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German Pages 610 Year 1915
Jahrbücher
für die
deutsche Armee und Marine.
Verantwortlich geleitet
von
Keim , Generalmajor.
1915 Januar bis Juni
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BERLIN SW 11. Verlag von Georg Bath . Bernburger Straße 24/25.-
Printed in Germany
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam .
Inhalts -Verzeichnis .
Seite Aufruf Deutscher Offizierfrauen Balck , Die Vorschriften für Infanterie-Maschinengewehrzüge vom 19. Juli 1912 . . Bavarius , Greifbares aus dem Dardanellenkampfe und Lemnos, das Helgoland des Ägäischen Meeres Britische Heeresvermehrungsphantasien und Frenchs Drang nach der Küste schon im Oktober Der Dienst im Rücken der französischen Armee
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280 65 42 119
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa Die Auslandspresse über den Erfolg der neuen Offensive des Süd- und Nord. 201 flügels der Verbündeten im Osten . . Die Besitznahme der neuerworbenen Provinz Posen im Jahre 1815 durch den ersten kommandierenden General in derselben, den Generalleutnant 16 August von Thümen • 142 Die britischen Schiffskräfte und ihre Bemannnng 51 Die Kriegsbereitschaft Italiens am Ende des November 82 Die Niederlande und der Krieg. I. 244 Die Niederlande und der Krieg. II. 253 Ein Nassauisches 100. Gedenkjahr 153 Everling , Seine Majestät an Seine Offiziere 175 Japans Schlagkraft, China und die Vereinigten Staaten . 36 Krankenwagen . Eine Gepäckfrage . 17 Kriegsgliederung und Kriegführung der Engländer im ersten Feldzugsabschnitt Frhr. von der Osten - Sacken und von Rhein , Das Eingreifen der 97 Türkei in den Weltkrieg - Zur Jahreswende. Rückblicke und Ausblicke 1 von Richter , Bekämpfung ständiger Befestigungsanlagen durch Belagerungs211 artillerie . - Was geht an den Dardanellen vor sich ? 239 Spohr , Mit wem führt man Krieg ? Mit den Feinden, ihrem Besitztum 231 oder mit beiden ? 283 Voraussagen und Wirklichkeiten 71 Frhr. von Welck , Kavallerie an der Front 137 Verminderte Tätigkeit der Kavallerie 268 Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15 · P A C E 496338 ) (R
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Inhalts-Verzeichnis. Seite 27 110 218 261 193 225 196 61 , 88, 146, 200, 249, 299
Woelki , Ausbildung, Theorie und Methode für den Krieg . - Kriegserfahrung in Lehre und Anwendung • -- Kriegs-Pläne, Ab- und -Aussichten . Wochinger, Sechs Wochen Dardanellenkampfes Zur Ausfahrt der deutschen Unterseeboote - Zur Herrschaft Englands zur See Zu Joffre's Äußerungen über französische Führer Bücherbesprechungen . Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher .
. 64, 96 , 152 , 252 , 300
I. Zur Jahreswende.
•
Rückblicke und Ausblicke.
Von Frhr. von der Osten- Sacken und von Rhein, Oberstleutnant a. D.
Wir stehen an der Jahreswende.
Da richten sich unsere Blicke
zurück auf die welterschütternden Ereignisse der letzten Monate, und wir fragen uns , was wird das neue Jahr uns bringen ? Es gibt kaum einen zweiten , so schicksalsschweren Tag in der Geschichte unseres Vaterlandes , ja der ganzen Welt , als den 1. August 1914, an dem die Eiterbeule des von unseren über die ganze Welt verbreiteten Gegnern seit Jahren gegen uns geschmiedeten Komplotts platzte , wodurch unser Kaiser zur Kriegserklärung an Rußland gezwungen wurde. ,,Von heute an beginnt eine neue Epoche in der Weltgeschichte, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen . " Dieses Wort, das einst Goethe am Abend des 20. Septembers 1792 , des Tages der Kanonade von Valmy, sprach , trifft auch auf uns zu , die wir den 1.August miterlebt haben. Gilt doch der entbrannte Kampf nicht nur dem Dasein Deutschlands und Österreich- Ungarns , sondern dem ganzen Germanentum und seiner überlegenen Kultur. So wird sein Ausgang darüber entscheiden, ob fortan germanische Duldsamkeit , Bildung und Gerechtigkeit oder russische Barbarei , französische Anmaßung , heuchlerischer englischer Krämergeist und japanische Hinterlist in der Welt herrschen sollen. So haben wir in diesem, von unseren Gegnern uns aufgedrängten und in einer aller Menschlichkeit hohnsprechenden Weise geführten Kampfe keine andere Wahl als Sieg oder ruhmvollen Untergang. Dieses bis in die untersten Schichten unseres und des österreichischungarischen Volkes verbreitete Bewußtsein hat uns vom ersten Augenblick an eine wunderbare Kraft verliehen. Hell auf flammte bei der Mobilmachung die Begeisterung in unserem Vaterlande wie an der blauen Donau. In wenigen Tagen meldeten sich bei uns 1300000 Kriegsfreiwillige. Wie bei uns alle Parteigegensätze verstummten, so schwand dort jeder Haß der verschiedenen Völkerschaften . Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 520.
Niemals hat eine 1
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Zur Jahreswende .
Rückblicke und Ausblicke .
Volksvertretung wahrer den im ganzen Volke herrschenden Geist zum Ausdruck gebracht als unser Reichstag bei der einmütigen Bewilligung der Kriegsanleihe . Und dieser Geist beherrscht heute noch die verbündeten Völker, nur daß er sich nicht mehr so geräuschvoll offenbart , sondern sich vertieft hat. Das hat sich bei dem Wiederzusammentritt des Reichstages erwiesen. 4. August an.
Würdig reiht sich der 2. Dezember an den
Kaum je ist ein anderes Volk mit seinem Gut und Blut
so freigebig gewesen wie das unsere in der Gegenwart.
Ja, wir sind
noch unserer Vorfahren wert, wenn im großen Deutschen Reich auch der Einzelne nicht mehr nötig hat, Gold für Eisen zu geben, wie sie es vor 100 Jahren taten . Und wir haben auch dieselbe Ausdauer wie die Preußen des Großen Friedrich und der Befreiungskriege.
Darum
werden wir auch siegen , mag der Krieg auch noch so lange währen. Mit bewundernswerter Schnelligkeit vollzogen sich bei uns die Mobilmachung und der Aufmarsch ohne jeden Zwischenfall. In wenigen Tagen standen über 5000000 Menschen zur Verteidigung des Vaterlandes unter den Waffen, während noch Millionen den Tag herbeiwünschten, der auch sie zur Fahne rufen würde.
So konnten wir gleich
im Anfang 22 Millionen aufs beste , den modernsten Anforderungen entsprechend ausgerüstete und ausgebildete Soldaten auf dem westlichen Kriegsschauplatz versammeln , während wir im Osten zunächst nur einen Zuschuß zu dem österreichisch-ungarischen Heere stellen brauchten. Zahlreiche Ersatz- und Besatzungstruppen gewährleisteten den erforderlich werdenden Nachschub. Der erste Schlag fiel in Belgien , an dessen Grenze wir unsere Hauptkräfte , 5 Armeen (v. Kluck, v . Bülow, v. Hausen , Herz. Albrecht von Württemberg, Kronprinz), versammelten, während zwei weitere Armeen (Kronprinz von Bayern , v . Heeringen ) Lothringen und das Elsaß decken sollten . Bereits am 7. August wurde die große, den Weg nach Frankreich hinein versperrende Festung Lüttich genommen , nachdem unsere neuen 42 cm-Mörser in kürzester Frist ihre Panzerforts zusammengeschossen hatten.
Bei der Beschießung hatte auch ein
Zeppelin-Luftschiff mitgewirkt und dabei den ersten Beweis für die Kriegsbrauchbarkeit dieser neuesten Erfindung geliefert. Der rasche Fall von Lüttich und unser schnelles Vordringen in Belgien stießen alle Pläne der französischen Heeresleitung um. Im Vertrauen auf seine , den unserigen an Zahl fast gleichkommenden Streitkräfte hatte der General Joffre den Feldzug mit der Rückeroberung von Elsaß-Lothringen beginnen wollen , während eine durch die Engländer und Belgier verstärkte Nebenarmee in unsere RheinUnd bei dem einen ihm gemachten provinz hatte einfallen sollen. Querstrich blieb es nicht , andere folgten nach.
Bereits am 10. August
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wurde ein von 3 französischen Divisionen nach dem oberen Elsaß gemachter Vorstoß bei Mülhausen gründlich abgewiesen. Das gleiche Schicksal erfuhr dann auch die von 8 Korps aus der Linie Epinal - Toul Am 20. August gegen Lothringen geführte französische Offensive. in der Linie Delme - Saarburg von der aus Truppen fast aller deutschen Stämme gebildeten Armee des Kronprinzen von Bayern aufs Haupt geschlagen, wurden die Franzosen, die über 10000 Gefangene und 160 Geschütze verloren hatten, nur durch die Nähe ihrer der Verfolgung Halt gebietenden Festungslinie vor Vernichtung bewahrt. Die Schlacht hatte sich auf einer verhältnismäßig noch breiteren Front als die Schlachten des Russisch- Japanischen Krieges abgespielt .
Diese große , mehr
noch in der zu Umfassungen treibenden Vervollkommnung der Feuerwaffen , als in der Stärke der Heere begründete und durch die heutigen Hilfsmittel der Befehlsführung ermöglichte Frontausdehnung ist für die modernen Kämpfe höchst bezeichnend. Als ein weiteres Merkmal derselben sollte bald die ebenfalls durch die Vervollkommnung der Waffen und durch die sich aus ihr ergebende starke Anwendung der Feldbefestigung bedingte lange Dauer der Schlachten hinzukommen. Einen ebenso glänzenden Verlauf nahmen die weiteren, mit der Schlacht bei Saarburg fast gleichzeitigen Ereignisse in Belgien und Nordfrankreich. Während der deutsche Kronprinz bei Longwy siegte und dann einen Flankenstoß von Verdun her zurückwies, schlug Herzog Albrecht von Württemberg die über den Semoy vorgedrungenen Franzosen in der Nähe von Neufchâteau und erzwang bei Sedan den Übergang über die Maas. Bei Longwy und am Semoy waren 20000 Gefangene gemacht und 160 Geschütze erobert worden. Und nicht minder erfolgreich war das Vorgehen der Generale v. Hausen und v. Bülow auf beiden Ufern der Maas gegen Namur . Letzterer errang am 24. August westlich dieser Stadt in der Nähe von Charleroi einen glänzenden Sieg über eine hier stehende französische Armee. Namur, als Festung ebenso stark wie Lüttich , fiel bereits am 26. nach kurzer Beschießung durch unsere schwere Artillerie.
Die kleinen Festungen Longwy, Montmédy ,
Givet und das Sperrfort Les Ayvelles wurden rasch erobert. Brüssel wurde bereits am 20. von unserer I. Armee besetzt, worauf sich General v. Kluck unter Zurücklassung starker Kräfte auf Maubeuge wandte . Am 26. fielen 4 belgische Divisionen aus Antwerpen aus , wurden aber zurückgeschlagen. Die hierbei in Löwen zutage getretenen Greuel des seit dem Überschreiten der Grenze entbrannten wilden Franktireurkrieges hatten die teilweise Zerstörung der Stadt zur Folge. Inzwischen hatte Kluck die Engländer auf Cambrai zurückgedrängt. Zwischen hier und St. Quentin erlitten sie am 28. eine völlige Niederlage, in der sie zahlreiche Gefangene und 7 Batterien einbüßten. Kluck 1*
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setzte seinen Marsch auf Compiègne fort , in seiner rechten Flanke durch seine zahlreiche Kavallerie gedeckt , die bald bis Paris streifte , wodurch sie hier ebensolchen Schrecken hervorrief, wie die ersten Die Festung deutschen Flieger, die am 31. über Paris erschienen. Maubeuge , die Kluck hatte einschließen lassen, ergab sich bereits am 7. September ; 41000 Mann, 400 Geschütze fielen hierbei den Deutschen in die Hände . Nachdem bereits am 31. August der General v. Bülow östlich St. Quentin einen neuen Sieg errungen hatte, brachte der Sedantag weitere große Erfolge. Die ganze mittlere Heeresgruppe der Franzosen , etwa 10 Korps , wurde von unserer III. , IV. und V. Armee zwischen Reims und Verdun zurückgeworfen , gleichzeitig ein starker Vorstoß von hier abgewiesen . Am 4. wurde die große Lagerfestung Reims, die die Franzosen ebenso wie Lille , La Fère und Laon geräumt hatten , von den Deutschen besetzt und hierbei 13000 Gefangene gemacht und 350 Geschütze erbeutet.
Da es jetzt möglich schien, fast die ge-
samte französische Feldarmee von Nordwesten her gegen die Schweiz zu drücken , wurde auch die II. Armee unter Bülow herangezogen. Die Flankensicherung gegen Paris wurde der I. Armee aufgetragen. Für wie verzweifelt die französische Regierung jetzt ihre Lage ansah, geht daraus hervor , daß sie ihren Sitz nach Bordeaux verlegte. Es waren auch in der Tat glänzende Erfolge, die wir errungen hatten. Von Sieg zu Sieg waren wir geschritten. Bereits bestand die Siegesbeute aus mehr als 120000 Gefangenen , 1000 Feld- und 1000 Festungsgeschützen. Aber schwer waren auch unsere Verluste, namentlich bei der Infanterie , die unaufhaltsam vorwärts gestürmt war, meist der Artillerie nicht Zeit lassend, den Angriff vorzubereiten. Auch im Osten, den Russen gegenüber, hatte sich inzwischen die zeitweise sehr kritische Lage zu unseren Gunsten gestaltet. Man hatte hier anfangs befürchtet , daß die starke russische Kavallerie in unsere Grenzgebiete einfallen und diese verwüsten würde . Wenn es nun auch unseren Grenzschutztruppen meist sehr rasch gelang, solche Einfälle abzuwehren , so waren doch unsere Streitkräfte auf dem östlichen Kriegsschauplatz zunächst zu schwach, um den Krieg auch hier auf feindliches Gebiet zu tragen. Hatten wir hier doch nur unsere 8. Armee unter dem General v. Prittwitz , der bald durch den General v. Hindenburg ersetzt wurde , während 3 zusammen 500000 Mann starke feindliche Armeen unter dem Oberbefehl ihres Generalissimus , des
Großfürsten Nikolai, Ostpreußen umklammerten , die Njemen-
Armee (10 Div .) , die Grodnoer Reserve-Armee (4 Div . ) und die NarewArmee (10 Div. ). Am 17. August fand bei Stallupönen der erste größere Kampf
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statt, bei dem unser I. Armeekorps 3000 Gefangene machte, nach dem es aber vor der Übermacht auf Gumbinnen zurückgehen mußte. Auch hier wieder errang es am 20. einen vollen Erfolg, der ihm 8000 Gefangene und 20 Geschütze einbrachte , aber wieder mußte es -- diesmal bis in Höhe von Königsberg zurückweichen, da starke russische Kräfte nördlich des Pregel vorgingen, während auf der anderen Seite die Narewarmee die Linie Allenstein - Hohenstein - Tannenberg - Gilgenburg schon erreicht hatten. Aber in dieser wurde sie am 26. von Hindenburg auf beiden Flügeln umfassend angegriffen . In heftigen dreitägigen Kämpfen wurde die Narewarmee vernichtet ; ein einziges Korp entkam , der Rest wurde in die dortigen Seen und Sümpfe gedrängt. Der Verlust der Russen betrug 90000 Gefangene und eine noch größere Zahl von Toten; außerdem gingen mehr als 500 Geschütze verloren. Unmittelbar nach dieser glänzenden Waffentat wandte sich Hindenburg gegen die linke Flanke der Njemenarmee. Doch holte er nur noch deren linken Flügel ein , dem er am 9. September an den masurischen Seen in der Nähe von Angerburg eine Niederlage beibrachte, die durch die Verfolgung zu einer entscheidenden wurde.
Ein Vorstoß der Grodnoer
Reservearmee brach bei Lyck zusammen. Die Verluste der Russen in diesen Kämpfen beliefen sich auf weitere 20000 Gefangene und 150 Geschütze. Das Gouvernement Suwalki wurde besetzt. Ost- und Westpreußen waren jetzt vom Feinde frei, aber furchtbar hatte dieser hier gehaust. An der galizischen Grenze hatten die Feindseligkeiten am 6. August begonnen. Auch hier waren die Einfälle der russischen Kavallerie zunächst abgewiesen worden. Den gegen Ostgalizien in der Versammlung begriffenen - vorläufig - 900000 Russen standen unter dem Erzherzog Friedrich anfangs ungefähr 550000 Österreicher und Ungarn gegenüber, die 4 Armeen und 2 Flankenkorps in der Bukowina und Westgalizien bildeten . Während sich die Truppen in der Bukowina auf den Grenzschutz beschränkten, drangen die in Westgalizien stehenden auf dem linken Weichselufer gemeinsam mit dem auf Czenstochau vorgegangenen preußischen Landwehrkorps v. Woyrsch vor. Unterdessen hatten auch die österreichisch-ungarischen Haupt-
kräfte die Offensive ergriffen, Am 23. August stieß die Armee Dankl bei Krasnik auf starke Kräfte, die sie in dreitägiger Schlacht auf Lublin zurückwarf, Doch schon am 27. kam es hier abermals zur Schlacht , in der die Russen aber wiederum in mehrtägigen Kämpfen geworfen wurden. Inzwischen gelang es rechts hiervon auch der Armee Auffenberg in den Tagen vom 25. August bis zum 1. September den gegenüberstehenden Gegner bei Komarow (Zamosc) zu schlagen. Doch dies. blieben Teilerfolge. Die Hauptmacht der Russen war nämlich gleich-
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zeitig von Brody her auf der Linie Rawa Ruska - Zloczow übermächtig gegen die über Lemberg vordringende Armee Boroevic vorgegangen , während sich der russische linke Flügel, der die Armee Böhm-Ermoli gegen sich hatte , sich auf Halicz , 100 km von Lemberg am Dnjestr, gewandt hatte. So dehnte sich jetzt die Schlacht über 300 km aus. In erbittertem Kampfe gewann zwar der linke Flügel der österreichischen Mitte zwischen Rawa Ruska und Zolkiew zunächst Raum, doch auf den übrigen Punkten war die russische Übermacht zu groß. Am 3. September wurden Lemberg, das geräumt worden war , und Halicz von den Russen besetzt .
Unverfolgt ging Boroevic bis Grodek, 30 km
westlich Lemberg zurück.
Böhm-Ermoli schloß sich der Bewegung an.
Doch schon am 8. September gingen beide wieder vor. Aber vergeblich. Zwar wurden gegen Lemberg Fortschritte gemacht, aber der Nordflügel konnte sich nicht gegen die gewaltige Übermacht behaupten . Gegen Dankl waren neue Kräfte eingesetzt, und Auffenberg stieß bei seinem Eintreffen bei Rawa Ruska auf eine überwältigende Übermacht, die ihn, der er selbst hatte umfassen sollen , mit Umfassung bedrohte. So mußte am 11. der Rückzug befohlen werden. Unter Mitführung von 60000 Gefangenen und 300 eroberten Geschützen gingen die Österreicher nach Westgalizien zurück. Die Russen folgten langsam und beschränkten sich vorläufig darauf, Przemysl zu belagern und Truppen in Ungarn einfallen zu lassen. Auch in Polen mußten jetzt die Verbündeten zurückgehen. Während die Kämpfe bei Lemberg getobt hatten, war auch auf dem westlichen Kriegsschauplatz ein Wandel eingetreten.
Hier
hatte der General Joffre seine Hauptkräfte an der Marne vereinigt und sehr bedeutende Verstärkungen nach Paris geworfen. So stießen die durch den ununterbrochenen Vormarsch erschöpften Armeen Bülow und Hausen, denen die Munitions- und Proviantkolonnen nicht so schnell hatten folgen können, am 6. September in der Gegend von Châlons sur Marne auf eine große Übermacht in starker Stellung . Die unter normalen Verhältnissen bereits reichlichere Munitionsausrüstung der französischen Artillerie gab den Ausschlag. zurückgehen.
Die Deutschen mußten
Gleichzeitig hatten sehr überlegene Kräfte von Paris
her die schon über die Marne gegangene Armee Kluck zwischen Meaux und Montmirail angegriffen. Diese hatte zwar in schweren zweitägigen Kämpfen zahlreiche Gefangene gemacht und 50 Geschütze erobert, dann aber bei dem Anmarsch weiterer erheblicher Kräfte gegen ihre rechte Flanke den Rückzug antreten müssen . Den Gegner mit großem Geschick nach Kräften aufhaltend, ging Kluck auf Soissons zurück, wo es abermals zu schweren Kämpfen kam. Durch seinen zähen Widerstand ihre rechte Flanke schützend , hatte Kluck dazu beigetragen ,
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daß Bülow und Hausen ihren schwierigen Rückzug hatten ausführen können. Reims hatte geräumt werden müssen. An der durch alle möglichen Mittel verstärkten Stellung hinter der Aisne kam das Vorgehen der Franzosen um die Mitte des Monats zum Stehen. Doch dauerten die Kämpfe noch ununterbrochen fort und dehnten sich auch auf die östlich anschließenden Armeen aus. So erstreckte sich die Schlachtfront in einer Breite von 180 km von Verdun bis über Noyon hinaus
Alle , namentlich gegen unseren rechten
Flügel geführten Durchbruchsversuche wurden abgewiesen.
Südlich
Noyon erlitten sogar 2½ französische Korps am 17. September eine völlige Niederlage. Auch das von den Franzosen schon besetzte, nördlich der Aisne gelegene festungsartige Plateau von Craonelle wurde ihnen einige Tage später entrissen. Allmählich erlosch die Aisneschlacht. Nur die Beschießung von Reims dauerte mit Unterbrechungen fort , und auch namentlich in den Argonnen kam es immer wieder zu Kämpfen , bei denen unser linker Flügel Raum gewann. Doch gelang es nicht , der noch immer in Lothringen stehenden Armee des Kronprinzen von Bayern den Weg durch die Sperrfortlinie gegen die rechte Flanke der französischen Hauptstellung zu bahnen , trotzdem Ende September das Fort Camp des Romains bei St. Mihiel von den Bayern genommen wurde. Während so die Kämpfe in der Front der Aisnestellung nachließen , entbrannten neue auf ihrem äußersten rechten Flügel, deren Schwerpunkt sich in dem gegenseitigen Streben nach Umfassung des Gegners und in dem besonderen der Franzosen, Antwerpen zu entsetzen , immer mehr von Süden nach Norden hinaufschob , was von beiden Seiten die Heranziehung immer weiterer Kräfte nötig machte. So wurde die neue , sich gegen Norden erstreckende Front zur Hauptfront, während die alte, von Westen nach Osten laufende an Bedeutung verlor. Die neuen Kämpfe begannen am 28. September mit der Schlacht bei RoyeAlbert. Über Bapaume und Arras dehnten sie sich zunächst bis in die Gegend von Lille aus. Ihren Höhepunkt erreichten sie am 7. Oktober, an dem der Versuch zum Entsatz von Antwerpen zwischen Lens und Linthe zusammenbrach. Schon war es auch zu spät zur Rettung der Festung. Seit dem 28. September von unserer schweren Artillerie beschossen, erlag sie trotz ihrer Stärke bereits am 9. Oktober. Ein Teil der Besatzung trat auf holländisches Gebiet über, dem größten Teil gelang es aber, nach Westen zu entkommen und den schmalen Streifen von Belgien hinter der Yser zu erreichen. Dorthin wurden auch von Soissons her die Engländer geschafft, um die Lücke zwischen dem linken französischen Flügel und dem Meer zu schließen. Der über alles Erwarten schnelle Fall von Antwerpen, der vierten eroberten moder-
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nen Festung, hat eine lebhafte Polemik über den Wert der Festungen. hervorgerufen, bei der aber die großen Dienste, die sowohl Paris als die Festungslinie an ihrer Ostgrenze den Franzosen bisher schon geleistet haben, nicht genug gewürdigt worden sind. Die bisherigen Kämpfe hatten auf beiden Seiten gewaltige Opfer gefordert. Im Gegensatz zu unseren auf kaum schon ausgewachsenen Rekruten und Kolonialtruppen , Inder usw. angewiesenen Gegnern hatten wir aber nicht nur die Abgänge voll decken, sondern sogar noch starke neue Kräfte aufstellen und ins Feld schicken können. Auch der Gesundheitszustand unserer Truppen hatte sich durch die reichliche Nahrungszufuhr und die vortrefflichen sanitären Einrichtungen wieder zur vollen Zufriedenheit gestaltet, während unsere
Gegner
vielfach unter Epidemien litten. Mit dem Fall von Antwerpen begann auf dem westlichen Kriegsschauplatz eine neue, zurzeit (24. Dezember) noch nicht abgeschlossene Periode.
Die französische Heeresleitung begnügte sich jetzt mit der
im Interesse Englands liegenden Sperrung des Weges nach Calais , durch die zugleich eine Umfassung ihres linken Flügels verhindert wurde. Während hier die Kämpfe immer heftiger wurden, herrschte auf der ganzen übrigen Front bis zur Schweizer Grenze eine verhältnismäßige, wenn auch natürlich nicht vollständige Ruhe. Namentlich im Elsaß und in Lothringen, wo unsere von dort nach dem Norden gezogenen Armeen durch neugebildete ersetzt waren, mußten immer In den Argonnen wieder französische Angriffe abgewehrt werden. machten unsere Truppen dagegen stetig, wenn auch nur langsam , Fortschritte.
Auch bei Reims, sowie in der Gegend von Soissons und im
Gebiet der Somme wurde zeitweise gekämpft. hatten aber nur nebensächliche Bedeutung.
Alle diese Kämpfe
Auf dem nunmehrigen Hauptkampffelde im Norden stießen unsere Truppen am 18. Oktober westlich Lille und bei Nieuport auf starke Kräfte. Er kam nun auf der ganzen Linie zu äußerst lebhaften Kämpfen. Das weitverzweigte Fluß- und Kanalnetz der Yser erschwerte die Angriffe sehr. Aber glänzend bestanden unsere hier eingesetzten jungen. Truppen die Feuerprobe und erzwangen am 23. und 24. zwischen Nieuport und Dixmuiden den schwierigen Übergang über den Kanal.
Doch
infolge der Öffnung der Schleusen bei Nieuport, durch die das Land zwischen hier und Dixmuiden unter Wasser gesetzt wurde , mußte unser rechter Flügel wieder zurückgehen. So mußten wir uns bei Nieuport auf die Abwehr der von der englischen Flotte unterstützten Vorstöße beschränken. Dagegen gewannen unsere Truppen in fortgesetzten. Kämpfen
südlich
des
Überschwemmungsgebietes
langsam
Raum .
Am 10. November wurde Dixmuiden genommen, der Kanal überschritten
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und ein Angriff der Engländer auf die Höhen von Armentières abgewiesen.
Keinen besseren Erfolg hatten sie am 13. südwestlich Lille.
Schon wurde Bethune von uns beschossen, und auch südwestlich Ypern, das der Feind noch immer besetzt hielt, kamen wir vorwärts. Doch nun zwang Mitte November die Witterung zur Einstellung der für beide Teile verlustreichen Kämpfe . Die Ereignisse beschränkten sich jetzt auch hier auf Artilleriekämpfe und vereinzelte Angriffe. So hatte jetzt der Krieg auf dem ganzen westlichen Kriegsschauplatz den Charakter eines Positionskrieges angenommen. Die Heere stehen sich in geradezu unangreifbaren Stellungen gegenüber, die sich fast ununterbrochen von der Schweizer Grenze bis zum Meere hinziehen. Hüben und drüben haben sich die Truppen in ihren zum Teil schon seit dem Monat August eingenommenen , tief eingeschnittenen SchützenVor der gräben und Geschützeinschnitten häuslich eingerichtet. Hauptstellung ziehen sich besondere Vorpostengräben und alle möglichen Hindernisse , wie Drahtzäune, Wolfsgruben usw. entlang. Bis in die vorderste Linie reicht das Telephon.
Scheinwerfer suchen nachts das Vorgelände ab und bestrahlen es bei feindlichen Angriffen. Bei der Nähe der feindlichen Linien kommen Hand- und Gewehrgranaten zur Anwendung.
Wurfmaschinen schleudern Projektile, die betäubende
Dämpfe entwickeln , und der Mineur arbeitet wie im Festungskriege. Mit der Infanterie zusammen liegt die Kavallerie in den Schützengräben, da ihr der Weg zur Aufklärung versperrt ist.
Diese wird ledig-
lich durch die Flieger bewirkt, die sich für die Artillerie als sehr gefährliche Gegner entpuppt haben. Die Feldartillerie ist zur Unterstützung der Infanterie bei der Abwehr eines Angriffs bereitgestellt, während große Massen schwerer Geschütze versuchen , die feindliche Stellung sturmreif zu machen.
Nur schrittweise ist ein Vorwärtskommen mög-
lich. Ein gewaltsamer Angriff würde ungeheure Opfer kosten, wie die stellenweise immer wieder geführten Vorstöße unserer Gegner. beweisen.
Es ist ein Positionskrieg , wie ihn die Welt in dieser Groß-
artigkeit noch nicht gesehen hat, und der im schärfsten Gegensatz steht zu der wunderbar raschen Eroberung der bisher belagerten Festungen, der modernsten in der ganzen Welt. Wie lange dieser Zustand noch dauern wird, ist noch nicht abzusehen. Wir können das Ende in Ruhe abwarten. Wir führen den Krieg in Feindesland, und unsere Truppen werden es länger aushalten als die feindlichen. Wenn der Winter erst mit voller Schärfe einsetzt, dürfte der französischen Heeresleitung kaum eine andere Wahl bleiben, als Rückzug oder Angriff. Fast scheint es denn auch, als ob der Gegner sich bereits zum Angriff entschlossen hat. Joffres Armeebefehl vom 17. Dezember und die von den Verbündeten in den letzten Tagen nicht nur im Norden ,
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sondern an den verschiedensten Stellen der langen Front unternommenen erbitterten Angriffe deuten darauf hin . Es ist aber noch nicht zu übersehen, ob der Feind vielleicht nur vorfühlen will, ob wir uns nicht irgendwie eine Blöße geben, oder ob die Kämpfe die Einleitung zu einem großen Angriff sein sollen. Wir können einem solchen vertrauensvoll entgegensehen. Wie wir bisher alle Angriffe abgewiesen haben, werden wir es auch weiter tun. Der für uns siegreiche Ausgang der großen Kämpfe in Polen, wo es sich nur noch um die Vollendung der errungenen Erfolge handelt, wird nicht dazu beitragen, die Zuversicht unserer Gegner zu steigern. Im Osten hatte der Ausgang der Lemberger Kämpfe eine unmittelbare Unterstützung unserer Verbündeten nötig gemacht. Da nach den Hindenburgschen Siegen zum Schutz von Ostpreußen schwächere Kräfte genügten, war der größere Teil unseres Ostheeres hierfür verfügbar. So blieb die 8. Armee unter dem General v. François auf dem preußischen Kriegsschauplatz , während die neugebildete 9. nach der oberschlesischen Grenze verlegt wurde. Von hier aus trat Hindenburg in den letzten Septembertagen den Vormarsch gegen die Linie WarschauIwangorod an. Gleichzeitig ging das österreichisch-ungarische Heer zum Entsatz von Przemysl vor. Die Russen wurden durch diese Wendung aufs höchste überrascht. Schleunigst wich ihre Kavallerie auf der ganzen Linie zurück. Der am 4. Oktober unternommene Versuch, zwischen Opatow und Opatowice Truppen zur Aufnahme ihrer Kavallerie auf das linke Weichselufer zu schieben, mißlang .
Schon am folgenden
Tage wurden 2½ Kavalleriedivisionen und Teile der Besatzung von Iwangorod von Radom auf Iwangorod zurückgeworfen.
Am 10. er-
reichten die Spitzen der Deutschen südlich Warschau die Weichsel. In den letzten Tagen waren 7000 Gefangene gemacht. Unsere Verbündeten hatten gleichzeitig allen Widerstand, den sie gefunden, überwältigt und besonders 6 russische Divisionen am 7. bei Lancut am Wislok geschlagen. Am 10. wurde Przemysl entsetzt, nachdem noch am 9. die Russen einen ihrer wü tenden Stürme ausgeführt , die sie insgesamt 40000 Mann gekostet hatten. Vom 12. ab entwickelten sich heftige Kämpfe östlich der Festung, die sich allmählich von den Ausläufern der Karpathen bis zum unteren San ausdehnten . Da die Russen starke Kräfte nach Polen hatten werfen müssen, gewannen die österreichisch - ungarischen Armeen wicht.
immer mehr
das
Überge-
Inzwischen standen die Deutschen in Polen im heftigsten Kampf. Bereits am 12. hatten starke russische Kräfte vergeblich versucht , die Weichsel bei Iwangorod zu überschreiten , während die russischen Vortruppen südlich von Warschau zurückgeworfen waren ; die Deutschen
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hatten 8000 Gefangene gemacht und 25 Geschütze erobert.
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waren am 14. 8 russische Korps auf der Linie Iwangorod - Warschau vorgegangen, doch auch sie waren zurückgewiesen worden. Nachdem am 22. bei Iwangorod durch das erfolgreiche Eingreifen österreichischungarischer Truppen in die fast ununterbrochenen Kämpfe die unmittelbare Verbindung mit unseren Verbündeten hergestell war, dehnte sich die Schlacht von den Nordabfällen der Karpathen bis Sochaczew westlich Warschau aus , wo bereits am 18. unsere und österreichischungarische Kavallerie starke russische Reitermassen geworfen hatte . Doch diese waren nur die Vorläufer neuer russischer Streitkräfte gewesen. Zum Teil in der Front, zum Teil umfassend von Nowogeorgiewsk her gingen 6 neue russische Korps vor. So in ihrer linken Flanke bedroht, mussten die Deutschen am 27. den Rückzug antreten. Die Immer Loslösung vom Feinde vollzog sich ohne Schwierigkeiten. wieder den Feind zur Entwickelung zwingend , gingen die Deutschen auf Czenstochau zurück. Durch systematische Zerstörung aller Straßen, Brücken , Eisenbahnen , Telegraphen usw. Russen nur langsam folgen .
aufgehalten, konnten die
Natürlich mußten jetzt auch unsere Verbündeten zurückgehen . Sie taten es in der Richtung auf Krakau. Auch hier folgten die Russen sehr behutsam. In Ostpreußen und Suwalki war unsere 8. Armee zurückgeblieben , der 2 russische Armeen gegenüberstanden.
Suwalki hatte nach anfäng-
lichen Erfolgen schließlich geräumt werden müssen . Die gegen Ostpreußen gerichteten Angriffe waren aber durch die in der zweiten. Oktoberwoche über die russischen Flügel bei Schirwindt und Lyck errungenen Erfolge zum Stehen gebracht und Ende des Monats unsere Truppen sogar wieder vorübergehend in Suwalki eingedrungen. Sie hatten in den letzten Wochen 13500 Gefangene gemacht und 30 Geschütze erbeutet .
Mit gleichem Erfolg gelang es ihnen auch weiterhin ,
die Provinz gegen erneute russische Einfälle zu schützen. Die ,,russische Dampfwalze" war nicht zum Stehen gebracht, nur ihr Gang verlangsamt worden. Unter dem gemeinsamen Oberbefehl des Generals Ruskiy wälzten sich 5 Armeen = 800000 Mann von der Weichsel gegen die Grenzen von Posen und Schlesien heran . Eine weitere Armee war im Vormarsch durch Nordpolen gegen die Linie Graudenz - Thorn , während gegen Ostpreußen anscheinend nur schwache Kräfte stehen geblieben waren. Die übrigen russischen Streitkräfte waren teils im Vormarsch auf Krakau, teils an den Karpathenpässen oder vor Przemysl, das am 11. November zum zweitenmal eingeschlossen wurde , ohne aber belagert zu werden. In dieser schwierigen Lage entschloß sich Hindenburg, seine
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Rückblicke und Ausblicke .
Hauptkräfte, die 9. Armee unter dem besonderen Befehl des Generals v. Mackensen, nach Kujavien zu verlegen und von hier aus gegen die rechte Flanke der gegen die Warthe vorgehenden Armeen des russischen Zentrums vorzustoßen. Eine neugebildete Armeeabteilung nnter General v. Woyrsch blieb bei Czenstochau zurück, um im Anschluss an die bis über Krakau hinaus stehenden österreichisch-ungarischen Armeen Oberschlesien zu decken und den Feind in der Front aufzuhalten, während die beiden Flügel ihn umklammern sollten. Das erste Opfer des durch die Kavallerie vor der feindlichen Front, d. h. an der Warthe, sehr geschickt verschleierten und daher die Russen wieder völlig überraschenden Hindenburgschen Flankenstoßes war ein russisches Armeekorps , das am 13. November bei Wloclawek zurückgeworfen wurde.
In Verfolgung dieses Sieges wurden
am 15. mehrere Korps bei Kutno geschlagen und hierbei und in den vorangegangenen Kämpfen 23000 Gefangene gemacht. An demselben Tage schlug ein auf dem rechten Weichselufer vorgehendes preußisches Korps starke russische Kräfte bei Lipno , nahm ihnen 5000 Gefangene ab und nötigte sie zum Rückzuge auf Plock.
Inzwischen hatten andere,
von Westpreußen vorgehende Truppen in mehrtägigen Kämpfen starke russische Truppen bei Soldau abgewiesen und zum Rückzug über Mlawa gezwungen. Am 17. entspannen sich nördlich Lodz neue Kämpfe gegen sehr überlegene Massen. Auch bei Czenstochau , wo wir mit unseren Verbündeten Schulter an Schulter standen, waren schon heftige Kämpfe im Gange, die sich bald bis über Krakau hinaus fortpflanzten. Ein am 21. unternommener Versuch, durch Umfassung des feindlichen rechten Flügels eine Entscheidung herbeizuführen , scheiterte, da die Russen von Warschau kommende gewaltige Verstärkungen einsetzten. Unsere Umgehungskolonnen kamen in Gefahr , selbst abgeschnitten zu werden, doch schlugen sich die jungen Truppen, aus denen sie bestanden, mit glänzender Tapferkeit durch und brachten noch 12000 Gefangene und 25 eroberte Geschütze mit zurück . Auch bei Czenstochau kam der Kampf um Stehen, während er bei Krakau vorwärts schritt.. Am 25. konnte endlich die russische Gegenoffensive in der Linie Die Verluste Lowicz - Strykow- Brzeziny als gescheitert gelten. der Russen in den bisherigen Kämpfen bei Lodz und Lowicz betrugen bereits 40000 Gefangene und 70 Geschütze . Auch unsere Verbündeten die erhebliche Fortschritte gemacht und am 23. Pilica erobert , hatten schon 29000 Gefangene gemacht. Am 27. begann der Kampf von neuem . Ein russischer Vorstoß von Nowo- Radomsk her wurde von General v. Woyrsch abgewiesen. , Gleichzeitig ließ Hindenburg, der zum Feldmarschall ernannt war,
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Zur Jahreswende .
Rückblicke und Ausblicke.
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Lodz erneut angreifen. Ein hier geführter Angriff der Russen scheiterte , wobei sie abermals 4500 Gefangene und 18 Geschütze einbüßten. Auch die am 5. und 6. Dezember von Süden her gemachten Versuche der Russen, ihren bei Lodz kämpfenden Truppen Hilfe zu bringen, wurden bei Petrikau durch unsere und österreichisch-ungarische Truppen vereitelt.
An letzterem Tage wurde endlich Lodz besetzt, und hierbei
abermals 5000 Gefangene gemacht und 16 Geschütze erbeutet .
Die
Russen , die östlich und südöstlich der Stadt gekämpft hatten, gingen in möglichster Eile nach Osten zurück. Ihre Verluste waren ungeheure. Schon am 1. Dezember hatte die Zahl der seit dem 11. November gemachten Gefangenen 80000 Mann betragen. Ihre bisher erlittenen blutigen Verluste waren nicht viel geringer. Östlich der Miazga bezogen die Russen eine neue , stark befestigte Stellung. Inzwischen war auch der rechte Flügel der Verbündeten in Südpolen und Galizien am 8. erneut zum Angriff übergegangen und hatte mit großem Erfolg sowohl in der Gegend von Petrikau, als auch östlich von Krakau gekämpft , wo die Russen 10000 Gefangene verloren hatten. Am 12. wurde ihr südlicher Flügel bei Limanowa vollständig geschlagen. Gleichzeitig drangen österreichisch-ungarische Truppen von Süden her über die Karpathen vor und machten weitere 9000 Gefangene. Durch die energische Verfolgung des zum Rückzuge nach Norden gezwungenen linken Flügels der Russen wurde nun aber auch die Rückzugsrichtung ihres in der Linie Petrikau - Nowo- Radomsk - WollbromNiepolomice kämpfenden Zentrums bedroht.
Am 14. fing er ebenfalls
an zu weichen. 31000 Gefangene waren die Kriegsbeute der letzten Tage. Und nun brach das Verhängnis vollends über die Russen herein. Nachdem ihnen bereits am 12. und 15. mehrere Positionen entrissen waren , wobei sie 11000 und 3000 Gefangene verloren hatten, wurde am 16. ihr rechter Flügel an der Bzurra geschlagen und Lowicz genommen. So war jetzt der allgemeine Rückzug geboten. Ob die im Halbkreise umspannte hungernde Armee noch die Kraft hat , hinter der Linie der unteren Bzurra, der Rawka und der Nida einen neuen allgemeinen Kampf zu wagen, oderob sie hier nur Nachhutgefechte zur Ermöglichung des schwierigen Rückzuges über die Weichsel liefern will , muß sich bald entscheiden. Unsere wie unserer Verbündeten Heeresleitung ist entschlossen,
die
errungenen Erfolge
zu
vollenden, und bereits haben ihre Truppen an mehreren Stellen den Übergang über die genannten Flüsse erzwungen . Ob das russische Heer einer Katastrophe entgehen wird, erscheint mehr als zweifelhaft. Dem Millionenheer dürfte ein Millionenchaos drohen. Was noch die Ereignisse auf dem serbisch-montenegrinischen Kriegsschauplatz anlangt, so konnte hier bisher eine Entscheidung
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Zur Jahreswende .
Rückblicke und Ausblicke .
nicht herbeigeführt werden. Die schwachen österreichisch -ungarischen Truppen mußten sich hier auf den Schutz der eigenen Grenzen und kurze Vorstöße über dieselben hinaus beschränken. Es erübrigt noch, der kriegerischen Begebenheiten in den Kolonien und zur See zu gedenken. Das Schicksal der Kolonien war vorauszusehen. Die Inseln im stillen Ozean und in der Südsee, sowie die Küstengebiete unserer afrikanischen Besitzungen waren nicht zu schützen . Auch das Schicksal von Tsingtau , das nach heldenmütiger Verteidigung am 7. November erlag, war nicht abzuwenden. Heldenhaft , wie die Besatzung von Tsingtau erlag, bewährte sich auch die Flotte. Es ist unmöglich , hier in der Kürze alle Großtaten aufzuzählen, die schon von ihr geleistet sind . Der Ausbruch der Goeben und Breslau aus dem Hafen von Messina, die Vorstöße unserer Kreuzer , Torpedo-, Unterseeboote und Minenleger gegen die englische Küste und die Streifzüge unserer kleinen Kreuzer in den entferntesten Meeren bilden glänzende Ruhmestaten unserer Flotte , in deren Geschichte U. 9 und Emden ihre Namen mit unvergänglichen Buchstaben eingeschrieben haben. Und nicht minder laut verkünden die Kämpfe bei Helgoland, bei Coronel und an den Falklandsinseln den Ruhm der Flotte. Unsere Gegner kennen den Geist , der in ihr lebt , und deshalb hat auch ,,the mighty Armada" noch nicht gewagt, unsere Schlachtflotte zum Kampfe aufzusuchen. Sie scheut sich , die Opfer zu bringen, * die sie ein selbst siegreicher Kampf kosten würde. Darum ist es eine Prahlerei , wenn die Engländer von ihrer Seeherrschaft sprechen. Das hat unser neuester Vorstoß gegen die englische Küste gezeigt. Wir stehen am Ende des ersten Kriegsjahres, ein zweites wird ihm folgen. Ob auch ein drittes ? Das kann heute niemand wissen. Sicher ist, daß der Krieg nicht eher zu Ende gehen wird, als bis die eine oder die andere Partei am Boden liegt, denn keine kann sich vorher in die ihr auferlegten Friedensbedingungen fügen, weder unsere Gegner, von denen wir unbedingte Sicherstellung gegen neue Angriffe fordern müssen, noch viel weniger wir , die sie uns zertrümmern wollen. Die anfangs stellenweise gehegten Hoffnungen, daß der Krieg bald wieder zu Ende gehen würde, sind verflogen. Aber auch die gegenteilige Ansicht, daß er drei Jahre oder noch länger dauern könnte , hat schon eine starke Abschwächung erfahren . Herr Asquith gibt schon die Wahrscheinlichkeit zu , daß er nur zwei Jahre dauern werde. In dieser Zeit hofft er uns aushungern zu können . Aber wird sein eigenes Land einen auch nur zweijährigen Krieg aushalten ? Sind wir nicht für die Volksernährung von der Zufuhr ungleich abhängiger als England und auch finanziell viel besser gerüstet als unsere Gegner ? Dafür fehlt es nicht an Anzeichen. Man hört oft sagen, daß in der Zeit der allgemeinen
Zur Jahreswende .
Rückblicke und Ausblicke.
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Wehrpflicht und der Volkskriege eine lange Kriegsdauer ausgeschlossen sei. Zweifellos sprechen ja auch die wirtschaftlichen Verhältnisse sehr mit. Aber wenn überhaupt ein Volk einen langen Krieg aushalten kann , dann ist es das unsere. Namentlich den Franzosen gegenüber, in deren Land der Krieg geführt wird, sind wir im Vorteil. Vielleicht dringt bei ihnen mit der Zeit die schon dämmernde Erkenntnis durch , daß sie nur Handlanger Englands sind.
Werden dann nicht Englands Treib-
mittel am Ende doch noch versagen, die Solidarität unserer Gegner in die Brüche gehen ? Doch darauf können wir hoffen , brauchen aber nicht damit rechnen. Die militärische Lage ist eine solche , daß wir auf der Niederwerfung aller unserer Gegner zählen können. Schnell wird es freilich nicht gehen. Wir werden noch lange und erbitterte Kämpfe führen und große Opfer bringen müssen, vielleicht auch noch manche Enttäuschung erleben. lich gelitten.
Die Kraft unserer Gegner hat schon außerordent-
Nur mühsam halten sie noch in der Verteidigung Stand,
aber ihre Stoßkraft ist gebrochen, und nur diese kann eine Entscheidung bringen. Frankreich bietet schon seinen letzten Mann auf, um die klaffenden Lücken in seinem Heere zu füllen.
Es begnügt sich nicht
mehr, die Jahresklasse 1915 vorweg zu nehmen, sondern will sogar die Dienstverpflichtung von 28 auf 34 Jahre , vom 18. bis 52. Lebensjahr, ausdehnen. Einen Nutzen wird die Armee davon kaum haben, daß ihr Kinder und schon verbrauchte Männer zugeführt werden , während sie in dem Erwerbsleben sehr fehlen werden, wodurch die wirtschaftliche
Grundlage der militärischen Leistungsfähigkeit ihres
Landes
schwer geschädigt werden muß. Und wie steht es um die englische Armee ? Auch sie hat schwer verloren, und es bleibt zweifelhaft, ob die Verluste haben voll gedeckt werden können , denn wenn auch das Parlament eine gewaltige Verstärkung der Armee bewilligt hat , so nimmt doch die Werbung trotz aller Lock- und Zwangsmittel nur schlechten Fortgang.
Die Aussichten für das Zustandekommen von Kitcheners
Reservearmee sind noch geringer , denn für diese sind keine Offiziere vorhanden, die sie ausbilden und führen können . So ist England vornehmlich auf australische und kanadische Miliztruppen und eingeborene indische Truppen angewiesen , wenn es seine Armee verstärken will. Aber der Eintritt des Islams in den Kampf hat diesen Zufluß teils überhaupt ins Stocken gebracht, teils nach anderen Stellen abgelenkt.
Im Laufe dieses Krieges der Millionenheere dürfte die eng-
lische Armee wohl kaum stark genug werden , um den Ausschlag zu geben. Diese Rolle war ja überhaupt von Anfang an von unseren Gegnern Doch diese hat versagt. der russischen Dampfwalze vorbehalten. Die 2000000 Soldaten, die Rußland gegen uns und unsere Verbündeten
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Zur Jahreswende.
Rückblicke und Ausblicke.
ins Feld gestellt hat, hatten schon vor den letzten großen Kämpfen drei Viertel ihrer ursprünglichen Stärke eingebüßt , und diese Verluste hatten nur etwa zur Hälfte gedeckt werden können.
Jetzt sind neue ,
sehr schwere Verluste hinzugekommen, und in der zurückgehenden hungernden Armee sollen so trostlose Zustände herrschen, daß man wohl schon von ihrem bevorstehenden vollen Zusammenbruch reden kann. Dazu beansprucht der jetzt entbrannte Kampf gegen die Türkei starke Kräfte. An Menschen fehlt es nicht, um neue Arme n aufzustellen , wohl aber an Offizieren , Ausrüstung und Waffen , die bei der Abgeschnittenheit des Reiches aus dem Auslande nicht bezogen und von der gering entwickelten Waffenindustrie Rußlands in nur gänzlich unzulänglichen Mengen geliefert werden können. So richten unsere Feinde ihre Augen auf Japan. Aber dieses ist ein kühler Rechner und fordert einen Preis, den selbst unsere anderen Feinde trotz ihres Hasses gegen uns Anstand nehmen, zu zahlen. Es würde aber kaum noch einen Umschlag herbeiführen können . Die Kräfte unserer übrigen Gegner haben schon zu sehr gelitten . Wie sieht es dagegen bei uns und unseren Verbündeten aus ? Gewiß, auch wir haben große Verluste gehabt, aber wir haben sie noch immer in vollwertiger Weise decken können, ohne daß unser wirtschaftliches Leben darunter gelitten hat. Wir haben sogar noch eine ganze Anzahl neuer Armeekorps aufstellen können , so daß das Feldheer jetzt stärker ist, als es anfangs war. Dabei sind neue Formationen im Gange, die Festungen haben ihre vollen Kriegsbesatzungen und die Ersatztruppen sind übervollzählig, ohne daß bereits der Jahrgang 1914 hätte eingezogen werden brauchen , der unter normalen Verhältnissen schon im Oktober hätte eingestellt werden müssen. Auch an Ausrüstung und Waffen ist kein Mangel, und sie können ohne Schwierigkeiten auch noch weiter ergänzt werden. Selbst unsere Gegner rühmen die Vollkommenheit unserer technischen Streitmittel, von denen sie stets neue Überraschungen befürchten. Von der hohen Begeisterung unserer Truppen und von dem in ihnen lebendem Gefühl der Überlegenheit braucht gar nicht gesprochen zu werden. Es ist , als ob jeder Einzelne sich für befähigt und berufen hielte , allein den Feind in die Flucht zu schlagen.
Ein solches Heer muß siegen.
Dazu stehen wir ja auch
nicht allein. Unsere tapferen Waffenbrüder von der blauen Donau suchen an Heldenmut mit uns zu wetteifern . Nie soll es ihnen vergessen werden, daß sie namentlich im Anfang die Hauptlast des Kampfes im Osten auf sich genommen haben. Und auch die Türkei ist jetzt offen auf unsere Seite getreten. Sie ist für den Krieg gerüstet wie noch nie zuvor. Der ganze Islam fühlt , daß jetzt oder nie der Augenblick gekommen ist , die ihm von unseren Gegnern drohenden Gefahren
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Kriegsgliederung und Kriegführung der Engländer.
abzuschütteln, daß auch er keine andere Wahl als Sieg oder Untergang hat. So sind alle Vorbedingungen des endgültigen Erfolges auf unserer und unserer Verbündeten Seite. Wir müssen siegen, wir können siegen und werden darum auch siegen,
II . Kriegsgliederung und Kriegführung der
Engländer
im
ersten Von
Feldzugsabschnitt.
G. Rh.
Seit dem Krimkriege, in dem der ,, letzte Cardigan " , der aber nicht der letzte wurde , bei Balaclava noch die Kampfart für möglich hielt , stark besetzte Schützengräben durch Reiterattaken nehmen zu wollen , hatte die britische Armee europäischen Großmachttruppen nicht mehr gegenübergestanden. Ihre Mängel hatten manches Jahrzehnt überdauert, bevor sie greifbar
deutlich
und schmerzhaft
eindrucksvoll am eigenen Leibe in der ersten Phase des Burenkrieges erkennen
mußte,
daß sie selbst Naturkämpfern
gegenüber für das
moderne zerstreute Gefecht nicht ausgebildet sei . Die Rückwirkung blieb dann nicht aus. Neben Ausnutzung der Deckungen trat dann aber auch eine gewisse Verlustscheu zutage (die Ansicht, man könne bei Tage nicht mehr angreifen, spiegelt sich sogar im Reglement von 1902 noch wider), die man heute, wie wir gleich vorausschicken wollen, zumal wenn man den noch währenden zweiten Feldzugsabschnitt in Rücksicht zieht, funden hat.
bei der britischen Feldarmee
Ein Armeekorps hatte
man 1899 ,
nicht ge-
am 9. Oktober mit
der Mobilmachung beginnend , mit 47000 Mann Stärke , darunter 20000 der Reserve , für den Burenkrieg zwischen dem 21. Oktober Die Mobilmachung und 15. November in Marsch setzen können . weiterer Kräfte nahm aber wieder sehr viel Zeit in Anspruch, auch nur für 3 Divisionen die Kriegsausrüstung vorhanden war.
zumal Erst
1907 kam aber die Haldansche Heeresreform , wenigstens bei der Feldarmee, zum Abschluß, deren Friedensstämme unter normalen Verhältnissen gleichzeitig die Ablösungsmannschaft der außerhalb des Mutterlandes befindliche Heeresteile ausbilden. Von den durch Werbung ergänzten Landstreitkräften des europäischen Großbritannien , die sich in Feldarmee, Ersatzformationen und Besatzungsarmee gliedern, 2 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 520.
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Kriegsgliederung und Kriegführung der Engländer.
haben wir im ersten Feldzugsabschnitt die sogenannten Expeditionstruppen mit einer auf 10 % berechneten und zunächst an der Basis zurückgelassenen Ersatzquote , die „ Armee- “ und Etappentruppen auf Frankreichs Roden gesehen. Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß man schon vor der offiziellen Kriegserklärung Truppentransporte nach Frankreich dirigierte - wann die Mobilmachung angefangen, ist daher dem Tage nach nicht genau festzustellen, jedenfalls lange vor dem 1. August. Am 14. August haben offiziell die Ausschiffungen in Boulogne (auch in Havre) begonnen. „ Field Service Regulations " betonen den Wert der strategischen wie der taktischen Offensive . Bei der Kavallerie, die starke Neigung hatte, zu berittener Infanterie zu werden, war es gerade French, der die gewachsene Bedeutung dieser Waffe hervorhob, was auch im Reglement von 1907 zum Ausdruck kam. Ob die Praxis in der Verwendung und im Kampfverfahren nach den Weisungen der „ Felddienstregeln ausfiel, steht auf einem anderen Blatte. Besonderen Nachdruck legen die Vorschriften auf den offensiven Geist des Kavallerieführers, schnellen Entschluß und rasches Handeln unbedingt von ihm verlangend . Die Heereskavallerie soll die feindliche aufsuchen und schlagen , die feindlichen Vortruppen durchbrechen und die Aufklärung erzwingen . Die Korpskavallerie hat als „ protective Cavalry " lediglich defensive Aufgaben der Nahaufklärung und Sicherung. Berittene Infanterie soll, dank ihrer Beweglichkeit und der Möglichkeit, aus geschlossenen Formationen schneller als die Infanterie das Feuer eröffnen zu können , wuchtige Schläge gegen Flanken und Rücken des Feindes führen , oder Marschkolonnen mit Feuer überschütten, ehe sie zur Entwickelung kommen. Das Zusammenwirken der Infanterie mit der frühzeitig bereit zu stellenden , aber nicht eher und stärker, als zur Erreichung des Gefechtszweckes nötig, einzusetzenden Artillerie wird nachdrücklich betont. Schwere Artillerie soll Schildbatterien mit Schrägfeuer bekämpfen, Deckungen auf große Entfernungen der Länge nach fassen , Örtlichkeiten zerstören und vor dem Sturm durch Feuervereinigung, auch von entfernten Stellungen aus ,
die Einbruch-
stelle vorbereiten . Die im allgemeinen grundsätzlich zu zwei beim Bataillon verwendeten Maschinengewehre können in der Brigade auch gemeinsame Feuerhäufungen vornehmen. Auf dem Marsche scheidet man oft nur schwache Vorhuten aus, zuweilen sogar nur berittene Infanterie und Pioniere, obwohl man im allgemeinen das deutsche Eingliederungssystem in die Marschkolonnen angenommen hat. Meist findet man in der Vorhut nur eine Batterie von den 11 , die eine Division aufweist , die anderen erst im Gros, obwohl die neuen Vorschriften für die Vorhut weit mehr, als früher
Kriegsgliederung und Kriegführung der Engländer.
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das offensive Element betonen : Besitznahme von günstigen Stellungen für den Angriff, mit der Artillerie weit auseinander gezogen in verdeckte Stellung gehen, um den Feind zur Entwickelung zu zwingen, selbständiges Handeln des Vorhutführers, auch wenn er die Absichten der höheren Führung nicht genau kennt, Werfen der Vortruppen des Gegners und unbedingt er Versuch, diesem das Gesetz des Handelns. zu geben.
Eine „ Armee " gliedert sich beim Vormarsch in die vorausdem Armeeoberkommando direkt unterstellte Heereskavallerie (independente cavalry) , dann mit weitem (Tagesmarsch und darüber) Abstand die Korpskavallerie (protective cavalry) mit be-
gesendete,
rittener Infanterie für Nahaufklärung und Sicherung, dann die Marschkolonnen der Divisionen , gegebenenfalls vor diese vorgeschoben, eine Armeevorhut nach französischem Muster. An der Spitze der Divisionsmarschkolonnen berittene Infanterie (2 Kompagnien) mit wechselndem Abstand voraus , dann ein Bataillon mit Maschinengewehrzug (Vortrupp) ,
dann , mit 800 m folgend , der Haupttrupp : 1 Bataillon, 1 Kanonenbatterie, 1 Bataillon, Pionierkompagnie ohne Brückentrain , 1 Zug Sanitätskompagnie. Mit 1500 m Abstand etwa folgt darauf das Gros, und zwar in nachstehender Marschordnung : Divisionsstab mit einem Zug berittener Infanterie, das letzte Bataillon der vorderen Brigade, 1 Pionierkompagnie mit Brückenwagen, 3 Kanonenabteilungen mit noch 8 Batterien, 1 Infanteriebrigade, 1 Haubitzabteilung zu 3 Batterien, die letzte Infanteriebrigade, nach dieser unmittelbar 1 schwere Kanonenbatterie und dann sämtliche leichte Munitionskolonnen und Feldlazarette. Mit einem wechselnden Abstande, je nach Befehl, folgen die großen Bagagen und Trains. Man entwerfe sich danach ein Bild davon, wie lange es dauern muß, bis die eine Vorhutbatterie, die gegebenenfalls sofort (s. oben) in lebhaften Kampf kommen kann, Unterstützung auch nur durch die beiden anderen Batterien der Abteilung erhoffen darf und bis ihr Munitionsersatz aus den leichten Munitionskolonnen möglich ist. Als Regel betrachtet man den Aufmarsch vor dem Angriff unter dem Schutz der Vorhuten , deren Kampf auch mehr Gewißheit über den Gegner schaffen soll, Wozu es als wichtig bezeichnet wird, daß der Sieg der eigenen Kavallerie über die feindliche ersterer Freiheit des Handelns schafft und erlaubt, sich direkt gegen die Marschkolonnen zu wenden. Nur wenn die Zeit es nicht erlaubt, soll die Entwickelung unmittelbar aus den Marschkolonnen stattfinden . Gewinnung der Feuerüberlegenheit wird als beste Grundlage für das Suchen der Entscheidung bezeichnet, die mit größter Wucht einen bestimmten Punkt treffen soll , während der Rest zu beschäftigen ist, und zwar um so kräftiger, je höher die Qualität des Gegners eingeschätzt wird . Die ausgeschiedene „ all2*
20
Kriegsgliederung und Kriegführung der Engländer .
gemeine Reserve " soll möglichst zum Stoß gegen die Flanke des Gegners verwendet und nicht mehr nur zur Aufnahme und zur Verfolgung zurückgehalten werden . Die britischen Vorschriften wollen einen eigentlichen Artilleriekampf vermeiden und empfehlen verdeckte Stellungen, da diese erlauben, den Kampf gegen feindliche Artillerie aufzunehmen und diese zu „ neutralisieren " , oder ihn zu vermeiden, alle nicht unbedingt nötigen Batterien in Bereitstellung zurückbehalten , um sie gegen neu auftretende Ziele zu verwenden und mit der Infanterie Hand in Hand arbeiten zu lassen, fecht tritt.
sobald diese in das Ge-
Die britischen Vorschriften unterscheiden bei der Angriffs-
truppe, eine den Feind erschütternde ,,Feuertruppe " , sowie die allgemeine Reserve zur Herbeiführung der Entscheidung durch den Stoß. Der Feuerlinie gehen Aufklärer mit Signaltrupps voraus und folgen Unterstützungen in geöffneter Formation. Die möglichst nahe ohne Feuer an den Gegner herangehende Schützenlinie soll aus der Feuerstellung den Feuerkampf beginnen, sie kann dahin nur durch Unterstützung von Maschinengewehren und Artillerie gelangen und die Feuerüberlegenheit erkämpfen.
Während des Feuerkampfes soll jede
Gelegenheit benutzt werden , vorwärts Boden zu gewinnen , ein Vorbrechen zum Sturm von 180 m aus soll aber nicht vereinzelt, sondern in durch Zeichen herbeizuführender Verständigung mit Nebenabteilungen erfolgen. Die Frage des „ Begegnungsgefechtes " machen die Vorschriften sehr kurz ab. Betont wird aber, daß, wenn die beiden Gegner in Reichweite
aneinandergekommen sind ,
der
zuerst
Zugreifende den Vorteil hat , dem Gegner seinen Willen aufzuzingen. Ihre neuen Vorschriften haben die Briten in den Kämpfen des ersten Feldzugsabschnittes
sicher nicht immer befolgt,
einige
alt-
gewohnte Schwächen im Aufklärungs- , Sicherungs- und Schützendienst sind
zweifellos in
die Erscheinung getreten.
So z. B. bei
den im
zweiten Feldzugsabschnitt wahrnehmbaren indischen Truppen , die man bald auf die englischen Verbände verteilt hatte, wo Unkenntnis des modernen Kampfverfahrens stellenweise ganze Reihen dieser braunen Söhne Asiens durch Maschinengewehrfeuer hinmähen ließ. Es wäre
aber ,
wie
wir
(den
streifend) gleich betonen wollen ,
zweiten
Feldzugsabschnitt
unrichtig, nicht zuzugeben,
hier
nur
daß die
Briten, wo es zu nachhaltigen Kämpfen gekommen ist, sich gut geschlagen haben, und es wäre ein oberflächliches Urteil, den Wert der britischen Hilfe für die Vüerbndeten, wenn sie numerisch auch über 180-190000 wollen.
kaum hinausgegangen , als unbedeutend bezeichnen zu
Am Nachmittag des 21. August 1914 hatten von der britischen Feldarmee 4 Infanteriedivisionen , 1 Kavalleriedivision, 1 Kavallerie-
Kriegsgliederung und Kriegführung der Engländer.
21
brigade und die „ Armeetruppen " die Südgrenze Belgiens erreicht. Am 21. August konnte ich so sagt der vom Oberkommandierenden French dem Kriegsminister eingesandte erste Bericht, wie er von der Times" veröffentlicht wurde (sicher erst, nachdem das Original eine sehr strenge Zensur durchlaufen , da der veröffentlichte Text die Niederlagen von Maubeuge und St. Quentin nicht eingesteht,
wie dies das
Original schon des nötigen umgehenden Ersatzes der verlorenen 8 Batterien wegen unzweifelhaft getan hat) die Befehle für den Vormarsch in den Aufmarschraum geben, in Stellungen , die ich, gemäß den Weisungen des Generalissimus Joffre, auf Grund seines Feldzugplanes , für den Beginn der Operationen als die geeignetesten ansah. „ Auf Grund seines Feldzugplanes " , das hieße also des gemeinsam mit Briten und Belgiern
beabsichtigten
französischen Offensivstoßes
durch Belgien hindurch gegen den Mittelrhein.
Der strategische Auf-
marsch der Briten wäre also noch zum Zweck der Offensive erfolgt. Dann hätten wir aber (s . unten) spätestens vom 23. August ab den gänzlichen Umschwung des Offensivgedankens in den einer Defensive auf dem nördlichen Schauplatz zu verzeichnen, d . h. zu einer Zeit , wo gegen Osten gerichtet der Offensivgedanke noch bestand . Der Aufmarsch wurde nach Frenchs Bericht, von links nach rechts betrachtet. am 23. August bewirkt : mit dem II. britischen Korps in der Linie Condé ( Kanal) —Mons einschließlich, von Mons über eine Linie 7 km südlich Bray bis Binche das I. Armeekorps ,
dieses also etwas rück-
wärts gestaffelt , bei Binche auch die 5. selbständige Kavalleriebrigade, die Anschluß an das zwischen Binche - Charleroi stehende , 3 Divisionen zählende französische Kavalleriekorps Sordet nehmen sollte, das seinerseits wieder die linke Flanke der 4 Armeekorps und mehrere , anscheinend 4 , Reservedivisionen zählenden französischen V. Armee deckte . Die Kavalleriedivision hatte French nach seinem Bericht zurückgehalten, um, da das III . Armeekorps noch nicht eingetroffen, durch die bedrohte Punkte der Front oder der Flügel zu unterstützen .
Sie sollte nur einige
Eskadrons zur Unterstützung der 5. Kavalleriebrigade geben, der die Aufklärung übertragen war. Nach 99 Field Service Regulations " ist aber, wie schon oben ausgeführt, die strategische Aufklärung die Sache der Heereskavallerie , die die feindliche aufsuchen, aus dem Felde schlagen, durch die feindlichen Vorposten dringen und die Aufklärung erzwingen soll , während die Sicherungskavallerie , unterstützt durch berittene Infanterie, nach denselben Vorschriften die rein defensiven Aufgaben der Aufklärung und Sicherung hat die sie , wie wir sehen Strategische Aufklärung hat werden, hier auch nicht erfüllte. also durch French's Armee nicht stattgefunden , wenn man nicht die ungenügend ausgefallene Tätigkeit der Flieger als solche rechnen
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Kriegsgliederung und Kriegführung der Engländer.
will. Frenchs Befehl spricht von Armeekorps. Für deren Generalkommandos finden wir aber in den Vorschriften keine Etats, während ein solcher für das Hauptquartier vertreten ist.
Schlachteneinheit
ist die Division, die man gegen früher wesentlich verstärkt hat . Jede Infanteriedivision der Feldarmee weist , bei fehlendem Regimentsverband , 3 Infanteriebrigaden zu 4 Bataillonen, 8 Maschinengewehren, 2 Kompagnien berittener Infanterie, 3 Abteilungen zu je 3 Batterien à 6 8,4 cm -Kanonen, 1 Abteilung zu 3 Batterien der neuen 11,75 cmHaubitzen und eine schwere Batterie zu 4 12,8 cm-Kanonen , zusammen 76 Geschütze, je eine leichte Munitionskolonne für jede Abteilung bzw. schwere Batterie, 2 Pionierkompagnien, Divisionsbrückentrain, 3 Munitionskolonnen , Verpflegungskolonne und Park und 3 Feldlazarette auf. Bei rund 600 Offizieren , 18000 Mann eine Gefechtsstärke von 15000 Mann , 76 Geschützen, 24 Maschinengewehren , ungerechnet die zunächst an der Operationbasis in Frankreich zurückgelassenen 18 Offiziere und 1700 Mann Ersatztruppen. Die Kavalleriedivision besteht aus 4 Brigaden zu 3 Regimentern , 36 Eskadrons , für jede Brigade einen Pionier- und einen Signalzug, 2 reitenden Abteilungen, Signalstation, 2 leichten Munitionskolonnen, Sanitäts- und Verpflegungsabteilung mit einer Stärke, ohne Ersatzquote, von rund 480 Offizieren, 9994 Pferden, 24 Geschützen, 24 Maschinengewehren, 22 Kraftwagen ist also stärker , als irgend eine europäische und sollte, nach britischen Ansichten , auch ohne Rückhalt an Infanterie auskommen. Wie die britischen Armeetruppen in Frankreich bemessen sind, ist nicht gut festzustellen ; sicher aber zählten sie 6 Kompagnien , Signaltruppen, Scheinwerfer- und Luftschifferkompagnie und, seit dem nicht gleichEintreffen der zweiten Kräftestaffell der Feldarmee, zeitig mit dem I. und II. Korps usw. angelangte Teile des III . Korps, von denen die 19. Brigade am 24. August, die 4. Division am 25. August, die Front erreichten -- standen, wie der Bericht French selbst angibt, auch ein mittlerer ( 15,5 cm-Haubitzen) und ein schwerer Belagerungstrain zur Verfügung. Die im Oktober gegen Lens und Lille, sowie die heute bei Ypern stehenden britischen Truppen entstammen, wie wir hier gleich bemerken , aus den aus den Mittelmeergarnisonen der Heimat und den exotischen
Kontingenten entnommenen Ver-
stärkungen . An der Aisnelinie und im Norden hätten die Engländer, wie unzweifelhaft festgestellt, auch schon Schiffsgeschütze. Das Unterlassen
der strategischen Aufklärung am 22. und 23.
August war ein ganz gewaltiger Fehler des britischen, über das vom Gegner zu Erwartende völlig unorientierten Oberkommandos ,
dessen
Sicherungskavallerie auch, wie die Folgen zeigen werden , den Schleier nicht dicht genug gezogen hatte ,
um
den
deutschen Einblick
zu
Kriegsgliederung und Kriegführung der Engländer. hindern.
23
Von Schlagen der feindlichen Heereskavallerie, von Durch-
brechen der feindlicheu Vortruppen , von einem Erzwingen der Aufklärung, von einem Blick der Heereskavallerie nach der nicht anAuch die Nahaufklärung hat gelehnten linken Flanke keine Rede. versagt und die alte Schwäche der britischen Armee, mangelhafte Aufklärung hat also wieder ihre Dauerhaftigkeit bewiesen. Am Vormittag des 23. August erfuhr French durch den französischen Generalissimus , daß 1 höchstens 2 feindliche Korps und eine Kavalleriedivision , also den britischen nicht überlegene Kräfte vor seiner Front zu erwarten seien. Um 3 Uhr nachmittags lief bei French die ihn gänzlich verblüffende Meldung von seinem I. Korps ein, der Gegner gehe gegen die Linie Bray - Mons vor, das I. Korps habe seinen rechten Flügel schon auf die Höhe südlich Bray zurückgenommen und die 5. Kavalleriebrigade Binche geräumt. Das war also eine volle Überrumpelung des britischen Oberführers, der über eine Kavalleriedivision in ganz ungewöhnlicher Stärke verfügte .
French hielt auf diese Meldung hin
Mons , wo die 3. Divison, als vorspringenden Punkt für bedroht und befahl dem kommandierenden General des II. Korps, vorsichtig zu sein, nur scheinbaren Widerstand zu leisten und hinter Mons zurückzugehen. Eine weitere, wieder durch unterlassene Fernaufklärung verschuldete Überraschung enthielt für French ein Teil der ihm nachmittags 5 Uhr aus dem französischen Hauptquartier zugehenden telegraphischen Meldung : IV. und IX. und 1 deutsches Reservekorps gehen von Tournai gegen den britischen linken Flügel umfassend vor, die auf dem linken französischen, rechten britischen stehenden Reservedivisionen und V.
französische Armee
gehen
zurück,
da
deutsche
Heerteile
am
28. August die Übergänge zwischen Namur und Charleroi in Besitz genommen haben. Schon damals hat also bei der französischen Oberleitung die Rückzugsabsicht vorgeherrscht, ob nach einem bewußten Gesamtplan , in den sich die Briten einfügen mußten, oder ob durch das eilige deutsche Vorgehen, das die Franzosen überrumpelte, bewirkt, muß die Zukunft lehren. Für die letztere Wahrscheinlichkeit spricht lagen.
die
Tatsache
der
sonst
wohl
vermiedenen
Einzelnieder-
Bei French scheint im übrigen sehr zeitig der Gedanke an
die Notwendigkeit eines Rückzuges bestanden zu haben, da durch ihn schon vor dem 22. August eine Aufnahmestellung erkundet worden war. Am Abend des 23. August gab French den Befehl für den mit Anbruch des 24. August zu bewirkenden staffelweisen Rückzug in die vorher erkundete Stellung, deren rechter Flügel sich an die Forts von Maubeuge anlehnte, der linke an Jenlain , südlich Valenciennes. Die Kavalleriedivision sollte
den linken Flügel und
die Flanke decken.
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Kriegsgliederung und Kriegführung der Engländer.
Gegen Binche
deckte die
2. Division
mit der ganzen Artillerie des
I. Korps im Sinne einer Armeenachhut das Zurückgehen der 1. Division in eine Zwischenstellung bei Peissant und des II . Korps in die allgemeine Linie Quarouble- Dour -Frameries. Die dritte Division auf dem rechten Flügel des II. Korps erlitt dabei , wie der Bericht Frenchs selbst zugibt, starke Verluste durch den Gegner , der Mons genommen hatte. Das II. Korps genannte Linie, WO
erreichte es sich
aber und hielt nach und nach die zum Teil eingrub. Dem I. Korps
wurde es möglich , schon am Morgen des 24. August in die Linie Maubeuge Bavai zu gelangen. Das II. Korps, namentlich seine 3. Division auf dem linken Flügel, die zur Deckung des linken Flügels befohlene Kavallerie- Division (welcher die ganze 2. Kavalleriebrigade durch Infanteriefeuer zertrümmert wurde , wie es übrigens an anderer Stelle durch deutsche Kavallerie den Scotch Greys und den Royal Irish ergangen ist)und die von den rückwärtigen Verbindungen auf Quarouble vorgezogene 19. Infanteriebrigade erlitten starke Verluste, ehe sie die Linie Bavai - Jenlain erreichten.
Entlastet hat das ungerupft schon zeitig
in die Linie Maubeuge Bavai gelangte I. Korps das II . nicht, auch sind dazu von der Oberleitung keinerlei Anordnungen getroffen worden , obwohl man dem II . Korps gegenüber zwei deutsches Korps annahm
und in der Flanke ein
In der Nacht zum 25. August hatte French schon eine Stellung in der Linie Landrecies-Le Cateau - Cambrai vorbereiten lassen, der in Le Cateau per Bahn eingetroffenen vierten Division , III . Korps , eine Flankenstellung mit dem rechten Flügel bei Solesnes, mit dem linken an der Straße Le Cateau - Cambrai zu nehmen, zwei KavallerieBrigaden die Rückzugsbewegungen des II. Korps , dem Rest der Kavalleriedivision und der 19. Infanteriebrigade die Deckung der westlichen Flanke (obwohl auch in Arras die 61. und 62. französische Reservedivison unter General d' Amade standen) befohlen. Am 24. August hatte French auch den General Sordet, kommandierenden General des französischen Kavalleriekorps , in Avessnes , 20 km östlich von Landrecies , wo er sein Hauptquartier hatte, besucht mit dem Ersuchen, zur Unterstützung mit den Briten zusammen zu wirken . Sordet hatte ihm die Erlaubnis gegeben , sich an Joffre wegen Deckung der britischen Flanke durch das französische Kavalleriekorps zu wenden, ihm gleichzeitig aber auch mitgeteilt, daß seine Pferde zu weiteren Unternehmungen zu ermüdet seien. Er ist ihm denn auch nach Frenchs Bericht an dem kritischen Tage des 26. August keine Hilfe gewesen, obwohl das französische Kavalleriekorps an diesem Tage früh hinter dem britischen linken Flügel
stand.
Die Befehle waren gegeben,
die Stellung für
den 25. August zur Verteidigung vorbereitet unter dem Eindruck der
Kriegsgliederung und Kriegführung der Engländer.
25
Besorgnis Frenchs , die feindlichen Umgehungsversuche hätten den Zweck, ihm in die Festung Maubeuge zu drängen und dort einzuschließen, das Zurükgehen
der Franzosen auf seinem rechten Flügel bedinge
baldiges Antreten des Rückzuges. Nach seinem eigenen Bericht brachten ihn
weitere Meldungen und
besonders auch Umfassungsbewegungen
des II. deutschen Korps gegen seinen linken Flügel (und d ' Amade ?) sowie der ausgepumpte Zustand seiner Truppen zu der Überzeugung, der Rückzug müsse ununterbrochen fortgesetzt werden , um einen Abschnitt wie die Somme oder die Oise zwischen den Gegner und die auch der Neuordnung bedürftigen Truppen zu legen . Dementsprechend wurden sofort Befehle gegeben, den Rückzug bis in die allgemeine Linie Ribemont (hinter der Oise) St. Quentin dem Kanal) Vermand fortzusetzen . Die Kavalleriedivision
(hinter die
übrigens schon am 24. August nach dem eigenen Bericht Frenchs ziemlich zersplittert war und es am 25. August noch mehr wurde ---sollte den Rückzug decken . Bis zum Abend des 25. August ging , so sagt der Bericht Frenchs, das I. Korps
am Ostrand des Mormal-
waldes (also Sambre in der östlichen Flanke) auf Landrecies zurück , das es gegen Abend erreichte, während das II. Korps , dem auch die vierte Division unterstellt wurde, gegen Abend mit seinem rechten Flügel bei Le Cateau , weiter westlich durch
mit dem linken in der Gegend von Caudrey, die 4. Division bei Serainvillers als Staffel
verlängert, in Stellung gekommen war.
French berichtet über Angriffe
des deutschen IX. Korps auf eine Brigade der 2. Division (IV. Garde) bei Landrecies , die dem Gegner schwere Verluste beigebracht hätte ( ?) , und über noch andere auf die 1. Division noch am Abend des Tages, sowie, daß es nur möglich gewesen wäre, durch Eingreifen von zwei französischen Reservedivisionen auf dem rechten Flügel und unter dem Schutz der Dunkelheit den Rückmarsch bei Anbrechen des Tages (26. August) auf Guise (südlich der Oise) fortzusetzen . Bei diesem Tagesanbruch war es erkennbar, daß der Gegner seine Hauptkraft gegen das II . Korps und die ihm unterstellte 4. Division richtete. Der kommandierende General des II. Korps hielt es unter dem Feuer starker deutscher Artillerie für unmöglich, den Rückzug, wie befohlen , gleich fortzusetzen . Er erhielt aber von French den Befehl, das Gefecht abzubrechen und so schnell wie möglich zurückzugehen, da vom I. Korps keine Unterstützung zu erwarten sei. Erst 330 nachmittags konnte der Rückzug unter Deckung der ganzen Artillerie und Kavallerie begonnen werden. Ohne das Standhalten des linken Flügels wäre, nach Frenchs Bericht, die britische Armee am 26. früh wohl entscheidend geworfen worden . Der Rückzug,
so sagt der veröffentlichte Bericht, wurde bis zum Abend des
26
Kriegsgliederung und Kriegführung der Engländer.
26. August
fortgesetzt ,
dann,
Unterstützung des fanzösischen auch der beiden Reservedivisionen
mit
Kavalleriekorps und indirekt d' Amades, am 27. und 28. weiterbewirkt, bis die britische Armee in der Linie La Fère - Chauny - Noyon zu kurzem Halt kam.
Aus den Berichten des Generalquartiermeisters wissen wir, daß die britische Armee sowohl durch Generaloberst von Kluck bei Maubeuge , als auch durch Generaloberst von Bülow bei St Quentin ordentliche Schlappen erlitten hat, so daß auch die Aisne und Marne zwischen die Briten und Deutschen gelegt werden mußten,
ehe die Rückzugsbewegungen
der ersteren, die weiter als die französischen, nach Süden gingen , aufhörten, French macht sich in seinem Bericht die Sache sehr leicht, indem er schreibt : „ In der Rückwärtsbewegung folgten der Armee von St. Quentin aus zwei Kavalleriedivisionen auf dem Fuß nach Südosten, die Verfolgung war sehr kräftig, 5 oder 6 deutsche Korps waren an der Somme dem V. französischen Korps an der Oise gegenüber (?). Auf Frenchs Meldung über seine Lage ordnete Joffre an, daß die Engländer am 29. August in eine Stellung einige Meilen nördlich von Soissons - Compiègne zurückgehen sollten . Deutscherseits
sind Einzelheiten der genannten Tage noch nicht
bekanntgegeben, die Summe der britischerseits gemachten Fehler läßt sich also nicht beurteilen . Wir sind auch noch nicht genügend über die Befehle Joffres für die Rückzugsbewegungen unterrichtet, um feststellen zu können, ob die Briten nur dessen Weisungen zum Zurückgehen gefolgt sind.
Daß French sehr zeitig schon den Gedanken an die Not-
wendigkeit des Rückzuges
am 23. 8. , 24. 8. usw. gehabt , haben wir
aber oben nachgewiesen, grobe Fehler in der Aufklärung, Mangel im Zusammenwirken seiner Korps ebenso . Im zweiten Feldzugsabschnitt erscheinen die britischen Truppen in anderem Lichte. Eingerahmt durch französische bekunden sie in diesem eine zähe WiderstandsNach ihrer Verschiebung aus der Stellung kraft in der Defensive. an der Aisne nach Nordfrankreich bezw. Belgien werden wir aber auch Sondergedanken French's hervortreten sehen, die mit den französischen Absichten sich stellenweise nicht voll decken .
Ausbildung, Theorie und Methode für den Krieg.
23 27
III. Ausbildung, Theorie und Methode für den Krieg .
Von Woelki, Oberst z. D.
Einleitung. Der vorliegende Aufsatz ist bereits vor dem Kriege geschrieben worden. Er dürfte aber deshalb nicht an zeitigem Interesse verloren haben, vielmehr sich in seinen Ausführungen nun auch solchen aufdrängen, denen dergleichen Erwägungen vordem fern gelegen haben. Schreibt doch u. a. neuerdings Arthur Dix im „ Tag" (Nr. 250 vom 24. Oktober 1914 ):
" Welcher
Unterschied
in den Heeresmassen ,
die Hinden-
burg in Ostpreußen angeführt, und den feindlichen Reihen , die sich hinschlachten und in die masurischen Sümpfe treiben lassen, ohne zu ahnen, warum und wozu !? Und auf unserer Seite jeder, bis zum letzten Mann von voller Einsicht und unbedingtem Verständnis erfüllt für die Aufgabe und die Notwendigkeit dieses Krieges, und eben wegen dieses Wissens im Besitz dieser anfeuernden geistigen Waffen ein tauglicheres Werkzeug, als es irgendeinem unserer Gegner zur Verfügung steht und stehen kann ! dessen Mit den geistigen Waffen insgesamt wird schließlich -hegen wir die unerschütterliche Zuversicht die Waffe der Wahrheit den Sieg bestimmen und davontragen ! " Nachdem schon Moltke in seinen Kriegslehren ( IV, I ) als dessen Hauptziel der persönlichen Vorbereitung für den Krieg die Ausbildung und Festigung der moralischen Eigenschaften festgelegt hat , sich um die und mehr noch und daß es somit in erster Linie militärische Erziehung der Jugend als um ihre technische Ausbildung handelt, bricht nun nachgerade, unter der Dira necessitas der inneren wie äußeren Verhältnisse , sich die Überzeugung Bahn, daß zu einer entsprechenden Erziehung eine weit größere Zeitspanne nötig wird , als sie die gesetzlich festgesetzte Dienstzeit bietet, und daß die ganze Jugendzeit hierfür ausgenutzt werden müßte. Über die gangbaren Wege und vorhandenen Mittel herrscht aber noch vielfach Unklarheit,
bis einschließlich der Grundlagen des bis-
herigen Erziehungs- (Schul-) Systems. sierung - im Krieg wie im Frieden -
Die vorherrschende
Spezialibedingt wohl auch eine ent-
28
Ausbildung, Theorie und Methode für den Krieg.
sprechende Individualisierung schon von der Schule an ; und die mehr hervortretenden Mängel des bisherigen Generalisierens der schematisch gleichen Ausbildung - ohne Rücksicht auf persönliche Anlagen (des Scherens über einen Kamm) -bedürfen wohl der Behebung. Vergeblich erweisen sich dagegen , zumal bei gleichzeitiger Überfüllung der´ Klassen , alle Änderungen nur der Lehrpläne. Die Erscheinung der zunehmenden Selfmademans, wie die Durchsetzung und Behauptung der wichtigsten Gesellschaftsklassen durch mehr urwüchsige als „gebildete" Naturen , deren Intuition (nach Sokrates : " daimon " ) unbeschwert und ungefesselt sich auswirkt, dazu das scheinbar unaufhaltsame Schwinden von Autorität und alter, straffer Zucht, usw. , das alles ist wohl Anlaß genug, die bisherigen Grundlagen der Bildung wie Erziehung nachzuprüfen . Welche Wege aber auch schließlich eingeschlagen werden : anders, als nur durch allgemeine Beteiligung
und intensive Betätigung, noch dazu erst in längerer Zeit , ist ein wirklicher, dem Bedürfnis entsprechender Erfolg hierWohl uns , wenn der alte Fonds von bei nicht zu erreichen. Pflichtgefühl und Zucht, von Idealismus und Vaterlandsliebe inzwischen noch vorhält und ausreicht ! Die technische Ausbildung hat ihrerseits das praktische Können im Auge (zum Ziel) , „ sie setzt das dazu nötige Wissen als inmanent voraus “ , „ erzielt ein Produkt von Wissen und Können “ u. dgl. In der Technik kommen denn auch die natürlichen Anlagen, das besondere Geschick unvermittelt zur Geltung ; ihre Betätigung hängt von realen Kenntnissen und augenscheinlichen Fertigkeiten ab , die schon kontrollierbarer sind, als - unsere (sonstigen) Entschlüsse.
Von diesen bleiben doch bekanntlich die eigentlichen Beweg-
gründe vielfach
selbst
dem
eigenen Bewußtsein entzogen, und eine
der höchsten Aufgaben aller Beteiligten, von den Eltern bis zum Staat hin, bleibt eben nur, die ersprießlichen Neigungen zum bewußten gemeinnützigen
Willen
zu
erziehen ;
wogegen die
Technik
offenkundig, weil auf bekannten Naturgesetzen begründet, wie nach Erfahrung und Übung betrieben , durch ihre Vielseitigkeit, Kompliziertheit und unübersehbare Entwickelung ihre besonderen Schwierigkeiten bietet. Schon in Anbetracht dieser wie auch der unzähligen unbestimmten wie unbekannten Umstände, die im Kriege ungleich mehr Frieden, im Widerstreit der Kräfte, zur Geltung kommen,
wie im
stellt sich die Anforderung, „ im Kriege stets sachgemäß zu handeln " mag auch naiver Optimismus sie leicht nehmen
, als ein Ideal ,
als eine Aufgabe dar, die jeweils nur bedingt zu erfüllen sein wird . Man ist nun auch, wenigstens in der Theorie , längst darüber hinaus , die Kriegskunst als ein brutales Handwerk anzusehen , sie
Ausbildung, Theorie und Methode für den Krieg.
29
etwa nur auf Methoden oder Normen, wie auf Rezepte, zu verweisen, und, wie schon Moltke den Satz prägte : „ Im Kriege wie in der Kunst gibt es keine Norm , in beiden kann das Talent nicht durch eine Regel ersetzt werden " , werden neuerdings auch in Frankreich und Rußland schon Sätze verkündet, wie : „ Eine bestimmte Form für das Vortragen des Angriffs gibt es nicht “ u. dgl. m . Aber es ist anderseits noch nicht zu lange her, daß das Planund Handwerksmäßige mit • dem zugehörigen Drill - als Hauptmittel und Ausdruck der Disziplin galt und einen Hauptfaktor der Kriegstüchtigkeit bildete. Und unbestreitbar liegt auch heute noch in ihm , dem Drill, ein großer Wert. Seitdem aber schon die Ansprüche an die rein technische Ausbildung , bei gleichzeitiger Beschränkung der dafür verfügbaren Zeit, so wesentlich verändert und vermehrt sind , ist die gleichzeitige Betonung, geschweige die vornehmliche Erzielung der disziplinaren Tüchtigkeit, in den Hintergrund geraten, zumal auch die Elemente der heutigen Kampftechnik wenig oder gar nicht mehr im Sinne des bisherigen Drills verwertbar sind. Dafür aber sind im XX . Jahrhundert die einzelnen Glieder des Organismus selbsttätig,
wenn nicht selbständig, mehr in den Vorder-
grund gekommen, und zwar durchweg Feldherrn bis zum letzten Troßknecht. So unwiderstehlich und vielfach
durch
alle
Instanzen , vom
unerwünscht diese Veränderung
auch vor sich gegangen, man wird gut tun, sich mit ihr als gegeben abzufinden,
sie als natürliche Folge und Ergebnis
der Vorgänge wie
der durch die Verhältnisse hervorgerufenen Kräfte , der ihnen zugrunde liegenden Eigenschaften , anzusehen. Wie denn auch wir Deutschen unsere letzten großen Kriegserfolge nicht so angeflogenen Vorzügen und zufälligen Vorteilen , als vielmehr dem klugen Ausnutzen des eben. erreichten Standpunktes (Etappe) langjähriger Enlwickelung in Ausbildung und Erziehung - mit der damit erzielten Überlegenheit verdanken . Und so wird es wohl auch weiterhin -- im Wettstreit der Völker wie
der
einzelnen -hesonders darauf ankommen, den Zeit-
geist richtig zu erfassen und seinen Forderungen am meisten gerecht zu werden, ohne die eigentlichen Wurzeln seiner Kraft, die natürlichen Vorzüge, zu verkennen und ihre Pflege zu versäumen. Das allgemein Einleuchtende, Packende, weil eben Volkstümliche, ist dann auch das so oft gepriesene „ Einfache " , so kompliziert es nach Herkunft und Struktur auch sein mag. Je komplizierter und empfindlicher aber die Kriegsmittel, Kräfte und Maschinen sind, um so mehr gehört zu ihrer wirklichen Ausnutzung ihre völlige Beherrschung ; wozu wieder nicht nur Sachverständnis , nötiges Geschick und genügender Intellekt , sondern auch eine gewisse
30
Ausbildung, Theorie und Methode für den Krieg.
und schließlich kaltes Blut im entscheidenden Moment geDies alles zu fördern und zu sichern, dazu ist sicherlich viel
Disziplin hören.
Übung das beste Mittel, und zwar nach wie vor planmäßig und nach bewährten Methoden , wie solche in Anleitungeu (Reglements ) zu fassen und zu finden sind. Und wenn auch das Wesen dieser Zeit als das der Formlosigkeit " gelten könnte, so macht doch allein schon die mit der Entwickelung der Technik verknüpfte fortschreitende Spezialisierung , aus der wieder sich eine entsprechend beschränktere Anwendung (der Teile) wie auch eine Erschwernis der Leitung (Führung) ergibt, doch überall da, wo es zur Erreichung eines größeren Erfolges sich um den Einsatz von entsprechend großen Massen handelt, eine um so straffere schematische Gliederung und methodische Gruppierung un„ Es ist zum mindesten notwendig, " wie jüngst General umgänglich . v. Bernhardi ausführte , „ daß die Truppen in einer dem Wesen der Waffenwirkung entsprechenden Form (Art) fechten " ; ferner : „ System an sich ist bei allen Heeresanordnungen nicht nur zweckmäßig, sondern geboten, um die höchstmögliche Marsch- und Waffenwirkung zu erzielen . " Weiter auf den bezüglichen Methodismus einzugehen , erübrigt wohl, da noch heute unverminderte Geltung hat, was s. Z. v . Clausewitz (Vom Kriege, II. Buch 4. Kapitel) darüber geschrieben hat ; zumal er es auch an Fingerzeigen für die Zukunft nicht hat fehlen lassen.
So auch : „ Wird eine verbesserte Theorie das Studium
der Kriegsführung
erleichtern ,
den Geist und das Urteil der Männer
erziehen, die sich zu den höheren Stellen hinaufschwingen, so wird auch der Methodismus " (dem - in der Führung - v. Clausewitz u. a. das Unglück von 1806 zuschrieb !) „nicht mehr so weit hinaufreichen. " Daraufhin gilt es denn wohl auch immer wieder, die zeitige Geistesströmung und Ausbildung zu prüfen ! Es reicht sicherlich noch nicht aus, daß Sätze wie : „ Jedes Schema wird im Gefecht versagen " , aufgestellt und ab und an verfochten werden. Auch die schönste Theorie hat schließlich nur so viel praktischen Wert, als sie in Fleisch und Blut (succum et sanguinem) übergegangen ist. Erst wenn die Überzeugung von der Unzulänglichkeit aller Normen und Schemata überallhin durchgedrungen und der Wille, tiefer zu graben und das Feld intensiver zu
beackern
(weil nun einmal für eingeübte Türken und
brillante Attacken ebenso wenig Zeit und Raum geblieben wie für Dreifelderwirtschaft und faule Knechte), Allgemeingut geworden , wird das Feld für die besten, die geistigen Kräfte und damit für die Aussicht frei, daß auch wirklich den Umständen gemäß gehandelt wird (und zwar wirklich und allenthalben,
nicht nur nach der Ein-
31
Ausbildung, Theorie und Methode für den Krieg.
bildung der berufsmäßigen Optimisten und im Sinne maßgebender Persönlichkeiten ). Daß
in solchem Verfahren,
unverhältnismäßig
zumal für die höheren Führer, eine
größere Aufgabe
und
Voraussetzung
von
mehr
Geisteskräften liegt, als zur Befolgung gegebener und geübter Normen und Grundsätze gehört, ist nun einmal unvermeidlich, wenn eben eine zeitgemäße und möglichst sichere Grundlage für die Bewältigung aller, auch der durch den Gegner und unvorhergesehene Umstände hervorgerufenen Schwierigkeiten gewonnen werden soll, derer sonst Herr zu werden , wohl einem Genie gelingen kann , demgegenüber aber bloße Anleitungen und Normen versagen müssen .
Eben im Ernstfall .
Es wird darum, wenn auch diese Theorie nicht mehr allgemein noch offen bestritten wird, immer noch nötig, rechtzeitig vorbeugend, allen Neigungen,
aufkommenden Bestrebungen und (versteckten) Anläufen
auf Einführung und Begünstigung von Normalangriffen und -stellungen entgegenzutreten oder auch solche dahin abzuleiten, daß sie, wie alle Einzelvorschriften,
eben nur als Vorschule dienen ,
als abgeschlossene Formen wendung gelten.
oder Muster
keinenfalls aber
zur gewohnheitsmäßigen An-
Aber wir Deutschen neigen bekanntlich nur zu sehr zum Methodismus ! Zumal in der Armee war er von jeher heimisch. In ihr halten wohl 99 Grundsätze ", noch dazu, wenn sie behördlich verbreitet sind, eine übertriebene Geltung, indem das (für ihre Anwendung) vorausgesetzte „ Zumeist " mit dem einbegriffenen Vorbehalt und Appell an die eigene Beurteilung der jedesmaligen Umstände nur zu leicht nicht beachtet wird. Damit aber ist denn die Bedeutung wie der Wert der Sätze durchaus verändert und verkehrt ! Und zwar nicht nur in der quantitativen Überspannung des Geltungsbereichs, sondern - viel mehr noch durch die Tendenz ins Absolute , Gebundene und Beschränkte. Dem sich damit ergebenden geistigen Standpunkt entspricht es denn wohl, daß mit großer Überzeugtheit auftauchende Fragen, wie die Trennung von Nah- und Fernwirkung, die der vorgeschobenen Posten u. dgl. m., unter unbedingter Festhaltung an dem 99 Grundsatze " des Kräfteeinsatzes in einer Linie. (Stellung) zu lösen versucht wird , trotzdem daß, wie es schon aus dem Vorangegangenen hervorgeht und jedem Nachdenkenden sich aufdrängt, (daß) es die erstrebte allgemeingültige Lösung - einer unendlichen Reihe von bezüglichen Fällen nicht geben kann, daß eine Verallgemeinerung eines Normalfalles auch darum bedenklich bleibt , weil doch die persönliche Auffassung von der jedesmaligen Sachlage nicht völlig ausgeschaltet werden kann, ja, ihr, in entscheidender Stunde,
doch noch mehr an zutreffendem Urteil zuzutrauen
sein
32
Ausbildung, Theorie und Methode für den Krieg.
möchte als dem allgemein und weit verbreiteten Urteile nach dem bloßen und äußeren Erfolg, das eben nur dem kritiklosen Mißbrauch oberflächlich bekannter oder einseitig beleuchteter Beispiele entspricht (so daß man es wohl erlebt,
daß dasselbe Beispiel für ganz entgegen-
gesetzte Behauptungen als stärkster Beleg aufgeführt wird. Von bewußter Tendenz und vermeintlich angezeigter, weil patriotischer, Zustutzung ganz zu schweigen). Mag man nun auch über die Gefahr der Zweckmäßigkeit der Bindung von Entschlüssen auch nur durch aufgestellte Grundsätze - denken wie man will, Erfolge zum Beleg von geistiger Bindung wird man
schwerlich
anführen können ;
es sei denn in an
sich beschränkten Verhältnissen , nicht aber in solchen, in denen geistige Potenzen entscheiden . Seit mehr denn 100 Jahren haben denn auch die führenden Geister sich vom
Methodismus
in
allen Nuancen abgewandt ; man
kann wohl sagen : je tiefer sie in den Stoff eingedrungen und je intensiver sie ihn verarbeitet, desto ferner lag ihnen, Grundsätze als unfehlbar oder bindend hinzustellen , geschweige Reglements auszuarbeiten und Formen für verschiedene Bedürfnisse anzugeben ; vielmehr überließen sie das Formelle, als das Sekundäre, das dem besonderen Bedürfnis Anzupassende , den Untergeordneten (Subalternen) . Das alte Soignez les détails hat nachgerade eine andere Bedeutung erhalten wie zur Zeit Friedrichs des Großen.
Um nun
zu der von Clausewitz in Aussicht genommenen ,, ver-
besserten Theorie"
zu
gelangen, wird es gewiß
nicht einer völligen
Abkehr von dem bisherigen (kontemplativ -analytischen) Verfahren und dessen Grundlagen bedürfen ; im besonderen werden Kriegsgeschichte und Kriegserfahrung nach wie vor ihren Wert dafür behalten . Daß mangelhafte logische Schulung für bezügliche Untersuchungen hinderlich und unwissenschaftliche (politische) Nebentriebe, Vorurteile wie festgelegte Tendenzen dabei schädlich wirken, ist ja selbstverständlich . Wie denn auch das Selbstgefühl bedeutender Männer einerseits und die Schlagworte von gewandten Skribenten anderseits die Ziele verwirren und die Aufgabe verrücken , — auch eine nötige Abklärung neuzeitlich schwerer wie vordem, in einfacheren Verhältnissen , sein muß. Eben die Fülle der Eindrücke , die Masse der Nebenumstände und ihre schwer zu durchschauende Verwickelung und Verquickung im schnellen Wechsel -- sind es schon allein, die die bisherige Theorie ungenügend erscheinen lassen. Zumal bei solchen Auswüchsen und Vergewaltigungen, wo aus oberflächlich bekannten, wenn nicht einseitig berichteten , Vorgängen anstandslos unbedingte Nutzanwendungen hergeleitet und ohne Unterschied für alle Fälle als Norm
33
Ausbildung, Theorie und Methode für den Krieg.
hingestellt werden !
Solch Verfahren hat denn auch auf wissenschaft-
lichen wie praktischen Wert keinen Anspruch. Demgegenüber erfordert doch die Sichtung und Abwägung der Vorgänge, das sorgfältige Suchen und Prüfen aller beteiligten Nebenumstände und Faktoren, die Abklärung der verschiedenen Ansichten, Auffassungen und Folgerungen - auch abgesehen von einer gewissen Anlage — , eine Arbeitskraft und Anspannung, daß das Endergebnis für die praktische Verwertung - nur ein verhältnismäßig bescheidenes sein kann, - so bedingt, wenn nicht kurzlebig, daß es u. U. unwesentlich erscheinen möchte, - wenn nicht ihr Hauptwert doch in dem Segen der dafür aufgewendeten Arbeit gefunden wird : in der Schulung des Geistes wie im Verarbeiten der in Betracht kommenden Faktoren liegt eben eine sichere Frucht und beste Vorbereitung für die Anforderungen des einschlägigen Ernstfalles ! Denn, wenn auch ,,beim Handeln die meisten einem bloßen Takt des Urteils folgen
(Clausewitz),
so
kann doch unzweifelhaft dieser Takt,
bzw. das Urteil selbst , eben nur durch entsprechende Schulung geschärft und vervollkommnet werden . Ein anderes Ergebnis, als eben die Klärung der Ansichten und Schärfung der Auffassung, erwartete seinerzeit auch Clausewitz nicht von seiner Theorie, nach der es (eben) ,, eine Unmöglichkeit (wäre) , die Kriegskunst durch ein geschicktes Lehrgebäude wie mit einem Gerüste versehen zu wollen , das dem Handelnden überall einen äußeren Anhalt gewähren könnte !" Seit Clausewitz aber haben sich die äußeren Umstände ,
der all-
gemeinen Entwickelung entsprechend, durch ihre Vermehrung, Verfeinerung und Verquickung, noch mehr in den Vordergrund geschoben ! Wie wäre nun wohl anders eine Bewältigung der mächtigeren äußeren Erscheinungen (Umstände) möglich, als durch vermehrte Anspannung der (inneren) Geisteskräfte ! Hier, in diesem Punkte, ist denn auch eine Verbesserung der Clausewitzschen Theorie möglich und geboten : nämlich in der (noch) größeren Betonung und Heranziehung der
moralischen
Kräfte
(Größen ,
vgl.
III. Buch,
III . Kap .) .
Clausewitz glaubt noch einer übermäßigen Wertung der ,,kriegerischen Tugend" entgegentreten zu müssen , er will sie nur ,,als ein Werkzeug, Nichtsdestoweniger dessen Kraft man berechnen kann ", ansehen ! verfehlt er nicht, sie
als eine der bedeutendsten Potenzen im Kriege ',
und als Hauptursache der größten Kriegserfolge aller Zeiten anzuerkennen. Und, wie die zeitigen Verhältnisse vorahnend, schreibt er noch : „ Überhaupt wird kriegerische Tugend um so nötiger , je mehr der Kriegsschauplatz und andere Umstände den Krieg verwickelt machen und die Kräfte zerstreuen ! " 3 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 520.
34
Ausbildung, Theorie und Methode für den Krieg.
Wenn man dabei die kriegerische Tugend im weiteren Sinne auffaßt und dazu die heutigen Volksheere , bei kürzester Dienstzeit und einer Überfülle von Nebendingen und Hilfsmitteln ,
dem ihm (Clausewitz) ,
vorschwebenden damaligen Heere gegenüberstellt , so ergibt sich wohl zwanglos, daß die moralischen Elemente, auch im Sinne von Clausewitz, jetzt einen größeren Raum und Wert einnehmen müssen, als vor 100 Jahren ; - wie denn weiter nur ein wenig Nachdenken zu der Überzeugung führt, daß eben die moralischen wie die geistigen Kräfte das Leben in all seinen Phasen und Vorgängen nachgerade so durchwirken, wie es vordem wenigstens nicht so deutlich zu merken war. Heutzutage, wo Sätze wie : „ Das Leben ist Herr und Gebieter der Wissenschaft, gibt Gesetze , Probleme nnd Methoden " , wie selbstverständlich
hingenommen
werden,
ist
es
wohl
angezeigt,
die
eigentlichen Triebkräfte des Lebens (wie der Kämpfe) als auch die Hauptelemente der bezüglichen Theorien anzusehen und einzusetzen . Dann aber sind es die moralischen Kräfte, die, ihrer Wichtigkeit entsprechend, von vornherein zu wecken und zu fördern sind, wenn man sich nicht nur für das Leben, sondern auch für den Kampf um die höchsten Güter rüsten will. auch der moralischen Nun bedarf zwar jede Betätigung Kräfte --- wieder irgendeiner, ja mancherlei , Formen . Diese bleiben aber auch hierbei ,
wie schon gesagt,
nur sekundär, Ausdruck und
Mittel, so daß der obige Satz : Das Wesen der Zeit ist Formlosigkeit, zwar eine Einschränkung erhält, aber immer noch mehr Berechtigung behält, wie solche Praktiken , die alle möglichen Kriegslagen und deren Bedürfnisse in wenige Formen einzuzwängen unternehmen . (Und dabei fehlt es ja augenscheinlich - bei der zeitigen kurzen Dienstzeit, auch bei dem besten Willen und Geschick aller Beteiligten, durchaus an Zeit und Gelegenheit, auch nur die wesentlich verschiedenen Fälle und Verhältnisse
[wie solche
der Nacht und
schlechten Jahreszeit,
der besonders schwierigen Lagen u . dgl. m. ] durchzuproben und einzuüben, - ganz abgesehen von der Unmöglichkeit, die Gefechtslagen im Frieden auch nur annähernd denen des Ernstfalles ähnlich zu gestalten , so daß im allgemeinen die Ausbildung nicht über die Einübung weniger gangbarer Gefechtsformen hinauskommt. Da kann denn doch wohl nicht ernstlich in Frage kommen,,,aus der Summe der praktischen Fälle das für die Anwendung gültige Gesetz zu finden ! " [wie fanatische Praktiker wohl vermeinen] . Daß geeignete Formen an sich und nebenbei von hoher Bedeutung nach wie vor auch für Kriegszwecke sein können , ― wie zur Sammlung, selbst
Erzielung des Einheits- und Kraftgefühls,
zum wuchtigen Einsatz
ja , u. U.
noch ganz alte, geschlossene Formen
35
Ausbildung, Theorie und Methode für den Krieg. verwendbar bleiben
ändert
daran nichts,
neuerdings an Wert und Einfluß verloren haben .
daß solche allgemein Auch in erziehlicher
Beziehung, Es bedeutet zum mindesten einen Umweg, einen nicht leicht zu rechtfertigenden Zeitverbrauch, um besondere, für den Ernstfall
nicht
verwendbare Formen,
zur Erzielung und
Festigung der
Disziplin zu verwenden ; - ganz zu schweigen von einer Begünstigung des Formellen, dessen Vorherrschen doch erfahrungsmäßig - über Methoden,
Schemata und
Normen hinweg
zu
einer Pedanterie
führt und in einer Künstlichkeit gipfelt, die seiner Zeit schon Scharnhorst als im höchsten Grade verhängnisvoll erkannt hatte. Nach dem allen bleibt die Sicherung der vollen Krafteinsetzung
und -erhaltung zur Durchführung der gegebenen Kriegsaufgabe unter allen Umständen , namentlich in Ansehung noch der zermürbenden Wirkung des heutigen Gefechts bei gleichzeitiger Individualisierung und gelockerten (Autorität) Disziplin
ein Problem , jedenfalls aber eine so hohe Aufgabe , daß eine ängstliche Fürsorge um Vermeidung von Störungen der prima plana, Normalstellung usw. in einem geradezu lächerlichen Mißverhältnis dazu erscheint, das Sicherste vielmehr noch (bleibt) : eine völlige Durchbildung auf breitester Grundlage, wie sie allein (vgl. oben Clausewitz) „ Geist und Urteil erziehen “ ,
den Charakter
bilden und volle Beherrschung der Um: für den Krieg gebung und des Stoffes schaffen kann und im Krieg ! - in dem es nach unserem Altmeister Moltke gilt, mit richtigem Takt die in jedem Moment sich anders gestaltende Lage aufzufassen und demnach das Einfachste ( !) und Natürlichste mit Festigkeit und Umsicht zu tun " ; - wobei denn dies ,,Einfachste" normal, d. h . abgesehen von genialer Intuition, doch nur das Ergebnis der restlosen Verarbeitung aller in Betracht kommender Rücksichten und Umstände, ihre wie der Formen völlige Beherrschung sein kann ; -- wogegen anderweitige Vorschriften und äußere Rücksichten , wie falsche Vorstellungen , störend und schädlich , wenn nicht verhängnisvoll werden müssen, und zwar an jeder Stelle des Organismus, dnrchweg und unabwendbar.
3*
Krankenwagen.
36
IV.
Krankenwagen !
Eine Gepäckfrage.
im
Die Gepäckfrage ist , insbesondere für die Infanterie, eine dauernd Fluß befindliche , nie zu völligem Abschluß gelangende. Die
fortdauernd sich ändernden Forderungen der Taktik stellen immer neue, wechselnde Anforderungen an dea Umfang und die Art der von Manne selbst oder für ihn mitzuführenden Sachen, und die Fortschritte der Technik gewähren fortdauernd neue Möglichkeiten nach Herstellungsart und Gewichtserleichterung.
lich
Gerechtfertigt ist das Bestreben, den Mann so leicht und bewegwie nur irgend möglich zu erhalten. Anderseits muß er ein
gewisses Maß bestimmter Dinge stets unmittelbar bei sich führen. Einerseits darf der Mann kein Lastträger sein, der nicht beweglich genug ist, um das Gefechtsfeld rechtzeitig und gefechtsfähig erreichen zu können ; anderseits nützt ihm die leichte Beweglichkeit nichts , wenn der Mann durch sie
zwar das
Schlachtfeld
rechtzeitig und
gefechtsfähig erreicht, aber ohne den nötigen Schießbedarf und sonst erforderliche Kampfmittel. Ein Mittel, die Beweglichkeit und Marschleistungsfähigkeit des Mannes zu erhöhen, besteht von jeher in dem Ausweg, den Truppentrain zu vermehren , ein Weg, den insbesondere die Franzosen eingeschlagen haben. Es ist das aber ein Ausweg, der sehr seine zwei Seiten hat . Wohl kann der Mann dadurch stark entlastet werden , aber
abgesehen
Truppentrains
von
allen
verbundenen
sonstigen Nachteilen
mit
einer
Vermehrung
(Verlängerung
der
des
Marsch-
kolonne, Vermehrung der Nichtkämpferzahl, Vergrößerung des Verpflegungsbedarfs u. a. ) bleibt immer noch der große Übelstand bestehen, daß nie eine Sicherheit dafür besteht, daß die auf den Fahrzeugen
mitgeführten
Dinge,
als
Schießbedarf,
Schanzzeug,
Zelte ,
Mäntel oder Decken , Verpflegung u . a. m. im entscheidenden Augenblick dem Manne auch wirklich verfügbar sein werden . Die Entlastung des Mannes durch Überweisung gewisser ganzer Arten von Ausrüstungsstücken und Vorräten auf Fahrzeuge ist aber auch deshalb unvorteilhaft, weil auf die Art nicht nur die Leute entlastet werden, denen es wirklich not tut , sondern auch diejenigen, denen es nicht not tut. Es gibt in jeder Kompagnie Leute, für die das Gepäck eine leicht zu bewältigende Last ist. Umgekehrt gibt es in jeder Kompagnie stets Leute, denen das Gepäck teils dauernd ,
Krankenwagen.
37
während des ganzen Krieges, teils vorübergehend, an einzelnen Tagen, eine kaum zu bewältigende erdrückende Last ist. Zu ersteren gehören die überhaupt eigentlich zu schwach sind, um den Anstrengungen eines Feldzuges gerecht zu werden, sowie diejenigen , die dauernd , während die anderen sich erholen können, neben den Leute,
Marschanstrengungen im Quartier noch Extraarbeiten zu leisten haben, wie z. B. Schreiber und Handwerker. Zu der letzteren Art von Leuten gehören diejenigen , die nur gelegentlich Extraarbeit zu leisten haben, wie Ordonnanzen, Posten , Patrouillen u. a. , sowie diejenigen, die sich einmal nicht ganz wohl fühlen , sich aber nicht gern krank melden möchten. Beide Kategorien aber enthalten diejenigen Leute , aus denen sich von jeher in erster Linie die Marschkranken rekrutieren, deren Ausfall den Truppenbestand schwächt, und deren Berücksichtigung, oft noch bevor sie wirklich ausfallen , die Marschleistung ganzer Truppenteile beeinträchtigt. Gelingt es daher, diesen Leuten eine nennenswerte Erleichterung zu verschaffen, dann wird demgemäß dadurch auch die Leistung der ganzen Truppe erhöht werden können . Das aber ist zu erreichen , ohne daß es nötig wäre, ganze Arten von Vorräten und Ausrüstungsstücken dem ganzen Bestande der Kompagnie abzunehmen und auf Wagen zu überweisen . Der Weg, der hier ins Auge gefaßt ist, ist der, daß jeder Truppe, sei es jeder Kompagnie oder jedem Bataillon , ein oder mehrere Fahrzeuge überwiesen werden, die programmäßig zunächst nicht zu beladen sind, die vielmehr den Truppenführern zu vorerwähnter Entlastung nach deren freiem Ermessen zur Verfügung gestellt werden, die daher zweckmäßig auch „ Verfügungswagen " genannt werden möchten. Am besten wäre es natürlich, wenn jede Kompagnie einen solchen Wagen haben könnte, aber schon mit zwei oder einem Wagen pro Bataillon würde sich Erhebliches leisten lassen. Wie viele Leute würden sich dem Bestande der Truppe erhalten lassen, wenn die Möglichkeit bestände , einem Manne einen Marschtag über das Gepäck oder gar ihn selbst, sei es auch nur eine Reihe von Kilometern weit fahren zu lassen.
Man kann wohl sagen,
tagtäglich werden es wohl
1 Prozent der Truppe sein, die sich gerade nur an diesem Tage nicht ganz wohl fühlen, die der Truppe erhalten bleiben könnten, wenn sie nur gerade diesen Tag in der angegebenen Weise geschont werden könnten . Und im anderen Falle , wenn solche Leute nicht geschont werden können, werden sie statt dessen an diesem Tage als „ Schlappe “ die Marschstraße zieren, den Truppenbestand mindern und die Etappenlazarette füllen. Durch das möglichste Vermeiden jedes an der
38
Krankenwagen.
Marschstraße liegen bleibendn Schlappen wird aber die Leistung der ganzen Truppe um deshalb noch erheblich gesteigert, weil die moralische Ansteckung, die jeder an der Marschstraße liegen bleibende Schlappe ausübt , erfahrungsgemäß eine ganz erhebliche ist ;
der Wegfall dieser
moralischen Ansteckungsgefahr würde die Frische und Leistungsfähigkeit der Truppe ganz wesentlich fördern. Man wende nicht ein, die neun Wagen der Gefechtsbagage und zehn Wagen der großen Bagage eines Bataillons böten schon Gelegenheit genug, um solche Schonung gewähren zu können . Zunächst soll sich überhaupt erst einmal erweisen , ob unsere Truppenfahrzeuge nicht schon an sich bei nur planmäßiger Beladung zu schwer für die Pferde sind, um der Truppe überall hin folgen zu können , oder vielleicht gar selbst zu leicht ( ?? D. Red . ) gebaut sind. Dann die
aber stellen sich erfahrungsgemäß schon mit dem ersten Marschtage so viele „ außeretatsmäßige " Bedürfnisse, die auf den Fahrzeugen untergebracht werden sollen , ein, daß wohl schwerlich im Laufe weiterer Marschtage noch Platz und Gewicht frei sein wird, um die vorstehend erörterte Entlastung gewähren zu können. Die Einführung
solcher sogenannter Verfügungswagen würde es
ermöglichen, je nach Befinden des Kompagniechefs, einzelnen Leuten teils dauernd, teils für einzelne Marschtage oder auch für Teile eines solchen Erleichterung zu gewähren, indem er ihnen entweder das Gepäck oder sie selbst fahren läßt. Ja, es wäre sogar möglich, wenn jede Kompagnie einen solchen Wagen hätte, wenn sie einen Marsch von 40 km zurückzulegen und eine Frontstärke von 200 Mann hat, jedem Mann der Kompagnie auf eine Marschlänge von etwa 12 km das Gepäck fahren zu lassen, wenn man annimmt, daß ein Wagen etwa 70 Tornister fahren kann. Und wenn ein solcher Wagen auf Chausseen 24 Mann fahren kann , würde sogar jeder Mann der Kompagnie eine Strecke von etwa 5 km gefahren Wirksamer aber wird es wohl sein, wenn statt werden können . dessen 50 Mann jeder Kompagnie fast 20 km weit, also die Hälfte des Marsches , gefahren werden können, denn um die ganze Truppe vorwärts zu bringen , wird es sich meistens darum handeln , daß die schwächsten Leute Erleichterung erhalten . Es käme dabei noch der Vorteil in die Erscheinung, um so größer wird, je mehr heruntergeht,
während
bei
daß die
zu
bietende Erleichterung
die Frotstärke aus sonstigen Gründen
dem Verfahren
der
Übernahme ganzer
Kategorien von Vorräten und Ausrüstungsstücken auf Fahrzeuge der solchergestalt erhöhte Truppentrain seine Stärke behält, auch wenn die Frontstärke heruntergegangen ist. Aber schon wenn jedes Bataillon einen solchen
Verfügungs-
Krankenwagen
39
wagen" hätte, ließe sich erhebliches leisten. Wenn man aber bedenkt, daß die französische Armee, um eine allerdings ganz wesentliche Gewichtserleichterung zu erzielen, pro Kompagnie zwei Fahrzeuge mehr mit sich führt als wir, dann bliebe doch zu erwägen, ob wir nicht noch einen Wagen für jede Kompagnie mehr einführen können. Bei der vorgeschlagenen Organisation bliebe dann auch noch der wesentliche Vorteil, daß, wenn einmal die Gefechtsbagage der Truppe nicht folgen oder die große Bagage sie nicht erreichen kann, dann der Truppe nichts für das Gefecht oder für die Ruhe erforderliches fehlt, wie es bei der französischen Armee in solchem Falle eintreten muß.
Im Gegenteil ist zu erhoffen , daß die vorgeschlagenen
„ Verfügungswagen " , weil sie nicht programmäßig , sondern nur mit Stücken, die der Mann sofort wieder an sich nehmen und tragen kann, oder gar mit Soldaten selbst beladen sind, nachdem sie geleert sind, in diesem ― leeren - Zustande jedes Hindernis überwinden ; sie werden in solchem Falle vielleicht auf langer Strecke überhaupt die
einzigen Fahrzeuge sein,
die hinter dem Hindernis der Truppe zur Verfügung stehen werden, während die beladenen Fahrzeuge ihre Truppe vielleicht stunden- oder gar tagelang nicht wiedersehen. noch
Ein fernerer Vorteil bestände auch darin, daß die Truppe jederzeit Fahrzeuge zur Hand hat, um z. B. weit zu entsendende Sicherungsabteilungen oder gar Patrouillen, namentlich wenn solche nach anzu gestellen sind, mittelst Wagen auf ihren Posten zu befördern , ihnen Verpflegung zuzuführen oder sie am anderen Morgen wieder abzuholen. Auch für die zum wenigsten bei Kriegsspielen und taktischen Übungsritten so beliebte Infanterie auf Wagen würden die Verfügungswagen dann tatsächlich zur Verfügung strengendem Marsche
stehen ; das Vorhutregiment würde z. B. jederzeit 3 × 24 = 72 Mann, also einen kriegsstarken Zug voraus oder in die Flanke zum Beispiel zur vorzeitigen Besetzung einer Brücke entsenden können, und es ist schließlich doch nicht zu leugnen, daß in der Tat Infanterie auf Wagen, wo Radfahrertruppen nicht verfügbar sind, gelegentlich nützlich sein kann . Wie
müßten
nun
solche
Verfügungswagen
konstruiert
Es dürfte nicht schwer sein, eine Konstruktion zu ermitteln ,
sehr
sein ? die ein
schnelles Auf- und Absitzen einer möglichst großen Menschenzahl, sowie ein möglichst schnelles Auf- und Abhängen und möglichst praktische Befestigung einer möglichst großen Gepäckstückzahl bequem ermöglicht. Sollte es möglich sein , gar vierspännige ( ?? D. Red.) Wagen einzuführen, so würde das nicht nur an sich vorteilhaft für die Leistungsfähigkeit
dieser Wagen sein,
es würde auch den ferneren
Krankenwagen.
40 Vorteil haben,
daß
dann bei
dem Train
wenigstens ein Gespann vorhanden ist,
für jedes Bataillon doch
das in schwierigen Lagen so-
fort als Vorspann, auch für die übrigen Wagen, verwendet werden kann. Es ist das vielleicht nicht so bedeutungslos, wie es zunächst scheint, denn es will nicht so ausgemacht erscheinen, daß alle unsere Jahrgänge der Truppe bei jedem Wetter und auf allen Wegen werden folgen können. Hält man nun Umschau, ob es nicht schon Fahrzeuge gibt , die den zuvor angeführten Zwecken entsprechen könnten , so dürfte sich vielleicht tatsächlich eine Fahrzeugart finden lassen, die sich wirklich dementsprechend verwenden ließe , und zwar vielleicht nutzbringender als bei jetziger Organisation .
Es sind
dieses die Krankenwagen der
Sanitätskompagnien . Diese ließen sich, vielleicht gar unverändert , so wie sie da sind, für den erwähnten Zweck verwenden oder ließen sich leicht dazu umändern . Oder aber es ließen sich unschwer auch neue Wagen konstruieren ,
die beiden Zwecken Gepäckerleichterung an gleichMarschtagen und Verwundetenfürsorge an Gefechtstagen zeitig in guter Weise gerecht werden . Jedes Armeekorps Wie sind nun diese Dinge jetzt organisiert ?
hat 3 Sanitätskompagnien mit je 6 Krankenwagen . Jeder Krankenwagen kann 4 liegende oder 8 sitzende Verwundete aufnehmen. Alle 3 Sanitätskompagnien eines Armeekorps könnten daher in einer gleichzeitigen Fahrt 72 liegende oder 144 sitzende Verwundete befördern . Das heißt, sie können so viel Verwundete oder Kranke befördern ; tatsächlich befördern
sie zunächst keinen Mann , und der Organisation nach ist die Sache so eingerichtet , daß jene 18 Fahrzeuge Tag aus, Tag ein innerbalb der Marschkolonne leer einherfahren , ohne, so lange kein Gefecht kommt, im wesentlichen irgendwelchen Nutzen zu bringen . Daß die Wagen hin und wieder einen Kranken oder Schlappen , an dem sie vorbeikommen, aufnehmen werden , oder daß die Kompagnien selbst nicht ganz vorschriftsmäßiger, aber erklärlicher Weise -- die Wagen benutzen werden, um allerlei außeretatsmäßig Stücke mitzuführen , ist zwar selbstverständlich, nützt aber der großen Masse der Truppe so gut wie nichts . Wenn nun statt der 18 Krankenwagen das Armeekorps deren 24 oder gar bei je einem Verfügungswagen pro Kompagnie 96 Wagen hätte , dann würden nicht nur an sich 6 bzw. gar 78 Fahrzeuge mehr für den Verwundetentransport- und Sammeldienst zur Verfügung stehen, was doch an sich schon ein Vorteil wäre ; es könnte dann eben jedes einzelne Bataillon auch seinen eigenen Verwundetentransportwagen haben, der an Marschtagen ohne Gefecht dann für die vorstehend erwähnten Zwecke als 99 Verfügungswagen " Verwendung
Krankenwagen .
41
finden könnte. Wie erwähnt, würden diese Wagen dann für ihren Doppelzweck zweckmäßiger Weise entsprechend besonders konstruiert werden, und eine entsprechende Ausschreibung würde zweifellos etwas in jeder Beziehung Brauchbares ergeben. Wie wäre die Sache nun weiter zu organisieren ?
drei
Bei der jetzigen Organisation werden die 18 Krankenwagen, in Teilen in die Marschkolonne eingefügt, dort tatsächlich je
100 m Kolonnenlänge beanspruchend , täglich leer , also nutzlos, hinter der Truppe hergefahren.
Kommt es zum Gefecht, dann kommen die
Krankenwagen mit den Sanitätskompagnien zusammen erst nach 1-5 Stunden nach dem Gefechtsbeginn auf das Gefechtsfeld . Wohl ist es nicht vorteilhaft, wenn über die Anlage der Hauptverbandplätze all zu früh verfügt wird .
Hierfür mag man sich Zeit lassen ;
aber die Krankenwagen an sich können ihre Tätigkeit wohl kaum je zu früh beginnen . Kommen sie erst mit den Sanitätskompagnien zusammen auf das Schlachtfeld , dann beginnt nun erst Erkundung des Schlachtfeldes und die Erkundung der voraussichtlichen Lage der Verwundeten. Wohl kann dieses durch frühzeitiges InverbindungAber wäre setzen mit der fechtenden Truppe vorbereitet werden. es
nicht
doch wesentlich nützlicher,
wenn jedes
eigenen Krankenwagen hätte, der sofort
zunächst
Bataillon
seinen
dem Truppen-
verbandplatz zur Verfügung steht ? Wo diese Wagen dann, wenn es im Gefechtsbefehl heißt : „ Krankenwagen stehen von X vormittag an am Mühlkrug zur Verfügung des Hauptverbandplatzes " , dort dann schon mit einem Satz Verwundeten eingetroffen sein können , und bereits
unterrichtet
sind,
wo
fernere
Verwundete
zu
finden
sind, während bei heutiger Organisation um dieselbe Zeit erst der Abmarsch der Krankenwagen nach dem noch gänzlich unbekannten Schlachtfelde beginnen kann. Man wird vielleicht wagen
einwenden ,
zur Verwendung als
daß bei Abgabe der Kranken-
„ Verfügungswagen"
deren Verwendung
als Krankenwagen für die Sanitätskompagnien nicht so sicher gestellt sei, als wenn die Krankenwagen unmittelbar den Sanitätskompagnien unterstellt sind und bei diesen auch marschieren. Ganz ist das wohl nicht von der Hand
zu
weisen ;
aber selbst wenn
einzelne
Wagen sich nicht dem erhaltenen Befehle gemäß sofort zum Hauptverbandplatz oder Wagenhalteplatz heranfinden , indem sie vielleicht im Drange der Not bei einem Truppenverbandplatz verbotener Weise festgehalten werden, so wäre das Unglück wohl noch nicht so groß, denn erstens würden nach dem hier gemachten Vorschlag dem Armeekorps ohnehin im ganzen fügung stehen, und dann
24 statt 18 Krankenwagen zur Ver-
ist schließlich die Hauptsache
doch,
daß
42
Der Dienst im Rücken der französischen Armee.
die Krankenwagen überhaupt und möglichst frühzeitig zur Tätigkeit kommen, ob es schließlich hier oder dort ist, das kommt wohl erst in zweiter Linie. Jedenfalls steht ein erheblicher Teil der Krankenwagen im Falle
einer Schlacht der Truppe
wesentlich früher
hilfs-
bereit zur Verfügung als bei jetziger Organisation. Sonach würde die Einführung solcher als Krankenwagen verwendbarer „ Verfügungswagen “ nicht nur zur Bequemlichkeit und höheren Marschleistung der Truppe beitragen, sie würde insbesondere auch eine wesentliche Verbesserung der Verwundetenfürsorge durch schnellere Heranführung an die Verbandplätze zur Folge haben. Man wird behaupten dürfen, daß die Kosten der vermehrten Wagenzahl im Kriege aufgewogen werden würden durch die Pensionen , die infolge besserer Verwundetenfürsorge dem Staate erspart werden würden. Unerrechenbar wird aber der Vorteil sein, der sich daraus wenn jede z. B. über einen ergeben würde, daß die Kompagnien (aber die Marschvierspännigen Verfügungswagen verfügen könnte längen ! D. Red. ) mit gewiß erheblich höheren Frontstärken in die Schlacht rücken könnten . Es würde sich nicht nur um die Ersparnisse an Ausfall auf dem Marschtage, der zur Schlacht führt, Ich sondern auch um alle vorangegangenen Marschtage handeln . glaube , daß die zu ersparenden Ausfälle zu hoch angesetzt wären . Eine in jeder Beziehung allen
mit 5 aufs Hundert nicht
vorstehend
angeführten Zwecken
voll entsprechende Fahrzeugkonstruktion zu liefern , würde eine von S. der Industrie mit Vergnügen zu leistende Aufgabe sein.
V. Der Dienst im Rücken der französischen Armee. Von
G. Rh.
Selten hat in einem Kriege und noch nie in einem mit modernen Millionenheeren, der Lauf der rückwärtigen Verbindungen eine derartige Summe von Verschiebungen erlebt, die , als ein Netz mit bunten Fäden dargestellt, geradezu wie eine Stickerei auf Stramin erscheinen würden, wie bis jetzt diejenigen der eingesetzten französischen Heereskräfte. Ungeheuerlichkeiten in bezug auf Wechsel der rückwärtigen
Der Dienst im Rücken der französischen Armee. Verbindungen,
die nur möglich,
weil man im
43
eigenen Lande Krieg
führt und ein engmaschiges Netz von Eisenbahnen hinter sich hat, das früher unnatürlich Gewesenes in den Bereich des Denkbaren und Möglichen führte.
Einen schwachen Begriff der notwendig gewesenen
„ Verlegungen“ rückwärtiger Verbindungen gewinnen wir, wenn wir den im Taschenbuche eines in Verdun gefangenen französischen Generalstabsoffiziers gefundenen Aufmarsch im ersten Operationsplan mit den Joffreschen Angriffsdirektiven für den 6. September und mit der heutigen Kräfteverteilung vergleichen . Wir schicken voraus, daß wir den von der „ Lothringer Volksstimme " nach dem Taschenbuche des gefangenen französischen Offiziers veröffentlichten Aufmarschplan in bezug auf Numerierung und Zusammensetzung der einzelnen Armeen nicht für ganz zutreffend halten, den Operationsentwurf in großen Zügen aber mehr, denn auch in der Praxis zutage getretene operative Maßnahmen weisen, wie wir sehen werden, darauf hin .
Zu
der Ansicht über den veröffentlichten Aufmarschplan kommen wir durch bekannt gewordene Proklamationen französiscer Armeeführer, durch einen Erlaß Joffres, durch Nichterwähnung des XXI. , XIX . und Kolonialkorps , durch veröffentlichte Mitteilungen des Generalquartiermeisters , über an Kämpfen beteiligte Korps, sowie durch in der Presse veröffentlichte Feldpostbriefe.
Nach den Aufzeichnungen
des Taschenbuches
wäre die Numerierung der Armeen von links (Maubeuge) nach rechts (Belfort) gegangen, Dubail hat aber seine Armee bei Belfort als Nr. I bezeichnet und
Joffres
erster
bekannt gewordener Erlaß aus
der
Gegend von Belfort spricht auch von Mitteilungen an die II. Armee, die also der linke Nachbar der ersten Armee gewesen ist . Die Armee von Epinal, die in dem gefundenen Aufmarschplan als IV. bezeichnet ist, muß daher II. heißen, die von Toul III ., von Verdun IV . und die von Maubeuge V. (wie sie auch der Bericht French bezeichnet, Teil I) . Auch die in den Aufzeichnungen sich findende Zusammensetzung der Armeen muß sich sehr bald geändert haben, denn die bei Belfort genannten Korps XV . und XVI . finden wir schon bei Lagarde bzw, anders wo, das bei der Armee von Epinal genannte XVII . Korps schon in Belgien , Bertrix bzw. bei Matton gegenüber unserer IV. Armee, während bei Epinal, wo auch sein Korpshauptquartier, das XXI. Korps unbedingt gewesen sein muß. Aus dem gefundenen Aufmarschplan ist ersichtlich , daß sich dieser schon sehr bald als fehlerhaft herausstellen mußte, die Masse der Kräfte gegen Osten einsetzend, während der deutsche Aufmarsch den --Schwerpunkt selbst unter Opfern in Oberelsaß in den Norden legte. Die notwendig gewordenen Kräfteverschiebungen, die eine Reibung zwischen Generalissimus Joffre und dem Kriegsminister hervorriefen, gegenüber dem ersten französischen Aufmarschplan mußten
44
Der Dienst im Rücken der französischen Armee.
naturgemäß schon größere Änderungen bindungen nach sich ziehen .
in den rückwärtigen Ver-
Nach dem Operationsentwurf sollte die
Armee von Maubeuge , I., II . , III. , X. Korps, sich mit der britischen und belgischen Armee vereinigen, durch Belgien auf Koblenz und Köln vorgehen, und von Norddeutschland vorgehende Truppen werfen , die Armee von Verdun , IX. , XI. , IV. und VI. Korps , Metz nehmen , dann gegen Koblenz - Saarlouis vorstoßend, die Vereinigung mit der Armee von Maubeuge bewirken , die Armee von Toul, XX . , VIII . , V. Korps, durch Lothringen, nördlichen Teil der Vogesen, auf Straßburg gehen, die Armee von Epinal, XIII. ( später bei Noyon geschlagen ) , XII ., XVII . (s . o . bei Bertrix und Matton geschlagen) , XVIII . Korps (XXI. Korps unbedingt zu dieser Armee gehörig) , die südlichen Vogesen besetzen und den anderen Armeen als Reserve folgen ; die Armee von Belfort, VII . , XIV. , XV. , XVI . ( siehe oben, wozu noch zu bemerken , daß in den Kämpfen um Mülhausen auch Teile des XIX . und des Kolonialkorps aufgetreten sind, dagegen XVI. und XV. Korps nicht) über Altkirch - Mülhausen
auf Straßburg vorgehend ,
dieses
nehmen
und die Vereinigung mit der Armee von Epinal vollziehen . Erinnert man sich der Offensive nach Oberelsaß wo Castelnau , der Pau zu überzeugen vermochte, auch politisch den Erfolg der Erhebung der Elsässer gegen Deutschland erwartete, und sich stark verrechnete des sehr starken Offensivsto Bes und des Vorgehens
zwischen Straßburg und Metz
französisch - britischer Streitkräfte nach
Belgien hinein , so wird man die großen Züge des Operationsentwurfes wiederfinden, der zunächst nicht weiter als bis zu den genannten Linien reichte, da man dort eine baldige starke Entlastung von der Offensive ungeheurer russischer Massen erwartete. Denkt man sich senkrecht zur Front der Armeen die rückwärtigen Verbindungslinien , die bei den ausgiebigen Organen
im Rücken
jedes Korps
reichlich
besetzt gewesen sein werden, so sieht man schon Kreuzungen der gegen Süden und Westen lauienden. Nachdem
die
starke französische Offensive
zwischen Straßburg
und Metz durch die Armee des Kronprinzen Ruprecht auf die Festungsund Sperrfortlinie zurückgeworfen worden war und das Ausholen der Offensive des deutschen rechten Flügels nach Westen die bekannten Rückzugsbewegungen Joffres, trotz mit der Bahn herangeholten Verstärkungen aus dem Süden und Osten Frankreichs - herangeholte Reservedivisionen, Teile des Kolonialkorps, selbst Alpengruppen wurden schon bei den großen Gruppenkämpfen zwischen Reims und Verdun fühlbar -- bis in die allgemeine Linie Verdun - Paris zur Folge hatte, waren wiederum Verschiebungen eingetreten, so z. B. die VII. Armee von Belfort in die Westteile des befestigten Lagers von
Der Dienst im Rücken der französischen Armee.
45
Paris gezogen worden . Joffres Plan, den Gegner zu einer Schlacht südlich der Marne zu verleiten, mißlang bekanntlich. Der für seine Offensive am 6. September von Joffre, nach einem Auszug in Temps , gegebene Befehl läßt uns die Kräftegruppierung an diesem Tage erkennen und daraus kann auf den Lauf der rückwärtigen Verbindungen geschlossen werden . Auf dem rechten Flügel Armee Sarail (wahrscheinlich obengenannte Armee Toul, der auch das von Sarail bis dahin kommandierte VIII . Korps angehörte), auf Verdun und die Maashöhen gestützt, bereit , nach Westen einzuschwenken , weiter links die Armee Langle de Cary, südlich Vitry le François (wahrscheinlich der Rest der obengenannten Armee Verdun, nach Abzug des XI . Korps, dessen Führer, General Eydoux, angeblich weiter westlich fiel ), von Camp de Mailly bis Sézanne , Armee Foch, links von dieser, d . h . von Sézanne links bis zu den Höhen nördlich von Provins, die Armee Franchet d'Esperey (wahrscheinlich die obengenannte Armee von Maubeuge , die in Wirklichkeit die Nr . V getragen hat, auch das von Franchet d'Esperey bis dahin kommandierte I. Korps enthielt, und bezüglich deren das Joffresche Telegramm, betreffend die Kathedrale von Reims, aussprach, die V. Armee habe Reims bis zum 30. September besetzt gehalten und sei dann durch die IX. Armee abgelöst worden), weiter westlich in der Gegend von Crécy en Brie, südlich von Grand Morin die britische Armee und auf dem äußersten linken Flügel im verschanzten Lager von Paris (wo sich doch auch eine Armee Gallieni als Festungsreserve befand dabei auch von D'Amade geführte Reservedivisonen, sicher 61 und 62 ) , die Armee Maunoury (wahrscheinlich VII . ) bereitgestellt. Der Befehl Joffres lautet im Auszug : Langle,
„ Die
Armeen
Sarail,
de
Foch und Franchet d'Esperey werden auf der ganzen Front
angreifen. Die britische Armee südlich der Marne geht gegen die Rechte der Armee Kluck vor. Die Armee Maunoury stößt auf den Ourcq vor und bedroht den Rücken und die Verbindungslinien dieser Armee. " Die Verbindungslinien der gegen Osten stehenden Heerteile liefen gegen Westen, diejenigen der gegen Norden stehenden nach Süden ,
die der Armee Maunoury
nach Südwesten .
Noch weit
verwickelter
gestalten sich die rückwärtigen Verbindungen heute, wo, wenn wir Compiègne als Scheitelpunkt des Winkels zwischen Front und linker die letztere mit der Front gegen Osten gerichtet , den äußersten linken Flügel von südlich Lille nach Armentières und weiter westlich, ohne selbst die Fronten in Belgien zu nehmen, um- die Kavalleriekräfte ganz außer Betracht gebogen über 100 km mißt gelassen. Vom linken Flügel aus gerechnet haben wir nach Süden ,
Flanke rechnen ,
Der Dienst im Rücken der französischen Armee.
46
Westen ( See) , Süden , Südwesten und Westen zurücklaufende Verbindungslinien hinter 660 km Fronten zu verzeichnen. Auf den rückwärtigen Verbindungen jeden Korps , dessen Marschtiefe
in einer Kolonne
mit der jedem Korps
zugeteilten
Reserve-
brigade und 6 Verstärkungsbatterien , die Gefechtsstaffel (Genieparkkompagnie, Brückentrainkompagnie, 2 Infanterie-, 4 Artilleriemunitionskolonnen , zwei Sanitätsabteilungen) und die Nachhut, 1 Bataillon, eingerechnet, über 41 km mißt, finden wir, normal mit etwa 5 km . Abstand, zunächst die rund 5,5 km messende große Bagage. Dann, mit einem Abstand von 1-2 Tagemärschen , Munitionskolonnen und Trains , II . und III. Staffel des Munitionsparks des Armeekorps, 3 Artillerie3 Infanteriemunitionskolonnen, eine Reserve mit Munition , Vorratsund Ersatzmaterial, 2 Verpflegungskolonnen mit Viehpark, 2 Sanitäts- , 2 Lazarettgeräteabteilungen , Pferdedepot und Feldbäckerei kolonnen mit rund 13,5 km Tiefe. Die Organe des Dienstes im Rücken einer Armee sind in dem Sonderbericht, „ die Armee unmittelbar vor dem Kriege “ , schon aufgeführt. Ihre Abstandsbemessung ist Sache der Armeeoberkommandos, bzw. des Leiters der Armeeversorgung (Directeur des étapes et des services de l'armée), der seine Weisungen direkt durch das Oberkommando erhält . Er verfügt über alle Hifsmittel seines Etappenbezirks
(den der Leiter
der
Heeresversorgung
im Großen Hauptquartier jeder Armee zuweist), über den er im eigenen Lande das Oberkommando, in Feindesland auch die Zivilgewalt hat.
Er setzt
sich für
den Nachschub auch mit dem im
Großen Hauptquartier befindlichen Chef des Feldeisenbahnwesens, der Netzkommissionen und Feldeisenbahnkommissionen (Regulierungs-, Bahnhofskommissionen , Eisenbahnkompagnien , Feldeisenbahnen, technische Telegraphensektionen und Gendarmeriedetachements) unterstehen, in Verbindung .
Der Leiter der Armeeversorgung verfügt für
den Nachschub von Munition über den großen Armeemunitionspark, Artilleriemagazine, Munitionsdepots, für Genie über den Armeegeniepark und eine erste Reserve desselben, ferner Baudirektionen, bei der Intendantur (den Armeeintendanten
ist
auch der
Intendanturdienst
der Etappen unterstellt) über Unterintendanturen , Militärarbeiter, Armeeverpflegungskolonnen , Etappenfuhrparks, Feldbäckereikolonnen, Armeeviehpark, bei dem Sanitätsdienst über Etappensanitätsdepots , Sanitätsmaterial der Sammelstation , freiwillige Krankenpflege , Evakuierungs-,
Kriegs- ,
Telegraphie über ein
Hilfs-,
Etappenlazarette,
oder mehrere
Lazarettzüge,
für
die
technische Telegraphensektionen
(aus Angestellten der Post- und Telegraphenverwaltungen gebildet) , Ergänzungsmaterial der Sammelstationen und Etappendepots, ferner über Gendarmerie, Veterinärwesen , Post- und Kassenwesen, Etappen-
Der Dienst im Rücken der französischen Armee. kommandanturen, Etappentruppen und im Ausland
47
auch über Zivil-
verwaltung. Da der Krieg im Inland geführt wird, hat man in Frankreich selbst die Demarkationslinie zu ziehen, die verschiebbar nach dem Verlauf der Operationen, das Eisenbahnnetz in dasjenige außerhalb des Kriegsschauplatzes und das des Kriegsschauplatzes teilt. Auf ersterem Betrieb durch die Linienkommissionen mit Personal der Eisenbahngesellschaften, auf letzterem Kriegsbetrieb entweder noch mit dem Personal der Gesellschaften, oder, dichter am Feinde, mit Eisenbahntruppen und Feldeisenbahnabteilungen . Beginn des Kriegsbetriebes bei der Übergangsstation. Der Nachschub von Verpflegung Stufenleiter:
und
Munition
durchläuft
normal
die
folgende
Aus den einzelnen Korpsbezirken, von den dort befindlichen Etappenanfangsorten aus, Transport per Bahn von Verpflegung und, wenn in den Korpsregionen auch Arsenale oder Artilleriedepots vorhanden sind, auch Munition , zu der Sammelstation der Armee diesseits der Demarkationslinie, wo ev. ein Aufstapeln der Vorräte stattfindet, wenn nicht ein Vorschieben zu der feindwärts der Demarkationslinie an der betreffenden Bahnstrecke gelegenen Magazinzulässig erscheint. Auch hier findet ein Aufstapeln der selbstverständlich Munition von den übrigen weit gegetrennt - statt. Unter jeder Bedingung ist aber auf den Magazinstation Vorräte
stationen eine Anzahl von Verpflegungs- bzw. Munitionszügen (die als en cas mobiles bezeichnet werden) beladen bereit zu halten , die als bewegliche Reserve zu den Regulierungsstationen vorgeschoben werden.
Hier hat
die
Regulierungskommission ,
aus
einem
Stabs-
offizier, einem Hauptmann des Generalstabes und einem Beamten der betreffenden Eisenbahngesellschaft, die vom Oberkommando direkt ihre Weisungen erhält, ihren Sitz. Sie fordert täglich die Nachschubsbedürfnisse von der Magazinstation
an und schiebt sie
automatisch , die betreffenden Verpflegungszüge
von Offizieren und
Beamten der Regulierungsstation begleitet, die an der Empfangsstation das Bahnhofskommando übernehmen und die Verteilung bewirken, zu den Eisenbahnempfangsstationen , die sie nach Orientierung über den Gang der Operationen täglich den Korps usw. mitteilt , vor. Die Regulierungskommission ist vermittelndes Organ zwischen Truppen und Etappen bzw. Eisenbahnen für das Vorschieben von Bedürfnissen zu den Truppen, wie für den Material und Verwundeten zur Heimat.
Rücktransport von
Außer der normalen täglichen Verpflegung (ravitaillement ordinaire) gibt es noch ein ravitaillement eventuel . das auf Anfordern der Truppen von der Regulierungskommission bei der Magazin-
48
Der Dienst im Rücken der französischen Armee.
station verlangt werden kann,
z. B. Konservenfleisch ,
falls
bei den
Truppen das frische Fleisch nicht rechtzeitig eingetroffen ist , Brot, wenn es durch freihändigen Ankauf vom Lande nicht zu beschaffen ist und durch den Zwieback nicht ersetzt werden kann, endlich Preẞheu, wenn Heu von den Truppen nicht freihändig anzukaufen Die Truppen melden bis zum Abend , was sie am folgenden Tage an ev. Nachschub brauchen , an die Regulierungskommission ,
ist.
die dann einen der stets bereit stehenden beladenen Verpflegungsbzw. Munitionszüge entsprechend zur Eisenbahnempfangsstation vorschiebt, für den normalen Bedarf bedarf es keiner Anforderung. Da Frankreich im eigenen Lande kämpft und außerdem ein ziemlich engmaschiges Eisenbahnnetz besitzt, so darf man annehmen , daß bei den gegen Norden fechtenden Armeen jede von diesen und ebenso bei dem langen gegen den deutschen rechten Flügel kämpfenden französischen linken, eine Eisenbahnlinie hinter sich hat , so zwar, daß die Trains und Kolonnen des Armeekorps oder wenigstens Kraftwagenkolonnen (convois automobiles s . unten) an den Eisenbahnempfangsstationen beladen werden und zu den Truppenfahrzeugen Vorräte hinschaffen können . Der Dienst im Rücken der Armee unter Einrichtung von Zentralmagazinen, Magazin-, Regulierungs- und Eisenbahnempfangsstationen, sowie unter Nachschub von den Eisenbahnempfangsstationen zu den Truppen, bei frischem Fleisch auch aus den Zentren
der Schlachtzone,
die
über
70-80 km
von den
Truppen ablagen, durch Kraftwagen , die 3-4 Tagemärsche täglich zurückgelegt haben, ist bei den Friedensmanövern und besonderen Verpflegungsübungen seit mehreren Jahren jährlich gründlich erprobt worden .
Jede Armee besaß in Frankreich schon 1912 plan-
mäßig soviel Kraftwagen,
daß ein Tagesbedarf an Verpflegung und
an Hafer für mehrere Armeekorps transportiert werden konnte . her hat man die Kraftwagen, die im Privatbesitz sind
Seit-
und die man
sich für die Mobilmachung seitens des Kriegsministeriums für die Armee gesichert hat, an Zahl wesentlich erhöht worden , so daß mar wohl mehr als einen Tagesbedarf transportieren kann. Ob man aber , was man erstrebte und nach Mitteilungen in politischen und militärischen Blättern schon erreicht haben wollte , soweit gediehen
ist,
die zwei von den 4 Verpflegungskolonnen des Armeekorps , die planmäßig als Reserve unter dem Befehl der Leitung der Armeeversorgung treten (man könnte sagen die zweite Staffel der Trains ) durch Kraftwagen zu ersetzen, was von ungeheurem Werte wäre, vermögen wir heute nicht festzustellen . Jede Verpflegungskolonne verlangt bei tierischem Zuge allein 173 Fahrzeuge und 447 Pferde,
und
portiert den eintägigen Bedarf an Verpflegung und Hafer
trans-
für
ein
Der Dienst im Rücken der französischen Armee.
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Armeekorps.
Nach Andeutungen in ausländischen Zeitungen darf man annehmen, daß jedes Armeekorps etwa soviel Kraftwagen im Felde besitzt, daß man eine Verpflegungskolonne durch eine Automobilkolonne ersetzen gekonnt hat. Bei dem wochenlangem Kämpfen in vorbereiteter Stellung dürfte man wohl noch weiter mit der Ausnutzung des mechanischen Zuges gekommen sein. Eine sogenannte schwere Automobilkompagnie zu 4 Sektionen (wie wir sie auch schon bei den Armeemanövern 1912 und 1913 sehen konnten und die damals zur Zufriedenheit funktionierte), die entweder einen Tagesbedarf eines Armeekorps an Verpflegung, oder aber auch 1600 t Munition , d. h. ein sehr großes Quantum , transportieren und diese Munition im Notfalle bzw. bei Dringlichkeit des Ersatzes, bis dicht
hinter die Batterien
heranschaffen kann ,
weist
80 Lastfahr-
zeuge zu je 2000 Kilo Nutzlast, 5 Personennraftwagen, 6 Autobusse für Mannschaften und 5 Werkstättenautos auf. Jede Kavalleriedivision verfügt schon seit mehreren Jahren
über eine leichte Automobilkompagnie zu 2 Sektionen, die den eintägigen Verpflegungstransportiert und Haferbedarf für diese Division und rund 20-30 Lastautos zu je 1200 Kilo Nutzlast, 3 Personenautos , 4 Autobusse für die Mannschaften und 1 Werkstättenauto besitzt . Man ist
auf den Gedanken , den größeren Kavalleriekörpern Kraftwagenkolonnen zum Verpflegungs- und Munitionsnachschub zu geben, schon vor mehreren Jahren gekommen, da die großen Reitkörper doch vom Lande leben und von dem Gros der Armee möglichst unabhängig sein sollen, am Morgen auch selten geben können , wo sie am Abend sein werden. Wir weisen hier auch gleich darauf hin ,
mit
daß
Sicherheit an-
jede Armee über
mehrere Sanitätsautomobil - Kompagnien zu je 4 Sektionen mit 56 Lastautos zu je 1500 Kilo Nutzlast, 3 Personenautos für Offiziere und Ärzte, 30 Autoomnibusse für Mannschaften , 3 Werkstättenautos verfügt.
Jede Sanitätsautomobilkompagnie kann 336 liegende
oder 672 sitzende Verwundete transportieren .
Ihre Sanitätsautos dienen
auch zum Vorschieben nicht bespannten Sanitätsmaterials von der Regulierungsstation dorthin , wo Sanitäts- und Lazarettabteilungen als Feldlazarette festgelegt sind und die vorgeschobenen deren Bespannungen erhalten sollen , um mit diesen den Truppen zu folgen. Die transportfähigen Verwundeten kommen direkt zu den Regulierungsstationen , von wo aus die Evakuierungslazarette sie baldigst in die Heimat abschieben. Für den Transport von frischem Fleisch hat ein französisches Armeekorps zu 3 Divisionen 20 Lastautos zu je 2000 kg Nutzlast , wozu bei den Manövern mit Vorliebe und Erfolg Pariser Autobusse 4 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 520.
50
Der Dienst im Rücken der französischen Armee
verwendet worden sind .
Im Besitz der zwei eisernen Portionen (von
denen eine, wo Feldküchen nicht vorhanden , auf Lebensmittelwagen transportiert wird, die andere von den Leuten), des Bedarfs an Brot für einen Tag, von Gewürz und die Fleischportionen auf den Fleischwagen bei der Gefechtsbagage mitführend, kann der französische Soldat auch dort, wo noch keine Feldküchen vorhanden sind, abkochen , ehe die große Bagage eintrifft, die er im Bewegungskriege ja oft mehrere Tage nicht zu sehen bekommt.
Bei der großen Bagage finden wir eine
sehr zweckmäßige Einteilung in der Beladung der Verpflegungsfahrzeuge der Truppen, nämlich in drei Staffeln , von denen die beiden. ersten, die Empfangs-
und Ausgabestaffel,
täglich
wechseln,
erstere
nachdem sie am Abend vorher den Truppen Brot, Gewürze, Hafer usw. ausgegeben hat, am Empfangsorte sich wieder auffüllend , letztere beladen am Anfang der großen Bagage zur Ausgabe nach dem Übergang zur Ruhe, marschierend. Eine dritte Staffel enthält einen Reservebestand, der zum Ersatz einer verbrauchten eisernen Portion bei den Mannschaften verwendet wird. Wir haben den Fall, daß die Operationen die fechtenden Truppen soweit von den Bahnen entfernen, daß ein Empfang durch die Truppenfahrzeuge oder die Trains bzw. die Automobilkolonnen von den Eisenbahnempfangsstatione n nicht mehr bewirkt werden kann, die Eisenbahnendpunkte zu Landetappen - Anfangsorten werden ,
da Frankreich im eigenen
Lande Krieg führt, ein engmaschiges Eisenbahnnetz besitzt , auch Wasserstraßen ausnutzen wird und es sich gegenwärtig um einen monatelangen Stellungskampf handelt, außer Betracht gelassen . Sind Landetappen notwendig , so wird von den Landetappen-Anfangsorten der Nachschub bewirkt und zwar durch die Etappenfuhrparkkolonnen (die planmäßig mobil gemacht werden, drei für jedes Armeekorps, die zusammen den viertägigen Bedarf für das Korps transportieren) und Magazinfuhrparkkolonnen , erstere vom Landetappenkopf vorwärts, d. h. in der Richtung der Truppen, Eisenbahnendpunkt zum Landetappenkopf in
letztere vom
Bewegung.
Zur Ver-
sorgung der Armee mit Brot dienen die Kriegsbäckereien bei den Magazinstationen , von denen das erbackene Brot, wie die übrigen Verpflegungsbedürfnisse vorgeschoben wird, bzw., wo dies nicht möglich ist, die Etappenbäckereikolonnen , die möglichst dicht hinter den Truppen und möglichst an Eisenbahnen eingerichtet werden. Erst wenn ihre Einrichtung nicht tunlich ist bzw. nicht mehr ausreicht, treten die Feldbäckereien der Armee in Tätigkeit, jede Kolonne mit 24 fahrbaren Backöfen ist imstande, in 24 Stunden 48000 Brotportionen herzustellen.
51
Die Kriegsbereitschaft Italiens am Ende des November.
VI. Die Kriegsbereitschaft Italiens am Ende des November.
In Italien, dessen Regierung bis jetzt, trotz heftigen Drängens starker Parteien im Lande, auf Anschluß an den mit starken - an leitenden Stellen aber wohl richtig gewürdigten Lockungen arbeitenden Dreiverband , die strikte Neutralität den verbündeten beiden anderen Dreibundmächten
gehalten hat, dem Vertrauen der beiden Kaiserreiche Mitteleuropas damit entsprechend, besteht nicht mit Unrecht die Selbsteinschätzung, daß Italiens Wehrkraft ein merkkares Gewicht in der einen oder anderen Wagschale bedeuten könne. J'attends mon astre" hatte einst König Carlo Alberto zum Wahlspruch Esereito Italiano überschrieb jüngst so eine Betrachtung
gewählt,
über das durch Loyalität gebotene Verhalten des Landes. Nach den offiziellen und zutreffenden Angaben weist die mobile aktive Armee Italiens rund 830000 Mann, die Mobilmiliz (Landwehr), die zum großen Teil auch zum Feldheere gerechnet werden kann , rund 330 000 und der Landsturm (Territorialmiliz) rund 2,28 Millionen Köpfe auf, wobei die letztgenannte Ziffer aber einen sehr starken Teil von unausgebildeten Leuten enthält. In den drei genannten Kategorion kommen als Ergebnis der Pflichtigen rund 3,4 Millionen heraus, „ Italien
ist
wachsam,
Italien
ist
bemüht ,
seine
Bereitschaft
zu
steigern “ , dies Ziel wird sowohl vom Kriegsminister General Grandi, als vom neuen Chef des Generalstabes Cadorna ( der designiert war, eine Armee im Kriege zu führen uud dann, nach dem unerwarteten Tode des Generals Pollio, der sieben Jahre lang die ganze Verantwortung für die Vorbereitung des Krieges getragen, die treibende Kraft des Ausbaues des Heeres gewesen , dessen so unendlich wichtigen Posten übernahm), im September.
Heute stehen
angestrebt,
schrieb
wir wesentlich
Eserzito
Italiano
anderen Verhältnissen
gegenüber, auf die weiter unten eingegangen werden wird . Eine Reihe von italienischen Blättern, an der Spitze „ Secolo " , kündigte für den 12. September das Erscheinen eines fünf weitere Jahrgänge des Beurlaubtenstandes bei mehreren Waffengattungen einberufenden Erlasses an . Das Erscheinen ist nicht erfolgt. Die Einbeorderung von fünf weiteren vollen Jahrgängen des Beurlaubtenstandes würde auch einer vollen Mobilmachung nicht nur der ganzen aktiven Armee, sondern auch eines Teils der Mobilmiliz entsprechen (siehe unten) .
Seit der Ausübung der 1889 Geborenen sind, dank Änderungen 4*
Die Kriegsbereitschaft Italiens am Ende des November.
52
des Rekrutierungsgesetzes , die Rekrutierungsjahrgänge I. Kategorie in runden Summen von 76000 auf 118 169 bzw. 116 152 bzw. 122852 und
121 030
(dieser
1912 ausgehobene Jahrgang hätte
noch wesentlich höhere Erträge geliefert, wenn man nicht diejenigen befreit hätte, die einen in Lybien aktiv dienenden Bruder besaßen), 1913 rund 126000 und 1914 auf 132000 Mann gestiegen . Die bilanzierte Stärke, die für das Finanzjahr 1914/15 14027 Offiziere , 275000 Mann beträgt, und auf 305 000 Mann steigen soll , weist schon jetzt an organischer Stärke rund 292000 Mann auf. Nimmt man aber nur 275000 Mann an, die sich aus den Jahrgängen 1912 und 1913 und dem permanenten Stamm an Unteroffizieren , Kapitulanten, Carabinieri zusammensetzen , so hatte Italien, von Offizieren abgesehen, Ende September unter den Waffen : · 1. Die vorgenannte bilanzierte Friedensstärke , von der man aber noch rund 40000 Mann für Lybien-Cyrenaica abziehen muß (solange bis die Kolonialarmee dort vollzählig gebildet und volle Parzifikation eingetreten ist ). Rest der aktiven Armee Fahnen in der Heimat dann noch 235 000 Mann . 2. Die zum 21. Juli
(später etwas verschoben )
unter den
zu einer fünf-
monatigen ersten Übung einbeorderte II . Kategorie des Jahrgangs 1913 und die der seemännischen Bevölkerung entstammenden Leute II. Kategorie Jahrgangs 1912 , zusammen rund 35 000 Mann . (DieLeute der II . Kategorie der Jahrgänge 1909 , 1910, 1911 und 1912 der Landarmee sind in die obigen Zahlen nicht eingerechnet. ) 3. Die Einbeorderten des erst im Herbst 1913 entlassenen Jahrgangs 1911 I. Kategorie, die schon zum Teil lange vor der Mobilmachung in den anderen Ländern einberufen waren, um die Iststärke der schwachen Friedenseinheiten mit Rücksicht auf die mögliche Truppenschulung zu heben. 90000 Mann des Beurlaubtenstandes sollten, nach dem Budgetansatz 1914/15 , wie der vorhergehenden normal in der Periode bis zum Abschluß der Herbstübungen zu Schulungszwecken einberufen werden. Da man bei der vorstehend. berührten Einbeorderung der I. Kategorie 1911 aus weitgehenden bürgerlichen Rücksichten starke Dispense eintreten ließ, so kamen im Juli von ihm nur rund 68000 Mann unter die Fahnen , 40000 Mann weniger als sein Bestand und dabei die II. Kategorie nicht einmal gerechnet. 4. Zur Wahrung der Neutralität berief man bei den Kriegserklärungen dann
ein die weiteren
jüngeren
Reservistenjahrgänge
I. Kategorie
1910 und 1909, die man, nach proportionellen Abgängen und Abzug der wegen dringender bürgerlicher Rücksichten zunächst nicht Ein gestellten zu je 90000 Köpfen annehmen kann.
Die Kriegsbereitschaft Italiens am Ende des November. 5. Dann ist zum 1. Oktober der Jahrgang 1914 , gegeben rund 132000 Mann I. Kategorie,
53
wie oben an-
unter die Fahnen berufen
worden, der aber erst nach 2 bis 2 1/2 Monaten als ausgebildet und feldverwendbar in Rechnung kommen kann. An sofort kriegs verwendbaren Leuten (wobei wir die zunächst noch in der Heimat aus den oben angegebenen Rücksichten gebliebenen Reservisten I. Kategorie Jahrgangs 1911 aber später zurechnen müssen ), hatte Italien Ende September im Heimatheere unter den Fahnen also 235000
35000 + (3 X 90000) 270000
= 535 000 Mann, die durch Einziehung der noch zu Hause gebliebenen Reservisten der Jahrgänge 1909, 1910 und 1911 auf 595000, also mehr als das Doppelte der bilanzierten Friedensstärke, steigen können , weit über 3 5 der planmäßigen Stärke der mobilen aktiven Armee, mit den geschulten Leuten II . Kategorie der Jahrgänge 1909, 1910, 1911 und 1912 rund 120000 Mann mehr, /, der planmäßigen mobilen Stärke der Armee leicht erreichbar. Für September war dem Kriegsminister durch Königl. Erlaß woraus man ja auch auf den Umfang der Erhöhung der Stärke unter den Waffen schließen konnte die Befugnis gegeben , im Ordinarium 211 Ergänzung
Millionen mehr aufzuwenden und für beschleunigte
von Vorräten sowie
rasche
Lage
erforderlichen Arbeiten im
mehr
zu
verbrauchen .
Bis
Ausführung von durch die
Extraordinarium
79,8 Millionen
zum 12. Oktober waren für Rüstungs-
zwecke seit Beginn des Krieges 358 Millionen Lire bewilligt. Hätte man die von Socolo und anderen Blättern in Aussicht gestellten fünf weiteren Jahrgänge voll einberufen,
d . h.
also den
ganzen Rest der Reserve , Jahrgänge 1908 , 1907 , 1906 , 1905 , 1904, die man, als vor der Änderung des Rekrutierungsgesetzes eingestellt ,
nach
prozentualen
Abzügen
auf je
65-68000
Mann
I. Kategorie schätzen kann, im ganzen also rund etwa 35 000 Mann , so würde man mit dem, was man Ende September unter den Fahnen an sofort kriegsverwendbaren Leuten besaß , die Jahrgänge der geschulten II. Kategorie hinzugerechnet auf über 900 000 Mann felddienstbrauchbarer Leute gekommen sein.
Die Zahl geht über den Be-
darf der planmäßigen Stärke der mobilen aktiven Armee weit hinaus, und man hätte an die Mobilmiliz (Landwehr ,
vier Jahrgänge I. und
II. Kategorie, und zwar die Jahresklassen 1903 , 1902, 1901 , 1900) noch Abgaben eintreten lassen können, würde den vollen Jahrgang 1914 und viele Jahrgänge der Territorialmiliz ,
die
nicht ausgebildet sind
(s. u. ), als Füllung für Ersatzformationen gehabt. Neben Alpentruppen ( 28 Bataillone, 36 Gebirgsbatterien ), Festungstruppen und Carabinieri
(militärische Elitegendarmerie)
wäre
die
54
Die Kriegsbereitschaft Italiens am Ende des November.
aktive Armee in 12 Armeekorps , divisionen, 20
(davon noch einige
25 Divisionen ,
3 Kavallerie-
zu improvisieren ) Batterien der
schweren Artillerie des Feldheeres, jedes Korps 8 Infanterieregimenter, 1 Bersaglieriregiment (im ganzen 153 Bersaglierikompagnien in Bataillonen zu 3 Kompagnien, 9 Radfahrerkompagnien für Kavalleriedivisionen), 1 Begiment Korpskavallerie, Genietruppen usw. bei dem oben angegebenen Umfange der gegenwärtig unter den Waffen stehenden feldverwendbaren Leute rasch auf Kriegsfuß zu ergänzen . Wenn wir oben 140000 Mann rund an der Heimatstärke als für Lybien noch nötig abgezogen haben, so ist dabei aber nicht zu vergessen, daß man die durch Gesetz von 1912 auch gesetzmäßig gewordenen, bis dahin auf Grund Königlichen Erlasses schon bestehenden neuen 24 Infanteriebataillone, 3 Bersaglieribataillone zu 3 Kompagnien , 5 Eskadrons, 6 Feld- , 7 Gebirgbatterien, 4 Festungskompagnien, 2 Geniebataillone zu dem Zwecke formiert hatte, die nach Lybien abgegebenen Einheiten im normalen planmäßigen Rahmen der aktiven Armee zu ersetzen , dieser also die geordnete Mobilmachung mit den normal vorgesehenen Verbänden ohne Improvisationen zu ermöglichen . An Friedenseinheiten kombattanter Truppen zählte die aktive Armee 389 Bataillone, 150 Eskadrons, 263 ( 199 fahrende, 36 Gebirgs-, 8 reitende , 20 schwere) Batterien, 32 Bataillone Festungs- und Küstenartillerie, 26 Geniebataillone. Was die aktive Armee bei einer Mobilmachung aber schmerzlich empfinden würde, ist die Tatsache, daß die 87 Batterien des 7,5- cm A- Geschützes ohne Rohrrücklauf noch nicht , wie dies chon bis Ende 1913 voll erfolgen sollte und die 50 schon 1911 bewilligten Millionen erlaubten, durch das 1911 angenommene Deport-Material ersetzt sind , man also mit 3 Typen unseres Flachbahngeschützes ausrücken müßte, falls man es nicht vorzöge , die entschieden noch in der Minderzahl der 87 befindlichen DeportBatterien wieder mit den 75 A zu bewaffnen und so den Munitionsrsatz wenigstens zu vereinfachen.
Eine Kalamität bestände jedenfalls.
Für die Mobilmiliz (Landwehr) bestehen im Frieden heute bei den 96 aktiven Infanterie- und Grenadierregimentern und den 28 Alpenbataillonen (für die Bersaglieri sind solche nicht vorhanden, bei den berittenen Truppen ersetzen die Depots ihre Stelle) schwache aktive Stämme und ist schon daraus zu schließenamtliche Zahlen der planmäßig vorgesehenen Formationen der Mobilmiliz
sind nicht be-
kannt geworden , daß neben Alpen- und Bersaglieriformationen die Mobilmiliz , jedem aktiven mobilen Armeekorps entsprechend , eine Division aufstellen wird, die zur Feldarmee erster Linie gehört und Leute von im Durchschnitt 29 bis 33 Jahren umfaßt . Daneben naturgemäß noch
starke Festungsformationen .
Im ganzen wird der
55
Die Kriegsbereitschaft Italiens am Ende des November
Umfang der Mobilmiliz an geschulten Leuten I. und II. Kategorie auf rund 330000 Mann angegeben . Die Territorialmiliz (Landsturm ) setzt sich aus ausgebildeten Leuten im Alter von 33 bis 39 Jahren und sammen ,
aus unausgebildeten von
letztere
im Frieden
18 bis 39 Jahren zu-
aus bürgerlichen Rücksichten
bei der
Aushebung gleich der III. Kategorie überwiesen, die nicht geschult wird , aber voll diensfähige Leute besitzt. Die Territorialmiliz ist im Kriege für Etappen-, Besatzungs- und Küstenschutzdienste bestimmt, nebenher aber eine ungeheure Schöpfquelle zum Füllen von Ersatzformationen durch die unausgebildeten Leute im Alter vom 18. bis zum 30. Lebensjahr, wenn nötig darüber hinaus. Gleichzeitig mit der unrichtigen Ankündigung der bevorstehenden Einberufung der letzten 5 Reservejahrgänge durch Secolo brachten andere Blätter den Hinweis auf umfassende , eine starke Verjüngung bewirkende Änderungen in der Besetzung der höheren Kommandostellen als Zeichen für die gesteigerte Bereitschaft. Die außerordentliche Lage Europas hat entschieden den Zentralauscshuß für die Vorbereitung der Beförderungsvorschlagslisten zu einer sehr strengen Auswahl in bezug auf Führereigenschaften und physische Widerstandsfähigkeit der für die hohen Stellungen in Frage kommenden Generale veranlaßt. Zweifellos haben die Veränderungen in einem beschränkten Zeitraum gerade in den hohen Stellen eine ungewöhnliche Ausdehnung erlebt, wenn
sie
auch nicht gerade
umwälzend genannt werden müssen .
Durch Königl. Erlaß vom 30. August wurde an Stelle des für den verstorbenen General Pollio zum Chef des Generalstabes ernannten, bis
dahin designierten
Armeeführers General Cadorna der bisherige
kommandierende General VI. Armeekorps , Nava, zum Armeeführer bestimmt, deren mit dem Herzog von Aosta jetzt fünf vorhanden sind; neu besetzt wurden die Armeekorps III , VI , VII , VIII , X, XI sowie 5 Divisionen, dann durch Königl. Erlaß vom 10. September weitere 5 Divisionen, so daß im Zeitraum eines Monates 16 Verschiebungen von Generalleutnants eingetreten sind .
Rücksicht auf körperliche Frische
und militärische Fähigkeiten haben also
zweifellos bei der als not-
wendig betrachteten besonderen Bereitschaft in den Veränderungen in hohen Stellen eine wichtige Rolle gespielt. Wir haben oben schon erwähnt, daß zum 1. Oktober die Leute I. Kategorie, Jahrgang 1914 , einbeordert wurden , ohne sie bei der Beleuchtung des am Schluß des September unter den Waffen vorhandenen Bestandes anzurechnen .
Der Übersicht halber geben
wir
hier aber vorgreifend die Einbeorderungen und Entlassungen biz zum 1. Dezember 1914. Bei der Einberufung der I. Kategorie Jahrgangs 1914 hatte man die Brüder von Einbeorderten der Reservistenjahr-
56 gänge
Die Kriegsbereitschaft Italiens am Ende des November. 1909,
1910 und 1911 zunächst in der Heimat belassen ,
wurden aber zum 5. November doch eingestellt.
sie
Zum 10. November
traten die Leute II. Kategorie Jahrgang 1914 und die ihr überwiesenen der seemännischen Bevölkerung Jahrgang 1913 zur sechsmonatlichen ersten Schulung unter die Waffen und die aus bürgerlichen Rücksichten zunächst in der Heimat Belassenen der Jahrgänge 1909-11 ebenso. Am 31. Oktober entließ man die am 2. August einbeorderten Reservisten Jahrgang 1909, am 15. November ordnete der neue Kriegsminister Zupelli die Heimsendung der Reservisten Jahrgang 1910 an und
zum
25.
November
erfolgte
diejenige
des
Jahrgangs
1911.
Gleichzeitig verfügte der Kriegsminister den Beginn des Aushebungsgeschäftes der Leute I. und II. Kategorie des Jahrgangs 1915 , das jetzt schon soweit gediehen ist, daß am 1. Januar, wenn erwünscht , die Einreihung des ganzen auf 170000 waffenfähige Leute geschätzten Jahrgangs erfolgen kann . Erfolgt diese Einstellung, so hat man dann am 1. Januar 1915 vier aktive Jahrgänge, 1912 , 13, 14 und 15 , drei ausgebildete , einen unausgebildeten und zwei Jahrgänge II . Kategorie unter den Waffen , das sind mit dem bleibenden Stamm wohl 600 000 Mann in der Heimat. Fünf noch zur Reserve rechnende Jahrgänge bleiben dann noch verfügbar, sodaß die Mobilmachung der aktiven Armee und der Mobilmiliz sich leicht vollziehen kann und an die letztgenannte sogar die Abgabe von zwei Reservistenjahrgängen noch möglich ist . Die Einbeorderung der Jahrgänge 1906 und 07 der Alpentruppen auf 25 Tage hatte weiter nichts Auffallendes, da sie gemäß Erlaß vom 31. Mai und nur verschoben worden ist.
schon
am 1. August erfolgen sollte
Hatte das Heeresprogramm unter dem ersten im April ins Amt tretenden Ministerium Salandra nur wegen des Interesses , welches Salandra für dasselbe bewies und der Anerkennung, die er den Teilnehmern an dem lybischen Kriege aussprach, einen Ehrenplatz erhalten , hatten die extremen Parteien dabei aber die bescheidene Forderung von 194 auf 4 Jahre zu verteilenden Millionen Grandi's zum Schließen der nach dem lybischen Kriege bestehenden Lücken mit antimilitaristischem Widerstreben aufgenommen, so wurde mit der Bildung des zweiten Ministeriums Salandra , in dem durch einen neuen Kriegsminister die Reibungen in Heeresfragen fortfielen , sofort klar , das ein anderer Weg eingeschlagen wurde. Die schon nach Beschlüssen des Ministerrates veröffentlichten Erlasse, wie ihre am 3. Dezember dem Parlament vorzulegenden Gesetze bewiesen , daß es sich für das Heer nicht um die von Grandi verlangten 194, nicht um die von Porro als Vorbedingung der eventuellen Übernahme des Kriegsministeriums geforderten 600 Millionen ,
57
Die Kriegsbereitschaft Italiens am Ende des November.
sondern um weit höhere Beträge handeln werde. Nicht mit einem Ausflicken von Lücken dürfen wir rechnen , sondern damit und wenn es auch eine Milliarde kosten sollte , dem Kriegsminister Zuppelli die Möglickeit zu geben , innerhalb Tagen , nicht Wochen , ein Heer erster Linie von mindestens einer Million init allen seinen Bedürfnissen ins Feld stellen zu können, schrieb Esercito Italiano
Des Ministerpräsidenten Rede im Parlament
hat
der Regierung durch ihren Inhalt „ Italiens Berechtigung zur Klugheit in der Wahl der Neutralität nach eigenem Beschluß, Wahrung der Großmachtstellung und Hebung der Wehrkraft zu voller Bereitschaft behufs Wahrung der Interessen des Landes, nicht um andere zu unterdrücken , sondern um auf die Dauer nicht unterdrückt zu werden " eine große und sichere Mehrheit gewonnen. Der Schatzminister Tedesco ist im Parlament auch der stets wiederkehrenden Behauptung energisch entgegengetreten, das unter dem Zeichen Giolittis stehende Quinquennium 1909-1913
habe die Pflege der Wehrkraft vernachlässigt.
ist zuzugeben,
daß
zum Beginn
Offiziell
des genannten Zeitabschnittes
die
planmäßige Stärke der mobilen aktiven Armee, 830000 Mann , nur aufzubringen war durch ein Zurückgreifen auf 7-8 Jahrgänge des Beurlaubtenstandes, Familienväter bis zu 30 Jahren , daß man damit aber stark
in die
doch zum größten Teil zum Feldheer erster Linie rech-
nende Mobilmiliz hineinfaßte, die sich planmäßig doch aus Leuten im 9. , 10., 11. und 12. Pflichtjahr zusammensetzte. Friedensstämme für die Mobilmiliz hatte man zu Beginn des Quinquenniums nicht . An seinem Schlusse war man soweit gediehen , daß vier Reservistenjahrgänge ausreichten, um die aktive Armee auf die mobile Stärke zu bringen, zwei Reservisten- und vier Mobilmilizjahrgänge der letzteren aber erlaubten, über den planmäßigen Stand hinauszugehen, während Friedensstämme (siehe oben) die Bildung der Einheiten bei der Mobilmachung beschleunigten
und bei jedem Rekrutenjahrgang eine leider
nur sechs Monate (nicht wie zuerst verlangt, ein Jahr) erster Schulung aufweisende II. Kategorie vorhanden ist. Zu vergessen ist weiter auch nicht, daß man in dem genannten Zeitabschnitt die Krisis. im Offizierskorps durch abgekürzte Kurse an Militärschule und Militärakademie, Beförderungen dem Feinde
Applikationsschule für
von Marschällen , ausgezeichnet,
Artillerie und Genie,
sowie Unteroffizieren ,
durch
die sich
vor
durch Übernahme von Ersatz- (unsere
Reserve) Offizieren in den aktiven Stand beseitigte, so daß 1912 bis 1913 2000 Offizierstellen besetzt werden konnten. Wir berühren weiter unten Maßnahmen
zur Sicherstellung der nötigen Offizierzahl
zur Sicherstellung für die Mobilmachung. Sehr wichtig ist auch , was jetzt wieder Tedesco hervorhob, daß die Forderung Porro's sich voll-
58
Die Kriegsbereitschaft Italiens am Ende des November.
kommen mit dem deckt , was schon im Frühjahr 1913 vom Kriegsminister dem Ministerrat vorgelegt worden, dann im November 1913 vom Landesverteidigungsrat begutachtet, von Regierung und Schatzminister mit 500 Millionen im Extraordinarium und 70 Millionen Jahresvermehrung worden war.
im
Ordinarium
des
Kriegsbudgets
gutgeheißen
Von den Erlassen für Ausbau des Heeres und dazu bewilligten Mitteln, an denen der November besonders reich war , erwähnen wir Im Oktober bezunächst die das Offizierkorps betreffenden . man, daß zur Militärschule 507 Offizieranwärter für Infanterie, 115 für Kavallerie, zur Militärakademie 174 für Artillerie Der Erlaß und Genie, zusammen 796 zugelassen werden durften .
stimmte
vom 8. November,
der durch einen solchen vom 15. November er-
gänzt wurde, erlaubte die Ernennung von 230 Hauptleuten der Infanterie, 40 der Artillerie, 20 des Genies, 15 des Intendanturdienstes , 40 Stabsärzten über die vom Gesetz vom 2. Juli 1912 genehmigten der Infanterie über den Etat hinaus und warf, da die Bestimmungen vom 1. November 1914 ab Kraft haben sollten , im Budget bis zum Der Ergänzungserlaß 31. Dezember 1914 250000 Lire dafür aus. vom 15. November bestimmte, daß 170 Hauptleute der Infanterie, 55 der Kavallerie, 110 der Artillerie, 30 des Genies, 20 des Verpflegungsdienstes , 30 Stabsärzte, 15 Stabsveterinäre außer Etat gestellt werden und bis zum 31. Dezember 1916 aufgebraucht werden sollten. Dafür wurde dem Voranschlag des Kriegsbudgets 1914/15 bis zum 31. Dezember 1914 der Betrag von 84000 Lire hinzugefügt . Im ganzen durfte man also sofort 420 Oberleutnants aller Waffen und Dienstzweige sofort zu Hauptleuten befördern. Um den Nachweis an Unterleutnants zu steigern, durften so viele Marschälle und Unteroffiziere zu Leutnants aufrücken , als der zulässige Bestand des Gesetzes vom 8. Juni 1913 noch Lücken aufwies. Die Patentierung der Zöglinge der Militärschulen sollte dadurch aber nicht geschädigt werden. Unterleutenants der Reserve, die 1912 , 1913 und 1914 an den Prüfungen für die Übernahme in die aktive Armee teilgenommen und die sie ineinzelnen Fächern nicht bestanden hatten, dürfen sich in diesen Ohne Rücksicht auf Fächern Wiederholungsprüfungen uuterziehen. Prüfungen
können
Besitz
der
sich ein Jahr im aktiven Dienst,
da-
Ersatz- (Reserve-) Offiziere ,
Militärtapferkeitsmedaille sind,
die
im
von ein bis zwei Jahre in Lybien befinden , in die aktive Armee überEin weiterer Erlaß betrifft die Aufhebung der nommen werden. Altersgrenze für Offiziere bis zum Oberst einschließlich bis 31. DeDie von der Altersgrenze erreichten Offiziere können
zember 1915.
an den Befehlsstellen ,
die sie inne haben,
bleiben und entsprechend
59
Die Kriegsbereitschaft Italiens am Ende des November. viele Offiziere derselben Waffe über den Etat gehalten werden .
Sie
können , auch wenn sie zur Verfügung des Kriegsministers gestellt werden , mit ihren Hinterleuten zu den nächst höheren Dienstgraden aufrücken. Bewilligungen höherer Beträge im Kriegsbudget 1914 15 bringen drei Erlasse, wenn wir von dem vierten , der 46 Millionen außerordentlicher Ausgaben für Lybien im zweiten Semester 1914/15 dem Budget hinzufügt, absehen. Der erste der drei Erlasse drückt sich über die Verwendung von 400 Millionen ,
die dem Kriegsbudget
1914/15 weiter zur Verfügung gestellt werden , allgemein aus,
indem
er sagt , daß sie zu Lieferungen und Arbeiten, die Erhaltung der größeren Zahl von Mannschaften unter den Waffen, sowie andere Ausgaben, die die internationale Lage notwendig macht, verwendet werden sollen. Der zweite fügt dem Extraordinarium des Kriegsbudgets 1914/15
weitere 46 Millionen zu ,
und zwar 8 Millionen
für schwere Küstenartillerie und Belagerungsparks, 8 Millionen für Arbeiten an Land- und Küstenbesetzungen , 30 Millionen für militärische Gebäude, Schieß- und Übungsplätze , Remontedepots . Der dritte Erlaß erlaubt in dem Extraordinarium des Marinebudgets 1914/15 200
weitere Millionen über den Ansatz hinaus auszugeben.
Sie
werden u. a.
nach der Erklärung des Marineministers Viale Verwen-
dung finden
zur Vermehrung der
schwerrn
Kaliber an
Bord der
Schlachtschiffe Typ Dante, der Torpedofahrzeuge und der Unterseeboote. Rechnet man diese Summen zu den bis zum 12. Oktober für Rüstungen bewilligten , so wird die Milliarde bereits überschritten . Man wies also in fünf Monaten mehr an , als sonst in Jahren. Die Maßnahmen
auf
organisatorischem
Gebiete
sind
in zwei Monaten so umfassend gewesen , wie sonst in Jahren , sie gehen zum Teil sogar über den Rahmen des Organisationsgesetzes vom 27. Juni 1912 hinaus. Am 15. November wurden 2 Abteilungen und 6 Batterien schwerer Artillerie aufgestellt, und zwar je 1 Abteilung bei jedem der beiden schweren Regimenter, bei denen die 3 neuen Batterien die Nummern 8, 9 und 10 erhielten. Am 1. Januar werden die an den durch Gesetz vom 27. Juni 1912 vorgesehenen 36 Feldartillerieregimentern (je drei pro Armeekorps) noch fehlenden 5 Regimenter, nämlich 29 (Verona), 31 (Ancona), 33 (Terni) , 34 (Chieti) und 35 (Bari) aus je 2 von anderen Regimentern abgegebenen Abteilungen gebildet. Die 6 von Heimatregimentern nach Lybien abgezweigten fahrenden Batterien erhalten bei den betreffenden Regimentern deren höchste Nummer, 6, 7 , 8 bzw. 9. Zu derselben Zeit bildet man, unter Benutzungen von 2 Abteilungen und 5 Batterien der durch Gesetz vom 27. Juni 1912 geschaffenen ein drittes
Aufruf Deutscher Offizierfrauen .
60
Gebirgsartillerieregiment , wie die beiden anderen aus 4 Abteilungen zu 12 Batterien und vermehrt den Etat an Offizieren um 1 Oberst, 4 Oberstleutnants, 12 Hauptleute, 25 Leutnants. Die Gebirgsbatterien werden von 1-36 durchnumeriert, die 3 dem 36. Feldartillerieregiment
zugeteilten Gebirgsbatterien von 37-39 numeriert ,
die 7 nach Lybien
abgezweigten von 40–46 .
Damit ist in Grundstrichen ein Bild der gesteigerten Bereitschaft der Wehrkraft Italiens gegeben .
Sie steht auf dem Sprunge,
nach dem Satze zu handeln : ,, Italia fucà da sì". Gegen die berechtigte Wahrung der Interessen des Landes werden Deutschland und 18 Österreich-Ungarn kaum etwas einzuwenden haben.
Der Bund deutscher Offiziersfrauen bittet um Aufnahme nachstehender Notiz .
Die Schriftleitung kommt diesem Wunsche gern nach :
Ein ganz besonderer Notstand herrscht unter den Inhaberinnen von Pensionaten, die zu einem nicht geringen Teil dem Offizierstande angehören, und zahllos sind die dringendsten Gesuche um Vermittelung von Pensionären und Zimmermietern , die bei uns eingehen. Wir bitten deshalb alle dem Offizierstand angehörenden Damen und Herren , bei einer bevorstehenden Reise von uns Pensionsadressen einzufordern .
Auch Zimmer ohne Pension und Junggesellen-
wohnungen sind in großer Zahl bei uns angemeldet.
Bund deutscher Offiziersfrauen, Berlin SW 11 , Hallesche Straße 20.
Literatur.
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Literatur.
1. Bücher. Geschichte des 3. Kgl. Sächs . Feldartillerieregiments Nr. 32. Im Auftrage des Regiments bearbeitet von Oberstleutnant z . D. Hübner. Berlin . Vossische Buchhandlung. Seiner Majestät dem König Friedrich August III. von Sachsen , der sich am 19. Mai 1906 , nachdem das Regiment kaum 17 Jahre bestanden , zu dessen Chef erklärte, ist dieses Buch gewidmet. Es ist nicht leicht, die Geschichte eines Truppenteils zu schreiben , der den Feind noch nicht gesehen hat . Dieser schwierigen Aufgabe ist der Verfasser in sehr glücklicher Weise gerecht geworden . Nach dem ersten, der eigentlichen Geschichte der Truppe gewidmeten Abschnitt , der die organisatorische Entwickelung darstellt, wird eine Vorgeschichte derjenigen Batterien gegeben , aus denen das Regiment entstanden ist. Hierbei wird auch auf deren kriegerische Tätigkei entsprechend ein gegangen . Eine liebevolle Darstellung finden die Garnisonen des Regiments : Freiberg , Roßwein , jetzt Riesa. Weitere Abschnitte behandeln das Offizierkorps nach dem Stande vom Oktober 1913 (dabei auch Bilder der Verstorbenen), größere Friedensübungen , an denen das Regiment teilgenommen hat (Kaisermanöver 1896 , 1903 , 1906 , 1912, Armeemanöver 1909 , vielleicht hätte die große Pionierübung 1898 bei Meißen unter Exzellenz v. d . Goltz, an der Teile des Regiments teilnahmen , mit erwähnt werden können) , dann folgt eine Liste der Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften , die an Überseeunternehmungen teilgenommen haben und eine solche der beim Regiment bestehenden Stiftungen . Anhang 1 gibt die direkten Vorgesetzten des Regiments seit seiner Gründung, Anhang 2 eine fortlaufende Rangliste bis zum Hauptmann abwärts, Anhang 3 eine graphische Darstellung der Entstehung und Entwickelung des Regiments. Die Anhänge sind hervorragend übersichtlich zusammengestellt. Das hübsch ausgestattete, mit reichem Bilderschmuck versehene Buch wird allen Angehörigen des Regiments eine willkommene, ber. lehrende Gabe sein. Das Preufsische Heer der Befreiungskriege. Herausgegeben vom Großen Generalstab , kriegsgeschichtliche Abteilung II. Band 2 : Das preußische Heer im Jahr 1813. Mit 7 farbigen Uniformbildern , 2 Textskizzen und 10 Einschlagtafeln . Berlin 1914. E. S. Mittler und Sohn . 14,50 M., geb. 16 M. Der zweite Band dieses bedeutenden Jubiläumswerkes behandelt die denkwürdige Erhebung Preußens im Jahre 1813. Der Höhepunkt der zu schildernden Ereignisse ist damit erreicht worden .
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Es ist ein glücklicher Gedanke gewesen , die Gliederung des Stoffes an die Person Scharnhorsts zu knüpfen , indem der erste Teil die Rüstungen bis zur Wiederberufung des Generals, der zweite die Arbeit. unter seiner persönlichen Leitung, der dritte die Entwickelung des Heeres nach seinem Tode bis zum Ablauf des Waffenstillstandes vorführt. Die Bedeutung dieses wirklich "9 wahrhaft einzigen Mannes " , der durch seine grundlegenden Maßnahmen ein Weiterarbeiten der Rüstungen auch über seinen Tod hinaus sicherstellte, ist so von Anfang an in gebührender Weise hervorgehoben worden. Der erste Teil behandelt die Zeit vom 20. Dezember 1812 bis 28. Januar 1813. Es wird hier die Frage angeschnitten, ob der Befreiungskampf wesentlich früher hätte begonnen werden können . Sie ist vielfach unter dem Hinweise bejaht worden , daß es ein leichtes gewesen sein würde, die aus Rußland zurückflutenden Trümmer der "9 Großen Armee" vollends zu vernichten . Solche Gedanken bewegten ja auch Yorck, als er am 2. Januar 1813 den Grafen Henckel von Donnersmarck zum König schickte, wobei der Graf bat, ihm ein Kavallerieregiment anzuvertrauen , mit dem er dann unfehlbar einen Teil der französischen Marschälle, Generale und Stabsoffiziere gefangen einliefern würde " . Demgegenüber bringt das Generalstabswerk so überzeugende, das Gegenteil beweisende urkundliche Auslassungen, daß man es nicht recht versteht, wenn es trotzdem seiner verneinenden Antwort ein einschränkendes kaum" hinzufügt. Es wäre unfraglich ein schwerwiegender, unverantwortlich leichtsinniger Schritt gewesen, wenn der König angesichts des in Rußland über Napoleon hereingebrochenen Unglücks blindlings losgeschlagen hätte. Der ganze Inhalt des vorliegenden Bandes zwingt zu dieser Auffassung. Fraglich erscheint es nur, ob „ sehr gewichtige persönliche Gründe " des Königs mitgespielt haben . „Es war die allen Gegenvorstellungen zum Trotz mit Zähigkeit festgehaltene Ansicht des Königs" , so sagt das Generalstabswerk, „daß Napoleon sich in Preußen noch weiter ins Unrecht setzen müsse, ehe der Kampf begonnen werden dürfe. Dem innersten Empfinden des Königs widersprach es, einem bisherigen Bundesgenossen, dem er noch vor kurzem zu seinem Einzuge in Moskau ein Glückwunschschreiben gesandt hatte, und mit dem er seit Monaten einen freundschaftlich gefärbten Briefwechsel unterhielt, ohne weiteres den Fehdehandschuh hinzuwerfen ." Man mag die in diesen Worten liegende vornehme und ritterliche Art, rein menschlich genommen , sehr hoch einschätzen , im Munde des verantwortlichen Leiters eines Staatswesens klingen sie jedoch recht bedenklich . Der Mann , der als rücksichtslosester Eroberer das Preußen Friedrichs des Großen mit Füßen getreten hatte, der durfte keine Rücksichtnahme mehr erwarten, am allerwenigsten aber von dem Nachfolger des großen Königs , der die bitteren Tage von Tilsit über sich hatte ergehen lassen müssen . Deshalb erscheint es unverständlich , daß solche persönlichen Gefühle Friedrich Wilhelms neben den ausschlagenden Gründen auch nur mit-
Literatur.
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sprechen konnten . Ein näheres Eingehen auf diese Frage, wenn sie überhaupt berührt werden mußte, wäre somit wohl in dem Generalstabswerke im Interesse der Person des Königs geboten gewesen . Eine Fußnote verweist nur auf die Antwort, die Friedrich Wilhelm auf die Bitte des Grafen Henckel von Donnersmarck, ihm ein Kavallerieregiment zur Verfügung zu stellen , gab : „Für Sie wäre das ganz schön, für mich aber malhonnête." Ein oberflächlicher Leser könnte in dieser Fußnote eine Erklärung für den Standpunkt des Königs suchen , die jedoch nicht in ihr liegt. Denn in diesem Falle hat der König ganz recht. Unfraglich wäre es " malhonnête" gewesen, ein Kavallerieregiment gleich einer Franktireurbande umherziehen zu lassen und aufzuheben, was nur irgend aufhebenswert erschien . Keineswegs aber wäre es „malhonnête" gewesen , die Gunst des Augenblickes auszunutzen , offen und ehrlich den Krieg zu erklären und eine Vergeltung zu üben, deren Stunde weiß Gott schon lange genug gekommen war. Und ebenso darf man nicht vergessen, daß der in den Briefen des Königs an Napoleon zum Ausdruck kommende freundschaftlich gefärbte Ton der Zwangslage des Landes entsprang, daß diese Freundschaftsbeteuerungen und Wünsche somit in erster Linie diplomatischer Natur waren . König Friedrich Wilhelm III. ist lange schwer verkannt worden . Erst unserer Zeit war es vorbehalten, seine Person in ein richtigeres und helleres Licht zu rücken . Auch der vorliegende Band des Generalstabswerkes kann Anspruch darauf erheben , in höchstem Maße an dieser geschichtlichen Würdigung des Königs mitgewirkt zu haben . Um so mehr mußte es deshalb geboten erscheinen , auf die eben behandelten , für die Beurteilung des Königs doch bedeutungsvollen Fragen näher einzugehen . Der nächste Abschnitt behandelt Preußens Rüstungen bis Ende März 1813. Tageweise werden die Rüstungen des Landes vor Augen geführt. Gerade durch diese sorgfältige zeitliche Aufzählung wird das Bild von den gewaltigen Anstrengungen des Staates und der schaffenden, bisher viel zu gering eingeschätzten Arbeit der Regierung in einer Weise gezeichnet, wie es nicht besser hätte geschehen können . Die Ausführung der Rüstungen im einzelnen folgt . Wir lernen die großen Schwierigkeiten kennen, mit denen man in jeder Hinsicht zu kämpfen hatte. Während der nun Ende März begann der Frühjahrsfeldzug. folgenden kriegerischen Vorgänge im April und Mai konnte naturgemäß in der Hauptsache nur an den weiteren, inneren Ausbau der bisher aufgestellten Truppenkörper gedacht werden . Fernerhin war Ersatz für die in den Schlachten eingetretenen Verluste zu schaffen . Diese Arbeiten werden kurz im ersten Teil des III . Abschnittes behandelt, der sich dann den Veränderungen im Heereswesen bis zum Ablauf des Waffenstillstandes zuwendet, um schließlich die Freikorps und Ausländerbataillone, die Landwehr, die Neueinteilung des Heeres
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Literatur.
im Juli 1813 und den Landsturm eingehenden Betrachtungen zu unterwerfen . Es seien aus diesem außerordentlich interessanten Abschnitte , dem man durchweg zustimmen kann, insbesondere die zahlreichen Stärkeberechnungen hervorgehoben . Mit großer Sorgfalt und gewiß großer Mühe zusammengestellt, gewähren sie ein klares, übersichtliches Bild . Mit Genugtuung stellt man fest, daß die in den bisherigen Werken angegebenen Zahlen der Gesamtleistung des preußischen Staates noch übertroffen worden sind. Bis zum 15. August 1813 hatte Preußen 6907 Offiziere, 274416 Mann , 49604 Pferde, 406 Geschütze aufgestellt. d. h. etwa 5,6 Prozent der Bevölkerung waren unter den Waffen ! Keineswegs war dieses Resultat jedoch lediglich der opferwilligen Entschließung der Massen zu danken . Die in weiten Kreisen unseres Volkes verbreitete Anschauung, daß die allgemeine Begeisterung 1813 alles mit fortgerissen habe, wird in hoch anzuerkennender, offener Kritik als ungeschichtlich bezeichnet. Schließlich sei ganz besonders den Kreisen , die immer noch glauben, ohne stehendes Heer auskommen zu können, und zur Begründung ihrer Auffassung mit Vorliebe auf die Befreiungskriege hinweisen , das Studium dieses Bandes nahegelegt. Aktenmäßig wird in ihm nachgewiesen , daß alle Improvisationen versagten , ganz besonders solche, die nicht durch die Schule des stehenden Heeres gegangen waren . Der zweite Band dieses Jubiläumswerkes bietet durchweg hochinteressante Ausführungen. Klar und logisch aufgebaut, vorzüglich geschrieben und ausgestattet, steht er auf einer Höhe, wie wir sie von unseren Generalstabs werken nicht anders gewohnt sind . Wir besitzen in dieser Arbeit jetzt eine authentische Schilderung der Entwickelungsgeschichte unseres Heeres, die maßgebend und grundlegend für jede weitere Geschichtschreibung über die BefreiungsS. kriege sein muß.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde - hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt. 1. Gopčević, Geschichte von Montenegro und Albanien . Gotha 1914 . Friedr. Andr. Perthes A.-G. 8, - M. 2. Deutschland und der Weltkrieg. Die Entstehung und die wich-tigsten völkerrechtlichen Ereignisse des Krieges, unter Abdruck aller wichtigen Dokumente . Dargestellt von deutschen Völkerrechtslehrern . Breslau 1914. J. U. Kern's Verlag. 4. M. 3. Sussmann, Die Armeen der Balkanstaaten . I. Serbien und Montenegro, II. Türkei und Griechenland. Leipzig. Verlag von Moritz Ruhl . Je 1,50 M. Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.
sehr geehrten Leser müssen wir
Unsere Nachsicht
für
den
stark
verringerten
Umfang
um gütige des vor-
liegenden Februarheftes bitten. Die
augenblicklich
Zensur hat gelassen .
sehr strenge Handhabung der drei Aufsätze zur Veröffentlichung nicht zu-
Die dadurch entstandenen Schwierigkeiten hoffen
wir baldmöglichst zu beheben.
Die Schriftleitung.
VII.
Britische Heeres vermehrungsphantasien und Frenchs Drang nach der Küste schon im
Oktober.
Von
F .... · n.
Wenn die Briten an Streitern in Europa besäßen , was von Kitchener beantragt und bewilligt worden ist, ständen ihnen zwei Millionen zur Verfügung. Wenn sie diese gewaltige Kraft gut geschult, zweckmäßig gegliedert, modern bewaffnet und geschickt geführt früher, etwa im September, Oktober, auf französischem Boden einzusetzen vermocht hätten, waren sie vielleicht imstande, dem Kriege Die vielen " Wenns" sind die eine andere Wendung zu geben. Sehr Praxis , die britischen Streitkraftvorspiegelungen die Theorie. sonderbar mutete es schon an, daß die „ Times " bei Bekanntwerden der Kitchenerschen Heeresvermehrungspläne für den Krieg, dem Hymnus auf die gewaltige Kraft, die England auch zu Lande entwickeln werde, die Bemerkung folgen ließ : „ Viele Offiziere sprechen es aus, daß sie eine durch brauchbare Kaders eingerahmte Armee von 5 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 521.
66
Britische Heeresvermehrungsphantasien .
8 Divisionen einer sehr viel größeren , aber weniger brauchbare Kaders besitzenden, wesentlich vorziehen . Die feindlichen Massen zwingen uns aber, auch viele Truppen aufzustellen. " Neben vielen anderen ist die Kaderfrage auch einer der Ecksteine des Anstoßes für die beschlossenen Neubildungen, obwohl man in der Ernennung von jungen Leuten mit Sport- , aber nicht militärischer Vorbildung , wie von Unteroffizieren, zu Offizieren absolut skrupellos vorgegangen ist. Britische Beurteiler sprechen es offen aus, daß man junge Leute zu Offizieren gemacht, die selbst kaum ein Gewehr halten könnten und keine militärische Schulung besäßen, dafür aber rohes Soldatenmaterial in kürzester Zeit zu brauchbaren Feldkriegern pressen sollten. 29000 neue Offizierpatente habe man, so wurde jüngst im Parlament erklärt, verliehen. und zwar an Leute,
die kaum drei Monate militärische Ausbildung
überhaupt erhalten hatten . Ende Oktober rechnet man bei dem sogenannten Expeditionskorps nach der „Times" mit rund einem Drittel des Sollbestandes an Gefallenen , Verwundeten und gefangenen Offizieren und hat ohne jeden Zweifel nach dieser Richtung zu niedrig gegriffen. Aus den Berichten des britischen Oberbefehlshabers French, die von der Times wiedergegeben worden sind, wissen wir, daß in der letzten Dekade Oktober in Frankreich bzw. Belgien, vorhanden waren, das sogenannte Expeditionskorps aus 3 Armeekorps I. Korps Haig, II . Korps Smith Dorrien , III . Korps Pulteney , 6 Divisionen, 2 Kavalleriedivisionen, Armee- und Ersatztruppen, 1 kombiniertes Korps Nr . IV unter General Rawlison aus der 7. Infanterie- und 3. Kavalleriedivision zusammengesetzt, zu welchen später
noch
die
8. Infanteriedivision
(wie
die
7.
aus
abgelösten
Truppen der Kanal- , Mittelmeergarnisonen, wie Ägyptens usw. ) trat. Dieses kombinierte IV. Korps war in Ostende gelandet, wie auch die Royal Marine-Brigade aus den Bataillonen 9-12 im September. Die Qualität von zwei Marinebrigaden in bezug auf Ausbildung ist bei Antwerpen deutlich genug hervorgetreten. Der vom Parlament genehmigte Plan Kitcheners für die „ Heeresentwicklung und -einteilung während des Krieges "
rechnete,
neben dem Expeditionskorps ,
mit
drei neu gebildeten Armeen, die, mit der 8. des Expeditionskorps, zusammen 26 Infanteriedivisionen ergeben sollten. Die II . Armee aus der 9. , 10. , 11. , 12. , 13.
und
Frühjahr 1915 kriegsverwendbar sein.
14. Infanteriedivision
sollte im
Die Divisionsstäbe und die bis
Nr. 79 bezeichneten Brigadestäbe wurden gleich aufgestellt und ihre Führerstellen , wie auch die Adjutantur, fast durchweg mit verabschiedeten Offizieren besetzt . Stäbe allein reichen aber für das Feld nicht aus. Die Verbände der zunächst zu bildenden II. Armee sollten
Britische Heeresvermehrungsphantasien.
67
aus den freiwillig sich meldenden und auszubildenden Leuten - wozu doch brauchbares Ausbildungspersonal erforderlich ,
aber nicht vor-
handen war und freiwillig sich meldenden ganzen Einheiten der Territorialarmee sich zusammensetzen. Die Haldanesche Reform der Territorialarmee hatte man vor dem Kriege in England selbst als vollkommen gescheitert bezeichnet, für auswärtige Verwendung über See haben sich damals nur 19000 Mann bereit erklärt .
Die
ausgebildeten Mannschaften
fehlen
stark.
Man
darf auch nicht vergessen, daß zu normalen Zeiten schon unter den angeworbenen Mannschaften / als zu jung oder nicht hinreichend körperlich entwickelt, nicht feldverwendbar sind, und daß bei den Massenanwerbungen, wo Stocken auf dem Arbeitsmarkt ganze Haufen von Elementen aller Art gern die angebotene Löhnung mitnehmen läßt, der Prozentsatz noch ein sehr viel höherer ist. Nach britischen Berichten, selbst solchen von höheren Offizieren, haben die Desertionen . zudem in einer Weise an Umfang gewonnen, daß auf 1000 Mann manchmal 400 zu entkommen suchten. Manneszucht fehlt bei den aus Freiwilligen neuformierten Truppenteilen, wieder nach Berichten britischer Offiziere, vollkommen . Die Spezialreserve , die bei Ausbruch des Krieges rund 60000 Mann zählte, ist, wenn sie selbst bis zum letzten Mann felddienstfähig gewesen sein sollte, aufgebraucht, da sie die abgelösten Mittelmeer- und Kanalgarnisonen zu ersetzen hatte, außerdem ihre Aufgabe war, die Ersatzformationen zu füllen und die britische Verlustliste namentlich bis zum 1. Dezember schon 3694 Offiziere, rund 39 700 Mann an Toten und Verwundeten aufzählte, die Massenverluste im Dezember darin noch nicht einbegriffen sind , und die Zahl der Gefangenen 492 Offiziere und 19 000 Mann beträgt. Die Auffüllung der I, Armee macht also
den Briten
schon schwere
Sorge und übereilt ausgebildete Leute sind als Ersatzmannschaften schon nachgeschoben worden. Mit der vollen II . Armee wird man als feld dienstverwendbar sobald nicht renommieren können. Noch drei Monate nach Aufstellung ihrer Einheiten haben viele von diesen keine Uniform besessen und nur veraltete Gewehre geführt. Ob man bis zum Frühjahr mit der ganzen kriegsmäßigen Bekleidung und Ausrüstung dieser zweiten Armee fertig wird, ist mehr als fraglich, in bezug auf Schulung für den Feldkrieg negativ sicher. Die II. Armee wird auch in bezug auf Artillerieformationen absolut auf Improvisationen angewiesen sein. Alle in England vorhandenen fahrenden Feld- und schweren Batterien sind für die acht in Frankreich
stehenden Divisionen der I. Armee aufgebraucht,
und
mehr als das, da doch auch verloren gegangene Batterien zu ersetzen waren. Für die II muß man mit absoluten Neubildungen bei 5*
68
Britische Heeresvermehrungsphantasien .
in der Praxis wenig erfahrenem Kaderpersonal rechnen .
