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German Pages 223 [221] Year 2008
INHALTSVERZEICHNIS
ELSBETH DANGEL-PELLOQUIN / HELMUT PFOTENHAUER / MONIKA SCHMITZ-EMANS / RALF SIMON
Editorial. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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MONIKA SCHMITZ-EMANS
Ein Wort zur Begrüßung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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HELMUT PFOTENHAUER
Zehn Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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HELMUT PFOTENHAUER / BARBARA HUNFELD / BIRGIT SICK
Die neue historisch-kritische Ausgabe von Werken Jean Pauls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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MONIKA SCHMITZ-EMANS
Beobachtungen zu Jean Pauls Poetik des Dramas. . . . . . . . . .
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ALEXANDER KLUGER
Dichtung als autobiographisches Labor – Reflexionen über die Möglichkeiten der eigenen Lebensbeschreibung in Jean Pauls Leben Fibels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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BETTINA RABELHOFER
Das Scheitern des Ich in der Autobiographie – Jean Pauls Selberlebensbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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ELSBETH DANGEL-PELLOQUIN
Die Austreibung der Textilie aus dem Text – Stoffe in Jean Pauls Siebenkäs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI MONIKA SCHMITZ-EMANS
Jean Pauls Schriftsteller – Ein werkbiographisches Lexikon in Fortsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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ALEXANDER KLUGER / ALEXANDER KUPSCH
Jean Paul-Bibliographie 2000–2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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BUCHBESPRECHUNGEN RALF SIMON
Sabine Eickenrodt, Augen-Spiel – Jean Pauls optische Metaphorik der Unsterblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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RALF SIMON
Paul Fleming, The Pleasures of Abandonment – Jean Paul and the Life of Humor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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MICHAEL WILL
Annina Klappert, Die Perspektiven von Link und Lücke – Sichtweisen auf Jean Pauls Texte und Hypertexte. . . . . . . . . .
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Anschriften der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . .
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ANMERKUNG ZUR ZITIERWEISE
Die Werke Jean Pauls werden i.d.R. nach der historisch-kritischen Ausgabe Eduard Berends (Sigle: SW, Beispiel: SW II/4,69) oder der bei Hanser erschienenen zehnbändigen Ausgabe von Norbert Miller (keine Sigle, Beispiel: I/6,1037) zitiert. Dabei bezeichnet die römische Ziffer die Abteilung, nach dem Schrägstrich folgt die arabische Band- und, nach dem Komma, die Seitenzahl.
ELSBETH DANGEL-PELLOQUIN / HELMUT PFOTENHAUER / MONIKA SCHMITZ-EMANS / RALF SIMON
EDITORIAL
Seit dem Amtsantritt von Helmut Pfotenhauer als Präsident der Jean-PaulGesellschaft 1997 lag die Redaktion des Jean-Paul-Jahrbuchs in Würzburg. Helmut Pfotenhauer und seinem Team ist die Qualität der seitdem erschienenen Jahrbuch-Ausgaben zu danken. Dank gebührt insbesondere Michael Will, der seit 2000/2001 als Redaktor wirkte und im Zusammenhang damit die vielfältigen Aufgaben übernahm, die mit der Vorbereitung eingereichter Manuskripte zum Druck verbunden sind. Dabei sorgte er nicht allein für die angemessene formale Einrichtung der Beiträge und lieferte den Verlagen – zunächst Böhlau (Metzler), dann Niemeyer – reproduktionsreife Druckvorlagen, sondern er trug auch als wissenschaftlicher Ansprechpartner und Berater der Jahrbuchbeiträger auf vielfache Weise zum Gelingen der publizierten Abhandlungen bei; die solcherart stets kompetent, konstruktiv und freundlich Beratenen werden sich alle gern daran erinnern. Erweiterte sich im Jahr 2006 das Herausgeberteam des Jahrbuchs, so ist im Jahr 2007 die Redaktion von Würzburg nach Bochum übergewechselt; ihr Sitz ist jetzt der Lehrstuhl für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Ruhr-Universität (Monika Schmitz-Emans). Das Bochumer Team wird alles daransetzen, den von seinem Würzburger Vorläufer gesetzten Qualitätsmaßstäben gerecht zu werden. Der erste Beitrag des neuen Jahrbuchs gilt dem Rückblick Helmut Pfotenhauers auf seine zehnjährige Tätigkeit als Präsident der Gesellschaft und dem Ausblick auf neue Aufgaben; er wurde bei der letzten Jahresversammlung in Bayreuth (24. März 2007) vorgetragen. Ein Bericht von Helmut Pfotenhauer, Barbara Hunfeld und Birgit Sick über die neue, erstmals historisch-kritische Ausgabe von Werken Jean Pauls, die nach den Vorarbeiten von Barbara Hunfeld zum Hesperus (Pilotband) und auf der Grundlage einer Langzeitbewilligung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft 2007 begonnen wurde, schließt sich an. Sie soll in den nächsten Jahren die Berendsche Edition von Werken Jean Pauls (HKA, 1. Abteilung) ersetzen. Der Festvortrag von Monika Schmitz-Emans auf der Jahresversammlung 2007 galt Jean Pauls Poetik des Dramas, die sich freilich nicht als geschlos-
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Dangel-Pelloquin et al.
sene Theorie darstellt, sondern als Produkt eines die Grenze zwischen literaturtheoretischem und literarischem Schreiben umspielenden Schreibens; erörtert werden die Zusammenhänge zwischen Dramenpoetik, Sprachreflexion und produktionsästhetisch akzentuiertem Traumdiskurs sowie Jean Pauls Tendenz, die Bühne der Imaginationen der konkreten Bühne und das gelesene dem gespielten Drama vorzuziehen. Dieser und die folgenden Beiträge des Jahrbuchs stehen insofern im Zeichen konvergierender Interesse, als der Schwerpunkt jeweils auf dem Thema Schreiben liegt – genauer gesagt: auf poetischen Selbstinterpretationen des literarischen Arbeitsprozesses in seiner Eigenschaft als spielerisch-reflexive Konstruktion von Identitäten. Einander komplementär, sind die Beiträge von Alexander Kluger und Bettina Rabelhofer dem inneren Zusammenhang zwischen autobiographischem Schreiben und literarischem Erzählen gewidmet. Kluger versteht, um es mit dem aussagekräftigen Titel seiner Abhandlung zu sagen, »Dichtung als autobiographisches Labor«. Er legt dar, inwiefern das Leben Fibels einerseits eine Persiflage auf zeitgenössische Biographistik darstellt, hiervon ausgehend aber andererseits auch als ein autoreflexiver Text gelesen werden kann, mit dem es um die Möglichkeit von Autobiographie im Zeichen konsequenter Entgrenzung zwischen Erinnerung und Imagination, Selbstdarstellung und Selbsterfindung geht. Die Frage nach den Voraussetzungen, Gestaltungsmöglichkeiten und Intentionen autobiographischen Schreibens steht auch im Mittelpunkt der Abhandlung Rabelhofers. Als prägend für Jean Pauls schreibenden Umgang mit dem eigenen Ich wird dabei die Überwindung eines mimetischen Selbstdarstellungskonzepts und der trügerischen Illusion textexterner Referenzen herausgestellt; im Schreiben wird, so die unter Verweis auf Jean Paulsche Selbstzeugnisse sowie auf Analysen Pfotenhauers erhobene Diagnose, Identität entworfen – nicht zuletzt, um gegen den Fluß der Zeit aufzubegehren. Elsbeth Dangel-Pelloquin analysiert in ihrer Abhandlung die komplexe Semantik des Motivfeldes um Textilien und deren Verarbeitung im Siebenkäs. Die Charaktere profilieren sich durch ihre jeweils individuellen Haltungen gegenüber der Sphäre der Stoffe und Kleider. Lenettes grillierter schwarzer Kattun, dieses zwischen den Eheleuten Siebenkäs so umstrittene Objekt, wird zum Objekt differenter Codierungen. Unter religionsgeschichtlicher Perspektive verweist er auf letzte Dinge des Glaubens, aus einer Siebenkässchen Perspektive poetologisch gedeutet, erscheint er dagegen als allegorischer Hinweis auf das Projekt eines Hinwegschreibens alles Stofflichen. Die autoreflexive Dimension der Jean Paulschen Werke wird dort in besonderem Maße evident, wo diese vom Schreiben und Erzählen handeln,
Editorial
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literarische Arbeitsprozesse und deren Rahmenbedingungen darstellen und die Grenze zwischen Autor, Erzähler und Figuren verwischen. Der Bedeutung der Schreibtätigkeit Jean Paulscher Figuren ist ein abschließender Beitrag von Monika Schmitz-Emans gewidmet. Er wird eingeleitet durch zusammenfassende Hinweise auf die Forschungssituation zu diesem Thema und ist als erster Teil eines (in den folgenden Jahrbuch-Ausgaben fortzusetzenden) Lexikons Jean Paulscher Schriftstellerfiguren angelegt. In diesem Band geht es um die Figuren aus dem Wutz und der Unsichtbaren Loge. Das Jahrbuch enthält ferner einen Rezensionsteil sowie die Fortsetzung der in Würzburg erstellten Jean-Paul-Bibliographie. Abschließend ein Hinweis auf die ab 2007 in Bochum betreute Website der Jean Paul-Gesellschaft. Sie präsentiert sich optisch in neuem Gewand, das farblich und graphisch die Verwandtschaft zum Jahrbuch signalisieren soll, bietet inhaltlich dieselben Informationen wie zuvor – und ist wie jede Website literarischer Gesellschaften aufnahmefähig für Hinweise der Benutzer auf mitteilenswerte Informationen und mögliche Verlinkungen.
Elsbeth Dangel-Pelloquin, Helmut Pfotenhauer, Monika Schmitz-Emans, Ralf Simon Basel, Bochum, Würzburg, im August 2007
MONIKA SCHMITZ-EMANS
EIN WORT ZUR BEGRÜSSUNG
Bei der Jahresversammlung der Jean-Paul-Gesellschaft im März 2007 haben mich die anwesenden Mitglieder als Nachfolgerin von Helmut Pfotenhauer zur Präsidentin der Jean-Paul-Gesellschaft gewählt. Nochmals möchte ich mich für das damit bewiesene Vertrauen bedanken, diese Mitteilung aber vor allem zum mehr als willkommenen Anlaß nehmen, meinem Vorgänger nachdrücklich und herzlich zu danken: für seine 10jährige Präsidentschaft, für die erfolgreiche und inspirierende Erfüllung der damit verbundenen Aufgaben sowie insgesamt für seinen anhaltenden vielfachen Einsatz innerhalb der Jean-Paul-Forschung. Zugleich gilt mein ebenso herzlicher Dank all denen, die Helmut Pfotenhauer bei seinem Wirken unterstützt haben – als Mitglieder der Jean-Paul-Gesellschaft, insbesondere als Angehörige ihres Vorstands, als Mitwirkende am Jahrbuch sowie als Mitarbeiter an der Würzburger Forschungsstelle. Daß angesichts der Aufgaben, die sich mit dem Amt des Präsidenten verbinden, solcher Dank an viele Helfer dann auch gleich mit der Bitte um weitere Unterstützung verbunden ist, wird wohl niemanden wundern und sei auch offen eingestanden. Manches ist zu tun, mancher wird dringend gebraucht – und ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen: mit dem Vorstand der Gesellschaft, mit den anderen Herausgebern des Jahrbuchs, zu denen ja auch Helmut Pfotenhauer gehört, mit den Mitgliedern der Jean-PaulGesellschaft und den anderen Jahrbuch-Lesern, mit den Jean-Paul-Forschern in Würzburg und an anderen Orten – und last not least mit meinem Bochumer Team, das mir bei der Betreuung des Jahrbuchs unersetzliche Hilfe leisten wird. Da es zu unseren wichtigsten gemeinsamen Zielen gehört, uns über unsere Interessen, Einsichten, Thesen und Forschungsergebnisse zu Jean Paul auszutauschen, noch ein praktischer Hinweis: Die Website der Jean-PaulGesellschaft hat eine neue Adresse: www.jean-paul-gesellschaft.de Monika Schmitz-Emans
HELMUT PFOTENHAUER
ZEHN JAHRE
Liebe Mitglieder und Freunde Jean Pauls und der Jean-Paul-Gesellschaft, seit nunmehr genau 10 Jahren sucht der vor Ihnen stehende Präsident der JeanPaul-Gesellschaft nach passenden Worten der Begrüßung anläßlich der Jahresversammlung, die ja nach altem Brauch am Geburtstag Jean Pauls, welcher zugleich der Frühlingsanfang ist, stattfindet. Heute tue ich dies – nach 10 Jahren – zum letzten Mal. Die Begrüßung ist diesmal ein Abschied. Gestatten Sie dazu einige Bemerkungen. Zunächst zur Begrüßung (die Worte zum Abschied, das kleine Fazit, das Sie erwarten, folgt dann in einem zweiten Schritt): Die Begrüßung steht seit jeher unter einer Art Witz-Zwang. Denn nach dem Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts ist die Verbindung von disparaten Gegebenheiten zu einer neuen Bedeutungseinheit, von Jean Pauls Geburtstag zum Beispiel und dem Frühlingsanfang, ein Witz. Sei es auch eine witzige Konjunktion, die nicht ein witziger Kopf, sondern das Schicksal herbeiführt. Jean Pauls Leben, wie später sein Schreiben, stand mithin von vorneherein in diesem Zeichen des Witzes. Vielleicht ein schweres Schicksal, wie er ja selbst erwägt. Und dem Anschein des Witzigen mußten seine Zeremonienmeister, wollten sie sich seiner würdig erweisen, so gut es ging, folgen. So gut es ging. Am Anfang war das leicht. Man brauchte ja nur die Selberlebensbeschreibung aufschlagen und von der gelben und grauen Bachstelze, dem Rotkehlchen, dem Kranich, der Rohrammer, den mehreren Schnepfen und Sumpfvögeln, dem Scharbock- oder Löffelkraut, der Zitterpappel, dem Ackerehrenpreis oder Hühnerbißdarm zu sprechen, die angeblich allesamt mit Jean Paul im Jahr des Hubertusburger Friedens, 1763 also, zur Welt kamen, und zwar am 21. März. Aber nicht immer konnte man mit diesem Anfang anfangen; und so wurde die Begrüßung, wollte sie auf das Datum, einigermaßen witzig, Bezug nehmen, immer schwerer. Der Zufall spielt mir dieses Mal, das letzte Mal, wieder Schriftstücke in die Hand. Weniger wichtige als die Autobiographie. Auch nicht solche zu Jean Pauls Anfang. Aber doch solche zu seinem Leben und seinen Schriften und zu bemerkenswerten Daten in diesen. Es sind andere Schriftstücke als die bekannten, aber doch wieder Schriften, die es mir leicht machen. Es handelt
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Helmut Pfotenhauer
sich um die Jean-Pauliana aus dem Nachlaß des Bayreuther Freundes Emanuel Osmund. Ein Sammler hat sie mir zur Verfügung gestellt, mit der Bitte, sie der Forschung zugänglich zu machen. Dies geschieht. Ich habe sie, da sie zum Teil in einem bedenklichen Erhaltungszustand waren, nachbinden lassen und übergebe sie der Jean-PaulArbeitsstelle der Universität Würzburg zur wissenschaftlichen Nutzung. Dort bauen wir ein Jean-Paul-Archiv auf, in welche auch andere, für die Forschung unverzichtbare Jean-Pauliana, wie meine Sammlung von Erstausgaben bzw. Erstausgaben, die von unserer Universität zur Verfügung gestellt werden, eingehen. In Emanuel Osmunds Jean-Paul-Nachlaß findet sich – neben den, leider unvollständigen, Flegeljahren oder der Kleinen Bücherschau – auch eine Ausgabe der Wahrheit aus Jean Paul’s Leben, also jener zwischen 1826 und 1833 (Osmund hat noch bis 1842 gelebt) von Christian Otto und später von Ernst Förster in 8 Heftlein herausgegebenen Sammlung nachgelassener Schriften. Sie ist von Osmund reich annotiert und für uns deshalb und für mich als Jean-Paul-Moderator, der Unerwartetes ins Spiel bringen sollte, besonders wichtig. Ich fühle mich damit als ein solcher Moderator und als Präsident der Jean-Paul-Gesellschaft fast wie jener »Jean Paul«, dem der Zufall Papierfetzen als Fetzen der Geschichte seiner Helden zuträgt – so im Hesperus oder im Fibel. Nur, daß diesmal das tatsächlich auch fast in Fetzen überlieferte Papier (deshalb die Nachbindung) nicht die Geschichte eines, sondern zweier Helden erzählt: die Jean Pauls eben und die seines Bayreuther Freundes. Zumindest kann man, bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber dem Unexpliziten, für den privaten Gebrauch Gedachten, Spontanen, halb Verschwiegenen, aber auch halb Offenbaren solcher Bleistiftspuren, die Annotationen als kleinen Beitrag zu einer solchen Geschichte vielleicht doch lesen. Auffällig bescheiden streicht Osmund die Dokumente von Jean Pauls enthusiastischen Freundschaftsbekundungen ihm selbst gegenüber an; so wenn Jean Paul am 31. Oktober 1794 kurz nach dem Kennenlernen schreibt: Es thut meiner ganzen Seele wohl, daß Sie mich lesen. Ich und Sie gehören zusammen; unsere Bekanntschaft ist kurz, aber unsere Verwandtschaft ist ewig. Meine Seele ist nicht der Widerhall der Ihrigen, sondern Echo und Klang fließen zusammen, wenn sie nahe aneinander sind, in der Physik und in der Freundschaft. Ach in diesem zerstäubenden Leben, in dieser finstern Baumannshöhle der Welt, wo Blut, wie Tropfstein, zu unsern Gestalten zusammentropft und wo diese Gestalten so kurz blinken und so bald schmelzen, in diesem schillernden Dunst um uns, giebt es ja nichts Stehendes und Fortglühendes und nichts, was ans Gefühle der Unvergänglichkeit reicht, als ein Herz, das geliebt wird und eines, das liebt. (5. Heftlein, Breslau 1830, S.26)
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Oder, am 3. Mai 1795: Und Ihnen hab’ ich nicht blos Freuden, sondern auch Menschen zu danken. Mög’ auch Ihnen der Himmel immer beides geben, da Sie mit einer Wärme lieben, die zu gut ist für die aus Eisbergen gehauenen Menschenstatuen um uns her (A.a.O., S.72).
All das, worauf Emanuel stolz sein könnte, ist nur ganz zart markiert. Sie sehen, ich versuche eine Spurenlese, eine Lektüre auch des nicht Gesagten, nur Angedeuteten, nur gering, aber vielleicht doch vielsagend Niedergelegten, eine kleine Hermeneutik des Unbeweisbaren. Wenden wir uns, am Frühlingsanfang das Jean-Paul-Jubiläum feiernd, den Einträgen mit Jubiläumscharakter zu. Ich muß nun für einen Augenblick schummeln und Osmunds Wahrheit aus Jean Paul’s Leben verlassen. Vor ganz genau 200 Jahren schrieb Jean Paul an Emanuel, der ja nicht nur sein Freund, sondern auch sein Bierlieferant war: Mein edler Mensch! Wie soll ich Ihnen genug meinen Dank sagen, nicht blos über die Menge – womit Sie von Jahr zu Jahr mehr sündigen um zu erfreuen – sondern über die Wahl, womit Sie mir fast aus allen Lieblings Blüten mein Wiegen-Eden zusammen setzen. Nichts berauschet mich süßer und ätherischer als an einem solchen Tage in die Blumen künftiger Monate mich gleichsam einzuhüllen. Habe Dank, schönes Herz und sei doch so glücklich als Du machst. (Bayreuth, 21. März 1807, SW III/5,137)
Man könnte annehmen, daß es sich bei diesem Brief, der sich, wie gesagt, nicht in Wahrheit aus Jean Paul’s Leben findet, sondern in Berends Briefausgabe – Osmund ist in diesem Punkt übrigens sehr verschwiegen – um Berauschendes handelt. Denn schon am nächsten Tag schreibt Jean Paul wieder an Osmund: »Ich esse bei (Präsident von) Schuckmann und trinke bei mir und fahre bei Ihnen mit diesem fort.« Aber es könnte sich, wie mir Monika Meier, die beste Kennerin der Briefe an Jean Paul, mitteilt, auch um Blumen gehandelt haben. Ein Brief Emanuels oder seiner Familie an Jean Paul von diesem Tag ist zwar nicht erhalten, aber zwei Jahre vorher, am 21. März 1805, gibt es eine Notiz Emanuels, die ein wohl obligatorisches Körbchen Blumen zu Jean Pauls Geburtstag belegt. Aber wie dem auch sei – für Osmund ist auch das Bier das Alltägliche, von dem man angesichts des Dichter-Genies, dem es dient, nicht allzuviel Aufhebens macht. In den Annotationen zu den früheren Jean Paulschen Lebensdokumenten, während der Lektüre dieser nach Jean Pauls Tod erschienenen Notate, die in der Sammlung Wahrheit aus Jean Paul’s Leben, auf die ich nun zurückkomme, nie eingegangen sind, interessiert Emanuel Osmund sichtlich Anderes: Äußerungen zu Bayreuth beispielsweise und Jean Pauls
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Helmut Pfotenhauer
Lebensumständen. Am 5. März 1807, also nur wenige Tage vor jenem Jubiläumsbrief vom 21. März, hatte Jean Paul an den erwähnten Schuckmann geschrieben, daß er in Bayreuth ein Fremder bleibe, »der Bayreuth nichts verdankt, als Gegend, Bier und Langeweile« (7. Heftlein, 1833, S.100). Osmund unterstreicht sich das dick und macht auf den Buchdeckel eigens einen Vermerk, der auf diese Stelle verweist: »Denkmal!« schreibt er dazu. Osmund dürfte an die berühmte, von den Bayreuthern viel lieber gehörte Stelle als Pendant gedacht haben, wo vom lieben Bayreuth die Rede ist, diesem grün angestrichenen Präsentierteller von Gegend, in die man sich einbohren solle, »um nimmer heraus zu können« (3. Sept. 1793). Osmund ist hellhörig für die düsteren Kehrseiten des poetischen Enthusiasmus und für die Kritik an Enge und Spießertum. Zum Jahr 1811 unterstreicht er sich eine Briefstelle, in welcher Jean Paul von seinem immer mehr verarmenden Bayreuther Leben spricht. (4. Febr., a.a.O., S.201) Und 1817 – wieder ein Jubiläumsdatum – wird folgende Stelle aus einem Jean-Paul-Brief dick unterstrichen: Uebrigens wird Bayreut halbjährlich um einen guten Kopf kürzer gemacht. Bei Ihnen [Medizinalrath Langermann, eben nach Berlin verzogen] fieng dieses geistige Köpfen an. Jetzo fänden Sie beinahe eine Harmonie [Bayreuther Gesellschaft, der Jean Paul seit 1804 angehört] aus Rümpfen. (1. Dez. 1817, 8. Heftlein, 1833, S.127)
Doch genug mit dieser Blütenlese aus Jubiläumszitaten – heute einmal aus etwas anderen Quellen als sonst üblich, aus Papierfetzen, die sein Freund aufgefunden und annotiert hat und die mir durch Zufall, wiederum als Papierfetzen, in die Hand gekommen sind. Man könnte und sollte diese Betrachtung fortsetzen und die Jean-Pauliana Osmunds wissenschaftlich erschließen. Sicherlich eine lohnende Aufgabe. Aber nicht meine am heutigen Abend. Rücken wir vor zu den Jahren 1997 bis 2007 – nicht ein Jubiläum, sondern ein Abschied, ein kleiner Rückblick und ein Ausblick. 10 Jahre Präsidentschaft der Jean-Paul-Gesellschaft! 1925, zum 100. Todestag, wurde eine Gesellschaft dieses Namens zum ersten Mal gegründet. Über ihre unsägliche Rolle während des Nationalsozialismus, den Versuch der Vereinnahmung Jean Pauls für dessen völkische Ideologie, die Diffamierung des jüdischen Herausgebers der historischkritischen Werkausgabe, Eduard Berend, den indirekten Beitrag besagter Gesellschaft damit zu seiner Verfolgung und Vertreibung, hat Hanne Knickmann in ihrer fundierten Studie über Eduard Berend ausführlich berichtet (JJPG 29 (1994), und 30 (1995); siehe dazu neuerdings auch die Ausführungen von Sven Friedrich in: Jean Paul, hrsg. von Hermann Glaser und Johann Schrenk. Gunzenhausen 2007). Diese wissenschaftliche und moralische Ka-
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tastrophe, die am – unrühmlichen – Beginn dessen steht, was sich Jean-PaulGesellschaft nennt, machte 1950 eine Neugründung notwendig. 1966 übernahm dann mein Vorgänger, Kurt Wölfel, die Präsidentschaft und profilierte die Gesellschaft durch die Herausgabe eines wissenschaftlichen Jahrbuchs, das den neuesten Stand der Forschung und der Edition repräsentieren sollte, neu. Die Jean-Paul-Gesellschaft konnte sich nun über bloß regionale Belange hinaus auf Augenhöhe mit den anderen Dichter-Gesellschaften und ihren wissenschaftlich anspruchsvollen Publikationsorganen sehen. Diesem Gedanken sind auch die Jahre meiner Präsidentschaft immer verpflichtet gewesen. Drei Aufgaben sind und waren es, die dabei im Mittelpunkt stehen. Da ist zum einen die Organisation der Jahresversammlungen, die nicht nur für die aktuelle Geschäftsführung notwendig sind, sondern auch Vorträge wichtiger Forscher präsentieren sollen, um so Einblick in die Tendenzen des wissenschaftlich Möglichen im Umgang mit den Schriften Jean Pauls zu gewähren. Bei der letzten Jahrestagung aber wurde beschlossen, auch das Rahmenprogramm zu erweitern, sei es durch zusätzliche kulturelle Veranstaltungen wie Lesungen oder Konzerte, sei es durch Möglichkeiten geselligen Beisammenseins, sei es – am besten – durch beides. Um dies vor allem auch den auswärtigen Mitgliedern zu ermöglichen, werden diese Jahrestagungen nun also in der Regel am Wochenende nach dem 21. März stattfinden, sofern dieser Geburtstag unseres Autors nicht selbst auf ein Wochenende, oder aber, wie 2008, auf Ostern fällt, wo man anderes zu tun hat. Die Jahrestagungen sollen nun an zwei Tagen, statt wie bisher an einem, stattfinden, um Platz und Zeit zu schaffen für das erweiterte Programm, das wir vorhaben. Über die Jahrestagungen hinaus wird es künftig – wie bereits in letzter Zeit – auch während des Jahres noch andere von der Gesellschaft durchgeführte Veranstaltungen geben. Da ist zum anderen die Organisation von wissenschaftlichen Tagungen, die einen repräsentativen Überblick über die neuen Entwicklungen der Forschung geben sollen. Ihre Frequenz hat sich gegenüber der vorherigen Präsidentschaft verdreifacht, ließe sich aber noch weiter steigern: 2000, anläßlich des 175. Todestages, gab es ein Symposion zu Jean Paul als »Gegenklassiker«, dokumentiert im Jahrbuch 35/36 (2000/2001), 2005 eines zu Fragen der Edition – Jean Pauls und anderer Autoren – dokumentiert im Jahrbuch 41 (2006). Wünschenswert wären baldige weitere Tagungen, denn die JeanPaul-Forschung ist, nicht zuletzt aufgrund der neuen Editionsergebnisse, sehr rege. Aber dies bedeutet auch, bei aller Findigkeit im Einwerben von Dritt-
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Helmut Pfotenhauer
mitteln, eine erhebliche finanzielle Belastung für die Gesellschaft und ihre Mitglieder, vom organisatorischen Aufwand einmal ganz abgesehen. Ein Termin für ein Colloquium größeren Umfangs steht jedoch bereits fest: der Frühlingsanfang 2013, anläßlich des 250. Geburtstages Jean Pauls also. Da ist schließlich zum Dritten als Aufgabe für die Präsidentschaft die regelmäßige Herausgabe des Jahrbuchs. Wir wechselten gleich zu Beginn meiner Tätigkeit den Verlag und vertrauten uns Böhlau (Metzler) an. 2006 sahen wir uns zum erneuten Verlagswechsel veranlaßt: Niemeyer in Tübingen ist nun der Partner und der Ort unserer Wahl. Ich denke und hoffe, man sieht es dem neuen Jahrbuch an, daß wir dabei Wert legten auf die beste Qualität des Büchermachens, die zu moderatem Preis heute möglich ist. Heute möglich – das heißt auch, daß das ganze Know-how für die Herstellung eines druckfertigen Satzes von uns selbst kommen muß und die Kosten dafür von uns selbst getragen werden. Mitarbeiter der Universität Würzburg übernahmen dies mit Unterstützung meines Lehrstuhls. Zu danken ist für das Jahrbuch 1999 dabei vor allem dem Redaktor Thomas Wirtz; ab 2000/2001 lag die Redaktion in den Händen von Michael Will, ohne den das Jahrbuch in der vorliegenden Form nicht möglich gewesen wäre. Seit diesem Jahr, 2007, ist die Herausgeberschaft auf meinen Wunsch hin erweitert worden. Das Jahrbuch sollte nicht zu sehr und zu lange nur die Handschrift eines Herausgebers tragen, sondern die ganze Vielfalt der neueren Jean-Paul-Forschung erkennbar machen. Ich bin froh und dankbar, daß ich dafür Elsbeth Dangel-Pelloquin und Ralf Simon aus Basel sowie Monika Schmitz-Emans aus Bochum gewinnen konnte. Das diesjährige Jahrbuch (2007) ist das erste Resultat, an dem Sie die Qualität der neuen Kooperation selbst ermessen mögen. Die Frage der Redaktion wird in den nächsten Monaten nach dem Ende meiner Präsidentschaft neu geregelt werden. Bei all den in den letzten Jahren anstehenden Entscheidungen und bei all der gemeinsamen Arbeit hatte ich in den Mitvorständen unserer Gesellschaft ebenso kompetente wie engagierte, kreative und solidarische Mitarbeiter. Dafür danke ich allen voran Herrn Sven Friedrich, dem Vizepräsidenten unserer Gesellschaft, ohne dessen Umsicht und Wissen, auch um lokale Besonderheiten, nichts vorangegangen wäre. Bedankt sei auch die langjährige Schatzmeisterin, Frau Wettengel; man wußte immer, daß man sich um diesen Bereich nicht eigens zu kümmern brauchte, da er bei ihr in den denkbar besten Händen lag. Dank schließlich auch meinen beiden Würzburger Mitstreiterinnen, Frau Hunfeld und Frau Sick, die, vom Betätigungsfeld der Edition kommend, immer auch in allen anderen die Gesellschaft betreffenden Fragen
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mit wertvollem Rat zur Seite standen. Herr Benda als Schriftführer mußte in den letzten Jahren oft wegen seiner Shaftesbury-Edition im Frühjahr in London sein; so auch heuer. Aber ohne seine noble Gastfreundschaft und die schönen Bücher, die er macht, wären diese meine Jahre in Bayreuth ärmer gewesen. Ihnen allen zum Trost: dieser Vorstand wird, bis auf mich, Ihnen bis mindestens 2009 weiterhin zur Verfügung stehen. Lassen Sie mich zum Abschluß noch ein paar Worte dazu sagen, daß ich, obwohl ich ebenfalls bis 2009 als erster Vorsitzender gewählt bin, das Amt bereits zwei Jahre früher, nach 10 Jahren, niederlege. Aus den Jahrbüchern der letzten Jahre konnten Sie ersehen, daß die Gesellschaft sich in guter alter, von Eduard Berend herrührender, von den Nazis unterbrochener, vor allem unter der Präsidentschaft von Kurt Wölfel – zusammen mit Eduard Berend – erneut aufgenommener Tradition, verstärkt wieder der Unterstützung und Publikationen zum Fortgang der Jean-Paul-Edition widmet. Kaum ein anderer wichtiger Autor der deutschen Literatur hat einen solch gewaltigen Nachlaß an handschriftlichen Notizen hinterlassen, die sein Werk erst recht verständlich machen (wie zum Beispiel die Exzerpthefte oder die Vorarbeiten zu den veröffentlichten Schriften), ja einen Teil seines Werkes selbst allererst ausmachen (wie die autobiographischen Schriften, die Satiren und Ironien oder die Einfälle, Bausteine und Erfindungen). Ich bin als Hauptherausgeber der historisch-kritischen Jean-Paul-Ausgabe für die Edition der unveröffentlichten Teile des handschriftlichen Nachlasses und der Neuedition der veröffentlichten Werke nach modernen Editionsprinzipien und unter Einbeziehung aller Dokumente der Werkgenese verantwortlich. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat diese von mir betreute Edition nun in die Liste ihrer Langfristvorhaben aufgenommen. Somit erweitert sich mein Aufgabenkreis und der meiner Mitarbeiter erheblich. Wir werden im nächsten Jahrbuch genaue Auskunft über Art und Umfang der Projekte geben (unter anderem sind dies Neuausgaben des Siebenkäs, der Vorschule der Ästhetik, des Titan und des Komet). Die Belastung, die dadurch entsteht, ist zu groß, um sie noch mit den Aufgaben der Präsidentschaft der Gesellschaft vereinbaren zu können. Aber es ist eine Aufgabe im Interesse des Werkes von Jean Paul und unserer Gesellschaft, die damit indirekt auch für ihr Engagement für dieses Werk ausgezeichnet wird. Ich denke, somit ist mein Verzicht, der ein um so stärkeres Engagement an äquivalenter Stelle bedeutet, gerechtfertigt. Im Übrigen stehe ich unserer Gesellschaft ja auch künftig nicht nur als Mitglied, sondern auch als Mitherausgeber des Jahrbuchs weiterhin zur Verfügung. Ich bitte daher um meine Entlastung als Erster Vorsitzender der Jean-PaulGesellschaft.
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Helmut Pfotenhauer
Abb.: Papierschnitzel. Fragmente der Buchrücken aus der Jean-Paul-Sammlung der Bibliothek Emanuel Osmunds. Mit handschriftlichen Vermerken Osmunds.
HELMUT PFOTENHAUER / BARBARA HUNFELD / BIRGIT SICK
DIE NEUE HISTORISCH-KRITISCHE AUSGABE VON WERKEN JEAN PAULS
Im Niemeyer-Verlag erscheinen in diesem Jahr die ersten Bände der neuen Jean-Paul-Werkausgabe. Es sind die drei Textbände zum Pilotband dieser Ausgabe, der Edition des Jean Paulschen Erfolgsromans Hesperus. Hesperus oder 45 Hundsposttage – nicht »Hundposttage«, wie in der Bach-Berendschen Ausgabe von 1929, die von der dritten Auflage des Buches von 1819 als Ausgabe letzter Hand ausging (SW I/3,4). Hier nun werden die erste und zweite Auflage von 1795 und 1798 gleichberechtigt miteinbezogen. Barbara Hunfeld, die Bandherausgeberin, hat darüber im vorletzten Jahrbuch (2006) ausführlich berichtet.1 Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat im Dezember 2006 die Edition weiterer Bände, eines Kernbereichs des Werkes, als von ihr zu förderndes Langfristvorhaben bewilligt. Es sollen im Zeitraum von 12 Jahren – positive Zwischenevaluationen vorausgesetzt – die Romane Siebenkäs, Titan und Der Komet sowie die Vorschule der Ästhetik in historisch-kritischen Editionen erarbeitet werden und erscheinen.2 Dies ist Anlaß, das Unternehmen, das von der von Helmut Pfotenhauer geleiteten Arbeitsstelle Jean-Paul-Edition der Universität Würzburg ausgeht, in guter Tradition dieses Jahrbuchs, das in den letzten Jahren immer auch ein Forum für Editionsfragen war, noch näher vorzustellen.3 ––––––– 1
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Barbara Hunfeld, Textwerkstatt – Eine neue Jean-Paul-Werkausgabe und ihr Modell ›Hesperus‹, in: JJPG 41 (2006), S.19–39. Zur Vorgeschichte dieses Bandes siehe auch Thomas Wirtz, Der ›Hesperus‹ als Pilotband einer Edition der Erstausgaben (Revidierte Abteilung ›IA‹ der zu Lebzeiten veröffentlichten Werke), in: Helmut Pfotenhauer, Thomas Wirtz, Ralf Goebel, Monika Meier, Zum Stand der Jean-Paul-Edition, in: JJPG 34 (1999), S.9–34, hier: S.20–27. Die Werke Jean Pauls werden im folgenden der Übersichtlichkeit wegen mit ihren geläufigen Kurztiteln genannt. Die vollständigen bibliographischen Angaben sämtlicher zu Jean Pauls Lebzeiten erschienener Werke sind in der Bibliographie von Berend/Krogoll verzeichnet. Eduard Berend, Jean-Paul-Bibliographie, neu bearbeitet und ergänzt von Johannes Krogoll, Stuttgart 1963. S.3–16 (=Veröffentlichungen der deutschen Schillergesellschaft, Bd.26). Vgl. zum Gesamtunternehmen auch bereits Barbara Hunfelds Aufsatz von 2006 [Anm.1].
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Helmut Pfotenhauer / Barbara Hunfeld / Birgit Sick
Die Ausgangslage ist bekannt; sie wurde von den Herausgebern mehrfach dargestellt und braucht daher hier nur kurz zusammengefaßt zu werden:4 Zwar gibt es mit der Berendschen Edition eine Ausgabe, die den Anspruch erhebt, historisch-kritisch zu sein; sie konnte ihren Anspruch jedoch nicht einlösen, da aufgrund der Verfolgung des Herausgebers durch die Nationalsozialisten die Dokumentation der Textkritik, von Berend »Lesarten« genannt, verlorenging und nicht rekonstruierbar ist. So blieb es bei einer Ausgabe »letzter Hand«; die oft davon abweichenden, rezeptionsgeschichtlich teils viel bedeutsameren früheren Fassungen der Texte blieben unberücksichtigt. Bis heute ist diese Ausgabe die Grundlage aller anderen Textausgaben von Jean Pauls Werken geblieben.5 Auch die bekannte, von Norbert Miller herausgegebene Studienausgabe dokumentiert Jean Pauls Werke in dieser Weise, da sie im wesentlichen Berends Textkonstitution folgt (die Textgestalt des Leseverständnisses wegen allerdings noch weiter modifizierend).6 Auch die meist höchst umfangreichen Vorarbeiten wurden nur ganz selektiv in Berends Vorwörtern beschrieben, nie jedoch vollständig und zusammenhängend veröffentlicht. Eine den heutigen Standards entsprechende Edition hingegen muß die Textgenese sichtbar machen – von den Vorarbeiten und den in sie eingegangenen Exzerpten, den in umfangreichen Konvoluten gesammelten Einfällen, Bausteinen, Erfindungen oder Satiren bis zu den verschiedenen, zu Lebzeiten des Autors erschienenen Druckfassungen. Für einen Autor, dessen Werk durch das permanente Auf- und Umschreiben ein »work in progress« ist, ist dieser textgenetische Aspekt besonders wichtig. Deshalb empfahl 1995 ein Expertengremium am Deutschen Literaturarchiv in Marbach eine neue, diesen Überlegungen Rechnung tragende Werkausgabe und für diese einen Pilotband, der den Hesperus zum Gegenstand haben sollte. Die Arbeit wurde, flankiert von der Erschließung des handschriftlichen Nachlasses (Exzerpte, Einfälle, Bausteine, Erfindungen, Satiren ––––––– 4 5
6
Vgl. die Jahrbuch-Beiträge 1999 und 2006 [Anm.1]. Ausnahmen sind die Unsichtbare Loge und der Siebenkäs, deren Fassungen von Klaus Pauler synoptisch ediert wurden; sehr verdienstvolle, jedoch nicht unumstrittene Studien-Ausgaben ohne historisch-kritischen Anspruch: Jean Paul, Die Unsichtbare Loge. Eine Biographie. Text der Erstausgabe von 1793 mit den Varianten der Ausgabe von 1826, Erläuterungen, Anmerkungen und Register, hrsg. von Klaus Pauler, München 1981 (edition text und kritik); Jean Paul, Siebenkäs. Text der Erstausgabe von 1796 mit den Varianten der Ausgabe von 1818 und den Vorarbeiten zu beiden Ausgaben aus dem Nachlaß, hrsg. von Klaus Pauler, München 1991 (edition text und kritik 19). Norbert Miller, Zur Textgestaltung, in: Jean Paul, Sämtliche Werke, hrsg. von Norbert Miller, Abt.I, Bd.1: Die Unsichtbare Loge/Hesperus, Nördlingen/Regensburg 1996 (Lizenzdruck der Ausgabe München 1960), S.1339ff.
Die neue historisch-kritische Ausgabe
17
und Ironien, dazu ein Nachlaßverzeichnis, das vor dem Abschluß steht),7 der für die Werkgenese konstitutiv ist, 1999 begonnen und 2007 in ein längerfristig gesichertes Editionsunternehmen überführt. Diese Edition besteht aus einer Buchausgabe und einer elektronischen Komponente. Letztere soll mit den digitalen Erschließungs- und Präsentationsmöglichkeiten die Edition auf spezifische Weise sichtbar machen. Sie soll darüber hinaus die nicht zur Buchedition vorgesehenen Teile des handschriftlichen Nachlasses zugänglich machen, sie soll die Digitalisate der Handschriften und der zu Lebzeiten des Autors erschienenen Drucke sowie die der wichtigsten Ausgaben des 19. und 20. Jahrhunderts archivieren und darüber hinaus weitere Materialien für die Forschung nach dem Prinzip des »open access« zur Verfügung stellen. Die Realisierung dieses Vorhabens erfolgt im Jean-Paul-Portal (www.jean-paul-portal.de), das bereits in einer Startversion vorhanden ist. Darüber soll ausführlicher in einer späteren Ausgabe des Jahrbuchs berichtet werden. Die neue Werkausgabe ist eine Ausgabe des Kernbereichs der Werke. Es sind die Werke und zum Teil deren verschiedene Fassungen (neben dem Hesperus der Siebenkäs und die Vorschule), die das poetische und das poetologische Schaffen Jean Pauls exemplarisch repräsentieren – in seiner thematischen und stilistischen Vielfalt und in seiner historischen Varietät. Es sind die Werke, die besonders teils stark voneinander abweichende, autorisierte Druckfassungen aufweisen (Siebenkäs, Vorschule) und zu denen sich sehr umfangreiche, unveröffentlichte handschriftliche Vorarbeiten finden (dies gilt für alle vier Schriften). Zum letzten Roman Der Komet existiert sogar ein im Jean Paulschen Nachlaß singuläres Druckmanuskript. Alle Schaffensperioden sind in diesem Kernbereich abgedeckt (mit den frühen Erfolgswerken Hesperus und Siebenkäs, dem »Kardinalroman« der mittleren Zeit, Titan, und dem Spätwerk Komet), wobei die divergierenden Fassungen zusätzlich den jungen und den späten Jean Paul dokumentieren (Hesperus, Siebenkäs).8 ––––––– 7
8
Vgl. die folgenden Darlegungen: Michael Will, Jean Pauls (Un-)Ordnung der Dinge, in: JJPG 41 (2006), S.71–95. Petra Zaus, Von Varianten und Variationen. Bd.II/9 Einfälle, Bausteine, Erfindungen, in: JJPG 41 (2006), S.41–50. Birgit Sick, Jean Pauls nachgelassene ›Satiren und Ironien‹ als Werkstatt-Texte. Schreibprozeß – Werkbezug – Optionale Schreibweisen, in: JJPG 41 (2006), S.51–70. Zum Nachlaßverzeichnis: Ralf Goebel, Der handschriftliche Nachlass Jean Pauls und die Jean-Paul-Bestände der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Teil 1: Faszikel I bis XV, bearbeitet unter Mitarbeit von Ralf Breslau. Wiesbaden 2002 (=Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kataloge der Handschriftenabteilung, hrsg. von Eef Overgaauw, Zweite Reihe: Nachlässe, Bd.6). Aus rein pragmatischen Gründen blieb Jean Pauls Erstlingsroman, Die unsichtbare 1 2 Loge ( 1793/ 1821), bei der Planung der neuen Jean-Paul-Werkausgabe unberück-
18
Helmut Pfotenhauer / Barbara Hunfeld / Birgit Sick
Diese – den Hesperus eingerechnet – fünf Modell-Editionen des Kernbereichs sollen weitere, nicht von der DFG geförderte Einzelausgaben ergänzen. So ist bereits seit Ende 2006, unterstützt durch die Oberfrankenstiftung in Bayreuth und betreut vom germanistischen Institut der Universität (Christian Begemann) und der Würzburger Arbeitsstelle, eine Neuedition des Quintus Fixlein in Gang gekommen. In Würzburg wird seit kurzem im Rahmen eines von Helmut Pfotenhauer betreuten Dissertationsprojekts an einer Ausgabe des Leben Fibels gearbeitet. Weitere Projekte befinden sich in der Planungsphase. Das editorische Konzept der geplanten Bände folgt dem Pilotband Hesperus: Der Roman wurde als Pilotprojekt ausgewählt, da sich die für Jean Paul signifikanten, editorisch relevanten Textwerkstatt-Merkmale beim Hesperus idealtypisch finden. Dies betrifft insbesondere den Fassungsvergleich, der im Fall des Hesperus mit drei autorisierten Druckversionen (1795, 1798 und 1819) der komplexeste der Kernbereichsedition ist.9 Im Rahmen des Pilotprojekts wurden editorische Lösungen entwickelt, die den vier Folgebänden vorarbeiten. Gleichwohl sind sie, da die Editionsgegenstände spezifische Charakteristika aufweisen, im einzelnen zu modifizieren. Die Richtlinien für die Transkription der Autographen sind durch Band II/10 (Satiren und Ironien) der Nachlaßabteilung der historisch-kritischen Jean-Paul-Edition weitestgehend vorgegeben. Gegenüber der bis zu Band II/8 praktizierten Darstellungsweise ändert sich nun der Schwerpunkt: Neben dem üblichen Nachweis sämtlicher Herausgeber-Eingriffe in den Text werden auch die Ergänzungen des Herausgebers gekennzeichnet,10 die in den früheren Bänden für den Leser noch unsichtbar blieben. Auch die Genese der Texte wird durch Verzeichnung der Korrektur- und Umarbeitungsstufen im Variantenapparat editorisch dargestellt. Ziel ist es, eine Textgrundlage herzustellen, die die spezifisch fragmentierende Schreibweise Jean Pauls so weit wie möglich erhält und dabei doch den Text für die Benutzer der historisch-kritischen Ausgabe in einer lesbaren Form präsentiert. Dies geschieht vor allem dadurch, daß das umfangreiche Jean Paulsche Abkürzungssystem zwar weiterhin vom Bandherausgeber –––––––
9 10
sichtigt, zumal zu diesem Text als einzigem Roman Jean Pauls in der von Eduard Berend begründeten Abteilung I bereits ein – wenn auch philologisch äußerst kritikwürdiger – Lesartenband vorliegt: SW I/19. Darüber hinaus wurde die Erstausgabe des Romans von Klaus Pauler in einer Liebhaber-Ausgabe zugänglich gemacht [Anm.5]. Vgl. dazu die Texteinrichtungsbeispiele in: Hunfeld [Anm.1], S.34–39. Die Emendationen werden sehr zurückhaltend vorgenommen und auf das Notwendigste beschränkt.
Die neue historisch-kritische Ausgabe
19
ergänzt wird, die notwendigen Ergänzungen jedoch durch Kursivierung im Text sichtbar gemacht werden. Auf diese Weise werden für den Benutzer sowohl das Schreibgeschehen als auch die Bearbeitungen bzw. Eingriffe des Herausgebers rekonstruierbar. Die Darstellung des edierten Handschriftentextes kommt – bis auf wenige Ausnahmen – ohne diakritische Zeichen aus, da die Verzeichnung der Varianten in einem lemmatisierten Apparat erfolgt. Während die früheren Bände der Abteilung II den Variantenapparat in einem eigenen Anhang am Ende eines Bandes oder gar in einem eigenen Band präsentierten, befindet sich der Variantenapparat von Band II/10 auf derselben Buchseite wie der edierte Text. Text und Varianten erscheinen also gleichzeitig und nicht mehr getrennt voneinander. Auf diese Weise wird bei größtmöglicher Lesbarkeit der historisch-kritischen Ausgabe eine editorische Darstellung gewählt, die dem Leser und Benutzer der Ausgabe eine der Handschrift möglichst nahe kommende, authentische Rekonstruktion ermöglicht. Die Kommentierung, die angesichts »der bekannten Eigenart des Jean Paulschen Stiles«, welche sich in »tausendfache[n], schon zu seiner Zeit den wenigsten Lesern verständliche[n] Anspielungen auf die entlegensten Dinge« ausdrückt,11 notwendig ist, unterliegt gerade aufgrund der zitierten Jean Paulschen Eigenart denselben Bedingungen wie die gesamte Edition, nämlich dem Primat der Pragmatik.12 Sie ist, wie am Modell des Pilotbandes Hesperus entwickelt, als genetischer Kommentar angelegt und nutzt die Materialien der Textwerkstatt selbst, um die »Eigenart« der Jean Paulschen Schreibweise zu erschließen. Sie setzt den Schwerpunkt also auf Erläuterungen, die unmittelbar aus den Nachlaßtexten abzuleiten sind, und nutzt dabei den schon erarbeiteten Fundus des Nachlasses (Exzerpte, Satiren und Ironien, Einfälle, Bausteine, Erfindungen etc.) bzw. jene Texte, die im Zuge der Edition ohnehin erschlossen werden.13 Es sollen nun im folgenden die im Rahmen des Langfristvorhabens der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu erarbeitenden Ausgaben der vier Bände Siebenkäs, Titan, Vorschule der Ästhetik und Komet näher charakterisiert werden – die Herausforderungen und editorischen Chancen, die sie ––––––– 11
12
13
Eduard Berend, Prolegomena zur historisch-kritischen Gesamtausgabe von Jean Pauls Werken, in: Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Nr.1, Berlin 1927, S.3–43, hier: S.3. Selbst Berend, der den klassischen Ansprüchen einer historisch-kritischen Ausgabe noch stark verpflichtet war, betont die Notwendigkeit »strenge[r] Sichtung und Auswahl«. Ebd., S.3, sowie auch S.19, S.24 und S.43. Über die Kommentierungsarbeit soll an anderer Stelle genauer berichtet werden.
20
Helmut Pfotenhauer / Barbara Hunfeld / Birgit Sick
bieten, die Materialien, die überliefert sind und die bearbeitet werden müssen, sowie die Fragen der Textkonstitution und der Darstellungsmodelle. I. Zur Edition des Siebenkäs Der Siebenkäs gehört zu Jean Pauls am meisten rezipierten Werken. Anders als der vorwiegend »erhabene« Titan und der »erhabene« und humoristische Teile mischende Hesperus, zeigt der Siebenkäs vor allem den humoristischen Jean Paul. Das Prinzip der Jean Paulschen Textwerkstatt läßt sich an diesem Roman mit seinen zwei Fassungen (1796/97 und 1818) in einer nur dem Hesperus vergleichbaren, idealtypischen Weise dokumentieren. Die Vorarbeiten zeugen von der Anfangszeit des Romanprojekts wie auch von seiner Fortentwicklung für die zweite Auflage, setzen also, zwanzig Jahre überbrückend, die Frühphase des Autors mit seinem späten Schriftstellerleben in Bezug. Die beiden Fassungen von 1796/97 (in drei Bänden) und 1818 (in vier Bänden) zeigen, wie Jean Paul den Text nicht nur erheblich erweitert, sondern ihn in Teilen auch neu konzipiert. Dabei ist nicht nur der Vergleich der Auflagen aufschlußreich, sondern auch der Vergleich der Vorarbeiten mit dem Drucktext: Es handelt sich hierbei nicht immer um ein Entsprechungs-, sondern teilweise um ein Spannungsverhältnis. Bezeichnend für die Jean Paulsche Textwerkstatt ist schließlich das Wurzeln des Siebenkäs in älteren Texten (insbesondere in den in Würzburg derzeit edierten Satiren und Ironien) und sein Hinüberwuchern in parallele oder spätere Projekte (Titan, Palingenesien, Briefe und bevorstehender Lebenslauf). I.1. Vorarbeiten Die in Faszikel XVII, XXII und XXVa erhaltenen handschriftlichen Aufzeichnungen zum Siebenkäs, an denen der Autor von September 1795 bis Juli 1796 (zur ersten Auflage) und von Februar 1817 bis März 1818 (zur zweiten Auflage) arbeitete, umfassen insgesamt 360 Manuskriptseiten. Zu den Vorarbeiten im weiteren Sinne sind auch die Texte anderer Materialsammlungen zu rechnen, denn die bemerkenswert kurze Produktionszeit des ersten Siebenkäs-Bandes, der innerhalb von drei Monaten fertiggestellt wurde, erklärt sich vor allem durch die Nutzung und Einarbeitung bereits vorhandener Textbausteine. Diese Versatzstücke aus anderen Konvoluten, die ebenfalls in den Roman Eingang fanden, sind bei dem genannten Seitenumfang der direk-
Die neue historisch-kritische Ausgabe
21
ten Vorarbeiten nicht berücksichtigt; auf sie wird in den Erläuterungen der Siebenkäs-Edition hinzuweisen sein. Obwohl die direkten Vorarbeiten im Verhältnis zu den Studien von Titan und Komet nicht so umfangreich sind, sind sie doch ein für die Jean Paulsche Textwerkstatt nicht zu unterschätzender, mit anderen Konvoluten korrespondierender Baustein. Dazu ein Beispiel: Das für den Siebenkäs bekanntlich zentrale Scheintod-Motiv ist zum ersten Mal bereits in Band 14 (1789) der Sammlung der Satiren und Ironien nachweisbar. Der Eintrag Nr. [75], mit dem Titel »Lebendige Begrabung«, stellt die früheste Textfassung der Kapitel 20 und 21 des Siebenkäs dar, in denen der fiktive Tod des Protagonisten beschrieben wird. Die in der zukünftigen Edition erstmals mögliche Zusammenschau aller Nachlaßmaterialien (Satiren und Ironien, Sammlung ausgearbeiteter Satiren, Romanvorarbeiten zum Siebenkäs) macht die genetischen Prozesse der Textproduktion evident. Nun wird erkennbar, daß und wie Jean Paul in seiner Textwerkstatt den literarischen Baustein vom Scheintod kontinuierlich weiterbearbeitet: Als eine weitere Fassung des Scheintod-Motivs zwischen dem frühen Satire-Entwurf und dem Roman ist zunächst die nur ein Jahr nach dem Satire-Eintrag entstandene, wohl ursprünglich für die Baierische Kreuzerkomödie ausgearbeitete Satire Meine lebendige Begrabung. Eine Fraze, die blos vergnügen und nicht nüzen sol (SW II/3,280–290) zu nennen. Schließlich münden die literarischen Arbeiten am Scheintod-Motiv in das Entwurfsheft [Strazza] der Siebenkäs-Vorarbeiten,14 in das Jean Paul seitenlange Notizen und Einfälle zu diesem Thema zusammentrug (vgl. Abb.1). Zur Erschließung der handschriftlichen Siebenkäs-Aufzeichnungen haben Karl Freye 1908 und Klaus Pauler 1991 Vorarbeiten geleistet, indem sie Teile der Manuskripte erstmals publizierten.15 Karl Freyes Teil-Edition nimmt allerdings eine Umordnung der Siebenkäs-Handschriften vor. Das Interesse gilt hier nicht dem Schreibprozeß, sondern der Vorarbeit als Vorstufe zum Roman. Die Handschriftentexte werden aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst und nicht der entstehungsgeschichtlichen Abfolge nach, sondern in vom Herausgeber gebildeten, jeweils Teilen des Romans zugeordneten Gruppen präsentiert. Dies erleichterte Freyes Lesern den Vergleich zwischen Vorstufe und Roman, suggerierte aber eine Stringenz der Arbeits––––––– 14
15
Da die Bezeichnung [Strazza] nicht auf Jean Paul selbst, sondern auf Kurt Schreinert, den Editor des Siebenkäs in den Sämtlichen Werken zurückgeht, wurde sie in eckige Klammern gesetzt. Karl Freye, Die Studien zu Jean Pauls zweitem Eheroman, in: Euphorion 15 (1908), S.73–99; Pauler, Siebenkäs [Anm.5], S.537–544.
22
Helmut Pfotenhauer / Barbara Hunfeld / Birgit Sick
weise Jean Pauls, welcher der Befund der Siebenkäs-Vorarbeiten im Nachlaß – in ihrer Gesamtheit, Heterogenität und Abfolge – widerspricht. Klaus Paulers Edition, deren Absicht es ist, Jean Paul dem Verständnis des heutigen Lesers nahezubringen (mit Hilfe begleitender Erläuterungstexte, aber bewußt ohne den klassischen wissenschaftlichen Apparat), orientiert sich bei ihrer Präsentation einer Auswahl der Siebenkäs-Vorarbeiten an Freye. Dies gilt sowohl für Teile der Transkriptionen, die der Herausgeber von Freye »gelegentlich leicht gekürzt« übernimmt,16 als auch für die Anordnung der Vorarbeiten, die auch hier nicht der genetischen Abfolge, sondern der Struktur des Romans folgt. Die Teilpublikationen der Siebenkäs-Vorarbeiten durch Freye und Pauler ändern also nichts an der Unabdingbarkeit der immer noch ausstehenden historisch-kritischen Edition des Gesamtkonvoluts. Nachfolgend werden die für die Edition relevanten Konvolute der Romanvorarbeiten in tabellarischer Aufstellung angeführt.17 Vorarbeiten zur 1. Auflage 1 Entwurfsheft: [Strazza] (1795)
Fasz. XVII
10 Bll.
20 S.
Heft 1 (um 1795)
Fasz. XVII
12 Bll.
24 S.
Heft 2 (1795)
Fasz. XXVa
10 Bll.
20 S.
Heft 3 (1796)
Fasz. XXVa
24 Bll.
48 S.
Heft 4 (1796)
Fasz. XXVa
26 Bll.
52 S.
Fasz. XVII
5 Bll.
10 S.
Fasz. XXVa
7 Bll.
4 Arbeitshefte:
Einzelne Blätter (o.Dat.):
Summe
14 S. 188 S.
––––––– 16
17
Ebd., S.537. Über Freyes Edition hinaus sind von Pauler selbst erstellte, auf der Basis von Mikrofilmen angefertigte Transkriptionen die Grundlage der präsentierten Texte. Unser Dank gilt an dieser Stelle Ralf Goebel, der uns seine noch unveröffentlichten Vorarbeiten zum zweiten Band der Nachlaßbeschreibung zur Verfügung gestellt hat.
23
Die neue historisch-kritische Ausgabe Vorarbeiten zur 2. Auflage 4 Studienhefte: Heft 1, Neuer Siebenkäs (1817)
Fasz. XVII
26 Bll.
52 S.
Heft 2, Siebenkäs, Dritter Band (1817/18)
Fasz. XVII
19 Bll.
38 S.
Heft 3, Siebenkäs, Vierter Band, Siebenkäsens Ehe mit Natalie (vor 1804 bis ca. 1807) Heft 4, Systematisches Studienheft zum Siebenkäs (1817/18) Einzelne Blätter (1817/18):
Fasz. XXII
19 Bll.
38 S.
Fasz. XVII
18 Bll.
36 S.
Fasz. XVII
4 Bll.
Summe
8 S. 172 S.
Von den genannten Manuskripten ist bislang das von Jean Paul für die zweite Auflage des Siebenkäs angelegte Heft Nr. 3, Siebenkäs, Vierter Band (vor 1804 bis ca. 1807) aus Faszikel XXII in der Nachlaßabteilung der Sämtlichen Werke ediert worden (SW II/6,385–411). Für die historisch-kritische Edition des Siebenkäs verbleibt damit ein Arbeitsvolumen von rund 320 Seiten. I.2. Fassungsvergleich 1818, also ein Jahr vor der dritten Auflage des Hesperus, erscheint die zweite (und letzte) Auflage des Siebenkäs. Anders als bei der letzten HesperusVersion, die den Text der zweiten Auflage im wesentlichen beibehält und vorwiegend stilistische Eingriffe vornimmt, schreibt der Autor seinen Siebenkäs rund zwanzig Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen in Teilen noch einmal neu. Die zweite Fassung entspricht also in der Dimension der Überarbeitung der zweiten Hesperus-Auflage von 1798, ja übertrifft diese teilweise noch. Jedoch ist bemerkenswert, daß die Umarbeitung nicht wie beim Hesperus zeitnah zur Anfangsphase des Romanprojekts erfolgt, sondern sich vielmehr der alte Jean Paul, nach vielen anderen Projekten, einem frühen Werk noch einmal intensiv neuschöpfend zuwendet. Der Umfang des Siebenkäs schwillt an (von drei Bänden der ersten zu vier Bänden der zweiten Auflage), und der Roman wird inhaltlich (neue Szenen) und in der Struktur (die Figuren führen nun selbst aus, was vorher der Erzähler berichtete) umgestaltet. Die Siebenkäs-Edition von Klaus Pauler ermöglicht es, die editorische Aufgabe noch vor der Erfassung der Texte abzuschätzen und das Editionsmodell festzulegen: Wie von Pauler, so ist auch vom künftigen Herausgeber
24
Helmut Pfotenhauer / Barbara Hunfeld / Birgit Sick
eine synoptische Darstellung zu wählen. Anders aber als in Paulers aufwendiger Liebhaber-Ausgabe mit ihrer Integration erläuternder Materialien in den Textteil wird man in der historisch-kritischen Siebenkäs-Ausgabe zurückhaltend verfahren und den Text als integres Kontinuum präsentieren, in das der Editor nicht eingreift. Das Modell ist der Pilotband Hesperus: D1 und D2 werden als Absatzsynopse präsentiert. Anders als bei Pauler handelt es sich nicht um eine von Materialienblöcken unterbrochene Spalten-Darstellung, in deren rechter Spalte D2 nur auszugsweise, in Varianten, erscheint. Vielmehr wird jede Version vollständig auf den zwei einander gegenüberliegenden Buchseiten, ohne Einmischungen des Editors, wiedergegeben, so daß der Benutzer Lesetexte vorfindet, bei denen er sich entscheiden kann, ob er sie je einzeln oder im Verhältnis zueinander wahrnehmen möchte. Wie beim Hesperus wird die Synopse von lemmatisierten Varianten-Apparaten begleitet, die dem Leser den Vergleich der Fassungen erleichtern und Hinweise auf das genetische Geschehen geben. Das Hesperus-Prinzip der Apparat-Teilung in einen Apparat für kleinere Varianten und einen Apparat zur Veranschaulichung der genetischen Prozeduren wird beibehalten. Es können hier jedoch bequem beide Seiten genutzt werden, während im Hesperus beide ApparatTeile auf derselben Seite unter dem D1-Abdruck Platz finden müssen, da die gegenüberliegende Seite mit dem D2-Abdruck für den hier noch hinzukommenden dritten Apparat, der die D3-Varianz repräsentiert, reserviert ist.18 Die Siebenkäs-Doppeldrucke (Schreinert weist vom 1. und 3. Band zwei, vom 2. Band sogar drei unautorisierte Paralleldrucke nach) bleiben in der Synopse selbst unberücksichtigt,19 da nachweislich der Verleger hier eigenmächtig handelte und eine Beteiligung Jean Pauls fehlte; etwaige Abweichungen sind also keine Autorvarianten. II. Zur Edition des Titan Der Titan erschien zwischen 1800 und 1803 in vier Bänden. Jean Paul nannte ihn seinen »Kardinal- und Kapitalroman«. Tatsächlich steht dieses Werk im Zentrum seines Romanschaffens, und das nicht nur in chronologischer Hinsicht. Jean Pauls von inneren Spannungen bestimmte Ästhetik zwischen Klassizismus und Romantik wird hier auf die Spitze getrieben: Es geht um eine Auseinandersetzung mit kunsttheoretischen und philosophischen Positionen der Zeit, in der Affirmation und Konterkarierung nicht nur nebenein––––––– 18 19
Vgl. Anm.9. Kurt Schreinert, Einleitung, in: SW I/6,V–LIX, hier: XLIII.
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Die neue historisch-kritische Ausgabe
ander stehen, sondern immer wieder ineinander übergehen. Dies betrifft sowohl inhaltliche Themen (Subjektproblem, Auseinandersetzung mit Fichte) als auch formale Fragen, wenn etwa der erhabene Ton eines programmatisch klassischen, »italienischen Stils« in jene überbordende Bildlichkeit mündet, welche die Weimarer Klassiker als »barock« befremdete. Zehn Jahre arbeitete Jean Paul an seinem »Mahmuth-Titan«, immer wieder parallel zu anderen Projekten oder von diesen unterbrochen. Die handschriftlichen Vorarbeiten, die in dieser äußerst produktiven Zeit entstanden, sind bis heute nahezu unbekannt, da sie nie ediert wurden. Sie dokumentieren nicht nur die Entstehungsgeschichte des Titan, sondern dürften auch im Hinblick auf Wechselbezüge zu anderen, in dieser Zeit entstandenen Werken aufschlußreich sein: Hesperus, Siebenkäs und Quintus Fixlein, die wie der Titan Gegenstand des Editionsvorhabens sind. Zu einer überarbeiteten zweiten Fassung des Romans, wie von Jean Paul gewünscht, kam es im Fall des Titan nicht. II.1. Vorarbeiten Zwar datiert Jean Paul den Beginn der eigentlichen Ausarbeitung des Titan auf den Juni 1797, doch arbeitete er insgesamt von Ende Dezember 1792 bis Dezember 1802 an diesem, ihm besonders am Herzen liegenden Romanprojekt. Die Vorarbeiten-Manuskripte sind bisher nie veröffentlicht worden, allerdings gibt es von Eduard Berend eine ausführliche Gesamtdarstellung mit Einteilung und Datierung der Konvolute im Vorwort zu seiner TitanEdition,20 auf die an dieser Stelle verwiesen sei. Wichtig für die Bestimmung der Vorarbeiten-Manuskripte sind außerdem die Daten des in Vorbereitung befindlichen zweiten Bandes der Nachlaßbeschreibung.21 Demnach verteilen sich die Titan-Vorarbeiten auf 15 Hefte und ca. 140 Einzelblätter; insgesamt liegen über 1000 Manuskriptseiten handschriftliche Aufzeichnungen vor. Diese untergliedern sich in die folgenden Konvolute, die alle in Faszikel XIX des Nachlasses enthalten sind: 1
Genieheft (1792–96)
19 Bll.
38 S.
2
Charakterheft (1796–98)
22 Bll.
44 S.
3
Geschichtsheft (1796/97)
16 Bll.
32 S.
––––––– 20
21
Eduard Berend, Einleitung, in: SW I/8,V–CX, hier: VIIff., XXf., XXIXf., XLIIf., Lf., LVIff., LXIIff. und LXVIIff. Vgl. Anm.17.
26
Helmut Pfotenhauer / Barbara Hunfeld / Birgit Sick 4
Titan, März (1798–99)
15 Bll.
30 S.
5
Titan, Erster Band (1797/98)
24 Bll.
48 S.
6
Supplement zum Titan (1799)
28 Bll.
56 S.
7
Titan, Zweiter Band (1799–1800)
34 Bll.
68 S.
8
Titan, Zweiter Band, Nr. 2 (1799–1800)
50 Bll.
100 S.
9
Titan, Zweiter Band, Nr. 3 (1800)
19 Bll.
38 S.
Komischer Anhang zum zweiten Band des Titans (1800–01) Titan, Dritter Band (1801–02)
30 Bll.
60 S.
45 Bll.
90 S.
10 11 12
3 Bll.
6 S.
13
Komischer Anhang zum dritten Band des Titans (o. Dat.) Titan 4 (März 1802)
24 Bll.
48 S.
14
Titan 4 (Juni 1802)
23 Bll.
46 S.
15
Titan 5 (1802)
19 Bll.
38 S.
16
Einzelne Textblätter (1794–1799)
109 Bll.
218 S.
17
Jugendzeitung (1794–1800)
35 Bll.
70 S.
18
Einzelblätter (1798–1802)
4 Bll.
8 S.
Gesamtplan zum Titan (1799)
1 Bll.
19
Summe
2 S. 1040 S.
Wie die Autopsie zeigt, ähneln die Titan-Vorarbeiten in vieler Hinsicht den teilweise zeitgleich entstandenen Hesperus-Vorarbeiten. Es handelt sich in der Masse um Notat-Sammlungen: Die einzelnen Notizen sind entweder zeilenweise angeordnet, wobei das Anfangswort jeweils unterstrichen und so der Beginn eines Gedankens hervorgehoben ist, oder sie werden aneinandergereiht und nur durch einen Gedankenstrich voneinander abgetrennt. Die Notate deuten – mit ihren für den Autor typischen, extremen Abkürzungen – auf eine rasche Aufzeichnungsweise hin. Die Abfolge der Notate wirkt assoziativ. Zusammenhänge zwischen den einzelnen Gedanken bestehen jedoch immer wieder auch durch die gemeinsame Zuordnung zu späteren Kapiteln, teils von Jean Paul vorgenommen, teils für den Editor erkennbar. Zumeist aber haben die Notate etwas Abgerissenes, als handele es sich um ein Brainstorming oder als seien jeweils nur Teile von Gedankenketten verschriftlicht worden. Die Aufzeichnungen tragen Handlungsbausteine zusammen, sammeln Aspekte zu den Charakteren und vermerken Details zu Situationen und Stimmungen, die Jean Paul offenbar besonders wichtig waren. In fortgeschritteneren Arbeitsphasen sind Einträge mit Kapitelbezeichnungen überschrieben; hier werden Kapitelabschnitte konzipiert. In allen Arbeitsperioden gibt es explizite Verweise auf Eintragungen in den Exzerptheften. Auch fin-
Die neue historisch-kritische Ausgabe
27
den sich die für Jean Paul charakteristischen, lakonischen Selbstanweisungen, in denen der Autor sich ermahnt, an leitende Fragestellungen erinnert oder zu bestimmten Vorgehensweisen auffordert (vgl. Abb.2). An wenigen Stellen sind Auflistungen vorhanden, die Übersichten der Gesamtanlage entwerfen. Es gibt nur wenige ausgearbeitetere Texte, welche die Niederschrift des Romans unmittelbar vorzubereiten scheinen; darum hat man es kaum je mit komplizierten Korrekturvorgängen zu tun, wie man sie von stilistischen Feilarbeiten her kennt. Überall aber findet man Durchstreichungen von Notaten oder größeren Textteilen, die bei Jean Paul bekanntlich die Verwendung im Werkmanuskript anzeigen. Das Druckmanuskript selbst ist leider, wie fast immer in der Überlieferungsgeschichte der Werke Jean Pauls, nicht erhalten geblieben. Angesichts der großen Menge an Vorarbeiten ist, in Rücksprache mit dem Verlag, vielleicht an eine teilweise digitale Publikation der Texte zu denken. Für die im Buch darzustellenden Teile wären folgende Auswahlkriterien anzulegen: 1. Alle wesentlichen Arbeitsphasen müssen repräsentiert sein (vgl. hierzu die acht von Berend eingegrenzten Schaffensperioden). 2. Gedruckt werden Konvolute, deren Bezug zum Roman gut zu erschließen ist (ob als Entsprechungs- oder als Spannungsverhältnis). 3. Eine Auswahl solcher Notate, deren Verhältnis zum Roman rätselhafter scheint, mag zum einen (wo möglich) exemplarisch mit Textwerkstatt-Erläuterungen versehen werden, die der Forschung Spuren für eine künftige, nähere Untersuchung des Materials legen, zum anderen mag sie – in ihrem Hauptanteil unkommentiert – die Grenzen des Verstehens und des Zugriffs auf die Arbeitsweise des Autors bezeugen, wo jede Erläuterung Spekulation bliebe oder zumindest vom Editor einen zu hohen Arbeitsaufwand erforderte, der angesichts der vordringlichen editorischen Ziele nicht zu vertreten ist. II.2. Textkonstitution Im Fall des Titan ist die Edition des Drucktextes wesentlich unkomplizierter als bei den übrigen geplanten Bänden des Kernbereichs. Weder gibt es divergierende Fassungen durch vom Autor bearbeitete Auflagen (wie bei Hesperus, Siebenkäs und Vorschule) noch sonst unterschiedliche Textzeugen, die berücksichtigt werden müssen (wie beim Komet) – eine Entlastung der Editionsarbeit insgesamt im Ausgleich zu der umfänglichen Handschriftenedition, die im Fall des Titan nötig ist. Es ist also der Drucktext nach dem von Jean Paul veranlaßten einzigen zeitgenössischen Druck, erschienen von 1800 bis 1803 bei Matzdorff in vier
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Helmut Pfotenhauer / Barbara Hunfeld / Birgit Sick
Bänden, zu edieren, unter Emendation der Druckfehler, aber ansonsten getreu der Vorlage und ohne weitere Eingriffe. III.
Zur Edition der Vorschule der Ästhetik
Die Vorschule der Ästhetik (erstmals erschienen 1804) ist Jean Pauls große kunsttheoretische Schrift. Sie expliziert Jean Pauls ästhetische Positionen, immer wieder auch im Spannungsverhältnis zur Ästhetik seiner literarischen Werke. Die Bedeutung des Textes gründet nicht nur in seinem Status als theoretisches Pendant zu den Werken, sondern auch in seinem Stellenwert für den Autor selbst, abzulesen an der unermüdlichen Arbeit Jean Pauls am Thema. Literatur nicht nur zu schreiben, sondern auch poetologisch zu reflektieren, beschäftigt Jean Paul von den Anfängen seines Schreibens an. Davon zeugen früh begonnene Notizen im Nachlaß bis hin zu den Studien zur zweiten Vorschule-Auflage. Auch mit Erscheinen der erheblich erweiterten zweiten Fassung der Vorschule 1813 betrachtet Jean Paul die Arbeit nicht als abgeschlossen: Weitere Texte entstehen bis zu seinem Tod, dokumentiert in der 1825 erschienenen Kleinen Nachschule zur ästhetischen Vorschule, möglicherweise ursprünglich gedacht als neuerliches Erweiterungsmaterial für eine dritte Auflage der Vorschule selbst.22 III.1. Vorarbeiten Zur ersten Auflage Zu beachten ist, daß bei der Vorschule, ähnlich wie beim Hesperus, als Vorarbeiten auch Texte angesehen werden können, die nicht unmittelbar dem eigentlichen Vorstudien-Konvolut zuzuordnen sind: Texte, die der Vorschule vorarbeiten, ohne explizite Vorarbeiten zur Vorschule zu sein. Diese Texte sind jedoch überwiegend ediert, womit günstige editorische Voraussetzungen bestehen, da sie für den Kommentarteil herangezogen werden können. Es handelt sich für die 1780er Jahre hauptsächlich um Teile aus den Bemerkungen über uns Menschen (Fasz. XIa; ediert in SW II/5). Als Vorstudien kann man auch Teile der Erfindungen (Fasz. IX; Auswahledition in SW II/9) ansehen, insbesondere Teile, in denen Regeln und Beispiele aufgestellt werden. Mit Beginn der 1790er Jahre setzt die Arbeit an den Philosophischen Unter––––––– 22
Vgl. Norbert Miller, Einleitung, in: I/5,1198.
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suchungen (Fasz. VIIIa; ediert in SW II/7) ein; hier gibt es zwischen philosophischen Themen auch einige einschlägige ästhetische Reflexionen. Im September 1794 legt Jean Paul innerhalb der »Untersuchungen« ein eigenes Heft Ästhetische Untersuchungen an (Fasz. VIIIa; ediert in SW II/7), in denen als Nummerneinträge kunsttheoretische Überlegungen aufgezeichnet werden; Berend nimmt an, daß Jean Paul in dieser Zeit den Plan zu einem eigenen ästhetischen Werk faßt.23 Als weitere Vorarbeiten zur ersten Auflage gelten die im folgenden aufgeführten Textsammlungen, die bisher nicht ediert sind und in den unmittelbaren Aufgabenbereich der Edition fallen (vgl. Abb.3). Sie sind – auf der Grundlage der Vorarbeiten von Ralf Goebel – genau bestimmbar (alle Fasz. XVIII). Vorarbeiten zur 1. Auflage Schmierbuch (1. November 1803)
66 Bll.
132 S.
Lose Blätter (1801–1803/04)
53 Bll.
106 S.
Summe
172 S.
Die Vorarbeiten sind nicht nur inhaltlich, sondern auch wegen ihrer Reflexion der möglichen Gestalt der Vorschule (satirisch, dialogisch, als Vorlesung etc.) von besonderem Interesse. Hierfür sind auch andere Dokumente, wie schon edierte Briefzeugnisse, aufschlußreich und daher für den Kommentar heranzuziehen. Die Ausarbeitung der Vorschule ließ, wegen der Arbeit an den Romanen, bis Oktober 1803 auf sich warten und dauerte schließlich bis August 1804. Die Erstauflage der Vorschule erschien noch im selben Jahr bei Perthes. Zur zweiten Auflage Da die Vorschule erfolgreich war und Jean Paul zwischenzeitlich noch weit mehr Material zur Kunsttheorie gesammelt hatte, kam es zu einer von Cotta verlegten, erweiterten zweiten Auflage. Als Vorarbeiten sind die nach 1804 fortgeführten und um ein zweites Heft angewachsenen Ästhetischen Untersuchungen (Fasz. VIIIa; ediert in SW II/7) anzusehen sowie nachfolgende Konvolute, die bislang nie publiziert wurden
––––––– 23
Vgl. Eduard Berend, Einleitung, in: SW I/11,V–XXXII, hier: VII.
