Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg: Kriegserfahrungen, weltanschauliche Debatten und kulturelle Neuentwürfe [Reprint 2018 ed.] 9783050078694, 9783050035420

Lange Zeit war es üblich, den Ersten Weltkrieg primär als Wendemarke der Kulturgeschichte aufzufassen, ging in ihm doch

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German Pages 400 Year 2001

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Judentum und Erster Weltkrieg in der Geschichtsschreibung
2. Die deutsch-jüdische Kultur vor 1914
3. Das deutsche Judentum im Weltkrieg
4. Jüdisches „Kriegserlebnis"
5. Die großen weltanschaulichen Debatten
6. Von der Infragestellung der „Emanzipationsideologie" zu kulturellen Neuentwürfen
7. Zwischen Idealismus und Interesse: Zur Ideologisierung jüdischen Denkens im Ersten Weltkrieg
Abkürzungen
Quellen- und Literaturverzeichnis
Personenregister
Orts- und Sachregister
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Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg: Kriegserfahrungen, weltanschauliche Debatten und kulturelle Neuentwürfe [Reprint 2018 ed.]
 9783050078694, 9783050035420

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ULRICH SIEG

Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg

ULRICH SIEG

Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg Kriegserfahrungen, weltanschauliche Debatten und kulturelle Neuentwürfe

Akademie Verlag

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Geschichte und Kulturwissenschaften der Universität Marburg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich. ISBN 3-05-003542-0 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2001 Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Ingo Ostermaier, Berlin Druck: GAM MEDIA, Berlin Bindung: N. Klotz, Jettingen-Scheppach Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Vorwort

7

1.

Judentum und Erster Weltkrieg in der Geschichtsschreibung

2.

Die deutsch-jüdische Kultur vor 1914 2.1. Erfolgreiche Akkulturation und ihre Grenzen 2.2. Auf der Suche nach einem neuen Selbstverständnis

3.

Das deutsche Judentum im Weltkrieg 3.1. 3.2. 3.3. 3.4.

4.

5.

August 1914 Patriotismus unter schwierigen Bedingungen Im Schatten der „Judenzählung" Kriegsende und Revolution

Jüdisches „Kriegserlebnis"

9

23 37 53 53 69 87 96 109

4.1. Kriegserfahrungen jüdischer Intellektueller 4.2. Kriegsbejahung im Zeichen Kants und Nietzsches 4.3. Jüdische Friedenssehnsucht

112 132 151

Die großen weltanschaulichen Debatten

173

5.1. Die Radikalisierung des Antisemitismus 5.2. Verherrlichung des Ostjudentums 5.3. Der Streit um das „Ethos der hebräischen Propheten"

174 195 217

6

Inhalt

5.4. Auseinandersetzungen über „Deutschtum und Judentum" 6.

7.

Von der Infragestellung der „Emanzipationsideologie" zu kulturellen Neuentwürfen

231

257

6.1. Universale Werte in kulturellem Gewand 6.2. Geschichtsverzweiflung und jüdischer Messianismus 6.3. Die Anfange jüdischer Existenzphilosophie

260 274 297

Zwischen Idealismus und Interesse: Zur Ideologisierung jüdischen Denkens im Ersten Weltkrieg

319

Abkürzungen

331

Quellen- und Literaturverzeichnis

333

Personenregister

381

Orts- und Sachregister

389

Vorwort

In der Gestalt eines Buches spiegelt sich die Geschichte seiner Entstehung. Dieses sähe sicher anders aus, wenn nicht ein längerer Forschungsaufenthalt in Jerusalem mich schon zu Beginn mit der suggestiven Sprache der Originalquellen konfrontiert hätte. Im New Yorker Leo Baeck Institut, am Hebrew Union College in Cincinnati und an der Harvard University konnte ich das eingehende Dokumentenstudium mit der Nutzung phantastischer Bibliotheken verbinden. Vielleicht half dies bei der Deutung einer Epoche, in der genuin politische Motive sich gern in philosophisch-religiösem Gewand präsentierten. Für das materielle Fundament meiner Untersuchungen sorgte die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit einem dreijährigen Habilitanden-Stipendium. Die Adolf-Schmittmann-Stiftung übernahm die Reisekosten für einen zweiten USA-Aufenthalt, und schließlich gewährte die Fazit-Stiftung ein wertvolles Jahr, das ich allein der Niederschrift meiner Gedanken widmen konnte. In einer Zeit, als die politische Ideengeschichte von der „Zunft" noch recht despektierlich betrachtet wurde, übernahmen Peter Krüger und Reinhard Rürup die Verantwortung für das Projekt. Mit zahlreichen Empfehlungsschreiben und Gutachten öffneten sie ansonsten verschlossen gebliebene Türen und standen zum wissenschaftlichen Gedankenaustausch stets zur Verfugung. Die der Arbeit zugrunde liegende Habilitationsschrift wurde im Dezember 1999 vom Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften der Marburger Philipps-Universität angenommen. Die Kosten für die Drucklegung stellte die Deutsche Forschungsgemeinschaft zur Verfugung. Während der Überarbeitung des Manuskripts sorgten Friedrich Wilhelm Graf und Dietrich Korsch für einen neuen Projektzusammenhang, in welchem ich dem Problem der religiösen „Aufladung" politischer Begrifflichkeit weiter nachgehen kann. Eine Quelle der Inspiration waren die Treffen mit anderen Nachwuchshistorikerinnen im Umfeld des Leo Baeck Instituts. Mit der ihm eigenen stillen Autorität schuf Reinhard Rürup einen Gesprächsraum, in dem vom „harten Quantifizierer" bis zum assoziativen Textinterpreten viele Auffassungen und Wissenschaftsstile fruchtbar werden konnten. Die WernerReimers-Stiftung in Bad Homburg wurde geradezu zur zweiten Heimat

8

Vorwort

der Jungen auf dem Feld der deutsch-jüdischen Geschichte. Unter den langjährigen Freunden und intellektuellen Weggefährten aus diesem Kreis seien Andrea Hopp, Elisabeth Kraus, Simone Lässig, Martin Liepach und Richard Mehler eigens genannt. Die intellektuellen Anregungen von Jörg Hackeschmidt waren mir ebenso wichtig wie die kritischen Einwürfe von Till van Rahden. Für warmherzige Anteilnahme und umsichtige Ratschläge danke ich Tom Angress. Während der vergangenen Jahre hatte ich das Glück, meine Gedanken an vielen Orten zur Diskussion stellen zu dürfen. Von den Tagungen der Studienstiftung des deutschen Volkes, des Arbeitskreises LiberalismusForschung oder der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus nahm ich Ermunterung und frische Ideen mit nach Marburg. Die von Hartmut Lehmann und Otto Gerhard Oexle organisierten Konferenzen im Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte eröffneten neue problemhistorische Perspektiven. Beinahe meditativen Charakter trug die Beschäftigung mit den Handschriften des Marbacher Literaturarchivs, wo die beste Sachkennerin Ingrid Belke manchen wertvollen Tip gab. Jährliche Herbstreisen nach Oxford verschönerten das Leben. Exemplarisch für die unprätentiöse und herzliche Gastfreundschaft, die ich erfuhr, möchte ich Jörn Leonhard danken. Peter Pulzer habe ich stets als Inbegriff umfassender Gelehrsamkeit bewundert. Mit Elisabeth Albanis, die es vom St. John's College nach Leiden verschlug, konnte ich aufgrund verwandter Interessen einen fruchtbaren Gedankenaustausch fuhren. Die Gespräche mit Philipp Blom, der eine seltene Begabung für das Wesentliche besitzt, halfen mir entscheidend, meinen eigenen Weg zu finden. Rembert Unterstells Sinn für intellektuelle Nuancen erleichterte den Umgang mit schwer lösbaren Grübelfragen. Die freundschaftliche Unterstützung von Michael Dreyer und Ewald Grothe bedeutete nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht eine dauerhafte Ermutigung. Den täglichen Rückhalt bildete Anne Chr. Nagel, deren liebevoller Blick auf allen Blättern ruhte. Ihr ist dieses Buch gewidmet. Derart unterstützt, war die Habilitationsphase für mich eine glückliche Zeit. Ich empfand es als Privileg, in Ruhe an einem zweiten größeren Werk arbeiten zu können, das Forschungsergebnisse und komplizierte Zusammenhänge in lesbarer Form präsentieren soll. Schon früh trug mich der Wille zu einem „schlanken Buch", der wohl auch aus der täglichen Beschäftigung mit der Papierflut des Ersten Weltkrieges geboren wurde. Die Verleihung des Preises für hervorragende Leistungen des wissenschaftlichen Nachwuchses beim Aachener Historikertag bestärkt mich in der Ansicht, daß auch in Deutschland ideengeschichtliche Fragen wieder auf der Tagesordnung stehen. Marburg, im Juni 2001

Ulrich Sieg

1. Judentum und Erster Weltkrieg in der Geschichtsschreibung

Der Kulturbegriff erfreut sich in der Geschichtswissenschaft wachsender Beliebtheit. Er verdankt seine Renaissance der Kritik an jenem Verständnis von Gesellschaftsgeschichte, das „Kultur" lediglich als Epiphänomen sozialer und wirtschaftlicher Prozesse auffaßt. Zu Recht wurde hiergegen der Einwand erhoben, daß das „System kollektiver Sinnkonstruktionen, mit denen Menschen die Wirklichkeit definieren", auf diese Art nicht adäquat beschrieben werden könne. 1 In den letzten Jahren wurden die subjektiven Vorstellungen der geschichtlichen Akteure vermehrt zum Analysegegenstand. Beispielhaft seien die mentalitätshistorischen Arbeiten von Lucian Hölscher über die gesellschaftsverändernde Kraft von Zukunftsvisionen und die im Bereich der „Gender history" bahnbrechende Studie Ute Freverts über die „Ehrenmänner" genannt. 2 Gewiß ist es heute angesichts des geschärften methodischen Problembewußtseins nicht mehr möglich, umstandslos - gleichsam im metaphysischen Flug - den Geist einer Epoche zu bestimmen. Doch auch der Verzicht auf synthetisierende Anstrengungen darf in der Kulturgeschichtsschreibung nicht einseitig dominieren, wenn die gewonnenen Ergebnisse Relevanz für die heutige Gesellschaft besitzen sollen. Nicht zuletzt aus diesem Grund dürften sich jüngst zahlreiche Historiker für die Anwendung eines erweiterten Kulturbegriffs entschieden haben, der die Arbeitsund Lebensformen des Menschen ebenso wie seine Moral- und Wertvorstellungen umfaßt. 3 Die Entwicklung der deutsch-jüdischen Geschichte spiegelt den „Cultural turn" der Geschichtswissenschaft. Der detaillierte Forschungsüber-

1

Friedhelm Neidhardt, „,Kultur und Gesellschaft.' Einige Anmerkungen z u m Sonderheft", in: Ders., M. Rainer Lepsius u. Johannes W e i s s (Hgg.), Kultur und G e sellschaft. René König, d e m Begründer der Sonderhefte, z u m 80. Geburtstag gewidmet, Opladen 1986, S. 1 0 - 1 8 , hier S. 10 f., das Zitat S. 11.

2

Lucian Hölscher, Weltgericht Zukunftsvorstellungen renmänner.

3

oder Revolution.

im deutschen

Protestantische

Kaiserreich,

Das Duell in der bürgerlichen

und

sozialistische

Stuttgart 1989; Ute Frevert, Eh-

Gesellschaft,

M ü n c h e n 1991.

Einen Überblick über die vielschichtige D i s k u s s i o n s l a g e bietet: W o l f g a n g Hardtw i g u. Hans-Ulrich Wehler (Hgg.), Kulturgeschichte

heute, Göttingen 1996.

10

Judentum und Erster Weltkrieg in der Geschichtsschreibung

blick von Trude Maurer aus dem Jahre 1992 behandelte kulturhistorische Fragen noch ganz am Rande. Zwei Jahre später legte Shulamit Volkovs komprimierter Problemaufriß bereits beträchtlichen Wert auf kulturhistorische Zusammenhänge. 4 Insbesondere die heranwachsende Historikergeneration zeigt sich in hohem Grade bereit, das moderne Judentum vorrangig als Deutungskultur zu verstehen. So rückte eine ganze Reihe von Projekten jüngst den „subjektiven Faktor" der Geschichte in den Mittelpunkt ihrer Analyse und stellte die einfach klingende und doch so schwer zu beantwortende Frage, was den „modernen Juden" ihr Judentum eigentlich bedeutete. Anzuführen wären etwa die kunst- und ideologiehistorischen Studien von Inka Bertz und David Brenner zur „Jüdischen Renaissance" oder Jörg Hackeschmidts Monographie über postassimilatorische Zionismuskonzepte in der jüdischen Jugendbewegung. 5 Besonders wichtig ist Michael Brenners Werk zur jüdischen Kulturgeschichte in der Weimarer Republik, das sich nicht nur dem „Höhenrist" des kulturellen Lebens zuwendet, sondern auch ausführlich dessen Alltagsgestalt in den Blick nimmt. 6 Merkwürdig unterbelichtet blieb jedoch bislang die Zeit des Ersten Weltkrieges. Die umfangreiche und sachkundige Monographie von Egmont Zechlin betrachtete die Juden zumeist als Objekt staatlicher Politik. 7 Eva Reichmann behandelte in ihrer Pionierstudie zwar den „Bewußtseinswandel der deutschen Juden", rekurrierte aber ausschließlich auf gedruckte Quellen und ließ kulturhistorische Fragen außer acht. 8 So ist es fast symptomatisch, wenn auch die Überblicksdarstellung von Clemens Picht einseitig die politikgeschichtliche Dimension des Themas in den Vordergrund rückt. Sein Fazit, daß der Erste Weltkrieg das Selbstver4

Trude Maurer, Die Entwicklung der jüdischen Minderheit in Deutschland (17801933). Neuere Forschungen und offene Fragen, Tübingen 1992; Shulamit Volkov, Die Juden in Deutschland 1780-1918, München 1994.

5

Inka Bertz, „ Eine neue Kunst für ein altes Volk". Die jüdische Renaissance in Berlin 1900 bis 1924, Berlin 1991; David A. Brenner, Marketing Identities. The Invention of Jewish Ethnicity in „Ost und West", Detroit 1998, sowie Jörg Hakkeschmidt, Von Kurt Blumenfeld zu Norbert Elias oder Die Erfindung einer jüdischen Nation, Hamburg 1997.

6

Michael Brenner, Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, München 2000. Egmont Zechlin, Die deutsche Politik und die Juden im Ersten Weltkrieg. Unter Mitarb. von Hans Joachim Bieber, Göttingen 1969. Eva G. Reichmann, „Der Bewußtseinswandel der deutschen Juden", in: Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916-1923. Ein Sammelband, hg. v. Werner E. Mosse unter Mitw. v. Arnold Paucker, Tübingen 1971, S. 5 1 1 - 6 1 2 . Ähnliches gilt für Stephen Magill, Defense and Introspection; the First World War as a Pivotal Crisis in the German Jewish Experience, phil. Diss., Los Angeles 1977: eine empirisch ertragreiche Arbeit, die leider vollständig auf archivalische Unterlagen verzichtet, und deshalb mentalitätshistorische Fragen beinahe zwangsläufig zu schematisch behandelt.

7

8

11 ständnis des deutschen Judentums allenfalls geringfügig veränderte, wird man schon allein angesichts der jüdischen Kulturblüte der Weimarer Zeit für wenig plausibel halten. 9 Eine nuanciertere Sicht vertritt Christhard Hoffmann, der jüngst auf den komplizierten Zusammenhang zwischen dem Minderheitenstatus und den expliziten Loyalitätsbekundungen des deutschen Judentums hingewiesen hat. Aber auch er widmet ideen- oder mentalitätshistorischen Problemen nur geringe Aufmerksamkeit und folgt über weite Strecken den zeitgenössischen Selbsteinschätzungen. Seine Quellen stammen vornehmlich aus dem Bereich der veröffentlichten Meinung und sind kaum geeignet, ein differenziertes Bild jüdischer Kriegserfahrungen zu ermöglichen. 1 0 Angesichts der schlüsselhaften Bedeutung des „Großen Krieges" ist es auf den ersten Blick kaum verständlich, warum seine Wahrnehmung und Verarbeitung innerhalb der deutsch-jüdischen Kultur bislang noch nicht zum Analysegegenstand erhoben wurde. Eine wesentliche Ursache hierfür dürfte darin liegen, daß sich die deutschen Juden - gerade während des Weltkrieges - nicht nur als überzeugte Nationalisten, sondern auch als Hüter traditioneller kultureller Werte empfanden und präsentierten. Weite Teile der historischen Forschung sind dieser stilisierten Selbsteinschätzung gefolgt. So vertritt etwa George Mosse die These, daß die deutschen Juden seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die eigentlichen Träger des Bildungsbegriffs gewesen seien." Die meisten Juden hätten deshalb nach Bildung gestrebt, weil darin der wichtigste und angesehenste Weg bestanden habe, um sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Dies trifft gewiß wichtige Aspekte des jüdischen Selbstverständnisses, ist aber zugleich eine ausschnitthafte und simplifizierende Sicht. Tatsächlich läßt sich keineswegs behaupten, daß die deutsch-jüdische Kultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahezu ausschließlich von linksliberalen und sozialistischen Vorstellungen bestimmt wurde. Vielmehr existierte eine spannungsgeladene Heterogenität von Haltungen, die von deutsch-nationalen bis zu kommunistischen, von religiös orthodoxen bis zu atheistischen, von phänomenologischen bis zu metaphysischen Positionen reichte mithin schwerlich auf eine einzige prägnante Formel zu bringen ist. 12 9

Clemens Picht, „Zwischen Vaterland und Volk. Das deutsche Judentum im Ersten Weltkrieg", in: Wolfgang Michalka (Hg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München 1994, S. 7 3 6 - 7 5 7 , hier S. 751.

10

Christhard Hoffmann, „Between Integration and Rejection: the Jewish Community in Germany, 1914-1918", in: John Hörne (Hg.), State, Society and Mobilization in Europe during First World War, Cambridge 1997, S. 8 9 - 1 0 4 u. 2 5 6 - 2 6 0 .

"

George Mosse, Jüdische Intellektuelle in Deutschland. Zwischen Religion und Nationalismus, Frankfurt am Main u. N e w York 1992. Dazu nuanciert: Steven E. Aschheim, „German Jews beyond Bildung and Liberalism: The Radical Jewish Revival in the Weimar Republic", in: Ders., Culture and Catastrophe. German and Jewish Confrontations with National Socialism and Other Crises, Hampshire u. London 1996, S. 3 1 - 4 4 u. 150-162, bes. S. 35 f.

12

12

Judentum und Erster Weltkrieg in der Geschichtsschreibung

Die weitgehende Nichtbeachtung des Ersten Weltkrieges innerhalb der deutsch-jüdischen Historiographie korrespondiert mit seiner eher kursorischen Behandlung in der Ideengeschichte. So bevorzugen die meisten universitäts- und wissenschaftsgeschichtlichen Werke einen dezidiert ideologiekritischen Zugriff. Ihrer Thesenftihrung hinsichtlich der „Ideen von 1914" und ihrer Bedeutung für die Gelehrtengeschichte wird man sich heute zwar allgemein anschließen, dennoch erscheint die Reichweite dieses Deutungsversuchs weitgehend erschöpft, weil er weder auf der Ebene der individuellen Motive noch der kulturellen Prozesse größeren Raum für hermeneutisch einlässige Interpretationen bietet. 13 Seit einigen Jahren stößt der Weltkrieg jedoch auf vermehrtes kulturhistorisches Interesse. Im Zusammenhang mit Untersuchungen zur gesellschaftlichen, künstlerischen und wissenschaftlichen Moderne hat man die katalysatorische Funktion des Weltkrieges betont und ihn in die Kulturgeschichte des ersten Jahrhundertdrittels eingeordnet. 14 Für Dichtung, Musik, Architektur, bildende Kunst und den Film besitzt diese Einschätzung erhebliche Plausibilität; freilich droht sie den von den Zeitgenossen eindringlich bezeugten Umbruchcharakter der Epoche ungebührlich in den Hintergrund zu rücken. Lange Zeit war es üblich, den Weltkrieg primär als Wendemarke der Kulturgeschichte aufzufassen, ging in ihm doch jener Fortschrittsglaube zugrunde, der für das bürgerliche Selbstverständnis konstitutiv gewesen war. Die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft zerstoben im Ersten Weltkrieg mit seinen gewaltigen Materialschlachten und einer bis dahin nicht gekannten Beteiligung der Zivilbevölkerung so vollständig, daß vielen die Zeit vor 1914 rückblickend als „heile Welt" erschien. Voll Trauer und doch zugleich analytisch hellsichtig konstatierte Joseph Roth, der „Große Krieg" werde mit Recht „Weltkrieg" genannt, „nicht etwa, weil ihn die

Dies trifft auch zu für die mittlerweile klassischen Darstellungen von Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkrieges, Göttingen, Zürich u. Frankfurt am Main 1969, und Fritz K. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine, 1890-1933, München 1987 [zuerst amerikan. Cambridge, Mass. 1969], Ausgesprochen innovativ wirkte: Modris Eksteins, Tanz über Gräben. Die Geburt der Moderne und der Erste Weltkrieg, Reinbek bei Hamburg 1990. Überdies verbreitete Eksteins viele Gedanken aus Paul Fussells grundlegendem Werk The Great War and Modern Memory (New York 1975), das lange Zeit von der deutschen Geschichtswissenschaft kaum beachtet wurde. - Einen Überblick über die facettenreiche französische Forschung gibt: Stéphane Audoin-Rouzeau, „Von den Kriegsursachen zur Kriegskultur. Neuere Forschungstendenzen zum Ersten Weltkrieg in Frankreich", in: NPL 39 (1994), S. 2 0 3 - 2 1 7 .

13 ganze Welt geführt hatte, sondern weil wir alle infolge seiner eine Welt, unsere Welt, verloren haben". 1 5 Auch wenn inzwischen die meisten Historiker darin übereinstimmen, daß der Erste Weltkrieg als „Urkatastrophe dieses Jahrhunderts" aufgefaßt werden muß, 16 wissen wir doch vergleichsweise wenig darüber, wie die Jahre zwischen 1914 und 1918 von den Menschen erlebt und gedeutet wurden. Barbara Tuchmann sprach zu Beginn der sechziger Jahre davon, daß der „Große Krieg sich wie ein Streifen verbrannter Erde zwischen uns und die Zeit davor geschoben" habe. 17 Damit kennzeichnete sie nicht zuletzt, wie schwierig es für die Menschen war, die Erfahrung massenhaften Sterbens symbolisch auszudrücken und psychisch zu verarbeiten. Der „Gedächtnisraum" des Ersten Weltkrieges wurde bestimmt durch „Schützengrabenromantik" und Verdrängung. Denkmäler und Klischees traten mit solcher Gewalt an die Stelle individueller „Trauer", daß sie erst rund sieben Jahrzehnte nach dem Krieg zum Gegenstand historischer Aneignung und Reflexion wurde. 1 8 Wieder etwas anderes ist die Rekonstruktion des „Erfahrungsraums", dem sich die jüngste deutsche Weltkriegsforschung energisch zugewandt hat. In ihrem Mittelpunkt steht die Auswertung „authentischer" Quellen wie Tagebücher und Feldpostbriefe; nicht selten dominiert der „Blick von unten" die Erkenntnisziele. Selbst wenn die Anwendung von Methoden der „Oral history" angesichts des zeitlichen Abstands zum betrachteten Ereignis nicht recht vertrauenerweckend scheint, ist es generell begrüßenswert, daß die Vorstellungswelten der historischen Akteure und ihr Alltag mit seinen Sorgen und Nöten ausgeleuchtet werden. 1 9 Überdies ist ein Großteil der Projekte erfreulich komparativ ausgerichtet und läßt 15

Joseph Roth, Die Kapuzinergruft, Amsterdam 1987 [zuerst ebd. 1938], S. 44. Roths Identifikation mit der „alten Ordnung" analysiert: Helmut Kuzmics, „Von der Habsburgermonarchie zu .Österreich'. Reichspatriotismus, ,habsburgischer Mythos' und Nationalismus in den Romanen von Joseph Roth", in: AfK. 79 (1997), S. 105-122.

16

George F. Kennan, Bismarcks europäisches System in der Auflösung. Die französisch-russische Annäherung, Frankfurt am Main, Berlin u. Wien 1981, S. 12.

17

Barbara Tuchmann, Der stolze Turm. Ein Portrait der Welt vor dem Ersten Weltkrieg ¡890-1914, München u. Zürich 1969 [zuerst amerikan. N e w York 1962], S. 11. Grundlegend: Jay Winter, Sites of Memory, sites of mourning. The Great War in European cultural history, Cambridge 1996. Generell zum „Totenkult" in der Weimarer Republik: George L. Mosse, Gefallen für das Vaterland. Nationales Heldentum und namenloses Sterben, Stuttgart 1993.

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19

Methodisch fragwürdig: Michael Stöcker, Augusterlebnis 1914 in Darmstadt. Legende und Wirklichkeit, Darmstadt 1994; weiterführend: Gerhard Hirschfeld u.a. (Hgg.), Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch ... Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, Essen 1993, sowie Benjamin Ziemann, Front und Heimat. Ländliche Kriegserfahrungen im südlichen Bayern 1914-1923, Essen 1997.

14

Judentum und Erster Weltkrieg in der Geschichtsschreibung

beispielsweise regionale wie schichtenspezifische Unterschiede in der Kriegswahrnehmung deutlich hervortreten. Bedenklich stimmt hingegen, daß der dezidiert positivistische Ansatz Relevanzkriterien zu wenig berücksichtigt und nur selten die synthetisierende Zusammenschau wagt. 2 0 Den Fokus dieser Untersuchung bildet die deutsch-jüdische Kultur im Ersten Weltkrieg, deren Behandlung aufgrund ihrer geistesgeschichtlichen Bedeutung und inneren Komplexität besonders reizvoll und ergiebig erscheint. Die Wichtigkeit des Themas wird zusätzlich durch den Umstand erhöht, daß die Stellung des Judentums in der Moderne noch nicht hinreichend geklärt ist. Unstrittig s i n d lediglich seine intellektuellen und künstlerischen Leistungen im „Projekt der Moderne" (Habermas), doch besteht bislang keine Einigung über die Ursachen dieses Phänomens. 2 1 Hinweise auf die „seismographische Funktion" der Juden in der Kulturgeschichte, ihre „Außenseiterrolle" und damit verbundene „Sensibilität" mögen Richtiges umkreisen, bleiben jedoch ohne sozialhistorische Differenzierung notwendig unscharf und schematisch. Zudem läuft man Gefahr, einen „Gegenmythos" (Gombrich) zu schaffen, wenn rückblickend kulturhistorische Entitäten postuliert und verklärt werden. 2 2 Zu den schwierigsten Aufgaben gehört die Einbettung der jüdischen in die allgemeine Geschichte. Erst jüngst hat Shulamit Volkov die methodischen Defizite bei der Lösung dieses Problems in den großen Überblicksdarstellungen zur deutschen Geschichte aufgezeigt. 2 3 Wenn aber nicht einmal der „Antisemitismus" bislang adäquat behandelt wurde, um wieviel mehr mag dies für die komplexe Frage nach den Wechselwirkungen und verschlungenen Zusammenhängen deutsch-jüdischer Kulturgeschichte gelten? Der J ü d i s c h e Geist", um eine hegelianisierende Hypostasierung zu verwenden, führte keine „Ghettoexistenz", sondern stand in regem Kontakt mit den einflußreichen Zeitströmungen. Nicht selten 20

Dies gilt bei allem empirischen Ertrag für die Mehrzahl der Beiträge in: Gerhard Hirschfeld u.a. (Hgg.), „Kriegserfahrungen". Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs, Essen 1997.

21

Hilfreich: Michael A. Meyer, Jüdische Identität in der Moderne, Frankfurt am Main 1992; Gilian Rose, Judaism and Modernity. Philosophical Essays, Oxford u. Cambridge, Mass. 1993, sowie Shulamit Volkov (Hg.), Deutsche Juden und die Moderne, München 1994. Dazu prononciert an einem herausgehobenen Beispiel: Peter Gay, „Der berlinisch-jüdische Geist. Zweifel an einer Legende", in: Ders., Freud, Juden und andere Deutsche. Herren und Opfer in der modernen Kultur, München 1989, S. 189-206. Wieviele wissenschaftshistorische Mythen kursieren, verdeutlicht: Shulamit Volkov, „Soziale Ursachen des jüdischen Erfolgs in der Wissenschaft", in: Dies., Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Zehn Essays, München 1990, S. 146-165 u. 2 2 5 - 2 3 0 .

22

23

Dies., „Nationalismus, Antisemitismus und die deutsche Geschichtswissenschaft", in: Manfred Hettling u. Paul Nolte (Hgg.), Nation und Gesellschaft in Deutschland. Historische Essays, München 1996, S. 2 0 8 - 2 1 9 .

15 erweisen sich prima facie spezifisch J ü d i s c h e " Interpretamente als hochgradig abhängig von der „kulturellen Großwetterlage". 2 4 Gerade aus diesem Grund empfiehlt es sich, das kulturelle und soziale Umfeld jüdischer Intellektueller näher zu betrachten. Angesichts des „situativen Charakters jüdischer Ethnizität" ist es nicht ratsam, mit einer engen Definition von .jüdisch" zu operieren; vielmehr sollen, wo es geboten erscheint, neben „Glaubensjuden" auch Atheisten oder Getaufte berücksichtigt werden. Entscheidend ist, in welchem Ausmaß sie an den zentralen Diskursen über die Neudefinition des „Jüdischen" teilnahmen. Gewiß ist eine solcherart pragmatische Vorgehensweise noch recht unüblich, aber sie hat sich wegen ihrer Elastizität und hermeneutischen Einlässigkeit bereits bewährt. 25 Überdies entspricht sie über weite Strecken dem zeitgenössischen Selbstverständnis. Gerade im Projekt der „Jüdischen Renaissance" definierte man .jüdisch" nicht primär als religiöse, sondern als kulturelle und nationale Kategorie. Der Bedeutungszuwachs der Intellektuellen seit dem Dreyfus-Skandal ist kein spezifisch deutsches, sondern ein gesamteuropäisches Phänomen. Die tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen wurden begleitet von einem Säkularisationsprozeß, der alle Konfessionen und Gesellschaftsschichten erfaßte und umgestaltete. Im Bürgertum führte er zu einem gewaltigen „Sinnhunger", den ganz unterschiedliche Gruppierungen und Institutionen zu befriedigen versuchten. Das steigende Ansehen der Intellektuellen lag nicht zuletzt darin begründet, daß man ihnen für die neu auftretenden Probleme eine erhebliche Deutungskompetenz zutraute. Meist abhängig von einem großstädtischen Lesepublikum, verkündeten viele Denker die Vorzüge einer natumahen Lebensweise. 2 6 Die

Dazu eindrucksvoll: Philipp Blom, Martin Buber and the Spiritual Revolution of the Prague Bar Kochba. Nationalist Rhetoric and the Politics of Beauty, phil. Diss., Oxford 1997. Die methodischen Probleme und Erkenntnischancen einer fächerübergreifenden „Intellectual history" skizziert: Paul R. Mendes-Flohr, „The Study of the Jewish Intellectual: A Methodological Prolegomenon", in: Ders., Divided Passions. Jewish Intellectuals and the Experience of Modernity, Detroit 1991, S. 2 3 - 5 3 . Diesen Weg beschreitet: Steven Beller, Wien und die Juden 1867-1938, Wien 1993. Zur sozialen Formierung des deutschen Judentums vgl. Till van Rahden, „Weder Milieu noch Konfession. Die situative Ethnizität der deutschen Juden im Kaiserreich in vergleichender Perspektive", in: Olaf Blaschke u. Frank-Michael Kuhlemann (Hgg.), Religion im Kaiserreich. Milieus - Mentalitäten - Krisen, Gütersloh 1996, S. 4 0 9 - 4 3 4 . Christophe Charle, Vordenker der Moderne. Die Intellektuellen im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1996; als Forschungsübersicht: Gangolf Hübinger, „Die europäischen Intellektuellen 1890-1930", in: NPL 39 (1994), S. 3 4 - 5 4 ; für Deutschland mit Schwergewicht auf der wilhelminischen Zeit: Ders. u. Wolfgang J. Mommsen (Hgg.), Intellektuelle im Deutschen Kaiserreich. Mit Beiträgen von Rita Aldenhoff u.a., Frankfurt am Main 1993.

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Judentum und Erster Weltkrieg in der Geschichtsschreibung

zivilisationskritischen Topoi und Dichotomien, die den „Krieg der Geister" prägten, knüpften in vielem an Denkmuster des Fin de siècle an. Freilich ist die Frage nach der kulturgeschichtlichen Bedeutung des Weltkrieges keineswegs hinreichend durch den Aufweis historischer Kontinuitäten beantwortet. Denn der politische und gesellschaftliche Kontext bestimmte in hohem Grade, welche Reichweite Argumente im „Großen Krieg" erhielten und wie man ihren ideologischen Wert beurteilte. 27 Bedenkt man das Ausmaß der nationalistischen und religiösen „Aufladung" politischer Begrifflichkeit seit 1914, erscheint es nicht ratsam, mit einem zu engen Ideologiebegriff zu operieren. Gewiß sollte man die Bedeutung praktischer Interessen für „gruppenbezogene Wahrheitsüberzeugungen" auch im Weltkrieg nicht unterschätzen. 28 Dennoch spricht wenig dafür, dem menschlichen Verhalten in einer Zeit existentieller Erschütterungen ein hohes Maß an Intentionalität zu unterstellen. Dies marginalisiert ebenso sehr die neuartige Qualität des mechanisierten Massensterbens, wie es die ästhetische Dimension politischer Sinnstiftung unter den Bedingungen beschleunigten kulturellen Wandels außer acht läßt. 29 Weil die zentralen Diskussionen im deutschsprachigen Judentum länderübergreifender Natur waren, läßt sich die Untersuchung nicht auf das Gebiet des wilhelminischen Kaiserreichs begrenzen. Die Städtenamen „Berlin", „Frankfurt", „Prag" und „Wien" stehen für intellektuelle Zentren, welche die Meinungsbildung im deutschsprachigen Judentum nachhaltig bestimmten. 3 0 Die daraus resultierende Materialdichte erzwingt eine stärker systematische Gliederung des Stoffes, die sich im wesentlichen an den großen ideologischen Auseinandersetzungen orientiert. Im Mittelpunkt steht der Diskurs unter den führenden jüdischen Intellektuellen in den vielgelesenen religiösen, politischen und kulturellen Zeitungen und Zeitschriften. Hier diskutierte man nicht nur die aktuelle militärische und politische Entwicklung und erörterte weltanschauliche PrinzipienfraLesenswerte Fallstudien enthält: Wolfgang J. Mommsen (Hg.), Kultur und Krieg. Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, München 1996. Zu den Chancen einer modernen Ideengeschichte des Weltkrieges, die kultur- und mentalitätshistorische Fragen integriert: Michael Epkenhans, „Neuere Forschungen zur Geschichte des Ersten Weltkrieges", in: AfS 38 (1998), S. 4 5 8 - 4 8 7 , hier S. 4 7 6 - 4 8 0 . So die klassische Definition von Hermann Lübbe, „Zur Geschichte des IdeologieBegriffs", in: Ders., Theorie und Entscheidung. Studien zum Primat der praktischen Vernunft, Freiburg 1971, S. 159-181, hier S. 160, wonach jede Weltanschauung primär der Verschleierung nicht ausgesprochener Absichten dient. Vgl. allgemein Isaiah Berlin, Das krumme Holz der Humanität. Kapitel der Ideengeschichte, Frankfurt am Main 1995, insbes., S. 2 6 0 - 2 9 6 , der Essay „Die Apotheose des romantischen Willens. Die Revolte gegen den Mythos einer idealen Welt", und Karl Dietrich Bracher, Zeit der Ideologien. Eine Geschichte politischen Denkens im 20. Jahrhundert, München 1985, S. 121-149. Dazu einleuchtend: Volkov, „Juden", S. 84.

17 gen, sondern stritt auch über die ideologischen Schlüsselbegriffe und strebte danach, sie im eigenen Sinne zu definieren. 31 Wenn das moderne Judentum aus heutiger Perspektive vielen als „kulturelles System" erscheint, so resultiert dies ironischerweise aus dem gemeinsamen Bemühungen ausgeprägter Individualisten, die inhaltlich nur selten miteinander übereinstimmten. Über längere Zeit stand die moderne Kulturgeschichtsschreibung im Bann der Arbeiten von Clifford Geertz und seiner Theorie der „dichten Beschreibung". Sie teilt mit Max Webers Soziologie die Prämisse, „daß der Mensch [...] in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist".32 Der Unterschied liegt im Akzent auf den kulturellen Praktiken. Gerade die Regeln der Alltagswelt helfen Geertz, die Textur eines „kulturellen Systems" zu entschlüsseln. In mancher Hinsicht ist seine Vorgehensweise der klassischen Kulturgeschichte verwandt, deren Beschäftigung mit geschichtlichen Individualitäten nicht nur vom Verstehensprinzip geleitet ist, sondern auch auf die detailscharfe Beschreibung historischer Muster zielt.33 Gerade angesichts der inneren Heterogenität und kulturellen Aufnahmefähigkeit des modernen Judentums wird man den damit einhergehenden Gewinn an historischer Distanz nicht gering achten. Zudem schärft Geertz' Vorgehensweise den Sinn für jene kulturellen Verweisungszusammenhänge, die den Bereich des für den Menschen „.wirklich Wirklichen'" definieren. 34

Zum hohen Quellenwert der Kulturzeitschriften: David Brenner, Marketing Identities, S. 4 0 - 4 8 u. 181 ff.; Paul R. Mendes-Flohr, „Fin-de-Si6cle Orientalism, the Ostjuden, and the Aesthetics of Jewish Self-Affirmation", in: Ders., Divided Passions. Jewish Intellectuals and the Experience of Modernity, Detroit 1991, S. 7 7 - 1 3 2 ; die Bedeutung der Presse fíir die Politikgeschichte demonstriert: Martin Liepach, Das Wahlverhalten der jüdischen Bevölkerung in der Weimarer Republik, Tübingen 1996, S. 9 5 - 2 1 0 . Clifford Geertz, „Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur", in: Ders., Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, 3. Aufl. Frankfurt am Main 1996 [zuerst N e w York 1973], S. 7 - 4 3 , hier S. 9. Vgl. dazu den instruktiven Sammelband Otto Gerhard Oexle u. Jörn Rüsen (Hgg.), Historismus in den Kulturwissenschaften. Geschichtskonzepte, historische Einschätzungen, Grundlagenprobleme, Köln, Weimar u. Wien 1996. Clifford Geertz, „Religion als kulturelles System", in: Ders., Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, 3. Aufl. Frankfurt am Main 1996, S. 4 4 - 9 5 , hier S. 77. Im Interesse an den semiotischen Aspekten der Kulturgeschichte dürfte ein wichtiger Grund für die ungebrochene Attraktivität seiner Texte liegen. Ähnlich steht es um die Gründe fíir die internationale CassirerRenaissance, aus deren überreicher Literatur lediglich Dorothea Frede u. Reinold Schmücker (Hgg.), Ernst Cassirers Werk und Wirkung. Kultur und Philosophie, Darmstadt 1997, genannt sei.

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Judentum und Erster Weltkrieg in der Geschichtsschreibung

Im Bereich der deutsch-jüdischen Geschichte verbindet Shulamit Volkov eine kulturanthropologische Methodik mit Ansätzen der modernen Nationalismusforschung. Die Entstehung des modernen Judentums beschreibt sie als dialektischen Prozeß, dessen Eigenart vor allem darin bestand, sich „als neue Darstellung des alten zu präsentieren". 35 Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht jedoch ein tiefgreifender Kontinuitätsbruch und nicht die Konstruktion dauerhafter kultureller Werte. Gerade Volkovs „Traditionsbegriff', der auf die Persistenz kultureller Normen verweist, ist für die Analyse eines extrem kurzen Zeitabschnitts, der alle Kennzeichen einer Ausnahmesituation trägt, schwerlich geeignet. Überdies droht seine positive Färbung den ideologischen Charakter jüdischen Denkens im Ersten Weltkrieg zu verschleiern. 36 Generell sollte man bei der Anwendung anthropologischer Denkansätze im Auge behalten, daß ihre Modelle in der Regel für die rasanten Veränderungen der Moderne zu statisch konzipiert sind. Ihre Stärke liegt in der Erhellung kultureller Verweisungszusammenhänge, wohingegen die Historizität der behandelten Phänomene meist unterbelichtet bleibt. Aus diesem Grund favorisieren viele Studien die Kombination langer Zeiträume mit alltäglichen Gegenständen: das Spektrum möglicher Themen reicht von der „Zigarre" bis zur „Unterwäsche". Die Brüchigkeit und soziale Differenzierung moderner Gesellschaften gerät auf diese Weise freilich selten in den Blick. 37 Im Unterschied zu den meisten kulturhistorischen Arbeiten der letzten Jahrzehnte analysiert diese Studie einen ausgesprochen kurzen Zeitraum. „Mentalität" wird nicht wie in der „Annales-Schule" als „Gefängnis langer Dauer" begriffen oder wie in der frühen „Bielefelder Schule" als quasi autarke Struktur „reifiziert". 38 Im Mittelpunkt stehen vielmehr die 35

36

Shulamit Volkov, „Die Erfindung einer Tradition. Zur Entstehung des modernen Judentums in Deutschland", in: HZ 253 (1991), S. 6 0 3 - 6 2 8 , hier S. 606. Allgemein: Eric Hobsbawm u. Terence Ranger (Hgg.), The Inventing of Tradition, Cambridge usw. 1983. Bezeichnenderweise geht ihr vielzitierter Aufsatz über die „Erfindung einer Tradition" nicht näher auf den Ersten Weltkrieg ein. Ähnliches trifft auf zwei zentrale Werke zum jüdischen Geschichtsverständnis zu: Yosef H. Yerushalmi, Zachor: Erinnere Dich! Jüdische Geschichte und jüdisches Gedächtnis, Berlin 1988, sowie Arnos Funkenstein, Jüdische Geschichte und ihre Deutungen, Frankfurt am Main 1995.

37

Dazu mit leiser Ironie: Reinhard Sieder, „Sozialgeschichte auf dem Weg zu einer historischen Kulturwissenschaft", in: GG 20 (1994), S. 4 4 4 - 4 6 8 , hier S. 4 5 4 457.

38

Vgl. Lutz Raphael, Die Erben von Bloch und Febvre. Annales-Geschichtsschreibung und nouvelle histoire in Frankreich 1945-1980, Stuttgart 1994, besonders S. 3 2 7 - 3 3 0 , sowie als Kritik an Bielefelder Selbstverständlichkeiten Ute Daniel, „.Kultur' und .Gesellschaft'. Überlegungen zum Gegenstandsbereich der Sozialgeschichte", in: GG 19 (1993), S. 6 9 - 9 9 .

19 Wechselwirkungen, welche die historisch erlebte Realität und die menschlichen Sinnkonstruktionen miteinander verbinden. Die erste der beiden Leitfragen thematisiert, warum der Erste Weltkrieg als derart grundstürzendes Ereignis empfunden wurde, daß viele Zeitgenossen ihr Leben in jeweils eine Periode vor und nach dem „Großen Krieg" einordneten. Die zweite sucht zu klären, wie sich das Weltbild jüdischer Intellektueller unter extremem äußeren Druck veränderte. Wie reagierten sie auf den Zusammenbruch der bürgerlichen Wertewelt, und in welcher Form verarbeiteten sie die Kontingenzerfahrung massenhaften Sterbens? Die Arbeit versteht sich als Beitrag zu einer modernen Ideengeschichte, die um den schillernden Charakter ihrer Phänomene weiß und sich vor falschen Eindeutigkeiten hütet. Denn in der Mehrzahl gewinnt eine Idee erst an Bedeutung, wenn sie in der Lage ist, unterschiedliche Bedeutungsinhalte aufzunehmen. In manchem werden Fragen der „Intellectual History" wiederaufgenommen, die sich in England ungebrochener Wertschätzung erfreut, während die sozialhistorische Wende in Deutschland von einer Marginalisierung hermeneutischer Ansätze jedweder Provenienz begleitet war. 3 9 Geistesgeschichte betrachtete man als antiquierte Spezialität historistischen Denkens, die allenfalls zur Sinnstiftung taugte. Mittlerweile beginnt sich allerdings die Einsicht durchzusetzen, daß erst die präzise Behandlung intellektueller Kontexte die politische Virulenz weltanschaulicher Aussagen zeigen kann. 40 Die eingehende Untersuchung der kulturhistorischen Bedeutung weniger Jahre erfordert aussagekräftige Quellen. Glücklicherweise hat das jüdische Bildungsbürgertum reichhaltiges und faszinierendes Material zum Ersten Weltkrieg hinterlassen. Wissenschaftler, Rabbiner, Lehrer, Journalisten und Schriftsteller fühlten sich zur Kommentierung und Deutung des Kriegsgeschehens aufgefordert. In unterschiedlichem Maße fühlten sie sich als Intellektuelle, die den Fortgang der Dinge in ihrem Sinne beeinflussen wollten. Die Fernleihe der Universität Marburg sowie die Spezialbibliotheken und Sammlungen in Frankfurt, Köln, Marbach, Oxford, Jerusalem, Cincinnati, Harvard und N e w York halfen bei der Erschließung der ungewöhnlich umfangreichen und verstreuten „Weltkriegsliteratur". Die großen Zeitungen waren ebenso auszuwerten wie die facettenreiche jüdische Lokalpresse, die allerdings noch keine so große Bedeutung wie in der 39

Vgl. als problemhistorisch konzipierte Übersicht: Eckhart Hellmuth u. Hans Christoph von Ehrenstein, „Intellectual History Made in Britain: Die Cambridge School und ihre Kritiker", in: GG 27 (2001), S. 149-172.

40

Dazu scharfsinnig und weiterführend: Lutz Raphael, „Radikales Ordnungsdenken und die Organisation totalitärer Herrschaft: Weltanschauungseliten und Humanwissenschaften im NS-Regime", in: GG 27 (2001), S. 5 - 4 0 , hier S. 28 f. - Ich danke der Redaktion von „Geschichte und Gesellschaft" für die Zusendung der Druckfahnen ihres Themenheftes zur „Neuen Ideengeschichte".

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Judentum und Erster Weltkrieg in der Geschichtsschreibung

Weimarer Republik besaß. Flankierend wurden die jüdischen Almanache, Familienzeitungen, Kalender und Jahrbücher herangezogen, deren Funktion als Multiplikator kultureller Werte nicht unterschätzt werden darf. Die Vielzahl „handwerklich" hochwertiger Quelleneditionen und Werkausgaben spornte zur problemorientierten Synthese an. Dabei stellte sich heraus, daß die Spezialforschung manche Entwicklung als singulär hinstellt, die sich bei komparativem methodischen Zugriff als epochentypisch erweist. Exemplarisch sei die „existentialistische Wende" deutschjüdischer Denker genannt, die von Leo Baeck über Martin Buber und Hermann Cohen bis hin zu Franz Rosenzweig beinahe alle (Religions-) Philosophen von Rang erfaßte. 41 Neben die gedruckten Quellen tritt die archivalische Überlieferung. Schlüsselhafte Bedeutung kommt dem Nachlaß von Martin Buber in der Jewish National and University Library in Jerusalem zu. Allein die mehr als sechstausend Briefe, die Buber im Ersten Weltkrieg erhielt, zeigen eindrucksvoll, in welchem Ausmaß er die Vorstellungen der heranwachsenden Generation prägte. Die Bestände des N e w Yorker Leo Baeck Instituts bieten umfangreiches Material zum jüdischen „Kriegserlebnis". Entgegen ihrem Titel enthält gerade die dortige „Memoirensammlung" zahllose Primärquellen, wie Tagebücher, Kriegsbriefe und unveröffentlichte Notizen aller Art. Auch soll nicht generell ein Bogen um die Welt der Erinnerungen geschlagen werden. Es wäre allzu puristisch, wenn eine kulturgeschichtliche Betrachtung der jüdischen Intellektuellen im Weltkrieg die Bereiche des individuellen und kollektiven Gedächtnisses vollständig ausklammern wollte. Überdies erscheint es schwerlich vertretbar, eine zentrale Quellengattung unberücksichtigt zu lassen, nur weil die methodischen Probleme im Umgang mit ihr immens sind. Die Kontrastierung zeitnaher und -ferner Dokumente bietet Erkenntnischancen, die bei der Analyse einer historischen Ausnahmesituation nicht ausgeschlagen werden sollten. Die Studie steht im Schnittpunkt von Politik-, Mentalitäts- und Ideengeschichte. Probleme werkimmanenter Interpretation treten hinter die Schilderung und Analyse des kulturellen Kontextes zurück. Im Unterschied zum klassisch geisteshistorischen Ansatz geht es nicht primär um die Selbstentfaltung der Begriffe, sondern um die Rahmenbedingungen, die ihre ideologische Wirksamkeit ermöglichten. In Abgrenzung zur Diskursanalyse wird eine „dichte Beschreibung" der zentralen Diskussionen gegeben, die ihre innere Dynamik hervorhebt und zugleich dem besseren Verständnis der historischen Akteure dient. Der zweite Teil entwickelt ein Panorama der verschiedenen politischen und religiösen Strömungen im deutschen Judentum vor 1914 und skizziert die jüdische Suche nach einer neuen Identität. Die Darstellung der politischen Entwicklungen im dritten Teil konzentriert sich auf die unmittelbaren Folgen für das jüdiDazu unten Kap. 6.3.

21 sehe Selbstverständnis. Er beschreibt und analysiert, warum die vielfältigen Hoffnungen, die der Kriegsausbruch auslöste, in einem Gefühl umfassender Enttäuschung mündeten. Die unterschiedlichen Kriegserfahrungen - an der Front, in der „Etappe" und in der Heimat - bestimmen den Inhalt des vierten Teils. Ausfuhrlich werden zwei Reaktionsmuster betrachtet, die für jüdische Intellektuelle prinzipielle Bedeutung hatten: nietzscheanische Kriegsbejahung und Verherrlichung der Friedensidee. Teil fünf nimmt den weltanschaulichen Gehalt der großen Weltkriegsdebatten des deutschen Judentums näher in den Blick. Abschließend werden die im engeren Sinne ideengeschichtlichen Zusammenhänge analysiert. Die umfassende Erschütterung des Krieges beeinflußte eine Vielzahl kultureller Konzepte, deren Gemeinsamkeit in der Suche nach neuen weltanschaulichen Fundamenten lag. Die Studie beabsichtigt nicht die Formulierung einer wissenschaftlichen „Großthese". Die phänomenologische Methodik zielt auf kulturelle Konfigurationen, nicht auf historische Determinanten. Dies berücksichtigt den ideengeschichtlichen Sachverhalt, daß einheitsstiftende Sinnhorizonte im Verlauf des Krieges massiv an Plausibilität verloren haben. 4 2 Zum anderen werden damit mikrogeschichtliche Ansätze aufgenommen, die auf höchstem Niveau bislang erst im Bereich der historischen Biographik erprobt wurden. So hat Friedrich Lenger am Beispiel des Nationalökonomen Werner Sombart erstmals einen engen Zusammenhang zwischen gelehrtem Lebensstil und wissenschaftlichem Weltbild herstellen können. 4 3 Und Ulrich Raulffs Studie zu Marc Bloch zeigt eindringlich, in wie vielen intellektuellen Schnittlinien und kulturellen Kontexten das Œuvre des französischen Ausnahmehistorikers stand. 44 Beide Arbeiten eint jener Respekt vor der „Widerständigkeit" der Quellen, der Geschichte nie gänzlich theorieförmig werden läßt. Für die jüdischen Intellektuellen im Ersten Weltkrieg gilt Ähnliches: die Mehrdimensionalität des Geschehens fordert eine Abkehr von der „großen Erzählung" (Lyotard), wie sie so lange üblich war. Im Resultat erhält man vielleicht weniger Gewißheiten, aber ein komplexeres Geschichtsbild, in dem Kausalitäten nur noch eine vergleichsweise geringe Rolle spielen.

42

Vgl. etwa den komparativ ausgerichteten Sammelband: Jay Winter, Geoffrey Peck u. Mary Habeck (Hgg.), The Great War and the Twentieth Century, N e w Haven u. London 2000.

43

Friedrich Lenger, Werner Sombart, 1863-1941. Eine Biographie, München 1994. Ulrich Raulff, Ein Historiker im 20. Jahrhundert: Marc Bloch, Frankfurt am Main 1995.

44

2. Die deutsch-jüdische Kultur vor 1914

2.1. Erfolgreiche Akkulturation und ihre Grenzen Um 1900 konnte das deutsche Judentum auf eine bemerkenswerte Entwicklung zurückblicken. Mit der rechtlichen Gleichstellung war 1871 ein beschwerlicher und verschlungener Emanzipationsprozeß zum Abschluß gelangt, für den sich die bedeutendsten philosophischen und politischen Köpfe - von Moses Mendelssohn über Saul Ascher bis Gabriel Riesser eingesetzt hatten. 1 Dementsprechend loyal stand das jüdische Bürgertum dem neuen Staat gegenüber, dessen Rechtssicherheit und wirtschaftliches Wachstum neue Entfaltungsmöglichkeiten eröffneten. Politisch favorisierte man die Liberalen, deren Verteidigung der Grundrechte und bürgerliches Leistungsethos besonders attraktiv erschienen. Und selbst als der kurze Sommer liberaler Reformpolitik durch Bismarcks konservativen Schwenk 1878/79 beendet wurde, änderte sich wenig an der politischen Ausrichtung des deutschen Judentums. 2 Rein quantitativ betrachtet und insbesondere im Vergleich mit den Katholiken, bildeten die Juden eine kleine Minderheit. Im Jahre 1905 lebten etwa 600.000 Juden im Kaiserreich, davon gut zwei Drittel in Preußen. Dies war nicht einmal ein Prozent der Gesamtbevölkerung, während der Vgl. Reinhard Rürup, Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur „Judenfrage" der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1987. Zur Begriffsgeschichte: Jacob Katz, „The Term ,Jewish Emancipation'. Its Origin and Historical Impact", in: Ders., Zur Assimilation und Emanzipation der Juden. Ausgewählte Schriften, Darmstadt 1982, S. 9 9 - 1 2 3 . Vgl. Jacob Toury, Die politischen Orientierungen der Juden in Deutschland. Von Jena bis Weimar, Tübingen 1966, S. 122-153, der herausarbeitet, daß die überwältigende Mehrheit der Juden im Reichsgründungsjahrzehnt für die Nationalliberalen optierte; in wilhelminischer Zeit konnte der Linksliberalismus einen Großteil der jüdischen Wählerstimmen auf sich vereinen. Sachlich und kenntnisreich zur oft verklärten jüdisch-liberalen „Weggemeinschaft": Peter Pulzer, Jews and the German State. The Political History of a Minority, 1848-1933, Oxford u. Cambridge, Mass. 1992, S. 123-147.

24

Die deutsch-jüdische Kultur vor 1914

katholische Anteil bei etwa 37 Prozent lag. Das jüdische Bevölkerungswachstum zwischen 1871 und 1910 betrug zwar etwa zwanzig Prozent, doch war dies angesichts der rascheren demographischen Entwicklung anderer Gruppen vergleichsweise gering. Auswanderung, Taufen und Mischehen sowie der Trend zur Zwei-Kind-Familie im jüdischen Bürgertum machten sich hier geltend. 3 Der Bevölkerungsrückgang wäre ohne die ostjüdische Einwanderung noch viel deutlicher ausgefallen. 1910 lebten 78.000 Ostjuden im Reichsgebiet; vier Jahre später waren es bereits 90.000. Der sinkende jüdische Anteil an der Gesamtbevölkerung löste vielfältige Ängste aus und war ein Dauerthema innerjüdischer Diskussionen. Neomalthusianische Argumente und kulturpessimistische Topoi verbanden sich zu einer eigentümlichen Melange, die wortgewaltige Publizisten den „Untergang der deutschen Juden" an die Wand malen ließ.4 An der Bewertung des Assimilationsprozesses schieden sich die Geister, weil die weitgehende Anpassung an die Bevölkerungsmehrheit die Gefahr des Identitätsverlusts in sich barg. In der emotional aufgeladenen Diskussion der Jahrhundertwende, die um die - soziologisch abwegige Vorstellung einer „völligen Verschmelzung" kreiste, erhielt der Begriff „Assimilation" negative Konnotate. Aus heutiger Perspektive ist er analytisch problematisch, weil er nicht in der Lage ist, Wechselwirkungen präzis zu beschreiben und überdies sowohl auf den historischen Prozeß als auch auf sein Ergebnis bezogen werden kann. 5 Im Zusammenhang mit

3

Zum jüdischen Bevölkerungsanteil im Deutschen Reich: Usiel O. Schmelz, „Die demographische Entwicklung der Juden in Deutschland von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1933", in: BLBI 83 (1989), S. 15-62; Zahlenangaben: Ebd., S. 21. Ferner aufschlußreich: Monika Richarz, „Die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung", in: Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo-Baeck-Instituts v. Michael A. Meyer unter Mitw. v. Michael Brenner, Bd. 3: Umstrittene Integration 1871-1918, v. Steven M. Lowenstein u.a., München 1997, S. 13-38, deren sozialstatistische Daten sich auch auf Österreich erstrecken, wie generell der Vorteil des Handbuchs darin besteht, daß die Geschichte der deutschen Juden im zentraleuropäischen Kontext behandelt wird.

4

So etwa Felix Theilhabers gleichnamige Schrift, die 1911 in München erschien. Differenziert zur jüdischen Einwanderung aus Osteuropa: Jack Wertheimer, Unwelcome Strangers. East European Jews in Imperial Germany, N e w York u. Oxford 1987, S. 7 7 - 8 8 u. 2 2 2 - 2 2 9 , sowie der statistische Anhang ebd., S. 184-201; einen problemorientierten Überblick gibt: Shulamit Volkov, „Die Dynamik der Dissimilation: Deutsche Juden und die ostjüdischen Einwanderer", in: Dies., Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Zehn Essays, München 1990, S. 1 6 6 - 1 8 0 u. 2 3 0 - 2 3 3 .

5

Zur Kritik am Assimilationsbegriff: Marion A. Kaplan, Jüdisches Bürgertum. Frau, Familie und Identität im Kaiserreich, Hamburg 1997, S. 26 f., und Shulamit Volkov, „Jüdische Assimilation und Eigenart im Kaiserreich", in: Dies., Jü-

Erfolgreiche Akkulturation und ihre Grenzen

25

einer Geschichte der jüdischen Intellektuellen bietet es sich deshalb an, den Terminus „Akkulturation" zu verwenden, der normativ weniger „aufgeladen" ist und zudem eine Vielzahl unterschiedlicher Wertvorstellungen und Verhaltensweisen zu umfassen vermag. Ungeachtet des Anpassungsdrucks blieb es für viele Angehörige des jüdischen Bürgertums plausibel, mit einer Gesellschaft zufrieden zu sein, die sich im europäischen Vergleich keineswegs rückständig oder extrem diskriminierend ausnahm. Immer wieder wurde betont, wie vorteilhaft es sei, in einem Rechtsstaat zu leben und nicht im Frankreich Dreyfus' oder gar unter der „Knute des Zaren". Gewiß sind diese Äußerungen nicht in jedem Fall wörtlich - gleichsam eins zu eins - interpretierbar. So selbstverständlich es war, sich gleichermaßen als Deutscher und Jude zu empfinden, wußte man doch um den prekären Charakter dieser Doppelidentität und mied es, den zweiten Teil in den Vordergrund zu spielen. „Jude" war man in erster Linie als Privatperson, während man im öffentlichen Leben die eigene ethnische und religiöse Identität nicht allzu häufig oder gar emphatisch betonte. Wenn das jüdische Bildungsbürgertum das Kaiserreich primär als Kulturnation beurteilte, so war dies jedoch nicht nur Ausdruck einer schönfarberischen Sicht der Wirklichkeit, die aus der fragilen politischen wie gesellschaftlichen Situation einer kleinen Minderheit resultierte und potentielle Angriffe unterlaufen sollte. Es zeigte auch das Ausmaß realer Zufriedenheit innerhalb des Judentums, das in wenigen Jahrzehnten derart in die Gesamtgesellschaft hineingewachsen war, daß der Ausdruck „deutschjüdisch" mit großer Selbstverständlichkeit gebraucht werden konnte. 6 Hinzu kamen die ökonomischen Erfolge, die Juden in verschiedenen Bereichen errungen hatten. Vor allem das städtische Judentum partizipierte am wirtschaftlichen Aufschwung. Ihm sind jene Familien zuzurechnen, die zeitgenössisch bereits im Licht der Öffentlichkeit standen und bis heute erhebliche Aufmerksamkeit beanspruchen: die Wirtschaftsmagnaten Ballin und Rathenau, die Bankiers Mendelssohn, Rothschild und Warburg oder die Pressefürsten Mosse, Sonnemann und Ullstein. 7 Von den 502 Geschäftsleuten, disches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Zehn Essays, 6

7

München 1990, S. 1 3 0 - 1 4 5 u. 2 2 1 - 2 2 5 , hier S. 132 f. Vgl. Reinhard Rürup, „An Appraisal of German-Jewish Historiography. Introduction to Year Book 35", in: LBIYB 35 (1990), S. X V - X X I V , hier S. XXIII f. Die aufwendige und quellenkritisch schwierige deutsch-jüdische Beziehungsgeschichte ist immer noch ein weithin vernachlässigtes Gebiet; zudem dominiert beinahe notwendig der lokalhistorische Zugriff. Anregend: Beller, Wien-, eine exemplarische Fallstudie bietet: Till van Rahden, Juden und andere Breslauer. Die Beziehungen zwischen Juden, Protestanten und Katholiken in einer deutschen Großstadt von 1860 bis 1925, Göttingen 2000. Aus der rasch wachsenden Literatur zum deutsch-jüdischen Bürgertum seien lediglich zwei einschlägige Monographien genannt: Andrea Hopp, Jüdisches Bürgertum in Frankfurt am Main im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1997, und Elisa-

26

Die deutsch-jüdische Kultur vor 1914

die das „Jahrbuch der Millionäre" zwischen 1910 und 1912 anfuhrt, war rund ein Viertel jüdischer Herkunft. Nicht weniger als 29 Juden zählten im Jahre 1910 zu den einhundert reichsten Männern Preußens. Im letzten Jahrfünft vor Ausbruch des Weltkrieges trugen die Berliner Juden, die vier Prozent der Bevölkerung stellten, mehr als ein Drittel der städtischen Steuerlast. 8 Freilich sollte man sich vor unzulässigen Verallgemeinerungen hüten. Neben den wohlhabenden jüdischen Familien existierten viele Haushalte, in deren Mittelpunkt die Sorge um die eigene Existenz stand. Auch das Landjudentum in Hessen oder Südwestdeutschland galt keineswegs als Inbegriff finanzieller Sekurität oder rasanter Modernisierung. 9 Doch all dies ändert wenig an der normativen Ausrichtung der jüdischen Bevölkerung an bürgerlichen Wertvorstellungen. Eine gute Schulbildung zählte im Kaiserreich zu den unerläßlichen Voraussetzungen gesellschaftlichen Aufstiegs. Als die Einfuhrung der „Simultanschulen" eine Zurückdrängung des konfessionellen Faktors im Unterrichtswesen versprach, wurden viele jüdische Schulen gegen den entschiedenen Protest der Lehrerschaft aufgelöst. Die Eltern hielten es für aussichtsreicher, ihre Kinder aufs Gymnasium zu schicken, und scheuten die damit verbundenen finanziellen Belastungen nicht. Schon 1867 betrug der Anteil jüdischer Schüler auf Berliner Oberschulen 14,8 Prozent, und er wuchs kontinuierlich bis auf etwa 25 Prozent am Vorabend des Ersten Weltkrieges. 1 0 Für die Universitätswelt lassen sich vergleichbare Entwicklungen konstatieren. Nahezu ein Zehntel der deutschen und ausländischen Studenten in Preußen waren zu Beginn dieses Jahrhunderts Juden. Da Positionen in Justizdienst und Verwaltung jüdischen Akademikern weitgehend verschlossen blieben, drängten sie in die „freien Berufe", wo sie als Anwälte, Ärzte und Journalisten ungewöhnlich erfolgreich war e n . " Auch in Handel und Gewerbe waren Juden fraglos überrepräsenbeth Kraus, Die Familie Mosse. Deutsch-jüdisches Bürgertum im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999. Zahlen nach: Dolores Augustine, Patricians and Parvenues. Wealth and High Society in Wilhelmine Germany, Oxford u. Providence 1994, S. 2 8 - 3 5 ; Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990, S. 399, und Werner E. Mosse, Jews in the German Economy. The German-Jewish Economic Elite 1820-1935, Oxford 1987, S. 13. Hierzu detailliert: Avraham Barkai, Jüdische Minderheit und Industrialisierung. Demographie, Berufe und Einkommen der Juden in Westdeutschland, Tübingen 1988, S. 136-165. Eine umfassende Untersuchung zum Niedergang des jüdischen Schulwesens fehlt. Für Bayern: Claudia Prestel, Jüdisches Schul- und Erziehungswesen in Bayern 1804-1933. Tradition und Modernisierung im Zeitalter der Emanzipation, Göttingen 1989. - Allgemein zur Überrepräsentation der Juden an weiterführenden Schulen: Nipperdey, Geschichte, Bd. 1, S. 400. Der jüdische Erfolg in den „freien Berufen" bietet noch ein weites Untersuchungsfeld. Zur Justiz nun einschlägig: Barbara Strenge, Juden im preußischen

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Erfolgreiche Akkulturation und ihre Grenzen

tiert. Gleichwohl verdient festgehalten zu werden, daß die oft betonte „Modernitätsnähe" der jüdischen Minderheit nicht zuletzt aus den sozialen Restriktionen der Mehrheitskultur erwuchs. Ähnliches gilt für das jüdische Familienleben, das in vielem durchaus moderne Strukturen aufwies. Die geringe Kinderzahl war ein Ergebnis des hohen Heiratsalters und zweckrationaler Familienplanung, die niedrige Kindersterblichkeit eine Folge sorgfaltiger Hygiene und steigenden Wohlstands. Zu den obersten Zielen der jüdischen Kleinfamilie zählte der gesellschaftliche Erfolg des Mannes, der in den „heimischen vier Wänden" ein Refugium und eine Kraftquelle für das anstrengende Berufsleben finden sollte. Der überwiegende Teil der häuslichen Pflichten lastete somit auf den Schultern der Frauen, die zudem weitgehend für die Wahrung jüdischer Traditionen sorgten. Ihnen oblag die Pflege nachbarschaftlicher und familiärer Kontakte ebenso wie die Vorbereitung des Sabbats und die Führung eines rituellen Haushaltes. Ihre Stellung zur jüdischen Akkulturation wurde durch eine hochgradige Ambivalenz geprägt: sie schufen die Bedingungen für die berufliche Integration des Mannes in die christliche Mehrheitsgesellschaft und sorgten zugleich für familiäre Strukturen, die das Judentum im Innersten zusammenhielten. 1 2 Die Rahmenbedingungen für die Entfaltung der jüdischen Minderheit steckte das Deutsche Kaiserreich, dessen Entwicklungsdynamik und kulturelle Vielfalt lange Zeit unterschätzt wurden. Doch sollten auch die „pluralistischen Dissense" nicht überbetont werden. 1 3 Trotz eines reichen kulturellen Lebens war das Kaiserreich in vielerlei Hinsicht eine rigide Gesellschaft, in der konservative Homogenitätsvorstellungen dominierten. Die herrschenden Schichten definierten „Nation", „Staat" oder „Bildung" für gewöhnlich in preußisch-protestantischem Geist, ohne über abweichende Deutungen auch nur nachzudenken. Überdies verloren die konfessionellen Zerklüftungen der „Kulturkampf-Ära" nur sehr langsam an Bedeutung. 1 4 Alle Minderheiten standen unter einem beträchtlichen Justizdienst

1812-1918.

der gesellschaftlichen

Der Zugang

zu den juristischen

Emanzipation,

Berufen

als

Indikator

M ü n c h e n usw. 1996. - Facettenreich zur

Situation jüdischer Studenten: Norbert Kampe, „Jews and Antisemites at Universities in Imperial Germany (I): Jewish Students. Social History and Social C o n flict", in: L B I Y B 3 0 ( 1 9 8 5 ) , S. 3 5 7 - 3 9 4 , hier S. 3 8 9 f. D i e s verdeutlicht: Kaplan, Bürgertum.

Eher skeptisch hinsichtlich der traditions-

bewahrenden Funktion der j ü d i s c h e n Frau: Miriam Gebhardt, Das dächtnis.

Erinnerung

im deutsch-jüdischen

Bürgertum

1890 bis 1932,

FamiliengeStuttgart

1999, deren Ausfuhrungen allerdings auch die verhaltensprägende Macht der Geschlechterrollen illustrieren. Nipperdey, Geschichte,

Bd. 1, S. 8 2 4 .

Zur lebensweltlichen B e d e u t u n g der Religion in wilhelminischer Zeit: Ebd., S. 4 2 8 - 5 3 0 , und passim. Einen Überblick über die facettenreiche jüngere Fors c h u n g bietet: Olaf Blaschke u. Frank-Michael Kuhlemann (Hgg.), Religion Kaiserreich.

Milieus

- Mentalitäten

- Krisen,

im

Gütersloh 1996; zur anhaltenden

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Konformitätsdruck, der immer wieder konfliktträchtige Situationen heraufbeschwor. Die spezifische Problemlage der Juden resultierte einerseits aus dem hohen Grad der eigenen Akkulturation und andererseits aus der Vielfalt und Intensität antisemitischer Vorurteile. Der Antisemitismus stellte eine kulturelle und soziale Realität dar, mit der auch etablierte jüdische Kreise leben mußten. Als politische Kraft hatte er bereits im Reichsgründungsjahrzehnt erheblich an Bedeutung gewonnen. So nahm der protestantische Hofprediger Adolf Stoecker seit 1878 die ungelöste „soziale Frage" zum Anlaß heftiger judenfeindlicher Polemiken. 15 Nicht unterschätzt werden sollte auch die Signalwirkung des „Berliner Antisemitismusstreits", der reichsweites Interesse auf sich zog. In ihm bewies Bismarcks publizistischer Sekundant, der angesehene Historiker Heinrich von Treitschke, beträchtliches Geschick als judenfeindlicher Agitator. Seine nationalistische Rhetorik richtete sich nur scheinbar gegen die ostjüdische Einwanderung, tatsächlich machte sie antisemitische Vorurteile im christlichen Bildungsbürgertum und insbesondere in der Studentenschaft gesellschaftsfähig. 16 Das radikalisierte Meinungsklima zeigte sich 1880 in der „Antisemitenpetition", als etwa 225.000 Unterzeichner eine Sondergesetzgebung für Juden forderten. Auch im Katholizismus hatte antisemitisches Gedankengut Konjunktur, wie die Auflagenhöhe und Verbreitung von August Rohlings Hetzschriften zeigt. Die Ritualmordhysterie ließ in Xanten am Niederrhein und im westpreußischen Könitz längst überwunden geglaubte Ängste Wiederaufleben. 17 Demagogen, wie der „hessische Bauernkönig"

Wirkung des Kulturkampfs: Gangolf Hübinger, Kulturprotestantismus und Politik. Zum Verhältnis von Liberalismus und Protestantismus in Deutschland, Tübingen 1994, bes. S. 3 0 3 - 3 1 3 . Maßgeblich zu Stoecker: Günther Brakelmann, Martin Greschat u. Werner Jochmann, Protestantismus und Politik. Werk und Wirkung Adolf Stoeckers, Hamburg 1982. Komprimierte Überblicke bieten: Helmut Berding, Moderner Antisemitismus in Deutschland, Frankfurt am Main 1988, S. 8 5 - 1 1 0 , und Peter Pulzer, The Rise of Political Anti-Semitism in Germany and Austria, 2. Aufl. London 1988, S. 8 3 - 9 7 . Zum Forschungsstand vgl. Till van Rahden, „Ideologie und Gewalt. Neuerscheinungen über den Antisemitismus in der deutschen Geschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts", in: N P L 41 (1996), S. 11-29. Die politische Dimension der Auseinandersetzungen betonen: Michael A. Meyer, „Great Debate on Antisemitism. Jewish Reaction to N e w Hostility in Germany 1879-1881", in: LBIYB 11 (1966), S. 137-170, und Ulrich Sieg, „Bekenntnis zu nationalen und universalen Werten. Jüdische Philosophen im Deutschen Kaiserreich", in: HZ 263 (1996), S. 6 0 9 - 6 3 9 , hier S. 6 1 1 - 6 2 1 . Als Textsammlung hilfreich, aber keineswegs erschöpfend: Walter Boehlich (Hg.), Der Berliner Antisemitismusstreit, Frankfurt am Main 1988. Vgl. als instruktive Fallstudie Christoph Nonn, „Zwischenfall in Könitz. Antisemitismus und Nationalismus im preußischen Osten um 1900", in: HZ 2 6 6 (1998), S. 3 8 7 - 4 1 8 , sowie zur fragwürdigen Haltung der katholischen Kirche:

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Otto Bockel oder der gerichtsnotorische Pamphletist Hermann Ahlwardt in Nordostdeutschland, nutzten die Probleme von Landbevölkerung und Mittelschichten, um ihrer antisemitischen Agenda eine breitere Anhängerschar und sich selbst beträchtliche Wahlerfolge zu verschaffen. 1893 war der Höhepunkt erreicht, als nicht weniger als 16 antisemitische Abgeordnete in den Reichstag einzogen. Allein einen dauerhaften Massenanhang gewann der politische Antisemitismus nicht. Die antisemitischen Parteien brachten kein einziges Gesetz durch den Reichstag und scheiterten kläglich bei der Umsetzung ihrer wirtschaftlichen Programme. Als zudem das Ansehen ihrer „Spitzenpolitiker" durch Korruptionsskandale erschüttert wurde, quittierte dies der Wähler auf dem Stimmzettel. 18 In der Folgezeit verlagerte sich die antisemitische Agitation auf Vereine und Verbände, wie den „Bund der Landwirte" oder den „Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband". Jüdischerseits war dies ein großes Ärgernis, ließ es doch auf die verbreitete gesellschaftliche Akzeptanz des Antisemitismus schließen. Als politische Kraft, von der eine unmittelbare Bedrohung jüdischer Existenz ausging, betrachteten ihn freilich nur wenige. 19 Soziale Exklusionsmechanismen hatten für das deutsche Judentum meist größere Bedeutung als die antisemitischen Ressentiments der Bevölkerung, die man als Relikte der Vergangenheit ansehen und mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen konnte. Mit Ausnahme der bayerischen Armee war es für Juden faktisch unmöglich, ein Offizierspatent zu erwerben. Bei der Ernennung zum Reserveoffizier - in mancher Hinsicht das Entree zu den besseren Kreisen - galten ähnliche Restriktionen. Zwar leisteten zwischen 1885 und 1910 zwanzig- bis dreißigtausend Juden

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Olaf Blaschke, Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1997, S. 74, 125 f., und passim. Generell zu den „langen Linien" christlicher Judenfeindschaft: Robert K. Wistrich, The Longest Hatred, N e w York 1994. Den Niedergang des politischen Antisemitismus, um den eine allzu sehr auf Kontinuitätslinien bedachte Historiographie gern einen Bogen macht, beschreibt anschaulich: Richard S. Levy, The Downfall of the Anti-Semitic Political Parties in Imperial Germany, N e w Haven u. London 1975. Zum wirtschaftlichen Fiasko der Bockel-Bewegung vgl. David Peal, Anti-Semitism and Rural Transformation in Kurhessen: The Rise and the Fall of the Bockel Movement, phil. Diss., New York 1985. Die gesellschaftliche Prägekraft und subkutane Wirkung des Antisemitismus unterstreicht zu Recht: Shulamit Volkov, „Antisemitismus als kultureller Code", in: Dies., Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Zehn Essays, München 1990, S. 1 3 - 3 6 u. 197-202. Gleichwohl sollte der Zeichencharakter des Antisemitismus für die politisch vielfach zerklüftete Rechte nicht überschätzt werden. Der kleinste gemeinsame Nenner lag vielleicht in der Ablehnung des Linksliberalismus, dessen Anhänger sich wiederum an ihrem „Anti-Antisemitismus" erkannten.

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ihren Dienst als „Einjährig-Freiwillige", doch verhinderte das preußische Offizierskorps, daß auch nur ein einziger jüdischer Bewerber den begehrten Rang erreichte.20 Mehrfach kam es im Reichstag zu erregten Debatten über diese diskriminierende Praxis, die der formellen Rechtsgleichheit des Judentums Hohn sprach. Doch letztlich verliefen alle Proteste im Sande, weil das preußische Kriegsministerium dem Offizierskorps die Kooptationsfreiheit nicht beschneiden wollte. 21 Ähnliche Ausgrenzungsmuster betrafen den Staatsdienst generell: man bevorzugte christliche Bewerber und beförderte jüdische Beamte ausgesprochen langsam. In den Regierungsspitzen der Länder oder beim Auswärtigen Amt sorgte eine „unsichtbare Schranke" für die vollständige Abwesenheit von Juden. 22 Selbst in der scheinbar offenen Universitätslaufbahn erreichten nur wenige jüdische Wissenschaftler das „Endziel" der Karriereleiter: die ordentliche Professur. Im Wintersemester 1909/10 waren es gerade einmal 25 nicht konvertierte Juden, die einen Lehrstuhl bekleideten. In der akademischen Welt existierte ein „struktureller Taufdruck", der viele jüdische Akademiker zum Konfessionswechsel bewog. Spätestens seit ihren Privatdozententagen wußten sie, wie sehr man an den deutschen Universitäten auf soziale und konfessionelle Homogenität bedacht war. 23

Werner T. Angress, „Prussia's Army and the Jewish Reserve Officer Controversy before World War I", in: LB1YB 17 (1972), S. 19-42, hier S. 32 f. Vgl. ebd., S. 29-40. Dokumente zu den Debatten zwischen 1904 und 1913 finden sich: HStA Stuttgart M 1/3, Bü 675. Der Skandal wurde durch die Tatsache noch sichtbarer, daß in der österreichisch-ungarischen Armee derlei Restriktionen nicht bestanden. Im Jahre 1897 besaß sie nicht weniger als 1.993 jüdische Reserveoffiziere, das entsprach exakt 18,7 Prozent des gesamten Reserveoffizierskorps; Istvan Deak, Jewish Soldiers in Austro-Hungarian Society, New York 1990, S. 17. So Berding, Antisemitismus, S. 152, dessen kluger Ausdruck gleichermaßen die Härte der Exklusionsmuster wie deren nicht justitiablen Charakter verdeutlicht. Ausfuhrlich zu diesem Thema: Ernest Hamburger, Juden im öffentlichen Leben Deutschlands. Regierungsmitglieder, Beamte und Parlamentarier in der monarchischen Zeit 1848-1918, Tübingen 1968. Juden gaben sich hinsichtlich der Überwindbarkeit dieser Schranke nur selten Illusionen hin. Martin May ging in seinen romanhaften Erinnerungen „The First ,Blitz'" sogar so weit, von „unsichtbaren Ghettos" zu sprechen (LBI New York ME 427, S. 42). Vgl. Norbert Kampe, „Jüdische Professoren im Deutschen Kaiserreich. Zu einer vergessenen Enquête von Bernhard Breslauer", in: Rainer Erb u. Michael Schmidt (Hgg.), Antisemitismus und jüdische Geschichte. Studien zu Ehren von Herbert A. Strauss. Mit Beiträgen v. Volker Berbüsse u.a., Berlin 1987, S. 185211, und Ulrich Sieg, „Der Preis des Bildungsstrebens. Jüdische Geisteswissenschaftler im Kaiserreich", in: Andreas Gotzmann, Rainer Liedtke u. Till van Rahden (Hgg.), Juden, Bürger, Deutsche. Zur Geschichte von Vielfalt und Differenz 1800-1933, Tübingen 2001, S. 67-95.

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All dies war Gegenstand andauernder Unzufriedenheit und gezielter Interessenpolitik. So konzentrierte sich der 1893 gegründete „Centraiverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" (C V) nicht allein auf die Abwehr antisemitischer Umtriebe, sondern tat auch sein möglichstes, um staatliche Barrieren gegen die jüdische Integration abzubauen. Nicht zufällig gaben Juristen oder Politiker in ihm den Ton an, während Rabbiner eine vergleichsweise nachgeordnete Rolle spielten. 24 Ähnliche politische Ziele verfolgte seit 1891 der „Verein zur Abwehr des Antisemitismus" (VAA), dessen führende Vertreter dem Linksliberalismus nahestanden. Dies trifft etwa für den Reichstagsabgeordneten Georg Gothein zu, der 1909 den Vorsitz übernahm und sich im Parlament gegen die ungerechtfertigte Benachteiligung der jüdischen Minderheit wandte. Auch wenn die Leitung des VAA stets christlich blieb, fanden viele Juden dort ein politisches Betätigungsfeld und ein offenes Ohr für ihre Probleme. 25 Immer wieder betonten sie die kulturellen und wirtschaftlichen Leistungen des Judentums für die deutsche Nation. Binnen weniger Jahrzehnte wurde der Stolz auf das Erreichte zum integralen Bestandteil jüdischen Selbstverständnisses. Nachdrücklich stellte man den jüdischen Beitrag zum deutschen Kulturleben heraus. Zu den Erfolgsgestalten gehörten der Maler Max Liebermann und der Schriftsteller Georg Hermann. Beide bekundeten wenig Neigung zu stürmischen Neuerungen, und so fraglos sie sich für jüdische Themen interessierten, bestimmte dies ihr Schaffen doch nicht entscheidend. Der harmlose Familienroman Jettchen Gebert kam dem Zeitgeschmack sogar so weit entgegen, daß er mit den Buddenbrooks verglichen wurde und alsbald zum Lektürekanon jüdischer Mädchen gehörte. 26 Im Dies betont: Michael Brenner, Kultur, S. 29 f. - Trotz seiner Massenbasis gehört der CV, der 1909 vierzigtausend Mitglieder zählte, bislang eher zu den Stiefkindern der Forschung. Sein apologetisches, aber keineswegs passives Politikverständnis erörtert: Arnold Paucker, „Zur Problematik einer jüdischen Abwehrstrategie in der deutschen Gesellschaft", in: Juden im Wilhelminischen Deutschland 1 8 9 0 - 1 9 1 4 , hg. v. Werner E. Mosse unter Mitw. v. Arnold Paucker, Tübingen 1976, S. 4 7 9 - 5 4 8 . Zum Abwehrverein vgl. Barbara Suchy, „The Verein zur Abwehr des Antisemitismus (I): From its Beginnings to the First World War", in: LBIYB 28 (1983), S. 2 0 5 - 2 3 9 , sowie Peter Pulzer, „Die Reaktion auf den Antisemitismus", in: Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo-BaeckInstituts v. Michael A. Meyer unter Mitw. v. Michael Brenner, Bd. 3: Umstrittene Integration 1871-1918, v. Steven M. Lowenstein u.a., München 1997, S. 2 4 9 277, hier S. 2 5 0 - 2 5 3 , der allerdings, ebd. S. 252, auch darauf hinweist, daß Gothein über seinen jüdischen Vater „lieber Stillschweigen bewahrte". Vgl. Peter Gay, „Begegnung mit der Moderne. Die deutschen Juden in der Wilhelminischen Kultur", in: Ders., Freud, Juden und andere Deutsche. Herren und Opfer in der modernen Kultur, München 1989, S. 115-188, hier S. 122 f. u. 152 f., sowie George Mosse, Intellektuelle, S. 109.

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Wissenschaftsbetrieb zählten hingegen jüdische Gelehrte häufig zu den Neuerern. Dies gilt insbesondere für expandierende Fächer wie Medizin, Chemie, Physik und Psychologie, in denen sich flir begabte Wissenschaftler manche - auch außeruniversitäre - Nische fand. So nahmen im Zentrum naturwissenschaftlicher Grundlagenforschung, der 1911 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Gelehrte jüdischer Herkunft eine herausragende Rolle ein. Doch läßt sich die hohe Zahl bedeutender jüdischer Forscher nicht allein aus den Spezifika der preußischen Wissenschaftsorganisation herleiten. 27 So wenig es mit Sicherheit einen einheitlichen jüdischen oder deutsch-jüdischen „Denkstil" gab, so lohnend dürfte es sein, über die kulturellen Voraussetzungen des wissenschaftlichen Erfolges nachzudenken. Eine große, wenn auch ausgesprochen schwierig zu bestimmende Rolle scheint der familiären Erziehung im jüdischen Bürgertum zuzufallen, die „Bildung" und „Erkenntnisstreben" beinahe Letztwertcharakter verlieh. 28 So unstrittig der Schlüsselcharakter des Bildungsgedankens flir das bürgerliche Selbstverständnis ist, so umstritten dürfte sein, ob und in welcher Form sich das deutsche Bildungsbürgertum als eigenständige soziale Formation beschreiben läßt. Für manche scheint hier gar das „Herz" des deutschen Sonderwegs verborgen; so spricht Hans-Ulrich Wehler in pointierter Zuspitzung von einem „Unikat unter den westlichen Modernisierungseliten". 29 In europäisch vergleichender Perspektive verliert sich freilich viel von dieser Einzigartigkeit. So sind die Unterschiede zwischen dem französischen und dem deutschen Bildungsbürgertum bei weitem nicht so groß, wie lange Zeit angenommen. Betrachtet man etwa ausschließlich das höhere Schulwesen, so ergeben sich bemerkenswerte Ähnlichkeiten in der sozialen Zusammensetzung. 30 Unterschiedlich war Dies versuchte Volkov, „Ursachen", die inzwischen selbst ihren Ansatz kritisiert hat; vgl. Dies., „Juden als wissenschaftliche „Mandarine" im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Neue Überlegungen zu sozialen Ursachen des Erfolgs jüdischer Naturwissenschaftler", in: AfS 37 (1997), S. 1-18. Zur jüdischen Mitwirkung in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft: Fritz Stern, „Freunde im Widerspruch. Haber und Einstein", in: Ders., Verspielte Größe. Essays zur deutschen Geschichte, München 1996, S. 2 1 4 - 2 8 1 u. 3 0 8 - 3 1 5 . Vgl. George Mosse, Intellektuelle, bes. S. 19-44. Als wissenschaftshistorische Fallstudie aufschlußreich: Mitchell G. Ash, Gestalt psychology in German culture, 1890-1967. Holism and the questfor objectivity, Cambridge 1995. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution" bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849-1914, München 1995, S. 1270. Vgl. Charte, Vordenker, S. 104-109. Zum Terminus extrem skeptisch: Ulrich Engelhardt, „Bildungsbürgertum". Begriffs- und Dogmengeschichte eines Etiketts, Stuttgart 1986. Gelassener: Gangolf Hübinger, „Politische Werte und Gesellschaftsbilder des Bildungsbürgertums", in: NPL 32 (1987), S. 189-210. Jüngster Forschungsüberblick: Hellmut Seier, „Liberalismus und Bürgertum in

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im ausgehenden 19. Jahrhundert die Haltung des Staates zu der wachsenden Zahl von Hochschulabsolventen. Nahmen in Frankreich oder auch in England die Staatsstellen zu, erhöhte sich in Deutschland die Zahl der Akademiker, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ihr Auskommen suchen mußten. Doch änderten die „Überfüllungskrise" an der Universität und die Angst vor dem „akademischen Proletariat" wenig am prinzipiellen Respekt, den das Bürgertum den staatlichen Bildungseinrichtungen entgegenbrachte. 3 1 Wie hoch das „symbolische Kapital" (Bourdieu) war, das sich mit der Aneignung von Bildung im Kaiserreich erzielen ließ, verdeutlicht das Verhalten führender Bankiers. 32 Die großen jüdischen Privatbanken stellten sich zum einen in die Tradition uneigennützigen Mäzenatentums, zum anderen trug ihr Umgang mit Kunst nicht unerheblich legitimatorische Züge. Durch die Übernahme des Wertekanons der Bildungselite hoffte man sich vor dem Vorwurf ungerechtfertigter Bereicherung und parvenuhafter Gesinnung zu schützen. Dies begünstigte ein klassisches Kunstverständnis und forderte konventionelle Sammlertätigkeit. Direktes Engagement für jüdische Künstler, wie die Unterstützung Max Liebermanns und der „Berliner Sezession" durch Julius Stern, bildeten hingegen die Ausnahme. Bildung kam die Aufgabe zu, nationale, religiöse und wirtschaftliche Schranken zu transzendieren, und bot den Angehörigen einer Minderheit individuelle Aufstiegsmöglichkeiten. Das Wertgefüge der christlichen Mehrheitskultur behielt freilich normativen Charakter. Nicht zufällig verwendeten die meisten jüdischen Intellektuellen als Mitteilungsmedium die deutsche Sprache, die sie virtuos zu handhaben wußten. Ihre private Lektüre stand im Bannkreis von Aufklärung und Klassik: Zu den bevorzugten Autoren gehörte neben Lessing, Kant und Schiller natürlich Goethe, der in zahlreichen Biographien als „ideale[r] Bildungsbürger" verherrlicht wurde. 3 3

Mitteleuropa 1850-1880. Forschung und Literatur seit 1970", in: Lothar Gall (Hg.), Bürgertum und bürgerlich-liberale Bewegung in Mitteleuropa seit dem 18. Jahrhundert, München 1997, S. 131-229, hier S. 195-208. Für die sozialstatistischen Zusammenhänge grundlegend: Hartmut Titze, Der Akademikerzyklus. Historische Untersuchungen über die Wiederkehr von Überfüllung und Mangel in akademischen Karrieren, Göttingen 1990. Als Fallstudie zum bildungsbürgerlichen Selbstverständnis: Lenger, Sombart. Zum Folgenden vgl. Morten Reitmayer, „Bankiers als Bildungsbürger. Sozialprofil und kulturelle Praxis der Großbankiers im Kaiserreich", in: Werkstatt Geschichte 14 (1996), S. 3 9 - 5 4 , sowie umfassend Ders., Bankiers im Kaiserreich. Sozialproßl und Habitus der deutschen Hochfinanz, Göttingen 1999. Vgl. George Mosse, Intellektuelle, S. 76 ff., hier S. 76. Die jüdischen „Tradition" verklärter Goethe-Bilder betrachtet: Wilfried Barner, Von Rahel Varnhagen bis Friedrich Gundolf. Juden als deutsche Goethe-Verehrer, Göttingen 1992.

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In mancher Hinsicht fiel die Annäherung an die bürgerlich-protestantische Wertewelt leicht. Schon die Mitglieder des 1819 gegründeten ,,Verein[s] für Cultur und Wissenschaft der Juden" beseelte eben jener Glaube an die geschichtliche Wirkmächtigkeit von Ideen, der für das Humboldtsche Weltbild konstitutiv war. Generell zielte die im Reformjudentum angestrebte kulturelle Erneuerung der eigenen Religion auf die Akzeptanz der christlichen Umgebung. Dies gilt etwa für das Konzept eines religiösen Fortschritts in der Geschichte, das Mendelssohn noch gänzlich fremd gewesen war. 34 Beinahe von selbst verstand es sich, daß an den beiden angesehensten Bildungseinrichtungen, dem Breslauer „Jüdisch-Theologischen Seminar" und der Berliner „Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums", die historisch-kritische Fundierung jüdischer Religion im Mittelpunkt von Forschung und Lehre stand. Lediglich in der Orthodoxie sperrte man sich in manchem gegen den Lauf der Zeit und hielt an der rabbinischen Autorität und der Wichtigkeit der Ritualvorschriften fest. Doch auch hier debattierten junge Intellektuelle darüber, wie sich eine gegenwartsnahe Erneuerung des Judentums erreichen ließe. 35 Erst recht läßt sich dies über die Vertreter der Neoorthodoxie sagen. Für Esriel Hildesheimer, den entschiedenen Protagonisten der „Kulturorthodoxie", verband sich die angestrebte Modernisierung des Judentums gleichsam natürlich mit dem Wunsch nach bürgerlicher Respektabilität. Das von ihm ins Leben gerufene Berliner Rabbinerseminar gewann rasch eine Schlüsselposition, was sich daran ersehen läßt, daß seine Absolventen alle frei werdenden orthodoxen Rabbinerstellen besetzen konnten. Innerhalb der jüdischen Gemeinden blieb jedoch die Reformbewegung vorherrschend, die im Kaiserreich nahezu achtzig Prozent der Gemeindevorstände stellte.36 Diese hatten nicht nur mit den allgemeinen Folgen der Säkularisierung zu kämpfen, sondern mußten auch den ausgeprägten Akkulturationswillen der jüdischen Minderheit in Rechnung stellen. In Kleidung und Eßgewohnheiten, ja selbst in den Festbräuchen hatte sich das liberale Judentum stark an christliche Gewohnheiten angepaßt. Statt koscherer Küche kamen in südwestdeutschen Gemeinden Spätzle auf den Mittagstisch, und selbst ein jüdischer Weihnachtsbaum zählte

Hierzu monographisch: Michael A. Meyer, Response to Modernity. A History of Reform Movement in Judaism, N e w York u. Oxford 1988. Generell zur Wissenschaftsorientierung der entstehenden Judaistik: Julius Carlebach (Hg.), Wissenschaft des Judentums. Anfänge der Judaistik in Europa, Darmstadt 1992, sowie Michael Brenner u. Stefan Rohrbacher (Hgg.), Wissenschaft vom Judentum. Annäherungen nach dem Holocaust, Göttingen 2000. Vgl. Mordechai Breuer, Jüdische Orthodoxie im Deutschen Reich 1871-1918. Sozialgeschichte einer religiösen Minderheit, Frankfurt am Main 1986. Meyer, Response, S. 142; zur Schlüsselstellung des Berliner Rabbinerseminars vgl. Maurer, Entwicklung, S. 21.

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nicht zu den Seltenheiten. Man betrachtete die Orgel in der reformierten Synagoge ebenso als Selbstverständlichkeit wie das Kaiserbild in der „guten Stube". Selbst die Kindererziehung oblag zu nicht geringen Teilen den christlichen Hausangestellten. 37 Die grundlegenden Probleme jüdischer Identität ließen sich jedoch über Akkulturation allein nicht lösen. Die Crux bestand darin, daß endgültige Assimilation ohne Aufgabe des Gedankens jüdischer Einzigartigkeit nicht vorstellbar war. Im Bereich der „hohen Kultur" trat das Dilemma der deutschen Juden vielleicht besonders deutlich zutage: j e erfolgreicher man protestantische Ideen und Werte adaptiert hatte, um so ungewisser war die Substanz des Judentums geworden. Die zu allen Zeiten schwierige Definition des „Jüdischen" konnte in einer zunehmend säkularen Gesellschaft nur noch bedingt über religiöse Kategorien erfolgen. Im jüdischen Bildungsbürgertum favorisierte man um die Jahrhundertwende ethische Definitionen des Judentums, deren besonderer Vorteil darin lag, daß sie sich relativ einfach in den protestantischen Wertekosmos einfügen ließen. Dies erklärt etwa den Erfolg von Moritz Lazarus' 1899 erschienener Ethik, die bei allem Beharren auf einer eigenständigen Entwicklung des „jüdischen Geistes" letztlich ein pastellfarbenes Gesamtbild des Judentums entwarf. 3 8 Freilich heißt dies nicht, daß protestantische Theologen in ihrer Mehrheit die jüdischen Akkulturationsanstrengungen begrüßten oder gar uneingeschränkt positiv beurteilten. In hohem Maße trifft dies auch für die Exponenten des Kulturprotestantismus zu, die auf politischem Feld nicht selten für die Rechte der jüdischen Minderheit eintraten. 39 Es lag in der eigentümlichen Logik kulturprogressistischer Geschichtsbilder, daß selbst ein so aufgeklärter Gelehrter wie Adolf Harnack dem Judentum mit erheblicher Reserve gegenüberstand, j a es letztlich für eine überwundene Periode der religiösen Menschheitsentwicklung hielt. Harnacks - auf ein 37

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Einen plastischen Zugang zur Alltagswelt des jüdischen Bürgertums eröffnet: Kaplan, Bürgertum; konzeptionell wichtig: Shulamit Volkov, „Die Verbürgerlichung der Juden in Deutschland als Paradigma", in: dies., Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Zehn Essays, München 1990, S. 1 1 1 - 1 3 0 u. 2 1 6 - 2 2 1 . Moritz Lazarus, Die Ethik des Judentums, Frankfurt am Main 1899. - Eine Arbeit über Lazarus, der auch als Funktionär im liberalen Judentum über beträchtlichen Einfluß verfugte, ist seit langem ein Desiderat. Als Quellensammlung vorzüglich: Ingrid Belke (Hg.), Moritz Lazarus und Heymann Steinthal. Die Begründer der Völkerpsychologie in ihren Briefen, 2 Bde., Tübingen 1971 u. 1983/86. Allgemein zur zentralen Bedeutung der Ethik für jüdische Selbstdefinitionen seit der Aufklärung: Heinz Mosche Graupe, Die Entstehung des modernen Judentums. Geistesgeschichte der deutschen Juden 1650-1942, Hamburg 1969, S. 2 8 9 - 3 1 9 . Hierzu umfassend: Hübinger, Kulturprotestantismus; exemplarisch: Anne Nagel, Martin Rade - Theologe und Politiker des Sozialen Liberalismus. Eine politische Biographie, Gütersloh 1996.

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breites Publikum berechnete - Berliner Vorlesungen über Das Wesen des Christentums im Wintersemester 1899/1900, die alsbald mit ungeheurem Erfolg veröffentlicht wurden, betrachteten das Judentum als national verengte und innerlich erstarrte Religion. 40 Der junge Oppelner Rabbiner Leo Baeck sah sich zu einer scharfen Entgegnung veranlaßt, die nicht nur Harnacks Unkenntnis der jüdischen Tradition, sondern auch seine befangene Interpretationshaltung monierte. 41 Der prinzipielle Charakter der Auseinandersetzung zeigt sich in der Tatsache, daß Baeck die Replik zu seinem wissenschaftlichen Hauptwerk umarbeitete. Bereits der Titel der 1905 erschienenen Schrift Das Wesen des Judentums war programmatisch, behauptete er doch die Gleichrangigkeit der jüdischen mit der christlichen Religion. Zugleich verdeutlichte die Titelwahl aber auch, wie groß der Schatten war, den Harnacks Schrift zu Beginn dieses Jahrhunderts warf. 42 Im gebildeten deutschen Judentum schaute man nach Möglichkeit darüber hinweg, daß der hohe Akkulturationsgrad keineswegs die Akzeptanz der Bevölkerungsmehrheit erbracht hatte. Gerade aus diesem Grund favorisierte man eine Weltsicht, die Deutschtum und Judentum harmonisch miteinander verband. Zu den tonangebenden Intellektuellen gehörte neben Moritz Lazarus der Marburger Neukantianer Hermann Cohen. Der einzige jüdische Ordinarius für Philosophie im deutschen Kaiserreich fand einen ebenso kühnen wie zustimmungsfähigen intellektuellen Ausweg: Er stellte das Ethos der hebräischen Propheten gleichberechtigt neben Luthers Weltsicht und behandelte Maimonides als den jüdischen Vorläufer Kants. Da Deutschtum und Judentum auf einen ethischen Monotheismus konvergierten, verloren konfessionelle oder ethnische Unterschiede ihre prinzipielle Bedeutung. 43 Bis 1903 wurde eine Auflage von 60.000 erreicht, und es erschienen Übersetzungen in 14 Sprachen; Nipperdey, Geschichte, Bd. 1, S. 471. Leo Baeck, „Harnacks Vorlesungen über das Wesen des Christentums", in: MGWJ N.F. 9 (1901), S. 9 7 - 1 2 0 ; dazu Albert H. Friedlander, Leo Baeck. Leben und Lehre, Stuttgart 1973, S. 74 f., und Christian Wiese, „Ein unerhörtes Gesprächsangebot. Leo Baeck, die Wissenschaft des Judentums und das Judentumsbild des liberalen Protestantismus", in: Georg Heuberger u. Fritz Backhaus (Hgg.), Leo Baeck 1873-1956. Aus dem Stamme von Rabbinern, Frankfurt am Main 2001, S. 147-171. Dies akzentuiert: Uriel Tal, Christians and Jews in Germany. Religion, Politics and Ideology in the Second Reich, 1870-1914, Ithaca 1975, S. 204 ff. Zur „Schräglage" der Debatten zwischen christlichen und jüdischen Theologen vgl. unten Kap. 5.3. Cohens Haltung zum Judentum analysieren: Hans Liebeschütz, Von Georg Simmel zu Franz Rosenzweig. Studien zum jüdischen Denken im deutschen Kulturbereich. Mit einem Nachw. v. Robert Weltsch, Tübingen 1970, S. 7 - 5 4 ; Steven S. Schwarzschiidt, „,Germanism and Judaism' - Hermann Cohen's Normative Paradigm o f the German-Jewish Symbiosis", in: David Bronsen (Hg.), Jews and

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Vielleicht spiegelt der Abstraktheitsgrad von Cohens Idealismus auch die Größe der Akkulturationsanstrengungen des liberalen Judentums wieder. In jedem Fall war seine Betonung des Ethischen kein Ausdruck spezifischer „Modernitätsnähe". Der Rekurs auf aufklärerische Werte mußte in einer Zeit, die Nietzsche mehr als Kant bewunderte und sich nach einer ästhetischen „Verzauberung der Welt" sehnte, antiquiert wirken. Während die etablierten Kirchen an Bedeutung verloren, erfolgte eine religiöse „Aufladung" von Kultur, die mit dem klassischen Bildungsideal Humboldtscher Prägung schwerlich vereinbar war. 44 Für jüdische Intellektuelle war die Abkehr vom Liberalismus alles andere als unproblematisch, war er doch der verläßlichste Bundesgenosse im Kampf um die eigenen Rechte. Gleichwohl empfanden die Vordenker der jüngeren Generation das liberale Weltbild zunehmend als unzeitgemäß. Sie suchten eine neue Ideologie, welche die Wurzeln jüdischer Identität aufzeigte und zugleich den Weg in eine unbekannte Zukunft wies.

2.2. Auf der Suche nach einem neuen Selbstverständnis Um die Jahrhundertwende war es für junge Juden in Deutschland nicht einfach, ein positives Selbstverständnis zu entwickeln. Das Weltbild ihrer Eltern, welche Reichseinigung und rechtliche Gleichstellung als Erfüllung ihrer politischen Ideale erlebt hatten, empfanden viele als allzu harmonisierend und kompromißgeneigt. Schon während der Schulzeit wurde ihnen klar, daß ein Teil ihrer Mitschüler und Lehrer sie als Bürger zweiter Klasse ansah, und derlei Erfahrungen setzten sich - ungeachtet liberaler Sonntagsreden - an der Universität und beim Militär fort. Ähnlich gravierend war der Umstand, daß kollektive Bekundungen jüdischer Identität nur auf wenig Gegenliebe stießen. Selbst dezidierte Linksliberale wie der Historiker Theodor Mommsen, der im „Berliner Antisemitismusstreit" Treitschke energisch in die Parade gefahren war, verbanden ihr Engagement für staatsbürgerliche Gleichheit mit der Ablehnung einer jüdischen

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Germans from 1860 to 1933. The Problematic Symbiosis, Heidelberg 1979, S. 129-172, und Ulrich Sieg, Aufstieg und Niedergang des Marburger Neukantianismus. Die Geschichte einer philosophischen Schulgemeinschaft, Würzburg 1994, bes. S. 2 5 7 - 2 6 3 u. 4 0 3 - 4 1 3 . Dazu ausführlich: Friedrich Wilhelm Graf,,„Dechristianisierung'. Zur Problemgeschichte eines kulturpolitischen Topos", in: Hartmut Lehmann (Hg.), Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Göttingen 1997, S. 3 2 - 6 6 , bes. S. 54 f. u. 6 1 66, sowie zugespitzt: Volkov, „Tradition", S. 624 ff.

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Gruppenidentität. 45 Ausschlaggebend für die tiefgreifende Entfremdung von der „Gründerzeit-Generation" dürfte jedoch gewesen sein, daß es deren Religionsverständnis zunehmend an emotionalem Schwung und innerer Überzeugungskraft mangelte. Im Zeichen lebensreformerischer Aufbruchsstimmung vermißte die Jugend am Judentum ihrer Väter jene „Aura des Geheimnisvollen", die alle Dinge in ein anderes Licht tauchte. In einer Zeit, in der ästhetische und mystische Weltsichten rasch an Bedeutung gewannen und „Authentizität" zum Wert an sich wurde, wog dies besonders schwer. 46 Der jugendliche Enthusiasmus stieß in vielen bürgerlichen Familien auf väterlichen Widerstand. Gershom Scholem hat genau verzeichnet, wie fremd und feindlich sein Vater seinem erwachenden Interesse am Judentum gegenüberstand. Arthur Scholem verbot in „seinen vier Wänden" den Gebrauch jüdischer Ausdrücke und zeigte nach außen gern, wie säkularisiert er war. Er steckte an den Sabbatlichtern seine Zigarre an, nahm am Yom Kippur Speisen zu sich, ja ging am höchsten jüdischen Feiertag zur Arbeit. 47 Im Hause Rosenzweig oder Kafka sah es kaum anders aus; in allen Fällen bemühten sich freilich die Mütter darum, den gefühlsbetonten Auseinandersetzungen ihre Schroffheit zu nehmen. Zugleich nahmen sie regen Anteil an der geistigen Entwicklung ihrer Söhne, für die sie ihrerseits wichtige Ansprechpartner blieben. Gershom Scholem, der bereits mit sechzehn Jahren intensiv den Talmud studierte, oder Franz Rosenzweig, der nach längerer Gewissensprüfung von der Konversion Abstand nahm, weil er von der Überlegenheit des Judentums über das Christentum überzeugt war, zählen gewiß zu den intellektuellen Ausnahmeerscheinungen, doch ist ihrer Hinwendung zum Judentum auch ein exemplarischer Zug eigen. 48 Beide gehörten zu einer 45

So Michael Brenner, „,Gott schütze uns vor unseren Freunden'. Zur Ambivalenz des Philosemitismus im Kaiserreich", in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 2 (1993), S. 174-199, hier S. 178-181. - Freilich sollte nicht außer acht gelassen werden, daß in Mommsens Idealvorstellung eines christlichen Universalismus die Tradition des jüdischen Prophetismus aufgehoben war. Nuanciert zu Mommsens Geschichtsverständnis: Christhard Hoffmann, Juden und Judentum im Werk deutscher Althistoriker des 19. und 20. Jahrhunderts, Leiden usw. 1988, S. 8 7 - 1 3 2 .

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Allgemein zur jugendbewegten Suche nach einer „unverbrauchten" Religion: Gottfried Kuenzlen, Der Neue Mensch. Eine Untersuchung zur säkularen Religionsgeschichte der Moderne, München 1994.

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Gershom Scholem, Von Berlin nach Jerusalem. Jugenderinnerungen, erw. Fassung Frankfurt am Main 1994, S. 17. Den historischen Kontext skizzieren: Michael Brenner, „A Tale of Two Families: Franz Rosenzweig, Gershom Scholem and the Generational Conflict Around Judaism", in: Judaism 42 (1993), S. 3 4 9 361, und Michael D. Oppenheim, „Sons against their Fathers", in: Judaism 29 (1980), S. 3 4 0 - 3 5 2 . Zum jungen Rosenzweig vgl. Nahum N. Glatzer, Franz Rosenzweig: His Life and Thought, N e w York 1953, S. 1-31, und Stefan Meineke, „A Life of Contra-

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postassimilatorischen Jugendgeneration, der die elterliche Weltsicht steril und sinnentleert vorkam. Ihre Protesthaltung erschöpfte sich nicht in der Ablehnung des Bestehenden, sondern forderte die vertiefte Auseinandersetzung mit den eigenen religiösen und kulturellen Wurzeln. Gleichzeitig drückte sie jenes jugendliche Desinteresse an den „Niederungen der Realpolitik" aus, das zeitgenössisch weit verbreitet war und sich keineswegs auf das deutsche Judentum beschränkte. 49 Problemverschärfend kam hinzu, daß die jüdischen Organisationen auch nur über geringen gesellschaftlichen Einfluß verfügten. Die ersten Anfange der jüdischen Nationalbewegung in Deutschland waren wenig spektakulär. 50 1897, im Jahr des Baseler Kongresses, trat die „Zionistische Vereinigung für Deutschland" (ZVfD) ins Leben, die Theodor Herzls Ideal einer „öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina" propagierte. Obwohl die ZVfD eine nationale Agenda hatte, vermieden ihre Funktionäre bewußt Selbstbezeichnungen wie Jüdischnational", weil sie im deutschen Judentum schwerlich zustimmungsfähig waren. Im Zionismus dominierte zuerst eine Art Honoratiorenpolitik, deren Zentrum in Köln lag. Dort lebten auch die beiden führenden Verbandsfunktionäre: der Rechtsanwalt Max Bodenheimer und der Holzgroßhändler David Wolffson. Die jüngere Generation konnte mit trockener Verbandspolitik freilich nicht gewonnen werden; sie strebte in Jugendkulturgruppen, selbst wenn diese kein dezidiert jüdisches Programm hatten. So zählten 1914 mehr als tausend Heranwachsende zu den Anhängern Gustav Wynekens und der Idee der „Freien Schulgemeinde". 51 Auch die neue zionistische Funktionärselite um Kurt Blumenfeld definierte „Jugendkultur" als schlüsselhaften Bereich der Gesamtkultur. Ihr streitbarer „Kulturzionismus" richtete sich gegen Herzls Erben wie

diction. The Philosopher Franz Rosenzweig and his Relationship to History and Politics", in: LBIYB 36 (1991), S. 4 6 1 ^ 8 9 , hier S. 4 6 2 ^ 6 7 ; für Scholem einschlägig: David Biale, Gershom Scholem. Kabbalah and Counter-History, Cambridge, Mass. u. London 1979. 49

Hierzu generell: Chaim Schatzker, Jüdische Jugend im zweiten Kaiserreich. Sozialisationsund Erziehungsprozesse der jüdischen Jugend in Deutschland 1870-1917, Frankfurt am Main 1988. Die generationsspezifischen Erfahrungshorizonte beleuchtet: Hackeschmidt, Blumenfeld, S. 19-23.

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Materialreich zur Frühgeschichte des Zionismus: Yehuda Eloni, Zionismus in Deutschland. Von den Anfängen bis 1914, Gerlingen 1987; vgl. ferner Stephen M. Poppel, Zionism in Germany, 1897-1933. The Shaping of Jewish Identity, Philadelphia 1977, und Jehuda Reinharz, Fatherland or Promised Land. The Dilemma of the German Jew, 1893-1914, Ann Arbor 1975.

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Siegfried Bernfeld, Die Schulgemeinde und ihre Funktion im Klassenkampf, Berlin 1928, S. 20, Anm. 1; dies war mehr als ein Drittel von Wynekens Anhängerschar. Gleichzeitig hatte der jüdische Wanderbund „Blau-Weiß" sechs- bis siebenhundert Mitglieder; ADJB Ludwigstein A 140, 4.

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Max Nordau, dessen altväterlichem Politikverständnis sie die identitätsstiftende Bedeutung absprachen. 52 Als Zentrum einer kulturellen Erneuerung des Judentums war das katholische Köln, das noch nicht einmal eine Universität besaß, denkbar ungeeignet, und auf die Dauer gab es nur eine realistische Möglichkeit: Berlin. Zwar hatte die preußische Metropole weder den Glanz noch den Charme von Paris oder Wien, doch war es eine dynamische Großstadt mit einem aufblühenden Kulturbetrieb, der Talente anlockte und sich dem Neuen öffnete. 53 Hier lebten angesehene Gelehrte wie Wilhelm Dilthey, Adolf Harnack oder Theodor Mommsen neben erfolgreichen Künstlern wie Fidus, Fontane oder Liebermann und den selbstbewußten Aposteln der Avantgarde. Sozialreformer wie Magnus Hirschfeld stritten zusammen mit der frühen Frauenbewegung gegen veraltete Moralvorstellungen und geschlechtliche Diskriminierung. In der „Neuen Gemeinschaft" der Gebrüder Hart traf der junge Martin Buber gleichzeitig mit der Dichterin Else Lasker-Schüler, dem Schriftsteller Erich Mühsam und dem Sozialrevolutionär Gustav Landauer zusammen. Dort diskutierte man weniger über die politische Reform des wilhelminischen Kaiserreichs als über kulturelle Erneuerungen im Zeichen Nietzsches. Bemerkenswert war die große Nähe zu den neoromantischen Zeitströmungen. So bezeichnete Julius Hart die Mitglieder der „Neuen Gemeinschaft" als „Blutzeugen" der kommenden Generation. 54 Und Buber sah im „dunklen Tasten jungjüdischer Dichter" ein Anzeichen für die anbrechende „Jüdische Renaissance". 55 Eine expressionistisch gefärbte Aneignung Nietzsches bildete

Zur Formierung einer jungen zionistischen Funktionärselite am Vorabend des Ersten Weltkrieges vgl. Hackeschmidt, Blumenfeld, S. 2 9 - 3 6 . Zum Folgenden: Bertz, „Kunst", sowie dies., „Politischer Zionismus und Jüdische Renaissance in Berlin vor 1914", in: Reinhard Rürup (Hg.), Jüdische Geschichte in Berlin. Essays und Studien, Berlin 1995, S. 149-180; daneben Michael Brenner, Kultur, S. 32—41, und Mark H. Gelber, „The jungjüdische Bewegung. An Unexplored Chapter in German-Jewish Literary and Cultural History", in: LBIYB 31 (1986), S. 105-119. Julius Hart, Triumph des Lebens, Leipzig 1898, S. 12; vgl. auch Blom, Buber, S. 49 f., der ausdrücklich den neoromantischen Charakter der Gedanken Julius Harts herausstellt. Einen guten Überblick über die geistesaristokratischen Reformbewegungen im Berlin des Fin de siècle bietet: Gertrude Cepl-Kaufmann, „Gustav Landauer im Friedrichshagener Jahrzehnt und die Rezeption seines Gemeinschaftsideals nach dem I. Weltkrieg", in: Hanna Delf u. Gert Mattenklott (Hgg.), Gustav Landauer im Gespräch. Symposium zum 125. Geburtstag, Tübingen 1997, S. 2 3 5 - 2 7 8 , bes. S. 2 4 4 - 2 5 0 . Martin Buber, „Jüdische Renaissance", in: Ders., Die jüdische Bewegung. Gesammelte Aufsätze und Ansprachen, 1 9 0 0 - 1 9 1 5 , Berlin 1916, S. 7 - 1 6 [zuerst Ost und West 1 (1901), S. 7 - 1 0 ] , hier S. 9. Zur synkretistischen Begriffsbildung Bubers: Bertz, „Zionismus", S. 157 f.; seine Rolle als „Sprecher" der jüngeren Generation betont: Ritchie Robertson, „Die Erneuerung des Judentums aus dem

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das Fundament seiner Weltanschauung, die von Vernunft und Aufklärung nicht mehr viel erwartete. Bezeichnenderweise ist es die Gestalt Zarathustras, die Buber in den Bann schlägt. In einem von der Forschung kaum beachteten Text schlüpft er sogar gänzlich in die Rolle NietzscheZarathustras und trägt seine eigenen Gedanken in gewollt dionysischer Sprache, j a in direktem Zitat vor. 56 Die Schaffung einer eigenständigen jüdischen Kunst stand im Mittelpunkt von Bubers Überlegungen. Ein entscheidender Schritt in diese Richtung war 1902 die Gründung des „Jüdischen Verlags". Zusammen mit dem Schriftsteller Berthold Feiwel und dem Graphiker Ephraim Moses Lilien sorgte Buber für ein breitgefachertes und künstlerisch anspruchsvolles Verlagsprogramm. In hohem Maße galt dies für den „Jüdischen Almanach", dessen Bildteil das ganze Spektrum zeitgenössischer jüdischer Künstler von Leonid Pasternak bis Lesser Ury umfaßte. 5 7 Inhaltlich zielte das Verlagskonzept auf die positive Besetzung der Chiffre „Ostjudentum". Zugleich beanspruchte man, allen kulturell bedeutsamen Strömungen des zeitgenössischen Judentums ein Forum zu bieten. Dies war auch die Ziel Vorstellung von Leo Winz, dessen anspruchsvolle und reich illustrierte Kulturzeitschrift „Ost und West" schon im Titel auf ihr Programm innerjüdischer Integration verwies. Ihre Resonanz ging deutlich über die zionistischen Zirkel hinaus, wie man an der Abonnentenzahl erkennen kann, die zwischen 1906 und 1914 von 16.000 auf 23.000 anstieg. 58 Doch so erfolgreich das Konzept der „Jüdischen Renaissance" auch war und so viel Begeisterung für das Ostjudentum sie auch weckte, die zionistische Propagierung des Hebräischen fiel auf steinigen Boden. Zu ausgeprägt war die jüdische Orientierung am deutschen Bildungsbürgertum, als daß realistische Alternativen zur deutschen Sprache bestanden hätten. 59 Selbst Bubers Chassidische Geschichten verrieten mehr über den

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Geist der Assimilation. 1900 bis 1922", in: Wolfgang Braungart, Gotthart Fuchs u. Manfred Koch (Hgg.), Ästhetische und religiöse Erfahrungen der Jahrhundertwende 11: um 1900, Paderborn 1998, S. 171-193, hierS. 171. Martin Buber, Zarathustra. Meinen zukünftigen Freunden; JNUL Jerusalem, Ms Var. 350 / 7,b. Hierbei handelt es sich die um Einleitung zu Bubers eigenem Zarathustra, der allerdings über das Planungsstadium nicht hinauskam. Eine knappe Deutung dieses Textes bietet: Gilya G. Schmidt, Martin Buber's Formative Years. From German Culture to Jewish Renewal, 1897-1909, Tuscaloosa 1995, S. 26 f. Allgemein zu Bubers Bedeutung für die zionistische Nietzscherezeption: Steven E. Aschheim, Nietzsche und die Deutschen. Karriere eines Kults, Stuttgart 1996, S. 107 ff. Dazu detailfreudig und instruktiv: Inka Bertz, .„Jüdischer Almanach' 5663", in: Jüdischer Almanach, Jg. 1996, S. 10-24. David Brenner, Marketing Identities, S. 172, Anm. 6. Dies ist häufig beschrieben und nicht selten kritisiert worden; nuanciert und ausgewogen: Volkov, „Erfindung", S. 6 2 4 - 6 2 7 . - Zur Frühgeschichte des modernen

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bürgerlichen Zeitgeschmack als über die Geheimnisse ostjüdischer Volksfrömmigkeit. Walther Rathenau charakterisierte die Erzählungen als „sehr schön, aber doch gemacht und überzuckert". Der überzeugte Zionist Kurt Blumenfeld konnte darin zwar nur den Versuch Rathenaus erkennen, „sich einer ihm wesensfremden Wirkung zu entziehen"; aus heutiger Perspektive scheint es jedoch, als ob das pointierte Urteil Rathenaus der Wahrheit recht nahe kommt. 60 Buber gehörte zur steigenden Zahl freiberuflicher Intellektueller, die um die Jahrhundertwende zu einem gewissen Reichtum gelangten. Schon früh hatte er von der Universitätskarriere Abstand genommen und sich für das unsichere Leben eines Redakteurs bei der zionistischen „Welt" entschieden. Zusammen mit Chaim Waitzmann und Leo Motzkin propagierte er die verstärkte kulturelle Ausrichtung der nationaljüdischen Bewegung, konnte sich damit jedoch auf dem V. Zionistenkongreß 1901 nicht durchsetzen. 61 Um so intensiver widmete sich Buber seiner Tätigkeit als Lektor beim Frankfurter Verlag Rütten & Loenig, konzipierte und betreute die vierzigbändige Reihe „Die Gesellschaft", die zeitkritischen Autoren breiten Raum ließ. 1905 zog er für ein Jahr nach Florenz, in jenen Tagen ein kulturelles Zentrum von gesamteuropäischer Ausstrahlung. Als Resultat erschienen 1906 Die Geschichte des Rabbi Nachman und zwei Jahre später Die Legende des Baal Schern, womit Buber endgültig zum Erfolgsautor wurde. Gleichzeitig beschäftigte er sich allgemein mit der philosophischen Bedeutung der Mystik - ein Thema, das ihn schon während seiner Leipziger Studienzeit gefesselt hatte. 62

Hebräisch, die vor allem in Osteuropa spielt: Benjamin Harshav, Hebräisch. Sprache in Zeiten der Revolution, Frankfurt am Main 1995. Kurt Blumenfeld, Erlebte Judenfrage. Ein Vierteljahrhundert deutscher Zionismus, Stuttgart 1962, S. 141; dort auch das vorige Zitat. Vgl. ferner Pinhas Sadeh, „Afterword", in: Ders., Jewish Folktales. Selected and Retold, N e w York usw. 1989, S. 3 9 7 ^ 2 1 , hier S. 4 1 3 - 4 1 8 , sowie als philologische Detailkritik Steven T. Katz, „Martin Buber's Misuse of Hasidic Sources", in: Ders., Post-Holocaust Dialogues. Critical Studies in Modern Jewish Thought, N e w York u. London 1983, S. 5 2 - 9 3 . Es ist ein merkwürdiges Faktum, daß bis heute keine einzige Buber-Biographie vorliegt, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Erwähnenswert wegen des Materialreichtums bleibt Maurice Friedmann, Martin Buber's Life and Work: The Early Years, 1878-1923 (New York 1981), obwohl die Studie leider über weite Strecken reine Hagiographie ist. Skeptisch hinsichtlich der lupenreinen Trennung zwischen politischen und kulturellen Zionisten: Michael Berkowitz, Zionist Culture and West European Jewry before the First World War, Cambridge 1993, S. 4 0 - 7 6 . Die organisationshistorische Bedeutung des V. Zionistenkongresses steht freilich außer Frage. Grundlegend zur Auseinandersetzung des frühen Buber mit der deutschen Mystik: Paul R. Mendes-Flohr, Von der Mystik zum Dialog. Martin Bubers geistige Entwicklung bis hin zu „Ich und Du", Königstein im Taunus 1979; ebd.,

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Als Publikationsort für seine „Ekstatischen Konfessionen" wählte Buber den Diederichs Verlag. Dies war auf den ersten Blick keine naheliegende Entscheidung, galt der rührige Kulturverlag doch als „Warenhaus der Weltanschauungen", das neben Tolstoi und Kierkegaard, Märchen und Sagen, auch das breite Spektrum lebensreformerischen Schrifttums im Angebot führte. 63 Zudem besaß das Verlagsprogramm eine völkische Dimension und unterstützte Autoren wie Arthur Bonus, der die „Germanisierung des Christentums" verkündete, oder Arthur Drews, dessen kirchenfeindliche Christusmythe 1909 für Furore sorgte. Wie selbstverständlich verbreitete Eugen Diederichs die Ideen Paul de Lagardes, jenes scharfzüngigen Bismarck-Kritikers und verbitterten Kulturpessimisten, an dessen Antisemitismus es nichts zu deuteln gab. Für das Judentum konnte sich Diederichs, der ansonsten für „orientalische Weisheit" schwärmte, hingegen nicht erwärmen. Prima facie könnte man annehmen, daß das Haupt der Kulturzionisten den Kontakt zu Diederichs aus weltanschaulichen Gründen gemieden hätte. Buber allerdings wußte genau, daß das steigende Interesse am Judentum Teil der gegenwartsskeptischen Zeitströmungen war. Beide standen seit 1903 in Kontakt, und Buber brachte dem ideenreichen Verleger beträchtlichen Respekt entgegen. 64 Überdies teilte er Diederichs' Bekenntnis zum Neoidealismus und suchte wie dieser nach einer großen Synthese, welche die sozialen und ideologischen Zerklüftungen überwinden sollte. Philosophisch führte dies beide zu Rudolf Eucken, der am Vorabend des Ersten Weltkrieges auf der Höhe seines Ansehens stand. 65

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S. 115 f., eine Auflistung der Schriften, die in Bubers Reihe „Die Gesellschaft" erschienen. Eingehend zur Rezeption der Chassidischen Geschichten: Ders., „Fin-de- Siecle Orientalism", S. 9 6 - 1 0 9 . Umfassend zum bekannten Jenaer Kulturverlag: Gangolf Hübinger (Hg.), Versammlungsort moderner Geister. Der Eugen Diederichs Verlag - Außruch ins Jahrhundert der Extreme, München 1996; ferner aufschlußreich: Erich Viehöfer, „Der Verleger als Organisator. Zur Rolle und Bedeutung von Eugen Diederichs und seines Verlages in den bürgerlichen Reformbestrebungen der Jahrhundertwende", in: AGB 30 (1988), S. 1 - 1 4 7 , sowie für das historische Umfeld Gary D. Stark, Entrepeneurs of Ideology. Neoconservative Publishers in Germany, 18901933, Chapel Hill 1981. So teilte Buber am 21. Februar 1907 Diederichs mit, „daß sich die Sympathie, die ich für Ihre Arbeit hatte, in den letzten Jahren noch gesteigert hat, da ich Ihr schönes, konsequentes Weiterschreiten beobachten konnte"; Martin Buber, Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, hg. u. eingel. v. Grete Schaeder, 3 Bde., Heidelberg 1972-75, hier Bd. 1, S. 253 f., Zitat S. 253. Als Einführung zu Eucken hilfreich: Hermann Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland, München 1974, S. 176-185. Neuerdings erhellend: Friedrich Wilhelm Graf, „Die Positivität des Geistigen. Rudolf Euckens Programm neoidealistischer Universalintegration", in: Rüdiger vom Bruch, Friedrich Wilhelm Graf u. Gangolf Hübinger (Hgg.), Kultur und Kulturwissenschaften um 1900 II: Idealis-

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Eucken, der 1908 den Literaturnobelpreis erhalten hatte, vertrat eine neoidealistische Kulturphilosophie, die das Erbe der deutschen Klassik mit den Wandlungstendenzen der Gegenwart in Einklang zu bringen versprach. Dies war kein sonderlich kühner, aber ein weithin zustimmungsfahiger Ansatz, was sich etwa daran erkennen läßt, daß Eucken 1910 beim Berliner „Weltkongreß für freies Christentum und religiösen Fortschritt" die salbungsvollen Schlußworte sprach. 66 Das Bildungsgut der Antike wie die Werke der deutschen Klassik gewannen in seiner Interpretation erneut Aktualität und Bedeutung, weil sie zu einer umfassenden Formung der Persönlichkeit anregten. In scheinbar radikaler Diktion forderte Eucken den „neuen" religiösen Menschen und bot doch nur eine relativ biedere Interpretation jener Texte, die seine Hörer bereits aus dem Gymnasium kannten. Als Panier gegen die erfolgreichen Apostel vagierender Religiosität - wie Ernst Haeckel - genügte dies jedoch. Gerade weil das Bildungsbürgertum weltanschaulich längst in die Defensive geraten war, hatte es kein größeres Interesse an der intensiven Auseinandersetzung mit den Fragen der Zeit und folgte bereitwillig denjenigen, die es in seinem Wertgefuge bestätigte. Eucken verband auf geradezu ideale Weise professorale Reputation mit verbaler Entschlossenheit und wurde deshalb zur Führungsfigur einer verunsicherten Idealistengemeinde, die weit über den „Euckenbund" hinausreichte. 67 Die Zusammenarbeit zwischen Buber und Diederichs war jedenfalls von Erfolg gekrönt, und die „Ekstatischen Konfessionen" gewannen nicht nur einen breiten Leserkreis, sondern galten alsbald auch als „Höhepunkt der mystischen Literatur". 68 Dies war nicht zuletzt eine Folge der sorgfältigen Buchgestaltung, die von der Wahl des Umschlags über die Gestaltung des Titelblatts bis zur Papierqualität reichte. Buber wußte, daß die mus und Positivismus, Stuttgart 1997, S. 5 3 - 8 5 . Zu Diederichs' neoidealistischen und völkischen Neigungen, die im liberalsozialen Verlagsprogramm seit 1910 lediglich kurzfristig in den Hintergrund traten: Gangolf Hübinger, „Der Verlag Eugen Diederichs in Jena. Wissenschaftskritik, Lebensreform und völkische Bewegung", in: GG 22 (1996), S. 3 1 - 4 5 , hier S. 39 ff. Vgl. Ders., Kulturprotestantismus, S. 261. Obwohl es eine Vielzahl von Werken zur kulturellen Aufbruchsstimmung um die Jahrhundertwende gibt, ist immer noch weitgehend unbekannt, wie sich das deutsche Bildungsbürgertum gegen diese Entwicklungen abzugrenzen suchte. Ringers Pionierstudie Die Gelehrten nimmt dieses Problem zwar in den Blick, verlagert die „Bewegung zur Synthese" aber einseitig in die Weimarer Republik. Das Ausmaß der Euckenrezeption am Vorabend des Ersten Weltkrieges verdeutlicht: Graf, „Positivität", S. 7 2 - 7 8 . Gangolf Hübinger, „Eugen Diederichs' Bemühungen um die Grundlegung einer neuen Geisteskultur (Anhang: Protokoll der Lauensteiner Kulturtagung von Pfingsten 1917)", in: Wolfgang J. Mommsen (Hg.), Kultur und Krieg. Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, München 1996, S. 2 5 9 - 2 7 4 , hier S. 259.

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„Renaissance des Judentums" in ungewöhnlich hohem Maße an visuelle Bedeutungsträger gebunden war, da die hebräische Sprache als Medium der kulturellen Erneuerung des Judentums nur eine kleine Zahl von Menschen erreichte. Deshalb legte er auf ästhetische Perfektion einen besonderen Wert und übertraf selbst den in dieser Hinsicht auch nicht gerade anspruchslosen Diederichs. 69 Die „Dynamik der Dissimilation" (Volkov) hatte in Wien eine ähnlich hohe Bedeutung wie in Berlin. Hier stieß eine weitgehend akkulturierte jüdische Bevölkerung auf einen Antisemitismus, der an ideologischer Virulenz und politischer Durchschlagskraft in Europa seinesgleichen suchte. 70 Als Bürgermeister der Zwei-Millionen-Metropole amtierte von 1897 bis 1910 der selbstherrliche Karl Lueger, dessen Christlichsoziale Partei strikt antiliberal ausgerichtet war. Die Ausweitung des Wahlrechts auf kleinbürgerliche Schichten ließ den skrupellosen Volkstribun immer wieder mit antisemitischen Themen auf Stimmenfang gehen. Gleichwohl wußte er, daß Wien ohne die Unterstützung des jüdischen Bürgertums schwerlich regierbar war, und verzichtete deshalb auf die offensive Umsetzung seines antisemitischen Programms. Für das Wiener Judentum war der Antisemitismus dennoch eine beklemmende Realität. Hellsichtige Analytiker wie Arthur Schnitzler oder Sigmund Freud gaben sich hinsichtlich der Akzeptanz der jüdischen Akkulturationsanstrengungen in einer zunehmend illiberalen Gesellschaft nur geringen Illusionen hin. Vielleicht noch größeres Gewicht hatten diejenigen jüdischen Autoren, die sich um eine Verklärung Österreich-Ungarns als universales, übernationales und zumindest tendenziell pluralistisches Staatswesen bemühten. Zu erinnern wäre neben dem Wiener Dichterfürsten und erfolgsverwöhnten Librettisten Hugo von Hofmannsthal an Richard BeerHofmann oder Stefan Zweig, die beide im österreichischen Judentum um 1910 über einen großen Leserkreis verfügten. Bei all ihrer präzisen Beobachtungsgabe und schriftstellerischen Modernität einte sie jener sentimentale Blick auf eine idealisierte Vergangenheit, der schon vor 1914 ein zentrales Merkmal der Wiener Kultur darstellte. 71 Nicht zuletzt hielten sie jene kurze Blütephase jüdisch-liberaler Zusammenarbeit in lebendiger

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Vgl. den aufschlußreichen Brief Bubers an Diederichs vom 22. November 1907; DLA Marbach, Diederichs; komprimiert zur visuellen Ausrichtung der Kulturzionisten: Michael Brenner, Kultur, S. 35 ff. Dazu allgemein: Brigitte Hamann, Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators, 3. Aufl. München 1996, S. 3 9 3 - 4 3 5 , und Carl E. Schorske, Wien. Geist und Gesellschaft im Fin de siecle, Frankfurt am Main 1982, S. 1 1 1 - 1 3 8 u. 164 f f ; zum sozialhistorischen Hintergrund vgl. Marsha L. Rozenblit, The Jews of Vienna, 1867-1914: Assimilation and Identity, Albany 1983. Vgl. den schönen Essay von Steven Beller, „The World of Yesterday Revisited: Nostalgia, Memory, and the Jews of Fin-de-Si6cle Vienna", in: JSS N.F. 2 (1995), S. 3 7 - 5 3 .

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Erinnerung, die in Österreich bereits Ende der 1860er Jahre ihren Zenit überschritten hatte. 72 Wieder anders lagen die Dinge in Prag, wo um die Jahrhundertwende die nationale Frage alle anderen Themen an Bedeutung überragte. Hier bildeten die Deutschen eine Minderheit, die zur Durchsetzung ihrer Interessen auf die Zusammenarbeit mit Juden angewiesen war. Bereits 1893, vier Jahre vor dem ersten internationalen Zionistenkongreß, wurde in der böhmischen Metropole die national-jüdische Studentenorganisation „Maccabea" gegründet. 73 In der Vereinigung, die nicht zuletzt als Reaktion auf den „Arierparagraphen" der Prager Burschenschaften entstanden war, gaben alsbald die Anhänger des Zionismus den Ton an. Ihr nationalistisches Selbstverständnis zeigte sich bei der Namensänderung des Jahres 1899, als man den Verein nach dem jüdischen Kämpfer gegen die Römerherrschaft „Bar Kochba" umbenannte. Die fuhrenden Vertreter kamen aus jüdischen Familien mit deutschem Bildungshintergrund, in denen Goethe und Schiller zur selbstverständlichen Lektüre gehörten. Der Abgott der jungen Prager Zionisten war ein völkisch aufbereiteter Fichte, dessen Reden an die deutsche Nation nicht nur als Dokument des erwachenden Nationalismus, sondern auch als Leitfaden zur persönlichen Selbstentfaltung gelesen wurden. 74 Der Prager „Bar Kochba" umfaßte eine Fülle begabter Persönlichkeiten wie Hugo Bergmann, Max Brod, Leo Herrmann, Hans Kohn und die Cousins Felix und Robert Weltsch. Doch schon allein aus Altersgründen kam keiner von ihnen als Führungsgestalt ernsthaft in Frage. Statt dessen bewunderte man aus der Ferne Martin Buber, der seit seinen vielfaltigen Berliner Aktivitäten und seinen Chassidischen Geschichten der jüngeren

Vgl. Peter Pulzer, „Die Wiederkehr des alten Hasses", in: Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo-Baeck-Instituts v. Michael A. Meyer unter Mitw. v. Michael Brenner, Bd. 3: Umstrittene Integration 1 8 7 1 1918, v. Steven M. Lowenstein u.a., München 1997, S. 193-248, hier S. 2 0 6 212. Grundlegend zum Folgenden: Blom, Buber, speziell zum jüdischen Nationalismus in Böhmen: Hillel J. Kièval, The Making of Czech Jewry. National Conflict and Jewish Society in Bohemia, 1870-1918, N e w York u. Oxford 1981. Monographisch zur Situation des Prager Judentums um 1900: Scott Spector, Prague Teritories. National Conflict and Cultural Innovation in Kafka 's Fin de Siècle, Berkeley, Los Angeles u. London 2000; komprimiert: Steven M. Lowenstein, „Der jüdische Anteil an der deutschen Kultur", in: Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo-Baeck-Instituts v. Michael A. Meyer unter Mitw. v. Michael Brenner, Bd. 3: Umstrittene Integration 1871-1918, v. Steven M. Lowenstein u.a., München 1997, S. 3 0 2 - 3 3 2 , hier S. 309 f. Vgl. Hans Kohn, Bürger vieler Welten. Ein Leben im Zeitalter der Weltrevolution, Frauenfeld 1965, S. 92 ff.; George Mosse, Intellektuelle, S. 75, sowie Blom, Buber, S. 29 f.

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Generation als Schlüsselfigur der jüdischen Kulturbewegung galt. 75 Schließlich lud Leo Herrmann im November 1908 Buber nach Prag ein, damit er ihnen seine Auffassung vom Judentum näherbringe. Zwischen 1909 und 1911 trug Buber einem begeisterten Prager Auditorium seine Gedanken vor, die unter dem Titel Drei Reden über das Judentum alsbald gedruckt wurden und eine große Leserschaft fanden. Bereits die erste Rede zeigte, wie stark Buber vom neoromantischen Zeitgeist beeinflußt war. Er verherrlichte die „Gemeinschaft des Blutes" als Ausdruck der „Unsterblichkeit der Generationen" und folgerte daraus, daß „das Blut als die tiefste Machtschicht der Seele" anzusehen sei.76 Die Einheit des jüdischen Volkes sah Buber durch eine „Generationenkette" gewährleistet, die es über viele Jahrhunderte mit seinen Vorfahren verbinde. Seine Definition des Judentums oszillierte zwischen biologistischen und kulturellen Werten, wie es für das neoromantische Denken am Vorabend des Ersten Weltkrieges keineswegs ungewöhnlich war. Und so teilte Buber seine Gewährsleute, wie Bergson, Fichte, Herder, Lagarde, Langbehn oder Nietzsche, mit vielen Zeitgenossen. Nationalistische, vitalistische und zivilisationskritische Motive prägten auch den Sammelband Vom Judentum, mit dem sich die Mitglieder des Prager „Bar Kochba" 1913 einer breiteren Öffentlichkeit präsentierten. Die ehrgeizige Publikation vereinte führende Repräsentanten der jüngeren Generation, die eine kulturelle „Erneuerung" des Judentums wünschten. Das Spektrum der Autoren umfaßte so unterschiedliche Intellektuelle wie Nathan Birnbaum, Max Brod, Moritz Goldstein, Gustav Landauer, Jakob Wassermann und Arnold Zweig. Literarisch stand zwar die Mehrzahl von ihnen dem Expressionismus nahe, doch weltanschaulich waren vom romantischen Anarchismus über die Bergsonsche Lebensphilosophie bis zum nietzscheanisch gefärbten Kulturaristokratismus eine Vielzahl von Positionen vertreten. Die Vorauswahl unter den Beiträgen traf Hans Kohn in Absprache mit Martin Buber, der jedoch in konzeptionellen Fragen das letzte Wort hatte und auch für den ebenso schlichten wie umfassenden Titel des Sammelbandes verantwortlich zeichnete. 77

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Die Gründe für Bubers Wirkung umreißt: Chaim Schatzker, „Buber's Influence on the Jewish Youth Movement", in: LBIYB 23 (1978), S. 151-171. Idealisierend zum „Bar Kochba": Max Brod, Der Prager Kreis, Stuttgart usw. 1966, S. 47. Martin Buber, Drei Reden über das Judentum, Frankfurt am Main 1911, S. 22; ebd., S. 19, die beiden vorigen Zitate. - Eine eindrucksvolle Analyse der Bedeutung der Blutgemeinschaft für Buber bietet: Blom, Buber, S. 4 1 - 5 4 . Vom Judentum. Ein Sammelbuch, hg. vom Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag, Leipzig 1913; eingehend zur Entstehungsgeschichte der Anthologie: Blom, Buber, S. 3 4 - 3 9 ; gleichfalls informativ Kièval, Making, S. 148-153 u. 2 3 2 ff., der allerdings das Ausmaß von Bubers Einflußnahme unterschätzt.

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Die deutsch-jüdische Kultur vor 1914

Bubers Redaktionspraxis zielte auf die Glättung inhaltlicher Divergenzen und bemühte sich um eine ästhetisch ansprechende Präsentation der Beiträge, die dem renommierten Erscheinungsort, dem expressionistischen Musterverlag Kurt Wolff in Leipzig, alle Ehre machte. Zugleich gab Buber dem Band seine Stoßrichtung, in dem er die Wichtigkeit des Mythos für jede Selbstdefinition des Judentums in den Vordergrund rückte. Die Ausführungen zum nationalen Charakter jüdischer Religion waren zwar alles andere als eindeutig, doch sprach aus ihnen der unmißverständliche Wille zur positiven Bestimmung völkischer Werte. 78 Die meisten von Bubers Anhängern im Prager „Bar Kochba" folgten dieser Linie und setzten ein vages Pathos der Entscheidung an die Stelle einer inhaltlichen Definition dessen, was sie unter „Jüdischer Renaissance" verstanden. So kennzeichnete Hans Kohn den inhaltlichen Anspruch seiner Generation dadurch, „daß in ihrem Leben und durch ihr Leben das Schicksal des Judentums die entscheidende Wendung erfährt". 7 9 Bezeichnenderweise war Kohns Voraussetzung für die Mitarbeit in der jüdischen Nationalbewegung ausgesprochen subjektiver Natur: ihre Anhänger sollten sich als „Glieder und Träger einer ihr selbst bewußt gewordenen jüdischen Volksgemeinschaft fühlen". 8 0 Damit einher ging die religiöse Überhöhung des Kulturzionismus als Remedium gegen den materialistischen Zeitgeist. 81 Zwei Autoren schlössen sich dem allgemeinen Überschwang nicht an: Gustav Landauer verwies auf die Komplexität jüdischer Identität in der Moderne und ironisierte den jugendlichen Tatendrang, der außer ideologischen Verwerfungen keine nennenswerten Resultate hervorgebracht habe. 82 Und Hugo Bergmann, der als einziges Mitglied des „Bar Kochba" 78

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82

Martin Buber, „Der Mythos der Juden. Aus einem Vortrag", in: Vom Judentum. Ein Sammelbuch, hg. vom Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag, Leipzig 1913, S. 21-31. Hans Kohn, „Geleitwort", in: Ebd., S. V-IX, hier S. V. - Hervorhebungen im Original werden hier und im folgenden kursiv wiedergegeben. Ebd., S. VI. Zu Kohns rein rezeptiver Übernahme Buberscher Ideen: Blom, Buber, S. 73 ff. Vgl. Kohns Entwurf für das Geleitwort, der auf die hoch in Blüte stehende Dichotomie zwischen „Kultur" und „Zivilisation" rekurriert. Nach Kohns Vorstellung einte die Vorkämpfer des Judentums die Überzeugung, „dass in der Krisis, welche die heutige Kultur durchmacht, eine religiöse Erneuerung allein helfen kann, indem sie an die Stelle der geistentfremdeten Zivilisation unserer Tage eine wieder aus den Tiefen der Menschenseele gewonnene Kultur setzt"; JNUL Jerusalem Ms Var. 350, Nr. 376/46. Gustav Landauer, „Sind das Ketzergedanken?", in: Ders., Dichter, Ketzer, Außenseiter. Essays und Reden zu Literatur, Philosophie, Judentum, hg. v. Hanna Delf, Berlin 1997, S. 170-174 [zuerst Vom Judentum. Ein Sammelbuch, hg. vom Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag, Leipzig 1913, S. 250-257], hier S. 171, heißt es in diesem Sinne: „Noch ist nicht der kleinste Anfang einer

Auf der Suche nach einem neuen Selbstverständnis

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über ausgeprägte Kenntnisse der Wissenschaft des Judentums verfügte, widmete sich einem judaistischen Thema mit philosophischem Einschlag. 83 Doch die Mehrzahl der Artikel charakterisierte jene organische Metaphorik und Überhöhung alles Völkischen, die neben Fichte und Nietzsche auch Lagarde und Langbehn - ungeachtet ihrer antisemitischen Ansichten - zu Kronzeugen nationaler jüdischer Wiedergeburt werden ließ. Die Quellen und zeitgenössischen Bezüge von Bubers Weltbild sind inzwischen hinreichend erforscht, doch provoziert ihre nähere Kenntnis die Frage nach der Jüdischen Substanz" seines frühen Denkens. 84 Ähnlich wie um Euckens Programm einer „Universalintegration" stand es um die Radikalität von Bubers Philosophie: auch der Trank, den er den Mitgliedern des Prager „Bar Kochba" bot, war lediglich „alter Wein in neuen Schläuchen". Gerade hier liegt jedoch eine wesentliche Ursache für Bubers Erfolg. Im Unterschied zu Achad Haam, von dem er manchen Gedanken übernahm, verwandte Buber eine Bildersprache, die auch hochgradig akkulturierten Juden vertraut war. Er predigte eine radikale Abkehr von bürgerlichen Sekuritätsgefuhlen in religiös-romantischen Metaphern, die seit der Jahrhundertwende in kulturreformerischen Zirkeln gängige Münze waren und die seine Adepten schon vom Gymnasium kannten. So gelang ihm etwas, das bei nüchterner Betrachtung einer „Quadratur des Kreises" ähnelte: er verhieß der heranwachsenden Generation eine Lösung ihrer Identitätsprobleme durch eine „Renaissance des

Verwirklichung da, und schon nimmt der Parteienkampf alles vorweg, was irgend an Wirklichkeiten aufeinander folgen könnte. Kennzeichnend für das, was hier Partei genannt wird, ist eine Art masturbierende Selbstbefriedigung der sogenannten Bewegung in sich selbst." 83

84

Hugo Bergmann, „Die Heiligung des Namens", in: Vom Judentum. Ein Sammelbuch, hg. vom Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag, Leipzig 1913, S. 3 2 - 4 3 ; eine eingehende Analyse dieses Essays bietet: Kidval, Making, S. 150 ff. Soweit ich sehe, ist diese Frage erstmals in der noch ungedruckten Dissertation von Philipp Blom über Bubers Bedeutung für die Entwicklung des Prager „Bar Kochba" konsequent verfolgt worden. Inspirierend, aber kursorisch: George L. Mosse, Germans and Jews. The Right, the Left, and the Search for a „ Third Force" in Pre-Nazi Germany, Detroit 1987, S. 8 5 - 9 4 . Die beiden neueren Studien von Avraham Shapira, „Buber's Attachment to Herder and German ,Volkism'", in: Studies in Zionism 14 (1993), S. 1 - 3 0 , und Manuel Duarte de Olivera, „Passion for Land and Volk. Martin Buber and Neo-Romanticism", in: LBIYB 46 (1996), S. 2 3 9 - 2 6 0 , deuten Bubers frühes Denken im Licht seiner späteren „dialogischen" und humanistischen Schriften und fallen an denkerischer Folgerichtigkeit hinter George Mosse zurück.