Ausbildungsund Führerpersonal lassen sich aber nicht improvisieren . Nimmt man optimistisch selbst an, daß man mit 8,38 cm-Geschützen für die 54 Kanonenbatterien der 6 Divisionen der II. Armee genügend versehen ist, so bestehen doch berechtigte Zweifel darüber , ob man heute die erforderlichen neuen 11,75 cm- Haubitzen ( 108 ) in die Hand der Truppen liefern kann. Von indischen Truppen wissen wir zwei Divisionen, davon die Lahoredivision , in Frankreich vorhanden, die letztgenannte anfangs November rechts von dem dritten britischen Korps, das Armentières gegenüberstand. Die indischen Truppen sind aber sehr bald auf die britischen und französischen verteilt worden. Wenn in der letzten Dekade vom Eintreffen britischer Truppentransporte in Havre berichtet wurde , so halten wir diese für Kontigente aus den Dominions und britische Ersatzmannschaften , beide , wenn nicht absolut unter dem Durchschnitt, so doch höchstens mäßig für Feldzwecke ausgebildet.
Wir glauben
nicht zu niedrig zu greifen, wenn wir den fechtenden Stand der Briten in Belgien bzw. Nordfrankreich mit 260000 Mann heute ansetzen. Wohl ist es möglich, daß man in Calais und Toulon Truppenverbände, selbst neue Armeekorps in nicht festzustellender Stärke gebildet hat. Eine operationsfähige Offensivtruppe hat man in ihnen sicher aber nicht zu sehen . Man hat nun in England von 6 Armeen gesprochen, 6 Armee-Oberkommandierende ernannt, von denen 2 schon in Frankreich vorhanden. Unklar bleibt aber, wieviel Verbände von diesen Armeen bestehen. Mit Eintragungen in die Rekrutierungslisten ist ebensowenig ausgerichtet , wie mit Verleihung von Offizierspatenten. Wir stehen der Bildung von mehreren neuen Armeen skeptisch gegenüber . Der jüngste , von der „ Times " veröffentlichte Bericht Frenchs, den er die Schlacht von Ypern - Armentières nennt , berücksichtigt Franzosen und Belgier
nur so weit, als es zum Verständnis
notwendig ist. Er hat für uns aber insofern besonderes Interesse , als aus ihm zu ersehen ist , daß der Gedanke der Umfassung des deutschen rechten Flügels beim britischen Oberkommando schon vor dem Drang nach der Küste vor Ende Oktober , d. h. zu einer Zeit in den Hintergrund getreten ist, zu welcher das Streben nach Umfassung beim französischen Generalissimus Joffre und dem über alle Truppen nördlich von Noyon den Oberbefehl führenden General Foch noch bestanden hat. Auf französischer Seite ist die Hoffnung, diese Umfassung doch noch bewirken zu können und damit die Deutschen zur Aufgabe der sog . Aisnestellung zu zwingen, wohl erst verblaßt, nachdem starke deutsche Kräfte auf
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Britische Heeresvermehrungsphantasien.
Nieuport -Dixmuiden - Ypern
vorgegangen
waren.
Nach
Frenchs
Bericht war zu Anfang Oktober die Stellung an der Aisne voll ausgebaut, waren neue französische Verstärkungen eingetroffen und wurde die Lage so beurteilt, daß man die britischen Truppen ohne Gefahr hier fortziehen und zur Verlängerung des linken Flügels der Verbündeten verwenden konnte. Man hatte damals auf französisch - britischer Seite nicht den Gedanken an einen Durchbruch , sondern an eine Umfassung.
Die Verschiebung der Briten,
die über 150 km
betrug, wollte man schnell und überraschend, vom Gegner unbemerkt, bewirken und zwar sie in der Reihenfolge Kavalleriedivisionen II. III. Korps in das neue Gelände gelangen lassen,
und
zwar zumeist
per Bahn, dann erst das I. Korps . Die Ausgangspunkte der späteren Operationen, St. Omer -Aire - Béthune sind auch sämtlich an der Bahn gelegen.
Mit dem Oberkommandierenden der Truppen nördlich
Noyon wurde ein Operationsplan verabredet. Am 10. Oktober hatte man, von links nach rechts gerechnet, bei St. Omer das III. britische Korps , dann britische Kavallerie zwischen Aire und Hazebrouk, von Aire im Norden bis in die Höhe von Béthune im Süden II . britisches Korps , zwischen Béthune und La Bassé X. französisches Korps .
Das
II. britische Korps sollte aus der genannten Linie, das französische X. Korps als Pivot betrachtend, gegen die rechte deutsche Flanke südöstlich einschwenken , die britische Kavallerie diese Bewegung nördlich decken, bis das III. britische Korps von St. Omer vorgerückt war. Dann sollte die britische Kavallerie den äußersten linken Flügel einnehmen. Die Strasse Lille - Béthune war als Trennungslinie der französischen und britischen Bewegungen bestimmt. Nach Brechen des Widerstandes wollte man die allgemeine Bewegung nach Osten fortsetzen.
Das kombinierte IV. britische Korps sollte die Rückwärts-
bewegung der Belgier decken.
Schon am 11. Oktober hatten die zu
einem Kavalleriekorps unter General Allemby vereinigten britischen Kavalleriedivisionen 1 und 3 nach Frenchs Bericht schwere Kämpfe mit deutscher Kavallerie zu bestehen und zwar nördlich des Kanals Béthune -Aire.
Die deutsche
Heeresleitung erkannte
bald die Um-
fassungsabsicht der Verbündeten gegen ihren rechten Flügel und schob Abteilungen nach Lille vor, das wieder besetzt wurde. Am 12. Oktober begannen die britischen Verbände die von ihnen als Umfassung bezeichneten Operationen.
Die Kavallerie ging ziemlich
weit östlich St. Omer vor, das III . Korps bei Hazebrouk, das französische Kavalleriekorps Conneau weit östlich Aire, das II . britische Korps zwischen Merville und Béthune, das X. französische Korps südlich der Straße Béthune - La Basse, noch westlich von diesem. Am 15.
Oktober und den
folgenden Tagen wollte der Führer des
70
Britische Heeresvermehrungsphantasien.
II. britischen Korps Fournes ,
an der Strasse La Bassé -Lille , er-
reichen und gegen Flanke und Rücken des östlich La Bassé stehenden Gegners vorgehen, traf aber auf sehr starken Widerstand von 4 deutschen Kavalleriedivisionen, die durch Jägerbataillone und einzelne Truppen vom
XIX . Korps unterstützt wurden.
Die deutsche Heeresleitung
fand dadurch Zeit, den rechten Flügel zu verstärken. Auch das III. britische Korps kam, nach Frenchs Bericht, nur langsam vorwärts, scheint aber auch nicht ordentlich aufgeklärt zu haben , da es am ansetzte Feind
14. Oktober noch einen Angriff auf Bailleuil um es zu seiner größten Überraschung vom
frei
zu
finden
und
einen
absoluten
Luftstoß
zu
machen. Auf der nördlichen britischen Flanke operierte dabei das volle Kavalleriekorps Allem by. Es hat nicht aufgeklärt , die feindliche rechte Flanke nicht beunruhigt , auch die deutsche Kavallerie nicht aufgesucht. Der Führer des III. britischen Korps, Pulteney , der nach Osten vorgehen sollte. hatte von French die Weisung, damit zu rechnen, daß die Unterstützung des II . Korps ein Einschwenken nach Süden nötig machen . könne . Für den 15. Oktober wurde denn auch dem III. Korps befohlen,
die
Lys
zwischen Sailly und Armentiéres zu besetzen .
Am
15. Oktober finden wir die Lys von Werwick bis Armentières durch britische Kavallerie besetzt, von da bis Estaire durch das III . Korps , auf dem anderen Ufer der Lys , bis in die Höhe von Béthune reichend , II. Korps , rechts von diesem das französische X. Korps. Deutsche Angriffe zwangen das II. britische und X. französische Korps bald . zur Defensive. Das kombinierte britische IV. Korps stand am 16. Oktober mit der 7. Division in der Linie Zonnebeeke -Gheluveldt - Zandvoorde , mit der 3. Kavalleriedivision in der Linie Langemark - Poelcapelle, von ihr das französische
Kavalleriekorps Conneau,
das
links
IV. Korps
durch je eine französische Landwehrdivision bei Ypern und Poperinghe unterstützt. Der Führer des britischen IV. Korps erhielt den Auftrag, am 18. den Übergang über die Lys bei Menin zu nehmen ließ sich also immer noch der Umfassungsgedanke aber, aus Besorgnis vor starken deutschen Kräften, auf die er treffen könnte, davon abhalten und war am Abend des 20. Oktober in seine alte Linie Zonnebeeke― Geluveldt - Zandvoorde zurückgekehrt . 19. Oktober
stand
das
britische I.
Korps
in
St.
Am
Omer-
Hazebrouk nach seiner Ausschiffung zur Verfügung, hinter ihm die Lahoredivision.
French spricht in seinem Bericht bei Angabe dieser
Lage die Ansicht aus, die zur Verfügung stehenden Truppen seien unbedingt zur Abwehr zu verwenden. Der Umfassungs-
71
Kavallerie an der Front.
gedanke hat nachweisbar sicher bei der französischen Oberleitung damals noch bestanden. Trotzdem - und obwohl er von dringendem Bedarf zur Abwehr spricht hat French dem britischen I. Korps die Richtung auf Thourout ,
mit dem Ziel Brügge
gegeben , das es nehmen und den Gegner auf Gent werfen sollte , die Deutschen hindernd , die Kanalküste zu erreichen.
So Frenchs Gedanke, der wohl die Umfassung des deutschen
Flügels in Nordfrankreich als von ihm aufgegeben klar erkennen läßt. Daß Frenchs Plan ins Wasser fiel, steht auf einem anderen Blatte.
VIII .
Kavallerie an der Front.
Von Frhr. von Welck, Oberstleutnant a. D.
Die
ersten sechs Monate des Völkerkrieges,
der sich mehr und
mehr zu einem Weltkriege ausgestaltet hat, haben gezeigt, daß vielfach neue Kriegslehren und eine neue Kriegführung maßgebend waren, daß die Strategie und Taktik,
die bisher die Grundlagen der Krieg-
führung bildeten und die uns ein Friedrich d . Gr. , ein Napoleon, ein Clausewitz und sogar Moltke noch gelehrt haben, nicht mehr volle Gültigkeit beanspruchen konnten. Es ist für einen Mann, der die Kriegsereignisse der Jahre 1866 und 1870/71 mit erlebt und die Art der damaligen Kriegführung aus eigenen Erfahrungen kennen gelernt hat, nicht leicht, sich in der heutigen Kriegführung zurechtzufinden . Wir wollen nicht um 100 Jahre, auf die Napoleonischen Kriege zurückgehen, sondern wollen unsere Blicke nur auf die Kriege in der Mitte und am Schlusse des vorigen Jahrhunderts lenken, Überzeugung und Krieg beinahe Neues bietet.
zu dem Bewußtsein zu gelangen,
um zu der
daß der jetzige
auf allen Gebieten und in jeder Hinsicht absolut In erster Linie tritt dies in die Erscheinung , wenn
man die Zahlen verhältnisse der kämpfenden Heere betrachtet. An die Stelle von Zehntausenden treten heute Hunderttausende, und an Stelle von Hunderttausenden Millionen . Die Gliederung dieser Massenheere bietet schon um deswillen Neues , weil sie mehr oder weniger mit dem Schleier des Geheimnisses umgeben wird.
Bei Aus-
72
Kavallerie an der Front.
bruch des Krieges 1870/71 kannte man schon nach den ersten Tagen die Formation der beiden Heere, man kannte die Namen der kommandierenden Generale, die Vereinigung
von Armeekorps zu Armeen
und ihre Führer, die Bildung von Kavalleriedivisionen ; alle Operationen der beiden Heere wurden durch genaue Berichte der Armeeleitung und
durch die Presse bekanntgemacht, niemand war im ungewissen ,
wo sich der oder jener Truppenteil befand und welche Truppen an den verschiedenen Schlachten und Gefechten teilgenommen hatten. Die Kriegführung selbst bestand, wie es von jeher gewesen war , aus Märschen und Zusammenstößen, die mehr oder weniger scharf voneinander geschieden und zeitlich und räumlich begrenzt waren. am
18.
August
1870
eine
für
damalige Verhältnisse
Wenn
sehr
aus-
gedehnte Schlacht stattgefunden hatte, so wußte man wenige Tage später auch in der Heimat, daß „ die Schlacht von St. Privat " geschlagen worden war. die drei Hauptwaffen :
Die Kampfmittel boten in der Hauptsache Infanterie , Kavallerie und Artillerie. Über-
raschungen konnte es in dieser Beziehung für beide Teile nicht geben , denn man kannte die Waffen des Gegners und ihre Eigenschaften schon vor dem Kriege genau, so daß die Überlegenheit der deutschen Artillerie und die Überlegenheit der französischen Infanterie hinsichtlich der Bewaffnung
nichts Unerwartetes bot.
zösische
allerdings
Armee
Mitrailleuse,
bediente
sich
einer
neuen
Die franWaffe,
der
die aber ohne großen Erfolg war und jedenfalls keinen
Einfluß auf die Kriegführung gewinnen konnte. Auch die strategischen Grundsätze und die Gefechtsweise des Gegners waren bekannt . Der ganze Krieg, und ebenso die in diesem Jahrhundert noch folgenden, gliederten sich in bestimmte Momente : Die Heere stießen aufeinander , es kam zur Schlacht, der Feind wurde geschlagen, mußte den Rückzug antreten und wurde verfolgt oder fiel in Gefangenschaft (Sedan). Erst wenn neue Truppen zur Verfügung standen, fanden neue Unternehmungen statt, es kam zu neuen Gefechten oder Schlachten,
und
so bestand der ganze Krieg
aus
einzelnen, von-
einander geschiedenen Zusammenstößen und Belagerungen,
deren Er-
gebnis schließlich den ganzen Feldzug entschied. Neue Erscheinungen und Maßnahmen auf dem Gebiete der Taktik machten sich zum ersten Male und nur bis zu einer gewissen Grenze geltend im Russisch- Japanischen Kriege Spatenarbeit, Verwendung schwerer Geschütze als Feldgeschütze und im Balkankriege, wo noch die Benutzung von Flugzeugen in sehr beschränktem Maße dazu trat.
Die Erfahrungen
dieser beiden Kriege
wurden von den
Generalstäben der europäischen Großmächte gewissenhaft verfolgt und sind vielfach bei der Führung des jetzigen großen Krieges be-
73
Kavallerie an der Front.
achtet und ausgestaltet worden . Es bezieht sich dies in der Hauptsache auf die Verwendung der Kraftwagen, des Telephons, der Steilfeuergeschütze, der Lichtsignale, der Luftschiffe und Flugmaschinen und ganz besonders auf die ausgiebige Benutzung des Spatens für Infanterie und Artillerie. Hier drängt sich uns nun die Frage auf: Welchen Einfluß hat die neue Taktik und die völlig veränderte Art der Kriegführung speziell auf die Kavallerie ausgeübt ?
Hat über-
haupt eine Änderung in der Verwendung der Kavallerie stattgefunden, und haben die ersten sechs Monate dieses Krieges den Beweis erbracht, daß die Zeit der Kavallerie vorüber ist, daß sie gegenüber der Wirkung der heutigen weittragenden Feuerwaffen der Artillerie und Infanterie keinen oder doch nur ganz geringen Wert als Gefechtswaffe mehr hat und daß auch ihre wichtige Aufgabe der Aufklärung vollständig übergegangen ist auf die Luftschiffe und Flieger ? war ja die Überzeugung, Presse
und in
die von vielen Seiten,
den Volksvertretungen,
Das
namentlich in der
aber auch
in
militärischen
Kreisen ausgesprochen wurde . Es würde zu weit führen , wollten wir hier auf solche Ansichten und Urteile näher eingehen, wir wollen nur an die Verhandlungen des Deutschen Reichstages vom Jahre
1913
erinnern, wo über das Thema des jetzigen Wertes der Kavallerie viel gesprochen wurde bei Kosten
für
Gelegenheit
Aufstellung
von
6
des Antrags der Regierung,
neuen
Kavallerieregimentern
die zum
Schutz der Ostgrenze zu genehmigen. Da war es namentlich der Abgeordnete Noske, der sich sehr entschieden dagegen aussprach und der eine lange Rede mit der Feststellung" beendete, daß es ganz unbestreitbar" sei, daß in allen großen Kriegen der letzten Jahre die Reiterei einen ganz geringen oder gar keinen Einfluß auf den Ausgang der Feldzüge auszuüben vermochte. Auch ein anderer Redner meinte , daß die Forderung der 6 Regimenter eine Überschätzung des Wertes der Kavallerie bedeute. Kriegsminister von Heeringen trat demgegenüber warm für den Wert und demgemäß auch für die geforderte Vermehrung der Kavallerie ein. „Wir bedürfen" , sagte er, „der Kavallerie, die aufklären muß, aber auch die Gefechte durchführen helfen muß. Es ist durchaus unrichtig, wenn immer wieder gesagt wird, daß die Rolle der Kavallerie in zukünftigen Kriegen ausgespielt sei. Nein , gerade umgekehrt wird es unter Umständen der Fall sein . " Er führte dies des näheren aus und verwies schließlich
auf die Unentbehrlichkeit der Kavallerie zur Verfolgung.
Früchte des Angriffs,
die man
„ Die
nach der Erleidung großer Verluste
einheimsen muß, liegen in der Verfolgung ... Da ist die Kavallerie an ihrem Platze . Halben Erfolg zum ganzen stempeln und unter Umständen
tausenden und abertausenden neuen Opfern vorbeugen.
74
Kavallerie an der Front.
Das Vorhandensein gut geführter zahlreicher Kavallerie Feldzug
nicht
nur entscheiden ,
sondern
vor
kann einen
allen Dingen be-
enden. " Jetzt ist nun der „ zukünftige Krieg " , auf den hier von beiden Seiten hingewiesen wurde, um die Notwendigkeit oder Nichtnotwendigkeit der Kavallerie zu beurteilen, eingetreten , und die Frage liegt vor : Wer hat recht gehabt ?
Nun, was unsere Kavallerie in den
ersten drei Monaten des großen Kriegs geleistet hat und was die mangelnden Leistungen der französischen, belgischen und auch der englischen Kavallerie in dieser Zeit geschadet haben, das liegt jetzt klar vor aller Augen, und wir verweisen in dieser Beziehung auf unseren Rückblick" im Oktober- und Dezemberheft dieser Zeitschrift. Im zweiten Vierteljahr haben sich die Verhältnisse allerdings vielfach geändert, weil die Kriegführung in ein anderes Stadium getreten ist. Auf dem westlichen Kriegsschauplatz standen sich die Heere , nachdem die Fühlung der großen Armeen gewonnen war, in langer Front gegenüber, beiderseitig auf den Moment wartend, der einen offensiven Vorstoß begünstigte .
Wie zwei Fechter, die gegenüber in Deckung
liegen und auf die Blöße warten, die sich der Gegner geben soll. Die Tätigkeit der beiderseitigen Kavallerie machte sich in Umgehungsversuchen unserer rechten, der französischen linken Flanke und in den entsprechenden Abwehrmaßregeln geltend . Meistens entzog sich aber die gegnerische Reiterei, namentlich die französische, jedem ernsten Zusammenstoß und ließ uns unbehindert in Front und Flanke weit vordringen.
Wir finden unsere Kavallerie in den ersten Oktobertagen
schon auf dem Vormarsche gegen Antwerpen, dessen Belagerung ins Auge gefaßt war, und am 3. Oktober drang sie bereits über Durse! nach Linth (an der Eisenbahn Mecheln - Antwerpen, westlich Lierre) vor. Im nördlichen Frankreich konnten unsere berittenen Truppen noch weiter nach Westen vordringen, und vom 6. Oktober sagt, daß auf dem linken
ein französischer Bericht Flügel französischen
sich immer mehr ausdehnt und große und bedeutende deutsche Kavalleriemassen aus der Umgebung von Lille gemeldet werden. Dort, westlich von Lille und von Lens, sind unsere Reiter
die Front
auf feindliche Kavallerie gestoßen und haben sie zurückgeworfen ; zwei Tage später sind wir bereits in der Gegend von Armentières , wo es zu einem erneuten Zusammenstoß mit französischer Kavallerie kommt. Der französische Umgehungsversuch wird , ebenso wie der beabsichtigte Vormarsch gegen Arras, nach französischen Berichten zum großen resolute Vorgehen der deutschen Reiterei, Teil vereitelt durch das die nördlich Lille die Fortsetzung des großen Umfang versprechenden Kampfes erwartet " . Hier kam es auch am 10. Oktober tatsächlich zu einem ernsten Zusammenstoß der beiderseitigen Kavallerie, bei der
Kavallerie an der Front.
75
bei eine französische Kavalleriedivision völlig , eine andere Hazebrook also noch weit westlicher als Armentières, unter schweren Verlusten geschlagen wurde. Es wird dies durch die amtlichen französischen Berichte vom 12. Oktober bestätigt. Am gleichen Tage wie dieses Gefecht 10. Oktober führte das im Verbande einer Kavalleriedivision stehende Straßburger Husarenregiment Nr. 9 einen erfolgreichen Handstreich aus. Das Regiment , als Seitendetachement aufklärend , stieß auf 200 junge Franzosen, die sich auf dem Marsch nach ihrem Einkleidungsort befanden . Sie wurden gefangen genommen. Etwa 3 km weiter wurde eine unter Bedeckung marschierende Wagenkolonne bemerkt. Die 1. Eskadron der Husaren attackierte sie, von heftigem Gewehrfeuer empfangen ; als die drei anderen Eskadrons zur Unterstützung herbeieilten, hoben die Franzosen die Hände hoch und ergaben sich . Es wurden gefangen genommen : 5 Offiziere, 250 Mann Infanterie ; erbeutet : 36 Pferde und 23 Wagen. etwa 20 — ergriffen die Die bei der Kolonne befindlichen Reiter Flucht, und die in der Flanke befindlichen 3 Kürassiereskadrons , die sich
den
Husaren
entgegenwerfen wollten,
Regimentsruf der Husaren ertönte .
verschwanden,
Zu erwähnen ist noch,
als
der
daß sich
unter den erbeuteten Wagen auch ein schönes Coupé befand, in dem saß .. Die Husaren eine elegante Französin - Zigarretten rauchend verloren 3 Mann und 6 Pferde, während 2 Offiziere nnd einige Husaren verwundet wurden. In diesen Tagen schreibt eine englische Zeitung, daß deutsche Kavallerie bereits nahe bei Dixmude (22 km südlich von Ostende) sei,
und
der
Kriegskorrespondent eines
anderen
englischen Blattes,
- Daily Chronicle " , erzählt, daß er und ein französischer Korrespondent nur mit knapper Mühe der Gefangennahme durch eine deutsche Ulanenpatrouille auf einer Bahnstation Nordfrankreichs entgangen seien, und fügt dem die Bemerkung bei, daß diese Episode zeige, in welch verblüffender Weise die deutschen Ulanen überall auftauchen und wieder verschwinden. von der
99 Zahlreiche deutsche Kavallerie " ,
belgischen Grenze gekommen . . . .
fährt
er fort,
„ ist
Flüchtlinge erzählen ,
daß feindliche Reiterpatrouillen zwischen Armentières , Béthune und den Wäldern bei Dieppe umherstreifen . Sie reiten in kleinen Abieilungen in aller Gemütsruhe durch die Dörfer dieser Gegend, fordern Nachrichten und Essen von den wenigen zurückgebliebenen Leuten und dringen weit vor. Entfernt von der Hauptheeresmacht, erforschen sie die Stellungen der Verbündeten. in ihrem
plötzlichen Auftauchen
Diese Patrouillen
beunruhigen
die einsamen Bauernhöfe nahe der
wichtigen Eisenbahnlinien. Ihr keckes Vordringen an verschiedenen Stellen , wie Hazebrook, versetzt die Bewohner weiter Landstriche
76
Kavallerie an der Frout.
westlich Lille und südlich Béthune in Angst, so daß alle Wege schwarz von Flüchtlingen sind, die von der Benutzung der Eisenbahn abgeschnitten sind. " Wir dürfen hier wohl darauf hinweisen,
daß in allen Berichten
unserer Gegner über das kühne Vordringen kleiner Kavallerieabteilungen in Feindesland nie davon die Rede ist , daß sie sich die geringste Ungehörigkeit gegen die Einwohner hätten zuschulden kommen lassen ! Man vergleiche
damit das Verhalten der russischen Reiter in Ost-
preußen ! Mehr und mehr trat aber der eingangs erwähnte Umstand in die Erscheinung, daß durch Gelände- und Witterungsverhältnisse sowie durch die beiderseitige Art der Kriegführung die Tätigkeit der Kavallerie beschränkt wurde. Fühlung war gewonnen und die Umfassungs- und führten zu keinem entscheidenden Ergebnis . Durchbruchsversuche So entwickelte sich ein Stellungskrieg, der mehrfach den Charakter des Festungskrieges annahm. Die Pioniere rückten in die erste Linie, Ende Oktober und der Spaten verdrängte vielfach die Handwaffen. wird schon berichtet, daß unsere Reiter absitzen, mit dem Spaten arbeiten und mit dem Karabiner an der Seite der Infanterie im Schützengraben kämpfen. Zeitungen vom 25. Oktober schreiben über „Die Schlacht in Flandern " : . . . Auch die Reiterei, die sich in dem durch den Wasserlauf durchzogenen Gelände schwer bewegen kann , sitzt ab , stellt Schützengräben her und kämpft mit dem Karabiner. “ In einem englischen Bericht heißt es : „ Auf dem nördlichen Gebiet, das ganz flach und etwas wellig ist, sind die Verbindungen schlecht, da man stets auf Morast steht, durchschnitten von zahlreichen Deichen und Kanälen. Der Feind besteht meist aus Kavallerie , unterstützt durch Jäger zu Fuß mit vielen Maschinengewehren. " In einem Kriegsbrief vom 2. November schreibt man : „ Zu Fuß mit dem Karabiner haben wir gekämpft und dabei Lorbeeren geerntet. " Man kann also wohl sagen , daß auch unter diesen Verhältnissen die Kavallerie an der Front war und auch im Schützengraben mit Spaten und Karabiner den an sie gestellten Anforderungen voll und ganz gerecht wurde ¹ ). wird diese Verwendung der Kavallerie trachtet,
bei
und wenn es irgend möglich ist,
Immerhin
uns als Notbehelf besteigt sie wieder in den
Sattel und kämpft mit Säbel und Lanze . So haben auch in dieser Zeit ab und zu kleinere Zusammenstöße mit englischer Kavallerie stattgefunden ; in einem englischen Bericht wird z . B. von einem Angriff englischer Kavallerie auf die Höhen von Godewaerswalde und Bailleul
1 ) Wir verweisen hier auf den wertvollen Aufsatz „ Spatenkrieg “ von Generalmajor v. Richter in Nr. 160/161 des Milit. Wochenbl. vom 21. Nov.
77
Kavallerie an der Front.
gesprochen, der von den Deutschen kräftig abgewiesen worden sei. Auch während der Kämpfe bei Ypern in den ersten Novembertagen ist, nach einem Bericht des „ Newyork Herald " , die englische Kavallerie aufgetreten, hätte aber „furchtbare Verluste " erlitten . Die französische Kavallerie scheidet mehr und mehr aus den Reihen der als solche kämpfenden Truppen aus. Nicht allein die erwähnten Geländeverhältnisse, die auch auf die Verwendung unserer Kavallerie von großem Einfluß waren, machten sich geltend , sondern die französische Kavallerie litt unter der ungenügenden Ausbildung der Leute und der mangelhaften Dressur der Pferde, die neben manchen anderen Ursachen eine Folge der zweijährigen Dienstzeit Aus den Berichten französischer Blätter vom Ende Oktober kann man ersehen,
daß in Frankreich selbst die Kavallerie als sehr
minderwertig erachtet wird. Man spricht die Ansicht aus, daß sie nur als „ berittene Infanterie" zu betrachten und zu gebrauchen sei und daß sie bei kavalleristischen Aufgaben gegenüber der deutschen Kavallerie völlig versage . Außerdem macht sich auch jetzt schon der Mangel an geeignetem Ersatz fühlbar, sowohl an Leuten wie an Pferden . Im Feldpostbrief eines bei Lille kämpfenden deutschen Offiziers heißt es : „ Einer Kavalleriedivision glückte es , einen Zug von 700 französischen Reitern abzufangen : uneingekleidete Kinder und Greise ---- ein trauriges Bild . " Der Militärkritiker des „,Corriere della Sera", der
die Ansicht ausspricht,
daß das
französische Heer
im allgemeinen sehr erschüttert sei , sagt hinsichtlich der Kavallerie , daß sie zum großen Teil infolge starker Sterblichkeit der Pferde nur noch zu Fuß kämpfe ; sein,
doch träte es
Kavallerie.
ähnlich scheine es
auch bei der Artillerie zu
bei ihr nicht in der Weise zutage wie bei der
Wenn wir ,
wie oben gesagt,
unsere
Reiter in
dieser
Zeit vielfach in Schützengräben als Infanterie mit Spaten und Karabiner verwendeten, so geschah es aus taktischen Gründen, d . h. weil sie uns unter den gegebenen Verhältnissen so mehr nutzen konnten , nicht aber wegen eines Mangels an ausgebildeten Leuten und Pferden . Daß unsere braven Reiter im gegebenen Falle auch als Pioniere und Infanteristen mit hervorragendem Erfolge verwendet werden konnten, wird ihnen stets zum großen Ruhme gereichen . Können wir uns wohl ein schöneres Zeugnis für unsere ritterliche Waffe denken als die Ansprache, die Se. Majestät der Kaiser am 1. November an seine vor ihm in Parade stehenden Truppen in einer kleinen belgischen Ortschaft hielt und in der er ganz speziell der Kavallerie gedachte. Mit Freuden habe er gehört, sagte Se. Majestät, daß sich die Kavallerie tadellos geschlagen habe . Aufgabe zugefallen ,
Der Kavallerie
wie er es
sei in diesem Kriege eine
nie geglaubt habe .
Mit Seitengewehr
78
Kavallerie an der Front.
und Spaten habe gesagt,
sie gekämpft,
und General v. Marbitz
daß die Infanterie gern und mit Stolz
habe ihm
mit der Kavallerie
gekämpft und gestürmt habe. Er hoffe aber, fügte Se. Majestät hinzu, daß der Kavallerie auch noch Gelegenheit gegeben werde, von ihrer Lanze Gebrauch zu machen ! Diese Anerkennung aus dem Munde des obersten Kriegsherrn wird der Kavallerie jederzeit zum Stolz und Ruhm gereichen und sie zu neuen Leistungen anspornen. Noch erhöht wird diese Anerkennung dadurch, daß fast gleichzeitig ein an die deutschen Reiter gerichteter Erlaß des Kronprinzen von Bayern erschien, in dem es heißt : „ Die Kavallerie hat gezeigt, daß sie im Kampf mit dem Karabiner auch vor befestigten feindlichen Stellungen nicht zurückschreckt, und hat in diesem ihrer Natur nach fernliegenden Kampfe höchst wertvolle Dienste geleistet usw.“ Der Reitersinn, der in unserer Truppe und in ihren Führern waltet, wird uns davor bewahren, daß wir den Karabiner höher schätzen lernten als Lanze und Säbel. Für uns müssen diese stets die Hauptwaffe bleiben und wir können uns nur wohl und in unserem Element fühlen, wenn wir im Sattel sitzen . Man soll nie von uns wie von der französischen Kavallerie sagen können, daß wir ,,berittene Infanterie" geworden und nur als solche noch verwendbar seien . Daß diese Ansicht über die französische Kavallerie nicht nur in der Presse zum Ausdruck kommt,
sondern auch
an maßgebender Stelle geteilt
wird, kann man aus der bekanntgewordenen Verteilung des jetzt eingestellten Rekrutenkontingents 1915 und der Zurückgestellten von 1913 und 1914 ersehen. Die Gesamtzahl der Einberufenen beträgt nach französischen Angaben 220000 Mann , von denen 210340 Mann der Infanterie zugeteilt wurden . Genie- und Luftschiffertruppe ,
Der Rest entfällt auf die Artillerie ,
während die Kavallerie ganz leer aus-
geht. Zum großen Teil soll diese Vernachlässigung der Kavallerie allerdings mit dem schon erwähnten Mangel an Pferden zusammenhängen. Frankreich war ja stets auf den Bezug von Kavalleriepferden aus dem Auslande angewiesen, jetzt liest man aber, daß die Mobilmachung der Kavallerie und der Ersatz der großen Verluste an Pferden in so unverständiger Weise durchgeführt worden ist, daß man das gesamte Zuchtmaterial, namentlich die Mutterstuten, mit eingestellt und dadurch
die ganze inländische Pferdezucht vernichtet
hat. Schon in den ersten Wochen des Krieges sollen Hunderte von Mutterstuten verendet sein. Der dadurch entstandene Verlust wird auf Hunderte von Millionen angegeben. Bezeichnend für den geringen Wert, den man jetzt in Frankreich auf die Kavallerie zu legen scheint , ist es auch, werden.
daß vielfach Kavallerieoffiziere
zur Infanterie versetzt
79
Kavallerie an der Front.
Aus den letzten Tagen des Jahres erfahren wir durch eine englische Zeitung ―― „ Daily Express " daß es ,, zum ersten Male in diesem Weltkriege 1914 " zu einer Massen-Kavallerieattacke gekommen sei, die französische Kürassiere und Dragoner gegen die deutschen Stellungen bei Nieuport geritten haben. Wir haben bis jetzt noch keinen deutschen Bericht über diesen Angriff finden können , uns also einer Besprechung enthalten.
müssen
Wenn diese ,,Massenattacke “
wirklich stattgefunden hat , so wäre es ein Beweis , daß die französische Kavallerie doch noch nicht so unbrauchbar geworden ist , wie man nach den Vorgängen der letzten Wochen und nach den Nachrichten Jedenfalls würden sich französischer Blätter annnehmen mußte. unsere Reiter sehr freuen, wenn ihnen Gelegenheit geboten würde, Lanze und Säbel mit dem Gegner zu kreuzen , anstatt mit dem Spaten zu arbeiten.
Wenn
die englische Zeitung sagt,
daß
es die
erste
große Kavallerieattacke in diesem Kriege sei , so ist dies nicht richtig , denn schon am 24. August fand ein großes Reitergefecht gegen englische Kavallerie bei Thalin in Belgien statt, in dem diese vollständig geschlagen wurde ' ). Ferner kam es am 10. Oktober zu dem großen Reiterkampfe bei Hazebrook, in dem eine französische Kavalleriedivision völlig , eine zweite schwer geschlagen wurde 2) . Auch an der russischen Grenze kam es schon wiederholt zu großen Zusammenstößen der beiderseitigen Kavallerie , so namentlich bei Kosminek, bei Kolo und an anderen Stellen . Wenn wir im vorstehenden die französische Kavalierie als wenig unternehmend und als äußerst minderwertig als berittene Truppe bezeichnet haben,
so
kann
man ein gleiches von der russischen
Reiterei im allgemeinen nicht sagen.
Sie war weit unternehmender
als die französische und wir begegnen ihr vielfach an der Front “ . Sie macht immer von neuem den Versuch, die deutschen und österreichisch-ungarischen Linien zu durchbrechen, namentlich aber unseren äußersten linken Flügel in Ostpreußen zu umgehen. In den großen Kämpfen, die in den letzten Augusttagen zwischen Allenstein und Neidenburg, westlich der Masurischen Seen, stattfanden , hatte General v. Hindenburg die Wilnaer Armee , der 5 Kavalleriedivisionen angehörten, geschlagen (s. Dezemberheft dieser Zeitschrift).
und zum großen Teil vernichtet Während des Septembers hörte
man wenig von der russischen Kavallerie. Erst am 29. September, nachdem die Vereinigung deutscher und österreichisch-ungarischer
1) S. Dezemberheft, S. 501. 2) S. oben .
80
Kavallerie an der Front.
Streitkräfte stattgefunden hatte, wurde amtlich aus Wien berichtet, daß rückgängige Bewegungen des Feindes längs der Weichsel im Zuge sind und daß mehrere feindliche Kavalleriedivisionen vor den verbündeten Truppen hergetrieben wurden. Am 20. Oktober meldet der österreichische Generalstab, daß die vereinigte deutsche und österreichisch-ungarische Kavallerie ein starkes feindliches Kavalleriekorps westlich von Warschau geschlagen habe. Weiteren Operationen
der russischen Kavallerie in großen Verbänden
begegnen wir Anfang November
bei Kolo,
westlich von Kutno in
Polen, wo sie die Warthe überschritten hatte. und über den Fluß zurückgeworfen,
Sie wurde geschlagen
Sie hatte jedenfalls die Aufgabe ,
den Vormarsch des Heeres gegen die deutsche Grenze zu decken . Ihre Stärke wurde auf reichlich 10000 Pferde angegeben, jedenfalls in beträchtlicher Übermacht gegen unsere Kavallerie . Weitere Zusammenstöße, die bekannt wurden , fanden in dieser Zeit noch bei Konin an der Warthe statt (am 10. November), wo unsere Kavallerie ein russisches Bataillon sprengte, 500 Mann gefangen nahm und acht Maschinengewehre erbeutete, und bei Kosminek , östlich von Kalisch (am 11. November), wo unsere Kavallerie ein russisches Kavalleriekorps
zurückwarf.
es ausdrücklich
Der amtliche
österreichische Bericht bezeichnet
als einen Reiterkampf ' ) .
nähere Angaben.
Leider fehlen uns z. Z.
Auch in Galizien versuchten die Russen mit großen
Reitermassen vorzudringen, wurden aber ebenfalls zurückgewiesen . Ganz besonderen Wert scheint die russische Armeeleitung auf die Umgehung unserer linken Flanke in Ostpreußen gelegt zu haben, denn wenige Tage nach diesem eben erwähnten Reiterkampf am 16. und 17. desselben Monats werden starke russische Kavallerieabteilungen , die in Ostpreußen in der Richtung auf Insterburg eingedrungen waren , geschlagen und versuchten
über Pilkallen zurückgewiesen.
russische
Reitergeschwader
In diesem Abschnitt
wiederholt
und
mit
großer
Zähigkeit, ihre Absicht einer Umfassung und eines Vorstoßes in das Herz Ostpreußens durchzusetzen. Am 18. Dezember meldete das Große Hauptquartier, daß an der ostpreußischen Grenze ein russischer Kavallerieangriff westlich Pillkallen zurückgewiesen worden sei und am 30. Dezember hieß es abermals, daß die russische Heereskavallerie auf Pillkallen zurückgedrängt worden sei . Welche Truppen unserseits beteiligt waren bei dieser wiederholten Abwehr, namentlich ob es durch Kavallerie oder andere Truppen geschah , ist uns nicht bekannt.
¹) S. oben .
81
Kavallerie an der Front.
Konnte die russische Kavallerie auch keine durchgreifenden und bleibenden taktischen Erfolge erzielen, so war sie doch, im Gegensatz zu ihren französischen Verbündeten, tätig und unternehmend und vielan der Front". Wir können deshalb auch dem Urteil eines fach bekannten deutschen Kriegsberichtserstatters nicht ohne weiteres beipflichten, der, allerdings Mitte Oktober schon, bei Besprechung des Stillstandes der russischen Offensive schrieb : „ Es ist Tatsache, daß die russische Kavallerie - auch die Heereskavallerie - in einer Weise versagt hat, die man nicht für möglich hielt " und wenige Tage später in seinen „ Betrachtungen über die russische Armee " spricht er sich wiederholt dahin aus, daß die Kavallerie von Anfang an versagt habe; namentlich die Aufklärungsarbeit sei außerordentlich schlecht gewesen. Den Kosaken sei jeder militärische Wert abzusprechen und augenblicklich sei die russische Kavallerie vor der Auch General Front überhaupt kaum mehr zu sehen gewesen. v. Hindenburg soll sich Anfang November dahin ausgesprochen haben, daß die russische Kavallerie „ zu nichts zu gebrauchen sei “. Später muß sich dies aber gebessert haben, denn wir haben gesehen, daß sie vielfach an Front und in Flanke auftrat und so Gelegenheit bot zu Zusammenstößen mit unserer Kavallerie. Daß diese trotz der numerischen Überlegenheit der russischen Kavallerie doch ausnahmslos siegreich aus diesen Kampfen hervorging und jedenfalls den Feind verhinderte, durchzustoßen und die geplante Umgehung durchzuführen, das verdanken wir den uns bekannten Faktoren : Gute Führung, gute Ausbildung, vortreffliches Material an Mann und Roß und heldenhafte Tapferkeit.
Da diese Faktoren aber bei allen unseren Truppen zur Geltung kommen, so muß und wird uns auch der endliche Sieg werden !
Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 521.
6
82
Die Niederlande und der Krieg.
IX . Die Niederlande und der Krieg.
Wiederholt sind in der politischen Presse Nachrichten Absicht Englands, von den Niederlanden ,
über die
deren mustergültig streng
und loyal durchgeführte Neutralität den Briten zweifellos ein Dorn im Auge gewesen ist die Durchfahrt durch die Schelde zu Unternehmungen zu fordern , die die Wiedergewinnung Antwerpens und die Störung der deutschen rückwärtigen Verbindungen wohl zum Ziele haben würden, eine Diversion gegen den Nordfrankreich bilden sollten.
Kampf in Flandern und
Wie die niederländische Antwort auf eine derartige, die Niederder Entente zwingende Forderung lauten würde ,
lande auf Seite
könnte England im voraus wissen. Oft schon hat die niederländische Regierung, haben Kriegs- und Marineminister, wie Minister des Auswärtigen, erklärt, daß Holland jede Verletzung seiner Neutralität mit Schon 1910 ist dieser den Waffen in der Hand abwehren würde. feste Wille der Regierung, die Neutralität zu Lande und zu Wasser zu schützen, bei Vorlage und Beratung des Gesetzentwurfs hervorgetreten, der die Schaffung eines „ Fonds für stärkeren Schutz der Küsten", Ergänzung und Verbesserung der Küstenwerke, ihrer Armierung und des Marinematerials zur Verteidigung der Wasserzugänge gegen Angriff und Verletzung der Neutralität von der Seeseite her hervorgetreten, der im ganzen 40 Millionen Gulden verlangte, etwas über 13 ' , Millionen für schwimmendes Material und 26 Millionen für Küstenwerke, ihre Armierung und Ausstattung behufs steter Bereitschaft auch gegen unerwartete Handstreiche. Unvergessen ist der Lärm
in der britisch-französisch-belgischen
Presse besonders auch über die beabsichtigte Steigerung der Verteidigungsfähigkeit Vlissingens, der sich damals erhob, der Lärm , der sich auch wiederholte , als die niederländische Regierung, durch die Opposition in der zweiten Kammer und in der Presse, die durch den rollenden
Goldfranken
und
goldene
Pfunde
aufgestachelt
worden.
gezwungen, den Gedanken der Ausgestaltung der Küstenbefestigung im großen Stil fallen ließ, statt 26 Millionen nur 12 verlangte, und Ende 1912 auch genehmigt erhielt. Die starke Panzerfortgruppe bei Vlissingen, das neue Fort Kyckduin am Helder, die Verstärkung der Forts Hoek van Holland , Ymuiden und Harrsens wurden dabei bei-
83
Die Niederlande und der Krieg.
behalten und gleich zu ihrer Ausführung geschritten , die, dank der Initiative und Umsicht des Marineministers, beim schwimmenden Material bereits begonnen hatte . 8 Hochseetorpedoboote, drei von den nicht für sehr eilig gehaltenen Panzerbooten und 5 Unterseeboote, wie Minenmaterial im Werte von 1 Million waren baldigst beschafft worden . Man entsinnt sich auch, daß die „ Staatskommission zur Beratung der Verteidigung von Niederländisch-Indien " ihren Entwurf damals vorlegte, die Gründung das Einverständnis
der
einer Staatsmarine empfahl,
Regierung dazu
erhielt . 9 große Linienschiffe (jedes 21000 t Deplacement), 6 Torpedokreuzer , 8 Torpedojäger, 44 Torpedoboote, 22 Unterseeboote sollte sie aufweisen und von diesen würden 5 Linienschiffe, 2 Torpedokreuzer, 8 Torpedobootsjäger und 8 Unterseeboote dauernd in Indien zu belassen sein. Beschlüsse,
die der Ministerrat unter Vorsitz der Königin zu Anfang Dezember gefaßt hat und die durch die Genehmigung eines Kriegskredits in der Höhe von 275 Millionen Gulden die Möglichkeit der Ausführung erhalten : Belassen der ganzen mobil gemachten Armee von 200 000 Mann auf Kriegsfuß, sofortige Verstärkung des Verteidigungszustandes der Provinz Seeland und der Scheldezugänge, Einführung der Zeitungszensur für alle militärischen Nachrichten heben sich klar als Vorsichtsmaßregeln speziell auch gegen Handstreiche auf die Scheldemündungen ab. Die in den Niederlanden getroffenen Vorkehrungen sind aus eigener Kraft befähigt , auch ein starkes britisches Expeditionskorps -und woher dieses jetzt nehmen , ohne die schon eingesetzten Kräfte stark zu schwächen - an einer Landung zu hindern , selbst wenn die nicht ohne schwere O pfer denkbare Forcierung der Scheldemündung und die Beseitigung der in der holländischen Schelde leicht zu legenden Reihen von Minensperren gelungen sein sollten. Bei der Beratung der oben berührten ersten großen Küstenverteidigungsvorlage war auf seiten der Opposition in der zweiten Kammer auch
die Bemerkung gefallen,
es sei
zweckmäßiger,
ver-
mehrte Mittel auf die Steigerung der lebenden Streitkräfte zu verwenden und die Regierung hat sich das nicht zweimal sagen lassen.
Am 1. März 1912 wurde ihr ein
neues Wehrgesetz und
gleichzeitig ein neues Landsturmgesetz genehmigt und in demselben Jahre legte sie ein neues Heeresgliederungsgesetz vor, das im Jahre 1913 die Genehmigung des Parlaments erlebte. Für beide hat die allgemeine Mobilmachung 1914 die Probe auf das Exempel geliefert, beim Heeresgliederungsgesetz auch einige wünschenswerte, ja dringende, Ergänzungen erkennen lassen. 6*
84
Die Niederlande und der Krieg.
Das Rekrutenkontingent stieg durch das Wehrgesetz von 17500 auf 23000 Mann Milizen, selbst bei Anlegen des schärfsten Maßstabes an die Diensttauglichkeit kann man aber jährlich mindestens 28000 finden. Das Landsturmgesetz legte allen 20-40 jährigen Niederländern, die nicht gerade Krüppel, oder absolut waffendienstunfähig sind, die Verpflichtung zur Verteidigung des Landes auf. Neben den Freiwilligen, aus denen sich auch das aktive und Reservekaderpersonal ergänzt, gehören die Ausgehobenen
8 Jahre
zur Miliz, bei
81½- bzw. bei besonderer Vorbildung 6 '/, monatlicher aktiver Schulung, wenn sie den Fußtruppen angehören, fünf Jahre zur Landwehr, dann bis zum 40. Jahre zum Landsturm, 15 Monate dem aktiven Stande , wenn der Panzerfortsartillerie zugeteilt, zwei Jahre, wenn in eine berittene Truppe eingestellt, mit acht Jahren Milizpflicht, aber keiner Landwehrpflicht , dagegen Pflichtigkeit im Landsturm bis zum 40. Jahre. Das Rekrutenkontingent der Fußtruppen wird zu 2/3 im Oktober,
3
im
Januar
eingereiht,
1500 Mann der unberittenen Truppen
bei
der
Aushebung
werden
für Arbeitsdienste bestimmt.
Die allgemeine Mobilmachung zum Schutz
der Neutralität,
die nun
schon 1/2 Jahr dauert, wird in bezug auf die weitere Entwickelung des Heeres und die Vertiefung seiner Schulung nicht ohne nutzbringende Folgen bleiben. Noch nie hat man , wie jetzt, Gelegenheit gehabt, längere Zeit kriegsstarke Verbände zu schulen und dabei sich ergebende Friktionen zu erkennen, die Vorbildung für den Krieg im Rahmen von großen Kriegsverbänden bei Offizieren und Mannschaften zu einer besonders gründlichen zu gestalten, und das ZusammenDie wirken der Waffen auf den Gefechtszweck hin zu fördern . günstige Wirkung ist schon hervorgetreten . Sie hat sich, was sehr wichtig, auch bei dem sehr vermehrten Kaderpersonal der Reserve ergeben und ebenso bei den Depots , die für die Ausbildung mehr aktives Personal erhalten konnten . Das Heeresneugliederungsgesetz erweiterte den Rahmen der Armee wesentlich, namentlich bei der Infanterie und nahm , wie wir sehen werden, auch bei der Artillerie durchgreifende Änderungen vor.
Man behielt
aber den
großen Rahmen der
vier bestehenden Divisionen bei, obgleich man die Frage hin und her erwog, ob es, bei der Stärke der Division nicht zweckmäßiger sei, von 4 solchen zu 6 zu kommen . Die Rücksicht auf die dann unabweisbar notwendige Verstärkung der Kavallerie und Feldartillerie, die die schon 7 Millionen im Ordinarium erreichenden Mehrkosten natürlich noch steigern mußte, bildete wohl das Hindernis für die Durchführung ein Hindernis, das aber der Krieg vielleicht beseitigen dürfte .
Aus
12 Infanterieregimentern
zu je 4 Bataillonen ,
85
Die Niederlande und der Krieg.
von denen je 3 zu einer Division rechneten, wurden 24 Regimenter zu 3 Bataillonen à 4 Kompagnien, davon 3 dauernd auf vollem Friedensstand. Aus den 12 Infanterieregimentern wurden so 12 Brigaden, die durch Oberste kommandiert werden, während Oberstleutnants an der Spitze der Regimenter stehen.
Aus 48 Bataillonen
entwickelte man 72. Jedes Infanterieregiment besitzt 4 Maschinengewehre. Von den 6 Bataillonen der Brigade erhalten 4 ihre Rekruten im Oktober,
2 im Januar.
Da man
200 Milizrekruten pro
Bataillon auf 3 Kompagnien verteilt, so erhält jede von diesen 67 Mann. Für je 3 Bataillone besteht im Frieden eine Depotkompagnie, die
zur Ausbildung der Freiwilligen , der Kaders vom
1. Oktober bis 1. März und der 150 Mann des „ blyvend gedeelte “ , während der ersten Oktoberausbildung dient. Bei der Mobilmachung stellt jede Brigade ein Ersatzbataillon auf, für die dann schon 2 Friedenskompagnien als Stamm vorhanden sind. Jede der 4 Divisionen besitzt 3 Infanteriebrigaden mit 18 Bataillonen .
Die Glie-
derung der Kavallerie änderte das neue Heeresgesetz nicht, sie blieb zu 4 Regimentern à 4 Eskadrons und 1 Ordonnanzeskadron bestehen, so zwar, daß man jeder Division der Rest der Regimenter zu einer
1 Eskadron geben will ,
selbständigen
Brigade vereinigt
wird, der auch Teile der 4 Radfahrerkompagnien und je eine Maschinengewehrabteilung zu 4 Gewehren, sowie das bisher 2 Batterien zählende Korps reitender Artillerie, das jetzt im Kriege zu 4 Batterien à 3 Geschütze auftritt, zugeteilt werden. Bis zur Heeresreform hatte man 4 Feldartillerieregimenter zu je 6 Batterien in 2 Abteilungen , 36 Geschütze, was für eine Division mit dem Umfange von 18 Bataillonen entschieden als zu wenig erschien. Man hielt die mobile Batterie zu 6 Geschützen als Feuereinheit auch für zu stark, da eine volle Ausnutzung der Feuerkraft der Schnellfeuergeschütze nicht stattfinden könne . Man kam zu der als Unikum in Europa dastehenden Feuer batterie zu 3 Geschützen , teilte dieser aber 7 Munitionswagen, 2/3 pro Geschütz , das auf dem Gefechtsfelde daher über 230 Schuß verfügt und 1 Beobachtungswagen, zu . Als Verwaltungseinheit blieb die bisherige man formierte aber im Regiment nicht mehr Die Mobilsondern 3 Abteilungen zu je 2 Doppelbatterien. machung und die Bildung der Kriegsverbände , die im übrigen , wie wir schon oben bemerkten, glatt verlief, sowie die Erfahrungen , die man aus den ersten und den späteren Stellungskämpfen des gegen-
Batterie bestehen, 2,
wärtigen Krieges gewinnen konnte ,
ließen
aber bald erkennen,
daß
geringe sei,
die Ausstattung mit Artillerie bei der Division eine zu zumal wenn man auch berücksichtigte, daß die Bodenbeschaffenheit
86
Die Niederlande und der Krieg.
der Niederlande mit ihren vielen Wasserläufen geradezu zur Verteidigung in vorbereiteten Stellungen herausfordert. Bei 2 Divisionen entstand deshalb sofort nach der Mobilmachung eine neue Abteilung und die Begründung des Kriegsministers beim Kriegsbudget 1915 betonte ausdrücklich, die Verhältnisse nach der Mobilmachung hätten sofort eine Vermehrung der Artillerie verlangt und man werde diese mit Genehmigung des Parlaments auch nach der Demobilmachung beibehalten. Dies ist für die beiden genannten Abteilungen im Budget , das den Ansatz für sie schon enthielt , bereits genehmigt. Ebenso wurde beschlossen und beim Budget 1915 schon genehmigt, die formierte Haubitzabteilung mit dem Material, das schon verlangt worden, zu erweitern, wozu ein Abteilungsstab im Budget vorgesehen ist. Planmäßig soll im Kriege jedes Regiment eine Reservebatterie zu 3 Geschützen aufstellen , und einige Haubitzbatterien will man der Armee im Sinne einer Armeeartillerie beigeben.
Das vorher über die Erweiterungen des Rahmens im Budget schon Gesagte beweist, daß man die Improvisation möglichst ausschließen will. Eine Fliegerabteilung hat man im Frieden 1912 er-
richtet, wie stark ihr Vorrat an Flugzeugmaterial ist, ist nicht festzustellen. Die Festungsartillerie erfuhr durch die Heeresreform eine bedeutende Erweiterung. Aus 4 Regimentern zu je 10 Kompagnien, zusammen 40, und 4 Kompagnien Panzerfortsartillerie, sowie 2 Pontonkorps- und 2 Torpedokompagnien in neu entstandenen Verbänden von 14 Bataillonen (nicht weil man im Bataillonsverband fechten will, sondern um die Befehlsführung zu erleichtern, errichtet) wurden 57 Festungsartillerie , 4 Panzerfortskompagnien, Pontonkorps- und Torpedokompagnien unverändert. Die Zahl der Kompagnien ist also um 13 gestiegen. Bei 2400 Mann Friedenskontingent erhält man im Kriege rund 14000 Mann erster Linie, genügend um die planmäßigen Festungsartillerie-Formationen zu decken . Das erste Regiment stattet die neue holländische Wasserlinie, das zweite die Stellung von Amsterdam aus. Das dritte besetzt die mobile bespannte Geschützreserve (also ev. auch schwere Artillerie des Feldheeres ) , das vierte ist Küstenartillerie . An technischen Truppen waren 4 Pionierbataillone , 2 Eisenbahnabteilungs-, 2 Feldtelegraphenabteilungskompagnien, Schule und Depotkompagnien vorhanden. Für die Landwehr besitzt man planmäßig die Kaders für 48 Bataillone Infanterie mit 192 Kompagnien , 52 Kompagnien Festungsartillerie, 2 Pontonier-, 15 Geniekompagnien . Die verstärkte Rekrutenzahl wird bei 5jähriger Pflichtigkeit in der Landwehr in absehbarer Zeit geschultes Personal liefern, um 72 Bataillone, also ebensoviel wie die mobilgemachte aktive Armee, aufzustellen, so daß man dann 144 Bataillone mobil
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Die Niederlande und der Krieg. zu machen vermöchte. taillonen pro Division, bilden .
Für
Aus 144 Bataillonen ließen sich bei 18 Ba-: also
diejenigen
sehr bedeutender
zweiter Linie
würde
Stärke, es
aber
8 Divisionen. an Artillerie
mangeln und auch einstweilen zu ihrer Feldverwendung in dem über den früheren hinausgehenden Rahmen noch an Kaders fehlen. Man hat zwar schon vor dem Kriege und auch jetzt wieder bei Beratung des Kriegsbudgets Maßnahmen getroffen, die Zahl der Subalternoffiziere des
Beurlaubtenstandes zu
vermehren.
Beschluß sind verschiedene Änderungen in den
Durch Königlichen bestehenden Regeln,
betreffend das Reservepersonal der Landmacht, vorgenommen worden . Danach ist es erlaubt, brauchbare Elemente in Kriegszeiten, bei drohender Kriegsgefahr, oder unter außergewöhnlichen Verhältnissen zu Reserveoffizieren mit besonders durch den Kriegsminister festzustellendem Rang zu ernennen . Sie bleiben, solange nötig, zur Verfügung des Kriegsministers .
Diese Reserveoffiziere genießen nicht die
Zulagen der sonstigen in dem Erlaß festgestellten Kategorien . Fähnrichs (Reserve) können zu Reserveunterleutnants ernannt werden . genießen aber keine jährliche Zulage, haben dagegen die Verpflichtung, während der Zeit, in der der Jahrgang, dem sie angehören , pflichtig ist, in einem Jahr 10 Wochen, oder in einer Reihe von Jahren je drei
Wochen zu
üben und
zwar
in der Weise,
wie der Kriegs-
minister bestimmt. Sie sind auch verpflichtet, im Landwehrverhältnis jedesmal dann zu üben, wenn ihr Jahrgang einbeordert wird und auch, wenn man die Kaders zunächst allein üben lassen will, was jedesmal 30 Tage vorher erfolgt, ehe die Mannschaften anlangen. Die Beförderung zu Reserveleutnants gemäß Artikel 16 , Abschnitt IV des Landwehrgesetzes, kann sich auch auf brauchbare Unteroffiziere von guter Führung, die aber möglichst die Prüfung zum InstruktionsSergeantmajor oder zum Reservefähnrich bestanden haben sollen , erstrecken. Nach der Organisation von 1913 besteht die Feldarmee aus a) dem Hauptquartier des bei der Mobilmachung zu bestimmenden (jetzt schon vorher bestimmten) Generalissimus (Generalleutnant Snyders)
dem die Leitung der Operationen zu Wasser und
zu Lande obliegt ; b) dem Hauptquartier der Feldarmee , dem auch eine Telegraphen , eine Pontonierabteilung, und einige Haubitzbatterien zur Verfügung stehen und
zwar
im Sinne
einer Armee-
artillerie ; c) den Feldtruppen und zwar 4 Infanteriedivisionen und 1 selbständige Kavalleriebrigade, jede Division aus 3 Brigaden zu 2
Regimentern,
6
Bataillonen ,
1
Maschinengewehrkompagnie,
1 Radfahrerkompagnie, 1 Eskadron , 1 Feldartillerieregiment (bisher aus 6, in Zukunft wohl 8 Doppelbatterien ), 1 Feldpionierkompagnie, 1 Telegraphenabteilung,
1
Sanitätskompagnie,
1
Munitionsabteilung
Literatur.
88
aus je einem Infanterie- und Feldartillerie-Munitionstrain, 1 Verpflegungskolonne, einem Feldlazarett. Die Feldarmee ohne Landwehr kann an fechtendem Stande rund auf 2400 Offiziere , 100000 Mann , 204 Geschütze 1200 Offiziere die Waffen.
15500 Pferde , 144 Maschinengewehre , Die Landwehr bringt geschätzt werden.
und 70000 Mann nach dem heutigen Stande unter
Die Stärke der
Besatzungstruppen
von Linien
und Stellungen ist nicht genau anzugeben. Nehmen wir aber selbst die ganze Landwehr bis auf die Festungsartillerie als den Feldtruppen zugeteilt, an,
so bleiben an geschulten Leuten noch die Jahrgänge vom 31. bis 40. Lebensjahr und an Unausgebildeten vom 20. bis 40. Jahre. Man wird also nach proportionellen Abgängen die 200000 Mann der mobilen Armee, die nach den Beschlüssen des Ministerrats weiter unter den Fahnen zu behalten sind , leicht überschreiten können, wenn es sich um die Verteidigung des eigenen Landes und um die Wahrung der freien Entschlüsse handelt . Hat das Wehrgesetz bisher Befreiung bzw. Nummerwechsel bei Brüdern erlaubt, so werden diese nach der neuen Vorlage in Fortfall kommen. Zum freiwilligen Landsturmdienst hat sich eine große 18 Zahl gemeldet .
Literatur.
1. Bücher.
Düppel 1864-1914. Potsdam 1914.
Rückschau und Ausblick. 1 M.
Stiftungsverlag in
Zahlreiche bekannte Schriftsteller haben sich vereinigt, um zum populär geschriebenen Buche die Er1864 , namentlich an den Sturm auf Entwickelung des Heeres seit jenen zeigen. Für den militärisch unterrichteten Leser bringt das Heft nichts Neues , aber jeder wird diese Skizzen gern lesen. Professor Erich Marcks führt in die verschlungenen Wege der Politik ein und zeigt die Bismarcksche Staatskunst in der Lösung des verwickelten schleswig- holsteinischen Problems. General von Linde gibt eine erschöpfende Darstellung des Krieges, Generalfeldmarschall Freiherr von der Goltz schildert die Entwickelung des deutschen Heeres. Generalleutnant von Menges , General der Artillerie Kersting und Oberstleutnant Frobenius behandeln in kurzer, aber erschöpfender und außerordentlich fesselnder Besten der Veteranen in einem innerung an den Feldzug von Düppel wach zu halten und die Tagen bis zur Gegenwart zu
Literatur.
89
Weise die Entwickelung des Gewehres, der Artillerie und des Ingenieurwesens. Vizeadmiral Kirchhoff zeigt das allmähliche Wachsen und Erstarken unserer Seemacht. Den Schluß bildet ein Aufsatz des bekannten schleswig-holsteinischen Historikers Prof. Reimer Hansen über die Entwickelung Schleswig-Holsteins in den verflossenen 50 Jahren. Das Buch eignet sich namentlich für Unteroffiziers- und Mannschaftsbibliotheken, auch der reiferen Jugend wird es viel Erregung bieten. v. S. Die rumänische Armee.
Wien 1913.
Druck von Josef Roller & Co.
(92 Seiten). Die Klugheit, Klarheit und ubersichtlichkeit der Darstellung, die durch eine Anzahl guter Photographien noch belebt wird, bilden die unbestreitbaren Vorzüge des kleinen Werkes, dessen Angaben aber leider heute ebenfalls zum Teile schon veraltet sind. So hat z. B. die Ergänzug zum Wehrgesetz vom Jahre 1913 und die Umwandlung der acht Infanterieregimenter zu 2 Bataillonen in solche zu 3 Bataillonen Sch. keine Aufnahme finden können . Beiträge zur Geschichte der Befreiungskriege . Herausgegeben von Rudolf von Friederich , Generalmajor und Chef der kriegsgesellschaftlichen Abteilung II des Großen Generalstabes. 4. Heft: Die Schlacht an der Katzbach am 26. August und die Verfolgung bis zum 1. September 1813. Von Wilhelm Sattig , Hauptmann a. D. Mit 2 Karten in Steindruck. Berlin 1914. E. S. Mittler & Sohn 4 M. Die Beiträge zur Geschichte der Befreiungskriege" verdienen weiteste Beachtung. Mit ihrer Herausgabe wurde der Zweck verfolgt, eine Gelegenheit zur eingehenden Behandlung einzelner wichtiger und interessanter Fragen dieser Geschichtsepoche zu schaffen , wozu in größeren, allgemein gehaltenen Werken der Raum fehlt. Auf diese Weise wird die endgültige Erforschung der großen Zeit vor 100 Jahren unfraglich in zweckdienlichster Weise gefördert. Den Beweis haben die bisher erschienenen Arbeiten , die die Hauptquartiere im Herbstfeldzuge, die Festung Hamburg 1813/14 und die Erstürmung des Grimmaischen Tores in der Schlacht bei Leipzig behandelten , bereits erbracht. Hinzu tritt nun eine quellenmäßige Bearbeitung der Schlacht an der Katzbach . Eine Neubearbeitung dieser Schlacht war notwendig geworden, nachdem neuerschienene Werke über den Herbstfeldzug 1913 auf Grund bisher nichtveröffentlichter Akten französischer Archive manches bisher Unbekannte gebracht hatten. Der Umstand, daß die Schlacht mit der daran schließenden Verfolgung sich auf getrennten Kampfplätzen abspielt, bringt es mit sich, daß Einzelhandlungen bisweilen Diese genau zu ereine ausschlaggebende Bedeutung gewinnen . gründen, ist deshalb mehr als bei anderen Schlachten geboten . Die
90
Literatur.
Verfasser der Arbeit, Hauptmann Freiherr von Fritsch und Hauptmann Sattig, haben diese Ergründung auf das genaueste in abschließender Weise durchgeführt und damit, wie vorauszusehen war, dem Charakter der Schlacht ein vielfach neues Gepräge gegeben . Die durchaus nicht leichte Gruppierung des Stoffes ist in glücklichster Weise gelungen . Besonders anzuerkennen ist, daß die wichtigsten Befehle, Briefe usw. im Wortlaut gegeben sind. Man kann sich durchweg der fließend und klar geschriebenen Darstellung und den angestellten Betrachtungen anschließen. Die Schlacht an der Katzbach wird von allen Schlachten der Befreiungskriege in Preußen stets das höchste Interesse für sich in Anspruch nehmen. Historisch ergibt das allein ihre enge Verknüpfung mit den Namen unserer Nationalhelden Blücher und Gneisenau. In militärischer Hinsicht wird sie wegen der heute noch vorbildlichen Verfolgung, für die die Kriegsgeschichte nur wenige Beispiele bietet, immer wieder zum Studium herangezogen werden. Unser Büchermarkt ist augenblicklich mit Werken über die Befreiungskriege überschwemmt. Das Publikum geht geradezu übersättigt an allen Neuerscheinungen fast teilnahmslos vorüber. Trotzdem kann dieser mühevollen Arbeit vorausgesagt werden , daß sie die ihr S. gebührende Anerkennung finden wird. Das französische Generalstabswerk 1870/71 . Wahres und Falsches besprochen von E. v. Schmid † , Königl. Würtemb . Oberst a. D. Fortgesetzt von P. Kolbe , Oberst z. D. Heft 12. Der Feldzug der Nordarmee. Teil II . Pont - Noyelles. Leipzig, Friedrich Engelmann , 1913. Auf das Verdienstvolle dieser Bearbeitung ist schon mehrfach hingewiesen. Das vorliegende Heft behandelt in derselben gründlichen Weise wie die früheren die Schlacht an der Hallue, von den Franzosen bei Pont- Noyelles genannt. Insoweit die Entscheidung auf dem Schlachtfelde selbst in Frage kam, schien es zunächst als ob der Sieg zweifelhaft wäre . Auch hier entschied der feste Wille der Deutschen nicht geschlagen zu sein , zu ihren Gunsten . Schon unter diesem Gesichtspunkte ist die Schilderung des Verlaufs unter Betrachtung der Angaben von hüben und drüben lehrreich . —-1 .
Westfalens Opfer in den Befreiungskriegen 1813/15. Gleichzeitige amtliche Darstellung herausgegeben von Dr. Ernst Müller , Königl. Archivar am Geheimen Staatsarchiv zu Berlin , Münster (Westfalen) 1913, Verlag der Universitätsbuchhandlung Franz Coppenrath. Es liegt hier eine geschichtliche Quelle vor uns, die für jeden Forscher der Zeit der Befreiungskriege von großem Wert ist. Aus dem Werke geht auch klar hervor, daß die Westfalen sich in
Literatur.
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lebhafter und durchaus anzuerkennender Weise opfermütig beteiligt M.-B. haben an dem großen Werke der Befreiung. Das Deutsche Reich und das deutsche Volk, kleine Heimatkunde für die deutschen Soldaten von Franz Baur , Leutnant im 7. bayerischen Feldartillerieregiment, mit 8 Bildern und 1 farbigen Karte. Verlag R. Eisenschmidt, Berlin . Ein prächtiges Büchlein , das sich ganz vorzüglich für den Unterricht der Mannschaften eignet. In klarer Weise versteht der Verfasser die geographischen Verhältnisse unseres Vaterlandes seinen Lesern klar zu machen. Alles Nebensächliche läßt er bei Seite, nur die Hauptpunkte treten in großen Zügen zum Teil recht plastisch hervor. Der erste Abschnitt des Büchleins ist dem deutschen Land , der zweite dem deutschen Heer und den Küsten gewidmet. Im dritten Abschnitt spricht Baur über den deutschen Staat, hier in vorzüglicher Weise den Lesern, an die er sich wendet, die Verfassung des Reiches, die Rechte und Pflichten von Kaiser, Kanzler, Bundesrat Sehr schön ist z . B. wenn und Volksvertretung klar machend. er sagt : „Jeder Abgeordnete im Reichstag ist aber nicht Vertreter seines Wahlkreises , dem er angehört, sondern ist Mitglied eines staatlichen Werkzeuges, das ebenso wie der Kaiser und der Bundesrat nur für die Zwecke des Reiches und des ganzen Volkes tätig zu sein hat. " Wenn doch jeder unserer Reichsboten sich diesen Satz täglich und stündlich bei allen Handlungen im Parlament und außerhalb desselben vor Augen führen wollte ! Es wird dann die Wehrmacht des Reiches in großen Zügen angedeutet, die Schutzgebiete betrachtet und dann folgt eine Abhandlung über Deutschland als europäische Großmacht . Der letzte Abschnitt ist dem deutschen Volke gewidmet. Bei diesem Punkt sei mir gestattet, auf etwas aufmerksam zu machen, als Anregung für eine etwaige Neuauflage. Die Festungen des Reiches könnten etwas eingehender erörtert werden, auch ist insofern ein Irrtum unterlaufen , als z. B. Graudenz als kleine Festung bezeichnet wird . Es ist in der breiten Öffentlichkeit über unser Festungswesen nicht viel mehr bekannt, als in dem Abschnittchen niedergelegt ist, und es ist vielleicht ratsam, gerade in diesem Büchlein, das sich an die Soldaten wendet, etwas eingehender auf die Festungen einzugehen . Bei dem Unterabschnitt „ Herkunft der Deutschen " Abschnitt „Deutsches Volk" , wird das Germanentum als Zweig der indogermanischen Völkergruppe bezeichnet, dahinter in Klammern steht das Wort „ Arier" . Richtiger ist wohl eine Umstellung vorzunehmen : Arische Völkergruppe und zur Erläuterung dahinter setzen : Indogermanen. Die Bezeichnung „Indogermane " ist gebräuchlich aber falsch, denn die Arier, zu denen die Germanen gehören, haben eigent-
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Literatur.
lich mit Indien nichts zu tun . Die Arier sind in Westeuropa in der vorgeschichtlichen Zeit als in sich abgeschlossene (Völker- ) Rassengruppe entstanden und haben sich nach Osten ausgedehnt. Der nach dem Zurückgehen des Eises nach der Eiszeit nach Norden vorstoßende Teil dieser Völkergruppe waren die Germanen, die sich in Skandinavien und der norddeutschen Tiefebene festsetzten und dort ihren Pflanzboden fanden. Zu der recht übersichtlichen Karte, die am Schlusse des Bändchens beigegeben ist und die die natürliche Landschaft des Reiches zeigt, sei noch folgendes bemerkt. Es wird sich empfehlen an die Stelle, wo die Karpathen wiedergegeben sind, Ostpreußen nördlich Königsberg noch einzusetzen. Dieser Teil des Reiches fehlt auf der Karte und ist doch wichtiger wie die Karpathen. Auch wird es zweckmäßig sein, die nur mit dünnen schwarzen Linien gezeichnete Reichsgrenze durch eine klare sichtbare rot oder blau gekennzeichnete Linie zu ersetzen. Die Schrift ist ganz ausgezeichnet und sollte in der Armee zum Unterricht der Mannschaften lebhaft benutzt werden. Man kann sie mit gutem Gewissen empfehlen . M. Br. Aufgaben der Aufnahmeprüfung für die Kriegsakademie 1914 mit Lösungen. Oldenburg i. Gr. G. Stalling. 1,50 M. Die Aufnahmeprüfung für die Kriegsakademie fand in der Zeit vom 17. bis 21. März statt. Sie unterschied sich von den früheren durch Gewährung einer längeren Zeit (5 statt wie bisher 3 Stunden) zur Bearbeitung der Aufgaben in der angewandten Taktik. Ganz allgemein war die Benutzung gedruckter Hilfsmittel gestattet. Die Aufgaben waren aber derart gestellt, daß nur derjenige, der den Stoff vollkommen beherrschte, von den mitgebrachten Quellen wirklichen Nutzen hatte . Die Lösung der Aufgaben wird in erster Linie diejenigen Offiziere interessieren , die sich am Examen beteiligten . In weiterer Folge ist das Buch aber auch für diejenigen wertvoll, die sich in den nächsten Jahren für das Akademieexamen vorbereiten wollen, weil sie daraus am besten die Anforderungen kennen lernen , die im Examen gestellt werden. Mit den mitgeteilten Lösungen kann man sich im allgemeinen einverstanden erklären , wenn sie auch etwas länger ausgefallen sind, als es in der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit wohl zu leisten war. v. S. Sanitätsbericht über die Königlich Bayerische Armee für die Zeit Bearbeitet von der vom 1. Oktober bis 30. September 1911. Medizinalabteilung des Königlich Bayerischen Kriegsministeriums. München 1914 . Der Krankenzugang betrug 427,3 % der Kopfstärke . Eine Verschlechterung ist nicht nachzuweisen ; der Zugang ist geringer geworden. Von 29291 Behandelten gingen dienstfähig ab 26484 = 904,2
Literatur.
93
der Behandelten ; gestorben sind 92, anderweitig ab 2026 , Bestand blieben 689. Der anderweitige Abgang betrifft u. a. 441 Dienstunbrauchbare und 168 Rentenempfänger, 206 in Badeorte gesandte usw. Der Bericht enthält u . a. die wissenschaftlichen Arbeiten an der militärärztlichen Akademie, der Untersuchungsstationen, die Übersicht über die wissenschaftliche Fortbildung usw. Er beweist, wie überall das Bestreben hervortritt, die Krankheitsziffer herabzusetzen und die Arbeiten im Interesse der Heeresgesundheit immer intensiver zu geNeumann. stalten. Dreiteilung der Armee ! Ein Weck- und Mahnruf an das deutsche Volk. Von E. F. Karl. Verbesserte Auflage. Georg Bath. Berlin. 1,50 M. Mit eindringlichen und überzeugenden Worten weist der Verfasser auf die ungünstige und gefährliche militärpolitische Lage hin, in der wir uns angesichts der letzten Rüstungen Frankreichs und Rußlands befinden . Seinen Ausführungen kann in vollem Umfange beigestimmt werden. Die letzte deutsche Heeres vermehrung hat unsere Nachbarn nur zu erhöhten Anstrengungen getrieben, durch die wir wieder in das Hintertreffen geraten sind. Es ist daher sehr wohl begreiflich, daß sich alle patriotisch gesinnten Kreise ernsthaft mit der Frage beschäftigen müssen, ob unsere Rüstung denn noch ausreicht. Der Verfasser verneint dies ganz entschieden und schlägt zur Abhilfe zwei Maßregeln vor : gänzlich neue Organisation der Armee, auf dem Grundsatz der Dreiteilung beruhend und Verlängerung der Dienstzeit nach französischem und russischem Muster. Über die Schäden und Nachteile der jetzt bei uns bestehenden Zweiteilung sind sich die meisten klar. Schon Clausewitz hat darauf hingewiesen, nach ihm alle Militärschriftsteller, die sich mit Organisationsfragen beschäftigt haben, so auch Meckel und in neuester Zeit Bernhardi . Es sind auch schon von verschiedenen Stellen aus Vorschläge gemacht, wie dem abzuhelfen sei. Alle diese Vorschläge sind aber bisher auf dem Papier geblieben und so wird es vermutNicht alles, was lich auch diesem neuesten Vorschlage gehen. theoretisch richtig ist, läßt sich praktisch durchführen . Der Verfasser unterschätzt die großen Schwierigkeiten, die mit einer gänzlichen Neuorganisation einer Armee verbunden sind und die tief in alle Verhältnisse nicht nur des Heeres, sondern des ganzen Staatswesens eingreift. Ähnlich liegt es auch bei der zweiten Frage, bei der Verlängerung der Dienstzeit. Unbestreitbar hat der Verfasser recht, wenn er auf die Schwäche unseres Heeres hinweist in der Zeit von der Entlassung der Reservisten bis zu dem Augenblick, da die Ausbildung der Rekruten beendet ist, so daß diese mit ausrücken können. Wir verfügen in der Zeit Mitte September bis 1. April nur über einen einzigen Jahrgang unter den Fahnen , der noch dazu durch Abkommandierungen sehr geschwächt ist. Zur Erreichung der Kriegs-
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Literatur.
stärke müssen deshalb im Mobilmachungsfalle zahlreiche Reservisten eingezogen werden. Es ist auch fraglos, daß durch die Verlängerung der Dienstzeit um 1/2 Jahr diesem Übelstande am besten abgeholfen werden würde. Es darf aber nicht verkannt werden , daß die Durchführung dieses Gedankens wenig Aussicht hat. Allgemein finanzielle und volkswirtschaftliche Gründe sprechen dagegen . Sind Mittel zur Verstärkung des Heeres vorhanden, so dürfte auch zu erwägen sein , ob diese nicht besser zu einer vermehrten Rekruteneinstellung verwendet werden, als für die Zurückhaltung des dritten Jahrganges. So lange wir noch überzählige Rekruten haben, dürfte dieser Weg vorzuziehen sein , durch den zugleich die vorhandenen Menschenkräfte besser ausgenützt und die Zahl der ausgebildeten Mannschaften vermehrt wird. Aber selbst wenn man nicht allen Ansichten und Vorschlägen des Verfassers unbedingt zustimmen kann , so bleibt sein Buch doch sehr empfehlenswert. Er hat in richtiger Weise auf zwei Mängel in unserem Heerwesen hingewiesen. Seine Anregungen sind sehr dankenswert und werden hoffentlich viel gelesen werden . Es ist zu wünschen , daß sie ihren Zweck in weiten Kreisen unseres Volkes er- . füllen die Nation über die Unzulänglichkeit unserer jetzigen Rüstung v. S. aufzuklären . Le combat. Von General Percin , ancien membre du Conseil supérieure de la guerre ; librairie Felix Alcan . Paris 1914 . Der Verfasser will eine leicht faßliche auch für den Laien verständliche, sein Interesse erregende Philosophie des Gefechts geben . Er ist ein altgedienter, erfahrener Soldat, der in der französischen Armee zu den höchsten Stellen aufstieg. Seine persönliche Kriegserfahrung stützt sich ziemlich ausschließlich auf das Treffen von Coulmiers, am 9. November 1870, an dem er als Zugführer einer Feldbatterie teilgenommen hat und in dem die Franzosen dem bayerischen I. Armeekorps und der 2. Kavalleriedivision gegenüber das Feld behaupten konnten . Diese Kriegserfahrung wird dem Leser in verschiedensten Varianten unzählige Male vorgeführt. Ob sie häufig beweiskräftig ist, mag dahin gestellt bleiben . Doch ist es wohl erklärlich, daß ein französischer General mit Vorliebe bei einem , wenn auch unwichtigen Gefecht verweilt, das den Waffen seines Heeres günstig, da es in einem langen Feldzuge der einzige Erfolg war, aber ohne entscheidende Folgen blieb. Das Werk enthält übrigens viele durchaus gesunde, Beachtung verdienende Gedanken über das Gefecht. Namentlich trifft dies für das Kapitel die Tätigkeit der einzelnen Waffen im Gefecht (rôle des differentes armes au combat) zu. Nicht allem kann man zustimmen. Wenn der Verfasser z . B. sagt : „Die Art, in der die Infanterie das Gelände benutzt, ist im Kriege von entscheidender Bedeutung. Weil die preußische Garde diese Benutzung außer acht
Literatur.
95
ließ, wurde sie am 18. August bei St. Privat so stark zusammengeschossen" ; so trifft das kaum den wesentlichen Punkt der Sache. Das Zündnadelgewehr konnte bei seiner geringen Schußweite erst auf den nahen Entfernungen in Tätigkeit gesetzt werden . Der Angreifer mußte also im feindlichen Feuer nahe an einen unerschütterten Feind heran, um seine Waffe gebrauchen zu können. Die gewählten Formationen hierzu wie die Art des Vorgehens ohne genügende Artillerieunterstützung waren verfehlt und der zu durchschreitende Raum bot fast gar keine Deckung. Die preußische Garde kannte damals noch nicht aus der Praxis, was es heißt, über ein deckungsloses Glacis gegen einen weiter tragenden Hinterlader angreifen . Auch manche andere in das Werk eingestreute kriegsgeschichtliche Beispiele mit den daraus gezogenen Schlüssen sind anfechtbar. Dagegen sind seine Betrachtungen über das Infanteriegefecht und der daraus hervorleuchtende rücksichtslose Offensivgeist lehrreich, wenn auch nicht immer ganz klar erkennbar wird oder plastisch herausgearbeitet ist, was der Verfasser nun eigentlich will. Ein langes lesenswertes Kapitel ist überschrieben : „ Die Furcht“ (La Peur). An der Spitze steht das Wort des Marschall Turenne : Mein ganzes Knochengerippe (cascasse) zittert" und der Auspruch des Bravsten der Braven " Ney's " Ein dreifacher Lügner ist, wer behauptet, er hätte niemals Furcht" , Hiervon ausgehend wird über die Folgen der Furcht, den Mangel an Mut, die Panik" mit ihren Nebenerscheinungen philosophiert. Im ganzen ein Buch lesenswert —1. mit zahlreichen interessanten Erörterungen .
Immanuel, Oberstleutnant, Der Balkankrieg 1912/13, Fünftes Heft (Schlußheft) . Der Balkankrieg im Juli 1913 , 108 S. 1 Übersichtskarte und 6 Skizzen im Text. Berlin 1914. E. S. Mittler & Sohn . Preis 3,25 M. Ich möchte hier vor allem das Schlußheft als eine Musterleistung hinstellen , was Verarbeitung und kritische Bewertung der Vorgänge betrifft. Das Nachrichtenmaterial war viel spröder als für den ersten Teil des Krieges . Ich möchte den in einem Gebirgslande geführten Krieg als besonders lehrreich bezeichnen . Bulgarien war nach dem ersten Kriege stark erschöpft , sein Feldzugsplan durch politische Strömungen stark beeinflußt, Bulgarien hätte jedenfalls klüger gehandelt, wenn es sich mit Rumänen und Türken geeinigt hätte, um einen schnellen Erfolg gegen die Serben zu erringen . Die bulgarische Schlachtenanlage an der Bregalnitza ist recht lehrreich, zu verwundern ist, wie wenig man die Schwierigkeiten des Gebirges in Rechnung gestellt hatte. Mustergültig für alle Zeiten bleibt die gut dargestellte Schlußoperation gegen die Griechen - als Soldat muß man bedauern, daß sie durch den Waffenstillstand unterbrochen wurde. Vielleicht hätte sich hier Gelegenheit zu einem Cannä geboten . Balck.
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Literatur.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Maſsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher“ nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises - sofern dieser mitgeteilt wurde - hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Deutscher Soldatenfreund 1915.
Kalender für das deutsche
Heer und die Marine. Stuttgart. Verlag des Deutschen Soldatenfreundes. St. 15 Pf., bei 25 St. 13 Pf., bei 50 St. 12 Pf. 2. Matthias, Bismarck. Sein Leben und sein Werk. München 1915. C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung. Geb. 5, — M. 3. Chronik des Deutschen Krieges. I. Bd. München 1914. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung. Geb. 2,80 M.
C.
4. Peter, Deutschlands Kriegsgesänge aus dem Weltkrieg 1914. Oldenburg i. Gr. Verlag von Gerhard Stalling. 1,80 M. 5. Kriegsdepeschen 1914. Vierter Monat (November). Berlin 1914. Boll & Pickardt. 0,40 M. 6. Stier-Somlo, Handbuch des Völkerrechts, Bd . IV : kriegsrecht. Stuttgart 1915. W. Kohlhammer. 16 M.
Das See-
7. Friedrich Krupp in Briefen und Urkunden. Herausgegeben von Wilhelm Berdrow. Essen (Ruhr) 1915. Verlag von G. D. Baedeker . Brosch. 4 M. 8. Wolff, Heer und Flotte unserer Feinde . Oldenburg i . Gr. 1915. Gerhard Stalling . 0,40 M. 9. Otto, Meine Erlebnisse in Frankreich 1870/71 . Oldenburg i. Gr. Gerhard Stalling. 2 M. 10. Schuster, Aus der Geschichte des Hauses Hohenzollern. Berlin-Lichterfelde 1915. Edwin Runge. Brosch. 3,75, geb. 5 M.
loool
Druck von A. W. Hayn's Erben ( Curt Gerber), Potsdam.
X.
Das Eingreifen der Türkei in den Weltkrieg.
Von Frhr. von der Osten- Sacken und von Rhein , Oberstleutnant a. D.
Daß auch die Türkei in das gewaltige Ringen zwischen den beiden mitteleuropäischen Kaiserreichen und den gegen diese verbündeten Mächten des Dreiverbandes verwickelt werden würde, war von Anfang an vorauszusehen.
Hatte doch in letzter Linie der Umstand,
daß
Deutschland auf dem Berliner Kongreß Österreich- Ungarn und damals auch England gegenüber nicht für die maßlosen Forderungen Rußland hatte eintreten wollen, dessen Annäherung an Frankreich entschieden, die dann in ihren weiteren Folgen zum gegenwärtigen Kriege geführt hatte. Damals schon war das Wort gefallen : „ Der Weg nach Konstantinopel führt durch das Brandenburger Tor. " Dies Wort war in
der Türkei nicht vergessen worden.
dem ja auch sonst Politik.
Da England
Es
ließ keinen Zweifel an
zur Genüge bekundeten Endziel der russischen sich seither
unter Preisgabe seiner früheren
Tradition bekehrt hatte, war es um die Türkei geschehen, wenn Deutschland und Österreich-Ungarn niedergeworfen werden sollten. Daß der von dem Krieg gegen Deutschland erhoffte Landzuwachs die Ländergier Rußlands stillen würde, war nicht anzunehmen, dessen großer Magen verlangte auch noch nach anderen Bissen ; die Ostsee und das Schwarze Meer sollten russische Binnenmeere werden. Das Streben Rußlands nach Konstantinopel ist uralt, fast so alt wie seine Stellung als europäische Macht. Schon Peter der Große, der sein Reich eigentlich erst zu einer solchen gemacht, hat in seinem Testament seine Nachfolger auf den Erwerb von Konstantinopel hingewiesen. Und zielbewußt und unbeirrt sind sie seiner Weisung gefolgt. Immer weiter wurde die Türkei zurückgedrängt. Da es aber Europa gegenüber nicht angängig war, die Grenzen Rußlands über 7 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 522.
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Das Eingreifen der Türkei in den Weltkrieg.
den Pruth hinauszuschieben , geschah es unter dem Vorwande der Befreiung der christlichen Balkanvölker von der türkischen Herrschaft. So schuf sich Rußland hier getreue Vasallenstaaten , lings
zu Willen waren.
Seinem
die ihm blind-
eigenen Ausdehnungstrieb
standen
vorläufig außer Österreich auch noch die Westmächte entgegen. Aber auch sie machten sich für die Hilfe, die sie der Türkei gewährten , teuer bezahlt, teils durch Eingriffe in deren Hoheitsrechte , teils durch die erzwungene Einwilligung in die wenn auch noch nicht formelle , so doch tatsächliche Abtretung von Cypern, Ägypten, Tunis usw. Inzwischen vollzog sich in der politischen Welt der große Wandel, der mit der Gründung des Dreibundes und des Dreiverbandes seinen Abschluß fand. Bald spitzten sich die Verhältnisse immer weiter zu . Ein Eingreifen Rußlands in die Verhältnisse auf dem Balkan anläßlich der bosnischen Frage 1908/1909 würde damals schon den Weltbrand entfacht haben . Noch war aber der Dreiverband mit seinen Vorbereitungen nicht fertig . Und zu diesen gehörte eine weitere Stärkung der von Rußland abhängigen Balkanstaaten und folglich eine Schwächung der Türkei , der die Möglichkeit genommen werden sollte, zugunsten der Zentralmächte einzugreifen. So brachte Rußland den Balkanbund zustande. Dessen plötzlichen und gänzlich unerwarteten Angriff erlag die Türkei und zwar so vollständig, daß fast ihr gesamter europäischer Besitz verloren ging. Doch bei der Teilung der Beute entzweiten sich die Sieger , und darüber zerfiel der Bund. Die Türkei aber konnte wenigstens Adrianopel für sich retten . Der Krieg hatte alle Schwächen des von Parteiungen zerrissenen Gemeinwesens wie des Heerwesens zutage treten lassen. deutsche Instrukteure
seit Jahren
Wohl hatten
an der Reorganisation der Armee
gearbeitet, aber die von ihnen vorgeschlagenen Reformen waren meist in den ersten Anfängen stecken geblieben . Dazu hatte das Eindringen der Politik in das Offizierkorps die Zusammengehörigkeit untergraben, worunter die Manneszucht schwer gelitten hatte, und die Beigabe, welche die Armee, die früher nur aus national- osmanischen Elementen bestanden hatte, infolge der Ausdehnungen der Wehrpflicht auch auf die christlichen Untertanen der Türkei erhalten hatte, hatte sich als höchst unzuverlässig erwiesen .
So mußte abermals reorganisiert
werden. Ohne Zeitverlust wurde dazu geschritten. Und die durch die Ereignisse belehrten Männer, die jetzt an der Spitze standen , im besonderen Enver Pascha, der Held des lybischen Krieges, dem auch die Türkei schon die Rückgewinnung von Adrianopel verdankte, hielten darauf, daß die Reform diesmal auch wirklich zur Ausführung gelangte . Da die Grundlagen, welche die deutschen Instrukteure aufgestellt hatten, sich als brauchbar erwiesen und nur die erwähnten
Das Eingreifen der Türkei in den Weltkrieg.
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besonderen Umstände die Wirksamkeit der früheren Reform verhindert hatten, so wurden trotz des Einspruchs Rußlands wiederum deutsche Instrukteure unter Führung des Generals Liman v. Sanders auch mit der jetzigen Reorganisation betraut, nur wagte man nicht, ihnen die ihnen anfangs zugedachten Kommandostellen einzuräumen . Vor allem wurde jetzt die Politik ganz aus dem Heere entfernt. Des weiteren gewann dieses seinen alten osmanischen Nationalcharakter dadurch wieder, daß die Kontingente der christlichen Balkanvölker infolge der Länderabtretungen fast ganz
aus ihm verschwanden.
Das war bei
den vorzüglichen militärischen Eigenschaften der eigentlichen Türken ein großer Gewinn . Das Feldheer sollte aus 13 Armeekorps, deren jedes 3 Divisionen zu 10 Bataillonen stark sein sollte, bestehen und vorläufig 600000 Mann zählen , doch hoffte man es auf 800000 Mann bringen
zu
können,
was bei
einer
Bevölkerung von
22 Millionen
Moslemin auch keine Schwierigkeiten machen konnte.
Bei dem Eifer,
mit dem die Herstellung der Armee betrieben wurde,
ging sie rasch
vonstatten. Dagegen machte die Reorganisation der Flotte durch die englischen Instrukteure unter dem Admiral Limpus keine Fortschritte . Im Gegenteil. Die wirklich brauchbaren Schiffe, die vorhanden waren, wurden noch durch Sabotage unbrauchbar gemacht. So lagen die Verhältnisse , als der Weltkrieg ausbrach. Was sollte jetzt die Türkei tun, sich einer oder der anderen Partei anschließen oder neutral bleiben ? Schloß sie sich an die Zentralmächte an und unterlagen diese, so war auch der Fortbestand der Türkei in Frage gestellt.
Dann nahm sich Rußland die Nordküste von Kleinasien, sowie Konstantinopel und die Dardanellen, und von Frankreich und England war, wie wenig sie auch letztere den Russen gönnten , um so weniger ein Einspruch zu erwarten, als sie selbst nach Erwerbungen auf Kosten der Türkei strebten, Frankreich nach Syrien und dem gelobten Lande, wo es bisher schon das Protektorat über die Christen ausgeübt hatte, und England, das sich bereits in Ägypten festgesetzt hatte,
nach Arabien mit den heiligen Stätten des Islams. Von dem großen türkischen Reich blieb dann nur Mesopotamien mit einem Teil von Kleinasien übrig, und rechtlos war es der Willkür Englands und Rußlands preisgegeben . Und nicht besser waren im Falle eines Sieges des Dreiverbandes die Aussichten der Türkei , wenn sie neutral blieb und sich ihm sogar anschloß. Trotz aller der Türkei
jetzt
und auch noch später gemachten Versprechungen stand ihr in diesem Falle genau dasselbe Los bevor, nur daß die Erfüllung ihres Geschickes sich vielleicht etwas hinausschob. Aber abgewandt konnte es nur durch einen Sieg der Zentralmächte werden. Allein dieser
schon sicherte der Türkei ihren Besitzstand und die finanzielle Unter7*
100
Das Eingreifen der Türkei in den Weltkrieg.
stützung Deutschlands zur Erschließung ihrer natürlichen Hilfsquellen, für die dieses bereits bedeutende Summen hergegeben hatte. Blieb aber die Türkei nicht nur nicht neutral, sondern schloß sich an die Zentralmächte an, dann stand im Falle eines Sieges noch für sie ein Lohn in Aussicht,
der geeignet war,
den „ kranken Mann “ gesunden
zu lassen und ihm eine Machtfülle zu geben ,
wie er sie lange nicht
gehabt hatte . Dann mußte England Ägypten räumen, während Rußland mindestens die Eroberungen herausgeben mußte, die es 1877/78 in Transkaukasien gemacht hatte, vielleicht aber auch noch mehr, wodurch leicht, wie wir noch sehen werden, die Grundlage für eine ganz neue Machtstellung der Türkei geschaffen werden konnte. So sprach alles für einen Anschluß an Deutschland und Österreich-Ungarn . Nicht zum mindesten auch die für unseren Kaiser vorhandenen persönlichen Sympathien , die im Orient noch niemals ihre Wirkung verfehlt haben. Man hatte es ihm hier nicht vergessen, daß er während seiner Anwesenheit in Jerusalem die Gelegenheit benutzt hatte , um an dem Grabe Saladins seine Freundschaft für den Islam zu bekunden . Dies
alles
sahen die Männer,
türkischen Reiches
leiteten ,
mit
die
dermalen die Geschicke des
klaren Augen ein.
Jetzt oder nie ,
das fühlten sie, war der Augenblick gekommen, das Los der Türkei und damit auch das des Islams zu wenden, dem nun schon über zwei Jahrhunderte währenden ununterbrochenen Abstieg Einhalt zu tun und beide einer neuen glänzenden Zukunft entgegenzuführen. Gelang es jetzt nicht, wo die ganze Macht sowohl der Russen als auch der Engländer und Franzosen vollauf in Anspruch genommen war, dann war es für immer vorbei. Gelegenheit
rechnen .
Nie wieder konnte man auf eine so günstige
Aber war dieselbe wirklich so günstig und be-
schleunigte man vielleicht nicht nur den Untergang des diesem doch unrettbar verfallenen Reiches durch den Anschluß an die Zentralmächte ? Eigentlich mußte es doch undenkbar erscheinen, daß diese dem Ansturm ihrer zahlreichen Feinde gewachsen sein würden. War es nicht vielleicht doch die Furcht vor der feindlichen Übermacht gewesen,
die Deutschland zu Algeciras wie von Agadir hatte zurück-
weichen lassen ?
Und jetzt war die Zahl der Gegner noch gewachsen,
während Italien im letzten Augenblick seine Hilfe versagt hatte, vielleicht sogar unter dem Druck der von Frankreich und England bearbeiteten öffentlichen Meinung im Begriff stand, sich dem Dreiverbande anzuschließen. Und dieselbe Gefahr lag ja auch bei Griechenland, Bulgarien und Rumänien vor. die sehr nahe was half es,
Das waren Erwägungen,
lagen und schwer ins Gewicht fallen mußten. wenn
man zögerte ?
Doch
Man hatte ja überhaupt keine
Das Eingreifen der Türkei in den Weltkrieg. Wahl.
101
Mochte sie ausfallen , wie sie wollte, das Geschick der Türkei
hing von den Erfolgen der beiden Kaiserreicke ab. Mit ihnen stand und fiel auch die Türkei. Und diese klar vorherrschende Erkenntnis erleichterte den leitenden Männern der Türkei,
unter denen Enver
Pascha die treibende Kraft bildete, ihre Verantwortung.
Schlimmsten-
falls war es besser, die Türkei ging ruhmvoll unter, als daß sie noch einige Jahre
ein unrühmliches Dasein fristete.
haft immer wieder alle Drohungen
ebenso
So wies man stand-
wie alle heuchlerischen
Versprechungen des Dreiverbandes zurück und beschloß des Anschluß an die Zentralmächte. Es wäre nun
sehr erwünscht gewesen ,
die Türkei hätte sofort
eingreifen können. Dadurch würde sie Deutschland und ÖsterreichUngarn von Anfang an entlastet und die Gefahr, daß beide unter liegen könnten, verringert haben. Doch dies war ausgeschlossen. Es waren noch nicht zwei Jahre verflossen, seit die Türkei dem Ansturm des Balkanbundes
erlegen war,
und mit welchem Eifer und Erfolg
man auch an der Reorganisation des Heeres gearbeitet hatte, so war diese doch noch nicht abgeschlossen, namentlich war es noch nicht möglich gewesen, die Bestände der Waffen, Munition usw. voll zu ergänzen, da es an den nötigen Geldmitteln gefehlt hatte. Dazu mußte eine Mobilmachung bei den großen Entfernungen und wenigen Eisenbahnverbindungen eine sehr lange Zeit in Anspruch nehmen. Wenigstens befanden sich die Verteidigungsanlagen an den Dardanellen in einem durchaus guten Zustande. Aber damit allein war es nicht getan. Erklärte man sich sofort, dann mußte man auch alsbald auf einen Angriff vorbereitet sein. Selbst so schon war die Lage höchst bedenklich, denn England war sehr mißtrauisch und versuchte es im Verein mit Frankreich und Rußland mit allen möglichen Anzettelungen, Griechenland gegen die Türkei auszuspielen. So blieb man vorläufig neutral. Man sperrte aber der eigenen Sicherheit halber die Dardanellen. Dies war von der größten Bedeutung, denn Rußland wurde dadurch die so sehr benötigte Zufuhr an Kriegsbedürfnissen aller Art sehr bedeutend erschwert, während seiner für Frankreich und England geradezu unentbehrlichen Ausfuhr an Getreide usw. überhaupt der Weg versperrt wurde. Fortan war Rußlands Ein- und Ausfuhr auf die beschwerlichen und zeitraubenden Umwege über Archangel oder Sibirien angewiesen. Außerdem wurden unsere beiden in den türkischen Gewässern befindlichen Kreuzer Göben und Breslau von der Türkei erworben und unter den Namen Sultan Jawus Selim und Midelli in den Verband der Hierdurch wurde ein Ausgleich türkischen Flotte übernommen. dafür erzielt, daß England zwei für die Türkei erbaute und von dieser
102
Das Eingreifen der Türkei in den Weltkrieg.
bereits
bezahlte Schlachtschiffe
zurückhielt,
wodurch in der Türkei
eine große Erbitterung hervorgerufen wurde. Dank dem Zugang der beiden deutschen Schiffe war die türkische Flotte der in dem Schwarzen Meer befindlichen russischen gewachsen, und das genügte, denn aus den Dardanellen hätte sie sich doch nicht herauswagen können. Die Wut der Engländer und Russen kannte keine Grenzen . Den Ankauf der beiden Schiffe wollten
sie nicht anerkennen ,
langten sie die Öffnung der Dardanellen .
und drohend ver-
Aber diese waren gut ver-
wahrt und die türkische Regierung nahm mit Recht an, daß der Dreiverband, im besonderen England mit seinen vielen mohammedanischen Untertanen, sich nicht die Feindschaft der Türkei aufladen würde , so lange vielleicht noch Aussicht wäre , daß sie neutral bleiben würde. So blieb die Türkei trotz aller Drohungen fest. Und ihre Rechnung täuschte sie nicht. Auf Vorhalten Englands, das sich außerdem auch wohl nur einen geringen Erfolg von einem Angriff auf die Dardanellen versprechen mochte, stand auch Rußland von dem Ansinnen ab, daß die englisch-französische Flotte versuchen sollte, die Durchfahrt durch die Dardanellen zu erzwingen . Inzwischen schritten die in aller Stille betriebenen Rüstungen der Türkei immer weiter vorwärts. die Mobilmachung öffentlich
Im letzten Drittel des August,
erklärt worden.
beleumundete englische Admiral Limpus,
war
Auch hatte der übel-
der die Schlagfertigkeit der
Flotte schwer geschädigt hatte, den Laufpaß bekommen . Er wurde durch den Admiral Souchon ersetzt, der die beiden deutschen Schiffe befehligt hatte.
Die Dreiverbandmächte,
die
sich
der türkischen Rüstungen immer klarer wurden,
über den Zweck konnten sie nicht
verhindern. Es glückte ihnen auch bei der Wendung, die der Krieg genommen hafte, nicht, einen oder den anderen der neutralen Staaten zum Eingreifen zu bewegen.
So konnten die Rüstungen ihren Gang
gehen. Doch nahmen sie eine geraume Zeit in Anspruch. Sie waren noch nicht einmal abgeschlossen, als Rußland endlich am 28. Oktober . d . h. gerade nach Zurückweisung der ersten Hindenburgschen Offensive gegen Warschau, die Feindseligkeiten eröffnete, indem eine Flottenabteilung einige vor dem Bosporus übende türkische Schiffe beschoß. Damit war der Kriegsfall gegeben . Wie stark das türkische Feldheer zurzeit sein mag, ist schwer zu sagen . Schlußfolgerungen auf Grund früherer Leistungen sind vollständig ausgeschlossen, da die Verhältnisse in diesem Kriege gänzlich andere sind als in den früheren. Es kann aber wohl angenommen werden, daß die Türkei ihr Heer so stark wie nur möglich gemacht hat. Und dieses Heer ist nach allem, was man darüber hört , nicht schlecht. Die regulären Truppen sollen gut ausgerüstet und bewaffnet
103
Das Eingreifen der Türkei in den Weltkrieg. und auch gut ausgebildet sein. nationales,
das
darauf brennt,
Dazu ist das Heer ein einheitliches die Niederlagen, die es im ersten
Balkankrieg erlitten hat, wieder gut zu machen und den alten Waffenruhm der Osmanen herzustellen . Auch hat es entschlossene Führer, die den Krieg kennen und sich nicht mehr von politischen oder persönlichen Interessen , sondern lediglich von der Rücksicht auf das Wohl des Vaterlandes leiten lassen . So ist es ein bedeutendes Gewicht, daß die Türkei in die Wagschale wirft. Dieses Gewicht wirkt aber auf unsere Gegner um
so
nieder-
ziehender, als es für sie sehr empfindliche Punkte sind, an denen es angesetzt ist. Wir kennen nicht die genaue Verteilung der türkischen Streitkräfte und wissen nicht,
wieviele Truppen für etwa eintretende Fälle in der Gegend von Konstantinopel sowie zum Küstenschutz in Kleinasien und Syrien zurückgelassen sind oder den schwachen Kräften gegenüberstehen , mit denen die Engländer am persischen Meerbusen demonstrieren. Was wir mit Bestimmtheit wissen, ist nur, daß zwei große Armeen gebildet
sind, von denen die eine in Transkaukasien gegen die Russen kämpft , die andere die Engländer aus Ägypten vertreiben soll. Nachdem der Krieg gegen Rußland am 28. Oktober mit dem Seegefecht vor dem Bosporus begonnen hatte, nach dem sich die Überlegenheit der
türkischen Flotte
sehr bald herausstellte,
wurden
die Feindseligkeiten zu Lande in den ersten Tagen des November eröffnet. Die Frage einer Landung etwa in der Gegend von Odessa scheint überhaupt nicht erwogen zu sein. Ein derartiges Unternehmen würde auch,
wenn es überhaupt ausführbar gewesen wäre,
Schwierigkeiten bereitet haben.
So
blieb,
außerordentliche
da Rumänien
und Bul-
garien auch weiter bei ihrer Neutralität verharrten, als Kampffeld nur der für die Russen heiße Boden Transkaukasiens übrig,
auf dem es
schon bald nach dem 1. August zu Aufständen gekommen war und dessen vornehmlich aus 21 , Millionen Tartaren und Karadschis bestehende , den Türken nahe verwandte Bevölkerung diesen als Befreiern von der Russenherrschaft entgegensah. sichtigt,
auf die
das sei gesagt,
Es ist hier nicht beab-
kriegerischen Begebenheiten näher einzugehen , daß sich die
türkische Armee
bei den
nur
bisherigen
Kämpfen und Operationen gut bewährt und auch trotz Witterungsund Geländeschwierigkeiten bereits erhebliche Vorteile errungen hat . Die Räumung von Tebriz , die Hauptstadt der ihrer Bevölkerung nach eigentlich
zur
Türkei
gehörenden
nördlichsten
persischen Provinz
Aderbeidjan, die die Russen schon im Begriff waren zu verschlucken , ist eine Rückwirkung dieser Erfolge. Bereits hat Rußland erhebliche Verstärkungen nach diesem Kriegsschauplatz schicken müssen, die ihm
104
Das Eingreifen der Türkei in den Weltkrieg.
jetzt im Kampf gegen uns fehlen.
Und es wird noch weitere Ver-
stärkungen schicken müssen, da hier sehr viel auf dem Spiel steht. Nicht nur Transkaukasien wird von den Türken nahe verwandten und eine türkische Mundart redenden Stämmen bewohnt ,
sondern
auch Turkistan, wo 9 Millionen Sarten, Turkmenen und Kirgisen hausen, und der angrenzende Teil von Sibirien, in dem 4 Millionen Kirgisen und Tartaren wohnen . Auf sie alle werden namhafte türkische Erfolge
einen um so größeren Eindruck machen,
als
sie die
Russen hassen, und es kann um so eher angenommen werden, daß auf die Kunde von solchen Erfolgen Erhebungen stattfinden werden , als diese weiten Gegenden jetzt fast ganz von Truppen entblößt sind . Der Türkei eröffnen sich damit aber im Zeitalter des Nationalismus glänzende Aussichten. Bei der Schwächung Rußlands, die der Weltkrieg voraussichtlich zur Folge haben wird, erscheint es keineswegs unmöglich, daß das in diesem Falle siegreiche Osmanenreich sich einmal bis tief nach Asien hinein erstrecken und so im Osten Ersatz für seine im Westen verloren gegangenen Provinzen finden wird. Dann wird das türkische Reich in neuer Machtfülle auf gesünderer Grundlage wie früher seinen ihm gebührenden Platz unter den Völkern und Staaten einnehmen. Der zweite Kriegsschauplatz , auf dem sich die Türkei zur Entfaltung starker Kräfte anschickt, ist Ägypten. Hier droht sie den Engländern ebenso gefährlich zu werden wie in Transkaukasien den Russen. Der Besitz Ägyptens ist für England von der größten Bedeutung, denn auf ihm beruht die Benutzbarkeit des Suezkanals , d. h. des auf die
nächsten Weges
nach Indien,
sich seine Weltmacht stützt.
seiner wichtigsten Kolonie, Wird der Suezkanal England
genommen, so sind seine Truppen-, Getreide- und sonstigen Transporte auf den weiten Umweg um das Kap der Guten Hoffnung angewiesen . In dieser Erkenntnis hat es sich ohne einen Schein von Recht in Ägypten festgesetzt und dem Khedive nur den Schein seiner früheren Stellung gelassen. Diese Vergewaltigung hat aber unter der 10 Millionen Seelen betragenden Bevölkerung des Landes, die nationales Dasein
zu
führen,
es wert ist,
ein
und danach verlangt, einen grimmigen
Haß gegen die Engländer erzeugt und eine allgemeine Gärung hervorgerufen. So war es, als der Krieg ausbrach, nötig, die ägyptischen Truppen zu entwaffnen . Weiter wurde der gerade in Konstantinopel weilende Khedive , als er sich weigerte, nach Ägypten zurückzukehren , abgesetzt und durch eine englische Marionette ohne jeden Einfluß ersetzt sowie auch die dem Namen nach noch bestehende türkische Oberhoheit in eine englische umgewandelt. Hierdurch und durch den jetzt ausgeübten übermäßigen Druck, für den z. B. das Verbot der
105
Das Eingreifen der Türkei in den Weltkrieg.
Pilgerfahrt nach Mekka bezeichnend ist, stieg der Haß aber nur immer mehr. Schleunigst wurde die im Lande stehende schwache Streitmacht, da alles Werben um griechische und portugiesische Hilfstruppen vergeblich blieb , durch australische Miliz- und indische eingeborene Kolonialtruppen , die man hatte nach Frankreich schicken wollen, auf angeblich 100000 Mann verstärkt. Zugleich traf man alle Vorbereitungen, um einem türkischen Angriff entgegentreten zu können. Daß man hierzu Zeit hatte, kann nicht wundernehmen . Die Versammlung der türkischen Armee und deren auf weite Strecke durch die Wüste führender Vormarsch mußten geraume Zeit in Anspruch nehmen. Es muß sogar als eine besondere Leistung angesehen werden, das die Spitzen des türkischen Heeres jetzt schon, d . h. Anfang Februar, am Kanal eingetroffen sind. Die Engländer scheinen sie erst später erwartet zu haben, da sie sonst wohl versucht hätten , ihnen größeren Aufenthalt zu bereiten , denn allein schon das Erscheinen der Türken am Kanal muß dessen Benutzbarkeit in Frage stellen. Wie sich die Verhältnisse weiter anlassen werden, kann man nur vermuten. Gefahren. Ein
Jedenfalls
drohen
den
Engländern
hier
schwere
sehr viel schwererer Schlag würde es ja für England sein,
wenn die Türkei auch noch gegen seinen indischen Besitz , der die Grundlage seiner Machtstellung bildet, vorgehen könnte, wie es einst schon Napoleon I. geplant hat.
Durch ihre Stellung in Mesopotamien
und an der Mündung des Schatt el Arab sind hierfür ja sehr viel günstigere Vorbedingungen geschaffen, als dies bei ihm der Fall war. Es ist auch zweifellos , daß das Erscheinen eines türkischen Heeres in Indien,
wo es ebenfalls stark gären soll und eine Verbrüderung von
Mohammedanern und Hindus gegen England nicht mehr zu den Unmöglichkeiten gehört , eine allgemeine Erhebung hervorrufen würde . Aber trotz aller Fortschritte , die die türkische Armee in der letzten Zeit gemacht hat, dürfte sie doch kaum schon in der Lage sein , die ungeheuren Transportschwierigkeiten auf sich nehmen zu können , die mit einem solchen Unternehmen verbunden sind . ländern beikommen
Um hier den Eng-
zu können, gibt es nur eine Möglichkeit.
Dazu
muß der ganze Islam aufgeboten werden. Daß in dem Kampf,
in den die Türkei jetzt ging, dessen Aus-
gang nicht nur für sie, sondern für den ganzen Islam von entscheidender Bedeutung sein mußte, man nicht darauf verzichten konnte, die auch außerhalb des türkischen Reiches lebende islamitische Welt zur Teilnahme aufzurufen,
war selbstverständlich,
denn man
mußte jedes Mittel ergreifen. Die Möglichkeit hierzu war vorhanden. Sie war gegeben durch die Stellung des Padischah als Kalif, d. h. als
106
Das Eingreifen der Türkei in den Weltkrieg.
geistliches Oberhaupt aller Anhänger des Propheten, dessen Stellung nur von den Schiiten Persiens und Transkaukasiens offiziell nicht anerkannt wird, während von allen übrigen Mohammedanern , deren Zahl auf 260 Millionen geschätzt wird ,
nur die Bewohner Marokkos sich
seiner geistlichen Herrschaft zwar nicht ablehnend, doch aber kühl gegenüberstellen. So nimmt der Padischah als Kalif in der islamitischen Welt
eine
ähnliche
Stellung ein wie
der
Papst in der
katholischen Kirche. Dadurch gewinnt seine Stellung eine Bedeutung, die auch in politischer Beziehung weit über die eines Herrschers über 22 Millionen mohammedanischer Untertanen hinausragt, denn wenn auch die meisten Bekenner des Islams unter fremden Herrschern leben,
so stehen
sie
doch in
steter Verbindung mit Stambul.
Es
kommt hinzu, daß seit Jahren eine ziemlich lebhafte panislamitische Bewegung im Gange ist ,
die sich die Überbrückung einzelner Gegen-
sätze zur Aufgabe gemacht hat und deren Fäden in Konstantinopel zusammenlaufen. Es liegt auf der Hand, daß diese Bewegung für ein Reich. das wie das englische 95 Millionen Mohammedaner zu seinen Untertanen zählt, zu einer furchtbaren Gefahr werden kann , wenn ein Militärstaat, wie der osmanische es ist, sich zum berechtigten Verfechter ihrer Forderungen aufwirft. Und die Möglichkeit, dies zu tun, war gegeben.
Gegeben durch
die Religion, die noch nie ihre Wirkung auf einen Moslemin versagt hat. Sie bestand in der Erklärung des Heiligen Krieges . Dem Namen nach kennt ihn der Islam nicht . Was wir so nennen, bezeichnet er mit dem friedlichen Wort „ Dschihad " , d . h. Anstrenguug auf „ Allahs Wege " .
In dem gewaltigen Eindruck,
den
die an den
Tod in ihm geknüpften Verheißungen für das zukünftige Leben zu allen Zeiten auf jeden Gläubigen gemacht haben, lag und liegt heute noch das Geheimnis des Dschihad. Der Entwickelung des Islams entsprechend galt der Dschihad zu Mohammeds Zeit nur für die Verteidigung des Glaubens . Aber schon bald nach seinem Tode vollzog sich jener Wandel im Islam, der seine selbst gewaltsame Ausbreitung zur höchsten Pflicht machte, und damit vollzog sich auch in der nachmohammedanischen Gesetzgebung eine Änderung in den Satzungen über den Dschihad, die nun auf jeden Glaubenskrieg, auch auf einen angriffsweise geführten , ausgedehnt wurden. In der Zeit des Emporsteigens und der höchsten Blüte des Glaubens und des Reiches oftmals ausgerufen, ist der Dschihad schon lange nicht mehr erklärt worden, da das sinkende Reich Rücksichten nehmen mußte. Außerdem hat die Entwickelung der letzten 150 Jahre dazu
geführt,
daß
viele
Millionen
Mohammedaner
unter
fremde ,
andersgläubige Herrscher gekommen sind , und diese haben versucht ,
Das Eingreifen der Türkei in den Weltkrieg.
107
die möglichen Wirkungen eines Dschihad einzuschränken . Angesehene Theologen Indiens und Mekkas haben 1870 einen Dschihad nur zwischen unabhängigen Staaten für zulässig und für Mohammedaner unter fremder Herrschaft, wie die indischen , für unerlaubt erklärt. Sie haben sich dabei streng an den Buchstaben des Gesetzes gehalten , bei dessen Abfassung es noch keine von andersgläubigen Fürsten abhängige
Moslemin gab.
Eine solche offenbar mit dem Geist des
Korans in Widerspruch stehende Auffassung würde eine Selbstbefreiung des Islams unmöglich machen und seinen unter fremder Herrschaft lebenden Anhängern nichts übrig lassen, als sich in echt orientalischem Fatalismus zu fügen. Doch diese Auffassung entsprach weder dem Geist des Korans , noch der augenblicklichen Lage, in der es sich um die Zukunft der Türkei und des ganzen Islams handelte.
Hatte man sich in den letzten
Kriegen aus Rücksicht auf die neutralen Staaten gescheut, ein Dschihad zu entfesseln, so war eine solche Rücksichtnahme jetzt nicht geboten, wo man gerade die drei Mächte zu Feinden hatte, die die meisten mohammedanischen Untertanen besitzen , nämlich England, Rußland und Frankreich, Wollte man den Kampf mit ihnen siegreich bestehen, so mußte man alle Mittel gebrauchen. So setzten sich die an der Spitze des Staates stehenden Männer über den toten Buchstaben des Gesetzes hinfort und griffen zurück auf dessen lebendigen Geist, den die nicht in spitzfindigen Auslegungen gekleideten Worte des Korans enthielten, die zum Dschihad , d . h. zur Anstrengung für den Glauben aufforderten. Am 14. November rief der Padischah als Kalif alle Gläubigen zum Heiligen Krieg gegen die Mächte des Dreiverbandes auf, der gesamte Islam sollte den Kampf mit ihnen aufnehmen . Das Fetwa des Scheichu'l Islam und der auf ihm beruhende Aufruf des Kalifen erklärte den Fall der "9 allgemeinen Erhebung " für gegeben. Im weitesten Umfange sie erfolgen . Im Orient gebraucht
und in der schärfsten Form sollte
alles mehr Zeit zum Reifen
als bei uns.
So werden wir wohl noch geraume Zeit warten müssen , bis der Aufruf zum Dschihad seine volle Wirkung ausüben wird. Zweifellos werden auch die Feinde alles aufbieten, um diese abzuschwächen, und auf Grund der Auffassung, daß ein Dschihad nur von Staat zu Staat zulässig sei, werden Gegenfetwas erscheinen .
Doch damit werden vor-
aussichtlich nur bei einzelnen Kreisen der Gebildeten Erfolge erzielt werden. Die große Masse wird sich nicht ködern lassen. Zu sehr hat sie unter der Herrschaft ihrer Unterdrücker gelitten und zu groß ist der Haß
in ihr.
Die panislamitische Bewegung hat auch bereits
zu tiefe Furchen gezogen.
Sprachen doch bereits vor dem Kriege viele
108
Das Eingreifen der Türkei in den Weltkrieg.
für eine Erhebung, und nun, da durch denselben die ganze Kraft der Zwingherren in Anspruch genommen ist, kommt der Aufruf zu derselben gerade von der Stelle, wo alle Fäden zusammenlaufen . So werden die Sendboten des Kalifen offene Ohren und Herzen finden. Und zu ihnen gesellen Tausende von Pilgern,
sich als Verkünder des Dschihad die vielen
die gerade zum höchsten Feste des Islams an
dessen heiligen Stätten versammelt waren, als der Kalif die grüne Fahne des Propheten entfalten ließ. Sie alle stumm zu machen, dazu reicht selbst Englands Macht nicht aus. Die Bewegung ist im Gange, sie wird nicht mehr einzudämmen sein. Der Islam hat sich erhoben und sein?
den Kriegspfad betreten.
Die geheimnisvolle Wirkung
des
Was wird die Wirkung
Dschihad auf den Einzelnen
In den Glanzzeiten des Islams suchte jeder den Tod in ihm. Daher die gewaltigen Erförmlich seiner Anhänger folge des Islams, dessen Anhängern nichts widerstehen konnte. Auch wurde schon erwähnt,
heute wird der Dschihad seine Wirkung auf den Geist des türkischen Heeres nicht verfehlen. Keine günstigen Aussichten hat der Dschihad in Marokko, wo ja der Einfluß des Kalifen immer gering gewesen ist, und in Algier, wo der bessere Teil der islamitischen Bevölkerung zu sehr mit dem französischen Interesse verknüpft ist.
Auch in Tunis hat die
französische Herrschaft schon festen Fuß gefaßt. dann weiter nach Osten,
so
kommen wir nach
Wenden wir uns Tripolis und
der
Cyrenaika, die seit dem lybischen Kriege unter italienischer Herrschaft stehen. Für diese Gebiete ist die Erklärung des heiligen Krieges aus Rücksicht auf Italien unterblieben . Ganz anders
als im Westen Nordafrikas liegen die Verhältnisse
in Ägypten und in den von Mohammedanern bewohnten Teilen Asiens . Hier leben in ununterbrochener räumlicher Verbindung ganze Völker, in denen noch das Verlangen nach eigener Nationalität lebendig ist , die frei sein wollen und auch wert sind, es zu sein . Von Ägypten wurde schon gesprochen.
Auch von der Türkei und Arabien braucht
nichts
werden.
weiter gesagt
zu
Persien ist offiziell noch neutral,
wird es aber kaum bleiben können, da die Bewegung bereits nach Aderbeidjan herübergegriffen hat, so daß die Russen haben Tebris räumen müssen . Aber von ungleich größerer Bedeutung ist es , daß die Sache des Panislamitismus einen begeisterten Anhänger in dem klugen und tatkräftigen Herrscher Afghanistans gefunden hat , der bereits viel für die kulturelle und militärische Hebung seines Landes getan hat. Was für Gefahren der englischen Herrschaft in Indien
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Das Eingreifen der Türkei in den Weltkrieg.
bei einem Einmarsch der Afghanen drohen , ist überhaupt nicht abzusehen. Die Mohammedaner haben 1857 die englische Herrschaft gerettet, als sich die Sepoys gegen sie erhoben hatten, heute warten sie selbst nur auf das Zeichen zur Erhebung, und mit ihnen warten die Hindus, die ebenso entschlossen sind, das Joch der Fremdherrschaft abzuschütteln . So dürften deren Tage gezählt sein. Die schwachen englischen Kräfte , die im Lande stehen , retten.
Was aber die
werden sie nicht
eingeborenen Truppen anbetrifft,
so
werden
sich diese vielleicht schon längst empört haben, während ihre Brüder noch gegen uns in Frankreich kämpfen. Japan wird aber kaum den Engländern zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft helfen, denn es hat jetzt die nie wiederkehrende Gelegenheit, größere und ihm näherliegende Aufgaben zu lösen , die es bald in einen scharfen Gegensatz zu England und dessen Verbündeten stellen dürften. Wie sich all diese Verhältnisse entwickeln werden, kann heute niemand wissen. Das steht aber fest, daß es eine große Zukunft ist, die dem Islam und damit auch der Türkei als seiner Vormacht winkt. Doch dazu müssen sich beide mannhaft erweisen . Dazu sind denn auch die Führer, die jetzt in der Türkei das Heft in Händen haben, fest entschlossen.
Und
nicht nur sie.
Das ganze Volk scheint er-
wacht zu sein und den gesamten Islam fortreißen zu wollen. Der Krieg, den uns unsere Gegner aufgedrängt haben, sollte nicht nur Deutschland und Österreich-Ungarn, sondern dem ganzen Germanentum gelten. wachrufen sollten.
Sie ahnten nicht, welche Kräfte sie gegen sich Und nun, da sie selbst in einen aussichtslosen
Kampf verwickelt sind, hat sich noch neben die germanische Welt die des mit Gewalt nach Verjüngung strebenden Islams gestellt, die erkannt hat, daß unser Krieg auch ihr Krieg sei. Darauf waren sie nicht vorbereitet. Menschlichem Ermessen nach müssen sie erliegen.
110
Kriegserfahrung in Lehre und Anwendung.
XI.
Kriegserfahrung
in
Lehre
und
Anwendung.
Von Woelki, Oberst z. D.
Daß im Kampfe des Daseins ganzer Völker , wie der einzelnen , die richtige Beurteilung der einschlägigen Verhältnisse und Umstände von größter Bedeutung ist, und daß die Erfahrung hierfür mancherlei Anhalte geben kann, das steht ebenso fest, wie daß es allenthalben zumeist auf das „Wie " ankommt, mit dem eine Sache, ein Plan angefaßt und durchgeführt wird.
Die bloße Erkenntnis macht's dabei
noch lange nicht , sondern, vielleicht noch mehr,
kommen die natür-
lichen Anlagen, darunter namentlich das Auffassungsvermögen des Geistes, die Entschluß- und Tatkraft zur Umsetzung der Ein- und Absicht in die Tat, der Theorie das Ursprüngliche
ist
dabei
in
allemal
die Praxis,
zur Geltung.
fester gegründet wie
Und
alles erst
Angenommene, das Genie steht höher wie jedes noch so große Talent, derart, daß selbst nur eine einseitige große Begabung andere Mängel Besonders die im entsprechenden Umfange zu decken imstande ist. --— Energie hat sich eben im Kampfe als vor allem wirksam und oft allein ausreichend oder entscheidend erwiesen. Man braucht noch nicht bis auf Attila,
Tschengis-Chan und Tamerlan
zurückzugreifen,
näher und darum anschaulicher ist wohl das Beispiel von Suwarow. Das war zweifellos ein tüchtiger General, der seine Größe, seine Er folge fast nur der ― etwas - wilden Energie verdankte, seiner selbst wie seiner Truppen , die er, sich entsprechend, sich zu seinem Werkzeuge ausgebildet hatte. Bei näherem Zusehen zeigen sich denn auch die Schwächen seiner Einseitigkeit . Seine vollkommenste Leistung, diejenige,
die die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt hatte ,
war wohl seine Erstürmung von Ismail ( 1790) ; ohne rechten Vorgang ,
welche Festung er,
ebenso zutreffend eingeschätzt wie erfolgreich
angegriffen hat ; während dagegen schon die Eroberung von Warschau zu Ausstellungen Veranlassung gibt , und der viel bewunderte Übergang über die Alpen (St. Gotthard) eigentlich einen Mißerfolg zeitigte, daneben die Klarheit des Ziels, Kenntnis und Übersicht der in Erage stehenden Faktoren , ja, auch die Zweckmäßigkeit der Anordnungen , vermissen läßt. Zu solcher Aufgabe reichte eben sein ingenium nicht aus, und seine verhältnismäßig sehr große Kriegserfahrung ließ ihn im Stich!
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Kriegserfahrung in Lehre und Anwendung.
Bei einem ähnlichen Geschichtsbilde, dem 93 Marschall Vorwärts " , erscheint schon als Ergänzung - wie unumgänglich sein Generalstab, mit Männern wie Gneisenau, Müffling usw. Seitdem hat man ich wohl daran gewöhnt, die Spitze und Vertretung der Heeresleitung die zu personifizieren immerhin ein Volksbedürfnis — von der Unmasse an Klein- ( ?) Arbeit, die nunmehr, in steter Progression steigend, zur Heeresleitung gehört , zu entlasten , sie für ihre folgenschweren Entschlüsse möglichst freizuhalten, ihr freilich auch eine entsprechende selbstüberwindende Zurückhaltung zumutend , tatkräftigen Natur
oft schwer genug fallen mag.
die einer
Denn Selbstüber-
zeugtheit liegt solcher Stellung wohl nahe genug und Eigensinn ist bekanntlich eine Eigentümlichkeit der höheren Jahre - eben im Pochen auf die größere Erfahrung !
Ganz abgesehen von dem an Größen-
wahn grenzenden Bestreben, bekannten Universalgenies, wie Friedrich dem Großen oder Napoleon , die keine ebenbürtigen Geister neben sich hatten, nacheifern zu wollen, ― von solchen zu schweigen, die nicht anders etwas fertig
zu bringen vermögen,
als wenn sie
alles selbst
in der Hand und im Kopfe zu haben vermeinen. Die Verteilung von Aufgabe seits
freilich
und Verantwortung bringt
auch die Nachteile
und
Mängel von
ander-
Komitees und
Kompromissen mit sich : mit der Anpassung an die Auffassung einer Mehrheit, und damit der Ausgleichung von Höhen und Tiefen . Abschwächung von Vorzügen und Mängeln zum allgemeinverständlichen Mittelgut, wenn nicht zum minderwertigen Allheilmittel. Die Erfahrung als solche kommt dabei zumeist nur indirekt, aus zweiter oder dritter Hand, zur Geltung, aber - immerhin doch nach einer gewissen Verarbeitung - in Schulung und Entschlußkraft hin.
Aber selbst,
auf die rechte Auffassung
wo dies höchste
Ziel nicht
ganz erreicht wird und die Verwässerung und Zustutzung nach vorherrschenden Vorurteilen
überwiegt ,
verdient
dieser Weg
(Modus)
doch immer noch den Vorzug vor dem geistlosen Pochen auf den Ruhm geleisteter, wenn nicht nur erlebter, Vorgänge mit dem damit verbundenen Kleben an einmal bewährten Verfahren, und Methoden
eine
Gefahr, die immer noch droht,
Normen
obwohl in
dem Zusammenbruch der Revuetaktik Friedrich des Großen zu Anfang des vorigen Jahrhunderts wohl abschreckend genug sein müßte. Zuge der Zeit,
ein Beispiel
gegeben ist ,
das noch
Hier gilt die Erfahrung : Wer dem
in Verkennung ihrer Entwickelung,
nicht folgt,
ge-
schweige ihr nicht zuvorkommt . über den geht sie eben erbarmungslos hinweg.
Aber kaum
weniger verfänglich
erscheint,
hierzu
im
Gegensatz, die andere Gefahr der Einzelnutzanwendung : die impulsive Neuerungssucht, das übereifrige Zuvorkommenwollen im Ausnutzen
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Kriegserfahrung in Lehre und Anwendung.
der allerneuesten Mittel und Verfahren . lich der 29 Burentaktik" gedroht hat.
Wie uns dies jüngst bezügSo verblüffend einleuchtend
diese in die Erscheinung trat und an Ort und Stelle zur überraschenden Wirkung gelangt war, für unsere Verhältnisse blieb schließlich doch nur wenig zur Verwendung übrig.
Ebenso wie wir nur mit Miß-
trauen und Vorbehalt den nicht minder epochemachenden Kriegserfahrungen aus Ostasien gegenübertreten durften. Eine weitere Gefahr bringt beim Sichverlassen auf Kriegserfahrung die Not einer überraschend schwierigen Lage : wenn eben kein erwünschter Anhalt für den Entschluß,
noch ein
passendes Hilfsmittel,
oder auch nicht gleich gefunden wird,
zur Hand ist
weil die Verhältnisse ,
eigen-
artig oder übermächtig, mehr an Mitteln, Kräften und Findigkeit erfordern, als dem Betreffenden zu Gebote steht ; der vermeintliche Notstand ist dann nur zu oft die Klippe, an der die schönsten Ladungen von ausgeklügelten Grund- und Lehrsätzen, Normen und Praktiken hilflos zerschellen. Es kann denn auch nicht genug davor gewarnt werden , Kriegserfahrungen unmittelbar , d . h. so wie sie bekannt geworden , als lehrreiche Beispiele hinstellen , geschweige sie ohne weiteres als Anhalt und Muster verwerten zu wollen . Vielmehr erscheint dazu eine völlige Verarbeitung erforderlich ; und gerade die zu ihrer Zeit auffälligsten und eindrucksvollsten Erscheinungen bedürfen der peinlichsten in bloßer Nachahmung - am leichtesten Prüfung, weil sie sonst irreführen möchten.
Die Verarbeitung kann
aber
zumeist nichts
Besseres bezwecken, als die Übung und Schärfung der Urteilskraft , oder auch : die Belebung und Stärkung des angeborenen Taktgefühls (ingenium), das uns , wie auch v . Clausewitz hervorhebt, doch zumeist, wenn auch oft unbewußt, in den entscheidenden Momenten leitet . So weit und umständlich der Weg dahin auch immer scheinen mag, eine so gefestigte und zuverlässige Auffassung in jedem Falle --- ist wohl des Schweißes der Edlen wert. Hier ist noch
darauf hinzuweisen ,
wie
zwar jede Verwertung
eine gewisse Zuverlässigkeit der Darstellung des oder der Vorgänge als Grundlage voraussetzt, daß aber gerade eine völlige Verarbeitung noch am ehesten einer abgeschlossenen Erforschung entraten kann. Wollte man anders , ehe man sie als Kriegserfahrung gelten läßt, erst eine restlos einwandfreie und unbestrittene Aufklärung der Vorgänge abwarten - wie sie doch für eine unmittelbare, mehr mechanische, Nutzanwendung nötig wäre —, dann könnte man leicht überhaupt nicht zum Schluß kommen. Werden doch heute, nach mehr als 100 Jahren, noch erhebliche Einwürfe und Ausstellungen an den bisherigen Darstellungen der Freiheitskriege
unter Beifügung noch
113
Kriegserfahrung in Lehre und Anwendung. immer wieder neuer Momente
gemacht !
Und die heutigen Vor-
gänge sind wohl noch verwickelter wie die vor 100 Jahren !
Da ist
es denn wohl wesentlich, wenn es nicht erst
reinen
Wahrheit (soweit von einer solchen die Rede sein kann) bedarf.
der absoluten,
im praktischen Leben überhaupt
Von dem so bezeichneten
Standpunkte
aus möchte
unter
Beiseitelassen aller sonstigen Eigentümlichkeiten, Schwierigkeiten , Mängeln wie Vorzügen der einzelnen Verfahren , betreffend Ermittelung, Folgerung und Anwendung von Erfahrungen - vielleicht noch darauf hinzuweisen bleiben , daß hier nicht etwa nur die Durchführung einer Erkenntnis in einer individuell beschränkten Richtung, sondern - nach Maßgabe der erstrebten Geltung - eine Fülle von nie völlig gleichartigen Ansichten
und Werten ,
der Umstände , in Betracht kommt. lichen Erfahrung ;
noch dazu bei stetem Wechsel Das zeigt sich bei jeder bezüg-
selbst betreffs einer an sich so einfachen Tatsache
wie der großen Verluste besonders an Führern (Offizieren ) . Da wird es vielleicht noch gelingen, eine gewisse Übereinstimmung der Ansichten über die Gründe dieser Erscheinung zu erhalten ; über die zu treffenden Abhilfen werden
aber
sicherlich die Meinungen
aus-
einandergehen ; und dazu werden die endgültigen Maßnahmen schwerlich überall und immer dieselben bleiben können . So würde eine einfache Vermehrung der Stellen bis zu einem Verhältnis (beispielsweise) von 1 : 7 des Friedensmannschaftsstandes- wie es in einzelnen alten Armeen [ Spanien] gewesen - ebenso auf Widerstand stoßen wie die bedarfsweise Auswahl gebote
den
Ansprüchen
nicht
aus
gerecht
den Ergebnissen der Aufwerden könnte ,
zumal im
letzteren Falle auch die besondere, ausgedehntere Ausbildung der an sich geeigneteren Elemente dann wirtschaftliche Schwierigkeiten durch die Entziehung der für den Nährstand wichtigsten Kräfte schon im Frieden mit sich bringen würde . Hier die richtige Vermittelung der beiderseitigen Interessen zu finden und durchzuführen, ist denn eine ebenso schwierige Aufgabe, wie ihr Ergebnis nur ein bedingtes und begrenztes sein kann. Und wenn vielleicht auch unter dem frischen Eindruck der Erfahrung die möglichst vollständige Beseitigung des Mangels das Übergewicht über die entgegenstehenden Interessen gewinnt, so wird doch mit der im Laufe der Zeit eintretenden Umkehr dieses Verhältnisses ,
wie mit immer wieder nötigen Änderungen
und Ergänzungen, in Gemäßheit der weiteren Entwickelung zu rechnen sein ; von einem völligen Wandel des Bedürfnisses, indem sich etwa die Erscheinung der Begründung nur als eine vorübergehende und nicht in demselben Maße drohende herausstellt, oder aber durch anderweitige taktische Maßnahmen gemindert , endlich auch (überhaupt) 8 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 522.
114
Kriegserfahrung in Lehre und Anwendung.
der Bedarf
hier an Offizieren
durch Vereinfachung der Auf-
gaben und Gliederung, wie der Kriegführung überhaupt, geringer mag dabei schon abgesehen werden ; wie erst recht werden kann von dem allemal zu gewärtigenden Gegenwirken der sich ganz natürlich einstellenden Gegenströmungen , die schon von Anfang an den Übelstand als Mangel gar nicht (als vor anderen abzustellen) anhöchstens eine notdürftige Lösung im Zwange der Not als hinreichend, ja, für einen Vorteil ansehen, andernfalls reaktionäre erkennen,
oder
andere unbeliebte Aspirationen wittern und dergleichen mehr. neue Erscheinung bringt der jetzige Ver-
Eine andere auffällige,
lauf der Hauptkämpfe , für die der Begriff der alten „ Schlacht “ nicht mehr zutrifft. Das zeigt schon die Schwierigkeit, sie örtlich wie „, Schlacht in Lothringen “ , „ bei Tannenberg " , zu bestimmen zeitlich wie örtlich Lodz- Lowicz " usw. Sie sind sämtlich zu ausgedehnt,
um
sie wie vordem
nach den Zusammenstößen von
30000 bis 100000 Mann , in gedrängter Ordnung, aus nächster Nähe zusammenzufassen und benennen zu können. Der Vorgang und Verlauf der Kämpfe ist nun ein ganz anderer geworden . Massenheere von vielen Hunderttausenden, in weitester Gliederung, mit Feuerwaffen bis zu 15 km wirksamer Tragweite und einer Kampfweise , die freie Ansicht, geschweige einen Überblick erschwert, wenn nicht ganz verhindert, brauchen schon von vornherein ungleich mehr Raum und Zeit zur Entfaltung zum Einsatz und Verbrauch ; die Entscheidung wird damit unsicher und schwerer zu erzielen ; sie kann dafür aber unschwer hinausgeschoben werden durch Ausnutzen der großen Verteidigungskraft, die die zeitigen Feuerwaffen bieten. Und schon scheint es, als ob der Kampf um Stellungen -- in
Wiederkehr der Zeiten von Prinz Eugen-Turenne bis auf Friedrich den Großen fortan vorherrschen würde ! Aber dagegen sprechen denn doch nicht nur gewisse Vorgänge, wie auch zumeist die der östlichen Kriegsschauplätze, sondern mehr noch der Zug der Zeit wie die Bedürfnisse der allgemeinen Entwickelung, die auf Klärung und Entscheidung hindrängen und schließlich doch immer wieder eine solche Energie der Kriegführung zeitigen dürften, die jede Bindung und Beschränkung zu überwinden, zu brechen , wenn nicht zu paralysieren, die Entscheidung also durch geeignete Mittel und Vorkehrungen mit Kunst oder Gewalt herbeizuführen versteht ; es wird dies auch um so sicherer gelingen, wenn mit der nötigen Überlegenheit, sei es der Kräfte und Mittel, sei es des Geistes, an das Unternehmen herangetreten wird. Denn „ unangreifbare Stellungen “ und „ undurchbrech66 bare Fronten kann es heutzutage doch nur in gewissen Lagen und unter bestimmten Bedingungen geben,
die sich durchaus
nicht den
115
Kriegserfahrung in Lehre und Anwendung.
allgemeinen Kampfgesetzen entziehen, noch solche Vorzüge haben , die nicht durch geeignete Maßnahmen in Nachteile bzw. zum Schaden verwandelt werden könnten. Es müßte dann eine solche pazifizistische Versumpfung der kriegerischen wahrlich nichts zu merken ist.
Kraft Platz
greifen,
von der noch
Auch nur unter Zugrundelegung der zeitigen Kampfverhältnisse bleiben immer noch recht verschiedene Folgerungen zu verarbeiten. Zunächst die Frage zu beantworten : Worauf und wie soll man sich vorbereiten ? Liegen doch ganz verschiedene Vorbedingungen der einen wie der anderen Kampfweise zugrunde ! Sich z . B. etwa , wie vordem , grundsätzlich für den Angriff zu entscheiden, ihn stets im Auge zu behalten, zu pflegen und vorzugsweise vorzubereiten , die Verteidigung mit allem, was dazu gehört, aber als cura posterior zu behandeln , Auch , wenn gerade für geht denn doch wohl nicht gut an. unseren Bedarf der Angriff unbestritten verdient.
nach wie vor den Vorzug
Da wird denn wohl schon nichts anderes übrig bleiben , als die
natürlichen
Gegensätze ,
ohne
Verkümmerung
der
einen
wie
der anderen Seite, auszugleichen und, unter Vermeidung einer Zersplitterung (Verläpperung) der Kräfte und Mittel, solche mit der Maßgabe zu scheiden, daß sie in jedem Falle voll und ganz eingesetzt werden können. Was um so eher gelingen kann, wenn an dem Grundsatz der möglichsten Einfachheit , schon als Gegengewicht gegen die sonst nicht übersehbaren Mittel und Gebrauchsarten der Neuzeit, festgehalten wird. Wie weit dabei im einzelnen zu gehen, wie auch manche weitere Frage, so : ob und wieweit es angezeigt (ist), die zumeist auseinandergehenden individualisierenden Tendenzen hintanzuhalten, Sammlung und Straffheit dagegen und zu pflegen bleiben , das wird dann noch einer betonen zu besonders besonderen Prüfung und sorgfältigen Erwägung bedürfen . Und noch wichtiger ist die Abschätzung und Abwägung der sittlichen wie physischen Kräfte , die für den zu fassenden Entschluß ( Plan) zur Verfügung zu
bekämpfen,
stehen (werden), auch, wieviel davon noch zu wecken und bereit zu stellen sein würde. Diese Kräfte nur ad libitum vorauszusetzen oder davon zunächst abzusehen , weil sie doch nicht vorher bestimmbar ist doch nichts weniger, als den wichtigsten Faktor jeder Und so überaus Vorausberechnung (jeden Kalküls) beiseite lassen . reich und unerwartet groß diese Kräfte von Anfang dieses Krieges bei uns gewesen, sie einzuschätzen und auszunutzen , sie zu schonen , zu pflegen, wie an rechter Stelle einzusetzen, dazu boten sich wohl
wären,
Anhalte und Erfahrungen genug. Etwas anderes ist es freilich damit , solche Werte, die so wenig faßbar und mehr Gefühlssache sind , in 8*
116
Kriegserfahrung in Lehre und Anwendung .
brauchbare Lehren zu bringen und als Nutzanwendungen zu fassen. Davon mag denn auch hier abgesehen werden. Viel mehr sind es die Formen und Ergebnisse, die die (eigentlichen) Kräfte eingenommen und gezeitigt, mit oder ohne Vorteil in Anwendung gekommen sind, wie die damit gemachten Erfahrungen, die das eigentliche Feld und von jeher den rechten Tummelplatz für Ansichten, Streitfragen und Lehren gebildet ; oft genug in willkürlicher Voraussetzung, wenn nicht ohne Rücksicht auf jene, die tieferen Werte und eigentlichen Ursachen. Aber auch bei Beschränkung auf die Fragen nach den besten Formen, ihre Anpassung, Einübung und Ausnutzung mit den zugehörigen Hilfsmitteln, erfordern solche schon eine Unsumme von Erwägungen . Kommen doch dabei, mittelbar, Anordnungen, Einrichtungen (Formationen , Organisationen) allgemeiner Natur wie besonderer Art, Beschaffungen im großen wie im einzelnen, wie für den Kampf selbst, so für den An- und Aufmarsch , die Aufgebote und deren Unterhaltung, Beförderung, Verbrauch , Ersatz, Ergänzung , die Waffen und Hilfsmittel, deren Anwendung, im einzelnen wie im Zusammenwirken, in den verschiedenen Gebrauchsfällen , im alle
Wechsel der bekannten wie beim Neuauftauchen besonderer Umstände , in Heranziehung aller überhaupt verwendbaren, wie der vorzugsweise geeigneten Mittel, so der Luftfahrzeuge , der Selbstfahrer, Eisenbahnen , Minenbohrapparate, Laufgrabenpumpen, Spürhunde, Fernsprecher, Schilde, Unterstände, Drahthindernisse usw. in Betrachtung, auf die alle einzugehen hier zuweit führen würde. Es möge daher, außer den schon berührten Punkten , nur noch bei
einem
oder anderen Kriegsmittel auf die Einflüsse der Kriegs-
erfahrungen und die Unsicherheit (Wandel) der Ansichten über Ausnutzung hingewiesen werden. Von den derzeitigen Kriegsmitteln nehmen vielleicht am meisten die Luftfahrzeuge und Maschinengewehre das allgemeine Interesse in Anspruch.
Auf die ersteren näher einzugehen, muß vorläufig noch
unterbleiben, aus Rücksichten , die sich auf die Maschinengewehre nicht mehr erstrecken . Diese bilden ja eine besonders markante Erscheinung der zeitigen Kämpfe ; sie geben der Gewalt des Kleingewehrfeuers den stärksten Nachdruck ; sie wirken damit oft genug entscheidend und erscheinen namentlich für die Verteidigung ebenso unentbehrlich wie maßgebend ; auf ihnen beruht denn auch zumeist die Verteidigungskraft und demzufolge die große Verbreitung der Feldstellungen. Ihre Anwendung ist darum aber keineswegs bedingungslos. Das beweist schon ihre bisherige Geschichte . Als ihr erstes Auftreten, oder doch ihre Vorläufer, kann man die Mitrailleusen ansehen, die 1870 keinen derartigen Erfolg hatten, daß sie die Nieder-
117
Kriegserfahrung in Lehre und Anwendung. lagen verhinderten und
deshalb
ohne
viel Federlesens
mit manch
anderem gerade Vorhandenen über Bord geworfen wurden .
Daß der
Mißerfolg, soweit ein solcher vorlag, zum großen Teil an der Verwendung nach Art der Feldartillerie gelegen, wurde nicht erst erwogen noch beachtet . In ihrer jetzigen Art der Anwendung tauchten sie zuerst 1898 bei Omdurman auf, wo sie die Engländer (Kitchener) im Kampf gegen die Mahdisten mit durchschlagendem Erfolge in Wirksamkeit setzten. Der Russisch- Japanische Krieg gab dann Gelegenheiten zur Verwertung in verschiedener Art, die durchweg günstig ausfielen , und seitdem wetteiferten alle Heere, sie zu beschaffen und einzugliedern. Und so werden sie jetzt überall einzusetzen gesucht, wo es auf eine höchst gesteigerte, gedrängte Wirkung, wie bei Bestreichungen engbegrenzter Zonen , Flankierungen,
ankommt.
Sie stellen damit eine
Spezialwaffe von großer Wirkung, dazu die Tendenz der Ergänzung und Verstärkung des Infanteriefeuers von der Zeit der Feldschlangen und Bataillonskanonen her, - weiter: einen Prozeß dar, den zu verfolgen nicht
nur
von
allgemeinem
praktischer Wichtigkeit sein
müßte,
Interesse, sondern auch von
wenn es nämlich gelänge , die
Richtung vorauszusehen, die die weitere Entwickelung nehmen wird ; ob weiter noch nach derselben Seite ( Richtung) , zu noch größerer Beherrschung des nähern Vorgeländes , oder, rückläufig, in entgegengesetzter Richtung, indem die hervorgerufene Reaktion, die sich zunächst nur der Erde als Deckung (durch teilweises Eingraben) bediente , aber mit der Zeit sicherlich sich wohl noch auf andere Mittel- auf, unter und über der Erde (von der Luft aus) erstrecken wird , die Oberhand gewinnt ; oder aber, ob sie durch anderweitige Kampfweisen, deren Bedingungen und Mittel beiseite geschoben , außer Gebrauch kommt , oder auch, infolge indirekter Abträge durch weitere Entwickelung der anderen Waffen, namentlich der Artillerie, auf ein mehr bedingtes , bescheideneres Maß des Einflusses herabgedrückt werden wird. Aber auch davon abgesehen, also nur in bezug auf die zeitigen Verhältnisse wie auf Grund der eben erwiesenen Vorteile, Wirkungen und Erfahrungen, sind es immer schon der Erwägungen übergenug, die sich hier betreffs Lehre und Anwendung aufdrängen. Allein die Ausdehnung der Ausrüstung (damit) im Verhältnis zu den anderen Waffen zu bestimmen, hat schon ernste Schwierigkeiten : Der Reiz der Neuheit erhöht wohl auch die Wirkung über die wirkliche und gewohnte hinaus und verführt leicht zu einer Übertreibung, auch in der Anwendung. Dagegen fehlt es schon nicht an Kampfverhältnissen, in denen dies Mittel nicht voll oder gar nicht zur Verwendung gelangt, Gefechtslagen, die wohl gesucht und vermehrt werden können ; in
denen
also
dies Mittel unnötig,
zum Ballast,
zur Ab-
118
Kriegserfahrung in Lehre und Anwendung.
lenkung und zum Nachteil werden mag!
Es beweist auch dagegen
wenig, wenn gerade jetzt, während des Krieges , noch die Strömung nach Erhöhung und Vermehrung solcher Hilfsmittel ad hoc, das Bedürfnis der Unterstützung der Infanterie in ihren schweren Aufgaben mit einer eindrucksvolleren Waffe - von größerer ( Einzel-) Wirkung, sei es hier mit Maschinengewehren, Feldartillerie, schwerer und schwerster Artillerie , sei es dort auch nur mit Gebirgsartillerie, anscheinend wächst. Bei solcher Fülle. Vielseitigkeit und Unsicherheit der bezüglichen Bedürfnisse , Werte, Ansichten und Tendenzen, wie sie hier schon aus wenigen Vorfragen hervorgehen, sowie bei den sich daraus für die Verwertung von Kriegserfahrungen , auch wo solche sich unmittelbar darbieten, ergebenden Schwierigkeiten , erscheinen darum (um so mehr) gewisse Gesichtspunkte und Richtlinien dringend geboten ; so insbesondere auch der Gesichtspunkt , daß , wie jede Zeit ihre eigenen Kriege , so auch alle Geschehnisse ihre besondere Eigenart und eigene Beziehungen haben .
Wo die letzteren irgendwie als fremd anzusehen
sind und überwiegen, wo nur „ beschränkte " Ziele möglich sind (vgl. v. Clausewitz , „Vom Kriege “ , Kap. VIII ), da muß die Energie des Krieges leiden, und werden alle Erscheinungen und Erfahrungen dem Rechnung tragen müssen, mithin für allgemeingültige Lehren nur mit äußerster Vorsicht Verwendung finden können. Und weiter : Mittel und Verfahren sind
noch nicht die Hauptsache ; einem ziel-
bewußten Willen hat es noch nicht an Mitteln und Wegen gefehlt , und wird es nie fehlen, zumal als es, wie schon eingangs hervorgehoben ist, nicht sowohl auf die Mittel an sich, als viel mehr auf die Art ihrer Anwendung
bestehend in rechter Erfassung von Ziel
und Anschlag, in zutreffendem Urteil über die in Frage kommenden Kräfte und Mittel wie in voller Energie der Durchführung, oder auch (in anderen Worten) : Führung und Heer
auf den Geist und die Disziplin vor allem ankommt.
von
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa.
119
XII.
Der Krieg und die
Neutralen
in
Süd- und
Südosteuropa.
Von Rh. , Generalleutnant z. D.
Alle Großmächte Europas haben den Scheitelpunkt der Entwickelungskurve ihrer Wehrkraft erreicht wenn nicht einige schon überschritten ! - und in dem gewaltigen Ringen, das den alten Erdteil Europas erzittern macht, eingesetzt bis auf Italien, das den Aufstieg seiner militärischen Kraftentfaltung mit Hochdruck und Eile unter Aufwand von mehr als einer Milliarde betreibt und den für diesen möglichen Gipfel in absehbarer Zeit erreicht haben wird . An Lockungen der Dreiverbandmächte, mit dem Fell des noch nicht erlegten Bären, die dritte der Dreibundmächte aus der bis jetzt so streng gewahrten Neutralität wortbrüchig nach ihrer Seite zu ziehen , an Lockungen und Drohungen hat es auch gegenüber den Mächten zweiten Ranges Europas nicht gemangelt. Sicher, daß Lockungen und Drohungen sie von dem streng beobachteten Wege der Neutralität nicht abweichen lassen werden, sind wir heute schon bei den Niederlanden , die ihre stärkste Waffenrüstung dauernd angelegt haben, um die Freiheit der Selbstbestimmung sich zu wahren, bei den skandinavischen Reichen und bei
Spanien,
dessen
Bevölkerung in weiten
Kreisen
offene
Sym-
pathien für die verbündeten Zentralmächte zum Ausdruck bringt, ohne gewillt zu sein, aus der Neutralität herauszutreten. Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgen die bisher neutralen Mächte im Süden und Südosten Europas den Gang der kriegerischen Ereignisse , z . T. den Finger am Abzug, um gewappnet zu sein für den Moment, den ihnen zum Eintritt in das Ringen von Millionen die eigenen Interessen als den geeigneten raten können.
DaB Italien,
Rumänien und Bulgarien ihr Schwert gegen uns
lenken könnten , halten wir dabei für ziemlich ausgeschlossen. Es ist von Interesse, kurz zu beleuchten, was die Neutralen in Süd- und Südosteuropa an Streitkräften in die Wagschale des jetzigen Weltkrieges zu werfen vermöchten . Beginnen wir mit dem Südwesten Europas, so hat
120
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa . Spanien
einen beträchtlichen Teil seiner Streitkräfte als in Afrika gebunden zu betrachten, wo ihm der Kampf in Marokko, den der Heilige Krieg jetzt vielleicht wieder zu neuer Heftigkeit aufflammen lassen kann , täglich eine Million Pesetas gekostet hat .
Allein finanzielle Rücksichten
gaben schon den Grund dafür, daß man in Spanien die Reformen auf dem Gebiete der Wehrkraft, die lange bereits beschlossen waren, noch nicht zur Durchführung gebracht hat und jetzt endlich von dem durch das Parlament mit einem Vertrauensvotum erdrückender Mehrheit
befestigten
präsidenten
Ministerium
selbst
erhofft,
Dato
daß es,
nach
Erklärung
des
Minister-
nach Genehmigung der Marine-
vorlage, endlich auch die Heeresreformen zur Verabschiedung bringen wird. Diese Reformen werden sich besonders auch auf Verjüngung der Generalität, Reform des Generalstabes und auf das Rekrutierungsgesetz erstrecken müssen, dessen scharfe Bestimmungen bezüglich Diensttauglichkeit bis zu 40 % , in einzelnen Provinzen bis zu 75 % , der Auszuhebenden untauglich erklären ließen .
Bei rund 19/2 Million
Bevölkerungsziffer müßte Spanien, bei 1 % dieser Zahl im Frieden , rund 195000 Mann unter den Waffen haben , während man von 1911 ab mit 115000 Mann rechnete und 1915 auf 140000 Mann Friedensstärke kommen wollte. Das Wehrgesetz vom 3. Januar 1912 brachte den großen Fortschritt
des Fortfalls
des
1500 Pesetas möglichen Loskaufs.
bis
dahin gegen Zahlung von
Das Gesetz
erlaubt aber noch ,
daß bei einem gewissen Grad der Vorbildung, Zahlung von 1000 Pesetas , Verpflegung, Ausrüstung und Unterkunft auf eigene Kosten, sowie Nachweis der Befähigung zur Unteroffizierklasse bei freier Wahl des Truppenteils , die aktive Dienstzeit auf zehn Monate in Abschnitten von fünf, drei und zwei Monaten abgekürzt wird , bei Zahlung von 2000 Pesetas und Nachweis höherer militärischer Vorbildung, die übrigen Bedingungen wie vor, sogar auf nur fünf Monate Dienstzeit, in Abschnitten von drei und zwei Monaten. Nach bestandener Prüfung können die Betreffenden als Unterleutnants in die unbesoldete Reserve aufgenommen werden. Die Dienstpflicht ist im ganzen auf 18 Jahre festgesetzt, also auf eine geringere Gesamtzeit Großmacht - Staaten.
als in irgendeinem der anderen europäischen Die Ergebnisse der Rekrutierung, für die
Spanien in 54 Zonen eingeteilt ist, sind in den letzten Jahren amtlich nicht bekanntgegeben worden .
Man kann aber auf 70-80000 Dienst-
taugliche nach früheren Schätzungen rechnen und hat damit wohl den Beleg dafür,
daß entweder nicht alle waffenfähigen Rekruten ein-
gestellt werden können, wenn die Durchschnitts - Budgetstärke nicht überschritten werden soll, oder die aktive Dienstzeit in der Praxis
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa .
121
herabgesetzt werden muß. Die Rekruteneinstellung erfolgt normal am 1. März jedes Jahres. Das Wehrgesetz unterscheidet fünf Perioden : I. Rekruten zur Disposition (Zeit unbestimmt). II. Aktiver Dienst, erste Zeit (drei Jahre ) . III. Aktiver Dienst, zweite Zeit (fünf Jahre). IV. Reserve (sechs Jahre). V. II. Reserve (die noch an 18 fehlenden Pflichtjahre). Im Frieden werden nur die Dienstpflichtigen I. und II . Periode eingezogen . Damit ist also ausgesprochen, daß wir in den fünf Jahrgängen der III . Periode ein Reservoir von unausgebildeten Leuten zu sehen haben, die bei der Mobilmachung zunächst nur zum Füllen der Rahmen der Ersatzformationen zu verwenden sind, und daß für Kriegsverwendung nur die II . Periode, also drei und die ausgebildeten (sechs) der vierten und fünften Periode , im ganzen 18 Jahrgänge, in Frage kommen.
Für die Truppen erster Linie neun solche.
Wenn auch
der Umfang der mobilen spanischen Kräfte und die Gliederung der mobilen spanischen Armee, wie sie vorgesehen sind, nicht veröffentlicht werden, kann man danach doch errechnen, daß, nach prozentualen Abzügen, Spanien in erster Linie etwa 550000 Mann aufstellen könnte, für die aktiven vorhandenen Formationen auf mobilem Fuße also mehr als genug. Die Friedenseinheiten haben freilich im allgemeinen sehr schwache Stände, nur im Bereich der 1. (Madrid), 4. (Andalusien) und 5. (Valencia) Division haben sie die doppelte Stärke der übrigen, außerdem jede Division 1 Maschinengewehrkompagnie zu 4 Gewehren . Im ganzen verfügt man im Frieden oder besser gesagt, verfügte man zu Beginn des Jahres 1914 -über 18 Maschinengewehrabteilungen zu 4 Gewehren,
also
eine im
Vergleich zu den europäischen Großmächten verhältnismäßig kleine Zahl. Jede dieser Divisionen hat auch ein Jägerregiment zu 400 Pferden als
Divisionskavallerie, jede Fußjägerbrigade (6 Bataillone)
erhält planmäßig im Kriege zwei Gebirgsbatterien zugeteilt. Mangel an Generalen leidet man nicht, der Friedensetat weist deren allein 213 auf. Die Territorialeinteilung des kontinentalen Spanien zeigt uns neun Regionen, jede mit einem Generalleutnant als Generalkapitän an der Spitze, der etwa die Befugnisse unseres kommandierenden Generals hat . Dazu kommen die Balearen mit dem Generalkommando Palma, die Kanarischen Inseln mit dem Generalkommando in Santa Die Regionen Cruz de Tenerife, endlich das Gouvernement Ceuta. decken sich
nach
ihrer militärischen
Ausstattung mit Truppen im
Frieden nicht durchweg mit den Beständen je eines Armeekorps, wie sich auch schon daraus ergibt, daß im ganzen im Frieden 15 Infanterieund 1 Kavalleriedivision vorhanden sind, wobei freilich die über die
122
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa .
normale Ausstattung des Korps an Infanterie noch vorhandenen 23 Jägerbataillone mit 110 Kompagnien sehr wohl als zwei Divisionen rechnen könnten , wenn sie nicht Spezialzwecken der Gebirgsverteidigung im Sinne der italienischen Alpini dienten, die man ja auch nicht in die Korps des Heeres einreiht, was im Frieden in Spanien wohl geschieht. Die I. Region umfaßt Neu- Kastilien ( Generalkommando Madrid ) mit der 1. und 2. Infanterie- und der 1. Kavalleriedivision. Jede Infanteriedivision besteht aus 2 Brigaden zu 2 Regimentern zu 3 Bataillonen , wobei die 3. Bataillone im Frieden aber nur als Stämme bestehen, 24 Kompagnien ; dem Korps unterstellt : 1 Brigade zu 6 Bataillonen , 30 Kompagnien, Jäger, 2 Kavalleriebrigaden mit 7 Regimentern , 35 Eskadrons (die 5. Eskadrons im Frieden aber nur als Stämme), 3 Regimenter Artillerie, nämlich 1 zu 6 Batterien mit neuen SchneiderGeschützen, 1 reitendes zu 4 Batterien mit älteren Sotomayor-Geschützen und ein 3. als Belagerungsregiment zu 4 Batterien mit älteren Geschützen ausgestattet, endlich ein gemischtes Genieregiment zu 5 Sappeur- und Mineurkompagnien, 1 Eisenbahn-, 1 Telegraphn- und 1 Depotkompagnie . Die II. Region , Andalusien , Generalkommando Sevilla, zeigt in bezug auf Infanterie und Jägerbestände dieselbe Ausstattung wie die I., an Kavallerie 4 Regimenter mit 20 Eskadrons , 2 Feldartillerieregimenter, davon 1 zu 6 Batterien mit neuen Schneider - Geschützen, 1 zu 4 Batterien älterer Sotomayor - Geschütze, 1 Gebirgsartillerieabteilung zu 2 Batterien im Lager von Gibraltar, 1 gemischtes Genieregiment zu 8 Kompagnien. Die III. Region , Valencia mit Generalkommando Valencia, enthält den gleichen Bestand an Infanterie wie die II ., keine Jäger, 2 Kavallerieregimenter mit 10 Eskadrons, 1 Feldartillerieregiment zu 6 Batterien mit neuen, 1 zu 4 Batterien mit älteren Geschützen, 1 gemischtes Genieregiment. Die IV. Region , Katalonien , Generalkommando Barcelona, weist gleiche Ausstattung mit Infanterie und Jägern für I. und II. , 1 Kavalleriebrigade zu 5 Regimentern zu 5 Eskadrons, 1 Feldartillerieregiment zu 6 Batterien mit neuen Schneider-Geschützen , 1 Belagerungsregiment mit neuen Geschützen , dessen vier nach Ceuta abgezweigte Batterien jetzt ersetzt sind, so daß 5 in Spanien stehen , 1 gemischtes Genieregiment zu 8 Kompagnien auf. V. Region , Aragonien , Generalkommando Saragossa, Ausstattung an Infanterie, normal, keine Jäger, 3 Kavallerieregimenter mit 15 Eskadrons , 1 Feldartillerieregiment mit neuen Geschützen, das lange Zeit nur 2 Batterien besaß, jetzt aber vervollständigt sein dürfte, als mit älteren Geschützen zusammen 8 Batterien, 1 gemischtes Genieregiment zu 8 Kompagnien. VI. Region , Burgas, Generalkommando Burgas, Infanterie und Jäger wie V. Region, 1 Kavalleriebrigade zu 4 Regimentern 20 Eskadrons, 2 Feldartillerieregimenter mit 8, 1 Gebirgs-
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa.
123
artillerieregiment zu 4 Batterien, alle mit neuen Geschützen, 1 gemischtes Genieregiment. VII . Region , Alt-Kastilien, Generalkommando Valladolit , nur 1 Infanteriedivision , keine Jäger,
1 Kavallerieregiment zu
5 Eskadrons, 1 Feldartillerieregiment zu 4 Batterien mit älteren Geschützen, 1 gemischtes Genieregiment. VIII . Region , Galizien, Generalkommando Coruña , Infanterie und Kavallerie wie bei der VII. , 1 Gebirgsartillerieregiment zu 4
Batterien,
1
gemischtes
Genieregiment.
IX. Region , Melilla an normaler , (nicht Kriegs-) Besatzung, 1 Infanteriedivision zu 2 Brigaden . 4 Regimentern , 12 Bataillonen, 76 Kompagnien , da die Bataillone hier je 6 Kompagnien aufweisen, 2 Straf- und 4 Eingeborenenkompagnien hinzutreten, 1 Kavallerieregiment zu 7 Eskadrons , 3 fahrende, 9 Gebirgsbatterien, 1 Geniekompagnie. Da die Balearen mit 2 Infanteriebrigaden, 12 Bataillonen , 48 Kompagnien, 1 Jägerbataillon zu 4 Kompagnien , 2 Eskadrons , 2 fahrenden , 1 Gebirgbatterie, 2 Geniekompagnien, die Kanarischen Inseln an Infanterie wie die Balearen, aber 4 Jägerbataillone mit 16 Kompagnien, sonst wie die Balearen ausgestattet sind, das Generalkommando Ceuta normal 1 Brigade, 2 Regimenter, 6 Bataillone, 26 Kompagnien, 3 Eskadrons, 3 fahrende , 4 Gebirgsbatterien , 1 Geniekompagnie enthält , so kommt man im Frieden zu 15 Infant erie-, 1 Kavalleriedivision , 35 Infanterie brigaden , 70 Regimenter , 210 Bataillone (davon 70 im Frieden nur in Stämmen), 872 Kompagnien Infanterie, 3 Brigaden, 23 Bataillone, 110 Kompagnien Jäger, 5 Brigaden, 29 Regimenter Kavallerie, 154 Eskadrons, 72 fahrende Batterien in 14 Regimentern.
27 Gebirgbatterien
in 4 Regimentern ,
70 Geniekompagnien in 8 Regimentern . Dazu 56 Kompagnien Fußartillerie auf dem Festland, 6 Batterien auf den Balearen , Kanarischen Inseln , in Ceuta und Melilla, Zentralschießschule,
7 Artilleriearbeiter-
kompagnien, 14 Reservedepots, 1 Pontonier- , 1 Eisenbahnregiment, 1 Luftschifferkompagnie, 7 Reservedepots. Die schwachen Friedensstämme, 60 Offiziere , 500 Mann pro Infanterieregiment, 400 Mann pro Jägerbataillon, gegen 3028 bzw. 1000 Mann im Kriege, erschweren naturgemäß die Ausbildung im Frieden , die man dennoch auf dem Gebiete des Schießwesens besonders gut gefördert hat. Sie beanspruchen bei der Mobilmachung sicher den größten Teil der ausgebildeten I. Reserve, zumal ja auch die Intendantur und Train darstellenden
14 Verwaltungs- und Sanitätsabteilungen auf Kriegsstand
zu bringen sind, und , wie schon oben angegeben, die dritten Bataillone , d . h . ein volles Drittel des Sollbestandes der Infanterie ,
im Frieden
nur Stämme darstellen.
Für
die erste
Aufstellung der Ersatzformationen bei den Depots hat man dann auch Teile der ausgebildeten
ersten Reserve und
der unausgebildeten der
124
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa.
dritten Periode,
für die Bildung von Reserveformationen,
wie schon
oben angedeutet, etwa neun ausgebildete Jahrgänge, so daß man imstande sein müßte, nahezu gleiche Kräfte wie die aktive Armee in den Reserveformationen aufzustellen . Welche Vorkehrungen nach dieser Richtung für
die Kriegsgliederung getroffen
sind,
kann man
nur vermuten . In dem Kampfe in Nordafrika haben die spanischen Truppen großen Wagemut, sehr viel Zähigkeit und Ausdauer bewiesen . Der spanischen Flotte, deren bevorstehender Ausbau , wie der Marineminister erklärte,
eine
neue Richtung nach den bisherigen Kriegs-
erfahrungen anzunehmen scheint, kann man bei ihrem geringen UmDem von fang zunächst eine größere Bedeutung nicht zuerkennen. England zur Heeresfolge gezwungenen,
eigentlich zu dessen Vasallen-
staat gewordenen Portugal würde Spanien leicht den Garaus machen können, und Gibraltar hat es lange schon als Dorn in seinem Fleische empfunden. Italiens Bereitschaft und Leistungsfähigkeit
zu Lande sind schon Gegenstand
einer Sonderbeleuchtung gewesen . Der Seemacht Italiens müssen dagegen noch einige Zeilen gewidmet werden, um das Gesamtbild der Neutralen im Süd- und Südosteuropa nicht unvollständig erscheinen zu lassen.
Zu erwähnen
bleibt auch,
daß man gleichzeitig mit der
I. Kategorie des Rekrutenjahrgangs 1915 auch die II. Kategorie zum 15. Januar einberufen hat , nicht aber gleichzeitig Verfügungen , betreffend etwaige Heimsendung des Jahrgangs 1912, traf, man also , solange Jahrgang 1912 I. Kategorie nicht entlassen wird , rund 670000 Mann unter den
Fahnen
hat,
also
der Stärke der mobilen aktiven Armee.
über
zwei
Drittel
Von Wichtigkeit ist
auch, daß ein Königlicher Erlaß vom 9. Januar schon zum 16. Januar den Inhalt des Gesetzentwurfes Grandi bezüglich Schaffung eines neu gegliederten autonomen Luftschifferkorps ,
der
im
Juni
nicht
zur Verabschiedung kam, als Vorbereitung für den Krieg aber große Bedeutung hat, in Kraft setzte. Er schafft , unter Ausnutzung der bestehenden Elemente, ein völlig selbständiges Luftschifferkorps in neuer Gestaltung, wobei das bisherige Spezialistenbataillon und das Fliegerbataillon, das durch Gesetz vom 27. Juli 1912 geschaffen wurde, aufgelöst worden sind . Im Juni 1914 lag der Kammer ein Gesetzentwurf Grandi vor, der in der jetzt durchgeführten Form einen etwas anderen Inhalt erhält . Der gedachte Königliche Erlaß wies dem Ordinarium des Kriegsbudgets für 1914/15 220000 Lire , Extraordinarium 1914/15 rund 162 Millionen Mehransatz zu.
dem Von
der letztgenannten Summe sollen 5 Millionen dem Marineminister für
125
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa .
Wasserflugzeuge usw. zur Verfügung stehen. Im Kriegsministerium ist eine Zentraldirektion des Luftschiffer- und Flugwesens geschaffen worden, ihrem Direktor unterstehen Zivilingenieure, Motor- und Flugzeugkonstrukteure, Versuchsmechaniker und Piloten .
Zwei nach Luft-
schiffern und Fliegern getrennten Truppenkommandos unterstehen 1 Bataillon Luftschiffer, 1 Bataillon Lenkluftschiffer, 1 Luftschifferwerkstatt bzw. 1 Bataillon Flieger
mit den nötigen ,
der Zahl nach
nicht bekanntgegebenen Flugzeuggeschwadern, 1 Fliegerschulbataillon , eine technische Direktion des Flugwesens , endlich ein Zentralinstitut für Luftschifferwesen. Das Flugschifferkorps , das nach seiner Durchführung im Ordinarium jährlich 95000 Lire Mehrkosten verursacht , weist 2 Obersten, 5 Oberstleutnants , 7 Majore, 67 Hauptleute, 102 Leutnants und Unterleutnants im Etat auf, während der Mannschaftsstand nach Bedarf bestimmt werden soll. Der Ende Januar bekanntgegebene Königliche Erlaß vom
3. Januar 1915
baut auch ,
unter Vermehrung
des Offizieretats um
je
18 Oberstleutnants und Majore . 96 Hauptleute, 103 Leutnants und Unterleutnants , die Gliederung der Feldartillerie in Regimenter und Abteilungen voll aus, was zum 1. Februar durchgeführt sein soll
und ein Werk abschließt , nommen haben würde.
das sonst Jahre in Anspruch ge-
Die 36 Regimenter (aus Stab, je 3 Ab-
teilungen und einem Depot , bei einigen auch je 1 bis 2 Kompagnien Artillerietrain Batterien (die
bestehend) 9. des
Sardinien abgezweigt) ,
werden
108
Abteilungen ,
289
fahrende
13. Feldartillerieregiments ist dauernd 36 Depots und 36 Trainkompagnien
nach
zählen .
Jedes der 12 Friedenskorps weist also 3 Regimenter zu 8 Batterien in je 2 Abteilungen zu 3, eine zu 2 Batterien auf. Das Korps ist also normal mit 24 Batterien ausgestattet.
Dem mobilen aktiven
Korps wird als dritte eine Mobilmilizdivision beigegeben , bei der aber die Aufstellung der planmäßigen 6 mobilen Batterien , trotz vorhandener Stämme, wohl einige Schwierigkeiten machen wird . Die Alpentruppen, im Frieden 3 Brigaden, 8 Regimenter, 26 Bataillone (im Kriege das Zweieinhalbfache) werden durch die 3 Gebirgsartillerieregimenter ausgestattet. Diese sind ebensowenig wie 8 reitende Batterien und die beiden Regimenter der schweren Artillerie des Feldheeres mit 20 Batterien der obigen Batteriezahl zugerechnet . Die letzten Beförderungen haben zum Schließen der Lücken und
zum Ersatz der über den Etat geführten die Ernennung von 508 Hauptleuten der Infanterie, 69 der Kavallerie, 159 der Artillerie, 61 der Geniewaffe, 71 Stabsärzten, 20 Hauptleuten des Verpflegungsdienstes und von 40 Stabsveterinären gebracht. Bei Beratung und Bewilligung der bis dahin
durch Königliche
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa.
126
Erlasse für Heer und Marine zugestandenen, durch den Krieg bedingten Mehrausgaben im Budget 1914/15, Umwandlung dieser Erlasse im Gesetze von seiten des Parlaments und Vorlage des Voranschlags des Marinebudgets 1915/16
(der bei 283 700000 Lire Ge-
samtbetrag 4 000 000 Lire über denjenigen von 1914/15 hinausgeht und unter anderem auch die Flottenbemannung von 38000 auf 39000 Mann steigert) wurde dem Budgetausschuß in geheimer Sitzung ein Bild der heute bereiten Flottenkraft entworfen . Es gewann besondere Bedeutung bei der in italienischen Blättern vielfach geäußerten Besorgnis um schwere Schädigung der italienischen Küsten durch die französischen und britischen Mittelmeerflotten , falls Italien zugunsten der Zentralmächte aus seiner Reserve heraustrete. Manche Züge in dem Bilde deuten nämlich darauf hin , daß in der italienischen Flotte und ihrer Spitze die genannte Besorgnis nicht, dagegen ein recht beachtenswertes Maß von Selbstbewußtsein in sehr hohem Grade besteht.
Bezüglich
des
Personals
der
Leitung
und
Führung der
Marine hat „ Esercito Italiano “ jüngst ausgesprochen, es sei in keinem Falle demjenigen mancher der großen und kleinen Mittelmeermächte unterlegen, nach manchen Richtungen ihnen aber unbestreitbar voraus , Italien könne fest darauf bauen, daß, wer es auch im Mittelmeer angreife,
nicht ohne
schwere Verluste
wegkomme, Verluste,
die um
so größer sein würden , je größer die angreifende Flottenkraft wäre. Danach hat man wohl das Recht , anzunehmen , daß an leitender Stelle nicht die Sorge um die eventuellen Gefahren für die Küsten Italiens die treibende Kraft für die Neutralität gewesen ist, eher die Rücksicht auf die Unfertigkeit der Bereitschaft der Landmacht zu Beginn des Krieges , die man jetzt wohl als geboben betrachten kann. Die Mitteilungen des Marineministers an die Ausschüsse unterschieden drei Schiffsgruppen : 1. solche, die eine Seeschlacht auch auf großen Entfernungen mit großen und mittleren Kalibern führen können (ob
man dabei
an die 20 km Entfernung gedacht hat, mit der das Feuer in dem Seekampf bei Helgoland am 24. Januar begonnen hat, läßt sich nicht feststellen) ;
2. die für den Kaperkrieg geeigneten ; 3. diejenigen , die Unterwasserwaffen verwenden . In Rubrik 1 wird der Dreadnought „ Conte di Cavour " aufgeführt, da dieser , wenn auch noch nicht völlig seebereit, es doch in kurzer Zeit werden wird.
In Rubrik 1 erschienen im übrigen : A. 3 Dreadnoughts, Typ „ Cesare " , je 22500 t Verdrang, über 23 Knoten Fahrt, 24 cm. Terni-Zementstahlpanzer, je 13 30,5 cm-,
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa.
127
18 12 cm-, 8 7,6 cm-Geschütze, im ganzen also 93 Geschütze großen und mittleren Kalibers und 54 des Kalibers , das fast alle Staaten bei ihrer Feldartillerie führen . B. 1 Dreadnought 99 Dante Alighieri ", 21000 t Verdrang, fast 24 Knoten Fahrt , Panzerschutz wie Gruppe A, Armierung 12 30,5 cm-, 20 12 cm-, 22 7,6 cm- Geschütze. C. 4 große Linienschiffe , Typ „ Regina Elena “ ( „ Regina Elena“, ,,Vittorio Emanuele“ , „ Roma“ , „,Napoli" ) zu je 12800 t Verdrang, 22 Knoten Fahrt, Panzerschutz nahezu wie bei A und B, jedes der Schiffe 2 30,5 cm- , 12 20,3 cm- und 24 7,6 cm-Kanonen tragend, so daß diese Schiffsdivision 44 Kanonen großen und mittleren Kalibers und 96 von Feldkalibern aufweist. D. 2 große Panzerkreuzer, Typ "" Pisa " (,,Pisa " und ,,Amalfi ") zu je 10500 t , nahezu 24 Knoten Fahrt, 20 cm- Krupp- Panzer, je 4 Geschütze zu 25,4 cm, 8 zu 19 cm, 16 zu 7,6 cm. Zusammen könnten sie also 24 Geschütze größeren und mittleren Kalibers und 32 von Feldkalibern einsetzen . E. 2 Panzerkreuzer, Typ „ San Marco " (, San Marco" und ,, San Giorgo" ), die sich in bezug auf Kampfeswert von den vorgenannten nicht erheblich unterscheiden. F. 3 Kreuzer, Typ .,Ferruccio" ( ,, Francesco Ferruccio" ,,, Garibaldi “, ,,Varese") zu je 7400 t, rund 20 Knoten Fahrt, je 1 24,4 cm-, 2 20,3 cm-, 14 15,2 cm- und 10 7,6 cm-Kanonen und Revolverkanonen tragend, die Division zusammen 51 Geschütze großen und mittleren Kalibers. G.
2 Linienschiffe
zu je
13400 t
(,, Regina Margherita" und
,,Benedetto Brin" ), über 20 Knoten Fahrt, geringere Panzerstärke als die anderen Geschwaderpanzer, je 4 30,5 cm-, 4 20,3 cm-, 12 15,2 cm-Kanonen und kleinere Geschütze, im ganzen 40 Kanonen , nicht des allerneusten , aber noch völlig ausreichenden Typs. H. 2 Linienschiffe zu je 8400 t (,,Ammiraglio Saint Bon " , „ Emanuele Filiberto " ) , ca. 18 Knoten Fahrt, ziemlich ausreichender Schutz, je
4
Geschütze zu 25,4 cm, 8 zu 15,2, 8 zu 12 cm, 8
Revolverkanonen, Kalibers.
zusammen
40 Geschütze größeren und
mittleren
Zum Kaperkrieg könnten, außer den schnellen Schiffen der vorgenannten Klassen, Verwendung finden: a) 3 geschützte Kreuzer,,, Bixio ", ,,Marsala " , ,, Quarto", mit leichter Panzerung, 29 Knoten Fahrt , je 6 17 cm- und 6 7,6 cm-Geschützen modernster Art, zusammen 18 mittleren Kalibers ; b) 2 geschützte Kreuzer, ,,Agordat " Fahrt , je 12 Feldkalibergeschütze ;
und ,,Coatit",
22
Knoten
128
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa.
c) geschützter Kreuzer ,, Puglia", 2500 t, 20 Knoten Fahrt , je 6 12 cm- und 5,7 cm-Geschütze ; d) geschützer
Kreuzer ,,Piemonte" , 3100 t, 22 Knoten Fahrt, 10 12 cm- und 6 3,7 cm-Geschütze ;
e) geschützte Kreuzer ,, Elba “ , „ Etruria “, „, Liguria“ , 2300 bis 2700 t, Geschwindigkeit 18 Knoten, nur für beschränkte Seeaktion. Zur Zerstörung von Handelsschiffen eventuell verwendbar die Kreuzer Knoten.
Basilicata “ , „, Campania “ , „ Calabria " , je 2500 t, 17 bis 18 Für den Kampf mit Unterwasserwaffen kommen in Betracht :
40 Torpedojäger, 300 bis 600 t, 28 bis 36 Knoten , zahlreichen Torpedoausstoßrohren und 7,6 cm- Geschützen, 80 Hochseetorpedoboote, 24 bis 30 Knoten, 20 kleinere Boote, über 20 Unterseeboote, 3 Minenleger und 800 t, von kleineren abgesehen . Man verfügt also über Mittel, im Mittelmeer eine sehr kräftige Tätigkeit zu entfalten . Dem aufmerksamen Beobachter werden Stimmen nicht entgehen , wie die des ,,Corriere d ' Italia" , der jüngst gegen England den Vorwurf erhob, seine Ränke verschuldeten, daß Italien heute statt 6 nur 3 Dreadnoughts seebereit habe, diese statt 34,5 cm- nur 30,5 cmGeschütze
als
Hauptarmierung
trügen,
und
man das
System der
Dreigeschütztürme auf diesen Schiffen nicht angewendet habe .
England
habe überhaupt alles getan, um das Wachsen Italiens als Mittelmeermacht zu erschweren . Andere Blätter erinnern an Tunis , eine Erinnerung, die sich nicht gerade für den Dreiverband werbend nennen. läßt, und Scarfolgio schreibt : ,,Das Eingreifen Italiens würde die sofortige Zurückziehung der englisch - französischen Mittelmeerflotten nach Biserta , Toulon , Gibraltar zur Folge haben , und Italien zum Herrn des Mittelmeeres machen. Nichts ist lächerlicher als die Angst der Italiener vor der Beschießung ihrer Küsten. " Rumänien. Von allen Balkanstaaten besitzt Rumänien, das seine militärische Vorbereitung für den Krieg jetzt völlig abgeschlossen haben soll, am längsten eine militärische Kultur im modernen Sinne, eine Armee mit Traditionen schon seit 1877. Die rumänischen Truppen waren es unter ihrem damaligen Fürsten , nachherigem König Carol, die das Heer des so gewaltig viel größeren Rußland aus der Klemme retteten, die ihm Osman Pascha Chasi bei Plewna geschaffen. Zum Dank nahmen die Moskowiter dem Retter Bessarabien ab, um ihm dafür das
Sumpfloch
der Dubrutscha
zu geben.
Dieser Akt vornehmen
Dankes, zu dem Rußland Rumänien gegenüber keine weiteren Dankesansprüche erworben hat, sollte in dem am höchsten kultivierten Balkan-
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa.
129
staate nicht vergessen sein und zu Wiederholungen nicht einladen. Man darf, wenn man von ,, Nichtvergessen" spricht, auch wohl annehmen, das dreißigjährige deutsche Freundschaftsbeweise in Rumänien nicht einfach wie von einer Schiefertafel weggewischt werden können , daß den Hetzern auf der anderen Seite doch auch ruhig erwägende wenn sie selbst die Abschlachtung Elemente gegenüberstehen, die ― ihrer Volksgenossen in der Bukowina durch die dort eingedrungenen Russen nicht sehen wollten - sich doch die Frage vorlegen, was aus dem heutigen selbständigen Rumänien, falls es dem Dreiverbande hinzuträte , selbst dann werden würde, wenn dieser siegte. Daß Rußland nach dem Kriege auf dem Balkan allein bestimmen will, haben seine Diplomaten schon jetzt verraten. Und Rumäniens ,,In-die-AktionTreten" zugunsten des Dreiverbandes würde auch, so hoch wir die rumänische Armee einschätzen, dessen heutige Lage noch nicht zu einer siegessicheren gestalten . Einem für den Dreiverband eintretenden Rumänien würde auch sofort Bulgarien als Gegner erwachsen , dessen Wehrkraft, wie wir sehen werden, durchaus nicht zu unterschätzen und das heute nicht in der mißlichen Lage ist wie im zweiten BalkanRumäniens unblutiges Eingreifen (das aber ein Dreieck Bulgariens mit einem Küstenstrich als Grundlinie und Silistria, mit
kriege.
Donauü bergang, als Spitze eintrug) in den zweiten Balkankrieg hat die Probe auf das Exempel gut vorbereiteter Mobilmachung und eines schnellen Aufmarsches modern zusammengesetzter und in strengster marschierender Marschkolonnen sowie eines zuverlässigen Befehlsapparates des rumänischen Heeres geliefert . Rumänien hat denn damals seinen Willen auch rasch durchgesetzt und dem Kriege Ordnung
mit der Bukarester Konferenz ,
die
allerdings
fern davon war, all-
gemeine Zufriedenheit erworben zu haben, ein Ende gemacht. Der Zuwachs um etwa 300 000 Seelen hätte die Heereserweiterung, ' in die man unmittelbar nach dem Kriege eintrat, nicht unbedingt gemacht, wohl aber die internationale Lage und der Wunsch, die militärische Leistungsfähigkeit der Bevölkerung von 7,5 Millionen voll auszunutzen . Der Charakter einer Kaderarmee, den das rumänische Heer zunächst tragen mußte, um ohne zu große
notwendig
Kosten ein verhältnismäßig starkes Kräfteaufgebot zu ermöglichen , ist nach und nach abgestreift worden . Wechseldienst besteht, wie wir sehen werden, nur noch bei den neun Kalarasch- Kavallerieregimentern. Der genaue Friedensstand der rumänischen Armee wird jetzt nicht mehr bekanntgegeben, man kann ihn aber auf rund 5500 Offiziere und rund 100000 Mann schätzen . Die Armee erster Linie bringt Bei zehnjähriger Zugehörigim Kriege bequem 350000 Mann auf. 9 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 522.
130
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa.
kelt zur aktiven Armee und ihrer Ergänzung und ebensolanger zur Reserve wäre sie leicht auf über eine halbe Million zu steigern. Die Änderungen zum Wehrgesetz, die vom Parlament vor den Weihnachtsferien genehmigt worden sind, haben die Pflichtigkeitsdauer um rund zwei Jahre ausgedehnt, was einem Zuwachs um rund 80000 Köpfe entspricht. Artikel 6 , der die Einberufung zu den jährlichen Übungen vom April ab anordnete, erhielt den Zusatz, daß die Einbeorderung durch Königlichen Erlaß zu jeder Zeit des Jahres zulässig ist und daß auch die Jahresklassen , die schon ihre Übungszeit absolviert haben, durch Königlichen Erlaß länger unter den Waffen zurückbehalten werden dürfen . Die Änderung zu Artikel 7 machte der Dienstbefreiung aus bürgerlichen Rücksichten und wegen Überzähligkeit über den zulässigen Umfang der jährlichen Rekrutenkontingente ein Ende. Was Waffen tragen kann, wird jetzt auch ausgebildet ; nicht dienen bzw. nicht ausgebildet werden sollen nur diejenigen, die körperlich für den Dienst mit der Waffe untauglich befunden werden . Auch damit entsteht dem möglichen Heeresumfang ein wesentlicher Zuwachs. Jedenfalls hat man im Kriege auch einen sehr reichlichen Bei 57000 bis 58000 Mann der bisherigen Rekrutenkontingente ließ man jährlich den Kalaraschregimentern 2000 Mann Für diesen Wechseldienst kommen Leute für 19 Wechseldienst" zu . Sie rechnen vier Jahre in Frage, die ein eigenes Pferd mitbringen. Ersatz sicher.
zum Ablösungsdienst, in dem sie, nach dreimonatiger erster Schulung. so oft einbeordert werden, daß sie in vier Jahren auf 12 3 Jahre wirkNachher rechnen sie drei Jahre lichen Truppendienstes kommen . zum Urlauberstande . Wechseldienst hat man früher auch bei den anderen Waffen gekannt. Die 5 Armeekorps , die schon beim zweiten Balkankriege bestanden haben, beschloß man, an dessen Schluß baldigst auf 6 zu bringen, und gab dem 5. Armeekorps schon höhere Abgaben erlaubende Etats. Wie weit aber Bildung des VI . Korps gediehen ist, iäßt sich nicht genau Bei 5 Infanterieregimentern hat man die fehlenden 3
dazu auch heute die feststellen . Bataillone
ersetzt, ein 10. Jägerbataillon geschaffen , so daß jede der 10 aktiven Divisionen ein solches besitzt, am 1. April 1913 die Zahl der Reservebataillonskader von 40 auf 80 gebracht, so daß 5 Reservedivisionen Bei der Kavallerie zu je 16 Bataillonen im Frieden vorbereitet sind . vermehrte man nur das Eskortenregiment um 1 Eskadron . Ganz besonders wichtig war das Heraustreten der Feldartillerie aus dem bis dahin bestehenden Kadersysteme . Ein Drittel aller Kanonen- und Haubitzbatterien hatte bis dahin nur den verminderten Stand von 4 Fahrzeugen. Sie kamen dann aber auf 4 Geschütze, 4 Munitionswagen. Man gestaltete auch im Januar 1913 drei Kaderhaubitz-
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa.
131
batterien in ebenso viele leichte Feldhaubitzabteilungen zu 3 Batterien aus, schuf eine 4. reitende Batterie, 1 Gebirgsartillerieregiment zu 4 Batterien und eine Abteilung zu 2 Batterien schwerer Artillerie des Feldheeres, die sich unterdes verfünffacht haben dürften. An leichten Feldhaubitzen bestehen heute fünf Abteilungen, je eine pro Korps. Für die Reservedivisionen standen im Balkankriege nur 4 Reserveabteilungen zu 3 Schnellfeuerbatterien zur Verfügung, heute 5 Regimenter zu je 5 Schnellfeuerbatterien und 1 Batterie 12 cm-Haubitzen, so daß jede Reservedivision über 24 Geschütze verfügt . Für Milizformationen muß man auf das nicht durchaus moderne, aber noch brauchbare Kruppmaterial 1881 zurückgreifen . Legt man nur die 5 Armeekorps (Crajowa, Bukarest, Galatz , Jassi, Constantza), die vor dem Balkankrieg bestanden, zugrunde , so weist jedes im Frieden 2 Divisionen mit 4 Brigaden, 8 Regimentern zu 3 Bataillonen
und 1 Maschinengewehrabteilung zu 3 Gewehren,
sowie 2 Jägerbataillone auf. Da zu jeder Division auch 8 Reservekaderbataillone rechnen, so kommt sie mobil auf die Stärke von 21 Bataillonen ,
d. h. nahezu auf den Sollbestand eines normalen
Armeekorps an Infanterie. Die Ausstattung der rumänischen Korps mit Kavallerie ist im Frieden sehr verschieden, im ganzen bestehen 10 Brigaden mit 11 Rosiori-, 9 Kalaraschregimentern , 84 vollen, 21 Depoteskadrons, 16 Maschinengewehrsektionen für Kavallerie . Der Friedensstand des Bataillons beträgt 400 , der Eskadron und Pferde, der Batterie 4 Geschütze, 4 Munitionswagen.
159 Mann Im Kriege
bildet man aus den Rosioriregimentern zwei, vielleicht drei Kavalleriedivisionen . Der Infanteriedivision sind
normal unterstellt :
1 Feldartillerie-
brigade mit 2 Regimentern, 2 Batterien zu 4 Schnellfeuergeschützen , dem Korps 1 leichte Feldhaubitzabteilung zu 3 Batterien ― 12 Geschütze, so daß das Korps, ohne Reservedivision, über 108 Geschütze verfügt. Im ganzen sind 120 fahrende, 15 leichte Feldhaubitz- , 4 reitende, 4 Gebirgs-, 2 - jetzt wahrscheinlich 10 schwere Feldbatterien vorhanden . Mit den 80 Reservekaderbataillonen kommt die mobile Armee erster Linie auf 210 Bataillone, die 80 Kaderbataillone in 20 Regimentern, 10 Brigaden, 4 Reservediivisionen . Stärke : bei 5 Korps also je 42 Bataillone . Die Ausstattung der Reservedivisionen mit Kavallerie erfolgt durch die Depoteskadrons. Daß sie heute je 5 Schnellfeuer- und 1 Haubitzbatterie besitzen , wurde oben angegeben. Zum Armeekorps
gehören weiter
im
Frieden
1 Pionierbataillon
zu
3 Pionier-, 1 Telegraphenkompagnie, die, neben 48 km Telegraphenleitung, auch 6 km Fernsprechleitung besitzt. Das Festungspionierbataillon besteht aus 3 Pionier-, 1 Depotkompagnie, das Pontonier9*
132
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa.
bataillon aus 4 Feld-, 1 Depotkompagnie, das Eisenbahnbataillon hat dieselbe
Stärke,
wird im Kriege
aber
verdoppelt bis
verdreifacht.
Die Spezialkompagnie bildet den Stamm für Kraftfahrer-, Funkenspruch- und Scheinwerferformationen. Die Fliegerabteilung soll über 2 Lenkballons, 8 Flugzeuge verfügen. Der Umfang sämtlicher Organe ist aber seither wahrscheinlich gewachsen. Die mobile Division hat eine Sanitätskompagnie, einen Munitionspark aus je 1 Infanterie- und 2 Artilleriemunitionskolonnen , das Korps 1 Sanitätskompagnie, einen Munitionspark aus 2 Infanterie-, 4 Artilleriemunitionskolonnen und 1 Korps Verpflegungstrain mit viertägigem Vorrat. Die Feldarmee trägt durchweg Felduniform aus feldgrauem Tuch,
zu der Kavallerie
und Artillerie aber noch schwarze Hosen führen. Die Gliederung der Besatzungstruppen ist nicht bekannt. 40 Milizbataillone sind dauernd vorhanden.
Der Geist
der Armee ist gut,
das Offizierkorps ein ein-
heitliches. Die geographische Lage Rumäniens würde sein Eingreifen speziell auf seiten der Zentralmächte zu einem strategisch außerordentlich wirkungsvollen gestalten und eine sofortige Räumung der Weichsel- und der galizischen Front wie der Bukowina zur Folge haben .
Bulgarien. Mit gespannter Aufmerksamkeit wartet Bulgarien auf den Augenblick, der ihm wieder kriegerische Verwickelungen und das schon besessene, im Bukarester Frieden an Serbien verlorene Gebiet bringen kann .
Der neue,
der Sobranje vorgelegte Gesetzentwurf,
der in der
Art, wie bei uns die zehn jüngsten Jahrgänge des unausgebildeten Landsturms unter die Waffen gerufen wurden, der Regierung die Befugnis gibt, die zehn jüngsten Jahresklassen der früher vom Dienst. Befreiten
zu
schulen
und
im
Kriege
zu verwenden,
stellt
einen
weiteren wichtigen Schritt auf dem Gebiete der Kriegsvorbereitung dar. Die Kriegskraft erfährt damit einen Zuwachs von rund 100 000 Mann.
Gerade für
die bulgarischen Heeresverhältnisse hat
das hohe Bedeutung , wie leicht erkennbar wird , wenn man sich erinnert, daß man schon während des Balkankrieges bei außerordentlicher Kraftanspannung genötigt war, den Jahrgang 1914 zum Teil einzubeordern, und daran denkt, daß man die planmäßigen Ersatzformationen bei der Mobilmachung schnell mit hinreichend körperlich entwickelten und kriegsverwendbaren Leuten aufstellen will. Bulgariens mobile Streitkraft stellt einen Faktor dar, der auch in den Kampf von Großmächten
eintretend,
ein recht
beachtenswerter sein würde.
Daher auch das vergebliche Liebeswerben Rußlands und die großen Angebote Serbiens. Trotzdem das Land ein verhältnismäßig armes ist, hat es die Entwickelung seiner Wehrkraft nie vernachlässigt.
133
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa.
Das Kadersystem, das zunächst die Grundlage der bulgarischen Heeresentwickelung bildete, ist auch heute noch nicht vollkommen verlassen.
Trotz der Opfer,
die der Balkankrieg,
in dessen erstem
Abschnitt Bulgarien die Hauptlast des Kampfes gegen die Türkei getragen, in dessen zweitem es gegen die Hinterlist der drei mit ihm bis dahin engverbündeten Staaten und Rumänien anzukämpfen hatte, trotz der nötigen vollen Auffrischung an Waffen, Munition und Vorräten hat der weitblickende und energische König Ferdinand die Ausgestaltung der Wehrkraft am Schluß der Krieges sofort wieder in die Hand genommen. Das gebot auch einesteils der erlangte Gebietszuwachs, anderseits die dauernd gespannte politische Lage. Ausgefüllt ist der neue Rahmen natürlich noch nicht ganz. Man darf aber bestimmt annehmen, daß von den im Balkankriege aufgestellten Reserve- bzw. Landwehrdivisionen die 10. im Frieden dauernd beibehalten ist und daß man im Kriege 6 (bisher 5 ) weitere Divisionen zu bilden vermag. Man kommt dann dazu, entsprechend auch den 4 im Frieden bestehenden Armeeinspektionen, im Rahmen von 4 Armeeoberkommandos 16 Infanteriedivisionen, 1-2 KavalleriediviNach dem zweiten sionen als sichere Kriegsstärke zu rechnen. Balkankriege blieben als Friedensrahmen unbedingt bestehen :
10 In-
fanteriedivisionen mit 20 Brigaden, 40 Regimentern, 90 Bataillonen, 40 Maschinengewehrkompagnien. Hier treffen wir gleich auf einen Rest des früheren Kadersystems. Jedes im Frieden 2 Bataillone zählende Regiment - dem aber nach dem jüngst unterzeichneten Königlichen Erlaß, der auch noch nicht bekannte Änderungen in der Glederung der höheren Einheiten brachte, eine weitere Kompagnie im Frieden hinzugefügt wird -— entwickelt sich bei der Mobilmachung zu 4, gemischt aus je 2 bestehenden und 2 neuformierten Kompagnien, so daß sich 160 Bataillone ergeben. brigade
stellt
Jede aktive Infanterie-
zudem ein Reserveregiment zu 4 Bataillonen auf, die
Reserveregimenter einer Division werden zu einer Reservebrigade vereinigt. Landsturm ersten und zweiten Aufgebots stellen , entsprechend der Zahl der Linienregimenter, je 40 Bataillone auf. Jedes Infanterieregiment erhält eine Maschinengewehrkompagnie. Die Kavallerie bestand bis jetzt aus 1-2 Divisionen, 11 Regimentern mit 37 Eskadrons und 11 Maschinengewehrabteilungen . Der oben erwähnte jüngste Königliche Erlaß weitere Kavalleriebrigade.
schafft aber eine
An Feldartillerie waren bis jetzt 10 Regi-
menter zu je 3 Kanonenabteilungen zu 3 Batterien vorhanden .
Der
oben berührte jüngst vom König vollzogene Erlaß errichtet aber 3 neue Feldartillerieregimenter, deren Bildung mit ziemlicher Betimmtheit darauf schließen läßt, daß man in der Feldarmee baldigst 3 neue
134
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa .
Divisionen aufstellen will oder bereits aufgestellt hat.
Nach Durch-
führung des Erlasses haben wir 13 Feldartilleriegimenter mit je 9 Batterien in 3 Abteilungen zu verzeichnen . Außerdem hat sich die vor dem Kriege bestehende Abteilung zu 3-25 cm-Feldhaubitzbatterien zu 10 Batterien entwickelt, so daß jeder aktiven Division eine Haubitzbatterie zugewiesen werden konnte . Der neue Erlaß hat die Zahl dieser Batterien um 3 vermehrt, so daß also 13 vorhanden wären. Für jede aktive Division kommen so im ganzen 9 + 1 = 10 Batterien mit 58 Geschützen heraus, was für eine mobile Division zu 24 Bataillonen ( 16 aktive, 8 Reserve-) zu wenig erscheint. Jedes aktive Regiment soll daher die 6 Batterien älterer Kruppscher 9 cmGeschütze, die es im Frieden im Depot hat, mobil machen, so daß man jede Division auf 16 Batterien kommt. Aus Reserveregimentern gebildeten Divisione hat man von den 6 älteren Batterien 4 zugeteilt. Bei der Gebirgsartillerie haben die mit Schnellfeuergeschützen ausgerüsteten 3 Regimenter zu 4 Batterien 6 neue aufgestellt.
6-15 cm-
Haubitzbatterien, System Krupp, zu 6 Geschützen wurden der schweren Artillerie des Feldheeres, 6 Batterien 15 cm- Haubitzen System Schneider-Creusot der Belagerungsartillerie zugeteilt. Möglicherweise ist die Zahl der letzten Batterien unterdes gestiegen. Vorhanden sind im Frieden weiter 18 Pionierkompagnien, 6 Pontonierkompagnien,
1
Telegraphenbataillon mit 4 Kompagnien,
1 ebenso
starkes Eisenbahnbataillon, je 1 Kompagnie Luftschiffer, Kraftfahrer, Radfahrer- und 1 Beleuchtungsdetachement. Die Höhe der gegenwärtigen Präsenzstärke läßt sich nicht genau angeben . Man schätzt aber nicht zu hoch, wenn man sie , unter Berücksichtigung der wechselweise eingezogenen Serien von Reservisten, auf 130000 Mann annimmt, etwa die Hälfte der Gefechtsstärke , die man im Oktober 1912 besaß und heute rasch erreichen bzw. überschreiten kann . Die normale aktive Dienstzeit beträgt bei der Kavallerie und Artillerie 3 Jahre, bei der Infanterie 2 Jahre, ein Sechstel bei dieser Waffe dient aber nur 6 Monate. Seit dem Balkankrieg hat man den Nachwuchs
an
Reserveoffizieren ,
die
sich bei
diesem
als
zu
wenig zahlreich erwiesen, und der aktiven Offiziere stark gefördert, auch eine eigene Kriegsakademie eingerichtet. Bulgariens mobile Streitkräfte können auf 8 starke Armeekorps mit moderner Ausstattung eingeschätzt werden . Griechenland. Nach den jüngst in der politischen Presse erschienenen Nachrichten soll man in Griechenland heschlossen haben, in den von den griechischen Truppen besetzten Teilen von Nordepirus die Rekrutierung
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa.