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und daher im Rahmen der neuen Werkausgabe der Vorschule zu edieren sind (alle Fasz. XVIII).24 Vorarbeiten zur 2. Auflage Erstes Schmierheft (Februar 1812) Zweites Schmierheft (9. Juli 1812)
27 Bll. 36 Bll.
54 S. 72 S.
Lose Blätter (o.Dat.) Summe
35 Bll.
70 S. 196 S.
Das Arbeitsvolumen für die historisch-kritische Edition der Vorschule beträgt demnach bezogen auf die handschriftlichen Vorarbeiten insgesamt rund 440 Seiten. 1825 brachte Jean Paul noch einmal Studien zu poetologischen Fragen im Rahmen des Sammelbandes Kleine Bücherschau heraus: die Kleine Nachschule zur ästhetischen Vorschule. Da dieser kurze Text – schon von seinem Titel her – als Fortführung der Vorschulen-Arbeit zu verstehen ist, wird auch er in der Edition im Anschluß an den Fassungsvergleich der Vorschule wiedergegeben, und zwar auf der Grundlage des einzigen zu Lebzeiten Jean Pauls erschienenen Drucks.25 Auch zu diesem Text sind handschriftliche Vorarbeiten in Fasz. XVI, rund 90 Blätter (180 Seiten), überliefert, die allerdings größtenteils in SW I/16 bereits ediert sind. III.2. Fassungsvergleich Als der Erfolg des Erstdrucks eine weitere Auflage möglich machte, sah Jean Paul, wie beschrieben, die Gelegenheit, die Vorschule mit inzwischen neu erarbeitetem Material zu erweitern. Von Verlegerseite war zunächst gewünscht, die neuen Texte als eigenen Teil herauszubringen oder als gesondertes Bändchen einer zweiten Auflage anzuschließen. Die erheblichen Erweiterungen um ein Drittel wurden dann doch in den Text der Erstauflage einmontiert. Darüber hinaus wurde der Text in für den älteren Jean Paul spezifischer Weise stilistisch überarbeitet (Tilgung des Fugen-s, Ersetzung von Fremdwörtern). ––––––– 24
25
Auch diese Angaben basieren auf den Vorarbeiten von Ralf Goebel [Anm.17]. Bei der Edition dieser Texte ist im Zusammenhang mit Jean Pauls Arbeit an der zweiten Auflage zu berücksichtigen, daß der Autor außerdem weitere Werke anderer Autoren und die Rezensionen seiner Erstauflagen-Vorschule studierte. Diese Dokumente sind in den Kommentar einzubeziehen. Jean Paul, Kleine Bücherschau. Gesammelte Vorreden und Rezensionen, nebst einer kleinen Nachschule zur ästhetischen Vorschule, 2 Bde., Breslau 1825.
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Der editorische Darstellungsmodus der beiden Drucke läßt sich erst nach der Erfassung beider Auflagen und ihrem computergestützten Vergleich bestimmen. Aus der Qualität der Überarbeitungen im Detail ist abzuleiten, ob eine D1 zu D2-Vollsynopse nach dem Hesperus-Vorbild nötig ist oder ob der Abdruck von D1 genügt, wobei die Erweiterungen der zweiten Auflage in den Text zu integrieren sind und durch Einrückung optisch kenntlich gemacht werden. Die stilistischen Überarbeitungen werden als Lemma-Apparat protokolliert. Berend merkt zum Fassungsvergleich an, viele Einfügungen seien an Absatzenden der editio princeps gesetzt worden, doch sei die »Einflechtung der Zusätze [...] nicht immer ohne Gewaltsamkeit vor sich« gegangen, »und der ohnehin schon etwas aphoristische Zusammenhang wurde noch mehr aufgelockert.«26 Aus den Hinweisen, die Berend und Miller in ihren Anmerkungsteilen geben, ist die Qualität der Überarbeitungen nicht in jedem Fall zu klären, weshalb letzte Sicherheit nur durch den computergestützten Vergleich der digitalen Texte zu erlangen ist, wie er bereits beim Hesperus-Projekt angewendet wurde. IV. Zur Edition des Komet Die Entstehungsgeschichte des letzten Romans von Jean Paul ist komplex. Zum einen hat der Autor über ein Jahrzehnt – allerdings mit Unterbrechungen – an diesem Text gearbeitet: Erste Pläne und Entwürfe reichen bis in das Jahr 1806 zurück, der eigentliche Beginn der Vorarbeiten ist ab 1811 zu datieren. Zum anderen ist die »komische Geschichte« des Nikolaus Marggraf, die 1820 und 1822 in drei Bänden erschien, Teil eines literarischen Großprojektes der Spätzeit, in dem Jean Paul über mehrere Jahre hinweg (am intensivsten von 1815 bis 1818) Pläne zu einer Vereinigung von Roman und Autobiographie entwickelte und verfolgte. Beide Textsorten gedachte er in einer Wochenzeitschrift mit dem Titel Der Apotheker gemeinsam herauszugeben. Und mehr noch: Teilweise sah er diese neue Arbeits- und Publikationsweise als Möglichkeit zur Schaffung eines »Allwerk[es]« an, das sämtliche Texte enthielte, die er noch veröffentlichen wollte.27 Auch die Konzeption des Papierdrachen war in diesem Kontext als eine innovative Publikationsform der gesammelten heterogenen Texte und Textprojekte gedacht. Dementsprechend ist der Roman von der neueren Forschung in seiner zentra––––––– 26 27
Berend, Einleitung [Anm.23], S.XXX. Götz Müller, Janina Knab, Winfried Feifel, Nachwort, in: SW II/6,269–323, hier: 291.
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len Bedeutung für das Gesamtwerk als »ästhetische Programmschrift« gewürdigt worden.28 Ist die genetische Vernetzung der Texte geradezu ein Markenzeichen der Jean Paulschen Textwerkstatt, so treibt die konzeptionelle Verflechtung der späten Projekte diese Arbeitsweise noch auf die Spitze – die Werkgrenzen sind in diesem experimentellen Konzept der Schreibwerkstatt so fließend und ausgedehnt wie nie zuvor. Das absichtsvolle Offenhalten der Textproduktion wird literarisches Programm: Der erfolgreiche Berufsschriftsteller, der weder sich noch dem literarischen Publikum etwas beweisen muß, versteht sein Schreiben als eine Art »work in progress«. Dementsprechend wendet er die Offenheit seines Werkbegriffes produktiv und entwirft die Vision vom »Allwerk«. – In der publizistischen Realisierung allerdings kehrt die Problematik des Abschließens wieder, was nicht zuletzt daran zu sehen ist, daß der Komet weniger ein »Allwerk« geworden als ein Fragment geblieben ist. IV.1. Vorarbeiten und Druckmanuskript Die überlieferten Romanvorarbeiten zum Komet im engeren Sinne (der Roman als Werk und nicht als »Allwerk«) befinden sich hauptsächlich in Faszikel XVI des Nachlasses. Es handelt sich hierbei um 21 Konvolute, die nachfolgend im einzelnen aufgeschlüsselt werden.29 Die Manuskripte bestehen zum einen Teil aus einzelnen oder lose verbundenen Blättern, zum anderen Teil aus eigens gebundenen Heften. Vorarbeiten 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Leben vor dem Auszuge (o. Dat.) Auszug und Kandidat (o. Dat.) Reiseordnung (1820) Städte (o. Dat.) Nikolopolis (o. Dat.) Magnetiseur (o. Dat.) Stoß und Rezeptuar (o. Dat.) Misery (o. Dat.) Rührende Szenen (o. Dat.) Kandidat (o. Dat.)
2 Bll. 2 Bll. 10 Bll. 2 Bll. 2 Bll. 6 Bll. 5 Bll. 16 Bll. 2 Bll. 8 Bll.
4 S. 4 S. 20 S. 4 S. 4 S. 12 S. 10 S. 32 S. 4 S. 16 S.
––––––– 28
29
Monika Schmitz-Emans, ›Der Komet‹ als ästhetische Programmschrift – Poetologische Konzepte, Aporien und ein Sündenbock, in: JJPG 35/36 (2000/2001), S.59–92. Auch hier sei nochmals auf die Vorarbeiten von Ralf Goebel verwiesen [Anm.17].
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Magnetische Reisen (o. Dat.) Der Apotheker (1819/20) Wochenschrift (1819–22) Ausschweife (o. Dat.) Der Komet. Zweiter Band (April 1820) Der Komet. Dritter Band (September 1820) Ernste Ausschweife (o. Dat.) Traumgeber (o. Dat.) Erstes Oktavheft (1802/1820) Zweites Oktavheft (o. Dat.) Einzelne Blätter (um 1822) Summe
13 Bll. 10 Bll. 33 Bll. 37 Bll. 22 Bll. 37 Bll. 8 Bll. 10 Bll. 24 Bll. 12 Bll. 40 Bll.
26 S. 20 S. 66 S. 74 S. 44 S. 74 S. 16 S. 20 S. 48 S. 24 S. 80 S. 602 S.
Die Konvolute Nr. 1 bis 13 wurden bereits in SW II/6 nahezu vollständig ediert. Aus Nr. 14 erschien a.a.O. eine kleine Auswahl. Von den insgesamt 602 Seiten handschriftlicher Vorarbeiten liegen demnach 222 Seiten ediert vor. Damit verbleibt für die historisch-kritische Edition des Komet bezogen auf die Romanvorarbeiten ein Arbeitsvolumen von 380 Seiten. Darüber hinaus ist der Komet das einzige Werk Jean Pauls, zu dem ein Druckmanuskript überliefert wurde. – Editorisch liegt hier also in bezug auf das Werk Jean Pauls ein seltener Sonderfall vor. Das Druckmanuskript (d) der ersten beiden Bände des Romans befindet sich in Faszikel XXVI des Nachlasses. Bei dem Textzeugen handelt es sich um eine Abschrift überwiegend von Jean Pauls Tochter Emma, teilweise aber auch von Sohn Max und Frau Karoline, die zahlreiche Korrekturen, Verbesserungen und umfangreiche Ergänzungen von der Hand des Autors enthält (vgl. Abb.4). Druckmanuskript Der Komet. Band 1 (1818–1820)
130 Bll.
260 S.
Der Komet. Band 2 (1818)
134 Bll.
268 S.
Summe
528 S.
Insgesamt sind für dieses Editionsprojekt also Autographen im Umfang von rund 900 Seiten zu bearbeiten.
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IV.2. Textkonstitution Aus der Überlieferungsgeschichte der 1820 und 1822 erschienenen drei Bände des Komet sind außer dem Druck (D) noch weitere, für dessen Edition relevante Textzeugen bekannt: 1) Das bereits erwähnte handschriftliche Druckmanuskript der beiden ersten Bände (d). 2) Die Journalfassung des »Traum über das All«, die vorab in der Münchner Zeitung Eos erschien (JTraum). 3) Die Journalfassung der »Vorrede des zweiten Bandes«, die vorab im Morgenblatt für gebildete Stände gedruckt wurde (JVorrede2) und die gleichzeitig die Grundlage für den Abdruck des gleichnamigen Textes in D darstellte. 4) Die Journalfassung einer Auswahl der »Ernsthaften Ausschweife«, die nach dem Erscheinen des ersten Bandes des Komet ebenfalls in Eos veröffentlicht wurde (JErnste Ausschweife). Die Komet-Edition Eduard Berends in den Sämtlichen Werken bietet einen Idealtext: In Zweifelsfällen konsultierte der Herausgeber sämtliche andere Textzeugen und wählte von Fall zu Fall die seiner Ansicht nach beste oder passendste Fassung aus.30 Der Text des Berendschen Komet ist also ein aus D, d, JTraum, JVorrede2 und JErnste Ausschweife vom Editor zusammengesetzter Text, der in dieser Form niemals gedruckt wurde. In die Textkonstitution ging auch die Komet-Ausgabe der posthum erschienenen, von Jean Pauls Schwiegersohn Ernst Förster herausgegebenen, zweiten Reimerschen Gesamtausgabe der Werke Jean Pauls (1840–42) als weiterer Textzeuge mit ein.31 Aufgrund der (ohne Berends Verschulden) fehlenden Lesarten sind die Entscheidungen des Herausgebers nur unvollständig über den Anmerkungsteil von SW I/15 rekonstruierbar. Eine Neuausgabe von Jean Pauls Komet-Roman ist nicht zuletzt aus diesen Gründen dringend geboten. Dabei wird der 1820 und 1822 erschienene Druck D als Leittext in den Mittelpunkt der Edition gestellt – unter Berücksichtigung des von Jean Paul selbst handschriftlich erstellten Druckfehlerverzeichnisses für die Bände eins und zwei (HDruckfehler), das dem dritten Band bei seiner Veröffentlichung nicht beigegeben worden war. Ziel der Edition ist es, von Text D ausgehend, sämtliche Abweichungen zu den ge––––––– 30 31
Vgl. Eduard Berend, Anmerkungen, in: SW I/15,457–477. Jean Paul’s sämmtliche Werke. Bd.28, Berlin 1842.
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nannten Textzeugen festzustellen und zu verzeichnen. Nach dem aktuellen Kenntnisstand ist ein lemmatisierter Variantenapparat für dieses Vorhaben ausreichend. Desweiteren arbeitet die historisch-kritische Edition des Komet die Textgenese im Umfeld des »Allwerk«-Projektes auf und setzt diese zu dem edierten Romantext in Beziehung. Dabei sind neben den erwähnten handschriftlichen Romanvorarbeiten auch die bereits edierten Konvolute der Selberlebensbeschreibung in SW II/4 und des Vita-Buches in SW II/6 zu berücksichtigen. Die folgenden Abbildungen unveröffentlichter Manuskriptseiten aus dem Nachlaß Jean Pauls entstammen einem Kooperationsprojekt zwischen der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz und der Arbeitsstelle Jean-Paul-Edition der Universität Würzburg. Hierbei wurden die für die dargestellte Edition des Kernbereichs (Hesperus, Siebenkäs, Vorschule der Ästhetik, Komet) und der in Arbeit befindlichen Ergänzungsbände (Quintus Fixlein, Leben Fibels) benötigten handschriftlichen Vorarbeiten des Autors faszikelweise digitalisiert. Das Unternehmen wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.
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Abb.1: Jean Paul, Vorarbeiten zur ersten Auflage des Siebenkäs, Nachlaß, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Fasz.XVII, [Strazza] (1795), Bl.[4v]/35v, mit Notizen des Autors zur Konstellation des Namentausches der Figuren Leibgeber – Siebenkäs. Den Namen Siebenkäs hob er aus einer Reihe verschiedener Alternativen durch Unterstreichung hervor (etwa Bildmitte). Die entscheidenden Zeilen markierte der Autor am linken Rand jeweils mit einem durchstrichenen Längsstrich und kennzeichnete die Notate außerdem durch eine mit Rotstift ausgeführte horizontale Streichung als im veröffentlichten Werk verwendet. Hatte aus Spas einen a. Namen angenommen; hatte ein Mutter mal heilen lass., 2 Ohren waren es. Sie wirft das mit Lenette vor. – 1780 Gesezkomission. – Neue Sprizen probieren Er nahm jenes Namen an. Und dieser seinen: Fizau, Flachs, Serapion Flachs, – Siebenkäs.
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Abb.2: Jean Paul, Vorarbeiten zum Titan, Nachlaß, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Fasz.XIX, »Zweiter Band des Titans« (1799), Bl.2r, mit einer in Blei ausgeführten, diagonalen Verwendungsstreichung des Autors sowie einer Selbstanweisung (Bildmitte, Textstelle mit Strich am linken Rand): Zeige seine [Roquariols, d. Verf.] Wirkung auf a. – Handlungen müss. aus dem Karakt. folgen, nicht neben ihm herlaufen – halte ähnliche Karakt. auseinand. – male Karakter gegen Voraussehung des Les. – das Unreife, das Fehlerhafte des Helden – Blos nach Zeit, nicht Maximen ordne – sinlich histor. Malen der Nebenumstände – Mumienstyl – Denke immer an die Karakt. in gedrukten Kapiteln
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Abb.3: Jean Paul, Vorarbeiten zur ersten Auflage der Vorschule der Ästhetik, Nachlaß, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Fasz.XVIII, [Schmierbuch] (1803/04), Bl. 40v, mit einer Sammlung von Einfällen und Notaten zur »II. oder JubilateVorlesung«, die der Autor etwa in Bildmitte durch einen Längsstrich in zwei Bereiche unterteilte. Zahlreiche horizontale und diagonale Verwendungsstreichungen verweisen auf die intensive Arbeit des Autors mit diesen Textbausteinen. Die obere Hälfte enthält u.a. Ideen zum ›Beginn der Vorlesung durch den Verfasser‹, die untere Hälfte u.a. zur ›ersten Kautel des Kopfes‹ und zur ›zweiten Kautel des Herzens‹. Im unteren Drittel der Manuskriptseite notierte der Autor in runden Klammern wieder eine Selbstanweisung: »(Sieh üb. Wahnsin im Regist. nach)«.
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Abb.4: Jean Paul, Druckmanuskript zum Komet, Nachlaß, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Fasz.XXVI, »Der Komet, oder Nikolaus Marggraf. Eine komische Geschichte. Von Jean Paul.« [Band 1] (1818–1820), S.200, Abschrift des Romantextes von Jean Pauls Tochter Emma mit einer Ergänzung des Autors (untere Bildhälfte): Ernste Ausschweife des vierten Vorkapitels. Der unverwelkliche Brautkranz Rosa hatte am Brauttage ihren Geliebten sterben sehen, aber ein sanfter Wahnsinn kam als Trost zu ihr und wurde ihr Tröster. Sie suchte
MONIKA SCHMITZ-EMANS
BEOBACHTUNGEN ZU JEAN PAULS POETIK DES DRAMAS
Theatermetaphorik und Theaterdarstellungen Was bedeutet das Theater einem Autor, der abgesehen von einigen Streckversen ausschließlich Prosa geschrieben hat und dessen erzählerisch dargestellte Gespräche wenig Ähnlichkeit mit Dramendialogen aufweisen? Eine erste Antwort ist schnell gegeben: Das Theater hat bei Jean Paul die Funktion eines besonders ergiebigen Metaphernspenders. Theatermetaphern finden sich hier in unüberschaubar großer Zahl. Sie dienen der Beschreibung des Menschen als eines Rollenspielers in der sozialen Welt, aber auch der Modellierung des Bezugs zwischen Endlichkeit und Transzendenz – im Sinn des alten Gleichnisses vom irdischen Leben als einem Schauspiel.1 Gern verwendet Jean Paul Theatermetaphern auch in erkenntniskritischer Absicht – unter Akzentuierung der Teilmotive von Vorhang, Kostümierung, Larve und Maske als verhüllender und verfremdender Außenseite einer nicht oder doch nicht unmittelbar greifbaren Wahrheit. Als Schauspiel werden sowohl individuelle Lebensläufe als auch weltgeschichtliche Prozesse beschrieben, oft unter Akzentuierung der Hinfälligkeit aller Dinge und in Anknüpfung an barocke Allegorik. Der Tod, so heißt es etwa in der Selberlebensbeschreibung prägnant, sei »der eigentliche Schauspieldirektor und Maschinenmeister der Erde« (I/6,1086). In der Abhandlung Über die natürliche Magie der Einbildungskraft wird betont, daß die Anschauung der Welt als Schauspiel so metaphorisch gar nicht sei.2 Unter den Dramatikern schätzt Jean Paul, ebenso wie seine romantischen Zeitgenossen, Shakespeare besonders – und damit einen Autor, der die Geschichte der Welttheatermetaphorik besonders nach––––––– 1
2
Vgl. dazu: Gudrun Mauch, Theatermetapher und Theatermotiv in Jean Pauls ›Titan‹. Göppingen 1974. – Monika Schmitz-Emans, Dramatische Welten und verschachtelte Spiele. Zur Modellfunktion des Theatralischen in Jean Pauls Romanen, in: JJPG 22 (1987), S.67–93. »Dem echten Dichter ist das ganze Leben dramatisch, [...] der Philosoph und der Mensch dürfen hier nicht anders denken als der Dichter [...]. Dieser Gesichtspunkt, der metaphorischer scheint, als er ist, erhebt zu einer Standhaftigkeit, die erhabener, seltener und süßer ist als die stoische Apathie [...].« (I/4,198–199).
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haltig geprägt hat. Jean Pauls berühmte Rede des toten Christus, die Verkündigung der Nichtexistenz Gottes, war in einer früheren Fassung dem toten Shakespeare in den Mund gelegt worden – ein Hinweis darauf, welchen Rang der große Dramendichter in Jean Pauls Augen besaß. Neben Theatermetaphern finden sich in Jean Pauls Texten manche Anspielungen auf Dramatiker, Stücke und Bühnenwelten. Obwohl allerdings in den Romanen mancherlei inszeniert wird und die Figuren in mancherlei Maskierungen und Rollen auftreten (schon der eigene Körper ist ja aus Jean Paulscher Sicht eine Maske), wird eher selten im engeren Sinn Theater gespielt. Bemerkenswerterweise sind es in der Unsichtbaren Loge und im Titan die Intrigantenfiguren (Oefel und Roquairol), welche Schauspiele verfassen und inszenieren; im Hesperus ist das Schauspiel zumindest Teil der höfischen (und damit von Intriganz geprägten) Sphäre. Oefel schreibt ein »GeburttagDrama« zu Ehren der Residentin, mit dem er dieser zu schmeicheln und Beata näher an sich zu ziehen wünscht; kurz umreißt der Erzähler den Inhalt des Stücks und vergleicht es mit einer »Idylle von Fontenelle«; anschließende Bemerkungen gelten der Ähnlichkeit der »Hof-Poeten« mit »Ohrwürmern«, die leicht den Weg zum Ohr finden, aber nur winzige Flügel haben (I/1,327). Was Ohrwurm Oefel nicht ahnt, ist der Umstand, daß sein Stück für die Mitspieler Gustav und Beata zum willkommenen Anlaß wird, sich über die einzustudierenden zärtlichen Dialoge zumindest in der Phantasie schon einmal näher zu kommen; das eigentlich interessante Geschehen – die Liebesgeschichte zwischen Gustav und Beata – entspinnt sich jenseits des oberflächlichen Idyllenspiels, aber unter unvorhergesehener und den Liebenden selbst kaum bewußter Funktionalisierung der bescheidenen Ohrwurm-Flügel des Dramentextes (I/1,329). Im Hesperus wird eine Theateraufführung in analoger Weise zum Medium indirekter Kommunikation des zentralen liebenden Paares. Hier führt man keine Ohrwurm-Idylle auf, sondern Goethes Iphigenie. Die Anregung zum Besuch des Stücks geht immerhin von der Fürstin Agnola als einer Repräsentantin der Hofwelt aus; ihr ist nicht das Stück selbst wichtig, sondern sie will Viktor bei Gelegenheit der Inszenierung Klotilde als seine Patientin zuführen. Die Protagonisten sind diesmal nur Zuschauer, werden vom Erzähler aber explizit in eine Analogiebeziehung zu den Goethe’schen Figuren gesetzt (I/1,854). Wiederum wird der Dramentext zum Anlaß und Vehikel einer anderen, die Figuren selbst innerlich betreffenden Verständigung: Durch eine anspielungsreiche Bemerkung über Schwester und Bruder setzt Victor Klotilde über seine Kenntnis heimlicher Verwandtschaftsbeziehungen ins Bild. Im Titan inszeniert Roquairol ein anspielungsreiches Spiel, das mit seinem Selbstmord endet und dadurch in besonders
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drastischer Weise die Welt der Protagonisten mit der Scheinwelt der Bühne verschmilzt (I/3,745–756). Roquairol steht für die nihilistische und amoralische Lesart der Gleichung von menschlichem Leben und theatralem Spiel; eine andere Identität als die eines Rollenspielers hat er nicht, und noch in dem Brief, in dem er Albano über die Verführung Lindas aufklärt, spricht er zynisch davon, er habe bei der Betrogenen die »Rolle« des wahren Geliebten »durch alle Akte durch« gespielt (I/3,757).3 Auf vielschichtige und zugleich mehrdeutige Weise sind in den drei genannten Beispielen der Einbettung von Schauspielen in die Romanhandlung die Ebenen differenter Wirklichkeiten miteinander verflochten – die der Figuren und ihrer Empfindungen einerseits, die der vorgespielten Handlung andererseits. Das Vorgespielte ist jeweils kein planer Spiegel der wahren Lebensverhältnisse, aber auch kein bloßer autonomer Schein; es wird zum Anlaß der Einübung von Sprechweisen (Unsichtbare Loge), zum Anlaß heimlicher und verschlüsselter Kommunikation (Hesperus) oder zum Anlaß eines gewalttätigen Eingriffs ins Leben der Figuren, bei dem keine eindeutige Wahrheit aufgedeckt, sondern auf die Scheinhaftigkeit des Lebens selbst hingewiesen wird (Titan). In allen drei Fällen konzentriert sich das Interesse des Erzählers auf die agierenden Figuren, wie Jean Pauls Auseinandersetzung mit dem Drama und dem Theater insgesamt die Figuren – die »Charaktere« – in den Fokus rückt.4 Dies gilt bereits für einen Text aus den Grönländischen Prozessen (1783– 1784), in dem sich der Satiriker weitläufig »Über die Schriftstellerei« äußert und über die Schriftsteller wie über ihr Publikum mokiert (II/1,372–425). Sein Spott über Romanciers wie Dramatiker gilt in erster Linie ihrer mangelnden Menschenkenntnis, ihren schematischen und eintönigen Charakterzeichnungen. Die »jezigen Schriftsteller« kennen offenbar das breite Spektrum möglicher Charaktere zwischen Engeln und Teufeln nicht.5 Tatsächlich, ––––––– 3
4
5
Zu Roquairol vgl. Jochen Golz, Welt und Gegen-Welt in Jean Pauls ›Titan‹. Stuttgart/Weimar 1996, S.199–201. Erhellende Analysen und Kommentare zur Dramenpoetik Jean Pauls finden sich bei Ralf Berhorst, Anamorphosen der Zeit. Jean Pauls Romanästhetik und Geschichtsphilosophie. Tübingen 2002. Jean Paul assoziiert, so ein wichtiger Befund Berhorsts, die beiden Gattungen Epos und Drama mit Raum (Epos) und Zeit (Drama); vgl. Vorschule §66 (I/5,238–240) (Berhorst, S.142). »Die Zeichnung der Karaktere in Schauspielen und Romanen spricht die jezigen Schriftsteller zu Meistern. Unerschöpflich sind sie in der Mannichfaltigkeit derselben. Sie mahlen nämlich nicht weniger als zwei Arten von Menschen, Heilige und Bösewichter, die, wie man weis, nur in den Köpfen der Dichter existiren. So sind im Damenbrete zweierlei Steine, schwarze und weisse. [...] Steigt aus dem Dintenfasse gar ein Seraph heraus, wie aus dem Mere eine Venus, so ist das Buch unsterblich. [...] Doch sizt unsern Mahlern auch der Teufel, und stat ihn gleich Lu-
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so die weitere Kritik, sind die allzu guten und allzu bösen Charaktere aber nicht einmal echte Engel und Teufel, sondern nur Rollen-Ichs der Schriftsteller selbst. Unsre Dichter mahlen nie ihre Helden, sondern nur sich, blasen immer Leidenschaften zu Flammen an, die den Einflus ihrer Lunge voraussezen, und verrathen gleich gewissen Betrügern, die Menschheit des verkleideten Engels oder Teufels durch die menschliche Stimme. (II/1,412)
Was hier in satirischem Kontext im Sinn einer Kritik an mangelnder poetischer Kompetenz, an narzißtischer Selbstbezogenheit und fehlender lebendiger Erfahrung mit echten Charakteren, gemeint ist – der Vorwurf nämlich, die Figuren der »jezigen Schriftsteller« seien allein aus deren eigener Person abgeleitet – wird später unter ganz anderer Akzentuierung zu einem Kernstück der Jean Paulschen Dramenpoetik (s.u.). Noch ein weiteres, dramenpoetologisch später gleichfalls wichtiges Thema klingt an: das der Differenz zwischen dem geschriebenen Stück (also dem eigentlichen Werk des Dramenautors) und der theatralen Inszenierung. Im frühen Text spottet der Satiriker über die sinnlose Üppigkeit zeitgenössischer Stücke, den dramaturgisch funktionslosen, auf bloß oberflächliche Effekte abzielenden Einsatz von Personal und Ausstattung; mit dem Vorwurf der Sinn- und Inhaltslosigkeit der Stücke selbst verbindet sich die provozierende Behauptung, erst bei der Inszenierung erfülle sich das sinnlose Textsubstrat des Theaterschriftstellers mit Bedeutung. Noch etwas über das Schauspiel [...] – Je mehr Personen in einem Stükke, desto vortreflicher dasselbe. Denn je mehr Pferde am Wagen, desto vornehmer der Herr darinnen. Die Kunst des Theaterdichters fröhnet nur dem Auge; und was läst wohl prächtiger als die Abwechselung, die menge der Schauspieler in demselben Stükke? Wie denn überhaupt ein guter Theaterdichter alles Verdienst des Verstandes blos dem Schauspieler überläst, und dem Organisten gleicht, der nichts als die Melodie spielt, und den Sin dazu zu singen der Gemeinde frei stelt. (II/1,413f.)
Eben diese prinzipielle (hier satirisch überspitzte) Differenzierung zwischen Schauspieltext und Aufführung bildet nun erstens die Basis für den in den Romanen aufgegriffenen Einfall, den Theater-Text zum Medium einer über seine Buchstäblichkeit hinausgehenden Kommunikation zwischen den Akteuren zu machen. (Denn in Fällen wie dem Gustavs und Beatas geben die Akteure ja dem Text tatsächlich einen neuen, eigenen Sinn.) Zweitens wird jene Differenzierung für Jean Pauls spätere Reflexionen über Drama und Theater insofern bedeutsam, als er dort den dramatischen Text als den eigent––––––– thern mit der Dinte von der Wand zu verscheuchen, zeichnen sie ihn hurtig damit ab und schmükken Nachttische mit seinem Schattenris.« (II/1,410f.)
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lichen Bedeutungsträger gegenüber der Inszenierung nachdrücklich aufwertet (s.u.). Jean Pauls Dramenpoetik als Poetik der dramatischen »Charaktere« Ausführliche dramentheoretische Erörterungen enthält Jean Pauls Vorschule (1804/1813), die trotz ihrer Gliederung in Abteilungen und Paragraphen keine geschlossene systematische Theorie ist. Wenn Jean Paul hier über das Drama nachdenkt, so gelten seine Hinweise dem Theater-Dichter, nicht dem Regisseur oder dem Schauspieler. Als Indiz dafür, daß er die Arbeit des Theaterdichters über die (für ihn im wesentlichen reproduktive) Inszenierung stellt, darf wohl die an anderer Stelle fallende metaphorische Bemerkung gelten, die Schauspieler seien »nur die Lettern, nur die trocknen Tuschen [...], womit der Theaterdichter seine Ideale auf das Theater malet« (I/4,203).6 Die an einer Inszenierung Beteiligten sind Exekutivorgane, physisch-materielle Ausdrucksmedien, so wie Drucktypen oder Pigmente. Jean Pauls Dramenpoetik ist primär eine Poetik der Figuren. Wie sich in den Romanen die Darstellung von Theater und Spiel in erster Linie auf die involvierten Charaktere konzentriert, so auch in der Vorschule; Ralf Berhorst weist zu Recht darauf hin, daß Jean Paul sich mit seiner Privilegierung der dramatischen Figur gegenüber der Handlung unter anderem von Herder unterscheidet, der den Rang der Fabel höher ansetzt.7 Der Gestaltung von dramatischen Figuren widmet Jean Paul ausführliche Überlegungen.8 Er suggeriert dabei eine grundlegende Analogie zwischen lebendigen Menschen und gelungenen fiktiven Personen. Jeder Charakter sei durch einen individuellen Willen als sein Zentrum organisiert. Von diesem Zentrum aus werden alle einzelnen Charakter-Eigenschaften koordiniert; lebendige wie literarische Charaktere stellen organische Ganzheiten dar, deren Einzelmomente nicht einfach additiv, sondern als Funktionszusammenhang zu begreifen seien. Jean Paul unterstellt dabei, daß alle Menschen an einem gemeinsamen Grundbestand von Entfaltungsmöglichkeiten des Humanen partizipieren ––––––– 6
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Auch der (bereits zitierte) satirische Einfall, der Theaterdichter liefere nur ein bedeutungsindifferentes Substrat, die Akteure hätten dieses dann mit Sinn zu füllen, signalisiert durch seine Überspitzung ja, was Jean Paul eigentlich erwartet – nämlich, daß der Theaterdichter selbst für die übermittelten Bedeutungen einsteht. Vgl. dazu Vorschule, XI. Programm (»Geschichtfabel des Drama und des Epos«), I/5,229–248; Berhorst [Anm.5], S.212. Vgl. zum folgenden die Paragraphen »Über Charaktere«, in: Vorschule, §§56–61 (I/5,207–229).
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(I/5,208f.). Der Dichter hat die Aufgabe, durch seine Figuren die in der Menschheit selbst angelegten Möglichkeiten darzustellen – die virtuellen Eigenschaften eines jedes Menschen, also auch seiner selbst.9 Jean Paul möchte poetische Charaktere nicht als Wesen zweiter Ordnung wahrgenommen wissen, sondern als Gestalten, die autonom aus sich selbst leben. Dies erscheint aber nur denkbar, wenn die Charaktere ihrem Schöpfer auf Augenhöhe begegnen, statt von ihm konstruiert, dirigiert und funktionalisiert zu werden. Um der Modellierung und Plausibilisierung des Eigenlebens literarischer Figuren willen stellt Jean Paul sich vor, der Dichter höre ihnen imaginierend zu und protokolliere dann, was er vernommen habe. Der Charakter selber muss lebendig vor euch in der begeisterten Stunde fest thronen, ihr müsset ihn hören, nicht bloß sehen; er muss euch – wie ja im Traume geschieht – eingeben, nicht ihr ihm [...]. (I/5,211)
Das Dichtergehirn wird hier zum Bühnenraum, auf dem die Geschöpfe der dichterischen Imagination agieren.10 Sie erscheinen ungerufen und wie aus eigenem Antrieb; was sie sagen, ist nicht vorhersehbar. Betont sei, daß es sich dabei um eine modellhafte Vorstellung handelt, nicht um eine Deskription tatsächlicher literarischer Arbeitsprozesse. Eine Fußnote zu diesen Ausführungen ergänzt sie um einen wichtigen Vergleich: der Traum selbst wird hier als »unwillkürliche Dichtkunst« bezeichnet.11 Durch diese Analogisie––––––– 9
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»Im Dichter kommt die ganze Menschheit zur Besinnung und zur Sprache; darum weckt er sie wieder leicht in andern auf.« (I/5,209) Vgl. auch: »Freilich ist Erfahrung und Menschenkenntnis dem Dichter unschätzbar; aber nur zur Farbengebung des schon erschaffenen und gezeichneten Charakters, welcher diese Erfahrungen sich zueignet und einverleibt, durch sie aber so wenig entsteht als ein Mensch durch Essen.« (I/5,210) – Aufgrund seiner individuellen Disposition kann jeder einzelne Dichter ein ganz bestimmtes Spektrum an Figuren hervorbringen, das von guten Charakteren (Märtyrern, Engeln) bis zu bösen (Tyrannen, Teufeln) reicht. Mit einem solchen räumlichen Modell imaginativer Tätigkeit stellt sich Jean Paul in eine komplexe Tradition räumlicher Modellierungen psychischer Prozesse, wie sie insbesondere auch lange für Vorstellungen über das menschliche Gedächtnis prägend war. Jedes intellektuelle Vermögen hat diesem Modell zufolge im Gehirn seinen spezifischen Ort, sein Labor, sein Archiv – oder eben seine Bühne. »Der Traum ist unwillkürliche Dichtkunst; und zeigt, daß der Dichter mit dem körperlichen Gehirne mehr arbeite als ein anderer Mensch. Warum hat sich noch niemand darüber verwundert, daß er in den Scènes detachées des Traums den spielenden Personen wie ein Shakespeare die eigentümlichste Sprache, die schärfsten Merkworte ihrer Natur eingibt, oder vielmehr daß sie es ihm soufflieren, nicht er ihnen. Der echte Dichter ist ebenso im Schreiben nur der Zuhörer, nicht der Sprachlehrer seiner Charaktere, d.h. er flickt nicht ihr Gespräch nach einem mühsam gehörten Stilistikum der Menschenkenntnis zusammen, sondern er schauet sie, wie im Traume, lebendig an, und dann hört er sie. [...] Daß die Traumstatisten uns mit Antworten überraschen, die wir ihnen doch selber eingegeben haben, ist natür-
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rung zwischen poetischem Schöpfungsprozeß und Traum suggeriert Jean Paul, an ersterem habe Nicht-Kalkulables und Vorbewußtes maßgeblichen Anteil. Seine dramenpoetologischen Ausführungen schließen damit an den romantischen Diskurs über die Nachtseiten der Seele und die Produktivkräfte des Unbewußten an. Zudem sind sie im Kontext einer Poetik der Imagination verortet, die sich dezidiert gegen die Mimesis-Poetik, insbesondere gegen die auf Platon zurückgehende Kritik am bloß derivativen Charakter ästhetischer Artefakte wendet.12 Poetische Schöpfungen allein auf empirische Erfahrungen zurückzuführen hieße, sie als Abbilder zu devaluieren. Jean Paul spricht sich darum dezidiert gegen eine solche Ableitung der poetischen Charaktere aus der Erfahrung aus – obwohl er als Satiriker rund zwei Jahrzehnte zuvor noch die mangelnde Sättigung dramatischer Figurendarstellung mit Lebenserfahrung kritisiert hatte. Nicht das Studium, sondern die Intuition bringe die poetischen Gestalten hervor, und manchem Dichter, der überzeugende Gestalten schaffe, gehe die entsprechende Lebenserfahrung gerade ab, so sein Argument (das nur aus seinem funktionalen Kontext heraus zu verstehen ist). Die Ableitung poetischer Gestalten aus empirischen Urbildern sei nicht nur falsch, sondern auch in sich widersprüchlich, da sie beim Dichter ein Wissen darüber voraussetze, welche Art von Urbildern poetisch brauchbar sind – und dies könne wiederum nur ein intuitives Wissen sein.13 (Wieder ist der Vergleich mit Pigmenten als der körperlich-konkreten Basis malerischer Darstellungsverfahren willkommen; die Erfahrung ist allenfalls das Material für eine –––––––
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lich: auch im Wachen springt jede Idee wie ein geschlagener Funke plötzlich hervor, die wir unserer Anstrengung zurechnen; im Traume aber fehlt uns das Bewusstsein der letzten, wir müssen die Idee also der Gestalt vor uns zuschreiben, der wir die Anstrengung leihen.« (I/5,211f.). Sind für Platon im Horizont seines mimetischen Konzepts künstlerischer Darstellung die Schöpfungen der Dichter bloße Abbilder und deshalb von nachgeordnetem Anteil am wahren Sein (vgl. Politeia 597a–b; Politeia 601a), so insistiert demgegenüber die neuzeitliche Ästhetik in kritischer Absetzung von einem so verstandenen Konzept der Kunst als Nachahmung auf dem unmittelbaren Anteil des ästhetischen Artefakts an der Wahrheit. Laut Hans Blumenberg läßt sich die Geschichte abendländischer Dichtungstheorie seit der Antike »unter dem Gesamttitel einer Auseinandersetzung mit dem antiken Satz [begreifen], daß die Dichter lügen«. (Hans Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans, in: Nachahmung und Illusion, hrsg. von Hans Robert Jauß. 2.Aufl. München 1969, S.9–27). Über die »Entstehung poetischer Charaktere« heißt es, diese vollziehe sich »so wie ein physischer oder wie ein moralischen neuer Mensch oder ein Wille entsteht: der Blitz empfängt und gebiert ihn. [...] Wollte man poetische Charaktere aus Erinnerungen der wirklichen erklären und erschaffen: so setzt ja der bloße Gebrauch und Verstand der letzten schon ein regelndes Urbild voraus, welches vom Bilde die Zufälligkeiten scheiden und die Einheit des Lebens finden lehrt.« (I/5,210)
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Pigmentierung, welche dem intuitiv entworfenen Umriß hinzugefügt wird; vgl. I/5,210.) Subtext und Motivlieferant der »Vorschul«-Reflexionen über die Gestaltung poetischer Charaktere ist die bereits erwähnte Satire »Über die Schriftstellerei« aus den Grönländischen Prozessen; allerdings unter Verkehrung der dort implizit vollzogenen Bewertungen. War vom Satiriker in kritischem Sinn angemerkt worden, die angeblichen Engel und Teufel der Bühnenautoren seien nichts weiter als Projektionen aus deren eigenem Inneren, so werden nun wiederum die bösen wie die guten Charaktere als Figurationen des Autors selbst interpretiert – diesmal aber, um den inneren Zusammenhang zwischen der Psyche und den Geschöpfen des Dichters positiv zu akzentuieren, um die Genese der Geschöpfe aus der Intuition und ihre weitgehende Unabhängigkeit von der Erfahrung zu statuieren.14 Exkurs: »Der Traum ist unwillkürliche Dichtkunst« – Implikationen und ästhetischer Kontext von Jean Pauls Konzept des Imaginationstheaters Die Vorstellung, der Dichter lasse sich von imaginierten Figuren deren Rollentext diktieren, ist eine säkularisierte und psychologisierte Version des Inspirationstopos, der sich bis zu Platons Dialog Ion und weiter zurückverfolgen läßt. Wie die Reformulierungen dieses Topos bei anderen Autoren verbindet sich auch die Jean Paulsche Version mit dem zeitspezifischen Interesse an den kreativen Kräften des Unbewußten. Prägnant ausformuliert findet sich dieses wenige Jahre nach dem Erscheinen der Vorschule in Gotthilf Heinrich Schuberts Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft; dort ist vom »versteckten Poeten« im Innern des Menschen die Rede, und E.T.A. Hoffmann greift diese Wendung auf. Die Säkularisierung des Platonischen Inspirationstopos im Kontext einer Theorie der Imagination hat eine lange Geschichte, und sie verbindet sich schon fast einhundert Jahre vor der ––––––– 14
»Die bestimmtesten besten Charaktere eines Dichters sind daher zwei alte, lang gepflegte, mit seinem Ich geborne Ideale, die beiden idealen Pole seiner wollenden Natur, die vertiefte und die erhabne Seite seiner Menschheit. Jeder Dichter gebiert seinen besondern Engel und seinen besondern Teufel; der dazwischenfallende Reichtum von Geschöpfen oder die Armut daran sprechen ihm seine Größe entweder zu oder ab. Jene Pole aber, womit er das Leben wechselnd abstößet und anzieht, bilden sich nicht durch ihre Gegenstände und Anhängsel, sondern diese bilden sich jenen an. Folglich regen erlebte Charaktere die innern des Dichters nur so an wie seine die innern des Lesers; sie werden davon erweckt, nicht erschaffen. Aus diesem Grunde gewinnt ein kleiner Autor nichts, der einem großen einen Charakter stiehlt; denn er müßte sich noch ein anderes Ich dazu stehlen.« (I/5,212–213)
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Vorschule mit dem Bild des Theaters: Joseph Addison spricht 1712 im »Spectator« von den Träumen als einem Bühnenraum.15 Er nimmt dabei die Jean Paulsche Vorstellung vom Dichter, der sich mit den Geschöpfen seiner eigenen Phantasie unterhält, vorweg und beruft sich vor allem auf Thomas Brownes Religio medici (1643). Für Browne wie für Addison ist die Begegnung mit den Geschöpfen des Traumes vor allem ein sprachliches Ereignis. Der Verfasser der Religio medici spricht davon, wie sich die Seele hier mit ihren eigenen Geschöpfen unterhalte und tausende von Szenen spiele – wobei sie zugleich Bühne, Schauspieler und Zuschauer sei.16 Jorge Luis Borges hat das Vorwort zu seinem Buch der Träume mit einem Hinweis auf Addison eingeleitet und auf Parallelstellen bei Petronius und Luis de Góngora hingewiesen.17 Weitere Stationen in der Vorgeschichte des Topos vom Theater der Imagination wären zu nennen. Schon seit der Renaissance verknüpfen sich die Diskurse über den Traum und über die Imagina––––––– 15
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Joseph Addison, The Spectator, No.487. London, 18.9.1712: »[...] Dreams are an Instance of that Agility and Perfection which is natural to the Faculties of the Mind, when they are disengaged from the Body. The Soul is clogged and retarded in her Operations, when she acts in Conjunction with a Companion that is so heavy and unwieldy in its Motions. But in Dreams it is wonderful to observe with what a Sprightliness and Alacrity she exerts her self. The slow of Speech make unpremeditated Harangues, or converse readily in Languages that they are but little acquainted with. The Grave abound in Pleasantries, the Dull in Repartees and Points of Wit. There is not a more painful Action of the Mind, than Invention; yet in Dreams it works with that Ease and Activity, that we are not sensible when the Faculty is employed. For instance, I believe every one, some time or other, dreams that he is reading Papers, Books, or Letters; in which case the Invention prompts so readily, that the Mind is imposed upon, and mistakes its own Suggestions for the Compositions of another.« – Addison beruft sich zur anthropologischen Fundierung seiner Theorie träumerischer Erfindung auf Thomas Brownes Religio medici (verfaßt 1635, publ. 1643), wo es heißt: »We are somewhat more than our selves in our sleeps; and the slumber of the body seems to be but the waking of the soul. It is the ligation of sense, but the liberty of reason; and our waking conceptions do not match the fancies of our sleeps. [...] I am no way facetious, nor disposed for the mirth and galliardise of company; yet in one dream I can compose a whole comedy, behold the action, apprehend the jests, and laugh myself awake at the conceits thereof.« (Thomas Browne, Religio Medici and Other Essays, ed. by D. Lloyd Roberts. London 1898, S.113.) Die Passage aus Brownes Religio medici findet sich zitiert bei Jorge Luis Borges, Gesammelte Werke, Bd.7: Buch der Träume, übers. von Curt Meyer-Clason. München/Wien 1981, S.61. »In einem Essay im ›Spectator‹ (September) 1712, der in diesen Band aufgenommen ist, bemerkt Joseph Addison, daß die menschliche Seele, wenn sie, des Körpers ledig, träumt, gleichzeitig Bühne, Schauspieler und Zuschauer ist. Wir können hinzufügen, daß sie auch der Verfasser der Fabel ist, die sie sieht. Ähnliche Äußerungen finden sich bei Petronius und Luis de Góngora.« (Ebd., S.7)
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tion,18 so etwa in Juan Huartes Examen de ingenios para las sciencias (1575).19 Wie Peter-André Alt ausführt, bedient man sich in der Frühen Neuzeit gern »zum Zweck der Veranschaulichung der einzelnen Gehirnkammern des Modells des Theaters« – entsprechend den Prinzipien humanistischer Topik, die vorzugsweise »auf Raumkonstruktionen zurückgreift, um Wissensordnungen zu veranschaulichen«.20 Robert Fludd vergleicht in seiner enzyklopädischen Schrift Utriusque Cosmi Historia (1617/19) das Gedächtnis mit einem in zwei Hälften aufgeteilten Theater; auf der einen Seite lokalisiert er die hellen Spiele des Verstandes, auf der anderen die düsteren Szenen melancholischer Gemütszustände.21 Für den skeptischen Philosophen David Hume, der die Existenz stabiler psychischer Identitäten in Frage stellt, ist das menschliche Gehirn eine Bühne, auf der in ständigem Wechsel immer andere Figurationen auftauchen; gemeint sind die oft inkohärenten Perzeptionen.22 Jean Paul stellt wiederholt Verknüpfungen zwischen Traum und Dichtung her. »Wahr und zart ist [...] die Ähnlichkeit zwischen Traum und Roman«, so schreibt er in der Vorschule in Erinnerung an Herders Adrastea, und nennt den Traum auch ein »freiere[s] Märchen« (I/5,252). Seine Deutung des Traums als Theater und des Theater der Träume als dichterisches Propädeutikum wird auch von der zeitgenössischen Psychologie und Anthropologie vorbereitet. Ludwig Heinrich Jakobs Grundriß der Erfahrungs-Seelenlehre (1791) widmet sich auf der doppelten Basis theoretischer Spekulation und empirischer Beobachtunge u.a. den Themen Schlaf und Traum sowie den Leistungen der Einbildungskraft. Er charakterisisert den Traum als »ein unwillkührliches Dichten«, unterstellt damit aber – so Peter-André Alt – keine Sprachananlogie des Traums, sondern meint den Prozeß der »Erfindung« als solchen.23 Nur einige Jahre vor der Vorschule erschien Immanuel Kants Anthropologie in pragmatischer Absicht.24 Das erste Buch handelt »Vom Erkenntnisvermögen«; es enthält einen Teil »Von der Einbildungskraft« und ––––––– 18
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Vgl. dazu Peter-André Alt, Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit. München 2002, S.77. Vgl. ebd., S.77f. Vgl. ebd., S.78. Robert Fludd, Utriusque Cosmi Maioris scilicet et Minors metaphysica, physica atque technica Historia in duo volumina secundum differentiam divisa, Tomus Secundus. Oppenheim 1619, S.55f. (Dazu: Alt [Anm.18], S.386). »The mind is a kind of theatre, where several perceptions successively make their appearance; pass, re-pass, glide away, and mingle in an infinite variety of postures and situations.« Zit. nach: Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 2003, S.99, Anm.20. Vgl. Alt [Anm.18], S.187. 1. Aufl. Königsberg 1798; 2. Aufl. Königsberg 1800.
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hier findet sich ein ganzes Kapitel über den Traum mit dem aussagekräftigen Titel: »Von der unwillkürlichen Dichtung im Gesunden Zustande, d.i. vom Traume«.25 Von sprechenden Traumerscheinungen ist bei Kant allerdings nur abschließend und knapp die Rede: Unerklärlich sei es wohl, so meint er, »daß wir oft im Traume in die längst vergangene Zeit versetzt werden, mit längst Verstorbenen sprechen, dieses selbst für einen Traum zu halten versucht werden, aber doch diese Einbildung für Wirklichkeit zu halten uns genötigt sehen.«26 Jean Paul hat Kant, aber auch Addison gelesen und zitiert. In der bereits erwähnten Abhandlung über das Träumen aus Briefe und bevorstehender Lebenslauf pflichtet er zentralen Anschauungen des Engländers bei.27 Ein weiterer Beleg für die Faszination seiner Zeitgenossen durch die Metapher vom Imaginationstheater findet sich in Thomas De Quinceys Confessions of an English Opium-Eater;28 De Quincey war ein großer Bewunderer Jean Pauls.29 Um 1817 hätten seine Träume, so De Quincey, ein Theater er––––––– 25
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Immanuel Kant, Werke, hrsg. von Wilhelm Weischedel. Bd.10: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik. Darmstadt 1983, S.495ff. – Das Kapitel enthält in knapper Form eine Theorie des Traums, der nach Kants Überzeugung zum Schlaf »notwendig« hinzu gehört und diesen vom Tod unterscheidet; der Traum ist »eine natürliche, obzwar unwillkürliche Agitation der inneren Lebensorgane durch die Einbildungskraft« (S.496); er steht mit der somatischen Sphäre in engem Zusammenhang und verrät etwas darüber, was den Träumenden ängstigt. Ebd., S.497. »Addison nennt die Träume selber träumerisch-schön den Mondschein des Gehirns; diesen wirft nun, wie ich beweisen werde, eben unser Satellit und Mond aus Fleisch. Die psychologischen Erklärungen sind kaum halbe. Warum kann denn die mit der Sperre der Sinne eintretende Vergessenheit der örtlichen und zeitlichen Verhältnisse uns im Traume die Vernunft und das Bewußtsein rauben, welche beide uns dieselbe Vergessenheit im tiefen Denken und Dichten lässet? Der Traum bringt uns noch dazu andere Zeiten und Örter, obwohl irrige, und also immer die Bedingungen des persönlichen Bewußtseins mit.« (Über das Träumen, bei Gelegenheit eines Aufsatzes darüber von Doktor Viktor, I/4,972) De Quinceys Confessions beschreiben Genese und Folgen der Opiumsucht. Der Opiumrausch wird ausführlich und in einer teilweise protokollarischen Manier geschildert; entscheidend sind dabei die Träume, die er erzeugt. Als traumproduktive Kraft ist der Rausch Sinnbild der imaginativen Tätigkeit schlechthin, und d.h., der poetischen Tätigkeit. Modern wirken die Confessions u.a. durch die ihre psychologischen Einsichten; so geht De Quincey davon aus, daß im Gedächtnis Schichten von Erfahrung einander überlagern und zeitweilig überdecken, phasenweise, etwa im Opiumrausch, solcherart Verdecktes auch wieder freigelegt werden kann. Die Traumvisionen De Quinceys sind poetische Visionen und verstehen sich selbst auch so. Vgl. dazu De Quinceys Artikel über »John Paul Frederick Richter« (erschienen im London Magazine, Dezember 1821), übers. von Peter Klandt in JJPG 25 (1990), S.140ff.; hier (S.147) heißt es über die Vorschule: »Eins seiner Bücher (›Vorschule
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öffnet. Das Imaginationsvermögen wird also ausdrücklich mit einem SchauPlatz verglichen. Als Ursache für die Auftritte der Figuren seines Traumtheaters, die an ihm vorbeidefilieren, nennt De Quincey zwar seine schöpferische Kraft, er gibt jedoch auch klar zu erkennen, daß ihm die Regie dieses Theaters nicht möglich ist. Jean Pauls Dramenpoetik als reflexive »Poesie« Die Passage über den Traum als »unwillkürliche Dichtkunst« ist ein Selbstzitat aus der Schrift Briefe und bevorstehender Lebenslauf (I/4,978f.) von 1799, wo sie im größeren Kontext einer Reflexion über das Träumen steht. Daß Jean Paul sich mit der Passage auf Viktor, also auf eine seiner eigenen Figuren, beruft, der die entsprechende Abhandlung ja verfaßt haben soll, scheint auf den ersten Blick zu illustrieren, wie gut er selbst auf seine poetischen Charaktere zu hören weiß. Doch dem Leser ist natürlich bewußt, daß der angeblich aus Viktors Feder stammende Text de facto ein Text Jean Pauls ist. Viktor zu zitieren ist also ein als solcher transparenter Kunstgriff; der dem Schriftsteller soufflierende poetische Charakter wird als Fiktion transparent. Und dies ist ein Indiz dafür, daß das Modell selbst, demzufolge der Schriftsteller seinen halluzinatorisch präsenten Figuren zuhört, um sie aus ihren Reden zu erkennen, nicht buchstäblich zu nehmen, sondern als autoreflexive Fiktion zu verstehen ist. Wenn Jean Paul anläßlich seiner Ausführungen über poetische »Charaktere« statt der bewußten Kalkulation und Konstruktion die Intuition zum fundierenden Prinzip literarischer Charakterdarstellung erklärt und planvoll konstruierte Charaktere als leblos abwertet, so beschreibt er damit nicht etwa seine eigene Produktionsweise bei der Entwicklung von Romancharakteren. Diese erfolgt vielmehr zielstrebig und reflektiert: Alternativen werden erkundet, Figuren werden entwickelt, aus einzelnen werden manchmal mehrere.30 Die Vorschul-Passage über die traumhaft halluzinatorische Begegnung zwischen Schriftstellern und Figuren ist kein deskriptiver Sachtext, sondern ein Stück autoreflexiver Erzähl-Literatur. In Umkehrung der Jean Paulschen ––––––– 30
der Aesthetik‹) ist so mit Quecksilber gefüllt, daß ich jedesmal erwarte, es vom Tisch hüpfen zu sehen, wenn es dort liegt [...].« Wichtige Hinweise auf Jean Pauls Arbeitsweise haben mir anläßlich des Vortrags dieser Überlegungen die Jean-Paul-Herausgeberinnen Barbara Hunfeld und Birgit Sick gegeben, denen an dieser Stelle nochmals gedankt sei; die historisch-kritische Edition Jean Paulscher Werke zeigt, wie anstelle der Spontaneität einer TraumEingebung das Kalkül, das Experiment, das Abwägen alternativer Möglichkeiten für den Arbeitsprozeß Jean Pauls maßgeblich war.
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Formulierung, ein lebendiger Charakter werde »wie sein Dichter, geboren, nicht gemacht« (I/5,210), ließe sich zuspitzend sagen, im poetologischen Diskurs der Vorschule würden neben den Charakteren auch die Dichter »gemacht«. Was in der Vorschule über die Genese poetischer Charaktere gesagt wird, betrifft – seine vom Buchstäblichen abweichenden Auslegungsmöglichkeiten inbegriffen – im übrigen nicht allein das Drama, sondern auch den Roman. Die modellhafte Vorstellung eines Dichters, der mit seinen Figuren zusammen eine innere Einheit bildet, stellt auch das Grundgerüst der impliziten Poetik seines Romanwerks dar, wie Paul Heinemann in seinen Ausführungen über die Verwandtschaftsbeziehungen der Jean Pauls, der Erzählerfigur »Jean Paul« sowie einer erheblichen Zahl anderer Figuren untereinander detailliert dargelegt hat.31 Fließend gestaltet sich der Übergang zwischen dem sich selbst im Text bespiegelnden Schriftsteller, den oft mit ihm namensgleichen und zugleich an der Handlung partizipierenden Erzählern und anderen schreibenden Figuren. Der Erzähler der Flegeljahre tritt etwa sein biographisches Amt als Folge der testamentarischen Verfügung eines gewissen Van der Kabel an, welcher früher einmal Friedrich Richter geheißen hat; der dichtende Protagonist Walt soll später den von Van der Kabel abgelegten Namen Friedrich Richter wieder annehmen. Der Erzähler-Biograph selbst, der sich »J.P.F. Richter« nennt, spricht einmal explizit über das Verfahren, die eigene Person in poetische Charaktere zu investieren (»einem fremden Charakter etwas aus meinem vor[zu]strecke[n]«), und betont, das sei für einen Dichter doch selbstverständliche Haltung gegenüber seinen Figuren. Wieder erstreckt sich – wie in den Grönländischen Prozessen und in der Vorschule – das Spektrum der gedachten Figurationen vom Himmel bis zur Hölle: Mich dünkt, ich und sämtliche poetische Weberschaft haben oft genug bewiesen, wie gern und reich wir jedem Charakter – und wär’ er ein Satan oder Gott – von unserem leihen und zustecken [...] recht freudig leihet der Romancier alles, was er hat und was er ist, seinen geschriebenen Leuten ohne das geringste Ansehen der Person und des Charakters! (I/2,997)
Freilich verbindet sich damit an dieser Stelle die Mitteilung, von dieser Verfahrensweise ausnahmsweise abgehen und die Figur Vult mit ihrem Tagebuch selbst zu Wort kommen lassen zu wollen. Der Leser weiß, was davon zu halten ist: Vults Tagebuch ist die Bekundung einer Jean Paulschen Figur, kein ›authentisches‹ Dokument; es bleibt Figurenrede, ob der Erzähler––––––– 31
Paul Heinemann, Potenzierte Subjekte – Potenzierte Fiktionen. Ich-Figurationen und ästhetische Konstruktion bei Jean Paul und Samuel Beckett. Würzburg 2001. Vgl. u.a. S.327.
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Biograph »J.P.F. Richter« seine Quelle nun mit den eigenen »Töpferfarben« umgibt oder nicht (I/2,996). Wenn Jean Paul einerseits die innere Verwandtschaft zwischen Dichtern und Figuren betont – sei es, daß er die Charaktere des Dramendichters als spontane Emanationen aus dessen Unbewußtem charakterisiert, sei es, daß er die Selbst-Investition des Romanerzählers in seine Figuren schon durch den geteilten Besitz der Namen »Jean Paul« und »Friedrich Richter« reflektiert –, so erweist sich andererseits als die Kehrseite eines solchen Modells harmonischer Einheit das der Dissoziation. Der Dichter zerstreut sich auch in seine Gestalten hinein, und ihr relatives Eigenleben ist Ausdruck für das Wissen um ein Widerspiel heterogener, manchmal unkoordinierbarer Instanzen und Kräfte im eigenen Ich. Jean Pauls Dramenpoetik als Poetik sprechender Charaktere Bei der Modellierung der (unterstellten) traumartigen Begegnung des Dichters mit seinen Figuren geht es um Reden und Redeweisen. Der Charakter selber muß lebendig vor euch in der begeisterten Stunde fest thronen, ihr müsset ihn hören, nicht bloß sehen; er muß euch – wie ja im Traume geschieht – eingeben, nicht ihr ihm, und das so sehr, daß ihr in der kalten Stunde vorher zwar ungefähr das Was, aber nicht das Wie voraussagen könntet. Ein Dichter, der überlegen muß, ob er einen Charakter in einem gegebenen Falle Ja oder Nein sagen zu lassen habe, werf’ ihn weg, es ist eine dumme Leiche. Aber was gibt denn den Luft- und Ätherwesen des Dichtens wie des Träumens diese Redekunst? Dasselbe, was sie im Traume mit lebendigen Wangen und Augen und mit freier Anrede vor uns stellet: aus einer plastischen Form der Menschheit hat sich eine plastische Figur aufgerichtet an der Hand der Phantasie und redet an, indem wir sie anschauen, und wie der Wille die Gedanken macht, nicht die Gedanken den Willen, so zeichnet diese phantastische Willens-Gestalt unsern Gedanken, d.h. Worten, die Gesetze und Reihen vor. (I/5,211f.)
Jean Pauls Dramenpoetik in ihrer Eigenschaft als eine Poetik der Figuren ist primär eine Poetik der Figuren-Rede. Die individuelle Charakterisierung von Figuren beruht der Vorschule zufolge darauf, daß der Dichter sie auf individuell-prägnante Weise handeln und sprechen läßt.32 Das Ausdrucks- und Differenzierungspotenzial des Mediums Rede wird so besonders akzentuiert. In individueller Ausdrucksweise und Sprachgestik bilde sich, so Jean Paul, unabhängig von bestimmten inhaltlichen Aussagen das menschliche Innere ––––––– 32
Vgl. insbes. Vorschule, §61: »Ausdruck des Charakters durch Handlung und Rede« (I/5,227–229).
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ab. Jeder Charakter habe ein eigenes »Idiotikon«, eine eigene Art zu sprechen, einen persönlichen und charakteristischen Duktus (I/5,228). Anläßlich seiner dramenpoetischen Reflexionen entwickelt Jean Paul also ansatzweise das Konzept einer sprachlichen ›Physiognomik‹, einer Physiognomik der »parole«. Selbstverständlich ist eine solche Einschätzung der Rede als Offenbarung lebendiger Individualität nicht. Vergleicht man die angeführten Bemerkungen über das individuelle »Idiotikon«, die prägnanten »Merkworte« als Ausdrucksformen charakterlicher Individualität mit anderen, eher skeptischen Einschätzungen verbaler Ausdrucksmöglichkeiten, so fallen sogar deutliche Diskrepanzen auf. Jean Pauls empfindsame Charaktere pflegen seit Abelard und Heloise darunter zu leiden, daß sie nicht wirklich zu sagen vermögen, was in ihrem Inneren vorgeht. Unsagbarkeitstopoi finden sich in Jean Pauls Werken in großer Zahl und erheblicher Variationsbreite; immer wieder wird die Inkommensurabilität der Sprache an die Welt der Empfindungen suggeriert.33 Und doch nimmt Jean Paul seine dramenpoetologischen Überlegungen nicht etwa (wie es naheliegend erscheinen könnte) zum willkommen Anlaß, um in Abstimmung auf die Unsagbarkeitstopik die reichen nonverbalen Ausdrucksmöglichkeiten zu erörtern, welche sich bei dramatischen Inszenierungen zur Profilierung von Charakteren und zur Gestaltung von Situationen anbieten. Auf Gestik und Mimik etwa geht er nicht einmal ein, sondern beschreibt das Drama als ein aus sprechenden Charakteren bestehendes Gebilde. Auf den ersten Blick mag eine solche Ausblendung des Nonverbalen aus der Dramenpoetik einseitig und verengend wirken, vor allem aus der Perspektive der Theaterpraktiker. Jean Paul bewegt sich aber ganz dezidiert im Horizont einer Poetik, für die das Drama in erster Linie ein sprachliches Kunstwerk darstellt. Bereits für Aristoteles hatte die sprachliche Gestalt des Dramas an Bedeutung weit vor dessen spieltechnischer Realisierung rangiert. Anläßlich seiner dramenpoetologischen Erörterungen in der Poetik unterscheidet Aristoteles insgesamt sechs Parameter des Dramatischen, sechs »Teile«, die ein Drama ausmachen: »Mythos, Charakter, Rede, Absicht, Szenerie und Musik«.34 Die »Szenerie« (»opsis«, auch mit »Inszenierung« ––––––– 33
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So heißt es etwa in der Unsichtbaren Loge: »[...] auf der Erde kann kein Mensch dem andern sagen, wie er ihn liebe. Die Freundschaft und die Liebe gehen mit verschlossenen Lippen über diese Kugel, und der innere Mensch hat keine Zunge. – Ach, wenn der Mensch draußen im ewigen Tempel [...] vor einem Altare betäubt niederfallen und beten will: o so sinkt er ja so gut wie seine Träne zu Boden und redet nicht!« (I/1,333) Aristoteles, Poetik, übers. von Olof Gigon. Stuttgart 1961, S.31, 6.Kap.
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übersetzbar) gilt dem Poetiker nicht viel: Die »Bühnenkunst« möge zwar das Publikum ergreifen, sei aber »das Kunstloseste« und stehe »der Dichtung am fernsten«; von vorrangiger Bedeutung sind demgegenüber der »Mythos« (also der Handlungsverlauf) und die »Charaktere«.35 Wirken könne, so Aristoteles, eine Tragödie auch »ohne Aufführung und Schauspieler«; das Entscheidende ist also der Text, aus dem sie besteht.36 Den Hintergrund solcher Akzentuierung bildet die Dichotomie von (schnöder) Schaulust und (substanziellem) Logos, wie sie im Abendland eine lange Tradition hat und einer Aufwertung des Wortes auf dem Theater gegenüber der sichtbaren Inszenierung Vorschub leistet. Dramen im Kopf, Dramen auf dem Papier – Jean Pauls Poetik imaginierter Stücke Wenn Jean Paul in der Vorschule die Genese des Dramas in den Kopf des Dichters selbst verlegt, wo die Figuren sich in ihrer jeweiligen Eigenart präsentieren, wenn er zudem die Schauspieler als die Farben bezeichnet, mit denen der Dichter seine Imaginationen koloriert, so verweist diese Unterscheidung zwischen gedachtem und aufgeführtem Schauspiel auf eine weitere Leitvorstellung der Jean Paulschen Dramenpoetik, die Ralf Berhorst deutlich herausgestellt hat: Für Jean Paul spielen sich die wahren Schauspiele im Kopf des Dichters, in seiner Imagination ab. Die Inszenierung eines Stücks ist letztlich nur eine der poetischen Vision inkommensurable Verkörperung von etwas Geistigem, der Schauspieler ist nichts als eine bewegliche Statue, die wie jegliche Verkörperung dem, was sie verkörpert, unangemessen ist.37 Er spricht bezogen auf Drameninszenierungen von »schwerfälligen Verkörperungen«, vom »Blei-Inguß« der vom Dichter geschaffenen »ätherischen Gestalten« und »verklärten Leiber«.38 Jean Pauls konzeptionelle Verlagerung des wahren Theaters auf die Bühne der Imagination – letztlich eine poetologische Konsequenz aus der Dichotomisierung von Körper- und Geisterwelt – hat zur Folge, daß er die Lektüre ––––––– 35 36 37 38
Ebd., S.32f. Ebd., S.33. Vgl. Berhorst, Anamorphosen [Anm.4], S.147. »Die schwerfällige Verkörperung des Theaters hebt alle Brüche der Einheit des Ortes und der Zeit stärker heraus; die Statuen-Gruppierung hält alle eilende Leidensstationen mit einer schmerzlichen Versteinerung fest, vergrößert und verknöchert alle Wunden und Tränen und beschwert überhaupt die ätherischen Gestalten des Dichters, alle seine verklärten Leiber mit einem massiven Kubikinhalt und Blei-Inguß.« (I/4,453). Vgl. Berhorst, Anamorphosen [Anm.4], S.151.
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von Dramentexten deren theatralischer Realisierung vorzieht: Soll die Imagination des Rezipienten in analoger Weise zur belebten Bühne werden wie die des Dichters, dann ist das Lesen eines Textes dem förderlicher als das Betrachten einer Aufführung, welches den Theaterbesucher von der Empirie abhängig macht.39 Wird die Lektüre von Dramentexten gegen deren Inszenierung ausgespielt,40 so bestätigt dies die konstitutive Bedeutung des Sprachlichen für das Drama. Es kommt für Jean Paul auf das an, was lesbar ist: auf den Text. Alle anderen Komponenten des Schauspiels erscheinen als verzichtbar, ja störend; sie sind – im Unterschied zum geschriebenen und gelesenen Wort – Fesseln der Phantasie.41 Seine Bevorzugung des Wortes gegenüber anderen theatralen Manifestationsformen führt Jean Paul sogar zu der – alles andere als selbstverständlichen – Behauptung, dramatische Handlungen seien in höherem Maße vieldeutig als das Wort und darum zur Profilierung poetischer Charaktere schlechter geeignet: Die Tat ist »vieldeutig und äußerlich, aber das Wort bestimmt jene und sich und bloß die Seele« (I/5,228), und der »Mund als Pforte des Geisterreichs« ist »wichtiger als der ganze handelnde Leib« (I/5,228).42 Miteinander kontrastiert werden Dramentext und Inszenierung bereits in Jean Pauls satirischem Text »Gravamina der deutschen Schauspielergesellschaften, die mörderischen Nachstellungen der deutschen Tragiker betreffend« von 1797 (Jubelsenior, I/4,446–457). Das Drama wird hier als ein ––––––– 39
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Die »meisten Tragödien«, so eine entsprechende These, werden »mit schönerer Wirkung gelesen als aufgeführt« (I/4,453). Wird ein Drama inszeniert, so wirkt es allzu leicht »natürlich«, so daß die Differenz zwischen Wirklichkeit und ästhetischem Schein nivelliert wird – dieser Gedanke beschäftigt auch andere Zeitgenossen (vgl. Berhorst, Anamorphosen [Anm.4], S.151, unter Hinweis auf einen Brief Goethes an Schiller vom 23.12.1797). Vgl. dazu je einen Bericht von Johann Daniel Falk und Karl August Böttiger in: Jean Pauls Persönlichkeit in Berichten der Zeitgenossen, hrsg. von Eduard Berend 2., durchges. Aufl. Weimar 2001, S.41f.: In einer Diskussion zwischen Schiller und Jean Paul behauptete letzterer, so Falk, und zwar »ohne Einschränkung«, »daß eine Darstellung echt poetischer Gestalten, folglich auch seines Wallensteins, auf dem Theater völlig unpraktikabel sei.« (S.41) Böttiger teilt mit, Jean Paul sei auch Wieland entgegengetreten, der die Aufführung eines Theaterstückes (der Piccolomini) gegenüber der Vorlesung zu bevorzugen neigte; Jean Paul hingegen findet, daß »beim Lesen auf dem Zimmer die Phantasie mehr wirke.« (S.42) Vgl. Berhorst, Anamorphosen [Anm.4], S.149f. Vgl. dazu auch ebd., S.152. Berhorsts Ausführungen zufolge ist Jean Pauls Vorliebe für den geschriebenen Text durch seine spezifische Konzeption des Imaginationsprozesses motiviert: Der Imagination ist ihre Zeitlichkeit inhärent, vor dem inneren Auge konturieren sich bewegliche Gestalten. Freier entfalten kann sich die Imagination dort, wo sie durch keine äußeren temporalen Abläufe eingeengt wird. Und dies geschieht beim Lesen, nicht beim Theaterbesuch.
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Rollentextgefüge betrachtet, das von der Imagination des Lesers aufgeführt werden kann, und diese Form der Realisation des Textes wird von der Inszenierung als solcher explizit unterschieden. Der Schauspieldichter steht kaum in geistlicher Seitenverwandtschaft mit dem Schauspieler. Der Dichter erbauet sein Kunstwerk, sein Zauberschloß, ohne dazu den Spieler weder als Gerüste noch Baumateriale nötig zu haben; der Spieler verdoppelt nur das Kunstwerk und verdichtet das Luftschloß zu einem Schauspielhaus. Die Rollen, die im Schauspiel zu machen sind, können nicht schwieriger sein als die im längern Heldengedicht und Roman – und diese werden recht gut von einer chamäleonischen Aktrice gemacht, von der Phantasie des Lesers. Kurz, die theatralische Verwandlung der Bilder in Statuen soll das dramatische Kunstwerk weder fortsetzen noch vollenden, sondern nur begleiten und kopieren, wie die Liedermelodie das Gedicht und der Chodowieckische Kupferstich die Romanszene. (I/4,451–452) Die bessern Schauspiele waren bisher immer die, deren dazu nötige Theaterkasse, Anziehstube, Theaterpersonale bloß in einem – Kopfe war. (I/4,453)
Das Bild der »chamäleontischen Aktrice« Phantasie korrespondiert strukturell dem des Dichters, der in seinem Innern verschiedene Charaktere auftreten läßt; der phantasiebegabte Leser erscheint als Komplementärfigur des Autors. Jean Pauls Dramenpoetik ist zumindest ihrer Tendenz nach eine Poetik imaginierter Stücke; sie betont dabei die Bindung der Imagination ans sprachliche Substrat auf Kosten anderer darstellerischer Mittel. Das eigentliche Stück ist das, welches der Leser sich vorstellt.43 Als physisch verkörpertes, von Akteuren gespieltes Stück gleicht es hingegen einer Statue oder einem Menschenautomaten – einer Simulation von Leben. Hier bestehen deutliche Affinitäten zur Poetik E.T.A. Hoffmanns. Für diesen existieren die wahren Kunstwerke ebenfalls nur in der Imagination des Dichters und günstigenfalls auch in der seines Lesers. Das Theater der Phantasie ist die einzig echte Bühne, die physische Realisation ist ein Akt der Fixierung, ja der Mortifikation. Bei Hoffmann ist dabei aber auch und gerade an Musik (Ritter Gluck) und Malerei (Die Jesuiterkriche in G.) gedacht, während bei Jean Paul die Idee des ›inneren‹, imaginierten Kunstwerks eng mit der Konzeptualisierung des Dramas als sprachliches Ereignis verbunden ist. ––––––– 43
Berhorst zitiert einen dazu passenden Brie an Christian Otto vom 28. Nov. 1797: »[...] Was ich sehe und nicht denke, ertrag ich kalt und wärs ein Gestorbner. Wenn aber die Gestalt aus dem Auge in die Phantasie rükt, die die Schlüssel meines Herzens hat: dann wird mir die Erweichung so zerreissend, daß ich mit Leichtsin stat alles Trostes blos suche, nicht daran zu denken.« (SW/III 3,14)
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Ausblicke Jean Pauls dramenpoetologische Erörterungen liegen, einmal abgesehen von ihrer fundamental sprachreflexiven Dimension, im Schnittbereich mehrerer Modellvorstellungen. Hierzu gehören 1) die Analogisierung von Traum und Schauspiel, 2) die Idee von »Begegnungen« zwischen Dichter und Figuren, 3) die Modellierung eines Dichter-Ichs, in dessen Innerem verschiedenartige »Idiotika« gesprochen werden, 4) die Deutung des Dichters als eine Instanz, in der »die Menschheit« selbst zur Sprache kommt. Ausgehend von diesen Vorstellungen seien noch einige notwendig punktuelle Ausblicke auf spätere Autoren angeschlossen – und auf poetologische Kernthemen, deren Bedeutung im 20. und 21. Jahrhundert ungebrochen ist. 1) Analogisierung von Traum und Schauspiel: Die Analogie von Traum und Theater steht im Mittelpunkt einer kleinen Abhandlung Robert Walsers, die im März 1907 (in: »Kunst und Künstler«) erschien.44 Walser akzentuiert die Differenz zwischen ›traumhafter‹ Theater-Sphäre und Wirklichkeit: Mache man sich von dieser klar konturierte Bilder, so seien die des Traums wie die des Theaters unscharf. Die Bilder und Worte der Träume seien von eben jener Qualität, welche auch die starken Wirkungen des Theaters bedingt; sie sind prägnant und suggestiv. Und das Theater sollte sich möglichst weitgehend am Traum orientieren, da es gerade damit seinem Wesen gerecht wird und seine Wirkungsmöglichkeiten entfaltet. Diese korrespondieren nämlich jener Seite des menschlichen Wesens, die der Helligkeit und Schärfe des Verstandes abgewandt ist: dem Irrationalen, den starken Emotionen. In Ausweitung der metaphorischen Gleichsetzung von Traum und Theater faßt Walser »Dichtungen« überhaupt als Träume auf. Er beschreibt deren Sprache als eine Sprache des Traums, als ein synästhetisches Geschehen.45 Der ver––––––– 44
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Robert Walser, Das Theater, ein Traum, in: R.W., Das Gesamtwerk, hrsg. von Jochen Greven. Bd.8: Verstreute Prosa I (1907–1919). Zürich u.a. 1978, S.7–11. »Das Theater gleicht einem Traum. Im griechischen mag es anders gewesen sein; unseres ist von einem dachbedeckten, dunkeln Haus geheimnisvoll und fremdartig zugeschlossen. Man tritt hinein, tritt nach ein paar Stunden wie aus einem merkwürdigen Schlaf wieder heraus, an die Natur, in das wirkliche Leben, und ist dann dem Traum entflohen.« (S.7) »Sind nicht auch die Dichtungen Träume, und ist denn die offene Bühne etwas anderes als ihr großgeöffneter, wie im Schlaf sprechender Mund? Während des anstrengenden Tages treiben wir in den Straßen und Lokalen unsere Geschäfte und nützlichen Absichten vor uns her, und dann finden wir uns in den engen Sitzreihen wie in engen Betten zum Schauen und Hören ein; der Vorhang, die Lippe des Mundes, springt auf, und es brüllt, zischt, züngelt und lächelt uns befremdend und zugleich herzensvertraulich an; es setzt uns in eine Erregung, deren wir uns nicht bemeistern mögen und können, es macht uns krümmen vor Lachen oder erbeben
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gleichende Blick auf Walser verdeutlicht nicht zuletzt wichtige Unterschiede gegenüber Jean Paul: Walsers Traum-Theater-Metapher steht im Kontext einer irrationalistischen Wirkungsästhetik; Dichtungen sollten Träumen durch die Macht gleichen, mit der sie bewegen und erschrecken.46 Jean Pauls Modell der im Traum zum Dichter sprechenden Charaktere ist demgegenüber produktionsästhetisch akzentuiert und indifferent gegenüber der Dichotomie von Rationalem und Irrationalem. Das von Walser imaginierte TraumTheater, in dem sich die Dichtung selbst bespiegelt, ist vor allem ein Theater der Bilder und »Gesichter«.47 Jean Pauls poetisches Traum-Theater hingegen ist ein Sprech-Theater. 2) Die Idee von »Begegnungen« zwischen Dichter und Figuren. »Der Charakter selber muß lebendig vor euch in der begeisterten Stunde fest thronen, ihr müsset ihn hören, nicht bloß sehen« (I/5,211 (Vorschule §57)) In den Spuren dieser Vorstellung bewegt sich das Vorwort, das Luigi Pirandello anläßlich der Publikation seines Schauspiels Sei personnaggi in cerca d’autore verfaßt hat. Hier erzählt er davon, wie seine kleine, lebhafte Magd namens »Fantasia« ihm dauernd Figuren zuführe, wie sie diese in sein Haus einlasse, wo die Figuren dann den Autor konsultieren, damit er sie für seine literarischen Werke verwerte.48 Zu diesen Figuren auf Autorsuche haben, wie es heißt, auch jene sechs Personen gehört, die dann im Mittelpunkt des berühmten Stücks stehen: Figuren, die darauf drängen, daß ihre Geschichte dargestellt wird. Im Schauspiel selbst beklagen sich die Sechs darüber, daß sie bislang ohne Autor geblieben sind. (Pirandello läßt im Vorwort – abgestimmt auf die für sein Schauspiel konstitutive Idee der vom Autor verlassenen Figuren – durchblicken, warum er sich bei der Begegnung mit den Geschöpfen seiner Phantasie gegen deren ordnungsgemäße Verwandlung in Dramengestalten gesträubt hat: aus Überarbeitung und aus Überdruß.)49 Eine –––––––
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vor innerlichem Weinen. Die Bilder flammen und brennen vor den Augen, die Figuren des Stückes bewegen sich übernatürlich groß, wie nie gesehene Gestalten vor uns. Das Schlafzimmer ist dunkel, nur der offene Traum glänzt in dem starken Licht [...].« (Ebd., S.8f.) »Die Bühne setzt alles daran, zu erschrecken; sie tut gut daran, das zu beabsichtigen, und wir tun gut, das Etwas in uns zu hüten, das uns den Genuß und den Schauder dieses Schreckens noch empfinden läßt.« (Ebd., S.11) Ebd., S.10. Luigi Pirandello, Sechs Personen suchen einen Autor, in: Luigi-PirandelloWerkausgabe. Bd.8: Die Trilogie des Theaters auf dem Theater, hrsg. von Michael Rössner. Mindelheim 1988, S.15–29. Eine Notiz Pirandellos zu einem nie geschriebenen Roman über die Sechs Personen (1934) greift das Thema der Begegnung über verschiedene Realitätsebenen hinweg, der Begegnung mit imaginierten Figuren, auf; vor allem die Tochter steht hier im Mittelpunkt (ebd., S.298–300).