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Die deutsch-jüdische Kultur vor 1914

Judentums", indem er zugleich ihre Identifikation mit der deutschen Kultur intensivierte. 85 Wie sehr Bubers Texte als Ausdruck neoidealistischen Unbehagens an der Moderne gelesen wurden, läßt sich am Beispiel von Hans Kohn demonstrieren. Am 15. Juni 1912 hielt er im „Bar Kochba" einen Vortrag „Über den Begriff der ,Erneuerung' des Judentums und unsere Gegenwart", von dem die Manuskriptfassung erhalten geblieben ist. Ihr besonderer Wert liegt darin, daß sie die benutzten Quellen akribisch am Seitenrand verzeichnet. So wird darauf hingewiesen, daß der sachliche Kern des Erneuerungsbegriffs der Philosophie Euckens entlehnt ist.86 Generell gehörte der Jenaer Gelehrte neben Drews und Buber zu den wichtigsten Gewährsleuten von Kohns philosophischem Religionsverständnis, das von vagem existentiellen Pathos und schroffer Zeitkritik bestimmt ist. Gegen die „Nervosität der Hysterie" empfahl Kohn „die ruhige Sicherheit des Glaubens" und erinnerte daran, daß ,jede Erneuerung [...] in religiöse Erfüllung (mündet)". 87 Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter überraschend, daß Kohn zum Propagandisten gerade jener Publikationen Bubers wurde, die eine Neubegründung des religiösen Mythos verkündeten. Ausgiebig rühmte er etwa in der Prager „Selbstwehr" Bubers Ausgabe der „Reden und Gleichnisse des Tschuang Tse" als schöpferische Tat. 88 Auf die Dauer führten die kulturzionistischen Initiativen zu einer generellen Stärkung des Zionismus. Zählte die ZVfD 1904 nur 4.000 Mitglieder, waren es 1914 bereits etwa 10.000. Besonders die jüngere Generation fühlte sich vom radikalen Programm der Zionisten angesprochen, zu dessen integralen Bestandteilen seit dem Posener Delegiertentag 1912 das individuelle Bekenntnis zur Auswanderung nach Palästina gehörte. 89 Dennoch wäre es übertrieben, von einer kulturellen oder gar politischen Meinungsführerschaft der Zionisten zu sprechen, die vor allem in den Gemeindewahlen immer wieder ihre Grenzen aufgezeigt bekamen. Der Führungsanspruch des liberalen Judentums hatte sich zu Beginn des 20. 85

Den Einfluß des philosophisch inspirierten Schriftstellers Achad Haam („Einer aus dem Volke"; Pseudonym für Ascher Ginzberg) auf Buber betrachten: Jehuda Reinharz, „Achad Haam und der deutsche Zionismus", in: BLBI 61 (1982), S. 3 27, bes. S. 10-15, und Schmidt, Buber's Formative Years, S. 8 5 - 8 9 ; allgemein zur Wirkungsgeschichte Achad Haams: Jossi Goldstein, „An der Zeitenwende. Achad Ha'am in historischer Perspektive", in: Jüdischer Almanach, Jg. 1995, S. 8 1 - 9 0 .

86

LB1 N e w York AR 259, Box 2, Folder 2, fol. 4. Kohns Referenzstelle ist: Rudolf Eucken, Einführung in eine Philosophie des Geisteslebens, Leipzig 1908, S. 105.

87

LBI N e w York AR 259, Box 2, Folder 2, fol. 14.

88

Hans Kohn, „Chinesische Philosophen", in: Selbstwehr Nr. 41 vom 18. Oktober 1912, S. 1 ff., hier S. 3. Jehuda Reinharz, „Zur Einführung", in: Dokumente zur Geschichte des deutschen Zionismus 1882-1933, hg. u. eingel. v. dems., Tübingen 1981, S. XIX-IL, hier S. XIX; vgl. auch Hackeschmidt, Blumenfeld, S. 29 f.

89

Auf der Suche nach einem neuen Selbstverständnis

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Jahrhunderts keineswegs verloren. Insbesondere die Reichstagswahl von 1912, in der Sozialdemokratie und Liberale die numerische Mehrheit der Stimmen erlangten, nährte die Hoffnung auf eine friedliche Reform des Kaiserreichs. Angesichts der liberalen Wahlerfolge ging Georg Gothein in seiner Funktion als Vorsitzender des „Abwehrvereins" sogar so weit, die endgültige Aufhebung aller judenfeindlichen Restriktionen in Armee und Verwaltung zu fordern. 90 Sowohl dem Weltbild der Zionisten als auch dem der liberalen Juden war am Vorabend des Ersten Weltkrieges ein zukunftsorientierter Zug eigen. Beide Seiten vertraten die Ansicht, daß die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der letzten Jahre in ihrem Sinne verlaufen seien. Dies bedeutete einen instrumentellen Umgang mit der jüdischen Geschichte und trug von vornherein den Keim zur Schönfärberei und zur ideologischen Überhöhung politischer Konflikte in sich. 91 Überdies führte es zur Marginalisierung der „rückwärtsgewandten'' Orthodoxie, die im Zuge der Säkularisierung zwar an Bedeutung verloren hatte, jedoch insbesondere auf dem Land immer noch über beträchtlichen Einfluß verfügte. Entwicklungen, die dem eigenen Erwartungshorizont widersprachen, wurden weder im teleologischen Geschichtsdenken des liberalen Judentums noch in der neoromantischen Zeitkritik der Zionisten zum Gegenstand weiterführender Debatten. Als im August 1914 in Europa die Lichter ausgingen, waren selbst herausragende jüdische Intellektuelle auf das Ausmaß der kommenden Katastrophe nur unzureichend vorbereitet.

90

Hübinger, Kulturprotestantismus,

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Ein anschauliches Beispiel dafür ist das Ausmaß der Erbitterung, mit dem der Streit um die Unterrichtssprache am Haifaer Technion geführt wurde; Eloni, Zionismus, S. 3 1 3 - 3 5 6 .

S. 272.

3. Das deutsche Judentum im Weltkrieg

Die jüdische „Kriegsbegeisterung" scheint eine so fraglose Tatsache zu sein, daß kaum ein Historiker je an ihr gezweifelt hat. Beinahe alle Darstellungen des deutschen Judentums im Ersten Weltkrieg stimmen in ihrer Betonung des „schäumenden jüdischen Patriotismus" überein. Erst die „Judenzählung" im Herbst 1916 - so das Ondit - habe die Identifikation mit dem Vaterland entscheidend erschüttert und einer tiefgreifenden Enttäuschung über Staat und Gesellschaft den Weg gebahnt. 1 Auffällig ist freilich, wie unvermittelt Zeugnisse vom August 1914 verallgemeinert, offizielle Presseverlautbarungen entkontextualisiert und stilisierte Erinnerungen für authentisches Kriegserleben genommen werden. Zeitnahe private Quellen zeigen nicht selten ein anderes Bild von den Ängsten und Zweifeln ihrer Verfasser. Neben einem forschen „Hurra-Patriotismus", gab es eine Fülle von Haltungen, die von stiller Pflichterfüllung bis hin zu offener Kritik reichen. Die historische Wirklichkeit war vielstimmig und komplizierter als die Werke der Geschichtsschreiber. Und dies gilt selbst für das so häufig verklärte jüdische „Augusterlebnis".

3.1. August 1914 Lange Zeit war sich die Mehrzahl der Historiker in der Einschätzung des „Augusterlebnisses" einig. Nach nervenaufreibendem Warten habe die Bevölkerung den Ausbruch des Ersten Weltkrieges geradezu euphorisch begrüßt. Scharen von Kriegsfreiwilligen seien zu den Musterungsstätten geeilt, die den Andrang gar nicht hätten fassen können. Geradezu selbstverständlich dienen die Bilder von jubelnden großstädtischen Massen oder blumenbekränzten Soldatenzügen zur Illustration einer GeschichtsVgl. etwa die einschlägigen Beiträge in dem Tübingen 1971 erschienenen Sammelband Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916-1923; Magill, Defense, S. VI u. IX; Picht, „Vaterland", S. 736 u. 746 ff., oder noch jüngst Moshe Zimmermann, Die deutschen Juden 1914-1945, München 1997, S. 3.

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Das deutsche Judentum im Weltkrieg

auffassung, die ausgeprägt ästhetische und bisweilen verharmlosende Züge trägt. 2 Das Bild überwältigender Kriegsbegeisterung im August 1914 hat allerdings Risse bekommen. Bereits vor mehr als zwei Jahrzehnten wies Jean-Jacques Becker nach, daß der überwiegende Teil der französischen Bevölkerung den Krieg nicht gewollt habe. 3 In Deutschland relativierten vornehmlich Lokal- und Regionalstudien die schematische Vorstellung vom Kriegsenthusiasmus eines ganzen Volkes. Ähnlich wie in Frankreich zeigte sich dabei ein starkes Gefälle zwischen Stadt und Land. 4 Überdies erbrachte die Analyse von Presseartikeln, Chroniken und Polizeiberichten auch für die Großstädte divergierende Befunde, die von schwankenden Stimmungslagen der Bevölkerung über Hamsterkäufe und Sturm auf die Banken bis hin zu offenem politischen Protest reichen. 5 Insbesondere die sozialdemokratische Arbeiterschaft zeigte keine sonderliche Kriegsbereitschaft. Statt dessen überwogen persönliche Sorgen und eine Resignation, die nicht zuletzt aus der Ohnmacht gegenüber den politischen Entwicklungen und dem Handlungskalkül der eigenen Parteispitze resultierte. 6 Selbst die ersten Siegesmeldungen riefen unter den Berliner Arbeitern wenig Enthusiasmus hervor. Die Alltagsprobleme lasteten so drückend auf den Familien, daß sich eine schäumende Kriegsbegeisterung wie im Bildungsbürgertum nur schwer entfalten konnte. 7 In der deutsch-jüdischen Geschichtsschreibung herrscht allerdings noch jene monolithische Vorstellung vom „Augusterlebnis" vor, die eine mentalitätshistorisch orientierte Weltkriegsforschung inzwischen erfolg2

3

Die Darstellungen konzentrieren sich zumeist auf europäische Hauptstädte, wie London, Paris oder Berlin, und die letzten Juli- bzw. ersten Augusttage. Literarisch glanzvoll: Eksteins, Tanz, S. 9 3 - 1 0 5 , und Gunther Mai, Das Ende des Kaiserreichs. Politik und Kriegführung im Ersten Weltkrieg, 2. Aufl. München 1993, S. 9 - 3 0 . Jean-Jacques Becker, 1914. Comment les Français sont entrés dans la guerre. Contribution a l'étude de l'opinion publique printemps-été 1914, Paris 1977.

4

In Anschauungsftille und begrifflicher Klarheit herausragend: Ziemann, Front; eine gelungene Fallstudie bietet: Christian Geinitz, Kriegsfurcht und Kampfbereitschaft. Das Augusterlebnis in Freiburg. Eine Studie zum Kriegsbeginn 1914, Essen 1998.

5

Dazu umfassend und methodisch versiert: Jeffrey T. Verhey, Der „Geist 1914 " und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Hamburg 2000.

6

Vgl. Wolfgang Kruse, Krieg und nationale Integration. Eine Neuinterpretation des sozialdemokratischen Burgfriedensschlusses 1914/15, Essen 1994, bes. S. 158-164. Ders., „Die Kriegsbegeisterung im Deutschen Reich zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Entstehungszusammenhänge, Grenzen und ideologische Strukturen", in: Marcel van der Linden u. Gottfried Mergner (Hgg.), Kriegsbegeisterung und mentale Kriegsvorbereitung. Interdisziplinäre Studien, Bonn 1991, S. 7 3 - 8 7 , hier S. 79 f.

7

von

August 1914

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reich differenziert hat. Selbst Peter Pulzer, der den Enthusiasmus der jüdischen Bevölkerung nicht überbetont, läßt doch keinen Zweifel an der mental itätsprägenden Wirkung der ersten Augusttage. 8 Auch die Lokalstudien bewegen sich innerhalb dieses Interpretationsrahmens. Erika Hirsch spricht von der „allgemeinen Kriegsbegeisterung" der Hamburger Juden, und Stefanie Schüler-Springorum konstatiert für das Königsberger Judentum sogar einen „Taumel nationalistischer Begeisterung", obwohl sie sehr wohl um die Ängste in der Bevölkerung vor einer russischen Invasion weiß. Gerade die „Einebnung" divergierender Befunde ist jedoch ein Indiz für die Anwendung historischer Deutungsmuster, die ihre Überzeugungskraft eher narrativen Konventionen als empirischer Überprüfung verdanken. 9 Ein besonders bemerkenswertes Beispiel bietet der Journalist und Historiker Volker Ullrich, der zwar in bilderstürmerischer Diktion den „Mythos vom Augusterlebnis" attackiert. Wendet er sich jedoch dem Feld der deutsch-jüdischen Geschichte zu, so hat er dies vergessen und geht wie selbstverständlich von einem allgemeinen ,,patriotische[n] Überschwang" aus, der im Judentum einen „begeisterten Widerhall" gefunden habe. 10 Dies ist freilich wenig plausibel. Beispielsweise liegt die Vermutung nahe, daß das Landjudentum ähnliche Vorbehalte gegenüber dem Krieg an den Tag legte wie die übrige ländliche Bevölkerung. Die erste Regionalstudie von Richard Mehler bestätigt jedenfalls diese Hypothese. Unter den 280 jüdischen Kriegsteilnehmern aus der bayerischen Rhön befanden sich gerade einmal zwei Freiwillige." Beim Abschiedsgottesdienst in der Synagoge des Städtchens Tann herrschte denn auch alles andere als Jubelstimmung. Statt dessen hielt die Schulchronik die „große Trauer, tiefe Niedergeschlagenheit und Besorgnis" der Gläubigen fest. 12 Gleichwohl sollte man sich davor hüten, das „Kind mit dem Bade auszuschütten" und das Ausmaß von Kriegszustimmung insbesondere im Bürgertum gänzlich zu marginalisieren. Bis zum 11. August 1914 melde8

Peter Pulzer, „Der Erste Weltkrieg", in: Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo-Baeck-Instituts v. Michael A. Meyer unter Mitw. v. Michael Brenner, Bd. 3: Umstrittene Integration 1871-1918, v. Steven M. Lowenstein u.a., München 1997, S. 3 5 5 - 3 8 0 .

9

Erika Hirsch, Jüdisches Vereinsleben in Hamburg bis zum Ersten ¡Veitkrieg. Jüdisches Selbstverständnis zwischen Antisemitismus und Assimilation, Frankfurt am Main usw. 1996, S. 190; Stefanie Schüler-Springorum, Die jüdische Minderheit in Königsberg/Preußen, 1871-1945, Göttingen 1996, S. 193. Vgl. Volker Ullrich, „Die Legende vom Augusterlebnis", in: DIE ZEIT, Nr. 31 vom 29. Juli 1994, S. 12, und Ders., „Dazu hält man für sein Land den Schädel hin!", in: DIE ZEIT, Nr. 42 vom 11. Oktober 1996, S. 46; dort auch die Zitate. Richard Mehler, Juden in der bayerischen Rhön im 19. Jahrhundert, phil. Diss., Würzburg 2001, S. 351; ich danke Richard Mehler herzlich für die Einsichtnahme in das noch ungedruckte Manuskript. Ebd., S. 350.

10

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Das deutsche Judentum im Weltkrieg

ten sich in Deutschland über 260.000 Männer kriegsfreiwillig, von denen etwa 144.000 rekrutiert wurden. Die Gesamtzahl der Kriegsfreiwilligen betrug bis Monatsende ungefähr 185.000, der überwiegende Teil von ihnen war akademisch gebildet. 13 Viele von ihnen empfanden es als Makel oder persönliche Zurücksetzung, wenn sie nicht für den Frontdienst akzeptiert wurden. Der Jenaer Psychiater Otto Binswanger berichtet sogar über „mehrere Fälle von Schwermut", die er aus diesem Grund in seiner Klinik zu behandeln hatte. Relativierend fügte er freilich hinzu, daß „die tieferen Ursachen" für die Depression „schon vorher bestanden haben". 14 Die Druckereien arbeiteten auf Hochtouren, um das Übermaß vaterländischer Publikationen zu vervielfältigen. Die Zeitgenossen sprachen von anderthalb Millionen patriotischen Gedichten in Deutschland allein im August 1914, und schon die Akzeptanz dieser kühnen Schätzung ist ein ideologiehistorischer Befund ersten Ranges. 15 Dabei dürften die Verse ebenso Ausdruck des gestiegenen Sinnbedarfs sein, wie sie - mit unzureichenden Mitteln - Abhilfe zu geben versprachen. Auch an der professoralen Verherrlichung des „nationalen Erweckungserlebnisses" gibt es wenig zu deuteln, selbst wenn die Zahl der publizistisch aktiven Professoren geringer war als bislang angenommen wurde. 16 Unter den politisch Verantwortlichen scheint es so etwas wie einen „Kriegskonsens" gegeben zu haben, der sich auf die Vertreter von „Besitz und Bildung" stützen konnte. 17 Jedenfalls herrschte in der „Legitimationsliteratur" des August 1914 ein nationalistisches Unisono vor, das die Unterscheidbarkeit der verschiedenen Standpunkte erheblich erschwert. Der Kriegsausbruch löste auch bei vielen deutsch-jüdischen Intellektuellen eine starke Identifikation mit dem Vaterland aus. Unter ihnen befanden sich Angehörige beinahe aller politischen und weltanschaulichen

13

Zahlenangaben nach: Verhey, Geist, S. 168 ff.

14

Otto Binswanger, Die seelischen Wirkungen des Krieges, Stuttgart u. Berlin 1914, S. 21. Zur Kriegslyrik im August 1914 vgl. Verhey, Geist, S. 195; Klaus Vondung, „Propaganda oder Sinndeutung?", in: Ders. (Hg.), Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nationen, Göttingen 1980, S. 11-41, hier S. 13 f., und Michael Jeismann, Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792-1918, Stuttgart 1992, S. 299 f.

15

16

17

Vgl. Sylvia Paletschek, „Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg: Kriegserfahrungen an der ,Heimatfront' Universität und im Feld", in: Gerhard Hirschfeld u.a. (Hgg.), „Kriegserfahrungen". Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs, Essen 1997, S. 8 3 - 1 0 6 . Dazu ausführlich die komparativ angelegte Untersuchung von Thomas E. Raithel, Das „Wunder" der inneren Einheit. Studien zur deutschen und französischen Öffentlichkeit bei Beginn des Ersten Weltkrieges, Bonn 1996, S. 504.

August 1914

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Lager. 18 Die Allianz der Kriegsbefürworter reichte vom „Dichterfürsten" Julius Bab über den einflußreichen Rabbiner Nehemia Anton Nobel bis zu einem renommierten Psychologen wie William Stern. Jugendbewegte Zionisten wie Moses Calvary und orthodoxe Querdenker wie der Religionsphilosoph Joseph Wohlgemuth stimmten in ihrer Betonung der deutschen Unschuld überein. Zu den bekannten jüdischen Intellektuellen, die dem Krieg einen Sinn abgewannen, gehörte Martin Buber. Dem befreundeten Religionsphilosophen Elijahu Rappeport schrieb er am 10. September 1914 die emphatischen Worte: „Die Zeit ist freilich wunderschön, mit der Gewalt ihrer Wirklichkeit und mit dieser ihrer Forderung an jeden von uns." 19 Auch in Bubers Umfeld huldigte man in den ersten Kriegsmonaten einer „Philosophie der Tat". Wichtiger als die Analyse der politischen Situation war für Bubers Anhänger die kulturelle Einschätzung der Gegenwart. Da diese als inhaltsleer und materialistisch empfunden wurde, begrüßte man den Krieg als „Aufbruch zu neuen Ufern". Kurt Singer sah etwa das „Wesentliche der Zeit" darin, „dass der Bann von unserem Tun genommen ist, dass die trübe Lauge der Möglichkeiten zur Tat kristallisiert". 20 Buber bemühte sich intensiv darum, den Kontakt zu den Angehörigen des Prager „Bar Kochba" aufrechtzuerhalten, deren Militärdienst ihm beneidenswert erschien. Eindringlich beschrieb er Hans Kohn, zu dem er ein besonderes Vertrauensverhältnis unterhielt, die innere Größe der nationalen Erhebung und erinnerte pathetisch an das Wort des JohannesEvangeliums, ,„Wer sein Leben liebt, wird es verlieren.'" 21 In einem vieldiskutierten Zeitungsartikel für die „Jüdische Rundschau" pries Buber die Tapferkeit der Makkabäer als das eigentliche jüdische Erbe. Die Tatsache, daß Juden für beide Seiten in den Krieg zogen und einander töten mußten, marginalisierte er hingegen mit dem Hinweis darauf, daß sie in ihrem Heroismus gemeinsam „um ihr Judentum" kämpften. 22 Hans Kohn 18

Dies betonen einhellig: Werner T. Angress, „Das deutsche Militär und die Juden im Ersten Weltkrieg", in: MGM 19 (1976), S. 7 7 - 1 4 6 , hier S. 78; Steven E. Aschheim, Brothers and Strangers. The East European Jew in German and German Jewish Consciousness, 1800-1923, Madison 1982, S. 142, Saul Friedländer, „Die politischen Veränderungen der Kriegszeit und ihre Auswirkungen auf die Judenfrage", in: Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916— 1923. Ein Sammelband, hg. v. Werner E. Mosse unter Mitw. v. Arnold Paucker, Tübingen 1971, S. 2 7 - 6 5 , hier S. 30, und Pulzer, Jews, S. 195.

19

Brief vom 10. September 1914, Buber, Briefwechsel, Bd. 1, S. 365. Schreiben an Martin Buber vom 15. September 1914; JNUL Jerusalem Ms Var. 350, Nr. 738/3. Buber, Briefwechsel, Bd. 1, S. 370 f., hier S. 371; Schreiben vom 30. September 1914. Ders., „Die Tempelweihe. Rede, gehalten bei der Makkabäerfeier der Berliner Zionistischen Vereinigung am 19. Dezember 1914", in: Ders., Die jüdische Bewegung. Gesammelte Aufsätze und Ansprachen, Berlin 1915, S. 2 3 0 - 2 4 3 [zuerst

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Das deutsche Judentum im Weltkrieg

ging sogar noch einen Schritt weiter und verherrlichte den Krieg als geschichtlich notwendiges Ereignis zur Befreiung des Judentums. 23 Bubers Bejahung des Krieges ist auf den ersten Blick überraschend. Der Protagonist des Kulturzionismus hatte sich vor 1914 für Völkerverständigung eingesetzt und aus diesem Grund den „Forte-Kreis" mit ins Leben gerufen. Seine Mitglieder teilten ähnliche geistesaristokratische Wertvorstellungen und den Drang zur Gesellschaftsreform. Die Gruppe umfaßte so unterschiedliche Gestalten wie den Sozialrevolutionär Gustav Landauer, den norwegischen Dichter Florens Christian Rang, den holländischen Pazifisten Frederik van Eeden und den französischen Schriftsteller Henri Borel; Romain Rolland und Walther Rathenau standen in losem Kontakt. Als dauerhafte Einrichtung erstrebte man einen internationalen „Orden der Genies", dem neben anderen prominenten Denkern Ezra Pound, Rabindranath Tagore und Martin Buber angehören sollten. Allein emotionale Verwerfungen und divergierende Interessen ließen den erlesenen Zirkel den Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht lange überdauern. 24 Nüchterne Lagebeurteilungen hatten im deutschen Judentum während der ersten Kriegstage keine Konjunktur. Zu den Ausnahmen gehörte der sozialkritische Autor und Gründer der Zeitschrift „Die Schaubühne" Siegfried Jacobson, der am 4. August 1914 ironisch in sein Tagebuch schrieb: „Nun meine Seele ist im Zweifel, ob sie grade jetzt einen Aufschwung nehmen würde." Die Stimmung der Berliner Bevölkerung brachte er am selben Tag auf die prägnante Formel „, Jubel aus Angst'", und er zögerte nicht, von „Massenhypnose" und „Kriegspsychose" zu sprechen. Hierbei ist allerdings auch mitzubedenken, daß das Kriegstagebuch, das ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung in der „Schaubühne" erschien, von vornherein als journalistische Publikation in politischer Absicht konzipiert war. 25 Dennoch ist es ein bemerkenswertes Dokument für JR Nr. 1 vom 1. Januar 1915, S. 2 ff.] hier S. 232; ausführlicher zu Bubers Kriegsmetaphysik unten Kap. 4.2. Vgl. Kohns ungedruckt gebliebenes Gedicht „Nicht allein fürs Vaterland", dessen erste Strophe mit den Versen endet: „Zu befreien die Juden aller Welten / Soll heute der Entscheidungskampf gelten! Auf, Juden herbei!" (LBI N e w York AR 259, Box 21, Folder 1). Vgl. Christine Holste, Der Forte-Kreis (1910-1915). schen Versuchs, Stuttgart 1992, bes. S. 5 8 - 7 1 .

Rekonstruktion

eines

utopi-

Hier wiedergegeben nach der Buchfassung: Siegfried Jacobson, Die ersten Tage, Konstanz 1916; ebd, S. 28 ff., die Zitate vom 4. August. - Vgl. auch Schnitzlers Tagebucheintrag vom 5. August, der die Ratlosigkeit der Menschen nach Englands Kriegserklärung beschreibt und die lakonischen Worte enthält: „Der Weltkrieg. Der Weltruin." (Arthur Schnitzler, Tagebuch 1913-1916, unter Mitw. v. Peter Michael Braunswarth u.a. hg. v. der Kommission für literarische Gebrauchsformen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2. Aufl. Wien 1999, S. 128 f., hier S. 129).

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das Ausmaß an Beobachtungsschärfe und innerlicher Distanz, das selbst am Tag der kaiserlichen Thronrede unter dem unmittelbaren Eindruck der Berliner Massenstimmung möglich w a r . Allenthalben herrschte bei Kriegsausbruch ein mißtrauisches Klima und politisch „unzuverlässige Personen" wurden Uberwacht oder gar prophylaktisch verhaftet. Nur wenige jüdische Intellektuelle bekannten sich wie Albert Einstein zu einem entschiedenen Pazifismus. Bereits am 19. August teilte er Paul Ehrenfels mit, wie sehr er vom barbarischen Charakter der Ereignisse überzeugt sei. 26 Ähnlich reagierte der junge Ernst Bloch, der mit bitterem Spott den „Edelmut" der Daheimgebliebenen karikierte: „Weiber wünschten Blut zu sehen und Wunden, um sie engelsrein zu verbinden. Heimsoldaten ohne Ende, rohe Spießer und Dummköpfe, die sich das Gehirn an den Festreden verdorben haben, sind überrascht, ein ,solches' Volk zu sein und wissen nicht genug die Zeit zu preisen, die endlich aus Sozialisten eine Hammelherde machte und aus dem Blitz des Geistes einen Gassenhauer." 2 7 Zur kleinen Gruppe von Zionisten, die leidenschaftlich, aber erfolglos für den Frieden eintrat, gehörte der sechzehnjährige Gershom Scholem. Voller Empörung äußerte er sich am 7. September 1914 gegenüber seinem Bruder Werner über die patriotische Haltung der Sozialdemokratie. Weder die Gewährung der Kriegskredite noch der Tod des jüdischen Reichstagsabgeordneten Ludwig Frank war für ihn in irgendeiner Hinsicht rühmenswert. Vielmehr beurteilte Gershom Scholem die Zeitereignisse als „Massenmord", der zu Unrecht als „Kulturkrieg" hypostasiert werde. 2 8 Nachdrücklich unterstrich er in seinem Tagebuch die generationsspezifische Dimension des „Kriegserlebnisses", das nur von wenigen als sinnloses Gemetzel entlarvt werde, dem die Jugend Europas zum Opfer falle. „Schickt doch die alten Greise in den Krieg; daß die sich totschlagen, aber raubt uns nicht das junge Blut. Das ist gemein gehandelt gegen die Zukunft des Gemeinwesens. [...] Aber die Jugend. Sie denkt ja, ,man' ,muß', sonst ist man 26

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Einsteins Haltung skizziert: Rivka Horwitz, „Voices of Opposition to the First World War among Jewish Thinkers", in: LBIYB 33 (1988), S. 2 3 3 - 2 5 9 , hier S. 238. Zu den politisch motivierten Verhaftungen in den ersten Augusttagen vgl. Kurt Flasch, Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellektuellen und der Erste Weltkrieg, Berlin 2000, S. 86. Ernst Bloch, „Der Aufmarsch", in: Ders., Durch die Wüste. Kritische Essays, Frankfurt am Main 1964 [abgef. 1914], S. 9 f., hier S. 10. Gershom Scholem, Briefe I: 1914-1947, S. 3 - 6 , hier S. 5.

hg. v. Uta Shedletzky, München 1994,

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feige und unwürdig. Dagegen ist dann freilich nicht anzukämpfen." 29 Im bitter resignativen Ton spiegelte sich wohl nicht zuletzt Scholems Isolation, dessen nüchterne politische Analyse nur von wenigen Altersgenossen verstanden oder gar geteilt wurde. Gleich Scholem zählten Einstein und Bloch zu den Außenseitern, deren Stimmen im erregten Meinungsklima der ersten Kriegsmonate kaum Gehör fanden. Hinzu kam die Zensur, die es dem anarchistischen Dichter Erich Mühsam nicht mehr ratsam erscheinen ließ, seine „Zeitschrift für Menschlichkeit" mit dem vielsagenden Titel „Kain" weiter herauszugeben. Bereits Anfang August 1914 teilte er in einem offenen Brief den Abonnenten seines Blattes mit: „Die über Länder und Völker hereinbrechende Katastrophe ist nicht mehr aufzuhalten. In diesem Augenblick wäre es müßiges Tun, Kritik zu üben oder Schuld auszuteilen. Die Ereignisse nehmen mir, der ich um der Menschlichkeit willen meine Zeitschrift geschaffen habe, die Feder aus der Hand." 30 Für die meisten deutschen Juden war es hingegen eine Selbstverständlichkeit, das Vaterland in der „Stunde der Not" zu verteidigen. Doch rechtfertigt dieser Sachverhalt, von einer „spezifisch jüdischen Kriegsbegeisterung" im August 1914 auszugehen? Zunächst ist festzuhalten, daß die gebildeten Kreise aller kriegführenden Nationen die Aufgabe empfanden, das Verhalten ihres Staates zu legitimieren. Französische Intellektuelle beschworen die Überbrükkung politischer Gegensätze in der „union sacrée" und hoben die weltgeschichtliche Bedeutung der „Ideen von 1789" hervor. In England verherrlichte man die parlamentarische Monarchie wie die individuellen Freiheitsrechte, und in Deutschland propagierte man die „Ideen von 1914", die dem deutschen „Staatsorganismus" und der preußischen Pflichtethik eine besondere Weihe verliehen. 31 Überall aber drückten die Ders., Tagebücher nebst Aufsätzen und Entwürfen bis ¡923. 1. Halbband 1913— 1917, unter Mitarb. v. Herbert Kopp-Oberstebrink, hg. v. Karlfried Gründer u. Friedrich Niewöhner, Frankfurt am Main 1995, S. 57 ff., Eintragung vom 21. November 1914, hier S. 58. Zit. nach: Paul Raabe, Die Zeitschriften und Sammlungen des literarischen Expressionismus. Repertorium der Zeitschriften, Jahrbücher, Anthologien, Sammelwerke, Schriftenreihen und Almanache 1910-1921, Stuttgart 1964, S. 38. Vgl. Reinhard Rürup, „Der,Geist von 1914' in Deutschland. Kriegsbegeisterung und Ideologisierung des Krieges im Ersten Weltkrieg", in: Bernd Hüppauf (Hg.), Ansichten vom Krieg. Vergleichende Studien zum Ersten Weltkrieg in Literatur und Gesellschaft, Königstein im Taunus 1984, S. 1-30, sowie die komparativ ausgerichteten Studien von Roland Stromberg, Redemption by War. The Intellec-

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Intellektuellen ihre Empörung darüber aus, daß ihr Land mitten im tiefsten Frieden überfallen worden sei. Spezifisch war der enorme Loyalitätsdruck, der in den kriegführenden Nationen auf den Juden als einer exponierten Minderheit lastete. Für das wirtschaftlich und gesellschaftlich erfolgreiche deutsche Judentum, das viele als Modellfall geglückter Assimilation einschätzten, galt dies in besonderem Maße. Nach den Emanzipationsgesetzen von 1871 bot sich zum ersten Mal die Möglichkeit, die Verbundenheit mit dem Vaterland unter Beweis zu stellen. Dementsprechend entschieden fielen die Erklärungen jüdischer Verbände aus. Der Leitartikel der „K.C.-Blätter", einer Monatsschrift der liberal orientierten Studentenverbände, der am 1. August noch vor Kriegsbeginn erschien, stellte heraus, daß es im „Moment der Gefahr" für alle deutschen Juden nur noch die vaterländische Option gebe. Mit Blick auf die zionistischen Organisationen wurde konstatiert: „Und auch diejenigen unserer Glaubensgenossen, welche durch jene Rassentheorien oder durch die antisemitischen Strömungen verwirrt, selbst an ihrem Deutschtum zu zweifeln begonnen haben, auch sie werden in diesen Tagen klar empfunden haben, wohin sie gehören. Auch sie werden gefühlt haben, wie innig sie mit dem deutschen Volke mit deutscher Kultur und unserer deutschen Heimat verwachsen sind [...]."" Und in der Tat war es auch unter den Anhängern des „Blau-Weiß" nicht strittig, daß man seine „vaterländische Pflicht" zu erfüllen habe. Adalbert Sachs konnte sich jedenfalls breiter Zustimmung gewiß sein, wenn er seitens der Bundesleitung dazu aufrief, die eigenen Ideale „auch in diesen kriegerischen Zeiten" zu achten. 33 Ähnlich äußerten sich die großen politischen Organisationen des deutschen Judentums. In allen wichtigen liberal-jüdischen Zeitungen erschien ein gemeinsamer Aufruf des CV und des „Verbandes der Deutschen Juden" (VDJ), zu dem man sich am 1. August entschlossen hatte. In feierlicher Sprache forderte er dazu auf, „in schicksalsernster Stunde" dem bedrohten Vaterland „über das Maß der Pflicht hinaus" zu dienen. 34 Kaum anders sah man dies im zionistischen Lager. Am 7. August unterstrich eine gemeinsame Erklärung des „Reichsvereins der deutschen Juden" und

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tuals and 1914, Lawrence 1982, und Robert Wohl, The Generation of 1914, Cambridge, Mass. 1979; ideengeschichtlich nach wie vor zentral: Lübbe, Philosophie. Art. „Krieg oder Frieden?", in: K.C.-Blätter 4 (1913/14), S. 2 3 0 - 2 3 5 , hier S. 230. Vgl. Hans Tramer, „Jüdischer Wanderbund Blau-Weiß. Ein Beitrag zu seiner äußeren Geschichte", in: BLB1 5 (1962), S. 2 3 - 4 3 , hier S. 32. Siehe auch Hans Kohns Gedicht „,Blau Weiß'"; LBI N e w York AR 259, Box 21, Folder 1. Hier zit. nach: JP Nr. 32 vom 7. August 1914, S. 321 f.

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der ZVfD, daß der „Adel unserer vieltausendjährigen Geschichte" die deutschen Juden zu besonderer Hingabe verpflichte.35 Seitens des orthodoxen „Israelit" entschied man sich dafür, ein überschwenglich patriotisches Gedicht aus dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 abzudrucken. Zudem betonte der Leitartikel vom 6. August, daß die ,ganze Weltgeschichte als [...] große Leidensschule" aufgefaßt werden müsse.36 Neben protestantischen und katholischen Geistlichen spendeten auch Rabbiner am Kriegsbettag, den der Kaiser für den 5. August ausgerufen hatte, den deutschen Waffen ihren Segen. Zwischen der Haltung orthodoxer und liberaler Rabbiner bestand kein substantieller Unterschied, wenn auch die orthodoxe Rhetorik mit ihrer eindringlichen Beschwörung altjüdischer Tugenden etwas volltönender geklungen haben mag. Immer wieder erinnerten jüdische Geistliche freilich auch daran, daß der Krieg den Zusammenbruch der europäischen Kultur bedeute und die beste Garantie für einen deutschen Sieg in der eigenen Unschuld am Kriegsausbruch liege.37 In christlichen Gottesdiensten überwog hingegen jene Verherrlichung des Vaterlands, die vom Sieg der kaiserlichen Armee eine Ära deutscher Hegemonie erwartete. Auf katholischer Seite nutzte man die Möglichkeit, nationale Loyalität öffentlich unter Beweis zu stellen, während protestantische Prediger sich in ihrem bisherigen Weltbild rundweg bestätigt sahen. Gottes Wirken in der Geschichte sei schon während der Reichseinigung offenkundig geworden und werde sich im Schicksalskampf gegen eine „Welt von Feinden" erneut beweisen.38 Eine Analyse der Reden, die beim Königsberger Gedenkgottesdienst 1914 gehalten wurden, vermag die graduellen Unterschiede in der Rechtfertigung des Krieges zu illustrieren. Der protestantische Geistliche, Generalsuperintendent Schöttler, entschied sich für eine besonders suggestive Rhetorik. Er beschwor nicht nur die Größe des historischen Augenblicks und die Bedeutung der deutschen 35

JR Nr. 32 vom 7. August 1914, S. 343. - Das Ausmaß der zionistischen Solidarität ging sogar soweit, daß eine palästinensische Legion, „ueber den Taurus wanderte", um sich in die deutsche Armee einzugliedern. Vgl. dazu Sammy Gronemanns ungedruckte „Erinnerungen 1875-1918"; LBI N e w York ME 203, S. 243, sowie Michael Brenner, Kultur, S. 42.

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Art. „Krieg", in: Der Israelit Nr. 32 vom 6. August 1914, S. 1 f., hier S. 1; vgl. auch Mordechai Breuer, Orthodoxie, S. 342.

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Ebd., S. 343. Als stimmungsvollen Bericht über die Gottesdienste in den Berliner Synagogen vgl. den Art. „Der allgemeine Bettag", der mit dem immer wieder angeführten Satz, beginnt: „Not lehrt beten!" (IDR 20 [1914], S. 3 4 4 - 3 4 9 , hier S. 344).

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Vgl. Karl Hammer, Deutsche Kriegstheologie 1870-1918, München 1974, bes. S. 3 7 - 4 8 , und Heinrich Missalla, „Gott mit uns". Die deutsche katholische Kriegspredigt 1914-1918, München 1968. Detailscharf zur katholischen Kriegsfrömmigkeit in den ersten Augusttagen: Ziemann, Front, S. 50 f.

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Tugenden, sondern zeigte zudem eine Vorliebe für apokalyptische Bilder. Nicht nur die Stunde der Vergeltung gegenüber den äußeren Feinden sei gekommen, sondern auch die Stunde der inneren Abrechnung mit jenen, die Gott in Friedenszeiten zu wenig gefürchtet hätten. 39 Maßvoller trat Pfarrer Schulz auf, der Wilhelm II. als Friedensfursten verklärte und die innere Einheit des deutschen Volkes gegen die verhängnisvolle Vergangenheit des Kulturkampfs ausspielte. Doch auch er betrachtete den Krieg als „Strafgericht Gottes" für begangene Sünden. 40 Am nachdenklichsten predigte Rabbiner Vogelstein, der an die Einheit der Konfessionen in der Stunde der Not erinnerte. Gleichzeitig wurde der messianische Charakter des Buches „Daniel" betont, demzufolge ein „großefr] Weltenbrand" dem endgültigen Frieden vorangehe. Die apokalyptische Denkfigur entfaltete jedoch keine Eigendynamik: Letztlich ging es Vogelstein um die „sittliche Kultur der Menschheit", deren Bestand durch den Sieg des deutschen Heeres garantiert werde. 41 Die „Burgfriedensrede" vom 4. August hatte für das deutsche Judentum eine herausgehobene Bedeutung. Den Satz Wilhelms II. „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche" bezog man unmittelbar auf die eigene Lage, die Öffnung der Offiziersränge für jüdische Bewerber wurde weithin begrüßt. 42 Viele Juden hofften, daß individuelle Leistung und kollektive Loyalität jetzt endlich eine höhere Wertschätzung erfahren würden. Und manch einer glaubte gar, die kaiserliche Ansprache habe ein Zeitalter endgültiger jüdischer Akzeptanz eingeläutet. Die Erinnerungsliteratur läßt jedenfalls keinen Zweifel daran, wie tief sich die „Burgfriedensrede" dem Gedächtnis der Beteiligten eingeprägt hat.43 Hinzu kam, daß der Zar von alters her und erst recht natürlich nach den Pogromen von 1905 als Hauptfeind der deutschen Juden galt, der Krieg gegen seine Schreckensherrschaft mithin vollständig gerechtfertigt erschien. Heinrich 39

Die Kanzelworte am Kriegsbettage. Ein Erinnerungs- und Erbauungsblatt, hg. v. der „Königsberger Woche", Königsberg o.J. [1914], S. 2 f. - Eine andere Einschätzung des jüdischen Beitrags zum Kriegsbettag nimmt Magill, Defense, S. 119 f., vor, der freilich christliche Predigten nicht zum Vergleich heranzieht. Generell zur Situation Königsbergs als bedrohter Grenzstadt: Schüler-Springorum, Minderheit, S. 193 f.

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Kanzelworte am Kriegsbettage, S. 7. Beide Zitate, ebd., S. 11. Vgl. Angress, „Militär", S. 138, Anm. 185; allgemein zur Rezeption der kaiserlichen Thronrede: Verhey, Geist, S. 118-128. Aus der Vielzahl der Memoiren seien nur die Erinnerungen von Samuel Jacobs (LBI N e w York ME 328, S. 2 f.) erwähnt, die belegen, wie selbstverständlich auch für orthodoxe Juden das Bekenntnis zu Volk und Vaterland war; aus der Forschungsliteratur vgl. David Brenner, Marketing Identities, S. 143 f., der den ideologischen Charakter des „Burgfriedens" in den Vordergrund rückt. Pulzer, „Erster Weltkrieg", S. 366, weist zu Recht daraufhin, daß der „Burgfrieden" lediglich eine „Schönwetter-Konstruktion" war.

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Loewe forderte etwa in der „Jüdischen Rundschau" „Rache für Kischinew" und betrachtete das Zarenreich als Hort der „finstersten Reaktion". 44 Diese Sichtweise konnten auch die Juden Österreich-Ungarns nachvollziehen, wo die ungelöste nationale Frage zahlreiche in Deutschland unbekannte Probleme aufwarf. Demgegenüber verlor es an Wichtigkeit, daß in anderen Armeen - insbesondere in der zaristischen - Juden ihren Wehrdienst ableisteten. 45 Gleichwohl sollte nicht aus den Augen verloren werden, daß es für die deutschen Juden neben patriotischen Pflichten auch die Zugehörigkeit zur internationalen jüdischen Gemeinschaft gab. Die russischen Juden nahmen es beispielsweise äußerst skeptisch auf, daß ihr Land zum „Inbegriff der Barbarei" erklärt wurde. Die Tagebuchaufzeichnungen Simon Dubnows von Anfang August 1914 illustrieren, wie doppelbödig sich die patriotischen Verlautbarungen des deutschen Judentums aus ostjüdischer Perspektive ausnahmen. Der Schlachtruf nach „Rache für Kischinew" erschien dem russisch-jüdischen Historiker angesichts der zu erwartenden Entwicklungen inhuman, ja makaber: „In den russischen Armeen kämpfen doch Tausende von Juden und die deutsche Armee wird sich nicht scheuen, denselben Ansiedlungsrayon zu zerstören, der kurz zuvor Schauplatz vom Pogromen war. Die Tragik der Situation ist unbeschreiblich." 46 Auch das von allen Seiten umworbene amerikanische Judentum war keineswegs mehrheitlich von der Gerechtigkeit der „deutschen Sache" überzeugt. In der Neuen Welt stellte man sich - nach lebhaften innerjüdischen Diskussionen - hinter die strikte Neutralitätspolitik der eigenen Regierung. So erklärte Judah L. Magnes, der spätere Präsident der Jerusalemer Universität, bei einer Versammlung der amerikanischen Zionisten am 13. September 1914 in New York den „Großen Krieg" zu einer rein europäischen Katastrophe. Um den humanitären Verpflichtungen gegenüber den Juden aller kriegführenden Nationen gerecht zu werden, empfahl er folge44

Heinrich Loewe, „Feinde ringsum!", in: JRNr. 32 vom 7. August 1914, S. 343 f., hier S. 343. Der Romanist Victor Klemperer notierte am 10. August 1914 den verschlungenen Gedanken in sein Tagebuch: „Ich kann mich manchmal des Gedankens nicht erwehren, daß es keinen Blutstropfen wert ist, ob zwischen Kulturländern die Grenze so oder so verläuft. Nur freilich: Es müssen Kulturländer sein. Rußland ist keines, und Frankreich und England helfen dem Kulturfeind Rußland." (Victor Klemperer, Curriculum Vitae. Erinnerungen 1881-1918, hg. v. Walter Nowojski, 2. Buch: 1912-1918, Berlin 1996, S. 187).

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Vgl. Aschheim, Brothers and Strangers, S. 142, sowie die „Lebenserinnerungen" von Zeev Wilhelm Cohn, die zeigen, wie schwierig die Verständigung zwischen deutschen und französischen Juden nach Kriegsausbruch war; LBI Jerusalem File 94, S. 98. Simon Dubnow, Mein Leben, hg. v. Elias Hurwicz, Berlin 1937, S. 191.

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richtig, keinen Zollbreit vom Neutralitätskurs abzuweichen. 47 Mit dieser Haltung konnte man sich im liberalen deutschen Judentum aus zwei Gründen nicht anfreunden: zum einen galt Amerika als mächtiger potentieller Verbündeter, und zum anderen glaubte man fest an die Gerechtigkeit des deutschen „Verteidigungskrieges". Der Syndicus des CV, Ludwig Holländer, antichambrierte im Januar 1915 beim Auswärtigen Amt, um Hermann Cohen eine Vortragsreise in die USA zu ermöglichen. Dort sollte der angesehene Gelehrte und „Feuerkopf die „Stimmung der kultivierten amerikanischen Juden" im deutschen Sinne beeinflussen. 48 Als Cohen dies zu seinem großen Leidwesen versagt blieb, wandte er sich als philosophischer Publizist unmittelbar an das amerikanische Judentum. In der deutschsprachigen „New Yorker Staats-Zeitung" veröffentlichte er einen Artikel, der in emphatischer Sprache die innere Einheit deutscher und jüdischer Kultur beschwor. 49 Eine große Resonanz dürfte diesem Essay jedoch nicht beschieden gewesen sein, spiegelte er doch gerade jenes ausgeprägte Vertrauen in die Überlegenheit deutscher Kultur, das in der angelsächsischen Welt weithin als „hybrid" galt. 50 Beim Auswärtigen Amt vertraute man eher auf das Engagement jüdischer Wissenschaftler, welche die Verhältnisse in den USA aus eigener Anschauung kannten.51 Doch auch in diesem Fall konnte es zu bedenkli47

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AJA Cincinnati, Felix M. Warburg Papers, Box 166, Folder 9. Zu den Hilfsleistungen amerikanischer Juden während des Weltkrieges: Daniel Soyer, Jewish Immigrant Associations and American Identity in New York 1880-1939, Cambridge, Mass. u. London 1997, S. 161-172, und passim. Die innerzionistische Diskussion in den USA analysiert: Berkowitz, Western Jewry, S. 18 ff. Das Folgende nach: PA Bonn WK Nr. 11 adh. 2, R 20944; ebd., fol. 37r-38r, der Brief Holländers an das Auswärtige Amt vom 28. Januar 1915. Hermann Cohen, ,„Du sollst nicht einhergehen als ein Verläumder.' Ein Appell an die Juden Amerikas", in: Ders., Kleinere Schriften V: 1913-1915. Bearb. u. eingel. v. Hartwig Wiedebach, Hildesheim, Zürich u. New York 1997, S. 2 9 9 310 [zuerst Sonntagsblatt der New Yorker Staats-Zeitung vom 31. Januar 1915]. - Die Originalfassung dieses Artikels konnte bislang von der Cohen-Forschung nicht nachgewiesen werden; sie findet sich: PA Bonn WK Nr. 11 adh. 2, R 20945, fol. lOOr bzw. lOlr. Zitiert wurde bisher nach dem Nachdruck im „Israelitischen Familienblatt" (Nr. 25 vom 24. Juni 1915, S. 9 f.). Die Bedeutung von Cohens eher randständigen Kriegsschrift wurde in der deutsch-jüdischen Geschichtsschreibung bisweilen übertrieben; Eli Barnavi (Hg.), Universale Geschichte der Juden. Von den Ursprüngen bis zur Gegenwart. Ein historischer Atlas, Wien 1993, S. 211, läßt Cohen sogar seine Reise in die USA antreten. Damit trug man auch dem Wunsch des kaiserlichen Botschafters in Washington Rechnung, der „wiederholt gebeten [hatte], von der Entsendung weiterer Hilfskräfte für die Propagandaarbeit in Amerika abzusehen" (so das Auswärtige Amt in seinem Schreiben an Ludwig Holländer vom 5. Februar 1915; PA Bonn WK Nr. 11 adh. 2, R 20945, fol. 47r-49r, hier fol. 48r-v).

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chen Formen des Übereifers kommen. So setzte der Berliner Psychologe Hugo Münsterberg, der bei Kriegsausbruch als Austauschprofessor an der Harvard University lehrte, all seine Energie in die Propagierung der deutschen Interessen. Von Erfolg war sein Engagement freilich nicht gekrönt: als er 1916 starb, hinterließ er seiner Frau keinen Pfennig und seinen akademischen Kollegen, die sein patriotisches Engagement mit leichtem Kopfschütteln quittiert hatten, die Aufgabe, für sie zu sorgen. 52 Für die Legitimation des Krieges war die viel beschworene „innere Größe" des „Augusterlebnisses" weniger bedeutsam als der Notwehrgedanke. Dies gilt auch für das deutsche Judentum: in Leitartikeln, Rabbinerpredigten und Gedichten steht die Idee eines gerechten Verteidigungskrieges gleichermaßen im Zentrum. 53 Ihre Überzeugungskraft lag nicht zuletzt darin begründet, daß sie sich mühelos mit jenem überhöhten Pflichtbegriff verbinden ließ, der für das Selbstverständnis des preußischdeutschen Militärs konstitutiv war. Nicht nur für das deutsche Judentum bot der Notwehrgedanke eine moralische Stütze, als die Erinnerung an die ersten Augusttage längst verblaßt war. 54 Freilich sollten die jüdischen Spezifika im August 1914 nicht überbetont werden. Die Hoffnungen und Ängste des deutschen Judentums unterschieden sich nicht substantiell von den Gefühlen der übrigen Bevölkerung. Und natürlich gab es auch hier die große Zahl jener, die der Ausbruch des Ersten Weltkrieges vollständig überrascht hatte. Der Münchener Rechtsanwalt Philipp Loewenfeld erinnerte sich, daß er trotz des verschärften Wettrüstens „nicht ernstlich an einen Krieg" geglaubt und sich damit „in völliger Übereinstimmung mit der grossen Masse der jüngeren Akademiker" befunden habe. Ein anderer Zeitzeuge aus dem jüdischen Bildungsbürgertum kolportierte die Ansicht seines Vaters, wonach „solch ein Wahnsinn" wie ein Weltkrieg „im 20. Jahrhundert unmöglich" sei.55 Und Hans Kohn hielt in seiner Sommerfrische den Gedanken an eiVgl. die Bemühungen um eine Fundraising-Aktion für Münsterbergs Witwe; AJA Cincinnati, Jacob H. Schiff Collection, Box 454, Folder 14. Vgl. Loewe, „Feinde", S. 343; Arthur Kahn, „Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an!", in: JP 45 (1914), S. 41 f., oder Jfoseph] W[ohlgemuth], „Der Weltkrieg", in: Jeschurun 1 (1914), S. 2 5 5 - 2 7 2 , hier S. 262 f. Julius Bab ließ sein August 1914 verfaßtes Gedicht „Deutschland — !" mit den Worten ausklingen: „Dann gürte Herz und Busen dir metallen, / und ohne Haß und doch mit festem Sinn / soll dumpf der Schlachtruf deiner Notwehr schallen." (Julius Bab, Menschenstimme. Gedichte aus der Kriegszeit 1914-1918, Stettin 1920, S. 13). Allgemein zur Bedeutung des „Notwehr"-Topos für die Kriegslegitimation: Geinitz, Kriegsfurcht, S. 100-110. Dazu eindringlich: Walther Rathenau, Von kommenden Dingen, Berlin 1917, S. 275 f. HL Harvard bMS Ger 91 (252), Egon Zeitlin; die Einschätzung Loewenfelds findet sich: LBI N e w York ME 404, S. 155. Generell zum weitgehend unerwarteten Kriegsausbruch: Jean-Jacques Becker, 1914, S. 125-131.

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nen nahen Krieg gar für „lächerlich". 56 Selbst unter den herausragenden Intellektuellen zeigte sich nicht jeder vom Ernst der Lage überzeugt. Franz Kafka schrieb nach einer Notiz zur deutschen Kriegserklärung an Rußland die unbeteiligten Worte „Nachmittag Schwimmschule" in sein Tagebuch. 57 Die Einberufenen beschäftigte hingegen zuerst das eigene Schicksal und die Sorgen der Daheimgebliebenen. Viele verfaßten rasch ein Testament oder trafen anderweitige Vorkehrungen. Stefan Zweig fand es beispielsweise ratsam, mit seinem Verleger detailliert die Rechte an seinen Büchern zu regeln. 58 Über die Motive und Empfindungen der Beteiligten geben nicht allzu viele Quellen Auskunft. Ein Großteil der Kriegsrhetorik unterwarf sich schlicht dem Diktat der öffentlichen Meinung. Zu den Verfassern martialischer Kriegsprosa zählten mit Vorliebe ältere Autoren wie Gerhart Hauptmann oder Martin Buber, die einerseits das fehlende „Fronterlebnis" zu kompensieren suchten, andererseits aber auch fern der Schützengräben ohne existentielle Bedrohung ein idealisiertes Bild des Krieges entwerfen konnten. Überdies ist die Kriegsrhetorik häufig derart hermetisch, daß jede psychologische Deutung auf gravierende methodische Probleme stößt. Dennoch verstünde man diese Ausführungen falsch, dächte man, die Bedeutung des „Augusterlebnisses" solle gänzlich nivelliert werden. Es bestehen keine Zweifel daran, daß im jüdischen Bildungsbürgertum kurzfristig eine Kriegsbegeisterung auftrat, die nicht nur Sorgen und Ängste beiseite schob, sondern auch nach dem Sieg deutscher Waffen den Anbruch eines neuen und besseren Zeitalters erwartete. Zudem erfreute sich die Illusion vom kurzen Krieg, vom „Spaziergang nach Paris", auch unter deutschen Juden großer Beliebtheit. 59 Ähnliches gilt für Österreich-Un56

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Tagebuchnotiz vom 22. September 1914, in der Kohn den Kriegsbeginn rückblickend Revue passieren läßt; LBI N e w York AR 259, Box 23, Folder 2. Franz Kafka, Tagebücher 1910-1923, hg. v. Max Brod, Frankfurt am Main 1986 [zuerst Berlin 1935], S. 305, Eintragung vom 2. August 1914. Vgl. das Schreiben an Anton Kippenberg vom 4. August 1914; Stefan Zweig, Briefe 1914-1919. Hg. v. Knut Beck u.a., Frankfurt am Main 1998, S. 13. So pointiert der Posener Arzt Friedrich Bilski; LBI N e w York ME 261, S. 28. Zur Selbstverständlichkeit derartiger Fehleinschätzungen vgl. die Erinnerungen des Breslauer Rechtsanwalts Ernst Marcus; HL Harvard bMS Ger 91 (151), S. 9 f. Ihre literarische Verklärung fanden sie bei: Stefan Zweig, Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers, Frankfurt am Main 1947, S. 261 f. Doch sollte auch daran erinnert werden, daß Zweig selbst bei Kriegsausbruch keineswegs in einer euphorischen Stimmung war. Am 4. August 1914 schieb er in sein Tagebuch die desillusionierten Zeilen: „Ich glaube an keinen Sieg gegen die ganze Welt - jetzt nur schlafen können, sechs Monate, nichts mehr wissen, diesen Untergang nur nicht erleben, dieses letzte Grauen." (Stefan Zweig, Tagebücher. Hg., mit Anmerkungen und einer Nachbemerkung versehen v. Knut Beck, Frankfurt am Main 1984, S. 83 f., hier S. 84).

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garn. Selbst ein so hellsichtiger Analytiker wie der bei Kriegsausbruch immerhin schon dreißigjährige Journalist Egon Erwin Kisch ließ jede realistische Situationseinschätzung vermissen. Vor seiner Fahrt an die serbische Front reagierte er auf den Wunsch seiner Mutter, ihm „eine dritte Unterhose und ein Nachthemd" mitzugeben, mit der Bemerkung: „,Du glaubst wohl, daß ich in den Dreißigjährigen Krieg ziehe?!'" 6 0 Die Unterschätzung des militärischen Gegners korrelierte in den ersten Kriegstagen mit einem unrealistischen Bild der bevorstehenden Kämpfe. So schrieb Kisch am 3. August 1914 nach Hause: „Liebste Mama, ich bin direkt glücklich. Mein jetziges Leben ist so voll von Neuem, Abwechslungsreichem, Schönem und Abenteuerlichem." 6 1 Äußerungen dieser Art, die den Krieg als männliche Bewährungsprobe auffaßten, waren keine Seltenheit, auch wenn sie aus heutiger Perspektive naiv und beinahe unglaubwürdig wirken. Es dürfte ein vergebliches Unterfangen sein, ein einheitliches jüdisches „Augusterlebnis" aus derart heterogenen Erfahrungen zu destillieren. Das „Gesetz der großen Stunden", das Ernest Hamburger mit Blick auf das patriotische Engagement deutscher Juden 1848 und 1870/71 formulierte, besitzt indes wohl auch für 1914 Gültigkeit. 62 Nur in historischen Ausnahmesituationen erhält eine Minderheit die Gelegenheit, ausdrücklich für ihre gesellschaftliche Akzeptanz zu streiten. Es spricht allerdings wenig dafür, dieses Verhalten nachträglich zu heroisieren und das Moment der Freiwilligkeit überzubetonen. Alle Fraktionen des deutschen Judentums waren sich darüber im klaren, wie intensiv ihr Verhalten von der übrigen Gesellschaft beobachtet wurde. Aus diesem Grund hielt man sich peinlich genau an geltende Sprachregelungen und legte schon früh Aufzeichnungen an, die den eigenen Kriegseinsatz möglichst eindrucksvoll dokumentieren sollten. Vormals gesellschaftskritische jüdische Schriftsteller und Journalisten standen unter einem besonderen Anpassungsdruck, was zu manchem intellektuellen Wendemanöver Anlaß gab. 63 Eine betont vaterländische Gesinnung legten viele Konvertiten, von Fritz Haber bis zu Edmund Husserl, an den Tag. Auch sie fühlten sich zu einem hohen Maß an Loyalität verpflichtet - nicht zuletzt weil sie wußten, wie genau ihre Umwelt ihre jüdische Herkunft registrierte. Doch so unterschiedlich die Motive überzeugter Patrioten im August 1914 auch gewe-

Egon Erwin Kisch, „Schreib S. 12.

das auf Kisch!" Das Kriegstagebuch,

Berlin 1930,

Zit. nach: Michael Horowitz, Ein Leben für die Zeitung. Der rasende Reporter Erwin Kisch, Wien 1985, S. 39. Hamburger, Juden, S. 558; vgl. auch Maurer, Ostjuden, S. 111 f. Vgl. Sammy Gronemanns feinen Spott auf den „allgemeinen Verbrüderungstaumel" der ersten Augusttage, von dem selbst der distanzierte Berliner Starjournalist Alfred Kerr ergriffen worden sei; LBI N e w York ME 203, S. 246 ff., Zitat S. 246.

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sen sein mögen, mit zunehmender Kriegsdauer und -härte wurde es immer schwieriger, an einem idealisierten Weltbild festzuhalten.

3.2. Patriotismus unter schwierigen Bedingungen In den ersten Kriegswochen setzte man in Deutschland alle Hoffnungen in die rasche Niederwerfung Frankreichs und vertraute auf den Erfolg des Schlieffen-Plans. Die Verletzung der belgischen Neutralität nahmen die meisten billigend in Kauf. Gerade im deutschen Bildungsbürgertum hielt man völkerrechtliche Erwägungen für wertlos und vertrat die Maxime „Not kennt kein Gebot". Diese rustikale Form des Machiavellismus erfreute sich ähnlich hoher Beliebtheit wie nationalistische Typisierungen und Feindbilder, die sich gegen die englische „Krämernation", den „Erbfeind" Frankreich oder die „asiatische Despotie" des Zaren richteten. Hinsichtlich des Einmarsches in Belgien legten jüdische Intellektuelle keine besondere Sensibilität an den Tag. Im liberalen „Israelitischen Familienblatt" kommentierte ein unbekannter Autor „Die Neutralität Belgiens im Lichte der Bibel". In Anbetracht der Tatsache, daß schon der Krieg gegen die Amoriter gerechtfertigt gewesen sei, weil sie dem Volk Israel den Durchmarsch nach Kanaan verwehrt hatten, konnte er nichts Verwerfliches an der Verletzung von Belgiens Status erkennen. Flankierend verwies er darauf, daß Gerüchten zufolge eine englische Invasion bevorgestanden habe, mithin der Einmarsch schon aus militärstrategischen Gründen unvermeidlich gewesen sei. 64 Ein so feinfühliger Schriftsteller wie Stefan Zweig haderte mit seinem alten Freund Emile Verhaeren, der die deutsche Besatzungspolitik scharf kritisiert hatte. Wie so viele Intellektuelle hielt sich Zweig für besser informiert, als er es eigentlich war, und die alliierte Berichterstattung für reine Propaganda. 6 5 Der Pazifist Adolf Riesenfeld erinnerte sich, daß er IF Nr. 34 vom 21. August 1914, S. 3; argumentativ sehr ähnlich äußerten sich der Berliner Prediger Joseph Lehmann in seinem Artikel „Kriegslieder in der Bibel" (GJGB Nr. 1 vom 8. Januar 1915, S. 3 ff., hier S. 3) und J[oseph] Wohlgemuth, der in seinem Essay „Der Krieg und die Moral" (Jeschurun 1 [1914], S. 3 3 4 - 3 5 0 , hier S. 348 f.) zugleich auf die prinzipielle Wahrhaftigkeit des deutschen Charakters hinwies. - Allgemein zur Reaktion der jüdischen Presse in Deutschland auf die Verletzung der belgischen Neutralität: Magill, Defense, S. 123 ff. An Anton Kippenberg schrieb Zweig mit Blick auf die Empörung des belgischen Dichters: „Denn wer die französischen und englischen Zeitungen allein las - wofür muß der uns halten!" (Stefan Zweig, Briefe, S. 27 f., hier S. 27; undatierte Postkarte, vermutlich, vom 4. November 1914). Vgl. ferner den Brief von Georg Brandes an Stefan Zweig vom 26. April 1915, RL Fredonia, Zweig Nr. 25, sowie

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Das deutsche Judentum im Weltkrieg

den Angriff auf Belgien ganz selbstverständlich als „Notwehr" betrachtet habe. 66 Der in der Regel zu maßvollen Einschätzungen neigende Victor Klemperer urteilte ähnlich apodiktisch. Nach der Bombardierung Antwerpens durch deutsche Zeppeline schrieb er in sein Tagebuch: „Das Völkerrecht ist eine Vogelscheuche, die selbst der dümmste Spatz nicht ernst nimmt." 67 Sogar das viertägige „Strafgericht" über Löwen fand seine Verteidiger, die gegen „Franktireure" jede Maßnahme billigten und den Brand der altehrwürdigen Löwener Universitätsbibliothek herunterspielten oder gar vollständig entschuldigten. Neben dem Notwehrprinzip rekurrierte man gern auf die „Doppelzüngigkeit" der alliierten Propaganda und fragwürdige historische Kontinuitäten, die von der Kanonade Kopenhagens durch englische Schiffe bis zur Zerschneidung der Atlantikkabel reichten. Immerhin bewahrten sich auch überzeugte jüdische Patrioten wie der Berliner Literaturhistoriker Ludwig Geiger ein Gespür für den Verlust, den die Welt durch die Zerstörung der Löwener Bibliothek erlitten hatte. 68 Als humanitäres Fundament für eine künftige Verständigung zwischen den Nationen war dies freilich zu wenig. Der „Krieg der Geister" gewann an Brisanz, als 93 führende Vertreter des deutschen Kulturlebens am 4. Oktober 1914 die Doppelmoral der Gegenseite anprangerten. Mit Entschiedenheit behaupteten sie in ihrer öffentlichen Erklärung, die in allen großen deutschen Zeitungen erschien und alsbald in nicht weniger als zehn Sprachen übersetzt wurde, daß Deutschland weder am Kriegsausbruch schuld gewesen sei noch die belgische Neutralität „freventlich" verletzt habe. 69 Ebensowenig sei die bel-

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generell Donald A. Prater, Stefan Zweig. Das Leben eines Ungeduldigen, München u. Wien 1981, S. 111 f. LBI N e w York AR 7186, Tagebuch, Bd. 2, S. 2 3 1 - 2 3 5 , Eintragung vom 14. Mai 1945, hier S. 231. Klemperer, Curriculum Vitae, S. 196 ff., Eintragung vom 28. August 1914, hier S. 198. Ludwig Geiger, Krieg und Kultur, Berlin 1915, S. 5. - Den historischen Kontext skizzieren: Alan Kramer, „.Greueltaten*. Zum Problem der deutschen Kriegsverbrechen in Belgien und Frankreich", in: Gerhard Hirschfeld u.a. (Hgg.), Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch ... Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, Essen 1993, S. 8 5 - 1 1 4 , und Wolfgang Schivelbusch, Eine Ruine im Krieg der Geister. Die Bibliothek von Löwen August 1914 bis Mai 1940, Frankfurt am Main 1993, S. 11-50. Zum historischen Hintergrund nun monographisch: Jürgen u. Wolfgang von Ungern-Sternberg, Der Aufruf „An die Kulturwelt!". Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1997. Ungewöhnlich materialreich bereits Bernhard vom Brocke, „,Wissenschaft und Militarismus'. Der Aufruf der 93 ,An die Kulturwelt!' und der Zusammenbruch der internationalen Gelehrtenrepublik im Ersten Weltkrieg", in: William M. Calder III, Helmut Flashar u. Theodor Lindken (Hgg.), Wilamowitz nach 50 Jahren, Darm-

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gische Zivilbevölkerung „angetastet" oder „gegen Löwen gewütet" worden. Eigens würdigte man die Bedeutung des preußischen Militarismus, ohne den „die deutsche Kultur längst vom Erdboden getilgt" worden wäre, und beschwor pathetisch die Tradition Goethes, Kants und Beethovens zur Rechtfertigung des deutschen „Verteidigungskriegs". Zu den Unterzeichnern, deren Altersdurchschnitt bei sechzig Jahren lag,70 gehörten prominente Intellektuelle jüdischer Herkunft wie Paul Ehrlich, Fritz Haber, Paul Laband, Max Liebermann, Max Reinhart oder Richard Willstätter. Der Initiator des Aufrufs, der Schriftsteller und Vorsitzende des Berliner „Goethebundes" Ludwig Fulda, bekannte sich zum jüdischen Glauben. Sie alle einte ein gutes patriotisches Gewissen sowie die Empörung über die alliierte Kritik an der deutschen Kriegführung. Politisch war das Manifest jedoch mehr als naiv. Denn zum einen verkannten die erzürnten Honoratioren, daß sie ihr gelehrtes Renommee für Aussagen in Anspruch nahmen, bei denen es ihnen an Sachkompetenz und vor allem an Wissen fehlte. Zum anderen verschätzten sie, wie die - defensiv gemeinte, im Ton aber gleichermaßen schulmeisterliche wie hochtrabende - Erklärung auf das Ausland wirken mußte. Spätestens seit diesem Zeitpunkt verfestigte sich das Stereotyp deutscher Überheblichkeit, das um so verhängnisvoller wirkte, als der Stolz auf das kulturelle Erbe zum integralen Bestandteil der deutschen Weltkriegsideologie gehörte. 71 Umgekehrt betonte man in Deutschland die „Schamlosigkeit" der alliierten Propaganda, die von Fairneß und Gerechtigkeit nichts wissen wolle. Henri Bergson, der in den ersten Kriegstagen Deutschlands „Barbarei" wortgewaltig attackiert hatte, galt den meisten deutsch-jüdischen Wissenschaftlern als Inbegriff französischer Dekadenz und Wortbrüchigkeit. Man rekurrierte auf seine ostjüdischen Vorfahren und hob gleichzeitig hervor, wie sehr sich das deutsche vom französischen Judentum unterscheide. 72

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Stadt 1985, S. 6 4 9 - 7 1 9 ; ebd., S. 718, der Text des Aufrufs und die Namen der Unterzeichner. Ebd., S. 658. Zur katastrophalen Wirkungsgeschichte des Manifests: Ebd., S. 6 6 4 - 6 8 2 , sowie Ungern-Sternberg, Aufruf, S. 8 0 - 1 1 1 . Vgl. Fritz Mauthner, „Wer ist Henri Bergson?", in: BT Nr. 465 vom 13. September 1914, 2. Beiblatt, und den Brief Hermann Cohens an Paul Natorp vom 23. August 1914; Helmut Holzhey, Cohen und Natorp, Bd. 2: Der Marburger Neukantianismus in Quellen [...], Basel u. Stuttgart 1986, S. 429 f., hier S. 429, in dem Cohen Bergson abwertend einen „polnischen Juden" und ,,eklektische[n] Gaukler" nennt. Victor Klemperer konstatierte am 13. September in seinem Tagebuch: „Wie widerwärtig hat uns Bergson angegeifert, wo er doch der deutschen Philosophie so viel verdankt." (Klemperer, Curriculum vitae, S. 206). Generell zur Stigmatisierung Bergsons in Deutschland: Lübbe, Philosophie, S. 173 ff., und vom Brocke, „Wissenschaft", S. 696.

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Das deutsche Judentum im Weltkrieg

Freilich ist auch in diesem Fall lobend auf Ludwig Geiger zu verweisen, der als Herausgeber der „Allgemeinen Zeitung des Judentums" beträchtlichen Einfluß auf die Meinungsbildung im liberalen Judentum hatte. Geiger beklagte, daß die Gelehrtenrepublik irreparablen Schaden nehme, wenn „mutwillig alle internationalen Bande" zerschnitten werden würden. 73 Wie viel er auch an den Handlungen englischer und französischer Wissenschaftler auszusetzen hatte, fand er es doch unangebracht, daß deutsche Gelehrte ihre im Ausland empfangenen akademischen Würden zurückgaben. Als geradezu lächerlich beurteilte er den Versuch völkischer Kreise, die deutsche Sprache von Fremdwörtern zu reinigen, da hoffentlich auch „in Zukunft die Welt nicht durch chinesische Mauern getrennt sein wird". 74 Dennoch hatten schon in der xenophoben Stimmung der ersten Kriegswochen, in der man Ausländer ohne viel Federlesens internierte, antisemitische Vorstellungen eine gewisse Konjunktur. Der Marburger Altphilologe, populärwissenschaftliche Erfolgsautor und fleißige Kriegspublizist Theodor Birt ließ etwa in der Vertrautheit seines am 31. Juli 1914 begonnenen Tagebuchs seinen antisemitischen Ansichten freien Lauf. Despektierlich bemerkte er anläßlich der anberaumten Einquartierungen in der Universitätsstadt, wie „opferfreudig" doch „das feine humane Judentum" sei. 75 Mit der sich verschlechternden Kriegssituation und der immer prekäreren Versorgungslage gewannen antisemitische Organisationen rasch an Einfluß. In einer Vielzahl von Flugblättern und Pamphleten bestritt man, daß die Juden jemals vollwertige Mitglieder der deutschen Nation werden könnten, und schürte Zweifel an ihrer Vaterlandsliebe. 76 Besonders infam war der durch nichts gerechtfertigte Vorwurf .jüdischer Feigheit vor dem Feind". Den immer lauter und aggressiver verkündeten völkischen Parolen begegnete das liberale Judentum mit Appellen und aufklärerischen Broschüren, die allerdings kaum sichtbare Früchte trugen.

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Geiger, Krieg, S. 6.

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Ebd., S. 8. Eine ähnliche Haltung legte auch Joseph Wohlgemuth an den Tag, der für gewöhnlich die unverrückbare Vaterlandsliebe des gesetzestreuen Judentums betonte. Mit Nachdruck wandte er sich in seinem Aufsatz „Das große Hassen" (Jeschurun 1 [1914], S. 4 1 5 - 4 2 6 , hier S. 420) gegen „die Versuche der Herren Professoren, den Engländern jede größere Bedeutung für die Kultur der Menschheit abzusprechen".

75

Andrea Wettmann, „Die Kriegstagebücher Theodor Birts", in: HJL 44 (1994), S. 131-171, hierS. 139; Eintragung vom 17. August 1914. Reiches Material bei Werner Jochmann, „Die Ausbreitung des Antisemitismus", in: Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916-1923. Ein Sammelband, hg. v. Werner E. Mosse unter Mitw. v. Arnold Paucker, Tübingen 1971, S. 4 0 9 510; ferner wichtig: Zechlin, Politik, S. 5 1 8 - 5 2 7 .

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Patriotismus unter schwierigen Bedingungen

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Zu den Hauptthemen antisemitischer Agitation gehörten die Jüdischen Kriegsgesellschaften". 77 Rathenau, der die Organisation der Rohstoffverwaltung übernommen hatte, zog den Haß völkisch-antisemitischer Kreise geradezu magnetisch auf sich. Doch auch höheren Militärs galt es als unschicklich, daß ein Jude eine leitende Stellung im Kriegsministerium übernommen hatte. Am 31. März 1915 trat Rathenau von seinem Amt nach beinahe achtmonatiger erfolgreicher Tätigkeit zurück, weil er die verstärkte planwirtschaftliche Kontrolle der Kriegsgesellschaften nicht mittragen wollte. Weiterhin bemühte er sich, in Büchern, Denkschriften und öffentlichen Erklärungen der „deutschen Sache" zu dienen. Aber seine illusionslose Sicht der Dinge wurde mit zunehmender Kriegsdauer eher noch unpopulärer. Ähnlich unbeliebt wie Rathenau war vermutlich nur noch Reichskanzler Bethmann Hollweg, der sein Möglichstes zur Wahrung gewisser Friedensoptionen tat. Seine Ablehnung allzu kühner Expansionspläne trug ihm den geballten Haß der politischen Rechten ein, die ihn als „Judenkanzler" und „Erfüllungsgehilfen" der Alliierten diffamierte. 78 Hingegen besaß er im liberalen deutschen Judentum große Sympathien und sein erzwungener Rücktritt im Juli 1917 wurde weithin bedauert. Franz Rosenzweig äußerte gegenüber Eugen Rosenstock-Huessy pointiert, Deutschland werde nach dem Sturz Bethmann Hollwegs ,„eine bloße Hindenburg und ein einziges Ludendorff werden'". 79 Doch sollte das lässige Wortspiel nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Reichskanzler für Rosenzweig der einzige Hoffnungsträger in der deutschen Politik war. Der junge Gelehrte schätzte Bethmann Hollweg zum einen, weil er für einen „Verständigungsfrieden" eintrat, zum anderen, weil er sich mit ganzer

Zum Folgenden: Ernst Schulin, Walther Rathenau. Repräsentant, Kritiker und Opfer seiner Zeit, Göttingen 1979, S. 6 2 - 7 5 , und Fritz Stern, „Walther Rathenau. Der Weg in die Politik", in: Ders., Verspielte Größe. Essays zur deutschen Geschichte, München 1996, S. 176-213 u. 307 f., hier S. 188-192. Einen guten Überblick über die facettenreiche jüngere Rathenau-Forschung bieten: Tilman Buddensieg u.a., „Ein Mann vieler Eigenschaften" Walther Rathenau und die Kultur der Moderne, Berlin 1990, sowie Hans Wilderotter (Hg.), Die Extreme berühren sich. Walther Rathenau 1867-1922. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums in Zusammenarbeit mit dem Leo Baeck Institut, N e w Yorku. Berlin 1994. Vgl. Konrad H. Jarausch, The Enigmatic Chancellor. Bethmann Hollweg and the Hybris of Imperial Germany, N e w Häven u. London 1973, S. 3 0 8 - 3 5 0 , sowie Günter Wollstein, Theobald von Bethmann Hollweg. Letzter Erbe Bismarcks, erstes Opfer der Dolchstoßlegende, Göttingen usw. 1995, S. 133-142. Zit. nach: Eugen Rosenstock-Huessy, Dienst auf dem Planeten. Kurzweil und Langeweile im Dritten Jahrtausend. Mit Dokumenten, Stuttgart usw. 1965, S. 104; allgemein zur Beurteilung Bethmann Hollwegs durch Rosenzweig: Meineke, „Life", S. 4 7 2 ^ 7 5 .

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Das deutsche Judentum im Weltkrieg

Kraft dem uneingeschränkten U-Boot-Krieg entgegenstemmte. 80 Dementsprechend pejorativ fiel Rosenzweigs Urteil über die alldeutschen Kampagnen aus, die seiner Meinung nach jeden Realitätssinn vermissen ließen. Ihr Erfolg zeige lediglich, daß die Deutschen durch die unerwartete Dauer des Krieges vollständig überfordert seien. 81 Die hochgradig politisierte Auseinandersetzung um den U-Boot-Krieg fand ebenso wie die ausufernden Kriegszieldiskussionen weitgehend ohne jüdische Beteiligung statt. Die großen Organisationen des deutschen Judentums und ihre herausragenden Intellektuellen schreckten vor der öffentlichen Erörterung der „Schicksalsfragen des deutschen Volkes" zurück. Angesichts des gestiegenen Antisemitismus und des gereizten Diskussionsklimas war dies verständlich und politisch vernünftig. 82 Immerhin solidarisierte sich das „Israelitische Familienblatt" mit den angegriffenen linksliberalen Journalisten des „Berliner Tageblatts" und der „Frankfurter Zeitung", denen antisemitische Kreise fehlende vaterländische Gesinnung vorwarfen. Nicht ohne Süffisanz hieß es im Leitartikel: „Seit wann ist der Krieg mit Unterseeboten eine jüdische Frage?" 83 Privat nahmen jedoch jüdische Intellektuelle dezidierte Einschätzungen der militärischen und politischen Lage vor. Hellsichtig und pessimistisch zugleich äußerte sich Gustav Landauer am 9. Februar 1917 gegenüber seinem Bruder Hugo: „Die Wahrheit ist, daß Deutschland auf dem Wege ist, besiegt zu werden, und daß es jetzt noch den letzten, nach der Überzeugung aller Einsichtigen vergeblichen Versuch macht, außerhalb des Völkerrechts zu siegen." Dem korrespondierte seine harsche Kritik der politischen Entscheidungsträger, die lieber den Krieg in die Länge zogen, als die Bevölkerung über den Ernst der Lage zu informieren. 84 80

Dies betont zu Recht: Paul R. Mendes-Flohr, „Franz Rosenzweig and the Crisis of Historicism", in: Ders. (Hg.), The Philosophy of Franz Rosenzweig, Hanover u. London 1987, S. 138-161 u. 2 3 5 - 2 4 2 , hier S. 153 f.; zum politischen Kontext vgl. Pulzer, Jews, S. 200 f.

81

Vgl. Rosenzweigs Schreiben an seine Eltern vom 17. Oktober 1916, worin es heißt: „Daß alles gegen Bethmann geifert, ist eben der Beweis dafür, was für eine Menschensorte der deutsche Durchschnitt ist. Freilich ist das Ganze auch ein Stück Kriegspsychose: ich habe ja die Stimmung in Deutschland gesehen. Das sind die Leute, die auf einen Krieg ä la 66 oder 70 rechneten." (Franz Rosenzweig, Briefe und Tagebücher, hg. v. Rachel Rosenzweig u. Edith Rosenzweig unter Mitw. v. Bernhard Caspar, 2 Bde., Den Haag 1976 u. 1979, hier Bd. 1, S. 422).

82

Prinzipielle Zurückhaltung in der Erörterung des U-Boot-Kriegs herrschte unter Intellektuellen gewiß nicht, wie bereits Schwabe, Wissenschaft, S. 9 5 - 1 2 4 , nachgewiesen hat.

83

Art. „Schützengrabengeist", in: IF Nr. 12 vom 23. Mai 1916, S. 1 f., hier S. 1.

84

Gustav Landauer, Sein Lebensgang in Briefen. Unter Mitw. v. Ina BritschgiSchimmer hg. v. Martin Buber, 2 Bde., Frankfurt am Main 1929, hier Bd. 2, S. 174 ff., Z i t a t s . 174 f.

Patriotismus unter schwierigen Bedingungen

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Auch Rathenau ließ sich nicht zu einer übertriebenen Einschätzung der Erfolgsaussichten des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs hinreißen. Angesichts der mutmaßlichen Folgen verglich er den forcierten Krieg gegen England mit „dem Sprunge über eine Kluft", der „nur gelingt, wenn er mit 100 Prozent gelingt". 85 Freilich war Rathenaus skeptisch-realistische Sicht der Dinge beileibe nicht allen Verantwortlichen gegeben. Selbst ein so nüchterner Organisator wie der Hamburger Reeder Albert Ballin setzte seine ganzen Hoffnungen in die Zerstörung der englischen Flotte und brach mit Rathenau, der sich dieser Einschätzung nicht anschloß. Max Warburg glaubte so fest an den Erfolg der „deutschen Sache", daß er den befreundeten amerikanischen Bankier Jakob Schiff sogar zum Kauf deutscher Kriegsanleihen zu überreden versuchte. 86 Freilich sind die Einschätzungen von Albert Ballin und Max Warburg für die politischen Entscheidungsträger des deutschen Judentums nicht repräsentativ. Letztlich überwog die Skepsis hinsichtlich allzu kühner Kriegszielvorstellungen, die schon allein dadurch diskreditiert wurden, daß die Alldeutschen zu ihren eifrigsten Propagandisten gehörten. 87 Generell wurde die Kriegsrealität immer bedrückender, und es verringerte sich die Zahl der Ereignisse, an die sich begründete Hoffnungen knüpfen ließen. Gewiß schien kurzfristig die Russische Revolution die Kriegslage entscheidend zu bessern, doch änderte letztlich auch der Frieden von Brest-Litowsk nichts an der Tatsache, daß der Krieg im Westen entschieden werden würde. Auch die Balfour-Erklärung am 2. November 1917 eröffnete für das deutsche Judentum vorerst keine neuen Perspektiven. Schließlich war die „Hohe Pforte" Berlins Verbündeter, und die „Jungtürken" genossen schon seit längerem die Sympathien vieler deutscher Zionisten. Überdies stand für die meisten zionistischen Intellektuellen in Deutschland das Bekenntnis zum Vaterland außer Frage. 88 Ange85

So Rathenau pointiert in seinem Schreiben an Korvettenkapitän Fritz Brehmer vom 6. Februar 1917; Walther Rathenau, Politische Briefe, Dresden 1929, S. 99; zum Kontext: James Joll, „Prophet ohne Wirkung. Eine biographische Skizze", in: Walther Rathenau, Tagebuch 1907 - 1922, hg. u. kommentiert v. Hartmut Pogge von Strandmann, Düsseldorf 1967, S. 15-53, hier S. 35 f., und Schulin, Rathenau, S. 8 8 - 9 1 .

86

Vgl. die Korrespondenz der beiden einflußreichen Bankiers AJA Cincinnati, Jakob H. Schiff Papers, Box 440, Folder 7 u. 8. Zu Ballin: Pulzer, Jews, S. 202, und mit positiverer Akzentuierung: Lamar Cecil, Albert Ballin. Wirtschaft und Politik im deutschen Kaiserreich, Hamburg 1969. Pulzer, „Weltkrieg", S. 372. Vgl. etwa die wohlwollende Bewertung Kemal Paschas in: Richard Lichtheim, Rückkehr. Lebenserinnerungen aus der Frühzeit des deutschen Zionismus, Stuttgart 1970, S. 181-185; allgemein zur verwickelten Lage im Vorderen Orient: Isaiah Friedmann, Germany, Turkey, and Zionism 1897-1918, Oxford 1977, sowie nach wie vor Leonard Stein, The Balfour Declaration, London 1961; die Handlungsoptionen deutscher Zionisten skizziert: Magill, Defense, S. 340 f.

87 88

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Das deutsche Judentum im Weltkrieg

sichts der ungeklärten Lage in Palästina und der Vielzahl potentieller internationaler Verwicklungen reagierten sie vorsichtiger und zurückhaltender auf die Balfour-Erklärung, als ihre nachträglichen Memoiren vermitteln sollen. Hierbei handelte es sich jedoch eher um ein sorgfaltig kalkuliertes Verhalten als um ein „Angstschweigen", wie der expressionistische Dichter Karl Wolfskehl gegenüber Buber mutmaßte. 8 9 Denn auf lange Sicht schien es gewiß, daß der Zionismus durch die BalfourErklärung an politischem Gewicht gewinnen werde. Dem entsprach auch die Mehrzahl der Artikel in dec zionistischen Presse. So betonte die „Jüdische Rundschau" am 14. Dezember 1917 nachdrücklich, welche Bedeutung Jerusalem für das jüdische Volk zukomme. 9 0 Für die Mehrzahl der deutschen Juden blieb indes der Ausgang des Weltkrieges entscheidend: ihr Patriotismus galt seit den Augusttagen Armee und Kaiser. In vielen Familien hingen Landkarten an der Wand, auf denen man mit Stecknadeln die Erfolge des deutschen Heeres markierte. 91 Ausführlich berichteten die großen jüdischen Zeitungen über die militärische Lage, warben in großformatigen Anzeigen für das Zeichnen der Kriegsanleihen und hielten sich an die Vorgaben der Zensur. Besonders herausgestellt wurden die Leistungen deutscher Juden und die militärischen Auszeichnungen, die sie entgegennahmen. In Ehrentafeln und Nachrufen gedachte man der Gefallenen. Eine Untersuchung des jüdischen Kriegsschrifttums zeigt ebenso stilistische Konventionalität wie inhaltliche Anpassungsbereitschaft. Beispielsweise mied Eugen Tannenbaum in seiner Ausgabe von Kriegsbriefen jüdischer Soldaten jeden Hinweis auf Antisemitismus. Bereits die einleitenden Worte machen aus heutiger Perspektive den hagiographischen Charakter der Edition hinreichend deutlich: „Aus allen Briefen, die die vorliegende Sammlung vereint, spricht der Geist des althebräischen Gebetes, in dem der fromme Jude Gott preist, daß er ihn diese Zeit habe erleben lassen. Es sind Zeugnisse von Helden, die in einem heiligen Kampf stehen." 92 89

Schreiben Wolfskehls vom 10. Dezember 1917; Buber, Briefwechsel, Bd. 1, S. 517 f., hier S. 518. Als Kontrast vgl. die glorifizierenden Erinnerungen von Egon Zeitlin, HL Harvard bMS Ger 91 (252), S. 25; Georg Herlitz, Mein Weg nach Jerusalem. Erinnerungen eines zionistischen Beamten, Jerusalem 1964, S. 97, und Lichtheim, Rückkehr, S. 373.

90

Art. „Jerusalem", in: JR Nr. 50 vom 14. Dezember 1911, S. 401. Dazu die eindrucksvollen Memoiren von Hans Hamburger (LBI N e w York ME 253, S. 8), und Simon Hayum (LBI N e w York ME 560, S. 45^18). Dokumentarisches Anschauungsmaterial enthält das „Tagebuch" von Max Nassauer (LBI N e w York AR 4873), in das zahlreiche Zeitungsartikel, Photos und Karikaturen eingeklebt sind.

91

92

Eugen Tannenbaum (Hg.), Kriegsbriefe Deutscher Berlin 1915, Vorwort [ohne Seitenangabe].

und österreichischer

Juden,

Patriotismus unter schwierigen Bedingungen

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Die häufig gekürzten und bisweilen anonymisierten Schreiben enthalten sich beinahe jeglicher Kritik an den an der Front herrschenden Zuständen. Lediglich ein Soldat bemängelte die Unzuverlässigkeit der Feldpost, und ein anderer streifte die Schwierigkeit koscherer Ernährung. 9 3 Generell fühlten sich viele jüdische Akademiker an der „Heimatfront" zu patriotischem Engagement verpflichtet. Vor allem die als untauglich Ausgemusterten suchten ihr „Mißgeschick", das sie häufig als soziale Degradierung erlebten, mit anfeuernden Publikationen auszugleichen. Insbesondere galt es natürlich für die Mitglieder jüdischer Studentenorganisationen, einen schneidigen Stil an den Tag zu legen. In diesem Geist widmete Fritz Hirschfeld von der Leipziger Saxobavaria seiner „Activitas" das Gedicht „Burschen heraus!": „Wenn es gilt fürs Vaterland, Treu die Klingen dann zur Hand; Dann heraus und fragt nicht viel, Wär es auch zum letzten Spiel. Burschen heraus!" 9 4 Der „Kriegsdienst mit der Feder", den jüdische Akademiker leisteten, galt nicht zuletzt der Entkräftung der alliierten Propaganda. Der aus Galizien stammende Publizist Binjamin Segel wagte die Behauptung, daß es in England und Frankreich niemals zu einer nennenswerten Judenemanzipation gekommen sei. Noch weit schlimmer sei es um die Situation der Juden im zaristischen Rußland bestellt, wo der Staat einen „offen eingestandenen Vernichtungskrieg" gegen die Juden führe. 9 5 Im Gegenzug verharmloste Segel den deutschen Antisemitismus und unterstrich die Bedeutung der Bildungsidee für die wilhelminische Gesellschaft. Der Zar strebe hingegen nach vollständiger Abhängigkeit seiner Untertanen und

93

94

95

Vgl. das undatierte Schreiben von „Baal Milchomo N." an einen unbekannten Empfänger (ebd., S. 11-14, hier S. 11 f.), sowie das Schreiben an „Herrn S." vom 28. September 1914 (ebd., S. 4 9 - 5 7 , hier S. 50 f.). Eine eingehende Analyse jüdischer Soldatenbriefe folgt in Kap. 4.1. Es ist abgedruckt in Hirschfelds Artikel „Der K.C. im Kampfe fürs Vaterland" (K.C.-Blätter 5 [1914/16], S. 263). - Zugleich erinnerte das Gedicht an die demokratische Tradition der deutschen Studentenschaft. Es lehnte sich eng an die dritte Strophe des bekannten Studentenlieds „Burschen heraus!" an, das Franz von Kobell 1844 verfaßt hatte; vgl. Allgemeines Deutsches Kommersbuch. 1858 begründet von Hermann Schauenburg [...], 160. Aufl. Lahr 1990, S. 189. Binjamin Segel, Der Weltkrieg und das Schicksal der Juden. Stimme eines galizischen Juden an seine Glaubensgenossen in den neutralen Ländern insbesondere in Amerika, 3. Aufl. Berlin 1915, S. 20. Die Auflagenhöhe von Segels Kriegsschriften, die zumeist aus Aufsatzserien für die Zeitschrift „Ost und West" hervorgegangen waren, lag zwischen fünf- und zwölftausend; detailliert zu Segels Kriegspublizistik: David Brenner, Marketing ¡dentities, S. 1 4 5 - 1 5 8 u. 2 1 3 - 2 1 6 .

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Das deutsche Judentum im Weltkrieg

betrachte deshalb Schulen als „Teufelswerk".96 Obwohl England die Hauptschuld am Kriegsausbruch trage, sei Rußland mit besonderer Vehemenz zu bekämpfen. Denn der Aufschwung des Antisemitismus - vom Dreyfus-Skandal bis hin zu den Ausschreitungen in Südwales (!) - werde „durch russisches Geld finanziert". Derlei verschwörungstheoretische Konstrukte bildeten in der jüdischen Kriegsliteratur jedoch die Ausnahme. Viel verbreiteter waren Formen des Wunschdenkens, die sich nicht nur auf die Einschätzung der militärischen Lage, sondern auch auf den Wert der Weltkriegsliteratur bezogen. Der Bonner Rabbiner und Gelehrte Emil Cohn, der mit den veröffentlichten Gedichten der ersten Kriegsmonate nicht viel anzufangen wußte, tröstete sich mit dem Gedanken, daß erst die Nachwelt die bedeutenden Werke der „Namenlosen" erkennen werde. In ungewöhnlichen Bildern wagte er eine Charakterisierung dieser Dichtung: „Es wird die Poesie der Schützengräben sein mit der langen Wacht ihrer Tage und Nächte, die Poesie der Flieger, die übers blaue Weltmeer fliegen, und die Poesie der Unterseeboote, die mit Hai und Rochen um Korallenriffe huschen."97 Gleichzeitig favorisierten jüdische Autoren eine „argumentative Weltkriegsliteratur", die den Alliierten vorrechnete, wie gering ihre Chancen auf einen erfolgreichen Ausgang der Kämpfe seien. Zum Beweis dieser These bemühte man indes nicht nur harte militärische Fakten, sondern auch deutsche Tugenden wie Tapferkeit und Treue und die preußische militärische Tradition. Ein Kuriosum war die Analyse des langjährigen Schachweltmeisters Emanuel Lasker, der den Feinden Deutschlands riet, die ungleiche Auseinandersetzung beizeiten aufzugeben: für den Verfasser einer „Philosophie des Kampfes" gewiß eine kühne Volte.98 Zu den wichtigsten Multiplikatoren jüdischer Kriegslyrik zählte der Schriftsteller und Literaturkritiker Julius Bab. Bab, der sich darüber im klaren war, daß sich das Niveau der zeitgenössischen Gedichte nicht entfernt mit den Produkten der Befreiungskriege vergleichen ließ, gab verschiedene Anthologien heraus. Am bekanntesten wurde die Sammlung Der Deutsche Krieg im Deutschen Gedicht, an der auch die herausragenden Exponenten der Arbeiterdichtung Karl Bröger und Heinrich Lersch mitwirkten. Mit großer Sorgfalt hatte Bab seine Auswahl vorgenommen,

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Segel, Weltkrieg,

97

Emil Cohn, Kriegerische Volkspoesie, Bonn 1915, S. 27. Emanuel Lasker, Die Selbsttäuschungen unserer Feinde, Berlin o.J. [1916]. Ausführlich zu Laskers Weltkriegspublizistik: Michael Dreyer, „Zwischen Pragmatismus und Prinzip: Emanuel Laskers politisches Denken", in: Ders. u. Ulrich Sieg (Hgg.), Emanuel Lasker - Schach, Philosophie, Wissenschaft, Berlin u. Wien 2001, S. 187-232, hier S. 2 0 7 - 2 1 2 .

98

S. 48; ebd., 122 f., das folgende Zitat.

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die in der Tat wenig ephemere Gedichte enthält." Der Akzent der Anthologie, die jüdische Dichter bevorzugt zu Wort kommen läßt, liegt auf den ersten Kriegsmonaten. Überschwengliche Begeisterung und heroisches Pathos sucht man zumeist vergeblich, statt dessen schildern eine Vielzahl elegischer Gedichte das Leid, das der Krieg über die Menschen bringt. 100 In Babs eigenen Gedichten überwogen gleichfalls die nachdenklichen Töne. Dem Ausgang der Kämpfe maß er vergleichsweise geringe Bedeutung zu, vielmehr wurde der Krieg als Unglück schlechthin aufgefaßt. So endete das im Mai 1915 verfaßte Gedicht „Der verlorene Frühling" mit den Zeilen: „Es dröhnt der Krieg, der keinen Frühling duldet / verzeih Gott allen, die da Krieg verschuldet!" 101 Immer wieder scheint in Babs Lyrik das Motiv der „Vergänglichkeit" auf - auch und gerade wenn die Flüchtigkeit menschlicher Existenz mit dem Rhythmus der Natur verglichen wird. Selbst der Schützengraben wird für Bab zum Ort der Besinnung: „Und ich neig mein Gesicht tief in die erdige Kühle: , Gütige Mutter, ich fühle du - du bist feindlich uns nicht!'" 102 Babs Gedichte handeln ausgesprochen selten von jüdischen Themen. Vielmehr drückt sich in ihnen eine pantheistische und nicht selten fatalistische Haltung aus, die unter den Angehörigen aller Konfessionen im Ersten Weltkrieg verbreitet war. 103 Die Vergänglichkeit menschlichen Daseins ist auch das Thema des „Österreichischen Reiterlieds" von Hugo Zuckermann, dessen Autor 99

1914. Der Deutsche Krieg im Deutschen Gedicht, 12 Hefte, ausgew. v. Julius Bab, Berlin o.J. [1914-1919]. Im Nachwort des ersten Heftes, ebd., S. 48, hatte Bab seine Leser angesichts der Flut minderwertiger Literatur dazu aufgefordert, ihm von nun an „recht viel Lesefrüchte und recht wenig Selbstgeschaffenes senden zu wollen". Generell zu Babs Anthologie: Friedrich Wilhelm Kantzenbach, „Religiöse Aspekte der sogenannten Kriegslyrik unter Berücksichtigung des literarischen Expressionismus", in: ZRGG 41 (1989), S. 3 4 0 - 3 6 1 , hier S. 345 f.

100

Zu Babs Ansichten über die hohe Bedeutung der Juden für die deutsche Literatur vgl. sein Manuskript aus dem Jahre 1917 „Der Anteil der Juden an der deutschen Dichtung der Gegenwart", LBI N e w York AR 2885, I E 1 - 3 . Den ideengeschichtlichen Kontext betrachtet: Elisabeth Albanis, German-Jewish Cultural Identity from 1900 to the aftermath of the First World War, phil. Diss., Oxford 1999, S. 181-194.

101

Abgedruckt: Bab, Menschenstimme, S. 30 f., hier S. 31. Eingehend zu Babs Kriegsgedichten: Sylvia Rogge-Gau, Die doppelte Wurzel des Daseins. Julius Bab und der Jüdische Kulturbund Berlin, Berlin 1999, S. 3 2 - 4 0 , die allerdings die elegische Stimmung seiner Lyrik vernachlässigt. Bab, Menschenstimme, S. 34, Gedicht „Beim Aufwerfen eines Schützengrabens". Näheres dazu unten Kap. 4.1.

102 103

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gleichsam über Nacht berühmt wurde. Es beginnt mit den melancholischen Versen „Drüben am Wiesenrand / Hocken zwei Dohlen - / Fall ich am Donaustrand? / Sterb' ich in Polen?" und mündete in der Verklärung militärischen Erfolgs und soldatischer Schicksalsergebenheit „Es ist nicht schad'! / Seh' ich nur unsere Fahnen wehen / auf Beigerad!". 104 Die ungeheure Beliebtheit dieses Gedichts wurde durch die Tatsache begünstigt, daß sein Verfasser, ein österreichischer Rechtsanwalt und Reserveoffizier, bereits Ende 1914 an den Folgen einer Kriegsverletzung gestorben war. 105 Hier lag scheinbar jene Deckungsgleichheit von Leben und Werk vor, die das bürgerliche Kunstverständnis von jeher favorisierte. Tatsächlich war Zuckermann jedoch nicht, wie vielfach kolportiert, einer Kriegsverletzung erlegen, sondern im Spital an Typhus gestorben. Das „Österreichische Reiterlied" stammte bereits aus dem Jahre 1913 und seine düstere Todessymbolik verdankte sich keineswegs „authentischem Kriegserleben". 106 Es fehlte allerdings ebenso jene Anbiederung an den heroischen Zeitgeschmack, die den Großteil der Kriegsgedichte künstlerisch wertlos machte. Dies gilt auch für Zuckermanns eigene Verse. So endete sein Gedicht „Makkabäer 5675" mit der sprachlich anspruchslosen Strophe: „Euer Leben, daß nicht sterbe Väterart und Vätererbe. Macht den Tempel wieder rein, Laßt uns Makkabäer sein!" 107 Weit wichtiger als die gelungene poetische Form war für die Zionisten die heroische Gesinnung Zuckermanns, mußten sie doch immer wieder mit dem Vorurteil kämpfen, es mit der Vaterlandsliebe nicht so genau zu nehmen. Nicht zufällig rückten sie deshalb sein studentisches Engagement für den Zionismus in den Vordergrund. Andererseits bemängelten sie nicht zu Unrecht, daß Jüdische Organe nichtzionistischer Tendenz" die Weltanschauung Zuckermanns verschwiegen. 108 Die Verehrung blieb jedenfalls ungebrochen: Noch 1927 nannte das „Jüdische Lexikon" Zuk-

104

105

Zit. nach: ¡914. Der Deutsche Krieg im Deutschen Gedicht, H. 1: „Aufbruch und Anfang", ausgew. v. Julius Bab, Berlin o.J. [1914], S. 15. Dies gilt etwa für Victor Klemperer, den die Nachricht von Zuckermanns Tod in der Auffassung bestätigte, daß „wir ihm [...] das beste Kriegsgedicht verdankten"; Klemperer, Curriculum vitae, S. 252. Aufschlußreich zur Rezeption des „Reiterlieds" ist der Artikel „Eine Perle der Kriegslyrik" ( M V A A Nr. 14/15 vom 14. Juli 1915, S. 8 f.), der sich gegen die antisemitische Verunglimpfung des Gedichts wendet.

106

Vgl. Klemperer, Curriculum

107

Zit. nach JR Nr. 2 vom 8. Januar 1915, S. 11. Art. „Hugo Zuckermann", in: JRNr. 4 vom 22. Januar 1915, S. 34.

108

vitae, S. 283 f.

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kermanns „Reiterlied" das „schönste deutsche Soldatenlied des Krieges". 109 Paradigmatischen Charakter spricht man bis auf den heutigen Tag Ernst Lissauers „Haßgesang gegen England" zu und verweist auf den überwältigenden Erfolg dieses Gedichts. 110 Doch so groß die Popularität dieser Zeilen war, so strittig dürfte ihre Repräsentativität für das deutsche Judentum sein. Denn England war keineswegs der Hauptfeind deutscher Juden, die vielmehr in der zaristischen Despotie den großen Unterdrücker des Ostjudentums bekämpften. Außerdem sollte berücksichtigt werden, daß die englandfeindlichen Stereotypen, die auf die materialistische Gesinnung der „Händlernation" abhoben, unverkennbare Verwandtschaft mit antisemitischen Feindbildern aufwiesen. Dementsprechend vorsichtig agierten die Redaktionen jüdischer Zeitschriften. Als beispielsweise der Fürther Gelehrte Adam Feilchenfeld 1916 Englands Politik mit der Skrupellosigkeit des antiken Tyrus verglich, betonte der Herausgeber von „Jeschurun", daß er dem „grassierenden Engländerhaß" keinerlei Sympathien entgegenbringe. 111 Der „Fall Lissauer" liegt komplizierter, als gemeinhin angenommen wird. 112 Von Haus aus ein sensibler Lyriker, gehören die meisten seiner Publikationen zwischen 1914 und 1918 in den Bereich der künstlerisch wertlosen Kriegsliteratur. Das heißt jedoch keineswegs, daß sie ohne innere Anteilnahme geschrieben wurden. Selbst der so monolithisch wirkende „Haßgesang" ist nicht zuletzt ein persönlicher Ausdruck der Enttäuschung über Englands Kriegseintritt. 113 Lissauer stammte aus einer Berliner jüdischen Familie, die sich sehr um Akkulturation bemühte. Bei 109

Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen IVissens in 4 Bänden, begründet v. Georg Herlitz u. Bruno Kirschner, N D Frankfurt am Main 1982 [zuerst Berlin 1927], Bd. 4/2, Sp. 1638.

110

Zuletzt Erik Lindner, Patriotismus deutscher Juden von der napoleonischen Ära bis zum Kaiserreich. Zwischen korporativem Loyalismus und individueller deutsch-jüdischer Identität, Frankfurt am Main usw. 1997, S. 10. - Der „Haßgesang" erschien als erstes Blatt der Lissauerschen Flugschriften Worte in die Zeit, eine Veröffentlichungsform, die von vornherein eine größere Leserschar anvisierte.

111

A[dam] Feilchenfeld, „Kulturhöhe und Fall einer Weltmacht", in: Jeschurun 3 (1916), S. 2 3 5 - 2 4 2 , hierS. 236, Anm. 1. Nuanciert zu Biographie und Wirkungsgeschichte: Elisabeth Albanis, „Ostracised for Loyality: Ernst Lissauer's Propaganda Writing and its Reception", in: LBIYB 43 (1998), S. 195-224. - Für den Einblick in das seinerzeit noch ungedruckte Manuskript danke ich Elisabeth Albanis, St. John's College Oxford.

1,2

113

LBI N e w York AR 1735, 15. Tagebuch, S. 161 f., Eintragung vom 30. Juli 1914. Ähnlich äußerte sich Lissauer im nachhinein auch öffentlich, vgl. etwa seinen Brief an Reinhard Weer im „Acht-Uhr-Tageblatt" Nr. 279 vom 8. Dezember 1919, wiedergegeben in: Guido K. Brand, Ernst Lissauer, Stuttgart u. Berlin 1923, S. 6 6 - 7 0 .

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Kriegsausbruch empfand er es als Demütigung, daß es ihm nicht gestattet wurde, als Freiwilliger an die Front zu gehen. Äußerlich alles andere als „schneidig", rühmte der dickleibige Lissauer das Preußen Friedrichs II. mit seinen martialischen Tugenden. In seinem Gedicht „Glaube" heißt es etwa apodiktisch: „Gott / Ist mit den stärksten Bataillonen, f...] Er redet im Getöse der Kanonen, [...] Und gibt den Mächtigen die Macht." 114 Andere Gedichte Lissauers sind von einem starken Gefühl der Vergänglichkeit durchdrungen, und seine Tagebücher spiegeln nicht nur den überwältigenden Patriotismus, sondern auch die Trauer und innere Zerrissenheit ihres Autors. Homer, Pindar und die Bibel bestätigten ihm wie die deutschen Klassiker seine Auffassung vom flüchtigen Charakter menschlichen Daseins. Sein synkretistisches Religionsverständnis bemühte sich darum, bei Anerkennung der eigenen jüdischen Wurzeln auch dem Christentum gerecht zu werden. Der mit ihm befreundete protestantische Theologe Heinrich Meyer-Benfey nannte Lissauer einmal wohlwollend, aber nicht unzutreffend, einen „Gottkünder von ausgeprägter Eigenart". 115 Allerdings war Lissauer ein Meister darin, seine Empfindsamkeit zu verdecken. Immer wieder stilisierte er rückwirkend die ersten Augusttage, und dieses Bild schob sich vor die einst erlebte Realität. So verfaßte er neben anderen prominenten deutschen Dichtern wie Wedekind und Hauptmann einen Beitrag für die „Berliner Zeitung", der unter dem thematischen Motto „Die tiefsten Eindrücke der zwei Kriegsjahre" stand. Hierin verherrlichte er die Leuchtkraft der ersten Wochen nach Ausbruch des Krieges" und nannte diese Zeit in bewußter Überhöhung einen Jahrtausend-Augenblick:".116 In der linksliberalen „Vossischen Zeitung" rühmte er die „überpersönliche Macht" der Gemeinschaft und den Sinn jeder „organischen Gliederung" der Menschheit. 117 Und noch im September 1917 wußte er in einer Soldatenzeitung, die glorreichen Aussichten der Gegenwart hervorzuheben. Freilich legt sein Ratschlag, die „Nähe des Tages" mit der „Weite der Geschichte" einzutauschen, die Vermutung nahe, daß es mit der Stimmung an der Front nicht mehr zum besten bestellt war. Lissauer betonte denn auch die Bedeutung von „Willen, Pflichtge-

114

1,5

116

117

Lissauer, Worte in die Zeit. Drittes Blatt; vgl. auch ebd. den propagandistischen Text „Über Friedrich den Großen", der eine Parallele zur Situation Preußens im Siebenjährigen Krieg herstellt. Heinrich Meyer-Benfey, „Ernst Lissauer als religiöser Dichter", in: ChW 32 (1918), Sp. 8 6 - 9 1 , hier Sp. 86. BZ am Mittag Nr. 176 vom 29. Juli 1916, 1. Beiblatt. In kühner Diktion heißt es dort weiter: „Auf Minuten voll Ewigkeit weht die Geschichte uns so lebhaft an, wie ein Nordost, der um die Straßenecke rauscht." Ernst Lissauer, „Gefühl der Gesamtheit", in: Vossische Zeitung vom 6. April 1916. Generell zur Bedeutung der „Gemeinschaft" für nationalistische Weltkriegsideologien: George Mosse, Gefallen für das Vaterland. Nationales Heldentum und namenloses Sterben, Stuttgart 1993, S. 82 f.

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fühl und Disziplin", die längst an die Stelle des „enthusiastischen Rausch[es]" der ersten Kriegstage getreten seien." 8 Lissauer wußte, daß sein berühmter „Haßgesang" künstlerisch wenig bedeutsam war, doch begrüßte er seine politische Wirkung. Seinen Ruhm freilich konnte er nicht recht genießen, weil die ihm am Herzen liegenden Werke auch weiterhin kaum Leser f a n d e n . " 9 Allenthalben galt Lissauer als der Dichter, der die vernichtenden Worte über England geschrieben hatte und die Sympathie des Kaisers genoß. Von alldeutscher Seite trug ihm dies eine Vielzahl von Angriffen ein, und selbst viele Juden vertraten die Ansicht, daß er seine vaterländischen Gefühle zu plakativ geäußert habe. In gewisser Hinsicht stellte Lissauers „Haßgesang" einen Tabubruch dar, sprach er doch England die Zugehörigkeit zu den europäischen Kulturnationen ab. Dies war unvereinbar mit der in Deutschland vorherrschenden Stilisierung des Krieges, die - in pointierter Abgrenzung zu den „Barbarei-Vorwürfen" der Alliierten - den ritterlichen Charakter des soldatischen Kampfes in den Vordergrund rückte. Selbst ein ausgesprochen distanzierter Betrachter des Weltkrieges wie der Chefredakteur des „Berliner Tageblatts" Theodor Wolff brachte den soldatischen Tugenden beträchtlichen Respekt entgegen und lehnte jegliche Verteufelung des militärischen Gegners kategorisch ab. Am 9. Februar 1915 notierte er in sein Tagebuch: „Ich habe vor einigen Wochen einen Brief von einem Rittmeister in Westflandern bekommen. Ich kannte ihn gar nicht, aber er hatte gelesen, daß ich gegen den Haß geschrieben hatte, und er schrieb mir: ,Wir kennen hier keinen Haß. Wir achten den Feind, der wie wir seine Pflicht erfüllt.'" 1 2 0 Im jüdischen Bildungsbürgertum glaubten viele, daß Haßtiraden typisch für die alliierte Propaganda seien, und so fiel am Ende die Zahl jener, die Lissauer gegen seine Kritiker in Schutz nahmen, vergleichsweise gering 118

119

120

Ernst Lissauer, „Gedanken über die Grösse der Zeit", in: Front, Jg. 1, H. 12 vom 23. September 1917, S. 2 ff., alle Zitate S. 3. Vgl. seinen Tagebucheintrag vom 26. Juli 1915, LBI N e w York AR 1735, 17. Tagebuch, S. 57: „Ich bin in der seltsamen Lage, meinen eigenen Erfolg und Ruhm selbst zu mißbilligen, weil ich weder den ,Haßgesang' für ein hervorragendes Gedicht halte noch für einen so wesentlichen Bestandteil meiner Dichtung. Es ist bemerkenswert, daß ein moderner Dichter zur Masse spricht, der sich früher vorgesetzt hatte, nicht zur Masse zu sprechen. Es ist gut, daß ein politischer Ton zur nationalen Stimmung wurde. Aber meine eigentliche Dichtung wird nur langsam um sich greifen." Theodor Wolff, Tagebücher 1914-1919. Der Erste Weltkrieg und die Entstehung der Weimarer Republik in Tagebüchern, Leitartikeln und Briefen [...]. Eingel. u. hg. v. Bernd Sösemann, 2 Tie., Boppard am Rhein 1984, hier T. 1, S. 153-164, Z i t a t s . 158.

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aus. Zwar schlugen ihm die Sympathien der jüngeren Generation entgegen, doch die Protagonisten des liberalen Judentums lehnten seine öffentliche Verteidigung ab. Binjamin Segel befragte nicht weniger als sechzig bekannte Persönlichkeiten des deutschen Judentums, die Lissauers „Haßgesang" übereinstimmend als „unjüdisch" beurteilten. 121 Sie übersahen oder vernachlässigten damit allerdings die politische Dimension der Kampagnen gegen Lissauer. Denn schließlich warfen ihm seine antisemitischen Gegner sprachliche Formulierungen und weltanschauliche Inhalte vor, die unter ihresgleichen gängige Münze waren. Trotz aller Anfeindungen stand für Lissauer sein Bekenntnis zu Preußen und Deutschland außer Frage. Er verherrlichte Hindenburg als „Fels in der Brandung" und unterstrich die mythische Bedeutung, die der Feldmarschall für das deutsche Volk habe. 122 Nach dem Zusammenbruch der Front und der Flucht des Kaisers teilte Lissauer die Ideen ultrakonservativer Kreise und setzte seine Hoffnungen in eine überragende Führergestalt. Sein Gedicht „Um Deutschland", dessen Druckfassung er am 29. Dezember 1918 an die befreundete Lyrikerin Ina Seidel schickte, belegt, mit welcher Intensität er diese Vision entwickelte. 123 In jedem Fall erweist sich die Anwendung sozialpsychologischer Kategorien bei Lissauer als hochgradig problematisch. Seine psychische Labilität resultierte keineswegs aus der Größe seines Jüdischen Selbsthasses", sondern ist eine Folge konkreter sozialer Isolierung, und zwar gerade im liberalen Judentum. 124 Die polarisierende Wirkung seines „Haßgesanges" war noch nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung" zu spüren. Der Sozialdemokrat Philipp Loewenfeld verstieg sich in seinen Erinnerungen gar zu der Aussage, Lissauer habe den „deutschen

121

122

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124

Segel, Weltkrieg, S. 143. Die einzige nennenswerte Ausnahme war Ludwig Geiger, der Lissauers Gedicht als „wirklich gewaltige[n] und dabei zugleich höchst poetischen Ausdruck der Entrüstung und Empörung gegen das fluchbeladene Albion" rühmte (Geiger, Krieg, S. 13). Allgemein zur innerjüdischen Beurteilung des „Haßgesangs": George L. Mosse, The Jews and the German War Experience 1914-1918, New York 1977, S. 14. Ernst Lissauer, „Hindenburg", in: Front, Jg. 1, H. 13 vom 30. September 1917, S. 2 ff. Das in der „Vossischen Zeitung" gleichfalls am 29. Dezember erschienene Gedicht gipfelt in den visionären Versen: „Wacht auf! Deutschland verendet, / Am Rand der Geschichte, ein Aas, - / Kommt kein Retter alsbald, / Von Gram hochgewühlt, / Der aufbirst in Gewalt, / Einer, der fühlt und befiehlt." DLA Marbach, Nachlaß Ina Seidel; zur Einordnung vgl. Albanis, „Lissauer's Propaganda Writing", S. 219. Vielleicht geht deshalb Sandor L. Gilman Jüdischer Selbsthaß. Antisemitismus und die verborgene Sprache der Juden (Frankfurt am Main 1993) auf Lissauers Schicksal nicht näher ein.

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Namen mit ewiger Schande" bedeckt. 125 Verständnisvoller zeigte sich der Zionist Sammy Gronemann, für den der „Haßgesang" zwar auch „patriotischer Kitsch uebelster Sorte" war, der jedoch konzedierte, „daß Lissauer in spaeteren Jahren viel darum gegeben haette, wenn seine Autorschaft an diesem Lied vergessen worden waere". 126 Jedenfalls sollte der so häufig herausgestellte Unikatcharakter des „Haßgesangs" nicht überbetont werden. Das wenig originelle Gedicht gehörte einem beliebten Genre an, dem sich auch auf alliierter Seite manch ein Schriftsteller verpflichtet fühlte. 127 Aus heutiger Perspektive liegt die Bedeutung des „Haßgesangs" weniger in seiner unmittelbaren Wirkung im Propagandakrieg als in der verschlungenen Rezeptionsgeschichte, welche die diskursbestimmende Kraft antisemitischer Vorstellungen verdeutlicht. Die meisten Darstellungen der deutsch-jüdischen Geschichte im Ersten Weltkrieg leiden an einer allzu simplen Vorstellung vom jüdischen Patriotismus. Zu wenig bedacht wird, wie kompliziert es war, der eigenen Doppelidentität als Deutscher und Jude im „Krieg der Geister" gerecht zu werden. 128 Mit den heftigen Angriffen gegen Deutschlands „Barbarei" fühlten viele deutsche Juden ihr Selbstverständnis als Mitglied einer alten Kulturnation in Frage gestellt. Gerade die so erfolgreich akkulturierten deutsch-jüdischen Intellektuellen wußten freilich auch, daß ihre Integration in die Mehrheitsgesellschaft unvollständig geblieben war. Dieses Spannungsverhältnis erklärt einen Teil der Gereiztheit und ausladenden Rhetorik ihrer politischen Stellungnahmen. Dies gilt gerade für jene Denker, die fest von der kulturellen Mission Deutschlands überzeugt waren. Jakob Wassermann verglich in einem Schreiben an Frederik van Eeden die neutral gebliebenen Länder mit ,,Aasvögel[n]" und „Hyänen" und sah

125

126

LBI N e w York ME 404, S. 163; ähnlich absprechend Stefan Zweig, Welt, S. 268, der sich rückblickend zu dem apodiktischen Urteil hinreißen ließ: „[DJieser feiste, verblendete kleine Jude Lissauer nahm das Beispiel Hitlers voraus". LBI N e w York ME 203, S. 249.

127

Vgl. dazu Joachim Utz, „Der Erste Weltkrieg im Spiegel des deutschen und englischen Haßgedichts", in: Jan Assmann u. Dietrich Harth (Hgg.), Kultur und Konflikt, Frankfurt am Main 1990, S. 3 7 3 - ^ 1 3 , und Christoph Jahr, ,„Das Krämervolk der eitlen Briten'. Das deutsche Englandfeindbild im Ersten Weltkrieg", in: Ders., U w e Mai u. Kathrin Roller (Hgg.), Feindbilder in der deutschen Geschichte. Studien zur Vorurteilsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1994, S. 115-142.

128

In hohem Maße trifft dies zu für Paul R. Mendes-Flohr, „Im Schatten des Weltkrieges", in: Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo-Baeck-Instituts v. Michael A. Meyer unter Mitw. v. Michael Brenner, Bd. 4: Aufbruch und Zerstörung 1918-1945, v. Avraham Barkai u. Paul Mendes-Flohr. Mit einem Epilog von Steven M. Lowenstein, München 1997, S. 15-36, der das kulturelle Umfeld deutsch-jüdischer Intellektueller beinahe unberücksichtigt läßt und die Kriegsbegeisterung des deutschen Judentums stark überzeichnet.

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Deutschland als „Opfer einer planvollen Verschwörung". 1 2 9 Gleichzeitig überhöhte er den Krieg zu einem apokalyptischen Ereignis, in dem die „Vesten des Planeten wanken". Zu hoher Identifikation mit dem nationalen Wertekanon neigten konvertierte Juden wie Fritz Haber, der seine Forschung am Berliner KaiserWilhelm-Institut ganz in den Dienst des Vaterlandes stellte. So ehrlich wie er den Zusammenbruch der „internationalen Gelehrtenrepublik" bedauerte, so selbstverständlich erschien es ihm, als Wissenschaftsorganisator ausschließlich militärischen Zwecken zu dienen. 130 Der Sprachphilosoph Fritz Mauthner ließ sich in einem Brief an Gustav Landauer vom 15. November 1914 zu dem Urteil hinreißen: „Wenn ich mit einem Fingerdruck England in die Luft sprengen könnte, so täte ich's und wäre glücklich." 1 3 1 Gleichwohl sollten Äußerungen wie diese nicht verabsolutiert werden. Im Schonraum privater Korrespondenz fiel während des Ersten Weltkrieges manches Wort, das den „Hypernationalismus" jeder Bevölkerungsgruppe erweisen könnte. Landauer reagierte jedenfalls zumeist gelassen und wies den Freund immer wieder auf die Abgründe seines politischen Weltbilds hin. 132 Andererseits dürfte es eine aussagekräftige Tatsache sein, daß Mauthners Freundschaft zu dem anarchistischen Feuerkopf Landauer niemals ernsthaft zur Disposition stand. Der Loyalitätsdruck, der bereits im August 1914 das Verhalten der jüdischen Minderheit in Deutschland entscheidend geprägt hatte, nahm im Verlauf des Krieges weiter zu. Bezeichnend für die defensive Argumentation, zu der sich das deutsche Judentum genötigt sah, war es, daß man

129

DLA Marbach, Zeit-Echo; Brief von Anfang Dezember 1914, fol. 2 u. 5; ebd., fol. 9, das nächste Zitat.

130

Dazu differenziert: Fritz Stern, „Freunde im Widerspruch", in: Ders., Verspielte Größe. Essays zur deutschen Geschichte, München 1996, S. 2 1 4 - 2 8 1 u. 3 0 8 315, hier S. 2 4 0 - 2 4 6 . Umfassend und ausgewogen zuletzt: Margit Szöllösi-Janze, Fritz Haber 1868-1934. Eine Biographie, München 1998. Gustav Landauer - Fritz Mauthner. Briefwechsel 1890-1919, bearb. v. Hanna Delf, München 1994, S. 294 f., hier S. 295.

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132

Vgl. etwa Landauers Reaktion auf Mauthners Bergson-Artikel, in dem der französische Denker als „Schneiderlein der philosophischen Mode" abgetan wurde: „Aber warum in aller Welt wirst Du wütend? Auch Nietzsche und Schopenhauer sind Mode geworden, und sind, was sie sind. Bergson ist kein Philosoph, sondern ein philosophischer Forscher; er dürfte keinem höheren Rang angehören als etwa Hermann Lotze. Aber ist das ein Grund, den Sonntagslesern des ,B[erliner] T[ageblatts]' ein Gaudi zu bereiten." (Brief Landauers an Mauthner vom 29. September 1914, ebd., S. 290 ff., hier S. 291). Generell zu den Konfliktlinien in ihrer Korrespondenz: Hanna Delf, ,„Wie steht es mit dem Sozialist?' Sozialismus, Deutschtum, Judentum im Briefwechsel Gustv Landauers und Fritz Mauthners", in: Ludger Heid u. Arnold Paucker (Hgg.), Juden und deutsche Arbeiterbewegung bis 1933. Soziale Utopien und religiös-kulturelle Traditionen, Tübingen 1992, S. 115-132.

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immer wieder auf den eigenen „Blutzoll" hinwies. Auch die Vaterlandsliebe der Juden in den anderen kriegführenden Nationen wurde nie ernsthaft in Frage gestellt. Ein Leitartikel des „Israelitischen Familienblatts" hielt es sogar für die eigentliche Lehre des Weltkrieges, daß „kein internationales Judentum" existiere. 133 N u r wenige jüdische Intellektuelle äußerten sich hingegen öffentlich zu den Loyalitätskonflikten, die der Erste Weltkrieg für das deutsche Judentum beschworen hatte. Einer von ihnen war der pazifistische Sozialdemokrat und leidenschaftliche Kosmopolit Eduard Bernstein. In einem Artikel für die „Friedens-Warte" charakterisierte er jene Gewissensprobleme, die für deutsche Juden daraus erwachsen konnten, daß die demokratischen Nationen England und Frankreich mit der zaristischen Autokratie verbündet waren. Für den im liberalen Judentum vorherrschenden Nationalismus hatte er hingegen angesichts der politischen Verfassung des Kaiserreichs kein Verständnis. Polemisch zitierte er die Definition des englischen Aufklärers Samuel Johnson, wonach Patriotismus ,„[d]ie Ausrede jedes Schurken'" sei. 134 Allein so sympathisch Bernsteins Plädoyer für universale Werte aus heutiger Perspektive auch erscheinen mag, im Ersten Weltkrieg verhallte es fast ungehört.

3.3. Im Schatten der „Judenzählung" Die Diskriminierung der deutschen Juden beim Militär war vor 1914 zwar eine allgemein bekannte, aber keine öffentlich eingestandene Tatsache. Zu schwer wog der fehlende Zugang zu Offiziersehren in einer satisfaktionsfixierten Gesellschaft, als daß dafür seitens der verantwortlichen Regierungsstellen schlechte Gründe hätten vorgebracht werden können. Diesen Umstand stellte das „Berliner Tageblatt" in Rechnung, als es anläßlich der Debatte um jüdische Reserveoffiziere 1905 ebenso provokant wie richtig schrieb: „Denn an Mut fehlt's, nicht bloß im Kriegsministerium, sondern auch bei der reaktionären Presse. Niemand wagt es, sich offen zur Ungerechtigkeit gegen die jüdischen Mann-

133

Hermann Becker, „Was lehrt der Weltkrieg?", in: IF Nr. 4 vom 28. Januar 1915, S. 1 f., hier S. 1; vgl. auch David Rothschild, „Erfahrungen und Gedanken über den Weltkrieg", in: LJ 6 (1914), S. 2 2 1 - 2 2 6 , hier S. 226, der die Geschichte seiner Familie als „Musterbeispiel für die vollständige Nationalisierung der Juden" in Westeuropa darstellt.

134

Eduard Bernstein, „Vom Patriotismus der Juden", in: Friedens-Warte 1 8 ( 1 9 1 6 ) , S. 2 4 3 - 2 4 8 , hier S. 248.

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Schäften zu bekennen. Selbst die ,Kreuzztg.' spricht nur von einer ,angeblich' planmäßigen Zurücksetzung der Juden." 135 Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, daß die seit Kriegsausbruch gegebene Öffnung von Offiziersstellen für jüdische Bewerber im deutschen Judentum auf breite Zustimmung stieß. Zwischen 1914 und 1918 erwarben mehr als zweitausend der etwa einhunderttausend jüdischen Kriegsteilnehmer ein Offizierspatent. 136 Freilich war der Weg dahin dornig, und die Offiziersanwärter wußten von mancher Benachteiligung zu berichten. Privat kritisierte man auch im linksliberalen Lager die an der Front übliche Beförderungspraxis. So schrieb der Kasseler Oberbürgermeister Erich Koch-Weser am 16. Dezember 1914 empört in sein Tagebuch: „Es ist unglaublich, daß es in diesem Kriege etwas derartiges noch gibt." 137 Dies lag nicht zuletzt daran, daß das Offizierskorps der preußischen Armee unverrückt über das Kooptationsrecht verfugte. Bei der Wahl zum Offizier genügte eine einzige „schwarze Kugel", um das Avancement eines mißliebigen Bewerbers zu verhindern. 138 Der jüdische Patriot Kurt Zadig, der mit 18 Jahren zu den Waffen geeilt war, stellte in einem undatierten Feldpostbrief fest, „daß er - trotz ,Offiziers-Kursus' nur zum Vize-Feldwebel befördert wurde". Wie so viele verarbeitete er die Enttäuschung, indem er sich einredete, daß wirkliche Vaterlandsliebe keines äußeren Lohnes bedürfe. 139 Bei den niederen Dienstgraden war die Situation vermutlich weniger spannungsreich: ca. 35.000 Soldaten wurden kriegsdekoriert und 23.000 überhaupt befördert - Quoten, die in etwa dem Durchschnitt entsprachen. Angesichts der Widerstände, die allerdings auch hier der Anerkennung jüdischer Leistung entgegenstanden, 135

BT Nr. 162 vom 29. März 1905, Art. „Parität!"; weiteres Material zu dieser Debatte findet sich: HStA Stuttgart M 1/3, Bü 759. Generell zur jüdischen Benachteiligung beim Militär: Frank Nägler (Bearb.), Deutsche Jüdische Soldaten. Von der Epoche der Emanzipation bis zum Zeitalter der Weltkriege. Eine Ausstellung des Militärgeschichtlichen Forschungsamts [...], Hamburg, Berlin u. Bonn 1996.

136

Detailliertes Zahlenmaterial enthält: Jacob Segall, Die deutschen Juden als Soldaten im Kriege 1914-1918. Eine statistische Studie. Mit einem Vorw. v. Heinrich Silbergleit, Berlin 1921, hier S. 35.

137

Walter Mühlhausen u. Gerhard Papke (Hgg.), Kommunalpolitik krieg. Die Tagebücher Erich Koch-Wesers 1914 bis 1918, S. 138-147, hier S. 145.

138

Vgl. Julius Marx, Kriegs-Tagebuch eines Juden, Zürich 1939, S. 138 f., Eintragung vom 3. November 1916, hier S. 139, der insbesondere den Antisemitismus der frontunerfahrenen Offiziere in den Vordergrund rückt.

,39

„Vielleicht wird mir doch noch die äußere Anerkennung zuteil, die ich verdient habe. Und wenn nicht, genügt mir das Bewusstsein, meine Pflicht getreu erfüllt und wie ich es gelobt stets treu und wacker zu Kaiser und Reich gestanden zu haben, so, wie es eben einem echten deutschen Juden geziemt" (LBI N e w York AR 3791). Zeitgenössisch zu dieser Thematik: Josef Baum, „Die jüdischen Akademiker als Soldaten", in: IF Nr. 29 vom 20. Juli 1916, S. 1 f.

im Ersten WeltMünchen 1999,

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belegen diese Daten nicht zuletzt das Ausmaß jüdischer Pflichterfüllung. 140 Die symbolische Bedeutung, welche die Klassengesellschaft seit jeher und erst recht natürlich seit 1914 militärischen Ehrungen zuerkannte, war ungewöhnlich hoch und hatte einen fühlbaren Einfluß auf das Selbstverständnis des deutschen Judentums. Auch unter den Zionisten, die nur noch gelegentlich auf den internationalen Zusammenhalt des Judentums verwiesen, überwog die Verherrlichung militärischer Leistungen. Vor allem die modernen Waffengattungen schlugen viele zionistische Publizisten in ihren Bann, die gern auf die Realitätstüchtigkeit des „neuen jüdischen Menschen" verwiesen. An erster Stelle ist hier an Felix Theilhaber zu erinnern, der vor dem Krieg den „Untergang des Judentums" beklagt hatte und nun in einer Vielzahl von Artikeln und Broschüren die militärischen Leistungen jüdischer Soldaten und insbesondere der Piloten in den Vordergrund rückte. 141 Das Zentralkomitee der ZVfD ließ es sich nicht nehmen, zionistischen Trägern militärischer Orden individuell zu gratulieren. So erhielt der Zahnarzt Max Laufer am 17. Februar 1916 nach Erhalt des Eisernen Kreuzes eine briefliche Belobigung dafür, daß er „dem Patriotismus der nationalen Juden ein so glänzendes Zeugnis verschaffe". 142 Die meisten Antisemiten waren hingegen von der Überzeugung durchdrungen, daß das „internationalistische" Judentum unfähig zu wirklich patriotischen Leistungen sei. Unbelehrbar durch faktische Evidenzen insinuierten sie bald nach Kriegsbeginn die Auffassung, die Juden seien überall in der Armee, nur nicht an der Front zu finden. Dies entsprach auch der Sicht des preußischen Offizierskorps, das über das Avancement jüdischer Bewerber erbittert war. Die Unzufriedenheit ging so weit, daß Offiziersorganisationen - trotz des „Burgfriedens" - mit antisemitischen Gruppen Kontakt aufnahmen, um gemeinsam gegen die verhaßte Beförderung von Juden vorzugehen. 143 Als Reaktion auf die antisemitische Hetzkampagne faßte das Kriegsministerium einen folgenschweren Entschluß und leitete am 11. Oktober 1916 Erhebungen über die jüdische Beteiligung am Militärdienst ein. 144 140

141

142 143

144

Segall, Juden, S. 38; vgl. auch Friedländer, „Veränderungen", S. 37 f., Anm. 38 und das Manuskript von Eugen Netter „Der juedische Frontsoldat. Erinnerungen aus dem 1. Weltkrieg" (LBI N e w York ME 463, S. 4 - 1 1 ) . Aus seiner glorifizierenden Weltkriegspublizistik seien genannt: Felix A. Theilhaber, Die Juden im Weltkriege. Mit besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse für Deutschland, Berlin 1916; Ders., Schlichte Kriegserlebnisse, Berlin 1916, sowie ders., „Jüdische Flieger im Kriege", in: IDR 23 (1917), S. 397 ff. CZA Jerusalem A 231 2/15/20. Dazu zuletzt: Saul Friedländer, Das Dritte Reich und die Juden, Bd. 1: Die Jahre der Verfolgung 1933-1939, München 1998, S. 87. Grundlegend zum faktischen Hergang der Ereignisse: Angress, „Militär", sowie Ders., „The German Army's „Judenzählung" of 1916. Genesis - Consequences -

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Die ministerielle Vorgeschichte dieser Maßnahme konnte bislang nicht aufgehellt werden und dürfte angesichts der verlorenen Potsdamer Militärakten auf lange Sicht ungeklärt bleiben. Im Unterschied zu seinem Vorgänger Falkenhayn war Kriegsminister Adolf Wild von Hohenborn zwar vermutlich kein Antisemit, doch ohne sonderliche Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem höheren Offizierskorps, das hinter verschlossenen Türen und zunehmend öffentlich dem steigenden Antisemitismus der Bevölkerung seine Sympathie bekundete. 145 Gleichzeitig ist auf die veränderte Lage im Herbst 1916 zu verweisen, als nach den verlustreichen Kämpfen um Verdun und an der Somme die Mobilisierung militärischer Reserven immer dringlicher wurde. 146 Sollte Wild von Hohenborn jedenfalls auf die positiven Effekte der „Judenzählung" gesetzt haben, so erwies sich dies als schwerwiegende Fehleinschätzung. Im deutschen Judentum betrachtete man die Konfessionsstatistik als Skandal. Insbesondere der „ehrabschneidende" Aspekt der öffentlichen Überprüfung wurde allgemein als Demütigung empfunden. Ein patriotischer Rabbiner wie Georg Salzberger schrieb in sein Tagebuch die drastischen Sätze: „Die Kluft zwischen Juden und Christen, die überbrückt gewesen war, tut sich von neuem auf. Der Jude fühlt sich als Gezeichneter." 147 Ähnlich persönlich reagierte ein jüdischer Offizier, der hervorhob, daß einem die „Schamröte" bei dieser öffentlichen Form der Ächtung „ins Gesicht (steigt)". 148 Und der Vizefeldwebel Julius Marx äußerte ebenso enttäuscht wie wütend, man wolle die Juden „zu Soldaten zweiten Ranges degradieren". 149 Der Vorsitzende des „Abwehrvereins", Georg

145

Significance", in: LBIYB 23 (1980), S. 117-135; vgl. ferner Jochmann, „Ausbreitung", S. 4 2 0 - 4 2 8 ; Magill, Defense, S. 2 5 6 - 2 8 6 , und Zechlin, Politik, S. 5 2 9 - 5 3 3 . Vgl. Angress, „German Army's ,Judenzählung'", S. 123 f.; zu Falkenhayns Antisemitismus: Holger Afflerbach, Falkenhayn. Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich, München 1994, S. 130 ff. Allgemein zu Mentalität und Zusammensetzung des preußischen Offizierskorps: Martin Kitchen, The German Officer Corps 1890-1914, Oxford 1968.

146

Dazu nun: Jay Winter, „All Quiet on the Eastern Front: German Jews, The Eastern Front, and the First World War", in: Fighting for the Fatherland: The Patriotism of Jews in World War I. An Exhibition of the Leo Baeck Institute N e w York, o.O. [New York ] 1999, S. 3 - 1 0 , hier S. 6 f.

147

Georg Salzberger, A us meinem Kriegstagebuch. Von dem Feldgeistlichen bei der 5. Armee, Frankfurt 1916, S. 31. Mitgeteilt in: A[dolf] Eckstein, „Aus der Seele unserer jüdischen Kriegsteilnehmer", in: IDR 23 (1917), S. 6 5 - 6 9 , hier S. 67. Marx, Kriegs-Tagebuch, S. 138. Seine Notiz vom 2. November 1916 endete mit den empörten Worten: „Pfui Teufel! Dazu also hält man für sein Land den Schädel hin — " . An desillusionierten Stellungnahmen jüdischer Kriegsteilnehmer herrscht kein Mangel; vgl. etwa Ernst Simon, „Unser Kriegserlebnis", in: Jüdische Jugend 1 (1919), H. 1, S. 3 9 - 4 5 , hier S. 43, sowie den faktenreichen Artikel

148

149

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Gothein, reagierte prompt und wandte sich in einem Presseartikel gegen die Diffamierung der Kriegsgesellschaften, in denen sich die Juden angeblich vor der Front „drückten". Entschieden lehnte er es ab, den Unterstellungen mit statistischem Material entgegenzutreten, „weil dies den antisemitischen Verdächtigungen zu viel Ehre antu[e]". 150 Auch von anderen Organisationen und fuhrenden Einzelpersönlichkeiten hagelte es Proteste gegen die „Judenzählung", so daß man sich im Kriegsministerium zur Rücknahme der anberaumten Maßnahme entschloß. Nun schössen aber erst recht die Spekulationen ins Kraut, deren Erfinder nicht mehr die Korrektur durch harte statistische Tatsachen zu fürchten hatten. Rosenzweig hatte dies richtig vorausgesehen und am 4. November 1916 seinen Eltern mitgeteilt, die „Niederschlagung der Konfessionsenquete" werde unheilvoller als die Publikation des Zahlenmaterials sein. 151 Gothein hatte jedenfalls alle Hände voll zu tun: Noch am 3. September 1917 sandte er als Mitglied des Reichstags einen geharnischten Beschwerdebrief an den Kriegsminister, der sich gegen die antisemitischen Verunglimpfungen der Kriegsgesellschaften als Folge der abgebrochenen Erhebungen richtete. 152 Insbesondere im CV, der mit Abstand größten politischen Organisation des deutschen Judentums, beurteilte man die Gründe für die „Judenzählung" als infam und die zu erwartenden Folgen als verhängnisvoll. Gerade die für das jüdische Bürgertum so wichtige Vorstellung einer nationalreligiösen Doppelidentität stand mit der diskriminierenden staatlichen Maßnahme zur Disposition. Der Leitartikel der Zeitschrift „Im deutschen Reich", dem offiziellen Organ des CV, argumentierte freilich noch sehr zurückhaltend. Es sei zu wünschen, daß man die Zählungen mit der nötigen Sorgfalt durchführe, damit nicht Bismarcks prinzipieller Vorbehalt gegenüber Statistiken angebracht sei. Sollte jedoch alles mit rechten Dingen zugehen, habe man keinerlei antisemitische Angriffe zu fürchten. 1 5 3 Andere Blätter des liberalen Judentums, die weniger im Rampenlicht der Öffentlichkeit standen, reagierten nicht so zögerlich und stellten unmißverständlich klar, daß man sich nicht als Bürger zweiter Klasse betrachte. Das Hamburger „Israelitische Familienblatt" konzedierte zwar, daß militärische Rücksichtnahmen unliebsame Entscheidungen erforderten, betonte jedoch gleichfalls, daß die nationale Solidarität nicht gefährdet werden dürfe. Für die Erörterung konfessioneller Fragen sei gegen-

„Die Zählung der Juden", in: M V A A Nr. 23 vom 25. November 1916, S. 1 7 0 173. - Die Breitenwirkung der „Judenzählung" unterstreicht: Pulzer, Jews, S. 205; vgl. auch ders., „Erster Weltkrieg", S. 3 6 7 - 3 7 0 . 150

151 152 153

Georg Gothein, „Die Judenzählung in den Kriegsgesellschaften", in: M V A A Nr. 22 vom 1. November 1916, S. 161-164. Rosenzweig, Briefe, Bd. 1, S. 2 7 1 - 2 7 4 , hier S. 273. HStA Stuttgart M 738, Bü 46, fol. 19-20. Art. „Die Glaubens-Statistik im Heer", in: IDR 22 (1916), S. 2 4 2 - 2 4 5 .

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Das deutsche Judentum im Weltkrieg

wärtig nicht die Zeit, und der Antisemitismus, den es mit aller Kraft zu bekämpfen gelte, habe im Krieg erst recht kein Bürgerrecht. 154 Oscar Cassel, der seit 1917 als Vorsitzender des Verbandes der Deutschen Juden amtierte und zugleich zum Vorstand der linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei gehörte, nutzte die Hauptversammlung des CV am 4. Februar 1917 zu einer unmißverständlichen Rede. Sie gipfelte in dem in der Folgezeit häufig zitierten - Appell, man möge das patriotische Engagement deutscher Juden ,„[n]ichtzählen, sondern wiegen\'"]5S Auch seitens der zionistischen „Selbstwehr" hob man die Verletzung des Gleichheitsprinzips und der verfassungsmäßig garantierten Rechte als Religionsgemeinschaft hervor. Gleichzeitig machte man auf die außenpolitischen Konsequenzen aufmerksam, „wenn die pro-englischen Zeitungen in Amerika mit den üblichen Uebertreibungen vom Sieg des Antisemitismus im Deutschen Reiche berichten könnten". 156 Dies war ein Argument, das sich innerjüdisch allgemein großer Beliebtheit erfreute, gestattete es doch, den Appell um Gleichbehandlung mit plausiblen Anspielungen auf das außenpolitische Interesse Deutschlands zu verbinden. So hatte bereits Georg Gothein in seinem programmatischen Artikel für die MVAA auf den „schlimmen Eindruck" verwiesen, den die Konfessionsstatistik auf das amerikanische Judentum „machen muß". 157 Doch trotz der Einhelligkeit und Massivität der Proteste sollte man die Bedeutung der „Judenzählung" für jüdische Intellektuelle nicht überschätzen. Bereits vor dem Herbst 1916 war die Mehrzahl von ihnen von tiefen Zweifeln an der Sinnhaftigkeit des Krieges und den Zukunftsaussichten der deutsch-jüdischen „Kultursymbiose" erfüllt. Schon kurz nach Kriegsausbruch mußten viele Juden erkennen, daß der „Burgfrieden" lediglich eine erfolgreiche Parole, jedoch keineswegs gesellschaftliche Realität war. Die Vaterlandsliebe, zu der man sich scheinbar unverrückt bekannte, wurde mehr und mehr zu einem Schild vor antisemitischen

154

155

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157

Art. „Rückblicke auf 1916", in: IF Nr. 1 vom 8. Januar 1917, S. 1; generell zum innerjüdischen Presseecho auf die anberaumten Zählungen: Magill, Defense, S. 2 6 5 - 2 6 8 , der das Kompromißhafte im Verhalten des liberalen Judentums betont. Dazu eingehend: Haipersohn, „Nicht zählen, sondern wiegen! Ein Nachw. zur Hauptversammlung des Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens in Berlin am 4. Februar 1917", in: AZJ Nr. 18 vom 30. März 1917, S. 145 ff. Art. „Die Judenzählung von 1916", in: Selbstwehr Nr. 40 vom 3. November 1916, S. 1 f., hier S. 2. - Zur überwiegend strategisch geprägten Reaktion des Prager Blattes auf die „Judenzählung" vgl. Wilhelm Terlau, „Österreichischer Patriotismus und jüdische Solidarität. Die Selbstwehr - eine zionistische Zeitung im Ersten Weltkrieg", in: Jüdischer Almanach, Jg. 1999, S. 4 2 - 5 6 , hier S. 52 f. Gothein, „Judenzählung", S. 164.