135
durchzuführen und zunächst vier Reservejahrgänge aus acht Bezirken zur Ausbildung einzuberufen. Man soll auch den Gedanken haben, eine 15. Division mit dem Stabsquartier Korytsa aufzustellen. Hinter die letztere Möglichkeit machen wir für die nächste Zeit noch ein Fragezeichen, denn ehe man an eine 15. Division herantreten könnte , müßte man doch 14 solche völlig formiert haben, und daß dies der Fall, bezweifeln wir, der Geldknappheit und anderer Gründe wegen. Militärisch voll nutzbar gemacht hat Griechenland den Gebietszuwachs von 66 000 auf 120000 qkm und die nahezu erfolgte Verdoppelung seiner Bevölkerung nach dem zweiten Balkankriege noch nicht. Geldknappheit einerseits, die Kürze der Zeit seit dem Abschluß des Balkankrieges anderseits ließen Griechenland den vom Parlament genehmigten Erlaß vom 26. August 1913 , betreffend die Neugliederung des Heeres, nur zu einem geringen Teil durchführen, und das Wehrgesetz von 1911 hat naturgemäß seinen Turnus noch lange nicht durchlaufen. Die Bewaffnung ist auch dem durch den Erlaß vorgesehenen erDas weiterten Rahmen entsprechend noch nicht vervollständigt. 1911 legte jedem Griechen im ganzen 35 Jahre auf, d. h. also bis zum 55. Lebensjahre , Pflichtigkeit militärischer zwei Jahre aktiv, zehn Jahre in der I., neun Jahre in der II. Re-
Wehrgesetz
von
serve, je sieben in Landwehr und Landsturm . Das Rekrutenkontingent kann , solange der neue Gebietszuwachs noch nicht in normaler Weise voll ausgenutzt werden kann, auf rund 20000 Mann angenommen werden. In den letzten Jahren haben sich aber, wie auch früher schon, im Durchschnitt 40 % der Pflichtigen bei der Das Wehrgesetz will auch die dem Alter Aushebung nicht gestellt. nach der Reserve und Landwehr angehörenden Unausgebildeten jährlich drei Monate schulen, über 11000 Mann ist man aber in den Jahren 1912 und 1913 im ganzen nicht gekommen. Die höchste im Balkankriege bei den eingesetzten griechischen Feldtruppen erreichte Gefechtsstärke betrug 100000 Gewehre, 2000 Reiter, 168 Feld- , 48 Gebirgs- , 12 schwere Geschütze. Die Friedensstärke dürfte heute über 40000 Mann kaum hinausgehen, und die Friedensstände der Einheiten sind schwach bemessen, so daß z. B. das Bataillon nicht über 400 Mann zählt. Gliederte sich die Armee früher in 4 Divisionen, die im Kriege durch Reserve- und Landwehrformationen auf 8 solche kamen, so setzte das Heeresreformdekret vom 26. August 1913 als neuen Rahmen für das Heer sechs Korps (I. Larazzia , II. Athen , III. Janina, IV. Saloniki, V. Seres und VI. Kozani) fest, von denen das III., IV. , V. und VI . 2 bis 3 Divisionen zählen sollten, die übrigen nur je 1 , erstere um als Grenzkorps möglichst schnell bereit zu sein, während bei den übrigen
136
Der Krieg und die Neutralen in Süd- und Südosteuropa.
im 2. Division des Korps Kriege zunächst 1 Reservedivision eintreten sollte. Man hat auch den Gedanken gehabt , im Frieden den Rahmen von 18 Divisionen zu schaffen und dafür die als
Reservedivisionen fortfallen zu lassen . daß jeder aktiven Division
(zu
3
Bis jetzt rechnete man damit, Regimentern
zu 3
Bataillonen
zu 3 Kompagnien), wie im Balkankrieg, eine Reserve- bzw. Landwehrdivisision entsprechen
sollte.
Man hätte also nach dem Erlaß vom
26. August 1913 auf 22 aktive und Reservedivisionen im Kriege zu zählen, eine Hoffnung, die wir zunächst nicht teilen können . Hatte man früher im Frieden
12 Infanterieregimenter
zu je 3 Bataillonen
zu 3 Kompagnien, so mußten diese nach dem Reformerlass auf 3 mal 11 (Zahl der aktiven Divisionen, die vorgesehen wurden) gleich 33 kommen. Auf dem Papier hat man heute 10 Divisionen (und eino selbständige Brigade in Epirus), aber nur 26 Infanterieregimenter mit 67 Bataillonen zu 3 Kompagnien, 12 Jägerbataillone (im Kriege) mit einem selbständigen solchen, zusammen Infanterie und Jäger 80 Bataillone (im Kriege kommt das Infanteriebataillon auch auf 4 Kompagnien).
Dazu kommen 33 Maschinengewehrkompagnien , 3 Kavallerie-
regimenter mit 16 Eskadrons, von denen im Kriege jede Division eine erhalten soll, so daß für größere Reiterkörper also wohl kaum etwas übrig bleibt, 21, Maschinengewehrzüge, 41 fahrende, 14 Gebirgs-, 3 schwere Batterien des Feldheeres, zusammen 58. Hätte man nach dem Heeresreformerlaß im Kriege schon 22 Divisionen , so kämen an fahrender und Gebirgsartillerie auf jede von diesen noch nicht 3 Batterien, so daß von einer Vollständigkeit bzw. normalen Divisionen nicht gesprochen werden könnte. Im Balkankriege führten 4 Divisionen je 6 Schneider-Creuzot-Batterien , die Reservedivisionen 5-8 nur 3 Batterien. Wohl hat man bei Schneider-Creuzot 80 neue Feldbatterien bestellt ,
sie dürften aber bis jetzt nur zum geringsten
Teil geliefert worden sein .
Man rechnet optimistisch, wenn man an-
nimmt, daß die Division 6 Batterien, 24 Geschütze im Kriege aufweisen könnte . In Griechenland erschwert Pferdemangel auch sehr die Aufstellung und Ergänzung von Kavallerie- und einheiten. An technischen Truppen sind 6 Pionier-,
Feldartillerie2 Pontonier- ,
2 Telegraphenkompagnien , je 1 Eisenbahn- und Luftschifferkompagnie vorhanden. Wir glauben nicht, daß Griechenland an Feldtruppen heute mehr als 12 Divisionen aufzustellen vermag. Es ist eben noch in einem Übergangsstadium zu der Entwickelung, die ihm im Laufe der Zeit Zuwachs an Gebiet und Bevölkerung erlauben werden, die man aber nicht improvisieren kann.
Verminderte Tätigkeit der Kavallerie.
137
XIII .
Verminderte
Tätigkeit der Von
Kavallerie .
Frhr. v. Welck, Oberstleutnant a. D.
Im Februarheft haben
wir darauf hinweisen müssen , daß die
Tätigkeit der Kavallerie als solcher mit Eintritt des Winters durch Gelände-
und
Witterungsverhältnisse
wesentlich
beeinträchtigt und
zum Teil ganz aus den kriegerischen Operationen ausgeschaltet wurde, so daß eine Verwendung der Reiter vielfach nur noch im Schützengraben zum Kampf mit Gewehr und mit Spaten stattfinden konnte. Wenn diese Verhältnisse bei
uns
den einzigen Grund zu der
geringen Betätigung der Kavallerie im Sattel und in ihrer eigentlichen Kampfform boten , so traten bei unseren Gegnern noch andere Umstände auf, die lähmend einwirkten und schließlich, namentlich die französische Kavallerie, nahezu ganz aus der Reihe der kämpfenden Truppen ausscheiden ließen, wie wir das schon im Februarheft bemerkten, wo wir schrieben : ,,Die französische Kavallerie scheidet mehr und mehr aus der Reihe der als solche kämpfenden Truppen aus ! Als Grund führten wir die ungenügende Ausbildung der Leute, die mangelhafte Dressur der Pferde, namentlich aber auch den Mangel an geeignetem Pferdematerial an. Für diesen Übelstand sind seitdem wieder mehrfache Beweise zu unserer Kenntnis gekommen , und zwar nicht allein bei der französischen und belgischen , sondern auch bei der englischen Kavallerie. Am
5. Januar
meldete
eine stets gut unterrichtete Schweizer
Zeitung, daß die französischen Kavallerieoffiziere jetzt, wo der Stellungskrieg vorherrscht, und da der Ersatz des durch große Verluste eingetretenen Pferdemangels durch die Ankaufskommissionen in Amerika nicht befriedigt werden konnte, den Fliegerkorps zugeteilt werden . Wenige Tage später wurde aus Paris geschrieben, daß die französische Armee nach den dort veröffentlichten Angaben seit Beginn des Krieges 60 Prozent ihres Pferdebestandes verloren habe. Das Kriegsministerium stoße aber auf große Schwierigkeiten bei der Beschaffung geeigneten Ersatzes. Man habe deshalb unmittelbar hinter der Front Pferdelazarette errichtet, in denen man versuchen wolle, leichtverwundete und erschöpfte Tiere wieder gebrauchsfähig zu machen.
138
Verminderte Tätigkeit der Kavallerie.
Noch schlimmer ist es bei der belgischen Kavallerie bestellt, die ja immer auch hinsichtlich Ausbildung und Leistungsfähigkeit den schwächsten Teil der belgischen Armee bildete. Sie kann jetzt wohl als nicht mehr existierend bezeichnet werden. Die „ Indépendance Belge " schrieb Mitte Januar über die dringend nötige ,,Verjüngung der belgischen Armee, es müßten zunächst jüngere und weniger ermüdete Führer berufen werden, dann müßte die Infanterie und Artillerie eine wesentliche Vermehrung erfahren , und die Kavallerieoffiziere seien aufzufordern, 22 da die Kavallerie keine Rolle mehr spiele ", freiwillig zur Infanterie überzutreten. Von der englischen Kavallerie hat man bei Beginn des neuen Jahres Man
auch bereits
über Mangel an Pferdematerial
klagen hören .
weiß, daß sie bei den ersten Gefechten, die sie in Belgien zu
bestehen hatte (vgl . Dezemberheft : Gefecht bei Thalin), große Verluste erlitt, die sich aber leicht hätten ersetzen lassen , wenn nicht seit Jahren schon die englische Pferdezucht Rückschritte gemacht hätte , so daß man tatsächlich von einem Pferde mangel reden kann, namentlich an zum Militärdienst geeigneten Pferden. Wir lasen kürz- . lich , daß seit 1905 eine Abnahme von über 68000 für den Militärdienst geeigneten Pferden allein in London festzustellen gewesen sei. England ist, trotzdem es als Heimat des Pferdesports galt und enorme Summen für Pferdezucht ausgab , immer auf den Import von Gebrauchsangewiesen gepferden namentlich zu militärischen Zwecken wesen, und zwar hauptsächlich
aus Südamerika und aus Kanada ;
dieser Import hat jetzt natürlich sehr nachgelassen , vielleicht ganz aufgehört, und in keinem Falle können diese etwa noch eingeführten Pferde gleich als Dienstpferde für die Kavallerie gebraucht werden. ') Der Kriegsminister will jetzt Pferdezuchtanstalten einrichten und Verzeichnisse aller im Lande befindlichen militärtüchtigen Pferde aufstellen lassen , die auf dem laufenden zu erhalten sind . Es erscheint auffällig, daß man auf diesen Gedanken jetzt erst kommt . Abgesehen
von
diesen
oben
erwähnten großen Verlusten am
24. August bei Thalin , scheint die englische Kavallerie auch sonst bei Zusammenstößen mit unserer Kavallerie wiederholt ernste Verluste erlitten zu haben, nur daß man Näheres darüber nicht erfährt, weder
1) Nach Löbells Jahresberichten v. J. 1913 wurde damals ein Mangel an militärtauglichen Pferden im Mobilmachungsfalle für die Armee von offizieller Seite bestritten , während es für die Territorialtruppen und speziell für die Londoner Territorials an Material zur sofortigen Deckung des Bedarfs fehlte. Der Bestand an militärtauglichen Pferden in der Hauptstadt und deren nächsten Umgebung sei während der letzten 3 Jahre um fast 50 Prozent zurückgegangen .
139
Verminderte Tätigkeit der Kavallerie.
durch unsere Veröffentlichungen noch durch die der englischen Heeresleitung. Wir fanden nur in einer deutschen Zeitung vom 30. Januar eine Erwähnung der englischen Verlustliste , nach der die Kavallerieregimenter schwere Verluste erlitten hätten. Die 15. Husaren, die 9. Lanzenreiter, sowie die 3. und 6. Gardedragoner seien besonders schwer betroffen worden. Ein abschließendes, aber auch vernichtendes
Urteil
über
den
jetzigen Zustand der französischen und englischen Kavallerie entnehmen wir einer italienischen Zeitung. dem „ Giornale d'Italia ". Dort heißt es , daß die „ vollständig außer Betrieb gesetzte “ Kavallerie der Verbündeten, n die gegen die deutschen Ulanen ¹ ) gar nicht aufkommen konnte“ , zur Fußtruppe geworden sei und neben der Infanterie in den Schützengräben liegt . Die Pferde seien in jammervollem Zustande und zur Dienstleistung ganz unfähig. Dagegen hätten die Deutschen mit ihrer Kavallerie im Aufklärungsdienste geradezu wunderbare Ergebnisse erzielt. Der Unterschied
zwischen dem hier geschilderten Zustand der
französischen und englischen Kavallerie und dem der unserigen , die bekanntlich vielfach auch in den Schützengräben neben der Infanterie liegt und wie diese kämpft , liegt darin, daß wir jeden Augenblick bereit und imstande sind, in den Sattel zu steigen und mit Säbel und Lanze
zu kämpfen,
daß
aber nächstdem unser
Pferdematerial
nichts zu wünschen übrig läßt, während das gegnerische, wie es hier Eine hypologische heißt, vollständig außer Betrieb gesetzt ist “ . Autorität , Graf Westphalen, hat sich über unser Pferdematerial kürzlich in der anerkennenswertesten Weise ausgesprochen . unsere
Pferde
Leistungen in diesem
Er sagt, daß
Kriege vollbracht
einzig in der Geschichte der Kavallerie dastehen .
haben,
die
Er stellt fest, daß
z. B. in der Zeit vom 20. August bis einschließlich 18. September die Gardekavalleriedivision täglich 30 bis 50 km - ohne einen Ruhetag - zurückgelegt und an jedem Tage an Gefechten teilgenommen oder Umgehungen und Fernaufklärungen ausgeführt hat, die bis zu 80 km ausgedehnt wurden . Dabei hätte das Futter viel zu wünschen übriggelassen. Trotzdem aber hätte die große Mehrzahl die Anstrengungen glänzend ausgehalten und sei stets imstande gewesen , die feindliche Kavallerie anzugreifen und - zu schlagen.
Ein einigermaßen
anderes Bild bietet uns ein Blick nach dem
östlichen Kriegsschauplatz. Im ostpreußischen Grenze ist das
nördlichen Polen und längs unserer Gelände für kavalleristische Unter-
¹) Bekanntlich wird unsere gesamte Kavallerie stets als „ Ulanen “ bezeichnet .
140
Verminderte Tätigkeit der Kavallerie.
nehmungen meist günstig, und der reiterliche
und vielfach offensive Geist, der die russische Kavallerie im allgemeinen beseelt, gab öfters Veranlassung zu kleineren Zusammenstößen und namentlich zu den immer wiederholten Versuchen , auf unsere linke Flanke zu wirken . Die erste Hälfte Januar verlief allerdings ruhig, und es wurde von beiden kriegführenden Parteien von einem Operationsstillstand berichtet. Dieser Stillstand fand seinen Grund teils in der Ungunst der Witterung, teils in der Art des sich auch hier mehr und mehr entwickelnden Stellungskrieges .
Eine auffallende Nachricht kam am 11. Januar aus Petersburg, die den geringen Wert kennzeichnet, den man den Leistungen der Kosaken noch beilegt, von denen man doch bei Kriegsausbruch erwartete, daß sie die deutschen Grenzprovinzen überschwemmen und unaufhaltsam bis Berlin vordringen würden : Es wurde bestimmt , daß die Kosaken nach und nach von der Front ins Innere des Reiches zurückgezogen werden sollen, 99 zur Sicherung des Reiches " . Sie eigneten sich besser zur Unterdrückung von Volksunruhen (die man also anscheinend fürchtete) als zum Kampfe gegen einen regulären Feind, in dem sie sich gar nicht bewährten . Die Art , wie die Kosaken selbst im eigenen Lande aufgetreten sind mit Mord , Raub und Brand haben. Noch Mitte
, mag wohl
Januar nahmen
zu dieser Bestimmung beigetragen
die
Russen
ihren
Lieblingsplan,
unseren linken Flügel in Ostpreußen zu umfassen , wieder auf. Die amtlichen russischen Mitteilungen hoben aber hervor, daß in diesem Vormarsch gegen Ostpreußen ein Stillstand eingetreten sei , weil plötzlich stärkere deutsche Kavallerieabteilungen von Infanterie unterstützt eingegriffen hätten. Am 26. Januar meldet aber unsere Oberste Heeresleitung, daß der Feind nördlich Gumbinnen die Stellungen unserer Kavallerie angegriffen habe allerdings erfolglos . Hier hat also die beiderseitige Reiterei wieder Fühlung gewonnen. Es ist wohl zu beachten , daß die russische Kavallerie demnach hier die Absicht gehabt hat, wieder als berittene Truppe aufzutreten, und daß sie dabei nicht auf deutsche Schützengräben gestoßen ist, sondern auf unsere Reiter, die im Sattel und mit Lanze und Säbel gekämpft haben. Aus diesem Zeitabschnitt stammt eine aufsehenerregende Korrespondenz, die in einer englischen Zeitung, dem „ Daily Telegraph “ , erschien und aus Warschau datiert war. Es heißt dort, daß vor Ablauf eines Monats eine neue russische Offensive beginnen werde, bei der es
sich nicht um den Kampf in Laufgräben handeln werde,
141
Verminderte Tätigkeit der Kavallerie.
sondern es werde eine gigantische Art des Zusammenwirkens der verschiedenen Truppenarten ins Auge gefaßt, bei der namentlich die Kavallerie zur Geltung kommen solle. Das Land, über das die Kavallerie bei der neuen Offensive ausgebreitet werden wird , wäre wenig geeignet für europäische Reiter ; für die russische Kavallerie sei es aber das geeignetste. ginge dahin, den Feind
Der Plan des Großfürsten, der ihn ersonnen, an der bisherigen Schlachtlinie festzuhalten
und möglichst viele Truppen für Vorstöße
in dazu ausgewählten Ge-
bieten freizubekommen .
Während große Kavalleriemassen die Offen-
sive beginnen,
sich die
werden
Die beabsichtigten dauern .
Operationen
Armeen
hinter ihnen
würden mindestens
gruppieren .
sechs
Monate
Es will uns scheinen, daß dieser neue Operationsplan , bei dem wohl die Phantasie eine große Rolle spielt, dem etwa entsprechen würde,
der im Anfang des Krieges
für die Absichten der russischen
Heeresleitung maßgebend war, nur daß er mißlang und daß man damals diese Offensive den Kosaken zuteilte, die man jetzt aus der Front zurückziehen will. Einem derartigen neuen Operationsplan entspricht es allerdings nicht, daß bis jetzt energische Vorstöße der russischen Kavallerie nur in dem Teil von Polen nördlich der Weichsel
stattgefunden
haben.
In
der
Gegend
von
Lipno
und
nordwestlich von Serpez ( Sierpe) fanden in den ersten Februartagen Zusammenstöße mit unserer Kavallerie statt, die aber mit dem Zurückwerfen der Russen endeten und schließlich in Plänkeleien kleiner gemischter Truppenabteilungen ausliefen. Da aber hier russische Kavallerie,
jedenfalls
in größeren Ver-
bänden, vereinigt ist, so können wir wohl damit rechnen , daß es bei Eintritt der besseren Jahreszeit im nördlichen Polen und vielleicht auch an der nordöstlichen Grenze Ostpreußens zu ernsten Zusammenstößen der beiderseitigen Kavallerie kommen wird, eine Aussicht , die unserseits mit Freude begrüßt werden würde.
142
Die britischen Schiffskräfte und ihre Bemannung.
XIV. Die britischen Schiffskräfte und ihre
Bemerkungen, die
Bemannung .
die „ Times "
jüngst an den Untergang des
„ Formidable “ geknüpft , Angaben, die Lord Crewe im Oberhaus über den der Flotte seit Beginn des Krieges zugeflossenen Zuwachs gemacht, geben, im Verein mit dem bisherigen Verhalten der britischen Schlachtflotte im Verlauf des Krieges, zu denken und weisen vor allem
auch auf die Frage hin,
ob nicht Rücksicht auf Verlust
von Matrosen eine sehr wichtige Rolle in den britischen Entschlüssen bezüglich der bislang erkennbaren Verwendung
der
Seemacht
gespielt
hat.
Wir wollen
eine Ab-
wägung der qualitativen Bewertung deutscher und britischer Flottenbemannung hier nicht bewirken, glauben aber mehr als objektiv zu urteilen, wenn wir behaupten, daß die deutsche zweifellos hinter den britischen nicht zu rangieren hat und, dank der allgemeinen Wehrpficht, auch eine für den denkbaren Bedarf mehr als ausreichende Wäre Schöpfquelle gründlich ausgebildeten Personals vorhanden ist. das
nicht
der Fall,
dann
hätte
man deutscherseits
gewiß nicht
Matrosenregimenter für den Kampf in Schützengräben nach Flandern entsenden können. Die britische Presse erhob bittere Klagen schon, als die zum September bereite
und in Antwerpen eingetzte Naval-
brigade schwere Verluste, besonders auch an in Holland Internierten , erlebte. " Die bedenklichste Folge der deutschen Seekriegsführung“ , schrieb die „ Times " gang des
jüngst in ihren Betrachtungen über den Unter-
Formidable " ,
ist
die Verminderung des Bestandes
des britischen Marinepersonals. Der Verlust an Mannschaften ist auf unserer Seite größer, als auf der deutschen und wiegt besonders jetzt sehr schwer. Brauchbare Matrosen zu erhalten , bedingt Jahre der Ausbildung, und wir dürfen nicht vergessen, daß , wenn wir auch Reserven haben , diese doch bald erschöpft sind. Die verlorene Mannschaft ist es, die nicht ohne weiteres ersetzt werden kann . " Die 99 Times" läßt dabei noch einen sehr wichtigen Punkt außer Auge, den nämlich , daß die modernen Kampfschiffe gründlich ausgebildete Spezialisten erfordern , daß eine universelle Matrosenbildung nicht ausreicht und man sich mit
der einfachen
Verpflanzung von Matrosen der Handelsdampfer auf Kampfschiffe nicht helfen kann . Die Tätigkeit der deutschen Marine hat in den
143
Die britischen Schiffskräfte und ihre Bemannung.
Bestand der britischen Flottenbemannung schon recht fühlbare Lücken gerissen.
Dem Kundigen ist es nicht neu, daß man in England beim
Kriegsbeginn mit dem Vorrat an geschultem Personal,
einschließlich
Reserve, kaum ausreichte, um sämtliche Kriegsschiffe zu besetzen. Nach dieser Richtung sei an die Sitzung im Oberhaus erinnert, in der Lord Beresford auf die Angabe des ersten Seelords, der Bestand an Mannschaften betrage 139000 Köpfe, davon 95000 an Bord, deren Vorhandensein bezweifelte, und, wenn sie doch vorhanden wären, als für die Mobilmachung nicht ausreichend bezeichnete . Die „ Royal Fleets-Reserve " , die auf rund 25000 Mann angegeben wurde, hielt man in Marinekreisen für nicht vollzählig und unter keiner Bedingung für die volle Bemannung der sämtlichen Neubauten, für die sie doch bestimmt ist, ausreichend . Seither sind aber auf der einen Seite, wie schon bemerkt, starke Mannschaftsverluste eingetreten , anderseits , nach Lord Crewes Erklärungen im Oberhaus, der Flotte als seebereit folgende Schiffe vom Kriegsbeginn bis Ende Dezember 1914 zugewachsen, die wir als Einzeltypen aufführen , soweit sie nicht schon bestehenden Gruppen angehören : A. Schlachtschiff „ Agincourt " , britischerseits auf der Werft mit Beschlag belegt , schon bezahlter türkischer 29 Sultan Osman I. “ , zunächst von der brasilianischen Regierung als „ Rio de Janeiro " in Bestellung gegeben, 28000 t Verdrang, 22 Knoten Fahrt, 16-30,5 cmGeschütze als Hauptarmierung. B.
Schlachtschiff
„ Erin " ,
Reschadie", 23000 t,
früher
schon
bezahlter
türkischer
21 Knoten Fahrt, 10 30,5 cm-Geschütze als
Hauptarmierung. C. Eine Gruppe von
5 Schlachtschiffen Typ
(„ Queen Elizabet “ , „ Warspite “ , „ Valiant “ , je 28000 t, armierung.
25 Knoten
Fahrt, 8
„Queen Elizabet“
„ Barham “ , „ Malaya “ ) zu
38,1 cm- Geschützen
als
Haupt-
D. Schlachtschiff " Canada " (früher „ Almirante Latoré " , eins der beiden für Chile gebauten Linienschiffe), 28500 t, 23 Knoten Fahrt, 10 35,6 cm-Geschütze als Hauptarmierung. E. Linienschiffkreuzer „ Tiger" (den wir sehr viel Grund haben , als bei dem Seegefecht von Helgoland am 24 Januar nach kurzem Leben untergegangen zu betrachten) 29500 t, 28 Knoten Fahrt, 8 34,5 cm - Geschütze als Hauptarmierung. Die in der bis zu Ende 1914 abgelaufenen Kriegszeit neu hinzugetretenen Schlachtschiffe „Bembow“ und „ Emperess of India " nannte Lord Crewe die letzten beiden Einheiten der 4 solche umfassenden Klasse „ Iron Duke " (wonach also die beiden anderen schon vor Kriegsbeginn in Dienst getreten sein müßten, was wir bezweifeln), je 25400 t, 21 Knoten
144
Die britischen Schiffskräfte und ihre Bemannung.
Fahrt,
10
34,5 cm-Geschütze als Hauptarmierung ; dagegen
die in
derselben Zeit, wie „ Bembow" bereit gewordenen Linienschiffe „ Royal Sovereign", „ Resolution ", 99 Ramillies", „ Revengo " , die 4 ersten der 66 geplanten 7 der „ R- Klasse zu je 26 100 t, 21 Knoten Fahrt , 8 38,1 cm-Geschützen als Hauptarmierung. Mit den neuesten beginnend , haben wir an Schlachtschiffgruppen (Battleships) zunennen : a) vier Einheiten des Typs „ King George V" , je rund 23000 t, 22 Knoten Fahrt, 10 34,5 cm-Hauptgeschütze ; b) vier Einheiten Typ " Orion " , 10 34,3 cm-Geschütze ;
je 23000 t ,
21
Knoten Fahrt ,
c) zwei Einheiten Typ „ Hercules " , je 20300 t , 21 je 10 30,5 cm-Geschützen ;
, Knoten Fahrt,
d) eine Einheit „ Neptun " , 20000 t , 21,8 Knoten Fahrt, Armierung wie vorstehend ; e) drei Einheiten Typ St. Vincent " , je 20000 t, 22 Knoten Fahrt, Armierung wie vorstehend ; f) drei Einheiten Typ „ Bellerophon " , je 22000 t, 21½ Knoten Fahrt, Armierung wie vorstehend ; g) eine Einheit Typ „ Dreadnought " , 22500 t, 21½ Knoten, 10 30,5 und 24 7,6 cm-Geschütze, die 1906 den Eintritt dieses bald wesentlich geänderten Typs in die britische Marine eröffnete, wo man sehr bald den Nachteil eines Verzichtens auf die Mittelartillerie erkannte. Der Panzerschutz in den genannten Gruppen wechselt zwischen 27,9 und 30,5 cm. Man kann diese Gruppen im großen und ganzen als zu gemeinsamer seekriegstaktischer Verwendung brauchbar betrachten, im ganzen also 18 Schlachtschiffe. Eine weitere, annähernd als homogen zusammengesetzt zu betrachtende Gruppe von Schlachtschiffen umfaßt, nachdem „ Bulwark “ und „ Formidable" jüngst zerstört worden sind, 21 Einheiten und zwar zunächst acht solche des Typs „ King Edward " zu je 17500 t, 19 Knoten Fahrt, je 4 30,5 und 23,4 cm-Geschützen, zwei Einheiten Typ „ Swiftsure“ zu je 12000 t, 20 Knoten Fahrt, 8 25,4 cm-Geschützen, sechs Typ " London " zu je 15 200 t, 18 Knoten Fahrt, 4 30,5 und 12 15 cm-Geschützen, endlich fünf Einheiten Typ „ Duncan " zu je 14000 t, 19 Knoten Fahrt, 4 30,4 cm- Geschützen. Die Panzerung Eine kleinere Gruppe für wechselt zwischen 17,8 und 30,5 cm. Kampfverwendung setzt sich aus sechs Einheiten Typ „ Canopus " , je 13000 t, 18 Knoten Fahrt, 4 30,5 cm-Geschützen zusammen, wird aber in der britischen Presse als veraltet bezeichnet, und neun Einheiten Typ „ Mejestic " , je 15000 t , 18 Knoten, 4 30,5 cm-Geschützen zusammen
Die britischen Schiffskräfte und ihre Bemannung. ebenso. Das Alter der Schlachtschiffe zwischen zwei und 19 Jahren.
wechselt
im
145
Durchschnitt
An Schlachtschiffkreuzern rechnet man, einschließlich „ Tiger“ , in England 10 , die aber an Verdrang und Geschwindigkeit doch einige Unterschiede aufweisen : zwei Einheiten Typ " Lion " , von denen das Typschiff bei Helgoland am 24. Januar schwere Beschädigungen erlitten hat, je 29800 t, 2812 Knoten, 8 34,5 cm-Geschütze ; eine Einheit ,,Queen Mary", 27400 t, Geschwindigkeit und Hauptarmierung wie vor, sodaß sie als der Liongruppe gleichwertig betrachtet werden kann ; zwei Einheiten Typ ,,Australia" und eine Einheit Typ ,, Indefatigable" sind dagegen schon an Verdrang auf 19000 t und 26¹½ Knoten und drei Einheiten des Typs ,, Invencible" auf 17500 t und 26 /½ Knoten herab zu verzeichnen . Letztgenannter ist mit schwerer Beschädigung in langer Reparatur; am 24. Januar nördlich Helgoland ist, wie schon bemerkt , mindestens ein Linienschiffkreuzer in den Grund geschossen worden, welcher, ist nur zu vermuten. Ebenso sanken drei Torpedojäger. Beschädigt scheinen also 3 Schlachtschiffkreuzer zu sein . Blieben also sofort verwendbar. 10-5-5 Schiffe . Feststellen kann man nur, daß vor dem Schlachtkreuzer ,, Lion“ der neuere und stärkere ,,Tiger" fuhr, daß dann ,,Princess Royal ", 26800 t, 28,5 Knoten Fahrt,,,New Sealand" und „ Indomitable" einander folgten, alle in der Lage, 28 Knoten Fahrt zu liefern . Noch erheblicher ist der Unterschied der letztgenannten und einer anderen Gruppe Panzerkreuzer, welche auch die von U9 zerstörten ,,Hogne" , Aboukir" , „ ,Cressy" und ein zum Typ ,, Bachante" sowie die in der Seeschlacht von Coronel untergegangenen ,, Monmouth ", Typ ,,Lancaster" und ,,Good Hoope" Typ „ Leviathan “ angehören , die heute noch 29 Schiffe zählen soll. Einigermaßen als homogen kann man in dieser Gruppe drei Einheiten Typ ..Minotaur", vier ,, Nathal", drei „ Blak Prince " , alle 11 000 t, 23 Knoten und je 4 19 cm- Geschütze, acht Einheiten Typ „ Lancaster" je 9900 t, 24 Knoten, 14 15 cm-Geschütze, drei Einheiten zu 14300 t, 6 23,4 cmGeschützen als
Hauptartillerie,
drei Einheiten Typ „ Bachante“ ,
je
12000 t, 22 Knoten, 6 23,4 cm - Geschütze als Hauptarmierung, Panzerung der Gruppe 60 15,2 cm. An geschützten Kreuzern weist die britische Flotte 64, 8-14 Jahre alte auf, von denen man zunächst doch einmal den bei Coronel zusammengeschossenen ,,Glasgow" streichen muß.
Im übrigen enthält diese Schiffsklasse Verdrängung von 2700
bis 14000 t, Geschwindigkeiten von 19 bis 251½ Knoten, Armierung von 23,5 bis 12,2 als Hauptgeschütze . 14 ältere Kreuzer, zu denen auch der vernichtete „ Hawke" gehört, lassen wir außer Betracht. An Torpedojägern sprechen sich die Engländer 215 von 27 bis 34 Knoten Fahrt, 280 bis 1200 t Verdrang, weiter 90 Torpedoboote und eben10 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 322.
146
Literatur.
soviele Unterseeboote von 12 bis 16 Knoten Geschwindigkeit unter, 8 bis 10 über Wasser zu , die zum Teil einen solchen Verdrang aufTrotzdem weisen, daß man sie Unterwasserkreuzer nennen könnte. müssen die Briten die qualitative Überlegenheit der deutschen Unterseebote zugeben, die das Schreckgespenst der britischen Flotte bilden 18.
Literatur.
I. Bücher. Isler, Das Wehrwesen der Schweiz . 1. Band : Die Wehrverfassungen Preis brosch . Zürich 1914. Verlag Orell Füssli . vor 1907. 6 M., geb. 7,50 M. Das Wehrwesen der Schweiz hat insofern von jeher besonderes Interesse erweckt, als es sich, unabhängig von den für die meisten Großstaaten maßgebenden Gesichtspunkten entwickelt hat und auch heute vielfach als ein Ideal betrachtet wird, obwohl man dabei die besondere militärgeographische und politische Lage der Schweiz sehr häufig außer acht läßt. Das vorliegende, bereits in vierter Auflage erscheinende Buch , gibt nun in trefflicher Bearbeitung einen historischen Überblick über die erfolgte Entwickelung bis zu der Totalrevision im Jahre 1907. Das Material ist völlig neu bearbeitet worden und bietet einen klaren Überblick über die erfolgten Wandlungen bis in die Einzelheiten hinein ; zahlreiche Zusammenstellungen, Tabellen und eine Übersichtskarte geben dem Leser vollen Aufschluß über alle Einzelheiten , übersichtliche Anordnung des reichhaltigen Stoffes und ein vortreffliches Sachregister erleichtern die Orientierung erheblich . Das Buch kann jedem Interessenten warm empfohlen werden ; seine gediegene Ausstattung spricht für den Verlag. E. F. Karl.
Friedrich Krupp, der Gründer der Gufsstahlfabrik, in Briefen und Urkunden. Herausgegeben im Auftrage der Firma Fried . Krupp A.-G. von Wilhelm Berdrow. 335 Seiten. Verlag von G. D. Baedeker, Essen-Ruhr. Preis geb. in Ganzleinen 5 M. Das vorliegende Werk darf als eine dankenswerte Ergänzung zu der großen anläßlich der Hundertjahrfeier der Firma Krupp veröffentlichten Jubiläumsschrift betrachtet werden. Es gibt seinem Hauptinhalte nach eine Biographie des, weiteren Kreisen immer noch recht wenig bekannten Gründers der Gußstahlfabrik in Briefen, und zwar
Literatur.
147
größtenteils in Geschäftsbriefen von seiner eigenen Hand und der Hand seiner Freunde. „ Anspruchslose , ja ziemlich nüchterne Zeugnisse seiner Zeit, der es an Auf- und Anregungen aller Art wahrscheinlich nicht fehlte" .- so nennt der Herausgeber diese Zeitdokumente — „die aber doch in ihrer Gesamtheit das Bild jener Jahre um manchen kleinen Zug bereichern." Es ist nicht nur das mit den Weltereignissen seiner Zeit auf mancherlei Weise verflochtene Lebenswerk Friedrich Krupps und sein eigenes, tragisch durchwebtes Geschick, was in diesen Briefen an uns vorüberzieht, es ist die ganze Zeit selbst, die Umwälzung aller politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den Rheinlanden durch Napoleons Gewaltpolitik, was schlicht und nüchtern , wie es sich in den Augen der Zeitgenossen spiegelte , aus diesen Blättern spricht, und so ist das Buch Friedrich Krupps gleichzeitig ein Buch seiner Zeit, der großen Zeit vor 100 Jahren geworden. Die einzelnen Teile der Briefsammlung sind verbunden und ergänzt durch kurze biographische Einleitungen , in denen die unvermeidlichen Lücken der Briefsammlung mit knappen Worten ausgefüllt sind , ohne den Reiz der Ursprünglichkeit zu vermissen . So erfahren wir mancherlei Unbekanntes aus den vor die Gründung der Gußstahlfabrik fallenden Lebensabschnitten Krupps, in denen er u . a. Leiter der damals im Besitz der Familie Krupp befindlichen Gutehoffnungshütte und später der letzte Inhaber eines von seinem Großvater gegründeten Kolonialwarengeschäfts war, um als solcher „ die zweifelhaften Freuden einer damaligen kaufmännischen Existenz in den Rheinbundstaaten gründlich durchzukosten " . Bisher unveröffentlichte Bilder der verschiedenen Stätten des Wirkens sowie einzelne Teile des ältesten Kruppschen Familienbesitzes, der fast vollständig der Durchführung der Gußstahlfabrik aufgeopfert werden mußte, ferner handschriftliche Briefe Friedrich Krupps, seiner Vorfahren und Freunde und einige faksimilierte Dokumente aus der Zeit des „ Großherzogtums Berg" dienen dem Werke als Buchschmuck und dürften es auch seiner Ausstattung halber für B. den Bücherfreund zu einem wertvollen Besitz machen. Reitfehler, Ursachen und deren Beseitigung. Leichtfaßliche Darstellung von Rittmeister des k. u. k. Landwehrulanenregiments Nr. 6 Rudolf Ritter von Schildenfeld , Personaladjutant des Chefs des Generalstabes. Unter vorstehendem Titel ist bei L. W. Seidel & Sohn in Wien ein 45 Seiten umfassendes Schriftchen erschienen , das in seinen Kreisen gewiß Interesse erregen und Nutzen stiften wird. Der Titel erscheint aber zu universell gehalten und würde dem Inhalte der Schrift besser entsprechen, wenn er etwa lautete : „ Die gewöhnlichsten Fehler junger Reiter und deren Abstellung " Der jetzige Titel würde die vollständige Darstellung eines richtigen Reit- und Dressursystems, die Ursachen von Fehlern , soweit sie im mangelhaften Reitwissen und Reit können des Dressierenden , soweit 10*
148
Literatur.
sie in irrigen Systemen , im Gebäude der Pferde usw. begründet sind, umfassen und deren Beseitigung behandeln müssen. Das ist offensichtlich nicht die Absicht des Herrn Verfassers gewesen. Denn seine Ratschläge beziehen sich ausschließlich auf fehlerhaftes Verfahren der Reiter sowohl bei Benutzung gerittener Pferde, als bei der Dressur und sind nach den „ Vorbemerkungen “ für „junge, ambitionierte¹ ) Reiter" bestimmt, die sich mit Pferdedressur beschäftigen . Es gibt da beherzigenswerte Winke, kann und soll aber offenbar nicht etwa systematische Reithandbücher , wie die eines Seger , Leidler , Krane Monteton , oder Steinbrecht - Plames Gymnasium des Pferdes oder mein „ Lexikon der Reitkust " ersetzen . Manche Eigentümlichkeiten des Ausdrucks, die in den Kreisen des Verfassers gar nicht üblich sind, noch in Deutsch - Österreich wohl allgemein verstanden werden, würden , um dem Büchlein überall da, wo die deutsche Sprache herrscht, Eingang zu verschaffen, besser vermieden worden sein. So kehrt der Ausdruck „das Pferd läßt den Zügel aus “ oder „will ihn nicht auslassen " und ähnliches öfter wieder, und man muß den Text wiederholt im Zusammenhange lesen , um zu erkennen , daß damit das „Nachgeben oder Nichtnachgeben gegenüber dem Zügel" gemeint ist. Ebenso ist im vierten Kapitel von den Hilfen " viel vom Kreuzdruck des Reiters die Rede, während der Einfluß des Reitergewichts gemeint ist, der zwar doch durch den Sitz (Spalte und Gesäß) wirkt, wenn auch die Haltung durch das Kreuz bedingt ist. S. 30 ist sowohl von einem 99 schiebenden " wie von einem ,,senkrechten oder fixierenden Kreuzdruck " die Rede . Über-
haupt aber macht sich das Bestreben, sich eines besonderen, ich möchte es nennen „Reiterlatein " zu bedienen, in dem ganzen Schriftchen geltend , während die Absicht dahin gehen müßte , sich so klar und unzweideutig auszudrücken , daß man von jedem , der der deutschen Sprache mächtig ist, verstanden wird. So heißt es : „Nachdem das Pferd die weichenden Schenkelhilfen ( ?) erlernt hat" (S. 31 ) . „ Der Reiter treibt hauptsächlich mit dem Kreuz (S. 29), indem er damit in der Richtung des Pferdemauls wirkt“ , hört die schiebende Wirkung auf und drückt das Kreuz direkt senkrecht nach abwärts, so wirkt dieser Druck hemmend auf die Rücken . schwingungen des Pferdes , d. h. vorhaltend , parierend " Diese Anschauung erscheint etwas mystisch . Mit Recht polemisiert der Verfasser gegen „ zurückziehen de Zügelhilfen" in demselben Momente, wo der Schenkel treibt " . Er 1 ) Die „ Ambition " ist zu loben, aber darf nicht in dem Sprüchlein ihren Ausdruck finden : „ Ach, das Lernen ist langweilig, doch das Können kab' ich eilig, am besten ist es angeboren, durch Lernen geht viel Zeit verloren."
Literatur.
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spricht viel davon, daß der Widerstand des Pferdes gegen das Gebiß durch " ruhig ausgehaltene Hände " , durch Sitz- und Schenkelhilfen behoben d. h. das Pferd zum Auslassen des Zügels veranlaßt werden soll " (S. 43 ). Doch sagt er etwa da : „ Nun erfordert dieses ruhige Aushalten mit den Händen oft eine ziemlich große Kraftanstrengung des Reiters, der derselben nicht immer gewachsen ist. " Da müßte er das Dressieren wohl aufgeben. Ich denke , diese Proben reichen hin, um das Schriftchen zu charakterisieren . Es ist sicherlich in demselben ein Streben , die Wahrheit zu finden und ihr Ausdruck zu geben, unverkennbar . Vielfach nennt auch der Verfasser das Richtige , ringt aber noch mit dem Ausdruck, der nicht immer zutrifft. Wenn er in längeren Ausführungen von dem „ Kontrollstandpunkt " spricht, der nach ihm darin besteht, daß das Pferd, ohne sich auf das Gebiß aufzuba mmeln und ohne sich vor ihm zu verkriechen , passen soll, so kann doch darunter nichts anderes verstanden werden , als daß das Pferd sich schon in „ Selbsthaltung " befindet. Diese aber ist das Resultat einer gründlichen Dressur und kann nicht, wie es der Verfasser verlangt, in jedem Moment während des Verlaufs der Dressur durch „ Kontrolle " festgestellt werden. Das Schriftchen verdankt sicherlich dem Umstande seine Entstehung, daß der Herr Verfasser in seinem Kreise Anerkennung seiner überlegenen Reitfähigkeit gefunden, seine Anschauungen sich dort Geltung verschafft haben und richtig verstanden worden sind . Aber die Prütung des „ novum primatus in annum " des Horatias wird die Schrift schwerlich bestehen . Sie wird sich für den Fall, daß sie zu einem allgemein brauchbaren Reithandbuch auszuwachsen versteht sicherlich noch viel mehr Licht und Sonne verschaffen müssen . S. Der Wille zum Sieg. Von F. J. Leipzig 1914. H. Finck. 2,40 M. An der Hand der Kriegsgeschichte wird bei den großen Feldherren von Friedrich dem Großen an bis auf den Russisch-Japanischen Krieg dargelegt, daß sie ihre Erfolge zum größten Teil erzielten, weil bei ihnen der Wille zum Sieg vorhanden war. Mit überzeugender Klarheit und Beweiskraft wird bei der Betrachtung der einzelnen Feldzüge gezeigt, daß Charakterstärke eine der wesentlichsten Eigenschaften eines Feldherrn sein muß. Nur bei einer daraus entspringenden magischen Kriegführung, die auch in schwierigen Lagen nicht versagt, sind große Erfolge möglich. Die von diesem Gesichtspunkte aus gegebenen Charakteristiken von Friedrich dem Großen, Napoleon York, Blücher, Moltke sind außerordentlich fesselnd und lehrreich . In kurzen, knappen Worten wird das Ergebnis eines eingehenden kriegsgeschichtlichen Studiums gezogen . Der Wille zum Sieg, die Charakterstärke muß aber nicht nur bei den höchsten Führern , sondern im ganzen Heere bis zum Manne
Literatur.
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herab, ja im ganzen Volke vorhanden sein . Der moderne Krieg wird vom Verfasser in seinen wesentlichsten Erscheinungsformen geschildert, um dabei die große Bedeutung der moralischen Faktoren zu würdigen . Auch im Zukunftskrieg wird die einzelne Persönlichkeit hervortreten und deren militärische Eigenschaften von großem Einfluß sein . Es ist Sache der Erziehung und Ausbildung, diese in richtiger Weise zu entwickeln . Diese Erziehung darf aber nicht erst im Heere mit der Rekrutenausbildung einsetzen , sondern muß viel früher einsetzen , auf der Schule und bei der Jugendausbildung, die neben der Entwickelung der körperlichen Kräfte und Leistungsfähigkeit der Pflege nationaler Gesinnung gewidmet sein muß. Die ganze Nation muß von Jugend auf zum Kriegę, zum Siege erzogen werden . „Wir brauchen nicht nur ein großes , kampfbereites, gründlich durchgebildetes Heer, nicht nur eine gediegene Kriegsflotte, sondern auch ein Volk, das erzogen und gewillt ist, für sich selbst, für seine Rechte, für seine Zukunft mit den Waffen in der Hand einzustehen.“ Ein von hohem patriotischen Geiste erfülltes Buch, das von hohem Standpunkte aus auf geschichtlicher Grundlage die Forderungen der jetzigen politischen und militärischen Lage beleuchtet. Die lichtvolle Darstellung fesselt den v. Schreibershofen. Leser bis zum Schluß. Kriegsmässige
Ausbildung
der Infanterie. Von Kasimir Freih . von Lütgendorf , k. u . k. Generalmajor. Verlag von L. W. Seidel & Sohn, Wien I, Graben 13. Wien 1914. Preis 2 K.
Aus dem militärischen Leben eines langjährigen Regiments- und Brigadekommandeurs hat ein auch bei uns gut bekannter Militärschriftsteller, Baron Lütgendorf , der mit offenem Auge die mühevolle Arbeit verfolgte, die in jedem Truppenkörper geleistet wird, seine Beobachtungen und Erfahrungen über die wichtigsten Ausbildungszweige zusammengetragen und sie zur nutzbringenden Verwertung bei den Fußtruppen veröffentlicht. Selbstredend bildet der Stoff kein zusammenhängendes Ganze, sondern gibt nur Anhaltspunkte für den methodischen Vorgang von der Rekrutenausbildung bis zu den Regimentsübungen , weist auf besondere Ausbildungszweige hin , die hier und da nicht hinreichend gewürdigt wurden, und führt einige allgemeine Bemerkungen über das Gefecht und die Verwendung der Divisionskavallerie an , die sich auf Erscheinungen beziehen , die alljährlich immer wieder Gegenstand von Besprechungen sind. Manches hat natürlich nur Interesse für die österreichische Armee, so die Forderung, daß der Rekrutenoffizier die Mannschaftssprache beherrschen müsse, daß bei dem Mangel an Kapitulanten als Unteroffiziere (nur 40 v. H. ) die Ausbildung der Lehrpersonen besonders wichtig sei . In den Bemerkungen zu den einzelnen Ausbildungszweigen , Disziplin , Belehrungen über Erscheinungen im Kriege, Sicherungs- und
Literatur.
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Patrouillendienst, Schießwesen und Verbindungsdienst, findet man wertvolle Winke . Daß alle Offiziere viel zu sehr durch vorzügliche Karten verwöhnt werden , ist sicher. Kriegsmäßiger wäre es, man übte mehr ohne Karten oder nur nach Skizzen . Das Kapitel über die Gefechtsausbildung der Truppe lehnt sich ganz an die Ansichten eines F. C. v. H. , bekanntlich Chiffer des österreichischen GeneralB. stabschefs, an .
Detaildarstellungen aus dem Russisch - Japanischen Kriege. 11. und 12. Heft. Auf Befehl des k. u. k. Chefs des Generalstabes bearbeitet von Major Franz Beyer. Wien 1914 . Verlag von Streffleurs Milit. Zeitschrift, L. W. Seidel & Sohn, k. u. k. Hofbuchhändler.
Taktische
Das 11. Heft der „Taktischen Detaildarstellungen " enthält in dem Aufsatze „ Der Kampf bei Juhuantun am 7. März 1905“ eine Schilderung des bekannten Angriffs der Brigade Nambu auf die Drei Häuser westlich Mukden . Völlig neu ist die Darstellung der russischen Gegenmaßregeln , die in dem zersplitterten Einsatze weit überlegener Kräfte bestanden. Schließlich hätten insgesamt 40 Bataillone und 136 Geschütze gegen die schwache japanische Brigade in Verwendung treten sollen. Der Erfolg bestand darin , daß die Japaner den eroberten Ort freiwillig räumten . In dem folgenden Aufsatze „ Das russische 122. Regiment am 10. März 1905" beweist der Verfasser die Notwendigkeit der Verbindung der zum Kampfe bestimmten Truppen an Hand des Schicksals des genannten Regiments, das hinter der eigenen Kampflinie gänzlich unerwartet auf feindliche Truppen stieß . Schließlich enthält der Aufsatz „Das Gefecht bei Dafansche am 3. März 1905 “ eine Schilderung des Zusammenstoßes zwischen der verstärkten Brigade Generalleutnant Bürger und der Kavalleriedivision Generalmajor Akijama nordwestlich Mukden . Das Gefecht gedieh fast zur Entscheidung. Die russische Brigade brach aber das günstig stehende Gefecht ab und zog sich um den äußeren Flügel der japanischen Kavallerie nach Mukden zurück. Das 12. Heft bringt eine Darstellung des Gefechtes bei Helundjan am 10. März 1905, durch die iniative Entschlüsse verantwortungsfreudiger Unterführer bei ungeklärten Verhältnissen scharf hervorgehoben werden. Schließlich wird in dem Aufsatze „ Die Division Generalmajor Orlow am 2. September 1904 " der Beweis geliefert, daß der beabsichtigte Gegenangriff Kuropatkins bei Liaojan nicht durch die Schuld Orlows unterblieb, wie dies vom russischen Armeekommandanten angegeben wurde, sondern daß die Führung im allgemeinen und im besonderen erfolgreiche Resultate von Haus aus ausschloß. Inhalt und Form der beiden Hefte sind mustergültig.
Literatur.
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Mit den beiden Heften wird das Erscheinen der Einzeldarstellungen vorläufig abgeschlossen. Eine weitere Fortsetzung ist geplant, sobald das japanische Generalstabswerk über den Krieg erschienen sein wird. B.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der ,,Jahrbücher“ nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises - sofern dieser mitgeteilt wurde hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Mandel, Die Rettungsboote und ihr Zubehör unter besonderer Berücksichtigung der großen Übersee -Passagierdampfer. Borna- Leipzig 1914. Kommissionsverlag von Robert Noske . 4,50 M. 2. Spalckhaver. Die Kriegsflotten der kämpfenden Seemächte zu Beginn des Weltkrieges 1914. Altona, E. J. Harder. 0,25 M. 3. W. T. B. Kriegsdepeschen 1914. Fünfter Monat (Dezember) . Berlin. Boll & Pickardt. 0,40 M. 4. Hindenburg - Anekdoten . Kirchheim & Co. Geh. 0,20 M.
1. Serie.
Mainz 1915.
Verlag von
5. Höhler. Die Kapelle im Schützengraben . Mainz 1915. Verlag von Kirchheim & Co. Geh . 0,10 M., 100 St. 8 M. 6. Stooss. Kommentar zu der Militärstrafgerichtsordnung vom 28. Juni 1889. Bern 1915. Stämpfli & Co. 4 M. 7. Zimmer.
Kaiser Wilhelm II. als Deutscher.
Berlin
SW 11.
Concordia, Deutsche Verlagsanstalt, G. m. b. H. 1 M. 8. Procksch. Englische Politik und englischer Volksgeist. Berlin SW 11. Concordia, Deutsche Verlagsanstalt, G. m. b. H. Geh . 0,50 M. Berlin SW 11. Zwischen Aisne und Argonnen . 9. Köhrer. Concordia, Deutsche Verlagsanstalt, G. m. b. H. Geh. 1 M. 10. Dette. Friedrich der Große und sein Heer. Göttingen 1915 . Vandenhoek & Rupprecht. Geh. 2,20 M. 11. Karte der französischen Gefangenenlager und hauptsächlichsten Hospitäler (Lazarette) sowie Bestimmungen über den Postverkehr mit in Frankreich befindlichen Gefangenen . Hamburg 1915. L. Friedrichsen & Co. 0,60 M.
fooot
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.
XV.
Seine Majestät an Seine
Offiziere.
Von Dr. jur. Friedrich Everling.
Es ist uns Deutschen als selbstverständlich erschienen, daß gleich nach Kriegsbeginn das Hauptquartier an die Front verlegt wurde, und nun wechselt zwischen Ost und West. Herrliche Waffentaten verrichten unsere Heere unter den Augen ihres Obersten Kriegsherrn , Und die Daheimgebliebenen, denen es versagt ist, ihre Treue mit dem größten Opfer freudig zu bewähren , danken dem Himmel, daß er in solcher Zeit in Seiner Majestät dem Volk einen Kriegsherrn setzte, der " fest und getreu, ernst und ritterlich, demütig vor Gott und kampfesfroh vor dem Feind " Seinen hohen Beruf erfüllt, „ an der Spitze der Armee dem Vaterland zu dienen " . An der Spitze der Armee, im Kriege, wie im Frieden. Ein Hohenzoller in Zivil ist auch im Frieden dem Volk eine fremde Erscheinung. Des Königs Rock bezeichnet die Königliche Gesinnung: der oberste Kriegsherr ist der erste Offizier im Staat. So ist es altpreußische
Tradition.
So
ist
es
auch
Hohenzollernsche
Tradition. Ein leuchtendes Beispiel dafür beschreibt Bismarck in den „ Gedanken und Erinnerungen " — unser Kaiserlicher Herr erinnerte ihn einmal dankbar
daran
, wo er die Unterredung im
dunklen
Bahnabteil mit seinem zur Abdankung entschlossenen König schildert : „Er fühlte sich bei dem Porte-epée
gefaßt
und in der Lage eines
Offiziers, der die Aufgabe hat, einen bestimmten Posten auf Tod und Leben zu behaupten, gleichviel, ob er darauf umkommt oder nicht ... Das Leben für König und Vaterland einzusetzen, war die Pflicht des preußischen Offiziers, um so mehr die des Königs , als des ersten Offiziers im Lande . . . Er fühlte sich ganz in der Aufgabe des 66 ersten Offiziers der Preußischen Monarchie Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 323.
11
154
Seine Majestät an Seine Offiziere.
Diese Auffassung ist das festeste Band zwischen dem König und der Armee, Seinem „ Volk in Waffen " . Sie ist das festeste Band auch zwischen dem obersten Kriegsherrn und Seinem Offizierkorps . Das alte Verhältnis zwischen Herr und Vasall, in dem Treue um Treue gilt, selbstlose, rücksichtslose Treue,
hat sich hier lebendig er-
halten. Wenn man hier manchmal von Romantik sprach, und im Frieden sagte, das passe nicht mehr in "9 unsere Zeit " , so haben wir gerade in unserer Zeit, deren Geschichte einst klingen wird wie ein germanisches Heldenlied, erlebt und dem Ausland bewiesen, daß solche Auffassung dem Deutschen eingeboren und unverlierbar ist. Aus dieser Auffassung heraus verlangt Seine Majestät von Seinen Offizieren „ das volle Gefühl der absoluten Zugehörigkeit zu der Person des Allerhöchsten Kriegsherrn “ , wie es auch nicht anders sein kann bei der historischen und bei der militärisch- politischen Entwickelung unserer Wehrmacht, die es also mit sich gebracht" . Daraus sind auch die Kaiserlichen Worte ( 1904) zu verstehen : „ Das Offizierkorps der Marine ist Mein Offizierkorps, und die Herren sind Meine Offiziere und Meine Kameraden geworden. Und dadurch, daß dieser enge und innige Zusammenhang erreicht ist, gleich dem, der schon Jahrhunderte hindurch zwischen dem Offizierkorps der Landarmee und ihren Königen besteht, ist es möglich gewesen, daß diese großen Leistungen geboten werden konnten. Denn auch hier heißt es : Der Buchstabe
tötet,
aber der Geist macht lebendig .
Derselbe hat sich
auch hier tätig erwiesen und diese herrlichsten Beispiele geliefert.
Ich
begrüße in diesem Geiste freudiger Hingabe, aufopfornder Arbeit des Gehorsams und der Disziplin in den höheren Offizieren die frohe Gewißheit für die Zukunft, daß , welche Aufgaben auch an die Marine herantreten werden, sie sich in jeder Beziehung ihnen gewachsen ze gen werden und als eine gute und zuverlässige Waffe in Meiner Hand " .
In
dieser Hoffnung konnte der Kaiser 1895 auf ein Wort,
das Wilhelm der Erste in schwerer Zeit aussprach , als er seine Offiziere stehen sah, zurückgreifen : „ Das sind die Herren, auf die Ich Mich verlassen kann. “ Denn : „je mehr man sich hinter Schlagworte und Parteirücksichten zurückzieht, desto fester und sicherer rechne Ich auf Meine Armee, und desto bestimmter hoffe Ich, daß Meine Armee, sei es nach außen oder nach innen , Meiner Wünsche und meiner Winke gewärtig sein wird ". Meine Offiziere und Meine Kameraden.
„Wir Offiziere ", hört
man den obersten Kriegsherrn häufig sagen. Degen geadelt hat,
Jeder Offizier, den der darf sich als Glied jener einen " großen Familie “
fühlen, darf an dem „ ewig frohen , freundlichen Born kriegerischer Tüchtigkeit " , dem Geist der Kameradschaft und Hingebung, sich er-
155
Seine Majestät an Seine Offiziere. frischen.
Die
Kameradschaft ist die schönste
Blüte gemeinsamen
Es ist die Gewöhnung , über sich selbst hinauszuwachsen zu einem tätigen Glied des großen Ganzen. Sie ist die kräftigste Stütze des Strauchelnden, sie leiht dem Einzelnen die Kräfte männlichen Strebens.
von Tausenden. Und so findet Seine Majestät : „ Das Hauptfeld jedes Offizierkorps während des ganzen Lebens ist die Pflege 1902, Kameradschaft, der Kameradschaft im hohen Stil " . einem Festmahl der ehemals hannoverschen Offiziere überrascht der Kaiserliche Gast.
„ Nachdem Ich erfahren habe,
für der bei sie
daß dieser Tag
von Ihnen festlich begangen wird, hat es Mir am Herzen gelegen, einmal im Kreise der hannoverschen Kameraden zu weilen und mit Darum auch wird der regelmäßigen Feier der Regiments- Stifungsfeste das Wort geredet, weil „ dadurch die Älteren häufiger mit den Jüngeren zusammenkommen und sich davon überIhnen zu Tische zu sitzen. "
zeugen können,
ob der alte preußische Geist noch seine Stätte habe
im Offizierkorps. " Kameradschaftlichem Gefühl entsprang die Gründung des Offiziersheimes in Falkenstein am Taunus 1909 , in dem „ die hier einkehrenden Herren, seien sie nun aus den Tropen zurückgekehrt und von schweren Fiebern geschüttelt oder durch einen schweren Sturz verletzt oder durch Krankheit angegriffen, sich erholen, ihre Kräfte remontieren und sich zu neuer Ausübung ihrer Pflicht stärken “ und alle das Gefühl haben sollten , daß sie sich hier ausruhen könnten “ , daß sie sich wie zu Hause fühlen sollten " . Bei der Kaiserlichen Kabinettsorder, die 1899 die althannöverschen Regimenter mit preußischen verschmolz, war der kameradschafliche Gesichtspunkt leitend : , daß Ich es für den zurückgezogen lebenden Soldaten als das Schwerste gehalten habe, daß es ihm nicht vergönnt ist, mit seinem Truppenteile Freud und Leid zu teilen. Es lag mir daran , heute diese Lücke auszufüllen, indem Ich die Tradition der hannöverschen Regimenter mit den neuen Regimentern des X. Armeekorps wieder habe aufleben lassen, und hierdurch die Erinnerungen an ihre miliWiederholt hat Seine tärische Jugendzeit frisch erweckt babe ". Majestät des Sturms auf den Gaisberg gedacht, als der nachmalige Kaiser Friedrich III. Seinen sterbenden Major Kaisenberg in den Armen auffing 99 und seiner Seele vor dem Tode noch den Kuß aufdrückte “ .
Von
unserm
Kaiser ,
der
mit Tränen
das
Lager eines
blindgeschossenen Offiziers verläßt, werden unsere Heimkehrenden manchen ähnlichen Zug zu berichten wissen, der in der Geschichte des Vaterlandes unverloren bleibt . Dies hohe Gefühl für Kameradschaft hat sich in dem Kaiserlichen Herrn durch jahrelange Zusammenarbeit als diensttuender Offizier unter Offizieren zur Blüte entwickelt. Er kennt die Freuden und Leiden
dieses Berufs, hat 99 volles Empfinden für 11*
156
Seine Majestät an Seine Offiziere.
alles das Schöne und Stolze " , das er bietet, aber auch für seine Gefahren und Mühseligkeiten.
„ Wer wie Ich auch längere Zeit in der
Front gestanden und viele Kaisermanöver teils in der Front , teils als Zuschauer mitgemacht hat, weiß, was eine solche Parade für ein Armeekorps bedeutet. Ich kenne sehr wohl die mühevollen Arbeiten, die vorangegangen sind , die Aufregung, die Aufmerksamkeit, die Anspannung der Truppen.
Ich weiß sehr wohl, wie jeder einzelne höhere
und niedere Offizier, jeder Soldat sich auf den Moment freute und ihm auch mit einem gewissen Bangen entgegenschaut, wenn er vor seinem Kriegsherrn paradieren soll . Ich weiß es aus eigener Erfahrung, als Ich noch Hauptmann war, wie Ich Mich freute und beruhigte, wenn Mein Flügelunteroffizier Mir zurufen konnte, daß der Kaiser genickt habe, als die Kompagnie an Ihm vorbeigekommen sei. “ Prachtvoll spiegeln sich diese Auffassungen von dem Beruf, der dem Preußischen Prinzen selbstverständlich ist , in der Ansprache, mit der unser Kronprinz, der Sieger von Longwy, nach erreichter Volljährigkeit 1900 in das Erste Garderegiment eingestellt wurde. Nur eine Stelle daraus : „ Und ihm (dem Kronprinzen ) will Ich wünschen , daß er in den Reihen Meiner alten teuren Kompagnie dieselbe Freude empfindet im Verkehr mit dem Grenadier und dieselbe Kameradschaft unter seinen Offizieren
und vor allen Dingen
dasselbe Vertrauen
seiner Leute sich wird erwerben können , wie es auch Mir einst gelungen ist, und daß er sich eng verwachsen fühle mit den Söhnen Meines
Landes. "
Hier
spricht
aus
dem obersten Kriegsherrn der
Landesvater, hier spricht aus den Ermahnungen des Vaters an seinen Sohn der Preußische Offizier, für den seine Leute durchs Feuer gehen . Mit den Augen des Offiziers
betrachtet der Monarch die Ehre,
die mit der Übertragung des Oberkommandos der Chinaexpediton an den deutschen Befehlshaber ( 1900) den deutschen Waffen erwiesen wurde. Der Kaiser entläßt den Grafen Waldersee mit den Worten : 99 Wir können als Preußische Offiziere dankbar und mit Stolz erfüllt sein ob der Aufgabe, die Ihnen zugefallen ist, denn es wird darin die einheitliche Anerkennung für unser ganzes militärisches Leben und Wirken ausgesprochen, sowie für das militärische System und für die Ausbildung und Führerschaft unserer Generale und Offiziere. " Und für den Altreichskanzler,
der,
wie er einmal mit Stolz erzählt,
bei
seinen ersten Ministerreden immer als der Offizier in Zivil angesprochen wurde, dessen gewaltige Gestalt den Deutschen unter dem Kürassierhelm seines Halberstädter Regiments am vertrautesten ist, für den Reichskanzler hat der ritterliche Monarch am 26. März 1895 als beste Geburtstagsgabe ein Schwert, als würdigste Ehrung eine Parade und als schönsten Titel den des Kameraden.
Seine Majestät an Seine Offiziere.
157
Vom Kaiserlichen Dank kündet manche Manöverkritik.
Bei
den Admiralen und Geschwaderkommandanten wird einmal ( 1890 ) der Grad der Ausbildung, der Hingebung, der Disziplin , der Treue , mit der die Herren arbeiten " , mit vertrauensvollem Ausblick in die Zukunft anerkannt.
Den Leibregimentern gilt am Tage des zehnjährigen
Regierungsjubiläums der „ Glückwunsch und Dank, in den Ich zugleich mit euch alle eure Brüder in der Armee umfasse. Ich habe die feste Überzeugung, daß in den letzten zehn Jahren durch die aufopfernde Hingebung der Offiziere und Mannschaften in treuer, hingebender Friedensarbeit die Armee auf dem Stande erhalten worden ist, in dem Ich sie von Meinen hochseligen Vorfahren überliefert bekam. Wir wollen die zehn folgenden Jahre, in Treue miteinander verbunden, weiter arbeiten, mit unbedingter Pilichterfüllung, in alter, nie erlahmender Arbeit, und mögen die Hauptsäulen unseres Heeres immer unangetastet bleiben, die sind die Tapferkeit, das Ehrgefühl und der unbedingte, eiserne, blinde Gehorsam. “ Vom Kaiserlichen Dank gibt auch die Rede Kunde, in der dem Preußischen
Kriegsministerium zu seiner Jahrhundertfeier 1909 bestätigt wird, daß es " in unverbrüchlicher Treue und Hingebung, rastlos und ohne Ermattung schaffend,
dem Heere die Rüstung bereitet und
gestählt, durch die dieses befähigt wurde, allezeit seine hohe Bestimmung zu erfüllen : des Vaterlandes starker und ―― so Gott will unüberwindlicher Schirm und Hort zu sein und zu bleiben ". Diesen Dank wiederholt
in diesen Tagen das ganze deutsche Volk.
freudigem Stolz
bezeugt der Kaiserliche Herr der Kriegsakademie an
„ Mit
ihrem hundertjährigen Jubeltag 1910 „ daß sie das Erbe, das ihr von Clausewitz und Moltke, den geistesgewaltigsten ihrer Lehrer, hinterlassen war, treu zu wahren und zu mehren gewußt hat. " Für die Heerführer und Vorbilder der Armee findet der ritterliche Monarch Worte pietätvoller Anerkennung, wenn er 1903 dem König Georg von Sachsen und den wenigen alten um ihn versammelten Generalen aus alter Zeit bekennt, sie bildeten „ für uns jüngere Offiziere eine Generation, die uns gelehrt hat, was Soldat sein heißt, und wie man Soldat wird " ; wenn vor dem Denkmal des Generals von Rosenberg 1902 die Reiteroffiziere ermahnt werden : 99Wie der General nur seine Dienste und nur reine Pflicht kannte, so mögen Sie es auch tun" , denn : „ das Höchste, was einem Offizier in seinem Dienste im Leben erblühen kann, ist die eigene volle Befriedigung in der Ausfüllung seiner Stelle . . .
So
mögen wir auch
aus dem heutigen einfachen Denkmal Sinnbild und Vorbild schöpfen. Aus märkischem Granit ein Block trägt die Züge des Generals , in Erz geprägt - so mögen auch Sie das Stück Granit unseres Heeres
158
Seine Majestät an Seine Offiziere.
das sich Reiterei nennt, hegen, pflegen und kristallisieren lassen, daß jeder, der darauf beißt , die Zähne verliert. " General Vogel von Falckenstein wird als ein General gepriesen, dessen Name Tapferkeit, dessen Wesen Ritterlichkeit und dessen Leben Treue auf dem Schlachtfelde und im Frieden gewesen ist “ , und die Figur des Generalobersten von Pape „ ist der Inbegriff der Ritterlichkeit altpreußischer Tradition , hingebenden Gehorsams, der nur kennt die Gebote seines Herrn und die der Ehre und des Ruhmes der Fahne, die ihm anvertraut sind ". Von Moltke, „dessen Taten mit Flammenschrift auf den Tafeln der Geschichte verzeichnet sind ", heißt es im Armeebefehl zu seinem hundertsten Geburtstag ( 1900) : „ Dankerfüllten Herzens preise Ich die Gnade des Allmächtigen, der dem Vaterlande diesen Mann geschenkt ; voll freudigen Stolzes beglückwünsche Ich Mein Heer, das diesen Feldherrn sein eigen nennen durfte.“ Nie aber fehlt nach solchem Aufblick zu den Vorbildern der Armee die Mahnung für die Zukunft, die Seine Majestät bei der Gedächtnisfeier für den Großen Kurfürsten 1890 mit dessen Worten aussprach : „ Wir wollen fortfahren, festzuhalten an der Gottesfurcht, Treue, Hingebung und am Gehorsam . " Der preußische Offizier steht mit seinen Standesansichten, mit seinen Standesvorzügen und seiner Standesehre auf dem festen Boden einer jahrhundertealten Tradition. die Hauptsache " ,
und der Oberste
99 Beim Soldaten ist die Tradition . Kriegsherr hat sie als eines der
Hauptprinzipien der Armee „ stets und aller Orten verkündet und vertreten". Tradition ist die geistige Verbindung der Generationen, Tradition ist das Nutzbarmachen der sittlichen Kräfte , die unsere Vorväter an sich ausgebildet haben .
So heißt es in der Allerhöchsten
Kabinettsorder vom 18. Januar 1901 : Der „ enge persönliche Zusammenhang zwischen Mir und jedem einzelnen Meiner Offiziere und Soldaten beruht auf 200 Jahre alter Tradition. Der Geist, der von Friedrich I. an von allen Königen in der Armee gepflegt wurde, der Geist der Ehre, der Pflichttreue, des Gehorsams, der Tapferkeit, der Ritterlichkeit er hat die Armee zu dem gemacht, was sie sein soll und was sie ist die scharfe zuverlässige Waffe in der Hand ihrer Könige zum Schutz und zum Segen für die Größe des Vaterlandes. " Man hat unter mancherlei Klagen über die Höhe der Heereslasten früher manchmal vergessen, Waffe
ist,
daß die Armee nicht nur eine
die auf den Kriegsfall wartet,
ihre großen Aufgaben hat,
sondern
auch im Frieden
daß sie zugleich „ die beste Schule für
das Volk in Königstreue und Pflichterfüllung" ist. Darum betonte Seine Majestät am 18. Januar 1901 im Zeughause, auch in Friedenszeiten sei für das Preußische Offizierkorps die Ausbildung der
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Seine Majestät an Seine Offiziere. Armee vornehmste Pflicht .
Treitschke sagt einmal,
daß das Heer
eine Schule bildet für die eigentlich männlichen Tugenden des Volkes, die einem Zeitalter des Erwerbs und des Genusses so leicht verloren gehen “ . „ Sie, meine Herren " - ruft der Kaiser 1903 in Döberitz den Offizieren zu - „ Sie, meine Herren, sind die Erzieher Nicht nur Reglements , Taktik und Strategie , sondern auch Stolz und Dienstfreudigkeit sollen in Meinem Rock gelehrt und Achtung und Liebe für unsere unvergleichliche Armeetradition werden, dann wird es um unsere Zukunft mit Hilfe unseres großen Alliierten oben gut bestellt sein. " Jeder weiß, wie sehr sich der gediente Mann von dem unterscheidet, Königs Rock getragen hat .
der nie des
Es sind das Unterschiede nicht nur im
äußeren Benehmen, sondern in der Lebensauffassung. Darin liegt der Segen militärischer Erziehung für den Frieden, der das Heer als „ eine großartige Schule zur Erziehung unserer Jugend in nationalem Sinne “ erscheinen läßt.
An die militärische Erziehung für den Krieg denkt
der oberste Kriegsherr in Seiner Ansprache bei der Kasernenweihe des Kaiser-Alexander- Regiments ( 1901 ) : „ Ich habe das feste Vertrauen, daß das Offizierkorps des Alexander- Regiments stets seinen Aufgaben gerecht werden wird, indem es Soldaten für den einen Moment erzieht wenn es gilt , mit Blut und Leben die Treue zu König und Vaterland zu besiegeln.
Das Bewußtsein verleiht Mir die Gewißheit,
daß wir
trotzdem überall siegen werden , wenn wir auch von Feinden rings umgeben sein werden . Denn es lebt ein gewaltiger Verbündeter , das ist der alte gute Gott im Himmel , der schon seit den Zeiten des Großen Kurfürsten und des Großen Königs stets auf unserer Seite war. “ In der Armee,
dem großartigsten Erziehunginstitut der Welt,
hat der jüngste Leutnant schon das Amt des Lehrenden mit seiner Verantwortung und seinen besonderen Pflichten. Ein teils rohes, teils schon verbildetes Material wird dem ausbildenden Offizier in die Hand gegeben. Er soll nicht nur dessen körperliche Fertigkeit entwickeln, sondern ihm auch das Verständnis für die sittlichen Güter des Mannes und des Soldaten wie Spohn sagt „ einimpfen " . Dazu gehört eine tiefgehende Vorbereitung, eine Erziehung zum Erzieher. An dieser Erziehung Seiner Offiziere nimmt Seine Majestät der Kaiser tätigen Anteil. Ganz militärisch und doch voll Gemüt und Humor klingen die Worte an die Bensberger Kadetten (1906 ) : „ Guten Morgen , Jungens ! Ich habe Mich sehr gefreut , euch hier zu sehen . Der Parademarsch war gut ! Ihr seid noch jung, und ihr wollt erst noch Offiziere werden, um dereinst Führer Meiner Armee zu sein. Denkt daran, was vor hundert Jahren passierte,
und ihr steht hier dafür,
160
Seine Majestät an Seine Offiziere.
daß so etwas nicht wieder vorkommt. Im übrigen könnt ihr auf Meine Kosten so viel Schokolade und Kuchen essen, wie ihr nur runterstopfen könnt. Adieu, Kadetten ! " Den Fähnrichen zur See ruft der Kaiser, die Worte
zu:
nachdem Er ihre Beförderung ausgesprochen, 1901 „ Ihr habt heute die erste Charge auf der Leiter er-
reicht, auf der, wie Ich hoffe, ihr noch hoch steigen werdet. Werdet zu Männern, die ein tüchtiges Werkzeug sind in Meiner Hand, denn Männer werde Ich brauchen. Ich gratuliere euch , Fähnriche ! " Ernste Worte über militärische Selbsterziehung fallen in der Marineschule in Mürwick ( 1910) : „ Ich liebe den Beruf, den Sie, Meine jungen Kameraden, sich gewählt, und Ich habe volles Empfinden für alles das Schöne und Stolze, was Ihnen dieser Beruf namentlich in den frühzeitig erreichten selbständigen Stellungen bietet . Aber Ich weiß auch, wieviel Entsagung er von den Einzelnen fordert, und daß ein ganzer Mann dazu gehört , immer mit Freudigkeit den schweren und verantwortungsvollen Dienst zu tun, der Ihnen zufallen wird. Schon die Marineschulzeit ist keine leichte. Der Seeoffizier muß sehr viel lernen. Er soll ein gebildeter Mann im allgemeinen Sinne sein und er soll sich ein weitgehendes technisches Wissen aneignen. Das erfordert viel ernste Arbeit über den Büchern, und die ist doppelt schwer nach dem einen Jahr an Bord, das Sie in vorzugsweise praktischer Ausbildung und unter den erfrischenden Eindrücken der Auslandsreise zugebracht haben . Denken Sie bei der Arbeit daran, daß sie nicht nur ein Ansammeln von Wissen bedeutet, sondern daß sie auch
ein Ausdruck von Pflichtgefühl und Energie ist und damit
für die Bewertung der ganzen Persönlichkeit ins Gewicht fällt.
Unsere
Zeit braucht ganze , sogar eisen harte Männer. Daher kommt es auf die Persönlichkeit , den Charakter in erster Linie an. Diese Charakterbildung
zu fördern ,
ist die wichtigste Aufgabe Ihrer
Vorgesetzten. Aber es ist vor allen Dingen auch die Aufgabe jedes Einzelnen von Ihnen . Arbeiten Sie sich durch zu einer streng sittlichen, auf religiöser Grundlage ruhenden Lebensanschauung, zu einer der gegenseitigen Verantwortung sich bewußten Kameradschaft, zu ritterlichem Denken und Handeln und umschiffen Sie so die Klippen, an denen leider immer noch so viele junge Offiziere scheitern !
Be-
geistern Sie sich an den großen Vorbildern der Geschichte , die Ihnen lehren, daß es geistige Kräfte sind , die den Sieg erfochten, und nicht zuletzt die Seelenstärke, die dem Gottesglauben entspringt ! Dann werden Sie mit hohen Zielen vor Augen, alle Härten und Schwierigkeiten des Berufs leicht überwinden und so Offiziere werden, wie Ich sie Mir wünsche und wie das Vaterland sie braucht, stolze und wetterfeste Männer im Sturm des Lebens. " Dem II. Bataillon der
161
Seine Majestät an Seine Offiziere.
Hauptkadettenanstalt gilt bei Verleihung einer Fahne 1890 die Mahnung: " Ihr sollt dermaleinst euren Soldaten und Kameraden als Verbild dienen . Führt daher auf echt christlicher Grundlage einen sittenreinen Lebenswandel. Enthaltet euch des Luxus und lebt in Einfachheit der
Sitten. "
Diese Mahnung
illustrieren die Aus-
führungen über den Russisch-Japanischen Krieg in der Straßburger Kaiserrede vom 8. Mai 1905 - deren Wortlaut freilich nicht authentisch feststeht das russische Offizierkorps habe vollständig versagt, während der Soldat sich gut gehalten und tapfer gekämpft habe. Seine Majestät erwähnte dann, daß die russischen Offiziere z . B. in Kiautschau sämtlichen Sekt aufgekauft hätten, und schloß daran den Satz: Der Feldsoldat muß sich an ein karges Leben gewöhnen und darf nicht an solche Dinge denken. - Daß der Kaiser für „Frohsinn nach getaner Arbeit "
wohl Verständnis, hat,
zeigt sein Trinkspruch
beim 2. Grenadierregiment in Stettin ( 1892) , zeigt die gern von ihm gepflegte kameradschaftliche Geselligkeit. Aber „ das Offizierkorps ist der Kern der Armee, und es muß frisch erhalten bleiben, sonst leidet die Armee". Hier sei
noch
der Rede im Lichthof des Zeughauses gedacht ,
wo der Oberste Kriegsherr um die Jarhundertwende zuerst
von der
Armee Friedrichs des Großen sprach , die , als der König entschlief, auf seinen Lorbeeren eingeschlafen war, 99 im kleinlichen Detail des Gamaschendienstes verknöchert , von altersschwachen, kriegsuntüchtigen Generalen geführt,
ihr Offizierkorps fördernder Arbeit entwöhnt,
Luxus und Wohlleben
in
und törichter Selbstüberhebung verkommen “ ,
wo Er dann der Zeit des großen Erwachens und des Aufstiegs gedachte und mit dem Aufruf schloß : „ An Ihnen ist es nun, Meine Herren,
auch im
neuen Jahrhundert die alten Eigenschaften zu be-
währen und zu betätigen , durch die unsere Vorfahren die Armee groß gemacht haben : Einfachheit und Anspruchslosigkeit im täglichen Leben , unbedingte Hingabe an den königlichen Dienst , volles Einsetzen aller Kräfte des Leibes und der Seele in rastloser Arbeit
an
der Ausbildung
und
Fort-
entwickelung unserer Truppen . “ Für viele mag es in diesen Tagen ein Trost sein , zu hören , wie Seine Majestät über die denkt, die sich 99 mit der undankbaren und zu echtem Heldenruhm keinen Raum bietenden Rolle abfinden müssen", hinter der Front ihren Dienst zu tun, von dem keine Lieder singen und den kein Kreuz belohnt . Der Kaiser spricht beim 25 jährigen Jubiläum des Panzerschiffs „ König Wilhelm " ( 1894) von der Besatzung , die 1870/71 zur Küstenwache kommandiert, am Kampf nicht hatte teilnehmen können : "9 Wer sich in den Geist und das Gemüt jener
162
Seine Majestät an Seine Offiziere .
Männer hineinzuversetzen vermag, die draußen gelegen haben, monatelang, hart an dem Feind, den sie doch nicht angreifen durften, wem wollte da nicht das Herz vor Bitternis und Unmut zerspringen . Mit dankenswertem Eifer haben sie ihren Dienst geleistet , sind dem Befehl ihres obersten Kriegsherrn gefolgt und haben durch ihre Disziplin -den Grundstein gelegt zur heutigen Größe der Marine. " Disziplin das ist der fortgesetzte Sieg des Menschen über sich selbst. Der unbesungene Sieg, der gerade in den widerwärtigsten Verhältnissen am schönsten, wie v. Crousaz einmal sagt, „ gefeiert wird ". Wir haben in den letzten Jahren ein fortgesetztes Beispiel solcher Siege gesehen , dessen wir gerade in diesen Tagen dankbar gedenken sollen. Kaiserlicher Herr sagt einmal,
Unser
Er habe Sich beim Regierungsantritt
„ den Fahneneid geleistet " , Seinem Volk den Frieden zu bewahren, solange es mit Ehren möglich sei . Manchmal mag ihm die Hand am Degengriff gezuckt haben. In manchem Jahr war der Ruhm und der Sieg billiger zu finden, als heute. Hort des Friedens. Davor wird einst
Aber der Kaiser blieb der die Geschichte bewundernd
stehen , daß ein Herrscher, der so ganz Soldatenkaiser war, ein Vierteljahrhundert der Friedenskaiser hat sein wollen und sein können, daß eine Persönlichkeit mit dem empfindlichen Ehrgefühl des Preußischen Offiziers, so oft gereizt, den Degen dennoch in der Scheide ließ, um dem deutschen Volk die Segnungen des Friedens nicht zu stören . Die Geschichte wird darin ein wahrhaft königliches Beispiel der Preußischen Selbstdisziplin anstehen läßt.
sehen ,
die unser Offizierkorps in der Welt vor-
Heute steht ein Volk in Waffen um seinen Obersten Kriegsherrn . Heute haben die alten Kaiserworte neuen und hellen Glanz, und wie eine Prophezeiung, die sich heute herrlich erfüllt, klingen die Worte, die Seine Majestät 1891 bei einer Fahnennagelung sprach : Mein Vertrauen beruht auf der Armee. Ernste Zeiten sind es, in denen
wir leben,
und
schlimmere stehen
uns vielleicht in den
nächsten Jahren bevor. Aber demgegenüber erinnere Ich Mich an das Wort Meines hochseligen Großvaters vor den Offizieren in Koblenz : Dies sind die Herren , auf die Ich Mich verlassen kann . Das ist auch Mein Glaube und Mein Vertrauen . "
Die Besitznahme der neuerworbenen Provinz Posen im Jahre 1815.
163
XVI. Die Besitznahme der
neuerworbenen
Provinz Posen im Jahre 1815 durch den ersten kommandierenden General in derselben, Generalleutnant
den
August von Thümen ) ".
Der Generalleutnant August von Thümen , welcher die 4. Division des III. Armeekorps in den
Jahren 1813 und 1814 kommandiert
und sich besonders durch die Einnahme von Spandau , in den Schlachten bei Großbeeren und Dennewitz sowie zuletzt durch die Einnahme der Festung La Fère ausgezeichnet hatte,
verließ schon am 2. Mai 1814
mit den Truppen seiner Division den Boden Frankreichs, dessen neue Grenzen erst der Pariser Friedensschluß vom 20. Mai festsetzte , verweilte längere Zeit in den Niederlanden und kam am 11. Juli endlich über die deutsche Grenze in Neuß am Rhein an. Nachdem in dortiger Gegend Herbstmanöver abgehalten waren , wurde endlich der Marsch in die Heimat angetreten , auf dem wir Thümen im März 1815 in Frankfurt an der Oder finden. Dort erhielt er am 30. März den Auftrag, den an Preußen zurückgefallenen Anteil an Polen, geschaffene Großherzogtum Posen, zu besetzen.
das neu-
Dies bestand aus dem
schon 1772 bei der ersten Teilung Polens erworbenen Netzedistrikt und einem Teile der bei der zweiten Teilung 1793 an Preußen gefallenen Provinz Südpreußen .
Alles
dieses war zugleich
mit
einem
Teile von Westpreußen, dem Gebiete der Stadt Danzig und der Festung Thorn im Frieden von Tilsit am 9. Juli 1807 von Preußen an Napoleon abgetreten, der diese Gebiete dem neugeschaffenen Herzogtum Warschau unter dem Könige von Sachsen zuwies. Dies Herzogtum Warschau war im Jahre 1813 von den Russen erobert,
und im Mai 1815
in Wien Gegenstand der Verhandlungen
zwischen dem preußischen Bevollmächtigten, Fürsten von Hardenberg, und dem russischen Geheimrat Grafen Andréas von Rasumoffsky, wobei die jetzigen Grenzen der Provinz Posen festgesetzt wurden ; der österreichische Bevollmächtigte, Fürst Metternich, trat dem am 3. Mai geschlossenen Vertrage
am nächsten Tage bei.
Das Besitz-
nahmepatent des Königs hatte folgenden Wortlaut : ¹) Nach hinterlassenen Papieren des Generals und offiziellen Akten des Kriegsministeriums bearbeitet von seinem Enkel, dem Major Carl von Thümen in Liegnitz.
164
Die Besitznahme der neuerworbenen Provinz Posen im Jahre 1815 . Wir Friedrich Wilhelm usw.
Vermöge der mit den am Kongresse zu Wien Theil nehmenden Mächten geschlossenen Übereinkunft, sind mehrere Unserer früheren polnischen Besitzungen zu Unseren Staaten zurückgekehrt. Diese Besitzungen bestehen in dem zum Herzogthum Warschau gekommenen Theile der Preußischen Erwerbungen vom Jahr 1772, der Stadt Thorn mit einem für dieselbe nun bestimmten Gebiete, in dem jetzigen Departement Posen, mit Ausnahme eines Theils des Powitzschen und des Peysernschen Kreises, und in dem bis an den Fluß Proszna belegenen Theile des Kalischen Departements mit Ausschluß der Stadt und des Kreises dieses Namens. Von diesen Landschaften kehrt der Culmer und Michelausche Kreis in den Grenzen von 1772 , ferner die Stadt Thorn nebst ihrem nun bestimmten Gebiete zu Unserer Provinz Westpreußen zurück, zu welcher auch wegen des Strombaues, das linke Weichselufer, jedoch blos mit dem unmittelbar an den Strom grenzenden , aber in dessen Niederungen befindlichen Ortschaften gelegt wird. Dagegen vereinigen Wir die übrigen Landschaften, welchen Wir von Westpreußen den jetzen Croneschen und den Conninschen Kreis , als ehemalige Theile des Netzedistricts hinzufügen, zu einer besonderen Provinz und werden dieselbe unter dem Namen des
Großherzogthums Posen besitzen,
nehmen auch den Titel eines
Großherzogs von Posen in
unsere Königliche Titel, und das Wappen der Provinz in das Wappen unsers Königreichs auf. Indem wir Unserm General Lieutenant von Thümen den Befehl gegeben haben,
den an Uns
zurückgefallenen Theil Unserer früheren
Polnischen Provinzen mit unsern Truppen
zu besetzen,
haben Wir
ihm zugleich aufgetragen, denselben in Gemeinschaft mit Unserm zum Oberpräsidenten des Großherzogthums Posen ernannten Wirklichen Geheimen Rath von Zerboni di Sposetti förmlich in Besitz zu nehmen . Da die Zeitumstände es nicht gestatten, daß Wir die Erbhuldigung persönlich empfangen, so haben Wir zur Annahme derselben den zu Unserm Statthalter im Großherzogthum Posen ernannten Herrn Fürsten Anton Radziwil Ihn bevollmächtigt , in Unsrem fügungen zu treffen .
Liebden ' ) ausersehen, und
Namen die
deshalb
nöthigen Ver-
1) Anton Heinrich Radziwil Fürst von Nieswiecz und Olyka, war am 13. Juni 1775 geboren, vermählte sich 1796 mit der preußischen Prinzessin Luise Friederike, Tochter des Prinzen Ferdinand , jüngsten Bruders Friedrichs des Großen . Er starb am 7. April 1833 in Berlin.
Die Besitznahme der neuerworbenen Provinz Posen im Jahre 1815.
Des zu Urkund haben Wir dieses Patent
165
eigenhändig vollzogen
und mit Beidrückung Unsers Königlichen Insiegels bekräftigen lassen, Geschehen zu Wien den 15 ten May 1815. Friedrich Wilhelm. Fürst Hardenberg.
(L. S.) Patent wegen der Besitznahme des an Preußen zurückfallenden Theiles des Herzogthums Warschau.
Nur gewissermaßen durch Personalunion war diese nachherige Provinz Posen mit dem Königreich Preußen verbunden, ebenso wie der Kaiser von Rußland zugleich König von Polen in dem damals sogenannten Kongreßpolen war. Für beide Teile bestand dieser Zupolnischen Aufstande im Jahre 1830. Gemäß des angeführten Besitzpatents übersandte der König Friedrich Wilhelm III. aus Wien dem Generalleutnant von Thümen die nachfolgende Ver-
stand bis zum
fügung über die Besitznahme des dem Könige zugefallenen Anteils von Polen, wovon gleichzeitig eine Abschrift dem Kriegsministerium zuging, und den übrigen geben wurde.
einwirkenden Militärbehörden Kenntnis ge-
„ Ich mache Ihnen im Verfolg meines Schreibens vom 30. März d . J.¹) bekannt, daß das Tractat über die Besitznahme des mir zugefallenen Theils des Großherzogthums Warschau am 9. d . M. von mir und des Kaisers von Rußland Majestät worden ist.
vollzogen und heute
ausgewechselt
Demzufolge wird die gänzliche Räumung des künftigen
Großherzogthums Posen durch die Russischen Truppen dergestalt erfolgen, daß sie 21 Tage nach der Ratifikation des Tractats also bis zum 30. d. M. vollendet sein muß und hiernach werden die Orders an die Russischen Behörden dieser Provinz durch des Kaisers Majestät erlassen. Der Staatskanzler Fürst Hardenberg wird Ihnen das Besitznehmungs-Patent mittheilen, durch welches ich Ihnen und den zum Ober Präsidenten des Groß-Herzogthums Posen ernannten wirklichen Geheimen Rath von Zerboni di Sposetti die förmliche Besitznahme der Provinz übertrage. Der letztere wird mit Ihnen und den ersten Preußischen Truppen zugleich in Posen eintreffen und es muß sodann gleich die officielle Publication der Besitzergreifung erfolgen.
Sie er-
halten das 3. und 4. ostpreußische Infanterie Regiment [ jetzt Grenadier Regiment König Friedrich der Große (3. ostpreußisches) Nr. 4 und Grenadier Regiment König Friedrich I. (4. ostpreußisches) Nr. 5], das 1. Neumärkische Landwehr Infanterie Regiment, und das 13. und ¹) Die Kabinettsorder vom 30. März , die Thümen noch in Frankfurt a. O. vorfand, hatte ihm bereits den Auftrag zur Besetzung des an Preußen gefallenen Anteils von Polen gegeben.
166
Die Besitznahme der neuerworbenen Provinz Posen im Jahre 1815.
14. Schlesische Landwehr Infanterie Regiment, 1. Leib Husaren Regiment (jetzt 1. Leibhusarenregiment Nr. 1 ) und die bei sich habende Batterie (die 6 pfündige Fußbatterie Nr. 6 unter Kapitain Ludwig) zur Disposition und überlasse Ihnen damit die Besetzung so anzuordnen, wie Sie es den Umständen angemessen finden werden, und sich durch vorauszusendende Offiziere mit den Russischen Befehlshabern und den betreffenden Provinzialbehörden über das Detail der Märsche und Verpflegung in Relation zu setzen. Der General Graf York von Wartenburg wird Ihnen die Truppen, welche Sie von obigen nicht schon bei sich haben, überweisen, sobald und wohin Sie selbige verlangen. Damit die Besetzung von Thorn bald erfolgen kann, habe ich schon früher an der dortigen Grenze 2 Bataillone und 4 Eskadrons Preußische Landwehr Kavallerie bereit stellen lassen. Durch beigehende offne Ordre werden diese Truppen Ihren Befehlen untergeordnet und Sie mögen sie zur Besetzung von Thorn neu benutzen , für welchen Ort Ich den Oberstlieutenant Beneckendorff von Hindenburg zum Commandant ernannt habe.
Er wird nach meinem frühern
Befehl in Graudenz sein, um den Zeitpunkt der Besitznahme dort abzuwarten, sollte er aber bis dahin noch nicht daselbst eingetroffen sein, so mögen Sie die Übernahme von Thorn durch den Obersten Both bewirken lassen, der dann bis zur Ankunft des Oberstlieutenants von Beneckendorff in Thorn verbleiben wird . Der Generallieutenant von Wobeser hat außerdem an der Weichsel zwischen Thorn und Marienwerder 2 Regimenter Infanterie und ein Regiment Kavallerie zur Disposition behalten und Ich überlasse Ihnen sich mit demselben in Einverständniß zu setzen, um, wenn unerwartete Ereignisse Ihnen die Unterstützung dieser Truppen nöthig machen sollte, davon Gebrauch machen zu können. Der Generallieutenant von Wobeser ist in diesem Fall mit Instruction versehen.
Ihre Bestimmung als Be-
fehlshaber, der in dem Großherzogthum stehenden Truppen setzt Sie , solange ich Ihren Aufenthalt in Posen nöthig finden werde, zu dem Civil-Gouverneur in das Verhältniß der kommandirenden Generale in Meinen übrigen Provinzen. Ich brauche Ihnen nicht zu empfehlen durch Gerechtigkeitspflege und strenge Manneszucht bei den Regimentern unter Ihrem Befehl das Vertrauen und die Zuneigung der neuen Unterthanen zu erwecken ; Ihre persönlichen Eigenschaften bürgen Mir dafür, daß Sie mit der Aufrechthaltung musterhafter Disciplin bei den Truppen auch die der ungestörten Ruhe und Ordnung in der Provinz zu verbinden wissen werden . Zur möglichsten Schonung überlasse ich Ihnen auch, nicht alle die zu Ihrer Disposition gestellten Truppen ins Großherzogthum Posen selbst zu verlegen, sondern nur im Fall des Gebrauchs, derjenige Theil,
Die Besitznahme der neuerworbenen Provinz Posen im Jahre 1815. welchen lassen.
Sie
zur Besetzung
nicht nöthig
167
erachten , nachrücken
zu
An den Generallieutenant von Thümen . Wien den 14. Mai 1315 .
gez. Friedrich Wilhelm. Diese Order empfing Thümen in Zielenzig, wo er seit dem 10. April in Quartier war. Über diese neue Verwendung äußerte er sich in einem Briefe
an seine Frau aus Zielenzig am 30. April wie folgt: „ Meine Bestimmung ist nicht glänzend ; denn sowenig Lohn als Ruhm oder Ehre ist dabei zu erwerben ; aber wohl Undank und
Schande.
Geht es gut, so glaubt ein jeder, er würde es eben so gut und geht es schlecht, so muß man alle Schuld tragen, und man hat Vorwürfe zu erwarten , indem ein jeder nachher besser zu rathen weiß. Indessen macht mich dies weiter nicht ängstgemacht haben,
lich oder furchtsam. Ich fange jede Sache mit gutem Willen und mit Vertrauen auf Gott an, und bleibe über das Übrige, welches ich nicht ändern kann, unbekümmert. " Nachdem Thümen endlich am 21. Mai die Befehle zur Besitznahme des Großherzogtums Posen erhalten hatte, und ihm zugleich solange er in Posen bleibt, die Stellung eines kommandierenden Generals in der Provinz (aber leider ohne
die dazu gehörigen Ein-
künfte als solcher, um die er noch lange ringen mußte), verliehen war, hielt er am 28. Mai 1815 seinen feierlichen Einzug in die Stadt Posen . Über denselben schreibt er am 30. von dort an seine Frau : „ Ich bin den 30. hier eingerückt, und von einem Theil der Einwohner recht freudig empfangen worden. Ein Fräulein von Haza, welche 8 Meilen von hier nach Meseritz in Lewitz wohnt, hat sich dabei besonders thätig benommen.
Sie
hatte eine
Anzahl junger
Frauenzimmer versammelt, die mir am Eingange empfingen, Blumen streuten, und bei meinem ganzen Zug durch die Stadt vor mir hergingen.
Sie hat hier gleich einen Frauenverein gestiftet,
schon zwei Mal
Beiträge
zur Unterstützung
und
mir
und Einkleidung Frei-
williger überbracht ') . Auch war den Abend ein großer Theil der Stadt erleuchtet. Alle vorschiedenen Autoritäten haben mir bekomplimentirt und es war am Tage meines Einzuges ein prächtiges Diner auf öffentliche Kosten für mich veranstaltet, auch bin ich gestern und heute eingeladen. Indessen ist dabei nicht zu verkennen, daß ein großer Theil unzufrieden ist und die preußische Besitznahme ungern sieht, darunter beinahe alle Polen . Diese träumen immer noch wie die Juden vom Messias, von einem eigenen selbstständigen polnischen Reiche. ¹) Für den nach Rückkehr Napoleons ausgebrochenen Krieg von 1815.
168
Die Besitznahme der neuerworbenen Provinz Posen im Jahre 1815.
Ich suche soviel wie möglich auf die allgemeine Stimmung zu wirken, daß ich sie bei jeder Gelegenheit auf ihren eigenen Vortheil aufmerksam und ihnen begreiflich mache, daß das, was jetzt geschehen, unabänderlich sei und daß sie nach so vielen Leiden und Verlust jetzt in nichts anderem Glück, Ruhe und Zufriedenheit finden könnten, als wenn sie sich mit Liebe und Vertrauen an ihren neuen Monarchen und seine Regierung
anschließen. "
Die Zivilbesitznahme der Provinz durch den genannten Oberpräsidenten fand am 7. Juni statt. Thümen schreibt darüber am 9. Juni an seine Frau: „ Es war alles wieder in größtem Jubel und das Vivatrufen von Christen und Juden hatte kein Ende. Ich habe wohl hundert Mal: Es lebe der General Lieutenant von Thümen ' hören müssen .
Ich
hoffe sie sollen es mir dereinst nachrufen, wenn ich schon lange nicht mehr in Posen sein werde . " Trotzdem hatte Thümen
vom
Kriegsminister
von Boyen die
Benachrichtigung erhalten, daß die Besitznahme des Großherzogtums nur ein vorübergehendes Geschäft wäre, weil der König sich vorbehielte, nach der Vollendung desselben von seinen Diensten gegen den Feind Gebrauch zu machen. Diese Unsicherheit war natürlich in der Unsicherheit des mit Frankreich begonnenen Krieges begründet, und erst lange nach dem glücklichen Ausgange desselben ward der Unsicherheit ein Ende bereitet, weil der König sich vom Wiener Kongreß
erst zum Einzuge nach Paris und dann nach England be-
geben mußte.
Inzwischen
stellten
sich Schwierigkeiten
in der Be-
setzung der Provinz dadurch ein, daß die Russen sich nur langsam zur Räumung entschlossen . Ihren Truppenbefehlshabern war die Bekanntmachung gegeben.
zur Räumung der Orte
Anderseits
zeigten sich aber
nicht rechtzeitig bekanntauch
erfreuliche Tatsachen,
die die Ergebenheit der neuen preußischen Untertanen bezeugten.
So
schicken Schneidemühler Bürger am 5. Juni eine Eingabe an den Generalleutnant von Thümen, worin sie ihre Freude darüber beteuern, daß sie nun wieder unter preußische Hoheit gekommen sind, unter Berichte über große der sie 40 Jahre glücklich gelebt hätten . Feierlichkeiten, die bei Anbringung der preußischen Adler stattfanden, gingen aus verschiedenen Städten ein . Einzelne Personen und Ortschaften wetteiferten darin,
ihre Ergebenheit
durch Spendungen und
Sammlungen für Kriegsausrüstungen zu dem neu ausgebrochenen Kriege kund zu tun. So schickte die Stadt Rawitsch am 13. Juni einen Betrag von 845 Talern und 19 Groschen ein aus einer Sammlung
zur
Unterstützung und
Ausrüstung unbemittelter
freiwilliger
Jäger, ebenso Lissa einen solchen von 52 Talern 8 Groschen 8 Pfennigen,
Die Besitznahme der neuerworbenen Provinz Posen im Jahre 1815.
169
Johann von Haza in Lewitz bei Meseritz versichert Thümen seiner größten Treue und Anhänglichkeit für den König von Preußen in einem Schreiben vom 17. Juni, schließlich ließ sich auch eine Polin, die Gräfin Potocka, Erbherrin der Herrschaft Witkowo , herbei, 300 Taler an Thümen am 3. Juli einzusenden, zur Unterstützung der beabsichtigten Stiftung freiwilliger Gardehusaren des Posen, zu welcher es aber nicht kam.
Großherzogtums
Zu unangenehmen Auseinandersetzungen kann es bei
der Be-
setzung der Festung Thorn, deren Räumung die Russen verweigerten und Einwendungen, wie zu große Umständlichkeit bei Räumung des dortigen Kriegsmaterials machten. Sowohl der russische Kommandant von Thorn, Generalmajor von Podeisky. sowie der bisherige Generalgouverneur des Großherzogtums Warschau, von Lanskoy, unterstützten diese russischen Bestrebungen. Noch am 29. Juni schrieb letzterer an das Generalkommando in Posen, daß er noch keinen Befehl zur Räumung von Thorn erhalten hätte.
Erst nachdem sich auch der
Staatskanzler Fürst Hardenberg ins Mittel gelegt hatte, das folgende Schreiben des Constantin, in Posen ein :
Statthalters
von
Polen,
ging endlich Großfürsten
„ So eben erhalte ich durch einen an mir gelangten Courier den Befehl
von Sr. Majestät meines allergnädigsten Herrn, die
Festung
Thorn von den Königlich Preußischen Truppen besetzen zu lassen , nachdem solche von allem sich darin befindlichen Artillerie Material und Munizionen geraumt worden ist.
Ich habe die Ehre Sie mein
Herr General Lieutenant ohne Verzug davon zu unterrichten, Ihnen zugleich zu erkennen
zu geben,
und
daß die nöthigen Befehle zur
Raumung Thorn's schon dem Kommandanten General Major von Podeisky verabfolgt worden sind,
26. August 1815.
Warschau den 7. September
gez. Constantin . An den im Großherzogthum Posen commandirenden Herrn General Lieutenant von Thümen." Daraufhin
erfolgte dann
endlich am 21. September 1815 die
militärische und am 22. die Zivilbesitznahme von Stadt und Festung Thorn, nachdem die russischen Truppen unter dem Generalmajor von Podeisky abmarschiert waren . Als preußischer Kommandant wurde der Oberst Benekendorf von Hindenburg ' ) eingesetzt, welcher be-
¹) Ein Onkel des jetzt so berühmten Generalfeldmarschalls. 12 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 523.
170
Die Besitznahme der neuerworbenen Provinz Posen im Jahre 1815.
richtete, daß sich die Festungswerke in traurigem Zustande befänden, auch hätten die Russen sämtliche Geschütze und Munition fortgeschafft, weshalb durch den Artillerieoffizier vom Platz, Fiebig, beides aus Graudenz bezogen werden mußte. Noch
Obersten
ein anderer Zwischenfall betraf die Städte Peisern
und
Slupce. Nach dem Wortlaute des Vertrages vom 3. Mai ging die Grenze von der Südspitze des Powitzer Sees einen Wasserlauf entlang, der in den von Norden kommenden Strngabach mündet,
dann
diesen begleitend bis zu dessen Einmündung in die Warthe und dann an diesem Fluß entlang bis zur Einmündung der Prosna in denselben. Obgleich hiernach die genannten beiden Städte Preußen zufielen , wurden dieselben doch von Rußland beansprucht. Es handelte sich um einen Landstreifen von etwa 1 , km Breite und 35 km Länge also etwa 175 qkm, die der Rittmeister von Wobeser mit zwei Schwadronen des 5. Ostpreußischen Landwehrkavallerieregiments bereits im September 1815 für Preußen in Besitz genommen hatte. Trotz längerer Berichte des Generalkommandos und des Oberpräsidenten zogen sich die Verhandlungen über dies Grenzgebiet noch bis zum 11. November 1817 hin, an welchem Tage endlich ein Vertrag zwischen Preußen und Rußland zustande kam, demgemäß der Kriegsminister am 25. Februar 1818
eine Verfügung erließ, in der die
preußischen Behörden angewiesen wurden , die Städte Slupce zu räumen und den Russen zu übergeben.
Peisern
und
Die übrige gänzliche Räumung des Großherzogtums Posen zog sich bis Ende 1815 hin, denn am 28. Dezember dieses Jahres traf noch ein Schreiben beim Generalkommando in Posen aus Warschau ein, worin mitgeteilt wurde, daß die russischen Kommandanten von Rawitsch und Kempen den Befehl erhalten hätten, diese Städte zu räumen. Trotzdem erließ der König aber schon am 22. Juli 1815 eine Kabinettsorder an den Generalleutnant von Thümen und an den Oberpräsidenten von Zerboni in Posen, worin er seine Zufriedenheit über die erfolgte Besitznahme mit folgenden Worten bezeugte : „ Ich habe aus Ihrem Berichte vom 9. Juni ersehen , daß Sie dem Ihnen erteilten Auftrage gemäß die Besitznahme des Großherzogthums Posen vollzogen haben. Ihr Verfahren bei diesem wichtigen Geschäft habe ich sehr zweckmäßig gefunden, und es kann nur wohlthätig wirken auf die Stimmung des Volkes, welches der Monarchie ist. Ich gebe Ihnen daher auch meine hierdurch zu erkennen, und wünsche, darüber ganze Zufriedenheit daß Sie darin einen Grund mehr finden, in Ihrem bisherigen Eifer wieder einverleibt worden
171
Die Besitznahme der neuerworbenen Provinz Posen im Jahre 1815. für das Wohl Meines Dienstes fortzufahren.
und der Ihnen anvertrauten Provinz
Friedrich Wilhelm . " Am 3. August ' ) 1815 fand dann die Erbhuldigung der Provinz statt, zu deren Entgennahme der Statthalter Fürst Anton Radziwil vom Könige beauftragt war, und am 20. Juli bereits in Posen ankam. Auch der kommandierende General hatte dazu seine Frau und Töchter in eine von ihm wohleingerichtete Wohnung kommen lassen 2) . Das Programm stimmungen fest³) :
zur Huldigung
setzte
die
nachfolgenden
Be-
„Nachdem sich am 1. d. M. sämmtliche Deputirte in Posen bei der Huldigungskommission gemeldet haben, wird ihnen der Huldigungseid zur Durchsicht vorgelegt. Am 2. Abends erfolgen 25 Kanonenschüsse und es wird mit den Glocken sämmtlicher Kirchen geläutet. Den 3. mit Tagesanbruch ziehen 2 Offiziere und 60 Mann in dem Regierungspallast 4 ) auf die Königswache.
Früh um 7 Uhr beginnen 50 Kanonen-
schüsse und allgemeines Glockengeläute. Um 8 Uhr ist Gottesdienst in allen Kirchen. Von 10-11 Uhr versammeln sich die Deputirten in der
Jesuitenkirche.
halter begibt
Der Königliche Bevollmächtigte Fürst- Statt-
sich unter Kanonendonner und Glockengeläute in Be-
gleitung des Militär-Gouverneurs , des Oberpräsidenten u. s. w. nach der Kirche und wird vom Bischofe und der Geistlichkeit am Eingange der
Kirche
empfangen .
Durchlaucht eine antwortet wird.
Nach gehaltenem
Anrede,
welche von
Hochamte
einem
der
hält
Seiner
Deputirten
be-
Nächstdem folgt die Vorlesung der Königlichen Proklamation , Vollmacht und Patente. Der Eid wird abgelegt, und demnach von Sr. Durchlaucht eine zweite Rede gehalten, nach deren Beendigung der Fürst Posen,
ein
Statthalter dem Könige von Preußen , Lebehoch unter Abfeuerung von
100
Großherzog von Kanonenschüssen
und Trompeten und Paukenschall bringt. Das Tedeum wird angestimmt, und bei dem „ Salvum fac regem" besondere Salven aus allen Geschützen gegeben. Im Regierungspallaste ist große Tafel. Die Armen werden gespeist.
Abends wird das Theatergebäude
und die
¹) Geburtstag des Königs Friedrich Wilhelm III. 2) Einen großen Packwagen mit vier Pferden hatte der General zur Abholung nach Berlin geschickt, außerdem vier Pferde für einen dort gekauften Staatswagen, in welchem die Mutter mit vier Töchtern am 26. Juli in Berlin fortfuhr und am 31. mit fünf unterwegs genommenen Nachtlagern glücklich in Posen eintraf. 3 ) Bericht der „Vossischen Zeitung“ in Berlin vom 8. August 1815. 4) Das jetzige Oberpräsidium. 12*
172
Die Besitznahme der neuerworbenen Provinz Posen im Jahre 1815.
Am 4. Abends ist ein Ball beim Fürsten-
Pappelstraße ) beleuchtet. Statthalter. "
Die Feier spielte sich dann in folgender Weise ab²) : „Am
3. d. M. geschah in unserer Hauptstadt nach Anleitung
des Tages vorher erschienenen Programms die Huldigungsleistung des Großherzogthums Posen. In Beziehung auf dieses Programm , und um unnöthige Wiederholungen zu vermeiden, liefern wir blos dasjenige nach, was entweder nicht im Programm enthalten ist, oder nachherigen Veränderungen unterworfen wurde. Beim Empfange des Königlichen Bevollmächtigten Fürsten Radziwil
an der Kirchthür besprengte Seine Excellenz der Bischof von Posen Seine Durchlaucht mit Weihwasser, und nachdem der erhabene Stellvertreter des Besten der Könige seinen Platz in der Kirche unter einem mit rothem Sammt und goldnen Franzen gezierten Baldachin eingenommen, bestieg der Kanonikus Kawiecki die Kanzel, und bewies in einer herzerhebenden Rede , daß die monarchische Regierung die beste sei, sobald die Völker in Hinsicht ihrer Bedürfnisse und ihrer Menge aus dem patriarchalischen Zustande heraustreten mußten ; daß für diese Wahrheit nicht nur die Geschichte, sondern auch der Wille Gottes spräche, der David selbst zum Könige bestimmt habe. Er stellte geschichtlich dar, daß der Verfall aller Reiche unvermeidlich sei, wenn Uneinigkeit im Innern die Gemüther verwirrt, wenn die Religion verachtet wird. Daß die Polnische Nation , deren Tapferkeit von der ganzen Welt anerkannt würde, aus diesen Gründen in neuern Zeiten getrennt worden wäre ; daß die verbündeten Mächte aber ihren Werth anerkannt, und ihnen eine nationale Existenz im Königreich Polen und im Großherzogthum Posen bewilligt hätten . Schon hat Friedrich Wilhelm Worte gesprochen, die unserem Herzen wohlgefallen , die Polnische Sprache, die Beamten, die Religion und ihre Diener sollen geschützt, die Nationalität erhalten werden. Der National- Charakter ist nicht verletzt, das beweist die Ernennung unsers Statthalters,
des Jagellonen ,
des Fürsten
Radziwil
aus einer Familie, die mit allen Thronen verwandt, mit den Eigenthümlichkeiten der Nation bekannt, immer nur das Wohl des Vaterlandes und der Staatsbürger gewollt, in allen politischen Stürmen immer nur nützlich, nie schädlich gewesen ist. Der wohlthätige König wünscht unsre Beglückung, schaft überträgt.
Selbst
indem Er dem Fürsten die Statthalter-
in den Adern
des Königs fließt
das Blut
1) Jetzt Wilhelmstraße. 2) Bericht der „Posener Zeitung" vom 9. August 1815. Die Zeitung erschien heute mit dem neuen Wappen : dem Königlich Preußischen Schwarzen Adler, den polnischen weißen Adler auf der Brust tragend.
Die Besitznahme der neuerworbenen Provinz Posen im Jahre 1815.
173
der Jagellonen, wir nehmen Ihn daher auch um so lieber zu unserm rechtmäßigen Souverain an, da Polen unter den Jagellonen am glücklichsten war. Heute kehren wir unter ihre Regierung zurück. Aber wir müssen uns bessern ,
wir müssen die Religion wieder
verehren, wenn wir wahrhaft glücklich werden wollen . Vereiniget euch brüderlich mit der Nation, die ihre Kräfte so ruhmvoll entwickelt hat. Es lebe der König ! es lebe die Nation ! Den gerührten Zuhörern unvermuthet erschien der würdige Fürst der Kirche, der Erzbischof Graf von Raczynski, gefolgt von der hohen Geistlichkeit, in pontificalibus am Hochaltar und erflehte mit hoher Feierlichkeit
in
einem
Hochamte
Segen vom
Himmel
der neuen
Regierung. Nach dem Hochamte ersuchte der Königliche Kammerherr Graf Hake den bevollmächtigten Herrn Fürsten sich unter den rechts am Hochaltare zur Annahme der Huldigung errichteten Thron zu begeben. Der Thron war mit rothem Sammt und daran gehefteten goldenen Franzen geschmackvoll geziert ; ebenso ein vor dem Thron stehender Tisch, auf welchem zwei Lichter brannten , zwischen welchen ein Krucifix stand, und zwei Tabourets, auf welchen die Huldigungseide in polnischer und deutscher Sprache lagen .
In majestätischer Haltung
aber,
voll Huld und Liebe
forderte
der Fürst- Statthalter, durch das Blut der Jagellonen durch seine Verbindung dem Königlichen Hause verwandt, seine Landsleute , die Bewohner des Großherzogtums Posen, in einer vortrefflichen Rede auf : ,, mit Klugheit aus Pflichtgefühl und zum Besten des Landes die Vergangenheit mit der Gegenwart zu vergleichen —- reiflich zu erwägen, was die Preußische Regierung früher für das Land und seine Bewohner getan habe - gründlich zu bedenken, daß es unter den gegebenen Verhältnissen ein Glück sei, zu einer Regierung zurückzukehren , einem Staatskörper einverleibt zu werden, dessen Ruhm und Macht auf eine weise beschränkte Freiheit, auf eine unparteiische Gerechtigkeit, auf eine alles umfassende Fürsorge der Regierung begründet sei ; daß ein Volk, das die Freiheit liebt, die Macht der Vaterlandsliebe kennt, Aufklärung am glücklichsten und Wissenschaften schätzt, die Religion ehrt mit dem Preußischen Staate verbunden wird, da der Zweck der Regierung die Befriedigung dieser Forderung ist ; daß die Regierung das eigentümlicheGepräge der Vorzeit, Sprache , Gewohnheiten , Sitten, ehrt und den Einwohnern des Großherzogtums Posen erhalten will, und daß aus diesem heiligen Versprechen die herzlichste Innigkeit zu dem neuen Beherrscher erwachsen muß".
174
Die Besitznahme der neuerworbenen Provinz Posen im Jahre 1815. Diese Rede wurde von dem Erzbischof von Gnesen und Posen,
vom Präsidenten des Departementsrats, Herrn von Radomsky, polnisch und vom Grafen Pinto deutsch beantwortet. Der Erzbischof von Gnesen leistete
zuerst den Eid,
ihm folgten
die gesamte Gesellschaft und die Deputierten, worauf sich die Eingeladenen zur Tafel einstellten . Die schön und reich verzierten Speiseäle enthielten 900 Gäste. Seine Durchlaucht der Fürst- Statthalter nahm seinen Platz am ersten Tisch in der Mitte.
Ihm zur Seite saß
rechts der Erzbischof, links Seine Exzellenz der Senator von Dzialynski rechten Flügel machte Seine Exzellenz der Generalleutnant von Thümen und am linken Flügel der Oberpräsident von Zerboni di Sposetti den Wirt.
Am
Die durch den Fürsten gende drei : „ Der Allerdurchlauchtigste
ausgebrachten Gesundheiten waren fol-
und
glücklich
regierende König und
Großherzog Friedrich Wilhelm III. , der wohltätige und gerechte Vater des Volkes, soll leben ! " (Sie wurde mit 50 Kanonenschüssen begleitet.) „ Der durchlauchtigste Kronprinz und das Königliche Haus, die Zierde des Reichs, das Muster aller Tugenden “ und „ das Wohl des Großherzogtums Posen des Großherzogs ! "
unter dem gerechten Szepter des Königs und
Nach aufgehobener Tafel begab sich die Gesellschaft ins Schauspiel, wo ein der Feier des Tages entsprechender Prolog gegeben wurde. Eine geschmackvolle, reiche Illumination, von Herrn Hofrat Busler gedacht und ausgeführt, überraschte beim Austritt aus dem Theater. So endete der 3. August 1815 , dem am 4. ein Ball beim FürstenStatthalter als Schluß der Huldigungsfeier hinzugefügt wurde. Nach derselben traten dann die Behörden in die Vollendung der Organisationen der Regierungsbehörden ein. Für das Generalkommando kann besonders die schwierige Aufgabe der Organisation der Landwehr in der neu erworbenen Provinz in Betracht, deren glückliche Ausführung dem kommandierenden General in der Provinz zu danken ist. Die Tätigkeit des Generalleutnants von Thümen in dieser ihm gestellten Aufgabe soll ein besonderer Aufsatz ausführlich behandeln.
Japans Schlagkraft, China und die Vereinigten Staaten.
175
XVII.
Japans
Schlagkraft,
China und die Vereinigten Staaten.
Der Minister des Auswärtigen, Komura, hat im japanischen Parlament einmal eine Perspektive für die auswärtige Politik Japans aufgestellt: Umgeben von Riesenvölkern (China 400 , Rußland 160 , Vereinigte Staaten 100 Millionen), muß auch Japan versuchen, so schnell Er sah die wie möglich eine dreizifferige Millionenzahl zu erreichen. Lösung in einer Kolonisation auf dem Festland, in dem asiatischen Kontinentalprogramm, das die Front gegen Rußland und China wendete und daher eine Entwickelung des Landheeres verlangte. Das Programm des neuen liberalen Japan legte den Schwerpunkt auf die Flotte und suchte seine Lösung im Zug nach Süden, nach den Inseln des Stillen Ozeans und dem Festlande Amerikas. Diese Sätze entnehmen wir dem Sinne nach Professor Kjellens : „ Die Großmächte der Gegenwart". Wenn wir die schon erfolgten Handlungen Japans in dem währenden Kriege und seine jetzt an China gestellten Forderungen betrachten. dann sehen wir als Ziel : Suprematie anf dem Stillen Ozean und dem Festlande Asiens , wo ein japanisches Protektorat über China eintreten soll " und fragen uns, ob die Mächte des Dreiverbandes dem ihnen verbündeten Japan freie Hand zu lassen gewillt sind, wenn diese auch tief in die eigenen Interessen einschneiden würde. Daß eine latente Kriegsgefahr Japan-China schon seit 1913 bestanden und nur aus Rücksicht auf die Vereinigten Staaten und Geldmangel nicht zum lodernden Feuer wurde, kann man heute wohl als unbestreitbar ansehen. Die finanzielle Grundlage der japanischen Großmacht ist ebenso unbestreitbar schmaler, als diejenige irgendeiner Japan hat den Zeitpunkt für seine neuen Forderungen an Moment verlegt, der uns die sonst interessierten Mächte einen China in durch den Krieg gebunden zeigt, der Schwerpunkt der Expansion wird von Japan entschieden in China gesucht , wo es durch einen Krieg legalisieren will, was bis jetzt Raub war. Aus allen britischen Besitzungen anderen .
in Asien, aus britischen Handelsemporien in China liefen Hunderte von die Angst vor Japan verratenden Telegrammen in London ein, in den chinesischen amtlichen Kreisen sprach man aus, Rußland sei Japans Freund und Hilfe heute höchstens von Amerika zu erwarten. Ob die Hoffnung nicht eitel, ob die Vereinigten Staaten Japan hindern können, mit bewaffneter Hand zu erzwingen, was es will, werden wir
176
Japans Schlagkraft, China und die Vereinigten Staaten.
später sehen. Ein kriegerischer Konflikt Japans und der Vereinigten Staaten, der sich aus den neuen Forderungen des Landes der aufgehenden Sonne an China entwickelte, gliche einigermaßen dem Kampf In " The day of the Saxon", den des Bären gegen den Walfisch. In Graf Reventlow ins Deutsche übersetzte, schrieb der Amerikaner Homer Lea, der in seiner Schrift Japan als die künftige Beherrscherin des Stillen Ozeans und die Gefahr der Zukunft der Vereinigten Staaten nannte : Es war der denkbar größte Fehler, daß die großbritannische Politik Japans stärkte und sich mit ihm verbündete und nicht vielmehr China, denn Japan war der geborene Nebenbuhler Großbritanniens, die naturgegebene Gefahr für Indien und die Südsee, während China , wenn stark, den gegebenen
Bundesgenossen gegen
Japan und Rußland dargestellt
hätte . Rußland wiederum ist der geborene Feind Chinas und der gegebene Bundesgenosse Japans. Und deshalb wäre es Großbritanniens Aufgabe gewesen, ein starkes China zwischen beide zu stellen und damit auch Indien zu schützen. " Das hat sich schon heute bewahrheitet. In bezug auf den Besitz einer modernen Armee ist Japan China enorm voraus. Die letzte Krisis , die im japanischen Parlament einen vollen Abschluß noch nicht gefunden hat, betraf auch die Erweiterung des
Heeres
um
2
Divisionen,
die
die
Volksvertretung
der
Re-
gierung für den Frieden nicht zubilligen wollte, da sie an laufenden Ausgaben jährlich 7 Millionen und an einmaligen 20 Millionen Yen beanspruchten. Die Ausgaben für Heer und Marine sind seit dem Abschluß des Russisch-Japanischen Krieges, seit dem Gebietszuwachs, der Japan auf rund 671000 qkm und 63 Millionen Einwohner brachte, dauernd gestiegen. Das Heeresbudget wuchs vom Finanzjahr 1912/13 mit 76,7 Millionen Yen im Ordinarium, 176 Millionen rund im Extraordinarium für 1913/14 schon um 3 Millionen Yen , also über 6 Millionen Mark, wobei im Extraordinarium rund 1 , Million Yen zur Förderung des Fliegerwesens bestimmt war. Die Höhe der Friedensstärke, die amtlich nicht veröffentlicht wird, man aber auf rund 250000 Mann annehmen kann,
entspricht
nicht 1 % der Bevölkerung,
die heute
mögliche Kriegsstärke aber einem Drittel dessen, was sie an Umfang aufweisen soll, wenn das Wehrgesetz seinen Turnus durchlaufen hat. Bei den Fußtruppen wird versuchsweise die zweijährige Dienstzeit noch beibehalten . Man rechnet mit einem Jahresrekrutenkontingent von im Durchschnitt 120000 Mann .
Nach dem Wehrgesetz besteht
für jeden Japaner die Wehrpflicht vom 17. bis 40. Lebensjahre . Die Dienstpflicht zerfällt in die drei Jahre dauernde aktive und viereindrittel Jahr währende Reservepflicht. Dann folgen zehn Jahre Landwehrpflicht, während
die Pflichtigkeit der Ersatzreserve ,
die im
Japans Schlagkraft, China und die Vereinigten Staaten.
177
Frieden zu 150 tägiger erster Übung und dann zu allen Übungen der Reserve einbeordert werden kann , zwölf Jahre vier Monate währt. Gesetzlich können die Leute der Reserve und Landwehr jährlich zu 60 tägigen Übungen einberufen werden, wozu es aber aus finanziellen Gründen sehr selten kommt, da man sich mit 25 tägigen Übungen begnügt hat, um die Zahl der jährlich einberufbaren Leute des Beurlaubtenstandes möglichst steigern zu können . Zum Landsturm ersten Aufgebots gehören alle ausgebildeten Landwehrleute, deren Pflichtigkeit abgelaufen ist , und ebenso geschulte Ersatzreservisten,
zu dem Landsturm zweiten Auf-
gebots alle Dienstpflichtigen, die nicht dem aktiven Heere, seiner Reserve, der Landwehr und dem Landsturm ersten Aufgebots zugerechnet werden. Wochen dienen .
Lehrer läßt man im Frieden im ganzen nur sechs Freiwilliger Eintritt ist bei Eignung schon mit dem
vollendeten 17. Lebensjahre zulässig. Als Einjährig-Freiwillige können Leute im Alter von 17 bis 28 Jahre dienen , die an bestimmten Bildungsanstalten ihre Studien einer Militärkommission
abgeschlossen
bestanden
haben.
oder eine Prüfung vor Die
Rekruteneinstellung
erfolgt normal zum 1. Dezember, die Entlassung nach Abschluß der Manöver gewöhnlich im November. Die Heranbildung der japanischen Offiziere findet in sechs Provinzialkadettenhäusern, die jährlich je 50 Zöglinge auf drei Jahre aufnehmen, der Hauptkadettenanstalt, die jährlich zu zweijähriger Ausbildung rund 300 Zöglinge von den Provinzialhäusern erhält, dann an der Kriegsschule statt, die außer Kadettenabsolventen auch Freiwillige aus dem Bürgerstand aufnimmt , die die zuständige Prüfung bestanden, und ein Jahr in der Truppe als Offizieranwärter Dienst getan haben. Von Kadetten wird nur ein halbes Jahr Truppendienst verlangt , ehe sie die Kriegsschule besuchen . Dauer der Kurse an der Kriegsschule eineinhalbes Jahr. Für die Förderung der weiteren Ausbildung besteht eine Infanterieschule, zu der Hauptleute und Oberleutnants kommandiert werden, eine Applikationsschule für Subalternoffiziere und Unteroffiziere , eine Artillerie- und Ingenieurschule, die von Leutnants besucht wird , eine Reitschule für Kavallerie, eine Schießschule für Feldartillerie
(Hauptleute und Leutnants) und für schwere Artillerie Hauptleute und Leutnants, aber auch einige Unteroffiziere), endlich eine Kriegsakademie , zu der man im Durchschnitt jährlich 70 Offiziere zu dreijährigem Besuche zuläßt. Um die Einheit der Gesichtspunkte
zu fördern und die betreffenden Organe mit ihren Aufgaben für den Krieg vertraut zu machen , werden jährlich die Divisionskommandeure, Generalstabsoffiziere, Intendanten und designierten Kommandeure des Trains der Divisionen auf einige Tage in Tokio vereinigt.
Generalstabsreisen
finden nach deutschem Muster jährlich
178
Japans Schlagkraft, China und die Vereinigten Staaten.
statt . Die Schulung auf 10 Truppenübungsplätzen ist sehr in Aufnahme gekommen, und zwar für verbundene Waffen, nicht nur für Artillerie, die dort ihre mindestens drei Wochen dauernden Schießübungen abhält, und für Infanterie, die öfter ihr Gefechtsschießen dorthin verlegt. Auf den Plätzen, aber meist im Gelände, finden auch die Spezialübungen mit schwerer Artillerie des Feldheeres statt, die von ihren 15 cm- Kanonen und 15 cm-Haubitzen jetzt einen Teil nach Rußland abgegeben haben dürfte. Die Herbstmanöver haben in den letzten Jahren stets ein Kaisermanöver, an dem 4 Divisionen , mehrere Kavallerie- und Feldartilleriebrigaden sowie Verkehrstruppen und schwere Artillerie teilnahmen, aufgewiesen, daneben auch noch Manöver von mindestens zwei Divisionen gegeneinander und Sonderübungen der Kavallerie, die jetzt ein Bajonett führt und auch in Fußmärschen, wie im Fußgefecht, eifrig geübt wird . Japans gründlich geschultes und sehr eifriges Offizier- (auch Reserve- ) Korps zeigt nicht nur bei der Generalität, sondern auch in den anderen Dienstgraden wesentliche Altersunterschiede, den Divisionsgeneralen
(42)
zwischen 60 und
49
(bei
62
die
bei
Jahren
Altersgrenze), bei den Brigadegeneralen ( 91 ) zwischen 57 und 48 Jahren , bei den Obersten zwischen 55 (Altersgrenze) und 39 , Oberstleutnants 51 und 36, Majoren 46 und 30, Hauptleuten 48 (Altersgrenze) und 27, Leutnants 44 und 23 , Unterleutnants 30 und 20 Jahren schwankt. Einschließlich
Korea ist das
bezirke (Garde rekrutiert aus
Gebiet
Japans in
18 Divisions-
dem ganzen Reich) eingeteilt,
deren
jedem 4 Regimentsbezirke entsprechen . Der Korpsverband besteht nicht, ist auch für den Krieg nicht vorgesehen . Die Armeen werden vielmehr aus einer wechselnden Zahl von Divisionen zusammengesetzt. Diese erscheinen im Frieden auch nicht gleichmäßig gebildet, bei der Mobilmachung scheiden die ihnen im Frieden angehörenden Kavallerieund Feldartilleriebrigaden auch, zum Teil wenigstens, aus ihrem Rahmen aus, zweifellos um auch die Reserveformationen mit ihnen auszustatten bzw. bei der Kavallerie Heereskavallerie zu bilden, wozu ja auch die Kavallerie jährlich zu 3 bis 4 Brigaden Übungen abhält. Die Zusammensetzung der mit der Garde 19 zählenden Divisionen - denen man in diesem Jahre die 19. und 20. hinzufügen wollte bestehen im Frieden an Infanterie normal aus 4 Regimentern zu je 3 Bataillonen und 1 Maschinengewehrkompagnie, so daß 38 Birgaden , 76 Regimenter, 228 Bataillone im Frieden vorhanden sind . Der Friedensetat der Bataillone beträgt rund 604 Mann, der der Kompagnie 151 , so daß sie bei der Mobilmachung nur 1/2 an Reservisten einzuziehen
brauchen,
um
die
planmäßige
900 Mann pro Bataillon zu erreichen .
mobile
Sollstärke
von
Bei der Gardedivision (Tokio )
Japans Schlagkraft, China und die Vereinigten Staaten.
finden wir im Frieden
1 Kavalleriebrigade
179
zu 3 Regimentern mit
11 Eskadrons (Regimenter der selbständigen Kavalleriebrigaden sollen normal je 4 Eskadrons und 1 Maschinengewehrabteilung zu 8 Gewehren haben) , der 2. Division (Tokio), der 8. in Korea und der 15. ebenso eine selbständige Kavalleriebrigade, bei den übrigen Divisionen 1 Kavallerieregiment zu 3 Eskadrons und 1 Maschinengewehrabteilung zu 4 Gewehren. Die Eskadron hat im Frieden und Kriege die gleiche Anzahl von Pferden , 136. Es kann nicht bestritten werden, daß die Kavallerie im Verhältnis zu den übrigen Waffen der mobilen Armee sehr schwach ist, und dabei hat man die Erfahrung von Mukden , wo die russische Armee der vollen Vernichtung nur wegen Mangels an Kavallerie der siegreichen Japaner entging, doch noch frisch im Gedächtnis. 4 selbständige Brigaden, 27 Regimenter, 89 Eskadrons sind ihr ganzer Friedensbestand. In der Ausstattung der
Divisionen
mit Artillerie im Frieden
treffen wir da auf Unterschiede,
wo Gebirgsartilleriebataillone und schwere Artillerie den Divisionen zugeteilt sind. Der Gardedivision sind im Frieden unterstellt 1 Brigade, 3 Regimenter, 6 Abteilungen ,
der 1. Division 2 Brigaden, 5 Regimenter, 10 Abteilungen, weiter 1 schwere Brigade zu 2 Regimentern , 4 Bataillonen zu je 3 Batterien , der 2. , 17. und 18. Division je 1 Feldartillerieregiment zu 2 Abteilungen zu je 3 Batterien und 1 Gebirgsartilleriebataillon 3 Batterien, der 18. Division auch noch 2 schwere Bataillone
zu zu
3 Batterien, weiter finden wir beigegeben der 4. und 5. Division je 1 schweres Regiment zu 3 Bataillonen zu je 3 Batterien, der 7. und 8. Division je 1 schweres Bataillon zu 3 Batterien, der 10. Division 1 schwere Brigade zu 2 Regimentern mit 5 Bataillonen zu je 3 Batje 1 Feldartillerieregiment zu 2 Abteilungen mit 6 Batterien . Im ganzen im Frieden vorhanden 3 Feldartilleriebrigaden 25 Regimenter, 50 Abteilungen zu je 3 Batterien, 3 Gebirgsartillerieterien, den übrigen
bataillone zu 3 Batterien , 2 schwere Brigaden, 6 Regimenter, 19 Bataillone zu je 3 Batterien, also verhältnismäßig viel schwere Artillerie, nämlich 3 Batterien für jede der aktiven Divisionen, im ganzen 150 fahrende, 9 Gebirgsbatterien. Alle fahrenden Batterien haben im Frieden 6 bespannte Geschütze, im Kriege auch noch 6 Munitionswagen und jedes Regiment 1 leichte Munitionskolonne zu 27 Fahrzeugen. Die Kompagnien schwerer Artillerie verfügen im Frieden über 48 Bespannungspferde, 4 Geschütze, für den Krieg finden wir die Zahl von Pferden nicht angegeben, man scheint stark mit mechanischem Zug zu rechnen. An Verkehrstruppen verfügt man über 1 Eisenbahnregiment mit 12 Kompagnien,
1 Telegraphenbataillon
zu 6 Kompagnien,
1 Luft-
180
Japans Schlagkraft, China und die Vereinigten Staaten.
schifferbataillon, 19 Pionierbataillone mit 57 Kompagnien, 19 Trainbataillone, 38 Kompagnien. Bei der Mobilmachung soll jedes aktive
1 Reserveregiment in
gleicher Stärke, jedes Kavallerieregiment (was wir für nicht möglich halten), 2 Reserveeskadrons, jedes Feldartillerieregiment 1 Reserveregiment zu 4 Batterien, jedes Gebirgsartilleriebataillon
2 Reserve-
batterien, jedes schwere Regiment 4 Reservebatterien, jedes Pionierbataillon 1 Reservebataillon und 1 Brückentrain aufstellen , so daß den 19 aktiven Divisionen ebenso viele Reserve divisionen entsprechen würden.
Planmäßige Ersatzformationen :
pro Infanterie-
regiment 1 Bataillon, für jedes Kavallerieregiment 1 Eskadron, Feldartillerieregiment 1 Batterie, Gebirgsartilleriebataillon .
ebenso
jedes
schwere
Regiment und
Heute kann das Feldheer erster Linie Japans auf 580000 Mann , 1000
Maschinengewehre,
89000
Pferde,
1500 Feld-,
90 Gebirgs-,
480 schwere Geschütze berechnet werden, nach Durchführung des Wehrgesetzes auf etwa 750000 Mann in erster Linie und ebensoviel in der Reserve und auf etwa 150000 Mann Landwehrformationen. Die japanische Khakifarbe.
Armee
trägt
als Feldbekleidung
immer noch die
Japanische Flotte. Japan hat an Überdreadnoughts 3 , davon 1 „ Fuso ", im März 1914 abgelaufen , im Bau. Sie sollen 31000 t Deplacement, 23 Knoten Fahrt, 12 35,6 cm als Hauptartillerie aufweisen, 30,5 stärkste Panzerung der Wasserlinie, Maschinen von 40000 indizierter Pferdekraft und Turbinen erhalten. Fertig hat Japan heute 14 Linienschiffe mit zusammen rund 227000 t. 2 sind 1910 und 1911
abgelaufen,
weisen je 21800 t,
21 Knoten Fahrt,
12 30,5 cm als Hauptartillerie , 30,5 cm stärksten Panzer in der Wasserlinie , Turbinen, 25000 indizierte Pferdekraft auf ; ein anderes , April 1907 abgelaufenes, hat 20100 t Deplacement, 20,2 Knoten Fahrt, 4 30,5 cm- und 12 25,4 cm-Geschütze als Hauptartillerie, 22,9 cm Stärkepanzerung der Wasserlinie, Turbinen . Die im November 19700 t Deplacement, 1906 zu Wasser gekommene „ Satsuma “, 20 Knoten Fahrt, dieselbe Hauptartillerie und Panzerung wie vor, 18500 indizierte Pferdekraft, führt zu den zwei im Jahre 1905 abgelaufenen von 16200
bzw. 16700 t Deplacement 4 30,5 cm- und
4 25,4 cm-Geschütze Hauptartillerie, 20,2 bzw. 19,2 Knoten Fahrt über, die in der Panzerung nur um einige Zentimeter differieren Eine Gruppe von 3 1907 , 1899 und 1898 abgelaufenen Linienschiffen besitzt 15250 t Deplacement, 18 Knoten Fahrt, 4 30,5 cm- Geschütze als Hauptartillerie, 22,9 cm Panzer in der Wasserlinie.
Der 1896 zu
Wasser gekommene ,,Fuji " hat bei 12500 t Deplacement, 18,3 Knoten
Japans Schlagkraft, China und die Vereinigten Staaten .
181
Fahrt 4 30,5 cm-Geschütze als Hauptartillerie, 13700 indizierte Pferdekraft, nur 2 Schrauben, Dann folgen die 1907 und 1908 umgebauten früheren russischen Linienschiffe Orel, Peresvjed Pobjeda, Retvisan, Poltava, 13800 bis 11200 t, 18 Knoten, 4 30,5 cmGeschütze Hauptartillerie, 16500 bis 10600 indizierte Pferdekraft. An Küstenpanzerschiffen sind die beiden 1896 und 1894 abgelaufenen früheren russischen Apraxin und Ssenjamin, 5000 t, vorhanden. An Panzerkreuzern verfügt Japan über 15 bereite mit rund 196000 t, darunter 8 Linienschiffskreuzer , 7 Kreuzer I. Klasse. Diese von
1898
bis 1903
abgelaufenen
7800 bis 10000 t Deplacement,
Kreuzer
I. Klasse weisen
21,3 bis 20 Knoten Fahrt,
meist
4 20,3 cm-Geschütze als Hauptartillerie, 150 bis 178 stärkste Panzerung in der Wasserlinie, auf. Zu ihnen gehört auch die frühere russische „ Bajan " .
Von den Linienschiffskreuzern haben 4 ,
1912 bis 1913 zu Wasser kamen , je
die
28000 t Deplacement, 27 bis
28 Knoten Fahrt, 8 35,6 cm-Geschütze Hauptartillerie, 22,9 cm stärksten Panzer in der Wasserlinie, 68000 indizierte PferdekraftTurbinen, 2 andere 1907 abgelaufene zeigen 15890 t Deplacement, 21,3 bis 22 Knoten Fahrt, 4 30,5 cm- und 8 20,3 cm-Geschütze Hauptartillerie, 17,8 cm Panzerstärke in der Wasserlinie,
2 andere
1906 und 1905 abgelaufene weisen 14000 bis 15400 t Deplacement , 20,5 Knoten, 4 30,5 cm- und 12 Panzerung wie vor, auf.
15 cm-Geschütze Hauptartillerie ,
Geschützte Kreuzer ( II . Klasse) sind 15 mit rund 60000 t fertig, darunter eine 1911 abgelaufene Division von 5000 t Deplacement, 27 Knoten Fahrt, 8 15 cm-Geschütze, Turbinen, ein 1908 abgelaufener von 1370 t, 23 Knoten Fahrt, 2 im Jahre 1897 zu Wasser gekommene von 1250 und 4200 t, 22 bzw. 23 Knoten, 3 von 1903 bis 1904 abgelaufene von 3050 bis 1250 t, 21 bis 21,5 Knoten Fahrt und die
beiden russischen,
die 1899 zu Wasser kamen,
Palat und
Variag von 6800 bis 6600 t, 20 bis 23 Knoten Fahrt, abgesehen von 2 nahezu das 20. Lebensjahr erreichenden. Kanonenboote lassen wir außer Betracht. An Torpedobootsjägern sind, außer 2 in England auf Stapel liegenden, die bei 955 t Deplacement 35 Knoten laufen sollen , auf japanischen Werften 40 im Bau , die in sieben Monaten fertig sein sollten. Fertig sind heute etwa 49, davon 2 im Jahre 1911 und 1912 , von 615 t, 30 Knoten, 2 im Jahre 1911 und 1910 zu Wasser gekommene, je 1170 t, 29 Knoten, Turbinen , 34 von 1904 bis 1907 abgelaufene, 410 t, 29 Knoten Fahrt, in Japan gebaut 6 in den Jahren 1899 bis 1902 von Stapel gelaufene und 214 bis 280 t, 27 bis 31 Knoten, und 5 1898 bis 1899 gebaute von 325 t
182
Japans Schlagkraft, China und die Vereinigten Staaten.
und 30 Knoten. Torpedoboote I. Klasse sind 16 fertig, davon eins im Jahre 1897 bei Schichau gebaut, von 125 t, die übrigen 180 t , 29 Knoten, 1900 bis 1904 gebaut. Dazu 14 Torpedoboote II . Klasse von 80 bis 100 t, und 24 Knoten Fahrt. Unterseeboote soll Japan 15 bereit haben, davon 2 von Schneider-Creusot 1914 gebaute, 460 bis 660 t, 17 Knoten, über 10 unter Wasser laufend , 4 von 1911 bis 1913 gebaut , 2 im Jahre 1909 von Vickers konstruierte, 1318 t, 13 Knoten über, 8 unter Wasser. Endlich 7 Boote Holland-Typ .
Vereinigte Staaten. Ein kriegerischer Konflikt Japans und der Vereinigten Staaten müßte seine Entscheidung zu Lande finden , die Philippinen würden freilich eine sehr leichte Beute Japans, das zudem nach seinem Raub Tsingtaus ja auch noch beträchtliche Streitkräfte auf ursprünglich chinesischem Boden hat. Würde die Entscheidung des Krieges auf dem chinesischen Kontinent, auf amerikanischem oder japanischem Boden gesucht werden ? Transporte von Heeresmassen aus dem Lande der aufgehenden Sonne nach den Vereinigten Staaten und umgekehrt, wie von Amerika nach dem chinesischen Kontinent, und Sicherstellung ihrer gewaltigen Nachschübe bedingten zunächst die Beherrschung der See. Die Überlegenheit der Flottenkraft der Vereinigten Staaten über die japanische ist heute noch unbestreitbar, in den neuen Typs der Unterseebote größeren Deplacements besteht anscheinend freilich für Japan ein gewisser Vorsprung. Die Landstreitkräfte der Vereinigten Staaten können mit denjenigen Japans kaum gemessen werden. Das reguläre stehende Heer der Vereinigten Staaten
mit einem Stab
von
rund 4900 Offizieren
(darunter 7 Generalmajore als Divisionskommandeure und 25 Brigadegenerale als Brigadekommandeure) , 87250 Mann , hat im Durchschnitt in den letzten Jahren einen Abgang von rund 30000 Köpfen jährlich gehabt,
von denen rund 7000 wegen gerichtlicher Urteile oder diszi-
plinarisch entlassen werden mußten, rund 3400 jährlich desertierten. Das heißt also ein Abgang von rund '/, des Bestandes wegen Mangels an Disziplin .
Nach
vollendeter Dienstzeit scheiden im allgemeinen
jährlich 20000 bis 22000 Mann aus, von freiwillig abgehenden Offizieren abgesehen. Im Februar 1913 nannte man die 1912 beschlossene organisatorische
und territoriale Neubildung des
Heeres
durchgeführt , sie dürfte dies aber auch heute nur auf dem Papier sein. Diese Neuorganisation unterschied vier große Departements, Osten, Westen, Zentrum,
Süden und die Küsten,
Hawai außerdem zwei besondere
Philippinen
Kolonialdepartements
und
darstellend.
Japans Schlagkraft, China und die Vereinigten Staaten. In die Organisation des Feldheeres wollte man
183
die durchaus neu zu
organisierende Miliz einreihen und im Kriegsfall mehrere Armeen aus Heer und Miliz gemischt aufstellen . Jedes der großen Departements , außer Süden,
sollte
eine
Infanteriedivision
mit Stab,
3 Infanterie-
brigaden zu je 3 Regimentern , 1 Regiment Divisonskavallerie, 1 Regiment Feldartillerie,
2
Kompagnien Pioniere,
1 Kompagnie
Signal-
truppen , 1 Sanitätskompagnie, 1 Feldlazarett liefern , im Kriege mit rund 750 Offizieren , 18500 Mann , 58 Geschützen, das Süddepartement die Kavalleriedivision, so daß die aktive Armee 3 Infanterie-, 1 Kavalleriedivision ausmachen würde. Dazu aber noch die Armeetruppen mit 2 Regimentern Feldartillerie, 2 Pionierkompagnien, 2 Kompagnien Signalkorps , 1 Sanitätskompagnie mit Feldlazaretten , im ganzen 13900 Mann rund mit Offizieren und 24 Geschützen zählen sollten. Die Kavalleriedivision soll sich aus Stab, 3 Brigaden,
2 bis 3 Regi-
mentern zusammensetzen, eventuell noch einer 4. Brigade. Normal formiert sind die Divisionen aber noch nicht, da noch manche Truppenteile nicht in den vorgeschriebenen Departements liegen , und die Kolonien, wie wir sehen werden, starke Abgaben verlangen . Das 1912 genehmigte Rekrutierungsgesetz hat sich als für die Steigerung der Armeestärke wenig
förderlich
erwiesen,
im
Gegenteil,
da der
Arbeitsmarkt 1913 günstig war, zu einer Verminderung des Ertrages der Werbungen geführt. Für die Zusammensetzung der Reserve des regulären Heeres unterscheiden wir :
nach dreijähriger Dienstzeit vor-
zeitig entlassene Mannschaften, nach vierjähriger Dienstzeit zur Reserve übergetretene Leute, die nach sieben Jahren dem regulären Heer und Reserve freiwillig länger im Reserveverhältnis zu bleiben erklären , und endlich solche, die sich im Kriegsfall zum Wiedereintritt bereiterklären. Beide
letztgenannten Kategorien
erhalten ,
wenn Mobilmachung ein-
tritt, 300 Dollar Prämien beim Wiedereintritt .
Der Mangel an Offi-
zieren ist sowohl beim regulären Heere als auch bei der Miliz groß . Das stehende Heer weist auf : 30 Regimenter Infanterie zu 3 Bataillonen zu je 4 Kompagnien und 1 Maschinengewehrzug, die Kompagnie erreicht aber nur auf den Philippinen einen Friedensetat von 150 Köpfen , auf Hawai und Panama 72 , im Mutterlande nur 65 Mann, das Regiment einschließlich Maschinengewehrzug und Meldereiter auf den
Philippinen
1830 Mann,
Hawai
und Panama 950,
Heimat nur 470 Mann, das Portorico-Regiment, das nur 2 Bataillone aufweist, kommt nur auf rund 590 Mann , 13 Kavallerieregimenter zu 3 Schwadronen
zu je
4 Troops
zu 65 bzw. 72 bzw. 150 Mann
in der Heimat, bzw. Hawai bzw. Philippinen,
1 Regiment reitender,
2 Gebirgs-, 3 leichte fahrender Artillerie zu je 2 Bataillonen mit je 3 Batterien zu 4 Geschützen. Für den Krieg sind als Armeeartillerie
184
Japans Schlagkraft, China und die Vereinigten Staaten.
2 Bataillone Haubitzen zu 2 Batterien vorgesehen, 1 Küstenartilleriekorps zu 170 , davon 42 Minenkompagnien, 1 Pionierkorps zu 3 Bataillonen mit 12 Kompagnien, 1 Signalkorps mit 12 planmäßigen Kompagnien im Kriege. 1 Fliegerkorps besteht, seine Stärke ist aber nicht näher bekanntgegeben worden . Wenn die Vereinigten Staaten bei einer Mobilmachung dieselben Erfahrungen machen wie bei der 1913 mit der 2. Division in Texas vorgenommenen, die zwar ziemlich schnell vereinigt war, aber nur die
Hälfte der Sollstärke bei ihrer abgeschlossenen Mobilmachung aufwies, dann würden sie zweifellos wohl zu anderen Maßnahmen übergehen müssen. Die Vereinigung der 2. Division im Lager von Texas hat aber in bezug auf Ausbildung doch bemerkenswerte Förderung ergeben. Die Schulung im Felddienst erscheint vielfach noch stark zu wünschen übrig zu lassen, und zwar nicht nur in der organisierten Miliz, sondern auch im Heere.
Wir haben
oben auf die starken Ansprüche der
Kolonien an Abgaben hingewiesen. Da sie rund 5 Infanterieregimenter , 3½ Kavallerieregimenter, 6 Feldartilleriebataillone , 52 Küstenartilleriekompagnien, 4 Pionierkompagnien usw. betragen, so sind im Mutterlande an Friedenstruppen nur vorhanden 16 Infanterieregimenter, 3 Regimenter Feldartillerie, 8 Pionier11 Kavallerieregimenter , kompagnien usw. des stehenden Heeres . Man ist also voll berechtigt , von einer absoluten Skelettarmee zu sprechen, die um so winziger erscheint, wenn man an die japanischen Friedenseinheiten, ihre Stärke und den Grad ihrer Bereitschaft denkt. Die planmäßig vorgesehene Organisation des Milizheeres sieht 16 Divisionen voraus, die zum mindesten 300 000 Mann und 700 Geschütze , Kompagnien zu 150 Mann, troops bei der Kavallerie zu 100 Mann , Batterien anspruchen müßten . höchstens 600 Mann .
zu 4 Geschützen im Kriege be-
Im Frieden finden wir Infanterieregimenter zu Nach offiziellen Berichten läßt sich nachweisen ,
daß die 139 Infanterieregimenter, 8 selbständigen Bataillone, 74 Troops der Kavallerie 48 fahrenden Ratterien, 120 Kompagnien Küstenartillerie, 22 Pionierkompagnien , die 1913 in der organisierten Miliz (Nationalgarde) vorhanden waren , einen Stand von nicht über 122000 Mann rund, 212 Geschützen zählten, von denen aber nur rund 80000 Mann einigermaßen ausgebildet waren. Da sieht es mit den planmäßigen 16 Divisionen freilich etwas kläglich aus. Die Schulungszeit der Miliz in ihren Lagern ist zu kurz bemessen und bei den Manövern, die man für das reguläre Heer und die Nationalgarde gemeinsam früher angesetzt hatte, erwies sich die Miliz für die regulären Truppenteile als ein Hindernis in der Durchführung Ehe eine Reform der organisierten Miliz, Ver-
moderner Kämpfe.
185
Japans Schlagkraft, China und die Vereinigten Staaten.
mehrung und Verbesserung ihrer Kader, bessere Bezahlung und Vertiefung der Ausbildung möglich gemacht wird, ist im modernen Kriege von dieser Nationalgarde nicht viel zu erwarten.
Die Dienstzeit für
den angeworbenen Soldaten der Armee beträgt sieben Jahre,
davon
normal vier aktiv, der Rest in der Reserve, doch ist auch schon nach drei bzw. vier aktiven Dienstjahren der Übertritt in die Reserve zulässig. Erweiterung der Dienstpflicht auf weitere sieben Jahre ist gestattet. Während des Verbleibens in der Reserve finden für diese Leute aber keine Übungen statt. Das neue Rekrutierungsgesetz verlangt
ein Alter
von 18 bis
35 Jahren,
Nachweis guter Führung,
Kenntnis der englischen Sprache in Wort und Schrift als Vorbedingung für die Einstellung von Freiwilligen. Bei ungünstigem Arbeitsmarkt ist die Zahl der sich zur Werbung für das Heer Meldenden wohl auf 160000 zu schätzen, von denen man dann nur ein Viertel einstellte. Wenn man bei den Linienschiffen ,
die bewilligt ,
aber noch
nicht fertig gebaut sind ( „ Kalifornia "-Typ, über 39 t Deplacement und 21 Knoten Fahrt) bzw. noch auf Stapel sind ( „ Arizona “ ,,,Pensylvania ") mit 32 bis 33 t, 21 Knoten Fahrt, abzieht, weiter auch die veralteten bzw. der Überalterungen nahestehenden, außer Betracht läßt, so haben die Vereinigten Staaten 30 Linien schiffe mit rund 550000 t Deplacement see bereit. Die im März bzw. Juli 1914 abgelaufenen „ Oklahoma" bzw. „ Nevada" , rund 29000 t. 20,5 Knoten Fahrt, 10 stärksten Panzer
35,6 cm-Geschütze Hauptartillerie,
in der Wasserlinie, Ölfeuerung,
wir dabei als fertig.
Turbinen,
34,2 cm rechnen
"Texas" und " New York" , 1912 abgelaufen,
28000 t, 21 Knoten Fahrt, 10 35,6 cm- Geschütze als Hauptartillerie, weiter 2 1911 zu Wasser gekommen und 27700 t Deplacement , 21,2 Knoten Fahrt, 12 30,5 cm-Hauptartillerie , „ Utah " und ,,Florida " , 1910 bzw. 1909 abgelaufen, 23400 t, 22 bzw. 21 Knoten Fahrt, 10 35,5 cm- Geschütze Hauptartillerie, 2 Typ „ Delaware", Ende 1908 und Anfang 1909 abgelaufen, 22400 t, 21,6 Knoten, Hauptartillerie ebenso wie bei ,, Florida “ , ebenso Panzerung, vier Jahre Bauzeit gebraucht, 2 Typ ,,Michigan", 1908 abgelaufen, 17900 t, 18,8 Knoten, 8 30,5 cm-Hauptartillerie, stärkste Panzerung der Wasserlinie 30,5 cm, weiter zu nennen 6 Typ ,,Connecticut" , von 1904 bis 1906 zu Wasser gekommen,
dreidreiviertel bis vier Jahre Bauzeit, 18000 t, 18,2 bis
18,8 Knoten,
4 30,5 cm- und
8
20,3 cm-Hauptartillerie,
stärkste
Panzerung in der Wasserlinie 27,9 cm, 5 im Jahre 1904 abgelaufene Typ " Georgia" , sehr lange, fünf bis sechs Jahre, im Bau gewesen , 16300 t, 19 Knoten Fahrt, 40 30,5, 8 20,3 cm-Hauptartillerie , 27,9 cm stärkste Panzerung in der Wasserlinie, 3 Typ „ Maine " , 1901 abgelaufen, 13700 t, rund 18 Knoten Fahrt, 4 30,5 und 16 15 cm13 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 523.
186
Japans Schlagkraft, China und die Vereinigten Staaten .
Geschütze ,
stärkste
„ Alabama“ ,
1898
Panzerung
in
bei vier bis
der Wasserlinie
fünf
Jahren
27,9,
Bauzeit
3
Typ
abgelaufen,
12400 t, 17 Knoten Fahrt, 4 30,5 cm- Hauptartillerie, 2 Typ „ Centucki " , 1898 abgelaufen, 12500 t, 16,8 Knoten, 4,33 cm-Hauptartillerie, endlich „ Jova “ , 1896 abgelaufen, 12900 t, 17,1 Knoten Fahrt, schon 1892 entworfen, also sehr lange Bauzeit, dicht an der Grenze der Veralterung. Küstenpanzerschiffe sind 4 mit 13600 t, von 1900 bis 1901 abgelaufen, 12 bis 13 Knoten Fahrt vorhanden. Panzerkreuzer sind shington ",
von
13
mit
1904 bis
130000 t vorhanden :
1906
abgelaufen,
4 Typ „ Wa-
16000 t,
22,5
bis
22,1 Knoten Fahrt, 4 25,4 cm-Hauptartillerie, 12,7 stärkste Panzerung in der Wasserlinie, 6 Typ „ Colorado " , 1903 bis 1904 abgelaufen, 15400 t, 22,2 bis 22,4 Knoten Fahrt, 4 20,3 cm-Hauptartillerie , 15,2 stärkste Panzerung in der Wasserlinie, 3 Typ „ Milwaukee“ , 1904 bis 1905 abgelaufen, 11000 t, 21,1 Knoten Fahrt , 14 15,2 cm-Hauptartillerie. " Brooklyn " steht an der Grenze der Überalterung. Geschützte Kreuzer hat man 11 , davon 2 an der Grenze der Überalterung, 3 mit 25 bis 26 Knoten Fahrt und 5,1 cmPanzerung an der Wasserlinie,
ungeschützte Kreuzer 11 ,
davon
einer 1914 , 2 1904 , die übrigen 1894 bis 1897 zu Wasser gekommen, 12 bis 15 Knoten Fahrt. Torpedobootsjäger sind 55 fertig , 6 noch auf Stapel, von 6 auf Stapel liegenden 1100 t, 29,5 Knoten Fahrt, 14 zu 1070 bis 1200 t, 29 bis 31,5 Knoten Fahrt, 6 1912 abgelaufen, 900 t, 29,5 bis 32,3 Knoten Fahrt, 29,5
bis
5 1910 bis 1911 von Stapel gelaufen,
30,9 Knoten,
10
1909
900 t,
bis 1910 zu Wasser gekommen,
900 t, Fahrt wie vorstehend, 5 1909 abgelaufen, 915 t, 9 1901 bis 1902 abgelaufen, 600 t, 28 bis 29 Knoten Fahrt, 2 im Jahre 1902 , 3
1901 , 2
1900
zu Wasser gekommen,
28 bis 29 Knoten Fahrt .
Von 8 in Auftrag gegebenen Unterseebooten , die 1200 t Deplacement, 21 Knoten über, 16 unter Wasser Fahrt haben sollen, ist eins auf Stapel, dort auch 11 weitere von 750 bis 1100 Knoten, 38 sollen im ganzen fertig sein, von 115 bis 530 t, 8,5 bis 14,5 Knoten über, 7 bis 10,5 Knoten unter Wasser. Die neueren sämtlich
mit Dieselmotoren
oder Schwerölmotoren ausgestattet.
Der Bau von 75 Unterseebooten ist im Senat soeben genehmigt worden. Schul- und Spezialschiffe lassen wir außer Betracht.
Die Vorschriften für Infanterie- Maschinengewehrzüge.
187
XVIII . Die Vorschriften
für Infanterie- Maschinengewehrzüge vom
19. Juli
1912.')
Von Balck, Generalmajor und Inspekteur der Feldtelegraphie.
Die französischen Infanterieregimenter haben je drei Maschinengewehrzüge.
Beim XIV. (Lyon) und XV. (Marseille) Armeekorps haben
diese gemischte Ausrüstung (Tragtiere und Fahrzeuge) ; auf Korsika, in Tunis und Algerien haben sie dagegen Gebirgsausrüstung (nur Tragtiertransport).
Der Unterschied ist unwesentlich,
da Gewehrzug und
Staffel die gleiche Ausrüstung haben ; nur bei der Gefechtsbagage führen die Züge mit Gebirgsausrüstung die Munition auf sechs Tragtieren mit sich, anstatt auf einem vierrädrigen Protzfahrzeug. Bei gemischter Ausrüstung ist ein Schützenzug stark : 1 Offizier (auf Rad),
1 Unteroffizier und 2 Caporaux, 6 Schützen, 1 Messman und 1 Waffenmeister. Die Staffel zählt 1 Unteroffizier als Führer, 14 Mann, 2 Gewehr- , 6 Munitions- und 1 Vorratstragtier. Gefechtsbagage 1 Fahrzeug.
ist stark :
1 Caporal ,
2 Fahrer
und 4 Pferde,
Die drei Züge eines Infanterieregiments zählen demnach 3 Offiziere, 15 Unteroffiziere und Caporaux, 72 Mann , 27 Tragtiere, 12 Zugpferde und 1 Fahrzeug. Unteroffiziere und Mannschaften führen den Artilleriekarabiner mit aufzupflanzendem Seitengewehr, Meßmann und Fahrer den Revolver. Das französische Maschinengewehr mit Luftkühlung, Patronenzuführung durch Ladestreifen aus Nickelstahl mit je 25 Patronen , ohne Schutzschilde, wiegt feuerbereit 56,5 kg (davon 23,8 kg Gewehr ohne Dreifuß).
Feuerhöhe je nach dem Anschlag 83,5 und 46,2 m.
1 ) Règlement provisoire sur les sections de mitrailleuses d'infanterie vom 19. Juli 1912, in guter Übersetzung vorliegend von Oberleutnant Ginand : Die französische Dienstvorschrift für die Infanterie-Maschinengewehrzüge vom 19. Juli 1912, Berlin 1914, Verlag der Liebelschen Buchhandlung . 13*
188
Die Vorschriften für Infanterie- Maschinengewehrzüge.
Seltsamerweise zeichnet.
wird der
sitzende Anschlag als
der regelrechte be-
Belastung eines Pferdes (für Maultiere, die neuerdings bevorzugt werden, in Klammern) beträgt : Gewehrtragtier mit Entfernungsmesser
121 kg
Munitionstragtier (mit 1800 Patronen in 6 Kasten) 120 kg Munitionswagen mit 10 200 Patronen 1800 kg Es sind in den Zügen somit vorhanden 53 400 , für jedes Gewehr 8 900 Patronen. Grundform daß
des Zuges ist die Marschkolonne zu Vieren,
die Schützen sich am Anfang
befinden ,
derart ,
dahinter die Staffel,
Munitionstragtiere, die beiden Gewehre nebeneinander (Reihenfolge : Gewehr, dann drei Munitionstragtiere und das Vorratstier). Exerzierform und Marschkolonne unterscheiden sich dadurch, daß bei ersterer die Bedienung bei dem betreffenden Gewehr marschiert, ebenso die zugehörigen Munitionstragtiere, während bei der Marschkolonne alle Mannschaften vorausmarschieren und die sämtlichen Tragtiere nachgeführt werden. Als Übergangsform zum Einnehmen der Feuerstellung dient die Linie, die beiden Gewehre mit den Schützen und Munitionstragtieren vorn, dahinter mit geringem Abstand die Tragtiere. Der Zwischenraum zwischen den Gewehren wird durch Befehl geregelt, die Tornister der Mannschaften werden auf den Munitionswagen mitgeführt . Der Zug marschiert im Schritt, im Notfall können sich auf kurze Strecken die Leute im Laufschritt und die Tiere im Trab bewegen. Bewegungen mit dem zusammengesetzten Gewehr oder mit dem Gerät auf der Schulter werden nur im Schritt ausgeführt. Zur Verbindung mit der Truppe wird ein Reiter zugeteilt, nur ein Zug, der auf dem Flügel eines Verbandes auftritt, hat einige Schützen zur Bedeckung von der nächsten Infanterie anzufordern . Um den Zug nicht vorzeitig in feindliches Feuer hineinzubringen , geht er von Deckung zu Deckung bis zu einer Abpackstelle ( „ position de déchargement " ) vor , wo die Gewehre gefechtsbereit gemacht und dann bis zu einer Bereitstellung (,,position d'abri") vorgetragen werden. Besonderes Gewicht wird auf sorgfältiges Erkunden und Einnehmen der Feuerstellung gelegt , namentlich darf durch das Verhalten des Meßmannes die Stellung nicht
verraten werden,
jede Platzveränderung erfolgt
im
Kriechen. Geringe Stellungsveränderungen werden mit zusammengesetztem Gewehr vorgenommen, doch ist zu bedenken, daß sich dadurch die Gewehre leicht verraten können . Vielfach wird es zweckmäßig sein, sie zunächst getrennt in eine Bereitstellung vorzutragen. Die Vorschrift kennt vier Feuerarten :
189
Die Vorschriften für Infanterie-Maschinengewehrzüge.
Das Reihenfeuer , die gewöhnliche Feuerart, bei dem man ohne Unterbrechung eine oder zwei Reihen zu je vier Ladestreifen verfeuert. Das Dauerfeuer , bei dem ununterbrochen gefeuert wird , bis das Kommando ,,Stopfen!" erfolgt, Es wird in der Regel nur auf den nahen Entfernungen angewendet in Lagen, wo eine Unterbrechung des Feuers untunlich ist, und wenn das gewollte Ergebnis noch nicht erreicht ist. Das unterbrochene des
Zugführers
nach
Augenblicksziele
dem
Feuer ,
ein Dauerfeuer, auf Anordnung
Gutdünken
(kleine Gruppen,
des
Gewehrführers
gegen
die sich in Sprüngen vorarbeiten,
Köpfe , die hinter einer Deckung erscheinen usw. ) , das Feuer wird nach je 20 bis 30 Schuß kurz unterbrochen . Das Einzelfeuer. Bei diesem läßt der Richtschütze sofort nach jedem einzelnen Schuß den Abzug los und verfeuert so in unregelmäßiger Zeitfolge eine vom Führer befohlene Anzahl von Patronen (in der Regel 25 oder 30). Auf das Ohr macht es den Eindruck des Infanteriefeuers . Es findet Anwendung, wenn der Zugführer die Anwesenheit von Maschinengewehren nicht verraten will , z . B. bei Beginn des Schießens zum Festschießen des Schießgestells und zum Stellen des Gasdruckreglers. In gewissen Fällen kann es zum Erschießen des Visiers oder zum Unterhalten eines langanhaltenden Feuers feuert
gegen meist
ein gut gedecktes Ziel nur
bedrohliche Teile
ein Gewehr, des Feindes,
nur
angewandt werden .
Im Zuge
ausnahmsweise gegen besonders
gegen dichte,
sehr breite,
nur kurze
Zeit sichtbare Ziele kann das Feuer beider Gewehre berechtigt sein. Den Grund für diesen Feuerwechsel müssen wir weniger in schießtechnischen, als in waffentechnischen Gründen (zu starke Erhitzung bei länger dauerndem Feuer) suchen . Das Feuer wird als Punktfeuer mit
festgestelltem Gewehr,
(feu bloqué)
oder
gewöhnlich (als feu
débloqué) mit Breitenstreuung abgegeben. Eine Feuergeschwindigkeit von 100 bis 200 Schuß in der Minute wird als langsames , über 300
Schuß (ausnahmsweise,
da
Gebrauchsstörungen
zu befürchten
sind) als Schnellfeuer bezeichnet. Da ein Visierfehler von 50 m auf den weiten und mittleren Entfernungen den ganzen Feuererfolg in Frage stellen kann , und da auf eine Beobachtung der Feueraufschläge nicht immer zu rechnen ist, so wird von 600 m die Tiefenwirkung künstlich vergrößert durch eine Visieränderung ohne Unterbrechung des Feuers (das gewöhnliche Verfahren gegen bewegliche Ziele) oder durch Anwendung des tir progressif, nach Befehlen des Zugführers. Es wird bei fehlender Beobachtung angewendet derart, daß je drei Reihen mit drei verschiedenen um 50
190
Die Vorschriften für Infanterie-Maschinengewehrzüge.
zu 50 m steigenden Visieren verfeuert werden . bewegliche Ziele
Für das Feuern gegen
ist vorgeschrieben (Nr. 90-99) :
„ Gegen Ziele, die
sich in rascher Bewegung befinden, gibt der Zugführer „ Feuer mit befohlenen Visieren " ab. Es ist anzustreben, einen Teil der Geschoßeinschläge etwas vorwärts - in der Bewegungsrichtung des Zieles zu bringen. Ist die Beobachtung unmöglich oder unsicher, so wählt der Zugführer ein der geschätzten Entfernung entsprechendes Visier. Mit jedem Visier werden so zwei Reihen verschossen. Auf den nahen Entfernungen ist das Visier 600 das zutreffende Visier gegen Kavallerie, wenn letztere in ihrer ganzen Größe sichtbar ist. Dabei muß man auf den unteren Rand des Zieles halten. Gegen Infanterie empfiehlt es sich immer, lieber ein Visier zu wählen, das um ein Geringes höher ist, als die geschätzte Entfernung beträgt. Bei Zeit
dem
Schätzen
berücksichtigen,
den Weg, rücklegt .
den das
der
Entfernung muß der
die
bis
zur
Ziel
während
Feuereröffnung dieser
Zugführer vergeht,
Zeit wahrscheinlich
die
sowie zu-
Gegen bewegliche Ziele wird mit mittlerer Feuergeschwindigkeit geschossen. Der Erfolg dieses Feuers ist im wesentlichen abhängig von der schnellen Entschlußfähigkeit des Zugführers und der Besonnenheit der Bedienungsmannschaften . Läßt der Zugführer beide Gewehre gleichzeitig feuern, so befiehlt er ihnen je nach den Verhältnissen entweder das nämliche Visier oder zwei um 50, 100 und 200 m auseinanderliegende Visiere. " Das Maschinengewehr ist eine Hilfswaffe der Infanterie in allen Lagen des Nahkampfes und bildet eine leicht bewegliche, besonders wirksame Feuerreserve. Man muß es daher vermeiden , die Maschinengewehre vorzeitig einzusetzen und sie in größere Abteilungen zusammenzufassen. Meist werden sie in einzelnen Zügen auftreten , und zwar in engster Fühlung mit der Infanterie, in deren Linie sie günstige und hinreichend gedeckte Stellungen finden werden . Als Vorteil der Maschinengewehre wird schnelle Wirkung an bestimmter Stelle in kurzer Zeit hervorgehoben ; es wird die Notwendigkeit betont, im engen Verbande mit der Infanterie zu kämpfen und gewarnt, auf weite Entfernungen die Munition zu verschießen. „ Die erzielte Wirkung steht in keinem Verhältnis zu dem erforderlichen Munitionsaufwand. Ferner würden die Maschinengewehre durch vorzeitiges Verraten ihrer Anwesenheit
Gefahr laufen,
Artillerie zum Opfer zu fallen.
nutzlos
der feindlichen
Die Vorschriften für Infanterie - Maschinengewehrzüge.
191
Das Maschinengewehr ist hauptsächlich die Waffe der mittleren und nahen Entfernungen. Mit kurzen, heftigen, nach Möglichkeit überraschend ausgeführten Feuerstößen richtet es sich in der Regel gegen diejenigen Punkte, wo es darauf ankommt, den Feind aufzuhalten, oder aber seinen Widerstand zu brechen, um unserer Infanterie das Vorgehen zu erleichtern . Das Maschinengewehrfeuer ist besonders wirksam, wenn es das Ziel der Länge nach bestreichen oder in der Flanke fassen kann, Wenig Wirkung hat es in der Regel gegen Linien von geringer Tiefe und gegen Schützenlinien mit großen Zwischenräumen . Dagegen verspricht seine Anwendung Erfolg gegen alle lebenden Ziele, die sich in etwas geschlosseneren Formen zeigen, wie z . B. Linien von größerer Tiefe, Verstärkungen, Unterstützungen,
Reserven ,
zum
Gegenstoß geordnete Truppen usw. Auf einem Flügel oder hinter Lücken der vordersten Linie finden die Maschinengewehre, wenn das Gelände es gestattet, die geeignetste Aufstellung, um die einzelnen Gefechtslagen aufmerksam verfolgen und um wirksam zum Vorteil der eigenen Infanterie eingreifen zu können.
Ein Überschießen eigener Truppen darf nur stattfinden, wenn die Geländegestaltung es ermöglicht, zwei oder mehrere Feuerlinien übereinander in Stellung zu bringen. " Überhöhende und flankierende Stellungen, namentlich hinter den Flügeln oder hinter Lücken, um günstige Momente des Einabzuwarten, werden also bevorzugt, um nicht durch das Verhalten der eigenen Infanterie gestört zu werden. Nur günstige greifens
Geländegestaltung kann ein Überschießen eigener Truppen rechtIn der Verteidigung ermöglichen sie im besonderen fertigen. Kräfte zu sparen, sie können Verwendung finden zur Bestreichung toter Winkel vor der Front und zur Besetzung gestaffelter Feuerstellungen zum Schutze der Flanken,
dann vor allem,
um der Ver-
teidigung besonders bedrohter Punkte einen Kräftezusatz zu geben, um feindliche Sturmanläufe zurückzuwerfen, Umfassungsbewegungen zu verhindern und Gegenstöße mit ihrem Feuer zu begleiten. Gelegentlich können Maschinengewehre zum Bestreichen der Anmarschwege Verwendung finden, sie müssen aber vor allem , den Blicken des Feindes
entzogen, für die mittleren und nahen Entfernungen aufdies für nächtliche Kämpfe. AufHindernis, das sie gegen Überfälle
gespart werden. Besonders gilt stellung hinter einem wirksamen sichert, ist unbedingt zu suchen . daß das Nachtschießen besonders bereitet worden ist.
Auch darf nicht übersehen werden, wirksam ist, wenn es bei Tage vor-
192
Die Vorschriften für Infanterie-Maschinengewehrzüge.
Die Verwendung der Maschinengewehre im Angriffsgefecht ist noch ungeklärt. Der bekannte Artillerist, General Perrin, geht davon aus, laufen, gesehen
daß und
zu früh eingesetzte Maschinengewehre Gefahr vernichtet
zu werden oder ihre Munition ver-
schossen zu haben , wenn der Augenblick eines nützlichen Eingreifens in das Gefecht gekommen ist. Er verlangt, daß " die Maschinengewehre mit ihrem Feuer zur Unterstützung der Durchführung des Angriffs dann einsetzen sollen, wenn die Artillerie ihr Feuer einstellen muß".
Dem wird von anderer Seite entgegengehalten, daß der Eintritt
in die Tätigkeit mitten in der Feuerlinie einem aufmerksam gemachten Gegner auf kurze Entfernung gegenüber, äußerst schwierig ist. Selbst wenn man es für möglich hält, daß die Maschinengewehre dort zum Feuern kommen könnten , würden sie kein lohnendes Ziel mehr finden, aber es wäre nicht recht, sie untätig während des Kampfes zu lassen . Dann fährt S. C. in der Françe militaire ( 17. und 20. November 1913 ) fort : „ Während des Gefechtes begeben sich die Maschinengewehre von Stellung zu Stellung vor, immer auf der Lauer, um einzugreifen , wo das Gewehr allein nicht hinreicht, den Zweck vollständig zu erreichen. Der größte Teil des Wertes der Maschinengewehre liegt in der Überraschung; sie müssen von einem Punkt aus eingreifen, wo der Feind sie am wenigsten erwartet, von solchen Punkten, die die Aufmerksamkeit des Gegners am wenigsten auf sich ziehen . Punkte liegen vielfach seitwärts der Truppe,
Derartige
mit der die Maschinen-
gewehre fechten, nicht in ihrer Mitte. Wenn die Maschinengewehre der unmittelbaren Verbindung mit der Truppe zuliebe auf das Moment der Überraschung verzichten , so laufen sie Gefahr, entweder überhaupt nicht mehr zur Tätigkeit zu gelangen oder
nur ganz
minderwertige
Erfolge zu erreichen. Nur wenn die Maschinengewehre sich außerhalb der Feuerlinie und in der Nähe der zur Durchführung des Angriffs in zweiter Linie bestimmten Truppen halten, haben sie Aussicht , Ziele in mehr oder minder dichter Formation zu finden, wie anrückende Reserven, zum Gegenstoß ansetzende Truppen usw. Solche Ziele zeigen
sich
aber
nur
vorübergehend.
Da kann
der Führer
der
Maschinengewehre nicht auf einen Befehl des Truppenführers warten, ob und wann er schießen soll. " Das Reglement selbst nimmt zu diesen Fragen keine Stellung, es verlangt nur ( 127) : „ Die Maschinengewehre greifen unmittelbar in das Angriffsgefecht ein, durch ihr Feuer das der Kampftruppen verstärken. Dieses wo gewisse
Eingreifen Einheiten,
vollzieht die
sich
besonders
vorübergehend
an
festliegen,
den die
indem sie Punkten, Aufgabe
haben , durch ihr Feuer das Vorgehen benachbarter Abteilungen zu schützen.
193
Zur Ausfahrt der deutschen Unterseeboote.
Trotz des Bestrebens , den kämpfenden Einheiten so nahe wie möglich zu folgen, dürfen sich die Maschinengewehre nicht bestreben, sie Schritt für Schritt zu begleiten . Sie gehen sprungweise vor, von Schießstellung zu Schießstellung, eröffnen das Feuer aber nur, wenn die taktische Lage es fordert, oder wenn sich hinreichend lohnende Ziele bieten, um die Verausgabung von Munition zu rechtfertigen . Sie bestreben sich, gleichzeitig mit den Sturmtruppen die Stellung zu erreichen '). Beim Rückzugsgefecht wird auf die Notwendigkeit hingewiesen , die Gewehre durch Mannschaften rechtzeitig zurückzubringen.
Durch
ihr Feuer decken sie die Rückzugsbewegung der Truppen , denen sie angegliedert sind. Bei diesen Stellungswechseln muß das Gerät in der Regel von den Mannschaften getragen werden . Das Aufpacken auf die Tiere ist nur dann gestattet, wenn es vollkommen in Deckung geschehen kann und wenn für die Rückwärtsbewegung gedeckte Wege zur Verfügung stehen. Auf dauernde Verbindung mit der Infanterie wird hingewiesen , die Notwendigkeit einer Bedeckung bei Verwendung auf den Flügeln betont, dann aber auch verlangt, daß die Maschinengewehre sich nötigenfalls opfern müssen , um die eigene Infanterie zu unterstützen und einen feindlichen Angriff abzuwehren.
XIX . Zur Ausfahrt der deutschen
Unterseeboote.
Von Wochinger, Oberstleutnant a. D.
Der Aufgabenkreis
der
Seestreitkräfte
des
Deutschen
Reiches
bewegt sich in einem dreifachen Rahmen. Voran steht der Schutz der Landesküsten an Nord- und Ostsee, dann die Aufrechthaltung des friedlichen Seeverkehrs in den heimischen 1) Das sprungweise Vorgehen der Maschinengewehre darf unter keinen Umständen mit dem sprungweisen Vorgehen der Infanterie ver. wechselt werden, beides wird unter Umständen unabhängig voneinander ausgeführt werden müssen. Die Maschinengewehre ( E.R. f. d. Inf., Z. 619) folgen mit diesen Gruppen, die im Bedarfsfall zum Vorschaffen von Munition und Gerät herangezogen werden können . Die notwendigen Anordnungen trifft der Führer der Maschinengewehre. " Lange, schnell aufeinanderfolgende Sprünge sind für Maschinengewehre unausführbar ( E.R. f. d. Inf., Z. 620).
194
Zur Ausfahrt der deutschen Unterseeboote .
Meeresteilen, sowie der Schutz des heimischen Seegewerbes (Hochseeund Küstenfischerei ). Die Bewältigung dieses Aufgabenkreises, des seeseitigen Grenzschutzes, kommt der Hochseeflotte im Vereine mit den Stationen der Nord- und Ostsee zu. Ihre Tätigkeit wärtigen Krieges einzige
als
Gesamtheit wurde im Verlaufe des
von keiner Seite in Anspruch genommen,
Aufklärungsfahrt
der
englischen
Flotte,
gegenda eine
ausgenommen der
überlegene Seegegner, vermutlich um seine bisherige Seeherrschaft nicht auf das Spiel zu setzen, den allgemein erwarteten Angriff unterließ. Vielleicht dürfte dieses Unterlassen auch auf die Erwägung zurückzuführen sein, daß die eigene dreifache Übermacht im Falle des Angriffes durch das Zusammenwirken der deutschen Hochseeflotte mit dem festungsartigen Ausbau der Nordseeküste und der Gefährlichkeit des vorliegenden Fahrwassers gewissermaßen eine totale Ausgleichung erfahren würde ; das Verbleiben der englischen Schlachtflotte in ihren Kriegshäfen, der Verzicht auf Geltendmachung der Überlegenheit auf offener See und das Nichtheraustrauen der englischen Großkampfschiffe auf solche dürfte
aber ihren tieferliegenden Grund in den
schreckenverbreitenden Streifzügen der deutschen Unterseeboote längs der englischen Küste von Beginn des Krieges an haben und ist infolgedessen der deutschen Unterseebootsflotte ein hohes Verdienst um die Sicherheit der deutschen Meeresteile inmitten der größten Kriegswirren, die je die Welt gesehen, zuzuschreiben. Der zweite Aufgabenkreis der deutschen Marine umfaßt dann den Schutz des Überseehandels , des überseeischen Kolonialbesitzes und die Aufrechthaltung der Überseeinteressen im
Frieden wie im
Kriege, in welch letzterem Falle noch die Aufgabe der Störung und des größtmöglichen Abbruches des gegnerischen Seehandels hinzutritt. Für diesen zweiten Aufgabenkreis war schon im Frieden ein besonderer Flottenteil, die Auslandskreuzer, ausgeschieden gewesen , die sich auch mit einem staunenswerten Erfolge deren Lösung unterzogen haben und in Erfüllung ihrer Pflicht nach
heldenmütigem Kampfe
gegen die feindliche Übermacht zum großen Teil ruhmbedeckt untergegangen sind. Deren Erbschaft hinsichtlich der Störung und des Abbruches des feindlichen Seehandels
ist in der Folge
bootsflotte übergegangen,
ebenfalls auf die Untersee-
die auch derart angesetzt werden
konnte,
daß sie sämtliche Großbritannien umspülende Meeresteile unsicher und so England von einem geregelten Seeschiffahrtsverkehre mit den seine Lebensmittelzufuhr besorgenden Nachbarstaaten,
sowie den gesamten
195
Zur Ausfahrt der deutschen Unterseeboote. Überseehandel Englands zu gefährden vermochte.
Heute schon macht
sich die Wirkung dieser energischen Maßnahme der deutschen Marineleitung in der Einstellung des Schiffahrtbetriebes seitens der Mehrzahl der großen englischen Seeschiffahrtsgesellschaften und in der Weigerung der Nerdseefahrt vieler Tausenden von Matrosen der englischen Handelsmarine trotz erheblicher Erhöhung der Heuer geltend . Der Schrecken vor den deutschen Unterseebooten in den englischen Meeresteilen kann trotz des Besitzes der größten Kriegsflotte der Welt Englands wirtschaftlichen Ruin herbeiführen . Die ungeahnten Erfolge der Unterseeboote bei Aufbringung, Torpedierung und Versenkung feindlicher Handelsschiffe lenkten aber auch die deutsche Marineleitung auf die Verwendung
derselben zur
Störung und Unterbrechung der englischen Truppenüberführung französischen Boden.
auf
Wenn es nun auch der englischen Regierung gelingen sollte , das Bekanntwerden von bedeutenden Verlusten an Soldaten und Kriegsmaterial einige Zeitlang zu vertuschen, so bricht sich doch auch in England die Kunde hiervon einmal gewaltsam Bahn, und dann muß die englische Heeresleitung damit rechnen, daß alle jene Angeworbenen , die lediglich nur der Verteidigung des heimatlichen Bodens halber sich anwerben ließen, sich entschieden weigern, auf französischem Boden Kriegsdienste zu leisten und zu diesem Zwecke sich vorher eines
ungenügend geschützten Seetransportes zu unterziehen . Nun beruht
aber Frankreichs
Hilfeleistung durch Lord Kitcheners
letzter Hoffnungsanker
auf der
zweite und dritte Armee,
und
kommt jede Störung, jeder Abbruch in der Überfahrt der englischen Hilfstruppen und in der Nachschaffung ihres Armeematerials einer wesentlichen Kraftunterstützung
der
deutschen Heeresteile auf dem
westlichen Kriegsschauplatze gleich, somit liegt im Angriff der deutschen Unterseeboote auf die Überführung englischer Hilfstruppen eine tatkräftige Unterstützung des Landheeres . Der jüngsten Waffe der Marine war es somit vorbehalten,
die
Aufgaben derselben nach ihren drei Hauptrichtungen in ganz hervorragender Weise zur Lösung zu bringen und damit der erstaunten Mitwelt den Beweis zu liefern, wie die Intelligenzfülle einer geistig hochentwickelten Nation, angestachelt durch ein hochgradiges moralisches Element im Verein mit den Errungenschaften einer unter den ungünstigsten Verhältnissen sich hart emporgearbeitethabenden Industrie , Unglaubliches und völlig Unerwartetes zu leisten vermag.
196
Zu Joffre's Äußerungen über französische Führer. XX.
Zu
Joffre's
Aeusserungen
über
französische
Führer . Ein Jugendfreund des französischen Generalissimus und bekannter Journalist hat jüngst in der „ Dépèche des Tonlouse " , sicher nicht ohne Erlaubnis Joffre's, den Inhalt einer Unterredung mit diesem veröffentlicht, aus dem sich eine Reihe von Schlüssen interessanter Art ziehen läßt. Der Schwerpunkt dieses Inhalts liegt nicht in der Versicherung des Generalissimus über die gegenwärtige Lage „ alles steht gut, ja vorzüglich " , obwohl sie einen starken und wohl nicht berechtigten Optimismus,
vielleicht auch einen Mangel an Überblick, verrät, sondern in der Äußerung, daß man bei Charleroi nicht einer Die Überlegenheit gegenübergestanden ,,,durchaus nicht , keinesfalls. Schlacht von Charleroi hätte von uns gewonnen werden müssen , und zwar zehn- für einmal. Sie ging durch unsere Schuld verloren, durch ein Versagen der Führung" , und in dem anschließenden Urteil über die Qualität der höheren Führer.
Unterdes ist bei uns auch aus dem " Bulletin des Armées " die amtliche Darstellung der Ereignisse vom 2. August bis 2. Dezember von seiten Joffres bekannt geworden. Joffre hat in der oben berührten , von seinem Freunde wiedergegebenen Unterredung mit Äußerungen über die Führer, die man zum Teil aus dem amtlichen Bericht in dem „ Bulletin des Armées " herausfinden kann,
nicht zurückgehalten, er hat aber nichts über die oberste französische Heeresleitung gesagt. Daß Joffre durch den deutschen Aufmarsch mit seinem Schwerpunkt gegen die Nordgrenze Frankreichs überrascht worden ist, sein eigener, ursprünglicher Aufmarsch sich als verfehlt erwies, ist unbestreitbare Tatsache . Daß
der Generalissimus dann alles in Bewegung setzte, stärkere Kräfte nach der Nordgrenze zu werfen , ebenso, und das läßt sich, zwischen den Zeilen lesbar, auch aus dem amtlichen Bericht ersehen : „ Um uns instand zu setzen, unsere Hauptkräfte dort auftreten zu lassen, wo der Gegner die eifrigste Tätigkeit entwickelte, mußte unsere Versammlung elastisch sein. Die Verletzung der belgischen Neutralität unterrichtete uns über die Absichten des deutschen Generalstabs, im Norden mußte der Hauptteil unserer Streitkräfte versammelt werden. Da wir genötigt waren, zu warten, bis unsere Hauptstreitkräfte dort versammelt waren und die britische Armee, die dies vor dem 20. August nicht konnte , den Versammlungsraum erreicht hatte, wurden sofort Maßnahmen getroffen , in Elsaß- Lothringen so viel wie möglich an deutschen Kräften zu binden. Unser erster Vorstoß in den Elsaß - der schlecht geleitet wurde - brachte uns — in den Besitz von
197
Zu Joffre's Äußerungen über französische Führer. Mülhausen,
wo wir uns
(7. August) .
aber
nicht lange
zu halten
vermochten
Bei einem zweiten Vorstoß unter Leitung des Generals
Pau (Armeen Dubail und Castelneau)
eroberten wir Mülhausen zum
zweiten Male und waren am 20. August im Besitz der Vogesen,
der
Ebene und der Zugänge nach Colmar. Der Feind selbst hatte starke Verluste erlitten. Von diesem Augenblick an nötigten uns die unglücklichen Geschehnisse in Lothringen und Belgien, im Elsaß zu beschränken (26. August). "
unsere Tätigkeit
Bekannt ist,
daß der erste
französische Operationsplan dahin ging, mit der britischen und belgischen Armee vereinigt durch Belgien hindurch , dann zwischen Metz und Straßburg, greifen .
endlich aus dem oberen Elsaß die Offensive
zu er-
Wie reimt sich damit der im amtlichen Berichte von Joffre
selbst zugegebene Gedanke abzuwarten , in welcher Front der Gegner seine Hauptkräfte aufmarschieren lasse und danach den eigenen Aufmarsch zu bewirken ? Wann hat Joffre den Plan, auch durch Belgien offensiv vorzustoßen, aufgegeben ?
„ Sobald die britische Armee ihren
Versammlungsraum um Mons erreicht hatte (was nach Frenchs amtlichem Bericht am 23. August
der Fall war,
da damals ,
von links
nach rechts gerechnet, das zweite britische Korps in der Linie CondéMons [einschließlich] , von Mons über eine Linie 7 km südlich Bray bis Binche, das erste britische Armeekorps, bei Binche auch die 5. selbständige Kavalleriebrigade, die Anschluß an das zwischen Binche Charleroi stehende, 3 Divisionen starke französische Reiterkorps Sordet
nehmen
sollte,
das seinerseits wieder
die Flanke der,
wie aus Joffres amtlichem Bericht ersehbar , rechts anstoßenden französischen Armee Lanrezac zu decken hatte), nahmen wir die Offensive in Belgisch-Luxemburg mit den Armeen Ruffey (bald durch Sarail ersetzt) und Langle de Cary auf. Diese Offensive kam sehr bald unter großen Verlusten für uns zum Stehen . durch den Gegner wieder kräftig verstärkt. unserer Korps stark zu
die Befehlsführung und
die
wünschen ( 21. bis 23. August). "
Hier war das Gelände
Auch ließen bei mehreren Ausführung Auf dem
der Befehle linken Flügel
dieser beiden Armeen (Ruffey und Langle de Cary) stand , in Fühlung mit der britischen Armee die Armee Lanrezac (bald durch Franchet d'Esperey ersetzt), die aus Besorgnis um ihre rechte Flanke auf Beaumont- Givet zurückging. "
In dem Moment , den Joffre für das
Ergreifen der Offensive der Armeen Ruffey und Langle de Cary in Belgisch-Limburg angibt, standen links von diesen in ihrem Aufmarschraum, nach seinem eigenen amtlichen Bericht, auch die Armeen Lanrezac und die britische . Wir werden in Joffres Bericht ebensowenig, wie in demjenigen von French etwas darüber verzeichnet finden, ob Lanrezac und French einen Befehl zur Teilnahme an der Vorbewegung erhalten haben. Aus dem amtlichen Bericht French's,
198
Zu Joffre's Äußerungen über französische Führer.
- der schon am 22. August sehr vorsichtigerweise eine Aufnahmeersieht man, daß am Vormittag stellung hatte erkunden lassen des 23. August French durch das französische Hauptquartier erfuhr , ein, höchstens zwei feindliche Korps und eine Kavalleriedivision seien vor der Front zu erwarten,
um 3 Uhr Nachmittags
die ihn
über-
raschende Meldung von seinem I. Korps erhielt, der Gegner gehe gegen die Linie Bray - Mons vor, das I. Korps habe seinen rechten Flügel schon auf die Höhen bei Bray zurückgenommen und die 5. Kavalleriebrigade Binche geräumt , um 5 ° Nachmittags auf dem französischen Großen Hauptquartier die telegraphische Meldung bei ihm einging : IV., IX. und 1 deutsches Reservekorps gehen von Tournai gegen den britischen linken Flügel umfassend vor. Die auf dem linken französischen, rechten britischen Flügel stehenden Reservedivisionen und die V. Armee (also Lanrezac) gehen zurück, da deutsche Heerteile die Übergänge zwischen Namur und Charleroi am 22. in Besitz genommen haben. " Danach ist zu schließen , daß French für die britische Armee zum 23. keine offensive Direktive erhalten hatte und anzunehmen , daß es für Lanrezac anders gewesen ist , da sein Zurückgehen sonst ein direktes Zuwiderhandeln gegen die Daß keine Weisungen des Großen Hauptquartiers gewesen wäre .
es ist kaum
offensive Direktive an die beiden genannten Armeen ergangen ist , kann man ja auch aus dem Wortlaut des amtlichen Joffreschen Berichts entnehmen . Damit wäre dann aber der Schluß berechtigt , daß Joffre nur mit der Hälfte der verfügbaren, mit der Front gegen Norden aufmarschierten 4 Armeen die Offensive angesetzt und daß am 23. August abends bei der französischen Oberheeresleitung der Gedanke an Rückzug schon vorherrschte. „Am 25. und 26. , so lesen wir in dem amtlichen Bericht Joffres , ging die britische Armee, die bei Landrecies und Le Cateau eine Niederlage erlitten (von der der amtliche Bericht Frenchs nichts sagt), auf die Marne zurück. In diesem Moment war die Lage folgende : Wir mußten entweder da, wo wir standen,
schlagen , unter
ungünstigen Umständen, die das Zurückschlagen unseres linken Flügels geschaffen, oder bis zu dem Augenblicke auf der ganzen Front zurückgehen, der uns erlaubte, unter günstigeren Verhältnissen wieder zur Offensive überzugehen. " Der amtliche Bericht sagt uns dann, daß die Rückwärtsbewegung unter mehrfachen offensiven Gegenstößen erfolgt sei, um die Loslösung vom Gegner zu bewirken , und als solche Gegenstöße nennt der Bericht die der Armee Lanrezac bei St. Quentin und Guise am 25. August, der Armee Langle de Cary in der Richtung auf die Maas 27. und 28. August, und der Armee Ruffey mehr östlich.
Der Bericht des
damaligen Generalquartiermeisters von Stein
vom 28. August hat uns nun gesagt, daß die Armeen von Bülow (II .)
199
Zu Joffre's Äußerungen über französische Führer.
und von Hausen (III. ) etwa 8 Korps französischer und belgischer Truppen zwischen Maas - Namur- Sambre schlugen und östlich Maubeuge vorbei verfolgten , während die Armee Kluck (I. ) die Briten bei Maubeuge warf und am 27. August unter Umfassung südwestlich Maubeuge erneut angriff.
Die französische Oberste Heeres-
leitung hat augenscheinlich Selbstkritik nicht geübt, sondern alle Verantwortung auf
die
ihr
unterstellten
Führer
abgewälzt.
Welche
Signatur die von Joffre genannten Gegenstöße getragen haben , ist aus dem Bericht des Generalquartiermeisters von Stein , der wohl etwas mehr Glauben verdient, leicht ersichtlich. Aus Joffres Äußerungen über die französischen Führer läßt sich entnehmen,
daß er
zwischen Generalen unterschied , die 1. schon vor dem Kriege sich als abgearbeitet und
müde,
oder auch unfähig
erwiesen hatten ,
deren
Entfernung aus ihren aktiven Dienststellungen zur Verjüngung der Armee und Hebung der höheren Führung Joffre auch versucht hat, aber durch Quertreibereien zu erreichen verhindert wurde ; 2. solche, die Zweifel an ihrer Brauchbarkeit erweckten , nach Joffres Willen auch
vor dem Kriege,
hätten
beseitigt werden
sollen,
aber
nicht
wurden ; 3. solchen, die das in sie gesetzte Vertrauen im Kriege nicht rechtfertigten und die der Generalissimus deshalb kurzerhand aus ihren Stellungen heimsendete . Der italienische General Corsi liest aus den Joffreschen Äußerungen heraus, daß bei manchen dieser Generale die Initiative bei den Operationen
und
die Zähigkeit im
Festhalten vorbereiteter Stellungen gemangelt habe . Joffre sagt auch ausdrücklich, die Verantwortlichkeit sei im Kriege oft eine derart schwere, daß sie selbst bei den verdienstvollsten Männern die glänzendsten Fähigkeiten lahmlege , und diese Katastrophe sei bei einigen seiner Führer eingetreten. Damit kommen wir auf eine schon längere Zeit vor dem Kriege hier einmal ausgesprochene Ansicht in bezug auf die Heranbildung der höheren Führer in Frankreich zurück, die unter anderem auch betonte, die Erziehung zur Verantwortungsfreudigkeit lasse im französischen Heere noch manches zu wünschen übrig. Joffres Äußerung, es sei ihm wegen Quertreibereien nicht gelungen, vor dem Kriege Generale, an deren Können er zweifelte, aus dem Heere zu entfernen, spricht 1. für die Richtigkeit unserer früher schon betonten Ansicht, nach der die Einheit der Gesichtspunkte bei der französischen Führung, trotz mehrjährigen Wirkens Joffres als Chef des Allgemeinen Generalstabes, des Oberen Kriegsrats, des Zentrums für die höheren militärischen Studien, der Generalstabsreisen im Armeeverbande, der Armeemanöver, des dauernden Zusammenwirkens des technischen Generalstabskomitees und des Oberen Kriegsrats mit dem designierten Generalissimus , dauernder Zuteilung ihrer Armeegeneralstäbe an die designierten Armeeoberkommandierenden
Literatur.
200
noch nicht voll erreicht war, als der Krieg ausbrach, da dazu eine längere Schulung nötig ; 2. politische Einflüsse , wie bei ihrer Ernennung zu ihren Stellungen , auch bei der Belassung von Generalen in diesen vor dem Kriege und beim Kriegsbeginn eine durchschlagende Rolle gespielt haben. Solche Einflüsse lassen sich in einer demokratischen Republik, wo der oft wechselnde oberste Kriegsherr eine politische Persönlichkeit ist, schwer beseitigen , bestehen aber da nicht, wo ein Monarch auch als oberster Kriegsherr an der Spitze des auf 18 ihn eingeschworenen Heeres steht.
Literatur. Bücher. Bismarck.
Sein Leben
und sein Werk.
Adolf Matthias.
C. H.
Becksche Verlagsbuchhandlung ( Oskar Beck) , München . 5 M. Anläßlich des hundertsten Geburtsjahres unseres Altreichskanzlers sind zahllose Werke über sein Leben, große und kleine, erschienen ; unter ihnen nimmt das uns vorliegende eine hervorragende Stelle ein. War uns der Verfasser bisher als Ästhetiker lieb und bekannt, so hat er es hier verstanden , ein Stück Weltgeschichte mit meisterhafter Anschaulichkeit und Kürze vor uns zu entrollen . Der größte deutsche Mann , dessen Andenken - und vielleicht im Augenblick ganz besonders - jeder Deutsche heilig hält, wird uns geschildert als Mensch, als Staatsmann und als lebensmüder Greis . Als Mensch bis zu seinem Eintritt in den Staatsdienst ; denn zu dessen Zeit war sein Charakter ein fertiger, abgeschlossener. Wir bewundern den freimütigen Knaben, der in seiner Selbständigkeit den großen Charakter früh verrät ; und die darauf folgenden Jugendjahre lassen uns einen Einblick in die Tiefe seines Gemüts- und Glaubenslebens tun , in die Zartheit der Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern . Treue zum Herrscherhaus ist immer der Untergrund der Empfindungen des großen Mannes , bis er dieselbe durch den Eintritt in den öffentlichen Staatsdienst in der Tat beweisen soll und kann . Meisterhaft hat der Verfasser es verstanden, die großen geschichtlichen Ereignisse klar und packend wiederzugeben. Die Geschichte des großen Revolutionsjahres umfaßt er mit 20, die des Deutsch- Französischen Krieges mit 30 Seiten, und zwar in einer Lebendigkeit der Schilderung, die alles leicht verstehen läßt ; darum scheint uns das Werk für die heranwachsende Jugend auch ganz besonders geeignet. Mit Ehrfurcht ruht der Blick auf dem alten Herrn, der nach vollbrachter, überreicher Lebensarbeit seine Tage in der Zurückgezogenheit des Sachsenwaldes beschließt, auch hier noch sein ganzes Denken dem Wohle des deutschen Volkes widmend. Wer das Buch aufmerksam liest, wird es voll empfinden, wie viel wir ihm zu danken haben, dem Schöpfer und Erhalter des Deutschen Reiches, dem Mann von Eisen und Stahl, unserem Bismarck ! M. D. Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.
Einem
1845
Siebzigjährigen.
25. April
1915.
Der verdienstvolle Schriftleiter der Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine und Gründer des Deutschen Wehrvereins , General Keim , der schon im Jahre 1866 sein Blut für das Vaterland vergoß, am Feldzuge 1870 mit Auszeichnung teilnahm und jetzt als Militärgouverneur eine belgische Provinz vorbildlich verwaltet, hat seinen siebzigsten Geburtstag begangen .
Wenn wir das Leben dieses Mannes
von echtem Schrot und Korn verfolgen, so entrollt sich uns ein vorbildliches Soldatenleben,
getragen von starker,
mannhafter Treue zu
Kaiser und Reich, wahrhafter, hingebender Vaterlandsliebe,
aber frei
von kleinlichen Erwägungen oder gar Rücksichtnahme auf eigenen Vorteil. Dieser hochbegabte und aufrechte deutsche Mann hat nie um Anerkennung gebuhlt oder nach äußeren Ehren getrachtet. Seines Handelns Zweck und Ziel war stets der Gedanke : Was dient dem deutschen Volke ?
Das war sein Leitstern
immer und
überall, war
es in seinem erfolgreichen Wirken im Wehrverein, ist es jetzt bei der schwierigen Arbeit in Belgien. Wenn irgendwo, so steht dort der rechte Mann am rechten Platze. Ohne Schwäche und Schwanken geht er seinen Weg, nur geleitet von den Geboten der Pflicht, aber warmen Herzens
für die seiner Sorge unterstellte Bevölkerung,
die
ihm , obschon er strenge deutsche Zucht hält und unbeugsame Ruhe und Ordnung verlangt, mehr und mehr Vertrauen entgegenbringt , da er sich ihrer in allen Nöten annimmt. Was der Wehrverein leisten konnte und noch leistet zum Wohle des Vaterlandes, ist im wesentlichen das Werk seines Gründers, dessen Geist in ihm lebt und webt . Die warme Anerkennung, die die vaterländische Arbeit des Wehrvereins in allen treuen deutschen Kreisen findet, ist die beste Rechtfertigung für
seinen Gründer,
der
sich
durch keine Schmähung
oder
Ent-
täuschung in seinem selbstlosen Wirken für des Vaterlandes Wohl hat beirren lassen.
XXI.
Die Auslandspresse neuen Offensive des
über
den
Erfolg
der
Süd- und Nordflügels
der Verbündeten im Osten .
Auf die verhältnismäßig kurze Zeitspanne vom 1. bis 21. Februar häuft sich eine Reihe von Geschehnissen, die aus Rußlands noch nach dem
1. Februar offiziell in
Presse
stark tönender
der
Duma,
Generalstabsberichten und
Siegesgewißheitsfanfare
eine
arge Chamade,
aus verwegenen, unberechtigten Hoffnungen starke Enttäuschungen , aus Prahlereien das gezwungene Zugeben der Niederlage werden ließen . Um den 1. Februar herum schrieben - wir geben nur dem Sinne nach Auszüge aus einer Reihe von gleichzeitigen Auslassungen russischer Zeitungen militärische Mitarbeiter des „ Armeeboten " , des „ Rjetsch “ , der „ Nowoje Wremia" und mehrerer anderer russischen Blätter „ von den gigantischen Plänen der russischen Heeresleitung, Aufgeben des Systems von der
der
Schützengräben und Rückkehr zum
Strategie
des
Bewegungskriege,
Zusammenwirkens getrennter,
dem Feinde
geradezu disparat erscheinender Truppenmassen, an deren Gelingen man beinahe verzweifeln müsse , wenn nicht der glänzende Zustand der russischen Kavallerie (von der man also
doch die Sicherstellung
des Zusammenwirkens der disparat erscheinenden Truppenmassen erwartete), dazu ermutige, von einer unaufhaltsamen Offensive, die mindestens sechs Monate fortgesetzt werden dürfte, von der ungewöhnlichen Bedeutung, die demnächst der Kriegsschauplatz an der ostpreußischen Grenze annehmen werde, eine Bedeutung, vor der diejenige der Lage vor Warschau verschwinden werde. " Österreichische Zeitungen und selbst ein italienischer Militärkritiker haben damals die Überzeugung ausgesprochen , „daß die erfolgreiche Leitung von auf Hunderten von Kilometern messender Front getrennter Heeresteile durch die Direktiven des Großen Hauptquartiers zur unabweisbaren Vorbedingung die Einheit der Gesichts14 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 524.
