, dass ich ungefähr 40 000 Livres pro Jahr für zwei Häuser bezahle, die ich in Paris und Rom besitze und von denen ich nicht den Tag weiß, an dem ich mich von ihnen befreien kann. Es ist schon seltsam, 40 000 Livres pro Jahr für zwei sehr schöne Unterkünfte in den beiden schönsten Städten Europas zu zahlen und dort nicht zu wohnen.“4 Denn auch mit dem Hôtel Tubeuf, das er in der Rue Neuve-des-PetitsChamps besaß, hatte es die besondere Bewandtnis, dass er es nie bewohnte. Seit 1643 hatte er es gemietet, doch der Eigentümer blieb noch über viele Jahre Jacques Tubeuf. Das hinderte nicht, dass das Gebäude nach Mazarins Wünschen ständig vergrößert und verschönert wurde, ohne dass dieser sich an den Kosten beteiligte. Tubeuf war ein ämter-

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Mazarin in der Galerie seiner Gemälde und Statuen im Hôtel Tubeuf. Kupferstich von Robert Nanteuil und Pierre van Schuppen nach einer Illustration von François Chauveau 1659.

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reicher Mann, zugleich Intendant der Finanzen, Schatzmeister Frankreichs in Riom und Präsident des Rechnungshofes, außerdem übte er einige Ämter im Rahmen der Hofhaltung Annas von Österreich („maison de la reine“) aus – speziell das Amt des Generalkontrolleurs der königlichen Gebäude und Gärten. In dieser Funktion war er vollständig abhängig von Mazarin, der sich das Amt des „surintendant de la maison de la reine“ von der Königin hatte übertragen lassen. Es dürfte nicht die geringste Schwierigkeit bereitet haben, die diversen Aufwendungen für das Hôtel Tubeuf aus dem Etat für die königlichen Gebäude und Gärten zu finanzieren – Tubeuf wusste, was er dem über ihm positionierten Ersten Minister schuldig war. Und dieser, mietfreier Mitbewohner des Palais Royal, bediente sich des Hôtel Tubeuf als Magazin für seine diversen Sammlerobjekte und als Galerie für seine Gemälde. Ebenso wie Tubeuf mehrere Ämter ausübte, die wenig Arbeit, aber gesicherte Einkünfte garantierten, so verfuhr auch Mazarin, allerdings in viel größerem Umfang und mit verfeinerter Raffinesse, indem er die Einkünfte aus diversen Ämtern nicht selbst kassierte, sondern von Strohmännern kassieren ließ. In die delikate Rolle einer Strohfrau geriet sogar – übrigens nicht nur einmal – Anna von Österreich, als es um die Einkünfte aus dem Gouvernement der Auvergne ging. Es war im Geheimen schon dem Ersten Minister übertragen, doch die Königin, zu deren Kronbesitz es gehört hatte, behielt es zum Schein, gab aber die Einkünfte an Mazarin weiter. Es war eine mühelose Transaktion, da Anna von Österreich ihm auch die Verwaltung und Verantwortung ihres Kronvermögens übertragen hatte. Dieses verdeckte Verfahren empfahl sich besonders in den Jahren der Fronde, als Mazarin außer Landes gehen musste und ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt war. Bereits 1646 war ihm das Amt des Großmeisters der Schifffahrt („grand maître de la navigation“) übertragen worden, aber die Königin blieb offizielle Amtsinhaberin und ließ ihm

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die damit verbundenen Einkünfte unauffällig zukommen – erst später wurde es ihm offiziell übertragen. Diese Methode, die er selbst als „combinazione“ bezeichnete, fand Anwendung auch bei der Übertragung von zahlreichen seiner Einkünfte auf Mittelsmänner, die sich häufig sogar hinter Pseudonymen verbargen. Eine Schlüsselrolle fiel dem Abbé Mondin zu, der das recht spärliche Jahresgehalt von 2000 Livres erhielt – sein Auftrag war, diverse für Mazarin bestimmte Zahlungen entgegenzunehmen und zu dessen permanenter, oft dringlicher und kurzfristig abrufbarer Verfügung zu halten. Nun brachte im März 1650 der plötzliche Tod des Abbé Unordnung in das System, doch auch diese Schwierigkeit wurde gemeistert, indem Anna von Österreich alle Einkünfte aus diversen Ämtern auf sich zurückbeorderte und diesen Auftrag rückdatierte, sodass für Mazarins Vermögen keinerlei Schaden entstand. In der Summe bezog er schließlich Einkünfte aus vier Herzogtümern, acht Grafschaften und einundzwanzig Klöstern. Aber es floss nicht nur viel Geld aus diversen Ämtern und Pfründen in Richtung Mazarin und seiner Strohmänner, die zugleich von ihm abhängige Bankiers waren, es gelangten auch in umgekehrter Richtung erhebliche Finanzmittel an die Krone – allerdings als Darlehen, für die Zinsen zu zahlen waren. Auch die Rückzahlung war irgendwann fällig, wie es bei den der Königin Henrietta Maria von Frankreich kreditierten Geldern der Fall war. Diesen sich in beide Richtungen vollziehenden Geldfluss brachte Mazarin schon unmittelbar nach seiner Ankunft in Paris in Gang, indem er, natürlich über seinen Bankier Contarini, einen erheblichen Anteil seiner ihm von der Krone gezahlten Einkünfte an dieselbe zurückfließen ließ. In den ersten Jahren bis 1648 waren es genau 6 895 080 Livres, die er für seine Dienste erhielt, doch nicht weniger als 4 796 353 Livres stellte er der Staatskasse zur Verfügung – zu einem nicht geringen Zinssatz. In diesen Transaktionen kam seine langfristige Absicht zum Ausdruck, sich

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an die Krone Frankreichs bis zum eigenen Finanzrisiko zu binden und damit zugleich auf diskret-sichere Weise seine fortschreitende Bereicherung zu betreiben. Im Prinzip gab es schließlich keine Grenze mehr zwischen der Staatskasse und der persönlichen Schatulle Mazarins. Nach 1651, als Colbert sein Vermögensverwalter und Finanzstratege geworden war, bediente sich Mazarin der Methode, den König zu seinem Schuldner zu machen. Dies verrät seine Korrespondenz mit Colbert, der ihm ein weiteres Kreditgeschäft mit der Krone vorschlug: „Ich wäre der Meinung … dass wir dem König ein Darlehen von 150 000 oder 200 000 Livres bei einem Zinssatz von 15 Prozent geben sollten, an uns ab nächsten Juni rückzahlbar bei der guten Sicherheit wie der des Warenkonvois von Bordeaux oder der Salzsteuer aus dem Languedoc und Lyonnais, die sich gegenwärtig anbieten.“5 Mazarin zeigte sich gewillt, das Kreditgeschäft zu akzeptieren, bestimmte aber selbst die genauen Modalitäten: „Ich stimme zu für 150 000 Livres unter einem entliehenen Namen, wenn Sie es nicht für vorteilhafter halten, daran zu denken, es an Monsieur Tubeuf zu zahlen.“6 Sein Vermieter war auch für die Staatskasse zuständig, und eine Zahlung, die über ihn lief, musste ihn zusätzlich seinem Mieter verpflichten. Zu dem finanziellen Verwirrspiel, das Mazarin entfaltete, auch um den Parlamentsräten den Einblick in die Abläufe der Staatskasse zu verwehren, gehörte als wichtige Voraussetzung, dass Anna von Österreich ihm sowohl die Verwaltung ihres persönlichen Vermögens wie auch die Verfügungsgewalt über die staatlichen Finanzen übertragen hatte. So kam es zu Geschäften, die Mazarin mit sich selbst abwickelte, nicht nur zur eigenen Bereicherung, sondern auch um mit den an ihn zurückfließenden Zinszahlungen die Subsidienzahlungen nach Deutschland oder an die Schweden sowie die Soldzahlungen an die Armee Turennes zu finanzieren, als die Gefahr bestand, dass der Feldherr ins Lager der Frondeure wechseln würde. Mochten die Gelder Mazarins und die des Staates sich auch gelegentlich, wenn es die poli-

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tische Dringlichkeit verlangte, in gegenseitigem Austausch bewegen, ist doch kein Zweifel daran möglich, dass sich in der Gesamtbilanz am Ende stets ein klarer Gewinn zugunsten des Ersten Ministers ergab. Zahlreiche dubiose Transaktionen, die nur dem banalen Ziel seiner schnellen und opulenten Bereicherung dienten, ließ Mazarin geschickt an politische Obligationen binden – veritable oder vorgetäuschte. So entnahm er, nicht selbst, sondern über einen seiner Bankier-Mittelsmänner, aus dem Fonds der Marine, deren Teilhaber er war, überaus leichthändig die Summe von 300 000 Livres. Zur Erklärung für deren Verwendung gab er eine Geheimzahlung an die Republik Venedig an, die der Unterstützung Frankreichs bedürfte, um ihre Kriegsflotte gegen die Türken zu verstärken. Die Zahlung müsse jedoch geheim bleiben, um nicht das Leben der französischen Kaufleute in der Türkei zu gefährden. Durfte die öffentliche Neugier das Leben von Franzosen aufs Spiel setzen? Ein undurchsichtiger Schleier aus patriotischer Verantwortung und persönlicher Raffgier legte sich undurchdringbar über das Verschwinden der keineswegs geringen Geldsumme. Selbst nachdem die Fronde mit einem Sieg der Krone geendet hatte und ihm horrende Entschädigungen für seine Verluste aus der Staatskasse gezahlt worden waren, mochte Mazarin nicht das peinliche Schauspiel aufgeben, sich arm zu rechnen. So lamentierte er 1656 gegenüber dem brillanten Finanzstrategen Nicolas Fouquet, der ihm in politisch prekären Situationen mit hohen Summen zu Hilfe gekommen war: „Ich bin weit in Vorlage mit dem Geld, das ich gegeben habe … Sie werden mühelos glauben, dass mir nichts mehr bleibt, um dem König beizustehen, und dass es nicht leicht ist, stets mit so erheblichen Summen in Vorleistung getreten zu sein, ohne dafür die geringste Sicherheit zu haben …“7 Es ist eine mühsame Forschungsarbeit, bis in jene Geschäftsfelder vorzudringen, in denen Mazarin mit seinen Mittelsmännern aktiv

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war, genauer: bis in jene, in denen er passiv tätig war. Schon der Kanzler Pierre Séguier hatte den inoffiziellen Brauch eingeführt, dass ihm für jeden offiziellen Akt, mit dem er sich von Amts wegen befasste, eine gewisse Summe zufloss, abhängig von der Größe des zu beurkundenden Geschäfts. Mazarin folgte ihm in dieser Praxis, sodass an ihn bei jeder Transaktion, die den Staat als Käufer oder Verkäufer betraf, ein diskretes „Handgeld“ gezahlt wurde. Doch jenen horrenden Einnahmen aus diversen Quellen standen nicht geringe Ausgaben gegenüber. Seine Dienerschaft vom Bibliothekar über diverse Sekretäre bis zum letzten Stallknecht mussten regelmäßig bezahlt werden. Zu den Kosten für die Pferde kamen die für Stallungen und Karossen, ganz abgesehen von den exotischen Tieren, die er in seinem Palais zu seinem Vergnügen beherbergte – nicht zuletzt einige Affen. Besonders die zahlreichen Reisen, vor allem während der Fronde, verursachten hohe Kosten. Auch wenn die Soldaten seiner Garde, die für seine Sicherheit bereitstanden, von der Krone bezahlt wurden, gab es zahlreiche zusätzliche Ausgaben etwa für die Teppichwirker, die für seine flandrischen Wandteppiche und deren Reparaturen verantwortlich waren, oder für seine Garderobe, um die sich sein Kammerdiener Petitjean zu kümmern hatte, der im Namen seines Herrn Schneider, Näherinnen und Wäscherinnen beauftragte. Die Gesamtaufwendungen dürften bei mindestens 255 000 Livres pro Jahr gelegen haben, eine von ihm selbst niedrig angesetzte Summe, denn der Haushalt seines Vorgängers Richelieu hatte bereits 500 000 Livres pro Jahr erfordert. Auf diese Summe dürften die Ausgaben Mazarins für seinen „Hausstand“, zumindest nach der Fronde, mühelos angestiegen sein. Hinzu kamen die Aufwendungen, die seine Soldaten verursachten. Er war seit 1642 Befehlshaber des Regiments Royal-Italien, die zunächst aus acht Kompanien, in den Jahren 1646 bis 1649 dann aus zwölf Kompanien bestand – somit erhöhte sich seine Mannschaftsstär-

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ke von 2000 auf 4500 Soldaten. Mazarins Ausgaben für diese Truppe beliefen sich auf 195 000 Livres pro Jahr, wobei nur selten die geplante Truppenstärke erreicht wurde. Im Jahr 1643 war die Zahl der Soldaten auf die Hälfte geschrumpft, wofür Mazarin zwei Gründe angab – Desertion und Unterschlagungen der Kompanie-Kapitäne, die wie er selbst die Mannschaftsstärke der Kompanien gern hochrechneten und die Differenz der Soldzahlungen einstrichen. Die Desertion sei, so entschuldigte er sich 1643, „unvermeidbares Unglück bei neuen Truppen“,8 von dem er nur hoffen könne, dass es sich nicht wiederhole. Doch den Ausgaben für die Soldaten seines Regiments stand, wie in den Unterlagen seines Bankiers nachgewiesen werden konnte, eine „außerordentliche Kriegszahlung“ in Höhe von 1 671 032 Livres gegenüber – also ein stattliches Plus zu seinen Gunsten. Das Verwirr- und Versteckspiel ließ sich noch steigern, wie das Parlament 1649 in einem Prozess gegen Mazarin nachweisen konnte. Einer der Schatzmeister der außerordentlichen Kriegskasse namens Charles Longuet unterhielt ein Konto beim Bankier Contarini, auf dem sich zugunsten Mazarins 4  267  161 Livres fanden. Schließlich erreichten die Zuwendungen aus der königlichen Kriegskasse nicht weniger als 6 000 000 Livres – zu denen sich später noch eine Zusatzzahlung von 460 000 Livres addierte. Der Erste Minister konnte aus dem Unterhalt für seine Soldaten einen hohen Gewinn erzielen. Ähnlich gestaltete sich die Abrechnung der Kosten für seine Schiffe, die er als „grand maître de la navigation et de commerce“ in ihrer See- und Kampftüchtigkeit zu erhalten hatte – gleichsam als ihr Reeder. Er hatte, da er das höchste Kronamt über alle Aktivitäten der Seefahrt innehatte, die einzelnen Schiffe zu geringen Kosten oder gar ohne jede finanzielle Aufwendung erwerben können. Im Jahr 1645 besaß er eines, 1648 zwei und 1651 fünf, deren Namen „Le Fort“, „Le Berger“, „Le Samson“ und „L’Anna“ lauteten – das Schiff „L’Espérance“ wurde in „La Cardinale“ umgetauft.

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Es gab im Jahre 1648 noch ein Schiff – es war das Geschenk der Königin Christina von Schweden und trug – in ehrender Anspielung auf Mazarin – den Namen „Julius“. Der Name verwies darauf, dass es ein Geschenk der Monarchin aus dem Norden für den Ersten Minister war. Derartige Geschenke waren zwischen den führenden Herrschern Europas und ihren leitenden Ministern keine Seltenheit. Das Schiff ging 1650 verloren, wahrscheinlich im Seekampf gegen Spanien. Auffällig ist, dass sein Wert auf 120 000 Livres geschätzt wurde – stark überhöht für ein Schiff seiner Größe. Wenig spricht dagegen, dass sich Mazarin die künstlich hochgetriebene Summe aus der Staatskasse ersetzen ließ. Ähnlich, nur noch fragwürdiger, hatte sich der Erwerb der Fregatte „L’Anna“ gestaltet. Auch dieses Schiff war ein Geschenk der schwedischen Königin, aber es ging an Anna von Österreich. Nur wenig später ging es allerdings in das Eigentum Mazarins über – vielleicht wollte die Regentin ihn für den Verlust von „Julius“ entschädigen. Da auch die Schiffe „L’Espérance“, „Le Samson“ und „Le Berger“ über Prisen, die der französischen Marine von Toulon gelangen, zu seinem Eigentum wurden, ist der Wahrheitsgehalt seiner Darstellung, er habe die Schiffe mit eigenem Geld erworben, nicht sehr hoch anzusetzen. Das Geschäft mit den Prisen gestaltete sich für Mazarin überaus vorteilhaft, denn es fielen hohe Gewinne an – zunächst für ihn ein Viertel der Kriegsbeute. Wurde ein Schiff des Feindes, also Spaniens, im Mittelmeer aufgebracht, wurde es nach Toulon geleitet, über welche Hafenstadt – wie über Dünkirchen, Antibes, Brouage und La Rochelle – Mazarin auch das Amt des Gouverneurs ausübte. Sowohl die auf dem Schiff mitgeführten Waren wurden versteigert wie das Schiff selbst, was je nach Anteil hohe Gewinne mit sich brachte – für den König, die Kapitäne, die Reeder und nicht zuletzt Mazarin. 1645 fiel die Summe von 60 000 Livres an ihn, 1650 waren es dann bereits 200 000 Livres. Nicht selten wählten die Kapitäne, die sich Mazarin verpflichtet fühlten, noch bevor der Wert einer Prise kontrolliert wurde, jene

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Gegenstände aus, die auf sein Interesse stoßen konnten. So gelangten 1645 die Zeichnungen des Chevalier d’Arpin, die sich im Bauch des Schiffes „Saint-Christophe“ befanden, in seine Hände. Und der Chevalier Garnier, dem vor den Inseln von Hyères die reiche Fracht eines erbeuteten Schiffes zugefallen war, schrieb an den Ersten Minister: „Es fand sich darin ein großer Haufen von Büchern, die ich an die Adresse Eurer Eminenz schicken lasse, damit Sie den Befehl geben können zu prüfen, ob sie von Wert sind.“9 Die Summen, die Mazarin an seine Familie in Rom schickte, lassen sich schwer berechnen, da er sie nur auf 20 000 Livres pro Jahr bezifferte. Es ging auch um den Unterhalt und die Reparaturen am Palazzo Bentivoglio und die Bezahlung des dortigen Personals. Aber er versäumte nicht, den Prachtbau auf Zeit als standesgemäße Residenz an diverse europäische Hochadlige zu vermieten, die ihre Kavalierstour zu den Monumenten der Ewigen Stadt und zur Audienz beim Papst führte. Dennoch lassen sich die Zahlungen, die er in zwei Jahren seinem Vater Pietro Mancini zukommen ließ, auf 57 600 Livres berechnen. Der nach italienischer Sitte enge Zusammenhalt der Familie erforderte auch, für seinen jüngeren Bruder Michele Mazarini zu sorgen, den er nicht nur zum Kardinal und Erzbischof von Aix-en-Provence gemacht, sondern auch in den Dienst des französischen Königs verpflichtet hatte, indem er ihn zum Gouverneur von Katalonien ernannte – dieser Bruder hatte übrigens einen schroffen und beschränkten Charakter. Dessen ungeachtet veranlasste sein Aufstieg die Republik Venedig im Jahr 1645, sich mit einer Galeere um seine Gunst – genauer indirekt um die seines mächtigen Bruders – zu bemühen. Der frühe Tod Michele Mazarinis im Jahr 1648 erlaubte es Mazarin, sich sowohl der venezianischen Galeere wie des Vermögens seines Bruders zu bemächtigen. Im Gegenzug waren Summen in erheblicher Höhe mit der Transferierung mehrerer Familienmitglieder von Italien nach Frank-

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reich verbunden. Auch zahlte der Erste Minister für Ausbildung und Ausstattung seines geliebten Neffen Paolo Mancini nicht weniger als 87 000 Livres – er starb wie erwähnt bereits 1652 im Krieg gegen Condé am östlichen Stadttor von Paris –, und für die drei ersten Nichten Laura und Olympia Mancini sowie Anne-Marie Martinozzi, die noch vor der Fronde nach Paris gekommen waren, nicht weniger als 600 000 Livres. Der Hauptanteil dieser hohen Summe fiel auf die obligatorisch teure Aussteuer der jungen Italienerinnen, die durch Heirat zu französischen Hochadligen aufsteigen sollten, um Mitglied einer hochadligen Familiendynastie mit ihrem Onkel an der Spitze zu werden. Das gelang zumindest in diesen drei Fällen, weniger jedoch bei seinem zweiten Neffen Philippe Mancini – es wird von ihnen wie von den vier weiteren Nichten und einem weiteren Neffen noch die Rede sein. Dagegen hielten sich die Aufwendungen für jene Pensionen und Gratifikationen, die Mazarin für einzelne Dichter seiner Epoche ausgab, in recht engen Grenzen, auch wenn sie nichts Geringeres zum Ziel hatten, als für seinen Ruhm und Nachruhm zu sorgen. Corneille widmete ihm 1644 sein Werk „La mort de Pompée“ („Der Tod des Pompeius“) und erhielt dafür die bescheidene Summe von 1000 Livres. Dennoch war er in seiner Dankesantwort zu höchstem Ruhmesvergleich bereit, wie es zwar der opulenten Rhetorik des Barock entsprach, aber auch von der finanziell erniedrigenden Abhängigkeit der Dichter in jener Epoche kündet: „Wie der große Augustus, einst in deiner Stadt, Liebte, der Erwartung Vergils zuvorzukommen; Jener, den ich wieder aufleben ließ und der in Dir fortlebt, Verhielt sich gegen ihn, wie du es gegen mich tust.“10 Die Bereicherung Mazarins setzte sich nach der Fronde, während der er empfindliche Verluste hatte hinnehmen müssen, ungehindert und

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unbegrenzt fort – mit verstärkter Intensität, da er aufgrund seiner angegriffenen Gesundheit die ihm verbleibende Lebenszeit verkürzt wusste. Sein Reichtum erreichte bei seinem Lebensende die Höhe von 38 Millionen Livres – es war das größte Vermögen, das bis zur Französischen Revolution ein Einzelner aufzuhäufen und zusammenzuraffen verstanden hatte. Unmittelbar nach dem Tod Mazarins verbrannte Colbert im Auftrag Ludwigs XIV. sämtliche Dokumente, die die fragwürdigen Methoden der finanziellen Raffgier Mazarins und seinen in Finanzangelegenheiten skrupellosen Charakter hätten offenkundig machen können. Der junge König gab diesen Befehl jedoch auch, um seinen Zeitgenossen und der Nachwelt jede Einsicht in jene weitgehend gesetzlosen Manipulationen Mazarins zu verwehren, die zur Absicherung und zum Erhalt der absoluten Monarchie notwendig gewesen waren. Auf diese Basis wollte er seine Herrschaft nicht gründen.

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11. Sieben Nichten und drei Neffen

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s gab ein weiteres Motiv für den Kardinal Mazarin, sich immer neue Geldquellen zu erschließen und seinen Reichtum

in immer neue Höhen zu steigern – seine Nichten und Neffen, die er nach Frankreich kommen ließ. Für jede der sieben Nichten, die in die ältesten und einflussreichsten Familien des Hochadels einheirateten, war in der Regel eine Mitgift von mindestens 1,2 Millionen Livres notwendig, abgesehen von ihrem standesgemäßen Unterhalt und ihrer für den Auftritt bei Hofe notwendigen Erziehung. Mit seinen drei Neffen, die in unregelmäßigen Abständen in Frankreich eintrafen, erhoffte er sich, eine Dynastie seines Namens, gleichrangig mit den höchsten Geschlechtern des französischen Adels, zu errichten – auch für ihre standesgemäße Ausbildung und Ausstattung waren Geldmittel in fabulösem Ausmaß erforderlich. Der Römer Mazarin, der den Machtmechanismus der Kurie kannte und engen Umgang mit den Neffen des Papstes Urban VIII. gepflegt hatte, übertrug das System des päpstlichen Nepotismus mit nur geringen Veränderungen auf seine Nichten und Neffen – sie sollten seine Macht in Frankreich stabilisieren und möglichst für mehrere Generationen sichern. Diese Manipulation seiner Familienmitglieder zur Verfestigung der eigenen Machtposition war als großes Projekt

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angelegt, erfüllte jedoch nicht in gewünschtem Ausmaß die Erwartungen des Ersten Ministers. Ihm blieben zahlreiche Enttäuschungen nicht erspart. Eine erste Gruppe von drei Nichten und einem Neffen traf im September 1648 noch vor dem Ausbruch der Fronde in Frankreich ein – es waren Anne-Marie Martinozzi sowie Laura und Olympia Mancini und Paolo Mancini. Sie waren die Kinder seiner zwei Schwestern, von Laura Margareta, die Hieronimo Martinozzi geheiratet hatte, und von Hieronima, die die Ehe mit Lorenzo Mancini eingegangen war. Die ältere Schwester Margareta brachte zwei Töchter zur Welt, die jüngere Hieronima nicht weniger als zehn Kinder, von denen allerdings zwei jung starben. Sämtliche zehn Kinder, einschließlich der beiden Mütter, gelangten sukzessive nach Paris – in Rom zurück blieben nur zwei jüngere Schwestern Mazarins, von denen eine Nonne geworden war. Lorenzo Mancini zog es vor, nicht nach Frankreich umzusiedeln, vielmehr pflegte er in Rom seine Leidenschaft für Horoskope. In Rom blieb schließlich auch der jüngere Bruder Mazarins, Michele, ein eher jähzorniger und brutaler Mann, den der Erste Minister Frankreichs nicht in der Position eines einfachen Mönchs belassen wollte, sondern durch seinen Einfluss bei der Kurie zum Kardinal ernennen und später zusätzlich zum Bischof von Aix-en-Provence aufsteigen ließ. Sogar in die Politik Frankreichs zog Mazarin seinen Bruder – er wurde als Vizekönig nach Katalonien geschickt. Doch er starb schon 1648 an einer Geschlechtskrankheit. Die Gelegenheit zum Spott über den wenig würdigen Tod, der den Bruder des Ersten Ministers ereilt hatte, ließen seine politischen Gegner nicht ungenutzt. Auch die erste Gruppe von Mazarins drei Nichten und einem Neffen blieb bei ihrer Ankunft in Frankreich nicht ohne ironische Beund Verachtung in den „Mazarinaden“ – jenen Versen, die den Ersten Minister lebenslang kritisch begleiteten:

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„Sie haben Augen wie Eulen, Weiß eingewickelt wie ein Kohlkopf, Die Augenbrauen einer verdammten Seele Und die Haut eines Kamins.“1 Für die älteste seiner Nichten, Laura Mancini, hatte sich mitten in der Fronde als heiratsbereiter Hochadliger der Herzog de Mercœur bei Mazarin eingestellt. Dessen Vater, der Herzog de Vendôme, war der legitimierte Sohn aus der Verbindung Heinrichs IV. mit Gabrielle d’Estrées – damit war die blutsmäßig direkte Linie zur königlichen Familie hergestellt. Er hatte, wie erwähnt, die sechzehnjährige Laura Mancini sogar in Brühl geheiratet. Mazarin war im Exil, und seine Machtposition als Erster Minister erschien zumindest als gefährdet. Um jeden Zweifel an der Rechtsgültigkeit dieser Eheschließung im Ausland auszuräumen, denn Mazarin war im Jahr 1651 offiziell zum Staatsfeind Frankreichs erklärt worden, wurde die Ehezeremonie nach seiner Rückkehr im Palais Royal mit großem Pomp wiederholt. Übrigens betrug die von Mazarin gezahlte Mitgift – es war die niedrigste von allen, die er seinen Nichten gewährte – nur 600 000 Livres, und der König, also Anna von Österreich, erhöhte diese Dotation um weitere 100 000 Livres. Der Clan Vendôme-Mercœur, der sich mutig zu Mazarin in dessen Notlage bekannt hatte, konnte nun auf großzügige Förderung und zahlreiche Gunstbeweise des Ersten Ministers rechnen. So erhielt der junge Ehemann von Mazarin das Gouvernement der Provence, und sein Vater fügte noch das Gouvernement der Bretagne und die Admiralitätswürde hinzu. Der junge Herzog, standesgemäß zum Militär Olympia Mancini (1638–1708), Gräfin von Soissons durch Heirat des Prinzen Eugen Moritz von Savoyen-Carignan, Nichte von Kardinal Mazarin, deren Sohn, Prinz Eugen, von Ludwig XIV. verachtet, ihm militärisch empfindliche Niederlagen zufügte.