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Fortsetzung findet der fiktive Sprechstundenbericht über das Zusammentreffen eines Autors mit imaginären Personen in dem Prosatext Gespräche mit den Personen (zuerst veröffentlicht im »Giornale di Sicilia, 17./18.8.1915).50 Wenn es beim Autor der Sei personaggi die Magd »Phantasie« ist, welche die Figuren anschleppt, so erinnert dies an Jean Pauls Modell einer TraumBühne – und wenn Pirandellos Figuren eigensinnig und autonom ›leben‹, auch ohne daß sie auf dem Theater von Akteuren realisiert würden, dann besteht eine offensichtliche Analogie zu Jean Pauls Idee, dramatische Charaktere seien unabhängig von theatralen Inszenierungen (also von realen Schauspielern). Tatsächlich erweisen sich in Pirandellos Stück die Schauspieler innerhalb des Stücks ja sogar als unfähig, die »personaggi« adäquat darzustellen; das vermögen nur diese allein, während die professionellen Akteure sich als puppenhafte und uninspirierte Repräsentanten blamieren. Sie sind eben nur Menschen, während die »personaggi« Kunst-Figuren sind, welchen nach dem in einer Regieanweisung ausgedrückten Konzept Pirandellos ein anderer Realitätsstatus als der Schauspielertruppe zukommt. Bestätigt also Pirandello Jean Pauls dichotomisches Modell theatralischer Figuren als autonomer phantasierter Gestalten, die von »bloßen« Schauspielern als ihnen inkommensurablen »Verkörperungen« kategorial getrennt sind? Ja und Nein. Nein – denn Pirandello will das dramatische Geschehen zwischen imaginären »personaggi« und »Schauspielern« ja spielen lassen – und zwar durch Schauspieler. Er schreibt kein Lesedrama; seine Regieanweisung zur besonderen Charakterisierung der sechs Personen bezieht sich auf die Masken von wirklichen Akteuren. Ja – denn die Vorgeschichte der Magd ––––––– 50
Ebd., S.282–289. Pirandello hat sich mit Jean Paul gründlich auseinandergesetzt: In seiner Abhandlung L’umorismo nimmt Pirandello ausführlich Stellung zum Jean Paulschen Konzept des »Humors«, das ebenfalls in der Vorschule erörtert wird und auf das sich Pirandello mit seiner Auslegung des »umorismo« stützt (vgl. Luigi Pirandello, Der Humor. Essay, dt. von Johannes Thomas. Mindelheim 1986). Im Zusammenhang mit dessen Erläuterung stellt er sein – zeitspezifisches und insbesondere durch Theorien des Unbewußten geprägtes – Modell der multiplen menschlichen Psyche vor: Die Seele ist nicht »Eines«, kein Individuum, sondern eine Vielheit widerstreitender Instanzen, und so kann es geschehen, daß jemand Dinge tut oder sagt, auf die er gar nicht gefaßt war, geschweige denn, daß er sie bewußt und intentional getan oder gesagt hätte. Pirandellos Interesse am »umorismo« als einer ästhetischen Einstellung zur Gebrechlichkeit der Welt und seine Überzeugung von der Inhomogenität des Ichs gehören eng zusammen. Jean Paul ist ihm unter beiden Aspekten wichtig (wobei der Unterschied zwischen Jean Paulschem Humor und Pirandellos umorismo hier nicht erörtert werden kann): als Propagator einer humoristischen Distanz zu den Dingen und zu sich selbst, als ein Autor, bei dem moderne Anschauungen von der inneren Vielheit der Einzelpsyche vorweggenommen wird.
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Phantasie wird in Ergänzung des Dramas einem narrativen Text anvertraut. Die Rahmenhandlung, in welcher der abweisende »Autor« von seinen Personen bedrängt wird, wird nicht vorgespielt; der Leser muß sie imaginieren. 3) Die Modellierung eines Dichter-Ichs, in dessen Innerem verschiedenartige »Idiotika« gesprochen werden. Zumindest im Ansatz charakterisiert Jean Paul den Dichter als ein innerlich vielstimmiges und damit zur Dissoziation tendierendes Ich. (In den Romanen werden entsprechende Dissoziationsprozesse dann ja explizit beschrieben – etwa, wenn sich Autor, Erzähler und Figuren ihre Namen, ihre Werke und ihre Ideen teilen, wenn sich der Dichter in gegensätzlichen Figuren bespiegelt und wenn Doppelgängerfigurationen die Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremdem unmöglich machen.) Fernando Pessoa, der als Folge seiner Transformation in verschiedene Dichter-Personae mehrere Œuvres hinterlassen hat, spricht in den Aufzeichnungen des B. Soares über sein eigenes Schaffen in der dritten Person. Er differenziert zwischen »orthonymen« und »heteronymen« Anteilen und betont, die letzteren stammten »vom Autor außerhalb seiner Person, von einer vollständig von ihm hergestellten Individualität, wie es die Aussprüche irgendeiner Gestalt aus irgendeinem von ihm verfaßten Drama sein würden«; jede der drei Personen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt schon als Verfasser eines Teilwerks aufgetreten seien – er nennt Alberto Caeiro, Ricardo Reis und Álvaro de Campos – sei als »eine Art von Drama« zu betrachten, »und sie alle zusammen bilden ein weiteres Drama. [...] Es ist ein Drama in Leuten statt in Akten.«51 Pessoas dichterische Teil-Ichs bestehen – in Abstimmung auf Jean Pauls Vorstellungen über dramatische Figuren – buchstäblich aus nichts anderem als aus der Art und Weise, wie sie sprechen. Eines seiner Heteronyme ist der Hilfsbuchhalter Bernardo Soares. In dessen Buch der Unruhe erscheint diesem das schreibende Ich als Bühne, die zum Schauplatz des Auftritt von Teil-Ichs wird. Soares beschreibt sich als »die lebendige Bühne, auf der verschiedene Schauspieler auftreten, die verschiedene Stücke aufführen.«52 Allerdings steht der Fall Pessoa am äußersten Spektrum verschiedener Modelle von Dichtung als einem Raum differenter Stimmen. Zu ––––––– 51
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Aus einer biographischen Übersicht von Pessoa selbst. Fernando Pessoa, Dokumente zur Person und ausgewählte Briefe. Frankfurt a.M. 1992, S.1. Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares, dt. von Georg Rudolf Lind. Frankfurt a.M. 1998, S.61. Zuvor heißt es: »Ich erschuf in mir verschiedene Persönlichkeiten. Ich erschaffe ständig Personen. Jeder meiner Träume verkörpert sich, sobald er geträumt erscheint, in einer anderen Person; dann träumt sie, nicht ich. Um erschaffen zu können, habe ich mich zerstört; so sehr habe ich mich in mir selbst veräußerlicht, daß ich in mir nicht anders als äußerlich existiere.« (S.61)
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erinnern wäre auch an Michail Bachtins Konzept des »polyphonen« Schreibens, in dessen Horizont der Dichter – der Roman-Autor – nicht als lebende Bühne für unterschiedliche Teil-Ichs vereinnahmt wird, sondern eher die Rolle des Dirigenten in einem Orchester der Stimmen übernimmt.53 4) Die Deutung des Dichters als eine Instanz, in der »die Menschheit« selbst zur Sprache kommt. »Im Dichter kommt die ganze Menschheit zur Besinnung und zur Sprache«, so Jean Paul. Der Dichter – so schreibt analog dazu John Keats 1817, vermöge sich unter Aufsprengung der Grenzen seines Ego imaginierend in alle Wesen zu verwandeln,54 und in einem Brief von Keats an Richard Woodhouse vom 27. Oktober 1818 fällt das prägnante Wort vom »chameleon Poet«: »A Poet [...] has no Identity – he is continually in for – and filling some other body.«55 Die Wandlungsfähigkeit des Dichters rückt auch Elias Canetti ins Zentrum seiner Poetik. Vom »Beruf des Dichters« spricht er 1976 in einer Münchner Rede, deren Titel ebenso programmatisch ist wie der des Sammelbandes, in dem sie zuerst erschien: »Das Gewissen der Worte«.56 Der Dichter wird als »Hüter der Verwandlungen« charakterisiert, weil er gegen die Uniformierungstendenzen der technisierten und ökonomisierten Welt die Partei des Vielfältigen, Vielgestaltigen, Wandelbaren vertrete. Um im Namen all derer zu sprechen, die selbst über keine Stimme, keine eigene Sprache verfügen, müsse er sich in alles und jeden verwandeln können. Sie [die Dichter] sollten imstande sein, zu jedem zu werden, auch zum Kleinsten, zum Naivsten, zum Ohnmächtigsten. Ihre Lust auf Erfahrung anderer von innen her dürfte nie von den Zwecken bestimmt sein, aus denen unser normales, sozusagen offizielles Leben besteht, sie müßte völlig frei sein von einer Absicht auf Er-
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Für Bachtin überlagern sich im literarischen Werk – er bezieht sich auf Romane – verschiedene Stimmen, Stimmen verschiedener Kollektive, Artikulationen heterogener Glaubens- und Wissensdiskurse, Denkweisen und Stile. Der Roman macht sich die innere Vielheit der Sprachen also zunutze und organisiert intern die ›Sprachen‹ seiner Charaktere zu einem harmonischen Ganzen. (Michail Bachtin, Die Ästhetik des Wortes, hrsg. von Rainer Grübel. Frankfurt a.M. 1979. Vgl. S.154 [Das Wort im Roman, 1940]) John Keats, Brief an George und Thomas Keats, 21. Dezember 1817, in: English Critical Texts. 16th to 20th Century, hrsg. von D.J. Enright/Ernst de Chickera. London 1968, S.257. Auf diese Bemerkungen von Keats hat in einer rezenten Publikation zum Konzept der »Verwandlung« Aleida Assmann aufmerksam gemacht. Vgl. Aleida und Jan Assmann (Hg.), Verwandlungen. Archäologie der literarischen Kommunikation IX. München 2006, S.36. Elias Canetti, Das Gewissen der Worte. Essays. 2., erw. Aufl. München/Wien 1976, S.257–267. Hier zitiert nach: Absichten und Einsichten. Texte zum Selbstverständnis zeitgenössischer Autoren, hrsg. von Markus Krause und Stephan Speicher. Stuttgart 1990, S.245–258.
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Monika Schmitz-Emans folg oder Geltung, eine Leidenschaft für sich, eben die Leidenschaft der Verwandlung. [...] eine Überzahl der Menschen heute ist des Sprechens kaum mehr mächtig, sie äußern sich in den Phrasen der Zeitungen und öffentlichen Medien und sagen, ohne wirklich dasselbe zu sein, mehr und mehr dasselbe. Nur durch Verwandlung in dem extremen Sinn, in dem das Wort hier gebraucht wird, wäre es möglich zu fühlen, was ein Mensch hinter seinen Worten ist, der wirkliche Bestand dessen, was an Lebendem da ist, wäre auf keine andere Weise zu erfassen. (Canetti, Gewissen der Worte [Anm.56], 253)
Canetti akzentuiert zusammen mit dem Verwandlungsprozeß des Dichters den der Versprachlichung verschiedenster menschlicher Daseinsformen. In Korrespondenz zu den Jean Paulschen Überlegungen begreift er die vom Dichter geleistete Darstellung der vielfältigen Wesenheiten als deren Freisetzung aus der Sprachlosigkeit oder als Erlösung aus dem Käfig einer einengenden, formelhaften, ausdrucksarmen und entstellenden normierten Sprache. Diese sprachkritische Akzentuierung weist ihn gegenüber Jean Paul und Keats als Autor des 20. Jahrhunderts aus. Wenn Canetti die Bedeutung des Dichters als eines wandlungsfähigen Anwalts für das Vielfältige und Differente betont, so klingt auch hier die Erinnerung an Michail Bachtins Konzept literarischer Polyphonie an. Originell ist Canettis Bestimmung des Dichterberufs insofern, als er zur Charakteristik dessen, der für viele andere und insofern vielstimmig spricht, das Konzept der Verwandlung aufgreift, das er psychologisch konnotierten Begriffen explizit vorzieht. Es ist ein geheimnisvoller, in seiner Natur noch kaum untersuchter Prozeß und doch ist es der einzig wahre Zugang zum anderen Menschen. Man hat diesen Prozeß auf verschiedene Weisen zu benennen versucht, es ist etwa von Einfühlung oder Empathie die Rede, ich ziehe [...] das anspruchsvollere Wort ›Verwandlung‹ vor. [...] In seiner immerwährenden Übung, in seiner zwingenden Erfahrung von Menschen jeder Art, von allen, aber besonders von jenen, die am wenigsten Beachtung finden [...] Übung möchte ich den eigentlichen Beruf des Dichters sehen. (Canetti, Gewissen der Worte [Anm.56], S.253f.)
Canetti begreift Empathie als sprachliches Geschehen; die Sprache erscheint aus seiner Sicht als das Medium all der Verwandlungen, die der Dichter in Ausübung seines »Berufs« an sich selbst vollzieht (oder geschehen läßt). Vorausgesetzt wird dabei, daß sich das Wesen der so verschiedenartigen Menschen jeweils darin ausdrückt, wie sie sprechen (oder nicht sprechen) – und daß der Dichter im Raum der Sprache über Möglichkeiten gebietet, sich dem Wesen anderer zu assimilieren. Der Dichter als Verwandlungskünstler und als Sprachrohr für andere – vor allem über diese poetologischen Konzepte bestehen Anschlußstellen zwischen Jean Pauls Vorschule und der Poetik des 20. Jahrhunderts.
ALEXANDER KLUGER
DICHTUNG ALS AUTOBIOGRAPHISCHES LABOR Reflexionen über die Möglichkeiten der eigenen Lebensbeschreibung in Jean Pauls Leben Fibels
Jean Paul hat sich Zeit seines Lebens mit Biographien und Autobiographien beschäftigt. Seine Exzerpte zeugen von einer breiten Auseinandersetzung mit den verschiedensten Lebensbeschreibern und »Selberlebensbeschreibern«, seien es Plutarch, Augustinus, Cardano, Montaigne, Rousseau, Bernd, Moritz oder Goethe. Ebenso durchzieht das Thema der Biographie auch nahezu alle Romane und Idyllen Jean Pauls: Wie oft wurde nicht schon auf jenes implizite Autor-Ich, jenen Biographen Jean Paul1 hingewiesen, dessen Aufgabe es ist, Informationen über Figuren zusammenzutragen und so deren Lebensbeschreiber zu werden. Helmut Pfotenhauer konnte jedoch aufzeigen, dass diese Tendenz des Romans zum Biographischen auch eine Kehrseite hat: »Jean Paul, der seine Romane gern Biographien nannte, ist mit der Biographie seiner selbst nie ganz zurande gekommen.«2 Jean Pauls Erzählwerk ließe sich in diesem Zusammenhang also auch als eine Reihe biographischer Versuchsanordnungen lesen, als eine andauernde Reflexion auf die Möglichkeit der Beschreibung des eigenen Lebens. Im Folgenden soll in diesem Zusammenhang das Leben Fibels näher untersucht werden. Denn – so soll sich zeigen – dieser Text geht weit über die biographischen Experimente der vorherigen Romane hinaus, er erreicht eine neue Dimension der Reflexion auf biographisches Schreiben und verweist bereits auf spätere Projekte wie die Selberlebensbeschreibung. Ausgegangen werden soll dabei von der Beschäftigung Jean Pauls mit zeitgenössischen Kant- und Schiller-Biographien, die in vielfältiger Weise Eingang in das Leben Fibels fanden. Ein Blick in die Vorarbeiten zum Fibel soll dann aber weitreichendere Implikationen offenlegen, die den Text nicht lediglich als Persiflage zeitgenössischer Biographik, sondern vielmehr als parodistisch––––––– 1
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Im Folgenden ist mit »Biograph Jean Paul« stets dieses implizite Autor-Ich gemeint. Helmut Pfotenhauer: Die Bedenken des Romanautors vor dem Ich. Jean Pauls Autobiographik. In: JJPG 20 (1985), S.33–47, hier: S.33.
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humorvolle Auseinandersetzung mit den eigenen biographischen Versuchen Jean Pauls erscheinen lassen. I. Schon eine Anspielung im Text des Leben Fibels legt nahe, dass dieser auch als eine Parodie auf die zwischen 1804 und 1805 erschienenen Kant- und Schiller-Biographien aufzufassen sei: O ein anderer hätte Gott gedankt, dass er drei Evangelisten und, rechnet man mich vollends dazu, vier Evangelisten seines Lebens bekommen, von welchen die drei nie zu nahe (wie schon Kants und Schillers Lebensbeschreiber beweisen) dem Helden anwohnen konnten. (SW I/13,490)
Konkret gemeint sind damit wohl die Kant-Biographien von Borowski, Jachmann und Wasianski,3 sowie die Schiller-Biographien von Oemler und Gruber.4 Diese hatte Jean Paul zumindest mit Sicherheit gelesen, wie seine Exzerpte und die Vorarbeiten zum Leben Fibels belegen. Ob er auch die Kant-Biographie von Mellin kannte, die ebenfalls in dieser Zeit erschien, lässt sich zwar nicht aus den Handschriften belegen, ist aber aufgrund einiger Parallelen zum Leben Fibels sehr wahrscheinlich.5 Den größten Einfluss auf das Leben Fibels übten wohl die Biographien von Borowski, Jachmann und Wasianski aus. Da diese heute nur noch wenig bekannt sind, sollen sie im Folgenden kurz dargestellt und charakterisiert werden. Gemein ist allen diesen Lebensbeschreibungen die Orientierung an Plutarchs dictum, dass ein großer Mann am Besten anhand seiner kleinen Züge zu beschreiben sei. So bemerkt Wasianski beispielsweise: »Der Charakter eines Menschen kann nur durch sorgfältiges, unpartheyisches, am sichersten ––––––– 3
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E.L. Borowski, Darstellung des Lebens und Charakters Immanuel Kants. Königsberg 1804. R.B. Jachmann, Immanuel Kant, geschildert in Briefen an einen Freund. Königsberg 1804. E.A.Ch. Wasianski, Immanuel Kant in seinen letzten Lebensjahren. Ein Beytrag zur Kenntnis seines Charakters und häuslichen Lebens aus dem täglichen Umgange mit ihm. Königsberg 1804. Die Biographien von Borowski, Wasianski und Jachmann werden im Folgenden zitiert nach Immanuel Kant. Sein Leben in Darstellungen von Zeitgenossen. Die Biographien von L.E. Borowski, R.B. Jachmann und A.Ch. Wasianski, hrsg. von Felix Groß. Berlin 1912. (Reprographischer Nachdruck, Darmstadt 1968). Ch.W. Oemler, Schiller oder Scenen und Charakterzüge aus seinem späteren Leben nebst Bruchstücken einer künftigen Biographie derselben. Stendal 1805. J.G. Gruber, Friedrich Schiller. Skizze einer Biographie und ein Wort über seinen und seiner Schriften Charakter. Leipzig 1805. Vgl. hierzu Ferdinand Josef Schneider, Jean Pauls Altersdichtung. Fibel und Komet. Berlin 1901, S.61f.
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aber durch tägliches Beobachten seiner verschiedenen Launen und kleinsten Gewohnheiten entziffert werden.«6 Daraus leiten die Biographen eine Legitimation für die Mitteilung zahlreicher Anekdoten ab, mit denen sie einzelne Charakterzüge belegen wollen, die jedoch in vielen Fällen unfreiwillig ins Komische abgleiten und Kant als kauzige Person erscheinen lassen. Borowskis biographische Darstellung erhebt schon auf dem Titelblatt den Anspruch, »von Kant selbst genau revidiert und berichtigt«7 worden zu sein. Die Vorrede erläutert dem Leser schließlich, was es damit auf sich hat: Borowski habe bereits 1792 eine Skizze zu einer Biographie Kants entworfen, um sie als Vorlesung vor der Königlich-deutschen Gesellschaft zu halten.8 Er habe diesen Entwurf Kant zugeschickt, und dieser habe ihn korrigiert, aber gewünscht, dass eine solche Ehrenbezeugung erst nach seinem Tod veröffentlicht werde. Borowski sieht daher seine Lebensbeschreibung als von Kant »autorisiert« an und nimmt sich vor, alles, wie es vor Kant lag, »mit diplomatischer Genauigkeit« wiederzugeben. Was er darunter versteht, wird einige Seiten später deutlich: Borowski gibt auch alles, was Kant eigentlich gestrichen hatte, in Fußnoten wieder.9 Er erinnert damit eher an einen modernen Editor, der eine Skizze mit ihren Varianten wiedergibt, als an einen Biographen, der unbedingt den Willen Kants befolgen wollte. Der größte Teil dieser Biographie ist schließlich im Stil einer Vorlesung gehalten. Immer wieder wird von »unser[em] Kant«10 gesprochen, immer wieder verfällt der ›vortragende‹ Borowski in Appelle an das Publikum oder in Reflexionen über die Möglichkeiten der Lebensbeschreibung eines Mannes wie Kant. Nach einer kurzen Darstellung von Geburt und Erziehung kommt er zu einer Besprechung von dessen Schriften, die schließlich einen nicht unerheblichen Teil der Biographie bildet. Danach möchte er den Charakter Kants darstellen, verfällt dabei aber immer wieder ins Anekdotische, wodurch oft ein eher komisches Bild des großen Philosophen entsteht. So wird beispielsweise von einem Kloster berichtet, das Kants Schriften ablehnte und, um diesen zu verspotten, seinen Wachhund »Kant« nannte.11 Auch werden zahlreiche eigentümliche Marotten des Philosophen geschildert. Beim Spazierengehen hat er stets Angst, zu transpirieren. Zudem geht er ab einer bestimmten Zeit nicht mehr gern in Begleitung spazieren, da er nur ––––––– 6 7 8 9 10 11
Groß, Immanuel Kant [Anm.3], S.216. Ebd., S.1. Vgl. ebd., S.3f. Vgl. ebd., S.17. Ebd., S.38. Ebd., S.45.
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durch die Nase atmen will, um Schnupfen und Heiserkeit vorzubeugen.12 Des Weiteren hat er eine Abneigung gegen Arznei, und kritisiert besonders die Blatternimpfung, da er befürchtet, mit dem Serum würde dem Menschen eine gewisse Tierheit und »Bestialität« eingeimpft.13 Obwohl Kant selbst nie ein Verhältnis mit einer Frau eingeht, berät er nach Borowskis Darstellung zahlreiche Personen in Liebesangelegenheiten: Für seine Freunde entwirft er Heiratspläne, die freilich – nach den Maßgaben der Vernunft – hauptsächlich auf die Sicherung des Auskommens der jeweiligen Freier zielen. Darüber hinaus erhält er aber auch Leserbriefe von unbekannten, Rat suchenden Frauen, von denen Borowski einen im Anhang seiner Biographie wiedergibt: Großer Kant! Zu dir rufe ich, wie ein Gläubiger zu seinem Gott um Hilfe, um Trost oder Bescheid zum Tode. Hinlänglich waren mir deine Gründe in deinen Werken für das künftige Sein. Daher meine Zuflucht zu dir. Nur für d i e s e s Leben fand ich nichts, gar nichts, was mir mein verlorenes Gut ersetzen könnte: Denn ich liebte einen Gegenstand, der in meiner Anschauung a l l e s in sich faßte, so daß ich nur für ihn lebte. [...]. Nur diesen Gegenstand hab ich durch eine langwierige Lüge beleidiget, die ich ihm jetzt entdeckte: doch war für meinen Charakter nichts Nachteiliges darin enthalten, denn ich habe kein Laster in meinem Leben zu verschweigen gehabt. Doch die – Lug allein war vor ihn genug und seine Lieb verschwand. Er ist ein ehrlicher Mann, darum versagt er mir nicht die Freundschaft und Treue, aber dasjenige innige Gefühl, welches uns ungerufen zueinander führte, ist nicht mehr. O, mein Herz zerspringt in tausend Stücke. – Wenn ich nicht schon so viel von Ihnen gelesen hätte, so hätte ich gewiß mein Leben schon geendigt mit Gewalt: so aber hält mich der Schluß zurück, den ich aus Ihrer Theorie ziehen mußte, daß ich nicht sterben soll, wegen meines quälenden Lebens, sondern ich sollte Leben wegen meines Daseins. Nun setzen Sie sich in meine Lage und geben Sie mir Trost oder Verdammung. Die Metaphysik der Sitten hab ich gelesen, samt dem kategorischen Imperativ. Hilft mir nichts: – meine Vernunft verläßt mich, wo ich sie am besten brauche. – Eine Antwort, ich beschwöre dich – – oder du kannst nach deinem aufgestellten Imperativ selbst nicht Handeln.14
Neben solchen Anekdoten zeichnen auch zahlreiche von Borowski genannte Eigenschaften Kants ein eher komisches Bild. Als Kind ist er vergesslich, und wird es auch im Alter wieder, weswegen er sich »Erinnerungszettel« schreiben muss.15 In seinen Vorlesungen neigt er zu »Abschweifungen«, die er, wenn er sie bemerkt, immer plötzlich mit »Und so weiter« oder »Und so fortan« abbricht.16 Zudem lässt er sich in seinen Vorträgen oft von Kleinigkeiten wie der auffälligen Kleidungsart eines Zuhörers ablenken. ––––––– 12 13 14 15 16
Ebd., S.53. Ebd., S.54. Ebd., S.107f. Ebd., S.74. Ebd., S.86.
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Augenfällig an Borowskis Darstellung ist, dass der Biograph immer wieder die Tendenz hat, sich selbst in den Vordergrund zu drängen. Schon zu Beginn konstatiert er, dass ein Biograph seinem Leser zunächst beweisen müsse, dass er wissen konnte, was er erzählt, und nutzt dies zu einer breiten Beschreibung seiner eigenen Person und seines Verhältnisses zu Kant.17 Während seiner Abhandlung imaginiert er immer wieder mögliche Einwände gegen seine Biographie und widerlegt diese. Nach seinen Gedanken über Kants Verhältnis zur Religion gesteht er selbst, dass er gerade eher eine »Predigt« als eine biographische Darstellung geliefert habe. All diese Tendenzen zeigen, wie sehr der Biograph immer wieder Gefahr läuft, sich selbst zum Gegenstand seiner Beschreibungen zu machen, ein Umstand, der, wie sich zeigen soll, auch im Leben Fibels thematisiert wird. Den Abschluss der Biographie Borowskis bildet schließlich ein Anhang mit einer Reihe von Dokumenten und Abhandlungen über einzelne Umstände von Kants Leben, die unter anderem den bereits erwähnten Leserbrief oder ein Kapitel über »Kants Zensurleiden«18 enthalten. Interessant ist hier auch Kants Schrift über den sogenannten Ziegenpropheten, einen »schwärmerischen Abenteurer«,19 der in Tierfelle und Feigenblätter gehüllt mit einer Ziegenherde und einem kleinen Knaben durch die Gegend Königsbergs zog und »jedem, der ihm etwa Fragen vorlegte, bald einen passenden, oft aber einen ganz unpassenden Spruch [aus der Bibel] zitierte«.20 Kants Aufsatz hierüber beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Kind und sieht in ihm einen »k l e i n e [ n ] W i l d e [ n ]«, der ein »v o l l k o m m e n e s K i n d in demjenigen Verstande zu sein scheint, wie es ein Experimentalmoralist wünschen kann, der so billig wäre, nicht eher die Sätze des Herrn R o u s s e a u den schönen Hirngespinsten beizuzählen, als bis er sie geprüfet hätte.«21 In einer »Nachoder Schlußrede«22 befasst sich Borowski schließlich mit anderen »biographischen Kollegen«,23 allen voran Mellin,24 bei dem er jeden Fehler und jede unnötige Wiederholung aufs minutiöseste nachzuweisen sucht. Unfreiwillig komisch wirkt auch dieser Abschluss, da Borowski sich selbst nach dieser Ausschweifung entschuldigt und seine Biographie mit dem Satz endigt: ––––––– 17 18 19 20 21 22 23 24
Vgl. ebd., S.3f. Ebd., S.103f. Ebd., S.95. Ebd., S.95. Ebd., S.96. Ebd., S.115. Ebd., S.111. Borowski kannte ihn wohl noch nicht unter seinem Namen, da die Schrift Imanuel Kants Biographie; erster Teil, auf die er sich bezieht, anonym erschienen ist.
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»Man solle doch über einen Toten auch nicht zuviel s c h r e i b e n.«25 Er zitiert in diesem Zusammenhang sogar Jean Paul: »Ich gab meinem Schriftlein keine Vorrede. Diese ist ja, wie Jean Paul sagt, nichts weiter, als ein verlängertes Titelblatt – und ich hatte nicht nötig, außer demjenigen, was der Titel sagt, etwas anderes dem Leser laut oder ins Ohr zu sagen.«26 Mal abgesehen davon, dass in Wirklichkeit am Anfang von Borowskis Schrift de facto eine Vorrede – nämlich die Vorgeschichte der biographischen Skizze als geplante Vorlesung – steht, wird hier Jean Paul, der »Meister der Vorrede«,27 als Argument gegen eine Vorrede vereinnahmt. Auch dieser Schluss musste dem Autor des Leben Fibels ins Auge fallen und ihn zur Persiflage reizen. Die Kant-Biographie Jachmanns beginnt in vielerlei Hinsicht ähnlich wie diejenige Borowskis. Auch er besteht darauf, als Biograph zunächst beweisen zu müssen, dass er Einblick in das Leben seines Gegenstandes hatte. Als Beleg führt er die Nennung seines Namens unter den Freunden Kants in dessen Schrift zur Religionsphilosophie an28 und betont außerdem, dass er »zu jeder Stunde des Tages Zutritt in sein Haus [hatte], wo sich Kant [ihm] in seiner ganz natürlichen Gestalt zeigte.«29 Zudem gibt Jachmann an, von Kant aufgefordert worden zu sein, nach dessen Tod eine Biographie zu schreiben.30 Auch hier findet sich also wieder der Begründungs- und Beglaubigungstopos, mit dem schon Borowski seine Schrift begann. Strukturell unterscheidet sich jedoch das Vorgehen Jachmanns von dem seiner ›Kollegen‹. Er schildert Kants Leben in »Briefen an einen Freund«,31 wobei hier nicht Kant, sondern ein fiktiver Empfänger als Adressat gedacht ist, dem Jachmann die Charakterzüge Kants mitteilen will. Dabei verfällt er häufig in einen stark affektierten Stil, der von Ausrufen wie »Ja, unser Kant war ein merkwürdige[r] Mann!«32 oder »Bedauern, ewig bedauern wird mit mir jeder [...]«33 geprägt ist. Immer wieder bezeichnet er dabei Kant als »merkwürdiger Mann«. Jachmann scheint diesen Begriff zwar stets im Sinne von »merk-würdig« zu gebrauchen, dessen alternative Bedeutung »seltsam« drängt sich jedoch mit den Anekdoten und Zügen, die aufgezählt werden, zunehmend auf. So ist Kant auch hier vergesslich in seiner Jugend: Als Kind ––––––– 25 26 27 28 29 30 31 32 33
Groß, Immanuel Kant [Anm.3], S.115. Ebd. Wie ihn Gert Ueding bezeichnet. Vgl. Gert Ueding, Jean Paul. München 1993. Groß, Immanuel Kant [Anm.3], S.117. Ebd., S.119. Ebd., S.120. Ebd., S.117. Ebd., S.122. Ebd., S.127.
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vergisst er auf dem Schulweg bei einem Spiel seine Bücher und merkt dies erst in der Schule, wo er sich sogleich eine Strafe zuzieht. Auch Jachmann geht auf die »Digressionen«34 während den Vorlesungen ein und berichtet, dass Kant einmal in einer Vorlesung ständig abgelenkt worden sei, da einem Zuhörer vor ihm ein »ein Knopf am Rocke«35 fehlte. Besonders komisch wirkt folgende Anekdote Kants. Als sein Diener ein Glas zerbricht, hat Kant solche Angst, dass dieser sich daran verletzen könnte, dass er mit Hilfe der gesamten anwesenden Gesellschaft im Garten nach einem Platz sucht, an dem man es vergraben könnte, damit es nie jemandem schade.36 Eine weitere komische Szene ereignete sich nach Jachmann regelmäßig im Hause des Kaufmanns Green: Kant ging jeden Nachmittag hin, fand Green in einem Lehnstuhle schlafen, setzte sich neben ihn, hing seinen Gedanken nach und schlief auch ein; dann kam gewöhnlich Bancdirektor Ruffmann und tat ein Gleiches, bis endlich Motherby zu einer bestimmten Zeit ins Zimmer trat und die Gesellschaft weckte, die sich dann bis sieben Uhr mit den interessantesten Gesprächen unterhielt.37
Seltsam erscheinen bisweilen auch Kants Maximen. So fasst er beispielsweise nach einer Spazierfahrt, von der er für seine Begriffe zu spät nach Hause kommt, die Maxime, nie wieder in eine Kutsche einzusteigen, die nicht unter seiner vollen Verfügungsgewalt stehe.38 Ebenso lässt er seinen Freund Professor Kraus, der täglich bei ihm isst, täglich aufs neue einladen, weil er der Meinung ist, dass dieser dadurch täglich die Möglichkeit habe, abzusagen, und sich so nicht gedrängt fühle.39 Jachmann erwähnt auch die von Borowski beschriebene Angst Kants, beim Spazierengehen zu schwitzen, und berichtet, dieser sei deswegen oft eine ganze Zeit lang stehen geblieben, damit der Körper abkühlen könne.40 Ebenfalls merkwürdig muten schließlich Kants Essgewohnheiten an: Das meiste Fleisch zerkaute er bloß, sog den Saft aus und legte das übrige auf den Teller zurück. Er suchte dies zwar durch Brotkrusten zu bedecken, aber er vermied dadurch doch nicht allen Übelstand. Überhaupt sah es auf und neben seinem Teller nicht so geschmackvoll aus, als man an seinem übrigen Betragen gewohnt war.41
––––––– 34 35 36 37 38 39 40 41
Ebd., S.133. Ebd., S.135. Ebd., S.142. Ebd., S.155. Ebd., S.150. Ebd., S.183. Ebd., S.190. Ebd., S.191.
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Erscheinen solche Anekdoten schon komisch, so tendiert Jachmanns Schilderung des alten Kant schließlich noch stärker zur Kauzigkeit. Kant entwickelt abstruse Theorien, beispielsweise, dass sein Kopfweh und der häufige Katzentod in manchen Gegenden von der Luftelektrizität herrühre, welche er schließlich sogar für nahezu jegliche Art von Krankheit verantwortlich macht.42 Er kommt zudem auf die Idee, dass der einzige Sinn des Trinkens darin liege, mit der Flüssigkeit Luft und damit Sauerstoff herunter zu spülen, und holt daher eine Zeit lang vor jedem Schluck tief Luft.43 Auf sein hohes Alter ist Kant so stolz, dass er eine Liste von altgewordenen Menschen in Königsberg im Gedächtnis führt, und sich freut, »daß er nach und nach avancierte und nicht viel Ältere mehr vor sich habe«.44 Er lässt sich dazu sogar regelmäßig »von dem Königsbergschen Polizeidirektorio die monatlichen Sterbelisten einreichen«45. Das Schwinden des Augenlichts bietet schließlich kurz vor seinem Tod Anlass zu mancher tragisch-komischen Szene: Oft bemerkte er »bei Tische [...] [f]alsch greifend [...] nicht seinen Irrtum und verzehrte die unpassendsten Dinge miteinander, ohne durch die Zunge eines andern belehrt zu werden.«46 Letztlich unterläuft diese Anekdotensucht Jachmanns, die selbst das Peinlichste aus Kants Leben dem Leser offenbart, die ursprüngliche Intention, den Charakter eines großen, »merk-würdigen« Mannes zu schildern. Vermittelt wird vielmehr das Bild eines genialen, aber kauzigen, eben eher »merkwürdigen« Philosophen. Wasiankis biographischer Beitrag unterscheidet sich von Borowskis und Jachmanns zunächst in der Ausrichtung: Während diese Kants ganzes Leben im Blick haben, will jener den Philosophen »in seinen letzten Lebensjahren« schildern und damit einen »Beitrag zur Kenntnis seines Charakters und häuslichen Lebens aus dem täglichen Umgange mit ihm«47 leisten. Auch er erachtet es zunächst als notwendig, zu belegen, weshalb er Einblick in das Leben Kants hatte. Als »Gesellschafter und Freund«48 Kants in seinen letzten Jahren konnte er Kant beobachten, auch, wenn dieser sich dessen nicht bewusst war, und verspricht dem Leser daher, »den Mann [...] ohne alle Schminke und entkleidet von allem Prunk, gleichsam nur in seinem Negligee«49 dazustellen. Schon die Vorstellung, Kant hier im Nachthemd vorgestellt zu bekommen, ––––––– 42 43 44 45 46 47 48 49
Vgl. ebd., S.187; S.206f. Ebd., S.205. Ebd., S.194. Ebd., S.194. Ebd., S.209. Ebd., S.213. Ebd., S.215. Ebd., S.215.
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beinhaltet bereits eine gewisse Komik; gesteigert wird diese schließlich durch die Konsequenz, mit der Wasianski dieses Vorhaben exekutiert: Die intimsten Details werden – freilich immer unter dem Vorwand, den Charakter Kants möglichst genau darstellen zu wollen – dem Leser mitgeteilt. Neben bereits von den anderen Biographen her bekannten Elementen wie der Kopfweh-Theorie oder der Angst vorm Transpirieren beim Spazierengehen wird hier der Tagesablauf des alten Kant aufs minutiöseste geschildert, vom TeeRitual am Morgen bis hin zur besonderen »Fertigkeit«, mit der Kant sich am Abend in eine Decke einhüllen konnte.50 Die Seilvorrichtungen, die Kant vor dem Schlafen an seinem Bett anbringt, erinnern dabei schon beinahe an diejenigen eines Schmelzle: »Wollte er im Finstern aus irgend einer Ursache das Schlafzimmer verlassen, welches öfters geschah, so diente ihm ein jeden Abend von neuem gezogenes Seil zum sichern Wegweiser zu seinem Bette.«51 Auch entwickelt er weitere Vorrichtungen wie einen ganz speziellen Strumpfhalter, der seine Strümpfe nicht zu fest, aber auch nicht zu locker hält.52 Zudem werden zahlreichen neue Marotten Kants genannt. So schaut er beispielsweise beim Nachdenken immer auf einen gewissen Turm. Als die Pappeln des Nachbargartens so hoch wachsen, dass sie den Turm bedeckten, bittet er den Nachbarn, seine Bäume zu stutzen, da er sonst nicht mehr denken könne.53 Der alte Kant wird in dieser Beziehung noch wunderlicher. Schon die Verrückung einer Schere oder eines Federmessers machen ihn unruhig,54 und als er von einer Reise nach Hause kommt und sein Schlafzimmer von Wanzen befallen ist, führt er dies darauf zurück, dass die Fensterläden offen waren und die Sonne herein schien. Er verlangt fortan, dass sein Schlafzimmer immer verdunkelt bleibe, da er glaubt, die Finsternis halte die Wanzen ab.55 Weil seine Vergesslichkeit im Alter zunimmt, schreibt Kant sich Notizzettel, auf denen er sich Themen für Konversationen notiert, die aber irgendwann so zahlreich werden, dass er sie ständig durcheinander bringt. Wasianski gibt einen dieser vermeintlichen Zettel wieder, der von seinem Inhalt her an manche Seite aus den Handschriften Jean Pauls erinnert: Stickstoffsäure ist eine bessere Benennung als Salpetersäure. Requisita des Gesundseins. Clerici, Laici. Jene Regulares, diese Seculares. Von der ehemaligen Belehrung meiner Schüler, Schnupfen und Husten gänzlich zu verbannen (Respira-
––––––– 50 51 52 53 54 55
Ebd., S.226. Ebd., S.227. Ebd., S.228f. Ebd., S.226. Ebd., S.261. Ebd., S.227.
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Alexander Kluger tion durch die Nase). Das Wort Fußstapfen ist falsch; es muß heißen Fußtappen. Der Stickstoff Azote ist die säurefähige Basis der Salpetersäure. Der Winterpflaum (ϕλοµοζ), den die Schafe von Angora, ja sogar die Schweine haben, die in den hohen Gebirgen von Cashmir gekämmt werden, weiterhin in Indien unter dem Namen Shawls, die sehr theuer verkauft werden. Ähnlichkeit des Frauenzimmers mit einem Rosenknöspchen, einer aufgeblühten Rose oder einer Hagebutte. Vermeinte Berggeister, Nickel, Kobolt. Duroc usw.56
Auffällig ist zudem, dass Kant laut Wasianski kurz vor seinem Tod eine kindlich-spirituelle Beziehung zu bestimmten Tieren entwickelt, so wie es auch Jean Pauls Fibel am Ende seines Lebens tut. Beispielsweise fasst Kant eine besondere Liebe zu einer Grasmücke, die jedes Jahr wieder kommt und auf die er sich schon lange im voraus freut.57 Als er eine Schwalbenmutter sieht, die aus Mangel an Nahrung einige ihrer Jungen aus dem Nest wirft, sagt er nachher: »Da stand mein Verstand stille, da war nichts dabei zu tun, als hinzufallen und anzubeten«.58 Und einmal erzählt er, er habe eine Schwalbe in den Händen gehabt, ihr ins Auge gesehen und ihm sei dabei gewesen, »als hätte er in den Himmel gesehen.«59 Sind solche Anekdoten noch eher komisch, so wirkt die Schilderung der letzten Lebensjahre Kants zunehmend tragisch. Gezeigt wird das Elend des Alterns: Schwäche, Demenz, Zusammenbrüche. Wasianski beschreibt bis ins Detail die peinlichen Situationen, die sich daraus ergeben. Kant antwortet zunehmend wirr auf Fragen oder singt Schulschnurren aus seiner Kindheit, wie: »Vacca, eine Zange, forceps, eine Kuh, rusticus, ein Knebelbart; ein nebulo bist du.«60 Häufig schläft Kant ein, fällt vom Stuhl und muss Stunden warten, bis ihn jemand wieder aufhebt.61 Dreimal sinkt sein Kopf im Schlaf so ungünstig in die Sonne, dass sich seine Nachtmütze entzündet und in Flammen steht.62 Beim Essen muss Wasianski stellvertretend für Kant eine Pfeife rauchen, da dieser es aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr darf. Zudem ist Kant so versessen auf Butterbrot mit Käse, welches er aber nicht essen darf, dass man ihm schließlich erzählen muss, »das Käsemachen gehöre nun zu den verloren gegangenen Künsten, vom Käse könne nie mehr die Rede sein.«63 Kurz vor seinem Tode will Kant schließlich unbedingt noch einmal eine Reise ins Ausland machen. Man arrangiert eine Reise in ein 20 ––––––– 56 57 58 59 60 61 62 63
Ebd., S.233. Schrifttypenwechsel sind hier kursiv hervorgehoben. Vgl. ebd., S.266. Ebd., S.293. Ebd., S.293. Ebd., S.269. Schrifttypenwechsel sind hier kursiv hervorgehoben. Ebd., S.237. Ebd., S.239. Ebd., S.287.
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Minuten entfernt gelegenes Landhaus, doch selbst diese Reise ist Kant bei ihrer Ausführung zu lang, und er will schon nach kurzer Zeit nach Hause. Dort angekommen schmiedet er dann gleich neue Pläne für eine Reise ins Ausland.64 Die Tragik erreicht ihren Höhepunkt in der abschließenden Schilderung des Todes Kants, von dem in aller Genauigkeit berichtet wird. Angesichts einer solchen Darstellungsweise stellt sich die Frage, ob Wasianski sein Ziel, etwas zur Kenntnis des Charakters Kants beizutragen, wirklich erreicht. Denn geschildert werden hauptsächlich die Altersleiden eines zunehmend senilen Greises, der teilweise entwürdigende Prozeduren über sich ergehen lassen muss. Auch diese Biographie unterläuft somit im Endeffekt ihr Vorhaben, Kant als großen Mann zu schildern. Solche Figurationen mussten natürlich einen Jean Paul zur Persiflage reizen. So notiert dieser zwischen 1806 und 1807 in seinen Vorarbeiten zum Leben Fibels: »Der Biograph führt Beispiele an, wie oft die kleinsten Vorfälle eine Genie-Mine loszündeten. [...] Alles als Parodie des Anekdotenstils der Biograph. d d«65 Besonders Ferdinand Joseph Schneider ging in seiner Monographie Jean Pauls Altersdichtung dieser Spur weiter nach. In seiner Untersuchung konnte er zahlreiche Parallelen zwischen den biographischen Texten und dem Leben Fibels aufzeigen, die sich in 3 Arten von Übernahmephänomenen unterteilen lassen: Erstens stellen seiner Ansicht nach die drei Fibel-Biographen Pelz, Pompier und Fuhrmann satrirische Konterfeis der drei Kant-Biographen Borowski, Wasianski und Jachmann dar.66 Des Weiteren bestehen zahlreiche Parallelen auf der Inhaltsebene. Borowski biographiert Kant schon zu Lebzeiten und nennt seine Biographie schließlich »eine Vorlesung«,67 beides Elemente, die auch in der biographischen Akademie des Leben Fibels wiederkehren. Wasianski schildert aufs minutiöseste den Tagesablauf des alten Kant. Ordnungsliebe, unleserliche Schrift und Vergesslichkeit kennzeichnen das Alter des Philosophen. Auch Pelz fordert Fibel auf, sich diese zuzulegen. Zudem ist die Liebe zur Mutter ein Motiv, das sich auch im Leben Fibels findet. Jachmann und die Schiller-Biographen Gruber und Oemler fühlen sich ebenfalls dem Anekdotenstil verpflichtet und schrecken teilweise auch nicht vor dem Erfinden solcher kleinen Züge zurück. Gemeinsam ist allen diesen Biographen schließlich auch die Tatsache, dass sie auf einander hinweisen und jede Biographie die jeweils anderen kritisch ––––––– 64 65 66 67
Ebd., S.274f. Fasz.XIV, 6, Bl.60r. Vgl. Schneider, Jean Pauls Altersdichtung [Anm.5], S.47ff. Groß, Immanuel Kant [Anm.3], S.8.
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darstellt und korrigiert. Schneiders Liste inhaltlicher Parallelen ließe sich noch weiter ergänzen. So nennen Borowski und Wasianski Kant einen »k i n d l i c h e n« Mann68 – Fibel wird Zeit seines Lebens kindlich bleiben. Die Anekdote, in der Kant sich in einer Vorlesung von einem fehlenden Knopf ablenken lässt, erinnert an Fibel, der seinerseits die »Gewohnheit[,] an einem Beinkleiderknopfe«69 zu drehen, hat, wobei er sich im Gespräch mit Pelz mehrfach Knöpfe ausreißt. Ein weiterer Bezug besteht in der Tierliebe im Alter, die sowohl Kant als auch Fibel aufweisen. Eine dritte Form der Persiflage findet sich Schneider zufolge in der Nachahmung des »schwülstige[n], mit rhetorischen Frage- und Ausrufezeichen überladene[n], pomphafte[n] Stil[s].« »Seid außer euch, ihr sämmtlichen Literatoren dieser Zeit«70 ruft der Erzähler des Leben Fibels zu Beginn aus und erinnert dabei an die affektierten Ausrufe eines Jachmann. Das Bild, dass sich für Schneider aus diesem Vergleich ergibt, ist eindeutig: Der mit allen satirischen Wassern gewaschene Jean Paul durchschaut die unfreiwillige Komik, die sich aus dem übertriebenen Anekdotenstil der Kantund Schiller-Biographien ergibt, und persifliert diese in Sternescher Manier in seinem Leben Fibels. Eduard Berend übernimmt diese Deutung schließlich auch in seine Einleitung zur historisch-kritischen Ausgabe.71 II. Dass am Anfang des Leben Fibels eine Figur Namens Jean Paul auftritt, die sich mit einem biographischen Projekt beschäftigt, wird dem kundigen Jean Paul Leser nur allzu bekannt erscheinen. Neu ist jedoch die stärkere Distanz des Biographen Jean Paul zum Geschehen. Er steht nicht, wie noch im Hesperus, in Kontakt mit einem Korrespondenten und Auftraggeber, der ihn mit dem nötigen biographischen Material versorgt. Statt dessen muss er selbst mit Hilfe von einigen Kindern die Fetzen einer Biographie sammeln, um sie dann »zusammen zu leimen«.72 Hinzu kommt damit auch ein zeitlicher Abstand: Während im Hesperus und im Titan nur eine relativ kurze Zeitspanne zwischen einem Ereignis, dessen Übermittlung an den Biographen Jean Paul und der biographischen Niederschrift zu liegen scheint, ist der Jean Paul des Leben Fibels von Anfang an zeitlich vom Geschehen getrennt – denn das, ––––––– 68 69 70 71 72
Ebd., S.72. SW I/13,458. SW I/13, S.354. Vgl. SW I/13,LXXXIX. SW I/13,355.
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was er üblicherweise anfertigt, nämlich eine Biographie, liegt ja bereits in dreifacher Ausfertigung vor. Die Möglichkeit, bei Bedarf sogar in das zu beschreibende Geschehen selbst einzutreten, wie es beispielsweise der Biograph des Hesperus kann, scheint hier von vorne herein verwehrt – dass sie sich am Ende doch noch ergibt, ist ein Umstand, von dem später noch zu reden sein wird. Die Grundstruktur dieser Rahmenhandlung scheint sich zunächst nahtlos in die oben skizzierte Deutung Schneiders zu fügen. Wie Jean Paul der Autor sich an die drei Biographen Borowski, Jachmann und Wasianski heranbegibt, um diese kritisch und satirisch zu betrachten, so tritt die Figur Jean Paul an die Biographen Pelz, Pompier und Fuhrmann heran. Als »vier[ter] Evangelist[]«73 setzt er sich von den vorherigen drei ab, wie sich das Johannesevangelium von den synoptischen Evangelien absetzt. Die Betonung des Persiflagecharakters schärft dabei den Blick für die zahlreichen ironischen Relativierungen und Untertöne, mit denen der Biograph Jean Paul seine Quellen wiedergibt. Gerade die Akademiesitzungen legen die Tendenz des Anekdotenstils zum Komischen offen, wenn die Biographen den armen Fibel nicht nur auf Schritt und Tritt verfolgen, sondern ihm schließlich sogar noch anraten, sich bewußt kauzige Züge wie »Vergesslichkeit« oder eine unleserliche Handschrift zuzulegen.74 Spätestens an dieser Stelle wechselt die Art der Wiedergabe von einer weitgehenden Übernahme des vorgefundenen Stoffes, wie es noch in den Anfangskapiteln des Fibel der Fall ist, hin zu einer sichtbar kritischen Distanzierung des impliziten Autors Jean Paul von den übrigen Biographen. Dabei verschiebt sich der Fokus der Erzählung zunehmend von Fibel auf Pelz, so dass der »vierte Evangelist« plötzlich erschrocken feststellen muss, dass er Gefahr läuft, zum »Lebensbeschreiber der Lebensbeschreibers« zu werden.75 Auch die Figur Jean Paul rückt damit in ein komisches Licht: Trotz ihrer kritischen Haltung scheint sie nicht gefeit davor, selbst in Abschweifungen und Nebensächlichkeiten zu verfallen. Besonders deutlich wird dies schließlich am Ende des Leben Fibels, als sie ohne die Vermittlung der anderen Biographen in direkten Kontakt mit Fibel treten muss. Auf der Fahrt nach Bienroda erzählt der Biograph Jean Paul die Anekdote vom »Grafen A-a« und dem »Minister B-b«,76 die scheinbar nichts mit dem gesuchten Fibel zu tun hat. Er leitet diese mit der Bemerkung ein, dass er seine »Ursa––––––– 73 74 75 76
SW I/13,490. Vgl. SW I/13,491. SW I/13,473. SW I/13,502.
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chen, folgende Anekdote vorher zu erzählen«77 habe, bittet den Leser jedoch unmittelbar danach, diese »so lange zu vergessen, als ich nicht daran erinnere, weil wir auf wichtigere Dinge zu merken haben.«78 Bezeichnenderweise wird er nicht mehr an sie erinnern. Obwohl sich einige Elemente dieser Geschichte durchaus auf die aktuelle Handlung beziehen lassen,79 durchbricht sie doch in gewisser Weise den Erzählfluß, sie erscheint überflüssig und digressiv. Ohne das Negativbeispiel Pelzens et alii als Vermittlungsinstanz verfällt der Biograph Jean Paul selbst in den Anekdotenstil. Die eindimensionale Betrachtung des Leben Fibels als Persiflage eines überlegenen Autors auf zeitgenössische Biographen scheint vor diesem Hintergrund fragwürdig. III. Stützen lässt sich diese Beobachtung schließlich auch durch einen Blick in die Vorarbeiten zum Leben Fibels. Im Konvolut Fibel. März 1807 findet sich unter anderem auch die Notiz: »Prediger am Grabe Fibels – setze die Leichenrede hin – Jetzt kommen die Kind. und Tanten pp seiner III Lebensbeschreiber – ein vorig. Pfarrer hatte Notizen von den III hinterlassen. Ich Biograph parodiere die Biographen und mich«.80 Die Zahl »III« ist in den Vorarbeiten die Abkürzung für die drei Biographen Pelz, Pompier und Fuhrmann. Das »mich« lässt sich hier zunächst intra-textuell auf die Romanfigur Jean Paul beziehen, die, wie eben gezeigt, selbst dem Stil der »III« verfällt. Bei genauerer Betrachtung sind es aber auch gerade der Autor Jean Paul und sein Schreiben, die im Leben Fibels auf vielfache Weise beleuchtet und beschrieben werden. Da ist zum einen die Tatsache, dass Anekdotenstil und Digression schon seit jeher ein Markenzeichen Jean Pauls sind. Die Anwendungsmöglichkeiten dieser Techniken sind natürlich vielfältig, sie haben jedoch stets einen Effekt: Sie durchbrechen den Erzählfluss. Beabsichtigen andere Autoren, in ihren Geschichten Zeichenvergessenheit zu evozieren, den Leser gänzlich von der Fiktionalität des Geschehens abzulenken, so legen die Anekdoten und Digressionen in Jean Pauls Romanen den Konstruktcharakter von Literatur offen. Gerade wenn der Erzähler einem nicht das liefert, was man erwartet, ––––––– 77 78 79
80
SW I/13,502. SW I/13,502. Allein die Namen A-a und B-b gemahnen an Fibel, und auch die Situation des Suchens einer Person ohne Kenntnis von deren Aufenthaltsort stimmt mit der des Biographen Jean Paul überein. Fasz.XIV, 8, Bl.26v.
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verweist er damit auch auf sich selbst und zeigt auf, dass er als auswählende und konstruierende Instanz zwischen dem Leser und dem Geschehen steht. Hinzu kommt, dass die Jean Paulschen Digressionen oft nur auf sehr weit hergeholten Analogien beruhen. Der Zusammenhang zwischen einem Ereignis der Handlung und einem damit verglichenen Faktum oder einer damit verbundenen Anekdote ist oft so willkürlich, dass die Abschweifung letzten Endes nur noch durch die Vergleichspartikel »wie« gerechtfertigt scheint. Auch hier wird der Konstruktcharakter von Literatur vorgeführt: Erzählen ist auch immer der Versuch, Einzelnes in einen Gesamtzusammenhang zu bringen. Wo dies jedoch willkürlich oder sogar gar nicht erfolgt, wird die Künstlichkeit des geschaffenen Zusammenhangs deutlich. Die unfreiwillige Komik der Kant- und Schiller-Biographen entspringt eben diesem Phänomen. Denn Lebenszusammenhang muss immer Konstruktion sein, im Idealfall darf »keine Tatsache deutungsabstinent [...] kein Faktum ohne Deutung«81 bleiben. Die Aufgabe von Biographie und Autobiographie ist es, eine Reihe von Einzelfakten zu einem kohärenten Lebenslauf zu verbinden. Gefärdet ist dieses Projekt jedoch immer da, wo sich etwas nicht einordnen lässt, oder eine Einordnung zu willkürlich erscheint, als dass sie authentisch sein könnte. Die Kant- und Schiller-Biographien unterlaufen ihr Projekt, eine große Persönlichkeit zu schildern, in eben dieser Hinsicht: Zum einen auf inhaltlicher Ebene, indem besonders die Kant-Darstellungen zu einer Kauzigkeit tendieren, die sich letztendlich nur noch schwer mit dem Bild des »großen Mannes« verbinden lässt. Zum anderen auf der Metaebene, denn gerade die Anstrengung, ja schon fast Gewalt, mit der in jedem noch so kleinen Zug der Kindheit und Jugend die Deixis auf den großen Denker und Philosophen gesucht wird, macht den Konstruktcharakter der Lebensbeschreibungen nur umso offensichtlicher. Roman und Biographie stehen sich insofern sehr nahe – beide erfüllen Einzelnes mit Sinn, um es in einen Zusammenhang zu bringen. Der entscheidende Unterschied ist, dass der Roman die Künstlichkeit thematisieren darf, während die Biographie diese mit aller Macht verschleiern muss, um authentisch zu wirken. Tut sie es doch, so erscheint sie – erdichtet, sie wird selbst zur Dichtung. Über diese Nähe der beiden Gattungen war sich Jean Paul schon sehr früh bewusst. Bereits 1782 notiert er in seinen Bemerkungen über
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Ralf Simon, Zwei Studien über Autobiographik, in: JJPG 29 (1994), S.111–143, hier: S.115.
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uns närrische Menschen: »Ein Roman ist eine veredelte Biographie.«82 Seine Romane sind daher auch meist biographische Projekte – und sein einziger zu Lebzeiten publizierter autobiographischer Text eine Fiktion: eine Konjekturalbiographie, die nicht das Geschehene in Zusammenhang präsentiert, sondern das künftige Leben erdichtet, da angeblich das Schicksal die Eigenschaft hat, »immer nach dem Szenenplan meiner fremden Geschichten meine eigene auszuschneiden und so, wenn andre mit der Wirklichkeit ihre Dichtkunst wässern, schöner jene mit dieser bei mir abzusüßen.«83 Wieder einmal erscheint Jean Paul als souveräner Autor, der die Dichtung über die Realität erhebt, ja sogar behauptet, diese würde jener nacheifern. Dies erfolgt natürlich immer mit halb-ironischem Unterton, dennoch ist hier eine Attitüde zu spüren, die den Dichter über Leben und Tod erhaben wähnt. Wie Helmut Pfotenhauer zeigen konnte, lässt sich Jean Paul in dieser Beziehung aber auch gegen den Strich lesen. Hinter dem Autor, der das Leben und dessen Beschreibung zur Dichtung veredelt, steht auch derjenige, der »seine Romane gern Biographien nannte, [...] mit der Biographie seiner selbst [aber] nie ganz zurande gekommen« ist.84 Immer wieder zeigt sich in der Selberlebensbeschreibung die Tendenz, die »Bürde des Geschehenen oder dessen, was nicht Ereignis geworden ist«, durch eine Wendung ins Komische oder Idyllische zu mindern.85 Jean Pauls Autobiographik strebt geradezu danach, Dichtung sein zu können, ja Dichtung sein zu dürfen, da sich nur auf diese Weise das erdrückend Reale sublimieren lässt. Bezeichnend ist daher auch, dass die Selberlebensbeschreibung im Moment der »Initiation in das Erwachsenenleben«86 abbricht, in dem Moment also, in dem sich die Kindheitsidylle als »Vollglück in der Beschränkung«87 nicht mehr aufrechterhalten lässt. Zudem wird das volle Repertoire der Biogaphiepersiflage aufgeboten: Sternesche Digression, die den Blick von der eigenen Geburt weg zu den die Wiege umgebenden Personen wendet, geht Hand in Hand mit einer ständigen Tendenz zum Anekdotenhaften und zum übertriebenen Aufladen der Ereignisse mit symbolischem Deutungsgehalt, wie sie sich in den Kant- und Schiller-Biographien findet. Jean Paul verfährt in weiten Teilen der Selberlebensbeschreibung wie Borowski, Wasianski et alii, lediglich mit dem Unter––––––– 82
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Jean Paul, Lebenserschreibung. Veröffentlichte und nachgelassene autobiographische Schriften, hrsg. von Helmut Pfotenhauer unter Mitarbeit von Thomas Meißner. München/Wien 2004, S.10. Ebd., S.26f. Pfotenhauer, Die Bedenken des Romanautors vor dem Ich [Anm.2], S.33. Ebd., S.35. Ebd., S.45. SW I/11, S.241.
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schied, dass er sich des komischen Effektes bewusst ist – denn das Komische ist ja gerade das Erwünschte, das Erleichternde. Wenn also in den Vorarbeiten zum Leben Fibels davon die Rede ist, dass Jean Paul sich auch selbst damit parodieren wolle, so kann dies natürlich einerseits auf den impliziten Autor des Romans, vielleicht auch auf alle solche den Romanen immanenten Biographen namens Jean Paul beziehen, die in ihren Lebensbeschreibungen immer wieder ins Digressive und Anekdotenhafte verfallen. Andererseits ließe sich auch hier wieder hinter dem Komischen und Selbstironischen etwas Ernstes vermuten: In der Selbstparodie steckt auch eine Außeinandersetzung mit den Versuchen der eigenen Lebensbeschreibung. 1804 ist schließlich nicht nur das Todesjahr Kants – es ist auch das Jahr, in dem Jean Paul mit jenen biographischen Aufzeichnungen beginnt, die uns heute als Vita-Buch bekannt sind.88 Hier findet sich auch eine Notiz zu den biographischen Eigenheiten, die wahrscheinlich Anfang 1807 entstanden ist: 89 In früheren Zeiten suchte ich die biographischen Eigenheiten des Genies so eifrig auf als dessen Werke – die größte Eigenheit der Erde ist, ein neues Meisterstück gemacht zu haben – jede andere Eigenheit ist nur ein Merkmal der Schwäche und nicht immer eine Bedingung der Stärke. Was nachzuahmen ist, verdient nicht nachgeahmt, sondern höchstens verziehen zu werden.90
Eduard Berend nimmt diese Aussage in seiner Einleitung zum Leben Fibels auf, wenn er meint, die unfreiwillige Komik der Kant- und SchillerBiographien habe »einen Jean Paul, der von seiner ehemaligen Sucht, den biographischen Sonderbarkeiten der Genies so eifrig nachzugehen wie deren Werken, längst zurückgekommen war, zur Parodie reizen« müssen.91 Das dieser Bemerkung zugrunde liegende Bild Jean Pauls ist das des souveränen Autors, der im Leben Fibels mit einem Lächeln auf seine »längst« abgelegte Begeisterung für die Eigenheiten der Großen zurückblicken kann. Eine solche Lesart verkennt jedoch das resignative Moment, das in der Bemerkung Jean Pauls zu den biographischen Eigenheiten mitschwingt: Wenn neben dem »Meisterstück [...] jede andere Eigenheit [...] nur ein Merkmal der Schwäche«, unnachahmenswert ist – bedeutet das nicht eine Absage an jegliches biographisches Vorhaben eines Autors, so lange es sich nicht auf die Werke bezieht? Demenstprechend finden sich auch immer wieder resignative Notizen, die den Gedanken an die eigene Lebensbeschreibung äußerst skep––––––– 88 89 90 91
Zur Entstehungsgeschichte vgl. Jean Paul, Lebenserschreibung [Anm.83], S.422f. Zu Datierung vgl. ebd., S.423. Ebd., S.253. SW I/13,LXXXIX.
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tisch gegenüberstehen: »In meinem Alter [...] gibt es keine Rücksicht mehr auf das kleinliche Ich. Meine Schriften sind besser als ich.« – »Ich bin nicht der Mühe wert gegen das, was ich gemacht.«92 Schon zur Zeit der Niederschrift des Leben Fibels hegt Jean Paul also bereits Bedenken ob der Durchführbarkeit des autobiographischen Projektes. Hinter der Bemerkung, er wolle auch sich selbst in diesem Roman parodieren, ließe sich also noch mehr als nur eine ironische Haltung gegenüber einigen »längst« abgelegten Marotten vermuten. Im Folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, im Leben Fibels Anzeichen der Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten eigener Autobiographik aufzuspüren und diese in den Kontext des komplexen Spätwerkes einzuordnen. IV. Schon Ferdinand Josef Schneider bemerkt in seiner Abhandlung über Jean Pauls Altersdichtung: »Fast könnten wir den Fibel als eine poetische Selbstbiographie Jean Pauls auffassen, soviel Erinnerungen aus seiner Jugend hat er darin verwendet.«93 Als biographischen Referenztext zieht er die Selberlebensbeschreibung heran, die ihm in der (editorisch fragwürdigen) posthumen Veröffentlichung von Christian Otto94 vorlag. Schneider zeigt zahlreiche Parallelen zwischen diesem Text und dem Leben Fibels auf. So ist auch das Kind Jean Paul ein begeisterter Beobachter des Vogelfangs, wenn es auch nicht der Vater, sondern der Schulmeister ist, der »hinter seinem zum Fenster hinausgehaltenen Finkenkloben auf einen anfliegenden Stieglitz lauerte«.95 Wie Fibel lernt auch Jean Paul das griechische Alphabet, ohne es zu verstehen.96 Die Selberlebensbeschreibung schildert schließlich den Erhalt des ersten ABC-Buches als Erweckungserlebnis: Noch erinnere ich mich der Winterabendlust, als ich aus der Stadt endlich das mit einem Griffel als Zeilenweiser versehene Abcbuch in die Hand bekam, auf dessen Deckel schon mit wahren goldnen Buchstaben (und nicht ohne Recht) der Inhalt der ersten Seite geschrieben war, der aus wechselnden rothen und schwarzen
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SW II/4,363. Vgl. auch Pfotenhauer, Die Bedenken des Romanautors vor dem Ich [Anm.2], S.34. Schneider, Jean Pauls Altersdichtung [Anm.5], S.50. Jean Paul, Wahrheit aus Jean Pauls Leben. Heftlein 1, hrsg. von Christian G. Otto. Breslau 1826. Jean Paul, Lebenserschreibung [Anm.83], S.175. Vgl. Schneider, Jean Pauls Altersdichtung [Anm.5], S.52.
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Buchstaben bestand; ein Spieler gewinnt bei Gold und rouge et noir weniger an Entzücken als ich bei dem Buche, dessen Griffel ich [nicht] einmal anschlage.97
Schneider betrachtet die Selberlebensbeschreibung als authentische Biographie. Die zahlreichen Tendenzen des Textes hin zum Literarischen, die Zitate, Stilisierungen, das Idyllische und das Komische lässt er weitgehend außer Acht oder akzeptiert dies alles als genuine Empfindungen eines auf sein Leben zurückblickenden Jean Pauls. Dabei könnte man sich doch auch fragen: ist es nicht Jean Paul, der sich hier als Fibel inszeniert? Werden hier nicht auch bewusst die Umstände der eigenen Idyllen-Helden zitiert, um die eigene Jugend als Idylle erscheinen zu lassen? Freilich würde man damit die Vorzeichen herumdrehen: Jean Paul wäre nun nicht mehr nur ein Autor, der sein Leben in seine Romane legt, sondern auch einer, der für seine eigene Lebenbeschreibung diese Romane als Vorlage nimmt – als müsste er sich sein Leben zunächst erschreiben, um es schließlich beschreiben zu können. Wieder zeigt sich, wie eng Autobiographie und Roman bei Jean Paul zusammen liegen. Über diese Übereinstimmung biographischer Einzelheiten hinaus bemerkt Schneider, dass sich im Leben Fibels auch erste Anklänge an den Gedanken einer eigenen Lebensbeschreibung finden lassen. In Anlehnung an die Angewohnheit der drei Biographen, Fibel permanent zu verfolgen, imaginiert der Erzähler, selbst auf eine solche Weise biographiert zu werden: So könnte z.B. – um nur vom allerdünnsten, kürzesten Lichtchen der Welt zu sprechen, von mir – mir überall ein lebensbeschreiber Mensch auf Wegen und Stegen nachsetzen, bis in mein Haus und Schlafzimmer hinein, ja der leere Knecht könnte sich als Reitknecht und Abschreiber anbieten und mir in jedes heimliche und öffentliche Gemach nachdringen, bloß damit er etwas zu liefern hätte, wenn ich abgefahren wäre [...]; aber noch zeigt sich niemand dazu, und vergeblich bin ich jahrelang am Leben und führe in Baireuth meine Gespräche und den beigefügten Lebenswandel, ohne daß nur ein Hund die Feder nähme und charakteristische Züge heimlich für solche Mémoires von mir aufgriffe, als ich mich leider (aus Mangel eines andern) mich leider künftig selber zusammenzutragen genötigt sehe. (SW I/13,490f.)
Dieser Bemerkung geht eine ähnliche voraus: Ja nicht einmal unter Einem Dache sollte der Heldensänger mit seinem Helden sich aufhalten, sondern sogar unter Einer H i r n s c h a l e, wodurch, da nur Einer darunter Platz hat, natürlich der Sänger und sein Held in Eins zusammenfallen und miteinander das herausgeben, was man eine Selbstlebensbeschreibung, Autobiographie, Confessions u.s.w. nennt; aber welcher Vorteil, da alsdann der Selbst-
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Jean Paul, Lebenserschreibung [Anm.83], S.174f.
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Alexander Kluger Beschreiber allein die geheimsten Ehren- und Schandtaten weiß und sie am zartesten von sich erfährt. (SW I/13, 490. Schrifttypenwechsel kursiv hervorgehoben.)
Der Erzähler nutzt den Anlaß der Fibel-Biographie, um über die Möglichkeiten einer eigenen Lebensbeschreibung zu reflektieren. Die hier (freilich mit ironischem Unterton) betriebenen Gedankenspiele schildern die Autobiographie als letzte Konsequenz einer auf die Spitze getriebenen Sucht nach Anekdoten und kleinen Zügen, wie sie die Kant- und Schiller-Biographen zeigen: Der Biograph, der mit seinem Helden »unter Einem Dache« sein will, schlüpft am Ende sogar unter die »Hirnschale«, wird »Eins« mit dem Autor. Dennoch bleibt die Trennung zwischen »Held« und »Sänger«. Auch wenn beide letztendlich eine Identität bilden, muss der Selbst-Beschreiber etwas von sich erfahren. Autobiographie bedarf also eines Objektivierungsprozesses, in dem sich das beschreibende Ich von sich selbst distanziert. Aus dieser Dialektik zwischen Polarität (»Held und Sänger«) und Identität ergibt sich ein Biograph, der »die geheimsten Ehren- und Schandtaten« seines Objektes kennt, diese aber zugleich »am zartesten« zu schildern im Stande ist, da er mit seinem »Helden« am nähesten verbunden ist. Diese Figuration des Herantretens an sich selbst ist jedoch der Autobiographie immer schon immanent. Grundbedingung ist das Auftreten eines »sich selbst begreifenden Schreibers, der auf sein Leben als Material zurückblicken kann.«98 Jean Paul geht jedoch noch einen Schritt weiter. In den Vorarbeiten zur Selberlebensbeschreibung heißt es: »Beschreibe das Beschreiben des Lebens, also die jetzige Zeit«.99 War der frühe Jean Paul als Autor des Hesperus und des Titan ein Lebensbeschreiber, so wird der späte nun zum Beschreiber des Lebensbeschreibers und des Lebensbeschreibens. Analog dazu weicht die Rahmenhandlung des Leben Fibels, wie bereits erwähnt, von der Konstellation der übrigen biographischen Romane ab: die Biographie liegt nun bereits vor. Der Biograph Jean Paul tritt damit nicht an unzusammenhängendes Material heran, das es mit Zusammenhang und Sinn zu erfüllen gilt, sondern an eine bereits bestehende Konstruktion. In seinen Rekonstruktionsversuchen legt er zwangsläufig auch deren Künstlichkeit offen – besonders eben da, wo sie auseinanderzufallen droht. Als das 16. Kapitel nicht beigebracht werden kann, muss er selbst einspringen und aus »allen Winken« der die »Lücke« umgebenden Kapitel den »Zusammenhang« herzustellen.100 Als Rekonstrukteur der Fibel-Biographie beschreibt die Instanz ––––––– 98 99 100
Simon, Zwei Studien über Autobiographik [Anm.82], S.127. Jean Paul, Lebenserschreibung [Anm.83], S.145. Vgl. SW I/13,422.