202
Die Auslandspresse über den Erfolg der neuen Offensive im Osten.
punkte bei der hohen Führung habe , diese aber schon im ersten Feldzugsabschnitte bei den russischen Armeeführern gemangelt habe. " Ehe die neue deutsche Offensive in Ostpreußen bekannt wurde, schrieb der „ Berner Bund " dem Sinne nach, „man werde durch die große von Tilsit
bis
Jakobeny
in
der Bukowina reichende
Ausbreitung
geradezu auf die Frage gestoßen, ob die exzentrischen Operationen, die man russischerseits mit besonderen Kräftegruppen im Norden gegen Ost- und Westpreußen , im Süden in der Bukowina führte , schon einen Teil der angekündigten gigantischen Offensive bildeten , oder als Diversionen anzusehen seien, denen im Süden , in der Bukowina, auch ein auf Rumänien zielender politischer Nebenton gegeben werde. „Es hat", so schrieb der ,, Berner Bund" am 11. Februar dem Sinne nach,,,den Anschein, daß die Verbündeten die Lage ausnutzen, auf der ganzen Karpathenfront vorfühlend, die russische weitgespannte Front rechts überflügeln und frontal angreifen wollen. Das wäre ohne zu große Ausdehnung der eigenen Front möglich, wenn zu diesem Zwecke selbständige Heeresgruppen der Verbündeten in Bewegung gesetzt würden . " Zu derselben Zeit wurde von Bukarest aus das Urteil der „ Independence “ über die Kriegslage im Osten bekannt - ,,die Russen räumen nicht nur die Bukowina, sondern, nach eigenem Eingeständnis , auch die Karpathenpässe. Das bedeutet, daß der Druck der österreichisch-ungarischen-deutschen Armeen sich so stark fühlbar macht, daß die Russen, trotz ihrer numerischen Überlegenheit, nicht mehr so groß ist wie im August , Im allgemeinen bedeutet
die freilich
sich zurückziehen mußten .
die lebhaftere Tätigkeit in Galizien vermut-
lich, daß diese Provinz vom Gegner geräumt werden soll . Wenn es richtig ist, daß die Verbündeten auch bei Kolomea erfolgreich kämpfen , so wird man sich daran gewöhnen müssen , daß die russische Flagge auch in Lemberg in kurzem in Gefahr sein wird. Die Räumung der Bukowina und von Teilen der Karpathenpässe sind zwei wichtige Abschnitte des Krieges . Wenn die Russen nicht bedeutende Verstärkungen erhalten, sind beide Ereignisse berufen , einen großen Einfluß auf den weiteren Verlauf des Krieges zu üben . " Und in derselben Zeit urteilte der Berichterstatter des . ,Az Est" über die Kämpfe am Duklapaß : Das Hauptziel der dortigen russischen Offensive ist einerseits, die Erfolge der Verbündeten in den Ostkarpathen zu paralysieren , anderseits die Bahnlinie Jaslo -Lemberg, die für sie eine Lebensfrage ist, zu verteidigen . Der Hauptangriff fand am 3. Februar nachmittags bis zum 4. Februar abends statt." Die Verluste der Russen am Duklapaß und Umgebung gaben Wiener Nachrichten auf 60 000 Tote und Verwundete an. Das
Die Auslandspresse über den Erfolg der neuen Offensive im Osten.
203
Niederbrechen der russischen Offensive in der Bukowina , das Mißglücken russischer Versuche , die deutsche Stellung in Ostpreußen von Norden her , von ihrem linken Flügel aus , einzudrücken , mußten in Petersburg bekannt sein , als in der Duma deren Präsident , der Ministerpräsident Goremykin , und der Minister des Äußeren , Sasonow , sich nicht scheuten , ein Lügengewebe gröbster Art zu spinnen . Als einzige Wahrheit enthielt die sonst nur eine inspirierte Komödie, ein Versuchsmittel zur Hebung der Kriegsbegeisterung der Bevölkerung darstellende Prahlrede nur die Auslassungen über die bei Ausgang des Krieges angestrebten Ziele Rußlands in den Dardanellen , dem Schwarzen Meer und dem Balkan. Ziele, die den Neutralen die Augen wohl völlig öffnen könnten. Lassen wir die politischen bewußten Lügen und Entstellungen beiseite. 99 Wie ein Fels im brüllenden Meer hält die Armee stand. Der Krieg wird und muß ein siegreicher sein. Wir werden kämpfen, bis die Feinde die Friedensbedingungen annehmen, die wir Ihnen diktieren werden " , lautete der die Armee berührende Auftakt des Dumapräsidenten . Kräftiger noch klang schon der erste Ton der Lobes- und Siegesgewißheitsposaune des Ministerpräsidenten Goremykin : „ Jetzt, da sich der glückliche Ausgang des Krieges immer klarer abzeichnet, setzt sich der tiefe Glaube des russischen Volkes an den endlichen Triumph in Sicherheit um ... Die Taten unserer Truppen und die wertvollen Dienste unserer Verdie große Anstrengung machen,
bündeten,
um
den Feind
nieder-
zuschlagen, der schon schwächer wird, bringen uns jeden Tag dem Die feste Eintracht aller Russen, die der ersehnten Ziele näher. Krieg hervorrief, ist nach der Eroberung von Galizien, das die letzte Blüte war, die an der lebensvollen Krone des Zaren noch gefehlt hat, stärker geworden. " Und dann setzte Sasonow ein : „ Rußland hat sich in bewundernswürdiger und mutiger Weise in seinem Angegen den Feind gezeigt , der es herausgefordert hatte . Die standhaften russischen Truppen reichen den Verbündeten die Hand und flochten ihrer Ruhmeskrone neue Lorbeeren ein. Die russischen
sturm
Heere marschieren heute auf ihr Ziel zu und sehen den glücklichen des schließlichen Triumphes über den Feind, der sich leichte Siege vortäuschte und verzweifelte Anstrengungen macht, der
Augenblick
auf alle Mittel zurückgreift , heit, entgegen. " Wie
ein Nackenschlag
selbst das
der Verfälschung der Wahr-
schwerster Art für die Verfälscher der
Wahrheit in der russischen Duma waren die Ereignisse, die auf dem russischen Südflügel schon damals eingetreten waren, auf dem Nordflügel vier Tage später einsetzten , vor allem wieder in Ostpreußen der 14*
204
Die Auslandspresse über den Erfolg der neuen Offensive im Osten.
deutschen Heeresleitung im Osten in der neuntägigen Winterschlacht in Masuren den Beweis in die Hand gaben, eine Überraschung für die russische Armee bereitet zu haben , die der Schlacht von Tannenberg nicht nur gleich kam, sondern sie in ihren Folgen und auch in der Vernichtung einer Armee noch überholte . Es ist als Bild des Grades von Wahrheitsliebe von hohem Interesse , wie das Ausland über die Kriegsführung der Verbündeten im Osten urteilte. Mit erfreulicher Objektivität haben auch jetzt wieder zunächst einige Schweizer Blätter ihre Ansicht veröffentlicht, an der Spitze der ,, Berner Bund" und die ,, Neue Züricher Zeitung“ . Am 14., 15. und 17. Februar schrieb der Erstgenannte über die Kriegslage — was wir hier nur im Auszuge wiedergeben : ,,Aus der Meldung des russischen Generalstabes vom 11. Februar über die endgültige Feststellung größerer deutscher Streitkräfte in Ostpreußen konnte man schon einen russischen Rückschlag östlich der Masurischen Seen herauslesen, und zwar noch ehe darüber eine deutsche Meldung eingelaufen war. Dort sind also Operationen großen Stils im Gange, wie wir sie in unserem Bericht vom 11. Februar schon angekündigt . " Dort war gesagt,,,daß die Entscheidung in Polen nun durch Gegenstöße in den Karpathen und in Ostpreußen beeinflußt werden könnte, besonders weil sie gegen erschütterte Truppen geführt und wahrscheinlich auch von frisch gebildeten Heereskörpern unternommen würden. Am 14. Februar war die Bestätigung da. Eine plötzlich vorbrechende deutsche Offensive in Ostpreußen hat die Russen über die Grenzen gefegt und ihnen schwere Verluste beigebracht. Schon die russische Meldung ließ auf übereilten Rückzug schließen. Aus der ersten deutschen Meldung über größere Kämpfe möchte man annehmen, daß die 26000 Gefangenen eingekesselt oder verbraucht, das Gewehr streckten . In jedem Falle ist der russische rechte Flügel arg zugerichtet und weit abgedrängt, zum Teil sogar abgeschnitten . Auch weiter südöstlich scheinen die Deutschen aus Ostpreußen vorgebrochen zu sein, um den Angriff rechts der Weichsel in den Rücken der Warschauer Front zu tragen . Da die Deutschen auf der Linie Wloclawek- Mlawa ( 16. Februar schon Plock und Bielsk nach erfolgreichen Kämpfen in deutschem Besitz) wieder offensiv geworden sind, so sehen wir deutsche Truppen in breiter Front auf dem Vormarsch gegen die Linie Wilna - Bialystok - Warschau begriffen, wobei nicht gesagt werden soll, daß die Bewegungen geradlinig erfolgen müssen . Den Russen ist die neue Hindenburgsche Kombination und Konüberraschend gekommen, die Offensive hat sie nicht nur
zentration
an der Kontaktstelle zum Weichen gebracht, sondern beeinflußt auch ihre strategische Gesamtlage weiter in ungünstiger Weise . Ihr rechter
Die Auslandspresse über den Erfolg der neuen Offensive im Osten.
205
Flügel, der umfassen wollte, ist umfaßt worden und wird Mühe haben , sich wieder zu setzen. Auf die von ihnen angekündigte Neugruppierung kann man gespannt sein, sie wird weit rückwärts erfolgen müssen . (Kann man heute bei den Trümmern der X. Armee überhaupt noch von einer solchen sprechen ? Bei dieser Armee wurden 56. , 57. , 73. Division, neben der 27. in Berichten von Kriegsberichterstattern als vernichtet bzw. stark zerfleddert genannt. Die drei erstgenannten haben im Frieden nicht bestanden, sind also Reserveformationen , die der X. Armee beigegeben waren, während die 27. Division dem III. Korps , Wilna, in dem Militärbezirk gleichen Namens, ebenso wie das XX . Korps, angehört, das zunächst zur Armee Rennenkampf, I. , rechnete . ) Auf ihrem äußersten linken Flügel in der Bukowina haben sie den Gegenstößen nicht mehr Widerstand leisten gekonnt und sind in die Gegend von Czernowitz und gegen Nordosten zurückgewichen. Da die Verbündeten
im Besitz der Serethlinie
sind und gegen den
Pruth marschieren (unterdessen schon über den Sereth, bei Kolomea Pruthlinie in den Händen der Verbündeten), so macht sich auch die vermutete Rückwärtsbewegung des russischen linken Flügels deutlich bemerkbar.
Dagegen halten die Russen noch an den Karpathen fest .
,,Gelingt es", so schrieb damals der „ Bund " weiter, den Deutschen, die Weichselfront von Norden her durch ihre frische Offensive neueingesetzter Truppen in raumgreifenden Bewegungsschlachten zu umfassen und drückt die Gegenoffensive der Verbündeten auch von der Bukowina und aus den Karpathen stärker auf die Stry- und Dunajeclinie mit der Tendenz, den um Przemysl und gegen die Dunajeclinie stehenden Russen die Lemberger Rückzugslinie abzuschneiden, so wird die russische Heeresleitung an allgemeinen Rückzug denken müssen, wenn die Weichsel bei Warschau und Iwangorod noch rechtzeitig überschritten werden soll." Am 15. Februar, ehe es möglich war, den ganzen Umfang des deutschen Erfolges im ,,Bund“:
„ Die neuen Meldungen zeigen,
Russen ihren
zu übersehen,
las man
in welchem Umfang die
Rückzug beschleunigen mußten , um aus dem Seen-
gelände herauszukommen, wo sie sich plötzlich von allen Seiten überflügelt sahen. Die Vermutung, daß sie bis zu ihren Festungen zurückgehen müßten,
falls sie nicht
starke Zwischenstellungen vorbereitet,
gewinnt immer mehr an Wahrscheinlichkeit. Das wäre gleichbedeutend mit dem Rückzug hinter den Njemen, Bobr und Narew. Damit würde ihre Gesamtfront nördlich Warschau geknickt erscheinen (schon durch die Besetzung von Plock- Razionds bewirkt). Es bleibt aber zu bedenken, daß die Forts
der genannten Flußabschnitte
in wider-
standsfähigem Zustande sein werden und daß die Russen doch irgendwoher von Kowno (schon verunglückter Versuch) oder Warschau (die
206
Die Auslandspresse über den Erfolg der neuen Offensive im Osten .
schon bei Plock stattgefundenen , für uns erfolgreichen Kämpfe ließen auch diesen Versuch als gescheitert erscheinen), heranführen werden. Auf dem rechten Weichselufer hatte es bis dahin seit Wochen geheißen, daß die Russen Boden gewännen. Es wird sich nun zeigen, ob der deutsche Gegenstoß diesmal,
wie vermutet werden darf,
Charakter eines durchzuführenden Angriffs,
den
der seitens der rechten
Flügelgruppe einer mit versammelten Kräften vorgehenden Nordarmee erfolgt, oder ob es sich nur um eine Diversion handelt.
Wichtig ist
wieder die Verdrängung der Russen am Duklapaß . Hier hatten sie auch diesmal wieder mit sicherem Instinkt zur Offensive angesetzt, um noch einmal auf Bartfeld in die Flanke der galizischen Front zu stoßen und die Dunajec- von der Karpathengruppe
abzusprengen .
Diese Versuche erscheinen gescheitert, der Paß in der Hand der Verbündeten zu sein . Die Russen befinden sich noch im Besitz der Nordausgänge der Westkarpathen, wenn ihnen auch die Übergänge verlorengegangen sind. Dagegen ist ihre exzentrische Offensive auf ihrem äußersten linken Flügel in der Bukowina zu ihrem Verhängnis geworden. Die exzentrisch wirkende Expansion hat sich übel gelohnt. " Am 17. Februar wies der " Bund " auf seine Betrachtungen vom 11.,
14. und
15. Februar
russischen Flügeldiversionen
zurück,
„ auf das Absprengen der
vom Zentrum, auf die
nur bestehende
Möglichkeit, eine Neugruppierung weiter rückwärts, wenn überhaupt tunlich , zu bewirken " . Die ganze ungeheure russische Front ist auf den Flügeln eingedrückt . ,,Die
Russen
haben schwere Verluste
erlitten,
wie bei
einer
solchen Überraschung vorauszusehen war, Verluste , die 150000 Mann übersteigen. Sie sind bemüht, die Flügel möglichst zu verkürzen . “ 29 Die Neue Züricher Zeitung , die dem Sieg in der neuntägigen Winterschlacht in Masuren schon vorher echt Hindenburgsches Gepräge zuerkannt", schrieb am 20. Februar, 29. Kriegswoche
nachdem sie bemerkt ,
daß die
ein wirklich großes Ereignis aufweise : „ Die schon
im letzten Wochenbericht gemeldeten Operationen in Ostpreußen haben zu einer völligen Zertrümmerung der russischen X. Armee geführt Eine Front von 300 km Ausdehnung ist von den Russen freigemacht. " Am 14. Februar beurteilte der militärische Kritiker der „ Basler Nachrichten
die Lage wie folgt : „ Auf dem östlichen Kriegsschauplatz
macht sich gegenwärtig
ein doppelter Druck gegen die Russen stark
fühlbar, von Norden aus Ostpreußen und von Süden her durch die Karpathen und die Bukowina. Kommen die deutschen und österreichischen Armeen in diesen Richtungen vorwärts, so wird sich das in Bälde auch in Polen und Westgalizien fühlbar machen. Die Russen scheinen nicht in der Lage zu sein , die Vorteile auszunutzen , die
Die Auslandspresse über den Erfolg der neuen Offensive im Osten. ihnen der Umstand gibt, Hauptgruppen angreifen. "
daß ihre Gegner
207
in zwei weitgetrennten
An demselben Tage war in einem Teil
zu lesen : „ Die Konzentration von 4 neuen deutschen Armeekorps in Ostpreußen ohne Wissen der russischen Heeresleitung beweist aufs neue das überlegene organisatorische Können der Deutschen. Der neue Sieg ist mehr strategischer, als taktischer der dänischen Zeitungen
Natur ... Auch in Nordpolen sind die deutschen Fortschritte unbezweifelbar. Das Land nördlich von der Weichsel wird jetzt ein Schlachtfeld von Bedeutung werden." Während die Mehrzahl der französischen Blätter am 14. Februar noch den russischen Rückzug aus Ostpreußen schweigend überging, einzelne Zeitungen aussprachen, die Rückwärtsbewegung sei nur erfolgt, um die Deutschen in besseren Stellungen besser schlagen zu können, „ Echo de Paris " sich zu der Behauptung erhob : „ Die Russen führten die Operationen mit bewunderungswerter Geschicklichkeit und Kühnheit, alles beweise, daß die Deutschen zu ihrer Offensive kein Vertrauen hätten " ,
gaben ,,Humanité“ und „, Radical"
zu ,
daß die
Russen in Ostpreußen in vollem Rückzuge begriffen seien, man müsse die Meisterschaft bewundern , mit der Hindenburg das Eisenbahnnetz ausnutze. Der Vorstoß könne Hindenburg einen großen Erfolg sichern, wenn die Russen
nicht genügend Widerstand leisten.
An demselben
Tage gab der Generalstab des russischen Generalissimus nur folgendes
bekannt :
,, In der Gegend von Lyk- Raigrod und Grajewo
zeichnen sich die Kämpfe durch besondere Hartnäckigkeit aus. Weiter nördlich gehen unsere Truppen auf die befestigte Njemenlinie zurück, gedrängt von starken
deutschen
Kräften ."
(Und
an diesem Tage
hatte die neuntägige Winterschlacht in Masuren den Höhepunkt zum mindesten erreicht und war die schwere Niederlage der X. Armee, von mindestens 11 Infanterie- und mehreren Kavalleriedivisionen , schon ausgesprochen. ) Erst am 16. Februar, 10 ° abends, gab der Generalstab des Generalissimus einigermaßen wenigstens eine gezwungene allgemeine Rückwärts bewegung
zu : ,, In der Gegend von Augustowo
haben unsere Truppen am 15. Februar mit an Zahl überlegenen deutschen Streitkräften , die versuchten , unsere beiden Flügel einzuschließen , hartnäckig gekämpft . Eine feindliche Kolonne marschiert von Grajewo auf Ossowiecz. Zwischen der Weichsel und der Srkwa hat der Feind die Front Plock- Razionsk erreicht. " Das war an dem Tage,
an dem die Meldung aus dem deutschen Großen Haupt-
quartier schon eine Vernichtung der russischen X. Armee wenigstens andeuten konnte. Blätter von der
Wieder an demselben Tage sprachen schwedische „katastrophalen Niederlage der Russen an den
Masurischen Seen", verglichen die Flucht der X. Armee nach Augustowo-
208
Die Auslandspresse über den Erfolg der neuen Offensive im Osten
Suwalki mit dem ersten Rückzug und äußerten zuversichtlich ,
daß
,, es diesmal den Russen nicht gelingen werde , die deutsche Offensive im Gouvernement Suwalki zum Stehen zu bringen ." Sie betonten auch die sehr pessimistischen Stimmen von Blättern aus Petersburg, ,,die nicht einmal mehr das Vertrauen hätten, daß die geschlagenen russischen Truppen den Schutz der befestigten Njemenlinie erreichen würden", während die russischen Blätter, die zugaben, man habe sich zu einer Rückwärtsbewegung gezwungen gesehen, wieder eine die weiteren Operationen erleichternde Neugruppierung als Grund betonten, nachdem der gegen Ostpreußen beabsichtigte Vorstoß nicht gelungen sei. Am längsten widerstrebte die englische Presse der Wahrheit . Die „ Morning Post " sprach noch von Siegen und erfolgreicher Offensive des russischen Generalissimus , als dieser schon selbst nicht mehr an solche glaubte .
Eine ganz besondere Leistung lieferte, als die Nieder- .
lage nicht mehr zu bestreiten war, der Temps . An die Stelle der Dampfwalze setzte er die Dreschmaschine des russischen Heeres , „, die die deutschen Armeen zermalme, bis zur vollen Erschöpfung Deutschlands ". Gegen den 19. Februar erst meldete der Berichterstatter der „ Daily News " seinem Blatte aus Petersburg: „ Der Mißerfolg der russischen Waffen scheint, obwohl von einem nicht wieder gutzumachenden Unglücksfall eigentlich keine Rede sein kann , doch von größerem Umfang gewesen zu sein , als anfänglich angenommen wurde. " Die Bekehrung des genantnen Blattes geht dann aber weiter : „ Die Nachrichten vom östlichen Kriegsschauplatze sind schlecht , und es wäre falsch zu sagen, daß es anders wäre. Hindenburgs neue Offensive hat auf jeden Fall mit einem bisher dauernden Erfolg eingesetzt.
Es
kann kein Zweifel sein,
daß die Russen in der Gegend
der Masurischen Seen eine schwere Niederlage erlitten haben. Gestern hat Petersburg die Niederlage zugegeben . " Das war das erste Eingeständnis der entscheidenden russischen Niederlage durch ein britisches Blatt .
Halbamtlich hat man , wie die Korrespondenzrundschau aus
Petersburg mitteilte, dennoch in Petersburg wieder Abwiegelungen versucht. „ Es hat sich in Ostpreußen, so verkündete man, um planmäßige Aktionen gehandelt, die nur durch das unerwartete Eintreffen sehr bedeutender deutscher Verstärkungen beschleunigt worden sind ... Eine neue Unternehmung zur endgültigen Erledigung der Operationen gegen Ostpreußen steht unmittelbar bevor" - eine Floskel, die den Stempel der Lüge und Prahlerei sichtbar an der Stirn trug. Am 20. Februar gab der Stab des Generalissimus bekannt : „Am 19. Februar gab es vereinzelte Gefechte auf dem rechten Ufer des Bobr und Narew und in der Gegend von Ossowiec und auf den nach Lomsha - Osro-
Die Auslandspresse über den Erfolg der neuen Offensive im Osten. lenka- Przasznyc
und Plonok
führenden
Straßen.
209
Sie trugen den
Charakter von Gegenangriffen . " Das täuschte der Generalissimus, als die IX. Armee, die nach Einbuße von 7 Generalen und 100000 Gefangenen, der gleichen Zahl mindestens an Toten und Verwundeten , von 300 Geschützen, als vernichtet mit vollem Recht zu bezeichnen war, dem russischen Volke noch vor. In der französischen Presse spielte damals der „ strategische Rückzug “ (auf beiden Flügeln) noch eine Rolle. Temps schrieb : „ Unsere Verbündeten haben eine Schlappe erlitten, das ist unbestreitbar, aber sie halten den Feind in Schach und töten ihm viele Soldaten. Sie halten ihn im Zaum und nehmen sogar die Offensive wieder auf. “ In einem Anfall von Ehrlichkeit äußerte sich der „ Figaro " : „Ein russischer Rückzug
erfolgt. ,
Man muß eingestehen,
daß Hindenburg
sein großer Feldherr ist“ um sich dann aber bald von seinem Petersburger Korrespondenten telegraphieren zu lassen : „ Ich bin in der Lage zu versichern, daß die Lage im ganzen durchaus zufriedenstellend ist." Übertrumpft wird er freilich noch von dem „ Matin " , der, nach einigen Sätzen über gut informierte, aber mißvergnügte Leute , die sich zuflüsterten , die Russen weichen in der Bukowina zurück, sind aus Ostpreußen hinausgeworfen , und in den Karpathen steht es faul “ , fortfährt : „ Das alles haben wir schon mehrmals gehört und werden es noch länger hören, bis man plötzlich mit Erstaunen bemerken wird , daß es eigentlich die Deutschen sind, die entscheidend geschlagen wurden “ . " Corriere della Sera" entdeckte sogar seine Fähigkeit zur Objektivität, die letzte Waffentat Hindenburgs verkündete er mit zollgroßen Lettern und bestritt sogar das Zutreffen der deutschen amtlichen Angaben über die Zahl der Gefangenen nicht . Die Militärkritiker italienischer Blätter zollten „ der Genialität dieses Heerführers laute Bewunderung, der das Menschen- und Waffenmaterial, das ihm sein Vaterland zur Verfügung stellte,
meisterhaft verwende " .
Die schwedischen Blätter
beleuchteten das „ Gigantische des Sieges in der Winterschlacht “ und „ Svensk Tagbladed " schrieb : „ Die Niederlage , die die Russen in Ostpreußen erlitten haben, nimmt
solchen Umfang an,
daß sie wie ein
lähmender Schlag selbst auf eine Armee wirken muß , die so unglaubliche Menschenmassen umfaßt wie die russische. Rußland wird sich während der nächsten Wochen und Monate, ja vielleicht während des ganzen Feldzuges in diesem Frontabschnitt wohl kaum mehr zu einer Offensivbewegung aufschwingen können. " Erst in dem „ Communiqué “ vom 21. Februar, 10 Uhr abends, gab der Generalstab des russischen Generalissimus verschleiert und beschönigend den Rückzug und den Verlust fast eines Armeekorps zu. Am 23. Februar fällte
210
Die Auslandspresse über den Erfolg der neuen Offensive im Osten.
der „ Bund" ein Schlußurteil über Hindenburgs letzte große Waffentat: 97 Gestern setzte die amtliche deutsche Meldung das Siegel unter die Vernichtung der russischen Narewarmee.
Auch wer sparsam um-
geht mit den Begriffen Sieg und Niederlage, muß hier von einem neuen klassischen Sieg Hindenburgs sprechen, diesmal nicht in einer stehenden Schlacht oder in einem großen Begegnungskampfe, sondern durch Die noch vollkommenere Mittel reiner Manöverkunst errungen. russischen Meldungen bestätigen durch das, was sie sagen und was sie verschweigen, die deutsche. Die russischen Heereskräfte sind also bleibend um etwa 250000 Mann geschwächt. Das ganze unersetzliche Material der Armee ist verloren. Den Einfluß auf die strategische Lage muß die Entwickelung lehren. Feldmarschall von Hindenburg aber gehört zu den seltenen und genialen Feldherren, die schöpferisch veranlagt sind und strategisch im großen gestalten und die Methodik in den Dienst einer selbständigen Kriegskunst zu stellen wissen.“ Um die Unwahrhaftigkeit der feindlishen Berichterstattung zu brandmarken, sei hier darauf hingewiesen , daß am 24. Februar abends noch der Generalissimus die Stirn hatte, amtlich bekanntzugeben, 99 die deutsche Nachricht, daß die X. Armee vernichtet sei, ist vollkommen erfunden. In Wirklichkeit befand
sich eines unserer Armeekorps der X, Armee
in einer schwierigen Lage, ein anderes Korps zog sich mit großen Verlusten auf die Stellung von Wirballen zurück . Was die anderen Korps dieser Armee betrifft, so halten sie, nachdem der Versuch des Feindes , sie einzuschließen, vereitelt worden, heute die ihnen zugewiesene Gegend ."
Zu dem
der Unwahrheit drückt sich aber die
,,Times" auch noch den Stempel der Lächerlichkeit
auf, indem sie
,,Hindenburg den Plagiator des Napoleon von 1912 " nennt. Mehr kann selbst an militärisch-stumpfsinniger Verlogenheit und mangelndem Rh. Verständnis nicht geleistet werden.
Bekämpfung ständiger Befestigungsanlagen durch Belagerungsartillerie. 211
XXII .
Bekämpfung ständiger Befestigungsanlagen durch Belagerungsartillerie . Von v. Richter, Generalmajor z. D.
So alt Befestigungen sind, so alt auch die zu ihrer Bezwingung aufgebotenen Kampfmittel. Zwischen ihnen hat sich ein Ringen um die Vorherrschaft entwickelt. Auf beiden Seiten sind Erfahrungen aus Belagerungen und sich
bietende Vervollkommnungen der Hilfs-
mittel zur Kräftigung von Angriff und Verteidigung fortschreitend nutzbar gemacht.
Von den
einstigen Stadtmauern ,
Erdwällen und
Gräben ist der Festungsbau über die kunstvollen Anlagen des Bastionärund
Polygonaltracés
mit ihrem Mauerwerk und
zu den großen Fortsfestungen Der
Angreifer,
vormals
ihren Kasematten
mit Beton und Panzer vorgeschritten.
auf mechanische
Hilfsmittel,
wie
Widder,
Schleudermaschinen, Türme usw. , angewiesen, um sich den Zugang zur belagerten Stadt zu öffnen, machte sich die Treibkraft des Pulvers zunutze und gelangte von den anfänglich rohen Kanonen und Mörsern zu den heutigen Geschützen, wahren Kunstwerken, die zwar noch die gleiche Bezeichnung wie ihre Vorgänger führen, aber mindestens so verschieden von ihnen sind wie
die Stadtmauern vom Panzerfort.
Er-
hielt dieses zur sicheren Unterbringung der Besatzung, Bewaffnung und Ausrüstung, zur Durchführung zähen und erfolgreichen Widerstandes sowohl bei Tage als bei Nacht,
zur Verbindung mit anderen
Werken usw. eine vielseitige Ausgestaltung unter Heranziehung aller neuzeitlichen Mittel der Technik, so wurde den Geschützen nach Tragweite, Treffähigkeit , Feuergeschwindigkeit sowie Stoß- und Sprengwirkung ihrer Geschosse eine nie geahnte Kraftentfaltung gegeben . In dem Wettbewerb um Überlegenheit sicherte eine,
bald die andere
längere Zeit
Seite den Vorsprung oder
annähernd gleichwertig gegenüber.
sie
sich
bald die
standen sich
So lagen die Aus-
sichten für den Verteidiger günstiger, solange die Leistungen und der Gebrauch der glatten Kanonen noch wenig entwickelt waren. Das Gegenteil begann sich geltend zu machen mit Einführung der gezogenen Geschütze und ihrer Massenverwendung. langte Übergewicht machte sich
Das von
der Artillerie er-
sofort ausgesprochen fühlbar ,
als in
den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts durch die Eigenschaften des rauchschwachen Pulvers, der brisanten Sprengladung und durch
212 Bekämpfung ständiger Befestigungsanlagen durch Belagerungsartillerie . vermehrte Anwendung kräftigen Steilfeuers
ein mächtiger Wirkungs-
zuwachs bevorstand . Das zwang zur Einführung widerstandsfähigerer Werkstoffe als Schutzmittel in die Festungsbauten. Über die Bestrebungen , die nach dem Feldzuge 1870/71 in allen Militärstaaten für Wirkungssteigerung der Belagerungsgeschütze einsetzten, und ihre Fortschritte gibt das klassische Werk „ Geschichte des Festungskrieges von 1885 bis 1905 " von Generalleutnant v . Müller Aufschluß. In Deutschland wurden neue 12 cm-, 15 cm- (Ring- ) und kurze 21 cm- Kanonen , 9,15 und 21 cm-Mörser eingeführt . Die dünnwandigen Stahlgranaten der 15 und 21 cm-Mörser erhielten anfangs Sprengladungen aus Schießbaumwolle, später aus Pikrinsäure. In Österreich , Frankreich und Rußland war man in gleicher Weise vorgegangen und es entstanden 12 und 15 cm- Kanonen mit gesteigerter Geschoßgeschwindigkeit, kurze schwere Kanonen oder Haubitzen von 18, 21 oder 22 cm,
Mörser von 15, 21 , 22 und 24 , in Frankreich
sogar 27 cm Seelendurchmesser.
Die größten Schußweiten schwankten
bei den Kanonen zwischen 7,2 bis 9,4 , bei den mittleren Mörsern zwischen 3,5 bis 4,0, bei den schweren zwischen 5,4 bis 6,5 km. Die Sprengladung betrug bei unseren 21 cm-Mörsern anfangs 19 kg Schießbaumwolle, bei den österreichischen 21 cm-Granaten 23,8 kg Ekrasit, den französischen 22 cm-Granaten 33 kg Melinit, bei den russischen 21 cm- Granaten 19 kg Schießwolle . Auf die kleinkalibrigen. fahrbaren Schnellfeuerkanonen soll hier, weil zur Bekämpfung von Befestigungsanlagen ungeeignet, nicht eingegangen werden. In der Hauptsache blieben die gewählten Geschützarten und Kaliber weiter bestehen, erfuhren aber in ihren Leistungen zu Beginn der neunziger Jahre vorigen Jahrhunderts, begünstigt durch die erwähnten neuen Erscheinungen, eine weitere , bis in die neueste Zeit hineinreichende Ausgestaltung . Hierbei erhielten die Schußweiten unserer Geschütze einen Zuwachs von 2 bis 3 km ; diejenigen anderer Staaten folgten darin nicht in gleichem Maße.
Bei uns und bei den
Russen trat eine weittragende 10 cm-Kanone hinzu, die außer Granaten wuchtige Schrapnels mit ausgedehntem Brennzünderbereich führen. In Frankreich scheint man sich erst kurz vor dem jetzigen Kriege zur Einführung haben. Durchweg
einer
war
sehr ähnlichen 12 cm-Kanone entschlossen zu
durch
die
gesteigerte
Anfangsgeschwindigkeit ,
höhere Querschnittsbelastung und günstigere Spitzenform der Geschosse für die Kanonen eine gestrecktere Flugbahn mit kleineren Fallwinkeln , allgemein eine wesentlich bessere Treffähigkeit und größere Stoßkraft der Geschosse erreicht. Die Tiefenwirkung der Schrapnelkugeln hatte wesentlich zugenommen.
Bekämpfung ständiger Befestigungsanlagen durch Belagerungsartillerie. 213
Zum Vergleich des
Unterschiedes in der Wirkung von Pulver-
und Minengranaten diene die Angabe, daß gegen gewachsenen, sandigen Boden jene, aus 21 cm-Mörsern verfeuert, einen Trichter von 0,7 bis 0,9 m Tiefe und etwa 2 m Durchmesser auswerfen, diese von 1,0 bis 1,6 m Tiefe und 4,0 bis 4,6 m Durchmesser. - Die Masse der ausgeworfenen Erde beträgt bei 15 cm- Sprenggranaten 6, bei 21 cmSprenggranaten etwa 13 cbm und ist in Lehmboden doppelt, in aufgeschüttetem dreimal so groß . — Aus Beton aufgeführte Gewölbe mit Erddecke von 3,0 m Dicke werden von 15 cm-Granaten in einer Stärke von 0,8 m, solche mit Erddecke von 4,0 m Dicke von 22 cmGranaten in einer von 1,5 m durchschlagen. Erst eine 5 bis 6 m . starke Erddecke schützt gegen Volltreffer derartiger Geschosse. Schon bevor die Leistungsfähigkeit der Belagerungsgeschütze durch die neuen Treib- und Sprengmittel zur vollen Höhe entwickelt war, erkannte man , daß die passive Widerstandskraft der Festungswerke gehoben werden müsse, um der wachsenden Überlegenheit der Artillerie Das geeignete Mittel dazu boten Beton die Spitze bieten zu können. und Geschützpanzer. Die Geeignetheit des Betons zum Schutze von Mauerbauten gegen die Stoß und Sprengkraft der neuen Granaten war als genügend erkannt. Die zutage liegenden Flächen von Mauerwerk erhielten eine Schutzschicht aus diesem Stoff. Gewölbe aus Beton versah man nach Bedarf mit Doppelbögen und Zwischenfüllung aus Sand. Die Einführung der Panzer ließ längere Zeit auf sich warten, teils weil sie noch vervollkommnungsbedürftig waren,
teils weil noch
nicht genügende Klarheit über ihre Kriegsbrauchbarkeit und völlige Geeignetheit für die verlangten Zwecke herrschte . Erst als die Belagerungsgeschütze hunderts erhöhte
zu Beginn des
letzten Jahrzehnts
vorigen Jahr-
Leistungsfähigkeit
erlangt hatten,
war auch die
Konstruktion der Panzer so weit vorgeschritten und ihre Gebrauchsfähigkeit erkannt, daß zu ihrer Verwendung im Festungsbau geschritten wurde,
um in Verbindung mit Beton die geforderte Schußsicherheit
aller Räume für Unterbringung von Personal und Material zu erreichen. Der den Turm umgebende Betonmantel ist allerdings vor Zerstörung nicht völlig sicher, denn ein Volltreffer eines 15,5 bzw. 22,0 cm- Geschosses erzeugt in ihm einen Trichter von 0,4 bis 0,6 m Tiefe und 1,2 bis 2,2 m Durchmesser, mit dem eine starke Erschütterung des ganzen Mantels verbunden ist. Dadurch wird der Zusammenhang der kleinsten Teilchen gelöst, am stärksten am Trichter und von da an kreisförmig abnehmend. Ein folgender, im Erschütterungsgebiet einschlagender Treffer kann dann bereits eine umfangreichere Zerstörung zur Folge haben.
Die verhältnismäßig kleinen Abmessungen
214 Bekämpfung ständiger Befestigungsanlagen durch Belagerungsartillerie.
des Zieles und seine der Beobachtung möglichst entzogene Lage gewähren indessen hohe Sicherheit gegen Treffer. Zu noch größerem Schutz hat man auch Vorpanzer aus Stahl eingestellt. — Panzerkuppeln sind fast ausschließlich dem Steilfeuer ausgesetzt. Gegen solche, deren Panzerdecke nur während des Schusses ein wenig gehoben und deren Scharte dabei dem Feinde zugekehrt wird , sind Treffer außerordentlich selten zu erwarten. Bei Geschützpanzern wird es sich im allgemeinen nur um starke Erschütterungen handeln und Platten von 15 bis 21 cm Stärke sollten allen Geschossen der aufgeführten Belagerungsgeschütze widerstehen. Zur Steigerung der Unverwundbarkeit der Panzer suchte
man
sie so anzulegen , daß sie der Sicht und Beobachtung entzogen werden . Deshalb baute man sie nicht mehr in die Forts ein , die ihrer Lage nach dem Angreifer meist bekannt sind, sondern vereinigte die Panzerbatterien in Gruppen
auf geeigneten Stellen des Geländes ,
Wirkung, aber auch Deckung gegen Sicht begünstigten.
die ihre
Von ihnen
aus war aber die Beobachtung gegen das Aufmarschgelände des Feindes mindestens sehr erschwert, weshalb besondere Beobachtungstürme geschaffen werden mußten.
Mit Recht wird da das Bedenken
erhoben , daß der Lärm des Feuers die Verständigung zwischen Beobachter und der Batterie stark beeinträchtigen, wenn nicht aufheben werde. Auch kann der Rauch vor dem Beobachtungsturm springender Geschosse das Auge der Batterie blenden und so ihre Feuertätigkeit unterbunden werden . Gegen die Panzertürme ist der Einwand geltend gemacht worden, sie begünstigten zu sehr die Deckung auf Kosten der Wirkung . Sollen aber einzelne,
wenige
Geschütze
unter
dem gegen
sie
gerichteten
Massenfeuer kampffähig bleiben und ihre Aufgaben bis zuletzt, d . h. bis zum Sturm , erfüllen können, so müssen sie nahezu unverwundbar gemacht werden. Das war mittelst des verwendeten Baustoffs und der Deckung gegen Sicht in hohem Grade erreicht .
Ihre Bedeutung hatte
dadurch gewonnen , daß ihre Geschütze eine größere Feuergeschwindigkeit ausüben konnten als die vorhandenen Belagerungsgeschütze, und ein Gesichtsfeld von 360 Grad umspannten. Die Gefahr von Klemmungen, hervorgerufen durch auftreffende Geschosse, und von das Atmen behindernden Gasen der Sprenggranaten,
die durch Fugen in
das Innere gelangen konnten , war auf konstruktivem Wege beseitigt. Hiernach konnte man von den Panzergeschützen erwarten, daß sie, selbst unbehelligt, die Entwickelung des Angreifers innerhalb ihrer Tragweite stören und demnächst seinen Batterien einen schweren Stand bereiten würden, zumal ihnen die Entfernungen nach den Zielen ziemlich genau bekannt sein müssen . Können sie bei näher-
Bekämpfung ständiger Befestigungsanlagen durch Belagerungsartillerie. 215 rückendem Angriff dauernd im Feuer bleiben, so erlangen sie eine gar nicht abzuschätzende Bedeutung. Anderseits muß der Gegner, sofern er ihre Lage nicht genau bestimmen kann, zu einem Streuverfahren greifen und für einen Erfolg große Munitionsmengen einsetzen, Bereitstellung und Heranschaffen und Arbeit verknüpft ist.
deren
mit einem Mehraufwande an Zeit
Im allgemeinen besaßen die eingeführten Panzer gegenüber den bis
1914 als Belagerungsgeschütze
bekannten
Kalibern ein
hohes,
passives Widerstandsvermögen, konnten den Angreifer zur Entfaltung bedeutender Mittel und Kräfte zwingen und ihm dadurch Aufenthalt bereiten. In der Wirkung ihrer und der sonstigen Kampfgeschütze mußte die höhere Feuergeschwindigkeit und Bekanntschaft mit dem Vorgelände zur Geltung kommen, und ihre gewachsene Tragweite konnte nicht ohne Einfluß auf das Vorgehen des Angreifers zur Einschließung und die Entfernung der Hauptartilleriestellung bleiben. Die Belagerungsartillerie ihrerseits zog aus den neueren Errungenschaften den Vorteil, daß sie durch die vergrößerten Schußweiten und die bessere Treffähigkeit in der Wahl ihrer Stellungen unabhängiger wurde , eine erhöhte Geschützzahl zu Massenfeuer zusammenfassen konnte
und die
Möglichkeit zum Bombardement
solcher Festungen
behielt, deren Fortsgürtel nur mit einem Radius von 7 km über die Hauptumwallung vorgeschoben war, ein Abstand , der ganz ausnahmsweise bei den größten Festungen, wie Paris und Antwerpen , überschritten ist. Die gesteigerte Feuergeschwindigkeit gestattete, entweder eine bestimmte Munitionsmenge mit weniger Geschützen oder mit bestimmter Geschützzahl eine größere Munitionsmenge zu Massenwirkung in die Festung zu senden. Das rauchschwache Pulver erschwerte das Auffinden der Angriffsbatterien und die Beobachtung dagegen. Die Frage ,
ob in dem Wettstreit
nach Überlegenheit den Be-
festigungsanlagen oder der Belagerungsartillerie der Vorrang gebühre, ist durch das Auftreten der 42 und 30,5 cm-Mörser 1914 in Belgien und
Frankreich
zunächst sehr entschieden zugunsten der Artillerie
beantwortet worden.
Ihre Geschosse haben nicht bloß die getroffenen
Betonbauten völlig zerstört, sondern auch Panzer durchschlagen und die beschossenen Werke in Trümmerhaufen verwandelt. Dem moralische Eindruck in Verbindung mit den atemraubenden Gasen hat die Besatzung
nicht
standzuhalten vermocht.
Die außerordentliche Stoß-
und Sprengwirkung der Geschosse hat über die widerstandsfähigsten Bauten triumphiert , und zunächst muß bezweifelt werden , ob es den Ingenieuren gelingen wird , dagegen aufzukommen . Aber es sind nicht allein die ständigen Anlagen der Forts ,
216 Bekämpfung ständiger Befestigungsanlagen durch Belagerungsartillerie. Zwischenwerke und Stadtumwallung, die dem Angreifer entgegentreten , Sie sind gedacht sondern unter Umständen auch Vorfeldstellungen. zu dem Zweck, die Einschließung fernzuhalten und zu verzögern , besonders dem Angreifer das Gelände für die erste Artilleriestellung strittig zu machen, und weiterhin , Zeit zu gewinnen, sei es für Vervollständigung unfertiger Festungsanlagen , sei es, um die Gesamtdauer der Verteidigung zu verlängern. Aus letzterem Grunde befürworteten die die Aufgabe einer Festung erfüllt hielten , sobald sie ein starkes Belagerungskorps auf sich gezogen und es möglichst lange festgehalten habe. In Deutschland hielt man vorgeschobene
sie diejenigen,
Stellungen nur des Zeitgewinns wegen für nicht gerechtfertigt. Die darin kämpfenden Truppen würden im Falle einer Niederlage ungünstig auf die Verteidiger einwirken. Die Festung müsse aus eigener Kraft im Artilleriekampf den Sieg erstreben. In Frankreich dagegen wurde solchen Stellungen hoher Wert beigemessen und auch schon im Frieden für ihre Verteidigung durch Infanterie,
Fußartillerie und Maschinen-
gewehre, Anlage schußsicherer Unterkunftsräume usw. Vorsorge getroffen . Auf einen Angriff von Deutschland her berechnet, verlegte man sie in das Gelände des voraussichtlichen feindlichen Anrückens. So bilden sie ein Glied der ständigen Befestigungen, das bei drohender Kriegsgefahr oder noch während des Vormarsches der Einschließungsarmee weiter ausgestaltet werden kann, ohne daß es dazu an Kräften fehlen wird. Um das Maß ihres Abstandes vom Fortsgürtel zwingen sie den Angreifer, seine Maßregeln früher zu ergreifen. Nur nach einer bestimmten Richtung vorgetrieben ,
sind
diese
Anlagen leicht der Umfassung ausgesetzt und flankierendes Feuer kann ihnen am gefährlichsten werden. Deshalb bedürfen sie, sollen sie ihren Zweck auf länger hinaus erfüllen , einer Flankenanlehnung, die ihnen in dieser Hinsicht Schutz gewährt. die Festung ausgeführt werden, Flanken weniger
so
brauchten
Könnten sie rings um sie Angriffe auf
die
zu fürchten und wären zugleich in der überallhin
gerichteten Front .
ihrer Stärke,
schwer
zu bewältigen .
Zu so aus-
gedehnter Verteidigung gehören aber stärkere Kräfte, als in der Regel für eine Festung verfügbar sind. Annähernd das gleiche vermögen Feldbefestigungen zu leisten, die nach Verlauf weniger Stunden die erste Deckung leisten und nach fast gleicher Stärke entwickelt sein können, Hier kommt es darauf an, die dem Umfange angemessenen Arbeitskräfte nebst Schanzzeug zur Verfügung zu haben. Dies kann nach Zahl und zweckmäßiger Zusammensetzung in den Beeinigen Tagen zu wie Behelfsanlagen.
ständen der Festung lagern, der Plan der Ausführung feststehen, und die Arbeitskräfte finden sich nicht nur in der Besatzung, sondern auch
Bekämpfung ständiger Befestigungsanlagen durch Belagerungsartillerie. 217 in Zivilarbeitern.
Zur Beaufsichtigung der Ausführung gehört dann
nur noch geschultes Personal, dessen Vorhandensein in einer Festung vorausgesetzt werden muß. Ist eine derartige Feldbefestigung vorbedacht, so läßt sich annehmen, daß auch zu nachdrücklciher Verteidigung für die entsprechenden Massen Draht zu Annäherungshindernissen, für Maschinengewehre, Schutzschilde usw. gesorgt ist und vorhandene Feld- oder schwere Geschütze mit herangezogen, zum Schutz der Besatzung Unterstände gebaut werden können usw. Sie würde erst anzulegen sein , sobald die Angriffsrichtung der Gegners erkannt ist. Ihre erste Ausdehnung richtet sich nach der anfänglichen feindlichen Entwickelung, Welchen zähen Widerstand schnell enstandene, nach und nach verstärkte Feldbefestigungen zu bieten vermögen, bedarf für den, der die Vorgänge auf den jetzigen Kriegsschauplätzen verfolgt, keiner näheren Darlegung. Sie sind nahezu unbezwingbar, wenn zweckmäßig angelegt und vom umliegenden Gelände sich nicht abhebend. Dann sind sie nach ihrer Lage sehr schwer zu erkunden und ihre kleinen Abmessungen bieten ein schwieriges Ziel, in das nur selten Treffen zu bringen sind. Für Mitwirkung von Feldgeschützen gegen sie durch Zerstörung kann nur die leichte Feldhaubitze in Betracht kommen. Neben ihr muß diese Aufgabe den schweren Batterien überlassen bleiben. Die dazu gehörigen Volltreffer sind aber gegen die Gräben selbst und die in ihnen liegenden Schutzeinrichtungen dünn gesät. Gedeckte Besatzung ohne Schutz durch Splitterwehren kann auch durch Granatfeuer Bz aus Kanonen, unter Splitterwehren durch die gleiche Geschoß- und Zünderart aus leichten Feldhaubitzen gefährdet werden, immer vorausgesetzt, daß das recht schwierige genauere Einschießen und Regeln der Sprengpunktslage gelungen ist . Erscheint die Besatzung an der Feuerlinie, so ist es möglich, sie durch Schrapnelfeuer Bz wirksam zu bekämpfen oder sie zum Wiederaufsuchen der Deckung zu zwingen, wofern zum Sturm vorgegangene Infanterie nicht gefährdet wird . Das Erzielen von Wirkung ist also mehr als sonst an besondere Voraussetzungen geknüpft. Die Vorteile kleiner, der Sicht möglichst entzogener Ziele haben sich beim Festungsbau bereits Geltung verschafft,
indem der Aufzug
der Forts und ihr Umfang möglichst herabgesetzt , die Kampfbatterien und Werke für Infanterieverteidigung in die Zwischenfelder verwiesen wurden. Feldbefestigungen besitzen ebenfalls den Vorzug schlechter Bezielbarkeit und dadurch hoher Widerstandskraft. Sie dürften sich in Zukunft unter den gemachten Voraussetzungen bei der Verteidigung von Festungen größerer Beachtung zu erfreuen haben. Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 524.
15
218
Kriegs -Pläne, -Ab- und -Aussichten.
XXIII . Kriegs-Pläne, -Ab- und -Aussichten.
Von Woelki, Oberst z. D.
Von Kriegs-Plänen und -Absichten ist in letzter Zeit viel die Rede gewesen. Namentlich von seiten unserer Gegner. Die hatten es wohl nötig, durch allerlei ausgestreute Nachrichten und Drohungen ihren Genossen und Aufgeboten neuen Mut zu machen , dazu — wo möglich -uns, ihre Gegner, zu schrecken und zu voreiligen Maßnahmen zu verführen ! Plänen,
Da schwirrte es denn von „ganz geheimen“ und „ .gigantischen “ mit neuen Bundesgenossen und kolossalen Aufgeboten! So
spukten die Japaner in jeder Gestalt (Artilleristen, Instrukteure) und allen Gegenden. Dazu die Portugiesen, Inder, Kanadier usw. Wohl schon ein dutzendmal ist ein Durchbruch nach dem Oberelsaß, oder sonst wohin, angekündigt, neuerdings sogar eine Diversion durch Serbien ! Von den Unternehmungen zur See und Übersee ganz zu schweigen. Ob solche Absichten (Pläne) einen Wert haben ? Überhaupt haben können ?
Gewiß ist es verständlich und vorteilhaft, das Selbst- und Sicherheitsgefühl in Armee und Volk zu heben ; — den
Gegner zu falschen Maßnahmen damit zu veranlassen, ist aber schon ein recht unsicheres Ziel. Aber auch die ersteren Bemühungen müssen auf die Dauer ihren Zweck doch verfehlen, wenn sie immer wieder als unzutreffend, also unzuverlässig
sich herausstellen .
Vielmehr tut
nirgends wohl so sehr wie im Kriege nüchterne Behandlung der Tatsachen - wenigstens an leitender Stelle - not ; Übertreibungen aber und Verdrehungen, auch in bester Absicht, müssen sich rächen . Und so schwer es kennen,
we!
aus
auch sein mag, allen Um- und
die wirklichen Verhältnisse Verhüllungen
den
eigentlichen
zu
er-
Kern
herauszuschälen, so liegt doch in der Absicht, den Gegner irrezuführen , eine Überhebung wie Gefahr der Selbstverwirrung. Demgegenüber erscheint denn doch der Standpunkt und Rat Moltkes richtiger : „ Das Vorteilhafteste für den Feind dient als Anhalt, um das Wahrscheinliche zu ermitteln. "
Aber gerade
die
schwersten Fehler
werden in
der Zumutung von Torheiten dem Gegner gemacht ; als ob derselbe gar nicht anders könnte, als sich so zu verhalten , wie es dem Betreffenden eben recht wäre ! Und gerade in schwierigen Lagen ist, wie die Erfahrung lehrt, die Versuchung groß, in solcher Vorannahme auf absonderliche (verschmitzte) Pläne zu verfallen . Wiewohl sich
P ---
219
Kriegs -Pläne, Ab- und Aussichten.
dergleichen eigentlich nie bewährt hat. Im Kriege, wo auch ,, das Einfachste und Natürlichste höchst schwierig ist " (v. Clausewitz), waren schon immer Künsteleien vom Übel, und heutzutage, bei den ohnehin schon geschraubten und äußerst verwickelten Verhältnissen - bei aufs Mindestmaß verringerter Ausbildung und Zurichtung der Massenkräfte - verbieten sie, wie auch nicht bewährte Verfahren und un gewohnte Mittel, sich noch viel mehr (und Lagen).
besonders in schwierigen
Wenn also (von irgendeiner Seite) gelegentlich
ein kombiniertes
Manöver um neuzeitliche, ausgedehnte Befestigungen (Festungen), dabei vielleicht noch über große Ströme hinweg, empfohlen bzw. ins Auge gefaßt wird, so müßte dies (wofür noch nicht ein annähernder Vorgang vorhanden) als ein ebenso eigenartiger wie verfänglicher Plan erscheinen. Ebenso scheint es wohl angezeigt, mit Vorstellungen und Methoden vergangener Zeiten aufzuräumen und nicht alte Paradestücke aus den Arsenalen hervorzuholen . Hierher gehören solche Sonderhiebe wie die Flankenstellungen. Da kann auch eine Berufung auf Moltke nichts helfen ; — trifft auch nicht zu . Denn, wenn Moltke mal eine Flankenstellung gegen einen russischen Einfall und Vormarsch auf Berlin hinter (westlich) Thorn unter ganz bestimmten Umständen in Erwägung gezogen und in Aussicht genommen, auch (später) mal eine seiner Übungsaufgaben mit einer Flankenstellung gelöst haben gewollt hat ; so darf man doch nicht dabei übersehen oder vergessen, daß der erstere (Vorschlag oder nur Erwägung) aus dem Jahre 1859 ( ! ) stammt ; heute also, bei völlig veränderten Maßen- und Raumverhältnissen, der eigentlichen Grundwie denn auch Moltke selbst , praklagen ganz entbehren würde ; tisch, Flankenstellungen gegenüber (Olmütz,
Metz) ganz
anders ver-
fahren ist, als er es damals ( 1859) , den Russen noch zumuten zu können geglaubt ; - und was die Übungs- (Generalstabs-) Aufgabe betrifft, so war das eben eine theoretische (Aufgabe), mit ihren besonderen Zielen, und betraf dazu nur kleinere Verhältnisse, sie kann mithin für größere Kriegsverhältnisse keinenfalls als Muster gelten. Die Flankenstellungen, wie sie auch heute noch wohl zur Geltung gelangen, sind denn auch ganz etwas anderes wie die vormaligen Bereitstellungen mit der Spekulation auf die Unbehilflichkeit oder Torheit des nahenden Gegners ; sie werden nur dann und da wirksam , wenn sie überraschend angesetzt und unverzüglich zum Ausgang einer kräftigen Aktion ausgenutzt werden ; also Ansammlung und Angriff nach dem berühmten Grundsatz : ,,activité, celérité et vitesse !" wobei nunmehr die Eisenbahnen die ,,die Schlacht gewinnenden Beine der Soldaten " vielfach ersetzen, ergänzen und potenzieren. 15*
220
Kriegs- Pläne, -Ab- und -Aussichten. Daß ein Unternehmen,
wie es ein Krieg nun einmal ist,
überlegt und vorbereitet sein müßte, ist wohl selbstverständlich.
wohl Zu
den Kriegsvorbereitungen gehört denn auch ein ordentlicher, möglichst vollständiger Kriegsplan . ,, Man fängt keinen Krieg an, oder man sollte vernünftigerweise keinen anfangen , ohne sich zu sagen, was man mit, und was man in demselben erreichen will . Das erstere ist der Zweck, das andere das Ziel ... (das Niederwerfen des Gegners ist das natürliche Ziel des kriegerischen Aktes) " v. Clausewitz. Und Moltke betont : ,, Selbst den ersten Aufmarsch der Armee - die Bereitstellung der Streitmittel ― kann man nicht entwerfen, ohne sich vorher einen Operationsplan , Zügen, klarzumachen."
wenigstens in den allgemeinen
Was dann im allgemeinen zu einem Kriegs-
plan gehört, faßt am besten v. Blume in seinem
T
Handbuch der
,,Strategie" wie folgt zusammen : ,,Jeder Kriegsplan wird von einer allgemeinen Betrachtung des der politischen Gesamtlage und des politischen Zwecke Krieges ausgehen, um sich dann den Fragen zuzuwenden , über welche Machtmittel die Gegenpartei im Vergleich mit den unsrigen verfügen kann, welche Mittel sie voraussichtlich für die Er
'1
reichung ihres Zwecks aufwenden, welche militärische Ziele sie vermutlich verfolgen und wie sie demgemäß den Aufmarsch ihrer Das Ergebnis dieser ErStreitmacht bewerkstelligen wird. die Grundlage für die Entscheidung über die Größe unseres Kraftaufgebots und das im allgemeinen von uns einzuschlagende Verfahren, insbesondere für den Entschluß, ob der Krieg offensiv oder defensiv zu beginnen ist. Danach ist Bestimmung über das Wo und Wie des Aufmarsches der Streitwägungen bildet
kräfte sowie über die Einleitungsoperationen zu treffen, über letztere unter der Vorausetzung, daß unsere Vermutungen über die Absichten des Gegners sich als zutreffend erweisen werden. Unter dieser Voraussetzung kann für einen offensiven Kriegsbeginn die allgemeine Richtung des Vormarsches sowie in großen Zügen festgestellt werden, wie der erste Entscheidungskampf angestrebt und vorbereitet werden soll. Für einen defensiven Kriegsbeginn aber kann unter derselben Voraussetzung Bestimmung darüber getroffen werden, wo der erste entscheidende Widerstand zu leisten und wie bis dahin zu verfahren, insbesondere das etwa ins Auge gefaßte Schlachtfeld einzurichten ist.“ Das liegt denn doch weit ab von pfiffigen Anschlägen und hat keinen Raum für verwickelte Künsteleien ! Wohl aber geht daraus eine Unsumme von Vorarbeit peinlichster und gewissenhaftester Art als erstes Erfordernis eines Kriegsplans hervor, ohne Unterschied, ob
1
Kriegs - Pläne, -Ab- und
221
Aussichten.
auf geniale Begabung dabei zu rechnen ist oder nicht . Wie denn auch Moltke hervorhebt, nachdem er alles aufgezählt, was an Erwägungen und Punkten (geographischen , staatlichen, politischen , Festungen, Eisenbahnen , Streitmitteln , Transport- und Versammlungszeiten) in Betracht kommen - und wie die Arbeit völlig wertlos sei , wenn nur ein Fehler darin enthalten ! ,, Aber diese Anordnungen lassen sich lange vorher erwägen und ---- die Kriegsbereitschaft der Truppen, die Organisation des Transportwesens vorausgesetzt - müssen sie unfehlbar zu dem beabsichtigten Resultat führen." Aber freilich , unter der bei Moltke selbstverständlichen Voraussetzung der absoluten Zuverlässigkeit ,
nicht nur der Kriegsbereitschaft und des Trans-
portwesens, sondern auch der zugehörigen Vorarbeiten. Wie stimmt nun aber damit der bekannte Ausspruch Napoleons : ,,Je n'ai jamais en un plan d'opération" ? Dazu ist zu bemerken : Erstens ist auch dies Wort cum grano salis zu verstehen ; zum zweiten gehört jetzt Napoleon schon einer verflossenen Zeit mit im besonderen geringeren Ansprüchen an die dem zeitigen, so überaus komplizierten Mechanismus zugehörige Kleinarbeit ; und drittens war er eben ein seltenes Genie, das in dieser Beziehung zum Vorbild zu nehmen nur eine übel angebrachte Überhebung bedeuten würde. Vor allem aber : auch Napoleon hat
nur mit dem Ausspruch
sagen können,
daß er
nicht schon von Hause aus den ganzen Verlauf des vorliegenden Feldzuges mit allen sich einstellenden Wendungen und daraus sich war ergebenden Folgen vorausgesehen und niedergelegt habe. Das auch einem solchen Genie nicht möglich . Hat doch auch er sich wiederholt in seiner Voraussicht verrechnet ! Und davor hätte ihn auch kein Plan geschützt ! Vielleicht aber ihm insofern nützen können , als eine sorgfältige Durcharbeitung auch eine gewisse Behutsamkeit mit sich bringt, die die Mißerfolge - wie freilich auch die Erfolge einzuschränken imstande ist : ein Verfahren aber, das für ein selbstbewußtes Genie,
für
das die Strategie nicht nur 99 ein System von
Aushilfen", als vielmehr das freie Schaffen nach Impulsen sein mag, nicht paßt . Nebenbei muß doch , bei aller Ehrfurcht vor (Gottbegnadeter) außerordentlicher Begabung, vor einem Jagen und Pochen auf (nach) solche gewarnt,
auch
darin General v. Blume recht ge-
geben werden, daß ,,in der Kriegführung mit Millionenheeren das Gewicht eines Genies nicht so sehr in die Wagschale der Ereignisse fällt wie in kleineren Verhältnissen. Zu genialer Führung von Millionenheeren bedarf es außer einem genialen Oberfeldherrn auch genialer oder doch hervorragend begabter Männer in allen Führerstellen des Heeres." Wenn wir dann das Ziel näher ins Auge fassen,
das , wie oben
222
Kriegs -Pläne, -Ab- und -Aussichten.
angegeben , ein Hauptbestandteil jeden Kriegsplanes sein soll, so wird dasselbe,,,das (nach Clausewitz) seinem Begriffe nach stets die Niederwerfung des Feindes sein sollte, sich, wie die Mittel, die der Kriegsunternehmer aufbietet, nach den ganz individuellen Zügen seiner Lage richten, so daß sie eben deshalb auch den Charakter der Zeit und der allgemeinen Verhältnisse an sich tragen werden. die Bedingungen ,
Nun setzen aber
unter denen das eigentliche, absolute Ziel (Nieder-
werfung des Gegners) erreicht werden kann, eine große physische und moralische Überlegenheit voraus. Wo diese nicht vorhanden ist, kann das Ziel nur ein beschränktes sein.
Es kann dann immerhin ,
positiv, doch in der Eroberung eines Teils der feindlichen Länder bestehen - wenn es nicht Bedenken erregt, daß dem Angriff ein (dann nicht zu übersehender) Verteidigungszustand folgen muß." Ein sehr wesentliches Moment liegt aber immer noch darin, daß der eigentliche Krieg nicht eine nur einseitige Handlung ist, vielmehr die
Hauptschwierigkeit
und
das
Kriterium
der
erfolgreichen
Führung in der Bewältigung der Gegen absichten , -ziele kungen liegt.
und -wir-
Es ist somit wohl von Wert, bei rechter Zeit zu er-
fahren, was der Gegner beabsichtigt oder schon eingeleitet hat. ,, Das Handeln im Kriege wird wesentlich durch das Verhalten des Gegners bedingt" (v. Blume). In welchem Maße dies gilt, dafür liefern allein schon die Spionagefälle einen aufdringlichen Beleg. Danach werden, von manchen Staaten besonders , keine Mühen noch Kosten gescheut . um einen „ Mobilmachungsplan " oder auch nur einen Übersichtsplan einer Festung zu erlangen - auf die Gefahr hin, daß es sich schließlich nur um ein ,,Papier" handelt, das noch nicht die volle Wahrheit zu geben braucht (indem es doch nicht ganz stimmt, unvollständig oder veraltet, ja — zum Zweck der Gegenspionage und Irreführung gefälscht ist! ) Solches Material kann darum nur einen verhältnismäßig geringen Anhalt, nur wenige Punkte mehr zu dem Bilde liefern , das man sich von den Verhältnissen beim Gegner und dem Plan, den dieser, dementsprechend , haben kann , als Unterlage für den eigenen Entschluß macht. Mehr Anhalt und bessere Grundlage für die Kenntnis wesentlicher Faktoren der feindlichen Partei geben wohl die allgemeinen Verhältnisse, wie sie zwar offenkundig zutage liegen, aber selten richtig beurteilt, vielmehr zumeist parteiisch aufgefaßt und ausgebeutet im engeren wie überwerden bis auf die Naturanlagen tragenen Sinne. Hierher gehören die allgemeinen geographischen und lokalen Verhältnisse ebenso wie die Volkseigentümlichkeiten und Zustände, die Gebirge, Ströme und Eisenbahnen, die Hindernislinien und Festungen, die für die Richtung von Angriffen wie die Verteidigungs-
Kriegs-Pläne, -Ab- und
223
Aussichten.
linien gegebenen Bahnen und Grenzen - und dazu die vorherrschenden Strömungen, Neigungen und Überlieferungen. So bedingen allein schon die ausgesprochenen Volkseigentümlichkeiten , daß sich die Kriege im Westen (von uns) ganz anders abspielen als im Osten - auch , wenn sich die beiden Verbündeten mit Ratschlägen und Führern aushelfen wollten. Die Kenntnis dieser Faktoren bieten freilich nur Anhalte, Gewißheit aber über das, was der (die) Gegner, mit mehr oder weniger Berechtigung und Begründung, planen, können wir nicht gut haben. Da bleibt denn wohl nichts anderes übrig, reicher Erfahrung geraten ,
als, wie auch Moltke aus
zunächst " das für den Feind Vorteilhafteste anzunehmen " , weiter, wenn irgend möglich : ,,den Willen des Gegners durch eigene Initiative (Zuvorkommen) zu beschränken " , um ihn schließlich ,,durch das (den Umständen entsprechend eingeleitete) Gefecht zu brechen". Das leuchtet gewiß ein und ist eine ebenso einwandfreie Lehre, wie : ,,im
Kriege stets den
Umständen (die nach Napoleon,
alles entscheiden ) gemäß , zweckmäßig zu handeln" . Ferner:
,,Im Kriege gilt es,
mit richtigem Takt die jeden Moment
sich anders gestaltende Situation richtig aufzufassen und danach das Einfachste und Natürlichste mit Festigkeit und Umsicht zu tun." (v. Moltke. ) Schade nur , daß solche schönen Lehren keine Prärogative zum ausschließlichen Gebrauch darstellen ! Vielmehr : Nachdem es uns s. Z. so gut nach diesen Grundsätzen geglückt ist, und wir seitdem nicht Anstand genommen, die unentwegte Initiative und rücksichtsloseste Energie der Kriegführung aller Welt zu empfehlen , müssen wir uns
nun wohl darauf gefaßt machen, daß unsere Gegner auch zu
diesem Schluß der Weisheit gelangt sind ! Wir müssen also annehmen , daß sie es nach Kräften — versuchen. Und es kommt nur darauf an, ob es uns oder ihnen besser gelingt.
Das Wissen macht's
gerade hier noch lange nicht, sondern das Können im Leben entscheidet.
ist's
erst
was
Das Können ist im Kriege nun zunächst wohl Sache der Leitung des (der) Feldherrn . Die Ansprüche an die leitende Persönlichkeit sind heutzutage wahrlich nicht geringer als zu den Zeiten, da noch ein Kopf alles bearbeiten und abfertigen konnte . Es gehört schlechterdings eine überragende Bedeutung, eine über das Mittelmaß wesentlich hinausgehende, umfassende Überlegenheit zu ihr, die, ob sie nun einen genialen Anstrich hat, oder nur nüchterne Sachlichkeit atmet, jeder
224
Kriegs -Pläne, Ab- und -Aussichten.
an sie herantretenden Aufgabe gewachsen, sie zum guten Ende
zu führen.
auch das Geschick hat,
Wenn Moltke dabei,
als besonders
wichtig, die Festigkeit der Durchführung des einmal gefaßten Entschlusses hervorhob (s. vorstehend, sowie: „ In diesem Nebel der Ungewißheit muß wenigstens eins gewiß sein, der eigene Entschluß ; an ihm hat man festzuhalten und wird wohl tun , sich nicht durch die Unternehmungen des Gegners davon abbringen zu lassen, solange dies nicht unabweisbar notwendig geworden ist " ) ; Napoleon seine größte
Überlegenheit
in
seiner
besonderen
Entschlußkraft
( „ dem
schnelleren Denken " ) empfand, so haben sie beide von anderen Eigenschaften, die ihnen selbstverständlich vorkommen mochten, nicht erst --viel Wesens gemacht, obwohl sie in Hinsicht auf „ planmäßiges “ Handeln anderen vor allen (die v. Clausewitz als „ kriegerische(n) Genius im 3. Kapitel des I. Buches ,,Vom Kriege " zusammengefaßt), zur Geltung kommen; das sind eben : die treffsichere Durchdringung (geniale Intuition) der Ungewißheit in Auffassung der zeitigen, wie das zutreffende Voraussehen (Divination) der komDiese beiden Eigenschaften menden Verhältnisse und Umstände. bilden recht eigentlich die Grundlagen für erfolgreiche Entschlüsse. Mit solchen freilich ist das erstrebte Endergebnis eben nur erst angebahnt, nicht schon besiegelt. lichen Tat, sonders -
rakters .
Dazu . für das Vollbringen der gedeih-
bedarf es immer noch und im fraglichen Falle beder ganzen Persönlichkeit , eines entsprechenden Cha-
Wie denn auch Moltke, indem
er
die
Herrschaft
des
blinden Zufalls nicht gelten läßt, zu dem Schluß gelangt : ,,Ein Feldherr, der auf Grund der Eigenschaften des Geistes wie des Charakters zur freien praktischen , zur künstlerischen Entfaltung gelangt, durch militärische Vorbildung geschult und durch Erfahrungen aus der Kriegsgeschichte wie aus dem Leben selbst geleitet, hat immer noch Aussicht, in jedem Einzelfall, wenn nicht das Allerbeste, so doch das Verständige anzuordnen und damit sein Ziel zu erreichen."
Aber nur unter einer Voraussetzung ! der eines entsprechend kriegstüchtigen Heeres , das ihm, dem Feldherrn, zu Gebote steht !
Wohl ist es vorgekommen, daß ein großer Feldherr durch seine Persönlichkeit usw. Volk und Heer emporgehoben und mitgerissen, auch wohl sein Heer in langen Vorkämpfen und Übungen sich erst für schwerere Aufgaben zugerichtet hat (Hannibal, Caesar, Napoleon 1796 sein Werkzeug geschaffen hat) ; das war aber immer ein langer Umweg oder Notbehelf, der auch nur beweist, daß volle und unbeschränkte Leistungsfähigkeit nur aus und auf einem wohlvorbereiteten und gepflegten Boden erwachsen kann , wie daß ein tüchtiges Heer durchaus die Vorbedingung,
das Instrument abgibt,
dem auch
225
Zur Herrschaft Englands zur See.
die Ausführung der kühnsten und schönsten Pläne zugemutet werden kann, ja, daß ein solches sogar imstande ist, selbst nicht ganz zutreffende, fehlerhafte Pläne noch auszugleichen und zum Besten zu wenden.
XXIV.
Zur Herrschaft Englands zur See . Von
Wochinger, Oberstleutnant a. D.
Mit militärischem Scharfblicke hat es England verstanden ,
zur
Befestigung seiner Hegemonie zur See die strategisch wichtigsten Punkte an den Hochstraßen des internationalen Weltwirtschaftsverkehrs durch diplomatische Schacherung oder mittelst Anwendung von Gewalt an sich zu reißen , dortselbst Kohlenstationen für seine Kriegsund Handelsschiffe anzulegen, Docks und Werften zu errichten und das Ganze zu einem Stützpunkte seiner überseeischen Flottenstationen auszugestalten. So : das den Eingang in das Mittelmeer beherrschende Gibraltar, das während des spanischen Erbfolgekriegs durch den Prinzen Georg von Hessen- Darmstadt den Spaniern mittelst Handstreiches entrissen , erstmalig im Utrechter Frieden
den Engländern als Freihafen zu-
gesprochen und im Frieden von Versailles endgültig der Krone Englands bestätigt wurde, welch letztere keine Anstrengung und Kosten scheute, solches zu einer uneinnehmbaren Flottenstation auszubauen. So : die inmitten des Mittelmeers gelegene Insel Malta , die durch Kaiser Karl V.
dem
Johanniter- (Malteser-) Ritterorden
als Lehn
des Königreichs Sizilien übergeben und durch Verrat des Großmeisters Hompesch auf dem Zuge Napoleons gegen Ägypten von den Franzosen eingenommen, solchen im Jahre 1800 wieder ; abgenommen worden war und seitdem im Besitze der Engländer verblieben ist , die Malta als Mittelpunkt der englischen Dampfschiffahrt im Mittelmeer und zu einem Flottenstützpunkte ersten Ranges ausgestalteten, mit dessen Besitz oder Verlust Englands Vorherrschaft im Mittelmeer steht und fällt. Des Ausgangs desselben nach Osten und der Durchfahrt durch den Suezkanal hat sich England aus eigener Initiative selbst bemächtigt dadurch, daß es zuerst die Finanzkontrolle über den Suez-
226
Zur Herrschaft Englands zur See.
kanal an sich riß, dann unter Abfindung der französischen Ansprüche an Ägypten Frankreich mittelst der Marokkovereinbarung aus Ägypten hinausdrängte und abfand und schließlich das Protektorat über das unter türkischer Oberhoheit stehende Land dadurch in eine souveräne Oberhoheitsstellung verwandelte,
daß es die Souveränität der Türkei
als erloschen erklärte, den legitimen Vizekönig von Ägypten absetzte und durch einen anderen von Englands Gnaden ersetzte, sowie schließlich alle Rechte
anderer Mächte
an Ägypten als erloschen erklärte .
England ist zurzeit sehr energisch an der Arbeit, den Eingang in den Suezkanal bei Port Said sowie dessen Ausgang bei Port Ibrahim fortifikatorisch zu befestigen, sowie die Kanalstrecke selbst energisch gegen die Wiederentreißungsversuche der Türken zu verteidigen . Als Stützpunkt der englischen Flottenstation dortselhst ist das mit zwei Forts befestigte Alessandria anzusehen. Die Stadt und Festung Aden am Südausgang des Roten Meeres gelangte 1839 auf dem Wege der Gewalt in die Hand der Engländer, nachdem der Sultan von Aden die im Jahre vorher mit dem brittischen Kapitän Haines verabredete Abtretung verweigert hatte. Die Insel Ormus , wichtig durch ihre Lage am Eingang in den Persischen Meerbusen, früher den Portugiesen gehörig, und solchen mit Hilfe der Engländer durch den persischen Schah Abbas entrissen, ist durch Vertrag in den Besitz der Engländer übergegangen. Singapur, Stadt und Insel an der Südspitze der Halbinsel Malakka , unweit des unteren Einganges von der Straße von Singapur
in die
Malakkastraße, ursprünglich der Ostindischen Kompagnie gehörig, die solches dem Sultan von Dschahor abgekauft hatte, ist mit dem Übergang der Besitztümer der Ostindischen Kompagnie seit 1867 in den Besitz der englischen Krone übergegangen. Hongkong, befestigte Insel an der Südküste Chinas, ist nach Aufgabe Macaos im Jahre 1839 den Chinesen gewaltsam abgenommen und zum Hauptstützpunkte der britischen Streitkräfte gegen Kanton und das östliche China ausgestaltet, im Frieden von Nanking ( 1842) endgültig an die Engländer abgetreten worden, die ihrerseits die Stadt und den Hafen, der der Mittelpunkt des gesamten Opiumhandels ist, zu einem erstklassigen Stützpunkt der englischen Kriegsmarine und zur Wasserstraßensperre (Straße von Hongkong) ausbauten. Nur noch zwei hervorragende Meeresengen, bedeutend durch den sie belebenden Seeverkehr und in Hinblick auf bereits vorhandene Verteidigungswerke leicht zu behaupten, waren bisher der Einbeziehung in Englands Herrschaftsdomäne zur See entgangen , und lag es schon lange
in der Absicht
der englischen Seeherrschaftspolitik,
solche bei
gegebener Gelegenheit ebenfalls ihrer Beherrschung einzuverleiben.
227
Zur Herrschaft Englands zur See. Beide
bilden zurzeit
den
Brennpunkt
militärischer
Aktionen.
Die eine derselben ist die den Türken gehörige Wasserstraße, die das Schwarze Meer mit dem Mittelmeere verbindet und schlechthin als Dardanellenstraße bezeichnet wird, obwohl diese neben dem Bosporus und der Passage des Marmarameeres nur ein stehenden Meeresenge ist.
Teil der in
Frage
Ihre Wegnahme und Freihaltung für Masseneinfuhr von Geschützen , Munition und Kriegsmaterial aller Art zum russischen Kriegsschauplatz war bei dem fortgesetzten Mißgeschick der kriegerischen Operationen auf russischer Seite und bei der Unmöglichkeit, auf anderem Wege solches Rußland zuführen zu können, ebenso dringend notwendig wie die Ausfuhr der in Odessa aufgestapelten riesigen Getreidemengen zu Englands und Frankreichs Ernährung dringend geboten war, und die Versorgung Italiens mit russischem Getreide solches zum Übertritte in den Dreiverband breitschlagen sollte . Weiter wurde von der Wegnahme der vereinigtes englisch-französisches Geschwader
Dardanellen durch ein im Vereine mit einem
gemischten starken Landungskorps mit aller Bestimmtheit erwartet, daß solche den neutralen Balkanstaaten in ausschlaggebender Weise imponieren und auch sie zum Anschluß an den Dreiverband bewegen sollte. Der strikte Vorschlag
aber zur
Wegnahme
der
Dardanellen-
befestigung und der türkischen Hauptstadt Konstantinopel, ausgehend von dem englischen Schatzmeister Lloyd George, und auf der letzten Pariser Konferenz zur Abstimmung gebracht, hatte schließlich den Beweggrund , die Verstimmung Rußlands über den finanziellen Fehlschlag der Mission des russischen Finanzministers Bark dadurch wieder auszugleichen, daß man an Rußland an Stelle des erhofften Milliardenpumpes die Erfüllung des Testamentes Peter des Großen in Aussicht stellte. Soweit heute bereits beurteilbar, hat die Absicht und Ausführung des gutgeheißenen Vorschlages,
das
derzeitige Dardanellenabenteuer,
aber nicht allein seine Wirkung nach den beiden letztgenannten Punkten hin vollkommen verfehlt, sondern noch dazu sehr fühlbare gegenteilige Wirkungen hervorgerufen. Bevor noch die Dardanellenforts französischen
Streitkräfte
in
zu Wasser und
den Besitz
der
zu
gelangt sind,
Lande
englisch-
treten immer deutlicher ernste Gegensätze zwischen der russischen und englisch-französischen Auffassung in der Frage der Herrschaft über die noch nicht eroberte Dardanellenenge, sowie über den zukünftigen Besitz Konstantinopels zutage und fordert Rußland, das ein Landungskorps nach Midia am Schwarzen Meer entsenden will,
228
Zur Herrschaft Englands zur See.
die unumschränkte Alleinherrschaft über beide strittige Domänen ; dann hat die Inangriffnahme der ganzen Aktion an der Dardanellenstraße, bevor noch
die Mißschläge der englisch-französischen Streit-
kräfte bekannt wurden, die beabsichtigte Wirkung auf die Balkanmächte nicht erzielt, ja ist teilweise sogar in das Gegenteil umgeschlagen und schließlich hat der Beginn und der bisherige Verlauf des Dardanellenabenteuers in Italien ganz andere Anschauungen über dessen eigene Stellung im Mittelmeer hervorgerufen und den Impuls zu einer großzügigeren Politik, als solche bisher im Weltkampfe 1914/15 eingeschlagen war, loszulösen vermocht. In sehr entschiedener Weise hat Griechenland , bisherigen Ministerpräsidenten Venizelos
das unter dem
sich am meisten von
sämt-
lichen neutralen Staaten den Ententenmächten genähert hatte, deren Aufforderung zur aktiven Mithilfe an der Dardanellenexpedition durch Gestellung eines Landungshilfskorps und Unterstellung seiner Flotte unter den Oberbefehl des englischen Admirals Limpus glattweg abgelehnt und seinen früheren Ministerpräsidenten, der sich ohne Mitwissen des Parlaments und seiner Ministerkollegen zu tief mit den Ententenmächten eingelassen , von seinem verantwortungsvollen Posten entfernt. Der Grund der Ablehnung lag zunächst in
der Erwägung un-
zureichender Landesverteidigungskraft eventuellen Angriffen Bulgariens gegenüber, dann aber auch in einem gerechten Mißtrauen gegen die zukünftige Gestaltung der Herrschaft in Konstantinopel, dem immer noch erhofften Endziele des Großhellenismus ; jedoch ist die deklarierte Neutralitätsbeibehaltung wohlwollenden Charakters mächte.
für die Ententen-
Anders ist es mit der Neutralität der beiden Königreiche Rumänien und Bulgarien, die in der dauernden Besitznahme Konstantinopels und der Dardanellen durch eine andere Macht als der Türkei mit Recht eine Unterbindung eigener volkswirtschaftlicher Interessen sowie eine Schwächung staatspolitischer Natur ersehen würden und hieraus Veranlassung erblicken dürften , sich gegebenenfalls den beiden Kaisermächten des Dreibundes anzuschließen . Weit wichtiger und für die Frage der englischen Vormachtstellung zur See im Mittelmeer entscheidender ist aber der noch nicht völlig vollzogene aber in Aussicht stehende Umschwung in der Stellungnahme Italiens. Hierbei ist zu bemerken, daß die Absicht der Erzwingung freier Durchfahrt russischer Kriegsschiffe durch die Dardanellen außer England noch eine weitere Großmacht, meer anstößt,
deren Landbesitz nicht an das Mittef-
die Möglichkeit kriegerisch im
solchen auftreten zu
229
Zur Herrschaft Englands zur See.
machen , nach sich ziehen und hierdurch die Machtstellung Italiens im Mittelmeere, die ohnehin schon durch die Übermacht der Mittelmeergeschwader Englands und Frankreichs herabgedrückt ist, vollständig zur Ohnmacht herabsinken machen würde. In einem nahezu abgeschlossenen Seebecken aber hat unbeschadet des internationalen Seerechtes naturgemäß jener Staat die Führung der anderen Küstenstaaten , dessen Seeansiedelung die weit ausgedehnteste,
dessen
Kopfzahl
der Küstenbevölkerung
Fischereigerechtsame die weitreichendste, handel der bedeutendste ist.
die
größte,
dessen
dessen Seeverkehr und See-
Und dieser naturgemäßen Rechtsauffassung hat sich Italien , dessen apenninische Halbinsel
weit in das Mittelmeer
hinausragend solches
gewissermaßen in eine West- und Osthälfte abteilt, gelegentlich der Absichtserklärung der Ententemächte, die Dardanellenstraße für eine weitere exterritoriale Seemacht zu eröffnen, erinnert. Die Mißerfolge des
Dardanellenabenteuers
haben
auch Italien darüber
die Augen
geöffnet, daß die versprochene Getreideversorgung aus Odessa kaum zustande kommen dürfte und endlich hat die erfolgreiche Verteidigung der Dardanellenenge durch die Türken und das fortgesetzte Mißgeschick der englischen Angriffsflotte, das sich jenem der englischen Flottenteile im Kanal, in der Nordsee und verschiedenen anderen Weltmeeren gleichmäßig zur Seite stellt, auch Italien zur Überzeugung gebracht, daß der Gefechtswert der englischen Flotte nicht auf der allgemein eingeschätzten Höhe steht und die bisher gehegte Besorgnis einer Beschießung der Westküste Italiens durch solche im Falle eines Anschlusses an Deutschland und Österreich-Ungarn gegenstandslos werden dürfte , nachdem bei einträchtigem Zusammenarbeiten der italienischen Flotte mit der österreichischen das bereits sehr stark geschwächte Dardanellengeschwader Englands und Frankreichs sich gezwungen sehen würde , unter Ausweichen einer Entscheidung auf hoher See sich ähnlich in seine Häfen und Stützpunkte zu verkriechen , Hauptflotte gegenüber der deutschen tut.
wie dies Englands
Ob es zu eben skizziertem Zusammenarbeiten kommen wird , ist indes noch nicht entschieden und liegt noch im Schoße der Zukunft; dagegen kann es als sicher bezeichnet werden, daß das Dardanellenunternehmen in Absicht und Ausführung auf Italien zu einer Stellungnahme maßgebend wurde, die die bisher an den Tag gelegte Neutralität wesentlich zugunsten der beiden Kaisermächte umkrempelte. Eine offene Absage Italiens aber an die Ententenmächte unter Anschluß an Deutschland, Österreich-Ungarn und die Türkei bringt die Frage der Vorherschaft im Mittelmeer ins Rollen , die Zweifel für England verlustbringend ausfallen würde .
ohne allen
230
Zur Herrschaft Englands zur See.
Während aber bei Ausbruch des Krieges zwischen den Ententemächten und den Kaisermächten des Dreibundes die spätere Stellungnahme der Türkei noch nicht vorauszusehen war und die Dardanellenexpedition gewissermaßen als ein Am- Schopf-Fassen günstiger Gelegenheit zur Besitzergreifung über die Dardanellenpassage seitens Englands sich charakterisiert, lag bei der Kriegserklärung des britischen Inselreiches an Deutschland von vornherein die ganz bestimmte Absicht zugrunde, sich für die Hilfeleistung an Frankreich durch Festhalten der früher schon in englischem Besitze gewesenen Seefestungen Calais und Dünkirchen bezahlt zu machen und Frankreich durch deutsche Gebiete für diese Landabtretung zu entschädigen, ein Modus, wodurch England mittelst des beiderseitigen Landbesitzes an der nur 32,5 km breiten Kanalenge die unumschränkte Herrschaft über den Kanal und die Nordseepassage an jene erhalten würde und dadurch für immer den deutschen Schiffsverkehr durch solche kontrollieren bzw. belästigen könnte. Nun ist es freilich durch den Verlauf der Feldzugsoperationen anders gekommen und wird England beim Friedensschluß schwerlich in der Lage sein, über deutsche Gebietsteile verfügenzu können ; aber daß trotzdem England
als Entschädigung für die an Frankreich ge-
leistete Hilfe gesonnen ist, das von den englischen Truppen an der Kanalenge bereits besetzte nordfranzösische Gebiet zu behalten und freiwillig nie und nimmer herauszugeben gewillt ist, das geht bereits heute aus der ganzen Art und Weise hervor, wie England in diesem Gebiete trotz Einspruchs Frankreichs wirtschaftet, befiehlt , organisiert und seine Herrschaft zu befestigen trachtet, was ihm zwar aller Wahrscheinlichkeit nach zur gegebenen Zeit die bösen Deutschen mehr erschweren dürften als die erschöpften und in ein ohnmächtiges Abhängigkeitsverhältnis zu England geratenen Franzosen. Hoch interessant und als gerechte Strafe des Himmels darf es bezeichnet werden,
daß
gerade dieser letzte Anhieb zur Vervoll-
ständigung der englischen Seeherrschaft deren Untergang und wahrscheinlich auch völligen Bruch mit den bisherigen Verbündeten hervorzubringen geeignet ist, von denen der eine nicht nur die freie Durchfahrt durch die Dardanellenstraße, sondern entgegen der englischen Auffassung auch deren dauernden Besitz und den dauernden souveränen Besitz über Konstantinopel anstrebt, während dem andern der Verlust von Calais und Dünkirchen politisch wie volkswirtschaftlich größeren Schmerz verursachen würde, als der schon halb überwundene Verlust von Elsaß-Lothringen, um deswillen er das Schwert gezogen. Mit dem voraussichtlichen Zusammenbruch des Dardanellenabenteuers und der Wegnahme der Suezstraße durch die Türken wird Englands Herrschaft im Mittelmeer ein Ende finden und letztere auf
Mit wem führt man Krieg ?
231
Italien übergehen, mit der seinerseitigen Wegnahme von Calais und Dünkirchen durch die Deutschen findet die bisherige Herrschaft Englands über den Kanal und sein Übergewicht in der Nordsee ihr Ende, im fernen Osten hat die englische Politik selbst den Japsen die Seeherrschaft in die Hände gespielt und im Atlantischen Ozean stößt Englands Seeherrschaft
bereits überall an das noli me tangere der
Vereinigten Staaten von Nordamerika, die von ihrer Bewunderung für Englands Taten zurückgekommen sind und für England nichts mehr übrig haben.
XXV. Mit wem Mit den Feinden
führt man Krieg ? oder
ihrem Besitztum oder
mit beiden?
Von Spohr, Oberst a . D. Ich habe zwei große Kriege mitgemacht, den von 1866 und den von 1870/71 . Die Grundsätze der Strategie waren in beiden Kriegen die gleichen und sind auch für den heutigen Weltkrieg noch in Geltung. In der Taktik hat sich infolge hochwichtiger Verbesserungen der Waffentechnik manches geändert, was aber, als im wesentlichen einflußlos auf die hier zu behandelnden Fragen außer Betracht bleiben kann. In den beiden erwähnten Kriegen wurde von oben her den Truppen die größte Schonung des Besitztums unserer Feinde zur strengsten Pflicht gemacht. Nur das für unsere Truppen unbedingt Notwendige an Tieren : Pferden und Schlachtvieh, an Lebensmitteln und Brennmaterial durfte requiriert werden. Darüber waren dann von den betreffenden Truppenbefehlshabern unterzeichnete und gestempelte Requisitionsscheine auszustellen. Diese Requisitionsscheine sind den Inhabern von seiten ihrer Staatsbehörden voll vergütet und uns beim Friedensschlusse ebenso angerechnet worden. " Absolute Schonung alles Privateigentums " war Grundsatz 1866 für die preußischen, die heutigen „ Barbaren " .
1870/71 für alle deutschen Truppen,
Wie gewissenhaft sich diese an ihre Vorschriften gehalten haben , oft genug mit einer für die Truppen fast peinlichen, ja schädlichen Ängstlichkeit, dafür nur das nachstehende drastische Beispiel :
232
Mit wem führt man Krieg ?
Truppen der Elbarmee , darunter auch die von mir befehligte Batterie (4. 6 pfündige der 8. Artilleriebrigade) hatten Ende Juli 1866 in Oberösterreich eine Beiwacht bezogen, nachdem sie den ganzen Tag von morgens 6 ° ab im Eilmarsche zugebracht . Die Leute hatten nur das damals übliche Frühstück von Kommißbrot und ein paar harten Eiern genossen . Nun sollte nach Einrichtung der Beiwacht es war schon 8 ° abends geworden - abgekocht werden. Es mangelte aber ganz und gar an Brennholz. In dem 50 Schritte vom Beiwachtplatze entfernten Dorfe war davon nichts mehr vorhanden, und weiter auszusendende Requisitionskommandos verboten sich durch die Umstände von selbst. Da stieß ich beim Umherstreifen in der nächsten Umgebung des Beiwachtplatzes auf einen großen Obstgarten, der von einem alten vermorschten Bretterzaun eingeschlossen war. Diesen alten Bretterzaun als Brennholz zu benutzen, schien mir in unserer Notlage durchaus zulässig. Schon hatte ich meinen Leuten den Befehl gegeben, ihn abzureißen und als Brennholz zu benutzen , als ich auf ein unerwartetes Hindernis stieß. Ein Posten stehender preußischer Jäger bemerkte mir höflichst, daß er und noch fünf andere Posten eigens
zur Bewachung dieses Bretterzaunes von seinem Major auf-
gestellt seien mit dem Befehl, diesen alten Zaun vor jeder Zerstörung zu schützen. Ich erkundigte mich nach dem Namen und Aufenthalt des Herrn Majors und erfuhr, daß er sich im ersten Hause des benachbarten Dorfes einquartiert habe.
Dort fand ich den Herrn im Besitze eines gemütlichen Quartiers, eröffnete ihm die Notlage unserer Batterie und bat um die Erlaubnis, den erwähnten alten Bretterzaun abreißen lassen und als Brennholz verwenden zu dürfen ! Das schlug der Herr Major zunächst mit dem Bemerken ab, daß auch seine Leute kein Brennholz hätten und sich ebenfalls mit Kommißbrot begnügen müßten , was ja wohl für einen Tag auch angängig wäre. Ich erwiderte ihm, daß meine Batterie schon mehrere solche
schmale Kosttage hinter sich habe,
und ich es im Interesse
der Marsch- und Gefechtsfähigkeit meiner Leute für geboten erachte, ihnen heute ein warmes Nachtmahl zu verschaffen, zumal es uns gelungen sei, außer einem requirierten Hammel auch zum ersten Male reife Frühkartoffeln aufzutreiben. Sollte der Herr Major nicht einverstanden sein, so würde ich meinem Kommandeur, Oberst H. , Führer der Reserveartillerie der Elbarmee, Meldung machen und um Abhilfe bitten müssen.
Das wirkte.
Der Herr Major ließ sich herbei,
seine
Posten von dem alten Zaun zurückzuziehen unter der Bedingung, daß ich einen ordnungsmäßigen Requisitionsschein ausstelle und
seinem
Quartiergeber , dem Besitzer des Gartens , aushändige.
Darauf
233
Mit wem führt man Krieg? ging ich
natürlich sofort ein ,
erhielt dann einen
schriftlichen Befehl
des Herrn Majors an seine Posten, mir den Zaun zu überlassen. Dieser Befehl wurde von den Jägern mit einem Hurra auf mich aufgenommen, das sich mehrfach wiederholte, als ich gestattete, daß auch sie sich mit Brennholz von dem Zaune versorgten, da ich für meine Batterie nur etwa den vierten Teil benötigte. Ich erwähne hier dieses Vorfalles nur , um zu zeigen , wie ängstlich wir „ barbarischen " 1) Preußen damals fremdes Eigentum zu schonen bemüht waren . Damit vergleiche man das heutige Verfahren unserer Feinde , die mit Unmenschlichkeiten aller Art verquickten russischen Plünderungen und Zerstörungen und das Verfahren der Truppen so „ hochzivilisierter" Nationen, wie der Franzosen und Engländer, von denen die ersten im eigenen , die zweiten im Lande ihrer Verbündeten hausen, als wenn es sich um Zerstörung aller Existenzmittel handelte. Darum aber kann es sich niemals handeln ! Der Zweck des Krieges ist doch, den besiegten Gegner unter den Willen des Siegers zu beugen.
Dazu ist der Sieg über
die feindlichen Truppen , die bewaffnete Macht des Feindes das geeignetste und durchschlagende Mittel. Daß zu diesem Siege unter Umständen auch die Zerstörung der Lebensbedürfnisse des Feindes : seiner Wohnungen , Lebensmittel usw. , beitragen kann , ist gewiß. Aber ebenso gewiß ist, daß das nur unter besonderen Umständen der Fall ist und darum niemals allgemein und immer Platz greifen darf. Die Frage, ob sie , diese Zerstörung, daher und innerhalb welcher Grenzen stattfinden darf, muß stets von dem sie anordnenden Truppenbefehlshaber sorgfältig erwogen werden. Natürlich wird man, um eine feindliche Truppe zu besiegen , die eine Ortschaft besetzt hält, auch diese beschießen lassen dürfen und müssen,
selbst auf die Gefahr hin,
daß sie
in Flammen aufgeht,
obgleich das doch sowohl die Einnahme wie die spätere Benutzung und Verteidigung des genommenen Ortes erschwert. Ja, es kann geboten sein,
den schon eingenommenen Ort
in Brand
zu stecken,
1) Diese wahrheitsgetreue Darstellung wirft ein helles Licht auf die verleumderische Äußerung des talentvollen, aber unwissenden englischen Satirikers Bernhard Shaw, der es wagt, von "9 dem allgemeinen Ruf der preußischen Soldaten bezüglich Wildheit im Plündern und Verwüsten , Ausrauben und Zerstören zu sprechen, ein Beweis , daß die heutige englische Lügenhaftigkeit schon auf einem weit zurückliegenden Erziehungsfehler beruht. 16 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 524.
234
Mit wem führt man Krieg ?
wenn man ihn nicht selbst zu halten imstande ist,
aber dem Feinde
seine Besetzung solche Vorteile gewährt, daß sie unter allen Umständen verhindert werden muß. Wie schwierig aber auch dann die
Zweckmäßigkeitsfrage
ist ,
zeigen die vielen in Brand geschossenen Ortschaften, die in Schlachten genommen, verloren und wieder genommen wurden, wobei sicherlich die jeweiligen Eroberer die Leidtragenden waren . Wenn man auch in neuerer Zeit die Zerstörung von Ortschaften bzw. von Gehöften und Häusern , die man schon im eigenen Besitz hatte und in solchem erhalten konnte , als abschreckende Strafe für ein völkerrechtswidriges Verhalten der Bevölkerung : hinterlistige Teilnahme der Bewohner am Kampfe , Verstümmelung von Verwundeten - wie solche Greuel in Belgien aktenmäßig nachgewiesen sind der Zerstörung preisgab, so ist das gewiß ebenso erklärlich wie entschuldbar, unterliegt aber doch sowohl aus Humanitäts- wie Zweckmäßigkeitsgründen erheblichen Bedenken . Ich weiß mich völlig frei von schwächlicher Sentimentalität.
Ich
empfinde es geradezu als absurd , wenn man über die Beschießung von Kirchtürmen und Kathedralen, die als Beobachtungsposten oder gar als Deckung für seine Geschütze vom Feinde benutzt wurden , ein Gezeter anstellt, als ob damit in 99 barbarischer Weise" das Völkerrecht
mit Füßen getreten werde,
dieser Vorwurf würde dann doch
dieselbe Stelle treffen , die das Bauwerk zuerst zu kriegerischen Zwecken benützte . Wie Zerstörungen von Wohngebäuden auch den Sieger selbst mitbetreffen, das zeigt sich am klarsten nach der Einnahme von Festungen , deren Beschießung doch notwendig war und keinerlei völkerrrechtlichen Bedenken unterliegt. Als wir nach der Beschießung von Mézières am 2. Januar 1871 in diese Festung einzogen , war dieselbe so zerstört, daß sich z. B. in der Vorstadt Mohon kein einziges Haus noch zur Einquartierung eignete, ausgenommen die Mairie, die während der Belagerung als Pockenlazarett von den Franzosen benutzt und durch die RoteKreuz-Flagge geschützt, von unserem Artilleriefeuer verschont geblieben war . Alle anderen Häuser waren dachlose Trümmer, die keine menschliche Unterkunft mehr boten . Auswanderung der Bewohner nach benachbarten Ortschaften, namentlich nach der reichen Stadt Charleville, mußte daher angeordnet werden. Da könnte es denn scheinen , als ob die ältere Methode, Festung durch Aushungerung zur Übergabe zu zwingen, menschlicher sei als solche Beschießung (Bombardement) .
eine fast
Und unter den früheren Verhältnissen vollzog sich auch eine
235
Mit wem führt man Krieg ?
solche „Aushungerung " ziemlich einfach und ohne Zerstörung von Lebensbedürfnissen . Die Belagerten blieben im ungestörten Besitze ihrer Wohnungen und Lebensmittel. Sie konnten und durften letztere ruhig aufzehren. Nur ihre Erneuerung durch Zufuhr wurde abgeschnitten bzw. diese Zufuhr vom Belagerer selbst in Besitz genommen. Geschädigt wurden freilich die so Befeindeten auch.
Denn indem
sie allmählich dem Mangel anheimfielen und dadurch Gesundheit und Lebenskraft schwanden, trat eben dadurch für sie der Zwang zur Übergabe ein, den der Belagerer wollte. Und dieser Zwang war unentrinnbar. Denn eine Festung war nicht imstande , sich selbst Lebensmittel zu erzeugen . Das ist der große Unterschied zwischen der jetzt von England angestrebten Aushungerung Deutschlands. Deutschland ist glücklicherweise noch so weit Agrarstaat ge-
blieben ,
daß es nicht auf dauernde Zufuhr angewiesen ist, sondern seinen Bedarf an Lebensmitteln selbst erzeugen und dauernd herstellen kann, ganz abgesehen davon, daß ihm auch Lebensmittel aus neutralen Staaten, die unsere Feinde nicht absperren können, zufließen und endlich die von uns bereits eroberten recht erheblichen feindlichen Landesteile zu können .
unserer Verproviantierung
mit herangezogen werden
Jedenfalls wird sich England bald überzeugen ,
daß seine eigene
Lage, die Dichtigkeit seiner Bevölkerung im Verhältnis zu seiner Bodenfläche, die durch seine vornehmen Passionen und seine auf Gelderwerb rücksichtslos hinarbeitende Industrie es von der Einvon Nahrungsmitteln aus aller Welt so abhängig machen, es weit mehr der Gefahr der Aushungerung aussetzen, als das bei Deutschland der Fall ist.
fuhr
England gleicht in der Tat jenem Mann der Sage, der sich einst gewünscht hatte, daß alles zu Gold würde, was er berühre. Seinen Wunsch gewährten ihm die Götter im Zorn, und er ging zugrunde, weil man Gold weder essen , noch trinken kann . Auf Golderwerb, Goldgewinn und Goldraub war die ganze Organisation von England
seit
Jahrhunderten gerichtet .
Was ihm unter
die Finger geriet, wurde rücksichtslos ausgebeutet, die eigenen Kolonien, die unterworfenen oder annektierten Länder : Irland , Amerika , Hindostan , Ägypten usw. Niemals war das Wohl dieser Länder , stets war der Gewinn ,
den England aus ihnen zog,
das
Leitmotiv ihrer Verwaltung. Daher hat es sich auch nirgend dauernde Anhänglichkeit erwerben können. Irland seufzt und stöhnt seit 700 Jahren unter der englischen Herrschaft ;
Amerika hat sich 16*
236
Mit wem führt man Krieg ?
durch blutigen Krieg von ihm befreit,
Ägypten ist
jetzt energisch
bemüht, sich der englischen Ausbeutungspolitik zu entziehen , und in Hindostan regten sich und regen sich jetzt wieder die heftigsten Befreiungsgelüste. Wenn in kleineren , von ihm kaum jemals anders , als durch Gewalt, Raub, Betrug und List erworbenen Ländern die Neigung zur Losreißung von England weniger zutage tritt, so liegt das einerseits an dem Bewußtsein ihrer verhältnismäßigen Ohnmacht, anderseits ist es ein Erfolg der gewissenlosen Politik Englands, die einflußreichen , wohlhabenden Elemente auf Kosten der ärmeren Klassen und unter Begünstigung ihrer selbst- und genußsüchtigen Neigungen sich dienstbar zu machen. Wohin sich immer unser Blick in den unter englischer Herrschaft stehenden Ländern richtet, überall sehen wir die rücksichtsloseste Ausbeutung für englischen Geld- und Goldgewinn , nirgendwo wahrhaft zivilisierende und den Bildungsstand des Volkes hebende Bestrebungen. Das große Gebiet Hindostans , in dem 100 Millionen Moslems und 300 Millionen Hindus wohnen, verkommt in Schmutz und Elend , nicht einmal die Pest hat man dort auszurotten verstanden . In Ägypten , einst der Kornkammer der Welt, hat man den Getreidebau durch die Baumwollkultur zugunsten der künstlichen Industrie Englands in einem Grade beschränkt, daß dieses Land selbst einfuhrbedürftig für Brotkorn geworden ist. Und da wagt
es der
leitende Minister dieses Seeräuberstaates,
Grey, als sein Programm die Befreiung aller unter fremdem Joche seufzenden Völker zu proklamieren.
Ei, da sind wir ja gern
bereit, ihm zu helfen. Irland , Hindostan , Ägypten , Malta , Cypern , Gibraltar , sie alle werden sich mit Wonne befreien lassen. Merkwürdigerweise aber versucht dieser englische Minister mit diesem Programm der Befreiung aller unterjochten Völker die Unterwerfung des ersten Kulturvolkes Europas und der Welt , Deutschlands , zu verbinden, und zwar durch das sicherlich unedelste und unritterlichste Mittel , der Aushungerung. Und da gibt es neutrale Mächte, die Deutschland in den Arm fallen wollen, wenn es dieselbe Waffe, aber in entschieden wirksamerer Weise gegen seinen gewissenlosen Gegner
anzuwenden sich
anschickt und noch dazu diesen Kampf laut proklamiert und alle Neutralen warnt, sich nicht durch allzu unvorsichtige Neugier unvermeidlichen Gefahren auszusetzen. Wir meinen, ein offeneres, gar nicht denkbar.
ehrlicheres,
loyaleres Verfahren sei
Mit wem führt man Krieg ? Es ist wohl ganz
natürlich ,
daß es
237
sogar nicht an Stimmen .
fehlt, die da meinen, ein sofortiges , tatsächliches Eingreifen. ohne alle vorherige Warnung wäre noch wirksamer und imponierender gewesen ! Das
mag wohl
sein,
aber die jetzige menschenfreundliche Art
der Ankündigung hat doch schon zwei große Vorteile gezeitigt, sie hat erstens die Neutralen genötigt, offen die Farbe ihrer Sympathien oder wenigstens ihres Respektes zu bekennen, und zweitens hat sie England zu
einem Schritt verleitet,
ist für seine Angst ,
der gleich bezeichnend
wie seine Hinterlist ,
zu dem feigen Miß-
brauch der neutralen Flaggen und der Anweisung aller Handelsschiffe , sich mit Kanonen zur Abwehr von Unterseebooten zu versehen . Dadurch wird ja jeder Zweifel gehoben und jedes dieser Schiffe kann ohne weiteres als Kriegsschiff behandelt werden. Daß das auch geschehen wird, daran zweifeln wir nicht, und wenn Unterseeboote nicht in der Lage sind, die Besatzungen solcher Schiffe vorher zu warnen und ihnen Gelegenheit zu geben, sich von dem Schiffe zu retten, so sehen wir auch darin nur ein Mittel, den Krieg abzukürzen, indem man ihn wirksamer gestaltet. Laut hat Churchill verkündet , daß alle die bisher von der deutschen Flotte vernichteten Handelsschiffe nur 1,6 % , nach neueren Nachrichten sogar nur 1 % der englischen Handelsflotte ausmachten, während er bei Beginn des Krieges auf 6% gerechnet habe, daß also England noch lange aushalten kann. Da ist es wohl angebracht, einmal gründlich zuzusehen, wie unser Kampf gegen das see- und weltbeherrschende England abgekürzt werden kann ! Daß seine Aushungerung durch rücksichtslose Abschneidung und Zerstörung aller Zufuhr von Lebensmitteln und Lebensbedürfnissen (Petroleum, Kohle) gelingen kann , ist nicht zu bezweifeln , daß sie aber auch die neutralen und die sämtlichen anderen Staaten Europas, ja der ganzen Welt, schädigen wird , liegt auf der Hand . Denn alle Lebensbedürfnisse haben nicht nur eine lokale Bedeutung, mag diese auch unter Umständen besonders hervortreten, sondern daneben auch eine universelle. Der bisherige Verlauf des Krieges hat schon bewiesen, daß nicht nur die Vernichtung von Lebensbedürfnissen , sondern auch schon die Verhinderung des freien Verkehrs eine enorme Verteuerung derselben zur Folge hat, und zwar nicht nur für die kriegführenden Staaten, sondern auch für die neutralen. Auch daß das nicht nur für Europa, sondern, wenn auch modifiziert durch ihre besonderen Verhältnisse, für alle Weltteile gilt, dürfte sich nachweisen lassen . Der Beweis dafür liegt schon in den Ausfuhrverboten der verschiedenen
238
Mit wem führt man Krieg ?
Staaten selbst für solche Lebensbedürfnisse, deren Verkauf im Frieden ihre größte Einnahmequelle bildet. Das an Kohle reichste Land, England zum Beispiel, muß nicht nur ihren Absatz am strengsten verbieten, sondern kann infolge der Verkehrsstockungen nicht einmal seine eigenen Städte genügend versorgen. Wie wird das erst werden , durch
unsere Unterseeboote so
wenn die englische Küstenschiffahrt ein
bißchen
polizeilich
kontrolliert
wird? Da dürfte sich die Differenz der Kohlenpreise bzw. der Kohlenversorgung zwischen England und seinen Gegnern : Deutschland , Österreich-Ungarn und
der Türkei, zuungunsten des „ seebeherrschenden "
Britenreiches um so wirksamer verschieben, als letzteres auch klägliche Armut an Ersatzmitteln , namentlich Brennholz, in Vergleich zu uns und unseren Verbündeten aufweist. Im ganzen kann es keinem Zweifel unterliegen, daß wir , d. h. die europäischen Zentralmächte und die Türkei, die ihr Dasein noch vorzugsweise auf ihre Landwirtschaft und eine Hand in Hand mit dieser gehende, hauptsächlich die eigenen Bedürfnisse erzeugende Industrie begründen, in dem ökonomischen Kampfe um die Lebensbedürfnisse die weitaus stärkeren sind , und daß es von seiten Englands eine geradezu selbstmörderische Politik ist , Krieg gerade
auf diesem
Gebiet
austragen
zu wollen.
den
Da dürfte
selbst dem reichen England der letzte Penny eher ausgehen , ehe wir nur eine Minderung unserer Lebenskraft spüren. Auf der anderen Seite würde es für uns ein ideologischer Altruismus sein, wollten wir zugunsten unserer Gegner auf das gerade unsere Stärke bildende Mittel des ökonomischen Kampfes verzichten. Daß uns das nicht einfällt, hat den Engländern und der ganzen Welt inzwischen wohl die offene Warnung unseres Großadmirals v. Tirpitz bewiesen, und unsere Marine wird es ihnen vom 18. d. M. ab handgreiflich durch Taten klarmachen ! Am allerwenigsten werden uns dabei die Drohungen sog. neutraler Staaten, die sich nicht entblöden , ihre Neutralität dazu zu benutzen, unseren Feinden Waffen und Munition zu liefern , stören ! Ihnen geben wir zu bedenken, daß sie vor allem die Pflichten ihrer Neutralität ( ? ) zu beachten haben, wenn sie die Vorteile derselben genießen wollen ! Anderseits sind wir diejenigen , die einen offenen Feind einem neutralen ( ? ) heimlichen Gegner vorziehen und ihm zeigen werden , daß uns Drohungen nicht einschüchtern , unser gutes Recht bis zum äußersten zu verteidigen. Dagegen sind gerade wir kaltblütig und gerecht genug die hier angestellten Betrachtungen gelten ja vorzugs-
239
Was geht an den Dardanellen vor sich ? weise diesem Punkte
anzuerkennen, daß dieser ökonomische
Kampf nicht nur unsere Feinde ,
sondern auch uns und unsere
Freunde , wie die Neutralen und die ganze Welt schädigt und den Ausgang des Krieges eher auf die lang Bank schiebt als ihn beschleunigt, wenn wir nicht auf Mittel bedacht sind , dem ökonomischen Kampfe die
äußerste Schärfe unseres Schwertes hinzuzu-
fügen und den Krieg vor allem gegen das Personal unserer Feinde zu richten. Das wird den Krieg sicher abkürzen im Sinne des treffenden Schlagwortes unseres genialen Feldherrn Feldmarschall v. Hindenburg : „ Die humanste".
rücksichtsloseste
Kriegführung
ist
zugleich
die
Denn sie kürzt den Krieg am sichersten ab und zugleich die Seeherrschaft des Seeräuberstaates Kat-exochen , des „ Monstrums “ England ! Gießen, den 18. März 1915.
XXVI. Was geht an den Dardanellen vor sich ?
Von v. Richter, Generalmajor z. D.
Seit dem 19. Februar dieses Jahres richten Franzosen und Engländer mit Teilen ihrer Flotten Angriffe auf die Befestigungen der Dardanellen, jener engen Wasserstraße, die das Schwarze und Mittelländische Meer verbindet. Mit berechtigter Spannung richten sich die Augen ganz Europas auf jene Vorgänge, so sehr auch die Aufmerksamkeit plätzen
durch die Ereignisse
in Anspruch genommen
auf den
ist.
bisherigen
Kriegsschau-
Und die Bedeutung des dort
auf dem Spiele stehenden Kampfpreises läßt es nur zu begreiflich erscheinen, daß man erwartungsvoll der Entwickelung der Dinge harrt.
Rußland bedarf dringend eines günstigen Zuganges zum Weltmeere, um sich für den Absatz seiner Erzeugnisse mit weitausgedehnten Gebieten zu verbinden oder umgekehrt den eigenen Bedarf ergänzen zu können. Seit ihm 1905 Port Arthur entrissen, fehlt ihm ein solcher. Denn die Häfen Wladiwostok und Archangelsk sind der Eisverhältnisse wegen einen großen Teil des Jahres unbenutzbar ; der
240
Was geht an den Dardanellen vor sich ?
Verkehr durch die Ostsee ist zu umständlich und kann jeden Augenblick gesperrt werden und die Versuche, auf der Skandinavischen Halbinsel Anschluß an die offene See zu gewinnen, waren nicht von Erfolg gekrönt. So bot sich als einziger Ausweg die Sicherung der Zufahrt zum Mittelländischen Meer durch Bosporns, Marmarameer und Dardanellen . Seit Peter dem Großen ist sie das Ziel der Wünsche gewesen und mit der Türkei geführte Kriege, ebenso die Umtriebe Rußlands unter den Balkanvölkern haben nicht zuletzt diesem EndWenn den Anstrengungen der Erfolg versagt blieb , so lag das hauptsächlich am Gegenspiel Englands , das es verstand , sich seine Seeherrschaft zu sichern entweder durch Besitzergreifung
zweck gegolten.
strategisch wichtiger Punkte, wie der Straßen von Dover und Gibraltar, des Suezkanals usw. , oder durch Verhinderung des Übergangs solcher Solange die Dardanellen dem in die Gewalt mächtiger Nebenbuhler. Osmanischen Reiche zugehören und dies in ohnmächtiger Abhängigkeit von Britannien erhalten wird , kann die Fahrstraße der Dardanellen je nach den Bedürfnissen der Engländer entweder durch ihre eigene Flotte oder zwangsweise durch die rechtmäßigen Besitzer gesperrt worden. Aber die Türken
sind
erwacht und erstarkt.
von der Bevormundung der Westmächte und des
Sie haben sich mit ihnen ver-
bündeten Rußland nicht nur freigemacht, sondern sind offen auf Seite ihrer Gegner in den Kampf getreten. Dardanellen gesperrt .
Seitdem sind
für jene die
Forscht man nun den Ursachen nach , die Engländer und Franzosen zu dem Versuch veranlaßten, den Eingang in die Meerenge zu erzwingen, so scheint das Nächstliegende die Absicht, dem unbequem gewordenen einstigen Schützling den Krieg in sein eigenes Land zu tragen, um ihn zur Abwehr eines Vorstoßes gegen Konstantinopel und somit zum Zurückziehen seiner Streitkräfte dahin zu zwingen. Denn seine Truppen bedrohen die Briten an der empfindlichsten Stelle ihres Weltreiches , in Ägypten, dem einstigen Lehnstaate der Türkei, das England besetzte, um den kürzesten Weg nach Indien durch den Suezkanal in seiner Hand zu haben. Und auch Frankreich muß daran gelegen sein , seinen Einfluß und die erlangten Zugeständnisse in Kleinasien ungeschmälert zu erhalten. So würde das Eingreifen den eigensten Zwecken der Mächte dienen. Vorgegeben aber wird als Grund der Hilferuf Rußlands, es könne seinen
dringend gewordenen
Kriegsbedarf
aller
Art
nicht bewerk-
stelligen ohne ungehinderten Verkehr durch die Dardanellen . Versage die Zufuhr, so leide seine Widerstandskraft ernstlich . Da sich die russische Flotte des Schwarzen Meeres , weil unfertig, den Ausgang
241
Was geht an den Dardanellen vor sich ?
zum Mittelländischen Meere nicht aus eigener Kraft öffnen kann und die Millionenheere der Moskowiter als alles zermalmende „ Dampfwalze“ einen der stärksten Ansätze in den Berechnungen des Dreiverbandes darstellen, so kann auch aus diesen Verhältnissen heraus das Unternehmen ins Werk gesetzt sein. Nun tritt aber sofort der gegensätzliche Standpunkt der beiden Nebenbuhler in die Erscheinung. Zugeständnis
Rußland will sich nicht mit dem
ungehinderter Durchfahrt begnügen,
den dauernden,
sondern
ungeschmälerten Besitz der Meerenge ,
verlangt
und England
ist nicht geneigt, ein so weitgehendes Zugeständnis zu machen. Daraus würde sich erklären, daß die anfänglichen Unternehmungen gegen die Dardanellen augenscheinlich des
nötigen Nachdrucks entbehrten , so
daß die Vermutung etwas für sich hatte , man wolle dem Bundesgenossen nur den guten Willen zur Befriedigung seiner Wünsche vortäuschen. Seitdem die vereinigte Flotte aber mit großer Kraftentfaltung vorgeht, ist es glaubhafter, daß sie Ernst macht, aber die Befestigungen der Dardanellen stärker gefunden hat, als von ihrem kommandierenden Admiral, der noch bis zu Beginn des jetzigen Krieges die Ausbildung der türkischen Seestreitkräfte leitete, beurteilt. Vermutlich wiegte man sich auch in der Hoffnung, das Unternehmen werde alsbald die Griechen an die Seite der Westmächte rufen, die ihrerseits mit einer Armee gegen Konstantinopel vorrücken sollten. Denn daß der Streich ohne Mitwirkung eines starken Landheeres aussichtslos inzwischen erkannt.
sei ,
scheint
Die Tätigkeit des angreifenden Geschwaders in einer wechselnden Stärke bis zu 10 Panzerschiffen und mehreren Torpedobooten richtete
sich
bis Anfang März
gegen
die beiden
als
Außenforts
dienenden befestigten Schlösser am südlichen Ausgange der Meerenge, Siddil Bahr und Kum Kalesi , jenes auf der Halbinsel Gallipoli, dieses an der Küste Kleinasiens gelegen, und die benachbarten Batterien. Die Widerstandskraft der beiden Schlösser
gegen Geschosse schwerer
Geschütze ist gering, diejenige der Batterien dagegen bedeutend .
Die
Beschießung währte fast täglich mehrere Stunden und gleich an einem der ersten Tage fielen 800 bis 1000 Geschosse schwersten Kalibers (bis zu 35 cm) , die in den Werken der Außenforts Zerstörungen anrichteten, dagegen die kleine Ziele bietenden Batterien wenig schädigten . Die bis zur angegebenen Zeit verfeuerten mindestens 6000 Schüsse änderten daran nichts Wesentliches. Anfangs schwächliche, gegen den 10. März stärkere Landungsversuche mit 1800 Mann auf der asiatischen Seite, mit 2000 vom Meerbusen von Saros her auf der Halbinsel Gallipoli wurden
unter schweren Verlusten zurückgeworfen .
Da Griechenland den erwarteten Vorspanndienst zu einem Unternehmen
242
Was geht an den Dardanellen vor sich?
gegen Konstantinopel nicht leistete, so beabsichtigten die Verbündeten, selbst 40000 Mann heranzuschaffen. In den bisherigen Kämpfen hatten die Schlachtschiffe der Verbündeten nicht unerhebliche Beschädigungen erlitten . Unbedingt Zuverlässiges gelangte darüber nicht an die Öffentlichkeit . Es sollten 8 Kampfschiffe, mehrere Torpedoboote und Minensucher schwer gelitten haben. Aus der nach der erwähnten Beschießung und Landung eingetretenen Kampfpause läßt sich schließen, daß sie entweder durch die Beschädigungen der Schiffe veranlaßt wurde oder daß man zur Erkenntnis gelangt war, ohne eingehende Erkundung der feindlichen Befestigungen und Beseitigung der zahlreichen Minen nicht vorwärts zu kommen. Flugzeuge erschienen fortgesetzt, um Aufschluß über Lage der türkischen Batterien zu erhalten, und das Vortreiben des englischen Kreuzers „ Amethyst " mit Volldampf dürfte ebenfalls der Erkundung gedient haben, indem durch Herauslocken des feindlichen Feuers
die
Kreuzer
Batteriestellungen
auch
schwerlich
Feuer doch reichlich opferung.
erkannt
werden
sollten .
weit gelangt sein dürfte,
auf sich gelockt,
Wenn
so hat
allerdings unter
der
er das
eigener Auf-
Nachdem bis zum 17. März das Aufräumen der Minen eifrig betrieben war, eröffneten Tags darauf 14 Panzerschiffe das Bombardement gegen die Befestigungen aufs
neue .
Augenscheinlich war
ein ent-
scheidender Schlag beabsichtigt. Denn das Feuer wurde 3 ' , Stunden von sämtlichen, weitere zwei Stunden noch von 8 Schiffen durchgehalten.
Auch diesmal blieb der
erwartete
Erfolg versagt.
Die
Verluste der Angreifer wurden auf 5 in den Grund gebohrte Kampfschiffe beziffert und 7 weitere sollten umfassender Ausbesserung bedürfen . Die Verbündeten setzten die Verluste hauptsächlich auf die Wirkung der Minen ; die Türken schrieben sie ihrer Artillerie zu . Letzteres dürfte zutreffender sein, da sich die Flotte bei dieser Gelegenheit zum ersten Male auf längere Zeit dem wirksamen Geschützfeuer aussetzte. Die Beschädigungen an den türkischen Anlagen sollen unbedeutend sein ; die Zeit der Kampfpause hatte genügt, sie auszubessern. Seit dem 18. März setzen Flieger die Erkundung fort und es wurden auch mit den Forts gelegentlich Schüsse gewechselt . Bemerkenswert ist es, daß das Fort Kilid Bahr, am südlichen Eingang zur engsten Stelle der Dardanellen gelegen, von dem Über- Dreadnought ,,Queen Elizabeth " vom Golf von Saros her mit 10 Schüssen bedacht wurde. Da der zwischen dem Fort und dem Golf liegende Teil der Landzunge von Gallipoli allein 15 km beträgt, so muß das Schießen auf mindestens 16 km stattgefunden haben. Solche und noch größere
243
Was geht an den Dardanellen vor sich ? Entfernungen sind
mehrfach von den Engländern gewählt
worden,
wozu sie die Tragweite ihrer schweren Schiffsgeschütze befähigt. dabei nur geringe Treffergebnisse Hand.
zu erwarten sind,
Daß
liegt auf der
Über den 1. April hinaus sind die weiteren Absichten der Verbündeten vorläufig nicht zu erkennen , zumal sie ihre Vorkehrungen mit einem
dichten Schleier umgeben .
Es sollen
eine noch stärkere
Flotte und ein Landungskorps zusammengezogen werden. Da man die Bezwingung der Dardanellen als Ehrensache ansieht, so ist wohl als sicher anzunehmen, daß diese Kräfteanhäufung, wenn sie zustande kommt,
gegen die Dardanellen gerichtet werden soll.
Doch heißt es
auch, die Truppen würden nach Ägypten geworfen werden. Ein Vorgehen gegen Konstantinopel zu Lande würde eine mindestens gleich starke türkische Armee zur Abwehr bereit finden. Die nächste Zeit muß über die weiteren Absichten Aufschluß bringen. Forscht man
den Ursachen
der bisherigen Mißerfolge der An-
greifer nach, so ergibt sich als nächstliegende die anscheinend große Unsicherheit über Lage der türkischen Batterien. Ferner scheint man auch die Leistungsfähigkeit der türkischen Geschütze unterschätzt zu haben. Schließlich kommt in Betracht, daß die türkischen Batterien gut gedeckt liegen und
zu
ihrer Bekämpfung Steilfeuer
erfordern.
Zur Verwendung auf Schiffen sind aber dazu befähigte Geschütze ungeeignet und man möchte glauben, daß die außergewöhnlich weiten
Schußentfernungen mit aus
große Einstellwinkel schlagen zu können .
dem Grunde gewählt sind ,
um
zu erhalten und so hinter die Deckungen Das wäre freilich nur ein äußerster Notbehelf,
durch den die Treffwahrscheinlichkeit erheblich leiden muß, die ohnehin schon
durch die Schwankungen
des Schiffskörpers
herabgesetzt
wird, während gerade kleine Ziele eine große Treffgenauigkeit verlangen. Hiernach ist man zu der Annahme berechtigt, daß die Dardanellenbefestigungen nicht so leichten Kaufs zu nehmen sein werden, wie es die Verbündeten sich wohl gedacht haben . Und sollte es zu einem Zusammenwirken zwischen Flotte und Landungsarmee kommen, so läßt sich nach dem bisherigen Auftreten der Türken annehmen, daß sie ihre Hauptstadt und die Zufahrt zu ihr erfolgreich zu verteidigen wissen werden. Die eigentlichen Schwierigkeiten in Bewältigung der Dardanellen beginnen erst etwa 30 km nordöstlich der Einfahrt, wo sie sich derart
verengen, daß der Eingang nur 3 , der Ausgang 21 , km, das zwischenliegende, etwa 10 km lange Stück bis zu 7 km breit sind . Hier reiht sich auf beiden Ufern Batterie an Batterie, deren Geschütze voll
244
Die Niederlande und der Krieg.
zur Geltung kommen müssen , da für den Angreifer der von bisher bevorzugte Fernkampf ausgeschlossen ist. Und diese festigungen müssen
ihm Be-
nach dem bisherigen Verlauf der Dinge noch als
ganz oder nahezu ganz unversehrt gelten.
XXXII.
Die Niederlande und der Krieg.
II ') . Wenn nicht alle Zeichen trügen , wird die Wehrverfassung der Niederlande aus den gegenwärtigen, ganz Europa in Mitleidenschaft ziehenden Kriege in veränderter Gestalt, auf breiterer Grundlage aufgebaut, hervorgehen . Niemals bisher hat die Allgemeinheit des niederländischen Volkes so einhellig die Empfindung gehabt, daß in der langen abgelaufenen Friedenszeit für die Steigerung der Kriegskraft noch mehr hätte geschehen können ,
was man heute
als ver-
säumt bezeichnen muß, vor allem auch die Sicherstellung einer starken . fest eingerahmten Reserve als Rückhalt und Ersatzschöpfquelle für das mobile Feldheer, die Heranziehung aller dienstpflichtig befundenen Leute der Rekrutenjahrgänge zur Ausbildung, nicht nur eines Teiles derselben. Will man dasselbe Ziel, so sind doch die Wege, die man einschlagen will, verschieden und decken sich nicht immer mit dem von der Regierung
vorgesehenen.
Bei der Einstellung des
Miliz-
jahrganges 1915 hat man in der Praxis die Erkenntnis des Fehlens einer Reserve schon ausgenutzt ,
indem die Losung fortge fallen
ist und beim Jahrgang 1916 , den die Regierung verfrüht einzustellen beantragt hat, wird man sicher ebenso verfahren und nach dem Friedensschluß wohl nicht mehr zur Losung zurückkehren .
Erst in
der Zeit vom 20. bis 24. April d . J. kommt im übrigen die zweite Rate der Leute des Milizjahrgangs 1915 , nämlich die für die Radfahrerformationen und die III. Bataillone der Grenadier- , Jägerund Linienregimenter, zur Einstellung,
und im Parlament wurde bei
Beleuchtung der vorläufig angeschnittenen Frage der verfrühten Einstellung des Jahrgangs 1916 die Bemerkung gemacht, vom gang 1914 seien noch nicht sämtliche Milizleute eingestellt.
Jahr-
Der niederländische Hauptmann des Ruhestandes Polvliet schrieb jüngst in der von ihm geleiteten „ Volkswehrbarkeit “ : „ Unser Heer
1) Vgl. den Aufsatz im Februarheft.
245
Die Niederlande und der Krieg.
steht an der Grenze, die ganze militärische Kraft der Niederlande ist aufgeboten, aber unsere Wehrkraft wurzelt nicht in einem wehrbaren Volke. Sie verfügt nicht über die unentbehrlichen Reserven zum Decken der Verluste in einem Kampf gegen eine eventuelle Übermacht . Sie kann auch nicht Leute der Landwehr und der Miliz , die jetzt schon sieben Monate aus ihrem Beruf abberufen sind, vorübergehend in die Heimat entlassen, um zu ihrem Beruf zurückzukehren und ihre Stellungen sich wieder zu sichern, solange wir nicht in den Krieg verwickelt sind . "
Hauptmann Polvliet weist
auf verschiedene Beispiele der Bildung von Reserven hin, betont, daß Belgien, Frankreich, Deutschland unausgesetzt an der Bildung von solchen arbeiten, und fragt, warum Holland nicht die günstigen Verhältnisse des Nichtverwickeltseins in den Krieg dazu benutzen wolle, eine solche Reserve zu schaffen . 99 Selbst wenn wir nicht in einen kriegerischen Konflikt hineingezogen werden, so spricht doch das, was wir an intakter Wehrkraft des niederländischen Volkes besitzen, bei den Friedensverhandlungen ein gewichtiges Wort mit . Eine Regierung, die über eine halbe Million geschulter Streiter verfügte, könnte verlangen, gehört zu werden. " Die Heeresverstärkung wird in der niederländischen Presse sehr eifrig besprochen, die Wege, auf denen die Regierung zu einer solchen zu gelangen hofft, treffen aber auf sehr verschiedene Urteile. Einer der Hauptpunkte betrifft, wie Polvliet besonders betont, die Freigelosten. Man ist in weiteren Kreisen der Ansicht, daß für die Auferlegung einer neuen Pflichtigkeit nur die Freigelosten der Milizjahrgänge in Frage kommen könnten, die jetzt unter den Fahnen sind, d . h. die Nach den statistischen Feststellungen Jahrgänge 1906 bis 1914. ---wir folgen immer noch Polvliet und den Angaben des Kriegsministers beim Kriegsbudget haben von denen, die gelost haben, in den genannten Jahren rund 161000 eine Einstellung erfahren , rund 145 000 für den Waffendienst Geeignete sind übriggeblieben und durch das Los , das sie gezogen, vom Heeresdienst auch für die Zukunft nach den damals geltenden gesetzlichen Bestimmungen befreit worden.
Zieht man nach den Erfahrungssätzen 8,5 % ab, so bleiben
132000 , die für den Heeresdienst gingen .
Nach
dem Bericht
des
in der genannten Zeit verloren
Kriegsministers
über das Ergebnis
des Milizjahrgangs 1913 wurden für das genannte Jahr bei der Miliz des Landheeres rund 22000 Mann eingestellt, freigelost hatten sich 6854. Dabei ist zu bedenken, daß nach dem Milizgesetz von 1901 das Jahreskontingent für die Miliz des Landheeres 17 100 Mann betrug,
nach dem Wehrgesetz von 1912
aber 22300
und außerdem
6500 Dienstfähige vom Dienst befreit wurden , weil einer ihrer Brüder
246
Die Niederlande und der Krieg.
unter den Waffen wurden.
diente,
oder sie
Die beiden Ziffern
als Familienernährer
betrachtet
zusammenrechnend, muß man
also die
Zahl der 1913 zu Hause gelassenen Dienstfähigen auf 13300 Köpfe angeben.
Will man alle wehrfähigen Leute
einstellen und ausbilden ,
so muß man naturgemäß auch genügend brauchbares Kaderpersonal haben, um sie bewaffnet und fest eingerahmt an den Feind zu bringen . Vielleicht ist es, so sagt man, zweckmäßig, die Freigelosten beim Landsturm einzustellen und dann zu sehen, was mit ihnen anzufangen ist. Auf diese Weise könnte man ja auch eine Reserve für das mobile Heer schaffen. Die Regierung, so betont Hauptmann Polvliet , hat meiner Auffassung nach das Recht, auf alles, auch die Gedienten , Beschlag zu legen , was das 40. Lebensjahr noch nicht erreicht hat. Das ist auch mit
den Jahrgängen 1897 und 1898
der Fall, bei
denen sich auch gutgeschultes Kaderpersonal befindet. Hauptmann Polvliet hat in seinen vorstehenden Bemerkungen von den schwebenden Fragen alle wichtigen berührt, bis auf die beabsichtigte verfrühte Einstellung des Milizjahrgangs 1916. Als die Absicht der Regierung in der Presse durchsickerte, sagten die Tagesblätter, daß die Regierung dabei nur eine Verstärkung der unter den Waffen stehenden Mannschaft beabsichtige und damit eine Verstärkung der Reserve , ohne daß dafür andere Leute älterer Jahrgänge - etwa der älteste Landwehrjahrgang in die Heimat entlassen werden sollten.
Oder ob dies vielleicht eintreten solle ?
Sehr viel verfrühen
kann man übrigens die Einstellung des Jahrgangs 1916 überhaupt nicht mehr, da die zweite Sitzung des Milizrates kaum vor der zweiten Hälfte August abgehalten werden kann . unbedingt
sicher,
daß man
dann
Es scheint auch noch nicht
brauchbares
Ausbildungspersonal
in der nötigen Zahl und genügend Kasernenräume verfügbar hat. den Kommissionsberatungen der
II . Kammer
über den
In
vorläufigen
Vorschlag, betreffend vorzeitige Einstellung des Jahrgangs 1916 , fanden sich Deputierte , die ihre Ansicht dahin äußerten , ehe man auf so junge Elemente
wie Jahrgang 1916
zurückgreife,
die
doch normal
erst für das folgende Jahr zur Einstellung kommen würden,
sei es
zweckmäßiger und auch gerechter, durch Gesetz diejenigen in den Dienst zu berufen , die bei den letzten Aushebungen befreit worden seien, z. B. als Brüder von aktiv Dienenden bzw. Familienstützen , oder sich freigelost hätten .
Das
verhältnismäßig
jugendliche Alter
des Jahrgangs 1916 wurde von anderen Deputierten aber nicht als durchschlagender Grund bezeichnet. Längere Diskussionen fanden über
die Frage
statt,
wie lange man
die aktive
erste Übung des
Jahrgangs 1916 dauern lassen wolle, wenn er annähernd zum August 1915 eingestellt werde, statt Januar und Oktober 1916. Normal würde
247
Die Niederlande und der Krieg. zu dem letztgenannten Termine dieses Jahrgangs im Juli 1916
eingereiht die Mehrzahl der Leute mit der ersten aktiven Dienstdauer
fertig sein. Aber selbst wenn im Winter 1915/16 die Demobilmachung eintrete, könnte doch das Land nicht ohne einen aktiv dienenden Jahrgang der Miliz sein und man müßte die Frage bezüglich des Weiterdienens bis 1917 wohl bejahen. Wenn man Leute, die Brüder im aktiven Dienst hätten, oder Familienstützen älterer Jahrgänge, deren Familien vom Staat Unterstützungen erhielten, unter den Waffen habe, dann sei es nicht billig, Leute von 19 und 20 Jahren als Familienstützen freizulassen, und eine Anzahl von Deputierten sprach
sich
nachdrücklich
befreiungen aus,
für
die
Beseitigung
der
Dienst-
um so mehr, als auf diese Weise möglich werde,
den ältesten Jahrgang der Landwehr in die Heimat zu entlassen oder Landsturmleute nicht einzuberufen . "9 Wenn wir in den Weltkrieg verwickelt werden, dann liegt das Schwergewicht in dem, was unmittelbar für den Krieg ausgebildet und bereitgestellt ist, wir erst
in Ausbildung
nehmen müssen .
nicht in dem,
Nicht mehr
was
oder weniger
geübte Rekruten kommen dann für den Einsatz in Betracht, sondern Leute, die eine volle Schulungsperiode hinter sich haben. Aus diesem Grunde ist es notwendig, auf die früheren Jahrgänge zurückzugreifen, naturgemäß in den Grenzen , die Vorrat an Waffen und Ausrüstung ziehen
und die der Regierung ganz genau bekannt sein müssen. “
Man darf, so sagte die Mehrzahl der Blätter,
nicht behaupten ,
daß
in den Niederlanden die Pflichtigkeit zum Landsturm vom 19. bis 40. Jahre sehr weit gehe, in Deutschland und Österreich- Ungarn reicht sie vom
17. bis 42. bzw. vom 19. bis 42. Lebensjahr,
und
während in den Niederlanden die Dienstpflicht im aktiven Heere und in der Landwehr im Durchschnitt nach 11 Jahren beendigt ist, zählt man in anderen Ländern mit kurzer aktiver Dienstpflicht 16 bis 26 Jahre. „Die Regierung will die Möglichkeit haben, dem immer noch starken Fehlen von Kadern durch Herantreten an jene abzuhelfen, die im Inlande oder in den Kolonien bei der Land- oder Seemacht gedient haben und sich nicht für die Dauer der Mobilmachung freiwillig zur Verfügung stellten, und diese zwingen, während der Dauer des Krieges ihren Platz in den Gliedern wieder einzunehmen , dann auch Verfügung nicht zum zu erhalten über früher gedient habende Mannschaften Landsturm übergetretene Landwehrleute und Freiwillige in derselben Lage, die noch nicht das 40. Jahr erreichten . " So schrieb „ Algemeen Handelsblad " vom 5. März. Das Blatt bemerkte dann weiter, man verstehe nicht recht, was die in die Presse gedrungene Nachricht über einige Regierung besagen solle .
Absichten der
Danach sollten die Freiwilligen vom Dienst
248
Die Niederlande und der Krieg.
im Landsturm
frei sein,
die den Dienst vor 1911
verlassen haben .
So könne ein aus dem Hauptkursus stammender Offizier , der 1880 geboren sei, 1910 seine Pflichtigkeit erfüllt haben, obwohl das Militärbildungsgesetz von dem Offizier fordere, daß er vier Jahre aktiv gedient und fünf Jahre als Reserveoffizier zur Verfügung gestanden habe . Billig und natürlich wäre es nur, daß er bis 1920 im Landsturm pflichtig bleibe. Das ordne aber auch das neue Notgesetz der Regierung nicht an und ebenso suche man in ihm vergeblich nach einer Bestimmung, die befehle, daß jeder, der im Heere oder in der Landwehr einen Dienstgrad bekleidet habe, sei er als Kadett, Volontär oder gewöhnlicher Freiwilliger in Dienst getreten, nach seinem Austreten aus dem aktiven Dienst bis zum 40. Lebensjahre landsturmpflichtig sein soll. Die Regierung will dem Landsturm diejenigen zurechnen, die 1911 , 1912 und 1913 vor dem 24. Mai , dem Moment , von dem ab das Landsturmgesetz die Pflichtigkeit in Kraft setzte , den freiwilligen oder auferlegten Dienst in der Flotte, dem Landheer oder in den Kolonien verlassen haben. Erreicht die Regierung die Einstellung der zu den jetzt unter den Waffen stehenden Jahrgängen 1906 bis 1914 gehörenden Freigelosten bzw. Befreiten und die Ausdehnung der Landsturmpflicht auch auf die vor dem 24. Mai 1913
ihrer Dienstpflicht
in
Linie und
Landwehr genügt
habenden, sowie die Verfügung über das obengenannte Kaderpersonal , so kann man von einer namhaften Verstärkung des Heeres und einer Sicherstellung der jetzt fehlenden Armeereserve sprechen. Im Haag hielt am 25. März Oberstleutnant im Generalstabe und Chef des Etappendienstes in Rotterdam v. d. Hoog, einen Vortrag über die „ Mobilmachung" . Er betonte , der am 31. Juli von der Regierung gefaßte kräftige Entschluß
zur Mobilmachung
habe seine
Ergänzung gefunden in dem, dank den Friedensvorbereitungen, eingetretenen glatten Verlauf der letzteren. Die Neutralität bringe Rechte mit sich , aber auch Pflichten, die nicht leicht wögen. Er wies darauf hin, daß man von 58000 gemusterten jungen Leuten bei der Miliz
jährlich nur
23 000
einstelle ,
es
aber von der
allergrößten Bedeutung sei , alle zu schulen , da man , wenn man sie auch nicht sämtlich sofort in erster Linie einsetze , die unentbehrliche Reserve habe.
Sein Rückblick auf die Ent-
wickelung der Armee stellte fest , daß diese vor 30 Jahren in fünf Jahrgängen 11000 Mann, eine Anzahl von Freiwilligen bei der Kavallerie und die Schutterij aufgewiesen habe , durch das Wehrgesetz von 1901 verdreifacht wurde, die persönliche Dienstpflicht auch die Intelligenz in die Reihen brachte, daneben aber auch den Nachteil der nur
Literatur. vier Monate Dienenden.
249
Der Landsturm blieb damals noch zu organi-
sieren. 1913 brachte der Kriegsminister Colyn das Rekrutenkontingent auf 23000 Mann, dehnte die Dienstpflicht in Heer und Landwehr auf elf Jahre aus , schuf das Kaderausdehnungsgesetz und begann die Organisation des Landsturms¹ ). Dienstpflicht. "
„So näherten wir uns der allgemeinen 18.
Literatur. Bücher. In England kriegsgefangen ! Meine Erlebnisse in dem Gefangenenlager Dorchester. Von B. Schmidt - Reder , Major a. D. Mit Bildern. Verlag von Georg Bath, Berlin SW 11. Preis 1,50 M. Das uns vorliegende Buch behandelt eine zeitgemäße, brennende Frage ; man wird es mit großem Interesse in die Hand nehmen , mit noch größerem aber während des Durchlesens verfolgen. Der Verfasser, ein höherer Offizier, der seine Freiheit wiedererlangte auf eine Weise, die er nicht verraten darf, hat es meisterhaft verstanden , ein lebendiges Bild seiner eigenen Erlebnisse zu entrollen. B. SchmidtReder befand sich während des Kriegsausbruchs in Amerika ; er schiffte sich mit vielen Deutsch-Amerikanern unverzüglich nach Deutschland ein , um seiner Heerespflicht zu genügen ; jedoch die „Potsdam " wurde von den Engländern gekapert, und alle männlichen Deutschen und Österreich- Ungarn wurden in das Gefangenenlager nach Dorchester gebracht. Das Bild, das sich nun darbietet, ist von einer herzerfrischenden Anschaulichkeit und Natürlichkeit. Der Leser tut einen Einblick in die unglaublich mangelhafte Ausstattung der englischen Gefangenenlager. So gibt es keine Bettstelle, sondern man hat, mit zwei schmutzigen Decken ausgestattet, auf der Erde zu schlafen. Der Wind zieht an allen Ecken durch die schlechtgebauten Baracken und Ställe, und mehr noch durch die vielfach gebotenen Leinenzelte. Die Beköstigung ist mehr als unzureichend. Trotz all dieser haarsträubenden Verhältnisse verliert der Leser nach und nach ganz das Gefühl, in einem Gefangenenlager zu sein ; denn der Verfasser verfügt über einen so köstlichen frischen Humor, mit dem er so lebendig zu schildern versteht, daß man glauben könnte, sich in irgendeinem riesengroßen Geselligkeitsklub zu befinden . Auch das Anpassungs- und Erfindungsvermögen des Deutschen tritt scharf hervor ; keiner läßt den Kopf hängen ; man singt, musiziert, treibt Wissenschaften, schreibt Bücher, ¹) Ein General ist unterdessen zum Inspekteur des Landsturms ernannt und ihm ein Major beigegeben worden. Die Zahl der freiwilligen Landsturmverbände hat sich um 35 vermehrt. 17 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 524.
Literatur.
250
spielt Karten, Schach, Fußball und Barlauf. Jeder beschäftigt sich nach seinen Gaben , und einer nützt dem anderen. Doch genug der Proben ― mögen sich viele an dieser vorzüglichen Gabe von Herzen erfreuen ! M. D. Kriegsgeschichtliche Einzelschriften. Herausgegeben vom Großen Generalstabe. Heft 50 : Der Balkankrieg 1912/13 . Erstes Heft : Die Ereignisse auf dem thrazischen Kriegsschauplaz bis zum Waffenstillstand . Mit 8 Ansichten und 6 Karten in Steindruck. 1914. E. S. Mittler und Sohn . Königliche Hofbuchhandlung, Berlin SW 68, Kochstr. 68-71 . 4,50 M. Der Große Generalstab hat sich zur Aufgabe gesetzt, in den von ihm herausgegebenen „ Kriegsgeschichtlichen Einzelschriften " die Erfahrungen aus den Kriegen der neuesten Zeit dem deutschen Heere nutzbar zu machen . Dementsprechend waren in den letzten Jahren der Burenkrieg und der Russisch- Japanische Krieg behandelt worden. Jetzt beginnt die kriegsgeschichtliche Abteilung in Heft 50 der Einzelschriften mit der Darstellung des Balkankrieges 1912/13, dessen interessantester Teil , der Feldzug in Thrazien , bis zum Waffenstillstand eingehend geschildert wird. Einen umfassenden Überblick über die politische Vorgeschichte des Krieges sowie über die Ausrüstung und Kriegsgliederung der türkischen und bulgarischen Armee schließt sich eine Beschreibung des Kriegsschauplatzes an . Sodann werden eingehend die Schlacht bei Kirkkilisse, die Einschließung von Adrianopel sowie die Schlachten bei Lüle-Burgas und Tschataldscha dargestellt. Von besonderem Interesse sind die Begegnungsgefechte , die die Kämpfe von Kirkkilisse einleiten (S. 36, 39) . Der Durchbruch bei Turkbey (S. 79) , durch den die Offensive des türkischen rechten Flügels verhindert wurde (S. 86) . Nur unzureichende Nachrichten lagen über die Kämpfe der 5. bulgarischen Division, namentlich über den Nachtangriff der 1. Brigade der 5. Division , vor (S. 87 ) . Der nächtliche Angriff vor der Tschataldschastellung (S. 119) hatte nur recht geringen Erfolg. Die Angaben über die Kavallerieverwendung auf türkischer Seite füllen eine erhebliche Lücke aus, die Operationen des Obersten Tanew gegen Javer Pascha sind von besonderem Interesse. Zusammenfassend
finden
sich zum
Schluß
die
Ursachen der
türkischen Niederlagen ( S. 128) erörtert, die Heeresversorgung und das Sanitätswesen der Bulgaren, die beiderseitige Gefechtsführung und die Waffenwirkung beurteilt. Der Feldzug hat bei dem Fehlen einer kraftvollen Verfolgung einen schleppenden Charakter, auch bei energischer Kampfführung hätte es sich wohl ermöglichen lassen, die Kämpfe rascher zu Ende zu führen. Zeitverlust des Angreifers und Ruhe in der Nacht kommt nur dem Verteidiger zugute , denn dieser findet in den nächtlichen Gefechtspausen Zeit zur Erholung und Verstärkung seiner Stellungen.
Literatur.
251
Es dürfte sich daher empfehlen , in der Nacht nach einem Gefechtstage, wenn man die Angriffsziele und die Gefechtsstreifen festgelegt und sich auf nahe Entfernung an den Gegner herangearbeitet hat, die Entscheidung mit dem Bajonett zu suchen, allerdings nicht durch. Teilangriffe, wie sie in diesem Feldzuge meist aus der Tatenlust der Unterführer hervorgingen, sondern durch einen Stoß mit ganzer Kraft, den die oberste Führung planmäßig ansetzt. Trotz der vielleicht größeren augenblicklichen Kräfteanspannung, die ein solches Verfahren fordert, dürfte die Gesamtanforderung an die körperlichen und seelischen Kräfte geringer sein als bei den lange dauernden Kämpfen , die alle Kraft verzehrt, die Munitionsvorräte gänzlich erschöpft und jede Verfolgung unmöglich gemacht haben. Ganz besonders beherzigenswert sind aber die Mahnungen , daß nur der geschlagen ist, der sich selbst verloren gibt, Vertrauen zu sich selbst und zum Führer ist die beste Vorbedingung des Erfolges . Je geringer der innere Wert der Truppe und das gegenseitige Vertrauen zwischen dieser und der Führung ist, um so mehr muß geschehen, um die moralische Kraft zu stärken und den Mut zu heben. Geschieht für Verpflegung, Munitionsersatz und Verwundetenfürsorge das Menschenmögliche, so heben sich Vertrauen und Mut der Leute . Gut ausgebildete Truppen kommen über die unausbleiblichen Reibungen und Entbehrungen im Kriege hinweg, schlecht ausgebildete nicht, denn sie denken nicht daran, daß im Kriege vom jüngsten Soldaten aufwärts jedermann sein ganzes Ich, seine ganze seelische und körperliche Kraft einsetzen muß. Je weniger gut die Truppe ist, um so mehr will sie sich am Vorbild der Führer aufB. richten." Immanuel, Friedrich, Oberstleutnant. Kriegsgeschichtliche Beispiele zur Taktik der neuesten Zeit 1870-1913 . Eine Erläuterung der heutigen Grundsätze für Heer- und Truppenführung. Mit 24 Zeichnungen im Text. (Handbibliothek des Offiziers , Band 21. ) 1914. 3,75 M. , geb. 4,50 M. Die Kriegsgeschichte bildet für jeden Militär die Grundlage für das Studium des Krieges bis in alle Einzelheiten und die unzertrennliche Begleiterin der praktischen Ausbildung. Auf ihr baut sich die ganze Berufsbildung des Offiziers auf. Sie läßt erkennen, was der wirkliche Krieg von Führern und Truppen fordert. Unter diesen Gesichtspunkten behandelt der Verfasser eine Anzahl lehrreicher Gefechtsepisoden in zwangloser Weise die aus dem Bereiche der neueren Feldzüge, von dem Deutsch - Französischen Kriege bis zum Balkankrieg 1912/13, entnommen. Die Beispiele sind gut gewählt ; wir möchten nur empfehlen, bei jedem Beispiel die Quellen für weiteres Studium anzugeben . Wir besitzen für eine Anzahl japanischer und russischer Kämpfe eingehende Einzeldarstellungen,
sie wären mit besonderem Vorteil hier verwendet worden ; gut ge17*
252
Literatur.
lungen ist die Behandlung des Kampfes um befestigte Stellungen . Bei Darstellung des Kampfes um den Bois de Givodeau (Beaumont) mußte jedoch mehr auf die einzelnen Regimentsgeschichten zurückgegriffen werden , sie zeigen erst die Schwierigkeiten des WaldB. kampfes.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde - hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Brüssau, Unser Bismarck. Potsdam, Stiftungsverlag . 100 Stück à 0,08 M., 1000 Stück à 0,06 M.
0,10 M..
2. Göhler, Neun Soldatenlieder von Hermann Löns , komponiert von Georg Göhler . Ausgabe für Schule und Heer. (Ein- , zwei- und dreistimmig.) Hamburg 22. Hermann Kampen. Heft 0,10 M. 3. Dietz, Taschenbuch des Militärrechts für Kriegszeiten . II. Band , Nachtrag. Rastatt 1915. Verlag von K. und H. Greiser. Geb. 3 M. 4. Heinsick, Wilhelm II. Friedenskaiser oder nicht? Leipzig . Verlag Oskar Born . Geh. 1 M. 5. Kohl, Mit Bismarck daheim und im Felde. Berlin - Lichterfelde 1915. Edwin Runge. Geh. 0,60 M, geb. 1 M. 6. Evens, Hie guet Zollre . Berlin-Lichterfelde 1915 , Edwin Runge , Geh. 0,50 M. 7. Salomon, Kriegsgeologie. Heidelberg 1915. Carl Winters Universitätsbuchhandlung . 8. Rätselbüchlein für die Deutschen Soldaten . Stuttgart. Verlag der Evang. Gesellschaft. Brosch. 0,25 M, 10 St. à 0,20 M. 9. Schulte, Von der Neutralität Belgiens. Bonn 1915. A. Marcus und E. Webers Verlag, Brosch. 2 M. 10. Bismarck, Des eisernen Kanzlers Lebens in annähernd 200 Bildern nebst einer Einführung. Herausgegeben von Walter Stein . Siegen 1915. Verlag Hermann Montanus. 2 M. Mit Bildern . 11. Schmidt- Reder, In England kriegsgefangen. Berlin 1915. Georg Bath . 1,50 M. 12. Kleinheins, Gott mit uns ! 1914. Gedichte , dem siegreichen deutschen und verbündeten Heer in Dankbarkeit zugeeignet. Karlsruhe 1915. Macklot'sche Buchhandlung. 0,25 M. 13. Berlin. 14. G. m. b. 15. Berlin , 16. Berlin.
Deutsche Heldenlieder, Gedichte aus dem Kriegsjahr 1914. August Scherl, G. m. b. H. 2 M. v. Gottberg, Die werdende Macht Berlin . August Scherl , H. Brosch. 3 M, geb. 4 M. Krack, „ Das Deutsche Herz. " Feldpostbriefe unserer Helden . August Scherl, G. m. b. H. 2 M. v. Gottberg, Als Adjutant durch Frankreich und Belgien . August Scherl, G. m. b. H. 1 M. Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.
XXVIII .
Ein Nassauisches 100. Gedenkjahr.
Das Jahr 1915 bringt in seinen Frühjahr- und Sommermonaten ein 100 jähriges Jubiläum für die ehemals Nassauischen Truppen, deren oberste Behörde, das Kriegskollegium, schon am 1. Januar 1815 dadurch mehr zu einer Zentrale geworden war, daß man die bis dahin selbständige Generaldirektion der Militärverwaltung mit diesem verschmolzen hatte. Das Jahr 1815 sah zum erstenmal die Nassauischen Feldtruppen der drei Fürstentümer auf demselben Kriegsschauplatz im Kampfe gegen den von Elba unerwartet Eroberer.
in
Frankreich
gelandeten
korsischen
Es legte auch die Grundlage für die Neugliederung der
Herzoglich Nassauischen Truppen ,
die 1822 freilich
erst für
die in
Spanien verbrauchten und dann aufgelösten Schwadronen reitender Jäger eine eigene Artillerie, 1819 als Pflanzschule für das Offizierkorps
eine herzogliche Militärschule und 1821
als
oberste Befehls-
und Verwaltungsbehörde das „ Generalkommando " erhielten, nachdem 1816 ein aus weiter unten zu berührenden Gründen notwendig gewordenes neues Konskriptionsgesetz ergangen war. Als die Schlacht von Leipzig Napoleons Herrschaft in Deutschland gebrochen und die österreichisch-russisch- preußischen Heere die Trümmer seiner Armee dem Rheine zutrieben , tagte nicht nur für das mit dem größten Teile seines Bestandes an Land und Truppen dem Großherzogtum Berg überwiesene Fürstentum Nassau - Oranien die Wiederauferstehung, sondern die dem Rheinbunde bis dahin angehörenden , 1806 zu einem Herzogtum Nassau vereinigten Walramschen Fürsten von Usingen und Weilburg, Friedrich August zu Wiesbaden-Biebrich, mit dem Titel souveräner Herzog, Fürst Wilhelm zu Nassau- Weilburg, als souveräner Fürst von Nassau, erklärten am 16. November 1813 auch ihren Beitritt zum Bunde gegen Frankreich. Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 525.
18
254
Ein Nassauisches 100. Gedenkjahr. In Spanien focht aber zu derselben Zeit der ganze Bestand ihrer
Feldtruppen noch gegen Briten und Spanier,
zu denen überzutreten
in der, neue Rüstungen nun gegen Napoleon mit Eifer beginnenden Heimat für sie bereits der Befehl ergangen war. Erst am 8. Dezember 1813 konnte das II. Herzoglich Nassauische Infanterieregiment , das der weichenden französischen Hauptarmee auf Bayonne gefolgt war, dem Befehl , zu den Engländern überzugehen, folgen . Hafen von Passages zurückgeführt,
Nach dem
dort eingeschifft und nach Eng-
land gebracht, sollte das Regiment im März 1814 die Niederlande erreichen, büßte aber von dem in den zahlreichen Gefechten des spanischen Krieges verschonten Rest seines Bestandes auf zwei, durch die Nachlässigkeit ihrer Kapitäne an der Haaksbank gescheiterten britischen Schiffen noch 12 Offiziere , 298 Mann dicht an der Küste Hollands durch den Tod in den Wellen ein. Als im spanischen Hafen Passages das II. Regiment die Planken der Schiffe des britischen Verbündeten betrat, standen das I. Herzoglich Nassauische Regiment in Barcelona, die beiden Jägerschwadronen in Gerona,
von
wo aus sie an zahlreichen Zügen in Catalonien beteiligt wurden .
Am
22. Dezember 1813 wurden diese Herzoglich Nassauischen Truppen von den ihnen bis dahin verbündeten Franzosen entwaffnet und den Jägerschwadronen auch die Pferde genommen und für Truppen verwendet.
Erst mit der Eroberung von Paris
französische durch die
Verbündeten begann für das genannte Regiment und die Trümmer der unberitten gewordenen Jägerschwadronen der Rückmarsch in die Heimat. Die letzten Monate des Jahres 1813 zeigen uns also zwei
Nassauische
Infanterieregimenter ,
zwei
Jäger-
schwadronen in Spanien , dagegen und in der Heimat Rüstungen mit Hochdruck gegen den bisherigen Verbündeten , gegen dessen Mainz besetzt haltende Truppen von Wiesbaden aus schon am Ende des Jahres Sicherungen vorgeschoben . wurden .
Auf Grund erweiterter Bestimmungen des Konskriptionsgesetzes von 1808 war im Herzogtum Nassau, das außer Depots der beiden Infanterieregimenter und der Jägerschwadronen nur die Landjägerbrigade (die, unter Einreihung der für den Felddienst brauchbaren Mannschaften in die Neuformationen, bald zur Auflösung kam ) an Truppen im Lande hatte, im November 1813 die Neubildung eines dritten Linienregiments befohlen worden. Ferner wurden für die Dauer des Krieges eines Nassauischen
die Aufstellung eines Landwehrregiments und
Jägerkorps
zur Unterstützung der Feldtruppen befohlen und zugleich auch die Aufbietung eines Landsturms zum Zwecke der Verteidigung der eigenen Landesgrenzen und
255
Ein Nassauisches 100. Gedenkjahr.
zum Dienst innerhalb derselben angeordnet. Der Landsturm erhielt einen Umfang von 29 Bataillonen - jedes unter einem Landobersten zu je 5 Miliz- und 1 Reservekompagnie. Je 4 Reservekompagnien konnten auch zu 1 Bataillon vereinigt werden und unterschieden sich nach Ergänzung , Bekleidung und Bewaffnung nicht unwesentlich von den Milizkompagnien , so daß man bei ihnen auf die Absicht einer eventuellen Kampfverwendung in erster Linie schließen konnte . Ihnen wurden die unverheirateten, nicht gedienten Leute im Alter von 17 bis 36 Jahren zugewiesen.
Bekleidung und Bewaffnung wurden von
der Regierung vollzählig geliefert und sollten baldigst verfügbar sein. Die Milizkompagnien bildete man dagegen aus den ungedienten Leuten vom 26. bis 60. Lebensjahr , versah sie zunächst an soldatischen Abzeichen nur mit einer orangefarbenem Binde um den linken Oberarm , und ihre Bewaffnung bestand
buntscheckig aus den verschiedensten
Instrumenten, vom Steinschloßgewehr bis zur Picke.
Die Kompagnien
sollten planmäßig je 200 Mann zählen und der gesamte Landsturm brachte nach den amtlichen statistischen Angaben rund 36400 Mann auf. Für die Neubildung des 3. Linienregiments wurde zum Teil , für diejenige
des Landwehrregiments und
des Jägerkorps ausschließlich ,
mit Freiwilligen gerechnet. Darin hatte man sich auch nicht getäuscht, denn das Zuströmen von Freiwilligen nach der damaligen Residenz Usingen gestaltete sich unerwartet reichlich und erstreckte sich auf alle Lebensalter und Gesellschaftsklassen, auch ältere Staatsbeamte meldeten sich in großer Zahl .
Die Landwehr war ja aber
auch in bezug auf Ausbildung und Gliederung völlig aus dem Nichts zu schaffen, die Bekleidung eine etwas dürftige, denn namentlich in der Landwehr war die Mehrzahl nur mit Leinwandhosen auch für den Winter ausgerüstet und nicht im Besitz von Mänteln . waren
aber
innerhalb weniger
Wochen das
Im übrigen
II. Linienregiment zu
2 Bataillonen, das Landwehrregiment zu 2 Bataillonen und das Jägerkorps zu 4 Kompagnien formiert, im ganzen also 5 Bataillone , die nicht über Kavallerie und Artillerie verfügten. Sie wurden dem Kommando des Obersten von Bismarck unterstellt und dem V. deutschen Armeekorps, Herzog von Coburg- Gotha, für die Belagerung von Mainz zugeteilt. Am 17. Dezember 1813 überschritten sie den Rhein bei Walluf und Eltville und bildeten an dem jenseitigen Ufer den linken Flügel des Belagerungskorps. Mit ihnen vereinigt wurden dort auch die Truppen des wieder erstandenen Fürstentums Oranien - Nassau. Bis zum Jahre 1806, wo Napoleon dieses Fürstentum (dessen Herrscher sich geweigert, dem Rheinbunde beizutreten und der als Generalleutnant an der unglück18*
256
Ein Nassauisches 100. Gedenkjahr.
lichen Schlacht von Jena-Auerstädt teilnahm und dann in Berlin lebte) von der Karte Europas wegwischte, hatten diese Truppen 1 Bataillon und eine Abteilung Husaren aufgewiesen. Nunmehr wurden die oranischen
Truppen
zu
1
Regiment
von
2
Bataillonen
und 1 Jägerkompagnie formiert. Vom 1. Februar 1814 die Errichtung des Nassau - oranischen Landsturmes. haben ihn Selbst in den Vereinigten Niederlanden
datiert „Wir
proklamiert
und
die Anordnung persönlich geleitet " , hieß es in dem Erlasse, durch den in den 7 Kantons des Nassau - oranischen Fürstentums , einschließlich Westerburg, ebenso viele Banner, dazu in 3 Ämtern ein 8. und 9. (eingeteilt in Kompagnien nach den Bürgermeistereibezirken) errichtet wurden, bei jeder Kompagnie 3 Offiziere. Jeder waffenfähige Mann vom 18. bis zum 60. Lebensjahr wurde zum Landsturm berufen ; Freiwillige zu Siegen sollten die Kavallerie liefern.
und die Landdragoner (Gendarmerie ) Jeder Landsturmmann hatte sich in
der Regel selbst seine Waffen zu beschaffen
und in gutem Zustande
zu erhalten, nur die Reservekompagnien, die den regelmäßigen Dienst im Lande zu verrichten hatten, erhielten Gewehre geliefert. Eine besondere Uniform wurde nicht vorgeschrieben, nur orange Armbinde, Offiziere Binde und Schärpe von Orangefarbe. Der Landsturm unterstand den Kriegsartikeln . Eine regelmäßige Belagerung von Mainz unterblieb, nur eine Einschließung fand statt ; zu besonderen Gefechtsleistungen der Nassauischen Truppen kam es daher hier nicht.
Am 4. Mai 1814 erfolgte, gemäß
den Friedensbedingungen, die Räumung von Mainz durch die Franzosen und der Einzug der Belagerer, am 18. Mai die Auflösung des Jägerkorps in Biebrich, am 18. Juni diejenige des Landwehrregiments bei Kloster Eubingen, kurz nachher die Demobilisierung des 3. Linienregiments , dessen Bestand später dem Depot des 1. Linienregiments einverleibt wurde. Am 24. September 1814 schrieb, bei Gelegenheit der Feier des gemeinschaftlichen Besitzes der Stammburg zu Nassau , das " Intelligenzblatt über den am 24. Juli 1814 zwischen den beiden
regierenden
Stämmen
des
Hauses
Nassau
abgeschlossenen
Staatsvertrag : „Der Vertrag enthält die gänzliche Berichtigung der inneren Staats- und Hausangelegenheiten, welche seit dem Jahre 1806 durch die allgemeinen Veränderungen in Deutschland aus ihren vorigen bestimmten Verhältnissen verrückt worden waren. Ihre Herzogliche und Hochfürstliche
Durchlaucht
hatten
schon
mit
Eintritt
dieses
Jahres an Höchstihren Herrn Stammesvetter, Seine Königliche Hoheit den Prinzen von Oranien-Nassau, souveränen Fürsten der Vereinigten Niederlande und in den deutschen Fürstentümern, die von Höchstdemselben vormals in ausschließlichem Besitz gehaltenen Ämter, welche
1
257
Ein Nassauisches 100. Gedenkjahr . zur Verwaltung des
Herzogtums gekommen waren ,
zurückgegeben,
und jetzt hatte man sich auch hinsichtlich der vormals unter gemeinschaftlicher Regierung besessenen Ämter dahin geeinigt, daß solche, aus Rücksicht auf den Vorteil der Unterthanen und die Vereinfachung der Verwaltung, nach der Bevölkerung derart abzuteilen seien, daß einem jeden der beiden Hauptstämme die Hälfte dieser Landesteile zur ausschließlichen Regierung untergeben sein sollte." Nur die Stammburg blieb gemeinsamer Besitz, was am 14. September 1814 durch eine besondere Feier zum Ausdruck gebracht wurde. Kehrte das I. Linienregiment, wie schon oben angegeben, Abschluß des Friedens in die Nassauische Heimat zurück, so
nach blieb
das II. Regiment noch eine Reihe von Jahren in den Niederlanden und focht 1815 , wenn auch auf demselben Schlachtfelde , mit den übrigen
Herzoglich
Nassauischen
Truppen ,
so
doch
nicht mit ihnen in demselben Brigade verbande. Das „ Intelligenzblatt " schrieb am 24. September 1914 über den am 18. September 1914 nach Zustandekommen des Friedens , beschlossenen weiteren Verbleib des II. Regiments, bzw. den entsprechenden Vertrag zwischen Seiner Königlichen Hoheit, dem Prinzen von Oranien-Nassau einerseits, dem Herzog und Fürsten zu Nassau anderseits : 3 Bataillonen bestehende
II .
„ Das aus
Herzogliche Infanterieregiment bleibt,
nach Ablauf des gegenwärtigen,
noch
5 Jahre
in der Eigenschaft
eines Auxiliarkorps bei der Niederländischen Armee unter den Befehlen Das Seiner Königlichen Hoheit, des Prinzen von Oranien-Nassau. Das Regiment wird in diesem Dienstverhältnis in keiner Weise der niederländischen Armee einverleibt, oder als Bestandteil derselben betrachtet. Vielmehr behält dasselbe, wie sich von selbst versteht, seine eigene Uniform, Fahnen, Feldzeichen, ebenso seine eigentümliche Form und seine eigene innere Jurisdiktion . Alle seine Offizierstellen schließlich,
und
Chargen
von Seiner
werden ,
Durchlaucht ,
ohne dem
Unterschied Herzog
zu
und
aus-
Nassau be-
setzt und die Offiziere behalten ihren Dienstrang und ihre Anciennität in dem Herzoglich Nassauischen Militärsteat, ländischen Armee zu roulieren.
ohne in der
scher Sprache mit den Niederländischen Behörden Depot im Herzogtum Nassau.
Nieder-
Das Regiment korrespondiert in deutund
behält
sein
Es kann in keinem Falle jemals
gegen seinen Landesherrn oder sein Vaterland gebraucht werden. Es ist nicht verpflichtet zu Kriegsdiensten außerhalb Europas, oder an Bord von Schiffen. stationen
nach Zeeland
Es kann nicht in Garnison-
verlegt
werden.
Seine
Königliche
Hoheit der Prinz von Oranien-Nassau lassen an die Herzogliche Kriegskasse den Aufwand für die Ausrüstung des Regiments
258
Ein Nassauisches 100. Gedenkjahr.
und die Unterhaltung des dazu gehörigen Depots vergüten. Die Offiziere und Mannschaften erhalten den vollen Sold der niederländischen Truppen ohne jeden Abzug. Sie behalten aber gewisse eigentümliche Zulagen nach dem Nassauischen Zahlungsfuß, namentlich die Beweibtenzulage , die Zulage wegen verlängerter Dienstzeit, für Ehrenzeichen usw. Außerdem genießt das Regiment alle und jede Rechte , Vorteile und Vorzüge der Niederländischen Nationaltruppen, wie sie jetzt bestehen oder künftig bestimmt werden . Es hat in der Niederländischen Armee den nächsten Rang unmittelbar nach den Nationalregimentern von gleicher Waffengattung, die Offiziere nach dem Datum ihrer Patente . Die Offiziere behalten bei Urlauben den gleichen Gagenbezug, wie bei den Nationaltruppen und den Mannschaften wird Reisegeld für Hin- und Hermarsch gegeben, damit sie von dem gegebenen Urlaube leichter Gebrauch machen könnten. Pensionen für geleistete Dienste werden für Offiziere und Mannschaften nach dem niederländischen Reglement bewilligt und Seine Königliche Hoheit der Prinz von Oranien-Nassau werden die frühere Dienstzeit dabei anrechnen lassen. " Am 26. Februar 1815 verließ Napoleon mit etwa 1000 Mann die Insel Elba, am 6. März traf die Nachricht davon in Wien ein, wo die Monarchen versammelt waren. Am 16. Februar 1815 war Wilhelm Friedrich, Prinz von Oranien-Nassau im Haag als „ König Wilhelm I. der Niederlande , Großherzog von Luxemburg " , proklamiert worden. Seine Nassauischen Stammlande Siegen, Hadamar, Diez, Beilstein und Dillenburg fielen, Kongresses, an Preußen.
nach den Beschlüssen
des Wiener
Bei dem Rückmarsch der verbündeten Heere nach dem Pariser Frieden war in den Niederlanden ein britisches Korps geblieben, drei preußische Korps standen an der französischen Grenze entwickelt. Der gegen den gelandeten und der Herrschaft in Frankreich dauernd verlustig erklärten
Napoleon
sogleich
gebildete
Bund der
Staaten
Europas, außer Schweden und Portugal , beschloß, vier Armeen an den Grenzen Frankreichs zu sammeln und zwar in den Niederlanden unter Herzog von Wellington die britisch-niederländische, am Niederrhein, unter Feldmarschall Fürst Blücher, die preußische des Niederrheins, die russische am Mittelrhein, am Oberrhein und in Italien die österreichische, im ganzen rund 800000 Mann,
die bis
zum Beginn des
Juli operationsbereit sein sollten. Im Herzogtum Nassau selbst war nur das 1. Linienregiment vorhanden. Der Mobilmachungsbefehl ging ihm am 1. April 1815 zu. Bis zu dem auf den 21. Mai festgesetzten, zunächst nach dem Niederrhein behufs Vereinigung mit den preußischen Truppen gedachten,
259
Ein Nassauisches 100. Gedenkjahr.
dann aber auf Brüssel zur Vereinigung mit der britisch-niederländischen Armee gerichteten Abmarsch war ein ganzer Berg von Schwierigkeiten zu
überwinden.
Das
1. Regiment
sollte durch ein 3. (Landwehr-)
Bataillon vermehrt und die Zahl der Kompagnien für das Bataillon von 4 auf 6 gebracht werden. Nach zeitgenössigen Angaben fehlte es bei dieser Mobilmachung, die doch der vorhergehenden Rückführung auf den Friedensfuß nach einer so kurzen Spanne Zeit folgte, und obwohl die Nassauischen Truppen 1814 doch so gut wie keine Verluste bei der Belagerung von Mainz erlitten hatten , sonderbarerweise stark an Offizieren und Mannschaften. Man ernannte eine größere Anzahl von jungen Leuten aus dem Zivildienste zu Offizieren und deckte die Lücken an Mannschaften durch rasch ausgehobene Rekruten , denen man vor dem Ausmarsch nur eine oberflächliche Ausbildung zu geben vermochte, die jedoch auf dem bis zum 7. Juni währenden Marsche des 1. Regiments nach Brüssel fortgesetzt wurde. Das einschließlich Landwehr 3 Bataillone aufweisende 1. Regiment wird mit einem Ausrückestand von 71 Offizieren, 2474 Mannschaften verzeichnet.
Zu der zunächst vorgesehenen Ver-
einigung der Nassauischen Truppen in einem Brigadeverbande, dessen Führung der Herzogliche General von Kruse übernehmen sollte, kam es nicht.
Das
2. Herzoglich Nassauische Regiment,
das,
wie oben
angeführt, in den Niederlanden stand und in 3 Bataillonen zu 6 Kompagnien auf Kriegsstand 89 Offiziere , 2738 Mann zählte, trat mit dem Regiment Oranien-Nassau (2 Bataillone, 39 Offiziere, 1427 Mann) und einer Kompagnie freiwilliger Jäger von Oranien-Nassau (3 Offiziere, 166 Mann) zur 2. Brigade der 2. niederländischen Division des Generalleutnants von Perponcher zusammen. Die Führung dieser Brigade übernahm der Kommandeur des Regiments Oranien-Nassau, Prinz Bernhard von Sachsen-Weimar, während Erbprinz Wilhelm zu Nassau dem Stabe des Herzogs von Wellington zugeteilt wurde. Unter dem Oberbefehl des Prinzen von Oranien nahmen am Gefecht von Quatrebras an Nassauischen Truppen nur das 2. Regiment (außer Regiment Oranien und freiwilligen Jägern) teil.
Das am Morgen von
Brüssel aus auf Jenappes dirigierte 1. Regiment erreichte erst am Abend das Schlachtfeld . An der Schlacht von Belle-Alliance war das erste Regiment in dem dem Prinzen
von Oranien unterstellten Zentrum
Wellingtons (zwischen den Chausseen von Nivelles -Charleroi, aus den Divisionen Alten, Cooke und dem 1. Regiment bestehend) beteiligt, während der linke Flügel (zwischen der Chaussee von Charleroi und la Haye) unter Oberbefehl des
Generalleutnants Picton aus
einer
Brigade der Division Cole, den Divisionen Picton und Perponcher (bei dieser das
2.
Nassauische
Regiment,
Regiment
Oranien und frei-
260
Ein Nassauisches 100. Gedenkjahr.
willige Jäger) bestand . erübrigt
sich
Eine Beleuchtung des Verlaufes der Schlacht
hier.
Bemerkenswert ist aber die Anerkennung der Leistungen der Nassauischen Truppen, von denen der Erbprinz Wilhelm , der Prinz von Oranien , 55 Offiziere und 900 Mann in Belgien bluteten ,
durch die Vorgesetzten . Ein Passus in dem Berichte des Generals von Kruse an den Herzog lautet : „ Wären die beiden Regimenter vereinigt gewesen, so bin ich überzeugt, der Sieg über Napoleons Garde hätte an diesem Tage den Nassauischen Truppen unsterblichen Ruhm gebracht. " Erst am 23. Juni wurden das 1. und 2. Regiment vereinigt und dem II. britischen Korps zugeteilt. Vier 6pfündige Kanonen, zwei 7 pfündige Haubitzen wurden ihnen als Anteil an der Beute von Waterloo zugesprochen. Sie lieferten das erste Material für die später gebildete Nassauische Artillerie. Am 8. November 1815 trat das 2. Regiment wieder in den Verband der 2. Niederländischen Division über ; das Regiment Oranien ersetzte aus seinem Bestande 832 Mann des 2. Regiments, die durch Staatsvertrag vom 31. Mai 1815 preußische Untertanen wurden. Der Rest des Regiments Oranien zog mit dem 1. am 28. Dezember 1815 noch in Wiesbaden ein, um am 3. Januar 1816, unter Einverleibung derjenigen seiner Leute, die Nassauische Untertanen waren, in das 1. Regiment, das auch sein Landwehrbataillon auf die beiden bleibenden verteilte, aufgelöst zu werden . Am 11. August 1820 erst langte das 2. Regiment aus den Niederlanden in der Heimat an, wo es am 20. August
auf 2 Bataillone herabgesetzt wurde. Die Herzoglich Nassauische Brigade setzte sich damals also aus 2 Regimentern zu 2 Bataillonen (zu je 1 Grenadier-, 4 Jäger-, 1 Flanqueurkompagnie )
und 1 Garnisonkompagnie auf der Festung Marksburg, sowie seit 1822 aus Artillerie (siehe unten) zusammen und unterstand, wie die 1819 errichtete Herzogliche Militärschule zur Heranbildung von Offizieren , von 1821 ab dem „ Generalkommando " . Zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Innern des Landes bestand aus den Landwehrbataillonen von 1813/14 entwickelt - eine Reserve, zunächst in 27 Kompagnien, von 1821 ab in 1 Reservebataillon zu 8 Kompagnien mit 27 Postenstationen (Gendarmeriedienst). Der Krieg hatte bewiesen, daß das Konskriptionsgesetz einer gründlichen Umgestaltung bedürfe . Sie wurde 1816 bewirkt. Das neue
Konskriptionsgesetz
brachte
die allgemeine
unter Zulassung einer Zahl von Befreiungsgründen.
Dienstpflicht Die Dienstpflicht
jedes Nassauischen Untertans bei den Fahnen währte 6 Jahre , die aber nur bei den Cadres bis zu den Gefreiten abwärts zur Wirklichkeit wurden, während man die Mannschaften als " wechselnden Dienststand" bezeichnete. Im Frieden durften auf Antrag Mann-
Sechs Wochen Dardanellenkampfes.
261
schaften, deren Vermögen mindestens den dreifachen Betrag des „Einstandsgeldes" ausmachte , einen Stellvertreter, genannt „ Einsteher“ , liefern. Als solche Einsteher konnten auch Unteroffiziere nach sechs-
jähriger Dienstzeit -wenn sie nicht vorzogen , bei höherer Löhnung zu kapitulieren --- weiter dienen und das „Einstandsgeld " erhalten . Mannschaften wurde nach 1 ' jähriger erster Ausbildung 10 Monate Urlaub bewilligt , dann folgten wieder zwei Monate aktiven Dienstes , 10 Monate Urlaub usw. , so daß in 6 Jahren Dienstpflicht 32 Monate aktiven Dienstes und 40 Monate Urlaub für sie zu verzeichnen waren.
Eine weitere Lehre, die man aus dem Kriege zog, war die Erkenntnis der Unentbehrlichkeit eigener Artillerie . Schon 1814 hat bei Herzog Friedrich August und dem Fürsten Friedrich Wilhelm
zu Nassau diese Überzeugung bestanden .
Wie man für den spanischen Feldzug die von Napoleon verlangte Batterie durch eine, später noch eine zweite Eskadron reitender Jäger ersetzte , so wollte ein Erlaß der beiden Fürsten vom 20. August 1814 an Stelle der in Spanien verbrauchten , dann aufgelösten Jägerschwadronen , Artilleriekompagnie eine zunächst errichten , deren Etat (bei 8 Jahren Dienstzeit der Gemeinen ) der Erlaß auch schon enthielt . Ehe der Gedanke verwirklicht werden konnte, begann der Feldzug 1815. Dann folgten unendliche Beratungen über die Kriegsverfassung des neuen deutschen Bundes, so daß 1818 erst ein genauer Entwurf des Generals von Kruse zur Genehmigung und 1822 in der Form 1 Batterie zu 6 Kanonen , 2 Haubitzen zur AusNassovius . führung kam .
XXIX .
Sechs Wochen Dardanellenkampfes. Militärpolitische Studie von Oberstleutnant a. D. Wochinger. Fünferlei
verschiedene
Beweggründe haben die Inangriffnahme
einer englisch-französischen Expedition zur Forcierung der Dardanellenfreiheit und Beschießung der türkischen Hauptstadt Konstantinopel von der See aus in die Wege leiten gemacht . Es waren dies zunächst das Bestreben der Stärkung Rußlands dessen
Westmächte,
Riesenverluste an Geschützen,
zur
Munition
Sechs Wochen Dardanellenkampfes .
262
und Armeematerial aller Art durch Lieferungen aus den Vereinigten Schwarzes Meer wieder erStaaten von Nordamerika via Mittelmeer setzen zu helfen, dann die Unmöglichkeit, auf einem anderen Wege die in Odessa aufgehäuften riesigen Getreidemengen Rußlands zur Versorgung Englands, Frankreichs und Italiens, das man damit kirre machen wollte,
dorthin verfrachten zu können,
weiter
die sichere
Überzeugung der Ententemächte, durch einen wuchtvollen Angriff auf die Dardanellenforts und Konstantinopel den neutralen Balkanmächten und Italien dermaßen zu imponieren , daß sich solche zum Anschluß an den Dreiverband entschließen würdan ; ferner die Überzeugung, Rußlands Verstimmung wegen des Fehlschlagens seines Milliardenpumpes durch Inaussichtstellen der Verwirklichung des Testamentes Peters des Großen wieder ausgleichen zu können, und endlich ― was vielleicht der Hauptbeweggrund gewesen sein mag - Englands Interesse an einer Entlastung des stark gefährdeten Besitztums von Ägypten. Die Beschwichtigung Rußlands ist zwar zur Befriedigung Englands und Frankreichs erreicht worden, und hat Rußland das Versprechen gegeben, ein großes Landheer in Midia an der thrazischen Küste des Schwarzen Meeres zur Eroberung von Konstantinopel landen lassen zu wollen, aber inzwischen hat sich herausgestellt, daß hinsichtlich der Verteilung des noch nicht erbeuteten Bärenpelzes insofern Gegensätze in den Anschauungen Rußlands und der beiden anderen Ententemächte entstanden sind,
als ersteres ganz kategorisch die dauernde und un-
eingeschränkte Herrschaft über Konstantinopel und die Dardanellenpassage als in seinem Staatsinteresse gelegen fordert, während diese Ansprüche seitens Englands, das sich ebenfalls an der Dardanellenpassage wertvolle Flottenstützpunkte sichern möchte , als zu weitgehend erklärt werden . Griechenland, zur Anteilnahme an der Eroberung Konstantinopels und der Dardanellenpassage durch Gestellung eines Landungshilfskorps aufgefordert, hat die Anteilnahme an der Dardanellenexpedition glattweg abgelehnt und seinen bisherigen, ententefreundlichen Ministerpräsidenten davongejagt ; vorgeschützt für die Ablehnung wurde ungenügende Landesverteidigungskraft gegenüber eventuellen Angriffen Bulgariens, Hauptbeweggrund war aber, nicht durch eine Mithilfe an der Eroberung Konstantinopels für Rußland die Verwirklichung des großhellenischen Endzieles ― Wiederherstellung des ehemaligen griechischen Kaiserreichs mit der Haupstadt Konstantinopel selbst zerstören zu helfen.
Ebenso haben Rumänien und Bulgarien, in gleicher Weise zur Mithilfe aufgefordert, abgelehnt. Beide Staaten erblicken in der russischen Herrschaft über die bisher türkische Hauptstadt und über die Dardanellen-
Sechs Wochen Dardanellenkampfes.
263
passage --
was zusammen gleichbedeutend wäre mit der Herrschaft über die heutige europäische Türkei eine Umklammerung durch das moskowitische Kaiserreich, sowie eine tief einschneidende politische Macht- und volkswirtschaftliche Entwickelungseinbuße, hochgradig ernst genug, um im Falle eines Sieges an den Dardanellen und in Thrazien zu den Waffen greifen zu müssen , um sich an die Seite der Türken zu stellen . Die drei
neutralen
Balkanmächte
stellen
sohin die Wahrung
eigener Interessen über die Begünstigung der russischen und die Erfüllung der Wünsche der Ententemächte . Auch bei der italienischen Regierung sind Schritte des Dreiverbandes unternommen worden,
um gegen
Gewährung von Kompen-
sationen die italienische Unterstützung zur Dardanelleneroberung zu erhalten ;
diese
Bemühungen sind indes auch in
Rom erfolglos ge-
blieben, und zwar deshalb, weil der italienische Ministerpräsident Salandra keinen Grund gefunden habe, Italiens Neutralität aufzugeben und leichtherzig zugunsten Rußlands Italiens Bündnisvertrag mit den Zentralmächten zu brechen. Die sichere Erwartung der Ententemächte hinsichtlich eines Anschlusses der neutralen Mittelmeerstaaten zum Kampfe gegen die Türkei ist sohin zu Wasser geworden, ein Umstand, der England veranlaßte, die Insel Lemnos im Ägäischen Meere nicht mehr als griechisches Eigentum anzuerkennen und als noch zu türkischem Besitze zählend zu besetzen und in englische Verwaltung zu nehmen ; ebenso darf das Ausfuhrverbot englischer Kohlen nach Italien der ablehnenden Stellungnahme Italiens zuzuschreiben sein. Ganz sicher darf auch der bisherige Fehlschlag des Dardanellenabenteuers teilweise wenigstens auf Rechnung der Nichtbeteiligung der obengenannten neutralen Staaten zu setzen sein, denn dem Angriffe auf die Dardanellenforts von der See aus mußte wenigstens auf der europäischen Seite
die Säuberung des Geländeabschnitts an der
Dardanellenstraße von türkischen Truppenteilen und verdeckten Batteriestellungen vorhergehen, und trug ein Angriff auf dem Seewege ohne ausreichende vorhergegangene Landoperation und gleichzeitig erfolgendes Fortschreiten des Angriffes seitens der Landungskorps auf beiden Seiten der Dardanellenpassage von vornherein den Keim des Mißlingens in sich ; auch war durch die vorausgegangene pomphafte Ankündigung der Expedition gegen die Dardanellenpassage den unter der umsichtigen Leitung des Kriegsministers Enver Pascha sehr rührig gewordenen Türken Zeit genug gelassen worden , eine entsprechend starke Landmacht zum Schutze der Hauptstadt sowie des Dardanellenabschnittes zusammenzuziehen , der Tag für Tag aus der muselmännischen
264
Sechs Wochen Dardanellenkampfes.
Bevölkerung der ganzen Balkanhalbinsel begeisterte Kriegsfreiwillige in Scharen zuströmten. Die Verstärkungsarbeiten der Türken betrafen hauptsächlich die im Innern der von gebirgigen, teilweise steil aufsteigenden Ufern umsäumten 70 km (40 Seem. ) langen Wasserstraße, die am Eingange 3700 m breit sich an mehreren Stellen , und zwar bis zu 1220 m, verengt, liegenden Forts . Alle seit August von dem türkischen Marinestabe getroffenen Neuerungen waren aber dem Oberbefehlshaber der vereinigten englischfranzösischen Expedition, dem englischen Admiral Limpus, der bis zum Ausbruch des Krieges die Ausbildung der türkischen Marine geleitet hatte, vollkommen unbekannt. Ab 16. Februar sammelten sich auf der zur Operationslinie erwählten Basis, den Inseln Lemnos , Tenedos, Imbros, Samothrake sowie der zur Funkspruchstation
eingerichteten Kanincheninsel nahe
Tenedos, die englischen und französischen Flottenteile, deren Gesamtzahl Ende Februar etwa 42 Panzerschiffe, mit Ausnahme des Linienschiffs " Queen Elizabeth " sämtlich der Vordreadnoughtperiode angehörig - also aus älteren Schiffen bestehend , und außerdem eine große Anzahl kleinerer Schiffe, unter anderem 20 Torpedobootszerstörer, in sich faßte. Ebenso war das baldige Eintreffen zahlreicher Truppentransportschiffe mit 4 Divisionen Australier, Ägypter und französischer Kolonialtruppen angemeldet, denen in Bälde weitere Transporte mit 60000 Mann Landungstruppen folgen sollten. Als Kommandeur der gesamten Landungstruppen war der französische General d'Aamade, bekannt als früherer Kommandierender in Marokko , bestimmt . Vom 16. Februar ab lassen sich drei scharf getrennte Abschnitte der Operationen vor und an den Dardanellen unterscheiden. 1. Zeitepoche 16. Februar bis einschließlich 3. März. Nach vorausgegangenen Erkundungen durch kleinere Kriegsschiffe, die unbelästigt
durch türkisches Feuer bis an den Rand der Minen-
felder vor dem Dardanelleneingang vordringen konnten, erfolgten am 19. und 25. Februar zwei Angriffe ernster Natur gegen die längst entschwundenen Jahrhunderten entstammenden Außenforts Sed-dil Bahr auf der europäischen und Kum Kalesi auf asiatischer Seite. Die Angriffe erfolgten in der Weise, daß 8 bzw. 11 Panzerschiffe sieben bis acht Stunden lang aus einer Entfernung von 16 km konzentrisch mit Geschützen schwersten Kalibers die beiden Forts bombardierten und dann erst langsam sich der Küste näherten. Seitens der Forts wurde hierbei das Feuer erst dann aufgenommen, wenn die Panzerschiffe in den wirksamen Bereich der türkischen Artillerie an-
Sechs Wochen Dardanellenkampfes.
265
gelangt waren, die ihrerseits dem angreifenden Geschwader derartige Beschädigungen zufügte, daß solches sich jedesmal zum Rückzuge veranlaßt sah. Bemerkenswert war hierbei die ganz vorzügliche Verteidigungsleitung, das ausgezeichnet gut gezielte und mit präziser Treffleistung abgegebene Feuer, die kaltblütige Ausdauer der türkischen Artilleristen inmitten des feindlichen Granatenregens sowie die unermüdliche zielbewußte nächtliche Ausbesserung der den Forts tagsüber zugefügten Beschädigungen, trotz welcher die Außergefechtssetzung derselben bei den nach dem 25. Februar erfolgenden tägliche Beschießungen aus näherer Entfernung mit überlegenen Kalibern und überwältigendem Munitionsverbrauch nicht mehr aufzuhalten war.
2. Zeitepoche vom 4. bis 20. März. Mit
dem Verstummen der Außenforts
war für den Angreifer
das Haupthindernis zur Entfernung der Minenfelder vor dem Dardanellen-
H eingang
fortgefallen und begann nunmehr deren Aufräumung sowie
das Freimachen einer 3-4 km langen Strecke in der Meerenge selbst ; hierbei hatten aber die Minensuchschiffe, nachdem Landungsversuche auf beiden Seiten mit unzureichender Mannschaft kläglich und unter großen Verlusten
an Toten, Verwundeten
und
Gefangenen,
vielen
Maschinengewehren, Munition und Proviant zusammengebrochen waren und in jäher Flucht auf die Schiffe geendet hatten - sowohl seitens der auf dem Lande aufgestellten Batterien wie auch durch Explosion der Minen selbst bei fahrlässigem Entfernungsverfahren ziemlich empfindliche Verluste. Ein Vorrücken der Panzerschiffe selbst in der Dardanellenenge ,
wo der Strömung und Enge der Fahrrinne halber
nur wenige Schiffe auf gleicher Höhe vorrücken und nur wenig Geschütze zur Verwendung bringen konnten, erfolgte erst am 17. und 18. März, am letzteren Tage mit 18 Panzerschiffen und einer entsprechenden Anzahl von Torpedobootszerstörern in drei Schlachtreihen formiert. Hierbei
kamen
zum
ersten Male die angreifenden Panzerschiffe
auf längere Zeit in den konzentrischen Wirkungsbereich der modernen Innenforts sowie der mit Steilfeuergeschützen und Mörsern armierten verdeckten Batteriestellungen und schließlich auch unter die Wirkung treibender Minen. Die wiederum ganz ausgezeichnete Verteidigungsleitung Dschavid Paschas - Oberbefehlshaber der Landtruppen in Thrazien und an der Dardanellenstraße war General Liman von Sanders
, das ruhige, gut gezielte und sichere Schießen der
türkischen Artillerie
des
feindlichen Granatfeuers ungeachtet
sowie
die ausgezeichnete Präzisionsleistung der landseitigen Steilfeuergeschütze
266
Sechs Wochen Dardanellenkampfes.
brachten an diesen beiden Tagen dem sich jedesmal wieder zurückziehenden Angriffsgeschwader ganz enorme Verluste bei , wobei drei Gefechtseinheiten : „ Irresistible " ( 15250 t), „ Ocean " ( 13 150 t), „ Bouvet " ( 12000 t), wahrscheinlich außerdem „ Gaulois “ ( 11300 t) , vollständig eingebüßt wurden, während „ Queen Elizabet “ ( 28500 t) , „ Inflexible " (20300 t).
„ Amethyst"
(3050 t),
„ Agamemnon " ( 19000 t),
„ Corn-
wallis" (14200 t), „ Albion " ( 13150 t), „ Suffren " ( 12730 t) minder schwere und noch auszubessernde Havarien erlitten, außerdem 2000 Mann und 134 Geschütze zu Verlust gingen. Am 20. März
konnte
der englische Admiral nur mehr über 18
verwendungsfähige Gefechtseinheiten verfügen . Türkischerseits beliefen sich die Mannschaftsverluste auf wenige hundert Mann ; die modernen Innenforts selbst waren nach übereinstimmenden Gutachten
von Sachverständigen verschiedener Nationen
als beinahe intakt worden, wie auch
und in bestem Verteidigungszustand befunden was bei der gegenwärtigen Kriegslage der Türkei von hoher Bedeutung ist der Munitionsverbrauch ein verhältnis-
mäßig unbedeutender war und unschwer zu ersetzen ist. Bemerkenswert hier ist die aus der großen Zahl der Panzerdeckbeschädigungen sich ergebende hohe Wirkung der Steilfeuergeschütze der Forts und verdeckten Landbatterien, die zum ersten Male gemachte Wahrnehmung, daß innerhalb des Wirkungsbereiches der 15 cmGeschütze auch mit diesen erhebliche Wirkungen gegen Panzerschiffe erzielt werden können , dann die Wirkungslosigkeit der Flachbahngeschütze auf den Schiffen gegen verdeckte Ziele sowie endlich die ausgezeichnete Einrichtung fahrbarer Küstenbatterien, deren Beweglichkeit sie für die Schiffsgeschütze fast unüberwindlich macht. 3. Zeitepoche vom 20. März bis 1. April. Gleichwie
ein verzweifelter Spieler
zur Abwendung seines Miß-
geschickes nach und nach seinen letzten Einsatz opfert, so haben auch die Verbündeten sofort alle momentan im Mittelmeer zur Verfügung stehenden größeren Gefechtseinheiten als Ersatz der verloren gegangenen 7 , dann der in Malta und im Hafen von Mauros selbst ausbessernden 39 Kriegsschiffe einschließlich der kleineren an die Operationslinie herangezogen , nämlich 3 englische, 4 französische und 1 russischen Panzer, unter ihnen „ Indomitable" , " Queen " , „ Bretagne “ und „ Provence" sowie den „ Askold ". Einig darüber, daß die Fortsetzung der Beschießung zur Hebung des Prestiges im ganzen Orient und aus anderen politischen Gründen unerläßlich Ersatzschiffe
sei, ab,
warteten die Admirale zunächst das Eintreffen der offiziell wurde
schlechtes Wetter für die
Unter-
Sechs Wochen Dardanellenkampfes .
267
brechung der Operationen bis 26. März vorgeschoben, an welchem Tage sie vorerst durch Minensucher wieder aufgenommen wurden , nachdem der Treibminen halber sowie der Wiedererneuerung der weggenommenen Minenfelder die ganze Arbeit der Minenentfernung in dem vorderen Abschnitt wieder von vorne angefangen werden mußte. Hierbei wurden die Minensuchschiffe aufs heftigste von den türkischen Batterien beschossen, wobei sogenannt totgemachte Batterien plötzlich sehr lebhaft wieder mitwirkten ; außerdem wurde seitens der Kriegsschiffe Tag und Nacht ein ungeregeltes Feuer auf Tschanak Kale und Kilidbahr unterhalten, während von der Sarosbucht aus 4 französische Panzerschiffe über die Halbinsel Gallipoli hinweg Granaten warfen. Doch waren alle diese Unternehmungen der Verbündeten von keiner wesentlichen Bedeutung.
In diese Zeit fällt auch das Eintreffen der 32000 Mann Landungstruppen, die teils auf Lemnos, teils auf Schiffen im Hafen von Mauros untergebracht worden waren, und die der Nachfolger des wegen Unfähigkeit kaltgestellten bisherigen Oberkommandierenden zur Säuberung der beiderseitigen Ufer von türkischen Truppen verwendet wissen wollte. Der französische General d'Amade erklärte jedoch in einem zu Lemnos
abgehaltenen Kriegsrate,
daß der Plan
die Aktion ,
welche
durch Beschießung von der See aus kein greifbares Resultat gezeitigt habe und ohne alle praktische Wirkung geblieben sei, durch Landungstruppen weiterzuführen undurchführbar sei, da die hierzu bereitstehenden Truppen unzureichend seien und weitere nicht zusammengezogen werden könnten, nachdem auf den Inseln weder Unterkunft noch Verpflegung vorbereitet und bereitgestellt sei und außerdem infolge Ärztemangels sich schon Epidemien eingestellt hätten. Demgegenüber erklärten die englischen Teilnehmer am Kriegsrat in Anbetracht der politischen Momente auf eine unbedingte Zuendeführung der einmal begonnenen Aktion bestehen bleiben zu müssen und so kam es, daß der Kriegsrat ohne zu einem festen Entschlusse zu kommen, wieder auseinanderging, und der französische General d'Amade in eigener Initiative den Befehl gab , die auf den Inseln befindlichen Truppen wieder einzuschiffen , worauf er mit solchen nach Ägypten abdampfte truppen zurückließ.
und
die Dardanellenexpedition ohne Landungs-
Während so der Monat April die Führer des Dardanellenabenteuers in offener Zwietracht, die Ententemächte selbst in schlechtverhehlter Mißstimmung sieht und die beiden vorhergehenden Monate nur Verluste und keinen Gewinn gebracht haben, hat der unter so minimalen Einbußen erfochtene Sieg der Türken im Vertrauen auf die glänzende Verteidigungsleitung, deren moralisches Element zur höchsten Stufe
268
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15.
des Enthusiasmus gesteigert, wie er auch im ganzen Lande gerechtes Vertrauen zur zeitgemäßen Reorganisation der Widerstandskraft und zum Wiedererwachen des altbewährten osmanischen Heldengeistes eingeflößt hat, so daß Hand in Hand mit Heer und Flotte die türkische Nation dem Kommenden
nur
siegvertrauend und guten Mutes ent-
gegensieht. Den benachbarten neutralen Balkanstaaten
aber
hat die unter
ihren Augen erlittene Niederlage der Engländer und Franzosen aufs neue das Rückgrat zur Beibehaltung der neutralen und abwartenden Stellungnahme gesteift, während im ganzen Orient und in ganz Nordafrika das deutsch-türkische Prestige eine nie geahnte Stärkung erfuhr und der Stern Englands und Frankreichs sichtlich im Niedergehen begriffen ist. Beinahe alle muhamedanischen Grenzvölker an der russischen Grenze erheben sich, um den Türken die Hand zu reichen,
der isla-
mitische Sudan ist unter der Führung des Großscheichs der Senussi in unaufhaltsamen Vormarsch gegen die Engländer in Ägypten begriffen , während die marokkanischen Volksstämme sich aufs neue zusammenschließen, um endlich der nicht gerufenen Franzosenherrschaft in Marokko ein Ende su machen. Dunkel ruht in der Zukunft Schoß, was das mißlungene Dardanellenabenteuer noch für Früchte gebären wird.
XXX.
Soissons 1814,
1870/71 , 1914/15. Von
Frhr. v. Welck, Oberstleutnant a. D.
Zum dritten Male im Laufe von 100 Jahren stehen die deutschen Truppen auf französischem Boden und vor französischen Festungen . Aber unter wie veränderten Verhältnissen von einem zum anderen Male ! Im Jahre 1814/15 galt es der Befreiung des Vaterlandes von den französischen Scharen, die seit vielen Jahren unsere heimischen Gefilde überflutet, in Besitz genommen, vielfach verwüstet hatten. Es war ein Befreiungskrieg, den wir an der Seite unserer österreichischen, russischen und zuletzt auch englischen Verbündeten führten, und der in Paris sein siegreiches Ende fand , nachdem zum Gefangenen gemacht worden war .
der Kaiser Napoleon
269
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15.
55 Jahre später mußten wir , ohne Verbündete , die Waffen abermals gegen Frankreich ergreifen, das uns den Krieg erklärt hatte. In un unterbrochenem raschen Siegeslauf warfen wir unsere Gegner, zogen abermals in Paris ein und diktierten den Frieden, der uns den Länderzuwachs von Elsaß und Lothringen eintrug. Während 43 Jahren war es der weisen
und
friedliebenden
Leitung unserer Politik möglich, gegenüber den nie ganz erkaltenden Revanchegedanken des westlichen Nachbarn und gewisser Eifersuchtsgedanken anderer Mächte den Frieden zu erhalten, bis im Sommer vorigen Jahres unsere Gegner, nach Abschluß eines Bündnisses , sich stark genug fühlten , den Frieden zu brechen und uns von zwei Seiten mit Kräften und mit Kriegsmitteln anzugreifen, die bisher in der Kriegsgeschichte unbekannt und unerhört waren . Die bis jetzt zutage getretenen Folgen dieses feindlichen Angriffs sind bekannt : wir stehen im Westen überall auf feindlichem Boden, während im Osten nur ein kleiner Teil Galiziens in russischen Händen ist ; die politischen und militärischen Verhältnisse lassen aber trotzdem eine schnelle oder baldige Beendigung des Weltkrieges sehr unwahrscheinlich, wenn nicht unmöglich, erscheinen. Werfen wir unsere Blicke nach dem westlichen Kriegsschauplatze, so sehen wir, daß das Kriegstheater - abgesehen von Belgien ungefähr das gleiche ist, wie im Jahre 1870. Wir stoßen auf die
gleichen Gegenden, auf die gleichen Ortschaften und befestigten Plätze, die damals eine Rolle spielten und Eingang in die Kriegsgeschichte gefunden haben. Einer dieser Plätze, um den schon 1814 gekämpft wurde, dann 1870 wieder und der auch jetzt einer Schlacht bereits seinen Namen gegeben hat, ist die Stadt Soissons an der Aisne in den beiden ersten der erwähnten Kriege, eine Festung. Wenn wir diesem Platze hier eine kurze Betrachtung widmen , so geschieht es, weil man aus den Operationen vor dem gleichen Platze am besten die Verschiedenartigkeit der Kriegführung, wie sie sich im Verlaufe eines Jahrhunderts gestaltet hat, ersehen kann, und weil Soissons stets einen strategischen Wert hatte als Sperrpunkt und Knotenpunkt von Straßen und Eisenbahnen und deshalb la clef de Paris" genannt wurde. 1814. Nach der siegreichen Völkerschlacht bei Leipzig hatten die Verbündeten den auf russischem und deutschem Boden geschlagenen Feind über den Rhein und über die französische Grenze verfolgt. Wohl machte Napoleon mehrfache Versuche, den Sieg wieder an seine Fahnen zu heften und sich des verfolgenden Feindes zu erwehren, 19 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 525.
270
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15.
errang auch teilweise Erfolge, aber das Endergebnis konnte auch sein Genie und die Tapferkeit seiner Truppen nicht mehr abwenden. Am 1. Februar erlitt er die Niederlage bei La Rothière und trat infolgedessen den Rückmarsch über die Aube auf Troyes an, verfolgt von der Hauptarmee der Verbündeten unter dem Befehl des Fürsten Schwarzenberg, während der Feldmarschall Blücher mit dem Schlesischen Heere im Tale der Marne vorrückte. Napoleon benutzte diese Trennung zu einem Angriff auf die einzelnen Heeresteile zwischen der Seine und der Marne. Die Schlesische Armee wurde auf das rechte Marneufer und die Korps der Hauptarmee, die die Seine bereits überDann schritten hatten, über diesen Fluß wieder zurückgeworfen. wandte sich der Kaiser gegen Schwarzenberg, der infolgedessen wieder auf Troyes zurückging, und an Blücher, der bei Châlons s. M. stand , den Befehl schickte, sich mit der Großen Armee zu vereinigen.. Der Feldmarschall stand in Vollziehung dieses Befehls
am 21. Februar
an der Seine bereit, um in das geplante Vorgehen der Ehe dies aber zur Ausführung Hauptarmee eingreifen zu können. kommen konnte, trafen die Nachrichten ein von einer weiteren Offensive
bei Méry
Napoleons, und Schwarzenberg schrieb an Blücher, daß er - Schwarzennun, um nicht vor dem Defilé, d . h. westlich von Troyes. berg — schlagen zu müssen, mit seiner Hauptmacht am 22. Februar auf die Höhe östlich Troyes zurückgehen werde. Der Feldmarschall solle größten Bestimmtheit" Méry behaupten. Blücher daher mit der aus Gründen, deren Besprechung hier zu Entschluß, den faßte aber nicht Folge zu leisten, sondern sich Befehl diesem würde, führen weit von der Hauptarmee zu trennen , über die Aube zu gehen und auf Meaux vorzustoßen, dort die Marne zu überschreiten und nach Heranziehung der Korps von Bülow und von Wintzingerode, die bei Vervins - an der Straße Laon-Maubeuge - bzw. bei Reims standen, direkt auf Paris zu marschieren und
auf diese Weise
Napoleon von der
Hauptarmee abzuziehen. Durch den nach Troyes entsendeten Oberst Grolman erbat er hierzu die Genehmigung Schwarzenbergs . Ehe diese aber eintraf, griff Marschall Oudinot Méry an und bemächtigte sich der Stadt. Durch einen Gegenangriff wurde sie zum Teil wieder genommen, so daß das rechte Seineufer im Besitz der Verbündeten verblieb. Zufolge eines Kriegsrates, der am 23. in Troyes stattfand , erklärte sich Schwarzenberg in der Hauptsache mit dem Vorschlage Blüchers einverstanden ; er solle die untere Aube überschreiten, in Flanke und Rücken Napoleons operieren und sich mit Bülow und Wintzingerode vereinigen. Am Morgen des 24. Februar trat Blücher seinen Abmarsch an. Er überschritt die Aube, marschierte am folgenden Tag auf Sézanne,
vertrieb den Marschall Marmont gegen la
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15.