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ausgebildet, zeigte sich trotz seiner Schüchternheit auf dem italienischen Kriegsschauplatz und bei der Belagerung von Valencia als tapferer und siegreicher Feldherr, wozu beitrug, dass sich die französischen Armeen nach dem Ende der Fronde an fast allen Fronten siegreich behaupten konnten. Seine junge Gemahlin besaß ein fügsames und fröhliches Temperament, verbunden mit einer natürlichen Frömmigkeit, weshalb ihr Anna von Österreich große Zuneigung entgegenbrachte. Auch begegnete ihr der junge Ludwig XIV., mit dem sie zusammen aufgewachsen war, mit Gesten größerer Galanterie, was auf einem Ball zu protokollarischer Verwirrung führte, als der König der jungen Herzogin de Mercœur die Ehre des ersten Tanzes zuteilwerden ließ. Madame de Motteville hat die Szene festgehalten: „Die Königin sprang bestürzt auf, entriss ihm (dem König) die Herzogin de Mercœur und sagte ihm leise, er solle die Prinzessin von England auffordern.“2 Die Verwirrung fand ihre Auflösung schließlich darin, dass der König die Tanzpartnerin wechselte – der Vorfall offenbarte zugleich, dass der junge Monarch von seiner Mutter in enger Abhängigkeit gehalten wurde. Der Herzogin de Mercœur, die es vorzog, ein eher stilles und zudem frommes Leben zu führen, meist zurückgezogen auf dem Familienschloss der Vendôme von Anet, war nur ein kurzes Leben vergönnt. Nachdem sie ihrem Gemahl drei Söhne geboren hatte, traf sie im Alter von nur 22 Jahren ein Schlaganfall, der ihr die Sprache raubte, sie jedoch ohne Schmerzen beließ. Mazarin selbst gab ihr die letzte Ölung. Ihr Gemahl, der ihr besonders zugetan war, zog sich nach ihrem Tod in ein Kapuzinerkloster zurück, dachte an keine neue Verbindung, wurde Priester und später Kardinal, was ihm erlaubte, als Legat des Vatikans in Frankreich eine geachtete Rolle zu spielen. Laura Mancini, die drei Jahre älter als Ludwig XIV. war, hatte sich früh vom Hof zurückgezogen, aber ihre Schwester Olympia, ein

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Jahr jünger als der König, wuchs in familiärer Nähe zu Anna von Österreich und in unmittelbarem Umgang mit dem jungen Monarchen auf. Mit sechzehn Jahren soll, so will es eine kaum widerlegte Legende, Ludwig XIV. von Madame de Beauvais, der Kammerfrau Annas von Österreich, und gewiss nicht gegen deren Willen, in die Regeln des kreatürlich-kunstvollen Umgangs mit Frauen eingeführt worden sein, was seine Bereitschaft zu sexuellen Abenteuern, die ihm lebenslang erhalten blieb, zur Entfaltung gebracht haben dürfte. Folgerichtig wandte er seine männliche Aufmerksamkeit Olympia zu, die in seiner Gunst schnell zu seiner Gefährtin aufstieg – im Balletttanz, bei Promenaden, Theateraufführungen und Hoffesten. Christina von Schweden, die 1654 dem Thron entsagt hatte und ziemlich ziellos und nicht selten auch in Männerkleidung durch Europa reiste, erlaubte sich in ihrem grenzenlosen Freimut die Empfehlung: „Man würde sehr schlecht tun, wenn man nicht möglichst schnell zwei junge Leute vermählte, die so gut zueinander passten.“3 Daraufhin konnte Anna von Österreich, wie Guy Patin berichtet, nur um religiösen Beistand bitten, denn eine andere Gemahlin für ihren Sohn als eine Prinzessin aus königlichem Hause war für sie undenkbar: „Sie schickte zu den Mönchen, um zu Gott zu beten, dass es ihm in seiner Güte gefalle, den König von jener Absicht abzubringen, mit der er sich trage. War es nicht die, die Nichte Mazarins zu heiraten?“4 Doch diese Gefahr ging vorüber, zumal sich schon die nächste abzeichnete – der junge König verliebte sich in Louise de La Vallière, eine Hofdame der Königin und übrigens die einzige Frau im wechselvollen Liebesleben des Monarchen, die ihn um seiner selbst willen liebte. Olympia, die keine faszinierende Schönheit war, aber über einen realitätsbezogenen Verstand verfügte, suchte die Sicherheit einer hochrangigen Verheiratung. Mazarin, der mehrere Ehekandidaten für sie zur Auswahl hatte, entschied sich schließlich für den Prinzen Eugen Moritz von Carignan aus dem Hause Savoyen – seine Mut-

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ter war eine Gräfin de Soissons, und zur Rangerhöhung erneuerte der Erste Minister diesen Titel für das junge Paar. Der Prinz, der standesgemäß als hoher Militär im königlichen Heer diente und meist fern vom Hofe weilte, ließ seiner jungen Gemahlin jede Freiheit, sich mit ihrem Salon im Palais de Soissons von Paris in Szene zu setzen. Sie konnte dort im Kreis der hochadeligen Damen brillieren, die es generös oder gezwungenermaßen übersahen, dass die junge Frau sich gerade erst von der sozialen Ebene einer einfachen Bürgerstochter aus Rom erhoben hatte. Da Mazarin es verstanden hatte, ihr das hohe Hofamt der Oberintendantin des Hauses der Königin zu verschaffen, war ihr Rang als erste Dame des Hofes weiterhin unangefochten, und Saint-Simon hat ihre herausragende Stellung beschrieben: „Nichts kam dem Glanze der Gräfin von Soissons gleich; weder vor noch nach ihrer Heirat wich der König von ihr; sie war die Gebieterin des Hofes, der Festlichkeiten und Gunstbezeugungen.“5 Die Verheiratung Ludwigs XIV., die noch zu schildern ist, hatte ihm mit der zwergenhaften spanischen Infantin Maria Teresa und ihrer Unfähigkeit, sich auch nur weniger Wörter der französischen Sprache zu bedienen, keine Gelegenheit zu glanzvollem Umgang mit seiner Gemahlin verschafft. Als der Graf de Soissons im Alter von nur 35 Jahren starb, war seine Witwe erst 31 Jahre alt. Aber sie hatte dem tapferen Soldaten, der im Krieg gegen die Niederlande bei der Rheinüberquerung zu Tode gekommen war, nicht weniger als acht Kinder geboren. Ihr fünfter Sohn, das schwächlichste Kind, war der spätere Prinz Eugen. Sie verheiratete sich nicht erneut und zog den Glanz ihrer unabhängigen und scheinbar unangreifbar hohen Stellung bei Hofe vor. Doch auch sie geriet in den „Giftskandal“, der 1679 mit der Verhaftung der Wahrsagerin und Giftmischerin La Voisin seinen Höhepunkt erreichte. Ihre Entlarvung vollzog sich, als die Verbrechen von Marie-Madeleine Dreux d’Aubray, Marquise de Brinvilliers, aufge-

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deckt wurden, die sich bei der Voisin mit Giftstoffen versorgt hatte, um gemeinsam mit ihrem Geliebten, dem Chevalier de Saint-Croix, ihren Vater sowie ihre zwei Brüder zu vergiften – es gelang, und das Motiv war in diesem wie in zahlreichen anderen Fällen, mittels eines „Erbschaftspulvers“ umgehend an das Vermögen der Familie zu gelangen. Ludwig XIV. sah sich, als der Giftskandal bis in die höchsten Hofkreise vorgedrungen war, gezwungen, einen außerordentlichen Gerichtshof einzurichten, der wegen der dort brennenden Fackeln „Chambre ardente“ genannt wurde. Vor diesem Gericht musste auch die Herzogin de Bouillon, die jüngste Schwester der Gräfin de Soissons, erscheinen, die sich, wovon noch die Rede sein wird, glanzvoll verteidigte und ihre Freiheit behaupten konnte. Die Gräfin de Soissons selbst wurde von Ludwig XIV. mit dem Vorwurf konfrontiert, ihren Gemahl vergiftet zu haben, welcher Verdacht als eher unwahrscheinlich erscheint, da ihr Gemahl ihr eine völlig freie Lebensgestaltung gewährte. Aber der König, ihr einst in enger Freundschaft verbunden, stellte sie vor die Alternative, „entweder morgen in der Bastille die Strenge des Gefängnisses kennenzulernen oder Frankreich sofort zu verlassen“.6 Olympia de Soissons wählte das Exil in den Spanischen Niederlanden, und Madame de Sévigné hat über ihre Entscheidung angesichts der Härte des Königs, die nichts Geringeres als eine Vorverurteilung war, nicht ohne Mitempfinden geurteilt: „Es ist etwas Verständliches und Edles in diesem Verhalten. Ich billige es.“7 Ihr Sohn Eugen sollte später seinen Lebensweg wechselvoll gestalten und am Ende sogar die Herrschaft Ludwigs XIV. in Gefahr bringen. Im Alter von sechs Jahren war er eine eher traurige Gestalt: „ein ungeschickter Knabe und missraten, sodass man nichts Gutes mit ihm anzufangen weiß. Er hat eine kurze und platte Nase, die Augen sind nicht hässlich. Er zeigt, dass er zu urteilen fähig ist.“8 Man steckte

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ihn in die Robe eines Priesters und bestimmte ihn zur kirchlichen Laufbahn. Dann geriet er in den berühmten Homosexuellenzirkel „Cabans du temple“, und der Gesandte Brandenburgs, Ezéchiel Spanheim, meldete nach Deutschland: „Es ist sicher, dass es keinen größeren Sodomiten in Frankreich gibt als ihn, und das ist ein schlechter Anfang für einen jungen Prinzen, sein Leben mit den scheußlichsten Ausschweifungen zu beginnen.“9 Der junge Eugen versank jedoch nicht in Ausschweifungen, sondern studierte Mathematik und Geometrie – bald war er entschlossen, keineswegs Priester zu werden, sondern wie sein Vater Soldat. Es kam durch die Vermittlung des Prinzen de Conti, der ebenfalls dem skandalumwitterten Zirkel angehörte, zu einer Begegnung mit Ludwig XIV., dem der junge Eugen seinen Wunsch vortrug, als Soldat zu dienen und wie sein Vater ein Regiment befehligen zu dürfen. Der König würdigte ihn keines Wortes, wendete sich ab und erklärte seinem Gefolge: „Niemals hat jemand gewagt, mich mit solcher Unverschämtheit zu betrachten – wie ein Sperber, der seine Beute ins Visier nimmt.“10 Da für den Prinzen von Savoyen in Frankreich keine Aufstiegschance bestand, zog es ihn wie mehrere Adlige in den Kampf gegen die Türken, um das Christentum an der Ostfront Österreichs zu verteidigen. Dass Ludwig XIV. dazu nicht bereit war, wurde in Versailles als Verrat an der christlichen Konfession empfunden. Übrigens folgte Eugen damit dem Weg seines älteren Bruders Louis-Thomas, der bald in einem Scharmützel mit den Türken fiel. Prinz Eugen, der an den Kämpfen zur Verteidigung von Wien teilnahm, erfocht bald seine ersten Siege, und der vor Zenta im Jahre 1697 machte ihn in ganz Europa berühmt. Als Ludwig XIV. sämtliche Ländereien und Besitzungen der Familie Soissons konfiszieren ließ,

Prinz Eugen von Savoyen – Sieger in der Schlacht bei Zenta 1697. Gemälde von Jan van Huchtenberg.

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tat Prinz Eugen den Ausspruch: „Ich werde nur mit der Waffe in der Hand nach Frankreich zurückkehren.“11 Er hielt Wort, und gemeinsam mit dem englischen Feldherrn, dem Herzog von Marlborough, drang er während des Spanischen Erbfolgekrieges in Frankreich ein. Sogar die Zitadelle von Lille, die Ludwig XIV. nach der Eroberung der Stadt von seinem Festungsbaumeister Sébastien Vauban hatte errichten lassen, musste nach der Belagerung durch die kaiserlichen Feldherrn kapitulieren. Prinz Eugen gewährte der französischen Besatzung einen ehrenvollen Abzug, für welche Gunst Ludwig XIV. sich gezwungen sah, ein handschriftliches Dankesschreiben an den einst verachteten „kleinen Abbé“ zu schicken – keine geringe Überwindung für den Sonnenkönig. Erst die für beide Seiten verlustreiche und unentschiedene Schlacht von Malplaquet im September 1709 brachte die Entscheidung – Ludwig XIV. musste sich, da er keine weitere Armee den kaiserlich-englischen Truppen auf dem Weg nach Paris und Versailles entgegenstellen konnte, zu Friedensverhandlungen bereitfinden, die keineswegs seine expansionistischen Kriegspläne erfüllten und auch das französische Kriegsziel, die Vereinigung Frankreichs mit Spanien, verhinderten. Doch zurück zu Olympia de Soissons. Sie war, als sie nach Brüssel flüchtete, auch dort dem Vorwurf ausgesetzt, eine Giftmischerin zu sein, was nicht hinderte, dass sie in der Gesellschaft der dortigen Hochadligen generöse Aufnahme fand. Auch auf einer Reise nach Spanien, die sie unternahm, da ihr die Rückkehr nach Frankreich angesichts der Siege ihres Sohnes verwehrt war, begleitete sie der Leumund, Gift je nach politischem Nutzen zum Einsatz bringen zu können. So war es nur folgerichtig, dass die spanische Königin Marie-Louise d’Orléans, die älteste Tochter von Philippe d’Orléans, mit der sie bereits in Versailles engen Umgang gepflegt hatte, sie zu sich bat und sie ihrer Freundschaft versicherte. Als dann jedoch die spanische Königin, die als Gemahlin Karls II.

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die dynastische Linie der Habsburger sichern sollte, nach dreitägiger Krankheit kinderlos starb, richtete sich der Vorwurf gegen die Gräfin de Soissons, ihr Gift verabreicht zu haben – beigemischt der Schokolade, der Milch, einer Aalpastete oder Austern. Als Motiv bot sich an, dass die Königin als Französin zu der profranzösischen Partei am spanischen Hofe zählte, die wie Ludwig XIV. die Vereinigung beider Länder unter französischer Hegemonie anstrebte. Obgleich die Königin unzählige Male betont hatte, sie sterbe eines natürlichen Todes, konnte Olympia de Soissons nur fluchtartig die Rückreise nach Brüssel antreten. Dort wurden ihr große Ehren zuteil, wenn Prinz Eugen, was häufiger geschah, „daselbst bei Ihrer Hoheit, der Frau Prinzessin de Soissons, seiner Mutter, abstieg, wo er die Aufwartung der Minister und aller Herren von Stand empfing“.12 Dort ist Olympia de Soissons im Oktober 1708 gestorben – in fast unmittelbarer Nähe der Siege ihres Sohnes. Ihre nur ein Jahr jüngere Schwester Maria Mancini, die nach Olympia in Frankreich eintraf, durchlebte in ihren jungen Jahren ein melodramatisches Schicksal am französischen Hof. Sie stieg in der Gunst des jungen Königs bis zu seiner vertrauten Gefährtin auf und hatte die Hoffnung, sogar Königin von Frankreich zu werden – von diesem hochdramatischen Liebesduett zwischen der nicht nur hübschen, sondern auch überaus gebildeten jungen Frau und dem ihr geradezu verfallenen König wird im nächsten Kapitel die Rede sein. Ihr eigenes, an Turbulenzen reiches Leben begann, als Ludwig XIV., dem sie bis zu ihrer beider Tod im Jahr 1715 auf Distanz verbunden blieb, in der 1659 den Frieden mit Spanien besiegelnden Ehe mit der Infantin Maria Teresa verschwand. Ihr Onkel war nun bemüht, sie möglichst schnell und möglichst weit vom französischen Hof entfernt zu verheiraten – sie sollte gleichsam aus den Augen Ludwigs XIV. verbannt werden. An Eheaspiranten fehlte es nicht, und besonders bemüht um ihre Gunst, und das hieß um die ihres Onkels, waren der Herzog Karl IV. von Lothringen und sein Neffe, Prinz Karl von Loth-

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ringen. Karl IV. hatte, da sein Land vor und während der Fronde zunehmend von den französischen Armeen zerstückelt und annektiert worden war, auf eigene Rechnung ein Heer in dem wechselvollen Kriegsgeschehen zum Einsatz gebracht. Zunächst warb der Onkel für seinen jungen Nachfolger, dann fühlte sich Karl IV. jung genug, selbst um die Hand von Maria Mancini bei ihrem Onkel anzuhalten. Der Erste Minister reagierte jedoch politisch, da er die Zerstückelung Lothringens vorantreiben wollte, das wie ein gefährlicher Fremdkörper den Weg Frankreichs an die Grenze des Deutschen Reichs behinderte. Eine familiäre Verbindung mit dem Haus Lothringen konnte diese Behinderung nur vergrößern, da sie Rücksichtnahme auf die Interessen des Kleinstaates zur Folge gehabt hätte. So wählte er eine Variante, die gleichermaßen banal und konsequent war – ihr Gemahl sollte der Fürst Lorenzo II. Colonna werden, zugleich Konnetabel von Neapel und Patron jenes mächtigsten römischen Geschlechts, in dessen Diensten sein Vater einst gestanden hatte. Der Gedanke an eine solche Heirat löste bei Maria Mancini zunächst einen Schock aus, und als sie den König mit dem Verlangen bestürmte, weiter in Frankreich leben zu dürfen, verwies sie ihr einst glühender Verehrer auf den Willen des Ersten Ministers, den es zu respektieren gelte. Sie musste sich fügen. In ihren Memoiren, die in der Hoffnung auf einen Ausgleich mit ihrem späteren Gemahl verfasst wurden, gesteht sie eine hohe Achtung und sogar Zuneigung zu dem ihr dekretierten Fürsten Colonna und auch ihre Bereitschaft, in ihr Heimatland zurückzukehren: „Obgleich die Sitten Italiens sich keineswegs mit meinem Temperament vereinigen ließen, erschienen sie mir im Vergleich zu der Liebe, die ich bereits für den Konnetabel hatte, erträglich. Es ist wahr, was ihn betrifft, so vergaß er nichts, was mir gefiel, er war immer entgegenkommend und galant und voller Fürsorge

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Maria Mancini (1639–1715) die gebildetste der Nichten Mazarins, die Ludwig XIV. heiraten wollte und an ihrer Liebe zu ihm lebenslang litt.

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und Gefälligkeit, die sich nicht ausdrücken lassen. Am Ende … kann ich sagen, dass ich die Einzige bin, für die er die größte Liebe und die größte Beständigkeit gehabt hat.“13 Als sie nach Rom kam und sich ihm hingab, machte sie ihm zudem ein unerwartetes Hochzeitsgeschenk, wie ihre Schwester Hortensia, die ihr besonderes Vertrauen besaß, zu berichten wusste: „Monsieur le Connetabel, der nicht glaubte, dass es Unschuld bei den Liebesbeziehungen der Könige geben könne, war so entzückt, in der Person meiner Schwester das Gegenteil zu finden, dass es ihm gleichgültig war, nicht der erste Gebieter ihres Herzens gewesen zu sein. Er verlor deshalb die schlechte Meinung, die er wie alle Italiener von der Freiheit der Frauen in Frankreich hatte, und wollte, dass sie diese Freiheit auch in Rom genieße, da sie davon einen so guten Gebrauch zu machen verstehe.“14 Zunächst entfaltete sich ein ungetrübtes Eheglück, zumal Maria dem Konnetabel nach mehreren Fehlgeburten nicht weniger als drei Söhne für die Fortsetzung seiner Dynastie gebar. Man lebte im prächtigen Palazzo Colonna – noch heute die Stätte glanzvoller Prachtentfaltung des säkularen Barock. Im gemeinsamen Schlafgemach zogen zwei große Seepferde eine Venus in ihrer Muschelschale durch die Fluten – es war das Ehebett des fürstlichen Paares. Man wechselte auch von Palazzo zu Palazzo und damit von Festlichkeit zu Festlichkeit, da der Konnetabel über große Besitzungen nicht nur im Kirchenstaat, sondern auch im Königreich Neapel verfügte. Natürlich fand das fürstliche Paar mit einem großen Kreis von Vertrauten aus dem gleichrangigen Adel auch bald und dann wiederholt den Weg nach Venedig, um sich dort im Karneval unter Masken dem Luxus versteckter Liebesspiele hinzugeben.