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Angriffen. 158 Bis tief in das jüdische Bürgertum hinein lassen sich desillusionierte Äußerungen finden. So schrieb der erfolgreiche Frankfurter Fabrikant Jacob Epstein am 16. Mai 1916 in sein Tagebuch: „Es tritt gerade jetzt auch die flache Gemeinheit, die Roheit und die Lüge so kraß hervor. Auch der lauernde, giftige Antisemitismus." 159 Vor diesem Hintergrund erschien die „Judenzählung" nicht sonderlich überraschend. Walther Rathenau hatte zu Beginn des Krieges noch darauf gehofft, dem Antisemitismus erfolgreich mit Aufklärungsmaterial entgegentreten zu können, und aus diesem Grund das „Büro für Statistik der Juden" mit Geldspenden unterstützt. Die Entwicklungen belehrten ihn jedoch zur Genüge über die Wirksamkeit apologetischer Argumente. Am 28. November 1916 riet er Max Warburg nur noch lakonisch, auf „philanthropische Auseinandersetzungen" zu verzichten und lediglich auf die „politische Notwendigkeit" der Einhaltung des „Burgfriedens" zu verweisen. 160 Ähnlich distanziert reagierte der junge Rosenzweig, wenn er am 16. Februar 1917 seinen Eltern mitteilte: ,„Wir Deutschen' kannst Du in Bezug auf Staatsangehörigkeit ruhig sagen, solange dieser vortreffliche Staat dich noch dazu ,zählt'." 161 Hermann Cohen, der dem Antisemitismus stets engagiert entgegengetreten war, reagierte empört auf die „Kränkung unserer Söhne, die im Felde stehen". Die Substanz seines Weltbildes hielt er aber nicht für gefährdet; denn das den Juden eigene Gottvertrauen verleihe der Vaterlandsliebe eine Kraft, die von ,,sittliche[r] Zuversicht" begleitet sei. 162 Auch im Rahmen seiner öffentlichen Auseinandersetzung mit Gustav Schmoller über die Diskriminierung jüdischer Gelehrter an deutschen Universitäten wies Cohen auf den Zynismus der „Judenzählung" hin. Sie solle die Juden in ihrem Patriotismus erschüttern, damit die 158

159

David Engel, „Patriotism as a Shield. The Liberal Jewish Defence against Antisemitism in Germany during the First World War", in: LBIYB 31 (1986), S. 1 4 7 - 1 7 1 . Zit. nach: Hopp, Bürgertum, S. 293.

160

Clemens Picht, „,Er will der Messias der Juden werden'. Walther Rathenau zwischen Antisemitismus und jüdischer Prophetie", in: Hans Wilderotter (Hg.), Die Extreme berühren sich. Walther Rathenau 1 8 6 7 - 1 9 2 2 [...], N e w York u. Berlin 1994, S. 117-128, hierS. 123.

161

Rosenzweig, Briefe, Bd. 1, S. 349 f., hier S. 349. Hermann Cohen, „Gottvertrauen", in: Ders., Jüdische Schriften, hg. v. Bruno Strauß [...], Bd. 1, Berlin 1924, S. 1 0 0 - 1 0 4 [zuerst NJM 1 (1916/17), S. 79-82], hier S. 103. Das Ausmaß von Cohens Enttäuschung zeigt sich deutlicher in seiner privaten Reaktion. Unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse teilte er Paul Natorp am 6. November 1916 mit: „Die Ehrenkränkung, welche d[ie] jetzige Judenstatistik den deutschen Juden auferlegt, ist eine tiefe Gefühlskränkung, & da es kaum ein jüdisches Haus gibt, das nicht Kinder oder nahe Verwandte beklagt, so hat diese amtliche Tatsache, welche nur die tausendfachen Erlebnisse bestätigt, ein tiefes Unglücksgefühl über d [ie] deutschen Juden gebracht." (Holzhey, Cohen und Natorp, Bd. 2, S. 455 ff., hier S. 456).

162

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Das deutsche Judentum im Weltkrieg

Antisemiten weiter ungehindert ihren Haß pflegen könnten. 1 6 3 Gleich Cohen dürften viele jüdische Intellektuelle jegliche Diskussion über den sachlichen Gehalt und die rechtliche Substanz der Konfessionsstatistik als sinnlos betrachtet haben. Zumindest sucht man bei den Protagonisten des liberalen Judentums von Ernst Cassirer bis Stefan Zweig vergeblich nach ausführlichen oder gar intellektuell anspruchsvollen Reaktionen. Der junge Arnold Zweig, der an der Westfront seinen Dienst ableistete, stellte unter den zionistischen Schriftstellern eine Ausnahme dar. Empört über die Doppelmoral der preußischen Offizierskaste, kritisierte er die „Judenzählung" in einer düsteren Parabel, die illustriert, welch eine Kränkung diese Maßnahme für den einfachen jüdischen Soldaten bedeutete. Die Verstorbenen finden keinen „Halt mehr auf dem Grund ihrer Gräber", weil das Zählen eine große Unruhe verbreitet. Doch nach wie vor warte der Messias als „buckliger Bettler" „vor den Toren Roms" auf die existentielle Entscheidung des Menschen für die „Tochter Zions". 1 6 4 Für Zweig, der zu Beginn des Krieges einen beträchtlichen Patriotismus an den Tag gelegt hatte, bedeutete dies zugleich die endgültige Absage an die verlogene Glorifizierung der deutschen Nation in der wilhelminischen „Untertanengesellschaft". In diesem Sinn stellte er in einem Brief an Martin Buber vom 15. Februar 1917 heraus, daß er sich seit der Konfessionsstatistik nicht mehr als Deutscher, sondern als ,,Zivilgefangene[r] und staatenlose[r] Ausländer" betrachte. 165 Weit distanzierter äußerte sich Buber selbst in der kulturzionistischen Zeitschrift „Der Jude", die bald nach ihrer Gründung im April 1916 eine breite Leserschar gewonnen hatte. Nicht mehr als eine Glosse widmete der wortgewaltige Intellektuelle dem Thema, das viele jüdische Soldaten zutiefst erbitterte. Bereits die Anfangsworte zeigten, daß Buber jede Debatte über die Begründbarkeit der „Judenzählung" für sinnlos hielt: „Man sagt mir, ,wir' müßten protestieren. Das ist meine Meinung nicht. - An den aufrechten Deutschen ist es zu protestieren: an allen, die sich ihr Deutschland nicht durch

163

Hermann Cohen, „Betrachtungen über Schmollers A n g r i f f , in: Ders., Jüdische Schriften, hg. v. Bruno Strauß [...], Bd. 2, Berlin 1924, S. 3 8 1 - 3 9 7 [zuerst NJM 1 (1916/17), S. 2 2 2 - 2 3 0 u. 2 5 6 - 2 6 0 ] , hier S. 381 f.

164

Arnold Zweig, „Judenzählung vor Verdun", in: Die Schaubühne Nr. 5 vom 1. Februar 1917, S. 115 ff., ZitateS. 116 f.

165

Georg Wenzel (Hg.), Arnold Zweig 1887-1968. Werk und Leben in Dokumenten und Bildern. Mit unveröffentlichten Manuskripten und Briefen aus dem Nachlaß, Berlin u. Weimar 1978, S. 73 f., hier S. 74. Zu Zweigs Entwicklung seit August 1914: Helmut Fries, Die große Katharsis. Der Erste Weltkrieg in der Sicht deutscher Dichter und Gelehrter, Bd. 2: Euphorie - Entsetzen - Widerspruch: Die Schriftsteller 1914-1918, Konstanz 1995, S. 114 f.

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den Ungeist, der sich mit diesen Anträgen und Prozeduren ankündigt, verschandeln lassen wollen." 1 6 6 Bubers Argumentation zielte nicht nur auf die moralische Entlastung der diffamierten Minderheit, sondern enthielt zudem die implizite Aufforderung, das Deutsche Kaiserreich an seinem eigenen Anspruch als Kulturund Rechtsstaat zu messen. Ähnliches gilt für die Parallelen, die er zum russischen Schulzensus und zur Diskriminierung jüdischer Arbeiter in Polen zog. Überdies machten seine Ausfuhrungen deutlich, wie sinnlos jedes Eingehen auf die antisemitischen Unterstellungen war, die letztlich zur „Judenzählung" geführt hatten. Allein so unzweideutig Buber dem Antisemitismus auch die moralische Dignität absprach, handlungsleitende Perspektiven erwuchsen daraus nicht. Nicht zufällig endete der Artikel in einer Aporie, der durch den zynischen Appell an die Gegenseite, sich nicht von der Zählung abbringen zu lassen, lediglich notdürftig kaschiert wird. 167 Bubers desillusionierte Beurteilung der Ereignisse, die zumindest den Keim zur Resignation in sich trug, war vermutlich weit verbreitet. So bemühte sich die Leiterin der Frankfurter Rechtsschutzstelle für Frauen, Henriette Fürth, zwar um eine positivere Bewertung der Konfessionsstatistik, doch auch in ihrem Gedicht „Judenzählung" findet sich die düstere Strophe: „Geht doch und zählt sie. Zählt auch die begraben Und die verkrüppelt dieser grause Krieg. Geht hin und zählt. Sollt unsre Hilfe haben Zum Zählen auch der jüd'schen milden Gaben Und jüd'schen Streiter für den innern Sieg." 1 6 8 An der Unbelehrbarkeit und Bösartigkeit der Antisemiten gab es spätestens seit dem Herbst 1916 nichts mehr zu deuteln, und dies gab dem jüdischen Patriotismus der ersten beiden Kriegsjahre rückblickend einen illusionären Anstrich. Noch wichtiger als die unmittelbaren Reaktionen auf die „Judenzählung" war ihre langfristige Wirkung. Immer wieder sahen sich jüdische Politiker in der Weimarer Republik veranlaßt, dem Vorurteil der „Feigheit vor dem Feind" öffentlich entgegenzutreten. Jüdische Gelehrte fühlten sich verpflichtet, sie mit detailliertem Zahlenmaterial zu unterstützen. Zu ihnen zählte der Soziologe Franz Oppenheimer, dessen Streitschrift 166

167

168

Mfartin] B[uber], „Judenzählung", in: Der Jude 1 (1916/17), S. 564. Ausführlich zu Bubers im April 1916 gegründeter Zeitschrift „Der Jude" und seiner Redaktionspolitik unten Kap. 5.4. „Völker Europas, in deren Heeresverbänden achthunderttausend Juden für das kämpfen, was jedes von euch seine Sache nennt, zählt, wie viele von ihnen für diese Sache ihr Blut, wie viele für sie nur ihre Kraft hergeben. Zählt!" LJ 9 (1917), S. 12.

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sich ausdrücklich gegen die antisemitische Unterstellung wandte, es hätten sich elf Prozent der jüdischen Kriegsteilnehmer in der „Etappe" befunden. Vernünftigerweise ließ sich Oppenheimer nicht auf die Haarspaltereien der Gegenseite ein, sondern argumentierte primär methodisch: „Wenn die Gesamtzahl der im Felde stehenden Juden während des ganzen Krieges ungefähr dem Durchschnitt der Nichtjuden entsprochen hat, dann ist es mehr als merkwürdig, dann ist es schlechterdings unmöglich, daß in einem bestimmten Zeitpunkte das Verhältnis so viel ungünstiger gewesen sein sollte. Jeder besonnene Statistiker wird in diesem Falle die Abweichung auf die Fehlerquellen der Erhebung zurückfuhren." 169 In Anbetracht der ungesicherten Datenbasis war dies ein kluges, letztlich unwiderlegbares Argument. Oppenheimer wußte freilich, daß er damit Menschen, die den Teil fürs Ganze nehmen wollten, nicht überzeugen konnte. Halb trotzig und halb resigniert zitierte er im Fazit seiner Broschüre die bekannten Worte aus Lessings Nathan „Hilft nichts, der Jude wird verbrannt" und verband dies mit spöttischen Bemerkungen über die „Herren vom Hakenkreuz". 170 Angesichts des verlorenen Krieges und der zwölftausend jüdischen Gefallenen war dies eine bittere Bilanz.

3.4. Kriegsende und Revolution Der Zusammenbruch der Westfront kam für den, der sehen wollte, nicht sonderlich überraschend. Seit Juli 1918 warfen die Alliierten immer neue Streitkräfte in die Schlacht, während Versorgungslage und Kampfmoral der deutschen Armee seit dem Scheitern der Frühjahrsoffensive desolat waren. Zwar verhinderte die Zensur ausgiebige politische Diskussionen, doch herrschte unter den Entscheidungsträgern im Spätsommer 1918 weitgehend Einigkeit in der Beurteilung der militärischen Situation. Zu den wohlinformierten Kreisen des deutschen Judentums zählte neben Albert Ballin und Walther Rathenau auch Theodor Wolff. 171 Jüdische Intel169

170 171

Franz Oppenheimer, Die Judenstatistik München 1922, S. 12. Ebd., S. 48.

des preußischen

Kriegsministeriums,

Vgl. Cecil, Ballin, S. 2 1 5 - 2 2 1 ; Schulin, Rathenau, S. 20 f., und Bernd Sösemann, Einleitung, in: Theodor Wolff, Tagebücher 1914-1919. Der Erste Weltkrieg und die Entstehung der Weimarer Republik in Tagebüchern, Leitartikeln und Briefen [...]. Eingel. u. hg. v. dems., Tl. 1, Boppard am Rhein 1984, S. 1 - 5 8 , hier S. 40 ff. Diese Tatsache schuf im übrigen ein weitreichendes Zusammengehörigkeitsgefühl. So konnte Ballin auf die innere Zustimmung Wolffs rechnen, wenn er ihm

Kriegsende und Revolution

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lektuelle in der Habsburgermonarchie profitierten nicht selten von ihrer kritischen Außenperspektive auf das Deutsche Kaiserreich. So teilte Stefan Zweig am 23. Oktober 1918 Julius Bab mit, für wie töricht er den uneingeschränkten U-Boot-Krieg gehalten hatte, der den Kriegseintritt der USA provozieren mußte. Doch habe die Zensur leider verhindert, daß seine Ansichten irgendeine Wirkung entfaltet hätten. 172 Gewiß trägt diese Erinnerung stilisierte Züge, doch auch für Zweig hatte sich der Kriegsausgang seit längerem abgezeichnet. Angesichts der immer schlechter werdenden Kriegslage griff im deutschen Judentum ein Gefühl der Ernüchterung um sich. Hinzu kam, daß sich die Situation der Juden durch den Weltkrieg keineswegs gebessert hatte. Der Breslauer Studienrat Willy Cohn notierte im Spätsommer 1918 in sein Tagebuch: „Im Chaos wird dieser Krieg endigen! - In Jerusalem wird von englischer Seite eine jüdische Universität gegründet, aber in Deutschland bleibt der Jude Mensch zweiter Klasse!— Schmutz, überall Schmutz." 173 Dies waren die verbitterten Worte eines akkulturierten jüdischen Bildungsbürgers, der allzu lange seine Hoffnungen auf einen Sieg der deutschen Armee gesetzt hatte. Wenig anders äußerte sich die junge Dichterin Margarete Susman am 9. August 1918 in der Frankfurter Zeitung: „Was ist zu tun? Nur Eines! Nur schreien können wir - schreien mit aller Kraft unserer armen, erstickten Menschenstimme - schreien, daß wir den grauenhaften Lärm des Geschehens übertönen ..," 174 Ambivalente Gefühle, gespannte Erwartungen und tiefgehende Enttäuschungen charakterisierten allgemein die Wahrnehmung des Ersten Weltkrieges durch deutsch-jüdische Intellektuelle. Eine starke Desillusionierung erlebte beispielsweise der junge Franz Rosenzweig. Lange Zeit hatte er aufmerksam die Entwicklung der Kriegsereignisse beobachtet und die Erfolge der deutschen Armee begrüßt. Seine besonderen Sympathien galten Naumanns MitteleuropaKonzept, das ihm als künftige Friedensordnung durchaus geeignet erschien. 175 Doch fehlten schon früh die kritischen Töne nicht. Rosenzweig beurteilte es als fatal, daß die OHL nach dem Sturz Bethmann Hollwegs

172 173 174

175

am 16. Juli 1915 mitteilte, es sei nun einmal sein Schicksal, „in Überzeugtester innerer Opposition zu allem zu stehen, was ,man' allgemein über den Krieg, seine Entstehung, seinen Verlauf und seine voraussehbaren Folgen denkt" (BA Koblenz N 1207, Bd. 5). Stefan Zweig, Briefe, S. 242. CAHJP Jerusalem P 88, Nr. 4, Eintragung vom 9. August 1918. Zit. nach: Hans Tramer, „Der Beitrag der Juden zu Geist und Kultur", in: Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916-1923. Ein Sammelband, hg. v. Werner E. Mosse unter Mitw. v. Arnold Paucker, Tübingen 1971, S. 317-385, hier S. 347. Pointiert zur Bedeutung von Naumanns „Mitteleuropa"-Buch aus dem Jahre 1915: Nipperdey, Geschichte, Bd. 2, S. 809; zum Folgenden vgl. Meineke, „Life", S. 470-483.

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in politischen Fragen tonangebend wurde, und nach dem Scheitern Michaelis' sah er „Deutschland auf dem Weg zur Revolution". 176 Dennoch blieb Rosenzweigs Identifikation mit der Wertewelt des Kaiserreichs ausgesprochen hoch. Die Niederlage der deutschen Armee kam für ihn vollständig überraschend und änderte nichts an seiner Sympathie für Wilhelm II. Im November 1918 erwog der Philosoph ernsthaft, in die konservativ ausgerichtete Nationalliberale Partei einzutreten, die sich jedoch auflöste, bevor er seinen Vorsatz realisieren konnte. Bezeichnend für die kulturpessimistische Zeitdiagnose des ehemaligen MeineckeSchülers war es, daß er Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes als vermutlich „größtefs] Geschichtsphilosophem [...] seit Hegel" pries. 177 Das Ausmaß von Rosenzweigs Enttäuschung über den Kriegsausgang spiegelt sich in der Aussage, die er im November 1918 gegenüber dem Historiker Siegfried August Kaehler machte: „,Wir glaubten an einem Anfang zu stehen und haben in einem Ancien Régime gelebt.'" 178 Den Revolutionsereignissen stand Rosenzweig desillusioniert und ablehnend gegenüber. Bezeichnenderweise verzichtete er auf die Zeitungslektüre, die fur ihn bis dato eine Selbstverständlichkeit gewesen war. 179 Rosenzweig gehörte zu jenen Angehörigen des jüdischen Bürgertums, die bis zum letzten Moment an der Hoffnung auf einen deutschen Sieg festhielten. Noch am 29. September erschien Alfreds Kerrs Gedicht „Die Wende hat begonnen ...", das einem Wunschdenken Ausdruck verlieh, welches militärische und politische Gegebenheiten sträflich vernachlässigte. Es endet mit der Strophe: „Laßt uns das Letzte geben. Ein Wunder muß geschehen. Deutschland kämpft um sein Leben. Es darf nicht untergehn."180 176

177

Schreiben Rosenzweigs an Ernst Baumann vom 25. Oktober 1917; Rosenzweig, Briefe, Bd. 1, S. 477 f., Zitat S. 477. Schreiben Rosenzweigs an Rudolf Ehrenberg vom 5. Mai 1919; ebd., Bd. 2, S. 628 f., hier S. 629. Nähere Ausführungen zur Veränderung von Rosenzweigs Geschichtsphilosophie unten Kap. 6.3.

178

Dies teilte Kaehler seinerseits Rosenzweigs Doktorvater, Friedrich Meinecke, am 22. Januar 1919 mit; Friedrich Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, hg. u. eingel. v. Ludwig Dehio u. Peter Classen, Stuttgart 1962, S. 3 2 8 - 3 3 4 , hier S. 329. Zu Rosenzweigs Beurteilung des Kriegsendes: Meineke, „Life", S. 488.

179

Vgl. sein undatiertes Schreiben an Kaehler; StUB Göttingen Cod. Ms S. A. Kaehler 1,142. Generell zum distanziert-freundlichen Kontakt der beiden Meinecke-Schüler: Ina Lorenz, „.Erkennen als Dienst am Menschen'. Einige unveröffentlichte Briefe von Franz Rosenzweig an den Historiker Siegfried A. Kaehler", in: Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Hg.), Der Philosoph Franz Rosenzweig ( 1 8 8 6 - 1 9 2 9 ) . Internationaler Kongreß Kassel 1986, Bd. 1: Die Herausforderung jüdischen Lernens, Freiburg u. München 1988, S. 187-209.

180

Zit. nach: 1914. Der Deutsche Krieg im Deutschen ausgew. v. Julius Bab, Berlin o.J. [1920], S. 40.

Gedicht,

H. 12: „Das Ende",

Kriegsende und Revolution

99

Auch die Protagonisten der älteren Generation, Hermann Cohen, Eugen Fuchs und Ludwig Geiger, folgerten unverdrossen aus ihrer Wertschätzung des Deutschtums auf einen günstigen Kriegsausgang. Das Ausmaß der Verblendung belegt Cohens Kommentierung des amerikanischen Kriegseintritts, demzufolge die „letzten Reserven der Entente" den deutschen „Siegesmarsch nicht aufhalten werden". 181 Der Marburger Philosoph starb im April 1918; den beiden anderen fuhrenden Vertretern des liberalen Judentums blieb es jedoch nicht erspart, das Scheitern ihrer hochfliegenden Hoffnungen miterleben zu müssen. Ähnlich erging es Walther Rathenau, der in den letzten Kriegstagen von einer ausgeprägten Zukunftsfurcht beherrscht wurde. Sonst eher ein kühler Analytiker, gab er sich beim Gedanken an die bevorstehenden Veränderungen düsteren Visionen hin. Am 8. Oktober 1918 schrieb er an Maximilian Harden: „Nach meiner Überzeugung (obwohl ich nicht katastrophal zu denken gewohnt bin) treiben wir dem Bürgerkrieg, der Militärrevolte, dem Ernährungsstreik entgegen, besiegelt durch die regellose Auflösung der Front." 182 So pessimistisch wie die Einschätzung der politischen Situation, so gewagt fiel auch das gewählte „Heilmittel" aus. Unter Vernachlässigung der realen Kräfteverhältnisse propagierte er eine allgemeine Volkserhebung, um die Soldaten der Entente von deutschem Boden fernzuhalten. 183 Für die meisten jüdischen Soldaten stand im November 1918 jedoch schlicht die Freude über das Kriegsende im Mittelpunkt. Ein eindrucksvoller Erfahrungsbericht schildert, in welchem Ausmaß es zu Verbrüderungen zwischen deutschen und französischen Soldaten kam. Leuchtkugeln wurden in den Himmel geschossen, man umarmte und küßte einander und sang vaterländische Lieder. Von einem Idyll läßt sich jedoch angesichts der Spannungen zwischen Offizieren und Mannschaften nicht sprechen: Mißliebige Offiziere liefen davon, weil sie die Rache ihrer Soldaten fürchteten, und gelegentlich kam es zu ernsten Ausschreitungen. 184 Auch für jüdische Militärangehörige galt im November 1918,

181

182

183

184

Brief Cohens an Paul Natorp vom 4. November 1917, Holzhey, Cohen und Natorp, Bd. 2, S. 488 ff., hier S. 489. Allgemein zur realitätsfernen Lagebeurteilung des liberalen Judentums: Magill, Defense, S. 369 f., und Moshe Zimmermann, „Zukunftserwartungen der deutschen Juden im ersten Jahr der Weimarer Republik", in: AfS 37 (1997), S. 5 5 - 7 2 , hier S. 57 f. Rathenau, Politische Briefe, S. 186 f., hier S. 186; zu Rathenaus Haltung im Oktober 1918: Schulin, Rathenau, S. 92 ff. Dazu plastisch: Harry Graf Kessler, Walther Rathenau. Sein Leben und sein Werk, Berlin 1928, S. 265 ff.; als Analyse vortrefflich: Joll, „Prophet", S. 41 f. „Selbst dabei gewesen", rückblickender Bericht Willi Wertheimers über die Ereignisse des 11. November 1918, verfaßt 1942; B A M A Freiburg MSG 2/2011, Dok. 21. Für Wertheimer wurde der Erste Weltkrieg eine lebensbestimmende Erfahrung, noch 1969/70 setzte er sich für die Schaffung eines Waldhaines bei Hai-

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Das deutsche Judentum im Weltkrieg

daß das Ausmaß der Enttäuschung über den verlorenen Krieg mit der Höhe des militärischen Rangs stieg. Langgehegte Ehrbegriffe erschienen im Herbst 1918 vielen jüdischen Offizieren bedeutungslos. Detailliert beschreibt Philipp Flesch, ein akkulturierter Wiener Jude, der gleich nach seinem Abitur an der italienischen Front zum Einsatz kam, wie sich bei Kriegsende bisherige politische und moralische Wertvorstellungen verflüchtigten. Das militärische und organisatorische Chaos in Bozen rief in ihm einen ,,entsetzliche[n] Ekel" hervor, und die Leiden und Opfer des Krieges erschienen ihm nun vollständig sinnlos: „Ich sah die Geister der Gefallenen aufsteigen und mich trauernd anblicken. Krank an Seele und Körper kam ich nach Wien zurück." 185 Gleichzeitig verdeutlicht der Bericht, wie schlecht Fleschs jugendlicher Enthusiasmus mit den Auflösungserscheinungen einer geschlagenen Armee zurechtkam. 186 Die unverhüllte Infragestellung der „alten Mächte", die aus den meisten Quellen spricht, ist eine bemerkenswerte Tatsache. Sie läßt Rückschlüsse darauf zu, in welchem Ausmaß die Kritik an den - vor 1914 verneinten oder schönfärberisch dargestellten - Schattenlinien des Deutschen Kaiserreichs auf innerjüdische Zustimmung rechnen konnte. Ein Zeitzeuge konstatierte rückblickend, daß „der Kaiser mit seiner Flucht aus dem Hauptquartier" für das Nachlassen der Kampfmoral verantwortlich gewesen sei. 187 Der Münchener Rechtsanwalt Max Hirschberg sprach eine gängige Auffassung aus, wenn er die Informationspolitik der OHL kritisierte, welche die Kämpfenden bis zum letzten Moment über den Ernst der militärischen Lage im unklaren gelassen hatte: „Ich erinnere mich noch genau des letzten Heeresbefehls der Heeresgruppe C, der ich damals mit einer Batterie zugeteilt war; er war von Anfang November 1918 und enthielt einen Satz der mir wörtlich im Gedächtnis geblieben ist: ,Der Feind erschöpft sich in blutigem erfolglosem Nachdrängen.' Man muss gerechterweise zugeben, dass es militärisch nicht möglich war, die Truppe über die verzweifelte Lage zu informieren. Aber sie noch in diesem Zeitpunkt in dieser Weise zu belügen, war sinnlos und musste den letzten Rest des Vertrauens vernichten." 188

185

186 187

188

fa ein, der an die 12.000 gefallenen jüdischen Soldaten erinnern sollte (ebd., Dok. 19). HL Harvard bMS Ger 91 (64), Philipp Flesch, S. 2 f. Generell zur „Gegenwärtigkeit" der verstorbenen Kameraden: Winter, Sites, S. 7 1 - 7 6 . Hierzu nun anschauungsgesättigt: Ziemann, Front, S. 2 2 4 - 2 2 8 . HL Harvard bMS Ger 91 (28), Rudolf Bing, S. 25. Vergleichbar äußerte sich ein Breslauer Rechtsanwalt und Notar, der detailscharf die Kriegsmüdigkeit an der Westfront beschreibt; HL Harvard bMS Ger (151), Ernst Marcus, S. 16. HL Harvard bMS Ger 91 (97), Max Hirschberg, S. 9; ähnlich im Tenor: LBI N e w York ME 133, Fritz Frank, Das Stahlbad, Aufzeichnungen eines Arztes, S. 1 8 8 -

Kriegsende und Revolution

101

Obwohl die militärische Niederlage schon lange ihre Schatten vorausgeworfen hatte, verdüsterte sie den Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik entscheidend. Die Unterzeichnung des Waffenstillstands im Wald von Compiegne am 11. November 1918, der einer Kapitulation gleichkam, war für viele eine schier unfaßbare Tatsache. Insbesondere seitens der politischen Rechten attackierte man die Vertreter der jungen Republik für die Konsequenzen einer Entwicklung, die sie nicht zu verantworten hatten. 189 Selbst denjenigen, welche die aussichtslose militärischen Lage in Rechnung stellten, schien es, als ob ihr Vaterland einen gerechteren Kriegsausgang verdient hätte. Auch unter den deutschjüdischen Intellektuellen bevorzugte man kompensatorische Erklärungsmuster, welche die eigenen idealistischen Tugenden mit der „materiellen" Übermacht der Alliierten kontrastierten. Pars pro toto sei die Auffassung Isaak Heinemanns wiedergegeben, der seit 1920 die „Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums" leiten sollte. Der angesehene Altphilologe hielt es im Dezember 1918 für erwiesen, daß nur „überlegene Feindesmacht den Heldenmut unserer Verteidigung" gebrochen habe. 190 Wie allgemein in Deutschland konzentrierte sich auch der jüdische Unmut auf Wilson und die als überhart empfundenen Waffenstillstandsbedingungen. Der stets eine kräftige Sprache bevorzugende Joseph Wohlgemuth nannte den amerikanischen Präsidenten einen „Heuchler oder Narr", der keinerlei Verständnis für Deutschland aufbringe. 191 Im Leitartikel der Novemberausgabe von „Im deutschen Reich" hieß es moderater, aber gleichwohl unmißverständlich: „Wir alle haben das Aufhören des Blutvergießens mit ständig wachsender Sehnsucht erfleht, und nun vermochten wir uns über den nahenden Frieden nicht zu freuen." 192

189

208. Vgl. auch Victor Klemperers summarische Beurteilung seiner Kriegserfahrungen: „Ich für meinen Teil habe nur den Zweifel heimgebracht, den absoluten Zweifel an jeder Position." (Klemperer, Curriculum vitae, S. 333). Aus der reichen Literatur seien lediglich einige einschlägige Überblicksdarstellungen erwähnt: Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik, 3. Überarb. u. erw. Aufl. München 1993, S. 1 - 2 2 u. 157-168; Hans Mommsen, Die verspielte Freiheit. Der Weg der Republik von Weimar in den Untergang, ¡918 bis 1933, Frankfurt am Main 1989, S. 13-62, sowie Heinrich August Winkler, Weimar 19181933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993, S. 1 3 86.

190

I[saak] Heinemann, „Der Völkerbund im Lichte des Judentums", in: Jeschurun 5 (1918), S. 6 0 9 - 6 5 7 , hier S. 609. Generell zur Einschätzung der Niederlage durch die Orthodoxie: Reichmann, „Bewußtseinswandel", S. 552 ff.

191

J[oseph] Wfohlgemuth], „Vier Jahre Weltkrieg", in: Jeschurun 5 (1918), S. 4 3 0 434, hier S. 432. J[akob] Sch[erek], „Umwälzung und Kriegsende", in: IDR 24 (1918), S. 4 1 7 427, hier S. 425. Auch die „Allgemeine Zeitung des Judentums" insistierte darauf, „daß es eine in der Weltgeschichte unerhörte Zumutung ist, daß fremde Na-

192

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Das deutsche Judentum im Weltkrieg

Und einen Monat später glaubte der Heilbronner Rabbiner Max Beermann, mit dem Satz „Im Geiste liegt das Heil, nicht in der Faust!" die Alliierten an die „Erbschaft" des Propheten Jeremias erinnern zu müssen. 193 Ein überzeugter Linksliberaler wie Theodor Wolff hielt hingegen mit Selbstverständlichkeit an seinen politischen Reformvorstellungen fest. Die Ausrufung der Weimarer Republik am 9. November 1918 begrüßte er in einem programmatischen Artikel, der das Geschehen als „größte aller Revolutionen" feierte und zugleich friedliche Veränderungen im Geist der „Glorious Revolution" anmahnte. 194 Ähnliches gilt für den „Vater der Weimarer Reichsverfassung" Hugo Preuß, der die politische Entwicklung am 14. November unter das Motto „Volksstaat oder verkehrter Obrigkeitstaat?" stellte. 195 Seiner Forderung nach demokratischer Mitgestaltung folgten viele Juden, die das neue Staatswesen nach Kräften unterstützten und politische Verantwortung übernahmen. Allein in der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung saßen 24 Abgeordnete jüdischer Herkunft, von denen sich zwei Drittel zum Judentum bekannten. 196 Sie nutzten die Chance zur politischen Betätigung und ließen sich nicht von jener Furcht anstecken, die weite Teile des jüdischen Bürgertums paralysierte. In Österreich, wo der Zusammenbruch der Habsburgermonarchie das Judentum direkt mit einem gewalttätigen Nationalismus konfrontierte, stellte sich die Situation prekärer dar. Auch Stefan Zweig, der ansonsten zu den nüchternen Beobachtern der politischen Entwicklung gehörte, behielt keinen klaren Kopf. Am 23. Oktober 1918 teilte er Julius Bab aufgeregt mit: „Es darf nicht noch einmal eine Vergewaltigung geschehen, es darf in Deutschland keine Commune von 1871 geschehen, ich furchte nichts so sehr und hasse nichts so sehr als Bewegungen ohne geistige Betionen es wagen, sich in die inneren Angelegenheiten eines Volkes zu mischen". Immerhin fügte sie klugerweise hinzu, daß „das grausame Wort", wonach das Recht beim Sieger liege, wohl „auch in diesem Falle seine Geltung behalte" (AZJ 82 [1918], Kolumne „Die Woche", S. 5 1 8 - 5 2 1 , hier S. 519). 193

M[ax] Beermann, „Unsere Propheten und der Völkerbund", in: IDR 24 (1918), S. 4 4 9 ff., hier S. 450. 194 Theodor Wolff, „Der Erfolg der Revolution", in: BT Nr. 576 vom 10. November 1918. Anschaulich zum historischen Kontext: Bernd Sösemann, Theodor Wolff. Ein Leben mit der Zeitung, München 2000, S. 184 ff. 195 B J N r 533 v o m j 4 November 1918. - Die dringend benötigte Studie zu Hugo Preuß' politischer Wirksamkeit ist demnächst von Michael Dreyer, Jena, zu erwarten. 196

Grundlegend zum Folgenden: Werner T. Angress, „Juden im politischen Leben der Revolutionszeit", in: Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916— 1923. Ein Sammelband, hg. v. Werner E. Mosse unter Mitw. v. Arnold Paucker, Tübingen 1971, S. 137-315, hier S. 153, Anm. 41. Vgl. ferner Donald L. Niewyk, „The German Jews in Revolution and Revolt, 1918-19", in: Studies in Contemporary Jewry 4 (1988), S. 4 1 - 6 6 , und Pulzer, State, S. 2 0 7 - 2 1 4 .

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strebung, die nur nivellieren wollen." Und er befand: „Genug ist zerstört. Schon jetzt muß mit dem Aufbau begonnen werden. Mäßigung ist überall das wesentlichste Wort." 197 Zweigs Ablehnung der Revolution ging so weit, daß er Sprachwendungen und Einschätzungen übernahm, die in antisemitischen Kreisen gängige Münze waren. Anton Kippenberg teilte er am 6. Januar 1919 mit, er schäme sich „als Intellectueller für diese Intellectuellen, als Jude für diese vordringlichen Juden, als Democrat für diese Revolutionäre". 198 Dies war gewiß überzogen formuliert, doch traf es eine weitverbreitete Stimmungslage. Die in München erscheinende „Deutsche Israelitische Zeitung" verwies am 31. Oktober 1918 auf die monarchische Gesinnung der bayerischen Juden und mahnte Kurt Eisner zur .„Zurückhaltung"'. Am 12. Dezember kritisierte das Blatt die hohe Zahl von Juden in politischen Ämtern, weil dies der antisemitischen Agitation Vorschub leiste. 199 Fünf Tage später veröffentlichte der Geschäftsführer des „Abwehrvereins" Curt Bürger einen Artikel mit dem ebenso plakativen wie provokanten Titel „Etwas mehr Selbstzucht und Würde". Er forderte in schulmeisterlicher Diktion neben Eisner auch die Anarchisten Erich Mühsam und Josef Sontheimer zu politischer Enthaltsamkeit auf. Gewiß wurde Bürgers Argumentation durch seine Angst vor einer „neuen antisemitischen Hochflut" bestimmt, doch zeigte gerade die fehlende Solidarität mit den angegriffenen Politikern, wie überfordert die bürgerliche „Abwehrpolitik" in den Tagen der Revolution war. 200 Einige jüdische Intellektuelle am linken Flügel des politischen Spektrums begrüßten hingegen die Weltkriegsniederlage als Vorbedingung radikaler gesellschaftlicher Umwälzungen. Die „Geistigenräte", die im November 1918 in verschiedenen deutschen Großstädten gegründet wur197

Stefan Zweig, Briefe, S. 242. Zur Situation in Österreich knapp und konzis: Pulzer, „Erster Weltkrieg", S. 379 f.

198

Stefan Zweig, Briefe, S. 256 f., hier S. 257. Statt dessen glaubte Zweig, daß es „Zeit zu einem neuen Idealismus" sei, der im Geiste Goethes nationale Beschränktheiten überwinde, wie er bereits am 15. November 1918 seinem Verleger mitgeteilt hatte; ebd., S. 2 4 2 ff., hier S. 243. Eingehender zu Zweigs Anfälligkeit für antisemitische Topoi unten Kap. 5.1.

199

Vgl. Reichmann, „Bewußtseinswandel", S. 554 f.; ebd., S. 554, das Zitat. C[urt] B[ürger], „Etwas mehr Selbstzucht und Würde", in: M V A A Nr. 24/25 vom 17. Dezember 1918, S. 120 f., hier S. 121. Die Hilflosigkeit von Bürgers politischer Position zeigt sich in der häufigen Anwendung ästhetisch-moralisierender Kategorien - von „stilwidrig", über „Geschmacklosigkeit" bis hin zu „Taktlosigkeiten" und „Ungezogenheiten" - , die ihre Herkunft aus der Rüstkammer des antisemitischen Gegners nicht verleugnen können. Allgemein zur passiven Reaktion des liberalen Judentums auf die antisemitische Propaganda: Werner T. Angress, „Revolution und Demokratie: Jüdische Politiker in Berlin 1918/19", in: Reinhard Rürup (Hg.), Jüdische Geschichte in Berlin. Essays und Studien, Berlin 1995, S. 181-196, hier S. 194 f.

200

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Das deutsche Judentum im Weltkrieg

den, blieben freilich Episode. Unfähig zur politischen Zusammenarbeit, fehlte es ihnen vor allem an Akzeptanz in der Bevölkerung, um zu einem dauerhaften politischen Machtfaktor zu werden. So mußte der „Rat geistiger Arbeiter" um Kurt Hiller bereits nach wenigen Tagen den Berliner Reichstag wieder verlassen. 201 Die Mitglieder des „Spartacusbundes", aus dem zum Jahreswechsel 1918/19 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) hervorging, waren erheblich gewaltbereiter. Ihre jüdische Herkunft behandelten sie als Quantité négligeable: wenn sie überhaupt darauf rekurrierten, dann im Zusammenhang mit dem „konsequenten Internationalismus" ihres Weltbilds. Im deutschen Judentum wiederum bestanden nur äußerst geringe Sympathien für die KPD. Noch vor Beginn der Straßenkämpfe in der Republikhauptstadt warnte der Essener Rabbiner Salomon Samuel eindringlich vor den Folgen eines gewaltsamen Putschversuchs. 202 Der Einfluß der „Spartacus-Gruppe" auf jüdische Kreise blieb selbst in Berlin gering. Eine Ausnahme bildete der Schriftsteller Wieland Herzfelde, der im Sommer 1916 die Monatsschrift „Neue Jugend" gegründet hatte und zu den Leitern des sozialistisch ausgerichteten Malik-Verlags gehörte. Am 18. Januar 1919 schilderte Harry Graf Kessler in seinem Tagebuch, wie Herzfelde trotz des mißglückten Aufstands an seinen revolutionären Idealen festhielt und die Herrschaft des Terrors unverdrossen als gerechtfertigt empfand. 203 Einer der bekanntesten undogmatischen Sozialisten war Gustav Landauer. Schon am 16. April 1917 hatte er mit dem Gedanken an eine umfassende Revolution gespielt und dies Buber schriftlich mitgeteilt. 204 Obwohl Landauer den Krieg als kämpferischer Pazifist grundsätzlich 201

202

Zu den ideologiegeschichtlichen Folgen dieses politischen Mißerfolgs: Dietz Bering, Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfworts, Stuttgart 1978, S. 8 2 88. [Salomon] Samuel, „Spartacus", in: IF Nr. 1 vom 3. Januar 1919, S. 1 f. Den historischen Kontext analysieren: Angress, „Juden", S. 2 2 5 - 2 3 4 ; Ders., „Revolution", S. 192 ff.; Niewyk, „German Jews", S. 42 f., und Zimmermann, „Zukunftserwartungen", S. 59 ff.

203

Zu Herzfelde vgl. Tramer, „Beitrag", S. 342 f., und passim. - Für die Einsicht in die Tagebücher von Harry Graf Kessler, die gegenwärtig für den Druck vorbereitet werden, danke ich Frau Dr. Ingrid Belke und Frau Heike Schiller vom Deutschen Literaturarchiv in Marbach.

204

Buber, Briefwechsel, Bd. 1, S. 490 f. Vgl. allerdings auch Landauers Schreiben an Margarete Susman vom 16. April 1917, in dem er die Aussichten einer deutschen Revolution wesentlich skeptischer einschätzt: „Ich glaube an eine Revolution auch in Deutschland, aber nicht während dieses Krieges und nicht in den ersten Jahren nachher. [...] [W]ir haben kein Bürgertum, das an der Neugestaltung der Verhältnisse teilnimmt; [...]. Die Geistigen, die sich jetzt, während des Kriegs, der Politik zugewandt haben, sind noch viel zu schwach und verworren." (Landauer, Lebensgang, Bd. 2, S. 176 ff., hier S. 176 f.).

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ablehnte, deutete er ihn doch in apokalyptischen Denkfiguren, die dem Geschehen einen geschichtsphilosophischen Sinn unterlegten. Keinerlei Sympathie hegte er für die „Spartakisten", deren Geschichtsdeterminismus und Gewaltbereitschaft er als gleichermaßen unheilvoll betrachtete. Andererseits übte er scharfe Kritik an der bürgerlichen Einstellung zur Novemberrevolution. Am 3. November 1918 schrieb er an Fritz Mauthner: „Wenn ich einen Wunsch an eine Fee frei hätte, wäre es kein anderer als dieser: Deutschlands Zustände heute und in den nächsten 14 Tagen zu sehen, wie sie ohne diese Revolution gewesen wären! Es war nichts, absolut nichts für den Fall dieser Niederlage und dieser Demobilisation vorbereitet!" 205 Im Dezember 1918 bot sich Landauer bei den Münchener Revolutionswirren die Gelegenheit, für die Verwirklichung seiner Ideale zu kämpfen. Trotz seiner scheinbaren Weltfremdheit wurde Landauer alsbald eine wichtige Stütze von Kurt Eisner, mit dem er neben der jüdischen Herkunft das Vertrauen in die universale Gültigkeit humaner Werte teilte. Ihr Politikverständnis konvergierte in der Bedeutung, die sie utopischen Entwürfen für die Gesellschaftsgestaltung beimaßen. Dies war freilich nicht ohne tiefgehende Ambiguität, weil jede politische Analyse der Gegenwart gleichsam im Schatten der Zukunft stand und deshalb die - in diesen bewegten Tagen so wichtige - Beurteilung der realen Kräfteverhältnisse von nachgeordneter Bedeutung erscheinen mußte. 206 Mit rastlosem Eifer stürzte sich Landauer in seine Aufgaben als Unterrichtsminister der Münchener Revolutionsregierung. Knapp einen Monat nach der Ermordung Eisners schrieb er seinem Bruder Hugo am 19. März 1919: „Man muß überall zugleich ansetzen, das eine tun und das andere nicht lassen: die Bauern mit neuem Geist befruchten, ihre Kinder anders unterrichten, durch Wanderredner, Vorleser und Wanderbühnen etwas für ihre Erweckung tun; selbst in den Kirchen unkirchlich die Lehren Christi und 205

206

Landauer - Mauthner, S. 350 f., hier S. 350. Nähere Ausfuhrungen zu Landauers Ablehnung des Weltkrieges unten Kap. 4.2. Vgl. Angress, „Juden", S. 2 3 4 - 2 6 7 , und Ruth Link-Salinger, Prophet of Community. The Romantic Socialism of Gustav Landauer, Berkeley 1973, S. 8 2 - 8 8 ; allgemein zur politischen Entwicklung in Bayern: Allan D. Mitchell, Revolution in Bavaria 1918-1919. The Eisner Regime and the Soviet Republic, N e w Jersey 1965. Zu Eisners neukantianisch gefärbtem politischen Weltbild: Freya Eisner, „Kurt Eisners Ort in der sozialistischen Bewegung", in: VfZG 43 (1995), S. 4 0 7 435, bes. S. 4 1 6 - 4 2 0 , sowie Bernhard Grau, Kurt Eisner 1867-1919. Eine Biographie, München 2001, S. 1 0 5 - 1 2 9 u. 5 0 8 - 5 1 6 .

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Buddhas verkündigen; die Großgrundbesitze aufteilen und für Gemeindeland und neue Bauernsiedlungen aus früheren Industriearbeiten sorgen." 207 Der Brief zeigt nicht nur Landauers revolutionären Enthusiasmus, sondern auch - ungeachtet der weihevollen, nachgerade prophetischen Sprache - eine recht nüchterne Situationseinschätzung. Allzu rasch verloren aus seiner Perspektive die Arbeiter- und Bauernräte an politischer Macht, allzu rasch stabilisierte Friedrich Ebert seine Position, allzu rasch wurde das Versagen der konservativen Eliten im Weltkrieg vergessen. 208 Eine Lösung für die Vielzahl von Problemen, vor denen die Revolution stand, fand Landauer nicht; seine Ermordung am 2. Mai 1919 markierte zugleich das Ende der Münchener Räterepublik. In den ersten Monaten der Weimarer Republik überwog im deutschen Judentum die Zukunftsskepsis. Dies gilt auch für die Zionisten, die im November 1918 der mißlichen Lage des osteuropäischen Judentums ebenso viel Aufmerksamkeit schenkten wie dem Wandel des politischen Systems. 209 Lediglich die Balfour-Erklärung nahm man rückblickend zum Anlaß, um gestiegenes Selbstvertrauen zu demonstrieren. So legte Robert Weltsch zwar große Skepsis gegenüber den politischen Systemen in Deutschland und Österreich an den Tag, sah aber deutliche Anzeichen dafür, „daß ein unerhörter, ungeahnter Aufbruch des [jüdischen; U.S.] Volkes bevorsteht". 210 Bei Licht besehen erweist sich die Palästina-Zentriertheit der deutschen Zionisten freilich als Chimäre. Nicht mehr als etwa 2.000 deutsche Zionisten nahmen zwischen 1920 und 1933 das Posener Bekenntnis ernst und wanderten nach Palästina aus. Für diese Aufgabe schien ihnen das osteuropäische Judentum geeigneter, das angesichts der steigenden Gefährdung durch Pogrome und antisemitische Ausschreitungen aller Art dringend einer Heimstätte bedürfe. 211

207 208

209

210

211

Landauer, Lebensgang, Bd. 2, S. 398 ff., hier S. 399. Bereits am 4. Februar 1919 hatte er der Malerin Julie Wolfthorn wütend und desillusioniert geschrieben: „Ihr starrt nach den Friedensbedingungen, - so elend sie sein werden, sie werden in jedem Fall besser sein als ihr sie verdient. Ein Volk, das erst den Zusammenbruch besorgt, und dann in der alten Weise mit Krieg, Lüge und sentimentalem Gewinsel weitermacht! Es ist alles, alles verdorben, was die paar Kühnen in den ersten Novembertagen begonnen haben." (Ebd., S. 375 ff., hier S. 376). So finden sich auf der Titelseite der „Jüdischen Rundschau" vom 15. November 1918 die Artikel „Revolution" und „Grosse Judenpogrome in Westgalizien" (JR Nr. 46, S. 357) gleichberechtigt nebeneinander; vgl. auch Zimmermann, „Zukunftserwartungen", S. 69 ff. Schreiben Robert Weltschs an Buber vom 17. November 1918; Buber, Briefwechsel, Bd. 2, S. 11 f., hier S. 12. Vgl. Reinharz, Fatherland, S. 141 f., und Zimmermann, „Zukunftserwartungen", S. 6 1 - 6 6 .

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Daß die durch den Kriegsausbruch ausgelösten Hoffnungen einem Gefühl umfassender Enttäuschung Platz gemacht hatten, scheint nicht nur für das jüdische Bildungsbürgertum zu gelten. Zumindest ist die erheblich gestiegene jüdische Selbstmordrate in Frankfurt am Main ein wichtiger Hinweis auf das Ausmaß des zeitgenössischen Krisenbewußtseins, das gewiß auch mit dem Verlust gesellschaftlicher Sekurität angesichts des rasch wachsenden Antisemitismus zusammenhing. Überdies sollte man die Fülle von Alltagsproblemen im Blick behalten, welche die Rückkehr der Soldaten und die Veränderung des Wirtschaftslebens für die jüdischen Gemeinden mit sich brachten. 212 Diejenigen jüdischen Intellektuellen, die den Krieg in apokalyptischen Denkfiguren verherrlicht hatten, erlebten die triste Nachkriegsrealität als besonders desillusionierend. In einem subjektiv gefärbten Artikel für die Zeitschrift „Der Jude" charakterisierte Hans Kohn eindrucksvoll das geistige Klima: „Die Ernüchterung ergreift alle Welt. Man beginnt zu sehen, daß keine neue Zeit begonnen hat. Das Alte lebt fort und es ist durch die Jahre des Wahnsinns und des Blutes, die dazwischen liegen, nicht ehrwürdiger geworden." 213 Doch so prägnant diese Formulierungen auch waren, sie rückten die alles entscheidende Tatsache in den Hintergrund, daß die vorherrschende Bewertung des Krieges in Deutschland und Österreich eine direkte Folge der Niederlage war. Insbesondere bei der Erörterung der „Kriegsschuldfrage" spielten antisemitische Motive schon zu Beginn der Weimarer Republik eine Schlüsselrolle. Auf dem rechten politischen Flügel verband sich die Entstehung und Pflege der „Dolchstoßlegende" mit antisemitischen Unterstellungen von großer Schärfe. Kurt Eisners Aktenpublikation für das Auswärtige Amt wurde nachgesagt, daß sie das deutsche Verhalten bei Kriegsausbruch absichtlich in negativem Licht erscheinen lasse. 214 Allenthalben stellte man die Juden als die eigentlichen Nutznießer des Zusammenbruchs und als Teil einer weltumspannenden Verschwörung dar. Auch rein quantitativ erreichte die judenfeindliche Hetze neue Dimensionen. Allein die mitgliederschwache „Deutsche Erneuerungsgemeinde"

212

Niewyk, „German Jews", S. 51. Anschaulich zu den Demobilisierungsproblemen am Beispiel Berlins ist Ismar Freunds „Denkschrift betr. die Unterbringung der Heimkehrer aus dem ersten Weltkrieg"; CAHJP Jerusalem P 2, D 1.

213

Hans Kohn, „Der Augenblick", in: Der Jude 5 (1920/21), S. 437 ff., hier S. 437; zum ideengeschichtlichen Kontext: Blom, Buber, S. 175 f. Vgl. Michael Dreyer u. Oliver Lembcke, Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19, Berlin 1993, S. 6 3 - 7 7 ; allgemein: Peter Krüger, Deutschland und die Reparationen 1918/19. Die Genesis des Reparationsproblems in Deutschland zwischen Waffenstillstand und Versailler Friedensschluß, Stuttgart 1973, S. 6 6 - 7 5 .

214

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Das deutsche Judentum im Weltkrieg

des fanatischen Antisemiten Theodor Fritsch verteilte zwischen November 1918 und März 1919 ca. zwei Millionen Flugblätter. 215 Abgestempelt als „Sündenbock" für die Niederlage, erschienen den meisten deutschen Juden die im Krieg erbrachten Opfer als vergeblich. Doch gerade diese Stigmatisierung erleichterte es ihnen, sich mit der Weimarer Republik zu arrangieren. In hohem Maße trifft diese Einschätzung auf das liberale Judentum zu, deren politische Leitfiguren und weltanschauliche Vordenker das Kaiserreich nun als endgültig desavouiert betrachteten. 216 Mit plastischen Erinnerungen an die grausame Kriegsrealität vermochte man freilich ebensowenig wie die übrige Gesellschaft zu leben. Alsbald bildeten sich Veteranenorganisationen, die in einer Vielzahl von Druckschriften und Veranstaltungen die militärische Leistung der deutschen Juden herausstellten und ein heroisches Bild der Kriegsereignisse entwarfen. Nicht zufällig wurde der „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" eine der erfolgreichsten jüdischen Organisationen der Weimarer Republik. 217 Seine verklärende Darstellung des jüdischen Patriotismus hat allerdings bis auf den heutigen Tag den Blick auf die deprimierenden Kriegserfahrungen und deren Vielschichtigkeit verstellt.

215

Jochmann, „Ausbreitung", S. 451, Anm. 146.

216

Vgl. Pulzer, Jews, S. 207. Dazu monographisch: Ulrich Dunker, Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten 1919-1938. Geschichte eines jüdischen Abwehrvereins, Düsseldorf 1977.

217

4. Jüdisches „Kriegserlebnis"

Die Frage, ob es ein spezifisch jüdisches „Kriegserlebnis" gab, fand bislang wenig Beachtung, obwohl ihre Relevanz kaum zu bestreiten ist.1 Es handelt sich um eine ungewöhnlich schwierige Thematik, weil das reichhaltige und aussagekräftige Quellenmaterial eine Vielzahl von Kriegserfahrungen umfaßt. Jüdische Intellektuelle erlebten und deuteten den Krieg unterschiedlich, je nachdem ob sie sich an der Front, in der Etappe oder in der Heimat aufhielten, in Galizien oder Frankreich ihren Dienst taten, zum Offizierskorps oder zu den einfachen Soldaten gehörten. Dies ist wenig überraschend, hat doch die jüngere Forschung die Vielschichtigkeit der Kriegserfahrungen und die Komplexität ihrer psychischen wie kulturellen Verarbeitung erwiesen. Dabei wurde die analytische Unschärfe des affirmativen Begriffs „Kriegserlebnis" immer deutlicher, der insbesondere dazu tendiert, heterogene Phänomene zu einer „mentalitätshistorischen Entität" zu runden. 2 Aus diesem Grund erscheint es angebracht, die empirische Aufschlüsselung des Gegenstands unter dem flexiblen und normativ weniger aufgeladenen Terminus „Kriegserfahrungen" vorzunehmen. Bezeichnenderweise betrachteten Historiker die deutschen Juden im Weltkrieg eher als Objekte der Politik, denn als aktiv Handelnde. Galt es ihr subjektives Erleben zu beschreiben, so behalf man sich mit Gemeinplätzen, welche die Intensität des jüdischen Patriotismus herausstellten. Dies war nicht zuletzt eine Konsequenz aus der einseitigen und zudem Eigentlich ist hier nur George Mosse, Jews, zu nennen, dessen umsichtige Skizze freilich vollständig auf die Auswertung archivalischer Quellen verzichtet. Vgl. etwa Hirschfeld, Kriegserfahrungen, oder Bernd Ulrich u. Benjamin Ziemann (Hgg.), Frontalltag im Ersten Weltkrieg. Wahn und Wirklichkeit, Frankfurt am Main 1994. Wertvolle Anregungen vermittelten bereits die Sammelbände von Klaus Vondung (Hg.), Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nationen, Göttingen 1980, sowie von Bernd Hüppauf (Hg.), Ansichten vom Krieg. Vergleichende Studien zum Ersten Weltkrieg in Literatur und Gesellschaft, Königstein im Taunus 1984. - Grundlegend für die frühe Hinwendung der angelsächsischen Literatur zur psychischen und symbolischen Verarbeitung des Krieges: Fussel, Great War, und Eric J. Leed, No Man 's Land. Combat and Identity in World War I, Cambridge usw. 1979.

110

Jüdisches „Kriegserlebnis"

quellenkritisch unterreflektierten Interpretation von Zeitungen und Zeitschriften, die zu wenig den Loyalitätsdruck berücksichtigte, der auf den deutschen Juden lastete. 3 Ferner studierte man die jüdische Memoirenliteratur, deren Großteil erst nach 1933 verfaßt wurde und zur Idealisierung des Kaiserreichs oder besonders schroffer Herausstellung antisemitischer Kontinuitätslinien neigt, nicht immer mit der nötigen methodischen Sorgfalt. Im Resultat entstand ein holzschnittartiges Bild des jüdischen „Kriegserlebnisses", das der Komplexität des historischen Phänomens nicht angemessen ist und dazu tendiert, die Belastungen des Kriegsalltags in den Hintergrund zu rücken. 4 Die jüngere Weltkriegsforschung steht der isolierten Behandlung einzelner Quellengattungen skeptisch gegenüber, weil sich die scheinbare Faktizität des „Kriegserlebnisses" als hochgradig „kontextabhängig" erwiesen hat. Sogar eine selbstverständlich herangezogene Quelle wie die Feldpostbriefe erschließt sich erst im kulturellen Medium ihrer Entstehungszeit, und ihre Deutung hat die Ebene politischer Indienstnahme stets mit zu berücksichtigen. 5 Ferner sollte bedacht werden, daß die zur Verfügung stehenden Zeugnisse nicht nur Tatsächliches mitteilen, sondern auch der Ausdruck symbolischer Aneignung und Verarbeitung individueller Kriegserfahrungen sind. „Authentisches Kriegserleben" ist für den Historiker nicht zu haben, so häufig einem auch die Quellen unmittelbare Anschauungsnähe suggerieren. Es dürfte schwerlich zufällig sein, daß im Ersten Weltkrieg die Institution des Augenzeugen einen gravierenden

Besonders häufig finden sich derlei Einschätzungen in epochenübergreifenden Werken, die aufgrund der Fülle der zu bearbeitenden Probleme und der notwendigerweise synthetischen Vorgehensweise den Weg zu den Originalquellen nur selten finden. Exemplarisch seien für das konventionelle Bild Jüdischer Kriegsbegeisterung" Friedrich Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas, Bd. 2: Von 1650 bis 1945, Darmstadt 1990, S. 244 f f , sowie die jüngste geisteshistorische Studie von Paul R. Mendes-Flohr, „The Kriegserlebnis and Jewish Consciousness", in: Wolfgang Benz (Hg.), Jüdisches Leben in der Weimarer Republik = Jews in the Weimar Republic, Tübingen 1998, S. 2 2 5 - 2 3 7 , genannt. Bezeichnend ist, daß der Vortrag von Reinhold Lewin „Der Krieg als jüdisches Erlebnis" (abgedr.: MGWJ N.F. 27 [1919], S. 1 - 1 4 ) ein vielzitierter Schlüsseltext der deutsch-jüdischen Geschichtsschreibung geblieben ist. Dabei diente das eigentümliche Amalgam aus Kriegsromantik und zionistischem Männlichkeitskult in erster Linie dem „Ruhmestitel der deutschen Front" (ebd., S. 4), mithin der Verklärung der Weltkriegsniederlage. Ähnliches gilt für Simon, „Kriegserlebnis", der das Loblied jüdischer Tapferkeit mit scharfen Angriffen auf das allzu liberale „Assimilationsjudentum" der Vorkriegszeit verbindet. So die Kernthese der Maßstäbe setzenden Studie von Bernd Ulrich, Die Augenzeugen. Deutsche Feldpostbriefe in Kriegs- und Nachkriegszeit 1914-1933, Essen 1997.

111 Bedeutungsverlust erlitt.6 Zum einen ließ sich aus der „Froschperspektive" des Grabenkrieges kein zureichendes Gesamtbild des Geschehens mehr entwickeln. Zum anderen überforderten Materialeinsatz und Kampfintensität an der Westfront die menschliche Vorstellungskraft in bislang nicht gekanntem Ausmaß und führten zu einer Fragmentierung der Wahrnehmung, die ihrerseits jede weitere Vorstellung des Ersten Weltkrieges geprägt hat. 7 Die Kriegslandschaft entwickelte gleichsam ein Eigenleben, das die Phantasie des Betrachters in ihren Bann schlug und rationale Erklärungen des „Kriegserlebnisses" erheblich erschwerte. Die zeitgenössischen Versuche, den „entmenschlichten Krieg" zu beschreiben, spiegeln jedenfalls zumeist die Schwierigkeit dieser Aufgabe und die Inadäquatheit der gewählten Terminologie. 8 Bedenkt man die generellen methodischen Probleme deutsch-jüdischer Kulturgeschichtsschreibung, wird man kaum dazu neigen, die Vielzahl von Kriegserfahrungen auf eine einfache Formel zu bringen. Überdies erscheint angesichts der Komplexität des Themas die Konzentration auf wenige Aspekte des jüdischen „Kriegserlebnisses" ratsam. Auf diese Weise ist es möglich, einen Eindruck davon zu vermitteln, mit welchen Erfahrungen jüdische Intellektuelle während des Ersten Weltkrieges konfrontiert waren. Hinter der Entscheidung für die Analyse der synchronen Faktoren, die von Reinhart Koselleck in die Weltkriegsforschung eingeführt wurde, steckt nicht zuletzt die skeptische Beurteilung jener teleologischen Geschichtskonstruktionen, die nach 1918 in Blüte standen. Gerade in Deutschland war der Bedarf an Sinngebung so groß, daß ein mythisches Geschichtsverständnis an die Stelle des konkreten Kriegsgedächtnisses trat. 9 Das Bild des deutschen Judentums im Krieg gewann in diesem Zusammenhang zwar seine „heroische Größe", aber es verlor jene Dies hob als erster Marc Bloch hervor. Zu seiner Sicht des Ersten Weltkrieges, die in den letzten Jahren eine Vielzahl von Studien inspiriert hat: Raulff, Historiker, S. 6 6 - 8 1 , sowie Fritz Stern, „Die Historiker und der Erste Weltkrieg. Eigenes Erleben und öffentliche Deutung", in: Ders., Verspielte Größe. Essays zur deutschen Geschichte, München 1996, S. 3 7 - 6 8 u. 297 ff., hier S. 42 f. u. 47 f. Dazu komprimiert: Wolfgang Kruse, „Krieg und Kultur: Die Zivilisationskrise", in: Ders. (Hg.), Eine Welt von Feinden. Der Große Krieg 1914-1918. Mit Beiträgen von Christoph Cornelißen u.a., Frankfurt am Main 1997, S. 183-195. Nennenswerte Ausnahme: Kurt Lewin, „Kriegslandschaft", in: Zeitschrift für angewandte Psychologie 12 (1917), S. 4 4 0 - 4 4 7 . Dies betont zu Recht: George L. Mosse, „Über Kriegserinnerung und Kriegsbegeisterung", in: Marcel van der Linden u. Gottfried Mergner (Hgg.), Kriegsbegeisterung und mentale Kriegsvorbereitung. Interdisziplinäre Studien, Bonn 1991, S. 2 7 - 3 6 . Generell zu den methodischen Problemen, die sich einer Geschichte der soldatischen Kriegswahrnehmung stellen: Reinhart Koselleck, „Der Einfluß der beiden Weltkriege auf das soziale Bewußtsein", in: Wolfram Wette (Hg.), Der Krieg des kleinen Mannes, München 1992, S. 3 2 4 - 3 4 3 , bes. S. 3 2 5 333.

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Jüdisches „Kriegserlebnis"

plastische Heterogenität, die für historisches Wissen stets charakteristisch ist.

4.1. Kriegserfahrungen j üdischer Intellektueller Der Alltag jüdischer Soldaten unterschied sich zum Teil erheblich von dem anderer Soldaten. Trotz aller Akkulturation an die christliche Umgebung und ihren Wertekanon hatte sich das deutsche Judentum nicht vollends assimiliert. Aus seiner religiös-kulturellen Identität erwuchsen im Krieg eine Vielzahl von Aufgaben und Problemen. Insbesondere orthodoxe Juden standen vor großen Schwierigkeiten, wenn sie religiös observant leben wollten. Obwohl seitens der Armeeführung einige Anstrengungen zur Gewährleistung koscherer Ernährung unternommen wurden, stellten sich vor Ort immer wieder gravierende Probleme. Nicht zufällig betrafen viele Verlautbarungen des VDJ die Probleme des Schächtens. 10 Jüdischerseits galt es, dem Doppelvorwurf der Bevorzugung und bewußten Absonderung entgegenzuwirken, der nicht selten bei erfolgreicher Einhaltung der rituellen Speisevorschriften erhoben wurde. In einer zeitgenössischen Abhandlung hieß es appellativ: „Es kommt nun darauf an, unserer Umgebung immer wieder klar zu machen, daß wir nicht deshalb auf das Essen aus der Feldküche verzichten, weil es uns etwa nicht fein und schmackhaft genug ist, sondern einzig und allein in Befolgung einer religiösen Vorschrift." 11 Die begrenzte Politizität der Argumentation zeigte sich nicht nur darin, daß die Ansprüche der christlichen Mehrheitsgesellschaft nicht hinterfragt wurden. Noch bezeichnender war der Hinweis auf die jüdische Fähigkeit, körperliche Strapazen zu ertragen, welche die antisemitischen Vorurteile in Grenzen halten sollte. 12 Ähnlich schwierig wie um die Einhaltung der Speisegebote war es um die Wahrung der jüdischen Feiertage bestellt. Nicht zuletzt traten immenDie einschlägigen Unterlagen finden sich: CAHJP Jerusalem M 21 / 3 a ; vgl. ferner David Brenner, Marketing Identities, S. 147 f., und Mordechai Breuer, Orthodoxie, S. 345 f. Moses Jacobson, „Wie können wir im Felde die Ehre des Judentums wahren und heben?", in: Jeschurun 2 (1915), S. 3 7 3 - 3 8 1 , hier S. 379. Ebd., S. 380. Generell bemühte man sich in der Zeitschrift „Jeschurun" darum, den soldatischen Antisemitismus als „schlechte[n] Bierwitz" und „geschmacklose Neckerei" abzutun; vgl. etwa Harry Levy, „Als Jude im Feld", in: Jeschurun 2 (1915), S. 152-161, hier S. 155.

Kriegserfahrungen jüdischer Intellektueller

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se praktische Probleme auf, weil die vergleichsweise geringe Zahl jüdischer Soldaten, die sich über das ganze Kriegsgebiet verteilten, flächendeckenden Maßnahmen im Wege stand. Häufig gab es für gläubige Juden keinen anderen Ausweg, als die wenigen kostbaren Urlaubstage auf die hohen jüdischen Feste zu legen - und selbst in diesem Fall war die Gewährung einer Heimatreise ungewiß. So erinnerte sich der vor Verdun stationierte Felix Kaufmann, daß im Sommer 1916 zwar jüdische Soldaten an den hohen Feiertagen eine Dienstbefreiung zum Feldgottesdienst erhalten sollten. Doch mußte vorab die Frage geklärt werden, wer von ihnen denn zu den Kriegsfreiwilligen gehört habe. 13 Zumutungen dieser Art scheinen an der Tagesordnung gewesen zu sein. Hingegen wissen die zeitnahen Quellen relativ wenig von direkten Schikanen zu berichten, deren Darlegung für den Betroffenen freilich auch mit nicht unerheblichen persönlichen Risiken verbunden war. 14 Ansprechpartner bei Beschwerden waren die Armeerabbiner, denen die jüdischen Soldaten mehr Vertrauen als ihren Vorgesetzten entgegenbrachten. Der Schweizer Kraftfahrer und ehemalige Architekt Ernst Prühli 15 schrieb am 29. Dezember 1916 dem Feldrabbiner Arnold Tänzer, ihm sei nach 27 Monaten ununterbrochenen Dienstes zu Pessach kein Urlaub gewährt worden. Der abschlägige Bescheid habe schlicht ,„aus politischen Gründen nicht zulässig'" gelautet und ein .jugendlicher Leutnant" habe ihm lakonisch mitgeteilt, „Sie sind Ausländer + auf die jüdischen Feiertage können wir nicht Rücksicht nehmen". Statt dessen habe er die ersehnte Dienstbefreiung an den „christlichen Osterfeiertage[n]" erhalten. Prühli verband seine Bitte um eine „energische Beschwerde" mit dem Hinweis, daß seiner Auffassung nach „in Preussen + speziell in Berlin eine geheime und auch offene antisemitische Strömung der Dank an jüdische Soldaten für ,Ihre Dienste zu sein' (scheint)". Um die Sorgen und Nöte jüdischer Soldaten kümmerten sich ca. dreißig Feldrabbiner, von denen jeder für eine ganze Armee zuständig war. Sie wußten, welche Schwierigkeiten und Vorbehalte dem Besuch der Gottesdienste an der Front entgegenstanden. So war Prühlis Beschwerde die Reaktion auf eine Anfrage Tänzers, die „den mangelhaften Besuch 13

Schreiben Kaufmanns an Fred Mecklenburg vom Juni 1986; LBI N e w York ME 233. Zeitgenössisch zu diesem Problemfeld: J[oseph] Wohlgemuth, „Der gesetzestreue Jude und der Krieg", in: Jeschurun 1 (1914), S. 3 7 5 - 3 9 0 , bes. S. 383 f. Breites Archivmaterial zu den organisatorischen Schwierigkeiten, die sich bei der Dienstbefreiung jüdischer Soldaten stellten, enthält: CAHJP Jerusalem M 21 / 4 b . Aus der modernen Forschungsliteratur vgl. Berkowitz, Western Jewry, S. 16.

14

Dies bestätigt für die Soldaten der bayerischen Armee: Ziemann, Front, S. 268 f. Ausführlich und detailscharf zu den Problemen, welche die postalische Schilderung von Mißständen für die Soldaten heraufbeschwören konnte: Ulrich, Augenzeugen, S. 7 8 - 1 0 5 .

15

Name nicht einwandfrei entzifferbar, CAHJP Jerusalem P 24, Nr. 4b; ebd. die folgenden Zitate.

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Jüdisches „Kriegserlebnis"

der Synagoge durch jüdische Soldaten" betraf. 16 Die couragiert auftretenden Rabbiner genossen im deutschen Judentum beträchtliches Ansehen. Ihre komplette Entlohnung hatte bei Kriegsbeginn der VDJ übernommen, der sich von der Einrichtung des Armeerabbinats eine vermehrte Anerkennung der jüdischen Religion erhoffte. 17 Es dauerte bis zum September 1915, ehe das preußische Kriegsministerium monatliche Aufwandsentschädigungen gewährte, die allerdings längst nicht alle anfallenden Kosten deckten. 18 Seitens der Berliner Jüdischen Gemeinde bemühte man sich um die Vermittlung von Hilfspredigern, die man aus den Hörern der „Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums" oder des örtlichen Rabbinerseminars rekrutierte. 19 Die großen jüdischen Zeitungen stellten die Feldrabbiner in ausfuhrlichen und gern mit einem persönlichen Foto versehenen Artikeln ihren Lesern vor. Ihre Berichte über den Kriegsalltag waren wiederum so begehrt, daß sie nicht selten von mehreren Blättern gedruckt wurden. Eine der zentralen Aufgaben der Armeerabbiner bestand in der Bekämpfung antisemitischer Agitation. Während ihre Schilderungen der Kriegsereignisse in den jüdischen Zeitungen meist recht harmonisch gerieten, nahmen sie untereinander kein Blatt vor den Mund. So beschlossen sie auf der Feldrabbiner-Konferenz in Wilna am 6. bzw. 7. März 1916 auf „[antisemitische Flugschriften [...] in den Schützengräben" zu achten. 20 Zumeist vermieden sie aber den offenen Konflikt und wirkten so entschlossen wie tatkräftig hinter den Kulissen. Der ohnehin stark ausgeprägte Korpsgeist der Offiziere wurde durch die Vielfalt gemeinsamer Aufgaben und die Kluft zur soldatischen Lebenswelt noch verstärkt. In aller Regel neigten jüdische Offiziere zu einer besonders ernsten Pflichtauffassung. Sie waren sich nicht nur über ihre privilegierte Stellung im klaren, sondern wußten auch um die Vielzahl kritischer Blicke. Gelegentlich kam es zu bedenklichen Formen von Überidentifikation. Der Berliner Germanistikstudent Ernst Loewenberg 16

Zit. nach dem Brief Prühlis vom 29. Dezember 1917, ebd.; die Anfrage Tänzers ist in den Akten nicht enthalten.

17

Breites Material dazu findet sich: CAJ Berlin 75 C Ve 1 Nr. 3, und BHStA München Abt. IV MKr 13846. Die Institutionalisierung der Feldrabbiner analysiert: Arnold Vogt, Religion im Militär. Seelsorge zwischen Kriegsverherrlichung und Humanität. Eine militärgeschichtliche Studie, Frankfurt am Main, Bern u. N e w York 1984, S. 5 7 8 - 6 1 4 .

18

Vgl. die „Autobiographische Skizze" des Frankfurter Rabbiners Georg Salzberger (LBI N e w York ME 542, S. 4 f.), sowie Ders., Leben und Lehre, hg. u. eingel. v. Albert H. Friedlander, Frankfurt am Main 1982, S. 73; ferner ergiebig die „Kriegserinnerungen" von Arnold Tänzer (LBI N e w York ME 640, S. 5 - 8 ) .

19

Vgl. die Unterlagen CAHJP Jerusalem GA II / 79. CJA Berlin Ve 1 Nr. 377, fol. 3 3 - 3 8 , hier fol. 35. Für den Hinweis auf das aufschlußreiche Dokument danke ich Fritz Backhaus vom Jüdischen Museum in Frankfurt am Main.

20

Kriegserfahrungen jüdischer Intellektueller

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berichtete von einem jüdischen Stabsarzt, der sich gegen den Vorwurf übergroßer Milde dadurch schützte, daß er alle Soldaten für kriegstauglich erklärte. 21 Victor Klemperer entfremdete sich bei seinem Lazarettaufenthalt von seinem älteren Bruder Georg, weil er dessen markige Durchhalteparolen nicht mehr hören konnte. Dieser war als „Universitätsprofessor und beratender Arzt des Gardekorps" so sehr Patriot, daß er keinerlei Kritik an militärischen Mißständen hören mochte und „fremdländische Namen, wie es ein strenger Nationalismus forderte, deutsch aussprach". 22 Obwohl jüdische Offiziere gern die Selbstverständlichkeit ihres Amtes herausstellten, blieb dies doch eine Wunschvorstellung, die den asymmetrischen Charakter des Verhältnisses zu ihren christlichen Kollegen nur unterstrich. 23 Jüdische Intellektuelle wurden aufgrund ihrer guten Schulbildung und vor allem wegen ihrer Sprachkenntnisse bevorzugt in Stabsfunktionen eingesetzt. Hoch war die Anzahl derer, die an der Front oder in Strafgefangenenlagern als Dolmetscher ihren Dienst versahen. Viele Juden im Offiziersrang wirkten als Arzt oder Mitarbeiter der Armeezeitungen. Gleichzeitig fanden jüdische Intellektuelle ein Unterkommen in den Stäben oder bei den neu eingerichteten Zensurabteilungen. Im Wiener Kriegsarchiv arbeiteten mehrere österreichisch-jüdische Schriftsteller, von denen Franz Werfel, der freilich 1916 an die galizische Front mußte, und Stefan Zweig die bekanntesten waren. Ernst Cassirer widmete sich beim Berliner Kriegspresseamt der Bekämpfung der französischen Propaganda. Der instrumentelle Umgang mit Nachrichten, der bis zur gezielten Verbreitung von Lügen gehen konnte, behagte dem sensiblen Philosophen keineswegs. Doch war sich Cassirer darüber im klaren, daß ihn seine Tätigkeit immerhin vor den Gefahren des Fronteinsatzes bewahrte. 24 Generell sollte man sich von den ostentativen Klagen über das untätige Leben bei den militärischen Behörden nicht irritieren lassen: Stellen wie beim Wiener Kriegsarchiv waren hochbegehrt. Max Brod antichambrierte nach Kräften bei Stefan Zweig, um dem befreundeten Journalisten Egon Erwin Kisch, der „schwer verwundet" worden war, die Rückkehr an die Front zu ersparen. 25 Zwar schätzte Brod, der den eigenen Zionismus

21

HL Harvard bMS Ger 91 (145), S. 5.

22

Klemperer, Curriculum vitae, S. 452. Dies läßt sich selbst anhand der pastellfarbenen Erinnerungsliteratur nachweisen. So beschreibt der spätere Breslauer „Schiffsbesitzer" Arnold Bernstein zwar, wie sehr er den Krieg als Befreiung aus dem jüdischen „Ghetto" erlebte, aber seine Memoiren weisen nicht darauf hin, daß christliche Offiziere ein ähnliches Interesse am Judentum entwickelten; LBI N e w York ME 55. Vgl. Toni Cassirer, Mein Leben mit Ernst Cassirer, Hildesheim 1981, S. 1 1 3 120. Vgl. das Schreiben Max Brods an Stefan Zweig vom 9. Oktober 1915, in dem Brod sein Engagement für Kisch zur „Herzenssache" erklärte und nachdrücklich

23

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Jüdisches „Kriegserlebnis"

in den Vordergrund rückte, Zweig politisch falsch ein, doch war sein Einsatz letztlich von Erfolg gekrönt; denn Kisch wurde Presseoffizier beim österreichischen Oberkommando.26 An der Front hatten Intellektuelle - und jüdische zumal - mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Natürlich hing es auch hier davon ab, wohin es den Betreffenden verschlug. Franz Rosenzweig etwa scheint in Makedonien ein vergleichsweise angenehmes Leben gefuhrt zu haben. In einer Vielzahl präziser und wirklichkeitsnaher Skizzen beschrieb er den Kriegsschauplatz auf dem Balkan. Zugleich fand er die Zeit, den Stern der Erlösung zu konzipieren, sein philosophisches Hauptwerk, das er nach dem Krieg fertigstellte.27 Häufiger sind allerdings Berichte wie der von Paul Amann, der wegen seines Doktortitels und seiner täppischen Art manchen Spott ertragen mußte. Wie andere Akademiker litt er vornehmlich in der Grundausbildung, in der die Vorgesetzten ihrer Intellektuellenfeindschaft freien Lauf ließen.28 Ein besonders drastisches Beispiel findet sich in den Erinnerungen des zionistischen Schriftstellers Sammy Gronemann. Während seiner zweimonatigen Grundausbildung wurde er nicht nur nach allen Regeln der Kunst ,„geschliffen"', sondern bisweilen sogar regelrecht gedemütigt, wenn auch „nie ein antisemitisches Wort (fiel)".29 So forderte ihn ein Leutnant bei einer Marschruhepause dazu auf, „mit blossen Haenden, also ohne Zuhilfenahme einer Schaufel, einen Duengerhaufen von der einen Seite der Landstrasse auf die andere zu transportieren". Gronemann bemühte sich, die Aufgabe möglichst gleichmütig auszuführen, wenn auch Zweifel hinsichtlich seiner optimistischen Einschätzung angebracht sind, daß der Offizier „seine moralische Niederlage (begriff)". Jüdische Offiziere lassen in der Darstellung ihrer Militärzeit den Antisemitismus gelegentlich zurücktreten. Beispielsweise stellte der Münchener Rechtsanwalt und Leutnant der Fliegerabwehr Alfred Hirschberg ausdrücklich fest: „Weder bei den Soldaten noch bei den Offizieren hatte ich

26

27 28

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die militärischen Verdienste Kischs, der zwei Tapferkeitsmedaillen erhalten hatte, in den Vordergrund rückte; RL Fredonia, Zweig, Nr. 15:5. Ebd., Nr. 15:6, Brief Max Brods an Stefan Zweig vom 14. Oktober 1915. Unter die Briefmarke, die Herzl bei einer Rede in Jerusalem zeigt, schrieb Brod den pathetischen Satz: „Dies das Einzige, was mich aufrecht erhält". - Die etwas peinliche Episode fehlt bei Horowitz, Leben, und Emil Utitz, Egon Erwin Kisch. Der klassische Journalist, Berlin 1956. Vgl. unten Kap. 6.3. LB1 N e w York AR 7157; gleichfalls eindrucksvoll die Schilderungen von Victor Klemperer, Curriculum vitae, S. 3 0 8 - 3 1 2 , und Karl Löwith, Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933. Ein Bericht. Mit einer Vorbemerkung von Reinhart Koselleck und einer Nachbemerkung von Ada Löwith, Frankfurt am Main 1989, S. 1 f. LBI N e w York ME 203, S. 258; ebd., die beiden nächsten Zitate.

Kriegserfahrungen jüdischer Intellektueller

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unter den geringsten antisemitischen Angriffen zu leiden." 30 Doch bei allem Stolz auf das Erreichte, eskamotierte auch die Mehrzahl der jüdischen Offiziere den militärischen Antisemitismus nicht vollständig. Rudolf Bing erinnerte sich noch nach seiner Ernennung zum Leutnant, daß sie gegen den ausdrücklichen Widerstand eines antisemitischen Vorgesetzten erfolgt sei.31 Und der Darmstädter Philosoph Julius Goldstein, der Weihnachten 1914 zum .jüngsten Offizier S[einer] M[ajestät]" avancierte, vergaß selbst im Jubelbrief an seine Frau Margarete nicht den Hinweis auf die Schwierigkeiten bei der Beförderung. Vor allem bedeutete es ihm eine innere Genugtuung, „als Jude das erreicht zu haben, was sonst ihm vorenthalten wird und an meinem Teile zum Niederbruch eines schmählichen Unrechts und Vorurteils beigetragen zu haben". 32 Für die meisten jüdischen Rekruten waren die antisemitischen Ressentiments ihrer Vorgesetzten ohnehin alltägliche Realität. Die Lebenswelt jüdischer Soldaten zu beschreiben ist eine ebenso schwierige wie heikle Aufgabe. Zwar fehlt es nicht an zeitnahen Dokumenten, doch entzieht sich etwa die Unmenge von Kriegspostkarten zumeist dem interpretatorischen Zugriff. Allzu häufig enthalten sie lediglich ein Minimum von Informationen, aus denen sich der historische Kontext und die Motive ihrer Verfasser nicht ermitteln lassen. Auch fallen die idyllischen Postkartenmotive, für die sich jüdische Soldaten entschieden, nicht aus dem Rahmen des Üblichen. Im Unterschied dazu zeigen die überlieferten Fotos jüdischer Kriegsteilnehmer vor allem die Verwüstungen, die der Krieg hinterließ. 33 Den Weg zu „spezifisch jüdischen" Erfahrungen und Deutungen bahnen diese Quellen jedoch nur selten. Beim gegenwärtigen Kenntnisstand scheint es deshalb ratsam, sich auf solche Zeugnisse zu konzentrieren, die eine eingehende Interpretation gestatten: Feldpostbriefe und Tagebücher. Für das vorliegende Thema bietet diese Entscheidung überdies den Vorteil, jüdischen Intellektuellen des öfteren das Wort geben zu können. Dies hat gleichermaßen methodische wie inhaltliche Konsequenzen. Denn selbst ein so versierter Historiker wie Ben30

31

HL Harvard bMS Ger 91 (97), S. 8. Im Tenor ähnlich sind die Erinnerungen des Breslauer Theaterdirektors Paul Barnay (LBI N e w York ME 33, S. 134), der allerdings allgemein zu einer schematischen und apologetischen Darstellung des „Burgfriedens" neigt. HL Harvard bMS Ger 91 (28), S. 23. Noch weiter ging Ernst Loewenberg, der betonte, daß viele „Offiziersaspiranten" einen schneidigen Antisemitismus an den Tag legten, weil sie glaubten, daß dies fiir ihre Beförderung hilfreich sei; HL Harvard bMS Ger 91 (145), S. 6.

32

Undatiertes Schreiben vom Dezember 1914, LBI N e w York AR 7167; ebd. auch das vorige Zitat.

33

Beispielsweise gilt dies für die achtzig Fotos, die der junge Dortmunder Soldat Wilhelm Buchheim zwischen 1915 und 1917 an der Westfront machte; LBI N e w York AR 2078. - Zur Trivialisierung des Krieges auf Ansichtskarten vgl. George Mosse, Vaterland, S. 5 7 - 6 8 .

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Jüdisches „Kriegserlebnis"

jamin Ziemann betont unkritisch die hohe Opferbereitschaft ,,viele[r] junge[r] Soldaten aus den gebildeten Schichten",34 und es liegt nahe, diese Aussage umstandslos auf jüdische Intellektuelle zu übertragen. Zieht man allerdings in höherem Umfang private Dokumente heran - wie Ziemann dies ja für die katholischen Soldaten aus dem ländlichen Südbayern getan hat - so bleibt von einem hochgestimmten bürgerlichen „Frontgeist" nicht mehr allzu viel übrig. Angesichts der deprimierenden Kriegsrealitäten und der nivellierenden Kraft des militärischen Alltags spricht wenig für die häufig beschworene „Kriegsbegeisterung" jüdischer Intellektueller. Feldpostbriefe sind die Massenquelle schlechthin für soldatische Kriegserfahrungen. Nach einer weithin akzeptierten Schätzung geht man davon aus, daß mehr als sechs Millionen Briefe täglich von der Front in die Heimat geschickt wurden.35 Weil die portofreie Post vom Kriegsschauplatz die Sorgen der Daheimgebliebenen zerstreuen sollte, tendiert sie zu beschönigender Darstellung und nichtssagenden Allgemeinplätzen. Dies heißt jedoch nicht, daß der Inhalt der Feldpostbriefe für den Historiker irrelevant wäre. Denn insbesondere die für den Druck ausgewählten vorliegenden Zeugnisse zeigen deutlich, welche Wahrnehmungen des Frontalltags in der Kriegsgesellschaft als vorbildlich, selbstverständlich oder zumindest akzeptabel galten. Beispielhaft spiegeln sie den „Erlebnisdruck", der auf den Soldaten lastete und dazu führte, daß die Schilderung individueller Erfahrungen sich an den bestehenden Erwartungen orientierte.36 Beinahe jede gesellschaftliche Gruppe hatte ihre Edition von Feldpostbriefen. Im deutschen Judentum war die Sammlung von Eugen Tannenbaum am beliebtesten, die auch Briefe österreichischer Kriegsteilnehmer umfaßte.37 Wie viele Briefausgaben bemühte sie sich um eine Synthese von Anschauungsnähe und idealistischem Pathos. Zum einen sollte sie den „vorurteilsfreien Geist" der Armeefuhrung und die Festigkeit des „Burgfriedens", zum anderen die Tapferkeit ihrer Verfasser, ja generell die patriotische Haltung des Judentums bekunden. Jedenfalls spielte Tannenbaum nach Kräften die Probleme herunter, mit denen jüdische Soldaten konfrontiert waren.38 Erst recht gilt dies für jene Edition, die bis in die jüngste Zeit für das Bild der Geschichtswissenschaft vom jüdischen Kriegsalltag bestimmend geblieben ist. 34

Ziemann, Front, S. 165.

35

Zahlenangaben nach: Ulrich, Augenzeugen, S. 40; ebd., S. 3 9 - 1 0 5 , ausfuhrliche Informationen zur Kriegskorrespondenz. Komprimiert: Ders., „Feldpostbriefe des Ersten Weltkrieges - Möglichkeiten und Grenzen einer alltagsgeschichtlichen Quelle", in: MGM 53 (1994), S. 7 3 - 8 3 , sowie Ziemann, Front, S. 2 9 - 3 2 .

36

Vgl. Ulrich, Augenzeugen, S. 112. Hinsichtlich der umfangreichen Werbemaßnahmen vgl. den Artikel „Kriegsbriefe deutscher und österreichischer Juden" (JR Nr. 12 vom 19. März 1915, S. 95). S. oben Kap. 3.2.

37

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1935 gab der „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" eine Briefsammlung heraus, welche die selbstlose Pflichterfüllung des deutschen Judentums im Ersten Weltkrieg unterstreichen sollte. Bereits der Titel Gefallene deutsche Juden 1914-1918 verwies energisch auf den „Blutzoll", der flir das Vaterland entrichtet worden war. Wiederum 26 Jahre später erschien eine nur wenig veränderte Neuauflage, für die der amtierende Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß ein Begleitwort beisteuerte. Nach wie vor ersetzte die existentielle Geste die editorisch-philologische Genauigkeit. Der Leser erfährt kaum etwas über den historischen Kontext der Dokumente oder über die Herkunft ihrer Verfasser. Bezeichnenderweise bleibt der Adressat stets ungenannt, womit die Hauptfunktion der Feldpostbriefe, den labilen Kontakt zwischen „Front" und „Heimat" zu stabilisieren, verschleiert wird und die soldatische Welt einen gleichsam autarken Charakter erhält. 39 Vorangestellt sind der Edition nun einige persönliche Schriftstücke von Julius Holz, die sein Bruder 1961 an Strauß geschickt hatte. Die Briefe des 23jährigen Leutnants, der am 13. Juni 1918 in Frankreich fiel, enthalten beinahe alle Elemente, die für die Sammlung generell charakteristisch sind. Sie sprechen von seinem Ehrgeiz, Offizier zu werden, zeigen die gebotene Pietät vor den Eltern und betonen die Selbstverständlichkeit vaterländischer Pflichterfüllung. Seine letzten Worte sollen gewesen sein: „,Grüßt mir meine Eltern und schreibt ihnen, ich hätte meine Pflicht als Soldat getan wie jeder andere auch und ich sterbe gern.'" 40 Jüdische „Kriegshelden" wie der Königsberger Dichter Walter Heymann oder der mehrfach dekorierte Leutnant der Reserve Gottfried Sender kommen ausführlich zu Wort. Ihre patriotische Weltanschauung wird anhand besonders drastischer Dokumente vorgestellt. So legt Walter Heymanns Brief vom 12. September 1914 nahe, daß er das Schicksal „als .Kanonenfutter'" von innen her bejaht habe. 41 Dem Tod fürs Vaterland messen die zitierten Dokumente Letztwertcharakter zu, während die Bedeutung der jüdischen Religion nur selten zur Sprache kommt. Generell wird die kulturelle Dimension jüdischer Identität stark in den Hintergrund gerückt. Selbst eine Beerdigung nach dem Herkommen wurde als inop-

39

Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden. Mit einem Geleitwort von Franz Josef Strauß, Stuttgart 1961; zuerst weniger umfangreich u.d.T. Gefallene deutsche Juden 1914-1918, hg. vom Reichsbund jüdischer Frontsoldaten e.V., Berlin 1935.

40

Ebd., S. 18. Ebd., S. 21 f., hier S. 22. Gewiß stellte der Tod fürs Vaterland ein Schlüsselmotiv der zeitgenössisch viel gepriesenen Lyrik Heymanns dar. Doch changierte seine Bewertung zwischen elegischer Trauer und trotziger Heldenverklärung. Beispielsweise endete das Gedicht „Den Hinterbliebenen" mit den schillernden Versen: „Heldentod / hat eine sanfte Hand. / Kinder - / werdet wie er, / macht ihm nicht Schand!" (Walter Heymann, Kriegsgedichte und Feldpostbriefe. [Aus dem Nachlaß des Dichters], München 1915, S. 38).

41

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portun betrachtet: noch rasch spricht der jüdische Soldat Fritz Mayer ein Vaterunser, um seine christlichen „Kameraden" durch das traditionelle Begräbnis nicht zu brüskieren.42 Immer wieder wird die integrative Wirkung des „Burgfriedens" beschworen und der grassierende Antisemitismus kritisiert. Freilich ist zugleich sorgfaltig beachtet, daß Haß und Verbitterung nicht überhand nehmen. Fritz Mayer äußerte zwar desillusioniert: „Was wollen Sie denn mehr als unser Blut? - Mögen sie doch an dem vergossenen unserer Glaubensbrüder weitere Rassenstudien treiben." Doch auch sein innerer Monolog impliziert, daß jüdische Soldaten für ihren aufopferungsvollen Dienst keinen Dank erwarten.43 Immerhin vermitteln einige Schreiben etwas von der Härte des Kampfes und den psychischen Belastungen an der Front. Gerade die „Perspektive von unten", welche die Authentizität des Kriegserlebens verbürgen sollte, wurde jedoch der Edition zum Verhängnis. Mangels biographischer, gesellschaftlicher oder politischer Bezüge klang das idealistische Pathos allzu hochtrabend, während der nur unzureichend legitimierte Kampf zum Selbstzweck wurde.44 Auch lassen die Dokumente vergessen, wie rasch die soldatische Abneigung wuchs, überhaupt über das Elend in den Schützengräben zu berichten. Erst recht vermißt man Zeugnisse aus den Wochen des militärischen Zusammenbruchs, welche die Fragilität der „Frontgemeinschaft" hätten erweisen können. Natürlich stellten heroisierende Ausgaben von Feldpostbriefen kein jüdisches Spezifikum dar. So verherrlichte die berühmteste Sammlung, die von Philipp Witkop herausgegebenen Kriegsbriefe gefallener Studenten, massiv den Tod fürs Vaterland. Im Licht seiner äußerst selektiv ausgewählten Dokumente wurde der Krieg zu einer „moralischen Herausforderung", deren Bestehen die Lebensintensität gewaltig erhöhen sollte und damit gleichsam „ein Äquivalent für den drohenden Tod bot".45 Ge42

Kriegsbriefe, S. 8 7 - 9 0 , hier S. 89, Brief vom 28. April 1915. Vgl. auch ebd., S. 129 f., hier S. 130, das Schreiben des bayerischen Vizefeldwebels Robert Ziegel vom 1. Dezember 1914: „Ich glaube aber, daß ich Chanukka nur innerlich diesmal feiern werde, sonst aber Weihnachten mit den Kameraden, nicht als christliches, sondern als deutsches Fest."

43

Ebd., S. 87, Brief vom 21. November 1914. Generell zu diesem Zusammenhang: Herfried Münkler, „Schlachtbeschreibung: Der Krieg in Wahrnehmung und Erinnerung. Über .Kriegsberichterstattung'", in: Ders., Gewalt und Ordnung. Das Bild des Krieges im politischen Denken, Frankfurt am Main 1992, S. 1 7 6 - 2 0 7 u. 2 3 1 - 2 3 4 , bes. S. 191 f.

44

45

So treffend: Manfred Hettling u. Michael Jeismann, „Der Weltkrieg als Epos. Philipp Witkops ,Kriegsbriefe gefallener Studenten'", in: Gerhard Hirschfeld u.a. (Hgg.), Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch ... Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, Essen 1993, S. 175-198, hier S. 185. Zur wechselvollen Geschichte der Instrumentalisierung von Witkops Edition vgl. zudem Ulrich, Feldpostbriefe, S. 77.

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nerell entschieden sich die Herausgeber für Briefeschreiber, die ihren Erlebnissen in religiöser Diktion gleichsam eine eigene Weihe gaben. Ihre Stimme gewann zusätzlich an Gewicht, wenn ihre Tapferkeit durch Tod oder Verwundung bezeugt war, worauf nach Möglichkeit hingewiesen wurde.46 Auch die in den zeitgenössischen jüdischen Zeitungen erschienenen Feldpostbriefe besaßen vornehmlich affirmative Funktionen. Sie stellten die Tapferkeit des deutschen Judentums in den Vordergrund und verzichteten weitgehend auf ambivalente oder kritische Töne. Überdies sollten diese Dokumente, je nach politisch-weltanschaulicher Couleur, die Vereinbarkeit des liberal-jüdischen, zionistischen oder orthodoxen Weltbilds mit den Forderungen des Vaterlands demonstrieren. Gelegentlich unterstrichen die Überschriften der Zeitungsredaktionen die patriotische Leserlenkung. So veröffentlichte die „Jüdische Rundschau" einen hochgestimmten Feldpostbrief unter dem Titel „Chanukah in der Feuerstellung".47 Viele jüdische Blätter richteten regelrechte Rubriken für die Post vom Kriegsschauplatz ein. Meist erschienen die Dokumente in einer redaktionell gekürzten Fassung, die ihren vaterländischen Inhalt hervorheben sollte. Beispielsweise druckte die Zeitschrift „Im deutschen Reich" im Herbst 1914 einen Brief des Münchener Feldrabbiners Baerwald, der mit den plakativen Worten endete: „Vor 44 Jahren haben unsere Truppen Jom Kippur vor Metz gefeiert. Es war auch ein Erfolg ihrer Tapferkeit, daß wir diesmal Rosch haschono in Metz feiern konnten."48 Daneben erschienen wohlfeile Briefausgaben, in denen sich Fiktionen und Fakten in gefalliger Weise miteinander verbanden. Narrative Ausschmückungen ergänzten die Dokumente, die ohnehin zumeist mit Blick auf ein breiteres Publikum verfaßt waren. Besonders rührig agierte Adolf Plessner in Berlin, der im Herbst 1914 drei Bändchen mit Feldpostbriefen herausgab. Schon ihre Titel waren sprechend. Sie behandelten „Wie es Joseph Kraft in der feindlichen' Synagoge erging", schilderten „Roschhaschonosch in den Vogesen" und verherrlichten „Die Heldentaten Gottfried Senders".49 Die Sammlung vermittelte ein geradezu idyllisches Bild jüdischer Kriegserfahrungen und betonte, wie selbstverständlich religiöser Gemeinschaftsgeist und patriotische Pflichterfüllung im Frontalltag zusammengehörten.

46 47 48

49

Vgl. Ders., Augenzeugen, S. 33 f. JR Nr. 4 vom 22. Januar 1915, S. 27; Schreiben von Isaac Meyer. IDR 2 0 (1914), S. 3 8 9 - 3 9 2 , hier S. 391 f.; nähere Angaben zu Baerwalds Schreiben fehlen. Adolf Plessner, Jüdische Feldpostbriefe aus dem grossen Weltkrieg, 3 Bde., Bd. 1: Wie es Joseph Kraft in der „feindlichen" Synagoge erging; Bd. 2: Roschhaschonosch in den Vogesen [...]; Bd. 3: Die Heldentaten Gottfried Senders und wie er das Eiserne Kreuz erster und zweiter Klasse erwarb, Berlin 1914.

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Die nicht zur Publikation vorgesehenen Briefe jüdischer Soldaten geben der Kritik an der militärischen Situation breiteren Raum und enthalten mehr rein private Informationen. Nur wenige Dokumente sind freilich dem Schrecken des Krieges und dem massenhaften Sterben gewidmet. Wie sich eindringlich an den 745 Feldpostbriefen demonstrieren läßt, welche die Angehörigen des Reichenheimer Waisenhauses in Berlin an dessen Direktor Sigmund Feist schickten, überwog der Wunsch, die Erinnerung an die Heimat intakt zu halten. 50 Dennoch spürt man auch in der konventionellen Sprache wenig geübter Schreiber, die zu plaudernder Verharmlosung tendiert, wie schwierig Einsamkeit und mangelhafte Ernährung oder die enervierende Wirkung des Trommelfeuers zu ertragen waren. Gelegentlich finden sich kritische Äußerungen von unmittelbarer Eindringlichkeit. So schrieb der Krankenpfleger Paul Wohlgemuth am 14. August 1918 voller Enttäuschung und Bitternis: „Es heißt immer, die Menschheit steht auf einer hohen Kulturstufe. Ja die Kulturstufe ist so hoch, daß alles, was Menschenhand geschaffen hat, an der ganzen Front von Flandern bis zum Elsaß, in Grund und Boden geschossen wird." 51 Jedenfalls sollte aus der Vielzahl „leichtfertiger Floskeln", welche die Soldaten verwandten, nicht voreilig geschlossen werden, daß sich mittels sprachlicher Regelungen die „moderne Realität des Krieges" erfolgreich verdrängen ließ.52 Allerdings verweist die standardisierte Sprache der Kriegspost darauf, daß es sich zumindest partiell um einen öffentlichen Diskurs über den Sinn des Krieges handelte, der stark normativ konnotiert war. Hingegen enthalten die an der Front verfaßten Tagebücher, die in erster Linie für den persönlichen Gebrauch des Autors bestimmt waren, mehr individuelle Stellungnahmen. Überdies boten sie einen „Schonraum" für scharfe Kritik an den bestehenden Zuständen, die öffentlich nicht geäußert werden konnte. Kriegstagebücher sind eine ebenso fesselnde wie schwierige Quellengattung. Sie enthalten zwar eine Fülle von Beobachtungen, Erlebnissen und Gedanken, doch fehlen häufig Informationen, mit denen sich die Notizen in einen größeren Zusammenhang stellen lassen. Angesichts der wenigen echten Ruhepausen sind die Lücken zwischen den Aufzeichnun-

Die Sammlung, die im Rahmen dieser Studie nicht detailliert betrachtet werden kann, ist eine mentalitätsgeschichtlich erstrangige Quelle; sie findet sich: CJA Berlin, Feist. - Den Stellenwert der „Entlastungsdiskurse" für die Feldpostbriefe unterstreicht: Aribert Reimann, „Die heile Welt in Stahlgewittern: Deutsche und englische Feldpost aus dem Ersten Weltkrieg", in: Gerhard Hirschfeld u.a. (Hgg.), „Kriegserfahrungen". Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs, Essen 1997, S. 129-145, hier S. 131 f. CJA Berlin, Feist, Nr. 692 a. Dies ist gegen Reimann, „Welt", S. 134, einzuwenden, dessen Ansatz, die sprachliche Konventionalität der Feldpostbriefe zum wissenschaftlichen Erkenntnisgegenstand zu machen, gleichwohl vielversprechend erscheint.

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gen oft erheblich oder die Texte von geradezu kryptischer Kürze. Die Ausführungen über den Frontaufenthalt wurden häufig erst in der „Zone der Legendenbildung" (Marc Bloch) oder gar in der Etappe geschrieben. 53 Daneben existieren freilich Tagebücher, die mit minutiöser Genauigkeit die wechselnden militärischen Situationen und die Gefühlsschwankungen ihrer Autoren festhalten. Sie geben schon allein aufgrund ihrer Abfassungsdauer einen intensiveren Einblick in die „Verarbeitung" des Krieges, als dies bei Feldpostbriefen meist der Fall ist. Insbesondere die Tristesse des militärischen Alltags und die nervliche Belastung an der Front treten plastischer hervor als in den adressatorientierten Briefen. Seitens der militärischen Führung versuchte man, soldatische Tagebuchaufzeichnungen zu unterbinden. Doch selbst als eine diesbezügliche Vorschrift existierte, führten die meisten Intellektuellen ihre persönlichen Aufzeichnungen fort. 54 Tagebücher eröffnen einen Einblick in das Innenleben ihrer Verfasser, betonen gefühlsmäßige Ambivalenzen und lassen dem Ärger über vorhandene Mißstände gern freien Lauf. Bisweilen treten erhebliche Gegensätze zwischen rein privaten Auffassungen und den andernorts niedergelegten oder gar öffentlich propagierten Ansichten zutage, die mit dem Berühmtheitsgrad ihres Urhebers an Häufigkeit und Relevanz zu gewinnen pflegen. Tagebücher können deshalb demonstrieren, unter welchem Loyalitätsdruck jüdische Intellektuelle in der Krisenzeit des Ersten Weltkrieges standen, wie sorgsam sie jedes öffentliche Wort wogen und in den situativen Kontext einpaßten. Ein Extremfall dürfte Stefan Zweig sein, der sich in seinen Kriegsbriefen immer wieder an den Vorstellungen seiner Korrespondenzpartner orientierte und deren Werturteile übernahm, in seinem Tagebuch hingegen zur drastischen Kritik der politischen Zustände neigte. 55 Freilich sollte man sich auch bei einer Analyse von Kriegstagebüchern vor einem „Kult der Authentizität" hüten. Gerade Intellektuelle von Rang haben bei der Abfassung ihrer privaten Notizen häufig bereits das spätere Lesepublikum vor Augen, das sie kaum merklich, aber gezielt anzusprechen verstehen.

Typisch ist die Äußerung des Wiener Bankierssohnes Otto Kallir: „Seitdem ich im Felde bin, schreibe ich viel weniger im Tagebuch, da ich nicht die Zeit dazu finde. Eindrücke, Beschreibungen + Stimmungen sind meist in Briefen geschildert, im Tagebuch schreibe ich oft tagelang Nichts hole das dann nach" (LB1 N e w York AR 4666). Aufschlußreich zum Quellenwert von Tagebüchern im Ersten Weltkrieg am Beispiel Theodor Wolffs: Sösemann, „Einleitung", S. 1-18. Vgl. Willy Cohn, Verwehte Spuren. Erinnerungen an das Breslauer Judentum vor seinem Untergang, hg. v. Norbert Conrads, Köln, Weimar u. Wien 1995, S. 216. Vgl. Knut Beck, Jeffrey B. Berlin u. Natascha Weschenbach-Feggeler, „Nachbemerkung", in: Stefan Zweig, Briefe 1914-1919. Hg. v. Knut Beck u.a., Frankfurt am Main 1998, S. 3 1 1 - 3 2 9 , hier S. 312 f.

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Die gedruckt vorliegenden Texte sind in aller Regel nachträglich in stilistischer und inhaltlicher Hinsicht überarbeitet worden. Dies gilt etwa für das faszinierende Tagebuch des Prager Journalisten Egon Erwin Kisch, das sich über weite Strecken wie eine romanhafte Schilderung liest. Dennoch besitzt es aufgrund der Beobachtungsgenauigkeit und sprachlichen Prägnanz seines Autors einen beträchtlichen Quellenwert. Im Rahmen dieser Studie kommt Kischs Tagebuch jedoch keine herausgehobene Bedeutung zu, weil es nur die ersten acht Kriegsmonate behandelt und auf Jüdische Fragen" lediglich am Rande eingeht. 56 Am häufigsten zitiert werden in der deutsch-jüdischen Historiographie die Aufzeichnungen von Julius Marx. In literarischer Verdichtung halten sie die Erlebnisse eines Frontsoldaten aus dem jüdischen Bildungsbürgertum fest, der als Vizefeldwebel seinen Dienst leistete und mit Empörung die Arroganz des Offiziersstands kritisierte. Zudem verdeutlicht das Tagebuch, wie rasch die „Burgfriedensideologie" von der Wirklichkeit eingeholt wurde. Bereits am 5. Oktober 1914 notierte Marx in den Vogesen: „Seit einiger Zeit kann ich es ja mit Händen greifen, daß man mich als Juden scheel ansieht. Bei Kriegsbeginn schien jedes Vorurteil verschwunden, es gab nur noch Deutsche. Nun hört man wieder die alten verkrusteten Redensarten. Und plötzlich ist man einsam inmitten von Kameraden, deren Not man teilt, [...]."" Gelegentlich illustrieren die Ausfuhrungen, wie die Langeweile des Stellungskriegs auch unter den einfachen Soldaten zu wachsendem Antisemitismus führte. Über Marxens Gefühle erfahren wir hingegen nur wenig. Die Selbststilisierung als tapferer Soldat mit Herz für die Zivilbevölkerung tritt an die Stelle der detailgenauen Rekonstruktion des Vergangenen. 58 Bedenkt man, daß Marx mit seiner 1939 in Zürich erschienenen Veröffentlichung gegen den Rassenwahn des NS-Regimes protestierte, ist dies mehr als verständlich. Doch sollte man sich davor hüten, seine Verklärung des jüdischen Frontkämpfers als schlichtes Abbild der Realität aufzufassen. Ähnliches gilt für den überwiegenden Teil der aus Tagebüchern „destillierten" Erinnerungen. Exemplarisch wird das Weltkriegskapitel in der Autobiographie des Breslauer Gymnasiallehrers Willy Cohn analysiert, die kürzlich in einer gediegenen Edition erschien. 59 Der literarischen Darstellung des Weltkrieges fehlt die unmittelbare Anschauungsnähe und 56 57 58

59

Kisch, „Schreib das auf Kisch/" Marx, Kriegs-Tagebuch, S. 31 ff., hier S. 31. Vgl. ebd., S. 184 f., 206 u. 209 f., die Eintragungen vom 25. September und 18. November 1917 bzw. 5. Januar 1918. Cohn, Spuren, S. 2 1 0 - 2 6 3 . Cohns Tagebücher liegen vor: CAHJP Jerusalem P 88, Nr. 1 - 2 1 , 111 f. u 120.

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Detailschärfe, die seinem Tagebuch eigen ist. Statt dessen überwiegt eine eher summarische und distanzierte Erzählweise, die bei aller Kritik am Zustand der Armee wenig von Cohns persönlichen Ängsten und Zweifeln verrät. Überdies enthält der Text eine untergründige Teleologie, die den Tagebüchern noch fremd ist. Rückblickend wird der „Große Krieg" zum biographischen Erweckungserlebnis, das Cohn endgültig dem Zionismus zugeführt haben soll. Doch allein die Vielzahl von Artikeln, die er in den Kriegsjahren für die „Allgemeine Zeitung des Judentums" und für die Zeitschrift „Liberales Judentum" verfaßte, belegen, daß es sich dabei um eine Deutung post festum handelt. 60 In Cohns Tagebuchnotizen spiegeln sich die starken Stimmungsschwankungen ihres Verfassers. Immerhin hielt der Breslauer Gymnasiallehrer nach der ersten Biwaknacht noch munter fest: „Das spannende Gefühl wird man nicht los und man erlebt an wenigen Tagen mehr, wie sonst im ganzen Leben." 61 Doch selbst dies klingt eher nach jugendbewegter Romantik als nach nationaler Aufbruchsstimmung. Gleichzeitig tauchen in Cohns Notizen bereits im September 1914 unzufriedene oder gar dezidiert kritische Klänge auf. Beispielsweise fand er es sehr bedauerlich, daß er das jüdische Neujahrsfest nicht bei seiner Familie hatte verbringen können. 62 In der Folgezeit drückte Cohn immer wieder seine Unzufriedenheit mit den in der Armee herrschenden Zuständen aus, die er sich bei Kriegsbeginn ganz anders vorgestellt hatte. Cohns Lektüre diente nicht zuletzt der Stärkung seines idealistischen Weltbildes, das nur schlecht mit der tristen Frontrealität zusammenpaßte. Am 31. März 1916 notierte er vorderhand euphorisch in sein Tagebuch: „Wieder einmal habe ich Faust gelesen in diesen Frühlingstagen in Frankreich. Allerdings nur den ersten Teil! Nietzsche, Faust und die Bibel sollten den Soldaten überallhin begleiten!" 63 Doch kurz danach sinnierte er über die Vergeblichkeit menschlicher Hoffnungen und schloß mit der me60

Vgl. dazu die bibliographischen Angaben in Cohn, Spuren, S. 6 7 8 - 6 8 5 . - Gerade in dem weitgehenden Verzicht auf rückwärtige Sinngebungsversuche liegt eine große Stärke von Victor Klemperers Schrift Curriculum vitae, die der jüngeren Weltkriegsforschung mit Recht als erstrangige Quelle gilt; vgl. etwa Ziemann, Front, S. 103, Anm. 72. Leicht romanhafte Züge trägt hingegen: Peter Jacobs, Victor Klemperer. Im Kern ein deutsches Gewächs. Eine Biographie, Berlin 2000.

61

CAHJP Jerusalem P 88, Nr. 4, Eintragung vom 19. August 1914. Dies war übrigens eine recht weitverbreitete Einstellung. Am 24. September 1914 schrieb Max Beckmann, der als Krankenpfleger seinen Dienst versah, nach Hause: „Ich habe in dieser kurzen Zeit soviel erlebt wie seit Jahren nicht"; Max Beckmann, Briefe im Krieg. Gesammelt von Minna Tube. Mit 32 Zeichnungen des Künstlers, München 1984 [zuerst Berlin 1916], S. 10.

62

CAHJP Jerusalem P 88, Nr. 6 [unpaginiert], Eintragung vom 20. September 1914. CAHJP Jerusalem P 88, Nr. 120, S. 62 f.; dort auch das nächste Zitat.

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lancholischen Aussage: „Ich weiß, daß ich meinen Seelenfrieden nur einmal finden werde - weit unter der Erde." Die Gefühlsschwankungen, die hier aufscheinen, lassen Rückschlüsse auf die nervliche Belastung des Frontalltags zu. Wie bei vielen Militärangehörigen litt Cohns seelische Ausgeglichenheit unter dem instabilen Heimatkontakt. Die Trennung von seiner Frau führte zu zahlreichen Problemen, deren Intensität mit zunehmender Kriegsdauer immer größer wurde. Selbst ein längerer Lazarettaufenthalt in Insterburg im Spätsommer 1918 brachte die Eheleute einander nicht näher. Ein besonders heikles Problem scheint die sexuelle Entfremdung zwischen den Partnern gewesen zu sein. Innerlich erschöpft und zerrissen notierte Willy Cohn am 9. August 1918 in sein Tagebuch: „Warum hat das Geschick für uns komplizierte Menschen auch die geschlechtlichen Beziehungen so schwierig gemacht und warum kann man darin nicht einfach seinem Triebe folgen, ich weiß genau, ich würde dann schnell gesünder, aber das reißt an meinen Nerven und fuhrt zu Beirrungen des Innenlebens." 64 Einsamkeit, Entfremdung und sexuelle Not waren bestimmt keine spezifischen Probleme jüdischer Intellektueller. Doch gilt es zu bedenken, daß das Gefühl permanenter Beobachtung die Situation für jüdische Kriegsfreiwillige noch verschärfte. Auch die Armeerabbiner achteten sorgsam auf ein einwandfreies Betragen ihrer Soldaten. Bei der FeldrabbinerKonferenz in Lille am 26. Mai 1915 beschlossen sie, die sexuellen Probleme offen mit den Mannschaften nach dem Gottesdienst zu besprechen". Dabei wollten sie vermitteln, „welcher Grad von Tapferkeit gerade in der Selbstbeherrschung liegt", und hielten es für erwiesen, daß jüdische Soldaten „aus religiösen und vaterländischen Gründen" zu einer besonderen Selbstdisziplin „verpflichtet" seien. 65 Die Schauseite von Cohns Leben, sein vaterländischer Einsatz und seine Bildungsbeflissenheit, entsprach dem Idealbild eines jüdischen Bürgers in Uniform. Bereits am 16. Juni 1915 hatte das „Berliner Tageblatt" auf das rühmliche Leseverhalten deutscher Studenten hingewiesen und dabei gleichsam en passant einen Lektürekanon entworfen, der dem „,Materialismus des Kriegslebens'" entgegenwirken sollte: „Gute Bücher", so heißt es über das Ideal bildungshungriger Soldaten, „sind ihnen ein Heiligtum. Außer dem Faust werden Horaz, Liliencron, Eucken, Cohen als ständige Begleiter erwähnt." 66 Cohns eifriger Patriotismus zeigte sich in einer Vielzahl von Kriegsartikeln, mit der er der „deutschen Sa64

CAHJP Jerusalem P 88, Nr. 16.

65

CJA Berlin 75 C Ve 1, Nr. 377, fol. l r - 2 v , hier fol. 2r.

66

Art. „Der deutsche Student im Felde", in: BT Nr. 302 vom 16. Juni 1915, 2. Beiblatt.

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che" zu dienen suchte. Sie betonten „Die erzieherische Wirkung des Krieges auf die Franzosen im besetzten Gebiete", schilderten in düsteren Farben „Wie England Irland bedrückt" und priesen die Tapferkeit „Unsere[r] Kriegsjungen". Zählt man Wiederabdrucke hinzu, verfaßte der ambitionierte Unteroffizier neben seinem regulären Dienst nicht weniger als 121 Kriegsartikel. 67 Mit Stolz verwies Cohn in seiner Autobiographie darauf, daß er für seine „Stimmungsskizzen" zwar kein Honorar erhalte, aber zumeist die Armeepreisausschreiben gewinne. 68 Allein so intensiv er auch an seinem deutschen Idealismus festhielt und so plakativ er ihn öffentlich bekundete, die Frage nach dem Sinn des Krieges gewann für ihn wie für fast alle Kriegsteilnehmer zunehmend an Dringlichkeit. George Mosses These, daß die Erfahrung massenhaften Sterbens sich gleichermaßen nivellierend auf die religiösen Überzeugungen von Christen und Juden ausgewirkt habe, ist prima facie gewiß plausibel. 69 Christliche und jüdische Soldaten teilten miteinander viele Erfahrungen: sie litten unter der Trennung von ihren Verwandten, hatten sich einer drakonischen Disziplin zu unterwerfen und mußten der Realität des Todes ins Auge schauen. Häufig dazu genötigt, auf engstem Raum miteinander auszukommen, sind die Fälle jüdisch-christlicher Annäherung keine Seltenheit gewesen. Zwar war die vielbeschworene „Schützengrabengemeinschaft" vornehmlich ein Konstrukt der Propaganda, das in den Kriegsromanen der Weimarer Republik nachträglich zu Ehren kam. Doch sollte diese Tatsache nicht den Blick dafür verstellen, daß die enge Form des soldatischen Zusammenlebens gewiß auch gemeinschaftsbildend wirkte und zumindest prinzipielle ideologische Konflikte nur selten aufkommen ließ.70 67

CAHJP Jerusalem P 88, Nr. 5, ein Verzeichnis von Cohns Kriegsschriften. Die im Text erwähnten Artikel Cohns erschienen in der „Armeezeitung" von St. Quentin (Nr. 183 vom 16. März 1916), in der „Champagne Kriegszeitung" (Nr. 227 vom 4. Juli 1917, S. 1595) bzw. in deren Beilage (Nr. 221 vom 13. Juni 1917). Das Ausmaß von Cohns militärischer Publizistik läßt sich daran ermessen, daß das sorgfältige Schriftenverzeichnis (Cohn, Spuren, S. 6 7 5 - 7 3 4 ) den ersten Titel nicht kennt und somit weitere Veröffentlichungen in Armeeorganen wahrscheinlich sind. - Generell zur Quellengattung der Armeezeitung, die im Unterschied zur Schützengrabenzeitung stark von den Kommandobehörden beeinflußt war und quasi offiziellen Charakter trug: Anne Lipp, „Heimatwahrnehmung und soldatisches .Kriegserlebnis'", in: Gerhard Hirschfeld u.a. (Hgg.), „Kriegserfahrungen". Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs, Essen 1997, S. 2 2 5 - 2 4 2 , hier S. 2 2 6 - 2 3 1 .

68

Cohn, Spuren, S. 233.

69

George Mosse, ./ews, S. 17. Dazu pointiert: Ders., „Vaterland", S. 11 f. Monographisch zum soldatischen Alltag in den Schützengräben: Tony Ashworth, Trench Warfare. The Life and Lei Life System, London 1980. - Eine ideologiekritische Analyse der „Schützengrabengemeinschaft" enthält bereits: Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken

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Die Sorgen und Ärgernisse des militärischen Alltags berührten nicht in erster Linie religiös-kulturelle Fragen. Die geringe Bezahlung der Mannschaften, das miserable Essen und der Dünkel der Offiziere führte allenthalben zu beträchtlichem Verdruß. Auch die langen Kampfpausen, die zumeist in enervierender Langeweile verbracht wurden, trafen die Angehörigen aller Konfessionen gleichermaßen. Von der religiösen Sinngebung, welche die Feldgeistlichkeit in den ersten Kriegswochen beschworen hatte, dem „heiligen Ernst" und der „Größe der historischen Stunde" war schon bald kaum noch die Rede. Max Hirschberg, der als Unteroffizier an der Westfront seinen Dienst ableistete, schrieb am 31. Oktober 1915 desillusioniert in sein Tagebuch: „Ich sah wieder Tote. Selbst dieser Eindruck ist beim zweiten Mal nicht so entsetzlich. Der Mensch gewöhnt sich an alles. Wie schamlos!" 71 Ähnlich erging es dem jungen Arnold Berney, der als Gefreiter die Materialschlachten in der Champagne erlebte und mit einer „Herzneurose" ins Lazarett eingeliefert werden mußte. Für schäumenden Patriotismus bot die Frontrealität keinen Raum, statt dessen überwog selbst bei den idealistisch gesonnenen Angehörigen des jüdischen Bildungsbürgertums der Zweifel, ob man überhaupt in einer ,,große[n] und erhebendefn] Zeit" lebe. 72 Mit einer gehörigen Prise Selbstironie brachte Victor Klemperer den Inhalt seiner Feldpostbriefe auf die Formel „.nichts als Essen und Stiefel'". 73 Dennoch scheint es, als hätten jüdische Soldaten ein besonders intensives Verhältnis zur eigenen Religion gehabt, wie sich am konstanten Besuch der Gottesdienste ablesen läßt. Trotz widriger Umstände fanden dreißig bis vierzig Teilnehmer regelmäßig den Weg in die „Feldsynagoge". 74 Die hohen jüdischen Feste wurden nach Möglichkeit mit großem Aufwand begangen. Eindrucksvoll schildert der Rabbiner Martin Salomonski in seinem Bericht an den Artilleriegeneral Max von Gallwitz, welche logistischen Schwierigkeiten im Herbst 1916 bei der Feier des jüdischen Neujahrsfestes in St. Quentin überwunden wurden. Nicht weniger in der Weimarer Republik, des Ersten Weltkrieges"). 71

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73 74

München 1968, S. 9 3 - 1 1 1 (Kap. „Das Kriegserlebnis

Max Hirschberg, Jude und Demokrat. Erinnerungen eines Münchener Rechtsanwalts 1883 bis 1939, bearb. v. Reinhard Weber, München 1998, S. 93. - Hirschbergs Memoiren enthalten, S. 9 3 - 1 1 1 , unveränderte Passagen aus seinem Kriegstagebuch, die einen guten Eindruck von den Strapazen des Frontlebens vermitteln. So Berney in einem Brief an den schwäbischen Dichter Cäsar Fleischlein von Anfang 1917. Die Wiedergabe folgt: Heinz Duchhardt, Arnold Berney (1897¡943). Das Schicksal eines jüdischen Historikers, Köln, Weimar u. Wien 1993, S. 9 f., der darauf hinweist, daß der von Berney gewählte Ausdruck „Herzneurose" vermutlich den - als ehrenrührig empfundenen - Tatbestand eines „Nervenzusammenbruchs" kaschieren sollte. Klemperer, Curriculum vitae, S. 401. Vgl. Salzberger, Leben, S. 83 f.

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als 1.600 Soldaten kamen dort zusammen, um den Jahreswechsel gemeinsam zu begehen. Da eine Vielzahl jüdischer Organisationen die Festveranstaltungen mit Geld- und Sachspenden unterstützte, konnten Genußmittel wie Kaffee, Bier oder Zigarren in reichem Umfang verteilt werden. Die sechs Gottesdienste fanden in einem großen Theater statt, wodurch der Ausnahmecharakter dieser Tage zusätzlich unterstrichen wurde. Sogar die „russischen Kriegsgefangenen" und die „französischen Israeliten" erhielten die Erlaubnis zum gemeinsamen Gebet, was Salomonski als großes „Entgegenkommen der Heeresbehörde" einschätzte. 75 Generell schuf die strenge Befolgung des jüdischen Ritus einen Freiraum, der den Soldaten die Distanzierung vom bisweilen unerträglichen Kriegsgeschehen erleichterte. Zugleich erinnerte die religiöse Zusammenkunft in vertrauter Form an die Heimat und stabilisierte damit Gefühle jüdischer Identität. 76 Es ist ein bemerkenswerter Befund, daß jüdische Soldaten an abergläubischen Religionspraktiken nur wenig Interesse fanden. Während unter Christen Amulette, Zauberformeln und „Mutmacher" kursierten, „Schneeballgebete" in Kettenbriefen propagiert wurden und der Herz-Jesu-Kult florierte, hielt man sich im Judentum eher an bewährte Lebenshilfen. 77 Orthodoxe Juden stellten gelegentlich den Schutzcharakter der Tefillin-Kapseln heraus. Dies war keineswegs spektakulär und hielt sich durchaus in den von der Tradition vorgezeichneten Bahnen. Dennoch konnte das Festhalten an religiösen Riten und Gewohnheiten das Mißtrauen der Umgebung wecken. So erließ General Ludendorff einen Geheimbefehl, in dem er unterstellte, daß die elsässischen Juden in den Kapseln ihrer Gebetsriemen „Spionagenachrichten" transportierten. Bezeich-

75

Vgl. seinen „Bericht über die Feier des jüdischen Herbstfestes im Kampfgebiet an der Somme", B A M A Freiburg N 710, fol. 3. Der Hinweis auf das gemeinsame Gebet fehlt in der Schrift von Martin Salomonski Jüdische Seelsorge an der Westfront. Mit 12 Bildtafeln (Berlin 1918, S. 18-22), die zwar auf den Bericht vom Herbst 1916 zurückgeht, aber auf viele bezeichnende Details verzichtet.

76

Diesen Aspekt vernachlässigt Bernd Hüppauf, ,„Der Tod ist verschlungen in den Sieg'. Todesbilder aus dem Ersten Weltkrieg und der Nachkriegszeit", in: Ders. (Hg.), Ansichten vom Krieg. Vergleichende Studien zum Ersten Weltkrieg in Literatur und Gesellschaft, Königstein im Taunus 1984, S. 5 5 - 9 1 , hier S. 73 f., dessen Ausfuhrungen zur religiösen Dimension jüdischer Kriegserfahrung gleichwohl wertvolle Anregungen enthalten.

77

Zu den Formen der „Frontreligiosität" kenntnisreich, aber allzu knapp und mit ironischem Unterton: Ulrich, Augenzeugen, S. 45 f. Einlässiger, wenn auch nicht erschöpfend: Aribert Reimann, Der große Krieg der Sprachen.Untersuchungen zur historischen Semantik in Deutschland und England zur Zeit des Ersten Weltkriegs, Essen 2000, S. 9 1 - 1 1 3 , der die Kohäsionskraft der religiösen Milieus in den Vordergrund rückt.

130

Jüdisches „Kriegserlebnis"

nenderweise hatte der zuständige Rabbiner Georg Salzberger einige Mühe, die Rücknahme dieser Order zu erwirken. 78 Seit 1916 verbreitete der VDJ eine Feldbibel, nachdem bereits das von Leo Baeck zusammengestellte Feldgebetbuch auf großen Anklang gestoßen war. Generell bedeuteten die Gebetbücher, welche die Gemeinden ihren Soldaten mit auf den Weg gaben, eine stete Erinnerung an die „Heimat". Seitens der militärischen Führung nutzte man dies zur gezielten Propaganda. In der Serie „Jüdische Kriegskarten" zeigt eine „Originalaufnahme vom Kriegsschauplatz 1915" ein deutsch-hebräisches Gebetbuch, das seinen Besitzer laut Bildunterschrift vor der tödlichen „russischen Kugel" bewahrt hatte. 79 Dies war gewiß recht konventionell, scheint jedoch seine Wirkung nicht verfehlt zu haben. Denn immer wieder finden sich in der Kriegskorrespondenz der Rabbiner Hinweise darauf, wie wichtig den Soldaten ihre zweisprachigen Gebetbücher waren. Sie stifteten nicht nur Erinnerung und damit jüdische Identität, sondern boten, über dem Herzen getragen, auch ein klein wenig Schutz. Natürlich war dieser primär symbolischer Natur, doch angesichts der allgegenwärtigen Todesdrohung half bisweilen der Gedanke, „nichts unversucht gelassen zu haben". 80 Die großen jüdischen Zeitungen betonten regelmäßig die religiöse Bedeutung des Krieges. Dabei herrschte eine existentialistische Überhöhung der Kriegserfahrungen vor, die von der moralischen Erschütterung der Soldaten auf ihre religiöse „Wiedergeburt" schloß. Zur Unterstützung dieser Perspektive verwies man mit Vorliebe auf unmittelbare Schilderungen von der Front. Die „Allgemeine Zeitung des Judentums" druckte unter der Überschrift „Jüdischer Feldgottesdienst" den Brief eines Unteroffiziers aus Belgien, in dem es einleitend heißt: „Fromm zu leben ist nicht jedermanns Sache; doch möchte ein jeder gern fromm sterben. Der Krieg erst hat die Menschen wieder allgemein zu Gott gefuhrt. Unter dem Eindruck des Todes ist das Bedürfnis religiöser Sammlung überall stärker geworden. So hat auch die Einrichtung des jüdischen Feldgottesdienstes überall im deutschen Heere lebhaften und dankbarsten Anklang gefunden." 81 Allein die Gründe für den Besuch jüdischer Gottesdienste waren vielgestaltiger, als diese religiös-moralische Sicht der Dinge vermuten läßt. Bei78 79

Vgl. Salzberger, Leben, S. 88 f., hier S. 88. CAHJP Jerusalem P 24 / 7 „Jüdische Kriegskarte" Nr. 3. Zur Bedeutung der hebräischen Gebetbücher vgl. Cohn, Spuren, S. 216; die Kriegsveröffentlichungen des VDJ skizziert: Kraus, Mosse, S. 388 f.

80

Vgl. die Dokumente CAHJP Jerusalem P 24, Nr. l a - c ) u. Nr. 4b. Allgemein zur Stilisierung und psychischen Überkonnotation des „Herzschusses": Ulrich, Feldpostbriefe, S. 57 f.

81

AZJ Nr. 39 vom 22. September 1915, S. 490.

Kriegserfahrungen jüdischer Intellektueller

131

spielsweise wies Leo Baeck in seinem ersten Bericht von der Westfront an die Berliner Gemeinde daraufhin, „wie sehr die jüdischen Mannschaften das bloße Bewußtsein erhob, daß ein Rabbiner sich bei den Truppen befindet". 82 Gewiß spiegelt diese Schilderung auch Baecks berufliches Selbstverständnis und die Erwartungshaltung in Berlin, doch sollte man seinen Inhalt deshalb nicht marginalisieren. Tagebuchnotizen, Briefe und Erinnerungen jüdischer Soldaten belegen gleichermaßen, daß die Teilnahme an Feldgottesdiensten nicht nur ein Bedürfnis nach Trost und Zuspruch verriet, sondern zugleich eine Bekundung jüdischer Identität war. 83 Bis zum Kriegsende scheinen die Rabbiner den engen Kontakt zu den Soldaten nicht verloren zu haben. Jedenfalls fehlen abwertende Beurteilungen der Feldgeistlichkeit, wie sie unter protestantischen und katholischen Soldaten keine Seltenheit waren. 84 Natürlich hing auch viel von der Persönlichkeit des Rabbiners ab. So erhielt der bodenständige Arnold Tänzer eine Fülle von Post, in der die Soldaten ihre Probleme schilderten. Gelegentlich finden sich auch Dokumente, die mehr Mutterwitz als Interesse an der jüdischen Religion bekunden. In seiner Karte vom 30. September 1916 bedankte sich der Gefreite Hans Erl bäum bei Tänzer für den „erhebenden Gottesdienst" und verband dies mit der Bitte um Zigarren und Zigaretten sowie dem Wunsch nach einem „Witzblatt für heitere Stunden". 85 Inwiefern sich der Loyalitätsdruck nicht nur auf das Zusammengehörigkeitsgefühl, sondern auch auf die „nervliche Verfassung" jüdischer Kriegsteilnehmer ausgewirkt hat, muß beim gegenwärtigen Forschungsstand offen bleiben. Zwar finden sich Hinweise, daß jüdische oder polnische Soldaten häufiger psychisch erkrankten als „Deutsche". Doch bereits die Quellensprache verweist darauf, daß man sich innerhalb eines antise82

Leo Baeck, „Berichte des Feldgeistlichen Rabbiner Dr. Baeck an den Vorstand der jüdischen Gemeinde", in: GJGB Nr. 11 vom 13. November 1914, S. 140 f., hier S. 141. Seine Kriegserfahrungen schildern: Friedlander, Baeck, S. 4 0 - 4 3 , sowie Ulrich Sieg, „Empathie und Pflichterfüllung. Leo Baeck als Feldrabbiner im Ersten Weltkrieg", in: Georg Heuberger u. Fritz Backhaus (Hgg.), Leo Baeck 1873-1956. Aus dem Stamme von Rabbinern, Frankfurt am Main 2001, S. 4 4 59.

83

Der orthodoxe Samuel Jacobs schrieb dazu pointiert: „Sie kommen nicht aus dem Heimathaus, sie kommen aus dem Unterstand, aus dem Graben, aus dem Quartier. Nicht Vater, nicht Mutter, nicht Weib noch Kind schreiten neben ihnen. Aber eben darum kommen viele: sie suchen im G'tesdienst das Vaterhaus." (LBI N e w York ME 328, S. 93).

84

Vgl. die pejorative Beurteilung protestantischer Prediger in Feldpostbriefen, auf die Reimann, Welt, S. 135 f., hinweist, sowie die bei Geinitz, Kriegsfurcht, S. 214 ff., hier S. 215, wiedergegebenen Klagen katholischer Pfarrer über die „.sittliche Verwilderung'" der Soldaten.

85

CAHJP Jerusalem P 24, Nr. l a - c .

132

Jüdisches „Kriegserlebnis"

mitischen Diskurses befindet, der die Besonderheit der Juden betonte, um ihre Diffamierung besser betreiben zu können. 86 Eine deutsche Spezialität war dies jedoch nicht. Beispielsweise spekulierte man in der englischen Armeeflihrung über die geringere Willensstärke und nervliche Substanz von Iren und Juden. 87 Wenig beweiskräftig ist jedenfalls, daß einige jüdische Intellektuelle sich auf den rassisch kontaminierten Diskurs einließen. So hielt es der Journalist Meyer Friedeberg im „Israelitischen Familienblatt" für erwiesen, daß der Krieg die jüdischen Nerven aufgerüttelt und gestärkt habe. Er berief sich auf einen Vortrag des Psychiaters Otto Binswanger, der als Autorität auf diesem Gebiet galt. Freilich steckte hinter dem Artikel Friedebergs weniger medizinisches Interesse als politische Agenda; denn seine Ausführungen schlössen damit, daß der Krieg auch die „Massenpsychose des Antisemitismus" beseitigen möge. 88 Wie viele Loyalitätsbekundungen beinhaltete auch seine Betonung der jüdischen Kriegstüchtigkeit einen Appell an die Mehrheitsgesellschaft, den „Burgfrieden" ernst zu nehmen.

4.2. Kriegsbejahung im Zeichen Kants und Nietzsches Trotz aller Hoffnungen, welche die Proklamation des „Burgfriedens" geweckt hatte, bevorzugte man im deutschen Judentum nicht politische, sondern kulturphilosophische Deutungen des Kriegsgeschehens. In hohem Grade galt dies für die Angehörigen der „postassimilatorischen" Zionistengeneration. Ihr Engagement für die „Renaissance" jüdischer Werte gewann seit 1914 erheblich an Bedeutung. Friedrich Nietzsche, der bereits vor Kriegsausbruch zu den meistgelesenen Autoren gehört hatte, wurde unter zionistischen Intellektuellen geradezu zur Ikone. Seine Botschaft des „gefährlichen Lebens" paßte insbesondere in die ersten Kriegs86

Vgl. Ulrich, Augenzeugen, S. 216, sowie zum medizinhistorischen Kontext Sander L. Gilman, Die schlauen Juden. Über ein dummes Vorurteil, Hildesheim 1998, S. 9 1 - 1 4 3 u. 2 9 1 - 2 9 6 .

87

Ted Bogacz, „War Neurosis and Cultural Change in England, 1914-1922: The Work of the War Office Committee of Enquiry into ,Shell-Shock'", in: JCH 24 (1989), S. 2 2 7 - 2 5 6 , hier S. 249.

88

Meyer Friedeberg, „Der Krieg und die Nerven der Juden", in: IF Nr. 4 vom 28. Januar 1915, S. 9. - Der Titel von Binswangers Vortrag, der sich mit ,jüdische[n] Neurasthenikern" beschäftigte, bleibt ungenannt. Seine Gedankenfuhrung lehnte sich an Binswangers vielzitierte Flugschrift Die seelischen Wirkungen des Krieges an, die den stabilisierenden Einfluß des „Kriegserlebnisses" auf den Charakter hervorhob.

Kriegsbejahung im Zeichen Kants und Nietzsches

133

monate, als der bewaffnete Kampf von vielen als Befreiung aus erstikkender bürgerlicher Enge empfunden wurde. 89 Unter den jüdischen Anhängern Georges verklärte man den Weltkrieg als Zuspitzung und Höhepunkt der europäischen Kulturkrise. Der Schriftsteller und Philosoph Erich von Kahler faßte diesen Zusammenhang in die feierlichen Worte: ,,[H]eute ist unsre Sorge um das Nächstfolgende eins mit dem Bangen um das weithin Künftige." 90 Der dieser Sichtweise zugrunde liegende Dezisionismus begünstigte seinerseits die Rezeption Nietzsches, dessen Philosophie die begrenzte Überzeugungskraft rationaler Deduktionen und den fraglichen Kulturwert wissenschaftlicher Erkenntnis herausgestellt hatte. Zugleich pflegte man im George-Kreis eine hochtönende Geschichtsmetaphysik, die den Ausbruch des Weltkrieges zur göttlichen Fügung stilisierte. So schrieb Karl Wolfskehl am 12. September 1914 die pathetischen Zeilen: „Dieser ungewollte, uns aufgezwungene Krieg ist dennoch eine Notdurft, er hat hereinbrechen müssen für Deutschland und für die Welt europäischer Menschheit. Wir haben ihn nicht gewollt, aber er ist von Gott. Unser Dichter hat ihn gewußt." 91 Der Krieg lieferte gleichsam eine nachträgliche Bestätigung für die Richtigkeit jener radikalen Zivilisationskritik, von der die jüdischen GeorgeAnhänger bereits vor 1914 überzeugt gewesen waren. Doch nicht nur die intellektuelle Avantgarde, sondern auch Verbandspolitiker, Publizisten oder Gymnasiallehrer rekurrierten auf einen vaterländisch zurechtgestutzten Nietzsche. Beispielsweise verteidigte der vielgelesene Journalist Binjamin Segel Nietzsche gegen den Vorwurf des Herrenmenschentums und betonte den unpolitischen Grundzug seines

89

90

91

Zur Popularität Nietzsches unter den deutschen Zionisten vgl. Bruce E. Ellerin, Nietzsche among the Zionists, phil. Diss., Comell 1990; speziell zur jüdischen Nietzscherezeption im Weltkrieg: Aschheim, Nietzsche, S. 140 ff. Erich von Kahler, „Weltgesicht und Politik", in: Ders., Weltgesicht und Politik, S. 3 0 - 7 0 , Heidelberg 1915, hier S. 32. Kahlers Kriegsphilosophie, deren Resonanz beträchtlich gewesen zu sein scheint, skizziert: Gerhard Lauer, Die verspätete Revolution. Erich von Kahler. Wissenschaftsgeschichte zwischen konservativer Revolution und Exil, Berlin u. N e w York 1994, S. 140-144. Offener Brief an Romain Rolland, zit. nach: Tramer, „Beitrag", S. 331. Allgemein zur expressionistischen Kriegsbejahung, die lange unterschätzt wurde: Hermann Körte, Der Krieg in der Lyrik des Expressionismus. Studien zur Evolution eines literarischen Themas, Bonn 1981, sowie Helmut Fries, Die große Katharsis. Der Erste Weltkrieg in der Sicht deutscher Dichter und Gelehrter, Bd. 2: Euphorie - Entsetzen - Widerspruch: Die Schriftsteller 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Konstanz 1995, S. 132-278.

134

Jüdisches „Kriegserlebnis"

Philosophierens. 92 In seiner Interpretation ließ er jedoch außer acht, daß sich mit dem Loblied auf die deutsche Kultur im „Krieg der Geister" gleichsam unvermeidlich politisch-weltanschauliche Hegemonieansprüche verbanden. Erst recht schätzten die blutjungen Kriegsfreiwilligen des jüdischen Bildungsbürgertums Nietzsches Verherrlichung des „gefahrlichen Lebens". Ihre Tagebücher, Kriegsgedichte und Schriften bekunden auf Schritt und Tritt, wie erfolgreich die gymnasiale Erziehung nationale und militärische Werte vermittelt hatte. Ein Teil von ihnen hatte die humanistische Welt derart verinnerlicht, daß neben den Figuren des griechischen Götterhimmels für die Tradition des Judentums kein Platz mehr war. Dies gilt etwa für Otto Braun, den Sohn des sozialdemokratischen Publizisten Heinrich Braun und der erfolgreichen Schriftstellerin Lily Braun. Gerade siebzehnjährig meldete er sich 1914 kriegsfreiwillig und hielt fortan seine Erlebnisse in Tagebuchnotizen, Briefen und kleineren Publikationen fest. Nach seinem Tod an der Westfront im April 1918 erschien unter dem jugendbewegten Titel Aus nachgelassenen Schriften eines Frühvollendeten eine Textauswahl, die bei den Zeitgenossen dankbare Aufnahme fand. Nicht zuletzt verherrlichte sie den Krieg als Bildungserlebnis von existentieller Bedeutung. 93 Sammlungen der Papiere von „Frühvollendeten" bildeten keine Seltenheit und erreichten nur im Ausnahmefall ein breiteres Publikum. Doch halfen sie den Angehörigen, ihr persönliches Schicksal in einem größeren Zusammenhang zu sehen, wodurch das individuelle Leid ein wenig erträglicher wurde. Dem diente auch die recht konventionelle bildungsbürgerliche Sprache: sie beschwor in romantischen Metaphern das Bild einer heilen Vergangenheit herauf und nahm so dem massenhaften Sterben in den Schützengräben seinen entwürdigenden Charakter. 94 Ähnliches trifft für die jüdischen Korporationen zu, deren Totenkult stark durch jugendbewegte Ideale geprägt war. In den Kriegsausgaben ihrer Verbindungs92

Segel, Weltkrieg, S. 70, heißt es in diesem Sinne: „Nietzsches Zarathustra, neben der Bibel und dem Faust jetzt das von den Soldaten im Felde meist gelesene Buch, ist durchweg apolitisch und antistaatlich."

93

Pars pro toto vgl. den Brief an Julie Vogelstein vom 20. März 1915: „Es ist überhaupt wunderbar, wie man im Felde lesen lernt, ganz wenige Bücher, bisher Faust, Hölderlin und Zarathustra, diese aber, wie es sich gehört, halb auswendig lernend." (Otto Braun, Aus nachgelassenen Schriften eines Frühvollendeten, hg. v. Julie Vogelstein, Berlin 1921, S. 123). Jedenfalls ist Otto Brauns kulturpessimistisch gefärbte Kriegsbegeisterung ein Faktum, das nicht nachträglich „geschönt" werden sollte, wie dies in der zeitgeistaffinen Ausgabe Fragment der Zukunft. Aufzeichnungen eines Frühvollendeten (hg. v. Julie Braun-Vogelstein, Stuttgart 1969) geschieht. - Zur Griechenverehrung Otto Brauns s. George Mosse, Jews, S. 21.

94

Vgl. Ulrich, Augenzeugen, S. 115 f., sowie generell zu den traditionellen Formen der Trauer im Ersten Weltkrieg: Winter, Sites, S. 2 0 4 - 2 2 9 u. 2 6 8 - 2 7 2 .

Kriegsbejahung im Zeichen Kants und Nietzsches

135

Zeitungen nimmt die Erinnerung an die Gefallenen breiten Raum ein. Wie in den christlichen Korporationen dürfte dies die Bedeutung des Ehrenkodexes noch erhöht haben; denn nun galt es nicht nur vor den Augen der Kameraden zu bestehen, sondern auch dem Andenken der Verstorbenen gerecht zu werden. 95 Ein wichtiger Bestandteil des Totenkults und zugleich ein integrales Element der Kriegsverherrlichung war die Erinnerung an die Makkabäer. Gerade in zionistischen Jugendorganisationen befleißigte man sich einer pathetischen Sprache, die an Nietzsche erinnern sollte, wenn es galt, die Tapferkeit der Vorfahren zu rühmen. So nannte Martin Rosenblüth die Makkabäer ,,[e]in Priestergeschlecht, das um der Ehre seines Volkes willen zum Schwerte griff und seine Hände mit Blut rötete". 96 Er entschied sich für die zu Chanukka übliche Lichtmetaphorik, welche die Gerechtigkeit der „deutsch-jüdischen Sache" nachhaltig unterstrich und den Gegner diabolisierte. Gleichzeitig betonte er die Bedeutung männlicher Werte, um als „stolze Juden zu leben und zu sterben". Die jugendbewegte Verherrlichung Nietzsches beschränkte sich allerdings keineswegs auf das deutsche Judentum, sondern erfaßte eine Vielzahl gesellschaftlicher Gruppen und ihre Jugendorganisationen. Gerade auf der völkischen Seite stilisierte man Nietzsche zum „Philosophen des Krieges", spielte seine „Herrenmoral" gegen angeblich dekadente Werte wie „Frieden" und „Demokratie" aus. Jüdische Nietzsche-Exegeten unterstrichen hingegen ausdrücklich seine Hochachtung vor der Wertewelt des Alten Testaments. 97 Erstaunlicherweise kam es nicht zu massiven Auseinandersetzungen über das richtige Nietzsche-Bild - vielleicht weil ihm derart exzeptionelle Wichtigkeit beigemessen wurde, daß man es nicht zur Disposition stellen konnte. Seit 1914 hatte das Bekenntnis zu Nietzsche beinahe den Charakter eines Schibboleths. Wer öffentlich seine Sympathie für den Verfasser des Zarathustra erklärte, verband damit gemeinhin eine positive Einstellung zum deutschen Nationalismus. Dies war eine Folge der Tatsache, daß die Bewertung Nietzsches ein umstrittenes Zentralthema im „Krieg der Geister" darstellte.