271
Ferté-Gaucher und ging am 27. Februar mit seinen Hauptkräften über die Marne (Avantgarde Katzler und Korps Kleist). Die Avantgarde marschierte bis Lizy an der Ourcq und passierte sie mit kleinen Abteilungen. Champ, südlich von Lizy.
Das Korps Kleist gelangte bis GrandBlücher beschloß nun die Vorwärts-
bewegung auf dem rechten Marneufer in der Richtung auf Meaux fortzusetzen ; halbwegs zwischen Lizy und Meaux stieß man aber auf starke feindliche Kräfte, die den General v. Kleist zum Rückzug nötigten und ihn lebhaft verfolgten. Da ihm ein Abzug nach der linken Flanke, zu dem nur eine einzige schlechte Brücke über die Ourcq bei Lizy zur Verfügung stand , zu gefährlich erschien, so nahm er seinen Rückzug nicht in der Richtung, aus der er gekommen war, sondern verfolgte die Straße nach Soissons und ließ die Brücke bei Lizy zerstören. Auch die Truppen des Generals Katzler gingen bis Mareuil an der Ourcq zurück, wo die Straße nach Soissons den Fluß überschreitet. Mittlerweile war der Befehl eingegangen , daß die Generäle
v. Bülow und v. Wintzingerode dem Feldmarschall Blücher - seinem Ersterer stand mit Antrage entsprechend - unterstellt wurden . seinem Korps
bei Soissons , letzterer bei Reims.
Bülow erhielt am
28. den Befehl, über Villers - Cotterets und Dammartin auf der gegen Paris führenden Straße vorzugehen und den Feind anzugreifen, wo Wintzingerode sollte vorläufig stehen bleiben. Da sich Blücher überzeugte, daß er seinen ursprünglichen Plan , den Über-
er ihn fände.
gang über die Ourcq bei Lizy am 1. März zu erzwingen, nicht ausführen könne, so beschloß er, den Feind dort nur festhalten zu lassen und mit dem Yorckschen Korps die Ourcq weiter oberhalb bei Crouy zu überschreiten . Auch dies ließ sich aber nicht ausführen, da die Brücke bereits zerstört war '). Nachdem Napoleon von diesem Marsch des Schlesischen Heeres Nachricht erhalten hatte, beschloß er - da er Paris bedroht sah -diesem sofort
mit
starken
Kräften
zu folgen .
(Blüchers Absicht,
Napoleon von der Hauptarmee abzulenken , war also erreicht. ) Napoleon rückte am 27. Februar mit der Division der alten Garde und der gesamten Gardekavallerie von Troyes über Arcis nach Herbisse , während die übrigen zu dieser Unternehmung bestimmten Truppen in drei Kolonnen den Marsch auf Sézanne antraten. Am 1. März erfolgte der Weitermarsch auf la Ferté-sous- Jonarre an der Marne ; als sie dort ankamen , hatte die letzte Abteilung der Schlesischen Armee 1 ) Es scheint also damals das Überschreiten des kleinen Flusses ohne vorhandene Brücke nicht möglich gewesen zu sein. 19*
272
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15 .
den Fluß bereits passiert, so daß Napoleons Hoffnung, den Feind noch auf dem linken Marneufer angreifen zu können, vereitelt wurde. Blücher hatte über den Vormarsch Napoleons erhalten, wußte aber nicht,
sichere Nachricht
wo er die Marne passieren würde.
Aus
diesem Grunde vereinigte er die Armee bei Ouchy-le-Château, an der Straße Château-Thierry - Soissons, um sich so den beiden Korps Bülow und Wintzingerode
zu nähern und
eine große Schlacht liefern zu
können. Gleichzeitig ging im Hauptquartier Blüchers die Meldung ein , daß Bülow und Wintzingerode sich in eine Unternehmung Bülow hatte am gegen die Festung Soissons eingelassen hätten. 24. Februar Laon erreicht ; von hier aus dirigierte er eine Brigade gegen la Fère, das sich am 28. ergab. Es wurde hier beträchtliches Kriegsmaterial erbeutet, namentlich 100 neue Geschütze und ein Brückentrain . Am 1. März rückte Bülow zu dem mit Wintzingerode für den Unternehmen gegen 3. d. M. verabredeten oben erwähnten Soissons, bis Chavignon vor , wo er die Nachricht erhielt, daß er dem Feldmarschall Blücher
unterstellt sei (s . o .) .
Er setzte
nun seinen
Vormarsch gegen die Festung fort und eröffnete sofort die Beschießung. Am gleichen Tage erschien auch Wintzingerode von Reims her über Fismes auf dem linken Aisneufer vor Soissons und vertrieb die Franzosen aus den Vorstädten der Festung. Es waren SO vor diesem ,,unbedeutenden Platze" etwa 45000 Mann vereinigt . Soissons, auf dem linken Ufer der Aisne liegend, hatte auf dem rechten Ufer nur einen Brückenkopf, der von den Befestigungen des linken Ufers aus bestrichen werden konnte . Die Befestigung war im allgemeinen nach dem Bastionärsystem angelegt, bestand aber zum Teil nur aus einer bis zu 6 m hohen, mit Türmen versehenen Mauer. Die Besatzung bestand aus etwa 1600 Mann polnischer Truppen mit 20 Geschützen und wurde vom General Moreau befehligt ' ). Nachdem ein Versuch,
sich am 2. in den Besitz der Festung zu setzen ,
mißlungen war, ließ Bülow in der Nacht vom 2. zum 3. alle Vorbereitungen zum Sturm treffen ; ehe er und Wintzingerode aber zum gewaltsamen Angriff schritten , wollten sie den Weg der Unterhandlungen betreten. Dieser führte denn auch bereits am Morgen des 3. März zum Abschluß einer Übereinkunft , nach der Soissons noch am gleichen Nachmittag 4 Uhr in den Besitz der Verbündeten überging. Die nach Reims und Laon führenden Tore wurden bereits am Mittag von je einem Bataillon besetzt. Die Garnison erhielt unter Mitführung von 6 Geschützen freien Abzug. Durch die Einnahme von Soissons wurde der Uferwechsel der 1 ) Kriegsgeschichtliche Einzelschriften, Heft 12 , S. 741 , 1889.
273
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15. Aisne,
den Blücher zur Vereinigung seiner Armee angeordnet hatte,
Demgemäß wurde der Befehl erlassen, daß die Korps Sacken und Kapzewitsch durch Soissons und Crouy auf die rechts der nach Laon führenden Straße befindlichen Höhen rücken sollten. Auch die Kavallerie wurde durch Soissons zurückgezogen . wesentlich erleichtert.
Oberhalb der Festung wurde eine Schiffbrücke geschlagen, auf der ein Die ganze Schlesische Armee hatte Teil des Korps Kleist überging. am Nachmittage des 4. März das rechte Ufer der Aisne erreicht, ohne vom Feinde belästigt zu werden. Erst am folgenden Tage, dem 5. , erfuhr Napoleon, daß Mortier und Marmont nicht mehr in Soissons seien und daß der Platz schon seit dem 3. in den Händen der Verbündeten sei . Napoleon machte den Kommandanten dafür verantwortlich und schrieb am 5. an seinen Bruder
Joseph,
daß
der
Kommandant
auf
dem
Grèveplatz
er-
schossen werden solle und daß die Hinrichtung möglichst viel Aufsehen erregen solle. Diese Begebenheit ", schreibt er weiter, „ verursacht uns einen unberechenbaren Schaden. Ich würde heute Laon erreicht haben,
und es unterliegt keinem Zweifel ,
daß die feindliche
Armee verloren gewesen und in Auflösung geraten sein würde. Jetzt muß ich manövrieren und verliere viel Zeit, um Brücken schlagen zu lassen ¹). " Man ersieht hieraus die Wichtigkeit, die damals Soissons hatte, besonders für den Uferwechsel der Aisne. Wie sehr aber Napoleon dabei übertrieb , geht daraus hervor, daß er am 4. an Marmont schreiben ließ : ,,Da der Feind Soissons, welcher Platz gut verteidigt sein soll, nicht zu nehmen vermocht haben wird , so wird er gewiß die Hauptstraße von Soissons bei Noyant verlassen und eine Brücke über die Aisne geschlagen haben." ) Nach den " Betrachtungen" , die in den Kriegsgeschichtlichen Einzelschriften aus berufener Feder an diesen Bericht über den Fall von Soissons geknüpft werden³), ist es nicht von ausschlagender Bedeutung für die folgenden Ereignisse gewesen , da es Blücher leicht möglich gewesen wäre, den Platz zu umgehen und die Aisne auf Pontonbrücken zu überschreiten. Man muß immer in Betracht ziehen, daß die damaligen kleinen Festungen, zu denen Soissons gehörte , ohne jede Außenwerke waren und nur einen befestigten Platz bildeten, nicht aber das umliegende Gelände beherrschten. Die ,,Betrachtungen " schließen mit der sehr zutreffenden Feststellung : „ Napoleon hätte auch ohne den Fall von Soissons Blücher an dem Übergang über die Aisne nicht hindern können."
1) Kriegsgeschichtliche Einzelschriften a. a. O. , S. 751 . 2) Ebenda, S. 752. 3) Ebenda, S. 752.
274
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15. 1870. Die Schlacht von Sedan hatte dem französischen Kaiserreich das
Ende bereitet und einen großen Teil der französischen Streitkräfte in Kriegsgefangenschaft gebracht. Die Annahme, daß mit der Gefangennahme des Kaisers der Krieg ein Ende finden könne und daß Frankreich bereit sein werde , Frieden zu schließen, konnte sich nicht erfüllen ,
da der gefangene Kaiser das Eingehen auf Friedensverhand-
lungen ablehnte . Unter diesen Umständen ,,lag eine sofortige Wideraufnahme des unterbrochenen Vormarsches gegen Paris im Interesse des Siegers".") Infolge dieses Beschlusses traten am 3. und 4. September die III. und IV. (Maas-) Armee - unter vorläufiger Zurücklassung des den Vormarsch auf XI. Preußischen und I. Bayrischen Korps Paris an. Sie erreichten am 9. September die Gegend von MontCornet, Sévigny und Château-Porcien , die 5. Kavalleriedivision Beaurieux, die 6. Laon. Beim weiteren Vormarsch wurde festgestellt, daß die Festungen Soissons und La Fère stark besetzt seien. Da die Lage von Soissons günstig für eine Beschießung erschien, so wurde das IV. Armeekorps mit einer Unternehmung gegen diese Festung beauftragt, die am 14. zur Ausführung kam, aber erfolglos verlief, da nur Feldgeschütze zur Verfügung standen . Eine Aufforderung zur Übergabe wurde vom Kommandanten abgelehnt . Das Korps setzte infolgedessen und da der Platz ohne Schwierigkeit umgangen werden konnte , den Marsch fort ; nur Patrouillen einer zur Deckung der rückwärtigen Verbindungen bei Fismes aufgestellten Schwadron des Sächsischen heran.
1. Reiterregiments
Etwa 8 Tage
streiften öfters
später wurde
bis an die Festung
aber eine Landwehrdivision aus
der Gegend von Metz in den Bereich des Gouvernements von Reims vorgezogen und mit der vorläufigen Einschließung von Soissons beauftragt. Eine gemischte Abteilung rückte am 23. September von Reims nach Fismes und am folgenden Tage von da gegen den Platz vor. Wenn wir bei Besprechung der Einnahme von Soissons im Jahre 1814 sahen, daß die Befestigung des Platzes eine sehr unzulängliche war und infolgedessen auch kein ernster Widerstand stattfinden konnte, so hatte sich an diesem Zustande allzuviel geändert.
in der langen Zeit seitdem nicht
Es war nur wenig geschehen,
um den Platz zu
einem verteidigungsfähigen zu gestalten . Wohl begannen im Jahre 1818 die Arbeiten zu seiner Wiederherstellung, doch wurde er erst 1821 definitiv in die Zahl der festen Plätze aufgenommen. In der Zeit von 1826 bis 1846 wurden einzelne Bastionen angelegt und aus-
1) Generalstabswerk, III , S. 1.
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15 . gebaut, sowie das Hornwerk im Südwesten hergestellt.
275 In diesem Zu-
stand blieb der Platz mit geringen Veränderungen, bis die Einführung der gezogenen Geschütze verschiedene Maßregeln erforderlich machte, um die Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen. Über den Zustand bei Beginn des Krieges 1870 verweisen wir auf die Schrift von Major Müller : „ Die Belagerung von Soissons im Jahre 1870 " . ) Er gibt eine Übersicht der nach und nach eingetretenen, sehr unbedeutenden Verbesserungen und Verstärkungen der Befestigungen ; eine Erweiterung derselben trat nicht oder doch nur in ganz geringem Grade ein , und auch sonst geschah so wenig, daß Müller schreiben konnte : ,, So befand sich die Festung 1870 in betreff der Unterkunftsräume noch genau auf dem Standpunkte von 1859. " Vor allem bezeichnet er es mit Recht als ,, seltsam", daß nie die Anlage von Forts auf den umliegenden Höhen zur Deckung des Platzes zur Sprache gekommen ist. Es ist dies um so auffallender, als in allen Denkschriften , die dem französischen Kriegsministerium eingereicht wurden, der Festung eine große strategische Bedeutung zugesprochen wurde, und zwar einmal als Deckung gegen die Nordgrenze und das andere Mal als Knotenpunkt Aisne.
der Straßen und Eisenbahnen, sowie als Übergang über die Außerdem wurde Soissons noch immer als ,,la clef de Paris"
bezeichnet.
(Siehe S. 269.)
Ein französischer zeitgenössischer Schriftsteller, René Fossé d'Arcosse, schreibt, daß dies allein ein Beweis sei, daß man seit 1814 nichts gelernt
und nichts vergessen habe ').
Die Deutschen konnten
unter die Mauern von Paris gelangen, einen Monat ehe die Beschießung von Soissons überhaupt begann . Trotzdem wäre die Einnahme des Platzes notwendig für die Deutschen gewesen , weil sie sich in den Besitz der Eisenbahnlinien setzen mußten und weil der Besitz einer in der Mitte einer reichen und fruchtbaren Landschaft gelegenen Stadt ihnen gestattete, das übliche System der Steuererhebung, der Requisitionen usw. durchzuführen. Der Verfasser, der auch Redakteur der in Soissons erscheinenden Zeitung l'Argus Soissonnais" war, erzählt dann aus seinen persönlichen Erinnerungen, daß die Festung am 16. Juli- dem Tage nach der Kriegserklärung - den Befehl erhielt, sich in Verteidigungszustand zu setzen, eine Aufgabe , die unter den gegebenen Verhältnissen jedenfalls Zeit erforderte. Die Artillerie- und Ingenieuroffiziere hatten keine Truppen ihrer Waffe zur Hand und konnten infolge¹) H. Müller , Die Belagerung von Soissons im Jahre 1870. Berlin Vossische Buchhandlung. 2) René Fossé d'Arcosse , Le siège de Soissons en 1870. Soissons 1885. S. 3 ff.
1875.
276
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15.
dessen die erforderlichen Arbeiten nicht ausführen lassen.
Der Platz
hatte nicht eine einzige Bespannung für Feldartillerie, und es fehlte an Mörsern und gezogenen Geschützen , die zu Schießübungen im Lager von Châlons waren . Das 15. Infanterieregiment, das in Soissons in Garnison stand, marschierte am 20. Juli ab , um an den Kämpfen vor Metz teilzunehmen . 48 Stunden nach diesem Abmarsch trafen die ersten Regimenter
einer Division des Korps Canrobert ein ,
ver-
ließen aber den Platz bereits wieder am 2. August. Man hatte im übrigen ein solch unbedingtes Vertrauen in den glücklichen Ausgang des Krieges, daß kein Mensch an die Möglichkeit einer Belagerung dachte. Nie, sagte man, werden die Deutschen unsere Grenze überschreiten . „ Man sah schon " , fährt d'Arcosse fort, 99 unsere siegreichen Truppen wie im Jahre 1806 in Berlin einziehen , und man hätte den für geistesgestört erklärt,
der es
als möglich bezeichnet hätte ,
daß
einige Wochen später das Kaiserreich gefallen, die Republik erklärt, der Kaiser Gefangener, die Armee Mac Mahons kriegsgefangen, die Hauptstadt zerniert, Bazaine in Metz eingeschlossen Advokat, Crémieux, Kriegsminister sein würde ! " Erst nach der Niederlage von Sedan wurde Festung über den Ernst der Lage klar. gelegt und die schöne St. Germain gesprengt .
und
ein alter
man sich in der
Die Vorstädte wurden nieder-
Eisenbahnbrücke
zwischen Villeneuve
und
Die zu der angeordneten vorläufigen Einschließung (s. o . ) erforderlichen Arbeiten wurden vielfach durch Granatfeuer und auch durch kleine Ausfälle aus der Festung gestört. Die deutsche oberste Heeresleitung beschloß nun, eine beschleunigte Wegnahme der Festung einzuleiten, und stellte zu diesem Zwecke das bei Toul abkömmlich gewordene Festungsgeschütz dem Generalgouvernement Reims zur Verfügung ' ) . General von Selchow übernahm am 1. Oktober den Oberbefehl über die Streitkräfte vor Soissons,
die auf 8 Bataillone,
4 Eskadrons ,
2 Pionierkompagnien verstärkt wurden. schließung vollständig durchgeführt,
2 Feldbatterien
und
Am 6. Oktober war die Ein-
und
nachdem 36 Belagerungs-
geschütze von Toul angekommen waren, begann am 12. Oktober früh die Beschießung, die vom Gegner lebhaft und energisch erwidert wurde. Über die Stärke der Besatzung war der Belagerer nur ungenügend
unterrichtet ;
erst am 26. September hatte man durch einen Gefangenen gehört, daß sie angeblich aus dem 15. Linienregiment, einem Depotbataillon und 2 Bataillonen Mobilgarde, je 800 Mann, bestand 2). 1 ) Toul hatte am 23. September kapituliert. 2 ) H. Müller, a. a . O. , S. 18.
277
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15 .
Eine genaue Kenntnis erhielt man erst nach der Kapitulation (s . u. ). Der Belagerer mußte aus der Art der Verteidigung am ersten Tage auf eine
zähe Fortsetzung derselben
schließen ,
und es wurde
deshalb die Möglichkeit ins Auge gefaßt, daß man zum förmlichen Angriffe schreiten müsse. Am 13. Oktober wurde die Beschießung in der bisherigen Weise fortgesetzt ; das feindliche Feuer ließ gegen Mittag sehr nach. Nachmittags von 2 bis gegen 15 ° wurde das Feuer auf beiden Seiten eingestellt, da Oberst von Krensky als Parlamentär in die Festung entsendet wurde, um sie zur Übergabe aufzufordern, die aber entschieden abgelehnt wurde . Das Feuer begann infolgedessen von neuem ; über dessen Ergebnis an diesem Tage heißt es bei Müller (a. a. O. , S. 41 ) , daß in mehreren Stadtteilen Feuer ausgebrochen war und daß die Werke der Angriffsfront anscheinend stark beschädigt wurden . Die schon am ersten Tage geschossene Bresche wurde erweitert. Am 14. Oktober wird das Feuer des Belagerers früh 6 ° wieder aufgenommen und der Hauptwert wieder auf die Erweiterung und Niederlegung der Bresche gelegt . d'Arcosse ( a. a. O. , S. 97 u. 98) schreibt, daß das Mauerwerk der Eskarpe ganz zerstört war, und fügt hinzu, daß die Moral der Infanterie so gesunken sei, daß sich niemand mehr fand, um die Bresche zu verteidigen ; Verlaß gewesen .
nur auf die Artillerie sei noch
In der folgenden Nacht machte die Verteidigung wieder große Anstrengungen, um mit möglichst starker Geschützzahl auftreten zu können.
Gegen 6º abends
hörte aber das Feuer der Festungswerke
fast gänzlich auf. d'Arcosse berichtet ¹), daß sich während des Nachmittags eine Deputation von 40 Bürgern zum Präsidenten der Stadtverwaltung Mr. Salleron - begab, um ihn zu veranlassen, mit ihnen zum Festungskommandanten, Oberstlt. de Noué, zu gehen und diesem eine Klage über die Untätigkeit der Garnison vorzutragen und die Notwendigkeit, Kapitulationsverhandlungen einzuleiten, darzulegen. (Schon tags zuvor hatten die Mitglieder der Stadtverwaltung einen Protest gegen die Beschießung der Stadt an Oberstleutnant de Noué eingereicht, der aber ohne Antwort blieb .) Der Präsident Salleron weigerte sich, dieser Aufforderung Folge zu leisten, richtete er ihm
aber ein Schreiben an den Kommandanten,
in dem
die trostlose Lage der Stadt und der Einwohner schildert.
La ruine, la mort et la famine , voilà le sort non plus du tiers de la population, mais de plus de la moitié . " Am späten Nachmittag schreibt Salleron nochmals und weist namentlich auf das traurige Los der Kranken, der Alten und der Kinder hin. 1) a. a. O. , S. 102.
Hierauf findet eine Versamm-
278
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15.
lung des Verteidigungsausschusses statt, und gegen 5º wurde der Befehl erteilt, das Feuer einzustellen , und Oberstleutnant de Noué beauftragte den Kommandanten Mosbach, sich ins feindliche Lager zu begeben, um über die Kapitulation zu verhandeln. Noch vor Mitternacht kam es zum Abschluß, und zwar unter Zugrundelegung der Kapitulationsbedingungen von Toul und Sedan. Die wesentlichsten Punkte waren , daß alle Leute, die während der Verteidigung Waffen getragen hatten, kriegsgefangen wurden, mit Ausnahme der Offiziere und höheren Beamten,
die sich ehrenwörtlich verpflichteten, während des jetzigen Krieges nicht gegen Deutschland die Waffen zu tragen oder gegen seine Interessen zu handeln. Diese wurden in Freiheit gesetzt und behielten ihre Waffen und Pferde . Die gesamte kriegsgefangene Garnison sollte am folgenden Tage - den 16. Oktober - auf das Glacis am Tore von Reims geführt, das Kriegsmaterial aber : Fahnen, Kanonen, Waffen , Pferde, Munition usw., an eine preußische Kommission übergeben werden '). Die Stärke der in Kriegsgefangenschaft gekommenen Besatzung gibt das Generalstabswerk auf „ etwa 4500 Köpfe " an³) ; H. Müller beziffert sie auf 4400 Mann ohne Mobilgarde³ ) , während sie von d'Arcosse, nach dem Moniteur officiel du gouvernement général de Reims, numéro du 20 Octobre 1870 " , auf 95 Offiziere, 4633 Unteroffiziere und Soldaten sowie 120 Kanonen festgestellt wird ") . Der Ausmarsch der Garnison sollte um 2 ° nachmittags erfolgen,
verzögerte sich aber bis gegen 4 ° und bot ein widriges Schauspiel. Die Soldaten hatten sollen Lebensmittel für vier Tage fassen ; sie erstürmten aber die Magazine und plünderten sie. Der Schnaps und der Wein flossen in Strömen und viele Leute waren betrunken. Die Offiziere, die von Beginn der Belagerung an unfähig waren , die Disziplin in ihrer Truppe aufrechtzuerhalten , ermangelten jedes moralischen Einflusses, um Auflehnungen zu verhindern oder zu unterdrücken ³) . Die einziehenden Truppen 2 Eskadrons, 4 Kompagnien Festungsartillerie, 1 schwere und 1 leichte Reservebatterie, 2 Pionierkompagnien, der leichte Feldbrückentrain , Landwehrinfanteriebataillone und 1 Feldlazarett sollten um 230 am Reimser Tor bereitstehen. Es trat aber eine Verzögerung von mehr als einer Stunde ein infolge eines Umstandes, den wir erwähnen , weil er ein Licht auf die eingerissene Disziplinlosigkeit und Demoralisation wirft . Als die Deutschen an die drei Tore, durch die der Einmarsch stattfinden sollte, Posten stellen ¹) 2) 3) 4) 5)
H. Müller , a. a. O,. S. 74, Beil. 7. — d'Arcosse , a. a, O. , S. 126 , Nr. 10. Daselbst , 2. Teil, I. Band, S. 215 . H. Müller, a. a. O. , S. 50. d'Arcosse , a. a. O. , S. 114. d'Arcosse , a. a. O,. S. 111.
279
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15. wollten,
stellte
es
daß das
sich heraus,
Tor Saint-Christophe ge-
weil sich niemand mehr in der Festung schlossen geblieben war, · Gehorchen ". Infolgedessen „ dauerte zum befand zum Befehlen und es mehr als eine Stunde, bis die deutschen Offiziere die Öffnung desselben erreichen konnten“ ¹) .
Der feierliche Einmarsch des Großherzogs von Mecklenburg an der Spitze seiner Truppen erfolgte durch das Tor St. -Martin. d'Arcosse schreibt dazu : „Unser Besieger bereitete uns mit sichtbarem Stolz ein beschämendes Schauspiel : es war der lange Vorbeimarsch seiner Schwadronen, seiner Batterien, seiner Pionierkompagnien , seiner Bataillone, die mit entfalteten Fahnen ihre Kolonnen durch unsere mit Trümmern gefüllten Straßen wälzten, unter dem wüsten Lärm (bruit sauvage) ihrer Pfeifen und Trommeln. Welchen Kontrast bildeten diese kräftigen, gut bewaffneten, trefflich ausgerüsteten, mit gutem Schuhwerk versehenen Männer gegen unsere armen frierenden, an Masern und Durchfall leidenden Mobilgardisten, die weder Wäsche noch Kleider noch Schuhe hatten 2) . " Die einziehenden Truppen nahmen auf der ,,Grande place" Aufstellung,
wo der Großherzog
eine Ansprache
hielt,
in der
er
der
Artillerie ganz besonders lobend gedachte. Betrachtet man diese zweimalige Einnahme von Soissons 1814 und 1870 , so muß es im hohen Grade auffallen , daß eine, wenn auch
kleine,
Festung beide Male
in Zeit
von wenigen Tagen
zur
Kapitulation gelangte. 1814 fand nur am 2. März ein Versuch statt, sich in den Besitz der Festung zu setzen, der mißlang , am 3. März früh die Übergabe .
und trotzdem erfolgte bereits
Die Festung hatte zwar nur eine sehr
schwache Besatzung und Armierung, aber für damalige Verhältnisse genügende Umwallung, um längeren Widerstand leisten zu können. Im Jahre 1870 war die förmliche Einschließung der Festung am 6. Oktober durchgeführt, und am 12. Oktober früh begann die Beschießung. Die Verteidigung war, namentlich seitens der Artillerie, energisch und vielfach offensiv ; trotzdem fand bereits in der Nacht vom 15. zum 16. Oktober die Unterzeichnung der Kapitulation statt. Die Unzulänglichkeit der Befestigungen gegen die Wirkung unserer Belagerungsgeschütze und die Unzuverlässigkeit, vielfach Demoralisation der Besatzung machten es dem Kommandanten,
der natürlich auch
von den politischen Verhältnissen beeinflußt wurde, unmöglich, die Festung länger zu halten. (Schluß folgt. ) 1) d'Arcosse , a. a. O. , S. 112. 2) d'Arcosse, a. a. O., S. 113.
280 Greifbares aus d . Dardanellenkampfe u. Lemnos, das Ägäische Helgoland. XXXI. Greifbares aus dem Dardanellenkampfe
und
Lemnos, das Helgoland des Ägäischen Meeres. Von Bavarius. Das verkrachte Dardanellenabenteuer stellt sich von Tag zu Tag mehr als ein politischer und strategischer Schachzug Englands zur Entlastung der Aegypten bedrohenden Gefahr heraus und gibt die teilweise Entsendung der Landungstruppen nach dorthin hierfür den besten Beweis ab. Lediglich um die drohende Gefahr eines übermächtigen türkischarabischen Vormarsches gegen die Suezstraße abzuwehren, wurde mit Hilfe Frankreichs, dem dafür eine Erweiterung seiner kleinasiatischen Interessensphäre zugesichert worden war, der Zug nach der Dardanellenstraße in Szene gesetzt . Von einer dauernden und unumschränkten Besitznahme derselben durch die Russen will weder England noch Frankreich etwas wissen , und hat sich England bereits eines Riegels gegen freien Austritt aus der Dardanellenstraße durch die Besitzergreifung der hart vor dem Dardanelleneingange liegenden Inseln Tenedos und Imbres neben der für die Operationsbasis selbst erwählten Insel Lemnos versichert. Das Unternehmen selbst ist, abgesehen von dem Mangel eines entsprechend starken Landungskorps ,
wegen
des
vollständigen Fehlens einer um-
fassenden Vorbereitung mißlungen, des weiteren übrigens auch dadurch, daß der Gegner viel zu sehr unterschätzt wurde. Kenntnisse
des
Dagegen wurden die
englischen Admirals Limpus, der bis vor Ausbruch
des Krieges die Ausbildung der türkischen Flotte geleitet hatte, über die Verhältnisse der Dardanellenpassage viel zu hoch eingeschätzt.
Was das Schiffsmaterial der Expedition anbelangt, so waren es allerdings mit Ausnahme der „ Queen Elizabet “ nur ältere Schiffe ; jedoch erhielt dieses hochmoderne, englische Großlinienschiff mit seiner überaus starken Panzerung trotzdem eine Anzahl schwerer Beschädigungen. Die bisherige Armierung selbst auf den Schlachtschiffen hat sich für den Angriff auf moderne Küstenbefestigungen als ungenügend erwiesen, da mit den Flachbahngeschützen nur eine Wirkung auf die äußeren Umfassungen, aber mangels Steilfeuergeschütze keine oder nur geringe Wirkung auf das Innere der Werke oder eine Erreichung verdeckter Batteriestellungen erzielt wird. Anderseits wurde die Wahrnehmung gemacht, daß die Mittelartillerie des Verteidigers als deren Ziel bisher ausschließlich die nicht
Greifbares aus d.Dardanellenkampfe u . Lemnos, das Ägäische Helgoland. 281 gepanzerten Schiffsteile gegolten haben, recht wohl im Rahmen ihres Wirkungsreiches eine ganz entsprechende Wirkung auch auf die gepanzerten Schiffsteile auszuüben vermag. Zum Schlusse ist noch der Einführung fahrbarer Küstenbatterien mit Steilfeuergeschützen Erwähnung zu machen, welche seitens der Schiffe nur schwer unter Feuer genommen werden konnten . Durch solche wird wohl eine Reorganisation der Küstenverteidigung veranlaßt werden . Die Steilfeuergeschütze der Türken im Zusammenhalt mit der gegebenen
Möglichkeit,
die
jeweilige
Entfernung
der
angreifenden
Panzerschiffe bis auf einige Meter genau bestimmen zu können, brachten dem Angriffsgeschwader schwere Verluste bei ; gegenüber dem türkischen Steilfeuer gab es keine genügende Panzerdeckung mehr, weder auf den englischen noch auf den französischen Schlachtschiffen : seiner Durchschlagskraft
und
Wirkungsenergie
auf
Panzerschiffe
ist
nur
noch der Bombenaufschlag aus den Luftkreuzern zu vergleichen . Im großen ganzen läßt der mißlungene Angriff klar erkennen . daß in artilleristischer Beziehung Deutschland ebenso gründlich England überlegen ist, wie sich dessen nautische Überlegenheit in den Unterseebooten, dessen aviatische an den Zeppelinen , die Überlegenheit endlich an Intelligenz
und moralischem Element im gesamten Offizierkorps
und Mannschaftsstande Tag für Tag der Mitwelt offenbart.
Lemnos.
Gleichwie England trotz aller verzweifelten Proteste der französischen Verwaltungsbehörden fortfährt , die an der Kanalenge gelegenen Hafenstädte Calais und Dünkirchen als eigene Domäne zu betrachten und dort zu organisieren und anzuordnen, als ob dieser Küstenstrich nie mehr in die Hand Frankreichs zurückgelangen würde, so verfährt es auch trotz aller Einsprüche Griechenlands mit der 45 Seemeilen vom Dardanelleneingange entfernten Insel Lemnos , die freiwillig wieder herauszugeben England so wenig gewillt sein dürfte, wie es freiwillig nie mehr Calais und Dünkirchen den Franzosen überlassen wird . Man
nahm
zum Vorwande,
daß im Balkanabschlußakte die Souveränität Griechenlands über Lemnos nicht ausdrücklich ausgesprochen worden sei und dadurch Lemnos noch zu den der Türkei gehörenden Inseln des Ägäischen Meeres zähle. Folglich sei es feindliches Gebiet und wurde daher zur Basis für das englisch-französische Dardanellenunternehmen ausersehen und Anfangs Februar englischerseits besetzt. Es wurde ursprünglich den griechischen Verwaltungs-
282 Greifbares aus d. Dardanellenkampfe u . Lemnos, das Ägäische Helgoland. behörden auf Lemnos in ihren Dienstverrichtungen nicht das geringste in den Weg gelegt, und änderte sich dieses wohlwollende Verhalten Englands erst mit dem Momente, als es zur Gewißheit wurde,
daß
Griechenland nicht gewillt sei, sich dem Dreiverbande anzuschließen und durch Gestellung eines größeren Landungskorps den Angriff auf die Dardanellenforts zu unterstützen. Die endgültige Festsetzung Englands dortselbst mit der ausgesprochenen Absicht einer Nichtwiederherausgabe läßt den Schluß ziehen, daß England dieses vom Admiral Kirchhoff als türkisches Helgoland bezeichnete Eiland als den zur Zeit wichtigsten Punkt im ganzen Mittelmeer erachtet. Annähernd ein Rechteck bildend , 454 qkm groß, von 30000 Einwohnern bewohnt und hinlänglich fruchtbar, ist die Insel durch zwei von Norden und Süden her gegeneinander vorspringende Meerbusen isthmusartig in der Mitte eingeschnürt. Der südliche dieser Meerbusen bildet die 10 km lange und 3 km breite Reede von Mudras, zur Zeit der Ankerplatz
und Zufluchtsort des englisch-französischen
Dardanellengeschwaders, die in ihrer Innenbai Ankertiefen von 8-16 m, sowie auf der Außenreede guten Ankergrund bei 18-45 m Tiefe besitzt.
An den Ufern befinden sich auch gute , zur Anlage von Werften
und Docks geeignete Stellen, wie auch die vielen kleinen in die Bucht einmündenden Flüßchen genügend Frischwasser bergen. Durch die bis zu 431 m aufsteigenden Höhen im Innern vor den in dieser Gegend oft gefährlichen Nordwinden wohl geschützt , ist die Innenbai von Mudras durch Geschosse angreifender Schiffe kaum erreichbar, so daß Kriegsschiffe sich dort in Ruhe und Sicherheit ausrasten und erlittene Beschädigungen an allerdings erst zu errichtenden Werften ausbessern können .
Der Eingang der Rai ist unschwer zu
verteidigen wie die ganze Insel selbst mit der Felsburg des malerisch schönen Städtchens Kastro wegen ihres geringen Umfanges ungleich leichter zu halten ist , wie das langgestreckte Cypern . Ausschlaggebend für die Beherrschung des Dardanellenausganges sind aber die beiden in der Richtung nach diesem vorgelagerten Avisostationen, die ebenfalls englischerseits besetzten Inseln Imbros und Tenedos . Mit deren Verwertung zu kleineren Flottenstützpunkten oder Vorwerken bildet Lemnos somit den Schlüssel zur Hauptstadt der Pforte und zu den Häfen Südrußlands, Rumäniens und Nord-Kleinasiens . In Verbindung mit der die Suezenge beeinflussenden Insel Cypern und dem Flottenhauptstützpunkte Malta an der Halbscheide des Mittelmeers aber vermag der Besitz von Lemnos in ganz hervorragender Weise mit beizutragen, dem englischen Mutterlande in der Osthälfte des Mittelmeers für fernerhin die Vorherrschaft zur See zu erhalten .
283
Voraussagen und Wirklichkeiten .
XXXII .
Voraussagen und Wirklichkeiten.
Die französische Literatur Erscheinungen gebracht,
die
der letzten
vier Jahre
hat manche
sich mit dem zukünftigen Kriege gegen
Deutschland beschäftigten, Schriften , die prophetisch wirken wollten und deren Voraussagen die Wirklichkeit , die weiter unten kurz zu beleuchtenden Geschehnisse , schon jetzt zu Schanden werden ließen. Ein krasser Unterschied zwischen diesen Schriften und derjenigen , die Major Driant 1907
unter dem Titel „ Einem neuen Sedan entgegen "
als eine Mahnung an Frankreichs Adresse veröffentlichte ,
sich nicht
als Werkzeug des egoistischen England in einen Krieg mit Deutschland verwickeln zu lassen , der Frankreichs Verderben sein würde. Noch 1911 empfahl Colonel Boucher in seinem „ Frankreich als Sieger im morgigen Kriege " seinem Vaterland zunächst die Defensive gegen die an Zahl überlegenen , sofort an der lothringischen Grenze offensiv auftretenden Deutschen zu wählen , diese in den französischen Stellungen bei Nancy, an denen sie sich den Kopf einstoßen sollten , solange aufzuhalten , bis die einsetzende russische Offensive sie zwinge, sehr starke Kräfte nach dem Osten abzuzweigen , den Franzosen die Möglichkeit gebend, selbst mit Aussicht auf Erfolg offensiv zu werden und die Deutschen über den Rhein zurückzuwerfen . Die
der erstgenannten bald folgende Broschüre Bouchers
„ Die fran-
zösische Offensive gegen Deutschland “ trägt schon ausgesprochen den Stempel der Offensive und versteigt sich zur Warnung an Deutschland, nicht etwa die Torheit zu begehen, durch Belgien hindurch gegen die französische linke Flanke
vorbrechen zu wollen,
da es sich dann in
Lothringen derart schwächen müßte , daß es dort unbedingt geschlagen werde . Aber selbst wenn die Deutschen den Einbruch in Belgien unterließen, würden sie von der französischen Offensive in Lothringen unzweifelhaft geschlagen und über den Rhein zurückgeworfen. Von der obersten französischen Heeresleitung setzt Boucher voraus, daß sie vom Geiste der Kühnheit beseelt, hier jeden Vorteil aus der Lage ziehen, dem Beispiel der Väter folgend, ihren Ehrgeiz
nicht darauf beschränken
werde, die Grenze zu verteidigen , sondern den Kampf gegen den Feind auf dem Gelände zu beginnen, das dieser Frankreich einmal entrissen habe (Elsaß-Lothringen) . Boucher setzt operatives Zusammenwirken nach einheitlichen Gesichtspunkten bei Frankreich, Belgien, Rußland - und zur See England - voraus, bezweifelt aber einheitliche Leitung auf deutscher Seite auf dem westlichen und östlichen Kriegsschauplatz
284
Voraussagen und Wirklichkeiten .
und dem Meere gegen die britisch-französische Flotte. Die übrigen Schwächefaktoren , die Boucher der deutschen Kriegsführung zuschrieb : Widerstand der deutschen Sozialisten gegen die Einreihung in das Heer, zweifelhafte Sympathie der deutschen Fürstentümer, besonders Bayerns für Preußen, weit geringerer Enthusiasmus des Volkes für einen zu erwartenden Krieg als 1870, geringere sittliche Kraft der Armee, sind so verbrauchte Ladenhüter französischer Darstellungen und so glänzend durch den Kriegsbeginn, Begeisterung, festen Willen zum Siege, Ausdauer und Energie wie Heldenmut deutscher Truppen Lügen gestraft, daß wir sie nur zu berühren brauchen. Boucher rechnete in seiner zweiten Broschüre noch damit, daß die Russen auf einen überraschenden Einbruch in deutsches Gebiet verzichten , erst regelmäßig ihre Mobilmachung durchführten, am 20. Mobilmachungstag sich zum Angriff auf Ostpreußen, am 30. durch Posen in der Richtung auf Berlin in Bewegung setzten, Deutschland also nur über diesen Zeitraum verfüge, um mit der Gesamtheit , bzw. dem größten Teile seiner Streitkräfte gegen Frankreich zu operieren und vor Ende dieses Zeitabschnittes eine Entscheidung in Lothringen herbeigeführt haben müsse. Boucher fuhr dann fort : Selbst bei einem Zusammenhandeln Österreichs mit Deutschland können doch die russischen Kavalleriedivisionen und die zunächst stehenden Korps, ohne sich zu engagieren, die ganze Grenze so stark bedrohen , daß sie die Bevölkerung kopflos machen , sie zu der Forderung veranlassen , die aktiven Korps ihrer Gegend in Bereitschaft zu halten . Die Annahme ist also berechtigt, daß der deutsche Generalstab sich verpflichtet sieht, darauf Rücksicht
zu nehmen .
Er scheint sogar diesen Fall vorauszusehen,
indem er die VI . Armeeinspektion aus dem I. , XVII . und V. Korps bildete und das Kommando einem so hervorragenden Kriegsmanne, wie es Feldmarschall v. d. Goltz ist, anvertraute. Das geringste Zögern wird genügen,
die Maßregel auch auf das VI. Korps ausdehnen zu
lassen, das gleichfalls an russisches Gebiet grenzt. Daraus ergibt sich. daß Deutschland uns nicht mehr als 19 (die Neubildungen von 1913 waren naturgemäß noch nicht erfolgt) aktive Korps entgegenstellen kann “. Wenn Boucher damals damit kalkulierte, man werde von dem in Tripolis engagierten Italien nichts zu fürchten haben und nicht nur die Korps Lyon und Marseille, sonderrn auch die ganzen Alpentruppen , an die Ostgrenze ziehen können , so haben ihm in bezug auf diese Truppenverwendungsmöglichkeit die wirklichen Ereignisse, freilich aus anderen Gründen, recht gegeben. Geirrt hat er in seiner Voraussage, daß man mit 21 aktiven Korps (das XXI. , Epinal,
war damals noch nicht formiert,
mit Kolonialkorps hätte er
also 1914 22 Korps sagen können ) , die deutsche Armee in Lothringen
285
Voraussagen und Wirklichkeiten. niederwerfen werde.
Noch mehr irrte er, als er annahm, man werde
Deutschland strategisch überraschen und ihm das Gesetz des Handelns geben können, und er heuchelte in der Voraussetzung, Belgien werde nur seine Neutralität schützen, während doch bindende Verabredungen schon
damals zwischen Belgien , Frankreich, England bestanden, wie
durch amtliche belgische Dokumente erwiesen ist, die sehr wenig nach Neutralität aussehen . Deutschen Versuchen, durch Belgien hindurch, die französische Ostgrenzsperrlinie zu umgehen und deren Öffnung dadurch zu ermöglichen, will Boucher am Semoy nur mit 8 französischen Reservedivisionen und der belgischen,
zunächst zwischen Namur und
Givet in einer großen Flankenstellung zu haltenden Armee nahe dem französischen Sedan ein deutsches Sedan bereiten. Am 16. Tage will er die deutschen Hauptkräfte, 13 aktive Korps, mit 21 aktiven französischen Korps vernichtet und aus Lothringen herausgeworfen , am 20. Tage ganz Lothringen vom Feinde gesäubert haben, und an demselben Tage soll Deutschland an seiner Ostgrenze durch die Russen überschwemmt werden. Den französischen Oberbefehlshaber nennt Boucher
„ den ausgesprochenen Vertreter des Gedankens,
der strat-
egischen Offensive, des Grundsatzes, das Gesetz des Handelns zu geben , der strategischen Überraschung verbunden mit der taktischen, der den sittlichen Wert des Gegners erschüttern müsse ". Der Oberbefehlshaber, so schrieb Boucher , weiß, daß er mindestens über die Gleichheit der Zahl verfügt.
Er wird zunächst zu
bestimmen suchen ,
wohin er seine erste Anstrengung zu richten hat , und seine Anordnungen so treffen , daß er den Angriff in dieser Richtung mit Überlegenheit an Zahl ausführen kann. Diese Richtung führt in die Gegend von Saarburg.
Bouchers Broschüre nimmt
den französischen Oberbefehlshaber als am achten Tage abends über die feindliche Aufstellung im großen genau unterrichtet und davon überzeugt an, daß der Gegner den Befehl zum Überschreiten der Grenze nicht vor
dem 12. Mobilmachungstage geben werde,
da er
dann erst über den größeren Teil seiner Kolonnen und Trains verfüge. Eine der Boucherschen Broschüre beigefügte Skizze der beiderseitigen Armeen am zehnten Mobilmachungstage abends zeigt uns auf dem rechten Flügel der in 4 Armeen angenommenen deutschen Streitkräfte drei mit dem rechten Flügel an der Straße Conflans- Etain stehende , mit dem linken bis gegenüber Woël reichende große Kavalleriekörper, deren linker Flügel schon durch in der Flanke, nordöstlich Thiaucurt stehende starke französische Kavallerie bedroht wird, während vor ihrer Front, mit dem linken Flügel bis nach Etain, mit dem rechten bis ungefähr in die Höhe von Woël reichend fünf französische Kavalleriedivisionen eingezeichnet sind. Der deutschen I. Armee, vier 20 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 528.
286
Voraussagen und Wirklichkeiten .
Korps, davon eins in Reserve, mit dem rechten Flügelkorps zwischen Mosel und Seille, südwestlich Metz , dem folgenden Korps auf dem linken Seilleufer, nordöstlich von Cheminot, dem dann folgenden nordöstlich Liaucourt, steht die französische Armee D mit drei Korps in erster Linie, einen in Reserve, mit dem rechten Flügel bis Mont St. Jean reichend gegenüber , der deutschen II. Armee, drei Korps in erster Linie, eins in Reserve, im Abschnitt von südwestlich Delme bis nördlich Vic, die französische Armee C, drei Korps in erster , zwei in zweiter Linie,
der deutschen
III. Armee,
drei
Korps und eins in Reserve
(östlich Dieuze ) im Raum von Moyenvic bis in die Gegend von Avricourt, die drei Korps (eins Reserve mehr hinter dem linken Flügel) sowie zwei Kavalleriedivisionen bei Luneville zählende französische Armee B, der deutschen IV. Armes , drei Korps und eins in Reserve (I. Bayerisches vor Saarburg) mit dem linken Flügel bis in die Gegend von St. Quirin reichend , die französische Armee A, drei Korps, darunter auf dem rechten Flügel das Alpenkorps in erster Linie, eins in Reserve, gegenüber,
dem III . Bayerischen
Korps
bei Schirmeck
gegenüber ist das französische XIV. Korps eingezeichnet, einem weiteren deutschen, scheinbar XIV. , mit Abzweigungen nach Saales, St. Marie-aux-Mines und Col de Bonhomme ist das XV. französische Korps in der Gegend von St. Diè gegenüber aufgeführt. Unter den Gründen. die, nach Boucher den französischen Oberbefehlshaber veranlassen , als Richtung seines Hauptangriffs die Gegend von Saarburg zu wählen , erscheint, neben der Ansicht, daß hierhin die großen Festungen Metz und Straßburg keine Einwirkung mehr üben könnten , die Eroberung von Saarburg einen gewaltigen Einfluß auf die Operation haben würde, auch der sonderbare,
daß die Mehrzahl hier aus Bayern bestände ,
die wahrscheinlich schwächeren Widerstand leisten würden , ein grober Irrtum, über den die Ereignisse der Schlacht zwischen Metz und Vogesen und ihre Folgen die Franzosen wohl blutig genug belehrt haben. Die Armeen B und A werden nach den von Boucher wiedergegebenen Direktiven mit dem entscheidenden Angriff betraut. Die Armee B, so läßt Boucher den Befehl lauten, wird mit ihrem linken Flügelkorps die Gegend der Teiche besetzen, um die Verbindungen zwischen den beiden feindlichen Flügeln zu unterbrechen, mit ihren rechten Flügelkorps die Stellungen des Gegners vorwärts Saarburg zu umgehen und sie, sich südwestlich der Linie Ignez - Saarburg haltend, in Verbindung mit dem linken Flügel der Armee A anzugreifen suchen . Das Alpenkorps hat, von St. Sauveur aus auf Dagsburg vorgehend , alle Stellungen des Gegners zu umgehen, das XIV. Korps das gegenüberstehende bayerische Korps zu werfen und von den Verbindungen mit seiner Armee abzuschneiden, das XV. , im Besitz der Höhen , die
287
Voraussagen und Wirklichkeiten .
gegen Colmar stehenden Reserven des XIV. deutschen Korps im Rücken zu fassen, das VII . Korps seine Offensive (bei Kriegsbeginn bestand schon das neue XXI. Korps Epinal) gegen Norden fortzusetzen. Der Ausmarsch mit den sämtlichen aktiven Streitkräften
war
also von Boucher gegen Osten angenommen, für den Aufmarsch gegen Norden waren, mit der belgischen Armee zusammenwirkend, nur Reservedivisionen gedacht.
Die Hauptentscheidung sollte in Lothringen
gesucht werden und zwar in der Form strategischer Überraschung, verbunden mit numerisch überlegenem taktischen Angriff, unter Umfassung des deutschen linken Flügels vorwärts Saarburg. Alle diese Boucherschen Voraussagen haben sich als unrichtig erwiesen , wie wir an dem Gang der Geschehnisse, nach dem amtlich bekannt gegebenen Bericht des französischen Generalissimus selbst und den Tagesberichten des Generalquartiermeisters im Großen Hauptquartier nachweisen werden . Vorab haben wir aber eine andere französische Voraussage zu berühren, die durch die Wirklichkeit nicht weniger zu eitel Dunst geworden ist.
Wir meinen Kommandant de Civrieux ' 1912 er-
schienene Broschüre ,, La fin de l'Empire allemand. La bataille du champ des bouleaux". Sie rechnet mit Briten , Belgiern , Franzosen , später auch Niederländern , auf der einen , Deutschland, das an Belgien angeblich die Forderung des Vorkaufsrechts auf den Kongostaat stellte, auf der anderen Seite, setzt mit dem brutalen Überfall der deutschen , an der Eidermündung ankernden Flotte durch die britische ein und endigt mit dem Untergang des Deutschen Reiches auf dem Birkenfelde zwischen Hamm und Unna in Westfalen . Wie ein Phönix steigt in der kritischen Stunde der Kriegserklärung der durch kleinsinnige Politik aus den maßgebenden Stellungen des Heeres verdrängte General ,,Bordeaux" , der einzige Soldat, der das Vertrauen des Heeres und Volkes in Frankreich besaß, als militärischer Diktator aus der Asche. Am 17. August erfolgt nach Civrieux der Mobilmachungsbefehl , vom 20. bis 25. August Transporte in den Aufmarschraum, nachdem deutscherseits schon am 17. August ein Durchbruchsversuch gegen die
befestigte Sperrlinie der Maas
bei Apremont mißlungen
war. Entgegen einer starken Neigung zum Verteidigungskrieg bei einer Reihe von Ministern entschloß sich der französische Generalissimus zur strategischen Offensive .
Die Vorbereitungen zum Einbruch
der deutschen Hauptkräfte in Belgien sehr zeitig erkennend , hielt General Bordeaux das Vorbrechen des französischen Heeres gegen die Hauptverbindungen der Deutschen für den wirkungsvollsten Gegenstoß. Der ohne Belgien auf dem schmalen Raum ( ?) zwischen Basel und Mezières beschränkte französische Angriff wäre, so meint Civrieux , Gefahr gelaufen ,
an
dem
gewaltigen
deutschen
Festungsgürtel 20*
in
288
Voraussagen und Wirklichkeiten.
Elsaß-Lothringen zu zerschellen, die Übermacht der Deutschen hätte Aussicht gehabt, die Franzosen, deren Beweglichkeit durch die Enge des Kriegsschauplatzes beschränkt worden wäre, zu erdrücken . Nach siegreichem Kampf auf belgischem Boden, wo man einen Zuwachs von 100000 Belgiern erwartete, wurde auf einen Einbruch gegen den Niederrhein, im Verein mit den britischen Hauptkräften und den Niederländern, gerechnet. Der französische Generalissimus ordnet daher in der Civrieuxschen Annahme folgenden Aufmarsch an : I. (Ardennen-) Armee hinter der Linie Mezières - Longwy, 6 Korps , 5 Kavalleriedivisionen. II. (Lothringer) Armee zwischen Toul und Epinal, Mosel gedeckt, 6 Korps, 1 Kavalleriedivision,
durch die
III. (Maas-) Armee, 5 Korps, 1 Kavalleriedivision , zunächst an der Maas zwischen Toul und Verdun aufmarschierend mit der Hauptaufgabe, die Bewegungen der benachbarten I. und II. Armee zu unterstützen , VI . (ElsaB-) Armee,
4 Korps,
1
Kavalleriedivision ,
sollte
die
Vogesenpässe halten und sich auf das befestigte Lager von Belfort stützen. Tatsächlich war sie nur der rechte Flügel der II. Armee. Alle aktiven Truppen wurden also in erster Linie angenommen , Reserve- und Territorialformationen als Festungsbesatzungen, Bahnschutzwachen, in der Hauptstadt, zum Küstenschutz in Afrika. Küstenschutz in Frankreich selbst wurde nicht für nötig gehalten , da die britische Flotte die See unbestritten beherrschte . Alles konnte also an der Nordgrenze eingesetzt werden, wo die Entscheidung fallen mußte. Dort nahm Civrieux 800 000 Mann , 3000 Geschütze als versammelt an gegenüber 22 deutschen Korps , da der Rest in Deutschland wegen des Küstenschutzes gegen England als unentbehrlich bezeichnet wurde. Die in der langen Friedenszeit zutage getretenen Erwägungen der Strategen, die vorausgesagt
hatten,
daß ein Zukunftskrieg mit
Millionenheeren geführt werden würde, erwiesen sich, nach Civrieux , als irrig. Aus zwei Gründen : 1. wäre völlig ausgeschlossen gewesen, diese Riesenmassen rechtzeitig mit Lebensmitteln und Munition zu versehen, 2. hätten sie sich als gänzlich unfähig gezeigt, schnelle Bewegungen auszuführen, von denen allein der Erfolg abhängt. Und wenn auch alle waffenfähigen Männer zu den Waffen berufen worden wären, so wäre es doch, so schrieb Civrieux, auf beiden Seiten geboten gewesen, alle Verbände der Reserve und Teritorialarmee , der Landwehr und des Landsturmes in die zweite Linie zu verweisen, die auf dem Papier vorbereitet war.
In Frankreich hatte man, bei Civrieux,
diese Truppen II . und III. Linie , eingeteilt in Divisionen,
vorläufig
Voraussagen und Wirklichkeiten .
289
in großen Lagerfestungen Paris, Langres, Reims versammelt. Sie sollten nach Bedarf entweder zu Reservearmeen vereinigt werden, um sie bei unglücklichem Verlauf des Krieges einzusetzen, oder als Reserve zu dienen, um die Lücken in der Gefechtfront und bei den Operationen auszufüllen, oder um Verluste der aktiven Formationen zu ersetzen . Der französische Oberbefehlshaber war bei Civrieux von der Überzeugung durchdrungen,
daß das Geheimnis des Sieges in der
Schnelligkeit der Operationen liege . Diese Schnelligkeit, so sagt Civrieux , beruht aber auf der Raschheit der Entschlüsse und wird in die Wirklichkeit übertragen durch alle Hilfsmittel, welche die Bewegung des Heeres auf das höchste Maß beschleunigen. Die Armeekorps der Jetztzeit müssen Bahnen und selbst Kraftfahrzeuge benutzen, um überraschend auf dem Schlachtfeld zu erscheinen. Deshalb wurden nach dem Aufmarsch unmittelbar hinter den Armeen zahlreiche Züge bereitgestellt, an allen fahrbaren Straßen Kraftwagenschuppen mit zahlreichen Kraftwagen errichtet, um für den Fall des Bedarfs ganze Divisionen von einem Teil der Kampffront nach dem andern werfen zu können, vorzugsweise hinter der Maas- und Elsaßarmee.
der
Sobald die deutsche Offensive durch deutsche Scheinangriffe an Front eingeleitet würde wollte General Bordeaux seinen
Operationsplan zur Ausführung bringen . Die Lothringische Armee sollte zu Anfang des Krieges für Frankreich gewissermaßen die Rolle eines Schildes spielen.
Mit den Flügeln an die großen Festungen Toul und
Epinal angelehnt, in der Front durch die Mosel gedeckt, war sie bereit, sich auf die Flanke des Gegners zu stürzen, der bei Nancy durchzubrechen versuchte , um gegen die Maas durchzustoßen. Ein Teil der Maasarmee konnte auch so verwendet werden, daß er unter Umständen entweder den beabsichtigten Marsch der Ardennenarmee nach Norden in der östlichen Flanke deckte, oder mit ihr unmittelbar zusammen operierte. Zu diesem Zwecke waren auf den strategischen Bahnlinien auch die erforderlichen Züge bereitgestellt, so daß sie den Bedarf an Unterstützung eiligst auf das Schlachtfeld werfen könnten. Das I. britische Korps war bereits auf der Überfahrt gedacht, um auf französischen Bahnen den Kriegsschauplatz zu erreichen, zwei britische Korps sollten an der Mündung der Maas (also ohne Rücksicht auf Verletzung der niederländischen Neutralität) ausgeschifft werden. Beim Vormarsch der I. deutschen Armee aus der Linie Eupen -Malmedy — St. Vith nach Belgien, wo sie, links schwenkend , zwischen Maas und Oise auf die Champagne operieren sollte , ließ, nach Civrieux ' Broschüre, der französische Generalissimus die Ardennenarmee auf 40 km breiter Front in das belgische Luxemburg vorgehen und sie
290
Voraussagen und Wirklichkeiten .
hatte am folgenden Tage das linke (westliche) Ufer der Ourthe erreicht. Die Entscheidung in der Schlacht an der Ourthe führte herbei das I. britische Korps, Ourthe
das,
nach Namur befördert, auf die mittlere
in Bewegung gesetzt wurde und zwar gegen den deutschen
rechten Flügel, während die Belgier von Lüttich aus, gegen die deutschen Korps marschierten , die den deutschen rechten Flügel deckten. Gegen Osten fiel die Entscheidung bei Civrieux in der Gegend von Neuf-Château. Stellen wir den Voraussagen die Wirklichkeit gegenBeide Broschüren rechnen mit einem französischen Operations-
über :
dem scharf ausgesprochene Offensivgedanken zugrunde liegen, sehen in dem französischen Oberbefehlshaber den geborenen Vertreter der Offensive. Sie nehmen bei den Operationen die strategische plan,
Überraschung, das Geben des Gesetzes des Handelns , auslaufend in den taktischen Angriff unter Sicherstellung der Überlegenheit an Zahl , Die Hauptentscheidung die Entscheidung durch die Umfassung an. fällt in beiden in Lothringen. Der Aufmarsch mit den Haupterfolgt gegen Osten. Der Gedanke der Offensive gegen Deutschland und zwar in drei Hauptrichtungen, vereint mit den Belgiern und Briten durch Belgien hindurch gegen den Niederhein , zwischen Straßburg und Metz hindurch und endlich durch den oberen Elsaß, kräften
hat bei dem französischen Generalissimus ohne jeden Zweifel bestanden. den verfrühten Beginn der Mobilmachung lange vor dem kritischen 1. August, ja den damals schon in der Durchführung be-
Durch
griffenen Aufmarsch (daß zahllose Truppentransportzüge schon am 27. Juli von Westen nach Osten, von Süden nach Norden rollten , mehrere französische Regimenter vor der Kriegserklärung schon in Belgien eingerückt waren , ohne daß dieses Protest wegen Verletzung der Neutralität erhob, ist unwiderleglich schon seit Monaten festgestellt) versuchte man Deutschland auch in der Versammlung zuvorzukommen, erlebte aber selbst eine große Überraschung durch den unerwartet schnellen Einmarsch deutscher Truppen in Belgien, die schon am 7. August Lüttich in deutsche Hand lieferten. Der eigene Aufmarsch wird in dem amtlichen Bericht der französischen Heeresleitung zwar nicht ausdrücklich, aber doch zwischen den Zeilen lesbar, als verfehlt erkannt bezeichnet, gewaltige Anstrengungen werden gemacht, so schnell als irgend denkbar starke Kräfte nach Norden zu verschieben. War die strategische Überraschung, wie die beiden genannten französischen Broschüren als sicher annahmen, auf französischer Seite ? Hat die französische Heeresleitung hier das Gesetz des Handelns gegeben ? Der im 99 Bulletin des Armées " erschienene amtliche Bericht des französischen Generalissimus gibt uns die Antwort, wenn wir sie nicht
291
Voraussagen und Wirklichkeiten . aus den Geschehnissen selbst herauslesen könnten. des
Krieges wiegte sich Deutschland in der
Bei dem Ausbruch
Hoffnung,
sich durch
einen unerwarteten Überfall in den Besitz von Nancy setzen zu können. Es konnte aber diesen Überfall gegenüber unserer sehr kräftigen, seit Ende
1913
nehmen.
außerordentlich verstärkten Grenzdeckung nicht unter-
Um uns zu ermöglichen, unsere Hauptkräfte dort einzusetzen ,
wo der Gegner die größte Aktivität zeigen würde, mußte unsere Versammlung elastisch sein. Die Verletzung der belgischen Neutralität (von der man doch bestimmt wußte, daß, wenn Deutschland sie unterließe,
Frankreich
und England
sie vollziehen
würden ,
ja
daß sie
schon vor der Kriegserklärung durch Frankreich vollzogen war, da es mehrere Regimenter, wie schon oben bemerkt, in Belgien hatte einrücken lassen) belehrte uns über die Absichten des deutschen Generalstabes.
Die Hauptmasse unserer Streitkräfte mußte im Norden
versammelt werden . Da wir genötigt waren abzuwarten - dieser Satz des amtlichen Berichtes des französischen Generalissimus selbst widerspricht doch wohl deutlich genug dem Geben des Gesetzes des Handelns durch die französische oberste Heeresleitung, was ja auch — durch die Geschehnisse drastisch genug widerlegt worden ist bis diese Hauptkräfte versammelt waren und die britische Armee, die erst am 20. August auf dem Kampffelde ( ? ) eintreffen konnte, verfügbar sei, wurden ungesäumt Maßnahmen getroffen, im Elsaß und Lothringen zunächst möglichst starke deutsche Streitkräfte zu binden . Unsere erste Offensive in den Oberelsaß, die schlecht geleitet wurde, brachte uns in den Besitz von Mülhausen, wir konnten es aber nicht behaupten. Bei der zweiten Offensive, unter Leitung des Generals Pau, eroberten wir
Mülhausen
wieder.
Am 20. August waren wir im Besitz der
Vogesen, der Rheinebene und der Zugänge nach Colmar, der Gegner hatte schwere Verluste erlitten . Von diesem Augenblick ab zwangen uns aber unglückliche
Geschehnisse in Lothringen und Belgien zur
Beschränkung unserer Operationen im Elsaß (26. August) . " Die französische Offensive im Oberelsaß brach zunächst, mit schwächeren Kräften, die aus der Gegend am
8. August an dem
von Belfort gekommen, unternommen
Widerstand
von Grenztruppen
nieder,
am
10. August mit dem VII. Korps und einer Besatzungsdivision von Belfort wiederholt, westlich von Mülhausen ebenso, ein dritter Versuch, in das obere Elsaß einzudringen, wurde durch den Sieg in Lothringen vereitelt, am 23. August war der Feind im Oberelsaß im Abzuge . Ein himmelweit von demjenigen verschiedenes Bild, das man sich in den französischen Broschüren von der Wirkung des rechten französischen Offensivflügels vorgezaubert hatte. In Lothringen, so sagt der amtliche Bericht Joffres, hatte unsere
292
Voraussagen und Wirklichkeiten .
Offensive sehr kräftig und erfolgreich begonnen (man hatte nur Grenztruppen gegen sich, die, zunächst langsam weichend, die , wie bei Lagarde in Lothringen , wo eine vorgeschobene gemischte französische Brigade stark dezimiert wurde , nicht versäumten, französischen Vortruppen Schlappen beizubringen).
Am 19. August hatten wir Saarburg,
die Gegend Weiher, Dieuxe, Mörchingen, Delme, Château Salins erreicht. Vom 20. August ab war aber der Vorteil in den Kämpfen auf Seiten des Gegners ( ?), weil dieser sich im Gelände stark verschanzt hatte. Am 22. , 23. und 24. August mußten wir auf die Grand Couronné de Nancy und im Süden von Luneville zurückgehen . Ein gleichzeitig durch die Armeen Dubail und Casteneau unternommener Vorstoß sicherte uns zunächst den Besitz dieser Linie. - Statt der Hauptentscheidung in der Form eines ausgesprochenen Sieges der französischen Hauptkräfte, der in den obengenannten Broschüren in Lothringen vorausgesagt worden, eines Sieges , der durch die Umfassung des deutschen linken Flügels mit mehreren französischen Armeekorps auch zu einem Abdrängen der deutschen
Streitkräfte von den rückwärtigen
Ver-
bindungen führen sollte, wurden die Operationen zu einer schweren Niederlage französischer Überlegenheit durch deutsche Minderzahl, herbeigeführt unter der Führung des Kronprinzen von Bayern zwischen Metz und den Vogesen . „ Der mit starken Kräften in Lothringen vorgedrungene Feind wurde auf der ganzen Linie unter schweren Verlusten geworfen und viele Tausende von Gefangenen und zahlreiches Geschütz ihm abgenommen . Der Gesamterfolg läßt sich noch nicht übersehen, da das Schlachtfeld einen größeren Raum einnimmt, als in den Kämpfen von von 1870/71 unsere gesamte Armee in Anspruch nahm . Die Stärke der geschlagenen feindlichen Kräfte wird auf mehr als acht Armeekorps festgestellt" , lautete am 20. August der Bericht aus dem deutschen Großen Hauptquartier . Auch die in der Richtung zwischen Metz und den Vogesen geplante und ursprünglich mit den Hauptkräften angesetzte französische Offensive war also zusammengebrochen. Was
die französische Offensive in Belgien anbetrifft ,
wo Boucher am Semoy , Civrieux an der Ourthe totsichere Niederlagen der Deutschen voraussagten , so schreibt Joffre in seinem amtlichen Bericht das folgende : Sechs oder sieben Armeekorps und vier Kavalleriedivisionen , die den kräftigen Widerstand bei Lüttich gebrochen, versuchten zwischen Brüssel und Givet vorwärts zu kommen und ihre Front mehr nach Westen auszubreiten . Sobald die britische Armee
in der Gegend
von Mons bereit war (der amtliche Bericht
Frenchs gibt als diesen Zeitpunkt den 23. August an und läßt uns erkennen, daß der Aufmarsch zwischen Mons und Condé, eine
293
Voraussagen und Wirklichkeiten .
selbständige Kavalleriebrigade nach Binche hinausgeschoben, auf 35 km Front erfolgt war) begannen wir die Offensive nach Belgisch-Luxemburg mit den Armeen Ruffey (rechter Flügel) und Langle de Cary (links davon)." Links von der Armee Langle de Cary war die Armee Lanrezac, links von dieser die britische Armee aufmarschiert, nach dem Joffreschen amtlichen Bericht. Man ist daher durchaus zu der Frage berechtigt, warum Joffre die Offensive nur mit der Hälfte der in Belgien damals vorhandenen und ziemlich in gleicher Höhe aufmarschierten Kräfte ansetzte ? "9 Diese Offensive " , so lesen wir in dem amtlichen Bericht Joffres, kam bald zum Stehen, und zwar mit großen Verlusten auf unserer Seite . Der Gegner hatte hier das Gelände wieder kräftig verstärkt. Auch ließen bei einigen unserer Korps Befehlsgebung und Befehlsausführung sehr zu wünschen ( 23 . bis 25. August. Die amtlichen Berichte aus dem deutschen Großen Hauptquartier melden uns am 23. August : Nördlich von Metz hat der deutsche Kronprinz Friedrich Wilhelm mit seiner Armee zu beiden Seiten Longwy den gegenüberstehenden Feind gestern (22. August) siegreich zurückgeworfen", am 24. August : „ Die zu beiden Seiten von Neufchateau vorgehende Armee des Herzogs Albrecht von Würtemberg schlug heute eine über den Semois vorgedrungene Armee vollständig. Sie befindet sich in der Verfolgung. Zahlreiche Geschütze , Feldzeichen und Gefangene, darunter mehrere Generale , sind in ihre Hand gefallen . Westlich der Mas gehen unsere Truppen gegen Maubeuge vor. Eine vor ihrer Front auftretende englische Kavalleriebrigade ist geschlagen. " Weisen wir kurz
darauf hin, daß die belgischen Hauptkräfte nach
Kämpfen bei Aerschot und Tirlemont, Reiterkämpfen bei Pervez , auf Antwerpen zurückgeworfen wurden , unsere Truppen am 21. August in Brüssel eingerückt waren und nach diesem kühnen Flankenmarsch auf ihren eigentlichen Aufmarschraum gegen die französische Nordgrenze eindrehten, so ist es interessant, zu bemerken, daß am Semois ja, wie Boucher vorausgesagt, eine Schlacht stattgefunden , aber nicht mit dem Ausgang eines französischen Sieges, sondern einer schweren Niederlage. Daß die deutschen Hauptkräfte nicht gegen Westen, sondern gegen Süden und Südwesten aufmarschiert waren, mußte die französische oberste Heeresleitung damals doch wohl schon begriffen haben. Was Joffre nach der von einem Jugendfreunde mit seiner Bewilligung in der „ Dépêche de Toulouse " wiedergegebenen Unterredung unter „ Schlacht von Charleroi , welche von uns hätte gewonnen werden müssen , zehn- für einmal " versteht , das ist aus dem zusammenfassenden Bericht des deutschen Großen Hauptquartiers vom 27. August erkennbar: „ Die Armeen der Generalobersten v. Bülow und v. Hausen schlugen
etwa
acht
Korps
französischer
und
belgischer
Truppen
294
Voraussagen und Wirklichkeiten.
zwischen Sambre, Namur und Maas in mehrtägigen Kämpfen vollständig und verfolgen sie jetzt östlich von Maubeuge vorbei .
Die
Armee des Generalobersten von Kluck warf die englische Armee bei Maubeuge und griff sie heute südwestlich von Maubeuge unter Umfassung erneut an. " An der Ourthe also auch der vorausgesagte Sieg nicht.
Was dann folgte, ist eine Reihe von Teilniederlagen, die
laut dafür zeugen, daß die von Boucher als so zweifellos vorausgesagte Einheitlichkeit der Leitung der französischen, britischen und belgischen Truppen durch den französischen Generalissimus , das Zusammenwirken der Armeen nicht bestanden hat, daß für das Geheimnis des Sieges in der Schnelligkeit der Operationen, der Raschheit der Entschlüsse, wie Civrieux sagte, die oberste Heeresleitung der Verbündeten damals das volle Verständnis nicht bekundete. Einen hohen Grad von Kurzsichtigkeit wiesen die Geschehnisse von Kriegsbeginn an dem Kommandanten Civrieux bei seiner Kritik der Behauptung
der
Strategen ,
ein
Zukunftskrieg
Millionenheeren geführt werden , nach.
werde mit
Wir haben die Gründe ,
die Civrieux gegen die Möglichkeit, den Zukunftskrieg mit Millionenheeren zu führen, nannte, oben angeführt und können nur sagen, daß er dabei doch seinem Vaterlande und erst recht Deutschland viel zu wenig zugetraut hat. Das französische Wehrgesetz vom 7. August 1913 bestand freilich noch nicht, als Civrieux seine Broschüre schrieb, ein einfaches Rechenexempel hätte ihm ja sonst auch sagen müssen, daß eine aktive Armee von rund 800 000 Mann Friedensstand und darüber, auf Kriegsfuß gebracht, allein schon über die Million hinausgehen würde. Als er seine Broschüre schrieb, mußte Civrieux aber bekannt sein , daß Frankreich bei der Mobilmachung planmäßig mit jedem aktiven Armeekorps eine gemischte Reservebrigade aus 6 Bataillonen mit 6 Verstärkungsbatterien sofort mobil machte und abtransportierte, jedes Armeekorps außerdem eine Reservedivision aus 3 Brigaden und 9 aus den 4 noch übrigen Verstärkungsbatterien sich entwickelnden Reservebatterien aufstellte. Damit war aber auch das Heer erster Linie von mehr als einer Million sicher und im Parlament war schon offen erklärt worden , daß man seinen Umfang wesentlich steigern müßte. General von Falkenhausen schrieb 1909 in seinem „ Krieg der Jetztzeit " : „ Die Millionenzahl ist auch bei den Heeren gewöhnlich
geworden .
Die
Größe
der
zu
erwartenden
Aufgaben
erfordert eine Ergänzung des eigentlichen Feldheeres durch Aufstellungen zweiter und dritter Ordnung, Neubildungen, die auf schwachen Stämmen aufgebaut werden müssen. Die Massenheere sind eine mit der Entwickelung der Jetztzeit eng verbundene Erscheinung und werden dies auch zunächst wohl bleiben. Mit den Massenheeren ist
295
Voraussagen und Wirklichkeiten. zu rechnen und dafür zu
sorgen,
daß sie so gut und tüchtig, als
irgend möglich, beschaffen sind und in denkbar günstigster Weise zur Verwendung gelangen. Nur dürfen notwendigerweise einzuhaltende Grenzen der Ausdehnung nicht überschritten werden. " Vor dem allgemeinen Mobilmachungsbefehl waren in Frankreich nachweislich schon fünf Jahrgänge der Reserve unter die Waffen berufen, das Millionenheer schon allein auf diese Weise sichergestellt . Daß nicht allein Reserve divisionen , sondern auch Territorialdivisionen schon in den ersten Tagen des Krieges im August für Feldzwecke in vorderster Kampflinie Verwendung fanden , amtlichen Berichten zu beweisen . Territorialdivisionen
ist aus finden
wir: 1. eine solche schon in der ersten Schlacht von Mülhausen , 2. nach Frenchs amtlichem Bericht bei seinem Aufmarsch in der Linie Mons -Condé, wo auf dem rechten Flügel des an den rechten britischen Flügel anlehnenden französichen Kavalleriekorps Sordet 2 Territorialdivisionen genannt werden, dann wenige Tage später 2 weitere unter d'Amade bei Arras, 3. am 28. 8. bei der von der Armee Bülow bei St. Quentin geschlagenen britischen Armee 3 Territorialdivisionen. Das
sind allein 8 amtlich festgestellte
Territorial divisionen ,
die in den ersten Feldkämpfen des August eingesetzt wurden . viele amtlich nicht genannt wurden, läßt sich nicht feststellen .
Wie Für
das Bestehen von Millionenheeren in Frankreich spricht vor allem auch das,
was man an wehrpflichtigen Jahrgängen
gefordert hat.
Über
das
normale
bisher dem Lande ab-
Maß der Wehrpflichtigen
hat man, nachdem Jahrgang 1914 schon im Herbst 1914 und nach
hinaus
eingereiht
notdürftiger Schulung der Feldarmee überwiesen worden,
im Dezember 1914 den Jahrgang 1915 unter und jetzt schon zum Teil ins Feld
entsendet,
die Waffen gebracht reiht man jetzt zum
April die Jahresklasse 1916 ein, und stellte im Parlament den Antrag, über den Rahmen des Wehrgesetzes hinaus auch die Jahresklasse 1917 , also die 17 jährigen , in den Dienst des Heeres stellen zu dürfen ;
die
sämtlichen früher dienstuntauglich Befundenen , oder als solche aus dem Dienst Entlassenen unterwarf man neuen ärztlichen Prüfungen und zog diejenigen, bei denen es irgendwie möglich war, zum aktiven Dienst wieder ein. Lange schon , wie die oben aufgeführten Beweise ergeben, mit dem Grundsatz gebrochen habend, die Territorialarmee nur zu Besatzungs- und Etappenzwecken zu verwenden - von den Kernen für die wichtigen Festungen aus Truppen des Territorialheeres abgesehen die Landwehrverbände baldigst der Feldarmee nachschiebend, hat man den Landsturm bald nach Kriegsbeginn mit den früher der Landwehr zugedachten Aufgaben betraut. Wenn zum April Jahrgang 1916 unter die Waffen tritt , wird man 28 gesetzlich zulässige
296
Voraussagen und Wirklichkeiten .
und 2 über den
Rahmen des Wehrgesetzes hinausgehende
Jahrgänge im Dienst haben, also nicht weniger als 30, ungerechnet die zweifellos später festzustellende Heranziehung von Leuten, die schon ihre Wehrpflicht erfüllt hatten , aber als ausgebildet noch für besondere Dienstzwecke tauglich erschienen. Wir haben oben auf die Enttäuschung hingewiesen , die die Voraussage Civrieux' in bezug auf die Einheit der Ansichten der Führung in der ersten Phase des Krieges
im Westen erfahren hat.
Ärger muß diese Enttäuschung noch für den Hauptschriftleiter der „France Militalre" gewesen sein, der, selbst Generalstabsoffizier der Reserve und als solcher in der mobilen Armee verwendet, unmittelbar vor der Mobilmachung gerade die Sicherstellung der Einheit der Gesichtspunkte bei den höheren Führern als Erfolg der Reorganisation der höheren Kommandoführung und der Arbeit , Chefs des allgemeinen
Generalstabs,
Joffre ,
des
des Generalstabs
der Armee und des Oberen Kriegsrats besonders hervorhob und bezüglich Frankreichs Ende Juli 1914 schrieb : einer großen Nation , erzwingen kann ,
„ Wir geben Europa das Beispiel
die Bewunderung abzwingt,
wenn
das
Schwert gezogen
die auch den Sieg
wird . "
Die
„ France
Militaire " war übrigens nicht das einzige Blatt, das in Frankreich beim Kriegsausbruch mit der absoluten Sicherheit der Einheit der Ansichten bei der höheren Führung rechnete. Grundlegend für die neue Regelung der höheren Kommandoführung in Frankreich sind bekanntlich die Erlasse gewesen, die am 28. 7. 1911 24. 7. ein solcher vorausgegangen,
der sich mit
nachdem am
der Säuberung der
Armee von den ihre Stellung aus irgendeinem Grunde nicht mehr ausfüllenden Generalen und Stabsoffizieren beschäftigte, ergangen war der Kriegsminister Messimy vom Präsidenten Fallières unterschreiben ließ. Von diesen Erlassen berührt der zweite, „ Oberer Kriegsrat " , in die Abschnitte „ Oberer Kriegsrat “ und „ Generalstab mit technischem Generalstabskomiten " zerfallend, besonders die Reform der höheren Führung, und ihre Durchführung legte man damals gleich in Joffres Hand . Nicht ohne daß politische Gesichtspunkte, vor allem auch eine gewisse Besorgnis vor einer Militärdiktatur, dabei mit maßgebend waren, da rein militärische die absolute Majorität im Oberen Landesverteidigungs- und Oberen Kriegsrat zweifellos auf Pau vereinigt hätten.
An dem Rahmen, den der Erlaß, auf dessen wichtige Begründung wir weiter unten etwas näher eingehen müssen, zuerst für die neu zu regelnde obere Kommandoführung zimmerte, änderte sich bald schon ein wichtiger Eckpfeiler, als der neben dem „ Chef des allgemeinen Generalstabs " und designierten Führer der wichtigsten Gruppe von
297
Voraussagen und Wirklichkeiten . Armeen“ zunächst vorgesehene
„ Chef des Generalstabs der Armee “ ,
der im Kriege an der Seite des Kriegsministers (auch im Oberen Landesverteidigungsrat) blieb, fortfiel und nur zwei Souschefs des Generalstabs erhalten wurden, denen nach zwei Jahren in ihrem Posten auch der Rang des kommandierenden Generals verliehen werden konnte. Die Begründung des zweiten Erlasses sprach sich dahin aus, die im Parlament stattgehabten Erörterungen hätten die absolute Notwendigkeit erwiesen , eine durchgreifende Reform in der Führung der Armee zu bewirken; die Zeit sei gekommen , Einheit der Gesichtspunkte und der Richtungen mehr sicherzustellen und alle Anstrengungen auf ein gemeinsames Ziel zu richten. Die verschiedenen Organe, die sich ausschließlich mit der Vorbereitung auf den Krieg beschäftigen müßten, würden zu oft durch Fragen des laufenden Dienstes in Anspruch genommen. bestimmten Mitglieder
Die für die Führung von Armeen im Kriege des Oberen Kriegsrats
verfügten auch
nicht
über das nötige Generalstabspersonal für Fragen von dem Umfang und der Verschiedenheit, wie sie dauernd zu studieren hätten. Das Vorhandensein eines allein und ohne dauernde Verbindung mit
dem
Generalstab der Armee arbeitenden Vizepräsidenten des Oberen Kriegsrats sei oft die Ursache eines bedauerlichen Dualismus zwischen ihm und dem Chef des Generalstabes gewesen. für den Krieg
Der mit allen Vorbereitungen
betraute Generalstab der
Armee
arbeite unabhängig
und ohne dauernde Verbindung mit dem designierten obersten Führer der wichtigsten Gruppe von Armeen. Die bis dahin bestehende Gliederung zeitig für
des Generalstabs den
Krieg
der Armee sichere zudem nicht gleich-
dem Kriegsminister
einen Gehilfen
mit
der
nötigen Autorität und dem obersten Führer der wichtigsten Gruppe von Armeen (Commandant en chef) einen gründlich vorgebildeten, weitblickenden und mit ihm eingearbeiteten Chef des Generalstabes . Diese Übelstände wollte der Erlaß fortschaffen. Er änderte die Organisation des Oberen Kriegsrates durch Beseitigung der Stellung des Vizepräsidenten und indem er
der Bestimmung seiner Mitglieder
den dauernden Charakter entzog. Nur jährliche „ Lettres de service" sollten ihnen gegeben werden, und darin sah der Erlaß einen Ansporn zu ernster Arbeit, legte besonderen Wert darauf, an der Spitze der Kriegsarmee nur Männer im Vollbesitz ihrer Kräfte zu haben und in den
Oberen
Kriegsrat
nur
Generale
Führereigenschaften bewiesen hätten .
aufzunehmen,
die
besondere
Der Erlaß stellte den zu Führern
von Armeen bestimmten Mitgliedern des Oberen Kriegsrats im Frieden dauernd ihren Generalstabschef (aus dem technischen Generalstabskomitee) die Chefs des Operationsbureaus, ihrer Armeeoberkommandos im Kriege und einen Generalstabshauptmann zur Verfügung, um es
298
Voraussagen und Wirklichkeiten.
ihnen so möglich zu machen , sich mit diesem Personal einzuarbeiten und es bei Armeemanövern, Armeegeneralstabsreisen, Besichtigungen, Aufgaben auf der Karte zu prüfen. Das Generalstabskomitee , das sich bis dahin nur mit Fragen des Funktionierens des technischen Dienstes des Generalstabs zu befassen hatte, erlebte eine Neugestaltung auf breite Grundlage. Neben dem Chef des Allgemeinen Generalstabes als Vorsitzendem gehörten ihm auch die für den Krieg bestimmten Generalstabschefs der Armeeoberkommandos und der Kommandant der Oberen Kriegsschule an. „ Man erreicht , " sagte die Begründung ausdrücklich , soweit der Dienst des Generalstabs in Frage kommt , so völlige Einheit der Gesichtspunkte sicherzustellen. " Die durchgreifenden Änderungen , die im Generalstab der Armee bewirkt wurden , steckten sich das Ziel, einesteils im Frieden die unentbehrliche Einheit der Gesichtspunkte und der Leitung sicherzustellen, aber auch die Organe, deren ausschließliche Aufgabe die
anderseits
Vorbereitung auf den Krieg ist, möglichst von Kanzleiarbeiten zu entlasten. Wir haben vorhin schon berührt , daß nach dem zweiten Erlaß
den zur Führung von Armeen bestimmten Mitgliedern des Oberen Kriegsrates, die mindestens ein Jahr ein Armeekorps kommandieren oder als Zugchefs des Generalstabs fungiert haben sollten, der für ihr Oberkommando designierte Chef des Generalstabs, Chef der Operationsabteilung und ein Hauptmann dauernd zur Verfügung gestellt wurden. Der Erlaß bezeichnete als wichtigste Aufgaben der designierten Chefs des Generalstabs von Armeeoberkommandos im Frieden : 1. die Vorbereitung ihrer Generalstäbe auf den Krieg durch Generalstabsreisen und Aufgaben auf der Karte ; 2. Begleitung der Mitglieder des Oberen Kriegsrats auf Besichtigungsreisen , dabei Prüfung des Generalstabdienstes und der Mobilmachungsvorarbeiten ; 3. Mitarbeit bei der unter Oberleitung des Chefs des allgemeinen Generalstabes ; denen Obere Kriegsschule und im Zentrum für die höheren militärischen Schulen . Dem Chef des allgemeinen Generalstabes unterstanden auch und zwar nach Fortfallen der Stellung des Generalstabs des Armee auch in Personalfragen des Generalstabs selbst, der Generalstab der Armee, das Generalstabskomitee , das Zentrum für die höheren militärischen
Studien und die Obere Kriegsschule (unsere Kriegsakademie). in den beiden letztgenannten also Pflanzschulen für die Heranbildung der höheren Führer. Der erste Souschef des Generalstabs wurde designierter Chef des Generalstabs des Feldheeres im Großen Hauptquartier (jetzt General Belin) , während der zweite Souschef dem Kriegsminister auch im Kriege dauernd zur Seite blieb. Der erste Souschef war also dauernder Mitarbeiter des
Literatur.
299
bestimmten Generalissimus, der im Frieden die Bezeichnung „ Chef des Allgemeinen Generalstabs " führte. Dieser war also imstande. von oben und unten auf den Oberen Kriegsrat, selbst auf den ständigen Studienausschuß des Landesverteidigungsrats, auf den Generalstab, das Generalstabskomitee, Generalstäbe
die designierten Führer der Armeen
einzuwirken ,
durch
die Leitung
und
ihre
von Armeemanövern
und Armeegeneralstabsreisen auch im Besitz der Möglichkeit, auf die ev. jährlich
wechselnde Zusammensetzung des Oberen Kriegsrats aus
designiertenArmeeoberkommandierenden einen Einfluß zu üben . Demnach war der " Chef des Allgemeinen Generalstabs " , dessen Stellung gegenüber derjenigen des
früheren Vizepräsidenten des Oberen Kriegsrats,
eine sehr gehobene geworden, wohl in der Lage, die Einheit der Gesichtspunkte bei der höheren Führung kräftig zu fördern. Seit den ihrem Inhalt und ihren Zielen nach im vorstehenden näher skizzierten Erlassen hat
Joffre
als
99 Chef des Allgemeinen
Generalstabs "
und
designierter Generalissimus diesen Einfluß ausüben gekonnt, das heißt also, seit 1911. Freilich eine verhältnismäßig kurze Spanne für das Seine Erklärungen Schulemachen bis zum Beginn des Krieges. gegenüber einem Jugendfreunde, der sie wohl nicht ohne sein Wissen in der Dépèche de Toulouse voröffentlicht hat, sprachen in dem Urteil über eine Anzahl von französischen Generalen, mit dem der Generalissimus durchaus nicht zurückgehalten hat,
ebenso
wie
die
umfassende Entfernung von Generalen aus ihren Stellungen während des Krieges wohl deutlich genug dafür, daß auch Joffre die Einheit der Gesichtspunkte bei den höheren Führern die er zu fördern seit 1911 als Aufgabe übernommen — nicht durchweg als erreicht betrachtete , daß er bei der Kategorie
von Generalen , "7 die im Kriege nicht das gehalten , was man von ihnen erwartete " , —n. auch selbst zu den Enttäuschten gehört hat.
Literatur. Bücher. Bismarck. Des eisernen Kanzlers Leben in annähernd 200 seltenen Bildern nebst einer Einführung. Herausgegeben von Walter Stein. Erster Dreißigtausend- Druck. Im Jahre des 100. Geburtstages Bismarcks und des großen Krieges 1915. Hermann Montanus , Verlagsbuchhandlung, Siegen und Leipzig. 2 M. Unter den zahllosen Darbietungen, die uns Kunst und Literatur zum 100. Geburtstage unseres Bismarck gebracht haben, wird das vor-
300
Literatur.
liegende Montanusbuch stets einen besonderen Platz beanspruchen dürfen „ Einführung" wird der auf 18 Seiten sehr klar gegebene Lebensabriß des großen Altreichskanzlers etwas zu bescheiden genannt ; dann folgen in vortrefflicher Wiedergabe etwa 200, größtenteils noch nicht in die breitere Öffentlichkeit gedrungene Bilder aus seinem Leben, eine besondere Empfehlung braucht das Buch wahrlich nicht ; jeder Bismarckverehrer wird es mit ganz besonderer Freude seiner Sammlung von Bismarckerinnerungen einverleiben . Auf Seite 32 findet sich ein kleiner Druckfehler : Der Name des Zeichners muß W. v. Kessel heißen .
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. ( Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher“ nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises - sofern dieser mitgeteilt wurde - hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Um Vaterland und Freiheit. II. Band. Siegen 1915. Hermann Montanus, Verlag. 2 M. 2. Chronik des deutschen Krieges. II. Band. München. C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung. Geb. 2,80 M. 3. Liman, Anleitung zur Ausbildung der Rekruten während des Krieges . Berlin 1915. E. S. Mittler & Sohn . 0,30 M. 4. Karte vom Europäischen und Asiatischen Rufsland mit Angabe der hauptsächlichsten Orte, in denen sich Kriegs- und Zivilgefangene befinden , sowie Bestimmungen über den Postverkehr mit in Rußland befindlichen Gefangenen. Hamburg 1915. L. Friederichsen & Co. 1 M. 5. Spalckhaver, Die Kriegsflotten der kämpfenden Seemächte im Weltkriege 1914/15 . Altona a. Elbe. Verlag von J. Harder, 0,25 M. 6. Randglossen zum französischen Gelbbuch. Gesammelte Gegenerklärungen und Kritiken. Berlin SW 11 1915. Concordia, Deutsche Verlagsanstalt. Geh. 0,50 M. Concordia, 7. Bratter, Im Krieg in Paris. Berlin SW 11 1915.
Deutsche Verlagsanstalt. Geh. 1 M. 8. Köhrer, Auf Hindenburgs Siegespfaden . Berlin SW 11 1915. Concordia, Deutsche Verlagsanstalt. Geh . 1 M. Mainz 1915. Verlag von 9. Hindenburg-Anekdoten. 2. Serie. Kirchheim & Co. Geh. 0,20 M.
000
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.
Jahrbücher
für die
deutsche Armee und Marine.
Verantwortlich geleitet
von
Keim , Generalmajor.
1915 Juli bis Dezember
BERLIN SW 11. Verlag von Georg Bath . Bernburger Straße 24/25.
AA Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam
Inhalts -Verzeichnis .
Seite 223
Balck , Generalmajor , Benedek • Kämpfe. Die, um die Karpathen-Übergänge in den Ostbeskiden und dem Waldgebirge
Operationen, Die, unserer Verbündeten bis zum 15. September 1914 v. Pestalozza , Graf Dr. phil . , Militärische Ausbildung der Jugend . Rhazen . Generalleutnant, Von Brest-Litowsk bis zum Balkankrieg Von Gorlice-Tarnow bis zum Dnjestr .
92
C
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk Rh. , Generalleutnant . Die Operationen unserer Verbündeten bis zur Schlacht von Limanova-Lapanow von Richter , Generalmajor, Der zweite Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen -Der dritte Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen . (Mit einer Skizze) Schultze , Dr. , Kriegsaberglaube
Seestreitkräfte . Die , im Mittelmeer
105 29
Kriegsgliederung, Zur, des italienischen Heeres Niederlande, Die, und der Krieg. III. .
38 249
254 1
153
126 76 201 53 35
Trautz . Hauptmann . Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und 140 , 188 ihre Lehren. (Mit einer Ansichtsskizze .) . 209, 289 Frhr. von Welck , Oberstleutnant, Belgiens Schuld
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15
83
17 Wochinger , Oberstleutnant . Englands Seemachtpolitik im Weltkriege 19 Woelki , Oberst , Kriegsmittel und -werte Massenheere und Befestigung . 282 -Zeitgemäße Befestigungsfragen 118 , 178 Bücherbesprechungen 49, 102, 150 , 198 , 245 Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher 52 , 104, 151 , 200, 247, 296
&
I.
Von Gorlice -Tarnow bis zum Dnjestr. Von Rhazen, Generalleutnant z. D.
In No. 3 der „ Vierteljahreshefte " von 1913 hat, unter der Überschrift : „ Über den Durchbruch als Entscheidungsform " , General Wenniger in einer auch für den Laien verständlichen, geistvollen Weise die ungeheuren Wirkungen eines glücklichen Durchbruchs beleuchtet, dabei aber auch nicht unterlassen, den Berg von Schwierigkeiten zu zeigen, den in der Ausnutzung des Erfolges der Führer zu überwinden hat. Die Schlacht von Gorlice -Tarnow stellt nicht nur den gewaltigsten Durchbruch in der Kriegsgeschichte materiell und technisch dar, sie wird auch in der Ausgestaltung des taktischen Erfolges zum strategischen Durchbruch für alle Zeiten vorbildlich bleiben, als ein neues Ruhmesblatt
in
der Geschichte
der Heldenhaftigkeit
der Infanterie und
der verbündeten deutsch-österreichisch-ungarischen Artillerie. Wenn wir heute, am 6. Juni, nach einem Monat einer fast ununterbrochenen Reihe von Schlachten
mit Massen,
wie sie
selbst
die größten der
Kriegsgeschichte bis jetzt kaum zusammenprallen ließen, nach einer Reihe von Siegen, von denen einer dem anderen immer die Bahn gebrochen, die Festung Przemysl nach Einschließung von drei Seiten und nachdem wir die vierte in das Feuer schwerer Artillerie getaucht, mit stürmender Hand genommen haben, die verbündeten Armeen, nachdem sie zwei russische in Scherben geschlagen , eine dritte stark zerfledert, sieben russische von allen Seiten des weit ausgespannten Kriegsschauplatzes
herangezogene Korps mit in den Strudel hinein-
gerissen, über eine Viertelmillion Gefangene und ungeheures, nicht ersetzbares Material gewonnnen, auf dem Halbkreis Zurawno - SamborMischiska , davon westlich nach Sieniawa Rudnik die nach Lemberg führenden Verbindungen in die Hand genommen , in der Flanke des 1 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 526.
2
Von Gorlice -Tarnow bis zum Dnjestr.
großen polnischen Festungsmassivs, von Lemberg und der Pruth-Armee stehen, der in seinen moralischen Grundfesten erschütterte Gegner hier das Gesetz des Handelns
empfängt und vielleicht
zu einer Schlacht
gezwungen wird, die die Entscheidung des Krieges im Osten bringen kann, - dann haben wir die strategische Auswirkung der größten Durchbruchschlacht in der Kriegsgeschichte , die sich zu einem riesenhaften strategischen Durchbruch ausgestaltete , der Maischlacht, vor uns, die bei Gorlice-Tarnow begann und in ihren strategischen Folgen noch heute kraftvoll nachwirkt. Die Durchbruchsschlacht hat die Bresche geschaffen , durch die der Bewegungskrieg auch südlich der Weichsel wieder in sein Recht trat, wie nördlich des Stromes Feldmarschall von Hindenburg in ihm die größten Erfolge erzielt hat . Aus den baltischen Provinzen kamen auch die Vorläufer zu den gewaltigen Siegen am Dunajec, das erfolgreiche Hineintragen des Krieges in bis dahin von ihm unberührte Gebiete mit starker germanischer Besiedelung . Fünf Monate waren die Russen Herren des Gebietes östlich des Dunajec gewesen, am 22. März war Przemysl gefallen , in immer neuen, mit riesigen Menschenmassen genährten Anstürmen hatten sie die Karpathen bis zu den Westhängen und über den Duklapaß hinüber zum Grabe von Hekatomben gemacht, die eigene Zermürbung begonnen, aber eine Reihe paralleler Stellungen von schwer überwindlicher Stärke geschaffen . Von der Mündung des Dunajec liefen die vordersten Linien bis 15 km südwestlich Tarnow längs dem Ostufer des Flusses, wendeten sich dort in südöstlicher Richtung in das Grommnik die Biala
querend ,
Hügelland,
darauf, bei
auf und über Gorlice , jede Stellung
drei Linien, zwei Vorstellungen und eine Hauptstellung, aufweisend . Gegenseitige flankierende Wirkung sicherte volle Beherrschung des Vorgeländes . Sollte ein Angriff der Infanterie gelingen, so mußte die Artillerie des Verteidigers derart niedergekämpft sein, daß die Wirkung seines Infanteriefeuers nicht mehr zur Geltung kommen konnte. - Die amtlichen Berichte aus dem Kriegspressequartier lassen uns erkennen, daß schon im Monat März die oberste österreichisch-ungarische Heeresleitung den Plan hatte, in der entscheidenden Richtung Neu- Sandec— Jaslo- Przemysl einen Durchbruch zu versuchen.
Gelang ein solcher,
so mußte er nicht nur die russische Karpathenfront zum Rückzug zwingen, sondern auf alle Teile des galizischen und südpolnischen Kriegsschauplatzes zurückwirken. In den Karpathen beanspruchten die mächtigen russischen Flutwellen den letzten Mann, bei Stanislau und Kolomea stand man in schwersten Kämpfen . Man mußte auf die Offensive über Jaslo verzichten, zunächst sich auf die Abwehr
141
Von Gorlice -Tarnow bis zum Dnjestr.
3
der Russenstürme beschränken, die aber insofern den Weg zur späteren Offensive vorbereitete, als an ihrer Widerstandskraft, gemischt stellenweise mit Angriffsstößen , die gewaltigen Russenmassen sich zermürbten. Nach dem Berichte des Kriegspressequartiers muß man die Zeit bald nach Ostern als diejenige ansehen , zu der , völlig unabhängig voneinander, bei beiden Heeresleitungen der Gedanke an die gleiche Operation reifte : Durchbruch in der allgemeinen Richtung auf Jaslo , taktischer Frontalangriff, verbunden mit dem das Schwergewicht der Kräfte entfaltenden und zugleich auch den Dunajecübergang öffnenden Flankenstoß. Der erhoffte taktische Sieg - hier, wie wir gleich vorausschicken wollen , eine Meisterleistung, die die Schwierigkeiten,
die der Angriff auf eine vorbereitete Stellung in mehreren hintereinander, d . h. also den immer neuen Widerstand für den doch auch Verluste erleidenden Angreifer, bietet , in für alle Linien
Zeiten
denkwürdig bleibenden Vorwärtsdrang überwand- konnte seine Vollwirkung nur dann erreichen und zu durchschlagendem strate-
gischen Erfolg auswachsen , wenn er am strategisch richtigen Ort gewonnen wurde . Zwischen Weichsel und Ostbeskiden lag dieser Ort, er wurde gewählt. Glückte der Durchbruchsstoß, hatte er die erwarteten strategischen Erfolge, so brachte er die eigenen Kräfte in den Rücken des Gegners und auf dessen dort ansetzende Verbindung, damit mußte die russische Karpathenstellung unhaltbar werden. Hauptadern wurden dann unterbunden, aus dem rückwärtigen Nährboden würde kein frisches Blut zuströmen können , wenn die Russen sich nicht dem Herzen, zurückgehend , mehr näherten . Als nächste Ziele lagen dem geplanten Durchbruch zwei zugrunde : Verdrängung der Russen von der Karpathenscheide, dann aus West- und Südgalizien, hinter die Dnjestr- San-Linie. Das an erster Stelle genannte Ziel durfte als erreicht betrachtet werden , wenn die Verbündeten in den Raum von Jaslo gelangten , was seine Bestätigung ja auch durch die Tatsache der Räumung des Lupkower Sattels und des Uszokpasses durch die Russen in dem Moment, in dem die Höhen bei Jaslo genommen wurden , erfuhr. Für die Erreichung des zweitgenannten Zieles mußten Richtung des Durchbruches, Verfahren nach dessen Gelingen, besonders auch unausgesetztes, den Gegner nicht zur Ruhe kommen lassendes Nachdrängen nicht nur in direkt östlicher Richtung, auf der ganzen weit ausgespannten Front von der Weichsel bis zur rumänischen Grenze, Zusammenhalt, der den Russen noch blieb, oder durch frische, aufnehmende Truppen in vorbereiteten Stellungen wiedergegeben wurde, nachdem ein Stück aus ihrer gewaltigen Front herausgeschlagen worden, von ausschlaggebender Bedeutung sein . Für den Erfolg des Durchbruches
der russischen Dunajecstellung, die ihnen 1*
4
Von Gorlice -Tarnow bis zum Dnjestr.
uneinnehmbar erschien und erst den Mut zur Karpathenoffensive gegeben, mußte das Element der Überraschung in der Bereitstellung starker Kräfte eine sehr wichtige Rolle spielen . Im Zeitalter der Flieger und Telegraphen ist es besonders bedeutsam, und läßt fast annehmen,
daß die
Russen
die
Verbündeten auf dem
galizischen
Schauplatz als durch ihr Massenaufgebot moralisch deprimiert ansahen (also eine Unterschätzung des Gegners und der Manövrierkunst) und im Norden einen neuen Meisterschaftszug Hindenburgs besorgten, daß , unbemerkt von den starker
Russen , die Versammlung deutscher
Kräfte in Westgalizien ,
eine
volle
Überraschung
der
Russen, in aller Stille und unter voller Wahrung des Geheimnisses die für den Durchbruch unabweisbar nötigen Erkundungen, das InStellungbringen von Geschützen der verschiedensten Kaliber , das unauffällige Vorarbeiten der Infanterie in die Sturmstellung möglich wurde. Die niederschmetternd wirkende Artillerievorbereitung und der überfallartige Angriff, alles das wird für immer vorbildlich sein. für die Anlage einer Durchbruchsschlacht großen Stiles, wie auch die Sicherstellung des reibungslos erfolgten zeitlichen Zusammenwirkens der Armeen des Erzherzogs Josef Ferdinand und des Generalobersten von Mackensen. Auf der Front Malastow- Gorlice, quer über die Straße GorliceJaslo , über Gorlice - Grommnik, dann nach Norden laufend, erfolgte am 2. Mai, überraschend für den in der bogenförmigen Ausbuchtung stehenden Gegner, der überfallartige Angriff der Armeen Mackensen (XI) und Erzherzog Josef Ferdinand ( IV ) gegen die etagenförmig auf steilen Bergkuppen (deren Hänge Hindernisse aller Art trugen) übereinanderliegende,
an besonders wichtigen Geländepunkten bis zu 7 Schützen-
grabenlinien hintereinander aufweisende, gegenseitige Flankierung nach allen Richtungen gewährleistende Stellung, nur durchführbar nach *einer überwältigenden Artillerievorbereitung. Am Nachmittag des 1. Mai begannen die Batterien sich einzuschießen und setzten während der Nacht mit längeren Pausen das Feuer fort, so daß sie am folgenden Morgen gleich zum Wirkungsschießen schreiten konnten. In der Nacht vom 1./2 . Mai hatten am Unterlauf des Dunajec Teile der Armee des Erzherzogs Josef Ferdinand eine Bresche in die feindliche Stellung insofern vorbereitet, als es , nach sehr sorgsam und heimlich, von den Russen unbemerkt, bewirkten lokalen Vorkehrungen gelungen war, beim Mondenschein den Dunajec zu überwinden , auf dem östlichen Ufer festen Fuß zu fassen und dem völlig überraschten Gegner rund 1000 Gefangene, sowie eine Anzahl von Geschützen und Maschinengewehren, abzunehmen . Mit dem Glockenschlage 6 begann dann am 2. Mai morgens das Feuer aller Kaliber mit einer Heftigkeit , wie sie
5
Von Gorlice -Tarnow bis zum Dnjestr.
die Kriegsgeschichte selten erlebt hat, ein Zusammenwirken von Infanterie und Artillerie einleitend , wie es für alle Zeiten vorbildlich bleiben wird. Bis Schlag 10 ° vormittags währte das Artilleriefeuer in gesteigerter Geschwindigkeit, um dann plötzlich abzubrechen. Trichter an Trichter, die in den russischen Stellungen später wahrzunehmen waren, Leichen in den Deckungen, waren Zeugnisse, die deutlich für die Wirkung sprechen. Was ein Tagesbefehl des Feldmarschalls Erzherzog Friedrich am 9. Mai, die Verdienste der Artillerie sämtlicher Armeen hell mit Ruhm bestrahlend , aussprach , das war im Herzen der heldenmütig zum Sturm antretenden Infanterie schon damals festgewurzelte Überzeugung : die überwältigende Vorarbeit , die die Schwesterwaffe für den schwierigsten aller Angriffe geleistet hatte. Das Unaufhaltsame dieses überfallartigen Infanterieanlaufs, der wie ein Ungewitter hereinbrach, hat auch auf die Nerven der russischen Führer und Leute gewirkt. Die sonst so gerühmte russische Kaltblütigkeit ging verloren und Fassungslosigkeit trat an ihre Stelle . Außerordentlich bescheiden und nur in großen Zügen die gewaltige Summe von Heldentaten zusammenfassend, lauteten die ersten Meldungen der Obersten Heeresleitung und des österreichischen Großen Hauptquartiers über den Durchbruch, der von 16 km später auf über 100 km Breite auswuchs, am 3. Mai . „ Im Beisein des Oberbefehlshabers, Feldmarschalls Erzherzog Friedrich , und unter Führung des Generalobersten von Mackensen haben die verbündeten Truppen gestern
nach er-
bitterten Kämpfen die ganze russische Front in Westgalizien von nahe der ungarischen Grenze bis zur Mündung des Dunajec in die Weichsel an zahlreichen Stellen durchstoßen und überall eingedrückt. Teile
des Feindes,
die
entkommen konnten, sind
im
Diejenigen
schleunigsten
Rückzug nach Osten, scharf verfolgt von den verbündeten Truppen. Die Trophäen des Sieges lassen sich auch nicht annähernd übersehen ", bzw. „ Vereinte österreichisch-ungarische und
deutsche Kräfte haben
gestern in seiner seit Monaten hergerichteten und besetzten Stellung den Gegner in Westgalizien angegriffen und ihn auf der ganzen Front Malastow- Gorlice - Gronik und nördlich davon geworfen, ihm schwere Verluste zugefügt, über 8000 Gefangene gemacht, Geschütze und Maschinengewehre in bisher noch nicht festgestellter Zahl erbeutet. Gleichzeitig erzwangen unsere Truppen den Übergang über den unteren Dunajec. "
Das waren die Meldungen von denselben Tagen, an denen
Feldmarschall Hindenburgs Vorstoß auf Mitau schon von 3200 Gefangenen, einer Anzahl von genommenen Geschützen , starken russischen Verlusten in Angriffen auf Kalwarya und einer schweren russischen Niederlage nordöstlich von Skiernewice berichten konnte. Schon damals
durfte man aussprechen ,
daß der Stoß aus dem
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Von Gorlice -Tarnow bis zum Dnjestr.
Raum von Gorlice den Russen noch einmal zum Verhängnis geworden.
Von weittragendster Bedeutung
mußte es sein,
ob es
den Russen gelang, sich an der Wisloka noch einmal zu neuem nachhaltigem Widerstand zu setzen , oder ob die Stoßkraft der Verbündeten ausreichte,
sie gleich bis an und über den San zu werfen,
und ob
dann Przemysl eine Stütze der russischen Schlachtfront werden könnte . Einsichtige Kritiker des neutralen Auslandes, wie der „ Bund “ am 4. Mai, schrieben , nachdem kurz vorher die oben wiedergegebene Meldung aus dem Großen Hauptpuartier bekannt geworden : „Die strategische Bedeutung dieses großen Erfolges der Deutschen und Österreicher läßt sich heute noch nicht erfassen. Es kann aber
wohl
gesagt werden ,
daß hier zum ersten Male in diesem
Kriege eine strategische Durchbrechung der Front geglückt ist und daß diese auch an einer Stelle erfolgte , wo der Schlag die ganze Verteidigungslinie über den Haufen Die Breite des Durchbruchs kann auf 80 km anwerfen muß . genommen werden.
Damit ist gesagt,
daß das Loch an Ort und
Stelle nicht mehr geflickt werden kann, auch ein Zurückbiegen der Front ist unmöglich geworden . Jedenfalls ist die Verbindung zwischen ihrer polnischen und ihrer Karpathen front , also von der Nidamündung bis zur Duklasenke , zerrissen und damit auch die Karpathen front gefährdet. " Am 4. Mai konnten schon 30000 Gefangene und 22 Geschütze als erste Beute genannt werden . Am 2. und 3. Mai hatte die Durchbruchsschlacht mit ungeschwächter Kraft weiter getobt, am 2. Mai war eine Reihe von hintereinander liegenden Schützengräben, die man zusammenfassend die erste Hauptstellung der Russen nennen kann, gefallen. Auf der bis zur Wisloka 30 km messenden Strecke wußte man drei weitere Stellungen vorbereitet.
Zu
erwarten war freilich ,
daß , bei kräftiger Fortsetzung des Stoßes der Armeegruppe Mackensen, sehr langer Widerstand westlich der Wisloka nicht gut möglich sein werde, auf dem östlichen Wislokaufer vielleicht wohl. Die zweite russische Hauptstellung bot auch verhältnismäßig kurzen Widerstand im Sinne von Nachhutkämpfen, die jedoch an einzelnen Stellen, an denen augenscheinlich Verstärkungen eingetroffen waren, eine größere Heftigkeit und größeren Umfang angenommen haben, überall damit aber endeten, daß auch die Verstärkungen in den Strudel des Rückzuges mit hineingezogen wurden .
Am Nachmittag des 3. Mai standen die
verbündeten Truppen vor der dritten russischen Hauptstellung und am Abend dieses Tages war der Wilczakberg , der den Schlüsselpunkt der Stellung vor der Stadt Biecz bildete, in der Hand der Truppen des Generals von François. Ein aus dem Süden angesetzter, die An-
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Von Gorlice -Tarnow bis zum Dnjestr.
näherung an den Wilczakberg zu verzögern bestimmter russischer Vorstoß brach schon unter dem Artilleriefeuer zusammen. Die Garde nahm, nach heftigen Waldkämpfen,
an
diesem
Tage Lipie.
An-
schließend an den linken Flügel der Armeegruppe Mackensen hatte am 3. Mai die IV. österreichisch-ungarische Armee, nach Herunterwerfen des Gegners von den
steilen Waldbergen östlich des Bialaabschnitts
in der Richtung auf Tuchow Gelände gewonnen. Die dritte russische Hauptstellung können wir uns heute in einem nach Südwest gerichteten, Jaslo im Durchschnitt etwa 13 bis 14 km vorgelagerten Bogen denken, in dem Höhenstellungen nördlich Biecz (im allgemeinen bei Szeszyny) und Oestra- Gora wichtige Stützpunkte darstellten. Der Gedanke an einen offensiven Vorstoß mit etwa 5 Infanterie- und 4 Kavalleriedivisionen,
mit den am 3. Mai eingesetzten Truppen,
zur Loslösung
besonders der geschlagenen III . Armee vom Gegner und um dieser mit Hilfe von herangezogenen Verstärkungen wieder Halt zu geben, mag bei der russischen Obersten Heeresleitung bestanden haben, bei der III. Armee hat aber, nach Eingeständnis von gefangenen russischen Offizieren, Einheitlichkeit der Leitung nicht mehr existiert , Planloses die Zersetzung hatte ihren Anfang genommen. Hineinwerfen von Bataillonen und Regimentern in gerade bedroht erscheinende Teile der Front gaben nicht die erhoffte Wirkung, zähen Widerstand leistende Abschnitte mußten geräumt werden, weil sie schon in der Flanke bedroht waren. Am Abend des 4. Mai war die Garde im Besitz der oben genannten Höhen bei Szeszyny, ungarische Truppen in dem der Höhen nördlich Biecz und der anliegenden gegen Oestra -Gora, weiter südlich, nach kräftiger Artillerievorbereitung angesetzte Vorstöße deutscher Truppen brauchten nicht zur Durchführung gebracht zu werden, da das Artilleriefeuer, in dessen Bann die Russen noch vom 2. Mai her standen,
die weiße Fahne
zeigen
ließ. Der rechte Flügel der Armeegruppe Mackensen war auf wenige Kilometer an die Wisloka herangekommen, die Linie der dritten Hauptstellung niedergebrochen, die III. russische Armee in eiligstem Rückzuge hinter die Wisloka, der taktische Durchbruch vollendet und im Begriffe, sich zum strategischen auszuwirken.
Es durfte zweifel-
haft erscheinen, ob, trotz herangezogenen Verstärkungen, ein ernstlicher Widerstand in den betonierten Schützengräben östlich der Wisloka möglich werde , oder auch dieser nächste, natürliche Verteidigungsabschnitt aufgegeben werden müsse. Erreichte der südliche Flügel der Armeegruppe Mackensen die Wisloka , was am 4. Mai abends schon vorauszusehen war, dann gab es für die russische Heeresleitung nur die Wahl, die bis südwestlich Duckla, in die Linie
Sboro - Stropko- Lupkow
vorgeschobene
Gruppe ,
von der
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Von Gorlice -Tarnow bis zum Dnjestr.
man sich früher so großen Erfolg versprochen , eilig zurückzunehmen , oder ihren Rückzug , da schon die rechte Flanke sehr bedroht schien , abgeschnitten zu sehen . Sie mußte sich darüber klar sein, daß , je nachdrücklicher und eiliger der Vormarsch der Verbündeten in Westgalizien vorgetragen werde,
um so rascher ein Aufrollen der eigenen
Karpathenfront zu erwarten sei , zumal auch durch deutsche und verbündete Truppen vom Süden her deren Bedrohung als eine sehr schwere nicht zu unterschätzen war. Die Erscheinungen der folgenden Tage sollten einmal wieder den Erfahrungssatz der Kriegsgeschichte bestätigen ,
daß Gebirgskriege
nicht im Gebirge entschieden werden. Vom frühen Morgen des 5. Mai - desselben Tages, an dem das Kriegspressequartier die Welt auch mit der Nachricht von der Verwendung einer österreichischen 42 - cm Haubitze überraschte - lief von der österreichischen Armee Boroevic die telegraphische Meldung ein , der gegenüberstehende Feind habe den Abmarsch nach Norden schon in der Nacht vom 4. zum 5. Mai ganzen Front in eiligem,
angetreten und
befinde
zum Teil fluchtartigem
sich
vor
Rückzuge .
Armee mit dem zugeteilten deutschen Beskidenkorps
der Die
folgte auf dem
Fuße . Fliegermeldungen vom Morgen des 5. Mai gaben dafür auch die Erklärung : Rückzug des Gegners auf allen von Jaslo nach Norden. und Nordosten führenden Straßen, diese sämtlich mit in Unordnung abziehenden Kolonnen bedeckt, die Straßenbrücken bei Jaslo in Brand, die Eisenbahnbrücken über Ropa und Wisloka zerstört . Von einem Halten der Wislokalinie konnte nun nicht mehr die. Rede sein.
Einen Beweis absolut zuverlässigen Zusammenwirkens
und der Gleichheit in der Beurteilung der Lage lieferte das X. Korps , der rechte Flügel der Armeegruppe Mackensen . Um dem von der österreichischen Armee verfolgten Gegner möglichst die Rückzugsstraße zu verlegen, schob sich das Korps, das bei Zwigorod, 20 km südlich Jaslo , die Wislokabrücke unversehrt gefunden, in einem Gewaltmarsch bis zur Jasiolka, nördlich von Dukla, vor und hatte vor Tagesende Dukla und die vom Duklapaß heranführende Straße unter dem Feuer seiner Geschütze, im Rücken noch schanzenden Gegner lassend. Am 6. Mai meldete über die Ergebnisse des 5. Mai das Kriegspressequartier, neben dem überstürzten Verlassen von Jaslo durch das Hauptquartier der III. russischen Armee, die schon eingetretenen Folgen des Durchschlagens des russischen Westflügels , die Aufrollung der russischen Karpathen front von ihrem westlichsten Punkte, dem Sattel bei Konieczno, bis zur Mitte der Waldkargathen, also auf eine Entfernung von über 100 km von der unmittelbaren Stoßstelle . Aus amtlichen Berichten
wissen wir weiter,
daß am
5. Mai
noch der
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Von Gorlice - Tarnow bis zum Dnjestr.
Übergang über die Wisloka an mehreren Stellen erzwungen, östlich Tarnow und nördlich bis zur Weichsel in der Nacht gefochten, die Armeegruppe wurde.
Mackensen der
Sorge um ihre
Nordflanke
enthoben
Am 6. Mai durfte die oberste Heeresleitung unserer Verbündeten schon am Mittag melden ,
daß die Gegend von Jaslo und Dukla er-
kämpft sei, feindliche intakte Verstärkungstruppen in guten Verteidigungsstellungen den Rückzug vergeblich aufzuhalten versuchten , man mit der Vernichtung der russischen III. Armee, die schon 50000 Gefangene eingebüßt, rechnen dürfe , russische Angriffsversuche im Orawatal, augenscheinlich zur Loslösung bestimmt, geendigt hätten.
mit blutiger Abweisung
Am 6. Mai, an dem auch Tarnow fiel , die Armee-
gruppe Mackensen dir Wisloka überschritt, preußische Garderegimenter das östliche Flußufer erstürmten, verzweifelter Widerstand der russischen III. Armee die fortschreitende Umklammerung ihres Südflügels nicht aufzuhalten vermochte, kam aus dem Kriegspressequartier die bedeutsame Meldung, daß die Durchbruchsgruppe schon vor Krosno stehe . Das hieß nicht mehr und nicht weniger , als daß die verbündeten Truppen schon
die
Höhen nördlich und
nord-
östlich Krosno gewonnen und damit die Hand auf die letzte Verteidigungslinie gelegt hatten ,
die den Russen diesseits
der San - Dnjestr - Linie noch längeren Widerstand hätte.
erlaubt
Am 7. Mai war Krosno genommen , auch östlich Lupkow übertrugen sich die Folgen des strategischen Durchbruches auf die Karpathenfront . Als Gradmesser für die Verwirrung in der zurückflutenden III . russischen Armee diente die Feststellung, daß in dem Ortskampfe um Brzostek Gefangene der sechs russischen Divisionen 5 , 21 , 31 , 52 , 63 und 81 eingebracht wurden, bei Einnahme des wichtigen Knotenpunktes Rymanow nur noch eine große Straße nach Sanok offen blieb . An dem Tage, an dem die Verleihung des GeorgsEhrensäbels „ Für die Befreiung Galiziens" an den russischen Oberbefehlshaber bekannt wurde, war Ungarn vom Feinde frei, in die Katastrophe der russischen III . Armee begann auch schon die VIII . , Brusilow, verwickelt zu werden. Das gemeinsame Handeln aller Heeresteile im Vorwärtsdringen hatte zum Abschneiden beträchtlicher russischer Kräfte geführt, der Druck der Verfolgung die Russen gezwungen, auf die geplante Verteidigung der Wislokalinie zu verzichten. Am 9. Mai -- dem Tage, an dem in Frankreich die gewaltige, aber gescheiterte Durchbruchsoffensive bei Lille - Arras einsetzte
, hatten
die verbündeten Armeen in siegreichem Vorgehen die Linie Uszoker Paß-Krosno- Debica - Szczucin überschritten, die Truppen des Generals
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Von Gorlice-Tarnow bis zum Dnjestr.
von Mackensen die Wisloka
zwischen Besko (östlich Rymanow) und
Frystatt überwunden, an der wankenden Karpathenfront die deutschen Truppen den Gegner aus seinen Stellungen an der Bahn Mezölabortz— Sanock geworfen.
Ein russischer Versuch, am 9. Mai begonnen , und
am 10. Mai fortgesetzt, mit 2 eiligst zusammengebrachten Divisionen durch Gegenstoß in der Richtung Besko die Verfolgung des Generalobersten von Mackensen in der allgemeinen Linie Besko - BrzozowStabnicalinie - Brcejankaabschnitt (östlich Debica) -- Szczucin zum Stehen zu bringen, scheiterte völlig, Am Abend des 10. Mai waren die russischen Linien
bei Besko
und Brzozow durchbrochen, die Russen im Weichen auf Sanok.
Am
10. Mai meldete die österreichische oberste Heeresleitung , die russische III. Armee als im Raum um Sanok und Lisko zusammengedrängt, gegen diese verbündete Truppen im die Wisloka im
Westen erkämpft,
Anmarsch, im
Süden
den Übergang über die Linie Dwernik-
Baligrod - Bukowska erreicht, auf dem nördlichen Flügel der westgalizischen Front eine Reihe von Orten nordöstlich Debica erkämpft und schätzte den Verlust der aus dem IX. , X. , XII . und XXIV. Korps zusammengesetzten III. russischen Armee auf 150000 Mann . Das war der Tag, an dem der gute Geist Italiens, Giolitti, dem verblendeten und schwachen König zum letzten Male zur Vernunft geraten . Verblendung und völlige Verkennung der Lage muß man aber auch Radko Dimitriew vorwerfen, als er am 12. Mai den, bald abgeänderten, Befehl gegeben,
den unteren San ,
wohin er den Rückzug be-
fahl , auf dem westlichen Ufer von Przemysl bis zur Mündung aktiv durch Gegenstöße zu halten . Mit einer intakten Armee war dies, bei der Möglichkeit, aus den sehr stark ausgebauten Brückenköpfen bei Sieniawa - Jaroslau - Radymno, die später unbestreitbar noch aus Lublin und Odessa herbeigezogenen Verstärkungen heranzuführen,
denkbar.
Bei
dem Zustand der Zertrümmerung der
III . Armee war dies ausgeschlossen, 23 verschiedene, zum Teil herangeführte Divisionen haben ja auch den Verbündeten die Gewinnung der Sanlinie zu verwehren nicht vermocht, hinter der am 12. und 13. Mai Flieger den Rückmarsch starker russischer Kolonnen vom unteren San nach Norden und Nordosten meldeten und hinter die Dimitriew die erschütterten Verbände wohl weiter zurückgenommen hat, während
ļ
die Verteidigung der Brückenköpfe den Verstärkungen überlassen wurde. Am 12. Mai mittags
sprach die österreichisch- ungarische oberste
Heeresleitung ihr Urteil über die Lage dahin aus ,
daß die Nieder-
lagen der russischen III . und VIII . Armee sich von Tag zu Tag vergrößerten, in regellosen, zum Teil aufgelösten Kolonnen Truppen und Trains dieser Armeen auf Jaroslau - Przemysl - Ghyrow zurückfluteten,
11
Von Gorlice-Tarnow bis zum Dajestr.
die aus dem Raum Lisko - Sanok nach Osten flüchtenden feindlichen Kräfte vom Süden her durch über Baligrod vorgedrungene eigene Kolonnen angegriffen würden, die untere Wisloka überschritten , Dynow, Sarnok, Lisko in eigenem Besitz seien , die Karpathenfront östlich des Uszoker Passes stark zu wanken beginne, die verbündeten Truppen hier im Vormarsch, die Gegner im Raume Turka, in Orawa- und Oportale im Rückzug seien. Nördlich der Weichsel waren die eigenen Truppen über die Nida vorgedrungen , während in Südost-Galizien starke russische Kräfte über den Dnjestr auf Horodenka vorstießen, österreichischerseits Zalescyki geräumt worden war ( 13. Mai) . Das russische Unternehmen sah hier nach dem Versuch eines Flankenstoßes aus. Auch die Nida- und die Karpathenfront waren also zum Weichen gebracht , die III. und VIII. Armee bis zur Vernichtung geschlagen, 130 km heimatlichen Bodens erkämpft, 144000 Gefangene, 100 Geschütze , 350 Maschinengewehre als Beute nach zehntägiger Kampfestätigkeit gewonnen. Am 13. Mai näherten sich die Armeen Mackensen Przemysl, die Spitzen (Boroevic und Böhm-Ermolli) erreichten die Linie Dobromin- Stary-Sambor, die Südarmee Linsingen war über Turka - Skole im Vormarsch. Am 14. Mai gewann die österreichische Armee Rudnik und Lezajsk, die preußische Garde und das österreichische Korps begannen den Angriff auf Jaroslau . Von langer Hand her vorbereitet, waren die Höhen westlich dieser Stadt zu einer Art von Festung geworden. Nach Westen zogen in weitem Bogen Schützengräben vom Fluß durch die westlichen Vorstädte auf Schloß und Park zur Jupajowska-Höhe, 3 Divisionen , die in Eile herangeführt worden, besetzten die Anlagen, sie durch Drahthindernisse noch verstärkend. Ein zweitägiger Kampf von größter Zähigkeit war erforderlich, um Stadt und Brückenkopf am 15. Mai in die Hand der Verbündeten zu bringen . Die Armee Linsingen erreichte Dolina. Der Tagesbericht der obersten Heeresleitung vom 16. Mai enthielt über den südöstlichen Kriegsschauplatz nur zwei Sätze : „ Zwischen Pilica und oberer Weichsel, sowie auf der Front Sambor (40 km südöstlich Przemysl)—Stryj - Stanislau befinden sich die verbündeten Armeen im weiteren Vormarsch. Am unteren San, von Przemysl abwärts, leistet der Feind Widerstand. " Ihnen war zu entnehmen , daß die Abschließung von Przemysl gegen Süden ihren Fortgang nahm (am 15. Mai waren Russen
österreichische Truppen in Sambor
aber noch
nicht gewillt schienen ,
das
eingerückt) ,
die
südliche Dnjestrufer
frei zu geben, man am unteren San, unterhalb Przemysl, noch harte Kämpfe zu erwarten habe. Wenn auch am 17. Mai bei Jaroslau und an mehreren Stellen nördlich die Erzwingung des Übergangs über den San gelang -- wie an demselben Tage die gegen den oberen
12
Von Gorlice -Tarnow bis zum Dnjestr.
Dnjestr vorgerückten Kolonnen mit Teilen auch Drohobycz und wieder einige 1000 Gefangene nahmen , - so war doch zu einer Behauptung baldige Gewinnung des überhöhenden Ostufers nötig , bis man die
Sanlinie
von südlich
Jaroslau bis zur Einmündung der
Wisloka sicher in der Hand hatte und auch gegen die Lubaczowka, südlich deren die Russen sich festgesetzt hatten, vorgegangen werden konnte.
Österreichische Blätter beurteilten die Lage damals so ,
daß
der linke Flügel am unteren San in ein stehendes Gefecht verwickelt, die Mitte vor Jaroslau- Przemysl etwas gebremst, der rechte Flügel über Sambor vorbreche, schwere Artillerie und Nachschübe aller Art auf den Eisenbahnen
hinter die
vorgesehenen Druckpunkte heran-
geführt seien, der Brückenkopf Sandomierz und Przemysl durch Artillerie bekämpft würden . Am 18. Mai warfen auf das östliche Sanufer vorgedrungene
verbündete Truppen
starke russische Kräfte.
die sich nordöstlich Jaroslau neuerdings gestellt hatten, Lubaczowka,
nahmen
Sieniawa
und den
bis über die
dortigen Übergang
und
schlugen Gegenstöße blutig zurück. Die Kämpfe am unteren Dnjestr und am unteren Stryj dauerten fort, nördlich Sambor wurden wichtige Höhenstellungen der Russen gestürmt.
Daß die Russen die
letzte natürliche Verteidigungslinie , die die vorgehenden Verbündeten noch von Lemberg trennte , nördlich Przemysl mit der ganzen Kraft , deren sie noch fähig , halten würden , war zu erwarten. Der Tagesbericht der obersten Heeresleitung vom 20. Mai meldete denn auch erneute, verzweifelte Angriffe der Russen gegen die nördlich Przemysl
über den San vorgedrungenen Truppen
( 19. Mai) und deren Erfolglosigkeit, vom 20. Mai früh Gegenstoß auf einem Flügel, der die feindliche Stellung mit stürmender Hand nahm. dann mehrere Tage keine wesentlichen Veränderungen.
Am 25. Mai
konnte die oberste Heeresleitung, nachdem die nötigen Nachschübe und die schwere Artillerie aufgeschlossen waren, die Wiederaufnahme der kräftigsten Offensive durch die Armeegruppe Mackensen nördlich Przemysl -im österreichischen Tagesbericht desselben Tages wurde der Angriff der verbündeten Armee auf der ganzen Front von Sieniawa oberen Dnjestr gegen starke russische Kräfte gemeldet
bis zum
mitteilen.
Der Angriff führte wieder
zu einem vollen Erfolge.
Die
stark befestigten Orte Drohojow, Ostrow, Radymno, Wysoko, Wietlin, Mokowiko , die Höhen nordwestlich Bodrowska und östlich Cetula wurden gestürmt, den Russen ungewöhnlich hohe Verluste beigebracht, über 20 000 Gefangene und 39 Geschütze genommen.
Am folgenden
Tage gutes Fortschreiten des Angriffs , Erzwingen des Übergangs über den San östlich Radymno, nachdem der Brückenkopf westlich des San durch österreichische Truppen genommen worden , nördlich das
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Von Gorlice -Tarnow bis zum Dnjestr. Erkämpfen der Linie Korzenika -Zapalow an der
Lubazowka.
Alle
Versuche der Russen, durch verzweifelte Gegenangriffe von Nord und Nordost her das Vordringen der Verbündeten und die augenscheinlich beabsichtigte Einkreisung von Przemysl in dessen Südosten verbündete Truppen schon über die Magiera vorgedrungen - zu verhindern, scheiterten , Eine wesentliche Vorbedingung für die Operationen über Przemysl war durch die Vertreibung der Russen vom westlichen Sanufer abwärts Sieniawa erfüllt . Der nach der Erstürmung von Radymno gebildete Defensiv haken war zu stark , um von den Russen durchstoßen zu werden , die Umschließung von Przemysl war von ihnen nicht mehr zu hindern , war die strategische Folge des Durchbruchs nachdem
der Gegner die Wisloka nicht halten ,
sie
am Dunajec ,
nachdem die Ver-
bündeten auch am San nicht nachhaltig hatten gestellt werden können. Das von den Verbündeten am San gebrochene Loch erweiterte sich, ihre Offensive schritt rüstig weiter. Aus dem deutschen Tagesbericht vom 27. Mai war zu ersehen, daß auch südöstlich Przemysl die verbündeten Truppen die russische Hauptstellung bei Hussakow nahmen, die Heerteile Hoffmann und Szurmay sowie die Armee Linsingen südöstlich Drohobycz und bei Stryj die feindliche Frontlinie durchstoßen hatten. Wohl setzten die Russen, um die Umklammerung Przemysl abzuwehren,
rechts des San an Kräften ein,
was sie von anderen
Kriegsschauplätzen heranzuziehen vermochten, besonders gegenüber Sieniawa solche häufend . Die Angriffe mißlangen aber und drängten nur bei Sieniawa schwächere Abteilungen, die 6 Geschütze nicht mehr abzuschieben vermochten, hinter den San zurück. Fortschritte nordöstlich Przemysl
zu beiden Seiten der Wisznia vermochten sie nicht
aufzuhalten. Da die Südgruppe bei Stryj - Drohobycz durchbrochen war, so mußten die Russen in ihren beiden Flanken schon eine starke Bedrohung empfinden , sich klar darüber werden, daß , falls sich selbst Przemysl noch halte , sie aber die Festung sich selbst überlassen müßten,
ein Zurückgehen in die Linie hinter den Grodeker Teichen,
an die sich der Dnjestrabschnitt anschloß, geboten sein würde wenn Lemberg verteidigt werden sollte. Im Mündungswinkel SanWeichsel, zu halten,
sowie östlich der Lysa Gorra versuchten der Augenblick, in dem sie aus
die Russen noch
strategischen Gründen
räumen müßten, war aber abzusehen, nachdem die von ihnen geübte Flankenbedrohung durch den Zentrumsstoß bei Jaroslau und Radymno aufgehoben worden, und der Erfolg bei Sieniawa nur ein lokaler geblieben war . Am 29. Mai wurden an der unteren Lubaczowka Angriffe ,
bei und abwärts Sieniawa Übergangsversuche über den San,
wodurch die Russen das Vorgehen nördlich Przemysl flankieren wollten,
14
Von Gorlice -Tarnow bis zum Dnjestr.
abgeschlagen , schwere Artillerie hatte schon die Bahnlinie Przemysl— Grodek bei Medyka unter Feuer, die Einschließungslinien nördlich und südlich der Festung wurden durch die verbündeten Truppen weiter vorgetragen. Die beiden um Przemysl sich legenden Flügel mußten , vor allem
auch in
Raum gewinnen ,
dem Sanabschnitt bei Jaroslau,
um
möglichst
viel
die verzweifelten Gegenstöße der Russen
auf-
zufangen und von den Festungsangriffstruppen fernzuhalten . Der 31. Mai, an dem schon gegen die Nordfront von Przemysl schwere Artillerie ihr wirksames Werk getan, war ein höchst bedeutsamer Tag, der grundlegend wurde für die weiteren Operationen .
Drei
Forts der Nordfront von Przemysl wurden von den Bayern gestürmt, alle russischen Versuche, das Verhängnis durch Massenangriffe auf die Stellungen der Verbündeten östlich Jaroslau und an der unteren Lubaczowka, wie auch abwärts von Sieniawa, aufzuhalten, scheiterten. Die befestigte Stadt Stryj wurde gestürmt, russische Stellungen bei und nördlich der Stadt durchbrochen während im Westen britischfranzösische Durchbruchsversuche vom mächtigsten am 9. bis 31. Mai ihr Ziel nicht erreichten.
Die Ereignisse auf dem rechten Flügel der Ver-
bündeten rückten , gleichbedeutend mit denjenigen von Przemysl , in den Vordergrund . Was an Russen noch zwischen Hussakow und dem Stryjabschnitt stand , das war zum baldigen Abzug über Rudki- Komarno gezwungen . Als die oberste Heeresleitung am 2. Juni die im Laufe des Mai auf dem südöstlichen Schauplatz gewonnene Beute, 863 Offiziere, rund 269 000 Mann, 250 Geschütze, 576 Maschinengewehre, aufführte,
konnte sie zugleich die Einnahme
von zwei weiteren Werken (am 1. Juni) der Festung Przemysl, deren Nordfront durch Wegnahme von
fünf solchen
nun aufgerissen war,
sowie das Vorbiegen der verbündeten Truppen in der Richtung von Medelnca nach dem Siege bei Stryj melden. Der unausbleibliche Fall von Przemysl
war jetzt
330 vormittags des
nur noch
3. Juni
eine
hatten
innere Festungslinie besetzt , von Puchala in die Ostfront eingedrungen .
Frage
von
Stunden.
bayrische Truppen Südosten
war die
die
Armee
Der bis jetzt wenig glückliche Feldherr Nikolai Nikolajewitzsch hatte bis dahin in den Operationen des Mai, in deren Strudel er mit größter Rücksichtslosigkeit selbst die Bosporusarmee hineingeworfen, bei denen jeder
Sieg
einem
anderen die
Bahn
gebrochen,
zwei
Kräfteschwerpunktslinien wahrzunehmen gewußt, die eine vom Westen nach Osten laufend, die andere von Süd- Südwest nach Norden. Zwischen sie waren immer neue russische Kräfte geraten und zurückgedrängt, oder zerrieben worden. Beim stärksten Optimismus und Fatalismus mußte ihm jetzt klar sein, um was es sich für Rußland
15
Von Gorlice -Tarnow bis zum Dnjestr. handelte.
Wie die
Sicherstellung
des Zusammenwirkens
der
ver-
schiedenen verbündeten Armeegruppen erfolgt war, das übersah er zweifellos nicht, und das wird allgemeinverständlich auch erst dann werden, wenn von berufener Stelle die Geschichte dieses denkwürdigsten aller Kriege geschrieben wird.
Er konnte sich auch schon
sagen, daß der seit dem 1. Mai ununterbrochene Siegeszug der Verbündeten durch Galizien so gewaltig gewesen, daß diese an einen Abschluß noch nicht denken würden , es auf ihre Entschließungen ankomme, wieweit sie die Offensive fortsetzen wollten , die Russen selbst von einem Erfolge im Südosten ebensowenig entscheidenden Vorteil zu erwarten hätten, wie von ihren Gewaltstößen am unteren San. Als Przemysl besetzt wurde, kämpfte die Armee Linsingen bereits um den Dnjestrabschnitt bei Mikolajow, andere Kolonnen strebten durch das Stryjtal auf Zydaczow, und wie lange sich die Russen in den Sumpfniederungen halten könnten - würden die Verbündeten bestimmen, die vom Westen her ihre Flanke bedrohten , der, wenn
er auf Lemberg vorgehen sollte,
wie Linsingen ,
rechter Flankendeckung
bedurfte, schon östlich der Werescyca, südlich vom Rücken der Grodeker Stellung, stand . In der Nacht vom 2. zum 3. Juni, in der Przemysl gestürmt wurde, hatten die Russen gegen die ganze Front des Generalobersten von Mackensen als Verzweiflungstat einen allgemeinen Angriff eingeleitet .
Daß dieser schon in seinen An-
fängen völlig scheiterte, war ein sprechender Beweis dafür, daß die Offensivkraft der Russen niedergebrochen war. Das trat auch in der von früher schon vorbereiteten starken Stellung bei Medyka hervor, in welcher die Russen den nach Osten scharf nachdrängenden Truppen keinen Widerstand zu leisten wagten, beim Durchbruch der russischen Verteidigungsstellung durch die Armee Boehm- Ermolli vom Süden her in der Richtung auf Mosciska, bei dem Rückzug vor der siegreichen Armee Linsingen, wie in den matten Angriffen der Russen an der Pruthlinie, die sämtlich unter starken Verlusten abgewiesen wurden . - Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, daß am 7. Juni in Galizien die Front der Verbündeten von Sandomierz auf dem Ostufer des San bis Sieniawa,
dann nach Osten , die Wisznia entlang über Moszisca,
dann, gegen Süden abbiegend ,
über Kalusz
auf Nadworna ,
endlich
den Pruth entlang über Czernowitz bis zur Grenze lief, dann leuchtet ein, daß die Verbündeten vom Raum Moszisca und Zurawno aus Lemberg mit konzentrischem Vormarsch bedrohten , die russische Pruthfront aus dem Raume von Kalusz stark flankierten, der Zeitpunkt, zu dem diese, auch von Pflanzer- Baltin mit stark betontem linken Flügel angegriffen, nur nach Osten weichen könnte, schon bedenklich näher rückte und eigentlich kaum noch um die
16
Von Gorlice -Tarnow bis zum Dnjestr.
Dnjestrlinie,
deren
linkes Ufer,
nördlich Zurawno,
die Armee Lin-
singen schon fest in die Hand genommen, gekämpft werden könnte. Kann man eine lang dauernde Schlacht vor Lemberg in der Grodekerlinie, die nach Osten hin wohl schon überholt ist, als ziemlich unwahrscheinlich betrachten , so liegt eine andere Frage näher, ob wir von seiten der Russen, deren Offensivkraft auch durch die Verluste an Toten, Verwundeten und Gefangenen,
wie an unersetzbarem Material , Einbuße
an Offizieren und ziemlicher Unmöglichkeit, gründlich zu schulen ,
brauchbaren Nachschub
eine starke Herabsetzung erfahren,
bei oder
östlich der Hauptstadt , die sie ihrem neuen Generalgouvernement geben wollten , eine dritte Schlacht von Lemberg erwarten können , oder mit ihrem Rückzug nach Wolhynien rechnen dürfen ? Daß einzelne Verbände des russischen Heeres eines Offensivstoßes überhaupt nicht mehr fähig wären , wollen wir, wie wir ausdrücklich bemerken, damit nicht gesagt haben. Als die erste Schlacht von Lemberg dürfen wir die um Przemyslany bezeichnen, in der die österreichische Ortsgruppe im vorigen September, obwohl die Nordgruppe die siegreichen Schlachten von Krasnik-Zamosc - Komarow geschlagen und im Begriff stand, die Früchte der Siege zu pflücken, der überwältigenden , von Ost und Südost immer mächtiger anschwellenden Russenflut der Armee Iwanow weichen und Lemberg preisgeben mußte. gang von der Grodeker Stellung, war Höhen,
Die zweite nahm ihren Aussiegreich auf den Grodeker
mnßte aber doch mit einem langsamen Weichen hinter den
San endigen, als auf Rawaruska auch gegen die in unglaublich kurzer Zeit die Front nach Süden ändernde Armee Auffenberg aus dem Winkel zwischen Bug und Wieprz erdrückende Massen vorgingen . Es war die absolut erdrückende Übermacht, die damals den Russen eine Vorbewegung erlaubte,
während die
noch festgefügt
bleibenden an
Zuversicht und Widerstandskraft ungebrochenen Armeen unserer Verbündeten die Zermürbungsaufgabe im ersten Akt des durch eine Offensive eingeleiteten Feldzugs begannen . Weite Lücken klaffen in der nicht mehr zusammenhängenden russischen Front , Einfalltore für ebenso viele Umfassungsmöglichkeiten durch die verbündeten Heeresteile , die den zermürbten Gegner wohl immer wieder in den Bewegungskrieg hineinzureißen trachten werden '). ¹ ) Während des Druckes der vorstehenden, am 7. Juni abgeschlossenen Arbeit ist Lemberg dem konzentrischen Vorgehen der Verbündeten erlegen. Gorlice - Tarnow hatte den Kampf grundlegend eingeleitet, Przemysl und Stryj waren die Fortsetzung der Verwirklichung , Rawa, Ruska und Lemberg die Krönung des operativen Gedankens, der die letzte Entscheidung näher bringen kann.
Englands Seemachtpolitik im Weltkriege.
17
II.
Englands
Seemachtpolitik
im Weltkriege.
Von
Wochinger, Oberstleutnant a. D.
Es ist ganz erstaunlich,
mit welcher
meisterhaften Virtuosität
England planmäßig und fortgesetzt seine beiden Verbündeten betrügt und unter dem heuchlerischen Vorwande bundesfreundlicher Unterstützungsleistung deren Notlage ausnützt, sich selbst dauernde Vorteile zu sichern .
um in
egoistischer Weise
Trotz aller verzweifelten Proteste der Departementsbehörden von Calais und Dünkirchen fährt Frankreichs edler Bundesgenosse fort, zum Schrecken der einheimischen Bevölkerung die an der Kanalenge gelegenen Städte und Ortschaften sowie den ganzen Küstenstrich von der belgischen Grenze bis hinunter nach Boulogne als eigene Domäne zu betrachten und unter dem Vorwande, daß dies alles nur im Interesse der französischen Landesverteidigung gegen beabsichtigten deutschen Angriff geschehe, nach seinem Gutdünken in einer Art und Weise zu schalten und walten ,
anzuordnen und zu organisieren, die
weit über die gewöhnlichen Maßnahmen vorübergehender Verteidigung hinausgeht und ganz den Maßregeln zur Sicherung dauernder Besitzergreifung entspricht. Nicht mit Unrecht bricht sich in tieferschauenden Kreisen die Überzeugung Bahn, daß unter den Programmpunkten des King Eduards für die Unterstützungsleistung Frankreichs zur Wiedergewinnung ElsaßLothringens die Abtretung von Calais und Dünkirchen an England planmäßig als Kriegsziel Englands unter vielen anderen natürlich schon festgelegt war. Daß bei der kaufmännisch kalkulierenden Politik Englands eine Unterstützungsleistung für eine ausländische Macht nur gegen Rechnungsstellung eines Ausgleiches geleistet würde, darüber mußte Frankreich schon lange im klaren sein,
ebenso , daß die Rechnung von England
gestellt werden würde, und zwar so, wie sie den Interessen Englands und nicht denen Frankreichs entspricht . England aber glaubt heute noch in einer ganz unverständlichen Siegeszuversicht, bei den Friedensverhandlungen der leitende spiritus rector zu werden. Eine Begleichung der von England aufgestellten Kostenberechnung der Unterstützungsbeihilfe an Frankreich durch Geldmittel ist für den finanziell gänzlich erschöpften Allerweltsbankier ein Ding der Unmög2 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 526.
18
Englands Seemachtpolitik im Weltkriege.
lichkeit, Frankreich darf - nach englischer
Ansicht - froh sein
durch Landabtretung eines verhältnismäßig geringen Streifens seiner Nordküste die Unterstützungsbeihilfe für die Wiedergewinnung von Elsaß-Lothringen begleichen zu können . Calais wie Dünkirchen waren ja früher schon jahrhundertelang im englischen Besitz gewesen und erst durch Erstarken der französischen Königsmacht an die Krone Frankreichs verloren gegangen . Zurzeit aber ist Frankreichs Macht sichtlich im Niedergang begriffen , finanziell sowohl wie volkswirtschaftlich und militärisch, und mehr noch - Frankreich ist durch den Vertrag vom 4. September in ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis zu England geraten ; welch herrliche Gelegenheit für dieses, den früheren Besitz , der durch die Zeitverhältnisse sowohl wie durch die Fortschritte der militärischen Technik einen früher nie geahnten Wert für England gewonnen, sich zu nehmen.
wieder an
Dem stark befestigten Dover mit seinem gewaltigen Kriegshafen und seinem weitausgedehnten Minenfelde an der schmalsten Stelle der Kanalenge (32,5 km ) , in deren Mitte sich nur eine verhältnismäßig enge Fahrtrinne für Großschiffahrt befindet gegenüber bildet nach zielbewußtem fortifikatorischen Ausbau Calais mit seinem flachen Ufer und weit in den Kanal hineinreichender Niedrigwassergrenze sowie beinahe unmittelbar dahinter das massive Hochplateau, das bis zu 156 m Meereshöhe aufsteigend , zahlreichen gedeckten Batterieaufstellungen Raum gewährt und bei Cap Griz Blank und Cap Griz Nez jäh in das Meer hinabstürzt, für Kriegszeit eine Feuersperre des Kanalausganges zur Nordsee, gewaltiger als jene bei Gibraltar, und für Friedenszeit eine Kontrollstation des friedlichen Seeverkehrs ; beides aber involviert zusammen eine hochbedeutsame Stärkung der Seeherrschaft Englands im Kanal und dessen Einflußnahme auf die Nordsee ; eine solche Stärkung aber, einmal in dessen Besitz gelangt, gibt England freiwillig nicht mehr heraus, um so weniger, als der Eigentümer des von ihm besetzten Bodens zu schwach ist, um diesen mit Gewalt dem Usurpator wieder entreißen zu können . Ähnlich sieht sich zurzeit England an jener Wasserstraße vor, die den Russen eröffnet, deren Handel, Seeverkehr und Einfluß im Hinblick auf die reiche Fülle der russischen Hilfsquellen und deren Nähe in wenigen Jahren jenen Englands lähmen und den englischen Interessen im Mittelmeere den Todesstoß versetzen könnte. Damit hier nicht die Bäume in den Himmel wachsen und Englands Einfluß und Beherrschung des Mittelmeeres nicht hinter der russischen gelange, hat England die Inseln Lemnos, Tenedos, Samothrake und Imbros vorläufig
unter dem Titel einer für
die Dardanellenexpedition
not-
Kriegsmittel und -werte.
19
wendigen Operationsbasis in seine Verwaltung und Umgestaltung genommen und verfährt mit solchen in ganz der gleichen Weise wie mit Calais und Dünkirchen an der Kanalenge . Gegen dieses brutale, aber politisch ganz brillante Verfahren etwas auszurichten, vermag weder Griechenland noch Rußland , dessen Forderungen ja anscheinend bewilligt werden und dessen Flotte sich nicht einmal der türkischen zu erwehren vermag; mit der Besetzung und Befestigung
der vor
dem Dardanellenausgang gelegenen
Inseln
und deren Umgestaltung zu Flottenstützpunkten bleibt England für Krieg und Frieden aber der faktische Herr der Dardanellenpassage und liegt solches ebenso vor dem Mauseloche der Dardanellenenge wie durch Cypern vor jenem der Suezenge, wenn diese in türkische Hände gelangen sollte . Vereint mit den Flottenstationen
zu Malta und Cypern ,
macht
ein vor dem Dardanellenausgange gelegener Flottenstützpunkt England zum Beherrscher der Osthälfte des Mittelmeeres, nachdem es die Seeherrschaft in dessen Westhälfte großmütig an Frankreich abgetreten.
III. Kriegsmittel und -werte .
Von Woelki, Oberst z. D.
Der zeitige Weltkrieg hat die nachstehenden, in der Hauptsache schon vorher aufgestellten Grundsätze (bisher) nicht erschüttert , noch haben die Erfahrungen, die man neu gemacht zu haben vermeinen könnte, das allgemeine Bild von den Anforderungen und Bedürfnissen des Krieges wesentlich verändert. Wohl aber sind die schon erlebten drohenden wie erVorgänge und noch in Aussicht stehenden hofften Unternehmungen ganz besonders dazu angetan , das Interesse für die eigentlichen Faktoren der Kriege zu mehren, neue Anregungen zu liefern, wie solche auf ihre Ziele und Aussichten hin zu prüfen. Ist doch die Gewalt der Lage wohl groß genug, um auch weitere , bisher abseits stehende Kreise in ihren Bann zu ziehen, in-. soweit wenigstens , daß die Fragen nach den Hauptmitteln und -kräften , die zu einem erfolgreichen Kriege gehören, der weitesten Beteiligung sicher sein müßten ; auch wenn in Aufstellung und Erörterung 2*
20
Kriegsmittel und -werte.
sie nicht (nur) von zeitigen Vorgängen ausgehen,
vielmehr es dem
Urteil eines jeden (Lesers) überlassen, in weiterem Verfolg der Anregungen, die die hier vorgebrachten Erwägungen - unter Berufung auf anerkannte Autoritäten - auslösen dürften, sich selbst darüber klar
zu werden,
ob und
inwieweit z. B. der Leitsatz des Grafen
Montecuccoli , daß zum Kriege Geld, Geld und zum dritten Male Geld nötig sei, wie das Vertrauen des englischen Schatzkanzlers auf seine
„ silbernen Kugeln "
gerechtfertigt ist ;
oder
ob der
Italiener
Machiavelli (gestorben 1525) auch heute noch mehr Zustimmung verdient, der seine Meinung diesbezüglich wie folgt gefaßt hatte : „ Männer, Waffen, Geld und Brot sind die Nerven des Krieges ; aber von diesen vier sind die beiden ersten die notwendigsten, denn die Männer und Waffen können sich Geld und Brot verschaffen, wogegen Geld und Brot sich nicht Männer und Waffen verschaffen können “ - oder, welcher Leitsatz sonst wohl in dieser Beziehung für Gegenwart und nächste Zukunft allgemein zu Recht besteht, im besonderen aber für uns, unser Volk,
unseren Bedarf der angemessenste ist und den meisten Erfolg
verspricht. Das nähere Zusehen wird dann gleich ergeben ,
daß die Frage nach der Priorität, dem Vorrang des einen oder anderen Bedürfnisses zurücktritt, ja entfällt, sobald das letztere voll besteht bzw. anerkannt
wird; und weiter : daß die einseitige Betonung des Geldwertes seitens des wohlbewährten Generals Grafen Montecuccoli (gestorben 1681 ) zumeist als eine rhetorische Übertreibung infolge übler Erfahrungen aus jener Zeit der Kabinettskriege anzusehen, wie das Pochen auf die englische Geldmacht seitens des Schatzkanzlers allein schon durch Beruf und Herkommen genug erklärt ist . Bald nach Montecuccoli hat eine uns näherstehende Autorität, König Friedrich Wilhelm I. von Preußen, „ Soldaten und Geld " als zum Kriegführen vor allem nötig erklärt, und zweitausend Jahre vorher hat Philipp von Mazedonien seinem Sohne Alexander dem Großen nicht nur ein vorzüglich ausgebildetes Heer, sondern auch einen verhältnismäßig großen Staatsschatz hinterlassen, weil nach seiner Meinung „keine Mauer zu hoch wäre, über die nicht ein mit Gold beladener Esel hinüberkäme ". Das Gold hat ja auch zweifellos von jeher eine große Macht ausgeübt, wie im Frieden, so auch in die Kriegshandlungen hinein, eben nach dem Maße, in dem der Materialismus vorherrschte . Wie jetzt die Engländer, haben s . Z. auch die Punier alles mit Geld machen wollen ; und es gehörte die zähe Ausdauer der Römer dazu, sie schließlich doch zu besiegen. Und dem armen, ausgesogenen Preußen ist es nur durch seltenen Opfer- und Heldenmut vor hundert Jahren gelungen, die Befreiungskriege an erster Stelle durchzuführen . Ander-
Arab
21
Kriegsmittel und -werte.
seits aber sind in der Vergangenheit, zuletzt noch seitens der Japaner 1905, oft genug Kriege wegen Mangels an Geld abgebrochen bzw. aufgegeben. Alle diese Vorgänge haben indes neuerdings sehr an Beweiskraft verloren , insofern , als die internationale Geldwirtschaft wie die Haftpflicht der Volksvertretungen einen fast unbegrenzten Kredit ermöglichen, der - in der Hauptsache an Stelle des Bargeldes getreten ist, wenigstens in geordneten europäischen Staatswesen. Immerhin
und daneben
bleibt aber das Geld ,
gemeinen Geltung und Macht,
vermöge
ein sehr gewichtiger Faktor.
seiner allWie ein
schleichendes Gift zersetzt es gegebenenfalls auch den stärksten Idealismus und untergräbt den Boden der reinsten Erhebung ! Vielleicht wirksamer und schneller als wirklicher Hunger. Die feste Zuversicht freilich, die uns Deutsche z. Z. erfüllt, daß es uns wohl gelingen werde, wie bisher, so auch weiterhin alle Pläne unserer skrupellosen Feinde zunichte zu machen , läßt uns auch den Plan der Aushungerung , also die Entziehung von „ Brot “ bzw. der notwendigsten Existenzmittel, nicht in seiner vollen Macht anerkennen noch fürchten ; aber auch nur dank der langjährigen Vorsorge in planmäßigem Schutz und Pflege unserer Landwirtschaft, wie im Vertrauen auf zutreffende Vorkehrungen und allgemeinster, opferwilliger Mithilfe aller Beteiligten (Betroffenen). Weniger aber vielleicht im Vertrauen darauf, daß unsere „ Männer und Waffen " das nötige „ Geld und Brot verschaffen "! Das war wohl in den einfacheren und kleineren Verhältnissen von vor 400 Jahren gegeben, nicht aber, wo Millionen und effektive Blockade (Absperrung) in Frage stehen ; trotzdem wir auf der einen Front gerade besonders reiche und hochkultivierte Landstriche besetzt halten und auszunutzen bemüht sind! Immerhin wird man unseren „ Männern und Waffen " keinen kleinen Anteil an dem allgemeinen Erfolge, also auch an dem, daß wir die „ silbernen Kugeln mit einem goldenen Schilde auffangen “ können usw. , zuzurechnen haben ! Viel größer jedenfalls ist durch den Wandel der Zeiten der Unter-
schied in bezug auf die „ Waffen" geworden, wie es nachgerade allgemein bekannt ist und hier darauf noch einzugehen erübrigen würde , wenn nicht in den damaligen Begriff (der Waffen) jetzt eine Unmenge bedeutsamer Kriegsmittel fiele, die auch den Krieg in allen Beziehungen beeinflussen und mehr oder weniger verändern. Die alles überwältigende Entwickelung der jüngsten Zeit, in allen Gebieten des Lebens , im Verein und vermöge einer überaus hohen Technik , der intensivsten Betätigung und Ausnutzung immer neuer Kräfte und Gebiete - in Massenbedarf und Verfeinerung der Lebenshaltung - in Handel und Wandel, durchdringt eben alle Verhältnisse, also auch den Krieg . Zunächst schon dadurch , daß es der allgemeinen Wehrpflicht nur
22
Kriegsmittel und -werte.
alle Kräfte und Mittel ohne Unterschied und Schonung zur Verteidigung des Vaterlandes heranzuziehen . Seitdem eben die Kriege nicht bloß die Austragung von Zwistigkeiten
entspricht,
zwischen
einzelnen Machthabern oder Klassen (von Söldnerheeren abgesehen), sondern der Lebensfragen der Völker selbst betreffen, und es damit einfache und unabweisliche Pflicht geworden, Gut und Blut zur Durchsetzung des Kriegszieles bzw. bis zum äußersten einzusetzen . Demgemäß erweitert
sich dann auch der Begriff der „ Waffen".
Es zählen somit billigerweise alle für den Krieg überhaupt verwendbaren Mittel hierher ; und das sind nicht eben wenige, einschneidende wie umfassende , also daß es für die Kriegsvorbereitung und Leitung keineswegs so ohne weiteres gegeben noch leicht ist, dem zeitlichen Stand der Technik usw. zu entsprechen , geschweige deren Entwickelung so weit vorauszusehen , treffen,
um rechtzeitig diejenigen Vorkehrungen zu
so daß das Heer im Bedarfsfalle wirklich und durchweg auf
der Höhe
der Zeit
steht .
Es
genügt
dazu auch nicht einmal das
seltene Vermögen, die gesamte Technik zu übersehen , wenn schon nicht zu beherrschen ; vielmehr gehört hierzu noch, sie, die Technik, in allen ihren Zweigen und
fortgesetzt überraschenden Phasen der
Entwickelung so in den bestehenden , von ehrwürdigen, ruhmvollen Überlieferungen getragenen also doch recht empfindlichen -- wie durch die Eigenart seiner Bestimmung abgschlossenen Heereskörper von Fall zu Fall zu übertragen und einzubürgern, daß das schon von Machiavelli
angegebene Verhältnis,
wonach den „ Männern " die erste
Stelle und der Vorrang zukommt, nicht gestört wird ; also ohne Einbuße an Kraft überhaupt, vornehmlich aber bei den ersteren, d. h. an Kriegstüchtigkeit.
Denn
das,
was die Volksaufgebote
erst zu
„ Männern " macht, die Mannhaftigkeit (virtus), oder auch die Kriegstüchtigkeit darstellt, hat eben für den Krieg nun einmal den höchsten Wert und muß das unausgesetzt eigentliche Ziel einer richtigen Kriegsvorbereitung bleiben .
Das
kann auch nicht oft genug betont,
muß
vielmehr immer wieder hervorgehoben werden , wiewohl es schon jede eingehende Überlegung ergibt und die Geschichte in reichlichen , gar nicht miẞzuverstehenden Fällen bestätigt, daß eben die Hauptkraft des Heeres
(wie des Volkes)
nicht sowohl in der Zahl , Masse ,
noch in den ins Feld geführten Hilfsmitteln und Künsten, als vielmehr in den uralten Grundlagen der Kriegstüchtigkeit, in den unschätzbaren Eigenschaften des Willens und dessen Zucht liegt . Aber wohl ebenso alt sind auch die Versuche und Anläufe, diese so einleuchtende Wahrheit zu verschleiern, die immer wieder nachlassenden seelischen und moralischen Kräfte durch vermeintliche Werte , Künste,
23
Kriegsmittel und -werte. Listen und Nebendinge zu ersetzen oder abzuleiten . solche Verirrung
(leicht) durch
Begünstigt wird
das Moment des Widerspiels bzw.
durch die Selbstüberschätzung im Vergleich mit dem ev. Gegner, wobei außer anderen Irrtümern relative Werte für absolute , wirkliche genommen werden . Der wirkliche Kriegswert kann
aber nicht ohne weiteres
geändert, noch Altbewährtes dadurch ungültig werden, daß irgendwelche neue Mittel mit neuen Werten aufkommen, auch wenn diese an sich noch so wirksam sind. Schon die Kriegsbrauchbarkeit ist ein unwandelbarer Begriff mit ihren besonderen Eigenschaften. Daher bleibt es immer schwierig, wenn nicht bedenklich, neue Mittel ohne Schaden fürs Ganze in die bestehenden , an sich wesentlichen Formen und Rahmen einzugliedern , wie auch die einheitliche Führung dabei im bisherigen bewährten Geiste zu wahren ; die Erschwernis, die die Führung so durch die größere Inanspruchnahme der Technik erfährt , wird leicht übergroß .
Daß es nicht jedem gegeben ist , in die Technik
soweit einzudringen , um sie beherrschen zu können, ist schon gesagt ; einfach kommandieren aber läßt sich die Technik bekanntlich nicht (,,Zauberlehrling" ) , und ein Kriegsrat ist in jeder Form von Übel . Völlig zeitgemäß für den Krieg gerüstet zu sein , ist auch nur ein Ideal ; es ist strenggenommen rein unmöglich, die Kriegsvorbereitung völlig auf der Höhe der Technik oder auch unter Ausnutzung aller vorhandenen und allerneuesten Mittel und Grade zu halten,
schon deshalb,
weil manches Zugehörige .
wie z. B. die Be-
festigungen, jahrelange Vor- und Ausführungsarbeiten erfordert, während die Technik sich immer fortentwickelt, ja oft genug überraschende Sprünge macht. Es bleibt auch nichts anderes übrig, als Auswahl zu treffen und Grenzen zu halten , wobei „ das Bessere ist des Guten Feind “ und zeigt ".
Praktisch
„ in der Beschränkung
sich
erst der Meister
erscheint denn wohl die Sichtung als Glücksache,
zumal bei wechselnden
Anforderungen und
Beziehungen.
Und es
kann wohl schon kommen, daß, je eifriger die Bemühungen sind , den neuesten Bedürfnissen gerecht zu werden, das Ergebnis sich zumeist in Veraltungen bis zur Wertlosigkeit und zu heillosem Wirrwarr darstellt !
Natürlich
rächen
wirkliche Mängel. lagerungstrains,
sich
demgegenüber auch Versäumnisse und
So 1870 bei uns das Fehlen von kompletten Be-
während die geringere Leistungsfähigkeit unseres Ge-
wehrs (gegenüber dem französischen ) dem allgemeinen Erfolge verhältnismäßig wenig Eintrag getan hat, indem sie durch die Überlegenheit unserer Feldartillerie
mehr als ausgeglichen wurde.
Über
die einschlägigen Verhältnisse des gegenwärtigen Krieges zu urteilen, ist noch nicht
an der Zeit ;
einstweilen können wir jedoch der ge-
24
Kriegsmittel und -werte.
trosten Zuversicht sein, daß bei uns Heldenmut und Willensstärke in einem Maße vorherrschen, daß jedes Mittel gerade recht ist und nur zum Ausdruck wie zur Betätigung dieses Geistes dient. Darüber herrscht ja auch wohl kein Zweifel, daß der feste Wille , zu siegen , Schwierigkeiten, die durch die vorhandenen Unterschiede in der Qualität der Waffen und Mittel etwa sich vorfinden , noch am ehesten überwindet. Anderseits ist aber doch die Kriegstüchtigkeit so überaus wichtig, daß alles daranzusetzen ist, um sie zu heben und zu pflegen ; wozu wieder hauptsächlich das Vertrauen auf die Führung und deren Kriegsvorbereitung in allen Teilen und besonders in bezug auf die Kampfbedingungen gehört ; ein Verhältnis, General v. Blume in seinem darstellt :
Handbuch der
das sehr treffend
„ Strategie"
wie
folgt
„Wenn auch nicht nachdrücklich genug betont werden kann, daß das vollkommenste Kriegsmaterial nur dann, wenn es sich in den Händen unerschrockener, intelligenter, wohlorganisierter, gutgeschulter und gutgeführter Truppen befindet, zu rechter Geltung kommt, und daß in letzter Hinsicht bestehende Mängel durch Material nicht ausgeglichen werden können, so hängt anderseits doch auch die Leistungsfähigkeit guter Truppen von der Güte und Vollständigkeit ihrer materiellen Ausstattung, besonders ihrer Bewaffnung, ab. “ Wozu noch zu bemerken wäre : Der praktische Wert jedes Mittels wie Werkzeuges wird erst durch den Gebrauch gegeben. Daraus folgt zunächst das Erfordernis der beiderseitigen Anpassung , die nun einmal bedingt und begrenzt bleibt .
So hatten , wie erinnerlich, 1912
für die Türken die zuvor beschafften Kruppschen Kanonen nicht den ihnen zugeschriebenen Wert , und gierig ergriffen unsere alten Gegner (und Geschäftskonkurrenten)
die Gelegenheit ,
kreditieren !
man
Darüber
sollte
unser Material zu dis-
sich nachgerade keinen Illusionen
hingeben, vielmehr festhalten, daß je höher die Teehnik und je feiner der Mechanismus, desto schwieriger wird auch die sachgemäße Handhabung
und Ausnutzung
und
desto
mithin auch Kriegsbrauchbarkeit ! an sich wohl Kriegsmittel
geringer
leistungsfähigsten Waffen
nicht immer die
die
Zuverlässigkeit ,
Und so kommt es auch, daß die (Mittel)
und
für den gegebenen
gewaltigsten
Kriegsgebrauch
geeignetsten sind. Was besonders oft von solchen Mitteln gilt, die nicht von vornherein für Kriegsbedürfnisse bestimmt waren . Dann aber darf - bei der Heranziehung der Technik zu und für den Krieg
eins nicht übersehen werden ; das ist die damit verbundene
Reaktion der Materie, die beim Übermächtigwerden der Technik direkt zu einer entsprechenden Umsetzung der Werte führen muß.
Es
Kriegsmittel und -werte.
25
genügt da wohl, auf die Folgen der Landflucht, der Verwandlung von Land- und Handarbeitern in Maschinisten und Fabrikarbeiter, wie auf die schon so viel erörterten , damit verbundenen Momente hinzuweisen , die der Kriegstüchtigkeit durchaus abträglich sind. Dazu stehen die Interessen der Technik mit denen des Krieges von Hause aus zumeist im Widerspruch und Gegensatz. Und zu jeder Zeit gewerblichen Aufschwunges sind erfahrungsgemäß die Kriegstugenden zum mindesten in Gefahr geraten. So hatte auch um 1800 Scharnhorst, zumal in Rücksicht auf die hiermit verbundene vorerwähnte , der Kriegsscheu entspringende Neigung zum Ersatz der Kriegstüchtigkeit , zu der Klage Veranlassung : „ Wir sind dahin gekommen , die Kriegskunst über die militärischen Tugenden zu setzen. “ das neuDer Umstand, daß die Technik -- im weiteren Sinne zeitige Leben mehr und mehr durchdringt, bedingt dabei — an sich — noch nicht den schädlichen Gegensatz zur Kriegstüchtigkeit des Volkes ; erst die Betonung bzw. der Vortritt der ausschließlich friedlichen Interessen ist es, die die Kriegstüchtigkeit beeinträchtigen , lähmen und ausschalten. Ganz anders stellt sich dagegen das Verhältnis , sofern und soweit es gelingt, gerade diesen mächtigen Faktor in gleichem Sinne mit, wenn schon nicht direkt für die Kriegskraft einzusetzen , indem die Technik nicht nur materielle Mittel liefert, sondern auch für die moralischen Elemente unmittelbar mitwirkt. Das hat wohl auch Feldmarschall Frhr. v. d . Goltz im Auge, wenn er schreibt : „Die Rolle der Technik im Verhältnis zu den natürlichen und moralischen Eigenschaften der Truppen hat an Wichtigkeit sehr zugenommen. Sorgfältigste Vorbereitung in kriegstechnischer Beziehung ist heute dem tüchtigsten Volke unentbehrlich, wenn seine guten moralischen Eigenschaften zur Geltung kommen sollen . Alle Anerkennung der Wahrheit, daß die Moral das Entscheidende sei und die Offensive allein den Sieg verbürge usw., ändert daran
nichts und beseitigt die elementaren Schwierig-
keiten nicht, die sich dem Erfolg entgegenstellen. " Im Hinblick auf das hohe Ziel ist unausgesetzte Fürsorge geboten,
und wäre es unverantwortlich, sich damit zu trösten oder darauf zu verlassen, daß wie bei Beginn dieses Krieges, so auch sonst der Kriegsgeist schon zu rechter Zeit erwachen , die Fesseln sprengen und alle mit fortreißen werde ; sicherer und größer wird jedenfalls das Ergebnis wie der schließliche Erfolg , wenn der fragliche Geist schon vorher vorbereitet, gepflanzt und gepflegt ist, also daß ein schädlicher Gegensatz niemals auch nicht im tiefsten Frieden - Raum gewinnt und das moralische Element und gemehrt wird.
durchweg auf den Krieg hin gerichtet
26
Kriegsmittel und werte.
Mit der Notwendigkeit, " die Verteidigungsmittel beständig auf der Höhe des Fortschritts der Wissenschaften und Kunst zu halten " , sind schon des öfteren so auch s. Z. eine größere Vorlage seitens des französischen Kriegsministers - Kriegsvorbereitungen begründet, ohne daß dabei die Förderung der seelischen Kräfte ins Auge gefaßt wäre. Man sah solche wohl als selbstverständliche Nebenwirkung oder Folge der vermehrten materiell en Leistungsfähigkeit an; wogegen doch eine „ auf der nationalen Mannhaftigkeit beruhende Ausbildung“ Festigung in allen männlichen Eigenschaften und Tugenden wertvoller und zuverlässiger als alle Hilfsmittel und Maschinen auf, über und unter der Erde ist und bleibt.
Wenn anders
Feldmarschall v. Moltke noch recht hat, wenn er betont : „ Es handelt sich bei uns weit mehr als um die technische Ausbildung, es handelt sich um die Ausbildung und Festigung moralischer Eigenschaften , um die militärische Erziehung des Jünglings zum Manne. " Und wenn dabei Moltke die militärische Ausbildung in Gegensatz zur technischen - überhaupt
stellt, also zu einem Be-
griff, der auch dem Gebrauch der primitivsten Mittel eignet, so kann dieser Gegensatz
durch das Anwachsen und Vordrängen der Technik
nur vermehrt werden, so weit, daß ein Paktieren oder Kompromiß nicht mehr in Frage kommt. Wozu uns schon die alten Römer ein wohl beachtenswertes Beispiel liefern ; die , von Pyrrhus mit Hilfe von Elefanten besiegt, es sich nicht einfallen ließen, das übermächtige Hilfsmittel zu übernehmen, vielmehr in richtiger Erkenntnis , daß das feste Gefüge ihrer Schlachtordnung nicht durch fremde Zutat gestört werden dürfe , sich ausschließlich auf beiläufige Bekämpfung (der Elefanten) beschränkten. Dies Beispiel ist nebenbei um so wertvoller, als heutzutage das richtige Zusammenwirken der weit verstreuten und verschiedenartigen Teile, Faktoren und Hilfskräfte noch viel mehr dringendes Erfordernis und ein Hauptproblem der zeitigen Kriegskunst geworden ist. Andernfalls, d. h . wenn es die verschiedenen Einzelelemente nicht in gleicher zu halten gelingt, droht Richtung - wenn schon nicht Einheit auch eine Wie derkehr der Zustände von 3-400 Jahren vor Chr. , WO eine griechische Phalanx die Streitkräfte der damals bekannten Welt aufrollte. Wenn man nun auch solche Befürchtung als zu weitgehend ansehen möchte , so wird man doch zum mindesten dem Standpunkt Moltkes beizutreten haben, daß 99 die Kräfte der Technik und Wissenschaften im Kriege nicht alliiert , sondern Vasallen der Kriegsführung sein müssen “ . Zumal v. Moltke durchaus nicht blind gegen die Unumgänglichkeit der zeitigen Technik, vielmehr ihr wesentlicher
27
Kriegsmittel und -werte.
Bahnbrecher gewesen ist . Nicht nur in der Vervollkommnung der Waffen, sondern viel mehr noch in der Einführung der Verkehrsmittel wie überhaupt aller sich darbietenden Hilfsmittel.
Der gewaltigste
Aufschwung ist ja freilich wohl erst nach seiner Zeit gekommen. Nunmehr besteht denn auch ein Zustand, der auf dem Vorhandensein mächtiger Hilfsmittel gegründet ist.
„ Mit Massenheeren, wie sie die
großen europäischen Kontinentalmächte jetzt ins Feld stellen , ist eine Kriegführung ohne Hilfe von Eisenbahnen und Telegraphen kaum denkbar", und 99 allein die neuen Verkehrsmittel haben nicht nur die
Zeit-
und
Raumverhältnisse
der
Kriegführung,
sondern
die
Schnelligkeit, die Kraft des Handelns vermehrt , auch die Kraftverhältnisse auf wesentlich veränderte Grundlage gestellt " . (v . Blume.) Wenn Napoleon Schlachten 99 mit den Beinen seiner Soldaten " gewonnen, so treten jetzt die Eisenbahnen im selben Sinne ein, und zwar in entsprechend vermehrtem Maße.
Leistungen wie in diesem
Kriege, mit Transporten von einer Front nach der anderen (Winterschlacht an den masurischen Seen), setzen Wert und Bedeutung dieses Kriegsmittels ins hellste Licht. Und neben ihnen kommen dann noch Kraftwagen,
Krafträder usw. zur Geltung ;
für die Zwecke des Ver-
kehrs noch die verschiedenen Arten der Telegraphie und Telephonie, Brieftauben und schließlich Flugzeuge , die wieder mit den Luftschiffen usw. auch anderen Zwecken dienen und ,
wie schon gesagt,
Bedürfnissen
ihnen
gegenüber
unentbehrlich,
gerade
heutigen
entsprechen .
Ebenso die Scheinwerfer und sonstigen technischen Geräte, Küchenwagen (Feldküchen ) wie die umfangreichen Vorkehrungen für den überaus gesteigerten Munitionsbedarf der Schnellfeuerwaffen. Und endlich die Vorkehrungen und Hilfsmittel für den allgemeinen Bedarf der neuzeitlichen Kultur, für Sanitätsdienst, Verwundetenpflege , Nachschub und Rücktransporte usw. , so daß im ganzen und abgesehen von noch besonderen Aufgaben und Bedürfnissen die Heere eine Zusammensetzung und Anhäufung erhalten , die nicht nur noch unbedingt Vorteile zeigt. Schon durch die unliebsame Vermehrung der Fuhrparks . Ist doch infolge dieser so vermehrten Bedürfnisse die Zahl der Fahrzeuge seit 1866 verdoppelt, somit also auch die Beweglichkeit („celérité et vitesse ") beeinträchtigt. Nun ist ja auch solch augenscheinlicher Nachteil zunächst nur eine Nebenwirkung, die wohl in den Kauf genommen werden mag,
wenn die mit der Einführung des
Mittels usw. verbundenen Vorteile
doch noch überwiegen .
Hierüber
wird dann abzuwägen bleiben und billigerweise die Hauptwirkung in der Rücksicht auf den höchsten Kriegswert, der Anspannung der moralischen Kräfte zu suchen sein. wiederholt werden,
Denn das kann nicht oft genug
die Hebung derselben (Kräfte) bedeutet nun ein-
28
Kriegsmittel und werte.
mal ungleich mehr als jede noch so große materielle Wirkung an sich. Sie bleibt das punctum saliens auch für die technischen Leistungen. Und heutzutage um so mehr, als die seelischen (moralischen) Elemente nunmehr überhaupt und im Kriege erst recht -
Zu
eine größere Rolle als früher spielen , die Streitkräfte nach Herkunft, Vorleben und Alter mehr den seelischen Einwirkungen ausgesetzt sind (als zur Zeit der längeren Dienstzeit usw. ) und diese (Einwirkungen) zumeist dem Kriegsgedanken direkt entgegenwirken . Wenn es aber nun einmal so ist, daß 99 die gegenwärtigen Volksheere der allgemeinen Wehrpflicht mit nur früheren Heeren
wie
notdürftig
ausreichender Ausbildung von den
durch ihre größere Kopfzahl,
so auch durch
den höheren geistigen und sittlichen Wert ihres Ersatzes , die zugehörige größere Vollkommenheit ihrer technischen Hilfsmittel, besonders ihrer Bewaffnung sich unterscheiden , so stellen jetzt auch der Krieg und die soldatische Ausbildung - gerade dem entsprechend höhere Anforderungen an die
in den
einzelnen und in den Truppen wirk-
samen Seelenkräfte, und ist dem Wesen der Volksheere entsprechend ihr Wert von Hause aus, von kulturellen , nationalen, staatlichen und
„Sou gesellschaftlichen Vorzügen
und Mängeln
bedingt,
auch keine rechte
Aussicht, den an sich schwankenden Volksgeist um so straffer zu leiten, so bleibt es doch wieder um so nötiger und eine besonders dringende Aufgabe ,
wenigstens
den militärischen Sinn in
jeder
Weise und bei jeder Gelegenheit zu wecken , zu vervollständigen und zu erziehen . An den auch hier zugehörigen, schon erwähnten Satz Moltkes : . . . ( „ es handelt sich vor allem um die Erziehung zum Manne " ) schließen sich denn auch, ebenso beachtenswert, noch Worte an wie folgt : „ Das läßt sich nicht einexerzieren, es will eingelebt und angewöhnt sein “ , und weiter : (Es ist nötig) „ den Menschen auf den Standpunkt zu heben, wo er bereit ist, das Leben einzusetzen für eine Idee , für Pflichterfüllung, für Ehre und Vaterland " . Auch ist es nicht zufällig, daß kurz vor diesen Sätzen Moltke an den Mißerfolg Nordamerikas mit der Miliz erinnert hat, indem schließlich 6000 wirkliche Soldaten genügt hätten, den vordem sich hinschleppenden Krieg bald zu beenden , als einen weiteren Beleg dafür, daß der höchste Kriegswert eben in der wirklichen Kriegstüchtigkeit (der virtus ) der Männer" besteht. Wie dies aus dem gegenwärtigen Kriege ―― auf den weiter noch nicht eingegangen werden kann nachzuweisen gewiß s. Z. nicht schwer fallen wird .
Straßburg (Elsaß), im März 1915.
29
Zur Kriegsgl ederung des italienischen Heeres.
IV .
Zur Kriegsgliederung des italienischen Heeres.
Im Januarheft haben wir den Stand der Kriegsbereitschaft Italiens am Ende November beleuchtet. Das weitere Fortschreiten auf dem Wege der Bereitschaft sollte eine für das Aprilheft der Jahrbücher fertig geschriebene Arbeit darstellen, deren Veröffentlichung die Zensurbehörde damals aber nicht opportun fand. So ist in der Berichterstattung,
ohne
unseren Willen ,
eine Lücke entstanden, die
auszufüllen wir jetzt als „ post festum" ansehen , da unterdes die Tagespresse die wichtigsten siehe vor allem auch die K. Z. Maßnahmen fortlaufend berichten konnte. Nur einzelne der für die Kriegsgliederung des Heeres wichtigen Vorbereitungen der vergangenen Monate müssen wir hier streifen. Dazu gehört zunächst die Entlastung, die der Chef des Generalstabes
durch die auf sein Anraten
mittelst Erlasses vom 25. April erfolgte Schaffung der Stellung eines Die Rüstungen „ Souschefs des Generalstabes " (Porro) erhalten hat . mit Hochdruck haben deutlich erkennbar begonnen,
seit
General
Cadorna, bis dahin designiert zum Führer einer Armee im Kriege und darin ersetzt durch Nava , die Stellung des Chefs des Generalstabes, damit nicht nur die Verantwortung
für die Vorbereitung der
Armee auf den Krieg, sondern in diesem Falle auch die Bestimmung als eigentlichen wenigstens der Verantwortung nach - oberster Führer im Kriege übernahm und mit der Mobilmachung sofort eines Ersatzes, bzw. eines mit ihm dauernd und gründlich eingearbeiteten Gehilfen bedurfte. 14 Tage nach seinem Amtsantritt beseitigte Cadorna in Kriegsminister Grandi das bisherige Hindernis in der Erlangung der sehr hohen Rüstungskredite vom
Parlament
veranlaßte die Wahl Zupellis zum Kriegsminister , der sich verpflichtete, die vom Chef des Generalstabes als unabweisbar erforderlich bezeichneten Kredite von der Volksvertretung zu verlangen - was ihm auch erfolgreich gelang. Da das Parlament für militärische Zwecke damals eine runde Milliarde bewilligte - eine Summe, die nach italienischen Blättern , einschließlich 100 Millionen , die Salandra noch während der Schlußzeit der Verhandlung mit Österreich-Ungarn , betreffend Kompensationen, zur Verfügung stellte, und der 450 Millionen, die, wie wir jetzt wissen, schon im November Italien von England vorgeschossen wurden ,
bis
zur Kriegserklärung
auf das Vierfache angewachsen ist, so begann das Wettrüsten, das sich nicht nur auf das Schließen der vielen bestehenden Lücken ,
30
Zur Kriegsgliederung des italienischen Heeres.
sondern auch auf Erweiterung des Rahmens der Armee erstreckte und besonders seit Januar den ausgesprochenen Charakter der unmittelbaren Vorbereitung auf den Krieg getragen hat. Außer der schon im letzten Berichte genannten Stellung einer großen Anzahl
aktiver
Offiziere außer den Etat , der Verabschiedung
der-
jenigen, die nicht mehr ihre Stellung voll ausfüllten , und einer wesentlichen Verjüngung der Generalität und des Offizierkorps waren bemerkenswert : die Ernennung eines Generalleutnants (außer dem Souschef des Generalstabes) und von 25 Generalmajoren über den Etat , wodurch die Sicherstellung der Brigadekommandeure für die Mobilmiliz, wie sie für die Divisionskommandeure schon erfolgt war, eintrat ; die Befugnis des Kriegsministers,
die Ersatz- (unsere Reserve-) Offiziere zu
jeder Zeit des Jahres , auch unabhängig von den Übungen ihrer Jahrgänge, einzuberufen , die am 31. März schon rund 7000 dieser Offiziere unter die Waffen führte, dieselbe Befugnis bez. der Offiziere des Landsturms, deren Zahl durch Neuernennungen sehr stark erhöht wurde, die mit Hochdruck betriebene Reorganisation des Landsturms , die 2. dauernd sich steigernde Einziehung von Leuten des Beurlaubtenstandes unter Zurückbehaltung der schon Eingereihten. Die Neugliederung der Feldartillerie in 36 Regimenter zu 8 Batterien, unter Übergang zur viergeschützigen Batterie, Vermehrung der Batterienzahl an fahrender Artillerie von 193 , einschließlich eine dauernd nach Sardinien abgezweigte ,
auf 289 - 3 Gebirgsartillerie-
regimenter mit 36 , 4 reitende Abteilungen mit 8 Batterien , 2 Regimenter schwerer Artillerie mit 20 Batterien war im Februar durchgeführt .
Das Armeekorps zählte je 3 Regimenter
96 Geschützen. angekauft ,
mit 24 Batterien ,
Eine gewaltige Menge von Pferden wurde in Amerika
nicht nur für Feldartillerie , sondern
auch für Kavallerie ,
bei der man unter Verwendung von 2 der 1912 neugebildeten Eskadrons ein weiteres Regiment schuf, so daß man jetzt 155 Eskadrons besitzt und sehr frühzeitig schon die Umschiffung der Klippe der Pferdebeschaffung bei der Mobilmachung vorzubereiten begonnen hat. Wir dürfen es jetzt auch aussprechen, daß im März und April schon lange Züge, mit Artilleriematerial von Creuzot beladen , den Mont Cenis passierten, um Italien die lange schon erwarteten Deportgeschütze mit Munition - die Ende 1913 in der Hand des italienischen Bestellers sein sollten zu übermitteln. Bei dem Hochdruck, den man in Frankreich für die Herstellung von eigenem Material und Munition nötig hat, wohl ein sprechender Beweis dafür, daß damals bereits mit Italien feste Verabredungen bestanden und dieses als eine der Bedingungen des banditenhaften Übertritts auf die Seite des Dreiverbandes die Lieferung der Deport- Geschütze gestellt hat,
Zur Kriegsgliederung des italienischen Heeres.
31
die ihm die schildlosen 96 Batterien 7,5 cm A für seine Mobilmilizformationen verfügbar machte. Den Umfang der schon im April bewirkten Truppenverschiebungen , hauptsächlich gegen die Nord- und Nordostgrenze, sind wir naturgemäß anzugeben nicht imstande. Am Tage, an dem man ÖsterreichUngarn den Bundesvertrag kündigte, 4. Mai, hatte man, zum Teil auch durch Einzelordern, um Aufsehen zu vermeiden, einberufen , unter den Waffen: vom aktiven Heere Jahrgänge 1911 , 1912 , 1913, 1914 , 1915 und 1916. Selbst die noch nicht hinreichend weit vorgeschrittene kriegsmäßige Schulung des jüngsten Jahrganges 1916, der 19 jährigen , vorausgesetzt , brauchten , höchstens nur noch die Jahrgänge 1910 und 1909 einberufen zu werden , um das aktive Heer auf die mobile Stärke zu bringen, zumal man bei der Mehrzahl der genannten Jahrgänge auch die zweite Kategorie , bei der Mobilmiliz alle vier Jahrgänge und eine sehr große Anzahl von Offizieren , sowie sieben Jahresklassen des unausgebildeten Landsturms in der Hand hatte. Bei den Alpentruppen waren alle Jahrgänge unter den Waffen und alle planmäßigen Einheiten bei den Alpenjägern , wie bei den Gebirgsbatterien an der Gebirgsgrenze formiert. Unter dem Schutz der Gebirgstruppen hat man dann in der Zeit zwischen der Kündigung des Vertrages und dem Tage der Kriegserklärung die Rahmen , die man für die planmäßigen mobilen Einheiten schon vorher gezimmert, ausgefüllt. Am 23. bis 25. Mai hatten sich sämtliche noch nicht einberufenen ausgebildeten Leute der Reserve, Mobilmiliz und des Landsturms bei den Distrikten zu melden. Den ganzen Rest der III. Kategorie, noch 12-13 Jahrgänge ungeschulten Landsturms , Leute von 20-39 Jahren, hat man in der zweiten Kriegswoche zum 15. Juli mit einem Schlage einberufen und jetzt ist auch die Ausdehnung der Landsturmpflicht vom 39. bis 42. Lebensjahr, beginnend mit dem 17. , beabsichtigt. Bei der Mobilmachung gilt territoriale Ergänzung , im Frieden nationale. Lange Jahre hat man die Frage, territorialer oder Die maßgebenden ponationaler Ersatz , hin und her erwogen . litischen und militärischen Stellen haben -- und das ist sehr beachtenswert rein nord- und süditalienische Regimenter nicht für ratsam gehalten,
wenn sie auch die militärischen Vorteile
des Territorialsystems, Beschleunigung des Ersatzes, Ersparnis großer militärischer Transportkosten, Rückkehr der Reservisten zu dem Truppenteil, bei dem sie gedient , dessen Führer sie kennen und von denen sie gekannt sind , bei Übungen und Mobilmachung, nicht übersahen. Rücksichten politischer Natur und auf Mannszucht haben auf sogenannte rein territorial zusammengesetzte Verbände verzichten lassen. Im Laufe von jedesmal drei Jahren ihre Standorte - und damit die
32 vier,
Zur Kriegsgliederung des italienischen Heeres . die Truppen dieser nährenden Ergänzungsbezirke
stellen die Verbände
wechselnd,
im Frieden gemischt ergänzte Einheiten
dar , die sich bei der Mobilmachung aus den ihrem Standort nächsten Bezirken auf Kriegsstärke bringen . Die frühere Maßnahme, die Einheiten auf Friedensfuß in die Poebene zu transportieren und dort durch Nachehübe mobil zu machen, ist schon seit einer Reihe von Jahren aufgegeben . Voll mobil gemacht, erreichen die Verbände die Aufmarschräume. Völlig gleichwertig kann man die mobilen Verbände nicht nennen , muß diejenigen mit norditalienischem Grundstock zweifellos höher einschätzen, als die mit süditalienischem. Der Gegensatz ist manchmal ein scharfer. Den Demonstranten gegen den Krieg in norditalienischen Städten hat man sizilianische Regimenter gegenübergestellt.
Es mag an der erschwerten Verbindung liegen, daß uns nur aus
Nord- und Mittelitalien bis jetzt Nachrichten über Demonstrationen von Reservisten gegen den Krieg in größerer Zahl gemeldet worden sind , an denen in Pieve di Tecco selbst 200 Mann der Elitetruppe der Alpini beteiligt waren .
Fern
sei
es
von
uns ,
solche Demonstrationen als
Allgemeinerscheinung bezeichnen zu wollen, als Beweis dafür , daß die Begeisterung für den Krieg keine absolut einheitliche ist , muß man sie aber doch wohl ansehen. Die Überzeugung , daß man im
gerechten ,
aufgezwungenen Verteidigungskrieg für
Haus und Hof fechte, kann man selbst den Analphabeten in Italien nicht beibringen .
E
Nichts ist schwieriger, als zu Beginn eines Krieges ein Urteil über die von der feindlichen höheren Führung zu erwartenden Leistungen abzugeben. Im Novemberheft 1911 der „ Jahrbücher für Armee und Marine " warfen wir einen Streifblick auf die
G
vom 23. bis 29. August 1911 im Monferato sich abspielenden letzten italienischen großen Armeemanöver, die auch die ersten ihrer Art waren.
Geleitet wurden sie von dem damaligen Chef des General-
stabes , Pollio. Die rote, in Italien eingebrochene Armeeabteilung führte damals Caneva, heute Führer einer Armee, die blaue Armeeabteilung
General Cadorna,
heute Chef des Generalstabes
des Feld-
heeres im großen Hauptquartier. Wir haben damals die bei uns bestehende Überzeugung ausgesprochen, daß diese Manöver u . a. auch dem Zwecke dienten , dem in Armee und öffentlicher Meinung hervorgetretenen
und
zersetzend
zu
wirken
drohenden Mißtrauen
gegen das „ Können “ der höheren Führer entgegenzuwirken . Das gelang auch ziemlich, besonders Cadorna fand damals allgemeine Anerkennung seiner Führerqualitäten. Seither hat man praktisch das Können der höheren Führer bei Manövern nicht wieder erprobt ; in Libyen- Cyrenaica ist es kaum besonders hervortretend ge1
33
Zur Kriegsgliederung des italienischen Heeres.
wesen. Man hat sich mit „Campi d'istruzione " begnügt, die in der Hauptsache taktischen Zwecken dienten und vielfach auch nötig waren, weil die Truppen in den Garnisonen ihre gefechtsmäßigen Schießen nicht abhalten konnten. Italienische Fachblätter haben in den letzten Jahren noch mehrfach Klagen darüber erhoben, daß das Zusammenwirken der Waffen auf den Gefechtszweck hin zu wünschen übrig lasse. (Die starken Einheiten , die man in den letzten Monaten durch die gesteigerte Kriegsbereitschaft unter den Waffen gehabt hat, die Schulung zu fördern vermocht haben.)
dürften
Erst der Krieg wird die
Antwort auf die Frage geben können, ob die höheren Führer nicht mehr theoretisch , als praktisch für ihre Aufgaben im Ernstfalle vorgebildet worden sind. Den Inhalt des
von Italien ,
den Rücken eines Freundes, Vertrages, besonders
verräterisch wie ein Dolchstoß in
mit dem Dreiverband
abgeschlossenen
auch der Bestimmungen für das Einsetzen der
Streitkräfte des Landes jenseits der Alpen im Dienst seiner neuen Verbündeten kennen wir nicht. Von einzelnen ausländischen Blättern ist berichtet worden, Italien habe die Verpflichtung übernommen , zwei Armeen in Frankreich , dort unter den Befehl des französischen Generalissimus tretend, eine an den Dardanellen , bzw. Kleinasien
einzusetzen.
Teile
eines nach Tripolis bestimmten verstärkten
Expeditionskorps sind jetzt schon nach Brsecia abtransportiert worden. Italien blieben dann für die Verwendung unmittelbar gegen ÖsterreichUngarn, außer den gesamten Alpentruppen , eine IV. Armee mit den zugehörigen Mobilmilizdivisionen und der ganze Landsturm . Die Gefahr der Kräftezersplitterung würde damit in greifbare Nähe gerückt . dann zweifeln Turin
und
Trifft die Nachricht zu, was wir stark bewerden wir baldigst von Truppentransporten von
Genua
über
Toulon-Grénoble ,
bzw.
Marseille- Lyon
hören, ob nach der Champagne wäre eine andere Frage. Ist Italien durch eine solche Bedingung nicht gebunden , so dürfte
bei der
ausgesprochenen
Raubnatur ,
die
seinem
Kriegs-
entschluß zugrunde liegt , bei dem ,, sacro egoismo " , der den eigenen Vorteil in die erste Linie stellen läßt, unser verräterisch abgeschwenkter Verbündeter, wohl der Spur folgen, die ihm die angebliche Zusicherung des Behaltens alles dessen, was er ÖsterreichUngarn und der Türkei
zu nehmen vermöchte , zum Einsatz
der
Hauptkräfte unmittelbar gegen Österreich - Ungarn und zu einem Nebenkriegsschauplatz in Kleinasien vorzeichnet. Der " Berner Bund " rechnet mit dem Aufmarsch der Hauptkräfte gegen Norden und Nordosten, der von den Alpentruppen geschützt würde . Er denkt sich den Aufmarschraum, in den drei Italien von 3 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 526.
34
Zur Kriegsgliederung des italienischen Heeres .
Süden nach Norden der Länge
nach durchziehende Bahnlinien mit
wenig Querverbindungen münden, in der allgemeinen Front VenedigVerona, nach der Tiefe bis Ferrara und Modena reichend. Das Erscheinen Cadornas in Nordosten , die Abreise des Königs (der nominell den Oberbefehl übernommen) in derselben Richtung, Berührungen , die im Nordosten (Richtung auf den Isonzo ), und im Norden zwischen italienischen und österreichisch-ungarischen Truppenteilen schon stattgefunden , haben,
nachdem
der überraschende Angriff der österreichisch-unga-
rischen Flotte gegen die Ostküste Italiens den Auftakt gebildet, lassen darauf schließen , daß man hier sicher keinen bloßen Nebenschauplatz zu sehen hat. Ob auf diesen den Italienern Erfolge
2
beschieden sein werden, oder sie sich an Gegner und Bodenbeschaffenheit blutige Köpfe holen, dürfen wir mit Ruhe abwarten . Vor dem Kriege rechnete man planmäßig mit vier Armeen, deren Führer im Frieden schon ernannt und bekannt gegeben waren. In der letzten amtlichen Liste der Kommandostellen fand man die Generalleutnants Herzog von Aosta,
Caneva,
Zuccari und Nava
als
Armeeoberkommandierende aufgeführt, jetzt verlautet, daß , außer den bei den an erster Stellte genannten , die Generalleutnants Mazzitelli und Vigevano, vielleicht auch der Graf von Turin, Armeen führen General sollen. Die Gründe für den Wechsel wissen wir nicht. Zuccari hat vielleicht die Altersgrenze überschritten , vielleicht hat aber auch der Umstand, daß er Wittwer einer deutschen Dame und für seine Neigungen für Deutschland aus einer Zeit als Militärbevollmächtigter in Berlin bekannt ist, dazu veranlaßt, ihm eine Armee nicht anzuvertrauen . Inwieweit die Alpentruppen , die mit ihren 26 aktiven, 26 halben Mobilmiliz-, 26 Landsturmbataillonen und 36, im Kriege 48 , Gebirgsbatterien zunächst die Aufgabe der Verteidigung der Alpengrenze als Sonderauftrag haben und heute so gut wie ganz an die nordöstliche Grenze zusammengeschoben sein dürften, im Kriege in einen Armeeverband eintreten, läßt sich nicht sagen. Wieviele Armeekorps
mit
zugehörigen Mobilmilizdivisionen
man jeder Armee
zuteilt, ist streng behütetes Geheimnis. Jeder Armee scheint man eine Kavalleriedivision zuteilen zu wollen, denn obwohl nur 3 solche Divisionen im Frieden bestehen, und 9 Radfahrerkompagnien für Kavallerie (bei 153 Bersaglierikompagnien, davon 45 Radfahrer im ganzen) ihnen entsprechen , so läßt doch das Vorhandensein von 8 reitenden Batterien auf den Gedanken an 4 Kavalleriedivisionen kommen. Ob man die schwere Artillerie des Feldheeres ,
im Frieden 20 Batterien ,
4 Abteilungen zu 3 , 4 zu 2 Batterien, den Armee oberkommandos im Sinne einer Armeeartillerie unterstellt, ist nicht bestimmt ausgesprochen. 20 Fliegergeschwader und 8 bis 10 Lenkluftschiffe er-
1
35
Die Seestreitkräfte im Mittelmeer.
geben für jede Armee 5, bzw. 2 bis 3 von ersteren für Armeeoberkommandos und Kavalleriedivisionen, je 1 für 3 Korps und 1 für Spezialzwecke der Artillerie. In den 15 Telegraphenkompagnien hat man genug Großes Hauptquartier, Armeeoberkommandos, Kavalleriedivisionen und Armeekorps auszustatten . Die 12 aktiven Korps (25 Divisionen) sind , auch wenn wir von den zuzuteilenden Mobilmilizdivisionen absehen, schon auf die Dreiteilung zugeschnitten. Das mobile Armeekorps umfaßt 2 Infanteriedivisionen, jede mit 2 Brigaden zu 2 Regimentern, 6 Bataillonen, pro Regiment 6 Maschinengewehre, 1 Regiment Divisionsartillerie zu 8 Batterien à 4 Geschütze , 1 Bersaglieri- Radfahrer-kompagnie, 1 Pionier- , 1 Sanitätskompagnie, Munitionskolonnen usw. Zur Verfügung des mmandierenden Generals stehen die
sogenannten Suppletivtruppen :
1 Bersaglieriregiment
zu
4 Bataillonen à 3 Kompagnien, darunter 3 Radfahrer, 1 Regiment Korpskavallerie, von dem auch die Divisionen auszustatten sind , 1 Korpsartillerieregiment zu 8 Batterien à 4 Geschütze, Korpsgeniekompagnie mit Brückentrain , Telegraphenkompagnie, Sanitätskompagnie und Feldlazarette, eventuell eine Bersaglieriradfahrkompagnie, Munitionskolonnen und Trains, bei denen man noch nicht über sehr zahlreiche Kraftwagen zu verfügen scheint. division dürfte im allgemeinen
Die Stärke der mobilen Landwehrbis auf die Zahl der Batterien ,
deren sie wohl nicht über 6 haben wird sprechen.
derjenigen der aktiven ent-
Inwieweit man die Landsturmformationen , die den Umfang
der aktiven an Infanterie , Festungsartillerie und Geniewaffe erreichen können , außer zu Etappen- und Besatzungszwecken , auch für den Kampfeinsatz verwenden will und kann, läßt sich im Voraus nicht feststellen.
Für Ersatzzwecke hat man in den unausgebildeten Leuten
des Landsturmes von
19 bis 39 Jahren
Schöpfquelle.
allein schon eine große R.
V.
Die Seestreitkräfte
im Mittelmeer.
Herrschaft zu Lande stützt sich auf Besitz, zur See auf Ansitz. Der Staat, der an der See die größere Ausdehnung des Ansitzes, an der Küste die größere Kopfzahl seemännischer Haushaltungen besitzt , dem steht bei mehreren verschiedenen Küstenansiedlungen der Rang des Primus inter pares, des Tonangebers zu, solchen nicht rauben lassen.
und er darf sich
3*
36
Die Seestreitkräfte im Mittelmeer.
Das Königreich Italien steht vermöge seiner reichgegliederten Küstensiedlung zu beiden Seiten der appeninischen Halbinsel, die weit in
das Mittelmeer hinausragend zum natürlichen Teiler desselben in
eine West-
und Osthälfte wird,
vermöge der weitaus größten Kopf-
zahl der seemännischen Bevölkerung, vermöge seines intensiven und weitausgedehnten Betriebes der Hochsee-, Küsten- und Perlfischerei und endlich seines lebhaften Seehandels und Seeverkehrs halber an erster Stelle unter den Küstenstaaten des Mittelmeeres ; ihm steht auf Grund dieser Besitztümer
die Stellung des Tonangebers ,
die Vormachtstellung im
Mittelmeer zu und nicht die eines Schleppenträgers dreier Mächte, von denen nur eine in verhältnismäßig geringer Küstenausdehnung Ansiedelung am Mittelmeer besitzt, während die beiden anderen weitab von den Gestaden des Mittelmeeres liegend nicht einmal als Hinterland Italiens oder durch vermittelnden Landbesitz mit solchem in Berührung stehen. Freilich aber ist zur Behauptung einer solchen Vormachtstellung zur See auch der Besitz einer entsprechend starken militärischen Macht zur See allererste und hervorragendste Bedingung. Wenn auch unter den Weltkriegsflotten erst an sechster Stelle rangierend, darf Italiens Kriegsflotte doch als eine der modernsten bezeichnet werden, weil sie von Haus aus jung, verhältnismäßig die wenigsten veralteten Kriegsschiffe führt. Von seinen 14 Linienschiffen gehören 6, also beinahe die Hälfte, der
Dreadnought-
kreuzern 4 , modern,
ebenso
und Überdreadnoughtperiode an ,
von 9 Panzer-
sind 6 geschützte Kreuzer unter 9 vollkommen
dann von 46 Torpedobootszerstörern 34 ,
von 71 Hochsee-
torpedobooten mehr als die Hälfte, außerdem sind 22 fertige Unterseeboote vorhanden . Von
nicht
zu
unterschätzender Bedeutung für Aufrechthaltung
einer beherrschenden Stellung zur See ist aber auch der Eigenbesitz leistungsfähiger Schiffbauwerften, und dürfen hier neben etwa 7 Privatwerften, die sich mit Kriegsschiffsbau befassen, in erster Linie die Staatswerften in Spezia und Castellamare zu nennen sein. Der italienischen Kriegsflotte folgt an Gefechtskraft die österreichische hart auf dem Fuße nach, die bei 17 Linienschiffen deren 6 moderne, bei 2 Panzerkreuzern 0 , bei 6 geschützten Kreuzern deren 4 aufweist, 19 Torpedobootszerstörer, 51 beinahe durchwegs moderne Hochseetorpedoboote sowie 14 Unterseeboote besitzt und in Pola wie Triest 2 hoch leistungsfähige Kriegsschiffswerften inne hat. In entschlossener Eintracht zusammengehend, könnten beide Mittelmeerstaaten behufs Zertrümmerung der bisherigen englischen Seeherrschaft im Mittelmeere 31 Linienschiffe, 11 Panzerkreuzer, 12 ge-
Die Seestreitkräfte im Mittelmeer.