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»Jean Paul« daher zugleich auch das »Beschreiben des Lebens«, wird zur Reflexion auf die Grundbedingungen von Biographik. Die Figur Jean Paul läuft dabei jedoch auch immer wieder Gefahr, zum »Lebensbeschreiber des Lebensbeschreibers« zu werden, von ihrem eigentlichen Gegenstand Fibel abzuschweifen und sich den Biographen zuzuwenden. Und damit nicht genug: wie Pelz am Ende »sich selber zum Episteltext«101 macht, muss auch der Biograph Jean Paul gestehen, dass er sich »schon in der Vorrede und nachher ins Dorf selbst lebensbeschreibend gesetzt habe«.102 Insgesamt ergibt sich eine interessante Multiperspektivik: Fibels Leben wird aus vier Perspektiven geschildert, von Pelz, Pompier, Fuhrmann und schließlich Jean Paul. Streng genommen müsste man Flegler als fünften Beschreiber mit hinzunehmen, da er durch seine Fibel-Kritik die Darstellungsweise der Biographen um einen kontrastiven Standpunkt erweitert. Ferner biographiert Pelz sich selbst, nicht zuletzt weil er zugleich Teil der Lebens- und Erfolgsgeschichte Fibels ist. Der Biograph Jean Paul beschreibt schließlich alle – Fibel, Pelz, Pompier, Fuhrmann, sogar Flegler – und wiederum auch sich selbst. Das Konzept der Multiperspektivik erwägt Jean Paul auch mehrfach für die eigene Lebensbeschreibung. So notiert er im 3. Gedankenheft von 1803: »Man müste von sich 2 oder 3 widersprechende Selbstbiographien schreiben, um eine 4te recht zu machen.«103 Eine ähnliche Bemerkung findet sich im 8. Gedankenheft von 1812: »Meine richtigste Biographie wäre 1) von einem Freunde, 2) von einem Feinde 3) von mir 4) von einem Mittler.«104 Anklänge an diese Gedanken lassen sich im Fibel zum einen in der Zahl 4 vermuten, die ja auch auf die »vier Evangelisten« Fibels zutrifft, zum anderen könnte man auch von Fibel sagen, dass er in gewisser Weise von einem Freund Pelz (wenn man ihn denn so nennen kann), einem Feind Flegler, und schließlich von einem Mittler beschreiben wird, eben jenem »Jean Paul«, der dem Leser seine Rekonstruktion der Fibel-Biographie mitteilt. Am interessantesten bleibt jedoch der Gedanke einer polyphonen Biographie, der sich im Fibel bereits angedacht und in den Vorarbeiten zur eigenen Lebensbeschreibung mehrfach ausgesprochen findet. Denn gerade die Multiperspektivik eröffnet einen Ausweg aus dem Dilemma, dass Biographie wie Autobiographie immer zugleich Konstruktionen sein müssen, aber authentisch sein wollen: Indem mehrere Sichtweisen angeboten werden, darf die einzelne Lebensbe––––––– 101 102 103 104
SW I/13,493. Ebd. Jean Paul, Lebenserschreibung [Anm.83], S.94. Ebd., S.100
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schreibung konstruiert und damit subjektiv erscheinen, da sie durch die Existenz der anderen relativiert und damit objektiviert wird. V. Umso erstaunlicher ist es, dass diese Multiperspektivik am Ende des Leben Fibels wieder zurückgenommen wird. Nach dem 28. Judas-Kapitel bricht die Überlieferung ab. Der Biograph Jean Paul kann noch ein paar Fetzen des weiteren Lebensverlaufs Fibels erhaschen, schließlich versiegt aber das Material, und er muss selbst einspringen, seinen Helden aufsuchen und dessen Geschichte zu Ende schreiben. Zum Schluß wird das möglich, was am Anfang unmöglich schien: Die Figur Jean Paul kann doch wie in den vorherigen biographischen Romanen in die Handlung eintreten, um ihr Werk zu vollenden. Bevor auf diesen Schluss näher eingegangen wird, sollen aber zuvor die Umstände des Überlieferungsabbruchs noch einmal näher beleuchtet werden. Zunächst fällt auf, dass sich Pelzens Fibel-Biographie im Zuge zum 28. Kapitel zunehmend von ihrem eigentlichen Gegenstand – eben Fibel – entfernt. Weil das Leben des Helden nicht mehr genug berichtenswertes hergibt, muss Pelz ihn anhalten, sich »mehrere[] kleine[] Charakterzüge[]« (SW I/13,491) zuzulegen. Als auch diese künstlich erzeugten Anekdoten nicht mehr ausreichen, macht sich Pelz, wie schon angedeutet, »selbst zum Episteltext«. In letzter Konsequenz muss schließlich sogar eine Sitzung »Über den Nutzen der Akademien« abgehalten werden, um das Treffen der biograpischen Akademisten überhaupt noch zu rechtfertigen. Hinter der offensichtlichen Komik, die diese zunehmende Entfremdung der Fibel-Biographie von ihrem Gegenstand beinhaltet, fällt besonders das Moment der Selbstreflexivität ins Auge: In dem Moment, in dem der biographische Stoff ausgeht, beginnt die biographische Instanz, über sich selbst zu berichten, um nur berichten zu können, um weiterzuerzählen. Letztendlich könnte man sogar sagen: Um nur weiter zu existieren. Diese Figuration ist jedoch auch nichts Neues: Jedesmal, wenn in den Romanen dem Lebensbeschreiber Jean Paul das Material ausgeht, beginnt er, von sich selbst zu erzählen – sei es nun im Hesperus, im Titan oder im Fibel. Pelz wird damit wiederum zur Selbstparodie Jean Pauls – und vielleicht sogar zu mehr. Augenfällig ist nämlich der Moment, in dem für Pelz die Probleme anfangen: Fibel ist mit seinem Jugendwerk mit einem Mal auf der Höhe seiner Karriere. Er hat nun genug Geld, um Mutter und Frau zu versorgen. Überhaupt: Er ist verheiratet. Trotz all dieser Signifikanten für Erwachsensein
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(beruflicher Erfolg, Ehe, Versorgerrolle) bleibt Fibel jedoch stets Kind.105 Mißtrauen gegen Pelz hegt nur die Ehefrau Drotta, aber nicht der naive Fibel. Kindlichkeit wird schließlich auch in der circa 6 Jahre später verfassten Selberlebensbeschreibung Jean Pauls eine zentrale Rolle spielen: Die eigene Kindheit wird hier als Idylle inszeniert – und muss notwendigerweise enden, als mit dem Abendmahl die »Initiation in das Erwachsenenleben« erfolgt.106 Was im Leben Fibels geschieht, könnte man daher auch als eine Probe aufs Exempel lesen – als den Versuch, Kindheit über den äußerlichen Eintritt ins Erwachsenendasein hinaus zu Verlängern. Am Ende scheint dieser Versuch gelungen, noch mit 125 Jahren ist Fibel der »gleiche, einfältige, alterslose«.107 Dennoch fällt der enorme narrative Aufwand auf, mit dem diese Verlängerung der Kindheit erst ermöglicht werden kann. Dass Pelz in Materialnot gerät, liegt nicht zuletzt auch daran, dass sich nichts Wesentliches mehr ereignen kann, ohne dass gleichzeitig die Kindheitsidylle Fibels zerfällt. Denn dieser ist auf der Spitze des Glücks. Nun können nur noch Krisen folgen: Ehekrisen, finanzielle Krisen, Todesfälle. Das Leben als Kindheit lässt sich nur noch mittels der Anekdote verlängern – das Kleine muss eintreten, da sich das Große nicht mehr ereignen darf. Aber auch dieser Weg wird schnell zur Wiederholung, beginnt um sich selbst zu kreisen. Schließlich springt die Selbstreflexivität ein, das Beschreiben des Biographen anstatt des Helden. Aber auch diese Form wird mit der Rede über den »Nutzen der Akademien« auf die Spitze getrieben und könnte nicht fortbestehen, ohne sich endgültig vom eigentlichen Objekt der biographischen Bemühungen zu entfernen. Insofern kann nur noch der Bruch erfolgen – doch dieser wird ersetzt durch einen Bruch auf anderer Ebene. Indem nun, in Analogie zu Pelz, auch die Quelle des Biographen Jean Paul versiegt, kann die Fibel-Biographie als Idylle abbrechen, ohne dass dieser Bruch zugleich als Ende der Idyllenzeit gedeutet werden muss. Den Wegfall der Pelz-Instanz muss nun der »vierte Evangelist« Jean Paul kompensieren, indem er sich selbst auf die Suche nach dem Rest der Geschichte begibt. Tatsächlich findet er noch einige »Abschnitzel«,108 die jedoch nur einen vagen Abriß des weiteren Lebensverlaufs Fibels zu liefern im Stande sind. Bezeichnenderweise sind die nun mitgeteilten Ereignisse gerade jene Großen, die die Kindheitsidylle endgültig zerstört hätten: Die Mutter und Pompier sterben, Fuhrmann geht fort, »Gewaltige Änderungen und Durchbrüche« ereignen sich »in Herrn ––––––– 105 106 107 108
Vgl. Schneider, Jean Pauls Altersdichtung [Anm.5], S.44. Vgl. Pfotenhauer, Die Bedenken des Romanautors vor dem Ich [Anm.2], S.45. Ebd. SW I/13,497.
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Fibels Seele – die ganze Fibelei halb aufgehoben.«109 All dies erfährt der Leser aber nur sehr knapp und fragmentarisch, in Form von kurzen Blitzlichtern. Eine Anteilnahme am Schicksal Fibels ist kaum möglich, das, was kommen musste, wird auf ein Mindestmaß reduziert wiedergegeben. Das letzte Schreckliche, das sich jetzt noch ereignen müsste, wäre der Tod Fibels – doch Pelz, der letzte der drei Biographen, stirbt vor seinem Helden. Das Ende wird wiederum aufgeschoben, der Schluß der Pelz-Biographie zeichnet trotz der angedeuteten Leiden das hoffnungsvolle Bild eines »alternd[en], aber gesundend[en]« Fibels.110 Damit scheint die Lebensbeschreibung Fibels zunächst offen zu enden. Jedoch »[u]nerwartet«111 wird das Unmögliche möglich: Der Biograph Jean Paul kann wie in früheren Romanen den Helden direkt aufsuchen und die Biographie vervollständigen. Er trifft Fibel aber nicht als alten, gebrochenen Greis an, sondern als Wiederverjüngten, der in seinem hundertsten Lebensjahr »von neuem zahnte«.112 Wie seine Kinderjahre, so hat er auch seine Greisenjahre hinter sich gelassen113 und ist jetzt beides zugleich, ein kindlicher, aber »verklärt[er]«114 Greis. Fibel ist am Ende wieder in einer idyllischen Umgebung, in einem »Vollglück in der Beschränkung«, in dem nun auch »so finde mich der Tod«115 gesagt werden darf, da das alte Herrlein ohnehin schon »zwischen Himmel und Erde«116 steht. Im Alter ist die Idylle wieder möglich. Fibels Leben erscheint damit trotz der Brüche und Lücken kohärent: Am Ende ist er kindlich wie am Anfang, nur dass nun noch die Verklärung hinzukommt. Diese Kohärenz kann jedoch nur durch die komplexe Erzählsituation erreicht werden. Indem es zwei biographische Ebenen gibt, kann die eine – Pelz – im entscheidenden Moment ausfallen und die andere – Jean Paul – im passenden Moment wieder einsetzen. Bei einem einzelnen Biographen hätte ein solcher Sprung das ganze biographische Projekt zerstört. Das Leben Fibels wäre nicht mehr als zusammenhängend erschienen. Doch Pelzens Lebensbeschreibung existierte ja einst als Ganzes, Vollständiges. Auch wenn sie nicht mehr vollständig vorliegt, so bleibt sie doch als (immerhin 40-bändige) Biographie ein Signifikant für ein kohärentes Leben Fibels, das sich offensichtlich bis ins hohe Alter ––––––– 109 110 111 112 113 114 115 116
SW I/13,498f. SW I/13,499. SW I/13,500. SW I/13,509. SW I/13,505. SW I/13,510. SW I/13,518. SW I/13,505.
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beschreiben ließ. Durch die Einschaltung einer zweiten biographischen Instanz, die diese erste rekonstruiert, kann das Unerwünschte, der Ernst des Lebens, nun wegfallen, ohne den Lebenszusammenhang allzu stark zu gefährden – denn was verloren geht, war schonmal da, es kann nur jetzt nicht mehr berichtet werden. Im Leben Fibels scheint die Lebensbeschreibung als kindliche Idylle zu funktionieren – jedoch nur unter größtem narrativen Aufwand und durch konsequente Ausblendung des Erwachsenenalters. VI. In der Selberlebensbeschreibung kehren, wie gesagt, viele Elemente des Leben Fibels wieder. Schon die Vermittlungsinstanz erinnert an Pelz und seine Vorträge in der Akademie: Ein »Professor der Geschichte« berichtet in Form von »Vorlesung[en]« eine Lebensgeschichte, nur dass es in diesem Fall nicht die eines anderen, sondern die eigene ist. Beschrieben wird ebenfalls eine Kindheitsidylle, die sich in zahlreichen Punkten mit der Fibels überschneidet, seien es das Motiv des Vogelfangens, das heimliche Lesen, die »trübe Laune des Vaters gerade zur Weihnachtszeit«117 oder die Begeisterung beim Erhalt des Abcbuchs. Es wäre jedoch falsch zu behaupten, dass sich Jean Paul hier lediglich als Fibel inszeniert – besser gesagt: Er kann sich hier nur als Fibel inszenieren, weil Fibel selbst bereits zahlreiche autobiographische Züge besitzt. Die Selberlebensbeschreibung kann die Idyllen Jean Pauls, und allen voran das Leben Fibels, als Intertexte zitieren, weil diese auch immer Züge des Autors besitzen. 1818, in der Entstehungszeit der Selberlebensbeschreibung, notiert Jean Paul in seinen Merkblättern: »Alle meine Schreiberei ist eigentlich innere Selbstbiographie; und alle Dichtwerke sind Selblebenbeschreibungen, denn man kennt und lebt eben kein anderes Leben als das eigene.«118 Voreilig könnte man versucht sein, die Gleichung herumzudrehen und daraus zu schließen, dass Autobiographie dann auch immer Dichtung ist. In gewisser Weise mag dies zutreffen, denn auch Biographie und Autobiographie bedürfen der Konstruktion von Sinn und Zusammenhang. Entscheidend ist jedoch, dass der Autor sich in einer Dichtung, besonders in einem Roman, nie als einzelne, vollständige Identität einbringen muss: »Ein Autor bringt sich darum nicht ganz in seinen Roman, weil [er] eine Menge Züge von sich übriglassen muß, um sie andern Leuten darin zu leihen.«119 Im Leben Fibels kann die Figur Fibel autobiographisch aufgeladen ––––––– 117 118 119
Schneider, Jean Pauls Altersdichtung [Anm.5], S.51. Jean Paul, Lebenserschreibung [Anm.83], S.113. Ebd., S.13.
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werden, ohne damit »Jean Paul« zu sein, es kann sogar problemlos noch ein Biograph Jean Paul hinzutreten.120 Die Autobiographie hat jedoch gerade die Konstituierung einer Identität zum Ziel. Der Autobiograph kann sich zwar als »Professor der Geschichte« von sich selbst objektivieren. Ein Kunstgriff, wie er im Leben Fibels geschieht, bleibt ihm jedoch untersagt. Denn wenn Lebensbeschreiber und biographischer Gegenstand, Held und Sänger eins sind, kann letzterer nicht einfach, wie Pelz, vor seinem Helden sterben und das Erzählen einer anderen Instanz überlassen. Der Abschnitt des Erwachsenenalters kann damit aber auch nicht einfach verloren gehen. Der Autobiograph müsste eine Amnesie vortäuschen oder schlichtweg eine Lücke lassen. Identität als Lebenszusammenhang wäre dann aber nicht mehr gewährleistet, denn es würde an einem Zeichen wie der Pelz-Biographie fehlen, das auf die Existenz einer kohärenten Lebensbeschreibung verweist. Der Sprung von der Idylle in die Idylle kann in der Autobiographie somit nicht ohne Bruch erfolgen. Was im Roman gelingt, lässt sich sich auf die eigene Lebensbeschreibung nicht übertragen. Die Selberlebensbeschreibung kommt schließlich nur bis zum ersten Abendmahl, das als »Initiation in das Erwachsenenleben«121 zugleich die Grenze der Kindheit markiert. Was nun folgen könnte, ist im Leben Fibels bereits ausgelotet worden: Anekdotenstil und Selbstreflexivität könnten das Unvermeidliche herauszögern, aber nicht aufhalten. Letztlich bleibt die Wahl zwischen dem Übergang zum Ernst des Lebens, der jedoch zugleich das Ende der Idylle bedeuten würde, oder deren Wahrung durch das Ende der Beschreibung. Es ist also festzuhalten: Das Leben Fibels ist mit Sicherheit eine Persiflage zeitgenössischer Kant- und Schiller-Biographien. Jean Paul nutzt diese Auseinandersetzung aber auch, um die Möglichkeiten eigener Autobiographie kritisch zu beleuchten. Die Notiz »Ich Biograph parodiere die Biographen und mich« zeigt, wie beides, humoristische Zeitkritik und Selbstreflexion, letztendlich zusammenhängen: In der Parodie der Anderen kann der Blick auch auf das eigene Schreiben gerichtet und damit an das heikle Thema der eigenen Lebensbeschreibung ohne Verbissenheit herangetreten werden.
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Der aber selbst wiederum nicht mit dem Jean Paul »in Fleisch und Blut« identisch sein muss. Pfotenhauer, Die Bedenken des Romanautors vor dem Ich [Anm.2], S.45.
BETTINA RABELHOFER
DAS SCHEITERN DES ICH IN DER AUTOBIOGRAPHIE Jean Pauls Selberlebensbeschreibung
Wer sein Leben beschreiben möchte, nimmt sich selbst zum Studienobjekt; im Augenblick selbstbiographischen Schreibens ergreift der Biograph traditionellerweise den Zipfel dessen, was er als sein Geschick, sein Schicksal, sein Glück oder Unglück erkannt hat, und versucht, einmal zu Selbstbesitz gelangt, diesem Wissen zu narrativem Ausdruck zu verhelfen. Mitunter erscheint jedoch das Unterfangen, sich selbst in Besitz zu nehmen, aussichtslos, wenn da Erkenntnis an die Objektivitätsgläubigkeit einer biographischen Methode oder an weitgehende Sprachunabhängigkeit gebunden ist.1 Jean Paul hat ja auch seine Selberlebensbeschreibung (SW II/4) zu keinem Ende geführt, hat das Genre gewechselt und sich in der Literatur einfach ›existenter‹ gefühlt. Autobiographische Erzählungen sind alles andere als authentische, nur von der akribischen Sorgfalt des Autobiographen abhängige Reproduktionen eines so oder anders gelebten Lebens, sondern determiniert durch die Unsicherheiten des Gedächtnisses, durch die gegenwärtige Wunsch- und Bedürfnislage des Erzählers und durch die Einlagerung kulturell verfügbarer Plots. Gelebtes Leben ist zusammenhangloser, disparater und kontingenter als die ––––––– 1
Seit der sogenannte ›linguistic turn‹ in den 1960er Jahren die Binarität des traditionellen Form/Inhalt-Schemas aufgesprengt hat, können literarische Texte nicht länger als ›Ausdruck‹ des irgendwo außerhalb der Sprache Existierenden wahrgenommen werden, stattdessen gerät die primär sprachliche Verfasstheit alles literarisch Geäußerten ins Zentrum der literaturwissenschaftlichen Aufmerksamkeit: »Dies hat Folgen für die Konzeption des literarischen Ichs: Der vormalige emphatische Subjektbegriff wird abgelöst zugunsten einer die sprachliche Verfasstheit von Subjektivität und Individualität beobachtenden Beschreibungsperspektive. [...] Dies bedeutet nicht, dass die Vorstellung des autobiographischen Ichs als Individuum und als Subjekt ausgedient hätte – vielmehr geht es darum, Individualität und Subjektivität im Medium ihrer Sprachlichkeit zu begreifen. Entsprechend haben sich die Untersuchungsperspektiven dahingehend verschoben, dass die hinter dem autobiographischen Text stehenden realen Personen nicht mehr die primäre Bemessungsgrundlage der textuellen Realität darstellen, diese vielmehr in ihrer kulturellen, diskursiven und sprachlichen Determiniertheit wahrgenommen wird.« – Martina Wagner-Egelhaaf, Autobiographie. Stuttgart/Weimar 2000, S.11.
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narrativ geglättete Oberfläche des autobiographischen Projekts Glauben machen mag.2 Jean Paul hat zeitlebens emsig Material für eine noch zu schreibende Lebensgeschichte herangeschafft, es geordnet und Einfälle dazu notiert. Als Siebzehnjähriger fasst er den Entschluss, eine »Geschichte meiner selbst – für den Psichologen« zu schreiben,3 notiert und notiert Aphorismen, bis er es 1817 zu sieben Quartheften oder »Bändgen« mit fast 4000 Einträgen »Bemerkungen über den Menschen« gebracht hat. Das eigene Ich dient dabei in autobiographisch-anthropologischer Manier als Indikator für die conditio humana,4 die Kenntnis des Eigenen verhilft induktiv zur Kenntnis des Allgemein-Menschlichen.5 Im »Vita-Buch«, das Jean Paul ab 1804 führt, werden dann Fragen der Selbstwahrnehmung und literarischen Stilisierung auf das eigene Selbstbeschreibungsprojekt zentriert.6 Die narrative Expedition ins eigene Leben wird schließlich 1818 im akademischen Rahmen einer »historischen Vorlesung« (SW II/4,72) literarisch in Szene gesetzt. Der Autobiograph ist in die Rolle des Professors für Geschichte geschlüpft und nimmt sich selbst zum Gegenstand: Es war im Jahr 1763, wo der Hubertsburger Friede zur Welt kam und gegenwärtiger Professor der Geschichte von sich; – und zwar in dem Monate, wo mit ihm noch die gelbe und graue Bachstelze, das Rothkehlchen, der Kranich, der Rohrammer und mehre Schnepfen und Sumpfvögel anlangten, nämlich im März; – und zwar an dem Monattage, wo, falls Blüten auf seine Wiege zu streuen waren, gerade dazu das Scharbock- oder Löffelkraut und die Zitterpappel in Blüte traten, deßglei-
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Vgl. dazu Donald E. Polkingahorne, Narrative Psychologie und Geschichtsbewußtsein. Beziehungen und Perspektiven, in: Erzählung, Identität und historisches Bewußtsein. Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte. Erinnerung, Geschichte, Identität I, hrsg. von Jürgen Straub. Frankfurt a.M. 1998, S.12– 45; hier: S.24ff. Vgl. Eduard Behrends Einleitung in: SW II/5,V–XVIII; hier: VI. Vgl. Helmut Pfotenhauer, Literarische Anthropologie. Selbstbiographien und ihre Geschichte – am Leitfaden des Leibes. Stuttgart 1987, S.124. Die autobiographische ›Aufrichtigkeit‹ nimmt nun nicht mehr Maß am göttlichen Wahrheitspostulat, sondern versteht sich als anthropologische Forderung nach Selbsterkenntnis. »An mir mach’ ich die meisten Bemerkungen; und ich kenne vielleicht die Menschen nicht, aber ich kenne doch mich.« – Jean Paul, Bemerkungen über den Menschen, in: Jean Paul, Lebenserschreibung. Veröffentlichte und nachgelassene autobiographische Schriften, hrsg. von Helmut Pfotenhauer unter Mitarbeit von Thomas Meißner. München/Wien 2004, S.7–14; hier: S.9. Vgl. Pfotenhauer, Literarische Anthropologie [Anm.4], S.124. Jean Pauls Sammlung autobiographischer Notizen wurde von seinem Freund Christian Otto mit dem Titel »Vita-Buch« versehen und 1826 aus dem Nachlass in der Sammlung Wahrheit aus Jean Pauls Leben herausgegeben. – Vgl. dazu das Nachwort des »VitaBuch«-Herausgebers Winfried Feifel. In: SW II/6,267–233, hier: 311.
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chen der Ackerehrenpreis oder Hühnerbißdarm, nämlich am 21ten März; – und zwar in der frühesten frischesten Tagzeit, nämlich am Morgen um I½Uhr; was aber alles krönt, war, daß der Anfang seines Lebens zugleich der des damaligen Lenzes war. (SW II/4,71)
Der »Held und Gegenstand dieser historischen Vorlesungen« (SW II/4,72) scheint von seinem dozierenden Auctor mit Selbstironie überschüttet. »Bachstelze« und »Rothkehlchen«, »Löffelkraut« und »Hühnerbißdarm« flankieren das neugeborene Leben mit dem Witz dessen, der nicht wie der Heroe aus Weimar selbstbewusst nach den Sternen greift.7 Vielleicht hat er sich ja auch durch Goethes Dichtung und Wahrheit gestört gefühlt8 und der himmlischen Erhabenheit astrologischer Konstellationen das Lächerliche9 als terrestrisches Komplement zur Seite gestellt. Jean Paul schafft sich seine erzählerischen Ordnungen selbst und lässt die Kontextualisierung der Geburt seines »Helden« weniger raumgreifend, dafür aber umso ironischer ausfallen. Zu einer Lebensgeschichte gehören Personen, Orte, Ereignisse und – Konstrukteure. Wer sich zum Professor für Geschichte erzählerisch ›verleiblicht‹, suggeriert ›Annäherung‹ an den Diskurs der Historiographie. Unter dem Vorwand epistemologischer Privilegiertheit10 versucht hier ein Ich-Erzähler ––––––– 7
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Vgl. die dazu die Eingangssätze aus Goethes Autobiographie: »Am 28. August 1749, mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die Konstellation war glücklich; die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau, und kulminierte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sich freundlich an, Merkur nicht widerwärtig; Saturn und Mars verhielten sich gleichgültig: nur der Mond, der soeben voll ward, übte die Kraft seines Gegenscheins um so mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten war. Er widersetzte sich daher meiner Geburt, die nicht eher erfolgen konnte, als bis diese Stunde vorübergegangen.« Goethes Werke. Hamburger Ausgabe. Band IX: Autobiographische Schriften. Mit Anmerkungen versehen von Erich Trunz. Textkritisch durchgesehen von Liselotte Blumenthal. 1. Band: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Hamburg 1955, S.10. Vgl. Ralph-Rainer Wuthenow, Nachwort. Gegenwärtige Vergangenheit und erinnerte Zukunft, in: Jean Paul, Selberlebensbeschreibung. Konjektural-Biographie. Stuttgart 1977, S.153–176; hier: S.153 bzw. Jean Paul: [Vita-Buch]. In: Jean Paul, Lebenserschreibung [Anm.5], S.237–351, hier: S.301: »Ein gutes Buch, wie Göthes Leben, stört meinen ganzen Arbeittag.« Vgl. dazu Jean Pauls Definition des »Lächerlichen« als umgekehrtes Erhabenes in der Vorschule der Ästhetik. SW I/11,92f.: »Kurz der Erbfeind des Erhabenen ist das Lächerliche [...].« (Hervorhebung im Original) »[...] Blos Professor der Geschichte bin ich durch meine eigne Hülfe allein geworden, habe mich selber dazu ernannt, weil ich ohne Unbescheidenheit in d i e s e m Fache der Geschichte mehr zu wissen mich rühmen darf als jeder andere.« – Jean Paul, Vorarbeiten zur Selberlebensbeschreibung, in: Jean Paul, Lebenserschreibung [Anm.5], S.141–156, hier: S.144.
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Lebenssprengstücke zu einem temporalen Ganzen zu formen. Historische Sinnbildung und autobiographische Selbstthematisierung scheinen enggeführt und erheben Anspruch auf narrative Strukturierung und Repräsentation. Des Geschichtsprofessors ›Rhetorik der Faktizität‹ erprobt sich auch sogleich im Datenreservoir vorverwandtschaftlicher Genealogie und lässt den Held[en] und Gegenstand dieser historischen Vorlesungen unbesehen in der Wiege und an der Mutterbrust [...] liegen und schlafen – da doch dem langen Morgenschlaf des Lebens nichts für allgemein-welthistorisches Interesse abzuhören ist« (SW II/4,72).
Und der ›Held‹ muss solange vom Erzähler verwaist in der Wiege darben, bis von denen, »nach welchen mein Herz sich und die Feder hindrängt, von meinen Vorverwandten, von Vater, Mutter und Großeltern« (ebd.) gesprochen wurde. Den Großteil der »Ersten Vorlesung« nehmen denn auch Porträt und Lobpreis der »Voreltern« ein, denn, so lässt der Erzähler verlauten, »ich würde [...] zehnmal lieber historische Vorlesungen über meine Voreltern halten als über mich selber« (SW II/4,78). Das selbstbiographische Unterfangen scheint so schon im Ansatz durch die nur mangelhafte Motivation des Vortragenden desavouiert. Der historische Diskurs hält wohl nicht den geeigneten Parameter bereit, entlang dessen sich die eigene Lebenserfahrung zum autobiographischen Identitätsprojekt strukturieren könnte. Die Geschichtsschreibung als ein der Tradition verhafteter verfügbarer Diskurs scheint als mögliches Narrativ für die Repräsentation von gelebtem Leben durchgestrichen; die Selberlebensbeschreibung wird konsequenterweise auch nur bis ins 12. Lebensjahr des ›Helden‹ durchgehalten.11 Im Gegensatz zur ›fremden Materialbasis‹ ist das eigene Selbst oder das, was es am ›Ende des autobiographischen Schreibens‹ sein könnte, nicht auf ein traditionelles Verlaufsmodell, das teleologisch auf Kausalität und Kontinuität baut, verrechenbar. Und vielleicht ist ja auch das Jean Paulsche Zögern vor der chronologisch und teleologisch abgesicherten Verlaufskurve individuellen Lebens neben existenziellen Vorbehalten auch auf einen epistemologischen Paradigmenwechsel zurückzuführen.12 Die Erklärbarkeit der eigenen Existenz, ja ihre ––––––– 11
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Die Selberlebensbeschreibung wurde auch nicht von Jean Paul veröffentlicht, sondern von seinem Freund Christian Otto 1826 als 1. Band der Wahrheit aus Jean Pauls Leben aus dem Nachlass herausgegeben. Vgl. Eduard Berends Einleitung in SW II/4,XXXII. Im klassisch bürgerlichen Biographiemodell, das sich auf den Empiristen John Locke berief, waren ›Erkennbarkeit‹ und ›Aussprechbarkeit‹ der Person noch eine unhinterfragbare Selbstverständlichkeit. – »Was unsere eigene Existenz betrifft, so nehmen wir sie so deutlich und gewiß wahr, daß sie eines Beweises weder bedarf noch fähig ist. Denn nichts kann uns mehr einleuchten als unsere eigene Existenz.
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Erkennbarkeit überhaupt steht angesichts fundamentaler Zweifel am Gelingen-Können ihrer Repräsentation13 im Zentrum philosophischer wie ästhetischer Überlegungen.14 Autobiographie im Maskenspiel der ›Geschichtsschreibung‹ entpuppt sich zunehmend als inadäquates Modell der Aneignung von Identität. Seinem Freund, Heinrich Voß, gegenüber macht Jean Paul aus seinem Unmut über das Selbstbeschreibungsprojekt keinen Hehl: Meine Lebenbeschreibung kommt spät; sie erfreuet mich wenig, weil ich darin nichts zu dichten habe und ich von jeher sogar in Romanen ungern bloße Geschichte – ohne die beiden Ufer des Scherzes und der Empfindung – fließen ließ und weil ich nach niemand weniger frage als nach mir.15
Und im »Komischen Anhang zum Titan« findet sich die Affrontstellung zwischen poesie-asketischer Historie und den ›tanzenden‹ Worten aus Jean Pauls Feder explizit ausformuliert: Und das werden nun die Honigmonate, wovon ich im Antrittsprogramm mit so vielem Frohlocken sagte, daß ich darin vom Armesünderstuhl des historischen Lehrstuhls aufspringen, das Härenhemd ausziehen und wegwerfen und luftig und leicht in meiner schönen Insel Barataria 6, 8 Bogen lang tanzen und regieren würde. [...] man soll mich in meinem Dintenfaß ersäufen, wenn ich in einem Honigmonat ein Wort vorbringe, das rein-historisch genannt zu werden verdient.16
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[...] Bei jedem Vorgang der Sensation, des Schließens oder Denkens sind wir uns unseres eigenen Daseins bewußt; ja, wir bleiben in diesem Punkt nicht hinter dem höchsten Grad der Gewißheit zurück.« – John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, Band II: Buch III und IV. Hamburg 1988, S.294f. bzw. vgl. László F. Földényi, Exemplum und Momento. Die Biographie als Mittel zur Darstellung, in: Spiegel und Maske. Konstruktionen biographischer Wahrheit, hrsg. von Bernhard Fetz und Hannes Schweiger. Wien 2006, S.21–32; hier: S.30. Vgl. dazu auch den Brief Heinrich von Kleists an seine Schwester Ulrike: »Ich weiß nicht, was ich dir über mich unaussprechlichen Menschen sagen soll.« (13./14. März 1803) – Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden, hrsg. von Ilse-Marie Barth, Klaus Müller-Salget, Stefan Ormanns und Hinrich C. Seeba. Band 4: Briefe von und an Heinrich von Kleist 1793–1811, hrsg. von Klaus Müller-Salget und Stefan Ormanns. Frankfurt a.M. 1997, S.313. (Hervorhebung im Original) Zur Repräsentationsproblematik vgl. den interdisziplinären Sammelband Darstellbarkeit. Zu einem ästhetisch-philosophischen Problem um 1800, hrsg. von Claudia Albes und Christiane Frey. Würzburg 2003. SW III/7,238. Brief vom 16. Nov. 1818. – Vgl. auch den Brief an seinen Sohn Max vom 4. Sept. 1821: »Ganz irrig schreibst du mein Verzögern der Autobiographie einer Abneigung vor einer unangenehmen Vergangenheit zu; umgekehrt liegt mir auch meine dürftigste in einer magischen Jugendbeleuchtung; nur mein Abscheu vor Erzählen, meine Gleichgültigkeit gegen mein Ich als solches und mein Eifer, Neues zu schaffen, hindern mich an der zu leichten Verarbeitung eines schon fertigen Stoffs.« (SW III/8,135) SW I/8,242f.
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Jean Paul will dem Joch der Mimesis entschlüpfen und inszeniert sich dennoch und trotz aller Aversion in seiner Selberlebensbeschreibung als Chronist! Diese Merkwürdigkeit, sei sie nun konterkarierende Anmaßung oder selbstauferlegte Zumutung, mag nur durch die Dissoziation von Autor, Erzähler und erzählter Figur erträglich werden. In der nahezu dramaturgischen Inszenierung des autobiographischen Aktes hat das erlebende Ich, das unter variantenreichen Bezeichnungen17 wie »unser Held und Gegenstand« (SW II/4,72), »Fritz« (SW II/4,93), »Paul« (SW II/4,103), »Hans Paul« (SW II/4,92), »Pfarrsohn« (SW II/4,83), »Friedrich Richter« (SW II/4,89), »Professor der Selberlebensgeschichte« (SW II/4,81) auftritt, das Nachsehen; die Performanz der Inszenierung setzt den fingierten Sprecher dominant, der sein Publikum hart an die erzählerische Kandare nimmt und es seinen Bedürfnissen gemäß konzipiert und in der Folge nahezu schleichend ›umkonzipiert‹. Die aufdringliche Selbsthistorisierung gestaltet Jean Paul explizit als dialogisch, indem er seine Hörerschaft in die Inszenierung verwickelt. Das professoral gestaltete Ich erscheint als »pseudoautobiographisch«, »pseudonym« und »anonym« gleichermaßen, und ist als Redeperspektive nicht geradlinig und identifikatorisch auf die Autorinstanz rückführbar. Autobiographisches Erzählen gerät dadurch zur dissoziierten Zone, die der Erzähler als Repräsentationsraum lediglich formaler Mimesis nützt. Die Referenzillusion wird konterkariert durch die pronominale Distanzierung des Ich-Erzählers vom Gegenstand seiner Aussage. Wenn der ›Held‹ der selbstbiographischen Rede nur noch in der dritten Person Singular heimisch wird, bietet auch der Auctor dieser parodistisch geschöpften Figur dem Leser statt eines autobiographischen Paktes18 nur noch einen nicht-referentiellen Vertrag an, der ersteren simuliert. Hier ließe sich natürlich ein ganzes Kapitel über die verwickelten Verhältnisse des Ich mit sich selbst einfügen, über psychoanalytische, philosophische und linguistische Implikationen, die die Rede vom Ich nach sich zieht. ––––––– 17
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»Um das Joditzer Leben unsers Hans Paul – denn so wollen wir ihn einige Zeit lang nennen, jedoch immer mit andern Namen abwechseln – am treuesten darzustellen, thun wir glaub’ ich am besten, wenn wir dasselbe durch ein ganzes Idyllenjahr durchführen und das Normaljahr in vier Jahrzeiten als eben so viele Idyllenquatember abtheilen; vier Idyllen erschöpfen sein Glück.« (SW II/4,92) »Die Biographie und die Autobiographie sind, im Gegensatz zu allen Formen der Fiktion, referentielle Texte: Sie erheben genauso wie der wissenschaftliche oder der historische Diskurs den Anspruch, eine Information über eine außerhalb des Textes liegende ›Realität‹ zu bringen und sich somit der Wahrheitsprobe zu unterwerfen. Sie streben nicht nach bloßer Wahrscheinlichkeit, sondern nach Ähnlichkeit mit dem Wahren.« – Philippe Lejeune, Der autobiographische Pakt, Frankfurt a.M. 1994, S.39f. (Hervorhebung im Original)
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Das Ich und »seine begrifflichen Trabanten«19 – Subjekt, Person, Individuum20 – lassen sich nur mit immenser Anstrengung und nicht ohne durchlöcherte Demarkationslinien und Paradoxa denken: »Das Ich als Erkenntnisobjekt kann nur deshalb als ein anderes, potentiell viele andere und vor allem als in der Zeit sich verändernd begriffen werden, weil für das Ich als Erkenntnissubjekt Identität gilt.«21 Wenn auch ein gänzlich ungebrochenes IchBewusstsein im Verein mit einem ebenso unproblematischen Wirklichkeitsverständnis in autobiographischen Modellen populären Zuschnitts in seiner Eloquenz völlig unangefochten Platz greifen kann, so gibt es dennoch keine verfügbare Theorie von ›Selbst‹, ›Ich‹, ›Subjekt‹, ›Individuum‹ (aus welcher philosophischen oder psychologischen Richtung auch immer), aus deren Perspektive ein ›reibungsloses‹ autobiographisches Erzählen nicht als ›unreflektiert‹ erschiene.22
Jean Paul ist geradezu erkenntnistheoretischer Skeptizismus nachzuweisen, wenn er augenscheinlich so ironisierend mit den eigenen Lebenssprengstücken verfährt und die synthetisierende Verbindung von autobiographischem Text und Leben verweigert, indem er sich in die Fiktion seiner selbst verwandelt und scheinbar so wenig Interesse für sein Ich aufbringen kann.23 Doch die Frage, was bei einem solchen Lebens- und Schreibkonzept als authentische Erfahrung zu gelten hat und was folglich der Narration als substantielle Basis des Erzählbaren dienen kann, kompliziert sich in eine epistemologische Unmöglichkeit ebenso wie in eine rhetorische Emphase.24
Rhetorisch und emphatisch gleichermaßen mutet auch das in der Selberlebensbeschreibung verwendete Erinnerungsmodell an: ––––––– 19
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Vgl. dazu Carola Hilmes, Das inventarische und das inventorische Ich. Grenzfälle des Autobiographischen. Heidelberg 2000, S.61–65. Vgl. dazu Wagner-Egelhaaf, Autobiographie [Anm.1], S.10: »Aus dem sich emanzipierenden neuzeitlichen Individuum wird, könnte man pointiert sagen, das sich seiner Abhängigkeit zunehmend bewusst werdende moderne Subjekt, insofern als die philosophische Begrifflichkeit das Individuum im Kontext seiner Handlungsgeschichte begreift, während sie das Subjekt als Zentrum der Reflexion wahrnimmt.« (Hervorhebungen im Original) Hilmes [Anm.19], S.63. Bernd Scheffer, Interpretation und Lebensroman. Zu einer konstruktivistischen Literaturtheorie. Frankfurt a.M. 1992, S.250. »Wenn ihr wüßtet, wie wenig ich nach J.P.F. Richter frage; ein unbedeutender Wicht; aber ich wohne darin, im Wicht.« – Jean Paul: Merkblatt 1818, in: Jean Paul, Lebenserschreibung [Anm.5], S.113. Ralf Simon, Zwei Studien über Autobiographik, in: JJPG 29 (1994), S.111–143; hier: S.141.
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Bettina Rabelhofer Nie vergeß’ ich die noch keinem Menschen erzählte Erscheinung in mir, wo ich bei der Geburt meines Selbbewußtseins stand, von der ich Ort und Zeit anzugeben weiß. An einem Vormittag stand ich als ein sehr junges Kind unter der Hausthüre und sah links nach der Holzlege, als auf einmal das innere Gesicht ich bin ein Ich wie ein Blitzstrahl vom Himmel vor mich fuhr und seitdem leuchtend stehen blieb: da hatte mein Ich zum ersten male sich selber gesehen und auf ewig. Täuschungen des Erinnerns sind hier schwerlich gedenkbar, da kein fremdes Erzählen in eine blos im verhangnen Allerheiligsten des Menschen vorgefallne Begebenheit, deren Neuheit allein so alltäglichen Nebenumständen das Bleiben gegeben, sich mit Zusätzen mengen konnte. (SW II/4,92)
Die unabweisliche Evidenz des eigenen Ich verdankt sich dem ›perfekten Gedächtnis‹ eines Ich-Erzählers, das »Ort und Zeit« der »Geburt (s)eines Selbbewußtseins« anzugeben weiß. Der transzendente Blitzstrahl vom Himmel verkeilt sich in die narrative Ordnung der Autobiographie und trotzt so den Unwägbarkeiten empirischer Erinnerung. Dies mag auch Ralf Simon in seiner Arbeit über Jean Pauls »inszenierte Autobiographik« zu folgender Bemerkung veranlasst haben: Aus der Diskontinuität der empirischen Erinnerung ragt eine intelligible Gewissheit in ekstatischen Momenten bis in den Himmel hinein. Es ist diese Evidenz von Transzendenz, die es Jean Paul ermöglicht, unter Bedingungen, die ein autobiographisches Schreiben eigentlich verbieten müßten, Autobiographie als konstruierte Idylle erzählbar zu machen.25
Sein selbstbiographisches Nachdenken ist nicht Produkt spontaner introspektiver Anstrengungen, sondern gibt im Rahmen einer persönlichen Mythologie anekdotenreich die nachträgliche Konstruktion von Selbstbezüglichkeit zum Besten. Erinnerung als stabile Erfahrung wird nur um den Preis der Transzendierung erfahrungsmimetischer Grenzen durchgehalten. Folgt man der Chronologie der Selberlebensbeschreibung – diese trotzt sich der autobiographische Versuch ja gewissenhaft ab –, so wird das Evidenzerlebnis von der ›Geburt des Selbstbewusstseins‹ in die Anfangszeit der Joditzer Dorfidyllen gelegt. Das »sehr junge[ ] Kind« dürfte dann an die zwei, drei Jahre gewesen sein.26 Der künstlich offen gehaltene Erzählhorizont des Gedächtnisses ist so
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Ebd., S.138. Kinder entwickeln ein autobiographisches Gedächtnis erst allmählich nach der Vollendung ihres dritten Lebensjahres; die Zeit davor fällt der ›Kindheitsamnesie‹ zu Opfer. Vgl. dazu Katherine Nelson, The Psychological and Social Origins of Autobiographical Memory, in: Psychological Science 4 (1993), Nr.1, S.7–14; hier: S.8f.
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nur als ekstatische Vergegenwärtigung einer Pseudoerinnerung denkbar, die ihrerseits narrativ enkodiert ist.27 Tiefe und Rückläufigkeit der Erinnerung scheinen für Jean Paul an kein erkenntnistheoretisches Problem zu rühren, wenn er sich auch an anderer Stelle »zu [s]einer Freude imstande [fühlt], aus [s]einem zwölf-, wenigstens vierzehnmonatlichen Alter eine bleiche kleine Erinnerung, gleichsam das erste geistige Schneeglöckchen aus dem dunkeln Erdboden der Kindheit noch aufzuheben« (SW II/4,80). Er »erinnert« sich daran, dass ein armer Schüler ihn einmal sehr lieb gehabt haben muss, ihn auf den Armen getragen und ihm Milch zu trinken gegeben habe. Mag solch zärtliches Erinnerungsmodell der kindlichen Prähistorie auch dem Authentizitätsanspruch autobiographischen Schreibens28 zuwider laufen, so gibt es doch Auskunft über Sehnsüchte und beschwört ein Wunscherfüllungsszenario. Der semiotische Basissatz, dass Zeichen Kommunikation über etwas Abwesendes ermöglichen, bekommt so plötzlich auch einen »hautnahen Sinn« in der Wunschökonomie des sprechenden Subjekts.29 Die oftmals als Idylle verkannte Vergegenwärtigung der ersten Kinderjahre Jean Pauls verdankt sich wohl eher der nostalgischen Bedürfnislage einiger Rezipienten als genauer Textlektüre. Wenn auch der dozierende Erzähler des Vaters Predigerqualitäten metaphernreich umhüllt – Beredsamkeit, die prosaische Wand- und Thürnachbarin der Poesie, wohnte im Predigerherzen meines Vaters; und dieselben Sonnenstralen des Genius, die am Morgen seines Lebens in ihm wie in einem Memnons Bild Wollaute weckte[n], wurden später auf der Kanzel warmes Licht und endlich der Donner der Gesetzpredigten (SW II/4,77f.)
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Angeblich sind dies die letzten Worte des umnachteten Swift; – auch der an Fichte wahnsinnig gewordene Schoppe im Titan begleitet sein Sterben mit den Worten »Ich gleich Ich«, vgl. SW I/9,428. Vgl. Uwe Schweikert, Jean Paul. Stuttgart 1970, S.15. Auch eine andere Szene, jene am Sterbelager seines Großvaters, insinuiert einen immens geweiteten Gedächtnishorizont: »Ich [i.e. das » 5 Monat alte[ ] Kind[ ]«; B.R.] wurde in das Sterbebett hinein gereicht und er legte die Hand auf meinen Kopf – – Frommer Großvater! Oft hab’ ich an deine im Erkalten segnende Hand gedacht, wenn mich das Schicksal aus dunkeln Stunden in hellere führte [...].« (SW II/4,74) Allerdings könnte es sich an dieser Stelle auch um ein ›sekundäres‹, durch die Erzählungen der Eltern vermitteltes Gedächtnis handeln. Vgl. Marita Keilson-Lauritz, Muß das Private öffentlich werden? Erkenntniswunsch und Diskretion als Dilemma der literarischen Homostudien, in: Erkenntniswunsch und Diskretion. Erotik in biographischer und autobiographischer Literatur, hrsg. von Gerhard Härle, Maria Kalveram und Wolfgang Popp. Berlin 1992, S.69–82; hier: S.81.
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–, so können jene verklärenden Metapherngespinste dennoch nicht über väterliche Pedanterie, väterlichen Jähzorn (›lin-gua/ling-wa‹-Episode (SW II/4,87)), ja väterlichen Sadismus hinwegtäuschen: Niemand aus der großen Zahl der deutschen Autobiographen zu Beginn des 19. Jahrhunderts versteht es so wie Jean Paul, mittels der metaphorisierenden Rede eine Vatergestalt von den sie tangierenden inneren und äußeren Zwängen zu lösen, sie gleichsam posthum von ihnen zu befreien.30
Die Katastrophe der Kinderjahre bleibt peripher, wenn selbst noch der allgegenwärtige Hunger – »In meinen historischen Vorlesungen wird zwar das Hungern immer stärker vorkommen [...] [doch] [d]er arme historische Professor hier möchte um vieles Geld nicht in der Jugend viel Geld gehabt haben« (SW II/4,76) –, Anlass zu Wortspielereien gibt. Kindheit bleibt monadisch eingebettet und rhetorisch geschützt, selbst da noch, wo der Pedanterie und dem Jähzorn des tyrannischen Vaters aktuelle Textpräsenz gewährt wird: Vier Stunden Vor- und drei Nachmittags gab unser Vater uns Unterricht, welcher darin bestand, daß er uns blos auswendig lernen ließ, Sprüche, Katechismus, lateinische Wörter und Langens Grammatik. Wir mußten die langen Geschlechtregeln jeder Deklination sammt den Ausnahmen, nebst der beigefügten lateinischen Beispiel-Zeile lernen, ohne sie zu verstehen. [...] Übrigens glauben Sie mir, meine Herren und Frauen, wars gar nichts Leichtes, an einem blauen Juniustag, wo der Allherrscher Vater nicht zu Hause war, sich selber in einen Winkel festzusetzen und gefangen zu nehmen und zwei oder drei Seiten von Vokabeln desselben Buchstabens und ähnlichen Klanges auswendig zu lernen, an einem blauen langen Wonnetag, sag’ ich, war es nichts Leichtes, sondern mehr an einem weißdunkeln kurzen Dezembertag und man muß sich nicht wundern, wenn mein Bruder Adam deßfalls immer Schläge von solchen Tagen davon trug. (SW II/4,85)
Auffällig an dieser Stelle nimmt sich zwar die phasenweise Unterdrückung des sonst so distanzierenden ›Er‹ aus, doch am Ende der Passage macht der Erzähler die geradezu intime Annäherung an die Kindheitsszene auch schon wieder rückgängig: Professor dieser eignen Geschichte darf aber den allgemeinen Satz aufstellen, daß er überhaupt niemal in seinem ganzen Schülerleben ausgeprügelt worden, weder gliederweise, geschweige vollends im Ganzen; der Professor wußte immer das Seinige. (ebd.; Hervorhebung im Original)
In der Selbststilisierung schlägt sich implizit die moralische Umverteilung nieder: Nicht der, der prügelt, ist anzuklagen, sondern, der, der nicht adäquat auswendig lernt. Der wieder zum »Professor [der] eignen Geschichte« avan––––––– 30
Jürgen Lehmann, Bekennen – Erzählen – Berichten. Studien zu Theorie und Geschichte der Autobiographie. Tübingen 1988, S.174.
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cierte Erzähler tut ein Übriges und scheut keine rhetorischen Mühen, den schlagenden Vater zu exculpieren: Nur werfe dieses bloße Auswendiglernenlassen kein falsches Licht auf meinen unverdroßnen und liebevollen Vater. Er, der den ganzen Tag dem Aufschreiben und Auswendiglernen der Predigten für seine Bauern opferte blos aus überstrenger Amtgewissenhaftigkeit, da er die Kraft seiner improvisierenden Beredsamkeit mehrmal erfahren hatte, und er, der im wöchentlichen Besuche der Schulstube und im Verdoppeln öffentlicher Kinderlehren und überall die Pflichten mit Opfern überbot, und der mit einem weichen warmen Vaterherzen an mir am meisten hing und leicht über kleine Zeichen meiner Anlagen oder Fortschritte in frohes Weinen ausbrach, dieser Vater machte in seiner ganzen Erziehweise keine andern Fehler – so seltsame auch noch vorkommen mögen – als die des Kopfes, nicht des Willens. (SW II/4,86)
Auf der Ebene der dargestellten Welt zeugen die erzwungene soziale Isolierung durch den Heimunterricht, die allgegenwärtige Präsenz der väterlichen Gebote und die vom Vater selbst genährte Gespensterfurcht31 des kleinen Buben nicht unbedingt von der Geborgenheit unbeschwerter Kinderjahre. Die Ebene des Erzählens jedoch nivelliert die erratischen Blöcke kindlichen Unglücks zum Amalgam einer ironiedurchsetzten Episodenhaftigkeit; die Unbeugsamkeit des Objekts lässt Jean Paul intakt und bewahrt es rhetorisch vor der zersetzenden Kraft der Selbstanalyse. Sein Erinnerungsmodell beugt jeglicher Erfahrung von Verlust vor, indem es Kindheit trotz aller propagier––––––– 31
Vgl. dazu: »Dieser Geisterscheu wurde allerdings durch meinen Vater selber – erzeugt nicht so wol als – ernährt. Er verschonte uns mit keiner von allen Geistererscheinungen und Geisterspielen, wovon er gehört ja selber einige erfahren zu haben glaubte; aber er verband wie die alten Theologen, zugleich mit dem festen Glauben daran den festen Muth davor und Gott oder das Kreuz war ihr Schild gegen das Geisterall. Manches Kind voll Körperfurcht zeigt gleichwol Geistermuth, aber blos aus Mangel an Phantasie; ein anderes hingegen – wie ich – bebt vor der unsichtbaren Welt, weil die Phantasie sie bevölkert und gestaltet, und ermannt sich leicht vor der sichtbaren, weil diese die Tiefen und Größen der unsichtbaren nie erreicht. [...] Sogar am Tage befiel mich bei einer besondern Gelegenheit zuweilen die Gespensterscheu. Wenn nämlich bei einem Begräbnis der Leichenzug mit Pfarrer, Schulmeister und Kindern und Kreuz und mir von der Pfarrwohnung an bei der Kirche vorüber zu dem Kirchhof neben dem Dorfe sich mit seinem Singgeschrei hinaus bewegte, so hatt’ ich die Bibel meines Vaters durch die Kirche in die Sakristei zu tragen. Erträglich und herzhaft genug ging es im Galopp durch die düstere stumme Kirche bis in die enge Sakristei hinein; aber wer von uns schildert sich die bebenden grausenden Fluchtsprünge vor der nachstürzenden Geisterwelt auf dem Nacken und das grausige Herausschießen aus dem Kirchentore? Und wenn einer sichs schildert, wer lacht nicht? – Indeß übernahm ich jedes mal das Trägeramt ohne Widerrede und behielt mein Entsetzen still bei mir.« (SW II/4,96f.) – Auffallend ist auch hier wieder der Wechsel vom distanzierenden ›Er‹ zum erlebenden ›Ich‹.
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ter Perfektion des Gedächtnisses paradoxerweise doch im Jenseits der Erinnerung ablagert: Tief hinunter reichende Erinnerungen aus den Kindjahren erfreuen, ja erheben den bodenlosen Menschen, der sich in diesem Wellendasein überall festklammern will, unbeschreiblich und weit mehr als das Gedächtnis seiner spätern Schwungzeiten; vielleicht aus den zwei Gründen, daß er durch dieses Rückentsinnen sich näher an die von Nächten und Geistern bewachten Pforten seines Lebens zurückzudrängen meint und daß er zweitens in der geistigen Kraft eines frühen Bewußtseins gleichsam eine Unabhängigkeit vom verächtlichen kleinen Menschkörperchen zu finden glaubt. (SW II/4,79f.)
Erinnerung an die Kindheit scheint hier mit der Kindheit zu enden. – Autobiographisches Schreiben bis in die Kindheit hinein muss im Lichte dieses Memoria-Modells konsequenterweise zum paradoxen Unternehmen geraten: Wenn das Ende der Kindheit auch das Verlöschen der Erinnerung an sie bedeutet, so ist sie im eigentlichen Sinne nicht darstellbar32 oder in Jean Paulscher Diktion: Dieses Morgensternchen frühester Erinnerung stand in den Knabenjahren noch ziemlich hell in seinem niedrigen Himmel, erblaßte aber immer mehr, je höher das Taglicht des Lebens stieg; – und eigentlich erinnere ich mich jetzo nur dieß klar, daß ich mich früher von allem heller erinnert. (SW II/4,80)
Wenn Kindheit so dem Zugriff des Gedächtnisses immer mehr entschwindet, bleibt – um mit Peter Brooks zu sprechen – zur Evozierung und Generierung von Vergangenheit nur noch der Text als ›narrative Maschine‹,33 die, je weiter der Erzähler in der ›Erinnerung‹ zurückgeht, desto mehr ›Text‹ und desto ––––––– 32 33
Vgl. Simon, Studien über Autobiographik [Anm.24], S.135. Vgl. dazu Peter Brooks in Bezug auf Jean-Jacques Rousseaus Confessions. – Peter Brooks, Reading for the Plot: Design and Intention in Narrative. Oxford 1984, S.33: »[...] the contradistinctions encountered in the attempt to understand and present the self in all its truth provide a powerful narrative machine. Any time one goes over a moment of the past the machine can be relied on to produce more narrative – not only differing stories of the past, but future scenarios and narratives of writing itself.« Zur wechselseitigen Bezogenheit von Gedächtnis und Imagination vgl. auch Wagner-Egelhaaf [Anm.1], S.46: »Theoriegeschichtlich bemerkenswert ist, dass die ältere Forschung Erinnerung und Gedächtnis als mimetische bzw. hinter dem Gebot der Widerspiegelung defizitär zurückbleibende Vermögen betrachtete, die den Eintritt der Imagination ermöglichen, während die gegenwärtige Theoriebildung Gedächtnis und Imagination unauflöslich aneinander bindet und somit die Erinnerungs- bzw. Gedächtnisleistung als kreative Funktionen bewertet. Das von der älteren Forschung vermerkte Versagen des autobiographischen Gedächtnisses im Hinblick auf die historische Wahrheit gibt also den Blick auf den Kunstcharakter der Selbstbiographie frei. [...] [D]as Versagen der Autobiographie hinsichtlich der geschichtlichen Wahrheit bedingt gerade ihren ästhetischen Wert.« (Hervorhebung im Original)
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mehr ›Erzählung‹ produziert. Die Fehlleistungen und Unzulänglichkeiten des Gedächtnisses macht Jean Pauls metaphorisierende Schreibweise ästhetisch wett; und der große und verschwenderische Aufwand an Stil kaschiert so die Leerstellen gedanklicher und emotionaler Selbstreflexion. Und vielleicht stimmt es ja auch, dass erst die Trauer die Erinnerung ermöglicht und nicht umgekehrt.34 In seiner Konjektural-Biographie von 1799 hat Jean Paul, anknüpfend an die Philosophischen Aphorismen seines anthropologischen Lehrers Ernst Platner, den Schmerz sehr wohl in seine Gedächtnistheorie inkludiert: Platner sagt: wir haben nur ein Gedächtnis für die Freude, nicht für den Schmerz; ich sage: wir haben für beide dasselbe Gedächtnis – ja wir haben ein stärkeres für das Fehlschlagen der Hoffnungen als der Besorgnisse –, aber nicht dieselbe Phantasie; diese mildert und verklärt, also zieht sie auch um den Schmerz den Regenbogen.35
Wo die Poesie die Ränder des Schmerzes salbt, gibt es auch keinen bewussten und direkten Zugang; Kindheit bleibt in der Selberlebensbeschreibung monadisch eingekapselt, das möglicherweise aus »dem dunkeln Erdboden der Kindheit« (SW II/4,80) Sprießende wird mit einer dicken Schicht Euphemismus erstickt und davor bewahrt, im Schattenreich der Psyche alle Glorie zu verlieren. Jede Erfahrung von Verlust wird so schon vorbeugend negiert. Kindheit als ›erinnerungsjenseitig‹36 muss sich so zum Produkt einer bloß willkürlichen Erzählanordnung konfigurieren: In der That äußerst lächerlich würde mir jeder künftige Geschichtschreiber des gegenwärtigen Geschichtforschers sein, der aus aufgelesenen Bruchstücken, wie sie in jeder andern Kindheit umher gestreuet sind, etwas besonderes zusammen lesen wollte; der närrische Mann würde mir blos wie jener Pariser Balbier vorkommen, der mit Beistand eines Jesuiten mehre Elefantenknochen zusammen stellte und sie für das wahre Gerippe des deutschen Riesen Teutobachs verkaufte. (SW II/4,90)
Nun, so »närrisch« möchte der Professor für Geschichte beileibe nicht sein: Wenn sich die Datenbasis so disparat und unsicher gestaltet, so ist der autobiographische Versuch einer nachträglichen Referentialisierung und Synthetisierung in der Tat ein aussichtsloses Unterfangen. Die verstreuten »Elefantenknochen« mögen zwar Relikte von Gewesenem darstellen, nie können sie ––––––– 34
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Vgl. Heinz Weiß, Zeiterfahrung und depressive Position, in: Psyche 57 (2003), S.857–873; hier: S.857. Jean Paul, Briefe und bevorstehender Lebenslauf, in: SW I/7,451–504; hier: 497f. Vgl. Simon, Studien über Autobiographik [Anm.24], S.137.
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aber eindeutig auf das verweisen, was wohl unser »wahre[s] innere[s] Afrika«37 ausmacht. Im § 13 der Vorschule der Ästhetik heißt es: Das Mächtigste im Dichter, welches seinen Werken die gute und die böse Seele einbläset, ist gerade das Unbewußte. Daher wird ein großer wie Shakespeare Schätze öffnen und geben, welche er so wenig wie sein Körperherz selber sehen konnte [...]. Ueberhaupt sieht die Besonnenheit nicht das Sehen [...]. Wären wir uns unserer ganz bewußt, so wären wir unsre Schöpfer und schrankenlos. Ein unauslöschliches Gefühl stellet in uns etwas Dunkles, was nicht unser Geschöpf, sondern unser Schöpfer ist, über alle unsre Geschöpfe. So treten wir, wie es Gott auf Sinai befahl, vor ihn mit einer Decke über den Augen. (SW I/11,49f.)
Die »Decke über den Augen« schattet zum einen mögliche Selbsterkenntnis ab, gewährt aber auch gleichzeitig Schutz vor dem ›Sehen-Müssen‹. Im Bewusstsein der Unhintergehbarkeit der erkenntnistheoretischen Barriere storniert Jean Paul auch den Glauben an das erklärende und sinnstiftende Potential referentiellen Erzählens und führt so auch das Unterfangen des Geschichtsprofessors, einen historischen Diskurs über das eigene Selbst zu führen, ad absurdum. Wenn sich das Leben a priori so ›unhermeneutisch‹ gebärdet, da es aufgrund basaler Gedächtnisdefizienz des ersehnten Zusammenhanges – »›Einheit‹? Wenn das Leben keine hat?«38 – entbehrt,39 lässt sich auch mit Diltheys ––––––– 37
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Jean Paul, Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele, in: SW II/4,217–343; hier: 291: »Wir machen aber von dem Länderreichthum des Ich viel zu kleine oder enge Messungen, wenn wir das ungeheure Reich des Unbewußten, dieses wahre innere Afrika, auslassen.« bzw. Jean Paul, Das Kampaner Tal, in: SW I/7,7–150; hier: 21: »unser unbekanntes inneres Afrika«. Jean Pauls Metapher wurde titelgebend für den von Ludger Lütkehaus herausgegebenen und eingeleiteten Sammelband zur Entdeckungsgeschichte des Unbewussten: »Dieses wahre innere Afrika«. Texte zur Entdeckung des Unbewußten vor Freud. Frankfurt a.M. 1989. Jean Paul, Gedanken, in: Jean Paul, Lebenserschreibung [Anm.5], S.89–108; hier: S.92 und weiter: »Nehmt meine Biograph[ien] [gemeint sind die fiktiven Biographien seiner Protagonisten; B.R.] für die meinige, haltet mich für einen Montaigne, damit ihr mir vergeben könt.« – Montaigne war ob seines sprunghaft-assoziativen Stils neben Sterne eines der literarischen Vorbilder Jean Pauls. Vgl. Helmut Pfotenhauer, Nachwort. Das Leben beschreiben – das Leben erschreiben, in: Jean Paul, Lebenserschreibung [Anm.5] S.462–489; hier: S.469. Vgl. im Kontrast dazu Wilhelm Dilthey: »Jedes Leben hat einen eigenen Sinn. Er liegt in einem Bedeutungszusammenhang, in welchem jede erinnerbare Gegenwart einen Eigenwert besitzt, doch zugleich im Zusammenhang der Erinnerung eine Beziehung zu einem Sinn des Ganzen hat.« – Wilhelm Dilthey, Das Erleben und die Selbstbiographie, in: W.D., Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. Wilhelm Diltheys Gesammelte Schriften, hrsg. von Bernhard Groethuysen. Leipzig/Berlin 1927, Bd.VII, S.71–74. Zit. nach Die Autobiographie. Zu Form und Geschichte einer literarischen Gattung, hrsg. von Günter Niggl. 2., um ein Nachwort zur Neuausgabe und einen bibliographischen Nachtrag ergänzte
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Behauptung, dass die »Selbstbiographie [...] die höchste und am meisten instruktive Form [sei], in welcher uns das Verstehen des Lebens entgegentritt«,40 kein Staat machen. Das Leben bietet dem Autobiographen Jean Paul keine Hilfestellung und es sind keineswegs die »Aufgaben für die Auffassung und Darstellung geschichtlichen Zusammenhangs [...] schon durch das Leben selber halb gelöst«.41 Die Jean Paulsche Erinnerungsakrobatik der Evidenzerlebnisse kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass da ein Ich sich schreibend und erzählend abmüht, dem traditionellen Modell einer Autobiographie Tribut zu zollen, das der hermeneutisch-essentialistischen Auffassung frönt, ein autonomes, ganzheitliches Subjekt und ein als vorab bedeutungsvoll erkanntes Leben böten sich dem Autobiographen als vorstrukturiertes Material seiner schriftlichen Selbsthermeneutik an. Jean Pauls Schreibbemühungen müssen angesichts fundamental in Frage gestellter Erkenntnismöglichkeit Konstruktionen bleiben, welche das eigene Textkonstitutionsverfahren ironisch auf die Spitze treiben42 und den mimetischen wie hermeneutischen Fehlschluss parodistisch konterkarieren. Jean Pauls Version von Selbst-Narration ist radikal; das ›helle Draußen‹ wie das ›dunkle Drinnen‹ bleiben verschleiert, die autobiographische Konstruktion von Identität ist kein reflexiver, nachträglicher Vorgang, sondern der sprachliche und narrative Humus,43 auf dem Erfahrung erst aufruhen –––––––
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Auflage. Darmstadt 1998, S.21–32; hier: S.28. – Jean Paul setzt seine Selberlebensbeschreibung gleichsam als dezentrierendes Textverfahren Goethes ichzentrierender Schreibweise, die gleich zu Beginn die Leser und Leserinnen seiner Selbstbiographie schon auf den Zusammenhang von ›Ich‹, ›Leben‹ und ›Werk‹ einschwört, entgegen. Ebd. Ebd, S.29. Vgl. dazu Helmut Pfotenhauer, Nachwort, in: Jean Paul, Lebenserschreibung [Anm.5], S.462–489; hier: S.482 in Bezug auf Jean Pauls Vorarbeiten zur Selberlebensbeschreibung: »Der Autobiographie als Möglichkeitsform, als Dauerreflexion auf das autobiographische Schreiben, entspricht eine andere auffällige Eigenart dieser Vorarbeiten. Wiederholt wird darauf aufmerksam gemacht, daß es nicht nur um das Beschriebene geht, sondern genauso um das Beschreiben des Schreibens. Der Schreibprozeß selbst, nicht nur sein Resultat, soll zum literarischen Gegenstand werden. [...] Das ist ein erstaunlich moderner Gedanke, der weit über das 19. Jahrhundert hinausgreift: Das Machen will nicht hinter dem Gemachten verschwinden, wie es etwa die realistische Illusion einer unmittelbar gegebenen, nicht vermittelten Welt im neunzehnten Jahrhundert will, sondern dieses Machen und Vermitteln selbst soll bewußt gehalten werden. Das Ich, das hier literarisch entsteht, so der Gedanke, ist eben ein erschriebenes, kein einfach nur beschriebenes.« Vgl. dazu auch die Konjektural-Biographie [Anm.35], S.482: »denn ich kann nichts erleben als vidimierte Kopien dessen, was ich schon zehnmal gedacht und geschrieben habe« und im Komet wird schließlich der Erzähler behaupten, dass das
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kann.44 Konsequenterweise wollte Jean Paul im Komet die Verbindung zwischen Autobiographie und komischem Roman bewerkstelligen:45 Da ich meiner Geschichte zu wenig Reiz zutrauete: so hab ich durch sie den Apotheker geschoben, um sie zu heben. Aber wenn jene die Wahrheit aus Göth. Leben, und diese die Dichtung daraus enthält: so ist die Dichtung doch auch nur freiere Einkleidung der Wahrheit. (SW II/4,364)
Der durch den Roman geschobene Apotheker ist Nikolaus Marggraf und trägt so wie der »Kandidat Richter« Jean Pauls Leben poetisiert in sich. Selbstbiographie und Roman sollten sich spiegeln und kapitelweise abwechseln. Zeitweilig dachte Jean Paul daran, das anvisierte Amalgam aus Autobiographie und Roman »Wahrheit aus Jean Pauls Leben, Dichtung aus Nikolaus Marggrafs Leben« zu nennen. – Goethe reagierte darauf eher gereizt.46 Literatur ist so von der Konturierung des Ich nicht weiter entfernt als Historiographie, dient doch letztere vorrangig Wahrnehmungskonventionen und beschneidet so die kreative und selbstkreative Freiheit des Subjekts. Schreiben und Erzählen schöpfen für Jean Paul ihre Bedeutung nicht aus dem Um–––––––
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Leben der Fiktion auf den Fersen sei: »Natura fictionem sequatur« (SW I/15,20) bzw. SW II/4,362: »Happel [i.e. Nikolaus Marggraf; B.R.] war mehre Jahre vorher niedergeschrieben eh ich an die Parallele mit meinem Leben dachte; aber wie immer mein Leben mein Dichten nachspielte, so spielte dieß mal das Dichten das Leben vor, noch eh’ ichs gewahrte.« Jean Pauls ›linguistische Küsse‹ mögen stellvertretend für aus Sprache und Poesie entstehende ›Erfahrung‹ stehen. – Vgl. dazu auch Elsbeth Dangel-Pelloquin, Küsse und Risse: Jean Pauls Osculologie, in: JJPG 35/36 (2000/2001), S.189–204, hier: S.192: »Daß einer einen ›Kuß‹ mit einer ›Nominaldefinizion‹ [so angefragt in einem hilfesuchenden Brief Jean Pauls an Wernlein, um auf die Frage »[...] was ist ein Kus, mit einer Nominaldefinizion und einigen litterarischen Notizen bei der Hand zu sein«. SW III/1,335; B.R.] erledigen möchte, zeichnet ihn nicht gerade als Erfahrenen oder auch nur Interessierten im Umgang mit der Sache aus. Oder vielmehr: es zeichnet ihn aus als einen, der alles, auch die sinnlichste Berührung, als Metadiskurs, als Sprachbetrachtung erfassen will.« Vgl. auch den ›radikalen‹ Gebrauch vom narratologischen und konstruktivistischen Selbstverständnis in der Psychoanalyse durch die Narrativisten Roy Schafer und Donald Spence: ›Realität‹ bleibt unzugänglich; das ›Draußen‹ bleibt uns versperrt. ›Wahrheit‹ kann deshalb auch nicht retrospektiv zutage gefördert werden, sondern ist stets Teil eines Narrativs. – Roy Schafer, Erzähltes Leben. Narration und Dialog in der Psychoanalyse. Aus dem Amerikanischen von Teresa Junek. München 1995. Donald Spence, Narrative Truth and Historical Truth. Meaning and Interpretation in Psychoanalysis. New York 1982. Hier scheint Jean Paul geradezu die Position des Konstruktivismus vorweggenommen zu haben, dergemäß »[d]ie literarische Zukunft der literarischen Autobiographie [...] in ihrem gleichsam restlosen Untertauchen in der übrigen Literatur (liegt)«. – Scheffer, Interpretation und Lebensroman [Anm.22], S.266. Vgl. Helmut Pfotenhauer, Um 1800. Konfigurationen der Literatur, Kunstliteratur und Ästhetik. Tübingen 1991, S.232f.