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Spätestens dort kam es zu ersten Rissen in der Ehe der Colonna, da der Konnetabel eine Marquise „bei uns wohnen ließ, deren Schönheit alle Augen auf sich zog … Ich war beständig von Eifersucht gequält, wie das nach den Erzählungen, die man mir täglich von den Liebeshändeln dieser Dame machte, nicht anders sein konnte.“15 Aber auch sie gab Gelegenheit zu pikantem Gerede, da ihr Bruder, der Herzog Philippe de Nevers, der wiederholt in Rom zu ihnen gestoßen war, sie auf der Reise nach Venedig begleitete und dort mit Beweisen seiner mehr als brüderlichen Zuneigung bedachte. Als dann auch noch ihre Schwester Hortensia, von der in Kürze ausführlich die Rede sein wird, sich an der ununterbrochenen Serie von Gastmählern, Jagdpartien, Spazierfahrten und Tanzfesten beteiligte, ergab sich sogar noch eine Steigerung: „Wir wollten zu unseren Vergnügungen auch noch das des Bades gesellen, und wir, mein Bruder, meine Schwester und ich, gingen deswegen an den Tiber, der durch seinen reißenden Strom gefährlich ist.“16 Dort geriet die Fürstin Colonna nicht nur beim Baden in Lebensgefahr, aus der sie ihr Bruder rettete, sie brachte auch ihren Ruf in Gefahr, als sie sich nackt, wie ihr Gemahl behauptete, einem ihrer Verehrer zeigte – oder auch mit einem zwar durchsichtigen, aber bis zu den Fußen reichenden Gazehemd bekleidet. So kam es zum Eklat, als Maria eine weitere Geburt allein zu absolvieren hatte und ihren verspätet herbeieilenden Gemahl mit ihrer grundsätzlich veränderten Einstellung konfrontierte, die sie mit den Komplikationen der letzten Geburt begründete: „Ich kam zu der Entscheidung, keine weiteren (Schwangerschaften) mehr zu haben, um mich nicht noch weiteren und ähnlichen Gefahren auszusetzen.“17 Es gab noch eine offizielle Erklärung für den Verzicht des Fürstenpaares Colonna auf das gemeinsame Ehebett, die auf das Horoskop eines Astrologen zurückging, wonach eine weitere Schwangerschaft der Fürstin den Tod bringen werde. Schließlich existierte noch ein e dritte Version, keine offizielle, aber die wahre, die darauf fußte, dass die

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Fürstin zunehmend von den Seitensprüngen ihres Gemahls erfuhr. Nicht zuletzt war ihr zu Ohren gekommen, dass fast zeitgleich eine Dame der feinen Gesellschaft Roms eine Tochter zur Welt brachte, deren Vaterschaft unzweifelhaft auf ihren Gemahl zurückging. Die Fürstin verzieh diesen vulgären Verrat nicht, auch wenn damit ihr Lebensweg eine radikal andere Richtung nahm. Gemeinsam mit ihrer Schwester Hortensia, die bereits mit einem Kraftakt aus ihrer Ehe ausgebrochen war, wagte Maria Colonna eine abenteuerliche Flucht. In einer einfachen Equipage rollten die beiden Frauen nach Civitavecchia, wo sie, da das verabredete Schiff aus Neapel nicht eintraf, am Strand hilflos herumirrten, bis schließlich eine Barke sie an Bord nahm. Der doppelten Gefahr ausgesetzt, dass Seeräuber sich des unbewaffneten Schiffs bemächtigen könnten oder ein ihnen nachgeschickter Segler des Fürsten Colonna sie einholen würde, gelangten sie dennoch nach La Ciotat nahe Marseille, wo sie von Bord gingen. Maria, die schon vor ihrer Flucht an Ludwig XIV. geschrieben hatte, fand in Marseille beim Intendanten der königlichen Galeeren dessen Antwort vor. Der König hatte Befehl gegeben, die Damen in die Obhut des Grafen François de Grignan in Aix zu geben – er war nicht nur der Gouverneur der Provence, sondern auch der Schwiegersohn vom Madame de Sévigné. Ludwig XIV. war dann bemüht, Maria Colonna nicht ohne seinen Schutz zu lassen, aber zugleich auf Distanz zu halten und ihr jede persönliche Begegnung zu verweigern – bis zu ihrer beider Lebensende im Jahr 1715. In Lyon trennten sich die Schwestern, und Maria reiste an den Hof von Savoyen, wo der dortige Herzog der Fürstin Colonna riet, zu ihrem Gemahl zurückzukehren, zumal der mächtige römische Fürst sie auf allen Reisestationen verfolgen ließ und den jeweiligen Landesherrn ersuchte, in seinem Interesse tätig zu werden. So führte ihr Weg weiter in die Schweiz und über Grenoble nach Montargis. Schließlich riskierte sie, „in Paris anzukommen, gegen den Willen und

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gegen die Befehle des Königs“,18 wie sie selbst in ihren Memoiren eingesteht. In Fontainebleau wagte sie sich sogar bis in die Nähe des Königs und bedrängte ihn mit immer neuen Bittschriften, in Frankreich leben zu dürfen. Seine Antwort war die Aufforderung, sich mit ihren Gemahl auszusöhnen, zumal der Konnetabel auch Ludwig XIV. ersucht hatte, Maria die Rückkehr in ihre Ehe nahezulegen. Der König beauftragte schließlich seinen Minister Colbert, ihr den definitiven Befehl zu überbringen: „Majestät … bestand unverändert auf seiner Entscheidung, mich auf eine Entfernung von 60 Meilen von Paris fernzuhalten.“19 Sie feilschte sodann erfolgreich die Distanz auf die Hälfte herunter – und ging in das Kloster Avenay in der Nähe von Reims. Auch dort gelangte sie nicht zu innerer Ruhe und konnte die Klostermauern wieder verlassen, als ihr Bruder, der Herzog de Nevers, mit der königlichen Genehmigung erschien, sie mit nach Nevers zu nehmen, allerdings mit der Auflage, dass sie, sollte sie Nevers verlassen, erneut in einem Kloster in sicherer Verwahrung zu halten sei. Auch dort hielt es sie nicht lange, und so irrte Maria Colonna von Kloster zu Kloster, auch während ihres Aufenthaltes in Spanien, wo sie einen letzten vergeblichen Versuch der Aussöhnung mit ihrem Gemahl machte. Sie geisterte durch Europa, einschließlich England, wohin inzwischen ihre Schwester Hortensia gelangt war – gleichsam ohne Ziel, ähnlich der Königin Christina von Schweden, die sich selbst entthront hatte. Aber Maria Colonna wusste um die Wunde ihres Lebens, die nicht vernarben wollte – die Liebe zu Ludwig XIV. und den Schmerz über ihr ehrgeiziges, aber gescheitertes Verlangen, Königin von Frankreich zu werden. Gemeinsam mit ihrer sechs Jahre älteren Schwester Maria war Hortensia Mancini nach Frankreich gelangt, wo beide zunächst für zwei Jahre in einem Kloster die französische Sprache und die Grundregeln für die kultivierte Konversation am Hofe zu erlernen hatten. Früh zeigte sich, dass Hortensia über eine sehr seltene Schönheit ver-

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fügte – von der Wohlgeformtheit ihres Körpers bis zur verführerischen Tiefe ihrer Augen. Madame de La Fayette hat sie nuanciert und trotzdem bewundernd beschrieben: „Sie war nicht nur die schönste von den Nichten des Kardinals, sondern überhaupt eine der vollendetsten Schönheiten des Hofes. Zu ihrer Vollkommenheit fehlte ihr nur Geist, um ihr Lebhaftigkeit zu geben, die sie nicht hatte. Doch ward das nicht allgemein als Fehler betrachtet, und viele Leute fanden, dass gerade ihr schmachtendes Wesen und ihre Nachlässigkeit sie wirklich liebenswürdig machten.“20 Es fehlte deshalb nicht an zahlreichen Ehekandidaten, sodass es dem Ersten Minister besonders schwerfiel, unter ihnen den politisch und persönlich angemessenen auszuwählen. Unter den von ihrem Onkel abgewiesenen Bewerbern oder endlos vertrösteten Kandidaten waren zumindest zwei, denen sie später erneut begegnete und dann ihre Gunst gewährte. Die Wahl Mazarins fiel schließlich – und ihre Hochzeit wurde erst wenige Monate vor seinem Tod zelebriert – auf Armand de La Porte, Herzog von La Meilleraye, den einzigen Sohn des französischen Marschalls Charles de La Meilleraye. Der Vater war ein Mazarin bedingungslos ergebener Militär, der es wie Mazarin verstanden hatte, ein immenses Vermögen anzuhäufen – seine Würde des Großmeisters der Artillerie hatte er schon seinem Sohn übertragen. Zur Vollendung des Glücks, in dem das junge Paar leben sollte, trug der Erste Minister nicht nur mit der Mitgift von 1,2 Millionen Livres bei, sondern auch dadurch, dass er den Gemahl dieser Nichte mit

Hortensia Mancini (1649–1699), die schönste der Nichten Mazarins, die seinen geistig gestörten Erben heiratete, aber später befreit ein glückliches Leben in England führte.

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dem größten Teil seines finanziellen Erbes – 28 Millionen von 36 Millionen Livres – ausstattete. Allerdings war die Vergabe dieses Vermögens an die Bedingung gebunden, dass der junge La Meilleraye auf seinen eigenen Adelsnamen verzichtete und den Namen des Ersten Ministers annahm, denn Mazarin wollte die Fortdauer seines Namens bis in eine unabsehbare Zukunft sichern und als kinderlosem Kardinal stand ihm nur dieser Weg offen. Übrigens erleichterte Mazarin dem jungen Hochadligen, dem wie allen Namensträgern eines aus der Tiefe der Geschichte kommenden Adelsgeschlechts der Verzicht auf die eigene Genealogie schwerfiel, die Entscheidung, indem er ihm das Wohnrecht in seinem Palais übertrug. Doch kurz nach dem Tod Mazarins offenbarte sich eine Persönlichkeitsdeformation seines Namensnachfolgers. Ohne wahnsinnig zu werden, wurde dieser von einer derart obsessiven Frömmigkeit erfasst, dass er im Palais Mazarin, dessen Hausherr er nun war, in der Galerie mit einem Hammer den männlichen Statuen ihre nackte Männlichkeit zertrümmerte. Da er auch auf zwei Gemälden von Tizian und Correggio sittlich Anstößiges entdeckte, kam es dort zur partiellen Übermalung. Damit war die zerstörerische und selbstzerstörerische Energie des Herzogs de Mazarin sichtbar geworden, die alsbald auch seine Ehe mit Hortensia gefährden sollte. Zwar kam es zu nicht weniger als acht Schwangerschaften, aber die Überwachung der Herzogin gestaltete sich grotesk. Überraschend zu immer neuen Reisen in ratternde Karossen gezerrt, die keineswegs ihren fast permanenten Schwangerschaften günstig waren, wurde die Herzogin in ihrer Schönheit für ihren Gemahl zum Ärgernis in religiöser und sittlicher Hinsicht. Es galt, sie möglichst oft und weit von den glanzvollen Festen des Hofes fernzuhalten – waren nicht schon die recht häufigen Besuche des Königs bei der Herzogin das Indiz für einen sich abzeichnenden Skandal?

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Zudem litt der Herzog de Mazarin an Skrupeln über seinen ererbten Reichtum und suchte diesen durch immer neue Rechtsstreitigkeiten, deren Zahl bald dreihundert erreichte und die er alle verlor, zu verringern – eine Methode der Verarmung, die nicht ohne ethische Basis war: „Ich bin zufrieden, dass man mit mir Prozesse wegen all der Güter anfängt, die ich vom Herrn Kardinal übernommen habe. Ich halte das für unehrlich erworbenes Gut, und wenn ich einen Richterspruch gegen mich habe, so beruhigt das mein Gewisssen.“21 Schließlich flüchtete Hortensia durch eine Verbindungstür des ererbten Palais Mazarin in jenen Teil, den ihr Bruder, der Herzog de Nevers, bewohnte, und von dort mit dessen Hilfe in ein nahes Kloster, wo sie mit ihrer temperamentvoll-lebenslustigen Art die Nonnen zu allerlei Streichen anstiftete. Ihr Gemahl hatte währenddessen ausreichend Gelegenheit, gegen sie zu klagen – er tat es bis an sein Lebensende. Ein erster Parlamentserlass befreite Hortensia aus dem Kloster, und gemeinsam mit ihrem Bruder reiste sie, natürlich in Männerkleidung, über die Alpen nach Mailand, wo der Konnetabel und ihre Schwester Maria sie erwarteten. Gemeinsam gelangten sie nach Rom, wo es alsbald zum Streit kam, weil die Herzogin de Mazarin zusätzlich einen wenig standesgemäßen Begleiter mit sich führte, auf dessen auch intime Dienste sie nicht verzichten wollte. Man stritt und vertrug sich, bis schließlich Hortensia mit ihrem Bruder zur Rückreise nach Frankreich aufbrach. Beide hatten verschiedene Motive für ihre Reise nach Norden – die Herzogin wollte einen letzten Versuch der Aussöhnung mit ihrem Gemahl wagen, und ihr Bruder verließ Rom, um Diane de Thianges zu heiraten – eine Nichte der Madame de Montespan. Beide Reiseziele waren offensichtlich so wenig verlockend, dass das Geschwisterpaar nicht weniger als sechs Monate unterwegs war und währenddessen nicht nur an berühmten Gemäuern sein Interesse fand, sondern auch an sich selbst – übrigens geriet der Herzog de Nevers bei mehr als

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einem seiner Schwäger in diesen Verdacht. Der Eheschließung des Bruders war Erfolg beschieden, nicht jedoch der ehelichen Versöhnung seiner Schwester. Daran änderte sich auch nichts, als Hortensia von Ludwig XIV. und Madame de Montespan empfangen wurde. Der König schlug ihr eine Pension von 24 000 Livres und als Exil Rom vor, wenn sie nicht zu ihrem Gemahl zurückkehren wolle – es war wie gegenüber ihrer Schwester Maria die kaum verdeckte Absicht Ludwigs XIV., die unruhigen Damen Mazarin auf Distanz zu halten. Da Hortensia in Rom wenig willkommen war, wich sie nach Turin aus, wo der Herzog Karl Emanuel von Savoyen – einst einer ihrer Eheaspiranten – ihr einen glanzvollen Empfang bereitete und ihr behilflich war, sich einen kleinen Hofstaat in Chambéry einzurichten, dessen besonders eifriger Besucher er selbst war. Noch in diesen Jahren und bis ins hohe Alter bewahrte sie ihre blendende Schönheit – sie verzichtete im Gegensatz zu ihrem Onkel, der stets von Parfümdüften umweht war, generell auf derartige Essenzen, vermochte zwei Wochen lang ihre üppige Haartracht in einem täglich kunstvoll veränderten Arrangement zu präsentieren und konnte sowohl im Ballkleid wie im Negligé auf allseitige Bewunderung rechnen. Als der generöse Herzog 1672 starb, legte dessen Witwe, die zur Regentin aufstieg, besonderen Wert darauf, dass ihre Rivalin sich jenseits der Landesgrenze begebe. Sie fand den Weg über die Schweiz und Holland nach England, wo ihr seinerzeit ebenfalls abgewiesener, weil kroneloser Ehekandidat inzwischen zum König Karl II. geworden war. Er beließ es dabei, ihr großzügiger Verehrer zu sein, gewährte ihr ein ansehnliches Jahresgehalt von 4000 Pfund Sterling und ließ sie in einem Pavillon in St James einen prächtigen Wohnsitz finden, der ihr erlaubte, dort ebenfalls einen kleinen, kultivierten Hof zu bilden. In England lebte sie noch ein Vierteljahrhundert, besonders bewundert und literarisch verehrt von Charles de Saint-Évremond, einem der glanzvollsten Stilisten der Epoche, der in Frankreich wegen seiner Kri-

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tik am Pyrenäenfrieden in Ungnade gefallen war: „Mit dem Gesicht einer Helena hatte Hortensia Aussehen, Kleidung und Ausrüstung einer Königin der Amazonen und schien ebenso geeignet zu bezaubern wie zu kämpfen.“22 Sie erlosch sanft im letzten Jahr des 17. Jahrhunderts, hatte aber bereits in ihren Memoiren jene Fassade niedergerissen, die den glanzvollen Ersten Minister zeigte, und ließ dahinter auch einen für zumindest zwei seiner Nichten und einen Neffen grausamen Tyrannen sichtbar werden: „Bei der ersten Nachricht (von seinem Tod), die wir erhielten, sagten sich als einziges Bedauern mein Bruder und meine Schwester: ‚Gott sei Dank, er ist krepiert.‘ Um die Wahrheit zu sagen, ich war kaum weniger bekümmert.“23 Die jüngste seiner Nichten, Maria-Anna Mancini, 1649 geboren, kurz Marianne genannt, wurde, obgleich sie der Kardinal wegen ihrer Jugend bis zu seinem Tod nicht verheiratete, ebenfalls dem politischen Druck seiner politischen Planspiele ausgesetzt. Ihr fiel lange die Rolle einer belachten und begünstigten Spielfigur zu, was sie zum Spielball am Hofe machte. Daran beteiligten sich nicht nur Anna von Österreich und der Kardinal, sondern auch der gesamte Hof mit zum Teil grausamem Spott. Ihr Onkel, der sich über die Anbeter mokierte, die sich früh bei ihr einstellten, erklärte sie, als sie noch ein Kind war, für schwanger. Trotz ihrer Erklärung, sie habe nichts bemerkt, erweiterte man ihre Kleider und legte ihr eines Nachts ein veritables Neugeborenes ins Bett. Anna von Österreich erbot sich, Patin ihres Kindes zu werden. Auf die Frage nach dem Vater konnte sie nur auf den König und den Grafen de Guise verweisen, denn nur diese beiden hätten sie geküsst. Unter den Ehekandidaten war für Mazarin der politisch wichtigste Bewerber der Prinz von Sedan aus dem Hause Bouillon, dessen Onkel Turenne damit natürlich die Option verband, das von seinem älteren Bruder in der Cinq-Mars-Affäre angesichts seines Todesurteils

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preisgegebene Fürstentum Sedan für seine Familie zurückzugewinnen. Der Kardinal zögerte noch wegen der protestantischen Konfession des Kandidaten, die dieser bei der Eheschließung hätte ablegen sollen, zeigte sich aber dieser Verbindung nicht abgeneigt, indem er noch vor seinem Tod dafür ebenfalls eine Mitgift von 1,2 Millionen Livres aussetzte. So konnte Marianne nach dem Tod ihres Onkels im April 1662 mit dem jungen Herzog de Bouillon verheiratet werden – erst dreizehn Jahre alt. Gefeiert wurde die Eheschließung mit großem Pomp im Palais Soissons ihrer Schwester Olympia, und die Ehre ihrer Anwesenheit gaben dem jungen Paar der König und die beiden Königinnen. Ihr Gemahl, der die für den Hochadel obligatorische Ausbildung zum Militär absolvierte hatte, entschloss sich wie mehrere oppositionelle Offiziere am Hofe zum Kampf gegen die Türken in Ungarn und ließ seine junge Gemahlin in Château-Thierry zurück – in einer der Ersatzresidenzen, die der Familie nach dem Verlust von Sedan zugefallen waren. Dort begegnete sie dem in dieser Stadt geborenen Dichter Jean de La Fontaine, der, da er seinem Gönner Fouquet, dem Generalintendanten der Finanzen, nach dessen Sturz die Treue gehalten hatte, der königlichen Ungunst ausgesetzt war. Die Herzogin de Bouillon wurde seine Förderin und sorgte nicht nur für seine finanzielle Basis, sondern bewog ihn auch, sich der Fabel als literarischer Form in der Nachfolge Äsops zuzuwenden – es wurde das größte Verdienst ihres Lebens. Hilfreich für die Hinwendung La Fontaines zu den TierParabeln, die er zu solcher Blüte brachte, dass sie noch heute im französischen Schulunterricht ihren festen Platz haben, war auch, dass die Mancini-Schwestern in dem von ihrem Onkel nicht mehr bewohnten

Der Fabeldichter Jean de La Fontaine wurde von Mazarins jüngster Nichte Anne-Marie, genannt Marianne, Gemahlin des Herzogs de Bouillon (1649–1714), gefördert. Gemälde von Hyacinthe Rigaud.

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Palais in Paris eine üppige Menagerie mit exotischen Tieren vorfanden, die dem Fabeldichter so manche Anregung verschafften. Natürlich war auch ihr Bruder Philippe, der Herzog de Nevers, unter der Zahl ihrer Bewunderer und gab seiner Verehrung in opulenten Versen Ausdruck: „Hören Sie, Nichte des Julius! Ich liebe Sie, meine Schwester, und rufe die Götter, die das größte Geheimnis meines Herzens durchschauen, zu Zeugen an, dass Sie, mein Herz kann es nicht verschweigen, diejenige meiner Schwestern sind, zu der ich mich am meisten hingezogen fühle. Ja, wir sind, was auch immer man darüber sagen mag, Ich der Vernünftigste und Sie die Hübscheste.“24 Sie geriet ebenfalls in den Strudel des Voisin-Skandals, wich aber nicht wie ihre Schwester Olympia ins Exil aus, sondern erschien mit hundertköpfigem Gefolge zum Verhör in der „Chambre ardente“ des Arsenals. Hochmütig widersprach sie jedem Verdacht und verließ das Tribunal, ohne ihm ihre souveräne Beantwortung seiner Inquisitionsfragen schuldig zu bleiben. Ihr Gemahl ließ, trotz seiner Abwesenheit im Türkenkrieg, ihre stolze Verteidigungsrede, die zugleich die Verachtung des Tribunals einschloss, veröffentlichen. Dies hatte ihre fünfjährige Verbannung vom Hofe in das ferne Nérac zur Folge. Gern begleitete sie auch ihren reiselustigen Bruder Philippe nach Italien, was die verführerischen Festlichkeiten in Venedig einschloss. Zum militärischen Ruhm ihres Gemahls fügte sich später der ihrer beiden Söhne, jeweils nicht im Dienst des französischen Königs errungen, sondern im Kampf gegen die Türken. Sie soll sich ihre heiter-wachsame Souveränität bis zu ihrem Tod im Jahre 1711 bewahrt haben und war lange Jahre Mittelpunkt ihrer großen Familie. Saint-Simon hat

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ihre Stellung nicht ohne Bewunderung beschrieben: „Sie war die Königin von Paris.“25 Von den drei Neffen des Kardinals war zweien ein verfrühtes Ende beschieden – Paolo, der älteste, fiel 1652 wie erwähnt im Krieg der Fronde nahe der Bastille am Osttor von Paris. Auf ihn hatte Mazarin die Hoffnung gesetzt, einmal sein Nachfolger zu werden. Der jüngste, erst 1644 geborene Alphonse, den der Onkel zur Ausbildung in das renommierte Collège de Clermont gegeben hatte, wurde das tragische Opfer eines leichtsinnigen Spiels seiner Mitschüler, die ihn in einem Bettlaken in die Höhe warfen und dann ungeschützt auf den Steinboden fallen ließen – er starb nur vierzehn Jahre alt. Es blieb sein Neffe Philippe, der, 1641 geboren, mit seinen jüngsten Schwestern nach Frankreich gelangt war. Obwohl begabt, zeigte sich Philippe Mancini wenig ehrgeizig. Sein Onkel verschaffte ihm nach der traditionellen Ausbildung ein Offizierspatent, und im Kampf gegen Condé, als er im königlichen Heer unter Turenne diente, zeigte er so viel Tapferkeit, dass er verwundet wurde. Es geschah in derselben Schlacht im Faubourg SaintAntoine, in der sein Bruder Paolo tödlich verwundet wurde. Philippe wurde zum Oberst befördert und befehligte sogar das Lieblingsinfanterieregiment Ludwigs XIV., um dessen Ausrüstung sich der König bis ins Detail besorgt zeigte, dem Philippe als verantwortlicher Offizier indes kaum seine Aufmerksamkeit widmete. Sein Onkel hatte ihn zum Herzog de Nevers gemacht, aber um das Herzogtum kümmerte er sich ebenfalls kaum. Saint-Simon hat seinen zwiespältigen Charakter beschrieben: „Er war geistreich, gewandt, voll Geschmack, machte die schönsten Verse von der Welt und dazu noch aus dem Stegreif … Ein Mann mit sehr feinen gesellschaftlichen Sitten, der sich aber um nichts Sorgen machte, faul, genusssüchtig … Ein großer hagerer Mensch, aber schön gewachsen, dessen Gesicht ganz das aussagte, was er war …“26

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Ihm war die eine Hälfte des Palais Mazarin als Erbe zugefallen, doch bewohnte er es kaum. Er reiste gern, sonders nach Italien, sodass er zwischen beiden Ländern lebte und in beiden Sprachen dichtete. Seine Verse, weniger aus dichterischem Ehrgeiz als aus epikureischer Lebenshaltung entstanden, sah er selbst nur als ein Spiel an, das er selbst für frei von jeder Bedeutung hielt: „Ich selbst lache über das Schicksal, das meine Verse finden werden, Ich werde die Hände küssen, die sie zerrreißen.“27 Schließlich heiratete er Diane de Thianges, eine Nichte der Madame de Montespan, die dem König gern diese strahlende Schönheit zugeführt hätte, um ihn, da seine Leidenschaft für sie im Abnehmen war, wenigstens in ihrer familiären Nähe zu halten. Es dürfte eine unaufwendig gelingende Ehe gewesen sein, die aber den Herzog de Nevers nicht von seiner Reiselust befreien konnte. Madame de Caylus hat sich wie seine Gemahlin überrascht gezeigt: „Man hat gesehen, wie Madame de Nevers in den Wagen stieg, fest überzeugt, eine Spazierfahrt zu machen, während ihr Mann ruhig zum Kutscher sagte: ‚nach Italien‘.“28 Philippe de Nevers, der kleine erlesene Gesellschaften mit geistreichen Gesprächen liebte und die pompösen Hoffeste Ludwigs XIV. mied, war wenigstens dreien seiner Schwestern mit einer Zuneigung zugetan, die nicht nur in wortreicher Zärtlichkeit ihren Ausdruck fand.

Philippe Mancini (1641–1707), der schöngeistige Neffe Mazarins, der ihn zum Herzog de Nevers ernannte.

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Seine Zeitgenossen haben ihn einer mehr als geschwisterlichen Liebe verdächtigt, und besonders sein Schwager Mazarin, der Gemahl von Hortensia, hat den Beweis einer solchen Liebe zwischen den beiden antreten wollen, indem er einen Brief vor dem Gericht präsentierte. Aber die Richter, die um die schwärmerischen Gefühlsfloskeln des Barock wussten, ließen den letzten Neffen Mazarins ungestört sein eigenes, hochkultiviertes Leben führen. Dieses diskret egoistische Leben, das 1708 sanft endete, hatte sich in extremer Distanz zu dem exzessiven Machtwillen seines Onkels vollzogen.

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12. Der Frieden auf der Fasaneninsel

er Westfälische Frieden hatte 1648 den Frieden Frank-

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reichs mit dem Deutschen Reich unter Kaiser Ferdi-

nand III. gebracht, aber nicht den Frieden mit Spanien – der 1635 von Frankreich erklärte Krieg dauerte an. Der innenpolitische Krieg mit der Fronde hatte Mazarin gehindert, den langjährigen Krieg mit Spanien mit voller militärischer Macht bis zum Siegfrieden fortzusetzen – es waren fünf verlorene Jahre, zumal Spanien mit immer neuen Armeen den Frondeuren zu Hilfe eilte. Als im Juli 1653 die Provinz Guyenne von den königlichen Truppen erobert wurde und der gefährlichste unter den Frondeuren, der Prinz de Condé, die Landesgrenze überschritt, um in die Dienste Spaniens zu treten, war der innenpolitische Frieden wiederhergestellt. Schon einen Monat zuvor hatte Mazarin die letzte Gruppe seiner Verwandten nach Frankreich kommen lassen – seine drei Nichten Laura Martinozzi und Maria und Hortensia Mancini sowie seinen Neffen Philippe Mancini, einschließlich deren Mütter. Die strategische Vorbereitung des Sieges über Spanien, die Mazarin auch während des Exils in Deutschland betrieb, verlangte von ihm, England als Bündnispartner zu gewinnen. Seit 1651 schwankte die Seemacht, ob sie eine Allianz mit Spanien oder Frankreich eingehen sollte. Erst der überwältigende Sieg Turennes vor Arras im Jahr 1654 ließ Eng-

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land sich für die französische Seite entscheiden. Mazarin sah übrigens kein Hindernis der Konfession darin, dass sich die katholische Macht Frankreich eng mit der protestantischen Seemacht unter dem religiös rigorosen Lordprotektor Oliver Cromwell verband. An dieser Allianz änderte auch nicht das Geringste, dass Frankreich nach der Hinrichtung Karls I. im Jahre 1649 dessen Gemahlin Henrietta Maria von Frankreich und ihre beiden Söhne am französischen Hof ehrenvoll aufgenommen hatte – erst 1660 konnte ihr ältester Sohn als Karl II. auf den englischen Thron zurückkehren. Zum Vertrag von Westminster des Jahres 1655 zählte auch die Bedingung, die Mazarin akzeptieren musste, dass die beiden Söhne Karls I. Frankreich zu verlassen hatten. Im Frieden von Paris des Jahres 1657, der die Partnerschaft zwischen beiden Ländern noch enger gestaltete, vereinbarten sie, die Küstenstädte Gravelines und Dünkirchen gemeinsam zu erobern – allerdings unter einer Kondition: Sollte die französische Armee Gravelines vor der englischen erobern und diese Dünkirchen vor der französischen Armee, sollte ein Rücktausch stattfinden, da Cromwell nur an dem Besitz von Gravelines interessiert war. Frankreich zeigte sich sogar bereit, die englischen Soldaten mit guter Verpflegung, ausreichender Unterkunft und regelmäßigem Sold zu versorgen. Das strategische Ziel Mazarins war, mit der Eroberung der Küstenstädte den Nachschub Spaniens in die Spanischen Niederlande zu unterbinden. Bei der Belagerung von Dünkirchen war erstmals auch der zwanzigjährige König anwesend, um Augenzeuge, wenn schon nicht Teilnehmer des Kriegsgeschehens zu werden. Im sumpfigen Umland von Dünkirchen erkrankte er schwer und musste nach Calais transportiert werden. Dort wurde er von Schüttelfrost und Fieber derart erfasst, dass sich seine Krankheit bis zur Lebensbedrohung steigerte. Nach der in jener Epoche bevorzugt angewandten Methode des Aderlasses wurde diese Prozedur an ihm in vier Tagen sechsmal vollzogen, was nur zur Folge hatte, dass er ins Delirium sank.