95

Vgl. etwa die Kriegsausgaben der K.C.-Blätter 5 (1914/16) bis 8 (1918). Allgemein zur Jugendbewegung seit 1914: Gudrun Fiedler, Jugend im Krieg. Bürgerliche Jugendbewegung, Erster Weltkrieg und sozialer Wandel ¡914-1923, Köln 1989; eine instruktive Fallstudie bietet: Ute Wiedenhoff, ,„... daß wir auch diese größte Mensur unseres Lebens in Ehren bestehen werden': Kontinuitäten korporierter Mentalität im Ersten Weltkrieg", in: Gerhard Hirschfeld u.a. (Hgg.), „Kriegserfahrungen". Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs, Essen 1997, S. 189-207.

96

Martin Rosenblüth, „Chanukahfeier", in: B W B 2 (1914/15), H. 7, S. 1 f., hier S. 1; ebd., das nächste Zitat.

97

Sachkundig und differenziert zur facettenreichen Nietzscherezeption seit 1914: Aschheim, Nietzsche, S. 130-167.

136

Jüdisches „Kriegserlebnis"

Nietzsches Lehre vom „Übermenschen" galt der englisch-französischen Propaganda als Inbegriff deutscher Hybris und Brutalität, seine geschichtsphilosophischen Bemerkungen deutete man - philologisch mehr als kühn - als Verherrlichung preußischen Weltmachtstrebens. 98 In Deutschland wiederum stilisierte man den Philosophen - gleichfalls ohne sich mit interpretatorischen Details zu plagen - zum Verkünder eines neuen Nationalismus Jenseits von Gut und Böse. Zugleich gab die Berufung auf seine Gedankenexperimente der Ideologie vom „deutschen Sonderweg" die dringend benötigte Modernität und Attraktivität. Die deutsche Militärführung unterstützte jedenfalls die soldatische Nietzschelektüre nach Kräften. Eine strapazierfähige Feldausgabe des Zarathustra wurde in nicht weniger als 150.000 Exemplaren kostenlos an der Front verteilt." Dort fand sie ihre Leser, wenn auch ihre mentalitätsprägende Wirkung angesichts des tristen militärischen Alltags den Erwartungen des Generalstabs nicht entsprochen haben dürfte. Die ältere Generation griff zur Rechtfertigung des Krieges auf Literatur und Philosophie der deutschen Klassik und insbesondere auf den „Heros Preußens", Immanuel Kant, zurück. Maßgeblichen Anteil daran hatten die führenden Vertreter des liberalen Judentums, die sich dem bildungsbürgerlichen Wertekanon stark verpflichtet fühlten. Ludwig Geiger propagierte leidenschaftlich die Kantische Lehre von der Bedeutung des Krieges für den Menschheitsfortschritt. Zwar konnte er nicht in Abrede stellen, daß das internationale Kulturleben weitgehend zum Erliegen gekommen war, doch sah er die Kantische Denkfigur dadurch nicht prinzipiell in Frage gestellt. Denn auf sittlichem Gebiet habe der Krieg zu einer Abkehr von der materialistischen Wertorientierung gefuhrt und „ein Heldengeschlecht erstehen lassen". 100 Vergessen war der feine Spott, mit dem Kant die Kabinettskriege seiner Zeit bedacht hatte. Erst recht fehlte ein angemessenes Verständnis für die Unterschiede zwischen den dynastischen Auseinandersetzungen des 18. Jahrhunderts und dem hochtechnisierten Massensterben im Ersten Weltkrieg. Zu Gebote stand Geiger lediglich ein steifer Heroismus, mit dem er die Erfolge der deutschen Armee den „größten Taten der Weltgeschichte" vorzog. Geiger stand mit seinen geschichtsphilosophischen Sinngebungsversuchen nicht allein. Wenig anders verhielt sich mit Hermann Cohen der wohl angesehenste Intellektuelle des liberalen Judentums. Der Marburger Professor stellte in einem Artikel für die „Frankfurter Zeitung" apodiktisch den Wert der kritischen Philosophie für den deutschen Militarismus heraus. Seine Argumente hatten nichts mehr mit linksliberalen Reform98

Zur Bedeutung Nietzsches im Propagandakrieg: Ebd., S. 1 3 0 - 1 3 8 , sowie V o m Brocke, „Wissenschaft", S. 696 f.

99

H[einz] F. Peters, Zarathustras Schwester. Fritz und Lieschen deutsches Trauerspiel, München 1983, S. 280. Geiger, Krieg, S. 17; ebd., das nächste Zitat.

100

Nietzsche

- ein

Kriegsbejahung im Zeichen Kants und Nietzsches

137

Vorstellungen oder gar mit der neukantianischen Vision eines „ethischen Sozialismus" zu tun. Statt dessen betonte Cohen die Bedeutung des militärischen Pflichtgedankens für das Verständnis der Kantischen Philosophie und denunzierte die feindlichen Armeen als Söldnerheere. 101 Bei näherer Betrachtung trug diese ideologisch verzerrte Sicht der Dinge wenig zum Verständnis der Gegenwart bei. Gleichwohl war die Resonanz auf Cohens Kriegspublizistik erheblich, weil sie weitverbreiteten politischen Vorstellungen eine philosophische Legitimation gab. 102 Generell maßen deutsche Hochschullehrer der Kantischen Ethik im Ersten Weltkrieg eine herausgehobene Bedeutung zu. Deren „Herzstück", der kategorische Imperativ, faßten nur noch die wenigsten als Kriterium zur Prüfung der Richtigkeit von Verhalten auf. Statt dessen überwogen inhaltliche Interpretationen, die Kants Ablehnung des Utilitarismus als Beweis für den Wert deutscher Ethik nahmen. Bestimmenden Einfluß auf diese Entwicklung hatte Max Scheler, dessen Kant-Nietzsche-Synthese weithin als letztes Wort der Universitätsphilosophie galt. 103 Im deutschen Judentum fand die Hypostasierung der Kantischen Lehre breite Resonanz und führte zu zahlreichen plakativen Bezugnahmen, die den Wert des Gehorsams oder den sittlichen Charakter des Staates herausstellten. Der junge Zionist Nachum Goldmann betrachtete „den preußischen Feldwebel als den personifizierten kategorischen Imperativ". 104 Ohne sich allzu lange in philosophische Subtilitäten zu vertiefen, erklärte ein national gesonnener Rabbiner wie Martin Salomonski: „Man steht doch vor Jüngern Kants, und wenn die meisten auch seinen Namen nicht kennen, der kategorische Imperativ durchpulst ihre Adern, keiner ist ein Söldner, keiner käuflich für Feindesgold, kein Grabenplakat lockt sie überzulaufen. Alle sind Söhne der Pflicht!" 105 Seitens der Orthodoxie pries man die Ursprünge der militärischen Disziplin in einem strengen Schulwesen. Der angesehene Lübecker Rabbiner Salomon Carlebach ging sogar soweit, die Erziehung zum Gehorsam als

101

102 103

104 105

Hermann Cohen, „Kantische Gedanken im deutschen Militarismus", in: Ders., Schriften zur Philosophie und Zeitgeschichte, hg. v. Albert Görland u. Ernst Cassirer, Bd. 2, Berlin 1928, S. 3 4 7 - 3 5 4 [zuerst FZ Nr. 8 vom 9. Januar 1916, S. 1 f.], Vgl. Aschheim, Brothers and Strangers, S. 142. Grundlegend: Max Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik. Mit besonderer Berücksichtigung der Ethik /. Kants, Halle 1916; allgemein zur „Verfallsgeschichte" des kategorischen Imperativs im Fin de siècle: Sieg, „Philosophen", S. 6 2 9 - 6 3 6 . Nachum Goldmann, Der Geist des Militarismus, Stuttgart u. Berlin 1915, S. 12. Martin Salomonski, Ein Jahr an der Somme. Mit sechzehn Bildern, Frankfurt an der Oder 1917, S. 50.

138

Jüdisches „Kriegserlebnis"

kulturell-religiöses Zentrum von Deutschtum und Judentum zu betrachten. 106 Erfahrungsresistente Kriegsapologien jüdischer Intellektueller lassen sich zur Genüge finden. Rabbiner und Journalisten feierten Wilhelm II. als Friedensfürsten und verglichen seine Regierung mit dem Zeitalter Salomos. 107 Auch in der Gebetordnung für Feldgottesdienste war das Lob der wilhelminischen Friedensära obligat. 108 Kühne Analogiebildungen charakterisierten die Kriegsrhetorik, die an Emotionen appellierte und ihre Beispiele in grauer Vorzeit suchte. Jüdische Denker erinnerten an Josua, der das israelitische Volk im Kampf um das Heilige Land geeint hatte, und an seine harten Strafen gegen Verräter. Den Zaren nannte man hingegen in einem Atemzug mit dem Judenhasser Antiochus von Syrien, der einst den Makkabäeraufstand heraufbeschworen hatte. 109 Für das Russische Reich wählte man gern das Bild des „Kolosses auf tönernen Füßen", dem wie seinerzeit Assyrien die baldige Vernichtung beschieden sei. Nicht wenige jüdische Verfechter des Kriegsnationalismus erinnerten auch an die Heldentaten der Germanen wie der Rabbiner Salomon Samuel, der Moses den „Arminius-Hermann seines Volkes" nannte." 0 Geradezu zum Topos wurde es, den „Daseinskampf der deutschen Nation zur Not des von Feinden umringten Israel in Beziehung zu setzen. Eugen Fuchs erinnerte am 13. November 1914 die Mitglieder des CV daran, „daß der beste Jude auch der beste Deutsche sein wird". Ferner vertrat er prononciert die These, daß dem „Haß gegen das Deutschtum" lediglich ein historisches Phänomen entspreche, „der Haß gegen die Ju-

106

S[alomon] Carlebach, „Das Heerwesen und die jüdische Erziehung", in: Jeschurun 2 (1915), S. 2 9 2 - 3 0 8 .

107

Heinrich Margulies, „Eine historische Parallele. König Salomo und Kaiser Wilhelm II.", in: JP 47 (1916), S. 13 ff. Diese Sichtweise stammte noch aus den ersten Kriegstagen, wie beispielsweise Wohlgemuth, „Weltkrieg", S. 263 f., belegt. - Generell zur Verherrlichung des Kaisers seit 1914: Jeismann, Vaterland, S. 220 f. Vgl N[ehemia] A. Nobel, Gebetordnung für Feldgottesdienste, Frankfurt am Main 1914, S. 12 f.

los 109

110

Vgl. Arnold Lazarus, „Segen und Fluch", in: Bericht der Grossloge für Deutschland VIII U.O.B.B., Nr. 6, Oktober 1915, S. 81 f., und Max Beermann, „Krieg und Judentum", in: IF Nr. 50 vom 10. November 1914, S. 9. S[alomon] Samuel, Bibel und Heldentum. Fünf Kriegsvorlesungen, gehalten in den Akademischen Kursen zu Essen im Wintersemester 1914/15, Berlin 1915, S. 10; zur nationalistisch-integrativen Ausrichtung von Samuels Kriegspublizistik vgl. Edna Brocke, „Dr. Salomon Samuel - Rabbiner in Essen. Befragt aus heutiger Sicht am Beispiel des Textes ,Bibel und Heldentum. Fünf Kriegsvorlesungen.'", in: Jüdisches Leben in Essen 1800-1933, hg. v. der Alten Synagoge, Essen 1993, S. 159-172.

Kriegsbejahung im Zeichen Kants und Nietzsches

139

den". 11 ' Der Frankfurter Rabbiner Nehemia Anton Nobel verglich Deutschland mit Joseph, der dem „Haß seiner Brüder" ausgeliefert schien, aber auf Gottes Hilfe vertrauen konnte.112 Sein dortiger Kollege Arnold Lazarus wies mit Nachdruck darauf hin, daß sich der eigentliche Sinn der Bibel erst in diesen Krisentagen enthülle: „Das macht der Parallelismus der Kampfeszeiten. Heute wie damals ringt ein ganzes Volk um seine Existenz, um die Sicherung seiner Kulturgüter."113 Dies gab nicht nur dem Krieg eine geschichtsphilosophische Bedeutung, sonderte diskreditierte zugleich den Antisemitismus als eine von Haß und Neid geprägte Weltanschauung.114 Seitens des Abwehrvereins unterstützte man diese Strategie. So verfaßte der renommierte Bonner Orientalist und Bibelforscher Eduard König einen Artikel, der „Die althebräische Dichtung in ihrer Stellung zu Politik und Krieg" analysierte und die Wehrhaftigkeit des jüdischen Volkes herausstellte." 5 Apokalyptische Denkmotive erfreuten sich in Rabbinerpredigten keiner sonderlichen Beliebtheit. Statt dessen favorisierte man eine teleologische Überhöhung des Geschichtsverlaufs, die den Ersten Weltkrieg als Kampf für den sittlichen Fortschritt interpretierte. Der ebenso wortgewaltige wie einflußreiche Nobel erinnerte die jüdischen Soldaten vor ihrer Vereidigung daran, daß sie „Zeugen weltgeschichtlichen Geschehens" seien. Gleichzeitig pries er die Gegenwart als „große göttliche Offenbarung an die Menschheit".116 Seine Deutung des Weltkrieges speiste sich aus jenem Kulturprogressismus, der für das Geschichtsbild des liberalen Judentums bestimmend war. Einen anderen Weg beschritt hingegen Martin Buber, dessen Denken seit der Jahrhundertwende um die „allgemeine Kulturkrise der Gegenwart" kreiste. In eindrucksvollen Bildern begrüßte Buber den Kriegsausbruch, doch die Ursachen für seine Kriegsbejahung scheinen primär abstrakt-philosophischer Natur gewesen zu sein. Seit seinem Daniel verfocht er einen Dezisionismus, der gleichermaßen ästhetische wie ethische Elemente enthielt. Schlüsselhafte Bedeutung maß Buber dem ursprünglich aristoteli111

112

1,3 114

115 116

Eugen Fuchs, „Kriegsvortrag", in: Ders., Um Deutschtum und Judentum. Gesammelte Reden und Aufsätze ( 1 8 9 4 - 1 9 1 9 ) . Im Auftrage des Centraivereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens hg. v. Leo Hirschfeld, Frankfurt am Main 1919, S. 141-155, hier S. 150 u. 153. N[ehemia] A. Nobel, Kriegspredigten gehalten in der Gemeinde-Synagoge am Börneplatz. Zweite Folge: Der Tag des Kampfes, Frankfurt am Main 1915, S. 10. Arnold Lazarus, „Segen", S. 81. Vgl. exemplarisch die Artikelfolge „Der Krieg als Lehrmeister. (Vom grundlosen Haß. - Die Rassentheorie und der Krieg. - Die Juden als Krieger)", in: Ost und West 1 4 ( 1 9 1 4 ) , Sp. 6 2 5 - 6 4 0 . M V A A N r . 17 vom 5. September 1917, S. 126 ff. Nehemia A. Nobel, Kriegspredigten gehalten in der Gemeinde-Synagoge am Börneplatz. 1. Vor der Vereidigung; 2. Wo finde ich Dich?, 2. Aufl. Frankfurt am Main 1914, S. 3.

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sehen Terminus „Kinesis" zu, den er als eine auf Verwirklichung drängende Kraft definierte. 117 Die soziale und politische Dimension menschlichen Handelns rückte damit freilich in den Hintergrund. Statt dessen wurde „Entschlossenheit" zur Kardinaltugend, weil sie die kompromißlose Umsetzung menschlicher Vorstellungen ermöglichte. Buber verkündete seit 1914 einen Heroismus, der dem Judentum eine neue innere Würde verleihen sollte. Ausschlaggebend war der existentielle Einsatz der Persönlichkeit, nicht die angestrebten Ziele. Wahrhaft heroisch sei der Jude, „der nicht duldet, sondern kämpft, nicht grübelt, sondern beschließt" - Aktivität wurde auf diese Art zum Wert an sich. 118 Gewiß kleidete Buber seinen Dezisionismus in religiöse Metaphern, doch war dies nicht die Sprache des Talmuds oder der hebräischen Bibel, sondern die expressionistische Sprache Nietzsche-Zarathustras. Die Wirksamkeit seiner Kriegsphilosophie beruhte nicht auf ihrer argumentativen Verbindlichkeit, sondern auf ihrer Vagheit, die eine Vielzahl von Lesarten und Assoziationen gestattete. Im Grunde verdeckte der appellative Stil die argumentative Unverbindlichkeit, die seiner „Philosophie der Tat" eigen war. Bubers Schlüsselrolle für die innerjüdische Sinngebung des Krieges zeigt sich in seinem umfangreichen Briefwechsel. Immer wieder wandten sich Zeitgenossen mit der Bitte um ein klärendes Wort an den Gelehrten, der seine Korrespondenz mit größter Sorgfalt führte und kaum ein Schreiben unbeantwortet ließ. Besonders wichtig war Buber für die Mitglieder des Prager „Bar Kochba", die an verschiedenen Kriegsschauplätzen ihren Dienst ableisteten. Buber informierte sie nicht nur über das Geschehen in der Heimat, sondern bemühte sich auch nach Kräften darum, den Informationsfluß zwischen den Angehörigen der Studentenorganisation nicht abreißen zu lassen. Überdies teilte er ihnen mit, wie das Kriegsgeschehen von höherer Warte aus zu verstehen sei. Die emotionale Bedeutung, welche der Bewunderung Bubers zukam, läßt sich daran ermessen, daß selbst der eher nüchtern veranlagte Hugo Bergmann am 18. Oktober 1914 in sein Tagebuch notierte: „Ich träumte schön von zu-

117

Martin Buber, Daniel. Gespräche von der Verwirklichung, Leipzig 1913; eingehend zur Bedeutung des Kinesis-Begriffs für Bubers Kriegsphilosophie: MendesFlohr, Mystik, S. 1 3 2 - 1 3 5 .

118

Martin Buber, „Zum Gedächtnis", in: Ders., Die jüdische Bewegung. Gesammelte Aufsätze und Ansprachen, 1900-1915, Berlin 1916, S. 2 4 4 - 2 4 9 , hier S. 248. Derlei Passagen fehlen bei Hans Kohn, Martin Buber. Sein Werk und seine Zeit, 2. Aufl. Köln 1961, der vielmehr, S. 162, herausstellt, daß in Bubers Worten „niemals eine Verherrlichung des Krieges" gelegen habe. Versteckt hagiographisch auch: Max Brod, Streitbares Leben. Autobiographie, München 1960, S. 146 f. Kritischer hingegen: Blom, Buber, S. 7 9 - 8 2 , und Kiival, Making, S. 163-166.

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haus und von Buber." 119 Auch Hans Kohns private Aufzeichnungen belegen die prägende Wirkung Bubers. Am 23. September 1914 attestierte Kohn dem ,,Gedanke[n] des Krieges [...] verjüngende Kraft". 120 Zwar wird konzediert, daß die Ereignisse bislang nicht die hochgespannten Erwartungen erfüllt haben, doch ändert dies nichts an der positiven Gesamteinschätzung des „Großen Krieges": ,,[H]ier erwachte ,Volk' zu einer höheren Einheit, und wenn es auch nicht mein Volk war, wenn ich nach Deutschland blickte, sah ich ehrfürchtig zu, fühlte mich mitgetragen, irgendwie mein Ich erweitert. Dann: endlich galt es: Pflichterfüllung, wo sie am schwersten fällt, Selbstopferung für ein Höheres, des Teiles für ein Ganzes." Als die ersten Mitglieder des „Bar Kochba" fielen, wurde es erst recht dringlich, dem Krieg eine transzendente Bedeutung zu verleihen. So schrieb ein Kochbarianer an Robert Weltsch über den Tod ihres gemeinsamen Bekannten Alfred Krauss, wie groß der Gewinn gewesen sei, den der Krieg der „Jugend aller Nationen" und vor allem „uns Juden" gebracht habe. Die Bedeutung des Kriegs bestimmte er buberianisch und jugendbewegt zugleich damit, „den Sinn von activas zu erfassen und, was lebendiges Wirken ist". Dies war als argumentative Kriegsrechtfertigung gewiß alles andere als überzeugend, doch stellte der jugendliche Enthusiasmus einen wertvollen Schild gegen die Erfahrung von Leid und Tod dar. Zugleich zeigt die geborgte stilisierte Sprache allerdings auch, wie schwierig es für einen jungen Kriegsteilnehmer war, Gefühlen der Trauer individuellen Ausdruck zu verleihen. 121 Das Leid, das der Krieg mit sich brachte, erhielt in Bubers Interpretation durch die „Größe der historischen Stunde" eine höhere Rechtfertigung. Am 7. Juli 1915 schrieb er dem befreundeten Schriftsteller Hermann Stehr, dessen Sohn Wilhelm vor wenigen Tagen gefallen war, einen Kondolenzbrief, der kaum persönliche Trauer und viel hochtrabende Geschichtsmetaphysik enthielt: „Aber ich weiß auch, daß über ihren Häuptern wie über denen der Hunderttausende, die das gleiche Los betroffen hat, ein gewaltiger und wundersamer Trost schwebt: mit ihrem Schicksal ist das Schicksal des Vaterlandes unlöslich ver119

120 121

Schmuel Hugo Bergmann, Tagebücher & Briefe, hg. v. Miriam Sambursky, Bd. 1: 1901-1948, Königstein im Taunus 1985, S. 70. LBI N e w York AR 259, Box 23, Folder 2; dort auch das folgende Zitat. Wie erfolgreich die psychischen Abwehrmechanismen funktionierten, zeigen die Schlußzeilen des Briefes von Weißkopf an Robert Weltsch vom 25. September 1914: „Glaube mir, trotz aller Mühsal und Widrigkeiten habe ich oft gerufen: es ist eine Lust zu leben!" (Tannenbaum, Kriegsbriefe, S. 42 f., hier S. 43; die vorigen Zitate: Ebd.).

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woben, das neue, große Deutschland ersteht aus diesem Blut und diesen Tränen." Die Abfassung des Kondolenzbriefes war Buber nicht leicht gefallen, wie die zahlreichen Streichungen und Verbesserungen des Originalmanuskripts bezeugen. 122 Den richtigen Ton dürfte er gleichwohl getroffen haben, hatte Stehr doch in einem früheren Schreiben nachdrücklich den historischen „ B e r u f des deutschen Volkes herausgestellt: „Wir Deutschen werden siegen, unweigerlich und die Aufgabe, die dann von uns zu lösen ist, hat das Ausmaß einer Menschheitsaufgabe. Wir müssen die Menschheit aufbauen, wie einst die Römer sie beherrscht und die Griechen sie durchdrungen haben. Wir können es, denn wir sind das einzige Volk, dem es im Blute liegt, religiöse Forderungen in staatliche Tatsachen umzusetzen und den Staat zu einer Angelegenheit der Gesellschaft zu machen." 123 Buber teilte mit Stehr jenes zeittypische positive Verständnis von Volk, das unweigerlich zu einer pejorativen Konnotation des Staatsbegriffs führte. Noch mehr als dieser betonte er jedoch den Gemeinschaftsgedanken, den er gegen die atomisierte Form des Zusammenlebens in der materialistisch orientierten „Gesellschaft" ausspielte. Hiermit folgt Buber der Terminologie Tönnies', dessen primär deskriptives Modell von „Gemeinschaft und Gesellschaft" freilich eine starke normative Aufladung erfahrt. 124 Überdies findet das Gemeinschaftskonzept seinen systematischen Ort in einer Geschichtsphilosophie, die dem Weltkrieg herausragende Bedeutung zuweist. Von Beginn an interpretierte Buber den „Großen Krieg" in apokalyptischen Denkfiguren und Bildern. Erst das Sterben der alten europäischen Welt ermögliche die Geburt eines neuen Zeitalters. Gerade die assimilierten Juden in den kapitalistischen Ländern Westeuropas seien dem Untergang geweiht, weil sie ihre religiösen Wurzeln verloren hätten. Die Zukunft aber gehöre all jenen, die für einen eigenen jüdischen Staat streiten:

122

JNUL Jerusalem Ms Var. 350, Nr. 764 1/6; vgl. auch Mendes-Flohr, S. 166, Anm. 13.

123

Buber, Briefwechsel,

124

Zur ideengeschichtlichen Einordnung von Tönnies' vielfach mißverstandenem Hauptwerk Gemeinschaft und Gesellschaft. Abhandlungen des Communismus und des Socialismus als empirische Kulturformen, das erstmals 1887 in Leipzig erschien: Cornelius Bickel, „Soziologie und Ethik bei Tönnies. Seine Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Strömungen der Sozialethik", in: Helmut Holzhey (Hg.), Ethischer Sozialismus. Zur politischen Philosophie des Neukantianismus, Frankfurt am Main 1994, S. 2 3 8 - 2 8 2 .

Mystik,

Bd. 1, S. 385 f., hier S. 385.

Kriegsbejahung im Zeichen Kants und Nietzsches

143

„Noch ist die Zeit nicht da, wo unter den Streichen lebendiger Juden der Widerspruch zerschellt und, von seinem Bann gelöst, Verheißung und Augenblick, Wahrheit und Wirklichkeit sich vereinen; aber die Zions Kampf gegen das Paradox führen, kündigen sie an, und ihr erlöschendes Auge sieht unsere Fahne wehen auf dem Berge des Herrn." 125 Dies war geschickt formuliert, weil es die zionistische Position überhöhte, ohne ihr zugleich allzu große geschichtsphilosophische Hypotheken aufzuladen. Die glorreiche Zukunft war zum Greifen nah, doch sie ließ sich nicht ohne existentiellen Einsatz erreichen. Vielmehr erfordere es eine heroische Geisteshaltung und große Opfer, wenn der „Tag der Wende" genutzt werden soll, wie es Buber in seiner Makkabäerrede pathetisch formulierte. 126 Gerade diese Aufforderung zur „Tat" wußten seine Anhänger zu schätzen, selbst wenn sie wie Hugo Bergmann mit einer „Welle der Assimilation" nach dem Krieg rechneten. 127 Bubers Rhetorik verwandte eine Vielzahl kulturpessimistischer Topoi, die sich bereits vor 1914 großer Beliebtheit erfreuten. Ähnliches gilt für Rudolf Eucken und Max Scheler, die neben Buber zu den einflußreichsten Philosophen der Kriegszeit gehörten. 128 Sie alle verbanden eine existentielle Ansprache des Lesers mit der gewünschten geschichtsphilosophischen Sinngebung. Hugo Bergmann stand im Bann dieser drei Denker, wenn er jeden „Frieden ohne Krieg" lediglich für ein „stehendes Gewässer" abseits des Stroms der Kulturentwicklung hielt. 129 Als Ahn125

126 127

128

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Buber, „Gedächtnis", S. 249. - Allgemein zu den Motiven, die in Bubers Geschichtsphilosophie während des Weltkrieges wirksam wurden: Klaus Vondung, Die Apokalypse in Deutschland, München 1988, und Michael Pauen, Dithyrambiker des Untergangs. Gnostizismus in Ästhetik und Philosophie der Moderne, Berlin 1994. Buber, „Tempelweihe", S. 243. Brief Hugo Bergmanns an Leo Herrmann vom 12. Januar 1915; CZA Jerusalem A 145/154. Dort heißt es weiter: „Am schoensten ist an Bubers Rede der radikale Aufruf zum Schluss, w o er verspricht, voranzugehen, die andern zum Folgen auffordert." Geistes, Vgl. Rudolf Eucken, Die weltgeschichtliche Bedeutung des deutschen Stuttgart u. Berlin 1914, sowie Max Scheler, Der Genius des Krieges und der deutsche Krieg, 2 . - 4 . Tausend Leipzig 1915. Eine umfassende Arbeit zum Zusammenhang zwischen radikaler Gegenwartskritik und Kriegsverherrlichung bietet nun: Barbara Beßlich, Wege in den ,Kulturkrieg'. Zivilisationskritik in Deutschland 1890-1914, Darmstadt 2000. Als Fallstudie instruktiv: Friedrich Lenger, „Die Abkehr der Gebildeten von der Politik. Werner Sombart und der .Morgen'", in: Gangolf Hübinger u. Wolfgang J. Mommsen (Hgg.), Intellektuelle im Deutschen Kaiserreich. Mit Beiträgen von Rita Aldenhoff u.a., Frankflirt am Main 1993, S. 6 2 - 7 7 u. 2 1 5 - 2 1 8 . Brief an Else Bergmann vom 24. November 1914, Bergmann, Tagebücher, S. 73 ff., hier S. 74.

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herr dieser religiös verbrämten Überhöhung des Krieges diente ausgerechnet Kant. Dessen Ausfuhrungen zur „Idee vom ewigen Frieden" wurden nicht nur in ein teleologisches Prokrustesbett gepreßt, sondern auch auf die seit 1914 aufgeworfenen Sinnfragen bezogen. Wohl am weitesten ging dabei Scheler, der in jedem Krieg einen ,,positive[n] Wesensbestandteil der göttlichen Erlösungsordnung" erblicken wollte. 130 Hierbei ist mitzubedenken, daß der Phänomenologe von der konstitutiven Bedeutung des Krieges für den modernen Nationalstaat überzeugt war. „Im Kriege erst werden sich jene großen machtvollen geistigen Kollektivpersönlichkeiten, die wir ,Nationen' nennen, ihrer Existenz und ihres Wesens voll bewußt;" 131 so stellte er in der selbstgewissen Diktion eines deutschen Universitätsprofessors und diskursprägenden Intellektuellen fest. Die nationalistische Orientierung von Bubers Kriegsphilosophie verdeutlicht ein Anfang 1915 verfaßter Artikel für die „Jüdische Rundschau", der bislang von der Forschung stark vernachlässigt wurde. Er trägt den bilderreichen Titel „Der Engel und die Weltherrschaft. Ein altjüdisches Märchen" und ist ,,[d]en Freunden im Feld gewidmet". Buber stellt sich dem Theodizee-Problem, das für viele Menschen erneut Aktualität und Relevanz gewonnen hatte, und fragt, wie sich die Existenz Gottes angesichts des ungeheuren Leidens im Ersten Weltkrieg rechtfertigen lasse. Seine Antwort, die nietzscheanische und apokalyptische Denkmotive miteinander verbindet, ist von verblüffender Einfachheit: die Menschheit müsse leiden, weil nur so künstlerisch Wertvolles entstehen könne. Bubers apodiktische Haltung zeigt sich nicht nur darin, daß er seine Auffassung dem „Herrn" in den Mund legt, sondern auch in der gravitätischen Diktion, die Widerspruch gleichsam im Keim erstickt. Unvermeidlich sei es, „die Erde mit Fäulnis [zu] nähren und mit Schatten [zu] decken, daß sie aus dem Samen gebäre, - das heißt, die Seelen mit Blut und Schmerzen fruchtbar machen, daß das Werk aus ihnen erstehe". 132 Auch Bubers programmatischer Einleitungsartikel für die Zeitschrift „Der Jude" gewann dem Krieg ausschließlich positive Aspekte ab. Seine Deutung verknüpfte die existentielle Überhöhung des „Kriegserlebnisses" mit der kollektiven Ansprache an alle Juden. Zugleich stellte er die zu-

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Scheler, Der Genius des Krieges und der deutsche Krieg, S. 97. Ebd., S. 119. Vgl. auch Ders., „Der Genius des Krieges und das Gesamterlebnis unseres Krieges", in: Ernst Jäckh (Hg.), Der große Krieg als Erlebnis und Erfahrung, Bd. 1: Das Erlebnis, Gotha 1916, S. 2 7 6 - 2 8 7 , hier S. 285, wo der Krieg als ,,stärkste[r] Gemeinschaftsbildner der Geschichte" gepriesen wird. Martin Buber, „Der Engel und die Weltherrschaft. Ein altjüdisches Märchen. Den Freunden im Feld gewidmet", in: JR Nr. 8 vom 19. Februar 1915, S. 62; Christoph Schultes umsichtige Abhandlung „Jüdische Theodizee? Überlegungen zum Theodizee-Problem bei Immanuel Kant, Hermann Cohen und Max Weber" (ZRGG 4 9 [1997] S. 135-159), geht erstaunlicherweise kaum auf die Bedeutung des Ersten Weltkrieges ein.

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kunftsweisende Dimension der Kriegsereignisse heraus. Es dürfe „daran geglaubt werden, daß diese Zeit der schwersten Prüfung für das Judentum eine tiefe Selbstbesinnung und damit den Beginn einer wahrhaften Sammlung und Einigung bedeutet". 133 Unmißverständlich gab Buber seiner Überzeugung Ausdruck, daß jeder, der in dieser Krisenzeit dem Judentum treu bleibe, ein vertieftes Verständnis jüdischer Gemeinschaft erfahre. Dies ging zusammen mit einer kulturpessimistisch getönten Kritik am „Assimilantentum" und einer quasi-eschatologischen Verherrlichung des ,,gegenwärtige[n] Nationalismus" als „Aufschwung der weltbegeisterten Juden, die eine neue Humanität bereiten helfen". 134 Zugleich versteckte Bubers metaphernreiche Rhetorik allerdings auch, daß eine zionistische Begründung für den Kampf gegen die jüdischen Soldaten anderer Nationen schwerfiel. Das argumentative Dilemma zeigte bereits zu Beginn des Krieges ein Artikel in den Hamburger „Jüdischen Nachrichten", in dem ein zionistischer Rekrut forsch, aber letztlich wenig überzeugend erklärt hatte: „Jetzt ist jeder mein Feind, der eben die feindliche Uniform trägt." 135 Bubers gleichermaßen verklärende wie dezidiert politische Weltsicht empörte Gustav Landauer, der dem Kriegsgeschehen keine apokalyptischen Weihen zu geben bereit war. Der utopische Anarchist faßte den Krieg nicht als Entstehungsgrund „wahrer Gemeinschaft", sondern als Zerstörung der europäischen Zivilisation auf. Schon im August 1914 hatte er das Szenario eines schrecklichen Krieges entworfen, den die Großmächte um Kolonien und Rohstoffe führten. Er sah „Riesenschlachten" voraus, „die nach Raum und Zeit kein Ende nehmen wollen und die schließlich trotz allen weittragenden Waffen in Nahkämpfen mit dem Kolben, dem Revolver, der Handbombe, dem Säbel und den natürlichen Werkzeugen unsres Tierleibes schließen". 136 Landauers Hoffnungen auf 133

Martin Buber, „Die Losung", in: Der Jude 1 (1916/17), S. 1 ff. Zur Gemeinschaftsemphase dieses Textes: Silvia Cresti, „Aporien der jüdischen Identität. Literatur und Judentum in der Zeitschrift Der Jude von Martin Buber", in: Wolfgang Benz (Hg.), Jüdisches Leben in der Weimarer Republik = Jews in the Weimar Republic, Tübingen 1998, S. 2 5 3 - 2 6 7 , hier S. 257 ff., und Blom, Buber, S. 79 f. Ferner aufschlußreich: Michael Brenner, Kultur, S. 47, der auf die interpretatorisch wichtige und häufig übersehene Tatsache hinweist, daß Bubers Text die unveränderte Wiedergabe einer Rede aus den ersten Kriegswochen darstellt.

134

Buber, „Losung", S. 3. Zit. nach: Helga Krohn, Die Juden in Hamburg. Die politische, soziale und kulturelle Entwicklung einer jüdischen Großstadtgemeinde nach der Emanzipation 1848-1918, Hamburg 1974, S. 212. Gustav Landauer, „Der europäische Krieg", in: Der Sozialist Nr. 13 vom 10. August 1914, S. 97 f., hier S. 97; eine Manuskriptfassung des Artikels findet sich: JNUL Jerusalem Ms Var. 432, Nr. 147. - Die Hellsichtigkeit von Landauers politischer Analyse betonte erstmals: Julius Bab, Gustav Landauer. Gedächtnisrede gehalten in der Volksbühne zu Berlin am 25. Mai 1919, Berlin 1919, S. 23 f. Lan-

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einen internationalen Massenstreik hatten sich bei Kriegsausbruch als trügerische Illusion erwiesen. Dennoch betonte er, wie wichtig es sei, nicht in die allgemeine Hysterie mit einzustimmen, sondern zivilisierte Standards zu halten. In apodiktischer Sprache postulierte er eine Pflichtethik, welche die nationalistischen Emotionen der individuellen Selbstkontrolle unterwerfen sollte: ,,[E]s kommt darauf an, bei allem subjektiven Nationalismus des gebotenen Handelns, das objektive Denken nicht zu vergessen. Nie zu vergessen, daß, was die einen tun, auch die andern nicht lassen: in Ausübung der Pflicht fest, hart, unerbittlich sein; es wird Momente geben, wo man keineswegs menschlich sein kann, aber man kann in unmenschlich hartem Todverfolgen die Achtung bewahren. Nie Mob werden. Nie lynchen. [...] Handelt, ihr Menschen allesamt, handelt, wie ihr handeln müßt, aber denkt und fühlt, wie ihr sollt."™

Allein so sprachgewaltig Landauer seine Ansichten auch vorzubringen wußte, fand er doch nur wenig Hörer. Um so mehr mußte es ihn persönlich treffen, daß sein langjähriger Freund Martin Buber mit seiner Verherrlichung des jüdischen Heroismus den Ton der Stunde traf. 138 Dies wurde offenkundig, als es im „Forte-Kreis" zwischen Buber und Frederik van Eeden zur offenen Kontroverse kam. Der niederländische Pazifist hatte den deutschen Einfall in Belgien in einem Zeitungsartikel aufs schärfste verurteilt und damit Bubers Widerspruch hervorgerufen. 139 Der Philosoph kritisierte van Eeden in belehrendem Ton: Wie könne man es in einer Zeit, in der alle Nationen Schuld auf sich laden würden, wagen, ausschließlich Deutschland zu attackieren, ohne den Vorwurf der Doppelmoral zu furchten? 140 Damit machte sich Buber ein beliebtes ArguLandauers expressionistische Kriegsvisionen betrachtet detailliert: Hanna Delf, ,„Prediger in der Wüste sein ...'. Gustav Landauer im Weltkrieg", in: Gustav Landauer, Dichter, Ketzer, Außenseiter. Essays und Reden zu Literatur, Philosophie, Judentum, hg. v. Hanna Delf, Berlin 1997, S. XXIII-LIII, hier S. X X V I ff. 137

Landauer, „Krieg", S. 97.

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Zur Entwicklung ihrer Freundschaft vgl. Norbert Altendorfer, „Martin Buber und Gustav Landauer", in: Werner Licharz u. Heinz Schmidt (Hgg.), Martin Buber ( 1 8 7 8 - 1 9 6 5 ) . Internationales Symposium zum 20. Todestag, Bd. 2: V o m Erkennen zum Tun des Gerechten, Frankfurt am Main 1989, S. 150-177. Die grundsatzethische Ausrichtung von Landauers Weltbild betonte bereits: Paul Breines, „The Jew as Revolutionary - The Case of Gustav Landauer", in: LBIYB 12 (1967), S. 7 5 - 8 4 . Frederik van Eeden [anonym], „Offener Brief an unsere deutschen Freunde", in: De Amsterdammer vom 6. September 1914. Vgl. das Schreiben Martin Bubers an Frederik van Eeden vom 16. Oktober 1914, Buber, Briefe, Bd. 1, S. 373 f., hier S. 374, sowie die beigefugten Ausfuhrungen,

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ment zu eigen, übersah jedoch, daß van Eeden primär die Rechte der kleinen und zudem neutralen Nationen verteidigt hatte. In seiner Empörung verlor Buber jede kritische Distanz gegenüber der deutschen Propaganda. Gleichermaßen vage wie apodiktisch betonte er sein „persönlic h e ^ ] Wissen" von den Kriegsereignissen und ließ sich sogar zu der Behauptung hinreißen, „daß belgische Frauen sich damit vergnügt haben, verwundeten Soldaten die Augen auszustoßen und die von den Uniformen abgerissenen Knöpfe hineinzudrücken". 141 Zu einer Annäherung der divergierenden Positionen kam es nicht: Bubers quasi-religiöse Überhöhung des Krieges als jüdisches Gemeinschaftserlebnis und van Eedens pazifistisch motivierte Ablehnung des deutschen Nationalismus ließen sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Im Gegenteil - der heftige briefliche Gedankenaustausch wirkte polarisierend und vertiefte die ohnehin vorhandenen weltanschaulichen Gegensätze im „ForteKreis". Landauer fand Bubers Verherrlichung des Krieges unangemessen und sympathisierte mit van Eeden, dessen pazifistisches Weltbild ihm prinzipiell sympathisch war. Doch störte ihn van Eedens selbstgerechter Ton und das ausdrückliche Bekenntnis zur Parteilichkeit. Landauer hielt hingegen jede starre Festlegung auf einen politischen Standpunkt fiir intellektuell heikel und moralisch verwerflich. 142 Dieses Bekenntnis zur Überparteilichkeit teilte er mit Buber, der sich seinerseits darum bemüht hatte, die angeschlagene Freundschaft über die ernste Meinungsverschiedenheit hinweg zu retten. In einem gemeinsamen Brief von Ende November 1914 mahnten sie die Mitglieder des „Forte-Kreises" zur Versöhnung. 143 Allerdings steckte hinter diesem Vorschlag kaum mehr als guter Wille; ein neues Konzept, das geeignet gewesen wäre, den Zerfall des „Forte-Kreises" aufzuhalten, ließ sich nicht einmal ansatzweise erkennen. Auch die politischen-ideologischen Gegensätze zwischen Buber und Landauer konnten nur vorläufig beigelegt, nicht aber endgültig gelöst werden. Ein Brief Landauers an Hedwig Lachmann vom 3. August 1915 verdeutlicht, wie tief der weltanschauliche Graben tatsächlich war. Zwar zeigte Landauer ein mildes Verständnis für Bubers Glorifizierung des Deutschtums, doch als politischen Analytiker des Ersten Weltkrieges lehnte er ihn rundweg ab. Gerade seine Auseinandersetzung mit van Eeden - so Landauer nun - trage wirklichkeitsfremde Züge und werde dem

ebd., S. 3 7 4 - 3 8 0 , bes. S. 375; Bubers gedruckte Stellungnahmen in dieser Angelegenheit betrachtet: Mendes-FIohr, Mystik, S. 132. 141 142

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Buber, Briefe, Bd. 1, S. 375. Vgl. sein Schreiben an van Eeden vom 22. September 1914, Landauer, Lebensgang, Bd. 2, S. 3 f., hier S. 4. Ebd., S. 14 ff.; zum Kontext dieses Dokuments vgl. auch Holste, Forle-Kreis, S. 56 f.

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nihilistischen Charakter des Krieges nicht gerecht: „Das ist aber das Wesentliche: all dieses Entsetzen geschieht um nichts."144 Zu einer erneuten Auseinandersetzung zwischen Buber und Landauer kam es nach der Veröffentlichung von Bubers fünfter Prager Rede „Der Geist des Orients und das Judentum". 145 Unter Bezugnahme auf Herder, Goethe, Novalis und Görres charakterisierte Buber den Juden als Orientalen, der die welthistorische Aufgabe habe, die Menschheit zu erlösen. Gebieterisch verlange das gegenwärtige Zeitalter der „asiatischen Krisis" eine neue Synthese von Abendland und Morgenland in zionistischem Geist. 146 Angesichts der politischen Verhältnisse legte dies den gefährlichen Schluß nahe, das Heil des Judentums liege in den Händen deutscher Waffen. Zudem mißbilligte Landauer die „Losung", mit der Buber seine langerwartete Zeitschrift „Der Jude" im April 1916 auf den Weg gebracht hatte. Gegen Bubers ästhetisch drapierte Kriegsmetaphysik erhob Landauer energischen Protest. Für ihn war es nicht nachvollziehbar, j a empörend, wenn Buber die „.Deutschen unserer T a g e ' " mit den „Griechen der Perikleischen Zeit" oder den Italienern der Renaissance verglich. 147 Die Betonung der Freiwilligkeit aller jüdischer Soldaten empfand Landauer angesichts der Zwangsrekrutierungen als „kindliche Simplifikation". Erst recht mißbilligte er, daß der angesehenste Vertreter der Kulturzionisten in den Zerstörungen des Krieges den „Geist der Gemeinschaft" am Werke sah. Wie intensiv sich Landauer mit Bubers Position auseinandergesetzt hatte, zeigt ein bislang ungedrucktes Manuskript, das sich im Amsterdamer Nachlaß des Sozialrevolutionärs befindet. Es trägt den Titel „Aufbau und Gedankengang der Rede Bubers ,Der Geist des Orients und das Judentum'" und enthält eine ebenso detaillierte wie scharfsinnige Kritik. Sie betont, daß Bubers Loblied der deutschen Kultur letztlich auf eine Recht144

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Landauer, Lebensgang, Bd. 2, S. 63 f., hier S. 64. Ähnlich kompromißlos sah dies der junge Gershom Scholem. Am 8. Mai 1915 schrieb er anläßlich der Versenkung der „Lusitania" in sein Tagebuch: „Ich habe nur ein leises Schauern und Grauen vor den deutschen Barbaren, die das auch noch als Heldentat feiern, ein Schiff zu überfallen und ungesehen zu torpedieren! Und für so was ist der Buber zu haben." (Scholem, Tagebücher, S. 103 ff., hier S. 104). Zum Folgenden vgl. Mendes-Flohr, Mystik, S. 135-139, und Werner Licharz, „Gustav Landauer und Martin Buber in Briefen und Briefdialogen", in: Ders. u. Heinz Schmidt (Hgg.), Martin Buber (1878-1965). Internationales Symposium zum 20. Todestag, Bd. 2: Vom Erkennen zum Tun des Gerechten, Frankfurt am Main 1989, S. 178-202, hier S. 200 ff. Martin Buber, „Der Geist des Orients und das Judentum", in: Ders., Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden. 2. Aufl. Gerlingen 1992 [zuerst Leipzig 1916], S. 45-63, hier S. 62. Schreiben Landauers an Buber vom 12. Mai 1916, Buber, Briefwechsel, Bd. 1, S. 433-438, hier S. 434; ebd., S. 435 das nächste Zitat.

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fertigung der mißratenen deutschen Kriegspolitik hinauslaufe. 148 Landauers Interpretation traf eine systematisch zentrale Schwäche von Bubers Kriegsphilosophie, die konsequent ausblendete, daß jede Überhöhung des Deutschtums im „Krieg der Geister" chauvinistische Implikationen und dementsprechende Folgen hatte. Buber lenkte insoweit ein, daß er die „weltgeschichtliche Mission" Deutschlands nicht weiter betonte. Zu einem grundsätzlichen Bruch in seinem Weltbild kam es dennoch nicht, beurteilte er den Krieg doch weiterhin als Epochenwende, die ein neues Zeitalter des Judentums und der Menschheit eingeleitet habe. 149 Bezeichnenderweise blieben Bubers Korrekturen in der München 1919 erschienenen zweiten Auflage vom „Geist des Orients und das Judentum" recht äußerlich: Er ersetzte in den Eingangsworten die „weltgeschichtliche Mission" Deutschlands durch den Auftrag Europas und ließ ansonsten alles beim alten. Immer mehr Menschen standen jedoch „großen Worten" und vagen moralischen Appellen zunehmend skeptisch gegenüber. Spätestens seit den Materialschlachten in Verdun und an der Somme verloren die hochgestimmten „Ideen von 1914" den Großteil ihrer „Bindekraft". 150 Nicht ohne eine gehörige Portion Zynismus formulierte der Schriftsteller und Journalist Moritz Goldstein, der an der Westfront seinen Dienst tat: „Ein Weltkrieg mußte kommen, um euch zu lehren, euch für eine Idee preiszugeben. So wird euer Opferwille auch mit dem Krieg erschöpft sein." 151 Überdies zeigte sich je länger, je mehr der ephemere Charakter der patriotischen Hymnen und Gesänge. Die Akzeptanz der Kriegsliteratur litt entscheidend darunter, daß sich ihre stilistischen Mittel rasch verbrauchten. Dies galt vielleicht in besonderem Maße für die Veröffentlichungen deutschsprachiger Gelehrter, die sich gegen eine „Welt von Feinden" richteten und Schwierigkeiten hatten, die eigenen Zielvorstellungen mit konkretem Inhalt zu füllen. Dennoch sollte man die deutsche Propaganda nicht allzu schroff von der englischen oder französischen abgrenzen. Auch wenn Konstrukte wie die „Ideen von 1914" oder der „deutsche Sozialismus" unverkennbar ideologischer Natur 148

IISG Amsterdam, Landauer, Mappe R/e.

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Dies ist gegen Mendes-Flohr, Mystik, S. 139-143, festzuhalten, der Bubers philosophische Entwicklung seit dem Höhepunkt der Kontroverse mit Landauer im Mai 1916 ganz im Zeichen der „Kehrtwendung" sieht.

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Dazu konzis: Hübinger, „Eugen Diederichs' Bemühungen", S. 267; zum ideologiehistorischen Zäsurcharakter des Jahres 1916 vgl. ferner Flasch, Mobilmachung, S. 282, und Stefan Meineke, „Friedrich Meinecke und der Krieg der Geister", in: Wolfgang J. Mommsen (Hg.), Kultur und Krieg. Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, München 1996, S. 9 7 117, hierS. 108. Moritz Goldstein, „Texte zur jüdischen Selbstwahrnehmung aus dem Nachlaß. Mit einer Einf. hg. v. Elisabeth Albanis", in: Aschkenas 7 (1997), S. 7 9 - 1 3 5 , hier S. 134.

151

150

Jüdisches „Kriegserlebnis"

waren, spricht wenig dafür, ihren Unikatcharakter zu betonen. Im „Krieg der Geister" war beinahe jedes Mittel recht, und die Härte der Auseinandersetzung führte gleichsam unwillkürlich zu einer Verschärfung der rhetorischen Figuren. 152 Die zunehmende Radikalität der Feindbildstereotypen wurde freilich um den Preis steigender Realitätsferne erkauft. Und so verwundert es kaum, daß die inflationäre Verwendung den staatlichen Propagandaformeln ein Gutteil ihrer Überzeugungskraft nahm. Unter den tonangebenden Intellektuellen der kriegführenden Staaten gab es nicht wenige Anhänger eines extremen Nationalismus. Viele Hochschullehrer kompensierten den gesellschaftlichen Makel fehlender Frontdiensttauglichkeit mit schneidigen und häufig ungerechten politischen Stellungnahmen. Am 30. Dezember 1915 stellte Stefan Zweig in einem Brief an Romain Rolland zutreffend fest, daß wohl „manch ein Wissenschaftler die Fähigkeit der ernsten sachlichen Arbeit für immer verlernt" habe. 153 Im Extremfall konnte die Verwendung rassischer Denkmuster im „Krieg der Geister" bis zu exterminatorischen Vorstellungen reichen. Im deutschen Judentum schätzte man diesen menschenverachtenden Verbalradikalismus, der auf der politischen Rechten seine lautesten Befürworter besaß, keineswegs. Der Bayreuther Rechtsanwalt Richard Herzstein sinnierte in seinem Kriegstagebuch darüber, wie wirklichkeitsfremd und menschenverachtend die kriegsbejahende Stimmungsmache in der sicheren Heimat sei. 154 Von einem befreundeten Theologen auf die Haltung der Gebildeten angesprochen, charakterisierte Victor Klemperer seine eigene Gemütslage als „stumpf und seelenlahm". 155 Noch deutlicher fiel Stefan Zweigs Tagebucheintrag vom 23. August 1915 aus: „Ich bin zu müde von der Erwartung des Endes und kann mich nicht immer wieder galvanisieren. Es geht übrigens 152

153

Die Eigendynamik des „Propagandakrieges" unterschätzt auch Jeismann, Vaterland, S. 3 1 8 - 3 3 4 , der primär auf endogene Radikalisierungsfaktoren abhebt. Wie komplex die internationalen Beziehungen im „Krieg der Geister" waren, illustriert die Monographie von Jürgen und Wolfgang von Ungern-Sternberg zum „Manifest der 93". Stefan Zweig, Briefe, S. 98 ff., hier S. 100. Zur Ausnahmerolle Rollands nun monographisch: Michael Klepsch, Romain Rolland im Ersten Weltkrieg. Ein Intellektueller auf verlorenem Posten, Stuttgart usw. 2000.

154

„Wenn ich daran denke, wie die Zeitungen von dem Schwung, mit dem unsere Leute in dem Kampf gehen, schreiben, so ergreift mich ein Ekel über diese unwahren Schilderungen. Solche Literaten waren sicher nie im Felde und haben keine Ahnung von dem Rückfall in die tiefste Barbarei. Solche Kerle sollten erst einmal heraus, in Sturm und Regen wie wir hier kampieren und zusehen, wie sich die Ebenbilder Gottes zerfleischen." (LBI N e w York ME 245, Eintragung vom 1. August 1916).

155

Klemperer, Curriculum ber 1914.

vitae, S. 209 f., hier S. 210; Eintragung vom 21. Septem-

Kriegsbejahung im Zeichen Kants und Nietzsches

151

anscheinend den meisten so, die großen Gefühle sind restlos verbraucht, eine Masse Trübsal und Indolenz sind geblieben in den Seelen." 156 Wenn die Kriegsmüdigkeit erst einmal diese Dimensionen angenommen hatte, griff die staatliche Propaganda mit Sicherheit ins Leere. Der Weg zu direktem pazifistischem Engagement war allerdings spürbar weiter, weil jede Art von „Defaitismus" auf gesellschaftliche Vorbehalte und staatliche Sanktionen stieß. Erstaunlich viele jüdische Intellektuelle sind ihn dennoch gegangen.

4.3. Jüdische Friedenssehnsucht Es fällt nicht leicht, den Stellenwert der „Friedensidee" in den Texten jüdischer Intellektueller präzis zu bestimmen. In aller Regel wurde „Frieden" in einem engen Verweisungszusammenhang mit „Krieg" gedacht. Selbst wenn man die Kantische Friedensidee erörterte, und dies war in jüdischen Broschüren und Zeitschriften nicht selten der Fall, geschah dies zumeist unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den „Kulturwert" des Krieges. Auch fehlte selten der Hinweis auf die Gerechtigkeit der „deutschen Sache". In diesem Sinne betonte Hermann Cohen in seiner an der Front verteilten „Liebesgabe" zum Weihnachtsfest 1914, daß jeder Soldat dem Ideal des ewigen Friedens diene, weil Deutschland das Mutterland der Freiheit sei. 157 Franz Rosenzweig, der nicht die geringste Sympathie für den „preußischen Militärstaat" hegte, vertrat sogar prononciert die Ansicht, „Krieg ist nicht unsittlicher (bzw., ,unreligiöser') als der Frieden". 158 Jede öffentliche Äußerung zum Thema „Krieg und Frieden" hatte das Ausmaß und die Rigidität der staatlichen Zensurmaßnahmen in Rechnung zu stellen. Unter Berufung auf das preußische Belagerungszustandsgesetz von 1851 schritten die Behörden sofort ein, wenn sie die Wehrkraft der deutschen Armee oder das Durchhaltevermögen der Zivilbevölkerung durch pazifistisches Schriftgut gefährdet sahen. 159 Auch die ausufernden 156

Stefan Zweig, Tagebücher, S. 217; zu Zweigs Gefühl umfassender Kriegslethargie vgl. auch Fries, Katharsis, Bd. 2, S. 97.

157

Hermann Cohen, „Vom ewigen Frieden", in: Ders., Kleinere Schriften V: 1 9 1 3 1915. Bearb. u. eingel. v. Hartwig Wiedebach, Hildesheim, Zürich u. N e w York 1997, S. 3 1 1 - 3 1 8 [zuerst Deutsche Weihnacht. Eine Liebesgabe deutscher Hochschullehrer, Kassel 1914, S. 4 1 - 4 8 ] ,

158

So Rosenzweig an seine Eltern am 17. August 1916; Rosenzweig, Briefe, Bd. 1, S. 204. Zur schwierigen Situation der Friedensbewegung seit 1914 s. Karl Holl, Pazifismus in Deutschland, Frankfurt am Main 1988, S. 1 0 3 - 1 3 7 u. 2 4 9 - 2 5 2 , sowie

159

152

Jüdisches „Kriegserlebnis"

Kriegszieldiskussionen wurden von der staatlichen Zensur, die nicht zu Unrecht die Substanz des „Burgfriedens" gefährdet sah, mißtrauisch begleitet. Obwohl diese Debatten weitgehend ohne jüdische Beteiligung stattfanden, besaßen sie eine erhebliche Bedeutung für die innerjüdische Einschätzung des Zeitgeschehens. Angesichts der Opfer, die der Krieg mit sich brachte, teilten viele jüdische Intellektuelle die Überzeugung, daß der zukünftige Friede sich „lohnen" müsse. Da man gemeinhin von einer Welt verfeindeter Nationalstaaten ausging, beinhaltete dies die Forderung nach einer gravierenden militärischen Stärkung Deutschlands, die dessen Gegner in Schach halten werde. Eine prinzipielle Gefährdung des internationalen Gleichgewichts erblickte man darin nicht, weil die 43jährige Friedensperiode vor 1914 gezeigt habe, daß Deutschland die Friedensmacht schlechthin sei. Nicht zuletzt bestimmte die Einschätzung der militärischen Situation die Gestalt jüdischer Friedensvorstellungen. Zu Beginn des Krieges hielten selbst maßvolle Wirtschafitsführer wie der Hamburger Privatbankier Max Warburg es für selbstverständlich, daß Deutschland gestärkt aus dem Krieg hervorgehen werde. 160 Zugleich hoffte man auf eine Ausdehnung des Handels durch Vergrößerung der Absatzgebiete und zusätzliche Kolonien. Mit der Zeit verloren derart weitgreifende Pläne den Großteil ihrer Überzeugungskraft und die Auffassung, daß der Krieg beendet werden müsse, gewann erheblich an Gewicht. Schon in den ersten Kriegswochen legten einige jüdische Intellektuelle Reserven gegen die Überhöhung des Krieges an den Tag. Franz Rosenzweig schrieb seinen Eltern am 9. September 1914, „wie widerwärtig" ihm die „ganze Menschenschlächterei" sei.161 Und Theodor Wolff notierte am 27. August zweifelnd in sein Tagebuch: „Wenn sich nur schließlich die vielen Toten nicht aufrichten und fragen: warum?!" 162 Derlei Äußerungen besagen jedoch keineswegs notwendig, daß ihre Vertreter dem politischen Pazifismus nahestanden. Vielmehr herrschten auch unter patriotisch gesonnenen Linksliberalen oder Sozialdemokraten beträchtliche Zweifel am Sinn des Krieges, der so wenig den idealisierten Vorstellungen entsprach, die man sich im Vorfeld von ihm gemacht hatte. Von hier aus ist es nicht weit bis zu der Idee, daß der „Große Krieg" nur gerechtfertigt werden könne, wenn er der letzte aller Kriege sei. In allen Gruppierungen des deutschen Judentums fanden sich Vertreter dieser Ansicht, die geschichtsphilosophische Sinngebung und Kritik der politischen Ver-

James D. Shand, „Doves among the Eagles: German Pacifists and Their Government During World War I", in: JCH 10 (1975), S. 95-108. 160 Ygj e t w a Max Warburgs Schreiben an Jakob H. Schiff vom 12. Februar 1915; AJA Cincinnati, Jakob H. Schiff Papers, Box 440, Folder 7. 161 Rosenzweig, Briefe, Bd. 1, S. 174. 162 Wolff, Tagebücher, T. 1, S. 92 ff., Eintragung vom 27. August 1914, hier S. 93.

Jüdische Friedenssehnsucht

153

hältnisse miteinander verband, ohne notwendigerweise zu offenem Widerspruch und Protest zu fuhren. 163 Vergleicht man Kriegspredigten von Rabbinern mit denen protestantischer Pfarrer, so fällt beinahe stets der moderatere Ton auf. Die Gründe hierfür sind vielfaltig, und ihre Gewichtung fällt nicht leicht. In jedem Fall sollte in Betracht gezogen werden, daß ein „normaler Rabbiner" eine doppelte akademische Sozialisation hinter sich hatte; denn neben dem Studium auf den Rabbinerseminaren war der Erwerb des Doktortitels an einer deutschen Universität geradezu obligat. 164 Ferner spielte es eine Rolle, daß in allen kriegführenden Staaten Juden ihren Wehrdienst leisteten, mithin selbst bei einem überwältigenden Sieg der „deutschen Waffen" jüdisches Leid gewiß war. Jede rein nationale Begründung des Krieges hatte überdies den universalistischen Grundzug jüdischer Tradition in Rechnung zu stellen. Von alters her galt im Judentum der Frieden als idealer Zustand unter den Völkern; und daran hatte sich im Zeitalter des Nationalismus wenig geändert, so vielfältig fraktioniert das deutsche Judentum in politischer und religiöser Hinsicht auch sein mochte. Gerade die Militärrabbiner, die sich nach staatlicher Auffassung vorrangig um die Kampfmoral der jüdischen Soldaten zu kümmern hatten, stellten die Idee des „ewigen Friedens" nicht prinzipiell zur Disposition. Ein selbstbewußter Rabbiner wie Leo Baeck maß dem Frieden sogar zentrale religiöse Bedeutung zu. Bereits am 10. September 1915 stellte er einen Feldgottesdienst unter das Motto: „,Umkehr, Gebet und Wohltun, das gibt den Menschen den Frieden!'" 165 Die Soldaten nahmen diese Botschaft freudig auf, wie die Tagebuchnotizen eines Hörers belegen: „Wohl keiner war unter uns, dem diese Worte nicht aus der Seele gesprochen waren, denn wohl alle hatten in diesem Jahre des Krieges, jeder auf seine Art, Umkehr gehalten. Wer dem Gebet entfremdet war, hatte wieder beten gelernt; und wer war unter uns, der nicht irgendwie wohlgetan hätte." Auch in seinen regelmäßigen Berichten an den Vorstand der jüdischen Gemeinde in Berlin ließ Baeck Friedensstimmungen breiten Raum. So verwandte er am 18. April 1917 das Stilmittel idyllischer Naturbeschreibung, um die wachsende Friedenssehnsucht jüdischer Soldaten zu verdeutlichen. Am 18. Mai 1917 wies er nachdrücklich daraufhin, daß der 163

164

165

Allgemein zur frühen Popularität der Friedensidee im deutschen Judentum: George Mosse, Jews, S. 14. Vgl. Monika Richarz, „Einführung", in: Jüdisches Leben in Deutschland, Bd. 2: Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte im Kaiserreich, hg. v. ders., Stuttgart 1979, S. 7-62, hier S. 47; zur Eigenart der Rabbinerpredigten s. Hüppauf, „Tod", S. 73. Edwin Halle, Kriegserinnerungen mit Auszügen aus meinem Tagebuch 1914— 1916; LBI New York ME 250, S.-21. Ebd., S. 21 f., das nächste Zitat.

154

Jüdisches „Kriegserlebnis"

Frieden stets die Zielperspektive des Krieges bleiben müsse. Zugleich erhoffte er sich von den zukünftigen Friedenszeiten eine Intensivierung des Gemeindelebens. 166 Der ausgesprochen patriotisch eingestellte Feldrabbiner Martin Salomonski sah die Dinge an der Westfront ähnlich und stellte nachdrücklich den Frieden als einen Wert an sich heraus: „Die Religion sollte überhaupt keine Gelegenheit versäumen, um den Friedensbegriff, diesen eisernen Bestandteil ihres Ideenreiches, lebendig zu machen, und nicht warten, bis der Krieg uns lehrt, was der Friede bedeutet und welch dreifacher Segen er ist."167 Das Ausmaß seines Friedenswillens zeigt sich in der Bezugnahme auf Zolas berühmten Artikel „J'accuse", der einst dem Dreyfus-Skandal die entscheidende Wende gegeben hatte. Wie sich die Wahrheit auf die Dauer nicht von der Lüge aufhalten lasse, so könne der Krieg nicht auf ewig den Frieden verhindern. Salomonskis pointierte Äußerung illustriert nicht nur den Fortschrittsglauben des liberalen Judentums, sondern auch das Ausmaß der Kriegsmüdigkeit. Denn angesichts des Regiments der OHL im Herbst 1917 war es alles andere als gewiß, daß die „sich ankündigende Friedenssonne keine nochmalige Verdunkelung zuläßt". 168 Dezidiert pazifistische Positionen wurden hingegen zu Beginn des Krieges auch innerhalb des deutschen Judentums marginalisiert. Insbesondere die Neutralität, die ihre Verfechter für sich in Anspruch nahmen, galt als „Kopfgeburt" ohne ethische Dignität und praktische Relevanz. So teilte Rathenau, den Stefan Zweig um eine öffentliche Erklärung für Romain Rollands humanitäres Engagement gebeten hatte, dem befreundeten Schriftsteller unmißverständlich mit: „In diesem Kriege wird zu viel geredet und geschrieben." Und er fuhr kategorisch fort, .jetzt haben die Völker das Wort, und bevor sie schweigen, hat der Einzelne keine Stimme". 169 Zugleich informierte er Zweig über den Brief, den er van Eeden hatte zukommen lassen. Hierin ließ er den niederländischen Pazifisten 166

167

Baeck, „Berichte", in: GJGB Nr. 5 vom 5. Mai 1917, S. 52 f., und GJGB Nr. 6 vom 8. Juni 1917, S. 65 f. Den hohen Stellenwert der Friedensidee in Baecks Artikeln betont: George Mosse, Jews, S. 13. Salomonski, Jahr, S. 47. Zu Salomonskis betont vaterländischer Haltung in den ersten Kriegsmonaten vgl. seinen Artikel „Die Hütte des Friedens. Eine Sukkothbetrachtung" (AZJ Nr. 40 vom 2. Oktober 1914, S. 469 f.).

168

Ders., Jahr, S. 105; leichte Veränderung des Zitats. Die allgemeine Zunahme des Kriegsüberdrusses an der Front analysiert: Anne Lipp, „Friedenssehnsucht und Durchhaltebereitschaft. Wahrnehmung und Erfahrungen deutscher Soldaten im Ersten Weltkrieg", in: AfS 36 (1996), S. 2 7 9 - 2 9 2 .

169

Brief Rathenaus an Stefan Zweig vom 24. Oktober 1914; RL Fredonia, Zweig, Nr. 54/18. Allgemein zur schwierigen Lage der deutschen Friedensbewegung bei Kriegsbeginn: Holl, Pazifismus, S. 104 ff.

Jüdische Friedenssehnsucht

155

wissen, daß er Rolland ebenso wie sich selbst nicht mehr für unparteiisch halte und deshalb von einer öffentlichen Erklärung Abstand nehmen müsse. Zur Begründung seiner neutralen Haltung bemühte Rathenau die Geschichtsphilosophie: „Das Weltgericht tagt, die Plaidoyers sind geschlossen. Es gilt nicht mehr zu löschen, sondern nach dem Brande wiederaufzubauen. Ob wir? ob andere? was verschlägt es? Das Geheimnis der Hütte geht nicht verloren." 170 Für jemanden, der seine ganze Arbeitskraft in die Verbesserung der deutschen Rohstoffversorgung steckte, und privat betonte, wie fern ihm alle Kriegsphilosophie sei, waren dies ungewöhnlich kryptische Formulierungen. Sie dürften im Zusammenhang mit der Tatsache stehen, daß dem gut informierten Rathenau triftige Argumente gegen den Pazifismus fehlten, von dessen weltanschaulicher Minderwertigkeit er gleichwohl überzeugt blieb. Den ideologischen Charakter der Kriegsliteratur und ihren Einfluß auf das Meinungsklima erkannten nur wenige. Einer von ihnen war Ernst Bloch, der jede rein ökonomische Erklärung der „Kriegsbegeisterung" als reduktionistisch zurückwies. 171 In einer Vielzahl von Zeitungsartikeln für die „Freie Zeitung" und „Die Friedens-Warte" attackierte er den preußischen Militarismus und den „Kastengeist bornierter Junker" als tiefere Kriegsursache. 1918 veröffentlichte er sogar eine Broschüre mit dem kämpferischen Titel „Schadet oder nützt Deutschland eine Niederlage seiner Militärs?", die den sittlichen Gewinn der Vernichtung des Preußentums für das deutsche Volk herausstellte. 172 Die Erfolgsaussichten der eigenen Position ließ Bloch freilich unerörtert. Der nationalliberal orientierte Sprachphilosoph Fritz Mauthner stellte die Frage nach dem Adressaten pazifistischer Agitation. Angesichts der moralischen Indifferenz der Bevölkerung beurteilte er idealistisch motivierte politische Aktionen als reine Donquijoterie. 173 170

RL Fredonia, Zweig, Nr. 54/19; Durchschlag von Rathenaus Schreiben an Frederik van Eeden vom 24. Oktober 1914.

171

Vgl. Ernst Bloch, „Der undiskutierbare Krieg", in: Ders., Durch die Wüste. Kritische Essays, Frankfurt am Main 1964 [abgef. 1914/15], S. 10-19, hier S. 11 f. Sie ist leicht greifbar in dem Sammelband: Ders, Kampf, nicht Krieg. Politische Schriften 1917-1919, hg. v. Martin Korol, Frankfurt am Main 1985, S. 4 5 5 - 4 7 4 [zuerst Bern 1918]. Blochs scharfe Verurteilung des Preußentums analysiert: Martin Korol, „Über die Entwicklung des politischen Denkens Ernst Blochs im Schweizer Exil des Ersten Weltkriegs, dargestellt an drei Texten aus den Jahren 1917, 1918, 1919", in: Bloch-Almanach, hg. v. Karlheinz Weigand, Ludwigshafen 1981, S. 2 3 - 4 5 , hier S. 32 ff. Vgl. Friedrich Mauthners Brief an einen unbekannten Empfänger vom 20. Juni 1916, der mit den Worten endet: „So bissei was ,im Herzen' muss ein jeder drin haben"; CZA Jerusalem A 317/2.

172

173

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Jüdisches „Kriegserlebnis"

Walter Benjamin und Gershom Scholem tendierten zur einer grundsatzethisch fundierten Ablehnung des Krieges und wollten mit dem grassierenden Nationalismus nichts zu tun haben. Bei Benjamin ging dies einher mit einer allgemeinen Geringschätzung der politischen Welt. Gerade seine Weltkriegskorrespondenz, die sich vornehmlich mit poetologischen und philosophischen Problemen beschäftigte, mied die Erörterung tagespolitischer Fragen. 174 Scholem hingegen verband sein intensives Studium hebräischer Quellen mit einer Auseinandersetzung um das Wesen zionistischer Ideologie. Schon früh favorisierte Scholem als politische Philosophie einen undogmatischen Anarchismus, der staatlichen und gesellschaftlichen Autoritäten mit großer Skepsis begegnete. Vor diesem Hintergrund erklärt sich sein revolutionär-utopisches Verständnis des Zionismus, der den Menschen ein selbstbestimmtes und gewaltfreies Leben eröffnen sollte. 175 Mit der Verklärung des Krieges zum Jüdischen Gemeinschaftserlebnis" war dies unvereinbar, und so mußte Scholem über kurz oder lang in Gegensatz zur offiziellen Linie der deutschen Zionisten geraten. Zum offenen Konflikt kam es, als der Nationalökonom Heinrich Margulies in der „Jüdischen Rundschau" einen Artikel veröffentlichte, der den Erweckungscharakter des Kriegsausbruchs elogisch feierte. 176 Für Scholem stellte diese harmonisierende Sicht der Dinge, die maßgeblich von Bubers Weltkriegsschrifttum beeinflußt war, einen Skandal ersten Ranges dar. Er verfaßte einen wütenden Leserbrief, der, unterzeichnet von ihm und mehreren Freunden, am 20. November 1915 in der „Jüdischen Rundschau" erschien. Mit scharfer Betonung der inhaltlichen Divergenzen hieß es darin: „Wir sind nicht der Ansicht, daß dieser Krieg uns das .Geheimnis der Gemeinschaft' enthüllt hat, noch daß ein solcher es überhaupt kann. Ferner glauben wir, daß Deutschlands Sache ebensowenig wie die irgend eines Landes der Welt die unsere ist. Ob unsere Interessen mit denen Deutschlands konform sind, ist eine Frage, über die sich durchaus streiten läßt." 177 Scholem betrachtete die gesamte Jugendbewegung einschließlich der zionistischen nach ihrer Zustimmung zum Krieg als moralisch desavouiert. 174

Walter Benjamin, Gesammelte Briefe, Bd. 1: 1910-1918, hg. v. Christoph Gödde u. Henri Lonitz, Frankfurt am Main 1995, S. 2 5 3 - 4 8 1 ; vgl. daneben Gershom Scholem, Walter Benjamin - die Geschichte einer Freundschaft, Frankfurt am Main 1975, S. 36.

175

Vgl. Biale, Scholem, S. 9. Heinrich Margulies, „Der Krieg der Zurückgebliebenen", in: JR Nr. 6 vom 5. Februar 1915, S. 4 6 f. Zit. nach: Scholem, Tagebücher, S. 89 f., hier S. 90.

176

177

Jüdische Friedenssehnsucht

157

Dennoch trat er nicht aus dem Berliner „Jung-Juda" aus, sondern bemühte sich darum, ihn als konkurrierende Organisation zum offiziösen „BlauWeiß" aufzubauen. Um seinen Ideen ein politisches Forum zu geben, gründete er zusammen mit seinem Freund Heinrich Brauer eine Zeitung, „Die Blau-Weiße Brille", die in der Druckerei des ungeliebten Vaters vervielfältigt wurde. Das Organ trug den bezeichnenden Untertitel „Ein Blatt der Quertreiber" und enthielt mehrere Artikel aus Scholems Feder, die sich um eine Neubestimmung der Ziele jüdischer Jugendbewegung bemühten. 178 Scholem verband sein Bekenntnis zum Judentum mit einer radikalen Gesellschaftskritik. Doch bei aller Bemühung um Präzision blieb auch seine doppelte Anforderung, „Jude" und „aktivistisch" zu sein, inhaltlich vage und interpretationsbedürftig. 179 Scholem bevorzugte in seinen pazifistischen Äußerungen eine ironische Sprache, welche die steife Feierlichkeit der kriegsverherrlichenden Literatur karikieren sollte. So endete sein Gedicht „Von der anderen Seite" mit den spöttischen Versen: „Du aber stehst und schaust Hin auf den Feuerherd Bis Dich die Flamme verzehrt: Leuchtender Blitz aus des Gottes Faust Trifft Dich, du Sternensohn Stört deine Weltvision: Dank es dem Krieg! ... Wenn du es kannst!" 180 Dies richtete sich nicht zuletzt gegen Martin Buber, dessen Deutung des Krieges als spirituelles jüdisches Erlebnis von weiten Teilen der zionistischen Jugendbewegung akzeptiert wurde. Buber reagierte auf Scholems heftige Kritik mit kluger Konzilianz und unterbreitete ihm das Angebot, einen Artikel in der Zeitschrift „Der Jude" zu publizieren. Scholem akzeptierte die Offerte und verfaßte den programmatischen Essay „Jüdische Jugendbewegung". Der Sache nach zeigte sich mancher Berührungspunkt zu Bubers Weltbild, ging es doch beiden um die inhaltliche Erneuerung des Judentums, und stellten sie den

178

179 180

Nähere Details zur Gründungsgeschichte der „Blau-Weißen Brille" finden sich: Ebd., S. 129 f., hier S. 130; S. 180 ff., hier S. 181, und S. 198 ff., hier S. 199, Eintragungen vom 13. Juli, 15. November und 14. Dezember 1915. So die Zielrichtung der „Blau-Weißen Brille"; vgl. Horwitz, „Voices", S. 257. Die Blau-Weiße Brille Nr. 1, im Ab 5675 [= Juli/August 1915]; zit. nach: Scholem, Tagebücher, S. 292 f., hier S. 293. Zur Interpretation vgl. Biale, Scholem, S. 62 f., der, ebd., S. 64, zu Recht darauf hinweist, wie sehr Scholems philosophische Buber-Kritik an Gedanken Benjamins anknüpft.

158

Jüdisches „Kriegserlebnis"

Gedanken der „Ganzheit" in den Mittelpunkt. 181 Zu einer wirklichen Annäherung kam es jedoch nicht. Nach wie vor beurteilte Scholem Bubers „Erlebnismystik" als denkerisch unredlich und politisch verwerflich, weil sie eine apologetische Einstellung zum Krieg begünstige und einem verschwommenen Bild des Judentums Vorschub leiste. Damit korrespondierte Scholems grundlegende Ablehnung des von Buber gepriesenen Mythos. Das Judentum betrachtete er als „dauernde Überwindung des Magischen durch sich selber, in der Thora, ein dauernder Sieg des Historischen über das Mythische". 182 Scholems Veröffentlichungen erreichten nur eine vergleichsweise geringe Leserschaft; dennoch ist ihre geisteshistorische Bedeutung nicht gering zu veranschlagen. Sie stellen den wohl konsequentesten Versuch dar, aus dezidiert jüdischer Perspektive eine Haltung zum Krieg zu gewinnen. Zwar sympathisierte er über einen längeren Zeitraum damit, seine politische Zukunft in der SPD zu finden, doch letztlich vermißte er auch bei den Vertretern der Arbeiterbewegung den sensiblen Umgang mit jüdischen Problemen. 183 Gershom Scholem scheute nicht davor zurück, für seine Überzeugungen einen hohen persönlichen Preis zu zahlen. Er sympathisierte mit seinem Bruder Werner, den seine sozialistisch motivierte Kriegsgegnerschaft ins Gefängnis gebracht hatte, mußte die Schule wegen ,„subversiver Propaganda"' verlassen und überwarf sich vollständig mit seinem national gesonnenen Vater. 184 Aufgrund seines rebellischen Verhaltens wurde Gershom Scholem nach nur zweimonatiger Ausbildung vom Militärdienst entlassen. Wie in solchen Fällen nicht unüblich, fuhr man schweres gutachterliches Geschütz auf: Die Ärzte diagnostizierten eine ,„dementia praecox"' und verwiesen für seine „Schizophrenie" auf die gestörte Vater-Sohn-Beziehung. 185 Im Mai 1918 kehrte Scholem Deutschland endgültig den Rücken und ging, wie so viele Pazifisten vor ihm, in die Schweiz. Entfremdet von der Wertewelt der Gründergeneration, fand er nur wenig Verständnis unter seinen jüdischen Altersgenossen, 181

Vgl. Gershom Scholem, „Jüdische Jugendbewegung", in: Ders., Tagebücher nebst Aufsätzen und Entwürfen bis 1923. 1. Halbband 1 9 1 3 - 1 9 1 7 unter Mitarb. v. Herbert Kopp-Oberstebrink, hg. v. Karlfried Gründer u. Friedrich Niewöhner, Frankfurt am Main 1995, S. 5 1 1 - 5 1 7 [zuerst Der Jude 1 (1916/17), S. 8 2 2 - 8 2 5 ] , hier S. 515. Zum persönlichen Kontakt: Ders., Berlin, S. 83 f.

182

So Scholems Tagebuchnotiz vom 11. Oktober 1916, in der es ferner pointiert zugespitzt heißt: „Nicht Palästina, sondern Zion ist die Lösung aller Halbheiten und Widersprüche. Der Jude lebt, Buber erlebt; der Jude schaut, Buber erschauert." (Ders., Tagebücher, S. 4 0 2 - 4 0 5 ; ebd., S. 403 f., die Zitate). Vgl. dazu seine Aufzeichnungen vom 5. Januar, 6. März und 28. Juni 1916, ebd., S. 2 2 7 - 2 3 0 , hier S. 229; S. 2 7 5 - 2 8 1 , hier S. 279, und S. 326 ff., hier S. 327. Als autobiographischen Hintergrund vgl. Ders., Berlin, S. 5 9 - 1 2 2 ; ebd., S. 66, das Zitat, eine wörtliche Wiedergabe der Anschuldigung eines Mitschülers, die der Relegation vorausging.

183

184

185

Ebd., S. 108.

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welche die Gründe für seinen weltanschaulichen Rigorismus nicht teilten.186 Scholem lehnte den Weltkrieg nicht nur als inhumane Konsequenz eines übersteigerten Nationalismus ab, außer Frage stand es für ihn auch, daß die Juden zu den Verlierern gehören würden. Die Zukunft des jüdischen Volkes sah er ausschließlich in Palästina, und schon allein aus diesem Grund mußte er die Idee eines „deutschen Zionismus" als „hölzernes Eisen" betrachten. Scholem scheute nicht davor zurück, einen englischen Sieg zu wünschen, weil dies den jüdischen Interessen nach der BalfourErklärung eher entsprach als ein Erfolg der Mittelmächte.187 Noch bezeichnender für seine Position ist es jedoch, daß er sich selbst in der Abgeschiedenheit des Tagebuchs nicht zur Identifikation mit einer nationalstaatlichen Sicht des Krieges hinreißen ließ. Bezeichnenderweise besaß Scholem nicht die geringste Sympathie für rassische oder sozialdarwinistische Denkfiguren, die so weit verbreitet waren, daß sie sich selbst in der pazifistischen Literatur mühelos nachweisen lassen. So ließ sich der Berliner Kardiologe und leidenschaftliche Pazifist Georg Friedrich Nicolai, dessen Vater zum Christentum konvertiert war, zu der Aussage hinreißen, der Krieg schütze „die Blinden, die Taubstummen, die Idioten, [...] die Impotenten, die Paralytiker, die Epileptiker, die Zwerge, die Mißgeburten". Sie entstammt seiner Biologie des Krieges, dem zeitgenössisch wohl am heftigsten angefeindeten Antikriegsbuch. Doch ist dieses Werk nicht nur ein Beleg für Nicolais couragierten Pazifismus, es zeigt auch, mit welcher Selbstverständlichkeit innerhalb der Friedensbewegung über den „Kulturwert" des Krieges debattiert wurde.188 Zugleich illustriert es die wachsende Bedeutung, die man biologistischen Argumentationsmustern im Ersten Weltkrieg zumaß. Ähnliches gilt für den populären zionistischen Schriftsteller und Philosophen Max Nordau, der 1916 seine Biologie der Ethik veröffentlichte. Auf die Diskussion im Kaiserreich nahm die Schrift zwar keinen Einfluß, da sie zuerst in spanischer Übersetzung erschien und erst vier Jahre später einen deutschen Verlag fand.189 Dennoch lohnt die von Comtes Soziologie und Haeckels Monismus geprägte Monographie das nähere Verwei186

Dazu treffend: Biale, Scholem,

187

Vgl. Horwitz, „Voices", S. 258.

S. 77.

188

Georg Friedrich] Nicolai, Die Biologie des Krieges. Betrachtungen eines Naturforschers den Deutschen zur Besinnung, Bd. 1 : Kritische Entwicklungsgeschichte des Krieges, Zürich 1919, S. 81. Zum werkgeschichtlichen Hintergrund s. Bernhard vom Brocke, „,An die Europäer'. Der Fall Nicolai und die Biologie des Krieges. Zur Entstehung und Wirkungsgeschichte eines unzeitgemäßen Buches", in: HZ 240 (1985), S. 3 6 3 - 3 7 5 ; allgemein zum historischen Kontext: Wolfgang Zuelzer, Der Fall Nicolai, Frankfurt am Main 1981, S. 157-266.

189

Max Nordau, Biologie der Ethik, Leipzig o.J. [1920]; detailliert zu dieser Schrift: Christoph Schulte, Psychopathologie des Fin de siècle. Der Kulturkritiker. Arzt und Zionist Max Nordau, Frankfurt am Main 1997, S. 351 ff.

160

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len; denn sie verdeutlicht, wie fragil der wissenschaftliche Fortschrittsoptimismus im Weltkrieg geworden war. Nordau stellt die Frage, wie sich die Wildheit des Menschen dauerhaft „bändigen" lasse. Die Antwort fällt erstaunlich konventionell aus: Erziehung und Vernunft seien die wichtigsten Hilfsmittel, um die grausame menschliche Natur in Ketten zu legen. 190 Damit einher geht die schroffe Ablehnung aller Angriffskriege, die einen Rückfall des Menschen in die Barbarei darstellten. Allein so konsequent Nordaus naturalistische Gedankenfuhrung auch auf den ersten Blick erscheint, in zweierlei Hinsicht ist sie doch sehr problematisch. Zum einen verfehlt sie den Bereich des genuin Politischen, in dem stets über Krieg und Frieden entschieden wird; zum anderen verwischt sie die Grenze zwischen Sein und Sollen, die seit Hume für die meisten Ethikentwürfe konstitutiv war. Bezeichnenderweise kritisierte Nordau den künstlichen Charakter des Kantischen Sittengesetzes, ohne selbst ein überzeugendes Argument zu finden, woher die sinnstiftende Bedeutung menschlicher Konventionen rühren soll.191 Unter den Gallionsfiguren des wissenschaftlichen Pazifismus waren jüdische Intellektuelle besonders zahlreich vertreten. Zu ihnen gehörten der Friedensnobelpreisträger von 1911 Alfred Fried und der Philosoph und Gesellschaftskritiker Theodor Lessing. 192 Vielleicht am meisten Aufmerksamkeit erregte das pazifistische Engagement von Albert Einstein. Ähnlich wie Romain Rolland, für den Europa zum Irrenhaus geworden war, 193 konnte Einstein dem Krieg keinerlei positive Seiten abgewinnen. Auch dem selbstgerechten Patriotismus der deutschen Professorenschaft stand er verständnislos gegenüber. 194 Als weltberühmter Physiker mit 190

Nordau, Biologie

191

Vgl. ebd., S. 8 f., 16 ff., 199 f., und passim. Gleichzeitig dürfte Nordaus Ablehnung der Kantischen Ethik ideenpolitisch motiviert gewesen sein, galt die Kritik doch dem Proprium des liberalen Judentums. Jedenfalls erreichte sein Ton erhebliche Schärfe, wenn Cohen, ebd., S. 17, als „Generalpächter" des Kritizismus tituliert wird, der „dem Gedanken seines Meisters mit der Bärentappigkeit eines übereifrigen Famulus [...] parodistisch wirkende Form gegeben (hat)".

192

Pulzer, Jews, S. 191; anderer Auffassung hinsichtlich der Bedeutung von Juden für den wissenschaftlichen Pazifismus: Friedländer, „Veränderungen", S. 37.

193

Vgl. etwa Rollands Tagebucheintrag vom 3. und 4. August 1914: „Es ist furchtbar, inmitten dieser wahnsinnigen Menschheit zu leben und ohnmächtig dem Bankrott der Zivilisation beizuwohnen." (Romain Rolland, Das Gewissen Europas. Tagebuch der Kriegsjahre 1914-1919. Aufzeichnungen und Dokumente zur Moralgeschichte Europas in jener Zeit, Bd. 1: Juli 1914 bis November 1915, Berlin 1963, S. 39 f., hier S. 39). Zum Folgenden vgl. Siegfried Grundmann, Einsteins Akte. Einsteins Jahre in Deutschland aus der Sicht der deutschen Politik, Berlin u. Heidelberg 1998, S. 3 9 - 8 0 , sowie komprimiert Horwitz, „Voices", S. 2 3 7 - 2 4 0 . - Generell zur Außenseiterrolle von Einstein: Abraham Pais, „Raffiniert ist der Herrgott... " Albert Einstein. Eine wissenschaftliche Biographie, Braunschweig u. Wiesbaden 1986.

194

der Ethik, S. 20 f.

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161

Schweizer Paß konnte er sich den „Luxus eines eigenständigen Urteils" mehr als jeder andere jüdische Hochschullehrer erlauben. Einstein lehnte es nicht nur ab, den „Aufruf der 93" zu unterzeichnen, dessen Folgen er zu Recht als verhängnisvoll einschätzte. Er gehörte auch zu den fünf Unterzeichnern des Manifests „An die Europäer", mit dem sich Georg Friedrich Nicolai vergeblich an die deutschen Gelehrten gewandt hatte und das bezeichnenderweise vorerst unveröffentlicht blieb. 195 Im November 1914 gründete Einstein zusammen mit neun anderen Intellektuellen den „Bund Neues Vaterland", eine kleine demokratisch ausgerichtete Gruppe, die Pazifisten vornehmlich linksliberaler und sozialdemokratischer Provenienz in sich vereinte. Als Mitglied dieser von der Polizei sorgfaltig überwachten Organisation wandte er sich am 22. März 1915 an Rolland. Sein Brief enthielt die gleichermaßen klarsichtige wie bittere Frage: „Sollen wirklich spätere Jahrhunderte unserm Europa nachrühmen, daß drei Jahrhunderte emsigster Kulturarbeit es nicht weiter gefördert hatten als vom religiösen Wahnsinn zum nationalen Wahnsinn?" 196 Im September 1915 reiste Einstein in die Schweiz, um sich mit dem bewunderten Pazifisten über politische Fragen zu verständigen. Das Treffen verlief in freundlichem Einvernehmen und bestätigte beide in ihrem humanistisch ausgerichteten Pazifismus, der inmitten des erbittert geführten Weltkrieges bereits die Probleme der kommenden Friedenszeit voraussah. Einsteins gedruckte Äußerungen zum Weltkrieg waren Ausdruck der Empörung und dienten zugleich der Stärkung des internationalen Pazifismus. Im ansonsten äußerst patriotisch gehaltenen Gedenkbuch des Berliner Goethebundes erklärte er ebenso spöttisch wie unmißverständlich: „Die psychologische Wurzel des Krieges liegt [...] in einer biologisch begründeten aggressiven Eigenart des männlichen Geschöpfes." 197 Mit ab195

Dazu in aller Ausführlichkeit: Bernhard vom Brocke, „Wissenschaft versus Militarismus: Nicolai, Einstein und die .Biologie des Krieges'", in: Dokumentation zum Carl-von-Ossietzky Preis der Stadt Oldenburg (Oldb) 1986. Mit Beiträgen von Ingeborg Drewitz u.a., Oldenburg 1986, S. 6 5 - 1 2 4 . Die richtige Zahl der Unterzeichner, zu denen neben Einstein und Nicolai auch der Direktor der Berliner Sternwarte Wilhelm Foerster, der Jurist Carl von Lilienthal sowie der Marburger Theologe Martin Rade gehörten, erstmals bei: Anne [Chr.] Nagel, „,Ich glaube an den Krieg' - ,Ich freue mich auf den Frieden'. Der Marburger Theologe, Publizist und Politiker Martin Rade in der Auseinandersetzung mit dem Pazifismus", in: HJL 4 0 (1990), S. 193-217, hier S. 212.

196

Zit. nach: Rolland, Gewissen, S. 400. Zum „Bund Neues Vaterland" vgl. Holl, Pazifismus, S. 113-116, und Shand, „Doves", S. 97 f.

197

A[lbert] Einstein, „Meine Meinung über den Krieg", in: Das Land Goethes 1914— 1916. Ein vaterländisches Gedenkbuch, hg. vom Berliner Goethebund, Stuttgart u. Berlin 1916, S. 30. Hilfreiche Interpretationen bieten: Stern, „Freunde", S. 238 f., und Albrecht Fölsing, Albert Einstein. Eine Biographie, Frankfurt am Main 1993, S. 4 1 2 f., der auch die Entstehungsgeschichte des Textes skizziert.

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gründiger Ironie wies er darauf hin, welche Maxime in Europa in Vergessenheit geraten sei: „Ehret Euren Meister Jesus Christus nicht nur mit Worten und Gesängen, sondern vor allem durch eure Taten." Und er vergaß nicht hinzuzufügen, daß ihm diese Einschätzung als „Juden wohl anstehle]". Damit zielte Einstein auf die Haltung der staatstragenden Kirchen, die sich seiner Meinung nach willig vor den Karren nationaler Propaganda spannen ließen. Die beiden schärfsten Passagen fanden sich allerdings nicht mehr in der Druckfassung. Zum einen hatte Einstein den Patriotismus „als Schrein im Gemütsleben des Bürgers" bezeichnet, „,der die moralischen Requisiten des tierischen Hasses und des Massenmordes birgt'", die bei Bedarf herausgenommen und benutzt werden, 198 zum anderen hatte er seine eigene Haltung zum Staat mit der geschäftsmäßigen „Beziehung zu einer Lebensversicherung" verglichen. Den Honoratioren des Goethebundes gingen diese Formulierungen entschieden zu weit, und Einstein hatte kaum eine andere Wahl, als sein Placet zur zensierten Version zu geben, wenn der Essay überhaupt erscheinen sollte. Dennoch handelte es sich um einen Text von ungewöhnlicher Schärfe und Prägnanz, der unter den in Deutschland gedruckten pazifistischen Veröffentlichungen dieser Jahre seinesgleichen sucht. Die politische Wirksamkeit der Einsteinschen Argumente sollte man allerdings nicht überschätzen. Ihre intellektuelle Radikalität verringerte drastisch ihre Konsensfähigkeit in der Friedensbewegung, die moderatere Töne anschlagen mußte, wenn sie ihre Adressaten erreichen wollte. Hinzu kam, daß der „Bund Neues Vaterland" im Februar 1916 verboten wurde, was Einsteins Möglichkeiten der politischen Einflußnahme weiter beschränkte. 199 So pointiert Einstein seine gesellschaftskritischen Ansichten auch ausdrückte, zögerte er doch mit Aktionen, die ihn in der deutschen Wissenschaftswelt zu isolieren drohten. Für die Arbeit an der „Allgemeinen Relativitätstheorie", deren Entwicklung er gerade im ersten Kriegsjahr energisch vorantrieb, benötigte er die Ruhe und wissenschaftliche Ausstattung der Dahlemer Institutsräume. Einstein mied die offene Auseinandersetzung mit seinen Kollegen in der Berliner Akademie und setzte auf die Wirkung ironischer Kommentare. Trotz weltanschaulicher Divergenzen pflegte er weiterhin gute Kontakte zu den Schlüsselfiguren des deutschen Wissenschaftssystems, und die Freundschaft mit Haber stand für ihn niemals zur Disposition. 200 Es war keine große Überraschung, als Einstein im Oktober 1917 zum Direktor des neu gegründeten „KaiserWilhelm-Instituts für Physik" ernannt wurde. Zwar hatten ihm seine pazifistischen Äußerungen eine Vielzahl von Gegnern eingetragen, doch galt er nur wenigen Entscheidungsträgern als politisch derart zweifelhaft, daß 198 199 200

Ebd., S. 413; dort ebenfalls das nächste Zitat. Vgl. Stern, „Freunde", S. 240. Einsteins „Kompromißkurs" analysiert: Fölsing, Einstein, S. 4 4 6 - 4 6 7 . Nuanciert zur lebenslangen Verbindung zwischen Einstein und Haber: Stern, „Freunde".

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sie seine herausragenden wissenschaftlichen Leistungen hintangestellt hätten. Einen radikalen Pazifismus verfocht hingegen Gustav Landauer, der schon vor 1914 immer wieder mit den herrschenden Gewalten in Konflikt geraten war und wegen seines politischen Engagements mehrere Gefängnisstrafen verbüßt hatte. Doch selbst Landauer hielt in einem Artikel für Bubers „Juden" nicht weniger als vier Arten von Krieg für prinzipiell zu rechtfertigen: „Krieg gegen den Krieg, der letzte Krieg, Krieg um Erneuerung der Völker und Herstellung ihres Bundes, Krieg um die Menschheit". 201 All dies traf für die Auseinandersetzungen nach 1914 gewiß nicht zu, und so plädierte er dafür, den Wehrdienst zu verweigern, selbst wenn dies ernsthafte persönliche Konsequenzen nach sich zog. Einer Mutter, deren Sohn zu dreizehn Monaten Haft verurteilt worden war, weil er den Militärdienst mit der Waffe abgelehnt hatte, sprach er nachdrücklich und innerlich bewegt seine Anerkennung aus: „Qui potest mori, non potest cogi, sagt der Römer, das heißt: Wer sterben kann, kann nicht gezwungen werden. Er war bereit zu sterben, aber nicht zu töten - das ist das große Geheimnis, wie die Kriege aufhören; so und nicht anders kommt uns das rechte Leben." 202 Landauer selbst stand aus Gesundheitsgründen nicht vor derartig gravierenden Gewissensentscheidungen und wußte dies zu schätzen. In einem Brief an Julius Bab vom 29. Mai 1915 gab er seiner Freude darüber Ausdruck, daß ihm „die Quälerei, den Leuten meine Untauglichkeit demonstrieren zu müssen, erspart blieb". 203 Insbesondere empörte sich Landauer über die deutschen Intellektuellen, die sich mit Vehemenz an der Sinngebung des Krieges beteiligten. Am 2. November 1914 schrieb er seinem Freund Fritz Mauthner die bitteren Worte: ,,[N]ichts (nicht einmal die Feldpost) hat in diesem Krieg so kläglich versagt, wie der deutsche Geist." 204 Ausgerechnet Fichte wurde ihm zum Zeugen eines Philosophieverständnisses, das nicht um tagespolitischen Erfolg buhlte, sondern im Stillen die Suche nach der Wahrheit fortsetzte. Allein der Appell „Es

201

202

203 204

Gustav Landauer, „Strindbergs Historische Miniaturen", in: Ders., Dichter, Ketzer, Außenseiter. Essays und Reden zu Literatur, Philosophie, Judentum, hg. v. Hanna Delf, Berlin 1997, S. 139-151 [zuerst Der Jude 2 (1917/18), S. 9 7 - 1 0 9 ] , hierS. 140. Ders., Lebensgang, Bd. 2, S. 156 f., Schreiben vom 27. Juli 1916, hier S. 156; bei dem Zitat handelt es sich um die Zusammenfassung einer Passage aus Senecas Epistulae morales 26,10. - Zur Ernsthaftigkeit von Landauers Engagement vgl. auch seine Postkarte an Julius Bab vom 1. Juli 1916, deren Motiv Käthe Kollwitz' Lithographie „Die Mütter 1914-1916" zeigt; LBI N e w York AR 196, Nr. 5. LBI N e w York AR 848. Landauer - Mauthner, S. 292 ff., hier S. 294.

164

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ist genug!", der nach Auffassung Landauers schon im September 1914 nötig war, dürfte schwerlich von Fichtes selbstgewisser nationaler Metaphorik inspiriert gewesen sein. Die Fragwürdigkeit dieser hochgestimmten Fichteinterpretation sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß Landauer als einer der ersten die fatale Selbstüberschätzung der deutschen Eliten erkannte. Zudem war seine Herausstellung des liberal-freiheitlichen Fichte nicht ohne polemische Pointe; denn sie richtete sich gegen die politische Rechte, die seit Kriegsbeginn den Philosophen als Künder einer militant-völkischen Weltsicht verherrlichte. 205 Ähnliches gilt für die Einschätzung Nietzsches, dessen gegenwartskritisches Potential Landauer seit den 1890er Jahren herausgestellt hatte. Sein Plädoyer für die Verteidigung des Pazifismus, das im Frühjahr 1915 in der Zeitschrift „Zeit-Echo" erschien, kennzeichnete sogar eine ausgesprochen nietzscheanische Diktion: „Jetzt ist die Zeit, wo das Wirkliche sich als unmöglich herausstellt und wo das Unmögliche Wirklichkeit werden will. Ihr sagt und sagt nicht, ihr gesteht und gesteht nicht, aber wahrlich, ihr wisset alle: Diesem Krieg der Kriege fehlt die Idee? Er hat eine Idee und er spricht sie aus mit alledem, was er ist. Ich bin der Krieg der Kriege! Mein Name ist: Letzter Krieg!" 206 Denkerisch und sprachlich erinnern diese Zeilen an Martin Buber, der nach Möglichkeit an Nietzsche anknüpfte, wenn er seinen persönlichen Entscheidungen ideologische Weihe und philosophisches Gewicht geben wollte. Die Geste des „einsamen Rufers in der Wüste" paßte zu jenem „Pathos der Entscheidung", das andere Standpunkte gleichsam unwillkürlich marginalisierte. In diesem Fall brachte Landauer zum Ausdruck, daß angesichts der zahllosen Opfer die landläufigen Kriegsrechtfertigungen moralisch substanzlos seien. Die Zensur jedenfalls schritt umgehend ein und gestattete nur den Abdruck einer sprachlich wie inhaltlich zurechtgestutzten Version des Artikels. 207

205

Vgl. seinen Brief an einen fiktiven Redakteur über eine „aktuelle Stelle in Fichtes Vorlesungen über die Wissenschaftslehre" aus dem Jahre 1915; JNUL Jerusalem Ms Var. 432; zum ideengeschichtlichen Kontext s. Lübbe, Philosophie, S. 194— 205.

206

Gustav Landauer, „Aus unstillbarem Verlangen", in: Ders., Dichter, Ketzer, Aussenseiter. Essays und Reden zu Literatur, Philosophie, Judentum, hg. v. Hanna Delf, Berlin 1997, S. 12-15, hier S. 12. Sie erschien: Zeit-Echo. Ein Kriegstagebuch der Künstler 1 (1914/15), S. 1 8 8 191; zu den geisteshistorischen Bezügen vgl. Hanna Delf, „,Nietzsche ist für uns Europäer ...'. Zu Gustav Landauers früher Nietzsche-Lektüre", in: Werner Stegmaier u. Daniel Krochmalnik (Hgg.), Jüdischer Nietzscheanismus, Berlin u. N e w York 1997, S. 2 0 9 - 2 2 7 .

207

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165

Spätestens seit Herbst 1916 gewannen Friedensgedanken im deutschen Judentum erheblich an Bedeutung. Gerade weil ein „Siegfrieden" immer unwahrscheinlicher wurde, besann man sich auf jene universalistischen Traditionen, zu deren Kernbestand die „Idee vom ewigen Frieden" gehörte. Nach zwei Jahren erbitterter Kämpfe ohne nennenswerte Gebietsgewinne war an allen Fronten die Friedenssehnsucht groß. Charakteristisch für den Kriegsüberdruß ist die Haltung Franz Werfeis, der als Meldegänger in Ostgalizien seinen Dienst tat. Am 10. September 1916 schrieb er seiner Geliebten Gertrud Spirk in Salzburg, ihm erscheine der Lärm der Kriegsbatterien als „symbolische Stimme der Zeit: Berechnung, Brutalität, Zweckfrechheit, Geisteshass, Gewaltsamkeit, technischer Übermut, Feigheit, Unadel u.s.w.". 208 Viele jüdische Intellektuelle schlössen sich Organisationen an, die eine baldige Beendigung des Krieges anstrebten. Die veränderte Haltung zeigte sich auch in der Bewertung der Kriegslyrik. So enthielt Babs vielgelesene Anthologie Der Deutsche Krieg im Deutschen Gedicht im Jahr 1917 keinerlei propagandistische Werke mehr. 209 Der gewiß nicht „pazifistischer Umtriebe" verdächtige Bab stellte einen Band sogar unter das unmißverständliche Motto „Immer noch". Das vielleicht eindrucksvollste Gedicht der Sammlung, das „Kriegsgebet für meine Kinder", hatte er bereits im Juli 1915 verfaßt und „während einer Vereidigung" niedergeschrieben: 210 „Lieber Gott, laß Frieden werden! Sieh den Jammer an auf Erden. Sieh soviele Männer gehen schon auf Krücken, ohne Glieder, viele kehren gar nicht wieder. Und soviele Frauen stehen traurig schon seit soviel Tagen, müssen schwarze Kleider tragen,und sie wollen gar nicht sehen Blumen, Wasser, Katzen, Pferde all das schöne auf der Erde. Mach, daß endlich Friede[n] werde."

208

DLA Marbach, Werfel. Die desillusionierte Sicht Werfeis auf das Kriegsgeschehen beschreibt anschaulich: Peter St. Jungk, Franz Werfel. Eine Lebensgeschichte, Frankfurt am Main 1987, S. 6 4 - 8 6 .

209

Kantzenbach, „Aspekte", S. 346; generell zur wachsenden innerjüdischen Beliebtheit des Friedensgedankens: Pulzer, Jews, S. 201 f. u. 296. Angabe nach: Bab, Menschenstimme, S. 36, wo eine leicht veränderte Fassung des Gedichts abgedruckt ist.

210

166

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Zwei Jahre später lasen sich diese Zeilen nicht mehr wie die elegischen Gedanken eines Familienvaters, sondern als ein Appell an die Regierenden, endlich das Völkermorden zu beenden. 211 Selbst Naturwissenschaftler, die ihre Forschungen in den Dienst des Vaterlandes gestellt hatten wie der Jenaer Physiker Felix Auerbach, unterstrichen nun, daß der Fortschritt der Menschheit letztlich von den Friedensperioden abhänge. In schroffer Gegenüberstellung kontrastierte er das „blutbedüngte Kriegsfeld" mit dem ,,segensreiche[n] Acker der Zivilisation". 212 Rosenzweig war inzwischen zu der Ansicht gelangt, daß der Kern ,jüdische[r] Internationalität" nicht im Zionismus, sondern im Pazifismus bestehe. 213 Doch auch seitens der deutschen Zionisten bemühte man sich um eine Neuorientierung. Binjamin Segel erörterte etwa anhand historischer Beispiele die „Friedensziele der Juden". Im Mittelpunkt seiner Ausfuhrungen stand die Frage, wie künftig vermieden werden könne, daß die Juden zu den Hauptopfern kriegerischer Auseinandersetzungen zählen. 214 Ein so national eingestellter Gelehrter wie der Historiker Markus Brann hob am 18. Juni 1917 hervor, es sei unumgänglich, „dem Völkerwahnsinn ein Ende zu machen". 215 Freilich bedeutete dies nicht, daß sich sein Weltbild substantiell geändert hatte. Bei seiner „Gedenkrede" am Breslauer Rabbinerseminar pries er unverdrossen Wilhelm II. als Friedensfursten, den neidische Feinde zum Krieg genötigt hätten. 216 Die trotzige Bezugnahme auf die „unverwüstliche jüdisch-optimistische Weltanschauung" belegt indes nicht nur sein Geschichtsvertrauen, sondern auch eine gewisse sprachliche Hilflosigkeit nach mehr als drei Jahren erbittertem Krieg. Noch wichtiger ist freilich die Mühelosigkeit, mit der Brann seinen Patriotismus und seine Friedenssehnsucht in Einklang zu bringen wußte. Auch auf Seiten der Orthodoxie gewann die Idee des Friedens immer mehr an Akzeptanz, und die Spalten des „Israeliten" oder der Zeitschrift „Jeschurun" füllten sich mit Artikeln, welche die segensreiche Wirkung 211

1914. Der Deutsche Krieg im Deutschen Gedicht, H. 10: „Immer noch", ausgew. von Julius Bab, Berlin o.J. [1917], S. 17. Die editorische Notiz „hier zuerst veröffentlicht" dürfte den aktuellen Bezug der Verse noch unterstrichen haben.

212

Felix Auerbach, Die Physik im Kriege, 4. Aufl. Jena 1917, S. 127. Schreiben an seine Eltern vom 21. November 1917; Rosenzweig, Briefe, Bd. 1, S. 480 f., hier S. 481. Eingehender zu Rosenzweigs skeptischer Haltung gegenüber dem Zionismus: Stéphane Mosès, „Franz Rosenzweigs Einstellungen zum Zionismus", in: Judaica 53 (1997), S. 8 - 1 4 .

2,3

214

Ost und West 17 (1917), Sp. 3 8 5 - 4 0 0 .

215

In seinem Schreiben an den-schlesischen Fabrikbesitzer Max Pinkus, der sich stark in der Betreuung jüdischer Kriegsgefangener engagierte; LBI N e w York AR 7030, Box 4, Folder 1.

216

Gehalten am 27. Januar 1918; paginiertes Typoskript, ebd. Das nächste Zitat: Ebd., fol. 2.

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des Friedens unterstrichen. In noch höherem Ausmaß spiegeln private Quellen die zunehmende Distanz zum Krieg. Isaac Breuer verfaßte ein dreihundert Seiten langes Tagebuch, das von Oktober 1915 bis in das Jahr 1918 reichte und den Titel „Ich und der Krieg" trug.217 Obwohl der politische Führer der „Agudas Jisroel" ein sehr national gesinnter Mann war, findet man in seinen privaten Aufzeichnungen nur höchst selten überschwengliche Verherrlichungen des Deutschtums. Statt dessen erteilte Breuer der Verklärung des „Großen Krieges" eine definitive Absage und beurteilte die Zeitereignisse als menschliche und kulturelle Katastrophe. Ebenso unterschiedlich wie die Motive, sich öffentlich für den Frieden einzusetzen, waren die Formen des politischen Engagements, zu dem sich jüdische Intellektuelle entschieden. Dennoch meinten viele Zeitgenossen, eindeutig identifizierbare Muster erkennen zu können. In antisemitischen Kreisen reagierte man auf die Äußerungen Jüdischer Friedenssehnsucht" überaus gereizt. Mit dem polemischen Schlagwort des „Judenfriedens" hoffte man, den Pazifismus und seine Anhänger in Mißkredit zu bringen. Die Härte der ideologischen Auseinandersetzung charakterisierte eine innenpolitische Lage, in der der „Burgfrieden" längst zur Chimäre geworden war. Für die radikalste Position entschieden sich die Prager Zionisten. Sie betrachteten das Etikett „Judenfrieden" als Ehrentitel und verwiesen stolz auf das prophetische „Ideal des Völkerfriedens".218 Gerade bei der Darstellung spezifisch jüdischer Inhalte betonten zionistische Intellektuelle gern die überzeitliche Bedeutung der Friedensidee. Max Brods Drama Eine Königin Esther aus dem Jahre 1918 enthielt bereits in den Bühnenanweisungen Hinweise auf die intendierte Aktualität des Werks.219 Das Stück verband ein positives Friedensverständnis mit der Verherrlichung des einfachen Mannes. Nicht zufallig ist es Haman, der Erzfeind des jüdischen Volkes, der den Frieden als ,,brandige[s] Fleisch" schmäht. In einem Brief an Leo Herrmann vom 28. Dezember 1917 hob Brod in diesem Sinne hervor, daß das Drama „kein altes Purimsspiel" und seine Aufführung eine „zionistische Tat" sei.220 Ein ungewöhnlicher Erfolg war Stefan Zweigs dramatischem Gedicht Jeremias beschieden, das die allgemeine Friedenssehnsucht in eindrucksvolle Worte kleidete. Zweig, der ansonsten ein ausgesprochen rascher 217

Eine Auswertung dieses Dokuments bietet: Horwitz, „Voices", S. 2 4 2 - 2 4 6 .

218

Art. „Der Judenfriede", in: Selbstwehr Nr. 40 vom 12. Oktober 1917, S. 1 f., hier S. 2. Max Brod, Eine Königin Esther. Drama in einem Vorspiel und 3 Akten, Leipzig 1918, S. 7; ebd., S. 26, das nächste Zitat.

219

220

CZA Jerusalem A 145/169. Gleichzeitig zielte Brods Intention auf eine nationalreligiöse Überhöhung des Zionismus: „Daß aber schließlich nicht er, der orthodoxe Jude, die entscheidende Tat tut, sondern die von neuem Glauben erfüllte Esther gegen ihn sich wendet und die Juden rettet, - das entspricht eben meiner Ansicht von Orthodoxie und Zionismus."

168

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Schreiber war, hatte an dem Werk mehr als zwei Jahre gearbeitet. Sein Alltag im Wiener Kriegsarchiv war zwar weder gefährlich noch übermäßig anstrengend, dafür jedoch von nervtötender Langweiligkeit. Die Zusammenarbeit mit einem renommierten Pazifisten wie Rolland ließ sich mit den militärischen Pflichten kaum vereinen und galt vielen als unschicklich. Überdies rechnete Zweig, der alle sechs Wochen auf seine Frontdiensttauglichkeit untersucht wurde, beständig mit seiner Abkommandierung.221 Die wenige ihm verbleibende Zeit nutzte er deshalb nach Kräften für die Arbeit „an einem großen jüdischen Stück", das alles enthalten sollte, „was ich an Energie und Empörung jetzt in mir fühle". 222 Zweigs Einschätzung des Weltkrieges war trotz einiger patriotischer Briefe, die er verschickte, selbst in den ersten Augustwochen kritisch. Recht bald deutete er den Krieg als „culturellen Zusammenbruch", dessen unabweisbare Konsequenz die „Vernichtung der europäischen Idee" sei.223 Die dramatische Dichtung Jeremias brachte sprachgewaltig und prägnant zum Ausdruck, daß er den Glauben an den Erfolg und die Gerechtigkeit der „deutschen Sache" vollends verloren hatte. Gleichzeitig dokumentierte sie die Intensität, mit der Zweig jüdische Fragen beschäftigten. Schon früh war er davon überzeugt, daß der „Große Krieg" eine Tragödie für das Judentum darstelle. In einem Brief an den Zionisten Abraham Schwadron vom 6. Mai 1915 charakterisierte er die Situation der Juden voller Mitgefühl: „Sie leiden nur, ohne leiden zu machen - und das ist heute in einer Welt der Gewalt die ärgste Sünde."224 Auf einer Dienstreise nach Galizien sah Zweig im Sommer 1915 erstmals die ostjüdische Not mit eigenen Augen. In diese Zeit fiel auch die vermehrte Beschäftigung mit einem biblischen Stoff, dessen Aktualitätsbezug unverkennbar war.225 221

Detailliert zu dieser wenig bekannten Periode im Leben Zweigs, die immerhin drei Jahre währte: Klaus Heydemann, „Der Titularfeldwebel. Stefan Zweig im Kriegsarchiv", in: Heinz Lunzer u. Gerhard Renner (Red.), Stefan Zweig 1881/1981. Aufsätze und Dokumente, Wien 1981, S. 19-55. Zur nervlichen Belastung s. das Schreiben an Julius Bab vom 31. März 1917 in dem Zweig davon spricht, daß er „schon sechs Höllenkreise von Überprüfungen und militärischen Nachmusterungen überstanden (habe)"; Stefan Zweig, Briefe, S. 136 f., hier S. 137.

222

Nach dem 16. August 1916 verfaßtes Schreiben Zweigs an Abraham Schwadron; ebd., S. 113 f., hier S. 114.

223

Undatierter Brief Zweigs an die Redaktion des „Zeit-Echo" vom Herbst 1914 oder Frühjahr 1915; DLA Marbach, Zeit-Echo. Stefan Zweig, Briefe, S. 64; vgl. auch das schon erwähnte Schreiben an Schwadron, das die pessimistische-Aussage enthält: „[D]as Judentum steht sicherlich seiner schwersten Krise seit der Inquisition gegenüber." (ebd., S. 113 f., hier S. 113).

224

225

Zur Entstehungsgeschichte des Jeremias vgl. Zweigs Brief aus Lemberg an Julius Bab vom 19. Juli 1915 (ebd., S. 78); allgemein zur Werkgenese: Knut Beck, Jef-

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Als Symbol für den nahen Untergang der Mittelmächte wählte Zweig die Geschichte der Zerstörung des Ersten Tempels. Im Mittelpunkt des dramatischen Gedichts steht die Idee des Friedens, die ausgesprochen nuanciert und anspruchsvoll gefaßt wird. Frieden ist für Zweig keineswegs identisch mit der bloßen Abwesenheit von Krieg. Zum Frieden gehören Menschen, die seinen Wert zu schätzen und für ihn einzutreten wissen andernfalls sei auf die Dauer Krieg unvermeidlich. Diesen universalen Zusammenhang illustriert Zweig anhand jenes Propheten, dessen Schicksal schon früh zum Inbegriff jüdischen Leids geworden ist: Jeremias. Zugleich entschied er sich damit für jene biblische Figur, die seit der Jahrhundertwende zu den bevorzugten Sujets der „Jüdischen Renaissance" gehörte. 226 Die von Zweig überlebensgroß gezeichnete Gestalt des Jeremias ist dazu verdammt, als einzige das kommende Unheil zu sehen. 227 Dieses Wissen entzweit ihn mit den Einwohnern Jerusalems, die zuerst den Künder des Unheils verspotten und später in ihm die Ursache der Katastrophe erblicken. In mancher Hinsicht tragen sie die Züge der von Zweig verachteten Wiener Bevölkerung, die seiner Auffassung nach zu leichtfertiger Hybris im Sieg und fadem Selbstmitleid in der Niederlage neigte. 228 Die Faszination des Jeremias lag im Subtext des Dramas, der die Lage der Mittelmächte in einem aussichtslos werdenden Krieg thematisierte. Nicht die häufig übertriebene und rasch verflogene Kriegsbegeisterung des August 1914 schien dem Dichter bedeutsam, sondern die Sorgen der Landbevölkerung, die in Frieden ihren Acker bestellen wolle. Unter Anspielung auf die erfolgreiche englische Blockade wird die prekäre Ernährungssituation der Bevölkerung und die Haltlosigkeit staatlicher Propaganda geschildert. 229 Der großsprecherische Kaiser agiere in Wirkfrey B. Berlin u. Natascha Weschenbach-Feggeler, „Nachbemerkung", S. 316 f., sowie Prater, Zweig, S. 122-125. 226

227

228

229

Aus der reichen Literatur zur „Popularität" und zum Facettenreichtum der Jeremias-Gestalt nur: „Chaim Schoham, Jeremias - Prophet für jede Gelegenheit", in: BLB1 63 (1982), S. 5 1 - 5 7 . Stefan Zweig, Jeremias. Eine dramatische Dichtung in neun Bildern, Leipzig 1919, S. 17, heißt es in diesem Sinne: „Nein, Mutter, sie sagen Friede und Friede, die Toren, aber es ist darob kein Friede noch; und sie legen sich nieder und vermeinen Schlaf, die Arglosen, und schlafen schon in ihren Tod. Mutter, eine Zeit ist nahe wie keine gewesen j e in Israel, und ein Krieg, wie noch keiner über Erden gefahren." Vgl. Stefan Zweig, Tagebücher, S. 92 f., 115, 117 u. 180, die Eintragungen vom 26. August 1914, 10. bzw. 17. Oktober 1914 und 23. Juni 1915. Immerhin finden sich auch gelegentlich andere Töne in Zweigs Aufzeichnungen. So empfand er Sylvester 1915 die Wiener Einstellung, „dem Weltuntergang zuschaun [zu] wollen" als „wunderbarste Wurschtigkeit" (ebd., S. 243). In einem eindrucksvollen Bild zeigt etwa der Ratgeber Pachum seinem Herrscher Zedekia auf, daß die Belastbarkeit der Bevölkerung an ihre Grenzen gelangt ist:

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lichkeit ängstlich und konzeptlos und opfere lieber sein Volk, als die Verfehltheit seiner Politik einzugestehen. Dies waren klare Äußerungen, die Zweig in der neutralen Schweiz, der Hochburg des Pazifismus, gewiß leichter fielen als in Österreich-Ungarn. Für „Die Friedens-Warte" des rührigen Pazifisten Alfred Hermann Fried verfaßte Zweig sogar ein „Bekenntnis zum Defaitismus", das in der Doppelmonarchie vermutlich den Tatbestand des Hochverrats erfüllt hätte. Der Text lag auf der Linie seines am 28. November 1917 niedergelegten Testaments, in dem es unmißverständlich hieß: „Ich glaube, daß es Pflicht jedes Einzelnen ist, nun im vierten Jahre des Krieges auch unter stärkster persönlicher Gefahr, sein Nein zum Kriege nicht nur zu sagen, sondern es in Tat zu verwandeln." 230 In der Schweiz ging man mit derlei Stellungnahmen kein Risiko ein. Im Februar 1918 war die Friedenssehnsucht bereits so groß, daß die Züricher Erstaufführung des Jeremias frenetischen Applaus hervorrief. 231 Auch die ersten Leser des dramatischen Gedichts zeigten sich beeindruckt. Der Hamburger Expressionist Richard Dehmel, der nicht zu Zweigs engeren Freunden gehörte und gewiß kein Pazifist war, lobte die Schrift überschwenglich als die „menschlich klarste und künstlerisch reinste Schöpfung, die der Krieg bis jetzt gezeitigt hat". 232 Der gewöhnlich scharfzüngige Arthur Schnitzler zeigte sich „von der menschlichen Wärme ergriffen", die das „Werk ausstrahlt". 233 Die humanistische Botschaft des Jeremias, wonach ein Volk auch in der Niederlage seine Würde wahren, könne, war für Christen und Juden gleichermaßen akzeptabel. Dehmel vertrat sogar die Auffassung, das Stück stelle „die jüdische Seele in so allmenschlicher Verklärung" dar, „daß sich auch jede deutsche Seele daran läutern kann vom Leid der Selbstsucht". Im liberalen deutschen Judentum fand Zweigs Werk die erwartet positive Aufnahme. 234 Wie sehr es aber den Ton der Stunde getroffen hatte, zeigte sich an den zionistischen Reaktionen. In der Prager „Selbstwehr", die Zweigs liberal-jüdischem Weltbild ansonsten mit großer Reserve gegenüberstand, lobte man die ,,[v]isionäre

230

231

232

„Auch bislang ward kein Körnchen verschwendet, mein König, und doch gähnen die Speicher. Gewaltigen Schlund hat die Zeit." (Stefan Zweig, Jeremias, S. 118). Ders., Briefe, S. 173-176, hier S. 173. Sein „Bekenntnis zum Defaitismus" findet sich in: Die Friedens-Warte Nr. 7/8 von Juli/August 1918, S. 215 f. Vgl. Knut Beck, Jeffrey B. Berlin u. Natascha Weschenbach-Feggeler, „Nachbemerkung", S. 326, sowie Prater, Zweig, S. 155. Schreiben Dehmels an Zweig vom 7. November 1917; Stefan Zweig, Briefe, S. 441 f., Anm. 2, hier S. 441.

233

Brief Schnitzlers an Zweig vom 9. Oktober 1917; JNUL Jerusalem Ms Var. 305, Nr. 58; das nächste Zitat: Stefan Zweig, Briefe, S. 441 f., Anm. 2, hier S. 442.

234

Exemplarisch sei auf A[dolf] Eckstein, „Jeremias", in: AZJ Nr. 29 vom 19. Juli 1918, S. 337 f., verwiesen.

Jüdische Friedenssehnsucht

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Symbolik [...] wenn sein Geist den heiligen Boden seines Volkes berührt". 235 Seitens der „Jüdischen Rundschau" wurde konstatiert, daß es dem Wiener Dichter gelungen sei, „diese tragischste Prophetengestalt voll Blut und Leben vor uns hinzustellen". Lediglich mit einem Seitenhieb verwies der Rezensent darauf, daß Zweig für gewöhnlich „der Moderatesten einer" sei. 236 Das lobende Fazit gipfelte in der stolzen Frage: „Ist es Zufall, daß ein Jude dieses Drama schreiben konnte?" In der zionistischen Jugendbewegung schätzte man vor allem die getragene Sprache des Jeremias. Die „Blau-Weiss-Blätter" charakterisierten etwa die Dichtung als „starkes tiefes Buch voll düsterer Pracht". 237 Am Erfolg des Jeremias gab es jedenfalls nichts zu deuteln. Ohne Verlagsreklame waren bereits im Januar 1918 mehr als viertausend Exemplare des dramatischen Gedichts verkauft. 238 Auch die neu gegründeten jüdischen Kulturzeitschriften zeigten sich von ihrer freundlichsten Seite. „Der Jude" reproduzierte eine jubelnde Besprechung Rollands, die vorab bereits in mehreren anderen Organen erschienen war, und die liberalen „Neuen Jüdischen Monatshefte" warben für das Stück, indem sie eine längere Passage abdruckten. 239 Wie wenige vor 1918 geschriebene Werke eignete sich Zweigs Jeremias dazu, der Niederlage einen höheren Sinn zu verleihen. Die Hauptursache dafür lag in dem konsequenten Universalismus, der die dramatische Dichtung charakterisierte. Zweigs ehemaliger Realschullehrer Paul Amann betonte rückblickend die „allgemein menschlich[e]" Stoßrichtung des Stücks. 240 Dies traf die Intention des Dichters, der in einem Schreiben an den befreundeten Paul Zech betont hatte, daß „nur ein paar Idioten" nachträglich „als politisches Dokument" bewerten wollten, „was nichts als ein moralisches Bekenntnis war". 241 Das apodiktische Urteil ließ freilich nicht nur außer acht, daß jede Ethik sich in politischen Situationen zu

235 236

Selbstwehr Nr. 8 vom 22. Februar 1918, S. 2. Ernst Müller, „Stefan Zweigs .Jeremias'", in: JR Nr. 26 vom 28. Juni 1918, S. 198 ff., hier S. 198; das nächste Zitat: Ebd., S. 200.

237

B W B 5 (1917/18), H. 5, S. 192 f.

238

Schreiben Zweigs an Buber Ende Januar 1918, Buber, Briefwechsel, Bd. 1, S. 524 f., hier S. 524. Zur Wirkungsgeschichte des Jeremias vgl. ferner Stefan Zweig, Briefe, S. 443, Anm. 1, und Prater, Zweig, S. 134 f.

239

„Gespräch auf Zions Walle. Aus einer Tragödie .Jeremias'. Aus dem Manuskript", in: NJM 1 (1917), S. 3 4 7 - 3 5 3 . „Romain Rolland, Vox Clamantis. (Jeremias von Stefan Zweig)", in: Der Jude 2 (1917/18), S. 775 f., hier S. 776, rühmte das dramatische Gedicht „als das schönste Beispiel jener hehren Schwermut, die durch das blutige Drama von heute die Ewigkeitstragödie der Menschheit erschaut". LBI N e w York AR 7157, Manuskript „Erinnerungs-Stäubchen an Stefan Zweig", S. 3. Postkarte Zweigs an Zech vom 27. April 1918; DLA Marbach, Zech. Zur privaten Dimension des Jeremias vgl. auch Prater, Zweig, S. 361.

240

241

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Jüdisches „Kriegserlebnis"

bewähren hat, sondern es unterschätzte auch den Einfluß eines Erfolgsschriftstellers auf sein bürgerliches Publikum. Gerade Zweigs Verklärung der sich abzeichnenden Niederlage als „unendliche Möglichkeit zum Aufstieg eines Volkes" besaß eine Vielzahl politischer Implikationen. 242 So ließ diese Sichtweise die Frage nach den Kriegsursachen ebenso zurücktreten wie die Suche nach den Verantwortlichen für die Katastrophe. Die deutschen Juden konnten an ihrem universalistischen Weltbild festhalten; denn für den Wert einer Idee war ihr realpolitischer Erfolg belanglos, ja schädlich. Jede Form des Nationalismus hatte hingegen für Zweig keine ethische oder kulturelle Dignität. 243 Vielleicht war es kein Zufall, daß der „Pazifismus" erst in derart entschärfter Form im liberalen deutschen Judentum an Akzeptanz gewann. Jedenfalls vermied man in der aufgeladenen Situation des Ersten Weltkrieges nach Möglichkeit öffentliche Äußerungen, welche den fragilen „Burgfrieden" zu gefährden drohten. Dies zeigte sich bei der Bekämpfung des rasch anwachsenden Antisemitismus, die von Beginn an eine ebenso brisante wie innenpolitisch heikle Angelegenheit war.

242

243

So Zweig in seinem Schreiben an Ernst Hardt vom 11. Dezember 1918; DLA Marbach, Hardt. Dies beinhaltete eine grundsätzliche Ablehnung des Zionismus, die zum Meinungsstreit zwischen Zweig und Buber führte; vgl. dazu unten Kap. 5.4.

5. Die großen weltanschaulichen Debatten

Die zentralen weltanschaulichen Diskussionen, die im deutschen Judentum während des Ersten Weltkrieges geführt wurden, sind bislang nicht zusammenfassend dargestellt worden. Dies verwundert um so mehr, als die herausragenden jüdischen Intellektuellen meist in mehrere dieser Debatten gleichzeitig verwickelt waren. Martin Buber, Hermann Cohen, Gustav Landauer oder Stefan Zweig nahmen aktiv an den miteinander verzahnten öffentlichen Auseinandersetzungen teil, um die politischen und kulturellen Schlüsselbegriffe in ihrem Sinn zu definieren. Indem sie ihren Begriffsbestimmungen für die Einschätzung der Gegenwart und die Gestaltung der Zukunft besondere Wichtigkeit zumaßen, erwiesen sie sich als „Intellektuelle" im modernen Sinne des Wortes. 1 Eine wichtige Ursache für die Verkennung der ideologiehistorischen Bedeutung des Ersten Weltkrieges ist die idealisierende und unzutreffende Vorstellung eines „innerjüdischen Burgfriedens". 2 Gewiß kam es im Zeichen patriotischen Engagements zu gemeinsamen Initiativen, etwa bei der Lösung von Problemen, die das Ostjudentum betrafen. Doch verdankte sich diese Zusammenarbeit primär praktischen Zwängen und vermochte nicht, die unterschiedlichen weltanschaulichen Positionen und ihre Vertreter einander näherzubringen. Wenn es überhaupt so etwas wie einen „innerjüdischen Burgfrieden" gegeben hat, so war er ähnlich brüchig und ähnlich ideologischer Natur wie der vom Kaiser in den Augusttagen proklamierte Zusammenhalt aller Deutschen. Die isolierte Betrachtung der Debatten hat zudem übersehen lassen, in welchem Ausmaß nichtjüdische Intellektuelle wie Max Hildebert Boehm, Houston Stewart Chamberlain, Werner Sombart oder Ernst Troeltsch in die Diskussionen verwickelt waren. Sie fungierten gleichsam als „Stichwortgeber": ihre normativen Vorgaben steckten maßgeblich den Rahmen ab, in dem sich die Kontroversen fortan entwickelten. Ihre nationalen, völkischen und rassischen Vorstellungen beeinflußten insbesondere die tiefgreifende Ideologisierung der innerjüdischen Diskurse, die bislang Vgl. Charte, Vordenker, S. 16 f. So Michael Brenner, Kultur, S. 44; ähnlich David Brenner, Marketing S. 146.

Identities,

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Die großen weltanschaulichen Debatten

von der Forschung übersehen oder marginalisiert wurde. Dies gilt nicht zuletzt für die Erklärung des Bedeutungszuwachses, den zionistische Konzepte im Ersten Weltkrieg erfuhren.

5.1. Die Radikalisierung des Antisemitismus Am Vorabend des Ersten Weltkrieges war der politische Antisemitismus nur scheinbar auf dem Rückzug. Bei den Reichstagswahlen von 1912 erlitten die antisemitischen Splitterparteien zwar eine deutliche Niederlage und erreichten kaum mehr als 130.000 Stimmen, während die Sozialdemokratie ihre Mandate von 53 auf 110 mehr als verdoppelte und erstmals als stärkste Partei aus der Wahl hervorging. Eine rein numerische Auswertung des Wahlergebnisses greift jedoch zu kurz, wie sich daran ersehen läßt, daß es Antisemiten und Konservativen im nachhinein erfolgreich gelang, dem Ausdruck „Judenwahlen" breite Popularität zu verschaffen. 3 Dies läßt Rückschlüsse auf die Akzeptanz antisemitischer Vorstellungen in der wilhelminischen Gesellschaft zu, die der erfolgreichen jüdischen Minderheit mit wachsender Skepsis und latenter Feindseligkeit begegnete. Allerdings stand außer Frage, daß die innerlich zerstrittenen und programmatisch konfusen Antisemiten auf das bestimmende Problem der Zeit, die „soziale Frage", keine Antwort wußten und von zunehmendem Bedeutungsverlust bedroht waren. Mit dem Kriegsausbruch veränderte sich die Situation grundlegend, und jener radikale, völkisch konnotierte Nationalismus, dem die meisten antisemitischen Gruppierungen zuneigten, wurde binnen kurzem in weiten Teilen des Bürgertums gesellschaftsfähig. Die Antisemiten nutzten seit 1914 die Gunst der Stunde und setzten das Thema „Judentum und Nation" auf die politische Tagesordnung. Schon im ersten Kriegsjahr hatte sich das deutsche Judentum mit heftigen antisemitischen Vorwürfen auseinanderzusetzen. Bereits im August 1914 ermunterte der „Reichshammerbund" seine Mitglieder, den Kriegseinsatz der Juden zu beobachten. 4 Angesichts des unerwartet schweren Krieges gewann die Suche nach einem „Sündenbock" rasch an Bedeutung, und in der vermeintlichen „Drückebergerei" und „vaterlandslosen Gesinnung" der Juden erblickten viele die Wurzel allen Übels. 5 Der Erfolgsautor Ja3

4 5

Umfassend zur Wahl von 1912: Werner T. Angress, „The Impact of the „Judenwahlen" of 1912 on the Jewish Question. A Synthesis", in: LBIYB 28 (1983), S. 3 6 7 - 4 1 0 ; die Zahlenangaben, ebd., S. 381 f. Vgl. Hoffmann, „Jewish Community", S. 96. Vgl. die pointierte retrospektive Einschätzung von Max Reiner, der als Redakteur für die linksliberale „Vossische Zeitung" arbeitete: ,,[I]ch gewann den Eindruck, dass die wachsende Enttäuschung über die lange Dauer des Krieges, die Verbitte-

Die Radikalisierung des Antisemitismus

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kob Wassermann stand noch unter den Eindrücken des Ersten Weltkrieges, als er seine Autobiographie Mein Weg als Deutscher und Jude verfaßte. Obwohl er zu den kompromißbereiten jüdischen Intellektuellen gehörte, sind seine Ausführungen zum deutsch-jüdischen Zusammenleben von Skepsis und Enttäuschung getragen. Lapidar und ergreifend heißt es zur politischen und gesellschaftlichen Doppelidentität der deutschen Juden: „Heikel war das Thema stets, ob es nun mit Scham, mit Freiheit oder Herausforderung behandelt wurde, schönfärbend von der einen, gehässig von der anderen Seite. Heute ist es ein Brandherd." 6 Allein so unstrittig die Bedeutung des Ersten Weltkrieges für die Geschichte des modernen Antisemitismus auch erscheint, so schwierig ist es, die Veränderungen der Kriegszeit detailscharf zu beschreiben und analytisch zu befragen. Was hatte sich tatsächlich zwischen 1914 und 1918 verändert, daß sich Wassermann zu einer derart desillusionierten Einschätzung veranlaßt sah? Von herausragender Wichtigkeit ist, daß der Antisemitismus im Ersten Weltkrieg zur alltäglich erfahrbaren Realität wurde. Zwar achtete die Zensur nach Möglichkeit darauf, daß judenfeindliche Veröffentlichungen nicht die Druckerpresse verließen, doch glich ihre Tätigkeit je länger, je mehr dem Kampf gegen Windmühlenflügel. Überdies schürte die Tatsache, daß die deutschen Juden durch die Zensur einen gewissen Schutz erfuhren, die antisemitischen Ressentiments und führte zu einer Vielzahl von Unterstellungen. 7 Immer wieder verwies man seitens des liberalen Judentums auf den eigenen Patriotismus und erinnerte an die Augustworte des Kaisers. Bereits am 24. Oktober 1914 richteten die MVAA kritische Worte an die „Störer des Burgfriedens" im antisemitischen Lager. Nicht einmal ein Jahr später stellte dasselbe Blatt angesichts der Agitation von Theodor Fritsch und Houston Stewart Chamberlain die rhetorische Frage: „Ist das Burgfrieden?" 8 Und ein Leitartikel des „Israelitischen Farung über die ungeheuren Menschenverluste an der Front und die Entbehrungen im Hinterlande eines Ventils bedurften und dass sich alle diese Gefühle in der Richtung des schwächsten und des ungefährlichsten Widerstandes entluden." (HL Harvard bMS Ger 91 [182], S. 50). Jakob Wassermann, Mein Weg als Deutscher und Jude. Autobiographische Betrachtung, Frankfurt am Main 1921, S. 7. Die recht strenge Pressezensur konzentrierte sich auf die größeren Organe, im Bereich der „grauen Literatur" wurde das Ausmaß staatlicher Eingriffe während des Weltkrieges lange Zeit überschätzt. Neuland betritt Martin Creutz Die Pressepolitik der kaiserlichen Regierung während des Ersten Weltkriegs. Die Exekutive, die Journalisten und der Teufelskreis der Berichterstattung (Frankfurt am Main 1996), der erstmals die systematischen Zusammenhänge der Presselenkung analysiert. Die Gegner des „Burgfriedens" kommen auf diese Weise freilich nur selten in den Blick. Allgemein zur Abwehrstrategie des liberalen Judentums: Engel, „Patriotism". Die im Text erwähnten Zeitungsartikel finden sich: M V A A Nr. 17 vom 24. Oktober 1914, S. 129 ff., und M V A A Nr. 17 vom 25. August 1915, S. 69 f.

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Die großen weltanschaulichen Debatten

milienblatts" bemerkte ebenso lakonisch wie bitter, man habe sich von einem erzwungenen Frieden mit den Antisemiten „von vornherein nicht allzu viel versprochen".9 Nicht jeder Jude hatte von dem Ausmaß der Vorurteile, die ihm im Krieg entgegenschlugen, eine zutreffende Vorstellung. Beispielsweise schrieb Wilhelm Schwaner, der als Verfasser der Germanenbibel und eifriger Kulturreformer viel in völkischen Kreisen verkehrte, am 24. Januar 1916 dem befreundeten Rathenau: „Ich weiß nicht, ob Du eine Ahnung davon hast, wie giftig und gefährlich der Antisemitismus gerade jetzt während des gewaltsamen Zensur-Burgfriedens ins Zeug geschossen ist und wie oft gerade dabei Dein Name in häßlichem Sinne genannt wird. Ich habe Veranlassung zu glauben, daß Menschen die gemeinschaftlich mit Dir gearbeitet haben, an diesen scheußlichen Gerüchten beteiligt sind."10 Die psychologische Triebkraft des Antisemitismus sah Rathenau in einem sich selbst tragenden Haß, der faktische Evidenzen mißachtete und Vernunftgründe beiseite schob. Freilich steckte hinter seiner Haltung keine Weltfremdheit, sondern die feste Überzeugung von der Unbelehrbarkeit antisemitischer Demagogen und ihrer Anhängerschaft.11 Selbst Rathenaus finanzielle Unterstützung der Volkserzieher-Bewegung wurde in völkischen Kreisen verunglimpft. Am 8. August 1916 teilte Otger Gräff, seines Zeichens Gildenmeister des Greifenbundes und Bundesfuhrer des Wandervogels, Schwaner mit, es sei eine „Schande [...] fürs deutsche Volk", wenn ein „Semit" entscheidende Hilfestellung gebe. Dabei ging er zu Recht davon aus, daß Rathenaus dubioser Freund den Antisemitismus nicht prinzipiell tadelnswert fand.12 Die jüdische „Abwehrliteratur" hatte im Krieg keinen leichten Stand. Zum einen gab es im liberalen Judentum nicht wenige, die sich gegen die Erkenntnis sperrten, daß der „Burgfrieden" eine Chimäre sei. Der Feldrabbiner Georg Salzberger vertrat noch 1916 die Ansicht, die Begegnungen zwischen christlichen und jüdischen Soldaten an der Front müßten 9

10

"

12

Fabius Schach, „lieber den Burgfrieden", in: IF Nr. 34 vom 26. August 1915, S. 1. B A Koblenz, N 1048, Nr. 1. Vgl. ebd., Nr. 4, den Brief Rathenaus an Schwaner vom 4. August 1916: ,,[I]ch denke nicht daran eine Milderung dieses Hasses zu erwarten. Je mehr Juden in diesem Kriege fallen, desto nachhaltiger werden ihre Gegner beweisen, dass sie alle hinter der Front gesessen haben um Kriegswucher zu treiben." Zu Rathenaus prinzipieller Ablehnung des Antisemitismus: Picht, „Messias", S. 124. B A Koblenz, N 1048, Nr. 4. - Gräffs eigene politische Maxime lautete: „Alles internationale' ist vom Übel, dient nur den anderen, nie uns!" (Otger Gräff, „Zwei Zeitschriften", in: Wandervogel-Führerzeitung 5 (1917), S. 3 2 - 3 9 , hier S. 38).

Die Radikalisierung des Antisemitismus

177

zum Abbau antisemitischer Vorurteile fuhren. 13 Erst allmählich setzte sich eine realistischere Sicht der Dinge durch. Insbesondere diejenigen, die sich den Blick für die lange Geschichte des Antisemitismus bewahrt hatten, warnten vor dem Glauben, der Weltkrieg könne zum Ende judenfeindlicher Einstellungen in Deutschland führen. Der Königsberger Rabbiner Hermann Vogelstein betonte etwa in den „K.C.-Blättern", „es wäre falsch zu wähnen, daß die Menschen sich von Grund auf geändert haben", und forderte zum kontinuierlichen Kampf gegen die „Verhetzung der Volksseele" auf. 14 Zum anderen gewannen rassische Stereotypisierungen seit 1914 erheblich an Akzeptanz. Insbesondere zu Zwecken der Propaganda konnte die Herabsetzung des Feindes kaum weitreichend genug sein. Auch auf dem linken Flügel des politischen Spektrums erfreuten sich entsprechende Stilmittel hoher Beliebtheit. So zeigt eine Karikatur aus den „KriegsFlugblättern des Simplicissimus", die den Titel „Da gehörst Du hin!" träge, verschlagen und degeneriert dreinblickende Japaner in einem Affenkäfig. Der ebenso verächtliche wie intellektuell anspruchslose Begleittext lautete: „Wir schlagen vor, die noch in Deutschland befindlichen Japaner in den zoologischen Gärten aufzubewahren. Auf den Protest beleidigter Schimpansen kann keine Rücksicht genommen werden." 15 Ein akademischer Erfolgsschriftsteller wie Werner Sombart war in der Wahl seiner Mittel nicht anspruchsvoller. Am 2. November 1914 veröffentlichte er einen Artikel im „Berliner Tageblatt", der den lakonischen Titel „Unsre Feinde" trug. Hierin konstatierte Sombart, daß er die Japaner „schon vor dem Kriege nie eigentlich als Menschen, sondern immer nur als außerordentlich gelehrige Halbaffen angesehen" habe. 16 Zum „Fremdenhaß" wollte sich der Gelehrte freilich nicht bekennen. Statt dessen äußerte er gönnerhaft: „Man ,haßt' doch auch den Köter nicht, der einem auf der Straße in die Waden fahrt, sondern begnügt sich damit, ihn zu verSalzberger, Kriegstagebuch, S. 15; generell zur schwierigen Situation des „Abwehrvereins": Barbara Suchy, „The Verein zur Abwehr des Antisemitismus (II): From the First World War to its Dissolution in 1933", in: LBIYB 30 (1985), S. 6 7 - 1 0 3 , hier S. 7 0 - 7 4 . Hermann Vogelstein, „Judenfeindliches im Altertum", in: K.C.-Blätter 5 (1914/16), S. 4 4 4 - 4 4 9 , hier S. 449; ebd., S. 444, das vorige Zitat. Kriegs-Flugblätter des „Simplicisimus" Nr. 4, S. 3. Eine reiche Sammlung ähnlicher Dokumente findet sich: LBI N e w York AR 4873. - Allgemein zum Zusammenhang zwischen einem unterstellten „Zivilisationsgefälle" und nationalistischer Stereotypenbildung: Jeismann, Vaterland, S. 329 ff. Werner Sombart, „Unsere Feinde", in: BT Nr. 557 vom 2. November 1914; ebd., das vorige Zitat. Dazu knapp auf der Grundlage des Teilabdrucks im „Neuen Wiener Tagblatt" vom 3. November 1914: Friedrich Lenger, „Werner Sombart als Propagandist eines deutschen Krieges", in: Wolfgang J. Mommsen (Hg), Kultur und Krieg. Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, München 1996, S. 6 5 - 7 6 u. 2 1 5 - 2 1 8 , hier S. 74.