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stand, dass hier Erkenntnis in Hinblick auf ein niedergeschriebenes oder erzähltes ›Bedeutetes‹ frei wird, sondern der Prozess des Erzählens und Schreibens selbst, seine zeichenhafte Materialität, wird zum Projektionsraum einer imaginären Selbstschöpfung. Jean Pauls Erzählen und Erfinden macht die autobiographische Wahrheit im Literarischen fest; unversehens pirscht sich die ›historische Vorlesung‹ an literarische Genres an und wird zum ›Stück‹,47 zum »Aufzug [eines] kleinen historischen Monodramas« (SW II/4,80). Die Theatermetaphorik lässt so auch die studentische Hörerschaft zum ›Publikum‹ mutieren; und einige Seiten später wird von einem Sommertag erzählt, an dem Paul »ein noch unerlebtes gegenstandloses Sehnen überfiel« (SW II/4,107) – »Es gibt eine Zeit der Sehnsucht, wo ihr Gegenstand noch keinen Namen trägt und sie nur sich selber zu nennen vermag.« (SW II/4,108) Und damit sich die Zuhörer auch wirklich ein Bild von diesem »gegenstandlosen Sehnen« machen können, fügt der Erzähler an: »[...] in den Werken Pauls ist sie einige male geschildert und mitgetheilt« (ebd.; meine Hervorhebung). Die Referenz stiftet hier nicht mehr die Empirie, sondern die Literatur! Jean Paul bietet sich implizit seinem Publikum zum Lesen an. Wenn der einzige Referent der Autobiographie die Autorschaft des Autors ist, so gibt es auch kein anderes relevantes Jenseits des Sprachlichen.48 Damit ––––––– 47
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Vgl. auch das augenzwinkernde Spiel mit den Realitätsebenen in der KonjekturalBiographie [Anm.35], S.477f. Hier lesen der von Jean Paul erfundene Jean Paul und seine Rosinette in einem Buch, das sich betitelt »Jean Pauls Briefe«: »Aus Abneigung gegen eignes und fremdes Vorlesen bitt’ ich Rosinette, so auseinandergebrochen zu halten, daß beide Schalendeckel sich berühren, weil ich, da ich schneller bin, die untere zweite Seite lesen will, indeß sie noch an der ersten studiert. Ich bin den Augenblick fertig und schaue dann müßig, unter das Buch gebückt, hinauf in ihr halbgeschlossenes gesenktes Auge, das sie, weil sie mich schon ein wenig kennt, ungemein liebreich zuweilen wie einen Himmel gegen mich aufschlägt, damit ich etwas habe. Auch ergreift die reizende Dichtung darin ›Luna am Tage‹ sie in der That. Dann les’ ich wieder mit ihr, geschmiegt an ihren linken Arm, die obere Seite und bin wieder gleich herunter – verzeih’ mir der treffliche Autor der Briefe dieses leichte Wesen! – und schaue sie in den Ferien durch die Locken und dann von der Seite an und hänge an der nahen jung- und zartgemalten Wange und an den fein zusammenlaufenden Schönheitslinien des halben Knospen-Mundes – sie lieset ernst fort, als seh’ sie nicht alles – ich lehne mich ein wenig vor und erprobe und sichte durch Lächeln den verstellten Ernst – die Purpur-Lippen stemmen sich gegen das innere Lächeln, aber endlich zerfließen sie eilig ins äußere – und sie legt das Buch nieder (ich bedauere nur den armen Verfasser) und sieht mich mit ergebener Freundlichkeit an, gleichsam als sagte sie: nun, so spiele denn, Schäker! – Aber ich falle, gerührt von der leuchtenden Liebe, ernst an das fromme Herz.« Vgl. Wagner-Egelhaaf [Anm.1], S.76 und S.78: »Autobiographie ist in dieser Sicht [gemeint ist »die Selbstreferenz autobiographischen Schreibens«; B.R.] keine definierte Gattung der Lebensdarstellung mehr, sondern ein Problem der Schrift (›gra-
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wird auch die landläufige Annahme, dass das Leben die Autobiographie hervorbringe wie eine Handlung ihre Folgen, außer Kraft gesetzt und Autobiographie wird zur ›Redefigur‹, die ihren Referenten fiktional entwirft.49 – »Fiktion und Autobiographie stellen so gesehen keine alternativen Operationen dar, sondern sind überhaupt nicht voneinander zu trennen.«50 In den »Vorarbeiten« zur Selberlebensbeschreibung heißt es unmissverständlich: 4. [...] Meine Schriften sind besser als ich [...] 5. [...] Mein äußeres Leben ist ein bloßes Plattes Land der Geschichte, ohne Erhebungen und Hügel für Leser, die weit sehen wollen. 9. »Ich bin nicht der Mühe werth gegen das was ich gemacht.« 13. Ich will über alles in der Welt gern ernst sprechen, nur nicht über mich. 15. Eine Selbstlebensbeschreibung ist Demuth, weil man nichts dabei gewinnt, [...] 21. Inwiefern gerade der Dichter durch seine Lebensbeschreibung verliert. (SW II/4, 363)
Durch eine ›Selberlebensbeschreibung‹ kann also ein Dichter nur verlieren. Was aber verliert er, wenn er die Geschichte seines ›äußeren Lebens‹ wiedergibt? Wenn Jean Paul das eigene Leben so radikal entwertet und es als Platitude abqualifiziert, so mag gerade dieses so penetrant zur Schau gestellte Desinteresse an der vermeintlichen Banalität des Lebens die Spur in die Wunschökonomie des Selbstbiographen wider Willen legen: Was er entwertet, was ihm unwichtig und nichtig erscheint, ist gerade das, was zu verlieren ihn ängstigt. Und vielleicht hat ja auch Jean Pauls fiktiver Selbstbiograph mit Sternes Tristram Shandy, dessen Autobiographie niemals wirklich beginnt und auch nie endet, das Anschreiben gegen den Tod51 gemeinsam. Der Erzählerin Scheherazade ebenbürtig, kämpfen die Selbstbiographen Zeile für Zeile, Buch für Buch um Aufschub und bringen den Fortgang ihres Lebens in der ––––––– 49
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phie‹), deren Selbstrückbezüglichkeit (›auto‹) ein Eigenleben (›bios‹) hervorbringt.« Vgl. ebd., S.80 in Bezug auf Paul de Man: »[...] is the illusion of reference not a correlation of the structure of the figure, that is to say no longer clearly and simply a referent at all but something more akin to a fiction which then, however, in its own turn, aquires a degree of referential productivity?« – Paul de Man, Autobiography as De-facement, in: Modern Language Notes 94 (1979), Nr.5, S.919–930; hier: S.920f. Wagner-Egelhaaf, Autobiographie [Anm.1], S.80. »Mich tröstet nichts über das Leben und Sterben als daß ich etwas gethan oder gemacht, meine Bücher.« – Gedanken [Anm.38], S.96 – jedoch später, S.106, mit resignativem Gestus: »Das Schreiben scheint doch die Spuren des Gehens aufzufassen und zu befestigen, und ein Schreiber [von] 50 Bänden scheint die 50 Jahre, worin er sie machte, nicht verloren sondern verewigt zu haben. Aber doch ist der Unterschied kleiner als man denkt. Denn alles Schreiben wird ja auch von Vergänglichen und im Vergänglichen aufgefaßt und wiederholt. Eintagfliegen.«
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erzählerischen Digression zum Stillstand. Manfred Schneider hat solch Anschreiben gegen die fundamentalen Bezugsgrößen des Biographischen als »geheimnisvolle Pantomime eines Flehens um Ewigkeit«52 bezeichnet. Damit mögen die existenziellen Vorbehalte Jean Pauls gegen eine ›Selberlebensbeschreibung‹ zu tun haben. Wenn das strukturierende Prinzip der Biographie und Autobiographie die Zeit ist, so bedeutet das wohl für denjenigen, der sein Überleben sichern will, ein Anschreiben gegen die Zeit und eine Entzeitlichung des Erzählens. Jean Paul schickt seine alter egos immer wieder in unterschiedlichen Variationen durch die fiktiven Welten seiner Romane, lässt seine Protagonisten sterben und wieder auferstehen, lässt sie scheintot sein oder ihren Tod in Begräbnisritualen zelebrieren und wünscht sich dabei das ewige Leben, indem er die Dimension der Zeit subtil manipuliert, sie in Metaphern packt und diese ›malend‹ verräumlicht. Wo metaphysische Gewissheiten unsicher geworden sind, Sterblichkeit aber umso unausweichlicher ins existenzielle Kalkül einbezogen werden muss,53 da rettet Jean Paul das letzte bisschen ›Unendlichkeit‹ ins Schreiben. In Endlosschleifen zirkuliert sein Ich durch fiktive Textwelten. ––––––– 52
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Manfred Schneider, Die erkaltete Herzensschrift. Der autobiographische Text im 20. Jahrhundert. München/Wien 1986, S.14. Vgl. in diesem Zusammenhang Carl Pietzckers Deutung von Jean Pauls Todesfaszination/Todesphobie in der »Rede des todten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei«. – Carl Pietzcker, Einführung in die Psychoanalyse des literarischen Kunstwerks am Beispiel von Jean Pauls »Rede des toten Christus«. 2., durchgesehene Auflage. Würzburg 1985, S.58: »Sicher aber gehört das Bestreiten der Unsterblichkeit zum unbewußten Angriff auf den ödipalen Vatergott, der im Jüngsten Gericht – ein gesellschaftlich tradiertes Phantasma, das hier als verneintes gegenwärtig ist – ja nur die unsterblichen Seelen bestrafen kann. Wären sie nämlich sterblich, so entkämen sie durch ihre Auflösung den ewigen Strafen. Deshalb entwickelt der Christ, mit künftigen Strafen für seine Normverstöße bedroht, den geheimen Wunsch nach Sterblichkeit. Dann wäre er am Jüngsten Gericht ja nicht mehr dabei und so auch nicht belangbar. Dieser Wunsch kann sich verstärken, wenn sich dieser Christ, wie hier Jean Paul, vom Vatergott löst, ihn also mittelbar angreift. Da er den Vatergott noch verinnerlicht hat, muß er den entgegengesetzten Wunsch nach Unsterblichkeit jedoch betonen, um vor dem verinnerlichten Vater, also auch vor sich selbst, den verbotenen Wunsch nach Sterblichkeit zu verleugnen. Deshalb muß er auch die Schrecken des wirklichen und insgeheim als endgültig erwünschten Todes überhöhen. In diese Überhöhung des Schreckens kann Jean Paul nun seine Faszination durch den Tod, den Erlöser von väterlicher Strafe, eingehen lassen: In der Reaktionsbildung kehrt das Abgewehrte wieder. So wird verständlich, warum Jean Paul ein Leben lang [...] sich fasziniert mit der scheinbar so rein philosophischen Frage herumquälte, ob der Mensch unsterblich sei, und warum er im selben Zusammenhang verzweifelt das Problem des Atheismus diskutierte und immer wieder [...] mit maßlosem, aber wohlgestaltetem Ekel Szenen der Verwesung und des eigenen Todes phantasierte«. (Hervorhebung im Original)
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Autobiographie, so hat Georges Gusdorf einmal gesagt, sei nur möglich in einer Zivilisation, die der mythischen und vom Wiederholungsprinzip bestimmten Lebensvorstellung entwachsen sei.54 Aber gerade in der potenziell unendlichen Bewegung des Erzählens und Erfindens sucht Jean Paul eine literarische Bannmeile um das »gefahrvolle Reich der Geschichte«55 zu ziehen, um in der vollkommenen Geschlossenheit einer sich selbst spiegelnden Struktur Fiktion und Leben in unendlichem autoreferentiellen Kreislauf pulsieren zu lassen: Rosinette und Jean Paul, jenes fiktive Ehepaar der Konjektural-Biographie, lesen in Jean Pauls Briefen und seinem bevorstehenden Lebenslauf und vielleicht lesen sie ja auch darin, dass Rosinette und Jean Paul in Jean Pauls Briefen und seinem bevorstehenden Lebenslauf lesen.56 Literatur ist Jean Pauls Balsam gegen die vergehende Zeit und die Unbilden des Lebens; sie entlastet von allen erkenntnistheoretischen Fragen, vom Zwang der Fokussierung auf traumatische Kindheitsbegebenheiten und vor allem vom Zwang der Fokussierung auf das Ende hin, andererseits setzt diese allumfassend imaginative und kreative Verfügungsmacht über die eigene Lebensgeschichte auch einen moralischen, erkenntnistheoretischen und psychologischen Diskurs über Lüge, Verfälschung und Verdrängung in Gang,57 vor dem sich zu schützen ihm doch so sehr gelegen war. Die unter positivistischen Vorzeichen skandalumwitterte Umwertung autobiographischer Konsistenzbildung privilegiert die erzählerische Vielgestalt58 – Die Autobiographie wird so zu diesem Sammelsurium der verschiedensten Textsorten. Das Ich wird sozusagen zusammengebastelt, zusammengeklebt oder geleimt wie ein Papierdrache, würde Jean Paul sagen [...], um seinen unterschiedlichen Aspekten und den vielfältigen literarischen Möglichkeiten, es zu konstituieren, gerecht zu werden. »Papierdrache« oder »Wochenschrift«, in der sich dieses Sammelsurium ausbreitet, sind die Namen für das Behältnis dieser Ich-Collage. [...]
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Vgl. Georges Gusdorf, Voraussetzungen und Grenzen der Autobiographie, in: Die Autobiographie. Zu Form und Geschichte einer literarischen Gattung, hrsg. von Günter Niggl. 2., um ein Nachwort zur Neuausgabe und einen bibliographischen Nachtrag ergänzte Auflage. Darmstadt 1998, S.121–147; hier: S.123. Ebd., S.124. Vgl. Anm.49. Vgl. Bernhard Fetz, Schreiben wie die Götter. Über Wahrheit und Lüge im Biographischen, in: Spiegel und Maske. Konstruktionen biographischer Wahrheit, hrsg. von Bernhard Fetz und Hannes Schweiger. Wien 2006, S.7–20; hier: S.19. »Alle meine Schreiberei ist eigentlich innere Selbstbiographie; und alle Dichtwerke sind Selberlebensbeschreibungen, denn man kennt und lebt eben kein anderes Leben als das eigene.« – Jean Paul: Merkblatt 1818, in: Jean Paul, Lebenserschreibung [Anm.23], S.113.
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Radikaler dürfte der Gedanke des work in progress in der deutschen Literatur – zumindest jener Zeit – kaum jemals gedacht worden sein.59
– und lässt deren ›Wahrheit‹ irgendwo zwischen Körper und Text oszillieren: Es gibt kein ›nacktes Leben‹ vor dem Schreiben.
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Pfotenhauer, Nachwort [Anm.42], S.479.
ELSBETH DANGEL-PELLOQUIN
DIE AUSTREIBUNG DER TEXTILIE AUS DEM TEXT Stoffe in Jean Pauls Siebenkäs
Text und Textilie Jean Pauls Texte sind bis zum Bersten angefüllt mit den Namen materieller Dinge, mit den abartigsten und ausgefallensten. Schon die Zeitgenossen waren mit den erwähnten Gegenständen nicht vertraut, geschweige denn die heutigen Leserinnen und Leser, die oft die sonderbaren Bezeichnungen noch nie gehört haben. Kein anderer Autor der Zeit um 1800 ist so materialbesessen wie Jean Paul. Goethes Irritation angesichts des Vokabulars im Hesperus ist bekannt, und sie gilt durchaus nicht nur den Abstrakta, sondern auch ganz konkreten Gegenständen des täglichen Gebrauchs.1 Seine rezeptionspraktische Anweisung an die Leserschaft, man möge bei der Lektüre doch das Konversationslexikon zu Rate ziehen, hat ihr produktionsästhetisches Pendant in Hegels Hinweis auf den Herstellungsprozess der Jean Paulschen Materialfülle: Jean Paul hat deshalb auch, um immer neues Material zu haben, in alle Bücher der verschiedensten Art, botanische, juristische, Reisebeschreibungen, philosophische, hineingesehen, was ihn frappierte, sogleich notiert, augenblickliche Einfälle dazugeschrieben und, wenn es nun darauf ankam, selber ans Erfinden zu gehen, äußerlich das Heterogenste – brasilianische Pflanzen und das alte Reichskammergericht – zueinandergebracht.2
Dieses kritische Urteil bezichtigt Jean Paul eines puren Nominalismus bei der Herstellung seiner Texte: Nicht eigene Erfahrung und Erinnerung, nicht der lebensweltliche Gebrauch des Gegenstands, nicht einmal eine präzise Funktion im Handlungsverlauf der erzählten Geschichte bringt die Dinge in Jean Pauls Texte, sondern sie verdanken ihre Erwähnung im Text einer reinen Übertragung von Texten in Texte. Dieses Verfahren führt nach Hegel zu ––––––– 1
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Johann Wolfgang Goethe, Vergleichung. Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-Östlichen Divans, in: Werke. Hamburger Ausgabe, hrsg. von Erich Trunz. München 1994, Bd.2, S.185. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, in: Werke in zwanzig Bänden. Theorie Werkausgabe, hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Bd.13, Abschnitt »Originalität«. Frankfurt a.M. 1970, S.382.
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Elsbeth Dangel-Pelloquin
einem »barocken Zusammenbringen des objektiv Entferntesten und dem kunterbuntesten Durcheinanderwürfeln von Gegenständen«,3 deren Zusammenhalt nur die subjektive Willkür des Dichters herstellt. Was bei Hegel als ästhetisches Verdikt über Jean Pauls künstlerischen Wert gemeint ist, hat die moderne Jean-Paul-Forschung längst positiv gewendet. Bereits Walter Benjamin hat Hegels noch in der aufklärerischen Tradition stehende Geringschätzung des Stichworts ›barock‹ umgewertet mit seiner Würdigung Jean Pauls als eines barocken Allegorikers.4 Dass Jean Pauls künstlerisches Verfahren seinen Reiz durch die schier unendliche Kombination entlegener Dinge gewinnt, und dass gerade seine ›Metaphernspiele‹5 die literarische Qualität seiner Dichtungen konstituieren, ist inzwischen unbestrittener Konsens der Forschung. Im Gegenzug dazu möchte ich hier einmal die umgekehrte Frage nach dem ›Gewicht‹ der Dinge in Jean Pauls erzähltem Universum stellen. Sprechen Jean Pauls Romane, die von Namen der Dinge überfließen, manchmal auch ›im Namen der Dinge‹?6 Oder sind sie bei aller Materialfülle doch materiallose Texte? Welche Bedeutung haben die Dinge über ihren bloßen Namen hinaus als Gegenstände in der erzählten Welt? Die Frage nach den Dingen ist von einem kulturwissenschaftlichen Interesse in der Literaturwissenschaft angeregt, das sich vermehrt um die erzählten Dinge und um das Material in der Literatur bemüht. Die Methoden der letzten Jahrzehnte, besonders die poststrukturalistischen Verfahren mit ihrer Fokussierung auf den Schriftbegriff, haben diese Fragerichtung lange vernachlässigt und sich vor allem von den Diskursen des Wissens und dem Interesse an interpersonalen Konstellationen leiten lassen. Die neue Zuwendung zur stofflichen Qualität der Dinge geht von der Frage aus, wie das Stoffliche in seiner sinnlichen Konkretion wieder zum Gegenstand literatur-
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Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik [Anm.2], Abschnitt »Der subjektiven Humor«, Bd.14, S.230. Walter Benjamin, Der eingetunkte Zauberstab, in: Gesammelte Schriften. Unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem, hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. 2.Aufl., Bd.III. Frankfurt a.M. 1978, S.416. Wolfdietrich Rasch, Die Erzählweise Jean Pauls. Metaphernspiele und dissonante Strukturen. München 1961. Rasch war einer der ersten, der den Akzent auf die metaphorische Erzählweise Jean Pauls legte. So die deutsche Übersetzung des Buches von Francis Ponge, Le parti pris des choses. Paris 1942. Dt.: Im Namen der Dinge. Mit einem Nachwort von Jean-Paul Sartre. Frankfurt a.M. 1973.
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wissenschaftlicher Untersuchungen werden kann.7 Sie widmet sich dem Potential, dem Eigensinn und der Widerständigkeit der an sich stummen Dinge im literarischen Text. Die folgende Untersuchung gilt einem winzigen Ausschnitt des Stofflichen, der aber gleichwohl in signifikanter Weise als pars pro toto angesehen werden kann: nämlich dem Stoff selbst. Stoff ist ein Material, das zumindest zwei Bedeutungsschichten und deren Metaphorisierungen transportiert. Der Ausdruck Stoff bezeichnet einmal ganz konkret ein textiles Gewebe, das in Haushalt, Wohnung und vor allem zur Bedeckung des menschlichen Körpers gebraucht wird. In einem weiteren abstrakteren Sinn gilt Stoff im deutschen Sprachgebrauch auch als Synonym der Materie und des noch ungeformten Materials schlechthin.8 Beide Grundbedeutungen lassen sich auf die Literatur beziehen: Im literarischen Kontext ist mit Stoff das Basismaterial der Geschichte gemeint, zugleich ist der Stoff als Textilie seit jeher die geläufigste Metapher für ihren lautlichen Zwillingsbruder, den Text, mit dem sie nicht nur die gemeinsame etymologische Wortherkunft teilt, sondern dem sie als Bildspender das Gewebe und Herstellungsverfahren leiht, insbesondere den sprichwörtlichen ›roten Faden‹.9 Walter Benjamin hat das in der Einbahnstraße unter der Überschrift »Achtung Stufen!« formuliert und dem Text drei Techniken zugewiesen: »Arbeit an einer guten Prosa hat drei Stufen: eine musikalische, auf der sie komponiert, eine architektonische, auf der sie gebaut, endlich eine textile, auf der sie gewoben wird.«10 Der textilen Metaphorik bleibt die Vollendung des Textes, seine Feinstruktur, vorbehalten. Wenn im Folgenden Stoff als Textilie im Roman Siebenkäs verfolgt wird, so klingen die vielfachen semantischen Facetten des Ausdrucks mit, besonders das konfliktreiche Verhältnis der Textilie zum Text, das über die Doppelfigur von Exklusion und Inklusion funktioniert. Der metaphorischen Ver––––––– 7
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Das Thema Materialität in der Literatur ist bereits ein prominentes Thema. Vgl. hier nur die beiden Bände: Stoffe. Zur Geschichte der Materialität in Künsten und Wissenschaften, hrsg. von Barbara Naumann, Thomas Strässle, Caroline TorraMattenklott. Zürich 2006; Poetiken der Materie. Stoffe und ihre Qualitäten in Literatur, Kunst und Philosophie, hrsg. von Thomas Strässle, Caroline Torra-Mattenklott. Freiburg 2005. Vgl. dazu Naumann, Strässle, Torra-Mattenklott (Hrsg.), Stoffe [Anm.7], S.8 (Einleitung). Vgl. auch Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1854ff. Fotomechanischer Nachdruck der Erstausgabe. Bd.19, München 1991, S.140– 161. Text geht wie Textur und Textilie auf das lat. textus, d.h. Gewebe, und lat. texere, d.h. weben, zurück. Walter Benjamin, Einbahnstraße, in: Gesammelte Schriften [Anm.4], Bd.IV,1, S.102.
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bindung des Stoffes und des Textes steht die lebenspraktische Trennung des Stofflichen vom Bereich der Schrift gegenüber. Das Bedeutungsspektrum von Text und Textilie ist von der traditionellen Leitdifferenz von Geist und Materie, von Wesen und Hülle durchquert und streift damit auch die für Jean Paul so dringliche Debatte des commercium mentis et corporis.11 Vor allem aber dominiert die Leitdifferenz von Mann und Frau: Am Stoff scheiden und verbinden sich die Geschlechter, er kann als »binärer Operator«12 gelten, der die Trennungen in der Geschlechtersemantik errichtet und zugleich die Brücken herstellt. Einige wenige Facetten dieses Verhältnisses sollen hier beleuchtet werden. In seiner konkreten materiellen Ausprägung als Textilie gehört der Stoff in den weiblichen Bereich. Zu Zeiten der Jean Paulschen Romane ist die Arbeit am Stoff eine so selbstverständliche weibliche Tätigkeit, dass der Begriff Arbeit, wenn er sich auf Frauenarbeit bezieht, geradezu als Synonym für die Näh-, Stick- und Strickarbeit gilt. Die Omnipräsenz der Handarbeit betrifft alle Frauenfiguren Jean Pauls, auch die vornehmen Damen des Hofes, die indessen nur mit feinen Arbeiten ihre Finger unter dem Gespräch beschäftigen.13 Die weibliche Handarbeit grenzt Frauen aus der Welt der geschriebenen Texte aus und beschränkt sie auf eine im geistigen Sinn unproduktive Tätigkeit. Nicht zuletzt Jean Paul hat diese Arbeit immer wieder als geisttötend angeprangert, am vehementesten in der Erziehlehre Levana.14 So getrennt Text und Textilie in der Lebenswelt scheinen, so zahlreich sind indessen die jeweiligen Übergriffe ins andere Gebiet. Erzähler und Autorfiguren in Jean Pauls Werk nähen, spinnen und stricken unablässig an ––––––– 11
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Zum Commercium siehe Wilhelm Schmidt-Biggemann, Maschine und Teufel. Jean Pauls Jugendsatiren nach ihrer Modellgeschichte. Freiburg 1975, S.32ff. und Götz Müller, Jean Pauls Ästhetik und Naturphilosophie. Tübingen 1983, S.17ff. Der Begriff stammt von Jakob Tanner, Stoff und Form. Menschliche Selbsthervorbringung, Geschlechterdualismus und die Widerständigkeit der Materie, in: Stoffe [Anm.7], S.83. Liane in Titan »strickte die Arbeit fort, die sie der Freundin abgenommen« (I/3,218), Im Siebenkäs ist von den »höhern Ständen, wo man statt der Arbeitstuben nur Arbeitkörbchen hat«, die Rede (I/2,546). Eine »Arbeit, die bloß meine Finger beschäftigt« nennt die unbekannte Pariserin Henriette die sogenannte Frauenzimmerarbeit mit der Nadel in einem Brief an Rousseau. Zitiert nach Claudia Honegger, Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaft vom Menschen und das Weib 1750–1850. Frankfurt a.M., New York 1991, S.22. Die Nadel, die im Roman Lenettes Emblem ist, die aber auch die Finger Klotildes und Lianes beschäftigt, wird in der Levana endgültig abschätzig behandelt. Dort ist von der körperlichen und geistigen Enge die Rede, wie sie die ›sogenannte Frauenzimmerarbeit‹ nach sich zieht, von einer »Sklaven-Haltung des Leibes«, in der der »müßiggelassene Geist [...] dumpf verrostet« (I/5,706).
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ihren »opera omnia« (I/1,444). Aber auch umgekehrt ist der stoffliche Bereich von der Schrift kontaminiert. In der Vorrede des Siebenkäs legt die am Wäschekorb arbeitende Johanne Pauline, die gegengeschlechtliche ideale Rezipientin, dem Erzähler Jean Paul mit dem »Hemde-Schriftkasten« (I/2,23) das Wort »Erzahlen« vor, um ihn mit diesem nicht einmal über das ganze Alphabet verfügenden Instrument zum Erzählen seiner Romane aufzufordern, deren Lektüre ihr der Vater verbietet.15 Noch drastischer wird die Alphabetisierung am Medium Wäsche bei einer anderen Figur Jean Pauls illustriert: »Kordula wußte wenig, las nichts, als was sie Sonntags sang, und schrieb keinen Buchstaben als den, womit sie schwarze Wäsche signierte [...]« (I/4,235). Den literarischen Topos von der Wäsche als weiblicher Fibel hat fünfzig Jahre später Gottfried Keller im Grünen Heinrich aufgenommen: Für Papier haben die meisten Hausfrauen überhaupt nicht viel Gefühl, weil es nicht in ihren Bereich gehört. Die weiße Leinwand ist ihr Papier, die muß in großen, wohl geordneten Schichten vorhanden sein, da schreiben sie ihre ganze Lebensphilosophie, ihre Leiden und ihre Freuden darauf.16
Die Textilie erscheint als Textbuch der weiblichen Schrift, deren Medium, die weiße Leinwand, wiederum von jeher die Anfangsmetapher des männlichen Textes darstellt; so metaphorisieren sich die beiden Bereiche gegenseitig: Das männliche Schreiben generiert sich in der textilen Metaphorik des weiblichen und umgekehrt wird der männliche Text zum Bildspender für die weibliche Handarbeit. Während diese metaphorischen Vermischungen die jeweils betroffenen Dinge intakt lässt, richtet eine wirkliche Kollision der beiden Bereiche Schaden an. Sie ist bei E.T.A. Hoffmann intoniert als Klage über das traurige Ende der romantischen Liebe in der Ehe, die auch bei Jean Paul, besonders im Siebenkäs, so oft ertönt.17 Das »Überirdische« werde in der Ehe hinabgezogen in die »irdische ärmliche Beengtheit« und die herrliche Melodie werde ––––––– 15
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Diese phonetischen Minimaldifferenzen der Schriftzeichen und ihre gravierenden semantischen Konsequenzen sind ein Steckenpferd Jean Pauls. Vgl. zum »erzahlen« – »erzählen« Caroline Pross, Falschnamenmünzer. Zur Figuration von Autorschaft und Textualität im Bildfeld der Ökonomie bei Jean Paul. Frankfurt a.M.1997. Pross nimmt diese Differenz zum Ausgang ihrer Untersuchung zur Kontamination von Dichtung und Ökonomie. Gottfried Keller, Der grüne Heinrich 1854/5, hrsg. von Karl Grob, Walter Morgenthaler, Peter Stocker, Thomas Binder unter Mitarbeit von Dominik Müller, in: G.K., Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Ausgabe, hrsg. unter der Leitung von Walter Morgenthaler. Bd.11. Zürich 2005, S.23. »Die Ehe überbauet die poetische Welt mit der Rinde der wirklichen [...]« (I/2,546).
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zur Klage über einen »Tintenfleck in neuer Wäsche«.18 In der traditionellen Leitdifferenz von geistig und materiell, von oben und unten, von männlich und weiblich erscheinen Wäsche und Tinte als getrennte Entitäten, deren Vermischung zum beiderseitigen Untergang führt: Die Wäsche ist durch den fremden Einfluss der Tinte verdorben und die Schrift im falschen Medium zum unleserlichen Klecks verkommen. Diese Spannung von Inklusion und Exklusion zwischen dem Bereich der Textilie und dem des Textes gilt es am Roman Siebenkäs weiter zu verfolgen. Stoffe im Siebenkäs Kein anderer Roman Jean Pauls ist so prädestiniert für die Frage nach den Stoffdingen wie der Roman Siebenkäs, in erster Auflage 1796, in zweiter stark erweiterten Fassung 1818 erschienen. Und dies aus zwei Gründen: Er ist es einmal durch seine Zugehörigkeit zu dem in der Vorschule so genannten »mittleren Stil«, dem es – in verblüffender Vorwegnahme der Selbstdarstellungen der bürgerlichen Realisten fünfzig Jahre später – darum geht, die »bürgerliche Alltäglichkeit mit dem Abendrote des romantischen Himmels« zu färben (I/5,254f.), was, wie der Verfasser zugibt, zum Schwersten der Dichtkunst überhaupt gehöre, denn nichts sei »schwerer mit dünnem romantischen Äther zu heben und zu halten als die schweren Honoratiores.« (I/5,254). Diese Definition der Vorschule bezieht sich vor allem auf den Stand des Helden als eines Mittlers zwischen den Ständen. Worüber sich die Vorschule dagegen ausschweigt, ist der Stellenwert der stummen leblosen Dinge gerade in diesem Romantypus der bürgerlichen Alltäglichkeit, in dem sie doch so massiv zugegen sind, dass die Zeitgenossen befremdet reagierten: »Wenn wir hier noch etwas wünschen möchten, so wäre es, daß einiges von dem Detail uns nicht so gar nahe vor die Augen gerückt wäre«, urteilt ein zeitgenössischer Rezensent.19 Insbesondere ist der Roman Siebenkäs für die Frage nach den Stoffdingen deswegen prädestiniert, weil in keinem anderen Roman Jean Pauls den Textilien so viel erzählerische Aufmerksamkeit eingeräumt wird. Während der ––––––– 18
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E.T.A. Hoffmann, Die Fermate, in: Die Serapions-Brüder. Nach dem Text der Erstausgabe unter Hinzuziehung der Ausgaben von Carl Georg von Maassen, Georg Ellinger, mit einem Nachwort von Walter Müller-Seidel und Anmerkungen von Wulf Segebrecht. Darmstadt 1966, S.74. Allgemeine Literatur-Zeitung, Nr.361 (Donnerstags, den 17. Nov. 1796), Sp.425–428. Zitiert nach Gerhard Schulz, Jean Pauls Siebenkäs, in: Aspekte der Goethezeit, hrsg. von Stanley A. Corngold, Michael Curschmann, Michael und Theodore J. Ziolkowski. Göttingen 1977, S.215–239, hier: S.215.
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Erzähler der Unsichtbaren Loge bei seiner Schilderung der Höhlenerziehung Gustavs noch darum bittet, ihm »elende Umständlichkeit, z.B. über die Lieferanten der Wäsche, der Betten und Speisen« (I/1,54) zu erlassen, erhält der Stoff hier eine prominente Rolle, die bereits durch den Beruf Lenettes, der Gattin des Armenadvokaten Siebenkäs indiziert ist. Sie muss auch als verheiratete Frau, obwohl sie bereits unter der Haube ist, weiterhin »von Haube zu Haube« leben (I/2,50).20 Durch Lenettes beständigen Umgang mit Nadel, Faden und Stoff, durch das Anprobieren und Verkaufen der gefertigten Hauben, gerät ein handwerkliches Berufsfeld in den Blick, wie es in dieser Detailliertheit in der Literatur noch unüblich ist. Zugleich werden dadurch die beiden lebensweltlich verankerten Funktionen des Stoffes, die ökonomische und die repräsentative, sichtbar. Ich möchte den Versuch machen, den Roman gleichsam als ›Stoffgeschichte‹ zu lesen. Stoffe sind in allen vestimentären Formen des Romans vorhanden, als Wäsche und Strümpfe, als Kleider, Röcke und Schnupftücher, als Hüte und Hauben und vor allem als Trauerstoff aus grilliertem Kattun. Diese Stoffe verdanken sich weniger einer versuchten Mimesis der außerliterarischen Wirklichkeit, die nicht das Telos Jean Paulschen Erzählens ist, wohl aber stehen sie in der Spannung von realistischen Sinnbezügen und allegorischen Deutungshorizonten. Der Stoff entfaltet seine Dynamik in dreifacher Weise im Text: Als Realie wird er herumgereicht, bedeckt die Körper und gibt – als ›grillierter Kattun‹ – Anlass zu Auseinandersetzungen, die sich sowohl in Bezug auf die Geschlechterbeziehung als auch vor allem in einer religionsgeschichtlichen Dimension lesen lassen. Als metaphorischer Bildspender illustriert er die Schreibszenen im Text und wird selbst zum Anlass für ausgedehnte Metaphernspiele. Schließlich macht der Stoff als poetologische Chiffre das ästhetische Verfahren des Textes lesbar. Er ist in die Dynamik der Textbewegung einbezogen und steht in engster Beziehung und schärfster Opposition zum Schreiben. Den Zeichenprozess der Verwandlung vom Ding zum Zeichen zeigt der Text selbst auf und stellt ihn dar als eine Austreibung der Dinge aus dem Raum des Romans, dem sich die Dinge nicht widerstandslos ergeben. Dieser Prozess wird am Objekt des ›grillierten Kattuns‹ zur allegorischen Demonstration für ein Schreiben, dessen Autor Siebenkäs im Roman und dessen Theoretiker Jean Paul in der Vorschule ist.
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Leider ist der Band I/2 der Ausgabe von Norbert Miller nicht in allen Auflagen seitenidentisch. Ich zitiere nach der 5. Auflage 1987.
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Stoffe – Papier Die Stoffe stehen im Dienst der Geschlechtersemantik des Romans und staffieren sie mit Material aus. Gleich zu Beginn vertröstet der Schulrat den wartenden Siebenkäs über die verspätete Ankunft der Braut mit dem Hinweis, »sie arbeite noch an ihrem Brautkleide, und er noch in den Bibliotheken [...]« (I/2,33). Der Roman spiegelt ganz fraglos die konventionelle Geschlechterdichotomie um 1800, ja er verschärft sie in witziger und – im wörtlichen Sinn – zugespitzter Weise an den jeweiligen Werkzeugen der männlichen und weiblichen Arbeit, mit denen die Geschlechter hantieren.21 Sie werden in den Szenen einer Ehe, besonders in der zweiten Auflage von 1818, genau parallelisiert: Feder und Nadeln sind emblematische Beigaben der Geschlechter, mit denen sie Stoff oder Papier bearbeiten, beide Eheleute sind in syntaktisch gleichberechtigtem Nebeneinander in schreibendes und nähendes Stechen vertieft, männliche »Striche« und weibliche »Stiche« (I/2,170f.) stehen einander mit der Minimaldifferenz des Signifikanten in fast nichts nach. Dieses friedliche Nebeneinander unter einem Dach stellt gewissermaßen die textile Version des commercium mentis et corporis dar. Sie hält indessen nur für einen kurzen Moment. Die Parallelität, die ohnehin nur auf der Zeichenebene besteht, wird immer wieder überführt in eine Hierarchie, die den Geist über den Körper, das Papier über den Stoff, die Feder über die Nadel stellt: Mit dem unzulänglichen »Hemde-Schriftkasten« lässt sich keine Lebensgeschichte schreiben, oder – wie es Siebenkäs, ebenfalls in der zweiten Auflage formuliert – »Wegschreiben kann man sich viel, aber nicht wegnähen«. (I/2,328)22 Die Oben-Unten-Topik, wie sie die Klage über den Tintenfleck in der Wäsche bei E.T.A. Hoffmann errichtet, ist auch im Siebenkäs überall da maßgebend, wo der Stoff realiter mit der geistigen Sphäre des Textes in Berührung kommt. Diese Kontamination beider Bereiche hat auch hier unliebsame Folgen. Nicht Wäsche, aber Strümpfe sind involviert, wenn Lenette ihren Gatten bei seiner Kabinettpredigt über Tod und Ewigkeit »denkend, aber unten« anblickt und dann sagt: »›Zieh’ morgen den linken Strumpf nicht an, ich muß ––––––– 21
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Natalie wird zwar nie beim Nähen angetroffen, sondern ihrem männlichen Geist entsprechend mit Papier (I/2,375), aber ihren Tisch ziert immerhin auch Nähzeug: Siebenkäs nimmt »die besten Dinge, die oft durch ihre Hände gegangen waren, in seine [...]; sogar die englische Schere, ein abgeschraubtes Nähkissen und einen Bleistift-Halter« (I/2,400). Zum gesamten Komplex der Geschlechterdarstellung im Roman vgl. meine Arbeit: E. D.-P., Eigensinnige Geschöpfe. Jean Pauls poetische Geschlechterwerkstatt. Freiburg 1999.
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ihn erst stopfen‹« (I/2,291). Die mimische Nachahmung der männlichen geistigen Haltung (denkend) wird durch die gestische Inversion (unten) konterkariert und kappt den Faden des Redetextes. Der werdende Schriftsteller wird durch die Konfrontation mit der Stofflichkeit, die sich nicht in den Dienst der Sprache stellen lässt, heruntergezogen, aus dem freien Reich der Gedanken in die Störzone der Sachen, die sich »hart im Raume« stoßen.23 Auch in umgekehrter Richtung ist die Kontamination der beiden Bereiche verhängnisvoll. Die betrügerische Schrift, mit welcher der Heimlicher von Blaise seinem Mündel Siebenkäs dessen Anrecht auf die Erbschaft garantiert, ist ganz aus Stoffmaterial gemacht, nämlich aus dem von feinem Tuch abgeschabten Tuchstaub. Diese materialisierte Tuchschrift löst sich auf, sobald die Feuchtigkeit getrocknet und der angewässerte Tuchstaub verflogen ist, und mit der Sache lösen sich auch die Zeichen und damit die Garantie auf: Stoff lässt sich – jenseits der metaphorischen Vermischung – nicht in Schrift überführen, er hinterlässt dort keine bleibenden Zeichen.24 Die verwegenste Engführung von Text und Textilie nimmt der Erzähler metaphorisch am Körper seines Helden selber vor: Das Schicksal wolle »nach und nach britische Scher- und Seng-Maschinen geschickt zusammenbauen, um wie am feinsten englischen Tuche jede kleine falsche Faser wegzuscheren und wegzusengen«. Dieses Stoffherstellungsverfahren, das eher an einen Marterrost gemahnt, bringt den dergestalt zu edlem Stoff geläuterten Helden in doppelter Metamorphose als brillantes Papier, d.h. Buch hervor: »Wenn dergleichen geschieht, so komme nur als ein so herrlicher englischer Zeug aus der Presse, als je einer auf die Leipziger Tuch- und Buchhändlermesse geliefert worden, und du wirst glänzen« (I/2,111). Es ist von subtiler Ironie, dass sich Siebenkäs bei dieser Mutation über Stoff zum Papier selbst dem Herstellungsverfahren unterziehen muss, das den von ihm später so heftig verwünschten ›grillierten Kattun‹ kennzeichnet.
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Friedrich Schiller, Wallensteins Tod. II, 2, in: Sämtliche Werke, hrsg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göepfert. 6. Aufl. München 1981, Bd.2, S.435: »Leicht beieinander wohnen die Gedanken, / doch hart im Raume stoßen sich die Sachen.« Vgl. zur Tinte als «poetischen Bedeutungsträger«: Ralf Simon, Das Universum des Schreibens in Kuhschnappel (Jean Paul, Siebenkäs – Roman Jakobson), in: »Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum«. Schreibszenen im Zeitalter der Manuskripte, hrsg. von Martin Stingelin, in Zusammenarbeit mit Davide Giuriato und Sandro Zanetti. München 2004, S.140–155, hier: S.150.
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Kleider Keine anderen Dinge des täglichen Gebrauchs sind den Menschen so nah wie die Stoffe, die sie umhüllen. Diese anthropologische Funktion des Kleides schützt den Körper und stellt ihn zugleich aus, der Mensch zeigt und verbirgt sich in seinen Kleidern. In der Anthropologie Jean Pauls wird auch an den Kleidern der dualistische Körperdiskurs fortgesetzt, den er in der zeitgenössischen physiognomischen Diskussion einnimmt: Das Kleid als Hülle erscheint – wie der Körper – als Ausdruck oder als Gefängnis der Seele.25 Diese Ambivalenz im Hinblick auf die Kleider gilt, wenngleich zurückhaltend thematisiert, auch im Siebenkäs. Sie wird ergänzt durch einen zeitgenössischen Paradigmenwechsel von der Kleidung als exornatio zur Kleidung als incarnatio, von einer Stand und Rang ausstellenden Bekleidung zur Verkörperung der Person im Kleid.26 Am adeligen Verführer Rosa von Meyern wird die konventionelle Adelskritik am standesgemäßen Kleiderprunk satirisch aufgeladen und die Figur als eine überladene und ins Insektenhafte verzerrte hölzerne Modepuppe vorgeführt (I/2,86). Fleisch und Blut erhält sie nur von außen, durch den Rock aus »fleischfarbener Seide« (I/2,83), der aber eher auf die fleischlichen Begierden seines Trägers verweist. Die anderen Figuren werden knapp durch ihre Kleidung charakterisiert, so die Braut Lenette mit einem Aufzug aus schneefarbigem Mousselin und schwarzem Seidenhut, der ihre Unschuld betont (I/2,36), während die Antipodin Natalie durch die genau umgekehrte Farbgebung – eine »ganz schwarz gekleidete, mit einem weißen Flore bezogne weibliche Gestalt« – im genus grande den nonnenhaften und zugleich erhabenen Eindruck einer »unbekannten Oberin« vermittelt (I/2,364). Stiefels bürgerliche Behaglichkeit ist mit dem »plüschnen« Rock (I/2,47), und plüschnen Beinkleidern (I/2,194), sowie den Pelzstiefeln hinlänglich bezeichnet, besonders durch den Kontrast zu den kurzen, mehrfach geflickten »Halbstiefeln« von Siebenkäs (I/2,213). Zweideutige Signale in Sachen Kleidung kommen von Siebenkäs und Leibgeber. Die Kleidung beider wird nur in ihrer Abweichung von der bür––––––– 25
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Zur Physiognomik bei Jean Paul: Gunnar Och, Der Körper als Zeichen. Zur Bedeutung des mimisch-gestischen und physiognomischen Ausdrucks im Werk Jean Pauls. Erlangen 1985; Götz Müller, Jean Pauls Ästhetik [Anm.11]. Diese Unterscheidung bei Heiner Weidmann, Rhetorik der Kleidung um 1800, in: Dazwischen. Zum transitorischen Denken in Literatur- und Kulturwissenschaft. Festschrift für Johannes Anderegg zum 65. Geburtstag, hrsg. von Andreas Härter, Edith Anna Kunz und Heiner Weidmann. Göttingen 2003, S.215–234, hier: S.221. Die rhetorische Parallele von äußerem Redeschmuck und ›wahrem‹ Ausdruck, die Weidmann am Kleidertopos nachweist, lässt sich an Jean Paul nicht nachvollziehen.
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gerlichen Kleiderordnung markiert: Siebenkäs trägt zur Trauung als minimales Zugeständnis zwar einen »Ehren-Frack«, schreitet aber »ohne Halsstrang oder Binde und ohne Haarstrang oder Zopf zum heiligen Werke« (I/2,38). Leibgebers Kleider beanstandet Lenette, darin sekundiert von Stiefel, mit dem Hinweis auf ihren Vater, der wiewohl Rats-Kopist, sich doch in Kleidung wie andere betragen habe (I/2,485), worauf denn auch Siebenkäs die mindere Schreibtätigkeit des Kopisten sofort auf das unterwürfige Kopieren von Kleidervorschriften bezieht. So wenig Beachtung Siebenkäs und Leibgeber der bürgerlichen Repräsentation durch Kleidung schenken, so zollen sie ihr doch eine verblüffende Aufmerksamkeit. Sie gilt einer Fehlform der Kleidung: den Löchern. Kleider sind für Siebenkäs entbehrlicher Plunder, wie sein Vergleich mit den antiken Philosophen nahelegt, die »selten einen ganzen Rock am Leibe« hatten (I/2,202). Die Geringschätzung der Kleider wird emphatisch vom Erzähler geteilt, der dem verarmten Leser Mut zuspricht, sein Haupt auch mit schadhaften Kleidern stolz in den Himmel zu heben. »Achttausend Löcher im Rocke«, so die hochtrabende Versicherung von Siebenkäs, könnten ihm nichts anhaben (I/2,204). In dieser Perspektive lässt sich der Hinweis Lenettes auf die Notwendigkeit des Strümpfestopfens nicht nur als störender Einbruch des Materiellen in den Text der Rede lesen, sondern auch als Versuch zum Verschließen der Löcher, an denen sich für Siebenkäs die Stofflichkeit der Kleidung im Modus des Verschwindens offenbart. Solche Löcher geben im Gewebe der Hülle einen Durchblick auf das, was dahinter liegt, sie lassen den »Überzug« (I/1,251) auf die Seele hin transparent werden. Löcher beschäftigen auch Leibgebers Phantasie, aber in genauer Inversion. Angeregt durch Stiefels »exegetischen Wahnsinn«, nach dem die Kleider der Kinder Israel in der Wüste keine Löcher bekommen hätten und bei Kindern sogar mit dem Körper gewachsen seien, entwirft er eine phantastische Logik der Kleider ohne Löcher, »bei der die Montur eine hübsche Art von ÜberKörper war, der mit der Seele wuchs, um die er lief« (I/2,493f.). Der empfindsame Diskurs vom Körper als dem Ausdruck der Seele wird parodistisch wörtlich genommen und auf die Kleider hin ausgedehnt.27 Diese Rede wird indessen von Lenette nicht verstanden, sondern als Angriff auf ihren Kleiderschrank aufgefasst (I/2,493), dessen innere Leere sie ebenso verbergen will, ––––––– 27
Vgl. zu dieser Stelle ausführlich Bergengruen, der sie als Satire Leibgebers auf die Stahlsche Theorie liest (anima stahlii), nach der sich die Seele ihren Körper selbst baue. Maximilian Bergengruen, Schöne Seelen, groteske Körper. Jean Pauls ästhetische Dynamisierung der Anthropologie. Hamburg 2003, S.107ff.
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wie sie vergeblich die sichtbar klaffenden Lücken in der Wohnung durch Umstellen der Möbel zu schließen versucht. Die Kleiderphantastik der Kinder Israel bereitet indessen im witzigen Medium einen Paradigmenwechsel der Kleidersemantik im Roman vor, den – wie viele sinnliche Details – vor allem die zweite Auflage bietet. In der Szene des Kleiderwechsels zwischen Siebenkäs und Leibgeber werden die Kleider zur incarnatio der Person aufgeladen. Denn ausdrücklich gilt das Kleid nicht der gesellschaftlichen Rolle, sondern Siebenkäs errät, dass Leibgeber »mit der Körperwanderung in Kleider auf etwas Höheres ausgelaufen als auf einen Rollenanzug für Vaduz; nämlich auf das Bewohnen des Gehäuses oder der Hülle, die seinen Freund umschlossen hatte«. Dass für ihn darin mehr »Liebes und Süßes« liegt, als in »einem ganzen Band von Gellertischen oder Klopstockischen Briefen voll Freundschaft« (I/2,534f.), kehrt für einmal das Verhältnis von Papier und Kleidern um und setzt die Erkennbarkeit des Menschen durch seine Kleidung in ihr sinnliches Recht. Hüte und Hauben Ein Verfahren, den Stoff zum Verschwinden zu bringen, entwickelt der Text am Beispiel des Hutes von Siebenkäs, dies im Kontrast zu Lenettes Hauben. Lenette ist als Haubenmacherin für weibliche Häupter zuständig, allerdings nur für deren repräsentative Verhüllung.28 Um diese Aufbauten herzustellen, führt sie »nach dem kleinen Baurisse die schönsten Hauben im großen aus« (I/2,33). Ihre Handarbeit geht vom zeichenhaften Stellvertreter zur materiellen Ausführung, vom Zeichen zum Ding, in genauer Inversion des Wegs, den Siebenkäs mit seiner Kopfbedeckung beschreitet. Dies wird wieder in einer Passage aus der zweiten Auflage des Romans deutlich, die insgesamt den Figuren mehr szenischen Raum zugesteht.29 Ein Ausflug ins Freie gibt Anlass zu grotesken »Sozialpantomimen«,30 die allesamt im Zeichen des Stoffes stehen. Lenette stopft zunächst oben im Schüt––––––– 28
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Zu den Frauenköpfen und den männlichen Frauenbildnern im Roman vgl. E. D.-P., Eigensinnige Geschöpfe [Anm.22]. Vgl. E. D.-P., Proliferation und Verdichtung. Zwei Fassungen des Siebenkäs, in: Schrift- und Schreibspiele. Jean Pauls Arbeit am Text, hrsg. von Geneviève Espagne und Christian Helmreich. Würzburg 2002, S.29–42. Die Bezeichnung stammt von Jochen Golz, Alltag und Öffentlichkeit in Jean Pauls Siebenkäs, in: JJPG 26/7 (1991/92), S.169–196, hier: S.173. Dort auch der Hinweis auf Schuberts und Wilhelm Müllers ›Lindenbaum‹-Lied und seiner Markierung des Herausfallens aus der bürgerlichen Ordnung am Verlust des Hutes: »Der Hut flog mir vom Kopfe«.
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zenhaus die Strümpfe ihres Gemahls – entsprechend ihrem Eifer, Löcher zu schließen – und sieht dabei herab auf vornehme Honoratiorengattinnen, die mit den von ihr gefertigten »künstlichen Haubenbauten« ausgestattet sind, »und mehr als eine grüßte selber zuerst verbindlich zu ihrer Dachdeckerin herauf« (I/2,297). Während Lenette dergestalt durch ihre Stoffarbeit gesellschaftliche Anerkennung erfährt, riskiert Siebenkäs die seine auf Grund seiner mangelhaften Kopfbedeckung. Er kann nämlich die Passanten nicht ordnungsgemäß begrüßen, weil er statt des Hutes nur einen »steifen wachstaftnen Hutüberzug« trägt. Der Hut auf dem Kopfe gilt als »Ausdruck von Bürgerlichkeit im Sinne eines kulturellen Habitus«,31 sein Fehlen verletzt die Konventionen bürgerlicher Wohlanständigkeit genauso, wie es gegen das Anerkennungszeremoniell verstößt, wenn der Hut zur Begrüßung nicht abgenommen wird. Gerade die Attrappe, die der Konvention äußerlich Genüge tun soll, hindert Siebenkäs an der korrekten Erfüllung des Rituals, denn der »Doppelhut oder Huthut« (I/2,300) lässt sich nicht abnehmen, ohne dass die Absenz des Hutes auffällig wird. Sein unhöfliches bloßes Zerren am »Huthut« versucht Lenette durch besonders tiefe Verbeugungen wettzumachen. Der Hut darunter, ein »feiner Filz«, ist zuvor schon im Pfandhaus gelandet: Mit dem Koadjutorhute auf dem Kopfe allein kehrte er ruhig und unentziffert nach Hause; – und trug nun das leere Futteral durch die krümmsten Gassen, mit heimlicher Freude, gewissermaßen vor niemand den wahren Hut abzuziehen (I/2,300).32
Siebenkäs versetzt den Stoff und behält nur das leere Zeichen, das, im wörtlichen Sinn, nicht »gedeckt« ist.33 Er hantiert mit dem Zeichen so, dass die Absenz des Dings nicht zu ›entziffern‹ ist, ein Vorgang, der mimetisch den Zeichenprozess der Sprache nachbildet. Die »heimliche Freude« in den »krümmsten Gassen«, von der es nicht weit zur »krummen Linie des Humors« ist (I/4,27), gilt dem gelungenen Versteckspiel des abwesenden Dings unter dem Zeichen. Mit diesem täuschenden Zeichenmanöver ist Siebenkäs selbst in bürgerlicher Hinsicht zur Geheimschrift mutiert. Der Hut verschwindet unter seiner Attrappe wie die Kleider durch die Löcher zum Verschwinden kommen. ––––––– 31
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Hermann Bausinger, Bürgerlichkeit und Kultur, in: Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, hrsg. von Jürgen Kocka. Göttingen 1987, S.121–142, hier: S.123f. Das Abnehmen des Hutes bei der Begrüßung bezeichnet Bausinger als »Mittel ritualisierter Kontaktpflege«. »Koadjutorhut«: Lateinisch für Beistand. Vgl. dazu Jochen Hörisch, Kopf oder Zahl, Die Poesie des Geldes. Frankfurt a.M. 1996, S.20: »Dichtung stellt gar nicht erst den Anspruch, ihre Aussagen seien gedeckt«.
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In der gleichen Szene allerdings wird Siebenkäs von den wirklichen Dingen, derer er sich so elegant entledigt glaubte, in unsanfter Weise wieder eingeholt. Lenette entdeckt auf der Rückseite der Weste eines vor ihr her spazierenden Schneidermeisters die Stoffreste eines Augsburger Zitz, aus dem sie sich bei ihm ein Mieder hat machen lassen. Ihre Reaktionen – »›Es ist mein eigner Zitz aus Augsburg, hört Er, Meister Mauser?‹« und »›Er Rips-Raps, meine Sache will ich haben, du Spitzbube!‹«(I/2,301) – demonstrieren in ihrer Klimax, wie sehr sie sich über ihre Stoffe definiert und ihr materielles Besitztum im wörtlichen Sinn als Eigentum versteht, nämlich als Teil ihrer Person. So versteht es auch der beschuldigte Schneidermeister, die einzige männliche mit Stoff beschäftigte Figur, und macht dabei den Geschlechtergegensatz gleich zu seiner Pfründe: Mit seiner Antwort greift er im Namen männlich institutioneller Überlegenheit in obszöner Weise die Integrität ihrer Person an – »›Das beweise Sie mir doch – aber bei der Lade will ich Sie schon zitzen‹« (I/2,297) – und verabschiedet sich mit einer unanständigen Geste. Der grillierte Kattun Das Ehepaar Siebenkäs lebt in fortschreitender Armut, die nach und nach zum Versetzen der gesamten Habe führt. Die allmähliche Entleerung der Stube vernichtet den Raum des sozialen und alltäglichen Lebens, der doch Handlungsraum des »mittleren Romans« sein soll. Mit dem Zinngeschirr wird der Raum der bürgerlichen Repräsentation angegriffen,34 mit dem Verlobungsstrauß das Symbol ehelicher Zweisamkeit, mit Tüchern, Geschirr und Möbeln schließlich die lebensnotwendige Basis der bürgerlichen Existenz. Wiederholt illustriert eine gewalttätige Metaphorik des Vertreibens, Verstoßens und Tötens diesen Versetzungsfuror. Von »Todesanzeigen« ist die Rede (I/2,203), Siebenkäs berührt die Möbel »gleichsam wie der Tod« (I/2,202). Die »verwiesenen Essgeschirre« (I/2,165) und andere im Pfandhaus gelandeten Gegenstände sind in der sich leerenden Wohnung nur noch abwesend anwesend, nämlich im Medium der Erinnerung: ›Ich betrachte schon‹ – fing er [Siebenkäs] an – ›seit einer Achtelstunde unsern Schrank: ich kann nichts merken, daß ich neulich die Glockenschüssel und die Teller herausgehoben – merkst du was?‹ ›Ach, alle Tage merk’ ich’s‹, beteuerte sie. (I/2,176)
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Vgl. dazu Helmut Möller, Die kleinbürgerliche Familie im 18. Jahrhundert. Verhalten und Gruppenkultur. Berlin 1969, S.123.
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Die verlorenen Dinge werden im Modus des Fehlens zeichenhaft festgehalten. Die Kippfigur vom Ding zum Zeichen ist das »Versilbergesicht« (I/2,190), das Siebenkäs aufsetzt, wenn er die Haushaltsdinge auf ihren Versteigerungswert hin taxiert. Diese Metapher leitet den Umschlag des sinnlich präsenten Gegenstands ins abstrakte Zeichen ein.35 Ein textiler Gegenstand im Roman widersteht indessen hartnäckig seiner Verstoßung und lässt sich weder in Geld verflüssigen noch in Zeichen entmaterialisieren. Es ist der »grillierte Kattun«, den Lenette schon aus Augsburg in die Ehe mitbringt und der das künftige Trauerkleid für einen Todesfall abgeben soll: Eine weit vorausschauende Anschaffung also, die das ganze Leben umschließt. Mit diesem Kattun dringt die lebensweltliche Realität in doppelter Weise in die Romanhandlung ein: Zum einen gehört er als Teil des Brautschatzes zu dem Stoffvorrat, den junge Frauen in die Ehe mitbrachten und der oft für das ganze Leben ausreichen musste. Lenettes gewiss nicht besonders reichhaltige Aussteuer ist der »Mahlschatz«,36 den zu Beginn Stiefel samt der Braut in seiner Kutsche von Augsburg nach Kuhschnappel befördert, und der als das »Eingebrachte« der Braut in einem »weißverblechten Reisekasten bestand« (I/2,33,35). Zum andern stammt der grillierte Kattun aus der Heimatstadt Lenettes, aus Augsburg, woher auch der grüne Zitz kommt. Damit trägt der Roman sehr realistisch der zeitgenössischen frühindustriellen Stoffherstellung und -verbreitung Rechnung. Augsburg, in dessen Fuggerei die Hutmacherin Lenette bis zu ihrer Eheschließung lebt (I/2,33), ist zur Zeit des Romanbeginns, um 1785, ein wichtiges Zentrum der erst beginnenden, aber rasch aufblühenden Baumwollindustrie auf dem Kontinent. Kattune erlebten gerade um diese Zeit größere Verbreitung, auch weil sie einfachere Herstellungstechniken erlaubten und demnach billiger waren als die herkömmlichen Leinenstoffe.37 Die besondere Machart des grillierten Kattuns besteht im Sengen und Wegbrennen der abstehenden Fäserchen, wodurch er eine feinere und vornehmere Variante des Kattuns vorstellt.38 ––––––– 35 36
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Vgl. zu diesem Umschlag Pross [Anm.15], S.70. Der Begriff ›Mahlschatz‹ wird nach Grimm als Schatz oder Kostbarkeit bezeichnet, die als Pfand bei der Verlobung oder Vermählung von den Verlobten einander geschenkt wird und – in zweiter Bedeutung – die Mitgift oder das Heiratsgut. Grimm [Anm.8], Bd.12, S.1458. Zur Geschichte der Kattunverarbeitung in Europa vgl. Claus-Peter Clasen, Textilherstellung in Augsburg in der frühen Neuzeit. 2 Bde. Augsburg 1995; Claudia Gottfried, »Überhaupt ist der Kattun eine in der ganzen Welt gebräuchliche Ware ... «. Die Baumwolle und ihre Verarbeitung in der Frühindustrialisierung, in: Geschichte lernen 80 (2001), S.37–42. Pierer’s Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart. 7. Bd. Altenburg 1859, S.650 (Stichwort »Grillieren«): »den aufgeschlitzten Manchester über eine glü-
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Dieser Stoff besetzt den ersten Rang unter allen Textilien, ja unter allen materiellen Dingen des Romans überhaupt: Seine Textpräsenz reicht vom sechsten Kapitel bis zum Ende der Ehe und taucht am Schluss noch einmal auf (I/2,570); zweimal erscheint der Kattun sogar in einer Kapitelüberschrift. Dergestalt als wichtiger Agent der Handlung ausgewiesen, ist er von seiner ersten Erwähnung an in die Dynamik des Versetzens involviert, und die Fronten, anfangs locker, später verhärtet, sind klar: Siebenkäs will den Stoff ins Pfandhaus tragen, Lenette will ihn behalten. Eigenartig ist indessen die Heftigkeit und Insistenz, mit welcher der Kampf um den Stoff über mehrere Kapitel und Ehemonate erbittert geführt wird. Der Kattun ist der Gegenstand, an dem der anhaltende Ehestreit auf seine höchste Dramatik gebracht wird. Dabei erfüllt er für Lenette weder die repräsentative, noch die ökonomische Funktion eines Stoffes, da er ja ungetragen und unverkauft in der Kommode liegt. Für Siebenkäs hat er wenigstens eine ökonomische, aber die Präsenz des Stoffes unter seinem Dach ist ihm so unerträglich, er wird bereits so lästig von dessen textiler Struktur bedrängt, dass der ökonomische Aspekt des Versetzens nebensächlich wird: »Er wollte lieber, der Kattun wär’ ihm gestohlen, um nur von dem langweiligen, abgeschabten Gedanken an den Lumpen loszukommen« (I/2,304). Warum kann sich Lenette unter keinen Umständen von ihrem Stoff trennen? Warum versteift sich Siebenkäs auf die Versetzung just dieses Stoffes? Dieser Verhärtung der Fronten gilt es nachzufragen. Schon die erste Erwähnung des Kattuns reißt den Gegensatz auf: Er wollte ein Trauerkleid von grilliertem Kattun ein wenig überblättern..... Aber hier flog Lenette auf, fiel ihm in den blätternden Arm und sagte: ›Warum nicht gar! So weit solls, wills Gott, nicht mit mir kommen!‹ (I/2,191)
Für Siebenkäs erscheint der Stoff metaphorisch bereits im Medium des Papiers, oder gar des Papiergeldes, und damit in einem flüchtigen Element, das zwischen der Handlungs- und der Entstehungszeit des Romans eine berüchtigte Karriere machte.39 Lenette dagegen hängt ihre gesamte Existenz an die –––––––
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hende Walze ziehen, um die Haare glatt zu sengen«. 9. Bd. Altenburg 1860, S.383 (Stichwort »Kattun«): »Durch das Sengen werden die auf der Zeugfläche vorstehenden Fäserchen weggebrannt, damit das Zeug sein rauhes Aussehen verliere; gewöhnlich wird der rohe, bisweilen erst der gewaschene u. gebleichte K. entweder über Flammen od. über rothglühendes Metall hinweggezogen.« Zur Handlungszeit des Romans – 1785 – war Papiergeld noch wenig im Umlauf. Zur Entstehungszeit dagegen hatten bereits die Assignaten der Französischen Revolution zur Inflation in Frankreich geführt. Diese Inflationserfahrung wird auch im 1. Akt von Goethes Faust II mit der Papiergeldherstellung von Faust und Mephisto am kaiserlichen Hof thematisiert.
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dinglich-sinnliche Gegenwart des Stoffes, der ihre personale Integrität zu repräsentieren scheint. Der Streit um den Stoff eskaliert dann in einer zunehmend kriegerischen Metaphorik, der Siebenkäs seine ganze sprachliche Energie leiht. Die lateinische Litanei des alten Cato – »censeo Carthaginem delendam (ich stimme für die Zerstörung Karthagos)« (I/2,202) –, mit der er Lenette bei jeder weiteren Versetzungsaktion den Stoff als das geeignetere Versetzungsstück vorschlägt, spielt auf den größten Vernichtungskrieg an, den das römische Imperium führte, auf den dritten punischen Krieg mit seiner radikalen Zerstörung einer ganzen Zivilisation. Die Exklusivität der Gelehrtensprache, die Lenette ohnehin nicht versteht und die Siebenkäs sonst einsetzt, um sie von Informationen auszuschließen,40 vergrößert noch die Kluft. Die Auseinandersetzung nimmt schließlich gigantische Dimensionen an: Bereits gilt Siebenkäs die Eliminierung des Stoffes, die er am letzten Jahrestag zustande bringen will, als »letzte, aber größte Tat des Jahres 1785« (I/2,309). Der Streit wird nun mit vollem Einsatz religiöser und mythologischer Mächte geführt. Lenette, weniger beredt, nennt die von ihr angerufenen göttlichen Instanzen bei ihren traditionellen Namen – »wills Gott«, »du treuer Jesus« –, wobei ihre enge Verwobenheit mit dem Stoff durch eine für das Erzählen um 1800 durchaus unübliche Form der Erlebten Rede angezeigt wird,41 Siebenkäs dagegen holt ein reiches Arsenal an Metaphern hervor, das den Stoff rhetorisch erledigen soll. Zieht er zuerst blutige Kriege der Weltgeschichte heran – »dieser feindlichen roten Timurs – und Muhammeds – Fahne, dieser Ziskas Haut« (I/2,304) –, so steigern sich schließlich die Bilder in einen fast schon apokalyptisch anmutenden Kampf gegen den Teufel, für den der fiktive Verfasser der Auswahl aus des Teufels Papieren einen reichlichen Fundus teuflischer Beinamen bereit hat, um den Exorzismus mit einem rhetorischen Feuerwerk zu bewerkstelligen: Es wohne neben ihm unter einem Dache ein Erbfeind und Widerchrist, ein Lindwurm, ein vom bösen Feind in seinen Weizen geworfnes Unkraut, das sie ausreuten könne, wenn sie wolle. Er zog endlich mit helldunklem Jammer den grillierten Kattun aus der Schublade: ›Das ist‹, sagt’ er, ›der Stoßvogel, der mir nachsetzt, das Steckgarn, das mir der Teufel aufstellt, sein Schafkleid, mein Marterkittel, mein
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So in Bezug auf den Erbschaftsbetrug gegenüber dem Venner, der aber selbst wenig versteht (I/2,88), und mit Leibgeber hinsichtlich des Scheintods (I/2,484). Latein spielt im Roman aber vor allem bei der lateinischen Übersetzung der Emila Galotti für deutsche Gelehrte eine Rolle, die Siebenkäs in satirischer Absicht überschwänglich positiv rezensiert (I/2,182f.). »[...] weil sie zu befahren hatte, er werde nunmehr alle die Möbeln, die er heute wie ein Fleischbeschauer geschätzet und befühlet hatte, eines nach dem andern in das Schlachthaus unter das Schlächter-Messer führen und wohl gar – du treuer Jesus! – den grillierten Rock auch.« (I/2,189).
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Casems-Pantoffel – Teuerste, tue mir nur das zu Gefallen und verpfänd’ es!‹ (I/2,309)42
Die metaphorische Substitution, die den sprachlichen Mechanismus der Verdrängung eines Signifikanten durch einen anderen vollzieht,43 taugt dazu, den Stoff, den Siebenkäs nicht aus der Stube ausweisen kann, durch Sprache zu erledigen und ihn unter einer Lawine metaphorischer Bezeichnungen zu begraben. Es entbehrt nicht der Komik, dass Siebenkäs dabei just gegen den Teufel antritt, mit dem er als Schriftsteller auf bestem Fuß steht. Aber seine Erfahrung mit dem Teufel aus Papier ist der teuflischen Inkarnation ins Stoffliche nicht gewachsen, der »Leibhaftige« erweist sich als resistent gegen jedes Sprachspiel, oder – anders gesagt – das stumme leibhafte Ding lässt sich nicht durch metaphorische oder semantische Zuschreibungen wegschaffen. Der Kampf wird zur bitteren Ausschließlichkeit zwischen Siebenkäs und dem Stoff: »›Es soll mich der Teufel holen, wenn der Kattun da bleibt‹« (I/2,310). Auch im Handlungskontext steht der Kattun überall im Assoziationsfeld des Todes: als Trauerkleid ist er ohnehin schon Todesbote und evoziert Siebenkäs’ eigenen Tod, den dieser befürchtet. Diese Vorahnung wird bestärkt durch den just auf dem Höhepunkt des Streitens vor dem Haus vorbeigetragenen Kindersarg. Schließlich endet der unglückliche letzte Abend des Jahres mit dem Lied einer wandernden Sängerin, dessen Refrain »Hin ist hin, tot ist tot« (I/2,320) ganz am Ende des Romans in umgekehrter Reihenfolge noch einmal wiederholt wird (I/2,568). Der Kattun wird von Lenette selbst ins Pfandhaus getragen,44 woraufhin in der Stube endgültig alles Leben erloschen scheint: Die Ausweisung des Stoffes zieht die Ausweisung Stiefels nach sich und führt zum gänzlichen Verstummen des Ehepaars, sogar die Kommunikation wird fortan nur noch in Schriftzeichen auf Zetteln geführt. Die endgültige Vertreibung der Textilie aus dem Text ist damit noch nicht gelungen, als Revenant kehrt der hartnäckige »Raupenbalg« (I/2,315) zurück: Siebenkäs löst den versetzten Kattun an Lenettes Geburtstag wieder aus, aber nur, um in der zuvor angedeuteten ––––––– 42
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»Erbfeind«: hostis sempiternus, Todfeind. Grimm [Anm.8], Bd.3, S.719. »Lindwurm«: Drache. Von ahd. Lintwurm. Tautologisch, da Lint schon Schlange heisst. Paracelsus: die alte schlang (Teufel). Grimm, Bd.12, S.1038. Vgl. Jacques Lacan, Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten oder die Vernunft seit Freud, in: Schriften II. Weinheim/Berlin 1991, S.30f. In der ersten Auflage reicht dazu die von Siebenkäs angedeutete Nähe seines Todes, die zweite Auflage führt verstärkend noch seine Drohung hinzu, mit dem Hirschgeweih durch die Stadt zu laufen, wodurch Lenette öffentlich als Ehebrecherin gebrandmarkt wäre (I/2,310).
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Ausschließlichkeit kurz darauf selbst aus dem realen und materiellen Leben in Kuhschnappel zu verschwinden, zunächst temporär, dann durch seinen Scheintod für immer, während Lenette »in ihrem grillierten Kattun so trauerte, wie sichs gehört« (I/2,525). Aber auch das ist noch nicht das letzte Wort des Romans zum Trauerstoff. Statt des Kattuns wird seine Trägerin aus dem Roman verwiesen und muss ›mit Tod abgehen‹, und zwar, wie ausdrücklich gesagt wird, mit »ihrer Trauerkleidung, worin man sie auch beerdigen müssen« (I/2,570). So wird das Motiv des Kattuns bis ins letzte Kapitel durchgezogen, wodurch die Figur der Lenette in ihre bürgerliche Umgebung eingepasst und sorgfältig zu Ende geführt wird. Metaphorik und Handlungsführung machen evident, dass es bei dem »Kattun-Prozeß« nicht um einen banalen Versetzungsgegenstand geht, den Siebenkäs schnöde zu Geld machen will. Auch kann für Siebenkäs die Intensität des Kampfes nicht nur aus dem Wissen gespeist sein, dass der Gebrauch des Stoffes ja seinen eigenen Tod voraussetzen würde, der ihm ohnehin bereits vor Augen steht (I/2,311). Ich möchte die Auseinandersetzung um den grillierten Kattun in drei Deutungsperspektiven lesen, die verschiedene, nebeneinander bestehende Dimensionen öffnen: Zum einen liegt es nahe, das Ärgernis des Stoffes auf der Ebene der Geschlechterbeziehung des Paares anzusiedeln. Zum andern spielt der Kattunstreit eine genau motivierte Rolle in Fragen der Religionsausübung und lässt sich im Horizont religionsgeschichtlicher Positionen erschließen. Und schließlich erweist sich der Kampf, den Siebenkäs gegen den Stoff führt, in einer poetologischen Lektüre als produktiv. Die erste Version liest den Stoff in seiner unübersehbaren Repräsentation eines weiblichen »Territorium des Selbst«.45 Mit seinem durch die spezielle Oberflächenbehandlung auffälligen Gewebe verweist der «grillierte stachlichte Raupenbalg« (I/2,315) auf die weibliche Technik des »Flechtens und Webens«, die, will man Freuds Diktum hundert Jahre nach Jean Paul glauben, die einzige Kulturtechnik darstellt, welche die Frauen überhaupt erfunden haben, und zwar in einer optischen Nachbildung des weiblichen Geschlechts und zugleich im Wunsch, dieses natürliche Geflecht durch eine selbstproduzierte Nachahmung schamhaft zu verstecken.46 In dieser Perspektive liesse sich Lenettes Weigerung, den Stoff herzugeben, als eine Reaktion ––––––– 45
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Erving Goffman, Das Individuum im öffentlichen Austausch. Frankfurt a.M. 1982, S.54. Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse und Neue Folge. In: Studienausgabe, hrsg. von Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey. Bde.I–X. Frankfurt a.M. 1969ff., Bd.I, S.562.
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der Scham vor einer Blöße verstehen, die sie auch sonst zudecken will, sowohl im Stopfen der Löcher, wie im Verdecken der Lücken und im Verheimlichen der Möbelverpfändung (I/2,209). Die Textur des Stoffes ist in ihrer sinnlichen Materialität zwar erkennbar, aber zugleich so »schattenhaft« und von gänzlich unersichtlicher Bedeutung,47 wie die Sinnlichkeit in dieser Ehe, in der sie wenig zu suchen hat. Diese Lesart, welche den hohen Symbolwert des Stoffes im emotionalen Haushalt des Ehepaares sinnfällig machen könnte, wird durch die Engführung des Kattunstreits mit dem Leichenzug des neugeborenen Kindes gestützt: als Anspielung auf die Kinderlosigkeit Lenettes, die bereits in einer früheren Szene am Grab einer Kindbetterin mit ihrem toten Neugeborenen thematisiert wurde (I/2,266) und die auf Lenettes eigenes Grab und auf ihr aus der zweiten Ehe stammendes totes Töchterlein vorausweist. In der religionsgeschichtlichen Dimension findet der »Kattun-Prozeß« vor einem Tribunal statt, das nichts Geringeres verhandelt als die letzten Dinge und den rechten Glauben. Der Stoff, der unbrauchbar in der Kleiderkommode liegt und keinerlei unmittelbare repräsentative oder ökonomische Funktion hat, ist Lenettes künftiges Trauerkleid, das sie als Witwe bis zu ihrem eigenen Tod trägt und dann als Kleid für die Ewigkeit mit ins Grab nimmt.48 Dieses Kleid ist nicht nur fester Bestandteil und sichtbare Anteilnahme am bürgerlichen Leben, es begleitet sie darüber hinaus auf ihrem letzten Weg und drückt den Übergang aus der sterblichen in die unsterbliche Welt aus. Das Kleid gemahnt an die Sterblichkeit und repräsentiert zugleich, was über das leibliche Leben hinausgeht: die Unsterblichkeit der Seele. Das Weggeben des Kleides gefährdet diese Unsterblichkeit selbst, wie der Ausruf nahelegt: »›So weit soll es, wills Gott, nicht mit mir kommen!‹« (I/2,191). Stiefel, an dessen protestantischer Rechtgläubigkeit kein Zweifel besteht, fordert denn auch von Siebenkäs, er möge sich gegenüber seiner Frau betragen wie »ein wahrer Christ gegen eine Christin« und den Stoff zurückbringen (I/2,315). Dem Freidenker Siebenkäs dagegen wird der Kattun zum Ärgernis: Er sieht in dessen kasualistischer Bedeutung nur einen fetischisierenden Passagenritus, der am Stofflichen klebt: »Er wußte längst, daß sie eher das Kleid ihrer Seele als das grillierte Überkleid jenes Kleides verpfände« (I/2,191). Diesen an rituellen Formen und materiellen Surrogaten haftenden Glauben – dazu gehö––––––– 47
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So die Beschreibung der weiblichen Sexualität durch Freud, Über die weibliche Sexualität, Studienausgabe, Bd.V, S.276. Zur Sinnlichkeit in dieser Ehe vgl. E. D.P., Eigensinnige Geschöpfe [Anm.22], S.209f. Der Witwenbrauch, lebenslang Trauer zu tragen, ist kulturhistorisch wie literarisch bezeugt, so z.B. in Adalbert Stifters Erzählung Der fromme Spruch, deren ältere Protagonistin die Trauerkleider nie ablegt.
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ren auch die »chronologischen Lebensmittel«, die Lenette für ihre Religionsausübung braucht (I/2,207) – bekämpft er von der Warte einer reinen immateriellen Erhebung, die sich von der Knechtschaft der lehramtlichen Orthodoxie freigemacht hat. Ja, mehr noch: er versucht sich auch von der irdischen Begrenzung selbst freizumachen, indem er den anstößigen Zeugen der Mortalität des Menschen aus dem Hause schaffen will. Mit der intendierten Austreibung des Trauerstoffes versucht Siebenkäs gewissermaßen den Tod selbst ins Pfandhaus zu schaffen, um in einer immanenten Erhebung unmittelbar in die Unsterblichkeit einzugehen. Der Hinweis auf die Vertreibung des rituellen Trauerkleids als die »größte Tat des Jahres 1785« könnte im Kontext der religionsgeschichtlichen Dimension des Kattunstreits als Signal auf einen latenten Subtext zu lesen sein: nämlich auf das im Herbst desselben Jahres erschienene Spinozabuch Jacobis, das als «Donnerschlag vom blauen Himmel herunter« (Hegel),49 als »Explosion« (Goethe)50 die geistige Öffentlichkeit Deutschlands erregte. Mit Spinoza eröffnete dieses Buch dem vom traditionellen Glauben befreiten Denken einen unmittelbaren Weg zum Absoluten. Der »Himmel im Verstande«51 braucht keinen Christengott mehr als Gegenüber, auf den Lenette sich mit ihren Anrufungen »wills Gott«, »du treuer Jesus«, bezieht. Die zeitliche Koinzidenz des Kattunstreits mit diesem epochemachenden Text könnte der religionsgeschichtlichen Lesart Nachdruck verleihen.52 ––––––– 49
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Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, in: Werke [Anm.2], Bd.20, S.316f. Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, in: Werke [Anm.1], Bd.10, S.49. Das »Zündkraut« war Goethes Prometheus-Gedicht, die »Explosion« selbst war die Nachricht vom Spinozismus Lessings. Vgl. auch Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos. Frankfurt a.M. 1979, S.442ff. Friedrich Heinrich Jacobi, Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, Breslau 1785. Zitiert nach Jacobi, Werke, hrsg. von Friedrich Roth und Friedrich Köppen, Bd.IV.1, Leipzig 1819, Nachdruck Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 1980, S.69. Vgl. zum Spinozastreit: Horst Folkers, Das immanente Ensoph. Der kabbalistische Kern des Spinozismus bei Jacobi, Herder und Schelling, in: Kabbala und Romantik, hrsg. von Eveline GoodmanThau, Gerd Mattenklott und Christoph Schulte. Tübingen 1994, S.71–95. Die intertextuelle Markierung allein durch das Datum ist eher schwach und nicht zwingend. Sie soll hier auch nicht forciert werden. Es geht nicht darum, Siebenkäs zum Spinozisten zu erklären (was auch mit der Position des ›poetischen Nihilisten‹ inkompatibel wäre), vielmehr liegt der Akzent auf einer dem Denken direkt zugänglichen und von keinen Krücken der Religion mehr gestützten Erhebung zur Unsterblichkeit. Immerhin ist das Datum auffallend angesichts der ungeheuren Wirkung von Jacobis Spinozaschrift, die wenig später auch Jean Paul ergriffen hat. Jean Paul setzte sich 1788 mit ihr auseinander. Vgl. Schmidt-Biggemann, Maschine und Teufel [Anm.11], S.269.