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Ein eilig herbeizitiertes Ärztekollegium debattierte heftig über die richtige Therapie, ohne zu einem einvernehmlichen Votum zu kommen. Mazarin, sich der Gefahr bewusst, dass der Tod des jungen Königs unmittelbar seinen Sturz zur Folge haben würde, griff selbst in die medizinischen Konsultationen ein, die schon bei der Diagnose große Divergenzen unter den Kapazitäten zutage förderten, wie Guy Patin mit ironischem Unterton festgehalten hat: „Die vier Ärzte waren unterschiedlicher Meinung und konnten sich nicht über die Art der Krankheit einigen. Brayer sagte, dass es die angegriffene Milz sei, Guénault sagte, dass es die Leber sei, Vallot sagte, dass es die Lunge sei, Des Fougerais sagte, dass es ein Abszess des Dünndarms sei und dass es ein Ausfluss von Eiter auf seinem Rücken sei, was er beobachtet habe, was aber kein anderer gesehen hatte.“1 Mazarin entschied sich für jene Therapie, die Antoine Vallot, der Leibarzt des Königs, vorgeschlagen hatte, und dieser, der seit Jahren diese Funktion erfolgreich ausübte und ein „Journal“ über den jeweiligen Gesundheitszustand des Königs führte, hat nicht ohne Selbstzufriedenheit festgehalten: „Der Herr Kardinal, der von mir unterrichtet worden war, dass es um eine entscheidende Maßnahme gehen sollte, um dem König zu helfen, wollte an unserer Konsultation teilnehmen mit der Absicht, den Vorschlag zu stärken, den ich gemacht hatte.“2 Das Medikament, das Vallot zur Anwendung brachte, war ein mit Antimon angereicherter Wein („vin émérique“) – ein Mittel, das die Ärzte nur bei extremer Gefährdung des Patienten verabreichten, denn Antimon, in größerer Dosis eingenommen, konnte zu tödlichem Gift werden. Der Leibarzt hatte die richtige Dosis gewählt. Der Magen des jungen Königs entleerte sich im Erbrechen, was unmittelbar ein Absinken der überhöhten Körpertemperatur zur Folge hatte – das Fie-

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ber wich. Das Ansehen des Arztes stieg bis zu einer unantastbaren Autorität in die Höhe, aber ihm selbst war sehr wohl bewusst, dass „der König dank Gottes in so kurzer Zeit aus der äußersten Lebensgefahr gezogen wurde“.3 Schließlich war er dem Tod so nahe gewesen, dass ihm in der Nacht vom 7. auf den 8. Juli 1658 die Letzte Ölung erteilt worden war. Die Ärzte hatten ihren Platz an seinem Bett zeitweise schon den Priestern überlassen, und die Höflinge waren von dem Krankenbett des Königs in die Gemächer seines Bruders, des Herzogs d’Orléans, geeilt, für den sich die Chance der Nachfolge scheinbar unausweichlich abzeichnete. Nur eine junge weibliche Person des Hofes hatte mit Seufzen und Schluchzen ihr Mitempfinden für den jungen König offen bekundet – es war ein sichtbar gewordenes Bekenntnis der Liebe zu dem jungen Monarchen. Dieser erlangte, als er nicht zuletzt aufgrund seiner guten Konstitution die gefährliche Krankheit überwunden hatte, Kenntnis von der ihm so unmittelbar entgegengebrachten Zuneigung und erwiderte sie alsbald mit gleicher Sympathie. Das junge Fräulein war Maria Mancini, die Nichte Mazarins – sie wurde die erste große Leidenschaft des Königs, die ihn sogar seine Pflicht, nur standesgemäß eine Prinzessin von königlichem Blut heiraten zu dürfen, für einige Zeit vergessen ließ. Maria war zu jenem Zeitpunkt achtzehn Jahre alt und hatte 1654 nach ihrer Ankunft in Frankreich und dem generösen Empfang durch Anna von Österreich in Paris zunächst acht Monate in Aix-en-Provence bei ihrer Schwester Laura verbracht, deren Gemahl der Herzog de Mercœur war, der als Gouverneur der Provence im Süden Frankreichs residierte. Dort hatte sie die französische Sprache erlernt und war mit

Maria Mancini, in die sich Ludwig XIV. verliebte, die aber auf eine Heirat mit ihm verzichten musste – eine melodramatische Tragödie im Leben beider. Gemälde von Ferdinand Voet.

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französischer Lebensart vertraut gemacht worden. Ergänzend vermittelte man ihr nach ihrer Rückkehr in Paris im Kloster Visitation Sainte-Marie, in dem die Töchter aus höherem Adel ihre standesgemäße Ausbildung absolvierten, jene Kenntnisse, die sie befähigen sollten, sich protokollgerecht am Hofe zu bewegen und an der dortigen Konversationskultur über die französische Literatur- und Theatertradition teilzunehmen. Maria Mancini aber erweiterte darüber hinaus ihren Bildungshorizont mit der Kenntnis antiker Historiker wie Plutarch und Philostrat, ihre Neugier wandte sich außerdem den Autoren Ariost und Tasso zu, und auch die zeitgenössische Romanliteratur blieb ihr keineswegs unbekannt. Über ihre geistige Wendigkeit, die der ihres Onkels nicht unähnlich war, aber sich im Verzicht auf dessen elegante Technik der Konfliktvermeidung deutlich unterschied, hat Madame de La Fayette sich anerkennend geäußert: „Sie besaß einen kühnen, entschlossenen, hitzköpfigen, freizügigen Geist, der weit entfernt war von Zivilisiertheit und Höflichkeit.“4 Den geistigen Fähigkeiten schien zunächst ihre körperliche Ansehnlichkeit nicht zu entsprechen, und dieser Mangel an Schönheit, wie sie von den Damen des Hofes gefordert wurde, hat Madame de Motteville, die ihr freilich kein besonderes Wohlwollen entgegenbrachte, mit klaren Worten festgehalten: „Sie konnte hoffen, von schöner Figur zu sein, weil sie für ihr Alter groß war und sehr gerade; aber sie war mager, und ihre Arme wie ihr Hals erschienen so lang und abgezehrt, dass es nicht möglich war, sie in dieser Hinsicht zu loben. Sie hatte braune Haare, ihre Augen, die sehr groß und schwarz waren, jedoch keinerlei Feuer besaßen, erschienen hart; ihr Mund war groß und flach; und außer ihren Zähnen, die sehr schön waren, konnte man von ihr nur sagen, dass sie ganz hässlich sei.“5

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Dennoch brachte ihr Ludwig XIV. sogleich große Zuneigung und Verehrung entgegen und bekannte sich zu diesen Gefühlen in aller Öffentlichkeit. Als der Hof im Spätsommer zur jährlichen Jagdsaison nach Fontainebleau kam, war die Leidenschaft des jungen Monarchen für diese Nichte Mazarins nicht länger verborgen, und die Höflinge, die noch die geringsten Veränderungen in der königlichen Familie mit äußerster Aufmerksamkeit beobachteten, waren sie doch bis in ihre vitale Existenz von der königlichen Gnade und Gunst abhängig, drängten sich in die Nähe Marias. Sie stieg sogar zur heimlichen Königin der Feste auf und war die bevorzugte Begleiterin des Königs während seiner Promenaden durch die weitläufigen Parkanlagen. Beider Konversation wurde jedoch weitgehend von den Zitaten der antiken Autoren Ovid und Seneca bestimmt, die Maria dem jungen Monarchen als etwas ihm Fremdes und Faszinierendes entgegenbrachte. Es war für ihn, der die heftigen Bewegungen der Jagd in der Natur der stillen Begegnung mit einem Buch vorzog, die Entdeckung einer neuen Welt des Geistes. Damit wurde Maria zum Störfaktor auf dem politischen Schachbrett, auf dem ihr Onkel den entscheidenden Zug zum Sieg über die Spanier vollziehen wollte – das Siegel auf dem Friedensvertrag sollte Maria Teresa, die spanische Infantin, sein, die Anna von Österreich sich gemäß ihrem langjährigen Plan zur Gemahlin ihres ältesten Sohnes wünschte. Die Waage der Waffen, die beide Länder auf diversen Schlachtfeldern zum Einsatz brachten – übrigens auf spanischer Seite nun geführt von einem zum spanischen Feldherrn gewandelten Franzosen, dem Prinzen de Condé –, neigte sich mehr und mehr zugunsten Frankreichs. Die spanische Widerstandskraft wurde zusätzlich durch England, das Mazarin als Bündnispartner Frankreichs gewonnen hatte, geschwächt, da diese Seemacht nicht nur die spanischen Gold- und Silberschiffe aus Mittelamerika attackierte, sondern auch den Seeweg von Spanien in die Spanischen Niederlande blockierte. Es waren

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jedoch nach nunmehr über zwanzig Kriegsjahren auch die militärischen Kräfte Frankreichs erschöpft. Diese militärische Lage verlangte nach einer politischen Lösung, seitdem sich die dynastischen Probleme auf spanischer Seite leidlich geordnet hatten. Zwar hatte Philipp IV., der Bruder Annas von Österreich, zunächst und für lange Zeit keine weiteren Kinder als seine Tochter, doch Maria Teresa konnte, da in Spanien nicht das salische Recht der einzig männlichen Thronfolge galt, als Königin ihrem Vater nachfolgen. Allerdings würde ihre Ehe mit Ludwig XIV. die von Philipp IV. als traumatisch empfundene Gelegenheit bieten, beide Länder zu vereinigen – natürlich unter der Dominanz Frankreichs. Philipp IV. litt unter dieser für Spanien desaströsen Perspektive und dem Umstand, dass seine Gemahlin Elisabeth von Frankreich, die älteste Schwester Ludwigs XIII., ihm keinen Sohn gebar, der bis ins Erwachsenenalter überlebte, sondern immer wieder Töchter, von denen einzig Maria Teresa überlebte. Dieser spanische König, der nicht geringe Talente auf künstlerischem Gebiet besaß, wurde jedoch von übersteigerter Sinnlichkeit getrieben, die ihn des Nachts in der Halbwelt von Madrid zu exzessiven Ausschweifungen trieb und den Tag darauf zu Bußübungen, mit denen er sich selbst geißelte. Dieses zweite Leben jenseits der formstrengen Hofetikette bescherte ihm nicht weniger als dreißig illegitime Kinder, darunter auch mit einer Schauspielerin einen Sohn, Don Juan d’Austria, der als Militär bis zum Rang eines Feldherrn aufstieg. Als seine Gemahlin Elisabeth von Frankreich gestorben war, vermählte sich Philipp IV. mit Maria Anna von Österreich, die übrigens ein Jahr jünger als Maria Teresa war. Sie brachte nach mehreren Fehlgeburten 1657 einen Sohn zur Welt, ein schwächliches Kind, das den Namen Philipp Prosper erhielt und dem König die Gewähr bot, dass seine Thronfolge durch einen männlichen Erben gesichert sei und seine Tochter Maria Teresa ihren ersten Platz in der Rangfolge verlor.

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Damit war ein gravierendes Hindernis gegen einen Frieden mit Frankreich aus dem Weg geräumt und die von Mazarin sowie später von Ludwig XIV. in Aussicht genommene politische Option, Frankreich um Spanien zu vergrößern, rückte in eine ungewisse Zukunft. Einzig die schwächliche Gesundheit des Infanten Philipp Prosper schien Mazarin zur Hoffnung Anlass zu geben, dass dessen baldiger Tod Frankreich erneut die Zugriffsmöglichkeit auf den spanischen Thron bescheren werde. In der Tat starb der spanische Thronfolger im November 1661 – acht Monate nach Mazarins eigenem Tod. Ihm blieb indes auch die Nachricht erspart, dass die spanische Königin eine Woche nach dem Tod ihres ersten Sohnes einen zweiten gebar, ebenfalls von schwacher Gesundheit. Doch dieser König, der als Karl II. im Jahr 1665 seinem Vater Philipp IV. nachfolgte, lebte noch bis 1700. Dann aber zögerte Ludwig XIV. nicht, die Ansprüche seiner bereits verstorbenen Gemahlin auf den spanischen Thron geltend zu machen. Die Folge war der vierzehn Jahre dauernde Spanische Erbfolgekrieg, der den Sonnenkönig wie erwähnt in der militärischen Konfrontation mit dem kaiserlichen Feldherrn Prinz Eugen, dem Sohn von Mazarins Nichte Olympia, fast der Gefahr des Sonnenuntergangs seiner Macht aussetzte. Zurück ins Jahr 1658, als Mazarins Nichte Maria die sorgfältig arrangierte Konstruktion ihres Onkels zum Einsturz zu bringen drohte. In ihren Memoiren hat sie später den Beginn der gegenseitigen Leidenschaft mit Ludwig XIV. beschrieben, und wie beide sich zunächst mit Blicken bestätigten, „jener beredsamen Sprache der Augen, die mehr überredet als die schönsten Worte der Welt, ohne ein Wort zu sagen … ich hatte eine Eroberung von größter Wichtigkeit gemacht. Die Menschen des Hofes, die die üblichen Spione der Handlungen der Könige sind, haben ebenso wie ich die Liebe entdeckt, die Seine

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Majestät für mich hatte … die wunderbaren Geschenke, die er mir machte, und darüber hinaus seine Sehnsucht, seine Seufzer und eine umfassende Gefälligkeit, die er für alle meine Wünsche hatte – sie ließen keinen Zweifel darüber.“6 Anna von Österreich beobachtete zunächst ohne größere Befürchtungen die sich zu heftiger Leidenschaft entfaltende Annäherung des jungen Königs an die Nichte Mazarins. Die verstand es jedoch, ihrem Anbeter auch politisch ein wenig die Augen zu öffnen, indem sie ihm vorwarf, sich von der Regierung Frankreichs völlig fernzuhalten und alle Verantwortung für die Regierungsgeschäfte ihrem Onkel zu überlassen, obgleich er doch als Monarch ein Alter erreicht habe, in dem ein souveräner König längst die Herrschaft über sein Land ausüben könne. So versäumte sie auch nicht, ihn mit dem Vorwurf zu konfrontieren, dass die ihm völlig unbekannte Infantin ihm als Gemahlin dekretiert werde. Auf diese Weise forderte sie seinen Stolz heraus. Aber zunächst war Ludwig XIV. davon überzeugt, dass es für ihn nur eine standesgemäße Ehe geben könne, und Maria dürfte noch ohne weiter reichende Ambition gewesen sein – vielleicht dachte sie daran, die Rolle der maîtresse en titre des zukünftigen Herrschers einzunehmen. So war es nur eine Geste der unverbindlichen Höflichkeit, dass der König auf ihre Begleitung Wert legte, als sich der Hof auf die Reise nach Lyon begab, um dort mit der Herzogin Christine von Frankreich, einer weiteren Schwester Ludwigs XIII., die den Herzog Viktor Amadeus geheiratet hatte, über eine mögliche Heirat zu verhandeln. Mazarin hatte am Hof von Turin, mit dessen führenden Personen er seit seinen frühen diplomatischen Aktivitäten in Norditalien überaus vertraut war, anfragen lassen, ob eine Verehelichung des Königs mit der Prinzessin Margarete infrage komme. Trotz des vagen Charakters der Anfrage sah sich Christine von Frankreich schon als Schwiegermutter ihres Neffen, zumal an den Höfen Europas bereits die Frage

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gestellt wurde, warum Ludwig XIV. nicht längst verheiratet sei, was in seinem Alter von zwanzig Jahren auf eine verspätete Erfüllung der Pflicht, die dynastische Nachfolge zu sichern, schließen ließ. Hintergrund für diese Verspätung war, dass das Kriegsende mit Spanien sich verzögerte, an das Anna von Österreich die Hoffnung band, ihr Sohn werde ihre Nichte, die Infantin Maria Teresa, heiraten. Um die Realisierung dieser Option zu beschleunigen, hatte Mazarin, der bei aller exakten Berechnung seiner politischen Schritte gelegentlich auch sein Talent als Risikospieler zum Einsatz brachte, die Verheiratung des Königs mit der Prinzessin Margarete von Savoyen ins Spiel gebracht. Es war eine kühne Variante, an der sich Anna von Österreich nur widerwillig beteiligte. Ludwig XIV. ritt seiner vorgeblichen Gemahlin bereits vor der offiziellen Begegnung beider Höfe in Lyon entgegen und meldete seiner Mutter den ersten Eindruck, den seine Cousine auf ihn gemacht hatte: „Sie ist kleiner als die Frau Marschallin (die Herzogin de Villeroy, die sehr klein war), hat aber eine ganz reizende Figur. Sie hat einen gelben Teint, der ihr jedoch gut steht. Sie hat schöne Augen, kurzum sie gefällt mir und entspricht meinen Vorstellungen.“7 Maria Mancini, die bei den langen Tagesritten der Reise an der Seite des Königs geblieben war, erlaubte sich zu ihren Gunsten ein gegenteiliges Urteil: „Ist es nicht schändlich, dass man Ihnen eine hässliche Frau geben will?“8 Seinen theatralischen Höhepunkt erreichte das politische Versteckspiel in Lyon, wo die harten Interessen Mazarins von einer furiosen Abfolge von heiteren Festen verdeckt wurden, während im fernen Madrid Philipp IV. angesichts der drohenden Verheiratung Ludwigs XIV. den Ausruf getan haben soll: „Das darf nicht sein und das wird nicht sein!“ („Esto no puedo ser y no sera.“)9 Er soll sogleich seinen Vertrauten Antonio Alonzo Pimentelli nach Lyon entsandt haben, der mitten in einem festlichen Ball den Ersten Minister Frankreichs in ein

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Seitenkabinett bat. Von dort in den Festtaumel zurückgekehrt, flüsterte Mazarin Anna von Österreich ins Ohr: „Ich bringe Ihnen eine gute Nachricht, auf die Sie am wenigsten gefasst sind.“ Darauf die Königin: „Es ist also die Infantin.“ – „Sie haben es gesagt, die Infantin gehört Ihnen!“10 Damit hatte die „Comédie de Lyon“, wie diese Vorgänge genannt wurden, ihren Höhepunkt erreicht. Doch die tatsächlichen Abläufe der politischen Intrige gestalteten sich komplizierter. Pimentelli war bereits vor der Ankunft des französischen Hofes in Lyon und offerierte Mazarin in mehrtägigen Verhandlungen die Verheiratung Ludwigs XIV. mit der Tochter seines Königs. Statt des Friedens bot er jedoch nur einen einjährigen Waffenstillstand an, um ausreichend Zeit für detaillierte Friedensverhandlungen zu gewinnen. Hinzu kam, dass Pimentelli nicht der offiziell akkreditierte Friedensunterhändler war – diese Rolle würde später der Erste Minister Spaniens, Don Luis de Haro, übernehmen. Die politische Partie zwischen den beiden Mächten, die sich seit nunmehr 23 Jahren bekriegten, war also noch nicht entschieden, aber Spanien hatte den ersten Schritt getan. In Lyon galt es nun, sich taktvoll aus jeder scheinbaren Eheanbahnung zwischen Ludwig XIV. und Margarete von Savoyen zurückzuziehen. Christine von Frankreich zeigte ihren Unmut bis hin zu Tränen, während ihre Tochter, die zwar wenig ansehnlich, aber wachen Geistes war, das Spiel durchschaut hatte und souveräne Haltung bewahrte: „Sie blieb völlig beherrscht in allen ihren Handlungen, in höflicher Aufmerksamkeit gegen alle, ohne sich darum zu bemühen, besonders zu gefallen.“11 Mazarin säumte nicht, neben von ihm selbst präsentierten Duftwässern sogar schwarz emaillierte Ohrringe mit aufgesetzten Diamanten an die beiden hohen Damen von Savoyen zu verteilen – ein trauriger Trost. Auch die Rückreise hat Maria Mancini genutzt, sich Ludwig XIV. weiter zu nähern, zumal die Gefahr einer kurzfristigen Heirat des Königs vorerst gebannt war. Ihre gegenseitige Leidenschaft steigerte

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sich bis zu dem Grade, dass der junge König sich nach der Rückkehr in Paris zu einem entscheidenden Schritt entschloss – er warf sich vor Anna von Österreich und Mazarin auf die Knie und bat um deren Zustimmung zu einer Heirat mit Maria. Damit war für die Königin die Toleranzschwelle gegenüber ihrem Sohn überschritten, und als Mazarin sich nach seiner üblichen diplomatischen Methode der Entscheidung verweigerte, um alle Optionen offenzuhalten, soll es sogar zu einer offenen Konfrontation mit Anna von Österreich gekommen sein – wenigstens hat Madame de Motteville die prekäre Situation so geschildert, als wäre sie Augen- und Ohrenzeuge der hochdramatischen Szene gewesen, was keinesfalls den vertraulichen Umgangsformen zwischen Königin und Kardinal entsprochen haben dürfte: „Seine Nichte, vergiftet von ihrer Leidenschaft und überzeugt von dem Übermaß ihres Charmes, hatte so viel Anmaßung, sich einzubilden, dass der König sie in dem Maße lieben würde, dass er alles für sie tun werde: bis zu dem Grade, dass sie ihren Onkel wissen ließ, sie sei in so enger Beziehung mit dem König, dass es ihr nicht unmöglich sei, Königin zu werden, vorausgesetzt er wolle daran mitwirken. Er wollte ihr seinerseits nicht das Vergnügen verweigern, ein so schönes Abenteuer zu versuchen, und sprach eines Tages mit der Königin, indem er sich über die Verwegenheit seiner Nichte lustig machte, aber in einer unentschiedenen und beiläufigen Weise, die ihr ausreichend klar zu erkennen gab, was sich in seinem Innern abspielte, um ihm abrupt mit diesen Worten zu antworten: ‚Ich glaube nicht, Herr Kardinal, dass der König zu einer solchen Feigheit fähig wäre; aber sollte es möglich sein, dass er einen solchen Gedanken haben sollte, werde ich Sie nicht im Unklaren darüber lassen, dass ganz Frankreich sich gegen Sie und ihn erheben würde; was mich betrifft, ich würde mich an die Spitze jener Aufstände stellen und dazu

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würde ich auch meinen Sohn (ihren zweiten Sohn, Philippe d’Orléans) verpflichten.‘“12 Es ist umstritten, ob Mazarin in seine politischen Optionen ernsthaft die Variante einbezog, dass seine Nichte Maria Ludwig XIV. heiraten und er zum Mitglied der königlichen Familie aufsteigen würde. Doch die unmittelbaren negativen Folgen standen ihm unausweichlich vor Augen, denn seine Nichte, einmal gekrönt, würde auf seine Absetzung dringen, ganz abgesehen von der unabsehbaren Fortsetzung des Krieges mit Spanien. Es wäre die Zerstörung seines politischen Lebenswerks gewesen und hätte Frankreich um die Chance gebracht, zur unbestrittenen Führungsmacht in Europa aufzusteigen. Diese Perspektive, den französischen König zum dominierenden Herrscher in Europa zu machen, war stets die pädagogische Programmatik gewesen, die Mazarin als Pate dem jungen König bei dessen Erziehung vor Augen geführt hatte. Mazarin vergegenwärtigte ihm dieses gloriose Ziel erneut, als sein Zögling sich ihm mit dem Projekt seiner Verheiratung mit Maria erstmals widersetzte: „Sie erinnern sich … dass ich die Ehre hatte, Ihnen mehrere Male zu sagen, als Sie mich nach dem Weg fragten, der einzuschlagen wäre, um ein großer König zu werden, dass es nötig wäre, in höchster Anstrengung damit zu beginnen, von keiner Leidenschaft beherrscht zu sein; denn wenn dieses Unglück, von welchem guten Willen es immer getragen sein mag, einträfe, sei man außerstande, zu tun, was nötig ist. Ich spreche zu Ihnen mit jener Freimütigkeit, die Sie immer von mir verlangt haben, und ich werde es in derselben Weise immer tun, denn Sie haben keinen Diener, der mehr als ich sein Interesse auf Ihren Ruhm (‚gloire‘) gerichtet hat und der in Ihnen den größten König der

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Ludwig XIV. entsagt seiner Liebe zu Maria Mancini, Holzstich nach einer Zeichnung von Desandre aus „Les Bons Romans“, 1861.