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Die großen weltanschaulichen Debatten

prügeln." Auch die anderen „kleinen Nationen" beurteilte Sombart von oben herab: Belgien erhielt beispielsweise das abfällige Etikett „Mißgeburt der Politik", und das Königreich Montenegro wurde als ,,schlechte[r] Witz der Weltgeschichte" verspottet. Gleichzeitig pries er als wunderbares Resultat „dieser großen Zeit, daß unsere Instinkte wieder klarer und sicherer geworden sind", und illustrierte dies mit dem abgründigen Haß des deutschen Volkes gegen England. Immerhin distanzierte sich das linksliberale Blatt in einer redaktionellen Vorbemerkung von Sombarts schroffer Diktion. Doch allein die Tatsache, daß ein derartiger Artikel erscheinen konnte, zeigt die Selbstverständlichkeit, die nationale Feindbilder bereits nach wenigen Kriegsmonaten gewonnen hatten. Völkerpsychologisch hergeleitete Stereotypen waren im „Krieg der Geister" an der Tagesordnung. Selbst der vielfach angefeindete jüdische Sexualforscher Magnus Hirschfeld machte von ihnen Gebrauch und hob die „deutsche Offenheit und Gründlichkeit" nachdrücklich von der „englische[n] Heuchelei" ab. Gleichzeitig kontrastierte er den ethischen Gehalt des „kategorischen Pflicht-Imperativ[s]" mit dem „beweglichen ,Charme' der Franzosen". 17 Zudem geriet die Weltkriegsliteratur in einen Circulus vitiosus: Die schroffe Herabsetzung des ideologischen Gegners führte zu einer Vergröberung der Wahrnehmung, die ihrerseits neuen Diffamierungen Vorschub leistete. Auch herausragende deutsche Gelehrte, die sich humanitären Werten verpflichtet fühlten, gerieten in den Sog des immer unerbittlicher geführten Propagandakrieges. So sah Max Scheler in der englischen Lebensart den Geist des Ressentiments am Werk und verherrlichte den Krieg als Wiedergeburt nationaler Werte. 18 Vermutlich noch weitreichender war die Deutschtumsmetaphysik, die Rudolf Eucken und Paul Natorp entwikkelten. Anknüpfend an die Schillersche Denkfigur, daß der „Tag des Deutschen die Ernte der ganzen Zeit (ist)", verherrlichten beide den Erlösungsaufitrag des deutschen Volkes. Die Überhöhung der eigenen Nation als „Hort innerlicher Kultur" führte gleichsam unwillkürlich zur Herabsetzung der westlichen Staaten und letztlich zu einem dichotomen Weltbild. Gleichzeitig wurde der Erste Weltkrieg zu einer Art „Heiligem

17

Magnus Hirschfeld, Warum hassen uns die Völker? Eine kriegspsychologische Betrachtung, Bonn 1915, S. 34. Dementsprechend simplifizierend und selbstgerecht fiel denn auch die völkerpsychologische Erklärung von Deutschlands Isolation aus: „Lieben konnten die Völker den Emporkömmling nicht, das ging über ihre Kraft, darum haßten sie ihn." (Ebd., S. 35). Hinweise auf diesen Aufsatz fehlen in der als einschlägig geltenden Biographie von Manfred Herzer, Magnus Hirschfeld. Leben und Werk eines jüdischen, schwulen und sozialistischen Sexologen, Frankfurt am Main 1992.

18

Dazu eingehend: John R. Staude, Max Scheler 1874-1928. An Intellectual Portrait, N e w York u. London 1967, S. 6 3 - 9 4 ; eine pointierte Darstellung von Schelers negativem England-Bild bietet: Utz, „Erster Weltkrieg", S. 378 ff.

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Krieg", in dem beinahe jedes Mittel gerechtfertigt erschien. 19 Gänzlich in aporetische Gefilde führte hingegen die Frage, wie sich die stolze Verherrlichung alles Deutschen mit einer Niederlage der Mittelmächte vereinbaren lasse. Gerade hier lag die Attraktivität antisemitischen Ideenguts, das bei jedem Mißerfolg der deutschen Armee den „inneren Feind" am Werk sah. Hinter dieser Chiffre verbarg sich „der Jude", den man - je nach Bedarf - mit den Kräften des gesellschaftlichen Umsturzes oder dem menschenverachtenden Kapitalismus gleichsetzte. Völkisch-antisemitische Autoren, wie Adolf Bartels, Theodor Fritsch oder Houston Stewart Chamberlain, teilten nicht nur eine radikal kultur- und gegenwartskritische Perspektive. Sie glaubten auch, daß die Juden für die Fehlentwicklungen der Kriegszeit, für Schwarzmarkt, Schleichhandel und Kriegsgewinnlertum verantwortlich seien. Insbesondere identifizierten sie die Juden mit der „entseelten kapitalistischen Wirtschaftsordnung", die deutschem Gemeinschaftsdenken diametral entgegenstehe. Hinter ihnen standen einflußreiche Organisationen, wie der „Reichshammerbund" oder der „Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband", die in neuartiger Weise politische Interessenvertretung und ideologische Positionierung miteinander verbanden. 20 In ihrer antisemitischen Politik konnten sie an Konzepte anknüpfen, die bereits vor 1914 intensiv erörtert worden waren. Der publizistisch vielfältig aktive Nationalökonom Werner Sombart hatte seit der Jahrhundertwende die These vom überragenden Einfluß der Juden auf die wirtschaftliche Entwicklung Europas aufgestellt. Ohnehin zu empiriearmer und assoziativer Gedankenführung neigend, hatte er sich in seiner aufsehenerregenden Schrift Die Juden und das Wirtschaftsleben für kühne Verallgemeinerungen und pointierte Formulierungen entschieden. Hierbei spielte vermutlich nicht nur die Konkurrenz zu Max Webers plakativer Protestantismus-These eine Rolle, sondern auch die weitverbreitete Akzeptanz judenfeindlicher Vorbehalte. 21 Nachdrücklich betonte 19

Zu Natorps Weltkriegsphilosophie vgl. Sieg, Aufstieg, S. 4 2 4 - 4 3 8 , sowie Manfred Pascher, „Deutsches Wesen und Deutscher Weltberuf. Die Weltkriegsschriften Paul Natorps und der Marburger Neukantianer", in: Wiener Jahrbuch für Philosophie 26 (1994), S. 103-116. Für Eucken einschlägig: Lübbe, Philosophie, S. 176-185; gleichfalls erhellend: Graf, „Positivität", S. 7 8 - 8 4 , der erstmals den umfangreichen Nachlaß Euckens auswertet. - Schillers Formulierung, die im Ersten Weltkrieg zu zweifelhafter Berühmtheit gelangte, stammt aus dem Konzept fiir sein Gedicht „Deutsche Größe" und zielte nicht auf die militärische Behauptung, sondern auf die schöpferische Entfaltung deutscher Kultur. Eine behutsame Interpretation, die in der nationalistischen Kriegsliteratur ihresgleichen sucht, bietet: Ernst Cassirer, Freiheit und Form. Studien zur deutschen Geistesgeschichte, Berlin 1916, S. 304.

20

Dazu komprimiert: Berding, Antisemitismus,

21

Alle Annahmen einte die irreale Überschätzung der Jüdischen Bedeutung"; vgl. etwa den kritischen Kommentar in Salzberger, Kriegstagebuch, S. 114 f.: „Kaum

S. 171 ff.

180

Die großen weltanschaulichen Debatten

Sombart die zentrale Bedeutung der Juden bei der Erschließung außereuropäischer Kolonien, dem Handel mit Wertpapieren, der Ausweitung des Börsenwesens und damit letztlich der Kommerzialisierung der Industrie. Ferner hätten die Grundideen des Judentums, wie der „Bewährungsgedanke", eine rationale Lebensführung und damit die Entstehung des mo-

dernen Kapitalismus begünstigt.22 Dies waren holzschnittartige Vereinfachungen, die zudem antisemitischen Vorurteilen recht nahe kamen. Doch sicherte Sombart gerade seine wissenschaftlich fragwürdige Vorgehensweise das Interesse eines breiten Publikums, das mit differenzierter Argumentation schwerlich zu erreichen war.23 Überdies war er ein Meister in der Popularisierung seiner Ansichten. So hielt er im Spätherbst 1911 in Berlin einen Vortragszyklus über „Die Zukunft der Juden", der alsbald als Buch erschien und für die Rezeption seines Hauptwerkes wichtige Schrittmacherdienste leistete. Die dort abgedruckte Verlagswerbung für Die Juden und das Wirtschaftsleben umfaßte nicht weniger als fünf Seiten und enthielt Auszüge aus 32 zumeist überschwenglich lobenden Besprechungen.24 Die Debatte über Sombarts Veröffentlichungen führte zu erheblichen innerjüdischen Verwerfungen. Die Hauptursache hierfür lag in dem großen zionistischen Interesse an Theorien, welche die Eigenart des Judentums unterstreichen halfen. So hatte der zionistische Biologe Elias Auerbach den Einfluß der Kultur auf die biologischen Konstitutionsmerkmale

Einer wußte auch nur zu sagen, wieviel Juden in Deutschland leben; ihre Zahl wird in der Regel um das Sechs- bis Achtfache zu hoch geschätzt. Selbst Wohlmeinende sind davon durchdrungen, daß das Judentum darauf ausgehe, wirtschaftlich und geistig die Welt zu erobern, von anderen oft wiederholten Märchen ganz zu schweigen." - Differenziert und kenntnisreich zur vergröbernden Übernahme Weberscher Kategorien durch Sombart: Hartmann Tyrell, „Kapitalismus, Zins und Religion bei Werner Sombart und Max Weber. Ein Rückblick", in: Johannes Heil u. Bernd Wacker (Hgg.), Shylock? Zinsverbot und Geldverleih in jüdischer und christlicher Tradition, München 1997, S. 194-217, bes. S. 2 0 0 204. Vgl. Werner Sombart, Die Juden S. 2 5 0 - 2 8 1 .

und das

Wirtschaftsleben,

Leipzig

1911,

Eingehend zur Rezeptionsgeschichte: Lenger, Sombart, S. 1 9 4 - 1 9 7 bzw. 2 0 7 218, und mit scharfer Akzentuierung ihrer ideologischen Voraussetzungen Barkai, Minderheit, S. 1 ff., sowie ders., „Zur Wirtschaftsgeschichte der Juden in Deutschland. Historiographische Quellen und Tendenzen vor und nach 1945", in: TAJB 20 (1991), S. 195-214, hier S. 197 ff. - Im übrigen sollte festgehalten werden, daß Sombart seine kühnen Verallgemeinerungen mit der ganzen Würde eines deutschen Universitätsprofessors vortrug. Seiner Auffassung nach handelte es sich um „ein wissenschaftliches Buch", das „keine Werturteile (enthält)"; Sombart, Juden, S. 16. Ders. Die Zukunft der Juden, Leipzig 1912, Anhang ohne Seitenzählung; vgl. ferner Lenger, Sombart, S. 2 1 3 - 2 1 6 .

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der Juden hervorgehoben. Vor diesem Hintergrund schien es nicht so abwegig, daß Sombart zur Stützung seiner ökonomischen Theorie auf biologische Zusammenhänge rekurrierte.25 Die junge Zionistengeneration schätzte zudem die Modernität von Sombarts Thesen und die provokante Art, mit der er sie zur Diskussion stellte. Seine Verwendung antisemitischer Topoi wurde hingegen als vergleichsweise unbedeutend empfunden, weil man vom illusionären Charakter der „Assimilationsideologie" ohnehin überzeugt war.26 Seitens des liberalen Judentums zeigte man sich erfreut über die Wichtigkeit, die Sombart dem Jüdischen Faktor" in der Geschichte des Abendlandes eingeräumt hatte. Das „Israelitische Familienblatt" sprach sogar vom „Buch des Jahres" und lobte die wissenschaftliche Pionierleistung seines Autors.27 Insgesamt überwogen jedoch unter den liberaljüdischen Lesern die Reserven hinsichtlich der Sombartschen Verbindung von Judentum und Kapitalismus, die man so häufig aus antisemitischem Mund vernommen hatte. Denn selbst seine entschieden philosemitischen Urteile waren nicht ohne tiefergehende Ambivalenz und leisteten jener völkisch-rassischen Mythisierung des Judentums Vorschub, die zunehmend an Bedeutung gewann.28 Sombart selbst stellte freilich das Thema „Judentum" erst einmal zurück. Seine umfangreiche Kriegspublizistik konzentrierte sich auf den Gegensatz Deutschland - England, den er als Kernsignatur der Epoche begriff. 1915 veröffentlichte er die Schrift Händler und Helden, die bis auf den heutigen Tag als Inbegriff deutscher Professorenkriegsliteratur gilt.29 In Anknüpfung an seine kulturpessimistischen Vorkriegsschriften charakterisierte Sombart die Engländer als Vertreter einer utilitaristischen Ethik, die in ihrer Oberflächlichkeit von wahren Werten nichts wisse. Gleichzeitig feierte er die „42-cm-Mörser, die feldgrauen Uniformen, die bombenwerfenden und auskundschaftenden Flugapparate, die Unterseeboote" der deutschen Armee als „Sinn des technischen Fortschritts".30 In gewaltverherrlichender Sprache stilisierten seine „Patriotischen Besinnungen" die Auseinandersetzung mit England zum „Glaubenskrieg", in 25

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Vgl. John M. Efron, Defenders of the Race. Jewish Doctors and Race Science in Fin-de-Siecle Europe, N e w Häven u. London 1994, S. 130 f. Dazu nuanciert: Hackeschmidt, Blumenfeld, S. 2 6 - 2 9 . IF Nr. 51 vom 21. Dezember 1911, S. 14; ausführlich zur Rezeptionsgeschichte von Die Juden und das Wirtschaftsleben: Lenger, Sombart, S. 2 0 9 f. Vgl. ebd., S. 2 1 5 - 2 1 8 ; allgemein zur Doppelbödigkeit des Philosemitismus: Michael Brenner, „Gott schütze uns vor unseren Freunden". Eine umfassende Monographie zu diesem heiklen Thema fehlt. Werner Sombart, Händler und Helden. Patriotische Besinnungen, 11 - 2 0 . Tausend Leipzig 1915. Zu dieser Schrift vgl. Jahr, „Krämervolk", S. 132-137; Lenger, „Werner Sombart als Propagandist", sowie die eindringlichen Ausführungen bei Lübbe, Philosophie, S. 2 1 0 - 2 1 4 . Sombart, Händler,

S. 125; ebd., S. 111, das nächste Zitat.

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dem es nur Sieg oder Untergang gebe.31 Wirtschaftlich und journalistisch eingekreist, sei jedes Mittel zur Verteidigung der vaterländischen Güter recht. Vor diesem Hintergrund maß Sombart selbst dem Fanatismus als „Hochspannung des Willens zur Tat" eine uneingeschränkt positive Bedeutung zu.32 Dies zielte nicht mehr auf die Überzeugung des politischen Gegners, sondern auf die Mobilisierung der Affekte und war geeignet, die ausländische Auffassung vom barbarischen Charakter „des Deutschen" zu bestätigen. Erst recht dürfte dies für Sombarts Verherrlichung der eigenen Nation gelten, die von Hybris und erheblichem Konfliktwillen zeugt. So heißt es über die kulturelle Begabung der Deutschen: „Wir verstehen alle fremden Völker, keines versteht uns, und keines kann uns verstehen."33 Von hier aus war es nur noch ein kleiner Schritt, den „Zusammenbruch der internationalen Gelehrtenrepublik" zu feiern, damit die Deutschen sich in autarker Abgeschiedenheit im Rahmen ihrer „völkischen Eigenart" verwirklichen könnten. Mit der Wirkung seines Pamphlets konnte Sombart allerdings kaum zufrieden sein. Zwar erreichte es eine breite Leserschaft, doch viele ehemalige Freunde und politische Mitstreiter nahmen seine Thesen eher peinlich berührt zur Kenntnis. Seitens des „Abwehrvereins" rügte man scharf die Maßlosigkeit von Sombarts antienglischen Invektiven und mahnte eine akademische Diktion an. Nicht ohne tiefere Wahrheit verwies man auf die Geschäftstüchtigkeit des Nationalökonomen, den „nur reizt, was gerade aktuell ist und womit man ein großes Publikum gewinnt".34 Und man zitierte aus der weit verbreiteten „Täglichen Rundschau" Erich Schlaikjers scharfes Wort, daß Sombart „mehr den Eindruck eines besessenen Derwisches als den eines ruhigen geistigen Wesens macht".35 Die Sympathien des „Abwehrvereins" galten vielmehr engagierten Linksliberalen wie dem Herausgeber der „Christlichen Welt" Martin Rade oder Friedrich Wilhelm Foerster, dem Sohn des bekannten Berliner 31

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Die Idee des „Glaubenskrieges", die das ganze Werk durchzieht, war Sombart so wichtig, daß sie auch das Leitmotiv der Einleitung, ebd., S. 3-6, abgab. Ebd., S. 111. Zu Sombarts Umgang mit dem „Einkreisungs-Topos" vgl. die Passage, ebd., S. 46, die zugleich treffend die drakonische Wortwahl in Händler und Helden charakterisiert: „Mit seinem Gelde hat es [England; U.S.] alle Kabel der Welt gelegt oder gekauft, die es nun zur Verbreitung seiner Lügennachrichten rücksichtslos ausnützt; mit seinem Gelde hat es die Depeschenbureaus, die Zeitungen und Zeitschriften, die Illustratoren und Preßagenten im neutralen Auslande und in den verbündeten Staaten bestochen, um im englischen Interesse zu wirken. Immer der Händler vom Scheitel bis zur Sohle, diesmal sogar der schmierige Händler." Ebd., S. 135; zum Folgenden vgl. ebd., S. 136 f. u. 140. Art. „Der Fall Sombart", in: MVAA Nr. 17 vom 25. August 1915, S. 69 f., hier S. 69; leichte Veränderung des Zitats. Ebd., S. 70.

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Pazifisten, die unbeirrt an ihrem universalistischen Weltbild festhielten. 36 Sombart war über die scharfe Kritik außer sich und schrieb am 10. Oktober 1915 an Alfred Weber, daß „Juden und Judengenossen" ihn in „gemeiner Weise beschimpft" hätten.37 Mit der extremen Rechten wollte er allerdings auch weiterhin nichts zu tun haben; nicht zuletzt deshalb, weil er deren permanente Verletzung des „Burgfriedens" als illoyal und politisch unklug betrachtete. Dennoch wird man eine kritische Einschätzung seiner Weltkriegsschriften kaum vermeiden können. Sie bekundeten nicht nur jenen Verlust an Zivilität, der den „Krieg der Geister" je länger, je mehr prägte und die internationale Gelehrtenrepublik von Grund auf zerstörte. In ihrer maßlosen Überhöhung alles Deutschen trugen sie auch den Keim zur Diabolisierung des „inneren Feindes" in sich. Generell boten die Debatten über das Wesen des Judentums während des Ersten Weltkrieges breiten Raum für antisemitische Invektiven. Ein Meister in der Kunst der Unterstellung war Richard Wagners Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain, ein gebürtiger Engländer, der seit 1914 mit aller Macht sein Deutschtum in den Vordergrund rückte. 38 Chamberlain hatte sich seit vielen Jahren mit jüdischer Kultur auseinandergesetzt, ohne jedoch seine Vorurteile je abzulegen. Immerhin galt er in völkischen Kreisen als Experte auf diesem Feld, was sich daran erkennen läßt, daß ihn Eugen Diederichs schon 1901 zu einer populären Monographie über das Judentum aufforderte. 39 Chamberlain gehörte neben Lagarde, Langbehn und natürlich Nietzsche zu den Starautoren des Fin de siècle, die durchaus auch jüdische Leser hatten. Gerade deshalb polemisierten „Abwehrverein" und CV immer wieder gegen die rassischen Ideologeme in Chamberlains 1899 erstmals erschienenen Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts. Denn trotz seiner stilistischen Sperrigkeit und seines voluminösen Umfangs erreichte die sozialdarwinistisch unterlegte Verherrlichung des nordischen Menschen bis 1915 zwölf Auflagen und mehr als hunderttausend Käufer. Auch Wilhelm II. zählte zu den begeisterten Lesern von Chamberlains Opus magnum, das bei Hofe als „schick" galt und auf Geheiß des Kaisers

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Suchy, „Verein zur Abwehr des Antisemitismus (II)", S. 71. Zit. nach: Lenger, Sombart, S. 250. Sombart spielt hier mit dem Slogan der politischen Rechten in der Reichstagswahl von 1912 „Gegen Juden und Judengenossen"; vgl. dazu Angress, „Impact", S. 367. Umfassend, aber nicht erschöpfend zu Chamberlain, der um 1900 zu den wirkmächtigsten Intellektuellen gehörte und unterschiedlichste Leser in seinen Bann schlug: George C. Field, Evangelist of Race. The Germanic Vision of Houston Stewart Chamberlain, N e w York 1981. Vgl. das Schreiben Chamberlains an Diederichs vom 14. August 1901, in dem er auf die Offerte des Verlegers aus Zeitgründen und wegen der zu geringen eigenen wissenschaftlichen Kompetenz (!) zurückhaltend reagierte; DLA Marbach, Diederichs.

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zur Pflichtlektüre an preußischen Lehrerseminaren erhoben wurde.40 Im Rahmen der „Kunstwart-Debatte" von 1912 kam es erstmals zu einer spektakulären Auseinandersetzung über die Konsequenzen, die aus dem neuen völkischen Antisemitismus zu ziehen seien. In seinem Artikel „Deutsch-jüdischer Parnaß" hatte der bis dato wenig bekannte Journalist Moritz Goldstein den paradoxen Sachverhalt hervorgehoben, daß ausgerechnet das - gesellschaftlich nie vollständig akzeptierte - deutsche Judentum zum Siegelbewahrer Kants und Goethes geworden sei. Damit stellte er, ohne eine andere Lösung zu wissen, die deutsche Sprache als Medium jüdischer Selbstvergewisserung prinzipiell in Frage.41 Bald konnte sich Goldstein vor falschen Freunden nicht mehr retten. Während die Zionisten zur Abkehr von der „Assimilationsideologie" aufriefen, begrüßten viele Antisemiten höhnisch die Idee einer „aparten jüdischen Kultur". Mit Chamberlain wollte Goldstein jedoch keineswegs paktieren, und so verspottete er dessen Idee einer Germanisierung des Christentums als völkische Narretei.42 Aufgrund der Zensurbestimmungen ließ Chamberlain seinen judenfeindlichen Ansichten im Ersten Weltkrieg nicht mehr direkt freien Lauf. Statt dessen attackierte er in seinen vielgelesenen Kriegsaufsätzen die moralische Substanzlosigkeit des englischen Weltmachtstrebens. Ähnlich wie Sombarts Pamphlet Händler und Helden arbeitete Chamberlain mit der schroffen Gegenüberstellung englischer und deutscher Gesinnung. 43 Den historischen Kontext skizzieren: Erik Lindner, „Houston Stewart Chamberlain: The Abwehrverein and the .Praeceptor Germaniae', 1914-1918", in: LBIYB 37 (1992), S. 213-236, hier S. 213 ff.; Axel Schildt, „Radikale Antworten auf die Kulturkrise der Jahrhundertwende. Zur Herausbildung und Entwicklung der Ideologie einer „Neuen Rechten" in der Wilhelminischen Gesellschaft des Kaiserreichs", in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 4 (1995), S. 63-87, hier S. 70 ff.; Berding, Antisemitismus, S. 149 f., sowie Pulzer, „Wiederkehr", S. 242-245. Vgl. Moritz Goldstein, „Deutsch-jüdischer Parnaß", in: Der Kunstwart 25 (1912), S. 281-294, und Ders., „German Jewry's Dilemma before 1914", in: LBIYB 2 (1957), S. 236-254, sowie die umfassende Darstellung der Auseinandersetzung bei Albanis, German-Jewish Cultural Identity, S. 90-120. Einen ersten Einstieg bietet: Paul R. Mendes-Flohr, „Neue Richtungen im jüdischen Denken", in: Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo-Baeck-Instituts v. Michael A. Meyer unter Mitw. v. Michael Brenner, Bd. 3: Umstrittene Integration 1871-1918, v. Steven M. Lowenstein u.a., München 1997, S. 333-355, hier S. 354 f. Goldstein, „Selbstwahrnehmung", S. 126 u. 132; vgl. auch die einführenden Bemerkungen von Elisabeth Albanis, ebd., S. 82 ff. Houston Stewart Chamberlain, Kriegsaufsätze, 7. Aufl. München 1915. Chamberlains Kriegsaufsätze, die inzwischen weithin vergessen sind, verkauften sich noch besser als Sombarts berühmt-berüchtigte Streitschrift Händler und Helden. Allein von der 1915 in München erschienenen ersten Auflage wurden 75.000 Exemplare vertrieben; Lindner, „Chamberlain", S. 215, Anm. 10.

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Im Unterschied zu Sombarts Ausfuhrungen enthielten seine Kriegsaufsätze jedoch einen antisemitischen Subtext. Die Eigenschaften, die Chamberlain den „materialistischen" und „religionsfernen Engländern" andichtete, waren den üblichen antisemitischen Topoi zum Verwechseln ähnlich. Lediglich in einzelnen Nebenbemerkungen wies er darauf hin, daß es auch in Deutschland eine Gesinnung gebe, die der englischen nicht so fern sei. Für den aufmerksamen Leser war die antisemitische Stoßrichtung seiner Kriegspublizistik freilich kein Geheimnis. 44 Der „Abwehrverein" tat sein möglichstes, um Chamberlains eigentliche Intention zu entlarven. Keinem anderen Autor widmeten die „Mitteilungen" vergleichbar viel Raum wie dem fuhrenden Intellektuellen des „Bayreuther Kreises". Nach nicht weniger als 33 Stichworten ordnete beispielsweise das Sachregister dieser Zeitschrift im Jahre 1915 die gegen Chamberlain gerichteten Artikel. Dennoch gewann er im Ersten Weltkrieg an Respektabilität und Breitenwirkung. Wilhelm II. hatte ihm bereits zu Kriegsbeginn das „Eiserne Kreuz am weißen Bande" verliehen, und die Schützengrabenausgabe seiner Kriegsaufsätze kostete bei Abnahme von tausend Exemplaren gerade einmal 13 Pfennig. 45 Die Leser des selbstgewissen völkischen „Propheten" ließen sich durch keine linksliberale Polemik beirren, und im Mai 1916 mußten die „Mitteilungen" darauf hinweisen, daß Chamberlains Kriegsschriften eine Gesamtauflage von „nahezu eine Million Exemplare[n] erreicht [haben]". 46 Unverdrossen, aber erfolglos hatte man mit rationalen Mitteln Chamberlains Weltanschauung attackiert, an seinen Texten sachliche Fehler, inkorrekte Zitate und allzu kühne Verallgemeinerungen moniert. Mit der Zeit wurde allerdings auch der Ton der Abwehrliteratur schärfer. So argumentierte der Leitartikel der MVAA vom 14. Juni 1916 ad hominem und verwies auf die Diskrepanz zwischen Chamberlains Herkunft und seiner plakativen Liebe zum Germanentum. 47 Und Joseph Lehmann machte in seinem polemischen Essay „Chamberlain-Dämmerung" die Leser der Zeitschrift „Im deutschen Reich" eindringlich auf die Gedankensprünge und Übertreibungen des gebildeten Autodidakten auf-

44

Zu Chamberlains VeröfFentlichungsstrategie: Ebd., S. 219 f.; zum ideologischen Kontext seiner Weltkriegsschriften: Stark, Entrepeneurs, S. 126-132. Verharmlosend: Lübbe, Philosophie, S. 215, der in Chamberlains Kriegspublizistik ein ,,[e]her lächerliches als erschreckendes Seitenstück zu Sombarts Extremismus" sieht.

45

Zur Ordensvergabe vgl. den Artikel „Der Fall Chamberlain", in: M V A A Nr. 24 vom 1. Dezember 1915, S. 125; den ausgezeichnet organisierten Vertrieb der Kriegsaufsätze betont: Lindner, „Chamberlain", S. 228.

46

Art. „Unbelehrbare Illusionisten", in: M V A A Nr. 10 vom 17. Mai 1916, S. 73 f., hierS. 73.

47

Art. „Chamberlain - der Ueberdeutsche", in: M V A A Nr. 12 vom 14. Juni 1916, S. 93 f.

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merksam. 48 Dennoch zeigte sich in der relativ passiven Reaktion auf die kühnen Volten Chamberlains das prinzipielle Problem der Abwehrliteratur, die eigene Auffassung vom Judentum nicht hinreichend zu entfalten. Obwohl bissige Ironie zu den häufigsten Stilmitteln der linksliberalen Autoren gehörte, 49 gerieten sie gelegentlich sogar ins Schlepptau der Chamberlainschen Argumentation. Beispielsweise hatte er in der überarbeiteten Fassung seiner Kriegsaufsätze, zu der ihn die Einsprüche der Zensur genötigt hatten, die These von der jüdischen „Unterwanderung" der Pariser und Londoner Presse aufgestellt und auf den paradigmatischen Charakter von Lissauers „Haßgesang" hingewiesen. 50 Die Redaktion der MVAA veranlaßte daraufhin eine aufwendige Recherche, welche diese kühne Behauptung auf ihren empirischen Kern überprüfte, und kam zu dem wenig überraschenden Ergebnis, daß es sich bei Chamberlains Aussagen um haltlose Übertreibungen handle. Dies gab jedoch dem völkischen Publizisten nicht nur die Möglichkeit zu einer weiteren Unterstellung hinsichtlich des massiven Einflusses Kölner und Frankfurter Journalisten auf ausländische Zeitungen. Es ließ auch die Möglichkeit ungenutzt, Lissauers Patriotismus gegen antisemitische Invektiven in Schutz zu nehmen. Letztlich konnte man auf Seiten des „Abwehrvereins" den ungeheuren Erfolg von Chamberlains Weltkriegsschriften nicht erklären. Man bekämpfte seine haßerfüllten Produkte mit aufklärerischen Mitteln und stellte zu wenig in Rechnung, daß bereits seine Grundlagen des 19. Jahrhunderts jede Diskussion obsolet machten. Überdies erfuhr Chamberlains „Erlösungsantisemitismus" im Ersten Weltkrieg eine tiefgreifende Wandlung. Stand bis dahin die „Erlösung des arischen Christentums [...] durch die Beseitigung des Juden" 51 im Mittelpunkt seines antisemitischen Weltbildes, ging es nun um die Feinde des deutschen Volkes. Dies stellte nicht nur den Letztwertcharakter der Nation im totalitär gewordenen „Krieg der Geister" in Rechnung, es begünstigte auch eine „Fremdengesetzgebung", 48

IDR 23 (1917), S. 3 8 5 - 3 8 9 . Vgl. auch Lehmanns Artikel „Die Rassen-Legende" (IDR 23 [1917], S. 144-149, hier S. 147), der Chamberlain als „Zaungast der Wissenschaft" zu verspotten sucht.

49

Exemplarisch: Theodor Wolff, „Houston Stewart Chamberlain", in: BT Nr. 421 vom 19. August 1918.

50

Houston Stewart Chamberlain, „Grundstimmungen in England und in Frankreich", in: Ders., Neue Kriegsaufsätze, München 1915, S. 7 - 2 9 , hier S. 8. In seiner lediglich prima facie um Gerechtigkeit bemühten Darstellung bedient sich Chamberlain skrupellos antisemitischer Topoi. Vordergründig wird Lissauer zwar attestiert ein „wackerer Deutscher" zu sein, jedoch gleichzeitig betont, daß er einem Volk angehört, „das - im Gegensatz zum deutschen von jeher den Haß als eine Haupteigenschaft großgezogen hat". - Zum Folgenden vgl. Lindner, „Chamberlain", S. 222 f.

51

Dazu brillant: Friedländer, Drittes Reich, S. 102-105, der allerdings die Veränderung des „Erlösungsantisemitismus" im Ersten Weltkrieg eher nachrangig behandelt.

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wie sie von jeher zu den Zielen des politischen Antisemitismus gehört hatte. 52 Unzweifelhaft haftete dem Politikverständnis des „Abwehrvereins" etwas Anachronistisches an. Im aufgeheizten Meinungsklima des Ersten Weltkrieges zählte die Auflagenhöhe einer Zeitschrift mehr als die in ihr vorgebrachten Argumente, und die M V A A konnten nie mehr als zehntausend Abonnenten auf sich vereinen. 5 3 Propaganda trat an die Stelle inhaltlicher Auseinandersetzung, und mit dem Hinweis auf die mangelnde Bibelfestigkeit oder fehlende intellektuelle Redlichkeit antisemitischer Autoren ließen sich auf dem politischen Massenmarkt keine neuen Anhänger gewinnen. Hinzu kam, daß man auf Seiten des „Abwehrvereins" nicht genügend sprachliche Sensibilität und argumentative Schärfe bei der Ablehnung rassischer Denkfiguren an den Tag legte. Indem antisemitische Texte mit größter Selbstverständlichkeit ausfuhrlich zitiert wurden, trug man - ungeachtet aller Kritik - ungewollt zur Verbreitung judenfeindlicher Stereotypen bei. Hellsichtig für den Zynismus völkisch-antisemitischer „Argumentation" war hingegen der zionistische Patriot Felix Theilhaber. Prägnant charakterisierte er die Doppelmoral, mit der antisemitische Vorurteile öffentlich verfochten wurden: „In Deutschland verbrennt man den Juden, weil er nicht chauvinistisch genug ist, und den ausländischen Juden stempelt man hier zum Kriegshetzer, damit man wieder die Psychologie des deutschen Juden, die ähnlich sein soll, als minderwertig stempeln kann." 5 4 Gleichwohl schlug Chamberlain in kulturzionistischen Kreisen ein gewisses Interesse entgegen. Dies gilt insbesondere für die Anhänger des Prager „Bar Kochba", die mit Buber eine völkische Definition jüdischer Authentizität favorisierten. Bereits 1910 hatte Leo Herrmann kategorisch erklärt: „Die Zeit ist längst vorbei, die dem Antisemitismus ratlos gegenüberstand, verzweifelte Gesten der Abwehr machte

Zur religiösen „Aufladung" der Nation vgl. Isaiah Berlin, Der Nationalismus. Mit einer Einf. v. Henning Ritter, Frankfurt am Main 1990, bes. S. 55 ff., und Peter Walkenhorst, „Nationalismus als .politische Religion'? Zur religiösen Dimension nationalistischer Ideologie im Kaiserreich", in: Olaf Blaschke u. Frank-Michael Kuhlemann (Hgg.), Religion im Kaiserreich. Milieus - Mentalitäten - Krisen, Gütersloh 1996, S. 5 0 3 - 5 2 9 . Vgl. Lindner, „Chamberlain", S. 235 f. Felix A. Theilhaber, „Freideutsche Jugend - Wissenschaft und Judenthum", in: Jüdische Monatshefte für Turnen u[nd] Sport. 4. Kriegsnummer (Juli 1918), S. 13-17, hier S. 16.

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und auch die Zeit, die den Antisemitismus als die triftigste Begründung des Zionismus anzuführen wußte." 55 Von vorrangiger Bedeutung sei es vielmehr, ein eigenständiges jüdisches Weltbild zu entwickeln. In der Folge stellt Herrmann in einer groben Dichotomie arisches und jüdisches Denken einander gegenüber. Insbesondere im Bereich der Religion seien beide Weltanschauungen vollständig inkompatibel. 56 Erst der Erfolg der jüdischen Assimilation habe diese Unterscheidungen verwischt, und deshalb gelte es sogar, den Antisemiten dafür dankbar zu sein, daß sie den jüdischen Stolz erneut geweckt hätten. Natürlich war dieses Lob des Antisemitismus primär strategischer Natur und richtete sich in erster Linie gegen die „Assimilationsideologie" des CV, gleichwohl beinhaltete es auch eine gefährliche Unterschätzung rassischer Ideologeme. In letzter Konsequenz führte Herrmanns völkische Argumentation zu einem „Polytheismus der Werte" (Max Weber), der antisemitisches Verhalten zumindest partiell und temporär gerechtfertigt erscheinen ließ. Die ideologischen Potentiale des „Erlösungsantisemitismus", in dessen teleologischer Geschichtsmetaphysik die Juden allenfalls ein geduldetes Volk waren, blieben hingegen weitgehend unerkannt. Im Ersten Weltkrieg litt die zionistische Reaktion auf die antisemitischen Hetzkampagnen am Verständnis, das man generell völkischen Weltbildern entgegenbrachte. Politische Fragen, bei denen es eigentlich kein Entgegenkommen geben durfte, wurden aus diesem Grund zum Gegenstand der ideologischen Standortbestimmung. Selbst ein nüchterner Kopf wie Kurt Blumenfeld fuhr in der direkten Auseinandersetzung mit dem innerjüdischen politischen Gegner schwere rhetorische Geschütze auf. Im Juli 1915 veröffentlichte die „Jüdische Rundschau" einen Artikel, der die liberaljüdische Abwehrstrategien gegen den Antisemitismus als prinzipiell verfehlt brandmarkte: „Nie ist ein Kampf mit schlechteren Mitteln geführt worden, als der sogenannte Kampf gegen den Antisemitismus. Er ist

Leo Herrmann, „Vom Antisemitismus", in: Zionistische Briefe, hg. vom Verein Bar Kochba Prag, Dezember 1910, S. 8 - 1 2 , hier S. 8; zit. nach dem Exemplar im Nachlaß Herrmanns (CZA Jerusalem A 145/257). - Allgemein zur zionistischen Einschätzung des Antisemitismus: Jehuda Reinharz, „The Zionist Response to Antisemitism in Germany", in: LBIYB 30 (1985), S. 105-140, bes. S. 1 0 6 - 1 1 0 . Herrmann, „Antisemitismus", S. 9 f., heißt es etwa apodiktisch: „Die Germanen, die eben noch ihren Wotan und Thor und die heilige Eiche gehabt hatten, konnten den abstrakten, absoluten Gottesbegriff, die Idee eines Gottes, der nichts ist als das regelnde Prinzip allen Geschehens und das Ideal jeglicher Vollkommenheit nicht fassen und - unwillkürlich - wurde der abstrakte Gottesbegriff versinnlicht und verlor sein charakteristisches Merkmal."

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in Wahrheit nichts anderes als ein Kampf gegen den Semitismus gegen die jüdische Eigenart der Juden selbst." 57 Dies bedeutete allerdings auch, daß völkisch-antisemitische Anschauungen in nicht unerheblichem Maß das zionistische Selbstverständnis prägten. Nicht ,,[f]eige Mimikry", sondern die kämpferische Behauptung jüdischen Volkstums galt im Weltkrieg als Gebot der Stunde. 58 In der Selbstverachtung des liberalen Judentums erblickte man eine zentrale Ursache für den Bedeutungszuwachs des Antisemitismus und empfahl, ihm mit ungebrochenem Vertrauen in die eigenen Kräfte entgegenzutreten. Dies ging einher mit einer jugendbewegten Selbststilisierung zum ritterlichen Streiter für die Rechte der jüdischen Gemeinschaft, dem der Respekt der Gegenseite gewiß sei. 59 Noch schärfere Töne schlug Leo Herrmann in seinem Artikel „Kredo der Assimilanten" an, der sich gegen die gönnerhafte Bewertung der ostjüdischen Kultur im liberalen Judentum richtete. Er ging so weit, den „Bejahern des Assimilationsprinzips", wie Ludwig Geiger oder Martin Philippson, zur Überprüfung ihrer Lebenseinstellung, „die Verpflanzung ins botokudische Erdreich" zu empfehlen. 60 Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, daß dem völkischen Publizisten Max Hildebert Boehm die Sympathien der jungen zionistischen Generation entgegenschlugen, die seinen Antisemitismus als Quantité négligeable behandelten. 61 Die durch den Antisemitismus verschärften Identitätsprobleme beschränkten sich freilich nicht auf die Anhänger des Zionismus, sondern waren auch im liberalen Judentum weit verbreitet. Insbesondere für die jüngere Generation, die an der Front ihren Dienst leistete, stellte sich die Frage nach dem Kern jüdischer Existenz mit hoher Dringlichkeit. Dies läßt sich am Beispiel eines Textes von Julius Fürst illustrieren, der als Königsberger Student und Mitglied des dortigen Wandervogels im August 1914 zu den Fahnen geeilt und bis zum Leutnant avanciert war. Das ,„Jude' und Jude" betitelte Manuskript thematisierte die verschiedenen Möglichkeiten jüdischen Selbstverständnisses. Fürsts Argumentation wandte sich gegen die zeitgenössisch weitverbreitete Reduzierung des Ju57

Maarabi, „Antisemitismus", in: JR Nr. 30 vom 23. Juli 1915, S. 239 f., hier S. 240. Ausfuhrlicher zum historischen Kontext: Jürgen Matthäus, „Deutschtum and Judentum under Fire. The Impact of the First World War on the Strategies of the Centraiverein and the Zionistische Vereinigung", in: LBIYB 33 (1988), S. 129-147, hier S. 136 f.

58

Maarabi, „Antisemitismus", S. 240. Vgl. ferner, ebd., die polemische Aussage: „Daß die Juden ein Volk sind, durfte beileibe niemand erfahren." In diesem Sinne heißt es, ebd., pathetisch: „Tief deutsch empfindende Männer fühlen, daß wir die ersten Juden sind, mit denen sie aufrichtig und männlich sprechen können." JRNr. 2 vom 14. Januar 1916, S. 9 f., hier S. 10. Dazu eingehend unten Kap. 5.4.

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dentums auf zwei Typen: den „zionistische^] Ostjude[n]" und den „entwurzelte^] Westjude[n]". 62 Insbesondere in der jugendbewegten Literatur drohe permanent die Überbewertung schablonenhafter und zumeist pejorativer Stereotypen. Infolgedessen übersehe man das Offensichtliche, die übergroße Vaterlandsliebe des deutschen Judentums. Denn bei allen Möglichkeiten jüdischer Selbstentfaltung, „was triebe einen Juden zum Deutschtum, wenn - er nicht deutsch wäre!" Wie viele akkulturierte Juden favorisierte Fürst eine lamarckistische Weltsicht, wonach erworbene Eigenschaften ohne substantielle Veränderungen weitervererbt werden. Deshalb war er davon überzeugt, daß der dritte jüdische Typus, ,,[d]er Jude von bodenständigem Deutschtum" nur in mitteleuropäischen Breiten beheimatet sein könne. 63 Ja, er vertrat sogar die Ansicht, daß ein auf eine einsame Insel verbannter deutscher Jude sich eher für „irgend einen beliebigen Deutschen" als Gesellschaft entscheide als für „einen Juden aus fremden Ländern". 64 Doch bei aller völkischen Zuspitzung seiner Argumentation zielte Fürst letztlich auf Verständigung und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, daß Antisemiten und Juden die Menschen nicht mit ihren „Vorstellungsformen" verwechselten. Dies war ebenso großherzig wie naiv und zeigte wenig Vertrautheit mit antisemitischen Wertschätzungen und Reaktionsmustern. So äußerte sich ein gleichfalls im Wandervogel organisierter Leutnant absprechend zu Fürsts Ideen. Antisemitische Hetze übernehmend, verwies er darauf, daß die Juden in diesem Krieg „ganz unverhältnismässig [...] geschont" werden würden. 65 Und sogar das von ihm selbst vorgebrachte „Argument", daß es auch anständige Juden, nämlich auf ihre Abstammung stolze Zionisten, gebe, wollte er nicht recht gelten lassen: „Es liegt hierin eine masslose Ungerechtigkeit gegen das einzelne Individuum. Aber es geht nun einmal nicht ohne Ungerechtigkeit in der Gesellschaft ab, und sie ist das einzige wirksame Abwehrmittel gegen die zähe jüdische Rasse, die ihre Widerstandskraft nur durch die unglückselige Verquickung von Rasse und Religion so unverhältnismässig lange hat bewahren können." 66 62

Julius Fürst, ,„Jude' und Jude", S. 3; LBI N e w York ME 163. Ebd., S. 9, das nächste Zitat.

63

Ebd., S. 11. Der bekannteste Lamarckist jener Jahre war vielleicht Sigmund Freud, der im Zusammenhang mit der Diskussion über sein Judentum immer wieder auf Vererbungsfragen zu sprechen kam. Dazu detailliert: Peter Gay, Freud. Eine Biographie für unsere Zeit, 2. Aufl. Frankfurt am Main 1989, S. 6 7 5 - 6 7 9 , und passim, sowie mit stark kritischem Unterton: Sander L. Gilman, Freud, Race, and Gender, Princeton 1993, S. 70 ff.

64

Julius Fürst, ,„Jude' und Jude", S. 14; ebd., S. 15, das nächste Zitat. Nicht näher gekennzeichnetes Manuskript, LBI N e w York ME 163, hier S. 2. Ebd., S. 3.

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Dagegen war nun in der Tat mit Vernunftgründen nicht mehr zu streiten; doch trotz der massiven antisemitischen Strömungen im Wandervogel setzte Fürst seine Überzeugungsarbeit fort. In einem langen Feldpostbrief stellte er den Daheimgebliebenen seine Situation an der Front dar. In jugendbewegter Diktion schilderte er, wie wichtig es sei, das eigene Schicksal ohne Murren zu tragen, und erinnerte pathetisch daran, daß nur die Tapferen ein positives Verhältnis zum Krieg bewahren könnten. 6 7 Für die Beschreibung des militärischen Antisemitismus hatten die heimischen „Wandervögel" freilich kein Verständnis; denn in ihren Leserbriefen bemängelten sie primär die übertriebene Empfindlichkeit des jüdischen Offiziers. 68 Zwar finden sich in der „Wandervogel-Führerzeitung" auch gelegentlich kritische Klänge zur Sturzflut antisemitischer Literatur. Doch änderte dies nichts an der generellen Akzeptanz rassischer Werte, mit deren Hilfe seit Kriegsbeginn die Überlegenheit des deutschen Volkes unterstrichen wurde. Beispielsweise empfahl Dankwart Gerlach „zu wirklich gediegenem Erfassen der Sache" die „Ostara-Hefte" eines Lanz von Liebenfels. 6 9 Und Paul Baumert echauffierte sich so sehr darüber, daß eine wandernde Gruppe des „Blau-Weiß" den eigenen „Heil-Gruß" mit „Schalom" erwidert hatte, daß er auf der Stirn der Vorbeiziehenden „das Kainszeichen des ewig Friedlosen, Heimatlosen" zu erkennen meinte. 70 Antisemitische Werturteile erhielten im Ersten Weltkrieg nicht nur eine höhere Plausibilität, sondern eine geradezu ubiquitäre intellektuelle Wirkung. Keine der großen Debatten, an denen jüdische Denker teilnahmen, war frei von judenfeindlichen „Untertönen". Bisweilen waren die antisemitischen Konnotate so stark, daß die Diskussion beinahe vollständig von ihnen bestimmt wurde. Dies gilt etwa für die Auseinandersetzung, ob Juden in der Lage seien, einen „urdeutschen" Philosophen wie Fichte „wirklich" zu verstehen. Hierbei handelt es sich nicht um eine geisteshistorische Marginalie; denn Zionisten und liberale Juden stimmten in

67

Julius Fürst, „Zum Auszug. Ein Feldbrief', in: Das Reich 1 (1916), S. 2 8 2 - 2 8 5 .

68

Die Leserbriefe erschienen in der „Führerzeitung für die deutschen Wandervogelführer", H. 4, April 1916 u. H. 5/6, Juni 1916; sie finden sich: LBI N e w York ME 163. Dankwart Gerlach, „Etwas zur Rassenfrage. Gleichzeitig Buchbesprechung", in: Wandervogel-Führerzeitung 4 (1916), S. 8 8 - 9 1 , hier S. 90. Zu Lanz von Liebenfels und seinen obskuren „Ostara-Heften" vgl. Hamann, Hitlers Wien, S. 3 0 8 319. Paul Baumert, „Schalom", in: Wandervogel-Führerzeitung 4 (1916), S. 116 f. — Allgemein zum Antisemitismus der Jugendbewegung: Andreas Winnecken, Ein Fall von Antisemitismus. Zur Geschichte und Pathogenese der deutschen Jugendbewegung vor dem Ersten Weltkrieg, Köln 1991. Angesichts der vielfältigen organisatorischen wie ideologischen Querverbindungen zur „völkischen Bewegung" im Ersten Weltkrieg wäre eine eigenständige Abhandlung zu diesem Thema verdienstvoll.

69

70

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ihrer Hochachtung Fichtes überein, der neben Kant und Nietzsche zu den am häufigsten beschworenen Philosophen während des Krieges gehörte. Im Juli 1916 wurden in der alldeutschen Zeitung „Der Panther" Auszüge eines Aufsatzes veröffentlicht, der den nüchternen Titel „Zum Begriff der Nation" trug und in Kürze erscheinen sollte. Er stammte aus der Feder Bruno Bauchs, von Amts wegen Philosophieprofessor in Jena und Redakteur der angesehenen „Kant-Studien", deren Auflagenhöhe von keiner anderen zeitgenössischen philosophischen Zeitschrift erreicht wurde. 71 Von akademischer Zurückhaltung ist in Bauchs Abhandlung freilich wenig zu spüren, die sich nur prima facie mit Fichtes Nationsbegriff auseinandersetzt. Der Sache nach handelt es sich um eine Attacke auf den Jüdischen Neukantianismus" Marburger Provenienz, ja um die generelle Denunziation des jüdischen Beitrags zur deutschen Geistesgeschichte, der mit dem abwertenden Epitheton „ausländisch" versehen wird. 72 Die Auseinandersetzung um Bauchs öffentliche Verlautbarungen nahm bald ungewöhnliche Formen an. Jüdische Mitglieder erklärten ihren Austritt aus der „Kant-Gesellschaft", und die großen linksliberalen Zeitungen kritisierten Bauchs Verhalten als menschliche Entgleisung. Ernst Cassirer verfaßte einen Artikel „Zum Begriff der Nation", der sich im Namen Cohens und der „Marburger Schule" ausdrücklich gegen jede exklusivvölkische Vereinnahmung der Fichteschen Philosophie richtete. Dezidiert bestritt der Berliner Privatdozent die Geltung antisemitischer Prämissen im Bereich der Wissenschaft und beurteilte die Unterscheidung zwischen Jüdischer" und „deutscher" Logik als gänzlich absurd. 73 Hans Vaihinger, der Gründer und Leiter der „Kant-Gesellschaft", versuchte nach Kräften, den Konflikt zu kalmieren, doch die Verhandlungen erwiesen sich als ,,[s]türmisch und überaus schwierig". 74 Sie scheiterten vor allem an der Intransigenz Bauchs, der lieber die Redaktionsgeschäfte niederlegte, als eine öffentliche Entschuldigung abzugeben. Seinem Jenaer Kollegen Rudolf Eucken teilte er am 29. Juli 1917 brieflich mit, daß die Presseberichterstattung auf eine Intrige jüdischer Kreise zurückgehe. Hinsichtlich der zu erwartenden Reaktionen auf seine Rücktrittserklärung 71

Bruno Bauch, „Vom Begriff der Nation. (Ein Kapitel zur Geschichtsphilosophie.) Vortrag gehalten in der Staatswissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena", in: KantStudien 21 (1917), S. 139-162. Der auszugsweise Abdruck erschien: Der Panther 4 (1916), S. 9 1 7 - 9 2 1 . - Zum Folgenden ausführlich: Ulrich Sieg, „Deutsche Kulturgeschichte und jüdischer Geist. Ernst Cassirers Auseinandersetzung mit der völkischen Philosophie Bruno Bauchs. Ein unbekanntes Manuskript", in: BLBI 3 4 ( 1 9 9 1 ) , S. 5 9 - 9 1 .

72

Vgl. Bauch, „ B e g r i f f , S. 147. Hierbei ist mitzubedenken, daß dies nicht nur die Leitidee jüdischer Emanzipation bestritt, sondern im „Krieg der Geister" auch einen Angriff von großer Schärfe darstellte.

73

Vgl. Sieg, „Kulturgeschichte", S. 65 f. So Hans Vaihinger in seinem Brief an Julius Bab vom 27. November 1916; LBI N e w York AR 196, Nr. 5.

74

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äußerte er ebenso selbstgerecht wie larmoyant: „Ich halte mich für alle Kläglichkeiten bereit." 75 Tatsächlich sorgte Bauch, der das böse und häufig kolportierte Wort von der ,jüdische[n] Oberzensurbehörde" in die Welt gesetzt hatte, für die Dauerwirkung der Auseinandersetzung. 76 Zusammen mit dem befreundeten Neoidealisten Max Wundt gründete er Pfingsten 1917 in Weimar die „Deutsche Philosophische Gesellschaft". Sie richtete sich gegen die angebliche „Übermacht" der Juden im deutschen Geistesleben und betonte den Primat des Nationsprinzips für die Lösung der philosophischen Gegenwartsaufgaben. 77 Als Dachorganisation völkischer Strömungen gewann die Vereinigung nach dem verlorenen Krieg erheblich an Bedeutung und wurde nach 1933 fachintern tonangebend. Die Bedeutung des Ersten Weltkrieges für die Geschichte des Antisemitismus kann schwerlich überschätzt werden. Er führte zu einer Schematisierung der Wahrnehmung und einer Brutalisierung des Verhaltens, welche die Propagierung antisemitischer Stereotypen nachhaltig begünstigte. Keineswegs alle können im Rahmen dieser Studie eingehend analysiert werden. Zutreffend weist George Mosse auf die Stigmatisierung der Juden als „altes Volk" im Rahmen des Helden- und Gefallenenkults hin. 78 Vermutlich noch gravierender war die Diffamierung der Juden als „Agenten der Revolution". Die prominente Beteiligung von Juden an der Russischen Revolution und ihre überproportionale Mitwirkung an der deutschen Novemberrevolution war ebenso „sichtbar" wie für politische Zwecke instrumentalisierbar. Die meisten jüdischen Intellektuellen erkannten die qualitative Veränderung, die der Antisemitismus im Ersten Weltkrieg erfahren hatte, nicht mit hinreichender Schärfe. Im Umfeld des CV favorisierte man nach wie vor aufklärerische Broschüren, welche die Wahrheit über den jüdischen Patriotismus erweisen sollten. Martin Buber weigerte sich noch zu Beginn der Weimarer Republik, die antisemitische Propaganda ernst zu nehmen. Am 12. August 1919 schrieb er der bekannten Düsseldorfer Theaterleiterin Louise Dumont-Lindemann beschwichtigend: „Die Judenhetze geht mir wie all das trübe Gewoge dieses Augenblicks nicht sehr nahe. Auf Exzesse bin ich gefaßt, sie gehören sozusagen mit hinein; aber nach einem Endkampf 75

ThULB Jena, Eucken.

76

Bruno Bauch, „Mein Rücktritt von den ,Kant-Studien'. Eine Antwort auf viele Fragen", in: Der Panther 5 (1917), S. 148-154, hier S. 151.

77

Vgl. als kritischen zeitgenössischen Kommentar den Artikel „Der Streit in der Kant-Gesellschaft", in: M V A A N r . 10 vom 16. Mai 1917, S. 78 ff. Eine instruktive Analyse der ideengeschichtlichen Zusammenhänge bietet: Hans Sluga, Heidegger 's Crisis. Philosophy and Politics in Nazi Germany, Cambridge, Mass. u. London 1995, S. 7 5 - 8 5 . George Mosse, Jews, S. 22 f.; vgl. auch ders., Vaterland, S. 92 ff.

78

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sieht es mir nicht aus - der Name dieses Moments ist ,Hin und Her'." 79 Dies war keine unzutreffende Beurteilung der politischen Situation, aber es unterschätzte die kulturelle Bedeutung, welche die neuen antisemitischen Stereotypen gewonnen hatten, erheblich. Die vielleicht hellsichtigste Stellungnahme zur katastrophalen Bedeutung des Ersten Weltkrieges stammt aus der Feder Jakob Wassermanns. Der desillusionierte Schriftsteller vermied eine unangemessene Theoretisierung seines Gegenstands und betonte nachdrücklich den Verlust „humaner Standards", den der Krieg mit sich gebracht habe. In seiner Charakterisierung der vorherrschenden Stimmungslage griff er auf eine Parabel aus Dostojewskis Roman Schuld und Sühne zurück, in der ein abgemergeltes Pferd vor den Augen einer untätigen Volksmenge von einem betrunkenen, jähzornigen Kutscher zu Tode gepeitscht wird. Schroff wendet sich Wassermann mit diesem Gleichnis gegen apologetische Denkfiguren jedweder Art und gegen die verbreitete politische Indolenz: „Erwidert mir dann einer: der Gaul ist störrisch, der Gaul ist tückisch, der Gaul will bloß die Aufmerksamkeit auf sich lenken, es ist ein gutgenährter Gaul, und der Wagen ist mit Stroh beladen, so sage ich ihm: das können wir nachher untersuchen; vor allem reißt dem Wüterich die Peitsche aus der Hand."80 Dies waren wehrhafte und mutige Worte, von denen Wassermann freilich wußte, daß sie nur wenige Menschen erreichen würden. Überdies verdeutlichte seine Schrift, wie haßerfüllt der Antisemitismus in den ersten Jahren nach dem „Großen Krieg" war. Nicht nur aufklärerische Argumente, sondern auch die Grundprinzipien christlichen Glaubens lehnten überzeugte Antisemiten nun kategorisch und mit „gutem völkischen Gewissen" ab.81 Ähnliche ideologische Verwerfungen und politische Fraktionierungen zeigten sich bei der sogenannten Ostjudenfrage, die im Ersten Weltkrieg mit großer Heftigkeit debattiert worden war.

79

Buber, Briefwechsel,

80

Wassermann, Weg, S. 125. Die Parabel vom zu Tode geprügelten Pferd findet

81

Vgl. ebd., S. 122, die bitteren Worte: „Es ist vergeblich, die rechte Wange hinzu-

Bd. 2, S. 53.

sich in Schuld und Sühne, Teil 1, Kap. V. halten, wenn die linke geschlagen worden ist. Es macht sie nicht im mindesten bedenklich, es rührt sie nicht, es entwaffnet sie nicht: sie schlagen auch die rechte."

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5.2. Verherrlichung des Ostjudentums Neuere Werke zur ostjüdischen Geschichte geben der kulturellen Dimension ihres Themas breiten Raum. 82 Sie reflektieren damit die Tatsache, daß das Ostjudentum schon für die Zeitgenossen ein emotional besetztes und vielfältig konnotiertes Thema gewesen ist. Insbesondere im jüdischen Bürgertum herrschten beträchtliche Ängste vor den „armen Brüdern aus dem Osten", von denen auch herausragende Intellektuelle sich nicht freizumachen verstanden. Georg Simmeis nachgerade klassische Definition des Fremden als „Gast, der bleibt", spiegelt nicht nur den Homogenitätsdruck der wilhelminischen Gesellschaft. 83 Sie illustriert auch den Erfolg eines Wahrnehmungsmusters, das alles Unbekannte in ein schillerndes Licht tauchte und von psychischen Ambivalenzen gegenüber dem „Fremden" niemals frei war. Obwohl Simmel das Fremdsein als „eine ganze positive Beziehung, eine besondere Wechselwirkungsform" zu bejahen suchte, präferierte er doch stark wertende Begriffspaare, die etwa apodiktisch zwischen „Händlern" und „Bodenbesitzern" unterschieden. Auch für das Weltbild überzeugter Antisemiten waren derlei dichotomische Gegenüberstellungen konstitutiv. Zugleich gehörten sie zum polemischen Arsenal, mit dem die ostjüdischen Wurzeln des angeblich nur oberflächlich assimilierten jüdischen Bürgertums nachgewiesen werden sollten. Bis in die populäre Druckgraphik hinein hatten sich negative Stereotypen über die Ostjuden festgesetzt, die deren Unsauberkeit, Religionsferne und skrupellose Geschäftstüchtigkeit unterstrichen. 84 Auf der anderen Seite war es zionistischen Intellektuellen schon vor 1914 gelungen, eine positive Einstellung gegenüber dem Ostjudentum zu gewinnen. Man verherrlichte es als Inbegriff jüdischer Identität, als Ausdruck jüdischer Schönheit oder als Quelle jüdischer Religiosität. 85 Das Schematische dieser Sichtweise läßt bereits der unreflektierte Gebrauch 82

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84

85

Erinnert sei an Aschheim, Brothers and Strangers; Trude Maurer, Ostjuden in Deutschland 1918-1933, Hamburg 1986, und Wertheimer, Strangers. Der populäre Überblick von Heiko Haumann Geschichte der Ostjuden (2. Aufl. München 1990) steht sogar ganz im Zeichen von „Kultur" und „Lebenswelt". Georg Simmel, „Exkurs über den Fremden", in: Ders., Soziologie. Untersuchung über die Formen der Vergesellschaftung, Leipzig 1908, S. 509-512, dort auch das folgende Zitat. Aus der reichen Literatur sei nur der anschauliche Beitrag von Michaela Haibl „Vom ,Ostjuden' zum ,Bankier'. Zur visuellen Genese zweier Judenstereotypen in populären Witzblättern" (Jahrbuch für Antisemitismusforschung 6 [1997], S. 44-91) genannt. - Zu Simmeis fragiler jüdischer Identität vgl. Klaus Christian Köhnke, „Georg Simmel als Jude", in: Juden in der Soziologie. Eine öffentliche Vortragsreihe an der Universität Konstanz mit Beiträgen von Reinhard Bendix u.a., hg. v. Erhard R. Wien, Konstanz 1989, S. 175-193. Eingehend dazu: Mendes-Flohr, „Fin-de-Si6cle Orientalism".

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des Terminus „Ostjudentum" erkennen, der die kulturellen Differenzierungen unter den Juden Osteuropas weitgehend unberücksichtigt läßt. Begriffliche Schärfe und detailgenaue Beschreibung waren freilich auch nicht beabsichtigt, diente das Ostjudentum doch vornehmlich als Projektionsfläche für die eigenen politischen und kulturellen Zielvorstellungen und Wünsche. 86 Im Ersten Weltkrieg wurde die „Ostjudenfrage" schon allein aufgrund des Erfolges der deutschen Armee zu einem wichtigen Thema. Bei den Erörterungen über die Zukunft Polens spielte die Situation der polnischen Juden eine nicht zu unterschätzende Rolle. Weite Teile des deutschen Judentums identifizierten sich anfangs mit der militärischen Propaganda, wonach die Befreiung der osteuropäischen Juden vom „zaristischen Joch" zu den vorrangigen deutschen Kriegszielen gehörte. Bereits im August 1914 wies die „Jüdische Rundschau" pointiert daraufhin, daß „unter den Schlägen der russischen Knute eine immer größere Sehnsucht nach nationaler Freiheit erwacht sei", und dachte bei diesen Worten natürlich vorrangig an die osteuropäischen Juden. 87 Und ein so hellsichtiger Journalist wie Theodor Wolff stellte im Sommer 1915 nicht nur den segensreichen Zug deutscher Herrschaft für das Ostjudentum heraus, sondern marginalisierte auch seine eigenen Erfahrungen mit dem Antisemitismus. 88 Zwar leisteten unter der russischen Fahne mehr als zwei Millionen Juden ihren Wehrdienst, doch galt der Zar in Deutschland und Österreich seit den Pogromen von Kischinew als „Erzfeind" des Judentums. Häufig zitierten liberale Juden das Wort von August Bebel, wenn es gegen Rußland gehe, nehme er selbst noch die Flinte in die Hand. 89 In geschichtsphilosophischen Deutungsentwürfen verglich man den Zaren mit dem ägyptischen Pharao, dessen Untergang von Gott beschlossen sei, weil er

86

Hierzu erstmals: Sander L. Gilman, „The Rediscovery of the Eastern Jews. German Jews in the East, 1890-1918", in: David Bronsen (Hg.), Jews and Germans from 1860 to 1933. The Problematic Symbiosis, Heidelberg 1979, S. 3 3 8 - 3 6 7 . Um den Text nicht mit Anfuhrungszeichen zu überlasten, wurde auf die permanente Hervorhebung des Ausdrucks „Ostjudentum" verzichtet. Es ist im folgenden stets mitzubedenken, daß seine Bedeutung im zeitgenössischen Meinungsstreit vom jeweiligen weltanschaulichen Standpunkt abhängig war und deshalb sein „realhistorisches Korrelat" häufig nur unscharf zu bestimmen ist.

87

Art. „Der Zar und seine Juden", in: JR Nr. 33 vom 14. August 1914, S. 345 f. Bis zu einem gewissen Grad war die Verurteilung der zaristischen Autokratie sogar ein Topos des gesamten westeuropäischen Judentums. So kam es unter den britischen Zionisten im August 1914 zu erheblichen Diskussionen, ob und wie sich ein Krieg an der Seite des Zaren rechtfertigen lasse; vgl. Berkowitz, Western Jewry, S. 7 f.

88

B T N r . 363 vom 19. Juli 1915.

89

Dies beschreibt Sammy Gronemann in seinen Erinnerungen, LBI N e w York ME 203, S. 252.

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„den Vernichtungskampf gegen Israel aufgenommen hat". 90 Zugleich diente die Lage der russischen Juden als Beweis für die Gerechtigkeit der „deutschen Sache" und den Erfolg des deutschen Modells der Judenemanzipation. Noch 1917 kontrastierte die Königsberger Schriftstellerin Rosalie Perles die Situation der jüdischen Bevölkerung in beiden Ländern und formulierte selbstgewiß: „Es gibt ja für ein Land keinen genaueren Gradmesser der Kultur als den Zustand seiner Juden." 91 Weit verbreitet war die Vorstellung, daß die Ostjuden nur unfreiwillig in der russischen Armee dienten. Dies scheint keineswegs aus der Luft gegriffen, wenn man überlegt, zu welchen antisemitischen Feindseligkeiten es seitens der zaristischen Soldateska bereits zu Kriegsbeginn in Galizien und Polen kam. Als unmittelbare Folge der Niederlagen bei Tannenberg und den Masurischen Seen wurden seitens der Armeeflihrung über hundert Juden unter dem Verdacht der Spionage hingerichtet. Noch gravierender war die Vertreibung von mehreren hunderttausend Juden, die im Frontgebiet lebten. 92 Bereits am 10. November 1914 bilanzierte Simon Dubnow in seinem Tagebuch: „Der patriotische Aufschwung der ersten Kriegstage ist verflogen und einer Verzweiflung gewichen, die fast an Deutschfreundlichkeit grenzt. Das kann niemand wundern. Die Gewalttätigkeiten der russischen Armee gegen die friedliche jüdische Bevölkerung in Polen und Galizien, deren Männer für das Vaterland bluteten - was konnten sie anderes hervorrufen?" 93 Die Not der osteuropäischen Juden führte im deutschen Judentum zu einer Vielzahl von Organisationsgründungen. Zentrale Bedeutung kam dem „Komitee für den Osten" (KfdO) zu, das im November 1914 aus dem „Deutschen Komitee zur Befreiung der russischen Juden" hervorgegangen war. Im KfdO wirkten jüdische Politiker unterschiedlicher weltanschaulicher Provenienz zusammen, die darin übereinstimmten, daß ein Sieg der Mittelmächte auch den Interessen des Ostjudentums förderlich sei. In ihrer Mehrzahl gehörten sie der älteren Generation an und verkörperten jene Honoratiorenpolitik, die bereits am Vorabend des Ersten Weltkrieges ihren Zenit überschritten hatte. Dennoch verlieh ihr öffentliches Ansehen dem KfdO ein beträchtliches Prestige. Zu den führenden Figuren zählten der Vorsitzende des CV Eugen Fuchs, der Vorsitzende des Verbandes der deutschen Juden Maximilian Horwitz, der Präsident 90

91

92 93

So etwa [Arnold] Tänzer, „Der jüdische Soldat im Osten", in: Bericht der Grossloge für Deutschland VIII U.O.B.B., Nr. 6, Oktober 1915, S. 86 f., hier S. 87. Rosalie Perles, „Jüdische Kriegsgedanken", in: JJGL 20 (1917), S. 149-170, hier S. 168. Angaben nach: Aschheim, Brothers and Strangers, S. 143. Dubnow, Leben, S. 193.

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der B'nai B'rith Logen Berthold Timmendorfer sowie die angesehenen Zionisten Max Bodenheimer und Franz Oppenheimer. Ihr politisches Engagement wurzelte in der Überzeugung, daß „die Juden zuverlässigste Pioniere des Deutschtums im Osten" seien. 94 Daneben kümmerte sich eine Vielzahl sozialer und karitativer Organisationen um die Probleme des Ostjudentums in den Kriegsgebieten, die selbst in den Vereinigten Staaten als drängend galten. So setzte sich der Bankier Jakob H. Schiff als „Vice-chairman of the North American Civic League" nach Kräften dafür ein, russischen Juden die Einwanderung in die USA zu erleichtern. 95 Eine große humanitäre Aufgabe stellten die etwa 30.000 jüdischen Kriegsgefangenen aus Osteuropa dar. Insbesondere die Versorgung der Inhaftierten mit Lesestoff wurde immer wieder debattiert, da man davon ausging, daß ein „anständiger Jude" nicht lange ohne Bücher auskommen könne. In Berlin bildete sich 1917 ein „Ausschuß zur Beschaffung jüdischer und hebräischer Literatur für russische Kriegsgefangene", der den ,,geistige[n] Hunger" bekämpfen wollte und die vielfaltigen organisatorischen Aufgaben zielstrebig in Angriff nahm. 96 Summa summarum bewältigte er sie erfolgreich und veranstaltete sogar diverse Umfragen zum Leseverhalten der Gefangenen. Es stellte sich heraus, daß die drängenden Tagesprobleme häufig durch Lektüre verarbeitet wurden, und deshalb Bücher, die sich mit jüdischer Geschichte beschäftigten, eine besondere Wertschätzung erfuhren. Gleichzeitig las man mit Vorliebe jiddische Schriftsteller, während sich aus der russischen Literatur nur Tolstoi einer gewissen Beliebtheit erfreute. 97 Auch die jüdischen Gefangenenzeitungen belegen, wie intensiv Fragen kultureller Identität debattiert wurden. Dabei spielte die nationale Herkunft für das Selbstverständnis der Inhaftierten

94

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97

So der Nationalökonom Wlad[imir] W. Kaplun-Kogan, Der Krieg. Eine Schicksaisstunde des jüdischen Volkes. Mit einer Karte des jüdischen Ansiedlungsrayons, Bonn 1915, S. 11. Generell zum KfdO und seiner gönnerhaften Einstellung gegenüber den Ostjuden: Aschheim, Brothers and Strangers, S. 1 5 7 - 1 6 0 . Vgl. das Material AJA Cincinnati, Schiff, Box 440, Folder 7. Allgemein galt Schiff als großzügiger Spender und geschickter Organisator, an den sich osteuropäische Juden mit den unterschiedlichsten Sorgen und Nöten wenden konnten. Exemplarisch sei der Brief Alex Landescos an Schiff vom 23. Juni 1917 (AJA Cincinnati, Correspondence File) erwähnt, in dem ausführlich die Sorgen der rumänischen Juden geschildert werden. CAHJP Jerusalem Inv. 149, Nr. 16, undatierte Erklärung über den Zweck des Ausschusses. Zur öffentlichen Wahrnehmung vgl. den Art. „Literatur für jüdische Kriegsgefangene", in: JRNr. 34 vom 24. August 1917, S. 283. Die Lektürevorlieben der Gefangenen erörtert: Trude Maurer, „,Sehr wichtig sind Bücher von der Jüdischen Geschichte'. Zu den Lebensverhältnissen und Lektüreinteressen jüdischer Kriegsgefangener aus dem Russischen Reich (1917/18)", in: TAJB 20 (1991), S. 2 5 9 - 2 8 6 , hier S. 280 f. u. 286.

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eine erhebliche Rolle, was nicht zuletzt verdeutlicht, wie weit die Idee einer homogenen ostjüdischen Kultur von der Realität entfernt war. 98 Die Grenzen des humanitären Engagements für das Ostjudentum zog das Militär. Auf den ersten Blick scheint es, als ob die Ostjuden primär für die Integration der besetzten Gebiete in das Deutsche Reich vorgesehen waren. Doch diese Einschätzung gibt vorrangig die Hoffnungen der betroffenen Bevölkerung wieder. Tatsächlich war die Behandlung der Ostjuden primär von den Erfordernissen der deutschen Polenpolitik bestimmt und hatte sich diesen zu beugen." Obwohl seitens amtlicher Stellen immer wieder die Bedeutung der polnischen Juden herausgestellt wurde, litten sie unter den Folgen der deutschen Okkupation und mußten militärisch bedingte Zwangsmaßnahmen wie die Requirierung von Waren und die Schließung von Geschäften über sich ergehen lassen. In jedem Fall versäumte es die militärische Führung, die diskriminierenden zaristischen Judengesetze außer Kraft zu setzen. 100 Gerade im Offizierskorps bestanden tiefgreifende antisemitische Vorurteile, welche die Beurteilung des Ostjudentums maßgeblich beeinflußten. Im Nachlaß des Generalleutnants Franz von Trotta befindet sich ein auf den 31. August 1917 datiertes Dokument, das die Tätigkeit der Etappeninspektion in Litauen regelt. Es trägt den Vermerk „Geheim!" und sollte vollständig nur unter Offizieren zirkulieren. Ausfuhrlich ist in dem Schriftstück festgehalten, wie hoch man die Bedeutung des Ostjudentums für die Verwaltung der besetzten Gebiete einschätzte. Das in nüchterner Diktion abgefaßte und sachlich konzipierte Dokument bedient sich mit größter Selbstverständlichkeit antisemitischer Stereotypen: „Er [der Ostjude; U.S.] gliedert sich, auch im Gegensatz zu unserem Juden, als Nation in das Völkergemenge ein. Dabei sichert ihm sein hochentwickelter Intellekt, trotz der Verachtung und Gehässigkeit Gleichgestellter, doch einen weitgehenden Einfluß, besonders auf den öffentlichen Handel und einen großen Überblick über die innen- und außenpolitischen Vorgänge." 101 98

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100 101

Ein schönes Beispiel ist das „Gedenkblatt jüdischer Gefangener im Lager Douglas 1917" ( B A M A Freiburg MSG 200/703), in dem Vertreter der verschiedenen jüdischen Gruppen ihr Weltbild in typisierender Vereinfachung darlegen und dabei mit nationalen Abgrenzungen nicht sparen. Noch weiter geht der Rechtsanwalt Hans Block in den Erinnerungen an seine Stationierung 1916/17 in der weißrussischen Stadt Slonim: „Die vom Zarismus bedrückten Juden sahen in den Deutschen ihre Befreier - ein tragisches Missverständnis, denn für die Militärs waren sie nichts weiter als eine feindliche Zivilbevölkerung" (LBI N e w York ME 63, S. 2). Zur funktionalistischen Ausrichtung der militärischen „Ostjudenpolitik": Aschheim, Brothers and Strangers, S. 179. Vgl. Zechlin, Politik, S. 278 f. B A M A Freiburg N 234/7, „Aufzeichnungen aus der Tätigkeit in der Etappeninspektion mit der 10. Armee 1917, 2. Heft", fol. 9. Zum historischen Kontext vgl.

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Die ansässigen Juden werden als geheime Geldquelle für das „Oberkommando Ost" ebenso ins Auge gefaßt wie als potentielle Dolmetscher und Zuträger für den Nachrichtendienst. Ausdrücklich warnt man jedoch angesichts der Ressentiments der übrigen Bevölkerung vor dem ,JSchein einer besonderen Vergünstigung [...], umsomehr als der Jude geneigt ist, jeden derartigen Fehlgriff zu seinem Vorteil auszubeuten".102 Die Bedrohungsängste, die in solchen Dokumenten spürbar sind, fanden ihren politischen Ausdruck bei der Diskussion um die „Grenzsperre". Die Frage, ob und in welchem Umfang man Ostjuden den Zuzug ins Deutsche Reich gestatten sollte, war hochgradig umstritten und ideologisch aufgeladen. Eine vergleichsweise geringe Rolle spielte hingegen das konkrete Wohlergehen der mehr als 30.000 polnischen Juden, die im Bergbau und in der kriegswichtigen Industrie unter miserablen Arbeitsbedingungen eingesetzt wurden. Auf antisemitischer Seite hatte man bereits kurz nach Kriegsbeginn die Initiative ergriffen und in einer Vielzahl von Flugschriften, Pamphleten und Zeitungsartikeln das Menetekel „ostjüdischer Überfremdung" an die Wand gemalt.103 Den rassischen Charakter ihrer Argumentation verdeutlicht eine Schrift des Geheimen Regierungsrats Georg Fritz, der im Krieg zu den Vorstandsmitgliedern des „Alldeutschen Verbandes" gehörte. Sie trägt den plakativen Titel Die Ostjudenfrage. Zionismus & Grenzschluß und erfuhr rasch weite Verbreitung.104 Fritz deutet den Weltkrieg als Krieg der Rassen, in dem sich Arier und Nichtarier gegenüberstehen, und beschwört die „asiatische Gefahr", gegen die sich Europa wappnen müsse.105 Deshalb komme Osteuropa als Wiege eines gesunden Bauernstandes besondere Bedeutung zu, dessen Bevölkerungsüberschuß nicht der Verstädterung anheim fallen dürfe. Un-

102

Jürgen Matthäus, „German Judenpolitik in Lithuania during the First World War", in: LBIYB 43 (1998), S. 155-174. B A M A Freiburg N 234/7, „Aufzeichnungen aus der Tätigkeit in der Etappeninspektion mit der 10. Armee 1917, 2. Heft", fol. 12. Zur verbreiteten Kenntnis der deutschen Sprache unter den Ostjuden vgl. die Erinnerungen des Rechtsanwalts Siegfried Neumann, HL Harvard bMS Ger 91 (165), S. 15.

103

Allgemein zur Einwanderungskontrolle: Pulzer, „Weltkrieg", S. 3 7 4 - 3 7 7 , der herausarbeitet, daß sich in Österreich das Problem ostjüdischer Immigration in noch sehr viel höherem Umfang stellte. Bereits 1915 schätzte man die Anzahl der überwiegend jüdischen Kriegsflüchtlinge auf 350.000; ebd., S. 375.

104

Hier zit. nach der in München 1915 erschienenen 4 . - 6 . Aufl. Zur Interpretation vgl. Zechlin, Politik, S. 267 f.; die Wirkungsgeschichte umreißt: Magill, Defense, S. 264.

105

Fritz, Ostjudenfrage, S. 5, verweist in gewagter Rhetorik auf die „vierhundert und mehr Millionen zähflüssiger, bedürfnisloser, träggeistiger Massen, die vom Ostrande Asiens bis zur Wolga und Weichsel siedeln - ein ungeheures Mongolenmeer, das die Küsten unser [sie] arischen Kultur benagt und langsam, aber sicher dort eindringt."

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ter stark vergröbernder und zudem impliziter Bezugnahme auf Gedanken Sombarts wird betont, daß die jüdische Vorherrschaft im deutschen Wirtschaftsleben den Prozeß der Urbanisierung unheilvoll vorangetrieben habe. 106 Im August 1914 habe sich jedoch die ethische Substanz des deutschen Volkes gezeigt: sein Antisemitismus sei nichts anderes als „eine Fiebererscheinung, ein Gesundheitsvorgang im Volkskörper gegen die wesensfremde, geldhäufende Entwicklung, der wertvolle Volksteile geopfert wurden". Scharf polemisiert Fritz gegen die hohe Zahl der Mischehen und gibt sich gegenüber Zionisten wie Reformjuden, die diese Auffassung teilen, kooperationsbereit. Auf den ersten Blick bietet sein völkisches Weltbild sogar genügend Entfaltungsraum für eine eigenständige jüdische Identität: „Im Ghetto Rußlands, nicht in dem Reichtum jüdischer Millionäre noch im politischen Einfluß der jüdischen Presse liegt heute noch die religiöse Kraft und völkische Zukunft des Judentums." 107 Doch dieser Eindruck täuscht, weil Fritz an keiner Stelle offenlegt, wie er sich die politische Neuordnung Osteuropas vorstellt. Statt dessen favorisiert er einen jüdischen Staat in Palästina, der auf die Wirtschaft des Osmanischen Reiches belebend wirken solle. Die Sympathie für die zionistische Palästinapolitik reicht allerdings über bloße Gedankenspiele und demagogisch kalkulierte Offerten nicht hinaus. Auch wenn Fritz ein Eigenrecht der völkischen Sphäre proklamiert, bleibt er von der unterschiedlichen rassischen und kulturellen Wertigkeit der Völker überzeugt. 108 Letztlich zielt seine Argumentation auf ein Einwanderungsgesetz, das die „Überflutung [Deutschlands; U.S.] durch die ostjüdischen Massen" verhindern solle, womit er eine Forderung wieder aufnahm, die seit den Tagen Stoeckers zum Kernbestand des politischen Antisemitismus gehörte. 109 Aus heutiger Perspektive bei Fritz' Streitschrift nicht keit bestanden zu haben. Zensur" für Druckschriften zähneknirschend passieren, nismus ebenso abstoßend 106 107 108

109

ist es erstaunlich, daß die militärische Zensur einschritt, doch scheint dafür keine MöglichVictor Klemperer, der bei der „Ober-Osteingesetzt war, ließ die Broschüre jedenfalls obwohl er ihr vordergründiges Lob des Ziofand wie ihren rassischen Antisemitismus.

Ebd., S. 13; ebd., S. 14, das nächste Zitat. Ebd., S. 23; vgl. auch ebd., S. 3 0 - 3 5 . Gerade dies ist für völkische Weltbildkonstruktionen seit dem Ersten Weltkrieg konstitutiv. Dazu maßgeblich: Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989, 3. Aufl. Bonn 1996. Zu der mit antisemitischen Topoi durchsetzten „Vision" eines jüdischen Bauernstaates in Palästina vgl. Fritz, Ostjudenfrage, S. 3 6 - 3 9 . Ebd., S. 45.

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Doch hatte sich Fritz - zumindest nach Ansicht Klemperers - eines „ruhig konstatierenden Ton[s]" befleißigt, der den ideologischen Charakter seiner Abhandlung in den Hintergrund treten ließ. 110 Ihr problemloses Erscheinen und ihre Resonanz zeigten indes auch, daß der „Burgfrieden" sich nicht auf das osteuropäische Judentum erstreckte. Im liberalen deutschen Judentum gab es durchaus politische Kräfte, die zwar kein Wasser auf die Mühlen der Antisemiten gießen wollten, aber dennoch ernsthaft eine Schließung der Ostgrenze erwogen. Beispielsweise sprach sich die „Deutsche Vereinigung für die Interessen der osteuropäischen Juden" in einer Denkschrift an das Auswärtige Amt vom Oktober 1915, die auf die Initiative von Paul Nathan und Max Warburg zurückging, für eine Begrenzung der Einwanderung aus Polen aus. Am weitesten ging vielleicht der Publizist Kurt Alexander, der in der Zeitschrift „Im deutschen Reich" dafür plädierte, nicht nur Ostjuden, sondern ,,alle[n] auf dieser Kulturstufe stehenden Elementen" die Einwanderung zu verweigern. Selbst hier ist freilich mitzubedenken, daß dies die Ablehnung von Ausnahmegesetzen beinhaltete, die sich ausschließlich gegen Juden richteten. 111 Alexanders Stellungnahme war kurzsichtig, weil sie außer acht ließ, daß sich Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus allzu häufig gegenseitig unterstützten. Überdies gehörte die Aktivierung xenophober Vorstellungen zu den gängigen Propagandamitteln im „Krieg der Geister". Dies stellte der Wiener Oberrabbiner Moritz Güdemann in Rechnung, als er davor warnte, im patriotischen Überschwang leichtfertig alles Fremde zu verteufeln. Zwar sei es durchaus angebracht, den eigenen Wortschatz intensiv zu pflegen, doch lasse die zeitgenössische Agitation für eine „rein deutsche" Sprache jede Gelassenheit vermissen. Unter Anspielung auf die zeitgenössische Diskussion um das Fremdenrecht wies er darauf hin, daß selbst Wörter „einen Anspruch auf unsere Gastfreundschaft ha-

110

Klemperer, Curriculum vitae, S. 505. Anderer Auffassung war der Journalist Gustav Witkowsky, der in seinem Artikel über „Die Ostjudenfrage" hervorhob, daß es schlicht unzulässig sei, die Nachfahren der Aschkenasim als „verjudete Mongolen" darzustellen; JP 46 (1915), S. 439 ff., hier S. 440. Der Oppelner Rabbiner Felix Goldmann attestierte Fritz eine „schroffe Voreingenommenheit", die er auf die Übernahme der Chamberlainschen Rassentheorie zurückführte; Felix Goldmann, „Deutschland und die Ostjudenfrage", in: IDR 21 (1915), S. 195-213, hier S. 196.

111

Kurt Alexander, „Deutschland und die Ostjudenfrage", in: IDR 22 (1916), S. 2 0 26, hier S. 25. Zu den Hintergründen und zum Verlauf der Debatte s. Aschheim, Brothers and Strangers, S. 214 ff.; Ders., „Eastern Jews, German Jews and Germany's Ostpolitik", in: LBIYB 28 (1983), S. 3 5 1 - 3 6 5 , bes. S. 364 f., und Trude Maurer, „Medizinalpolizei und Antisemitismus. Die deutsche Politik der Grenzsperrung gegen Ostjuden im Ersten Weltkrieg", in: JGO 33 (1985), S. 2 0 5 - 2 3 0 , bes. S. 2 1 6 ff.

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ben", der sich „früher oder später in eine völlige Einbürgerung verwandelt". 112 Äußerst gewagt war hingegen die Gedankenführung von Leo Herrmann, der die Antisemiten mit ihren eigenen Waffen schlagen wollte. Sein Artikel für die „Jüdische Rundschau", der den suggestiven Titel „Die chinesische Mauer" trug, betonte die unweigerlichen Konsequenzen völkischer Autarkiepolitik: „Der Reinheit der Rasse diente die absolute Isolierung sicherlich am besten. Aber sollte es wirklich möglich sein, solche Absperrungsmethoden im Ernst vorzuschlagen, nach einem Kriege, dessen eine Wurzel doch sicherlich der Kampf um die bedrohte Entwicklungs- und Ausdehnungsmöglichkeit eines aus sich herausstrebenden zukunftskräftigen Volkes ist?" 113 Dies war keineswegs ohne innere Konsistenz vorgetragen, überschätzte aber die alldeutsche Dialogfähigkeit und gab dem „Volk-ohne-Raum-Mythos" des politischen Gegners ungewollt Plausibilität. Mit der Zeit setzte sich unter den deutschen Juden die Ansicht durch, daß die Schließung der Ostgrenze in jedem Fall dem Antisemitismus Vorschub leiste. Der „große alte Mann" des liberalen Judentums, Hermann Cohen, empfand das Problem als derart dringlich, daß er in einem programmatischen Artikel für die „Neuen Jüdischen Monatshefte" die rechtliche Substanzlosigkeit der staatlichen Politik attackierte." 4 Der Philosoph war aus diesem Anlaß sogar zur Zusammenarbeit mit den Kulturzionisten bereit. Nachdrücklich betonte er in einem Essay für Bubers Zeitschrift „Der Jude", daß die Erfahrungen des Ostjudentums für eine lebendige jüdische Religiosität unverzichtbar seien. 115 Dies war eine Sichtweise, die selbst ein leidenschaftlicher Zionist akzeptieren konnte. In ihrem wohlwollenden Kommentar hob die Redaktion des „Juden" denn auch hervor, daß Cohen das „ungeheure Reservoir geistiger, sittlicher und 112

113 114

115

M[oritz] Güdemann, ,„Der Fremde ist der Feind.' Ein Beitrag zur Fremdwörterfrage", in: MGWJ N.F. 25 (1917), S. 1-6, hier S. 6. JR Nr. 42 vom 15. Oktober 1915, S. 335 f., hierS. 335. Hermann Cohen, „Grenzsperre", in: Ders., Jüdische Schriften, hg. v. Bruno Strauß [...], Bd. 2, Berlin 1924, S. 378 ff. [zuerst NJM 1 (1916/17), S. 50 ff.]. Cohens politisches Engagement in dieser Frage analysiert: Aschheim, Brothers and Strangers, S. 176 f. Hermann Cohen, „Der polnische Jude", in: Ders., Jüdische Schriften, hg. v. Bruno Strauß [...], Bd. 2, Berlin 1924, S. 162-171 [zuerst Der Jude 1 (1916/17), S. 149-156], Zuletzt zu Cohens Einschätzung des Ostjudentums: Ulrich Sieg, „Das Testament von Hermann und Martha Cohen. Stiftungen und Stipendien für jüdische Einrichtungen", in: ZNThG 4 (1997), S. 251-264, hier S. 255 f., sowie Avi Bernstein-Nahar, „Hermann Cohen's Teaching Concerning Modern Jewish Identity (1904-1918)", in: LBIYB 43 (1998), S. 25-»6, bes. 32-35.

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sozialer Energie, das die Ostjuden darstellen", richtig erfaßt habe. 116 Ähnlich urteilte Gershom Scholem, der für gewöhnlich zu den schärfsten Kritikern Cohens gehörte. Sichtlich beeindruckt notierte er am 8. Juli 1916 in sein Tagebuch: „Nicht verhehlen kann ich, daß ich Cohen manches abbitten muß für diesen Aufsatz: Hier redet er einmal nicht in der Sprache seiner Unsinns-Broschüren, sondern als nur oder in erster Linie Jude, und er redet s c h ö n t 1 7 Mit der Zeit wurde es immer deutlicher, daß die Maßnahmen gegen die Ostjuden - zumindest potentiell - auch den jüdischen Bürgern des Deutschen Reiches galten. Pointiert drückte dies Franz Rosenzweig in einem Brief an seine Eltern vom 7. Juni 1916 aus: „Es gibt eben keine Ostjudenfrage, es gibt nur eine Judenfrage - und selbst die gibt es eigentlich nicht. Überlegt euch übrigens nur, daß die ganze deutsche Angst vor den Ostjuden ja nicht auf die Ostjuden als solche, sondern auf dieselben als zukünftige Westjuden (also euresgleichen) geht." 118 Die politische Stoßrichtung der Antisemiten war damit gewiß zutreffend wiedergegeben, wenn Rosenzweigs Argumentation auch die Gefahr einer unverändert schematischen Charakterisierung des Ostjudentums in sich barg. Immerhin forderte seine Gedankenflihrung zur aktiven Solidarität mit den Ostjuden auf und kritisierte jede andere Haltung als halbherzig und politisch kurzsichtig. Das preußische Innenministerium zeigte sich jedoch von der steigenden Solidarität mit den Ostjuden unberührt. Im April 1918 verhängte das größte deutsche Land eine Grenzsperre für jüdische Arbeiter aus Polen und gab damit den alldeutschen Forderungen nach: ein Ereignis, das geradezu beispielhaft dokumentiert, wie sehr der Einfluß der Antisemiten während des Krieges gestiegen war. 119 Überdies hatte man sich bei der Abfassung des Erlasses flir eine biologistische Diktion entschieden und die polnisch-jüdischen Tagelöhner als „besonders geeignete Träger von Fleckfieber und anderen ansteckenden Krankhei-

116

[Nachbemerkung der Redaktion], Der Jude 1 (1916/17), S. 156. Seitens der „Jüdischen Rundschau" warb man sogar mit Cohens Artikel für Bubers Monatsschrift, auf deren Initiative die wünschenswerte Politisierung des Marburger Philosophen zurückgehe; Leo Herrmann, „Das dritte Heft des Juden", in: JR Nr. 26 vom 30. Juni 1916, S. 211.

117

Scholem, Tagebücher, S. 3 3 0 - 3 3 4 , hier S. 332. Rosenzweig, Briefe, Bd. 1, S. 189; eingehender zu dieser Bewertung und Rosenzweigs steigendem Interesse am Ostjudentum: Magill, Defense, S. 178 ff. Vgl. auch den ersten Teil des Artikels „Die Ostjudenfrage" in der Zeitschrift „Ost und West" (16 [1916], Sp. 7 4 - 1 1 2 , hier Sp. 7 8 - 9 2 ) , den die Redaktion unter das Motto stellte „Wie aus der Ostjudenfrage eine Westjudenfrage wurde".

118

119

Dies betonte bereits: Zechlin, Politik, S. 276 f.

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ten" denunziert. 120 Die rücksichtslose Sprache dieses Dokuments illustrierte nicht nur die Selbstherrlichkeit der preußischen Administration, sondern auch die brutalisierende Wirkung des Krieges. Es dürfte schwerlich zufallig sein, daß das Auswärtige Amt, das die öffentliche Meinung der anderen kriegführenden Nationen im Blick hatte, von der anberaumten Maßnahme nicht einmal in Kenntnis gesetzt wurde. Die preußische Behörde behandelte die kulturelle Bedeutung, die das Ostjudentum während des Weltkrieges für die deutsch-jüdische Bevölkerung gewonnen hatte, als Quantité négligeable. Die politischen und ideologischen Diskussionen in Deutschland um das „Wesen des Ostjudentums" waren stark normativ aufgeladen. Hingegen wurden die konkreten Erfahrungen, die jüdische Soldaten an der Ostfront mit ihren Glaubensbrüdern gemacht hatten, weitgehend ignoriert. Gewiß standen die Armeeangehörigen vor der schwierigen Aufgabe, heimische Vorurteile abzulegen und sich einer vielfach fremden Kultur und Lebensweise zu öffnen. Neben den Sprachbarrieren erschwerten vor allem die unterschiedlichen Reinlichkeitsvorstellungen und -normen die Kontaktaufnahme. Die meisten deutschsprachigen Juden fühlten sich dem bürgerlichen Wertekanon so sehr verpflichtet, daß sie jedes abweichende Hygieneverhalten als minderwertig beurteilten. Beispielsweise teilte Eugen Tannenbaum seinem Lesepublikum den Brief eines jüdischen Unteroffiziers mit, der verwundert und mit einem Anflug von Ekel schildert, wie in einem ukrainischen Café ein jüdischer Junge seine Läuse tötete. 121 Generell sollte man sich von den Sprachkenntnissen im deutschen Heer keine übertriebene Vorstellung machen. Der primär durch sein Studium der romanischen Sprachen ausgewiesene Victor Klemperer wurde von der Heeresverwaltung „Ober-Ost" als Zensor der politischen Literatur eingesetzt. Einem sonderlichen Leistungsdruck war er nicht unterworfen, hatte man ihm doch bereits zu seiner Ankunft die beruhigende Mitteilung gemacht: ,„Sie können ohne Furcht sein, mit den Landessprachen weiß keiner von uns Bescheid.'" 122 Häufig wird in der Forschungsliteratur nicht mit hinreichender Genauigkeit zwischen stereotypisierender und detailscharfer Beschreibung der Ostjuden unterschieden. So gerät etwa Chaim Schatzker in den Sog

120

Zit. nach: Maurer, „Medizinalpolizei", S. 210. Zur Bedeutung dieses Erlasses vgl. auch Pulzer, „Weltkrieg", S. 376 f.

121

Tannenbaum, Kriegsbriefe, S. 41. Weniger drastisch sind die Schilderungen von Julius Marx, die allerdings auch die Fremdheit der „Kaftanjuden" in den Vordergrund rücken; vgl. etwa die zwischen dem 20. und 29. Juli 1915 erfolgte Notiz aus Masuren: „Polnische Juden mit Kaftanen und Käppchen kommen in unser Lager, bieten alles Mögliche feil. Welche Armut, welche Not - blasse, schwarzbärtige Gesichter, angstvolle Unterwürfigkeit, eingesunkene dunkle Augen, ohne Glanz, ohne Glück, ohne Hoffnung." (Marx, Kriegs-Tagebuch, S. 67).

122

Klemperer, Curriculum

vitae, S. 465.

206

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kulturzionistischer Diktion, wenn er nachdrücklich betont, „die persönliche und unmittelbare Begegnung [zwischen Ost- und Westjuden; U.S.] unterbrach die Scheidewand der Fremdheit". 123 Dies vernachlässigt nicht nur quellenkritische Momente, sondern unterschätzt auch den Erfolg, mit dem das zumeist positive Stereotyp des „Ostjuden" auf die Erfahrung jüdischer Soldaten einwirkte. 124 Im Nachhinein ist es freilich nicht immer möglich zu entscheiden, welche Berichte über das Ostjudentum auf persönlichen Erlebnissen beruhen und wo sich schematisierende Wahrnehmungen in den Vordergrund drängen. Sogar ein so sensibler und selbstkritischer Denker wie Franz Rosenzweig tendierte zur schwärmerischen Bewunderung der Ostjuden. Am 23. Mai 1918 schrieb er seiner Mutter aus Rembertow bei Warschau: „Die Judenjungen sind prachtvoll, ich habe, was mir doch sehr selten geschieht, richtigen Rassenstolz verspürt, soviel Frische und Lebendigkeit." 125 Im folgenden skizzierte er mit den geläufigen kulturkritischen Argumentationsmustern, wie positiv sich das „unverbrauchte Ostjudentum" von den „philisterhaften Westjuden" unterscheide. Moritz Goldstein verfaßte 1916 einen Essay, in dem er seine „Westöstliche Konfession" niederlegte. Ungeachtet aller Skepsis gegenüber kulturzionistischen Positionen schien es ihm gewiß, daß das Ostjudentum die „entdeckte jüdische Wirklichkeit" verkörpere. 126 Regelrecht euphorisch reagierte Arnold Zweig, als er von seiner Versetzung in die Kriegs-Pressestelle-„Ober-Ost" in Bialystock erfuhr. Am 19. Mai 1917 teilte er der befreundeten Agnes Hesse mit: „,Mein ungemein heftiger Wunsch, die Ostjuden persönlich zu erleben, geht in Erfüllung [,..].'" 127 Immerhin wuchs durch den persönlichen Umgang mit der ostjüdischen Bevölkerung auch das Wissen um die Lückenhaftigkeit der eigenen Kenntnisse. Die Illustrationen der jüdischen Presse erinnerten beispielsweise einen Soldaten, den es nach zweieinhalbjähriger Stationierung im Osten an die Westfront verschlagen hatte, an die „Hagenbecksche Völkerschau" und nicht an seine eigenen Erlebnisse. Freilich spiegelte diese Stellungnahme nicht zuletzt das eigene nationaljüdische Credo, erstreckte sich die Kritik doch nur auf die liberalen und orthodoxen Blätter, während die zionistischen Organe, die „an der Erneuerung des Judentums arbeiten", ausdrücklich gelobt wurden. 128

123 124 125 126

127

128

Schatzker, Jugend, S. 282. Dazu eingehend: David Brenner, Marketing

Identities,

S. 139-158 u. 2 1 0 - 2 1 6 .

Rosenzweig, Briefe, Bd. 1, S. 564 f., hier S. 564. Das ungedruckt gebliebene Manuskript findet sich: IZF Dortmund, Goldstein, II Ak 85/194. Ich danke Elisabeth Albanis für den Hinweis auf den aussagekräftigen Text. Zit. nach: Arie Wolff, „Arnold Zweigs Ostjudenbild", in: BLBI 67 (1984), S. 1 5 40, hierS. 16. Adolf Woll, „Der Weg zu den Ostjuden", in: Jüdische Tum u[nd] Sport-Zeitung, Jg. 1918, S. 15-19, hierS. 15.

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Nicht selten neigen die Schilderungen jüdischer Soldaten zu Übertreibungen, welche die Hilfsbereitschaft der Daheimgebliebenen entfachen oder verstärken sollten. Dies gilt nicht nur für Dokumente, die sich an das deutsche Judentum richteten, sondern auch für „Informationen", die nach Amerika gelangten. Beispielsweise findet sich im Nachlaß Felix Warburgs ein anonymes Manuskript, das in grellen Farben das Elend der ostjüdischen Bevölkerung Polens beschreibt: „Die Juden sind bis auf wenige sehr arm, verachtet, schmutzig, in jedem Blick sieht man Unterwürfigkeit, jedem Kinde sieht man schon an, dass sie Prügel von den Polen und Kosacken gewöhnt sind." 129 Gleichzeitig ist zu beachten, daß viele Beschreibungen so allgemein gehalten sind, daß der Unterschied zur Situation der russischen Landbevölkerung nicht deutlich wird. 130 Als Ganzes überwog jedenfalls ein Gefühl der Solidarität, die Hilfeleistungen zu einer Selbstverständlichkeit machten. Zwischen den unterschiedlichen jüdischen Lagern gab es zwar erhebliche Differenzen in der Beurteilung der politischen Lage, doch war die Chiffre „Ostjudentum" derartig mit Bedeutung aufgeladen, daß keine Seite sie der anderen überlassen konnte. Insbesondere die Unterschiede zwischen orthodoxen und zionistischen Positionen lassen sich nicht immer mit hinreichender Deutlichkeit bestimmen. Zwar priesen orthodoxe Intellektuelle die Ostjuden in erster Linie als Quelle unverbrauchter jüdischer Religiosität, während zionistische Denker die völkische Dimension der ostjüdischen Kultur in den Vordergrund spielten. Doch konvergierten beide Sichtweisen in der Abgrenzung vom „Assimilationsjudentum" und teilten die Wertschätzung jüdischer Authentizität. 131 Es ist ein aufschlußreicher Befund, daß das kulturelle Organ, mit dem man auf liberaljüdischer Seite Bubers „Juden" entgegentreten wollte, ursprünglich „Ostjüdische Revue" heißen sollte. Dahinter stand die idealistische Vorstellung, daß die Hilfe für das Ostjudentum die verlorene Einheit des deutschen Judentums wiederherstellen könne. Allerdings mußte man erkennen, daß 129

AJA Cincinnati, Warburg, Box 168, Folder 4; biographische Angaben zu Beginn und am Ende des Manuskripts herausgetrennt. Der Form nach handelt es sich um einen „Logenbrief', den Magnes am 11. April 1915 Warburg zurückschickte. Auf der Rückseite trägt das Dokument den Vermerk „Zu vernichten!".

130

Vgl. etwa den Tagebucheintrag des Wiener Bankierssohnes Otto Kallir vom 19. Februar 1916: „Die vereinzelten Dörfer bestehen aus kleinen, nicht einmal einstöckigen Hütten. [...] Der Eingang ist kaum so hoch, dass ein Kind gerade hineingehen kann. Schweine laufen überall frei herum. Das Ganze sieht aus wie ein Aschantidorf im Prater. Für Europa etwas vorsintflutlich" (LBI N e w York AR 4666, A 33/6, Folder 10, Tagebuch, T. 1, S. 2).

131

Vgl. Michael Brenner, Kultur, S. 44 ff., und Mordechai Breuer, Orthodoxie, S. 347 f.; zur Bedeutung des Ostjudentums für das orthodoxe Selbstverständnis ferner: Matthias Morgenstern, Von Frankfurt nach Jerusalem. Isaac Breuer und die Geschichte des „Austrittsstreits" in der deutsch-jüdischen Orthodoxie, Tübingen 1995, S. 6 5 - 8 1 .

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auch die Zionisten die Chiffre „Ostjudentum" für sich in Anspruch nahmen, und entschied sich deshalb für den allgemeinen Titel „Neue Jüdische Monatshefte".132 Auch im liberalen Judentum hielten viele das religiöse Moment für ausschlaggebend bei der Beurteilung der „Ostjudenfrage". Dies eröffnete nicht nur weitreichende Perspektiven für die Zukunft des Judentums, sondern bot auch die Möglichkeit, ohne größere Komplikationen von einst gehegten Vorurteilen gegenüber den osteuropäischen Juden Abstand zu nehmen. In seiner Rede vor dem Breslauer „Verein für jüdische Geschichte und Literatur" schilderte der Feldrabbiner Sali Levi am 25. Oktober 1915 eindrucksvoll die Innerlichkeit ostjüdischer Religiosität. Zur Veranschaulichung wählte er ein Bild, das sich zeitgenössisch einiger Beliebtheit erfreute: „Der Jude in Russisch-Polen ist, wie es einmal ausgesprochen wurde, ein ungeschliffener Edelstein. Unscheinbar, häßlich und abstoßend, wenn man nur auf das Äußere sieht, aber leuchtend und erfreuend, wenn man in den Kern eindringt."133 Eine ähnliche Sicht der Dinge vertrat acht Monate später Felix Goldmann auf der Generalversammlung des deutschen Rabbinerverbandes. Gerade weil an der religiösen Orientierung der Ostjuden kein Zweifel bestehe, sei jede Distanzierung von ihrem Schicksal moralisch verwerflich. Seine Überhöhung des Ostjudentums erreichte geschichtsphilosophische Dimensionen, wenn er die Wanderung des .jüdischen Weltgeistes" über Babylon und Spanien nach Deutschland skizzierte. Freilich mehrten sich die Zeichen, daß das deutsche Judentum „seinem Höhepunkte nahe" sei und eine weitere Schwerpunktverlagerung der jüdischen Welt bevorstehe.134 Mit polemischer Spitze gegen die materialistische jüdische Kultur Amerikas betonte Goldmann apodiktisch, ,,[d]ie Zukunft des Judentums liegt

132

Vgl. Aschheim, Brothers and Strangers, S. 169 f., sowie die skeptische Äußerung von Ludwig Holländer, der als Chefredakteur der Zeitschrift „Im deutschen Reich", Syndikus des CV und erster Vorsitzender des KC zu den einflußreichsten Gestalten des liberalen Judentums gehörte: „Politische Programme werden auf ihre Stichhaltigkeit anläßlich der Ostjudenfrage neu geprüft: Rassentheoretiker, Antisemiten, Zionisten, deutschfiihlende Juden, Strenggläubige, Liberale, alles sucht sein Süppchen an diesem Herd zu wärmen. Ob zugunsten der Ostjuden oder zu ihren Ungunsten, kann heute niemand sagen." (Ludwig Holländer, „Noch einmal: Zur Ostjudenfrage", in: IDR 22 [1916], S. 2 5 1 - 2 5 6 ) .

133

Sali Levi, „Aus meinen Erlebnissen bei den Juden in Russisch-Polen", in: MWGJ N.F. 2 4 ( 1 9 1 6 ) , S. 1 - 1 8 , hierS. 5. Felix Goldmann, Die Stellung des deutschen Rabbiners zur Ostjudenfrage. Vortrag für die Generalversammlung des Rabbinerverbandes in Deutschland (9./10. Mai 1916), Frankfurt am Main 1916, S. 34.

134

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in Wahrheit nur im Osten", und forderte von seinen Hörern, daß sie sich mit ganzer Kraft für die Belange des Ostjudentums einsetzten. 135 Die geschichtsphilosophische Sinngebung Goldmanns beinhaltete jedoch eine prinzipielle Doppeldeutigkeit, die aus dem Nebeneinander von Fortschrittsglauben und der Verherrlichung einer ursprünglichen jüdischen Lebensweise resultierte. In der Konsequenz seiner Kulturstufentheorie lag es, sich den osteuropäischen Juden mit pädagogischem Anspruch zu nähern. Er plädierte für die Einfuhrung der Zivilehe und die gründliche Reformierung des Cheders, der den Anforderungen eines modernen Bildungswesens einfach nicht mehr genüge. 136 Goldmann mochte noch so sehr die ,,ungeahnte[n] Reichtümer an Geist und Herz, an Zukunftsbewußtsein und Kraft" der Ostjuden rühmen, letztlich mußten sie nach seiner Auffassung für ihre glorreiche Zukunft erst erzogen werden. 137 Ein aufklärerisches Verständnis von Judenemanzipation prägte seine Haltung zum Ostjudentum, und deshalb ließ er die Frage nach dem kollektiven Ausdruck ihrer jüdischen Identität weitgehend unerörtert. Dies lag auf einer Linie mit der im liberalen deutschen Judentum favorisierten Haltung, daß die polnischen Juden sich als „Staatsbürger mosaischen Glaubens" und nicht als nationale Gemeinschaft betrachten sollten. 138 Die meisten Rabbiner teilten die Überzeugung, daß das Ostjudentum trotz oder wegen seiner „religiösen Ursprünglichkeit" auf einer niedrigeren kulturellen Stufe stehe als die assimilierten Juden Westeuropas. Vor diesem Hintergrund entwickelten sie konkrete Ordnungsvorstellungen für die anstehenden politischen Aufgaben. Die „kolonisatorische Agenda" wird deutlich in einer Denkschrift von Ismar Freund, mit der er sich 1915 beim Reichskanzler um das Amt des polnischen Kronrabbiners bewarb. Freund schlug vor, die polnischen Juden „zur Bodenständigkeit aus freiem Willen zu bringen, sie kulturell und moralisch den neuen Verhältnissen anzupassen", sie mithin „zu Pionieren des Deutschtums im Osten zu machen". 1 3 9 Dies waren freilich sehr weitgehende Vorstellungen, die schwerlich auf Akzeptanz in Regierungskreisen rechnen konnten. Gleichwohl spiegeln sie das Selbstverständnis liberal-jüdischer Intellektueller,

135

136 137 138 139

Ebd.; das Protokoll verzeichnete an dieser Stelle ,,[s]türmische[n], langanhaltende[n] Beifall". Ebd., S. 18 u. 20 f. Ebd., S. 34 f. Vgl. Aschheim, Brothers and Strangers, S. 161. CAHJP Jerusalem P 2, P/1; dort auch der gesamte Vorgang. Zum hohen Verbreitungsgrad von Kulturstufentheorien, die sich auf das Ostjudentum bezogen: Yfaat Weiss, ,„ Wir Westjuden haben jüdisches Stammesbewußtsein, die Ostjuden jüdisches Volksbewußtsein'. Der deutsch-jüdische Blick auf das polnische Judentum in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts", in: AfS 37 (1997), S. 157-178, bes. S. 162 f.

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die davon überzeugt waren, in Osteuropa als Avantgarde des Deutschtums wirken zu können. Ähnliche Muster lassen sich in den Diskussionen über die Sprache der Ostjuden erkennen. Die meisten Vertreter des liberalen deutschen Judentums nahmen die reiche Welt ostjüdischer Zeitungen in jiddischer oder hebräischer Sprache kaum zur Kenntnis. Allein in Polen existierten mindestens fünfzehn jüdische Blätter, von denen zwei Drittel auf Jiddisch erschienen. 140 Prinzipiell favorisierte man seitens des liberalen Judentums das Jiddische wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Mittelhochdeutschen. Es wurde nicht mehr als „verderbte Sprache" oder „Jargon" kritisiert, sondern als ,,deutsche[r] Dialekt" verherrlicht, welcher der facettenreichen ostjüdischen Kultur in Rußland, Polen, Ungarn oder Rumänien eine einheitliche Grundlage gebe. 141 Unter den deutschen Zionisten überwog hingegen die Wertschätzung der hebräischen Sprache, die im Einklang mit der Vorstellung einer einheitlichen „Jüdischen Renaissance" stand. Das Gefühl kultureller Überlegenheit aber war beiden Parteien gemein, wie sich an der Selbstverständlichkeit erkennen läßt, mit der man darüber debattierte, was die ideale Sprache für die Ostjuden sei. Die liberalen Honoratioren des KfdO favorisierten intern sogar Deutsch als zukünftige Sprache für das polnische Judentum, wenn man auch offiziell so vorsichtig war, die Vorzüge des Jiddischen herauszustellen. 142 Martin Buber spielte hingegen den Reichtum der ostjüdischen Kultur in den Vordergrund. Gerade in religiöser Hinsicht bedürfe das Ostjudentum keiner Erziehung oder gar einer substantiellen Veränderung der eigenen Existenzform. Gegenüber dem österreichischen Schriftsteller Franz Blei hob Buber hervor, daß er in seiner Jugend unter polnischen Juden „an vitaler Gottesliebe mehr vorgefunden (habe) als seither in der Christenheit". Zugleich nahm er für sich in Anspruch, den Schlüssel zum Verständnis des Ostjudentums in ihrer - für Außenstehende unsichtbaren religiösen „Wirklichkeit" gefunden zu haben. 143 140

Zum Folgenden: Zosa Szajkowski, „The Struggle for Yiddish during World War I. The Attitude of German Jewry", in: LBIYB 9 (1964), S. 131-158, hier S. 144, Anm. 70. Allgemein zur Bedeutung des Ersten Weltkrieges fur die Verbreitung des Jiddischen: Harshav, Hebräisch, S. 115 f.

141

Vgl. etwa Felix Goldmann, „Die Sprache der Ostjuden", in: JJGL 19 (1916), S. 134-164, hier S. 136. Zur langen Diffamierungsgeschichte des Jiddischen s. Gilman, Selbsthaß; seine Aufwertung seit der Jahrhundertwende beschreibt: Delphine Bechtel, „Cultural Transfers between 'Ostjuden' and 'Westjuden'. German-Jewish Intellectuals and Yiddish Culture 1897-1930", in: LBIYB 42 (1997), S. 6 7 - 8 3 .

142

Aschheim, Brothers and Strangers, S. 159. Brief Bubers an Franz Blei vom 26. November 1915; JNUL Jerusalem M s Var. 350, Nr. 103/30. Im Ton schärfer war Bubers spätere Stellungnahme, „Die Polnischen und Franz Blei. Ein Exempel" (Selbstwehr Nr. 9 vom 2. März 1917, S. 2 f.), die den Gebrauch des antisemitischen Stereotyps vom „Schacherjuden"

143

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Bubers Monatsschrift „Der Jude", die politisches Engagement und kulturelle Programmatik auf bislang nicht gekanntem Niveau miteinander verband, widmete dem Problem der Ostjuden erhebliche Aufmerksamkeit. Die Autoren, deren Prominenz gleichwohl sorgfältig beachtet wurde, beschränkten sich nicht auf die älteren Jahrgänge. 144 Zu den eifrigsten Journalisten gehörte der junge Robert Weltsch, der bereits im Prager „Bar Kochba" mit Buber in näheren Kontakt gekommen war. Seinen Militärdienst an der Ostfront verstand er als politische Aufgabe im Dienste des Zionismus. In diesem Sinn schrieb er am 25. August 1915 an Leo Herrmann: „Wir werden die russischen Juden befreien! Es ist ja nicht auszudenken, was kommen mag." 145 Weltschs Artikel, in deren Mittelpunkt das Schicksal der Ostjuden stand, bemühten sich um Anschauungsnähe und setzten auf die Wirkung moralischer Appelle. Besonders intensiv beschäftigte er sich mit dem beklagenswerten Los jüdischer Frauen in den von deutschen und österreichischen Truppen besetzten Gebieten. Seine Diskussion des „sittlichen Tiefstandes" der ostjüdischen Bevölkerung geriet freilich gar zu abstrakt und ließ die materiellen Ursachen von Prostitution und Mädchenhandel vollständig außer acht. 146 Wenn er überdies auf seine doppelte Verpflichtung als gebildeter Westjude und als Mann hinwies, zeigte er sich ganz als „Kind seiner Zeit". Denn die ostjüdische Prostitution zählte zu denje-

144

145

146

kritisierte. Zur Debatte zwischen den beiden vgl. Aschheim, Brothers and Strangers, S. 155 f. Komprimiert zu Zielsetzung und Mitarbeiterkreis des „Juden": Magill, Defense, S. 294 f.; allgemein zur Bedeutung dieser Zeitschrift filr den Kulturzionismus: Eleonore Lappin, Der Jude 1916-1928. Jüdische Moderne zwischen Universalismus und Partikularismus, Tübingen 2000. LBI N e w York AR 7185, Box 2, Folder 17. Die Auffassung, jüdische Weltgeschichte mitzuerleben, erfreute sich generell unter den deutschen Zionisten großer Beliebtheit. So heißt es in Felix Theilhabers Buch Schlichte Kriegserlebnisse, S. 55: „Es ist wirklich so. Ich erlebte die Vertreibung Hunderttausender Juden, wie sie vor 500 Jahren in Spanien, vor 700 Jahren im Rheinlande sich ereignete. Ich stehe am Schauplatz eines großen jüdischen Dramas."' Robert Weltsch, „Ein Feldpostbrief aus dem Osten", in: Der Jude 1 (1916/17), S. 5 2 9 - 5 3 4 . Hierzu informativ, aber ohne kritischen Impetus: Emst Simon, „Robert Weltsch als Politiker, Historiker und Erzieher im Vergleich mit Buber und Scholem", in: BLBI 64 (1983), S. 15-28, hier S. 16 f.; gleichfalls erstaunlich wohlwollend: Berkowitz, Western Jewry, S. 14 f. - Eine frühere Fassung von Weltschs Artikel mit dem knapperen Titel „Ein Feldpostbrief' findet sich in: LBI N e w York AR 7815, Box 2, Folder 19. Der Text enthält längere vom Autor gestrichene Passagen, die sich in zum Teil sehr schroffer Diktion mit dem Weg der Ostjüdin in die „innere Verderbnis" (ebd., fol. 3) beschäftigen.

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Die großen weltanschaulichen Debatten

nigen Themen, die im Ersten Weltkrieg von allen jüdischen Gruppierungen mit hitziger Phantasie, aber wenig konstruktiv debattiert wurden. 147 In aller Regel kann man jedoch konzedieren, daß es Bubers Redaktionspolitik erfolgreich gelang, die Chiffre „Ostjudentum" mit zionistischem Inhalt zu füllen. Gerade das breite Spektrum angesehener Autoren und literarischer Gattungen sicherte der Zeitschrift ihre Vorreiterrolle. Daneben fehlte es nicht an dezidiert politischen Artikeln. So plädierte Julius Berger, der Sekretär der „Zionistischen Weltorganisation", für das Selbstbestimmungsrecht der osteuropäischen Juden und attackierte die Selbstzufriedenheit westjüdischer Ratschläge mit der ebenso pointierten wie treffenden Formulierung: „Für jede noch so komplizierte Frage hatte man eine fertige Lösung auf Lager." 148 Gustav Landauer veröffentlichte eine geharnischte Abrechnung mit der Politik des Deutschen Reiches, die zwar keine nationaljüdische Agenda hatte, sich in der Verherrlichung des Ostjudentums jedoch kaum von anderen zionistischen Publikationen unterschied. 149 Daneben erschienen im „Juden" persönliche Erfahrungsberichte und Essays, die sich mit den Eigenarten ostjüdischer Kultur und insbesondere mit chassidischer Mystik beschäftigten. Rein quantitativ nahm das Thema „Ostjudentum" gleichfalls eine Schlüsselrolle ein, was sich zum Beispiel daran ersehen läßt, daß sich von 88 Essays im ersten Jahrgang des „Juden" nicht weniger als 23 mit ostjüdischen Fragen beschäftigten. 150 Obwohl es Buber nicht an redaktionellem Ehrgeiz fehlte, wurde die Öffnung der Kulturzeitschrift für nichtjüdische Intellektuelle nur teilweise erreicht. Sein Brief an Rudolf Eucken vom 14. Dezember 1916 illustriert die weitgespannten Pläne: Die Liste anvisierter Autoren reichte von Richard Dehmel und Adolf Deissmann bis hin zu Alfons Paquet, Max Weber und Leopold von Wiese. 151 Doch keiner von ihnen entschloß sich zu dauerhafter Zusammenarbeit mit Buber. So sehr den renommierten Intellektuellen die politische Neuordnung (Ost-)Europas am Herzen lag, so 147

Beispielhaft hierfür sind die moralisierenden Erwägungen des liberalen Rabbiners Felix Goldmann in seinem Artikel „Polnische Juden" (IDR 21 [1915], S. 101-108, hier S. 105 f.). - Das Ausmaß der lange Zeit fruchtlosen Diskussion über den Jüdischen Mädchenhandel" verdeutlicht: Marion A. Kaplan, Die jüdische Frauenbewegung in Deutschland. Organisation und Ziele des Jüdischen Frauenbundes 1904-1938, Hamburg 1981, S. 2 0 7 - 2 4 8 .

148

Julius Berger, „Deutsche Juden und polnische Juden", in: Der Jude 1 (1916/17), S. 137-149, hier S. 142; zum historischen Kontext dieses Artikels: Aschheim, Brothers and Strangers, S. 163 ff., und Weiss, „Westjuden", S. 168 f.

149

Gustav Landauer, „Ostjuden und Deutsches Reich", in: Ders., Dichter, Ketzer, Außenseiter. Essays und Reden zu Literatur, Philosophie, Judentum, hg. v. Hanna Delf, Berlin 1997, S. 1 8 5 - 1 9 0 [zuerst Der Jude 1 (1916/17), S. 13-19]; eine ideenhistorische Einordnung dieses Textes bietet: Altendorfer, „Buber", S. 163 f.

150

Vgl. Gilman, Selbsthaß, ThULB Jena, Eucken.

151

S. 200.

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wenig Interesse brachten sie dem Projekt einer kulturellen „Renaissance des Judentums" entgegen. Die meisten jungen Zionisten teilten hingegen Bubers Überzeugung, daß die „ostjüdische Gemeinschaft" eine ursprünglichere Form religiösen Lebens ermögliche. Den um kühne Metaphern nicht verlegenen Publizisten Felix Theilhaber erinnerte die „Psyche der Ostjuden" an die Religiosität der Hindus. 152 Selbst ein so genauer Beobachter und ironischer Kommentator wie Sammy Gronemann konnte sich dem „Kult der Authentizität" nicht entziehen. Seine nachträglich zur Buchform umgearbeiteten Erinnerungen verherrlichen die „Synagoge des Ostens" und das „Beth-hamidrasch" als Einrichtungen, die bei aller Armut von wirklichem jüdischen Geist erfüllt seien. 153 Entsprach etwas nicht Gronemanns Vorstellungen vom „Ostjudentum" wie beispielsweise der Gottesdienst in der großen Warschauer Synagoge mit seinen „feierlichen Kanzelreden", so entschied er sich schlicht dafür, daß dieser „nicht als Repräsentanz ostjüdischer Art in Betracht kommt". 154 Unverkennbar ist die kulturkritische Stoßrichtung seiner Argumentation. Gerade in der Einstellung zur Zeit erweise sich der philosophische Charakter des Ostjudentums, das den Müßiggang als Voraussetzung jeder kreativen Tätigkeit zu schätzen wisse. Folgerichtig vergleicht Gronemann den jüdischen Bation mit dem indischen Fakir und endet damit bei jener romantischen Verherrlichung des Ostens, die zu seiner Beschreibung der „ostjüdischen Etappe" zwar nicht recht paßte, für das kulturzionistische Selbstverständnis aber grundlegend war. 155 Hans Kohn beurteilte das Ostjudentum ähnlich. In Krassnaja Rjetschka, einem Kriegsgefangenenlager am Unterlauf des Amur, hielt er Schulungskurse in zionistischer Weltanschauung ab und referierte in Gottesdiensten. Nicht ohne Stolz schilderte er seinen Eltern am 7. Oktober 1917 den Erfolg seiner religiösen Vorträge: „Ich habe jedesmal gesprochen. Die lange Einsamkeit, tieferes Studium, manches Erleben, vor allem stärkeres Sehnen hat mir manche neue Töne gegeben, mich zum Redner gemacht, und so waren die drei Ansprachen nicht ohne große Wirkung."156 152 153

154 155 156

Theilhaber, Juden, S. 43. Vgl. Sammy Gronemann, Hawdoloh und Zapfenstreich. Erinnerungen an die ostjüdische Etappe 1916-18. Mit Zeichnungen von Magnus Zeller, Berlin 1924, S. 6 3 - 7 7 u. 108-119. - Eine pointierte Kritik an Gronemanns Stilisierungen enthält: Klemperer, Curriculum vitae, S. 481. Seine schroffe Ablehnung des Kulturzionismus verfuhrt ihn allerdings zu einer pejorativen Bewertung des Ostjudentums, die ihrerseits nicht frei von Stereotypen ist. Gronemann, Hawdoloh, S. 71. Vgl. ebd., S. 114 f. LBI N e w York AR 259, Box 2, Folder 12; auch in den Erinnerungen an die sibirische Kriegsgefangenschaft stellte Kohn den Erfolg seiner Vorlesungen heraus; Kohn, Bürger, S. 132. Nähere Details zum organisatorischen Netzwerk der Zio-

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Der Inhalt von Kohns Vorlesungen belegt den schlüsselhaften Einfluß der Bildungserlebnisse im Prager „Bar Kochba". 157 Gleichzeitig verkörperte die Studentenorganisation für ihn eine Art „heile Welt", die im scharfen Kontrast zur tristen Realität des sibirischen Kriegsgefangenenlagers stand. Am 19. August 1917 teilte er seinem Freund Robert Weltsch und mit ihm den daheimgebliebenen Bundesbrüdern emphatisch mit: „Vor allem eins: seid innige Freunde und lebt im Verein. Nehmt an jeder Tätigkeit teil: am sozialen Hilfswerk, in Schulen, am Blau Weiss, in Kinderkolonien. Ihr wisst nicht, welches Glück freie Tätigkeit ist! Und liebt den Bar Kochba, wie ich ihn liebe." 158 Im Mittelpunkt von Kohns politischen Überlegungen stand die Frage, was der Erste Weltkrieg für den Zionismus bedeute. Gegenüber Robert Weltsch stellte er heraus, wie sehr ihn die Erfahrung menschlichen Elends verändert habe. Inzwischen sei er der festen Überzeugung, ein soziales Programm müsse fester Bestandteil der zionistischen Weltanschauung sein. Dennoch favorisierte Kohn in der Begründung und Darstellung des jüdischen Nationalismus eine religiös-kulturelle Metaphorik. Beispielsweise schien es ihm gewiß, „dass der Zionismus kein bloßer Repatriierungsversuch ist, sondern dass sich in ihm Mythus gegen Mythus, Glaube gegen Glaube erhebt". 159 In diesem Sinne schrieb er Martin Buber am 21. November 1917 von seiner Hoffnung, „daß wir einer neuen Menschheit entgegengehen, dem neuen Sonnenschein unserer Propheten, dem Zusammenleben der Menschen in Gerechtigkeit, Wahrheit und Friede[n]". 160 Die ideologische „Aufladung" des Zionismus hatte sich für Kohn kaum verändert. Nach wie vor trug sein Verständnis des Judentums expressionistische Züge und war entscheidend durch die kulturkritischen und neoidealistischen Ansichten geprägt, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg in Blüte standen.

157

158 159 160

nisten in Krassnaja Rjetschka bietet nun: Berkowitz, Western Jewry, S. 17, der u.a. hervorhebt, daß Kohns Arbeitskreis etwa 370 Mitglieder zählte und ein nicht geringer Teil der um die 10.000 Bände umfassenden Lagerbibliothek aus den Paketen seiner Eltern stammte. Vgl. etwa die Themen seiner „volkstümlichen Hochschulkurse", die er seinen Eltern im Brief vom 4. November 1917 mitteilte: „Henrik Ibsens Werk; moderne deutsche Lyrik; Schopenhauer und Nietzsche; Henri Bergson und die moderne Philosophie; Wesen und Geschichte der Mystik; Buddhismus; Bilder aus der jüdischen Geschichte; Wesen und Ziele der Sozialreform; Geschichte der Nationalökonomie; der Sozialismus und seine heutigen Richtungen" (LBI N e w York AR 259, Box 2, Folder 12). JNUL Jerusalem Ms Var. 350, Nr. 376/66. Ebd. Buber, Briefwechsel, Bd. 1, S. 510 ff., hier S. 511.

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Trotz aller geistigen Anleihen bei Bergson, Eucken oder Nietzsche sahen sich die jungen zionistischen Intellektuellen als kulturelle Avantgarde, welche die Gestalt des zukünftigen Judentums zu bestimmen habe. Viele von ihnen fanden - wie Buber - ein Forum im Leipziger Verlag Kurt Wolff, der bei expressionistischen Autoren geradezu ein Monopol besaß. Hier veröffentlichte Gustav Meyrink den Golem, den Kasimir Edschmidt gleich nach Erscheinen als „Roman des Jüdischen" feierte. 161 Allein so erfolgreich die zionistische Überhöhung des Ostjudentums auch war, sie wurde mit einem hohen Preis erkauft. Die völkische Kontaminierung des Diskurses blieb unerkannt oder wurde gezielt marginalisiert. Im Extremfall lassen sich sogar Bezugnahmen auf die kursierenden Rassenlehren feststellen, wie der weithin gefeierte Bildband Das Ostjüdische Antlitz verdeutlicht. Die darin enthaltenen fünfzig Steinzeichnungen von Hermann Struck illustrieren nicht nur die Botschaft des pathetischen Textes von Arnold Zweig, der die tiefe Religiosität „des Ostjuden" unterstreicht. Sie geben ihrem Sujet zugleich eine visuelle Eindeutigkeit, die eine bedenkliche Nähe zur zeitgenössischen Stereotypenbildung aufweist. 162 Jüdische Intellektuelle entwarfen ein Bild vom Ostjudentum, das bei aller Betonung seiner Authentizität letztlich die Vorstellungen junger Bildungsbürger bestätigte und ihren „Sinnhunger" befriedigte. Dies heißt jedoch nicht, daß die Beurteilung des Ostjudentums frei von Ambivalenzen war. Nicht nur viele liberale Juden auch viele Zionisten hatten das Wertgefuge ihrer bürgerlichen Elternhäuser derart internalisiert, daß sie eine gewisse Überheblichkeit gegenüber den Ostjuden nicht abzulegen vermochten. Gleichwohl läßt sich schwerlich bestreiten, daß das Ostjudentum während des Ersten Weltkrieges eine beträchtliche Bedeutungsaufwertung erfuhr. Als „Gegenentwurf zur assimilierten, bürgerlich deutsch-jüdischen Lebenswelt" behielt es während der gesamten Weimarer Republik seine Faszinationskraft. 163 Alle weltanschaulichen Gruppierungen des 161

162

163

Kasimir Edschmid, „Der Golem", in: Selbstwehr Nr. 5 vom 4. Februar 1916, S. 3 ff., hier S. 4. Arnold Zweig u. Hermann Struck, Das ostjüdische Antlitz, Berlin 1920. Allgemein zum ideologiehistorischen Kontext: Efron, Defenders', speziell zu Arnold Zweigs Überhöhung des Ostjudentums: Wolff, „Arnold Zweigs Ostjudenbild", S. 2 1 - 2 4 , der allerdings bisweilen die kritische Distanz zu seinem Gegenstand vermissen läßt, sowie differenziert: Noah Isenberg, Between Redemption and Doom. The Strains of German-Jewish Modernism, Lincoln 1999, S. 63 ff. u. 7 1 76. So die pointierte Formulierung von Bertz, „Kunst", S. 37. Den Kult des „authentischen Ostjuden" in der Weimarer Republik betrachtet: Brenner, Kultur, S. 1 4 5 151. Ferner dürfte es eine sprechende Tatsache sein, daß sich der Terminus „Ostjuden" seit 1918 allgemein durchsetzte, wie Steven M. Lowenstein, „Ideologie und Identität", in: Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo-Baeck-Instituts v. Michael A. Meyer unter Mitw. v. Michael Brenner,

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deutschen Judentums nahmen einvernehmlich an der Idealisierung der Ostjuden teil. Die Verherrlichung ostjüdischer Lebensweise war gleichsam zur Selbstverständlichkeit geworden, ihre Genese zu Beginn des Jahrhunderts und ihre Durchsetzung im „Großen Krieg" in Vergessenheit geraten. Dies bedeutete freilich auch, daß die völkischen Elemente, welche die Interpretation des Ostjudentums und zugleich das eigene Selbstverständnis prägten, nicht debattiert wurden. Zu erinnern wäre in diesem Zusammenhang an die Übernahme antisemitischer Topoi in Bubers berühmtem Text über den „Geist des Orients und das Judentum". Das Haupt der Kulturzionisten definierte Judentum mit eben jenen Werten als agrarisch-bodenständige Kultur, welche die völkische Bewegung dem Germanentum zusprach. 164 Die meisten Überhöhungen des Ostjudentums erweisen sich bei näherem Hinsehen als ausgesprochen zeitgeistaffin. Das Ostjudentum sollte eine ebenso ursprüngliche wie zukunftsfähige Gemeinschaftsform symbolisieren und spiegelte doch nur den Diskursdruck, unter dem die weitgehend akkulturierte deutsch-jüdische Bevölkerung stand. Dabei gerieten die Zionisten um so leichter in den Bann völkischer Ideologeme, wie sie ihren eigenen „Ostjudenkult" mit der Vielfalt ostjüdischer Kultur verwechselten. Bezeichnenderweise enthielt Bubers Zeitschrift „Der Jude" nicht nur eine Vielzahl von Artikeln zum Thema „Ostjudentum", sondern auch eine „regelmäßige Rubrik über jüdische Rassenkunde", in der Fragen rassischer Physiognomik oder Psychologie eingehend und mit großer Ernsthaftigkeit debattiert wurden. 165 Die zeitgenössisch so oft beschworenen „religiösen Wurzeln" ostjüdischen Lebens blieben schon allein aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse weitgehend unbekannt. Ihre verklärende Darstellung durch deutschjüdische Intellektuelle zeigt in erster Linie, wie groß das „Leiden an der Moderne" war und wie sehr man sich danach sehnte, die „heile Vergangenheit" in der Fremde wiederzufinden. Die meisten Kulturzionisten bewegten sich innerhalb eines Diskurses, der die deutsche Tradition seit der Romantik prägte. 166 Das zugrundeliegende Problem hatte Kleist bereits 1810 in seinem berühmten Aufsatz „Über das Marionettentheater" in aller Schärfe herausgestellt. Es galt zu klären, wie der Mensch aus dem Zu-

Bd. 3: Umstrittene Integration 1871-1918, v. Steven M. Lowenstein u.a., München 1997, S. 2 7 8 - 3 0 1 , hier S. 278, hervorhebt. 164

165

,66

Zu Bubers Übernahme und Transformation antisemitischer Topoi: Ritchie Robertson, ,„Urheimat Asien'. Re-Orientation of German and Austrian Jews, 1 9 0 0 1925", in: German Life and Letters 49 (1996), S. 182-192, hier S. 186 f., und Gilman, Selbsthaß, S. 194 f. Dazu nun pointiert: Philipp Blom, „Die ,Stimme des Blutes'. Martin Buber und die deutsche Nationalmystik", in: Neue Zürcher Zeitung Nr. 95 vom 25./26. April 1998, S. 70. Vgl. Cresti, „Aporien", S. 254 f.

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stand der Entfremdung zu seiner ursprünglichen Unschuld zurückfinden könne. Kleist, der um den eschatologischen Charakter dieser Frage wußte, verweigerte jede definitive Antwort und stellte in Rätselform fest, daß es darauf ankomme, erneut vom „Baum der Erkenntnis" zu essen. 167 Der kulturzionistische Versuch, das Heil des Judentums umstandslos im Osten zu finden, unterschritt dieses Reflexionsniveau und trug die Züge eines naiven Utopismus. Zwar weckte die staunenswerte Idealisierung des Ostjudentums Energien, die sich belebend auf die „Jüdische Renaissance" der Zwanziger Jahre auswirkten. Zugleich hieß dies aber auch, daß die Ostjuden „Fremde" in der akkulturierten deutsch-jüdischen Kultur blieben - mit all den Ambiguitäten, die das bedeutete.

5.3. Der Streit um das „Ethos der hebräischen Propheten" Jede isolierte Betrachtung der jüdischen Ideengeschichte im frühen zwanzigsten Jahrhundert geht in die Irre. Dies gilt auch und vielleicht sogar in besonders hohem Maß für den Bereich der Religion. Jüdische Theologen mußten sich in einer überwiegend protestantisch geprägten Kultur behaupten und reagierten auf Veränderungen der kulturellen „Großwetterlage" mit hoher Sensibilität. Zumeist mieden sie in den öffentlichen Debatten laute Töne. Zu wichtig war der Glaube an die jüdisch-christliche Kultursynthese für das eigene Selbstverständnis, als daß man die scheinbare Harmonie mit unbedachten Äußerungen aufs Spiel gesetzt hätte. Eine grundlegende Asymmetrie charakterisierte das Verhältnis zwischen christlichen und liberal-jüdischen Theologen, die mit großem Einsatz um die Akzeptanz der Mehrheitskultur kämpften. 168 Über den untergründigen Antisemitismus in der protestantisch dominierten Hochschulwelt des Kaiserreichs schwieg man sich jüdischerseits 167

Heinrich von Kleist, „Über das Marionettentheater 4 ', in: Ders., Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, Darmstadt 1962, S. 3 3 8 - 3 4 5 , hier S. 345.

168

Eingehend zur Vermachtung des jüdisch-christlichen „Dialogs" um die Jahrhundertwende: Uriel Tal, „Theologische Debatte um das ,Wesen' des Judentums", in: Juden im Wilhelminischen Deutschland 1890-1914, hg. v. Werner E. Mosse unter Mitw. v. Arnold Paucker, Tübingen 1976, S. 5 9 9 - 6 3 2 , sowie Christian Wiese, Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im wilhelminischen Deutschland. Ein Schrei ins Leere?, Tübingen 1999. - Bemerkenswert ist, daß fast alle jüdischen Theologiekonzepte sich an den Protestantismus richteten, während der Katholizismus als „Gesprächspartner" von nachgeordneter Wichtigkeit war. Die Gründe hierfür verdienten eine eigene Untersuchung, die u.a. die Bedeutung des „Kulturkampfs" für das Selbstverständnis des liberalen Judentums in den Blick nehmen müßte.

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meist aus. Selbst die wenigen jüdischen Wissenschaftler, die einen Lehrstuhl bekleideten, führten kein leichtes Leben. Aus der Marburger Hochschulgeschichte ist beispielsweise bekannt, daß die meisten Professoren, wenn Hermann Cohen eintrat, das Universitätszimmer verließen. 169 Die Ursachen für viele Spannungen und Konflikte zwischen Juden und Christen liegen im Dunkel der Überlieferung verborgen, und gerade bei vorderhand miteinander befreundeten Gelehrten erweist sich die Spurensuche als ungewöhnlich schwierig. So konstatiert die moderne theologiegeschichtliche Forschung eine tiefgehende Entfremdung zwischen Cohen und Wilhelm Herrmann, ohne die Gründe dafür näher benennen zu können. 170 Erst unter Hinzuziehung archivalischer Quellen wird deutlich, daß es bereits 1882/83 zu einem grundsätzlichen Dissens zwischen den beiden Professoren gekommen war, die auf den ersten Blick viele Interessen und wissenschaftliche Überzeugungen miteinander teilten. Den Anlaß der Entzweiung bildete die Haltung der Marburger Theologischen Fakultät zu den Ritual mordvorwürfen gegen die Juden, die im Zusammenhang mit der Justizaffäre von Tisza-Eszlar und den antisemitischen Ausschreitungen in Preßburg auch in Deutschland kursierten und erregt debattiert wurden. 171 Der Kölner Rabbiner und Direktor der israelitischen Lehrerbildungsanstalt Plato hatte am 10. Oktober 1882 in Marburg eine gutachterliche Äußerung angefordert, ob die Juden „religionsgesetzlich verpflichtet seien, zu gottesdienstlichen Zwecken eine Mordthat zu begehen und Kinderblut zu verwenden". Die Theologische Fakultät scheute jedoch das politische Terrain und teilte Plato am 30. November mit, in der Angelegenheit nichts Positives erklären zu können. In seinem Brief an die Theologische Fakultät vom 24. Januar 1883 beurteilte Cohen diese Entscheidung als „gröbliche Verletzung seines Glaubens" und betonte die rechtliche Stellung des Judentums als „staatlich anerkannte religiöse Genossenschaft". 172 Schon am nächsten Tag wurden die Theologen von ihrem De169

Abraham A. Fraenkel, Lebenskreise. Aus den Erinnerungen thematikers, Stuttgart 1967, S. 104 f.

170

Exemplarisch: William Kluback, „Friendship without Communication. Wilhelm Herrmann and Hermann Cohen", in: LBIYB 31 (1986), S. 3 1 7 - 3 3 8 . Ferner: Dietrich Korsch, „Hermann Cohen und die protestantische Theologie seiner Zeit", in: ZNThG 1 (1994), S. 6 6 - 9 6 , hier S. 8 0 - 9 6 , sowie Sieg, Aufstieg, S. 218 ff., und passim.

171

Zum Folgenden vgl. die Dokumente StAM 307a, acc. 1950/1, Nr. 17; für den Hinweis auf diesen wichtigen Quellenbestand danke ich Horst Hecker. - Allgemein zur Bedeutung der Ritualmord„fälle" für den Antisemitismus im ausgehenden 19. Jahrhundert: Blaschke, Katholizismus, S. 74 u. 125; speziell zur Bedeutung von Tisza-Eszlar: Ebd., S. 112.

172

Auffällig ist der sehr persönliche Ton dieses Dokuments, in dem Cohen u.a. davon spricht, daß ihn das Schreiben der ,,Hochwürdige[n] Theologischen Fakultät [...] mit großem Schmerze erfüllt" habe; StAM 307a, acc. 1950/1, Nr. 17.

eines jüdischen

Ma-

Der Streit um das „Ethos der hebräischen Propheten"

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kan, dem Kirchenhistoriker Theodor Brieger, zu gutachterlichen Äußerungen aufgefordert, doch sonderliches Verständnis für Cohens Empörung bewiesen die Voten nicht. Wilhelm Herrmann, der bereits das Antwortschreiben an Plato verfaßt hatte, erklärte am 26. Januar sogar, es sei ausgeschlossen, ein definitives Urteil darüber abzugeben, ob „ein Mord, um Blut für rituelle Zwecke zu gewinnen, in jüdischen Kreisen überhaupt unmöglich sei". Zwei Tage später präzisierte Herrmann in einem Brief an den Dekan seinen Standpunkt: ,,[A]uch das Judenthum sei nicht ausgenommen von dem Schicksal aller Religionen, daß nämlich der religiöse Fanatismus das sittliche Urtheil zerstören und Thaten erzeugen könne, welche mit den historisch berechtigten Merkmalen der Religionsgemeinschaft in keinem logischen Zusammenhange stehen." 173 Immerhin sandte die Theologische Fakultät am 29. Januar ein kalmierendes Schreiben an Cohen, indem sie eine etwaige Kränkung des Philosophen bedauerte. Doch fand sie es gleichfalls ratsam, ihm Herrmanns briefliche Stellungnahme zukommen zu lassen. So mußte Cohen erfahren, daß ausgerechnet das geschätzteste Mitglied der Marburger Theologenschaft sich über - prinzipiell unlösbare - Probleme der Erkenntnistheorie verbreitete, wo es galt, ein klares Wort gegen den wachsenden Antisemitismus zu sprechen. Generell war es mit der Wissenschaft des Judentums an deutschen Hochschulen alles andere als vorbildlich bestellt, wie sich schon allein daran erkennen läßt, daß keine Lehrstühle für jüdische Theologie existierten. Als es im Vorfeld der Universitätsgründung in Frankfurt am Main um die Errichtung der ersten jüdischen Theologischen Fakultät ging, war es allein Martin Rade, der sich auf Seiten des liberalen Protestantismus für diese Idee öffentlich exponierte. 174 Die christliche Judenmission galt hingegen auch im Protestantismus nicht als Relikt der Vergangenheit, wie sich an dem Erfolg von Franz Delitzschs Initiativen ablesen läßt. Auch seine 1902/03 gehaltenen Vorlesungen über „Bibel und Babel" hatten weit über die Leipziger Universität hinausreichende Konsequenzen. Ihre Zentralthese, daß das Alte Testament integraler Bestandteil der vorderasiatischen Kultur sei, popularisierte zwar nur gängiges Wissen. Doch nutzten antisemitische Agitatoren die Ergebnisse von Bibelkritik, Keil173 174

Ebd.; leichte Veränderung des Zitats. Vgl. Martin Rade, „Eine jüdische, theologische Fakultät in Frankfurt am Main", in: Süddeutsche Monatshefte 10,2 (1913), S. 3 3 2 - 3 3 6 , sowie die Würdigung von Rades Engagement bei: Trutz Rendtorff, „Das Verhältnis von liberaler Theologie und Judentum um die Jahrhundertwende", in: Ders., Theologie in der Moderne. Über Religion im Prozeß der Aufklärung, Gütersloh 1991, S. 5 9 - 9 0 , hier S. 67 ff.

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schrifitkunde und Assyriologie, um die religionshistorische Bedeutung des Alten Testaments zu relativieren. Nicht wenige der etwa 1650 Zeitschriften- und Zeitungsartikel, die allein bis zum September 1903 erschienen, waren offenkundig der kulturpolitischen Aktualität des „Bibel-BabelThemas" geschuldet.175 Der Erste Weltkrieg läutete für die Wissenschaft des Judentums kein neues Zeitalter ein. Trotz aller plakativen Bekundungen zum „Burgfrieden" fiel es der Universitätstheologie nach wie vor schwer, das Judentum als gleichberechtigte Religion anzuerkennen. Bezeichnend ist die Reaktion auf Theodor Fritschs Schmähungen der hebräischen Bibel.176 Neben Chamberlain war Fritsch der bekannteste Verfechter eines völkischen Christentums, das Jesus als ersten Arier betrachtete. Seine despektierlichen Äußerungen zu Jahwe trugen ihm mehrere Prozesse und rechtskräftige Verurteilungen ein. Im Oktober 1914 ließ der renommierte Theologe Rudolf Kittel sein Gerichtsgutachten in dieser Angelegenheit drucken und fugte ihm ein Schlußwort bei, das die aktuelle politische Lage kommentierte. Es trug den Titel Die Juden und der gegenwärtige Krieg und lobte in emphatischen Wendungen den jüdischen Patriotismus. Von einer vorbehaltlosen Anerkennung der jüdischen Gemeinschaft war Kittel dennoch weit entfernt. So rechnete er das Judentum nicht zum eigentlichen Volk, das die vaterländische Pflichterfüllung als Selbstverständlichkeit betrachte. Zugleich warnte er die liberalen Juden vor einem allzu nachgiebigen Umgang mit den überlebten Religionsvorstellungen der Orthodoxie, der bei der christlichen Umgebung Befremden hervorrufen müsse.177 Die religiöse Dignität des Judentums mußte im Weltkrieg immer wieder verteidigt werden. Neben dem Talmud attackierten die Antisemiten vor allem die prophetische Weltsicht, die sie für gewöhnlich schroff mit einer jüdischen Volksreligion kontrastierten, der es an allen sittlich hochstehenden Elementen mangele. Aus diesem Grund veröffentlichte der „Abwehrverein" regelmäßig Artikel, welche die Unwissenschaftlichkeit der antisemitischen Deutung des Alten Testaments herausstellten und ei175

Tal, „Debatte", S. 627. Monographisch zu den vielen Facetten der durch Delitzsch ausgelösten Kontroverse: Klaus Johanning, Der Bibel-Babel-Streit. Eine forschungsgeschichtliche Studie, Frankfurt am Main usw. 1988.