37
schützte Kreuzer, mithin 56 Gefechtseinheiten in den Kampf führen , bei dem die große Zahl von 65 Torpedobootszerstörern, 102 Hochseetorpedobooten und 36 Unterseebooten von ausschlaggebender Bedeutung sein dürfte. Eine ziffernmäßige Stärkenachweisung der z. Z. im Mittelmeer
stationierten und zur Verfügung stehenden Kriegsschiffe Englands und Frankreichs zu geben, ist vielfacher Verschiebungen mit anderen Flottenabteilen halber nicht möglich, jedoch steht so viel fest, daß das unter dem englischen Admiral Limpus, der bis vor Ausbruch des Krieges die Ausbildung der türkischen Flotte leitete , als Oberbefehlshaber stehende englisch-französische Dardanellengeschwader 50-60 Gefechtseinheiten und eine große Anzahl kleinerer Kriegsschiffe zählte . Unter ersteren wurde bereits namentlich genannt : das Großkampfschiff „ Queen Elizabet " , das einzige Überdreadnoughtschiff der ganzen Flottenaufbietung, dann die nachträglich verstärkte ,, Agamemnon“ und die veralteten Linienschiffe ,,Triumph" , „ Afrika “ , „ Venerable“ , ,,Irresistible",,,Cormwallis" , „,Vengeance ",,,Albion ",,,Ocean" und ,,Majestic", das gleichfalls veraltete französische Linienschiff ,,Gaulois" 99 und der russische Kreuzer ,, Askold". Da aber nach übereinstimmenden Meldungen bereits eine erkleckliche Anzahl dieser, durch das Feuer aus den türkischen Dardanellenforts mehr oder minder stark beschädigt, in nächster Zeit wenigstens nicht verwendungsfähig sein dürften, so dürfte auch die Gesamtgefechtskraft des englisch-französischen Dardanellengeschwaders nicht annähernd an jene hinreichen , die einem vereinigten italienisch - österreichischen Angriffsgeschwader innewohnen würde.
Dazu kommt noch,
daß ersteres auf der durch Truppentransporte stark überlasteten Operationsbasis, den Inseln Lemnos und Tenedos im Ägäischen Meere, jeglicher Einrichtung für Schiffsreparatur entbehrt und Admiral Limpus auf Unterstützung seitens nicht rechnen kann .
der heimischen Kanal- oder Nordseeflotte
Was dann die russische und türkische Flotte anbelangt, so sind beide durch die Sperrung der Dardanellenstraße für Verwendung im Mittelmeer ausgeschaltet ; der russischen Schwarzmeerflotte ist zwar größere Schiffszahl, dagegen der türkischen bessere Organisation und Führung ( Kommandeur ist Admiral Souchong, der frühere Kommandant der „ Göben “) sowie ein hochgesteigertes moralisches Element der Mannschaft zu eigen. Endlich kann die griechische Kriegsflotte die Partei, auf deren Seite sie sich stellt, mit einem neueren Panzerkreuzer (ein zweiter ist noch nicht fertig) , 14 Torpedobootszerstörern , 14 Torpedobooten und 2 Unterseebooten verstärken . -r.
38
Die Operationen unserer Verbündeten bis zum 15. September 1914.
VI. Die Operationen unserer Verbündeten bis zum
15. September
1914 .
(Unter Benutzung des amtlichen Berichts des Kriegspressequartiers .) ¹ ).
,,Streffleurs Militärblatt" hat in seinem Beiheft vom 1. Mai 1915 die Veröffentlichung des amtlichen Sammelberichts des Kriegspressequartiers,
einer
zusammenhängenden
Darstellung
des
I. Ab-
schnitts des Krieges im Osten, vorwiegend soweit die uns verbündeten Truppen beteiligt sind, begonnen, die eine ganze Reihe von absolut zuverlässigen, wertvollen Daten enthält und durch die fortlaufende Entwickelung der Geschehnisse, ihrer Ursachen und Wirkungen ein ungewöhnlich plastisches kriegsgeschichtliches Bild liefert. Nur seine Grundstriche können im folgenden festgehalten werden.
Das Kapitel
„Vorgeschichte des Krieges" können wir als allgemein bekannt hier übergehen. Mit dem zweiten, „ Die Kräfteverhältnisse “ , müssen wir uns
schon eingehender beschäftigen .
Am
2.
August
1914
über-
schritten russische Truppen ohne Kriegserklärung die preußische Grenze, der „ Casus foederis" war gegeben, am 5. August überreichte der Botschafter Österreich-Ungarns in Petersburg die Kriegserklärung. Nach zwei Fronten hatte die Monarchie Krieg
zu führen,
nach Norden.
gegen Rußland, dessen Streiterzahl , ein Zehntel der Bevölkerung , in dem amtlichen Bericht auf 13 Millionen -- derjenigen der Doppelmonarchie schon dreifach überlegen - berechnet wird, nach Süden gegen Serbien-Montenegro mit 1/2 Million . Wohl, so sagt der Bericht, trat uns das Deutsche Reich mit 7 Millionen Streitern wohlgewappnet und gerüstet zur Seite , damit erwuchs aber beiden Zentralmächten eine ganze Reihe starker Feinde, die lange auf den Augenblick gewartet und von langer Hand her einen tückischen Überfall vorbereitet hatten, um den neiderweckenden wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands zu brechen. Gegenüber der zahlenmäßigen Überlegenheit der Feinde sprachen zugunsten der verbündeten Zentralmächte die enge Nachbarschaft beider Reiche, die unbedingte Gemeinsamkeit der Interessen und ein durch langjähriges, treues Zusammen-
¹) Andrés Handatlas genügt zur Übersicht .
Die Operationen unserer Verbündeten bis zum 15. September 1914.
39
gehen bewirktes Verschmelzen des beiderseitigen militärischen Willens zur einheitlichen Kraftäußerung. Den Zentralmächten waren die Grundzüge des Kriegsplans für den Einleitungsfeldzug durch die Verhältnisse zwingend vorgezeichnet . Deutschland mußte sich mit seiner Hauptkraft zunächst gegen die Feinde im Westen wenden, die nach Eisenbahnnetz
und Truppendislokation am schnellsten auf den Plan
treten und den industriereichsten Teilen des Deutschen Reiches gefährlich werden konnten . Nach den im Frieden schon bekannten organischen Daten warf der Mobilmachungsbefehl 45 Linien-, 19 Reservedivisionen, 19 gemischte Reservebrigaden, im ganzen 73 französische Infanteriedivisionen (tatsächlich mehr, nämlich 83 und 19 Territorialdivisionen, die schon im ersten Feldzugsabschnitt
aufgetreten sind),
10 Kavalleriedivisionen gegen die deutsche Grenze. Dazu mußten sofort 6 belgische und 6 britische (zusammen 85) Infanteriedivisionen gezählt werden.
Der Krieg gegen Rußland mußte von
vornherein als ein langwieriges Ringen gegen die erdrückende Zahl aufgefaßt werden, die Beendigung des Krieges gegen Rußland in einem kurzen Feldzuge war ausgeschlossen. An Stelle des Strebens nach einem einzigen siegreichen Schlage mußte die Absicht treten, die eigene Überlegenheit der moralischen Faktoren des Heeres : Ausbildung, Bildungsgrad und Geist der Truppen , Überlegenheit der Führung, zu allmählicher Schwächung des Kolosses zu benutzen, um mit der Zeit ein Gleichgewicht der Kräfte herzustellen, das schließlich zum Siege führen muß.
Bei
dem
notwendigen
starken Kräfteeinsatz Deutsch-
lands gegen Westen fiel diese Aufgabe im ersten Teile des Krieges der Hauptsache nach voraussichtlich Österreich allein zu . Es durfte sich nicht darauf beschränken, den russischen Kräften bei einem Vorstoß gegen sein Gebiet Widerstand zu leisten , mußte alles daran setzen, möglichst große Teile der zuerst kriegsbereit werdenden russischen Feldarmee auf sich zu ziehen, dadurch an einem Stoß in das Herz Deutschlands , in den Rücken der im Westen kämpfenden Hauptkräfte , zu hindern. Mit dem Eingreifen Rußlands wurde für Österreich-Ungarn der südliche zum Nebenkriegsschauplatz , auf dem nur wenig Kräfte verwendet werden durften. Gegenüber 19 Divisionen aller Aufgebote Serbiens und 4 Montenegros , 11 der 49 Infanteriedivisionen des Heeres und der Landwehr als Mindestmaß. Der zunächst bestehende Gedanke , gegen Serbien, dem das Volksempfinden als Urheber des Krieges eine Züchtigung in erster Linie wünschte , scharfe Schläge zu führen, mußte bald aufgegeben , nach Süden gerichtete Aufmarschtransporte mußten nach Norden geleitet werden ---- Schwierigkeiten , die glänzend überwunden wurden. Für den Norden blieben dann noch 38 Divisionen verfügbar, denen
40
Die Operationen unserer Verbündeten bis zum 15. September 1914.
gegenüber Rußland 79 Infanterie- und Schützen-, 35 Reserve-, zusammen 114 Infanteriedivisionen , nach Abrechnung der zunächst an anderen Grenzen gebliebenen, später herangezogenen, mindestens 100 Infanterie divisionen und 39 Kavallerie divisionen einsetzen konnte. der Bericht , Reiches
Selbst wenn man damit rechnete , so
schreibt
daß bei der räumlichen Ausdehnung des russischen
bis zur Verfügbarkeit der ganzen gewaltigen Masse an der
Westgrenze eine beträchtliche Zeit vergehen würde, so war das in der ersten Phase des Krieges als schlagbereit anzunehmende Machtaufgebot , dank der Anhäufung der Truppen in Westrußland, doch auf 80 Divisionen einzuschätzen . Die 40 Reichswehrdivisionen stellt der Bericht zunächst nicht in Rechnung, obwohl sie baldigst mit beträchtlichen Teilen im Feldheer in die Erscheinung traten. Der Bericht rechnet
damit ,
daß
durch
die
deutschen
Kräfte
in
Ostpreußen
20 russische Divisionen (in Wirklichkeit weit mehr) gefesselt würden . Dann blieben 60
russische gegen 38 österreichisch-ungarische ,
und
zwar erstere zu 16 Bataillonen gegen 13, jede an Artillerie anderthalbmal so stark und eine erdrückende Reitermasse . Dem Gegner kam außerdem der Vorteil der Grenzgestaltung zu Hilfe. Im Norden, Nordosten und Osten Ost-Galiziens, wie in der Bukowina, vermochten die russischen Heere ,
die ,
wie frühzeitig zu erkennen war, Russisch-
Polen westlich der Weichsel gänzlich räumten , aufzumarschieren und das eines natürlichen Grenzschutzes entbehrende Land wie mit einer mächtigen Hand zu um klammern , die sich scheinbar nur zur Faust zu schließen brauchte , um die weit über ein Drittel schwächere österreichisch - ungarische Armee zu erdrücken.
Die Rolle der Rückendeckung für
Deutschland verbot, sich der Gefahr durch Meidung des gefährlichen Raumes zu entziehen, durch Anklammern an weiter rückwärts gelegene günstige Verteidigungsabschnitte einen Kraftausgleich zu suchen. Defensives Verhalten würde dem Gegner das Gesetz des Handelns zu geben erlaubt, es ihm überlassen haben, entweder mit seiner Übermacht von beiden Flügeln zu umfassen oder aber Österreich-Ungarn mit einem Teile seiner Kräfte zu beschäftigen, mit dem Überschuß in Deutschland einzubrechen .
Offensive war daher geboten , und
zwar mit der Nordarmee , Ausfallen mit möglichst starken Kräften gegen eine der in der Versammlung
begriffenen russischen Gruppen,
Aufhalten der anderen , bis sich die Hauptkraft nach einem Siege auch gegen diese wenden konnte . Ziel des ersten Ausfalls mußte die Gruppe im Norden zwischen Weichsel und Bug sein, da diese, wenn man gegen Osten ausfiel, in kurzer Zeit alle gegen Westen laufenden
Eisenbahnverbindungen
des
Ausfallenden
durchschneiden
Die Operationen unserer Verbündeten bis zum 15. September 1914.
41
konnte, diesen von dem Innern der Monarchie und dem verbündeten Deutschen Reich abgedrängt und ihn zum Rückzug Karpathen gezwungen hätte .
in die östlichen
Der Stoß gegen Norden versprach auch
die wirksamste Entlastung Ostpreußens, falls der Gegner sich diesem mit den Hauptkräften
zuwenden sollte .
schluß zu schneller Offensive
Erleichtert wurde der Ent-
durch den raschen, glatten Verlauf der
Mobilmachung. Am 20. August waren drei der vier für Galizien bestimmten Armeen schon versammelt, zwei zum Vorstoß zwischen Weichsel und Bug , die dritte zum Aufhalten des aus Nordosten und
Osten über Radziechow- Brody und Tarnopol
zu erwartenden Gegner, die vierte als Unterstützung der dritten gedacht. Ein Ansporn , den Entschluß möglichst bald auszuführen , lag in dem Vorsprung,
den die Russen,
und baldigst vorgetriebene ,
wie am 15. August Flieger
die feindliche Sicherung durchbrechende
Kavallerie feststellten, in der Mobilmachung gewonnen, und der weiter, als man angenommen, vorgeschrittene Aufmarsch. Einbrüche russischer, von Infanterie unterstützter Kavalleriemassen beiderseits des Bug bei Brody und über den Zbrucz deuteten darauf hin, daß die umklammernde Hand sich baldigst zur Faust ballen würde. Am 13. August hatte hinter dem Russisch-Polen westlich der Weichsel räumenden Russen eine bei Krakau versammelte Armeegruppe Kummer auf dem linken Ufer von dem deutschen Landwehrkorps Woyrsch begleitet -schon feindliches Gebiet betreten. Zuverlässig war eine starke russische Gruppe bei Lublin festgestellt , über Kräfte bei Dubno und jenseits des Zbrucz bestand weniger Sicherheit. Gegen die festgestellte richtete sich der erste Ausfall.
Am 22. August abends stand die Nordarmee sprungbereit,
am unteren San und südlich der sumpfigen Niederung des Tanew, als linker Flügel die Armee Dankl , 3 Korps, ihr linker Flügel geschützt durch die jenseits der Weichsel vorwärts gestaffelte Gruppe Kummer-Woyrsch, zum Vorstoß auf Lublin zwischen Wieprz und Weichsel gruppiert. Östlich der Armee Dankl mit 4 Korps, darunter das neu gebildete 17., in der allgemeinen Linie Tarnogrod bis zur Straße Przemysl - Rawaruska, die Armee Auffenberg zum Vorstoßen im Raume zwischen der Huczwa und Bug.
Beide Stoßgruppen zusammen 350 Bataillone, 150 Es-
kadrons ,
150 Batterien.
Die um Lemberg versammelte Armee
Brudermann, 3 Korps , sollte je nach Bedarf die Armee Auffenberg unterstützen, oder feindlichen Einbrüchen aus dem Grenzabschnitt Sokal - Brody gegen Lemberg
die Stirn
bieten .
Nach Przemislany
und in die Gegend südlich Zloczow beordert, sollte General v. Kövesz, mit 1½ Korps und mehreren Kavalleriedivisionen, das eventuelle Vor-
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Die Operationen unserer Verbündeten bis zum 15. September 1914.
gehen des Gegners über Tarnopol und den oberen Zbrucz verzögern und an der zum 25. August an den Djnesterabschnitt Zydaczow - Halicz befohlenen Armee Böhm - Ermolli mit 2 Korps einen Rückhalt finden.
Im ganzen waren es
200 Bataillone ,
170 Eskadrons ,
130 Batterien , die den im Osten und Nordosten gemeldeten Feinde so lange Widerstand leisten sollten, bis die Stoßgruppe zwischen Weichsel und Bug die russischen Streitkräfte im Norden geschlagen hätte. Die Kriegsgeschichte wird von unsäglichen Mühen und Beschwerden , von zäher , todes verachtender Tapferkeit zu berichten haben in den Ereignissen, die in dem gewaltigen Ringen den Stoß nach Norden siegreich in Feindesland tragen ließen, zu den Erfolgen von Krasnik und Zamosc-Komarow. Vom 23. bis 25. August währte die unter dem Namen Schlacht von Krasnik zusammengefaßte Gruppe von Kämpfen gegen die nach und nach auf 12 Divisionen anschwellende IV. Armee , einsetzend mit dem schon auf vorbereitete
Stellungen
treffenden
Angriff
des
Krakauer und
halben Pozsonyer Korps auf Polichna ( an der Straße Janow- Krasnik, 23. August), der, erfolgreich verlaufend, am 24. und 25. August vor Krasnik führte,
während der rechte,
südlicher folgende Flügel der
Armee Dankl, das mittelgalizische und 1 , Pozsenyer Korps, sich bei Frampol starker russischer Kräfte zu erwehren hatte und erst Freiheit der Vorwärtsbewegungen nach Nordosten erhielt, als das Krakauer Korps des linken Flügels durch Umfassung auf Kluczkowice die zähe russische Verteidigung zum Räumen von Krasnik zwang . Eine Reihe blutiger, aber erfolgreicher Kämpfe gegen die starke Abschnitte zäh verteidigende und numerisch überlegene russische IV. Armee, die , wie schon bemerkt, auf über 12 Divisienen anwuchs, war für die Armee Dankl , zu deren Verstärkung in den letzten Augusttagen die Armeegruppe Kummer herangezogen werden mußte, bei Turobin, Etr. Wics, Wilkolas, Krasnostaw, Krczonow und Chodel notwendig,
bis sie auf
einen Tagemarsch von Ludblin ankommen konnte, wo sie gegen den stark verschanzten, numerisch überlegenen Feind einen schweren Frontkampf zu führen hatte. Am 28. August hatte die zwischen Huczwa und Wieprz vorgehende, gegen die V. russische vorstoßende Armee Auffenberg mit dem Kaschauer Korps bei Tomaszow , dem Leitmeritzer und Wiener Korps bei Sucha wolo Erfolge erzielt, die aber auch starke russische Massen aus dem Winkel zwischen Huczwa und Bug zu Flankenstößen gegen die Sieger heranriefen. An der Straße Tomaszow-Zamosc lag
Die Operationen unserer Verbündeten bis zum 15. September 1914.
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eine sehr starke, von den Russen zäh verteidigte Stellung bei Tarnawatka ,
die unter den größten Anstrengungen
vom Kaschauer und
Teilen des Leitmeritzer Korps angegriffen wurde und noch hielt , obwohl am 27. August das im Rücken liegende Zamosc vom Wiener Korps schon genommen war.
Starke russische Kräfte drängten nämlich
vom Wieprz gegen dieses Korps und die rechte Flügeldivision Dankls , die dieser auf dem östlichen Wieprzufer vorgeschoben, um die Verbindung mit dem linken Flügel Auffenbergs aufzunehmen. Der 28. August konnte ein kritischer Tag I. Ordnung werden : gegen Tarnawatka vermochte man Fortschritte nicht zu erzielen, bei Zamosc hin und her schwankender Kampf, der rechte Flügel des Kaschauer Korps mußte vor stark überlegenen Kräften in Richtung auf Tomazow weichen, wenn nicht die unter Erzherzog Josef Ferdinand um Zolkiew versammelten Kräfte, 2 Tiroler, 1 Honveddivision, am 25. August in Erwartung eines aus dem Bug-Huczwawinkel zu befürchtenden Flankenstoßes nach Norden in Bewegung gesetzt und sich jetzt beim Kaschauer Korps,
wie an dessen anderer Seite auch
das XVII. Korps, fühlbar gemacht hätte.
Am 28. August aus dem
genannten Flußwinkel vorstoßende russische Verstärkungen brachen sich an den Divisionen des Erzherzogs, die mit dem XVII . Korps und dem weitere russische Angriffe bei Tarnawatka abweisenden Kaschauer Korps jetzt eine genau nach Norden gerichtete Front einnahmen , während das Leitmeritzer Korps, nach Rechtsschwenkung in der Richtung der
Straße
Tarnawatka- Zamosc ,
umfassend gegen eine
feindliche Kampfgruppe bei Komarow vorging, eine Bewegung, der sich nördlich 2 Divisionen des Wiener Korps anschlossen. Der Oberlauf der Huczwa sah dann an den beiden letzten Augusttagen einen heftigen hin und her wogenden Kampf .
Trotz größten, oft auch zu
Offensivstößen übergehenden Kampftriebs der 3 Korps und mehrere Reservedivisionen zählenden russischen V. Armee entschieden das Vordringen des Erzherzogs Josef Ferdinand
und
die Einnahme von
Komarow am 1. September die Schlacht zugunsten der heroisch kämpfenden Armeen unserer Verbündeten, die in der Schlacht von Zamosz- Komarow ihrer Ruhmesgeschichte ein neues , grünes Lorbeerreis hinzufügten . Der Armee Auffenberg wäre es nun beschieden gewesen , weiter gegen Cholm vorstoßend , die Früchte des Sieges zu pflücken und die Armee Dankl zu entlasten , wenn nicht eine gewaltige , übermächtige russische Flut über Ost- und Nordostgrenze in Galizien eingebrochen wäre und schon während des Schlußaktes der Schlacht von Tomaszow aus Südosten den rechten Flügel in den Rücken zu fassen gedroht hätte.
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Stoß
Die Operationen unserer Verbündeten bis zum 15. September 1914 . Als am 24. August von seiten der obersten Heeresleitung der nach Norden in den Bug-Huczwawinkel für die Armeegruppe
Erzherzog Josef Ferdinand befohlen wurde,
die
durch umfassendes
Eingreifen den Erfolg der Armee Auffenberg und deren dann folgende Verfügbarkeit gegen Osten beschleunigen sollte, schien eine dringende Gefahr von Osten noch nicht zu drohen . Hinter russischen, in breiter Front zwischen Radziechow und dem Dnjestr in Ostgalizien eingebrochenen Reitermassen folgten Infanteriekolonnen nur
über Brody- Tarnopol,
nicht
aber über der unteren
Zbrucz. Die Ausdehnung der nördlichen Kampffront zwischen Huczwa und Bug ließ einen über Brody vorgehenden nördlich Busk gegen Nordwesten einschwenkenden Feind zu einer schweren Gefahr für Auffenbergs Rücken werden. Die Ostgruppe mußte östlich Lemberg in den Kampf eingesetzt werden , um diese Gefahr zu bannen . Am 25. August, während in Ostpreußen Hindenburgs Operationen auf der inneren Linie zur ersten vernichtenden Schlacht gegen die an Zahl weit überlegenen Russen ansetzten , traten das Lemberger Korps gegen Krasno - Busk,
Bugübergang
an
der
Bahn
Lemberg- Brody,
das
Grazer und das rückwärts gestaffelte Siebenbürger Korps den Marsch auf Sloczow (also gegen die Front des oberen Bugraums) an. Die Flanke dieser Stoßtruppe, durch je eine Infanterie- und Kavalleriedivision gedeckt , wie zwei Kavalleriedivisionen auch das Vorgehen der vom Zbrucz vordringenden russischen Kavallerie verhindern sollten. Als Rückhalt dieser Divisionen waren die vom 25. August ab südlich des Dnjestr mit der Bahn eintreffenden Truppen des Generals BöhmErmolli gedacht. Am 26. August begann an der ganzen Linie Sloczow- Busk eine Begegnungsschlacht , in der die Russen numerische Überlegenheit an Artillerie, dann das über den ganzen Kriegsschauplatz ausgedehnte Netz der Spionage als Vorteil auf ihrer Seite hatten , unsere Verbündeten aber trotz schweren Opfern am Abend das Schlachtfeld behaupteten . Aus dem Südteil des Operationsraumes trafen aber auch schon bedrohliche Nachrichten ein : Auftreten russischer
starker Massen hinter den Kavalleriekörpern, Vor-
gehen starker feindlicher Kräfte auf Zaleszyki durch Bedrohung der Verbindungen die Verteidiger der Bukowina zwingend, auf Stanislau abzuziehen. Die Gruppe, die mit dem Schutz des gegen Szlozow vorstoßenden Südflügels betraut war, mußte stark über Brzezany, südlich Szlozow, an der Slota- Lippa vorgehenden russischen Kolonnen, die bald einen großen Einfluß auf den Gang der Schlacht haben sollten, weichen . Eine halbe Landwehr- und Landsturmdivision , die über Lemberg herangezogen wurden, erlaubten zwar noch, am 27. August in Ostgalizien den Feind erfolgreichen Widerstand zu leisten, ja eine
J
Die Operationen unserer Verbündeten bis zum 15. September 1914.
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Reihe glücklicher Angriffstöße des Siebenbürger Korps ließ schon den Gedanken fassen, durch Flankenstoß dem schwer kämpfenden Grazer Korps Entlastung zu schaffen , als der Druck der Brzezanykolonnen auf die rechte Flanke nachdrücklich fühlbar wurde. Das gezwungene Weichen des Siebenbürger Korps zwang auch das Grazer Korps zum Aufgeben seiner Stellung, zumal das Lemberger Korps bei Busk den Rückzug ebenfalls antreten mußte. Die Gefahr doppelter Umklammerung durch starke Überlegenheit führte
die Truppen in die
nächste Stellung hinter Gnila-Lipa bei Przemyszlany und in die Nähe von Lemberg zurück, die sie am 28. August erreichten , ohne daß die Russen an diesem Tage stärker nachzudrängen gewagt hätten. am 29. August schritten sie zum Angriff auf die neue Stellung, unterdes
mit
Erst die
dem Temeswarer Korps und einer Honveddivision bei
Rohatyn, mit 2 Divisionen zu einem Flankenstoß beim Brückenkopf Halicz am Dnjestr eingetroffenen Truppen Böhm-Ermolli sollten den Hauptanstoß zu erfolgreicher Abwehr geben.
Die Flankierunpsgruppe
vermochte nicht, ihr gegenüber auftretende starke Kräfte rechtzeitig zurückzudrücken und am 30. August von russischer Überlegenheit bei Rohatyn erreichte Vorteile nicht wett zu machen, der Erfolg der Offensive des Nordflügels die Notwendigkeit des Rückzuges auf Lemberg nicht zu beseitigen. Die durch die Grenzgestaltung erleichterte Umklammerung der Nordarmee von Norden und Osten her brachte es mit sich, daß das Weichen einer Front auch auf die anderen von Einfluß werden mußte, ja die Möglichkeit, in den Rücken der Hauptkräfte Auffenbergs zu gelangen, war nicht ausgeschlossen . Und doch bestand auch nach dem Ausgang der Schlacht boi Przemyslany die Notwendigkeit, den Kampf gegen die Übermacht weiter zu führen. Die Aufgabe, die das österreichische Nordheer im Rahmen des großen Kriegsplanes auf sich genommen,
war noch nicht erfüllt .
Noch rollten Züge mit
russischen Verstärkungen ununterbrochen dem Schauplatz des Ringens zu, das seit einer Woche den Raum zwischen Weichsel und Dnjestr erfüllte. Den Kampf in diesem Augenblicke aufzugeben , das Heer etwa in eine Stellung hinter den San
zu führen,
hätte den
Russen erlaubt, den ganzen Strom noch nicht eingesetzter Verstärkungen gegen Deutschland zu lenken. Bei der obersten Heeresleitung bestand zudem die berechtigte Hoffnung, durch Einsatz eines starken Teiles
der Armee Auffenberg flankierend von Norden, durch
einen eventuell möglichen Flankenstoß der an den Dnjestr zurückgegangenen Armee Böhm-Ermolli von Süden der stark bedrängten Armee Brudermann Luft zu machen. Auf der Grundlage dieser Hoffnung baute sich ein neuer Waffengang großen Stils - die
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Die Operationen unserer Verbündeten bis zum 15. September 1914 .
Schlacht von Lemberg
auf.
Die Armee Brudermann
mußte
baldigst entlastet werden . Am 1. September noch um die Siegespalme im Norden ringend, hatte die Hauptmasse der Armee Auffenberg schon zwei Tage später - ein Meisterstück militärischer Technik bei Führung und Truppen bei dem, was einer Armee in den langen Kolonnen aller Art folgt — eine volle Wendung nach Süden vollzogen. Sie stand nun mit der Hauptmasse in nach Süden gekehrter Front bei Tomaszow zum Vorstoß über Rawaruska bereit, im Rücken gedeckt durch Erzherzog Josef Ferdinand , der dem bei Komarow geschlagenen Gegner in den Scheitel des Bug-Huczwawinkels gefolgt war.
Da auf russischer
Seite, die übrigens auch stark mitgenommenen Hauptkräfte aus dem Kampfraum bei Prczemyslany die Richtung nach Nordwesten einschlugen
wohl auf dringendes Ersuchen der bei Komarow bemit dem Rest sich langsam von Süden und
siegten V. Armee
Osten gegen Lemberg vorschoben ,
den Brückenkopf bei Halicz
am
Dnjestr einschlossen und langsam zwischen diesen Fluß und Lemberg sich westwärts schoben , so leuchtete bald ein, daß der Hauptstoß sich gegen Auffenberg richten werde, man, um die russischen Kräfte weiter zu
binden,
könne,
dann
vielleicht
die
Ostgruppe
flankierend
einsetzen
deren Truppen man ohne Zweifel die nötige Stoßkraft noch
zutrauen durfte . Eine kurze Ruhepause war aber für die Truppen unumgänglich notwendig, ebenso unentbehrlich die Bildung einer geschlossenen Masse
für
den Flankenstoß ,
Lemberg mußte daher
aufgegeben werden. Das Halten der Stadt in den diese umgebenden, schwerer Artillerie nicht standhaltenden Erdwerken hätte eine ganze Armee verlangt, die zudem auf unbestimmte Zeit festgelegt worden wäre, während für die bevorstehende Feldschlacht jeder Mann gebraucht wurde, den Truppen jede Ruhepause genommen , da feindliche Abteilungen von Norden, Kulikow, her, schon am 1. September an die Tore der Stadt pochten. Am 2. September wurde Lemberg geräumt , die ganze Ostgruppe hinter die Wereszyca gebracht, die mit den Teichen von Grödek einen guten Verteidigungsabschnitt bildet.
Die Armee Auffenberg bewegte sich auf Rawaruska und nahm ,
bis zum 7. September
mit dem rechten Flügel an die von Jaworow
nach Lemberg führende Bahn, nicht ohne heftige Kämpfe, gelangend, Anschluß an den Nordflügel der Wereszykafront, der die Aufgabe zufiel, die siegreiche Entscheidung auszulösen .
Die Räumung Lembergs
ließ die Russen die Widerstands- und Stoßkraft des gegenüberstehenden Feindes unterschätzen .
Am 8. September überraschte sie daher das
Heranrollen eines kräftigen Angriffs über die Wereczycaniederung. Boroevic's Grazer und Lemberger Korps nahmen an und nördlich der
T:
Die Operationen unserer Verbündeten bis zum 15. September 1914.
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Grödecker Straße die jenseitigen Höhen und den großen Janower Wald, im Süden bei Komarnow drangen das Temeswarer und das mit der Bahn herangeführte Budapester Korps in die russischen Befestigungen ein, zwischen beiden Gruppen hatte General Böhm -Ermolli das Siebenbürger Korps schreitende
eingesezt.
Erfolge der
Der 9. und 10. September Armee
Böhm-Ermolli und
brachten
fort-
Boroevic,
etwa
20 km Boden gewinnend, des südlichen Flügels, Vorkämpfen des Grazer Korps bis kaum 15 km von Lemberg, Standhalten der Armee Auffenberg
nicht nur,
sondern auch Fortschritte auf deren rechten Flügel.
Den zähen Gegner niederzuringen war aber Zeit zum weiteren Fortschreiten auf dem eingeschlagenen Wege nötig ,
und diese
Zeit wurde der österreichischen Heeres-
leitung nicht vergönnt. Als der Entschluß zur Offensive aus der Wereszycafront gefaßt
wurde, war die Lage im Norden schon drohend geworden . Hatte der in den letzten Augusttagen von den Armeen Dankl und Auffenberg geübte starke Druck alle noch erreichbaren Verstärkungen , alle im Zuge befindlichen Aufmarschtransporte in den Raum zwischen Weichsel und Bug zu leiten veranlaßt, so begannen die Russen ihrerseits beim Nachlassen des Drucks den Vorstoß nach Süden, der Erzherzog Josef Ferdinand den Bug-Huczwawinkel zu räumen, sich dem Rücken der Armee Auffenbergs zu nähern zwang, die schon auf dem Vormarsch über Rawaruska einen ostwärts gerichteten Defensivhaken schaffen gemußt hatte. In der Gegend von Cholm, zwischen Bug und Wieprz bewegten sich starke gesammelte Kräfte auch gegen die rechte Flanke der Armee Dankl. Der Gedanke, mit dem über die Weichsel gezogenen Landwehrkorps Woyrsch die Stellung bei Lublin westlich,
wie mit dem mittelgalizischen Korps östlich zu umfassen , mußte aufgegeben, das Korps Woyrsch zur Verstärkung des hart bedrängten rechten Flügels auf Tarnawa dirigiert werden . wo hinter den Porbach das mittelgalizische und Pozsonyer Korps zurückgenommen worden waren .
Trotz zähesten Widerstandes der Armee
Dankl mußte diese, als der russische Angriff von Porbach die Stellung bei Tarnawa eindrückte , auf Krasnik-Frampol und , nachdem die Trains die sumpfige Tanewniederung passiert hatten, hinter diese zurückgenommen werden. Vorübergehende Erfolge des Südflügels bei Lemberg vermochten die Wirkung des Vordringens der Cholmer, aus Garde, Grenadieren und Kaukasiern bestehenden , Gruppe gegen die Lücke zwischen den Armeen Dankl und Auffenberg die zu schließen man nicht Kräfte genug hatte, nicht aufzuhalten . Gelang das Einbrechen durch dieses Tor, so stand den Russen der Weg in den Rücken der Schlachtfront offen . Am 10. September abends seine Mitte und den
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Die Operationen unserer Verbündeten bis zum 15. September 1914.
bei Rawaruska kämpfenden linken Flügel zurücknehmend , hatte Auffenberg mit Erzherzog Josef Ferdinand eine nordwärts gerichtete Front gebildet, die am 11. September schon gegen den nördlichen Feind kämpfte. Der Hauptzweck des bisherigen Ringens war erreicht. Was Rußland , nach Vollendung des ersten Aufmarsches, an Streitermassen heranzubringen vermochte , hatten die österreichisch - ungarischen Kräfte auf sich gezogen. Eine bedeutende
Übermacht im Osten
und Norden
und aus dem Raume
südlich des Dnjestr wälzten sich über Stryj weitere, stets wachsende Fluten von russischen Stoßkräften . Der Gegner hatte schwere Verluste erlitten, er brauchte zur Retablierung Wochen, ehe, nach Neugruppierung, an neue größere Unternehmungen gedacht werden konnte. Auf ein Niederringen der Russen mußten unsere Verbündeten zunächst verzichten. Sollte ihre Armee schlagfertig bleiben , so war zunächst Zurückgehen geboten , das am 11. September befohlen und von den unerschütterten Kräften gegenüber der bewußt entfesselten Übermacht hinter dem San durchgeführt wurde. Kämpfe ,
Ungebrochen
ging ,
trotz
wochenlanger
der Offensivgeist der österreichisch - ungarischen
Truppe aus der schweren Aufgabe für den Einleitungsfeldzug hervor. Als die gewaltige russische Übermacht neue Unternehmungen vorbereitete , sah sie sich schon wieder durch einen neuen wuchtigen Angriff bedroht, dessen Grundlage zum großen Teil die siegreichen Schlachten von Tannenberg und an den masurischen Seen geschaffen hatten . Was die Russen als Niederringen des Widerstandes Österreich - Ungarns ansahen , war nur ein Schritt auf dem Wege zum Ziel , durch immer neue Schläge die zahlenmäßige Überlegenheit der Moskowiter und ihren inneren Zusammen18 hang zu zermürben.
Literatur.
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Literatur.
Bücher. Ein Wort über Schnelldressur von Reit- und Zugpferden nebst Anweisungen, sich mangelhaft gerittene (Augmentations-, Requisitions- und Beute- ) Pferde schnell in die Hand zu reiten . Von Spohr, Oberst a. D. Verlag Georg Bath, Berlin SW . 11. Preis 75 Pf. In dem jetzigen Weltkriege, der alle waffenfähigen Deutschen unter die Fahne ruft, sind viele Offiziere und Sanitätsoffiziere dienstlich beritten, die im Frieden kaum Gelegenheit hatten, die edle Reitkunst zu üben. Daher haben sich seit Kriegsausbruch vielfach Nachfragen aus dem Felde und von den noch in der Heimat befindlichen Truppenteilen nach einem „recht kurz gefaßten Reithandbüchlein “ ergeben . Um diesen Wünschen gerecht zu werden, hat sich der in allen Reiterkreisen bekannte und geschätzte, jetzt im 88. Lebensjahre stehende und noch selten jugendfrische Oberst Spohr zur Herausgabe der vorbezeichneten Schrift entschlossen . Aus seiner ganz ausnahmsweise reichen Erfahrung sitzt er doch fast 72 Jahre zu Pferde ! - gibt der Verfasser in diesem Büchlein alles Wesentliche, was unerfahrenen Reitern nötig ist, um sich ein nicht gerade widersetzliches, aber mangelhaft gerittenes Pferd baldmöglichst in die Hand zu reiten. Aber auch für den erfahrenen Reiter enthält es noch manchen guten Wink darüber, worauf es im Kriege ankommt, um sich ein recht brauchbares Pferd zurecht zu reiten bzw. Augmentations-, Requisitions- und Beutepferde recht bald in Ordnung zu bringen. So dürfte die Schrift vielseitige und gute Dienste erweisen . Sie Ph. kann deshalb nur wärmstens empfohlen werden . Taktische Schilderungen von Episoden aus den Balkankriegen 1912/13. 1. Heft: Die Tätigkeit der Kavallerie brigade Tanew 4. bis 28. November 1912. Im Evidenzbureau des k. u . k. Generalstabes bearbeitet von Alfred v. Dietl , Hauptmann des Generalstabskorps . Wien 1914. Im Selbstverlag des Evidenzbureaus des k. u. k. Generalstabes. In Kommission bei Seidel & Sohn, V und 39 S. 2 K. Der österreichische Generalstab leitet seine Veröffentlichungen über den Balkankrieg mit taktischen Einzelschilderungen ein . Hervorragend ist ihm der erste Wurf gelungen . Die Unternehmungen der schwachen bulgarischen Reiterbrigade Tanew müssen allseitiges Interesse erwecken , um so mehr, da die Aufzeichnungen eines österreichischen Kavallerieoffiziers, Prinzen Ludwig zu Wittgenstein ,
benutzt werden konnten. Die Aufgabe der Brigade war zunächst Beobachtung der Westseite von Adrianopel, was die Mitwirkung bei 4 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 527.
50
Literatur.
einem bulgarischen Angriffe auf die Kavaltepe zur Folge hatte , dann Unterbrechung der Verbindung der Festungsbesatzung mit dem Hafenorte Dedeagatsch. In geschickter Weise gelangt es hierbei der Brigade 600 Reiter verstärkt durch 150 mazedonische Komitatschis, in geschickter Vereinigung des Kampfes zu Fuß und zu Pferde Dimotika, dann auch , durch 4000 mazedonische Freiwillige verstärkt, Dedeagatsch zu nehmen, das aber vor dem angeblichen Anmarsch stärkerer türkischer Kräfte geräumt werden mußte, dann aber erneut besetzt wurde, als zwei bulgarische Bataillone die Truppe Tanews verstärkten . Auf Dedeagatsch ging der Rückzug der türkischen Truppenabteilung Javer Paschas. Die Brigade Tanew stellt sie bei Tekije , als sie im Begriff ist, die hoch angeschwollene Maritza am 27. November zu überschreiten, im Anmarsch war noch die Truppenabteilung des Generals Penew (10 Batl. , 1 Esk. und 5 Batt.), während die 7. I.-D. am 28. auf dem Seewege in Dedeagatsch eintreffen konnte. Ein Flußübergang der Türken war bei den unzureichenden Übersetzmitteln ausgeschlossen , auf einen erfolg. versprechenden Angriff Tanews - er verfügte außer seinen Reitern nur über 4000 Gewehre und 7 ältere Geschütze - verzichtete Javer Pascha, so entschloss er sich zur bedingungslosen Übergabe . Es fielen in bulgarische Gefangenschaft : 2 Divisionsstäbe, 18 Bataillone 1 Eskadron, 2 Gebirgsbatterien, vier Maschinengewehrabteilungen , zusammen 361 Offiziere, 13500 Mann, 8 Geschütze, 1500 Tragtiere und 180 Ochsengespanne. Über die Maritza entkamen nur zwei Bataillone und vier Geschütze. Ein schönes Beispiel für die Wirksamkeit überholender Verfolgung. Ausstattung des Heftes ist vorBalck. züglich . Geschichte des Italienisch-Türkischen Krieges. 3. Lieferung. Bis zum Friedensschluß von Lausanne vom 18. Oktober 1912. (Unter Berücksichtigung der Kämpfe des Jahres 1913.) Mit 14 Karten und sonstigen Skizzen im Text und 3 Anlagen in Steindruck von Hauptmann Dr. von Graevenitz. Verlag R. Eisenschmidt, Berlin NW 7, im Deutschen Offizierverein . Preis 5 M. Die zweite Lieferung des Werkes hat von allen Seiten die besondere Anerkennung erfahren , daß sie auch der turko-arabischen Seite und namentlich ihrem bedeutendsten Führer, Enver Bey, dem jetzigen türkischen Kriegsminister, Gerechtigkeit hat widerfahren lassen. Der Verfasser ist in diesem Streben durch die Mitarbeit eines zweiten deutschen Mitkämpfers auf turko- arabischer Seite, und zwar in der Cyrenaica und im Stabe Enver Beys, in besonders wertvoller Weise unterstützt worden. Erstaunlich ist, wie es ein Privatmann verstanden hat, eine solche Menge wertvollen und einwandfreien Materials zusammenzutragen . Die vorliegende Darstellung bleibt noch immer die einzige, die beide Parteien berücksichtigt und
Literatur.
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ihre Kriegführung einer auf zuverlässige Grundlagen sich stützenden , durch reiches Kartenmaterial geförderten kritischen Beurteilung unterzieht. Die dritte Lieferung führt die Darstellung der Ereignisse des eigentlichen Krieges zu Ende. Ganz besonderes Interesse fordern die Seeoperationen heraus, sie sind auch gerade für die Verhältnisse eines größeren Krieges (Überwachung der Nachrichtenmittel, Landung) von Interesse. Vielleicht ließen sich in der Schlußlieferung die Befehle für die Landung auf Rhodos bringen , die auch für uns von Wert sind. Volle Anerkennung verdient der gut dargestellte Dardanellenrid. Die italienische Armee kann dem Verfasser für die warmherzige Darstellung der Unternehmungen ganz besonders dankbar sein , sie hat auch keinen Grund, eine so maßvolle Kritik wie die des Verfassers zu scheuen . Die Gesamtverluste an Toten und Verwundeten errechnet er mit 236 Offizieren und 4076 Mann . Die Eroberung und die vorläufige Sicherung und Ausgestaltung des libyschen Besitzes kostete bis jetzt eine Milliarde und 67 Millionen Lire. Der Gewinn des Krieges ist aber trotz allem sehr hoch anzuschlagen : Der Krieg war eine sittlich nationale Schulung der Nation , und Italien besitzt seither erhöhtes Selbstgefühl und ruhige Tatkraft. Vielleicht war der Krieg in Anbetracht der großen Opfer, an sich allein betrachtet, ein Fehler - aber ein „glückbringender Fehler" , Balck. den Italien nicht ungeschehen machen möchte.
99 Waffengebrauch und Festnahmerecht des Militärs." Erläutert von Dr. Romen und Dr. Rissom (Guttentagsche Sammlung Nr. 114) . Berlin 1914. Unter Anführung eines umfassenden Schrifttums und der geschichtlichen Entwickelung (VO . vom 30. Dezember 1798, AKO . vom 17. Oktober 1820, VO, vom 17. August 1835, Ges. vom 20. März 1837 , Preuß. Verf. von 1850, Ges. über den Belagerungszustand von 1851 und spätere Dienstanweisungen erläutern die Verfasser die neue Dienstanweisung über den Waffengebrauch des Militärs und seine Mitwirkung zur Unterdrückung innerer Unruhen vom 19. März 1914 . An die Spitze der Erläuterungen zu den Bestimmungen ist jeweils die Entstehungsgeschichte gesetzt, sodann folgen die Erläuterungen zu den einzelnen Stichworten in militärischen und juristischen Ausführungen. Die Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe ist ebenso angeführt wie das einschlägige juristische Schrifttum aus dem Gebiete des militärischen und bürgerlichen Rechts. Ferner enthält das Buch die Bestimmungen über den Kriegs- und Belagerungszustand in den deutschen Bundesstaaten mit ausführlichen Erläuterungen . Aus der Landkriegsordnung des Haager Abkommens sind die für den Waffengebrauch im Kriege einschlägigen Teile angeführt. Das Büchlein bietet eine höchst praktische Zusammenstellung aller auf den Waffengebrauch des Militärs sowie das Festnahmerecht sich 4*
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Literatur.
beziehender Vorschriften und gibt in diesen schwierigen Gebieten allseitigen und zuverlässigen Aufschluß . Von staatsrechtlichen Erörterungen, die großes Interesse bieten könnten, z. B. von Prüfung der Frage der Eigenschaft außerordentlicher Kriegsgerichte (ob kaiserliche, bundesstaatliche oder Kontingentsgerichte) sowie Zuständigkeit zur Begnadigung usw. wurde wohl wegen Raummangels und Beschränkung auf das Gebiet des nächstliegenden Bedürfnisses Umgang genommen. Reichsmilitäranwalt Endres. Das ,,Militär-Hinterbliebenengesetz" nebst Erläuterungen und Beispielen nach den kriegsministeriellen Ausführungsbestimmungen ist soeben im Verlage von Gerhard Stalling, Oldenburg i. Gr. , in 2. Auflage erschienen (0,80 M.) und kann als vorzüglicher Ratgeber ganz besonders denen empfohlen werden , die als Hinterbliebene von Heeresangehörigen in kriegerischer Zeit des Rates in Versorgungsangelegenheiten bedürfen . Die Bestimmungen des Gesetzes bieten im Wortlaute für den Laien nahezu unüberwindliche Schwierigkeiten . Eine mündliche Raterholung wird vielfach an mangelnder Gelegenheit und klarer Darlegung der Verhältnisse scheitern müssen. In solchen Fällen gibt das Büchlein die Möglichkeit eigener Umschau infolge der klaren Erläuterung der einzelnen Bestimmungen und der ausgezeichneten Beispiele für Berechnung der zustehenden Versorgungsgebührnisse der einzelnen Klassen vom höchsten Offizier bis zum Gemeinen, für die freiwilligen Krankenpfleger und die Unterbeamten. Die Tabellen über die Berechnungsweise der Gebührnisse sind ganz besonders praktisch und sachdienlich, ebenso die Formulare für Anträge u. dgl. Das vorzügliche Büchlein wird weitesten Kreisen , insbesondere auch den im Verwaltungs- oder Prozeßwege mit Versorgungsfragen befaßten Stellen oder Personen , beste Dienste leisten . Reichsmilitäranwalt Endres.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafugabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde - hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Spohr, Ein Wort über Schnelldressur von Reit- und Zugpferden . Berlin 1915. Georg Bath. 0,75 M. 2. Jahresbericht des k. u. k. österreichischen flugtechnischen Vereins über das Vereinsjahr 1914. Wien 1915. Im Selbstverlage des Vereins.
1000
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.
VII.
Kriegsaberglaube .
Von Dr. Ernst Schultze.
" Waffen werden den Aberglauben nicht zerstören, nur durch den Arm der Wahrheit muß er sterben. " Friedrich der Große. Anfang Januar 1915 hat das bischöfliche Ordinariat in Limburg vor Kriegsaberglauben gewarnt, indem es bekannt machte : „ Da sicherem Vernehmen nach abergläubische Gebete und sogenannte Haus- und Schutzbriefe anläßlich des Krieges verbreitet werden, ersuchen wir die Geistlichkeit, unter entsprechender Belehrung diesen sündhaften Unfug kräftig zu bekämpfen . " Ähnlicher Einspruch ist von protestantischen Geistlichen erhoben worden ¹ ) . 1 ) So schrieb Herr Pastor Reimers im " Hamburger Kirchenblatt “ : „Der Krieg bringt auch die bösen Geister wieder an die Oberfläche. Da ist Nr. 1 , der alte blödsinnige Ketten- Gebetsbrief, der ja schon seit zehn Jahren in der Welt herumspukt, wieder tüchtig in Betrieb. Jeder soll das Gebet, neun Tage hintereinander täglich einem anderenMenschen schicken , ohne Unterschrift. Zur Weiterschickung muß es immer wieder neu geschrieben werden. Die Kette darf nicht unterbrochen werden. Es geht die Sage von diesem Gebet, daß, wer es nicht weitergibt, kein Glück mehr hat. Wer es weitergibt, soll am neunten Tage eine große Freude erleben und von allem Schweren erlöst sein. Gut nur ist es, daß die Toren, die diesen Brief weitergeben, gleich mit neunmaligem Abschreiben bestraft werden. Nr. 2 wird mir aus dem Leserkreise zugesandt : eine noble Visitenkarte, die an viele Damen in Harvestehude, Winterhude, Uhlenhorst, also an solche, die offenbar nicht auf die , Kriegshilfe angewiesen sind, verschickt ist : Frau deutet Zukunft und Vergangenheit (Nur für Damen) Hamburg 5 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 527.
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Kriegsaberglaube. Es ist hocherfreulich, daß von der Geistlichkeit beider christlichen
Bekenntnisse in Deutschland gegen die Mächte des Aberglaubens Front gemacht wird, die in diesem wie in jedem anderen Krieg ihr Haupt erheben. Ohne Zweifel ist der Kriegsaberglaube aller Formen bei unseren Feinden stärker verbreitet als bei uns. Aber auch wir haben Anlaß, uns dagegen zu wehren.
Ich kenne eine sehr bibelfeste protestantische Gegend Deutschlands, in der man jetzt allenthalben hören kann , daß der Weltbrand des Jahres 1914/15 sich aus der Bibel hätte mit Sicherheit voraussagen lassen. Selbst die Einzelheiten dieses • Krieges seien in der Heiligen Schrift genau verzeichnet Merkwürdig
nur, daß man vor seinem Ausbruch nichts von dieser Prophezeiung gewußt hat. In der Tat läßt sich der Kriegsaberglaube fast in jedem Landesteil und fast in jeder sozialen Schicht beobachten .
Eine der gewöhn-
lichsten Formen sind die Kriegsschutzbriefe. Die „ Kölnische Zeitung“ vom 10. November 1914 berichtete über einen patriotischen damals in Köln verbreiteten Kettenbrief, der lautete : Wir Deutsche fürchten Gott, sonst nichts auf dieser Welt. - Vorstehenden Spruch erhielt ich zur Weitergabe gestern. Der ihn bekommt, soll ihn neun Tage lang je einem Bekannten weitergeben, und zwar ohne Unterschrift. Es geht die Sage und ist dies ein alter Brauch resp . Gebot, daß derjenige, der es nicht weitergibt, kein Glück mehr haben wird, daß aber derjenige, der ihn weitergibt, am neunten Tage eine große Freude erleben wird . Daher darf die Kette nicht unterbrochen werden. Ich habe den Spruch auch erhalten und gebe ihn hiermit vorschriftsmäßig weiter.“ Der hohe Stand der Volksbildung in Deutschland wird sicherlich verhindern , daß solcher Aberglaube um sich greift.
Unzweifel-
haft läßt sich behaupten, daß sich in diesem Kriege die Mächte der Finsternis in Deutschland erheblich weniger breit gemacht haben als in früheren Kriegen . Bei unseren Feinden sieht es schlimmer aus.
Der Kriegsaber-
glaube springt immer wieder aus Wurzeln hervor , die sich in weite Vorzeit erstrecken . Es gibt keinen Krieg der Vergangenheit, in dem er sich nicht fände. Kein altes Heldengedicht ist möglich, ohne daß von zauberhaften Mitteln die Rede wäre , die einen viel( Sprechzeit 4-6 Uhr nachmittags, außer Mittwochs und Sonnabends. Telephon Gr. . . . . .) Tatsache freilich bleibt es , daß solche Kartenlegerin an guten Tagen ihre 40 bis 50 Mark verdient. Ist das nicht schrecklich ? Nr. 3 ist ein Landsknechtsbrief, mir von Herrn Pastor Lüder überreicht. Wer den gedruckten Zettel bei sich trägt, soll hieb- , schuß- und stichfest sein, ja, man kann es sogar probieren, indem man den Zettel einem Hunde um den Hals bindet und nun ganz vergeblich den Hund zu erschießen versucht. "
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Kriegsaberglaube.
bewunderten Helden hieb oder stichfest machten . Siegfried badete sich in Drachenblut und wurde dadurch unverwundbar - bis auf die kleine Stelle, die ein Lindenblatt gedeckt hatte. Wodan, der Schlachtengott, ist mit einer zauberkräftigen Brünne angetan. Thetis tauchte den neugeborenen Achilles in die Fluten des Styx, um ihn unsterblich zu machen, während Herkules den Ajax in seine Löwenhaut hüllte und Jupiter bat, ihn so unverwundbar zu machen wie dieses Fell. Von Konstantin dem Großen besagt eine spätere Überlieferung, er habe einen Nagel vom Kreuze Christi in seiner Sturmhaube getragen und vom Jahre 312 an auch das sogenannte Monogramm Christi , um sich unverwundbar zu machen. Im Mittelalter wimmelt es von Zauber- und Segensmitteln, um Verwundungen und feindliche Einflüsse zu bannen, indem man sich übernatürliche Vorteile sicherte. In zahlreichen Fällen gingen sie auf heidnische Überlieferungen zurück, die nun in christliches Gewand gekleidet waren . Hatte man ursprünglich die alten Zauberformeln gesprochen, um ein krankes Glied zu heilen oder ein gesundes zu weihen, so wurden mit der allmählichen Verbreitung der Schrift kräftige Zaubersprüche nun auch auf Pergament geschrieben oder auf andere Stoffe , die möglichst heilig oder doch geheimnisvoll zubereitet waren. So wählte man mit Vorliebe Hostien oder Jungfernpergamentstreifen , um sie mit Zauberformeln und symbolischen Bildern zu beschreiben. Erwies sich ein solcher Talisman als nicht bannkräftig, fiel jemand , der ihn bei sich trug, oder ward er schwer verwundet, so lag der Fehler natürlich nur in der Herstellung des Amuletts ; man hatte den Drudenfuß nicht richtig gezeichnet, man hatte das Pentagramm an einer Seite unvorsichtigerweise offen gelassen, oder man hatte nicht den richtigen Saft für die Schrift verwendet. Am wirksamsten sollte Blut sein. Tat gewöhnliches Blut noch nicht die richtigen Dienste, so mußte es ein noch geheimnisvollerer Stoff sein — etwa Fledermausblut. Wie der Kriegsaberglaube den eigenen Körper vor der drohenden Gefahr durch übernatürliche Kräfte zu schützen suchte, so wollte er auf der anderen Seite die eigenen Waffen mit übernatürlicher Wirkung ausstatten.
Je mehr die Waffentechnik sich entwickelte ,
desto mehr Ausschmückung und Verzierung finden wir daran ; mit Die Wirkung der Waffen gegen beiden verband sich die Zauberei. den Feind sollte gewissermaßen vervielfältigt werden , indem man sie mit zauberkräftigen Formeln besprach oder mit Ornamenten schmückte, denen man geheimnisvolle Kräfte zuschrieb . Deshalb findet man im Waffenschmuck der Naturvölker namentlich zwei Motivkreise in unzähligen Abwandlungen wiederholt : die des Auges .
die Darstellung des Tieres und
5*
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Kriegsaberglaube.
Das Tier war namentlich als Stammes- oder Totemtier eng mit der Geschichte der ursprünglichen menschlichen Gemeinschaften verknüpft, seiner Darstellung schrieb man eine Zauberkraft zu, die dazu führte, es namentlich dort abzubilden, wo man sie gegen den Feind
ete
kehren konnte : als Handgriff oder sonstigen Schmuck der Waffe, als Abbildung oder Relief auf dem Schilde, als Verlängerung oder Schmuck des Hauptes wie überhaupt der Verlängerung des menschlichen Körpers nach oben hin durch gewaltigen Kopfschmuck von jeher die größte Bedeutung beigemessen wurde ; noch in unserer Zeit erscheint sie in dem Helmschmuck der
Soldaten aller
Truppenteile ,
besonders der
elbe Kürassiere oder derjenigen Regimenter, die , wie etwa manche englische, Bärenmützen tragen . Auch das Augenornament auf Schilden, Waffen und Mänteln ist häufig. Man will den Feind durch den bösen Blick schrecken oder vernichten.
Nicht nur die Gorgo schneidet dem Feind ein bitterböses
Gesicht, das gleiche Motiv kehrt in zahllosen Fällen wieder. Und wirklich ließen sich die Gegner durch solche Darstellungen
schrecken, oder durch den Ruf , der einem Feinde voranging. Gilt eine Truppe als unbesiegbar, so ist es auch heute noch schwer , gegen sie ins Feld zu ziehen. Bewußt oder unbewußt lassen sich Soldaten und nicht selten auch Offiziere dadurch beeinflussen.
Auf
der anderen Seite gibt das Bewußtsein, bisher fast immer gesiegt zu haben, einer Truppe eine fast unwiderstehliche Kraft, weil dadurch ihr Wille so gestärkt wird , daß sie alle Schwierigkeiten gering achtet. Die 10. Legion Cäsars, die napoleonische Garde, manches Eliteregiment bei den verschiedenen Völkern hat nicht zum wenigsten durch diese Überzeugung von der eigenen Unbesiegbarkeit fabelhafte Wirkungen erzielen können , während ihre Gegner der Gefahr einer Panik ausgesetzt waren . Dieses Verhältnis
stellt sich namentlich auch dort ein , wo in
der Kriegstechnik plötzlich eine neue , überlegene Waffe erscheint. Sofort wird sie bei Freund und Feind mit Sagen ausgeschmückt , die zuweilen nicht weit vom Aberglauben liegen. Bricht nun gar eine fremde Erobererschar, von deren Dasein man bisher nicht einmal wußte, überraschend in ein Land ein, dessen Kriegstechnik weit unter der ihren steht,
so verbreitet sie abergläubischen Schrecken.
Man ist dann überzeugt, daß die fremden Eindringlinge nicht nur unbesiegbar, sondern auch unverwundbar seien . Die amerikanischen Indianer haben dies von den Begleitern des Kolumbus geglaubt. Lösten die weißen Männer eine Donnerbüchse, so fielen Schrecken zur Erde. zarro in
Peru
die Rothäute vor
Als nun gar Cortez in Mexiko und später Pi-
mit geharnischten
Streitern
zu
Pferde vordrangen
Jal
teil
ent ame
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Kriegsaberglaube. -
das Pferd war in Amerika unbekannt - 9 so konnten ihnen selbst die
tapferen Truppen der Azteken und des Inkareiches nicht widerstehen. Die Indianer glaubten, daß Roß und Mann ein und dasselbe Wesen bildeten. Nachdem sie erprobt hatten, wie vergeblich es war, diesen gepanzerten Ungeheuern mit Pfeil und Bogen beizukommen , flohen sie in wildem Schrecken, wo sie sich zeigten. Es hat lange gedauert, bis sie durch die Erfahrung lernten, daß die Fremden doch nicht unverwundbar seien und daß Pferd und Mann sich voneinander trennen konnten. Auch als die Russen in Kamtschatka einfielen, kam ihnen derselbe Aberglaube zugute. 1690 war der Name dieses Landes ihnen in Jakutsk bekannt geworden, einige Jahre später ging die erste Reiterabteilung unter dem Kosakenobersten Atlassow dorthin ab, der für den eigentlichen Entdecker und Eroberer Kamtschatkas gilt. Spanier in Mexiko und Peru ,
wurden auch diese
Wie die ersten
ersten Russen in
Kamtschatka von den Eingeborenen verehrt und beinahe vergöttert. Auch diese Kamtschadalen glaubten, daß keine menschliche Hand den Fremdlingen schaden könne , daß vielmehr jeder Widerstand unmöglich sei . Erst als die Kosaken selbst das Blut eines ihrer Kameraden vergossen, lernten die Eingeborenen, daß sie sterblich seien. * * Eine der bekanntesten Formen
des Kriegsaberglaubens ist der
Kometenaberglaube. Weil unten auf der Erde ein paar tausend Menschen aufeinanderschlugen oder sich bekämpfen wollten, sollte oben im Himmelsraum die Verfügung getroffen sein, daß als großes Warnungszeichen ein Komet auftauchte. Als Vorbote ungeheuren Unglücks oder auch als himmlische Zuchtrute wurden solche Erscheinungen betrachtet. Fast jeder Krieg sollte durch sie angekündigt oder hervorgerufen sein. Sie wurden deshalb halb mit ängstlichen , halb mit feindlichen Blicken betrachtet. Schließlich konnten sich einige Päpste (wie z . B. Clemens VII 1532) nicht enthalten, über gefährliche Kometen den Bann auszusprechen. Auf der anderen Seite ordnete man Kometenbußpredigten an, um dem durch sie drohenden Unglück zu entgehen ; beispielsweise tat dies 1665 Herzog Eberhard von Württemberg. Je weiter die Wissenschaft vorschritt, je besser sie die Himmelserscheinungen kennen lehrte , desto mehr schwand allerdings die Kometenfurcht - bis sie ein heiteres Gewand annahm . Man begann den Kometen als eine Art Bummler im Weltenraum zu betrachten , vor dem sich die Menschheit jedenfalls nicht zu fürchten brauchte . Trat unmittelbar nach Erscheinen eines Kometen ein glückliches Ereignis ein , gedieh etwa der Wein besonders gut, so taufte man ihn wohl nach dem Kometen, wie dies mit dem
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Kriegsaberglaube.
„ Kometenwein “ 1811 geschah . Der Kriegsaberglaube jedoch glaubte nach dem Zuge der Großen Armee steif und fest, daß der Komet offenbar dieses
neue Völkerringen habe
ankündigen wollen.
Selbst
heute gibt es Menschen, sogar in Deutschland, die an die kriegerische Bedeutung der Kometen oder anderer Himmelserscheinungen glauben ¹ ).
Im Dreißigjährigen Kriege scheint der Soldatenaberglaube auf den Höhepunkt gestiegen zu sein. Kaum einer, der nicht irgendein Amulett bei sich trug, um sich gegen Stoß, Hieb und Schußwaffe fest zu machen . War doch nun
diese unheimliche Wirkung aus
der Ferne
in der
Kriegstechnik zu voller Wirkung gekommen. Man begegnete ihr durch Schutzbriefe , die bald auch gedruckt wurden . Berühmt wurde namentlich die „ Passauer Kunst " , so genannt nach den während der Belagerung Passaus hergestellten wundertätigen Schutzbriefen. Auch von der „ Ingolstädter Kunst “ sprach man . Wallenstein sollte mit ihr vertraut sein. Manchem Haudegen schien sicherer als die Hilfe der Heiligen die Anrufung des Teufels zu sein. Hatte man sich ihm verschrieben, so war er entgegenkommend genug, seinen Schützlingen eine Salbe zur Verfügung zu stellen, die den Körper hiebund stichfest machte ; ebenso wie man mit seiner Hilfe Kugeln gießen konnte, die ihr Ziel nie verfehlten. Auch andere
Dinge
wurden als Talisman im Kriege benutzt.
Vorbedingung war und blieb jedoch meist, daß sie mit irgendwelchen geheimnisvollenZeichen undSymbolen bedeckt waren . Deshalb waren nament-
TO
lich auch Münzen beliebt, wenn sie irgendeinen Heiligen darstellten , wie
-d
etwa die mansfeldischen oder die ungarischen St. -Georgs-Taler. Auch Nothemden stellte man her, die bezeichnenderweise häufig auch St. -Georgs -Hemden genannt wurden , da nun einmal dieser Heilige die Krieger in
seinen besonderen Schutz genommen
hatte.
Es bedarf
kaum der Erwähnung, daß dieses zauberkräftige Kleidungsstück unter ganz bestimmten Vorsichtsmaßregeln hergestellt werden mußte : vor allem von unbefleckten Jungfrauen, auch nur zu ganz bestimmten Zeiten; ferner mußten sie mit Figuren bedeckt sein , die durch den Aberglauben genau vorgeschrieben waren. Entstanden mag der Glaube an die Nothemden dadurch sein, ¹ ) S. z. B. Ernst Tiede : Astrologische Mutmaßungen über den Krieg der Deutschen 1914. Leipzig, Theosophisches Verlagshaus . Die Schrift wird dadurch gekennzeichnet, daß sie im Vorwort eine Reihe von Anerkennungsschreiben veröffentlicht, in denen dem Verfasser von verschiedenen Leuten bescheinigt wird, daß er ihnen das Horoskop richtig gestellt habe.
Kriegsaberglaube.
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daß mancher Feldherr oder Offizier heimlich ein Panzerhemd unter dem Überrock trug. Überhaupt sind Feldherren keineswegs frei von Aberglauben gewesen, zuweilen auch solche nicht, von denen die gewöhnliche Meinung dies kaum annimmt. Gar mancher Kriegsheld hat sich nicht entschließen können, eine lange vorbereitete Schlacht zu beginnen oder einen Angriff zu befehlen, für den alle Verhältnisse günstig lagen sobald sein Aberglaube ihm durch eine Sonnen- oder Mondfinsternis oder auch nur durch das unerwartete Erscheinen eines unangenehmen Tieres einen Strich durch die Rechnung machte. Daß sich der Aberglaube der Soldaten und des Volkes mit der Person des Feldherrn eifrig beschäftigt und sie nach der einen oder anderen Richtung mit einem dichten Schleier von Geheimnissen und zauberhaften Wirkungen umgibt, ist eine uralte Erscheinung. Bis in die Gegenwart ist das so geblieben. Um den Grafen Häseler hat sich schon vor Beginn des Krieges ein förmlicher Legendenkranz gebildet ; nachdem der Krieg ausgebrochen war, nahmen die Sagen über ihn kein Ende . Er soll kugelfest sein wie Friedrich der Große, er soll mit einem Armeekorps von fabelhafter Beweglichkeit überall dort erscheinen, wo Not ist, er soll das fremde Land in allerhand Verkleidungen durchstreifen, um die feindlichen Stellungen zu erspähen, und selbstverständlich braucht er beinahe weder Schlaf noch Nahrung. Wird ein Feldherr besiegt, so weiß der Aberglaube nachträglich festzustellen, daß dies so kommen mußte. Denn es haben Prophezeiungen vorgelegen, die es unmöglich machten, daß er seiner Feinde Herr wurde. Daß es bestimmte Tage und Stunden gibt, die unbedingt Glück bringen, während andere von Unheil schwanger sind, ist ein uralter Kriegsaberglaube , der noch heute von dem Wahrsagergewerbe kräftig ausgenutzt wird . Wenn Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig besiegt wurde, so sei ihm dies durch den roten Mann, der ihm vor jeder großen Schlacht erschienen sein soll, bereits angekündigt worden. Die meisten Kriegsprophezeiungen pflegen erst bekannt (oder vielmehr von der geschäftigen Volksseele erst dann rückwärts erdichtet) zu werden, nachdem das Ereignis eingetreten ist, auf das sie angeblich schon vorher hingewiesen haben . Manche von ihnen wurden allerdings tatsächlich ausgesprochen , lange bevor das Ereignis eintrat. Nur zieht derjenige, der an sie glaubt, nicht in Betracht, daß neben ihnen eine Unzahl von Prophezeiungen hinausgeschleudert wurde, die niemals eingetreten sind, oder von denen sich das gerade Gegenteil eingestellt hat. Dem Unbefangenen sind daher diese alten Prophezeiungen , selbst wenn einmal eine von ihnen eintritt, gleichgültig ; er weiß , daß für alles, was in der Welt geschieht, sich irgendwo eine Äußerung auf-
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Kriegsaberglaube .
finden lassen muß, die sich bei dem nötigen guten Willen als Voraussage gerade für dieses Ereignis deuten ließe , weil unter den tausend möglichen Fällen, auf die durch Vorhersagungen hingewiesen wurde, einer schließlich doch eintreten muß . Der Leichtgläubige dagegen wird solchen Prophezeiungen häufig zum Opfer fallen. Dies gilt selbst für die Gegenwart. Wird uns doch in einem während des Krieges erschienenen Buche ' ) allen Ernstes erzählt, eine alte Negerin habe schon im 18. Jahrhundert sowohl den Krieg von 1870 wie den jetzigen vorausgesagt. Allerdings ist diese Prophezeiung erst am 8. September
તે
1870 an die Öffentlichkeit gekommen, als es wirklich keine Kunst mehr war, das Unterliegen Frankreichs vorauszusagen ; dennoch glaubt der Verfasser des Buches an ihre Echtheit und an den Zukunftsblick jener Negerin.
Mit ähnlichem gutem Willen steht er der sog. Altöttinger Prophezeiung gegenüber, die im Original 1841 auf Pergament niedergeschrieben sein soll - Papier ist nicht geheimnisvoll genug - , sowie der alten Lehninschen Weissagung.
die
at se
Augenblicklich machen besonders die „ Seherblicke " in Deutschland Runde. Professor Dr. Wilhelm Capitaine , Oberlehrer an der
städtischen Realschule in Eschweiler, schreibt darüber an die „ Kölnische Zeitung" (Nr. 174 vom 17. Februar 1915) : „ Seherblicke betitelt sich ein weitverbreitetes und schon mannigfach abgedrucktes Schriftwerk, das über die Entstehung, den Verlauf und das Ende des gegenwärtigen Weltkrieges berichtet. Das Blatt. in sauberer Maschinenschrift gegeben, hat sich seit Beginn des Krieges von Eschweiler aus zunächst unter der Hand verbreitet und scheint nach den immer mehr wachsenden Anfragen an das hiesige Bürgermeisteramt und an mich schon tatsächlich über ganz Deutschland verbreitet zu sein. Die ersten Exemplare der Schrift trugen den Tietel „ Seherblicke 66 und die Schlußbemerkung : ,, Niedergeschrieben im Jahre 1701. Das Original soll in einem alten Buche hierselbst sich befunden haben, und zwar als Einschrift auf den Deckel einer Bibel oder als Druckstück in einem Buche, das die Offenbarungen der heiligen Brigitta enthält. Die meisten Exemplare künden nunmehr am Schlusse noch an : „Dieses Schreiben ist in altdeutscher Schrift von Herrn Religionslehrer Professor Capitaine übersetzt worden." Zur Wertung der ganzen Angelegenheit sollen hiermit folgende Tatsachen kundgegeben werden : Die „ Seherblicke" sind bald nach Beginn des Krieges in Eschweiler erschienen und in Maschinenschrift in einzelnen Exemplaren verbreitet worden. Der Verfasser oder erste Abschreiber sowie das angebliche Original sind bisher nicht aufzufinden gewesen. Die Schrift ist von mir nicht übersetzt worden ; dagegen wurde mir gleich beim ersten Erscheinen ein Exemplar derselben vorgezeigt. Ich beurteilte daraufhin die „ Seherblicke“ als eine Zusammenfassung und in einzelnen 1 ) Arthur Grobe - Wutischky, Der Weltkrieg 1914 in der Prophetie. Leipzig, Max Altmann.
D
Kriegsaberglaube.
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Angaben als eine Erweiterung der Birkenbaumsage. Die Sage von de Völkerschlacht am Birkenbaum ist, soweit man urteilen kann, tatsächlich im Jahre 1701 zuerst in Köln gedruckt worden, und die älteste uns bekannte Paraphrase der Sage - vgl. Zurbonsen, Seite 26-32 - scheint als Vorlage oder als Parallele zu den „ Seherblicken" angesehen werden zu dürfen. Wenigstens stimmen die " Seherblicke der Hauptsache nach inhaltlich und stellenweise auch wörtlich mit dieser Sagendarstellung überein. Einige moderne Züge scheinen ergänzt, einige Sachen der Vorlage nicht verstanden zu sein ; so werden die westfälischen Dörfer „ Budberg und Söndern“ mit „ Lemberg und Söldern “ oder „ Soldau “ gegeben. Alles in allem , die 19 Seherblicke sind also „ Sage", aber keine „ Weissagung“ . Allerdings treffen sie die Stimmung der Zeit : In Deutschland wie in Frankreich hat gegenwärtig diese uralte Menschheitssage mit ihren tröstenden Hoffnungen wieder volles Leben angenommen.“ Das meiste Aufsehen haben im Laufe der Zeit die Wahrsagun1503 in Frankreich geboren , ließ gen des Nostradamus erregt . er seine Prophezeiungen von 1555 an hinausgehen . Es sollen darin nicht nur der unmittelbar folgenden Jahrzehnte, sondern vieler Jahrhunderte vorausgekündigt sein . Diese Prophezeiungen sind stets in Vierzeiler (Quatrains) gekleidet, je 100 davon sind in eine
Ereignisse
Zenturie zusammengefaßt . Chronologisch sind sie vorsichtigerweise nicht angeordnet ; man mag daher Prophezeiungen für eine bestimmte Zeit an beliebiger Stelle suchen , so daß man beinahe für jeden Fall eine scheinbar passende finden kann . Augenblicklich machen auch in Deutschland wieder einmal Nostradamus-Prophezeiungen die Runde ; so namentlich der 68. Quatrain der 2. Zenturie, worin vorausgesagt wird , Englands letzte Stunde werde gekommen sein, wenn London vor den Auch der 100. Quatrain der 10. Zenturie ist in Deutschland heute beliebt ; er prophezeit, das englische Weltreich werde die Vorherrschaft nur drei Jahrhunderte lang haben ; dann
deutschen Segeln erzittere.
würden große Truppenmassen zu Wasser und zu Lande kommen, worüber die Portugiesen nicht zufrieden sein würden ¹ ) . Wie Faust „ das Buch von Nostradamus eigner Hand " mit frommen Schauer aufschlug, so tun dies auch heute noch viele Menschen 2). Übrigens steht die Verkündigung Nostradamus' vom Ende der britischen Weltmacht in der geschichtlichen Überlieferung durchaus nicht vereinzelt da. Die „Hamburger Nachrichten " vom 12. Februar 1915 weisen auf die ,,Le grand empire sera l'Angleterre Le prépotam des ans des trois cens : Grandes copies passer par mer et terre, Les Lusitains n'en seront pas contens." 2) Ist doch kürzlich eine neue Schrift über ihn erschienen : Die Weissagungen des altfranzösischen Sehers Michael Nostradamus und der jetzige Weltkrieg. Zweite erweiterte Auflage. Von Albert Kniepf. (50 Pf.) Hephaestos-Verlag, Hamburg. 1)
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Kriegsaberglaube.
mittelalterliche Sammlung Sibyllinischer 99 Monumenta historica Britanniae" hin :
Orakel
im
1. Band
der
„Zwischen Britannien und dem goldreichen Gallien wird das Meer von Blut rauschen !" San Marte in seinen ,, Sagen von Merlin " gibt ferner folgende Aussprüche dieses Druiden des 7. Jahrhunderts wieder : ,,London wird die Niedermetzelung von 20000 “ - London zählte damals nur zweibis dreimal soviel Einwohner - „Menschen zu beklagen haben, und der Themsestrom wird in Blut verwandelt werden." Weiter : ,,Wehe dem roten Drachen, denn seine Ausrottung naht eilends heran. Seine Höhlen hat der weiße Drache eingenommen, der die Sachsen bedeutet, die du einludest. Der rote Drache aber bedeutet das Volk Britanniens, das von dem anderen unterdrückt wird. Darum werden seine Berge zu Tälern geebnet werden, und die Flüsse der Täler werden von Blut strömen. " Auch in Kuhns ,, Norddeutschen Sagen" findet sich eine ähnliche angelsächsischen Ursprungs. Sie lautet : ,, In einem Hügel der Eildone Hills, der Lucken Hare heißt, schlafen gewappnete Krieger neben ihren Pferden . Sie werden einst bei Ausbruch der Schlacht von Sheriffmore erwachen. Ein Horn und ein Schwert hängen an dem einen Ende des Gewölbes Wer dieses Horn bläst und das Schwert zieht, soll, wenn anders er das Herz auf dem rechten Flecke hat, König von ganz Britannien werden." Diese Prophezeiungen verdanken ihre Entstehung wie die meisten anderen zunächst wohl nur dem ungeregelten Spiel einer lebhaften Phantasie. Dies gilt auch für die Sagen vom letzten Krieg und vom Weltuntergang. Wie schon in der Edda der Weltuntergang in einer furchtbaren Schlacht dargestellt wird, so taucht dieselbe Sage fast bei Ausbruch jedes Krieges wieder auf: die Gegner sollen mit solcher Wut gegeneinander anstürmen und in ihren Anstrengungen so wenig nachlassen, daß sie sich schließlich gegenseitig vernichten. Als die Hunnen bis nach Frankreich vorgestoßen waren und hier die große Völkerschlacht auf der Ebene von Châlons, den katalaunischen Feldern, stattfand, soll die Wut der Kämpfenden so groß gewesen sein, daß die Geister der Gefallenen sich in den Lüften weiter bekämpiten .
Kaulbach hat in einem seiner sechs großen
Gemälde im Treppenhause des Neuen Museums in Berlin diese Sage bildlich dargestellt. Sie erhielt sich länger als ein Jahrtausend . Wurde doch Kepler von einem Freunde aus Straßburg geschrieben , daß man nächtlicherweile am Himmel das Bild einer Schlacht erblickt habe : Heerhaufen, die sich bekämpften, Rosse , die gegeneinander anstürmten ; Kanonen, die ihre Feuerblitze auf den Gegner entsandten. Wilhelm Schwartz, dem wir die Sammlung der alten märkischen Sagen verdanken, hat aufgezeichnet, daß sich die Sage von der letzten Schlacht hier an den wilden Birnbaum bei Chorinchen knüpft . Soll doch das Heer in diesem furchtbaren Ringen schließlich so klein werden, daß unter einem einzigen Baume Platz findet.
Kriegsaberglaube.
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Solche alten Prophezeiungen können unter Umständen zum Ausbruch eines Krieges beitragen oder ihn gar herbeiführen. So war es ein verbreiteter Glaube, daß die britische Herrschaft in Indien genau 100 Jahre dauern werde . 1757 war Robert Clive in der Schlacht bei Plassey die Herrschaft über Bengalen zugefallen, seither hatte sich die britische Herrschaft in Indien schnell ausgebreitet. 1857 also - so rechnete man - müßte sie wieder zu Ende gehen. Der Aufstand der eingeborenen Truppen, der die englische Herrschaft in Indien fast an den Rand des Abgrundes brachte, brach in der Tat 1857 aus.
Wer die Zähigkeit aller Überlieferungen , auch der sinnlosesten und lächerlichsten , kennt , wird sich weniger darüber wundern, daß sich manches von solchem Aberglauben bis in die Gegenwart hinübergerettet hat , als über die weit erstaunlichere Tatsache, daß wir in Deutschland einen sehr großen Teil dieses Unsinns bereits losgeworden sind. Auch zu Beginn dieses Krieges lief allerdings wieder die Sage von der letzten Schlacht um, und nicht nur in Berliner Geschäftsläden sind Amulette zum Schutze der Soldaten vorrätig gehalten und mannigfach verkauft worden. Aber von dem Kriegsaberglauben war doch 1870/71 noch weit mehr vorhanden als heute. Gar mancher deutsche Soldat trug damals im Tornister einen Zettel mit Beschwörungsformeln und Bannsprüchen bei
sich.
Hatte der alte Dessauer für
kugelfest gegolten , so suchte man nun nach Beispielen von Offizieren oder Soldaten, die ein merkwürdiger Zufall mehrfach aus Lebensgefahr gerettet hatte. Und nicht nur Soldaten trugen den Kugelsegen im Tornister oder auf der Brust auch bei Offizieren konnte man ihn finden.
Jeder Abergläubische war natürlich überzeugt, daß seine be-
sondere Abart des Kriegsaberglaubens die allein wirkungsvolle sei. Fiel jemand, der ihr nicht huldigte, so war es ganz selbstverständlich, daß er nicht mit dem Leben hatte davonkommen können . Hatte er doch die Vorsichtsmaßregel versäumt, etwa bei Beginn des Krieges ein Kartenspiel in die Hand zu nehmen und plötzlich kräftig von sich zu
werfen ;
oder er hatte zu Beginn einer Schlacht vergessen, den
91. Psalm zu beten ; oder er war ohne die Siegwurz ins Feld gerückt. In den Botanischen Garten in Berlin kam im Juli 1870 eine Frau mit der dringenden Bitte , ihr die unverwundbar machende Siegwurz zu geben, da ihr Sohn ins Feld ziehe. Ein Gärtnerbursche machte nach ihrer Beschreibung den Allermannsharnisch ausfindig , der die von der besorgten Mutter geforderte Pflanze war. Ihr Sohn habe die
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Kriegsaberglaube.
Siegwurz schon 1864 und 1866 bei sich getragen und sei deshalb gesund wiedergekehrt. Nun war er bereits ohne diesen Talisman ins Feld gerückt . Er fiel bei Gravelotte . Die Mutter, untröstlich , behielt ihren Glauben , daß ihr Sohn am Leben geblieben wäre, hätte er die zauberkräftige Wurzel noch rechtzeitig erhalten ' ). Aber der Aberglaube
schafft sich auch neue Formen.
So gab
es 1870 törichte Menschen , die glaubten, der Soldat sichere sich vor dem Tode, wenn er die Blechmarke mit der Nummer, die jeder im Felde tragen muß, entferne . Abergläubische nannten die Marke geradezu das „ Totenglöckchen ". Zum Glück hat sich diese besonders dumme Form des Kriegsaberglaubens nicht weiterverbreitet. Dagegen
blieb
es
bei
allen
möglichen
Schutzbriefen ,
auch
Himmelsbriefe genannt, die sich der glücklich Heimgekehrte wohl rahmen ließ, um sie in die gute Stube zu hängen . So lautet ein mecklenburgischer Himmelsbrief aus dem Kriege 1870/71 (nach Kunze) : „ Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ! So wie Christus im Ölgarten stillstand, so sollen alle Geschütze stillstehen. Wer dieses bei sich trägt, dem wird nichts schaden. Es werden ihn nicht treffen des Feindes Geschütze ; es soll ihm nicht schaden Geschütz, Degen und Pistolen. Durch Deinen Befehl und durch Deinen Tod, Jesus Christus, müssen stillstehen alle Gewehre, die man auf mich loshält. Wer diesen Brief bei sich trägt, der wird nicht gefangen noch durch die Waffen verletzt werden. Amen ."
Bei unseren Feinden ist verbreiteter als bei uns.
der
Kriegsaberglaube
zweifellos
viel
Am wenigsten vielleicht bei den Engländern . Aber auch bei ihnen spielt er eine große Rolle. Ist doch der Brite schon in Friedenszeiten reichlich abergläubisch. In wenigen Großstädten der Welt machen Wahrsager und Wahrsagerinnen glänzendere Geschäfte und haben eine feinere Kundschaft als in London. Da das Volksbildungswesen in England erst in den siebziger Jahren staatlich eingeführt wurde, während es bis dahin weder Schulzwang noch eine genügende Zahl von Schulen gegeben hatte,
so
blüht
insbesondere auch der
1) Friedrich Kunze, Hieb- , Stoß- und Schußfestigkeit ( Hamburgischer Korrespondent vom 2. November 1914). Kunze gibt als Quelle die Januarsitzung des Botanischen Vereins der Provinz Brandenburg 1892 (Dr. Bayer) an.
Kriegsaberglaube.
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gesundheitliche und daher auch der Kriegsaberglaube in England bei weitem üppiger als in Deutschland¹).
Ist Frankreich das Vaterland eines Voltaire, eines Diderot, Laplace, Arago- oder ist es die Heimat des dunkelsten Aberglaubens ?
So kann man jetzt und so konnte man schon in den
letzten Jahren vor dem Kriege fragen. Daß heute die Wahrsager und Wahrsagerinnen namentlich in Paris die glänzendsten Geschäfte machen, während alle übrigen Wirtschaftszweige mit Ausnahme etwa der übelsten Postkartenindustrie daniederliegen , ist vielleicht noch weniger erstaunlich , als daß wiederholt in den letzten Jahren auch von angesehenen Männern abergläubische Anschauungen namentlich über einen kommenden Krieg geäußert wurden , die sie, wären sie Deutsche, dem Spott und der Verachtung preisgegeben hätten . So erschien zu Beginn des Jahres 1914 in der ,,France militaire", die zwar nicht vom französischen Kriegsministerium herausgegeben wird, jedoch mit ihm in enger Verbindung steht, ein Aufsatz über ein großes Meteor, das am 7. Januar 1914 über Frankreich niedergegangen war und das ______ den schlechten Gesundheitszustand der französischen Garnisonen veranlaßt haben sollte ! Alle Welt sprach damals von der bedenklich hohen Kranken- und Sterblichkeitsziffer in der französischen Armee, die durch die überstürzte Vermehrung der
Rüstungen
auf
außerordentliche
Höhe
gebracht worden war.
Anstatt die Ursache in der Unfähigkeit der Heeresverwaltung zu suchen, die zwar seit 1870 manches gelernt hat, aber doch immer noch sich Dinge zuschulden kommen läßt , die wir in Deutschland nicht dulden — anstatt ferner zu fragen , ob nicht die Einstellung von Halbtauglichen und mit chronischen Leiden Behafteten die hohe ¹) Die „ Hamburger Nachrichten “ vom 31. März 1915 berichteten : ,,Die kleinen Antiquitätengeschäfte in London blühen und haben viele Kunden, die seltsame Kleinigkeiten aller Art erstehen. Der Beweggrund für diese Ankäufe ist kein künstlerisches oder Sammelinteresse , sondern Aberglaube. Wie ein solcher Antiquitätenhändler erzählt, werden hauptsächlich Dinge verlangt, die eine tragische Geschichte haben. Schmuck von belgischen Flüchtlingen, den diese Unglücklichen reichlich anbieten, kaufen andere Leute aus Interesse an den Kriegsereignissen, die damit in Verbindung stehen . Die besten Kunden aber sind Offiziere und Soldaten, die Amulette aller Art erstehen. Ich hätte nicht gedacht, daß Soldaten so abergläubisch sind . Vielleicht kommt es von den vielen Automobilisten her, die ja schon immer Amulette bevorzugten. Kleine Bildchen, alte Kreuze und Anhänger, die eine Geschichte oder einen exotischen Ursprung haben müssen. werden bevorzugt. Überhaupt stehen Kriegserinnerungen hoch im Preise.“
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Kriegsaberglaube.
Krankheitsziffer verschuldet habe, entblödete sich eine einflußreiche militärische Zeitschrift nicht, die Schuld auf ein Meteor zu schieben ! Im letzten Menschenalter sind in Frankreich wenigstens vierzehn große Meteorsteinfälle
astronomisch festgestellt worden, ohne daß der Ge-
sundheitszustand der französischen Armee darunter gelitten hätte — und nun sollte plötzlich das neue Meteor den hohen Stand der Krankheitsziffer herbeigeführt haben ! Kann man sich da wundern, daß selbst Franzosen , die sich zu den gebildeten Kreisen rechnen , allen möglichen Arten von Prophezeiungen schon seit Jahren ein aufmerksames Ohr geliehen haben ? Ich spreche hier nicht von den Männern und insbesondere Frauen aller Stände, auch der höchsten Gesellschaftsschichten, die den Wahrsagern und Wahrsagerinnen in Paris ein glänzendes Leben ermöglichen. Ein tolles Stück ist es aber doch wohl, wenn ein französischer Offizier, der 1912 das Bild einer Zukunftsschlacht gegen Deutschland, wenn auch in phantastischer Einkleidung, zu entrollen suchte, sich dabei auf eine
,,berühmte“
Straßburger Prophezeiung berief.
In
dem Buche
„ La bataille du champ des bouleaux ", das 1912 in Paris im Verlage von Charles Lavauzelle erschien, hat Major de Civrieux , gestützt auf diese Prophezeiung, das Ende des Deutschen Reiches und gleichzeitig der Hohenzollern auf das Jahr 191⚫ vorausgesagt.
Es handelt sich hier nicht um die strategischen Ausführungen Civrieux's, der selbstverständlich die Deutschen in einer furchtbaren Schlacht vernichten läßt. Nachdem die Franzosen auf verschiedenen Kriegsschauplätzen in drei siegreichen Schlachten die Deutschen zurückgedrängt haben und in die nördlichen Rheinlande vorgedrungen sind, schließt sich auch Holland Frankreich an, weil man ihm die Emsmündung und einen Teil von Hannover als Gewinn bietet, nachdem bereits die Engländer eine Hilfstruppe von 100 000 Mann geschickt haben und die Belgier mit den Franzosen gemeinschaftliche Sache gemacht haben. Die deutschen Niederlagen, die ganz Europa in Staunen setzen, gipfeln in der letzten großen Schlacht auf dem Birkenfelde , die zwischen Lippe und Ruhr stattfindet. Eineinhalb Millionen Mann mit 4000 Geschützen stehen sich hier gegenüber. Entschieden wird die Schlacht am Abend des dritten Tages durch einen furchtbaren Sturmangriff der 50 000 afrikanischen Krieger (Araber, Milizen " .
Marokkaner
und
Neger),
Gleichzeitig wird durch
„ des Schreckens der modernen einen französischen Flieger, der
auf das deutsche Hauptquartier wie ein Raubvogel auf sein Opfer losstößt, Kaiser Wilhelm II. samt seinem Generalstab vernichtet. Das Buch schließt mit den plakatähnlich gesetzten Zeilen :
ent
67
Kriegsaberglaube. So ging nach der Voraussagung der berühmten Strassburger Propezeihung auf dem Birkenfelde zwischen Hamm und Unna in Westfalen
im Jahre 191 . anderthalb Generationen nach seiner Gründung mit dem dritten und letzten Kaiser das Deutsche Reich der Hohenzollern zugrunde . Wollte man das Ganze für die unverantwortliche Leistung eines verschrobenen Kopfes oder für den Ausfluß der Spekulationslüsternheit des Verfassers oder seines Verlegers halten, so muß man von dieser Ansicht abkommen , wenn man die Vorrede des nationalistischen Abgeordneten Driant liest, der dort sagt : „ Man mag noch so sehr die Achseln zucken und sich sagen, es sei albern, allem dem , was Voraussagung der Zukunft ist, Glauben zu schenken ; die durch diese Voraussagung bedroht werden , fühlen dennoch einen Schauer ihre Seele durchziehen bei dem Gedanken, daß die verhängnisvolle Zeitangabe naht ; und diejenigen, die sie rächt, können sich nicht enthalten, sich zu fragen : Und wenn es doch wahr wäre! " Konnten solche Bücher, von einem Major geschrieben und von einem Major z. D. , Militärschriftsteller und Abgeordneten mit den Worten empfohlen, daß seine Darstellung „ wunderbar in den Rahmen der Wirklichkeiten von morgen passe " , schon im Frieden in Frankreich wie muß es dann erst . ― verfaßt, gedruckt und verkauft werden im Kriege aussehen ? In der Tat lassen jetzt Aberglauben schrankenlos auf sich wirken , um nicht nur eines annehmbaren, sondern geradezu gangs dieses Kampfes vorzutäuschen, obwohl ein
viele Franzosen den sich die Möglichkeit eines günstigen Auserheblicher Teil ihres
Gebietes seit Monaten von den Deutschen fest in Händen gehalten wird und obwohl irgendeine Kraft , die einen Umschwung möglich erscheinen ließe, nirgends zu erkennen ist . Man will eben nichts anderes für möglich halten als das, was man hofft . Wie der Anhänger gesundheitlichen Aberglaubens nur diejenigen Fälle zählt, in denen ein Kurpfuscher Erfolg gehabt hat, während er alle anderen in den Wind
schlägt,
betrachten
Krieg des Jahres
1870/71
viele Franzosen
heute
noch selbst den daß in den
unter dem Gesichtspunkt,
meisten Schlachten sie gesiegt hätten und daß es deshalb eigentlich
68
Kriegsaberglaube.
unerklärlich sei , weshalb der Friede für Frankreich ungünstig ausfiel . Der jetzige Krieg wird unter dieselben Gesichtspunkte gestellt . Man braucht nur die Verhandlungen der französischen Kammer zu lesen , um sich zu überzeugen, daß wenigstens alle diejenigen Abgeordneten , die das Wort ergreifen , wenn nicht die Mehrzahl derer die abstimmten, der Ansicht waren,
daß im Grunde bisher Frankreich gesiegt habe .
Solchem Selbstbetrug leisten nun die zahlreichen Weissagungskalender und Traumbücher Vorschub, die in Buchhandlungen und auf den Boulevards verkauft werden. Auch sie verkünden sämtlich "9 das Ende der Hohenzollern " , aber nicht für das unbestimmte Jahr 191
, sondern dreist und unverdrossen für das Jahr 1914/15 .
Man greift mit Vorliebe bis auf Prophezeiungen zurück , die Friedrich dem Großen gemacht worden sein sollen . Auch spielt eine erhebliche Rolle die Weissagung, die eine Zigeunerin im Elsaß Kaiser Wilhelm I. verkündet haben soll. Noch wichtiger sei eine solche des Mönches Hennin, dessen Kloster von den preußischen Königen zerstört worden sein soll wo und wie wird nicht gesagt. Meist verkünden die heute in Frankreich in Umlauf befindlichen Weissagungen das Ende des Deutschen Reiches in einer Riesenschlacht, die nun abwechslungshalber das Weidenfeld genannt wird . Sollte das Buch des Majors de Civrieux dafür nicht Pate gestanden haben ? Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn man hört, daß in den heute gangbarsten Prophezeiungen in Paris dieses Weidenfeld in der Nähe von Essen zu finden ist .
Haben doch die Kruppschen Fabriken für unsere Feinde
seit langem besondere Anziehungskraft . Diese Schlacht von Essen ist in einem besonderen Büchlein heschrieben, das heute auf den Boulevards unter dem Titel „ Wahrhaftige Beschreibung der großen Schlacht auf dem Weidenfelde nach den berühmten Prophezeiungen des neunten Jahrhunderts" verkauft wird. Major de Civrieux hat also Schule gemacht. Vielleicht ärgert er sich nur, daß seine Nachahmer so glänzende Geschäfte mit seiner Idee machen.
Nur ein Mensch in Frankreich hält sich mit Prophezeiungen zurück : Madame de Thèbes , deren Weissagungen für jedes kommende Jahr sonst uns Deutschen häufig eine fröhliche Stunde bereiteten. Die Sibylle, die bezeichnenderweise namentlich mit dem „ Figaro " in Geschäftsverbindung steht, die also ihre Opfer hauptsächlich in den wohlhabenden Schichten von Adel und Bürgertum sucht, hat sonst regelmäßig jedem kommenden Jahr mit Sicherheit einen bestimmten Charakter vorausgesagt. 1914 sollte das 99 glänzende " oder „ blitzende " Jahr werden. Zu Beginn des Krieges verstummte Madame de Thèbes plötzlich das Klügste, was sie tun konnte . Obwohl ihr Stamm-
69
Kriegsaberglaube.
publikum in sie drang, gerade jetzt zu prophezeien, lehnte sie dies ab. Nun endlich hat sie die Sprache wiedergefunden . Man muß ihre Klugheit bewundern, da sie in dem roten Wahrsagebüchlein für das neue Jahr betont, ihr Geist sei infolge des furchtbaren Unglücks nicht so klar wie gewöhnlich. Dann erst orakelt sie drauflos in Ausdrücken,
aus denen man alles herauslesen kann .
Unerhörte
Veränderungen sollen nach dem Kriege für das herrliche Frankreich bevorstehen ; das wird wohl stimmen. „ Vor meinem Nebel fühle ich : wenn die Sonne den dritten Teil ihres Laufes beendet haben wird , wird dein Blut zu fließen aufhören" ; auch das könnte zutreffen, da Frankreich den Krieg über den April hinaus kaum fortsetzen kann. Um welchen Preis der Krieg beendet werden wird ? Madame de Thèbes meint: nicht um den, an den Frankreich denkt. Sie schließt mit den unbestimmtesten Ausdrücken und der Mahnung : Wacht zu stehen .
wohl auf der
1870 haben es die Franzosen übrigens nicht anders gemacht . Auch damals verließ man sich darauf, sobald die eigene Kraft versagte oder sobald man wieder einmal versäumt hatte, für das vorauszusorgen, was notwendiger- oder möglicherweise eintreten konnte, daß irgendeine geheimnisvolle Kraft dem göttlichen Frankreich zu Hilfe kommen würde, um es vor den Barbaren zu retten. Selbst ein Mann wie Sarcey machte sich in seiner „ Belagerung von Paris " darüber lächerlich, daß man so wenig gründliche Vorbereitungen auch dann traf, wenn viele Monate zur Verfügung standen,
indem man
sich ohne Zweifel einredete, die Schutzpatronin von Paris , die heilige Genoveva , würde vom Himmel herabsteigen, um die Kanonen der Preußen zu berühren und sie schweigen zu machen “ . Bekanntlich
hat
die
heilige Genoveva
Paris
bereits
vor den
Hunnen und dann wenigstens vorübergehend vor den Franken Chlodwigs geschützt.
1870 stellte der General Trochu' , Gouverneur von Paris,
ein glaubenseifriger Bretone, im Ministerrat den Antrag, einen Aufruf an die Pariser Bevölkerung zu veröffentlichen , der einen Bittgang zu der Schutzherrin empfehlen sollte , da allein sie imstande sei , die Stadt vor den belagernden Preußen zu retten. Der Ministerrat lehnte jedoch den Antrag ab. Die meisten Pariser hätten den Bittgang wohl gern unternommen. Wurde doch die Heilige seit Jahrhunderten in Kriegsnot, bei Feuersbrünsten,
Überschwemmungen und Seuchen um
Hilfe angerufen ; selbst Erasmus von Rotterdam , der in Paris erkrankte, hatte sich in lateinischen Versen bei Genoveva für seine Heilung bedankt. Ist es ausgeschlossen, daß man im gegenwärtigen Kriege auf diesen Antrag zurückkommt ? 6 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 527.
Kriegsaberglaube .
70 Als Schutzheilige gilt Jungfrau von Orléans.
den
kriegerischen Franzosen
ferner die
Auch seit Ausbruch dieses Krieges ist ihr
Geburtshaus in Domrémy in der Champagne von unzähligen Soldaten und Offizieren besucht worden. Wie zu einer Kapelle wallfahrten sie dorthin, um den Sieg für die französischen Waffen zu erflehen. Am Eingang des Hauses liegt ein Buch aus, in das sie ihre Bitten und Wünsche niederzuschreiben pflegen. Unter den Besuchern befand sich auch der Marquis d' Estourbeillon, dessen Ahnherr im Heere der Jungfrau gedient hat und 1429 an ihrer Seite siegreiche Schlachten gegen die Engländer schlug. Wäre es den Franzosen gelungen,
sich vom Aberglauben freier
zu machen und größere geistige Klarheit , insbesondere mehr Selbstkritik zu lernen, so hätten sie sich das Abenteuer dieses Weltkrieges sparen können, das für ihre Zukunft geradezu vernichtende Wirkungen haben muß und es brauchten heute weder die klugen Propheten sich so vorsichtig und gewunden auszudrücken, noch wäre es möglich, daß die rücksichtslos auf die Dummheit ihrer Mitmenschen spekulierenden Geschäftsleute des Aberglaubens so viele Opfer fänden.
In Rußland ist der Aberglaube von alters her so festgewurzelt, daß auch die nicht immer sehr energischen Reformversuche, durch die man ihm zu Leibe gehen wollte, wenig ausgerichtet haben . Peter der Große , der sonst eine Panik voraussah, mußte seine Soldaten vor dem Herannahen einer Sonnenfinsternis ausdrücklich darüber belehren lassen, daß diese nichts Böses bedeute. Übergehen wir die Kriege der Zwischenzeit mit Stillschweigen und wenden wir den Blick nur auf den letzten Krieg des Zarenreichs. Als der Kampf gegen Japan 1904 begann, verbreitete sich in den Dörfern der Umgegend Die Leute von Tomsk eine außerordentliche religiöse Aufregung. drängten sich in den Straßen, weil sie umsonst nach Moskau befördert werden wollten, um dort für den Erfolg der russischen Waffen beten zu können. Denn sie hatten in den Wolken eine blutrote Hand gesehen, die den kreuzförmigen Griff eines Schwertes umfaßt hielt. Das war die Hand des heiligen Georg, den man in Rußland als Bringer des Sieges anbetet. Nun prophezeite auch ein Priester, Athanasius, der Heilige werde nach drei Monaten auf einem flammenden Roß durch Sibirien sprengen, um Furcht in die Herzen der Japaner zu jagen; die Heere des Zaren würden einen mächtigen Sieg davontragen, alsdann würde die japanische See vor den russischen Heerscharen
1
71
Kriegsaberglaube. austrocknen, wie seinerzeit das
Rote Meer vor den Israeliten, und
die Russen würden als Sieger nach Tokio marschieren. Neben diesem Unsinn glaubten die Bauern von Tomsk damals auch, General Skobelew , der Held des Russisch-Türkischen Krieges 1877/78, sei nicht gestorben, werde vielmehr in einem Gefängnis verborgen gehalten, aus dem man ihn jetzt wieder in die Freiheit entlassen würde, um ihm das Kommando über die Truppen im fernen Osten zu übertragen. Diese Gefangensetzung aber kam so : Eines Tagės ging General Skobelew zum Zaren und sagte : „ Herr, erlaube, daß ich die Deutschen bekriege ! " Der Zar antwortete : „ Unmöglich, mein Sohn, denn die Deutschen sind unsere guten Nachbarn. " Da kam Skobelew zum zweitenmal und sagte : „ Herr, erlaube, daß ich die Engländer bekriege ! " Der Zar antwortete : „ Unmöglich, denn die Engländer sind unsere besten Kunden . " Und wieder kam Skobelew und
bat,
man möge ihm erlauben,
die Türkei
zu bekriegen .
Da
wurde der Zar zornig, ließ ihn in das Gefängnis von Sucharew werfen und
sagte :
„ Dort
sollst
du
bleiben,
bis
du japanisch
sprechen
kannst ! Und du sollst nicht eher japanisch sprechen, bis die Zeit Diese Zeit gekommen ist, wo ich Japan mit Krieg überziehe ! " sei jetzt gekommen , und deshalb werde Skobelew aus dem Gefängnis hervorkommen und sich an die Spitze der Truppen stellen . . Aus der russischen Front im Japanischen Kriege erzählt Weressájew folgende Geschichte, die sein Bursche ihm erzählte und die damals die Runde machte :
„ Im Kromschen Regiment befindet
sich unter den Soldaten ein Prophet.
Dieser teilte seinen Kameraden
mit, daß der Krieg genau ein Jahr nach seinem Anfang, am 27. Januar 1905, beendigt sein werde. Als dem Kompagniechef diese Voraussage zu Ohren kam, stellte er den Propheten drei Stunden auf Strafposten. Da geht der Regimentskommandeur vorüber und fragt ihn : , Wofür stehst du da ? - Für die Wahrheit, Euer Hochwohlgeboren !' Für welche Wahrheit ? — Der Soldat erzählte es. ,Nun, dann sag' deinem Hauptmann, daß er dich von mir aus noch drei Stunden länger stehen lassen soll. ' - ,Nein, Euer Hochwohlgeboren, Sie werden mich nicht beleidigen, aber hören Sie, was ich Ihnen sage ! Auf der Post liegt ein Brief für Sie, und in diesem Briefe steht geschrieben,
daß Ihr Bruder in Rußland gestorben ist. '
Dies bestätigte sich . Der Oberst ging und erzählte alles Kuropatkin. Kuropatkin ließ den Mann holen und schrie, mit den Füßen stampfend, auf ihn ein ; der Soldat aber sagt : Exzellenz, Sie haben in der rechten Tasche eine Schachtel Zündhölzchen, und es sind 42 Stück darin.' Kuropatkin zählte die Zündhölzchen : es stimmte. Er behielt den Soldaten bei sich.
Wenn es ' , sagt er ,
so kommen wird , 6*
72
Kriegsaberglaube.
wie du sagst, werde ich dich zum Offizier werde ich dich erschießen lassen ¹ ) .'
befördern, wenn nicht,
Kann man sich wundern, daß die Soldaten im russischen Heere solche Dinge glauben, wenn selbst die Offiziere und viele sogenannte Gebildete allen möglichen Formen des Aberglaubens anhängen ? Finden sich doch in Rußland zuweilen , sogar in angesehenen historischen Zeitschriften, Veröffentlichungen , die der Zahlenkabbalistik das Wort reden . Da wird etwa bewiesen, daß ein geheimnisvoller Zusammenhang zwischen den Jahreszahlen der Geburt, des Regierungsantritts und des Todes der Zaren bestand . Peter der Große wurde 1672 geboren, 1696 gelangte er zur Regierung, 1725 starb er. Er wurde also 53 Jahre alt, wie sich aus der Zusammenrechnung dieser Zahlen ergibt. 1825.
( 1 + 6 + 7 + 2 ) + ( 1 + 6 + 9 + 6)
+ ( 1 + 7 + 2 + 5)
Alexander I. wurde 1777 geboren, 1801 gekrönt, er starb Auch hier ergibt sich die Todesziffer von 48 Lebensjahren
aus der Zusammenzählung von ( 1 + 7 + 7 +7 ) + ( 1 + 8 + 0 + 1) + (1 + 8 + 2 + 5), Dieselbe Berechnung kann man für Nikolaus I. machen,
der 1796 geboren wurde,
1826
zwar nicht die Regierung
antrat (dies war 1825 geschehen), aber gekrönt wurde, und 1855 starb. Hier ergibt wieder die Zusammenrechnung von (1 + 7 + 9 + 6) + ( 1 + 8 + 2 + 6 ) + ( 1 +8 + 5 + 5) genau reichte Lebensalter von 59 Jahren . Gewiß,
diese Zahlen stimmen - aber daß
das
von ihm er-
sie
einem reinen
Spiel des Zufalls entstammen, ergibt sich aus der Tatsache, daß für alle übrigen Zaren und Zarinnen dieselbe Berechnung Unsinn ergibt. Dennoch beschäftigt
man sich in
Rußland ernsthaft
mit solchen
Dingen. So kann man sich wohl nicht wundern, daß sich in jedem Kriege dort der Aberglaube bei Soldaten und Offizieren störend bemerkbar macht. In dem jetzigen Kriege wurde neben mannigfachen anderen Beispielen russischen Aberglaubens berichtet, daß die Offiziere den Mannschaften
einiger Regimenter,
wenn sie sie gegen mörderisches Feuer
führten, erzählt hätten : sie sollten nur ohne jede Furcht vorgehen, denn wenn sie fielen , würde die Jungfrau Maria sie in drei Tagen wieder lebendig machen. Daher sollen diese Truppen , wie Gefangene berichteten, mit außerordentlicher Todesverachtung ins Feuer gegangen sein.
1) W. Weressȧjew: Meine Erlebnisse im Russisch- Japanischen Krieg. Stuttgart, Robert Lutz. S. 203.
73
Kriegsaberglaube.
Noch weitere Beziehungen hat der Aberglaube Er kann ihn geradezu hervorrufen .
Liegt
zum Krieg.
es so
ganz fern, auch für das ungeheure Ringen , in dem wir jetzt stehen, an diesen Zusammenhang zu denken ? Oder haben nicht vielleicht doch auch abergläubische , d. h. sinn- und grundlose Vorstellungen von den Absichten Deutschlands wenigstens Rußland und Frankreich in den Krieg getrieben ? Es wäre nicht das erstemal, daß der Aberglaube dazu beigetragen hätte , einen Krieg zu entfesseln . Auf niederer Kulturstufe hat sich dies häufig ereignet. So berichten die Völkerkundigen von den Papuas, daß sie sowohl untereinander wie gegen Fremde sehr gutmütig seien , wenn sie gut behandelt werden und wenn ihnen stets nur die Wahrheit gesagt und jedes Versprechen gehalten wird, obwohl sie auf der Stufenleiter der Zivilisation so tief stehen, daß sie nicht einmal Feuer zu machen verstehen und in ihren Hütten ängstlich darauf bedacht sind, daß es nicht ausgeht. Während sie aber innerhalb dieser Dörfer keine irgend nennenswerte Streitigkeiten haben, obwohl sie in einer ursprünglichen Gütergemeinschaft ohne irgendwelche Oberhäupter leben, sind doch Fehden zwischen einzelnen Stämmen oder vielmehr Dörfern nicht selten . Wirtschaftliche Gründe sind dafür nicht vorhanden
wohl aber abergläubische
Anlässe . Sobald nämlich irgend jemand krank wird , kommen seine Freunde und Verwandten zusammen und suchen festzustellen , nicht durch welche natürliche Ursache die Krankheit entstanden sein kann, sondern welche Person außerhalb die Schuld an der Krankheit trägt. Nachdem man alle möglichen Feinde in Erwägung gezogen hat, entdeckt man die wahre Ursache : ein Feind aus dem nächsten Dorfe hat die Krankheit herbeigewünscht. Und so wird denn ein Kriegszug gegen dieses Dorf beschlossen. Selbst unter den Küstendörfern sind daher Fehden unter den Papuas nicht selten, während die Küstenbewohner die weiter entfernten Bergbewohner als richtige Zauberer und deshalb noch schlimmere Feinde betrachten , 99obwohl sie sich bei näherer Bekanntschaft als genau dieselbe Art Menschen erweisen wie ihre Nachbarn von der Meeresküste ¹) ". Stehen Völker auf niederer Kulturstufe mitten im Kriege, so kann ihr Aberglaube sie zu furchtbaren Grausamkeiten führen, während sie sich selbst vortäuschen, diese seien durch die Religion geboten. Cäsar berichtete von den Galliern : „ In Schlachten oder Gefahren verwickelte Parteien opfern Menschen oder geloben deren Opferung, weil sie glauben, daß andernfalls die unsterblichen Götter nicht günstig gestimmt werden können. “
welt.
1 ) Peter Kropotkin : Gegenseitige Hilfe in der Tier- und MenschenDeutsch. Leipzig, Theod . Thomas, 1908. S. 86 f.
74
Kriegsaberglaube .
Zogen sie in den Krieg, so pflegten die Lusitanier einen Mann und ein Pferd zu opfern, um sich die Götter günstig zu stimmen. Selbst die Hellenen versuchten vor dem Beginn eines Krieges oder einer Schlacht oder während einer Belagerung die Götter durch Menschenopfer auf ihre Seite zu ziehen. Keineswegs sind es immer nur Feinde, die man dafür hinschlachtet. Auch dort, wo man Gefangene bereits in Händen hatte, liegt ursprünglich wohl der Gedanke zugrunde, man müsse etwas dem eigenen Herzen besonders Teures hingeben, um Gehör
zu finden. So brachte der König von Moab, als es ihm in der Schlacht schlecht ging, seinen ältesten Sohn als Brandopfer dar. Namentlich von den Phöniziern sind zahlreiche Fälle
30
berichtet,
in denen sie einige ihrer teuersten Angehörigen im Kriege, oder wenn sie sonst in Gefahr kamen, opferten . Sie wählten diese Opfer durch Abstimmung aus. Im Kriege gegen die sizilianischen
Hellenen brachte der karthagische Feldherr Hamilker, als er gegen das von Gelo von Syrakus befehligte Heer focht, vom Aufgang bis zum Untergang der Sonne unzählige Menschenopfer dar. Ebenso zwangen die Karthager, da sie in der höchsten Not waren, die adligen Familien, 200 ihrer Söhne herzugeben, um sie dem Baal zu schlachten. Die Hindus lasen aus ihren religiösen Büchern und aus Überlieferungen heraus , der Sieg stehe demjenigen zu , der einen Mann opferte. Den " blutroten Schlachtengott " durch Menschenopfer zu versöhnen, um eine Schlacht zu gewinnen oder eine Festung zu erbauen, ja um ein größeres Dorf anzulegen oder irgendwelche Gefahren abzuwenden, ist dort und bei zahlreichen anderen Völkern üblich gewesen¹) . Aber auch nach dem Siege nimmt das Blutvergießen durch Aberglauben noch kein Ende .
Mancher Krieger hatte in der Schlacht
gelobt : wenn er ihre Fährnisse glücklich überstehe, Dankopfer darzubringen .
dem Gotte ein
Auch dann werden nicht immer nur ge-
fangene Feinde ausgewählt, zuweilen auch Angehörige des eigenen Stammes. In der Regel aber mußten nun die Unterlegenen daran glauben . Häufig handelte es sich dabei „ um Gottes, damit er seine Gunst auch in Zukunft es bei den auf Borneo lebenden Kajans üblich, gebracht werden, einen von ihnen zu opfern , trete und der Fluch der Feinde in ihrem Lande
die Bestechung des gewähre “ 2). So ist wenn Gefangene eindamit Gedeihen einunwirksam werde.
Auf der anderen Seite hat der Aberglaube ursprünglicher Völker im Kriege doch auch manchen Grundsatz der Menschlichkeit 1 ) Siehe weitere Beispiele bei Dr. Eduard Westermarck : Ursprung und Entwickelung der Moralbegriffe. Deutsch. Leipzig, Dr. Werner Klinkhardt, 1913. Band 1, S. 366 f. 2) Westermarck, a. a . O., Band 1 , S. 367.
DAR
Kriegsaberglaube.
75
zur Anerkennung gebracht. Insbesondere geschah dies aus Furcht vor der Zauberkraft. Bei sehr vielen Völkern war die Ansicht verbreitet, daß aus dem Körper eines jeden Toten ein Geist entweiche, der weiterlebe . Es lag in der Macht dieses Geistes, einen feindlichen Übeltäter zu verfolgen und grausam zu strafen, wenn er sich einer schweren Deshalb Übeltat gegen den Toten hatte zuschulden kommen lassen. sind häufig alte Weiber zu Heroldsdiensten verwendet worden, nicht nur, weil sie im Kriege ungefährlich waren, der Gegner sie also eher herankommen lassen konnte, sondern auch , weil sie im Rufe besonderer Zauberkraft standen, und zwar mehr noch als alte Männer, so daß man sie vorsichtig, zuweilen geradezu ehrfürchtig behandelte, weil sie bald Geister sein würden ...
Über viele Formen des ursprünglichen Kriegsaberglaubens sind die modernen Völker hinaus, während seine Überreste noch hier und da zutage treten. Wie sehr dies geschieht, hängt namentlich von dem Grade der Volksbildung ab . Es belohnt sich auch in dieser Beziehung, daß wir Deutschen darin weiter vorgeschritten sind als die sämtlichen Feinde, gegen die wir jetzt zu kämpfen haben. Dem Krieg in seiner heutigen Gestalt kann mit entschlossener Ruhe nur ins Auge sehen, wessen Geist von abergläubischer Vorstellung frei ist. Unsere Soldaten wissen, daß der Tod ihnen weder in den Sternen geschrieben steht, noch daß irgendwelche Prophezeiung, ob sie nun aus dunkelster Urzeit stammt oder aus den letzten Jahren, ihr Schicksal bestimmt.
Sie wissen, daß kein Amulett und kein zauberkräftiger Spruch sie vor Tod oder Verwundung schützen kann . Sie sind überzeugt, daß sie jede Vorsicht walten lassen müssen, um sich nicht unnötig der Gefahr auszusetzen, die allenthalben im Kriege auf sie lauert. Kein Nothemd und kein St. -Georgs- Taler kann sie vor der feindlichen Kugel oder dem Bajonett bewahren . Eben deshalb aber, weil sie wissen, daß ihr Schicksal nicht schon im voraus entschieden ist, ohne Rücksicht auf Tapferkeit und Willensstärke, Vorsicht und Nervenkraft, gehen sie ruhig und entschlossen in den Kampf, wie der Grenadier aus dem Heere Friedrichs des Großen, den Willibald Alexis seine Liebste mit den Worten trösten läßt : 29,Wisch ab, Lowise, das Gesicht ! Eine jede Kugel, die trifft ja nicht."
76
Der zweite Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen.
VIII .
Der zweite Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen . Von v. Richter, Generalmajor z. D.
Der erste Versuch der vereinigten Franzosen und Engländer, sich in den Besitz der Dardanellen zu setzen, kam gegen den 1. April d. J. zum Abschluß. Er war lediglich mit den Kampfmitteln der Flotte unternommen, suchte den Erfolg im Überschütten der türkischen Befestigungen mit zahllosen Geschossen schwersten Kalibers und entsprach den Erwartungen der Angreifer in keiner Weise. Daß der Masseneinsatz von Schlachtschiffen mit ihrer starken Artillerie versagte , hatte seinen Grund in verschiedenen nicht genügend gewürdigten Umständen. Vor allem hatte man den Kampfwert der türkischen Artillerie unterschätzt nach Zahl der vorhandenen Geschütze, Größe und Stoßkraft ihrer Geschosse, Treffsicherheit, Munitionsausrüstung und Feuerleitung. Und selbst wenn man diese Verhältnisse richtiger eingeschätzt hätte, so fehlten doch zuverlässige Angaben über Art und Ort der Ziele. Trotzdem man aus von den Schiffen aufgelassenen Fesselballons , durch Flugzeuge und einzelne zur Erkundung vorgetriebene Fahrzeuge, die das Feuer herauslocken und dadurch Einblick in die Anlagen des Feindes verschaffen sollten, Aufschluß zu erhalten hoffte , waren die erlangten Ergebnisse doch unzureichend . Unangenehm berührte die Erkenntnis, daß ein Teil der feindlichen Geschütze die Aufstellung wechselte,
wodurch ihre Bekämpfung noch schwieriger wurde.
Aber
selbst wenn es gelungen wäre, die benötigten Anhaltspunkte zu gewinnen, so machten doch die kleinen Abmessungen der Ziele und ihre verdeckte Lage im Gelände eine erfolgreiche Bekämpfung unwahrscheinlich .
Das hängt mit Art der Schiffsgeschütze zusammen,
die gestreckte Flugbahnen besitzen müssen. Die vermögen gegen verdeckte Ziele nicht viel auszurichten, weil denen nur durch Steilfeuer mit Aussicht auf Wirkung beizukommen ist . Die dazu geeigneten Haubitzen schweren Kalibers sind aber auf Schiffen unverwendbar, weil der bei großer Erhöhung nach unten gerichtete Rückstoß den Schiffskörper zu stark beanspruchen würde. Auch schließen die Schwankungen der Schiffe ein Art der Ziele fordert.
so genaues Schießen aus,
wie es die
Der zweite Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen.
77
Bei den Verbündeten hatte sich augenscheinlich eine nicht zu verkennende Ratlosigkeit eingestellt, wie dem dringenden Begehren Rußlands nach Öffnung der Dardanellen zu begegnen und das durch den Mißerfolg stark erschütterte Ansehen wieder herzustellen sei. Es fanden Beratungen der beiden Marineminister Augagneur und Churchill statt und man ließ durch den Oberbefehlshaber und die beiden Admiralstäbe einen neuen Plan entwerfen . Daß der vorhergehende ungenügend vorbereitet und übereilt unternommen war, wurde eingestanden.
So-
viel war klar geworden, daß ein einseitiges Vorgehen zur See keinen Erfolg verspreche. So kam es zu dem Entschluß, die Bezwingung der Dardanellen gleichzeitig zu Lande und zu Wasser zu versuchen. Da die Schwierigkeiten, die sich der Flotte entgegenstellten, unvermindert fortbestanden, mußte die Hauptaufgabe den Landungstruppen zufallen. Zur Bildung eines gemeinsamen Korps waren bereits Ende März einleitende Schritte außereuropäischen Truppen einigt. Die Flotte, soweit Schäden ausbesserte, hielt zurück, schlechtes Wetter
getan. Es setzte sich vornehmlich aus zusammen und wurde in Alexandria versie nicht ihre vielfachen und schweren sich im allgemeinen unter dem Vorwande Sie ließ nur verhindere ihr Auftreten.
vor dem Ausgange der Dardanellen kreuzen , teils zu Beobachtungszwecken, teils um die Erkundung der feindlichen Anlagen fortzusetzen, deren Besatzung zu beunruhigen und die Ausbesserung der Werke zu stören . Hierbei entspann sich zuweilen ein Artilleriekampf, in dem der Angreifer einige Male schweren Schaden erlitt, auch einige Schiffe
kleinere Fahrzeuge zum Sinken gebracht wurden. Die verhältnismäßige Ruhe hatten natürlich die Türken benutzt , ihre Verteidigungsanlagen in tadellose Verfassung zu setzen und sich auf die Abwehr des Landungskorps bestens einzurichten. Nach Äußerungen eines Augenzeugen
seien
die
im allgemeinen wenig be-
schädigten Werke vollkommen wieder hergestellt, die Geschützausrüstung vollzählig und reichlich mit Munition versehen, die Besatzung kampfbereit und voller Siegeszuversicht gewesen . Die entscheidenden Kämpfe haben sich auf der Halbinsel Gallipoli abgespielt. Als Gefechtsraum kommt ihr südlichster Teil von der Landenge von Maidos bis zur äußersten Spitze bei Sedd ul Bahr in Betracht. Jene Landenge über 10 km breit. Auf durchziehende Bergrücken, bis etwa 200 m ansteigt,
ist an ihrer schmalsten Stelle nur wenig ihr verflacht sich der die ganze Halbinsel der nördlich davon bis zu 350 m, südlich zu Hügeln.
Die Stärke des Landungskorps wurde auf etwa 50000 Mann geschätzt, das im Bedarfsfalle unter Schwächung der englischen Armee in Ägypten auf höchstens 80000 Mann zu bringen sein würde.
Zum
78
Der zweite Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen .
Oberbefehlshaber war General Hamilton ernannt. Die französischen Truppen befehligte General d'Amade, der sich bereits in Marokko Verdienste erworben hatte.
Die Türken sollten auf beiden Seiten
der Meerenge über 200000 Mann verfügen, wovon mehr als die Hälfte auf europäischem Gebiet. 275000 Mann ,
Späterhin stieg die Schätzung sogar auf
T
Am 16. April wurde bekannt, daß die erste Truppenabteilung auf 63 Dampfern von Alexandria nach den Dardanellen und Kleinasien in See gegangen sei.
Um diese Zeit herrschte vor und in der
Meerenge, begünstigt durch schönes Wetter, gesteigerte Regsamkeit, indem unausgesetzt Minensucher in Tätigkeit traten und sich die anwesenden Schiffe mit den am meisten vorgeschobenen Batterien heftig beschossen. Am 23. April erklärte Minister Asquith im Unterhause, daß ein neuer gemeinsamer Angriff von Heer und Flotte unter Verantwortung der Regierung bevorstehe. Am 25. April vor Tagesanbruch wurde die Landung bewerkAuf Gallipoli erfolgte sie an zwei Punkten : bei Teke Burun stelligt.
an der Südspitze,
westlich
Sedd
ul Bahr,
gegen dieses durch eine
Bergnase gedeckt, und bei Ari Burun an der Westküste , gegenüber Maidos, von ersterer Stelle nördlich etwa 30 km entfernt. Die Ausführung mußte angesichts eines mit modernen Waffen ausgerüsteten Feindes unternommen werden, der nicht bloß zu Lande, sondern auch unter Wasser Drahthindernisse angelegt hatte, die zu beseitigen waren. die hier ausgeschifften Truppen aus Engländern bestanden, waren die gleichzeitig auf der anatolischen Küste in der Umgebung von Kum Kale angesetzten Kräfte Franzosen. Die Gesamtstärke des
Während
ersten Einsatzes wird zu 4 Brigaden geschätzt. Weiterhin handelt es sich nur noch um die auf Gallipoli gelandeten beiden Gruppen, da die Franzosen durch einen heftigen , im feindlichen Artilleriefeuer durchgeführten Gegenangriff der Türken unter schweren Verlusten zur Wiedereinschiffung gezwungen wurden. Sie fanden, nachdem ein zweiter Landungsversuch am 27. April ebenfalls gescheitert war, auf der anatolischen Seite der Meerenge nicht wieder Verwendung.
Die in ihren Reihen kämpfenden Muselmanen waren zu ihren
Glaubensbrüdern übergegangen. Dies gab in Verbindung mit Zwistigkeiten, die mit General Hamilton vorfielen, zur Entlassung d'Amades Anlaß. Als Gefechtsfeld kamen die westlichen Abhänge der erwähnten Hügel und Berge zwischen deren Kamm und dem Strande in Betracht. Sie waren von den feindlichen Schiffen, die die Unternehmungen vom Ägäischen Meere aus unterstützen sollten, eingesehen und konnten durch das Feuer ihrer Geschütze beherrscht werden. Das war dem
Der zweite Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen.
79
Vortragen eines Angriffs günstig. Tagsüber mußten die Türken in Deckung bleiben und die Nacht zu ihren Hauptunternehmungen benutzen.
Verschiedentlich konnten
Schützengräben halten .
sich Trupps in Schluchten oder Diese waren so geschickt angelegt, daß sie
weder von den Schiffen aus, noch von den Landungstruppen erkannt wurden. Die vorgeschobenen Linien empfingen den am Tage anrückenden Angreifer mit überraschendem Feuer, wobei hinter Buschwerk oder Felsstücken liegende Scharfschützen bemüht waren, die Offiziere abzuschießen . Daher die außergewöhnlich hohen Verluste an diesen. Anfangs verfügten die im übrigen wohl ausgerüsteten Landungstruppen anscheinend über keine Geschütze. Die Unterstützung durch Artillerie erfolgte ja von den Schiffen aus, und für diese Annahme spricht auch der Umstand, daß die Osmanen nur Maschinengewehre erbeuteten , wenn sie die Angreifer zurücktrieben und bis zu ihren Verschanzungen vordrangen. Erst von der Zeit ab, wo die Kampfschife wegen Gefährdung durch Unterseeboote auf längere Zeit
zurückgezogen wurden,
geschieht auch ans Land gebrachter Bemerkt sei noch , daß die Landungsstelle bei Teke Burun von den Steilfeuergeschützen der anatolischen Küste unter Feuer genommen werden konnte und mehrfach auch wurde. Tagsüber bekämpften sich die beiderseitigen Artillerien in wechselnder Stärke und unterbrochen von Pausen verschiedener Dauer. Artillerie Erwähnung.
Die ersten Angriffe des Landungskorps dauerten zwei und einen halben Tag, vom 25. April vormittags bis zum 27. April abends, währenddessen es ansehnliche Verstärkungen erhielt und anscheinend auch zwischen den beiden Ausschiffungspunkten vorging. Gleichzeitig sollen nicht weniger als 40 Kriegsschiffe die Befestigungen bei Sedd ul Bahr und Kum Kale beschossen haben, die ihrerseits das Feuer kräftig
und erfolgreich
erwiderten.
Der Plan einer Überrumpelung
am 25. April war durch die Wachsamkeit der türkischen Truppen vereitelt. Sie mußten sich zunächst auf Abwehr des an Zahl überlegenen Gegners beschränken und konnten erst am 27. April nach Eintreffen von Verstärkungen zum Angriff schreiten , durch den der Feind unter schweren Verlusten an den Strand zurückgeworfen wurde. in
der Umgebung
von Kum Kale
Gegen die
gelandeten Franzosen hatten sie
überhaupt keinen Schuß abgegeben, waren vielmehr gleich zum Bajonettkampf geschritten. Das Ergebnis des ersten Anlaufs läßt sich dahin zusammenfassen, daß er völlig gescheitert war. Die Verluste zu Lande forderten weiteren, erheblichen Linienschiffe ,
Nachschub,
zur See die Ausbesserung zweier
eines Panzerkreuzers und zweier Transportdampfer, die
sämtlich stark beschädigt wurden ; mehrere mit Mannschaften gefüllte
80
Der zweite Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen.
Segelschiffe
und Landungsboote waren
zum Sinken gebracht.
Als
einziger Gewinn konnte gebucht werden das Ausharren der Landungsabteilungen an der Küste nahe dem Strande unter dem Schutz der Schiffsgeschütze. Die Türken hatten hervorragende Tapferkeit in Angriff und Verteidigung bewiesen, die deshalb doppelt hoch einzuschätzen ist , weil sie anfangs in der Minderzahl fochten und ihre Angriffe bei Nacht erfolgen mußten. Ihr stürmisches Vorgehen brachte natürlich auch ihnen sehr große Verluste ; die Befestigungen und ihre Besatzung hatten dagegen wenig gelitten. In Zwischenräumen von einigen Tagen erneuern sich die Angriffe, die im allgemeinen das gleiche Bild zeigen und mit großer Heftigkeit und einem für die Verbündeten ungünstigen Erfolge geführt werden . trotzdem sie bedeutende Verstärkungen für die Landarmee herangezogen hatten. Größere Unternehmungen auf denselben Gefechtsfeldern fanden am 5. , 7. bis 9. und in der Nacht zum 20. Mai statt.
Am
20. und 22. Mai vormittags und nach Eintreffen von schätzungsweise 15000 Mann Verstärkungen richteten die Verbündeten vom 4. bis 6. Juni besonders kräftige und überraschende Angriffe gegen die Befestigungen bei Sedd ul Bahr unter dem Schutz des Feuers der vor den Dardanellen noch zurückgebliebenen , aber entfernter liegenden Kriegsschiffe . Der letzte Versuch vor Abschluß dieser Zeilen wurde in der Nacht vom 11. zum 12. Juni durch mehrmalige Vorstöße gegen die Anlagen bei Sedd ul Bahr gemacht. Der Erfolg war stets auf Seite der Türken, die wiederholt mit dem Bajonett angriffen , auch in die feindlichen Verschanzungen eindrangen, Maschinengewehre und Handwaffen erbeuteten, sowie Angriffskolonnen und Landungstruppen westlich Sedd ul Bahr von der antolischen Küste aus beschießen konnten. In der englischen Presse werden die großen Gesamtverluste beklagt, die sich Mitte April auf 139347 beliefen, nachdem sie am 2. April 100000 betrugen . Dle Hauptursache der „ schrecklichen “ Zunahme wird dem Kampf an den Dardanellen zugeschrieben . „ Der Feldzug an den Dardanellen kann in der gegenwärtigen Form kaum sehr viele Wochen fortdauern, ohne daß es zur Entscheidung kommt. " Ein wahrhaft Delphisches Orakel! Die angegebenen Verlustzahlen machen die Vermutung wahrscheinlich, aufgerieben ist.
daß das
Landungskorps
zur Hälfte
Der Zweck der anfangs auf 60000 Mann geschätzten Landungstruppen einschließlich erster Verstärkungen war zweifellos der, die osmanischen Streitkräfte im Süden der Halbinsel Gallipoli zu überraschen, einen Teil der Befestigungen an der Meerenge im Rücken zu fassen und nach ihrer Eroberung die Anlagen der asiatischen Seite unter Feuer zu nehmen , die Minen zu entfernen und so der Flotte
Der zweite Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen. die Durchfahrt durch die Dardanellen stantinopel zu
öffnen .
Die
81
für ihr Erscheinen vor Kon-
in der Umgebung von Kum Kale aus-
geschifften minderwertigen Truppen dürften hauptsächlich bestimmt gewesen sein, die östlich der Meerenge verfügbaren feindlichen Kräfte von einem Eingreifen auf Gallipoli abzuhalten. Durch die Dreiteilung konnte darauf gerechnet werden, den Gegner die Stelle des Hauptangriffs zu verschleiern und ihn zu hindern, dorthin gleich anfangs den Nachdruck der Abwehr zu legen. Die an der Südspitze von Gallipoli bei Teke Burun angesetzte Abteilung stand zwar unter dem Feuer der östlichen Küstenartillerie, doch konnte dasselbe durch die Geschütze der vor dem Südausgang der Dardanellen Angriff über die
liegenden
Schiffe
abgelenkt
Landenge von Maidos
werden.
Die
zum
bestimmte Abteilung hatte
die stärksten feindlichen Anlagen vor sich, brauchte aber ausschließlich das indirekte Feuer der Küstenartillerie zu fürchten, wie sie anderseits nur wenig Unterstützung in dem indirekten Feuer der Schiffsgeschütze gegen die Anlagen der anatolischen Küste fand. Die Türken hielten die stark befestigten Höhen zwischen Sedd ul Bahr und Maidos, von denen aus herrschten.
sie
das Vorgelände
seewärts und die Landenge be-
General Hamilton gab ungenügenden Fliegererkundungen , durch die irrige Angaben über die Verteilung der Uferschutztruppen geliefert Das ist wurden, die Schuld am Versagen seines Unternehmens. natürlich nur ein Vorwand.
Der wahre Grund muß vielmehr in der
Tüchtigkeit der türkischen Truppen und darin erblickt werden, daß ihre Gegner ihre Leistungen nach den Mißerfolgen von Kirk Kilisse , Lüle Burgas
usw. im ersten Balkankriege beurteilten ,
die nicht auf
ihre Tapferkeit, sondern auf völlig ungenügende Bewaffnung und Ausbildung zu setzen waren. Darin war in den verflossenen wenigen Jahren ein gründlicher Umschwung eingetreten .
Nicht nur die Aus-
bildung steht auf der Höhe sondern auch die Ausrüstung ist neuzeitlich und ausreichend. Die Annahme, der türkische Soldat verstände sich nur in der Verteidigung zu schlagen , ist durch das schneidige Vorgehen bis zum Bajonettkampf in den zahlreichen Gefechten auf Gallipoli und bei Kum Kale glänzend widerlegt. Die in mehrtägigen Kämpfen, anfangs gegen Übermacht, bekundete Ausdauer verdient Bewunderung. Hatten sich die Verbündeten das Unternehmen als einen militärischen Spaziergang gedacht, so sind sie nunmehr durch die Leistungen der türkischen Truppen und die Stärke der Dardanellenbefestigungen eines anderen belehrt . War die Aussicht der Verbündeten auf schließliches Gelingen des Unternehmens schon nach den geschilderten Vorgängen gering, so
82
Der zweite Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen.
wurde sie weiterhin stark herabgesetzt durch das Erscheinen deutscher Unterseeboote im Ägäischen Meere,
das
von den Engländern meist
gefürchtete Kampfmittel. Es währte dann auch nicht lange , bis sie in Tätigkeit traten und innerhalb weniger Tage 2 Linienschiffe der Engländer in den Grund bohrten und eins so stark beschädigten , daß es nachträglich sank. Dadurch sah sich der Kommandierende Admiral, Rehboek, veranlaßt , seine Unterbefehlshaber zur Beratung zu berufen, ob eine Erneuerung des Angriffs zur See unter den obwaltenden Umständen angängig sei.
Der gefaßte Beschluß läßt sich daraus erkennen,
daß alle Kriegsschiffe ausschließlich einiger Torpedobootszerstörer von den Dardanellen zurückgezogen wurden und nur zeitweise unter Sicherung durch Torpedoboote wieder in den Kampf eingriffen. Erfolg unserer Unterseeboote!
Ein großartiger
Der Angriff, der anfangs von der Flotte allein , sodann im zweiten in Verbindung mit dem Landungskorps geführt
Abschnitt von ihr
wurde , fällt nun seit den letzten Tagen des Monats Mai in der Hauptsache den Landungstruppen zu , die, wie erwähnt, durch Beigabe von Geschützen selbständiger gemacht sind . Nach Mißerfolgen
wird in der Regel nach einem Sündenbock
gesucht, dem die Schuld zufällt . Im vorliegenden Falle hat man ihn , wohl nicht mit Unrecht, in dem Leiter der englischen Admiralität, Churchill, gesucht. Die Bemühungen, für diesen Posten den als hervorragenden Sachverständigen anerkannten Lord Fisher zu gewinnen, blieben erfolglos. Er lehnte es auch ab, dem neuen Leiter der Admiralität Balfour als Berater zur Seite zu treten, woraus gefolgert wird, daß dieser Fachmann mit dem Dardanellenunternehmen, weil aussichtslos, nichts zu schaffen haben will. Ist das sein tatsächlicher Grund für das Fernbleiben von den Regierungsgeschäften, so dürfte er nach dem bisherigen Verlauf des Dardanellenunternehmens recht behalten. Der türkische Kriegsminister Enver-Pascha hat sich gelegentlich einer Unterredung im Mai dahin geäußert, daß , wenn die Dardanellen überhaupt bezwungen werden
könnten,
woran er
zweifle ,
es
nur
unter Aufwendung von außergewöhnlichen Kosten und Opfern möglich erscheine ,
die
nur dann gerechtfertigt wären ,
wenn der Durchbruch
ein äußerstes Ende des Krieges bilden würde. Nach dem bisherigen Einsatze an Kräften und Werten darf billig bezweifelt werden, daß die
Erschöpfung der Verbündeten bei
weiterer Dauer des Krieges
eine außergewöhnliche Kraftanstrengung in möglichen sollte.
obigem Sinne noch er-
83
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15.
IX.
Soissons 1814 , 1870/71 ,
1914/15 .
Von Frhr. von Welck, Oberstleutnant a. D. (Schluß.)
44 Jahre nach den im Junihefte geschilderten Ereignissen standen die deutschen Truppen wieder auf französischem Boden. Am 1. August hatte der Kaiser die Mobilmachung der gesamten deutschen Wehrmacht zu Lande und zu Wasser anbefohlen und drei Wochen später war auf dem westlichen Kriegsschauplatz nicht nur der größte Teil von Belgien mit der Festung Lüttich und der Hauptstadt Brüssel in unserem Besitz , sondern eine siegreiche Armee unter dem Oberfehl des Herzogs Albrecht von Württemberg stand bereits in der Gegend von Neufchateau an der luxemburgisch-französischen Grenze, die Armeen des Kronprinzen von Preußen kämpften westlich von Longwy und die Armee des Kronprinzen von Bayern war bis über die Linie Lunéville-Blamont- Cirey - längs der sich in die Meurthe ergießenden Veyouse
siegreich vorgedrungen. Diese drei Armeen setzten nun den Vormarsch unaufhaltsam fort, den Feind überall zurückdrängend .
Am 27. August meldet das Große Hauptquartier , daß das „ Westheer" neun Tage nach Beendigung seines Aufmarsches von Cambrai bis zu den Südvogesen in französisches Gebiet eingedrungen ist. Die Armee des Generalobersten von Kluck auf dem äußersten rechten Flügel - hat die englische Armee bei Maubeuge geworfen, die Armeen der Generalobersten von Bülow und von Hausen haben aber acht Armeekorps zwischen Sambre, Namur und Maas vollständig geschlagen und verfolgen sie östlich Maubeuge vorbei. Die Armee des Herzogs Albrecht von Württemberg hat den Feind über den Semois verfolgt Die Armee des deutschen Kronprinzen und die Maas überschritten. steht vorwärts Longwy, nachdem dies gefallen ist.
Die Armee des
Kronprinzen von Bayern hat bei Nancy feindliche Angriffe zurückgewiesen und die Armee des Generalobersten von Heeringen setzt die Verfolgung in den Vogesen fort ') . Die Unaufhaltsamkeit unserer Offensive machte sich am meisten geltend auf unserem rechten Flügel. englische Armee geschlagen und
Von Maubeuge aus , wo die
am 27. August erneut angegriffen
worden war, wurde sie durch diese Niederlage nach Süden, Richtung 1) Nach dem Bericht des Großen Hauptquartiers vom 27. August.
84
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15.
St. Quentin, und von der Küste abgedrängt. Nördlich von St. Quentin wurde sie, nachdem sich ihr drei französische Divisionen angeschlossen hatten , durch die Armee des Generalobersten von Bülow nochmals vollständig geschlagen, und zwar unter Verlust von mehreren tausend Gefangenen und von 8 Batterien. Infolge dieses siegreichen Vormarsches unseres rechten Flügels und der sich ihm anschließenden Armeen Hausen, Herzog von Württem-
Tes berg und deutscher Kronprinz, wurde die französische Linie immer weiter nach Süden gedrängt .
Nachdem sie erst den Abschnitt St.
『
Quentin - Mezières-Longuyon aufgab, mußten sie dann auch die Linie La Fère -Laon - Rethel opfern und sich schließlich , die Aisne überschreitend , auf die Linie Compiègne Soissons -Verdun zurückziehen. Dieser sich etwa über 220 km erstreckende Rückzug , den man vielfach als Flucht bezeichnen kann, fand seinen Abschluß erst , als die Armee sich mit ihrem linken Flügel an die Befestigungswerke von Paris lehnen konnte . Mittlerweile hatte unser rechter Flügel unausgesetzt weitere Fortschritte gemacht und die Armee von Kluck streifte
2
ter arte
bereits bis Paris und bedrohte sowohl den linken französischen Flügel, wie die nach der Niederlage bei St. Quentin zurückflutenden Engländer. Andere Teile unseres Westheeres überschritten die Aisne und setzten den Vormarsch über die Marne fort , hinter die sich die Franzosen auf die dort vorbereiteten Stellungen zurückzogen. Hier, mit
P der Flügelanlehnung an Paris und Verdun,
wollte General Joffre die
Deutschen zu einer Schlacht zwingen. Dies gelang ihm aber nicht : Unsere rechte Flügelarmee ließ Paris , zum Erstaunen der Franzosen, rechts
liegen und
eilte südöstlich an der Hauptstadt vorüber.
Sie
stieß am 6. September gegen Coulommiers und Provins vor, durch eine Flankenabteilung westlich des Ourcq gedeckt. An diesem rechten Flügel suchte nun General Joffre die Entscheidung herbeizuführen. Er griff ihn am 8. September mit starken Kräften vom Grand Morin aus an, während gleichzeitig eine mächtige Armee gegen den Flankenschutz westlich des Ourcq vorging. Die große Übermacht des Gegners hätte die Sicherheit unserer Flanke ernstlich bedroht, und so entschloß man sich, die am Grand Morin kämpfenden Truppen zurückzuziehen '). Das Große Hauptquartier meldete am 10. September, daß die östlich Paris in der Verfolgung an und über die Marne vorgedrungenen Heeresteile von überlegenen Kräften aus Paris und zwischen Meaux und Montmirail angegriffen und infolgedessen, und als der Anmarsch neuer feindlicher Kolonnen gemeldet wurde , zurückgenommen wurden.
Dieser
1) Wir benutzten mehrfach den Aufsatz : „Unser Feldzug in Frank. reich" in Nr. 268 der „ Frankfurter Zeitung vom 27. September 1914.
85
Soissons 1814, 1870/71, 1914/15. Rückmarsch über die beiden Morin
und
über die Marne erfolgte
Die Flankenabteilung westlich des Ourcq wich erst , als der rechte Flügel die Marne passiert hatte , und marschierte dann, sich immer westlich des Ourcq haltend , nach Soissons. Hier , an der Aisnelinie , sollte die neue Stellung bezogen werden und in vorzüglicher Ordnung.
der neue Feldzugsplan zur Ausführung gelangen. Es wurden hier sofort die erforderlichen Vorarbeiten zu dem zu erwartenden Stellungskrieg getroffen , namentlich Erdarbeiten zur Deckung der Infanterie und Artillerie. Die Folge war , daß die Versuche der Franzosen, uns zu folgen und unsere Stellungen zu durchbrechen , siegreich zurückgeschlagen werden konnten. Diese Durchbruchsversuche gestalteten sich zu einer mehrtägigen Schlacht. Das Große Hauptquartier meldete am 17. September : 19 In der Schlacht zwischen Oise und Maas ist die endgültige Entscheidung immer noch nicht gefallen " ; bereits am nächsten Tage, dem 18. September, hieß es aber : „ Das französische XIII. und IV. Armeekorps und Teile einer weiteren Division sind gestern südlich Noyon entscheidend geschlagen und haben mehrere Der französische Bericht vom 26. September Batterien verloren. " bestätigt dies und bezeichnet es als einen Mißerfolg , der die französische Heeresleitung gezwungen hätte, „ etwas zurückzugehen “ . Unsere Absicht, die Stellung an der Aisne zu gewinnen, war durch diese Abweisung der französischen Offensive erreicht. Am 28. September wird aus Paris amtlich gemeldet : „ Die Deutschen haben zwischen Oise und Aisne starke Stellungen bezogen. “ Einzelne Abteilungen unserer Truppen drangen in Soissons ein , aber nur zu vorübergehender Besetzung. Die deutschen Truppen waren somit wieder in dem scharf eingeschnittenen Aisnetal vor Soissons angelangt , das in den beiden Die Kriegen von 1814 und 1870/71 eine Rolle gespielt hatte . strategischen Verhältnisse waren aber wesentlich verändert. 1814 sowohl wie 1870 war Soissons noch Festung und es kam darauf an , den Platz einzunehmen , was auch in beiden Fällen in überraschend kurzer Zeit gelang (vgl. Juniheft S. 279). Jetzt kam es nur darauf an , einem Vordringen des Gegners einen Riegel vorzuschieben und etwaigen Offensivversuchen desselben, namentlich Umgehungsversuchen in unserer rechten Flanke, begegnen zu können. Zu diesem Zwecke bezogen unsere Truppen die Stellungen nördlich vor Soissons auf dem Höhenzug ,
der
sich
etwa
von
Vauxrezis ,
westlich
der
Straße
Soissons -Chauny, über Cuffies, Crouy, Bucy-le-Long bis Missy an der Aisne hinzieht. Der Platz Soissons selbst spielte keine Rolle mehr die Festungswerke sind geschleift nnd die nutzbar gewordenen Flächen schon zum Teil bebaut. Es konnte demnach auch von einer 7 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 527.
86
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15.
Belagerung oder Einnahme des Platzes nicht mehr die Rede sein ; der Besitz des ihn nördlich überhöhenden Höhenzuges genügte , um die Eisenbahnlinien und den Uferwechsel der Aisne zu beherrschen. Auch das kleine Fort Condé s. Aisne , welches zur Sperrung des Aisnetales 10 km stromaufwärts Soissons erbaut , aber bereits im Jahre 1912 deklassiert worden war , spielte keine Rolle mehr. Es war in den ersten Septembertagen ebenso wie die Sperrbefestigungen Hirson, les Ayvelles, La Fère und Laon , ohne Kampf genommen worden. Im Verlauf der nächsten Wochen kam es ab und zu zu kleinen, mit schwachen Kräften
unternommenen Umgehungs- und Durchstoßversuchen der Franzosen , die mühelos abgewiesen wurden, so Mitte Oktober östlich von Soissons. Am letzten Tage des Oktober gingen wir dort zum Angriffe über und vertrieben den Gegner aus mehreren
verschanzten Stellungen nördlich von Vailly ( 13 km östlich von Soissons, an der Aisne) ; wir erstürmten diesen Ort, warfen den Feind über die Aisne zurück und machten 1000 Gefangene. Unsere Angriffe in diesem Abschnitt wurden in den ersten Novembertagen mit gutem Erfolge wiederholt. Wir nahmen trotz heftigsten Widerstandes mehrere stark befestigte Stellungen im Sturm und setzten uns in den Besitz von Chavonne und Soupir , 4 bzw. 3 km flußaufwärts von Vailly gelegen. Am 11. November drangen die Franzosen aber hier erneut vor, in der Absicht, in die linke Flanke unserer Stellungen zu stoßen. Sie wurden bei Vailly und Chavonne abgewiesen, während Soupir von uns geräumt wurde. Auch wenige Tage später wurden heftige Angriffe des Gegners westlich und östlich von Soissons zurückgeschlagen.
In den jetzt eingenommenen Stellungen , die von beiden Parteien mehr und mehr ausgebaut und befestigt wurden, blieben die Truppen bis gegen Ende des Jahres ohne zu größeren Unternehmungen
zu schreiten ; nur kleine Vorpostengefechte und Artilleriekämpfe fanden statt ; dann trat aber eine große Regsamkeit unserer Gegner ein, die ohne Zweifel die Folge des bekannten Heeresbefehls des Generals Joffre vom 17. Dezember 1914 war. Er lautete : „Armeebefehl vom 17. Dezember 1914 :
Seit drei Monaten sind
die heftigen und ungezählten Angriffe nicht imstande gewesen, uns zu durchbrechen. Überall haben wir ihnen siegreich widerstanden. Der Augenblick ist gekommen, um die Schwäche auszunutzen, die sie uns bieten, nachdem wir uns verstärkt haben an Menschen und Material. Die Stunde des Angriffs hat geschlagen.
Nachdem wir die deutschen
Kräfte in Schach gehalten haben , handelt es sich darum , sie zu brechen und unser Land endgültig von den Eindringlingen zu befreien. Soldaten ,
mehr als jemals rechnet Frankreich auf euren Mut ,
Energie und euren Willen, um jeden Preis zu siegen.
eure
Ihr habt schon
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15. gesiegt an der Marne ,
an der Yser ,
87
in Lothringen und in den Vo-
gesen. Ihr werdet zu siegen verstehen bis zum schließlichen Triumpf. Joffre ¹)." Die Kriegsgeschichte lehrt , daß die Franzosen von jeher sehr empfänglich waren für derartige schwungvolle Ansprachen ; sie gehören zu den Traditionen aus der Napoleonischen Zeit, und es ist bekannt, welche Erfolge Napoleon I. oft damit erzielte. Auch im vorliegenden Falle erreichte der Armeebefehl insofern seinen Zweck , als man den Versuch machte , aus dem Stellungskrieg wieder zur Offensive überzugehen. Als Vorbereitung hierzu sollte ein Brückenschlag über die Aisne bei Soissons dienen, der aber, wie das Große Hauptquartier am 17. Dezember meldet , durch unsere Artillerie vereitelt wurde .
Zwei
Tage später wurde von einem feindlichen Angriff westlich von Noyon berichtet , der abgeschlagen wurde , aber einen Beweis liefert für die erneute Regsamkeit des Feindes und für die wieder zutage tretende Absicht , unsere rechte Flanke zu umfassen und in unsere Front einzubrechen. Der in Bern erscheinende, meist gut unterrichtete „ Bund “, schrieb schon am 22. Dezember , daß ein französischer Vorstoß auf dem
westlichen Kriegsschauplatz als ein
ernstlicher Versuch zu be-
trachten sei , uns dort zu sprengen . Die Angriffsbewegung würde sich ohne Zweifel weiter entwickeln , bis vielleicht eine Stelle sichtbar würde, wo an den Durchbruch gedacht werden könne.
Die Lage
im Westen sei jetzt sehr gespannt und jeder Tag könne Überraschungen bringen. Die Ereignisse der nächsten Wochen lieferten den Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme , zeigten aber auch, wie wohlunterrichtet und wohlvorbereitet unsere Heeresleitung diesen neuen Unternehmungen des Gegners begegnen konnte. Die ersten Nachrichten , die man, und zwar bei uns, über eine Erneuerung des Kampfes bei Soissons erhielt, stammten aus Lyon vom 6. Januar. Der dort erscheinende „ Nouvelliste " meldete aus Soissons ,
daß die Beschießung der Stadt durch deutsche Artillerie
am 4. Januar begonnen und daß das Viertel längs der Aisne schwer gelitten habe . Am 7. Januar begannen die Franzosen Stellungen unter heftiges Artilleriefeuer zu nehmen,
dem am fol-
genden Tage der Infanterieangriff folgte . Der Feind drang auf einer Frontbreite von etwa 200 m in unsere Schützengräben ein und konnte trotz zahlreicher Versuche nicht wieder daraus vertrieben werden. Diese heftigen und blutigen Nahkämpfe wiederholten brochen bis zum 11. Januar. zu einem Gegenangriffe ein.
sich ununter-
Am 12. setzten die deutschen Truppen Ehe wir die sich nun entwickelnden
¹) Dieser Befehl wurde bei einem gefallenen französischen Krieger gefunden. 7*
88
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15.
mehrtägigen Kämpfe näher betrachten, geben wir einen kurzen Überblick über das Kampffeld , auf dem sie sich abspielten, indem wir uns an den Bericht des Großen Hauptquartiers vom 16. Januar halten und gleichzeitig auch die Angaben in der „ Frankfurter Zeitung" vom Das Große Hauptquartier schreibt : gleichen Datum benutzen. 99 Während des Stellungskrieges der letzten Monate hatten die Franzosen in der Gegend von Soissons aus einem Gewirr von Schützengräben bestehende Stellungen inne, die sich auf dem rechten AisneAuf dem westlichen ufer brückenkopfartig nordwärts ausdehnten. Flügel des in Frage kommenden Kampffeldes steigt westlich der Bahn Soissons-Laon aus dem breiten Flußtale eine vielfach zerklüftete und bewaldete Höhe empor, auf deren oberstem Teile die Gräben von Freund und Feind einander dicht gegenüberlagen . . . . Östlich der Höhe ( 132) liegt im Tale das Dorf Crouy ; an diesem vorbei zieht in einem tief eingeschnittenen Grunde die Bahn Soissons- Laon nordwärts. " Hier und auf der östlich gelegenen Hochfläche von Vregny, die in ihrem südlichen Teile in französischem Besitz war, spielten der erste sich vom 8. bis 15. Januar die heftigsten Kämpfe ab Abschnitt der 99 Schlacht von Soissons ". Die 99 Frankfurter Zeitung" vom 16. Januar schreibt : „ Die Stadt Soissons liegt etwa 45 m hoch auf dem linken Ufer des Aisnetales, an einem Knotenpunkt, in dem von Norden und Süden durch kleine Seitentäler wichtige Bahnlinien und Verkehrsstraßen sich kreuzen. Die Stadt, die etwa 13000 Einwohner zählt, ist befestigt, kann aber wohl nur
als Festung dritten Ranges angesprochen werden ' ) .
Ihre
Bedeutung in den Kämpfen der letzten Tage beruht in erster Linie darin , daß über Soissons die Linie Paris-Laon und vor allem die kürzeste Verbindung Reims
zwischen
Verdun führt.
dem französischen
linken Flügel und
Auf der rechten Talseite liegt nördlich und
nordöstlich von Soissons eine Gruppe von Höhen, die ins Tal steil abfallen. Sie erheben sich bis zu ungefähr 170 m. Scharf eingeschnittene Seitentäler, vor allem die bei Crouy und bei Missy in die Aisne mündenden Bäche, zerreißen sie in einzelne Abschnitte. . . Zwischen Crouy und Vregny dehnt sich ein Hochplateau , das als größte Breite etwa 4 km aufweist, aber nach Norden zu sich erheblich länger hinzieht, indem es schmäler wird und sich spaltet. Am nördlichen Rande des Plateaus von Vregny liegen die Orte Bucy, Moncel und St. Marguerite. Weiter östlich , jenseits des bei Missy mündenden Tälchens, erhebt sich der Hügel des Fort de Condé 2). " 1) Die Festungswerke sind jetzt geschleift. Vgl. S. 85. 2) Vgl. die Angaben über dieses Fort auf S. 86.
89
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15.
Die Ortschaft Crouy bildete in den Kämpfen vom 10. bis 12. Januar den Hauptstützpunkt der Franzosen , ebenso wie die Höhe 132 . Schon am 9. Januar erfolgten mehrere feindliche Angriffe nordöstlich von Soissons, die abgeschlagen wurden ; sie wiederholten sich am folgenden Tage und wurden „ unter großen Verlusten " für den Gegner abermals abgewiesen. „Am 11. abends griffen die Franzosen nördlich Crouy unsere Stellungen erneut an mit großer Energie, aber ohne besseren Erfolg als Tags zuvor. Nachdem am 12. früh die französischen Angriffe abermals versucht wurden, setzte mittags Punkt 11 Uhr unser Gegenangriff ein. Wir entrissen dem Feinde im kühnen Ansturm die zunächst gelegenen Schützengräben und Artillerie- Beobachtungsstellen, und als eine Stunde später unsere Schützen auch auf dem rechten Flügel eingriffen , warfen wir den Gegner bis auf den halben Hang hinunter, wo er sich wieder setzte . Am folgenden Tag, dem 13., griffen unsere Truppen auf den Höhen von Vregny an und säuberten auch diese Hochfläche vom Feinde " . (Großes Hauptquartier 14. Januar.) Als am 14. unser äußerster rechter Flügel seinen umfassenden Angriff wieder aufnahm und aus der Mitte über Crouywestwärts einschwenkte, da blieb den Franzosen nichts übrig, als sich zu ergeben. Auch von der Hochfläche von Vregny wurde an diesem Tage der Gegner vollständig hinabgeworfen . Eine unserer Kompagnien drang sogar in die Vorstädte von Soissons ein. Am 15. Januar konnte das Große Hauptquartier berichten , daß das nördliche Aisneufer nördlich und nordöstlich von Soissons von den Franzosen endgültig gesäubert war, und daß sich die Orte Cuffies , Crouy, Bucy-le-Long, Missy und die Gehöfte Vauxrot und Verrerie 2 km nördlich der Stadt gelegen — in unseren Händen befanden. Die Beute aus den dreitägigen Kämpfen betrug 5200 Gefangene , 35 Geschütze , 6 Maschinengewehre. 4-5000 tote Franzosen wurden. auf dem Kampfplatze gefunden. Die Franzosen zogen sich auf das linke Aisneufer zurück.
Am
16. meldete das Große Hauptquartier , daß nordöstlich Soissons Ruhe herrsche . Sehr bezeichnend für die Erfolge unserer braven Truppen und ihrer Führung ist der Eindruck, den diese „ Schlacht von Soissons " in Paris machte. Verschiedene Presseorgane sprachen sich ganz offen über die erlittene Niederlage aus .
Der bekannte Militärschriftsteller,
Oberstleutnant Rousset, schrieb in der „ Liberté " : „ Infolge der energischen deutschen Angriffe
mußten die
Franzosen das
Plateau von
Vregny räumen, wodurch ein allgemeiner Rückzug herbeigeführt wurde, der die Franzosen auf das linke Aisneufer führte. " Er be-
90
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15.
zeichnet es als eine schwere Schlappe " . Auch das „ Petit Journal" spricht von dem Zusammenbruch der Offensive an dieser Stelle.
und
Warum man nicht zu einer Einnahme und Besetzung von Soissons zum Überschreiten der Aisne schritt, entzieht sich hier der Be-
sprechung. Daß es leicht möglich gewesen wäre, liegt wohl außer Zweifel, denn der Platz war, wie schon oben bemerkt, nicht mehr befestigt ; wir konnten aber unseren Zweck, die Aisne und die Kreuzungspunkte der Eisenbahnen und Straßen zu beherrschen , auch erreichen, ohne eine Besitznahme der Stadt selbst. Daß die Bewohner aber eine solche erwartet hatten, geht daraus hervor, daß französische Zeitungen vom 18. Januar meldeten , daß eine große Zahl der Bewohner von Soissons in Paris eingetroffen sei . Sie fügten bei , daß die Stadt heftig beschossen wurde und daß französischerseits zahlreiche frische Truppen dort eingetroffen seien zur Ergänzung der erlittenen Verluste. Aber auch aus Paris soll, nach Brüsseler Nachrichten, eine Massenflucht der wohlhabenden Bevölkerung nach dem Süden stattgefunden haben, da die deutschen Streitkräfte sich durch den Sieg bei Soissons der Hauptstadt wieder in besorgniserregender Weise genähert hätten. Eine recht anschauliche Schilderung zösische Zeitung
„ Le Matin " .
der Schlacht gibt die fran-
Nach dieser Quelle wird dem Hoch-
wasser der Aisne ein großer Teil der Schuld beigemessen. Am 12. früh , heißt es , begann die Schlacht ; um 4 Uhr zerstörte das Hochwasser die Brücke von Venizel (5 km stromaufwärts von Soissons) und um 5 Uhr die von Missy (noch 4 km
weiter stromaufwärts).
Infolgedessen war die Verproviantierung der Truppen unmöglich und ebenso der Nachschub der Artilleriemunition. An der Wiederherstellung der letztgenannten Brücke wurde während der ganzen Nacht bei großer Kälte gearbeitet.
Am 13. früh war sie fertig, wurde aber
bereits um 8 Uhr früh wieder weggerissen. Die Verwundeten konnten nicht mehr über den Fluß zurückgeschafft werden , sondern wurden nach der Vorstadt St. Paul von Soissons transportiert. Noch zwei andere Brücken wurden ebenfalls fortgerissen, so daß auch die auf Idem linken Aisneufer stehenden Reserven machtlos sind . Es fehlt an Munition und an Lebensmitteln.
Endlich kommt die Nachricht, daß
die Brücke bei Missy wieder benutzbar ist.
Der Rückzug muß schnell
erfolgen, gedeckt durch das Festungswerk von Condé ( ?) .
In der Nacht
vom 13. zum 14. kann der größte Teil der Infanterie die Aisne überschreiten und sich auf das linke Ufer retten . " Der Berner „ Bund " , vom 19. Januar, wirft hier die Frage auf, ob es sich bei diesen Kämpfen um Soissons
für die Franzosen nur
um die Sicherung der Stellung bei Soissons gehandelt habe , oder um
Soissons 1814, 1870/71 , 1914/15.
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den Versuch einer großen Offensive. Der Kriegskorrespondent des genannten Blattes nimmt das letztere an : Der französische Befehlshaber, General Maunnoury, habe unzweifelhaft in Ausführung der Direktive des Generals Joffre vom 17. Dezember (s. S. 86 ) gehandelt und die große ,
allgemeine Offensive einleiten wollen.
Da diese An-
nahme unbedingt als zutreffend anzunehmen ist , so ergibt sich daraus , daß unser Sieg bei Soissons weit wichtiger und wertvoller war, als wenn es sich nur um die Einnahme und das Halten dieser Stellung gehandelt hätte. Die große Offensive erlitt hier eine erste und entscheidende Niederlage.
Eine beachtenswerte Erscheinung,
auf die wir hier am Schlusse
aufmerksam machen wollen , zeigt sich bei dem Vergleich der Ereignisse vor Soissons im Jahre 1814 und 1914. In beiden Fällen lag Soissons nicht auf der Vormarschlinie der deutschen Heere , sondern wurde erreicht infolge des strategischen Rückmarsches, der aus dem gleichen Abschnitt angetreten wurde. 1814 stieß die Schlesische Armee unter Blücher, von Troyes an der Seine, also aus südöstlicher Richtung kommend, auf dem Vormarsch nach Paris , nach Überschreitung der Aube, des Grand und Petit Morin, an der Marne mit der französischen Armee unter Napoleon zusammen , traf aber zwischen Lizy und Meaux auf so starke Kräfte, daß sich der Marschall zu einem Rückmarsch gegen Soissons längs des Ourcq hin entschloß , Ganz ähnlich gestalteten sich die Operationen im September vorigen Jahres, nur daß der Vormarsch unserer Armee diesmal aus anderer Richtung -- von Norden - bis nahe an Paris gelangte. Als unsere rechte Flügelarmee über die Marne vorgedrungen war und die beiden Flußläufe des petit und grand Morin überschritten hatte, glaubte der französische Heerführer, General Joffre , den Moment zu einer Entscheidungsschlacht gekommen . In Berücksichtigung der großen Übermacht der Franzosen nahmen wir aber diese Schlacht nicht an, sondern traten den Rückmarsch zu beiden Seiten. des Ourcq an, nachdem es bereits am Grand Morin zu einem Zusammenstoß gekommen war (s. S. 3) .
Es handelte sich also um die gleiche
strategische Operation wie vor 100 Jahren, im gleichen Geländeabschnitt, die uns ebenfalls wieder an die Aisnelinie bei Soissons führte , wo wir vier Monate später die vorstehend geschilderten glänzenden Erfolge erringen sollten .
Die Niederlande und der Krieg.
92
X.
Die Niederlande und der Krieg .
III ' ). Als wir die „ Niederlande und der Krieg II " schrieben , da war zwar eine Wandlung der Ansichten eines Teiles des niederländischen Volkes unter dem Einfluß der Erfahrungen des Krieges zweifellos schon erkennbar , daß sie aber in den ernst und richtig denkenden,
P 1
keine Sonderzwecke verfolgenden Parteien des Volkes den Umfang und die Kraft gewinnen würde. wie sie in den letzten, die sofortige Ausgestaltung der Wehrbarkeit des Landes anstrebenden Beschlüssen der Regierung , der I. Kammer sowie in Protesten und Urteilen auch von Wehrmännern, die unter den Waffen stehen , Ausdruck gewonnen , war mit Bestimmtheit nicht vorauszusehen. Daß die Sozialisten und eine Reihe
von Querulanten
als II. Kammer unter dem gewohnten
Schlachtruf „ Militarismus “ (von dem keine Rede) auch jetzt wieder, selbst entgegen den sonst so nachdrücklich gepredigten sozialen Grundsätzen, einer festen gerahmten und Nutzen versprechenden WehrbarDie keit Schwierigkeiten bereiten würden , überrascht weiter nicht.
1
A Überzeugung von der erwiesenen Unzulänglichkeit des Landsturmgesetzes vom 28. April 1913 hatte sich bei dem von Parteileidenschaften nicht verblendeten Teile
des Volkes Bahn gebrochen ,
ehe
das Gesetz das dritte Halbjahr seines Bestehens vollendete. Die Wortklaubereien, die man in Parlament und Presse, als die Regierung vor dem Landsturmgesetz ihre Ansichten über die Grundlagen entwickelte , auf denen ein solches Gesetz beruhen müsse, in der Frage betrieben , ob der Landsturm das Fundament , oder den Schlußstein der Die Landesverteidigung bilden müsse , waren vergessen . Überzeugung , im Landsturm müsse alle Kraft gefunden werden , die nötig , um im Kriege mit Nachdruck und Erfolg die Unabhängigkeit des Landes zu verteidigen, war ziemlich Allgemeingut geworden. Das Landsturmgesetz verlangte denn ja auch Teilnahme aller an der Verteidigung . Dienst mit der Waffe aber nur von denjenigen , die früher in irgend einer Form gedient und ausgebildet seien , dabei die rückwirkende Kraft des Gesetzes wesentlich beschränkend , während für die breite Masse der jungen und älteren Männer, die nicht gedient hätten, nur der Dienst ohne Waffe in Frage kommen sollte . Die Gesetzesvorlage unterschied so scharf zwischen diesen beiden Kate1 ) Vgl. die Aufsätze in den Februar- und Maiheften .
Die Niederlande und der Krieg .
93
gorien , daß fallweise eine Änderung des Gesetzes notwendig gewesen wäre , um einen für den Dienst ohne Waffe in die Listen eingetragenen Landsturmmann freiwillig mit der Waffe dienen zu lassen. Der Gedanke , die älteren gedienten Jahrgänge mit der Waffe zur Verteidigung des Landes herangezogen zu sehen , während viel jüngere dazu nicht verpflichtet waren , mußte die Allgemeinheit davon abschrecken, den in der Vorlage enthaltenen Bestimmungen wie wir auf längere Zeit rückwirkende Kraft zu geben. Anders heute , wo trotzdem die sozialistische im voraus bemerken wollen Partei gegen eine gerade vom sozialen Standpunkt gerechte Maßnahme ankämpft, weil sie von falsch verstandenem „ Militarismus faselt, wo von solchem nicht die Rede ist. Der Krieg wurde in der Mehrheit des Volkes bald erkannt als der alle und alles umfassende Kampf um die Existenz , als die Anspannung der Volkskraft im vollsten Sinne des Wortes. Man sah und sieht noch täglich bei den kriegführenden Nationen Massen ins Feld ziehen , die alle Erwartungen übersteigen. In den ruhig denkenden Kreisen fragt man nicht mehr, ob man stark genug sei , sagt sich vielmehr , ein Heer sei solange schwach , als es stärker sein könne . Aus dem Volke heraus kam der nach Wehrbarkeit und Übungspflicht , der die Regierung nur ermutigen konnte , ihre Ziele weiter , als sie ursprünglich für möglich Drang
hielt , zu stecken . Wenn wir lesen, was die Regierung anfangs März in der Begründung der damaligen bescheidenen Vorlage , betreffend die Erweiterung des Landsturms um einige Jahrgänge , schrieb , so laute es gewissermaßen tastend und mit einer gewissen Scheu : „ Es versteht sich von selbst , daß von der Befugnis nur im äußersten Notfalle Gebrauch gemacht werden soll. " 2/2 Monate hat die Kammer gebraucht , um diesen einfachen Gesetzentwurf zu beraten. So unbegreiflich die lange Dauer der Beratung erscheint , so glücklich hat sie gewirkt. Glücklich insofern , als in den genannten Monaten die Strömung , die sich auf Übungspflicht der noch wehrbaren jungen Männer richtete , an Stärke zunahm , wie auch in einer Adresse einer Reihe bedeutender Männer an die Volksvertretung zum Ausdruck kam ,
auch bei den mündlichen Ver-
handlungen über die oben berührte geringe Änderung des Landsturmgesetzes Erklärungen abgegeben wurden , die der Regierung die etwa noch bestehende Scheu nehmen konnten , mit den Forderungen hervorzutreten , die sie für notwendig hielt. Am 18. Mai erklärte dann der Kriegsminister Bosboom, in seinem Ressort sei ein Gesetzentwurf in der Ausarbeitung , durch den er einen Schritt in der Richtung zu tun gedenke , die eine Reihe von Abgeordneten einzuschlagen ihn gebeten habe. Wir werden sehen , daß es sich um mehr als einen
94
Die Niederlande und der Krieg.
Schritt vorwärts handelt ,
wofür die I. Kammer auch volles Ver-
ständnis gezeigt . Die eingeschlagene Richtung war eine günstige . An das Miliz- und Landwehrgesetz rührte die Regierung zunächst nicht und fand darin allgemeine Zustimmung.
Ob die Regierung freilich
unter den veränderten Verhältnissen , die der Kriegsschluß in Europa und darüber hinaus unter allen Umständen schaffen muß , immer an diesem Grundsatz festhalten können wird, ist eine andere Frage .
Die
genannten Gesetze rechnen bei Festsetzung der Jahreskontingente, Dienstbefreiung im Frieden usw. mit Friedensverhältnissen , über die es zweckmäßiger ist , auch im Frieden zu verhandeln. Das Landsturmgesetz , das die Verpflichtungen für die Kriegsgefahr zu regeln hat , soll aber , nach dem Willen zweifellos der überwiegenden Mehrheit des Volkes , so geändert werden , daß es seiner Bestimmung nach im weitesten Sinne die Möglichkeit gibt , die Verteidigung mit den Waffen in der Hand auch gegen Überlegenheit durchzuführen. Dazu mußte zunächst der schon nahezu berüchtigte Absatz 2 des Artikels 3 , der bestimmte , daß der Waffendienst von der nicht gedienten Jungmannschaft des Volkes nicht verlangt werden könne , auf unbestimmte Zeit außer Kraft gesetzt werden . Das geschah in der neuen Fassung, und zudem wurde ohne einen Vorbehalt die rückwirkende Kraft des Gesetzes auf alle diejenigen erklärt , „ die das 40. Lebensjahr vor 1916 nicht überschritten¹) " .
Die Landsturm-
leute sollen, mit dem jüngsten Jahrgang beginnend , in die Listen eingetragen und in derselben Reihenfolge zum Dienst behufs Schulung einberufen, Landsturmpflicht zugleich Übungspflicht werden. Die Regierung beabsichtigt , die ausgebildeten Landsturmleute in die Milizbzw. Landwehrbataillone und Kompagnien einzustellen und es dadurch -co je nachdem es die politischen und Kriegsverhältnisse zulassen ermöglichen , nacheinander die lange schon unter den Waffen stehenden Landwehrjahrgänge , mit dem ältesten beginnend , zu beurlauben. Wir werden weiter unten schon ein Beispiel aus der Praxis sehen. Wenn der Kriegsminister am 18. Mai die Hoffnung aussprach , die Volksvertretung werde die Vorlage baldigst durchberaten und annehmen , so hat die I. Kammer dieser entsprochen , die einsah,
1 ) In der Antwort der Regierung auf die Berichte der Kommissionen der II. Kammer wurde ein Unterschied insofern gemacht, als die Leute, die vor 1916 das 30. Lebensjahr nicht überschreiten, ohne weiteres, so lange die besonderen Verhältnisse bestehen, auch zur Übung einberufen werden können, bei den Leuten von 30-40 Jahren, die in die Listen einzutragen sind, ein besonderes Gesetz notwendig ist, wenn sie unter die Waffen treten sollen . Das Landsturmgesetz erhält dadurch den Charakter des ,,Notgesetzes" .
95
Die Niederlande und der Krieg. daß
schon die Aufstellung der Landsturmlisten von der Verwaltung
eine große Arbeit fordert und doch Eile geboten sei, das Gesetz innerund außerhalb der Grenzen großen Eindruck machen , diese Dauer gewinnen müsse, man der Regierung keine stärkere Stütze ihrer streng befolgten Neutralitätspolitik geben könne, als durch rasche Annahme der Vorlage. Nach erfolgter Annahme dieser in der I. Kammer begann die Beratung in den Ausschüssen der II. , während die Sozialistenpartei in wildem Fanatismus gegen den " Militarismus " , von dem doch in der Vorlage keine Spur sich findet,
wütend,
in ihrer Generalver-
sammlung zu Utrecht Troelstra ins Treffen schickte, gegen den Gesetzentwurf einen Schlag zu führen . Er glaubte dies zu können , indem er die Behauptungen aufstellte : 1. die Regierung wolle ohne Befragen der Nation. wozu dann aber erst die Vorlage ? — den heute
300 000 Mann betragenden Bestand
des Heeres
auf
700000 bringen ; 2. es fehle im Lande nicht an Versuchen , eine Kriegspartei ins Leben zu rufen . Alles, was auf eine solche hinziele, müsse niedergerungen werden , und auch das Landsturmgesetz deshalb baldigst von der Bildfläche verschwinden. Die Phantasien Troelstras mußten dem Kundigen sofort
als
solche auffallen .
Wo sollte man
in den jetzt bestehenden und durch den Krieg doch nicht mit sehr umfassenden Neubildungen erweiterten Rahmen der Miliz und Landwehr 300 000 Mann unterbringen , ganz abgesehen davon, daß man diese solange das Landsturmgesetz in der neuen Form noch nicht genehmigt worden an Ausgebildeten gar nicht zur Verfügung hat ? Der fechtende Stand von Miliz und Landwehr an Ausgebildeten kann heute auf rund 185 000 bis 190 000 Mann angenommen werden , der Verpflegungsstand auf rund 200 000. Und wie will Troelstra der Regierung die 700 000 Mann, die sie angeblich baldigst anstrebt ,
nachweisen ?
Wenn man
Zahl der jährlich bis 1915 (wo
nach prozentualen Abzügen die
keine Losung ebenso wie bei 1916
stattgefunden) , Freigelosten und aus bürgerlichen Rücksichten Befreiten auf rund 10000 annimmt , so ergäben sich, wenn die im Landsturmgesetz vorgeschlagene , in der I. Kammer schon angenommene Pflichtigkeit vom 20. bis 40. Lebensjahre Gesetz würde (und das Sondergesetz, betreffend Einberufung der 30-40 jährigen soll wieder jedesmal genehmigt werden), jetzt 19 Jahrgänge unausgebildeter Leute , gut gerechnet 200 000 Mann. An Ausgebildeten hätte man diejenigen , die die Landwehrpflicht vollendet , bis zum 40. Lebensjahre ,
nach prozentualen Abzügen rund 90 000 Mann.
Im
ganzen ergäben sich also 200000
(Landwehr und Miliz) + 200 000
(unausgebildete
+90 000
490 000 Mann ,
Landsturmleute) d . h.
210000
weniger ,
(ausgebildete) , als
Troelstra
also sich
96
Die Niederlande und der Krieg.
zusammen phantasierte.
Nimmt man dessen Angaben über die
Absicht des Kriegsministers , jährlich in 4 Serien (der Kriegsminister hält aber vier Monate für nötig und verwirft die von einzelnen Mitgliedern der Kammer vorgeschlagenen zwei Monate als absolut un zulänglich) je 12 000 ungediente Landsturmleute zu schulen , als zutreffend an, so würde man erst in drei Jahren , Abgänge gar nicht gerechnet, 144 000 herausbekommen . Troelstra versündigt sich aber auch in seinem Fanatismus durch Verwerfung des Landsturmgesetzes politisch gegen einen der leitenden Grundsätze der Partei, „ die Gleichheit vor dem Blutsteuergesetz ", da ohne dieses Gesetz die Notwendigkeit besteht, ältere verheiratete Leute und Familienväter mit der Waffe in den Kampf zu stellen , während junge vollständig dienstfähige, unverheiratete dazu nicht verpflichtet werden . Gegen die Troelstraschen Auslassungen sind denn auch aus dem Volke und von dienenden Landwehrleuten flammende Proteste erhoben worden , ebenso wie von beiden Seiten gegen die willkürliche Annahme des Sozialistenführers , die Niederlande könnten jetzt nicht mehr in den Krieg verwickelt werden. Auch in den Ausschüssen der II. Kammer sind verschiedene Einwände gegen den Inhalt des neuen Landsturmerweiterungsgesetzes erhoben worden, zum Teil dahin gehend , die Regierung beabsichtige damit eine dauernde Vermehrung der Effektivstärke - wovon nach dem Wortlaut des Gesetzes keine Rede sein kann , weiter , man
1
könne mit zwei Monaten Schulung für die unausgebildeten Landsturmleute auch auskommen . Endlich hatte man die Empfindung, als
E
bestehe
die Besorgnis,
bei Annahme des Landsturmgesetzes müßten in den auswärtigen Besitzungen der Niederlande ihre Beschäftigung hätten, sofort zur Schulung in die Heimat zurückkehren, während die Ausbildung doch einfach bei den Kolonialtruppen erfolgen könnte. Ebenso sind die anderen Einwände leicht die Leute,
die
zu widerlegen. Man darf deshalb die Überzeugung hegen , daß auch die II. Kammer, vielleicht mit einigen leichten Änderungen , das Landsturmgesetz annehmen wird. Ein Hinweis auf zwei andere kleine Länder , die Schweiz und Belgien , von denen die erstere, dank rechtzeitigen Opferns für ihre Wehrbarkeit, der Wahrung ihrer Neutralität sicher ist, das letztere sich nicht zeitig und opferfreudig genug zur Einspannung seiner vollen Wehrbarkeit entschloß dabei freilich auch politisch eine Heimtückerrolle spielte
, hat in den Niederlanden
zu denken gegeben. Gefährliche Verfechter der Landsturmvorlage sind einige Zeitungen, wie „ De Telegraaf " , die dem Volke klar machen wollen , die Vermehrung der Wehrkraft sei gegen Deutschland gerichtet , mit ihrem Eintreten für die Vorlage die Ziele ihrer Hetzpolitik weiter verfolgen und die Regierung mit allen
D
97
Die Niederlande und der Krieg.
Mitteln zwingen möchten, zugunsten des Vierverbandes die Neutralität aufzugeben. Die
I. Kammer ,
der
die
bevorstehende
Vorlage
eines neuen
Kriegssonderkredits von 90 Millionen auch schon angekündigt wurde , genehmigte ohne jede Debatte
die Gesetzvorlage ,
betreffend die
Einstellung des Rekrutenjahrgangs 1916 , bei dem die Losung wieder fortfällt , einen schon beantragten Sonderkredit von 50 Millionen für Zwecke des Kriegsbudgets , von 6 Millionen für das Marinebudget von denen 3 auf Indien entfallen 9 von 2,4 Millionen für das längere Indiensthalten der Seemiliz , dingt ,
durch die Kriegsverhältnisse be-
dann von 1,6 Millionen für die außerordentlichen Kosten, die
mit diesem längeren Indienstbleiben verbunden
sind , sowie zur Be-
schaffung von Wasserflugzeugen usw. , endlich die Verlängerung der Indiensthaltung von Miliz- und Landwehrjahrgängen , bedingt durch die Notwendigkeit gesteigerter Bereitschaft. In der Begründung der letztgenannten Gesetzvorlage ' ) wurde daran erinnert, daß von der Miliz bestimmungsmäßig am 1. August die Eingestellten der unberittenen Truppen der Aushebungen von 1907 bis 1908 zur Landwehr übertreten und tags zuvor aus dem Dienst ausscheiden müßten, mit der Überweisung zum Landsturm der bei den berittenen Truppen Eingestellten der Aushebung 1907 und der Seemiliz Jahrgang 1910 begonnen , endlich zu demselben Termin die Zeit für die Überweisung der Dienstpflichtigen der Miliz anbrechen müßte, deren Dienstzeit seit dem 1. August 1914 verlängert worden sei, nämlich bei den unberittenen Truppen des Jahrgangs 1906 , bei den Berittenen derselben Aushebung und bei der Seemiliz Jahrgang 1909. Die besonderen Verhältnisse machen es aber notwendig, so sagt die Begründung, daß diese verschiedenen Truppen vorläufig noch in der Miliz belassen werden . Was die Mannschaften, die zu den genannten Gruppen gehören und in Wirklichkeit bei der Landwehr Dienst tun , anbetrifft, so ist diese Maßnahme weniger dringend .
Rücksichten auf
die für die Militär- und bürgerliche Verwaltung mit dem Übergang zur Landwehr verbundenen Arbeiten lassen es aber wünschenswert erscheinen, den Übertritt auch bei
ihnen noch hinausschieben zu
können . Die zuletzt bewilligte Dienstverlängerung bis zum 31. Juli 1915 soll zunächst bis zum 31. Dezember 1915 ausgedehnt werden . Die Leute des Landwehrjahrganges 1907 (Milizaushebung 1899) sind,
so-
weit sie es verlangten , mit Urlaub nach Hause entlassen worden und werden,
wenn sich die Verhältnisse nicht kritischer gestalten,
mehr in den Dienst zurückgerufen,
1) Heute schon genehmigt.
nicht
es erscheint nach der Erklärung
98
Die Niederlande und der Krieg.
der Regierung
aber wünschenswert, sie in den Verbänden,
in denen
sie sich befinden, noch weiter zu erhalten und vorläufig nicht dem Landsturm zu überweisen . Ebenso sollen die Landwehrpflichtigen, deren Dienstzeit in diesem Jahre ablaufen würde , nämlich landwehrpflichtige Jahrgänge 1908 und 1909 (Milizaushebungen 1900 und 1901 ) vorläufig nicht aus der Landwehr ausscheiden . Den zu verlängertem Dienst gezwungenen Leuten der verschiedenen Kategorien wird das Maximum der Zulagen zuerkannt . --- Inwieweit nach dem Inkrafttreten des Landsturmgesetzes , außer dem oben schon erwähnten Landwehrjahrgang 1907 (Milizaushebung 1899), bei dem,
soweit sie
verlangt wurden, Beurlaubungen schon eingetreten sind , Heimsendungen von Landwehrpflichtigen des nächstniedrigen Alters angeordnet werden können, bleibt abzuwarten. Was den oben der ersten Kammer an-
8
gekündigten neuen Sonderkredit von 90 Millionen anbetrifft, so erstreckt er sich nur auf fortdauernde Ausgaben. Die früher be-
F
willigten 50 Millionen
für
denselben Zweck sind lange schon ver-
braucht, und stellt die Begründung fest , daß die Indiensthaltung stärkerer Kräfte vom 1. Mai ab mit monatlich 16 Millionen Mehrkosten in Rechnung gestellt werden muß und man mit den genannten 90 Millionen , also von Anfang Mai bis zum Ende September, für die fortlaufenden Mehrausgaben auskommen würde . Rechnet man das ganze Jahr pro Monat 16 Millionen an Mehrausgaben fortlaufender Natur, so kommt man auf 172 Millionen Gulden.
Der von der I. Kammer debattenlos angenommene Sonderkredit von 6 Millionen Gulden davon 3 Millionen auf Abschnitt I der Ausgaben des Budgets 1905 für Niederländisch-Indien entfallend stellt die erste Rate der Baukosten für 2 Kreuzer und 4 Unterseeboote der Marine
dar ' ) .
Ferner wurde,
wie wir hier
gleich bemerken wollen, vorgeschlagen , das Marinebudget 1916 um den Betrag von 1,6 Millionen Gulden zu steigern, mit Rücksicht auf die Notwendigkeit, die Seemilizen länger unter den Waffen zu halten und auch die schleunige Beschaffung von 6 Wasserflugzeugen mit Zubehör zu betreiben, da die Erfahrungen des gegenwärtigen Krieges deren großen Vorteil und Unentbehrlichkeit bewiesen haben. Die Flugzeuge sollen für den Preis von 20000 Gulden pro Stück von einer auswärtigen bekannten Fabrik in kürzester Zeit geliefert werden. Die Beschaffung der nötigen Einrichtung und Anlage eines am Wasser gelegenen Flugplatzes sind mit 80000 Gulden angesetzt. Bei dem verlangten Bau von Schiffsmaterial wies die Regierung darauf hin, daß der Entwurf eines Flottenbauplans zur Verstärkung der 1 ) Auch von der II . Kammer genehmigt.
99
Die Niederlande und der Krieg.
Wehrkraft zur See, auch mit besonderer Berücksichtigung von Niederländisch-Indien - über ein entsprechendes Gesetz wurde vom Staatswegen Ausrat im Jahre 1914 der Königin Vortrag gehalten bruch
des
Krieges
bleiben muß.
und
dessen Fortdauer vorläufig
In dem Flottengesetz war, wie
noch
ruhen
die Begründung des
Marinebudgets 1915 mitteilt, der Plan niedergelegt , der die Ausgaben für Neubauten - mit Ausnahme der Kosten des Materials für Hilfsdienste sowohl für Indien wie für das Mutterland aus einem in das
Gesetz einzustellenden
„ Flottenfonds "
decken wollte,
dessen
Mittel sich aus außerordentlichen Erträgen ergeben sollte, über die, Für ebenso wie über die Ausgaben, jährlich zu berichten wäre. Schiffsneubauten sollten dann marinebudget und im
keine Forderungen mehr im Heimat-
indischen erscheinen .
In der Aussicht,
den
Flottengesetzentwurf baldigst wieder vorlegen zu können , glaubte die der Einbringnng des Budgets für 1915
auf die
Forderung von Beträgen für die Fortsetzung der auf
Regierung sich bei
Stapel
liegenden Neubauten beschränken
zu dürfen.
Da die Erwartung
sich aber nicht erfüllen konnte, glaubte die Regierung, die Verantwortlichkeit für den wenig erfreulichen Zustand der Flotte , der auf die Dauer verhängnisvoll werden könnte, nicht weiter übernehmen zu dürfen. Das Bild , das die Regierungsbedründung von den vorhandenen Panzerschiffen und Kreuzern entwarf, war in der Tat kein erfreuliches . In ihm erschien zunächst der Panzer Kortenaar, der noch für eine Reise nach Westindien zurecht geflickt worden ist, aber nicht lange mehr im Dienst bleiben kann und nicht mehr wert ist, große Umbau- oder Herstellungskosten zu beanspruchen . Von den übrigen Panzerschiffen sind Konigin Regentes, De Ruyter und Hertog Hendrik ungefähr 15 Jahre alt und können bei den großen Forderungen und Fortschritten, die die letzten 10 Jahre im Bau von Panzerschiffen gebracht haben, nur als wenig wertvoll für die Verteidigung betrachtet werden. Die 4 vorhandenen Kreuzer sind veraltet, und wenn auch ihre Armierung verbessert wurde , so haben sie doch nach den heutigen Begriffen nur wenig Gefechtswert. Weisen diese Verhältnisse auf die unbedingte Notwendigkeit hin,
wenn
man bereit sein
will,
schleunigst an den Neubau von Schiffen heranzutreten, so sprechen, wie die Regierung nachdrücklich betonte, auch noch andere Gründe dafür. Läßt man den heutigen Zustand bestehen , ohne dessen baldigste Änderung in Aussicht zu stellen, so würde das auf das PerDer Bau des aufgeführten sonal an Bord demoralisierend wirken. Schiffsmaterials tritt , alsbaldigst zu beginnend, zudem jetzt deshalb auch in den Vordergrund, weil sich die Möglichkeit bietet, auf niederländischen Werften,
und zwar schon vom September ab,
zu bauen.
100
Die Niederlande und der Krieg.
Wird die Gelegenheit nicht benutzt , so ist es fraglich, ob sie sich später noch einmal in absehbarer Zeit bietet, da sowohl die niederländischen wie die
auswärtigen Werften
derart mit Anfträgen
überhäuft sein
nach
werden,
dem
Friedensschluß
daß sie für nieder-
ländische Kriegsschiffe keinen Platz haben . Die Beseitigung von veraltetem Schiffsmaterial ist sowohl mit Rücksicht auf die Schlachtfertighaltung der Flotte schleunigst geboten, als auch für die Verstärkung der Seewehrkraft Indiens durch moderne Einheiten im Rahmen eines
Flottenbauplanes,
dessen
Notwendigkeit
kommission und auch die Regierung schon 1912
die
Staats-
anerkannt
haben .
15 Die Verhältnisse erlauben gegenwärtig noch nicht, einen vollständigen Flottenplan vorzulegen, da die Finanzverhältnisse der Niederlande und Indiens keine normalen sind,
so daß an die Bereitstellung außer-
Pr ordentlicher Mittel nicht gedacht werden kann .
Dann muß auch den
Lehren des gegenwärtigen Krieges zweifellos noch Einfluß auf die Zusammensetzung der zu bauenden Flotte gestattet werden. Kann man also nicht mit Bestimmtheit sagen, wann der Entwurf eines endgültigen Flottenplanes vorgelegt werden kann , so steht anderseits zweifellos fest, daß sehr schnelle Kreuzer und Unterseeboote in jedem Flottengesetz unentbehrlich sind.
Selbst wenn der
Schwerpunkt der Verteidigung Indiens auf Unterseebootmaterial gelegt wird, ist eine Anzahl schneller Kreuzer unentbehrlich für die Beobachtung der Zugänge zum Indischen Archipel und zur Unterstützung der Unterseeboote. Der gegenwärtige Krieg lehrt zudem, wie stark gerade in solchen Gewässern Unterseeboote durch Torpedoboote und leichte Kreuzer
in ihrer Tätigkeit bedroht werden .
Über
die Not-
wendigkeit, die Zahl der Unterseeboote für Indien zu vermehren, besteht kein Zweifel und keine Meinungsverschiedenheit. Nach den gemachten Erfahrungen sollen sowohl für Indien
als das Mutterland
kleine und große Unterseeboote gebaut werden .
Die Dienste , die bei
der Verteidigung Indiens von Unterseebooten verlangt werden , lassen es aber geboten erscheinen , für Indien zunächst mit dem Bau von größeren Booten zu beginnen .
Eigene
Erfahrungen hat
man, da die Entsendung von K. 1 nach Indien durch den Krieg gehindert wurde, in den indischen Gewässern noch nicht gemacht. Die mit diesem Boot in den niederländischen Gewässern gemachten Erfahrungen haben aber bei dem Bau der achtung gefunden.
Wie
auf Stapel liegenden K 2 und 3 Be-
sich kleinere Boote für Indien eignen, soll
erst nach dem Kriege durch Entsendung einiger niederländischen dorthin erprobt werden. Was die schnellen Kreuzer anbetrifft, so hatte früher die Staatskommission für den Aufklärungsdienst bei der Flottenhauptmacht 6 Torpedokreuzer von 1200 Tons, großer
Die Niederlande und der Krieg.
101
Fahrgeschwindigkeit und je 4 10,5 cm-Kanonen für ausreichend betrachtet.
Bei dem Entwurf des Flottenbauplans
trat die bestimmte
Meinung hervor, für diesen Zweck besser geschützte und bewaffnete Schiffe zu verwenden, woraus sich schon die Notwendigkeit größeren Deplacements ergab. Torpedokreuzer sind mit ihrer schwachen Bewaffnung und ihrem
mangelnden Schutz
und Aufklärern des Gegners standzuhalten .
nicht imstande,
Kreuzern
Für die strategische Auf-
klärung genügen sie nicht. Die Erfahrungen des jetzigen Krieges zur See haben den Wert großer Schnelligkeit markant hervortreten lassen und auch erwiesen , daß man die Armierung solcher Aufklärer aus 15 cm-Kanonen bestehen lassen muß, so daß sie imstande sind, Torpedojäger und leichte Kreuzer des Gegners bald abzutun und nur die schweren Panzerkreuzer des Gegners zu fürchten haben . Die Prüfung der Frage im Marineministerium führte zur Festdie stellung folgender Konstruktionsgrundsätze für Kreuzer : 6000 tons Deplazement, 38 Knoten Geschwindigkeit, Turbinenmaschinen, Aktionsradius nicht unter 5000 Meilen bei 12 Knoten Fahrt, Panzergürtel von 7,5 cm Stärke , Panzerdeck, Armierung 10 15 cm-Geschütze, 4 7,5 cm-Geschütze zugleich als Ballonabwehrkanonen , 4 Revolvergeschütze, gepanzerter Kommandoturm und Munitionsaufzug, Ölfeuerung, Kosten je 9 Millionen Gulden , Bau auf niederländischen Werften, von denen sich vier bereit erklärt haben , ihn zu übernehmen nach Entwürfen einer auswärtigen Firma von Ruf und Überwachung durch Beamte dieser. Die Unterseeboote sollen größeres Deplacement und wesentlich größeren Aktionsradius als K. I erhalten, 800 tons, größere Schnelligkeit als K. I , 6 Torpedoausstoßrohre ,
Kosten 1750000 Gulden pro Stück ausgerüstet.
sollen aus dem niederländischen Budget,
Die Kreuzer
die Unterseeboote,
soweit
sie für Indien bestimmt sind, aus dessen Budget bezahlt werden . 18 .
00
Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 527.
8
Literatur.
102
Literatur.
Bücher. Hie guet Zolre. 500 Jahre Hohenzollernregierung . Eine Jubiläumsschrift von Professor Dr. Edwin Evers , Direktor des Königl. Friedrich-Wilhelms - Gymnasiums zu Berlin. Mit 10 Abbildungen auf bestem Kunstdruckpapier. 6 Bogen stark. Preis 50 Pf. (von 50 Stück an je 45 Pf., von 100 Stück an je 40 Pf., von 500 Stück an je 35 Pf. und von 1000 Stück an je 30 Pf. ). Verlag von Edwin Runge in Berlin-Lichterfelde.
Tenes
Das Buch gibt einen übersichtlichen , allgemein verständlichen Überblick über die Ceschichte Brandenburg-Preußens und Deutschlands unter den Hohenzollern . Ob Friedrich I. wirklich eine deutschnationale oder nicht vielmehr eine dynastisch- brandenburgische Politik trieb, und ob es wirklich heilsam gewesen wäre, wenn Friedrich Wilhelm I. die Kolonialpolitik des Großen Kurfürsten fortgesetzt hätte, was doch nur auf Kosten der kontinentalen Aufgaben Preußens hätte geschehen können , das sind Punkte, über die man wird streiten. können . Irreführen können leicht die Ortsangabe über die Schlacht bei Missunde --- Missunde liegt nicht vor der Front der Danewerke, sondern östlich davon (S. 66) und die Kennzeichnung des Inhalts
Peder
ch erich
Englie
der Forderung Benedettis (S. 75). Unstimmigkeiten derart, daß z. B. der Übertritt Johann Sigismunds zum Calvinismus 1614 erfolgt sein soll statt Weihnachten 1613 und daß die Schlacht bei Lützen und der
Minge
Tod Gustav Adolfs 1630 statt 1632 angesetzt wird , sind wohl als Druckfehler anzusehen . Als Ganzes erfüllt das Buch vollkommen seinen Zweck : Es zeigt, was Preußen-Deutschland den Hohenzollern verdankt. Dr. Lühmann .
rend
Das Seekriegsrecht.
Von
piri
Gerichtsassessor Dr. Hans Wehberg.
(Handbuch des Völkerrechts v. Prof. Dr. Stier - Somlo . IV. Band, 1. u . 2. Abt. Besonderer Teil. ) Preis 16 M., Subskribenten auf das ganze „ Handbuch" erhalten diesen Teil für 15,50 M. (Verlag von W. Kohlhammer, Stuttgart, Berlin, Leipzig.) „Ein Buch zur rechten Zeit !" So wird wahrscheinlich jeder denken , der nur einmal flüchtig die Einteilung überfliegt; denn wer möchte, um nur einiges hervorzuheben , nicht heute einmal etwas Genaueres hören über die völkerrechtlichen Grundlagen des Minenlegens, der Blockade, des Seebeuterechts, des Prisenverfahrens oder des Neutralitätsrechtes !? Aber nicht nur der Stoff allein macht das Buch interessant, auch die Art der Darstellung fesselt ; denn sie ist leicht faßlich und folgerichtig im Aufbau . In erster Linie will der Verfasser eine Darstellung des geltenden Rechtes geben, aber doch nicht ohne Kritik und ohne Diskussion über die Möglichkeit einer
et
Literatur.
103
Weiterentwickelung. Und gerade diese Teile sind besonders anziehend geschrieben und für den Nichtfachmann wohl die Hauptsache. Verfasser geht aus von dem Satz des Hugo Grotius : In bello omnia licere, quae necessaria sunt ad finem belli, den er mit Napoleon I. negativ begrenzt durch den Zusatz, aber auch nur diese. Als finis belli nimmt er dann weiter die Absicht an, dem Gegner seinen Willen aufzuzwingen. Also, so schließt er, muß es z. B. erlaubt sein , auch auf hoher See Minen zu legen , was auch immer engliche Theoretiker ihrer Regierung zuliebe dagegen sagen mögen ( S. 83) ; denn dadurch kann man feindliche Streitkräfte vernichten . Anderseits ist aber eine Verletzung der Rechte eines neutralen Staates mit diesem Grundsatz keineswegs zu vereinbaren ; denn sie bietet nie die einzige Möglichkeit, das Land zu schützen ; sie kann daher immer nur aus Zweckmäßigkeitsgründen gerechtfertigt werden (S. 396¹ ) . Und wenn nun durch ein bisher anerkanntes Kampfmittel, wie das Seebeuterecht, allein weder die Niederwerfung des Feindes erzwungen noch eine direkte und indirekte Schädigung der Neutralen vermieden werden kann , dann muß es eben beseitigt werden . In dieser Richtung verspricht sich Verfasser Erfolge von den Bemühungen des Haager Schiedsgerichts, dem er namentlich auch ein internationales Prisengericht angliedern möchte, das die Rechtsordnungen der Einzelstaaten in Einklang zu bringen hätte mit dem Völkerrecht. Wehberg nimmt also eine Mittelstellung ein zwischen den Pazifisten und unbedingten Anhängern des Krieges. Sein Glaube an den endlichen Sieg der Menschlichkeit und Gerechtigkeit macht ihn keineswegs blind für die Bedeutung der necessaria ad finem belli und deren rückhaltlose AnDr. Lühmann . wendung. Spiridion Gopcevic, Geschichte von Montenegro und Albanien . Friedrich Andreas Mit fünf Stammtafeln und drei Karten . Perthes, A.-G. , Gotha . 1914. Preis 8 M. In 14 Abschnitten gibt Verfasser eine ausführliche Geschichte Montenegros und Albaniens von ihren Anfängen bis 1914 ; nur die neuste Zeit (1860-1914 ) ist kurz dargestellt, da für ihre eingehende Behandlung ein besonderer Band in Aussicht genommen ist. Nicht sine ira et studio ist das Werk geschrieben, und das wird man durchaus nicht in jeder Beziehung bedauern . Vielmehr empfindet man mit dem Verfasser Freude an dem heldenmütigen Freiheitskampf dieses urwüchsigen Volkes, das zwar nur langsam von energischen Regenten , wie Peter I., Peter II. und Danilo , zu einem Leben in einem Rechtsstaate gebracht werden konnte, das aber, soweit es die unaufhörlichen Kämpfe und die Armut des Landes gestatteten , schon frühzeitig für Bildung Interesse bekundete. Man versteht den Zorn zu würdigen , den er darüber empfindet, daß das Volk fast stets von Österreich sowohl als von Rußland --- behandelt wurde wie der Mohr, der seine Arbeit getan hat. Aber das Urteil , das S. G. S. 441¹ über die Diplomaten 8*
104
Literatur.
fällt, ist doch wohl etwas hart . Und einseitig und daher leicht irreführend ist es geurteilt, wenn er ( S. 43 ) im Zusammenhang mit der berechtigten abfälligen Kritik des Verhaltens der Kirche gegen Uros IV. von „ dem Brudermörder und grausamen Tyrannen Karl d . Großen“ und „dem vielfachen Verwandtenmörder Konstantin d. Großen" spricht. Aber von solcher Einseitigkeit hält sich S. G. sonst fern ; das beweist die Tatsache, daß er an strittigen Punkten alle Quellen unparteiisch nebeneinander abdruckt. Ja, in diesem schätzenswerten Bestreben tut er vielleicht für manchen Leser des Guten zuviel . Man möchte oft wünschen , daß die umfangreichen Nachweise in Anmerkungen oder als Anhang gegeben würden . Denn dadurch würde die Darstellung an Übersichtlichkeit gewinnen. Und wenn dann auch noch der Umfang des Buches (462 S. ) verringert und der Preis erniedrigt werden könnte, so dürfte dies sicherlich dazu beitragen, dem interessanten Werk den großen Leserkreis zu sichern, den es verdient. Dr. Lühmann. II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des ver. fügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch za besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher“ nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises - sofern dieser mitgeteilt wurde - hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Rothert, Karten und Skizzen zum Weltkrieg 1914/15 . I. Teil . Düsseldorf 1915. Verlag von A. Bagel. Geb. 4 M. 2. v. Fischer-Treuenfeld, Das Zielen und Schießen der Infanterie. Berlin 1915. Verlag von Baur & Richter. Geh . 0,40 M. 3. Chronik des Deutschen Krieges. III . Bd . München 1915. Verlag von C. H. Beck. Geb. 2,80 M. 4. Bohrdt, Der letzte Mann . Leipzig 1915. Gustav Zehrfeld . 4 M. 5. Halder, Die Jugendwehr, ihre Notwendigkeit und ihre Ziele . Ein Weckruf an Deutschlands Volk und Jugend. Horb. Verlag von Paul Christian , 0,30 M, M. 6. v. Pflugk-Harttung, Belle Alliance (Verbündetes Heer) . Berichte und Angaben über die Beteiligung deutscher Truppen der Armee Wellingtons an dem Gefechte bei Quatrebras und der Schlacht bei Belle-Alliance . Berlin 1915. Verlag von R. Eisenschmidt. Geh . 8 M., geb. 9,50 M. 7. Feldmann , Flottentabellen der Kriegsmarinen aller Staaten. II. vermehrte Auflage, nach dem Stande vom 15. Mai 1915. Oldenburg, Verlag von Gerhard Stalling. 1 M. 8. Wehberg, Deutsche Kriegsschriften . 15. Heft : v. Tirpitz und das Seekriegsrecht. Bonn . A. Marcus und E. Webers Verlag. Brosch. 0,80 M. 9. Ahnert, Lustiger Lehmkrieg . 100 heitere Aufschriften an Unterständen , Blockhäusern , Schützengräben usw. Nürnberg. Burgverlag. Feldpostausgabe 0,20 M. 10. Kranz, Aufgaben der Geologie im mitteleuropäischen Kriege. Sonderdruck aus Dr. Petermanns Mitteilungen . Gotha 1915. Gustav Perthes. Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.
XI.
Die in
Kämpfe
um
die
den Ostbeskiden
Karpathen - Übergänge
und
Am 5. August hatte Österreich und seine Truppen,
dem Waldgebirge .')
an Rußland den Krieg erklärt
soweit sie nicht gegen Serbien eingesetzt waren ,
zur Verteidigung Galiziens bereitgestellt, dessen Besitzergreifung Rußland erstrebte und gegen das es mit starken Kräften in zwei Gruppen zwischen Weichsel und Bug einerseits und östlich davon durch Wolhynien anderseits vorzugehen sich anschickte . Mit einem Teil der Truppen rückten die Österreicher im Anschluß an den deutschen Verbündeten auf dem linken Weichselufer bis zum Abschnitt des Kamiennaflusses vor, mit zwei Armeen unter den Generalen Dankl und Auffenberg ergriffen sie die Offensive zwischen Weichsel und Bug, mit dem Rest unter General Brudermann standen sie bei Lemberg verfügungsbereit.
Die
Russen rückten
mit einem an Zahl weit
überlegenen
Heere an, das auf 60 Infanterie- und 11 Kavalleriedivionen geschätzt wurde, von denen sich ein Teil gegen die beiden vorgeschobenen österreichischen Armeen wandte, der andere, größere zwischen Brody und dem Flusse Zbrucz in Ostgalizien einfiel.