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Erde (‚terre‘) mit jenen persönlichen Fähigkeiten sieht, die Sie durch jene Königreiche haben, deren Herrschaft Sie besitzen.“13 Auf diese verheißungsvolle Aussicht, dass Ludwig XIV. der Weg zu großer Machtfülle offenstehe, ließ Mazarin die unmittelbare Drohung seines Rücktritts folgen – sie war und ist stets der letzte Trumpf der großen Staatsmänner, um ihr politisches Programm durchzusetzen, womit sie zugleich das höchste Risiko, zu scheitern, eingehen: „Gott hat die Könige eingesetzt, um über das Wohlergehen, die Sicherheit und die Ruhe ihrer Untertanen zu wachen und dieses Gut nicht ihren persönlichen Leidenschaften zu opfern. Für den Fall, dass Sie nicht auf den rechten Weg zurückkehren, habe ich keine andere Wahl, als Ihnen das letzte Zeichen meiner Treue zu geben … das heißt, mich zu opfern, und nachdem ich alle Wohltaten, mit denen es Gott gefallen hat, mich vonseiten des verstorbenen Königs, von Ihrer Seite und vonseiten der Königin zu überschütten, Ihnen zurückgegeben hätte, mich mit meiner Familie in ein Schiff zu begeben, um in einem Winkel Italiens den Rest meiner Tage zu verbringen.“14 Gewiss hätte der Erste Minister alle Macht besessen, um seine Nichte zum Verzicht auf ihre kühnen Wünsche zu zwingen und nach Italien zurückzuschicken, aber er hätte damit Ludwig XIV. zum Widerstand herausgefordert und wäre das Wagnis seiner eigenen Entmachtung eingegangen. Ihm und Anna von Österreich gelang es schließlich, den jungen König zum Verzicht auf die Ehe mit Maria zu veranlassen – Ludwig XIV. dürfte am Ende nicht nur überredet, sondern überzeugt gewesen sein, dass sein Rang als König und das Programm seiner politischen Ziele von ihm dieses persönliche Opfer verlangten. So war es Ludwig XIV., der in der melodramatischen Trennungs-

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szene, die sich am 22. Juni 1659 ereignete, die entscheidende Rolle spielte. Der Hof befand sich auf der Reise nach Süden, nachdem am 4. Juni ein Vorvertrag mit Spanien in Paris abgeschlossen worden war, und Maria musste mit ihren Schwestern Hortensia und Marie-Anne die Route nach Westen, nach La Rochelle, nehmen. Bevor sie in die Kutsche stieg, um dorthin zu gelangen, sagte sie zu dem emotional aufgewühlten König: „Sie weinen! Und Sie sind der Herrscher (‚maître‘)! Ach, Sire, Sie sind der König, und ich gehe.“15 Nahezu wörtlich hat Racine zehn Jahre später in seinem Drama „Bérénice“ (4. Akt, 5. Szene) diesen Augenblick festgehalten: „Sie sind Kaiser, Herrscher, und Sie weinen.“16 Mit seinem Schweigen hatte sich Ludwig XIV. für seine Pflichten als Herrscher entschieden und sich zugleich als Herr seiner Gefühle gezeigt. Maria aber verlor mit diesem erzwungenen Verzicht auf ihre Leidenschaft den Fixpunkt ihres Lebens, was sie wie geschildert bis zum Tod nicht zur Ruhe kommen ließ. Es gab noch ein Nachspiel in Saint-Jean-d’Angély, da Anna von Österreich den Trennungsschmerz ihres Sohnes ein wenig lindern wollte. Maria, die nicht in La Rochelle geblieben war, sondern sich bis an die düstere Atlantikküste nach Brouage zurückgezogen hatte, auch weil der Kommandant dieser Festung ihre Briefe diskret an den König weiterleitete und die seinen an sie zurück, sollte ihm ein letztes Mal begegnen. Mazarin aber hatte diesmal durch die Anwesenheit zahlreicher Personen Vorsorge getroffen, dass kein vertrauliches oder gar zärtliches Gespräch zwischen ihnen stattfinden konnte. Es war und blieb das letzte Mal, dass Maria dem König direkt begegnete. Mazarin erreichte bald das nördliche Ufer des kleinen Flusses Bidassoa, der Frankreich von Spanien trennt. In dessen Mitte liegt die Fasaneninsel, und die Spanier mit ihrem Ersten Minister Don Luis de Haro an der Spitze bezogen Stellung am südlichen Ufer. Die kleine Insel wurde zum neutralen Gebiet erklärt, und auf beiden Uferseiten wurden aus Holz aufwendige Pavillons errichtet, denn den Vertretern

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beider Länder war verboten, auch nur einen Fuß auf gegnerischen Boden zu setzen – schließlich befand man sich noch im Kriegszustand. Mazarin hatte jedoch am französischen Ufer einen weit prächtigeren Bau errichten lassen, in dessen großem Saal sich einige großformatige Wandteppiche aus Flandern befanden, die die Reise aus Mazarins Palais in Paris bis in das Sumpfgebiet des Flusses mit ihm absolviert hatten. Unter großem Zeitverlust musste zunächst geklärt werden, wie viele Verhandlungsführer auf jeder Seite teilnehmen sollten. Auf spanischer Seite war es an erster Stelle der alte, aber geistig wache Don Pedro Coloma, auf französischer Hugues de Lionne, der schon zur Verhandlungsdelegation beim Westfälischen Frieden gehört hatte. Man begann die entscheidenden Gespräche am 13. August 1659, exakt in der Mitte der Fasaneninsel, auf der ein Gebäude mit symmetrisch angeordneten Räumen errichtet worden war. Durch die Mitte des zentralen Raums verlief eine fiktive Grenzlinie. Hier dauerten die Verhandlungen wegen zahlreicher Detailfragen und diplomatischer Winkelzüge fast vier Monate, bis endlich am 7. November auch über den Ehevertrag Ludwigs XIV. mit der Infantin Einigkeit erzielt worden war. Mazarin hatte mit Gicht und Schüttelfrost, die ihn in der herbstlichen Kälte und Nässe des Sumpfgebiets ereilten, gesundheitlich einen hohen Preis gezahlt. Aber den politisch höheren Preis zahlte Spanien. Frankreich konnte im Süden die eroberten Gebiete des Rousillon und der Cerdagne sowie den nördlichen Teil Kataloniens behalten, im Norden gewann es das Artois, außer den Orten Aire-sur-la-Lys und SaintOmer, und in Flandern die Städte Gravelines, Bourbourg und SaintVenant, im Hennegau Le Quesnoy sowie in Luxemburg Diedenhofen, Thionvillle, Montmédy und Damvillers hinzu. Auch gelang es, die französischen Eroberungen im Elsass von Spanien offiziell bestätigt zu erhalten.

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Dagegen gab Frankreich die von ihm eroberten flandrischen Städte Ypern, Oudenaarde, Menen und Diksmuide an Spanien zurück sowie verschiedene Gebiete in Italien, konnte aber endgültig die Schlüsselfestung Pinerolo behaupten. Frankreich verpflichtete sich außerdem, seinen Verbündeten Portugal aufzugeben, was es jedoch nicht daran hinderte, in Jahresfrist heimlich den deutschstämmigen General Friedrich von Schomberg mit Ausbildungsoffizieren nach Lissabon zu schicken. Schließlich hatte Frankreich zu erklären, dass es niemals wieder eine republikanische Regierung in England unterstützen werde, was wenig erforderlich war, da Karl II., der Sohn Henrietta Marias von Frankreich, schon im darauffolgenden Jahr auf den englischen Thron gelangte. Mit besonderer Hartnäckigkeit hatten die Spanier darauf bestanden, dass der in ihre Dienste getretene Prinz de Condé in seine Heimat zurückkehren könne und wieder in seine alten Rechte eingesetzt werde. Da Frankreich sich in Katalonien bis an die Höhengrenze der Pyrenäen zurückzog, erhielt der Friedensvertrag, der zusammen mit dem Ehevertrag für Ludwig XIV. und Maria Teresa eine Einheit bildete und am 7. November 1659 unterzeichnet wurde, den Namen Pyrenäenfrieden. In dem Vertragswerk war jedoch eine Falle versteckt, die wie erwähnt Ludwig XIV. nach fast vierzig Jahren seinen letzten und längsten Krieg beginnen ließ – den Spanischen Erbfolgekrieg. Denn die Erbfolgerechte von Maria Teresa waren zwar exakt geordnet, kamen jedoch nicht zur korrekten Ausführung. Don Luis de Haro wollte die Gefahr ausschließen, dass Spanien an Frankreich fallen könnte, was der Fall gewesen wäre, wenn Maria Teresa ihre Rechte auf die spanische Thronfolge hätte bewahren können. Diese Gefahr sollte dadurch gebannt werden, dass alle ihre erbrechtlichen Ansprüche auf Spanien durch eine Mitgift in der beträchtlichen Höhe von 500 000 Écus abgegolten sein sollten – nicht in der ständig weiter abgewerteten Währung Spaniens, sondern in der stabilen Frankreichs. Es gelang Hugues de

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Lionne mit einem einzigen Wort, die Erbansprüche Maria Teresas mit der Zahlung dieser Summe zu verknüpfen. Das Wort hieß „mittels“ („moyennant“). Nur wenn die Zahlung geleistet würde, deren erste vier Raten sogar zeitlich fixiert waren, würde dies den Verzicht auf sämtliche Erbrechte zur Folge haben. Kein einziger Écu wurde jedoch von Spanien gezahlt, und Ludwig XIV. konnte schon in seinem ersten Krieg, dem Devolutionskrieg des Jahres 1666, dank dieser Vertragsklausel seine Truppen in Brabant einmarschieren lassen. Um den Ehevertrag mit religiösen Zeremonien und glanzvollen Festlichkeiten zu vollziehen, empfahl sich jedoch die inzwischen erreichte Winterzeit keineswegs. So entschloss sich der französische Hof zu einer Reise in die Provence, um der königlichen Autorität mit der Präsentation der Person des Königs neuen Respekt zu verschaffen. Die Kavalkade mit dem personenreichen Hofstaat, der für die würdevolle Hochzeitszeremonie unerlässlich war, wälzte sich langsam nach Toulouse, wo das Weihnachtsfest zelebriert wurde. Von dort ging es über Carcassonne und Montpellier nach Aix-en-Provence, wo man bis Mitte Januar Station machte. Dort kam es zu dem überraschenden Auftritt des Prinzen de Condé, der in der klaren Erkenntnis, dass der Aufstand der Adelsfronde ohne politische und militärische Chance war, dem König seine Aufwartung machte, also seine endgültige Unterwerfung vollzog. Wenn nicht mit Freuden, so doch mit Genugtuung dürfte der durch ein befriedetes Land ziehende König auch die Nachricht aufgenommen haben, dass sein Onkel Gaston d’Orléans, der während der Fronde so oft ins feindliche Lager gewechselt war, am 3. Februar gestorben war – entmachtet in seinem Exil. Nur in Marseille, das sich aufstandsfreudig zeigte, galt es, einer Rebellion militärisch ein Ende zu setzen, was am 5. März geschah. In Toulon, dem wichtigsten Kriegshafen Frankreichs, wurde eine Marinereform in Kraft gesetzt – alles zur Stärkung der königlichen Macht.

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Friedensschluss auf der Fasaneninsel im Grenzfluss Bidassoa zwischen Frankreich und Spanien am 6. Juni 1660. Wandteppich der Zeit.

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Dann nahte auch schon der Zeitpunkt der Rückreise, und der französische Hof erreichte schließlich über eine andere Reiseroute Saint-Jean-de-Luz – der spanische Hof mit Philipp IV. und seiner Tochter hatte sich in San Sebastián etabliert. Saint-Jean-de-Luz, seinerzeit eine Stadt von 12 000 Einwohnern, konnte kaum der großen Zahl der königlichen Hochzeitsgäste Unterkunft gewähren – rigoros löste man dieses Problem, indem die Eigentümer der besseren Häuser gezwungen wurden, ihre Wohnungen zu verlassen und den Mitgliedern des königlichen Hofes abzutreten. In drei Etappen gestaltete sich die Hochzeitszeremonie. Am 2. Juni erklärte Maria Teresa im bischöflichen Palais von San Sebastián den Verzicht auf ihre spanischen Thronrechte, und am Tag darauf wurde Don Luis de Haro, stellvertretend für Ludwig XIV., jenseits der nördlichen Landesgrenze mit der Infantin vermählt – es geschah in der kleinen Kirche von Fontarabia. Die Zeremonie vollzog der Bischof von Pamplona, und kein Geringerer als Diego Velázquez hatte für die aufwendige Dekoration gesorgt. Der zweite Akt fand am 6. Juni auf der Fasaneninsel statt, wo die fiktive Grenzlinie durch spanische und französische Teppiche markiert war, die sich nicht berührten. Auch zwei Tische, je einer auf jeder Seite, blieben auf Distanz. Als Augenzeugin hat Mademoiselle de Montpensier, die Tochter Gastons d’Orléans, die einst den Befehl gegeben hatte, die Kanonen der Bastille auf die königlichen Truppen zu richten, der aber ihr protokollarischer Rang die Anwesenheit bei dieser historischen Szene garantierte, die Einzelheiten festgehalten: „Die beiden Könige knieten nieder. Monsieur de Brienne, Sekretär des Staates, nahm den Friedensvertrag in die Hand, und Don Vouès de Cantocarrero, der Sekretär des spanischen Staates war, tat es ihm gleich; und jeder auf seiner Seite las ihn mit lauter Stimme vor, der eine auf Französisch, der andere auf Spanisch.

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Nachdem die Lektüre beendet war, legten beide Könige ihre Hand auf je ein Exemplar und sagten, dass sie schwüren, alles genau einzuhalten, was der Friedensvertrag enthalte; der König von Spanien sprach zuerst: Man sagte, dass es aus Ehrerbietung geschah, die er uns habe erweisen wollen. Als das geschehen war, erhoben sich beide und umarmten einander: Der König sagte ihm, er schwöre ihm Freundschaft ebenso wie Frieden; beide hielten Reden von großem Wohlwollen. Nachdem diese Formalität beendet war, gingen beide an das Ende ihres Tisches. Don Ferdinand stellte die Spanier dem König vor, und der Kardinal die Franzosen dem König von Spanien; danach gingen beide in ihr je eigenes Kabinett, um den Vertrag zu unterzeichnen, und einen Moment später kamen sie zurück. Der König von Spanien sagte der Königin, dass es spät sei und dass sie sich morgen um drei Uhr wieder zusammenfinden würden. Also trennte man sich.“17 Am nächsten Tag trafen alle am selben Ort wieder zusammen, und Anna von Österreich konnte mit Philipp IV. nach 25 Jahren erstmals wieder ein persönliches Gespräch führen. Anlass dieser zweiten Zusammenkunft aber war die Übergabe der inzwischen bereits verheirateten Maria Teresa an die französische Delegation. Groß war der Schmerz der Trennung von ihrem Vater, aber Anna von Österreich bemühte sich fürsorglich um ihre Nichte, die nun auch ihre Schwiegertochter war, wie sie es sich immer gewünscht hatte. Das strenge französische Protokoll verlangte den Kleiderwechsel von spanischer in französische Gewandung, und auch ihr Name wurde dem Wandel von Maria Teresa in Marie Thérèse unterworfen. Der dritte Teil des Friedens- und Hochzeitsvertrages wurde sodann am 9. Juni in Saint-Jean-de-Luz in der dortigen Kathedrale mit besonderer Prachtentfaltung vollzogen. Ein weiteres Mal fand die

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Zeremonie der Verheiratung statt, und die Schönheit der 59-jährigen Anna von Österreich überstrahlte die Ansehnlichkeit ihrer jungen Schwiegertochter. Deren Äußeres hat Madame de Motteville beschrieben: „Die Königin-Infantin war klein von Wuchs, aber wohlproportioniert. Wir bewunderten an ihr die erstaunlichste Blässe, die man sich vorstellen kann, sowie ihre ganze Persönlichkeit. Ihre blauen Augen erschienen uns schön, sie bezauberten uns durch ihre Milde und ihren Glanz. Wir rühmten die Schönheit ihres Mundes und ihrer Lippen, die allerdings ein wenig dick und kirschrot waren. Ihr Gesicht war länglich; da es an der unteren Partie rund war, gefiel es uns; auch ihre ein wenig dicken, aber schönen Wangen bekamen ihren lobenden Anteil. Ihr Haar war silberblond, was sehr gut zu der schönen Farbe ihres Gesichts passte. Um es richtig zu sagen: Bei größerem Wuchs und besseren Zähnen hätte sie es verdient, in die Reihe der schönsten Damen Europas gestellt zu werden.“18 Hinter diesen Floskeln der perfekten Hofdame verbarg sich die bittere Erkenntnis, dass die Infantin von zwergenhaftem Wuchs war, auch ihr die Habsburger Schlapplippe mit fliehendem Doppelkinn nicht erspart geblieben war und sich zu den Pausbacken auch noch schlechte Zähne fügten. Während des anschließenden Festmahls in einem Patrizierhaus drängte Ludwig XIV. noch vor dessen Ende zum Aufbruch in das wartende Nachtlager, das als Prachtbett auch heute noch vor Ort zu besichtigen ist. Sanft zurückweichend flüsterte seine Gemahlin: „Es

Maria Teresa, Infantin von Spanien, Tochter König Philipps IV. (1638–1683), ab 1660 Königin von Frankreich. Gemälde (um 1652/53) von Diego Velasquez (1599–1660).

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ist noch zu früh“,19 um dann wenig später ihre Hofdamen zur Eile anzutreiben: „Schnell, schnell, der König erwartet mich.“20 Anna von Österreich gewährte ihrer Nichte noch eine seltene Gunst, indem sie die Vorhänge des Baldachinbettes diskret über dem Paar senken ließ – das stets misstrauische Hofprotokoll hätte Zeugen bei der ersten ehelichen Begegnung des königlichen Paares verlangt. Doch am nächsten Morgen zeigte sich das Paar „sehr zufrieden, jeder mit jedem“.21 Es blieb die triumphale Rückreise durch das endlich pazifizierte Land – allerdings mit einer kleinen Abzweigung für den König. In Saint-Jean-d’Angély, dem Ort der schmerzlichen Trennung von Maria Mancini, erlaubte sich der nunmehr verheiratete König eine kleine sentimentale Pilgerreise in den Hafenort Brouage, in dessen düsterem Schloss ihm die Nichte Mazarins geheime Liebesbriefe geschrieben hatte. Mochten Anna von Österreich und Mazarin auch dagegen protestieren, Ludwig XIV. hatte seiner dynastischen Pflicht genügt und beharrte nun darauf, auch seinen persönlichen Gefühlen ihr Recht einzuräumen. Am 28. Juni verbrachte er die Nacht nicht nur im selben Zimmer wie einst Maria, sondern auch im selben Bett, genau dort, wo sie um ihn geweint hatte. Zurück im Zug des reisenden Hofes war dieses Kapitel der einzig dem Gefühl verpflichteten Liebe für Ludwig XIV. abgeschlossen – zukünftig würde der Machtmensch dominieren. Welche Machtfülle und welchen Glanz ihm die nunmehr von keiner Seite mehr gefährdete Krone bereiten würde, zeigte sich bereits am 26. August 1660 bei seinem triumphalen Einzug in Paris – der Regisseur dieser Demonstration der absoluten Herrschaft war natürlich Mazarin. Im Stil eines römischen Triumphzuges nahm das königliche Paar die Huldigung seiner einstigen Gegner, an ihrer Spitze der Prinz de Condé, schon im Osten der Stadt auf der Place du Trône, der heutigen Place de la Nation, entgegen – sie erschienen nicht in Ketten, aber beugten tief das Knie.

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Triumphaler Einzug des jungen Königspaares in Paris am 26. August 1660. Zeitgenössische Druckgraphik.

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Durch die einst heftig umkämpfte Porte Saint-Antoine, wo Mazarin seinen geliebten Neffen Paolo Mancini verloren hatte, gelangte der Zug in die Stadt – die Stadttore waren weit geöffnet, und die Kanonen der Bastille schossen Salut. Die Schlüssel der Stadt wurden dem König auf einem Samtkissen präsentiert, und sämtliche Körperschaften seiner Hauptstadt waren präsent, um ihre Ehrerbietung zu bezeugen: zunächst die Bettelmönche von Paris, sodann die Priester der 39 Pfarrgemeinden. Es folgte die Professorenschaft der Sorbonne mit ihrem Rektor an der Spitze, ferner 116 Doktoren der Theologie, sechs des kanonischen Rechts sowie 46 Doktoren der Medizin. Triumphbögen, auf denen das Symbol der Sonne prangte, die düstere Wolken vertrieb – eine der frühen Ankündigungen des Sonnenkönigs –, wurden passiert, und die Statuen der griechischen Götter Herkules und Pallas Athene waren als Garanten für die körperliche Stärke des Königs und – ohne Ironie – die geistigen Vorzüge seiner Gemahlin aufgestellt. Vor Notre-Dame zeigte eine chronologische Galerie die Büsten aller Könige Frankreichs – Ende und Höhepunkt war zwangsläufig Ludwig XIV. An der Spitze des Zuges trabten 72 Maultiere, von grün livrierten Männern geführt – 24 wiesen auf ihren bunten Samtdecken das Wappensymbol Mazarins auf. Der Stallmeister des Kardinals führte auch die Gruppe von 24 kostbar gekleideten und nobel berittenen Pagen an. Es folgten elf sechsspännige Karossen, deren Zugpferde durch ihre Rasse jeweils einer Region Frankreichs zugeordnet waren. Als letzte Steigerung erschien die Karosse seiner Eminenz, des Kardinals Mazarin, gezogen nicht von sechs Pferden, wie es den Hochadligen und den Prinzen von Geblüt zustand, sondern von acht Pferden. Aber es war nicht die größte Karosse, sondern die kleinste – und sie war leer. Diesen Theatercoup hatte sich der Theaterliebhaber Mazarin vorbehalten – er selbst stand, mit Anna von Österreich und dem Marschall Turenne zu seinen Seiten, auf dem Balkon des Palais Beauvais.

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Die Erschöpfung seiner Körperkräfte, verursacht durch die zahlreichen militärischen Feldzüge in Frankreich und durch die monatelangen Friedensverhandlungen im Sumpfgebiet der Fasaneninsel, war weit fortgeschritten. Er war parfümiert und geschminkt und genoss das Spektakel, das die Vollendung seines politischen Werks feierte. Aber wie lange würde er noch die Regierungsmacht in der Hand halten können? Würde der König ihn verdrängen, um die Selbstregierung auszuüben? Wäre ein baldiger Tod der letzte politische Dienst, den er Frankreich erweisen könnte?