176

Zum Folgenden detailscharf: Christian Wiese, „Jahwe - ein Gott nur für Juden? Der Disput um das Gottesverständnis zwischen Wissenschaft des Judentums und protestantischer alttestamentlicher Wissenschaft im Kaiserreich", in: Leonore Siegele-Wenschkewitz (Hg.), Christlicher Antijudaismus und Antisemitismus. Theologische und kirchliche Programme Deutscher Christen, Frankfurt am Main 1994, S. 2 7 - 9 4 , hier S. 2 9 - 6 0 .

177

Rud[olf] Kittel, Judenfeindschaft oder Gotteslästerung? Ein gerichtliches Gutachten. Mit einem Schlußwort: Die Juden und der gegenwärtige Krieg, Leipzig 1914, S. 90 ff. - Unter Fritschs antisemitischen Flugschriften besonders einflußreich: Mein Beweis-Material gegen Jahwe [zuerst Leipzig 1911; seit 1916 mit dem verschärfenden Obertitel Der falsche Gott],

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ne Übersicht über die moderne bibelwissenschaftliche Forschung gaben.178 Die wachsende Radikalisierung der Standpunkte machte freilich auch vor der Universität nicht halt. 1916 publizierte beispielsweise der deutsch-national gesonnene Wellhausen-Schüler Johannes Meinhold eine populär gehaltene Geschichte des jüdischen Volkes, die vor judenfeindlichen Urteilen nur so strotzte. In dem handlichen Bändchen, das sich im Plauderton an einen breiteren Leserkreis wandte, wurde Jahwe als Gott „semitischer Kleinnomaden" charakterisiert, deren rudimentäre Sittlichkeit ihrem vagabundierenden Leben entspreche.179 Die Ausführungen des Bonner Professors gipfelten in der Forderung an das Judentum, die Bindung an die eigenen religiösen Vorstellungen und insbesondere den Talmud aufzugeben, wenn man einen Platz in der modernen Kultur gewinnen wolle.180 Die ideologischen Hegemonieansprüche protestantischer Theologie waren im „Großen Krieg" offenkundig. Katholizismus und Judentum wurden als partikulare religiöse Konfessionen betrachtet, die keinen Anspruch auf politische oder intellektuelle Meinungsfuhrerschaft erheben konnten. Die preußisch-protestantische Kriegstheologie rühmte den sittlichen Wert des Staats ebenso wie sie im Zeichen des Vaterlands erhebliche Annexionen für legitim hielt. Von der Kanzel herunter sah man die Mittelmächte in einem „gerechten Verteidigungskrieg", interpretierte ihre militärischen Erfolge als „Gottes Willen" und erwartete gleichsam selbstverständlich einen „Siegfrieden". Luther avancierte zum Kronzeugen „deutscher Sendung" und nationalen Zusammenhalts. Selbst ehemalige Kirchenkritiker wie der Herausgeber der „Eisernen Blätter" Gottfried Traub wandelten sich zu beredten Verfechtern deutscher Vorherrschaft in Mitteleuropa. Nicht wenige Pastoren drückten die Verherrlichung des deutschen Machtstaats in einer extrem nationalistischen oder gar sozialdarwinistisch gefärbten Sprache aus, die mit dem Gebot christlicher Feindesliebe schwerlich in Einklang zu bringen war.181 Zu den einflußreichsten protestantischen Intellektuellen während des Weltkrieges gehörte Ernst Troeltsch. Nach mehr als z w a n z i g j ä h r i g e r Tätigkeit an der Heidelberger Theologischen Fakultät hatte der Freund Max Webers 1915 die Nachfolge Wilhelm Diltheys in Berlin angetreten. 178

Vgl. etwa den Artikel „Der jüdische Monotheismus" ( M V A A Nr. 2 3

vom

17. N o v e m b e r 1915, S. 122 f.). 179

Hans (!) Meinhold, Geschichte gegen

des jüdischen

Volkes von seinen

Anfängen

bis

600 n. Chr., Leipzig 1916, S. 2. Nähere Einzelheiten zu Meinholds anti-

semitischer Wirksamkeit bietet: Wiese, „Jahwe", S. 4 1 - 4 4 . 180

Vgl. Meinhold, Geschichte,

181

Vgl. Shinchi Sato, „Die Polarisierung der Geister im Ersten Weltkrieg am Bei-

S. 9 7 f.

spiel eines Vergleichs von Ernst Troeltsch zu Gottfried Traub", in: Mitteilungen der Ernst-Troeltsch-Gesellschaft 9 (1995/96), S. 11-17. Allgemein: Hammer, Kriegstheologie.

222

Die großen weltanschaulichen Debatten

Troeltsch entfaltete rasch eine breite Wirksamkeit, die seine ungewöhnliche Stellung als Theologe auf Berlins berühmtesten philosophischen Katheder noch einmal mehr unterstrich. In einer Vielzahl von Artikeln kommentierte er die Zeitlage und legte ein hohes Maß an politischer Klarsicht an den Tag. Troeltsch lehnte nicht nur die annexionistischen Maximalforderungen deutscher Hochschullehrer ab, weil derlei Tagträume die Macht der Alliierten unterschätzten und die Anbahnung eines „Verständigungsfriedens" erschwerten. Er zählte auch zu den moderaten Befürwortern einer Verfassungsreform und monierte den Machtzuwachs der OHL. Gleichwohl blieb ein ausgeprägter Patriotismus flir seine politische Weltanschauung konstitutiv, der ihn noch 1916 die Überlegenheit des deutschen Idealismus gegenüber dem westeuropäischen Staatsdenken preisen ließ. 182 Besonderes Interesse brachte Troeltsch kulturphilosophischen Fragen entgegen. Er gehörte als einziger Theologe zu den ständigen Mitarbeitern der Zeitschrift „Logos", die tonangebende und innovative Geisteswissenschaftler von Rudolf Eucken über Friedrich Meinecke, Heinrich Rickert und Georg Simmel bis hin zu Max Weber um sich geschart hatte. Hier hatte man sich dem Gedanken wissenschaftlicher Internationalität verschrieben, strebte man nach einer umfassenden Kultursynthese und konzipierte neue Lösungsansätze für die philosophischen Gegenwartsaufgaben. 183 Im „Logos" veröffentlichte Troeltsch 1916 seinen ehrgeizigen Essay „Das Ethos der hebräischen Propheten", der auf einen Vortrag über „Israelitische Prophetie" vor der „Religionswissenschaftlichen Vereinigung zu Berlin" zurückging. Er beschäftigte sich mit einem Kernproblem der zeitgenössischen theologischen Forschung und versuchte, am konkreten Einzelfall das Verhältnis von universaler und partikularer Ethik zu klären. Zugleich zielte die Gedankenführung auf einen Grundpfeiler des liberaljüdischen Selbstverständnisses, die Vorstellung vom ethischen Universalismus der Propheten. Sie stand im Mittelpunkt der Cohenschen 182

Ernst Troeltsch, „Die Ideen von 1914. Rede, gehalten in der,Deutschen Gesellschaft 1914'", in: Ders., Deutscher Geist und Westeuropa. Gesammelte kulturphilosophische Aufsätze und Reden, hg. v. Hans Baron, Tübingen 1925 [zuerst Die neue Rundschau 27 (1916), S. 6 0 5 - 6 2 4 ] , S. 3 1 - 5 8 . - Zu Troeltschs politischen Veröffentlichungen während der Kriegsjahre: Hans-Georg Drescher, Ernst Troeltsch. Leben und Werk, Göttingen 1991, S. 4 1 3 - 4 5 2 , und Bernd Sösemann, „Das .erneuerte Deutschland'. Ernst Troeltschs politisches Engagement im Ersten Weltkrieg", in: Horst Renz u. Friedrich Wilhelm Graf (Hgg.), Protestantismus und Neuzeit, Gütersloh 1984, S. 120-144.

183

Zur Zeitschrift „Logos" und ihrer geistesgeschichtlichen Bedeutung existiert inzwischen eine breite Literatur. Pars pro toto sei auf Rüdiger Kramme, .„Kulturphilosophie' und .Internationalität' des ,Logos' im Spiegel seiner Selbstbeschreibungen", in: Friedrich Wilhelm Graf, Gangolf Hübinger u. Rüdiger vom Bruch (Hgg.), Kultur und Kulturwissenschaften um 1900 II: Idealismus und Positivismus. Stuttgart 1997, S. 122-134, verwiesen.

Der Streit um das „Ethos der hebräischen Propheten"

223

Religionsphilosophie, die bei Troeltsch zwar nicht erwähnt wird, als argumentativer Widerpart jedoch stets gegenwärtig ist.184 Troeltschs Untersuchung der prophetischen Quellen bediente sich der religionshistorischen Methode und kam zu ernüchternden Ergebnissen. Gerade der vielgepriesene Universalismus des prophetischen Weltbildes sei eine Chimäre. Zwar sei die Sittlichkeit der Propheten durchaus hochstehend, doch könne ihr Ertrag keineswegs unbegrenzt verallgemeinert werden; Vielmehr handle es sich um das Destillat bäuerischer Religionsauffassung mit all ihren sozialen Schranken und magischen Ingredienzen. 185 Troeltsch beurteilte den Prophetismus als Ergebnis des jüdischen Nationalismus und daraus ergab sich für ihn nur eine Konsequenz: die „religiöse Welt" der Propheten resultiere „gerade aus der gesteigerten Leidenschaftlichkeit, Kraft und Innigkeit des Nationalen selbst". 186 Mit kaum versteckter Spitze gegen Cohen monierte Troeltsch die abstrakte Weltfremdheit kantianisierender Interpretationen, die ihren historischen Gegenstand gar nicht erst in den Blick bekämen: „Die Sittlichkeit der Propheten", formulierte er apodiktisch, „ist nicht die Sittlichkeit der Menschheit, sondern die Israels in der ganzen Ungeschiedenheit von Sitte, Recht und Moral, die allen antiken Völkern eigen ist."187 Freilich erschöpft sich der Essay nicht in der religionssoziologischen Analyse des jüdischen Prophetismus, er bietet zugleich eine allgemeine geschichtsphilosophische Bewertung des Judentums. Das eigentliche historische und religiöse Ziel der jüdischen Ethik liegt nach Troeltsch erst im Christentum. Hier zeige sich die „welthistorische Wirkung" einer Sittenlehre, die „zwar aktiv und gestaltend, optimistisch und zielgewiß ge184

Zur philosophischen Dimension ihrer Auseinandersetzung vgl. Wendeil S. Dietrich, Cohen and Troeltsch. Ethical Monotheistic Religion and Theory of Culture, Atlanta 1986, und Hartmut Ruddies, „Hermann Cohen und Ernst Troeltsch. Bemerkungen aus Anlaß der Studie von Wendeil S. Dietrich", in: Mitteilungen der Ernst-Troeltsch-Gesellschaft 5 (1990), S. 3 8 ^ 7 . Einen informativen Überblick über den Verlauf der Debatte bietet: Robert S. Schine, Jewish Thought Adrift. Max Wiener (1882-1950), Atlanta 1992, S. 5 4 - 6 0 .

185

Ernst Troeltsch, „Das Ethos der hebräischen Propheten", in: Logos 6 (1916/17), S. 1 - 2 8 , hier S. 9, heißt es in diesem Sinn: „Die Prophetie hat in Wahrheit nichts zu tun mit Spekulation, Abstraktion, vernünftigem Einheitsstreben oder irgendwelcher Art von Philosophie. Sie arbeitet nach dem Vorgange der orgiastischen Mantik mit Orakeln, Visionen und Offenbarungen, Fluchformeln und Defixationen, Namenszauber und Zwang durch symbolische Handlungen." - Troeltschs Beziehung zur religionsgeschichtlichen Schule thematisiert: Rendtorff, „Verhältnis", S. 6 4 - 6 7 .

186

Troeltsch, „Ethos", S. 12. Zu Troeltschs Hervorhebung des nationalen Charakters prophetischer Ethik: Schine, Jewish Thought Adrift, S. 57. Troeltsch, „Ethos", S. 15; vgl. auch ebd., S. 18, die unmittelbar gegen Cohen gerichtete Aussage: „Mit Humanität und Freiheit oder gar Demokratie und Sozialismus im modernen Sinne hat diese Ethik keinen Faden gemeinsam."

187

224

Die großen weltanschaulichen Debatten

nug ist, die nichts mit Mystik und Kontemplation, Endlichkeitsgefiihl und Quietismus zu tun hat, die aber die Triebkräfte und die Ziele des sittlichen Willens oberhalb der gewöhnlichen Welt, ihrer natürlichen Bedürfnisse und ihrer kulturellen Aufgabe hat". 188 Zur Unterstützung seiner Ansichten rekurrierte Troeltsch auf Max Webers umstrittene Vorstellung von der Paria-Moral des Judentums. Weber vertrat die Ansicht, daß das jüdische Volk nach der Zerstörung des Zweiten Tempels mangels realer Partizipationsmöglichkeiten an der politischen Macht eine Ressentimentmoral entwickelt habe. Zwar paßte Webers Konzept in den Gesamtrahmen seiner Theorie von der Entstehung des okzidentalen Rationalismus, die stark wertende Diktion zeigt aber zugleich die Zeitgebundenheit seiner Ausfuhrungen. Pejorative Untertöne kennzeichnen auch Troeltschs Schilderung des nachbiblischen Judentums. Die talmudische Ethik wird charakterisiert als Weltanschauung eines Volkes, das sich damit zufriedengebe, „dem Ressentiment gegen seine Bedrücker, dem Gehorsam gegen das Gesetz und dem Ueberschwang seiner Hoffnungen zu leben". 189 Dies bedeutete eine gravierende Abwertung des zeitgenössischen Judentums, zu dessen zentralen Religionsquellen der Talmud gehörte. Trotz aller Bedenken gegen die methodische Sauberkeit von Sombarts Begriffsbildung zitierte Troeltsch überdies zustimmend die Auffassung des umstrittenen Nationalökonomen vom ,,schwierige[n] Verhältnis des reinen Ghetto-Judentums zur abendländischen Kultur", dessen Spuren noch im Zionismus erkannt werden. 190 Troeltschs Abhandlung stieß im liberalen Judentum auf erhebliche Kritik, weil sie die Bedeutung der christlich-jüdischen Kultursynthese prinzipiell in Frage stellte. Die wichtigste Replik verfaßte der Berliner Rabbiner Benzion Kellermann, der im Reformjudentum über beträchtliches Ansehen verfugte und von der apologetischen Kommission des VDJ mit dieser Aufgabe betraut worden war. 191 Nachdrücklich wies der CohenSchüler darauf hin, daß der ethische Monotheismus der Propheten sowohl eine unbezweifelbare historische Tatsache als auch ein normativer Wert sei. Troeltschs religionshistorischer und -soziologischer Methode stand Kellermann äußerst skeptisch gegenüber. Als treuer Cohenianer war er der Überzeugung, daß jede historische Erkenntnis sich zugleich systema-

188 189

190 191

Ebd., S. 25. Ebd. S. 7. Umfassend zum ideengeschichtlichen Kontext: Eugène Fleischmann, „Max Weber, die Juden und das Ressentiment", in: Wolfgang Schluchter (Hg.), Max Webers Studie über das antike Judentum. Interpretation und Kritik, Frankfurt am Main 1981, S. 2 6 3 - 2 8 6 ; komprimiert: Jörg Hackeschmidt, „Die hebräischen Propheten und die Ethik Kants. Hermann Cohen in kultur- und sozialhistorischer Perspektive", in: Aschkenas 5 (1995), S. 121-129, hier S. 126 ff. Tendenziell apologetisch: Rendtorff, „Verhältnis", S. 62 f. Troeltsch, „Ethos", S. 26. Vgl. Schine, Jewish Thought Adrift, S. 58.

Der Streit um das „Ethos der hebräischen Propheten"

225

tisch ausweisen muß, „weil das Denken als die einzig zulässige Instanz für den Entwurf überempirischer Bedingungen in Frage kommt".192 Selbst Hiob geriet Kellermann zum Kronzeugen „der Gleichheit aller Menschen", und in den Psalmen sah er den vollendeten Ausdruck eines messianischen Gottesbegriffs. Seine Argumentation zielte auf die Aufwertung des gesamten Prophetismus, dessen inhaltliche Homogenität betont wird. Aus diesem Grund spielte Kellermann auch die philosophische Bedeutung des Deuteronomiums gegenüber Arnos, Hosea oder Micha herunter. Beim fünften Buch Mose handle es sich lediglich um einen Kompromißversuch zwischen Priestern und Propheten, der „keine Partei gänzlich befriedigte".193 Auch mit Troeltschs Hochschätzung von Jeremias konnte Kellermann sich nicht anfreunden, weil sie die Einheit des jüdischen Prophetismus gefährdete. Wenigstens „dem Keime nach" sei auch den frühen Propheten jenes Rechtsempfinden und jene sittliche Individualität eigen, die Jeremias im Exil beispielhaft behaupte.194 Kellermann kritisierte scharf Troeltschs Anleihen bei Max Weber, dessen soziologische Klassifizierung des Judentums nur geringe historische Kenntnisse verrate. Denn das zeitweilige „Verbot des ,Konnubiums und der Tischgemeinschaft'" sei eine Sache des ,,Gastvolke[s]" gewesen, „das auch den Abbau dieser Schranken zu jeder Zeit autonom verfugen konnte".195 Desgleichen sei es gänzlich abwegig, „die Juden soziologisch auf die Stufe der Zigeuner zu stellen". Generell neige Troeltsch dazu, auf fragwürdige soziologische Verallgemeinerungen zu rekurrieren, die der Bedeutung und der Eigenart des Judentums nicht gerecht werden. So zitiere er Sombarts indiskutable Auffassung vom „minderwertigen Charakter der Ghetto-Ethik", ohne sich eine eigene Meinung zu bilden. Der Kern von Kellermanns Kritik ist jedoch methodischer Natur. Mit seiner nachfuhlend-verstehenden Herangehensweise gefährde Troeltsch die Wissenschaftlichkeit historischer Erkenntnis, weil auf diese Art keine interpretatorische Einigung im Umgang mit Texten zu erzielen sei. Letztlich laufe seine Hermeneutik auf die Abkehr vom klassischen Historismus und auf die subjektive Rekonstruktion historischer Wirklichkeit „in der Psyche des Forschers" hinaus.196 Damit werde freilich auch der Fortschrittsglaube hinfällig, der für das Ideal sittlicher Perfektibilität, ja für jede Ethik unabdingbar sei. Vor diesem Hintergrund verwundere es nicht, daß selbst die Religionsvorstellungen „der primitivsten Naturvölker" aka-

192

Benzion Kellermann, Der ethische Monotheismus der Propheten und seine logische Würdigung, Berlin 1917, S. 14; ebd. S. 18, das nächste Zitat.

193

Ebd., S. 37.

194

Ebd., S. 60. Ebd., S. 64 f.; ebd., S. 65, die nächsten Zitate. Ebd., S. 67.

195 196

sozio-

226

Die großen weltanschaulichen Debatten

demisches Interesse finden, während die jüdische Literatur für die „meisten nichtjüdischen Forscher [...] ein Buch mit sieben Siegeln (bleibt)". 197 Die Debatte um das „Ethos der hebräischen Propheten" fiel in die gereizte Atmosphäre des Jahres 1916, die von nachlassender Siegeszuversicht, beträchtlichen innenpolitischen Verwerfungen und der Suche nach einem „Sündenbock" geprägt war. Die Härte der ideologischen Auseinandersetzung zeigte sich an charakteristischen Begleitumständen. Die Redaktion des „Logos" weigerte sich, Kellermanns Abhandlung, für die sich Cohen verwandt hatte, zu drucken, so daß sie schließlich separat erschien. 198 Auch auf der persönlichen Ebene war das Verhältnis zwischen Cohen und Troeltsch gespannt, da dieser mehrere Schriften des Marburger Schulhaupts absprechend rezensiert hatte. 199 Bezeichnenderweise scheiterten die Bemühungen Ernst Cassirers, beide Denker miteinander ins Gespräch zu bringen. Ihre konzeptionelle Synthese von Monotheismus und Kulturtheorie war nur auf den ersten Blick miteinander verwandt. Tatsächlich vertrat Troeltsch im Ersten Weltkrieg eine hegelianisierende Geschichtsphilosophie, die ungeachtet des Bekenntnisses zu einer wertfreien religionssoziologischen Methodik mühelos mit jenen protestantisch gefärbten Kulturstufentheorien kompatibel war, die das Judentum als antiquiertes und erstarrtes Überbleibsel des Mittelalters betrachteten. Cohen publizierte einen wütenden Leitartikel für die „Allgemeine Zeitung des Judentums", in dem er über die Veröffentlichungspraktiken des „Logos" berichtete. Inhaltlich betonte er die Wichtigkeit, Troeltschs Ausfuhrungen energisch entgegenzutreten und zu widerlegen: „Es handelt sich in dieser Sache um nichts Geringeres als um das Ganze unserer Religion. Denn während man noch immer sich nicht schämt, an der mosaischen Nächstenliebe herumzufeilschen, hatte man doch endlich angefangen, den Universalismus der Propheten anzuerkennen." 200 In seiner Stellungnahme für die „Neuen Jüdischen Monatshefte" betonte der Philosoph ebenfalls, daß an eine Annäherung von Judentum und Christentum nicht zu denken sei, solange die Bedeutung des jüdischen Prophetismus in Frage gestellt werde. 201 Gerade weil es Cohen um die Schaf197 198 199 200

201

Ebd., S. 71. Zur Entstehungsgeschichte: Schine, Jewish Thought Adrift, S. 58 f. Vgl. Korsch, „Cohen", S. 85 und Sieg, Aufstieg, S. 4 0 6 f. Hermann Cohen, „Der jüdische Monotheismus der Propheten und seine soziologische Würdigung", in: AZJ Nr. 32 vom 10. August 1917, S. 373 f., hier S. 373. Ders., „Der Prophetismus und die Soziologie", in: Ders., Jüdische Schriften, hg. v. Bruno Strauß [...], Bd. 2, Berlin 1924, S. 3 9 8 - 4 0 1 [zuerst NJM 1 (1916/17), S. 6 5 2 - 6 5 5 ] ; knappe Kommentare zu Cohens Artikeln bei: Ruddies, „Cohen", S. 43 f., und Schine, Jewish Thought Adrift, S. 59.

Der Streit um das „Ethos der hebräischen Propheten"

227

fung einer rational begründbaren Zukunftsreligion zu tun war, konnte er das Zentrum jüdischer Ethik, den Glauben an die Universalität sittlicher Normen, nicht aufgeben. Die jüdische Orthodoxie erwartete von der protestantischen Theologie ohnehin wenig und hielt an der Wertschätzung der Propheten unmißverständlich fest. Bisweilen kam es während des Krieges zur Übernahme liberaljüdischer Theoreme. So knüpfte der Essener Rabbiner Salomon Samuel in seinen Kriegsvorlesungen des Jahres 1915 an Gedankengänge Cohens an und erklärte den kategorischen Imperativ zum Herzstück der prophetischen Sittenlehre. 202 Das Loblied Kants und der Propheten verband Samuel mit einer Erinnerung an den „Geist von 1813", womit er zugleich seine nationale Gesinnung unterstrich. 203 In der drei Jahre später erscheinenden zweiten Auflage seiner Vorträge hatte sich an der positiven Bewertung des jüdischen Prophetismus nichts geändert. Freilich sah sich Samuel nun genötigt, die nachbiblische jüdische Geschichte mit ganzer Kraft zu verteidigen. Der Talmud wurde zum „Bollwerk" des Judentums erklärt und die religiöse Bedeutung Rabbi Akibas in den Vordergrund gerückt. 204 Trotz seines ungebrochenen Bekenntnisses zum deutschen Vaterland wußte Samuel genau, daß die Angriffe auf die jüdische Religion nicht passiv hingenommen werden durften. Die Zionisten maßen theologischen Fragen eher nachrangige Bedeutung zu. Die „Würde des Judentums" begründeten sie zumeist mit nationalen und kulturellen Kategorien und verwiesen auf die lange Tradition jüdischer Geschichte. Dennoch sah man sich anläßlich der Debatte über das „Ethos der hebräischen Propheten" zur weltanschaulichen Positionierung herausgefordert. Die „Selbstwehr" äußerte sich ausgesprochen wohlwollend über einen Prager Vortrag zu Cohens 75. Geburtstag, der keinen Zweifel an der religionsphilosophischen Bedeutung des jüdischen Prophetismus zuließ. 205 Noch weiter ging eine Literaturbesprechung von Robert Weltsch in der „Jüdischen Rundschau". Sein Text warf die Frage auf, ob das Christentum überhaupt der geeignete Maßstab für die Beurteilung der großen Prophetengestalten sei. 206 Gerade bei Max Webers oder Troeltschs allgemeiner Charakterisierung des Judentums sah Weltsch die 202

Samuel, Bibel, S. 33 f.

203

Ebd., S. 71, heißt es pathetisch: „Die Freiheitskriege standen unter dem Zeichen des Kant'schen kategorischen Imperativs. Was ist dieser aber anderes, als das biblische ,du sollst' des Zweitafelgesetzes? Du sollst, sagt auch der Gott in dir, darum kannst du auch, du kannst einer Welt trotzen durch deinen auf das Rechte zielenden Willen."

204

Vgl. Samuel, Bibel, 2. mehrf. verb. Aufl., Berlin 1918, S. 5 6 - 5 9 ; ebd., S. 56, das Zitat.

205

F. H., „Die prophetische Gottesidee im Lichte Hermann Cohens", in: Selbstwehr Nr. 12 vom 23. März 1917, S. 6. Robert Weltsch, „Das Ethos der Propheten. Literaturbericht", in: JR Nr. 2 vom 11. Januar 1918, S. 10 f.; ebd., S. 10, das folgende Zitat.

206

228

Die großen weltanschaulichen Debatten

Gefahr, daß die Bedeutung der jüdischen Tradition unzulässig relativiert werde. Ausschlaggebend war für ihn, daß das Christentum nicht die geringste Hilfestellung gegen den „Zusammenbruch der abendländischen Kultur" im Ersten Weltkrieg geboten habe, weshalb sein Anspruch auf intellektuell-moralische Führerschaft erloschen sei. Daß antisemitisch eingeschätzte Organe wie die „Deutsche Tageszeitung" „schon das Betonen der ewigen Bedeutung unserer Propheten als unbescheiden" apostrophierten, empfand man seitens der „Jüdischen Rundschau" erst recht als vermessen. 207 Gleichwohl herrschten auf kulturzionistischer Seite beträchtliche Zweifel über den Wert jüdischer Theologie. Gerade die harmonisierende Weltsicht des liberalen Judentums empfand man als obsolet und drückte dies privat auch mit aller Deutlichkeit aus. So teilte Max Brod am 13. Februar 1917 Martin Buber seine Auffassung mit, daß man „ausgezeichneten Christen" wie Troeltsch oder Scheler „nichts Ebenbürtiges von jüdischen Autoren entgegenzusetzen habe". Gerade die Vordenker des liberalen Judentums hätten den Kontakt zur „heranreifenden Jugend" verloren, weil sie auf die drängenden Zeitprobleme eine „allzu einfache, allzu salbungsvolle, daher falsche Antwort" gegeben hätten. 208 Brods Namensauswahl unterstrich die polemische Note seiner Äußerung: neben den zwei verstorbenen Gelehrten Wilhelm Bacher und Moritz Lazarus erwähnte er als Protagonisten des liberalen Judentums lediglich den im 77. Lebensjahr stehenden Wiener Oberrabiner Moritz Güdemann. Die zionistische Kritik am schönfärberischen Charakter der liberaljüdischen Theologie hatte freilich ihren Preis, der in der Unterschätzung der inhumanen Potentiale völkischer Ideologie bestand. Gerade in Kreisen der zionistischen Jugendbewegung spielte man mit großer Geste nationaljüdische Werte gegen die universalistische Weltsicht der Altvorderen aus. Doch auch moderate Zionisten wie Elias Auerbach ließen kaum ein gutes Haar an den theologischen Entwürfen des liberalen Judentums. Insbesondere forderte er die Übernahme bibelkritischer Methodik, damit die jüdische Theologie endlich aus dem Schatten des Protestantismus trete. 209 Bezeichnend für die Selbstverständlichkeit, die völkische Gedanken am Ende des Ersten Weltkrieges gewonnen hatten, ist die Haltung orthodoxer Intellektueller. Zu den prominentesten Kritikern des liberalen Judentums gehörte Gustav Witkowsky, der als Redakteur der neoorthodoxen „Jüdischen Presse" einen ständigen Leserkreis und einigen Einfluß besaß. Für die neugegründete Zeitschrift „Der jüdische Wille", dem Blatt 207

M. M„ „Feststellungen und Hinweise", in: JR Nr. 37 vom 15. September 1916, S. 305.

208

Buber, Briefwechsel,

209

Elias Auerbach, „Bibelwissenschaftliche Irrungen", in: JR Nr. 35 vom 31. August 1917, S. 288 ff., hier S. 290. Ferner aufschlußreich: Ders., „Über die Prophétie. Eine Bücherschau", in: NJM 2 (1917/18), S. 5 - 1 7 , bes. S. 13 f.

Bd. 1, S. 4 7 2 f., hier S. 473.

Der Streit um das „Ethos der hebräischen Propheten"

229

der organisierten zionistischen Studentenschaft, verfaßte er 1918 eine Abhandlung, die sich programmatisch mit dem jüdischen Prophetismus auseinandersetzte. Nachdrücklich wird betont, daß das verklärende Weltund Geschichtsbild des liberalen Judentums eine Folge fehlenden Stolzes sei. Wer sich nicht traue, ein Lebensrecht der jüdischen Nation zu fordern, müsse deshalb zu verstiegenen universalen Werten Zuflucht nehmen. Voraussetzung für eine Lösung der sachlichen Probleme sei jedoch „der Mut, das Jüdische allein durch die Tatsache seines biologischen Seins zu rechtfertigen". 210 Witkowsky ergreift für Troeltschs Interpretation der hebräischen Propheten Partei, weil sie sich nicht in abstrakte Spekulationen verstricke, sondern ein realistisches Bild der prophetischen Zeit entwerfe. Das Wesen des Zionismus habe freilich auch Troeltsch nicht verstanden: „Denn dieser will keine Versöhnung von Gegensätzen die ihm unüberbrückbar erscheinen, sondern eine Entscheidung."2n Einen ähnlichen Weg wie Witkowsky schlug der Stettiner Rabbiner Max Wiener ein, der am Vorabend des Ersten Weltkrieges noch fest davon überzeugt gewesen war, daß Judentum und Christentum gemeinsam im Prophetismus wurzelten. Fünf Jahre später plädierte er hingegen für eine völkische Definition des Judentums, die stark von jenem „neuen Idealismus" beeinflußt wurde, der im Umfeld des Diederichs Verlags zu Ehren kam. 212 In der Debatte über das „Ethos der hebräischen Propheten" wurde deutlich, wie leid man jüdischerseits die protestantische Bevormundung war: ein Phänomen, das sich keineswegs nur auf das zionistische Lager beschränkte, sondern auch das liberale Judentum und die Orthodoxie umfaßte. Dennoch sah ein Großteil der jüdischen Publikationen nach wie vor die protestantische Universitätstheologie als Adressaten. Ähnlich wie beim Streit um das „Wesen des Judentums" überwog eine apologetische Argumentation. So wurde in der Zeitschrift „Liberales Judentum" der wissenschaftliche Wert von Kellermanns Buch herausgestellt und von der feuilletonistischen Herangehensweise Troeltschs abgehoben. 213 Der in Schwedt an der Oder wirkende Rabbiner Sigmund Jampel unternahm sogar den kühnen Versuch, Gedanken Max Webers und der „Marburger Schule" miteinander zu verschmelzen, um den Kulturwert des Judentums

210

Gustav Witkowsky, „Der Prophetismus als kulturgeschichtliches Problem", in: Der jüdische Wille 1 (1918/19), S. 8 7 - 1 0 7 , hier S. 89; eine ausgesprochen positive Würdigung von Witkowskys Abhandlung bietet: Hackeschmidt, Blumenfeld, S. 9 8 - 1 0 1 .

211

Witkowsky, „Prophetismus", S. 107. Zu dieser zionistischen Selbstgewißheit paßte denn auch die Schreibweise von Troeltschs Opponenten, der, ebd., S. 92, als „Ben Zion Kellermann" firmiert.

212

Dazu detailliert: Schine, Jewish Thought Adrift, S. 6 2 - 6 9 . M[ichael] Abraham, „Um die Ethik unserer Propheten", in: LJ 10 (1918), S. 5 3 57, hier S. 54.

213

230

Die großen weltanschaulichen Debatten

herauszuheben. Apodiktisch äußerte er zum Fehlen eines naturwissenschaftlichen Weltbildes in China, Indien und Japan: „Daß der biblische Monotheismus der Neuzeit und dem naturforschenden 19. Jahrhundert die Wege geebnet hat, beweist schon allein die Tatsache, daß wir überall dort, wohin die Bibel nicht gedrungen ist, bis zum heutigen Tag vergeblich nach einer naturwissenschaftlich begründeten Weltanschauung suchen." 214 Ähnlich selbstgewiß stellte er zur ethischen Bedeutung des jüdischen Prophetismus fest: „Ohne Monotheismus keine Moral." Der Berliner Rabbiner Julius Lewkowitz nahm eine moderatere Position ein und betonte die Universalität des jüdischen Nationalismus, dessen religiöse Botschaft auch anderen Völkern offenstehe. 215 Bis Kriegsende riß die jüdische Literatur zum „Ethos der hebräischen Propheten" nicht ab. Die Schräglage, die bereits den Streit um das „Wesen des Judentums" entscheidend geprägt hatte, vermochte sie jedoch nicht zu überwinden. Bezeichnenderweise blieb die Vielzahl theologischer und religionsphilosophischer Flugschriften und Artikel weitgehend unbeachtet. Selbst Adolf von Harnack und Martin Rade, die im liberalen Protestantismus zu den aufgeschlossensten Beobachtern des Judentums gehörten, nahmen von der innerjüdischen Diskussion keine Notiz. Ihre Weltkriegskorrespondenz beschäftigt sich zwar ausfuhrlich mit den politischen Streitfragen der Zeit, vom uneingeschränkten U-Boot-Krieg über mögliche Friedensoptionen bis hin zur Absetzung Bethmann Hollwegs. Die Probleme des deutschen Judentums tauchen jedoch mit keiner Zeile auf. 216 Zur ungebrochenen Marginalisierung des Judentums kamen im Ersten Weltkrieg neue Probleme. Ernst Troeltsch hatte in seiner Streitschrift zum „Ethos der hebräischen Propheten" das „wirkliche Leben der Religion" gegen jeden positivistischen Empirismus und konstruktivistischen Rationalismus ausgespielt. Seine Argumentation spiegelte den Erfolg neuer Denkansätze, welche die Theologie im Geiste Max Webers, aber auch religiös-existentialistischer Modelle als „Wirklichkeitswissenschaft" ver-

2,4

S[igmund] Jampel, „Der Weltkrieg und die biblische Kulturmission", in: JJGL 21 (1918), S. 5 6 - 8 3 , hier S. 63; ebd., S. 68, das nächste Zitat.

215

Julius Lewkowitz, „Religion und Nationalismus", in: JJGL 20 (1917), S. 7 0 - 8 4 , hier S. 81; vgl. auch ders., „Die Entstehung des ethischen und religiösen Universalismus", in: Ost und West 17 (1917), Sp. 5 5 5 - 5 6 2 . Vgl. Der Briefwechsel zwischen Adolf von Harnack und Martin Rade. Theologie auf dem öffentlichen Markt, hg. u. kommentiert v. Johanna Jantsch, Berlin u. N e w York 1996, S. 7 2 2 - 7 5 6 .

216

Der Streit um das „Ethos der hebräischen Propheten"

231

stehen wollten. 217 In einer waffenstarrenden und ideologisch zerklüfteten Welt hieß dies aber auch, daß nationalistisch gefärbte Gottesvorstellungen ernsthaft diskutabel wurden. Zugleich begünstigte dies die Konjunktur antisemitisch-völkischer Weltbilder, die im aufklärerisch-liberalen Erbe der Französischen Revolution lediglich eine Verfallserscheinung erblickten. Gleichsam über Nacht wurde ein strikter Antiuniversalismus zur kulturellen Norm der politischen Rechten. Während man den „Gott der Deutschen" von dem oberflächlichen westeuropäischen Religionsverständnis abhob, wurde die Einschätzung der Juden erneut prekär. Dies zeigte sich in der Diskussion über „Deutschtum und Judentum", die seit Kriegsbeginn gefuhrt wurde und im Jahre 1916 kulminierte.

5.4. Auseinandersetzungen über „Deutschtum und Judentum" Die Vorstellung einer deutsch-jüdischen Doppelidentität war für das jüdische Bürgertum im Kaiserreich konstitutiv. Der CV, die mit weitem Abstand größte und politisch einflußreichste jüdische Organisation, hatte die harmonische Verbindung von „Deutschtum und Judentum" auf seine Fahnen geschrieben. Die Anhänger des CV betrachteten das Judentum als religiöse Privatangelegenheit, deren ungestörte Ausübung vom Staat zu garantieren sei. Die deutsche Gesinnung bekannte man hingegen öffentlich und betonte, daß sie alle anderen Loyalitäten an Bedeutung überrage. Diese bis 1914 weithin konsensfähige Auffassung wurde im Krieg zum Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen. 218 Eine zentrale Schwierigkeit der Debatte bestand darin, daß nicht nur die Definition des „Judentums" vom jeweiligen politischen, weltanschau217

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Troeltsch, „Ethos", S. 2; allgemein zur disziplingeschichtlichen Entwicklung: Georg Pfleiderer, Theologie als Wirklichkeitswissenschaft. Studien zum Religionsbegriff bei Georg Wobbermin, Rudolf Otto, Heinrich Scholz und Max Scheler, Tübingen 1992. Eine eindrucksvolle Fallstudie bietet: Brent W. Sockness, Against False Apologetics: Wilhelm Herrmann and Ernst Troeltsch in Conflict, Tübingen 1998, der, ebd., S. 188 f. u. 192 ff., auch Troeltschs Bekämpfung des „Marburger Rationalismus" während des Weltkrieges behandelt. Die zentrale Bedeutung der Synthese von Deutschtum und Judentum für das Weltbild des CV betont: Jehuda Reinharz, „Deutschtum and Judentum in the Ideology o f the Centraiverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens 1893— 1914", in: JSS 36 (1974), S. 19-39, hier S. 2 8 - 3 9 . Zur Kontinuität dieses Problemfeldes nach wie vor instruktiv: Hans Joachim von Borries, Deutschtum und Judentum. Studien zum Selbstverständnis des deutschen Judentums, Hamburg 1971; neuerdings: Paul R. Mendes-Flohr, German Jews. A Dual Identity, N e w Häven 1999.

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Die großen weltanschaulichen Debatten

liehen und religiösen Standpunkt abhängig war. Es herrschte auch keineswegs Einigkeit darüber, was unter der Chiffre „deutsch" zu verstehen sei. Beispielsweise befand Werner Sombart in seinem aussagefreudigen Pamphlet Händler und Helden: „Die Deutschen, ,entschlüpfen der Definition und sind damit schon die Verzweiflung der Franzosen', meinte Nietzsche, der es als ein Kennzeichen der Deutschen ansah, daß bei ihnen die Frage: ,Was ist deutsch?' niemals ausstirbt."219 Für die Sinngebung des Krieges erwies sich diese Tatsache freilich als fatal; denn seitens der Mittelmächte hatte man die ungeheuren Opfer unter Bezugnahme auf Volk und Vaterland gerechtfertigt. In deutscher Freiheit und deutschem Sozialismus sahen die meisten Intellektuellen den Kern der „Ideen von 1914", ohne sie je begrifflich präzis fassen zu können. Ernst Troeltsch stellte 1916 fest, daß der „Große Krieg" die „Welt des Metaphysischen", die er als ,,geheimnisvolle[n] Zusammenhang von Schicksal und Sinn" auffaßte, wieder in den Mittelpunkt des deutschen Daseins gestellt habe.220 Aber seine Ausfuhrungen zur deutschen Freiheit blieben inhaltlich ebenso vage wie die Konturen des „neuen Idealismus", von dem er eine philosophische Wende erwartete.221 Zur selben Zeit formulierte Max Weber mit skeptischer Distanz und dem ihm eigenen trokkenen Humor: „Geistreiche Personen haben sich zusammengetan und die ,Ideen von 1914' erfunden, aber niemand weiß, welches der Inhalt dieser ,Ideen' war."222 Gleichfalls scheiterte die Definition der deutschen Nation über den äußeren Feind, der sich im Ersten Weltkrieg allzu vielgestaltig präsentierte. Mal trat das „perfide Albion" an die Stelle der „zaristischen Despotie", mal mußte der „französische Erbfeind" zur Kriegslegitimation herhalten. Eine dauerhafte Bestimmung nationaler Eigenart ließ sich auf diese Weise nicht gewinnen.223 Dies führte jedoch keineswegs zu einem Bedeutungsverlust von „Nation", „Volk" oder „Vaterland", eher war das Gegenteil zu konstatieren: Völkische Termini wurden zunehmend zur „religiös-kulturellen Letztinstanz", gerade weil ihre präzise Bestimmung

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Sombart, Händler, S. 54; vgl. auch Lenger, „Werner Sombart als Propagandist", S. 74 f. Troeltsch, „Geist", S. 38. Vgl. ebd., S. 40 f. u. 51, wo Troeltsch die deutsche Freiheit als „Sache der Gesinnung und des Lebensstiles" auffaßt. Max Weber, „An der Schwelle des dritten Kriegsjahres", in: Ders., Zur Politik im Weltkrieg. Schriften und Reden 1914-1918, hg. v. Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarb. mit Gangolf Hübinger, Tübingen 1984 [Rede am 1. August 1916 in Nürnberg, Wiedergabe nach Fränkischer Kurier Nr. 391 vom 2. August 1916, S. 1], S. 656-689, hier S. 660. Hierzu prononciert: Jeismann, Vaterland, S. 334-338.

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über Gegenbegriffe unmöglich erschien. 224 Nicht nur in militärischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht läßt sich der Erste Weltkrieg als „erster totaler Krieg" verstehen. Auch auf ideologischer Ebene wurde er mit großer Vehemenz und umfassenden Konsequenzen gefuhrt, die zumindest im Bereich der Mittelmächte von einer sukzessiven Abwertung aufklärerischen Gedankenguts begleitet war. 225 Allenthalben zeigte sich in Deutschland die Macht nationaler Mythen, von den Intellektuellen einprägsam formuliert und der staatlichen Propaganda gezielt verbreitet. Der Rekurs auf das angebliche „Wunder des August" und den inneren Zusammenhalt der „Volksgemeinschaft" ersetzte weitgehend die konkreten politischen Konzepte. 226 Damit einher ging eine Überhöhung des Vaterlands, das bei der politischen Rechten geradezu sakralen Charakter annahm. Unerbittlich bekämpfte sie den inneren Feind, ohne sich der Tatsache bewußt zu sein, daß dessen „Existenz" zu den Konstitutionsmerkmalen des eigenen Nationalgefiihls gehörte. Im manichäischen Weltbild des extremen Nationalismus mußten die Feinde des deutschen Volkes notwendig diabolische Züge tragen. So verwundert es kaum, daß die politische Rechte in hohem Maße auf antisemitische Stereotypen zurückgriff, wenn sie ihre Nationsvorstellung verdeutlichte. 227 Nicht zuletzt als Reaktion auf völkisch-antisemitische Angriffe stellte man im liberalen Judentum heraus, daß der Erste Weltkrieg keineswegs rassisch motiviert sei. Dies könne man schon den Allianzen entnehmen,

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Dies betont: Hübinger, „Diederichs' Bemühungen", S. 262. - Allgemein zu den semantischen Spezifika des deutschen Volksbegriffs: Reinhart Koselleck u.a., Art. „Volk, Nation, Nationalismus, Masse", in: Otto Brunner, Werner Conze u. Reinhart Koselleck (Hgg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, Stuttgart 1992, S. 141-431; zu ihrer Bedeutung für die Situation der jüdischen Minderheit vgl. Michael Titzmann, ,„Volk' und .Nation' in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. Sozio-semiotische Strategien von Identitätsbildung und Ausgrenzung", in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 2 (1993), S. 38-61. Deshalb ist es erstaunlich, daß der überblicksartige Artikel von Hans-Ulrich Wehler, „Der erste totale Krieg. Woran das deutsche Kaiserreich zugrunde ging und was daraus folgte", in: DIE ZEIT Nr. 35 vom 20. August 1998, S. 66, kulturgeschichtliche Fragen nicht einmal am Rande behandelt. Thomas E. Raithel, „Die innere Einheit des Kriegsbeginns als Erfahrung und Mythos in Deutschland und Frankreich 1914-1919", in: Francia24/3 (1997), S. 3 9 66. Vgl. dazu die weitausgreifende und innovative, aber gelegentlich etwas „luftige" Studie von Michael Jeismann, „Der letzte Feind. Die Nation, die Juden und der negative Universalismus", in: Peter Alter, Claus-E. Bärsch u. Peter Berghoff (Hgg.), Die Konstruktion der Nation gegen die Juden, München 1999, S. 173— 190. - Ich danke Herrn Jeismann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, für die Zusendung des seinerzeit noch ungedruckten Manuskripts.

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die wahre Völkerbündnisse seien. Bei der Bestimmung des Verhältnisses zur eigenen Nationalität half dieses Argument freilich wenig. Ungewollt demonstrierte dies ein Artikel Richard Lewinsohns, der den ausdrucksstarken Titel „Das Fiasko des Rassenkrieges" trug. Der kriegsfreiwillige Unteroffizier betonte nicht nur die internationale Zusammensetzung der Entente-Heere, er hob auch hervor, wie viele „,Rassen'" sich um die deutsche Fahne scharten. Bilanzierend bemühte er sich um eine abstrakte Definition des „Deutschen", die ihm zur reinen Tautologie geriet: „Deutsch sein heißt Deutscher sein." 228 Das hier aufscheinende Problem veranlaßte nicht wenige Intellektuelle des liberalen Judentums, ihre seit langem gepflegten Vorstellungen national-religiöser Doppelidentität offenzulegen. Der Rechtsanwalt und Politiker Eugen Fuchs, der zu den einflußreichsten Mitgliedern des CV gehörte, verfaßte eine Vielzahl von Stellungnahmen, die in plakativer Sprache auf die enge Verwandtschaft zwischen deutscher und jüdischer Kultur hinwiesen. Erst die Synthese von Deutschtum und Judentum, so betonte er immer wieder, ermögliche „wahres Menschentum". 229 Ähnlich wichtig für das Selbstverständnis des liberalen Judentums waren die Vorträge, Artikel und Flugschriften von Hermann Cohen. Auf Einladung der Berliner „Kant-Gesellschaft" behandelte er Mitte Oktober 1914 vor einer großen Zuhörerschaft „das Eigentümliche des deutschen Geistes". In leuchtenden Farben schilderte er den zahlreichen Zuhörern die Leistungen deutscher Kultur und die Vermessenheit und Tücke der Kriegsgegner. Das Proprium des deutschen Nationalcharakters sah Cohen in einer uneigennützigen Ethik und einem Wissenschaftsverständnis, das fern von jedem Nützlichkeitskalkül entscheide, ob etwas wahr oder gerecht sei. Dies erinnerte an Fichtes berühmtes Diktum, deutsch sein, bedeute eine Sache um ihrer selbst willen tun, und zielte auf Englands Utilitarismus, den viele Professoren als eigentliche Kriegsursache ausgemacht hatten. Mehrere Verleger zeigten umgehend an Cohens hochgestimmtem Text Interesse, der noch im selben Jahr gedruckt wurde. Ein sonderlicher Erfolg war der Rede allerdings nicht beschieden: Wie so viele Produkte patriotischer Gesinnung ging sie im Meer der Kriegsliteratur unter und konnte im Jahre 1915 gerade einmal drei Rezensionen auf sich verei-

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Richard Lewinsohn, „Das Fiasko des Rassenkrieges", in: IDR 22 (1916), S. 73 f., hier S. 74. Vgl. etwa Eugen Fuchs, „Grabrede für Maximilian Horwitz (18. Oktober 1917)", in: Ders., Um Deutschtum und Judentum. Gesammelte Reden und Aufsätze ( 1 8 9 4 - 1 9 1 9 ) . Im Auftrage des Centraivereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens hg. v. Leo Hirschfeld, Frankfurt am Main 1919, S. 156 ff., hier S. 157. Hermann Cohen, „Über das Eigentümliche des deutschen Geistes", in: Ders., Kleinere Schriften V: 1913-1915. Bearb. u. eingel. v. Hartwig Wiedebach, Hildesheim, Zürich u. N e w York 1997, S. 2 3 7 - 2 9 7 . Zu den äußeren Umständen je-

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Eine erheblich stärkere Resonanz erfuhr hingegen Cohens programmatische Abhandlung „Deutschtum und Judentum", die philosophische und politische Kernfragen des liberalen Judentums miteinander verknüpfte.231 In Deutschland sei die jüdische Geschichte gleichsam zu sich selbst gekommen, wie man an den herausragenden geistigen Leistungen des deutschen Judentums erkennen könne. Das besonders innige Verhältnis der Juden zu Kant, Fichte oder Goethe zeige, daß sie seit den Tagen Mendelssohns die idealen Interpreten deutscher Kultur seien. Und gerade der Sozialismus, den Cohen gleichermaßen in die Tradition Bismarcks wie Lassalles einordnet, enthalte die besten Elemente von Deutschtum und Judentum und verkörpere die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft der Menschheit. 232 Cohens Essay hatte offenkundig den „Ton der Stunde" getroffen. Binnen kurzem erschienen nicht weniger als 24 Besprechungen, die aus unterschiedlicher politischer und weltanschaulicher Perspektive zur Argumentation des Neukantianers Stellung bezogen. 233 Auch Cohens orthodoxer Gegenspieler Isaac Breuer entschied sich für eine umfangreiche und keineswegs rein negative Rezension. Nachdrücklich betonte er die exzeptionelle Stellung Cohens im deutschen Judentum und nannte ihn „eine Erscheinung [...], wie sie seit Mendelssohn nicht mehr gewesen". 234 Zwar kritisierte Breuer dezidiert Cohens „Überschätzung der jüdischen Reformbewegung" und beklagte die „Würdelosigkeit des Assimilanten-

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ner Rede und ihrer Wirkungsgeschichte vgl. die Einleitung des Herausgebers, ebd., S. XXVII f.; zur Interpretation: Sieg, Aufstieg, S. 394. Hermann Cohen, „Deutschtum und Judentum mit grundlegenden Betrachtungen über Staat und Internationalismus", in: Ders., Kleinere Schriften V: 1913-1915. Bearb. u. eingel. v. Hartwig Wiedebach, Hildesheim, Zürich u. New York 1997, S. 465-560 [zuerst Gießen 1915]. Grundlegend zur normativen Ausrichtung dieser Schrift: Schwarzschiidt, „Germanism". Enttäuschend und fehlerreich hingegen: Arno Munster, „Les intellectuels (philosophes) juifs-allemands face ä la guerre de 1914", in: Philippe Soulez (Hg.), Les Philosophes et la guerre de 14, Saint-Denis 1988, S. 209-221, bei dem der Marburger Neukantianer sogar zum Professor der Berliner Humboldt-Universität (!) avanciert. Vgl. Cohen, „Deutschtum", S. 516 f. u. 543 ff. Zur Verbreitung von Cohens Schrift durch die „Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums" vgl. Cohens Postkarte an Paul Nathan vom 14. August 1916; CJA Berlin 75 C Ge 4, Nr. 8. Eine konzentrierte Übersicht über die Rezeptionsgeschichte von „Deutschtum und Judentum" gibt: Wiedebach, „Einleitung", S. XXII f. Isaac Breuer, „Von deutscher Zukunft. 1. Stück. Deutschtum und Judentum von Hermann Cohen", in: Jüdische Monatshefte 2 (1915), S. 341-352, hier S. 343; ebd., S. 347, die beiden folgenden Zitate. Generell zu Breuers Cohen-Bild: Alan L. Mittleman, Between Kant and Kabbalah. An Introduction to isaac Breuer 's Philosophy ofJudaism, Albany 1990, S. 12.

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tums", an der umfassenden Synthese des Neukantianers zeigte er jedoch durchaus Interesse: „Judentum und Deutschtum haben jenen grossen Zug zum Universalismus, der letzten Endes in der deutschen Lehre vom Endziel der Geschichte, in der deutschen Idee der Menschheit seine Grundlagen findet. Was immer Menschen Wahres, Schönes und Gutes ersinnen, so wirkt in ihnen der Gott Israels, der von seiner Weisheit ihnen hat Anteil werden lassen."235 Vor allem in den liberaljüdischen Organen wurde „Deutschtum und Judentum" ausfuhrlich vorgestellt und positiv gewürdigt. Der Tenor war dabei erstaunlich einhellig. Gleichgültig ob die Besprechung in der „Allgemeinen Zeitung des Judentums", im Frankfurter „Israelitischen Familienblatt" oder in der Kriegsausgabe der „K.C.-Blätter" erschien, stets wurde die kühne Synthese gerühmt, mit der Cohen die tiefere Interessengleichheit von Deutschtum und Judentum nachgewiesen und begründet habe.236 Der unabhängige Orden B'nai B'rith trug das Seine zur Verbreitung der Cohenschen Ansichten bei. Er veröffentlichte eine leicht faßbare und mit Zitaten nicht sparsame Einfuhrung in „Deutschtum und Judentum", für die der junge Kölner Rabbiner Arthur Rosenthal verantwortlich zeichnete.237 Gerade die philosophisch-systematische Stringenz scheint die Rezeption der Abhandlung im liberalen Judentum begünstigt zu haben. Denn die dort weitverbreitete Überzeugung, „daß das Beste an der deutschen Kultur dem Besten in der jüdischen Tradition entspreche", erhielt auf diese Weise jene philosophische Dignität, die im „Krieg der Geister" zur weltanschaulichen und politischen Positionierung unabdingbar war.238 Im übrigen verdient es festgehalten zu werden, daß Cohens Aus235

Breuer, „Zukunft", S. 350. Vgl. auch ebd., S. 351, die kategorische Feststellung: „Zu fest sind die Fäden, die Judentum und Deutschtum historisch verknüpfen. Gewiss, Blut ist nicht dicker als Wasser. Aber Liebe ist stärker als Hass."

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Bezeichnend für die geradezu dankbare Resonanz sind die Schlußworte von Hermann Kronheim, „Hermann Cohens Schrift .Deutschtum und Judentum'", in: K.C.-Blätter 5 (1914/16), S. 5 3 3 - 5 3 8 , hier S. 538: „Und so darfauch Cohen die Forderung stellen, in welcher der Grundgedanke seiner Schrift widerklingt, die Forderung, die sich wie ein Gelöbnis anhört, das auch wir uns zu eigen machen sollen: Wir wollen als Deutsche Juden sein und als Juden Deutsche!"

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[Arthur] Rosenthal, „Aus Hermann Cohens .Deutschtum und Judentum'", in: Bericht der Grossloge für Deutschland VIII U.O.B.B., Nr. 6, Oktober 1915, S. 8 3 - 8 6 . Aufschlußreich ist besonders Rosenthals Vorbemerkung, die Cohen gleichermaßen als ,,gottgläubige[n] Philosophien] und jüdische[n] Deutsche[n]" apostrophiert; ebd., S. 83.

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So treffend: Arnos Funkenstein, „Hermann Cohen: Philosophie, Deutschtum und Judentum", in: Jüdische Integration und Identität in Deutschland und Österreich 1848-1918. Internationales Symposium April 1983. Leitung Walter Grab, Tel

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fuhrungen zumeist als philosophische Sinngebung des Krieges und nicht als chauvinistische Tiraden gelesen wurden. Markus Brann beendete etwa sein Schreiben an den Neukantianer vom 6. September 1915, in dem er sich positiv über „Deutschtum und Judentum" geäußert hatte, mit dem Hinweis auf den „glorreichen Weltfrieden", den das nächste Jahr bereithalten möge. 2 3 9 Andererseits fehlte es auch nicht an scharfer Kritik an Cohens Kriegspublizistik. Drastische Worte wählte Ernst Troeltsch, den die altväterlich belehrende Diktion des Neukantianers erzürnt hatte. Gleichzeitig verwies seine Besprechung von Cohens Schrift „Über das Eigentümliche des deutschen Geistes" auf einen grundlegenden philosophischen Dissens. Der stark von Nietzsche beeinflußte Troeltsch bemängelte den konstruktivistischen Grundzug der Cohenschen Argumentation, die gleichsam notwendig zu ,,lebensfremd[en]" Konsequenzen führe. 2 4 0 Troeltschs - auf den ersten Blick nüchterne - Feststellung, Cohen vertrete einen ,,reine[n] Idealismus", kam unter den ideologischen Bedingungen des Völkerkrieges einem scharfen Angriff gleich. Denn zum einen implizierte diese Behauptung, daß sich dem Vordenker des liberalen Judentums die völkischen Konstitutionsbedingungen deutschen Seins nicht erschlossen hätten. Zum anderen monierte die Aussage die inhaltliche „Sterilität" rationalistischen Philosophierens, die mit antiquierten Mitteln die Wissenschaft vor dem Forum des Lebens verteidige. 241 Ähnlich reagierte der junge völkische Publizist Max Hildebert Boehm, der sich nicht zuletzt als Popularisator von Schelers „Metaphysik des Krieges" einen Namen gemacht hatte. Dies brachte Boehm gleichsam natürlich zu einer Kritik des „Kantischen Moralformalismus", dessen engagierteste Vertreter er bei der „Marburger Schule" ausmachte. 2 4 2 Der baltendeutsche Journalist mit Wahlheimat in Straßburg nahm Cohens Weltkriegsschrifttum zum Anlaß, ausfuhrlich auf den wirklichkeitsfremden Charakter seiner politischen Philosophie hinzuweisen. In einem Artikel für die „Preußischen Jahrbücher" legte er mit beißender Ironie dar, daß Cohens Auffassung von deutsch-jüdischer Kultur ebenso wie seine Aviv 1984, S. 3 5 5 - 3 6 5 , hier S. 355, der allerdings auf den Umstand, daß Cohen diesen Gedanken im Ersten Weltkrieg entfaltet, nicht weiter eingeht. 239

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Maschinenschriftlicher Durchschlag dieses Dokuments; JNUL Jerusalem Ms Var. 308, Nr. 240. Theologische Literaturzeitung 41 (1916), Sp. 89 f., hier Sp. 90. Ebd. - Die Schärfe von Troeltschs Angriff läßt sich auch aus Cohens privater Reaktion ersehen. Am 3. März 1916 schrieb er empört an Martin Rade: „Meinen Stil schon nicht mehr deutsch zu finden, das gehört doch wohl schon in den Hammer." (gedruckt bei: Sieg, Aufstieg, S. 506). Vgl. dazu die umfassende Scheler-Exegese von Max Hildebert Boehm, „Der Genius des Krieges und der Deutsche Krieg", in: PJbb 161 (1915), S. 2 6 9 - 2 8 0 , hier S. 279. Generell zu Boehms Stellung in der „völkischen Bewegung": Herbert, Best, S. 59 ff.

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pazifistischen und sozialistischen Ideale einem untergehenden Zeitalter angehörten. Nachdrücklich kritisierte Boehm zudem jedes kulturphilosophische Synthesebemühen als „erniedrigende Preisgabe der eigenen Wesenheit". 243 Seine Sympathien gehörten den Zionisten, deren romantisches Traditionsverständnis und stolzes Bekenntnis zum Judentum ihm Ausblicke auf eine bessere Zukunft zu verheißen schienen. Es ist wenig erstaunlich, daß Boehms Ausfuhrungen im zionistischen Lager Aufmerksamkeit und Anerkennung fanden. Leo Herrmann ließ sich sogar seitens der Redaktion der „Preußischen Jahrbücher" eine „große Zahl von Sonderdrucken" des Boehmschen Aufsatzes kommen, die er an seine Militärdienst leistenden Freunde vom Prager „Bar Kochba" schickte. 244 Auch der junge Gershom Scholem vertraute seinem Tagebuch an, daß er weltanschaulich mit Boehm weitgehend übereinstimme. 245 Bei Hugo Bergmann überwogen hingegen Ärger und Scham über die scheinbare Leichtigkeit, mit der Cohens Weltsicht journalistisch „vorgeführt" wurde. Die harmonisierende Vorstellung einer kulturellen Synthese von Deutschtum und Judentum erschien dem engagierten Mitglied des „Bar Kochba" nur noch „lächerlich". 246 Generell vermochte Cohens Weltbild die jüngere Generation kaum noch zu faszinieren. Den universalistisch ausgerichteten Rationalismus, für den er stritt, beurteilte man als bloße „Begriffshülse", die den politischen Realitäten nicht mehr gerecht werde. Bereits im September 1915 war in der „Jüdischen Rundschau" ein wegweisender Artikel erschienen. Er trug den Titel „Judentum und Rationalismus" und spielte mit großer Geste Fichte und den Geist der Romantik gegen die angeblich unhistorische und lebensferne Aufklärung aus. Vernunft und Wissenschaft erschienen darin als Überbleibsel einer antiquierten Welt, deren Vertreter an der existentiellen Bejahung des Judentums gescheitert seien. Der affirmative Umgang mit der eigenen Tradition wird in den Schlußsätzen offenkundig, die zugleich belegen, wie

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Max Hildebert Boehm, „Vom jüdisch-deutschen Geist", in: PJbb 162 (1915), S. 404-420, hier S. 414. Bei der Wirkungsgeschichte dieses Artikels muß mitbedacht werden, wie hoch die Bedeutung der „Preußischen Jahrbücher" in ideologischen Fragen war. Bereits im November 1914 prägte der Publizist Ernst Rohlffs dort den Ausdruck „Geist von 1914" der für die deutsche Kriegslegitimation schlüsselhaft wurde; dazu eingehender: Raithel, Wunder, S. 507, Anm. 4. Auch die Zionisten entdeckten bereits früh die „Preußischen Jahrbücher" als Forum. Hier erschien beispielsweise Kurt Blumenfelds vielzitierter Artikel „Der Zionismus. Eine Frage der deutschen Orientpolitik", in dem er seine politischen Vorstellungen für Palästina niederlegte (PJbb 161 [1915], S. 82-111). So Herrmann in seinem Schreiben an Max Hildebert Boehm vom 5. April 1916; UA Jena, Best. V Abt. IX, Nr. 2. Eintragung vom 29. Dezember 1915; Scholem, Tagebücher, S. 222. Vgl. seinen Brief an Leo Herrmann vom 1. Januar 1916; CZA Jerusalem A 145/54.

Auseinandersetzungen über „Deutschtum und Judentum"

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selbstverständlich die Parameter nietzscheanischer Kulturkritik geworden waren: „Die jüdische Assimilation mußte ihrem Wesen nach unhistorisch und damit rationalistisch sein. Der jüdische Nationalismus schafft im Volke die Kraft einer ungeheuren Bejahung des Lebens und damit die Wurzelhaftigkeit, die durch keine gedankliche Konstruktion zu erschüttern ist." 247 Gerade diejenigen Zionisten, die bereits vor 1914 kultur- und gegenwartskritische Positionen eingenommen hatten, empfanden den Weltkrieg als einen „Aufbruch zu neuen Ufern". Ihre Hoffnungen auf einen ideellen Neubeginn stiegen, als im April 1916 das erste Heft des „Juden" erschien. Bubers anspruchsvolle Kulturzeitschrift war sorgfältig vorbereitet worden. Schon im Herbst 1915 schrieb ihr Herausgeber, der über ein ausgedehntes Netz persönlicher und beruflicher Kontakte verfugte, potentielle Autoren an. Mit großem Einsatz und Geschick vertrat Buber seine Idee einer Monatsschrift, in deren Mittelpunkt die Probleme des Ostjudentums und die Wiedergeburt jüdischer Kultur stehen sollten. Nuanciert umwarb er etwa den Wiener Dichterfürsten und Künder jüdischer Spiritualität Richard Beer-Hofmann, den er nur zu gern zu den ständigen Mitarbeitern des „Juden" gerechnet hätte. Selbst die kleinste Notiz sei ihm lieb, gelte doch im Weltkrieg J e d e r Satz, hinter dem eine Person steht, unermesslich mehr als sonst". 248 Die Zielsetzung des „Juden" charakterisierte Buber gegenüber Beer-Hofmann als „eine würdige und zureichende Vertretung der jüdischen Sache, der jüdischen Interessen und Postulate". In seinem Brief an Friedrich Meinecke stellte er hingegen heraus, daß die „Zeitschrift für alle, Juden und Nichtjuden, bestimmt sein soll", mithin keineswegs auf jüdische Autoren beschränkt sei. 249 Das Blatt, das eine Vielzahl von Intellektuellen zu Wort kommen ließ, welche die Idee einer „Jüdischen Renaissance" teilten, stieß rasch auf positive Resonanz. Am weitesten ging vielleicht die Prager „Selbstwehr", deren Mitarbeiter in enger Beziehung zu Buber standen. Sie verherrlichten das Blatt als „Wetterleuchten" einer neuen kulturellen Ära und wünschten ihm „die größte Verbreitung". 250 In der „Jüdischen Rund-

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Maarabi, „Judentum und Rationalismus", in: JR Nr. 37 vom 9. September 1915, S. 296 f., hier S. 297.

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So Buber in seinem Brief an Richard Beer-Hofmann vom 8. November 1915, einem Musterbeispiel sorgfältiger Autorenpflege; HL Harvard bMS Ger 183 (88). Das folgende Zitat: Ebd.

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Undatiertes Schreiben Bubers an Friedrich Meinecke; GStA Berlin I. HA Rep. 92, Nr. 5 Stück 465; für den Hinweis auf dieses wertvolle Dokument danke ich Ewald Grothe.

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A. Teena, „Der Jude", in Selbstwehr Nr. 22 vom 16. Juni 1916, S. 1 ff.; ebd., S. 1 u. 3, die Zitate. - Eine ähnliche Sprache wählte auch Arnold Zweig, als er am

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schau" erschienen eine Vielzahl von Artikeln und Kolumnen, die für Bubers Organ warben. Jedes neue Heft des „Juden" wurde eingehend besprochen und die innovative Bedeutung der dort publizierten Essays herausgestellt. 251 Zumeist stammten die Kommentare aus der Feder von Leo Herrmann, der als Chefredakteur der „Jüdischen Rundschau" auch generell für die Redaktionspolitik verantwortlich zeichnete. Eigens betont wurde die positive Aufnahme, die Bubers Zeitschrift an der Front fand, wo sie nach dem Zeugnis von Max Hirschfeld nicht nur in „Soldatenheimen und Lazaretten", sondern auch „vorn in den Schützengräben von Hand zu Hand ging". 252 Seitens der Orthodoxie fielen die Einschätzungen ambivalent aus. Harry Levy betonte in der Zeitschrift „Jeschurun" die inhaltliche Vagheit von Bubers Programmatik. Gerade die Ausführungen über die religiöse Renaissance des Judentums beurteilte er ausgesprochen skeptisch. So wisse ,jeder, wie wenig im allgemeinen den Zionisten der Großstadt vom Assimilanten unterscheidet". 253 Die Laxheit in Religionsdingen erkannte Levy vor allem am häufigen Gebrauch des „vierbuchstabigen Gottesnamens, den Jahrtausende hindurch kein Jude, der zur Gemeinschaft zählen wollte, über die Lippen brachte". Zu einer ganz anders gelagerten Einschätzung kam man hingegen bei der konservativen „Jüdischen Presse", die generell für nationaljüdische Ideen beträchtliche Sympathien an den Tag legte. Hier rühmte Isaak Ben-Jakob ausdrücklich das neue Organ, das „mitten im Waffenlärm" erschienen sei. 254 Hellsichtig erkannte er die dezisionistische Ausrichtung des „Juden", der seine Leser zur persönlichen Entscheidung hinsichtlich seiner jüdischen Identität auffordere. Auch Franz Rosenzweig, der dem Zionismus recht kritisch gegenüberstand, war von der offenen Sprache und dem kulturpolitischen Anliegen des „Juden" überzeugt. Voller Emphase schrieb er am 4. September 1916 seinen Eltern:

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1. Januar 1916 Buber mitteilte, „warum ein Aufatmen der Befreiung meine Antwort war auf Ihre Nachricht, daß diese Zeitschrift [gemeint ist „Der Jude"; U.S.] jetzt erscheint". (JNUL Jerusalem Ms Var. 350 Nr. 930/32). So sah der Kommentar von Berthold Feiwel „Zum ersten Heft des Juden" den einzigen Fehler des Buberschen „Programmfs]" darin, „seiner Zeit und ihren Menschen zu sehr vorauszueilen" (JR Nr. 18 vom 5. Mai 1916, S. 143-146, hier S. 143). - Monographisch zum „Flaggschiff des Kulturzionismus: Lappin, Der Jude 1916-1928. Max Hirschfeld, „Ein Feldpostbrief, in: JR Nr. 22 vom 31. Mai 1918, S. 168; leichte Abwandlung des Zitats. Harry Levy, „Der Jude. Eine Monatsschrift. (Herausgeber Dr. Martin Buber, Heppenheim)", in: Jeschurun 3 (1916), S. 406-409, hier S. 408; ebd., S. 409, das nächste Zitat. [Isaak] Ben-Jakob, „Der Jude", in: JP 47 (1916), S. 258 ff., hier S. 258.

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„Seht Ihr eigentlich manchmal den Buberschen .Juden' an, wenn ich ihn zurückschicke? Es ist doch etwas Großes, daß hier endlich einmal eine jüdische Veröffentlichung da ist, die man ohne ständiges Schamgefühl wegen Affektiertheit, Verlogenheit und furs-Parkett-Reden ansehen kann." 255 Bubers Blatt stellte das Weltbild des liberalen Judentums prinzipiell in Frage. Schon der Titel, der den Namen von Gabriel Riessers 1832 ins Leben gerufener Zeitschrift kopierte, bedeutete eine Herausforderung. Denn er unterstrich, daß die bürgerliche Gleichberechtigung keineswegs alle Probleme des Judentums gelöst hatte. Ausdrücklich pointierte Bubers „Losung" die gemeinschaftlich-völkische Orientierung des Zionismus: „Wir fordern nicht Gewissensfreiheit für die Angehörigen eines Glaubens, sondern Lebens- und Arbeitsfreiheit für eine niedergehaltene Volksgemeinschaft." 256 Dies verband sich mit einer schroffen Ablehnung der „Assimilation", deren „Luftwurzeln" Buber jede „nährende Kraft" absprach. Besonders gereizt reagierte man auf Bubers Zeitschriftengründung im „Verein zur Abwehr des Antisemitismus", in dem Christen und Juden jahrzehntelang eng zusammengearbeitet hatten. Ausdrücklich warnte das Vereinsorgan vor „falschen Propheten", die nichts Geringeres bezweckten, „als die deutschen Juden gewaltsam von der deutschen Kultur [zu] trennen". In diesem Sinne bewertete man die politische Zielsetzung des „Juden" nach den erwarteten Konsequenzen: „Das ist das allbekannte Programm und die sattsam bekannte Tonart des jüdischen Nationalismus, der nicht rasten und ruhen will, bis überall die Juden einen Staat im Staate bilden." 257 Nicht nur im liberalen Judentum, sondern auch unter den gemäßigten Zionisten beobachtete man mißtrauisch, wie erfolgreich das neue Organ Bubers war. Recht bald kam es zu Überlegungen, eine weitere Kulturzeitschrift ins Leben zu rufen, und schon im Oktober 1916 erschien die erste Nummer der „Neuen Jüdischen Monatshefte". Als Herausgeber fungierten fünf Honoratioren der älteren Generation, von denen der zionistische Politiker und Soziologe Franz Oppenheimer sowie Eugen Fuchs am bekanntesten waren. Die ideologische Reizfigur aber stellte Hermann Cohen dar, der aus seiner Ablehnung des Zionismus nie einen Hehl gemacht hat255 256 257

Rosenzweig, Briefe, Bd. 1, S. 217. Buber, „Losung", S. 3; ebd., S. 2, die nächsten Zitate. M V A A Nr. 10 vom 17. Mai 1916, S. 79 f., hier S. 80; dort auch das vorige Zitat. Zur Reaktion auf die Gründung des „Juden" vgl. ferner Erik Lindner, Philosemitismus im Krieg. Programmatik und Argumentation der Zeitschrift .Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus' 1914-1918, Magisterarb. masch., Münster 1989, S. 191 f.

242

Die großen weltanschaulichen Debatten

te. 258 Schon allein seine Beteiligung signalisierte den „Kampfcharakter" des neuen Blattes. Dies erkannte auch Franz Rosenzweig, der hierzu seinen Eltern mitteilte: „Die Cohensche Zeitschrift [...] kann gut werden. Natürlich ist sie nur zu verstehen als ein Versuch, dem Buberschen Juden das Wasser bei den deutschen Intellektuellen etwas abzugraben, damit er nicht, wie er schon auf dem besten Wege war, als das einzige ernstzunehmende und glaubwürdige Sprachrohr der deutschen Judenheit gilt." 259 Und in der Tat waren die „Neuen Jüdischen Monatshefte", die alle zwei Wochen die Druckerpresse verließen, nur scheinbar ein integratives Unternehmen. Ihr ehrgeiziger Untertitel „Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Literatur in Ost und West" zielte in Wahrheit auf die Marginalisierung kulturzionistischer Positionen und behauptete ein Deutungsmonopol für die Kernfragen jüdischer Existenz. Die grundlegenden ideologischen Differenzen lassen sich beispielhaft an der Debatte zwischen Buber und Cohen über das Wesen der jüdischen Nation ablesen. In Absprache mit führenden Exponenten des liberalen Judentums hatte Cohen im Sommer 1916 eine Streitschrift über „Religion und Zionismus" verfaßt, die sowohl unter jüdischen Honoratioren als auch an der Front vertrieben wurde. 260 Nachdrücklich hob der Philosoph hervor, daß die in der deutschen Nation verwurzelten Juden keinen eigenen Staat in Palästina benötigten. Vielmehr verliere das Judentum seine eigentliche Würde, wenn es für sich eine exklusive Moral reklamiere; denn das Ideal der messianischen Menschheit sei notwendig völkerübergreifender Natur. 261 Bubers Antwort ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Bei der Bestimmung der jüdischen Nationalität handle es sich nicht um ein abstraktes philosophisches, sondern um ein konkretes politisches Problem. Ferner mißverstehe Cohen die zionistische Idee, die Palästina nicht als einen weiteren Staat mehr in der Welt, sondern als ideale menschliche 258

Dementsprechend skeptisch äußerte sich der spätere Redakteur der „Neuen Jüdischen Monatshefte" Wladimir Kaplun-Kogan. Am 10. Juli 1916 erklärte er in einem Brief an Max Bodenheimer, der als Vorsitzender der Z V f D über beträchtlichen politischen Einfluß verfügte: „Hoffentlich werden die Zionisten nicht von vornherein das Unternehmen bekämpfen, weil ein Hermann Cohen unter den Herausgebern steht." (CZA Jerusalem A 15/8/2F).

259

Schreiben vom 10. Oktober 1916; Rosenzweig, Briefe, Bd. 1, S. 244. Zum Folgenden ausfuhrlich: Sieg, „Bekenntnis", S. 6 2 1 - 6 2 9 . Hilfreiche Einfuhrungen in Cohens politisches Denken bieten: Funkenstein, „Cohen", und Schwarzschiidt, „Germanism". Hermann Cohen, „Religion und Zionismus. Ein Wort an meine Kommilitonen jüdischen Glaubens", in: Ders., Jüdische Schriften, hg. v. Bruno Strauß [...], Bd. 2, Berlin 1924, S. 3 1 9 - 3 2 7 .

260

261

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243

Gemeinschaft betrachte. Auf jeden Fall gelte es, den unhaltbaren Zustand zu überwinden, daß die Juden zerstreut unter allen Völkern leben müßten. 262 Vehement verteidigte der Neukantianer im Gegenzug die Grundlagen seines Philosophierens. Abstraktionen seien für jede wissenschaftliche Reflexion unabdingbar - auch für das Nachdenken über die Eigenart der jüdischen Nation. 263 Dies war durchaus konsequent argumentiert, aber schwerlich geeignet, ein breiteres Publikum für den eigenen Standpunkt einzunehmen. Bubers Replik konzentrierte sich denn auch auf den politischen Kern der Debatte. Abermals betonte er den Ausnahmecharakter eines jüdischen Gemeinwesens in Palästina, dessen humane Ausrichtung von Bedeutung für die Menschheit sein werde. 264 Eine Vielzahl von Intellektuellen zeigte sich von Bubers Idee eines kulturell fundierten jüdischen Nationalismus beeindruckt. Insbesondere schätzte man seine deutlichen Worte über die angebliche Interessenkongruenz von „Deutschtum und Judentum". Die Leitlinie der Interpretation wurde von der „Jüdischen Rundschau" vorgegeben. Sie monierte Cohens „allzu ausgeklügelte" Differenzierung „zwischen den Begriffen Nationalität und Nation", die für die politischen Schicksalsfragen des jüdischen Volkes unangemessen sei. 265 Moses Calvary, der zu den Schlüsselfiguren der jüdischen Jugendbewegung zählte, hielt es sogar für erwiesen, daß Cohen im Ersten Weltkrieg zum Fanatiker des Deutschtums geworden sei. 266 Selbst Franz Werfel, der allen „schmalzigen Chauvinismus des Ghetto" ablehnte und die Angehörigen des Prager „Bar Kochba" regelrecht unsympathisch fand, schätzte Bubers theoretische Schriften zum Ju-

262

Vgl. Martin Buber, „Völker, Staaten und Zion. I. Begriffe und Wirklichkeit. Brief an Hermann Cohen (Juli 1916)", in: Ders., Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden. Mit einer Einl. v. Robert Weltsch, 2. Aufl. Gerlingen 1992, S. 2 7 3 - 2 8 6 [zuerst Der Jude 1 (1916/17), S. 2 8 1 - 2 8 9 ] ,

263

Hermann Cohen, „Antwort auf das offene Schreiben des Herrn Dr. Martin Buber an Hermann Cohen", in: Ders., Jüdische Schriften, hg. v. Bruno Strauß [...], Bd. 2, Berlin 1924, S. 3 2 8 - 3 4 0 [zuerst K.C.-Blätter 6 ( 1 9 1 6 ) , S. 6 8 3 - 6 8 8 ] , Martin Buber, „Völker, Staaten und Zion. II. Der Staat und die Menschheit. Bemerkungen zu Hermann Cohens .Antwort' (September 1916)", in: Ders., Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden. Mit einer Einl. v. Robert Weltsch, 2. Aufl. Gerlingen 1992, S. 2 8 7 - 2 9 7 [zuerst Der Jude 1 (1916/17), S. 425—433],

264

265

M. M„ „Begriffe und Wirklichkeit", in: JR Nr. 34 vom 25. August 1916, S. 281. Zum „Kult des Wirklichen" im Prager „Bar Kochba" vgl. auch die rückblickende Schilderung von Max Brod: „All das, was nicht den ganzen Menschen und seine wirklichste Wirklichkeit ergriff, wurde als ,zu billig', als ,Phrasenhaftigkeit', als Papier abgelehnt." (Brod, Leben, S. 77).

266

Brief Calvarys an Buber vom 1. Januar 1917, wiedergegeben in: George Mosse, Germans, S. 97.

244

Die großen weltanschaulichen Debatten

dentum.267 Allerdings dürfte dieses Urteil mindestens ebenso sehr von Werfeis Sympathie für Buber wie von generellen Erwägungen geprägt sein. Denn die fuhrenden Vertreter des „Bar Kochba" wie Max Brod, Hans Kohn oder Robert Weltsch bemühten sich nach Kräften, Bubers Gedanken zu erfassen und der Öffentlichkeit zu vermitteln. Bis in die Diktion hinein reichten ihre Anleihen, und in ihrer Korrespondenz suchten sie immer wieder nach einem bestätigenden Kommentar des verehrten Philosophen. Buber jedenfalls scheint sich seines Erfolgs in der Debatte mit Cohen sicher gewesen sein. Er faßte seine beiden Essays in einer handlichen Schrift zusammen, die in kurzer Zeit zu den klassischen Texten des Kulturzionismus gerechnet wurde.268 Allein die Resonanz auf Bubers Veröffentlichungen sollte nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß Cohen auch im Weltkrieg zu den meinungsbestimmenden Intellektuellen des deutschen Judentums gehörte. Der CV tat sein möglichstes, um Cohens Ansichten zu propagieren, deren strikten Antizionismus man ideologisch begründet und politisch ratsam fand. Beispielsweise beendete Ludwig Geiger eine kritische Sichtung von „Schriften für und wider den Zionismus" mit dem ausdrücklichen Lob von Cohens Standpunkt.269 Und der Frankfurter Rabbiner Caesar Seligmann präsentierte den Lesern seiner Zeitschrift „Liberales Judentum" Cohen als tiefblickenden Denker, dem sich „die Wesenheit anders offenbart als dem gewöhnlichen Auge".270 Unter den Zionisten gab es manch einen, der wie Nehemia Anton Nobel eine Synthese von Deutschtum und Judentum erstrebte. Und selbst ein erklärter Gegner Cohens wie Gustav Witkowsky nannte den Philosophen nicht ohne Respekt das „anerkannte geistige Haupt der liberalen Judenheit".271

267

Vgl. sein Schreiben an Buber vom 31. Januar 1917; Buber, Briefwechsel, Bd. 1, S. 468. Gleichfalls aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist Werfeis undatierter Brief an Gertrud Spirk, in dem er harsche Urteile über Max Brod fällt, Buber hingegen einen „sehr reinen und bedeutenden Menschen" nennt. (DLA Marbach, Werfel). Autobiographisch zu der literarischen Fehde, die diesen Äußerungen zugrunde lag: Brod, Leben, S. 77.

268

Martin Buber, Völker, Staaten und Zion. Ein Brief an Hermann Cohen und Bemerkungen zu seiner Antwort, Wien 1917. AZJ Nr. 4 7 vom 24. November 1916, S. 559 ff., hier S. 561.

269 270

Caesar Seligmann, „Deutschtum und Judentum", in: LJ 8 (1916), S. 1-5, hier S. 1. Ähnlich weihevoll äußerte sich der Breslauer Referendar Ernst Emil Schweitzer, dessen Artikel „Hermann Cohen und die Stellung der Juden im deutschen Volke" vor allem die Bedeutung der messianischen Ethik für die tiefere Konvergenz von Deutschtum und Judentum hervorhob. (LJ 9 [1917], S. 5 - 9 , hier S. 8).

271

Gustav Witkowsky, „Deutschtum und Judentum. Eine Besprechung", in: JP 4 6 (1915), S. 4 5 2 ff., hier S. 452. Zu Nobels Haltung vgl. Rachel Heuberger, „Or-

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245

Rein inhaltlich lagen die Positionen Cohens und Bubers ohnehin nicht so weit auseinander, wie die scharfen gegenseitigen Abgrenzungen vermuten lassen. Trotz aller Bekenntnisse zu einer konsequent universalistischen Weltsicht blieb Cohens Nationsbegriff voluntaristischer Natur. Dezidiert formulierte Cohen in seiner Kontroverse mit dem Berliner Nationalökonomen Gustav von Schmoller um die „Mischehenfrage" und die Wahrung der Lehrfreiheit an den Universitäten: „Wir sind Deutsche, weil wir Deutsche sein wollen." 272 Buber nahm hingegen für seine Aussagen eine universale Geltung in Anspruch, die nicht weit vom „Kryptoplatonismus" der Cohenschen Wissenschaftsphilosophie entfernt war. Auch zwischen dem „Juden" und den „Neuen Jüdischen Monatsheften" waren die inhaltlichen Unterschiede keineswegs so groß, wie die redaktionellen Verlautbarungen nahelegen. Beide Kulturzeitschriften behandelten die großen Themen der Zeit vom steigenden Antisemitismus, über die „Entdeckung" des Ostjudentums bis hin zur Beurteilung des jüdischen Nationalismus. In jedem Fall sollte man sich vor allzu scharfen ideengeschichtlichen Polarisierungen hüten. Selbst ein orthodoxer Verfechter der CV-Ideologie wie Eugen Fuchs forderte im Jahre 1917 plakativ: „Nicht Assimilation, sondern Renaissance des Judentums!" 273 Die Unterschiede lagen primär im Denk- und Diskussionsstil der Beteiligten, und die Auseinandersetzung zeigte manche Charakteristika eines Generationskonflikts. Dem zionistischen Bekenntnis zu jüdischer Authentizität setzten die Protagonisten des liberalen Judentums einen normativen Universalismus entgegen, der noch aus der Welt des neunzehnten Jahrhunderts stammte. Buber gewann die Sympathien der jüngeren Generation für sich, weil er zeitgeistaffine Argumente in attraktiver Form präsentierte. Gleichzeitig stilisierte er sich zum weltanschaulichen Führer, der für die Sinnfragen menschlicher Existenz eine definitive Antwort bot. Gerade das Orakelhafte seiner Sprache scheint seine Anhänger fasziniert zu haben, die seine Diktion in solchem Ausmaß nachahmten, daß sie als Erkennungszeichen fungieren konnte. Im Extremfall transponierte man Bubersche Worte nahezu ohne Veränderung in neue Kontexte und drückte auf diese Art seine eigenen Ansichten aus. So paraphrasierte Gustav Witkowsky lediglich

thodoxy versus Reform. The Case of Rabbi Nehemia Anton Nobel of Frankfurt a. Main", in: LBIYB 37 (1992), S. 4 5 - 5 8 , hier S. 47 ff. 272

273

Cohen, Betrachtungen, S. 386. Zum Problemzusammenhang vgl. Hartwig Wiedebach, Die Bedeutung der Nationalität für Hermann Cohen, Hildesheim, Zürich u. N e w York 1997, S. 45 ff., und Zimmermann, Juden, S. 52 f. Eugen Fuchs, „Grabrede für Maximilian Horwitz, gehalten am 11. November 1917", in: Ders., Um Deutschtum und Judentum. Gesammelte Reden und Aufsätze ( 1 8 9 4 - 1 9 1 9 ) . Im Auftrage des Centraivereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens hg. v. Leo Hirschfeld, Frankfurt am Main 1919, S. 159-168, hier S. 164.

246

Die großen weltanschaulichen Debatten

Bubers Einleitungsessay für den „Juden", als er seine Einschätzung der innerjüdischen Bedeutung des Weltkrieges niederlegte: „Was ist da zu tun? Buber zeigt uns den Weg. Wer überhaupt mit seinem Dasein Ernst machen will, muß mit seinem Verhältnis zur Gemeinschaft Ernst machen: indem er sich verantwortlich fühlt."274 Vielleicht ist es tatsächlich unentscheidbar, ob Buber gleichfalls jenem „schimmernden Sinn" erlag, mit dem er seine Anhänger betörte, „oder ob er die verführerischen Kräfte zu nutzen wusste, um sich selbst zum jüdischen Zarathustra-Nietzsche zu stilisieren". 275 Skeptisch hinsichtlich Bubers Lauterkeit stimmt jedenfalls das Ausmaß, mit dem er die Rezeption seiner Ideen beobachtete und - wenn möglich - steuerte. So ließ er sich genau von Hermann Badt darüber informieren, wie Cohen den Zionismus öffentlich angreifen wolle und richtete seine Argumente an der Aufnahmefähigkeit und dem Interesse einer breiteren Öffentlichkeit aus. 276 Gerade die „Vergeistigung" des Zionismus, für die Buber zeitgenössisch stand, widersprach nicht einer Politisierung der Diskussion, sondern begünstigte sie, weil die politischen Probleme auf diesem Weg existentielle Bedeutung und geschichtsphilosophische Dignität erhielten. Mit polemischer Spitze, aber nicht unzutreffend, beurteilte es Robert Weltsch deshalb auch als „kindlich", wenn Heinrich Margulies dem Haupt der Kulturzionisten „Gegnerschaft gegen jede Politik" vorwarf. 277 Freilich muß es Buber konzediert werden, daß er eine zentrale Frage jüdischer Identität, die im „Großen Krieg" immer wieder zur Debatte stand, mit großer Intensität erörterte. Auch im Streit um das „Ethos der hebräischen Propheten" war es ja wesentlich um die Bestimmung des jüdischen Volkscharakters gegangen. Benzion Kellermann hatte darin sogar den archimedischen Punkt der theologischen Auseinandersetzung gesehen und kategorisch erklärt: „Es kommt indes alles darauf an, was man unter dem Begriff des , Volkes' zu verstehen hat." 278 Mit seiner kulturalistischen Deutung des Judentums eröffnete Buber jungen jüdischen Intellektuellen einen Zugang zum aktuellen nationalistischen Diskurs, an dem

274

Gustav Witkowsky, „Verantwortlichkeit", in: JP 47 (1916), S. 257 f., hier S. 258. Witkowskys Referenzstelle findet sich: Buber, „Losung", S. 2.

275

So Blom, „Stimme", S. 70.

276

Vgl. Sieg, „Bekenntnis", S. 623, sowie wie die sorgfältige Edition von Hartwig Wiedebach, „Hermann Cohens Auseinandersetzung mit dem Zionismus. Briefe von Hermann Cohen und Hermann Badt an Martin Buber", in: Jewish Studies Quarterly 6 (1999), S. 3 7 3 - 3 8 8 .

277

Robert Weltsch, „Kampf oder Verzicht?", in: JR Nr. 22 vom 31. Mai 1918, S. 166. Zu Margulies' „realpolitischem" Zionismusverständnis: Scholem, Berlin, S. 77.

278

Kellermann, Monotheismus,

S. 31.

Auseinandersetzungen über „Deutschtum und Judentum"

247

sie nun mit gutem Gewissen teilnehmen konnten. Denn durch den Bezug auf eine ideale jüdische Vergangenheit erhielten sie erstmals die Möglichkeit, dem siegesgewiß auftretenden „germanischen Denken" ihrer Altersgenossen eine eigenständige Alternative entgegenzusetzen. 279 Daß viele junge Zionisten damit in den Sog nationalistisch-völkischer Anschauungen gerieten, war allerdings kein geringer Preis für die ideologische Zeitgemäßheit. Der Ethnisierung der Diskurse, die den „Krieg der Geister" je länger, je mehr prägte, konnte sich kaum eine gesellschaftliche Gruppe in Deutschland entziehen. Für die innerjüdischen Auseinandersetzungen bedeutete die zunehmende Akzeptanz völkischer Denkfiguren eine erhebliche Verschärfung der Diskussion. Denn viele Vordenker des Zionismus fühlten sich dadurch in ihren Überzeugungen bestätigt und attackierten vehement das „harmonisierende" und „kompromißgeneigte" Weltbild des liberalen Judentums. Beispielsweise wandte sich der Herausgeber des Schweizer „Bulletin JuiP, Jakob Klatzkin, mit deutlichen Worten gegen die politische Publizistik seines ehemaligen philosophischen Lehrers Cohen. In Bubers „Juden" veröffentlichte er 1917 einen Besprechungsessay, der die Neuauflage von „Deutschtum und Judentum" als Produkt einer Zeit der „Begriffs- und Rechtsverwirrung" auffaßte. 280 Mit Bestimmtheit verteidigte Klatzkin seine Schlüsselfiguren eines kulturellen Neuanfangs, Bergson und Nietzsche, gegen Cohens „allzu rationalistisches" Philosophieverständnis. Das Ausmaß, in dem Klatzkin völkischen Werten Kredit gab, zeigte sich in der Abwertung des Christentums. „Das Deutschtum", so heißt es prononciert, „hat ein besonderes Recht, sich dessen zu rühmen, daß das Christentum es nicht vermochte, das nationale Gepräge des deutschen Kulturgeistes, des Germanentums zu verwischen." Klatzkin beurteilte sogar die wachsende Bedeutung des Antisemitismus positiv. Sie belege die ideologische Gleichberechtigung von „Judentum und Deutschtum", die einander wie „zwei urtiefe Weltanschauungen, zwei große Kultursysteme" gegenüberstehen würden. Gerade in ihrer völkischen Identität liege die eigentliche Würde von Deutschen und Juden, und so endet die Abhandlung in der plakativen Feststellung: „Der gewagte Versuch, Deutschtum und Judentum als wesensverwandt darzustellen, konnte nicht glücken, ohne daß die Eigenart sowohl des deutschen als auch des jüdischen Kulturgeistes geschmälert wird." 281 Dies hörte sich ebenso entschieden wie überzeugend an, ließ jedoch offen, worin die Zu-

279 280

281

Dazu eingehend: Hackeschmidt, Blumenfeld. Jakob Klatzkin, „Deutschtum und Judentum. Eine Besprechung", in: Der Jude 2 (1917/18), S. 2 4 5 - 2 5 2 u. 3 5 8 - 3 7 0 , hier S. 245; ebd. S. 362, die beiden nächsten Zitate. Bei Klatzkins scharfer Stellungnahme gilt es mitzubedenken, daß er vor 1914 zu den philosophischen Anhängern Cohens gehörte. - Maßgeblich zur „Ethnisierung der Diskurse" seit 1914: Jeismann, Vaterland. Klatzkin, „Deutschtum", S. 370.

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kunft derjenigen Teile des deutschen Judentums bestehen solle, die weder an eine Auswanderung nach Palästina noch an einen grundlegenden kulturellen Neuanfang dachten. Die in Blüte stehenden völkisch-nationalistischen Ideologien ließen keinen Raum für Konzepte kultureller Pluralität. In ihnen dominierte der Mythos eines homogenen deutschen Volkes, das für gewöhnlich in organischen Metaphern beschrieben und verherrlicht wurde. 282 Zugleich betonte man die Ewigkeit des „Deutschtums", attestierte ihm gleichsam überindividuelle Substanz und Bedeutung. Dies war zwar logisch schwerlich schlüssig, eröffnete jedoch für die Identifikation mit dem Vaterland die seit 1914 dringend benötigte transzendente Dimension. 283 Gerade ihre scheinbare Radikalität und religiöse Dimension machte völkische Weltbilder für junge Zionisten attraktiv, die im „Großen Krieg" eine Neugeburt jüdischer Kultur erblicken wollten. Zugleich suchten sie nach einer neuen völkischen Wissensordnung, die in einer Zeit schwindenden Staatsvertrauens und beschleunigten gesellschaftlichen Wandels emotionalen Halt und geistige Orientierung versprach. In welche Gesellschaft dieser „Hunger nach Ganzheit" führte, erkannten nur wenige Vordenker des Zionismus. 284 Immer wieder erwies sich Max Hildebert Boehm als einflußreicher Intellektueller, dessen Kommentierung des Zeitgeschehens aufmerksam verfolgt und begrüßt wurde. Nicht zuletzt unter seinem Einfluß ergriff die „Selbstwehr" im Streit um die „Kant-Studien" sogar Partei für die Antisemiten. Die liberaljüdische Auffassung, „daß Philosophie nicht von Rasse und Persönlichkeit abhängig sei", erschien dem zionistischen Blatt „mehr als merkwürdig". 285 Statt dessen schätzte man den „neuen Idealismus" der Autoren des Diederichs Verlags und erhoffte sich von ihnen weiteren Erkenntnisgewinn über die völkische Dimension jüdischer Kultur. 286 Fritz Mauthner lobte Klatzkins scharfe Aburteilung von Cohens 282

Vgl. Raithel, „Einheit", S. 46 f.

283

Den Stellenwert der „überindividuellefn] Dauer" für die Konstruktion der Nation betont: Walkenhorst, „Nationalismus", S. 511.

284

Zum allgemeinen Drang nach ganzheitlicher Welterfassung: Peter Gay, Die Republik der Außenseiter. Geist und Kultur in der Weimarer Zeit 1918-1933, Frankfurt am Main 1987, S. 9 9 - 1 3 7 , und Ringer, Gelehrte, S. 3 0 0 - 3 1 5 ; speziell zu seiner kulturzionistischen Ausformung: Michael Brenner, Kultur.

285

Art. „Jüdischer und deutscher Geist", in: Selbstwehr Nr. 13 vom 23. März 1917, S. 3 f., hier S. 3. Vgl. ferner ebd., S. 4, die plakative Aussage, daß alles „Gezeter über Antisemitismus" die Frage nach dem Kern jüdischer Philosophie nicht beantworte. Zur heftigen Auseinandersetzung um die „Kant-Studien" s. oben Kap. 5.1.

286

„Jüdischer und deutscher Geist", S. 4. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die sehr kritische Einschätzung Diederichs' bei: George L. Mosse, Die völkische Revolution. Über die geistigen Wurzeln des Nationalsozialismus, Königstein im Taunus 1991 [zuerst amerikan. N e w York 1964], S. 6 2 - 7 7 .

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249

politischer Publizistik und verwies auf die Äußerungen des „arischen Deutschen" Max Hildebert Boehm, von denen er annahm, daß sie „auch unter den jüdischen Deutschen Eindruck machen (werden)". 287 Die Macht völkischer Ideen zeigte sich gleichfalls in der Diskussion zwischen Arnold Zweig und dem Literaturwissenschaftler Rudolf Kayser. Nachdrücklich betonte Zweig die national-völkische Grundierung jeder Kultur und geriet damit in gefahrliche Nähe zum grassierenden rassischen Gedankengut: „Ohne die Heilighaltung des Blutes ist die Konsequenz des Europäertums erbarmungslos das Mischvolk; es gibt kein einziges Argument, das davon losspräche." 288 Max Brod zweifelte sogar daran, ob er überhaupt zur deutschen Kultur gehöre. Im Vergleich mit ,,wirkliche[n] Deutschefn]" wie Robert Walser oder Gerhart Hauptmann schien es ihm, daß er „rein im Sprachlichen" gänzlich unschöpferisch sei. Erst wenn er sich mit dem Talmud beschäftige, fühle er sich auf vertrautem geistigen Gelände. 289 Dies war gewiß eine starke Selbststilisierung, stellt man in Rechnung, daß Brod von Kindesbeinen an mit deutscher Sprache und Kultur aufgewachsen war, während er das Hebräische mühsam lernen mußte und zur Zeit des Weltkrieges alles andere als souverän beherrschte. 290 Es zeigt allerdings auch, wie selbstverständlich völkische Denkmuster im Rahmen der „Jüdischen Renaissance" geworden waren. Gerade die Vorstellung, in einer Zeitenwende zu leben, narkotisierte die Selbstkritik und führte zu einer Überschätzung der eigenen kulturrevolutionären Bedeutung. Bezeichnend für diese Haltung ist ein Brief Brods an Buber vom 12. Februar 1917, in dem es mit revolutionärem Pathos heißt: „Vom taktischen Standpunkt ist es vielleicht sogar besser, unseren Weizen in der Stille reifen zu lassen. Eine allmähliche Judaisierung der jüdischen Intelligenz, ihre Durchdringung mit jüdischen Werten bahnt sich an, wie ich glaube. Sollen wir die Leute vorzeitig Lunte riechen lassen?" 291 Nach wie vor blieb jedoch dem Streit der Meinungen unterworfen, was unter diesen,jüdischen Werten" zu verstehen sei. Die Mitglieder des Prager „Bar Kochba" maßen der Kategorie der „Wirklichkeit", die allgemein im Ersten Weltkrieg eine erhebliche Bedeu287

Selbstwehr Nr. 39 vom 22. Oktober 1917, S. 2 ff., hier S. 4.

288

Arnold Zweig, „Entgegnung", in: Der Jude 3 (1918/19), S. 5 2 9 - 5 3 5 , hier S. 534. So Brod in seinem Schreiben an Buber vom 20. Januar 1917; Buber, Briefwechsel,m. 1 , S . 461 f., hier S. 461. Zu den - mit Ausnahme Hugo Bergmanns - geringen Hebräischkenntnissen im Prager „Bar Kochba" vgl. Blom, Buber, S. 2 2 - 2 8 , und Kièval, Making, S. 150 ff. Buber, Briefwechsel, Bd. 1, S. 471 f., hier S. 471.

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tungsaufwertung erfuhr, zentrale Wichtigkeit bei. Dies verband sich mit der Wertschätzung militärischer Tugenden und einem Selbstverständnis, das durchaus männerbündische Züge trug. Hugo Bergmann hielt es schlicht für entscheidend, „ob die jüdischen Flüchtlinge oder die jüdischen Soldaten unserer Geschichte ihr Gesicht zu geben bestimmt sind". 292 Mit innerer Zustimmung benannte er als „wesentliches Erleben des Soldaten", daß „er der Wirklichkeit Auge in Auge gegenüber(steht)". Dies war schon allein deshalb attraktiv, weil es heteronome Definitionen des „Jüdischen" nicht mehr zuließ und den Stolz in die eigene Herkunft förderte. Es erinnerte allerdings auch bedenklich an jene Zirkelschlüsse und Tautologien, mit denen man im liberalen Judentum sich des eigenen Deutschtums vergewisserte. Nicht zufällig rekurrierte Bergmann in diesem Zusammenhang auf Fichte, den Heroen deutscher Weltkriegsphilosophie, der auch von allen jüdischen Fraktionen für sich vereinnahmt wurde. In einem Artikel für die „Jüdische Rundschau" betonte er, daß jede additive Auffassung des Judentums von Fichte als „,synthesis post factum'", also als „künstliche Verbindung zweier Dinge, die miteinander nichts zu tun haben", gebrandmarkt worden sei. 293 Ähnlich apodiktisch äußerte sich Nachum Goldmann, der zu den politischen Weggefährten Blumenfelds gehörte. Er attestierte Fichte, daß kein Philosoph „dem Typus des jüdischen Propheten verwandter wäre" und rekurrierte in diesem Zusammenhang auf den „nationalen Missionsgedanke[n]". 2 9 4 Selbst ein nüchterner Wissenschaftler wie der Breslauer Psychologe William Stern stellte in seiner Vortragstätigkeit des Jahres 1916 mehrfach heraus, daß die Förderung nationaler Talente auf eine Idee Fichtes zurückgehe. 2 9 5 Gerade aufgrund seiner einhelligen Akzeptanz wurde Fichte in Deutschland seit 1914 jedoch mehr beschworen als interpretiert. Und die auf politische Wirkung zielenden weltanschaulichen Positionierungen jüdischer Intellektueller ließen sich mit Bedacht nicht auf Details der Fichteexegese ein. Den Charakter eines Schibboleths besaß hingegen die Frage, wie sich die Vordenker eines modernen Nationalismus zum Antisemitismus stellten. Während manch ein Zionist der völkisch fundierten Judenfeindschaft eine gewisse Begründung nicht absprechen wollte, gab es für Martin Bu-

292

293 294

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Hugo Bergmann, „Der jüdische Nationalismus nach dem Krieg", in: Der Jude 1 (1916/17), S. 7 - 1 3 , hier S. 8; ebd., das nächste Zitat. Ders., „Weitere Horizonte!", in: JRNr. 51 vom 22. Dezember 1916, S. 423. Nachum Goldmann, Von der weltkulturellen Bedeutung und Aufgabe des Judentums, München 1916, S. 36. So in seiner Ansprache „Die Jugendkunde in ihrer Bedeutung für die Erziehungsfragen der Gegenwart", die er vor der Breslauer Ortsgruppe des „Bundes für Schulreform" hielt, oder in seinem Vortrag „Psychologie und Leben". Nachträglich angefertigte Typoskripte dieser Reden finden sich: JNUL Jerusalem Ms Var. 431/37; die Bezugnahmen auf Fichte: Ebd., fol. 12 bzw. 37.

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ber keine ideologischen Berührungspunkte mit den Antisemiten. Dies zeigte sich in seiner Beurteilung von Max Hildebert Boehm, mit dem er anläßlich der Gründung des „Juden" in näheren Kontakt gekommen war. Robert Weltsch hatte Boehm das erste Heft des „Juden" geschickt, worauf sich dieser mit einer positiven Besprechung in den „Preußischen Jahrbüchern" revanchierte. Darin lobte er den „entschlossen jüdische[n] Standpunkt" der Monatsschrift und begrüßte sie als Resultat des Krieges, „der soviele völkische und kulturelle Probleme aufgedeckt hat". 296 Hier sprach sich jenes Vertrauen in die läuternde Kraft des Krieges aus, das sich zeitgenössisch großer Beliebtheit erfreute und auch Buber keineswegs fremd war. Damit erschöpften sich freilich schon die Gemeinsamkeiten zwischen dem Haupt der Kulturzionisten und dem völkischen Publizisten. A m 16. Mai 1916 teilte Buber in einem sehr persönlich gehaltenen Brief Boehm mit, daß er seinen Artikel für den „Juden" ablehnen müsse, der u.a. von einem „Bündnis zwischen ,Zionisten' und .Antisemiten'" gesprochen habe. Diese Formulierung erschien Buber nicht nur inhaltlich falsch, sondern auch diskriminierend für das jüdische „Nationalgefuhl" zu sein. Ähnlich kritisch beurteilte er Boehms Auffassungen von der „völkerverbindenden Funktion des Judentums" und dem anzustrebenden Ausschluß jüdischer Dichter aus dem Gebiet der deutschen Literatur. 297 Boehm fühlte sich mißverstanden und verfaßte noch am selben Tag eine Antwort. Er erinnerte Buber an die ungerechte Reaktion seines „langjährige[n] verehrte[n] Lehrer[s] Simmel", der auf seinen Artikel über Cohen in den „Preußischen Jahrbüchern" mit dem Abbruch der persönlichen Beziehungen reagiert habe. Des weiteren spielte er sein Baltentum in den Vordergrund, das ihm die Lage der „deutschen ,Zionisten"' vertraut mache, und stichelte gegen die intellektuelle Enge von Bubers Redaktionspolitik. 298 Dieser sah jedoch keinen Grund, Boehm irgendwelche Konzessionen zu machen, und erklärte in seiner Replik ebenso dezidiert wie würdevoll: „Gott kann sich freilich darauf beschränken, allen Lauen abzusagen, und die Entschiedenen alle in gleicher Liebe zu umfassen; unsereins hat seine Sache und seine Schar, nichts weiter." Wenn Boehm

296

Max H. Boehm, „Der Jude. Eine Monatsschrift", in: PJbb 165 (1916), S. 156 f., hier S. 156; zur Anbahnung des Kontaktes vgl. Leo Herrmanns Schreiben an Boehm vom 5. bzw. 13. April 1916; UA Jena, Best V Abt. IX, Nr. 2.

297

Insbesondere hinsichtlich des „internationalistischen Charakters" des Judentums war Bubers Diktion von großer Deutlichkeit: „Sie ahnen nicht, dass Sie - im Gegensatz zu Ihrem sonstigen Distanzgefühl - hier mit Tempelsteinen spielen, aber ich weiss es; und weil ich es weiss, bin ich in dieser Sache intransigent und intolerant." ( U A Jena, Best V Abt. IX, Nr. 1). Die Konzeptfassung des Briefes findet sich: JNUL Jerusalem Ms Var. 350/124 a3. Schreiben Boehms an Buber vom 16. Mai 1916; JNUL Jerusalem Ms Var. 3 5 0 / 1 2 4 a2.

298

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Die großen weltanschaulichen Debatten

meine, daß seine Zeitschrift der Diskussion der „Judenfrage" diene, habe er ihr Anliegen nicht im mindesten verstanden.299 In der ausdrücklichen Ablehnung des Antisemitismus berührte sich Buber mit einem Protagonisten des liberalen Judentums wie Ernst Cassirer. Dieser hatte angesichts der an Boden gewinnenden völkischen Strömungen in der „Kant-Gesellschaft" gegenüber Rudolf Eucken erklärt, daß gerade in der „Verquickung wissenschaftlicher und geistiger Fragen mit Rassenfragen" eine besondere Gefahr liege.300 Mit dieser Stellungnahme verteidigte Cassirer sein eigenes Weltbild, das eine harmonische Verbindung von Deutschtum und Judentum für möglich und wünschenswert hielt. Wer dies bestreite, gefährde jenen „Grund und Boden, auf dem ich im geistigen Sinne stehe und von dem ich mich nicht abdrängen lasse". Um seine kategorische Ablehnung der wissenschaftlichen Rassenlehren zu unterstreichen, fügte der Philosoph den Satz hinzu: „In dieser Frage giebt es somit für mich kein Paktieren." Boehms Veröffentlichung im „Juden" kam schließlich doch noch zustande. Sie firmierte unter der polemischen Überschrift „Emanzipation und Machtwille im modernen Judentum", richtete sich jedoch ausschließlich gegen die Anhänger der Assimilation. Dem rationalistisch orientierten liberalen Judentum fehle es an der organischen Verbindung zu Volk und Scholle, die für schöpferische Tätigkeit unabdingbar sei. Der Zionismus wurde hingegen als „Spätling unter den Nationalismen Europas" begrüßt, der um die Wurzelhaftigkeit allen kulturellen Seins wisse.301 Doppelzüngig war freilich Boehms Aufforderung zum ritterlichen Streit der völkischen Weltanschauungen, hatte er doch in seinem Artikel die antisemitische Vorstellung von den „Machtansprüchen jüdischer Zensur" ventiliert. Dies knüpfte an Bruno Bauchs gehässige Invektiven über die „Verjudung der Kant-Studien" an, und belegt ein weiteres Mal, wie eng die intellektuellen Debatten und Konflikte während des Weltkrieges miteinander verwoben waren.302 Seit der Balfour-Erklärung nahm die Diskussion über „Deutschtum und Judentum" sukzessiv an Bedeutung ab. Statt dessen erörterten Zionisten und liberale Juden vermehrt die Aussichten und den Wert eines jüdischen Nationalstaats. Die divergierende Einschätzung der jüdischen „Diaspora" zeigt sich besonders eklatant in der privaten Auseinandersetzung zwischen Martin Buber und Stefan Zweig. Schon früh hatte der Wiener Dichter das Haupt der Kulturzionisten über seinen Jeremias in Kenntnis 259

Brief Bubers an Boehm vom 25. Mai 1916; UA Jena, Best V Abt. IX, Nr. 1; das Konzept: JNUL Jerusalem Ms Var. 350/124 a4.

300

Schreiben Cassirers an Eucken vom 25. November 1916; ThULB Jena, Eucken. Für den Hinweis auf dieses wichtige Dokument danke ich Barbara Beßlich.

301

Max H. Boehm, „Emanzipation und Machtwille im modernen Judentum", in: Der Jude 2 ( 1 9 1 7 / 1 8 ) , S. 3 7 1 - 3 7 8 , hier S. 376.

302

Ebd., S. 371.

253

Auseinandersetzungen über „Deutschtum und Judentum"

gesetzt. Bereits am 8. Mai 1916 teilte Zweig seinem Briefpartner mit, wieviel ihm seine dramatische Dichtung bedeute, die er als „Tragödie und [...] Hymnus des jüdischen Volkes" verstehe. 303 Später legte Zweig Rechenschaft über seine Haltung zum Judentum ab und betonte emphatisch den universalen Grundzug jüdischer Kultur: „Nie habe ich mich durch das Judentum in mir so frei gefühlt als jetzt in der Zeit des nationalen Irrwahns - und von Ihnen und den Ihren trennt mich nur dies, daß ich nie wollte, daß das Judentum wieder Nation wird und damit sich in die Concurrenz der Realitäten erniedrigt. Daß ich die Diaspora liebe und bejahe als den Sinn seines Idealismus, als seine weltbürgerliche allmenschliche Berufung." 304 Dahinter stand die Idee, daß die Juden ihre kreativen Talente nur in der Zerstreuung wirklich entfalten könnten. Deshalb schien es Zweig gewiß, daß das Judentum „auf seine höchste Mission" verzichte, wenn es sich zu sehr mit ,,nationale[n] Gedanken" beschäftige. 305 Noch deutlicher wurde er in einem Brief an Buber von Ende Januar 1918, in dem er nicht nur behauptete, „das jüdische Schicksal mehr als das jüdische Wohlergehen zu lieben", sondern den „Traum eines Judenstaates" als prinzipiell „gefahrlich" erachtete. 306 Die damit verbundene Ablehnung einer nationalen jüdischen Kultur war für Buber natürlich inakzeptabel. Seine eigene Auffassung vom Diasporajudentum legte Buber gegenüber Zweig am 4. Februar 1918 brieflich nieder. Wie üblich bei wichtiger Korrespondenz verfaßte er vorab einen Entwurf, in dem er seine Gedanken ordnete. Nachdrücklich stellte Buber heraus, daß jüdische Kultur, so wie er sie verstehe, keineswegs an die Existenz eines militanten Nationalstaats „,mit Kanonen, Flaggen, Orden'" gebunden sei. 307 Vielmehr gehe 303 304

305

306 307

Buber, Briefwechsel, Bd. 1, S. 430 f., hier S. 430. Schreiben Zweigs an Buber vom 24. Januar 1917; ebd., S. 4 6 2 ff., hier S. 463. Die Debatte zwischen Zweig und Buber stand bislang im Schatten der öffentlich ausgetragenen und stark politisch motivierten Buber-Cohen-Kontroverse. Gleichwohl lohnt sich eine Analyse der Privatkorrespondenz von Buber und Zweig, in der Kernfragen jüdischer Existenz mit großer Ernsthaftigkeit - und ohne Schielen auf öffentlichen Applaus - erörtert wurden. Erste Hinweise bietet: Harry Zohn, „Stefan Zweigs kulturelles Mittlertum: Ein jüdischer Charakterzug?", in: BLBI 63 (1982), S. 19-31, hier S. 2 5 - 2 8 . Die recht intensiven Kontakte des frühen Zweig zu Buber, Feiwel und dem Jüdischen Verlag behandelt: Mark H. Gelber, „Karl Emil Franzos, Achad Ha-am und Stefan Zweig", in: BLBI 63 (1982), S. 3 7 - 4 9 , hier S. 41 ff. Schreiben Stefan Zweigs an Buber vom 25. Mai 1917; Buber, Bd. 1 , S . 498 ff., hierS. 499. Ebd., S. 524 f., hier S. 524; leichte Veränderung des ersten Zitats.

Briefwechsel,

Ebd., S. 525 f., hier S. 525. In diesem Sinne hatte Buber bereits am 4. Februar 1917 an Moritz Goldstein geschrieben: „Eine Nation kann in dieser Stunde der

254

Die großen weltanschaulichen Debatten

es in Palästina um die geistige Renaissance des gesamten Judentums. Selbst angesichts einer ,,tragische[n] Enttäuschung" sei er bereit, sich auf „das ungeheuerliche Wagnis eines Neuen" einzulassen, weil die Diaspora letztlich als eine „stetige und ausblicklose Entartung" betrachtet werden müsse. 3 0 8 Dies war unmißverständlich ausgedrückt und gebrauchte sogar einen biologistischen Terminus, der sich seit den Tagen von Nordaus „Muskeljudentum" im Zionismus einiger Beliebtheit erfreute. Stefan Zweig jedenfalls glaubte, daß ein weiterer Gedankenaustausch fruchtlos sei, und schrieb am 20. Februar 1918 an Julius Bab: „Leider versteh' ich mich in diesem Punkte selbst mit dem gütigen Martin Buber nicht: Es scheint, daß zwischen selbst dem Besten von nationalistischen Menschen und mir selbst irgend eine Kluft nicht zu überbrücken ist." 309 Doch auch dieses sehr persönliche Urteil sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß Bubers pathetische Nationalmystik mit Zweigs aufklärerisch gefärbtem Universalismus nicht kompatibel war. Die Debatte um „Deutschtum und Judentum" umfaßte gewissermaßen die anderen großen kulturellen Auseinandersetzungen: jede Diskussion um die Stellung der Juden in Deutschland war zugleich auch eine Diskussion über die Begriffe „Deutschtum" und „Judentum". In der intellektuellen und emotionalen Überkonnotierung der Begrifflichkeit lag eine wesentliche Ursache für die Härte und Intensität der Auseinandersetzung. Die zionistische Verklärung der eigenen Tradition nahm bisweilen solche Formen an, daß sich vielleicht - in Parallele zum geläufigen Terminus Deutschtumsmetaphysik - von einer Judentumsmetaphysik sprechen läßt. In jedem Falle lassen alle zionistischen Entwürfe erkennen, wie vertraut sie mit dem neoromantischen Gedankengut der Zeit waren und wieviel Interesse sie einer umfassenden „Ästhetisierung des politischen Denkens" entgegenbrachten. 3 1 0 Doch auch für das liberale Judentum standen Letztwerte auf dem Spiel. Dabei wurde sorgfältig auf die Reaktion der Umwelt geachtet, galt es doch die eigenen Vorstellungen gesellschaftlicher Integration und kultureller Entfaltung kompromißfähig zu halten. Dies ließ wenig Raum für kühne intellektuelle Konzepte und führte im ideologisierten Meinungsklima des Weltkrieges gleichsam unwillkürlich in die argumentative Defensive. 3 " Die ganze Kompliziertheit, die der Diskurs über „Deutschtum

308 309 310 311

Menschheitsgeschichte nur noch relatives Ideal sein: insofern sie der neuen Humanität dienstbar ist. Aber nicht anders verhält es sich mit dem Staat; ja für ihn gilt es noch prägnanter und exklusiver." (Ebd., S. 469 f., hier S. 470). Ebd., S. 526. Stefan Zweig, Briefe, S. 205 f., hier S. 205. Hierzu knapp und konzis: Blom, „Stimme des Blutes", S. 70. Dazu erstmals: Matthäus, „Deutschtum and Judentum under Fire", der sich allerdings noch ganz auf die unmittelbar politischen Auseinandersetzungen konzentriert und ideengeschichtliche Zusammenhänge weitgehend unberücksichtigt läßt.

Auseinandersetzungen über „Deutschtum und Judentum"

255

und Judentum" angenommen hatte, zeigte sich in der Haltung von Franz Rosenzweig. Zum einen wußte Rosenzweig durchaus um die Stärken von Cohens universalistischer Philosophie, die auf eine Ethisierung des Politischen zielte und die Option einer friedlichen Reform des wilhelminischen Kaiserreichs beinhaltete. Zum anderen schien es ihm gewiß, daß angesichts der Weltkriegserfahrungen die Vorstellung einer harmonisierenden Synthese von „Deutschtum und Judentum" der Vergangenheit angehöre. Gerade deshalb beurteilte er die normativen Konnotate des Cohenschen Deutschtumsbegriffs nicht mehr als überzeugend. 3 1 2 Rosenzweig lehnte jede simplifizierende Vorstellung jüdischer Identität ab, weil dies die Wahlmöglichkeit - und damit die Freiheit - des Einzelnen ignoriere. In diesem Sinne äußerte er gegenüber der Malerin Helene Sommer: „Jeder soll das Judentum als Judentum kennen lernen, wie er das Deutschtum als Deutschtum kennen lernt. Dann kann er sich seine Weise, das ,und' zu leben aussuchen." 3 1 3 Sein eigener pluralistischer Identitätsbegriff paßte jedoch gleichfalls nicht in eine Zeit, die das Wesen von „Nation" und „Volk" in einfache und konsensfähige Formeln pressen wollte. Mit steigender Kriegsdauer traten die Aporien in den tradierten Vorstellungen deutsch-jüdischen Zusammenlebens immer deutlicher zutage. Gerade die herausragenden jüdischen Intellektuellen reflektierten nun verstärkt ihre Außenseiterrolle in einer auf Homogenität zielenden Nationalkultur. Auch dies gab ihren kulturellen Neuentwürfen jene innere Brüchigkeit und inhaltliche Komplexität, die sie zum Inbegriff der Moderne werden ließ.

312

Vgl. etwa das Schreiben an seine Eltern vom 28. Februar 1917, in dem es mit Ironie und leisem Bedauern heißt: „Cohen verlangt, wie ihr seht, etwas viel; eigentlich, daß alle Menschen seine Schüler wären. Das ist die stillschweigende Bedingung seines .Deutschtums'. Schade daß er nicht ebenso kühl wie klug ist." (Rosenzweig, Briefe, Bd. 1, S. 355 f., hier S. 356). Komprimiert zu Rosenzweigs denkerischer Entwicklung während des Weltkrieges: Meineke, „Life", S. 4 6 7 475; speziell zu der hier behandelten Frage: Barbara E. Galli, „Rosenzweig's Response to Hermann Cohen's Deutschtum und Judentum", in: Shofar 14 (1996), H. 4, S. 6 0 - 7 8 .

313

Schreiben vom 16. Januar 1918; Rosenzweig, Briefe, S. 5 0 5 - 5 1 0 , hier S. 509.

6. Von der Infragestellung der „Emanzipationsideologie" zu kulturellen Neuentwürfen

Jede Untersuchung, die sich mit der kulturhistorischen Bedeutung des Ersten Weltkrieges auseinandersetzt, steht vor zwei methodisch-inhaltlichen Schwierigkeiten. Zum einen sind die meisten Ideen, Weltanschauungen und geistigen Strömungen, die den Kriegsdebatten ihr Gepräge gaben, bereits im Fin de Siècle gängige Münze. Die Weltkriegsliteratur bekundete den überragenden Einfluß Nietzsches, sie reagierte auf die Krise des Historismus und spiegelte den wachsenden Einfluß nationalistischen, neoidealistischen und rassischen Gedankenguts. Zur Debatte standen nicht zuletzt jene religiös-philosophischen Sinnfragen, die seit der Jahrhundertwende zum Problembestand der heute gern als „klassisch" apostrophierten Moderne gehörten. 1 Gerade in genetischer Perspektive scheinen die zwischen 1914 und 1918 vertretenen Ideen weder sonderlich innovativ noch von herausgehobener Wichtigkeit zu sein. Dies wird besonders offenkundig bei der Betrachtung von propagandistischen Texten, deren holzschnittartige Gegenüberstellungen für gewöhnlich auf kulturkritische Deutungsmuster der Vorkriegszeit zurückgehen. Zum anderen ist in Rechnung zu stellen, daß eine Vielzahl von Menschen auf die Schrecken des Krieges stumm und hilflos reagierte. Jay Winter hat überzeugend nachgewiesen, in welch konventionellen Mustern die „Trauer" um die Kriegsopfer erfolgte, und George Mosse hat materialreich dokumentiert, wie rasch ein elaborierter Totenkult an die Stelle der konkreten Kriegserinnerung trat. 2 Bezeichnenderweise entstand die Gattung des Kriegsromans erst gegen Ende der Weimarer Republik und verweist eher auf die politischen Irritationen seiner Entstehungszeit als Eine eindrucksvolle Fallstudie bietet: Friedrich Wilhelm Graf, „Das Laboratorium der religiösen Moderne. Zur ,Verlagsreligion' des Eugen Diederichs Verlags", in: Gangolf Hübinger (Hg.), Versammlungsort moderner Geister. Der Eugen Diederichs Verlag - Aufbruch ins Jahrhundert der Extreme, München 1996, S. 2 4 3 - 2 9 8 . - Zum vertrauten Terminus der „Klassischen Moderne", der allerdings als Epochenbegriff ähnliche semantische und inhaltliche Probleme wie die vielattackierte „Postmoderne" aufwirft, nur: Detlef J. K. Peukert, Die Weimarer Republik Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt am Main 1987, S. 1 3 31. Vgl. Winter, Sites, und George Mosse,

Vaterland.

258

Von der Infragestellung der „Emanzipationsideologie" zu Neuentwürfen

auf die beklemmenden Erfahrungen eines Krieges, der so wenig den eigenen Vorstellungen entsprochen hatte. Dies verführte immer wieder dazu, die Geschichte des Ersten Weltkrieges mit Hilfe retrospektiver Zeugnisse zu schreiben, die das Geschehen in das „milde Licht der Erinnerung" tauchen und nicht frei von apologetischen Motiven sind. Für ein detailscharfes und facettenreiches Bild des „Großen Krieges" ist jedoch die Analyse synchroner Quellen unabdingbar. Dies gilt auch, wenn man sich dem „Höhenrist" der Ideengeschichte zuwendet. Mit ihrer Hilfe erkennt man einen entscheidenden Unterschied zum Zweiten Weltkrieg, der anderenfalls leicht übersehen wird.3 Die Belastungen des militärischen Alltags und die deprimierenden Lebensbedingungen an der „Heimatfront" haben seit 1914 die Entstehung herausragender Werke gewiß erschwert, aber keineswegs verhindert. Es ist bezeichnend, daß ohne den Ersten Weltkrieg die Durchsetzung und konkrete Ausformung der ideologischen und wissenschaftlichen „Großmächte" des 20. Jahrhunderts, von der „Konservativen Revolution" bis zum Marxismus, von der dialektischen Theologie bis zum Existentialismus, kaum verständlich ist. Dies wird freilich erst deutlich, wenn man auch Werke, die zu Beginn der Weimarer Republik entstanden sind, in eine Kulturgeschichte des Weltkrieges integriert.4 Die grundstürzenden Erfahrungen von Krieg und Revolution inspirierten eine Fülle von philosophischen und künstlerischen Unternehmungen. Ein markanter und exemplarischer Fall ist Rosenzweigs philosophisches Opus magnum Der Stern der Erlösung. Das Buch erschien zwar erst im Jahre 1921, wurde aber bereits unter dem Eindruck von Zusammenbruch und Revolution zwischen Juli 1918 und Februar 1919 niedergeschrieben. Dabei griff Rosenzweig in großem Umfang auf Texte wie Konzepte zurück, die er bereits zwischen 1916 und 1918 an der Balkanfront verfaßt hatte. Gerade bei der thematischen Konzentration auf die deutsch-jüdische Geistesgeschichte springt die kardinale Bedeutung des Krieges ins Auge. Von Bubers Ich und Du, über Blochs Geist der Utopie bis hin zu Wassermanns Autobiographie Mein Weg als Deutscher und Jude reicht die Liste jener Werke, die in direktem Zusammenhang mit dem Krieg entstanden und nur vor diesem Hintergrund zu verstehen sind.

3

4

Von einer vergleichenden Kulturgeschichte beider Weltkriege ist die Forschung noch weit entfernt. Ausschnitthaft und stark schematisch, aber gleichwohl ein Schritt in die richtige Richtung ist: Hans Maier, „Ideen von 1914 - Ideen von 1939? Zweierlei Kriegsanfänge", in: VfZG 38 (1990), S. 5 2 5 - 5 4 2 . In der geglückten Periodisierung liegt ein wichtiger Grund, warum die Beiträge in dem bereits 1971 erschienenen Sammelband des Leo Baeck Instituts Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916-1923 ihre Faszination und wissenschaftliche Bedeutung in hohem Umfang behalten haben. Zugleich warnen sie vor der Überschätzung historischer „Zäsuren", die auch im Bereich der Kulturund Ideengeschichte zu simplifizierenden Eindeutigkeiten führt.

259 Die These von der „fehlenden Originalität" der Weltkriegsliteratur erweist sich bei näherer Betrachtung als Chimäre. Sie fußt auf einer restringierten Quellenauswahl, die einseitig jenes ambitionierte professorale Schrifttum bevorzugt, über dessen Wert durch die ideologiekritische Analyse das Urteil gesprochen ist. Damit werden jedoch gerade jene literarischen und philosophischen Erzeugnisse ausgeblendet, die aus heutiger Sicht bleibende Bedeutung beanspruchen. Ebenso sollte man sich vor einer anämischen Form der Ideengeschichte hüten, die gesellschaftliche, politische und kulturelle Bezüge vernachlässigt oder gar ignoriert. Eine umfassende - und längst nicht ausreichend analysierte - Ideologisierung des Denkens bestimmte seit 1914 das „geistige Klima" und gab der Weltkriegsliteratur ihren unterschwellig oder manifest aggressiven Charakter. Im Vergleich zur Vorkriegszeit stieg die Bedeutung eines heroischen Dezisionismus, dessen vages, aber energisch formuliertes Pathos zunehmend an die Stelle abwägender Argumentation und zivilisierter Umgangsformen trat. 5 Last, but not least führte der Kriegsausgang in Deutschland zum Durchbruch eines extremen Nationalismus, dessen realitätsferne Einschätzungen und ressentimentgespeisten Feindbilder zu den ebenso gravierenden wie dauerhaften Belastungen der Weimarer Republik gehörten. Mit Blick auf die vom Krieg inspirierten Entwürfe und Werke jüdischer Intellektueller fallt es besonders schwer, von einer kontinuierlichen Entwicklung zu sprechen. Viele ihrer herausragenden Vertreter erlebten den „Großen Krieg" als Zerstörung einer geordneten Welt und den Bruch der eigenen Biographie. Überdies hatte das Ende der jüdisch liberalen Weggemeinschaft umfassende Konsequenzen für das deutsche Judentum, dessen harmonisierendes Gesellschafts- und Geschichtsbild im Laufe des Krieges antiquiert und unglaubwürdig wurde. Gerade hier liegt ein zentrales Problem, dessen Lösung so unterschiedliche Denker wie Leo Baeck, Martin Buber, Sigmund Freud oder Franz Rosenzweig beschäftigte. Deshalb geht es im folgenden nicht um eine „Histoire totale" jener kulturellen Transformationsprozesse, die der Weltkrieg im deutschen Judentum hervorrief oder beschleunigte. Vielmehr soll seine tiefgreifende Bedeutung anhand jener Werke analysiert werden, welche die Sinnhaftigkeit des - für viele unfaßbaren - Geschehens zum Reflexionsgegenstand

Es dürfte bezeichnend für das in Deutschland vorherrschende Verständnis von Ideengeschichte sein, daß Hermann Lübbes Ausführungen über ,,[d]ie philosophischen Ideen von 1914" lange Zeit Unikatcharakter besaßen; Lübbe, Philosophie, S. 171-235. Mittlerweile beginnt die Forschung allerdings, die Charakteristika und ideologiehistorischen Konsequenzen der Weltkriegsliteratur ernst zu nehmen. Pilotcharakter besaß Ulrich Raulffs herausragende Studie über Marc Bloch, die erstmals neben der mentalitäts- und wahrnehmungsverändernden Wirkung des Krieges auch die Bedeutung der Kriegserfahrungen für das kategoriale Rüstzeug des Historikers herausarbeitete.

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Von der Infragestellung der „Emanzipationsideologie" zu Neuentwürfen

erhoben. Damit liegt ein besonderer Akzent auf jenen Konzepten, in denen um eine zufriedenstellende Deutung des Ersten Weltkrieges und die grundsätzlichen Probleme deutsch-jüdischer Identität gerungen wurde.

6.1. Universale Werte in kulturellem Gewand Der „Große Krieg" beendete in Deutschland eine Ära scheinbarer Sekurität und erschütterte das bürgerliche Weltbild in seinen Grundfesten. Als exponierte Minderheit waren die Juden von den innenpolitischen Auseinandersetzungen besonders stark betroffen und mußten die wachsende Bedeutung des Antisemitismus desillusioniert zur Kenntnis nehmen. Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, daß zahlreiche jüdische Intellektuelle ihren Glauben an die Zukunft verloren. Nur wenige Denker bekannten sich ausdrücklich zu jenem Kulturprogressismus, der im liberalen Judentum während des Kaiserreichs tonangebend gewesen war. In ihrer Mehrzahl stammten sie aus der Generation, die Reichsgründung und Emanzipationsgesetzgebung noch bewußt erlebt hatte. Zu ihnen zählte Eugen Fuchs, der im November 1914 mit großer Geste erklärte: „Wären wir nicht von Hause aus Optimisten, so hätte uns der Krieg dazu machen müssen." 6 Vier Jahre später befand er immer noch: „Wir sind unverbesserliche Optimisten. Wären wir es nicht, so hätten wir nicht ein Leben lang für unsere Glaubensgemeinschaft, für unsere Gleichberechtigung gekämpft." Auch hier sollte freilich mitbedacht werden, daß der Anlaß für Fuchs' Äußerungen, das 25jährige Bestehen des CV, schwerlich Gelegenheit zu zukunftsskeptischer Rhetorik bot.7 In der Regel veränderte sich während des Krieges jedoch selbst das Weltbild von Intellektuellen, die sich nach außen hin weiter ungebrochen zu universalen Werten bekannten. Ein Musterbeispiel für diesen Vorgang ist Eduard Bernstein, der spätestens seit den Tagen des „Revisionismusstreites" weit über die Sozialdemokratie hinaus als politischer Querdenker und origineller Kopf bekannt war. 8 1914 hatte er mit Aplomb die SPD

6 7

8

Fuchs, „Kriegsvortrag", S. 147. Ders., „Ansprache und Schlußwort in der Kundgebung des Centraivereins in der Berliner Philharmonie am 2. November 1918", in: Ders., Um Deutschtum und Judentum. Gesammelte Reden und Aufsätze ( 1 8 9 4 - 1 9 1 9 ) . Im Auftrage des Centraivereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens hg. v. Leo Hirschfeld, Frankfurt am Main 1919, S. 3 5 6 - 3 5 9 , hier S. 358. Zu seiner Haltung im Weltkrieg vgl. Francis L. Carsten, Eduard Bernstein 1850¡932. Eine politische Biographie, München 1993, S. 142-165, der allerdings Bernsteins Äußerungen zum Judentum nicht näher betrachtet. Eingehender zum Problem von Bernsteins jüdischer Identität: Robert S. Wistrich, „Bernstein und das Judentum", in: Horst Heimann u. Thomas Meyer (Hgg.), Bernstein und der

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wegen der Gewährung der Kriegskredite verlassen und später in der USPD einen neuen Wirkungskreis gefunden. Dort widmete er sich vornehmlich allgemein-politischen Fragen und zeichnete nicht zuletzt für den internationalistischen und pazifistischen Kurs der Unabhängigen Sozialdemokratie verantwortlich. Als er 1917 eine Flugschrift veröffentlichte, die sich ausschließlich mit der Bedeutung des Weltkrieges für das Judentum beschäftigte, kam dies für viele seiner politischen Weggefährten überraschend. Bernsteins Broschüre Von den Aufgaben der Juden im Weltkriege arbeitet mit großer Klarheit die innere Zerrissenheit jüdischer Politik seit 1914 heraus. Da die Juden in verschiedenen Ländern und für divergierende politische Interessen kämpften, sei es für sie de facto unmöglich, eine einheitliche politische Linie zu finden. Zudem verhindere die eigentümliche Bündnislage, Kriegsziele nach genuin jüdischen Gesichtspunkten zu wählen. So seien die „demokratisch-liberalen Länder des Westens" mit dem „Judenpogrome züchtenden zaristischen Rußland" verbunden, während das wilhelminische Deutschland als „militaristisch-bureaukratisch" deformiert betrachtet werden müsse.9 Deshalb hätten sich die Juden primär vor nationaler Überidentifikation zu hüten, für die Lissauers „Haßgesang gegen England" als prägnantes Beispiel angeführt wird.10 Bernsteins mit marxistischen Denkfiguren operierende Argumentation hob hervor, daß der grassierende Nationalismus für die Juden eine Art „falsches Bewußtsein" darstelle. Aufgesplittert auf verschiedene Nationen und uneins in ihrer sozialen und politischen Interessenlage, sei der Weltkrieg für sie ein einziges Unglück." Deshalb bestehe die Aufgabe der Juden darin, einen weltbürgerlichen Patriotismus zu verkünden. Diese Pflicht ergebe sich auch aus der jüdischen Geschichte, die seit der Zerstörung des Zweiten Tempels gleichermaßen universalistisch wie nationalistisch geprägt gewesen sei.12 Doch Bernstein begnügte sich nicht mit der historischen Herleitung, warum die Juden hervorragend geeignete Kosmopoliten, ja „die geborenen Pazifisten" seien, er möchte sie auch auf die besondere Beachtung ethischer Normen verpflichten. Im Rahmen sozialistisch-materialistischer Dialektik ließ sich ein strengerer Moralkodex für

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demokratische Sozialismus. Bericht über den wissenschaftlichen Kongreß „Die historische Leistung und die aktuelle Bedeutung Eduard Bernsteins", Berlin u. Bonn 1978, S. 149-165, sowie Adam M. Weisberger, The Jewish Ethic and the Spirit ofSocialism, N e w York usw. 1997, S. 1 4 1 - 1 4 4 u. 187-190. Eduard Bernstein, Von den Aufgaben der Juden im Weltkriege, Berlin 1917, S. 27. Ebd., S. 30 f. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Bernsteins funktionalistisch-kritische Definition des Nationalismus als „bewußte Übertreibung des Nationalgefühls im Interesse bestimmter politischer Zwecke" (ebd., S. 18). Ebd., S. 47 ff.; das nächste Zitat: Ebd., S. 49.

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Von der Infragestellung der „Emanzipationsideologie" zu Neuentwürfen

Juden allerdings schwerlich begründen, und so ist es wohl kein Zufall, daß die Schlußsätze des Essays die religiöse Substanz des Judentums beschwören: „Das Hauptgebet der jüdischen Religion enthält den Satz, der, in seiner vollen Bedeutung erfaßt, das kategorische Pflichtgebot für den Juden ausdrückt, für sie mit größter Hingebung einzutreten und in ihrem Sinne als Mittler der Völker sich zu betätigen: Gedenke, daß du ein Knecht warst in Ägypten1."™ Unmißverständlich verwies diese Passage auf eine gestiegene Identifikation mit der jüdischen Tradition. Doch dürfte es zu weitreichend sein, Bernstein eine gewandelte Einstellung zum Zionismus zu attestieren.14 Zwar verfaßte er in den Jahren 1916/17 ein Manuskript über „Die demokratische Staatsidee und die jüdisch-nationale Bewegung", worin er sich positiv zum Selbstbestimmungsrecht kleiner Nationen äußerte.15 Doch blieb der Text ungedruckt, während Bernstein seine Ablehnung der zionistischen Nationsvorstellung in deutliche Worte kleidete. Demgegenüber ist Bernsteins Anteilnahme an den zionistischen Initiativen in Osteuropa von eher nachrangiger Bedeutung. Denn humanitäres Engagement für die notleidende ostjüdische Bevölkerung beurteilten sämtliche Fraktionen des deutschen Judentums als Gebot der Stunde. Auf Bernsteins Schrift über die Aufgaben der Juden im Weltkriege reagierte die zionistische Bewegung reserviert bis ablehnend. Insbesondere die scharfen Invektiven gegen den grassierenden Nationalismus stießen auf wenig Gegenliebe. Zwar würdigte die „Jüdische Rundschau" Bernsteins Kritik am „Ueberpatriotismus" des liberalen Judentums, aber mit seiner Idee vom völkerverbindenden Auftrag des Judentums konnte man sich nicht anfreunden.16 Erst recht galt dies für die pointierte Aussage, daß der Zionist als „Chauvinist des Judentums" betrachtet werden müsse, die man als ungerecht und diffamierend empfand. Lediglich ein anonymer Artikel in der Kulturzeitschrift „Ost und West" vertrat eine abweichende Position und referierte ebenso ausfuhrlich wie fair Bernsteins Hal-

13 14

15 16

Ebd., S. 50 f. So Wistrich, Bernstein, S. 162-165. Generell zur Reaktion sozialistischer Theoretiker auf den Zionismus: Ders., Socialism and the Jews. The Dilemmas of Assimilation in Germany and Austria-Hungary, London u. Toronto 1982, S. 1 4 1 172 u. 3 7 6 - 3 8 2 . Das Manuskript findet sich: IISG Amsterdam, Bernstein, A. 114. M. M., „Weltbürger-Mission der Juden", in: JR Nr. 21 vom 25. Mai 1917, S. 173 f., hier S. 173; ebd., S. 174, das nächste Zitat.

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tung zur Nationalitätenfrage. Doch auch hier sah sich die Redaktion zu einem distanzierenden Kommentar veranlaßt. 17 Gleichwohl sollte ein autobiographischer Text nicht außer acht gelassen werden, den Bernstein 1917 für Bubers „Juden" verfaßte. Er trägt den Titel „Wie ich als Jude in der Diaspora aufwuchs" und schildert anschaulich Bernsteins Berliner Kindheit und Jugendzeit. Deutlich wird das Ausmaß der Entfremdung vom reformierten Gemeindeleben, das den Heranwachsenden nie zu faszinieren vermochte. Statt dessen geriet Bernstein früh in den Sog der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Das Engagement für eine spezifisch jüdische Organisation, „ob rein sozial oder politisch, ob schlechthin zionistisch oder sozialistisch-zionistisch", lehnte er kategorisch ab, weil dies eine politische Horizontverengung bedeutet hätte. Gleichwohl ist es bemerkenswert, daß der sozialistische Internationalist Bernstein nachhaltig seine Herkunft betonte und die Idee einer grundsätzlichen Solidarität aller Juden in den Vordergrund rückte. 18 Dies mochte nur eine Akzentverschiebung gegenüber der Vorkriegszeit sein, bekundete aber ein gestiegenes Interesse am Judentum. Unter den „undogmatischen Sozialisten" stand Bernstein damit keineswegs allein. Auch Kurt Eisner oder Gustav Landauer setzten sich im Ersten Weltkrieg vermehrt mit ihren Jüdischen Wurzeln" auseinander. Dies stellte jedoch den universalen Grundzug ihres Weltbildes nicht prinzipiell in Frage, im Gegenteil: das messianisch orientierte Judentum betrachteten sie als eine religiöse Tradition, die zur Gerechtigkeit verpflichte und gebieterisch die moralische Ausrichtung des gesellschaftlichen Zusammenlebens verlange. 19 Das Kaiserreich beurteilten sie hingegen als erstarrten Obrigkeitsstaat, der die dringend erforderliche Ethisierung der Politik verhindere. Dezidiert linksliberal eingestellte jüdische Intellektuelle erlebten den „Großen Krieg" häufig als Zusammenbruch der vertrauten Welt, aber nicht als fundamentale Widerlegung ihrer universalistischen Überzeugungen. Um ihre humanistisch-kosmopolitischen Ansichten zu rechtfertigen, griffen sie vermehrt auf jüdische Traditionselemente zurück. Man partizipierte an der „Renaissance des Judentums", ohne an den zionistischen Ideen größeres Interesse zu zeigen. Obwohl man die Ideologisierung der Politik als verhängnisvolles Zeitübel beklagte, war auch das linksliberale Verständnis jüdischer Kultur nicht frei von Überhöhungen. Besonders deutlich wird dies bei Stefan Zweig, der im Weltkrieg über die Machtlosigkeit humanitärer Ideale und moralischer Appelle sinnierte. In seinem Jeremias entwickelte er geradezu eine „Metaphysik des Leids", 17

„Sein oder Nichtsein?", in: Ost und West 18 (1918), Sp. 1 - 1 6 , 9 3 - 1 1 0 u. 1 3 9 164; ebd., Sp. 94, die Stellungnahme der Redaktion.

18

Eduard Bernstein, „Wie ich als Jude in der Diaspora aufwuchs", in: Der Jude 2 (1917/18), S. 186-195, hierS. 187; dort auch das vorige Zitat. Dazu allgemein: Weisberger, Jewish Ethic.

19

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welche die moralische Bedeutung des Judentums an seine politische Erfolglosigkeit knüpfte. Zugleich legte Zweig großen Wert auf die Aktualität seines dramatischen Gedichts und hoffte, daß Jerusalems Niedergang und Zerstörung auch für die Zeitgenossen von symbolischer Bedeutung sei. In diesem Sinne äußerte er gegenüber Romain Rolland: „Jeremias ist unser Prophet, [...] er hat für uns gesprochen, für unser Europa." 20 Sigmund Freud begegnete derart weitgespannten politischen Idealen mit erheblicher Skepsis. Zwar hatte er vor 1914 zu den energischen Verfechtern liberalen Ideenguts gehört und den rabiaten Antisemitismus der Wiener Bevölkerung scharf kritisiert. Gleichzeitig vertrat er einen Rationalismus, der von der Wissenschaft die instruktivste Antwort auf die drängenden Gegenwartsprobleme erwartete. 21 Dennoch paßte Freuds Menschenbild schwerlich zum optimistischen Fortschrittsglauben des politischen Liberalismus. Nach den Erkenntnissen der Psychoanalyse war die Zivilisation nur ein dünner Firnis, stand der moderne Mensch seinem archaischen Triebleben einigermaßen machtlos gegenüber. Bei Kriegsbeginn gab sich Freud kurzfristig Gefühlen nationaler Identifikation hin, doch schon bald überwog die Sorge um die eigenen Angehörigen. Bereits am 25. Januar 1915 schrieb er an den befreundeten Psychoanalytiker Max Eitington: „Es ist eine lange Polarnacht, und man muß warten, bis die Sonne wieder aufgeht." 22 Für Freuds Einstellung zum Krieg ist es charakteristisch, daß er ihn nicht - wie so viele Kollegen - als gigantisches Laboratorium auffaßte, in dem die Psychoanalyse ihre Realitätstüchtigkeit erweisen könne. Auch über die Tatsache, daß seine Lehre bei der Behandlung von „Kriegsneurotikern" als probates Mittel angesehen wurde, vermochte er sich nicht zu freuen. 23 Vielmehr beurteilte Freud den „Großen Krieg" als grauenvolle kollektive Psychose. Mit ihm sah er seine bürgerliche Welt untergehen, zu deren selbstverständlichen und be-

20

Rolland, „Vox clamantis", S. 776; zum historischen Kontext vgl. oben Kap. 4.3.