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Eröffnet diese Lesart dem Stoff einen religiösen Sinnhorizont, der ihm – stünde er im Kontext eines realistischen Romans – geradezu den Rang eines »Dingsymbols« für die letzten Dinge eintragen könnte, so erhält er in der poetologischen Perspektive eine allegorische Deutung. Die Austreibung des Körperlichen und Materiellen und die Übertragung des Stofflichen in Zeichen haben sich an den Textilien im Text nachdrücklich gezeigt.53 Dieser Prozess erklärt indessen noch nicht, warum dann ein Stoffding wie der grillierte Kattun so hartnäckig vorhanden bleibt. Ich möchte das von Siebenkäs betriebene Wegschaffen aller Dinge aus dem Lebens- und Sozialraum der Stube in der Perspektive der späteren Vorschule lesen und als poetisches Verfahren des angehenden Autors Siebenkäs verstehen. Und ich möchte darin zugleich den Kunstgriff des Erzählers Jean Paul sehen, der seiner Figur an diesem Stoff die Grenzen weist, ihre Absichten hintertreibt, und damit für den Roman als Ganzes eine überlegenere ästhetische Position einnimmt. Indem Siebenkäs alle Stoffe zum Verschwinden bringen will, sie ›wegschreibt‹ – die Kleider durch die Löcher und den Hut unter dem Stellvertreter –, gibt er sich als ›poetischer Nihilist‹ avant la lettre zu erkennen und antizipiert die von Jean Paul später in der Vorschule als Fehlform kritisierte ästhetische Position.54 Die nihilistische Haltung, die »keine Gesetze zu befolgen ––––––– 53
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Zu dieser »Entkörperung« vgl. Bergengruen [Anm.27], der den Roman als eine ästhetische Inszenierung von Bonnet und Platner liest, wonach sich die schöne Seele ihren Körper selbst bilde und sich vom falschen (Sozial-)Körper befreie (S.59ff. u. 80ff.). Diese These ist plausibel, auch gerade angesichts der Ausweisung des Materiellen im Roman. Sie kann aber nur eine Sinnebene des Romans betreffen, dessen Komplexität sonst auf die literarische Illustration eines epistemologischen Modells reduziert würde. Die gesamten Ehediskussionen mit Lenette, d.h. ein gutes Drittel des Romans, müssen aus diesem Ansatz ausgeblendet bleiben und haben keinen ersichtlichen Sinn, wenn Lenette nur als Körper-Maschine aufgefasst wird (S.60). Vor allem bleibt unverständlich, warum in den Fortsetzungsnotizen des Romans die Ehe mit der ›schönen Seele‹ Natalie genauso verlaufen sollte wie die mit Lenette – »Alle Fehler gegen Lenette wiederholen sich hier« (Jean Paul, Siebenkäs, hrsg. von Klaus Pauler. München 1991, S.540) – und warum Jean Paul, statt diese Ehe darzustellen, in der Überarbeitung von 1818 den Eheszenen und Zerwürfnissen mit Lenette, und vor allem dieser selbst, deutlich mehr dialogische Szenen eingeräumt hat. Der ›poetische Nihilismus‹ wird von Jean Paul mit Jacobi als Pendant zum philosophischen Nihilismus Fichtes verstanden. Die Terminologie der Vorschule setzt mithin Jean Pauls Auseinandersetzung mit Fichte und vor allem Jacobis Brief Jacobi an Fichte von 1799 voraus. Dennoch ist Jean Pauls Bildlichkeit und Topographie der poetischen Positionen auch schon früher skizziert, etwa in der fast gleichzeitig mit dem Siebenkäs entstandenen Vorrede zum Quintus Fixlein mit den skizzierten »drei Wege[n], glücklicher (nicht glücklich) zu werden« (I/4,10). Bereits in der Alten Vorrede von Siebenkäs selber zu den Palingenesien von 1797/8 wird das Verfahren der poetischen Vernichtung in einer an Fichte orientierten humoristischen
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findet als eigne«, deren Erhebung von keiner Gegenständlichkeit mehr aufgehalten wird, führt zur »Versäumung aller Wirklichkeit« (I/5,31 u. 34), sie kann als künstlerische Produktion nur »den Äther in den Äther mit Äther« malen (I/5,32). Und dies darum, weil sie die Dinge, diese »Gränzen des Menschen«,55 wie Nietzsche sie hundert Jahre später definiert, nicht als Gegenüber gelten lässt: »Dem Nihilisten mangelt der Stoff und daher die belebte Form« (I/5,43). An diesem Stoff im wörtlichen Sinn, nämlich am Kattun, erfährt die Annihilierungstendenz des Autors Siebenkäs den Widerstand eines unhintergehbaren Materiellen, das er trotz immer stärkeren Metaphern der Zerstörung, trotz aller rhetorischen Exorzismen, nicht vernichten kann. Der »grillierte Kattun« ist der schmerzhafte Stolperstein, welcher der Erhebung in die reine Welt der Ideen im Wege steht, oder besser, das Ärgernis, das dem angehenden Autor Siebenkäs von seinem Autor Jean Paul als Widerstand in den Weg gestellt wird, um ihn durch den »Raupenbalg« an die Grenze seines Nihilismus zu führen. »Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge«, heißt es wenig später bei Novalis,56 der indessen trotz dieser Einsicht für Jean Paul als »Seiten- und Wahlverwandter« der poetischen Nihilisten gilt (I/5,32). Siebenkäs hat mit dem Prozess der Ausweisung der Dinge und schließlich mit seinem Scheintod seine irdisch-bürgerliche Romanexistenz und seine ihn drückende soziale Lebenswelt so gründlich weggeschafft, dass er bei seinem späteren Besuch in Kuhschnappel nichts mehr vorfindet als »leere Stätten des zerstörten Jerusalems« (I/2,570). Dass er dabei noch einmal das Lied »Hin ist hin und tot ist tot« hört, verweist ausdrücklich zurück auf den letzten Abend des Jahres 1785, an dem der Kattun aus dem Haus geschafft wurde. Der romaninterne Autor versucht schon gar nicht, was dem Verfasser der Vorschule als das Schwerste am mittleren Stil erscheint, nämlich »die schweren Honoratiores« mit »dünnem romantischen Äther« zu heben (I/5,254), er entzieht sich ihnen gleich ganz. Doch sein Abgang wird noch einmal von einer Textilie gestört, allerdings nicht vom grillierten Kattun, den Lenette mit ins Grab genommen hat. Sondern oben in der ehemaligen Stube hört Siebenkäs »zwei –––––––
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Spielerei aufgenommen, wenn Siebenkäs sich mit einem idealistischen Philosophen darüber streitet, wer wen erfunden habe. Im Abgehen lässt ihm der andere »in seinem idealistischen System einen häßlichen Stoßvogel des ganzen Universums« da: »mein kritisches Basiliskenauge brachte alles in Kuhschnappel um, die Patrizier, den Venner, meine Mietsherren, die gute Lenette, und vor einem Spiegel hätt’ es mir selber zusetzen können [...]« (I/4,736). Friedrich Nietzsche, Morgenröte, Erstes Buch, Nr.48. Kritische Studienausgabe, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Bd.3. München 1999, S.53. Novalis, Schriften, hrsg. von Paul Kluckhohn und Richard Samuel. Bd.II: Das philosophische Werk I, hrsg. von Richard Samuel. Darmstadt 1965, S.413.
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Strumpfwirkerstühle schnarren und klappern mit ihrem gezognen Schnarrkorpus-Register« (I/2,566). Sie okkupieren just den Ort, »wo sein Schreibtisch stand«, und ihr Lärm lässt das Haus erzittern (I/2,570). Siebenkäs muss das nicht mehr hören, denn er steht mit Natalie im »dünne[n] romantischen Äther« auf dem Hügel und blickt auf sein und Lenettes Grab hinunter. Aber der Alltag einer kommenden prosaischen Welt jenseits des »romantischen Abendhimmels«, wird mit diesem Lärm eingeläutet. In ihr lassen sich die andrängenden Dinge nicht mehr abweisen, sondern besetzen nachdrücklich den Raum des Literarischen. Den Stoff, den Siebenkäs zum Verschwinden bringen will, gibt der Roman Siebenkäs zu lesen. Der Erzähler hält ihn im doppelten Sinn im Text. Er tut es einmal durch eine (textile) Metaphorik, in der die Sprache selbst den Stoff birgt, den Siebenkäs ausweisen will. Und er tut es zum andern durch die anhaltende Präsenz, die hartnäckige Widerständigkeit und das Deutungspotential, das er dem »grillierten stachlichten Raupenbalg« im Text zugesteht. Damit erweist sich der Roman selbst als »die lebendige Poesie«, die nach der Vorschule in der Vereinigung von Materialismus und Nihilismus bestehen muss und die wie der Mond mehrere Positionen zugleich bescheinen soll (I/5,46). Der »Huthut« und vor allem der »grillierte Kattun« sind mit der Veröffentlichung des Romans »in aller Händen«, wie ihr Verfasser in bescheidener Hybris erwartet (I/2,41).57 Der Stoff, über den kapitellang gestritten wird, ist nicht nur ein Name, so viele Namen er auch erhält. Er ist ein gewichtiges Ding, dessen Stoffgeschichte zu lesen und zu entziffern sich lohnt.
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Dieses Zitat aus einer Anmerkung des Siebenkäs bezieht sich zwar auf den Titan, die witzigen Größenphantasien des Verfassers werden aber für alle Romane seit dem Hesperus formuliert.
MONIKA SCHMITZ-EMANS
JEAN PAULS SCHRIFTSTELLER Ein werkbiographisches Lexikon in Fortsetzungen
Zur Einleitung: Über Metaromane Die Gattung des Metaromans, des Romans über Schriftsteller und Schreibprozesse, Texte und Lektüren, hat sich im späten 20. Jahrhundert facettenreich entfaltet und dabei vor allem solche Autoren angezogen, die man als postmodern zu bezeichnen pflegt. So legt Italo Calvino mit Se una notte d’inverno un viaggiatore1 einen Roman vor, der konsequent selbstbezüglich vom Lesen, Schreiben, Drucken, Verlegen, Übersetzen und Zerstören von Büchern handelt. Aus einer Rahmenhandlung und einer in diese eingebetteten Sequenz von Romanfragmenten komponiert, reflektiert der Text die Produktion und Rezeption von Romanen aus den verschiedensten Perspektiven der am literarischen Kommunikationsprozeß Beteiligten, und die Romanfragmente selbst stehen für differente Subgattungen des Romans und die für sie charakteristischen narrativen Strategien. Umberto Eco spielt in Il nome della rosa2 mit mehrfach gestaffelten Rahmenkonstruktionen und fingierten Quellenangaben, legt seinen Roman inhaltlich wie strukturell als eine Konkretisierung literarästhetischer Theoreme an, insbesondere gleich mehrerer Konzepte von »Intertextualität«, und kombiniert Elemente aus mehreren Untergattungen des Romans (Historischer Roman, Detektivroman, Schauerroman, Bildungsroman). Marcel Bénabou verfaßt 1986 mit seinem Buch Pourquoi je n’ai écrit aucun de mes livres,3 ein spielerisches Pendant zu Narrationen, welche die Entstehungsbedingungen von Romanen bespiegeln, und widerlegt sich in Abwandlung des kretischen Lügnerparadoxes durch sein Meta-Buch zugleich selbst. Zu nennen wären viele weitere Beispiele einer Literatur, die ihre eigenen Spielformen und Rahmenbedingungen zum Hauptthema macht, oft unter dem Einfluß theoretischer Diskurse über Autorschaft und literari––––––– 1
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Italo Calvino, Wenn ein Reisender in einer Winternacht. München 1983. – Orig.: Turin 1979. Umberto Eco, Der Name der Rose. München/Wien 1982 – Orig.: Mailand 1980. Marcel Bénabou, Warum ich keines meiner Bücher geschrieben habe. Frankfurt a.M. 1990. – Orig.: Paris 1986.
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sche Rezeption, über Texte als Zeichensysteme und Prozesse literarischer Kommunikation. Allerdings ist der Einfluß wechselseitig: Narrative Experimente, welche die Aufmerksamkeit von den Objekten der Darstellung auf die erzählerische Darstellung selbst umleiteten und vor allem von den Vertretern des nouveau roman angestellt wurden, gaben ihrerseits der theoretischen Auseinandersetzung mit Literatur neue Impulse.4 Zu den Vorläufern des nouveau roman hat Winfried Wehle Jean Paul gerechnet.5 Zeitgenössische Romane über das Schreiben und Lesen von Romanen, Experimente mit der Vielfalt von Stilen und Schreibweisen (z.B. bei Raymond Queneau in seinen Exercises de style), mit enzyklopädischen Darstellungsformen sowie mit der Kombination verschiedener literarischer Textsorten innerhalb einzelner Werke haben auch der Auseinandersetzung mit der Literatur der Jahrzehnte um 1800 neue Impulse gegeben – war diese doch bereits durch vielfältige Experimente mit Schreibweisen und Darstellungsformen charakterisiert. Auch hier kommt dem Roman eine besondere Bedeutung zu, weil in ihm als einer poetischen Enzyklopädie, um es wiederum mit Jean Paul zu sagen, »fast alle Formen liegen und klappern können« (I/5,248). Jean Pauls eigene Romane sind – als Darstellungen des Erzählens und der Schriftstellerei selbst – dem Typus des Metaromans zuzurechnen, wenn auch auf verschiedene Weisen und in verschiedenen Graden. Paul Heinemann vertritt die plausible These, die Verwandtschaft der Textstrategien von Jean Pauls Flegeljahren mit denen des sogenannten postmodernen Romans – er nennt Calvino, Barth, Federman – hätten gerade diesem Roman wohl die rezente Aufmerksamkeit der Forschung eingetragen.6 Schon die Notizen des angehenden Schriftstellers Johannes Paul Friedrich Richter, die frühen Aufsätze und Entwürfe zu Abhandlungen sowie die Jugendsatiren exponieren die Schriftstellerei als Zentralthema; unter anderem enthalten sie vom zeitspezifischen Diskurs geprägte Reflexionen über Genie und Genialität. In den Satiren geht es vor allem um Autorentypen, und die Bücher-Produzenten treten entsprechend fast immer im Plural auf; selbst der satirische Erzähler präsentiert sich oft als Vertreter seiner Berufsgruppe. Später differenziert sich die Darstellung und Selbstdarstellung schreibender Figuren stilistisch wie inhaltlich aus. Vorweggenommen wird in den Satiren aber ebenfalls schon das ––––––– 4
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Vgl. dazu Paul Heinemann, Potenzierte – Subjekte Potenzierte Fiktionen. IchFigurationen und ästhetische Konstruktion bei Jean Paul und Samuel Beckett. Würzburg 2001, S.46f. Winfried Wehle, Proteus im Spiegel. Zum reflexiven Realismus des Nouveau Roman. (Statt einer Einleitung), in: Nouveau Roman, hrsg. von W. W. Darmstadt 1980 (= Wege der Forschung 497), S.1–28, hier S.9. Vgl. Heinemann [Anm.4], S.332.
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Spiel mit Autorfigurationen, das die Romane dann fortsetzen werden: Hier treffen wir bereits den Schriftsteller J.P.F. Hasus (der Name wird von J.P.F. Richter als Pseudonym verwendet, bevor er sich Jean Paul zu nennen beginnt)7 und weitere Sprachrohre des Autors wie den Bratschisten Wolfgang Habermann, den nichtprofessionellen Autor Mendel B. Abraham und den Entrepreneur des Prügelbureaus Georg Oehrmann & Compagnie. Selbst der Teufel höchstpersönlich tritt als Autor auf.8 Wichtig für die autoreflexive Struktur der Romane sind vor allem die Erzählergestalten, deren häufige Namensgleichheit mit dem Autor Jean Paul bereits auf ihre Doppelrolle als Subjekte und Objekte der Reflexion hinweist. Ist es in Calvinos Winternachtroman die Geschichte eines Lesers, welche als Rahmengeschichte heterogene Romanfragmente zusammenhält, so übernehmen in Jean Pauls Romanen vor allem die Erzähler eine solch integrative Funktion.9 Ihr Wirken wird nicht nur zum Anlaß teilweise komplexer Arrangements unterschiedlicher Ebenen fiktiver Wirklichkeit, sondern vor allem zur Motivation, vom Erzählen zu erzählen und über das Schreiben zu schreiben. Thematisiert werden so etwa die Beziehungen zwischen literarischem Text und Erfahrung, der Zusammenhang zwischen literarischem Schreiben und Selbstkonstitution sowie die physisch-materiellen, somatischen und psychischen Bedingungen literarischer Textproduktion. Als meta-literarisch konzipiert Jean Paul seine Romane nicht zuletzt dadurch, daß er sich mit einzelnen seiner Figuren die Autorschaft an eigenen Werken teilt bzw. diese auf Figuren überträgt: Siebenkäs etwa soll die Auswahl aus den Papieren des Teufels, Vult die Grönländischen Prozesse verfaßt haben. Unter den handlungstragenden Figuren der Jean Paulschen Romane gibt es kaum eine, die nicht schriebe. Die Protagonisten schreiben neben- oder auch hauptberuflich, stets aber in einer Weise, welche die Verflechtung von Leben und Schreibprozeß sinnfällig macht. Ihre Schreibweisen, die gewählten Textgattungen, oft aber auch die Rahmenbedingungen ihrer Schreibtätigkeit charakterisieren die Figuren und ihre Beziehungen untereinander – Beziehungen, welche die Grenzen der einzelnen Romane übergreifen. Jean Paul entwirft in ––––––– 7
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Zur Interpretation: Jean Paul erinnert schon in den Grönländischen Prozessen an die Fruchtbarkeit der Hasen. Im Opusculum Über die Schriftstellerei heißt es: »[...] so wirft [...] die Häsin einen zeitigen Jungen, trägt zur gleichen zeit im Uterus einen ohne Hare, und einen ungebildeten«; Anlaß für den metaphorischen Gebrauch dieses Bildes ist das Thema »Vielschreiberei« und das mit dieser verbundene Streben nach Ruhm und Unsterblichkeit (II/1,389). Vgl. dazu ausführlicher Heinemann [Anm.4], S.325. Vgl. zu den Erzählerfiguren: Christian Hartwig Wilke, Der Romanautor Jean Paul Friedrich Richter und sein ›Biograf‹ Jean Paul, in: JJPG 5 (1970), S.85–104.
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seinen schreibenden Gestalten ein Kompendium der Spielformen literarischer Kreativität – und zugleich eine Gesellschaft, in der das Projekt einer »Poesie der Poesie« sich vielköpfig personifiziert: Zu den wichtigsten Eigenarten des Schulmeisters Wutz gehört seine Sehnsucht nach einer Bibliothek, die er sich nicht kaufen kann und die er sich darum selbst schreiben will – als ein Kollege des Jean Paulschen »Fichtisten«, der die ganze Welt (also auch die Welt der Bücher) pauschal zur eigenen Setzung deklariert. Er ist aber auch als Vorläufer von Calvinos Schriftstellerfigur Silas Flannery (Wenn ein Reisender in einer Winternacht), der am liebsten alle möglichen Bücher schriebe, um der Beschränktheit und Kontingenz personaler Identität wenigstens in seiner Rolle als Autor zu entkommen. In die Unsichtbare Loge sind bereits verschiedene (von den Romanfiguren erprobte) Schreibweisen integriert, wobei der Erzähler als ›Biograph‹ des Helden ja wie schon im Wutz mit zum Personal gehört. Die Neigung dieses Erzähler-Biographen, verschiedene Genres zu erproben, überträgt sich auch auf seine Figuren. Viktor, der Held des Hesperus, verfaßt verschiedene Arten von Texten; daß er den Beruf des Arztes erlernt hat, wirkt sich auch auf seine literarischen Arbeiten aus, und die Komplexität seines Charakters kommt in differenten Schreibweisen zum Ausdruck. Siebenkäs ist zwar Armenadvokat, versucht aber als Berufsschriftsteller zu leben, ermutigt durch seinen Doppelgänger Leibgeber, der vor allem zur Satire enge Affinitäten unterhält. Im Titan steuert Albano zwar nicht auf die Berufsschriftstellerei zu, weil ihn ja schließlich andere Aufgaben erwarten, er verfaßt aber Reisebeschreibungen, die im Kontext des Romans wichtige Akzente setzen – u. a. als Selbstporträt des Helden wie als Bespiegelung des romaninhärenten Bildungsprogramms. In den Flegeljahren treten mit Walt und Vult zwei Autoren unterschiedlichen Profils auf, die einander sowohl widerstreiten als auch ergänzen. Im Komet ist der Held zwar kein Autor, er überbietet aber gleichsam die literarische Produktion seiner Vorläufer dadurch, daß er selbst ein Stück Literatur (ein neuer Don Quijote, ein neuer Heiliger Nikolaus) ist – ein aus Büchern zitierter Held, in dessen Geschichte Literatur und Leben sich bis zur Ununterscheidbarkeit vermischen. Um die genannten Figuren herum gruppieren sich viele andere, deren Texte das Spektrum der poetisch reflektierten Schreibarten erweitern. Jean Pauls weibliche Figuren schreiben vor allem Briefe (wie auch die männlichen Figuren dem Brief viele Gestaltungsmöglichkeiten abgewinnen), aber Klotilde im Hesperus, Natalie im Siebenkäs und selbst Liane im Titan verfassen zudem auch poetische Texte.10 Die fiktive Schwester des Erzählerbiographen ––––––– 10
Klotildes Beziehung zur Schriftlichkeitsmetaphorik hat zudem Elsbeth Dangel-
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Jean Paul, Philippine, muß ihren Bruder in der Unsichtbaren Loge vorübergehend als Berichterstatterin vertreten; diese Form der männlich-weiblichen Kooperation bleibt allerdings die Ausnahme. Wenig sympathische Figuren wie Oefel in der Unsichtbaren Loge und der falsche Theudobach im Katzenberger, Rosa von Meyern im Siebenkäs, aber auch Roquairol im Titan dienen der kontrastiven Bespiegelung echten Dichtertums. Daß die Form des Romans die Kombination differenter Schreibweisen ermöglicht, kommt dem werkübergreifenden Großprojekt einer Bespiegelung der Literatur in ihren vielen Spielformen natürlich besonders entgegen. Oft integriert Jean Paul die seinen Figuren zugeschriebenen Texte in die Romankomposition, so daß wir selbst zu Lesern der fiktiven Figuren werden, was bereits zu einer Aufweichung der starren Gegenüberstellung von fiktiver und nicht fiktiver Wirklichkeit führt. Manche dieser integrierten Texte – etwa Briefe – sind für den Verlauf der Handlung selbst signifikant. Oft allerdings werden die Schriften und Projekte der Figuren zwar nur genannt; manchmal bekommen wir aber immerhin Auszüge von ihnen zu lesen – wie etwa im Fall des von Walt und Vult verfaßten Doppelromans »Hoppelpoppel oder das Herz«. Walts Polymeter unterbrechen die Handlung, stehen zu ihr aber zugleich in reflexiven Beziehungen. Die Einbettung von Gedichten in den Romantext korrespondiert der Bedeutung des Musikalischen in den Flegeljahren, und wenn sich Walt und Vult metaphorisch als Thema und Gegenthema beschreiben lassen, so manifestiert sich die Durchführung dieser Themen nicht zuletzt in der Präsentation der für beide Brüder jeweils charakteristischen Schreibarten. Bereits früh in der Rezeptionsgeschichte Jean Pauls rückte die Beziehung des Autors zu seinen Figuren ins Zentrum der Aufmerksamkeit. So beobachtet Robert Schumann, wie sein Lieblingsschriftsteller sein Schriftsteller-Ich wiederholt in gegensätzliche, einander komplementäre Figuren ausdifferenziert.11 Heinrich Heine sieht in Jean Pauls Figuren die personalisierten Manifestationen des dichterischen Denkens selbst, eine Art papiergewordenes intellektuelles Theater.12 ––––––– 11
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Pelloquin erläutert. Vgl. Eigensinnige Geschöpfe. Jean Pauls poetische Geschlechter-Werkstatt. Freiburg i.B. 1999, S.40. »In allen seinen Werken spiegelt sich Jean Paul selbst ab , aber jedesmal in z w e y Personen: er ist Albano u. Schoppe, Siebenkäs u. Leibgeber, Vult u. Walt, Gustav u. Fenk, Flamin u. Victor. [...] immer harte Gegensätze, wenn auch nicht Extreme vereint er in seinen Werken u. in sich – u. er ist es doch nur allein.« (Robert Schumann, Tagebücher I, 1827–1838, hrsg. von Georg Eismann. Leipzig 1971, S.73–244, hier: S.82. Heinrich Heine, Die romantische Schule, in: H. H.: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, hrsg. von Manfred Windfuhr. Bd.8-1. Hamburg 1979, S.121– 249, hier S.220: »Er hat in seinen Romanen ächtpoetische Gestalten zur Welt ge-
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Thesen zur Funktion der Autorfigurationen Was motiviert Jean Paul dazu, seine Romane mit professionellen und nichtprofessionellen Schriftstellern zu bevölkern? Auf diese Frage sind verschiedene Antworten gegeben worden, die einander nicht ausschließen, sondern ergänzen. Ein kurzer Rückblick: 1. Die Autorfiguren Jean Pauls als Repräsentanten einer poetischen Poetik Das Wesen der Dichtung lasse sich, so eine programmatische These der Vorschule, nicht in abstrakten Begriffen, sondern am ehesten noch in dichterischer Form darstellen, und Jean Paul wählt zur Illustration das auch an anderer Stelle gern benutzte Bild von der Poesie als einer zweiten Welt.13 Mit seiner Vorschule, die selbst alles andere als ein systematisch-theoretisches Kompendium darstellt, ist Jean Paul als Ästhetiker einen dazu passenden Sonderweg gegangen, den Wolfhart Henckmann in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Vorschule skizziert: Jean Paul habe bewußt darauf verzichtet, wie andere Ästhetiker seiner Zeit »die Ästhetik als philosophische Disziplin aus einem einzigen Prinzip« entwickeln zu wollen (und man habe ihn daher seitens der philosophisch-ästhetischen Systematiker nicht mehr ernst genommen).14 Jean Pauls Skepsis gegenüber begrifflichen Abstraktionen und den aus ihnen errichteten – Geschlossenheit nur suggerierenden – theoretischen Lehrgebäuden prägt nicht allein die Vorschule, die explizit nur eine –––––––
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bracht, aber alle diese Geburten schleppen eine närrisch lange Nabelschnur mit sich herum und verwickeln und würgen sich damit. Statt Gedanken giebt er uns eigentlich sein Denken selbst, wir sehen die materielle Tätigkeit seines Gehirns; er giebt uns, so zu sagen, mehr Gehirn als Gedanken.« Vgl. Vorschule, §1 (I/5,30): »Das Wesen der dichterischen Darstellung ist wie alles Leben nur durch eine zweite darzustellen; mit Farben kann man nicht das Licht abmalen, das sie selber erst entstehen lässet. Sogar bloße Gleichnisse können oft mehr als Worterklärungen aussagen, z.B.: ›die Poesie ist die einzige zweite Welt in der hiesigen; – oder: wie Singen zum Reden, so verhält sich Poesie zur Prose; die Singstimme steht (nach Haller) in ihrer größten Tiefe doch höher als der höchste Sprechton; und wie der Sington schon für sich allein Musik ist, noch ohne Takt, ohne melodische Folge und ohne harmonische Verstärkung, so gibt es Poesie schon ohne Metrum, ohne dramatische oder epische Reihe, ohne lyrische Gewalt.‹ Wenigstens würde in Bildern sich das verwandte Leben besser spiegeln als in toten Begriffen – nur aber für jeden anders« – Ferner §58: »der Dichter schenkt uns die zweite Welt, das Reich Gottes« (I/5,219). Wolfhart Henckmann, Einleitung, in: Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, nach d. Ausg. von Norbert Miller, hrsg., textkrit. durchgeseh. und eingel. von Wolfhart Henckmann. Hamburg 1990 (=Philosophische Bibliothek Bd. 425), S.VII–IL, hier: S.XIV.
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Ästhetik unter anderen sein will,15 sondern bedingt es auch, daß die Romane zum Forum poetologischer Reflexion werden. Auf diesem Forum hat vor allem eine wandlungsfähige Figur namens »Jean Paul« die Protagonistenrolle inne.16 Daß die Romane selbst disjecta membra einer Jean Paulschen Ästhetik enthalten, die mit der Vorschule zusammen gelesen werden müssen, hebt Henckmann explizit hervor.17 2. Die Darstellung schreibender Figuren als Auseinandersetzung mit dem Schriftstellerberuf Nicht nur als Ästhetiker hat Jean Paul Anlaß, über die Darstellung seiner Figuren die Arbeit des ›Büchermachers‹ zu reflektieren, sondern auch als jemand, der im bürgerlichen Leben selbst den Schriftstellerberuf wählte. Die Schilderung bescheidener, teilweise ärmlicher Lebensverhältnisse in Autorenhaushalten, die Darstellung der Erfolglosigkeit von Autoren, welche vergeblich auf das Interesse der Verleger und des Publikums hoffen, die Unterscheidung zwischen einem Interesse des Schriftstellers am lesenden und einem am kaufenden Publikum sowie die vielfachen Anspielungen auf die Makulierung unverkäuflicher Bücher sind mit biographischer Erfahrung gesättigt: Literatur ist (auch) eine Ware, das Schreiben ein (meist wenig einträglicher) Brotberuf, die Stellung des Schriftstellers innerhalb der Gesellschaft oft peripher und gefährdet. Burkhardt Lindner und Paul Heinemann haben verdeutlicht, daß die Existenz des Schriftstellers im Spiegel Jean Paulscher Texte auch eine soziologisch-sozialgeschichtliche Dimension besitzt.18 3. Die Schriftstellerfiguren als Medien der Selbstreflexion Wenn Jean Paul schon in den Grönländischen Prozessen von Dichtern spricht, die »nie ihre Helden, sondern nur sich« darstellen und sich als Engel oder Teufel verkleiden, um doch stets mit der eigenen menschlichen Stimme zu sprechen (II/1,412), so ist dies hier zwar noch kritisch gemeint, weist aber auf eine später vielfach variierte Grundkonzeption seiner eigenen Werke voraus: In seinen Figuren bespiegelt der Autor sich selbst, freilich nicht im ––––––– 15 16
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Ebd., S.XIV Wie Henckmann (ebd., S.XXV) ebenfalls betont, nimmt Jean Paul selbst insbesondere in Vorreden »die Gelegenheit zu poetologischen Erörterungen wahr, oftmals auf eine Weise, die die eigenen Aussagen ironisch relativiert, wodurch sich JP auch als Poetiker zu einer Figur seiner eigenen Werke macht«. Ebd., S.XXV Burkhardt Lindner, Jean Paul. Scheiternde Aufklärung und Autorrolle. Darmstadt 1976, S.52. – Heinemann [Anm.4], S.321.
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Sinn planer Abbildung im Maßstab eins zu eins, sondern in dem einer multiperspektivischen Facettierung. Er begegnet sich in seinen Spiegelbildern und tritt damit, wie Norbert Miller sagt, momentan aus sich heraus.19 Der Prozeß solch reflexiver Selbstvervielfachung ist ambivalent, und dies wird ablesbar an den Positionen, die von der Forschung zu diesem Thema bezogen worden sind. Denn einerseits bestätigt und konsolidiert sich dadurch, daß die Figuren vom Autor selbst abgeleitet erscheinen, in der Tat »Subjektivität als Organisationsprinzip von Literatur«.20 Der Autor scheint hinter seinen Figuren zu stecken und über sie zu verfügen, und entsprechend kann gerade anläßlich der Ausdifferenzierung in solche Autor-personae mit Burkhardt Lindner von einer »Entwicklung der Satirikerrolle zum auktorialen Autor-Ich« die Rede sein.21 Andererseits hat alle Doppelgängerei, auch die doppelgängerische Beziehung zwischen dem Autor und seinen Figuren, zwei Seiten; das Motiv des Doubles verweist wie das Spiegelmotiv nicht nur auf Einheit, sondern auch auf Spaltung. Der sich in Autor-Figuren bespiegelnde Autor ist nicht nur Einer,22 er ist zugleich auch Viele – und der These, er kontrolliere seine Figuren, steht die des Verlusts von Identität und Selbstkontrolle gegenüber. Kann ein Schriftsteller, der so viele Spiegelbilder hat, noch wissen, wer er ist? Ist er bei der Konstruktion seiner Spiegelfiguren auf der Suche nach sich selbst oder auf der Flucht vor sich selbst?23 Jean Paul hat um die Ambiguität des Prozesses der Selbstvervielfachung gewußt und sie ihrerseits in seinen Figuren bespiegelt. Wenn Siebenkäs und Leibgeber einander zum Verwechseln ähnlich sehen, so ist dies körperlicher Ausdruck ihrer freundschaftlichen ––––––– 19
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Norbert Miller, Nachwort zur zweiten Abteilung der Jean Paul-Werkausgabe. II/4,35. Jean Paul pflege, so Miller, »für Augenblicke aus sich herauszutreten, sich wie im Spiegel gegenüberzustehen.« So Heinemann ([Anm.4], S.324), der die Zusammenhänge eingehend dargestellt hat. Vgl. ebd., sowie Lindner [Anm.18], S.85. »Die Einheit der Autor-Instanz ›Jean Paul‹« beruht gerade in dem Spiel zwischen seiner realen und seiner imaginären Existenzweise« so Lindner [Anm.18], S.159, der auch auf andere Kontinuitäten hinweist: Es bilde sich »zwischen den einzelnen Werken eine intertextuelle Binnenstruktur: vor allem in den Werken der 90er Jahre kehren die fiktiven Ortschaften und Personen in verschiedenen Texten wieder [...].« Andererseits entsteht laut Lindner keine geschlossene Fiktion (S.159f.) – Vgl. auch Heinemann [Anm.4], S.323, der ebenfalls auf Kohärenzstiftendes hinweist: »Diese Selbstbeobachtung des reflektierenden Künstlersubjekts [...] erteilt Auskunft darüber, daß alle Romane im Kopf desselben Künstlers entstanden sind oder [...] sogar dort stattfinden.« Vgl. Uwe Schweikert, Jean Pauls ›Komet‹. Selbstparodie der Kunst. Stuttgart 1971, S.81: Jean Paul befinde sich als Dichter auf der Flucht vor sich selbst; darum hole ihn »sein Ich immer wieder ein«; »nur im fiktiven ›Ich‹ kann er vom tatsächlichen Ich sprechend sich zu lösen versuchen.«
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Verbundenheit; sie sind konkret wie im übertragenen Sinn ein Herz und eine Seele. Wenn aber Leibgeber vor dem Spiegel Experimente mit seiner visuellen Selbstmultiplikation anstellt, so ist dies nichts anderes als eine Antizipation seiner späteren Ich-Dissoziation. Nikolaus Marggraf schließlich, der eine Vielzahl von Porträts seiner selbst anfertigen läßt (die ihn dann alle anders darstellen), läßt die Differenzierung zwischen Einheit und Vielheit ebenso hinter sich wie die zwischen Original und Abbild. 4. Die Schriftstellerfiguren als Produkte der Selbstverschriftlichung Jean Pauls obsessives Bedürfnis nach Selbstverschriftlichung ist von der Forschung, insbesondere von Helmut Pfotenhauer, nachdrücklich herausgestellt worden; Schreiben als eine Verwandlung des eigenen Lebens in Schrift dokumentiert insbesondere das Aufbegehren gegen Zeitlichkeit und Sterblichkeit als eine literarisch besonders effiziente Spielform der Selbstsorge.24 Soll die endliche Autorperson durch das Schreiben dem Tod entzogen werden, so scheint die Vervielfachung des Ichs in ganzen Scharen von Schreiberfiguren diesen Effekt verstärken zu können. (Bildlich gesprochen: Wo viele unterwegs sind, sind sie für den Tod schwerer identifizier- und einholbar, und wenn es den einen erwischt, bleiben doch stets andere übrig.) Schreiben ist für Jean Paul ein Streben nach Unsterblichkeit – und so erfindet er seine literarischen Doubles nicht zuletzt, um in ihnen zu überleben. Um physische Sterblichkeit und das ersehnte Überleben im Ruhm geht es bereits im satirischen »Opusculum posthumum« Über die Schriftstellerei von 1782 (II/1, 372–425).25 Eben dieser Text ist es aber auch, der die Idee der Selbstvervielfachung in nuce bereits enthält und die im Romanwerk später entfaltete Idee einer Identität von Autor und Figuren durchspielt. Und wenn Jean Paul einmal bemerkt: »Der Biograph [...] sollte überhaupt sein eigner sein« (I/1,1225), so spricht auch dies für die These, daß seine fiktiven Biographien literarischer Doubles verkappte Selbstbiographien sind.26 ––––––– 24
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Helmut Pfotenhauer, Das Leben schreiben – das Schreiben leben, Jean Paul als Klassiker der Zeitverfallenheit, in: JJPG 35/36 (2000/2001), S.46–58, hier S.46: »Er [Jean Paul] sucht das Leben durch Schrift auf Dauer zu stellen. Nicht nur oder gar nicht einmal so sehr durch abgeschlossene Werke, durch gerundete Geschichten und Charaktere, sondern auch, vielleicht vor allem durch Dauerschreiben, durch Verwandlung möglichst vieler, möglichst aller Lebensmomente in Schrift. [...] Kein Lebensrest soll bleiben, der nicht durch die Verschriftlichung vor der Zeit, der Entwertung und Vernichtung durch den nächsten Moment, gerettet wäre.« Vgl. dazu ebd., S.49f. Vgl. »Alle meine Schreiberei ist eigentlich innere Selbstbiographie; und alle Dichtwerke sind Selblebensbeschreibungen, denn man kennt und lebt eben kein
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Eine andere Beziehung zwischen Jean Paulschem Verschriftlichungsdrang und Figurenerfindung nimmt Henckmann an; er diagnostiziert bei Jean Paul ein totales Bedürfnis nach Selbstveröffentlichung, das nur durch seine eigenen ironischen Brechungen vor dem Umschlag ins Pathologische bewahrt worden sei.27 Vielleicht sind die Autor-Figuren der Romane ja auch selbstkritische Kontraindikationen gegen das Bedürfnis, sich selbst in einen Text zu verwandeln; sollten die beschriebenen Doubles der Distanzierung vom Selbstverschriftlichungsprojekt dienen? Hält sich der Autor gerade bei der Darstellung ihrer Schreibwut einen Spiegel vor? In seiner Tendenz, das eigene Leben vorrangig mit Blick auf die Möglichkeit seiner Verschriftlichung zu leben und gleichzeitig zu beobachten, ist Jean Paul übrigens mit Kafka verglichen worden, dessen häufige Thematisierungen des Schreibprozesses das Projekt der Verschriftlichung des Lebens performativ vorantreiben.28 5. Die Selbstvervielfachung des Autors als literarische Reflexion über die Perspektivik des Weltbezugs Indem er andere Autorenfiguren, schriftstellerische Komplementärfiguren und Doubles erfindet, läßt Jean Paul in seinen Romanen jeweils mehrere Figuren zu Wort kommen. Dadurch wird die Darstellung erfahrener Welt perspektivisch, und jeweils ein Standpunkt relativiert sich am anderen. Heinemann analysiert das Jean Paulsche Œuvre mit Blick auf die Autorfigurationen als multiperspektivisch und sieht in Jean Pauls Konstruktionen eine Antizipation des philosophischen Perspektivismus Friedrich Nietzsches; dem Leser werde hier bereits die Abhängigkeit allen Wissens von Interpretationen bewußt gemacht – eine Einsicht, die ihn selbst als Interpreten des Romans dann ja ebenfalls betreffe.29 –––––––
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anderes Leben als das eigne« (SW II/6–1,192). »In keinem Kunstwerk offenbart sich das Innere des Autors heller und vollständiger als im Roman, eben weil dieser geräumigere Formen, also das Ausdrücken des Ich, mehr zuläßt und der held oder irgend jemand am leichtesten zum Autor zu machen ist; auch weil hier mehr der Autor zwischen die personen sprechen darf.« (SW II/7,438) – Vgl. Heinemann [Anm.4], S.120. – Ferner: Kurt Wölfel, Die Unlust, zu fabulieren. Über Jean Pauls Romanfabel, besonders im ›Titan‹, in: K.W.: Jean-Paul-Studien. Frankfurt a.M. 1989, S.51–71, hier: S.58. Henckmann [Anm.14], S.XXVII. Vgl. Hans Esselborn, Kafkas Proceß als ›reues Dornenstück‹. Eine intertextuelle Lektüre mit Jean Pauls ›Siebenkäs‹, in: Textverkehr. Kafka und die Tradition, hrsg. von Claudia Liebrand und Franziska Schößler. Würzburg 2004, S.129–159, S.132f. Heinemann [Anm.4], S.329.
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6. Die Erfindung von Autor-Doubles als Entdifferenzierung von Wirklichkeit und Fiktion Jean Paul erfindet nicht allein eine erhebliche Zahl schreibender Figuren, er trifft in der (ebenfalls erfundenen) Rolle des Erzähler-Biographen auch mit ihnen zusammen, mischt sich in ihr Leben ein und läßt seines durch sie beeinflussen, tauscht manchmal sogar mit ihnen den Namen. Seine Spiele mit Figurenidentitäten und Masken leisten einer Entdifferenzierung zwischen den romaninternen Welten und jener rahmenden Welt Vorschub, zu denen der Schriftsteller Jean Paul und seine Leser gehören. Darin manifestiert sich zum einen der Wunschtraum des poetischen Weltschöpfers, seine Geschöpfe möchten so ›wirklich‹ werden wie er;30 andererseits suggeriert das Zusammentreffen zwischen fiktiven und realen Figuren, daß auch die sogenannte Wirklichkeit nur ein Konstrukt oder Phantasma unter anderen ist. (Entsprechend dazu erscheint die ›weltsetzende‹ Tätigkeit des »Fichtisten« ja einerseits als eine Weltschöpfung, in der sich der poetische Schöpfungs-prozeß bespiegelt, zum anderen als verblendeter Rückzug in chimärische Projektionen.) Zum Projekt eines Jean Paulschen Autoren-Lexikons Die vielfachen Verbindungen, die das Thema Schriftstellerei zwischen Jean Pauls einzelnen Werken stiftet, vor allem aber der Umstand, daß die sein gesamtes Œuvre prägende Autoreferenzialität31 nirgends prägnanter manifest wird als dort, wo es um Schriftsteller und ihre Texte geht, läßt ein Lexikon der Jean Paulschen Romanfiguren nützlich erscheinen. Verdeutlicht werden durch die lexikographische Übersicht insbesondere die thematischen Klammern, welche die Darstellung der literarischen Arbeit in den einzelnen Werken umgreifen, die Kontinuität des Interesses an spezifischen Aspekten der Schreibarbeit. Auf einfallsreiche und originelle Weise fokussiert Jean Paul vor allem das Somatische an der literarischen Arbeit, die körperlichen Situiertheit und die ––––––– 30
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Ebd., S.326f.: »Jean Pauls Wunsch, ›daß ich bloß eine Lebensbeschreibung setze und daß ich und die andern sämtlich wirklich existieren, auch außer meinem Kopfe‹ (I/1,378) – eine Formulierung, die deutlich auf die Schaffung der Objektwelt durch das Ich bei Fichte Bezug nimmt –, wurzelt in der Hoffnung des Dichters, die durch die Buchdeckel begrenzte Erzählwelt, dem die Unabschließbarkeit der schöpferischen Phantasie eines humoristischen Subjekts gegenübersteht, möge in die Alltagswirklichkeit des Lesers eingreifen und dergestalt weiterleben.« Vgl. dazu in diesem Band (S.211–214) Ralf Simons Rezension zu Paul Fleming, The Pleasures of Abandonment. Jean Paul and the Life of Humor. Würzburg 2006.
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Sinnlichkeit des Schreibprozesses – insbesondere die produktive Spannung zwischen der somatisch-sinnlichen Sphäre auf der einen, der Genese von Einfällen und der Produktivität schriftstellerischer Phantasie auf der anderen Seite. Die frühen Satiren Jean Pauls greifen, soweit sie sich auf das Thema Autoren, Dichter, Schriftstellerei beziehen, die Frage nach der materiellen Bedingtheit des Schöpferischen immer wieder auf – vor allem unter ironischer oder parodistischer Reduktion der poetischen Schöpfung auf ein rein physisch-mechanisches Geschehen. An das Schreiben und seine somatische Dimension wird im Hesperus durch Viktors Abhandlung über den Körper erinnert. Im Siebenkäs werden die allzu starken und störenden Sinnesempfindungen des Protagonisten beim Schreiben nicht nur ausführlich dargestellt, sie sind auch Anlaß für die Dissonanz zwischen dem Protagonisten und seiner Frau – und damit für den Fortgang der Romanhandlung. Auch die Arbeit von Walt und Vult am gemeinsamen Roman korrespondiert in vielfacher Hinsicht einer räumlich-konkreten Situierung der Brüder. Nikolaus Marggraf tritt bereits früh in seiner Lebensgeschichte als mündlicher Erzähler (vor einem Publikum) auf, und insofern könnte man ihn als Repräsentanten einer oralen Spielform des Poetischen deuten. Dabei repräsentiert er aber keinen Weg zurück hinter die Schriftlichkeit, sondern er ist selbst ja ein lebendiges Zitat aus der Romanliteratur (ein deutscher Don Quijote). Mittels seiner Person und seiner Reisen transponiert er Geschriebenes auf die Ebene der (beschriebenen) Handlung zurück, und eine solche Transposition des Literarischen in konkretes Geschehen könnte man sogar als letzte und radikale Konsequenz des für Jean Pauls Werke insgesamt charakteristischen Interesses an der somatisch-materiellen Dimension des Poetischen sehen – erfolgt hier doch eine Re-Inkarnation der Idee poetischer Phantasie, wie sie sich für die Generation romantischer Autoren so eng mit der Figur des Helden von La Mancha verbunden hatte. Die Bedeutung der materiellen Dimension von Schriftstellerei und literarischer Kommunikation bestätigt sich auch in den vom frühen bis zum späten Werk Jean Pauls prägenden Interesse an der konkreten Gestalt und physischen Beschaffenheit von Büchern, Manuskripten, Schreibmaterialien. Dabei erfolgen vielfache Metaphorisierungen dieses Körperlichen als exemplarische »Brotverwandlung des Geistes«; gerade die materielle und somatische Dimension literarischer Arbeit wird zum Anlaß der Erprobung des in der Vorschule umrissenen »eucharistischen Modells« sprachlicher Bedeutungskonstitution.
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Die lexikographische Darstellung gliedert sich nach Werken. Innerhalb der dadurch entstehenden Komplexe werden die vorgestellten schreibenden Figuren alphabetisch geordnet.32 Das Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal (1791) Gottlieb Cober (1682–1717) – Herausgeber eines in mehreren Auflagen erschienenen Handbuchs: Der auffrichtige Cabinet-Prediger, ein zweibändiges Werk, das (wie es im Titel heißt) »bey abgelegten Visiten, hohen und niedrigen Standespersonen ihre Laster, Fehler und Anliegen, nebst dem heutigen verkehrten Welt-Lauffe, in hundert sententiösen und annehmlichen Discours-Predigten, bescheidentlich entdecket«.33 Vom selben Autor stammt auch Gottlieb Cobers beweglicher Paßions-Prediger im Cabinet, Welcher den Leidenden Christum denen mitleidenden Christen täglich die gantze sieben Fasten-Wochen durch andächtig vorträget, Nebst beygefügten OsterPrediger, Wie auch Morgen- und Abend-Andachten auf das ganze Leiden Christi gerichtet, Ingleichen andächtigen Paßions-Gesängen und heiligen Trauer-Arien. Mit schönen Kupffern gezieret (Leipzig und Cöthen 1735). Wutz’ Vater läßt sich vom Sohn aus dem Cober vorlesen. Dieser ist ein frühes Vorbild für den jungen Wutz; er erweitert das Gelesene durch Einschaltung eigener Ideen.34
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Auf eine Charakteristik dieser Figuren folgt eine Darstellung ihres schriftstellerischen Schaffens. Berücksichtigt werden, sofern sich etwas darüber sagen läßt, a) Textsorte der jeweiligen Schrift, b) Anlaß und Entstehungsbedingungen, c) Adressierung und Rezeption des Textes, d) die Bedeutung des jeweiligen Textes für die Charakteristik der schreibenden Figur sowie für die Romanhandlung, e) Lektüren sowie der Umgang mit Büchern und Manuskripten, ferner gegebenenfalls f) Besonderes, wie etwa die durch den fraglichen Text gestiftete Beziehung zwischen verschiedenen Werken. Gottlieb Cober, Der auffrichtige Cabinet-Prediger. Welcher bey abgelegten Visiten, hohen und niedrigen Standespersonen ihre Laster, Fehler und Anliegen, nebst dem heutigen verkehrten Welt-Lauffe, in hundert sententiösen und annehmlichen Discours-Predigten, bescheidentlich entdecket, 2 Bde. o. O. 1711. Zur Bedeutung von Seelsorge und Predigeramt für Jean Pauls Poetik vgl. insgesamt: Ursula Naumann, Predigende Poesie. Zur Bedeutung von Predigt, geistlicher Rede und Predigertum für das Werk Jean Pauls. Nürnberg 1976.
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Maria Wutz35 – Zeitlebens kindlich, spielt das Schulmeisterlein Maria Wutz vor allem gerne mit Buchstaben und bedrucktem Papier, aber auch mit Gedanken – so etwa mit dem, er sei der Autor fremder Texte und damit u.a. autorisiert, diese zu verändern oder fortzusetzen. Wenn er seinem Vater aus Cobers Kabinettprediger vorliest, so interpoliert er gern einzelne Worte oder auch ganze Zeilen »aus eigenen Ideen« in den verlesenen Text, und stellt sich mit Freude vor, durch ihn »spräche Herr Cober selbst mit seinem Vater« (I/1,423). Auch später mischt Wutz, wenn er der Gemeinde die Postillen des Pfarrers vertretungsweise vorzulesen hat, seine eigenen Einfälle unter den vorgegebenen Text und verstärkt dadurch die Rührung der Zuhörer. Wutz’ Bücher-Schatz besteht aus An- und Aufgelesenem: Bis zu seinem Lebensende bewahrt er eine Schachtel mit Miniatur-Büchern auf, die er als Kind aus Zitaten gebastelt hat – einen »Bücherschrank der lilliputischen Traktätchen in Finger-Kalender-Format, die er in seiner Kindheit dadurch herausgab, daß er einen Vers aus der Bibel abschrieb, es heftete und sagte: »Abermals einen recht hübschen Cober gemacht!« (I/1,457). Der kleine ›Hans Paul‹ Richter war, wie Jean Pauls Selberlebensbeschreibung berichtet, mit den Papierschnitzeln vom Schreibtisch seines Vaters ganz analog verfahren. Rückblickend gelten ihm diese Spielereien als frühe Zeichen seines »Schriftstellertrieb[s]« (ebd.). Aus Abfällen oder Auszügen fremder Werke zusammengeleimt, sind diese ersten Bücher des Wutz zum einen Gleichnisse der (von Wutz akzeptierten) Abhängigkeit jedes Schreibenden von der Überlieferung, zum anderen Ausdruck einer eigensinnigen Souveränität im Verdünnen und Handlich-Machen quantitativ und inhaltlich übermächtiger Textmassen. – ––––––– 35
Zur Figur des Wutz vgl.: Roger Ayrault, Jean Paul: Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wuz in Auenthal. Oder die Anfänge des Dichters Jean Paul, aus d. Frz. v. Dieter Kartschoke, in: Interpretationen. Bd.4: Deutsche Erzählungen von Wieland bis Kafka, hrsg. von Jost Schillemeit. Frankfurt a.M. 1978, S.75–86. – Eva J. Engel, Jean Paul’s ›Schulmeisterlein Wutz‹, in: E.J.E., Gedanck und Empfindung. Ausgewählte Schriften. Festgabe zum 75. Geburtstag von Eva J. Engel am 18. August 1994, Auswahl u. Redaktion von Oliver Schütze und Michael Albrecht. Stuttgart/Bad Cannstadt 1994, S.9–61. – Andrea Gnam, »Und Gott tanze vor.« Der Sprung in die Subjektivität im Modus des Traums. Jean Pauls Konzeption gewitzten Schreibens im ›Schulmeisterlein Wutz‹, in: Athenäum 5 (1995), S.57–70. – Martin Huber, Der Text als Bühne. Zu Jean Pauls ›Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz‹, in: Schnittpunkt Romantik. Text- und Quellenstudien zur Literatur des 19. Jahrhunderts. Festschrift für Sibylle von Steinsdorff, hrsg. von Wolfgang Bunzel u.a. Tübingen 1997. S.23–25. – Helmut Küpper, Jean Pauls ›Wuz‹. Ein Beitrag zur literarhistorischen Würdigung des Dichters. Walluf bei Wiesbaden 1972 (Nachdruck der 1. Aufl. Halle 1928). – Hans-Walter SchmidtHannisa, Lesarten. Autorschaft und Leserschaft bei Jean Paul, in JJPG 37 (2002), S.35–52. – Günter Voigt, Die humoristische Figur bei Jean Paul. 2. Aufl. Tübingen 1969. (=JJPG 4 (1969)), insbes. S.49–54.
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Als Erwachsener schreibt sich Wutz in Fortsetzung der kindlichen Spiele seine eigene Bibliothek. Vordergründig kompensiert er so seine Armut, die es ihm verbietet, sich die ersehnten Bücher zu kaufen, doch dahinter steckt ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein: Wutz glaubt, alles Mögliche schreiben zu können, wenn er nur will. Darum schreibt er die Bücher, die er sich aus Geldnot nicht kaufen kann, keineswegs ab, sondern er liest allein den Meßkatalog, bittet den Senior, die besten dort verzeichneten Titel durch einen Stempel zu markieren (I/1,427) und läßt sich von den fraglichen Titeln dazu inspirieren, eigene Werke zu verfassen, welche aus seiner Sicht zu besagten Titeln passen: »Er schreibt über alles [...]« (I/1,428). Ohne einen Gedanken an die Möglichkeit einer Diskrepanz zwischen Ur-Text und eigener Produktion zu verschwenden, handelt er Gegenstände ab, die mit dem Thema des ursprünglichen Werkes nichts mehr zu tun haben.36 Daß es mit dem konsequent betriebenen Schreibarbeit um die Utopie universaler Autorschaft geht, bestätigt eine signifikante Verkehrung: Wutz hält schließlich die eigenen Produkte für die Originale, die fremden Werke für bloße Abschriften oder Surrogate (I/1, 425f.). Nicht nur der Inhalt, sondern auch das Erscheinungsbild der Wutzschen Werke soll ihren Vorlagen entsprechen. Schreibt ein Autor den Angaben des Katalogs zufolge in Querfolio oder aber in Sedez, so legt Wutz »seinen Bogen in die Quere« hin oder verkleinert die Seitengröße durch Faltungen aufs Sedezformat (I/1,426). Wutz’ Vertrauen in seine Universalautorschaft korrespondiert dem Theorem weltsetzender Subjektivität in der Philosophie des deutschen Idealismus. Nicht zufällig verfaßt Wutz unter anderem die Abhandlung »Über Raum und Causalität. Zur Prüfung der Kantischen Philosophie« von Johann Georg Heinrich Feder, der hier Kants Philosophie kritisiert; das Besondere an Wutz’ Arbeit ist, »daß er [...] im ganzen Federschen Traktat über Raum und Zeit von nichts handelte als vom Schiffs-Raum und der Zeit, die man bei Weibern Menses nennt« (I/1,426). In Wutz’ Œuvre finden sich – neben Sturms Betrachtungen über die Werke Gottes im Reiche der Natur und der Vorsehung, Schillers Räubern, Goethes Werther, Rousseaus Bekenntnissen (I/1,428), den Reisebeschreibung James Cooks vom Südpol – auch Kants Kritik der reinen Vernunft selbst. Der »Enzyklopädist« (I/1,427) Wutz radikalisiert den subjektiv-idealistischen Ansatz, schreibt also auch im übertragenen Sinn die Kanti––––––– 36
Hans-Walter Schmidt-Hannisa deutet Wutz als Gegenfigur zum Tanzmeister Aubin (vgl. dessen Porträt in II/3,769–771; »Die Taschenbibliothek«). »Während Aubin liest, ohne zu schreiben, schreibt Wutz, ohne zu lesen und damit ohne jede Kenntnis der für seine Themen einschlägigen ›Realien‹. Beide Figuren genießen ihr – gegensätzlich geartetes – ›Vollglück in der Beschränkung‹ und erfüllen damit [...] Jean Pauls Definition dieser Gattung.« (Schmidt-Hannisa [Anm.36], S.39.).
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sche Erkenntniskritik noch einmal neu. In konsequenter konstruktivistischer Gleichsetzung der Erfahrungswelt mit einem Produkt der Subjektivität, betrachtet er seine völlige Unkenntnis der im Meßkatalog aufgeführten Bücher nicht als Handicap, sondern als einen Chance: Werde doch so seine Phantasie beim Schreiben nicht durch Faktenwissen in ihrer Entfaltung behindert. Wer keine Zeit darauf verwende, das innere Afrika zu betreten oder den Südpol zu besuchen, kann, wie auch Wutz’ Biograph bestätigt, in seine Schreibarbeit mehr Zeit investieren (ebd.). Letztlich ist Wutz der Überzeugung, es gebe keinen Unterschied zwischen äußerer und innerer Affizierung des Subjekts durch Objekte; er vertritt also jene Spielform idealistischer Erkenntnistheorie, die Jean Paul selbst so fasziniert hat, daß er immer wieder nach Anlässen suchte, sie zu thematisieren. Wutz selbst beruft sich explizit auf die Leibnizsche Lehre, eine jede Monade trage die ganze Welt in sich, und zeigt damit einmal mehr, wie man sich philosophische Schriften produktiv aneignet (vgl. ebd.).37 Die Lektüren eigener Texte beschreibt er als einen Prozeß der Kommunikation mit sich selbst, bei dem er Neues, bisher nicht Gewußtes erfahre – mehr als aus allen anderen Schriften. An wen woll’ er sich wenden, um den Hintergrund des Freimäurer-Geheimnisses auszuhorchen, an welches Dionysius-Ohr, mein’ er, als an seine zwei eignen? Auf diese an seinen eignen Kopf angeöhrten hör’ er sehr, und indem er die FreimäurerReden, die er schreibe, genau durchlese und zu verstehen trachte: so merk’ er zuletzt allerhand Wunderdinge und komme weit und rieche im ganzen genommen Lunten. (I/1,428)
Es kann freilich geschehen, daß Wutz nicht sofort versteht, was er geschrieben hat; seine eigenen Schriften bergen ihm zunächst unzugängliche, aber reiche Wissensschätze und Bedeutungspotenziale. Zuversichtlich glaubt er aber daran, etwa über die eigenen Werke über Chemie und Alchemie in die Geheimnisse dieser Wissenschaften noch eingeweiht zu werden (ebd.).38 ––––––– 37
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Reisebeschreibungen seien, so heißt es, »überhaupt unmöglich auf eine andre Weise zu machen« als in der Phantasie, »angesehen noch kein Reisebeschreiber wirklich vor oder in dem Lande stand, das er silhouettierte: denn so viel hat auch der Dümmste noch aus Leibnizens vorherbestimmter Harmonie im Kopfe, daß die Seele [...] – insgesamt seßhaft auf dem Isolierschemel der versteinerten Zirbeldrüse – ja nichts anders von Südindien oder Europa beschreiben können, als was jede sich davon selber erdenkt und was sie, beim gänzlichen Mangel äußerer Eindrücke, aus ihren fünf Kanker-Spinnwarzen vorspinnt und abzwirnt. Wutz zerrete sein Reisejournal auch aus niemand anders als aus sich.« (I/1,427). »›[...] Da er von Chemie und Alchemie so viel wisse wie Adam nach dem Fall, als er alles vergessen hatte: so sei ihm ein rechter Gefallen geschehen, daß er sich den Annulus Platonis geschmiedet, diesen silbernen Ring um den Blei-Saturn, diesen Gyges-Ring, der so vielerlei unsichtbar mache, Gehirne und Metalle; denn aus die-
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Daß es Werke geben könne, die ihm unverständlich sind, zieht Wutz zwar in Betracht; dies hindert ihn aber nicht daran, sie zu verfassen. Da der Klopstocksche Messias allgemein als unverständlich gilt, ist Wutz bestrebt, seinen Messias so unleserlich wie möglich zu schreiben (I/1,441). Wutz’ »unleserliche Hexameter« entstehen in Mußestunden, gleichsam als Nachtisch, und da gelegentlich etwas Fett von abgenagten Schinkenknochen aufs Papier gerät, so sieht mancher Gesang »ein wenig geölet« aus (I/1,442). Zur Abfassung von »Werthers Leiden« verwendet Wutz eine »harte Spule« aus einem »alten Flederwisch« (I/1,428). Während dieses Werk in Deutschland viele Nachahmer findet, kennt man Wutz Schrift »Rousseaus Bekenntnisse« noch nicht, da sie »noch unter seinen Papieren liegen« (ebd.). In einem Werk mit dem Titel »Werthers Freuden« hat Wutz seine Kanikularferien beschrieben (I/1,433). Wutz’ Biograph – Der Biograph lernt den alten Wutz kennen, als er (wie früher schon oft) an dessen Haus vorbeigeht und dabei gerade seine Schreibtafel ›vollarbeitet‹, was die Aufmerksamkeit von Wutz Frau Justine weckt. Sie fragt ihn, ob er auch ein »Büchermacher« sei (I/1,545); er bestätigt dies mit Hinweis auf seine Produktivität. »›jährlich mach’ ich dergleichen und schenke alles nachher dem publiko.‹« (I/1,454) Justine bittet ihn darauf ans Krankenbett ihres Mannes, der ihm seine Erinnerungen anvertraut, bevor er stirbt. Ausdrücklich betont der Biograph die zeitliche Distanz zwischen der Gegenwart, in der er erzählt, und den längst vergangenen Freuden des Schulmeisters (ebd.); ausdrücklich hebt er auch hervor, daß er kein unmittelbarer Zeuge des Berichteten war (I/1,446). Ihm bleibt allein, »bestens [zu] beschreiben«, was er mittelbar erfahren hat, und sich daraus eine »Lustpartie« zu machen (ebd.). Er beklagt das Los des Schriftstellers, der in Welten lebt, die nur aus Texten (aus »Dinte und Druckerschwärze«) bestehen, auch wenn er seinem eigenen subjektiven Emfinden zufolge in deren »magischen Schweizergegenden« lagert, mit dem Auge die »Apollos- und Venusgestalten« einsaugt, ja selbst sein Leben für das hier darhgestellte »erhabne Vaterland« zu geben bereit ist (ebd.). So wie das Vaterland des Schriftstellers ein papierenes ist, so ist auch die angeredete himmlische Geliebte und Gefährtin nichts als ein Phantom, ein Bild, ein unauffindbares »Altarblatt« (ebd.). Seiner Schilderung legt der Biograph die Wutzschen Lebenserinnerungen zugrunde, die ihm unter dem Titel »Rousseauische Spaziergänge« vorliegen (I/1,425). Für die Schilderung des Wutzschen Hochzeitstages kann der Biograph insbesondere auf die »Wutzische Urgeschichte« sowie auf Wutz’ »Le––––––– sem Biche dürft’ er, sollt’ ers nur einmal ordentlich begreifen, frappant wissen, wo Bartel Most hole.‹« (I/1,428).
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sebuch für Kinder mittleren Alters« zurückgreifen, wo unter anderem die Verschönerungsarbeiten an Wohnstube und Bräutigam geschildert sind (I/1,449). Die Unsichtbare Loge. Eine Biographie (1793) Beata von Röper – Die vom Protagonisten der Unsichtbaren Loge geliebte Beata ist die Tochter des geizigen und gefühllosen Kommerzienagenten von Röper und seiner Frau, die vor ihrer Ehe die Geliebte des Rittmeisters von Falkenberg gewesen war und damals bereits ein erstes Kind geboren hatte. Dieser ihr unbekannte Bruder, von dem sie nichts hat als ein Bild, beschäftigt Beatas Phantasie intensiv, und sie verfaßt einen empfindsamen Aufsatz: »An das Bild meines Bruders« (I/1,384f.). Der Erzähler teilt dem Leser diesen Brief mit, in dem Beata der Sehnsucht nach dem Bruder Ausdruck gibt und die Idee der gleichzeitigen Absenz und Präsenz des Urbildes im Bild entwickelt. Vordergründig eine Klage darüber, daß ihr ein stummes Porträt den Bruder ersetzen muß, und daß sie nur in gemalte Augen als die toten Repräsentationen wirklicher Augen blicken kann, läßt der Brief abschließend durchblicken, das Bild des Bruders sei für Beata in einem noch anderen Sinn ein Repräsentant; die empfindsam-rhetorische Frage »was hab’ ich noch, das mich liebt?«, die Beata ausdrücklich unbeantwortet läßt, darf als Anspielung auf ihre Neigung für Gustav gelten, wie der Erzähler auch anmerkt (I/1,385). Gotth. Friedrich Bürger – Der Prediger Bürger aus Großenhayn ist literarisches Double des Predigers G.F. Bürger (1753–1816) aus Großenhayn; dieser hatte 1789–1794 vier Bände mit Predigten herausgegeben, die Eduard Berend für so unbedeutend hält, daß er sich Jean Pauls Vorliebe für sie nicht erklären kann (vgl. I/1,1263, Anm.). Herr Bürger hält in der Ruhestädter Kirche eine Predigt, die zur »Vergebung menschlicher Fehler« mahnt (I/1,388). Ob er »diese nützliche Predigt schon unter seine gedruckten getan oder nicht«, kann der Erzähler nicht sagen (ebd.). Ihre Bedeutung für die Romanhandlung besteht unabhängig von literarischen oder theologischen Qualitäten aber auch eher darin, daß sie das richtige Thema zur rechten Zeit zur Sprache bringen: Die entzweiten Liebenden Beata und Gustav empfinden das Gehörte als Mahnung zur Versöhnung, und sie tauschen Blicke, welche diese vorwegnehmen. (Im Grunde legen sie der vernommenen Predigt ebenso eine subjektive Bedeutung bei wie einem Schauspiel Oefels, an dessen Aufführung sie mitwirken; siehe Oefel.) Ausdrücklich merkt der Erzähler an, den »an sich guten Predigten« Bürgers ermangele die »eigentliche Kraft einzuschläfern«,
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und zwar »sowohl beim Lesen als beim Hören« (I/1,389) – und dies wird zum Anlaß zur Einschaltung eines Extra-Blattes, in dem er die »falsche Bauart der Kirchen« beklagt, welche sich als Dormitorien meist leider schlecht eignen, obwohl sich die Prediger alle Mühe geben (I/1,389ff.). Das Einbein – Spitzname für den Erzählerbiographen Jean Paul (siehe dort), der von den Einwohnern der Stadt Hof so genannt wird, weil sein linkes Bein »ansehnlich kürzer ist als das andere und weil noch dazu unten mehr ein Quadrat- als Kubikfuß dransitzt« (I/1,27). Dies teilt schon der »Vorredner« mit, der eigentlich »Jean Paul« heißt. Das Gebrechen des »Einbeins« stiftet nicht nur eine assoziative Verbindung zum mythischen Ödipus, es wird auch in einer Weise kommentiert, die eine poetologische Deutung nahelegt. Wenn der hinkende Erzähler daran erinnert, daß »Menschen, die gleich den ostindischen Hummern eine kurze Schere neben der langen haben, [...] sich mit der chaussure behelfen [können], die ihre Kinder ablegen«, was aber nichts daran ändere, daß der Betroffene vom »Zipperlein« geplagt und in ›spanische Stiefel‹ gezwängt werde (I/1,27), so korrespondieren diese Bemerkungen erstens dem Umstand, daß der Erzähler-Biograph zeitweilig große Mühe hat, seiner Geschichte zu folgen, er also hinter dem, was er darstellen will, in übertragenem Sinn hinterherhinkt – als Hinkender ein Sinnbild für die Mühsal, der eigenen Geschichte Herr zu werden. Zweitens wird über das Hummermotiv auf das künstliche »Ostindien« im Fürstentum Scheerau angespielt, das der bevorzugte Aufenthaltsort des Erzählers ist (und insgesamt auf »Ostindien« als ein Reich der Phantasie); das Scherenmotiv mag an die Verwendung der Scherenschnitt-Metapher für die erzählerische Porträtkunst, aber auch an Prozesse des Verletzens und Zerstörens erinnern.39 Drittens schließlich gesteht der auf zwei ungleichen Beinen einhergehende Erzähler, womit er sich behilft, um den eigenen hinkenden Gang zu kompensieren: mit Requisiten aus einer Kinderwelt, die das, was andere von ihm zu sehen bekommen, zwar verschönern, seine eigenen Leiden aber nicht mindern. Auch dies ließe sich – wie das Hinken selbst – auf seine Erzählungen beziehen. – Weil man auf ––––––– 39
Vgl. Jean Paul, Ideen-Gewimmel, hrsg. von Thomas Wirtz u. Kurt Wolfel. Frankfurt a.M. 1996., S.272, Nr. 1633: »Ostindien in der blütejungen Phantasie. // O das ist das Land, wo wir an Winterabenden oder auf einem hohen Berg, wo uns die ausgedehnteste Gegenwart nicht genug thut, die Rabatten des Paradieses hinsezen. ›Sanfte weisgekleidete, weise Menschen wandeln da – hohe Blumen werden um sie bewegt und Schmetterlinge decken sie mit breiten Flügen [!] zu – ach die Sonne steht so unbewölkt, das Blau so ewig hel – kein Hunger kein Frost komt zu den Menschen, Früchte und Sonne sind überal – und so liegt immer ein Jünglingsland um den Frohen – er lebt von Liebe zu Liebe, von Frühling zu Frühling–‹«.
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einem Bein schlecht stehen kann, erklärt »Jean Paul« im Roman selbst vorsichtshalber noch einmal, daß er selber »das Einbein« sei (I/1,45, Fußnote): In der Annahme, man habe die erklärende Vorrede überschlagen, berichtet er von seinem Gebrechen und davon, daß man ihn »das Einbein oder den einbeinigen Autor« nenne. Ernestine von Falkenberg, geb. von Knör – Ernestine, Tochter des Obristforstmeisters von Knör, Gattin des Rittmeisters von Falkenberg und Mutter des Protagonisten Gustav, kommt auf unkonventionellem Weg unter die Haube: Ihr Vater verspricht sie dem Bewerber nur unter der Bedingung, daß dieser die geschickte Spielerin Ernestine im Schach schlägt. In einem Brief an eine Bekannte zu Scheerau, den der Erzähler in seinen Text einschaltet, berichtet Ernestine – die Falkenau durchaus heiraten möchte, sich aber in die Rolle seiner Gegnerin gezwungen sieht – aus der über mehrere Etappen verlaufenden Spielsituation heraus vom Verlauf der Partie (I/1,38ff.). Ihr Bericht ist so doppelbödig wie ihr Spielverhalten und findet in diesem insofern ein Gleichnis: Als Spielerin prätendiert Ernestine gezwungenermaßen, Falkenberg besiegen zu wollen, freut sich aber eigentlich über seine gelungenen Züge und würde ihm gern helfen; als Schreiberin spricht sie explizit davon, wie sehr sie das Spiel langweile und daß sie dem Rittmeister bald loszuwerden hoffe; nur zwischen den Zeilen steht, was sie wirklich empfindet. Gustav von Falkenberg – Kein professioneller Schriftsteller, ist der heranwachsende Gustav immerhin Verfasser mehrerer Briefe, in denen sich neben äußeren Ereignissen sein inneres Leben malt; Gustavs Biograph fügt, mit Authentifizierungsstrategien spielend, seinem Bericht diese Briefe ein. Der erste, an den Biographen (und Hofmeister) selbst gerichtet, schildert enthusiastisch das Erlebnis erhabener Natur in der Umgebung von Auenthal und gibt der Idee einer die Menschheit umfassenden All-Liebe Ausdruck (I/1,238–241). Der zweite ist an Beata adressiert, der Gustav – unter Verwendung empfindsamer Unsagbarkeitstopik – seine Liebe gesteht (I/1,333f.); auf der Suche nach einer geeigneten Gelegenheit zur Überstellung des Briefs verfällt er übrigens auf den Gedanken, Beata das Papier während einer Schauspielprobe zuzustecken. In einer Situation der Entfremdung von Beata verfaßt er einen ebenso empfindsamen Abschiedsbrief (I/1,358ff.). Als Thematisierung von Natur und Liebe, Einsamkeit und inniger Gemeinschaft, Unendlichkeitserfahrung und Endlichkeitsbe-wußtsein repräsentiert Gustavs Briefkorpus die thematischen Register des Diskurses der Empfindsamkeit.
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Doktor Fenk – Doktor Fenk aus Oberscheerau, Freund des Rittmeisters von Falkenberg, Botaniker im Dienst des Fürsten und Gesellschafter Ottomars, von skurrilem Aussehen, wird von Ernestine anschaulich porträtiert (I/1,39f.). Er ist ein Jean Paulscher Humorist40 und versteckt »wie viele indische Bäume unter den äußern Stacheln und dornigem Laub die weiche kostbare Frucht des menschenfreundlichstem Herzens« (I/1,40). Mit der eigenen Erscheinung, mit Kleidung und Zopf als bloßen Äußerlichkeiten, treibt er zwar ein humoristisches Spiel, aber auf die Qualität seiner Schreibmaterialien legt er besonderen Wert; das »Schreib-Geschirr« ist ihm wichtiger als das »EßGeschirr«, das Papier wichtiger als die Wäsche; in den Haaren und auf dem Hut trägt er schlechte Bettfedern, hinter den Ohren gute Schreibfedern (ebd.). – Der medizinisch ausgebildete Fenk schreibt in Scheerau eine Zeitung, die nicht gedruckt wird, »eine geschriebene Gazette oder Nouvelles à la main, wie mehre Residenzstädte sie haben«; auf dem Papier teilt er »seine satirischen Arzneien« aus (I/1,145). Damit bewegt Fenk sich in den Spuren großer Vorbilder, die teilweise aus Zensurgründen auf eine Drucklegung ihrer Zeitungen verzichten mußten. Vorgänger Fenks sind etwa Melchior Grimm (Correspon-dance littéraire, philosophique et critique) und Jean Paul (Vierzehn Tags-Blatt). Der Erzähler fügt seinem Bericht Fenksche Artikel ein: erstens eine Darstellung des scheerauischen Wirtschafts- und Finanzwesens; geschildert werden abenteuerliche fiskalische Manipulationen des geldgierigen Fürsten (I/1,147ff.); zweitens ein personalsatirisches Porträt des (ungenannt bleibenden, aber für Eingeweihte identifizierenbaren) geizigen Kommerzienagenten Röper, den Fenk als einen »unvollkommenen Charakter« eventuell interessierten »Romanenschreibern« zum Verkauf anbietet (I/1,149–155). Der Biograph erwirbt, wie er sagt, den Charakter für die eigene Biographie (I/1,155). Fenk korrespondiert mit dem Erzähler-Biographen, den er »trauter Paul« oder »Jean« nennt (I/1,156–162) und dessen Mißtrauen gegen die höfische Welt er teilt.41 – Der humoristische Doktor tritt auch in anderen Werken Jean Pauls auf, so unter dem (anagrammatischen) Pseudonym Knef als Informant des Erzählers im Hesperus (I/1,508f.), oder als Leichenredner »auf den höchstseeligen Magen des Fürsten von Scheerau« (I/6,153ff.).42 ––––––– 40
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Vgl. Voigt [Anm.36], S.63: Fenk sei »der wahre Humorist« des Romans, da er den Haß auf das Enge und Kleinstädtische mit einem weichen Herzen verbinde; in ihm personifiziere sich die »Haltung des Humoristen, der das Ganze verwirft und doch das Einzelne annimmt.« Zu Fenk als Briefschreiber und seinem Stil vgl. Wilke [Anm.9], S.98f. Zu dieser Leichenrede Fenks vgl. Naumann[Anm.35], S.36.
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Friedrich Heinrich Jacobi (auch: Jakobi), 1743–1809 – Der von Fenk in einem Artikel erwähnte Jacobi, von Jean Paul zeitlebens verehrt und mit ihm lange befreundet, wird in einer Fußnote unklarer Provenienz (stammt sie von Fenk selbst, vom Erzählerbiographen oder vom Autor?) nachdrücklich gewürdigt: Der Roman Woldemar ist »das Beste, was noch über und gegen die Enzyklopädie geschrieben worden«, der »Allwill« gleicht »die Stürme des Gefühls mit dem Sonnenschein« aus; Jacobis Schriften über Spinoza und Hume sind »das Beste über, für und gegen Philosophie«; Jacobis Werk ist charakterisiert durch eine »zu große Gedrungenheit«, welche »die Wirkung der ältesten Bekanntschaft mit allen Systemen« ist, durch Tiefsinn und Phantasie; und wenn es vom deutschen Publikum zunächst nicht hinreichend geschätzt wurde, so teilt es dieses Schicksal mit dem Werk Klopstocks, Goethes und Herders (I/1,152). »Jean Paul«43 – Als »Jean Paul« unterzeichnet der »Vorredner« einen der eigentlichen Romanerzählung vorangestellten Text (I/1,23–32), in dem er sich sich auch das »Einbein« nennt (siehe dort). Er ist, während er den »Vorredner«-Text abfaßt, in einer Sänfte auf dem Weg zum Fichtelberg. Sein Text verbindet Elemente des Reiseberichts mit einer Ansprache an »neun Parteien«, die zwar nicht gegenwärtig sind, aber nacheinander adressiert und abgehandelt werden: Rezensenten, Weltleute, Holländer, Fürsten, Buchbinder, das Einbein, die Stadt Hof, Kunstrichter und schöne Seelen. Aus verschiedenen Perspektiven geht es in diesen neun Teilreden um den Prozeß scheiternder oder gelingender literarischer Kommunikation, um das Schriftstelleramt, das Romanschreiben, die Romancharaktere, die Beziehung des Autors zu Lesern und Kunstrichtern – und zu sich selbst. Beschworen werden vor allem die »schönern Leser, deren geträumte, zuweilen erblickte Gestalten ich wie die Genien auf den Höhen des Schönen und Großen wandeln und winken sah« (I/1,31). Im Roman wirkt »Jean Paul« als Biograph und Hofmeister seines Helden Gustav; mit dem Romanpersonal agiert er also auf einer und derselben Wirklichkeitsebene. Als »Klaviermeister, juristisch ausgebildeter Rechtskonsulent und Weltmann« (I/1,107), zeitweilig auch als »Damenschneider« (I/1,396), geht er Berufen nach, die sich als poetologische Metaphern interpretieren ––––––– 43
Zu den Erzähler-Biographen vgl. insgesamt: Andreas Erb, Schreib-Arbeit. Jean Pauls Erzählen als Inszenierung ›freier‹ Autorschaft. Wiesbaden 1996. – Zum »Jean Paul« der Unsichtbaren Loge, seinen Funktionen als Mittler zwischen Geschichte und Leser und den von ihm vertretenen ethischen und ästhetischen Leitvorstellungen vgl. Wulf Köpke, Jean Pauls ›Unsichtbare Loge‹: Die Aufklärung des Lesers durch den ›Anti-Roman‹, in: JJPG 10 (1975) S.49–68, insbes. S.64f.