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13. Herrschaft bis zum Tod

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as große Ziel des Siegfriedens gegen Spanien war erreicht und die Stabilität dieses Friedens mit der Ehe zwischen

Ludwig XIV. und Maria Teresa zusätzlich gefestigt. Nach außen wie nach innen gesichert war der französische Hof zu neuer Souveränität und Ruhe gelangt, und dennoch stellte sich für Mazarin die Frage, welche Perspektive sich seinem Leben nun noch öffnen könnte. Auch Madame de La Fayette wie viele ihrer Zeitgenossen suchte nach einer Antwort: „Der Frieden war hergestellt zwischen Frankreich und Spanien, die Hochzeit des Königs war nach vielen Schwierigkeiten vollzogen worden, und der Kardinal Mazarin, der höchst ruhmreich Frankreich den Frieden gegeben hatte, schien nichts weiter zu tun zu haben, als sich dieses großen Glücks zu erfreuen, bis zu dem ihn das Geschick emporgehoben hatte. Niemals hatte ein Minister mit einer so absoluten Macht regiert, und niemals hatte sich ein Minister seiner Macht so gut bedient, um seine Größe zu errichten. Es blieb nur, zu seinem Glück dessen Dauer hinzuzufügen, aber genau das war es, was ihm fehlte.“1

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Zuerst einmal galt es, das emotionale und politische Geflecht der am Hof dominierenden Personen neu zu ordnen. Am stärksten geschwächt erwies sich die Stellung Annas von Österreich – zunächst in ihrer Beziehung zu Mazarin, der es schon während des viermonatigen Aufenthalts auf der Fasaneninsel versäumt hatte, die Königin mit langen Episteln, die nicht zuletzt den Tonfall ihrer zärtlichen Vertrautheit aufweisen sollten, zu versorgen – er war bei ständigen Schmerzen in den Kleinkrieg um die optimalen Konditionen des Vertrages verstrickt. Ungeduldig und missmutig antwortete er auf ihr Verlangen, „nicht die Zeit zu haben für jene kleinen Briefchen, in denen ich nur dieselben Sachen wiederholen kann und die Sie sehr gut kennen“.2 Am Hofe verringerte sich die Distanz zwischen den beiden nicht, als entdeckt wurde, dass eine Kassette mit Briefen Maria Mancinis an den König verschwunden war. Befanden sich darin vielleicht nicht nur die sentimentalen Briefe der Liebenden, sondern auch der Beweis, dass Mazarin dem gewagten Projekt einer Eheschließung seiner Nichte mit dem jungen König nicht abgeneigt gewesen war? Schließlich fand sich die Kassette, deren Inhalt umgehend vernichtet wurde – weder Anna von Österreich noch Mazarin waren offensichtlich an einem Skandal interessiert, und als der Kardinal die Bestrafung der vorgeblichen Diebin verlangte, verweigerte die Königin den Vollzug unter Hinweis auf die langjährigen loyalen Dienste dieser Person. Zu der sich öffnenden Kluft zwischen Kardinal und Königin, die jedoch keineswegs zu einem Bruch führte, vielmehr sich langsam vergrößerte, kam der Machtverlust, den Anna von Österreich erlitt, indem sie immer seltener und eher teilnahmslos den Sitzungen des Staatsrates beiwohnte. Langsam, aber stetig war die Regierungsgewalt in den vergangenen achtzehn Jahren von der Regentin zum Ersten Minister gewandert, und wenn Anna von Österreich nun im Staatsrat eine Anregung vortrug oder einen Wunsch aussprach, stieß sie auf hinhaltende Ablehnung der Minister, die darauf bestanden, dass alles

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Wichtige nur in Anwesenheit und durch den Kardinal entschieden werden könne. So wandte sich Anna von Österreich ihrer jungen Nichte Marie Thérèse zu, die kein Wort Französisch sprach – beide bedienten sich des Spanischen. Das hatte eine besondere Vertrautheit zur Folge, schloss die junge Gemahlin Ludwigs XIV. aber auch weitgehend von dem Festtrubel aus, in den sich die junge Generation in der Freiheit des neuen Friedens stürzte. Stattdessen bevorzugten Tante und Nichte den Besuch von Kirchen und die Unterhaltung mit Nonnen in den Klöstern von Paris, wohin sie gern mit generösen Geldgeschenken aufbrachen. Doch auch hier stieß Anna von Österreich an enge Grenzen, die Mazarins Finanzverwalter Colbert zog. Er stellte allenfalls geringe Summen zur Verfügung – nicht nur für die christliche Caritas, sondern auch für das Glücksspiel, dem die Leidenschaft der Königinmutter galt – bis hin zu hohen Verlusten. Noch einen weiteren, entscheidenden Rückschlag hatte Anna von Österreich zu beklagen – das Vertrauen ihres Sohnes entglitt ihr und gehörte nun dem Kardinal. Denn nach dem hochemotionalen Verzicht auf Maria Mancini, nach seiner politisch dominierten Verheiratung mit Maria Teresa und nach seiner Verpflichtung zu einem rein von politischen Maximen abhängigen Handeln hatte er die Rolle eines rational kontrollierten Königs angenommen – er war damit den Handlungsempfehlungen seines Erziehers gefolgt. Dieser hatte ihm 1659 in den dramatischen Wochen auf der Reise in den Süden Frankreichs in einem Brief ein zukünftiges Regierungsprogramm skizziert, dem der junge König zwei Jahre später bis in Details folgen sollte: „Wenn Sie eines Tages die Regierungsgewalt übernehmen, werden Sie an einem Tag mehr erreichen als ich in sechs Monaten. Denn was ein König tut, ist von ganz anderem Gewicht und bewirkt einen ganz anderen Glanz und Eindruck als das, was ein Minister tut, über welche Autorität er auch immer verfügen mag. Ich werde der glück-

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lichste der Menschen sein, wenn ich Sie sehe, wie Sie, und daran habe ich keinen Zweifel, den Beschluss ausführen, den Sie hinsichtlich der Staatsgeschäfte gefasst haben, und ich werde zufrieden und glücklich in dem Augenblick sterben, in dem ich Sie in der Lage sehe, selbst zu regieren – sich nur Ihrer Minister bedienen, um deren Meinung zu hören, und dann zu handeln, wie Sie es für richtig halten, und ihnen danach die Befehle zu geben, die sie zu exekutieren haben.“3 Damit hatte Mazarin den jungen König direkt mit der Herausforderung und Verpflichtung konfrontiert, seiner Aufgabe als Herrscher gerecht zu werden – bis zur Entscheidung in letzter Instanz und bis zur alleinigen Verantwortung auch für das Handeln seiner Minister. Ludwig XIV. hat sich dieser Verpflichtung gestellt und zunehmend die Nähe Mazarins gesucht – ein Prozess kam in Gang, an dem Anna von Österreich keinen Anteil hatte, da sie die Regierungsgewalt sukzessive ihrem Ersten Minister überlassen hatte. Der verdankte ihr zwar sämtliche seiner Machtbefugnisse, aber an deren Ausübung war sie nicht mehr beteiligt. So bemühte sich der König, der um die schwindende Lebenszeit seines Ersten Ministers wusste, dessen Regierungskünste zu erfahren, um sich ihrer in nicht ferner Zukunft zu bedienen. Es geschah unauffällig, fast ohne Rücksicht auf seinen königlichen Rang, fast demütig, wie der Gesandte Venedigs beobachtet hat: „Wenn der Kardinal beschäftigt ist, macht sich der König die Mühe, zu warten. Wenn die Minister zur Audienz erscheinen müssen, bleibt er nur einen Augenblick, sagt ihnen guten Tag und entfernt sich. Aber normalerweise dauern ihre Unterhaltungen einige Stunden. Dann informiert ihn der Kardinal über alles, und es geschieht in der Weise, dass, wenn Seine Majestät diese genauen Ratschläge befolgt, diese weittragenden Maximen und alles, was das Genie eines so großen Mannes ihm über das Geheimste und Tiefste enthüllt, man nicht zweifeln kann, dass

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wenn sie (Seine Majestät) nicht unter den Einfluss eines Ministers gerät, sie ein sehr großer Fürst wird.“4 Eine letzte Liste von Maximen für ein glückliches Gelingen der königlichen Herrschaft übergab Mazarin seinem aufmerksamen und willigen Zuhörer, der ihn „mehrere Male am Tag aufsuchte“.5 Es sollten ursprünglich zehn Empfehlungen sein, aber Mazarin dürfte taktvoll dem Vergleich mit den zehn Geboten ausgewichen sein – es blieben neun. An erster Stelle stand der Imperativ, auf das Wohl des Staates die höchste Aufmerksamkeit zu richten, was als Basis den Respekt vor den moralischen und religiösen Gesetzen einschloss. Dem Volk solle so weit wie möglich Erleichterung seiner Lage verschafft werden; der Kirche, samt ihren Privilegien, wie auch dem Adel sei mit „Vertrauen und Güte“6 zu begegnen; sogar den Parlamenten sei ihre Machtstellung zu belassen, allerdings unter der Bedingung, sich auf die Rechtsprechung zu beschränken und auf jede politische Einflussnahme zu verzichten. Die neunte Regel hatte Mazarin nicht ohne diskrete Anspielung auf das Temperament des Königs gelassen: „Ich dürfe keinen Skandal an meinem Hofe dulden und keine Ausschweifung zulassen.“7 Mit besonderer Härte hat Ludwig XIV. jeden politischen und privaten Skandal unterdrückt, sich selbst aber das Recht der Ausschweifung uneingeschränkt vorbehalten. Derart mit allen Praktiken der Regierungsgeschäfte durch seinen Ersten Minister vertraut gemacht und im Alter von fast 23 Jahren stellte sich nicht nur Ludwig XIV., sondern zwangsläufig mit ihm auch die politische Elite ganz Europas die Frage, wann es zur Machtübernahme des Königs kommen werde und welche politische Rolle danach Mazarin spielen könne. Erster Minister unter einem seine Macht voll ausübenden Monarchen zu sein, wäre einer Degradierung gleichgekommen. Ein Rückzug nach Rom und in die Rolle eines vielseitig aktiven Kunstmäzens wäre ebenfalls ein Abstieg gewesen, selbst wenn er

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seinen immensen Reichtum über die Landesgrenze hätte transferieren können, was einige Franzosen schon offen befürchteten und zu verhindern entschlossen waren. Es blieb nur eine Perspektive, die bereits im Dezember 1655 ein Jesuit brieflich Mazarin gegenüber in Vorschlag gebracht hatte: „In allen Vorzimmern und allen religiösen Körperschaften wird nur noch von den Verpflichtungen gesprochen, welche die Christenheit Seiner Eminenz gegenüber hat, und man hört nur sein Loblied singen. Alle, die sich auskennen, sind der Meinung, dass Eure Eminenz die Konklaven beherrschen wird und dem die Tiara aufs Haupt setzen kann, der ihm genehm ist, selbst auf sein eigenes Haupt, wenn er dazu Lust hat.“8 Nach der Unterzeichnung des Pyrenäenfriedens, der auch die konzertierte Abstimmung der spanischen und französischen Kardinäle im Konklave zur Folge hatte, drängte Elpidio Benedetti, der die Interessen Mazarins in Rom vertrat und sein erster Biograph wurde, den Kardinal in diese Richtung: „Jeder ist der Auffassung, dass Eure Eminenz zustimmen müsse, Papst zu werden.“9 Allerdings saß noch Alexander VII. auf dem Stuhl Petri – zwar hochbetagt, aber so vital, dass er Mazarin um sieben Jahre überleben sollte. Dennoch verfolgte Mazarin die Variante „Vatikan“ mit einiger Energie, indem er Alexander VII. um ein beschleunigtes Verfahren – „extra tempore“ – ersuchte, das es ihm erlauben würde, in kürzester Frist Priester zu werden, und das die obligatorisch vorgeschriebenen Etappen Subdiakonat, Diakonat und Presbyteriat auf wenige Tage verkürzte. Seine Absichten waren offensichtlich noch nicht auf ein präzises Ziel gerichtet, somit variabel, wie es seinem diplomatischen Vorgehen entsprach, als er Benedetti nach Rom schrieb, dass er nun, nachdem er Europa den Frieden gebracht habe, mehr Zeit hätte, „als

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Kardinal-Priester zur Göttlichen Majestät für die Einheit der christlichen Fürsten zu beten und zu bitten, dass sie ihnen heiligen Eifer eingebe für die Aufrechterhaltung und Verbreitung der Religion“.10 Aber seine sich ständig verschlechternde Gesundheit trat zunehmend in den Vordergrund – bereits 1655 musste er zahlreiche innere Spülungen absolvieren, da er die Empfehlung der Ärzte, sich zur Ader zu lassen, ablehnte, und immer erneut ereilten ihn schmerzhafte Gichtanfälle. Sein Zustand hatte sich schon auf der Rückreise von den Hochzeitsfeierlichkeiten in Saint-Jean-de-Luz so verschlechtert, dass der gesamte Zug des Hofes nach Norden in immer neuen Stationen des Stillstands unterbrochen worden war. Zurück in Paris und im Louvre erreichten die Schmerzen des Podagra eine solche Stärke, dass er kurzfristig die Kontrolle über seine Selbstdisziplin verlor, vor der Königin und ihren Hofdamen, die entsetzt waren, seine Beine enthüllte, die von Flecken und Schuppen bedeckt waren, und den Vorwurf in den Raum schleuderte: „Sehen Sie, Madame, diese Beine, die ihre Gesundheit verloren und sie Frankreich gegeben haben!“11 Aber er war überzeugt, seine Gesundheit stabilisieren und an dem festlichen Treiben, das die Freude über den Frieden und die Hoffnung auf eine gesicherte Dynastie nach der Hochzeit des königlichen Paares ausgelöst hatten, seinen Anteil haben zu können. So machte er der jungen Königin nicht nur ein Tafelgeschirr aus massivem Gold zum Geschenk, sondern auch zwei Karossen – die eine im Innern rot und silbern ausgeschlagen und von zehn russischen Pferden gezogen, die andere mit grünem und gelbem Dekor und von zehn indischen Pferden gezogen. Und mitten im Louvre, im Apollo-Saal, wo heute als besondere Attraktion der Diamant Sancy gezeigt wird, zu dessen frühen Besitzern er zählte, liefen die Vorbereitungen für das Ballett „Ercole amante“, das Hauptwerk des italienischen Komponisten Francesco Cavalli. Immer noch leidenschaftlich der italienischen Oper zugewandt, war Mazarin bemüht, die berühmtesten Kastraten

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nach Paris zu ziehen, darunter die Brüder Atto und Filippo Melani. Atto Melani, der auch Schriftsteller war, stand ihm zusätzlich als Spion und Geheimdiplomat zur Verfügung, wo immer er an europäischen Höfen seine Auftritte hatte. Beide waren Protagonisten der Arien-Kultur und sollten die Opulenz der italienischen Oper auch in Paris erklingen lassen. Mochte der Frieden in den Festen des Louvre seine gloriose Vollendung finden, Mazarin selbst hatte die Kriegsschauplätze in Europa und das militärische Geschehen an dessen Rändern fest im Blick. So galt seine besondere Aufmerksamkeit den Türken, die unter Sultan Mehmed IV. und seinem Großwesir Köprülü ständig weiter nach Westen vordrangen. Sie unterwarfen sukzessive die Provinzen Thrakien, Mazedonien, Bulgarien, Serbien, Bosnien, Kroatien, Dalmatien, die Walachei und Teile Ungarns – ganz abgesehen von ihrem Einmarsch in Arabien und Marokko. Seit 1658 verhandelte Mazarin heimlich mit dem Papst Alexander VII., den italienischen Staaten und Venedig, um sich an dem Kreuzzug, den der Papst von der Christenheit forderte, zu beteiligen. Im März 1660 ersuchte Mazarin den Herzog von Modena, ihm seinen Bruder Almeric zu schicken, der das militärische Expeditionskorps befehligen sollte. Gleichzeitig war ihm daran gelegen, dass Frankreich sich nicht offen zur Gegnerschaft gegenüber den Türken erklärte, mit denen es intensive und lukrative Handelskontakte unterhielt. So stürzten sich Hunderte von französischen Soldaten unter der Fahne Venedigs in die Kämpfe um Kreta und die Stadt Kandia. Mazarin verfolgte bereits seit 1646, als die Türken den Angriff auf Kreta begannen, diesen Konflikt, und die verdeckte Beteiligung an den Kämpfen mit den Türken nahm immer größeren Umfang an. Im Dezember 1660, als er seinen Triumph über Spanien feierte, musste er zugleich voll Enttäuschung und Trauer zur Kenntnis nehmen, dass Kandia in die Hand der Türken gefallen war, zahlreiche christliche

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Soldaten in die Sklaverei gerieten und sein geliebtes italienisches Regiment vernichtet worden war. Auch musste Mazarin seine Aufmerksamkeit England zuwenden, mit dem er in der Endphase des Krieges gegen Spanien eine Koalition eingegangen war, um mit den Schiffen des Inselreiches den Sieg über Philipp IV. zu erringen. Anna von Österreich hatte es nur schwer ertragen, dass Mazarin Frankreich mit dem Lordprotektor Oliver Cromwell und einer protestantischen Macht verbündet hatte, um gegen das katholische Spanien und ihren Bruder siegreich zu sein. Nun aber, im Mai 1660, beeilte sich Anna von Österreich, Henrietta Maria von Frankreich, die als Gemahlin des 1649 gestürzten und geköpften Karl I. in Frankreich ein eher dürftiges Exil gefunden hatte, für ihren Sohn Philippe d’Orléans um die Hand von deren Tochter Henrietta von England zu bitten. Man hoffte, die strapazierten Beziehungen zu England, das nach dem Sturz Cromwells den französischen Botschafter über den Kanal zurückgeschickt hatte, zu verbessern, zumal sich mit einem Mitglied der Stuarts die Monarchie mit einem Katholiken auf dem Thron restituiert hatte. Die Tochter Karls I., die am französischen Hof aufgewachsen war, wies eine seltene Magerkeit auf, über die sich der junge Ludwig XIV. ziemlich taktlos gegenüber seinem Bruder zu spotten erlaubte, wie die Grande Mademoiselle berichtet hat: „Er sagte zu Monsieur (Philippe d’Orléans), er solle sich nicht zu sehr beeilen, die Gebeine der unschuldigen Kindlein zu heiraten … Es ist allerdings wahr, dass die (spätere) Madame sehr mager war, doch kann man nicht bestreiten, dass sie zugleich sehr liebenswürdig war.“12 Diese körperliche Dürftigkeit überwand Henrietta von England jedoch schnell und stieg zu einer geistvollen Schönheit am französischen Hof auf, sodass sogar der junge König sich ihr gegenüber von Versuchungen nicht frei zeigte. Er nutzte ihre Intelligenz, um sie als Geheimagentin nach England zu schicken. Sie wurde die Gemahlin des bisexuellen Philippe d’Orléans,

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mit dem sie mehrere Kinder hatte. Doch nur zwei überlebten die Kindheit, darunter die Tochter Marie Louise, die 1678 den spanischen König Karl II. heiratete. Die Ehe war nicht glücklich, auch geriet Henrietta in das Intrigenspiel, das die Mignons um die Gunst ihres Gemahls veranstalteten, sodass selbst Ludwig XIV. Zweifel an ihrem frühen, angeblich natürlichen Tod hatte. Sie gab damit den Platz an der Seite von Philippe d’Orléans frei, den später die deutsche Prinzessin Liselotte von der Pfalz einnahm. Die verstand es dann sogar, ihren Gemahl zur Fortsetzung der für die Geschichte Frankreichs so folgenreichen Linie derer von Orléans zu verführen. Das latente Problem, das der Kardinal Retz für die Krone darstellte, konnte Mazarin nicht zu einer endgültigen Lösung bringen. Dem letzten der gefährlichen Frondeure war es 1654 gelungen, beim Tod seines Onkels dessen Nachfolge als Erzbischof von Paris anzutreten. Mazarin hatte alles unternommen, um den aufrührerischen Kirchenmann zum Verzicht auf dieses hohe Amt zu bewegen, das ihm unmittelbaren Einfluss auf den französischen Klerus verschafft hätte – vergeblich. Retz weigerte sich, wurde verhaftet und in die ferne Provinz verbannt, wo er in Nantes unter Zwang zum Verzicht bereit war. Doch Papst Innozenz X. lehnte es ab, diesen Verzicht zu bestätigen, da die Einwilligung von Retz nicht freiwillig erfolgt war. Mazarin dürfte den Fluchtweg von Retz, nachdem der verhinderte Kirchenfürst auf abenteuerliche Weise – und unter Inkaufnahme eines Armbruchs – aus dem Gefängnis von Nantes geflohen war, genau verfolgt haben. Retz irrte durch zahlreiche Länder wie die spanische Franche-Comté, die Schweiz, Deutschland, Holland und Spanien. Schließlich in Rom angelangt und unter dem Schutz des Papstes in Sicherheit, wurde er dennoch hartnäckig von einem französischen Auslieferungsbefehl verfolgt, der ihn zum „Majestätsverbrecher, Rebellen, Aufrührer und Störer der öffentlichen Ordnung“13 erklärte.

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Als Innozenz X. 1655 starb, musste Retz sein vagabundierendes Wanderleben wieder aufnehmen, denn der päpstliche Nachfolger Alexander VII. legte Wert auf gute Beziehungen zu Frankreich, zumal nach Mazarins Friedensschluss mit Spanien. Erst Ende 1661, wenige Monate nach dem Tod Mazarins, war Retz gegenüber Ludwig XIV. bereit, auf sein Erzbistum in Paris zu verzichten. Als das hohe Kirchenamt vom König neu besetzt worden war, konnte der entmachtete Kardinal nach Frankreich zurückkehren, wurde sogar in diplomatisch-klerikaler Mission nach Rom entsandt und schrieb, zurückgezogen auf Schloss Commercy in Lothringen und angeblich in später Frömmigkeit, seine berühmten „Mémoires“, in denen er stilistisch glanzvoll die Zeit der Fronde aufleben lässt und ein Porträt Mazarins zeichnet – aus der Perspektive tiefer Verachtung. Der Konflikt war somit noch in vollem Gange, als Mazarin sich im Frühjahr 1661 dem Tod näherte. Er dürfte seine letzte, sehr begrenzte Beweglichkeit genutzt haben, um sich in seinem Palais ein letztes Mal seiner reichen Sammlungen zu erfreuen und zugleich von ihnen Abschied zu nehmen. Louis de Brienne hat ihn bei dieser Selbstreflexion beobachtet: „Ich hörte ihn kommen durch das Geräusch, das seine Pantoffeln verursachten – er bewegte sich langsam und schleppend und wie einer, der eine schwere Krankheit hinter sich gebracht hatte. Ich verbarg mich hinter einem Wandteppich und hörte ihn sagen: ‚Es ist notwendig, dies alles zu verlassen!‘ Er hielt nach jedem Schritt inne, denn er war sehr schwach, wandte seinen Blick bald zu dieser, bald zu jener Seite, und indem er seine Augen auf ein Objekt richtete, das seine Aufmerksamkeit erregte, sagte er gleichsam aus der Tiefe seines Herzens: ‚Es ist notwendig, dies alles zu verlassen!‘ Indem er sich umwendete, fügte er hinzu: ‚Und auch das! Welche Mühe hatte ich, diese Dinge zu

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erwerben! Kann ich sie aufgeben ohne Bedauern? Ich werde sie nicht mehr sehen, wohin ich gehe.‘“ Brienne, bewegt, stieß einen Seufzer aus, den Mazarin hörte. „‚Wer ist da? … Nähern Sie sich‘, sagte er zu mir in einem sehr wehleidigen Ton. Er war nackt in seinem Leinengewand und hatte seine Nachtmütze auf dem Kopf. Er sagte mir: ‚Geben Sie mir Ihre Hand, ich bin sehr schwach, ich kann nicht mehr.‘ ‚Eure Eminenz würden gut tun, sich zu setzen.‘ Ich wollte ihm einen Stuhl bringen. ‚Nein‘, sagte er, ‚nein. Ich bin sehr wohl in der Lage, spazieren zu gehen, und ich habe etwas in meiner Bibliothek zu erledigen.‘ Er wollte keineswegs, dass ich mit ihm über die Staatsgeschäfte spräche. ‚Ich bin nicht mehr‘, sagte er mir, ‚in der Lage, sie zu verstehen.‘ Und indem er auf seinen Gedanken zurückkam: ‚Sehen Sie, mein Freund, dieses schöne Bild von Correggio und diese „Venus“ von Tizian und diesen unvergleichlichen „Weltuntergang“ von Antonio Carracci … Ach, mein armer Freund, es ist notwendig, dies alles zu verlassen! Adieu, geliebte Bilder, die ich so geliebt habe und die mich so viel gekostet haben!‘“14 Als Menetekel erschien ihm der Brand der Bühnenkulissen im ApolloSaal am 6. Februar, als durch die Unachtsamkeit der Handwerker die aus Mailand importierten Brokatstoffe der Dekoration in einem Flammenmeer vernichtet wurden. Zwei Tage später ließ er sich vom Louvre nach Vincennes transportieren – das dortige Schloss war nicht nur zu einem wehrhaften Rückzugsort geworden, sondern auch zur Schatzkammer seiner angehäuften Kunstkuriosa. Eine Menagerie exotischer Tiere, darunter Bären und Löwen, vervollständigte die weitläufige Anlage, zu der auch der mittelalterliche Donjon zählte,

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Das Schloss Vincennes mit dem Donjon des Staatsgefängnisses, in dem Mazarin am 9. März 1661 starb. Zeitgenössischer Stich.