21

Zu Freuds liberalen und rationalistischen Überzeugungen vgl. Beller, Wien, S. 204 f., sowie monographisch Gay, Freud. Zit. nach: Ebd., S. 400. Die Bedeutung des Weltkrieges für die Geschichte der Psychoanalyse ist längst noch nicht hinreichend ausgelotet. Als Materialsammlung hilfreich: Peter Büttner, Freud und der Erste Weltkrieg. Eine Untersuchung über die Beziehung von medizinischer Theorie und gesellschaftlicher Praxis, München 1975; die beste Einführung bietet: Gay, Freud, S. 3 8 7 - 4 0 4 u. 777 ff. Die Gründe für den allgemeinen Aufschwung der Psychologie seit 1914 analysiert: Ulfried Geuter, „Polemos panton p a t e r - Militär und Psychologie im Deutschen Reich 1914-1945", in: Mitchell G. Ash u. Ulfried Geuter (Hgg.), Geschichte der deutschen Psychologie im 20. Jahrhundert. Ein Überblick, Opladen 1985, S. 146-171, hier S. 147 ff.

22 23

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jahenswerten Merkmalen er den friedlichen Wettstreit in Kunst und Wissenschaft gerechnet hatte.24 Der Erste Weltkrieg verstärkte die kulturpessimistische Grundierung des Freudschen Denkens. Unter dem übergreifenden Titel „Zeitgemäßes über Krieg und Tod" veröffentlichte er in „Imago", dem wichtigsten Organ der psychoanalytischen Bewegung, zwei Aufsätze eher philosophischen Inhalts. Nachdrücklich arbeitete Freud die umwälzenden kulturhistorischen Wirkungen des Krieges heraus. Er bedeute nicht nur eine Erschütterung moralischer Maßstäbe, sondern werde auch von einer Verschiebung der Schamgrenzen, ja einer allgemeinen Brutalisierung begleitet. Eine wichtige Ursache für die allgegenwärtige Verrohung sah Freud in der Erfahrung massenhaften Sterbens, auf die nur die wenigsten vorbereitet seien. Eine Verdrängung des Todes sei in der Zeit der Material- und Abnutzungsschlachten einfach nicht mehr möglich: ,,[D]ie Menschen sterben wirklich, auch nicht mehr einzeln, sondern viele, oft Zehntausende an einem Tage." 25 Die weitverbreitete atavistische Haltung zu den Schrecken des Krieges führte Freud zu der Frage, worin sich der moderne Mensch überhaupt vom „Urmenschen" unterscheide. Die Antwort fiel desillusionierend aus. Die Psychoanalyse habe zweifelsfrei ergeben, daß der kindliche Wunsch nach Unsterblichkeit ebenso zur Conditio humana gehöre wie der Drang nach physischer Vernichtung des Gegners. Ohne nennenswerte Veränderung „lebt der Mensch der Vorzeit [...] in unserem Unbewußten fort". 26 Den Krieg selbst hielt Freud für ein unvermeidliches Übel, „solange die Existenzbedingungen der Völker so verschieden und die Abstoßungen unter ihnen so heftig sind". 27 Auch die „kritiklose Leichtgläubigkeit" und „Verstocktheit" der Intellektuellen im „Krieg der Geister" betrachtete er als wenig erstaunlich. „Logische Argumente" seien eben „ohnmächtig gegen affektive Interessen" und die wenigsten Gelehrten „den Einwirkungen starker Gefühlsregungen entrückt". Angesichts der nur äußerst langsam veränderbaren Natur des Menschen sei es nicht ratsam, große Hoffnungen in politische Utopien zu setzen. Vielmehr gelte es, den Widrigkeiten des Daseins mit stoischem Gleichmut zu begegnen. „Das Leben 24

Exemplarisch sei als Beleg Freuds Brief an Lou Andreas-Salomé vom 25. November 1914 genannt, in dem es melancholisch heißt: „Ich zweifle nicht daran, daß die Menschheit auch diesen Krieg verwinden wird, aber ich weiß sicher, daß ich und meine Altersgenossen die Welt nicht mehr froh sehen werden." (Sigmund Freud u. Lou Andreas-Salomé, Briefwechsel, hg. v. Ernst Pfeiffer, Frankfurt am Main 1966, S. 22 f., hier S. 22).

25

Sigmund Freud, „Zeitgemäßes über Krieg und Tod", in: Ders., Gesammelte Werke, Bd. 10, Frankfurt am Main 1973, S. 3 2 3 - 3 5 5 [zuerst Imago 4 (1915/16), S. 1 - 2 1 ] , hier S. 344. Als Interpretation vgl. Büttner, Freud, S. 54 ff., und Gay, Freud, S. 4 0 1 - 4 0 4 . Freud, „Zeitgemäßes über Krieg und Tod", S. 350. Ebd., S. 354; ebd., S. 339, die nächsten Zitate.

26 27

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zu ertragen", so heißt es kategorisch, „bleibt ja doch die erste Pflicht aller Lebenden. Die Illusion wird wertlos, wenn sie uns darin stört." 28 In einem Beitrag für das „Jahrbuch des Berliner Goethebundes" widmete sich Freud den philosophischen Konsequenzen, die aus dem Weltkrieg zu ziehen seien. 29 Der tiefgehende Zivilisationsbruch veranlaßte ihn jedoch nicht, die Gültigkeit universaler Werte zu bestreiten. So bedeute die Erfahrung der Sterblichkeit zwar für jeden einzelnen eine narzißtische Kränkung, stelle aber keineswegs die menschlichen Kulturleistungen generell in Frage: „Die Beschränkung in der Möglichkeit des Genusses erhöht dessen Kostbarkeit. Ich erkläre es für unverständlich, wie der Gedanke an die Vergänglichkeit des Schönen uns die Freude an demselben trüben sollte." 30 In gewisser Hinsicht war Freuds Verklärung der Kunst nicht mit seinem Stoizismus zu vereinbaren, der die Flüchtigkeit menschlichen Daseins in den Vordergrund rückte. Allerdings dürfte es sich nicht um einen substantiellen Widerspruch gehandelt haben. Freuds affirmative Einstellung zum universellen Wert ästhetischer Erfahrungen stellte sein nüchternes Menschenbild nicht zur Disposition, aber sie illustriert, in welchem Ausmaß er ein „Kind des 19. Jahrhunderts" war und „Bildung" für ihn Letztwertcharakter besaß. Gleichwohl erfüllte die Zerstörung menschlicher Kulturgüter Freud mit Trauer und gab dem Text eine unverkennbar elegische Färbung. Seine Charakterisierung des Krieges gipfelte in den Worten: „Er machte unser Vaterland wieder klein und die andere Erde wieder fern und weit. Er raubte uns so vieles, was wir geliebt hatten, und zeigte uns die Hinfälligkeit von manchem, was wir für beständig gehalten hatten." 31

28 29

30

31

Ebd., S. 354 f. Ders., „Vergänglichkeit", in: Ders., Gesammelte Werke, Bd. 10, Frankfurt am Main 1973, S. 357-361 [zuerst Das Land Goethes 1914-1916. Ein vaterländisches Gedenkbuch, hg. vom Berliner Goethebund, Stuttgart u. Berlin 1916, S. 37 f.], - Der Text wird in der modernen Forschung oft vernachlässigt, selbst Peter Gays umfangreiche und ausgesprochen sorgfältige Freud-Biographie geht auf ihn mit keiner Zeile ein. Ders., „Vergänglichkeit", S. 359. - Freud war nicht der einzige jüdische Denker, der die Begrenztheit menschlichen Daseins in den Mittelpunkt seiner Reflexionen stellte. Der Neukantianer Jonas Cohn sah sogar den Krieg als gerechtfertigt an, weil er „die Aufnahme der Endlichkeit in das Leben des Staates" gewährleiste (Jonas Cohn, „Widersinn und Bedeutung des Krieges", in: Logos 5 [1914/15], S. 125-144, hierS. 143). Freud, „Vergänglichkeit", S. 360.

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Für Freuds innere Stabilität während des Weltkrieges scheinen indes philosophische Reflexionen weniger wichtig gewesen zu sein als die harte wissenschaftliche Arbeit. An der Wiener Universität hielt Freud in den Wintersemestern 1915/16 und 1916/17 seine Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, die großes öffentliches Interesse fanden. Noch mehr trifft dies für die umgehend erschienene Druckfassung der Vorträge zu, die in nicht weniger als fünfzehn Sprachen übersetzt wurde. Sie galt bald als stilistisch brillante und auch für Laien verständliche Darstellung der neuen Wissenschaft und wurde Freuds größter Bucherfolg. 32 Daneben wird allerdings leicht übersehen, daß seine umfassende Revision des psychoanalytischen Lehrgebäudes gleichfalls im Ersten Weltkrieg begann. Bereits 1915 konzipierte Freud seine Neurosenlehre, aus der seine „Metapsychologie" hervorgehen sollte. Sie knüpfte an die veränderte Einschätzung der Aggression in den „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse" an. Nicht ohne moralischen Impetus hatte er seine Wiener Zuhörer gefragt: „Glauben sie wirklich, daß es einer Handvoll gewissenloser Streber und Verführer geglückt wäre, all diese bösen Geister zu entfesseln, wenn die Millionen von Geführten nicht mitschuldig wären? Getrauen sie sich unter diesen Verhältnissen für den Ausschluß des Bösen aus der seelischen Konstitution des Menschen eine Lanze zu brechen?" 33 Unter dem Eindruck der Zeitereignisse hatte Freud seinen monistischen Ansatz revidiert und dem Aggressionstrieb eigenständige Bedeutung für die seelische Konstitution des Menschen verliehen. Nach und nach veränderte dies die Psychoanalyse zu einem bipolar strukturierten Denkgebäude, in dem der Todestrieb gleichwertig der Libido entgegengestellt wurde. 34 Einen anderen und doch in mancher Hinsicht verwandten Weg schlug Ernst Cassirer ein, dessen 1916 veröffentlichte Schrift Freiheit und Form noch dem Nachweis gedient hatte, wie eng die deutsche Geistesgeschichte mit der Tradition Westeuropas verwoben sei. Pointiert hatte er darauf hingewiesen, daß Kants Staatsbegriff ohne Kenntnis der nordamerikanischen „Bill of Rights" oder der französischen Menschenrechtserklärung kaum zu verstehen sei. 35 Doch so unbeirrt Cassirer auch am aufkläreri32 33

34

35

Vgl. Gay, Freud, S. 415 f. Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Main 1966 [zuerst 3 Tie., Leipzig u. Wien 1916/17], hier S. 147.

Frankfurt am

Eingehend zu diesem vielschichtigen Transformationsprozeß, der hier allenfalls angedeutet werden kann: Gay, Freud, S. 4 0 7 - 5 2 7 u. 7 7 9 - 7 9 5 . Cassirer, Freiheit, S. 3 1 1 - 3 2 7 . Eine eingehende Interpretation dieser Schrift bietet: Massimo Ferrari, „Zur politischen Philosophie im Frühwerk Emst Cassirers", in: Enno Rudolph (Hg.), Cassirers Weg zur Philosophie der Politik, Hamburg

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sehen Wertekanon festhielt, der Fortschrittsglaube verlor für ihn im Krieg einen Großteil der Überzeugungskraft. Statt dessen wandte er sich der Welt kultureller Zeichen und Symbole zu, deren vielfältige Bedeutungszusammenhänge er nun offenlegen und entziffern wollte. Für die Zeitschrift „Logos" verfaßte Cassirer 1 9 1 7 / 1 8 den Essay „Hölderlin und der deutsche Idealismus", der in nuce das Programm für einen semiotischen Neuanfang der Philosophie enthielt. Der Aufsatz demonstrierte eindringlich, daß echte Dichtung sich nicht in der Umsetzung philosophischer Ideen erschöpfe, sondern eine eigenständige Kommunikationsform sei, die genuin poetischen Gesetzen folge. Der Mythos wurde deshalb nicht mehr „als bloss äusserliches allegorisches Sinnbild" aufgefaßt, sondern als eine „ursprüngliche und unauflösliche geistige Lebensform", deren Bedeutungsvielfalt niemals vollständig auszuschöpfen sei.36 Gleichfalls 1917 entwickelte Cassirer das Konzept für seine Philosophie der symbolischen Formen, die er seit 1923 in umfangreichen Bänden der gelehrten Welt präsentierte. Sie beinhaltete einen Abschied von jenen Letztbegründungsvorstellungen, welche für die Philosophie des Abendlandes von Piaton bis Kant und Hegel konstitutiv gewesen waren. Ohne sich je definitiv von dem Gedankensystem seines Lehrers Cohen abzuwenden, verzichtete Cassirer darauf, eine symbolische Fassung der Weltaneignung besonders zu präferieren. Damit verband sich eine dauerhafte Abkehr von jenem wissenschaftsformigen Erkenntnisbegriff, der den Neukantianismus während des Kaiserreichs charakterisiert hatte.37 In unserem Zusammenhang dürfte am wichtigsten sein, daß Cassirer mit seiner Auffassung des Menschen als „animal symbolicum" gerade jenes dichotomische Denken überwand, dessen Schattenseiten im Weltkrieg überdeutlich zu Tage getreten waren. Nicht zuletzt wurde die Trennung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften hinfällig, die zu den Spezifika

1999, S. 4 3 - 6 1 , hier S. 4 3 - 5 1 . Generell zu Cassirers kosmopolitischer Haltung im Ersten Weltkrieg: David R. Lipton, Ernst Cassirer. The Dilemma of a Liberal Intellectual in Germany 1914-1933, Toronto 1978, S. 5 6 - 6 9 , und Heinz Paetzold, Ernst Cassirer. Von Marburg nach New York. Eine philosophische Biographie, Darmstadt 1995, S. 3 1 - 3 5 . Ernst Cassirer, „Hölderlin und der deutsche Idealismus", in: Ders., Idee und Gestalt. Fünf Aufsätze, Berlin 1921, S. 1 0 9 - 1 5 2 [zuerst Logos 7 (1917), S. 2 6 2 - 2 8 2 u. 8 (1918), S. 3 0 - 4 9 ] , hier S. 117. Zur Bedeutung dieses Essays für Cassirers denkerische Entwicklung: John M. Krois, Symbolic Forms and History, N e w Häven u. London 1987, S. 21. Die semiotische Wende von Cassirers Philosophie kann an dieser Stelle nicht näher analysiert werden. Aus der breiten Literatur seien lediglich der biographisch aufschlußreiche Essay von Dimitry Gawronsky, „Ernst Cassirer. Leben und Werk", in: Paul A. Schilpp (Hg.), Ernst Cassirer, Stuttgart usw. 1966, S. 1 - 2 7 , sowie Krois, Symbolic Forms, erwähnt.

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der deutschen Wissenschaftsentwicklung und ihrer Methodendiskussionen gehört hatte. 38 Das Bekenntnis zum Judentum war für Cassirer ebenso selbstverständlich wie die innere Bejahung des demokratischen Staatswesens. Seine intensive Beschäftigung mit den symbolischen Zeugnissen unterschiedlichster Kulturen hat jedoch zur Unterschätzung der jüdischen Dimension seines Denkens geführt. 39 Lange Zeit wurde übersehen, wie nachdrücklich der Neukantianer im Ersten Weltkrieg der Vorstellung einer genuin „deutschen Wissenschaft" entgegengetreten war. Für Cassirer stand es außerhalb jeder Diskussion, daß der Hochschullehrer den Hörsaal nicht zur politischen Propaganda nutzen dürfe, wenn er seiner pädagogischen Verantwortung gerecht werden wolle. Bezeichnenderweise war seine Position im Streit mit Bruno Bauch strikt transzendentalphilosophisch. Die völkischen Fichteinterpretationen lehnte er zum einen wegen ihrer antisemitischen und inhumanen Konsequenzen ab. Zum anderen monierte er die erkenntnistheoretische Wertlosigkeit völkischer Entitäten, die mit dem Universalismus (kultur-)wissenschaftlicher Methodik unvereinbar sei. Gerade deshalb entschied sich Cassirer auch für eine „Philosophie der symbolischen Formen", die schon im Titel auf den Aprioritätscharakter transzendentalen Philosophierens verwies. 40 Allein so eindrucksvoll Cassirers Konzept die Überzeugung in die kulturelle Verfaßtheit menschlichen Handelns demonstrierte, für die innerjüdische Verarbeitung des Weltkrieges war es keineswegs repräsentativ. Vielmehr beschäftigten sich auch diejenigen, die an einem universalistischen Wertekanon festhalten wollten, vermehrt mit den Ursprüngen und dem kulturellen Erbe des Judentums. Unter den Vertretern des Reformjudentums galt es etwa als ausgemacht, daß eine religiöse Neudefinition des Judentums zu den drängenden Aufgaben der Zeit gehöre. In diesem Sinne erklärte der Frankfurter Rabbiner Caesar Seligmann zu Beginn des Jahres 1918, „fljebendiges Judentum ist die Grundforderung des liberalen Ju-

38

Zu den problemhistorischen Horizonten vgl. Otto Gerhard Oexle (Hg.), Naturwissenschaft, Geisteswissenschaft, Kulturwissenschaft: Einheit - Gegensatz Komplementarität. Mit Beiträgen von Lorraine Daston u.a., Göttingen 1998.

39

Dazu erstmals: Joseph Mali, „Ernst Cassirer's Interpretation of Judaism and its Function in Modern Political Culture", in: Juden in der Deutschen Wissenschaft. Internationales Symposium April 1985. Leitung Walter Grab, Tel Aviv 1986, S. 187-215; nuanciert und kenntnisreich ferner: Steven S. Schwarzschiidt, „Judaism in the Life and Work of Ernst Cassirer", in: il cannocchiale, Jg. 1991, N. 1-2, S. 3 2 7 - 3 4 4 .

40

Ebd., S. 332. Damit folge ich der Deutung des späten Steven Schwarzschiidt, die sich zwar gegenwärtig keiner sonderlichen Beliebtheit erfreut, aber plausibel erklärt, warum sich Cassirer zeit seines Lebens positiv über den Neukantianismus und insbesondere Cohen äußerte.

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dentums", und meinte damit religiöse Orientierung. 41 Und selbst ein so überzeugter Rationalist wie Hermann Cohen versuchte in seinem letzten Werk, eine Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums herzuleiten. 42 Besonders aufschlußreich für die liberaljüdische Einstellung zum Ersten Weltkrieg sind die Äußerungen und Schriften von Leo Baeck, dessen Stimme allgemein Beachtung fand. Obwohl er die Gerechtigkeit der „deutschen Sache" nicht in Zweifel zog, belegen seine Predigten als Feldrabbiner doch unmißverständlich, daß er der Friedensidee eine überragende Bedeutung beimaß. Gleichzeitig ließ er sich in seiner ethischen Auffassung des Judentums nicht beirren. Gerade in der schwierigen Kriegszeit hätten jüdische Soldaten den moralischen Wert ihrer Erziehung zu bezeugen. 43 In gewissem Umfang öffnete sich Baeck auch kulturzionistischen Vorstellungen. 1917 unternahm er in einem Aufsatz für Bubers „Juden" den Versuch, nationale und religiöse Definitionen des Judentums auf einer höheren Ebene zu vermitteln. Schlüsselhafte Bedeutung maß er in diesem Zusammenhang dem Individualitätsprinzip zu: „Es sind mannigfache Gedanken, in die der jüdische Gedanke heute auseinandertritt, und man hat zwischen ihnen oft nur den Gegensatz gesehen. Aber sie finden ihre Einheit in der jüdischen Individualität, in dieser Einheit von Lebensgrund und Lebensgehalt." 44 Mit der impliziten Bezugnahme auf Dilthey verband sich eine eigentümliche Mischung von ethischem Existentialismus und positivem Gegenwartsverständnis. In den Schlußsätzen beschwor Baeck sogar das Morgenrot einer Zukunft, die auf Menschen mit „großen Gedanken" warte. 45 Gleichfalls in diesem Sinne äußerte er im Herbst 1918 gegenüber Buber, 41

42

43

44

45

[Caesar] Seligmann, „Was will das liberale Judentum?", in: LJ 10 (1918), S. 1 ff., hier S. 2. Vgl. auch, ebd., S. 3, die plakativen Schlußworte des Artikels: „Lebendiges religiöses Judentum ist unser Programm, mit dem wir die Zukunft erobern wollen. Es trägt die siegreiche Werbekraft in sich, um uns die Herzen und Geister unserer Jugend zuzuführen." Hermann Cohen, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums. Nach dem Manuskript des Verfassers neu durchgearb. u. mit einem Nachw. versehen von Bruno Strauß, 2. Aufl. Frankfurt am Main 1929 [zuerst Leipzig 1919]. L[eo] Baeck, „Du sollst! Zum Feste der Offenbarung", in: IF Nr. 2 0 vom 18. Mai 1915, S. 1 f. Ders., „Lebensgrund und Lebensgehalt", in: Ders., Wege im Judentum. Aufsätze und Reden, Berlin 1933, S. 1 3 4 - 1 5 0 [zuerst Der Jude 2 (1917/18), S. 7 8 - 8 6 ] , hier S. 149. Vgl. auch, ebd., S. 140, Baecks Definition des Judentums: „Das jüdische Dasein ist bisher eine reine geschichtliche Individualität geblieben. Nur als solche kann es erfaßt und verstanden werden, als einzigartige Einheit von Volkstum und Religion, von Religion und Volkstum." Ebd., S. 150.

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das Judentum könne vor der „Geistesgeschichte" der Gegenwart „nicht gut abdanken noch sich verbergen". 46 Eine scharfe Abgrenzung nahm Baeck gegenüber den kulturprotestantischen Versuchen vor, das Judentum als reinen „Vorläufer" des Christentums darzustellen. Bei den „apologetischen Kursen", die der „Verband der Deutschen Juden" 1918 in Berlin veranstaltete, forderte er vielmehr nachdrücklich eine „Umkehr zum Judentum". Damit brachte er seine Überzeugung zum Ausdruck, daß ein wirkliches Verständnis des Christentums ohne Kenntnis und Achtung der jüdischen Religion unmöglich sei. Der Protestantismus, der „,die Rückkehr zu Jesus' sucht", müsse die „Richtung zum Judentum" einschlagen. 47 Zugleich hielt es Baeck für gewiß, daß die „vorwärtsschreitenden Ideen" in hohem Maße auf das Judentum rekurrieren würden. Die Niederlage veränderte Baecks zukunftsbejahendes Weltbild zwar nicht substantiell, verschärfte aber seine Kritik an den inhumanen Zügen des preußischen Obrigkeitsstaats. In einer 1919 gehaltenen Rede an der Berliner „Hochschule für die Wissenschaft des Judentums" verzichtete er auf das zeitübliche Pathos oder gar revanchistische Untertöne. Statt dessen vertrat Baeck eine äußerst negative Einschätzung von Luthers Etatismus, der für die preußische Untertanengesinnung und damit mittelbar für Deutschlands Katastrophe verantwortlich sei. Gerade wenn man den Ersten Weltkrieg als Kampf der Weltanschauungen begreife, habe der Calvinismus seine Überlegenheit über das Luthertum demonstriert: „Was den angelsächsischen Staaten, die in ihrer inneren Entwicklung durch den Calvinismus bestimmt worden sind, ihre Stärke gegenüber der lutherischen Staatsauffassung gegeben hat, ist dieser messianische Zug, diese Lehre von der Arbeit für die Zukunft der Menschheit, diese Beziehung zur jüdischen Idee, die, ob sie nun immer ehrlich gemeint war oder nicht, doch immer wirksam war." 48 Wie vor dem Weltkrieg betonte Baeck nicht nur die menschheitliche Bedeutung der jüdischen Religion, sondern stellte auch heraus, daß ein positives Zukunftsverständnis zur Conditio humana gehöre. Zugleich wurde allerdings seine Skepsis gegenüber dem Nationalismus deutlich, die es ihm unmöglich machte, eine ideale Übereinstimmung von Deutschtum und Judentum zu behaupten. Gerade hier ist der Abstand zu Hermann 46 47

48

Buber, Briefwechsel, Bd. 1, S. 538; Schreiben Baecks vom 18. September 1918. Leo Baeck, „Die .Umkehr zum Judentum"', in: JP 49 (1918), S. 386-389, hier S. 389; ebd., das nächste Zitat. Ders., „Heimgegangene des Krieges. Über den preußischen Staat", in: Ders., Wege im Judentum. Aufsätze und Reden, Berlin 1933, S. 382-400 [zuerst 1919], hier S. 387 f. Zur Interpretation vgl. Friedlander, Leo Baeck, S. 45 ff., und George Mosse, Jews, S. 24 f.

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Cohen besonders spürbar, dem Baeck als Kantexegeten und Religionsphilosophen weiterhin großen Respekt entgegenbrachte. Die Veränderungen von Baecks Weltbild zeigten sich auch in der zweiten Auflage seiner Schrift Das Wesen des Judentums, die 1922 in Frankfurt am Main erschien. Es ist oft betont worden, in welchem Ausmaß Baeck seine früheren Gedanken modifizierte. Albert Friedlander ging so weit, die Erstauflage von 1905 als eine „.verlorene"' zu beschreiben, die kaum beachtet oder im Prisma der erheblich umgearbeiteten Neuausgabe gelesen werde. 49 Dies sollte allerdings nicht in den Hintergrund rücken, daß Baeck zu Beginn der Weimarer Republik auch an seine Auseinandersetzung mit dem Kulturprotestantismus des Kaiserreichs anknüpfte. Gewiß enthielt die Zweitauflage vom Wesen des Judentums eine Fülle neuer Gedanken, doch bleibt es ein aufschlußreicher Befund, daß sie in ein bereits vorliegendes philosophisch-theologisches Konzept integriert werden sollten. Die Abweichungen von der Erstausgabe waren allerdings gleichfalls schwerwiegender Natur. Den zweiten Hauptteil über die „Ideen des Judentums" bezeichnete Baeck selbst als „neues Buch". 50 Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die Frage, „ob das Dasein einen Sinn hat, ob es eine Weltordnung gibt, die zum Guten ist, oder nicht". 51 Ein ausschließlich vernunftgeleitetes Religionsverständnis hielt Baeck nicht für sachlich adäquat und erst recht nicht mehr für zeitgemäß. Vielmehr äußerte er die Überzeugung, der notwendig paradoxe Charakter des religiösen Geheimnisses dürfe durch eine rationalistische Theologie nicht verwässert werden. Nachdrücklich wird konstatiert, daß „das Göttliche undefinierbar sei" und „man in Begriffen nicht beten könne". 52 Damit einher ging ein scharfer Angriff auf jene Hypostasierung des Staates, die dem wilhelminischen Zeitalter seine Signatur gegeben hatte. Vor dem Hintergrund der Weltkriegserfahrungen formulierte Baeck: „Das Streben nach der bloßen Macht ist am letzten Ende Selbstvernichtung." 53 Mit der drastischen Vergangenheitskritik verbanden sich jedoch weder politischer Zynismus noch religiöser Zweifel. Unverändert stellte Baeck die Bedeutung der Zukunft für eine humane Weltanschauung heraus: „Erst durch die messianische Idee wird die Ethik zur Ethik der Geschichte, das Gebot auch zum Gebot für die Nationen." 54 49 50

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Friedlander, Leo Baeck, S. 17. Leo Baeck, Das Wesen des Judentums, Berlin 1905; 2. neu bearb. Aufl. Frankfurt am Main 1922, S. IX. Ebd., S. 285. Generell zur Transformation von Baecks Religionsauffassung: Meyer, Response, S. 207 f. Baeck, Das Wesen des Judentums, 2. Aufl., S. 27 u. 120; leichte Veränderung der Zitate. Ebd., S. 262. Ebd., S. 255; ebd., S. 129, das nächste Zitat.

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Das Leben jedes Einzelnen entscheide darüber, ob der Geschichtsprozeß als sinnhaft betrachtet werden könne. „Gläubig" nannte Baeck einen Menschen, der „immer wieder erlebt, was wahre Wirklichkeit ist". Dies bedeutete eine starke Existentialisierung des eigenen Denkansatzes, doch stand letztlich außer Frage, daß die „wahre Weltgeschichte" eine „Geschichte des Guten" sei.55 Bei aller Hinwendung zu einem individualisierten Verständnis religiöser Wirklichkeiten hatte sich Baecks ethische Weltsicht nicht verändert. Von den religiösen Sozialisten wie Tillich oder Gogarten unterschied ihn vor allem, daß er die Veränderungen der Gegenwart nicht als Zusammenbruch erlebte. Vielmehr integrierte er sie in sein „System der Polaritäten", das auf der Selbstreflexivität und kategorialen Offenheit des Judentums beruhte.56 Die Quelle für Baecks Optimismus lag in einem Gottvertrauen, das sein ethisches Religionsverständnis nicht nur begründete, sondern auch der relativierenden Kritik entzog. Ähnlich wie die Kulturzionisten bemühte sich Baeck um eine Neudefinition des Verhältnisses von jüdischer Identität und Universalität. Doch hielt er - im markanten Gegensatz zu Buber - das Judentum für eine unmythologische Religion, deren Kern ethischer Natur sei.57 Das Judentum betrachtete er nach wie vor als „Versöhnungsreligion", deren vorrangige Aufgaben sozialer Art seien. Anknüpfend an die Ideen des späten Cohen, betonte Baeck den religiösen Charakter der Armut, der schon daran deutlich werde, daß das wahrhaft Soziale stets auf das Messianische verweise.58 Unverrückt galten „Gerechtigkeit und Sittlichkeit" als „Fundamente des Daseins", behielt der kategorische Imperativ als Richtschnur menschlichen Handelns seine Gültigkeit.59 „Der Moral", so hieß es unmißverständlich, „ist die Bedeutung des Absoluten gegeben", und damit verstand es sich in Baecks Augen von selbst, daß die krisenhaften Zeittendenzen das „Wesen des Judentums" nicht gefährden könnten.60 Viele herausragende jüdische Intellektuelle wurden durch Krieg und Revolution veranlaßt, über die Tragfähigkeit ihres Weltbildes erneut nachzudenken. Ihre universalistischen Konzepte erwiesen sich dabei als 55

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Ebd., S. 261. Vgl. auch ebd., S. 266: „Nur dem Guten bleibt die Dauer. Das ist die Theodicee der Geschichte." Dazu instruktiv: Friedlander, Leo Baeck, S. 40 f. Vgl. Baeck, Das Wesen des Judentums, 2. Aufl., S. 92 u. 102. Ebd., S. 233. Die soziale Ausrichtung der Cohenschen Religionsphilosophie wird in der neueren Forschung allgemein herausgestellt, wie etwa der Sammelband von Stéphane Mosès u. Hartwig Wiedebach (Hgg.) Hermann Cohen 's Philosophy of Religion. International Conference in Jerusalem 1996 (Hildesheim, Zürich u. N e w York 1997) belegt. Baeck, Das Wesen des Judentums, 2. Aufl., S. 266. An anderer Stelle formulierte Baeck in diesem Sinne: „Arbeiten und vorwärtsschauen, das ist daher das Gebot für uns. Eine Erde geht, und eine Erde kommt, aber der Mensch bleibt - der Mensch und seine Pflicht." (Ders., „Heimgegangene", S. 400). Ders., Das Wesen des Judentums, 2. Aufl., S. 141.

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erstaunlich modifikationsfähig. Szientifische Weltbilder verloren zwar ebenso an Überzeugungskraft wie der vor 1914 im liberalen Bürgertum weit verbreitete Fortschrittsoptimismus, doch berührte dies kaum den Glauben an den Wert der Bildung. Selbst die „kulturalistische Wende" im Denken der Zwanziger Jahre speiste sich aus jenen Ansichten und Idealen, die einst dem bürgerlichen Wertehimmel seine Faszination und Verbindlichkeit gegeben hatten. 61 Alle kulturellen Leistungen liberal gesonnener Juden konnten freilich das grundsätzliche Dilemma einer marginalisierten Minderheit nicht beheben. Gerade ihr vornehmes Plädoyer für universale Werte war im ideologisch aufgeheizten Meinungsklima von Krieg und Revolution nicht mehrheitsfähig. Michael A. Meyers paradoxe Äußerung, daß die deutsch-jüdischen Intellektuellen „in der Hingabe an den Universalismus [...] ihre Besonderheit bewahrten", 62 dechiffriert sich nicht zuletzt vor der Intransigenz der alten Eliten, die auf die Katastrophe des Kriegsausgangs mit einem ebenso trotzigen wie verhängnisvollen „Dennoch" reagierten. Nicht zuletzt die Lernunfähigkeit der Umwelt führte junge jüdische Intellektuelle zu radikalen Deutungen des Krieges und gewagten geschichtsphilosophischen Konstruktionen.

6.2. Geschichtsverzweiflung und jüdischer Messianismus Der Messianismus war nicht nur von je her ein integraler Bestandteil jüdischer Kultur, er besaß auch stets eine gewisse Anziehungskraft für christliche Denker. Im Säkularisierungsprozeß des 19. Jahrhunderts wurden die Grenzen zwischen den messianischen Vorstellungen von Juden und Christen zunehmend unklar. Bereits die Vision vom „Völkerfrühling" in der Revolution von 1848/49 enthielt religiöse Motive, deren Ursprung und Bedeutung kaum eindeutig zu benennen sind. Überdies scheinen in den freikirchlichen Bewegungen, denen für die deutsche Entwicklung des Revolutionsjahrzehnts so große Wichtigkeit zukommt, die konfessionellen Trennlinien eher nachrangig gewesen zu sein. Statt dessen stiegen die Erwartungen der Menschen an die Geschichte, die in wachsendem Umfang Sinngebungsaufgaben übernehmen sollte. 63 61

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Dazu allgemein: Manfred Hettling u. Stefan-Ludwig Hoffmann, „Der bürgerliche Wertehimmel. Zum Problem individueller Lebensführung im 19. Jahrhundert", in: GG 3 (1997), S. 3 3 3 - 3 5 9 . Michel A. Meyer, „Die deutschen Juden. Perspektiven ihrer Geschichte", in: Ders., Jüdische Identität in der Moderne, Frankfurt am Main 1992, S. 114-133, hierS. 121. Dazu zuletzt: Wolfgang Hardtwig, „Die Kirchen in der Revolution 1848/49. Religiös-politische Mobilisierung und Parteienbildung", in: Ders. (Hg.), Revolution

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Im Fin de Siècle, das gleichzeitig als Ära bürgerlichen Wissenschaftsund Geschichtsvertrauens wie als Blütezeit vagierender Religiosität beschrieben werden kann, gewannen messianische Konzepte erheblich an Attraktivität. Der Wille zur großen Kultur- und Gesellschaftsreform bewegte vor allem Intellektuelle, denen es schwerfiel, sich in der staatsnahen akademischen Welt zu etablieren. Beispielsweise ging der „Logos", jene 1910 ins Leben gerufene „Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur" mit avantgardistischem Anspruch, auf den Essayband „Der Messias" zurück, an dem fünf aufstrebende deutsche und russische Philosophen mitgewirkt hatten. Der programmatische Titel unterstrich die nachgerade „prophetische Hoffnung", mit der man einer „Umgestaltung der menschlichen Dinge im Sinne des Fortschritts der gesamten Kultur" entgegensah. 64 Doch trotz aller Zukunftsemphase blieb das Weltbild der jungen Intellektuellen neoromantisch und kulturpessimistisch getönt. Ähnlich wie die Autoren, die sich um den Diederichs Verlag scharten, sehnten sich die Initiatoren des „Logos" nach einer „Wiederverzauberung der Welt". Sie suchten nach einer „neuen Religion", welche die Glaubensferne und Zweckgerichtetheit der Moderne überwinden sollte, und tendierten zu synkretistischen Konzepten. Dies erhöhte zwar die schillernde Vieldeutigkeit und Attraktivität ihrer Texte, trug ihnen aber auch den Vorwurf der Beliebigkeit ein. Charakteristisch für das weitgespannte kulturelle Programm war der Beitrag des russischen Philosophen Nicolai von Bubnoff, der Fichtes Lehre als Synthese des christlichen und jüdischen „Messiasgedankens" feierte. 65 Im liberalen Judentum überwogen hingegen vor 1914 optimistische Zukunftsvorstellungen. Ohne sich allzusehr in heilsgeschichtlichen Spekulationen zu verlieren, betrachtete man den Verlauf der Emanzipation cum grano salis als Erfolg. Auch wenn es noch einiges an den politischen Zuständen auszusetzen gab, rechnete man in absehbarer Zeit mit der Überwindung der letzten gesellschaftlichen Restriktionen. Nach Kriegsausbruch geriet das liberale Judentum freilich in den Sog apokalyptischer

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in Deutschland und Europa 1848/49, Göttingen 1998, S. 7 9 - 1 0 8 , hier S. 8 9 - 9 4 . Zur Veränderung der jüdischen Messiasvorstellungen im 19. Jahrhundert vgl. Manfred Voigts, Jüdischer Messianismus und Geschichte. Ein Grundriß, Berlin 1994, S. 7 4 - 8 5 . R[ichard] Kroner, N[icolai] von Bubnoff, Gfeorg] Mehlis, S[ergius] Hessen u. Ffriedrich] Steppuhn, Vom Messias. Kulturphilosophische Essays, Leipzig 1909, S. V. Zum ideengeschichtlichen Kontext vgl. Dittmar Dahlmann, „Bildung, Wissenschaft und Revolution. Die russische Intelligencija im Deutschen Reich um die Jahrhundertwende", in: Gangolf Hübinger u. Wolfgang J. Mommsen (Hgg.), Intellektuelle im Deutschen Kaiserreich. Mit Beiträgen von Rita Aldenhoff u.a., Frankfurt am Main 1993, S. 1 4 1 - 1 5 7 u. 2 2 8 - 2 3 5 , hier S. 153 ff., sowie Kramme, „Kulturphilosophie", S. 122-125. Nfikolai] [von] Bubnoff, „Fichte", in: Kroner, V o m Messias, S. 11-27, hier S. 26.

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Deutungsmuster, wie sie insbesondere von der protestantischen Theologie verkündet wurden. Nicht wenige liberaljüdische Autoren kombinierten geschichtsphilosophische und religiöse Motive und beteiligten sich an der Sinngebung des Krieges. Es erschien eine Vielzahl von Artikeln, die den Feinden Deutschlands Gottes Strafgericht in Aussicht stellte. Außerordentlicher Popularität erfreute sich die Schillersche Wendung, daß die Weltgeschichte das Weltgericht sei. Ihren elegischen Charakter hatten diese Worte, die ursprünglich auf die Beschränkung menschlichen Daseins durch die Geschichte verwiesen, bereits in den Freiheitskriegen verloren. Ihre Herkunft aus dem Gedicht „Resignation" geriet im Ersten Weltkrieg vollends in Vergessenheit. 66 Statt dessen deutete man Schillers Satz radikal innerweltlich und wandte ihn unmittelbar gegen die Feinde der deutschen Nation. Gerade hier zeigte sich der prägende Einfluß der protestantischen Kriegstheologie, die seit 1914 mit großem Nachdruck herausstellte, daß Gottes Ratschluß sich in der Geschichte offenbare. 67 Dennoch bestanden zwischen den apokalyptischen Vorstellungen christlicher und jüdischer Autoren substantielle Unterschiede. Der Abwertung der Geschichte durch Untergangs- und Läuterungsvisionen, wie sie für so viele protestantische Pfarrer selbstverständlich war, standen die meisten Rabbiner mit beträchtlicher Skepsis gegenüber. Der Akzent ihrer Predigten lag weniger auf der Vernichtung des Feindes als auf dem Beginn des langersehnten Friedenszeitalters. In diesem Zusammenhang verdient es festgehalten zu werden, daß fortschrittsgläubige Konzepte und Denkfiguren auch nach 1914 einige Beliebtheit im liberalen Judentum genossen. So betonte der Rabbiner und Historiker Paul Rieger im „Israelitischen Familienblatt", daß die Tage der lügenhaften englischen Propaganda gezählt seien, da die Wahrheit - wie einst in der Dreyfus-Affäre bereits unterwegs sei. 68 Im übrigen ging es eher um die Akzeptanz jüdischer Werte durch die christliche Mehrheitsgesellschaft als um die BeVgl. Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd. 1: Gedichte in der Reihenfolge ihres Erscheinens 1776-1799, Weimar 1943, S. 166-169, hier S. 168. Grundlegend zum historischen und motivgeschichtlichen Kontext: Klaus Vondung, „Geschichte als Weltgericht. Genesis und Degradation einer Symbolik", in: Ders. (Hg.), Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nationen, Göttingen 1980, S. 6 2 - 8 4 . Von jüdischen Texten, die auf Schillers Denkfigur rekurrieren, seien genannt: A[dolf] Eckstein, „Das Gottesurteil in jenen Tagen und in dieser Zeit. Zum Makkabäerfeste", in: AZJ Nr. 49 vom 7. Dezember 1917, S. 577 f.; [Cossmann] Werner, „Innere Mission. Ein Kriegsvortrag", in: IDR 21 (1915), S. 4 9 - 7 0 , hier S. 50, und B[enzian] Seligkowitz, „Gott in der Geschichte", in: AZJ Nr. 34 vom 20. August 1915, S. 397 f., bzw. ders., „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Zum Neujahrsfeste", in: IF Nr. 36 vom 8. September 1915, S. 1. Paul Rieger, „Der Sieg der Wahrheit in der Geschichte. Eine zeitgemäße Betrachtung zum bevorstehenden Purimfeste", in: IF Nr. 3 vom 25. Januar 1915, S. 1 f., hierS. 1.

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hauptung intellektueller Meinungsführerschaft. Symptomatisch ist ein Artikel von Samuel Krauss, der zu den herausragenden Vertretern der Wissenschaft des Judentums in Österreich-Ungarn gehörte. Er unterstrich die Rationalität des jüdischen Geschichtsverständnisses und wies nachdrücklich darauf hin, daß die Vorstellung der Juden vom messianischen Zeitalter „keinen Menschen erschrecken" solle.69 Dies war recht weit entfernt von der orthodoxen Sicht der Dinge, die im Kriegsgeschehen unmittelbar Gottes Wirken zu erkennen meinte. Nur wenige orthodoxe Denker entwarfen allerdings eine ähnlich kühne Geschichtsmetaphysik wie der junge Isaac Breuer. Enttäuscht von der rücksichtslosen Machtpolitik der europäischen Nationen und erschüttert vom Massensterben in den Schützengräben, erschienen ihm die herkömmlichen etatistischen Geschichtsbilder unehrlich und obsolet. Statt dessen faßte er die Schrecken des Weltkrieges als jene Geburtswehen auf, die dem Kommen des Messias vorausgingen. 1918 verfaßte er eine Schrift mit dem sprechenden Titel Messiasspuren, welche die Zeitereignisse im Licht der hebräischen Bibel interpretierte. Ließe man sich nicht von den Quisquilien der politischen Geschichte irritieren, belege die Katastrophe der Gegenwart den göttlichen Schöpfungsplan und verweise auf den messianischen Charakter der jüdischen Nation. 70 Auch Breuers posthum erschienene autobiographische Aufzeichnungen verdeutlichen, wie sehr er den Ersten Weltkrieg als sinnhaftes Ereignis begriffen hatte: „Im Auf und Ab der sichtbaren Geschichte erschien mir der Krieg als explosive Steigerung ihrer Gegensätzlichkeit zur Metageschichte, erschien mir der Völkerkrieg mit seinen unausbleiblich schwersten Leiden für das jüdische Volk als unverkennbares Symptom des um seine Geburt ringenden Moschiach." 71 Derartige heilsgeschichtliche Gewißheiten standen liberalen Rabbinern nicht zur Verfugung, zu deren wichtigsten Aufgaben gleichwohl die historische Sinngebung gehörte. Doch je mehr der Krieg zu einer Realität sui generis wurde, die Friedenshoffnungen neben dem industrialisierten Massentod und dem Elend der Zivilbevölkerung verblaßten, desto fragwürdiger wurde die optimistische Färbung vieler Rabbinerpredigten. Ihre tönerne Rhetorik, in der Durchhalteparolen einen immer größeren Stellenwert erhielten, war kaum geeignet, den erschöpften Menschen neuen 69

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S[amuel] Krauss, „Kriegsjammer und Messianismus", in: AZJ Nr. 14 vom 7. April 1916, S. 157 f., hier S. 158. Isaac Breuer, Messiasspuren, Frankfurt am Main 1918; zur Interpretation vgl. Voigts, Messianismus, S. 87. Generell zum Stellenwert des Messianismus in der orthodoxen Weltkriegsliteratur: Mordechai Breuer, Orthodoxie, S. 3 4 7 - 3 5 0 . Vgl. die posthum gedruckten Aufzeichnungen von Isaac Breuer Mein Weg (Jerusalem u. Zürich 5748/1988), S. 107.

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Lebensmut zu geben. So pries Georg Salzberger 1917 die Bedeutung des Lebens im Vergleich zu Ruhm und Reichtum. Doch zielten seine pathetischen Zusammengehörigkeitsappelle weitgehend ins Leere, weil sie als einzigen Letztwert den Tod fürs Vaterland anzubieten hatten. 72 Immer häufiger wurde die Vorstellung, daß Gott sich in der Geschichte offenbare, bezweifelt. Bereits 1914 hatte Lion Feuchtwanger in seinem „Lied der Gefallenen" die eindrucksvollen Worte gefunden: „Doch eine Frage wird nicht stumm / Und wird nicht satt: Warum? Warum? / Wir warten." Freilich konnte er bei Kriegsbeginn noch der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß die rettende Antwort endlich eintreffen werde. 73 Nach der „Blutmühle" von Verdun und dem Hungerwinter 1916/17 war es vielen Menschen kaum noch möglich, diese Zuversicht zu bewahren. Die deutschen Intellektuellen, die im August 1914 die innere Einheit der Nation gepriesen hatten, scheiterten an der selbstgestellten Aufgabe, die „Ideen von 1914" mit konkreter Bedeutung zu füllen. Walther Rathenau hielt in einem Schreiben an den Philosophen Leopold Ziegler vom 28. Juli 1917 fest, daß Deutschland - im Unterschied zu den Alliierten ein einheitliches Feindbild fehle. Mit lakonischer Kürze und untergründiger Bitterkeit konstatierte er: „Wir wissen noch heute nicht, wofür wir kämpfen." 74 Auch gedruckt äußerte sich Rathenau nicht moderater. In seiner Erfolgsschrift Von kommenden Dingen beschrieb er den Weltkrieg als eine Katastrophe, die lediglich „Trümmer" hinterlassen werde. 75 Ein Jahr später bemerkte er in einem Privatbrief ebenso hellsichtig wie desillusioniert: „Der Krieg ist noch nicht zu Ende. Er wird eine heilsbedürftige Menschheit hinterlassen, die sich wechselseitig stützen soll, um ihre Sendung zu erfüllen." 76 Dennoch hielt sich unter religiösen wie säkularisierten Juden die Auffassung, daß der „Große Krieg", der Not und Elend in unvorstellbarem Ausmaß mit sich gebracht hatte, nicht sinnlos sein dürfe. Nicht selten mag Gfeorg] Salzberger, Die göttliche Sendung. „ Denn um Euch am Leben zu erhalten, hat Gott mich vor Euch hergesandt". I. Mos. 45, 5, Frankfurt am Main 1917. Zit. nach: 1914. Der Deutsche Krieg im Deutschen Gedicht, H. 6: „Neue Jugend" ausgew. v. Julius Bab, Berlin o.J. [1916], S. 37. Walther Rathenau, Briefe. Neue erhebl. erw. Ausg., 2 Bde., Dresden 1927; hier Bd. 1 , S . 302 f., bes. S. 303. Ders., Von kommenden Dingen, S. 221. Zu Rathenaus Überzeugung von der Sinnlosigkeit des Krieges vgl. auch ebd., S. 132. Den ungebrochenen Fortschrittsglauben Rathenaus betont hingegen: Thomas Rohkrämer, Eine andere Moderne? Zivilisationskritik, Natur und Technik in Deutschland 1880-1933, Paderborn usw. 2000, S. 100-111, der freilich auf die Interpretation privater Zeugnisse fast vollständig verzichtet. Rathenau., Briefe, Bd. 2, S. 56; Schreiben Rathenaus an G. H. Bärenstein vom 6. August 1918.

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dabei der Wunsch eine Rolle gespielt haben, sich selbst oder seine Angehörigen zu trösten. Aus einem russischen Kriegsgefangenenlager schrieb etwa Hans Kohn seinen Eltern betont zuversichtlich: „Aber die Früchte, die dieses Blut- und Stahlbad für die Menschheit, für ihr harmonisches, glücklicheres Zusammenleben tragen muß, werden sich auch in kleinem Kreise, in unserem Zusammenleben fühlbar machen; ich glaube, daß unser aller Leben freier und weiter erblühen wird und daß wir jetzt erst verstehen werden, was Liebe bedeutet, daß das Gefühl für Menschenwürde und Mitleben in uns gereift ist." 77 Dies war indes schon eine sehr „private Deutung" des Krieges, die in psychologischer Hinsicht durchaus kompensatorische Züge trug. Das Gefühl, in einer entgötterten Welt zu leben, war gegen Kriegsende weit verbreitet. Viele Intellektuelle hielten nun Vernunft und Wissenschaft für Relikte einer untergegangenen Ära. Während teleologische Geschichtsmodelle kaum noch diskutabel erschienen, stieg das Interesse am jüdischen Messianismus gewaltig an, wie die Schriften und autobiographischen Zeugnisse Walter Benjamins, Ernst Blochs, Franz Kafkas oder Gershom Scholems dokumentieren. 78 Zu seinen Erfolgsbedingungen gehörte die Bedeutung apokalyptischer Bilder in der Weltkriegsliteratur. Diese stellten nicht nur eine späte Frucht jenes Kulturpessimismus dar, der seit der Jahrhundertwende Intellektuelle unterschiedlichster Provenienz erfaßt hatte. Apokalyptische Visonen waren auch eine Modeerscheinung und zur inneren Mobilisierung geeignet, weil sie die „läuternde Kraft des Krieges" betonten und die angeblich neu gewonnene Einheit des deutschen Volkes verklärten. Zugleich gaben sie der Katastrophe des Weltkrieges einen scheinbar tieferen Sinn, indem sie darauf verwiesen, daß jedem „wirklichen Neuanfang" der Zusammenbruch einer morschen Gegenwartskultur vorhergehe. 79 Auch in der jüdischen Publizistik der ersten Kriegsmonate zeigte man sich überzeugt, daß die Kämpfe nur das Durchgangsstadium zu einer besseren Zukunft seien. So verfaßte der Chefredakteur der „Selbstwehr", Siegmund Kaznelson, im August 1914 einen Artikel mit dem sprechenden Titel „Die Sündflut". Selbstsicher betonte er

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LBI New York AR 259, Box 2, Folder 12; Brief vom 7. Oktober 1917. Als Überblick vgl. Robert Alter, Necessary Angels. Tradition and Modernity in Kafka, Benjamin and Scholem, Cambridge, Mass. u. Cincinnati 1991, und Anson Rabinbach, „Between Enlightenment and Apocalypse: Benjamin, Bloch and Modern German Jewish Messianism", in: New German Critique 34 (1985), S. 78-125. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die Metapher vom „Krieg als Stahlbad", deren Bedeutung für die Weltkriegsliteratur bereits Schwabe, Wissenschaft, S. 38 ff., analysiert hat.

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die sittlich erzieherische Wirkung des Todes und betrachtete es als „ungeheure Reinigung, was jetzt mit der Menschheit geschieht".80 Ein anschauliches Beispiel für die einheitsstiftende Funktion apokalyptischer Motive bietet Georg Simmeis im November 1914 gehaltene Universitätsrede „Deutschlands innere Wandlung". In gleichsam religiöser Metaphorik betonte der Philosoph den umfassenden Charakter des Veränderungsprozesses, der die Menschen ergriffen habe. Ähnlich wie im Jahre 1000, „als man den Weltuntergang erwartete und niemand wußte, ob er verdammt oder gerettet werden würde", kennzeichne eine schicksalsschwere Spannung die historische Stunde.81 Die mächtige Erschütterung, die jeder Mensch spüre, sei vor allem eine Folge der Tatsache, „daß Deutschland von neuem in den Schmelztiegel geworfen ist?2 Im Rückblick werde deutlich, daß man nach der Reichsgründung 1870/71 allzu sehr dem Individualismus und „Mammonismus" gehuldigt habe. Erst in dem Moment, da Deutschland das Absolute wage, könne man sehen, daß die Nation im Kern gesund sei. Doch nicht nur das Engagement fürs Vaterland erhielt gleichsam eine religiöse Weihe, auch die Forderungen des Staates an den einzelnen erfuhren eine höhere Legitimation.83 Bei seinen Versuchen einer Sinngebung der jüngsten deutschen Geschichte rekurrierte Simmel auf lebensphilosophisch getönte Metaphern. Der gegenwärtige Krieg wurde zur „ Vollendung von 1870" und zum Anfang des ,,Mannesalter[s]" der deutschen Nation erklärt.84 Zugleich betrete mit ihm der „neue Mensch" die historische Bühne, der seit einigen Jahren von

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[Siegmund Kaznelson], „Die Sündflut", in: Selbstwehr Nr. 31 vom 27. August 1914, S. 1. Eine Interpretation dieses Artikels bei: Terlau, „Patriotismus", S. 43 f. Georg Simmel, „Deutschlands innere Wandlung. Rede gehalten in Straßburg November 1914", in: Ders., Der Krieg und die geistigen Entscheidungen. Reden und Aufsätze, München u. Leipzig 1917, S. 7-29, hier S. 9. Allgemein zu Simmeis Kriegspublizistik: Patrick Watier, „Georg Simmel et la guerre", in: Wolfgang J. Mommsen (Hg), Kultur und Krieg. Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, München 1996, S. 31-47; speziell zur Bedeutung, die apokalyptische Motive darin einnahmen: Hans Joas, „Die Sozialwissenschaften und der Weltkrieg: Eine vergleichende Analyse", in: Ebd., S. 17-29, hier S. 21. Simmel, „Deutschlands innere Wandlung", S. 10. Zu Simmeis Kritik am „Mammonismus" vgl. ebd., S. 14 f. - Besonders aufschlußreich für die religiös-existentialistische Dimension von Simmeis Kriegsphilosophie ist sein späterer Vortrag „Die Krisis der Kultur. Rede, gehalten in Wien Januar 1916". In hochgestimmter Prosa und unter direkter Ansprache des Lesers heißt es dort: „Unverkennbar nun haben die religiösen Innenmächte durch den Krieg Belehrung und Steigerung erfahren, bis zu einem Grade, der einem jeden einen Entschluß darüber abfordert, auf welchem absoluten Grunde er denn nun eigentlich steht." (Ders., Der Krieg und die geistigen Entscheidungen. Reden und Aufsätze, München u. Leipzig 1917, S. 43-64, hier S. 52). Ders., „Deutschlands innere Wandlung", S. 22; ebd., S. 26, das nächste Zitat.

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fuhrenden Intellektuellen wie Rudolf Eucken, Stefan George oder Wilhelm Ostwald beschworen worden sei. Obwohl die Nähe von Simmeis Gedanken zu utopischen Vorstellungen offenkundig war, wurde gerade dies in Abrede gestellt: „Jetzt wissen wir: nicht viele Dinge sollen anders werden, sondern die Einheit Mensch. Wir wissen nicht, in welchem Sinne anders er sein wird und wollen alle utopischen Überschwenglichkeiten beiseite lassen. Aber in dieser Struktur unserer gegenwärtigen Geistigkeit sehe ich das Pfand dafür, daß Deutschland wieder schwanger ist mit einer großen Möglichkeit." 85 Tatsächlich folgte der Text den Mustern apokalyptischen Geschichtsdenkens seit Marx, das zwar für gewöhnlich seinen transzendenten Charakter in Abrede stellte, sich jedoch weiter in vertrauten eschatologischen Bahnen bewegte. In religiös konnotierter Sprache bündelte es die Wünsche der Menschen und schaffte auf diese Art einen Vorstellungsraum für die ersehnte Zukunft, welche die Gegenwart schal und überlebt erscheinen ließ. Amalgamierung jüdischer und christlicher Vorstellungen waren bei den Verfechtern eines utopischen Messianismus keine Seltenheit. Gustav Landauer etwa ging es vorrangig darum, seinen emphatischen Freiheitsbegriff mit der Vision einer gerechten Gesellschaft zu verbinden. Teleologische Geschichtskonstruktionen, in denen sich die Gegenwart behutsam einer besseren Zukunft annäherte, beurteilte er äußerst skeptisch, weil sie seiner Auffassung nach der individuellen Freiheit zu wenig Entfaltungsspielraum boten. In der Tradition Nietzsches kritisierte Landauer die Überhandnähme archivalischen Wissens, die zur anämischen Lebensferne der zeitgenössischen Kultur beitrage. Statt wissenschaftlicher Erforschung forderte er die intuitive Erkenntnis der Vergangenheit und ging wie selbstverständlich davon aus, daß die Historie erst in künstlerischer Verdichtung intellektuellen Rang und kulturelle Bedeutung besitze. 86 Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges sah sich Landauer in seiner Auffassung bestätigt, daß der Sinn der Geschichte nicht am Ende eines langen Weges, sondern im selbstgestalteten Leben jedes einzelnen liege. Ausdrücklich knüpfte er an die scharfe Kulturkritik der Romantik an und empfahl den Lesern seiner Zeitschrift „Der Sozialist" Fichte und Arndt 85 86

Ebd., S. 27. Zu Landauers romantisch-anarchistischem Selbstverständnis: Gert Mattenklott, „Gustav Landauer. Ein Portrait", in: Gustav Landauer, Dichter, Ketzer, Außenseiter. Essays und Reden zu Literatur, Philosophie, Judentum, hg. v. Hanna Delf, Berlin 1997, S. VII-XXII. - Aus der breiten Literatur zum kultur- und ideenhistorischen Kontext nur: Otto Gerhard Oexle, Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus. Studien zu Problemgeschichten der Moderne, Göttingen 1996.

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zur Lektüre. Die Pointe der ausgewählten Texte, die durch Landauers einleitende Bemerkungen noch unterstrichen wurde, lag darin, den Wert geistiger Umkehr für den Neuanfang der Menschheit herauszustellen. 87 Zu den Gewährsleuten seiner antihistoristischen Argumentation gehörte Tolstoi, den Landauer als schöpferischen und gerechten Menschen verehrte. Stolz betonte er in einer Besprechung von „Tolstois Tagebuch", dieser habe „nicht für einen Dreier historischen Sinn gehabt". 88 Dies zielte gegen jenen Wertrelativismus, den Landauer als unausweichliche Konsequenz des Historismus betrachtete. Der schrankenlose Vergleich nehme dem Leben seinen Sinn und gehöre zu den ,,Symptome[n] einer Zeit, in der die Dichter eher jeden als einen Glauben haben". 89 Landauers Sehnsucht nach einer besseren Welt fand keinen adäquaten künstlerischen Ausdruck mehr. Statt dessen schien ihm angesichts des Elends, das der Weltkrieg über Deutschland gebracht hatte, eine Revolution der einzige Ausweg zu sein. Welch chiliastische Hoffnungen er auf die Umwälzung der bestehenden Verhältnisse richtete, läßt sich daran erkennen, daß er zusammen mit seiner Frau für Deutschlands Niederlage betete, damit sich der Mensch von Grund auf erneuern könne. 90 Landauers Äußerungen zum Judentum belegen die religiöse Fundierung seines utopischen Sozialismus. In einer Besprechung von Strindbergs Historischen Miniaturen setzte er römische und jüdische Eigenart diametral einander gegenüber und verlieh damit dem Diasporajudentum einen tieferen Sinn. Während die Römer die Herrschaft der Welt gewonnen hätten, sei ihre Erlösung den heimatlosen Juden aufgetragen. ,,[D]er Glaube, daß die Menschheit in diesem Geiste, der vom Judentum herkommt, eins ist", gehe auf die Verheißung des Herrn an Abraham zu87

Vgl. etwa [Gustav Landauer] (Hg.), „Bündiger Auszug aus Fichtes Reden an die deutsche Nation, dem deutschen Volke, das jetzt schnell und kondensiert die Wahrheit braucht, im Jahre 1914 verordnet vom SOZIALISTISCHEN BUND", in: Der Sozialist Nr. 14 vom 1. September 1914, S. 105-111; [Ders.] (Hg.), „Nach der Befreiung - vor der Befreiung von Ernst Moritz Arndt (1818)", in: Ebd. Nr. 5 vom 15. März 1915, S. 3 4 - 4 0 .

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Ders., „Zu Tolstois Tagebuch", in: Ders., Dichter, Ketzer, Außenseiter. Essays und Reden zu Literatur, Philosophie, Judentum, hg. v. Hanna Delf, Berlin 1997, S. 9 4 - 9 7 [zuerst Die Weltbühne Nr. 9 vom 9. Mai 1918, S. 3 3 3 - 3 3 7 ] , S. 95. Zum Kontext von Landauers intensiver Beschäftigung mit Tolstoi vgl. Edith Hanke, „Das s p e z i f i s c h intellektualistische Erlösungsbedürfnis'. Oder: Warum Intellektuelle Tolstoi lasen", in: Gangolf Hübinger u. Wolfgang J. Mommsen (Hgg.), Intellektuelle im Deutschen Kaiserreich. Mit Beiträgen von Rita Aldenhoff u.a., Frankfurt am Main 1993, S. 158-171 u. 2 3 5 - 2 3 8 , bes. S. 166-171, die nicht zuletzt auf Ähnlichkeiten im anarchistischen Weltbild eingeht.

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Landauer, „Zu Tolstois Tagebuch", S. 94.

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Für Landauers Revolutionsverklärung - trotz antisemitischer Interpretamente und vieler Übertreibungen - aufschlußreich: Hans Blüher, Werke und Tage. Geschichte eines Denkers, München 1953, hier S. 396.

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rück. 91 Und eben deshalb liege im Messianismus der innerste Kern der jüdischen Religion. 92 In mancherlei Hinsicht knüpfte Ernst Bloch an Landauers utopische Denkstrategien an, ohne freilich seine Inspirationsquelle namentlich zu erwähnen. Insbesondere war es Landauers radikale Kritik der instrumenteilen Vernunft, die Bloch faszinierte. 93 Beide lehnten die deutsche Kriegspolitik schroff ab und hegten romantisierende Vorstellungen von der Ursprünglichkeit menschlicher Gemeinschaft. Seit Frühjahr 1917 im Schweizer Exil, nutzte Bloch seinen politischen Bewegungsraum zur Abfassung zahlreicher pazifistischer Artikel. In nicht weniger als 113 Publikationen wandte er sich zwischen 1917 und 1919 den tagespolitisch umstrittenen Fragen zu und plädierte für einen grundlegenden Wandel der deutschen Gesellschaft. 94 Blochs gegenwartskritische Überlegungen kulminierten in einem großen philosophischen Entwurf. Seit April 1915 hatte er an einer Essaysammlung gearbeitet, die ein Kaleidoskop kultureller Möglichkeiten offerieren sollte. Unzufrieden mit der bunten Aneinanderreihung von Fragmenten schrieb er am 16. August 1916 dem befreundeten Georg Lukács, er wolle nun doch seinen Überlegungen einen „politisch-soziologischgeschichtsphilosophisch-apokalyptischen Rahmen" geben. 95 Der düsteren Diktion des Werks entsprach der geplante Titel: „Musik und Apokalypse". Fritz Feuchtwanger, ein Bruder des Schriftstellers, der Blochs Arbeit bei „Duncker & Humblot" lektorierte, zeigte jedoch ein gutes Gespür für Zeitstimmungen und riet zur Titeländerung. Im Herbst 1918 war es endlich soweit; unter der gewinnenden Formulierung Geist der Utopie erschien eine Monographie, die binnen kurzem für Furore sorgte. 96

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Landauer, „Strindbergs Historische Miniaturen", S. 139. Zur Interpretation vgl. Michael Löwy, „Der romantische Messianismus Gustav Landauers", in: Hanna Delf u. Gert Mattenklott (Hgg.), Gustav Landauer im Gespräch. Symposium zum 125. Geburtstag, Tübingen 1997, S. 9 1 - 1 0 4 , hier S. 102 f.

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Landauer, „Strindbergs Historische Miniaturen", S. 151, heißt es in diesem Sinn: „Messianisch ist die Anschauung, der Glaube, der Wille, der hier zum Ausdruck kommt." Vgl. Bernhard Braun, „Die Siedlung: der Beginn des Sozialismus. Gesellschaftskritik, Siedlung, Utopie bei Gustav Landauer", in: Hanna Delf u. Gert Mattenklott (Hgg.), Gustav Landauer im Gespräch. Symposium zum 125. Geburtstag, Tübingen 1997, S. 191-201, hier S. 198 ff., sowie monographisch Arno Münster, Utopie, Messianismus und Apokalypse im Frühwerk von Ernst Bloch, Frankfurt am Main 1982.

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Eine umfassende Edition bietet der Sammelband: Bloch, Kampf, nicht Krieg-, zu Blochs pazifistischem Engagement vgl. oben Kap. 4.3. Ernst Bloch, Briefe 1903-1975, 2 Bde., hg. v. Karola Bloch u.a., Frankfurt am Main 1985; hier Bd. 1, S. 166-169, bes. S. 168. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Pauen, Dithyrambiker des Untergangs, S. 213.

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Von der Infragestellung der „Emanzipationsideologie" zu Neuentwürfen

In mancherlei Hinsicht zeigte die Monographie einen kulturellen „Klimawechsel" an. Schon der Titel des Werkes bedeutete eine spürbare Akzentverschiebung, wertete er doch gerade jenes utopische Moment in der Ideengeschichte auf, das in kommunistischen Kreisen seit Marx und Engels als „versponnen" und „kleinbürgerlich" galt und auch an den deutschen Universitäten nicht sonderlich geschätzt wurde.97 Blochs Abkehr vom wissenschaftlichen Philosophieverständnis der Vorkriegszeit reichte allerdings noch weiter. Der Geist der Utopie bestritt die Universalität und Relevanz szientifischer Kategorienbildung und beinhaltete eine erhebliche Aufwertung ästhetischer Reflexion. Ausgehend von einem radikalen Subjektivismus, betonte Bloch die Perspektivität menschlicher Erkenntnis und die verbindende Kraft ästhetischen Erlebens. Das Ich wurde gleichsam zum Maßstab und zum Telos des utopischen Prozesses: „Denn daß ich Ich bin, ist heilig und sowohl das Mittel der Hilfe wie der eigentliche Spiegel des Reichtums im Wir [...]."98 Blochs hochgestimmte Prosa verwandte expressionistisch-religiöse Metaphern: Mit ihrem stakkatohaften Tempo und dem abrupten Rhythmuswechsel knüpfte seine „Metaphysik der Musik" bewußt an die neuartigen Kompositionen Strawinskys und Schönbergs an, die nicht zuletzt einem veränderten Zeitempfinden Ausdruck verliehen.99 Noch wichtiger als die ästhetische Grundierung war die geschichtsphilosophisch-religiöse Ausrichtung des Werks. Dies gilt insbesondere für Blochs emphatische Revolutionsbejahung. Der Geist der Utopie zielte auf die Befreiung von einer als defizitär erlebten Realität, nicht auf eine friedliche Versöhnung der Gegensätze. Die Katastrophe des „Großen Krieges" wurde gleichsam zur Möglichkeitsbedingung revolutionären Wandels, den Bloch als Einbruch messianischer Fülle in eine sinnentleerte Welt verklärte. Zugleich stellte er sich damit in die Tradition jenes apokalyptischen Messianismus, dessen Geschichtsdenken vom Spannungsverhältnis zwischen Gegenwart und Zukunft und durch die strikte Ablehnung „teleologischer Illusionen" geprägt war.100 Bereits 1908 hatte Bloch im Kolloquium Georg Simmeis ein ausgeprägtes Sendungsbewußtsein an den Tag gelegt und sich rasch eine Ausnahmestellung erobert. Dabei fiel der frischgebackene Doktor der Philo97 98

Dazu treffend: Vondung, Apokalypse,

S. 44 f.

Ernst Bloch, Geist der Utopie, Frankfurt am Main 1971 [zuerst München u. Leipzig 1918], S. 358. Im folgenden wird die Verwendung apokalyptischer und messianischer Motive in der ersten Auflage vom Geist der Utopie analysiert. Spätere Modifikationen - die in der Regel auf andere Einflüsse als den Ersten Weltkrieg zurückgehen - bleiben außer Betracht. 99 Aufschlußreich zum Kunstverständnis des jungen Bloch: Theodor W. Adorno, „Henkel, Krug und frühe Erfahrung", in: Siegfried Unseld (Hg.), Ernst Bloch zu Ehren. Beiträge zu seinem Werk, Frankfurt am Main 1965, S. 9 - 2 0 , bes. S. 15 ff., und Pauen, Dithyrambiker des Untergangs, S. 2 0 1 - 2 0 4 . 100 v g | Ludger Heidbrink, „Renaissance des Messianismus", in: Merkur 49 (1995), S. 4 4 4 - 4 4 9 , hier S. 444 f., und Vondung, Apokalypse, S. 2 2 5 - 2 5 7 .

Geschichtsverzweiflung und jüdischer Messianismus

285

sophie nicht so sehr durch wissenschaftlichen Ehrgeiz als durch persönliche Ausstrahlung auf. Nicht wenige Hörer Simmeis betrachteten den Neuankömmling aus der Würzburger Provinz gar als charismatischen Vertreter jüdischer Geistigkeit, der von philosophischem „Eros" ergriffen sei.101 Auch in Heidelberg beeindruckte Bloch die gelehrte Welt mit seinem Selbstvertrauen. Nach dem Zeugnis Marianne Webers soll er sich sogar „für den Vorläufer des neuen Messias" gehalten haben.102 Im Geist der Utopie äußerte Bloch nun die Hoffnung, mit dem ,JSystem des theoretischen Messianismus" die Zeit „sturmreif zu machen, für die Propheten, für den praktischen Messianismus".103 Den Fluchtpunkt seiner Überlegungen bildete das Ende der Geschichte, in dem sich der Durchbruch zur Transzendenz vollziehen sollte. Ähnlich wie Buber verstand sich Bloch als Verkünder eines „neuen Lebens", das den gesamten Menschen erfaßt. Seine scharfe Gegenwartskritik verwies letztlich auf religiöse Wurzeln. Im Übermaß abstrakten Denkens sah Bloch die zentrale Ursache für die Seichtheit und Glaubensferne der Gegenwartskultur, die er ein ums andere Mal in gedrängter Sprache beschrieb: ,,[W]ir heutigen Menschen sind leer, ungläubig, ungediegen, dumpf und gänzlich verlassen, wir leben in dem durch unsere Hohlheit selbstverschuldeten Dünkel einer Verlassenheit, die trotzdem im selben Maße ungefuhlt, ja, wenn sie genannt wird, den heutigen Menschen im selben Maße paradox erscheint wie der Sprung und die unserem und Kierkegaards tiefem Atheismus entsprungene Paradoxie der christlichen Postulate selber."104 Von hier aus war es nur ein kurzer Weg zu einer generellen Kritik des naturwissenschaftlichen Weltbilds wie zum Lob von Okkultismus und Theosophie. Die Selbsterkenntnis, die den archimedischen Punkt der Blochschen Philosophie bildete, gipfelte in einem mystisch-existentialistischen Gottesverständnis, das mit einem Großteil der jüdischen Religionsquellen kaum in Einklang zu bringen war. In der „Heiligung des Namens" sah Bloch „Gottes Ernennung selber gegeben, der in uns rührt und 101

102

103 104

Vgl. Peter Zudeick, Der Hintern des Teufels. Ernst Bloch - Leben und Werk, Moos u. Baden-Baden 1985, S. 34-39, sowie als Beispiel für die vielen verklärenden Zeugnisse, die sich auf Bloch beziehen, Margarete Susman, Ich habe viele Leben gelebt. Erinnerungen, Stuttgart 1964, S. 80. Marianne Weber, Max Weber. Ein Lebensbild, Tübingen 1926, S. 476. Vgl. auch ihren Brief an Helene Weber vom 7. Dezember 1912, in dem sie von Blochs spektakulärem Auftreten und seinen philosophisch-systematischen Ambitionen berichtet: Max Weber, Briefe 1911-1912, hg. v. M. Rainer Lepsius u. Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarb. mit Birgit Rudhard u. Manfred Schön, Tübingen 1998, S. 762, Anm. 3. Bloch, Geist der Utopie, S. 337. Ebd., S. 278 f.

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treibt, geahntes Tor, dunkelste Frage, überschwengliches Innen, der kein Faktum ist, sondern ein Problem, in die Hände unserer gottbeschwörenden Philosophie und der Wahrheit als Gebet".105 Seine apokalyptischen Visionen standen schwerlich in der Tradition des Judentums und zielten gewiß nicht auf eine umfassende Renaissance jüdischer Kultur. Sie spiegelten vielmehr Blochs Erfahrungen nach 1914, die in starkem Kontrast zur Vorkriegszeit standen. Hatte einst die Unterstützung des Schwiegervaters aus Riga den Kauf prächtiger Villen und einen großbürgerlichen Lebensstil ermöglicht, führte der Wegfall dieses Geldes zu einer immer beklemmenderen Realität, die durch mannigfache Entbehrungen und die schwere Krankheit seiner Frau, Else von Stritzky, geprägt war.106 Ein zentrales Motiv im Geist der Utopie bildet das Nachdenken über die eigene Sterblichkeit. Bisweilen gewinnt der Tod so bedrohliche Züge, daß jede menschliche Tätigkeit entwertet erscheint: „Es ist entsetzlich, derart zu leben und zu arbeiten und dahinter wirft man uns in die Grube. Kurze Zeit war es hell, ein rätselhaft verheißender Auftakt mit starken, in ihm unvollendbaren Zweckbeziehungen, und dann wird das Leben so über jedes Maß hinaus zu Nichts, als ob auch vorher nichts gewesen wäre, als ob, auch wenn man tausend Auftakte addierte, vor diesem Nichts, vor diesem flachen und unergründlichen tiefen Schacht zugleich, überhaupt keine persönliche Geschichte bestanden hätte."107 Gegen den drohenden Nihilismus setzte Bloch die Apotheose des künstlerischen Subjekts, das sich von allen Zwängen der Konvention befreit hat. Als Aufscheinen des Ewigen in einer verfallenden Welt erhielt die Kunst eine über sich selbst hinausweisende Bedeutung. Damit einher ging eine Verklärung des Politischen als Ort menschlicher Selbstentfaltung. In Blochs utopischer Perspektive verlor die Apokalypse gänzlich ihren Schrecken, sie wurde vielmehr zum „Apriori aller Politik und Kultur, die sich lohnt so zu heißen".108 Und mit der Abschaffung des Privateigentums und der Aufhebung staatlicher Restriktionen glaubte er, den Königsweg zur „sozialisierten Gesellschaft" gefunden zu haben. Die hymnische Sprache, die den Geist der Utopie kennzeichnet, ist nicht zuletzt Ausdruck von Blochs politischen Hoffnungen. In seinem „Aufruf an Volk und Heer" begrüßte er Ende Oktober 1918 den bevorstehenden Frieden als allgemeinen Völkerfrühling: „Seht die Welt, wie sie

105 106

107 108

Ebd., S. 445. Eindringlich zu Blochs Not während des Weltkrieges: Zudeick, Hintern des Teufels, S. 71. Bloch, Geist der Utopie, S. 419. Ebd., S. 341; ebd., S. 402, das nächste Zitat.

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287

ist; wie sie werden will, neu, besser, glücklicher als vordem, als je." 109 Die heranwachsende Generation möge erkennen, es ist „seit langem wieder eine schöne Zeit; es lohnt sich zu leben und Jugend zu haben". Blochs politische Visionen richteten sich weniger an der Russischen Revolution als an der Person Wilsons und der Innovationskraft der westlichen Nationen aus. Trotz aller Kapitalismuskritik bekundete er großes Vertrauen in die Freiheitsliebe der amerikanischen Bevölkerung und die kulturelle Dynamik der Neuen Welt. Die USA erschienen ihm als „ein Land, in dessen Sehnsucht und Abenteuerhaftigkeit sehr wohl der Mythos Platz hätte, daß Gott diesen Abend II 2 5 am Illinois Central in Chicago ankommen wird". 110 Blochs unter wechselnden Pseudonymen verfaßte politische Publizistik scheint kein größeres Echo gefunden zu haben. Der Geist der Utopie traf hingegen auf ein aufnahmebereites Publikum und provozierte gleichermaßen euphorische Begeisterung wie scharfe Kritik. Der Schriftsteller Walter Behrend verherrlichte das Werk als den „Beginn des nachwissenschaftlichen Zeitalters" und attestierte seinem Autor eine „gewaltige metaphysische Leidenschaft". 111 Gustav Landauer empörte sich hingegen über das kühne Unternehmen, den Geist des jüdischen Messianismus in einem philosophischen System auszudrücken. Der expressionistischen Dichterin Margarete Susman, die Blochs Schrift als die langersehnte „neue deutsche Metaphysik" gefeiert hatte, schrieb er kategorisch: „Wo die volle Realität anfangt, ist das theoretische Wortsystem längst in die Brüche gegangen; sollten Ihnen wirklich die Upanischaden, Lao-tse, die großen Mythen und Mythologien, das verzweifelte Ringen und Stammeln Eckharts nicht mehr vom Ewigen zur Schau und zum unwissenden Wissen gebracht haben, als diese künstlich zu einem System zusammengeknüpften geistreichen Essays?" 112 109

Hier wiedergegeben nach: Ders., Kampf, nicht Krieg, S. 383 ff.; ebd., S. 383 u. 384, die beiden Zitate. Bei dem Text handelt es sich um einen Auszug aus Blochs Broschüre „Schadet oder nützt Deutschland eine Niederlage seiner Militärs?", der in dieser gedrängten Form erstmals in der „Freien Zeitung" (Nr. 86 vom 26. Oktober 1918, S. 347) publiziert wurde.

110

Ders., „Vademecum für heutige Demokraten", in: Ders., Kampf, nicht Krieg. Politische Schriften 1917-1919, hg. v. Martin Korol, Frankfurt am Main 1985, S. 4 7 5 - 5 3 0 [zuerst Bern 1919], hier S. 506. Zu Blochs idealisiertem Amerikabild bei Kriegsausgang: Korol, „Entwicklung", S. 38. Walter Behrend, „Die Philosophie der Gottbeschwörung", in: Saturn 5 (1919), S. 4 1 1 - 4 2 1 , hier S. 411 u. 419. - Die Rezeptionsgeschichte der ersten Auflage vom Geist der Utopie skizziert: Pauen, Dithyrambiker des Untergangs, S. 199 f. Brief Landauers vom 31. Januar 1919; Landauer, Lebensgang, Bd. 2, S. 371 ff., hier S. 372. Margarete Susmans Besprechung vom Geist der Utopie ist leicht greifbar in: Siegfried Unseld (Hg.), Ernst Bloch zu Ehren. Beiträge zu seinem

111

112

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Landauer hielt Bloch für einen philosophischen Scharlatan und nannte ihn mit grimmiger Ironie ,,ein[en] Mann von ausgezeichneten Assoziationen, dem auch Momente der Innigkeit beschieden sind".113 Vom intellektuellem Rang sei er mit Langbehn zu vergleichen, den man „lesen sollte, solange man von Nietzsche nichts wußte". Ähnlich dezidiert fiel das Urteil Gershom Scholems aus, der vor allem bemängelte, daß Bloch mit seiner assoziationsreichen künstlerischen Sprache seine geringen Kenntnisse des Judentums verdecke. Dies verbinde ihn mit den Anhängern des Prager „Bar Kochba", die eine Jüdische Generation" forderten, ohne die „Quellen des Judentums" im Original zu studieren." 4 Mangelnde Kenntnisse der jüdischen Geisteswelt konnte man Hermann Cohen gewiß nicht unterstellen. Bereits um die Jahrhundertwende hatte das Haupt des Marburger Neukantianismus bei seinem ehemaligen Schüler Nehemia Anton Nobel, der als Rabbiner in Frankfurt wirkte, eingehend den Talmud studiert.115 Der Messianismus der hebräischen Propheten stand im Zentrum des Cohenschen Judentumsverständnisses und daran änderte sich auch im Weltkrieg nichts. Unverdrossen betonte der Neukantianer den sozialen Charakter der jüdischen Religion, die stets mit ihrer ganzen Kraft gegen Ungerechtigkeit und Armut gekämpft habe. Ausdrücklich hielt Cohen in seinem religionsphilosophischen Hauptwerk die soziale Verpflichtung des Staates und des einzelnen Bürgers fest: „Die Armut darf mir nicht gleichgültig sein, weil sie der Notstand der Kultur ist, und weil die wahrhafte Sittlichkeit durch sie in Frage gestellt wird."116 Dies bedeutete allerdings nicht, daß Cohens Messianismus auf eine plötzliche oder gar revolutionäre Veränderung der gesellschaftlichen Realität drängte. Vielmehr enthielt seine Vorstellung vom unendlichen Weg, der bei der Verwirklichung eines Ideals zurückzulegen sei, das implizite Plädoyer für eine Reformpolitik der kleinen Schritte. Es dürfte bezeichnend für Cohens „utopische Überlegungen" sein, daß in ihnen die Ankunft des Messias oder die Ausmalung des messianischen Reichs keine Rolle spielte. Statt dessen verstand er den Messianismus als die suk-

Werk, Frankfurt am Main 1965, S. 3 8 3 - 3 9 3 [zuerst FZ Nr. 30 vom 12. Januar 1919, 1. Morgenblatt, S. 1 f.]; ebd., S. 383, das Zitat. 113 114

Landauer, Lebensgang, Bd. 2, S. 372; ebd., das nächste Zitat. Vgl. Scholems Brief an Benjamin vom 5. Februar 1920; Scholem, Benjamin, S. 113 ff., hier S. 113. Zu Blochs nicht allzu intensiver Beschäftigung mit dem Judentum: Mendes-Flohr, „Fin-de-Si6cle Orientalism", S. 104 f., und Rabinbach, „Enlightenment and Apocalypse", S. 113 f.

115

Gershom Scholem, „Franz Rosenzweig and His Book The Star of Redemption in: Paul R. Mendes-Flohr (Hg.), The Philosophy o f Franz Rosenzweig, Hanover u. London 1987, S. 2 0 - 4 1 u. 219 f. [zuerst ungedr. hebr. Vortrag Jerusalem 1930], hier S. 23.

116

Cohen, Religion der Vernunft, S. 73. Zum interpretatorischen Kontext vgl. Schulte, „Theodizee", S. 147-151.

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zessive Annäherung an einen unerreichbaren Idealzustand, in dem zwischen Sein und Sollen keine Differenz mehr besteht. 117 Für die jüngere Generation jüdischer Intellektueller war Cohens Name durchaus nicht ohne Klang. Gerade Denker wie Walter Benjamin oder Gershom Scholem, die der überschwenglich apokalyptischen Sprache ihrer Zeitgenossen mit erheblicher Reserve gegenüberstanden, suchten bei Cohen nach dem festen Fundament für ein jüdisches Weltbild. Gemeinsam trafen sie sich zur Lektüre von Cohens erstem erkenntnistheoretischen Hauptwerk, Kants Theorie der Erfahrung. Das intensive Studium der neukantianischen Gedankenwelt endete jedoch in einer Enttäuschung. Wo Benjamin und Scholem historische Sinngebung und ein vertieftes Verständnis des Judentums erwartet hatten, fanden sie eine Fortschrittsgläubigkeit und ein Vernunftvertrauen, das ihnen schönfärberisch und antiquiert vorkam. Dabei sollte allerdings mitbedacht werden, daß ihre Kritik primär dem erkenntnistheoretischen Purismus Marburger Provenienz galt. 118 Die Urteile über Cohens Spätwerk, das sich um eine neue Grundlegung jüdischen Philosophierens bemühte, fielen erheblich positiver aus. Als der streitbare Gelehrte im April 1918 starb, schien es Scholem gar, „als ob nun das Gericht über das deutsche Judentum hereinbrechen müsste". 119 Und der zionistischen Jugendbewegung hielt er öffentlich vor, sie sei „ohne Sicht auf die Geschichte", weil sie die Größe Cohens vollständig verkannt habe. 120 Benjamin und Scholem erlebten beide den Weltkrieg als persönliche Krisenzeit. Benjamin gehörte zu den vielen Kriegsfreiwilligen, die der gesellschaftliche Druck zur Einschreibung veranlaßt hatte. Sein ohnehin schwankender Patriotismus wurde bereits am 9. August 1914 für immer erschüttert, als sein neunzehnjähriger Freund, der Dichter Friedrich Hernie, und dessen Geliebte Frederika Seligson aus Protest gegen den Krieg gemeinsam Selbstmord begingen. Benjamin, dem die Abschiedsnotiz 117

Dazu monographisch: Pierfrancesco Fiorato, Geschichtliche Ewigkeit. und Zeitlichkeit in der Philosophie Hermann Cohens, Würzburg 1993.

118

Vgl. etwa Scholems Schreiben an Ludwig Strauß vom 1. August 1918, das konstatiert, ,,[d]er Zauber der Marburger Schule ist in ein Nichts zerronnen sowie man ihn nur mit vereinigten Kräften angekiekt hat" (Scholem, Briefe, S. 168 ff., hier S. 169). Die komplexen rezeptionsgeschichtlichen Fragen erörtern: Biale, Scholem, S. 107, und Pierfrancesco Fiorato, „Die Erfahrung, das Unbedingte und die Religion: Walter Benjamin als Leser von Kants Theorie der Erfahrung", in: Stéphane Mosès u. Hartwig Wiedebach (Hgg.), Hermann Cohen's Philosophy o f Religion. International Conference in Jerusalem 1996, Hildesheim, Zürich u. N e w York 1997, S. 7 1 - 8 4 . So seine briefliche Äußerung gegenüber Werner Kraft vom 8. April 1918; Scholem, Briefe, S. 150 ff., hier S. 152. Ders., „Abschied. Offener Brief an Herrn Dr. Siegfried Bernfeld und gegen die Leser dieser Zeitschrift", in: Ebd., S. 4 6 1 - 4 6 6 [zuerst Jerubbaal 1 (1918/19), S. 125-130], hierS. 465.

119

120

Ursprung

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Heinles gegolten hatte, fand die Toten an einem vertrauten Ort wieder. Sie lagen im „Sprechsaal", einem Raum, in dem sich die Mitglieder der Berliner Freistudentenschaft seit Jahren zum fröhlichen Beisammensein und zu intellektuellen Auseinandersetzungen trafen.121 Schon vor 1914 waren Benjamin ernste Zweifel an der Orientierung der deutschen Jugendbewegung gekommen. Zwar gehörte er zu den vielen schwärmerischen Anhängern Gustav Wynekens, doch kritisierte er bisweilen auch dessen nebulöse Begrifflichkeit.122 Der Kriegsausbruch verschärfte die inhaltlichen Divergenzen in der Freistudentenschaft, deren Mitglieder mehrheitlich, aber keineswegs ausschließlich eine kriegsbejahende Haltung einnahmen. Als Wyneken im März 1915 einen pathetischen Vortrag über das Thema „Der Krieg und die Jugend" hielt, sagte sich Benjamin endgültig von ihm los. Ihm schien es gänzlich inakzeptabel, daß die junge Generation auf dem Altar der Staatsvergottung geopfert werden sollte.123 Nicht zuletzt in freistudentischen Kreisen verteidigte Benjamin seine grundsätzliche Ablehnung des Krieges. Dabei trieben ihn weniger politische Prinzipienfragen als die Überzeugung von der Einzigartigkeit und Unersetzbarkeit jedes Menschen. Bezeichnend für Benjamins sehr persönliche Beweggründe sind seine Ausfuhrungen zu Dostojewskis Roman Der Idiot, die zwar erst 1921 erschienen, aber bereits im Herbst 1917 entstanden sind. Benjamin schilderte den Fürsten Myschkin auf eine Art, daß es dem Kundigen klar war, es handle sich um den verstorbenen Freund Friedrich Heinle. Der Text enthielt eine Reflexion über die Vergänglichkeit menschlichen Lebens, die gerade in ihren überhöhenden Elementen zeigt, wie traumatisch Benjamin den Selbstmord Heinles erlebt hatte. Die Bewegung des Romans verglich er mit „einem ungeheuren Kratereinsturz", dem kein Leser sich entziehen könne. Zugleich unterstreiche die

121

Vgl. Werner Fuld, Walter Benjamin. Zwischen den Stühlen. Eine Biographie, Frankfurt am Main 1981, S. 63 f., und Rabinbach, „Enlightenment and Apocalypse", S. 104 f.

122

Dazu zuletzt: Yasuo Imai, „Benjamin und Wyneken. Zur Entstehung des pädagogischen Denkens bei Walter Benjamin", in: Neue Sammlung 36 (1996), S. 3 5 - 4 7 , bes. S. 4 0 - 4 4 ; zur Bedeutung jüdischer Intellektueller in den Diskussionen über die Ziele der Freistudentenschaft vgl. Rabinbach, „Enlightenment and Apocalypse", S. 95 ff.

123

So Benjamin in seinem Brief an Wyneken vom 15. März 1915, der bei Irmtraud u. Albrecht Goetz von Olenhusen, „Walter Benjamin, Gustav Wyneken und die Freistudenten vor dem Ersten Weltkrieg. Bemerkungen zu zwei Briefen Benjamins an Wyneken", in: Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung 13 (1981), S. 9 9 - 1 2 8 , hier S. 116 ff. u. 127 f., wiedergegeben und analysiert ist. Generell zur Veränderung von Benjamins Weltbild im Krieg: Peter Osborne, The Politics ofTime. Modernity and the Avant-Garde, London 1995, S. 227.

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Handlungsführung Dostojewskis eigentliche Intention, die Unsterblichkeit Myschkins „symbolisch sichtbar zu machen". 124 Benjamin hegte die gnostisch-messianische Hoffnung, daß in allem Kriegselend ein letzter Sinn verborgen liege. In ebenso düsterer wie kraftvoller Sprache teilte er Ende 1916 dem befreundeten Herbert Blumenthal mit, „daß wer gegen die Nacht kämpft, ihre tiefste Finsternis bewegen muß ihr Licht herzugeben". 125 Dies war scheinbar von dem trotzigen „Dennoch", das die deutsche Weltkriegsphilosophie charakterisierte, nicht allzu weit entfernt, tatsächlich bewegten sich Benjamins Reflexionen jedoch in eine ganz andere Richtung. Sie zielten nicht auf eine letzte Sinngebung im Angesicht des Untergangs, sondern skizzierten ein utopisch-messianisches Geschichtsverständnis jenseits aller Teleologie. Die Auseinandersetzung mit Blochs Geist der Utopie scheint Benjamins Beschäftigung mit geschichtsphilosophischen Fragen intensiviert zu haben. Sein berühmtes „Theologisch-politisches Fragment", das vermutlich um 1920 entstanden ist, enthielt jedenfalls eine definitive Abkehr vom herkömmlichen Fortschrittsdenken: „Erst der Messias selbst vollendet alles historische Geschehen, und zwar in dem Sinne, daß er dessen Beziehung auf das Messianische selbst erlöst, vollendet, schafft. Darum kann nichts Historisches von sich aus sich auf Messianisches beziehen wollen. Darum ist das Reich Gottes nicht das Telos der historischen Dynamis; es kann nicht zum Ziel gesetzt werden. Historisch gesehen ist es nicht Ziel, sondern Ende." 126 Nach Benjamin führte jedes Nachdenken über das Wesen der geschichtlichen Zeit unweigerlich zu Aporien, die er mit Vorliebe in paradoxen Wendungen ausdrückte. Zugleich unterstrich er, wie wichtig ein positives Verständnis von Metaphysik für einen philosophischen Neuanfang sei. 127 124

125

126

127

Walter Benjamin, ,„Der Idiot' von Dostojewskij", in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. II/l, hg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt am Main 1977, S. 237-241 [zuerst Die Argonauten 1 (1921), S. 231-235], hier S. 239 u. 240; zum autobiographischen Hintergrund vgl. Scholem, Benjamin, S. 66. Benjamin, Briefe, S. 348-351, hier S. 348. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Scholems Tagebuchnotiz vom 24. August 1916, derzufolge ihm Benjamin mitgeteilt hatte: ,„Wenn ich einmal meine Philosophie haben werde [...] [,] so wird es irgendwie eine Philosophie des Judentums sein."' (Scholem, Tagebücher, S. 388-395, hier S. 391). Walter Benjamin, „Theologisch-politisches Fragment", in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. II/l, hg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt am Main 1977, S. 203 f., hier S. 203. In diesen Kontext gehört auch Benjamins Anfang 1918 abgefaßte, aber bei Lebzeiten unveröffentlichte Skizze „Über das Programm der kommenden Philoso-

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Je zweifelhafter die Sinnhafitigkeit des historischen Prozesses ist, desto eher erhalte die Geschichte ihre theologische Dimension zurück; denn alle historische Erfüllung werde durch eine tiefgehende Ambivalenz charakterisiert: ,,[I]m Glück aber erstrebt alles Irdische seinen Untergang, nur im Glück ist ihm der Untergang zu finden bestimmt." 128 Dies war recht weit entfernt von Benjamins späterem Bemühen, Geschichte aus der Perspektive der Unterlegenen als messianisch-katastrophisches Geschehen zu verstehen. Doch zeigte bereits sein „Theologisch-politisches Fragment", welche Wichtigkeit er der religiös-utopischen Aufladung des Augenblicks beimaß. Gerade im unerwarteten Aufscheinen der Zukunft in der Gegenwart lag ein zentraler Unterschied zu den kulturpessimistischen Konzepten „konservativer Revolutionäre", die bei Kriegsausgang gleichfalls eine „Aufgabe der Weltpolitik" suchten, „deren Methode Nihilismus zu heißen hat". 129 Wohl noch stärkere Bedeutung besaßen messianische Denkfiguren für den jungen Gershom Scholem. So enthüllt bereits ein Brief an seinen Bruder Werner vom 7. September 1914, wie sehr ihn die Figur des vor den Toren Roms sitzenden Messias beschäftigte. 130 Zu diesem Zeitpunkt stand Gershom Scholem noch im Banne Bubers, der die messianische Idee in sein Konzept der „Jüdischen Renaissance" integrierte. Unter dem prägenden Einfluß Benjamins entfernte er sich jedoch immer weiter von Bubers Aktualisierung jüdischen Gedankenguts. Das vielleicht aufschlußreichste Dokument für diesen intellektuellen Prozeß ist Scholems Brief an seinen Jugendfreund Edgar Blum vom 26. Oktober 1916. In bilanzierender Rückschau heißt es: „Über Buber habe ich im Sommer sehr viel nachgedacht, und was schon im Winter besiegelt war, hat sich da ganz deutlich offenbart: dass ich im Centrum gegen ihn sein muss und bin. Es ist mir ganz klar geworden, dass Buber im letzten Sinne nicht jüdisch, sondern modern ist, und dass die Bubersche Geschichtsphilosophie grundfalsch ist, sogar widerlegbar."131

128 129

phie" (Ders., Gesammelte Schriften Bd. II/l, hg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt am Main 1977, S. 157-171), welche die fruchtbaren Aspekte der Kantischen Metaphysik gegen ihre allzu rationalistischen Interpreten zu behaupten sucht. Ders., „Theologisch-politisches Fragment", S. 204. Ebd.; zur Vielfalt geschichtsphilosophischer Sinngebungsversuche auf der politischen Rechten vgl. Stephan Breuer, Anatomie der Konservativen Revolution, Darmstadt 1993. Aus der reichen Literatur zum Messianismus des späten Benjamin sei eigens hervorgehoben: Stéphane Mosès, „Der Engel der Geschichte", in: Ders., Der Engel der Geschichte. Franz Rosenzweig, Walter Benjamin, Gershom Scholem, Frankfurt am Main 1994, S. 134-160.

130

Vgl. Scholem, Briefe, S. 3 - 6 , hier S. 6.

131

Ebd., S. 5 2 - 5 6 , hier S. 55. Zum vielfältigen Einfluß Benjamins auf den jungen Scholem vgl. Biale, Scholem, S. 103, und Stéphane Mosès, „Die Aporien des

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293

Im Kern zielte Scholems Argumentation gegen den jugendbewegten Erlebniskult, der seiner Auffassung nach im Umfeld Bubers allzu prächtig gedieh. Jede wahrhafte Erkenntnis - auch und gerade die des Judentums - sei jedoch das Resultat harter Arbeit und unbedingter intellektueller Redlichkeit. Wegen ihrer selbstgefälligen Modernität kritisierte Scholem die Anhänger des Prager „Bar Kochba" mit kaum zu überbietender Schärfe. Im bereits zitierten Brief an Edgar Blum betrachtete er die Buberianer als „eine Scheinbewegung", die primär auf dem „Erlebnis ihrer Ideologie", nicht jedoch auf persönliche Erfahrungen gegründet sei. 132 Mit großer Ernsthaftigkeit setzte sich der junge Scholem mit den Quellen der jüdischen Religion auseinander, und bereits 1915 waren seine Hebräischkenntnisse so weit gediehen, daß er den herkömmlichen Lektürekanon verlassen konnte. Immer stärker trat die mystische Tradition des Judentums in den Mittelpunkt seines Interesses. Seinen jüdischen Altersgenossen, die diese Leidenschaft nicht teilten, begegnete er mit unverhohlener Verachtung. Am 28. Januar 1917 schrieb er Martin Buber, dem er trotz aller Kritik einen gewissen Respekt nicht versagte, die apodiktischen Worte: „Es scheint im tiefsten Sinne sinnlos, zu deutschen Juden über Thora reden zu wollen." 133 Hinter diesem Urteil verbarg sich allerdings nicht nur ein ausgeprägtes Selbstwertgefuhl, sondern auch die feste Überzeugung, daß die liberaljüdische Weltsicht den Krieg nicht überdauern werde. Scholems Beschäftigung mit jüdischer Mystik verstärkte die Frage nach dem messianischen Sinn der Geschichte. Seine Auseinandersetzung mit Hegel, dem Gedankengut der Spätromantik oder mit Cohens logischem Idealismus haben hier ihren gemeinsamen Ursprung. Zugleich besaß Scholems Beschäftigung mit dem Messianismus eine sehr persönliche Dimension. Am 19. September 1915 notierte er in sein Tagebuch: „Ich glaube in dieser Stunde nicht mehr, wie ich es einmal geglaubt habe, daß ich der Messias bin." 134 Und auf dem Höhepunkt seines Streits mit Buber Messianismus", in: Ders., Der Engel der Geschichte. Franz Rosenzweig, Walter Benjamin, Gershom Scholem, Frankfurt am Main 1994, S. 163-184, bes. S. 163 f. 132

133

134

Scholem, Briefe, S. 6; zu Scholems Ablehnung von Bubers auf „Innerlichkeit" zielender Erlebnismystik: Robertson, „Erneuerung", S. 177 f. Buber, Briefwechsel, Bd. 1, S. 4 6 5 - 4 6 8 , hier S. 466; vgl. in diesem Zusammenhang auch Scholems Tagebucheintragung vom 24. November 1916: „Es gibt keinen deutschen Begriff ftlr Thora, und wenn er ein Buch lang wäre, der Thorabegriff — der Wahrheitsbegriff des Judentums - kann nur durch sich selbst erklärt werden." (Scholem, Tagebücher, S. 4 3 1 - 4 3 5 , hier S. 433). Komprimiert zu Scholems früher Auseinandersetzung mit dem Judentum: David N. Myers, Reinventing the Jewish Past. European Jewish Intellectuals and the Zionist Return to History, N e w York u. Oxford 1995, S. 1 5 1 - 1 5 7 u. 239 ff. Scholem, Tagebücher, S. 156-159, hier S. 158. Die nächsten Zitate finden sich in Scholems Tagebuch unter dem 14. August 1916; ebd., S. 3 5 7 - 3 6 7 , hier S. 362.

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konstatierte er bitter, daß jemand, „der da meint, für das Judentum zu streiten, wenn er deutsche Eichen pflanzt", unmöglich „Künder des Messias" sein könne. Scholem war fest davon überzeugt, daß ein vertieftes Verständnis der messianischen Idee ins Zentrum des Judentums führe. Nicht ohne Stolz auf seine Bemühungen teilte er am 21. Juni 1918 seiner späteren Frau Escha Burchhardt mit: „Über jüdische Dinge ruht mein Denken nicht. Die Metaphysik der Zeit im Judentum beschäftigt mich schon seit langem. Ich schreibe manches darüber auf, über den Begriff der messianischen Zeit, die die historische Zeit ist."135 Zum Abschluß gelangten seine Überlegungen im Ersten Weltkrieg freilich noch nicht. Sie belegen vielmehr den fließenden Übergang von einem identifikatorischen Verständnis der Messiasidee zur wissenschaftlichen Analyse jüdischer Mystik. Die im Ersten Weltkrieg verfaßten Texte jüdischer Intellektueller zeigen anschaulich, daß der Messianismus in erster Linie als „Katastrophentheorie" verstanden wurde. Untergangsszenarien nahmen breiten Raum ein und bildeten die unerläßliche Voraussetzung für die steigende Popularität messianischer Konzepte, die den Anbruch einer besseren Zukunft als plötzliches Aufblitzen der Transzendenz in einer sinnentleerten Gegenwart deuteten. Mit diesem diskontinuierlichen Zeitverständnis waren teleologische Geschichtsbilder nicht mehr vereinbar, die seit 1914 viel von ihrer intellektuellen Attraktivität verloren.136 Dies läßt sich an der Beliebtheit ablesen, welche die biblische Geschichte vom „Turmbau zu Babel" während des Weltkrieges gewann. So schildert Franz Kafka in seiner 1917 niedergeschriebenen, aber nicht veröffentlichten Erzählung „Das Stadtwappen" das babylonische Unterfangen als einen Prozeß steigender Lähmung und Verwirrung. Die „Sinnlosigkeit des Himmelsturmbaus" läßt sich als Chiffre für die Schwäche und Desorientierung der Menschen deuten, deren geistige Erzeugnisse einzig um die erwartete und ersehnte Katastrophe kreisen: jenem „prophezeiten Tag, an welchem die Stadt von einer Riesenfaust in fünf kurz aufeinanderfolgenden Schlägen zerschmettert wird".137 Kafkas Parabel thematisiert die „Verkümmerung [...] des Verhältnisses zur Zukunft und die Hoffnungslosigkeit eschatologischen Sehnens. Die apokalyptischen Muster messianischen Denkens haben ihre sinntragende Bedeutung verloren, und deshalb enthält der Text auch nicht

135 136 137

Ders., Briefe, S. 158 ff., hier S. 159. Dazu allgemein: Aschheim, „German Jews", S. 359. Franz Kafka, „Das Stadtwappen", in: Ders., Beschreibungen eines Kampfes. Novellen, Skizzen, Aphorismen aus dem Nachlaß, hg. v. Max Brod, Frankfurt am Main 1986, S. 70 f.

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den geringsten Hinweis darauf, ob auf die Katastrophe ein neues, besseres Leben folgt. 138 Stefan Zweig verwandte hingegen die Geschichte vom „Turmbau zu Babel", um zu verdeutlichen, daß die alteuropäische Welt untergegangen sei. Im Mai 1916 veröffentlichte er einen Essay in der „Vossischen Zeitung", in dem es lapidar hieß: „Der neue Turm von Babel, das große Denkmal der geistigen Einheit Europas, ist verlassen, die Werkleute haben sich verlaufen." 139 Zwar enthielt Zweigs pazifistische Abhandlung auch den Appell, mit vereinten Kräften an einem neuen Turm zu arbeiten, auf dessen „Höhen f...] sich die Nationen wiederfinden", doch konnte dieses Bild schon allein wegen des wohlbekannten Ausgangs der biblischen Geschichte nicht so recht überzeugen. Jedenfalls ließ es die Frage unbeantwortet, wie denn eine künftige Sprachverwirrung und Zerstreuung der Völker vermieden werden könne. Die vielleicht treffendste, gewiß aber suggestivste Formulierung für die Krise, in die das kontinentaleuropäische Geschichtsdenken geraten war, stammte von Theodor Lessing und reflektierte bezeichnenderweise die deutsche Weltkriegsniederlage. 1919 veröffentlichte der akademische Außenseiter aus Hannover ein Buch, das seine ganze Verzweiflung über die vergangenen vier Kriegsjahre ausdrückte. Es trug den emblematischen Titel Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen und wandte sich mit wütender Empörung gegen jede Verharmlosung der jüngsten Vergangenheit. Der Verfasser, der als Philosoph für eine zeitgemäße Adaption der Ideen Schopenhauers stritt, hatte den Krieg als Hilfsarzt im Lazarett erlebt und sich schon vor 1918 vehement für eine Beendigung des Tötens ausgesprochen. 140 Lessings alsbald heftig umstrittene Monographie, die in weiten Passagen bereits während des Krieges abgefaßt worden war, verfolgte eine doppelte Zielsetzung. Zum einen beabsichtigte sie eine Klärung der Frage, wie es zur europäischen Katastrophe hatte kommen können. Kritisiert wurde die Kurzatmigkeit und ethische Haltlosigkeit, welche die Außen-

138

139

140

Damit folge ich Stéphane Mosès, „Einleitung", in: Ders., Der Engel der Geschichte. Franz Rosenzweig, Walter Benjamin, Gershom Scholem, Frankfurt am Main 1994, S. 7 - 2 2 , hier S. 9 u. 12. Stefan Zweig, „Der Turm zu Babel", in: Vossische Zeitung vom 8. Mai 1916 [zuerst franz. Le Carmel, Jg. 1916, S. 17 f. u. 31 f.]; zu Entstehung und Interpretation vgl. Zweigs Schreiben an Romain Rolland vom 19. Februar 1916 (Ders., Briefe, S. 101 ff.), sowie Prater, Zweig, S. 129 f. Eine engagierte und anschauungsgesättigte, aber nicht immer zuverlässige Schilderung seiner Kriegserfahrungen bietet: Rainer Marwedel, Theodor Lessing 1872-1933. Eine Biographie, Darmstadt u. Neuwied 1987, S. 1 4 6 - 1 8 3 u. 393 ff. Die Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen wird zitiert nach der München 1983 erschienenen Neuausgabe, zu der Rita Bischof ein informatives Nachwort beigesteuert hat.

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politik am Vorabend des Ersten Weltkrieges charakterisiert habe.141 Die eigentliche Stoßrichtung der Argumentation galt der „logificatio post festum", mit der die Geschichtsschreiber aller Jahrhunderte nachträglich das größte Unrecht gerechtfertigt hätten. Am Beispiel Treitschkes illustriert Lessing, daß die „nationalen Historiker" nichts anderes als „rückwärtsgewandte Propheten" gewesen seien, deren Wissen um die Pläne Gottes sich trefflich mit den eigenen Interessen verknüpft habe.142 Apokalyptische Denkfiguren übten auf Lessing keinerlei Reiz mehr aus. Nicht zufallig galt ein Großteil seiner Empörung der schicksalsschweren Rhetorik Fichtes, dessen Reden an die deutsche Nation als Musterbeispiel intellektueller Aufgeblasenheit und Unredlichkeit behandelt werden.143 Vollends obsolet erschien Lessing das teleologische Denken von Hegel oder Darwin, die er als „Köpfeverwüster des 19. Jahrhunderts" schmähte: „Wer die Jahre 1914 bis 1918 wachen Sinnes erlebt hat, der weiß, was er künftig von Entwicklung und Fortschritt in Natur und Geschichte zu halten hat."144 In der „Zertrümmerung der Geschichtswahns" sah Lessing die letzte Konsequenz, die aus den grauenhaften Kriegsereignissen zu ziehen sei.145 Und dennoch wurde auch er, der den menschlichen Drang zur nachträglichen Sinngebung so hellsichtig beschrieben hatte, ein Opfer eben dieses Musters. Im letzten Teil des Werkes forderte er eine Geschichtswissenschaft der Liebe, die von tiefer Achtung zu jeder Kreatur erfüllt sei, und ließ seinen eigenen Werturteilen freien Lauf. Ethisch schien ihm nach den Schrecken des Krieges indes nur noch eine Minimalforderung statthaft: „Mindere das Leiden!"146 Vornehmlich aus zwei Gründen schlug dem Messianismus während des „Großen Krieges" erhebliches Interesse jüdischer Intellektueller entgegen. Zum einen verlieh er den welthistorischen Ereignissen dank seiner apokalyptischen Struktur einen tieferen Sinn. Die Verwüstungen des Grabenkrieges und die Materialschlachten an der Westfront ließen sich in messianischer Perspektive als Vorschein der Erlösung deuten. Zugleich

141

Vgl. ebd., S. 167-171.

142

Ebd., S. 59; vgl. auch ebd., S. 27, die programmatische Äußerung: „Jedes beliebige historische Ereignis, jeder System- oder Beamtenwechsel, jeder Krieg, jede Revolution scheint die Wirksamkeit irgendwelcher idealer Mächte zu verbürgen. Und doch brennt auch hinter den historischen Idealen nie etwas anderes als die aufsummierte Selbstsucht und aufsummierte Dummheit vieler Einzelner. Hinter jeder Ansicht Absicht, hinter jeder Einsicht Notdurft." Ebd., S. 169 f.; das nächste Zitat: Ebd., S. 29. Ebd., S. 187. Ebd., S. 85. Ebd., S. 183.

143 144 145 146

Geschichtsverzweiflung und jüdischer Messianismus

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halfen messianische Visionen bei der Bewältigung individuellen Leids. Nach dem Zusammenbruch der Mittelmächte in Krieg und Revolution, nahm die Erfahrung von Not und Elend für den Großteil der Bevölkerung eher noch zu. Es entstand ein politischer Messianismus, der seine Hoffnung auf einen Führer richtete, der die Menschen aus ihrer verzweifelten Situation erlösen sollte. 147 Insbesondere in zionistischen Kreisen bediente man sich messianischer Denkfiguren, um die eigenen Palästinakonzepte zu propagieren. 148 Für nicht wenige jüdische Intellektuelle hatte sich jedoch der Reiz apokalyptischer Geschichtsvisionen verbraucht. Nicht zuletzt angesichts der tristen Nachkriegsrealität in Mitteleuropa entwickelten sie eine jüdische Variante des Existentialismus, die ein positives Verständnis von Metaphysik mit einer Ablehnung teleologischer Geschichtsbilder verband. Gerade die Vordenker der „Jüdischen Renaissance" waren fest davon überzeugt, daß der Fortschrittsglaube in den Materialschlachten des Weltkrieges seine sinnstiftende Bedeutung endgültig verloren habe.

6.3. Die Anfänge jüdischer Existenzphilosophie Der Zusammenbruch der bürgerlichen Welt im „Großen Krieg" ließ sich mit altvertrauten Denkfiguren nicht erklären und auch nicht angemessen verarbeiten. Während das Vertrauen in den Staat und die Wissenschaft dramatisch sanken, gewannen kulturpessimistische und lebensphilosophische Weltanschauungen rasch an Konjunktur. Den meisten Intellektuellen schien zu Beginn der Weimarer Republik ein denkerischer Neuanfang geradezu zwingend geboten. Dem Niedergang des Fortschrittsglaubens korrespondierte eine Enthistorisierung der Welt, die ihrerseits existentialistische Konzepte begünstigte. Mehr und mehr diente die Epoche des Kaiserreichs als Negativfolie, vor deren Hintergrund der eigene Neubeginn um so strahlender leuchtete. Die Anfange dieser philosophisch-theologischen „Kehre", die sich mit Namen wie Karl Barth, Rudolf Bultmann oder Martin Heidegger verbindet, wurden freilich zeitgenössisch selten thematisiert. Bis auf den heutigen Tag fehlt es an Untersuchungen, welche die Rolle der Kriegserfahrungen analysieren, um zentrale Ursachen

147

Dazu eingehend: Klaus Schreiner, „.Wann kommt der Retter Deutschlands?' Formen und Funktionen von politischem Messianismus in der Weimarer Republik", in: Saeculum 49 (1998), S. 107-160.

148

Vgl. Berkowitz, Western Jewry, S. 78 f., und passim.

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des umfassenden kulturellen Umbruchs in der Weimarer Republik besser zu verstehen.149 Das deutsche Judentum partizipierte nach 1918 an den allgemeinen intellektuellen Entwicklungen und formte sie auf seine Weise. Im Vordergrund stand die Frage nach der Stellung in der deutschen Gesellschaft sowie die Entwicklung einer eigenständigen jüdischen Identität. Die Suche nach Authentizität gehörte zu den bestimmenden Motiven der „Jüdischen Renaissance", die alle kulturellen Bereiche erfaßte.150 Von der liberalen Weltsicht ihrer Väter, die Vernunft und Geschichte harmonisch zu verbinden wußten und auf den Erfolg politischer Reformen wie die Segnungen technischen Fortschritts vertrauten, hatten sich hingegen viele jüngere jüdische Intellektuelle weit entfernt. Doch spricht aus heutiger Perspektive einiges dafür, die innere Verschränkung von Kriegs- und Nachkriegszeit stärker zu betonen, als es einst die Zeitgenossen taten. So sind die beiden wichtigsten und langfristig einflußreichsten philosophischen Schriften des deutschen Judentums, Rosenzweigs Stern der Erlösung und Bubers Ich und Du, bereits vor 1918 konzipiert und teilweise ausgearbeitet worden. Rosenzweig selbst verstand den Stern der Erlösung als in sich geschlossene Weltsicht, die einer weiteren Entwicklung nicht bedürfe.151 Gleichwohl läßt sich kaum übersehen, wie vielfältig die Quellen seines philosophischen Neuanfangs sind. Neben Hegel und Schelling zählten „moderne Denker", wie Kierkegaard und Nietzsche, zu Rosenzweigs wichtigsten Ideengebern. Die Selbstzweifel liberaler Protestanten waren dem Meinecke-Schüler ebenso vertraut wie die „Krise", in die der Historismus seit der Jahrhundertwende geraten war.152 All dies tritt jedoch hinter den prägenden Einfluß der Kriegserfahrungen zurück. Rosenzweig, der seinen Wehrdienst an der makedonischen Front ableistete, wurde durch den Krieg zu einer grundsätzlichen Revision seiner philosophischen Ansichten veranlaßt. In seiner 1912 abgeschlossenen Doktorarbeit hatte er noch eine nuancierte Interpretation der Hegeischen 149

Nicht zuletzt vermißt man biographische Fallstudien, die mit schärfe auf die prägende Bedeutung der Kriegszeit eingehen. bei näherer Überprüfung enttäuschend: Domenico Losurdo, der Tod, das Abendland. Heidegger und die Kriegsideologie, meine Besprechung in: NPL 42 (1997), S. 507 f.

150

Dazu umfassend und nuanciert: Michael Brenner, Kultur, S. 1 4 3 - 2 3 0 u. 2 6 2 276. Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung. 4. Aufl. im Jahre der Schöpfung 5736. Mit einer Einführung von Reinhold Mayer, Den Haag 1976 [zuerst Frankfurt am Main 1921]; als Interpretation gewichtig: Stéphane Mosès, System und Offenbarung. Die Philosophie Franz Rosenzweigs, München 1985.

151

152

der nötigen DetailHochgerühmt, aber Die Gemeinschaft, Stuttgart 1995; vgl.

Einen informativen Überblick über die jüngste Forschung gibt: Martin Srajek, „Beispiele neuerer Literatur zum Werk Franz Rosenzweigs", in: Philosophische Rundschau 44 (1998), S. 2 3 4 - 2 5 8 .

Die Anfänge jüdischer Existenzphilosophie

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Geschichtsphilosophie gegeben und durchaus positive Worte für den preußischen Staatsidealismus gefunden. 153 Doch seit seiner endgültigen Hinwendung zum Judentum im Jahre 1913, die in engem Zusammenhang mit dem Erlebnis eines Jom Kippur-Gottesdienstes stand, verlor die Welt Meineckes und des deutschen Historismus für Rosenzweig ihren prägenden Charakter. Statt dessen beschäftigte er sich intensiv mit den Quellen des Judentums und suchte nach einem tragfähigen Fundament jüdischen Denkens in der Moderne. Die existentielle Dimension dieser Suche wurde durch seine Erfahrungen an der Balkanfront, die ihn mit Einsamkeit, Tod und Zerstörung konfrontierten, entscheidend erhöht. Die Entstehungsgeschichte des Sterns der Erlösung ist außergewöhnlich und immer wieder herausgestellt worden. 1917 soll Rosenzweig während eines Patrouillengangs „plötzlich wie im Blitzschlag den ganzen inneren Aufbau" seines philosophischen Hauptwerkes vor sich gesehen haben. 154 So wenig sich dieses Damaskus-Erlebnis im nachhinein rekonstruieren läßt, so sichtbar ist der Ertrag der nächsten Monate. Innerhalb eines halben Jahres sandte er eine Fülle von Postkarten an seine Mutter, die sein unablässiges Arbeiten am Stern der Erlösung bekunden. Gleichzeitig belegen persönliche Zeugnisse, wie sehr Rosenzweig im Weltkrieg um einen eigenen philosophischen Standpunkt rang. Die hohen Ansprüche, die er an sich stellte, belegt ein Brief an seinen christlichen Cousin Rudolf Ehrenberg vom Februar 1916. Unter expliziter Bezugnahme auf Kierkegaards Furcht und Zittern stellte Rosenzweig fest, daß sein Werk „einen geistig auf eine Nadelspitze gestellten Autor" benötige. 155 In ähnlich existentialistischer Diktion schrieb er im Oktober 1917 dem befreundeten Eugen Rosenstock: „Mit 20 kamen wir uns einsam vor, weil wir nur so wenige waren. Nun mit 30 müssen wir lernen, daß wir noch nicht einmal wenige sind, sondern jeder einzeln der ganzen Welt gegenüberstehn. Aber erst in dem Augenblick glauben wir an das Dasein der Welt." 156 153

154

155

156

Sie erschien in einer erheblich überarbeiteten Fassung, die bei Kriegsausbruch nahezu druckfertig war, unter dem Titel Hegel und der Staat, 2 Bde., Bd. 1: Lebensstationen (1770-1806), Bd. 2: Weltepochen (1806-1831) 1920 in München und Berlin, als sich Rosenzweig längst von seiner Jugendphilosophie abgewandt hatte. Zur kritischen Selbsteinschätzung dieser Arbeit vgl. ebd. Bd. 1, S. XIII f., sowie Lorenz, „Erkennen", S. 205 ff. Art. „Der Lebensgang", in: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt, Jg. 1929 [Franz Rosenzweig-Sonderheft], S. 186 f., hier S. 187. Zu hagiographischen Elementen in der Rosenzweig-Literatur vgl. Robert Gibbs, Correlations in Rosenzweig and Levinas, Princeton 1994, S. 6. Rosenzweig, Briefe und Tagebücher, Bd. 1, S. 184 ff., hier S. 186; generell zu seinen Kriegserfahrungen: Glatzer, Rosenzweig, S. 32-85. Rosenzweig, Briefe und Tagebücher, Bd. 1, S. 463 f., hier S. 464.

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Die „Urzelle" von Rosenzweigs philosophischem Hauptwerk bildete ein sehr privates Dokument, ein langer Brief an Rudolf Ehrenberg vom 18. November 1917, in dem er die Grundlagen seines neuen Verständnisses vom Judentum darlegte. Der „philosophische Archimedespunkt", den Rosenzweig lange gesucht hatte, bestand in einer neuartigen Auffassung der Offenbarung. 157 In schroffer Abgrenzung zum spekulativen Idealismus betonte er, daß das „Ich" die unhintergehbare Voraussetzung jeder Welterfahrung sei. Das „Ich" müsse als unerläßliche Bedingung jedes philosophischen Systems betrachtet werden: ein Sachverhalt, den die abendländische Metaphysik vor dem Ersten Weltkrieg stets mißachtet habe.158 Gerade deshalb sei sie zu Unrecht von umfassenden Ordnungsvorstellungen ausgegangen, die nicht an die Eigenart menschlicher Existenz rührten und letztlich selbst erkenntnistheoretisch unhaltbar seien: „So ist der Ordnungsbegriff dieser Welt nicht das Allgemeine, weder die Arche noch das Telos, weder die natürliche noch die geschichtliche Einheit, sondern das Einzelne, das Ereignis, nicht Anfang oder Ende, sondern Mitte der Welt."159 Zu den wenigen Vorbildern, die Rosenzweig anzuerkennen bereit war, gehörte der protestantische Theologe Christoph Schrempf, der mit seinen Vorstellungen eines völkischen Christentums im Umfeld des Diederichs Verlags eine beträchtliche Wirkung entfaltete. Insbesondere schätzte Rosenzweig, daß Schrempf den Kantischen „Gegensatz von Autonomie und Heteronomie durch den von Gesetz und Befehl korrigiert" habe.160 In dieser Perspektive rückten ethische und religiöse Fragen wieder näher zusammen und die individuelle Entscheidung erhielt ein größeres Gewicht. Freilich beinhaltete die irreversible Abkehr vom Kantischen Sittengesetz auch erhöhte Schwierigkeiten bei der Begründung ethischer Normen, deren Universalisierbarkeit nun prinzipiell zur Disposition stand. Anders als 157

i5s

Ders., ,„Urzelle' des Stern der Erlösung. Brief an Rudolf Ehrenberg vom 18.11.1917", in: Ders., Zweistromland. Kleinere Schriften zu Glauben und Denken, hg. v. Reinhold u. Annemarie Mayer, Dordrecht 1984, S. 125-138, hier S. 125. Ygj e b ( j ; s 128: ,,[D]ie Erde ruht auf der großen Schlange und die große Schlange trägt sich selbst, indem sie sich selbst in den Schwanz beißt, lehrt Hegel und gibt damit allerdings eine erschöpfende Erklärung des Systems Erde-Schlange, aber erklärt nicht, warum nicht dieses System als Ganzes nun doch fällt."

159

Ebd., S. 133.

160

Ebd., S. 138. Rosenzweig knüpfte dabei vor allem an Schrempfs Dissertation Die christliche Weltanschauung und Kant 's sittlicher Glaube. Eine religiöse Untersuchung an, die bereits 1891 in Göttingen erschienen war. Zur theologie- und ideengeschichtlichen Bedeutung Schrempfs, der zu den wichtigsten Popularisatoren Kierkegaards in Deutschland gehörte, vgl. Graf, „Laboratorium", S. 254 f. u. 278 f., sowie Hübinger, Kulturprotestantismus, S. 2 5 9 f.

Die Anfänge jüdischer Existenzphilosophie

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Heidegger hielt Rosenzweig es jedoch für inakzeptabel, gänzlich auf eine Ethik zu verzichten. Er entschied sich vielmehr dafür, die theologische Dimension sittlicher Probleme herauszuarbeiten, und rückte die religiöse Verfaßtheit menschlicher Existenz ins Zentrum der Philosophie. 161 Den Ausgangspunkt von Rosenzweigs Überlegungen im Stern der Erlösung bildete kein abstraktes Prinzip, sondern die Erfahrung der eigenen Todesangst. Nicht zufällig beginnt das Werk mit Reflexionen über die menschliche Sterblichkeit. Der Tod zeige den illusionären Charakter der rationalistischen Philosophie auf; denn die existentielle Erfahrung des Menschen liege keineswegs im Denken, sondern in der Furcht, die jeden angesichts der eigenen Endlichkeit erfasse. Sobald man die „Einheit des Denkens" in Abrede stelle, werfe man ,,[d]er ganzen ehrwürdigen Gesellschaft von Ionien bis Jena" den Fehdehandschuh hin. 162 Dies zielte gegen sämtliche idealistische Philosophien von Piaton bis Hegel, die das Vernünftige in eine unmittelbare Beziehung zur Wirklichkeit gesetzt hätten. Dem „Leben" lasse sich jedoch nicht mit einem Rationalismus beikommen, der die Subjektivität menschlicher Erfahrung nicht darzustellen vermag. Lediglich Nietzsche habe sich mit ganzer Kraft gegen den utilitaristischen Grundzug neuzeitlichen Denkens gesperrt und deshalb gewisse philosophische Verdienste erworben, ohne allerdings ein positives Verhältnis zu Gott oder zur menschlichen Gemeinschaft zu entwickeln. 163 Einer der wichtigsten Gewährsleute für Rosenzweigs philosophischen Paradigmenwechsel war erstaunlicherweise Hermann Cohen, der nicht nur zu den grimmigen Gegnern von Nietzsches Gefuhlsphilosophie zählte. Das Haupt des liberalen Judentums glaubte auch an die menschheitliche Bedeutung wissenschaftlichen Fortschritts und sah in seinem eigenen logischen Idealismus die Philosophie der Zukunft. Rosenzweig deutete jedoch Cohens spätes Hauptwerk Religion der Vernunft, das er anhand der Druckfahnen im Frühjahr 1918 kennengelernt hatte, radikal ontologisch. Geradezu euphorisch teilte er Rudolf Ehrenberg über Cohens Schrift mit: „Es ist ein Werk, dem schwerlich auf christlicher Seite etwas Gleichwertiges gegenüberzustellen ist seit Hegel und Schelling." 164 Und gegenüber seiner Mutter äußerte er die Überzeugung, „daß Cohens Reli-

161 162 163

164

Dazu pointiert: Gibbs, Correlations, S. 110 f. Rosenzweig, Stern der Erlösung, S. 13. Vgl. ebd., S. 20 f. u. 318 f.; zum ideengeschichtlichen Kontext s. Robert A. Cohen, „Rosenzweig gegen Nietzsche", in: Nietzsche-Studien 19 (1990), S. 3 4 6 366. Schreiben Rosenzweigs an Rudolf Ehrenberg vom 5. März 1918; ders., Briefe und Tagebücher, Bd. 1, S. 514 f., hier S. 514.

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gionsphilosophie keine glatte Konsequenz seines übrigen Systems ist, sondern etwas wie eine neue Phase". 165 Allerdings lehnte es Rosenzweig ab, daß der Neukantianer zentrale religionsphilosophische Zusammenhänge in gleichsam neutraler wissenschaftlicher Terminologie ausdrückte. Den Cohenschen Schlüsselbegriff der „Korrelation" kritisierte er als „Weiber- und Kinderschreck", der schon von weitem die Interessenten an einer neuen Religionsphilosophie abweise und besser durch den sinnfälligen Ausdruck „Bund" ersetzt werden sollte. 166 Auf den ersten Blick läßt sich dies als eine strategische Kritik an Cohens Stil interpretieren, dessen abstrakte und häufig rein technische Argumentation nicht für ein breiteres Publikum geeignet war. Tatsächlich reichte der Dissens jedoch tiefer. Rosenzweig ging es um die absolute Trennung von Gott und Mensch, die er als Vorbedingung echten religiösen Erlebens betrachtete. Um Raum für die Offenbarung zu schaffen, mußte er den Piatonismus der Cohenschen Spätphilosophie, mithin deren theoriefähigen Gottesbegriff ablehnen. 167 Und natürlich wandte er sich mit seiner radikal transzendenten Vorstellung von Offenbarung auch gegen den liberaljüdischen Versuch, Religion und Geschichte harmonisch zu verbinden. Rosenzweigs Ansatz beinhaltete eine prinzipielle Infragestellung teleologischen Geschichtsdenkens. Die Eigenart jüdischer Existenz sah er darin, daß sie sich außerhalb der von Kriegen und Katastrophen bestimmten Zeitlichkeit ereigne. 168 Während das Christentum sich durch die Geschichte erfülle, trage das jüdische Volk sein Ziel in sich selbst. Gerade in der Selbstgenügsamkeit liege die spezifische Eigenart des Judentums, die 165

166

167

168

Schreiben Rosenzweigs an seine Mutter vom 15. April 1918; ebd., S. 538; den Einfluß Cohens auf die Entstehung des Stern der Erlösung betrachtet eingehend: Mosès, System, S. 4 2 ^ 8 . Vgl. Rosenzweigs Schreiben an seine Mutter vom 9. März 1918, in: Rosenzweig, Briefe und Tagebücher, Bd. 1, ebd., S. 521-524, hier S. 523 f.; die philosophischsystematischen Zusammenhänge analysiert: Bernhard Casper, „Korrelation oder ereignetes Ereignis? Zur Deutung des Spätwerkes Hermann Cohens durch Franz Rosenzweig", in: Stéphane Mosès u. Hartwig Wiedebach (Hgg.), Hermann Cohen's Philosophy of Religion. International Conference in Jerusalem 1996, Hildesheim, Zürich u. New York 1997, S. 51-69. Vgl. Rosenzweig, Stern der Erlösung, S. 174-228, bes. S. 206 ff.; zum strikten Antiplatonismus Rosenzweigs: Reiner Wiehl, „Logik und Metalogik bei Cohen und Rosenzweig", in: Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Hg.), Der Philosoph Franz Rosenzweig (1886-1929). Internationaler Kongreß Kassel 1986, Bd. 2: Das neue Denken und seine Dimensionen, Freiburg u. München 1988, S. 6 2 3 642, hier S. 625 f. Vgl. Funkenstein, Geschichte, S. 211-226 u. 322-325; ferner aufschlußreich: Stéphane Mosès, „Judentum und Christentum", in: Ders., Der Engel der Geschichte. Franz Rosenzweig, Walter Benjamin, Gershom Scholem, Frankfurt am Main 1994, S. 25-50.

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es von allen anderen Religionen unterscheide. Die Ewigkeit des liturgischen Jahres mit seinen wiederkehrenden Festen charakterisiere das Wesen des Judentums in so hohem Maße, weil seine eigentliche Substanz nach innen gekehrt sei. Es zeige der Menschheit die Bedeutung zeitabgewandter Gemeinschaft und ermögliche dem einzelnen in der Geborgenheit seines Volkes ein erfülltes Leben: „Der jüdische Mensch ist hier ganz bei sich. Die Zukunft, die sonst gewaltig auf seiner Seele lastet, hier ist sie stille geworden. [...] Die Offenbarung, die ihm ward, die Erlösung, zu der er berufen ist, sie sind beide ganz hineingeflossen in den engen Raum zwischen ihm und seinem Volk." 169 Dies bedeutete nicht nur eine Ablehnung des Hegeischen Geschichtsdenkens, deren ruchloser Optimismus für Rosenzweig in den Materialschlachten des Ersten Weltkrieges ad absurdum geführt worden war. 170 Es machte auch alle Vorstellungen deutsch-jüdischer oder christlichjüdischer Symbiose hinfallig. Statt dessen verstand der Philosoph das Judentum als transhistorische Entität, die „sich nicht einmal in der kommenden Welt verändern" wird. 171 Rosenzweig glaubte mit dem Stern der Erlösung die „Summe [s]eines Lebens gezogen" zu haben, die ihn zukünftig von der Abfassung philosophischer Schriften entbinde. 172 Bereits im Sommer 1918 hatte er seiner Mutter auseinandergesetzt, daß ein wirklicher Mensch sich nicht mit kopflastigen Theorien befassen, sondern einfach leben solle. Seine Ausführungen, die sich als Bekenntnis zu unbedingter Selbstverantwortung lesen lassen, gipfelten in der Aussage: „Man ist einmal in das Leben hineingesetzt und hat nichts andres zu tun als es, so wie es nun einmal ist oder genauer: so wie es nun einmal um einen herum liegt oder auf einen zukommt, durchzuleben, ohne es mit Brauchbarkeitskalkülen abzumessen oder gar bewerten zu wollen, denen es sich genau so entzieht wie etwa eine Kugel einem Zollstock." 173 Gleichwohl griff Rosenzweig auch in den Zwanziger Jahren immer wieder zur Feder, um seine philosophischen Gedanken zu erläutern. Am be169 170

171 172

173

Rosenzweig, Stern der Erlösung, S. 451. Vgl. Stéphane Mosès, „Hegel beim Wort genommen", in: Ders., Der Engel der Geschichte. Franz Rosenzweig, Walter Benjamin, Gershom Scholem, Frankfurt am Main 1994, S. 51-67. Dies betont: Funkenstein, Geschichte, S. 219. So Rosenzweig in seinem Brief an Buber vom August 1919; Buber, Briefwechsel, Bd. 2, S. 54 ff., hier S. 55 f. Schreiben Rosenzweigs an seine Mutter vom 8. August 1918; Rosenzweig, Briefe und Tagebücher, Bd. 1, S. 589 ff., hier S. 590.

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rühmtesten wurde sein Kommentar zum Stern der Erlösung, der gleichsam die definitive Interpretation seines „Opus magnum" enthielt. Rosenzweig wehrte sich dagegen, daß der Stern primär als „jüdisches Buch'" gelesen werde, das umstandslos zum „alten Gesetz" zurückfuhren solle.174 Vielmehr handle es sich um ein philosophisches System, das mit der Frage nach dem Wesen der Dinge ernst mache. Dies bedeute zugleich eine grundlegende Ablehnung des Entwicklungsgedankens: „Auf die Frage nach dem Wesen gibt es nur tautologische Antworten. Gott ist nur göttlich, der Mensch nur menschlich, die Welt nur weltlich; man kann so tiefe Schächte in sie vortreiben, wie man will, man findet nur immer wieder sie selber."175 Auffällig ist, in welchem Ausmaß Rosenzweig die sprachkritische Wende im Stern der Erlösung betont. Gerade durch eine neue Form des Sprechens werde das zeitlose Denken überwunden; denn jede mündliche Äußerung erweise sich notwendig als „zeitgebunden, zeitgenährt".176 Erst das gesprochene Wort ermögliche einen Zugang zum Judentum, und der Stern der Erlösung sei in dem spezifischen Sinne „jüdisch" zu nennen, daß ihm „für das Neue, was [er] zu sagen hat, die alten jüdischen Worte kommen".177 Mehr in den Hintergrund trat hingegen in Rosenzweigs Selbstdeutung die existentialistische Todesfurcht, die einst den Ausgangspunkt seines Hauptwerkes gebildet hatte. Statt dessen betonte er den Charakter des Sterns als „Nichtmehrbuch" und hob hervor, daß das Ende der Lektüre „zugleich ein Hineintreten mitten in den Alltag des Lebens" sei.178 Während die Schrecken des Weltkrieges nur noch von ferne sichtbar waren, hatte die Beschäftigung mit dem Judentum an philosophischer Dignität und zugleich an Selbstverständlichkeit gewonnen. Im Unterschied zu Rosenzweig hatte Buber den Kriegsausbruch euphorisch begrüßt und eine Vielzahl von Schriften verfaßt, die dem Kriegserleben gleichsam eine höhere Weihe gaben. Im Zuge der Auseinandersetzung mit Gustav Landauer sah er sich jedoch veranlaßt, seine Ansichten zu überdenken. Hinzu kam, daß einige seiner wichtigsten Anhänger im Prager „Bar Kochba" wie Hugo Bergmann und Hans Kohn 174

Ders., „Das neue Denken. Einige nachträgliche Bemerkungen zum ,Stern der Erlösung'", in: Ders., Zweistromland. Kleinere Schriften zu Glauben und Denken, hg. v. Reinhold u. Annemarie Mayer, Dordrecht 1984, S. 139-161 [zuerst Der Morgen 1 (1925), S. 4 2 6 - 4 5 1 ] , hier S. 140.

175

Ebd., S. 145. Ebd., S. 151; zur Bedeutung des - performativen - Sprechens für Rosenzweigs Philosophie vgl. Gibbs, Correlations, S. 5 7 - 1 0 4 u. 2 6 3 - 2 6 6 , sowie Wiehl, „Logik", S. 626 f.

176

177 178

Rosenzweig, „Das neue Denken", S. 155. Ebd., S. 160.

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nach und nach ein desillusioniertes Bild vom Krieg entwickelten. Im Laufe des Jahres 1916 rückte Buber von seiner positiven Bewertung des „Kriegserlebnisses" ab, ohne freilich seine früheren Aussagen explizit zu widerrufen. Dem korrespondierte eine denkerische Neuorientierung, als dessen wichtigste Frucht Ich und Du gilt.179 Die schlichte und um einfache Faßbarkeit bemühte Sprache von Ich und Du hat die innere Heterogenität und komplizierte Entstehungsgeschichte des Buches häufig verdeckt. Erste Pläne gingen auf das Jahr 1916 zurück, doch erst 1919 entschloß sich Buber zu einer provisorischen Niederschrift. Von Januar bis März 1922 hielt er am Frankfurter Lehrhaus seine später berühmt gewordene Vortragsreihe über „Religion als Gegenwart", die der Abfassung von Ich und Du zugrunde lag.180 Wie Rosenzweig beabsichtigte Buber eine philosophische Fundierung des dialogischen Denkens, doch wollte er den strengen systematischen Zugriff auf sein Thema vermeiden, um der religiösen Erfahrung des einzelnen größeren Raum zu lassen. Freilich sollte Bubers emphatische Verherrlichung des Dialogs nicht darüber hinwegtäuschen, daß er in markantem Unterschied zu Rosenzweig, der seine Philosophie im intensiven Gespräch mit seinen Freunden entwickelte, geradezu isoliert an Ich und Du arbeitete.181 Bubers politische Wirksamkeit litt unter der intensiven Beschäftigung mit einem Manuskript, das er schon lange vor der Fertigstellung als sein zukünftiges Hauptwerk auffaßte. Überdies quälte ihn die Sorge um die eigene Gesundheit. Im August 1918 teilte er dem befreundeten Religionsphilosophen Elijahu Rappeport mit, ein ärztlicher Rat habe ihn zur Konzentration auf das Wesentliche bewogen, „die endgültige Fassung" seines „Gedankensystems", das während des Krieges herangereift sei.182 Solange die Arbeit an Ich und Du nicht abgeschlossen war, hatten politische Aufgaben beinahe vollständig zurückzustehen. So ließ Buber am 3. März 1920 Robert Weltsch wissen, daß er gegenwärtig „ganz auf ein kosmischgeistiges Geheimnis eingestellt" sei und deshalb nicht zum Prager Zioni-

179

Nach wie vor grundlegend zur Veränderung von Bubers philosophischen Ansichten im Krieg: Mendes-Flohr, Mystik, der allerdings dazu tendiert, das Ausmaß von Bubers Kriegsbejahung herunterzuspielen. Noch mehr gilt dies für Friedman, Martin Buber's Life, S. 178-202, u. 397 f., der den Ersten Weltkrieg nahezu ausschließlich als Hintergrund für Bubers „Durchbruch" zur dialogischen Philosophie versteht. Zur ideologiegeschichtlichen Einordnung von Bubers Kriegsschriften vgl. oben Kap. 4.2.

180

Martin Buber, Ich und Du, Leipzig 1923; detailliert zur Textgenese: Rivka Horwitz, Buber 's Way to „ I and Thou ". An Historical Anafysis and the First Publication of Martin Buber's Lectures „Religion als Gegenwart", Heidelberg 1978.

181

Vgl. ebd., S. 204. Buber, Briefwechsel, 27. August 1918.

182

Bd. 1, S. 541 f.; Schreiben Bubers an Rappeport vom

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stenkongreß reisen könne.183 Die Auswanderung nach Palästina, die unter deutschen Zionisten ohnehin gern rein theoretisch erörtert wurde, kam für den Philosophen zu Beginn der Zwanziger Jahre erst recht nicht in Frage. Bubers langerwartete Schrift folgte dem zeitgenössischen Trend, alle Erkenntnistheorie für obsolet zu erklären und einen direkten Zugriff auf das „Wesen der Welt" zu wagen.184 Der Sprache wurde die Aufgabe zugewiesen, den Menschen unmittelbar mit dem eigentlichen Sein zu verbinden. In besonderem Sinne galt dies nach Auffassung Bubers für die Grundworte „Ich" und „Du": Ihre Bedeutung erschöpfe sich keineswegs im alltäglichen Gebrauch oder in der schriftlichen Fixierung; vielmehr bestehe ihr eigentlicher Wert darin, daß sie gesprochen „einen Bestand" zu stiften verstehen.185 Dies war eine neue Form der „Sprachmetaphysik", die nicht mehr auf die Kraft abstrakter Begriffe vertraute, sondern davon ausging, daß sich die Wahrheit in der Struktur der Sprache finden lasse. Diese Überzeugung teilte Buber mit Benjamin oder Rosenzweig, die gleichfalls die philosophisch einzigartige Bedeutung der Sprache hervorhoben, weil sich die Welt im Wort offenbare.186 Mit der Lehre von der philosophischen Unersetzlichkeit der „Grundworte" verband sich für Buber eine prinzipielle Ablehnung des Kantischen Weltbildes. Die Anschauungsformen der reinen Vernunft, „Raum" und „Zeit", verlieren ihren erkenntniskonstitutiven Charakter und damit ihre philosophische Bedeutung. Statt dessen rückt der transzendente Grundzug echter Kommunikation in den Vordergrund: „Und wie das Gebet nicht in der Zeit ist, sondern die Zeit im Gebet, das Opfer nicht im Raum, sondern der Raum im Opfer, und wer das Verhältnis umkehrt, hebt die Wirklichkeit auf, so finde ich den Menschen, zu dem ich Du sage, nicht in einem Irgendwann und Irgendwo vor."187 183

184

Ebd., Bd. 2, S. 65 f., hier S. 66. Wenig später änderte Buber zwar seine Meinung und nahm an dem Kongreß teil, der durch die Spaltung des zionistischen Weltverbandes historische Bedeutung erlangte. Doch zeigen Bubers ausführliche Bedenken gegenüber Robert Weltsch, wie wichtig ihm die intensive Beschäftigung mit philosophischen Fragen unmittelbar nach dem Krieg war. Zum biographischen Hintergrund von Ich und Du vgl. auch Friedman, Martin Buber's Life, S. 259 ff. Die folgende Interpretation konzentriert sich auf den existenzphilosophischen Gehalt von Ich und Du und unterstreicht die Nähe zur „Neuen Metaphysik". Zur sozialphilosophischen Dimension von Bubers Schrift vgl. Friedman, Martin Buber's Life, S. 3 2 8 - 3 7 1 , und Mendes-Flohr, Mystik, S. 153-164.

185

Buber, Ich und Du, S. 9.

186

Allgemein zum Bedeutungszuwachs der Sprachphilosophie: Stéphane Mosès, „Walter Benjamin und Franz Rosenzweig", in: Ders., Spuren der Schrift. Von Goethe bis Celan, Frankfurt am Main 1987, S. 7 3 - 1 0 0 , der allerdings keine Bezüge zu Bubers Ansatz herstellt.

187

Buber, Ich und Du, S. 15.

Die Anfange jüdischer Existenzphilosophie

307

Bubers religionsphilosophisches Denken betont, daß jeder Mensch einem „Du" gegenübertreten will. Erst in der Erfahrung des Anderen erlebe der Mensch sein eigentliches Selbst, und sobald er die kommunikative Grundstruktur allen Daseins bejahe, könne sein Leben wirklich erfüllt sein. Ohne diese Einstellung jedoch gäbe es keine Liebe und keine Kunst, die Buber - hier ganz Nietzscheaner - aus der Perspektive des schaffenden Künstlers verherrlicht. 188 Sein mystisches Religionsverständnis zeigt sich in der Bedeutung, die er dem Prinzip der Korrelation beimißt. Schlüsselhaft für jede wirkliche Beziehung sei ihre Gegenseitigkeit, und dies gelte auch für den innersten Kern der Religion. Anknüpfend an Gedanken Meister Eckharts, betonte Buber die innere Verwiesenheit von Gott und Mensch: „Daß du Gott brauchst, mehr als alles, weißt du allzeit in deinem Herzen; aber nicht auch, daß Gott dich braucht, in der Fülle seiner Ewigkeit dich? Wie gäbe es den Menschen, wenn Gott ihn nicht brauchte, und wie gäbe es dich? Du brauchst Gott, um zu sein, - und Gott braucht dich - zu eben dem, was der Sinn deines Lebens ist." 189 Vor dem Hintergrund dieser fundamentalen Korrelation beurteilte Buber das zeitgenössische wissenschaftliche Denken, das seiner Auffassung nach die Freiheit existentieller religiöser Entscheidung nicht zu bestimmen vermochte, als philosophisch substanzlos. Seine besondere Kritik galt dem historischen und biologischen Determinismus, die in wechselseitiger Verschränkung „einen Glauben an das Verhängnis" erzeugt hätten, „zäher und beklommener, als je einer bestand". 190 Die Annahme menschlicher Willensfreiheit sei jedoch unerläßlich, wenn man der um sich greifenden Verzweiflung entgegentreten wolle. Eine wesentliche Stoßrichtung von Ich und Du lag in der Bekämpfung des Nihilismus. Die Schrift ist von Gleichnissen durchzogen, welche die Gottferne und Sinnentleertheit des zeitgenössischen Lebens beschreiben. In einem fiktiven Dialog wird der Staat als rasender Mechanismus dargestellt, der diejenigen vernichtet, die ihn zu steuern hoffen: ,,[D]ie Heizer häufen noch die Kohlen; aber die Führer regieren nur noch zum Schein die dahinrasenden Maschinen. Und in diesem Nu, während du redest, kannst Du es wie ich 188

Vgl. etwa ebd., S. 16: „Das ist der ewige Ursprung der Kunst, daß einem Menschen Gestalt gegenübertritt, und durch ihn Werk werden will. Keine Ausgeburt seiner Seele, sondern Erscheinung, die an sie tritt und von ihr die wirkende Kraft erheischt. Es kommt auf eine Wesenstat des Menschen an: vollzieht er sie, spricht er mit seinem Wesen das Grundwort zu der erscheinenden Gestalt, dann strömt die wirkende Kraft, das Werk entsteht."