Trotz
starker Erfolge
der Armeen Dankl und Auffenberg sahen sich die bei Lemberg kämpfenden Kräfte gezwungen, vor der Übermacht auszuweichen. Dies geschah am 3. September 1914 in eine Stellung westlich von Lemberg und zwar völlig unbehelligt vom Feinde, dessen Kräfte durch die vorangegangenen achttägigen Kämpfe erschöpft waren. Am 9. September begann hier eine neue Schlacht, in der seitens der Österreicher energisch die Offensive mit gutem Erfolge ergriffen wurde, so daß die Russen auf dem südlichen Gefechtsfelde zurückgedrängt werden konnten.
Dagegen traten neue Massen gegen den nördlichen Flügel
¹ ) Zur Übersicht genügt eine größere Kriegskarte, allenfalls auch der Atlas von Andree. 9 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 528.
106
Die Kämpfe um die Karpathen-Übergänge.
auf, die sich auch zwischen die Armee Dankl und Lemberg zu schieben strebten. Die Übermacht der Feinde machte sich empfindlich fühlbar und es bestand keine Aussicht, dagegen aufkommen zu können. Die Schlacht hatte mit kurzen Unterbrechungen 16 Tage gedauert, während deren die Truppen sich ausgezeichnet geschlagen, doch aber auch an Gefechtskraft naturgemäß Einbuße erlitten hatten. So wurde die
Armee
unter Heranziehung
der unter
Dankl und Auffenberg
fechtenden Teile in eine Stellung westlich des San zurückgenommen. Der Abmarsch erfolgte
anfangs unbelästigt vom Gegner
staffelweise
und konnte ganz den Absichten gemäß durchgeführt werden. Gegen Ende September war die Operation durchgeführt, durch die die Armee mit der Festung Przemysl in nähere Fühlung trat und die sie den vereinten Kräften der Verbündeten in Südpolen näher brachte. So fand ihr einer Flügel Anlehnung und die früher weit auseinandergezogenen und getrennten Kräfte konnten sich gegenseitig unterstützen.
Anderseits
beherrschten die Russen Galizien und das Eindringen in die Karpathen stand ihnen frei. Vor weiterem Eingehen auf die kriegerischen Ereignisse
L
sei eine
kurze Beschreibung der Karpathen, so weit sie hier in Betracht kommen, eingeschaltet, um ihren Einfluß auf die Vorgänge verständlich zu machen.
1
Die Karpathen bilden für Truppenbewegungen ein bedeutendes Hindernis zwischen dem ungarischen Donautiefland und Mähren , Schlesien und Galizien. Die sich entgegenstellenden Schwierigkeiten beruhen nicht sowohl auf der relativen Höhe und den schroffen Bergformen, als vielmehr auf der großen Breitenausdehnung, der geringen Besiedelung mit einer ärmlichen Bevölkerung,
dem spärlichen Anbau
von Feldfrüchten, der dürftigen Unterkunftsmöglichkeit, der nicht überall zureichenden Wegsamkeit und dem zum Teil dichten Waldbestande. Für die folgenden Ausführungen handelt es sich nur um den zwischen den Zentralkarpathen und dem Karpathischen Waldgebirge liegenden Abschnitt,
der von dem die Verbindung zwischen
Bartfa und Neu- Sandec herstellenden Paß bei Tylicz bis zum LupkowPaß den Namen Ost-Beskiden , von da ab bis zum Vereckepaß den Namen Waldgebirge führt. Diesen Namen verdankt letztgenannter Abschnitt den starken Waldbeständen, die sich auf beiden Seiten des Kammes zwischen 900 bis 1350 m Höhe vorfinden und zum Teil noch aus Urwald bestehen. Abgesehen von einzelnen höheren Punkten bewegt sich der Kamm zwischen 1000 und 1500 m . Nach dem Hochland von Galizien fällt der aus mehreren gleichgerichteten kurzen Ketten bestehende Gebirgszug unmittelbar ab, nach Ungarn hin wird er von einigen vulkanischen Berggruppen begleitet. Die zahlreichen Täler sind scharf in
5
107
Die Kämpfe um die Karpathen-Übergänge.
das Gestein eingeschnitten ; ihre in den oberen Regionen schroffen Hänge erschweren den Zusammenhang von Truppenbewegungen ; die meisten von ihnen führen wasserreiche Bäche zu Tale. Die Breitenausdehnung des Gebirges wechselt und ist an der Duklasenke mit etwa 90 km am geringsten, da zu ihr die ungarische Tiefebene am weitesten nach Norden vorspringt. Zugleich fällt hier die Kammhöhe auf 500 m herab. Aus dem Zusammentreffen dieser beiden Umstände erhält die Duklasenke ihre besondere Bedeutung für militärische Bewegungen zwischen der galizischen und ungarischen Tiefebene. Im übrigen schwankt die Breite zwischen 100 und 120 km. ― Durchgehende Bahnen sind in dem Abschnitt und dicht an seinen Grenzen vier vorhanden, und zwar von West nach Ost aufgeführt : 1. Eperjes durch das Popradtal auf Neu - Sandec, weiterhin Tarnow, 2. Hamonna über den Lupkowpass auf Sanok, 3. Ungvar über den Uzsoker-Paß auf Sambor, 4. Munkacz über den Beskidpaß auf Stryj , weiterhin Lemberg. Alle diese Bahnen münden in eine dem Gebirgszuge im allgemeinen gleichlaufende Bahn, welche sie miteinander verbindet . Die Zahl der dem Verkehr von Süd nach Nord dienenden durchlaufenden Kunststraßen ist gering . Am zahlreichsten finden sie sich in der Duklasenke und auf ihren beiden Seiten. Erwähnt seien : 1. Eperjes über Bartfa und den Sattel bei Tylicz ( Paßhöhe 743 m) auf Neu-Sandec, 2. in der Duklasenke : a) Bartfa über den Sattel von
Konieczna
(559 m)
auf
Gorlice,
592 m bei Alsopagnony auf Jaslo,
b) Bartfa
über
Paßhöhe
c) Eperjes und Varanno
das Ondavatal über den Duklapaß (502 m)
durch
auf Dukla und Krosno ,
d) Hamonna durch das Laborczatal über den Czeremchapaß (575 m) auf Rymanow, 3. Hamonna längs der Eisenbahn über Lupkow (685 m) auf Sanok, 4. Hamonna über Rostoki (797 m) auf Lisko - Sanok, 5. Ungvar über Uzsokerpaß (889 m) auf Turka- Sambor,
6. Munkacz
über Verecke- oder Beskidpaß auf Stryj . Bis in die Nähe des Kammes führen mehrfach Straßen von Süd und Nord. Soweit ihre Enden dort nicht durch Gebirgswege miteinander in Verbindung stehen , sitzen Wert.
be-
sie für Bewegungen größerer Truppen nur untergeordneten Die Verbindung der Straßen untereinander in westöstlicher
Richtung ist sehr gering und fast ausschließlich auf Gebirgswegen herzustellen.
Da eine in den Karpathen operierende Armee ganz auf den
Nachschub angewiesen ist , so war die Erweiterung des Straßennetzes , die erst in neuerer Zeit aus militärischen Rücksichten erfolgte, von hoher Bedeutung. Auf der Nordseite des Gebirges sind die Winter rauh. Der Schnee fällt reichlich , erreicht stellenweise eine Höhe von 2 m und hindert das Fortkommen selbst auf gebahnten Straßen. Das tut er in noch 9*
108
Die Kämpfe um die Karpathen -Übergänge .
verstärktem Maße, wenn er, Tags über an der Oberfläche leicht aufgetaut, während der Nacht gefriert, wodurch sowohl der Auf- als der Abstieg mühselig und zuweilen gefährlich wird . Und tritt dann Tauwetter ein, so werden die Straßen grundlos. Ein Augenzeuge entwirft davon folgende anschauliche Schilderung : 99 Wer nie bei Regen , Schnee und Hagel durch die Schlammbäche marschiert ist, die jetzt die Landstraßen auf dem galizischen Kriegsschauplatz markieren, der hat des Krieges größte Qual noch nicht gelitten. Zwei ungeheuere Heere haben sich darüber hinweggewälzt und Fuß und Huf und Rad haben alles zu Brei zermalmt oder, was noch schlimmer ist, zu einem weichen, tiefen Teig geknetet, in dem Mann , Tier und Wagen hilflos kleben bleiben. Als das kleinere Übel gilt der Schlammbach, das heißt jene Straße, auf der sich die graue , flüssige Masse einen halben bis einen Fuß tief, oft auch noch tiefer, sogleich hinter dem Rade wieder zu einem glatten, schillernden Bande schließt, denn diese Wege haben noch ein festes Steinbett unter der flüssigen Schicht, auf dem sich immerhin vorwärts kommen läßt, ohne die Zugtiere zu Tode prügeln zu müssen. Auf den teigigen Landstraßen verliert man Geduld und Mut und Muskel und kommt nur kriechend vorwärts. Die Pferde sterben am Wegesrand wie die 66 Fliegen. Bald nach dem Ausweichen der österreichischen Kräfte auf das linke Sanufer drangen russische Abteilungen durch das Waldgebirge gegen Ungarn vor , ob in der Absicht , die Truppenbewegungen in Galizien gegen Unternehmungen aus den Karpathen zu sichern, oder als Vorhuten für weiteren Nachschub zur Besitzergreifung Ungarns , sei dahingestellt . Schon am 25. September kam es zu den ersten Plänkeleien am Uzsoker Paß, wo die Russen mit 1/2 Brigaden und 16 Geschützen aufgetreten sein sollen. Hauptsächlich scheinen sie sich MaramarosSziget zum Ziel genommen zu haben .
Nach erfolgtem Aufmarsch der
österreichisch-ungarischen Truppen griffen sie bei diesem Ort und dem westlich Sanon im Theißtal gelegenen Taraczkoecz den Feind an und zwangen ihn zu panikartiger Flucht. In diesen Gefechten, die sich in den Anfangstagen des Oktober abspielten, wird erstmalig auch das Eingreifen deutscher Streitkräfte bei Taraczkoecz hervorgehoben . Die Russen ließen es nicht an erneuten Versuchen fehlen, in Richtung auf Maramoros-Sziget wieder vorzugehen. Nachdem sie an der Grenze nördlich dieses Ortes bei Körösmezö wiederum geschlagen waren, konnte unterm
20. Oktober gemeldet werden,
Staatsgebiet von den letzten säubert sei.
Resten
der
daß das
ungarische
feindlichen Invasion ge-
Die Kämpfe um die Karpathen - Übergänge.
109
Inzwischen war von der auf das linke Sanufer hinübergezogenen Armee die Offensive wieder aufgenommen und das Gebiet westlich des San vom Feinde gesäubert, auch die seit den letzten Tagen des September eingeschlossene Festung Przemysl Mitte Oktober entsetzt worden. Der weiter ostwärts vordringenden Armee stellten sich die Russen in der befestigten Linie Medika (östlich Przemysl) -Stary Sambor entgegen , wo sie hartnäckigen Widerstand leisteten und die Österreicher zu planmäßigem Angriff zwangen. Dieser wurde durch die über die Karpathenpässe nordwärts vordringenden Kräfte unterstützt , die über den Uzsoker-Paß bis nördlich Turka, über den Vereckepaß bis
auf die Höhen nördlich Orow vorrückten. Erstere erwiesen sich sehr nützlich, als die Russen gegen den österreichischen Südflügel der Hauptstellung bei Stary Sambor vorzustoßen versuchten. Sie konnten erfolgreich in die erbitterten Kämpfe nordöstlich Turka zwischen 29. Oktober und 5. November eingreifen , die für die Österreicher siegreich verliefen . Das Zurücknehmen der verbündeten Heere Ende Oktober in Polen von der Weichsel auf die schlesische Grenze zu und das Eintreffen russischer Verstärkungen zwang dazu,
die Lücke
zwischen den zu
beiden Seiten der Weichsel eingesetzten Kräften zu verkleinern. In Galizien mußten sie weiter westlich verschoben werden und sich mit veränderter Front den Russen entgegenstellen, die über die untere Wisloka und über Rzeszow bis in den Raum von Lisko vorstießen . Die
Festung Przemysl
mußte
sich selbst überlassen bleiben.
Ihre
Wiedereinschließung wurde am 12. November gemeldet. Die Genugtuung über Befreiung ungarischen Bodens von dem russischen Einbruch hielt nicht lange an. Mit dem Vorrücken des Feindes im Sangebiet zeigten sich seine Truppen auch wieder angriffsweise an den Karpathenpässen , von denen ihnen einzelne überlassen werden mußten. Sie drangen hauptsächlich in das Komitat Zemplin ein und konnten von hier erst in den letzten Tagen des November über die Grenze zurückgeworfen werden, nachdem sie bei Hamonna und im Laborczatal schwere Verluste erlitten hatten. Im Waldgebirge dauerten die Kämpfe aber mit wechselndem Erfolge fort und zeigten ein heftigeres Gepräge als beim ersten Vorgehen. Die erfolgreiche deutsch- österreichische Gegenoffensive in Polen veranlaßte die Russen dazu, sich Ende November durch einen südlich der Weichsel gegen Bochnia- Krakau geführten Vorstoß Luft zu verschaffen und ihn durch kräftigere Unternehmungen gegen Oberungarn zu unterstützen. Während sich die beiderseitigen Hauptkräfte in der Front : Gegend östlich Tymbark bis in den Raum östlich Krakau in mehrtägigem Ringen gegenüberstanden, begannen auch größere Kämpfe
110
Die Kämpfe um die Karpathen-Übergänge.
südlich Gorlice, Grybow, Neu- Sandec, welche Orte sich in den Händen Diese hatten sich zur Unterstützung ihres der Russen befanden. Vorgehens auf Krakau bzw.
zur Abwehr feindlicher Vorstöße aus
Ungarn anfangs Dezember in den Besitz der zur Duklasenke führenden Pässe gesetzt.
Den Österreichern mußte ihre Rückgewinnung von Be-
deutung sein, um Unternehmungen gegen ihren rechten Flügel in der Gegend Limanowa -Tymbark zu verhindern . Dementsprechend wurde gegen die Russen an den Beskidenübergängen vorgegangen. Es gelang, die Eindringlinge zurückzudrängen und sie ungeachtet aller Schwierigkeiten des winterlichen Gebirgsgeländes kräftig zu verfolgen. Hierdurch näherten sich die österreichischen, siegreichen Truppen dem südlichen Flügel der Hauptstellung bei Limanowa,
konnten die von
Neu-Sandec her zur Unterstützung anrückenden Russen in der Flanke fassen und sie mit Umgehung bedrohen. So trugen sie dazu bei, die Lage des Feindes unhaltbar zu machen und den Sieg bei Limanowa zu vervollständigen. Am 12. Dezember konnte gemeldet werden ,
daß sich die Über-
gänge westlich des Lupkowpasses wieder in Händen der Österreicher befänden.
Nur in den Komitaten von Bereg und Marmaros standen
noch Kräfte der Russen.
Bald aber griffen sie auch wieder in das
Zempliner Komitat über.
Ihr deutlich erkennbares Streben, längs des
Gebirgskammes
nach Westen Raum
zu gewinnen ,
läßt sich
daraus
erklären, daß die westlich des Lupkowpasses vorhandenen österreichischungarischen Truppen verhindert werden sollten, in die Hauptkämpfe bei Gorlice- Zakliczyn einzugreifen. Gelang es, sie umfassend aus Südost nach Norden zurückzuwerfen, so wurden sie gegen die im Raume Gorlice - Krosno stehenden russischen Kräfte gedrängt und kamen zwischen zwei Feuer. Aus den sich widerstreitenden Bestrebungen des Vorrückens einerseits, des Zurückweichens anderseits, ergaben sich Ende Dezember 1914 mehrfache Zusammenstöße in den oberen Tälern der Flüsse Nagyag, Ung und Laborcza, durch die es gelang, den Ansturm der Russen in westlicher Richtung am Laborcza-Tal zum Stehen zu bringen.
Wurden sie in diesen Kämpfen vorübergehend auch über
den Gebirgskamm zurückgedrängt, so war doch die auf den galizischen Abhängen unter General Brussilow stehende Truppenmacht in der Lage, durch Entsendung von Verstärkungen dauernde Erfolge zu verhindern. So vergeht fast kein Tag kampflos. um Gefechte kleineren Umfangs und
Es handelt sich nach wie vor örtlicher Bedeutung in meist
weit getrennten, einsamen Tälern, die sich vorwiegend in der Gegend des Uzsokerpasses und östlich davon abspielen, während nach Westen zu vorwiegend Artilleriekämpfe stattfinden. Zu den an sich schon schwierigen Geländeverhältnissen traten seit
111
Die Kämpfe um die Karpathen-Übergänge.
etwa 6. Januar in den höheren Gebieten leichter Frost und Schneefall hinzu
und
die Flüsse überfluteten
einigen weiteren Tagen folgten
zum Teil ihre Ufer.
Nebel und
Schneetreiben,
kleinere Unternehmungen und Plänkeleien begünstigt dann aber Mitte des Monats bei zunehmendem Frost
Nach
wodurch
wurden. Als Schneetreiben
einsetzte, trat eine etwa achttägige Gefechtspause ein, da Unternehmungen so gut wie ausgeschlossen waren. Das anhaltende Frostwetter hatte das Gute, daß die Straßen zwar holpricht, aber benutzbar waren . Der Schnee hatte sich gesetzt und auf dem kurzen Abstande vom Feinde war ermittelt, wo man sich über ihn fortbewegen konnte. Größere Unternehmungen setzten am 24. Januar mit dem Versuch der Russen wieder ein, die von ihnen im Ung-Tal angelegten und verlorenen Befestigungsanlagen zurückzuerobern . Der Anlauf scheiterte nicht nur,
sondern hatte für den Angreifer auch schwere
Verluste und das Verlorengehen wichtiger Höhenabschnitte im Gefolge. Ähnlich verliefen in den nächsten Tagen die Gefechte im Laborczaund Nagyag-Tal. Dadurch gelangten die Paßhöhen, soweit sie im Laufe des Monats hatten aufgegeben werden müssen, Ende Januar wieder in den Besitz der österreichisch-ungarischen Truppen. In den heftigen Kämpfen der letzten Woche waren dem Feinde 10000 Gefangene und 6 Maschinengewehre abgenommen .
Die Leistungen sind
doppelt hoch zu veranschlagen, da es einen Kampf gegen zwei Feinde galt gegen die an Zahl überlegenen Russen und die Unbill der Witterung, in Verbindung mit Geländeschwierigkeiten und oft hoher Schneelage. In Westgalizien waren die feindlichen Heere während des Januar
in ihren befestigten Stellungen verblieben und hatten sich auf Artilleriekämpfe und Unternehmungen örtlicher Begrenzung beschränkt. Dieser Zustand erhielt sich auch im allgemeinen während des Februar. In dem ganzen Gebiet der breiten Duklasenke bis nach Sambor befanden noch starke russische Kräfte. Przemysl blieb noch immer eingeschlossen. In der Bukowina war der Feind durchweg von den GeSeit Anfang Januar kämpften deutsche birgshöhen hinabgeworfen. Truppen mit ihren Verbündeten am Dunajec, wie seit den ersten Tagen
sich
des Oktober an den Karpathenpässen. An welcher Stelle und wie stark sie hier auftraten, geht zunächst nicht aus den Berichten hervor. Da ihrer bei Kämpfen im „ Mittleren Waldgebirge" Erwähnung geschieht, dürften sie zwischen dem Lupkow- und Uzsokerpaß eingegliedert worden sein. In Rußland fürchtete
man Anfangs Februar einen feindlichen
Vorstoß durch das Tal des oberen San vom
Uzsokerpaß her auf
112
Die Kämpfe um die Karpathen - Übergänge .
Lisko und Sanok und vom Vereckepaß
durch das
Opor- Tal
auf
Skole - Stryj und Turka- Sambor. Durch das Vorgehen auf Lisko und Sanok wäre die Eisenbahn Jaslo- Lemberg bedroht worden, die für die Russen von höchster Bedeutung war. Auch konnte die Absicht bestehen, Przemysl zu entsetzen.
Das Vordringen in weiter östlicher
Richtung auf Stryj wäre dazu angetan gewessen, die von den Österreichern in der Bukowina errungenen Vorteile zu vervollkommnen und weiter auszunutzen. Russen angriffsweise
Diesen
erwarteten Unternehmungen suchten die
zuvorzukommen,
wozu
sie vermutlich Truppen
des Belagerungskorps von Przemysl mit heranzogen. Gegen ihre bisherige Gewohnheit, nur am Tage anzugreifen und des Nachts gegen den scharfen Nordwind in Deckung zu bleiben, setzten sie auch nachts am 3. und 4. Februar einen Sturm nach dem anderen mit starken Kräften zum Durchbruch gegen die Duklafront an,
ohne indessen
ihren Zweck zu erreichen. Gleichzeitig wurde östlich des Lupkowpasses lebhaft gekämpft . Dort scheinen die Russen nur schwächere Kräfte eingesetzt zu haben und die Verbündeten konnten hier einige wichtige Stellungen nehmen. In den nächstfolgenden Tagen wurde auf der ganzen Karpathenfront weitergekämpft, wenn schon mit verminderter Heftigkeit. Gegen die Duklafront erhob sich der Ansturm am heftigsten und erst seit dem 8. Februar konnte damit gerechnet werden, daß er zum Stehen Aber die Russen standen, östlich bis zum Wyszkowpaß , noch auf ungarischem Boden und die Übergänge befanden sich in ihren Händen . Bei Abwehr des Angreifers hatten sich deutsche
gebracht sei .
Truppen kraftvoll beteiligt. Im weiteren Verlaufe des Februar änderten sich die Verhältnisse in der Karpathenfront wenig. Die Vorteile, die die Verbündeten durch Vorstöße, namentlich in der Duklasenke, errangen, waren nur vorübergehend.
Sie mußten mit ihren Kräften haushalten,
der Gegner die
seinigen stets
deren Besitz es sich handelte,
neu auffüllte.
während
Der den Pässen,
nördlich vorliegende Raum
um
blieb mit
russischen Truppen besetzt. Seit Mitte Februar war Tauwetter eingetreten und gegen den 20. Februar der Schnee fast gänzlich verschwunden . Die Flüsse traten Die Wege über ihre Ufer und verursachten Überschwemmungen. wurden vielfach grundlos, das Gelände außerhalb derselben ungangbar und die Bewegungen dadurch stark behindert. Mit Beginn des März setzte schönes Wetter und größere Regsamkeit in den Unternehmungen ein, ohne daß es indessen zu Entscheidungen von größerer Tragweite kam . Aber schon gegen den 6. März trat wieder ungünstiges und unsichtiges Wetter ein, dem bis etwa 11. März ein schneereicher und
113
Die Kämpfe um die Karpathen - Übergänge .
kalter Nachwinter folgte mit dreitägiger Kälte bis 25 Grad. Dann taute es tagsüber und abends gefror das Wasser, so daß Bewegungen bei Nacht auf Wegen und Hängen mit Lebensgefahr verbunden waren. Trotz Ungunst des Wetters und Geländes ruhten die Kämpfe nicht , bald um den Konieczna- und Lupkowpaß, bald zwischen LupkowDas Kriegsglück und Uzsoker Paß oder nördlich des letzteren. wechselte. Im allgemeinen aber behaupteten die Verbündeten die im Februar erkämpften Stellungen.
Da fiel am 22. März die tapfere Besatzung von Przemysl nach ehrenvoller Verteidigung der Festung während 4/2 Monaten dem Hunger zum Opfer. Ohne weiteres war anzunehmen, daß Teile des Belagerungskorps zur Öffnung der Karpathenpässe mit verwendet werden würden. Der Erfolg mußte aber auch die Kampflust der Russen steigern und sie zu kräftigeren Unternehmungen ermutigen. Und von diesen legten sie sehr bald Beweise ab. Schon am 24. März kam die Meldung, daß sich im westlichen Karpathenabschnitt bis zum Uzsoker Paß eine Schlacht entwickelt habe, die mit großer Heftigkeit andauere gegen starke russische Kräfte . Die Versuche, nach Ungarn durchzubrechen , vereinigten sich in den folgenden Tagen auf den Raum zwischen Dukla- und Uzsoker Paß und steigerten sich zu besonderer Heftigkeit am Lupkowpaß. Östlich desselben wurde am 29. März das Eingreifen einer Division festgestellt, die bisher vor Przemysl gestanden hatte. Die Angriffe wurden überall zurückgewiesen unter schweren Verlusten. Ende März lief die Stellung der Verbündeten ungefähr wie folgt : Von Zboro auf dem linken Flügel südlich des Koniecznapasses setzte sie sich westlich des Ondawa-Tales über Sztropko auf Laborczew am oberen Laborcza-Tal fort,
überschritt dann östlich des Lupkowpasses
den Kamm und erreichte über Baligrod -Cisna -Berechy die den Uzsoker Paß nördlich deckenden Höhen, von wo sie, anscheinend meist etwas südlich des Kammes, zum Vereckepaß verlief. Soweit zu ersehen, hielten den Abschnitt westlich des Lupkowpasses österreichisch-ungarische Truppen, daran anschliesend waren sie mit dem Beskidenkorps
unter General der Kavallerie v. d . Marwitz
gemischt und weiterhin östlich des Uzsoker Passes folgte die Südarmee unter General von Linsingen, in deren Verband auch österreichischungarische Truppen kämpften. In den ersten Tagen des April wurde festgestellt, samten freigewordenen Einschließungstruppen
daß
die ge-
von Przemysl an den
Kämpfen teilnahmen. Zwischen dem Lupkow- und Uzsoker Paß traten die Russen mit gewaltigen Massen auf, augenscheinlich in der Absicht, das Überschreiten des Karpathenkammes unbedingt zu erzwingen.
114
Die Kämpfe um die Karpathen - Übergänge.
Diesem Ansturm gegenüber wurden die bei Baligrod-Cisna - Berechy kämpfenden Truppen , die sich wie ein Keil in die feindlichen Stellungen schoben und der Umgehung ausgesetzt waren, auf gleiche Höhe mit den Nachbarfronten zurückgenommen. Der Verlust an Raum konnte am 5. April durch Eroberung starker Stellungen auf den Höhen östlich des Laborcza-Tales ausgeglichen werden. Das Ringen dauerte mit wechselnder Stärke und Heftigkeit an und wurde von den Russen ohne Rücksicht auf Massenverluste, von den Verbündeten mit
zäher Ausdauer geführt.
Wie bei einer Welle
T Berg und Tal wechseln, so auch in der Kampffront Vorrücken und Zurückweichen. Die heut an der einen Stelle errungenen Vorteile gingen morgen wieder verloren oder wandelten sich in das Gegenteil. Fest in den Händen der Verteidiger blieb dagegen die Höhenstellung nördlich des Uzsoker Passes. Auch vermochte der Angreifer nicht, die Anlagen zwischen Zboro - Sztropko - Laborczew- Uzsok zu durchbrechen. Jedenfalls gelang es den Verbündeten , trotz starker numerischer Schwäche, dem feindlichen Ansturm standzuhalten, den Russen schwere Verluste beizubringen, sie zu ermüden , zahlreiche Gefangene zu machen und starke Kräfte von den Hauptkämpfen in Westgalizien abzuziehen. Die Leistungen müssen um so höher bewertet werden, als ein strenger Nachwinter mit großer Kälte und Schneestürmen eingetreten war und bis etwa 20. April anhielt. Im letzten Drittel des April herrschte westlich des Uzsoker Passes verhältnismäßige Ruhe, abgesehen von öfteren Artilleriekämpfen . Östlich davon ergriffen aber die Verbündeten die Offensive durch das Opor- Tal auf Stryj
und weiter rechts auf Stanislau.
Hier
wurden
die Nordhänge der Karpathen von den letzten Russen gesäubert und dadurch ihr linker Flügel am Uzsoker Paß der Anlehnung beraubt. Die Lage am Karpathenkamm am 1. Mai läßt sich dahin kennzeichnen, daß die verbündeten Truppen ein tieferes Eindringen der Russen in Ungarn verhindert hatten, Wo diese noch auf der Westfront im Besitz der Pässe sind , ist ihnen doch ein starker Riegel gegen weitere Ausdehnung nach Süden vorgeschoben. Die Übergänge vom Uzsoker Paß einschließlich ostwärts sind für sie gesperrt. Der in der Frühe des 2. Mai einsetzende lebhafte Kanonendonner an den Stellungen in Westgalizien und in den Karpathen leitete einen gewaltigen entscheidenden Umschwung in den Kriegsereignissen ein. Die russische Front wurde von nahe der ungarischen Grenze bis zur Mündung des Dunajec in die Weichsel an zahlreichen Stellen durchstoßen und eingedrückt.
Der bisherige Stellungskrieg war
in einen
lebhaften Bewegungskrieg übergegangen, in dem die Sieger durch kraftvolle Verfolgung die Versuche der Russen, sich zu erneutem
01
115
Die Kämpfe um die Karpathen- Übergänge.
Widerstande im Gelände festzusetzen , brachen. Schon am 5. Mai war Dukla besetzt und damit feste Hand auf die Duklapaßstraße gelegt. Die Wechselbeziehungen ,
in denen
das Verhalten der längs des
Karpathenkammes kämpfenden Truppen zu der Tätigkeit der Armeen in Westgalizien dauernd stand, machten naturgemäß ihren Einfluß auf das Ringen an den Pässen geltend . Die in der Duklasenke vorhandenen Russen mußten befürchten, daß die auf Sanok vordringenden Kräfte der Verbündeten einen eisernen Vorhang zwischen sie und ihre Hauptarmee schieben und sie zum Kampf gegen zwei Fronten zwingen würden. Schon allein durch diese Verhätnisse war die Beskidenfront für die Russen unhaltbar geworden und für sie die Notwendigkeit eingetreten, ihre Truppen zuziehen.
vom rechten Flügel ab schleunigst
zurück-
Selbstredend drängten die Truppen der Verbündeten kräftig nach, österreichisch- ungarische über Konieczna und den Duklapaß, das deutsche Beskidenkorps an der Lupkowpaßstraße . Die zur Entlastung ihres rechten Flügels in der Nacht
zum 4. Mai von den Russen im
Orawa- Tal angesetzten starken Angriffe hatten den erwarteten Erfolg nicht. So war die Lage der in der Duklasenke zurückflutenden Truppen verzweifelt. Soweit es ihnen nicht gelang, in Eilmärschen nach Nordosten zu entkommen , drohte Vernichtung oder Gefangennahme, Truppen.
so namentlich den auf fahrbare
Nebenwege
angewiesenen
Die Versuche, sich zu wehren, mißlangen unter dem Feuer
des Verfolgers und die Verluste an Menschen und Gerät steigerten sich ins Ungemessene . Am 5. Mai war das Schicksal der in der Duklasenke kämpfenden Russen besiegelt .
Östlich des Uzsoker Passes
hielten sie sich länger,
doch gelang
ihr
allmähliches Zurückdrängen über den Gebirgskamm, so daß aus Wien am 9. Mai gemeldet werden konnte : „Ungarn ist vom Feinde frei." Nachdem deutsche und Honved-Truppen am 12. Mai mehrere Höhenstellungen erstürmt hatten, drangen sie bis südlich Turka vor. Nunmehr entwichen die Russen aus dem Raume Dobromil - Stary Sambor in nordöstlicher Richtung und nachdem die Südarmee am 15. Mai den Raum südwestlich Dolina erreicht hatte, konnten die Karpathen als von den Russen gesäubert gelten. Die an der Grenze zwischen Galizien und Ungarn
aufgestellte
Karpathenwacht konnte in dem gewaltigen Völkerringen keine Entscheidung bringen. Dazu war sie schon wegen ihrer verhältnismäßig geringen Stärke gegenüber der feindlichen Überzahl nicht befähigt. Sie bildete nur einen Schutzwall gegen das Überfluten Oberungarns durch die Horden der Moskowiter. Somit war sie von vornherein
116
Die Kämpfe um die Karpathen - Übergänge.
auf die Defensive verwiesen. sie bei jeder Gelegenheit
Um so höher ist es anzuerkennen , daß
zur Offensive überging,
um verlorenes Ge-
lände wieder zu gewinnen oder vom Feinde gebotene Blößen auszunutzen. Das Gefechtsfeld begünstigte zusammenhängende Handlungen großen Stils nicht. Dazu war es zu durchbrochen von Bergrücken, Tälern, Wäldern und Flußläufen und unübersichtlich ; unzureichende Querverbindungen behinderten die Befehlsführung. Da der Gegner für sein Vordrängen auf die durch die Pässe führenden Straßen angewiesen blieb, so ergab sich von selbst eine gruppenweise Verwendung , die an den Eingangspforten nach Oberungarn Dort mußte ihm entgegendie Abwehr des Angreifers suchte . getreten und nachdrücklicher Widerstand durch Ausnutzung Geländes und Anlage von Befestigungen vorbereitet werden. Reserven waren so aufzustellen,
des Die
daß sie zeitgerecht nach bedrohten
Punkten geworfen werden konnten , wozu die Schaffung günstiger Vorteilhaft für den Verteidiger Verbindungen vorzusehen war. blieb der Umstand, daß sich der Angreifer aus den engen Pässen heraus entwickeln mußte. Dazu bedurfte er des Raumgewinns nach vor- und seitwärts.
Der Verteidiger befand sich in der Lage,
die ersten Truppen durch umfassendes Feuer in der Entwickelung zu stören, sie womöglich auf die folgenden zurückzuwerfen und diese in Verwirrung zu setzen. Aus diesen Verhältnissen lassen sich die vielen nächtlichen Unternehmungen verstehen, bei denen dem Verteidiger seine Bekanntschaft mit der Örtlichkeit und der Entfernungen zugute kam . Eine besondere Anerkennung verdienen die auf den Höhen der Karpathen verwendeten Truppen. In Ländern, die mit einem Gebirgskrieg rechnen müssen,
werden Teile des Heeres,
die für ihn in
erster Linie in Aussicht genommen sind, für seine Eigentümlichkeiten besonders geschult und mit ihnen vertraut gemacht. So ist es in Österreich der Fall. Doch dürften nur sehr wenige für den Gebirgskrieg genügend vorbereitete Truppen in den Ostbeskiden und dem Waldgebirge verwendet worden sein. Das ganze aktive Heer mußte zunächst den Feinden in Polen, Nordgalizien und Serbien entgegengeworfen werden und auch weiterhin war es dort unabkömmlich . In den Karpathen dürften fast nur Truppen zweiter Linie verwendet sein . Mögen auch Teile der ihnen zugehörigen Mannschaften früher Gebirgsübungen mitgemacht haben, so gehen doch die bei ihnen erworbenen besonderen Eigenschaften und Fertigkeiten wieder verloren, wenn Beruf und Aufenthaltsort nicht zu fortgesetzter entsprechender Betätigung Anlaß geben, In Deutschland aber gelangen nur wenig Truppen zur Schulung für Gebirgskämpfe und die sind anscheinend für die Karpathen nicht verfügbar gewesen.
Die Kämpfe um die Karpathen - Übergänge.
117
Vergegenwärtigen wir uns die Besonderheiten des Gebirgskrieges . Er fordert Gewandtheit in Steig- und Kletterübungen , normale Herztätigkeit und kräftige Lungen, das Erkennen und Vermeiden der eigenartigen Gefahren, Zurechtfinden unter schwierigsten Verhältnissen , Übung im Fortkommen über Schneeflächen, Beachtung besonderer Gesundheitsmaßregeln usw.
Bekleidung und Ausrüstung müssen den
besonderen Bedingungen Rechnung tragen, so betreffs des Schuhwerks , von Wickelgamaschen
zur
Schonung der Muskeln und Sehnen ,
ge-
wisser Werkzeuge und Hilfsmittel zum Überwinden gefährlicher Stellen . Geschütze, die schnell zur Hand sein sollen , bedürfen nach Leichtigkeit und Fahrbarkeit entsprechender Einrichtungen . Für das Fortschaffen schwerer Geschütze, letzten Endes über steile Hänge hinweg durch Menschenkräfte, müssen zweckdienliche Anordnungen getroffen sein, Die Spurbreite derjenigen Fahrzeuge, die überallhin folgen sollen, muß den schmalen Gebirgswegen Rechnung tragen usw. Ohne weiteres ist anzunehmen, daß die Bundesgenossen Aushilfe leisteten, wo in unserer Ausrüstung Lücken bestanden , so namentlich in Hergabe leichterer Fahrzeuge so lange, bis die Straßen und Wege das Nachführen des eigenen Feldgeräts gestatteten. Trotz alles Entgegenkommens muß noch viel des Neuen und Eigenartigen zu erlernen und zu überwinden übrig geblieben sein. Den Gipfel der Beschwernisse schuf der starke Schneefall in den Monaten Februar bis Mitte April, wo die Pässe bis über Manneshöhe mit Schnee gefüllt waren und Verwehungen nicht erkennen ließen, welche Stellen überschritten werden durften, welche nicht. Ein Fehltritt konnte die Gefahr des Abstürzens von Mannschaften oder Fahrzeugen nach sich ziehen .
Vor
die Geschütze mußten 8 bis 10 Pferde gelegt und schließlich die Kanoniere mit Langtauen zum Fortschaffen herangezogen werden. Tagemärsche von 18 km beanspruchten bis 12 Stunden. Trat Tauwetter ein, so machte es die Wege grundlos, das Gelände außerhalb derselben unbetretbar. Nicht selten bot sich kein Unterkommen. Notdürftig mußte es dann erst aus Stangen und Fichtenzweigen unter Zuhilfenahme der Zeltbahnen geschaffen werden . Erst an Stellen längeren Verweilens entstanden Unterkunftsräume für Mannschaften und Tiere, Baracken für Lazarette. Zu diesen Schwierigkeiten gesellte sich meist die Unannehmlichkeit , sich nicht mit den Einwohnern oder den aus allen möglichen Volksstämmen zusammengewürfelten Fuhrleuten oder Arbeitern verständigen zu können . Besonders schwierig mußte den Truppen ,
die aus den Kämpfen
der Ebene herausgezogen wurden, das Einleben in die eigenartigen Erfordernisse des Gebirgskrieges fallen. Aus den Schützengräben waren sie ein freies Schußfeld auf den Gegner zu gewöhnt, vertraut
118
Zeitgemäße Befestigungsfragen.
mit den Geländeverhältnissen und Entfernungen,
mit der Kampfart
des Feindes und den Mitteln zu seiner Bewältigung wohlbekannt. Hier im Gebirge fanden sie unübersichtliche, mit Wald und Gestrüpp bedeckte Bergketten, Kuppen, steile Hänge und Schluchten vor, erspähten sie den Feind bald über, bald unter sich, seine einzelnen Schützen, sofern sie nicht in den geschaffenen Anlagen standen, durch den Fels oder die Bewachsung gedeckt, noch fähig, das Gewehr zu führen .
die erstarrten Hände kaum
Dank Fürsorge der Heeresleitung, der berufenen Vorgesetzten und der sanitären Vorkehrungen
soll der Gesundheitszustand günstig ge-
blieben sein. Zu verwundern wäre es nicht gewesen , wenn während der herrschenden Kälte und dem fast andauernden Aufenthalt im Freien das häufigere Erfrieren von Gliedmaßen nicht zu vermeiden gewesen wäre. In welchem Umfange es sich einstellte , ist nicht bekannt. Zum Glück bieten neuere Heilverfahren die Aussicht, daß in vielen Fällen erfrorene Glieder ihre Lebens- und Gebrauchsfähigkeit zurückerhalten. Die an den Karpathenkämpfen beteiligten Truppen haben ihre Aufgabe in zäher Verteidigung des ihnen zur Behauptung zugewiesenen Abschnittes glücklich und glänzend gelöst. Die Aufgabe war eine besonders schwierige durch die Übermacht des Feindes an Zahl, die ungewohnten, eigenartigen
Geländeverhältnisse
und
die
Ungunst
der
Witterung
Standen sie auch abseits des großen Entscheidungskampfes , so haben sie doch zu seinem Gelingen durch Ablenken feindlicher Kräfte und schließlich Beteiligung an dem großen Kesseltreiben hängen der Karpathen
auf den Nord-
nicht unwesentlich beigetragen.
Dieser nach
Bedeutung, Umfang und Dauer einzig dastehende Gebirgskrieg wird in der Kriegsgeschichte aller Zeiten einen ehrenvollen Platz einnehmen.
XII. Zeitgemäsze Befestigungsfragen. Von
Woelki, Oberst z. D. I. Der zeitige Krieg hat das Interesse für die Befestigung neu belebt und die Begriffe von Sicherung und Verstärkung haben an Wert gewonnen, wenigstens anscheinend und vorläufig ; und wenn allgemeine Feststellungen von Erfahrungen und daraus sich ergebenden Folgerungen vorerst nur mit allem Vorbehalt zu machen sind, so erscheint
རྒྱུ།
119
Zeitgemäße Befestigungsfragen. es doch schon gegeben,
an Fragen
heranzutreten und solche
auf-
zunehmen, die, an sich alt und von jeher zum Stoff gehörig (immanent), den neuen Bedürfnissen gemäß jetzt zu klären sich aufdrängt, um so beizeiten den Boden für die anstehenden Entschlüsse in bezug auf einschlägige Kriegsvorbereitungen zu bestellen. Es kann sich dabei ,
das möchte noch betont werden,
neue Erfahrungen, Ideen , vorzugsweise
darum
Erfindungen und Mittel,
handeln,
die
den
gemessensten Elemente hervorzuheben ,
zeitigen
nicht sowohl um als vielmehr und Verhältnissen an-
so, wie es eben als der in
die Erscheinung tretenden Entwickelung im allgemeinen , wie den (Sicherungs-) Befestigungs-Bedürfnissen im besonderen, als entsprechend anerkannt wird. Das letztere, die Anerkenntnis, ist dabei nach allen Erfahrungen eine Hauptsache, wie denn auch der Eindruck von gewaltigen Vorkommnissen für die Beteiligten in erster Linie als gebotene Gelegenheit zum Durchsetzen von längst erkannten Zielen wahrzunehmen ist . Das gilt z. B. auch von dem überraschenden Auftreten der 42 cm-Mörser. Seit Jahren war von den beteiligten Stellen die entsprechende Ausnutzung der zeitigen Technik auch in dieser Richtung verlangt und von allen Näherstehenden , nach den Vorgängen der 21 cm-Mörser vor Straßburg und der 28 cm-Mörser vor Port Arthur. erwartet; zudem die neuen 30,5 cm-Haubitzen der Österreicher bekannt waren ! (vgl . Loebellscher Jahresbericht von 1913), aber eben nur den Kreisen, deren Interesse dafür zureichte, wogegen die weiteren dergleichen Spezialitäten kaum beachteten. Wie schwer aber altgewohnte Ansichten weichen und neuere Gesichtspunkte Raum gewinnen, soweit, daß sie durchgehends völliges Verständnis und Ausnutzung finden, das hat sich der schon lange anerkannten Notwendigkeit gegenüber gezeigt , dem Fernfeuer des Gegners keine bequemen Ziele zu bieten. Trutzburgen sind denn auch lange schon, dem Begriffe nach, veraltet und praktisch schon deshalb nicht vorteilhaft, weil es immer leichter ist, eine „ faule Grete" beizutreiben, als alle des Schutzes bedürftigen Punkte gegen alle nur möglichen Angriffe zu sichern . Insoweit ist denn auch der Wettkampf von Angriffsmitteln und Deckungen schon längst zugunsten der ersteren entschieden ; und es erscheint geradezu widersinnig, die feindlichen Kräfte auf sich zu lenken und dahin zu ziehen, wo und wenn ihnen nicht mit Vorteil begegnet werden kann . Punkte kommen
aber heutzutage
noch ganz besonders in Nachteil, werden wird.
Die
Ansprüche
an
eine
den wie
Hervorragende
vorhandenen Angriffsmitteln noch weiter unten
Stellung
haben
sich
dargelegt
nämlich
seit
120
Zeitgemäße Befestigungsfragen .
30 Jahren insofern völlig geändert,
als vordem
ihre
entscheidende
Eigenschaft, sozusagen das Kriterium jeder Stellung, in dem möglichst ausgedehnten „ freien Schußfeld " gefunden bzw. angesehen wurde, und die Stimmen derer unbeachtet blieben, die auf die Gefahr hinwiesen , die in der freien Bahn für den Angreifer lag, sobald dieser die Überlegenheit gewann, oder richtiger : die ihm gehörige Überlegenheit der Kriegslage und Mittel auch voll ausnutzte. Durch die inzwischen erreichte große Treffsicherheit bis auf weiteste, vordem nicht geahnte Tragweite der zeitigen Fernfeuerwaffen ist denn nunmehr die „ Bezielbarkeit“ der Kampfkräfte und Mittel, insbesondere der in fester Stellung befindlichen, ein besonders schwerer Übelstand und Nachteil geworden, der allgemein auch als solcher anerkannt und den zu vermeiden wohl versucht wird. Daß dies indes noch nicht sofort noch durchweg gelingt, ist schon mit Rücksicht auf die Schwerfälligkeit der in Frage kommenden Kräfte und Massen wohl erklärlich , zumal die folgerechte Durchführung
der
neuen Richtlinien
sich weitgehend
geltend macht und die Schwierigkeiten wechseln, auch die eingewurzelten Vorurteile immer wieder Widerstände schaffen . Wenn schon, wie die Erfahrung lehrt,
selbst der augenscheinliche Zwang der Verhältnisse
nicht immer genügt , um die zur Verteidigung bestimmten Truppen zu einer den wirklichen Bedürfnissen voll entsprechenden Herstellung der Deckung zu veranlassen, lichmachung derselben
wie sollte da auch
noch die Unkennt-
eingehende Sorgfalt erfahren !
die Gefahr noch nicht erkannt,
Zumal da, wo
noch augenscheinlich droht !
Wird
sie aber nicht durchweg, also auch schon im Frieden , geübt und gepflegt, dann muß der Bedarfsfall und üble Erfahrungen zeitigen.
auch unliebsame Überraschungen
Daß Initiative (activité et vitesse) im Kriege von größtem Wert und daß die Offensive überall, wo sie überhaupt nur zu leisten ist, den Vorzug vor der bloßen Abwehr verdient, das steht wohl fest, und wohl dem, der in der Lage ist, danach handeln zu können . Schade nur, daß die geflissentliche Bevorzugung und Pflege dieses Grundsatzes so scheinbar unvermeidlich zur schädlichen Einseitigkeit führt und die Verteidigung als etwas Widerwärtiges, Fremdes nur so nebenbei abgetan wird, obwohl sie mit den ihr zugehörigen Vorteilen, auch ohne das offensive Element preiszugeben , ausgenutzt werden könnte ! -- Selbst, wenn sie, wie gerade gegenwärtig, so auffallig sich als die „ stärkere Form " erweist, so hindern die gerade bestehenden Verhältnisse die gehörige Entfaltung ; die Anerkennung ihres Wertes soweit kommt gewißermaßen doch schon zu spät, indem wesentliche, auf Vorurteil und Unterlassung beruhende Mängel nicht mehr zu beseitigen sind.
121
Zeitgemäße Befestigungsfragen.
Das betrifft besonders die ständige ,
längere Zeit
und größere
Kosten beanspruchende Befestigung. Diese muß dann unfehlbar versagen, wenn sie, von vornherein nur notdürftig für den gerade vorliegenden Bedarf angelegt und kaum auf dem laufenden gehalten , veraltet und dann wertlos geworden, sogar schädlich wirken kann . Das ist ja wohl so altbekannt und natürlich, dabei so unerfreulich, daß es nur berührt werden mag, meiden ist.
wenn es durchaus nicht zu ver-
Es ist darum sehr anerkennungswert und verdient das Interesse auch der weitesten Kreise, wenn im I./II. Heft der Kriegstechnischen Zeitschrift dieses Kriegsjahres ( 15) - von einem ungenannten Verfasser die Hauptursache aller zeitig überraschenden Unzulänglichkeiten der vorhandenen Festungen in der übergroßen Rücksicht auf die Aufwendungen (Kosten) gefunden und festgelegt wird. „ Moderne" Festungen,
also
solche,
die den Anspruch auf zeitgemäßen Aus-
bau , Ausrüstung und Ausstattung machen könnten, gibt es danach einfach nicht. Das ist eben nur ein Ideal, das ebensowenig zu Lande wie zur See völlig erreicht werden kann.
Dabei sind die bezüg-
lichen Ansprüche zu Lande sicherlich nicht so hoch gespannt als zur See, indem die Kriegsschiffe in spätestens 20 Jahren schon völlig veraltet sind; und doch werden die rapide wachsenden Aufwendungen nicht gescheut, um sie auf der Höhe der zeitigen Technik zu erhalten bzw. neu zu beschaffen. Wenn man dem gleiche Anstrengungen bezüglich der Bedürfnisse
zu Lande machte,
warum sollte es wohl nicht gelingen,
auch
den Angriffsmitteln en tsprechende, wenn nicht überlegene Verteidigungsanlagen zu schaffen ?! Zumal, wenn man die Beschädigungen der Ziele - wie eben zu Wasser - als unvermeidlich ansieht (sofern sie nur in gewissen Grenzen bleiben) . Daß es für jedes Mittel auch ein Gegenmittel gibt (demnach auch der Wettkampf von Panzer und Geschoß ins Unendliche fortgeführt werden kann) , ist denn auch eine landläufige Überzeugung. Und wenn auch das Zerstören an sich leichter wie Aufbauen ist,
so hat doch gerade im Schaffen und Be-
wahren der menschliche Geist seine größten Erfolge errungen und selbst Naturgewalten in seinen Dienst gezwungen, wenn bzw. soweit eben ein dahingehendes Bedürfnis vorlag.
Eine
Bankerotterklärung der
einen oder anderen Seite (im Wettkampf zwischen Panzer und Geschütz) wäre dann nur ein individuelles Armutszeugnis . - Die Praxis, das menschliche Schaffen, ist zwar ständig auf Hindernisse und Grenzen gestoßen, aber diese sind auch immer wieder überschritten oder umgangen. Dazu ist der natürliche Zusammenhang der Elemente untereinander viel zu innig, als daß das Verhältnis - ohne Ausgleich auf die Dauer gestört und wesentlich Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 528.
verändert werden 10
122
Zeitgemäße Befestigungsfragen.
Und so geht denn die Entwickelung der Technik — auch im Widerspiel der Kräfte - ausgleichend fort, ob sie kleinere Mittel könnte.
zum
Massengebrauch bietet oder in einzelnen Sonderanstrengungen
ausläuft, stets nach Gelegenheit und Einsatz wie Maßgabe der auf. gewandten Energie von lebenskräftigen Organen , Personen, Gemeinschaften, Staaten ; und nur schwache, überständige (dekadente) Naturen versagen, geben den Kampf auf usw. , während die ersteren immer wieder
neue und größere Mittel ins Feld führen
(s. weiter
unten). Auch wenn, wie vermeintlich, die heutige Verteidigungskraft mittelst der neuen Feuerwaffen so groß ist, daß damit allgemein ― oder doch zumeist dem Angriff mit Vorteil begegnet werden kann, so schließt dies doch eine weitere Befestigung, als wie sie eben feldmäßig hergestellt werden kann, keineswegs aus. Und erst auf diesem Wege kann an Kräften gespart werden, und zwar im direkten Verhältnis der erreichten Befestigungsstärke bzw. nach Maßgabe der Ausnutzung von passiven Mitteln ; also,
daß es einer Kräftevergeudung
gleichkommt, wenn und wo die widerstandsfähigere Befestigung versäumt wird. Natürlich immer mit Unterschied und wo es sonst angängig ist . Aber das Gesetz der Wechselwirkung von Kräften und einschlägigen Mitteln läßt sich nicht ohne Schaden mißachten. Auch wenn es weiter als durch die zeitigen Umstände gegeben und vorteilhaft hinzustellen versucht wird,
dem
direkten Kampf ausweichend,
bzw. den vollen Schutz gegen die gewaltige Wirkung der neuesten Geschosse aufgebend , die betreffenden Geschütze nur indirekt zu bekämpfen , weiter : ihre Wirkung nur zu beeinträchtigen , sie durch Verteilen und Verstecken der Ziele unlohnend zu machen usw., so kann - auch abgesehen von dem dazugehörigen ethisch-moralischen Standpunkt, der, fern von dem altgermanischen Kampfideal, mehr an das 99 verschüchterte , ängstliche Wesen erinnert, als welchen man den Verteidiger (gern) hinzustellen beliebt " ,
als dem Bilde entspricht, das
unsere erste Autorität, von Clausewitz , für die Verteidigung , wie sie sein soll , geprägt hat, indem er sie als „ Schild zur Ausführung von um so wirksameren Streichen " hinstellt - also davon abgesehen an Kräften,
einem solchen Zweck der Verteidigung, wie der Ersparnis doch nicht anders entsprochen werden,
als eben durch
direkte Verstärkung, durch Heranziehung und Verwendung von Mitteln , die geeignet sind , die Kräfte des Verteidigers zu mehren, zu schonen und zu sichern , und zwar entsprechend dem Bedürfnis bzw. möglichst weitgehend !
Und dann ist wohl zweifellos diejenige Befestigung
die beste, die die verhältnismäßig wenigsten Kräfte beansprucht. Wie es ebenso sicher ist, daß im äußersten Notfalle , also feldmäßig, es
Zeitgemäße Befestigungsfragen.
123
ausgeschlossen ist, den Grad von Festigkeit zu erreichen, der von langer Hand mit allen Mitteln der Technik zu schaffen ist. Die Begeisterung für die 99 Schützengrabenverteidigung“ ist ja freilich zurzeit im Lande so groß, wie man es noch vor kurzem nicht hat ahnen können ; die wirklich Beteiligten werden wohl auch für die Mängel Verständnis erlangt haben. Und wenn von eifrigen Verfechtern der Feld befestigung
die „ völlige Freiheit in der Form “ als deren Vorzug in Anschlag gebracht wird, so ist doch die sonstige Bedingtheit der Anwendung doch um so empfindlicher und die wirklich vorteilhafte Ausnutzung damit denn doch nicht gegeben. Die Anpassungsfähigkeit der Befestigung aus dem Stegreif, also , daß sie fast überall und bald die nötigste Deckung gewährt, sichert ihr wohl ein großes Betätigungsfeld, aber, ihrer Entstehung entsprechend , auch nur für vorübergehende Zwecke ! wogegen sie auf die Dauer sich nicht nur als notdürftig, sondern geradezu als unzulänglich erweisen muß. Von "9 Unüberwindlichkeit der fortlaufenden Feld stellungen" (also, daß schon der Vorschlag gemacht ist, im nächsten Frieden die Reichsgrenzen limesartig zu sichern) - zu reden, beweist doch nur einen völligen Mangel an Sachverständnis ! (Wenn sich doch die Vertreter des so neu vorgeschlagenen Kordonsystems - das nebenbei im völligen Widerspruch zu der vorerwähnten „ Freiheit des Handelns " steht ― doch nur klar machen wollten, welche Aufgebote dazu gehören würden , um solche Kordons auch nur einigermaßen sicher zu behaupten ! ) Man sollte doch meinen , daß jedem nur Nachdenkenden das Geheimnis der zeitigen vorherrschenden Anwendung und Widerstandskraft der Feldstellungen Mängel fremd geblieben sein könnten !
nicht so fern,
noch die
Von dem soweit festgestellten Verhältnis der ständigen und Feldbefestigung ausgehend, muß man nun freilich auch zugeben, daß das Verhältnis praktisch sich doch recht verschieden herausstellt. Und gerade der gegenwärtige Krieg liefert dazu neue An- und Aussichten durch die noch nicht dagewesenen Aufgebote von Massen und Kräften. Wobei aber auch merkwürdigerweise alsbald, an Stelle des wohl erwarteten Überflusses ein überwiegender Mangel bzw. das Bedürfnis zutage trat, die Kräfte zu mehren , und zu verstärken.
sie zu ergänzen,
zu unterstützen
Und die Feldbefestigung ergab sich so als Aus-
hilfsmittel und wurde dringendes Bedürfnis, und kam um so mehr zu Ehren, als die vorhandenen ständigen Befestigungen (Festungen, Veste, Forts) veraltet und überholt, ihrer Aufgabe wenig gerecht wurden. Ein Zustand, der füglich doch nur als zufällig und nicht als in der Natur der Sache begründet angesehen werden kann, insofern eben , ― als wie schon hervorgehoben mit den stärkeren Mitteln auch 10*
124
Zeitgemäße Befestigungsfragen .
eine größere Ersparnis wie Sicherheit verbunden
ist, also daß man um so mehr an lebendiger Kraft zugunsten der Feldarmee ersparen und freihalten kann, je größere Widerstandskraft man den Festungen
gibt.
Zu letzterem Zwecke gehört denn aber auch und ist unbedingte Voraussetzung, daß sie zeitgemäß angelegt und ausgebaut sind, daß sie also im besondern mit einer Sturmfreiheit ausgestattet werden,
die, über die Leistungsfähigkeit der Feldbefestigung hierin hinausgehend, von dem Angreifer nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwande an Zeit und Kräften zu überwinden ist ; desgleichen mit allen nötigen Verteidigungs- wie Unterkunftsanlagen versehen, auch mit Kampfmitteln wie Kräften auszurüsten ist , so daß die Verteidigungskraft wirklich gegenüber allen bekannten und in Frage kommenden Angriffsmitteln und Kräften gewährleistet erscheint. Wohl mag denn die Ausführung selbst noch manche Zweifel ergeben über Fragen, die nicht allgemein noch vorauszusehen sind, und die in Einzelfällen auch zu übergroßen Schwierigkeiten führen können , also daß die Aufwendungen nicht lohnen bzw. die erstrebten Vorteile nicht voll zu erreichen sind ; zumal wenn und wo die Ersparnis an lebendiger Kraft nicht ins Gewicht fallen sollte . oder die vorzeitige Feststellung und das Preisgeben der Öffentlichkeit deren Wert zu sehr beeinträchtigen würde. Immerhin aber sollte man sich auch diesbezüglich wohl hüten, die natürliche Unsicherheit, die in der Annahme der demnächstigen Kriegslage wie in der Entwickelung der Technik begründet ist, zum Vorwand von Versäumnissen zu machen, und eine zweifellose Verstärkung der Landesverteidigung unterlassen, bloß weil sie unter gewissen , aber nicht zu sichernden Umständen unnötig werden, oder im Laufe der Zeit an Wert verlieren könnte ! - Auch hier gilt es nicht weniger wie sonst im Kriege , daß eine Versäumnis schwerer wiegt und sich schlimmer rächt, wie ein Fehlgreifen in den Mitteln, - hier also solchen, die zur Vermehrung der Widerstandskraft von Fall zu Bezugnahme auf Handelns " , diese werden möchte ――
Fall am geeignetsten sind ; wobei denn noch, unter die sonstige Hochschätzung der Freiheit des auch für die Befestigung in Anspruch genommen insoweit, als die Natur die Kampfart solche eben
noch gestattet !
Also die freie Wahl der Mittel nicht beeinträchtigt, noch ihr vorgegriffen (werde), sie vielmehr voll und ganz den berufenen und sachverständigen Organen der Befestigungskunst überlassen werde, wenn diesen nicht noch zur besondern Pflicht zu machen sein sollte, die rein sachlichen - hier also taktisch-technischen -- Gesichtspunkte zu wahren und vorwalten zu lassen. Unter solcher Umständen unterliegt es,
diesseits
wenigstens,
keinem Zweifel, daß jeder Angriffstätigkeit und Wirkung allein durch
125
Zeitgemäße Befestigungsfragen. passive Mittel
ein
solcher
Widerstand
praktisch in Frage kommt, d. h. also :
zu schaffen ist,
wie
er als
unter der Voraussetzung,
die betreffenden Anlagen auch gehörig benutzt,
daß
bewacht und ver-
teidigt werden ; ebenso, daß es für eine erfolgreiche Verteidigung unumgänglich werden kann, wenn auch nur stellenweise, den (praktisch) absoluten und höchsten Widerstand zu schaffen und durchzuführen. Selbst wenn man dabei auf durchaus geschützte Unterkunft usw. allgemein wegen der zu großen Aufwendungen verzichten wollte , es wird doch noch ein Bedarf an besonders geschützten Stellen für die wichtigsten Kräfte und Mittel bleiben, auf deren Sicherstellung (auch) zu verzichten, oder sie außer der Gefahrzone zurückzuhalten , ein empfindlicher Mangel sein würde, der u. U. sogar verhängnisvoll werden könnte. Daß die Schutzwehren und -decken mit dem Anwachsen der (Kaliber der) Angriffsmittel stärker und schwerfälliger, d . h. schwerer zu ändern und zu beseitigen werden, ist nur natürlich und erscheint jetzt nur so übergroß, weil bisher die betreffenden Anlagen eben im Rückstande waren. Wurden doch die Widerstandsstärken zumeist nur so bestimmt, daß sie eben (nur) gegen die gerade bekannten Kaliber usw. genügten ! Obwohl in der sonstigen Technik eine mindestens fünffache Sicherheit gang und gäbe ist und die Explosionswirknng nie genau eingeschätzt werden kann, jedenfalls in weit höherem Grade ein Mehr von Sicherheit verlangt, als der bürgerliche Verkehr und Gebrauch ! Es haben denn auch unsere Altvordern den Kriegsanlagen stets einen Überschuß
zu den
erfahrungsmäßig
oder rechnerich er-
mittelten Stärken (der Mauern) zugesetzt (und nannten ihn wohl Kaiserzoll , Königsfuß oder dgl.) . Und sie hatten nicht mit einer solchen Weiterentwickelung der (Kriegs-)Technik zu rechnen wie wir! Nun freilich sind den Millionenheeren mit entsprechenden Angriffs-
mitteln gegenüber, darunter Geschützen , die meilenweit Brisanzgeschosse von so und soviel Zentnern schießen, die früheren Festungen nicht mehr gewachsen, geschweige ihnen angemessen . Erst wenn sie wieder auf der Höhe der Zeit und der Bedürfnisse stehen werden , können sie auch ihrem Zweck voll entsprechen. aber gewiß nicht weniger als je !
Dann
Im Gegenteil, es sprechen Gründe
dafür, daß sie wieder eine größere Rolle spielen werden. ,,Festungen von geeigneter Lage und Beschaffenheit haben mit der Größe der Heeresmassen und deren gesteigerten Bedürfnissen an Einfluß gewonnen . " „ Die Festungen werden
in künftigen
Kriegen
zweifellos
wieder eine bedeutendere Rolle spielen, als in den meisten Feldzügen Napoleons und in unseren letzten Kriegen. " v. Blume, Strategie 1911 .
7
126
Die Operationen unserer Verbündeten.
Schon das lockere Gefüge der zeitigen Kriegskräfte verlangt ein Gegengewicht,
einen festen Halt, dazu für viele Bedürfnisse einen sicheren Port, Ansprüche, denen dauernde Bereitschaft in flüchtigen Feldstellungen nicht gerecht werden kann. (Schluß folgt .)
XIII.
Die
Operationen
unserer
Verbündeten
bis zur Schlacht von Limanowa-Lapanow einschliesslich ') . Unter Benutzung der amtlichen Darstellung in Streffleurs Militärblatt, Heft 2, dargestellt.
Von Rh. , Generalleutnant z. D.
Die Erfolge Feldmarschalls Hindenburg im offenen Weichselbogen, Kutno, Lodz, Bzura und die Schlacht von Limanowa-
Wlozlawek,
Lapanów brachen die weiter gegen Westen vorgetragene Offensive russischer Massen, die sich drohend gegen Westgalizien und das östliche Deutschland herangewälzt hatten, sie überwanden eine der Um die Operationen unserer Verbündeten Krisen des Weltkrieges. diesen Erfolgen verständlich zu machen, zu und ihren Fortgang bis müssen wir auf den Zeitabschnitt nach der zweiten Schlacht von Lemberg kurz zurückgreifen. Im Juliheft wurde zum Schluß schon darauf hingewiesen , daß die zunächst hinter den San zurückgehenden Streitkräfte unseres Verbündeten ihre volle Schlagkraft besaßen. Wenn trotzdem bei der österreichischen Heeresleitung der Entschluß gefaßt wurde,
nicht unmittelbar hinter dem San zu bleiben und die Reihe von Gründen Für die nächsten zu
Russen anlaufen zu lassen, so sprach eine dafür, noch weiter nach Westen auszuweichen.
führenden Offensivoperationen war ein Zusammenwirken mit den in zwei großen Schlachten siegreichen Streitkräften des Feldmarschalls Seinen Armeegruppen mußte die Mögvon Hindenburg beabsichtigt. lichkeit gegeben werden, den Anschluß nach rechts zu bewerkstelligen.
¹ ) Blatt „Ungarn und Galizien" in Andrees Handatlas genügt zur Übersicht .
127
Die Operationen unserer Verbündeten.
Die Folge dieser Erwägungen war das Zurückgehen auf die Höhenlinien rechts von Dunajec und Biala, das Eingraben dort und die starke Befestigung auch der Höhen von Tarnow, wodurch die so wichtige Duklastraße völlig gedeckt wurde, die Armee Dankl links, Böhm-Ermolli rechts
stehend.
Unbedingte Notwendigkeit, die Ver-
bände neu zu ordnen , die Belagerung von Przsemysl einzuleiten, ließ die Russen nur zögernd folgen. Ihre Stellung in der allgemeinen Linie Reczow- Sanok diente in der Hauptsache dem Zweck der Deckung der Belagerung von Przsemysl.
Trotz starken, die Wegsam-
keit wesentlich einschränkenden Regengüssen wurde nach Vollendung der Neugruppierung und Anschlußgewinnung an die deutschen Truppen am 4. Oktober der Vormarsch bei unseren Verbündeten in folgender, von links nach rechts angegebener Kräftegruppierung angetreten : Armee Dankl (I) zu beiden Seiten der Weichsel, Erzherzog Josef Ferdinand ( IV) über
Jaroslau gegen den
San,
Boroevic (II) über
Gorlice- Sanok auf Przsemyl, Böhm-Ermolli ( III ) auf Stary Sambor und Lisko. Stark mit dem Versuch eines gewaltsamen Angriffs auf Przsemysl beschäftigt, führten die Russen eine Reihe sehr zäher Rückzugsgefechte bei Lancut,
Dubiesko,
bei Mielec ,
wo sich Dankl
durch wuchtigen Angriff den Wislokaübergang öffnen mußte, weniger zäh bei Klymentowo , wo unerwartet angetroffene frische russische Truppen bald hinter den San zurückgingen. Richtete sich Hindenburgs Vormarsch gegen Warschau und südlich, so derjenige Dankls auf Iwangorod, während zwei Entsatzarmeen die Russen zwangen, die Zugänge zu Przsemysl freizugeben, und nach Osten zu weichen, wo sie aber der Ostfront von Przsemysl gegenüber eine sehr starke Stellung einnahmen. Hier , wie längs der Sanniederung, kam es zu Stellungskämpfen, in denen eine Entscheidung nicht fiel. Der Versuch starker russischer Kräfte,
den auf Stary-Sambor vorgehenden Heerteilen den
Austritt aus den Karpathen zu verwehren, führte zu heftigen Kämpfen , die erst nach wuchtigen Angriffsstößen, nach Erstürmung der Magiera, zur Entscheidung und zum Erfolg für die verbündeten Waffen führten. In diesen zweifellos nicht ungünstigen Stand fiel die Meldung von dem Auftreten russischer Riesenheere im Norden. Die durch den mit der
Linie
erdrückender Übermacht Ende Oktober aus
Nowo-Georgiewsk - Iwangorod
unternommenen
russischen
Vorstoß bedingte strategische Rückwärtsbewegung zur Neugruppierung im nach Westen offenen Weichselbogen war die Folge. Die deutsche Oberleitung im Osten erachtete sie, in Übereinstimmung mit der österreichischungarischen, für geboten, sie erwies sich in ihren Gründen als voll berechtigt,
in ihrer Ausführung als
eine für Geschick und Umsicht
der Führung, Mannszucht und Geist der Truppen sprechende Muster-
128
Die Operationen unserer Verbündeten.
leistung, in ihren Folgen als dem Ziele entsprechend , dem sie dienen sollte ,
und wirkte auch auf Westgalizien und die Karpathen zurück-
Sie schuf das Fundament zu dem Zurückwerfen der großen russischen Heeresmassen, die Westgalizien und das östliche Deutschland bedrohten, durch die in treuer Waffenbrüderschaft eng verbündeten Heere . Mit dem Ende der exzentrischen Rückwärtsbewegung war auch die Neugruppierung zu einer neuen Grundausgangslage vollendet . Berechtigt war der Wille der Heeresleitung, sich den eigenen freien Entschluß zu wahren, sich die Schlacht nicht dort aufzwingen zu lassen, wo dies den Russen erwünscht gewesen wäre, wo diese, angelehnt an die starke Festungslinie Nowo-Georgiewsk— Warschau- Iwangorod , die Sicherheit hatten, auf dem östlich der Weichsel vorzüglich ausgebauten Bahnnetz unbemerkt und rasch Kräfte an den Punkt verschieben zu können, den sie, überraschend für den Feind,
besonders
betonen wollten und wo sie ohne Gefahr
unter dem Schutz von Brückenköpfen und weit vorgeschobenen Forts auf breiten Straßen den Uferwechsel zu vollziehen vermochten , sondern dort,
wo die verbündete Heeresleitung
wählen ,
das
Kampffeld zu
das Gesetz des Handelns zu geben Aussicht hatte.
Das Vorbrechen starker russischer Kräfte gegen den deutschen linken Flügel im offenen Weichselbogen, (wie wir heute wissen
gleichzeitig mit dem bei Warschau
mit vierfacher Überlegenheit) und
dasjenige
sehr überlegener Kräfte über Iwangorod gegen den österreichischen rechten Flügel nördlich der Weichsel, die ernstliche Gefährdung der an
der Pilica
stehenden deutschen Kräfte,
das Stehen der Kämpfe
bei Przsemysl und am San, das einen starken Druck gegen die russische linke Flanke an der Weichsel nicht mehr erhoffen ließ, begründeten den gefaßten Entschluß der verbündeten Heeresleitung im Osten. War auf russischer Seite die Absicht erkennbar, im offenen Weichselbogen mit gewaltigen Massenvorstößen einen Hauptschlag gegen Preußisch-Schlesien zu führen, so stellte sie auch weiter südlich starke Kräfte bereit , um aus dem Raum um Przsemysl (das sich selbst wieder überlassen werden mußte), Stary- Sambor gegen Ungarn vorzubrechen, durch Bedrohung dieses Landes das österreichisch-ungarische Heer dorthin abzuziehen und von den deutschen zu trennen. Beiden augenscheinlich beabsichtigten Offensivstößen mit ebenbürtigen Kräften entgegenzutreten war unmöglich , bei Vorbewegung der Russen gegen Westen aber wohl denkbar, Flankenstöße gegen sie zu führen , die zu Niederlagen werden konnten . Dazu mußte der Gegner durch eine langsam weichende Armee frontal beschäftigt werden, während durch Umgruppierung andere Kräfte so bereitzustellen waren . daß sie den Flankenstoß führen konnten. Das
129
Die Operationen unserer Verbündeten. große Ganze, die Niederwerfung der Russen, im Auge haltend,
ohne
sich durch die eigenen Interessen vorherrschend bestimmen zu lassen - ein deutlicher Beweis ihres Verständnisses für das Zusammenwirken - beschloß die österreichisch-ungarische Heeresleitung, Ungarn nur mit den notwendigsten Deckungstruppen auszustatten, die Hauptmasse zur Deckung Preußisch- Schlesiens und zum frontalen Auffangen des russischen Gewaltstoßes zu bestimmen , während Feldmarschall von Hindenburg, nach bewirkter Umgruppierung und Verschiebung, im Norden des offenen Weichselbogens einen kräftigen Flankenstoß überraschend führen würde.
Zum Auffangen des frontalen russischen
Gewaltstoßes wurde die Versammlung in der allgemeinen Linie Krakau— Czenstochau beschlossen . Die Armee Dankl löste, unter steten schweren Nachhutkämpfen auf die Lysa -Gora weichend ,
mit allen Mitteln den
Vormarsch des drängenden Gegners verzögernd, ihre Aufgabe in mustergültiger Weise, durch Verzögerung des russischen Vormarsches dem Österreichisch-ungarischen Heere auch Zeit zur Umgruppierung schaffend, zumal auch die Zerstörung von Bahnen und Straßen nach derselben Richtung wirkte. Zur Deckung Ungarns wurden die nicht unbedeutende Abzweigungen
Armeen Boroevic, die aber
zur Deckung
des rechten Flügels ,
zur Deckung der Hauptkampffront und zur Abschließung Westgaliziens zu liefern hatte, und die Armeegruppe Pflanzer-Baltin bestimmt .
Zur
Aufnahme der hart gedrängten Armee Dankl, die in den Raum nördlich Krakau, ihre südliche Flanke an die Festung lehnend , zurückwich, war,
an den linken Flügel des Korps Woyrsch bei Czenstochau
sich anlehnend,
die Armee Böhm-Ermolli aus den Karpathen heran-
gezogen, während die Armee Erzherzogs Josef Ferdinand ( IV) , vom Feinde weniger belästigt, im allgemeinen längs der Karl-Ludwig-Bahn auf Krakau zurückgegangen war. Für den Flankenstoß, den die IV. Armee gegen den die I. Armee stark drängenden Gegner führen sollte, zeigte die Festung Krakau auch ein unmittelbares Eingreifen in die Operationen.
Es galt, den ungestörten Übergang der IV. Armee
vom südlichen auf das nördliche Weichselufer im Festungsbereich , dann die Gruppierung der IV. Armee nördlich der Weichsel zu verschleiern, dann den Kampf der IV. Armee mit allen Mitteln der Festung zu unterstützen. Zur Beschleunigung des Uferwechsels hatten die Festungspioniere neben den vorhandenen Weichselbrücken noch drei Kriegsbrücken im Festungsbereich geschlagen .
Zum Schutz des
Uferwechsels und der Neugruppierung der IV. Armee, wie des Heraustretens aus der Festung wurden die 45. Infanterie- und 106. Landsturmdivision auf die Höhen nördlich und nordöstlich des Festungsgürtels in breiter Front vorgeschoben.
130
Die Operationen unserer Verbündeten. Am 15. November war die Gruppierung der IV. Armee nördlich
der Weichsel beendet.
Am 16. November stieß
sie in der Richtung
Nord- und Nordost vor und gewann mit dem Gegner Fühlung , die mobile schwere Artillerie der Festung, die 45. Infanterie- und 106. Landsturmdivision sowie drei Landsturmbrigaden leisteten ihr von seiten der Festung sehr merkbare Unterstützung. Die Russen trafen auf eine völlig neue, für sie überraschende Gruppierung der verbündeten Armeen, in der Linie Wolbrom-Pilica frontal auf die Armeen Böhm-Ermolli-Woyrsch-Dankl. Die IV. Armee stieß in breiter Front gegen die allgemeine Linie Proszowice -Sloniki - Skala vor. Russischerseits
bestand
der Gedanke.
Wien vorstoßen zu können ,
Krakau
zu nehmen,
um auf
unter Einsatz übermächtiger Kräfte, des
XI. , XIII . , XIV. , XV. , XXI. Gardekorps, der Moskauer 3. Grenadierdivision, sowie von 5 Schützenregimentern, einen Durchbruch und die Trennung der in Galizien und Polen kämpfenden Heerteile zu bewirken. Die Offensive unserer Verbündeten , die auch ein Abzweigen von Kräften von der russischen Südgruppe im offenem Weichselbogen zur Nordgruppe, gegen welche Hindenburg seinen Flankenstoß ansetzte , hindern sollte, traf auf eine sehr starke Überlegenheit.
Der
Höhepunkt der Kämpfe, bei denen der im Zentrum liegende Pachthof Posswetow eine große Rolle als 19. und 20. November erreicht.
Schlüsselpunkt spielte,
wurde am
Ein weiteres Vordringen der österreichisch-ungarischen Kräfte war wegen der immer neuen Verstärkungen, die von der III. russischen Armee bei der IX. Armee eintrafen , nicht mehr möglich, gruben sich einander gegenüber ein und Charakter des Positionskrieges anzunehmen,
beide Teile
der Kampf schien den Nahe der Rawamündung
über die Weichsel gegangene russische starke Kräfte schienen den rechten Flügel der österreichischen Armee bedrohen zu wollen. Während die russische VIII . Armee, über
die
Karpathen
Brusilow,
den
zurückgenommenen
österreichisch-ungarischen
Kräften
(Rest der Armee
Boroevic, die, mit der kleinen Gruppe Pflanzer-Baltin zusammen , die lange Strecke vom
Uzsocker Paß bis
zur rumänischen Grenze zu
; decken hatte, der enormen russischen Überlegenheit gegenüber aber in verzweifelten Kämpfen das Durchbrechen bei Oekermesze, Lubkower-, Uzsocker- und Duklapaß nicht verwehren konnte) - und zwar mit dem Westflügel auf Bartfeld folgte, hatte man von der III . russischen Armee, Dimitriew, wie schon bemerkt, starke Kräfte auf das Nordufer der Weichsel abgezweigt die
und von ihr das IX. und XI. Korps,
allgemeine Linie Lapanow-Niepolomice,
dicht vor der für das
XI. verbündete Korps südlich der Festung geschaffenen Anschlußstellung Wroblowice - Ochojno - Reszotavi - Swiatniki-Grn erreicht.
131
Die Operationen unserer Verbündeten . Eine Armeegruppe
des
Feldzeugmeisters
Ljubičić ,
die
schrittweise
kämpfend gewichen war , sollte, auf ihrem Südflügel durch stärkere Kavallerie und polnische Legionäre an der Enge bei Dobra gegen bei Limanowa gemeldete feindliche Kavallerie gesichert, das weitere Vordringen des Gegners auf dem südlichen Weichselufer aufhalten. Als stärkerer feindlicher Druck von Osten her in der Richtung
südlich
Krakau gegen das dort zurückgehende XI. Korps fühlbar wurde, erhielt die nördlich der Weichsel kämpfende IV. Armee den Befehl , in den Festungsbereich zurückzugehen, sich südlich der Weichsel zu verschieben und, unterstützt durch die 47. deutsche Reservedivision , von Besser, zu einem Flankenstoß gegen den südlich der Weichsel vorgehenden Feind bereitzustellen, während das XI . Korps südlich von Krakau im Anschluß an die Festung in der genannten vorbereiteten Stellung Widerstand
zu leisten hatte.
Aufgabe der Festung war es
jetzt wieder, die Neugruppierung und Verschiebung der IV. Armee zu decken, die sich auf der ganzen Front so geschickt und unbemerkt vom Feinde loslöste, daß die Russen erst sehr spät leere Schützengräben erkannten.
Der Entschluß ,
starke Teile
der IV. Armee und
im Herantransport befindliche deutsche Verstärkungen in den Raum von Chabowka - Jordanow mit der Bahn weiterrollen zu lassen, um den in Westgalizien vorgerückten Feind von Süden her durch einen Flankenstoß zu überraschen, lief in die Schlacht von LimanowaLapanów aus. Teile der IV. Armee wurden auch zur Verstärkung des Restes der Armee Boroevic langsam
weichend ,
abgezweigt,
gedeckt hatte.
die bisher Westgalizien ,
Eine Einschließung der Festung
Krakau, an deren Ostseite man dem Gegner eine größere Annäherung dreist erlauben konnte, war ausgeschlossen, da West- und Südfront durch die dort anschließenden Kampflinien der österreichisch-ungarischen Truppen gedeckt waren. Als am 28. November die ersten Züge
in Chabowka
eintrafen ,
war die den Südflügel der Gruppe Ljubičić deckende Kavallerie mit polnischen Legionären bei der Enge Dobra an der Lososina, südlich der Bahn nach Neu- Sandec,
noch in der Lage ,
die sämtlichen An-
griffe der durch Infanterie nicht unwesentlich verstärkten russischen Kavallerie abzuweisen,
mußte dann aber langsam bis zum 30. No-
vember in eine Stellung südlich Kasina Wielka
zurückgehen.
Am
29. November hatte in Krakau die Gruppe Roth den Befehl erhalten , verstärkt durch die deutsche 47. Reservedivision, über JordanowChabowka - Mszana-Dolna den gegen die Gruppe Ljubičić vorgehenden Gegner in die Flanke zu stoßen. Damit beginnt Spiel und Widerspiel, des "9mouvement tournant“ und „ mouvement tourné " , wie die Franzosen sagen. Nicht eine einfache Verlängerung des rechten
132
Die Operationen unserer Verbündeten .
Flügels nach Süden wollte die Heeresleitung unserer Verbündeten , sondern eine hier weniger weit , später weiter ausholende eigene Umfassung. Mszana-Dolna wurde am 30. November von den erst ausgeschickten Truppen erreicht. Mit stark vorgeschobenem rechten Flügel sollte in der allgemeinen Richtung von Tymbark gegen die Linie Tarnow-Bochnia vorgestoßen werden. Dazu mußte die einzige aus dem Ausschiffungsraum nach Tymbark führende Straße vom Feinde freigemacht werden. Von Skrydlno - Kasina Wielka und Dobra aus angesetzte Angriffe auf Tymbark erreichten dies. Bis zum 3. Dezember abends war die Straße bis zur Gabelung nordwestlich Limanowa in Besitz , die Ausschiffung der letzten deutschen Kräfte konnte nach Mszana- Dolna vorgeschoben werden. Nach Norden eindrehend, wurde am 3. und 4. Dezember Boden bis 3 km südlich Lapanów und Annäherung an die starken feindlichen Stellungen bei Die Krzesławice gewonnen , rund 10 km Gelände durchschritten. deutsche Reservedivision war von Rzegocina bis Mlynne gestaffelt. Die Kämpfe vom 2. bis 4. Dezember ließen vor der Gruppe Roth zwei bis drei Kavalleriedivisionen, durch mehrere Infanteriebataillone unterstützt, bei Krzeslawice stärkere Infanteriekräfte feststellen. Über den Raum um Neu- Sandec hatte man sichere Nachrichten nicht, sie schwankten zwischen je einer Kavallerie- und Infanteriedivision einer-, einigen Bataillonen und Eskadrons anderseits .
Bedenklich konnte für
die Gruppe Roth ein eventueller feindlicher Vorstoß von Neu- Sandec aus werden, für Verschiebungen von der russischen VIII. Armee gegen Westen,
etwa Richtung
auf Neu- Sandec,
lagen
alle Anzeichen vor.
Während man in Krakau Vorbereitungen für die Verschiebung weiterer Kräfte auf Tymbark traf, schob man nur Kavallerie von Neumarkt in der Richtung auf Neu-Sandec und über Limanowa eine Abteilung gemischter Waffen vor, um der Umfassung gegen Norden möglichst wenig Kräfte zu entziehen und die Hauptmasse der Kavallerie gegen die Verbindung des Gegners, Straße Tarnow- Bochnia, vorzutreiben. Das Abfangen der Meldung eines russischen Nachrichten- Detachements über die Richtung des Vorgehens der verbündeten Truppen hatte beim russischen Oberkommando die Ungewißheit verlängert. Südlich Krzesławice
stand der Gegner noch in der Nacht zum 4. Dezember,
wie Kämpfe feststellten,
mit westlicher Front , erst am 4. De-
zember wurde diese nach Süden verlängert.
Am 5. Dezember
Fortsetzung des Vormarsches der Gruppe Roth gegen die Straße Bochnia-Tarnow, rechts mit der deutschen Reservedivision in mehreren glücklichen Angriffen an die Stradomka gelangend, weiter westlich Abweisen eines von Lapanów aus durch die Russen geführten Gegenstoßes ,
und weiter westlich Vorwärtskommen gegen die Stellung bei
Die Operationen unserer Verbündeten .
133
Krzesławice, bei Wisniawa Anschluß an die Gruppe Ljubičić . Von Grybow über Neu- Sandec marschierende russische Infanterie zwang die auf Neu- Sandec vorgeschickte gemischte Abteilung auf die Höhe östlich Kamina, beiderseits der Straße Neu- Sandec - Limanowa, zurückzugehen. Die Gruppe Roth blieb aber bei dem Entschluß, den Vorstoß gegen Norden fortzusetzen, nahm in der Nacht zum 6. Dezember die Stellungen südlich Krzeslawice, drängte mit Mitte und linkem Flügel die Russen, die links auch vor der Gruppe Ljubičić auswichen , zurück, während ihrem rechten Flügel russische Verstärkungen entgegengeworfen wurden , und die gegen Neu - Sandec deckende gemischte Abteilung in die starke Aufnahmestellung östlich Limanowa weichen mußte. Anderseits gewann die deutsche Division nördlich Rzegocina gegen von Norden und Osten angerückte russische Abteilungen am Stradomka-Abschnitt Boden und besetzte gegen Abend die Höhen nördlich des Wasserlaufes, rechts vor Überflügelung durch feindliche, über Lipnica vorgehende Infanterie zunächst durch Kavallerie im Fußgefecht geschützt, bis diese , über Czechow in Flanke und Rücken gefaßt, abzuziehen gezwungen wurde, vor dem Abzug aber noch die Besetzung auch von Jakobkowice durch starken Feind und das Übergehen russischer Kräfte aller Waffen über den Dunajec bei Zbysyce feststellte. Hatte man am Nachmittag des 6. Dezember durch Gefangene die Nachricht, daß Teile des russischen VIII . Korps her bei Neu- Sandec eingetroffen und daraufhin
von den Karpathen
Beschleunigung des Bahntransports, Vorverlegung der Ausschiffung nach Tymbark, Vorschieben der ersten Transportstaffel auf Limanowa befohlen, so war die Lage der deutschen Flanke kritisch geworden , weshalb die in Limanowa eingetroffenen Truppen über Mlynne auf die Höhe von Rajbrot rücken und den Schutz dieser Flanke übernehmen sollten. An den linken Flügel der Deutschen anschließend , wurde am 6. Dezember in der Richtung auf Lapanów wenig Raum gewonnen und über Krzeslawice das nördliche Stradomkaufer besetzt , während Ljubičić auf die Höhe von Dobczyce gelangte. Am 6. Dezember abends hatte die Heeresleitung die Gewißheit des Verschiebens
starker ,
der
Karpathenfront
entnommener russischer Kräfte gegen die östliche Flanke des Erzherzogs Josef Ferdinand.
Die Umfassung sollte durch
Nachschieben von Verstärkungen aus der Kampfesfront nordwestlich Krakau nach Tymbark und durch einen die südliche Flanke der feindlichen Umfassung treffenden eigenen Stoß vereitelt werden .
Für den 8. De-
zember wurde der südlich der Karpathen mit dem Feinde in Fühlung stehenden Armee Boroevic der Angriff befohlen, zu dessen Unterstützung auf dem Westflügel
bei Lubotheny,
zum Vorstoß nördlich
134
Die Operationen unserer Verbündeten .
der Bahn, eine gegen Neu- Sandec bestimmte, neue Gruppe bereitgestellt wurde. Roths Entschlüsse für den 7. Dezember --- in der Nacht auf diesen mußten mehrere feindliche Vorstöße von Lapanów gegen gingen dahin, baldigst die Chaussee Süden abgewehrt werden Bochnia-Tarnow zu erreichen, den linken Flügel an die Raba lehnend, nach Osten auf Wisnicz einzuschwenken, dabei Unterstützung der gegen einen überlegenen Feind kämpfenden Deutschen durch nördlich Straße Lapanów- Lipnica vorzuschiebende Verstärkungen (was auch erfolgte). Am 6. Dezember abends hatte die auf Neu- Sandec
der
vorgetriebene Kavallerie schon den Rückzug über Alt- Sandec auf das westliche Dunajecufer antreten gemußt, vorher aber das Eintreffen des russischen VIII . Korps im Raume Neu- Sandec bis zum 7. Dezember vormittags gemeldet und Roth zu der Annahme veranlaßt, daß eine Division dieses Korps auf Kanina, die andere südlicher vorgehen werde. Bis zum 8. Dezember früh war auf dem östlichen Stradomkaufer fester Fuß gefaßt, südlich der deutschen, alle russische Angriffe abweisenden Division war, über Mlynne anmarschiert, am 7. Dezember abends ein Landwehrverband bei Rzcegocina eingetroffen. Auf dem äußersten rechten Flügel hatten die Abteilungen unserer Verbündeten auf Limanowa am 7. Dezember weichen gemußt. Am 8. Dezember sollte die Offensive nördlich der Chaussee Lapanów- Lipnica gegen den Raum Lipnica -Wisnicz fortgesetzt werden, die Deutschen sich ihr anschließen, die Landwehr auf Rejbrot vorstoßen, eine Gruppe im Lososinotal gegen Osten vordringen , Limanowa gehalten werden. Bei Limanowa trat am 8. Dezember eine schwierige Lage ein , die mehrere Tage währte. Man wußte, daß zu beiden Seiten des Lososinotals die 14. , auf Limanowa die 15. Division des VIII . russischen Korps vorgingen. Am Nachmittag des 8. Dezember mußten die östlich Limanowa stehenden Truppen auf der Straße gegen diesen Ort zurück. Gelang es durch Einsetzen von Reserven auch , den Kampf hier zum Stehen zu bringen , so war doch am 8. Dezember abends eine Krisis auf dem Südflügel der Armee des Erzherzogs Josef Ferdinand unverkennbar und legte der Heeresleitung dringende Maßnahmen für einen neuen Abschnitt der Schlacht auf. General Boroevics gegen die bei Bartfeld festgestellten Russen von Süden und mit der Gruppe Luboteny von Westen angesetzte Umfassung wurde an diesem Tage, da die Russen nach Zlozow abmarschiert waren, zum Luftstoß. Nach Norden weiter vorstoßend , sollte die Armee Boroevic möglichst bald und mit möglichst starken Kräften bei Neu-Sandec russische Verschiebungen von der VIII. zur III. Armee hindern , die Trennung dieser Armeen erhalten und entweder gegen den Rücken des VIII. Korps
G
B
L
Die Operationen unserer Verbündeten.
135
vorstoßen oder, nach Osten einschwenkend , den Angriff über die Karpathen unterstützen. Die Heeresleitung hatte am 8. Dezember abends von den der Armee Josef Ferdinand gegenüberstehenden Kräften etwa folgendes Bild : VIII . russisches Korps und starke Kavallerie im Vorgehen gegen ihren Südflügel, 7 bis 8 Divisionen in der Linie Rejbrot -Niepolomice gegen die Front im Kampf bzw. noch folgende Kräfte über die Weichselbrücke bei Nowa Brzesko (nördlich Bochnia) im Anmarsch. Diese wurden gegen den Nordflügel der Gruppe Roth auch am 9. Dezember durch verstärkten Widerstand , am 10. durch Übergang zum Angriff fühlbar. Nördlich Krakau bis Nowo Radomsk Kampfesruhe, während im Raume südlich Petrikau die Russen angriffen. Dauernde Verstärkung der Armee Josef Ferdinands und besonders ihres Südflugels durch Entnahme aus weniger wichtigen Krakauer VerKampffronten blieb dringendes Bedürfnis. bände marschierten nach Wielicka, eine gemischte Brigade aus der Gegend von Pilica wurde per Bahn nach Tymbark verschoben. Unter Befehl des am 8. Dezember in Dobra eingetroffenen FeldmarschallLeutnants von Arz wurde eine neue Kampfgruppe aus allen südlich der deutschen Kampffront stehenden Verbänden und der bei Tymbark - Dobra auszuschiffenden Honveddivision Kaschau mit der Weisung gebildet : 1. ein feindliches Vorgehen von Kanina gegen Limanowa zu hindern, 2. mit der Lososinogruppe in der Richtung über die Höhen bei Krosno einzugreifen und den Gegner über den Dunajec zurückzuwerfen . Am
9. Dezember Geländegewinn nach Osten
unter mühsamem
Ringen beim Nordflügel der Gruppe Roth, unverrückbares Halten der deutschen Front, weiter südlich , unter Teilnahme deutscher Kompagnien, die Erstürmung der Kobyla-Höhe, nur wenig Bodengewinn bei der Lososinotalgruppe, Sicherung der Wege nach Dobra und Mszana Dolna gegen eine von Zabrezec am Dunajec augenscheinlich gegen Da die von den Rücken operierende russische Kavalleriedivision. Boroevic auf Neu- Sandec dirigierte Abteilung von Szurnay des linken Flügels über Krzysowka (südlich Grybow) feindliche Kavallerie zurückdrückte, im Poprad-Tale eigene Kavallerie, von Infanterie unterstützt , eine feindliche gemischte Abteilung über Rytro (südlich Neu- Sandec) warf, so war der Rücken des gegen Flanke und Rücken der Armee Josef Ferdinands vorgegangenen Gegners bedroht. Überwinden der Kräfte bei Limanowa, Wirksamwerden der von Südosten und Süden gegen Neu- Sandec anrückenden Abteilungen Boroevic
136
Die Operationen unserer Verbündeten.
mußten Hauptgesichtspunkte sein, wenn man selbst einen feindlicher starker Überlegenheit immerhin möglichen Augenblickserfolg auf dem Nachdem die letzten Fliegermeldungen Nordflügel parieren wollte. Anzeichen für ein beginnendes Zurückgehen des Gegners zwischen der Straße Lapanów-Lipnica und der Raba angedeutet , brachte der 10. Dezember einen Rückschlag beim Nordflügel der Gruppe Roth, der vor plötzlich auftretender, starker russischer Überlegenheit vom östlichen auf das westliche Stradomcaufer weichen mußte, was er, von Artillerie vorzüglich unterstützt, zu halten vermochte.
Weiter südlich
bis zum linken deutschen Flügel, erfolgte später eine Rückwärtsbewegung westlich der Stradomka, anschließend auch der Truppen südlich der Straße Lapanow-Lipnica . Nur an der Mündung der Stradomka wagte der Gegner über diesen Wasserlauf zu folgen. Südlich Neu- Sandec an diesem Tage keine wesentlichen Änderungen der Lage, die
Gruppe
nördlich
Führen des Angriffs
Rytro
(südlich Neu- Sandec)
wartete
für das
einige Landsturmbataillone von Alt-Lublau ab .
Südöstlich Sandec nur Kampf gegen die im oberen Dunajectal über Neu-Sandec vorgehende Kavallerie und eine aus der Karpathenfront nach Westen herangezogene Schützenbrigade.
Die Rückwirkungen
der Operationen in Westgalizien auf die Lage in den Karpathen war also schon merkbar , stärkere feindliche Kräfte waren augenscheinlich bereits auf das Gebirge zurückgegangen , um dann , westwärts ziehend , das Schlachtfeld zu erreichen.
11 T
E Schon in der Nacht zum 11. Dezember versuchten die Russen wieder gegen Limanowa und das Lososinotal durchzudrücken - vergeblich. Alle ihre noch vor Tagesanbruch unternommenen Anstürme beiderseits der Chaussee scheiterten an der Zähigkeit von drei im ཞ Schützengraben
fechtenden
Husarenregimentern
östlich
Limanowa ,
hinter denen die mit der Bahn von der Pilica aus Südpolen herangezogene gemischte Brigade und die Kaschauer Honveddivision einzutreffen begannen, und die Gruppe Arz ihre beabsichtigte Zusammensetzung aus allen am südlichen Armeeflügel , südlich der deutschen, stehenden und eintreffenden Truppen, annahm . Der südlich Rajbrot und beiderseits des Lososinotals angesetzte Angriff des Nordflügels und der Mitte der Gruppe Arz stieß bald auf einen starken russischen Gegenangriff, der die Kobylahöhe wieder nahm. Mit der vordersten, Brigade der Kaschauer Honveddivision , deren Führer das Kommando der Limanowagruppe übernahm, wurden die bis zu 3 km im Nordösten, Osten und Süden von Limanowa reichenden Stellungen, dann auch die Slopnice südöstlich vorgelagerten Höhen besetzt und verstärkt,
1
Die Operationen unserer Verbündeten.
137
Reserven hinter Limanowa bereitgestellt. einen starken,
So gelang es am Vormittage, beiderseits der Chaussee geführten russischen Angriff
gegenüber halten,
die Limanowa nächsten Höhen und den Ortsrand zu bis am Nachmittage die Einwirkung des von Slopnice vor-
gegangenen Teils der Honveddivision den Erfolg auch einer nur mit verhältnismäßig schwachen Kräften angesetzten taktischen Umfassung fühlbar machte. Von südlich der Golcow-Höhe (südwestlich Limanowa) , mit der Hauptkraft gegen diese, mit schwächeren Teilen östlich von ihr vorbei nach kräftiger Arillerievorbereitung, völlig überraschend vorbrechend, ging der Angriff noch an diesem Tage bis nahe Golcow vor. Die Lososinagruppe hatte schon in der Nacht feindliche Angriffe abgewiesen, deutsche Truppen ihre Stellungen voll behauptet, an der unteren Stradomka und Raba brachen feindliche Vorstöße schon im Artilleriefeuer zusammen . Auf dem Westflügel Boroevic ' warfen vereinigt das Dunajec-Detachement, polnische Legionäre und Radfahrerbataillon von Zabrzecz russische Kavallerie Dunajecabwärts in der Richtung auf Alt-Sandec, die auf Alt- und Neu- Sandec von Boroevic mit stärkeren Kräften angesetzten Vorstöße rückten vorwärts , kamen aber nicht zur Entscheidung, da dem Gegner frische Divisionen zuflossen. Der Ostflügel näherte sich Grybow und Gorlice. Streffleurs Militärblatt, Heft 2 , entwirft von der Lage in der Nacht vom 11. zum 12. Dezember folgendes Bild : „ Zwischen der Weichsel und der Gegend von Rajbrot hatten die Russen mit ihren Gegenangriffen nur örtliche Erfolge erzielt. Von weiteren , zweifellos verlustreichen Vorstößen , konnten sie sich hier kein Ergebnis versprechen. Tatsächlich fühlten sich auch die verbündeten Truppen , obwohl auch sie große Verluste erlitten hatten, dank den wiederholten gelungenen Angriffen, der Gefangennahme zahlreicher Feinde und Erbeutung vielen Kriegsmaterials , in ihren starken, durch mächtige Artillerie gestützten Stellungen überAber auch der Versuch des Gegners, den südlichen Flügel der
legen.
Armee des Erzherzogs zu umklammern, war gescheitert. Während sich unsere nach Osten gerichtete Kampffront südlich Rajbrot, von Helden verteidigt und durch steten Zufluß neu herangebrachter Truppen genährt , im großen und ganzen gehalten hatte , war durch den drohenden Angriff einer, wenn auch verhältnismäßig schwachen Gruppe aus dem Raum südlich Limanowa ein taktischer, durch das Vordringen unserer Kolonnen (Boroevic) im Dunajec-, Poprad- und Kamijenica-Tal gegen den Raum von Neusandec eine operative Umfassung angebahnt, die der Gegner ohne große Gefahr nicht ausreifen lassen konnte. Unter diesen Eindrücken wohl dürfte auf russischer Seite der Entschluß zum Rückzug vorläufig der unmittelbar bedrohten Armeekörper (also von links beginnend) gefaßt worden sein. Da dieser 11 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 528.
138
Die Operationen unserer Verbündeten .
Rückzug, wie sich später herausstellte, bei Limanowa von den Hauptkräften am 11. Dezember abends, oder in der folgenden Nacht angetreten wurde, mag es gelten, daß zu diesem Zeitpunkt die Schlachtentscheidung fiel. Die Entscheidung vollzieht sich bei den großen Kampffronten und der mächtigen abstoßenden Waffenwirkung heute oft in weniger dramatischen Formen als ehedem, zumal wenn der Zahl nach ebenbürtige Gegner
miteinander ringen .
Nur
allmählich wird sich die
höhere Führung der unterliegenden Seite der feindlichen Überlegenheit
I und der Notwendigkeit bewußt, dem Gegner das Feld zu räumen. Nach Tagen und Wochen hindurch andauernder Spannung und vielfachen, immer wieder überwundenen Krisen gibt ein anscheinend untergeordnetes Ereignis, eine verhältnismäßig bescheidene Kraft, den Ausschlag.
Auch der Rückzug hat,
wie die Geschichte
des jetzigen
Krieges beweist, nicht immer mehr unbedingt die einstige Bedeutung. Häufig sind die zurückgehenden Heereskörper, durch verschanzte Nachhuten verschleiert, unter dem Schutz der Dunkelheit imstande, zwischen ihre Gros und den gleichfalls
TO
erschöpften Sieger genügend Raum zu
legen, um sich ungestört und planmäßig bewegen und neu gruppieren zu können. " Nach der Schlacht von Gorlice-Tarnow haben, wie hier bemerkt werden soll, die Verbündeten in demselben Geländegebiet trotz großer abstoßender Kraft,
G
trotz Heranführens immer frischer Verstärkungen A
für
den geschlagenen Feind,
dem sie ununterbrochen
fest an der
F russischen Stoß- und Widerstandskraft Verdienste erworben, die in der Kriegsgeschichte kaum ihresgleichen haben. Sie haben das Fundament gelegt zu einem neuen Operationsabschnitt, der mit der Einnahme von Lemberg im Süden, der Besetzung von Windau und Tuckum im Norden beginnt. Hat
ohne Zweifel
das heldenhafte Festhalten gegen alle über-
mächtigen feindlichen Anstürme bei Limanowa zum Erfolg beigetragen und den Grund gelegt, indem der Gegner seine Durchbruchsabsicht nicht verwirklichen konnte, so brachte die russischen Kräfte rückwärts ins Rollen doch der Flankenstoß der Armee Boroevic durch Dunajec-, Poprad- und Kamienicatal, der sich auch gegen die rückwärtigen Verbindungen richtete. Am 12. früh wurde bei der erfolgreichen Fortsetzung des Angriffs auf die Golcowhöhe die
Rückzugsbewegung
des Gegners von
St G
5 8 3
Klinge blieben, in unaufhaltsamer, nachdrücklichster Verfolgung den Gegner nicht zum Setzen, zum Neugruppieren kommen lassen, ihn immer wieder durchbrochen und sich dadurch um das Brechen der
be
be
139
Die Operationen unserer Verbündeten.
Limanowa erkannt. Die angesetzte Verfolgung gelangte bis dicht an den Dunajec heran, reitende Batterien dicht auffolgender Kavallerie nahmen sogar bei Dabrowa feindliche nach Norden ziehende Kolonnen unter Feuer. Bei Neu- Sandec die Brücken abgebrochen findend, nahmen sie doch die Fühlung mit dem linken Flügel der Armee Boroevic auf. Südflügel übertrug sich die rückwärtige Bewegung auf die russischen Krafte südlich der Lososina, nördlich und auch gegen die deutsche Front traten noch Gegenstöße ein. Am 14. Dezember abends zwang der Druck gegen die Hauptrückzugsstraße der Russen, Bochnia-
Vom
Tarnow, auch hier zum Rückzuge. Am 17. Dezember, dem Tage , an dem die deutsche Oberste Heeresleitung schon von dem völligen Niederbruch der russischen Offensive gegen Schlesien und Posen, vom Verfolgen des Feindes auf der ganzen Linie in Polen sprechen konnte, war in Westgalizien der untere Dunajec und der Raum südwestlich Tuchow erreicht, wo erneuter hartnäckiger russischer Widerstand ein vorläufiges Halt gebot, während die in die Becken von KrosnoJaslow- Gorlice vorgetriebenen Vorhuten Boroevic' auf eine überlegene russische Gegenoffensive trafen . Durchschlagende Erfolge vermochten die Russen auch an der Karpathenfront nicht mehr zu erringen, den verbündeten Heeren aber durfte das Gefühl des Übergewichts
über
den
numerisch
Gegner zu tagen beginnen. stöße , im August , Oktober
bedeutend
stärkeren
Durch drei große Offensivund Dezember , hatten die
Armeen der Zentralmächte die russische Dampfwalze zum Stehen gebracht , eine Krisis des Weltkrieges überwunden . Gereift war aber auch die Überzeugung , daß Galizien unbedingt beherrschen nur der könne , der auch die Karpathen besitze.
11*
140
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren.
XIV.
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren.
Von Hauptmann Trautz.
(Mit einer Ansichtsskizze .) I. Die Welt steht unter dem Eindruck einer weitgehenden Umwertung der verschiedenen Befestigungsarten. Wo die Militärgeographie die Anlage von Festungen nicht am Platze fand , da ist jetzt der Schützengraben der Feldbefestigung eingetreten. Der letztere erscheint sogar überlegen ; nicht an sich, aber als die der Offensive am besten angepaßte Form . Eine
merkwürdige Wandlung des große Festungen umgehenden
oder rasch bezwingenden Bewegungskrieges
zum ungeheuersten Be-
lagerungskampf hat sich im Westen vollzogen. Eine riesenhafte, von Paris in die Nordostecke Frankreichs vorgeschobene befestigte Feldstellung schützt
die
französische Hauptstadt und
ihre Verbindung
mit England. Der Unterschied mit dem Japanisch-Russischen „ Positionskrieg" liegt nur mehr im Maßstab der Kämpfe. Die immer wieder angestrebte Umfassung hat in Frankreich geographische Grenzen gefunden, und die Flotte versuchte in die Landkämpfe mit einzugreifen. Dementsprechend beschränkt sich die folgende Betrachtung auch auf den Teil des mandschurischen Kriegsschauplatzes, wo der Umfassung allmählich immer engere Grenzen gezogen waren, wo ebenfalls schon Kriegsschiffe bei Landkämpfen mitwirkten, auf die Liautunghalbinsel und die Kämpfe um die vorgeschobenen Stellungen von Port Arthur. Alle Zwischenstufen vom Feldkrieg bis zum eigentlichen Festungskrieg sind da vertreten.
Aber die Kleinheit dieser erbitterten
Kämpfe im Vergleich mit den Riesenschlachten in Mitteleuropa gestattet sie schnell zu überblicken ; auch liegen die Vorgänge jenes letzten großen Krieges hinreichend weit zurück,
um genau bekannt
zu sein und so ein beweiskräftiges Beispiel für das Wesen des modernen Feldbefestigungskrieges darzustellen. Der Kampf um die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur umfaßt im weitesten Sinne zeitlich die Wochen vom 16. Mai bis 6. Dezember und räumlich die bedeutende Strecke von Susanlitai, wo
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren. am 16. Mai General Fock mit
141
8 Bataillonen und 2 Batterien den
vergeblichen Versuch machte, die verstärkte japanische 1. Division ,,nach Norden zurückzuwerfen ", bis zu den Kämpfen auf den Wolfsbergen und vor der Höhe 203 Anfang Dezember. An Karten, die hier nicht beigegeben werden können,
kommen
für das folgende in Betracht die Anlagen zu Heft 37 der Kriegsgeschichtlichen Einzelschriften und zu Band V der Tattauschen Übersetzung des Russischen Generalstabswerks.
Das Gelände stellt sich unter dem leitenden Gesichtspunkt wie folgt dar: Wenn bei Palitschwang von Norden oder bei Tsiënnankwanling von Süden der Reisende von der Mandschurischen Bahn aus des Sampsonberges
mit seinen
drei
charakteristischen Gipfeln ansichtig
wird, ist der erste Eindruck der des ,, Schlüsselpunktes", und zwar für den Eintritt in die Mandschurei wie für den in die Kwantunghalbinsel. Diese Ansicht erweist sich bei näherem Herankommen als, wenn nicht irrig, doch übertrieben.
Als Beobachtungspunkt unübertrefflich
bietet der Lauhushan oder Sampsonberg dem von Norden kommenden Angreifer, sobald er mit dem westlichen Ausläufer in seinen Händen ist, verdeckten Anmarsch.
Für die Verteidigung von Kwantung aber
ist er, ohne permanenten Ausbau, keine günstige Stellung zu nennen. Als ,,vorgeschobene Stellung" kommt er nicht in Betracht, denn ist schon der Nanshan überflügelndem feindlichen Angriff ausgesetzt, so ist es der Lauhushan in erhöhtem Maße. Vor die Kintschouenge vorgeschobene Stellungen kamen also nicht in Frage. Der 117 m hohe, etwa in der Enge gelegene Nanshan
mit seinen drei Ausläufern nach Norden und der Höhe
49 im Westen
bietet eine gute Position.
Abfall nach Norden,
Mit seinem glacisartigen
Nordwesten und Westen sichert er jedenfalls
Port Arthur an der einzigen Stelle, wo es vom Lande aus angreifbar ist ; wie schon Sebastopol zeigt , ist aber dies die Achillesferse derartig gelegener
Flottenstützpunkte.
Auf den Verlauf des
Gefechts vom
26. Mai (bei Kintschou) , den Widerstand von 13½2 Kompagnien mit etwa 60 Positionsgeschützen gegen 3 japanische Divisionen, die unzureichende Verwendung von 11 '/, Kompagnien Reserven (nur zwei Kompagnien und ein Jagdkommando wurden eingesetzt), die übergroße Vorsicht der Japaner, die trotz ihrer enormen Überlegenheit wegen Munitionsmangel beinahe den Sieg nicht hätten erringen können, wird später kurz zurückzukommen sein. Mangels ständigen Ausbaues hat sich die Stellung, in der zweifel-
142
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren.
los mehr geleistet werden konnte , nicht bewährt.
Es hätte gar nicht
zum Kampfe darum kommen können, wenn die Japaner auch auf der Ostseite die See beherrscht hätten , wo das russische Kanonenboot „Bobr" in anerkennenswerter Weise die 3. japanische Division durch Flankenfeuer geradezu lähmte und so verhinderte, daß der Umfassung des Westflügels die des östlichen folgte, und die Niederlage zur Katastrophe wurde. Auch hatten die Japaner, einmal wegen der mangelnden Munition, anderseits aber auch aus ihrer Kenntnis des Geländes heraus, nicht unrecht,
in der Stellung stehen zu bleiben.
Nur 4-5 km südwest-
lich vom Nanshan bei Ta - fa - shin , der Umsteigestation nach Ta-lien - wan , befindet sich eine andere taktisch so starke Stellung, daß da unbedingt Widerstand erwartet werden mußte . nach,
wenn von Norden kommend,
Dem Ansehen
wird man die Stellung die in
ihrem höchsten Punkt mehr als 20 m niedriger ist als der Nanshan, nicht besonders finden , aber ihre großen Vorteile springen ins Auge, sobald man aus ihr den Blick nach Norden wendet :
auf den engen ,
gut einzusehenden und von Tutschentsze wie von den Höhen bei Talienwan flankierend bestreichbaren Raum von 4 km Breite war der Gegner mit seinem Angriff angewiesen gegen die 10-11 km breite Stellung, die Raum genug bot für die Entwickelung erdrückender Übermacht. Tiefe Einsenkung im Süden ermöglichte nahe und gedeckte Aufstellung von Reserven. Minensperren in den Buchten und einige Batterien von Küstengeschützen hätten unschwer Beschießung von der Seeseite abgewehrt . Wie
diese Stellung den Zugang zu der blühenden chinesischen
Handelsstadt Talienwan gesichert hätte, so hätte es die wieder etwa 4-5 km südwestlich von Tafashin gelegene Stellung von Nankwanling verhindert, daß Dalny den Japanern in die Hände gefallen wäre, wenn die Russen diese beiden Stellungen überhaupt zu halten nur versucht und sie behelfsmäßig verstärkt hätten. Die Gunst der Lage dieser vorgeschobenen Stellungen wurde jedenfalls nicht durch Ausnutzung zum Ausdruck gebracht. Bei der Station Sanshilipu , wo die Hauptbahn mit den Dalnyer Zweiggleisen ein Dreieck bildet, beginnt die eigentliche Halbinsel mit einem Flächeninhalt von 400 qkm. Fährt man von Dalny aus mit dem Dampfer um die Halbinsel herum, so sieht man die steilen felsigen, kahlen Ufer aus den Wellen aufsteigen, ganz ähnlich der Küste von Cornwall bis Landsend in Südengland , voll zahlreicher kleiner Einbuchtungen, aber für Landungen im allgemeinen nicht geeignet, jedenfalls von den Höhen genau überwachbar. Tiefenlinie " begleitet die Küste da ziemlich nah.
Die „ 10 m-
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren.
143
Anders im Norden und Nordwesten, wo Antseshan und Tschanling die höchsten Ausläufer sind . In der Yinkentsze-Bucht und besonders nördlich und nordöstlich von Wedge-Head ist die Yinkoubai ganz flach und für größere Kriegsschiffe nicht befahrbar. Das zwischen diesen beiden ungleichen Ufern liegende Gelände, das die Bahn im weiten Bogen nordwärts umgeht, läßt sich vielleicht am besten mit einem in regelloser Bewegung plötzlich erstarrten Meer vergleichen. Enge Täler, Schluchten und Spalten wechseln mit einer verwirrenden Mannigfaltigkeit zackiger Bergformen. Es ist das Gebiet des kleinen Kriegs ; stärkeren Abteilungen fast unzugänglich, ihnen großen Zeitverlust Küste bewohnt.
verursachend,
wasserarm
und
fast
nur an der
Die Unzugänglichkeit einiger zu hartnäckiger Verteidigung durch kleine Postierungen geeigneter Gipfel hat zu dem bezeichnenden Namen ,,Adlernester" für diese Höhen , die alle etwa 400 m erreichen , geführt. Besonders
zu
nennen sind
Yeitseilasa
(395 m)
(japanisch
Waitōsan) , Huinshan oder Houyanshan (japanisch Kensan = Säbelberg) und Yupilasa (405 m) oder Hsishan (Triple Peak, japanisch Ojikeizan ). Die Bedeutung dieser Höhen als Beobachtungsstellen ist in diesem Labyrinth gar nicht hoch genug zu schätzen . Vom Kensan und Yupilasa ist Dalny und das Hafenbecken von Talienwan wie Port Arthur und seine Umgebung einzusehen . Über den 180 m hohen Bōdai (chinesisch Wangtai ) , Großes Adlernest, ist am Horizont der Gipfel des südwestlich von Port Arthur liegenden Liautieshan (japanisch Rōtetsusan , alter Eisenberg), rechts die 203 m- Höhe deutlich zu erkennen . Von Stellungen aber, wie eben auf dem Halse der Halbinsel beschrieben , ist hier keine Rede mehr. Drei
Straßen
standen
nach dem
Russen zum Rückzug durch das fügung, außerdem die Bahn .
Gefecht am Nanshan den
eben beschriebene Gebiet zur Ver-
Die erste Straße ist die sog. Mandarinenstraße KintschouSanshilipu - Yintschentse - Port Arthur, 64 km lang, und durch diejenigen Stellen der Halbinsel führend, die mangels besonders steiler Auf- und Abstiege für die Bewegungen größerer Detachements allein in Betracht kommen. Die beiden anderen waren vor der Besetzung Kwantungs durch die Russen bloße Saumpfade gewesen. Die mittlere Arthurstraße führt von Dalny im Tale
des
Malanhō bis zur Wasserscheide (japanisch Bunsuirei) Schinintsy (oder Shikantsy) und von da über die Bahn und sie stellenweise begleitend, nach Port Arthur. Während die Mandarinenstraße also
144
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren.
den Vorzug hat, durch die wohlhabenden, dicht bebauten und bewohnten Ebenen nördlich der Wolfsberge zu führen und dadurch für den Angreifer an Wert gewinnt, liegen auf dem Zuge der mittleren Arthurstraße nur eine Reihe von Pässen und unbedeutenden Weilern , wo der Wanderer sich vielleicht erfrischen, aber Truppenteile kaum untergebracht werden können . Die Straße ist für Artillerie und Train brauchbar und 45 km lang. Die ihre
südliche Arthurstraße endlich, nur 40 km
Bedeutung einmal dadurch,
daß sie
an den
zu
lang,
hat
feindlichen
Landungen geeigneten Buchten, der Malanhomündung und der Tahobucht unmittelbar vorbeiführt, dann aber auch durch ihren steinigen Untergrund, der selbst bei dauernd schlechtem Wetter ihre Brauchbarkeit gewährleistet.
vom
Die drei genannten Straßen führen alle durch die von den Russen 27. Mai bis 29. Juli besetzte Stellung hindurch und durch-
schneiden, bevor sie die eigentliche Verteidigungsstellung erreichen , noch die letzte als vorgeschobene Stellung zu bezeichnende Linie Hsiaukushan-Takushan - Wolfsberge. Erstere bilden mit ihren beiden gesonderten Gipfeln gute Stützund Beobachtungspunkte für die dahintergelegenen Drachenberge, wo Die Wolfsberge die Hauptverteidigungslinie von Port Arthur liegt. gewinnen dadurch ihre besondere Bedeutung, daß die Mandarinen-, die mittlere Arthurstraße und die Bahn ihr Gebiet durchqueren und nördlich die für die Verteidigung als Glacis, wie für den Angreifer als Waffenplatz wichtige Ebene von Hsiaukantse gelegen ist . Ständige Befestigungsanlagen waren daher auf den Wolfsbergen ebenso notwendig wie z. B. auf den dahinterliegenden Höhen 203 m und auf dem Hsishan und Yeitseilasa, sie fehlten aber hier wie dort. Wären die Höhen bei 203 , von denen man Port Arthur einsehen und beschießen kann,
in die Hauptverteidigungslinie einbezogen und
ihrer Bedeutung entsprechend ständig befestigt gewesen, es wäre der heldenhaften Tapferkeit der Japaner hier ebensowenig wie auf der Hauptangriffsfront im Nordosten gelungen, schwerere Geschütze ihrer Herr zu werden.
ohne Minenangriff und
Verfolgen wir nach dieser Geländeschilderung den Gang der in Betracht kommenden Operationen:
halb
Sie lassen sich einteilen in die Kämpfe um die Stellungen außerdes wirksamen Artillerieschutzes der Hauptstellung und die
Kämpfe um Takushan und die
Hügelgruppe bei
203,
die
schon
kräftige Feuerunterstützung aus der Hauptstellung erhalten konnten.
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren.
Über die völlig
145
verfehlten Operationen vor der
Schlacht am Nanshan ist nichts mehr zu sagen, aber über den Nanshan und seine Verteidigung ein paar Worte: Generalmajor Fock, Kommandeur der 4. Ostsibirischen Schützendivision, rechnete stets nur mit der Möglichkeit einer japanischen Landung südlich von Kintschou.
Seine Augen waren daher stets nach rückwärts gerichtet ; wo aber war ein General, der im Geiste stets seine Schiffe hinter sich in Flammen sah , weniger am rechten Platz als bei dieser Verteidigung, die unbedingt offensiv geführt werden mußte ? Kein Wunder, daß bei den weiteren Kämpfen sein Einfluß sich unheilvoll geltend machte, trotz aller (oft in keineswegs einwandfreier Form erfolgenden) Bemühungen des zur Offensive drängenden Generals Kondratenko . Am 6. Mai erhielt General Fock auch noch die Anweisung Kuropatkins, daß seine Hauptaufgabe nicht in dem Festhalten der Stellung um jeden Preis bestehe, sondern in dem rechtzeitigen Zurückführen der ihm anvertrauten Truppen zur Verstärkung der Garnison von Port Arthur " ! Was die Russen schließlich am Nanshan festhalten ließ, wo schon 1894 die Chinesen Widerstand geleistet hatten, war die zwingende Notwendigkeit,
für das unfertige Port Arthur Zeit zu gewinnen, und
die Anziehungskraft, die eine befestigte Stellung stets auf Anhänger defensiver Kriegsführung ausübt. Hätten die Japaner ahnen können , daß sich das Eintreffen der baltischen Flotte bis zum Mai 1905 verzögern würde, sie hätten gar nicht nötig gehabt, Port Arthur oder den Nanshan anzugreifen , denn bis zu diesem Zeitpunkt wäre die Festung bei bloßer Einschlie Bung schon dem Hunger erlegen. Solange man aber noch annahm , daß im Oktober die russischen Schiffe, aus der Heimat verstärkt, die Seeherrschaft an sich reißen könnten,
mußte versucht werden,
über
Dalny so nahe an die im Hafen liegende Flotte heranzukommen, daß man sie zur Schlacht mit der überlegenen japanischen Flotte durch direkte Beschießung nötigen konnte. Den Russen mußte bekannt sein, daß die Japaner zunächst schwere Geschütze nicht heranführen konnten ; Geschütze schwereren Kalibers als 15 cm waren überhaupt bei den Japanern vor dem 1. Oktober nicht vorhanden. Es war daher, nachdem der Versuch, japanische Landungen überhaupt zu verhindern, versäumt war, russischerseits richtig, mit starken Kräften die Landenge zu besetzen und so die Teilnahme von etwa 30000 Mann japanischer Feldtruppen an den weiteren Operationen zu erschweren. Entgegen der erwähnten Ansicht Kuropatkins hatte sich General Stössel bereits zur hartnäckigen Verteidigung der Kintschouenge entschlossen und dies mehrfach dem General Fock deutlich ausgesprochen. Die
Verteidigungsfähigkeit der
Stellung war
außer
allem
Zweifel.
146
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren.
Oberst Tretiakow, Kommandeur des 5. Ostsibirischen Schützenregiments, hielt 3 Regimenter zur Verteidigung für notwendig, dem kann man zustimmen, besonders nachdem der zuerst auf der Höhe dicht bei den Geschützständen begonnene Schützengraben auf
besondere An-
ordnung von General Fock an den unteren Rand der Anhöhe gelegt war und so etwa 6 km Länge gewonnen hatte. General Fock besetzte schließlich aber nur mit einem von den 5 von General Stössel dazu bestimmten Regimentern die Stellung und in Reserve, ohne sie einzusetzen. Nachdem die
Japaner wider
ihr Erwarten
behielt 4 verzettelt
leicht
die
kleine ,
schwach besetzte Vorstellung am westlichen Abhang des Lauhushan genommen, Beobachtungsposten auf die Höhe geschickt und erkannt hatten, daß die Stellung stark befestigt und auch mit Festungsgeschützen besetzt sei, muß der Entschluß des Generals Oku, die Stellung unter Mithilfe einiger Kanonenboote in einem Tage zu nehmen, sehr kühn genannt werden. Der Erfolg des japanischen Angriffs ständen zuzuschreiben :
1. Der
Überlegenheit
von
ist etwa
198 Feld-
folgenden Um-
und 7 schweren Schiffs-
geschützen über 67 Geschütze und 10 Maschinengewehre in der Stellung. Ein russisches 15 cm-Canet-Geschütz war noch nicht wirkungsbereit, es hätte auch nicht im Südosten, sondern auf dem Südwestflügel eingesetzt werden
müssen,
wo Batterie 15
(Höhe 45) unter den japanischen Schiffsgeschützen schwer zu leiden hatte ; dort hätte es durch Beschießung der japanischen Kanonenboote (ungepanzert) dem Gefecht vielleicht doch noch einen anderen Ausgang zu geben vermocht. Wie General Oku selbst berichtet, hing 5 ° nachm. die Entscheidung an einem Faden (Munitionsmangel bei der Artillerie). 2. In dem mangelnden Munitionsersatz in der russischen Stellung. Dort waren 160 Schuß pro Geschütz, in Talienwan und Dalny 200 Schuß verfügbar. Warum waren diese letzteren nicht auch wenigstens
zum Teil
herangeschafft ?
Die
Batteriemunitions-
ausgabestellen sind ohne Ausnahme völlig unversehrt geblieben, waren also gewiß vortrefflich angelegt und haben nach der Kanonade vom 25. sicher wieder genügend Raum geboten. Die Heranschaffung von
Munition am Abend
von Talienwan
und Dalny war leicht. So aber fehlte es an Munition, abzuschlagen.
die japanischen Stürme
3. In der unrichtigen Verteilung der russischen Kräfte :
auf der
1500 m breiten Strandebene im Westen standen nur 2 Jagd-
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren.
147
kommandos in zwei langen Schützengräben, im ganzen 200 Gewehre, in der ganzen übrigen Stellung etwa 2700 Gewehre. Der in der Stellung kommandierende Oberst Tretiakow hatte keine eigene Reserve zu seiner Verfügung. Diese Tatsache steht in auffallendem Gegensatz zu der z. B. am Schaho zu beobachtenden russischen Gepflogenheit starker Abschnittsreserven . Dagegen stand die ganze Hauptreserve mit etwa 8000 Gewehren bis Nankwanling gestaffelt und etwa 6 km entfernt. General Nadjejin wollte 2º nachm. 2 Bataillone des in Reserve bereitstehenden 13. Regiments auf den linken Flügel ziehen, was sehr zweckmäßig gewesen nicht.
wäre.
General Fock gestattete es
4. In der mangelhaften, ja überhaupt nicht vorhandenen Gefechtsleitung seitens des russischen Führers , den der Gedanke an Landungen in seinem Rücken und Sicherungen zugs von vornherein vollkommen beherrschte.
seines
Rück-
Auf japanischer Seite wurde gerade in dieser Hinsicht zweckmäßig verfahren. Die gesamte Angriffsartillerie unter gemeinsamem Oberbefehl wirkte mit den Kanonenbooten gut zusammen. Den Ausschlag gab die 4. Division. Sie setzte ihre letzte Reserve ein , die bis an den Hals in die See hinauswatend den russischen Westflügel umfaßte.
General Oku , um 5 ° davon unterrichtet, daß die Artillerie-
munition zur Neige gehe, befahl den unverzüglichen Sturm der Stellung durch die Infanterie bis zum letzten Mann , griffs durch die Artillerie bis zur „ Die Lage wurde kritisch,
und Begleitung des An-
letzten Kartusche.
Er schreibt :
da weiteres Vorgehen unsinnig erschien. "
Das russische Generalstabswerk fügt hinzu : „Das also war die Lage , in der sich der Feind befand, als wir ihm den Sieg in die Hände gaben. " Trotz ihrer großen Überlegenheit hatten die Japaner keine frischen Reserven mehr, das mag erklären , daß sie, außer mit wirksamem Infanterieverfolgungsfeuer, nicht verfolgt haben. Ein Vorstoß der russischen Reserven gegen die japanische Division hätte durchaus im Bereich der Möglichkeit gelegen und Erfolg versprochen. Man kann die Aufgabe der Stellung wohl unverantwortlich nennen, aber (wie der Verteidiger des Generals Fock auch in St. Petersburg vor Gericht betont hat) hatte nicht der
Oberkommandierende, Generaladjutant
Kuropatkin, selbst die unversehrte Zurückführung der Truppen nach Port Arthur als wichtigste Aufgabe bezeichnet ? Die Japaner hatten damit die völlige Abschließung von Kwantung Wenn die japanische Flotte ihre Pflicht tat, weitere Landungen der japanischen Truppen gesichert.
erreicht.
dann waren
148
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren.
Die Frage, wie lange die Russen die Stellung hätten halten sollen, ist dahin zu beantworten : zum allermindesten bis zum Einbruch der Nacht, denn der Rückzug bei Tag hat mehr Opfer gefordert als der ganze Kampftag; ferner aber steht fest, daß die Befestigungen den Kampf in einem Zustand überdauert haben, der noch mindestens einen weiteren Tag Widerstand gewährleistet hätte. Der Hauptgesichtspunkt,
möglichst viel Feinde zu fesseln, ward
durch Aufgeben offensiv geführter Verteidigung schon mißachtet.
Der
nächst wichtige des Zeitgewinns für die unfertige Festung selbst, der Dalny und Talienwan erhalten werden mußten, hätte durch Ausharren in der Nanshanstellung und Aufhalten des Feindes bei Tafashin und Nankwanling berücksichtigt werden müssen! Aber es sollte
dem
General Fock gelingen,
sein kleinmütiges
Programm zur vollen Durchführung zu bringen, ohne daß die Japaner die ihnen geradezu angebotene Rolle des Verfolgers aufzunehmen zunächst auch nur versuchten. Ungedrängt von den Japanern, die nur mit Patrouillen folgten, stiegen am 29. Mai die Truppen in die Ebene vom Paß von Shinintsy hinab.
Dalny und Talienwan sowie die Stellung der russischen Nach-
hut bei Nankwanling Japaner .
fielen ohne einen Schuß in die
Hände der
In den ,,Conférences" über den Russisch-Japanischen Krieg heißt es : ,,Niemand wäre erstaunt gewesen, wenn General Fock die Truppen über das Gebirge gleich bis auf die Wolfsberge zurückgeführt hätte, denn in Port Arthur sprach man von der Kintschoustellung als von der unmittelbar hinter den Wolfsbergen, aber von der ins Gebirge vorgeschobenen Position, die die Truppen dann noch während zwei Monaten inne hatten, hatten wir nie etwas gehört." Aus dem russischen Generalstabswerk geht hervor,
daß offenbar
unter dem Einfluß des verhängnisvollen Kuropatkinschen Befehls sowohl General Fock wie General Stössel tatsächlich beabsichtigten, gleich bis auf die Wolfsberge zurückzugehen . Die Ausführung dieses Befehls wäre der Todesstoß für die Festung gewesen, deren unfertige Werke zwar wohl nicht ganz wie im Chinesischen Kriege einem
Handstreich zumOpfer gefallen,
entfernt imstande gewesen wären, brauchen.
Wieder
war
es
General
aber nicht
so viel japanische Kräfte zu ver-
Kondratenko ,
der
durchsetzte ,
daß
wenigstens die Linie der zunächst an dem nicht nachdrängenden Feind befindlichen Jagdkommandos nicht aufgegeben und die wichtigsten Adlernester besetzt wurden .
1
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren.
149
Die Japaner waren bis 30. Mai nur bis zur Linie AntseshanLasasan- Teisantsy-Berg-Malanho-Mündung gefolgt. Am 27. Mai schon war die 3. und 4. Division und die 1. Feldartilleriebrigade unter General Okus Befehl nach Port Adams (Puliëntiën) abmarschiert und die 1. Division und die vom 29. Mai ab auszuladende 11. Division sollten als III . Armee unter General Nogi die Belagerung von Port Arthur durchführen.
Am
14. Juni war diese neue Armee gebildet,
aber trotz der von den Japanern vom ersten Tag ab verstärkten Stellung war ihre Lage nicht ungefährlich. Mit zwei nicht einmal vollzähligen Divisionen Linie
(30000 Mann) hatten sie eine 20 km lange
zum Schutze von Dalny zu verteidigen,
und da dies aus zen-
traler Aufstellung nicht möglich war, so ergab sich eine fast reservenlose Kordonstellung .
Bis 26. Mai ,
also einen vollen Monat,
änderte
sich diese Lage fast gar nicht ; weitere Verstärkungen aber trafen erst Mitte Juni ein. Die Stellung der Russen, die aus der Festung immer stärker besetzt ward, zog sich von Yankiatyrl über Shuangtaikou - 107142 (4 km, Generalmajor Nadjejin, 6 Bataillone, 5 Jagdkommandos, 24 Geschütze = 6100 Mann), weiter über 237 292-267309 -- Yupilasa - Shikantsy (9 km Oberstleutnant Gusakow, 1½ Bataillone, 8 Jagdkommandos, 6 Geschütze , 4 Maschinengewehre = 2800 Mann) , schließlich von da bis zum Huinshan einschließlich (5 km, Oberstleutnant Kirikow,
800 Mann) , Reserven (6 Bataillone , 32 Ge-
schütze) hinten an der Bahn, auf den Wolfsbergen und in Port Arthur. Die genannte Linie befehligte General Fock; er legte größten Wert auf Sicherung gegen feindlichen Angriff auf der Mandarinenstraße. General Stössel teilte die dieser Maßregel zugrunde liegende Anschauung. Die
südliche Anschlußabteilung des Oberstleutnants Kilenin war
aus Truppen der 7. Division (Kondratenko) gebildet, die General Fock unterstellt wurde ; da dieser sich aber gar nicht um sie kümmerte , so empfing sie weiter ihre Befehle von General Kondratenko. In Wirklichkeit waren es also zwei selbständige Abteilungen, zwischen denen General Kondratenko die seltsame Rolle des Vermittlers spielte. (Schluß folgt.)
150
Literatur.
Literatur.
Bücher. Aus der Geschichte des Hauses Hohenzollern.
Von Archivrat Dr.
Georg Schuster , Kgl. Hausarchivar. Berlin- Lichterfelde, b. Edwin Runge, 1915. Preis geh. 3,75 M., geb. 5 M. In 19 einzelnen Aufsätzen , die fast alle aus größeren Einzeldarstellungen des Verfassers selber oder seiner Mitarbeiter stammen, werden besonders charakteristische Momente aus der Geschichte der Hohenzollern behandelt, und wenn man das fesselnde und anschauliche Buch aus der Hand legt, hat man gewiß den Eindruck, daß des Herausgebers Ziel : Interesse und Verständnis für die Hohenzollern und ihre Verdienste namentlich bei der Jugend zu erregen , mit Hilfe dieses Werkes erreicht werden kann. Darüber hinaus dürfte es auch manchem Erwachsenen Wertvolles bieten. Besonders der Lehrer der Geschichte wird viel daraus schöpfen können , was geeignet ist, seinem Vortrag die so unentbehrliche Anschaulichkeit zu geben . Eine Umrechnung der alten Maße, Münzen und Gewichte in die heute üblichen würde der Jugend Verständnis sehr erleichtern und auch manchem Erwachsenen nicht unwillkommen sein. Ebenso bedürfte wohl „die Geschichte der Madame Ritz " (S. 146) für die meisten Leser einer Erklärung. Das aber sind Kleinigkeiten, die den Wert des Ganzen Dr. Lühmann. nicht beeinträchtigen können . Um
Vaterland und Freiheit.
Wirklichkeitsaufnahmen
aus dem
grofsen Kriege nebst einer Einführung. Herausgegeben von Hermann Montanus , Verlagsbuchhandlung , Walter Stein . Siegen und Leipzig. Im Juni konnten wir auf das Montanus-Buch „ Bismarck" hinweisen und betonen, daß es einen ganz besonderen Platz unter den zahllosen Gaben beanspruchen dürfe, die uns Kunst und Literatur zum hundertsten Geburtstage des großen Altreichskanzlers beschert haben. „Um Vaterland und Freiheit " nennt sich eine weitere willkommene Veröffentlichung des Verlages, von der bereits der zweite Band vorliegt. Wie beim Bismarckbuch, spielt auch hier das Bild die erste Rolle. Eine sehr übersichtliche Kriegschronik führt uns im ersten Band vom Fürstenmord von Sarajewo bis hinein in die Riesenkämpfe unserer östlichen Heere ; der zweite Band setzt die kurze Schilderung der Ereignisse auf allen Kriegsschauplätzen, den See- und Kolonialkrieg einbegriffen, in sehr glücklicher Weise fort, und am Rande dieser Chronik werden die Nummern der zum jeweiligen Text gehörenden Bilder genannt. Deren zählt jeder Band mehr als 230, und zwar sind es ausnahmslos vortreffliche Wiedergaben von Wirklichkeitsaufnahmen
Literatur.
151
aller Kriegsschauplätze, die großenteils noch wenig oder gar nicht bekannt geworden sind. Wie der erste, so ist auch der zweite Band in einem Dreißigtausenddruck erschienen , und für den hohen Wert der Bücher spricht wohl der Umstand, daß vom ersten Band bereits die zweiten 30000 zur Ausgabe gelangen . Der Preis von 2 Mark ist in Anbetracht der vornehmen Ausstattung der Hefte als sehr niedrig zu bezeichnen ; man darf dem Erscheinen der in Aussicht gestellten weiteren 3-4 Bände mit größtem Interesse entgegensehen , - es handelt sich hier in der Tat um ein vaterländisches Gedenkwerk von hoher Bedeutung. W. Wernigks Taschenbuch für die Feldartillerie. 27. Jahrgang 1914/15 , bearbeitet von Freiherr v. Blittersdorf. Berlin . E. S. Mittler & Sohn . Mit gewohnter Pünktlichkeit ist der neue Jahrgang des jedem Worte der vertrauten „Wernigks“ Feldartilleristen erschienen. Empfehlung bedarf dieses Taschenbuch nicht mehr. Und doch ist diese 99 Kriegsausgabe" besonders wertvoll, weil in ihr die Neudrucke 1914 der Schießvorschrift, des Exerzierreglements und des Anhanges zum letzteren sorgfältig beachtet und in das Buch hineingearbeitet worden sind, sowie ganz besonders dadurch , daß auch die wichtigsten, bis jetzt im Feldzuge vom Verfasser gesammelten Erfahrungen BerückW. sichtigung gefunden haben.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Kaumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher“ nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises - sofern dieser mitgeteilt wurde - hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Sellmann, Ein lauernder Feind hinter der Front ! Witten - Ruhr 1915. Westdeutscher Lutherverlag, G. m. b. H. 0,15 M. , 100 Stück 10 M. 2. Die Mecklenburger im Kampf in Belgien und Nordfrankreich. Aus dem Tagebuche eines Kompagniechefs . Berlin 1915. Vossische Buchhandlung. 1 M. 3. Heichen, Die Entscheidungsschlachten der Weltgeschichte von Marathon bis Tsushima. Altenburg 1915. Stephan Geibel Verlag . Geb. 5 M. 4. Dr. Glatzel. Sammlung Vieweg. Tagesfragen aus den Gebieten Heft 21. Elektrische der Naturwissenschaften und der Technik. Methoden der Momentphotographie. Vieweg & Sohn. Geh. 3,60 M. Schneeschuhläufer 5. Luther ,
Braunschweig
im
J. Lindauersche Universitätsbuchhandlung.
Krieg.
1915.
Friedrich
München
Brosch. 1,80 M.
1915.
Literatur.
152
6. Stein, Um Vaterland und Freiheit. Wirklichkeitsaufnahmen aus dem großen Kriege nebst einer Einführung. Siegen 1915. Hermann Montanus. 2 M. 7. Dr. Zilligus, Die Pensionsansprüche pensionierter, während des Krieges zum aktiven Militärdienst wieder herangezogener Offiziere . Berlin 1915. Verlag Otto Deutsche Juristen-Zeitung Nr. 15-16. Liebmann. 0,80 M. 8. Baden-Powell, O. G. Zehrfeld . 1 M.
Meine Abenteuer
als
Spion .
Leipzig 1915.
9. Mathar, Auch ich war dabei . Kriegsgedichte. Verlag von G. J. Pfingsten, G. m. b. H. 0,75 M.
Itzehoe 1915.
10. Sommerfeld, Die Schweizer-Armee, ihre Organisation , Bewaffnung, Ausrüstung, Uniformen und Abzeichen. Leipzig. Verlag von Moritz Ruhl. 2,50 M. 11. Dr. Konrad Müller, Deutscher Seeheldensang im Weltensturm . Potsdam. Stiftungsverlag. 0,10 M. 12. Haasmann, Deutsch - Ukrainischer (Ruthenischer) SoldatenSprachführer.
Leipzig.
Hachmeister & Thal.
0,20 M.
13. Haasmann, Deutsch - Ukrainisch- (Ruthenisch-) Polnisch - Russischer Soldatensprachführer. Leipzig. Hachmeister & Thal . 0,20 M. 14. Overmann, Flämischer Sprachführer. & Thal. 0,40 M.
Leipzig.
Hachmeister
15. v. Mackay, Die moderne Diplomatie. Frankfurt a. M. Rütten & Loening. Geb. 2,80 M. 16. Übersichtskarte vom italienisch -österreichischen Kriegsschau-
platz. Maßstab : 1 : 1000000 . Stuttgart. Umbreit & Co. 0,30 M. München. Band IV. 17. Chronik des Deutschen Krieges. Verlagsbuchhandlung. M. 2,80 C. H. Becksche
000
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.
,,Trautz , Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur".
Übersichts
-Skizze.
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Welge. [ Head
naP c P(Auohrt dliaë Lio mns ) n
Sam sc hilipu
Schisanliyaibge
Pa li
Kintschoy Louhusc
hen
Tutschentoze Mou. nan Kwan lias
117 chan Taferhit
Sanyoson -Bg.
XV .
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
Von Rhazen, Generalleutnant z. D.
Zwei mächtige Durchbrüche an der Grodek- und WereszycaLinie entschieden das Schicksal der am 22. Juni durch die Truppen der uns eng verbündeten Doppelmonarchie wieder besetzten Festung Lemberg. Nach der Einnahme der Hauptstadt Galiziens haben sich auch Deutschland nicht grundsätzlich übelgesinnte und objektiv urteilende Blätter neutraler Länder vielfach den Kopf darüber zerbrochen,
ob die verbündeten Heeresleitungen im Osten nun sich auf nach Wolhynien hinein oder gar eine Richtung nach
eine uferlose,
Südosten einschlagende Verfolgung einlassen , oder sich damit begnügen würden, am Bug und Zlota-Lipa etwa zur Defensive überzugehen , um für einen wuchtig zu führenden Schlag starke Kräfte nach dem Westen abzweigen zu können . Beide Seiten der von ihnen aufgestellten Alternative litten an starken inneren Unwahrscheinlichkeiten, die hier zu erörtern noch nicht die Zeit ist .
Zudem deutete die Anwesenheit von Truppen der
Armeegruppe Mackensen nicht nur in Rawa Ruska, sondern auch in Zolkiew schon vor der Einnahme von Lemberg, das doch wahrscheinliche Erhalten der in den erfolgreichen Durchbruchskämpfen vom 12. bis 15. Juni
von der Armee Erzherzog
Josef Ferdinand und
Armeegruppe Mackensen herbeigeführten Absplitterung des russischen rechten Flügels in der Trennung von den auf die Grodeck- und Wereszyca- Stellung zurückgegangenen Kräften , das Eindrehen der Armee Josef Ferdinands mehr nach Nordost, wo sie, unter gleichzeitiger Herbeiführung des Anschlusses der Armee Woyrsch , eine kräftige Flankenbedrohung für jeden aus dem Korridor zwischen Bug und Weichsel etwa zu unternehmendan russischen Flankenstoß gegen die 12 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 529.
Lemberg und dem Narew bis Brest- Litowsk, ¿ vorgehenden verbündeten Kräfte bildete, darauf hin , Aräftige Operation zwischen Bug und Weichsel, wo man Schwerpunkt der den Russen noch möglichen Stoßkraft zu suchen haben werde, eingeleitet werden würde gewinnen könne. Am
24. Juni
und weittragende Bedeutung
lesen wir im Tagesbericht,
nachdem von einem
Ausweichen der geschlagenen russischen Truppen nach Osten und Nordosten gesprochen worden : „ Östlich und nordöstlich Lemberg sind Kämpfe mit starken Nachhuten im Gange " , am 26. Juni aus Wien : „ Die Russen vollziehen
den Rückzug,
zu
dem
sie durch den von
Lemberg, sowie bei Rawa Ruska und Zolkiew geübten Druck gezwungen werden, in Nordgalizien wie Südpolen in ziemlich beschleunigtem
Tempo,
in Russisch-Polen
haben
Zawichost - Sienno - Ilza Kämpfe entwickelt.
sich in
der Linie
Nun gehen sie auch in
Südpolen vor der Armee Woyrsch im Eilmarsch zurück und räumten das Waldgebiet südlich von Ilza “ , am 27. Juni die Wegnahme russischer Stellungen nordwestlich Gefangennahme von rund lich bis
Rawa Ruska
3300 Russen,
am 28. Juni „ weiter west-
zur Gegend von Ciechanow sind
im weiteren Vorgehen “ , und
mit stürmender Hand,
die verbündeten Truppen
am 29. Juni das Werfen des Feindes
bei Mosty-Wielkiecowie, nordöstlich und westlich Tomaszow, so daß die Verbündeten auch dort überall auf russischem Boden standen. sowie daß der Feind unter dem Druck des Vorgehens in diesem Raume seine Stellungen am Tanew-Abschnitt und
unterem San zu räumen
beginne. Damit war die Richtung der Armeen Erzherzog Josef Ferdinand und Mackensen gegen den Raum zwischen Weichsel und Bug ausgesprochen. Blätter der Ententemächte haben nach dem Falle von Lemberg in
ihrer Verblendung
geschrieben,
die
russischen
Heere
seien in derselben glücklichen Lage wie beim Beginn des Krieges im August 1914. Als wenn die starken Aderlässe an personellen und materiellen Mitteln von Tannenberg und erster Masurenschlacht, Krasnik, Zamosk und Komarow, Wlozlawec, Lipno, Kutno, Lodz und Lowicz, Winterschlacht in Masuren und Vernichtung der X. Armee, Karpathen, Gorlice-Tarnow und Folgeschlachten, Stryj und Folgekämpfe, Przsemysl und Lemberg etwa so gewirkt hätten, wie der Arzt alter Schule von dem frühjährigen Aderlaß Auffrischung und Erneuerung des Blutes erwartete ! In der russischen Zentralstellung in Polen, von wo aus, mit der sehr starken und unerschütterten Weichsellinie als deckendem Frontschild, im August 1914 die gewaltigen Operationen gegen die Flügel Ostpreußen und Galizien - in letztgenannter Richtung überholt
155
Von Lemberg und dem Narew bis Brest - Litowsk. durch die österreichisch-ungarische Offensive gegen
Norden -
an-
setzten, mußte es in der letzten Dekade Juni 1915 wesentlich anders aussehen und zu Ende Juli stellte sie den Raum dar,
aus dem die
Russen nicht mehr um den Sieg , sondern um das Entkommen kämpften . Wenn am 31. Juli 1915 der Präsident der Duma dieser eine Stellung im russischen Verfassungsleben anwies,
die sie
sie aufforderte , der Regierung den Weg zu zeigen ,
nie gehabt ,
wie der Krieg zu
einem guten Ende geführt werden könne , dann Zar und Regierung das Bedürfnis fühlten , die Verantwortung auf breitere Schultern zu legen, lockende Zusagen an die Polen erfolgten , der Kriegsminister in der Duma erklärte : „ Große, vom Feinde zusammengezogene Streitkräfte umkreisten Schritt für Schritt das Gebiet des Militärbezirkes Warschau, dessen strategische Grenzlinie immer einen schwachen Punkt der westlichen Grenze gebildet ;
unter diesen Umständen werde man
dem Feind vielleicht einen Teil dieser Gegend überlassen und auf Stellungen zurückgehen , in denen das Heer die Wiederaufnahme der Offensive vorbereiten könne ;
man werde viel-
leicht Warschau aufgeben, wie man 1812 Moskau geräumt habe ", - wenn wir aus durch die britische Zensur nicht beanstandeten Privatnachrichten über Holland damals ersahen, daß am 31. Juli die Fortschaffung aller schweren Geschütze aus der Ostfront Warschaus und den übrigen Weichselfestungen ( ? ) nach dem inneren Rußland beendet sein sollte (ein Beleg dafür, wie zeitig man damit schon begonnen haben muß, während man in amtlichen Erlassen noch von Sicherheit des Erfolges bramarbasierte), schaft
im Haag mitteilte,
wenn die russische Gesandt-
die russische Armee
sei durch Munitions-
mangel gezwungen , auf die zweite ursprüngliche Festungslinie am Bug zurückzugehen und es habe gar nicht die Absicht bestanden , die Weichsellinie zu halten (die Kämpfe im nach Westen offenen Weichselbogen seit Dezember 1914 mit den Tausenden an Menschenverlusten und mit Millionen von Rubeln für die vorbereiteten Stellungen,
dort wären also
nur Scheinkämpfe ge-
wesen ! ) , so waren das Beweise von Schwäche, die auch die tönendsten Phrasen des
Kriegsministers ,
Ministerpräsidenten
und Zarenerlasses
nicht beseitigen konnten. Rund 740000 Gefangene seit dem 2. Mai schrieben ein unauslöschliches Menetekel an die Wand, die sich vor die nächste Zukunft Rußlands zog. Als am 5. Juli der Tagesbericht aus dem Großen Hauptquartier vom südöstlichen Schauplatz die der Geschichte angehörenden Leistungen der Südarmee vom Durchbruch bei Stryj bis zum Erreichen der Zlota-Lipa in die wenigen inhaltreichen Sätze zusammenfaßte : „ Die 12*
156
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
verbündeten Truppen unter Befehl des General von Linsingen haben auf ihrer ganzen Front die Zlota- Lipa erreicht, das Westufer ist von den Russen gesäubert.
Die Armee hat Außerordentliches geleistet .
In fast vierzehntägigen Kämpfen erzwang sie angesichts einer starken feindlichen Stellung den Übergang über den Dniestr und trieb den Gegner von Stellung zu Stellung vor sich" (ein kaiserliches Handschreiben und das Eichenlaub zum Orden pour le Mérite währten
Führer
belohnten),
und
dann
fortfuhr :
den be-
„ im Bugabschnitt
räumte der Feind heute Nacht den Brückenkopf von Krylow.
Zwischen
Bug und Weichsel wurden die Russen gestern bei Plonka- Turobin , nördlich des Forbachs und Tarnowka- Krasnik von uns geworfen " , und das österreichisch-ungarische Hauptquartier an demselben Tage aussprach, daß die Armee Erzherzog Josef Ferdinand die russische Kampffront beiderseits Krasnik in mehrtägigen Kämpfen durchbrochen und die Russen unter großen Verlusten in nördlicher Richtung zurückgeworfen, da war unverkennbar 1. daß man
eine Trennung bewirkt
in eine polnische und eine wolhynische russische Gruppe ,
2. daß ein
fester Riegel geschaffen war vor jedem etwa unternehmenden russischen Versuch, in ähnlicher Weise, wie im ersten Feldzugsabschnitt gegen die Sieger von Krasnik- Zamosk- Komarow, gegen Flanke bzw. Rücken der zwischen Bug und Weichsel vorgehenden Armeegruppe Mackensen und Erzherzog Josef Ferdinand vorzustoßen . Der Riegel wurde durch Puhallo , Böhm-Ermolli , und Pflanzer-Baltin gebildet.
Am
30. Juni
schon
hatte sich
die
die Südarmee ,
Rückwärtsbewegung
des
Gegners zwischen Bug und Weichsel klar ausgesprochen, seine Nachhuten waren überall energisch angegriffen und geworfen worden. Von Erzherzog Josef Ferdinand war die versumpfte Waldregion am Tanew durchschritten , die Höhen bei Zaklikow und Frampol genommen , die Gegend Belz - Komarow- Zamosk erreicht, am Lubliner Landrücken fester Fuß gefaßt worden . Die Erfolge der verbündeten Armeen östlich der Weichsel hatten die Russen gezwungen, auch westlich des Stromes eine Stellung nach der anderen zu räumen. In der Nacht zum 30. Juni waren sie aus der starken Front bei Zawichost über Ozarow und Sienno verdrängt, Zawichost besetzt worden. Am 26. Juni hatte die „ Times " geschrieben : „ Wenn die russische Südarmee von
der Buglinie östlich von Lemberg vertrieben,
wenn
vor allem ihr rechter Flügel so gedreht werden könnte , daß sie von ihren Freunden im Nordwesten getrennt wäre, so wird wohl im deutschen Hauptquartier eine große Neigung bestehen, diesen Erfolg auszunutzen und die Eroberung Russisch-Polens als das nächste Ziel der Anstrengungen zn wählen. In den baltischen Provinzen, in Ost-
157
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
preußen und an der polnischen Front stehen einige deutsche Armeen, die in der Lage wären , an den Operationen gegen die russische Zentral- und Nordarmee teilzunehmen . Wenn andere deutsche Armeen von Süden her an dieser Arbeit mitwirken könnten und durch ein Vorrücken vom Tanew und von Lemberg her die Linie an der Weichsel und vielleicht
am Bug drehen
könnten,
nicht ohne Grund große Erfolge darauf die Antwort gegeben. Am 2. Juli
dann
erwarten. "
stellt der Tagesbericht
kann man vielleicht Die Ereignisse haben
des Großen Hauptquartiers
das Zurückdrängen des den Armeen Mackensen gegenüberstehenden Gegners über den Labunka- und Porabschnitt, weiter westlich das Erreichen der feindlichen Stellung in Linie Turobin - Krasnik- Jozesow an der Weichsel, die Einnahme von Stroza und Krasnik, westlich der Weichsel das russische, von dem Druck des Angriffes erzwungene Räumen der Brückenkopfstellung bei Tarnow, die Säuberung des südlichen Kamiennaufers, das Verdrängen der Russen aus ihren Stellungen südöstlich Sienno und bei Ilza durch die Truppen des Generalobersten von Woyrsch, südöstlich Kalwaria die Gewinnung einer Höhe nach heftigen Kämpfen fest. Sprach die an diesem Tage erreichte Linie Turobin - Krasnik - Jozesow für die Energie, mit der die Offensive zwischen Bug und Weichsel vorschritt, wurde die Stellung des Gegners südlich des sumpfigen Porbachs in einem Zuge überrannt, so war in der Perspektive schon ein Bedrohen der russischen Weichselfront zu ahnen und durch das Zurückdrängen der Russen über die Labunka der Weg auf Krasnostav angebahnt, am Wysznia-Abschnitt , zwischen Krasnik und der Mündung , auf dem Nordufer von deutschen Truppen fester Fuß gefaßt, auf dem linken Weichselufer, südwestlich von ein russischer Vorstoß abgewiesen, während Böhm -Ermolli von Kamionka- Strumilowa abwärts bis Krylow den Bug an vielen Stellen erreichte.
Radom ,
Vom 4. Juli ab
setzt zwischen Bug und Weichsel an mehreren
Frontabschnitten in der allgemeinen Richtung gegen die Urzedowka und Krasnik, besonders gegen die Front des Erzherzogs Josef Ferdinand, der Beginn heftiger Gegenstöße der verstärkten Russen ein, die abgewiesen wurden , die Höhen nördlich Krasnik nach schwerem Kampf in die Hand der Verbündeten lieferten und sie beiderseits Studzianki in die Hauptstellung des Gegners eindringen ließen. Am 5. Juli Fortsetzung des Kampfes beiderseits Wieprz, Fortschritte
des
oberen
des Angriffs nördlich des Porbachs und bis zu
dem nordöstlich von Turobin gelegenen Orte Wlonka, westlich anschließend Durchbrechen der russischen Kampffront beiderseits Krasnik durch Truppen
des Erzherzogs
Josef Ferdinand und Gewinn
einer
158
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
8000 überschreitenden Zahl von Gefangenen, während der russische Generalissimus sich in seinem Bericht von demselben Tage rühmt, die Offensive der Verbündeten durch einen östlich Krasnik gegen die Höhen nordwestlich Wilkolaz geführten Flankenstoß aufgehalten zu haben.
Am 6. Juli
stellt der Bericht
aus
dem Hauptquartier unserer
Verbündeten den Rückzug der in der zweiten Schlacht von Krasnik durch Erzherzog Josef Ferdinand
im Durchbruch geworfenen Russen in nördlicher und nordöstlicher Richtung, das Erreichen der Linien von Gielczow und der Höhen nördlich der Wyznia sowie das Weichen dès Gegners unter dem über Tarnograd , fest.
Druck
dieses Vorgehens
auch am Wieprz
Am 7. Juli Zurückschlagen heftiger Angriffe russischer Verstärkungen an mehreren Stellen der Front Josef Ferdinands . Eine Äußerung der „ Times " über
einen im russischen Haupt-
quartier abgehaltenen Kriegsrat deutete an, daß die Beratungen wohl zwei Fragen gegolten hätten , nämlich : 1. ob die russische Zentralarmee auf den Bug zurückgehen, 2. ob die Südarmee dort bleiben solle, wo sie sei, auf der Basis von Südwest-Rußland , oder aber nach Es sei ein schwerwiegender Norden zurückgezogen werden solle ? Entschluß, auf den Bug zurückzugehen und die Festungen der Weichsellinie ihrem Schicksal zu überlassen. Könnten von der russischen Zentral- und Nordarmee genügend Truppen weggenommen werden, um die von Süden anrückenden Wellen aufzuhalten ― der Satz verdient bei den folgenden Ereignissen große Beachtung " dann werde man leicht verursacht sein, die Stellungen am Weichsel-, Narew- , Bobr- und Njnemen-Ufer festzuhalten . Wenn nicht etwa der Munitionsmangel schwerwiegender sei , als man zugebe , dann werde es wohl nötig sein, zurückzugehen, um die Hanptlinien zu halten und den drohenden Einschließungsbewegungen gehen. Am 8. Juli
enthält der
kleineren Meldungen :
durch den Gegner zu ent-
deutsche Tagesbericht
Abschlagen eines
eine Reihe von
russischen Angriffs
aus der
Richtung von Kowno, Wegnehmen einiger russischer Schützengräben nordöstlich Prasznysz , verunglückte Vorstöße nordöstlich und südwestlich Razionz, derjenige unserer Verbündeten , das Zurücknehmen der beiderseits der Chaussee Krasnik - Lublin stehenden Vorhuten des Erzherzog Josef Ferdinand auf die Höhen nördlich von Krasnik, um die außerordentlich heftigen, Sprengung der Front anstrebenden Angriffe der zur Deckung von Lublin herangekommenen russischen Verstärkungen abzuweisen , eine Aufgabe, die die IV. Armee unserer Verbündeten an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen in schweren Kämpfen
159
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
Bei den Armeen des Feldmarschalls von Mackensen
glänzend löste.
ist an mehreren Tagen - durch örtliche Gefechte in der Gegend von Krasnostaw am 11. Juli unterbrochen - keine Änderung zu melden, weiter westlich bei Erzherzog Josef Ferdinand eine Fortsetzung der Kämpfe bei Krasnik , bis sich die Stoßkraft der Russen erschöpft . Und wir wissen auch den Grund. Es galt die . rückwärtigen Verbindungen neu zu ordnen , Aufschließen und Nachschub zu bewirken,
ehe man die wichtige Offensive
tiefer in den Korridor
zwischen Bug und Weichsel hineintrug , die es dann möglichst unaufhaltsam zu gestalten galt, da sich weiter nordwestlich wichtige Operationen vorbereiteten , deren Ziele über das Unhaltbarmachen der Weichselfestungslinie , die jetzt ihre Früchte getragen , weit hinausgehen. Wie fachmännische Kreise des
neutralen Auslandes damals bei
objektivem Denken die Lage im Osten ansahen, geht aus einem Urteil des „ Berner Bund " vom 10. Juli hervor : „Alles kommt jetzt darauf an, was die Russen an operationsfähigen Truppen noch ins Feld führen können und in welchem Umfange sie mit Artillerie und Munition versehen sind. Ob sie im heimischen Sumpfgebiet die Operationsfreiheit wiedergewonnen haben, das ist die Frage, die zur Entscheidung steht. Im vollen Maße besitzen sie diese nach unserer Ansicht sicher nicht mehr. Über den wahren Stand der Dinge im Osten können letzten Endes weder Raumgewinn noch taktische Einzelschläge, sondern nur bestimmte Nachrichten über die innere Verfassung geben. " Am
des
russischen
12. Juli
half
Heeres
sich der
und seine
Hilfsmittel Auskunft
russische Generalissimus
mit der
Meldung: „ Unsere Truppen, die die von ihnen am 5. Juli begonnene Offensive mit großem Erfolg beendet haben, besetzen gegenwärtig Stellungen, die ihnen auf den Höhen des rechten Urzedowka-Ufers angewiesen wurden, " wozu selbst "9 Times " den Kommentar gab,
sie
müßten also 8 km zurückgegangen sein, während an demselben Tage die „ Neue Züricher Zeitung " schrieb : „ Gelingt es den Russen nicht , sich südlich Lublin den Verbündeten derart vorzulegen, daß sie diesen jedes weitere Vordringen nach Norden verwehren, so ist der kampflose Abzug der russischen Streitkräfte aus Polen und hinter die Weichsel nur noch eine Frage der Zeit. " Daß die Russen zwischen Bug und Weichsel zunächst zum Schutz der Bahn Kowel - Cholm - Lublin - Iwangorod und des Rückens der Weichsellinie einsetzen würden , was sie könnten, wenn sie den Rückenund Flankenschutz der Armeegruppe Mackensen am Dnjester -SlotaLipa-Bug (Pflanzer-Baltin - Böhm-Ermolli - Puhallo) nicht als leicht
160
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
durchbrechbar ansehen würden,
war als Faktor im Plan
der ver-
bündeten Heeresleitung verwertet. Am 14. Juli setzt dann den Passus 2 und 3 im Gesamtplan - dessen Nr. 1 , Befreiung Galiziens und der Bukowina vom Feinde, vollzogen war
, Zurückwerfen des Gegners
über die Weichsel und
Zusammendrücken von der Flanke her, entsprechend, die allgemeine Offensive auch gegen den rechten russischen Frontteil und Flügel ein.
Ihrem großen Ziele gemäß durfte sie nicht beginnen,
bevor die Heeresgruppe Mackensen , zu der auch die Armee Erzherzog Josef Ferdinand gehörte, von Süden her sich der Weichselverteidigungsund eventuellen Rückzugslinie von Iwangorod und Warschau mehr genähert, im Korridor zwischen Bug und Weichsel starke Kräfte gefesselt,
anderseits
aber auch das Drohen mit der Gefährdung der
Rückzugslinie der russischen Heeresleitung Besorgnisse um das Schicksal der
noch
westlich
der Weichsel stehenden
Kräfte
eingeflößt
und
moralisch deren Widerstand schon wankender gemacht hätte . Für die Offensive, die nun auch die schon in Kurland, nördlich Kowno, stehende Armee Below wieder aufnahm, standen dem Feldmarschall von Hindenburg - von links
beginnend - zur Verfügung : Armee
Eichhorn, an die Njemen- und Bobrfront heranrückend und besonders auch den Angriff auf die Dubissa-Linie und Kowno einleitend, Armeen von Scholtz und Gallwitz zum Angriff auf die Narewlinie, Lomza bis Nowo-Georgiewsk, bestimmt , im ganzen also die drei zuletzt genannten Armeen gegen rund 350 km mit und von Natur starker Frontlinie. Am 17. Juli erst,
zahlreichen Festungen gespickter
als sich eine Schlachtfront,
wie sie die Welt
noch nicht gesehen , auf einmal in Bewegung gesetzt, in Litauen und Kurland die Armee Below, links begleitet von gewaltigen Kavalleriemassen, ihren Vormarsch fortsetzte, gegen die Narewlinie Scholtz und Gallwitz vorbrachen, auf dem südöstlichen Schauplatz die Armeegruppe Mackensen die Offensive wieder mit wuchtigen Schlägen vortrug, lüftete die Heeresleitung den Schleier, der bis dahin ihre strategischen Entschlüsse verhüllte . Feldmarschall von Hindenburg hat für die Öffentlichkeit erst wieder gesprochen, als ein erstes großes Ergebnis erzielt war. Im Norden bei
der Armee Below mehrfaches Werfen der feind-
lichen Kavalleriemassen, die wichtigste Sammlung vom Kampfeshandlungen dicht vor den russischen Narewfestungen,
gegen seit Monaten
mit allen neuzeitlichen Mitteln verstärkte Stellungen , südlich und südöstlich von Mlawa Durchbrechen von drei hintereinander liegenden russischen Linien und Erreichen von Dzielin und Lipa in einem glänzend durchgeführten Ansturm, am 14. Weichen der durch Druck
161
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
von beiden Seiten und erneute Angriffe eeschütterten Russen, nach Räumung von Prasznysz, in ihre lange vorher ausgebaute Stellung Ciechanow- Krasnosielsk, am 15. Durchbrechen auch dieser Stellung in 7 km Breite, bei Druck und Verfolgung durch die Armee Scholtz auch von Kolno her , Rückzug der Russen auf der ganzen 100 km messenden Front zwischen Pissa und Weichsel ; zwischen Bug und Weichsel Auswachsen von vor dem 16. begonnenen Kämpfen um Vorstellungen zu solchen auf breiter Frnnt westlich des Wieprz, südwestlich Krasnostaw und Durchbruch der russischen Linien an der oberen Bistryca,
Durchbruch Isbica-Tarnagora,
westlich der
oberen
Weichsel Wiederaufnahme der Offensive durch die Armee Woyrsch. Die Signatur des Abschnitts in der Kriegsführung ist rücksichtslose Ausnutzung der feindlichen Schwäche, bei höchster Beweglichkeit der eigenen Truppen, planmäßige Überraschung des Gegners, beide den Erfolg der Durchbrüche sichernd. Das überraschend für den Feind erfolgte Eindrehen der Armeegruppe Mackensen nach dem Falle Lembergs unter sicherem Flankenschutz hatte die Russen gezwungen , alle verfügbaren Kräfte nördlich der Tanewniederung und des Bugbassins dieser Offensive entgegenzuwerfen . Feldmarschall von Hindenburg faßt dann auch wieder überraschend die russische Nordwestfront in Kurland und am Narew an ; ehe dieser von den Russen pariert sein können, kommt der Angriff gegen die Weichselfront ins Rollen - eine strategische Umfassung ist die Folge. Die von Kurland bis Galizien eingeleitete allgemeine Offensive mit dem Ziel der Eroberung des Festungsvierecks, Gewinnung der Weichsel, Schaffung einer möglichst kurzen Frontlinie , besonders auch Bedrohung der Bahnlinie Cholm- Iwangorod , zwangen die Russen, auf die Bildung neuer Armeen im Raum Warschau zu verzichten , die dazu versammelten Truppen gegen die Narewlinie und die genannte Bahnlinie zu werfen . Zu erwarten war, daß sie nach beiden Richtungen sogar durch Gegenstöße die Gefahr des Überschreitens der Narew- und Bahnlinie abzuwehren versuchen würden . Das trat zuerst im Korridor zwischen Bug und Weichsel hervor, trotzdem ist am 18. Juli im Osten die Offensive auf der ganzen Linie vorgetragen worden. Von Sokal, wo unsere Verbündeten auf dem rechten Bugufer festen Fuß faßten, über die Wolyca, den Brückenkopf von Krasnostaw, über den Wieprz, nördlich Krasnostaw, wo russische Angriffe auch frischer Gardetruppen
abgeschlagen wurden,
so daß die
oberste Heeresleitung von einer schweren russischen Niederlage sprechen konnte, nur die Durchbruchsstelle westlich Krasnostaw noch starken russischen Widerstand aufweisend . Die Armee Woyrsch in
162
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
die Stellungen hinter den Ilzonka-Abschnitt eingedrungen, Armee Gallwitz mit allen Teilen an die Narewlinie südwestlich OstrolenkaNowo- Georgiewsk gelangt, vor ihr, was nicht in Befestigungen und Brückenköpfen Schutz fand, schon über den Narew geworfen, auch zwischen Pissa und Skrwa die Russen ihre mehrfach durchbrochenen Stellungen räumend ,
westlich von
Popeljany und Kurschany noch
unentschiedene Kämpfe, Windau und Tukkum besetzt,
an der Bzura
und Rawka noch Stellungskrieg, während die südöstlich anschließende Front zu wanken begann . Am 20. Juli folgen die verbündeten Truppen dem weichenden Gegner über das Schlachtfeld der letzten Tage, warf Woyrsch den Gegner aus der Ilzonka- Stellung, erreichte Kavallerie die Bahn RadomIwangorod , bei Warschau Vorgehen bis zur Blonie - Grojek- Stellung. Die Vorbereitung entscheidender Dinge zeichnet sich ab, zumal am 20. Juli auch Schaulen genommen wurde, der Gegner in die Richtung auf Schadow auswich, wo er bald neue Niederlagen erleben sollte. Wenn am 21. Juli
der Tagesbericht lakonisch
meldete :
„ Der
Feind hat sich südlich der Bahn Cholm- Lublin-Iwangorod wieder gestellt. Trotz hartnäckigen Widerstandes gelang es den verbündeten Truppen an mehreren Stellen durchzubrechen “ , so wird die Kriegsgeschichte erst das heldenhafte Ringen ins rechte Licht zu stellen haben. Gleichzeitige Vorwärtsbewegung der ganzen gewaltigen Front von der oberen Windau bis zum Bug nach demselben Ziel strebend, Zusammenhang der Ereignisse nordwestlich der Linie NowoGeorgiewsk - Iwangorod und südlich der Linie Lublin - Cholm-Bugufer spiegeln sich deutlich ab , die Krise der auf die innere Linie gezwungenen russischen Armee wurde akuter. Daß durch Druck von Osten auf den Rücken der Widerstand der Weichselbefestigungslinie auch im Westen erschlaffen müsse, die Frage brennend werde, wann man sich der
eisernen Umarmung entziehen müsse,
wenn man sie
nicht durch einen Ausfall gegen eines der Zangenenden brechen könne, oder nicht zwischen Bug und Weichsel die Entscheidung erwarten wolle, ist sicher damals vom Generalissimus erwogen worden. In einen halbkreisförmigen Raum , halbkreis eines Fächers ansehen kann, drehpunkt in Grodno
und
Iwangorod, im
Brest-Litowsk hatten, die
Narew - Linie,
im
Süden den Raum
den man als den Außendessen Stäbe ihren Mittel-
dessen
Peripherie
im
Westen
Warschau,
südwestlich
von Krasnik,
berührte, waren die Russen hineingedrängt.
Norden
im Südosten Sokal
Nur solange sie imstande,
operativ auf den Stäben des aufgeklappten Fächers überlegene Kräfte gegenüber einem Punkt der Peripherie in Bewegung zu setzen, konnten sie sich der strategischen Vorteile der inneren Linie bedienen .
163
Von Lemberg und dem Narew bis Brest- Litowsk. Jeder Kilometer,
den die Verbündeten auf den Fächerstäben in der
Richtung des Zentralpunktes vorschritten, verringerte den Raum der russischen Aktionsfreiheit, so daß schließlich der kritische Punkt erreicht wurde, an dem die strategischen Vorteile der inneren Linien sich in die schwere Gefahr taktischen Umfaßtwerdens, des Verlierens der Operationsfreiheit, verwandelten. Noch - solange nicht die Narewund Weichsellinie
eingedrückt - war es für die
nach Osten auszuweichen,
Russen möglich,
um sich neu zu gruppieren .
Zweifelhaft
war, ob sie noch die Fähigkeit besaßen, in den genannten Kreisbogen eine Entscheidungsschlacht mit Aussicht auf Erfolg zu liefern oder im Entscheidungskampf auszuharren . Auf einen der Fächerstäbe hatten sie gegen die Armee Erzherzog Josef Ferdinand in der Richtung auf die Urzedowska schon einen Durchbruchsstoß versucht, der keine strategische Auswirkung gefunden und mißlungen war. Für die russische Defensive war der Durchbruch
Mackensen
bei Krasnostaw
ein arger Nackenschlag, um so mehr, als man unter dem Druck dieser Armeegruppe alles Verfügbare
nach Süden geworfen und deren Vor-
bewegung nicht zum Scheitern bringen gekonnt, die strategische Lage eher verschlimmert, als verbessert hatte . Gegen Flanken und Rücken der Armeegruppe in der Front Sokal - Kamionka - Strumilowa vorzustoßen versuchten die Russen, als es zu spät war. Der 24. Juli, ein Tag der Erfolge auf der ganzen Linie, die Russen ganz nahe schon vor die Wahl ,
stellte
die Lagerfestungsgruppe
zu verteidigen, was wirksam nur mit Operationen großen Stils möglich - oder Rückzug. Langes Schwanken, halbe Maßregeln konnten bei der doppelten Umfassung durch die Verbündeten zur Katastrophe führen.
In wenigen Tagen schon standen die verbündeten Truppen
vor den Vorstellungen,
die ,
obwohl beizeiten und
mit ungeheuren
Mitteln ausgebaut, an verschiedenen Stellen schon nachgegeben hatten . Bei gleichzeitigem Druck von Nord und Süd
waren Stellungen auf-
gegeben, da anschließende Teile der Front nicht zu halten waren . In der Linie Schadow- Rozalin , einige 20 km südwestlich Schaulen, krönte ein voller Sieg die zehntägigen,
aus Kampf und Bewegungen
bestehenden Operationen der Armee Below gegen Armee.
die V. russische
Am Narew bricht die Armee Gallwitz die Sperre in 30 km Breite bei Pultusk und Rozan und überschreitet den Narew, dem sich nördlich und südlich auch die anderen Teile der Armeen Gallwitz und Scholtz nähern , noch 30 km von einer der wichtigsten Lebensadern der russischen Armee, der Bahn Warschau - Petersburg. Von der Pilicamündung bis Kosinnie (nordwestlich Iwangorod), wo wir bald weitere Überraschungen erleben , wird der Feind über die Weichsel
164
Von Lemberg und dem Narew bis Brest- Litowsk.
zurückgedrängt,
zwischen
Weichsel
und
Bug
weichen
vor
Josef
Ferdinand die Russen auf 40 km breiter Front, drangen deutsche Truppen nördlich Grubieszow in die feindliche Stellung ein,
an den
Brückenköpfen bei Sokal auf dem rechten Bugufer scheitern russische Angriffe. Die Bedeutung der • großartigen Offensive auf 1500 km messender Front beleuchtet der militärische Kritiker des „ Bund " so, daß erkennbar die Umfassung der russischen Nordfront durch die Heeresteile
Hindenburg
immer
straffer
werde
und
ein wesentlich
anderes Gesicht trage, als im Februar-März, da der Druck der Verbündeten schon unmittelbar auf die rückwärtigen Verbindungen der Weichselfront wirke .
Nun auch von
Norden überholt,
sei
Brest-
Litowsk schon zum russischen Operationszentrum geworden, Warschau nur noch
ein bedrohter Außenposten .
Die von Nord
und Süd her
angesetzte Zange und die Wiederaufnahme der Offensive durch Woyrsch nennt der „ Bund “ eine riesenhafte, strategisch vortrefflich abgestimmte Operation. Die russische Heeresleitung werde in ihrer drangvollen Lage rasch zu entscheiden haben, ob es richtig sei, dieser Strategie zu widerstehen oder sich rückwärts zu konzentrieren. Kämpfe der Armee Below gegen Nachhuten, Überschreiten des Narew in der ganzen Front südlich Otrolenka , Annäherung an den Bug südöstlich Pultusk, Erreichen der Linie Nasielsk - Gzowo , westlich Blonie und südlich Warschau, nur noch 25 km vom Mittelpunkt, Erstürmung von drei Ortsstellungen, waren der Erfolg des 25. Juli. Am folgenden Tag finden wir Below 60 km östlich und südöstlich Schaulen, oberhalb Ostrolenka den Narew überschritten , Einschließungstruppen gegen Nord- und Westfront von Nowo-Georgiewsk vorgeschoben, südlich Cholm die Linie Woislawice -Grubieszow (am Bug erreicht, sonst, wie bis zum 30. Juli die Berichte hier dauernd lauten werden , bei der Armeegruppe Mackensen keine weitere Änderung. Blätter des neutralen Auslandes haben damals angedeutet, daß,
je länger der Kampf im Osten dauere, um so schärfer auf deutscher Seite der Gedanke hervortrete , die lange Frontlinie zu staunenswerter Umklammerung zu biegen. Aber nicht den Flügelarmeen, Below im Norden und denjenigen in Galizien, sei die Umklammerung übertragen - die Folgen werden lehren, ob diese Behauptung absolut zutrifft , vielmehr Flankendeckung der Armeen Scholtz und Gallwitz (die, gestaffelt vorgehend, doch einander deckten und auch sonst Flankenschutz an der Armee Eichhorn hatten), Prinz Leopold, Woyrsch, Erzherzog Josef Ferdinand und Mackensen , die dazu eingeschwenkt seien. Für eine Ausnützung der inneren Linie zu einem überraschenden
165
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
Durchbruch- oder Flügelstoß sei Stoßkraft der russischen Armee Vorbedingung. Zwischen dem Nordufer des unteren Bug und Narew setzt der Beginn einer Serie von Gegenstößen gegen die über den Narew gegangenen Truppen auf 50 km Front der allgemeinen Linie Goworowo (östlich Rozan) - Wyschkow- Serok (südlich Pultusk) ein, die scheitern, die deutsche Vorbewegung zwar verzögern, aber nicht aufhalten können . Damals zeichnete der „ Bund" die Lage im Osten : „Armee Below hat, die geschlagene V. Armee verfolgend , mindestens Wilna und Dünaburg als Ziele, damit die russische Zentralstellung eine Ausdehnung der Umklammerung erfahrend , die auf die Unterbrechung der rückwärtigen Verbindung 300 km vom Zentralpunkt BrestLitowsk entfernt, ausgeht.
Je heftiger sich also die Russen zwischen
Warschau und Brest wehren , je weniger sie geneigt sind, der Zange zu entrinnen, die jetzt über Kowno weit hinausgreift und mehr als einen Zahn einzuschlagen sucht, um so verzweifelter wird ihre strateWenn die Armee Below stark genug ist, eine so riesen hafte strategische Umgehung vorzunehmen, ohne selbst umfaßt zu werden, so erleben wir das gewaltigste aller Kriegsmanöver, das je
gische Lage.
in Angriff genommen ist . Atembeklemmend muß das Schauspiel für die französische und britische Heeresleitung sein, die dieses gigantische Ringen aus der Ferne verfolgen , ohnmächtig zu helfen. " Dem Rat französischer , nach dem Narewdurchbruch die Lage bedenklich ansehender Blätter, aus der Klemme von der Armee zu retten , was zu retten sei, hat der Großfürst ein dilatorisches Verfahren vorgezogen. Ehe das erste Kriegsjahr schloß, waren weitere Glieder des russischen Panzergürtels gesprengt, der stählerne Ring der verbündeten Truppen enger gezogen. Zu scharfem offensivem Schlage wieder ausholend gelangt die Armeegruppe Mackensen an des zähen Widerstandes Begründung, die Bahn Cholm - Lublin,
westlich des Wieprz wird im
Durchbruch die Linie Biskupice - Piaski erreicht, und da auch weiter westlich, nördlich Chodel, verbündete Truppen in die russischen Stellungen eindrangen, so wird westlich des Wieprz die Durchbruchsstelle
auf 25 km erweitert,
östlich
des
Flusses ,
bei
Krupa
und
Woislawice ein weiterer Durchbruch bewirkt, dessen Folge das Wanken der ganzen russischen Front zwischen Bug und Weichsel ist, die nur nördlich Grubieszow noch gehalten wird .
Der Erfolg wird gesteigert,
da die Armee Woyrsch am 29. Juli früh zwischen Radomkamündung und Kosienie an mehreren Stellen den Weichselübergang erzwungen , den ohne schwere Einbuße lichen Sturm auf Iwangorod,
an Blut und kostbarer Zeit nicht mögwohin der Heerteil Köweß durchbrach ,
vermeidend, die Räumung der Festung dabei aber nötig machend und
166
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
auch auf die Bloniestellung wirkend, faßt hat.
auf dem rechten Ufer Fuß ge-
Am 30. Juli trug der Draht die Meldung unserer Verbündeten in die Welt : „ Heute kurz nach Mittag ist unsere Kavallerie in Lublin eingerückt, " die Bahn Cholm- Lublin- Iwangorod, die Linie LublinLukow waren den Russen verloren . Fortschreiten des Angriffs bei Lomza und an der Bahn nördlich Goworowo, wo Gallwitz heftigen Widerstand gefunden, der Armee Woyrsch,
nach Abweisen
der An-
griffe russischer Verstärkungen , weiter nach Osten, Angriffe der Gruppe Mackensen überall gegen den Feind, der sich in der allgemeinen Linie Weichselufer bei Nowa-Alexandrija - nördlich Lublin ― dicht südlich Cholm wieder zu setzen versuchte,
waren die Ausbeute des
letzten Tages im ersten Kriegsjahr, dessen letzter Monat 170000 gefangene Russen, 58 erbeutete Geschütze geliefert und den amtlichen Russischen Invaliden " schon von Aufgeben Warschau- Iwangorods und Nachziehen
des Gegners wie 1812
schreiben ließ .
Am Schluß
des Tages ist die Bahn Warschau - Iwangorod durchschnitten, Cholm durchschritten , die Stellungen am Bug, die sonst im Rücken gefaßt werden könnten , sind geräumt, Iwangorod ist im Norden eingeschlossen. Hatte die russische Heeresleitung bis zum 1. August noch die Hoffnung genährt, in der allgemeinen Linie Nowa-Alexandrija— Lenczna - Zalin längeren Widerstand leisten und zwischen Narew und Bug dem Vorgehen der Armeen Scholtz und Gallwitz Halt gebieten zu können, so mußte der 2. August ihr starke Enttäuschung bereiten, das Gefühl wachrufend, daß die strategische Zange der Verbündeten ihren Druck verstärkte. Östlich Lenczna und nördlich Cholm die Linie durchbrochen und geräumt, Lencza genommen , während Woyrsch seine Brückenkopfstellung auf dem rechten Ufer erweiterte, die Bahnverbindung
Iwangorod - Lublin
bedrohte,
vor
der
Westfront
von
Iwangorod der am 1. August begonnene durchschlagende , auch 32 schwere Geschütze erbeutende Erfolg vollendet wurde, auf der Narewfront für uns günstige Gefechte vorschritten, die Armee Below über die Linie Wobolniki- Subocz vorging. Beachtenswert war der Ausblick des „Bund " in die nächste Zukunft. 99 Der bastionartige Vorsprung Cholm- Iwangorod - Warschau- Lomza - Grodno, mit dem reich entwickelten Eisenbahnnetz und seinem Zentralpunkt BrestLitowsk ist von beiden Seiten umklammert. Gelingt es, ihn einzudrücken, woran kaum noch zu zweifeln ist, so verkürzt sich die Angriffsfront der Verbündeten derart, daß sie von Dnjestr und ZlotaLipa im Süden nach Riga im Norden eine gerade Linie bildet . Es ist natürlich ein Leichtes , die Weichselfestungen nach Räumung durch die Russen umzubauen und ihre Front nach Osten zu kehren . Selbst
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk. wenn wir annehmen,
daß die Verbündeten
167
nicht über die genannte
Linie zu folgen gedenken , erreichen sie, was sie nicht besaßen , eine gesicherte, weit in feindliches Gebiet vorgeschobene Militärgrenze , die sie mit bedeutend geringeren Kräften halten und hinter der sie die Industriezentren und die weiten Ackerfluren Kurland-Polens ausnutzen können. Der strategische Rückzug muß die Russen hinter BrestLitowsk führen, wo sie mit Verlust von unzähligen Streitern und Daß ihre Offensivkraft für viele Geschützen anlangen werden . Monate, wenn nicht für immer gebrochen ist , läßt sich kaum bezweifeln. Gelingt also den Verbündeten die Einkreisung nicht - was von vornherein nur möglich war, wenn die Russen den Moment des Abzuges verpaẞten , oder, fatalistisch , zwischen Warschau und Lublin stehen blieben -, so ist doch der strategische Erfolg auf ihrer Seite. " Ein Blick auf die Ausgangsfront der währenden allgemeinen Offensive und die am 4. August, nicht ganz drei Wochen später, erreichte, spricht deutlich genug : Von Libau nach Tukkum - Mitau , von westlich Schaulen bis östlich Ponewesch, bis zur Gegend von Kupischki, über die Dubissa und dicht an die Vorwerke von Kowno , bei Ossowiecz noch auf dem diesseitigen Bobrufer, über den Narew, auch schon bei Ostrolenka, hinaus, Nowo - Georgiewsk schon dicht eingeschlossen, bei Warschau die Front durch die Heeresgruppe Prinz Leopold schon in die Bloniestellung hineingetragen, der Gegner in die äußere Fortlinie geworfen, zwischen den beiden großen Festungen , die Weichsel durch die Armee Woyrsch überschritten und der Angriff nach Osten kräftig vorschreitend, die Verbindung mit Warschau zerrissen, bei Iwangorod die Westseite bis zur Weichsel schon in der Hand unserer Verbündeten, die Weichsellinie bereits schwankend. dank dem Druck von Süden kaum noch lange haltbar, bei Lenczna nördlich Cholm, wie westlich des Bug, der Gegner eben er-
und,
neut geschlagen , die hochwichtige Bahn Cholm -Lublin - Iwangorod schon weit im Rücken, bei Sokal und Wladimir - Wolhynsk die Ver bündeten in Vormarsch. Und derselbe Tag schob die umklammernde Front nicht nur näher an den Feind , er faßte ihn mit starkem Daumendruck an die Kehle. Die Einnahme von Warschau mit stürmender Hand und von Iwangorod , den Verlust der ganzen Weichsellinie bis auf Nowo Georgiewsk wird die Kriegsgeschichte mit seinem Datum in ihre Ruhmesblätter eintragen, wie auf dem äußersten linken Flügel in Kurland und Samogitien schwere Niederlagen russischer Kavallerie, auf dem rechten Ufer des Bug das Einrücken deutscher Kavallerie in Wladimir-Wolhynsk, zwischen Bug und Narew das weitere Vordringen gegen die Straße Lomza -Ostrow- Wyszkow und das Scheitern aller russischen Gegenstöße .
168
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
Neue Saat der Operationen in vorbereitetem Boden hatten die verbündeten Heeresleitungen in dem Einschwenken nach Norden nach dem Falle von Lemberg und in der am 14. Juli begonnenen allgemeinen gleichzeitigen Offensive
gestreut
sie war schon
üppig
aufgegangen und sollte bald zur Reife gedeihen. Mit vollem Recht - und dabei mit einem großen Maße von Bescheidenheit - durfte die oberste Heeresleitung unserer Donau-
verbündeten in ihrem Tagesberichte schreiben : „ Die lange Reihe von Erfolgen, die die Verbündeten seit der Maischlacht am Dunajec in Galizien, Süd- und Nordpolen, und in den Ostseeprovinzen errungen, wurde durch die Einnahme von Warschau - Iwangorod gekrönt — im Lager unserer Feinde aber mußte man zähneknirschend eingestehen , daß die Lage kritisch geworden sei. " „Nach unserer Auffassung war das Zurücknehmen der russischen Linie auf den Bug schon lange geboten . Erfolgt ist es erst im allerletzten Augenblick, nachdem umfassende Vorbereitungen getroffen waren. Wenn damit Warschau und Iwangorod geräumt und nicht verteidigt wurden,
so läßt
sich daraus erkennen, daß
die Russen
nicht mehr genügend Streitkräfte besaßen, um eine Armee (eine solche ging aber doch später in Nowo Georgiewsk verloren ! ) in Festungsbesatzungen festzulegen und daß sie nicht mehr darauf rechnen konnten, die Offensive in einer Frist wieder aufzunehmen , die den Entsatz gestattet hätte . Diese Schlüsse sind zur Beurteilung der Kriegslage wichtig
und
in
diesem
Lichte betrachtet gewinnt die
Räumung von Warschau ein anderes Aussehen , als ihr von russischer Seite gegeben wird . Die Preisgabe von Warschau bewies, daß Rußland keine Armee mehr zu verschwenden hat und daß es gezwungen ist,
sein Heer hinter den Bug und vielleicht viel weiter
zuführen,
um es überhaupt,
zurück-
wenn auch unter schweren Verlusten,
vor dem Verderben zu retten. Der Einzug der Deutschen in die polnische Hauptstadt ist gleichbedeutend mit dem Verzicht Rußlands auf die Wiederherstellung der strategischen Lage, und zwar bis zu einem Grade, der keineWiederaufnahme der Offensive erlaubt. " („ Bund “ .) Am 6. August konnte der Rückzug der Russen über die 60 km östlich Ponewesch fließende Jara, 73 km von Dünaburg, die weitere Annäherung an die Hauptbahnlinie Petersburg -Warschau, das Brechen des russischen Widerstandes auf allen Fronten zwischen Lomza und Bugmündung durch die Armeen Gallwitz und Scholtz nach heftigen Kämpfen, das Durchdringen der Einschließungstruppen vor NowoGeorgiewsk, wo Fort Dembe genommen wurde, bis zum Narew, südlich der Weichsel bis Pienkow gebucht werden, während die Russen von Praga mit seinen zerstörten Brücken Warschau weiter beschossen und
169
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
zwischen Weichsel und Bug bei nordöstlich Lenczna
Lubartow ihre Stellung gestürmt,
die See- Engen erreicht sahen.
Über die Straße Lomza-Ostrow - Wyschkow und nach Serock am Bug, in die Befestigungen von Segrcze bei Warschau, auf das östliche Weichselufer zwischen Bug und Weichsel, über Lubartow- Miechow an den Wierpz, über den die Russen schon wichen, führte am 7. August der Zug der Offensive. Bald war auch von Praga der Vormarsch nach Osten angetreten, die Straße Warschau - Lublin nach Osten , der Wierpz nach Osten und Nordosten überschritten, am 8. August setzte das Feuer gegen die Festung Kowno ein , deren Vorfeld zum Heranbringen der Artillerie vom 6. August ab gesäubert worden war. Am 9. August fiel mit Lomza eine der letzten Stützen der Narewfront , die Heeresgruppe Prinz Leopold erreichte östlich Warschau die Straße Stanislaw - Nowo -Minsk, Woyrsch die Gegend nördlich und östlich von Zelechow, wo Anschluß an den linken Flügel der Heeresgruppe Mackensen gewonnen wurde, die auf der Front Ostrow bis zum Bug die Nachhuten auf die Haupttruppen zurückwarfen. In neun August tagen hatte der Gegner rund 60000 Gefangene verloren. Die eilige Verfolgung, die die Gruppe Prinz Leopold am 10. August mit dem rechten Flügel nach Jedlanka (östlich Lukow), mit dem linken nach Kaluszyn führt, ließ die Biegsamkeit der Direktiven für die Operationen erproben. Die Armeen Gallwitz und Scholtz, von denen erstere, in südöstlicher Richtung ihre Operationen fortsetzend , sonst, statt in die Flanke des weichenden Gegners, auf den linken Flügel der Gruppe Prinz Leopold gestoßen wäre , erhielten eine östliche Richtung über das erstürmte Zamborow, nördlich und Andrzejewo südlich , Scholtz nahm den Brückenkopf von Wizna und warf südlich des Narew den Gegner über den Gacfluß. Prinz Leopold überschritt
den Muchawa-Abschnitt und nahm den
wichtigen Bahnknotenpunkt Lukow, vor der Heeresgruppe Mackensen , die in zäh verteidigte Stellungen eingedrungen, hatten die Russen in der Nacht vom 12. August auf der ganzen Front von Parczew bis zum Bug den Rückzug angetreten. Am folgenden Tage hier fortgesetzte Verfolgung, die Gruppe Prinz Leopold gelangt über Sokolow und das durchschrittene Siedlec , wieder einen Eisenbahnknotenpunkt Liwiec-Abschnitt,
südlich Mordy,
von höchstem Werte, an
zwischen
Bug und
den
Narew, trotz
ununterbrochener Kämpfe gegen herangeführte russische Verstärkungen und Notwendigkeit, immer neue Abschnitte zu nehmen, unausgesetztes Vorwärtskommen. An diesem
oder
dem
folgenden
Tage
schrieb die
Wremja" , was bei uns erst später bekannt geworden, Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 529.
„ Nowoje-
über die zu 13
170
Von Lemberg und dem Narew bis Brest -Litowsk.
erwartenden Operationen : Das Hauptziel des Feindes ist, es zu verhindern, daß unsere Aufstellung in der Position , auf die wir weichen und in der die entscheidende Schlacht geliefert werden soll , stattfindet. Infolgedessen versucht der Feind, seine rechte Flanke in eine Linie mit seinen beiden Heeren der linken Flanke zu bringen. Letztere Heere unter v. Gallwitz und Scholtz üben einen Druck in der Richtung auf Bialystok aus, um den südlichen Gruppen die Annäherung an den Bug zu erleichtern . Deshalb versucht Gallwitz die Übergänge über den Nurec in die Hand zu bekommen, mit dem Zweck, die anderen Heere in den Stand zu setzen, ungefähr zwischen Drohiczyn und Janow, nordwestlich Brest66 Litowsk, über den Bug zu dringen . Wir werden sehen, inwieweit die Voraussage der „ Nowoje Wremja “ , die hinzufügte, „ die Demoralisation des deutschen Heeres werde diese Ziele nicht erreichen lassen " , eingetroffen ist . „Nördlich des Njemen ", so lautete der Bericht der
Obersten
Heeresleitung am 14. August, und in der Gegend von Alesow— Kupischki -Wershinty und Kowarcz (wo, wie wir heute wissen, der Gegner umfassend wahrscheinlich über Dünaburg von der Armee Ruszky eingetroffene Verstärkungen einsetzte, um die nördlich Kowno ohne Erfolg), entvorgehenden deutschen Linien zu durchbrechen wickelte sich (vier Tage
nun eine Reihe
von Kämpfen.
vor dem Fallen der Festung,
Vor Kowno
nahmen
deren Umzug man sich
immer mehr näherte), unsere Angriffstruppen den befestigten Wald Zwischen Narew und Bug erreichten unsere von Dominikanka. Truppen im steten Nachdrängen den Slino- und Nurec-Abschnitt, wo der Gegner
zu neuem Widerstand Halt gemacht hatte .
von Nowo-Georgiewsk wurde eine starke Vorstellung
Im Norden
erstürmt.
Die
verbündeten Truppen der Heeresgruppe Prinz Leopold näherten sich dem Bug nordöstlich Sokolow, westlich der Linie Losice - Miendrzyczec suchte der Feind (der die Gefahr der Bewegungen namentlich des linken Flügels erkannte), durch hartnäckige Gegenstöße die Verfolgung zum Stehen zu
bringen .
Alle Angriffe
wurden abgeschlagen.
Die
Heeresgruppe Mackensen überschritt hinter dem am 10. und 11. August geschlagenen Feinde die Straße Radzyn - Dawidy - Wlodawa. Durch einen kräftigen Schlag der Armee von Below im Raum von Kupischki am 15. August nach Norden geworfen, ließen die Russen wieder einige 1000 Gefangene in deren Hand , einem abgeschlagenen Ausfall aus Kowno auf dem Fuße folgend,
schoben sich die Einschließungs-
truppen wieder näher an die Festung heran. Nurec- Übergang erzwungen.
Am Abend war der
Von der Durchbruchsstelle ausgehend , wich der Gegner aus seinen
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk. Stellungen vom Narew bis zum Bug,
171
hatte die Heeresgruppe Prinz
Leopold bei und nördlich Losice und zwischen Losice und Miendrzyczec zäh verteidigte Stellungen durchbrochen, in der Nacht den Übergang über den Bug mit dem linken Flügel bei Drohiczyn erzwungen . Feindlichen Versuchen, am 14. August in die an diese anschließende, nach Südwesten gekehrte Linie Rosanka - Slawiatycse der Heeresgruppe Mackensen Widerstand zu leisten, war am 15. August der Rückzug gefolgt, östlich von Wlodawa drangen Truppen der Armee Linsingen auf dem Ostufer des Bug vor, die Armee Josef Ferdinand machte Fortschritte und war nur noch rund 50 km von Brest-Litowsk entfernt. Die auf das Nordufer des Bug übergegangenen Teile der Russen wurden von dem nordöstlich Sokolow dem Flusse sich nähernden Bayern in Flanke und Rücken bedroht. Zeit zur Umgruppierung würde den Russen wohl kaum gelassen werden. Am 17. wurden aus der „ Petersburger Telegraphen-Agentur" die Sätze bekannt : Die deutsche Armee nähert sich dem Hauptgebiete des russischen Widerstandes. Es ist durchaus klar , daß das russische Oberkommando keineswegs daran denkt , Kowno zu räumen. “ Am 17. August konnte die Oberste Heeresleitung die Einnahme eines großen Forts und von zwei Zwischenwerken auf der Nordostfront von Nowo -Georgiewsk mit stürmender Hand , das Zurückwerfen des Gegners auf allen übrigen Festungsfronten, 2400 Gefangene, 19 erbeutete Geschütze melden, bei Kowno die Erstürmung der zwischen Njemen und Jesia gelegenen Forts und Zwischenwerke der Südwestfront, 4500 Russen und 240 Geschütze als Beute. In der Nacht zum 18. August war der rechte Eckpfeiler der Njemenverteidigung mit mehr als 800 Geschützen - als Zeugen der
Absicht zäher
Verteidigung
der Schlüssel
zur Pforte nach Wilna , der wichtigste Knotenpunkt der Eisenbahnen im ganzen Nordwestgebiet , gefallen ,
freie Bahn für das Vor-
gehen der Hauptteile der Armee Eichhorn, deren Druck von Norden und Westen auf die übrige Njemen- und Bobrfront in kürzester Zeit merkbar werden mußte, nach Osten geschaffen , die sie sofort betrat, die Armee Below von Rücksichten auf Schutz der linken Flanke der Njemenfront befreit und der Besorgnis für die eigene rechte Flanke von Tag zu Tag mehr enthoben, je weiter die Armee Eichhorn nach Osten vorschritt. von
Der Fall von Kowno und der unmittelbar folgende
Nowo-Georgiewsk
mußte
die
Aufgabe
des
unverkennbar
dauernd verstärkten russischen rechten Flügels zweifellos etwas geändert und eine Neuordnung der Lage nötig gemacht haben . Der rechte Flügel der Armee Below war Minsk schon näher als alle 13*
172
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
russischen,
noch an der Linie
Bialystok-Brest-Litowsk stehenden
Truppen, der eiserne Vorhang Kowno - Grodno- Ossowiecz, hinter dem sich die Riesenbewegung des russischen Rückzugs gesichert vollziehen sollte, hatte einen starken Riß erhalten. Sowohl der Widerstand, den Kowno geboten, als die versuchte russische Gegenoffensive in der Linie Alesow- Kupisehki - Weshinty - Kowarz gegen Teile der Armee Below hatten
die Besorgnisse der Russen um
die
nördliche
Flanke ihres im großen und ganzen zwischen den Bahnlinien Bialystok - Wilna und Brest-Litowsk - Minsk liegenden Rückzugsraums deutlich genug verraten. Als am folgenden Tage zwei weitere Forts von Nowo-Georgiewsk erstürmt wurden , durfte die russische Heeresleitung sich sagen , daß das Drama sich hier seinem Ende nähere , bei Brestöstlich von Wlodawa unsere Truppen über die Bahn Cholm- Brest-Litowsk nach Osten vordrangen, die Heeresgruppe Mackensen den Gegner über den Bug und in die VorWährend
Litowsk aber beginne.
stellungen der Festung hineingeworfen , die Heeresgruppe Prinz Leopold mit dem rechten Flügel das Bugufer erreichte, mit dem linken am Kamionka-Abschnitt und bei Fürstendorf am Bug den Gegner über die Abschnitte trieb, waren die Armeen Gallwitz und Scholtz im Vormarsch gegen
die
Bahn
Bielsk - Bialystok.
Der
letztgenannte
Knotenpunkt der Warschau - Grodno - Wilnabahn, die weiter südwestlich schon durchbrochen, die große Bahnlinie Königsberg -LyckOssowiec-Brest-Litowsk und die Bahn überWolkowisk - BaranowitschiMinsk
noch durch
den
starken
Brückenkopf von
Tykocin
(von
den Truppen der Armee Scholtz schon eingeschlossen), geschützt. Sehr beachtenswerte Truppenmengen hatten die Russen in dieser Bialystok zunächst gelegenen , mit allen neuzeitlichen Mitteln verstärkten Sperre, deren Schicksal mit dem des monatelang verteidigten, mit Tykocin- Wizna ein Dreieck bildenden Ossowiecz eng verknüpft war, eingesetzt, um den deutschen Ansturm von Westen abzuweisen und in dem mit Seen und Sümpfen ausgefüllten Raum den zähesten Widerstand geleistet. Wirft man einen Blick auf die Lage, so mußte der Durchbruch der Armee Gallwitz am Nurec, die rücksichtslose Verfolgung durch die Heeresgruppe Prinz Leopold , deren linker Flügel schon den Fluß überschritten, die Russen allein schon zum Rückzug hinter die Linie Bialystok-Brest-Litowsk zwingen , einen Versuch, die Linie Dünaburg-Bialystok-Brest-Litowsk zu halten, für die Russen wenig aussichtsreich gestalten. Ein Halten am Bug wurde durch die vor dringende Armee Gallwitz bedroht, die vorstehende Ecke Ossowiec war gegen Druck von Norden und Süden kaum lange zu verteidigen
Von Lemberg und dem Narew bis Brest -Litowsk.
173
und vom Heerteil Mackensen war zu erwarten, daß er , trotz BrestLitowsk, von Westen,
und
mit den auf dem rechten Bugufer vor-
gehenden Truppen Linsingens von Süden den linken Flügel eindrücken werde. Das Vorgehen auf dem Ostufer des Bug schob schon eine trennende Schranke, die beim Weichen der Russen von Brest durch die Sumpfregion noch unübersteigbarer werden
mußte,
zwischen Zentralarmee
und Südtruppe und die weitere Absplitterung einer dritten Gruppe von der erstgenannten war schon der Vollendung nahe. Die „ katastrophale Woche " , wie selbst „ Morningpost " die mit dem 22. August abschließende genannt hat, war noch nicht zu Ende. Am
19.
August konnte
der
Tagesbericht
die
Räumung der
russischen Stellungen gegenüber Kalwarija - Suwalki unter dem Druck der Einnahme von Kowno, Erstreiten des Narew- Übergangs westlich Tykocin, Erreichen der Bahn Bialystok- Brest-Litowsk nördlich Bialystok durch die Armee Gallwitz, Überwinden des Wkra-Abschnitt und Erstürmung zweier Forts der Nordseite von Nowo-Georgiewsk, Treiben des Feindes durch den linken Flügel der Heeresgruppe Prinz Leopold und Vorbrechen des
rechten Flügels
über
den
Bug,
Werfen
des
Gegners aus starken Stellungen und Fortschreiten nach Osten, Erzwingen des Bugübergangs zwischen Niemierow und Janow durch rechts eindrehende Truppen der Heeresgruppe Mackensen, Eindringen deutscher Truppen südöstlich Janow, bei Rokitno, in die Vorstellungen von Brest-Litowsk, östlich von Losawa die Verfolgung des geschlagenen Feindes , der auch unter- und oberhalb Wlodawa das östliche Bugufer räumte , melden . Wir wissen heute, daß es Truppen Linsingens sind , die hier - im Verein mit dem später erfolgten Vorstoß über Kowel nicht nur die Trennung der Zentralarmee von der Südgruppe sichern , sondern auch die rückwärtigen Verbindungen von Brest - Litowsk bedrohen ,
wie weiter nördlich.
durch die Besetzung der Bahn nach Bialystok schon Dreiteilung erreicht wurde .
die
In die katastrophale Woche " rechnet vor allem auch das Fallen des letzten Haltes des Feindes an der Weichsel, das der Tagesbericht vom 20. August melden konnte : 85000 Gefangene, darunter 6 Generale, über 700 ,
zum Teil von Warschau geborgene Geschütze, waren die Beute der weitgehendsten strategische Bedeutung gewinnenden Kapitulation der letzten Feste an diesem Strome. Starke Belagerungs-
truppen und ihre Parks wurden für neue Aufgaben frei , das ganze Eisenbahnnetz hinter unserer Front konnte restlos unseren Zwecken dienstbar gemacht unserem Besitz.
werden,
der ganze Lauf der Weichsel war
in
Anzeichen für die beginnende Räumung des ganzen Njemenufers
174
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
war ein Zurückgehen von der Dawina bis zur Straße AugustowoGrodno , weiteres Vordringen der Heeresgruppe Prinz Leopold und Werfen des Feindes hinter den Koterka- und Pulwa-Abschnitt, südwestlich von Wisocki-Litowsk durch den linken Flügel der Heeresgruppe Mackensen waren als weiteres „ Haben " desselben Tages einzutragen.
Östlich
von Wlodawa
wurde in scharfer Verfolgung die
Gegend von Piszcza erreicht. Schon knüpften die „ Times " an das Schicksal von Brest das des ganzen Feldzuges, den sie mit dem Falle der Festung
als
für dieses Jahr verloren
gehend
bezeichnete.