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den er häufig als Gefängnis für seine Feinde genutzt hatte. Der Hof folgte ihm dorthin, und Anna von Österreich bezog Gemächer in unmittelbarer Nähe seines Krankenlagers. Er war dem Tod nahe, und die medizinische Diagnose konnte ihm das nur bestätigen. Die ihm vorgeschriebene Diät verlangte, dass seine Nahrung nur aus Milch, Kraftbrühe, Rebhühnern und Opiumpillen bestand. Nicht weniger als zehn Ärzte diskutierten und agierten an seinem Krankenbett, das er zur Überraschung aller sogar kurzfristig verlassen konnte, um danach allerdings einen Rückfall erleiden zu müssen. Brienne hat von einem Dialog berichtet, den Mazarin wenige Wochen vor seinem Tod mit dem berühmtesten seiner Ärzte, mit Guénault, führte: „‚Monseigneur, man darf Eurer Eminenz nichts vorspiegeln; unsere Heilmittel können Ihre Tage verlängern, aber sie können die Ursache des Übels nicht heilen … Bereiten Sie sich deshalb auf den schrecklichen Übergang vor.‘ – ‚Wie lange habe ich noch zu leben?‘, fragte er. ‚Wenigstens zwei Monate.‘ – ‚Das genügt‘, sagte Seine Eminenz. ‚Adieu, besuchen Sie mich recht oft. Ich bin Ihnen so verpflichtet, wie es nur ein Freund sein kann.‘“15 Es war offensichtlich eine hilfreich gedehnte Frist des Arztes, die dem Sterbenden eine letzte zeitliche Zuversicht verschaffen sollte. Es blieben zwei Pflichten – das Ritual der kirchlichen Vorbereitungen auf den Tod und das Testament. Sein Beichtvater war Angelo Bissaro, ein Theatinermönch, den Mazarin bereits vor zehn Jahren ausgewählt hatte. Auch diese Wahl hatte einen politischen Hintergrund, da er die seelische Betreuung durch die Jesuiten vermeiden wollte. Sie waren zwar seit Langem die Beichtväter der königlichen Familie und der Großen des Hofes, aber der Erste Minister wollte der Gefahr ausweichen, dass die Mitglieder dieses Ordens, die dem Papst

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in besonderer Weise verpflichtet waren, die Einzelheiten seines persönlichen Bekenntnisses und seines Todes nach Rom übermittelten. Die Mitglieder des Theatinerordens, der 1524 von Kajetan von Thiene und Gian Pietro Carafa gegründet worden war, waren zudem zu besonderer Strenge in der Lebensführung und zu extremer Lauterkeit des Gewissens verpflichtet. Mazarin kannte den Orden aus Rom und hatte ihn besonders gefördert, seitdem er sich auch in Paris angesiedelt hatte. Pater Bissaro, der nun ständig in der unmittelbaren Nähe Mazarins war, um ihm bei seinem letzten Kampf zur Seite zu stehen, hat den exakten Verlauf seiner letzten Tage überliefert, aber auch das turbulente Treiben, das um sein Krankenlager stattfand: „Vier- bis sechsmal am Tag gingen der König und die Königinmutter zu Seiner Eminenz ins Zimmer, der König noch öfter. Die Räume füllten sich mit großen Herren, und in dem Ankleidezimmer, durch das der König gehen musste, war es zum Ersticken.“16 Weniger aus Mitgefühl als vielmehr um die letzte Chance für eine Gunst zu nutzen, die nur der Erste Minister gewähren konnte, drängten sich die Großen Frankreichs in seinem Vorzimmer und bedrängten auch dessen Beichtvater, ihnen beim Erwerb eines Amtes oder einer Geldquelle behilflich zu sein. Einer dieser Hochadligen schrieb dem Pater eigenhändig ein Billett, um „Seine Eminenz an eine Sache zu erinnern, die S. E. unangenehm war (und das mit Recht), doch der Rang dieser Persönlichkeit erlaubte es S. E. nicht, Nein zu sagen. Und um mich zu zwingen, mit S. E. darüber zu sprechen, ließ diese Persönlichkeit mehrere Tage lang einen ihrer Edelleute an meiner Seite ausharren. Ich erledigte dies, wie es Gott gefiel, ohne S. E. zu lästig zu fallen.“17 Dem Pater Bissaro oblag auch, dem sterbenden Ersten Minister nahezulegen, dass es Zeit sei, sein Testament zu machen. Aber da gab es ein Problem, das in dem Risiko lag, dass sein Name Schaden im Bewusstsein der Öffentlichkeit nehmen könnte, wenn das volle Aus-

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maß seines angehäuften Vermögens bekannt werden würde – und an seinem makellosen Nachruhm war ihm besonders gelegen. In dieser prekären Situation war es sein Vermögensverwalter Colbert, der genauer als er selbst über das Ausmaß seines immensen Vermögens informiert war, der ihm mit einer List zu Hilfe kam. Wäre es nicht eine perfekte Reinwaschung seiner Reichtümer, wenn Mazarin sie dem König zum Geschenk machte, indem er ihn zu seinem Universalerben einsetzte? So geschah es am 3. März 1661, und in der Präambel des Dokuments heißt es: „Der genannte Herr Kardinal, bettlägrig, körperlich krank, aber gesunden Geistes, bei vollem Gedächtnis und Verstand, bestimmt, dass alle seine Güter, bewegliche wie unbewegliche, und generell alles, welcher Natur und Qualität es auch sei, hervorgegangen sind aus der Schenkung und Großherzigkeit Seiner Majestät.“18 Mazarin gab also alles, was er von der Krone als Geschenk erhalten hatte, an den König zurück. Nicht überliefert ist, ob Ludwig XIV. Mitwisser und Mitspieler dieser waghalsigen Transaktion war, aber ein Restrisiko bestand, denn der König ließ drei Tage verstreichen, bevor er das fabulöse Geschenk seines Ersten Ministers zurückwies und damit zugleich dessen skandalösen Reichtum als wohlverdient deklarierte, also alle Raubzüge Mazarins legitimierte. Mazarin soll bei dieser Nachricht die wohl aufrichtigsten Tränen seiner an Tränenszenen so reichen diplomatischen Karriere vergossen haben. Niemandem stand nun das Recht zu, die Großzügigkeit des Königs infrage zu stellen, und die mit fragwürdigen Methoden zusammengerafften Reichtümer Mazarins konnten in der Reinheit einer generösen Gunst des Monarchen erstrahlen. Natürlich hatte Mazarin nicht bis zu diesem Augenblick gewartet, um die langen und detaillierten Verfügungen über sein Vermögen zu treffen – allein das Verfassen der langen Liste der Begünstigten hatte mehrere Tage in Anspruch genommen, zumal der Todkranke bis zuletzt Änderungen und Ergänzungen einfügte. Zu den Begünstigten

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gehörten die Mitglieder seiner Familie, darunter vor allem seine Nichte Hortensia, die er neun Tage vor seinem Tod mit dem Herzog von La Meilleraye verheiratet hatte, und sein Neffe Philippe de Nevers. Er folgte damit der guten Konvention im Sinne seines möglichst makellosen Nachruhms, denn in Wirklichkeit war es politische Kalkulation seinerseits und sogar Hass ihrerseits, was ihn mit seinen nächsten Verwandten verband. Ebenso seinem Nachruhm geschuldet war die Schenkung seiner Sammlung von achtzehn Diamanten an den König, darunter der wertvolle Sancy mit 55,23 Karat. Nach Mazarins Willen sollten die Pretiosen seinen Namen tragen, doch das verwehrte ihm die Nachwelt und hat ihnen ihre Originalnamen erhalten. Der Sancy trägt bis heute den Namen des einstigen französischen Botschafters in Persien, Nicolas Harlay de Sancy. Im Umfeld des sterbenden Ersten Ministers tobte schon der Vernichtungskampf zwischen Nicolas Fouquet, dem Generalintendanten der Finanzen, der ein generös-glanzvoller Mäzen zahlreicher Künstler und Dichter war, und dem nüchternen Juristen Colbert, der als Verwalter des Vermögens, das Mazarin hinterließ, wie kein anderer über den Umfang seines Reichtums und die fragwürdigen Methoden von dessen Erwerb genaue Kenntnis besaß. Mazarin bedachte Colbert großzügig, nicht nur indem er ihm „das Haus, in dem er wohnt, vermacht, ohne dass dieser verpflichtet ist, irgendetwas dafür zu zahlen; sollte jemand es fordern, würde er enterbt werden. Er bittet den König, sich seiner zu bedienen, da er vertrauenswürdig und treu sei.“19 Das wichtigste Vermächtnis zugunsten Colberts war jedoch, dass seine sämtlichen Papiere, Dokumente, Briefe und persönlichen Aufzeichnungen an ihn fallen sollten. Es war eine vielfältig verwendbare Waffe, deren sich Colbert bald in seinem gnadenlosen Vernichtungskampf gegen Fouquet bediente. Am 7. März empfing der sterbenskranke, aber im Kopf uneingeschränkt klare Erste Minister den König und seine Minister Le Tellier,

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Das Collège des Quatre-Nations – Institut de France, das 1662–1668 mit den Mitteln aus dem reichen Erbe Mazarins errichtet wurde. Architekt Louis le Vau. Holzstich der Zeit.

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Lionne und Fouquet – noch war der Finanzminister uneingeschränkt in seiner Macht. Aber bis zuletzt sollen Colbert und Zongo Ondedei, der Bischof von Fréjus, den Beichtvater Bissaro bedrängt haben, von Mazarin den Sturz Fouquets zu verlangen. Nach dem Abbé de Choisy soll Mazarin dem König noch in seinen letzten Stunden seinen Vermögensverwalter mit besonderem Nachdruck empfohlen haben: „Sire, ich verdanke Ihnen alles, aber ich glaube, ich kann mich erkenntlich erweisen, indem ich Ihnen Colbert hinterlasse.“20 Als Ludwig XIV. noch im selben Jahr Fouquet verhaften ließ, hatte Colbert den Kampf gegen Fouquet gewonnen – er nahm dessen Stellung als Finanzminister ein. Mazarin traf auch Vorsorge, damit Teile seines Reichtums ihn posthum als Förderer des öffentlichen Wohls ausweisen würden. Er verfügte die Gründung des Collège des Quatre-Nations – analog zu Richelieu, der die Pariser Universität gefördert hatte. Der Name sollte von den vier Regionen künden, um die er Frankreich vergrößert hatte: Elsass, Pinerolo, Artois-Flandern-Hennegau und Roussillon. Bis in einzelne Strukturen bestimmte er die Arbeitsweise des Collège, dessen Leitung zwölf Doktoren der Sorbonne übernehmen sollten. Nicht weniger als fünfzig Freiplätze waren den hervorragendsten Schülern vorbehalten, und damit deren Erziehung auch deren adlige Talente nicht vernachlässigte, fehlte es nicht an einem Tanz- wie an einem Fechtmeister. Für den Bau des Collège, das alsbald seinen Namen trug, hatte er einen idealen Platz am linken Seine-Ufer ausgewählt – exakt gegenüber dem Louvre, gleichsam als Symbol seiner Nähe zur Monarchie und deren Glanz. Schon 1662 begannen die Bauarbeiten, und der Unterricht der Zöglinge konnte 1668 beginnen. Seine mit besonderer

Grabmal Mazarins von Antoine Coysevox im Institut de France in Paris.

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Sorgfalt angelegte Bibliothek fand dort ebenfalls Aufnahme und ist bis heute dem Publikum zugänglich. In der dem Institut integrierten Kapelle wurde 1689 sein von Coysevox gestaltetes Marmorstandbild aufgestellt, das ihn in kontemplativer Haltung auf Knien zeigt – analog zu seinem Vorgänger Richelieu. In den weitläufigen Räumlichkeiten des heute „Institut de France“ genannten Gebäudekomplexes haben nicht weniger als vier Akademien Frankreichs ihren Sitz gefunden, darunter die von Richelieu gegründete Académie française. Derart stellte Mazarin seine politische Lebensleistung im Herzen von Paris zur Schau und reihte sich in die Galerie der großen Staatsmänner Frankreichs ein, die zu seiner Machterweiterung beigetragen haben. Aber er unterzeichnete sein Testament mit seinem italienischen Namen „Mazarini“. Den letzten Akt seines Lebens vollzog er exakt nach dem Ritual der katholischen Kirche, deren Kardinal er geworden, deren Priester er aber nicht geworden war. Am 7. März fand eine letzte Unterredung mit Ludwig XIV. statt, und am Tag darauf beichtete er: „Ich habe meine Sünden meinem Beichtvater gestanden; ich hoffe, dass Gott sie mir verzeihen wird.“21 Er starb, versehen mit den Gnadenmitteln seiner Kirche, in der Nacht vom 8. auf den 9. März 1661 zwischen zwei und drei Uhr. Er war nicht 59 Jahre alt geworden. Ludwig XIV. vergoss bei der Nachricht vom Tod Mazarins reichlich Tränen, Anna von Österreich bewahrte ihre würdige Haltung, die junge Königin nahm wenig Anteil – sie lebte in der Freude, schwanger zu sein. In seinen Memoiren, die für den Großen Dauphin bestimmt waren, um ihn mit den Regeln der Herrschaft vertraut zu machen, hat Ludwig XIV. im Rückblick auf Mazarin und im Ausblick auf sich selbst das höchste Ziel seiner Regierung festgelegt: „Es ist notwendig, sich die seinerzeitige Lage zu vergegenwärtigen: Unruheherde in ganz Frankreich vor und nach meiner Volljährigkeit; ein Krieg mit dem Ausland, währenddessen Aufstände im Innern

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Frankreich um Abertausende Vorteile brachten; ein Prinz meines Blutes und eines großen Namens an der Spitze der Feinde; zahlreiche Kabalen im Staate, die Parlamente noch im Besitz und in der Ausübung einer angemaßten Autorität; an meinem Hof sehr wenig Treue ohne Nebenabsichten … ein Minister, der trotz aller Parteikämpfe ins Amt gelangte, sehr geschickt, sehr aufrichtig, der mich liebte und den ich liebte; der mir große Dienste erwiesen hat, dessen Gedanken und Handlungsweisen natürlich sehr verschieden von den meinen waren … ich war noch recht jung, volljährig nach den Regeln der Volljährigkeit der Könige … ich fühlte mich auf diese Weise gleichermaßen gedrängt und verzögert in meinem Schicksal eines einzigen unwandelbaren Verlangens nach Ruhm.“22

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Epilog Ein großer König und fünf Kriege

E

inen Tag nach dem Tod Mazarins, am 10. März 1661 um 7 Uhr, eröffnete Ludwig XIV. seinen Ministern seinen Re-

gierungsstil, indem er sich an den Kanzler Séguier wandte: „Mein Herr, ich habe Sie hier mit meinen Ministern und Sekretären zusammenkommen lassen, um Ihnen zu sagen, dass ich bis jetzt gern den verstorbenen Kardinal meine Regierungsgeschäfte ausüben ließ: Es ist jedoch Zeit, dass ich selbst regiere. Sie werden mir dabei helfen mit Ihren Ratschlägen, wenn ich Sie darum ersuche. Außer den laufenden Geschäften, woran ich nichts zu ändern beanspruche, bitte ich Sie und befehle Ihnen, Herr Kanzler, keinerlei Befehl zu unterzeichnen, der nicht auf meine Anordnungen zurückgeht und über den Sie nicht mit mir gesprochen haben … Und Ihnen, Herr Finanzminister (Fouquet), werde ich erklären, was mein Wille ist; ich bitte Sie, sich Colberts zu bedienen, den mir der verstorbene Kardinal empfohlen hat.“1 Es war die Proklamation seiner Selbstregierung, und er sollte sie in den folgenden 54 Jahren uneingeschränkt ausüben. Die Erklärung war zugleich eine verdeckte Mitteilung an seinen Finanzminister Nicolas

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Fouquet, dass dieser den Kampf mit Colbert verloren hatte, zumal der König hinzufügte: „Bei der Regierung meines Staates, bei der Regulierung der Staatsfinanzen und bei Verhandlungen mit den ausländischen Mächten habe ich andere Prinzipien als die des verstorbenen Kardinals.“2 Fouquet, der Mazarin mit zahlreichen Finanzierungstricks und nicht zuletzt mit seinem eigenen Vermögen besonders während der Fronde hilfreich zur Seite gestanden hatte und zugleich die Unordnung der Staatsfinanzen zu seiner eigenen Bereicherung genutzt hatte, hatte sich der illusionären Hoffnung hingegeben, der junge König, dessen Aufmerksamkeit bisher vor allem dem Ballett sowie den glanzvollen Hoffesten gegolten hatte, werde wenig Interesse für die Regierungsgeschäfte aufbringen und vielleicht sogar ihn, den wendig-wirkungsvollen Finanzminister, in das Amt des Ersten Ministers berufen. Diese Fehleinschätzung erlebte ihre höchste und letzte Steigerung am 17. August desselben Jahres, als Fouquet, dessen Wappen ein Eichhörnchen mit dem hochmütigen Wappenspruch „Quo non ascendet“ („Bis wohin wird er nicht emporsteigen?“) zeigte, den König, die Königin Anna von Österreich und die junge Königin Marie Thérèse nach Vaux-le-Vicomte einlud. Dort hatte er ein überwältigend glanzvolles Schloss von dem künstlerischen Dreigestirn Louis Le Vau, Charles Le Brun und André Le Nôtre errichten lassen – nicht weniger als 18 000 Arbeiter waren jahrelang daran tätig gewesen. Die Fontänen stiegen kunstvoll in der Form von Wasseralleen in die Höhe, die Festtafel wies achtzig Tische und 6000 Teller aus massivem Silber auf, und eine Lotterie enthielt nur Glückslose mit kostbaren Geschenken. Ludwig XIV. sah sich in seiner königlichen Würde übertrumpft und dürfte sich in seinem bereits am 4. Mai mit Colbert gefassten Beschluss bestärkt gesehen haben, dass Fouquets Sturz unvermeidlich sei. Es hatte seine politische Logik, dass Ludwig XIV. nach der Fronde keine gesellschaftliche Kraft, die ihm zur Herausforderung gerei-

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chen konnte, neben sich dulden wollte – und zwar nach dem Adel und dem Parlament auch nicht den Geldadel. So war die Verhaftung Fouquets am 5. September in Nantes nur konsequent. Ebenso folgerichtig war, dass Colbert, der aus dem in seinen Besitz übergegangenen Nachlass Mazarins geschickt belastende Dokumente auswählen konnte, mit zum Teil fragwürdigen Methoden die „Schuld“ des gestürzten Finanzministers nachwies, dessen Amt ihm Ludwig XIV. umgehend übertrug. Vom Gericht hatte der König einen ganz bestimmten Urteilsspruch erwartet: „Wenn er zum Tode verurteilt worden wäre, hätte ich ihn sterben lassen.“3 Doch die Richter entschieden für seine Verbannung ins Ausland und für den Einzug seiner sämtlichen Güter. Ludwig XIV. nahm nun allerdings sein königliches Begnadigungsrecht in Anspruch und verwandelte die Verbannung in lebenslange Festungshaft – 1680 starb Fouquet schließlich in Pinerolo. Es war das erste Mal in der Rechtsgeschichte Frankreichs, dass ein Herrscher mit seinem Recht auf Begnadigung ein Urteil nicht gemildert, sondern verschärft hatte. Innenpolitisch hatte Ludwig XIV. erstmals das Recht gebrochen. Von innenpolitischer Logik war auch die Entscheidung des Königs, das Zentrum seiner Macht von Paris nach Versailles zu verlegen und das bescheidene Jagdschloss seines Vaters durch permanente Um- und Ausbauten 1682 zum Regierungssitz zu machen. Damit ging er zum politischen Unruheherd Paris, wo seine Macht von Parlament und Volk bedroht worden war, auf Distanz. In Versailles, wo er seinen Adel stets um sich haben wollte, um ihn in der endlosen Abfolge von Festen und Hofzeremonien zu fesseln, war auch dieser Machtfaktor gebannt, der im Großen Condé seine für den König gefährlichste Ausformung erfahren hatte. Nicolas Fouquet, der Vicomte de Melun et Vaux (1615–1680), 1661 von Ludwig XIV. zu lebenslanger Haft in das Staatsgefängnis von Pinerolo verbannt. Gemälde (um 1660), von Charles Le Brun.

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Freilich hatte er nicht bedacht, dass Versailles nur eine kommode Kutschenfahrt – etwa fünfzehn Kilometer – von Paris entfernt liegt. Ein Schloss an der Loire wäre sicherer gewesen, als 1789 die Marktweiber aus den Pariser Hallen das königliche Paar zwangsweise nach Paris führten. Und Marie-Antoinette handelte im Moment der Bedrohung anders als Anna von Österreich, die, um ihrem Sohn die Krone zu retten, im Januar 1649 mithilfe Mazarins nächtens nach Saint-Germain-en-Laye geflohen war. Als die rabiaten Marktweiber schon in unmittelbarer Nähe des Schlosses von Versailles angelangt waren, zögerte Marie-Antoinette, obwohl eine angespannte Kutsche im Schlosspark zu ihrer Flucht bereitstand. Am nächsten Tag stellte sie sich dann die für sie und die Krone entscheidende Frage: „Ich werde nie verstehen, warum ich gestern Abend nicht fortgegangen bin.“4 Versailles hat Ludwigs XIV. zweiten Nachfolger, Ludwig XVI., nicht vor der entfesselten Volksmasse von Paris schützen können. Doch am 10. März war Ludwig XIV. zur ungeteilten Machtfülle der absoluten Monarchie gelangt, die Mazarin bis zur Unanfechtbarkeit durch ihre inneren und äußeren Gegner gefestigt hatte. Und er war entschlossen, diese Machtfülle nun nach dem Ideal eines „großen Königs“, das ihm der Kardinal so häufig skizziert hatte, zu nutzen. Die Größe eines Herrschers, so verlangte es der normative Maßstab aller Machthaber des Barock – und nicht nur dieser Epoche –, zeigte sich in geographischer Vergrößerung, und wie Mazarin, der sich seiner Eroberung der „vier Nationen“ noch posthum mit seinem Collège rühmte, machte sich auch Ludwig XIV. alsbald ans Werk. Er führte in 35 Jahren nicht weniger als fünf Angriffskriege, mit denen er jeweils auch außenpolitisch das Recht brach: Devolutionskrieg 1667–1668, Holländischer Krieg 1672–1679, Reunionskrieg 1683–1684, Pfälzischer Erbfolgekrieg 1688–1697, Spanischer Erbfolkrieg 1701–1714. Erst der letzte dieser Kriege ließ den „Sonnenkönig“ an die Grenzen seiner Macht stoßen, da sich die anderen Nationen aus

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Die Hinrichtung Ludwigs XVI. am 21. Januar 1793 auf der Place de la République, heute Place de la Concorde, in Paris. Zeitgenössische Lithographie.

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Selbstschutz nicht der Größe dieses Herrschers unterwerfen wollten, der von sich behauptete: „Ich wäre ohne Zweifel noch in der Lage gewesen, auch über andere Reiche zu regieren, wie die Sonne auch andere Welten erhellt, wenn sie sie ebenfalls ihren Strahlen aussetzt.“5 Ludwig XIV. musste jedoch in seinen späten Jahren dem verhassten Parlament, um die Legitimierung seiner unehelichen Kinder zu erreichen, größere politische Mitspracherechte zugestehen. Und auch der Regent Philippe d’Orléans sah sich gezwungen, dem Parlament zusätzliche Rechte einzuräumen, um die legale Erbfolge der Bourbonen und seine Regentschaft zu sichern. Es war die Preisgabe eines Teils der absoluten Macht. Sukzessive hat die absolute Monarchie nach dem Tod Ludwigs XIV. an politischer Machtfülle eingebüßt und ist im Kampf gegen das Parlament unter seinem Nachfolger Ludwig XV. zunehmend zu einer normalen Monarchie geworden, bis schließlich dessen Nachfolger Ludwig XVI. die ihm verbliebene militärische Macht nicht mehr zum Einsatz zu bringen wagte. Diese militärische Macht, der sich Mazarin und Ludwig XIV. innen- wie außenpolitisch souverän bedienten, hat der letzte der nominell absoluten Monarchen Frankreichs widerstandslos preisgegeben – aus Willensschwäche und Mangel an Machtbewusstsein. Ludwig XVI. hat sein Versagen gegenüber seinem Verteidiger Malesherbes, kurz bevor er aufs Schafott steigen musste, selbst eingestanden: „Mein Blut wird vergossen werden, um mich dafür zu bestrafen, dass ich niemals welches vergossen habe.“6

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Anhang

Zitatnachweise 3. Zwei Kardinäle – eine Politik

Vorzeichen: Ein Königsmord und 25 Jahre Frieden

1. Mousnier, Roland, Ein Königsmord in Frankreich. Die Ermordung Heinrichs IV., Berlin 1970, S. 17 2. Vaissière, Pierre de, Henri IV, Paris 1925, S. 683 3. a. a. O., S. 693 1. Großer Auftritt eines Unbekannten

1. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 61 2. Brief vom 29.3.1638, in: Mazarin et ses amis, hg. von Georges Dethan, Paris 1968, S. 264 3. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 7 4. a. a. O. 5. Bertière, Simone, Mazarin. Le maître du jeu, Paris 2007, S. 36 6. a. a. O., S. 49 2. Von Rom nach Paris

1. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 79 2. a. a. O., S. 62 3. a .a. O., S. 84 4. a. a. O., S. 86 5. a. a. O., S. 87 6. a. a. O., S. 93 f. 7. a. a. O., S. 94 8. Weber, Hermann, Richelieu et le Rhin, in: Revue historique, Jahrgang 1968, Bd. 239, S. 269 9. Erlanger, Philippe, Richelieu, Paris 1985, S. 557 10. Bertière, Simone, Mazarin. Le maître du jeu, Paris 2007, S. 161 f. 11. a. a. O., S. 164 12. Ludwig XIII. à Mazarin, 26.10.1639, in: Richelieu, Lettres, instructions diplomatiques et papiers d’État, hg. von Martial Avenel, Bd. VIII, Paris 1877, S. 359

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1. Weber, Hermann, Richelieu et le Rhin, in: Revue historique, Jahrgang 1968, Bd. 239, S. 274 2. Erlanger, Philippe, Richelieu, Paris 1985, S. 614 3. a. a. O. 4. Carmona, Michel, Richelieu. L’ambition et le pouvoir, Paris 1983, S. 569 5. a. a. O., S. 643 6. Richelieu, Testament politique, hg. von Louis André, Paris 1947, S. 385 7. Dulong, Claude, Anne d’Autriche, Paris 1980, S. 175 8. Bertière, Simone, Mazarin. Le maître du jeu, Paris 2007, S. 177 9. Brief Mazarins an Richelieu, in: Richelieu, Lettres, instructions diplomatiques et papiers d’état, hg. von Martial Avenel, Bd. VII, Paris 1874, S. 832 10. Bertière, Simone, Mazarin. Le maître du jeu, Paris 2007, S. 183 11. a. a. O., S. 190 12. a. a. O., S. 195 4. Cinq-Mars auf dem Schafott

1. Tallemant des Réaux, Historiettes, Paris 1960, Bd. I, S. 276, Anm. S. 947 f. 2. Carmona, Michel, Richelieu. L’ambition et le pouvoir, Paris 1983, S. 663 3. a. a. O., S. 662 4. Tallemant des Réaux, Historiettes, Paris 1960, Bd. I, S. 347 f. 5. Dulong, Claude, Anne d’Autriche, Paris 1980, S. 189 6. a. a. O., S. 190 7. Carmona, Michel, Richelieu. L’ambition et le pouvoir, Paris 1983, S. 667 8. a. a. O., S. 676 9. Tallemant des Réaux, Historiettes, Paris 1960, Bd. I, S. 281 10. Erlanger, Philippe, Richelieu, Paris 1985, S. 770 11. Carmona, Michel, Richelieu. L’ambition et le pouvoir, Paris 1983, S. 683

6. Die erste Etappe zum Siegfrieden

12. a. a. O., S. 667 13. Tallemant des Réaux, Historiettes, Paris 1960, Bd. I, S. 277 14. Carmona, Michel, Richelieu. L’ambition et le pouvoir, Paris 1983, S. 688 15. Montglat, Mémoires, Collection des mémoires relatifs à l’histoire de France, hg. von Claude Bernard Petitot et Louis-Jean-Nicolas Mommerqué, Bd. 49, Paris 1825, S. 395 16. Richelieu, Lettres, instructions diplomatiques et papiers d’état, hg. von Martial Avenel, Bd. VII, Paris 1874, S. 175 17. a. a. O., S. 164 18. a. a. O., S. 177 19. Carmona, Michel, Richelieu. L’ambition et le pouvoir, Paris 1983, S. 694 20. Chevallier, Pierre, Louis XIII. Roi cornélien, Paris 1979, S. 631

1. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 225 2. Motteville, Mémoires, Collection des mémoires relatifs à l’histoire de France, hg. von Claude Bernard Petitot et Louis-JeanNicolas Mommerqué, Bd. 37, Paris 1824, S. 138 3. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 362 4. Tischer, Anuschka, Französische Diplomatie und Diplomaten auf dem Westfälischen Friedenskongress. Außenpolitik unter Richelieu und Mazarin, Münster 1999, S. 414 5. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 431 6. a. a. O., S. 383 7. a. a. O. 8. a. a. O., S. 388 7. Fronde I – Defensive