189

Ebd., S. 97; zu Bubers Eckhart-Interpretation vgl. ferner ebd., S. 9 9 - 1 0 2 . Ebd., S. 67.

190

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hören, daß das Hebelwerk der Wirtschaft in einer ungewohnten Weise zu surren beginnt; die Werkmeister lächeln dich überlegen an; aber der Tod sitzt in ihren Herzen. Sie sagen dir, sie paßten den Apparat den Verhältnissen an; aber du merkst, sie können fortan nur noch sich dem Apparat anpassen, solange er es eben erlaubt."191 Von hoher Warte diagnostizierte Buber die Krankheit eines Zeitalters, das den Weg zu Gott und die Achtung vor den Menschen verloren habe. Er erinnerte an den illusionären Charakter der einst so geläufigen Fortschrittsvorstellungen und verglich die untergegangenen Kulturen mit ,,Ameisenhügel[n]", die stets aufs neue aufgebaut werden müßten192. Zugleich weckte Buber bei seinen Lesern die Hoffnung, daß die bitteren Konsequenzen der abendländischen Geschichte eine Vertiefung und Bereicherung menschlichen Lebens bedeuteten. In diesem Zusammenhang rekurrierte er auf Hölderlin, dessen Lyrik insbesondere in expressionistischen Kreisen seit Kriegsbeginn gefeiert wurde. Die angeführten Verse „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch" stammten aus der ersten Strophe von Hölderlins Hymne „Patmos" und gehörten zu den meistzitierten Zeilen jener Tage. Sie verliehen der Welt des klassischen Griechenland einen dunklen Glanz und standen scheinbar in großer Nähe zum religiösen Existentialismus, der die tragische Seite menschlichen Daseins ebenso unterstrich wie er die individuelle Eigenart des Glaubens hervorhob. Vielen Lesern von Ich und Du dürften überdies die ersten Zeilen der Hölderlinschen Hymne „Nah ist / Und schwer zu fassen der Gott" bekannt gewesen sein, die gleichfalls geeignet waren, eine zentrale Dimension der Buberschen Religionsphilosophie zu erläutern.193 Bubers Kritik galt nicht so sehr dem Atheisten, der aus tiefstem Inneren an der Existenz Gottes zweifelt, sondern dem seiner Ansicht nach allgegenwärtigen Utilitarismus, der jede persönliche Annäherung an Gott verhindere.194 Gerade das Festhalten am wissenschaftlichen Weltbild, die

191

Ebd., S. 58 f.

192

Ebd., S. 85.

193

Ebd., S. 67; zu den verschiedenen Fassungen des Gedichts vgl. Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke und Briefe, hg. v. Günther Mieth, Bd. 1, München 1970, S. 3 7 9 - 3 8 8 u. 1073-1084. Den ideengeschichtlichen Kontext der HölderlinRenaissance im Weltkrieg skizziert: Thomas Anz, „Vitalismus und Kriegsdichtung", in: Wolfgang J. Mommsen (Hg.), Kultur und Krieg. Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, München 1996, S. 2 3 5 247. Bubers kontinuierliche Beschäftigung mit Hölderlin unterstreicht: Friedman, Martin Buber's Life, S. 21.

194

Vgl. Buber, Ich und Du, S. 124: „Wer die Welt als das zu Benützende kennt, kennt auch Gott nicht anders. Sein Gebet ist eine Entlastungsprozedur, es fällt ins Ohr der Leere. Er - nicht der .Atheist', der aus der Nacht und Sehnsucht seines

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„Suche nach lückenloser Ursächlichkeit" nehme dem Dasein seine religiöse Bedeutung. Auch die Psychoanalyse reiche mit ihrer zergliedernden Methodik keineswegs in die Tiefen menschlicher Existenz, wo allein Sinnfragen einer Lösung zugeführt werden können. Letztlich habe sich der Mensch vor den Extremen falscher Empfindsamkeit und gefühlskalter Sachlichkeit gleichermaßen zu hüten; denn „Subjektivismus ist Verseelung, Objektivismus Vergegenständlichung Gottes", und beides müsse als „Abbiegung vom Weg der Wirklichkeit" aufgefaßt werden.195 Als Zeugnis wahrhaften Lebens faßte Buber das Johannes-Evangelium auf, in dem die „Urbeziehung" zwischen Gott und Sohn in unübertroffener Klarheit dargestellt sei.196 Jede tiefere religiöse Erfahrung ringe um eine angemessene Mitteilungsform und stehe theologischen Spitzfindigkeiten fremd und ablehnend gegenüber. Deshalb empfinde der Gläubige eine besondere Nähe zur dichterischen Sprache, die in der Symbolisierung des Unsagbaren vor kühnen Bildern nicht zurückschrecke. Bewußt entscheidet sich Buber gegen eine rationalistische Erklärung der Offenbarung und für ein mystisches Gottesverständnis: „Ich glaube nicht an eine Selbstbenennung Gottes, nicht an eine Selbstbestimmung Gottes vor den Menschen. Das Wort der Offenbarung ist: Ich bin der ich bin. Das Offenbarende ist das Offenbarende. Das Seiende ist, nichts weiter. Der ewige Kraftquell strömt, die ewige Berührung harrt, die ewige Stimme tönt, nichts weiter."197 Das Wesen der Geschichte liege in der „geheimnisvollefn] Annäherung" an die Strukturen des Daseins, das für den Menschen im selben Augenblick Rettung und Verderben bereithalte.198 Doch nicht nur deshalb habe sich die Philosophie vor falschen Eindeutigkeiten zu hüten. Die schicksalhafte Entscheidung des Menschen für das wirkliche Leben könne aus zweierlei Perspektive betrachtet werden; ein Ereignis, das aus weltlicher Sicht als „Umkehr" erscheine, lasse sich zugleich als „Erlösung" betrachten.199 Alles Geschehen besitze mithin einen weltlich-göttlichen Doppelcharakter, dem der Mensch Rechnung zu tragen habe. Bubers dialogische Philosophie fand in der Öffentlichkeit breite Resonanz, die sich keineswegs auf jüdische Kreise beschränkte. Die Ausgangsfrage von Ich und Du nach der Eigenart religiöser Wirklichkeit stand nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges allgemein zur Debatte

195 196 197 198 199

Kammerfensters das Namenlose anspricht - ist der Gottlose." Ebd., S. 126, das nächste Zitat. Ebd., S. 136. Ebd., S. 100. Ebd., S. 129. Ebd., S. 138. Ebd.

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und insbesondere protestantische Denker fanden Bubers kulturpessimistisch unterlegte Religionsphilosophie anziehend. Er stand mit fuhrenden Vertretern des religiösen Sozialismus und der dialektischen Theologie im engen Kontakt, Friedrich Gogarten und Paul Natorp zählten gar zu seinen persönlichen Freunden. 200 Die Popularität der Buberschen Philosophie hatte freilich ihren Preis. Zum einen war sie nur möglich, weil genuin jüdische Inhalte im dialogischen Denken weitgehend zurückgedrängt waren. Ideengeschichtlich vielleicht noch folgenreicher dürfte Bubers Rechtfertigung jener dichotomen Denkfiguren gewesen sein, die in der Philosophiegeschichte der Zwanziger Jahre eine so große Rolle spielten. Daß dies beinahe notwendig zu holzschnittartiger Argumentation fuhren mußte, betonte Rosenzweig bereits im Herbst 1922, nachdem er die ersten Korrekturbögen von Ich und Du studiert hatte: „Ich will den Stier gleich bei den Hörnern packen: Sie geben dem Ich-Du im Ich-Es einen Krüppel zum Gegner. Daß dieser Krüppel die moderne Welt regiert, ändert nichts daran, daß es ein Krüppel ist: Dieses Es haben Sie freilich leicht abfuhren. Aber es ist ja das falsche Es, das Produkt der großen Täuschung, in Europa keine dreihundert Jahre alt." 201 Gewiß verteidigte Rosenzweig mit dieser Kritik auch den Originalitätsanspruch der eigenen Philosophie, die er als radikale Infragestellung der Tradition verstand. Doch macht dies nicht den Kern seines Arguments aus, das letztlich darauf zielte, daß Bubers dialogische Philosophie mit schablonenhaften Gegenüberstellungen operierte. Zeitlebens spielte Buber den revolutionären Charakter von Ich und Du in den Vordergrund, und zweifellos verrät die Schrift in vielerlei Hinsicht die Spuren philosophischen Umdenkens. Dennoch dürfte es methodisch heikel sein, kategorisch zwischen einer prädialogischen und einer dialogischen Phase Bubers zu unterscheiden. Beispielsweise änderte sich nichts an der positiven Aufnahme nietzscheanischen Gedankenguts und der Bedeutung, die dem künstlerischen Schaffen zugemessen wurde 202 . Zudem steht Ich und Du - bei aller plakativen Abgrenzung vom Neukantianismus - an mehr als einer Stelle in enger Beziehung zu jenen epistemologischen Ansätzen, die seit mehr als zwei Jahrzehnten die philosophische Diskussion nachhaltig bestimmt hatten. Insbesondere Cohens Konzept 200 201

202

Vgl. Friedman, Martin Buber 's Life, S. 357 ff. u. 366. Schreiben Rosenzweigs an Buber vom 14. September 1922; Buber, Bd. 2, S. 124-128, hierS. 125.

Briefwechsel,

Dies erkannte bereits: Paul R. Mendes-Flohr, „Martin Buber's Conception of God", in: Ders., Divided Passions. Jewish Intellectuals and the Experience of Modernity, Detroit 1991, S. 2 3 7 - 2 8 2 , hier S. 239.

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der Korrelation, das ja auch den Stern der Erlösung maßgeblich beeinflußt hatte, kam prägende Bedeutung für Bubers Schrift zu, die das Wechselverhältnis von „Ich" und „Du" in den Mittelpunkt stellte.203 Vielleicht am auffälligsten ist jedoch die Verbindung zu Bubers eigenem kulturkritischen Philosophieren am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Ein Blick auf die Legende des Baal Schern, mit der Buber dem Mythos von der urwüchsigen Religiosität des Ostjudentums Breitenwirkung verschafft hatte, illustriert, in welchem Ausmaß er die moderne Kultur schon 1908 ablehnte. Der Ehrentitel des jüdischen Volkes lag für das Haupt der Kulturzionisten gerade darin, daß es als einzige Nation der Erde nie die Kraft zur Mythenbildung verloren habe. 204 Gegenüber der Zeit des Baal Schern, als das Leben gleichsam von selbst zur Fabel wurde, fehle indes der Gegenwart jeder Sinn für Poesie. Erzählhaltung wie Stilmittel Bubers trugen dem Wunsch nach „Wiederverzauberung der Welt" Rechnung. Keine Wundertat des Baal Schern wird bezweifelt, jede Fügung des Geschehens - sei sie auch noch so unglaubhaft - mit innerer Gelassenheit und Ruhe erzählt, so daß das Übernatürliche gleichsam im Gewand des Selbstverständlichen erscheint. In mancherlei Hinsicht ähneln sich die Intentionen von Ich und Du und der Legende des Baal Schern: Beide Schriften geißeln den materialistischen Zeitgeist und verherrlichen die innere Zufriedenheit gotterfullten Lebens. Herzensgüte, Gerechtigkeit und fromme Einfalt sind wichtiger als weltlicher Erfolg. Die Bekämpfung des religiösen Nihilismus nimmt bereits in der Legende des Baal Schern breiten Raum ein. In der Schilderung innerer Leere und Verzweiflung sind die Erzählungen vielleicht sogar am überzeugendsten. Dabei bleibt die Antwort auf die innere Unrast, welche die Wurzel alles Schlechten bildet, stets dieselbe. In der Gemeinschaft der Gläubigen findet der Mensch den nötigen Schutz gegen das Treiben der Welt und eine entscheidende Hilfe zur inneren Einkehr. 205 Zugleich verbindet sie den einzelnen Menschen, der einen Weg zu Gott sucht, mit dem Schicksal seines Volkes. Rekurriert man auf terminologische und stilistische Elemente, so überwiegt ebenfalls der Eindruck intellektueller Kontinuität zwischen der Legende des Baal Schern und Ich und 203

Dazu instruktiv: Biale, Scholem, S. 80, und Philipp Blom, „Hermann Cohen Geist und Leben", in: Jüdischer Almanach, Jg. 1998, S. 5 9 - 7 1 , hier S. 65.

204

Vgl. Martin Buber, Die Legende des Baal Schern, Frankfurt am Main 1908, S. III f.; pointiert zu Bubers Selbststilisierung als Künder mythischer Weisheit: Ritchie Robertson, Kafka. Judentum, Gesellschaft, Literatur, Stuttgart 1988, S. 201.

205

Vgl. Buber, Legende des Baal Schern, S. 40, die Äußerung des Zaddiks Rabbi Rafael: „Wenn ein Mensch sieht, dass sein Gefährte ihn hasst, soll er ihn mehr lieben: Denn die Gemeinschaft der Lebendigen ist der Wagen der Gottesglorie, und w o ein Riss im Wagen ist, muss man ihn füllen, und wo der Liebe wenig ist, dass die Fügung sich löst, muss man Liebe mehren an seiner Seite, den Mangel zu zwingen."

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Du. Pars pro toto sei darauf verwiesen, daß bereits im Baal Schern die Hinwendung zum „Du" als schlüsselhafter Akt der Mitmenschlichkeit betrachtet wird.206 Doch der Blick auf verwandte geistige Motive droht das Entscheidende in den Hintergrund zu rücken: die Erschütterung des Kulturvertrauens und die Erfahrung massenhaften Sterbens im Ersten Weltkrieg, die zu jener Existentialisierung der Diskurse führte, die vielen künstlerischen und philosophischen Werken der Zwanziger Jahre ihre unverwechselbare Eigenart gaben. Gerade im Blick zurück schien der „Große Krieg" verdeutlicht zu haben, wie schwer es war, ohne den Glauben an einen persönlichen Gott zu leben. Wie im Stern der Erlösung wird auch in Ich und Du das konkrete Leben des einzelnen der abstrakten Vernunft entgegengestellt. Die Todesfurcht ist zur unhintergehbaren Voraussetzung menschlichen Nachdenkens geworden, und dies gibt Bubers Ausfuhrungen in Ich und Du eine existentielle Düsterkeit, die seinen früheren Schriften fehlt. Bubers treuesten Anhängern blieb die Veränderung seiner religiösen Ansichten im Weltkrieg nicht verborgen. Am weitesten ging vielleicht Max Brod, der am 21. Dezember 1917 dem befreundeten Hugo Bergmann mitteilte, er habe aus den letzten Veröffentlichungen Bubers ersehen, daß dieser „eigentlich gar nicht an Gott glaubt, sondern nur an den göttlichen Menschen".207 Man verstünde diese Zeilen allerdings falsch, wenn man sie ausschließlich als Kritik an Bubers Religionsverständnis auffaßte. Vielmehr teilte Brod im selben Dokument Bergmann mit, daß er seine eigene innere Zerrissenheit, seine „Ängste und Hoffnungen", nur literarisch verarbeiten könne. Religiöse wie philosophische Überzeugungen waren im Ersten Weltkrieg starken Belastungen ausgesetzt, und innere Stabilität mußte immer wieder neu errungen werden. Selbst der in sich gefestigte Hugo Bergmann zeigte in jenen Tagen eine beträchtliche Neigung zu existentialistischen Denkfiguren, wie sich aus seiner Beurteilung des jüdischen Messianismus ersehen läßt. Am 9. Januar 1918 notierte er nach der Lektüre von Kierkegaards Furcht und Zittern in sein Tagebuch: „Der Glaube an den Messias müßte Element unseres Lebens werden, gegenüber all den Versuchungen, die der ,gesunde Menschenverstand', die ,Klugheit der Politik' bedeuten, gegenüber all dem Hohn, den die Wirklichkeiten gegen den Idealismus haben, müßten wir festhalten an dem Glauben."208 206

Vgl. ebd., S. VI f., die terminologisch zentrale Passage: „Die Legende ist der Mythos des Ich und Du, des Berufenen und des Berufenden, des Endlichen, der ins Unendliche eingeht, und des Unendlichen, der des Endlichen bedarf."

207

Postkarte Brods an Hugo Bergmann vom 21. Dezember 1917. Das für die jüdische Ideengeschichte und speziell für die Buber-Forschung aufschlußreiche Dokument findet sich: JNUL Jerusalem File Max Brod; ebd., das nächste Zitat.

208

Bergmann, Tagebücher,

Bd. 1, S. 105 f., hier S. 105.

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Nicht zufällig stand Bergmann einem jüdischen Nationalismus, der sich radikal innerweltlich definierte, skeptisch, ja ablehnend gegenüber. Denn seiner Auffassung nach unterschied sich das Judentum nur solange substantiell von anderen Völkern, wie es an der messianischen Hoffnung festhielt. Vielmehr plädierte er für eine verstärkte Beschäftigung mit den Quellen des Judentums, um sich gegen modische Aktualisierungen J ü d i schen Geists" zu schützen. 209 Eine vornehmlich philologisch gefärbte Annäherung an die Grundfragen des Judentums fand Buber jedoch wenig attraktiv. Insbesondere zur Lösung der politischen Gegenwartsaufgaben schien ihm Bergmanns „radikale[r] Hebraismus" wenig beizutragen. Für die „Renaissance des Judentums" sei eine spirituelle Neugeburt erheblich wichtiger als die Mehrung historischer Kenntnisse oder das Erlernen gesicherter Fakten. 210 Damit gehörte Buber zur großen Zahl von Autoren, die dem religiösen „Erlebnis" einen Eigenwert beimaßen, der durch Vernunft und Wissenschaft nicht mehr in Frage gestellt werden sollte. Die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf die Lesehaltung des jüdischen Bürgertums sind zwar kaum exakt zu messen, sollten jedoch nicht unterschätzt werden. Insbesondere in der jüngeren Generation scheinen die Kriegserfahrungen zu einem steigenden Interesse an den persönlichen Überzeugungen des Schriftstellers gefuhrt zu haben. Im Extremfall konnte es für die Rezeption entscheidend sein, ob ein Werk vor oder nach 1914 erschienen war. So galt Max Brods 1915 publizierter Roman Tycho Brahes Weg zu Gott geradezu als Inbegriff existentiellen Weltkriegserlebens. Franz Rosenzweig beurteilte ihn als Ausdruck des Lebensgefuhls einer Generation, die mit dem Assimilationskonzept des liberalen Judentums endgültig gebrochen habe. Den dänischen Astronomen am Hof Rudolfs II., der sich in einer feindlichen Umgebung kraft eigener Leistung behauptete und um die Unvermeidbarkeit künftiger Konflikte wußte, faßte Rosenzweig als Symbol des modernen Judentums auf, das allen optimistischen Illusionen abgeschworen habe. 211 Brods Intentionen hatte er damit recht genau erfaßt, und die meisten Leser des Romans stimmten darin überein, daß er einen tragischen Blick auf das jüdische Schicksal gestatte, wie er erst durch den Weltkrieg möglich geworden sei.

209 210

211

Einzelheiten bei: Brod, Leben, S. 370 f. So Buber in seinem Schreiben an Hugo Bergmann vom 9. September 1919; Buber, Briefwechsel, Bd. 2, S. 57 f., hier S. 57. - Bubers Idee einer spirituellen Wiedergeburt des Judentums bestimmte auch seine Vorbehalte gegenüber dem Hebräischen als moderner Alltagssprache, die von vielen Zeitgenossen geteilt wurden, ohne daß das wachsende Interesse an „authentischer" hebräischer Literatur Schaden nahm; vgl. Michael Brenner, Kultur, S. 143-169 u. 262-266. Schreiben Rosenzweigs an Gertrud Oppenheim vom 1. Oktober 1917; Rosenzweig, Briefe und Tagebücher, Bd. 1, S. 456-459, hier S. 456 f. Max Brod, Tycho Brahes Weg zu Gott, Leipzig 1915.

314

Von der Infragestellung der „Emanzipationsideologie" zu Neuentwürfen

Freilich hatte Brod seine Arbeit an Tycho Brahes Weg zu Gott bereits 1913 abgeschlossen, und das Manuskript lag im August 1914 in druckreifer Gestalt vor. Die späte Veröffentlichung war verschiedenen Imponderabilien geschuldet und stand in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt des Romans, der die Parabel von Jakobs Kampf mit dem Engel in moderner Gestalt darstellen sollte. Der Prager Schriftsteller war allerdings nicht ganz unschuldig daran, daß sein Werk für ein Zeugnis authentischer Verarbeitung des Krieges gehalten wurde. So ließ er Stefan Zweig in seinem Brief vom 21. Februar 1915 über die Abfassungszeit des Romans im unklaren, den er zugleich als „das Beste, was ich zu geben habe", anpries. 212 Das Werk selbst schilderte den Abschied eines alternden Menschen von seinen wissenschaftlichen Idealen und die Hinwendung zu einem persönlichen Gottesglauben. Bereits im Herbst 1913 hatte Brod seine geistige Entwicklung gegenüber Buber als „Versöhnung von Ratio und Irrationalem" charakterisiert und in diesem Gedanken das leitende Gestaltungsprinzip seines Romans erblickt. 213 In der Tat gewinnt Tychos Konflikt mit Kepler, der das heraufziehende Zeitalter des wissenschaftlichen Rationalismus gleichsam in Reinkultur verkörpert, keine dramatische Zuspitzung. Dabei wollte Brod die Auseinandersetzung nach dem Muster der Erzählung von „Kain und Abel" gestalten. Während er Tycho mit den Zügen des ,,Kompromißmensch[en]" ausstattete, „der mit tausend Mühen danebenhaut", diente für die Gestalt Keplers in vielem Einstein als Vorbild, den Brod persönlich kannte und als Genie beurteilte, „dem Gott es gleichsam im Schlafe gibt". 214 Entscheidend für die Gestalt des Romans ist vielmehr seine Jüdische Dimension". Die Begegnung mit dem Rabbi Low läßt Tycho begreifen, daß es höhere Werte als persönliche Anerkennung oder wissenschaftlichen Fortschritt gibt. Die Leidensgeschichte des jüdischen Volks erscheint dem christlichen Astronomen geradezu „als ein Symbol seines eigenen Lebenswandels". 215 Tychos Frage nach dem Sinn dieses Leidens wird von seinem Gegenüber allerdings als naiv und unpassend zurückgewiesen: ,„Es ist gar nicht die Frage, wie wir es aushalten,' [...] ,wir haben eine Lehre: Gott ist nicht um des Gerechten willen da, um ihm zu dienen und ihn zu stützen, sondern der Gerechte ist da, um Gott zu dienen und ihn zu stützen'." 216 212

JNUL Jerusalem Ms Var. 305, Nr. 172. Vgl. auch, ebd., Brods Karte an Stefan Zweig vom 24. April 1930, in dem der Prager Autor pointiert darauf hinwies, daß es sich bei seinem Tycho keineswegs um ein Weltkriegsprodukt handle. Komprimiert zur Entstehungsgeschichte des Romans: Brod, Prager Kreis, S. 137 f.

213

Schreiben Brods an Buber vom 26. November 1913; Buber, Briefwechsel, Bd. 1, S. 348 f., hier S. 348. Alle Zitate nach dem undatierten „Statement" Brods, in: CZA Jerusalem A 145/169. Brod, Tycho Brahes Weg zu Gott, S. 387. Ebd., S. 387 f.; ebd., S. 418 f., das nächste Zitat.

214

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Erst diese Belehrung öffnet Tycho die Augen für die Hinfälligkeit allen Daseins und den geheimen Sinn seines eigenen Lebens. Versöhnt mit seinem Schicksal, war es ihm vor seinem Tod beschieden, „mit bloßen Augen das zu sehen, was er mit seinen kunstreichen Instrumenten nicht hatte erzwingen können: die Wirklichkeit, die unsterbliche Vollendung seines Systems, das wahrhafte Theatrum astronomicum". Brods im expressionistischen Musterverlag von Kurt Wolff erschienener Roman wurde ein ungewöhnlicher Erfolg. Bereits nach wenigen Wochen war die erste Auflage vergriffen, die insbesondere im Prager Judentum seine Käufer fand. 217 Bis in neoorthodoxe Kreise reichte die Anerkennung, die man Brods Werk zollte. Der Hamburger Gymnasiallehrer Armin Blau nannte Tycho Brahes Weg zu Gott in der Zeitschrift „Jeschurun" sogar „eine Art Faust [...] in Romanform". 218 Er lobte die gelungene Charakterisierung der Hauptfigur, die nicht nur ein Symbol für die ruhelose jüdische Wanderschaft sei, sondern zudem verdeutliche, daß ein religiöses Leben nicht quietistischer Natur sein müsse. Die eigentliche Stärke des Romans zeige sein Finale, als sich der christliche Astronom nach der Begegnung mit dem Rabbi Low vorbehaltlos Gott anvertraue, und somit „Jüdisches und Allgemein-Menschliches, Religiöses und Tiefphilosophisches zu einer schönen Synthese vereint" werde. Die Kernfrage des Romans nach einem erfüllten Leben in gottferner Zeit blieb für Brod während des Weltkrieges unvermindert aktuell. So wollte er sein 1918 publiziertes Drama Eine Königin Esther keineswegs als Gelegenheitsdichtung verstanden wissen. Statt dessen hegte er die stolze Überzeugung, „dem Judentum im ernstesten Kunstwerk einen Spiegel vorzuhalten und aus tiefster Verzweiflung den Weg zu Gott zu zeigen". 219 Inhaltlich enthielt das Theaterstück indes nur wenig konkrete Hinweise auf die Grundzüge einer neuen Moral. Zwar läßt Brod keinen Zweifel daran, daß ohne existentielles Wagnis das wahre Leben nicht zu finden sei, doch wird nicht recht deutlich, worin die Jüdische Dimension" seines Dezisionismus besteht. Bezeichnenderweise bleibt der höhere Sinn des Dramas, den der Prager Dichter der Hauptperson Esther in den Mund legt, abstrakt, ja nachgerade kryptisch: „Es ist unmöglich, Mensch zu sein. Dennoch bleibt uns nichts anderes übrig." 220 Dies hinderte Brod freilich nicht an der Auffassung, eine zeitgemäße Neudeutung des Judentums zu vertreten, die für faule Kompromisse keinen Raum mehr lasse. Gerade seine aporetische Antwort auf die drängenden Zeitfragen wurde in 217

Vgl. die Verlagsanzeige für Tycho Brahes Weg zu Göll, in: JR Nr. 7 vom 18. Februar 1916, S. 64.

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A[rmin] Blau, „Max Brod's Roman ,Tycho Brahes Weg zu Gott'", in: Jeschurun 3 (1916), S. 2 1 0 - 2 1 7 , hier S. 211; ebd., S. 214, Anm. 2, das nächste Zitat.

219

So Brod in seinem Brief an Leo Herrmann vom 28. Dezember 1917; CZA Jerusalem A 145/169. Brod, Königin Esther, S. 138.

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V o n der Infragestellung der „Emanzipationsideologie" zu Neuentwürfen

kulturzionistischen Kreisen als „authentisch" empfunden, schuf sie doch erst jenen Raum, in dem sich selbstbewußte Persönlichkeiten entfalten konnten.221 Allerdings war nach dem Ersten Weltkrieg durchaus umstritten, ob die Vertreter des Prager „Bar Kochba" noch als intellektuelle Avantgarde galten. Nicht zuletzt unter den Angehörigen der jüdischen Jugendbewegung, die aus Altersgründen keinen Wehrdienst abgeleistet hatten, zeigte sich beträchtlicher Unmut über die pädagogischen Ambitionen der Kriegsheimkehrer, deren Belehrungen man nun als Anmaßung auffaßte. Die vier Jahre älter gewordenen Jugendlichen, die in der Heimat zahlreiche soziale Verpflichtungen im Dienste des Vaterlands übernommen hatten, vermochten mit der pathetischen Unbestimmtheit ihrer ehemaligen Führer nicht mehr allzuviel anzufangen und reagierten auf deren Lob des Heroismus mit nüchterner Gelassenheit. Die Diskussion ästhetischer Fragen in der Sprache einer „neuen Sachlichkeit" verhalf der sogenannten Kriegsjugendgeneration, die den „Makel" des fehlenden „Fronterlebnisses" zu kompensieren hatte, zu mehr Selbstvertrauen und förderte die Ausbildung eines eigenen Generationsstils.222 Mit welcher Intensität um ein neues sachlicheres Weltbild gerungen wurde, illustriert das Tagebuch von Martin Bandmann, der neben Norbert Elias zu den Schlüsselfiguren des Breslauer „Blau-Weiß" gehörte. Eine „Jüdische Renaissance" ä la Buber, die ein idealistisches Bild der Vergangenheit entwarf und dafür mit dem Palästina-Gedanken nicht ernst machte, beurteilte er als unredlich und politisch halbherzig. Ästhetisch störte sich Bandmann vor allem an der hochtrabenden Rhetorik, welche die Anhänger des Prager „Bar Kochba" in ihren Veröffentlichungen pflegten. Über Brods Roman Tycho Brahes Weg zu Gott hielt er in seinem Tagebuch am 12. Februar 1920 nüchtern fest: „Das Werk eines Juden, der Grosses will, aber Grosses nicht leistet. Nicht aus dem Geschehen selber, sondern aus einem leitenden Gedanken entspringt die Geschlossenheit des Romans. Daher folgt auch, dass vieles im Entwurf stecken geblieben und papieren geblieben ist."223 221

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Vgl. in diesem Zusammenhang die Besprechung von Manfred Georg, „Eine Königin Esther. (Max Brods neues Drama)", der das Werk in unmittelbarer Kontinuität zum Erfolgsroman Tycho Brahes Weg zu Gott sah und über den Ausgang des Theaterstücks bemerkte: „Hätte das Ende eine Lösung geboten, der Verfasser wäre kein Jude gewesen." (JR Nr. 31 vom 2. August 1918, S. 238 f., hier S. 239). Ähnliche Entwicklungen gelten für den deutschen Generationenkonflikt nach dem Ersten Weltkrieg allgemein; vgl. Herbert, Best, S. 4 2 - 5 1 u. 546 f., sowie die anspruchsvolle Deutung von Helmut Lethen, Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt am Main 1994. JNUL Jerusalem A 365, Nr. 1. Bandmanns lange verkannte Schlüsselposition im Breslauer „Blau-Weiß" bildet das Hauptthema in Jörg Hackeschmidts neue Wege

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Bandmann kritisierte, wie schemenhaft Brods Schilderung der geschichtlichen Zusammenhänge ausgefallen war und vermißte eine angemessene Würdigung des Prager Judentums, dessen Rabbi Low nirgendwo plastische Präsenz gewinne. Überdies hegte er beträchtliche Zweifel hinsichtlich Brods Begabung, ein großes historisches Thema mit psychologischen Mitteln zu durchdringen, und faßte seine negative Einschätzung in die drastischen Worte: „Auch der letzte Eindruck heisst Mangel an künstlerischer Schöpferkraft." 224 Dies war ein hartes, aber durchaus nicht unzutreffendes Urteil, wenn man den Roman an den hochgespannten Erwartungen seines Autors maß. Das innerjüdische intellektuelle Meinungsklima zu Beginn der Zwanziger Jahre wurde jedoch vor allem durch existentielle Entwürfe arrivierter Denker wie Buber und Rosenzweig geprägt. Nicht zuletzt bestimmten sie die Inhalte der jüdischen Lehrhausbewegung, die eine erstaunliche Breitenwirkung entfaltete. Allein an der berühmtesten Einrichtung, dem Frankfurter Lehrhaus, führte man Semester für Semester bis zu 1.100 Studenten in die Grundlagen des Judentums ein. 225 Sie wurden nach Rosenzweigs Konzept vom „Neuen Lernen" unterrichtet, das die Oberflächlichkeit des jüdischen Wissens weiter Kreise in Rechnung stellte und zur vertieften Auseinandersetzung mit Originalzeugnissen anhielt. Vor dem Hintergrund des allgemeinen kulturellen Klimas verliert die ,jüdische Philosophie" allerdings viel von ihrer unverwechselbaren Eigenart. Sie teilte mit anderen zeitgenössischen denkerischen Neuanfängen nicht nur die Betonung der Subjektivität, sondern deutete auch die „Existentialien" menschlichen Daseins in ähnlicher Hinsicht. Angst und Sorge bestimmten das Leben: der Tod wurde gleichsam zur unüberschreitbaren Grenze, die aller Rationalität ein Ende setzte. Allen Denkansätzen war gemein, daß die Negierung der historischen Zeit gleichsam notwendig zu einer „Philosophie der Eigentlichkeit" führte. Dies verlieh der allerorts verkündeten „Renaissance" jüdischer Werte jedoch auch eine Selbstverständlichkeit, die der kritischen Erörterung inhaltlicher Fragen nicht eben forderlich war.

beschreitender Analyse der postassimilatorischen jüdischen Jugendbewegung; vgl. Hackeschmidt, Blumenfeld, S. 2 0 4 - 2 3 0 , und passim. 224 225

JNUL Jerusalem A 365, Nr. 1 ; Eintrag vom 12. Februar 1920. Vgl. Michael Brenner, Kultur, S. 7 9 - 1 1 3 u. 2 5 0 - 2 5 6 , hier S. 83. Zu Rosenzweigs Einfluß auf die Programmatik des Frankfurter Lehrhauses vgl. ferner Meineke, „Life", S. 485 ff.

7. Zwischen Idealismus und Interesse: Zur Ideologisierung jüdischen Denkens im Ersten Weltkrieg Es ist nicht einfach, .jüdische Kultur" zu definieren, und es gibt gewiß mehr als einen Weg dazu. Die Geschichtswissenschaft bevorzugt zur Zeit soziologische Ansätze, welche die Multiplikatoren und Adressaten kultureller Entwürfe in den Blick nehmen. In diesem Sinn bestimmt Michael Brenner die „Jüdische Renaissance" der Zwanziger Jahre als „Kultur von Juden für Juden". 1 Dabei treten freilich die zahlreichen Brücken und Verbindungslinien zur Mehrheitsgesellschaft in den Hintergrund, welche die hohe Integration der jüdischen Minderheit bezeugen. Überdies führt die Konzentration auf das Phänomen der „Jüdischen Renaissance" leicht dazu, daß gerade die betont akkulturierten Juden an die Peripherie der Betrachtung gedrängt werden, obwohl sie - schon allein rein zahlenmäßig keine Quantité négligeable darstellen. Angesichts der überreichen Literatur zur „Erfindung" oder „Renaissance" des Judentums ist vielleicht der Hinweis nützlich, daß auch andere Konzeptionalisierungen möglich sind, die beispielsweise die synchronen Bezüge und die innere Heterogenität der deutsch-jüdischen Kultur stärker betonen. Jedenfalls führt die Integration von zeitgenössisch einflußreichen Intellektuellen wie Julius Bab oder Theodor Wolff dazu, daß die Darstellung an Schattierungsreichtum und Brisanz gewinnt. Denn gerade die intensive Beschäftigung mit der „Jüdischen Renaissance" belegt die innere Verschränkung von wertkonservativer Kulturkritik und panreligiöser Aufbruchsstimmung, die seit dem Fin de Siècle die intellektuellen Suchbewegungen charakterisierte. In einer extremen Umbruchsituation wie dem Ersten Weltkrieg ist die Untersuchung spezifisch .jüdischer Verhaltensmuster" besonders schwierig. Vom häufig verklärten „Augusterlebnis" über das Gefühl, von einer „Welt von Feinden" umringt zu sein, bis zur Enttäuschung über den Kriegsausgang kennzeichnete ein hoher Konformitätsdruck die Wahrnehmung und Bewertung der Kriegsereignisse im Deutschen Kaiserreich. Für eine vielfach angefeindete Minderheit wie die Juden galt dies in besonderem Maße, und die Verlautbarungen der großen jüdischen OrganisaMichael Brenner, „Zwischen Ost und West: Berlin als Zentrum jüdischer Kultur in der Weimarer Republik", in: Reinhard Rürup (Hg.), Jüdische Geschichte in Berlin. Essays und Studien, Berlin 1995, S. 197-214, hier S. 197.

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tionen trugen dem nach Kräften Rechnung. Dennoch sollte mit Christhard Hoffmann daran festgehalten werden, daß auch auf starken Loyalitätsdruck unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten bestehen, die von ausgeprägter Anpassung bis zu offenem Dissens reichen. Simplifizierende Stilisierungen des jüdischen Verhaltens im Krieg erscheinen deshalb schon methodisch bedenklich. Beide Leitfragen dieser Untersuchung zielen auf ein differenziertes Verständnis des Zivilisationsbruchs, der bereits von den Zeitgenossen mit großer Schärfe empfunden wurde und unter den führenden Historikern des deutschen Judentums unstrittig ist.2 Gerade retrospektive Quellen zeigen, daß der Krieg für die deutschen Juden eine nachhaltige Erschütterung vertrauter Sekuritätsgefühle und langgehegter Zukunftshoffnungen mit sich brachte. So wußte Jakob Wassermann um das „Gift des Nationalismus" und fürchtete die verhängnisvollen Folgen des Antisemitismus in einer Gesellschaft, die mit einem „falschen Heldencult" auf das Trauma der Weltkriegsniederlage reagierte. 3 Allein, so hellsichtig seine Analyse auch war, sie wurde doch ebensosehr durch die instabilen Zustände zu Beginn der Weimarer Republik wie durch die Erinnerung an die Schrekken des Weltkrieges geprägt. Das eingehende Studium der zeitnahen Quellen warnt vor einer schematischen Beurteilung der jüdischen Intellektuellen. Beispielsweise läßt sich für den August 1914 keine einhellige „Kriegsbegeisterung" erkennen. Bereits ein Blick auf die Kriegsfreiwilligenquote, die Richard Mehler für bayerische Juden ermittelt hat, weckt beträchtliche Zweifel am Bild des schäumenden Patriotismus, das bislang die Darstellungen der deutsch-jüdischen Geschichte dominierte. Der „Kriegskonsens" war innerjüdisch wie gesamtgesellschaftlich ein Phänomen der veröffentlichten Meinung und belegt den Erfolg staatlicher Propagandatätigkeit. In privaten Dokumenten wie Tagebüchern oder Briefen findet sich hingegen eine Vielzahl von Reaktionen, die zumeist von Zukunftsängsten und individuellen Formen der Sinngebung geprägt waren. Deshalb dürfte es wenig plausibel sein, weiterhin von einem monolithischen Bild jüdischer „Augustbegeisterung" auszugehen. Ex negativo wird dies durch Artikel von Volker Ullrich vor Augen geführt, in denen der Historiker und Publizist an der liebgewordenen Vorstellung Jüdischen Augusterlebnisses" nur festhalten kann, indem er das Reflexionsniveau der jüngeren Weltkriegs-

Vgl. etwa Pulzer, Jews, S. 207: „If there was a golden age for the Jews of modern Germany, it came to an end in 1914" - eine balancierte Einschätzung, die zugleich vor der Idealisierung der „deutsch-jüdischen Symbiose" warnt. Pointiert zum Umbruchcharakter des Weltkrieges: Cora Stephan, „Der große Krieg und das kurze Jahrhundert", in: Rainer Rother (Hg.), Die letzten Tage der Menschheit. Bilder des Ersten Weltkrieges [...], Berlin 1994, S. 2 5 - 3 5 . So Wassermann im Brief an seinen Verleger Samuel Fischer vom 25. Juni 1923; LBI N e w York AR 253.

321 forschung unterschreitet. Gerade die Betonung des Notwehrgedankens in der Kriegslegitimation verband das deutsche Judentum mit der übrigen Bevölkerung, die sich in einem „gerechten Verteidigungskrieg" wähnte. Für die deutschen Juden wurde es allerdings seit Herbst 1914, als die Vorstellung vom „kurzen Krieg" sich als trügerisch erwiesen hatte, zunehmend schwieriger, an einem idealisierten Bild von Staat und Gesellschaft festzuhalten. Binnen kurzem erwies sich der „Burgfrieden" als eine „Schönwetter-Konstruktion" (Peter Pulzer). Xenophobe Gefühle und innenpolitische Zerklüftungen begleiteten das Anwachsen des Antisemitismus, der schon bald für alle jüdischen Organisationen ein Problem erster Ordnung wurde. Gleichwohl nahmen die deutsch-jüdischen Intellektuellen die Balfour-Erklärung, die für die internationalen Optionen des Judentums zentrale Bedeutung hatte, weniger wichtig als die Frage des Kriegsausgangs. Ihre Einstellung zum Krieg läßt sich freilich von derjenigen der christlichen Bevölkerungsmehrheit unterscheiden. Als erstes wäre auf die Vielzahl elegischer Deutungen zu verweisen, die eindrucksvoll dokumentieren, daß die deutschen Juden den Krieg für ein menschliches Unglück und eine historische Katastrophe hielten. Zum zweiten existiert eine argumentative Weltkriegsliteratur, die in ihrem Plädoyer für Vernunft und Gerechtigkeit die anhaltende Geltung universalistischer Werte im deutschen Judentum bezeugt. Daneben finden sich allerdings auch Formen leidenschaftlichen jüdischen Patriotismus, die sich nicht allein durch den gesellschaftlichen Diskursdruck erklären lassen. In der jüngeren kulturhistorisch ausgerichteten Weltkriegsforschung ist der Zäsurcharakter des Jahres 1916 immer stärker hervorgetreten, und die jüdische Geschichte dürfte geeignet sein, dies zu unterstreichen. Freilich sollte man die Bedeutung der „Judenzählung" nicht so hoch gewichten, wie dies bislang der Fall war. Einerseits läßt sich der Beginn der großen innerjüdischen Kontroversen bereits auf das Frühjahr 1916 datieren, als Kulturzionisten und liberale Juden mit neu gegründeten Zeitschriften um die Vormachtstellung im öffentlichen Raum kämpften. Andererseits nahmen Themen wie die aktuelle Kriegslage oder die Probleme der Ostjuden in der jüdischen Presse breiteren Raum ein als die Kritik an der infamen Konfessionsstatistik. Wie das Studium privater Quellen belegt, hatten viele herausragende jüdische Intellektuelle bereits vor der „Judenzählung" ein desillusioniertes Bild des Deutschen Kaiserreichs gewonnen. Herausragende Denker und politische Funktionsträger, wie Martin Buber oder Walther Rathenau, hatten den Glauben an die Beiehrbarkeit fanatischer Antisemiten verloren und nahmen von ausführlichen Stellungnahmen Abstand, die ihrer Ansicht nach erfolglos sein mußten und eventuell sogar den politischen Gegner begünstigten. Der Zusammenbruch des Kaiserreichs hatte für das deutsche Judentum beängstigende Folgen. Insbesondere stärkte er die antisemitische Bewegung, deren politisches Weltbild von Sündenbock-Motiven, einem schroffen Freund-Feind-Denken sowie einer Ablehnung des „Parteienstaats"

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gekennzeichnet war. Auf jüdischer Seite führte die ideologische Polarisierung zu einer hohen Identifikation mit der Weimarer Republik. Als politische Heimat empfand man vor allem die DDP, wie sich nicht zuletzt am jüdischen Wahlverhalten ablesen läßt. Freilich begünstigte die Abwehr der antisemitischen Invektiven auch eine glorifizierende innerjüdische Erinnerung an den Weltkrieg, die eine nüchterne Betrachtung des jüdischen „Kriegserlebnisses" nachhaltig erschwerte. Die Analyse der „synchronen Faktoren" (Reinhart Koselleck) erbrachte eine Vielzahl divergierender jüdischer Kriegserfahrungen. Der Alltag jüdischer Soldaten war von Belastungen geprägt, die in den zeitgenössisch publizierten Selbstdarstellungen nur selten zum Ausdruck kommen. Jüdische Intellektuelle wurden vor allem in der Grundausbildung zum Objekt von Demütigungen und Schikanen, die sich gegen ihre Herkunft und Bildung richteten. Für gläubige Juden war es nicht einfach, sich koscher zu ernähren, und selbst das Begehen der hohen Feiertage stieß auf Vorbehalte und organisatorische Schwierigkeiten. Bei militärischen Ehrungen und Beförderungen ist die Reserve des antisemitisch gesonnenen Offizierskorps mit Händen zu greifen. Dies führte unter den Betroffenen zu verschiedenen Reaktionen, von denen innere Distanz die häufigste und Überidentifikation mit dem militärischen Wertekodex die auffälligste gewesen sein dürfte. Eine nähere Betrachtung der Feldpostbriefe belegt das hohe Ausmaß des „Erlebnisdrucks", unter den sich jüdische Soldaten gestellt sahen. Dabei sollten die in Zeitungen und einer Vielzahl von Editionen publizierten Dokumente den „Geist der Frontgemeinschaft" und das Ausmaß des jüdischen Patriotismus demonstrieren. Die meisten ungedruckt gebliebenen Schreiben schilderten indes die Belastungen des Alltags und bemühten sich, den Kontakt mit der Heimat nicht abreißen zu lassen. Noch größeren Freiraum für Kritik als die Massenquelle des Feldpostbriefs boten Tagebücher, deren Abfassung die militärische Führung nach Möglichkeit unterband. Gerade in diesen privaten Aufzeichnungen zeigt sich das Ausmaß der deprimierenden Kriegsrealität, die in späteren Überarbeitungen zumeist beträchtlich geschönt wurde. Hingegen scheint das wachsende Gemeinschaftsgefühl unter jüdischen Soldaten, das einen gewissen Schutz gegen antisemitische Übergriffe und Demütigungen versprach, kein nachträgliches Konstrukt zu sein. Der überwältigende Eindruck aus der Lektüre der Tagebücher ist allerdings, daß sich selbst der größte Idealismus unter der zermürbenden Last des Alltags verbrauchte. Die vornehmlich an der „Heimatfront" gepflegte jüdische Kriegsverherrlichung stand im Zeichen deutscher Philosophie. Das liberale Judentum vertraute in der Abwehr „westlichen Denkens" auf die Kantische Pflichtethik. Bis zu einem gewissen Grad geriet man in Tonfall und Geisteshaltung in den Sog der Professorenkriegsliteratur, die Kants angeblichen Nationalismus und Militarismus in den Vordergrund spielte. Freilich gehörten die politisch-philosophischen Vordenker des liberalen Juden-

323 tums, wie Eugen Fuchs, Ludwig Geiger oder Hermann Cohen, samt und sonders der älteren Generation an und sperrten sich gegen eine Verteufelung des ideologischen Gegners. Ihre Weltkriegspublikationen bewahrten eine gewisse Zivilität des Umgangstons, der indes auf das Ausland immer noch schulmeisterlich und anmaßend wirkte, während ihn die heranwachsendejüdische Generation als hausbacken und antiquiert empfand. In jugendbewegten und kulturzionistischen Kreisen schätzte man dezisionistische Denkmuster und eine kulturpessimistisch getönte Rhetorik, die in der Verherrlichung der alten Makkabäertugenden ihren bevorzugten Gegenstand fand. Die bestimmende Figur der Jungzionisten war Martin Buber, der sich in seinen kriegsbejahenden Publikationen für die expressionistische Sprache Nietzsche-Zarathustras entschied. In gewisser Hinsicht maß er dem Krieg sogar Letztwertcharakter zu, weil die Juden seiner Auffassung nach erst im Kampf die Möglichkeit erhielten, ihr eigentliches Wesen zu erkennen. Allerdings sollte man die Reichweite und dauerhafte Wirkung der kriegsverherrlichenden Literatur nicht überschätzen. In den Materialschlachten der Westfront und der tristen Alltagsrealität verflüchtigte sich ihr hochgestimmter Idealismus, und die Eigendynamik der propagandistischen Auseinandersetzungen trug ein übriges zur Entwertung der inflationär gebrauchten Kriegsphraseologie bei. Die Bedeutung, die das deutsche Judentum der Friedensidee zuerkannte, wird in zahlreichen Rabbinerpredigten oder den vielgelesenen Frontberichten Leo Baecks deutlich. Gleichzeitig waren jüdische Intellektuelle in großer Zahl und prononcierter Stellung unter den Pazifisten vertreten. Als prominentester Kriegsgegner reüssierte Albert Einstein, dem sein Weltruhm ein couragiertes Auftreten erleichterte. Zusammen mit Romain Rolland kämpfte er gegen den Fanatismus, der den „Krieg der Geister" allenthalben in Europa charakterisierte, und lehnte jede Überhöhung des Staates kategorisch ab. Neben Einstein gehörten Ernst Bloch, Gustav Landauer und Gershom Scholem zu den engagiertesten jüdischen Kriegskritikern, deren gesellschaftlicher Einfluß allerdings nicht entfernt der Schärfe ihrer politischen Analyse entsprach. Gleichzeitig sollte die schlüsselhafte Bedeutung der Friedensidee für liberaljüdische Intellektuelle nicht marginalisiert werden. Zu erinnern wäre etwa an die von Julius Bab herausgegebenen Gedichtanthologien oder an den überwältigenden Erfolg von Stefan Zweigs Jeremias. Doch belegt das in Zürich uraufgeführte Theaterstück nicht nur die anhaltende Bedeutung universaler Werte im liberalen Judentum, sondern es verdeutlicht auch, daß der Pazifismus einer gewissen Historisierung und Entpolitisierung bedurfte, wenn er für das jüdische Bildungsbürgertum akzeptabel sein sollte. Die vergleichende Analyse der weltanschaulichen Debatten im deutschen Judentum dokumentiert den großen Einfluß nichtjüdischer Intellektueller wie Max Hildebert Boehm, Houston Stewart Chamberlain, Rudolf Eucken, Werner Sombart oder Ernst Troeltsch. Sie teilten die Überzeugung, das wahre historische Subjekt sei nicht das Individuum, sondern die

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Nation, und begrüßten die Aufwertung völkischer Ideen. Unter den Bedingungen eines erbitterten Propagandakrieges wurde Fichte zum Philosophen der Stunde, weil seine Werke eine doppelte Instrumentalisierung gestatteten: offensiv gegen die äußeren Feinde der deutschen Nation sowie integrierend und mobilisierend zur Stärkung der inneren Einheit. Mithin liegen die tieferen Gründe für die Dominanz Fichtescher Theoreme im neoromantischen Diskurs, die Heinz Dieter Kittsteiner für die Weimarer Republik konstatiert, bereits in der Zeit vor 1918.4 Der Erste Weltkrieg wird durch eine Radikalisierung des Antisemitismus charakterisiert, der sich mit den völkischen und nationalistischen Vorstellungen der extremen Rechten amalgamierte. Die Akzeptanz dieser Denkmuster zeigt sich in der Kriegspublizistik Werner Sombarts, der den englischen Hauptfeind mit Mitteln diffamierte, deren kulturkritische Provenienz unbestreitbar und antisemitische Funktionalisierung naheliegend war. Gleichwohl stand der Berliner Nationalökonom und Erfolgsautor nicht im Lager der Antisemiten und hatte auch unter den Zionisten eine beträchtliche Anhängerschar, die sein Lob eines völkisch fundierten Judentums zu schätzen wußte. Die Abwehrliteratur verurteilte hingegen Sombarts nonchalanten Umgang mit fremdenfeindlichen Stereotypen, deren judenfeindlichen Gebrauch man bereits allzu häufig erlebt hatte. Freilich waren die Mittel des „Abwehrvereins", die noch aus der Zeit der Honoratiorenpolitik stammten, schwerlich zur Bekämpfung der antisemitischen Propaganda geeignet. So konnte man mit ironischen Kommentaren und sachlicher Zurechtweisung kaum etwas gegen die Popularität Chamberlains ausrichten, der in seinen auflagenstarken Kriegsschriften mit massenwirksamer Sprache an die „niederen Instinkte" seiner Leser rührte. Seit 1914 standen die meisten Stellungnahmen zum Ostjudentum im Zeichen völkischer Diskussions- und Wahrnehmungsmuster. Im akkulturierten deutschen Judentum überwog eine gönnerhafte Haltung gegenüber den „armen Brüdern aus dem Osten", die man auf einer niedrigeren „Kulturstufe" wähnte. Zugleich überhöhten die Zionisten das Ostjudentum als Hort authentischer jüdischer Kultur, während Liberale und Orthodoxe die Reinheit ostjüdischer Religiosität betonten. Jedoch bestand unter den verschiedenen Fraktionen des deutschen Judentums ein Konsens in der Abwehr der antisemitischen Propaganda, von der man zu Recht annahm, daß sie sich nicht nur gegen den Zuzug osteuropäischer Juden, sondern auch gegen die Errungenschaften der Emanzipation richtete. Eine einheitliche Politik begründete dies freilich nicht. Die Chiffre „Ostjudentum" war Vgl. die anregenden Reflexionen in seinem Essay „Romantisches Denken in der entzauberten Welt" (Gangolf Hübinger (Hg.), Versammlungsort moderner Geister. Der Eugen Diederichs Verlag - Aufbruch ins Jahrhundert der Extreme, München 1996, S. 4 8 6 - 5 0 7 , hier S. 4 9 4 - 4 9 8 ) . Allgemein zum „Problemdruck", der viele Intellektuelle im Ersten Weltkrieg zu Philosophen werden ließ: Flasch, Mobilmachung, S. 373.

325 derartig mit Bedeutung aufgeladen, daß keine jüdische Gruppierung sie der anderen überlassen konnte. Bezeichnenderweise sollte Bubers im April 1916 gegründete Zeitschrift „Der Jude", die binnen kurzem eine Vielzahl prominenter Autoren gewann und in kulturell-politischen Fragen diskussionsbestimmend wurde, ursprünglich „Ostjüdische Revue" heißen. Das Ostjudentum fungierte als erfolgreicher „Gegenentwurf zur assimilierten, bürgerlich deutschjüdischen Lebenswelt" (Inka Bertz), doch blieben die völkischen und neoromantischen Elemente, die diesem Konzept zugrunde lagen, ihrerseits unbefragt. Trotz eifriger Tätigkeit der Zensur stand auch die religiöse Dignität des Judentums im Weltkrieg immer wieder zur Debatte. Insbesondere die Stellungnahmen der protestantischen Universitätstheologie trugen nicht selten einen diskriminierenden Charakter. So enthielt Troeltschs scheinbar nüchterne Analyse des Prophetismus, die in die gereizte Atmosphäre des Jahres 1916 fiel, eine Fülle judenfeindlicher Werturteile. Damit jedoch nicht genug, stellte er mit religionshistorisch fundierten Argumenten den Universalismus der hebräischen Propheten, der für das Weltbild des liberalen Judentums konstitutiv war, prinzipiell in Frage. Die zornigen Erwiderungen Hermann Cohens und Benzion Kellermanns leiteten eine heftige innerjüdische Debatte über das Wesen des Prophetismus ein, die bis Kriegsende andauerte. Bezeichnend für die Vermachtung des „interkonfessionellen Dialogs" blieb es allerdings, daß selbst so aufgeschlossene Vertreter des liberalen Protestantismus wie Adolf von Harnack oder Martin Rade auf die theologisch-weltanschaulichen Positionierungen deutscher Juden nicht reagierten. Von schlüsselhafter Bedeutung für alle Weltkriegsdiskussionen war die Auseinandersetzung über „Deutschtum und Judentum", die mit großer ideologischer Schärfe gefuhrt wurde, standen doch gleichzeitig die gesellschaftliche Rolle und das Selbstverständnis deutscher Juden zur Disposition. Ins Kreuzfeuer der Kritik geriet die Kriegspublizistik Cohens, der nach wie vor für die geschichtsphilosophische Bedeutung der deutschjüdischen Kultursynthese warb. Nach heftigen Invektiven des völkischen Publizisten Max Hildebert Boehm, der Cohen die „erniedrigende Preisgabe der eigenen Wesenheit" vorwarf, trat mit Martin Buber der Vordenker der Jungzionisten auf den Plan. Seine Kritik an Cohens allzu harmonischer Weltsicht überzeugte vor allem die jüngeren Generation, die sich nach neuen Handlungsperspektiven in einer aus der Fugen geratenen Welt sehnte. Freilich verdankte Buber seinen Erfolg nicht nur der Güte seiner Argumente, sondern auch ihrer geschickten Formulierung, welche einen Zugang zur nationalistischen Bildersprache öffnete und zugleich der Ethnisierung der Diskurse im „Großen Krieg" Rechnung trug. Der Umbruchcharakter des Ersten Weltkrieges wird besonders deutlich, wenn man die sich wandelnde Einstellung jüdischer Intellektueller zur Geschichte analysiert. Selbst hochgradig akkulturierte und säkularisierte Juden wie Eduard Bernstein bekundeten unter dem Eindruck der

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europäischen Katastrophe ein vermehrtes Interesse an ihren jüdischen Wurzeln. Sein Plädoyer für die Solidarität aller Juden erfolgte unter Rekurs auf die jüdische Leidensgeschichte, und seinen ethischen Universalismus stellte er in die Tradition des Schema Israel. Sigmund Freud interpretierte den „Großen Krieg" zwar als Einbruch der Barbarei in eine nur vordergründig zivilisierte Welt, maß ihm aber keine philosophische Dignität bei. Dennoch veränderte Freud sein wissenschaftliches Weltbild unter dem Einfluß des Krieges entscheidend. Er nahm den Todestrieb in das Lehrgebäude der Psychoanalyse auf und rückte damit von einer monistischen Erklärung menschlichen Verhaltens ab, die ihm vor 1914 zwingend erschienen war. Weithin wurde der Messianismus, der in mancher Hinsicht vom exzessiven Gebrauch apokalyptischer Visionen in der Weltkriegsliteratur profitierte, als Alternative zu fortschrittsorientierten Geschichtsbildern aufgefaßt. Eine messianische Sprache prägte Gustav Landauers utopischen Sozialismus, der soziale Gerechtigkeit, künstlerische Selbstentfaltung und politische Freiheit auf seine Fahne geschrieben hatte. Deutschlands Niederlage faßte Landauer als notwendige Bedingung für den revolutionären Neubeginn auf, an den er chiliastische Hoffnungen knüpfte. Vielleicht noch weiter in der Ablehnung des bürgerlichen Wertekosmos ging Ernst Bloch, dem die Welt nur noch als ästhetisches Phänomen legitimierbar erschien. Den Krieg interpretierte er als „Katalysator der Moderne", der den Menschen von rationalistischen Illusionen befreie und neue Formen künstlerischen Schaffens ermögliche. Gerade die Konfrontation mit der Erfahrung des Todes verdeutliche, daß die Apokalypse als „Apriori aller Politik und Kultur" betrachtet werden müsse. Hierin spiegelt sich auch der totalitäre Zug des modernen Massenkrieges, der sämtliche Bereiche menschlichen Lebens erfaßte. 5 Zu den schärfsten Kritikern von Blochs wortgewaltiger Apotheose des Künstlers gehörte Gershom Scholem, der herausstellte, wie weit Blochs „System des theoretischen Messianismus" von den traditionellen Formen jüdischer Religiosität entfernt war. In Abgrenzung zu Blochs expressionistischer Aktualisierung des Utopischen ging es Scholem um eine philologisch präzise Beschäftigung mit den überlieferten Quellen, mit deren Hilfe er zum Kern jüdischer Mystik vorzudringen hoffte. Gerade deshalb stand er dem jugendbewegten Erlebniskult im Prager „Bar Kochba" äußerst skeptisch gegenüber und tat ihn als intellektuelle Modeerscheinung ab. Die Annahme, daß die intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte notwendig zu Aporien führe, teilte Scholem mit Benjamin und Kafka. Sie verstanden den Messianismus als Katastrophentheorie, die sich mit keinem kontinuierlichen Zeitverständnis vereinbaren lasse, und Vgl. Peter Krüger, „Der Erste Weltkrieg als Epochenschwelle", in: Hans Maier (Hg.), Wege in die Gewalt. Die modernen politischen Religionen. Mit Beiträgen von Bronislaw Baczko u.a., Frankfurt am Main 2000, S. 7 0 - 9 1 .

327 hielten jede Form von Fortschrittsglauben fiir desavouiert. Den Konstruktcharakter der Historiographie pointierte auch Theodor Lessing, dem die Geschichte nach dem massenhaften Sterben im Krieg als staatlich verordnete „Sinngebung des Sinnlosen" erschien. Auch die Anfange jüdischer Existenzphilosophie illustrieren, mit welcher Rasanz historische Weltdeutungen als Folge des Krieges entwertet wurden. Aufschlußreich ist bereits der Befund, daß sowohl Rosenzweigs Stern der Erlösung als auch Bubers Ich und Du noch unter dem Eindruck der Kriegserfahrungen konzipiert und teilweise niedergeschrieben wurden. Für Rosenzweig bildete die eigene Todesangst den archimedischen Punkt allen Philosophierens, an dem der abendländische Optimismus zerschelle. Seine radikal transzendente Vorstellung von Offenbarung richtete sich gegen den liberaljüdischen Versuch, Religion und Geschichte harmonisch zusammenzudenken. In der Konsequenz führte dies Rosenzweig zu einem ahistorischen Verständnis des Judentums, dessen Zeitlichkeit er durch die ewige Wiederholung des liturgischen Jahres geprägt sah. Bubers Hauptwerk Ich und Du folgte der zeitgenössischen Abwertung erkenntniskritischen Philosophierens, obwohl sein kategoriales Gerüst stark durch Cohens Spätphilosophie geprägt war. Insbesondere Bubers Vorstellung der inneren Verwiesenheit von Gott und Mensch ist ohne das Konzept der Korrelation in Cohens Religion der Vernunft nicht vorstellbar. Daneben bestanden in Stil, Erzählhaltung und Intention starke Bezüge zu Bubers Vorkriegsschrifttum. Verändert hatte sich freilich die „Atmosphäre": die Todesfurcht bildete nunmehr die unhintergehbare Voraussetzung seines Nachdenkens und gab mancher Passage von Ich und Du existentielle Dringlichkeit und düsteren Glanz. Bubers Denken reflektierte damit nicht zuletzt seine Entstehungszeit, die selbst John Maynard Keynes „nach den Sorgen und Leiden" des Krieges eine allgemeine Hoffnungslosigkeit konstatieren ließ.6 Es war allerdings nicht nötig, lange auf die „wahre Stimme des neuen Geschlechts" zu warten, zu deren ,,schweigende[r] Überzeugung" die Ablehnung der pathetischen Kriegsrhetorik gehörte.7 Innerjüdisch ließe sich der Generationswechsel, dem die Entwicklung einer neuen Sachlichkeit korrespondierte, am Beispiel des Breslauer „Blau-Weiß" demonstrieren. Hier arbeiteten Intellektuelle wie Martin Bandmann oder Norbert Elias an einem Verständnis des Judentums, das sich um kulturelle Pluralität und Wissenschaftlichkeit bemühte. Überdies sollte man nicht aus dem Blick verlieren, daß auch Buber und seine prominenten Anhänger wie Hugo Bergmann oder Hans 6

John Maynard Keynes, Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages, 2630. Tausend München u. Leipzig 1921 [zuerst engl. London 1919], S. 243. Zum kulturgeschichtlichen Kontext vgl. Modris Eksteins, „Der große Krieg. Versuch einer Interpretation", in: Rainer Rother (Hg.), Die letzten Tage der Menschheit. Bilder des Ersten Weltkrieges [...], Berlin 1994, S. 13-22, hier S. 17 f.

7

Beide Zitate: Keynes, Folgen, S. 243.

328

Zur Ideologisierung jüdischen Denkens im Ersten Weltkrieg

Kohn politisch durchaus lernfähig waren. Im B'rith Schalom fochten sie seit Mitte der Zwanziger Jahre mit guten Argumenten, aber wenig Erfolg für eine friedliche Form der Koexistenz von Juden und Arabern in Palästina. Fragt man nach den direkten ideologischen Konsequenzen des Weltkrieges für das deutsche Judentum, läßt sich indes kaum bestreiten, daß es zu einer charismatischen Überhöhung des Nationsbegriffs kam. Die Zionisten übernahmen in den zentralen Diskussionsfeldern die Initiative, weil sie es am besten verstanden, das Politische mit religiösen Erwartungen zu füllen, wie dies von den „neuen Sozialingenieuren" (Friedrich Wilhelm Graf) erwartet wurde. Bubers Ethisierung des Nationalismus war der innerjüdisch wichtigste Versuch, dem Weltkrieg einen höheren Sinn abzugewinnen. Seine Folgen blieben jedoch zutiefst ambivalent. Gewiß unterstützte Buber die politische „Bewußtseinswerdung" der jüngeren Generation und schärfte die Augen für die harmonisierende „Lebenslüge" des liberalen Judentums. Doch führten seine Ideen nicht zur ersehnten „Moralisierung der Politik", sondern hatten statt dessen eine „Politisierung der Moral" zur Konsequenz. 8 Er wurde das Opfer einer Dialektik, welche die deutsche Kriegspublizistik allgemein kennzeichnete und insbesondere jene Denker betraf, die im Zuge der allgemeinen FichteRenaissance eine Philosophie des totalen Engagements verkündeten. Politisch mußten sie keineswegs auf Seiten der politischen Rechten stehen, und von Buber geschätzte Autoren wie Rudolf Eucken oder Paul Natorp sympathisierten mit dem Linksliberalismus und befürworteten eine friedliche Reform des Kaiserreichs. Doch auch ihre Deutschtumsmetaphysik führte zu einer Dämonisierung des politischen Gegners, die um so gefahrlicher war, als sie von elaborierten volkspädagogischen Vorstellungen und dem guten Gewissen philosophischer Überzeugungen begleitet wurde. Zugleich ließe sich an ihrer Sprache demonstrieren, daß Religion zum „Gravitationszentrum" 9 der intellektuellen Auseinandersetzungen wurde, wie dies Eugen Diederichs, zu dessen Starautoren Buber gehörte, schon vor 1914 gehofft hatte. Gerade der Ausschließlichkeitsanspruch, mit dem Buber die Vision eines sittlich geläuterten jüdischen Nationalismus vertrat, verhinderte jedoch die breitere Konsensfähigkeit seines Konzepts. Hierzu trug die eigentümliche Mischung aus persönlichem Idealismus und kalkuliertem Interesse bei, die sein politisches Handeln charakterisierte. Zu den wesentlichen Erfolgsbedingungen des Kulturzionismus gehörte, daß er seine weltanschaulichen Wurzeln und seinen Totalitätsanspruch nicht reflektierte. Wie andere Spielarten des Nationalismus war er in einem ideologischen Zeitalter dazu gezwungen, lediglich seine „Lichtseite" zu präsentie-

Dazu erstmals: Lübbe, Philosophie, S. 193. So der treffende Ausdruck bei Graf, „Laboratorium", S. 243.

329 ren. 10 Die Argumente des liberalen Judentums wurden indes von den Kulturzionisten nicht widerlegt, sondern schlicht fiir abgetan erklärt. In diesem Zusammenhang dürfte es wichtig sein, eine anschauliche Vorstellung vom Selbstbild jener um 1890 geborenen Intellektuellen zu gewinnen, die zu den leidenschaftlichen Anhängern einer umfassenden „Jüdischen Renaissance" zählten. Weil ein hohes Maß von Eigendistanz fiir sie selbstverständlich war, entwarfen sie mit Hingabe eine geistige Welt, in der „Authentizität" zentrale Bedeutung besaß. Viele Intellektuelle bevorzugten eine kämpferische Rhetorik, die ihr Selbstverständnis als entschlossene Persönlichkeit zu unterstreichen geeignet war. Gerade in jugendbewegten Kreisen favorisierte man drastische Metaphern. So sprach Robert Weltsch im Herbst 1918 von der unabdingbaren „Anerkennung der jüdischen] Not" und erhoffte sich davon eine „Ausrottung der Deutsch-Juden". 11 Natürlich korrespondierte dieser martialischen Sprache keine dementsprechende Politik, doch belegt sie, wie gängig sozialdarwinistische Metaphern geworden waren. Zu den wenigen Intellektuellen, die für die Abgründe der zionistischen Weltanschauung sensibel waren, gehörte der junge Gershom Scholem. Bereits im Dezember 1915 notierte er lakonisch und voll bitterer Ironie in sein Tagebuch: „Buber will die schlechte Rassentheorie dadurch besser machen, daß er sie durch Rassenmystik ersetzt. Erreicht das Gegenteil." 12 Ideologiehistorischen Unikatcharakter besaß der deutsche Zionismus jedenfalls nicht, dessen argumentatives Arsenal sich aus vielen Quellen speiste. Bevorzugt wurden Ideologeme, die zeitgenössisch generell auf großen Anklang stießen; neben expressionistischen und naturalistischen Bezugnahmen finden sich Ideen neoromantischer und neoidealistischer Provenienz. 13 Gerade wenn man in Rechnung stellt, mit welcher Intensität der Nationalismus in der Lage war, Theorieelemente unterschiedlicher Weltanschauungen zu amalgamieren, wird offenkundig, wie zeitgebunden das zionistische Gedankengebäude war. Im Ersten Weltkrieg erfuhr es keine nachhaltigen Modifikationen, doch gewann es für seine Anhän10

" 12

13

Dies unterschätzt: Mendes-Flohr, Mystik, S. 140 f., sowie ein Großteil der neueren Literatur zum Kulturzionismus. Allgemein weiterführend: Dieter Langewiesche, Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert: Zwischen Partizipation und Aggression, Bonn 1994, dessen wegweisende Skizze sich stark auf die „Schattenseiten" des modernen Nationalismus konzentriert. Schreiben Robert Weltschs an unbekannten Empfänger vom 28. September 1918; LBI N e w York AR 7185, Box 2, Folder 7. Scholem, Tagebücher, S. 213 f., hier S. 213, Eintragung vom 24. Dezember 1915. Die Zionismusforschung hat dies lange Zeit nicht ausreichend berücksichtigt. Vgl. nun allerdings die weitausgreifende Studie von Gideon Shimoni The Zionist Ideology (Hanover u. London 1995), in der es auf S. 5 pointiert heißt: „The more sophisticated and comprehensive the typology o f nationalism one applies, the less unique Zionism appears to be."

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Zur Ideologisierung jüdischen Denkens im Ersten Weltkrieg

ger an existentieller Qualität. Ähnliches gilt auch für das liberale Judentum, das ungeachtet aller politischen Verwerfungen an der bürgerlichen Kultur und am Wert der Bildung festhielt. In einer „Zeit der Ideologien" (Bracher) präsentierte sich jede Weltanschauung, die ernsthaft politischen Erfolg anstrebte, als umfassendes Glaubenssystem. Behält man allerdings vor Augen, in welchem Ausmaß liberales Judentum und Zionismus aus denselben Quellen schöpften, erscheinen ihre ideologischen Auseinandersetzungen nicht mehr ganz so erheblich. Shulamit Volkov liest ihre Geschichte als gemeinsame Arbeit an einer neuen jüdischen Kultur, welche die irreversiblen Folgen der Modernisierung überwinden und traditionsstiftend wirken sollte. Vielleicht ist dies jedoch zu positiv gewendet und vernachlässigt zu sehr die „Janusgesichtigkeit" der Moderne. 14 Die Kulturgeschichte des „kurzen 20. Jahrhunderts" wurde besonders von der Zerstörung lebensweltlicher Zusammenhänge und universalistischer Ideen geprägt. Auch die Vordenker des deutschen Judentums finden in dieser Geschichte ihren Ort.

Statt vieler: Detlev J. K. Peukert, „Das Janusgesicht der Moderne", in: Ders., Max Webers Diagnose der Moderne, Göttingen 1989, S. 55-69; Volkov, „Erfindung", S. 625-628.

Abkürzungen ABG AfK AGB AfS AZJ BLBI BT BWB BZ CEH ChW CV DDP DVS FZ GG GJGB HBGJ HJL HZ IASL IDR IF JCH JGO JJGL JP JR JSS KC KfdO KPD LBI LBIYB LJ MGM MGWJ MVAA NJM NPL OHL PJbb PT SPD TAJB

Archiv für BegrifFsgeschichte Archiv fiir Kulturgeschichte Archiv für Geschichte des Buchwesens Archiv für Sozialgeschichte Allgemeine Zeitung des Judentums Bulletin des Leo Baeck Instituts Berliner Tageblatt Blau-Weiss-Blätter Berliner Zeitung Central European History Die Christliche Welt Centrai verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens Deutsche Demokratische Partei Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Frankfurter Zeitung Geschichte und Gesellschaft Gemeindeblatt der Jüdischen Gemeinde zu Berlin Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte Historische Zeitschrift Internationales Archiv für Sozialgeschichte der Literatur Im deutschen Reich Israelitisches Familienblatt Journal of Contemporary History Jahrbuch für Geschichte Osteuropas Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur Die jüdische Presse Jüdische Rundschau Jewish Social Studies Kartell-Convent Komitee für den Osten Kommunistische Partei Deutschlands Leo Baeck Institut Leo Baeck Institute Year Book Liberales Judentum Militärgeschichtliche Mitteilungen Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus Neue Jüdische Monatshefte Neue Politische Literatur Oberste Heeresleitung Preußische Jahrbücher Prager Tageblatt Sozialdemokratische Partei Deutschlands Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte

332 USPD VAA VDJ ViZG ZfG ZfS ZNThG ZVfD ZRGG

Abkürzungen Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Verein zur Abwehr des Antisemitismus Verband der Deutschen Juden Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift für Soziologie Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte Zionistische Vereinigung für Deutschland Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte

333

Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Ungedruckte Quellen Internationaal Institut voor Sociale Geschiedenis Amsterdam (IISG Amsterdam) IISG Amsterdam, Bernstein

Nachlaß Eduard Bernstein

IISG Amsterdam, Landauer

Nachlaß Gustav Landauer

Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum, Archiv (CJA Berlin) CJA Berlin, Feist

Teilnachlaß Sigmund Feist

CJA Berlin, 75 C Ge 4

Akten der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums

CJA Berlin, 75 C Ve 1

Verband der Deutschen Juden

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Abt. BerlinDahlem (GStA Berlin) GStA Berlin I. HA Rep. 92

Nachlaß Friedrich Meinecke

Politisches Archiv des Auswärtigen Amts Bonn (PA Bonn) PA Bonn WK Nr. 11 adh. 2

Unternehmungen und Aufwiegelungen gegen unsere Feinde durch die Juden

Archiv der deutschen Jugendbewegung Burg Ludwigstein (ADJB Burg Ludwigstein) ADJB Burg Ludwigstein A 140

Jüdische Jugendbewegung, Allgemeines

American Jewish Archives Cincinnati (AJA Cincinnati) AJA Cincinnati

Correspondence File

AJA Cincinnati, Schiff

Jakob H. Schiff Collection

AJA Cincinnati, Warburg

Felix M. Warburg Papers

Institut für Zeitungsforschung Dortmund (IZF Dortmund) IZF Dortmund, Goldstein

Nachlaß Moritz Goldstein

Reed Library Fredonia (RL Fredonia) RL Fredonia, Zweig

Stefan Zweig Papers

334

Quellen- und Literaturverzeichnis

Bundesarchiv - Militärarchiv Freiburg (BAMA Freiburg) BAMA Freiburg MSG 2/2011

Materialsammlung insbesondere über das Schicksal der Juden im Ersten und Zweiten Weltkrieg

BAMA Freiburg MSG 200/703

Gedenkblatt jüdischer Gefangener im Lager Douglas 1917

BAMA Freiburg N 234

Nachlaß Franz von Trotta

BAMA Freiburg N 710

Nachlaß Max von Gallwitz

Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (StUB Göttingen) StUB Göttingen Cod. Ms S. A. Kaehler

Nachlaß Siegfried A. Kaehler

Houghton Library Harvard (HL Harvard) HL Harvard bMS Ger 91

Manuscripts submitted in the Prize Competition „My Life in Germany Before and After January 30, 1933" held in 1940

HL Harvard bMS Ger 91 (28)

Rudolf Bing

HL Harvard bMS Ger 91 (64)

Philipp Flesch

HL Harvard bMS Ger 91 (97)

Max Hirschberg

HL Harvard bMS Ger 91 (145)

Ernst Loewenberg

HL Harvard bMS Ger 91 (151)

Ernst Marcus

HL Harvard bMS Ger 91 (165)

Siegfried Neumann

HL Harvard bMS Ger 91 (182)

Max Reiner

HL Harvard bMS Ger 91 (252)

Egon Zeitlin

HL Harvard bMS Ger 183 (88)

Martin Buber, Letters to Richard Beer-Hofmann

Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB Jena) ThULB Jena, Eucken

Nachlaß Rudolf Eucken

Universitätsarchiv Jena (UA Jena) UA Jena, Boehm

Teilnachlaß Max Hildebert Boehm

The Central Archives for the History of the Jewish People Jerusalem (CAHJP Jerusalem) CAHJP Jerusalem G A I I

Jüdische Gemeinde, Berlin

CAHJP Jerusalem In v. 149

Ausschuß zur Beschaffung jüdischer und hebräischer Literatur für russische Kriegsgefangene, Berlin

CAHJP Jerusalem M 21

Verband der Deutschen Juden, Berlin

335 CAHJP Jerusalem P 2

Privatsammlung Ismar Freund

CAHJP Jerusalem P 2 4

Privatsammlung Arnold Tänzer

CAHJP Jerusalem P 88

Privatsammlung Willy Cohn

The Central Zionist Archives Jerusalem (CZA Jerusalem) CZA Jerusalem A 15

Nachlaß Max Bodenheimer

CZA Jerusalem A 145

Nachlaß Leo Herrmann

CZA Jerusalem A 231

„K.J.V." - Kartell Jüdischer Verbindungen

CZA Jerusalem A 317

Bar-Kochba/Barissia

CZA Jerusalem A 365

Nachlaß Martin Bandmann

The Jewish National and University Library Jerusalem (JNUL Jerusalem) JNUL Jerusalem

Private Archives

JNUL Jerusalem Ms Var. 305

Stefan Zweig Archiv

JNUL Jerusalem Ms Var. 308

Markus Brann Archiv

JNUL Jerusalem Ms Var. 350

Martin Buber Archiv

JNUL Jerusalem Ms Var. 431

William Stern Archiv

JNUL Jerusalem Ms Var. 432

Gustav Landauer Archiv

JNUL Jerusalem, Brod

Schwadron Collection o f Autographs File Max Brod

Leo Baeck Institut Jerusalem (LBI Jerusalem) L B I Jerusalem File 94

Lebenserinnerungen Zeev Wilhelm Cohn

Bundesarchiv Koblenz (BA Koblenz) B A Koblenz N 1048

Nachlaß Walther Rathenau

B A Koblenz N 1207

Nachlaß Theodor Wolff

Deutsches Literaturarchiv Marbach (DLA Marbach) DLA Marbach, Diederichs

Archiv des Eugen Diederichs Verlags

DLA Marbach, Hardt

Nachlaß Ernst Hardt

DLA Marbach, Kessler

Nachlaß Harry Graf Kessler

DLA Marbach, Seidel

Nachlaß Ina Seidel

DLA Marbach, Werfel

Sammlung Franz Werfel

DLA Marbach, Zech

Teilnachlaß Paul Zech

DLA Marbach, Zeit-Echo

Redaktionskorrespondenzen und Manuskripte der Zeitschrift „Zeit-Echo"

Hessisches Staatsarchiv Marburg (StAM) StAM Best. 307a

Universität Marburg Theologische Fakultät

336

Quellen- und Literaturverzeichnis

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BHStA München) Abt. IV MKr 13846

Militärseelsorge im Kriege 1914/5

Leo Baeck Institute New York (LBI New York) LBI New York AR 196

Letters to Julius Bab

LBI New York AR 259

Hans Kohn Collection

LBI New York AR 253

Jakob Wassermann Collection

LBI New York AR 848

Gustav Landauer Collection

LBI New York AR 1735

Ernst Lissauer Collection

LBI New York AR 2078

Wilhelm Buchheim Collection

LBI New York AR 2885-2890

Julius Bab Collection

LBI New York AR 3791

Kurt Zadig Collection

LBI New York AR 4666

Otto Kallir Collection

LBI New York AR 4873

Max Nassauer Collection

LBI New York AR 7030

Pinkus Family Collection

LBI New York AR 7157

Paul Amann Collection

LBI New York AR 7167

Julius and Margarete Goldstein Collection

LBI New York AR 7185

Robert Weltsch Collection

LBI New York AR 7186

Adolf Riesenfeld Collection

LBI New York ME 33

Paul Barnay, Mein Leben

LBI New York ME 55

Arnold Bernstein, My Life

LBI New York ME 63

Hans Block, Slonim 1916/17

LBI New York ME 133

Fritz Frank, Das Stahlbad, Aufzeichnungen eines Arztes

LBI New York ME 163

Julius Fürst, Briefe, Manuskripte etc.

LBI New York ME 203

Sammy Gronemann, Erinnerungen 1875-1918

LBI New York ME 245

Richard Herzstein, War Diaries 1916-1918

LBI New York ME 250

Edwin Halle, Kriegserinnerungen mit Auszügen aus meinem Tagebuch 1914-1916

LBI New York ME 253

Hans Hamburger, Die Familie und das Leben

LBI New York ME 261

Friedrich Bilski, Ein Facit meiner 61 Jahre

LBI New York ME 328

Samuel Jacobs, Gedanken und Erinnerungen aus dem Weltkriege

LBI New York ME 404

Philipp Loewenfeld, Memoiren

LBI New York ME 463

Eugen Netter, Der juedische Frontsoldat. Erinnerungen aus dem 1. Weltkrieg

LBI New York ME 542

Georg Salzberger, Autobiographische Skizze

LBI New York ME 560

Simon Hayum, Autobiographie

LBI New York ME 640

Arnold Tänzer, Kriegserinnerungen

337

Württembergisches Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStA Stuttgart) HStA Stuttgart M 1/3

Kriegsministerium - Zentralabteilung

HStA Stuttgart M 738

Sammlung zur Militärgeschichte

338

Quellen- und Literaturverzeichnis

2. Gedruckte Quellen A

Periodica

Allgemeine Zeitung des Judentums 78 (1914) - 82 (1918). Berliner Tageblatt Jg. 1 9 1 4 - J g . 1918. B lau-Weiss-B lätter 1 ( 1 9 1 3 / 1 4 ) - 4 (1916/17). Die Christliche Welt 28 (1914) - 32 (1918). Im deutschen Reich 20 ( 1 9 1 4 ) - 2 4 (1918). Gemeindeblatt der Jüdischen Gemeinde zu Berlin 4 (1914) - 9 (1919). Der Israelit 55 ( 1 9 1 4 ) - 59 (1918). Israelitisches Familienblatt 16 (1914) - 20 (1918). Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur 17 (1914) - 21 (1918). Jeschurun 1 ( 1 9 1 4 ) - 5 (1918). Der Jude 1 ( 1 9 1 6 / 1 7 ) - 4 (1919/20). Jüdische Jugend 1 (1919). Jüdische Monatshefte für Turnen u[nd] Sport. Erste Kriegsnummer (Dezember 1916) - Fünfte Kriegsnummer (September 1918). Die jüdische Presse 45 (1914) - 47 (1916), 49 (1918). Jüdische Rundschau 19 ( 1 9 1 4 ) - 2 4 (1918). Kant-Studien 18 ( 1 9 1 4 ) - 2 2 (1918). K.C.-Blätter 5 (1914-16) - 8 (1918). Liberales Judentum 6 (1914) - 10 (1918). Logos 1 ( 1 9 1 0 / 1 1 ) - 8 (1919/20). Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus 24 (1914) -28(1918). Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums N.F. 22 (1914) - 27 (1919). Neue Jüdische Monatshefte 1 (1916/17) - 4 (1919). Ost und West 14 ( 1 9 1 4 ) - 18 (1918). Preußische Jahrbücher 160 ( 1 9 1 4 ) - 170 (1919). Selbstwehr 8 ( 1 9 1 4 ) - 12(1918). Der Sozialist 6 ( 1 9 1 4 ) - 7(1915). Wandervogel-Führerzeitung 2 (1914) - 6 (1918).

339

B

Bücher und Artikel1

Abraham, M[ichael], „Um die Ethik unserer Propheten", in: LJ 10 (1918), S. 53-57. Alexander, Kurt, „Deutschland und die Ostjudenfrage", in: IDR 22 (1916), S. 20-26. Allgemeines Deutsches Kommersbuch. 1858 begründet v. Hermann Schauenburg [...], 160. Aufl. Lahr 1990. Auerbach, Elias, „Bibelwissenschaftliche Irrungen", in: JR Nr. 35 vom 31. August 1917, S. 288 ff. - , „Über die Prophetie. Eine Bücherschau", in: NJM 2 (1917/18), S. 5-17. Auerbach, Felix, Die Physik im Kriege, 4. Aufl. Jena 1917 [zuerst ebd. 1915]. Bab, Julius, Gustav Landauer. Gedächtnisrede gehalten in der Volksbühne zu Berlin am 25. Mai 1919, Berlin 1919. - , Menschenstimme. Gedichte aus der Kriegszeit 1914-1918, Stettin 1920. Baeck, Leo, Das Wesen des Judentums, Berlin 1905; 2. neu bearb. Aufl. Frankfurt am Main 1922. - , „Berichte des Feldgeistlichen Rabbiner Dr. Baeck an den Vorstand der jüdischen Gemeinde", in: GJGB 4 (1914) - 8 (1918). - , „Du sollst! Zum Feste der Offenbarung", in: IF Nr. 20 vom 18. Mai 1915, S. 1 f. - , „Lebensgrund und Lebensgehalt", in: Ders., Wege im Judentum. Aufsätze und Reden, Berlin 1933, S. 134-150 [zuerst Der Jude, 2 (1917/18), S. 78-86], - , „Die .Umkehr zum Judentum'", in: JP 49 (1918), S. 386-389. - , „Heimgegangene des Krieges. Über den preußischen Staat", in: Ders., Wege im Judentum. Aufsätze und Reden, Berlin 1933, S. 382-400 [zuerst 1919], - , Wege im Judentum. Aufsätze und Reden, Berlin 1933. Bauch, Bruno, „Vom Begriff der Nation. (Ein Kapitel zur Geschichtsphilosophie.) Vortrag gehalten in der Staatswissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena", in: KantStudien 21 (1917), S. 139-162. - , „Mein Rücktritt von den ,Kant-Studien'. Eine Antwort auf viele Fragen", in: Der Panther 5 (1917), S. 148-154. Baum, Josef, „Die jüdischen Akademiker als Soldaten", in: IF Nr. 29 vom 20. Juli 1916, S. 1 f. Baumert, Paul, „Schalom", in: Wandervogel-Führerzeitung 4 (1916), S. 116 f. Becker, Hermann, „Was lehrt der Weltkrieg?", in: IF Nr. 4 vom 28. Januar 1915, S. 1 f. Beermann, Max, „Krieg und Judentum", in: IF Nr. 50 vom 10. Dezember 1914, S. 9. - , „Unsere Propheten und der Völkerbund", in: IDR 24 (1918), S. 449 ff. Beckmann, Max, Briefe im Kriege. Gesammelt von Minna Tube. Mit 32 Zeichnungen des Künstlers, München 1984 [zuerst Berlin 1916]. Behrend, Walter, „Die Philosophie der Gottbeschwörung", in: Saturn 5 (1919), S. 411—421. Belke, Ingrid (Hg.), Moritz Lazarus und Heymann Steinthal. Die Begründer der Völkerpsychologie in ihren Briefen, 2 Bde., Tübingen 1971 u. 1983/86 (Schriftenreihe LBI 21, 40 u. 44). Ben-Jakob, Isaak, „Der Jude", in: JP 47 (1916), S. 258 ff.

Lediglich kursorisch erwähnte oder anonyme Zeitungsartikel wurden nicht eigens verzeichnet.

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Personenregister Ahlwardt, Hermann 29 Akiba, Rabbi 227 Alexander, Kurt 202 Amann, Paul 116,171 Andreas-Salomé, Lou 265 Arndt, Ernst Moritz 281 f. Ascher, Saul 23 Auerbach, Elias 180,228 Auerbach, Felix 166 Bab, Julius 57, 66, 78 f., 97, 102, 145, 163, 165 f., 168, 192, 2 5 4 , 3 1 9 Bacher, Wilhelm 228 Badt, Hermann 246 Baeck, Leo 20, 36, 130 f., 153 f., 259, 270-273, 323 Baerwald, Hermann 121 Ballin, Albert 25, 75, 96 Bandmann, Martin 316 f., 327 Bärenstein, G. H. 278 Barnay, Paul 117 Bartels, Adolf 179 Barth, Karl 297 Bauch, Bruno 192 f., 252, 269 Baum, Josef 88 Baumann, Ernst 98 Baumert, Paul 191 Bebel, August 196 Becker, Hermann 87 Becker, Jean-Jacques 54 Beckmann, Max 125 Beer-Hofmann, Richard 45, 239 Beermann, Max 102, 138 Beethoven, Ludwig van 71 Behrend, Walter 287 Ben-Jakob, Isaak 240 Benjamin, Walter 156 f., 279, 2 8 9 292, 295, 326 Berger, Julius 212 Bergmann, Else 143 Bergmann, Hugo 46, 48, 140 f., 143, 249 f., 238, 304, 312 f., 327 Bergson, Henri 47, 71, 86, 214 f.

Berney, Arnold 128 Bernfeld, Siegfried 289 Bernstein, Arnold 115 Bernstein, Eduard 87, 260-263, 324 Bertz, Inka 10,324 Bethmann Hollweg, Theobald von 73 f., 97, 230 Bilski, Friedrich 67 Binswangen Otto 56, 132 Birnbaum, Nathan 47 Birt, Theodor 72 Bismarck, Otto von 235 Blau, Armin 315 Blei, Franz 210 Bloch, Ernst 59 f., 155, 258, 279, 283-288, 2 9 1 , 3 2 3 , 3 2 6 Bloch, Marc 1 , 1 2 3 , 2 5 9 Block, Hans 199 Blum, Edgar 292 f. Blumenfeld, Kurt 39, 42, 188, 238, 250 Blumenthal, Herbert 291 Böckel, Otto 28 f. Bodenheimer, Max 39, 198, 242 Boehm, Max Hildebert 173,189, 237 f., 248 f., 251 f., 323 f. Bonus, Arthur 43 Borel, Henri 58 Bourdieu, Pierre 33 Bracher, Karl-Dietrich 330 Brandes, Georg 69 Brann, Markus 166,237 Brauer, Heinrich 157 Braun, Heinrich 134, 157 Braun, Lily 134 Braun, Otto 134 Brehmer, Fritz 75 Brenner, David 10 Brenner, Michael 10,319 Breuer, Isaac 167, 235 f., 277 Brieger, Theodor 219

382

Personenregister

Brod, Max 4 6 f., 115, 140, 167, 228, 243 f., 2 4 9 , 3 1 2 - 3 1 7

Dumont-Lindemann, Louise 193 Ebert, Friedrich 106

Bröger, Karl 78

Eckstein, Adolf 90, 276

Buber, Martin 1 5 , 2 0 , 4 0 - 5 0 , 57 f.,

Edschmidt, Kasimir 215

67, 76, 94 f., 106, 1 3 9 - 1 4 9 , 156 ff.,

Ehrenberg, Rudolf 98, 299 ff.

163 f., 171 ff., 193, 203 f., 2 1 0 -

Ehrenfels, Paul 59

213, 216, 228, 239, 2 4 1 - 2 4 7 , 2 5 0 -

Ehrlich, Paul 71

254, 258 f., 263, 270, 273, 285,

Einstein, Albert 59 f., 160 ff., 314,

292 f., 298, 3 0 3 - 3 1 4 , 316 f , 321, 323 f., 326, 328 f.

323 Eisner, Hugo 105

Bubnoff, Nicolai von 275

Eisner, Kurt 103, 107, 263

Buchheini, Wilhelm 117

Eitington, Max 264

Bultmann, Rudolf 297

Elias, Norbert 3 1 6 , 3 2 7

Burchardt, Escha 2 9 4

Epstein, Jacob 93

Bürger, Curt 103

Erlbaum, Hans 131

Calvary, Moses 57, 243

Eucken, Rudolf 43 f., 50, 126, 143,

Carlebach, Salomon 137

178 f., 1 9 2 , 2 1 2 , 2 1 5 , 252, 281,

Cassel, Oscar 92

323, 328

Cassirer, Ernst 17, 94, 115, 179, 192, 226, 252, 267 ff.

Falkenhayn, Erich von 90 Feilchenfeld, Adam 81

Cassirer, Toni 115

Feist, Sigmund 122

Chamberlain, Houston Stewart 173 f.,

Feiwel, Berthold 41, 240

179, 1 8 3 - 1 8 7 , 323 f. Cohen, Hermann 20, 36 f., 65, 71, 93 f , 99, 126, 136 f., 151, 160, 173, 192, 203 f., 218 f., 222 ff., 226 f , 2 3 4 - 2 3 7 , 2 4 1 - 2 4 8 , 251, 255, 2 6 9 273, 288 f., 293, 301 f., 310, 323 f., 326

Feuchtwanger, Lion 278 Fichte, Johann Gottlieb 46 f., 49, 164, 192, 234 f., 238, 250, 275, 281 f., 296, 324 Fidus (eigentl. Hugo Höppner) 4 0 Fischer, Samuel 3 2 0 Fleischlein, Cäsar 128

Cohn, Emil 78

Flesch, Philipp 100

Cohn, Jonas 266 Cohn, Willy 97, 123-127, 130 Cohn, Zeev Wilhelm 64 Comte, Auguste 159 Darwin, Charles 296 Dehmel, Richard

Feuchtwanger, Fritz 283

170,212

Deissmann, Adolf 212 Delitzsch, Franz 2 1 9 Diederichs, Eugen 43 ff., 183, 328

Foerster, Friedrich Wilhelm 161, 182 Fontane, Theodor 4 0 Fraenkel, Abraham 218 Frank, Fritz 100 Frank, Ludwig 59 Freud, Sigmund 45, 190, 259, 2 6 4 267, 326 Freund, Ismar 209

Dilthey, Wilhelm 4 0 , 2 2 1 , 2 7 0

Fried, Alfred Hermann 1 6 0 , 1 7 0

Dostojewski, Fjodor Michailowitsch

Friedeberg, Meyer 132

194, 290 f.

Friedlander, Albert 272

Drews, Arthur 43, 50

Friedrich II., König von Preußen 82

Dreyfus, Alfred 25

Fritsch, Theodor

Dubnow, Simon 64, 197

Fritz, Georg 200 ff.

108,175,179,220

383 Fuchs, Eugen 99, 139, 197, 234, 241,

Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 98, 268, 296, 298, 300 f., 303

245, 260, 323 Fulda, Ludwig 71

Heidegger, Martin 297, 301

Fürst, Julius 189 ff.

Heinemann, Isaak 101

Fürth, Henriette 95

Heinle, Friedrich 289 f.

Gallwitz, Max von 128

Herder, Johann Gottfried 4 7 , 1 4 8

Geertz, Clifford 17

Herlitz, Georg 76

Geiger, Ludwig 70, 72, 84, 99, 136,

Hermann, Georg 31 Herrmann, Leo 4 6 f., 143, 167,

189, 244, 323

187 ff., 203 f., 2 1 1 , 2 3 8 , 2 4 0 , 3 1 5

Georg, Manfred 3 1 6 George, Stefan

133,281

Herrmann, Wilhelm 218 f.

Gerlach, Dankwart 191

Herzfelde, Wieland 104

Goethe, Johann Wolfgang von 33, 46,

Herzl, Theodor 3 9 , 1 1 6

71, 103, 148, 184, 235

Herzstein, Richard 150

Gogarten, Friedrich 2 7 3 , 3 1 0

Hesse, Agnes 206

Goldmann, Felix 202, 208 ff.

Hessen, Sergius 275

Goldmann, Nachum

Heymann, Walter 119

137,250

Goldstein, Julius 117

Hildesheimer, Esriel 34

Goldstein, Margarete 117

Hiller, Kurt 104

Goldstein, Moritz 47, 149, 184, 253

Hindenburg, Paul von 73, 84

Gombrich, Ernst 14

Hirsch, Erika 55

Görres, Joseph 148

Hirschberg, Alfred 116

Gothein, Georg 3 1 , 5 1 , 9 1 f.

Hirschberg, Max 100, 128

Graf, Friedrich Wilhelm 328

Hirschfeld, Fritz 77

Gräff, Otger 176

Hirschfeld, Magnus 40, 178

Gronemann, Sammy 68, 85, 116, 196,

Hirschfeld, Max 240

213 Güdemann, Moritz 202 f., 228 Gundolf, Friedrich 33 Haam, Achad (eigentl. Ascher Ginzberg) 49 f. Haber, Fritz 68, 71, 86, 162 Habermas, Jürgen 14 Hackeschmidt, Jörg 10 Haeckel, Ernst 44, 159

Hitler, Adolf 85 Hoffmann, Christhard

11,320

Hofmannsthal, Hugo von 45 Hohenborn, Adolf Wild von 90 Hölderlin, Friedrich 134, 268, 308 Holländer, Ludwig 65, 208 Hölscher, Lucian 9 Holz, Julius 119 Homer 82

Hamburger, Ernest 68

Horaz 126

Hamburger, Hans 76

Horwitz, Maximilian 197, 234, 245

Harden, Maximilian 99

Humboldt, Wilhelm von 37

Hardt, Ernst 172

Husserl, Edmund 68

Harnack, Adolf von (seit 1914) 35 f., 40, 230, 324 Hart, Julius 40

Ibsen, Henrik 214 Jacobs, Samuel 63, 131 Jacobsohn, Moses 112

Hauptmann, Gerhart 67, 82, 249

Jacobsohn, Siegfried 58 f.

Hayum, Simon 76

Jampel, Sigmund 229

384

Personenregister

Jeremias 102, 1 6 9 , 2 6 4

Lagarde, Paul de 43, 47, 49, 183

Jesus

Lassalle, Ferdinand 235

162,220

Johnson, Samuel 87

Landauer, Gustav 40, 47 f., 58, 74, 86,

Joseph 139

104 ff., 1 4 5 - 1 4 9 , 163 f., 1 7 3 , 2 1 2 ,

Kaehler, Siegfried August 98

263, 281 ff., 287 f., 304, 323, 326

Kafka, Franz 38, 67, 279, 294, 326

Landauer, Hugo 74

Kahler, Erich von 133

Landescos, Alex 198

Kallir, Otto 1 2 3 , 2 0 7

Langbehn, Julius 4 7 , 4 9 , 183

Kant, Immanuel 33, 36 f., 71, 136 f.,

Lasker, Emanuel 78

144, 184, 192, 227, 235, 267 f., 322 Kaplun-Kogan, Wladimir 198, 242

Lasker-Schüler, Else 40 Laufer, Max 89

Kaufmann, Felix 113

Lazarus, Arnold 138 f.

Kayser, Rudolf 249

Lazarus, Moritz 35 f., 228

Kaznelson, Siegmund 279 f.

Lehmann, Joseph 69, 185 f.

Kellermann, Benzion 224 ff., 229, 246, 324 Kepler, Johannes 314 Kerr, Alfred 98 Kessler, Harry Graf von 99, 104 Keynes, John Maynard 327 Kierkegaard, Sören 43, 298, 300, 312 Kippenberg, Anton 67, 69, 103 Kisch, Egon Erwin 68, 115 f., 124 Kittel, Rudolf 220 Kittsteiner, Heinz Dieter 324 Klatzkin, Jakob 247 Kleist, Heinrich von 216 f. Klemperer, Georg 115 Klemperer, Victor 64, 70 f., 80, 101, 115, 125, 128, 150, 201 f., 205 Kobell, Franz von 77 Koch-Weser, Erich 88 Kohn, Hans 46 ff., 50, 57 f., 66, 107, 141, 213 f., 244, 279, 304, 327 f. König, Eduard 139 Koselleck, Reinhart 322 Kraft, Joseph 121 Kraft, Werner 289 Krauss, Alfred 141 Krauss, Samuel 277 Kroner, Richard 275 Kronheim, Hermann 236 Kuzmics, Helmut 13 Laband, Paul 71 Lachmann, Hedwig 147

Lenger, Friedrich 21 Lersch, Heinrich 78 Lessing, Gotthold Ephraim 33, 96 Lessing, Theodor 160, 295 f., 326 Levi, Sali 208 Levy, Harry 1 1 2 , 2 4 0 Lewin, Kurt 111 Lewin, Reinhold 110 Lewinsohn, Richard 234 Lewkowitz, Julius 230 Liebenfels, Jörg Lanz von 191 Liebermann, Max 31, 33, 40, 71 Lilien, Ephraim Moses 41 Liliencron, Detlev von 126 Lilienthal, Carl von 161 Lissauer, Ernst 8 1 - 8 5 , 186, 261 Loewe, Heinrich 63 f. Loewenberg, Ernst 114 f., 117 Loewenfeld, Philipp 66, 84 Lotze, Hermann 86 Löwith, Karl 116 Ludendorff, Erich 73, 129 Lueger, Karl 45 Lukâcs, Georg 283 Luther, Martin 3 6 , 2 2 1 , 2 7 1 Lyotard, François 21 Magnes, Judah L. 64, 207 Maimonides 36 Marcus, Ernst 67 Margulies, Heinrich Marx, Julius 88, 90

138,156,246

385 Maurer, Trade 10 Mauthner, Fritz 71, 86, 105, 155, 163 Mayer, Fritz 120 Mehler, Richard 55 Mehlis, Georg 275 Meinecke, Friedrich 98, 222, 239 Meinhold, Johannes 221 Meister Eckhart 307 Mendelssohn, Familie 25 Mendelssohn, Moses 23, 34 Meyer, Michael A. 274 Meyer-Benfey, Heinrich 82 Meyrink, Gustav 215 Mommsen, Theodor 37 f., 40 Moses 138 Mosse, Familie 25 Mosse, George 11, 127, 193, 257 Motzkin, Leo 42 Mühsam, Erich 40, 103 Müller, Ernst 171 Münsterberg, Hugo 66 Münsterberg, Witwe 66 Nassauer, Max 76 Nathan, Paul 2 0 2 , 2 3 5 Natorp, Paul 71, 93, 99, 178, 310, 328 Netter, Eugen 89 Neumann, Siegfried 200 Nicolai, Georg Friedrich 159 Nietzsche, Friedrich 3 7 , 4 0 f., 47, 49, 86, 125, 132-136, 164, 183, 192, 214 f., 237, 257, 281, 289, 301, 323 Nikolaus II., Zar von Rußland 25, 77 f., 138, 196 Nobel, Nehemia Anton 57, 139,244, 288 Nordau, Max 40, 159 f., 254 Novalis (eigentl. Friedrich Leopold Freiherr von Hardenberg) 148 Oppenheim, Gertrud 313 Oppenheimer, Franz 95 f., 198, 241 Ostwald, Wilhelm 281 Paquet, Alfons 212 Pascha, Kemal 75 Pasternak, Leonid 41

Perles, Rosalie 197 Philippson, Martin 189 Picht, Clemens 10 f. Pindar 82 Pinkus, Max 166 Plato, Hirsch 218 f. Piaton 268, 301 Plessner, Adolf 121 Pound, Ezra 58 Preuß, Hugo 102 Prühli, Ernst 113 f. Pulzer, Peter 55,321 Rabbi Löw 314 f., 317 Rade, Martin 161, 182, 219, 230, 237, 324 Rang, Florens Christian 58 Rappeport, Elijyahu 57, 305 Rathenau, Walther 25, 42, 58, 66, 73, 75, 93, 96, 99, 154 f., 176, 278, 321 Raulff, Ulrich 21 Reichmann, Eva 10 Reiner, Max 174 Reinhart, Max 71 Rickert, Heinrich 222 Rieger, Paul 276 Riesenfeld, Adolf 69 Riesser, Gabriel 23,241 Rohlffs, Ernst 238 Rohling, August 28 Rolland, Romain 58, 133, 150, 154 f., 160 f., 168, 171,264, 295 Rosenblüth, Martin 135 Rosenstock-Huessy, Eugen 73, 299 Rosenthal, Arthur 236 Rosenzweig, Familie 38 Rosenzweig, Franz 2 0 , 3 8 f., 73 f., 91, 9 3 , 9 7 f., 116, 151 f., 166, 204, 206, 240 ff, 255, 258 f., 293 ff., 2 9 8 3 0 6 , 3 1 0 , 3 1 3 , 3 1 7 , 326 Roth, Joseph 12 f. Rothschild, Familie 25 Rothschild, David 87 Rudolf II., römisch-deutscher Kaiser 313

386 Salomonski, Martin 128 f., 137,154 Salzberger, Georg 90,114, 130, 176 f., 179, 278 Samuel, Salomon 1 0 4 , 1 3 8 , 2 2 7 Schach, Fabius 176 Schatzker, Chaim 205 f. Scheler, Max 137, 143 f., 178, 228 Schelling, Friedrich Wilhelm 298,301 Scherek, Jakob 101 Schiff, Jakob H. 75, 152, 198 Schiller, Friedrich von 33, 46, 179, 276 Schlaikjers, Erich 182 Schmoller, Gustav von 93 f., 245 Schnitzler, Arthur 45, 58, 170 Scholem, Arthur 38 Scholem, Gershom 38 f., 59 f., 148, 156-159, 204, 238, 279, 288 f., 291-295, 323, 326, 329 Scholem, Werner 59,158, 292 Schopenhauer, Arthur 86, 214 Schöttler, Generalsuperintendent 62 f. Schrempf, Christoph 300 Schüler-Springorum, Stefanie 55 Schulz, Pfarrer 63 Schwadron, Abraham 168 Schwaner, Wilhelm 176 Schweitzer, Ernst Emil 244 Segel, Binjamin 77, 84, 133, 166 Seidel, Ida 84 Seligkowitz, Benzian 276 Seligmann, Cäsar 244, 269 f. Seligson, Friederike 289 Sender, Gottfried 119,121 Seneca 163 Simmel, Georg 195, 222, 280 f., 284 f. Singer, Kurt 57 Sombart, Werner 21, 143, 173, 177185, 201, 224 f., 232, 323 f. Sommer, Helene 255 Sonnemann, Familie 25 Sontheimer, Josef 103 Spengler, Oswald 98 Spirk, Gertrud 165,244

Personenregister Stehr, Hermann 141 f. Stehr, Wilhelm 141 Steppuhn, Friedrich 275 Stern, Julius 33 Stern, William 250 Stoecker, Adolf 2 8 , 2 0 1 Strauß, Franz Joseph 119 Strauß, Ludwig 289 Stritzky, Else von 286 Struck, Hermann 215 Susman, Margarete 97, 104,287 Tagore, Rabindranath 58 Tannenbaum, Eugen 76, 118, 141, 205 Tänzer, Arnold 113 f., 131, 197 Theilhaber, Felix 24, 89, 187, 211, 213 Tillich, Ernst 273 Timmendorfer, Berthold 198 Tolstoi, Lew Nikolajewitsch 43, 198, 282 Tönnies, Ferdinand 142 Traub, Gottfried 221 Treitschke, Heinrich von 28, 37, 296 Troeltsch, Ernst 173,221-232,237, 323 f. Trotta, Franz von 199 Tuchmann, Barbara 13 Ullrich, Volker 55 Ullstein, Familie 25 Ury, Lesser 41 Vaihinger, Hans 192 van Eeden, Frederik 58, 85, 146 f., 154 f. Varnhagen, Rahel 33 Verhaeren, Emile 69 Vogelstein, Hermann 63, 177 Vogelstein, Julie 134 Volkov, Shulamit 10, 14, 18, 45, 330 Wagner, Richard 183 Waitzmann, Chaim 42 Walser, Robert 249 Warburg, Familie 25 Warburg, Felix 207 Warburg, Max 75, 93, 152, 202

387 Wassermann, Jakob 47, 85 f., 174 f., 194, 258, 320 Weber, Alfred 183 Weber, Helene 285 Weber, Marianne 285 Weber, Max 17, 179, 188, 212, 221 f., 224 f., 227, 229 f., 232 Wedekind, Frank 82 Wehler, Hans-Ulrich 32 Wellhausen, Julius 221 Weltsch, Felix 46 Weltsch, Robert 46, 106, 141, 211, 213, 227, 244, 246, 251, 305 f., 329 Werfel, Franz 115, 165, 243 f. Werner, Cossmann 276 Wertheimer, Max 99 Wiener, Max 229 Wiese, Leopold von 212 Wilhelm II., Deutscher Kaiser und König von Preußen 63, 98, 100, 117, 138, 166, 169, 183 ff. Willstätter, Richard 71 Wilson, Thomas Woodrow 101, 287 Winter, Jay 257 Winz, Leo 41 Witkop, Philipp 120 Witkowsky, Gustav 202, 244 ff., 228 f. Wohlgemuth, Joseph 57, 72, 101, 113 Wohlgemuth, Paul 122 Wolff, Theodor 83,96, 102, 123, 152, 186, 196,319 Wolffson, David 39 Wolfskehl, Karl 76, 133 Wolfthorn, Julie 106 Woll, Adolf 206 Wundt, Max 193 Wyneken, Gustav 39, 290 Yerushalmi, Yosef H. 18 Zadig, Kurt 88 Zarathustra 41, 136 Zech, Paul 171 Zechlin, Egmont 10 Zeitlin, Egon 76

Ziegel, Robert 120 Ziegler, Leopold 278 Ziemann, Benjamin 117 f. Zola, Emile 154 Zuckermann, Hugo 79 ff. Zweig, Arnold 47, 206, 215, 239 f., 249 Zweig, Stefan 45, 67, 69, 85, 94-97, 102 f., 115, 123, 150 f., 154, 167173, 252 ff., 263, 295,314, 323

Orts- und Sachregister Abendland 1 4 8 , 2 2 8 , 2 6 8 Abwehrliteratur 176, 185 f., 324 Abwehrverein (s. Verein zur Abwehr des Antisemitismus) Agudas Jisroel 167 Ägypten 262 Akkulturation 25, 27 f., 3 4 - 3 7 , 4 5 , 4 9 , 81,85, 100, 112, 190, 216 f., 319, 324

Araber 328 Arbeiterbewegung 54, 158 Arier, arisch 200, 220, 249 Armee, bayerische 113 Armee, Österreich-ungarische 30 Armee, preußische 88 ff., 114 f. Armeerabbinat 113 f., 126 Armeezeitung 115,127 Asien 200

Alldeutscher Verband 75, 83, 200, 204 Allgemeine Relativitätstheorie 162 Allgemeine Zeitung des Judentums 72, 125, 130, 226, 236 Alliierte 77, 83, 96, 101 f., 105, 136 Also sprach Zarathustra (Nietzsche)

Assimilation 24,61, 112, 142 f., 188 f., 195, 207, 2 0 9 , 2 1 5 , 2 3 5 , 239 f., 245, 252 Assimilationsideologie 184, 188 Assyrien 138 Assyriologie 220 Atheismus 1 1 , 2 8 5 , 3 0 8 Atlantikkabel 70 Aufklärung 33, 238 Aufruf „An die Europäer!" 161 Aufruf „An die Kulturwelt!" 70,161 August 1914, „Augusterlebnis" 5 1 55, 64, 66 ff., 82, 168 f., 174, 233, 319 f.

125, 134, 136 Altes Testament 135, 219 f. Amerika 65, 75, 92, 97, 198,207, 287 Amur 213 Anarchismus 47, 86, 156 Annales-Schule 18 Anthropologie 18,79 Antisemitenpetition 28 Antisemitismus (s. auch Erlösungsantisemitismus) 28, 45, 72, 74, 77, 88, 90, 92-95, 98, 103, 106 f f , 110, 114, 116 f., 120, 132, 139, 167, 172, 174-177, 179 ff., 183, 185190, 192-197, 200-204, 208, 210, 2 1 6 - 2 2 0 , 2 2 8 , 231,233, 245, 247 f., 251 f., 264, 269, 320 ff., 324 Antisemitismus, politischer 28 f., 174, 201 Antisemitismus, rassischer 184,201 Antisemitismus, völkischer 179, 181, 187, 233, 247 Antiuniversalismus 231 Antizionismus 244 Antwerpen 70 Apokalypse 142, 144, 275 f., 279 ff., 283 f., 286, 294, 296 f., 326

Aus nachgelassenen Schriften eines Frühvollendeten (Otto Braun) 134 Ausnahmegesetze 202 Auswärtiges Amt, deutsches 65, 107, 202, 205 B'nai B'rith 198,236 B'rith Schalom 328 Babylon 208 Balfour-Erklärung 76, 106, 252, 321 Balkanfront 1 1 6 , 2 5 8 , 2 9 9 Baltentum 251 Bar Kochba 4 6 - 5 0 , 5 7 , 140 f., 187, 211,214, 238, 243 f., 249, 288, 293, 3 0 4 , 3 1 6 , 3 2 6 Baseler Kongreß 39 Bayern 105 Bayreuth 150 Bayreuther Kreis 185 Belagerungszustandsgesetz 151

390 Belgien 69 f., 147, 178 Belgrad 80 Berlin 16, 36 f., 39,44, 54, 58, 71, 75, 81,83, 104, 113 ff., 131, 159, 180, 182, 191, 198, 221 f., 224, 230, 234, 266, 290, 324 Berliner Akademie 162 Berliner Antisemitismusstreit 28, 37 Berliner jüdische Gemeinde 114, 131, 153 Berliner Lehranstalt (Hochschule) für die Wissenschaft des Judentums 34, 114, 271 Berliner Religionswissenschaftliche Vereinigung 222 Berliner Sezession 33 Berliner Tageblatt 74, 83, 86 f., 177 Berliner Zeitung 82 Bialystock 206 Bibel 82, 125, 134, 139 Bibel, hebräische 140,220,277 Bibel-Babel-Streit 219 f. Bibel Wissenschaft 221 Bielefelder Schule 18 Bildung 2 7 , 3 2 , 5 4 , 5 6 , 2 1 5 Bildungsbürgertum, deutsches 32, 41, 44, 69 Bildungsbürgertum, französisches 32 Bildungsbürgertum, jüdisches 24, 35, 67, 83, 97, 107, 124, 126, 134 Bill of Rights 267 Biologie der Ethik (Nordau) 159 Blau-Weiß, jüdischer Wanderbund 39, 61, 157, 191,214,316, 327 Blau-Weiß-Blätter 157, 171 Blockade, englische 169 Blutzoll jüdischer 86 f., 119 Bonn 78, 139,221 Bozen 100 Breslau 97, 125, 166, 208, 244, 250, 316, 327 Brest-Litowsk, Frieden von 75 Briefe 20, 131, 140,320 Buddenbrooks (Thomas Mann) Buddhismus 106,214

Orts- und Sachregister Bulletin Juif 247 Bund der Landwirte 29 Bund Neues Vaterland 161 f. Bürgerkrieg 99 Bürgertum, deutsches 19,33 Bürgertumjüdisches 23 ff., 38, 93, 98, 195, 204, 231,274,313 „Burgfrieden" 63, 89, 92 f., 118, 120, 132, 152, 167, 175 f., 183, 202, 220, 321 „Burgfrieden", innerjüdischer 173 „Burgfriedensrede" 63 Büro für Statistik der Juden 93 Calvinismus 271 Centraiverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens 31, 61, 65, 91, 183, 197, 208, 231, 234, 244 f., 260 Champagne 128 Chanukka 120, 135 Chassidismus 212 Chassidische Geschichten (Buber) 141 f. Chauvinismus 187,243,262 Cheder 209 Chicago 287 China 230 Christentum 38, 105 Christentum, völkisches 220, 300 Christlichsoziale Partei 44 Compiègne 101 Dahlem 162 Darmstadt 117 Das Ethos der hebräischen Propheten (Troeltsch) 222 ff. Das Ostjüdische Antlitz ('Arnold Zweig) 215 Das Wesen des Christentums (Harnack) 35 f. Das Wesen des Judentums (Baeck) 36, 230, 272 Demobilisierung 107 Demokratie 223, 269 Denken, dialogisches 305 Denken, teleologisches 296

391 Der Geist des Orients und das Judentum (Buber) 216 Der Hammer 237 Der Idiot (Dostojewski) 290 f. Der Jude 94, 107, 144, 148,157, 171, 203, 207,211 f., 216, 239, 241, 245 ff., 251 f., 263, 270, 325 Der Jüdische Wille 228 „Der neue Mensch" 44, 280 Der Panther 192 Der Sozialist 281 Der Stern der Erlösung (Rosenzweig) 116, 258, 298 f., 304,312, 327 Der Untergang des Abendlandes (Spengler) 98 Determinismus 307 Deuteronomium 225 Deutsche Erneuerungsgemeinde 107 f. Deutsche Israelitische Zeitung 103 Deutsche Philosophische Gesellschaft 193 Deutsche Tageszeitung 228 Deutsche Vereinigung filr die Interessen der osteuropäischen Juden 202 Deutscher Sonderweg 32 Deutsches Kaiserreich 95, 97 f., 101, 110,212,319 Deutsches Komitee zur Befreiung der russischen Juden 197 Deutschland 19, 73, 84, 106 f., 136, 146, 149, 151 f., 156, 162, 177, 181, 196, 208,218, 280, 282 Deutschnationaler HandlungsgehilfenVerband 29, 179 Deutschtum 98, 138, 147 Deutschtum im Osten 198,209 Deutschtumsmetaphysik 178, 254, 328 Dezisionismus 133, 139 f., 259, 316 Dialektik, sozialistisch-materialistische 261 Dialektische Theologie 258 Diaspora 252 ff., 282

Die Biologie des Krieges (Nicolai) 159 Die Blau-Weiße Brille 157 Die Christliche Welt 118 Die Geschichte des Rabbi Nachman (Buber) 42 Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts (Chamberlain) 183186 Die Juden und das Wirtschaftsleben (Sombart) 179 ff. Die Juden und der gegenwärtige Krieg (Kittel) 220 Die Legende des Baal Schern (Buber) 42,311 f. Die Ostjudenfrage (Fritz) 200 ff. Die Schaubühne 58 Dissimilation 44 „Dolchstoßlegende" 107 Dortmund 117 Dreyfus-Skandal 15, 25, 78, 154, 276 Düsseldorf 193 Eine Königin Esther (Brod) 167,315 Einjährig-Freiwillige 30 Einwanderungsgesetz 201 Eiserne Blätter 221 Eisernes Kreuz der Juden 23,61,167, 209, 260, 275, England 19, 33, 60, 69, 72, 75, 77 f., 81,83, 86 f., 97, 159, 178, 181, 183 ff., 196, 234, 261 Erlösungsantisemitismus 186,188 Ernährung, koschere 77, 112 Erster Tempel 169 Etappe 109, 123 Ethikjüdische 222 f. Ethnizität 15 Ethos der hebräischen Propheten 36, 222-226, 229 f., 246 Euckenbund 44 Europa 161 f., 295, 310 Existentialismus 20, 140, 144,258, 270, 297, 299, 301, 304, 308, 317 Exklusion 29

392 Expressionismus 47, 76, 170, 215, 284, 287,315, 326, 329 Faust (Goethe) 125, 134 Feiertagejüdische 38, 112 f., 128 f., 299 Feldbibel 130 Feldgebetbuch 130 Feldgottesdienst 113 Feldpost, Feldpostbriefe 13, 88, 110, 117-123, 128, 163, 191,322 Feldrabbiner 113 f., 121, 176, 270 Feldrabbiner-Konferenzen 114, 126 Feldsynagoge 128 Fin de siècle 16, 183, 257, 275, 319 Florenz 42 Forte-Kreis 58, 146 f. Fortschrittliche Volkspartei 92 Fortschrittsglaube 154, 160, 209, 225, 264, 268, 274, 289, 297, 327 Frankfurt 16, 42, 93, 95, 107, 139, 186, 219, 236, 244, 269, 272, 288, 305 Frankfurter Lehrhaus 305,317 Frankfurter Zeitung 74,97, 136 Frankreich 33, 54, 58, 69, 71 f., 77, 87, 99, 109, 119, 127, 232 Französische Revolution 231 Frauenjüdische 27,211 Frauenbewegung 39 Freie Schulgemeinde 39 Freie Zeitung 155 Freiheit 223, 232 Freiheit und Form (Cassirer) 266 f. Freiheitskriege 276 Freistudentenschaft 290 Fremdenfeindlichkeit, Fremdenhaß 177 f., 202, 321 Frieden 153,169 Frieden, ewiger 144, 153 Friedensbewegung 159 Friedensidee 151,270,323 Friedensvorstellungen, jüdische 152, 167 Friedens-Warte 155, 170

Orts- und Sachregister Front (s. auch Westfront) 84,99,109, 115 f., 119, 123, 128, 176, 298 Front, galizische 115 Front, italienische 100 Front, serbische 68 Fronterlebnis 67,316 Frontgemeinschaft 118, 120, 322 Frontreligiosität 129 Furcht und Zittern (Kierkegaard) 312 Fürth 81 Galizien 77, 109, 168, 197 Ganzheit 158 Gebetordnung für Feldgottesdienste (Nobel) 138 Gefangenenzeitungen, jüdische 198 Geist der Utopie (Bloch) 258, 283 f., 286 f., 291 „Geist von 1813" 227 „Geist von 1914" 238 Geistigenräte 103 Gelehrtenrepublik, internationale 86, 182 f. Gemeinschaft 142, 147, 156, 303 GemeinschaftJüdische 189,213 Gemeinschaft und Gesellschaft (Tönnies) 142 George-Kreis 133 Germanen, Germanentum 138, 184 f., 216 Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen (Theodor Lessing) 295 Geschichtsdenken, teleologisches 279, 297, 302 Geschichtsphilosophie 143, 152,226 Geschichtsschreibung, -Wissenschaft 296,319,327 Gesellschaft, wilhelminische 174, 195 Gleichheitsprinzip 92 Gnosis 291 Goethebund 71, 161 f., 266 Der Golem (Meyrink) 215 Gottesdienstejüdische 130 f. Greifenbund 176 Grenzsperre 200,203 f. Griechen 142, 148

393 Habsburgermonarchie 97, 102 Haifa 99 f. Hamburg 55, 75, 145, 152, 170, 315 Händler und Helden (Sombart) 181 f., 184 Hannover 295 Haßgesang gegen England (Lissauer) 81, 83 ff., 186 Hebräisch 41, 156, 198,210,249, 293,313 Heeresgruppe C 100 Heeresverwaltung Ober-Ost 205 Heidelberg 221, 285 Heilbronn 102 Heiliges Land 138 Heimatfront 77, 322 Heroismusjüdischer 140, 146 Herz-Jesu-Kult 129 Hessen 26, 28 Hindus 213 Historische Miniaturen (Strindberg) 282 Historismus 225, 257, 282, 298 Hochschulen (s. Universitäten) Hohe Pforte 75 Höhere Schulen 26, 32 f., 49 Homogenität 248,255 Humanität 223,272 Humboldtsches Bildungsideal 37 „Hunger nach Ganzheit" 248 Hypernationaiismus 86 Ich und Du (Buber) 258, 298, 305 f., 310 ff., 327 Idealismus 232, 237, 248, 253, 323, 328 Idealismus, deutscher 127,222 Idealismus, spekulativer 300 Idee, europäische 168 Idee vom ewigen Frieden 151,165 „Ideen von 1914" 12, 60, 149, 232, 278 „Ideen von 1789" 60 Ideengeschichte 19 f., 217,258

Identitätjüdische 129 f., 195, 198, 201, 246 f., 255, 260, 273,298 Imago 267 Im deutschen Reich 91, 101,121, 185, 202, 208 Immigration, ostjüdische 200 Indien 230 Innenministerium, preußisches 204 Insterburg 126 Internationale Zeitschrift für Philosophie und Kultur 275 International ität 166,222 Ionien 301 Israel, Israeliten 129, 166, 197, 223 Israelitisches Familienblatt 69, 74, 87, 91, 132, 176, 181,236, 276 J'accuse! (Zola) 154 Jahrbuch der Millionäre 26 Jahwe 220 f. Japan, Japaner 177,230 Jena 43, 50, 56, 166, 191,301 Jenseits von Gut und Böse (Nietzsche) 136 Jeremias (Stefan Zweig) 170 f., 252 f., 263 f., 323 Jerusalem 64, 76, 97, 169, 254 Jettchen Gebert (Hermann) 31 Jeschurun 166,240,315 Jiddisch 198,210 Johannes-Evangelium 309 Jörn Kippur 299 Juden, amerikanische 64 f. Juden, bayrische 103 Juden, deutsche 175,187,203 Juden, elsässische 129 Juden, polnische 199,200,205 Juden, russische 64, 197 f., 211 Juden, russisch-polnische 208 Juden, westeuropäische 209 „Judenfrieden" 167 Judengesetze, zaristische 199 Judenmission 219 Judentum 138, 140, 145, 149, 153, 157 f., 180 f., 181, 186

394 Judentum, amerikanisches 92 Judentum, deutsches 86,96 f., 106, 111 f., 114, 152, 154, 173 f., 184, 190, 196 f., 207,216, 230, 259, 262, 298, 320 f., 330 Judentum, internationales 87 Judentum, liberales 34, 37, 50 f., 84, 87,91,94, 99, 103, 108, 121, 125, 139, 136, 154, 160, 170, 174, 176, 181, 188 f., 191, 196, 209 f., 215, 220, 222, 224, 228 f., 233 f., 236 f., 241 f., 244 f., 250, 252, 254, 260, 262, 269 f., 275 f., 293, 301 f., 313, 321-324, 328 ff. Judentum, polnisches 210 Judentumsmetaphysik 254 „Judenzählung" 53, 90 ff., 94 f., 321 Jüdische Nachrichten 145 JüdischePresse 228,240 „Jüdische Renaissance" 10, 15,39, 40 f., 48, 169,210,213,217,329 Jüdische Rundschau 57, 64, 76, 121, 144, 156, 171, 188, 196, 203 f., 227, 238 ff., 243, 250, 262 Jüdischer Almanach 40 Jüdischer Verlag 40, 253 Jüdisches Familienleben 27 Jüdisches Kriegserlebnis 20 Jüdisches Lexikon 80 Jüdisch-Theologisches Seminar Breslau 34 Jugendbewegung 293, 323, 329 Jugendbewegung, deutsche 290 Jugendbewegung jüdische 10, 156 f., 243, 293, 316 f. Jugendbewegung, zionistische 57, 171,228, 289 Jung-Juda 157 Jungzionisten (s. Kulturzionisten) K.C.-Blätter 61, 177,236 Kain 60 Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 32 Kaiser-Wilhelm-lnstitute 86, 162 Kanaan 69 Kanonade Kopenhagens 70

Orts- und Sachregister Kant-Gesellschaft 191, 234, 223 Kantische Ethik 137,322 Kantische Philosophie 136 f. Kant-Studien 191,248,252 Kapitalismus 179 f., 287 Kassel 88 Kategorischer Imperativ 137,160, 178, 227, 273 Katholizismus, Katholiken 23 f., 28, 62,217, 221 Kinesis 139 f. Kischinew 64 Klassengesellschaft 88 Klassik 33, 44, 136 Köln 39, 186,218,236 Kolonien 180 Komitee für den Osten 197, 210 Kommunismus 11, 284 Konfessionswechsel (s. Konversion) Königsberg 55, 62, 119, 177, 189, 197 Könitz 28 Konservative Revolution 258, 292 Konservative 174 Konversion 30, 38 Korrelation 302, 307, 311, 327 Kosacken 207 Kommunistische Partei Deutschlands 104 Krassnaja Rjetschka 213 f., 279 „Kreuzzeitung" 88 Krieg 1870/71 62,68,280 „Krieg der Geister" 16, 70, 85, 134 f., 150, 183, 186, 202, 236, 247, 265, 323 Kriegsarchiv Wien 115,168 Kriegsaufsätze (Chamberlain) 184 f. Kriegsbegeisterung 53 f., 134, 155, 320 Kriegsbettag 62 Kriegsbriefe gefallener Studenten (Witkop) 120 f. Kriegseintritt, amerikanischer 99 Kriegserfahrungen, jüdische 110 f., 121

395 Kriegserlebnis, jüdisches 59, 109 ff., 144, 305, 322 Kriegsflüchtlinge, ostjüdische 200 Kriegsfreiwillige 53, 56, 289, 320 Kriegsgedichte 56, 78-84, 134 Kriegsgefangene, jüdische 198 Kriegsgefangene, russische 129, 198, 279 Kriegsgesellschaften 73, 91 Kriegsjugendgeneration 316 Kriegskredite 59 Kriegsministerium, preußisches 30, 7 3 , 8 7 , 89 f., 114 Kriegsneurotiker 264 Kriegspolitik, deutsche 149, 283 Kriegspostkarten 117 Kriegspredigten 153 Kriegspresseamt Berlin 115 Kriegspressestelle Ober-Ost 206 Kriegsroman 127, 257 Kriegsschuldfrage 107 Kriegstheologie, preußischprotestantische 221 Kriegszieldiskussion 152 Kronrabbiner, polnischer 209 Kultur, amerikanisch-jüdische 208 Kultur, deutsch-jüdische 217,319 Kulturjüdische 1 8 3 , 2 3 9 , 2 5 3 , 2 8 6 , 319 Kultur, ostjüdische 189, 199,210,216 Kulturaristokratismus 47 Kulturgeschichte, -geschichtsschreibung 9 f., 12, 14, 17, 111, 143,258 Kulturkampf 6 3 , 2 1 7 Kulturkrise, europäische 133 Kulturkritik 2 0 6 , 2 1 4 , 3 1 1 Kulturleben, internationales 136 Kulturpessimismus 43, 134, 143, 145, 181,279, 265, 275, 2 9 7 , 3 1 0 Kulturprogressismus 139,260 Kulturprotestantismus 3 5 , 2 7 1 f. Kulturstufentheorie 122, 209, 226 Kulturwert des Krieges 151, 159

Kulturzionismus, Kulturzionisten 39, 43, 48, 58, 94, 148, 187, 203, 206, 213,216, 228, 242, 244, 251 f., 270, 273, 311, 321, 323, 325, 329 Kunstwart-Debatte 184 Landbevölkerung, russische 207 Landjudentum 26, 55 Lebensreformbewegung 38, 42 Lebensphilosophie 280, 297 Legende des Baal Schern 42, 311 f. (Buber) Lehrerbildungsanstalt, israelitische 218 Lehrerseminare, preußische 184 Lehrhausbewegung 317 Leipzig 42, 48, 77, 214 Liberalismus, Liberale 2 3 , 3 7 , 5 1 , 264, 274, 298 Linksliberalismus, Linksliberale 29, 3 1 , 3 7 , 88, 92, 102, 136, 152, 178, 182, 186, 191,263, 322, 328 Litauen 199 Logos 222, 226, 268, 275 London 186 Löwen 70 Lübeck 137 Luthertum 271 „Machtergreifung", nationalsozialistische 84 Mädchenjüdische 32 Mädchenhandel 211 Makedonien 116,298 Makkabäer 57, 135, 323 Makkabäeraufstand 138 Malik-Verlag 104 Marburg 72, 136, 191, 218, 226, 288 f. Marburger Schule 1 9 1 , 2 2 9 , 2 3 1 , 2 3 7 , 289 Marxismus 258,261 Massensterben 136,277 Massenstreik 146 Masuren 197,205 Materialschlachten 9, 128, 297, 303

396

Orts- und Sachregister

Mein Weg als Deutscher und Jude (Wassermann) 175,258 Memoirenliteratur, jüdische 110 Menschenrechtserklärung, französische 267 Messianismus, jüdischer 242, 271— 275, 277, 279, 283 ff., 287 f., 291 f., 294, 296 f., 312 f., 326 Messianismus, politischer 297 Messianismus, utopischer 281 Messiasspuren (Breuer) 277 Methode, religionshistorische 223 Metz 121

Nationalismus, deutscher 135,138, 147, 232 ff., 242 Nationalismus jüdischer 87, 206, 214, 229 f., 239, 241 ff., 251, 313, 328 Nationalismus, radikal völkischer 174, 233 f. Nationalliberale Partei 98 Nationalstaat 144, 152 Neoidealismus 43 f., 50, 193, 214, 257, 329 Neoorthodoxie 34,315 Neoromantik 47, 51, 254, 275, 324 f., 329

Militärangehörige, jüdische 99 Militärführung, deutsche 136 Militarismus 71, 136, 155,322 Militärstaat, preußischer 151 Mischehe 201,245 Mitteilungen des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus 92, 175, 185, 187

Neue Jüdische Monatshefte 171, 203, 208, 226, 241 f., 244 Neue Metaphysik 306 Neukantianismus 36, 137, 235 ff., 243, 266, 268 f., 302,310 Der Deutsche Krieg im Deutschen Gedicht(Bab) 78 f., 165 f. New York 64 New Yorker Staats-Zeitung 65 Niederlage 172,282 Niederlande 146, 154 Nihilismus 148, 286, 292, 307, 311 North American Civic League 198 Notwehrgedanke 66, 69 f., 221, 321 NS-Regime 124 Oberkommando Ost 200 f. Oberste Heeresleitung 84, 97 Offenbarung 302, 309, 327 Offizierejüdische 88 f., 100, 114 ff. Offizierskorps, deutsches 109,199, 322

Mittelalter 226 Mitteleuropa-Konzept 97 Mittelmächte 179,233 Moderne 12,14,37, 48,216,221, 255, 264, 275, 293, 330 Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 101 Monismus 159,267 Monotheismus, ethischer 36, 224, 226, 230 Montenegro 178 München 66, 100, 103, 105 f., 116, 149 Münchener Räterepublik 106 Mystik 42, 44, 224, 293 f., 307, 309, 326 Nathan der Weise (Gotthold Ephraim Lessing) 96 Nation, Nationalismus 27, 141, 144, 146,150, 153, 156,161,164, 167, 172, 178, 186, 196, 198 f., 223, 227, 231 ff., 245, 248, 250, 253, 255, 257, 259, 261 f., 272, 277, 296, 320, 328

Offizierskorps, preußisches 30, 89, 94 Okkultismus 285 Oppeln 36 Orthodoxiejüdische 11,34,51,112, 121, 129, 137, 166, 206 f., 220, 227, 235, 240, 324 Osmanisches Reich 201 Ostara-Hefte 191 Ost und West 40, 262 Österreich 46, 80, 102, 106 f., 115, 118, 196, 200,210

397 Österreichisches Oberkommando 116 Österreichisches Reiterlied (Zuckermann) 79 Österreich-Ungarn 4 5 , 6 4 , 6 7 , 170, 277 Osteuropa 200 f., 210, 212, 262 Ostfront 211 Ostgalizien 165 Ostjuden, Ostjudentum 24, 28, 40 f., 7 1 , 8 1 , 168, 190, 195-199, 2 0 3 213, 215 ff., 239, 245, 262,311, 324 „Ostjudenfrage" 194, 196,200,202, 204, 208 Palästina 76, 106, 158 f., 201, 242 f., 248, 254, 297, 3 0 6 , 3 1 6 , 3 2 8 Paris 39, 6 7 , 1 8 6 Patriotismus, jüdischer 53, 77, 85, 8 7 90, 92-95, 108 f., 115, 118 f., 126, 149, 128, 152, 160 ff., 166, 168, 175, 186, 202, 220, 222, 234, 261, 320 ff. Pazifismus 59, 69, 87, 92, 104, 146 f., 151 f., 154 f., 157-163, 165, 167 f., 170, 172, 183, 238, 261, 283, 295, 323 Pfarrer, protestantische 153 Pflichtbegriff 66 Pflichterfüllung, jüdische 88, 119 Pflichtethik 60, 146 Philosemitismus 181 Philosophie der symbolischen Formen (Cassirer) 268 f. Philosophie, dialogische 309 Philosophie, politische 156,237 Pogrome von 1905 63 f., 196 Polen 95, 1 9 7 , 2 0 4 , 2 0 7 , 2 1 0 Polenpolitik, deutsche 199 Posener Bekenntnis 196 Posener Delegiertentag 50 Postassimilatorische Zionisten 39, 132, 181, 316 f. Potsdam 90

Prag 16, 46, 48, 50, 57, 124,140, 148, 167, 170,211,214, 227, 238 f., 243, 249, 288, 293, 304 f., 314 ff., 326 Prager Burschenschaften 46 Prager Zionistenkongreß 305 f. Preßburg 218 Preußen 23, 26, 82, 84, 113, 271 Preußische Jahrbücher 237 f., 251 Proletariat, akademisches 33 Propaganda 130, 165, 187 Propaganda, alliierte 77, 8 3 , 1 1 5 , 1 3 6 , 149 Propaganda, antisemitische 193, 324 Propaganda, deutsche 147, 149, 162, 169, 196, 233, 320 Propagandakrieg 8 5 , 1 5 0 , 1 7 8 , 3 2 4 Prophetismus, Propheten 220, 2 2 3 227, 229 f., 288, 325 Prostitution 211 f. Protestantismus 6 2 , 2 2 6 - 2 2 9 , 3 1 0 Protestantismus, liberaler 219, 230, 298, 325 Protestantismus-These (Max Weber) 179 Psychiatrie 56,131 f. Psychoanalyse 264 f., 267, 309, 326 Rabbinerpredigten 66, 277, 323 Rabbinerseminare 34, 153, 166 Rabbinerverband, deutscher 208 Rasse, rassisch 149 f., 173, 177, 190, 200 f., 203, 234, 248 f., 252, 257 Rassenlehre 215,252 Rassenmystik 329 Rassentheorie 202,329 Rationalismus 2 3 8 , 2 7 0 , 3 1 4 Rechtsschutzstelle für Frauen Frankfurt 95 Reformjudentum, Reformjuden 34, 201,224, 235, 269 Reichenheimer Waisenhaus 122 Reichsbund jüdischer Frontsoldaten 108, 119 Reichsgründung 260, 280

398 Reichshammerbund 174, 179 Reichskanzler 73, 209 Reichstag 30, 91, 104 Reichstagswahlen 1912 174 Reichsverein der deutschen Juden 61 f. Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums (Cohen) 270, 288 f., 301 f. Religiöse Sozialisten 273,310 Rembertow 206 Renaissance, italienische 148 Protestantismus 62,226-229,310 Reserveoffiziere 29, 87 Ressentimentmoral 224 Revisionismusstreit 260 Revolution 1848 68 Revolution 1918 98, 102 f. Revolutionsfurcht 102 f. Rhön, bayerische 55 Riga 286 Ritualmordvorwürfe 218 f. Ritusjüdischer 129 Rom 94 Romantik 216,238,281 Römer 142,282 Rumänien 198,210 Russische Revolution 75,193,287 Rußland 67, 77 f., 95, 130, 138, 183, 196, 201,210, 261,275 Sabbat 27, 38 Salzburg 165 Saxobavaria Leipzig 77 Schächten 112 Schlesien 166 Schlieffen-Plan 69 Schuld und Sühne (Dostojewski) 194 Schützengraben 79, 111, 134,240, 277 Schützengrabengemeinschaft 127 Schützengrabenzeitung 127 Schwarzmarkt 179 Schwedt/Oder 229 Schweiz 158, 161, 170,247 Selbsthaß, jüdischer 84

Orts- und Sachregister Selbstwehr 50, 92, 170, 227, 239, 248, 279 „Siegfrieden" 165,221 Slonim 199 Soldaten, christliche 131,176 Soldatenjüdische 113 f., 131, 139, 148, 153, 176, 270, 322 Soldaten, katholische 118,131 Somme 90, 149 Sozialdarwinismus 159,183,221 Sozialdemokratie, Sozialdemokraten 51,59, 84, 87, 134, 152, 158, 174, 260 f. Soziale Frage 174 Sozialismus 104,214,223,235,238, 263 Sozialismus, deutscher 149, 232 Sozialismus, ethischer 137 Sozialismus, utopischer 282, 326 Sozialreform 214 Spanien 159,208,211 Spartacusbund 104 f. Spätromantik 293 Speisevorschriften, rituelle 112 Spionage 197 Sprachphilosophie 304, 306 St. Quentin 128 Staat jüdischer 201, 242 f., 253 f. Staatsidealismus, preußischer 298 f. Stettin 229 Stoizismus 266 Strafgefangenenlager 115 Straßburg 237 Studenten Jüdische 27 Subjektivismus 284,309 Südbayern 118 Synagoge 35, 114, 121 Tagebuch, Tagebücher 20, 64, 58, 117, 122, 124 f , 131, 134, 140 f., 150, 159, 167, 197, 238,316, 320 Tägliche Rundschau 182 Talmud 38, 140, 149, 220 f., 224, 227 Tann 55 Tannenberg 197 Tefillin-Kapseln 129

399 Theodizee 144 Theologie, protestantische 35, 218— 227, 258, 276 Theologische Fakultät, Marburger 218 f. Theosophie 285 Thor 188 Thora 158,293 Thronrede, kaiserliche 59 Tiszar-Eszlar 218 Todesangst 301, 304, 327 Totenkult 134 f., 257 Traditionjüdische 36, 134, 153,216, 228, 236, 262 „Turmbau zu Babel" 294 f. Tycho Brahes Weg zu Gott (Max Brod) 314 ff. Über das Marionettentheater (Kleist) 216 U-Boot-Krieg 74 f., 97, 230 Ukraine 205 Ungarn 210 Universalismus 153, 171 f., 183,223, 226-230, 236, 245, 253 ff., 260 f., 263,266, 269, 273 f., 321,325 Universitäten 26, 30, 97, 217 ff. Urbanisierung 201 USPD 261 Utilitarismus 234 Utopien 217,265, 281, 283 f. Vaterland 86, 101, 166, 232 f. Vaterlandsliebejüdische 87,92, 190 Vaterunser 120 Verband der Deutschen Juden 61,92, 112, 114, 130, 224 Verdun 90, 94, 149, 278 Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden 34 Verein für jüdische Geschichte und Literatur Breslau 208 Verein zur Abwehr des Antisemitismus (Abwehrverein) 32, 51, 90, 103, 139, 182 f., 185 ff., 220, 241, 324

Verfassunggebende deutsche Nationalversammlung 102 Verfassungsreform 221 Verlag Duncker & Humblot 283 Verlag Eugen Diederichs 42, 45, 229, 248, 275, 300 Verlag Kurt Wolff 48, 215, 315 Verlag Rütten & Loening 42 „Verständigungsfrieden" 73, 222 Vogesen 124 Volk, völkisch 43, 49, 142, 173, 176, 178, 183, 185-188, 190, 193 f., 201,203, 207, 215 f., 229, 231 f., 247 ff., 250, 252, 255, 269, 324 f. Volk-ohne-Raum-Mythos 203 Volkserziehungsbewegung 176 Volksgemeinschaft 233,241 Volkstum Jüdisches 189,209 Von den Aufgaben der Juden im Weltkriege (Bernstein) 261 ff. Von kommenden Dingen (Rathenau) 66, 278 Vorlesungen zur Einfiihrung in die Psychoanalyse (Freud) 267 Vossische Zeitung 82 Waffenstillstand 101 Wandervogel 176, 189 ff. Wandervogel-Führerzeitung 191 Warschau 206,213 Washington 65 Weichsel 200 Weimarer Republik 20,95, 101 f., 106, 108, 127, 193, 197,215, 257 ff, 272, 297 f., 320, 322, 324 Weltgeschichte als Weltgericht 155, 276 Weltkongreß für freies Christentum und religiösen Fortschritt 44 Werte, universale 87, 105, 323 Wertekanon, bürgerlicher 136, 205 Westeuropa 222, 267 Westfront 83, 94, 96, 111, 128, 131, 134, 149, 154, 206, 323

400

Orts- und Sachregister

Westjudentum, Westjuden 190, 206,

Zion 143

209,211 f. Wien 16,39, 100, 115, 168 f., 202,

Zionismus, Zionisten 42, 57, 59,61, 80, 85, 89, 92, 94, 106, 115 f., 121, 125, 135, 143, 145, 156, 159, 166 ff., 172, 174, 180, 184, 187 ff.,

228, 239, 252, 266 Wilna 114 Wirklichkeitswissenschaft 230 f. Wissenschaft des Judentums 34, 220, 277 Wolga 200 Wotan 188 Würzburg 285 Xanten 28 Zar, Zarismus 64,77, 81, 87, 138, 196 Zeit-Echo 164 Zensur 60, 96, 115, 151,164, 175 f., 201,205 Zeppeline 70 Zigeuner 225

191, 201, 207 f., 212-216, 224, 227 ff., 238 ff., 242, 245-248, 251 f., 254, 262 f., 297, 324, 329 Zionisten, amerikanische 64 Zionisten, deutsche 75, 156 Zionistenkongresse 39, 42, 46 Zionistische Vereinigung für Deutschland 39, 62, 89, 242 Zionistische Weltorganisation 212 Zivilisation 48, 145, 166, 266, 320 Zivilisationskritik 51, 133 Zürich 124, 170, 323 Zweiter Tempel 224,261