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lassen. Als Personifizierung eines Schreibens, das um des Nachlebens willen betrieben wird, hofft er auf einen »künftigen Schröckh« (eine Anspielung auf Joh. Matth. Schröckh, u.a. Herausgeber einer achtbändigen Allgemeinen Biographie, 1767–1791), der ihn »in sein Bilderkabinett berühmter Männer [...] auch als einen hineinhängen wird« (ebd.). Manchmal malt sich »Jean Paul« auch aus, er sei insgeheim ein Prinz (I/1,48) – was sich im Hesperus dann bewahrheiten wird. Die konventionelle Dichotomie von erlebter und imaginierter Wirklichkeit beschäftigt den Erzähler der Unsichtbaren Loge ohnehin nachhaltig. Im Gegenzug zu Autoren, die ihre Romane als Lebensbeschreibungen ausgeben, möchte er gelegentlich seiner Lebensbeschreibung den »Schein eines Romans« verleihen (I/1,89). Als er selbst nach elf Sektoren als Person in der Romanhandlung auftaucht, um Gustav zu betreuen, geschieht dies aus Zuneigung zu dem Jungen, nicht aber um des erst später entworfenen Plans zu einer Lebensbeschreibung willen, der sich auch einfacher durch bloßes Erfinden eines Helden realisieren ließe (I/1,105ff.). Daß sich aus dem täglichen Umgang mit Gustav ein Buch machen läßt, freut ihn aber doch sehr (I/1,109). In Fortsetzung dieses Spiels mit der Differenz zwischen biographischer Dokumentation und Erdichtung nimmt »Jean Paul« alle möglichen Anlässe wahr, um über das Schreiben im allgemeinen und sein eigenes Projekt im besonderen zu sprechen. Daß sich seine eigene Lebensgeschichte mit der seiner Figuren verknüpft, empfindet er als ambivalent: Er ist denen, die ihm wichtig sind, nah, leidet andererseits aber wiederholt an lückenhaften oder fehlenden Informationen, da er ja nicht auktorial über das geschehen verfügen kann. Als belastend erscheint ihm etwa das ständig zunehmende Romanpersonal, das seiner Übersicht zu entgleiten droht (I/1,122). Mit dem Vorrücken der Arbeit – von dem er sich insofern eine Vereinfachung der Arbeitsbedingungen erhofft, als er sich ja an die Gegenwart heranschreibt, die er mit den Figuren des Romans teilt – erhöhen sich die Anforderungen weiter, zumal wenn Unvorhergesehenes geschieht (I/1,163). Wenn die Ereignisse rasant fortschreiten, muß der Erzähler sogar arbeiten »wie ein Hammerschmied«, um seine langen und schweren Sektoren fertigzubekommen (I/1,262). Vor lauter Überanstrengung schreibt er sich schließlich »eine hübsche vollständige Hektik in die zwei Lungenflügel« hinein, bringt sich um seinen »gesunden Atem« und seine »sedes« (I/1,289), und das Publikum, das in der Zwangs-Arbeitspause an den ersten Resultaten der Arbeit »kosten« kann, weiß ihm für die Selbstaufopferung nicht einmal Dank. Im Viehstall schreibt er weiter, weil die dortige Luft gut gegen Kurzatmigkeit sein soll (I/1,290); die Erinnerung an den Stall zu Bethlehem ist kaum zufällig. Klagen über den Undank der Leserschaft und die Härte der eigenen Arbeit wiederho-
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len sich (I/1,301f.), so daß der Leser den Erzähler nie vergißt – zumal nicht, wenn dieser als Folge heftiger Auftritte den Husten bekommt (I/1,312). Als er seine Kräfte schwinden fühlt, greift er zu Notlösungen und schaltet (als bloßer »Setzer«) etwa einfach einen Brief Gustavs ein, statt selbst fortzufahren (I/1,357f.). Seine Kurzatmigkeit wird im 39. bis 46. Sektor förmlich im Text selbst greifbar, denn diese Sektoren sind äußerst knapp gehalten und handeln nur vom Erzähler selbst und seiner Krankheit (die allerdings, wie sich herausstellt, weitgehend hypochondrischen Ursprungs ist): Er ist unfähig, die Feder zu halten (39. Sektor), erkrankt am schwarzen Star (40. Sektor), an mehreren Fiebern auf einmal (41. Sektor), hat eine lebendige Eidechse im Magen (42. Sektor), leidet unter Verstopfung (43. Sektor), einem Herzpolypen (44. Sektor), einer »Pleuresie« (45. Sektor) und verabschiedet sich schließlich als vermeintlicher Moribundus vom Leser (46. Sektor) – bevor er von seinen Einbildungen kuriert wird und weiterschreiben kann. Das Motiv der Wiedergeburt, mit Unsterblichkeitsphantasien eng verknüpft, wird hier in einer säkular-poetologischen Variante handlungstragend. Über dieses Motiv ist die Geschichte des hypochondrischen Biographen mit der des kleinen Gustav verknüpft, der die ersten Lebensjahre in einer unterirdischen Höhle verbrachte, wie auch mit der des zeitweilig scheintoten Ottomar. Maßgeblich für »Jean Pauls« Genesung ist der Rat Doktor Fenks, den gordischen Knoten des biographisierenden Kampfs gegen die Zeit einfach zu zerhauen und in einem Sprung von der Vergangenheit der zu beschreibenden Figuren in die Gegenwart zu springen. Als wahres Glück genießt er es, daß die Gegenwart des Erlebens und die des Schreibens zur Deckung gekommen sind; um dieser Kongruenz von Leben und Schreibakt willen verzichtet er gern auf die Souveränität dessen, der den Fortgang der eigenen Geschichte kennt (I/1,403f.).44
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»[...] ich danke dem Himmel, daß ich jetzt mit meiner biographischen Feder nachgekommen bin und niemals mehr weiß, als ich eben berichte; anstatt daß ich bisher immer mehr wußte und mir den biographischen Genuß der freudigsten Szenen durch die Kenntnis der traurigen Zukunft versalzte.« (I/1,403f.) – Das Problem des Einholens der eigenen Beschreibungsgegenstände reflektiert in den Flegeljahren Vult: »[...] so schreibt jeder Verfasser einer Weltgeschichte damit seine eigne mit unsichtbarer Dinte dazwischen, weil er an die Eroberungen, innern Unruhen und Wanderungen der Völker seine eignen herrlich knüpfen kann. Wer aber nichts hat und tut, woran er seine Empfindungen bindet, als wieder Empfindungen: der nehme Lang- und Querfolio-Papier und bringe sie dazu, nämlich zu Papier. Nun wird er Danaiden- und Teufelsarbeit haben: während er schreibt, fällt wieder etwas in ihm vor, es sei eine Empfindung oder eine Reflexion über das Geschriebene – dies will wieder niedergeschrieben sein – kurz, der beste Läufer holet nicht seinen Schatten ein.« (I/2,998)
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Die Geschichte der Schreibarbeit des Biographen durchflicht die Narration – sei es als Bekundung der freudigen Gefühle, die sich beim Schreiben entladen (neben dem zu ähnlichen Zwecken nur das Tanzen in Betracht kommt; vgl. I/1,386) –, sei es auch im Zeichen der Sorge, der Bericht könne unter mangelnder Distanz zum Dargestellten leiden: Nur tut es meiner ganzen Biographie Schaden, daß die Personen, die ich hier in Handlung setze, zugleich mich in Handlung setzen und daß der Geschichts- oder Protokollschreiber selber unter die Helden und Parteien gehört. Ich wäre vielleicht auch unparteiischer, wenn ich diese Geschichte ein paar Jahrzehende oder Jahrhunderte nach ihrer Geburt aufsetzte, wie die, die künftig aus mir schöpfen werden, tun müssen. (I/1,385f.)
Die eigene Arbeitssituation stellt »Jean Paul« ausführlich dar, u.a. in einem eigenen Sektor dar, der seinen persönlichen Freuden und Bekanntschaften gilt – unter anderem mit Schulmeister Wutz, wodurch eine Anknüpfung an einen anderen Textraum erfolgt (I/1,225). Gehört das Zusammentreffen von Personen unterschiedlicher Ebenen fiktiver Wirklichkeit zu den zentralen Erbschaften des Cervantes, so erinnert die Erfahrung, die eigene Geschichte nicht einholen zu können, an den Erzähler in Lawrence Sternes Tristram Shandy. Indem der Erzähler den Bericht über seinen Helden mit der Erzählung über sein Erzählen verknüpft, löst er die lineare Chronologie seiner Fabel auf. Wenn er über seine eigene Gegenwart erzählt, so müssen manchmal Punktesequenzen die in Schreibpausen verrinnende Zeit repräsentieren (I/1,226); auch dieser Einsatz semantisierter typographischer Mittel hat bei Sterne ein Vorbild. Das Biographieren inszeniert sich in der Unsichtbaren Loge als permanenter Kampf gegen die Zeit, den Tod und die Kontingenz. Zwar langt »Jean Paul« zwischendurch, gemeinsam mit seiner Schwester, in einer mit Gustav und anderen Figuren geteilten idyllischen Gegenwart an, die er in »Freuden-Sektoren« beschreibt (vgl. I/1,378; I/1,398–414), doch später kommt es wieder zu ihm unverständlichen und uneinholbaren Ereignissen, über die er selbst nicht mehr berichten kann, weil es ihn vom Arbeitsplatz fortzieht. In einem mit Kreuzen – statt mit Worten – betitelten Sektor, der Nachrichten Fenks enthält, präsentiert Schwester Philippine den letzten Teil des abbrechenden Romans. Für Typographisches hat »Jean Paul« einen ausgeprägten Sinn; Druckzeichen besitzen aus seiner Sicht gleichsam physiognomische Qualitäten. In Erwartung, er werde bald »die heftigsten Szenen« schildern müssen, spricht er mit seinem Verleger ab, daß dieser sich vorsichtshalber einen größeren Vorrat an Gedankenstrichen, Frage- und Ausrufungszeichen zulegt (I/1,302). Denn bei aller Klage über seine Mühsal ist der Biograph ehrgeizig. »Romanen-Manufakturisten«, die sich hinter Unsagbar-
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keitstopoi zurückziehen und es dem Leser überlassen, sich dramatische Szenen auszumalen, verachtet er. »Von mir hingegen sei man versichert, ich mache mich an alles« (ebd.). »Jean Paul« besitzt ein bemerkenswertes Vertrauen in die darstellerische Kraft der Sprache: Was man sich vorstellen könne, könne man auch schildern (ebd.). Die Rahmenbedingungen der Schreibarbeit sind für deren Resultate wichtig, auch die physisch-konkreten. Darum träumt der Erzähler davon, sich einen Musiker leisten zu können, der den Schreibprozeß mit seinem Spiel begleitet (I/1,386). Gern bespiegelt er literarische Prozesse metaphorisch, wie etwa anläßlich seiner Reflexionen über das »Spazierengehen«, die er auf seinem Weg über die (Scheerauische) »Molukken«-Insel Teidor anstellt (I/1,404): Die hier getroffene Unterscheidung zwischen vier Typen von Spaziergängern umschreibt vier Typen von Lesern. Auch die Molukkeninsel selbst ist ein Sinnbild: ein Stück künstliches Morgenland in der zeitgenössischen Welt, ein ästhetisch arrangierter Mikrokosmos, in dem Mensch und Natur miteinander kommunizieren. In seinen ›biographischen‹ Bericht schaltet »Jean Paul« neben fremden Texten (seiner Figuren) auch eigene ein – wie etwa die »ErziehVorlegblätter«, die an den ihm noch unbekannten Hofmeister seiner künftigen Kinder adressiert sind und thematisch die Levana vorwegnehmen (I/1,125–128) sowie ein »Extrablatt« über die angemessenen Schullektüren für Heranwachsende (I/1,129–135). Ein anderes »Extrablatt« ist den »hohen Menschen« gewidmet und will den Beweis dafür erbringen, »daß die Leidenschaften ins zweite Leben und Stoizismus in dieses gehören« (I/1,221). In den Erzählerbericht integriert sind insbesondere explizit poetologische Reflexionen, wie sie auch in der Abhandlung »Über die natürliche Magie der Einbildungskraft« und in der Vorschule entwickelt werden. Wird in diesen die unausweichliche Perspektivik und Subjektivität aller Perzeption und Darstellung betont (in der Vorschule in Abgrenzung zu trivialen Nachahmungstheoremen), so weiß auch der Erzähler-Biograph Gustavs, daß alle Wahrnehmung immer schon der Überformung durch die (poetische) Phantasie unterliegt: »[...] man genießet an der Natur nicht, was man sieht (sonst genösse der Förster und der Dichter draußen einerlei), sondern was man ans Gesehene andichtet [...]« (I/1,396). An sich selbst registriert er, wie das Beschreiben von Gegenständen die Wahrnehmungssensibilität steigert: Nachdem er sich einen »Winter und Herbst« lang mit dem »Malen so vieler Naturszenen gestärkt« hat, findet »der gegenwärtige Frühling an mir ganz andre Augen und Ohren [...] als die vorigen alle« (ebd.). Mit diesem Hinweis auf die wirklichkeitsprägende Macht ästhetischer Darstellung antizipiert »Jean Paul« die Überle-
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gungen Oscar Wildes in The Decay of Lying, denen zufolge sich die erfahrene Natur der Kunst der Landschaftsmaler anzupassen pflegt und die Malerei William Turners das Londoner Klima beeinflußt hat. Der Leser wird die Figur »Jean Paul« in Jean Pauls Werk häufig wiedertreffen, insbesondere im Hesperus, wo an die in der Unsichtbaren Loge beschriebenen Lebensumstände angeknüpft wird, und im Titan, der seinerseits an den Hesperus anschließt. Die Frage, ob man es bei den »Jean Paul« genannten Erzählern insgesamt mit einer und derselben Figur samt ihrer Lebensgeschichte zu tun hat, ist unterschiedlich beantwortet worden. Christian Hartwig Wilke bemüht sich um die Rekonstruktion einer solchen Geschichte;45 Burkhardt Lindner bestreitet, daß dies sinnvoll sei.46 Wulf Köpke hat die Ambivalenzen der »Jean Paul«-Figur herausgestellt.47 Auf eine intensive, aber ambivalente Beziehung des Autors zu seiner Figur läßt ein Brief Jean Pauls an Wernlein vom 19.8.1794 schließen, als der Hesperus gerade abgeschlossen ist: Ich bin von nichts so gerührt worden als von H. Jean Paul – der hat sich hingesetzt und durch seine Bücher mich verdorben und zerlassen. Jetzt bin ich ein Selbstzünder und brauche keine Geliebte um warm, keine Tragödie um weich zu werden. (SW III/2,18)
Der Leser48 – Zwar spricht der Erzähler der Unsichtbaren Loge seine Leserschaft wiederholt an, aber nur ausnahmsweise erteilt er dem Leser explizit ––––––– 45
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Wilke [Anm.9], S.92. Wilke beklagt, »daß es keine wissenschaftliche Biografie des fast durch das ganze Werk hindurch erzählten Jean Paul gibt.« Lindner [Anm.18], S.159. »In der Unsichtbaren Loge spielt Jean Paul allerdings eine zunehmend komische Rolle [...]; aber der Hesperus macht ihn zum Sohn und Bruder eines Fürsten. Es scheint, daß Richter, indem er dem Autor Jean Paul eine Poetisierung des Lebens erlaubt, ein hintergründiges Spiel mit ihm spielt, das die gesellschaftliche Utopie und die Vereinigung von Poesie und Leben zwischen Wunschtraum und geschichtlich begründeter Aussicht hin und her wirft.« (Köpke [Anm.44], S.65). Zur Figur des »Lesers« bei Jean Paul vgl. insgesamt: Ulrich Profitlich, Der seelige Leser. Untersuchungen zur Dichtungstheorie Jean Pauls. Bonn 1968. Der Leser tauche bei Jean Paul, so Profitlich, in zweierlei Rollen auf: erstens als »Gegenstand von Beobachtungen und Mutmaßungen«, zweitens als Adressat von »Wünschen und Forderungen« (Ebd., S.7). Profitlich möchte Jean Pauls Ästhetik als Wirkungsästhetik rekonstruieren (ebd.) und begreift die Äußerungen der Romanerzähler über den »Leser« als Modellierung der (realen oder idealen) Leserschaft. »Jean Paul legt ausdrücklich fest, wie er gelesen werden will [...]«. Teilweise treibt der Erzähler aber eben auch sein Spiel mit dem »Leser«, der nicht eindeutig auf einer bestimmten Wirklichkeitsebene verortet werden kann. An die Stelle wirklicher Kommunikation zwischen Erzähler und Leser, so hat Peter Michelsen zu Recht diagnostiziert, trete bei Jean Paul oft eine als solche ausgewiesene »Fiktion einer
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das Wort. Er läßt ihn anläßlich eines rätselhaften Intrigenspiels der Fürstin um Gustav, wie es heißt, »ans Sprachgitter oder ins Parloir treten« und Fragen stellen, die er selbst gehorsam »nachschreiben« will. Tatsächlich legt er dem Leser dann seine eigenen Fragen in den Mund, und wenn er den Leser in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam macht, »daß der Leser selber hier Witz hat«, so ist dies nicht nur ein Eigenlob, sondern auch ein indirekter Hinweis auf die Differenz zwischen textinternen imaginierten Lesern und wirklichen Lesern – während das Verhalten letzterer inkalkulabel bleibt, unterstehen erstere der Regie des Erzählers (I/1,261). Oefel – Der geheime Legationrat von Oefel, gebürtig aus Wien, typischer Höfling und Repräsentant der sogenannten großen Welt, ist in seinem Streben, auf Gustav Einfluß zu nehmen, der Rivale des Erzählers und Biographen Jean Paul und zugleich Gustavs Rivale um Beatas Gunst.49 Er verfaßt unter dem Titel »Der Großsultan« einen orientalisierenden Schlüsselroman über den Scheerauischen Hof, »ein Herbarium vivum, eine Flora von allem, das auf und am Scheerauer Throne wächst«, ein »Spiegelzimmer«, das die Abbilder sämtlicher Damen am Hof, des Fürsten und des Erzählers Jean Paul selbst enthält. Dieser Roman – der ironisch mit Les aventures de Télémaque von Fénélon verglichen wird – versteht sich selbst »als eine kurze Enzyklopädie für Erbprinzen und Kronhofmeister« (I/1,170). Oefels Vorliebe für Gustav beruht im wesentlichen darauf, daß dieser sich als Romanfigur verwenden läßt, wie er feststellt, nachdem er »in der Kadettenschule siebenundsechzig Exemplare studiert« hat; erst Gustav als Nr. 68 eignet sich als Vorlage für den Helden von Oefels Buch, für den »Großsultan« (I/1,208). Anders als der Biograph »Jean Paul«, der die Geschichte seiner Figuren möglichst angemessen und vollständig zu erfassen sucht, benutzt Oefel seine Figuren als Material für gefälschte Geschichten.50 So soll Gustavs Double in Oefels –––––––
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Kommunikation« (Peter Michelsen, Laurence Sterne und der deutsche Roman des 18. Jahrhunderts. Göttingen 1962, S.335). – Vgl. zur romantinternen Leserfigur auch Heinemann [Anm.4], S.355–376: Kap.: »Die Konstruktion des zweiten Ichs: Jean Pauls Fktionalisierung des Lesers«. – Ferner: Alain Montandon, Le lecteur sentimental de Jean Paul, in: Le lecteur et la lecture dans l’Œuvre. Actes du Colloque international de Clermond-Ferrand, prés. par Alain Montandon. ClermontFerrand 1982, S.25–33, hier S.32: »Le lecteur, frère jumeau est aussi un frère aennemi, terriblement ambivalent, qui aime ou rejette, à la fois marionette du narrateur et tyran du créateur«. – Vgl. auch Alain Montandon, L’imaginaire du livre chez Jean Paul, in: Romantisme 14 (1984), S.35–48. Zu Oefel vgl. Köpke [Anm.44], S.59–63. Köpke verdeutlicht das Kontrastverhältnis beider Autor-Typen in seiner Programmatik; Oefels Roman ist sowohl unter produktionsästhetischem als auch unter wir-
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Roman die dort ebenfalls verschlüsselt auftretende Residentin Bouse lieben – offenbar, damit sich die echte Residentin geschmeichelt fühlt (I/1,249). Obwohl der Biograph Jean Paul Oefel und seinen »Großsultan« verachtet, übergeht er ihn doch nicht ganz. Denn zum einen hofft er als ›Kollege‹ Oefels auf der Ebene der Romanhandlung (dabei unterstellend, divergierende Darstellungen eines Urbildes vermöchten einander zu ergänzen), neben seiner eigenen Darstellung Gustavs werde auch die Oefelsche wenigstens einzelne Facetten zutage fördern: Zum andern ist Oefels Projekt nützlich, wenn echt poetische Charakterdarstellung via negationis erläutert werden soll. – Als ein Schriftsteller, der sich an Urbilder zu halten versucht, wenn er literarische Gestalten schaffen will, disqualifiziert sich Oefel ästhetisch von vornherein. Er steht für eine triviale Bindung an die Empirie und zugleich für die ebenso unkünstlerische Verflechtung von literarischer Arbeit und egoistischen Karriereinteressen. Die meisten Charaktere des Romans, von dem in der Hofbuchhandlung zunächst nur ein erstes Bändchen erscheint, sind zudem gar »nicht aus der elenden wirklichen Welt, die man ja ohnehin alle Wochen um sich hat und so gut kennt wie sich selber, sondern meistens aus der Luft gegriffen [...], diesem Zeughaus und dieser Baumschule des denkenden Romanmachers«; Oefel gehört also in Umfeld der poetischen »Nihilisten«, die mit Luft Luftiges malen. Anläßlich seiner satirischen Abrechnung mit Oefel erfindet der Erzähler ein phantastisches Modell poetischer Produktivität, dessen Bauelemente er aus dem naturkundlich-naturphilosophischen Diskurs bezieht: wenn (nach dem System der Dissemination) die Keime des wirklichen Menschen neben dem Samenstaub der Blumen in der Luft herumflattern und aus ihr, als dem Repositorium der Nachwelt, von den Vätern müssen niedergeschlagen und eingeschluckt werden: so müssen Autoren noch vielmehr die Zeichnungen von Menschen aus der Luft, wo alle epikureischen Abblätterungen wirklicher Dinge fliegen, sich holen und auf das Papier schmieden, damit der Leser nicht brumme. (I/1,250)
Laut Epikur lösen sich alle Dinge in kleinste Elemente auf, die sich dann später zu neuen Dingen wieder zusammenfügen. – Als Verfasser schöngeisti––––––– kungspolitischem Aspekt ein Negativ-Modell: »Der Dichter soll die Wirklichkeit in sich aufnehmen, um sie in sich zu haben, wenn die Stunde der Dichtung kommt, nicht zu ›Studienzwecken‹. Demgegenüber zeigt die Oefel-Parallele das Gegenbild, die künstlich erzeugte, willkürliche Romanwelt. Der Roman der Hofintrigen, wie er als Produkt und Bestätigung der Hofgesellschaft entsteht, bietet dem bürgerlichen Leser die Flucht in eine Phantasiewelt und stützt damit die unhaltbaren Zustände der Gesellschaft« (ebd., S.62f.). In der ganzen Unsichtbaren Loge, so Köpke, sei das Kontrastierungsverfahren stärker ausgeprägt als in den Folgeromanen; insbesondere gelte dies für die Gegenüberstellung »des richtigen und falschen Romans« (ebd., S.63).
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ger Briefe ist Oefel ein Plagiator und also auch insofern ein Kopist. Er liest »belletristische Sachen, die er noch dazu nachmacht«, ist »ein schöner Geist«, hat aber »keinen andern«, und die »französischen Buchhändler« sind ihm zu Dank verpflichtet (I/1,206). Der Erzähler Jean Paul mutmaßt, wenn seine eigene gegenwärtige Biographie Gustavs einst ins Französische übersetzt sein werde, werde Oefel auch diesen Text wohl kaufen und plagiieren (ebd.) – eine interessante Buch-im-Buch-Konstruktion insofern, als hier im Buch Jean Pauls von einem (künftigen) Buch Oefels die Rede ist, in dem Jean Pauls Buch enthalten sein wird. Werden auch diese Überlegungen im Buch Oefels enthalten sein? – Oefels Charakterlosigkeit spiegelt sich metaphorisch in der Wendigkeit seiner Sprachwechsel. »Sich selbet, Leib und Seele nämlich, hatt’ er schon in alle Sprachen übersetzt aus seinem französischen Mutter-Patois« (ebd.). Oefel verfaßt auch Gedichte, die niemand liest als der Scheerauer Hof (und dies nur, weil Oefel zur Hofgesellschaft gehört); auch will er von niemandem gelesen werden, dessen Jahreseinkommen unter 7000 Livres liegt. Man kann Verse wie die Oefelschen »wie die Graspartien des Parks ungehindert durchlaufen so klein, weich und beschoren« ist »ihr Wuchs« (ebd.). Nicht auf Papier gibt er sie dem Publikum zu lesen, »sondern auf seidenen Bändern, Strumpfbändern, Bracelets, Visitenkarten und Ringen« (I/1,207); die Textträger sprechen, wie so oft, für sich. Ganz auf das höfische Publikum zugeschnitten ist auch Oefels Schauspiel über ein »Rosenmädchen«, das als Geburtstagshuldigung für die Residentin aufgeführt werden soll. Der Erzähler gibt nur eine Inhaltsskizze des Stücks, das ihn an eine Idylle von Fontanelle erinnert und an dessen Realisierung Oefel als »TheaterDichter, Spieler und Rollen-Schreiber« (I/1,326f.) mitwirkt. Ähnlichkeiten der Spielfiguren mit den Angehörigen der Hofgesellschaft sind vom Autor zwar beabsichtigt, doch entgegen seinen Absichten wird es unter anderem zum Anlaß für Gustav und Beata, einander näher zu kommen. Wenn Gustav und Beata, die einander im Stück zärtlich anzusprechen haben, damit einen Diskurs einüben, der ihrer wahren inneren Verfassung entspricht (I/1,329), so wird der Theaterdichter Oefel durch die Adaptation seines Rollentextes durch die Akteure gleichsam entautorisiert; sein Text bedeutet den beiden anderen mehr, als er, Oefel, ahnt. Ottomar51 – Der natürliche Sohn des Fürsten von Scheerau gehört zum Typus des hohen Menschen, der an der Kleinheit und Gebrechlichkeit der irdischen ––––––– 51
Zu Ottomar vgl.: Joseph Kohnen: Ottomar und der Sterbegraf, in: GermanischRomanische Forschungen N.F. 60 (1979), S.185–199. – Norbert Miller, Ottomars
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Dinge leidet, weil er ihre Inkommensurabilität ans Reich der Ideale und die »Unförmlichkeit zwischen unserem Herzen und unserem Orte« (I/1,221) nachhaltig empfindet.52 Im Ottomars Korrespondenzen »herrscht und tobt ein Geist, der wie ein Alp alle Menschen höherer und edler Art drückt und oft bewohnt und den bloß – so viel er auch holländische Geister überwiege – ein höherer Geist übertrifft und hinausdrängt.« (I/1,217) In einem dem Roman eingefügten Brief an seinen Vertrauten Doktor Fenk artikuliert er Mitleid und zugleich Verachtung für die Welt der Menschen, für die Vergeblichkeit allen Strebens, die Nichtigkeit aller Ziele und Wünsche (I/1,217–220). Seine hochgespannten Erwartungen von einst sind getrogen worden; der Rhein sickert zuletzt in »holländische Erde«, und im »morgenländischen« Osten (in Polen) hat er nur gewöhnliche Menschen getroffen (I/1,218). Seine eigene Verfassung charakterisiert Ottomar als die eines ›hungrigen Stolzes‹; er sehnt sich nach großen Taten, doch (zumindest zunächst) vergeblich (I/1,220). – In einem kataleptischen Zustand gefallen, ist Ottomar lebendig begraben worden, und in einem Brief an seinen Freund Fenk schildert er den antizipatorisch erlebten eigenen Tod, das Erwachen im Sarg und die Wahrnehmung der leeren Kirche in einem weiteren Brief (I/1,303–309). Seine Erfahrung völliger Verlassenheit in einem Totenreich ähnelt der visionären Predigt des toten Christus; dabei findet Ottomar zwar Worten der mitleidigen Liebe gegenüber den sterblichen Menschen, nicht aber Worte des Trostes; auch der Blick ins Weltall erscheint nur als der in ein Reich des Todes. Repräsentiert Ottomar hier den visionären und pathetischen Diskurs dessen, der die Welt in Gedanken hinter sich gelassen hat, so wirkt er jedoch auch als Satiriker. Zumindest schreibt der Erzähler ihm einen satirischen Brief zu, mit dem der diebische Sprößling eines gehenkten Verbrecherpaars vor dem Thron erscheint, um den Fürsten um seine Patenschaft zu bitten; der Text fällt durch »einige pasquillantische Züge auf, die eine feinere Hand verraten« (I/1,377), und er kritisiert in Form raffinierter Vergleiche die ständische Gesellschaft als inhuman, heuchlerisch und verrottet. Philippine – Die Schwester des Erzähler-Biographen Jean Paul, Philippine, muß zeitweilig dessen Biographenamt übernehmen, als er zu krank ist, um es selbst fortzuführen. Während er selbst glaubt, sterben zu müssen, durchschaut sie ihn als Hypochonder. Auf die Darstellung seiner (eingebildeten) Leiden ––––––– 52
Vernichtvision. Bemerkungen zum Verhältnis von Traumwelt und Wirklichkeit bei Jean Paul, in: JJPG 10 (1975), S.29–48. Günter Voigt rechnet Ottomar zu den Humoristen Jean Pauls. Vgl. Voigt [Anm.36], S.62.
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und der Situation des Bruders verwendet Philippine auf der halben Seite, mit der sie den 47. Sektor füllt, mehr Raum als auf die kure Mitteilung, auch Gustav und Beata gehe es nicht gut (I/1,367). Als der Biograph »Jean Paul« später nach unerklärlichen dramatischen Vorfällen abreisen muß, ergreift die Schwester nochmals die Feder für den Bruder, um einen Brief Fenks an diesen zu zitieren (I/1,418). Das Autor-Ich der Vorrede von 1821, der »Entschuldigung« von 1825 und des Epilogs – Während der »Vorredner« sich Jean Paul nennt und seine Vorrede an den Leser »auf dem Fichtelgebirg, im Erntemond 1792« datiert (I/1,32), ist die Vorrede zur zweiten Auflage (1821) von »Jean Paul Fr. Richter« in Baireuth unterzeichnet (I/1,22): Eine dritte Vorrede folgt 1825 in Form der »Entschuldigung bei den Lesern der sämtlichen Werke in Beziehung auf die unsichtbare Loge« (unterzeichnet von Jean Paul Friedrich Richter, Baireuth); die Entschuldigung gilt dem Umstand, daß der Roman nicht fertiggestellt wurde. Vorrede 2 und 3 signalisieren Distanz gegenüber dem »Vorredner«; gleichwohl sind die drei Texte zum einen durch den in Variationen auftretenden Namen des Autor-Ichs miteinander verbunden, zum anderen durch ihren poetologischen Grundcharakter. In der zweiten Vorrede geht es um Literatur, die Arbeit des Schriftstellers (verbunden mit satirischen Ausführungen über schlechte Charakterzeichner; vgl. I/1,17f.) und die eigene Biographie als Autor, in der »Entschuldigung« darum, daß fragmentarische Texte letztlich nichts anderes als Modelle einer insgesamt fragmentarischen Erfahrung sind. Der Epilog präsentiert sich als »Ausläuten oder Sieben Letzte Worte an die Leser der Lebensbeschreibung und der Idylle« (I/1,463–469). Das AutorIch, das seine »kleine Rolle« ausgespielt hat, verabschiedet sich vom Leser, »trauriger« als dieser, weil es sich zugleich von jenen »Papierspänen« verabschieden muß, die keine Aufnahme in den Roman gefunden haben, und weil es sich anläßlich dieser ›eingesargten‹, aber nicht ›eingeäscherten‹ Papiere an die ebenso wohl verwahrten Briefe derjenigen Freunde erinnert, die ihm »keine neue mehr schreiben können« (I/1,462). Wenn im folgenden dazu geraten wird, die »Freudenblumen« der schnell entschwindenden Gegenwart »in einem Kräuterbuche« aufzuheben, so korrespondiert dieses Plädoyer für eine Sammlertätigkeit, die Objekte inventarisiert, um sie zu Substraten der an Medien gebundenen Erinnerung zu machen, nicht allein dem, was Wutz praktiziert (das Eintauchen in die eigene Vergangenheit gehört zu Wutz’ Lieblingsbeschäftigungen, und er sammelt zeitlebens Erinnerungen, die er in abendlichen Mußestunden durchgeht), sondern es verdeutlicht auch, daß
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literarisches Schreiben Erinnerungsarbeit ist – und als solche einerseits Darstellung von Zeitlichkeit, andererseits Aufbegehren gegen die Zeit. Vor diesem Hintergrund kommen die Wunschträume eines Schriftstellers zur Sprache: die Freude am Büchermachen, das Bedürfnis, möglichst im ganzen Universum Leser zu finden (I/1,464), die Sehnsucht nach gleichgestimmten Seelen, nach Lesern, die sich in seinem Text wiedererkennen, auch wenn er sie nicht kennt.
ALEXANDER KLUGER / ALEXANDER KUPSCH
JEAN PAUL-BIBLIOGRAPHIE 2000–2004
1.
Werkausgaben
1.1
Sammlungen
(1)
Jean Paul: Dichtungen. Hrsg. von Paul Requadt. Augsburg: Weltbild 2003 (= Klassiker der deutschen Literatur).
(2)
Jean Paul: Sämtliche Werke. Hrsg. von Norbert Miller mit einem Nachwort von Walter Höllerer. Lizenzausgabe für die WBG. Darmstadt: WBG 2000. (Lizenzausgabe der 1960 erschienen Hanser-Ausgabe).
(3)
Jean Paul: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, im Auftrag der preußischen Akademie der Wissenschaften begründet und herausgegeben von Eduard Berend. Vierte Abteilung: Briefe an Jean Paul, hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Norbert Miller. Bd.1: Briefe an Jean Paul 1781–1793. Text und Kommentar, hrsg. von Monika Meier. Berlin 2003.
(4)
Jean Paul: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, im Auftrag der preußischen Akademie der Wissenschaften begründet und herausgegeben von Eduard Berend. Vierte Abteilung: Briefe an Jean Paul, hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Norbert Miller. Bd.2: Briefe an Jean Paul 1794–1797. Text und Kommentar, hrsg. von Dorothea Böck und Jörg Paulus. Berlin 2004.
1.2
Einzeldrucke und Anthologien
(5)
Gasseleder, Klaus: Des Studiendirektors Fälbels und seiner Schüler Studienreise in das Fichtelgebirge & Bericht über eine Fußreise von Hof nach Bayreuth auf den Spuren einer rothaarigen Schönen. Das sind: Zwei Jean-Paul-Pauliaden, an der Wende vom 20. zum 21. Jahr-
172
Jean-Paul-Bibliographie 2000–2004
hundert. Im Geiste der neuen Zeit nacherzählt von Klaus Gasseleder. Geldersheim: Vetter 2000. (6)
Jean Paul: (Auszug aus:) Vorschule der Ästhetik (1853). In: Gaskill, Howard; Schmidt, Wolf Gerhard (Hrsg.): ›Homer des Nordens‹ und ›Mutter der Romantik‹. James Macphersons Ossian und seine Rezeption in der deutschsprachigen Literatur. Kommentierte Neuausgabe wichtiger Texte zur deutschen Rezeption, Bd.4. Berlin: Walter de Gruyter, 2004. S.597–601.
(7)
Jean Paul: »Aus diesen Verwirrungen einen Roman zu machen«. Aus den unveröffentlichten Vorarbeiten zum Hesperus. Ausgewählt von Barbara Hunfeld. In: JJPG 38 (2003). S.9–13.
(8)
Jean Paul: «Der Poet träumt, der Leser schläft«. Materialien aus Jean Pauls unveröffentlichter Satiren- und Ironiensammlung. Ausgewählt von Birgit Sick. In: JJPG 38 (2003). S.2–8.
(9)
Jean Paul: »Schreiben Abzeichnen Eingraben«–Aus den unveröffentlichten Exzerptheften (1782–1800). Mitgeteilt von Michael Will. In: JJPG 37 (2002). S.2–13.
(10)
Jean Paul: Bausteine, Actio, Thorheiten. Ausgewählt von Petra Zaus. In: JJPG 40 (2005). S.3–13.
(11)
Jean Paul: Clavis fichtiana seu leibgeberiana. Hrsg. von Conciliis, Eleonora de; Retzlaff, Hartmut. Neapel: Edizioni Cronopio 2003.
(12)
Jean Paul: Der Komet oder Nikolaus Marggraf. Eine komische Geschichte. Nachw. von Ralph-Rainer Wuthenow. Zürich: Manesse 2002 (= Manesse-Bibliothek der Weltliteratur).
(13)
Jean Paul: Des Luftschiffers Gianozzo Seebuch. Almanach für Matrosen wie sie sein sollten. Nachwort von Rietzschel. Evi. Zeichnungen von Pretorius, Emil. Frankfurt a.M.: Insel 2004 (= Insel-Bücherei 1073).
(14)
Jean Paul: Die Kunst, einzuschlafen. Bayreuth: Ed. Schultz & Stellmacher 2000.
Alexander Kluger / Alexander Kupsch
173
(15)
Jean Paul: Frage über das Entstehen der ersten Pflanzen, Tiere und Menschen. Hrsg. von Kurt Paulus und Joachim Schultz. Bayreuth: Ed. Schultz & Stellmacher 2000.
(16)
Jean Paul: Himmelfahrt und Höllensturz des Luftschiffers Giannozo oder Vogelperspektive auf die Ameisenkongresse der Menschen. Best. von Semler, Daniel. Beiträge von Koester, Jan. Sprecher: Rühaak, Siemen; Russek, Rita. Bearbeitet von Cramer, Heinz von. München: Noa Noa 2003.
(17)
Jean Paul: Hungerjahre in Leipzig. Briefe aus der Studentenzeit 1781– 1784. Leipzig: Lehmstedt 2003.
(18)
Jean Paul: Ideen-Gewimmel. Texte & Aufzeichnungen aus dem unveröffentlichten Nachlaß. Hg. von Thomas Wirtz und Kurt Wölfel. München: Dtv 2000.
(19)
Jean Paul: Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal. Eine Art Idylle. Mit Anmerkungen und einer biographischen Notiz. Stuttgart: Reclam 2000.
(20)
Jean Paul: Lebenserschreibung. Veröffentlichte und nachgelassene autobiographische Schriften. Hrsg. von Helmut Pfotenhauer unter Mitarbeit von Thomas Meißner. München: Hanser 2004–Bespr.: Die Zeit Nr. 4 vom 20.1.2005, S.50 (Rolf Vollmann).
(21)
Jean Paul: Rede des todten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei. Original-Buchmalerei von Xago. Berlin u.a.: Lava-Druck 2001.
(22)
Jean Paul: Siebenkäs. 8. Aufl. Frankfurt. a.M.: Insel 2004.
(23)
Jean Paul: Titan. 7. Aufl. Frankfurt a.M.: Insel 2006.
(24)
Jean Paul: Träume. Gachnang&Springer Verlag, 2004.
(25)
Jean Paul: Traumwelten. Träume–Visionen– Naturmalereien. Mit einem Textauszug aus ›Hesperus‹ von Albert Béguin. Joditz: JeanPaul-Edition 2001 (= Schriftenreihe des Jean-Paul-Museums 1).
(26)
Jean Paul: Über die Freude. Ein Kalender auf das Jahr 1999. Hrsg. von Joachim Schultz. Bayreuth: Ed. Schultz & Stellmacher 1999.
174
Jean-Paul-Bibliographie 2000–2004
(27)
Spies, Hans-Bernd: Ein unveröffentlichter Brief von Fürstprimas Carl an Jean Paul (1809). In: Mitteilungen aus dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg 7 2002/04, S.206–212.
2.
Rezensionen
(28)
Albert, Claudia: Eckart Goebel, Am Ufer der Zweiten Welt. Jean Pauls ›Poetische Landschaftsmalerei‹: Tübingen: Stauffenburg Verlag Brigitte Narr GmbH (=Stauffenburg-Colloquium 51) 1999. 163 S. In: JJPG 37 (2002). S.235–239.
(29)
Helmreich, Christian: Beatrice Mall-Grob, Fiktion des Anfangs. Literarische Kindheitsmodelle bei Jean Paul und Adalbert Stifter. Stuttgart, Weimar: Metzler 1999. 414 S. In: JJPG 38 (2003). S.169–175.
(30)
Holzmann, Hubert: Cloot, Julia, Geheime Texte. Jean Paul und die Musik. Berlin, New York: de Gruyter 2000 (= Quellen und Forschungen zu Literatur- und Kulturgeschichte 17). 346 S. In: JJPG 37 (2002). S.239–244.
(31)
Jean Paul: Ich bitte mir nichts als Liebe. Freimütige Notate als Hobelspäne aus der Werkstatt eines Artisten: Die Gedankenhefte des größten Prosakünstlers deutscher Sprache. In: SZ (261/11.10.2000). S. ROM2.
(32)
Meißner, Thomas: Doris Reimer: Passion und Kalkül. Der Verleger Georg Andreas Reimer (1776–1842). Berlin, New York: de Gruyter 1999. 462 S. und 1 CD-ROM. In: JJPG 38 (2003). S.163–169.
(33)
Schmitz-Emans, Monika: Elsbeth Dangel-Pelloquin, Eigensinnige Geschöpfe. Jean Pauls poetische Geschlechter-Werkstatt. Rombach Wissenschaften. Reihe Litterae. Hg. v. Gerhard Neumann und Günther Schnitzler. Freiburg i. Br. 1999. 382 S. In: JJPG 37 (2002). S.244–249.
(34)
Vince, Monika: Zeller, Christoph, Allegorien des Erzählens. Wilhelm Raabes Jean-Paul-Lektüre. Stuttgart: Metzler 1999. In: JJPG 38 (2003). S.175–180.
Alexander Kluger / Alexander Kupsch
175
(35)
Will, Michael: Christian Helmreich, Jean Paul & le métier littéraire. Théorie et pratique de roman à la fin du XVIIIe siècle allemand. Tusson: Du Lérot 1999. 314 S. In: JJPG 38 (2003). S.186–191.
(36)
Zaus, Petra: Uwe Japp, Die Komödie der Romantik. Typologie und Überblick. Tübingen, Niemeyer 1999. In: JJPG 37 (2002). S.249–255.
3.
Rundfunkbeiträge
(37)
Braun, Peter: Weiber die Menge. Jean Paul und die Frauen. Nürnberg: Bayerischer Rundfunk 2001 [Manuskript zur Sondersendung des Bayerischen Rundfunks, Studio Franken, vom 25. April 2001, Bayern2Radio].
(38)
Offergeld, Rüdiger: «Er hat mich oft dem Wahnsinne nahegebracht.« Robert Schumann und Jean Paul. München: Bayerischer Rundfunk 2000.
(39)
Offergeld, Rüdiger: »Sein Herz und seine Schrift waren eins.« Jean Paul und die Bayreuther. München: Bayerischer Rundfunk 2001.
4.
Zeitungsartikel
(40)
Anonym: Franken im Orbit. In: SZ (267/18.11.2000). S. ROM5.
(41)
Anonym: Wenn das Kindtaufglöckchen drei schlägt. Narren in Spendierhosen: Jean Pauls später Roman »Der Komet« in einer schönen, handschmeichelnden Neuausgabe. In: SZ (280/04.12.2002). S. V2/8.
(42)
Anonym: Wer weint, der erbt. Warten auf ein paar Tränen Aus: Jean Pauls »Flegeljahre«. In: SZ (92/21.04.2001). S. ROM7.
(43)
Bartsch, Gunnar: Abschweifen als Prinzip. Erstausgaben und Farbradierungen in der UB. In: Julius 12 (2000), S.7.
(44)
Drews, Jörg: Auch der angebissene Mohnöhlkuchen mundet dem Selenomanen. Jean Pauls metaphorische, parabolische, allegorische und symbolische Mond-Metaphern in einer lexikographischen Anthologie. In: SZ (240/17.10.2000). S.20.
176
Jean-Paul-Bibliographie 2000–2004
(45)
Knoblauch, Ursula: Ein Leben von Schrift zu Schrift. In: Main-Post 265 vom 17.11. (2000), S.F5.
(46)
Maidt-Zinke, Kristina: Siebenkäs im Schlafrock. Eine Ausstellung in Zürich feiert den notorisch verkannten Dichter-Giganten Jean Paul. In: SZ (203/04.09.2001). S.13.
(47)
Ritter, Henning: Der Wicht als Wille und Wohnung. Jean Paul will sein Leben erzählen und gerät in die Fallstricke des autobiographischen Schreibens. In: FAZ (277/26.22.2004). S.L0.
5.
Erscheinungen im Kontext der Jean-Paul-Forschung und -Rezeption
(48)
Anonym: Der Emmentaler. In: Oberfränkischer Heimatkalender 223 (2002), S.83.
(49)
Aufseß, Hans Max von: Wunsiedels Auftritt im Biedermeier. In: Heimatkalender für Fichtelgebirge, Frankenwald und Vogtland 53 (2001), S.71–86.
(50)
Echte, Bernhard (Hg.): Jean-Paul-Box. Wädenswil : Nimbus Kunst und Bücher 2001 [Begleitpublikation zur Ausstellung ›Jean Paul– Unter der Hirnschale eines Riesen‹, Museum Strauhof, Zürch, 31. August–18. November 2001.
(51)
Grünbein, Durs: Ein sarkastisches Kind. In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.32.
(52)
Hürlimann, Thomas: Angewandte Unendlichkeit. Dankesrede zum Jean-Paul-Preis. In: Sinn und Form 55, 6 (2003), S.839–843.
(53)
Keppler, Stefan: Irmgard Egger, Diätetik und Askese. Zur Dialektik der Aufklärung in Goethes Romanen. München: Fink 2001. 284 S. In: JJPG 38 (2003). S.180–186.
(54)
Pfotenhauer, Helmut: Bonavita Blank–Der französische Archimboldo. In: JJPG 39 (2004). S.207–214.
(55)
Schneider, Sabine M.: Klassizismus und Romantik–Zwei Konfigurationen der einen ästhetischen Moderne. Konzeptuelle Überlegungen und neuere Forschungsperspektiven. In: JJPG 37 (2002). S.86–128.
Alexander Kluger / Alexander Kupsch
177
6.
Zur Biographie
(56)
Berend, Eduard: Jean Pauls Persönlichkeit in Berichten der Zeitgenossen. Hrsg. v. Eduard Berend mit einem Nachwort von Kurt Wölfel. 2., durchgesehene Auflage. Weimar: Böhlaus Nachfolger 2001.
(57)
Böhmer, Otto A.: Jean Paul. Geb. am 21. März 1763 in Wunsiedel (Fichtelgebirge), gest. am 14. November 1825 in Bayreuth. In: Böhmer, Otto A.: Lexikon der Dichter. Deutschsprachige Autoren von Roswitha von Gandersheim bis Peter Handke. München: Hanser 2004, S.69–73.
(58)
Braun, Peter: Weiber die Menge. Jean Paul in Bayreuth. In: Braun, Peter: Dichterhäuser. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2003, S.128–141.
(59)
Ebner, Robert: Das Verhältnis Jean Pauls zu Johann Baptist Graser. In: Frankenland ›Würzburg‹ 52, 4 (2000), S.248–251.
(60)
Elhardt, Armin: Jean Pauls Besuch in Stuttgart. ›Legationsrat Richter? Den kennt niemand ...‹ Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 2001.
(61)
Fischer, Franz Xaver: Vom kleinen Glück. Eine Betrachtung aus Jean Pauls Lehreridyllen. In: Oberfränkischer Heimatkalender 224 (2003) S.86–89.
(62)
Friedrich, Sven: ›Ich bin ein Ich‹. Die phantastischen Visionen Jean Pauls. In: Frankenland ›Würzburg‹ 53, 3 (2001), S.213–225.
(63)
Fromm, Hubert: Von Dichtern und Gartenhäuschen. Jean Paul und Friedrich Rückert. In: Geheimnisvolles Coburg. Gudensberg-Gleichen 2004, S.40–41.
(64)
Göller, Josef-Thomas: Schambaul. Jean Paul. In: Göller, JosefThomas: Wer die vergäße, tät mir leide. 30 Lebensläufe in Franken. Würzburg: Echter 2000, S.128–132.
(65)
Jacobs, Doris: Dem Riesen unter die Hirnschale geschaut. Jean-PaulAusstellung in Zürich. In: Aus dem Antiquariat 11 (2001), S. A 658– A 660.
178
Jean-Paul-Bibliographie 2000–2004
(66)
Jean Paul: «Bier, Bier, Bier, wie es auch komme«. Jean Paul und das Bier. Eine Dokumentation. Zusammengestellt und mit einem biographischen Essay versehen von Wolfgang Hörner. Hannover: Wehrhahn 2001.
(67)
Klenner-Otto, Stephan: Jean Pauls Idyllen und Visionen. Ein Literaturkalender zum 175. Todestag von Jean Paul. Kalender 2001. Neudrossenfeld: Holtz 2000.
(68)
Klinnert, Udo: Wandern mit Jean Paul. Kritische Anmerkungen zum Wandern und Spazierengehen von Jean Paul. In: Frankenwald 2 (2003), S.30–32.
(69)
Knopf, Otto: Jean Pauls Helmbrechtser Mädchen. In: Heimatkalender für Fichtelgebirge, Frankenwald und Vogtland 53 (2001), S.57–62.
(70)
Knopf, Otto: Was Jean Paul mit den Ellrodts zu tun hatte. In: Blätter vom Fichtelgebirge und Frankenwald 86, 1 (2000), S.1–2.
(71)
Kraft, Gisela: Ein Pflasterstein für Jean Paul. Rede, gehalten am Sonnabend, dem 23. Juni 2001 auf dem Weimarer Marktplatz. In: Palmbaum 9, 1/2 (2001), S.199–201.
(72)
Kratzsch, Konrad: Jean Paul in Weimar. In: Kratzsch, Konrad: Klatschnest Weimar. Ernstes und Heiteres, Menschlich-Allzumenschliches aus dem Alltag der Klassiker. 2., bearb. Auflage. Würzburg: Königshausen und Neumann 2003, S.76–89.
(73)
Maier, Hans: Der Dichter und sein ›schleichend Volk‹. Jean Paul nach 175 Jahren. In: Ausblicke 12 (2002), S.59–72.
(74)
Maier, Hans: Der Dichter und sein »schleichend Volk«–Jean Paul nach 175 Jahren. Rede beim Festakt am 14. November 2000 im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth. In: JJPG 37 (2002). S.14–34.
(75)
Müller, Stephan: Der Sprachschöpfer. In: Oberfränkischer Heimatkalender 223 (2002), S.78.
(76)
Müller, Stephan: Die philosophische Schrift ›Levana‹. In: Oberfränkischer Heimatkalender 223 (2002), S.95.
Alexander Kluger / Alexander Kupsch
179
(77)
Richter, Dieter: Jean Paul und Italien. Mit einem imaginären Reiseführer von Jean Paul Friedrich Richter. Joditz: Jean-Paul-Edition 2002 (= Schriftenreihe des Jean-Paul-Museums; 2).
(78)
Schmidt, Gustav: Jean Pauls Bayreuther Zeit. Von 1804 bis zu seinem Tod. Bayreuth: Regierung von Oberfranken 2000 (= Heimatbeilage zum Oberfränkischen Schulanzeiger; 269).
(79)
Schön, Tanja: Jean Paul. (21. März 1763–14. Novemer 1825). In: Franken 4 (2003) Würzburg, S.86–87.
(80)
Schultz, Joachim (Hg.): Jean Paul, seine Zeit und Zeitgenossen auf Plakaten. Katalog zu einer Ausstellung im Kleine Plakatmuseum Bayreuth. Bayreuth: Kleines Plakatmuseum 2000.
(81)
Setzwein, Bernhard: Hirnweltlers Rückkehr. Das ist: Der Absturz des Provinzlers Jean Paul Richter auf die Großstadt, dessen beschwerlicher Fußmarsch durch Geschichte und Sendling, seine Zusammenkunft mit dem Geheimrath am Goetheplatz und finaler Ausblick aus dem Kopf der Bavaria auf die Wiesenmaschin. Auf diesem Weg begleitet von Bernhard Setzwein. München: Kirchheim 2000.
(82)
Vollmann, Rolf: Das Tolle neben dem Schönen–Jean Paul. Ein biographischer Essay. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2000 (= dtv Belletristik 12829)–[Zuerst 1975, dann 1996].
(83)
Westermann, Horst: Jean Paul in Meiningen. Zum 175. Todestag. In: Rhönwacht 3 (2000), S.147.
(84)
Wiegmann, Hermann: Jean Paul (eigentlich Jean Paul Friedrich Richter; 1763–1825). In: Wiegmann, Hermann: Abendländische Literaturgeschichte. Die Literatur in Westeuropa von der griechischen und römischen Dichtung der Antike bis zur modernen englischen, französischen, spanischen, italienischen und deutschen Literatur. Würzburg: Königshausen & Neumann 2003, S.411–414.
7.
Forschungsliteratur
(85)
Bedenk, Jochen: Verwicklungen. William Hogarth und die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts (Lessing, Herder, Schiller, Jean Paul).
180
Jean-Paul-Bibliographie 2000–2004
Würzburg: Königshausen und Neumann 2004 (= Stiftung für Romantikforschung; 28)–Zugl. Diss., München 2003. (86)
Bergengruen, Maximilian: «Heißbrennende Hohlspiegel«. Wie Jean Paul durch die optische Magie seine Poetik sichtbar werden lässt. In: Lange, Thomas; Neumeyer, Harald (Hgg.): Kunst und Wissenschaft um 1800. Würzburg: Königshausen und Neumann 2000 (= Stiftung für Romantikforschung; 13), S.19–38.
(87)
Bergengruen, Maximilian: Flussgott und Wasserorgel. Die komische Geste bei Jean Paul. In: Egidi, Margreth (Hg.): Gestik. Figuren des Körpers in Text und Bild. Tübingen: Narr 2000 (= Literatur und Anthropologie; 8), S.231–245.
(88)
Bergengruen, Maximilian: Missgeburten. Vivisektionen des Humors in Jean Pauls ›Dr. Katzenbergers Badereise‹. In: Anatomie. Stuttgart 2003, S.271–291.
(89)
Bergengruen, Maximilian: Neues zu Jean Paul: Caroline Pross: Falschnamenmünzer; Michael Vonau: Quodlibet; Anette Debold: Reisen bei Jean Paul; Regula Bühlmann: Kosmologische Dichtung zwischen Naturwissenschaft und innerem Universum. In: Athenäum: Jahrbuch für Romantik; 9. 1999 (2000), S.272–281.
(90)
Bergengruen, Maximilian: Schöne Seelen, groteske Körper. Jean Pauls ästhetische Dynamisierung der Anthropologie. Hamburg: Meiner 2003 (= Studien zum achtzehnten Jahrhundert; 26)–Zugl. Diss., Marburg 2000.
(91)
Bergengruen, Maximilian: Von der schönen Seele zum guten Staat. Jean Pauls Synkretismus der Empfindsamkeit. (Platon, Rousseau, Jacobi) In: Matuschek, Stefan (Hg.): Wo das philosophische Gespräch ganz in Dichtung übergeht. Platons Symposion und seine Wirkung in der Renaissance, Romantik und Moderne. Heidelberg: Winter 2002 (= Jenaer germanistische Forschungen, Neue Folge; 13), S.175–190.
(92)
Berhorst, Ralf: Anamorphosen der Zeit. Jean Pauls Romanästhetik und Geschichtsphilosophie. Tübingen: Niemeyer 2002 (= Studien zur deutschen Literatur; 162)–Zugl. Diss., Berlin 1999.
Alexander Kluger / Alexander Kupsch
181
(93)
Bilstein, Johannes: Engel oder: Nachbarn in unseren Augen. In: Neue Sammlung: Vierteljahres-Zeitschrift für Erziehung und Gesellschaft, (41:4), 2001 Oct–Dec, 637–649.
(94)
Blessin, Stefan: Todesbilder in Goethes Romanen und einigen Erzählungen von Jean Paul. In: Gutjahr, Ortrud; Segeberg, Harro (Hgg.): Klassik und Anti-Klassik. Goethe in seiner Epoche. Würzburg: Königshausen und Neumann 2001. S.157–183.
(95)
Böck, Dorothea: »Der wahre Brief ist seiner Natur nach poetisch« (Novalis). Zwischen realer und imaginärer Geselligkeit–Jean Pauls Epistel-Salon. In: JJPG 37 (2002). S.146–175.
(96)
Böck, Dorothea: Die Taschenbibliothek oder Jean Pauls Verfahren, das ›Bücher-All‹ zu destillieren. In: Münz-Koenen, Inge; Schäffner, Wolfgang (Hgg.): Masse und Medium. Verschiebungen in der Ordnung des Wissens und der Ort der Literatur 1800/ 2000. Berlin: Akademie Verlag 2002 (= Literaturforschung), S.18–37.
(97)
Böck, Dorothea: Im Schatten grosser Namen. Über Tageblätter, Taschenbücher und Almanache oder die vergessene Karriere der Minna Sp. In: JJPG 39 (2004). S.141–164.
(98)
Böck, Dorothea: Jean Paul als »geheimer Lehrer«. Aspekte und Probleme seiner Rezeption in der DDR. In: Dornuf, Stefan; Pitsch, Reinhard (Hgg.): Wolfgang Harich zum Gedächtnis. Eine Gedenkschrift in zwei Bänden. München: Müller & Nerding 1999, Bd. 1, S.60–95.
(99)
Böhmer, Otto A.: Eine höchstrichterliche Entscheidung. Jean Paul und die Entdeckung des fügsamen Ich. In: Böhmer, Otto A.: Sternstunden der Literatur. Von Dante bis Kafka. München: C.H. Beck 2003 (= Beck’sche Reihe; 1557), S.35–42.
(100) Bonn, Klaus; Kovács, Edit; Szabó, Csaba (Hgg.): Entdeckungen. Über Jean Paul, Robert Walser, Konrad Bayer und anderes. Frankfurt a.M.: Lang 2002 (= Debrecener Studien zur Literatur; 9). (101) Braungart, Wolfgang: Manierismus als Selbstbehauptung. Jean Paul. In: Braungart, Wolfgang (Hg.): Manier und Manierismus. Tübingen: Niemeyer 2000 (= Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte; 106), S.307–322.
182
Jean-Paul-Bibliographie 2000–2004
(102) Brosche, Peter: Jean Paul unter dem Himmel der Astronomen. In: JJPG 39 (2004). S.215–225. (103) Brüggemann, Heinz: Das Inventarium neu erworbener Kenntnisse und das leichte Corps der Phantasie. Georg Christoph Lichtenberg: ›Vermischte Gedanken über die aërostatischen Maschinen‹ und Jean Paul: ›Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch‹. Kleiner Versuch über Poesie und Wissenschaft um 1800. In: Ottmann, Dagmar; Symmank, Markus (Hgg.): Poesie als Auftrag. Festschrift für Alexander von Bormann. Würzburg: Königshausen und Neumann 2001, S.29–42. (104) Brüggemann, Heinz: Luftbilder eines kleinstädtischen Jahrhunderts. Ekstase und imaginäre Topographie in Jean Paul: ›Des Luftschiffers Gianozzo Seebuch‹. In: Graevenitz, Gerhart von (Hg.): Die Stadt in der europäischen Romantik. Würzburg: Königshausen und Neumann 2000 (= Stiftung für Romantikforschung; 11), S.127–182. (105) Brummack, Jürgen: Natürliche Magie, Magnetismus, Alchemie. Über Jean Pauls ›Komet‹. In: Kaminski, Nicola; Drügh, Heinz J.; Hermann, Michael (Hgg.): Hermetik. Literarische Figurationen zwischen Babylon und Cyberspace. Tübingen: Niemeyer 2002 (= Untersuchungen zur deutschen Literatur-Geschichte; 113), S.129–160. (106) Bruyn, Günter de: 1803: Jean Paul: ›Titan‹. In: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte 10 (2003), S.236–240. (107) Buschendorf, Bernhard: »Um Ernst, nicht um Spiel wird gespielt.« Zur relativen Autonomie des Ästhetischen bei Jean Paul. In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.218–237. (108) Cloot, Julia: Geheime Texte. Jean Paul und die Musik. Berlin u.a.: de Gruyter 2001 (= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte; 17 = (251))–Zugl. Diss., Berlin 1999. (109) Cloot, Julia: Musikalische Landschaft. In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.165–188. (110) Dangel-Pelloquin, Elsbeth: »You Kiss by th’ Book«: Plädoyer für eine literarische Osculologie. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 45 (2001), S.359–379.
Alexander Kluger / Alexander Kupsch
183
(111) Dangel-Pelloquin, Elsbeth: Küsse und Risse: Jean Pauls Osculologie. In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.189–204. (112) Dangel-Pelloquin, Elsbeth: Proliferation und Verdichtung. Zwei Fassungen des ›Siebenkäs‹. In: Espagne, Geneviève; Helmreich, Christian (Hgg.): Schrift- und Schreibspiele. Jean Pauls Arbeit am Text. Würzburg: Königshausen und Neumann 2002, S.29–41. (113) Debold, Annette: So zieh um des Himmels willen Stiefel an und komm! Fußreisen bei Jean Paul. In: Euphorion 98, 2 (2004), S.153– 163. (114) Dehrmann, Mark-Georg: Brotverwandlungen des Geistes. Die Phantasie zwischen Materie und Geist bei Jean Paul, mit Rücksicht auf Johann Jacob Bodmer und Georg Hermann Richerz. In: JJPG 37 (2002). S.176–197. (115) Deupmann, Christoph: Die Grenze des Strafmodells. Die Strafrechtsform des Humors bei Jean Paul. In: Deupmann, Christoph: Furor satiricus. Verhandlungen über literarische Aggression im 17. und 18. Jahrhundert. Tübingen: Niemeyer 2002 (= Studien zur deutschen Literatur; 166), S.81–84. (116) Dietrich, Roland: Gelehrsamkeit als Manie. Jean Paul. In: Dietrich, Roland: Der Gelehrte in der Literatur. Literarische Perspektiven zur Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems. Würzburg: Königshausen und Neumann 2003 (= Epistemata. Reihe Literaturwissenschaft; 425), S.208–248. (117) Dürselen, Oliver: Erzählte Paradoxie. Eine Analyse von Beobachtungs-, Erzähl- und Erkenntnisparadoxien in Jean Pauls Romanen ›Die unsichtbare Loge‹ und ›Hesperus‹ auf der Grundlage eines systemtheoretischen Modells von Narrativität als Beobachtungszusammenhang. München 2000–Magisterarbeit. (118) Eickenrodt, Sabine: Horizontale Himmelfahrt oder poetische ars volandi. Die optische Metaphorik der Unsterblichkeit in Jean Pauls Komet. In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.267–292. (119) Eickenrodt, Sabine: Sinensische Sprachgitter: Jean Pauls Schriftbilder der anderen Welt. In: JJPG 38 (2003). S.30–77.
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Jean-Paul-Bibliographie 2000–2004
(120) Espagne, Geneviève: Jean Pauls Palingenesien, oder: Hat das Schreibspiel ein Ende? In: Espagne, Geneviève; Helmreich, Christian (Hgg.): Schrift- und Schreibspiele. Würzburg: Königshausen und Neumann 2002, S.43–58. (121) Espagne, Geneviève: Les années de voyage de Jean Paul Richter. Biographie d’une fin de siècle en Allemagne. Paris: Les Editions de Cerf 2002 (= Bibliothèque franco-allemande). (121) Espagne, Geneviève; Helmreich, Christian (Hgg.): Schrift- und Schreibspiele. Jean Pauls Arbeit am Text. Würzburg: Königshausen und Neumann 2002. (122) Esselborn, Hans: »Ein Buch gehört der Menschheit an«. Jean Pauls Plädoyer für die »Preßfreiheit«. In: JJPG 40 (2005). S.89–106. (123) Esselborn, Hans: Intertextualität und Selbstbehauptung des Autors in Jean Pauls Werken. In: Espagne, Geneviève; Helmreich, Christian (Hgg.): Schrift- und Schreibspiele. Würzburg: Königshausen und Neumann 2002, S.59–79. (124) Esselborn, Hans: La description de la misère du Saint-Empire par Jean Paul. In: Misère allemande. Textes réunis par Lucien Calvié et François Genton à l’occasion du bicentenaire de lan naissance de Heinrich Heine (1797–1856). Grenoble: CERAAC 1999 (= Chroniques allemandes; 7), S.37–45. (125) Esselborn, Hans: Le diagnostic littéraire de la réalité historique. ›La misère Allemande‹ dans les romans de Jean Paul Richter. In: Patrimoine littéraire européen. Actes du colloque international. Namur, 26, 27 et 28 novembre 1998. Textes reunis et présentes par Jean-Claude Polet. Bruxelles: De Boeck 2000, S.167–176. (126) Fertig, Ludwig: »Abderitismus« und »Kuhschnappelei« oder: Das Genie in der Reichsstadt. Anmerkungen zu Schubart, Wieland und Jean Paul. Herausgegeben von Gesellschaft Hessischer Literaturfreunde e.V. Darmstadt: Justus-von-Liebig 2004. (127) Fleming, Paul: Die Moderne ohne Kunst. Max Kommerells Gattungspoetik in ›Jean Paul‹. In: Busch, Walter; Pickerodt, Gerhart (Hgg.): Max Kommerell. Leben–Werk–Aktualität. Göttingen: Wallstein 2003, S.55–73.
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(128) Fleming, Paul: The crisis of art. Max Kommerell and Jean Paul’s gestures. In: MLN 115, 3 (2000), S.519–543. (129) Fleming, Paul: The dissonant whole. Jean Paul’s polyphonic prose. Ann Arbor, Mich.: ProQuest 2002–Zugl.: Diss., Baltimore 2002 [Mikrofiche-Ausgabe]. (130) Frei Gerlach, Franziska: Geschwisterliebe. Inzestdiskurs bei Goethe und Jean Paul. In: Eming, Jutta; Jarzebowski, Claudia; Ulbrich, Claudia (Hgg.): Historische Inzestdiskurse. Interdisziplinäre Zugänge. Königstein/Taunus: Helmer 2003, S.214–246. (131) Frei Gerlach, Franziska: Schriftgeschwister. Die Rückversicherung des Fragments in Jean Pauls Unsichtbarer Loge. In: JJPG 39 (2004). S.83–111. (132) Frey, Christiane: Zeichen–Krisis–Wahnsinn. Fallgeschichten medizinischer und poetischer Semiotik (Philippe Pinel, Jean Paul). In: Heinen, Sandra; Nehr, Harald (Hgg.): Krisen des Verstehens um 1800. Würzburg: Königshausen und Neumann 2004 (= Stiftung für Romantikforschung; 27), S.111–132. (133) Fuld, Werner: Das Verschwinden des Jean Paul oder warum wir Ideale haben, aber keine Ideen. In: Fuld, Werner: Die Bildungslüge. Warum wir weniger wissen und mehr verstehen müssen. Berlin: Argon 2004, S.71–92. (134) Gamziukaite, Raminta: Metaphern als Ausdruck bildhaft-wertenden Denkens in Jean Pauls ›Titan‹. In: Triangulum 7 (2000), S.57–71. (135) Garbrock, Kerstin: Jean Pauls Roman ›Dr. Katzenbergers Badreise‹ und die Medizin der Romantik. Diss. Köln 2003. (136) Genz, Julia: Jean Pauls Fibel als unbekannter Initiator der Massenalphabetisierung. In: Genz, Julia: Analphabeten und der blinde Fleck der Literatur. München: Fink 2004, S.144–151. (137) Gnam, Andrea: Du verborgner Unendlicher, mache das Grab zum Souffleurloch und sage mir, was ich denken soll vom ganzen Theater! Der Wechsel der Perspektiven. Sterbeszenen bei Jean Paul. In: Euphorion 98, 1 (2004), S.57–72.
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(138) Gnam, Andrea: Noch gibt es keine Mode zum sterben. Todesszenen bei Jean Paul. In: NZZ Nr. 98, 28.04.2001, S.54. (139) Goebel, Eckart: Vorgespielte und wahre Unendlichkeit: ›Mise en abyme‹. Gide, Huxley, Jean Paul. In: Goebel, Eckart: Die Endlichkeit der Literatur. Berlin 2002, S.85–99. (140) Goebel, Ralf: Der Handschriftliche Nachlaß Jean Pauls und die JeanPaul-Bestände der Staatsbibliothek zu Berlin–Preußischer Kulturbesitz. Teil 1: Faszikel I bis XV. Wiesbaden: Harrassowitz 2002 (= Katalog der Handschriftenabteilung, Hg. von Eef Overgaavw; zweite Reihe: Nachlässe; Band 6). (141) Goebel, Ralf: Herder und Jean Paul. Freundschaft im Zeichen der Philosophie. In: Becker, Peter Jörg u. a. (Hg.): Scrinium Berolinense. Tilo Brandis zum 65. Geburtstag. Berlin: Staatsbibliothek zu Berlin– Preußischer Kulturbesitz 2000, S.842–871. [auch als CD-ROM]. (142) Goebel, Ralf: Philosophische Dichtung–dichtende Philosophie. Eine Untersuchung zu Jean Pauls (Früh-)Werk unter Berücksichtigung der Schriften Johann Gottfried Herders und Friedrich Heinrich Jacobis. Frankfurt a.M., Berlin u.a.: Lang 2002 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur; 1847)–Zugl. Diss., Würzburg 2002. (143) Golz, Jochen: Blicke Jean Pauls auf Schiller. In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.238–250. (144) Golz, Jochen: Die Fassungen der ›Unsichtbaren Loge‹. Blicke in die Werkstatt. In: Espagne, Geneviève; Helmreich, Christian (Hgg.): Schrift- und Schreibspiele. Jean Pauls Arbeit am Text. Würzburg: Königshausen und Neumann 2002, S.11–27. (145) Greene, Francis Paul: Preface, Vorwort, Vorrede. Jean Paul and E.T.A. Hoffmann. In: New German review: A Journal of Germanic Studies 2001, 16 (2001), S.6–22. (146) Grolle, Joist: Im Bann von Jean Paul und Napoleon. Der Tagebuchschreiber Ferdinand Beneke. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 89 (2003), S.41–78.
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(147) Haas, Rosemarie: Goethe-Lektüren Jean Pauls. Seine Antworten in den beiden Fassungen des ›Siebenkäs‹. In: Lohmeier, Dieter (Hg.): Festschrift für Erich Trunz zum 90. Geburtstag. Vierzehn Beiträge zur deutschen Literaturgeschichte. Neumünster: Wachholtz 1998. (= Kieler Studien zur deutschen Literatur-Geschichte; 19), S.145–166. (148) Hagel, Ulrike: Elliptische Zeiträume des Erzählens. Jean Paul und die Aporien der Idylle. Würzburg: Königshausen und Neumann 2003 (= Epistemata. Reihe Literaturwissenschaft; 463)–Zugl. Diss., Frankfurt a.M. 2002–Bespr.: Athenäum 14 (2004), S.293–298. (149) Hagel, Ulrike: Vielseitige ›Blattlausfruchtbarkeit‹ bei Jean Paul. In: Gunia, Jürgen; Hermann, Iris (Hgg.): Literatur als Blätterwerk. Perspektiven nichtlinearer Lektüre. St. Ingbert: Röhrig 2002, S.241–258. (150) Hagel, Ulrike: Vom falschen Timing oder Der Dämon der Vergesslichkeit. In: Forschung Frankfurt 19, 2 (2001), S.65–68. (151) Harig, Ludwig: Tausend Tropfen Humor. Jean Pauls Poetik. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Literarische Kanonbildung. München: Boorberg 2002 (= Edition Text und Kritik), S.348–349. (152) Heilmann, Markus: »Jede Begebenheit eine Weissagung«. Eine Notiz zu Luhmann und Jean Paul. In: Heilmann, Markus; Wägenbaur, Birgit (Hg.): Ironische Propheten. Sprachbewußtsein und Humanität in der Literatur von Herder bis Heine; Studien für Jürgen Brummack zum 65. Geburtstag. Tübingen: Narr 2001, S.219–231. (153) Heinemann, Paul: ›Das helle Bewußtsein des Ich‹. Erscheinungsformen ästhetischer Subjektivität in Prosawerken Friederike Mayröckers und Jean Pauls. In: Kühn, Renate (Hg.): Friederike Mayröcker oder »das Innere des Sehens«. Studien zu Lyrik, Hörspiel und Prosa. Bielefeld: Aisthesis 2002, S.211–240. (154) Heinemann, Paul: Potenzierte Subjekte–Potenzierte Fiktionen. IchFigurationen und ästhetische Konstruktion bei Jean Paul und Samuel Beckett. Würzburg: Königshausen und Neumann 2001 (= Saarbrücker Beiträge zur vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft; 16)– Zugl.: Diss., Bochum 2000. (155) Helmreich, Christian: »Einschiebeessen in meinen biographischen petits soupers«. Jean Pauls Exkurse und ihre handschriftlichen Vor-
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formen. In: Espagne, Geneviève; Helmreich, Christian (Hgg.): Schriftund Schreibspiele. Jean Pauls Arbeit am Text. Würzburg: Königshausen und Neumann 2002, S.99–122. (156) Helmreich, Christian: Jean Paul et les couleurs de la rhétorique. In: Michel Constantini, Jacques le Rider, Francois Solages (Hgg.): La couleur réfléchie. Paris u.a. 2000, S.75–83. (157) Helmreich, Christian; Claudia Albert: Jean Paul et le métier littéraire. Théorie et pratique du roman à la fin du XVIIIe siècle allemand. Tusson, Charente: Du Lérot 1999–Bespr.: Arbitrium 20, 1 (2002), S.63– 64 (Claudia Albert)–Romantisme 30, 110 (2000), S.134–135 (Geneviève Espagne)–Monatshefte für deutschsprachige Literatur und Kultur 94, 3 (2002), S. 402–404 (Wulf Kopeke)–JJPG 38 (2003), S.186– 191 (Michael Will) (158) Hensher, Philip: On Jean Paul. In: Görner, Rüdiger (Hg.): Uncanny similitudes. British Writers on German Literature. München: Iudicium 2002, S.21–32. (159) Hentschel, Uwe: Jean Paul und Seume an der Universität der Armen. In: Hentschel, Uwe: Von Thomasius bis E.T.A. Hoffmann. Radebeul: Reintzsch 2002, S.119–132. (160) Hermann, Iris: »Alles scheint mir aus Todtenasche geformt«. Tod und Tote bei Jean Paul. In: L’art macabre. Jahrbuch der Europäischen Totentanz-Vereinigung 4 (2003), S.103–112. (161) Hermann, Iris: »Blutende Fenster«: Bilder verwundeter Körper bei Jean Paul, Franz Kafka und in der Psychoanalyse. In: Braungart, Wolfgang; Ridder, Klaus; Apel, Friedmar (Hgg.): Wahrnehmen und Handeln. Perspektiven einer Literaturanthropologie. Bielefeld: Aisthesis 2004 (= Bielefelder Schriften zur Linguistik und Literaturwissenschaft; 20), S.175–192. (162) Hermann, Iris: Krankschreibungen. Krankheit und Tod in Texten von Montaigne, Jean Paul, Kafka, Beckett und Brodkey. In: Brünner, Gisela/Gülich, Elisabeth (Hrsg.): Krankheit verstehen. Interdisziplinäre Beiträge zur Sprache in Krankheitsdarstellungen. Bielefeld: Aisthes Verlag, 2002 (= Bielefelder Schriften zu Linguistik und Literaturwissenschaften; 18). S.319–340.