5. Die Regentin und der Kardinal

1. La Châtre, Mémoires, Collection des mémoires relatifs à l’histoire de France, hg. von Claude Bernard Petitot et Louis-Jean-Nicolas Mommerqué, Bd. 51, Paris 1826, S. 184 2. Giustiniani, Depesche vom 16.12.1642, zitiert nach Pierre Chevallier, Louis XIII, S. 634 3. Dulong, Claude, Anne d’Autriche, Paris 1980, S. 69 4. a. a. O., S. 251 5. La Rochefoucauld, Mémoires, hg. von JeanDominique de La Rochefoucauld, Paris 1993, S. 102 f. 6. Cardinal de Retz, Mémoires, hg. von Michel Pernot, Paris 2003, S. 126 7. Mazarin, Lettres, hg. von Pierre Adolphe Chéruel , Bd 1, Paris 1872, S. 311 f. 8. La Rochefoucauld, Mémoires, hg. von JeanDominique de La Rochefoucauld, Paris 1993, S. 99 9. Motteville, Mémoires, Librairie Fontaine, Paris 1982, S. 58 10. Motteville, Mémoires, Collection des mémoires relatifs à l’histoire de France, hg. von Claude Bernard Petitot et Louis-Jean-Nicolas Mommerqué, Bd. 37, Paris 1824, S. 138 11. La Porte, Mémoires, Collection des mémoires relatifs à l’histoire de France, hg. von Claude Bernard Petitot et Louis-Jean-Nicolas Mommerqué, Bd. 59, Paris 1827, S. 402 12. Motteville, Mémoires, Librairie Fontaine, Paris 1982, S. 55 13. a. a. O. 14. a. a. O., S. 56

1. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 275 2. Motteville, Mémoires, Librairie Fontaine, Paris 1982, S. 63 3. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 279 4. Dulong, Claude, Anne d’Autriche, Paris 1980, S. 339 5. Gazette vom 8.3.1648, zitiert nach: Henry Prunières, L’opéra italien en France avant Lulli, Paris 1913, S. 262 6. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 410 7. Motteville, Mémoires, Librairie Fontaine, Paris 1982, S. 78 f. 8. Cardinal de Retz, Mémoires, hg. von Michel Pernot, Paris 2003, S. 17 9. Dulong, Claude, Anne d’Autriche, Paris 1980, S. 348 10. a. a. O. 11. a. a. O., S. 349 12. Bertière, Simone, Mazarin. Le maître du jeu, Paris 2007, S. 420 13. Dulong, Claude, Anne d’Autriche, Paris 1980, S. 352 14. Goulas, Nicolas, Mémoires, 1627–1651, hg. von Charles Constant, Paris 1879, Bd. II, S. 361 15. Motteville, Mémoires, Librairie Fontaine, Paris 1982, S. 143 16. Bertière, Simone, Mazarin. Le maître du jeu, Paris 2007, S. 422 f. 17. Motteville, Mémoires, Librairie Fontaine, Paris 1982, S. 142 18. Bertière, Simone, Mazarin. Le maître du jeu, Paris 2007, S. 428 19. a. a. O., S. 429

298

20. Journal du Parlement, première livraison, 1648–1649, S. 85 f. 21. Mazarin, „Les Carnets de Mazarin pendant la Fronde, sept.–oct. 1648“ par Adolphe Chéruel in der Revue historique Mai-août, Paris 1877, S. 91 22. Zitiert nach: Mazarin, homme d’Etat et collectionneur, Katalog der von der Bibliothèque nationale organisierten Ausstellung zum Anlass seines 300-jährigen Todestages, Paris 1961, Nr. 204, S. 64 23. Mazarin, „Les Carnets de Mazarin pendant la Fronde, sept.–oct. 1648“ par Adolphe Chéruel in der Revue historique Mai-août, Paris 1877, S. 93 24. Dulong, Claude, Anne d’Autriche, Paris 1980, S. 348 25. Motteville, Mémoires, Librairie Fontaine, Paris 1982, S. 153 26. a. a. O., S. 154 8. Fronde II – Offensive

1. Motteville, Mémoires, Librairie Fontaine, Paris 1982, S. 157 2. a. a. O., S. 158 3. Bertière, Simone, Mazarin. Le maître du jeu, Paris 2007, S. 441 f. 4. a. a. O., S. 443 5. La Rochefoucauld, Mémoires, hg. von JeanDominique de La Rochefoucauld, Paris 1993, S. 132 6. a. a. O., S. 133 7. Bertière, Simone, Mazarin. Le maître du jeu, Paris 2007, S. 460 f. 8. a. a. O., S. 461 9. a. a. O., S. 463 10. Mazarin, Lettres, hg. von Pierre Adolphe Chéruel, Bd. 3, Paris 1887, S. 214 11. Bertière, Simone, Mazarin. Le maître du jeu, Paris 2007, S. 467 12. Motteville, Mémoires, Librairie Fontaine, Paris 1982, S. 171 13. Cardinal de Retz, Mémoires, hg. von Michel Pernot, Paris 2003, S. 126 14. Mazarin, Lettres, hg. von Pierre Adolphe Chéruel, Bd. 3, Paris 1887, S. 358 f. 15. Bertière, Simone, Mazarin. Le maître du jeu, Paris 2007, S. 494 16. Relation de la bataille de Rethel, in: Puységur, Mémoires, Collection des mémoires relatifs à l’histoire de France, hg. von Claude Bernard Petitot et Louis-Jean-Nicolas Mommerqué nach den Mémoires du maréchal Du Plessis, Bd. 57, Paris 1827, S. 451 17. Bertière, Simone, Mazarin. Le maître du jeu, Paris 2007, S. 523 18. Journal du Parlement, 9.2.1651, S. 40

299

19. Longnon, Jean, Mémoires de Louis XIV, Paris 1978, S. 33 9. Fronde III – Exil

1. Motteville, Mémoires, Collection des mémoires relatifs à l’histoire de France, hg. von Claude Bernard Petitot et Louis-Jean-Nicolas Mommerqué, Bd. 39, Paris 1824, S. 166–168 2. Petitfils, Jean-Christian, Louis XIV, Paris 2002, S. 104 3. Dulong, Claude, Anne d’Autriche, Paris 1980, S. 392 4. a. a. O., S. 393 5. Joly, Guy, Mémoires, Collection des mémoires relatifs à l’histoire de France, hg. von Claude Bernard Petitot et Louis-Jean-Nicolas Mommerqué, Bd. 47, Paris 1825, S. 145 6. Nemours, Mémoires, Collection des mémoires relatifs à l’histoire de France, hg. von Claude Bernard Petitot et Louis-Jean-Nicolas Mommerqué, Bd. 34, Paris 1824, S. 471 7. Dulong, Claude, Anne d’Autriche, Paris 1980, S. 396 8. a. a. O. 9. a. a. O., S. 395 10. a. a. O. 11. a. a. O., S. 417 12. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 257 13. a. a. O., S. 380 14. a. a. O., S. 379 15. a. a. O., S. 380 16. a. a. O., S. 479 17. Bussy-Rabutin, Roger de, Histoire amoureuse des Gaules, Paris 1993, S. 191 f. 18. Dulong, Claude, Anne d’Autriche, Paris 1980, S. 198 19. Bertière, Simone, Mazarin. Le maître du jeu, Paris 2007, S. 568 20. Dubuisson-Aubenay, Journal des guerres civiles, hg. von Gustave Saige, Bd. 2, Paris 1885, S. 247 21. Journal du Parlement, Relation contenant la suite et conclusion du Journal de tout ce qui s’est passé au Parlament, pour les affaires publiques, depuis Pasques 1652 jusques en janvier 1653, S. 231233 22. Laurain-Portemer, Madeleine, Études mazarines, Bd. 1, Paris 1981, S. 120 23. Bertière, Simone, Mazarin. Le maître du jeu, Paris 2007, S. 580 24. Montglat, Mémoires, Collection des mémoires relatifs à l’histoire de France, hg. von Claude Bernard Petitot et Louis-JeanNicolas Mommerqué, Bd. 50, Paris 1826, S. 376 25. Bertière, Simone, Mazarin. Le maître du jeu, Paris 2007, S. 588 f.

10. Die grenzenlose Bereicherung

24. Renée, Amédée, Die Nichten Mazarin’s. Studien der Sitten und Charaktere im 17. Jahrhundert, Dresden 1858, S. 351 25. a. a. O., S. 370 26. a. a. O., S. 131 27. a. a. O., S. 149 28. a. a. O., S. 133

1. Dulong, Claude, La Fortune de Mazarin, Paris 1990, S. 7 2. a. a. O., S. 47 3. a. a. O., S. 52 4. a. a. O., S. 74 5. a. a. O., S. 58 6. a. a. O. 7. a. a. O., S. 142 8. a. a. O., S. 68 9. a. a. O., S. 29 10. a. a. O., S. 37

12. Der Frieden auf der Fasaneninsel

11. Sieben Nichten und drei Neffen

1. Flake, Otto, Große Damen des Barock, Berlin 1986, S. 15 2. Renée, Amédée, Die Nichten Mazarin’s. Studien der Sitten und Charaktere im 17. Jahrhundert, Dresden 1858, S. 96 3. a. a. O., S. 154 4. Bertière, Simone, Les femmes du Roi-Soleil, Paris 1998, S. 24 5. Renée, Amédée, Die Nichten Mazarin’s. Studien der Sitten und Charaktere im 17. Jahrhundert, Dresden 1858, S. 175 6. Schultz, Uwe, Der Herrscher von Versailles, Ludwig XIV. und seine Zeit, München 2006, S. 175 7. a. a. O. 8. Pigaillem, Henri, Le Prince Eugène. 1663–1736, Monaco 2005, S. 15 9. a. a. O., S. 23 10. a. a. O., S. 25 11. a. a. O., S. 55 12. Renée, Amédée, Die Nichten Mazarin’s. Studien der Sitten und Charaktere im 17. Jahrhundert, Dresden 1858, S. 221 13. Hortense et Marie Mancini, Mémoires, hg. von Gérard Doscot, Paris 1965, S. 123 f. 14. a. a. O., S. 42 f. 15. Renée, Amédée, Die Nichten Mazarin’s. Studien der Sitten und Charaktere im 17. Jahrhundert, Dresden 1858, S. 264 16. a. a. O., S. 265 17. Hortense et Marie Mancini, Mémoires, hg. von Gérard Doscot, Paris 1965, S. 131 18. a. a. O., S. 160 19. a. a. O., S. 166 20. Renée, Amédée, Die Nichten Mazarin’s. Studien der Sitten und Charaktere im 17. Jahrhundert, Dresden 1858, S. 265 21. a. a. O., S. 289 22. a. a. O., S. 310 23. Hortense et Marie Mancini, Mémoires, hg. von Gérard Doscot, Paris 1965, S. 41 f.

1. Patin, Gui, Lettres, hg. von J.-H. RéveilléParise, Bd. 3, Paris 1846, S. 339 2. Journal de Santé de Louis XIV, écrit par Vallot, Daquin et Fagon, Grenoble 2004, S. 122 3. a. a. O. 4. Bertière, Simone, Les femmes du Roi-Soleil, Paris 1998, S. 26 5. a. a. O. 6. Hortense et Marie Mancini, Mémoires, hg. von Gérard Doscot, Paris 1965, S. 107 f. 7. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 651 8. Bertière, Simone, Les femmes du Roi-Soleil, Paris 1998, S. 31 9. Petitfils, Jean-Christian, Louis XIV, Paris 2002, S. 177 10. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 651 11. Bertière, Simone, Les femmes du Roi-Soleil, Paris 1998, S. 31 12. Bertière, Simone, Mazarin. Le maître du jeu, Paris 2007, S. 731 13. a. a. O., S. 735 14. a. a. O., S. 737 15. a. a. O., S. 73 16. a. a. O. 17. Montpensier, Mémoires, Collection des mémoires relatifs à l’histoire de France, hg. von Claude Bernard Petitot et Louis-JeanNicolas Mommerqué, Bd. 42, Paris 1825, S. 507 f. 18. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 681 19. Bertière, Simone, Les femmes du Roi-Soleil, Paris 1998, S. 61 20. a. a. O. 21. a. a. O.

300

13. Herrschaft bis zum Tod

1. La Fayette, Madame de, Histoire de Madame Henriette d’Angleterre, Collection des mémoires relatifs à l’histoire de France, hg. von Claude Bernard Petitot et Louis-JeanNicolas Mommerqué, Bd. 64, Paris 1828, S. 373 2. Bertière, Simone, Les femmes du Roi-Soleil, Paris 1998, S. 794

3. Brief vom 29.6.1659, in: Mazarin, Lettres, hg. von Pierre Adolphe Chéruel, Bd. 3, Paris 1887, S. 405 f. 4. Lacour-Gayet, Georges, L’Éducation politique de Louis XIV, seconde édition revue, Paris 1923, S. 128 f.; Choisy, Abbé de, Mémoires, ed. Montgredieu, „Le temps retrouvé“, Paris 1839, S. 56 5. a. a. O. 6. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 715 7. a. a. O., S. 717 8. a. a. O., S. 691 9. a. a. O., S. 692 10. a. a. O., S. 693 11. Brienne, Louis-Henri de, Mémoires, Bd. 2, Paris 1917, S. 23 12. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 695 13. Kardinal Retz, Memoiren, Leipzig 1977, S. 225 14. Brienne, Louis-Henri de, Mémoires, Bd. 2, Paris 1917, S. 30 15. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 707

16. a. a. O., S. 705 17. a. a. O. 18. Bertière, Simone, Les femmes du Roi-Soleil, Paris 1998, S. 827 19. Guth, Paul, Mazarin. Frankreichs Aufstieg zur Weltmacht, Frankfurt am Main 1973, S. 714 20. a. a. O 21. Brienne, Louis-Henri de, Mémoires, Bd. 3, Paris 1919, S. 95 22. Longnon, Jean, Mémoires de Louis XIV, Paris 1978, S. 33 Epilog: Ein großer König und fünf Kriege

1. Petitfils, Jean-Christian, Louis XIV, Paris 2002, S. 193 2. a. a. O., S. 193 f. 3. a. a. O., S. 449 4. Tourzel, Louise, Duchesse de, Mémoires, Paris 1969, S. 231 5. Longnon, Jean, Mémoires de Louis XIV, Paris 1978, S. 136 6. Petitfils, Jean-Christian, Louis XIV, Paris 2002, S. 915

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Literaturverzeichnis

Originalmanuskripte Politische Korrespondenz in den Archiven des Ministère des Affaires étrangères, bezogen auf Allemagne (7 Bde), Angleterre (Bd. 45–49), Dantzig (1 Bd.), Espagne (Bd. 18 und 19), Rome (Bd. 41143), Sardaigne (ehemals Savoyen) (Bd. 936). In der Serie der Memoiren und Dokumente France (Bd. 252–289, 293, 294, 795, 820–848, 871, 875–878, 901–905), Hollande (Bd. 154). Manuskripte in der Bibliothèque Mazarine 2214–2218. In der Bibliothèque nationale de France, speziell in den Manuscrits français 2302, 4208, 4209, 4314, 6882, 6886, 6888, 6889, 6890, 6892. Dort in den Carnets de Mazarin das Manuskript Baluze 174, in den Mélanges Colbert Testament und Inventar 233, in den Lettres autographes d’Anne d’Autriche à Mazarin das Manuskript Chairambault 1144 und die Briefbände 89–100. In der Bibliothèque vaticane Briefe an die Kardinäle Antonio (194) und Francesco Barberini (8029). Gedruckte Quellen Arnauld d’Antilly (abbé Antoine), Mémoires, coll. P. (Collection des mémoires relatifs à l’histoire de France, hg. von C. B. Petitot, Paris 1820–1829, im Folgenden nur coll. P.), Bd. 34 Aubéry, A., Mémoires sur l’histoire du cardinal duc de Richelieu, 2 Bde, Paris 1660 Benedetti, Elpidio, Raccolta di diverse memorie per scrivere la vita del cardinale Giulio Mazarini, Lyon o. J. (1661?) Biroat, J., Oraison funèbre d’Anne d’Autriche … prononcée dans la Sainte Chapelle de Paris, Paris 1666 Bissaro (le père Angelo), La mort du cardinal Mazarin, hg. von R. Darricau und M. Laurain-Portemer, in: Annuaire-Bulletin de la Société de l’histoire de France, Paris 1960, S. 59–110 Bouillon, Frédéric Maurice de La Tour d’Auvergne, duc de, Mémoires de la vie (par son secretaire Jacques de Langlade), Paris 1692 Brienne, Henri-Auguste Loménie de, Mémoires, coll. P., Bd. 35–36

Brienne, Louis-Henri de Loménie, comte de, dit le jeune Brienne, Mémoires, hg. von P. Bonnefon, 3 Bde, Paris 1916–1919 Choisy, François-Timoléon, Mémoires pour servir à l’histoire de Louis XIV, Paris 1839 Colbert, Jean-Baptiste, Lettres, instructions et mémoires (1651–1661), hg. von P. Clément, 10 Bde, Paris 1861–1882 Dubuisson-Aubenay, François-Nicolas, Journal des guerres civiles 1648–1652, hg. von G. Saige, 2 Bde, Paris 1883–1885 Du Plessis-Praslin, Mémoires des divers emplois et de principales actions du Maréchal du Plessis, Paris 1676, coll. P., Bd. 57 Estrades, Godefroi de, Correspondance authentique de 1637 à 1660, hg. von H. de Saint-Leger und L. Lemaire, Bd. 1, Paris 1924 Fontenay-Mareuil, François, marquis de, Mémoires, hg. von Michaud und Poujoulat, Paris 1837 Goulas, Nicolas, Mémoires, hg. von Ch. Constant, 3 Bde, Paris 1879–1882 Gourville, Jean Hérault de, Mémoires, coll. P., Bd. 52 Gramont, Antoine, duc de, Mémoires, coll. P., Bd. 56–57 Joly, G., Mémoires, coll. P., Bd. 47 Joly, G., Mémoires contenant l’histoire de la régence d’Anne d’Autriche, hg. von Michaud und Poujoulat, Paris 1838 La Fayette, Mme de, Histoire de Mme Henriette d’Angleterre, hg. von Michaud, coll. P., Bd. 64–65 La Porte, Jean-François, Mémoires, hg. von Michaud und Poujoulat, coll. P., Bd. 59 La Rochefoucauld, François de, Œuvres, hg. von D.-L. Gilbert, 5 Bde, Paris 1868–1883 Lenet, Pierre, Mémoires, coll. P., Bd. 53–54 Louis XIV, Mémoires, hg. von J. Lognon, Paris 1978 Mazarin, Carnets, publication partielle par V. Cousin, in: Journal des Savants, Paris 1854–1856 Les Carnets de Mazarin pendant la Fronde, sep.– oct. 1648, hg. von P. A. Chéruel, in: Revue historique, mai–août 1877, S. 103–138 Lettres du cardinal Mazarin pendant son ministère, hg. von P. A. Chéruel, 9 Bde, Paris 1872–1906 Lettres du cardinal Mazarin à la Reine ... écrites pendant sa retraite hors de France en 1651 et 1652, hg. von M. Ravenel, Paris 1836

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Molé, Mathieu, Mémoires, hg. von A. ChampollionFigeac, 4 Bde, Paris 1855–1857 Montglat, François de Clermont, marquis de, Mémoires, coll. P., Bd. 41–43 Montpensier, Mademoiselle de, Mémoires, coll. P., Bd. 41–43 Motteville, Françoise Bertaud de, Mémoires, coll. P., Bd. 37–40 Nemours, Marie d’Orléans, duchesse de, Mémoires, hg. von Michaud und Poujoulat, coll. P., Bd. 34 Ormesson, Olivier Lefèvre d’, Journal, hg. von P. A. Chéruel, 2 Bde, Paris 1860–1861 Patin, Gui, Lettres, hg. von J.-H. Reveillé-Parise, 3 Bde, Paris 1846 Pontis, Louis de, Mémoires, coll. P., Bd. 31–32 Retz, cardinal, Œuvres, Les Grands Écrivains de la France, 10 Bde, 1870–1896 Richelieu, Lettres, instructions diplomatiques et papiers d’état, hg. von M. Avenel, 10 Bde, Paris 1853–1877 Tallemant des Réaux, Historiettes, hg. von A. Adam, 2 Bde, Paris 1860–1861 Talon, Omer, Œuvres, hg. von D. Rives, 6 Bde, Paris 1821 Literatur zu Mazarin Aubéry, Antoine, Histoire du cardinal Mazarin, 2 Bde, Paris 1688 und 1695 Aumale, duc d’, Histoire des princes de Condé pendant les XVIe et XVIIe siècles, 7 Bde, Paris 1889–1896 Batiffol, Louis, La Duchesse de Chevreuse, Paris 1927 Cafefigue, J. B. H. R., Anne d’Autriche, reine régente, Paris 1861 –Richelieu, Mazarin, La Fronde et le règne de Louis XIV, 2 Bde, Paris 1844 Chantelauze, Regis de, Le cardinal Retz et l’affaire du chapeau, 2 Bde, Paris 1878 –Louis XIV et Marie Manzini d’après de nouveaux documents, Paris 1880 Chéruel, Adolphe, Histoire de France pendant la minorité de Louis XIV, 4 Bde, Paris 1879–1880

–Histoire de France sous le ministère de Mazarin (1651–1661), 3 Bde, Paris 1882 Cousin, Victor, La Jeunesse de Mazarin, Paris 1865 –Madame de Chevreuse, Paris 1876 Coville, Henri, Étude sur Mazarin et ses démêlés avec le pape Innocent X, Paris 1914 Dethan, Georges, Gaston d’Orléans, conspirateur et prince charmant, Paris 1959 –Mazarin et ses amis, étude sur la jeunesse du Cardinal après ses papiers conservés aux archives du Quai d’Orsay, Paris 1968 –Mazarin, un homme de paix à l’âge baroque (1602– 1661), Paris 1981 Dulong, Claude, Mazarin et ses banquiers, in: Il cardinale Mazzarino in Francia, Accademia nazionale dei Lincei, Rom 1977, S. 17–40 –Mazarin, Paris 1999 Federn, Karl, Mazarin, München 1922 Goubert, Pierre, Mazarin, Paris 1990 Grand-Mesnil, Marie-Noëlle, Mazarin, la Fronde et la presse, Paris 1967 Laurain-Portemer, Madelaine, La politique artistique de Mazarin, in: Il cardinale Mazzarino in Francia, Accademia nazionale dei Lincei, Rom 1977, S. 41–76 –Le statut de Mazarin dans l’Église, in: Bibliothèque de l’École des chartes 127 (1969), S. 355–419 Mazarin, homme d’État et collectionneur, catalogue de l’exposition de la Bibliothèque nationale pour le troisième centenaire de sa mort, Paris 1961 Méthivier, Hubert, La Fronde, Paris 1964 Mousnier, Roland, Paris capitale au temps de Richelieu et de Mazarin, 2 Bde, Paris 1978 Pernot, Michel, La Fronde, Paris 1994 Pillorget, René und Suzanne, France baroque, France classique, 2 Bde, Paris 1995 Séré, Daniel, La Paix des Pyrénées. Vingt-quatre ans de négociations entre la France et l’Espagne (1635–1659), Paris 2007 Vaissière, Pierre de, Conjuration de Cinq-Mars, Paris 1928 Vaulthier, G, Anne d’Autriche et l’église du Val de Grâce, Paris 1916

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Wissen verbindet uns Die wbg ist eine Gemeinschaft für Entdeckungsreisen in die Welt des Wissens. Wir fördern und publizieren Wissenschaft und Bildung im Bereich der Geisteswissenschaften. So bringen wir Gleichgesinnte zusammen und bieten unseren Mitgliedern ein Forum, um sich an wissenschaftlichen und öffentlichen Debatten zu beteiligen. Als Verein erlaubt uns unser gemeinnütziger Fokus, Themen sichtbar zu machen, die Wissenschaft und Gesellschaft bereichern. In unseren Verlagen erscheinen jährlich über 150 Bücher aus den Bereichen Geschichte, Archäologie, Kunst, Literatur, Philosophie und Theologie. Als Vereinsmitglied fördern Sie wichtige wissenschaftliche Publikationen sowie den Austausch unter Akademikern, Journalisten, Professoren, Wissenschaftlern und Künstlern. Mehr Informationen unter www.wbg-wissenverbindet.de oder rufen Sie uns an unter 06151/3308-330.

Informationen zum Buch Jules Mazarin betritt 1630 mit einem Paukenschlag die politische Bühne. Als päpstlicher Gesandter verhindert er im letzten Augenblick durch sein diplomatisches Geschick die militärische Konfrontation von Spanien und Frankreich im Erbfolgekrieg von Mantua. Von nun an steht seiner diplomatischen Karriere nichts mehr im Weg. Er gewinnt die Gunst des Ersten Ministers von Frankreich, Kardinal Richelieu, dessen Nachfolge er 1643 antritt. Er wird der Erzieher Ludwigs XIV., und auch nach dessen Krönung 1654 führt er allein die Regierungsgeschäfte Frankreichs. Parallel häuft er einen sagenhaften Reichtum an – 36 Millionen Livres, das größte Privatvermögen der Epoche. Seine Geschäftsidee ist ebenso simpel wie rigoros: Er beteiligt sich an allem, was der Staat kauft und verkauft, im Frieden wie im Krieg. Zugleich aber macht er Frankreich zur dominierenden Nation in Europa. Uwe Schultz legt mit diesem Buch eine facettenreiche Biographie dieses schillernden Staatsmannes vor.

Informationen zum Autor Dr. Uwe Schultz war von 1976 bis 1994 Leiter der Hauptabteilung Kulturelles Wort beim Hessischen Rundfunk; er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Kurt-Magnus-Preis der Deutschen Rundfunkanstalten und den Preis des DeutschFranzösischen Kulturrats für Essayistik. Er gilt als einer der besten Kenner der Geschichte des absolutistischen Frankreich, hat dazu zahlreiche Bücher publiziert. Heute lebt und arbeitet er als Publizist in Paris und in Frankfurt a. M.