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(163) Herrmann, Dietmar: Gedenken an Jean Paul. In: Der Siebenstern 69, 2 (2000), S.93–95. (164) Herrmann, Dietmar: Kurzbiographie von berühmten Männern aus dem Fichtelgebirge. In: Der Erzähler vom Gabelmannsplatz 41 (2001), S.5–6. (165) Hesse, Sandra: »Mir (empirisch genommen) grauset vor mir (absolut genommen).« Zur philosophischen Kritik und poetologischen Reflexion in Jean Pauls ›Clavis Fichtiana‹. In: JJPG 40 (2005). S.107–149. (166) Hoeps, Thomas: Von Racheengeln, Partisanen und Terroristen avant la lettre. Zur Vorgeschichte des Terrorismus-Stoffes in drei Erzählungen Jean Pauls, Kleists und Eichendorffs. In: Hoeps, Thomas: Arbeit am Widerspruch. ›Terrorismus‹ in deutschen Romanen und Erzählungen (1837–1992). Dresden: w.e.b. 2001 (= Arbeiten zur Neueren deutschen Literatur; 8), S.58–62.–Zugl.: Diss. Dresden: Techn. Univ. 2000. (167) Höffer-Mehlmer, Markus: Romantischer Ratschlag. Jean Paul Richters ›Levana‹. In: Höffer-Mehlmer, Markus: Elternratgeber. Zur Geschichte eines Genres. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren 2003, S.82–91. (168) Hofmann, Werner: ›Glühend Eis‹ und ›schwarzer Schnee‹. Anmerkungen zur ›gesetzlosen Willkür des jetzigen Zeitalters‹ (Jean Paul). In: Hofmann, Werner: Die gespaltene Moderne. Aufsätze zur Kunst. München: Beck 2004, S. 120–142. (169) Holzheimer, Gerd: Jean Paul. Das Gehen, um Literatur hervorzubringen, als Spiel, eine Literatur des Gehens hervorzubringen. In: Holzheimer, Gerd: Wanderer Mensch. Studien zu einer Poetik des Gehens in der Literatur. München: Literatur in Bayern 1999 (= Kulturgeschichtliche Forschungen; 25), S.310–315. (170) Horn, Anette: »Wie fliegen die Goldadler der Flammen überall, um die Sonne, um die Eiskuppeln [...] und ruhen mit aufgeschlagenen Flügeln an grünen Alpen aus« (Jean Paul). Der dichterische Blick von oben. In: Arlt, Herbert (Hg.): Realität und Virtualität der Berge. St. Ingbert: Röhrig 2002 (= Österreichische und internationale Literaturprozesse; 16), S.63–70.
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(171) Horn, Anette: Jean Paul. Die Poetik des ›Zettelkasten‹. Assoziationspsychologie und die Ästhetik eines phantastischen Realismus. In: Acta Germanica; 28 (2000), S.75–85. (172) Horn, Anette: Zur Polyphonie der Romane Jean Pauls: Einige Gedanken zu den Begriffen ›Gleichnis‹, ›Vergleich‹, ›Metapher‹. Trans. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften, (13), 2002. (173) Hörner, Wolfgang: »Sprache ist weder eine Kinderbewahrschule noch ein Altersheim«. Don Vigos Sprachwälgereien und ihre Wurzeln bei Fischart, Jean Paul und Sterne. In: Die Horen 45, 3 (2000), S.98–110. (174) Huber, Martin: Der Text als Bühne. Theatrales Erzählen um 1800. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003–Zugl. Habil., München 2000. (175) Hunfeld, Barbara: Der Blick ins All. Reflexionen des Kosmos der Zeichen bei Brockes, Jean Paul, Goethe und Stifter. Tübingen: Niemeyer 2004 (= Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte; 121)–Zugl.: Diss., Würzburg 2001/02. (176) Hunfeld, Barbara: Glanz der Unebenheit. Aus Jean Pauls »Arbeitsloge« des Hesperus. In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.151–164. (177) Innerhofer, Roland: Die technische Modernisierung des künstlichen Menschen in der Literatur zwischen 1800 und 1900. In: Flessner, Bernd (Hg.): Nach dem Menschen. Der Mythos der zweiten Schöpfung und das Entstehen der posthumanen Kultur. Freiburg: Rombach 2000, S.69–99. (178) Japp, Uwe: Die narrative Instanz des Humoristen in Dr. Katzenbergers Badereise. In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.293–304. (179) Jauslin, Kurt: Der Tragelaph. Arno Schmidt und Jean Paul oder Die Unverständlichkeit der Literatur. In: Zettelkasten 19 (2000), S.219– 247. (180) Kamei, Hajime: Wie kann das Komische romantisch sein? Über Jean Pauls ›Vorschule der Ästhetik‹ §31, »Begriff des Humors«. In japanischer Sprache; dt. Zusammenfassung S.120–121. In: Doitsu bungaku 104 (2000), S.112–121.
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(181) Kiesant, Knut: Die Ischia-Episode in Jean Pauls Titan. ›... sie schauten in die Welt und in das Herz ...‹. In: Stillmark, Hans-Christian; Krüger, Brigitte (Hgg.): ›Worüber man (noch) nicht reden kann, davon kann die Kunst ein Lied singen.‹ Texte und Lektüren. Frankfurt a.M., Berlin u.a.: Peter Lang 2001, S.147–162. (182) Kilcher, Andreas B.: Mikrologie des großen Wissens. Jean Pauls kleine Haus-Enzyklopädisten. In: Althaus, Thomas (Hg.): Kleinbürger. Zur Kulturgeschichte eines begrenzten Bewusstseins. Tübingen: Attempto 2001, S.35–57. (183) Klaghofer, Wolfgang: Gott als Geheimnis denken? Zu einem (verwaisten) Zentralbegriff der Theologie. In: Münchener Theologische Zeitschrift. Vierteljahresschrift für das Gesamtgebiet der katholischen Theologie 53 (2002). S.325–337. (184) Koch, Lutz: Pädagogik zwischen Phelloplastik und Maulmenschenerziehung. Jean Pauls ›Levana‹. In: Koch, Lutz (Hg.): Bayreuther Pädagogen. Würzburg: Ergon 2003 (= Bibliotheca Academica; 14. Reihe Pädagogik; 3). (185) Kohnen, Joseph: Bemerkungen zu Hippels Urteil über Jean Paul. In: Publications du Centre Universitaire du Luxembourg 1989, 15 (2001), S.21–26. (186) Kohnen, Joseph: Warum Bibliothekar? Noch einige Überlegungen zur Schoppe-Figur in Jean Pauls ›Titan‹. In: Publications du Centre Universitaire de Luxembourg, Département des Lettres et des Sciences Humaines 18 (2003), S.5–18. (187) Köhnen, Ralph: Sich erfinden. Jean Paul, Polyhistor und Professor seiner selbst. In: Köhnen, Ralph (Hg.): Selbstpoetik 1800–2000. IchIdentität als literarisches Zeichenrecycling. Frankfurt a.M., Berlin u.a.: Lang 2001, S.81–104. (188) Köpke, Wulf: Die Komik des Bösen. Jean Paul im Kampf mit dem Grotesken und seinen Nachfolgern. In: Jahrbuch der RückertGesellschaft 14 (2002), S.111–132. (189) Köpke, Wulf: Promises and False Hopes: Poetic Prose and the Questionable Identities of the Narrator in Jean Paul Richter’s ›German Novels‹. Dalhousie Review 82, 3 (2002), S.365–375.
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(190) Kopriva, Roman: Das verschwiegene Teleskop und das Spiel der Einbildungskraft. Zum Sprach- und Darstellungsstil in Rudolf Kassners Geheimnis ›Der Spiegel des Herrn‹. Ein Vergleich mit Jean Pauls ›Vorschule der Ästhetik‹. In: Brünner Beiträge zur Germanistik und Nordistik 14 (2001), S.147–182. (191) Kopriva, Roman: Das verschwiegene Teleskop. Zum Sprach- und Darstellungsstil in Rudolf Kassners ›Der Spiegel des Herrn‹. Ein Vergleich mit Jean Pauls ›Vorschule der Ästhetik‹. In: Fialová-Fürstová, Ingeborg: Mährische deutschsprachige Literatur. Eine Bestandsaufnahme. Beiträge der internationalen Konferenz Olmütz, 25.–28. April 1999. Olomouc: Vydavatelství Univerzity Palackého 1999, S.256– 288. (192) Körner, Udo: Jean Paul und »Der gott-lose Jesus«. In: Körner, Udo: ›Zu früh starb jener Hebräer‹. Ein Jesus-Mosaik. Regensburg: Pustet Verlag, 2003. S.74–78. (193) Kranefeld, Ulrike: Schwindel der Seele. Humoristische Sinnlichkeit als kunstübergreifendes Rezeptionsphänomen bei Schumann, Jean Paul und Shakespeare/Tieck. In: Ares, Rolf (Hg.): Martin Geck. Festschrift zum 65. Geburtstag. Dortmund: Klangfarben 2001, S.85–93. (194) Kulenkampff, Sabine: Schreiben nach Damaskus. Darstellung und Funktion von Ad-hoc-Offenbarungen in autobiographischer Prosa von Aurelius Augustinus, August Hermann Francke, Jean Paul und Robert Musil. Kraków: Wydawnictwo Szkolne Omega 1999–Zugl.: Diss., Erlangen-Nürnberg 1998. (195) Kurdi, Imre: Ein entgleister Bildungsroman. Jean Pauls ›Flegeljahre‹. In: Jahrbuch der ungarischen Germanistik 2002, S.39–51. (196) Langer, Brigitte: Aber der Mensch ist höher als sein Ort. Liebe, Sprache und Erkenntnis bei Jean Paul. In: Maier, Thomas (Hg.): Im Meer der Geschichten. Vorträge zur Literatur beim Heinrich von VeldekeKreis. Essen: Die Blaue Eule 1999, S.79–89. (197) Langer, Brigitte: Jean Pauls Weg zur Metapher. Sein ›Buch‹ Leben des Quintus Fixlein. Frankfurt a.M.: Lang 2003 (= Europäische Aufklärung in Literatur und Sprache; 15)–Zugl.: Diss., Duisburg 2002.
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(198) Längsfeld, Ingeborg: Ursprüngliche Genialität und Kindheitsmystik bei Jean Paul und Novalis. In: Längsfeld, Ingeborg: Utopie und Regression in der Spätromantik. Aachen: Shaker 2003 (= Berichte aus der Literatur-Wissenschaft), S.143–147. (199) Liebs, Elke: Das Verfahren der Verführung. Zu Jean Pauls ›Titan‹. In: Stillmark, Hans-Christian; Krüger, Brigitte (Hgg.): ›Worüber man (noch) nicht reden kann, davon kann die Kunst ein Lied singen.‹ Texte und Lektüren. Frankfurt a.M., Berlin u.a.: Peter Lang 2001, S.163– 176. (200) Luckscheiter, Roman: Die Sprache des Chaos und der Geist der Emanzipation. Jean Paul und Joesph Görres in der französischen Rezeption zwischen 1830 und 1860. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 46 (2002), S.184–198. (201) Lulé, Susanna: Robert Schumann und Jean Paul–ein neues Paradigma der romantischen Musikästhetik? In: Musik & Ästhetik 5, 20 (2001), S.106–110. (202) Lutz, Cosima: Aufess-System. Jean Pauls kannibalistische Poetik im ›Komet‹. In: JJPG 40 (2005). S.59–88. (203) Lutz, Cosima: Der Zynismus in Jean Pauls ›Dr. Katzenbergers Badereise‹. Magisterarbeit. Erlangen, Nürnberg 2000. (204) Maier, Thomas: Von deutschen Schlafwandlungen. Jean Paul via Nietzsche und zurück. In: Maier, Thomas (Hg.): Das Lachen des Dionysos. Nietzsche und die literarische Moderne. Vorträge zur Literatur beim Heinrich-von-Veldke-Preis. Essen: Die Blaue Eule 2002 (= Literaturwissenschaft in der Blauen Eule; 35), S.61–84. (205) Malyszek, Tomasz: Jean Pauls Ästhetik des Schmerzes. In: Convivium 2000, S.133–150. (206) Meier, Monika: Die Historisch-Kritische Ausgabe der Briefe an Jean Paul. Vierte Abteilung der von Eduard Berend begründeten Ausgabe »Jean Pauls sämtliche Werke«. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2002. S.220–222.
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(207) Meier, Monika (Hg.): »Da der erste Theil ihres Briefes so war wie ihr Abschied, (doch sie nahmen gar keinen) ...« Briefe an Jean Paul 1781–1797. In: JJPG 39 (2004). S.17–26. (208) Meier, Monika; Paulus, Jörg (Ed.): Sammlung der zeitgenössischen Rezensionen von Jean Pauls Werken. Zweiter Nachtrag. In: JJPG 40 (2005). S.179–185. (209) Menges, Karl: Hegel, Jean Paul und die »Zeichen der Sprache«. In: Lindorfer, Bettina; Naguschewski, Dirk (Hrsg.): Hegel: Zur Sprache. Beiträge zur Geschichte des europäischen Sprachdenkens. Festschrift für Jürgen Trabant zum 60. Geburtstag. Tübingen: Narr 2002. S.215– 230. (210) Menke, Bettine: Jean Pauls Witz. Kraft und Formel. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 76, 2 (2002), S.201–213. (211) Miller, Norbert: »Welche flimmernde Welt«. Jean Pauls Gärten und Landschaften. In: JJPG 40 (2005). S.14–58. (212) Minter, Catherine J.: »Die Macht der dunklen Ideen«: A Leibnizian theme in german psychology and fiction between the late enlightenment and romanticism [Sulzer, Mendelssohn, Jean Paul, Tieck]. In: German life and letters 54 (2001). S.114–136. (213) Minter, Catherine J.: Anthropology and the novel in late eighteenthcentury Germany. Wezel, Moritz and Jean Paul. Diss., Oxford 2000 [Abstact in: Index to theses 51 (2002) P.2, 319]. (214) Minter, Catherine J.: Jean Paul and women’s anthropology. In: Forum for modern language studies 38, 3 (2002), S.315–325. (215) Minter, Catherine J.: Literary Empfindsamkeit and nervous sensibility in eighteenth-century Germany. In: The modern language review 96, 4 (2001), S.1016–1028. (216) Minter, Catherine J.: The mind-body problem in German literature, 1770–1830. Wezel, Moritz, and Jean Paul. Oxford: Clarendon Press 2002 (= Oxford modern languages and literature monographs).
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(217) Minter, Catherine J.: What Medicines Won’t Cure: Physic and Surgery in the Writings of Jean Paul Friedrich Richter. In: Forum for Modern Language Studies 40, 3 (2004), S.339–50. (218) Müssel, Karl: Jean Pauls Sterbeeintrag und erstes Grabdenkmal. In: Archiv für Geschichte von Oberfranken 80 (2000), S.289–292. (219) Nelson, John William: Die Willkür der Ichsucht. Jean Paul’s ›Clavis Fichtiana‹ and the critique of German idealism. Ann Arbor, Mich.: Bell + Howell 2000–Zugl.: Diss., Houston, Tex. 1999. (220) Neumann, Gerhard: »Mir träumte, ich erwachte ...« Zur Funktion des Traums als Abfederungs-Ritual in der Kultur. In: Schnepel, Burkhard (Hg.): Hundert Jahre ›Die Traumdeutung‹. Kulturwissenschaftliche Perspektiven in der Traumdeutung. Köln: Köppe 2001, S.107–137. (221) Neumann, Gerhard: Traum und Transgressionen. Schicksale eines Kulturmusters: Caldéron–Jean Paul–E.T.A. Hoffmann–Freud. In: Neumann, Gerhard; Warning, Rainer (Hgg.): Transgressionen. Literatur als Ethnographie. Freiburg: Rombach 2003 (= Rombach Wissenschaft. Reihe Litterae; 98), S.81–122. (222) Neumann, Peter Horst: Festvortrag: Jean Paul nach 200 Jahren. In: Dies Academicus 2000. Erlangen: Rektor der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg 2000 (= Erlanger Universitätsreden: 3. Folge; 60). (223) Neumann, Peter Horst: Wahrheit, Trost und Schrecken. Jean Pauls ›Rede des toten Christus‹. In: Castein, Hanne; Görner, Rüdiger (Hgg.): Dream images in German, Austrian and Swiss literature and culture. München: Iudicium 2002 (= Publications of the Institute of German Studies, University London; 78), S.91–98. (224) Nonnenmacher, Kai: Der unübersetzbare Allübersetzer: Jean Paul als ›Deutsch-Franze‹. In: JJPG 39 (2004). S.112–140. (225) Ögüt, Özlem: The gesture in narrative, art, and theory. Diderot, Jean Paul, and Sterne in the context of an ongoing debate between verbalists and visualists. Ann Arbor, Mich.: University Microfilms International 2000–Zugl.: Diss., Lafayette, Ind. 1999 [Mikrofiche-Ausgabe].
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(226) Otto, Dirk: Der Witz-Begriff Jean Pauls. Überlegungen zur Zeichentheorie Richters. München: Utz, 2000–Zugl.: Diss., München 1999. (227) Pani, Elisabetta: Schumann e Jean Paul–una similitudine ideale. Bari: Levante Ed. 2004 (= Femio; 13). (228) Pankow, Edgar: Brieflichkeit. Revolutionen eines Sprachbildes. Jacques Louis David, Friedrich Hölderlin, Jean Paul, Edgar Allan Poe. München: Fink 2002. (229) Paul, Jean-Marie: Le double dans ›Siebenkäs‹ de Jean-Paul. Impuissance et accomplissement. In: Figures du double dans les littératures européennes. Etudes réunies et dirigées par Gérard Conio. Lausanne: L’Age d’Homme 2001 (= Cahiers du CERCLE; 1), S.183–191. (230) Paulus, Jörg: ›Gespräch zwischen den beiden Gesichtern des Janus‹. Jean Paul und der Dilettantismus in der Zeit des ›Hesperus‹. In: Müller-Tamm, Jutta (Hg.): Begrenzte Natur und Unendlichkeit der Idee. Freiburg: Rombach 2004, S.265–282. (231) Pethes, Nicolas: ›Unterirdisches Pädagogium‹: Kontingenzmanagement durch Fiktionalisierung in Jean Pauls Erziehungsexperiment Die unsichtbare Loge. In: Hahn, Torsten (ed. and introd.); Kleinschmidt, Erich (ed.); Pethes, Nicolas (ed. and introd.), Kontingenz und Steuerung: Literatur als Gesellschaftsexperiment 1750–1830. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2004. 217 pp. (Studien zur Kulturpoetik 2). S.81–100. (232) Peyrache-Leborgne, Dominique: Paradis mélancholiques de Jean Paul à Edgar Poe. In: Romantisme 32, 117 (2002), S.13–29. (233) Pfotenhauer, Helmut: Bild–Schriftbild–Schrift. Jean Paul. In: Pfotenhauer, Helmut: Sprachbilder. Würzburg: Königshausen und Neumann 2000, S.123–136. (234) Pfotenhauer, Helmut: Bilderfluch und Bilderflut. Zu Jean Pauls ›Hesperus‹. In: Pfotenhauer, Helmut: Sprachbilder. Würzburg: Königshausen und Neumann 2000, S.109–122. (235) Pfotenhauer, Helmut: Das Leben schreiben–Das Schreiben leben. Jean Paul als Klassiker der Zeitverfallenheit. In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.46–58.
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(236) Pfotenhauer, Helmut: Empfindbild, Gesichtserscheinung, Vision. Zur Geschichte ders inneren Sehens und Jean Pauls Beitrag dazu. In: JJPG 38 (2003). S.78–110. (237) Pfotenhauer, Helmut: Jean Paul–Ein Gegenklassiker. Eine Einführung. In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.4–9. (238) Pfotenhauer, Helmut: Jean Pauls literarische Biologie. Zur Verschriftlichung von Zeugung und Tod (mit besonderer Berücksichtigung des ›Siebenkäs‹). In: Alt, Peter-André; Kosenina, Alexander; Riedel, Wolfgang (Hgg.): Prägnanter Moment. Studien zur deutschen Literatur der Aufklärung und Klassik. Festschrift für Hans-Jürgen Schings. Würzburg: Königshausen und Neumann 2002, S.461–477. (239) Pfotenhauer, Helmut (Hg.): Jahrbuch der Jean Paul Gesellschaft 35/36 (2000/2001). Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger: Weimar, 2001. (240) Pfotenhauer, Helmut (Hg.): Jahrbuch der Jean Paul Gesellschaft 37 (2002). Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger: Weimar, 2002. (241) Pfotenhauer, Helmut (Hg.): Jahrbuch der Jean Paul Gesellschaft 38 (2003). Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger: Weimar, 2003. (242) Pfotenhauer, Helmut (Hg.): Jahrbuch der Jean Paul Gesellschaft 39 (2004). Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger: Weimar, 2004. (243) Pfotenhauer, Helmut (Hg.): Jahrbuch der Jean Paul Gesellschaft 40 (2005). Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger: Weimar, 2005. (244) Pieper, Anke: Locken für die Damenwelt. In: Damals 36, 9 (2004), S.72–73. (245) Recker, Bettina: »Die Ehe überbauet die poetische Welt mit der Rinde der wirklichen ...«–Jean Paul Friedrich Richter, Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs. In: Recker, Bettina: ›Ewige Dauer‹ oder ›Ewiges Einerlei‹. Die Geschichte der Ehe im Roman um 1800. Würzburg: Könighausen und Neumann 2000 (= Epistemata. Würzburger Wissenschaftliche Schriften; 321). S.133–159. –Zugl.: Diss., Köln 1998. (246) Reemtsma, Jan Phillip: Komet. In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.10–31.
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(247) Reichart, Manuel: Durchgezogen. Literarisches für alle Wetterlagen. In: SZ (78/01.04.2000). S.18. (248) Reiman, Erika: Schuman’s piano cycles and the novesl of Jean Paul. Rochester 2004 (Eastman studies in music; 19). (249) Renger, Jens: Jean Pauls Idee des ›Poetischen‹. In: Renger, Jens: Im Labyrinth der poetische Idee. Werk- und rezeptionsästhetische Studien zur Instrumentalmusik des frühen Beethoven. Sinzig: Studio 2003, S.112–116. (250) Rofkar, Karl-Heinz: »Silberküste einer andern Welt«. Jean Paul und der Mond. Eine lexikographische Anthologie seiner metaphorischen, parabolischen, allegorischen und symbolischen Selenismen. Bielefeld: Aisthesis 2000. (251) Sabean, David Warren: Inzestdiskurse vom Barock bis zur Gegenwart. In: L’homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft, 1 (2002), S.7–28. (252) Sauder, Gerhard: »Komet«(en)-Autorschaft. In: JJPG 38 (2003). S.14–29. (253) Schäfer, Armin: Jean Pauls Monströses Schreiben. In: JJPG 37 (2002). S.216–234. (254) Schaller, Helmut Wilhelm: Jean Paul aus der Sicht des 19. Jahrhunderts. Ein Rückblick anläßlich seines 175. Todestages. In: Archiv für Geschichte von Oberfranken 80 (2000), S.293–314. (255) Schmidt, Sabine: Wenn Frauen in die Luft gehen. Aspekte eines Kollektivsymbols bei Jean Paul, August Lafontaine und Adalbert Stifter. In: Schweikert, Rudi (Hg.): Korrespondenzen. Festschrift für Joachim W. Storck aus Anlaß seines 75. Geburtstages. St. Ingbert: Röhrig 1999 (= Mannheimer Studien zur Literatur- und Kulturwissenschaft; 20), S.175–200. (256) Schmidt, Wolfgang Gerhard: »Zweifellicht« und »Sphärenmusik«. Jean Pauls Ossian-Rezeption. In: JJPG 38 (2003). S.139–162.
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(257) Schmidt-Hannisa, Hans-Walter: »Der Traum ist unwillkürlich Dichtkunst«. Traumtheorie und Traumaufzeichnung bei Jean Paul. In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.93–113. (258) Schmidt-Hannisa, Hans-Walter: »Jetzt eß ich das Buch«. Szenarien der Einverleibung von Schrift. In: KulturPoetik: Zeitschrift für Kulturgeschichtliche Literaturwissenschaft 3,2 (2003), S.226–245. (259) Schmidt-Hannisa, Hans-Walter: Lesarten. Autorschaft uns Leserschaft bei Jean Paul. In: JJPG 37 (2002). S.35–52. (260) Schmidt-Hannisa, Hans-Walter: Träume vom Fliegen. Caspar Walter Rauh und Jean Paul. In: Caspar Walter Rauh. Flugobjekte. Mit einem Vorwort von Dieter Mronz und Hans Angerer. Bayreuth: Kunstmuseum Bayreuth 2000 (= Schriftenreihe des Kunstmuseums Bayreuth; 7), S.17–27. (261) Schmitz-Emans, Monika: Der Komet als ästhetische Programmschrift–Poetologische Konzepte, Aporien und ein Sündenbock. In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.59–92. (262) Schmitz-Emans, Monika: Die Erfindung des Menschen auf dem Papier. Jean Pauls ›Unsichtbare Loge‹, der Fall Kaspar Hauser und Jacob Wassermanns ›Caspar Hauser‹-Roman. In: JJPG 40 (2005). S.150–178. (263) Schmitz-Emans, Monika: Engel in der Krise. Zum Engelsmotiv in der romantischen Ästhetik und in Jean Pauls Roman Der Komet. In: JJPG 38 (2003). S.111–138. (264) Schmitz-Emans, Monika: Sankt Lukas als Statist. Malerfiguren und Malergeschichten bei Jean Paul. In: JJPG 37 (2002). S.53–85. (265) Schnabel, Werner Wilhelm: Erzählerische Willkür oder säkularisiertes Strukturmodell? Jean Pauls ›Leben des vergnügten Schulmeisterleins Maria Wutz in Auenthal‹ und die biographische Form. In: Athenäum 11 (2001), S.139–158. (266) Schönle, Siegfried: Das Schachspiel in den Schriften von Jean Paul (1763–1825). 2., überarb. und erg. Aufl. Seevetal: 2000 (= Reihe Schach-Forschungen Nr. 16).
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(267) Schunk, Stephanie: Wiedergänger-Motive bei Jean Paul. Erlangen, Nürnberg 2003–Magisterarbeit. (268) Seebacher, Katrin: Poetische Selbst-Verdammnis. Romantikkritik der Romantik. Freiburg: Rombach 2000 (= Rombach Wissenschaften. Reihe Cultura; 13). (269) Sick, Birgit: ›Bücher-Vampyr‹ und ›Schreibmensch‹. Jean Paul zum 175. Todestag. Bayreuth: Jean-Paul-Gesellschaft 2002 (= Jahresgabe für die Mitglieder der Jean-Paul-Gesellschaft). (270) Sick, Birgit: Jean Pauls Projekt einer Verschriftlichung des Lebens wird editorisch erschlossen. In: Blick 1 (2002), S.18–22. (271) Sick, Birgit: Jean Pauls unveröffentlichte Satiren- und Ironienhefte (1782–1803). In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.205–217. (272) Simon, Ralf: Das Universum des Schreibens in Kuhschnappel. Jean Paul ›Siebenkäs‹–Roman Jacobson). In: Stingelin, Martin (Hg.): »Mir ekelt vor diesem tintenkleksenden Säkulum«. Schreibszenen im Zeitalter der Manuskripte. München: Fink 2004, S.140–155. (273) Simon, Ralf: Herzensangelegenheiten (Jean Paul, ›Siebenkäs‹). In: Brandstetter, Gabriele; Neumann, Gerhard (Hgg.): Romantische Wissenspoetik. Die Künste und Wissenschaften um 1800. Würzburg: Königshausen und Neumann 2004, S.273–285. (274) Simon, Ralf: Versuch über einige Rahmenbedingungen des literarischen Charakters in Jean Pauls Flegeljahren. In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.251–266. (275) Spedicato, Eugenio: Jean Paul, l’orientale. In: I mille volti di Suleika. Orientalismo ed esotismo nella cultura europea tra ’700 e ’800. A cura di Elena Agazzi. Roma: Artemide Ed. 1999, S.99–107. (276) Spedicato, Eugenio: Jean Pauls und Carlo Emilio Gaddas Werkstatt des humoristisch-witzigen Stils. In: Espagne, Geneviève; Helmreich, Christian (Hgg.): Schrift- und Schreibspiele. Würzburg: Königshausen und Neumann 2002, S.81–98. (277) Spicker, Friedemann: »Für den Verstand kann man nicht zu lakonisch sein, aber wohl für die Phantasie«. Jean Paul als Aphoristiker–nach
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und neben Lichtenberg. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2000 (2001), S.82– 96. (278) Sprengel, Peter: Jean Pauls Antiklassizismus–Ein Rezeptionsphänomen? In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.33–45. (279) Sprenger, Karoline: Jean Pauls Pädagogik. Studien zur ›Levana‹. Neuried: ars et unitas 2003 (= Deutsche Universitätsedition; 18)– Zugl.: Diss., Bamberg 2003. (280) Stadler, Ulrich: Poesie als Tubus der besonderen Art oder Jean Paul: ›Leben des Quintus Fixlein‹. In: Stadler, Ulrich: Der technisierte Blick. Optische Instrumente und der Status von Literatur. Ein kulturhistorisches Museum. Würzburg: Königshausen und Neumann 2003, S.101–109. (281) Straub, Sabine; Vince, Monika: »Wetterleuchtende Demand- und Zaubergrube«. Zur Produktivität des Todes in Jean Pauls Exzerpten und literarischen Schriften. In: JJPG 39 (2004). S.27–58. (282) Ueding, Gerd: Episches Atemholen–Über Jean Pauls widerspenstiges Erzählen. In: JJPG 39 (2004). S.61–82. (283) Vivarelli, Vivetta: Idillio e sconfinamento in Goethe, Hölderlin e Jean Paul. In: Svandrlik, Rita (Hg.): Idillio e anti-idillio nella letteratura tedesca moderna. Bari: Palomar 2002, S.41–82. (284) Vollmer, Hartmut: »Blumen-Phantasien«. Betrachtung eines zentralen allegorischen Motivs in Jean Pauls Roman Siebenkäs. In: JJPG 37 (2002). S.129–145. (285) Walter-Schneider, Magret: »Wir brauchen Silhouettenstürmer«. Über den Ganzheiten-Verächter Jean Paul. In: Brüche, Torsi, Unvollendetes. Über das Fragmentarische in Leben, Kunst und Wissenschaft, hrsg. von Kurt Schäfer, Erwin Sonderegger. Zürich 2004. S.71–86. (286) Walter-Schneider, Magret: Der zerbrochene Umriss. Über den Romancier Jean Paul. In: JJPG 37 (2002). S.198–215. (287) Weingärtner, Mathias: ›... bis daß der Tod euch scheidet‹. Autorschaft und Ehediskurs in Jean Pauls ›Blumen-, Frucht- und Dornenstücken oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Sieben-
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käs‹ und Goethes Die ›Wahlverwandtschaften‹. Zugl.: Diss., Frankfurt a.M. 2000 [ersch. 2001] [Elektronische Ressource, Diskette]. (288) Weinrich, Harald: Schneller leben, kürzer reden (Jean Paul, Madame de Staël). In: Weinrich, Harald: Knappe Zeit. Kunst und Ökonomie des befristeten Lebens. München: Beck 2004, S.129–132. (289) Will, Michael: Der elektronische Drache. Jean Paul digital. In: Jahrbuch der Rückert-Gesellschaft 14 (2002), S.133–151. (290) Will, Michael: Kein »stubengelehrter Tintenfisch«–Ernst Förster (1800–1885): Schwiegersohn, Herausgeber und Portraitzeichner Jean Pauls. In: JJPG 39 (2004). S.165–204. (291) Wirth, Uwe: Das Neue als witziger Einfall bei Kant, Jean Paul und Peirce. In: Moog-Grünewald, Maria (Hg.): Das Neue. Eine Denkfigur der Moderne. Heidelberg: Winter 2002 (= Neues Forum für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; 11), S.55–72. (292) Wirth, Uwe: Die Schreib-Szene als Editions-Szene. Handschrift und Buchdruck in Jean Pauls ›Leben Fibels‹. In: Stingelin, Martin (Hg.): »Mir ekelt vor diesem tintenkleksenden Säkulum«. Schreibszenen im Zeitalter der Manuskripte. München: Fink 2004, S.156–174. (293) Wirtz, Thomas: Angestrengte Lektüre. Zu Jean Pauls Erzählung ›Schmelzles Reise nach Flätz‹. In: Evidenze e ambiguità della fisionomia umana. A cura e con introd. di Elena Agazzi e Manfred Beller. Vioreggio u.a.: Baroni 2000, S.221–232. (294) Wirtz, Thomas: Konstruiertes Leben. Bayle-Spuren im Werk Jean Pauls. In: JJPG 35/36 (2000/2001). S.114–150. (295) Wollschläger, Hans: Jean Paul oder Über die Unsterblichkeit. Königsberg: [Selbstverlag] 2000. (296) Zymner, Rüdiger: Adler, Palme, Merops. Zum Problem der poetischen Emblematik. In: Rohmer, Ernst (Hg.): Texte, Bilder, Kontexte. Interdisziplinäre Beiträge zu Literatur, Kunst und Ästhetik der Neuzeit. Heidelberg: Winter 2000.
BUCHBESPRECHUNGEN
Sabine Eickenrodt, Augen-Spiel. Jean Pauls optische Metaphorik der Unsterblichkeit. Göttingen: Wallstein Verlag 2006. 391 S. Die Berliner Habilitationsschrift stellt sich ein anspruchsvolles Programm. Jean Pauls optische Metaphorik verknüpft das Thema der Unsterblichkeit mit naturwissenschaftlichen Epistemologien, aber sie ist zugleich eine der wesentlichen Reflexionsmedien der eigenen Poetik. Das Einleitungskapitel führt diese Bereiche zunächst auf kleinere Analyseeinheiten zurück. Die Poetologie wird in den Rahmen Witz, Metapher und Allegorie verwiesen, und die Verbindung von Epistemologie und Unsterblichkeit wird in ein jeweiliges metaphorologisches tertium gestellt: Augenheilkunde, Sinologie und Ballonschiffahrt. Die Exegese der Unsichtbaren Loge orientiert sich an der Augenheilkunde und deshalb vor allem an der Metaphorik des Starstechens, welches vielfach mit dem Schreibakt zusammengebracht wird. Das Wissen, das das 18. Jahrhundert von der Physiologie des Auges hatte, wird von Eickenrodt in das ganze linguistische Feld eingespielt, welches in der Unsichtbaren Loge die Ordnungen des Sichtbaren und des Unsichtbaren betreffen. Hierbei stehen neben den Szenerien der Blindheit und des realen Nichtsehenkönnens die optische Metaphorik und selbst noch die Anagrammatik in Rede. Das Syntagma ein schneidend durch die Luft fliegender Star ist Eickenrodt eine ausführliche Exegese wert, um das Thema des Starstechens über homonymische Signifikantenketten in die Textualität von Jean Pauls Roman einzulesen. Das zweite grosse Kapitel widmet sich dem Hesperus unter der Hinsicht der sinesischen Sprachgitter. Leibniz’ Versuch, die Entzifferung des Chinesischen mit dem Konzept der ars combinatoria zu verbinden, führt nach Eickenrodt bei Jean Paul zu einer Sprachidee, bei der sich die Sprache wie ein Gitter, verbergend und gleichzeitig eröffnend, zwischen die Ordnungen des Sichtbaren und des Unsichtbaren legt und dabei eine komplexe Neuordnung der optischen Metaphorik nach sich zieht. Die beiden zentralen Texte zu den Ballonfahrten – Das Kampaner Tal und Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch – dienen zum Ausgangspunkt einer
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ganzen Reihe von metaphorischen wie epistemologischen Anschlussoperationen. Ballon und Auge, Ballon und Kugel, das Modell des Höhenblicks als Ursprung anderer Sichtbarkeiten, Gasfüllung und Witzentladung, Ballon und Auge im Zusammenhang mit Himmelskörpern, Ballonflug und satirische Weltfahrt, Aufstieg und Unsterblichkeit: dies sind nur einige der semantischen und ikonischen Reihen, die Eickenrodt aufbietet, um die Bildlichkeit dieser Texte mit den Metaphorologien der epistemologischen Diskurse der Zeit zu verbinden. Das letzte und im Vergleich kürzere Kapitel zum Titan und zur Selina beschäftigt sich mit der Metaphorologie der Toten, also mit ihrer Präsenz in Szenarien der in Blindheit vorweggenommenen Sterbeszene, der Totenerinnerung und der jenseitsbezogenen Phantasie. Blickt man auf dieses Programm, so wird schnell deutlich, dass sich die Arbeit in einem komplexen argumentativen Dreieck aus Poetologie, Epistemologie und Metaphorologie der Unsterblichkeit bewegt. Aber selbst diese Ordnung ist nochmals zu komplizieren. Denn Eickenrodt holt die epistemologischen Modelle vor allem bei ihren ikonischen Modellbildungen ab, um diese Bilder den Texten Jean Pauls einzulesen, welche auf diese Weise zu allegorischen Recherchen der Unsterblichkeitsfrage werden. Alle diese an sich schon umfangreichen Komplexe sind in der Jean-Paul-Forschung in verschiedener Weise und ausführlich besprochen worden. Seit der Arbeit von Wolfdietrich Rasch1 führt die Analyse der Erzählweise zunehmend auf die Frage nach Jean Pauls Bildlichkeit und Metaphorik. Auf einer allgemeineren konzeptionellen Ebene ist mit der gegenwärtigen literaturwissenschaftlichen Rezeption von Blumenbergs Konzept der Metaphorologie die Verknüpfung von Epistemologie und Metaphorik gegeben, die Eickenrodt, leider ohne Bezug auf diese Debatte, aber der Sache nach anstrebt. Im engeren Bereich der Jean-Paul-Forschung sind es die schon älteren Arbeiten von Pross2 und Schmidt-Biggemann,3 welche die notwendige Materialbasis für eine epistemologische Recherche der Jean Paulschen Metaphernbildung gelegt haben. Denkt man zusätzlich an die Studien, die zum Platonismus und damit zur metaphysischen Debatte um die Existenz einer zweiten Welt und ihrer Sicht-
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Wolfdietrich Rasch, Die Erzählweise Jean Pauls. Metaphernspiele und dissonante Strukturen, in: Interpretationen. Bd. III. Deutsche Romane von Grimmelshausen bis Musil, hrsg. von Jost Schillemeit. Frankfurt a.M., Hamburg 1966, S.82–117. Wolfgang Proß, Jean Pauls geschichtliche Stellung. Tübingen 1975. Wilhelm Schmidt-Biggemann, Maschine und Teufel. Jean Pauls Jugendsatiren nach ihrer Modellgeschichte. München 1975.
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barkeit vorliegen (bes.: Kiermeier4), so ist leicht zu sehen, dass Eickenrodt ein gleichermassen riskantes wie ehrgeiziges Projekt in Angriff nimmt. Eine Habilitationsschrift in diesem intellektuellen Terrain zu platzieren, hat nur dann Sinn, wenn sie in Auseinandersetzung mit einer substantiellen Forschungslage konzeptionell, materialbezogen und interpretatorisch Neues zu sagen hat. Konzeptionell verlangt beim gegenwärtigen Stand der Debatte die Auseinandersetzung mit Jean Pauls optischer Metaphorik der Unsterblichkeit eine Aufnahme der Fragestellungen der Wissenspoetik und damit eine Diskussion des komplexen Verhältnisses von Epistemologie und Bildlichkeit. Welche Rolle spielen Bilder und Metaphoriken im Prozess des Wissens? Auf Jean Paul bezogen: Metaphorisiert sein Text vorliegende Wissensbestände? Erzeugen seine Textrhetoriken neues Wissen? Entautomatisiert Jean Paul Wissen? Poetisiert er Wissen, um es von der Ebene der Epistemologie auf die Ebene einer Sinnreflexion zu überführen? Es findet sich mit dem Verweis auf die commercium-Debatte (15) zwar die Benennung des historischen Diskurses, es wird aber nicht die Möglichkeit aufgenommen, konzeptionelle Rahmenbedingungen der hier nur material gestellten Frage zu reflektieren. Denn Jean Pauls Metaphorologie offeriert die Möglichkeit, die commercium-Frage in eine poetische Topik zu überführen. Die gelegentliche Desorientierung, die den Leser bei der Lektüre dieses Buches überkommt, resultiert aus unterlassenen konzeptionellen Überlegungen dieser Art. Zuweilen scheint Eickenrodt über die Metaphorologie Jean Pauls eine Poetisierung der implizierten Epistemologien nachweisen zu wollen, ohne dabei allerdings über den epistemologischen Status solcher Poetisierungen Rechenschaft abzulegen. Ein anderes Mal scheint sie Metaphoriken auf epistemologische Voraussetzungen herunter zu brechen, ohne freilich darüber nachzudenken, dass sie damit den Jean Paulschen Text zum Epiphänomen seiner eigenen Referenzen macht. So fehlt eine distinkte Idee von Jean Pauls ästhetischer Strategie hinsichtlich der Fragestellung (Optik als Modell für Metaphysik) ebenso wie eine Einschätzung des epistemologischen Wertes der Poetisierung des Wissens. Weil der konzeptionelle Rahmen der Arbeit sowohl auf der allgemeinen Ebene – grundsätzliches Verhältnis von Bild, Wissen und poetischem Text – wie auch in Bezug auf Jean Paul unbestimmt gelassen wurde, bleiben die einzelnen Beobachtungen ohne Einbindung. Ist die Arbeit auf der Ebene der Materialrecherche innovativ? Die primäre Referenz des wissenschaftlichen Diskurses ist bei Eickenrodt die jeweils ––––––– 4
Joseph Kiermeier, Der Weise auf den Thron! Studien zum Platonismus Jean Pauls. Stuttgart 1980.
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extensiv referierte und in ausladenden Fussnoten dokumentierte Forschung. Auf Quellentexte des 18. Jahrhunderts oder früherer Zeiten kommt sie durch die Vermittlung dieser Forschungslage, was zugleich heisst, dass die Recherche der epistemologischen, poetischen und philosophischen Kontexte Jean Pauls im Bereich dessen bleibt, was schon seit langem Gegenstand der JeanPaul-Forschung ist. Dies allein wäre noch kein Einwand. Da aber für die herangezogenen Quellen dieselbe konzeptionelle Unklarheit wie bei den Jean-Paul-Texten herrscht, wird der Eindruck der Desorientierung noch verstärkt. Kaum je wird klar, ob Texte von Leibniz, Hamann, Herder, Diderot und anderen dazu dienen, Jean Pauls epistemologische Modelle oder seine Metaphorik herzuleiten oder dazu, Jean Pauls Dekonstruktionen entweder der Modelle oder der Metaphorik zu untermauern. Auf der Ebene der Textinterpretation wird die Arbeit sehr geteilte Reaktionen hervorrufen. Eickenrodt beschreibt ihre Exegesen als mikrologische Analyse, und in der Tat geht sie mikrologisch, nämlich weitgehend anagrammatisch vor. So widmen sich die Seiten 88 bis 106 kurzen Auszügen aus der Unsichtbaren Loge, um die plausible These, dass das Starstechen und das Schreiben eine enge metaphorische und poetologische Kopplung eingehen, einer Gegenprobe zu unterziehen. Interessanterweise besteht hier die Gelingensbedingung darin, dass Eickenrodt eine Buchstäblichkeit der Lektüre durchführt, in der die vorher aus problematischen Herleitungen etablierten Bilder unterwandert werden. Jean Pauls Sprachartistik arbeitet nämlich mit Verschiebungen auf der anagrammatischen und der syntaktischen Ebene, wie Eickenrodt nachweisen kann. So wird z.B. ein Wort wie unversehens dann sprechend (101ff.), wenn die ganze Textpassage das Paradox eines Sichtbaren, das sich entzieht, zum Gegenstand hat. Oder auch der Nachweis, dass durch einen syntaktischen Parallelismus das Präfix ab- vom Verb ableihen zum Verb schneiden wandert, um so dem Leser zu suggerieren, dass bei einem Kind etwas abgeschnitten wird, vollzieht eine Bastelei, die in den Bestand sowohl der syntaktischen wie morphologischen Integrität der Sprache einschneidet, um auf diese Weise einen Text gleichsam durch eine anagrammatische Staroperation sehend zu machen. Diese Erkenntnisse sind wertvoll. Sie weisen den Weg zu einer anagrammatischen Lektüre Jean Pauls. Leider aber werden diese Passagen dann doch nicht in ihrer möglichen Radikalität bedacht. Sie dienen Eickenrodt dazu, eine Konvergenz ihrer Thesenbildung zu mikrologischen Textanalysen zu behaupten. Dass de facto gerade die anagrammatische Mikrologie vor allem dazu geeignet ist, die Integrität metaphorologischer Thesenbildungen zu unterwandern, tritt nicht in den Horizont von Eickenrodts Reflexionen.
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Ein Fazit zu dieser Arbeit gestaltet sich schwierig. Die Themenstellung als solche ist nicht nur legitim und hochaktuell, sondern sie markiert ein wesentliches Desiderat der Forschung. Nach den Arbeiten von Pross und SchmidtBiggemann steht der ungleich komplexere Versuch, die Modellgeschichten von der Ebene der Epistemologie auf die der Poetologie zu heben, nach wie vor aus. Pfotenhauer, Bergengruen und andere haben Versuche in diese Richtung unternommen, aber die überzeugende Kombination von Epistemologie und Poetologie bei dem sprachlichen Bilddenker Jean Paul muss zweifelsohne durch das Nadelöhr der detaillierten Exegesen geführt werden. Eickenrodt hat in ihrer Arbeit also sehr genau den Finger auf den Punkt gelegt, der für die Jean-Paul-Forschung den grössten Ertrag verspricht. Gleichwohl führen ein gewisser Mangel an konzeptioneller Klarheit und eine nicht genügende Quellenrecherche dazu, dass die vorliegende Arbeit das Versprechen, das sie gibt, nicht zur Gänze einlösen kann. Die mikrologischen Analysen werden nach Lage der Dinge so strittig bleiben, wie anagrammatische Lektüren es in der Regel sind. Aber vielleicht sind es gerade diese Passagen, welche, mit einer intensiveren theoretischen Absicherung, auf eine Ebene von Jean Pauls Texten verweisen, deren Radikalität der Forschung zu entdecken noch aufgegeben ist. Ralf Simon (Basel)
Paul Fleming, The Pleasures of Abandonment. Jean Paul and the Life of Humor. Würzburg: Königshausen & Neumann 2006. 170 S. Das offenkundig für den amerikanischen Markt geschriebene Buch gibt eine Einführung in die Grundgedanken Jean Pauls und in einige seiner Werke. In dieser Reihenfolge. Die Grundgedanken, um den Terminus des mehrmals zitierten Max Kommerell aufzunehmen, werden als anthropologisch gegeben vorausgesetzt, indem Fleming das Motiv von Jean Pauls Überzeitlichkeit, stehend an der Pforte des 20. Jahrhunderts (Börne), ernst zu nehmen gesonnen ist. Dass es Fleming um die Hoffnungen und Wünsche des Lebens geht, welches für postkantianische Dichter der wesentlichen Gewissheiten beraubt ist, wird durch den in der Rezeptionsgeschichte geläufigen Kunstgriff, Jean Paul existentialistisch in den offenen Horizont der condition moderne zu stellen, elegant und ohne weitere Anstrengung begründet. An die Stelle des Glückes treten so die Wege glücklicher zu werden, an die Stelle der Metaphysik der Humor, an die Stelle der prosaischen Welt der Witz. Humor und Witz werden dabei als weltauslegende Verfahren begriffen, die existentielle
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Verlassenheit durch die Autopoiesis der Phantasie zu überspielen. Flemings Kernargument besteht in der Affirmation der verschiedenen Verfahren Jean Pauls, sich die Phantasie rekursiv an ihren Effekten bewahrheiten zu lassen. In der Tat beschreibt dies die eigentliche Virtuosität Jean Pauls: Er lässt aus den kontrafaktischen, den Tod aufschiebenden Setzungen der Phantasie eine nur durch sie induzierte Erfahrung dafür einstehen, dass diese Erfahrung als solche real sei. Das Buch von Fleming kreist um die verschiedenen Varianten dieser zirkulären Sinnbewahrheitung durch Sinnstiftung angesichts gewusster Weltkontingenz. Mit diesem Programm sind Chancen und Einschränkungen gegeben. Zunächst ist das Buch gut geschrieben. Es gefällt durch einen flüssigen Stil, der sich wohltuend einem allzu akademischen Jargon enthält. Die Konzentration auf die anthropologische Funktion der Phantasie als gleichermassen Kontingenz anerkennendes wie Kontingenz zumindest zeitweilig bewältigendes Vermögen erlaubt dem Verfasser eine Rhetorik, in der die literarischen Konstellationen unmittelbar als Erörterung von Grundfragen der Lebensphilosophie erscheinen. So fühlt sich der Leser mitgenommen und angesprochen. Er wird unter dieser kundigen Führung animiert, seinen Weg in das sperrige Sprachgitter Jean Pauls zu suchen. Die Nähe zu den grossen Problemen des Lebens – Tod, Liebe, Glück, Weisen der Lebensführung – ist aber zugleich eine Ferne zur durch und durch literarischen Substanz von Jean Pauls Schreiben. Fleming bespricht ausführlich die Todesproblematik (Rede des toten Christus im Zusammenhang mit Emanuels Sterben im Hesperus), er verhandelt den Eheroman Siebenkäs, widmet dem Wutz eine intensive Exegese und denkt die Differenzbestimmung zur Frühromantik daraus, dass im Gegensatz zur nur sprachlichen Unendlichkeit der Ironie Jean Pauls Humor die reale Existenz des Partikularen zur Geltung bringt. Was er konsequent verschweigt, ist die ganze Problematik der Selbstbezüglichkeiten bei Jean Paul. Weder der ästhetizistische Diskurs, dessen Spitze Roquairol ist, noch die philosophische Selbstreferenz (Schoppe) werden auch nur einmal erwähnt. Das geschlossene Bild eines schliesslich humanistischen Dichters, der trotz eines vollkommen anerkannten Nihilismus eine Möglichkeit des Lebens aus der Magie der Einbildungskraft heraus entwirft, kann nur über den Ausschluss von Jean Pauls radikalsten Optionen durchgeführt werden. Es fehlt aber nicht nur die Analyse der literarischen Selbstbezüglichkeiten. Dass Fleming die Texte implizit als Lebensphilosophie verhandelt und gleichwohl Jean Paul fast ausschliesslich mit Jean Paul erklärt, also die Romane mit der Vorschule, führt zu weiteren Verengungen. Verhindert die
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Emphase des Lebens die Betonung der Literatur, so die Immanenz der Exegese die ganze Serie von möglichen und notwendigen Lektüreansätzen. Viel kann man existentialistisch über die Rede des toten Christus sagen, aber es wäre angebracht, angesichts der Vielzahl der Welten von der nachkopernikanischen Kosmologie und ihrer Entfremdungserfahrung zu sprechen. Theologisch hätte man sich um die Tradition Apokalypseauslegungen zu kümmern, vielleicht aber auch um die Fragestellung, ob Jean Paul hier Philosopheme des Deismus wieder einem persönlichen Gott, wie ihn die lutherische Orthodoxie glaubt, einschreibt, um so die Orthodoxie durch einen orthodox gemachten Deismus von innen her zu sprengen. Jean Pauls vertrackte Innerlichkeit braucht nicht allein literatursoziologisch, sondern könnte auch mediologisch (im Sinne Koschorkes) erörtert werden. Überhaupt wären die vielfachen Felder der Poetik des Wissens, wie sie in den letzten Jahren ausgearbeitet worden sind, zu bedenken. Aber Flemings an der Immanenz von Jean Pauls Werk (gelesen als Lebensphilosophie) orientierte Rede straft alle diese Kontexte durch Nichterwähnung. Überhaupt ist der Stand der rezipierten Forschung nicht ganz aktuell. Kommerell, Wölfel und Minder bilden das germanistische Dreigestirn, dem sich ein anderes, weniger kohärentes, beigesellt: Nietzsche, George, Freud. Gleichwohl beeinträchtigen diese Hinweise auf mangelnde Forschungsaktualität nicht den Wert des kompakten und flüssig geschriebenen Buches. Da es nicht den Anspruch stellt, eine eigene Forschungsleistung sein zu wollen, findet es sein Ziel darin, »Jean Paul« sichtbar zu machen, ihn als eine intellektuelle Grösse sui generis im Raum der Moderne darzustellen. Dem dienen Differenzbestimmungen und Analogieziehungen zu zentralen Positionen der Moderne. Fleming arbeitet die Differenz Jean Pauls zur Reflexionspoesie der Frühromantik heraus (41ff.), weist seine Nietzsche ebenbürtige theologische Radikalität nach (109), versucht mit George die Prosa Jean Pauls auf eine Höhe mit Goethe zu stellen (90) und macht die kluge Beobachtung, Wutz’ Umgang mit der Welt durch Freuds Fort-Da-Spiel zu verstehen (72). Das argumentative Gerüst besteht für Flemings Buch in der Jean Paul eigentümlichen Kombination des alles beherrschenden Todesgedankens mit einer auf Komik ausgerichteten Phantasie, welche die genannten rekursiven Selbstapplikationen erzeugt. So wird selbst die metaphysische Verlassenheit zu einem vertrackten Vergnügen, bei dem die temporale Dimension der Phantasie (Erinnerung an Kindheit, imaginative Vorwegnahme der Zukunft) den Tod mit Sinn begabt, die Einschränkung zur Idylle positiviert und das Elend einer Ehe zum Metanarrativ der Heilsgeschichte steigert.
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Diese Abfolge gibt die Kapitelreihenfolge wieder. Auf eine Einleitung folgt die eher anthropologische als poetologische Erörterung von Phantasie und Humor in Reaktion auf den Todesgedanken (26–58). Dem Wutz ist die Analyse des idyllischen Konstruktivismus gewidmet (59–87): ein Kapitel, in dem Fleming Jean Pauls Idyllenbegriff von demjenigen Schillers absetzt (64ff.), einen Exkurs zu Leibniz’ möglichen Welten einflicht (73ff.) und schliesslich, nicht unproblematisch, die Wutzsche Idyllenarbeit als selbstbewusste Poetologie der Magie der Einbildungskraft deutet. In dem Kapitel über die Vergnügungen der Irreführung (The Pleasures of Deception, 88– 121) deutet Fleming vielleicht das misslungene Sterben Emanuels zu positiv, nämlich weithin als imaginativ gelungene Sinngebung des Todes. Das Kapitel über den Siebenkäs (122–150) stellt Fleming in den Horizont des Witzbegriffes, der, als verkleideter Priester, jedes Paar kopuliert. So wird die Ehegeschichte als Permanenz des Witzes, nämlich als überraschende Verbindung des Disparaten, lesbar. Das Buch ist in seiner klaren Argumentation und seiner selbstbewussten Beschränkung gut lesbar und als Einführung – besser: als Hinführung zu Jean Paul – gewiss nützlich. Informierte Leser werden an den getroffenen Entscheidungen ihr Ungenügen spüren, aber es sich durch die kurzweilige Lektüre entgelten lassen. Ralf Simon (Basel)
Annina Klappert, Die Perspektiven von Link und Lücke. Sichtweisen auf Jean Pauls Texte und Hypertexte. Bielefeld: Aisthesis 2006, 565 S. Mit den »Perspektiven von Link und Lücke« benennt Annina Klappert in ihrer Bonner Dissertation ein erkenntnis- und medientheoretisches Denkmodell, das in der Produktion, Rezeption und Bewertung von Texten zwischen Verknüpfungen und Verknüpfbarkeiten unterscheidet (vgl. 11). Ausgehend von einer Homologie der »komplexe[n] Verknüpfungsstrukturen« (11) in Jean Pauls Texten und in Hypertexten werden diese Sichtweisen auf die beiden Textkorpora angewandt, deren mediale Differenz als »besonders reizvoll« (14) herausgestellt wird. Während die Perspektive des Link »das Verknüpfte, Entschiedene und Sichtbare« (12) in den Blick nimmt, ist die Perspektive der Lücke in dialektischer Opposition und Ergänzung auf »das Verknüpfbare, Virtuelle und Opake« (12) ausgerichtet und wertet es als »Freiheit und Potential« (12). Der Kombination, Vereindeutigung und somit Reduktion
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in der Link-Perspektive stehen im Lücke-Prinzip Kombinierbarkeit, Bedeutungsvielfalt und somit Komplexität gegenüber. Während die LinkPerspektive für die Aktualität und Realisation von Verbindungen und die Evidenz des Aufgedeckten steht, ist die Lücke-Perspektive auf die Virtualität und Potentialität von Verbindungen und die Opazität des noch Aufzudeckenden ausgerichtet. Die historisch und medial weit auseinander liegenden Welten der Hypertexte einerseits und der Jean-Paul-Texte andererseits werden miteinander in Beziehung gesetzt, weil beide Texte, so begründet Klappert ihr Vorgehen, »in extremer Weise davon geprägt [sind], dass sie ›aus Stücken‹ geschrieben sind« (13): während Jean Paul »mit Hilfe von Exzerpten und Registern Versatzstücke für einen Materialfundus präpariert« (13), ist der Hypertext als »Sammlung von Textstücken definiert, die durch Links auf unterschiedliche Weise kombiniert werden können« (13). Ihren produktionsseitigen Beobachtungen stellt Klappert rezeptionsästhetische und rezeptionsgeschichtliche Analysen zur Seite und kommt so zu einem übersichtlichen dreistufigen Konzept, in dem sie sich zunächst und am ausführlichsten den »Schreibweisen«, dann den »Lektüreweisen« und schließlich den »Wertungsweisen« zuwendet und dabei jeweils die Verfahren in und mit Jean Pauls Texten mit den Spezifika des Hypertexts und der Hyperfiction kurzschließt. Klapperts Untersuchung ist also, was ihren Umgang mit Jean Paul angeht, kaum von traditionellen philologischen Fragestellungen geprägt, die um die Deutung und Einordnung des Autors und seiner Texte kreisen, und letztlich geht es ihr auch nicht um den Versuch der Rekonstruktion einer Schreibmethodik. Ihr Hauptaugenmerk legt sie auf die Strukturbesonderheiten und -verwandtschaften, die zwischen den beiden heterogenen Bereichen des Hypertexts und der Texte Jean Pauls erkennbar sind. Diese werden theoretisch reflektiert und damit beschreibbar gemacht, – in der Hoffnung auf eine gegenseitige Erhellung der beiden Bereiche. Ganz konkret werden als »Jean Pauls Texte« v.a. die Exzerpthefte, ihre Register, der Initiations- und Schlüsseltext Die Taschenbibliothek, die Vorschule der Ästhetik sowie der Roman Quintus Fixlein näher besprochen, während als »Hypertexte« nicht etwa die geläufigen Strukturen des Internet, sondern eine Reihe von fiktionalen Beispielen digitaler Machart untersucht werden, in denen optionale Link-Strukturen eine zentrale Rolle spielen. Das Ziel des experimentell angelegten Vergleichs ist es, die Berührungspunkte und Eigenheiten der beiden Untersuchungsfelder herauszuarbeiten und den Blick für ihre mediale Differenz, aber auch für ihre überraschenden Gemeinsamkeiten zu schärfen.
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Eine der Hauptadern von Klapperts umfangreicher Darstellung ist eine ausführliche, detaillierte und komplexe Theoriediskussion, die in dieser Rezension nicht annähernd rekapituliert werden kann: neben Strukturalisten (de Saussure, Jacobson) und einschlägigen Theoretikern des Hypertexts werden insbesondere Thesen von Eco, Barthes, Iser, Luhmann und Aarseth (Cybertext, 1997), aber auch Ergebnisse der neueren Narratologie diskutiert. Aarseths Unterscheidung zwischen »ergodischen« und »nicht-ergodischen« Texten bildet einen wichtigen Ausgangspunkt für die weiteren Betrachtungen: »ergodisch« ist ein Text, wenn der Leseweg erst erarbeitet werden muss (z.B. in der Hyperfiction), wohingegen ein nicht-ergodischer Text den Leseweg zumindest materiell vorgibt (vgl. 60). Ein weiteres, ebenfalls auf Aarseth zurückgehendes, leitmotivisches Begriffspaar begegnet in der Unterscheidung von unikursalen (›einwegigen‹) und multikursalen (›vielwegigen‹) Texten (vgl. 242). Wenn auch der Lesevorgang beim Hypertext genauso wie beim traditionellen gedruckten Text letztlich immer ein linearer ist (vgl. ebd.), so besteht doch in den multikursalen Optionalität und der unikursalen Reduktion ein fundamentaler Unterschied zwischen Hyperfictions und JeanPaul-Texten. Letztere weisen dann allerdings in ihrer Unikursalität auch multikursale Elemente (Digressionen, Fußnoten und andere Verzweigungen) auf, die sie den Phänomenen des Hypertexts annähern. Da es in dieser Rezension nicht möglich ist, die weit gespannten und theoretisch sehr differenzierten Reflexionen, Assoziationen und Argumentationen der Gesamtuntersuchung im Detail zu referieren, will ich mich im Folgenden primär Klapperts Ausführungen zu den »Schreibweisen« etwas ausführlicher zuwenden und dann die Kapitel »Lektüreweisen« und »Wertungsweisen« hauptsächlich resultativ diskutieren. In ihrer näheren Betrachtung der »Schreibweisen« zeigt Klappert, dass sich »die Hypertext-Theorie und die Ästhetik Jean Pauls in zahlreichen programmatischen Aspekten ähneln« (66). Klapperts These ist, dass die Theoretiker des Hypertextes genauso wie Jean Paul der wahrnehmbaren Welt gegenüber eine lücke-perspektivische Haltung einnehmen: für beide ist Schreiben in erster Linie ein »Schreiben aus Stücken« (66). Aus dieser Perspektive wird die Welt als etwas (noch) Kombinierbares verstanden, das selektier- und rekombinierbar ist. Die Perspektive des Link dagegen sieht in der Welt »etwas (bereits) Kombiniertes. Ziel des Schreibens muss dann ihre Mimesis, Abbildung, Nachahmung oder auch Kopie sein.« (66) Zunächst wird das ästhetische bzw. medientheoretische Programm eines »Schreibens aus Stücken« in seinen jeweiligen Verfahren beschrieben, »›Welt-Stücke‹ als manövrierbares Schreibmaterial zu sammeln und zu spei-
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chern« (67). In einem zweiten Schritt werden dann der Jean Paulsche »Witz« und der Hypertext-Link als zwei (verwandte) Operationen dargestellt, »die die Kombinierbarkeit und Kombination dieser Elemente gewährleisten sollen« (67) – In diesem Teil der Untersuchung werden auch Jean Pauls Exzerpte und ihre zentrale Funktion im literarischen Schreibprozess ausgiebig gewürdigt, wobei sich die Verfasserin insbesondere auf die grundlegenden Studien Götz Müllers (Jean Pauls Exzerpte. Würzburg 1988) bezieht. Es liegt auf der Hand, dass Jean Pauls eklektizistisches Exzerpierverfahren in seiner Anlage und seinem Grundverständnis der Perspektive der Lücke verpflichtet ist, denn entscheidend sind darin nicht die fertigen Ergebnisse, sondern die Möglichkeiten der Kombination und Verwertung: Exzerpieren ist für Jean Paul Schreiben im Potentialis. Klappert versteht Jean Pauls Exzerpierpraxis einerseits als philosophisches Projekt, »da es von einem erkenntnistheoretischen Interesse geleitet wird« (77), andererseits aber auch als poetisches Projekt, »in dem es darum geht, über die Welt-Stücke die Phantasie anzuregen und in ihrer Kombination neue Welten zu imaginieren.« (77) Der Brückenschlag zur Perspektivik von Link und Lücke liegt nahe: »Jean Pauls Programm ist schließlich, indem es die Welt nicht als fertigen Zusammenhang, sondern als Material auffasst, das aufgelesen, ausgelesen und analysiert werden muss, um später rekombiniert werden zu können, ein lücke-perspektivisch ausgerichtetes Programm zu nennen.« (77) Zurecht stellt Klappert die Analogie zu den segmentierenden, modularisierenden und fragmentarisierenden Verfahren des Hypertextes heraus und findet eine plausible Erklärung dafür, dass Jean Paul bestimmte (v.a. fiktionale) Texte nicht exzerpiert: »Texte aus identifizierbaren Einzelteilen lassen sich [...] besser in einzelne Exzerpte und Hypertextkarten auflösen, Zusammenhänge schlechter.« (79) Die behaupteten Parallelen zum allumfassenden Textspeicher-Software-Projekt Xanadu (vgl. 80f.), das in den 1980er Jahren die Phantasien beflügelte, erscheinen dann allerdings weniger überzeugend, zumal es in Xanadu ja um die Erfassung von ganzen Texten und Bildern und nicht um deren Atomisierung und Fragmentarisierung wie bei Jean Paul ging. In den Registern, die Jean Paul zu seinen Exzerpten angefertigt hat, erkennt die Verfasserin schließlich »eine Verquickung der Perspektiven von Link und Lücke« (88): »Es wird das ›Faß auf Flaschen‹ gefüllt und sortiert (Link-Perspektive), gleichzeitig werden die Flaschen nebeneinander gelagert und sind dadurch kombinierbar (Lücke-Perspektive).« (88) Der Akt der Bündelung und Ordnung wird durch einen damit untrennbar verbundenen Akt der Streuung und Unordnung schon wieder relativiert.
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Die Schreibmethodik Jean Pauls und das Konzept des Hypertexts treffen sich, so die Ergebnisse des experimentellen Vergleichs, in mehreren Punkten: in der Selektion der brauchbaren Textelemente, in der Separierung und Begrenzung der Textgröße, in der Strukturierung und Benennung der Elemente durch Überschriften, in der Speicherung der Schreib-Stücke in einem Pool und schließlich auch in der Verzeichnung der Elemente in Registern und Indizes (vgl. 503). Besonders akzentuiert die Verfasserin die Ähnlichkeiten zwischen der ästhetischen Konzeption des Witzes bei Jean Paul und der medientheoretischen Konzeption des elektronischen Link im Hypertext: beide sollen sowohl die Kombinierbarkeit als auch die Kombination von Schreibelementen gewährleisten (vgl. 504). Dabei sind aber die Intentionen und die in ihrem Dienste gebrauchten Vehikel der Phantasie (bei Jean Paul) und des Hypertexts selbst sehr unterschiedlich, und so kommt Klappert trotz aller Homologien zu dem Schluss, »dass Jean Paul auf keinen Fall als Vorläufer der Hypertext-Theorie zu sehen ist und der Hypertext auch keine Erfüllung von Jean Pauls Ideen dargestellt hätte.« (506) Im Kapitel »Lektüreweisen« werden Besonderheiten der Rezeption von Jean Pauls Texten mit denen von literarischen Hypertexten (»Hyperfictions«) in Beziehung gebracht. Um die Vergleichbarkeit von materiell begrenzten Textkorpora zu gewährleisten, wird dabei der weite Bereich der Hyperfictions auf solche Texturen beschränkt, die nicht auf die leserseitige Produktion von neuen Textelementen angelegt (Adventures, Multi-User-Dungeons, Textgeneratoren) und auch nicht für die Netznutzung (»Webfictions«) vorgesehen sind. Die hier verfolgte These baut auf die Ergebnisse der analysierten Schreibweisen auf: das »Schreiben aus Stücken« führe bei Jean Paul und im Hypertext zu ähnlichen Texturen und stelle »den Leser vor ähnliche Phänomene im Blick auf die Ordnung der Textur und der Narration« (240). Während die Lektürestrategie aus der Perspektive des Link die bereits vorhandenen Verknüpfungen im Visier hat und gewissermaßen »am Stück« liest, ist die Lektürestrategie der Lücke an den optionalen Verknüpfbarkeiten interessiert und will »aus Stücken« lesen. Diese Lektürestrategien werden am Beispiel von Jean Pauls Quintus Fixlein und ausgewählten Hyperfictions (u.a. die CD-ROMs von Klötgen/Günthers, Die Aaleskorte der Ölig, und Shelley Jacksons Patchwork Girl) durchgespielt, wobei jeweils die Ebenen der Narration, der Motive und der Figuren unterschieden werden (vgl. 241, 319–342). Dabei zeigt sich, dass die multikursalen Strukturen, die in Jean Pauls eigentlich unikursalen Texten enthalten sind (u.a. in Form von Digressionen und Fußnoten, aber etwa auch in der Anlage eines komplexen Text-›Feldes‹ wie im Quintus Fixlein) den gleichen Effekt wie die Multikursalität von Hyper-
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texten haben können, »indem die Erzählung als ein Feld erscheint, das abweichende Lektürestrategien provoziert« (506). Eine wechselseitige texttheoretische Erhellung der beiden untersuchten Textkorpora deutet sich damit an: So kann auf der einen Seite Jean Pauls Textsammlung als narratives Spiel und ergodische Literatur behandelt werden. Auf der anderen Seite ist es möglich, Linkstrukturen als Digressionen zu begreifen oder auch der Vielfalt hyperfiktionaler Lektüremöglichkeiten mit literaturtheoretischen Vorschlägen zu begegnen, die sich eigentlich dem Versionenproblem in gedruckten Texten widmen. (507)
Bemerkenswert ist der in diesem Zusammenhang erbrachte explizite Nachweis der Strukturhomologie zwischen Jean Pauls Texten und Hypertexten, wenn Klapperts Argumentation in dem Schluss mündet, dass eine link-perspektivische Lektüre immer wieder zu lücke-perspektivischen Lektürestrategien genötigt und eine lücke-perspektivische Lektüre geradezu über ein eigenes Verweissystem organisiert wird [...]. Umgekehrt wird über die Lektürestrategie der Lücke eine Lektüre auch im Sinne der Link-Perspektive möglich, so dass über diesen Umweg Sinn, Kohärenz und Handlung konstruiert werden können. (508)
Auf dem Feld der »Wertungsweisen« führt die Verfasserin ihr anregendes dialektisches Denkspiel weiter fort, indem sie die Topoi der Jean-PaulRezeption mit aktuellen Wertungen der Hypertextliteratur bzw. -theorie in Beziehung setzt und dabei nicht nur grundsätzliche »Divergenzen« (508), sondern auch Parallelen ausmacht. Beide Texturen werden aus der LinkPerspektive aus ähnlichen Gründen überwiegend negativ gewertet, indem sie aus dieser Sicht als ›regellos‹, ›maßlos‹ und sogar ›pathologisch‹ [...], als ›formlos‹, ›wuchernd‹ und ›willkürlich‹ [...] sowie als ›unzuverlässig‹ und ›instabil‹ [...] erscheinen. Aus der Lücke-Perspektive werden sie hingegen aus ähnlichen Gründen überwiegend positiv gewertet, indem sie ästhetisch ›reich‹, ›kreativ‹ und ›innovativ‹ [...], ›plural‹ und ›modern‹ [...] und voll von Möglichkeiten für einen sich ›aktiv‹ beteiligenden Leser [...] erscheinen. Die Perspektivik kann somit [...] die unterschiedliche Wahrnehmung derselben Phänomene erklären. Sie zeigt, dass die Wertungen von Jean Pauls Texten und Hypertexten zwar differieren, aber dass sie entsprechend der Perspektiven auf die gleiche Weise differieren. (508f.)
Annina Klapperts Versuch, die Perspektiven von Link und Lücke auf Jean Pauls Texte und auf Hypertexte anzuwenden und dabei das Schreiben, Lesen und Bewerten dieser Texte in Beziehung zu setzen, darf insgesamt als gelungen bezeichnet werden. Die experimentelle und originelle Vergleichsanordnung erweist sich trotz aller historischen und medialen Divergenzen als fruchtbar und erlaubt es, bestimmte produktions- und rezeptionsseitige »Alleinstellungsmerkmale« von Jean Pauls Texten zu erfassen, die mit einem
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herkömmlichen philologischen Beschreibungsinstrumentarium nur schwer zu benennen sind. Ähnliches gilt für den Hypertext und seine Besonderheiten, auch wenn das Licht, das die Konfrontation mit Jean Paul auf ihn wirft, vielleicht nicht so neu und im besten Sinne erhellend ist wie umgekehrt. Abschließend seien noch einige Einwände und Vorschläge erlaubt, die einer Weiterführung und möglicherweise Optimierung des von Klappert konstruierten Vergleichsmodells dienlich sein könnten. Aus der Perspektive der Jean-Paul-Forschung wäre es wünschenswert, die Schreibmethodik des Autors nicht auf die sicherlich zentrale Funktion der Exzerpte zu reduzieren.5 So intensiv und extensiv Jean Paul auch exzerpiert und auf dieses Material zurückgegriffen hat: die Textwerkstatt dieses Autors, so hat gerade die neuere Editionsarbeit der letzten Jahre gezeigt, ist damit in ihren Dimensionen noch keineswegs gänzlich ermessen. Die spezielle Funktion der unmittelbaren Romanvorarbeiten, aber auch der anderen Textsammlungen wie etwa der Ideen und Bausteine, oder auch der Satiren und Ironien, als weitere Stationen hin zum literarischen Text, wäre in die von Klappert angestellten Überlegungen mit einzubeziehen. Dabei steht durchaus zu erwarten, dass das Modell von Link und Lücke sich auch auf komplexere Strukturen der Schreibmethodik Jean Pauls anwenden lassen wird. Genauso wie bei der Schreibmethodik und ihren verschiedenen, Literarität generierenden Entwicklungsstufen wäre es wünschenswert, die Komplexität von Jean Pauls vertracktem und verwinkeltem Textkosmos in einem solchen Vergleich stärker zu akzentuieren, die Perspektive auf »Jean Pauls Texte« also einerseits zu erweitern, und dann andererseits in dieser erweiterten Perspektive auch die einzelnen Texte in ihrer Verschiedenheit und im Detail stärker wahrzunehmen. Das von Klappert herangezogene Beispiel Quintus Fixlein ist in seinem Charakter als »Textkonglomerat« sicherlich sehr gut gewählt, markiert aber doch nur eine von vielen interessanten Facetten des Autors. – Ähnliches gilt für die Hyperfiction, die aufgrund ihrer medialen Besonderheiten in einer der traditionellen Buchform verpflichteten wissenschaftlichen Darstellungsweise ja nur eingeschränkt zu repräsentieren ist. Da wohl auch der medientheoretisch interessierte Leser in diesem Bereich über weniger Leseerfahrung verfügt als mit ––––––– 5
Zu berücksichtigen wären noch die wertvollen Beiträge, die in der Exzerptforschung zuletzt insbesondere von französischer Seite (Helmreich, Espagne) geleistet wurden. Nicht zuletzt wäre auch der Faktor der Poetizität auf dem Weg vom Exzerpt in den literarischen Text (ggf. über die Zwischenstation des Registers oder andere »Exzerpten-Exzerpten«, vgl. dazu die Untersuchung von Sabine Straub und Monika Vince, »Wetterleuchtende Demant- und Zaubergrube«. Zur Produktivität des Todes in Jean Pauls Exzerpten und literarischen Schriften, in: JJPG 39 (2004), S.27–60) anhand von konkreten Beispielen genauer zu diskutieren.
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»gewöhnlichen« Jean-Paul-Texten, hätten ausführlichere Beschreibungen der diskutierten Hypertext-Beispiele zur Plastizität der Darstellung beitragen können. Genauso wie der Zusammenhang zwischen der lückeperspektivischen Schreibmethodik Jean Pauls und dem primär linkperspektivischen literarischen Text wäre dann wohl auch die dialektische Beziehung zwischen dem Phänomen, dem Modus bzw. der Faktur »Hypertext« und der daraus hervorgehenden »Hyperfiction« noch genauer zu erfassen. Die Perspektiven von Link und Lücke werden von der Autorin auch auf der Ebene ihrer eigenen Darstellung geschickt variiert und kombiniert. Digressionen und der sprunghafte Faktor des Witzes sind darin ebenso enthalten wie überzeugende argumentative Synthesen und Systematisierungsvorschläge. Die durchaus etwas eigenwillige, experimentelle Darstellung verlangt dem Leser einiges ab, belohnt ihn aber auch mit überraschenden Brückenschlägen, originellen Anregungen und erfrischenden neuen Sichtweisen. In der komparatistischen Verschränkung von Kommunikations-, Medien- und Texttheorie, Rezeptionsästhetik und Schreibmethodik ist möglicherweise ein Modus gefunden, in dem die Jean-Paul-Forschung des 21. Jahrhunderts Erfolg versprechend weiter diskutieren kann. Michael Will (Würzburg)
ANSCHRIFTEN DER MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER DES JAHRBUCHS
Christian A. Bachmann, Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Philologie, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, 44780 Bochum Prof. Dr. Elsbeth Dangel-Pelloquin, Universität Basel, Deutsches Seminar, Nadelberg 4, Engelhof, CH-4051 Basel Dr. Barbara Hunfeld, Universität Würzburg, Institut für Deutsche Philologie, Neuere Abteilung, Am Hubland, 97074 Würzburg Alexander Kluger, Universität Würzburg, Institut für Deutsche Philologie, Neuere Abteilung, Am Hubland, 97074 Würzburg Alexander Kupsch, Brettreichstr. 9, 97074 Würzburg Prof. Dr. Helmut Pfotenhauer, Universität Würzburg, Institut für Deutsche Philologie, Neuere Abteilung, Am Hubland, 97074 Würzburg PD Dr. Bettina Rabelhofer, Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Germanistik, Universitätsplatz 3/I, 8010 Graz Prof. Dr. Monika Schmitz-Emans, Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Philologie, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, 44780 Bochum Dr. Birgit Sick, Universität Würzburg, Institut für Deutsche Philologie, Neuere Abteilung, Am Hubland, 97074 Würzburg Prof. Dr. Ralf Simon, Universität Basel, Deutsches Seminar, Nadelberg 4, Engelhof, CH-4051 Basel Patrick Stoffel, Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Philologie, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, 44780 Bochum Dr. Michael Will, Universität Würzburg, Institut für Deutsche Philologie, Neuere Abteilung, Am Hubland, 97074 Würzburg Für ihr Mitwirken an den Korrekturarbeiten bedanken sich die Herausgeberinnen und Herausgeber sowie die Redakteure des Jahrbuchs herzlich bei Fabian Grossenbacher, Danielle Schwab und Heiko Stullich.