Der
Bericht unserer Verbündeten stellt das regellose Zusammendrängen beträchtlicher Teile mehrerer russischer Armeen im Bereich der Festung und das schwierige Abfließen der Truppen und Trains nach Nordost als den Grund des russischerseits im Westen der Festung noch geleisteten zähen Widerstandes fest, der aber doch die Einnahme einiger Vorfeldstellungen nicht hinderte.
durch
den
Nordflügel
der
Einschließungstruppen
Flottenteile drangen am 20. August in den Meerbusen von Riga ein, südlich räumten die Russen die Jesiastellung, bei Tykocin Fortsetzung der Kämpfe, Werfen der Russen südlich Bielsk über die Biala, Brechen feindlichen Widerstandes, Drängen zum Rückzug durch die Heeresgruppen Prinz Leopold ,
Abbauen
des Gegners auch
vor
dem linken Flügel der Heeresgruppe Mackensen . Das war an dem Tage, an dem nicht Schrecken , nicht Bestürzung, sondern nur Neugierde weckend, Italien der Türkei den Krieg erklärte . Während die Armee Eichhorn am 21. August östlich und südlich Kowno vorwärts geht, die Armee Gallwitz südlich des Narew die Eisenbahn Bialystok— Brest-Litowsk hinter sich bringt, die Heeresgruppe Prinz Leopold in siegreichen Gefechten die Eisenbahn Kleszely -Wisoko-Litowsk überschreitet und den Gegner aus mehreren Stellungen wirft, die Heeresgruppe Mackensen an den Abschnitten der Koterka und Pulwa, wie am Bug Bodengewinn
zu verzeichnen hat,
dauern nordwestlich von
Piszcza , nordöstlich von Wlodawa, die Kämpfe fort, da der Gegner die von hier drohende Gefahr augenscheinlich erkannt hat. Die Trennung der Zentralarmee von der Nordgruppe war bewirkt, wie das Vorgehen der Linsingenschen Truppen nördlich von Wlodawa und der später erfolgende Stoß auf Kowel auch den dünnen Verbindungsfaden zwischen Zentralarmee und Südgruppe zerrissen. Die früher 1500 km messende Front der Verbündeten hat sich , obwohl von der Ostsee bis zur bessarabischen Grenze reichend , um 400 km verkürzt.
Das war die Ausbeute der „ kata-
strophalen Woche " . Ehe die folgende zu Ende, sollte als Krönung der Operationen gegen die starke Bugfestung und ihre anschließenden
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
175
Truppenfronten die Hauptkatastrophe eintreten. Der Fall von Ossowiecz für den ungestörten Ausbau unserer rückwärtigen Verbindungen wertvoll , bildete den Auftakt, südlich und östlich Kowno ging es vorwärts, Tykocin wurde genommen, nördlich Bielsk miẞlangen russische Vorstöße, Linie
die den Ausweg
Kleszely — Rjasna
nach Nordosten
(bei
ermöglichen sollten ,
Wisoko- Litowsk)
wurde
die
überschritten ,
auch die Front Rjasna und Pulwa-Abschnitt bis zur Mündung überwunden, (der Tagesbericht unserer Verbündeten betont besonders die Zähigkeit, mit der die Russen hier jeden Fußbreit Boden in vorbereiteten Stellungen , mit angelegten Schanzen, sowie befestigten Dörfern, besonders auch Teile des russischen Grenadierkorps, verteidigten, um eine Umfassung zu verhindern), beiderseits des Witjazsees und bei Piczcza trieben.
der Gegner geschlagen und nach Norden ge-
Das Zurückfluten der Russen durch das Sumpfgebiet südöstlich Brest, das Vorbrechen verbündeter Reiterei gegen die kürzeste rück wärtige Verbindung der Russen nach Osten, haben zweifellos einen der Faktoren des Entschlusses gebildet, Brest-Litowsk eher zu räumen, als man zuerst geplant hat. Es war der östliche Zahn der umfassenden Zange, der für die russische Zentralarmee fühlbar sich jetzt auch von Süden einschlug. Östlich und südlich von Kowno fortschreitende Kämpfe , nordöstlich von den Kleczeler Höhen Werfen des Gegners und Verfolgung bis an den Rand der urwaldähnlichen Bialowiesker Forst.
Verfolgen des Gegners über die Pulwa und süd-
lich der Pulwamündung, Erstürmung der Höhe bei Kopytow, westlich Brest, von wo schon die Vorfeldstellungen durch mittlere Kaliber erreicht werden können . Nachhauen gegen den geworfenen Gegner durch
die
nordöstlich Wlodawa das Sumpfgebiet durchschreitenden
Truppen meldet der Bericht als Ausbeute des 23. August . Kavallerie der Verbündeten von der Armee Puhallo schlug durch die Besetzung von Kowel einen weiteren Trennungspfahl zwischen umklammerter Zentralarmee und Südgruppe ein. Die Bahnen nach Brest-Litowsk, in das Wolhynische Festungsdreieck,
nach Cholm und
Wladimir-Wolhynsk sind den Russen verloren gegangen, die nach Kiew ist durchschnitten . Das Ziel der Abtrennung der südöstlichen russischen Front an Zlota - Lipa und dem Dnjester von der Hauptfront auf der allgemeinen Linie BialystokBrest - Litowsk war vollkommen bewirkt. Am Abend des 24. August hatte sich die Armee Eichhorn weiter nach Osten geschoben, Scholtz die Berezowska nordöstlich Tykocin erreicht, Knyszyn genommen, südlich Tykocin den Narew überschritten , die Armee Gallwitz an der Straße Sokoly-Bialystok den Narew über-
176
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
wunden und war mit dem rechten Flügel
nach Werfen des Gegners
an die Orlanka gelangt , Prinz Leopold den Gegner in den BialowieskerForst und südlich in die Gegend Wierchowicze geworfen , die Gruppe Mackensen hatte hinter dem geschlagenen Feinde sich den Höhen auf dem Westufer der Leszna (nördlich von Brest) genähert, auf der Südwestfront der Festung, bei Dohynka, die Vorfeldstellungen durch brochen, Linsingen auf dem Ostufer des Bug den Feind weiter nordwärts gedrückt.
Bialystok war in greifbarer Nähe der deutschen Front.
Früher als der Tagesbericht, der bei Bausk und Schönberg an der Memel und Aa (südöstlich Mitau) begonnene und auch am 26. noch fortdauernde Kämpfe , Rückwärtsbewegung des Gegners bei dem geräumt gefundenen Olita auf den Njemen, Gewinnung von Bialystok, Zurückwerfen des Gegners von der Orlanka, nördlich und südöstlich von Bielsk, Verfolgung durch die Gruppe Prinz Leopold und Fallen der Festung Brest - Litowsk (nachdem am 23. August zwei Forts der Westfront durch
das Korps Arz ,
die Werke der Nordwestfront
und das Kernwerk durch das XXII . Reservekorps genommen) meldete , lief schon die , einen Wendepunkt des Feldzuges bedeutende , amtliche Nachricht von der Freigabe der Festung durch den Gegner ein. In drei Wochen der entscheidende Schlag, der den Kern der Weichsel- und
Bug-Linie in die Hände der Ver-
bündeten lieferte , den ganzen Verteidigungsplan umwarf , die Operationen krönte , die dem Gegner Verluste denen einer Riesenschlacht zufügten .
gleich
Am Vorabend des Jahrestages der von dem heute unbestrittenen Meister der Kriegskunst, Feldmarschall von Hindenburg, auf der inneren Linie gewonnenen Umfassungsschlacht von Tannenberg, Fall des letzten und stärksten Bollwerks in Russisch-Polen, der vielgepriesenen zweiten Verteidigungslinie, in der die Russen amtlich die Entscheidungsschlacht angekündigt . nicht nur sondern auch Trennung der russischen Streitkräfte in drei in äußerer Gliederung und innerem Halt erschütterte Gruppen , von russischer Stoßkraft wohl keine Rede mehr, die Widerstandskraft stark zermürbt. Die Beute von Brest-Litowsk kennen wir heute noch nicht, daß die Russen die Stadt angezündet, ist uns gemeldet. In rastloser Verfolgung der Zentralarmee läuft die Linie der Verbündeten heute (29. August) über Dombrowo - Gorodek-Narewka-Abschnitt (östlich der Stadt Narew) über Szereschowa -Poddobno-Trebli- Koryn, östlich dessen der Gegner sich zum Rückzuge in Marschkolonnen einfädeln muß, was sicher nicht ohne schwere verlustreiche Nachhutkämpfe gelingen wird. Gegen die Straße und die Bahn nach Pinsk vorgehende verbündete Kavallerie hat schon eine den Schutz der südlichen Flanke
Von Lemberg und dem Narew bis Brest-Litowsk.
177
des weichenden Gegners übernehmende Kavalleriedivision bei Samary geworfen.
Östlich von Wladimir-Wolhynsk drängte die Armee Puhallo
in größeren Kämpfen den Gegner in die Richtung auf die Festung Luzk und die bisher defensiv verfahrenen Heerteile an Bug und Zlota - Lipa haben zum Bewegungskrieg übergehend und mit dem rechten Flügel beginnend , in kühner Offensive die russische Stellung an der Zlota - Lipa an mehreren bis zu 30 km breiten Stellen durchbrochen und auf dem Ehrenfelde der ersten Schlacht
von Lemberg den Gegner über die Linie
Pomorcany-
Koninchy - Kozowa und hinter den Koropiez-Abschnitt geworfen . Von der Nordgruppe hat die Armee Below, nach eigenem russischen Eingeständnis, von der Bahn Kreuzburg - Mitau über SchönbergBausk― Radziwilski ,
nahe der Aa - Swiatosza ,
nördlich der Swieta,
60 km südöstlich Ponewesch (ein Beweis für die Frontbreite ,
in di
die Armee Russky und die V. der Armee Below auch durch Angriffsstöße Widerstand zu leisten versuchen) zurückgedrängt. Die Armee Eichhorn verfolgt südöstlich Kowno nach hartnäckigen Kämpfen geworfene Russen, am Njemen ist nur noch Grodno in russischen Händen . Gorlice-Tarnow hat südlich der Weichsel den Bewegungskrieg wieder zu seinem Rechte gebracht, am 22. Juni Fall von Lemberg, am 14. Juli , nachdem die Armeegruppe Mackensen im Rücken der Weichselfront genügend Boden gewonnen, Einsetzen der allgemeinen Offensive von Kurland bis zum linken Bugufer , 24. Juli Sieg über die russische V. Armee . Durchbrechen der Narewsperre auf 30 km Breite , 30. und 31. Juli Erzwingen des Weichselübergangs durch die Armee Woyrsch, 4. August Fall von Warschau und Iwangorod . das sind 21. August von Kowno, 26. August von Brest-Litowsk die Marksteine der gewaltigen strategischen Operationen , die , planmäßig verlaufend , in 100 Tagen Galizien und Polen von den Russen reinfegten , die 1500 km spannende Front auf die Hälfte verkürzten , ein außen und innen erschütterter Gegner, der Millionen von Menschen, die Heere, auf die unsere Offensive gestoßen , einmal in voller Vernichtung, sein Kaderpersonal und unersetzbares Kriegsmaterial, 12 Festungen , darunter 4 moderne große, die äußere und innere Sicherungslinie des Reiches, verloren, der höchstens im Raume Walk mit einer Nordgruppe, Minsk- Mohilew-Bobruisk mit einer Zentralarmee und im Raume von Kiew mit einer Südgruppe eine feste Anlehnung finden könnte, bei dem aber auf eine neue Offensize nicht mehr zu rechnen ist. Die Verbündeten aber , so konnte der Reichskanzler im Reichstag aussprechen , haben starke Armeen für die Erfüllung neuer Aufgaben zur Verfügung.
178
Zeitgemäße Befestigungsfragen.
XVI. Zeitgemässe Befestigungsfragen. Von
Woelki, Oberst z. D.
( Schluß. ) Auf ein anderes Bedürfnis
weist
das
kräftige Beispiel von Port Arthur hin.
auch sonst noch beweis-
Wie hätten wohl die Russen
den Besitz jener Außenstation anders sichern können, wie durch eine Soweit man solche Belege zugehörige u. z . ständige Befestigung ! gelten lassen will und nicht
mit
vorgefaßter Meinung herantritt !
Wie denn auch die Verteidigung von
Port Arthur sowohl als eine
Heldentat gepriesen , wie als Mißerfolg angesehen ist, soweit, daß den Verteidigern gröbliche Pflichtverlelzung zur Last gelegt wurde ! Das beweist doch nur, daß ein sachverständiges Urteil auf diesem Gebiet nicht so ohne weiteres vorhanden noch zu erlangen ist, und daß dafür leicht äußere werden.
Umstände
mächtig
und
bloße
Erfolge
entscheidend
Als immerhin genügend erwiesene, lehrreiche Tatsachen aus
der beregten werden :
Verteidigung
sollten
im
besondern
nicht
vergessen
Die Anlage der Festung gelangte nicht nach dem Plan der fachwissenschaftlich Sachverständigen zur Ausführung, weil sie als zu Sie wurde also in jeder Beausgedehnt und teuer erklärt wurde. ziehung verringert, dafür aber ein Handelshafen in ihrer Nähe und - zu ihrem Nachteil - angelegt ! Im besondern begründete man die Ermäßigung der passiven Widerstandskraft mit den zeitigen Angriffsmitteln , die dem in Frage kommenden Gegner zu Gebote ständen. Dieser hatte denn aber nichts eiligeres zu tun, als sich gerade für diesen Zweck Geschütze u. z. so schwer zu beschaffen, wie sie überhaupt noch nicht vorhanden gewesen. Die Verteidigung kam denn weiter noch von vornherein in Nachteil dadurch, daß sie noch nicht halb fertig, zum weit größerem Teil als geplant , durch Armierungsarbeiten vervollständigt werden mußte. Andere wesentliche Umstände, darunter nicht unerhebliche Fehler der Verteidigung, wie auch, und
Todesverachtung
daß der Angreifer
verschiedene
ihm
trotz
günstige
aller Bravour Momente
nicht
gehörig ausgenutzt hat bzw. durch Mangel an Kräften daran verhindert gewesen ist, mögen noch außer Ansatz bleiben ; trotzdem unterliegt es bei allen Urteilsfähigen
wohl keinem Zweifel,
daß die
Besatzung der Festung auch nicht annähernd das hätte leisten können,
179
Zeitgemäße Befestigungsfragen.
was sie getan, wenn sie nur feldmäßig oder provisorisch ausgebaut gewesen, wie ,
daß sie ungleich länger sich behauptet hätte,
wenn
wenigstens die entworfenen ständigen Befestigungsanlagen rechtzeitig und vollständig fertig gewesen wären .
Welche Folgen hätte im besondern nur eine stärkere Befestigung des Hohenberges, als sie feldmäßig eben noch möglich geworden, haben müssen ! Dessen Verlust bekanntlich den Fall der Festung nach sich zog . Dieser Punkt bot eben nach Gestalt und Beschaffeneine besonders günstige Gelegenheit, um mit verhältnismäßig wenig Aufwand von Arbeit und Kosten soviel an Unterkunft und Sturmsicherheit zu schaffen, daß es nicht abzusehen ist , wie es dem
heit
Angreifer und seinen Mitteln hätte möglich werden sollen, damit verstärkten Posten zu überwältigen .
den nur
Und dazu vergegenwärtige man sich noch den Armierungsausbau der eigentlichen Angriffs-(Ost-)Front ! Wo das unruhige Vorgelände zur Anlage von kleinen Einzelwerken ( Redouten) geführt hatte , zum
nachhaltigen Widerstande
heutzutage völlig ungeeignet,
beim ersten Sturm verloren gingen
die
schon
und nur ein Festsetzen des An-
greifers in der Linie der Hauptstellung begünstigten ! Nun waren wohl die Geländeverhältnisse dieser Front besonders ungünstig. Aber solche schwachen Stellen
finden
sich
regelmäßig in jeder größeren
Stellung. Und wenn auch der gegenwärtige Krieg die Möglichkeit, ausgedehnteste Stellungen zu finden und zu halten , erwiesen hat, so bleiben doch solche ungünstigen Stellen immerhin Mängel, die feldmäßig gehörig zu verstärken und durch vermehrten Einsatz von Kräften auszugleichen, immer schwer, u. U. aber offenbar unmöglich werden muß ; was aber in ständiger Ausführung immer, ja leicht derart zu erreichen ist, daß der betreffende Punkt eine besondere Stärke gewinnt . Wenn schon nach Napoleon „ die Umstände im Kriege alles entscheiden" , so gilt dies noch im besondern für die Kampfart ;
es
dürften also die Kampfverhältnisse allein bestimmen, ob und wie weit die Verteidigung nur abwehrend , oder vorzugsweise aktiv zu führen ist. Die letztere Art, die den altbewährten Grundsätzen von Clausewitz und Moltke entspricht, wonach : „die Verteidigung aus zwei heterogenen Teilen, warten und dem Handeln besteht " , und „die verteidigende Art des Kriegsführens gebildet durch geschickte Streiche " , wie auch
ein
dem Ab-
Schild
ist,
„ eine Defensivstellung sich um so mehr dem Ideal nähert , je versteckter ihre Stärke ist und je mehr wir Gelegenheit haben, den Gegner durch unsere Gefechtskombination zu überraschen “,
180
Zeitgemäße Befestigungsfragen.
ist es wohl, die auf die größere Freiheit der Verstärkungen nach den wechselnden Umständen, also die Feldbefestigung hinweist, bzw. daß Ebenso wie es eindiese ihr anscheinend in erster Linie entspricht. leuchtet, daß materielle Stärke
nur in einem natürlichen Verhältnis
zur Masse und Schwere zu erreichen ist ;
daß ,
je fester die Anlagen
hergestellt werden , sie auch um so mehr die zugehörigen Kräfte binden, bis zu dem Maße , daß nur noch eine Wirkung aus und von ersteren ausgeübt werden kann ; womit denn auch die „Streiche" unterbunden werden und von „activité, celerité et vitessé" nicht mehr die Rede nur nach
sein kann ;
Bedarf die
wogegen
durch jedesmalige Befestigung
„ völlige Freiheit in der Form " gesichert und
,,die des Handelns" mehr gewahrt erscheint .
Der Theorie nach !
In
Wirklichkeit aber ist eine erfolgreiche activité (Offensive) auch im besten Falle noch schwer mit der Verteidigung (Abwehr) zu verbinden, so daß es erst besonderer Vorkehrungen und Nachhilfen bedarf, die am vorteilhaftesten unter Beibehaltung der gewohnten Kampfverhältnisse eben noch
zu schaffen bleiben (s. später ) .
Und gerade
feldmäßig ist es erfahrungsgemäß so schwer, die beiden „ heterogenen Teile " zu vereinen : die Befestigungen sturmfrei zu machen und den Raum, die Gelegenheit zum Vorstoß zu lassen ! Bei näherem Zusehen ist es auch nicht sowohl die Kampfart, die hier über die Form entscheidet, als der Grad von Energie, die
zur Geltung gelangt und, ebenso wie der Grad der Befestigung, die Form bedingt ; also, daß mit einem richtigen Mehr an Kunst, Zeit und Aufwand die Freiheit des Handelns wohl eher gewahrt werden kann als im Falle des Behelfs . Dagegen ist zuzugeben, daß feldund behelfsmäßig sicherer , wenn auch nicht mehr den sich unversehens einstellenden Bedürfnissen entsprochen werden kann , eine Möglichkeit, die durch den Zwang in der Beschränktheit von Mitteln, Zeit und Kräften zumeist wohl aufgewogen oder nicht ausgenutzt werden dürfte. Diese so verwickelten Verhältnisse
waren
nun in
neuerer Zeit
Grundlage und Ausgang für eine Reihe von Kompromissen , wobei die ständige Befestigung auf das Unumgängliche, den Rahmen, das Gerippe beschränkt wurde, um die Befestigung erst im Falle und nach Bedarf zu ergänzen. Es wurden danach nur solche Punkte (Stellen) ständig befestigt, deren Behauptung in jedem Falle von besonderm taktischen Wert war, wenn sie nicht gar allein genügen sollten, weil man sich bewußt war, daß dies im Bedarfsfalle selbst nicht sicher und fest genug zu schaffen (wäre). Die so gewonnenen festen Punkte als „ Stützpunkte" für die Verteidigung des vor- und umliegenden Geländes auszunutzen, war so gegeben, wie man es auf dem so vor-
181
Zeitgemäße Befestigungsfragen. bereiteten „ Kampffeld " als Vorzug zurechnen mochte,
daß der dort
so unterstützten Verteidigung im übrigen „ völlige Freiheit des Handelns " gewahrt bliebe. Vermeintlich! Denn wenn auch jeder wirklich feste ( Stütz-)Punkt eine Verstärkung abgibt, so haften dem System der so gebildeten Gürtel- oder Fortslinie doch auch die Schwächen des Kompromisses an, die wahrzunehmen und auszunutzen der Angreifer nicht versäumen dürfte. Tatsächlich hat denn auch die Fortslinie noch keine Erfolge gebracht oder gehabt, die für das System sprächen ; zumal in dem ersten, mangelhaften Ausbau ! Und die Forts !
Wohl ziehen sie die Hauptkraft des Angriffs zunächst auf
sich, aber als ebenso bequeme wie lohnende Ziele waren und werden sie, wie schon erwähnt,
durch
das konzentrische
Feuer der plan-
mäßig überlegenen Angriffartillerie bald niedergekämpft, wenigstens soweit, daß sie nicht mehr in der Lage sind, das Vor- und Seitengelände zu beherrschen. Als man dann die eigentlichen Kampfgeschütze aus den Forts heraus in das Gelände verlegte, entfiel nicht nur für die ersteren einer ihrer wesentlichen Zwecke, es wurde auch Und es war die Verteidigung erschwert, verzettelt (kompliziert). nicht weniger als Selbsttäuschung , wenn man damit die Vorteile, die nun einmal der Angreifer in der größeren Freiheit des Handelns, zumal bezüglich des Geländes und der Mittel voraus hat, wettzumachen gedachte, daß man einige Batterien schon im Frieden vorbereitete. Davon aber, daß die Intervalle zur offensiven Betätigung benutzt wären, ist kaum zu berichten . allgemein keine größere Sorge,
Im Gegenteil, man hatte bald und als die Lücken durch Zwischenwerke
zu verkleinern, wenn nicht durch passive Hindernisse abzuschließen ! Immerhin dienten die vorhandenen ständigen Anlagen zur wesentlichen Verstärkung gegen die Angriffe selbst. Dem schon mehrfach beregten Nachteil, in den die Hauptwerke vermöge ihrer Anlage zur Beherrschung des Vor- und Umgeländes, gegenüber der mit dem Anwachsen der Schußweiten vermehrten Gelegenheit, eine überlegene Anzahl von Geschützen auf ein bequemes Ziel zu vereinigen, geraten sind, zu begegnen oder doch eine wirkliche Abhilfe
dagegen zu
schaffen,
ist
es neuerdings
schier aussichtslos
geworden, nachdem das indirekte Feuer, mittels der sich jetzt darbietenden Hilfsmittel, im besondern der Luftfahrzeuge , allgemein üblich geworden war. Unter diesen Umständen bleibt dann schlechterdings nichts anderes übrig,
als daß man die in Frage kommenden
Verteidigungskräfte und Mittel eben genügend sichert. Daß dies auch direkt möglich, ist oben schon erwähnt,
wird
wohl auch nicht ernstlich bestritten; worum es sich vielleicht, abgesehen von den Kosten, noch handelt, ist das bestimmte Maß
182
Zeitgemäße Befestigungsfragen .
solcher Sicherung.
Wenn der schon erwähnte Aufsatz der kriegstech.
Zeitschrift für alle wesentlichen Verteidigungsteile „ durchweg vollen Panzerschutz "
verlangt,
anzufangen, geschweige
so
ist
praktisch damit noch nicht viel
damit ein brauchbares Maß für irgendeine
Ausführung gegeben. Der Verfasser wendet sich mit dieser Forderung sicherlich nur gegen das bisherige, oben schon als unzureichend erklärte Verfahren, die Sicherung auf das notdürftigste Maß herabzudrücken , wie auch noch solche Normalien in der Anwendung einzuschränken , sie durch leichtere oder teilweise, vor allem billigere , Konstruktionen Auch daß ein endgültig - zuverzu ersetzen oder zu umgehen. lässiger (Panzer- ) Schutz gegen alle überhaupt möglichen Angriffsmittel, wie schon ausgeführt, nicht gut zu erreichen ist, vielmehr immer noch die Möglichkeit bleibt , eine „ faule Grete " zu beschaffen, welche auch die festeste gerade vorhandene Burg zu mag (s. oben), wird dem Verfasser wohl bewußt sein.
zerstören
ver-
Die Praxis kann eben keine absoluten Werte gebrauchen , und der Krieg erst recht nicht. Da haben Absonderlichkeiten ebenso wenig Wert wie theoretische Spitzfindigkeiten, und Übertreibungen strafen sich selbst durch die Widerstände und natürlichen Reaktionen. (Vgl. das Sprichwort :
„Es ist schon dafür gesorgt,
daß die
Bäume
nicht in den Himmel wachsen ", - und im gleichen Sinne kann man wohl sagen: „ Die Überdreadnoughts finden ihre Unterseeboote und Torpedos “, „ die mächtigsten Gewaltmittel wirken
noch am
durch Überraschung und am wenigsten auf die Dauer" .)
ehesten
Den richtigen
Stand- und Gesichtspunkt in der Beurteilung der jeweiligen Verhältnisse, wie dessen , was not tut, ist im Gebiet der Technik nicht minder wichtig wie im Kriege ; die geniale Intuition gilt wohl allenthalben am meisten ; wo sie aber nicht zur Verfügung steht, da sollte und müßte der praktisch-geschulte, reichen .
gesunde
Menschenverstand aus-
Danach aber können nur solche (Angriffs-)Mittel und Stärken
in Frage kommen, die entsprechend der allgemeinen Entwickelung, wie bei unbefangener, nicht zu geringer Einschätzung der feindlichen Energie, noch zu erwarten sind .
So
würde
im vorliegenden Falle,
nach diesseitiger Prüfung der beteiligten Faktoren (ohne die von General v. Richter im Artilleristischen Monatsheft vom April d . J. angegebene Stoßkraft als maßgebend anzuerkennen, noch dem Urteil der berufenen Fachautoritäten vorgreifen zu wollen)
fortan allgemein
mit Angriffsmitteln zu rechnen sein , als deren äußerste praktiche Grenze (für absehbare Zeit) Geschütze von - dem 42 -cm Kaliber entsprechender Wirkung anzusehen sind. Die gewaltige Steigerung der Kosten, die durch die Sicherung nach dieser Maßgabe entsteht, mag denn wohl den Notbehelf be-
183
Zeitgemäße Befestigungsfragen.
gründen, welcher bei Vermeidung der offenen Aufstellung und direkten Bezielbarkeit
nur den Schutz gegen Splitter- und Schrapnelwirkung erstrebt. Nur sind die praktischen Schwierigkeiten solcher Abhilfe wahrlich nicht gering.
Es
ist
vor
allem
jetzt schon weder
einfach noch so leicht , Kräfte wie Anlagen der feindlichen Beobachtung wie systematischen Beschießung zu entziehen , wie es wohl scheinen mag .
Und es
ist mit Sicherheit anzunehmen ,
Angriffsverfahren auch fernerhin sich mit
daß das zugehörige
und durch die zugehörigen
Hilfsmittel, voran die Beobachtung aus der Luft, entwickeln werde. Daß das Verstecken auch seine Schattenseite hat, ist oben schon erwähnt ; aber davon abgesehen , kostet doch auch die Verschleierung einen nicht unerheblichen Aufwand von Kräften und Mitteln und, was noch schlimmer ist, sie bringt noch ein Moment der Erschwerung (Komplikation) und Unsicherheit hinzu, das weder ohne weiteres einzuschätzen noch zu bewältigen ist. Und dies im Widerstreit zum Prinzip des „Einfachen ", wird, in der Verteidigung
das
mit Recht sonst im Kriege so betont
aber besonders
angestrebt
werden müßte ,
als sich diese ja schon an sich als die schwierigere, weil kompliziertere Kampfform darstellt (indem sie nach Clausewitz aus dem „ Abwarten und Handeln " besteht). Dem „kriegerischen Genius" entspricht natürlich das „Handeln " mehr als das „ Abwarten " , das ihn bindet, aber auch in wohl bereiteten Bahnen stärkt, zum neuen Anlauf reizt, wie diesen fördert. Und es wird die Befestigung erst dann auf ihrer vollen Höhe sein , wenn sie nicht nur den Schild zum Abwarten herzugeben, sondern auch und vielmehr darauf bedacht zu bleiben sich bemüht, durchweg und bei jeder Gelegenheit das Handeln , die „ Streiche " , zu fördern , solche „ kräftiger" zu machen, eben durch Anlagen, die solche begünstigen und nicht verhindern. Von diesem Standpunkt aus kann auch der Ablehnung des Minenkrieges seitens des Verfassers des vorberegten Aufsatzes nicht beigetreten werden, so wenig sympathisch diese Kampfart auch immer ist.
Es ist diess. Eracht. mit dem „ kriegerischen Genius" schlechter-
dings unvereinbar, sich Angriffen gegenüber nur passiv zu verhalten . Es erübrigt daher auch in diesem Gebiet nichts anderes, als sich eben auf alles
mögliche,
also
zubereiten, dem Gegner,
auch
auf den
wenn möglich,
Minenangriff,
bestens vor-
darin zuvorzukommen.
Die
bloße Abwehr nach der positiven Richtung zu ergänzen, u . z . nicht etwa nur damit, daß die Vergeltung in Aussicht gestellt wird, ist hier besonders wichtig. Und es ergibt sich danach als besondere Aufgabe für die Befestigungskunst, die Begünstigung des aktiven Elements durchzuführen, ihr die Gelegenheit zur Betätigung ausgiebigst
184
Zeitgemäße Befestigungsfragen.
zu wahren.
Darum ist auch auf den Vorstoß aus der Stellung nach
wie vor das größte
Gewicht
zu legen und dafür freie Bahn vor-
zusorgen, nicht aber zugunsten eines besseren, völligen Abschlusses auf ersteren zu verzichten ! Natürlich immer mit Unterschied und soweit die sonstigen Vorbedingungen vorhanden ! Illusionen sind wohl nirgends weniger am Platz als in den hier in Frage stehenden Kriegslagen! Wo das moralische Element einer bedrängten Truppe auf ein Minimum gesunken ist,
oder darauf noch zu rechnen bleibt,
da kann freilich die Begünstigung der Vorstöße nicht im Vordergrunde stehen. Für solche Fälle, auch wenn sie nur zu den Ausnahmen gehören, bleibt denn gleichwohl vorzusorgen , u. z . durch Reduitstellungen. Welche Abneigung auch immer gegen dergleichen vorherrschen möge, es liegt auf der Hand, daß in allen Kriegslagen, wo die Initiative nicht gewahrt, wohl gar dem Gegner überlassen ist , Sicherheitsmaßregeln unumgänglich werden ; und daß der Stellungskampf keineswegs weniger, sondern erst recht der taktischen Dreiteilung bedarf. Zumal sie nicht nur für die Abwehr und nacheinander, sondern auch und erst recht für den Vorstoß und gleichzeitig zur Geltung gelangen kann. Im gleichen Sinne hat sich auch vielfach schon eine schachbrettförmige Anordnung von Stützpunkten bewährt, sofern sie nicht bloß schematisch angewandt wurde !
Denn
leider ist gerade in diesem Gebiet die Gefahr der geistlosen Methode von jeher groß und verfänglich gewesen ; wiewohl die wechselnden Umstände , schon in bezug auf das Gelände, eine freie Übersicht und volles Verständnis , in Berücksichtigung der dadurch bedingten Kampfverhältnisse, verlangen. In dem schon mehrfach ist nun noch besonders der Hauptkräfte
angezogenen Aufsatz der Krt. Ztschr.
und durchweg
eine allseitige Sicherung
auch während des Kampfes nach oben - ver-
langt. Das ist gewiß eine Neuerung, deren Folgen noch nicht voll zu übersehen sind . Eine davon ist im Aufsatz selbst hervorgehoben, nämlich die , daß das völlige Bestreichen der so zugedeckten Werke von seit- und rückwärts ermöglicht und dadurch ein Festsetzen des Angreifers verhindert werde. Da Vorgänge hierzu nicht vorliegen, bleibt es dem Gefühl bzw. Urteil eines jeden überlassen, dazu Stellung mit zu nehmen. Auf freudige Aufnahme kann aber der Vorschlag Rücksicht auf die fast nur unterirdische Unterkunft und Zügänglich― nicht rechnen . Die Ausführung dürfte auch noch auf tech-
keit
nische Schwierigkeiten stoßen . Tunnelzugänge.
So
in bezug auf die Sicherung der
Da, wie auch der Verfasser sich nicht verhehlt,
die sehr hohen
Kosten solcher gegen stärkste Angriffsmittel gesicherten Anlagen not-
185
Zeitgemäße Befestigungsfragen. wendig ihre Anwendung beschränken,
so wird deren Auswahl um so
schwieriger.
Wer konnte es z. B. vor dem Kriege ahnen , daß Ypern solche Wichtigkeit erlangen würde , wie es geschehen ? War aber dieser Ort auch rechtzeitig befestigt, so brauchte die Festung dann wieder in die dadurch beeinflußte Kriegslage nicht hineinzupassen oder der betreffende Führer nicht das Zeug
oder die Lust dazu zu
haben, von ihr den richtigen Gebrauch zu machen ! Nichtsdestoweniger steht es wohl fest, daß es immer noch Punkte geben wird, deren Behauptung von so großer Wichtigkeit ist, daß die größten Aufwendungen dafür angebracht erscheinen, auch wenn es nicht gelänge bzw. nicht gewiß wäre , ihm die volle Sicherheit gegen alle möglichen Angriffe, zumal auf die Dauer, zu verleihen. Wenn und wo aber solche Punkte nicht vorhanden, noch vorher zu erkennen sind,
da mag man sich denn mit den billigeren Mitteln
der Verschleierung und Verteilung
behelfen ; sollte sich
aber auch
keiner Selbsttäuschung hingeben, vielmehr bewußt bleiben, daß die damit zu erreichende geringere Sicherheit nicht nur ein Mehr an Streitkräften bedingt, die Verteidigung komplizierter wird, auch leicht zu einzelnen Verstärkungen
nacheinander führt,
eine höhere Aufwendung hinauskommen, gewesen wäre .
schließlich auf
als von vornherein benötigt
Aber , trotz dem allen , es gehört wohl keine Propheten-
gabe dazu, vorauszusehen,
daß
weil sie mehr freie Hand läßt , finden werde.
die
die letztere Befestigungsweise, die
Die in Mitteleuropa vorherrschenden Kriegs-
ländeverhältnisse
vorausgesetzt.
Wo
schon
häufigere Anwendung weiterhin
freilich
und Ge-
die letzteren so eigen-
artig vorliegen, wie z. B. bei der im Bau befindlichen Festung Boden (Schweden), vgl . Loebellscher Jahresbericht 1913 , da ergibt es sich wohl zwanglos, daß die zugehörigen Werke soweit in Granitkuppen versenkt werden, daß die Krone der Infanteriedeckung mit der Oberfläche zusammenfällt, der Graben wie die Unterkunftsräume und Panzerstände aus dem Felsen herausgesprengt und bei der Armierung nur
noch unterirdische Zugänge belassen werden.
Ein
kann wohl den allerstärksten Beschießungen trotzen . ahmen und systematisch applizieren zu wollen , noch bedenken.
solches Fort
Es aber nach-
wird man sich wohl
Dasjenige Befestigungssystem , das dagegen noch am meisten allen billigen Anforderungen entsprochen hat und dazu auch heute noch Aussicht gibt, ist bekanntlich das sogenannte neupreußische . Es gehört derselben Zeit und Richtung an wie die Lehre vom Kriege von v. Clausewitz . Und wurden die danach gebauten Festungen seinerzeit als gewissermaßen unüberwindlich angesehen, weil die Verteidigung den damaligen Angriffen und deren Mitteln gegenüber stets 14 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 529.
186
Zeitgemäße Befestigungsfragen.
über stärkere und günstigere Kampfverhältnisse verfügte . Dies Verhältnis änderte sich, als die Entwickelung der Technik eine größere Kraft und Tragweite
der
(gezogenen)
Geschütze
zeitigte,
dadurch
größere Ausdehnung und Kosten der entsprechenden Anlagen bedingte vor denen man zurückschreckte, sich lieber mit Notbehelfen begnügte und mit optimistischen Annahmen tröstete. So schob man die „ detachierten Forts " einfach, der weiteren Tragweite der Geschütze entsprechend, immer weiter hinaus, man löste sie gänzlich von der eigentlichen Hauptlinie und vermeinte, daß sie sich selbst überlassen, gegen gewaltsame Angriffe noch genügend stark wären, förmlichen ( oder Belagerungs-) Angriffen aber durch das größere Truppenaufgebot, für das sie - nebenher - ein ,, verschanztes Lager" hergaben,
zunächst nicht gefährdet sein würden , äußerstenfalls aber
immer noch die rückwärtige Enceinte als Reserve blieb. Als dann freilich die alte Abneigung gegen Verteidigen oder gar Befestigen erstarkte und man die Beschränkung auf nur eine Linie zum Grundsatz erhob,
da ging das höchste Ziel nur
noch darauf hinaus,
die Forts-
stellung mehr auszubauen, und die rückwärtige Umwallung wurde nur noch als überkommene Fessel angesehen. Den Grundgedanken der seinerzeit so hochgeschätzten neupreußischen Befestigung, die doch von der ausgiebigsten, vorzugsweise sogar gleichzeitigen Ausnutzung der Treffen wie des vorhandenen Dranges nach vorwärts ausgehend, das Handeln der Verteidigung in ihr entsprechende Bahnen leitete , indem sie den Kampf mittelst der detachierten Forts nach vorwärts in ein sorgfältig vorbereitetes Kampffeld verlegte , hatte man scheinbar ganz vergessen.
Trotz der Er-
fahrung aller Zeiten, die stets auf die Dreiteilung hinwiesen , die vorgeschobene Sicherung des für die Verteidigung günstigsten Kampffeldes, wie die feste Reserve (Reduit) aber als entschiedenen Vorteil erscheinen lassen , und die nunmehr, infolge der gesteigerten Wirkung der Fernfeuerwaffen , nur einen entsprechenden Ausbau erfordern ; auch unter Berücksichtigung der schon durch das Zusammenwirken der einzelnen Waffengattungen bedingten Tiefengliederung, die , ebenso wie die neuerdings angeregte Trennung der Nah- und Fernverteidigung , wie die Masken und Scheinanlagen, allein dem Bedürfnis noch nicht gerecht werden können, wohl aber zusammen sich dahin ausbilden lassen, und zwar in eine Tiefengliederung, die für den vorliegenden Zweck gewisse Formen annehmen und Maße einhalten muß. So sind die Tiefenabstände nicht sowohl durch die Tragweite als die entscheidende Wirkung des Waffen, mit Bezug auf direkte Beobachtung und Kontrolle, bedingt und werden (beiläufig) bei ausschließlicher Infanteriebeteiligung 1200 m und bei ausreichender
187
Zeitgemäße Befestigungsfragen.
Artillerie höchstens ( !) 2000 m betragen, zone 1500-3500 m Tiefe einnehmen.
die ganze Befestigungs-
Welche Lehren der gegenwärtige Krieg in diesen Fragen zeitigen und, mehr noch, inwieweit die Folgerungen daraus sich durchsetzen werden, das mag dahingestellt bleiben ; vorläufig aber sind noch keine Tatsachen bekannt geworden , noch der Eindruck gewonnen , daß die hier vertretenen Grundsätze irgendwie erschüttert werden könnten . So auch nicht die Schlußsätze des Aufsatzes über „Wesen und Wertung der Verteidigung “ im Juliheft 1913 der Jahrbücher, wo es im Sinne von Sätzen aus der „ Lehre vom Kriege " , wie : „ Das Verteidigungsgefecht erfordert ein nachhaltiges, langsames , planvolles Wirken und entschiedenes Wagen , ein bloßer Versuch kann nicht zum Ziele führen “ , „ Man erhält auch in der Verteidigung den großen Gewinn nur durch einen hohen Einsatz “ und „Vorsicht ist der eigentliche Genius der Verteidigung “ , u. a. noch heißt : „Man mag noch so fern davon sein, sich für die Verteidigung, auch solche, wie sie nach Clausewitz sein soll , zu begeistern , den entsprechend vollen Einsatz an Kräften darf man ihr deshalb doch nicht versagen " , und : „ So viel ist nachgerade sicher : Nur mit dem wirklich Gegebenen, Vorhandenen darf füglich gerechnet werden ; dasselbe voll auszunutzen bzw. sich darin zu finden aber eignen sich weder Systeme noch bestimmte Formen, geschweige Vorurteile, vielmehr in jedem Falle das eben Sach- und Zweckmäßige, unverkürzt und unbeeinträchtigt, also auch keine halben Maßregeln und bloße Versuche. “ Unter Berufung
noch auf die Autorität des Generals v. Blume
(Strategie 1911 ), der auch schon vor dem gegenwärtigen Kriege zu Schlüssen gekommen ist, wie : „ Infolge der gesteigerten Wirkung der Feuerwaffen haben Befestigungen für die örtliche Verteidigung an Wert gewonnen" und : „ Die Festungen werden in künftigen Kriegen zweifellos eine bedeutendere Rolle spielen " (vgl. oben), ferner : „Festungen können nur in Kriegen gegen überlegene Kräfte zur Geltung kommen. Aber der physisch oder materiell Schwächere kann moralisch stark sein, und nur, wenn er dies ist, wird er von seinen Festungen den richtigen Gebrauch machen “ und schließlich : "Wohl zu beachten ist,
daß
die Aufgabe
der Festungen
nicht in
ihrem
passiven Widerstande, sondern darin gipfelt, möglichst starke Kräfte des Gegners zu fesseln " möchte schließlich aus dem Voraufgeführten noch hervorzuheben bleiben, daß „ Festungen als vorbereitete Kampffelder"
aus stän-
digen , in taktischen Verband gebrachten Werken einzurichten. und auszunutzen sind ; 14*
188
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren.
daß sie dazu mit möglichst kleinen, selbst minderwertigen Kräften den Ortsbesitz gegen überlegene Angriffskräfte längere Zeit sichern und dabei bzw. dazu auch eine aktive Verwendung der Truppen im Vorfelde gestatten sollen ; daß die Festungen als Kräfteversammlungen ihre Widerstandskraft weniger in der absoluten Stärke der Werke als in dem Kräftezuschuß finden und legen sollen, den sie, neben der Begünstigung der Waffenwirkung, durch die Stärkung des Geistes und der Willensenergie gewähren können ; daß sie sich für solche Zwecke aber nicht improvisieren
(behelfsmäßig schaffen) lassen, vielmehr ihnen nur gerecht werden können : durch eine in allen Momenten und Stellen übermächtig
།
einsetzende
Feuerwirkung unter kräftiger Betätigung im Vorgelände ; durch Sicherung der Kräfte gegen Vernichtung aus der Ferne, durch Sturmfreiheit bis zum letzten Moment des Nahangriffs, sowie endlich durch Vorsorge
für nachhaltige Weiterführung bis zum äußersten, also, daß auch der Verlust eines Teils des Befestigung die Ver-
(
teidigung nicht lähmen , vielmehr diese in rückwärtigen Stellungen oder Kernwerken noch fortgesetzt werden kann. Straßburg, im Mai 1915.
I
XVII. Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren. Von
Hauptmann Trautz. (Schluß.)
In diesen Zeiten begann man besondere Aufmerksamkeit auch der Nordwestfront zuzuwenden, wo der Hohe, Eck- und Lange Berg als vorgeschobene Stellung befestigt wurden. In der Gebirgsstellung hefanden
sich vorläufig die Adlernester
Yeitseilasa, Huinshan und Yupilasa noch im Besitz der Russen, die von dort in einer für die Japaner unangenehmen Weise Dalny beobachteten.
Im übrigen war die russische Aufklärung noch immer plan-
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren.
189
und ergebnislos , so daß schließlich berittene Erkundung, die regelmäßig zum Verlust der Pferde führte , verboten wurde ! Und : die Beobachtungsposten der Adlernester, versäumte man zu befestigen.
die ganz
unschätzbar
waren ,
General Nogi, den seine numerische Unterlegenheit im übrigen in der Defensive zurückhielt, beschloß am 26. Juni nur die beiden Berge Yeitseilasa und Huinschan durch die lassen.
Der
Angriff,
wobei
11. Division
wegnehmen
zu
auch die Flotte vom Meere von Süden
aus mitzuwirken versuchte , gelang . Die ganze russische Front aber blieb vollkommen passiv. General Fock traf keinerlei Anordnungen, er hielt den Angriff des Südflügels für eine Demonstration und erwartete in der Nacht den feindlichen Hauptangriff gegen seinen linken Flügel, bei Shuangtaikou. Als er hörte, daß Oberstleutnant Kilenin aus einer etwas vorgeschobenen Stellung in diejenige zurückging,
die
er ihm selbst s . Z. anbefohlen hatte, gab er (der General Fock) , stets um seinen Rücken in Sorge, ohne jede Kenntnis vom Feinde und dem eigentlichen Sachverhalt sofort Befehl, die ganze Stellung aufzugeben und auf die Wolfsberge zurückzugehen ! Diesmal war General Stössel anderer Ansicht. Er wollte den Huinschan wieder nehmen lassen und drang endlich auf Betreiben Kondratenkos gegen General Fock damit durch. Das russische Generalstabswerk sagt bezeichnend genug : „ Die Japaner ahnten glücklicherweise nichts von unserem Abmarsch und hatten die während der Nacht von uns geräumten Stellungen nicht in Besitz genommen. So konnten denn die verlassenen Positionen einfach von neuem besetzt und eine Verteidigungslinie von Shuangtaikou bis Lunwantang hergestellt werden, auf der wir uns noch einen vollen Monat hielten " schließlich blieb aber trotz russischer Versuche der Huinschan den Japanern. General
Nogi
erhielt
am
3. Juli 6 Reservebataillone
als Ver-
stärkung, aber er beschloß noch weiter abzuwarten, denn die Zeit, wo das numerische Übergewicht und die Gunst der Lage aus den Händen der Russen, die sie nicht zu nutzen verstanden , hinüberglitt, konnte nun nicht mehr fern sein. Die
planlosen
Erkundungen
und
lediglich
in die der Japaner
zu
Munitionsver-
schwendung führenden artilleristischen Rekognoszierungen wurden ergebnislos fortgesetzt, die Stellung aber systematisch verstärkt. Auf dem einzigen noch in russischem Besitz verbliebenen Adlernest Yupilasa ward eine geschlossene
Befestigung
mit
eingedeckten Unterkunfts-
räumen angelegt und auch sonst, z. B. am Paß von Shikantsy und einigen anderen wichtigen Punkten , gelegt mit starken Hindernissen.
behelfsmäßige
Redouten
an-
190
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren.
Die Befestigung der Wolfsberge schritt sehr langsam, die in Port Arthur vorgenommenen Arbeiten schneller voran, auch eine elektrische Zentralstation wurde errichtet. Mitte Juli hatte die III. Japanische Armee ihre volle Stärke erreicht : 1. , 9. , 11. Infanteriedivision , 1. und 4. Reservebrigade, 2 selbständige Artilleriebrigaden und 1 12 cm-Haubitzregiment (7 Batterien zu je 4 Geschützen). eintreffen .
Der Belagerungspark sollte später
Im ganzen etwa 60000 Mann mit 108 Feld-, 72 Festungs-
geschützen und 72 Maschinengewehren, sowie 11 Sappeurkompagnien. Die Stellung der Japaner verlief in der Linie Huhai, Huinshan ,
Höhe
315 , Höhe
östlich des
unteren
Pantau,
Huannitschuanho :
1. Division mit 1. Reservebrigade (Armeereserve) rechter Flügel, 9. Division Mitte, 11. Division linker Flügel mit 4. Reservebrigade als „ linker Flügelreserve " (beim Yeitseilasa). Mit seiner vierfachen Überlegenheit beschloß General Nogi 26. Juli anzugreifen , und zwar jede Division in 2 Kolonnen :
am
1. Division : 1. Kolonne : Große Mandarinenstraße, 2. Kolonne : Nordhang des von Osten nach Yupilasa laufenden Rückens ;
9. Division : 3. Kolonne : Südhang des von Osten Rückens ,
nach Yupilasa laufenden
4. Kolonne : gegen Linie Pentschinin— Kuansgou ;
11. Division : 5. Kolonne : gegen Höhen westlich Linie Kuansgou —Damagou, 6. Kolonne
gegen Höhen östlich der Bucht von Lunwantang.
Der 26. Juli begann mit dem Fehler der Russen , 32 Geschütze, die Hälfte der ganzen russischen Artillerie , in Reserve zu halten. Trotzdem gelang es den Japanern nicht,
weiter als bis an den Fuß
der russischen Stellungen vorzudringen. Nächtliche Angriffe, besonders gegen den Yupilasa, mißlangen dort infolge eines gleichzeitig angesetzten Gegenangriffs. felsigen
Rücken
Von den vier Befestigungen auf dem steilen
des Yupilasa gelang
es der 2. und 3. japanischen
Kolonne, eine einzige zu nehmen ; ebenso wie die 5. japanische Kolonne konnte sie sich nur mit Mühe gegen die Russen behaupten ; die 6. Kolonne litt schwer unter dem Feuer der russischen Schiffe. Schon hielt man
auf russischer Seite die Kraft des japanischen
Angriffs für gebrochen, obwohl die Lage auf dem Yupilasa z. B. sehr kritisch war wegen Übermüdung der Mannschaften, als es noch
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren. dunkel war,
etwa 4 °
morgens,
erging der allgemeine
Befehl,
191 die
Regimentsmusiken spielen und die Truppen Hurra rufen zu lassen. Dies rief einen unbeschreiblichen Wirrwarr hervor, den die Japaner sich sofort zunutze machten und sich der unter Tags uneinnehmbaren Stellung der Grünen Berge bemächtigten. Die von General Kontratenko zusammengestellten losen taktischen Verbände bewährten sich nicht, da sie schnell zerrissen und in der Dunkelheit sich noch weniger als am Tage zusammenzufinden vermochten. Am 28. Juli früh wurde der Rückzug nach den Wolfsbergen angetreten und dank der Untätigkeit der Japaner glücklich ausgeführt. Die Stellung auf den Wolfsbergen zu verstärken, war keine Zeit , kein Schanzzeug und bei der Ermüdung der Truppen auch keine Kraft mehr vorhanden. Insbesondere konnte der massenhafte 3 m hohe Kauliang nicht mehr beseitigt werden, drängenden Japanern willkommene Deckung. gingen diese aus
zwei Richtungen
und bot den nachAm 30. Juli früh
zum Angriff vor,
und bald nach
7 ° waren die Russen zum Rückzug in die Festung genötigt.
Nur
die unter dem Feuer der Hauptstellung liegende Takushanstellung blieb im Besitz der Russen. Die Japaner folgten nur bis auf die ihnen unentbehrlichen Wolfsberge. Die Periode der Kämpfe
um
das weitere Vorgelände ,
um
die
aus der Hauptstellung nicht direkt unterstützbaren Vorstellungen war zu Ende. Immer mehr waren auch da allmählich belagerungsmäßige Mittel in bescheidenem Umfang angewandt worden.
Immer fester
klammerten sich Verteidiger und Angreifer an den Felsboden an , immer häufiger wird die Nacht zur Bundesgenossin . Allmählich hatten die Gefechte angefangen, den Charakter zu zeigen , der uns jetzt mehr und mehr begegnen wird. Es folgt nun die Wahl der Angriffsfront. Verschiedene Gründe sprachen dafür, Nordosten zu nehmen, vielleicht auch die Erinnerung an 1894, die jedenfalls mit dazu gekürzte Verfahren zu versuchen.
beigetragen
hat,
zuerst
das ab-
Zu allererst ward unternommen, die russischen Schiffe trotz der 7 km Entfernung mit ausschließlich indirektem Feuer zu vernichten. Man
erreichte
auch,
daß am 10. August die
russische Flotte den
Hafen verließ, um den Durchbruch nach Wladiwostok zu wagen. wurde entscheidend geschlagen .
Sie
Am 8. August, also zwei Tage vorher, hatten die Japaner die nur 2 km vor der russischen Hauptstellung und unter dem Feuer der Festungsgeschütze liegende Takushan- und Hsiaukushanstellung angegriffen. Die japanische Artillerie hatte von den Höhen nord-
192
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren.
westlich Stand,
Sankalou gegen die
russischen
Geschütze
einen
schweren
nur die gedeckt stehenden japanischen Feldhaubitzen erlitten
keine Verluste. Der japanische Angriff, den auch einige Batterien von den Wolfsbergen her flankierend unterstützten , hatte zuerst den angestauten Taho zu überschreiten ; nach Zerstörung des Staudammes setzte sich die japanische Infanterie am Fuße der russischen Stellung in Regenrissen usw. fest. Am 9. August trat
die russische Flotte nochmals in Tätigkeit
und beschoß von der Tahobucht aus Flanke.
Leutnant Sakurai
die Japaner in Rücken
schildert packend in
seinem
und
berühmten
Buche „ Nikudan “ ¹) die fast verzweifelte Lage der in solchem Feuer wehrlos festgebannten , übermüdeten Truppen .
Erst als gegen Abend
die japanische Flotte die Russen zurücktrieb,
konnte der Angriff er-
folgreich durchgeführt werden. Am 10. August , fast gleichzeitig mit der Entscheidung über den Durchbruchsversuch der Flotte, wurde der letzte Angriff der Russen auf den Takushan endgültig abgewiesen .
Vom
15. August ab lag nun die japanische Belagerungsarmee
von Takushan bis östlich Schuischiying vor der russischen Hauptstellung. Nur da und im Nordwesten, wo die Redouten und die vorgeschobenen Stellungen Eck-, Langer und Hoher Berg (japanische Nireisan, Höhe 203) noch nicht genommen waren, war die Hauptverteidigungsstellung noch nicht erreicht. Solange man in General Nogis Stab noch hoffen konnte, die Nordostfront zu durchstoßen und so dem direkten Feuer gegen den Kriegshafen den Weg zu öffnen , wurden diese vorgeschobenen Stellungen nicht zu Hauptangriffszielen gemacht. Am 18. August war der Aufmarsch der Artillerie beendet , im allgemeinen rechts und links
von der Mandarinenstraße.
Bemerkt
muß werden, daß Geschütze von über 15 cm Kaliber den Japanern Hätten vor dem 1. Oktober - nicht zur Verfügung standen.
bei den Russen nicht ähnliche Verhältnisse vorgelegen ,
die Japaner
hätten sicher mit dem gewaltsamen Angriff noch größere Enttäuschungen erlebt. Vom 19. bis 21. August führte dieser gegen das Große Adlernest (Wangtai , Bodai) gerichtete Angriff mit einem Verlust von 14000 Mann nur zu der Einnahme der kleinen Redoute 1 und 2. Trotz aller russischen Wiedereroberungsversuche gelang es der 6. Brigade, sich volle vier Monate in diesen von den vorliegenden Höhen ganz eingesehenen, auf drei Seiten von russischen besetzten Werken umgebenen Redouten zu halten .
1) Von Schinzinger ins Deutsche übersetzt.
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren.
193
Auch gegen die behelfsmäßigen Befestigungen im Nordwesten wurde ein Angriff angesetzt. Nach mehrstündiger Artillerievorbereitung gelang beim vierten,
von Westen umfassend geführten Sturmanlauf
die Wegnahme des Eckberges und des von ihm nach Süden laufenden Höhenzuges. Am 21. August wurde auch der Tote Berg, der nordöstliche Ausläufer des Langen Berges, genommen.
noch
Jetzt begann die regelrechte Belagerung. Aber , vor Oktober ohne schwere Geschütze, wandte man besonderes Augenmerk
auf die behelfsmäßigen Werke bei Schuischiying und auf den Langen und Hohen Berg
(203 ) .
Vereinzelte
Teilangriffe
blieben
erfolglos.
Am 19. September wurde daher ein Gesamtangriff befohlen . In weitem Bogen vom Wutaishan bis südwestlich des Eckberges begann die Artillerie der 1. Division um 2 ° nachm. aus 24 Steilfeuergeschützen, 2 mittleren Kanonen, 60 Feld- und 2 Hotchkiß- Geschützen das Feuer. 6º abends wurde der Infanterieangriff angesetzt, Infanterieregiment 15 westlich, Infanterieregiment 1 östlich, am folgenden Tage (20. September) 4 ° nachm. mußten die 5 Kompagnien Russen vom Langen Berge zurückgehen, vor dem den rechten russischen Flügel umfassenden Angriff. Sämtliche Geschütze waren zerstört, die Kompagnien gingen nach Höhe 181 , nordöstlich von 203 , zurück . Der Angriff des Reserveregiments 15 von Taipingkou
gegen die
südwestliche Kuppe (211 ) des Hohen Berges führte in dreitägigem erbitterten Ringen zu keinem Erfolg, der Angreifer mußte zurück. Die vorgeschobenen Stellungen der Nordwestfront hatten also standgehalten, dank der außerordentlichen Steilheit der felsigen Höhen und der hervorragenden Zähigkeit der Verteidigung. Anders die kleinen tiefgelegenen Redouten südöstlich von Schuischiying, die sich als kleine Ausläufer der umgebenden Berge charakterisieren : im Osten die Eisenbahnund Wasserleitungsredouten, im Westen die vier kleinen Tempelredouten ; am 19. September feuerten 84 Geschütze von 1 bis 4 ° nachmittags gegen diese kleinen Werke, die zwar unter dem Feuer der ständigen Befestigungslinie lagen, aber doch unter diesem Massenfeuer vollständig in Trümmer fielen . Allein gegen die Wasserleitungsredoute waren 2000 Schuß abgegeben worden . Von der 18. Brigade wurden dann die Trümmer 4° nachm. gestürmt, aber noch fast 20 Stunden von der Besatzung mit Handgranaten und Infanteriefeuer verteidigt ; ähnlich, nur etwas später nachmittags, erreichte Infanterieregiment 3 (2. Brigade) die Wegnahme der Tempelredouten. Mit einem Verlust von etwa 4000 Mann waren die Werke bei Schuischiying und der Lange Berg in die Hand der Japaner gefallen . Der Hohe Berg widerstand noch immer, und von ihm allein war direktes Feuer auf den Hafen möglich. Es war klar, daß ohne aus-
194
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren.
reichende Artillerievorbereitung, namentlich aus schweren Geschützen, auch bei heroischer Tapferkeit und unter gewaltigen Opfern eine verhältnismäßig schwach befestigte Stellung einem entschlossenen Verteidiger,
der durch Feuer von
nicht abzunehmen war.
der Hauptstellung unterstützt wird,
Vorläufig ruhte auf dem rechten Flügel der
Division der Kampf. Auf der Nordostfront gingen die Arbeiten weiter vor, und am 1. Oktober traten zum erstenmal die 6 28 cm-Haubitzen (gegen den Südostflügel) in Tätigkeit. Aber erst vier Wochen später, nachdem sich ein Wechsel in den Stellungen der Belagerungsartillerie vollzogen hatte, so daß auch der Nordwesten stärkeres Feuer erhalten konnte, eröffneten weitere 12 dieser Geschütze das Feuer. Im November, wo man auf japanischer Seite in immer weiterem Umfang Dynamit als furchtbaren Bundesgenossen heranzog, kam die 1. Division gegen den Hohen Berg mit 3 Sappen täglich nur wenige Meter vorwärts . Die japanischen Belagerungsformationen bedurften dringend des Nachschubs an Pionieren (von 600 waren 540 außer Gefecht). Am 8. November trafen 3 neue Pionierkompagnien, am 24. und 25. November die 7. Division bei der III. Armee ein . Schon am nächsten
Tage
beschloß
das Armeeoberkommando
einen neuen Angriff auf die Nordostfront ; die Baltische Flotte nahte, die japanische war an Port Arthur gefesselt .
Es schien höchste Zeit,
endlich in Besitz des eigentlichen Kampfobjekts, der russischen Schiffe, zu kommen. Bei diesen Angriffen nun gelangen im allgemeinen die Grabenübergänge. Vielfach drang die japanische Infanterie bis in den Hof der Werke ;
jeden Fußbreit
verteidigten
die Besatzungen aber
mit solcher Zähigkeit, daß auch dieser Sturm gegen die ständig ausgebaute Linie
mit
5000 Mann Verlnst abgeschlagen wurde .
Noch
über einen Monat lagen sich jetzt Angreifer und Verteidiger auf wenige Meter gegenüber. Die Schilderungen des Leutnants Sakurai in seinem Buche „ Nikudan “ geben ein Bild von den geradezu übermenschlichen Leistungen auf beiden Seiten . In diese Zeit (27. bis 28. November) fällt auch der Sturm durch den jetzt NakamuraEngpaß genannten Hohlweg. Generalmajor Nakamura mit 2000 Freiwilligen
versuchte
(Sungshushan) zu
die
Batterie
nehmen .
dicht
südlich
Zwischenwerk III
Nur vereinzelte kehrten zurück.
Auch
dies Bravourstück blieb erfolglos , die Heldenschar hatte sich umsonst geopfert. also
Das einzige Mittel zur Vernichtung der russischen Flotte war die Erstürmung des Hohen Berges, der Stadt und Hafen be-
herrschte.
Unverzüglich schritt man dazu.
Am 28. November wurde
dreimal gestürmt, die beiden letzten Male nach wirksamer Vorbereitung durch die bei Tembanko aufgefahrenen 28 cm-Haubitzbatterien . Der
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren. ganze Erfolg dieses Tages
195
ging in der nächsten Nacht durch einen
russischen Gegenangriff wieder verloren, Am 29. November setzte nur die Artillerie den Kampf vom Eckberg und aus westlichen Stellungen fort. Die 1. Resere- und 1. aktive Brigade wurde zurückgenommen und frische Truppen der 7. Division nach vorn genommen. Am 30. November, vormittags, wurde die zuerst schon einmal eroberte Stelle von den Japanern wiedergenommen und eine neue auf 181 , abends noch eine Anschlußstrecke des Schützengrabens von Sandsackverstärkungen wurden sofort angelegt 80 m Länge. und Verbindungen mit den unteren Gräben hergestellt. Durch das Feuer der 28 cm - Haubitzen waren fast alle Unterstände durchschlagen, einige brannten. Bei dem Sturm in der Nacht vom 30. November bis 1. Dezember etwa
auf alle drei Gipfel gelang es den Japanern, sich auf Höhe 203 festzusetzen.
Am 1. Dezember , nachmittags, wurden sie wieder bis zum
Fuß der Höhe zurückgedrängt eroberten Südwestecke . Bis
5. Dezember beschoß
und hielten sich nur in der nun
zuerst
Tag und Nacht Artillerie
diese
Höhen, die 2. Feldartilleriebrigade erschwerte durch Flankenfeuer von südlich Schuischiying das Heranführen der Reserven. Am 5. Dezember nahm das 27. Infanterieregiment die Westkuppe 211 , gegen Mittag das 27. und 28. Infanterieregiment auch 203. Die Russen hatten sich in Erwartung von Verstärkungen auf 181 zurückgezogen.
Als die Reserven eintrafen , war es zu spät.
Die
wiederholt mit äußerster Erbitterung geführten russischen Angriffe wurden abgeschlagen. den Russen geräumt . In den
Am 6. Dezember wurde auch Höhe 181 von
neuntägigen Kämpfen
um
die höchstens
400 m lange
Stellung auf dem Hohen Berge hatten die Japaner 10000 , die Russen 5000 Mann verloren. Das Schicksal der Flotte, nicht der Festung war damit besiegelt, aber es ist ein Irrtum, daß die 28 cm-Haubitzen der Japaner die russischen Schiffe vernichtet hätten. Die Russen selbst haben sie versenkt, als sie sie verloren sahen.
Als entschiedenes Versäumnis muß das Fehlen permanenter Anlagen auf den drei Kuppen des Hohen Berges bezeichnet werden ; der gewachsene Fels hätte die Widerstandsfähigkeit noch gesteigert. Betrachten wir jetzt die aus dem Kampf um geschobenen Stellungen zu ziehenden Lehren : Die erste Frage ist :
Haben die Vorstellungen
die vor-
außerhalb des -
wirksamen Artillerieschutzes der Hauptstellung ihren Zweck erfüllt ?
196
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren. Dank der Schwäche und daraus hervorgehenden Untätigkeit der
Japaner haben die vorgeschobenen Stellungen 67 Tage Zeit gewonnen für die Arbeiten an der unfertigen Festung, aber 1. es hätte durch offensiv geführte Verteidigung bedeutend mehr erreicht werden können , 2. bessere Aufklärung und Befehlsgebung hätten nicht nur erlaubt, mit den 40000 Mann des Generals Stössel die Landung der Japaner zu verzögern und die gelandeten Kräfte zu schlagen, sondern noch bei Kintschou und bis Mitte Juli positive Erfolge gegen die Truppen des Generals Nogi versprochen. Im Zusammenwirken mit der Flotte war bei der eigentümlichen Gestaltung der Halbinsel die Möglichkeit gegeben zum Aufhalten des Feindes in mehreren hintereinander gelegenen vorgeschobenen Stellungen , und zwar ohne die Gefahr umfaßt und vom Rückzug abgeschnitten zu werden. Daß selbst bei der über 20 km langen Stellung YupilasaHuinshan keine Umfassung stattgefunden hat, beweist natürlich nicht, daß es zweckmäßig war, zuviel Kräfte
gerade diese Stellung
zu ihrer Besetzung erforderte
zu nehmen, die viel
und zuwenig übrig ließ
für die allein erfolgversprechende Offensive (oder für Arbeiten an der Festung) ; verallgemeinern läßt sich daher die Lehre nicht, so weit vorgeschobene Stellungen immer zu halten ; die Fälle liegen zu verschieden, als daß man da eine Regel aufstellen könnte. Es ist eben hier im Grunde wie im Feldkrieg, entweder liegt vor: die entscheidungsuchende Verteidigung, die mit offensivem Verfahren verbunden werden und sich starke Reserven dazu und Raum zum Vorgehen zur Verfügung halten muß, oder die reine Verteidigung, die um Zeitgewinn kämpft . Zu ersterem wird man sich natürlich entschließen, wo immer es geht. Und im letzteren Fall kann man wohl im allgemeinen sagen , die vorgeschobene Stellung wird nur verhältnismäßig schwach besetzt, und nicht durch Reserven aus der Hauptkampf linie unterstützt, wo stets noch genug Arbeit für überzählige Hände vorhanden sein wird. Aber die Vorstellung erhält von vornherein reichlich Munition ; dann kann sie sich bewähren , wenn der Feind sie nicht umgehen kann und angreifen muß. Hat aber ausnahmsweise auch in einer Verteidigung, die um Zeitgewinn kämpft, wie bei Port Arthur, der Verteidiger die Überlegenheit der Zahl, dann dient er durch einen entscheidenden Sieg, 99 der immer willkommen ist" , wie Moltke sagt, seiner Sache natürlich am besten, wenn er sich nur erst innerlich zur Offensive durchzuringen und seine Truppen dazu wirklich fortzureißen vermag. Und das konnte General Stössel nicht . -
Die vorgeschobenen Stellungen vor Port Arthur und ihre Lehren .
197
Zur zweiten Frage : Haben die im Bereich der wirksamen Feuerunterstützung der Hauptverteidigungslinie liegenden Stellungen vor Port Arthur ihren Zweck erfüllt ? — Hier läßt sich die Frage rundweg bejahen .
vorgeschobenen
Die Stellungen auf
dem Hsiaukushan und Takushan , bei Schuischiying und besonders im Nordwesten haben, auch ohne daß schwere Batterien in ihnen Verwendung fanden, die Japaner Hekatomben von Blut gekostet, an Zeit Monate und schließlich z. T. belagerungsmäßigen Angriff erfordert : Der Hohe Berg (japanisch Nireisan, Höhe 203 ) ist dafür das beste Beispiel ; nur eine permanente Anlage hätte mehr leisten können gegen die damals vorhandenen, allerdings nicht hinreichend starken japanischen Angriffsmittel ; die verdeckte und verteilte Aufstellung der japanischen Artillerie geschah geschickt und auf ausreichend großer Entfernung, so daß das Feuer der Hauptverteidigungslinie gegen sie anscheinend ziemlich wirkungslos geblieben ist¹) . Noch jetzt ist der Schauplatz der Kämpfe um die 203 m-Höhe äußerst eindrucksvoll und verfehlt, belebt durch die Erinnerungen, die aus Büchern und Karten vor das geistige Auge treten, nie, sich dem Gedächtnis unauslöschlich einzuprägen. Schwere Verwüstungen haben die Brisanzgeschosse angerichtet ,
meterhoch sind die Kuppen
des Doppelhügels von Schutt bedeckt. Die wenigen Stellen, wo der heißumstrittene Schützengraben nicht zerstört ist, zeigen, daß er mit der Spitzhacke und dem Meißel in den scharfsplitternden Felsen eingehauen ist. Der dem Langen Berge zugekehrte Abhang ist so steil, daß man wie in eine Schlucht hinunterblickt. Auf beiden Seiten ward mit unerhörter Tapferkeit gestritten ! der
nur 600 m
70 Tage,
Am 29. September war
entfernte Lange Rerg in japanische Hände gefallen .
fast ein Vierteljahr, verging, ehe die Laufgräben, die noch
jetzt wie ein engmaschiges Netz entfernung heran waren .
Wachsam
den Berg überziehen,
auf Sturm-
und entschlossen haben die tapferen Verteidiger zwei
Tage lang die stürmenden Japaner mit blutigen Köpfen heimgeschickt. Fünf Tage und fünf Nächte sausten daraufhin krachend die japanischen schweren Granaten in die russischen Unterstände und Gräben . Der Fels selbst ist zermürbt unter ihrer Sprengkraft. Erst als Artilleriefeuer von der Flanke die russischen Reserven traf, ward die Kraft des Verteidigers durch die stürmenden Japaner gebrochen. Ein schauerliches Leichenfeld hatte der Sieger erobert,
aber einen Besitz,
1 ) Siehe „Deutsche Rundschau“, November 1909. Leutnant Mackowsky, Port Arthur und Dalnij in japanischem Besitz.
198
Literatur.
so kostbar, daß 15000 Japaner und Russen ihr Leben darum gelassen hatten.
Seither sind die Angriffs- und Verteidigungsmittel weiter vervollkommnet ; unter den verschiedensten geographischen Bedingungen, im Dünensand und auf Bergeshöhen, im Wasser und Lehm, auf Schnee und Eis haben unsere Truppen
seit Monaten sich in immer neuer
Weise damit abgefunden. Was menschlich und soldatisch Verteidiger und Angreifer bei derartigen Kämpfen um befestigte Stellungen leisten müssen , ist ungeheuer. Aber mag die Technik auch noch so sehr die Verteidigung zu begünstigen scheinen und die schwere Angriffsarbeit verlangsamen , mag das Gelände vielfach eine große, ja ausschlaggebende Rolle spielen in den kleinen Verhältnissen von Port Arthur, wie im großen Kriege gilt : Nur wer immer wieder rechtzeitig und entschlossen anzugreifen weiß, der siegt!
Literatur.
Bücher. Die vaterländische und militärische Erziehung der Jugend . Von Ferdinand Kemsies. Hamburg.. Leipzig und Hamburg Verlag von Leopold Voss 1915. Erweiterter Sonderdruck aus der Zeitschrift für Schulgesundheitspflege 1915 . Preis 1 M. Der Verfasser behandelt in vier Abschnitten : Die militärische Jugendvorbereitung und Jugendpflege ; Turnen, Spiel und Sport im Dienste der Erziehung und Wehrkraft ; das hygienische Gleichgewicht in der Erziehung und Vaterländische Erziehung und Wehrübungen. Es werden bei der Besprechung der heimischen Verhältnisse und Einrichtungen zum Vergleiche auch die von Frankreich, Italien, England, Rußland und Japan herangezogen und mit gutem Verständnis und schöner Sachkenntnis mannigfache neue Anregungen und Vorschläge, wie namentlich im Abschnitte über vaterländische Erziehung und Wehrübungen, erteilt. In anerkennenswerter Weise spricht sich der Verfasser gegen jedes Überhasten und Experimentieren aus, dem man ja leider auf pädagogischem Gebiete in den letzten Jahren nur allzu oft begegnen konnte. Bei einer neuen Auflage die wir dem ansprechenden Büchlein von Herzen wünschen, dürfte es sich empfehlen außer den preußischen und bayrischen Verhältnissen, die vor allem
Literatur.
199
besprochen werden , auch die der anderen Staaten Deutschlands mehr als es geschehen ist, heranzuziehen und da besonders die des Königreichs Sachsen . Verfasser wird da bald finden , daß nicht weniges von dem , was er als wünschens- und erstrebenswert hinstellt, hier Dr. Paul Arras, Bautzen . schon längst eingeführt ist. Die moderne Diplomatie. Von B. L. Frhr. v. Mackay. Frankfurt a. M. Verlag von Rütten & Loening . 2,80 M. Gegen das Schimpfen auf unsere Diplomatie zieht der Verfasser zu Felde . Er tut es, indem er über das Wesen der Diplomatie unterrichtet und Charakteristiken eines Grey, Iswolsky, Delcassé gibt, denen er einen Machiavelli und Bismarck gegenüberstellt. Er singt unseren eigenen Diplomaten kein Loblied, hält sie aber für auf der gleichen Höhe stehend , wie alle anderen Einrichtungen des Deutschen Reiches. Seine Ausführungen gipfeln in der Frage : Wie muß die Diplomatie der Zukunft beschaffen sein ? P. H. Deutschlands Kriegsgesänge aus dem Weltkriege 1914. Gesammelt von C. Peter, Verlag G. Stalling, Oldenburg i. Gr. 300 Seiten . Preis in hübschem Pappband 1,80 M. Aus der fast übergroßen Fülle der in den ersten fünf Kriegsmonaten entstandenen Schutz- und Trutzlieder hat der Verfasser mit großem Geschick und kritischem Geschmack eine Auswahl getroffen und zusammengestellt, die jeder Deutsche nur mit großer Freude begrüßen wird. Die Sammlung gliedert sich in zehn Abschnitte, von. „Unserem Kaiser" anfangend , dem Vaterland, dem Heer und der Flotte, unseren Helden, den deutschen Frauen usw. gewidmet, bis im letzten Teil auch Mundarten und Humor zu ihrem Rechte kommen . Dem Heft ist weiteste Verbreitung zu wünschen , nicht nur, weil es tatsächlich geeignet ist, zu erheben und zu begeistern , sondern auch noch, weil 10 % jedes verkauften Exemplares der Nationalspende für die Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen zugeführt wird. - Erwünscht wäre die Anlage eines Inhaltsverzeichnisses, in dem der interessierte Leser die ihm besonders zusagenden Lieder anmerken könnte, sowie überhaupt zum leichteren Auffinden der einzelnen Lieder. W. Flemmings Kriegskarten : Nr. 14 England und die französischbelgischen Kanalküsten und Nr. 15 Spezialkarte für den Kriegsschauplatz in Polen. Verlag C. Flemming A.-G. , Berlin und Glogau . Preis je 1 M. Die Flemmingschen Kriegskarten haben sich schnell allgemein eingeführt und so allgemeine Anerkennung gefunden , daß sie einer besonderen weiteren Empfehlung kaum noch bedürfen . Die zwei jetzt vorliegenden Blätter stehen den schon früher erschienenen nicht nach, sondern sie übertreffen sie, was ganz besonders von der im großen Maßstabe von 1 : 600000 gezeichneten Karte von Polen gilt, W.
200
Literatur.
Professor Spalckhavers Flottentabelle 1914. Verlag J. Harder, Altona, Königstr. 174. Preis 25 Pf. Die Flottentafel gibt eine Übersicht der Seestreitkräfte der am Weltkriege beteiligten Mächte nach dem Stande bei Ausbruch des Krieges . Namentlich aufgeführt sind jedoch nur die größeren Schiffe bis herab zu den geschützten Kreuzern, während die übrigen Schiffe nur summenmäßig angegeben sind, damit die Tafel nicht zu umfangreich und unübersichtlich würde .
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des ver. fügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde - hier vermerkt. Eine Rücksendung von Bächern findet nicht statt.) 1. Kemsies, Die vaterländische und militärische Erziehung der Jugend. Leipzig 1915. Verlag von Leopold Voss. 1 M. 2. Stein, Deutsche Heerführer in großer Zeit. Siegen 1915. Hermann Montanus. 2 M. 3. Bitterauf, Die deutsche Politik und die Entstehung des Krieges. München 1915. E. H. Beck. 2,80 M. 4. Kutscher, Kriegstagebuch . München 1915. E. H. Beck. 3 M. 5. Postler, Erntedank für unsere Feldgrauen. Halle (Saale) . Verlag des Evangel. Sozialen Preßverbandes für die Provinz Sachsen. E. V. 0,30 M.; 50 St. 12,50 M .; 100 St. 20 M. 6. Rohrbach, Rußland und wir. Stuttgart 1915. J. Engelhorns Nachf. 1 M.
7. Fircks Taschenkalender für das Heer. 39. Jahrgang 1916. Herausgegeben von Freiherr von Gall. Berlin 1915. Verlag Georg Bath . In Leder geb. 4,25 M. 8. Buddecke, Bibliographie der neueren deutschen Kriegsgeschichte. Teil I. Die Literatur über den Feldzug 1864. Berlin 1915. Verlag Georg Bath. 3,50 M.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z . D. H. Rohne) enthält u . a. folgende interessante Arbeiten : Haupt, P., Oberst a. D. Einige ballistische Untersuchungen. Krebs, W. Einfluß der Erdrotation auf das Auswerfen von Geschossen aus lenkbaren Luftschiffen. v. Richter, Generalmajor z. D. Zur Verluststatistik. Rohne, Generalleutnant z . D. Flach- und Steilfeuer. ** Schiffshaubitzen . *
**
Die englische Feldhaubitze .
Das (Doppel-) Heft ist zum Preise von M. 5, - durch jede Buchhandlung zu beziehen. Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.
XVIII. Der dritte Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen .
Von v. Richter, Generalmajor a. D.
Hatten Engländer
und Franzosen anfangs
die Bezwingung der
Dardanellen lediglich von der See aus versucht und dann das Unternehmen im Zusammenwirken mit Landungstruppen fortgesetzt, so fiel die Hauptrolle im
dritten Abschnitt den starken, auf der Halbinsel
Gallipoli ausgeschifften Kräften
zu,
während
sich die Tätigkeit der
vereinigten Flotte im Rahmen der Unterstützung äußerte. Über die Vorgänge, die sich vor dem dritten Abschnitt bis etwa Mitte Juni 1915 abspielten ,
ist in den Heften Mai und August der Jahrbücher
berichtet. Sie schienen einen gewissen Abschluß gefunden zu haben mit den erbitterten Vorstößen in der Nacht vom 11. zum 12. Juni gegen die türkischen Anlagen bei Sedd ul Bahr. folgende, verhältnismäßige Stille nur trügerisch. 21. Juni setzten neue schwere Kämpfe ein,
Indessen war die Denn schon am
denen weitere vom 27 .
bis 30. Juni folgten . Sie richteten sich hauptsächlich gegen die Anlagen bei Sedd ul Bahr, wurden aber durch Unternehmungen gegen Ari Burun unterstützt.
In der Regel spielten sie sich in der Weise
ab, daß die Angreifer die Ziele zunächst stundenlang durch Massen feuer ihrer Artillerie überschütteten, dann vorgingen und einen Teil der
türkischen Schützengräben
erstürmten.
Darauf wurden sie von
den Verteidigern, meist bei Nacht, wieder zurückgeworfen bis in ihre eigenen Anlagen, die dem Sieger aber ebenfalls wieder entrissen wurden. in
Jeder von beiden Gegnern
seinen Stellungen.
behauptete sich im allgemeinen
Der Erfolg bestand in der Hauptsache darin,
daß dem Feinde Verluste zugefügt wurden, die bei den Verbündeten ungleich größer ausfielen, und in Erbeutung von Waffen und Munition oder Zerstören von Anlagen und ihrer Einrichtungen. Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 530.
15
202
Der dritte Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen.
An den zwischen den Schlachten liegenden Tagen setzte das Artilleriefeuer, zuweilen verstärkt durch die Schiffsgeschütze, nie ganz aus und fanden Plänkeleien statt, bald von der einen , bald von der anderen Seite ausgehend . Zuweilen konnte die Zerstörung von Funkenanlagen oder Fliegerschuppen, Verursachen von Brandschäden im feindlichen Lager oder auf Schiffen, Treffer gegen Torpedobootzerstörer oder Minensucher usw. gemeldet werden . Günstig für die Türken blieb der Umstand , daß ihre Artillerie, wie schon früher, auch von der anatolischen Seite der Meerenge in die Kämpfe auf der Südspitze der Halbinsel Gallipoli gegen die Landungstruppen eingreifen konnte. In der ersten Hälfte des Monats Juli ging es verhältnismäßig ruhig zu. Aber am 12. entspann sich wieder eine ausgedehnte Schlacht sowohl bei Sedd ul Bahr als Ari Burun, wobei die Verbündeten ihre Angriffe gegen die feindlichen Flügel zu deren Umfassung ansetzten. Sie währte die Nacht hindurch bis in den Vormittag des 13. Juli und sollen die Engländer und Franzosen in ihr 60 000 Artilleriegeschosse verfeuert haben.
Diese
gewaltige Zahl, wenn auch wohl nur an-
nähernd geschätzt , läßt den Nachdruck erkennen, der seitens der Angreifer auf den Erfolg gelegt wurde. Er blieb indessen, wie in den früheren Schlachten, aus . Am 20. Juli teilte Mr. Asquith
im englischen Unterhause mit,
daß die Gesamtverluste der französisch-englischen Land- und Marinetruppen an den Dardanellen 8084 Gefallene, 26814 Verwundete und 7536 vermißte Offiziere und Mannschaften betrugen, und aus anderweiten Angaben wurde bekannt, daß täglich 800 Verwundete nach Marseille und Alexandria abgeschoben würden . Die Stärke der gelandeten Truppen ist nicht bekannt. Sie wurde zu 50000 und nach Eintreffen von Verstärkungen auf höchstens 80000 geschätzt. Unter der Annahme, daß die höhere Zahl für Mitte Juli zutrifft, würde der Abgang 53 auf das Hundert betragen haben, ein Satz, der es dringend notwendig machte, die Bezwingung der Dardanellen auf anderem Wege oder mit anderen Mitteln als bisher,
unter Vermeidung so starker
Verluste zu versuchen . In gleichem Sinne mußte die Erkenntnis wirken, daß die Türken völlig ausreichend mit Munition versorgt seien, um Angriffe von dem bisherigen Umfange abzuweisen. Gerade in der letzten Schlacht hatten die Verteidiger mit ihrem Schießbedarf nicht gegeizt und dadurch die Hoffnung der Verbündeten zerstört, der Munitionsmangel auf der feindlichen Seite würde ihnen den endlichen Sieg verbürgen . Sehr bald erfuhr man auch , daß an Vorbereitung eines neuen, großen, gemeinsamen Angriffs gearbeitet werde , der noch vor Ende Juli stattfinden solle.
Aus England und Frankreich seien neue
Der dritte Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen.
203
Verstärkungen an Truppen und Geschützen mit riesigen Mengen Munition eingetroffen, und die in Malta zur Instandsetzung gewesenen Kriegsschiffe zurückgekehrt . Die Ausschiffung von angeblich 300 schweren Geschützen auf Gallipoli, die am 5. August gemeldet wurde , ließ eine Vorstellung zu , mit welchem Nachdruck die Forsetzung der Angriffe geplant war.
Die schon früher eingetroffenen
Haubitzen
stellten größere Wirkung gegen gedeckte Ziele in Aussicht, gleichviel ob sie in den Feldbefestigungen oder in den Werken an der Meerenge zu bekämpfen waren . Aber auch auf der türkischen Seite ging es sehr lebhaft zu . Gerät ein.
Unablässig trafen Verstärkungen an Soldaten und
Alle Nachrichten wiesen darauf hin, daß neue, gewaltige Kämpfe bevortänden, in denen die Entscheidung fallen solle. auch
nicht lange auf sich warten lassen und
Sie haben denn
setzten
mit großer Heftigkeit ein. Die vorstehend besprochenen Unternehmungen , die sich seit Mitte Juni abspielten, müssen genau genommen noch dem zweiten Abschnitt der Dardanellenkämpfe zugezählt werden . Für Beginn des dritten kann erst die Zeit nach den ersten Tagen des August gelten. Am 6. August unternahmen die Verbündeten in der ganzen Ausdehnung ihrer bisherigen Front kräftige Angriffe, die zweifellos dem Zwecke dienten, die Aufmerksamkeit und die Kräfte der Türken von der beabsichtigten Landungsstelle abzuziehen, und in denen Engländer Gleichzeitig begannen die und Franzosen starke Verluste erlitten . vermuteten Ausschiffungen von Truppen in der Suvla- oder Anafartabucht an der Westküste von Gallipoli , etwa 20 km nördlich von Ari Burun (s. die beigegebene Skizze). Sie setzten sich zusammen aus fünf Infanteriedivisionen , einer als Infanterie kämpfenden Kavalleriedivision und zahlreicher Artillerie. Über die Landungskämpfe gibt ein Berichterstatter der Times eine Schilderung, der folgendes zu entnehmen ist : „ Die Vorbereitungen waren sorgsam getroffen und ein am 6. August vorgenommenes, heftiges Bombardement mit folgendem Angriff auf Adi Baba (Höhe 222) sollte die Türken täuschen . In der pechdunklen Nacht erfolgte dann um 2 Uhr die Landung,
die erst bei Tagesanbruch von den Türken
entdeckt wurde, als sich die Engländer mit 2 Divisionen bereits völlig an beiden Spitzen der Suvlabucht festgesetzt hatten . Die Türken begannen alsdann das Feuer, aber gleichzeitig gingen die Australier an den Flügeln zum Angriff vor.
Während des ganzen Tages wurde die
Landung von Truppen unter beständigem feindlichen Feuer fortgesetzt . Die Infanterie ging in langen Linien vor bis gegenüber den Anafartahügeln unter beständiger Beschießung der türkischen Batterien . Zwei 15 *
204
Der dritte Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen.
Bataillone hatten sich bei Anbruch der Nacht in einer vorgeschobenen Stellung befestigt. So wurden drei englische Meilen (4,6 km) Gelände gewonnen, aber die Hauptstellung der Türken blieb unberührt. " Der Grund für das Ausbleiben weiterer Fortschritte lag in dem Feuer der
Ka
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Kiritsch Karnabil
Suvla Tepe Burnu Salz Anafarta Bucht B.Anafart
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Kasadere AriBurun Kapale Nagara MarduoseKale Medjidie KilidBabi schanak Medjidie
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SidulBahr
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Kum Kale Shebr Yeni 0
Türken,
10Km
die rechtzeitig die Höhen von Anafarta besetzt hatten und mit ihrer Artillerie be-
die bis zur Suvlabucht vorliegende Ebene herrschten .
Die Veranlassung dazu, das verstärkte Unternehmen auf das Gelände östlich der Suvlabucht auszudehnen, muß in dem sich dort bietenden größeren Entwickelungsraum gesucht werden.
Die bisherigen
Der dritte Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen.
205
Schlachtfelder bei Sedd ul Bahr und Ari Burun boten zwischen Ufer und Bergen nur wenig Platz für die Aufstellung und Bewegungen der ausgeschifften Truppen, sowie die Anlage von Deckungen. Insofern lagen die Verhältnisse an der Suvlabucht günstiger. Die nach dem Meere zu offene Ebene von Anafarta besitzt vom Kasaderebach in gerader Linie nördlich bis
zum Gestade des Golfs
von Saros
eine
Ausdehnung von 8 km, unterbrochen durch einen mit der Bucht in Verbindung stehenden , etwa 2 km in das Land hineinreichenden See. Bis zum Fuße der Berge dehnt sie sich in westlicher Richtung 4 bis 5 km aus. Die Felsenriffe des Ufers bieten den landenden Truppen einige Deckung, dann aber hört sie fast gänzlich auf. Von den sich im Norden , Osten und Süden erhebenden Höhen aus kann die Ebene unter Feuer gehalten werden und vorgehende Truppen sind frontalem , flankierendem und kreuzendem Feuer ausgesetzt . Für das Vordringen bis in die Berge war nur dann Aussicht vorhanden, wenn die Türken überrascht wurden und Artillerie krönen konnten
nicht
rechtzeitig
die
Höhen
mit
ihrer
Nachdem das Vorgehen in die Front bei Sedd ul Bahr und Ari Burun den
erwünschten Erfolg nicht gehabt hatte,
suchte man ihn
nun durch Flankenangriffe zu erreichen . Diese Absicht trat deutlich hervor durch den schon am ersten Tage der Ausschiffung unternommenen Versuch, sich in den Besitz der Höhe 286 nördlich des Kasaderebaches zu setzen, die den Schlüssel zur Stellung von Ari Burun bildet. Von dort aus konnte gegen ihren Rücken vorgegangen und das Berggelände genommen werden, das der Artillerie die Möglichkeit bot, gegen die türkischen Anlagen bei Tschanak zu wirken. Die an die Ausschiffung anschließenden Kämpfe hatten mit großer Heftigkeit vom 6. bis 8. August gewährt. Die Erschöpfung zwang an den folgenden Tagen dazu, die Unternehmungen einzuschränken . Am 15. und 16. August steigerte sich in der Anafartaebene die Kraft der Vorstöße wieder, unterstützt durch heftiges Artilleriefeuer und Bombenangriffe bei Sedd ul Bahr.
Hierbei wollen die Engländer auf ihrem
linken Flügel 500 m vorgerückt
sein und die zum Gegenangrfff vor-
gehenden Türken abgewiesen haben .
Über diese Kämpfe , die der Er-
weiterung des Entwickelungsraumes dienen mußten, gelangte am 20. August eine Meldung des Oberbefehlshabers, Generals Hamilton zur Kenntnis , die die Lage dahin festlegte, daß die Ausschiffung zwar gut gelang, die Truppen aber nicht merklich vorwärtsgekommen seien , da der Feind starke Reserven heranzog nnd den Angriff zum Stehen brachte. Nachdem schon am 17. und 20. August größere Unternehmungen in der Front auf der Ebene von Anafarta stattgefunden hatten, er-
206
Der dritte Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen.
folgte dort am 21. August
ein durch Artilleriefeuer gründlich vor-
bereiteter Angriff von mehr als einer Division , der durch Kämpfe bei Ari Burun unterstützt wurde. Die Türken gingen zum Gegenangriff vor und brachten den Feinden schwerste Verluste bei, die ihrerseits zugestehen mußten, daß die Dardanellenverteidiger nicht an Munitionsmangel litten, wie sie sich zur Belebung ihrer Hoffnungen vorgetäuscht hatten, daß vielmehr die Heftigkeit des Artilleriefeuers von Woche zu Woche zunehme. Kennzeichnend für die
Lage des
Landungskorps
ist
die
am
26. August ausgegebene englische Meldung, die das Endergebnis der seit dem 6. August stattgehabten Unternehmungen zusammenfassend zu dem Schlusse gelangt :
„ Es kamen
Sie machten
Da sie
Fortschritte.
alle Divisionen ins Gefecht.
aber den Gipfel der besetzten
Höhen nicht erreichen konnten, wurden sie nach ihrer ursprünglichen Stellung zurückgedrängt. Das gewonnene Gelände ist sehr wichtig. Man soll daraus aber nicht schließen, daß wir das eigentliche Ziel erreicht haben . Weitere ernste Kämpfe werden nötig sein, um einen entscheidenden
Sieg davonzutragen. "
Aus den etwas gewundenen
Angaben geht das Eingeständnis klar hervor, daß die entscheidenden Höhen im Besitz der Türken blieben und die Angreifer in ihre Ausgangsstellungen zurückgeworfen sind . Wie dem gegenüber von der Wichtigkeit des gewonnenen Geländes gesprochen werden kann , ist unverständlich .
In England wurde das Scheitern der mit gewaltigen
Verlusten verbundenen Kämpfe auch zutreffend als „ eine sehr ernste Sache aufgefaßt und erkannt, daß nur durch weitere „grausame “ Opfer eine schwache Aussicht auf Erreichen des Zieles bestehe . Man sah sich zu dem Zugeständnis gezwungen, die türkischen Kräfte und ihre Leistungen unter deutschen Organisatoren unterschätzt zu haben. Dagegen konnte die Lage der Türken als glänzend bezeichnet werden. Es war ihnen gelungen, durchweg ihre Stellungen zu behaupten und die Feinde in Schach zu halten. Auf dem wichtigsten Gefechtsfelde bei Anafarta beherrschten sie mit ihrer gut eingeschossenen Artillerie weithin die Ebene aus überhöhender Stellung und konnten jedes Vorgehen des Gegners im Keime ersticken , ohne selbst durch die schweren Schiffs- und Landgeschütze sonderlich zu leiden. Die äußerst schwierigen Verhältnisse drängten die Verbündeten dazu, einen Ausweg aus der verzweifelten Lage zu finden . Deshalb erneuerten die
sie in der vom 26. bis 28. August währenden Schlacht,
sich auf den Gebieten von Anafarta und Ari Burun abspielte,
den Versuch, die Höhenstellungen zu gewinnen . Starke Kräfte trugen mit zäher Ausdauer den Angriff vorwärts. Gelang es auch, in der
207
Der dritte Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen.
Front einige Schützengräben zu nehmen , so eroberten sie die Türken doch wieder zurück. Die Anstrengungen waren vergeblich gewesen . Diese Schlacht bildete den Höhepunkt der seit dem 6. August stattgehabten Kämpfe und wurde von Hamilton selbst geleitet. Auch in ihrem Verlaufe zeigte sich das Bestreben, den rechten Flügel der Türken zu umfassen, wie dies bereits bei dem Angriff auf den Abschnitt von Ari Burun zu Beginn der Ausschiffung zutage getreten war. Deshalb wurde mit besonderer Heftigkeit um den Besitz der Höhen von
Kiritsch Tepe am Golf von
deren Wegnahme,
so konnten die Türken
und so der Weg werden.
zu
Gelang
Saros gekämpft. nach Süden
abgedrängt
den Befestigungen an der Meerenge
geöffnet
Wie nicht anders zu erwarten , trat nach der opferreichen verunglückten Kraftprobe ein Abflauen der Unternehmungslust ein . Es wieder Tage mit Plänkeleien und Artilleriekämpfen in allen drei Abschnitten, wobei es in demjenigen von Anafarta am lebhaftesten zuging. Der hohe Kampfpreis reizte zu neuen Plänen für Bezwingung der Dardanellen und an die Aufgabe, die bisher mit einem Landungskorps von 100 000 Mann nicht zu bewältigen war, sollten nun
kamen
500 000 gesetzt werden .
September
Mitte
kam
über Italien
die
Nachricht von riesigen Vorbereitungen zu einem nahen Hauptsturm auf die türkischen Stellungen und die Befestigungen der Meerenge unter kräftigster Mitwirkung der Flotte, diese durch eine große Anzahl Unterseeboote und starke Artillerie verstärkt. Allein diese Ausstreuung dürfte , wie schon so manche frühere, dazu bestimmt gewesen sein, den Balkanstaaten das Eingreifen zugunsten des Vierverbandes annehmbarer zu machen durch Vorspiegelung einer unwiderstehlichen Kraftentfaltung. Das einzige, seitdem stattgehabte größere Unternehmen fand am 19. September gegen den linken türkischen Flügel statt, der sich als ein Feuerüberfall mit zahllosen Geschossen darstellte, aber dem Feinde so gut wie keine Verluste verursachte. Bestand aber die Absicht auf ein Gewaltunternehmen größten Stiles ernstlich, so könnte das nur beweisen, wie die Engländer immer wieder ihre Zuflucht zur Masse nehmen, wo ihre Kriegskunst versagt. Auch das gewaltigste Aufgebot würde vermutlich die Erfüllung der Wünsche nicht gebracht haben .
Die bisherigen Landungsstellen waren
der Verwendung größerer als der bisherigen Truppenmengen nicht günstig. Deshalb hätten die Operationen immer weiter nordwärts auf die Halbinsel Gallipoli verlegt werden müssen,
wodurch sie sich
von ihrem Endziel,
mehr und
entfernt
hätten .
den Dardanellenbefestigungen,
Dort gestalten
sich die Vorbedingungen für
mehr das
Landen aber außerordentlich ungünstig, weil die Gebirgszüge hart an
208
Der dritte Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen.
den Strand heranrücken, so daß sie so gut wie keinen EntwickelungsDie Türken raum lassen und dabei höher und steiler ansteigen. würden immer
wieder
den
Vorteil
der
überhöhenden,
verdeckten
Stellungen besitzen, aus denen sie den Gegner, wie bei den südlicheren Landungsstellen, gegen das Meer hinabstoßen könnten. Auch lassen sich 500000 Mann
nicht so schnell aus der Erde stampfen, wie in Denn von Ende September bis in das Früh-
diesem Falle geboten .
jahr hinein pflegen die von Süd und Südwest auftretenden Äquinoctialstürme im Golf von Saros mit größter Heftigkeit zu wüten, denen gegenüber sich nur sehr starke Dampfer mit Anspannung aller Kraft halten können . Das Landen von Truppen würde in jenem Zeitabschnitt für Tage, wenn nicht Wochen sehr erschwert, vielleicht unmöglich sein. Und mit dem Landen allein wäre es noch nicht getan. An dem unwirtlichen Strande bliebe die Verpflegung, namentlich mit Wasser, das Heranschaffen der Munition, der Abtransport der Verwundeten usw. zu regeln, und setzen diese Maßregeln unterm Zwange der Verhältnisse
auch nur für
wenige Tage aus,
so
könnten die
Truppen in die peinlichste Lage kommen. Für die Türken bestehen zwar die gleichen Schwierigkeiten und sie häufen sich, je mehr Truppen auf Gallipoli zusammengezogen
werden müssen,
allein sie lassen sich sehr viel leichter beherrschen.
Denn für den Nachschub stehen die Verbindungen über die Halbinsel und der Wasserweg durch das Marmarameer und die Dardanellen zur Verfügung. Jene sind freilich schlecht und auch dieser ist nicht ganz gefahrlos, da er, wie bekannt, durch englische Unterseeboote bedroht wird, die dort u . a. das Linienschiff „ Barbaross Hairedin " versenkten . Über die Gesamtverluste der britischen Truppen an den Dardanellen ausschließlich Erkrankter liegt eine Erklärung der Regierung vor. Nach ihr betrugen sie bis zum 9. Oktober an Toten, Verwundeten und Vermißten 4200 Offiziere , 96899 Mannschaften. Mangels Kenntnis
des Aufgebots der an den Kämpfen beteiligten britischen
britischen Truppen läßt sich der prozentuale Abgang nur sehr annäherungsweise ermitteln. Die erste gemeinsame Landung bei Sedd ul Bahr und Ari Burun wurde auf 80000 , auf 100000 Mann geschätzt,
die
die spätere bei Anafarta
noch Nachschub
erhalten
haben
sollen . Nimmt man die Gesamtstärke zu 200000 Köpfen und den Anteil der Franzosen zu 50000 Mann an, so würden die Verluste der Engländer die ansehnliche Höhe erreichen.
von etwa 68 auf das Hundert
Zu wesentlich anderen Angaben gelangte Enver Pascha in der Sitzung der türkischen Kammer vom 5. Oktober, indem er ausführte :
Der dritte Abschnitt des Angriffs auf die Dardanellen . „Nach unseren Berechnungen
209
benutzte der Feind ungefähr 500000
Mann für die Angriffe auf Gallipoli .
Ungefähr die Hälfte dieser Zahl
liegt auf der Halbinsel begraben und der Rest kehrte verwundet zurück. " Außerdem haben die Verbündeten in dem besprochenen Zeitabschnitt den Verlust von mindestens 3 Unterseebooten und 1 Transportdampfer
zu
beklagen .
Mehrere
Schiffe
wurden
durch
Treffer
schwer beschädigt oder in Brand geschossen. Lord Kitchener, der seine Kriegserfahrungen in Indien und Afrika gesammelt hat, zollte den Türken in einer Mitte September im Oberhause gehaltenen Rede das hohe Lob, daß ihre Kriegführung unendlich viel höher stehe als die ihrer deutschen Meister. Gleichviel, wir fühlen uns weder in unserem berechtigten Selbstbewußtsein herabgesetzt, noch mißgönnen wir unseren Verbündeten das ihnen gezollte Lob. Wir werden zufrieden sein , wenn beide im Zusammenwirken weitere glänzende Erfolge erringen . Bei Abschluß dieser Zeilen kommt die Nachricht,
daß englische
und französische Truppen zur Unterstützung Serbiens in Saloniki gelandet worden sind, um den Deutschen und Österreichern den Weg nach Konstantinopel zu verlegen . Die dazu bereitesten Kräfte sind die bisher an den Dardanellen verwendeten, einer Abnahme auch aus
weshalb viel mehr mit
statt mit einem Anschwellen der dortigen Kämpfe
dieser Veranlassung
zu rechnen sein wird .
Ja ,
die Um-
gruppierung kann leicht das vollständige Scheitern des bisherigen Dardanellenunternehmens nach sich ziehen und dient den Engländern und Franzosen jedenfalls verschleiern.
als willkommener Vorwand,
ihr Fiasko zu
XIX .
Belgiens Schuld . Von Frhr. von Welck, Oberstleutnant a. D.
Wir hatten vor kurzem und ganz zufällig Gelegenheit, Einblick zu nehmen in einen Brief, den ein sehr angesehener höherer Offizier eines neutralen Staates an einen deutschen Bekannten schrieb über die jetzigen politischen Verhältnisse, über den Kriegsausbruch und über die Vorbereitung der verschiedenen Armeen , namentlich der
210
Belgiens Schuld .
französischen, auf diesen Krieg.
Eine Hauptrolle spielt in den Aus-
führungen des Briefschreibers die „ Verletzung der belgischen Neutralität , die Deutschland vorgeworfen wird , und die nicht nur unseren Gegnern, sondern auch den Neutralen, wie das uns vorliegende Schriftstück wieder zeigt, die gebräuchlichste Handhabe bietet, uns anzugreifen und uns den Ausbruch des Krieges vorzuwerfen . Der Briefschreiber gibt zunächst - seinem deutschen Freunde gegenüber seiner hohen Anerkennung, ja sogar Bewunderung, für die deutsche Armee lebhaften Ausdruck. Er sagt , daß nicht allein die militärischen, sondern auch die moralischen Eigenschaften des Volkes eine Niederwerfung unmöglich erscheinen lassen . Er bewundert unsere Organisation , unsere Methode , unsere unerschütterliche Energie, unsere Kraft, die Tüchtigkeit unserer Rasse und beugt sich vor dieser Größe, die allen Feinden die Stirne bietet ---- aber, was er nicht gut heißen könne , daß sei die Verletzung der belgischen Neutralität. Dies sei der wunde Punkt. Es erscheint kaum verständlich, wie ein unparteiischer, politisch und militärisch geschulter Mann , jetzt, nachdem so viele Aktenstücke über diese belgische Frage veröffentlicht worden sind , noch immer diesen Standpunkt vertreten kann , und wir waren daher erfreut, als uns Mitte Juli die kleine Schrift von Richard Graßhoff: „ Belgiens Schuld" ) in die Hände kam, die geeignet ist , ein helles Licht auf die wirkliche Sachlage zu werfen. Der Verfasser, der seine Schrift als eine gleichzeitige Antwort auf das bekannte Buch von Emil WaxHat Belgien sein Schicksal verschuldet" ? 2 ) bezeichnet, sagt weiler : im Vorwort sehr richtig . daß bisher von zwei Seiten die Flut der feindlichen Verleumdungen wegen der in Belgien vollzogenen Kriegführung gegen Deutschland heranbrauste. Zunächst sei es die feindliche und eine bestimmte neutrale Presse gewesen, die die deutsche Ebre angegriffen und einen Verleumdungsfeldzug eröffnet habe ; demnächst sei es aber die belgische Untersuchungskommission gewesen , die einen auf Lügen gegründeten Feldzug eröffnet habe . Mit der Zeit hätte sich aber selbst die stärkste Greuelphantasie erschöpft und man habe zu einem neuen , geistigen Schachzug angesetzt, indem man die wissenschaftlichen Geister vorschickte, die den Nachweis liefern sollen, daß die Deutschen ärger als die Hunnen sind . Zu diesen Schandschriften gehört die erwähnte von Prof. Waxweiler, gegen die Er beginnt mit einer Beleuchtung
sich Graẞhoff ganz speziell wendet.
1 ) Richard Graßhoff : „ Belgiens Schuld “ . Berlin , G. Reimer. 1915. 2 ) Emil Waxweiler: „ Hat Belgien sein Schicksal verschuldet ? “ Zürich 1915.
211
Belgiens Schuld .
der Neutralitätsfrage, die uns in Berücksichtigung des eingangs erwähnten Briefes, besonders interessierte. ,,Belgien brach seine Neutralität längst, ehe das deutsche Heer den Fuß auf seinen Boden setzte." Dies ist der Leitsatz dieses Abschnittes . Als Beweis führt er hier nur zwei Tatsachen an: 1. Daß bereits im Jahre 1906 der General Ducarne, der Generalstabschef der belgischen Armee , mit dem englischen Militärattaché in Brüssel, Oberstleutnant Barnardiston, die technische Frage einer Landung englischer Truppen und einer gemeinsamen Operation der englischen und belgischen Heere zur Abwehr eines deutschen Durchmarsches durch Belgien, regelte, und 2. daß Belgien den französischen Truppen seine Grenzen öffnete, schon vor dem Einmarsch der deutschen Truppen . Diese Besprechung zwischen dem belgischen Generalstabschef und dem englischen Militärattaché spielt eine große Rolle in der ganzen Frage.
Waxweiler geht von der Ansicht aus, daß es sich um einfache
Unterredungen gehandelt habe, während die Norddeutsche Allgemeine Zeitung das Wort ,, conversation" , das in dem Brief des Generals Ducarne an den Kriegsminister gebraucht ist ' ) ,
mit ,,Abkommen"
übersetzt habe , eine Übersetzung, der sich auch Schulte ' ) anschließt, und zwar u. A. nach ganz richtiger Weise. Wenn der Militärattaché einer Macht
mit dem Generalstabschef des Landes,
bei dem er be-
glaubigt ist, mehrere Unterredungen hat über gemeinsame Operationen Falle gewisser kriegerischer Ereignisse, die soweit ausgearbeitet
im
werden, daß , wie im vorliegenden Falle, nicht allein die genaue Zahl der
auszuschiffenden
schiffungshäfen gemacht werden
englischen
angegeben,
und
Truppen ,
sondern
belgischerseits
auch die
bestimmte
Aus-
Angaben
über die Stärke der belgischen Feldarmee und über
die Verteidigungsfähigkeit der großen an der deutschen Grenze gelegenen Festungen Lüttich und Namur, so erscheint es sehr gerechtfertigt, wenn nicht von einfachen Unterredungen gesprochen wird, sondern von festen Abmachungen ) , Dies um so mehr , als diesen ,,conversations" des Jahres 1906 ohne allen Zweifel spätere gefolgt 1 ) Waxweiler a. a. O. Seite 159. Vgl . auch „ Aktenstücke zum Kriegsausbruch ", herausgegeben vom Auswärtigen Amte, Seite 69. 2) Aloys Schulte, Von der Neutralität Belgiens . Bonn 1915. 3) Hierzu noch ein paar Bemerkungen : In der Übersetzung des Briefes des belgischen Generalstabschefs an den Kriegsminister, die sich in den „ Aktenstücken" a. a. O. Seite 62 ff. befndet, ist das Wort „ Unterredung “ für „ conversation" gebraucht. Der Vorwurf Waxweilers ist demnach hinfällig . Ferner sei darauf hingewiesen, daß der Umschlag, in dem sich das Konzept des aufgefundenen Briefes des Generals Ducarne befand , die Aufschrift trägt : " Conventions anglo - belges " . Aktenstücke, a. a. O. Seite 67.
212
Belgiens Schuld .
sind, so namentlich die ,,Aufzeichnung vom 23. April, vermutlich 1912 " in ,,Aktenstücke" S. 72. Sie ist namentlich deshalb besonders wichtig,
weil der
damalige englische
Militärattaché, Oberstleutnant
Bridges, hier dem belgischen Generalstabschef, Oberst Jungbluth ,
im
Rückblick auf die vorangegangene Krisis , erklärte : „ Le Gouvernement britanique, lors des derniers événements, aurait debarqué immédiatement chez nous (Belgien),
même si nous n'avions pas demandé de
secours" ) . England würde also auch ohne Deutschlands Vorgehen, die Neutralität Belgiens mißachtet haben. Damit wird zugleich der Wert der Randnote, auf die Waxweiler so großen Wert legt ( S. 159), illusorisch gemacht . Jede derartige Abmachung eines neutralen Staates, die sich nur gegen einen der die Neutralität garantierenden Staates richtet, ist aber ein Bruch der Neutralität .
Graßhoff sagt sehr richtig :
Garantiert
neutral sein, heißt : .,Allen Garanten gegenüber in seiner politischen Existenz gleich dastehen“ . . . ,,Das belgische Militär arbeitet technische
Einzelheiten
gemeinsamer Operationen
mit
dem einen
Garanten für den hypothetischen Fall aus , daß der andere seiner Vertragspflicht untreu werden sollte . Wo bleibt aber die Vorkehr für den umgekehrten Fall, daß es England gelüsten sollte, einseitig zu landen ?" Wir möchten hier auf eine Veröffentlichung hinweisen, die wir der Frankfurter Zeitung vom 13. Juli d . J. entnehmen, und die uns von Wichtigkeit zu sein scheint . Die von der ,,Times" herausgegebene ,, History of the War" schreibt in Teil 43 , vol. 4 vom 15. Juni 1915, daß Sir John French seit einer Reihe von Jahren nacheinander jährliche Reisen nach Belgien unternahm, und zwar in Begleitung von ein oder zwei Herren seines Stabes, um das Gelände zu studieren im Hinblick auf die Möglichkeit, die , wie er wußte, nicht verzögert werden konnte. Also unzweifelhaft Vorbereitung auf eine Kriegführung in Belgien und dies belgischen Regierung.
doch gewiß nicht ohne Kenntnis seitens der Dass aber auch in Frankreich seit Jahren
schon mit der Möglichkeit eines Krieges gegen Deutschland und der Verletzung der belgischen Neutralität gerechnet wurde,
läßt sich aus
verschiedenen bekannt gewordenen Veröffentlichungen erweisen . Wir fanden noch kürzlich in der in diesem Jahre erschienenen Schrift des bekannten Generals Maitrot :
„Nos frontières ", den schon
1911 niedergeschriebenen Ausspruch :
im Jahre
„,Ainsi la Belgique redeviendra
le champ clos , où se joueront le sort de la France et les destinés de l'Europe " "). 1) Graßhoff, a. a. O. Seite 11. 2) Général Maitrot, Nos frontières de l'Est et du Nord . 3. édit . Paris, Berger-Levrault. 1915.
213
Belgiens Schuld.
Für die zweite Feststellung , daß der Einmarsch der Franzosen in Belgien schon vor dem 3. August stattgefunden hat, führt Graßhoff mehrere authentische Beweise - eidliche Bekundungen an, und zwar von Deutschen, von Neutralen und von Franzosen. Von den letzteren
erscheint uns das
eidliche Zeugnis
des französischen
Dragoners Gustave Cochard am wichtigsten , weil aus ihm unter namentlicher Bezeichnung der Personen und Ortschaften und unter genauer Darlegung verschiedener Einzelheiten ,
hervorgeht,
daß
das
französische 28. Dragonerregiment¹ ) und eine Batterie die Nacht vom 31. Juli 1914 in der belgischen Stadt Bouillon verbracht haben - das 30. Dragonerregiment¹ ) ebenfalls auf belgischem Gebiet in unmittelbarer Nähe nachdem sie an der Grenze von einem belgischen Brigadier und vier Gendarmen empfangen und in ihre Quartiere geführt worden sind. Diese unzweifelhafte und auch nie widersprochene Tatsache sollte allein genügen , um das nur eine von vielen Märchen, als hätten die Deutschen die belgische Neutralität durch Überschreiten der Grenze zuerst verletzt, ad absurdum zu führen. Graßhoff schreibt ganz
richtig :
,,Nichts als die einfachste Notwehr
vollzog Deutschland, als es seinen Truppen den Einmarsch in Belgien, erst am 4. August 1914, befahl : Notwehr auch gegen Belgien " ). Gewiß
drängt sich angesichts dieser Vorgänge die Überzeugung
auf, daß es nicht nur eine taktische Notwendigkeit war, unsere Grenzen offensiv zu schützen , sondern daß es auch die selbstverständliche Pflicht war,
einen Einbruch
des Feindes
auf jede
Weise zu hindern . Diese Hinderung konnte aber , wie die politischen und militärischen Verhältnisse lagen, nur geschehen, wenn wir vorübergehend das belgische Gebiet betraten und damit die belgische Neutralität verletzten. Das deutsche Ultimatum an Belgien vom 2. August läßt darüber gar keinen Zweifel. Es nimmt Bezug auf zuverlässige Nachrichten über den beabsichtigten Aufmarsch französischer Streitkräfte an der Maasstrecke : Givet- Namur, der die Absicht, durch belgisches Gebiet gegen Deutschland vorzugehen, klar erkennen lasse, und erklärt anderseits, daß Deutschland keinerlei Feindseligkeiten gegen Belgien beabsichtige, sondern sich verpflichte - bei Einnahme einer wohlwollenden Neutralität Belgiens - den Besitzstand und die Unabhängigkeit des Königreichs in vollem Umfange
zu garantieren .
Diese Note erhielt keine Antwort ,
und
1) Das 28. und 30. Dragonerrgiment, 4. Dragonerbrigade, standen in Sedan in Garnison - 12 km von der belgischen Grenze — , während Bouillon 3 km von der französischen Grenze entfernt ist. 2) Graẞhoff, a. a. O. Seite 20.
214
Belgiens Schuld .
darauf erfolgte erst am 4. August
die Überschreitung der belgischen Grenze durch unsere Truppen, die empfangen wurden durch die aufhetzendste Befehdung seitens der belgischen Presse und von dem auf diese Weise in die Wege geleiteten und in völkerrechtswidriger, vielfach unmenschlicher Weise geführten Volkskriege . Graßhoff widmet diesem Kapitel einen längeren Abschnitt, der sich durchweg auf Aussagen Beteiligter stützt. Allein aus der Stadt Dinant liegen fast 200 beschworene Aussagen vor, so daß Graßhoff schreibt, man werde von Grausen gepackt ". Keine Grausamkeit, keine Scheußlichkeit gibt es, die nicht von Zivilisten , von Weibern und vielfach sogar von Kindern verübt wurden. ,,Verheerend wie eine Seuche ", schreibt Graßhoff, 99 .,breiteten sich die hinterlistigen Eingriffe der Bevölkerung in den ehrlichen Kampf über das Land aus" . Auch hierfür führt er vielfache Zeugnisse von Deutschen, Neutralen und Belgiern an, die zum Teil so schauderhafte Vorkommnisse enthalten , daß man sich sträuben würde, sie zu glauben, wenn nicht die Bezeichnung der Namen und der Ortschaften, leider Gottes, jeden Zweifel unmöglich machten. Eine ganz neue Beleuchtung hat diese Frage von Belgiens Schuld
erhalten durch die seitdem durch die Norddeutsche Allgemeine Zeitung veröffentlichten belgischen Aktenstücke . Sie bilden eines der wichtigsten und wertvollsten Dokumente zur Vorgeschichte des großen Krieges und bieten so vernichtende Beweise für die Schuld unserer Gegner, namentlich aber für den seit Jahren vorbereiteten Neutralitätsbruch Belgiens, daß hierdurch nicht allein der von Graßhoff eingenommene Standpunkt in seiner vollen Berechtigung beleuchtet wird, sondern gleichzeitig jede Anschuldigung unserer Gegner, als hätte Deutschland den Bruch der belgischen Neutralität verschuldet, in das Bereich der Fabel verwiesen wird. Diese Aktenstücke umfassen die Zeit
von 1905 bis 1914
und
enthalten die Berichte der belgischen Gesandten in Berlin :
Baron
Greindl und Baron Beyens,
Baron
Guillaume und in London :
in Paris :
Mr. A. Leghait und
Graf Lalaing, an den belgischen Minister
des Äußeren. In unwiderleglicher Weise liefern sie den Beweis für die schon seit dem Jahre 1904 ins Werk gesetzte, gegen Deutschland gerichtete Einkreisungspolitik,
die
ihren Ursprung der
persönlichen
Initiative König Eduards VII. zu verdanken hatte. Sowohl der Gesandte in Paris wie der in Berlin berichteten bereits im Jahre 1905 , daß eine gegen Deutschland gerichtete englisch-französische Annäherung stattfände und nach Kräften befördert und ausgebaut werde . In England besonders herrsche Haß gegen Deutschland,
der auf der
Eifersucht beruhe , die durch die Entwickelung des deutschen Handels und der deutschen Industrie hervorgerufen werde. Auch bemühe sich
215
Belgiens Schuld . England,
Deutschland
Baron Greindl
noch
andere
Gegner zu
schaffen .
(Bericht vom 23. September 1905)
So
hält
eine Annäherung
zwischen London und Petersburg nicht für ausgeschlossen , bemerkt aber, daß der deutsche Staatssekretär von Richthofen diese Gefahr für
nicht
sehr
groß halte.
,,Von unserem (dem belgischen) Stand-
punkte aus", fährt er fort,,, wäre es zu wünschen, daß er recht behielte. Der von Deutschland geleitete Dreibund hat uns 30 Friedensjahre in Europa beschert. Jetzt ist er durch den Zustand der Auflösung geschwächt, in dem Österreich-Ungarn befindlich ist. Die neue
französisch-englisch-russische
Tripleentente
würde
kein Ersatz
sein, sondern im Gegenteil eine Ursache dauernder Beunruhigung. “ Kurze Zeit nachher, am 18. November 1905, berichtet er, daß niemand daran zweifle, daß die agressive Politik Delcassés, zösischen Ministers des Auswärtigen,
von England
des fran-
gefördert worden
sei , während anderseits der höchste Ehrgeiz des Kaisers Wilhelm II . die Aufrechterhaltung des Friedens während der Dauer seiner Regierung sei (Bericht vom 31. Dezember 1905). Es würde hier zu weit führen,
wenn wir auf die sämtlichen oder auch
nur den größten Teil der hochinteressanten und geschichtlich wichtigen Veröffentlichungen hier
eingehen wollten ; wir wollen lediglich,
dem
ursprünglichen Zweck dieser Besprechung nachgehend , die Dokumente , die sich auf die belgische Frage beziehen, etwas näher betrachten . daß
Wir hatten bei Erwähnung der Graßhoffschen Schrift gesagt, er an der Hand der vom Auswärtigen Amt herausgegebenen
Aktenstücke feststellt, wie bereits im Jahre 1906 der belgische Generalstabschef, General Ducarne, eine eingehendo Besprechung mit dem englischen Militärattaché in Brüssel hatte über eine Landung englischer Truppen in Belgien und über eine gemeinsame Operation der englischen und belgischen Heere zur Abwehr eines deutschen Durchmarsches durch Belgien. Wie richtig aber auch wie ernst Baron Greindl diese Verhandlungen oder Abmachungen beurteilt, geht aus seinem Bericht hervor, den er am 5. April 1906 an seinen Chef nach Brüssel richtet. Er schreibt : „ Es besteht kein Zweifel , daß es der König von England gewesen ist, der, unabhängig von seiner Regierung, Herrn Delcassé in eine kriegerische Politik hineingetrieben und ihm das, übrigens nicht ausführbare Versprechen gegeben hat, 100000 englische Soldaten in Holstein zu landen . Die Einladung des Königs an kann nur als eine Herausforderung Herrn Delcassé nach London
-
angesehen werden . Konnten noch irgendwelche Zweifel bestehen , so würden sie durch die sonderbare Demarche des Oberst Barnardiston bei General Ducarne
zerstreut worden sein. "
Welche Wichtigkeit er
dieser „ Demarche " beimißt, geht daraus hervor, daß er im folgenden
216
Belgiens Schuld.
Jahre noch einmal darauf zurückkommt und in seinem Bericht vom 18. April 1907 schreibt, daß man in Berlin das vom König von England Herrn Delcassé gemachte Angebot von 100 000 Mann nicht vergessen könne, während 99 wir selbst (d . i. die belgischen diplomatischen Vertreter) die seltsamen Eröffnungen des Oberst Barnardiston an General Ducarne zu verzeichnen haben " , die möglicherweise noch von anderen ähnlichen Intriguen gefolgt waren . Man ersieht hieraus , daß man diese „ Eröffnungen " an den maßgebenden belgischen Stellen durchaus nicht als einfache Unterredungen betrachtete , wie es Waxweiler (s . S. 211 ) bezeichnet , sondern Demarchen " und ,, seltsame Eröffnungen ".
als
, sonderbare
Während des ganzen Jahres 1907 machte sich die antideutsche Politik König Eduards geltend und seine Bemühungen , den französischen Chauvinismus dieser Politik dienstbar zu machen. Am 1. Juli 1907 schreibt Baron Greindl, daß der Revanchegedanke selbst unter den vernünftigsten und friedfertigsten Franzosen fortlebe ; deshalb erscheine eine wahre und dauernde Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland als unmöglich. Von großem Interesse ist der Bericht, den Baron Greindl am 27. Januar 1908 erstattet über die Rede, die Delcassé in der französischen Deputiertenkammer gehalten hat und die von Anspielungen wimmelt, die für Deutschland verletzend sein müssen “ .
Sie beziehen sich in der Hauptsache auf die Stellungnahme
der deutschen Regierung in der Marokkofrage ; „ sie habe jedenfalls ihre Absichten dabei gehabt ". Dem begegnet Baron Greindl mit der Bemerkung : ,,Wo hat Herr Delcassé je gesehen, daß Deutschland den anderen europäischen Völkern seine Vorherrschaft aufzwingen wollte? Wir (die Belgier) sind die nächsten Nachbarn, und seit 20 Jahren habe ich bei der Kaiserlichen Regierung nicht die geringste Neigung entdecken können, ihre Stärke und unsere Schwäche zu mißbrauchen. Ich wünschte nur , daß alle anderen Großmächte sich der gleichen Rücksicht gegen uns befleißigt hätten. " Diese Feststellung des gut unterrichteten und weitsichtigen Diplomaten ist doppelt und dreifach zu unterstreichen . Er schließt diesen Bericht mit den Worten : ,,Die Politik , die König Eduard VII. unter dem Vorwande führt , Europa vor einer imaginären deutschen Gefahr zu retten , hat eine nur allzu wirkliche französische Gefahr heraufbeschworen , Linie bedrohlich ist."
die für uns in erster
Die ersten Monate des Jahres 1908 brachten eine Verschärfung der französischen Revanchegelüste und immer nähere Beziehungen zu England,
zu
Baron Greindl
denen
dle
Marokkofrage erneut
bespricht am 6. Mai 1908
Veranlassung
das
bietet.
,,brutale Vorgehen
217
Belgiens Schuld . Frankreichs in Marokko “ .
„ Deutschland läßt es geschehen .
Es kann
nicht anders. Die Zeit der diplomatischen Verhandlungen ist vorüber. Es kann nur noch zwischen absichtlichem Ignorieren und dem Kriege wählen, den der Kaiser nicht will und den die deutsche öffentliche Meinung verurteilen würde. "
Wenige Tage später,
am 10. Mai , nochmals hierauf zurückkommend , schreibt er, „ daß die Politik des Königs von England die Sicherheit Europas empfindlich gemindert habe. In einem Bericht vom 30. Mai 1908 finden wir demgegenüber wieder die Feststellung, daß der Dreibund 30 Jahren den Weltfrieden gesichert Führung Deutschlands stand .
habe,
weil
er
unter
der
Nach der Zusammenkunft des Königs von England und des Kaisers von Rußland in Reval ― Juni 1908 bemerkt Greindl im Bericht vom 12. Juni , „ daß die Gruppierung der drei Mächte den Zweck verfolge , einen Druck auf Deutschland auszuüben und infolgedessen einen peinlichen Eindruck daselbst mache “. „ Le Temps" , das offiziöse Organ der französischen Regierung, verlange im Hinblick auf diese Abmachung eine Reform der englischen Armee, so daß sie ein Heereskontingent zu einem Kontinentalkriege liefern könne . Der Gesandte schließt diesen bedeutsamen Bericht mit den Worten: ,, Die drei Mächte sind geeint durch den gemeinsamen Haß gegen Deutschland". Die Überzeugung, daß die englische Politik wie sie unter dem persönlichen Einfluß des Königs ausgestaltet wurde, den europäischen Frieden bedrohe , anstatt ihn zu fördern , läßt sich in vielen Berichten des Gesandten nachweisen , ein Beweis, wie tief er davon durchdrungen war.
So schreibt er am 13. Februar 1909 , nach dem Besuch des Königs und der Königin von England in Berlin : „ Der Weltfriede war niemals bedrohter, als seitdem der König von England
ihn zu festigen trachtet" . Infolgedessen erlangt der Dreibund, den man in Berlin stets als ein Defensiv bündnis auffaßt, mehr und mehr das Gesicht eines Offensiv bündnisses, und zwar lediglich durch die Einwirkung Englands . In Petersburg und Paris wolle man, schreibt Baron Greindl,
auch jetzt noch die Entente so auslegen ; aber anders in London (Bericht vom 21. Juni 1909). Er gelangt mehr und mehr zu der Überzeugung, daß eine englisch-deutsche Annäherung im hohen Grade wünschenswert wäre für den europäischen Frieden und ganz besonders auch für Belgien . Er schreibt bei Besprechung der Rede , die Sir Edward Grey Mitte März 1911 über die auswärtige Politik hielt, und aus der man den Wunsch nach einer englisch-deutschen Annäherung heraushören konnte : „ Allerdings würde ich sie von ganzem Herzen wünschen , weil dadurch die Sicherheit Belgiens bedeutend erhöht werden würde. " Baron Greindl 16 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 530.
218
Belgiens Schuld.
tiefem Mißtrauen gegen England und seinen guten Willen erfüllt, und ebenso mißtrauisch war man in Berlin. „ Dieses Mißtrauen ist verständlich", schreibt er ,,, zumal sich die englische war aber von
Regierung noch ganz kürzlich an der Vlissinger Intrigue beteiligt hat. Den Beweis dafür haben wir in der Demarche, die Sir A. Hardinge bei Ihnen machte, um zu versuchen , uns mit hineinzuziehen." Im Laufe dieses Jahres spielte die Marokkofrage die wichtigste Rolle und der Ausbruch eines Krieges stand mehr wie einmal auf des Messers Schneide. Daß Deutschlands Situation in dieser Marokkosache sehr schwierig war, erkennt auch Baron Greindl wiederholt ausdrücklich an. Er schließt seinen Bericht vom 10. Mai 1911 mit den Worten : „ Ich bleibe weiter überzeugt, daß Deutschland es zu vermeiden trachtet, genötigt zu werden , in die marokkanische Angelegenheit einzugreifen ; aber ich muß wiederholen , daß die Frage eine sehr heikle ist." Am 17. Juni 1911 betont er dies nochmals und sagt : „ Ich bin nach wie vor der Überzeugung, daß es Deutschlands Hauptsorge ist, einen Krieg zu vermeiden ." In der zweiten Hälfte dieses Jahres scheint das Auftreten Englands - trotz des inzwischen eingetretenen Thronwechsels - immer anmaßender geworden
zu sein.
Namentlich der belgische Gesandte
in Paris spricht sich wiederholt in diesem Sinne aus . England verstiege sich zu Drohungen, aber man wünsche in Berlin den Krieg nicht.
Am 28. Juli
schreibt derselbe :
„ Die
französische Regierung
weiß , daß der Krieg die letzte Stunde der Republik bedeuten würde. Ich habe ein sehr großes Vertrauen in die Friedfertigkeit Kaiser Wilhelms, geringeres Zutrauen zu den friedlichen Absichten Englands, das nicht ungern sieht, wenn die anderen sich gegen99 Wie ich es seitig verschlingen . " (Wie richtig dieses Urteil ! ) vom ersten Tage ab annahm, liegt der Schwerpunkt der Situation in London . Nur dort kann sie ernst werden. Die Franzosen werden in allen Punkten nachgeben,
um
den Frieden
zu erhalten .
Nicht
so die Engländer ! " - Man kann gar nicht oft und energisch genug auf diese aus ersten und bestorientierten Quellen stammenden Festlegungen hinweisen gegenüber den englischen Lügen und Verleumdungen. Am 6. Dezember 1911 schreibt Baron Greindl in seinem Bericht, der sich mit der Rede Greys im Unterhaus vom 27. November befaßt, daß man sich in England mit dem Plane beschäftige, Frankreich in einem Kriege mit Deutschland durch die Landung eines Korps von 150000 Mann zu Hilfe zu kommen. Es sei dies nicht überraschend, sondern die logische Folge und die Fortsetzung der Vorschläge und Verabredungen zwischen Oberst Barnardiston und General Ducarne.
219
Belgiens Schuld .
Im Frühjahr 1912 fand ein Wechsel in der Besetzung des belgischen Gesandtenpostens in Berlin statt. Baron Greindl trat zurück und Baron Beyens trat an seine Stelle , gewann aber, wie man aus seinen Berichten ersieht, sofort die gleiche Anschauung wie sein Vorgänger. Der erste seiner hier verzeichneten Berichte, vom 28. Juni 1912, beginnt mit den Worten : „ Wird es dem Frhrn. von Marschall " der neu ernannte Botschafter Deutschlands in London ,, gelingen , eine Annäherung zwischen der deutschen und britischen Regierung herbeizuführen ? Zweifellos wünscht dies niemand mehr als der Kaiser " .
Auch in einem weiteren Bericht vom 30. November
1912 schreibt er, daß ohne jeden Zweifel der Kaiser, der Kanzler und der Staatssekretär des Auswärtigen „ leidenschaftliche Anhänger des Friedens" sind. Der Gesandte in Paris berichtet am 21. Februar 1913 über eine Zunahme der chauvinistischen Stimmung in Frankreich .
Auch die
Ernennung Delcassés zum Botschafter in Petersburg habe einen außerordentlichen Eindruck hervorgerufen. Die Nachricht habe „ wie eine Bombe eingeschlagen “ . Wenige Tage später, am 3. März 1913 , schreibt er sogar,
daß die
öffentliche Meinung in Frankreich alle
Tage argwöhnischer und chauvinistischer werde . Am 12. Juni 1913 meldet er , daß die Annahme des Gesetzes über die dreijährige Dienstzeit Frankreich vor die Frage stellen werde, entweder zu entsagen oder in kürzester Frist Krieg zu führen. In jedem seiner Berichte des Jahres 1913 weist er auf die Gefahr hin , die dem europäischen Frieden von Paris aus droht . „Die Herren Poincaré, Delcassé, Millerand und ihre Freunde sind es gewesen ", schreibt er alsdann am 16. Januar 1914 , die die nationalistische, militärische und chauvinistische Politik
erfunden
erstehen wir festgestellt haben.
und Sie
befolgt haben ,
deren Wieder-
bildet eine Gefahr
für Europa
- und für Belgien! " Er wußte also sehr genau, von welcher Seite Belgien Gefahr drohte, weniger oder nicht in der Befürchtung eines direkten Angriffes seitens Frankreichs , als durch die Aufstachlung des Chauvinismus und in dem Bewußtsein, daß bei einem europäischen Kriege Belgien der Unverletzlichkeit seiner Neutralität nichts weniger als sicher sein könne. In dem gleichen Bericht kommt er noch einmal auf die Frage der dreijährigen Dienstzeit zurück. Er schreibt: „ Die Kriegsgelüste der Türkei und das Gesetz über die dreijährige Dienstzeit scheinen mir die einzige Gefahr zu bilden,
die
den Frieden Europas bedrohen" . Daß dies die einzige Gefahr war, beruhte, wie die Ereignisse bald erwiesen , auf einer irrtümlichen Anschauung . Der Berliner Gesandte, Baron Beyens ,
macht in
einem Bericht 16*
220
Belgiens Schuld.
vom 20. Februar 1914,
nach
einer längeren Unterredung mit dem
französischen Botschafter Cambon, in sehr richtiger Weise darauf aufmerksam, daß schon seit der Dreyfuß-Affäre in Frankreich eine militaristische und nationalistische Partei existiere, die um keinen Preis etwas von einer Annäherung an Deutschland wissen will, und die die Presse in ihrem agressiven Ton bestärkt . Diese Stimmung wurde aber unausgesetzt von jenseits des Kanals stimuliert. Die Berichte, die in der ersten Hälfte des Jahres 1914 von den belgischen diplomatischen Vertretern erstattet wurden, sind naturgemäß besonders wertvoll, Stimmung,
insofern als
sie ein Licht werfen auf die
die sich unmittelbar vor Kriegsausbruch mehr und mehr
geltend machte.
Wenn in der französischen Presse
behauptet wird,
daß in Frankreich kein Mensch an den Krieg gedacht und noch weniger ihn gewünscht habe, so stimmt damit sehr schlecht überein. daß
z. B. Baron Guillaume
am
10. März 1914
schreibt,
daß der
Präsident, zusammen mit den Herren Delcassé, Millerand und einigen anderen unablässig die politische und militärische Wiederaufrichtung Frankreichs , im Verein mit der Schaffung engerer Beziehungen zu Rußland, predige . Er schickte kürzlich Herrn Delcassé dorthin , den er mit der Mission beauftragt hatte, mit allen Mitteln die Wohltaten der französisch-russischen Allianz
zu
unterstreichen
und
das große
Kaiserreich zu einer Vergrößerung seiner militärischen Vorbereitungen zu veranlassen. " Man ersieht hieraus, daß zu diesor Zeit nicht allein militärisch,
sondern namentlich diplomatisch auf die Ereignisse hin-
gearbeitet wurde , die in der zweiten Hälfte des Jahres zum Ausbruch kommen sollten. Hand in Hand mit dieser Entsendung Delcassés nach Petersburg zur Festigung der französisch - russischen Allianz , gingen die nach dem gleichen
Ziele gerichteten Bemühungen und
Intriguen des russischen Botschafters, Iswolsky, in Paris. Der französische Botschafter in Berlin, Cambon, erblickt darin eine drohende Gefahr und sprach sich dahin aus, daß er hoffe, daß der „ intrigante Diplomat" bald nach London versetzt werde. (Bericht Baron Beyens vom 24. April 1914.) Von größtem Interesse ist, was der Gesandte am Schlusse dieses Berichtes schreibt : „ Für uns -- d. h. Belgien ist die interessanteste Frage, die anläßlich des Besuchs des englischen Herrscherpaares aufzuwerfen ist, die, zu wissen, ob die britische Regierung heute ebenso, wie vor drei Jahren, geneigt wäre, im Falle eines Konfliktes Frankreichs mit Deutschland, an dessen Seite zu treten .
Wir hatten den Beweis
dafür ,
daß die Mitwirkung
der englischen Armee und die Entsendung eines Expeditionskorps auf den Kontinent von den Militärbehörden beider Länder ins Auge gefaßt worden
war.
Würde es
heute noch
Belgiens Schuld .
221
ebenso sein und müßten wir immer noch befürchten , daß englische Soldaten in Belgien einmarschieren , um uns in der Verteidigung unserer Neutralität dadurch beizustehen , daß sie sie von vornherein kompromittieren ?" Wenn diese Frage nur vom deutschen Gesichtspunkte aus geprüft werde, bemerkt er, so sei eine negative Beantwortung nicht zweifelhaft , da es hier - Berlin den Anschein habe, als seien die Bande der Entente cordiale etwas gelockert und die Spitze nicht mehr ausschließlich gegen Deutschland gerichtet ; aber diese Anschauungsweise könne falsch sein und er würde gern die Ansicht seiner Kollegen in London und Paris hören . Da ist es denn wertvoll zu lesen, daß einer derselben , Baron Guillaume, am 25. April aus Paris schreibt, daß die Sympathiekundgebungen bei Gelegenheit der Anwesenheit des englischen Herrschers in Paris dem Prinzip der Entente cordiale galten und besondere Auch die Reden der beiden Nahrung im Chauvinismus fanden . Staatsoberhäupter hätten sich mit der weiteren Festigung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Frankreich und England befaßt . Daß diese letzte Zusammenkunft vor Kriegsausbruch von großer Wichtigkeit und folgenschwer war, liegt auf der Hand, doch ist natürlich über die Abmachungen nichts oder nur wenig bekannt geAuch in den politischen Kreisen der französischen Hauptstadt scheint man darüber nicht orientiert gewesen zu sein, denn
worden.
Baron Guillaume schreibt am 8. Mai 1914, daß ihm ein guter Kenner der internationalen Lage gesagt habe, er wisse nicht, ob eine Militärkonvention abgeschlossen worden sei ; überlegte und ernsthafte Köpfe zweifelten aber daran, ob Frankreich am Tage eines europäischen Brandes bei den Engländern Hilfe finden würde , nicht einmal an eine Unterstützung zur See glaube man vielfach in Frankreich . „ Unstreitig ist die französische Nation in diesen letzten Dieselben Monaten chauvinistischer und selbstbewußter geworden . Persönlichkeiten, die vor zwei Jahren sehr lebhafte Befürchtungen bei der bloßen Erwähnung von möglichen Schwierigkeiten zwischen Frankreich und Deutschland äußerten, stimmen jetzt einen anderen Ton an ; sie behaupten , des Sieges gewiß zu sein und meinen , daß das deutsche Heer zum mindesten so lange in Schach gehalten werden könne, bis Rußland mobil gemacht habe, lichen Nachbarn zu stürzen . " Während des ganzen Sommers
um sich auf seinen west-
spielt noch immer die Frage der
dreijährigen Dienstzeit eine große Rolle, weil einsichtige Politiker wohl sehen, daß es ein zweiseitiges Schwert sei und direkt zum Kriege führen werde. Baron Guillaume schreibt am 9. Juni 1914 , daß die Pressekampagne zugunsten der dreijährigen Dienstzeit in den
222
Belgiens Schuld .
letzten Tagen außerordentlich heftig war.
Man habe zu allen Mitteln
gegriffen, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Der Gesandte in London, Graf Lalaing , legt ebenfalls dieser Frage das größte Gewicht bei. Man sei in London der Ansicht, schreibt er am 11. Juni 1914, daß nur die Durchführung der dreijährigen Dienstzeit die Republik in die Möglichkeit versetzen könne, den Verpflichtungen , die sie an ihren Verbündeten Rußland oder an ihren Freund England binden, zu genügen . Man ersieht hieraus , welcher Druck kurz vor Kriegsausbruch auf Frankreich ausgeübt wurde. Und wie gering und minderwertig waren die Gegenleistungen , ramentlich englischerseits, wie sich dies schon nach wenigen Wochen herausstellte. Die beiden letzten Berichte, die die Aktensammlung enthält, stammen von Baron Beyens vom 12. Juni und vom 2. Juli 1914 , also nur wenige Wochen vor Kriegsausbruch. In Frankreich ist nach wie vor die Frage der dreijährigen Dienstzeit die in erster Linie stehende ; sie wird nicht allein vom militärischen und finanziellen Standpunkte aus behandelt, sondern auch als politische Parteifrage. Die Stellung Belgiens zu dieser Frage beurteilt Baron Beyens, indem er schreibt : „Würden nicht der Sieg der radikalen Partei über die um den Präsidenten der Republik gescharten gemäßigten Republikaner, und die daraus sich ergebende Preisgabe des Militärgesetzes für uns (Belgien) sehr günstige Ereignisse sein ? Sie würden mehr als alles andere dazu beitragen , von unseren Grenzen die Gefahren eines Krieges fernzuhalten. " Das heißt also : die Einführung der dreijährigen Dienstzeit in Frankreich macht den Krieg unvermeidlich und ohne jeden Zweifel eine Verletzung der belgischen
der Krieg wird
Neutralität im Gefolge haben
sie wird unvermeidlich sein . Die Veröffentlichungen aus den belgischen Archiven , die in der
„ Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" erschienen sind , schließen hiermit ab.
Man erfährt aber über weitere Berichte und Depeschen des
Baron Beyens aus dem belgischen „ Graubuch " , von dem Auszüge in englischen Zeitungen erschienen
sind ,
und die natürlich
so gewählt
wurden, daß jede Schuld am Kriegsausbruch Deutschland aufgebürdet wird. Er berichtet auch über seine Unterredung mit dem Staatssekretär von Jagow am 4. August , wegen des an Belgien gerichteten Ultimatums . Dieser habe ihm gesagt, daß die deutsche Regierung darüber informiert sei , daß die französische Armee sich vorbereite , durch Belgien zu marschieren und Deutschland in der Flanke anzugreifen. Dem mußte Deutschland zuvorkommen ; der Wortlaut des Ultimatums ließ aber keinen Zweifel an den wohlwollenden Intentionen Deutschlands gegen Belgien - bei Einnahme einer wohlwollenden Neutralität
aufkommen.
223
Benedek.
Wenn man diese Berichte der belgischen Gesandten verfolgt, so drängt sich unwillkürlich die Frage auf, wie es möglich war, daß die belgische Regierung trotzdem, d . h. trotz der klaren und zutreffenden Darlegungen,
sich der Triple- Entente in die Arme werfen konnte,
anstatt dem Beispiele der Schweiz folgend, eine strikte Neutralität zu bewahren. In einer kürzlich erschienenen wertvollen Schrift eines Belgiers¹ ),
auf die wir in einem späteren Aufsatz
zurückzukommen
gedenken, heißt es : „ Es hing nur von Belgien selbst ab, nicht besetzt (envahie) zu werden. Belgien befand sich Anfang August 1914 in der Lage eines neutralen Staates, der nach seiner Wahl den Durchmarsch durch sein Land einem der Kriegführenden gewähren oder verwehren kann. Deutschland hat die Unverletzlichkeit des belgischen Gebietes nicht verletzt, weil diese Unverletzlichkeit nicht mehr existierte. Deutschland hat einfach von dem Recht des souveränen Staates, vom Recht über Krieg und Frieden, Gebrauch gemacht.
Deutschland
hat Belgien nicht veranlaßt, seine Neutralität aufzugeben und hat ebensowenig die Integrität des Landes verletzt. “
XX . Benedek.
Von Generalmajor Balck.
99 Wohl
keine Armee der Welt hätte
ehrenvoller
einem
schier
mathematisch vorher zu bestimmenden Unglück erliegen können “. Mit diesen Worten des Oberleutnants a. D. v. Ditfurth in seinem Buche über „ Benedek und
die Taten und
die Schicksale der k. k.
Nordarmee 1866 " ( 1911 ) ist das Wesen der Niederlage am klarsten dargelegt. Es ist nach derartigen Schicksalsschlägen stets der Fall gewesen, daß man für den unglücklichen Ausgang eines Krieges die Persönlichkeit des Feldherrn verantwortlich machte ; man übersieht dabei,
daß das Ergebnis der Entscheidungsschlacht meist nur die
Quittung für Versäumnisse im Frieden ist, daß die unglückliche Schlacht nur den Abschluß einer langen Fehlerreihe auf politischem, operativem und taktischem Gebiet
bildet.
Wenn das österreichische
1 ) F. Norden : La Belgique Neutre et l'Allemagne.
1916.
224
Benedek.
Generalstabswerk in erster Linie die Schuld auf das Haupt des unglücklichen Feldherrn abwälzte , so geschah es im Interesse des Wiederaufbaues des Heeres . Aber auch ohne Benedeks Führung hätte sich das Schicksal vollziehen müssen . So manches Rätsel harrt noch heute seiner Lösung, vielleicht für immer, da Benedek vom Erzherzog Albrecht
eine
Schweigeverpflichtung abgenommen
war ,
die
er
als
Ehrenmann getreulich bis zur Vernichtung aller in Frage kommenden Schriftstücke gehalten hat, und da schließlich bis auf den heutigen Tag der Inhalt der Akten über die kriegsgerichtlichen Verhandlungen in Wiener Neustadt¹ )
nicht
veröffentlicht wurde.
Die Hoffnung ,
daß
sein Adjutant, der Oberst von Müller, oder sein Generalstabschef, der General Krismanič, Aufzeichnungen hinterlassen haben würden , erwies Das große Verdienst des Wiener Historikers sich als hinfällig. Friedjung besteht darin, alles erreichbare Material veröffentlicht und ein durchaus sympathisches und wahrheitsgetreues Bild von Benedeks Führung gezeichnet zu haben. Was Friedjung in der 9. Auflage seines „ Kampfes um die Vorherrschaft " ( 1912), was v. Ditfurth in seinem genannten Buche sorgfältig zusammengetragen haben, was schließlich noch ergänzend der ehemalige Chef des Generalstabes der Armee, Frhr. v. Beck, in jüngster Zeit bekanntgegeben unbedingt als abschließend anerkannt werden , bis einst
hat, muß die Akten
des Kriegsgerichts der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. Um so größeres Aufsehen machte es , als 1911 ein Wiener Publizist , Wilhelm Alter , mit Enthüllungen hervortrat, aller fraglichen Punkte boten.
die eine Erklärung fast
Nach Alters Behauptung war Benedek das Opfer einer gegen ihn förmlich verschworenen Adels- und Generalsclique, an deren Spitze der Kaiserliche Generaladjutant Graf Crenneville, der Chef der Operationskanzlei Krismanič und der F.M.Lt. Baron Henikstein, gestanden hätten.
Diese Clique hätte Benedek
zum Angriff
gegen die
daran gehindert,
am 28. Juni
Armee des preußischen Kronprinzen
vor-
zugehen, und der statt dessen angetretene verhängnisvolle Vormarsch an die Iser zum Angriff gegen den Prinzen Friedrich Karl sei eine von Krismanič eigenmächtig entworfene und hinter dem Rücken des damals krank im Bett liegenden Benedeks eingeleitete Operation gewesen, die auf Betreiben des Generaladjutanten Crenneville dem Feldherrn schließlich gegen seinen Willen aufgezwungen wurde . Als Benedek am Abend des 27. Juni von der eigenmächtigen Anordnung Krismanič Kenntnis erhielt, habe er ihn unter Androhung von Stock-
1 ) Einzelne Aussagen Heniksteins bringt Hauptmann du Nord in ,,Deutsche Arbeit", Juli 1906.
225
Benedek.
prügeln und Kriegsrecht zur Ausfertigung neuer Bestimmungen aufgefordert. Doch habe sich Krismanič auch jetzt noch widersetzt und sei erst auf Androhung kriegsrechtlichen Erschießens dem Befehle nachgekommen . Bevor sich dann Benedek am 28. Juni vormittags nach Skalitz begab, um die beabsichtigte Offensive gegen die Armee des Kronprinzen durchzuführen , sei ihm F.M.Lt. Baron Henikstein mit einem Telegramm des Grafen Crenneville entgegengetreten, in dem mit Rücksicht auf die Lage der Sachsen in den bestimmtesten Ausdrücken - jedoch ohne Berufung auf einen etwaigen Auftrag des Kaisers - der Abmarsch an die Iser gefordert wurde, mit dem Benedek
sich
schweren Herzens
und
nur darum
einverstanden er-
klärte, weil er ihn für einen Wunsch des Kaisers hielt.
Treffend sagt Graf Schlieffen über die Ergebnisse des 28. Juni : „ Man wird ohne Zweifel bei emsigem Suchen noch manches Skandalhafte aufdecken, aber nimmermehr finden, daß Benedek ein Feldherr gewesen, und auch nicht, daß er schuldlos von seiner Höhe herabgestürzt sei. "
Bereits 1906 hatte die Gemahlin des Neffen Benedeks , den Versuch gemacht, in einem recht durchsichtigen Romane zu zeigen, wie Benedek das Opfer von Ränken geworden war. Was im Roman zulässig war, war in einem Geschichtswerk nicht am Platze, wenn es nicht durch Quellen zu belegen war. Alter wollte indessen als Historiker ernst genommen sein. Gräfin Ida Salburg,
Die Quelle Alters für
diese von allen bisherigen Feststellungen, wie Heinrich Friedjungs , v. Lettow -Vorbecks und des österreichischen Generalstabes abweichende Darstellung ist ein angebliches Tagebuch
des
damaligen Obersten Tegetthoff, eines Bruders des bekannten Admirals und Siegers von Lissa , in das Alter erklärte, Einsicht genommen zu haben , ohne es jedoch vollständig veröffentlichen zu
können.
Tegetthoff hätte allerdings gerade als Chef des Nachrichtenbureaus im Feldzuge 1866 manche wertvolle Aufklärung geben können . Schließlich erklärte sich Alter, nachdem er sich in eine Kette un-
entwirrbarer Widersprüche verwickelt hatte, bereit, das Tagebuch Tegetthoffs mehreren berufenen Fachmännern zur Einsichtnahme zu überreichen. Hierzu kam es jedoch nicht, denn schon hatte Friedjung nachgewiesen , daß der Verfasser des angeblich aus dem Jahre 1866 stammenden Tagebuchs zweifellos die 1901 erschienene 5. Auflage des „ Kampfes um die Vorherrschaft " benutzt haben müßte. Hiermit war das Ansehen Alters als Schriftsteller vernichtet . In der Nacht vom 16. zum 17. Januar 1913 machte er seinem Leben freiwillig ein Ende. Der Fall Alter hat jedenfalls das eine Gute gehabt, daß wir jetzt übersehen können , wo weiteres Material für die historische Forschung noch zu erwarten ist.
226
Benedek.
Wollen wir gerecht sein, so dürfen wir nicht vergessen, daß der schnelle, aber durchaus ehrenvolle Zusammenbruch der Armee in Böhmen seinen Grund zunächst in einer falschen Taktik hatte. Die Strategie kann nur Erfolge erreichen , wenn sie von der Taktik unterstützt und gefördert wird, nicht wenn diese in allen Fällen versagt mit einem schwächeren Gegner zu einer
und jeder Zusammenstoß
Niederlage werden kann und damit jede Berechnung unmöglich macht. Anerkennen muß man, daß die Benedeksche Taktik bei Königgrätz die Ansätze bietet, auch dem Zündnadelgewehr gegenüber mit Aussicht auf Erfolg bestehen zu können . Die Verhältnisse waren aber schon derart ungünstig, daß ein Verhängnis überhaupt nicht mehr abzuwenden war, daß auch ein Größerer als Benedek hätte versagen und erliegen müssen. v. Ditfurth führt uns Benedek vor als Kind des Glückes , dessen Stern vom ersten Anbeginn Grenzen seines Könnens zugab , Wollte man den Feldherrn nur beurteilen, so stand Benedek eines
höheren Führers ist,
bis dorthin, wo Benedek selbst die in unaufhörlicher Zunahme erstrahlte. nach Beweisen persönlicher Tapferkeit gewiß oben an. Aber die Kühnheit
wie
dieses Clausewitz in seinem Buche
vom Kriege (III o. 6) so treffend ausführt, verschieden von der Kühnheit des Mannes in unteren Dienststellungen . „ Je höher wir zu den Führern hinaufsteigen, desto notwendiger wird es, daß der Kühnheit ein überlegener Geist zur Seite trete. " Entfernt von Gefahr und Verantwortlichkeit kann wohl ein Theoretiker zu richtigem Entschluß kommen, ein Empiriker wie Benedek nur durch Zufall. „ Treten ihm Gefahren nicht persönliche, die unmittelbar durch sich selbst, sondern Gefahren , die mittelbar durch die schwere Lage der Verantwortung auf den Geist und die Widerstandskräfte einwirken und das Vertrauen untergraben und das Urteil verwirren - überall nahe, so verliert er den Überblick, und bliebe ihm dieser etwa durch den Einfluß anderer, so würde kein anderer aushelfen kann. "
er den Entschluß verlieren, weil da So hatte Clausewitz das Geschick
Benedeks vorgezeichnet . Als
Benedek
am 20. Oktober 1860
italienische Armee übernahm,
den
Oberbefehl
über die
hatte er den Gipfel seines Soldaten-
glücks erreicht. Graf Schlick, unter dessen Befehlen Benedek Kommandierender General in Lemberg und später Korpskommandant bei Solferino war, schrieb damals an ihn : „ Ich gratuliere Dir von ganzem Herzen, ich gratuliere aber auch der Armee zu der herrlichen Wahl. “ Wenige Monate vorher bezeichnete Schlick den F.Z.M. Benedek als den würdigsten unter den hohen Führern. Er genoß nach Ausspruch
227
Benedek.
des ersten Generaladjutanten Graf Crenneville auch das höchste Wohlwollen seines Kaisers und die Verehrung und Liebe der Armee. Als die Nachricht von einem beabsichtigten Rücktritte Benedeks verlautete, schrieb ihm F.M.Lt. Hartung : „ Wer anders würde die Armee im Felde führen können als Du mit Deinen glänzenden Eigenschaften und großem Blick.
Dir folgen alle
mit Hoffnung,
vollem
Vertrauen und größtem Gehorsam ; Deine herrlichen Soldatentugenden und Leistungen haben Dich zum Armeekommandanten gemacht, Kaiser und Armee haben Dich dazu proklamiert. "
Benedek war die hervor-
ragendste Persönlichkeit in der Armee geworden. Die Presse tat das ihrige nach dem Feldzuge von 1859. sie bezeichnete Benedek gern als „Falke von der Weichsel " , als Löwe von St. Martino ". In völliger Verkennung der Friedensaufgaben des Chefs des Generalstabes verblieb er neben seiner Stellung als Kommandierender General 1862 bis Oktober 1864 an der Spitze des Generalquartiermeister- Stabes. der Ära Benedeks
Hervorgehoben muß aber werden,
die bereits vom Erzherzog Karl
daß unter
und dem Feld-
marschall Radetzki empfohlene Vereinigung der Adjutantur und des Generalquartiermeister- Stabes eingeleitet und im Jahre 1865 ausgeführt wurde. Inwieweit besondere Beweggründe Benedeks mitgewirkt haben, läßt sich zurzeit schwer beurteilen. Ein Verhängnis war,
daß die Dienststellung in Verona Benedek
auf das engste mit dem F.M.Lt. Henikstein zusammengeführt hatte. Henikstein galt als ein vom Glück emporgetragener Favorit, der vor allem seiner weltmännischen Klugheit und seinen gesellschaftlichen Talenten die rasche Laufbahn verdankte. Es war bekannt, daß Henikstein seinen Benedek als Muster eines Feldherrn und Benedek wieder seinen Henikstein als Muster eines Generalstabschefs zu preisen wußte. Man hob sich gegenseitig in den Himmel , was von manchen Seiten schon damals miẞliebig bemerkt wurde. Dieses Posieren stand im Widerspruch mit der sowohl von Benedek wie auch von Henikstein anerkannten Grenze des eigenen Könnens, sobald außergewöhnliche Anforderungen an beide gestellt wurden . 99 Wenn Benedek sich aber schon im Frieden die dominierende Stellung eines obersten Leiters des Heerwesens gefallen ließ, seinen Einfluß in allen militärischen Angelegenheiten in ausschlaggebender Weise betätigte und sich dann schließlich nur für fähig hielt, in kleineren Verhältnissen auf dem ihm wohlbekannten Kriegsschauplatz in Italien seinen Mann zu stellen , so liegt in diesen Widersprüchen ein psychologisches Rätsel. " Wir wissen aus verschiedenen Äußerungen, daß er einem Kriege mit Preußen in jeder Weise abgeneigt war, daß er an einen solchen Krieg überhaupt nicht glauben wollte. Über Benedeks Berufung auf den
228
Benedek.
Hauptkriegsschauplatz im Mann des
Norden durch
Heeres galt,
wird
den
gesagt,
damals
daß
er als erster
einflußreichen Minister
Moritz Esterházy lebhaft unterstützt und von der öffentlichen Meinung im Lande und in den verbündeten Südstaaten als berufener Feldherr bezeichnet wurde. So setzte sich unter anderem mit dem vollen Gewicht des bayerischen Bundesgenossen , der Minister v . d . Pfordten, in Wien dafür ein, daß nicht etwa ein anderer (sei es selbst auch ein Erzherzog), als Benedek das Oberkommando in Böhmen erhalte. diesem müsse es vielmehr verliehen werden, denn das allein bedeute schon eine Verstärkung der Nordarmee um 40000 Mann. “ Vom militärischen und politischen Standpunkt war es unbedingt geboten, dem Feldzeugmeister das Kommando der Nordarmee zu übertragen . wenn die Hofburg bei anderer Entschließung sich nicht vor der öffentlichen Meinung für einen ungünstigen Ausgang des Kampfes mit dem hauptsächlichsten Gegner verantwortlich machen wollte. Auch für Benedek selbst standen die Dinge nicht anders . Wie dem immer sei, die Ereignisse drängten zur Entscheidung und Benedek konnte nicht umhin, wenn auch unter ernsten Einwendungen, anzunehmen, wo es die höhere Pflicht gegen Kaiser und Reich gebot , wollte er sich nicht mit seiner ganzen militärischen Vergangenheit im Krieg und Frieden in Widerspruch setzen. Für den Mitlebenden
noch nicht erkennbar,
zeigten sich nach
Ditfurths Auffassung schon bei Solferino Schwächen in der Führung. Ganz ähnlich will Feldmarschalleutnant Berger schon im italienischen Feldzuge Anzeichen von nervöser Niedergeschlagenheit bemerkt haben (Memoiren von Feldmarschalleutnant Berger, S. 67) : „ Wer die Ereignisse mit vorurteilslosem Blick betrachtet, der wird hier schon an Benedek den Beginn einer gewissen Unentschlossenheit in dem Verfolgen höherer Ziele wahrnehmen . Die Grenzen seines Könnens treten, wenn auch noch verschleiert, hervor. Es fehlte dem kühnen Brigadier Benedek der überlegene
Geist,
der ihm allein
bei Führung
eines
größeren Armeekörpers die schöpferische Kraft zu großen Taten verleihen konnte und ihn zu den Höhen eines wahren Feldherrn geführt haben würde. " Benedek war ein glänzender Unterführer , der jede ihm gestellte Aufgabe mit Zähigkeit , Unerschrockenheit und Tatkraft ausgeführt
hatte,
das
war sein Soldatenglück gewesen.
Auch hier
hat Clausewitz in seinem Kapitel von der „ Kühnheit “ das Wesen eines Benedek gezeichnet : „ Fast alle Generale, die uns die Geschichte als mittelmäßige oder gar unentschlossene Feldherrn kennen lehrt, haben sich in geringeren Graden durch Kühnheit und Entschlossenheit ausgezeichnet. "
Mit Benedek teilen das gleiche Schicksal so
viele
glänzende Korpsführer napoleonischer und neuester Zeit, die wohl an
229
Benedek. zweiter Stelle oder als Berater glänzten, Feldherrn in sich hatten .
aber
nicht den Beruf zum
Benedek verdankte seine Erfolge nicht eifriger Gedankenarbeit, wie z. B. der Erzherzog Albrecht, sondern einzig und allein der Eingebung des flüchtigen Augenblicks. Mit vorbereitetem Studium hatte der Feldzeugmeister sich niemals abgegeben, weil er selbst nie auf die höchste Stelle rechnete, weil er anderseits sich im überschäumenden Kraftgefühl von seiner Eingebung und seinem Glück besser unterstützt wähnte, als von seinem Geiste. Wenn er selbst stillschweigend die Notwendigkeit strategischer Schulung anerkannte, so glaubte er, es von einem so vorgebildeten Theoretiker auf das nach der Kunst gewählte Schlachtfeld führen zu lassen , um dann nur seinem Soldatenglück zu vertrauen. Der gut angeordnete Marsch von Olmütz nach Josephstadt zeigt, daß Krismanič, der ihn genüge ,
sich
allen Regeln
in einer einzigen Nacht entworfen hatte, das Handwerksmäßige des Generalstabsdienstes vorzüglich beherrschte . Am 26. Juni bewies er indessen, im vollen Gegensatz zu Benedek, daß er den Kernpunkt der Sache überhaupt nicht erkannte . So erlag Benedek, indem er sich gänzlich dem in seinem Buchwissen überschätzten General Krismanič verschrieb, einem verhängnisvollen Irrtum ,
weil
er
glaubte,
dazu
ausersehen zu sein,
nur mit
seinem Namen die Operationen seines Beraters zu decken. Was Benedek zum Heerführer ungeeignet machte, war der Glaube, daß Militärgeographie einen wesentlichen Bestandteil des Feldherrntums ausmache. In Verona ließ sich der Feldzeugmeister Vorträge über die Geographie Norddeutschlands halten, dem Oberkommando wurde eine Landesbeschreibung von Böhmen mit eingezeichneten Schlachtstellungen eingehändigt , er selbst glaubte aber seine Ungeeignetheit für eine Verwendung im Norden mit dem Hinweis begründen zu können, daß er in Italien topographiert habe, daß er im Norden nicht wie in Italien jeden Strauch und Baum kenne. Hätte ihn ein gütiges Geschick die überwiegende Bedeutung des Charakters bei Leitung der Heeresbewegungen erkennen lassen, so würde er sich zum Heerführer nicht
mehr für
ungeeignet gehalten haben.
Nicht die
angebliche
Scheu vor überlegener preußischer Taktik und Heerführung, sondern eine gewisse Scheu vor den sogenannten höheren Geheimnissen der Kriegskunst bestimmte Benedek innerlich auf die erste Aufgabe des Führers, auf die Führung selbst, zu verzichten . Es wurde sein Unglück, daß nicht sein klarer Wille herrschte, daß er nicht bestimmt sagte, hier will ich siegen, und daß er die Umsetzung seines Willens in Befehle und Anordnungen seinen Beratern überließ. Der Umstand , daß nicht der Wille Benedeks, sondern das unklare Wollen Krismaničs
230
Benedek.
die Heeresbewegungen leitete,
führte zum Zusammenbruch eines der
stolzesten Heere, das die Geschichte gesehen hat. In Erwartung eines überraschenden Einmarsches Preußens war bei der defensiven Politik Österreichs ein Aufmarsch der Nordarmee um Olmütz geplant, nicht noch einmal wollte man den Fehler von 1850 wiederholen, durch verfrühte Kriegserklärung Operationen mit noch unfertigen Truppen beginnen zu müssen ; jetzt verfiel man in den entgegengesetzten Fehler und nahm das Gesetz des Handelns vom Gegner an, da man annahm , daß dieser frühzeitig aus Oberschlesien in Mähren einfallen würde. Anfang März, als die Beziehungen zu Preußen sich drohender gestalteten,
wurde Benedek nach Wien
berufen, wo er sich bis zum 15. aufhielt und seine Ernennung zum Oberberbefehlshaber der Nordarmee erfuhr. Auf preußischer Seite erwarteten Prinz Friedrich Karl und Moltke von Benedek zwar keine kunstvollen Manöver, wohl aber eine kräftige Offensive mit dichten Massen . In einer Charakteristik der feindlichen Führer, wie sie den preußischen Kommandobehörden bei Kriegsausbruch mitgeteilt wurde, heißt es über Benedek : „ Kein Feldherr, kein Stratege, braucht sehr
kräftige Unterstützung bei Führung der Armee.
Sehr
glücklicher, sehr mutiger, ja selbst verwegener Soldat . In der ganzen Armee, namentlich bei der Mannschaft , unendlich beliebt. " 1) Nicht konnte man in Berlin wissen, daß gerade Benedek mit überaus geringem Vertrauen dem kommenden Waffengange entgegensah. Stets mißgestimmt und ärgerlich über seine Ernennung zum Oberbefehlshaber, niedergedrückt von seiner Aufgabe ) hatte ihn schon von Beginn der Heeresbewegungen an sein Selbst- und Kraftgefühl verlassen, im Feldzuge von 1866 war er ein anderer Mensch, als in den Tagen von Magenta und Solferino 3) . Der mittlerweile verstorbene Sohn des zum Operationsleiter bestimmten Generals Krismanič ------ er befand sich im März in Conegliano
führt folgendes in einer Besprechung
der Alterschen Buches aus : „Zur Zeit der Märzberatungen lagen ausgearbeitete Operationspläne, jedenfalls aber ein solcher seitens Krismaničs ¹ ) Auch Sybels Urteil ist durchaus zutreffend : „soldatisch tüchtig, glänzend in untergeordneten Stellungen, gewissenhaft, verständig, gebildet, von unbedingter Kühnheit und zu jedem Wagnis bereit, mit eisernem Willen jeder Gefahr trotzend, im Erfolge bescheiden, nur sein Soldatenglück preisend, zum leitenden Feldherrn aber der Schnelligkeit des Entschlusses entbehrend , ein fester aber langsamer Geist, zu Zweifeln geneigt und erlassene Befehle gern verbessernd oder widerrufend . " 2 ) Heinrich. Erlebnisse eines Kriegskorrespondenten S. 159 u. f. (Mitteilung von Gablenz). 3) Man vergleiche den Ton seiner Briefe vom 23. und 28. April 1859, mit denen vom 19. und 20. Mai 1866.
231
Benedek.
nicht vor , was nicht ausschlie , daß das defensive Verhalten der ßt Monarchie im Kriegsfalle damals und vielleicht im Widerspruch mit Benedek beschlossen worden sein mag , und im Mai als Benedek wieder in Wien eintraf , fand sich keine Veranlassung mehr zu einem
solchen
Rat ,
da
Benedek
dem mittlerweile
fertiggestellten
Operationsplan Krismaniès vorbehaltlos beigepflichtet hatte , was seine Unterschrift auf dem Elaborat beweist . Wie die folgenden Ereignisse zeigen , hat Benedek auch ernstlich niemals eine Offensive gegen Preußisch- Schlesien beabsichtigt , was ebenfalls nicht ausschließt , daß der Plan für eine solche Unternehmung im Hauptquartier erwogen , vielleicht auch ausgearbeitet worden sein mag, ohne daß die Ereignisse den Gedanken an die Durchführung aufkommen ließen . " Auch ich bin der Ansicht, daß Benedek sich mit einer Offensive von Olmütz direkt auf Breslau getragen hat, wenn er sich schließlich auch ohne weiteres dem angeblich überlegenen strategischen Können seiner Berater unterordnete. Bekanntlich hatte auch der General von Moltke mit einer derartigen österreichischen Offensive gerechnet, die bei den ausgesprochenen Absichten der II. Armee,
an der Neiße
eine Verteidigungsschlacht zu schlagen, nicht aussichtslos war. Wenn auf Grund der am 13. und 14. Juni eintreffenden Nachrichten vom Flankenmarsche der II . Armee
die Grenze
überschritten
wurde,
so
konnte man hoffen , über Troppau und Freiwaldau vorrückend, am 22. und 23. mit 6 Korps an der Neiße zu stehen , während die I. Armee noch weiter zurück war ' ). In einer Besprechung am 5. Juni in Olmütz mit dem Oberstleutnant v. Beck zeigte Benedek aber schon ganz ausgesprochen defensive Absichten . Kannte er die Schwächen der österreichischen Taktik ? Als Führer eines Heeres von acht Armeekorps fühlte er nicht dieselbe Kraft - die er unter kleinen Verhältnissen bewährt hatte -- die Truppe zum Angriff zu führen . Der Operationsplan
für die Nordarmee wurde am 15. April abgeschlossen und an
Benedek nach Verona geschickt. Dieser hatte sich jedes Einwurfs enthalten und unterzeichnete ihn am 12. Mai in Wien . Zu einem Marschallsrat darüber ist es nie gekommen, und auch der Kaiser hat den Plan erst Anfang Juni gelesen, als Oberstleutnant v. Beck ihn nach seiner ersten Sendung zur Nordarmee von Olmütz nach Wien überbrachte. Die Beweggründe, die die österreichische Politik zu einer Offensive nicht nach Schlesien, sondern nach Böhmen zur Annäherung an die sächsischen und süddeutschen Bundesgenossen bestimmte, sind von Friedjung (I , S. 488) in großen Zügen durchaus richtig wiedergegeben, 1 ) Mil. Korrespondenz 1866 , dann Moltkes Generalstabsreisen.
232
Benedek.
sie erfahren aber in Streffleur (Maiheft 1913), anscheinend durch persönliche Mitteilungen des Oberstleutnants Beck eine sehr wertvolle Ausgestaltung. Wir sehen, daß Benedek erst sehr wider Willen sich zum Marsch nach Böhmen entschloß, als am 16. aus Wien mitgeteilt wurde, daß die preußischen Bewegungen in Oberschlesien nur Demonstrationen seien, und als Beck von Dresden nach Wien über Olmütz zurückkehrt war und klarlegte , daß die befürchtete preußische Offensive nach Mähren hinein unmöglich sei. Graf Schlieffen faßt sein Urteil über Benedek in folgendem Satze zusammen : „ Mit allgemeinen Angriffsplänen,
wie Marsch von Olmütz
nach Berlin,
Armee des Kronprinzen usw. , hielt er nicht zurück.
Vernichtung der Aber dem Feinde
gegenüber verfiel er in die ausgesprochenste Defensive, und an diesen Widersprüchen mußte er in einem Feldzuge scheitern, in dem alles auf eine rasche und überwältigende Offensive ankam.
Für das Ver-
passen der Gelegenheit am 28. Juni bei Skalitz, für die Sammlung der ganzen Armee in der Stellung bei Dubenetz, für die lange Rast bei Königgrätz , vor allem aber für die Verwerfung jedes Angriffs ist Benedek verantwortlich zu machen , welches Maß an Mißgriffen man Henikstein und Krismanič auch zumessen will. "
Am Abend des 26. Juni war die Kaiserliche Armee um Josephstadt eingetroffen,
das preußische Heer war, in langer Linie auseinandergezogen, mit dem rechten Flügel in Nordböhmen einmarschiert, während die Armee des Kronprinzen sich erst anschickte , die Grenze zu überschreiten. Benedek war vor die Frage gestellt, ob er die entferntere Armee des Prinzen Friedrich Karl angreifen oder sich
gegen die ihn unmittelbar bedrohende Armee des Kronprinzen wenden wollte . Fast scheint es, als wenn Krismanič gar nicht den Gedanken eines konzentrischen Einmarsches der Preußen hat erfassen können , daß er geglaubt hat, daß die Truppen von Oberschlesien , geschützt durch vorgeschobene Kräfte , im Flankenmarsch jenseits der Sudeten seien, um sich mit der I. Armee zu vereinigen. Wäre dies der Fall, so würde es manches erklären¹ ) .
Alter sucht den Kampf der widerstrebenden Meinungen im Hauptquartier uns als Romancier miterleben zu lassen. Benedek wäre aber nicht der hohe Offizier, der in den Kreisen der großen Gesellschaft frei und ungezwungen verkehrte , wenn er sich zu einem solchen Unteroffizierton hätte hinreißen lassen, wie ihn Alter anschlagen läßt.
Geschwankt hat Benedek und damit nie-
wiedereinzubringende Zeit verloren 2). 1) v. Molinary : Erinnerungen. II , S. 131 . 2 ) Eine treffliche Analyse des Befehls vom 26. Juni abends in Toilow: Die Nordarmee und ihre Führer. ( S. 96 u. f.)
Benedek. Zwei
Korps
233
wurden
dem Kronprinzen entgegengeworfen, die Armee selbst aber angehalten. Wenn der Feind sich anschickte, mit voller Kraft bei Nachod ins Böhmerland hineinzumarschieren , warum marschiert
das nächststehende Korps im Flankenmarsch am Gebirge von Nachod fort auf Skalitz, während nur eine Vorhut gegen Nachod vorgeschoben wurde . Diese künstliche Herstellung der Tiefengliederung durch Aufschwenken entspricht keiner energischen Kriegführung. Das
VI . Korps mußte voll und ganz auf Nachod marschieren, dem Feinde den Eintritt verwehren . Was planmäßig in Ruhe hätte geschehen können , mußte nun im Drange der Ereignisse ausgeführt werden¹). Wie sich die Verhältnisse tatsächlich gestalteten ,
wäre auf diese
Weise wohl ein Erfolg möglich gewesen, nicht aber, wenn die II . Armee am 27. in den erreichten Stellungen stehen geblieben wäre. Nur ein Angriff mit allen Kräften , nicht halbe Maßregeln am 27. gaben der Nordarmee die erforderliche Bewegungsfähigkeit . Was ein Sieg bei Nachod und bei Trautenau bedeutet haben würde, das ist leicht auszudenken. So verblutet das eine Korps bei Nachod , während das andere einen Pyrrhussieg bei Trautenau erringt. Es fehlte an energischem Handeln in einer Lage, wo weder das eine noch das andere fehlerhaft war, wenn nur überhaupt gehandelt wurde. Gleichgültig war es, ob Benedek sich gegen den Kronprinzen oder gegen den Prinzen Friedrich Karl wandte, wenn dieses nur sofort und mit aller Halbe Maßregeln mußten zum Verderben führen. Kraft geschah. Ein Sieg über den einen Gegner mußte auch seinen Einfluß auf den anderen ausüben. Die erste vom Schlachtfeld von Nachod eingehende günstige Nachricht Rammings läßt am Abend des 27. einen Abmarsch zur Iser erfolgversprechender erscheinen , als einen Angriff gegen den Kronprinzen. So entsteht der Befehlsentwurf vom 27. Juni abends für den Abmarsch zur Iser und das Telegramm an den Kronprinzen von Sachsen, das den Abmarsch ankündigt . Ob Benedek von diesem ¹ ) Anstatt eines allseitigen Vormarsches der Nordarmee, nur Defensive gegen Eipel und Trautenau, empfiehlt der ,, Schlachterfolg “ S. 174 : Benedek hätte der II. Armee „ den Anmarsch gegen die obere Elbe freigeben können , wo zur frontalen Abwehr das IV. , X. und III . Korps verfügbar gewesen wäre, während die noch zurück befindlichen Teile der österreichischen Armee am 28. über die Linie Nachod - Josefstadt umfassend gegen den linken Flügel der preußischen Armee angehen konnte." Die Kritik dieses Verfahrens liegt in dem nächsten Satz : „ Die erste preußische Armee hätte zwar am 28. noch nicht über Gitschin eingreifen können, wäre jedoch, wenn sie im unausgesetzten Vorgehen blieb, nach Beseitigung des feindlichen Widerstandes an der Iser völlig in der Lage gewesen, jede wirksame Ausnutzung eines etwaigen österreichischen Sieges gegen den Kronprinzen von Preußen zu verhindern." 17 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 530.
234
Benedek.
Telegramm gewußt hat , ist nicht völlig aufgeklärt, anscheinend nicht. Während Krismanič diesen Befehl noch bearbeitet, trifft die Nachricht der Niederlage von Nachod ein, die Benedek mit dem Abmarsche des IV. und VIII . Korps zur Unterstützung des geschlagenen VI. Korps beantwortet. In der Nacht erhielt er die Siegesnachricht von Trautenau , die den Miẞerfolg von Nachod ausgleicht. Angesichts des zögernden Verhaltens des Generals von Steinmetz am 28. Juni nach seinem Erfolge von Nachod und auf Grund der Siegesnachricht von Trautenau glaubte Benedek auf Vorstellungen Krismaničs in der kronprinzlichen Armee kein lohnendes Angriffsobjekt mehr zu finden, da man seltsamerweise die Bewegungen der Garde am 27. unrichtig bewertet hatte. Anderseits zeigte der Feind an der Iser erheblich größere Tätigkeit ; noch am 26. nehmen die Preußen die Übergänge über die Iser bei Podel und Turnau in Besitz, dann ging in der Nacht vom 27./28. Juni vom I. Korps die Meldung ein , daß eine über Reichenberg gekommene, etwa 20000 Mann starke Kolonne am Nachmittage des 27. auf Gitschin weitermarschiert sei, so neigte Benedek jetzt schon mehr den Auffassungen von Krismanič zu. Am 28. früh will
er in
Skalitz
persönlich
die
Entscheidung
treffen ; da das V. preußische Armeekorps bis zum Mittag aber nicht angriff, so entschloß er sich für ein Vorgehen gegen die Iser, während zwei Armeekorps ihm in starker Defensivstellung unter Anlehnung an Josephstadt die kronprinzliche Armee vom Leibe halten sollten. In diesem Gedankengange hätte ihn eine Fortsetzung der Offensive über Skalitz hinaus, nur von dem im Vormarsch gegen die Iser begriffenen , von ihm für gefährlicher gehaltenen Gegner entfernt. Benedek hatte die Lage falsch beurteilt ;
das bedingte
aber noch immer nicht den
Mißerfolg. So hoch wir den Entschluß und sorgfältige Befehlserteilung bewerten, noch höher steht die willensstarke Durchführung allen Schwierigkeiten zum Trotz.
Ein aus unrichtiger Beurteilung der Lage
entstandener Entschluß kann, tatkräftig und folgerichtig durchgeführt, noch eher zum Siege führen als die „ Patentlösung" , unentschlossen und schwach zur Tat erhoben . Rückblickend
auf
diese
Ereignisse
sagte
der Feldzeugmeister
später auf dem Rückzuge durch das Waagtal in Tyrnau dem Erzherzog Josef: 99 Wissen Sie, Kaiserliche Hoheit, halten Sie sich nie dümmer, als Ihre Umgebung. Ich habe mir in Josephstadt gedacht , das Beste ist, selbst den Kronprinzen mit aller Macht anzufallen , aber da ist der Krismanič gekommen und hat
etwas
von primärer
und sekundärer Kraft gesprochen, ein Erfolg über die primäre Kraft ziehe jenen über die sekundäre Kraft notwendig nach sich und nicht umgekehrt, die primäre sei über Gitschin. " So verzichtet Benedek,
Benedek.
235
das Korps Steinmetz mit dreifacher Überlegenheit zu schlagen, den Truppen geht ein Armeebefehl für den Marsch nach der Iser zu , der schon am 27. ausgearbeitet ist, aber die Lage beim Feinde so zeichnet , wie sie noch am Abend des 26. war. Der 28. Juni bringt ganz unerwartet die Niederlage von zwei weiteren Armeekorps. Der sichere Sieg war jedenfalls bei Skalitz in Benedeks Händen. Der Umstand, daß der Feldzeugmeister am 27. Juni leidend gewesen war, mag manches entschuldigen , jedoch nicht alles ; jedenfalls mußte er, als wider seinen Willen bei Skalitz der Kampf entbrannte, Mittel und Wege finden, die Lage zu seinem Vorteil auszunutzen . Der Gedanke
einer Offensive gegen die Iser wurde auf Grund
der Ereignisse am 28. (Niederlage des VIII. und X. Korps) aufgegeben, Krismanič kennt keinen anderen Ausweg aus dieser Lage, als Zurückfallen in die an und für sich starke Stellung von Dubenetz, deren Hauptvorzug darin bestand , daß sie gerade für eine Offensive gegen den Prinzen Friedrich Karl die Flanke schützte, die II . preußische Armee dann zu weitausholender Umgehung oder zum schwierigen Frontalangriff zwang, die aber , wie das schon 1778 am gleichen Tage Kaiser Joseph befürchtet hatte, geräumt werden mußte , wenn die Isergruppe die ihr gegenüberstehenden preußischen Kräfte nicht fernhalten konnte. Benedeks Selbstvertrauen und auch das Vertrauen in seine Umgebung war geschwunden, er ließ sich jetzt von den Ereignissen tragen, statt sie zu beherrschen . Mängel in der Befehlserteilung sind zahlreich vorgekommen, sie brachten den Truppen unerwartete große Anstrengungen, hatten auch zur Folge, daß das günstig stehende Gefecht bei Gitschin dem Wortlaut eines Befehls zuliebe abgebrochen wurde,
nachdem der Kronprinz von Sachsen es
angenommen hatte
unter Voraussetzungen, die nicht mehr zutrafen. (Armeebefehl vom 27. Juni¹). Das Abbrechen des Gefechts von Gitschin führte zu einer Niederlage und veranlaßte
Benedek,
hinter der Elbe bei Dubenetz,
seine
geplante Verteidigungsstellung
südlich Königinhof,
zu räumen .
Die
Mißerfolge verfehlten auch nicht, auf die Stimmung im Hauptquartier 1 ) Der Armeebefehl vom 27. - ab am 28. zwischen 5 und 6 Uhr nachmittags der die Einzelheiten für den Marsch der Armee nach der Iser anordnete und bestimmte, daß am 29. das III. Armeekorps in Nähe von Gitschin zur Ruhe überginge, war erst am 29. 2 Uhr nachmittags in die Hände des Kronprinzen von Sachsen gelangt ; zu dieser Zeit wußte der Empfänger jedoch noch nichts über den Ausgang der Kämpfe von Trautenau und Nachod. Jedenfalls konnte man nach von anderer Seite stammenden Nachrichten nur annehmen , daß die kaiserlichen Waffen hier wenigstens nicht ungünstig gefochten hätten. 17*
236
Benedek.
einzuwirken ;
Benedek war mit der Tätigkeit Krismaničs nicht ein-
verstanden, so kam es zu unerfreulichen Auseinandersetzungen , die für die gemeinsame Arbeit nicht förderlich waren. Wie man in der Hofburg zu Wien die Lage auffaßte, ergibt sich aus den Erinnerungen des Oberstleutnants von Beck, die im August 1866 niedergeschrieben waren,
und
zur Widerlegung der Alterschen Anschuldigungen
jetzt
zum ersten Male auszugsweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Hier heißt es : „Über den Feind erfuhr man an maßgebender Stelle in Wien nur, daß er über Reichenberg vordringe , dann , daß Gefechte bei Turnau, bei Podol, bei Münchengrätz stattgefunden. Ganz oberflächliche Meldungen liefen ein über das Gefecht des VI. Korps bei Wysokow, des X. Korps bei Trautenau vom 27. und über die Gefechte des letzteren bei Neu-Rognitz und des VIII. Korps bei Skalitz am 28. Juni , über die auch Listen mit der erschreckend großen Anzahl verwundeter Offiziere vorgelegt wurden. Aus fremden Telegrammen erst erfuhr man , daß Fahnen und Kanonen in diesen Gefechten verloren gegangen, daß einzelne Truppenkörper hart mitgenommen seien . Auf Grund von Nachrichten aus fremden Quellen übersah man jedoch in Wien die strategische Situation :
Vier Korps
unter dem preußischen Kronprinzen im siegreichen Vordringen über Skalitz und Trautenau, von der anderen Seite vier Korps im Vormarsch auf Gitschin , beide Armeen offenbar mit dem Zweck , sich baldmöglichst
zu
vereinigen
und mit ganzer Kraft über uns her-
zufallen. Demgegenüber konnte man vermuten, daß Benedek am 28. oder selbst noch am 29. mit vier oder fünf Korps, wie sie ihm an diesem Tage zur Hand waren, über die getrennten Korps des Kronprinzen herfallen, mit Übermacht sich zuerst auf das V. und VI. , dann auf das Garde- und
I. Korps
werfen,
diesen
nach Schlesien
folgen und dergestalt die Armee des Prinzen Friedrich Karl eo ipso zur Umkehr zwingen werde. Wenn dem auch nicht so war, und der F.Z.M. Benedek meldete, er werde seinem gefaßten Plan, mit ganzer Kraft dem Prinzen Friedrich Karl entgegenzugehen,
nicht untreu werden ( ! ),
so konnte man nur
bedauern, daß die einfache und erfolgreiche Operation unterlassen wurde, man mußte sich eben mit dem Gedanken trösten, daß auch eine mindere Idee ,
konsequent durchgeführt ,
immer noch besser sei
als Unentschiedenheit , die gar kein Resultat herbeiführt. Am 30. Juni mußte man nach den bekannten Marschplänen und Dispositionen für den Marsch der Nordarmee annehmen, daß die Hauptmasse bereits über Gitschin vorgedrungen und im Kontakte als das Telegramm Benedeks einlangte, mit dem Feinde stünde
237
Benedek. daß
wegen Débâcle des I. Korps und der bewegungen eingestellt wurden . “ Aber ehe
dieses Telegramm ( abgegangen
Sachsen die
Offensiv-
30. Juni, 530 Uhr) in
Wien eintraf, hatte Oberstleutnant Beck sich schon auf den Weg gemacht, um persönlich sich von den Verhältnissen bei der Armee zu überzeugen.
Gegen 10 Uhr früh traf er den völlig
entmutigten
Feldherrn , der meinte, daß er keinen Tag dafür einstehen könne, ob nicht Katastrophen eintreten werden, nur ein rascher Friede, den der Kaiser um jeden Preis abschließen müsse, könnte noch retten, jede Stunde sei ein Versäumnis , und wenn die Preußen heute angriffen , so könne er für nichts mehr stehen. Infolge dieser Erklärung, der die anwesenden Herren des Armeestabes beipflichteten, schrieb und chiffrierte Beck zwischen 11 und 12 Uhr, nach den Weisungen Benedeks, das berühmt gewordene Telegramm an den Kaiser : „Bitte Eure Majestät dringend, um jeden Preis Frieden zu schließen usw. " Benedek unterschrieb den Entwurf und die Reinschrift des Telegramms, das sofort abgeschickt wurde . Auf Becks Frage, welche weiteren Absichten der Armeeführer habe und welche Rückzugslinie er wählen wolle, wandte sich Benedek an Generalmajor Krismanič, der erwiderte , daß die Armee am 2. Juli bei Pardubitz zu konzentrieren wäre , um den Rückzug nach Olmütz anzutreten.
Benedek meinte zum Schlusse,
er könne nicht dafür bürgen, ob der Rückzug überhaupt noch ausführbar sei, ob die Armee noch hielte, nachdem sich schon in der vorhergehenden Nacht eine Panik geltend gemacht hatte. " So der wahrheitsgemäße Hergang .
Um 1 Uhr nachmittags fuhr Beck nach
Pardubitz , von dort richtete er eine chiffrierte Depesche (zwischen 4 und 5 Uhr nachm.) an die Generaladjudantur des Kaisers über den Zustand der Armee und hob die Notwendigkeit eines unverweilten Rückzuges der Armee, die er auch gegenüber Benedek betont hätte, oder das Eingehen eines Waffenstillstandes als unerläßlich hervor. Bald nach Abreise Becks traf auch ein Telegramm aus Wien (2 Uhr 10 Min. ) ein : „ Einen Frieden zu schließen , unmöglich . Ich befehle wenn unausweichlich den Rückzug in größter Ordnung anzutreten.
Hat eine
Schlacht
stattgefunden ? "
Die
vom Grafen
Crenneville eigenmächtig hinzugefügte Frage am Schluß, die aber •" als vom Benedek im Anschluß an die Wendung : „ Ich befehle Kaiser herrührend ansah, ließ die Auffassung zu, als ob man in Wien den Rückzug nur nach einer stattgefundenen Schlacht für gerechtfertigt hielte . Dieses Telegramm beantwortete Benedek um 11 Uhr nachts in eingehender Weise und erwähnte, daß er die Armee am 2. ruhen (er hatte also auch bereits vom Abmarsche an diesem Tage abgesehen), am 3. aber nach Pardubitz zurückgehen lassen werde. In
238
Benedek.
diesem Telegramm
schildert
der
Feldzeugmeister
zunächst
die Ein-
drücke der letzten unglücklichen Kämpfe auf die einzelnen Korps. 39 Von acht Korps sind mithin " , heißt es wörtlich,,, ohne Schlacht, bloß nach partiellen Gefechten , nur zwei ganz intakt ..... ; alle brauchen notwendig Erholung und Beschuhung und sonstige Bedürfnisse. Alles dieses zwang mich, nach gestrigen Erfahrungen und nach telegraphisch gemeldetem Débâcle des I. und sächsischen Korps hierher zu replicieren . . . Glücklicherweise drängte der Feind heute bis zur Stunde nicht ; ich lasse daher die Armee morgen ruhen und den Train zurückdisponieren ; kann aber nicht länger hier bleiben , weil bis übermorgen Mangel an Trinkwasser in den Lagern eintreten wird, und setze am 3. Juli den Rückzug gegen Pardubitz fort . ,,Werde ich nicht überflügelt", heißt es zum Schluß,,,kann ich auf die Truppen wieder zählen , und ergibt sich die Gelegenheit zu einem Offensivstoße, so werde ich ihn machen, sonst aber trachten , die Armee nach Olmütz zu bringen,
und Euer Majestät Allerhöchste Be-
fehle, soweit es nur immer in meinen Kräften steht, gewiß aber mit unbedingter Aufopferung, auszuführen . “ Das Stehenbleiben in der Stellung vorwärts Königgrätz ist das Spiegelbild des Gehenlassens, der Entschlußlosigkeit, die dem Eintritt großer Katastrophen so häufig vorhergeht.
Ich erinnere nur an das
Verhalten Mac Mahons bei Wörth und am 31. August 1870 , Bazaines Unentschlossenheit am
16 , 17. und 18. August .
Immer dieselben
Kennzeichen einer schwachen, zögernden Heerführung, die das Hereinbrechen der Katastrophe
verschuldet haben.
Der Befehl
zum Ver-
bleiben in der Stellung nordwestlich Königgrätz wurde am 1. Juli abends erteilt, nachdem schon um 2 Uhr nachmittags das Oberkommando genaue Weisungen über umfassende Aufklärung gegeben hatte. Es ist zu bemerken, daß die Bagagen aller Truppen in der Nacht zum 2. Juli über die Elbe zurückgesandt wurden . Am 2. Juli früh hatte man im Benedekschen Hauptquartier eine erheblich günstigere Auffassung der Lage gewonnen , die Armee war jetzt zum ersten Male gänzlich vereinigt, die Masse mußte das Zutrauen erwecken , in
der günstigen Stellung von Sadowa
den Ent-
scheidungskampf annehmen zu können. Die
Gefahr,
Heeresgruppen
zu
sich
im
befinden,
Mittelpunkt wurde
der
getrennten
unterschätzt,
feindlichen
Erinnerungen
an
napoleonische Kämpfe mögen im Feldherrn aufgestiegen sein, der Feldherr wollte nicht daran glauben, daß die II . Armee in seine offene Flanke hineinstoßen könne, und wenn sie wirklich wirksam wurde , dann hoffte man, die Frontgruppe schon vorher geschlagen zu haben. Ein Feldherr muß Optimist sein, sonst erlahmt sein Wage-
239
Benedek.
mut. Benedek war auch Optimist, als solcher klammert er sich aber nur an das Wünschenswerte, anstatt das Ungünstigste für die Armee auch einmal in Rechnung zu stellen . Auch Napoleon hatte auf den Gefilden von Waterloo nicht an den Vormarsch der Preußen gegen seine rechte Flanke glauben wollen, bis es zu spät war. Ähnliches läßt sich auch bei unseren Friedensübungen beobachten . Festhalten am Entschluß ist eine der wichtigsten Führereigenschaften, jedoch nur bis zu einer gewissen Grenze, Fehler.
dann wird Starrköpfigkeit
zum
Unwahrscheinlich schien Benedek eine Schlacht schon am 3. Juli. Am 2. ließ er noch durch Oberst Tegetthoff und einen Generalstabsoffizier eine Stellung hinter der Elbe bei Pardubitz erkunden, in die aber die Armee nicht zurückgeführt wurde, da Benedek sich für Annahme des Kampfes in der verlockenden Stellung von Lipa -Chlum mit ihren schwachen zurückgebogenen Flügeln und der Elbe hinter der Front entschieden hatte.
In Wien hatte Oberstleutnant Beck bereits um 4 Uhr morgens Vortrag beim Kaiser, mehrfache Depeschen gingen hin und her, deren Ergebnis war, daß Graf Clam Gallas, Krismanič und Henikstein von der Armee abberufen wurden, an Stelle von Krismanič übernahm Generalmajor Baumgarten die Leitung der Operationen . Diese um 9 Uhr nachts befohlenen Veränderungen traten jedoch erst am 3. früh in Kraft . Um Mittag des 2. Juli waren die kommandierenden Generale zu einer Besprechung nach Königgrätz befohlen , bei der eine Menge kleinlicher Dienstangelegenheiten besprochen wurde, Benedek die Erwartung aussprach, der Armee in der eingenommenen Stellung mehrere Tage Ruhe gewähren zu können . Die Frage, ob Angriff oder nicht, hing jedoch in erster Linie vom Gegner ab. Ohne Erfolg wandte Edelsheim ein, daß ein Angriff sowohl heute wie morgen erfolgen könne. In dem Buche des F.M.Lts. Coudenhove - Wien 1901 finden sich die Aufzeichnungen, die für den abwesenden Kommandeur der 3. Reserve-Kavalleriedivision von dem Stabschef mitgeschrieben wurden.
Es kamen 21 Punkte zur Sprache,
inneren Dienst,
zum Teil
höchst
die ausschließlich
gleichgültige
den
Dinge
behandelten , z. B. Eingaben über Beschuhung und Tornister, Zusammensetzung der Furage, Formen des Schriftverkehrs usw. , auch einzelne theoretische
Hinweise auf taktische Gesichtspunkte. Zum Staunen der Anwesenden wurde die strategische Lage der Armee mit keinem Worte erwähnt , kein Befehl, keine Verhaltungsmaßregel bei einem etwaigen Angriff erteilt. 99 Der mir überbrachte Auszug" , schreibt Coudenhove, „ tat klar genug dar, wie wenig man am 2. Juli um 1 Uhr nachmittags auf einen Entscheidungsschlag vorbereitet war. Es erhellt, daß die
240
Benedek.
Schlacht vom 3. Juli ohne vorherige Abhaltung eines Kriegsrates geschlagen wurde, der sich entschieden gegen eine Schlacht mit der Elbe im Rücken ausgesprochen haben dürfte. " Es war ein Ausfluß jener zuversichtlicher werdenden Stimmung. als
Krismanič
an die
Generaladjutantur
des
Kaisers
(ab
11 Uhr
55 Min. vorm.) telegraphiert : „ Hoffe, Oberstleutnant Becks Eindrücke sind durch Telegramm des Feldzeugmeisters von heute nacht bedeutend modifiziert worden, bitte, in diesem Sinne zu wirken. Er war gerade im unglücklichsten Momente eingetroffen kann sich noch alles besser gestalten . "
Und um 3 Uhr 30 Min . telegraphierte
Benedek an den Kaiser : „ Die Armee bleibt morgen (3. ) in ihrer Aufstellung ... hoffe,
einen weiteren Rückzug
nicht nötig
zu haben . "
Benedek hätte richtiger getan, den Ruhetag hinter der Elbe abzuhalten, um hier den Angriff zu erwarten ; war er am 2. Juli in seiner Stellung geblieben, so konnte er, nachdem er am Nachmittag des 2. Juli Kenntnis von der Stellung der preußischen Truppen erhalten hatte, nicht mehr hoffen, ohne Kampf den Flußübergang ausführen zu können . der Kampf nicht
Aber auch in der gewählten Stellung selbst war aussichtslos . Versäumt war nur, den Truppen
rechtzeitig anzugeben, daß man
sich hier schlagen wollte,
es wäre
dann schon am 2. möglich gewesen, die Korps hinter die Abschnitte rücken zu lassen, die sie verteidigen sollten . Die Stellung war nicht gewählt, um von hier aus über die Elbe abzuziehen, sondern um nach Entwickelung des feindlichen Angriffs gegen offensiv zu werden .
die Front aus ihr
Diese Absicht mußte aber in irgend einer Weise
den Korps mitgeteilt sein.
Ob aber der Gegner in der Front diesen
entscheidenden Angriff führen würde,
war unwahrscheinlich .
Anord-
nungen wurden unterlassen , um den Vormarsch des Kronprinzen zu verzögern. Je später die österreichische Offensive begann , um so weniger aussichtsvoll war sie. So kam es, daß der Augenblick für den Übergang zum Angriff versäumt wurde. Sollte ein solcher Angriff ausgeführt werden , dann durfte Benedek keine Sorge für seine rechte Flanke haben , hier waren Anordnungen zu treffen, um die anmarschierende II . Armee an einem Eingreifen zu hindern .
Als am
3. früh der Armeebefehl bei den Korps eintraf, waren angesichts des Feindes Verschiebungen erforderlich. Die ungenaue Befehlserteilung, aber auch unzureichende Verbindung zwischen den Korps
war Ver-
anlassung, daß das X. Korps an der Bistritz den Kampf aufnehmen wollte, daß das IV.¹) , dem das II. folgte, in berechtigter Selbständig¹ ) Siehe v. Mollinary : Erinnerungen, II , S. 156, und v. Ditfurth : Benedek, II , S. 23.
241
Benedek.
keit einen der Lage nicht mehr entsprechenden Befehl abändert, was Benedek infolge seines späten Eintreffens auf dem Schlachtfelde nicht verhindern konnte. Von diesen Unterlassungssünden , zu denen ich auch unzureichende Orientierung der kommandierenden Generale über den Feind rechne,
ist Benedek nicht freizusprechen.
Als Benedek
endlich um 8 Uhr 30 Min . vorm. auf der Höhe von Lipa eintraf, war der Kampf bereits seit zwei Stunden im Gange und zwar entgegen seinen Anordnungen im Swiepwalde und an der Bistritz ;
das
II. und IV. Korps hatten außerdem eine vom Schlachtenbefehl völlig abweichende Aufstellung genommen, so daß die II . Armee, wenn auch mit unzulänglichen Kräften , vorstoßen konnte.
bis in die
feindliche Reserveaufstellung
Die Gefechtsführung der österreichischen Truppen
zeigt
unver-
kennbar einen Fortschritt, der der eigenen minderwertigen Infanteriebewaffnung Rechnung trägt und sich bemüht, die Wirkung der überEin Armeelegenen eigenen Artillerie mehr als bisher auszunützen . befehl vom 28. Juni 1866 wies darauf hin , den Bajonettangriff erst anzuwenden , wenn der Feind durch Infanterie- und Artilleriefeuer hinreichend erschüttert erscheine. Benedek war durchaus von der Theorie der Massenbildung beherrscht, so daß er diese auch auf die Verteidigung glaubte anwenden zu müssen, anstatt eine Stellung mit so schwachen Kräften wie nur möglich zu besetzen, um Massen für den geplanten Angriff versammeln zu können. Schon in der Dubenetzer Stellung hatte er die Korps enger zusammengeschoben,
dann
versagt
er
dem Kronprinzen
von
Sachsen die Zustimmung zur Besetzung der günstigen Flügelstaffel bei Lubno-Nechanitz, zieht auch ihn mehr an die Hauptkraft heran , packt schließlich alles um Lipa und Chlum zusammen, verzichtet auf die Besetzung der nach Norden festungsartigen Höhen von Horenowe, während es doch gerade darauf ankam ,
Ellenbogenfreiheit für seinen
in der Front aus seiner Stellung von Lipa und Chlum gegen Sadowa geplanten Offensivstoß zu haben, der nur gelingen konnte, wenn die Österreicher Herren des Swiepwaldes waren. Dieses erklärt auch, daß Benedek anfänglich das Vorgehen des II . und IV . Korps gegen den Swiepwald zuließ. Verhängnisvoll wurde aber eine Eigenschaft Benedeks , die ihn unter anderen Verhältnissen zum Erfolge geführt hätte, bei Besprechung der Lage vom 28. Juni 1866 sagt das preußische Generalstabswerk, der Feldzeugmeister habe seinen , „ an sich richtigen Gedanken mit unerschütterlicher Festigkeit
im Auge behalten ,
die eine
der schönsten Eigenschaften für den tüchtigen Kriegsführer ausmacht. “ So auch hier. Mit seinen versammelten Reserven will er nach Ab-
242
Benedek.
wehr des preußischen Angriffs gegen die Höhenstellung von Lipa und Chlum offensiv werden und alles vor sich niederwerfen , in diesem Gedankengange paßt ihm das Vorgehen der kronprinzlichen Armee gegen seine rechte Flanke nicht . Er will sich nicht irre machen lassen, er will nicht daran glauben, bis unvermeidlich die Katastrophe über ihn und sein braves Heer zusammenbricht. Angesichts des Anmarsches des Kronprinzen mußte die kaiserliche Armee 99 zusammengedrückt,
nahezu
eingeschlossen
und vernichtet werden.
sicht auf einen Erfolg lag nur in einer Offensive.
Eine Aus-
Hielt Benedek auf
dem rechten Flügel und in der Mitte so gut wie möglich fest, und ging er mit vier oder fünf Korps und drei bis vier Kavalleriedivisionen gegen die schwache Elbarmee und gegen die rechte Flanke der ersten Armee vor, so schien ein Sieg durchaus im Bereich der Möglichkeit zu liegen, vorausgesetzt freilich, daß die österreichische Armee überhaupt noch imstande war, solche Offensive zu unternehmen “ . So urteilt Graf Schlieffen in seiner Aufsatzreihe „ Cannä " und fährt dann fort,
die Absichten Benedeks
und des Prinzen Friedrich Karl,
entscheidenden Angriff überzugehen, besprechend :
zum
„ Denn hüben und
drüben spähen die beiden Feldherrnn mit Adlerblicke nach dem günstigen Moment zum Angriff. Greifen die preußischen Kolonnen an, so werden sie das Schicksal Augereaus bei Pr. -Eylau erleiden ; brechen die österreichischen Massen hervor, so ist ihnen das Los der Brigade Hertweck bei Nachod gewiß.
Aber von allen Mitteln zum Siege ist doch nur
der Durchbruch eines großen Feldherrn würdig . Endlich muß doch die Stunde für ein Austerlitz oder ein Wagram schlagen. „ Noch nicht “ ,
sagt Moltke,
es gelingen sollte, werden ihre Wirkung verfehlen. "
„es wird nicht gelingen und,
wenn
die beiden vernichtenden Flankenangriffe
„ Noch nicht ", sagt auf der anderen Seite Baumbach, Chef des Generalstabes.
Bendeks
„ Solche Schlachten dauern mindestens zwei Tage : morgen, wenn die Kämpfer bis
zur äußersten Erschöpfung gerungen haben,
ist es
Zeit, die Korps Clam und Ramming vorzuführen. " Er hätte auch sagen können : „Wenn es auch gelingt, die Preußen hier vor uns in der Front etwas zurückzuweisen, werden doch die Flankenangriffe um so schneller unser Verderben herbeiführen . " Beide Feldherrn bescheiden sich. Prinz Friedrich Karl will warten bis der Kronprinz kommt. Benedek fühlt sich versichert, daß sein altes Soldatenglück" ihm doch noch den rechten Augenblick eingeben wird . So warten sie und warten. Benedek, bis aus dem Nebel von Chlum die preußischen Garden auftauchen und nichts mehr übrig bleibt, als die Reserven zur Deckung des Rückzuges einzusetzen.
243
Benedek.
Hatte Benedek bis zu diesem Zeitpunkt die Zügel der Gefechtsleitung schleifen lassen, hatte er sich ohne weiteres den Einflüssen unberufener Berater zugänglich gezeigt, indem er zweimal einem Reservekorps (VI. ) den Befehl gab, marschieren und
dann gleich
nach dem bedrohten Flügel abzu-
darauf widerrief, so wird von diesem
Augenblick an seine Führung tatkräftig und zielbewußt. Die preußischen Salven, die seinen Stab aus Chlum begrüßen, sie versetzen ihn in sein ureigenstes Element zurück.
Aber jetzt ist es zu spät !
* Vom Schlachtfelde von Königgrätz führt der Feldzeugmeister sein geschlagenes Heer nach Olmütz von dort an die Donau, um den Oberbefehl über die Nordarmee in die Hände des Erzherzogs Albrecht, des glücklichen Siegers von Custoza, zu legen. Die über den Feldzeugmeister verhängte kriegsgerichtliche Untersuchung wurde auf Befehl des Kaisers eingestellt, in größter Zurückgezogenheit verbrachte Benedek den Rest seines Lebens in Graz, vornehmes Schweigen über sein Mißgeschick und die gegen ihn vorgebrachten Anklagen bewahrend. Vor Verantwortung hatte Benedek niemals zurückgeschreckt, hatte er auch seine Aufgabe als Feldherr nicht verstanden, so trug er jetzt als Held die Verantwortung allein, ohne auch nur einen seiner Unterführer zu belasten. Wie Benedek
handelten
auch Krismanič und Henikstein .
War
es nur die eigene Schuld, daß Krismanič , in falschen Theorien erzogen, eine neue Aufgabe nur nach der verwickelten Art einer veralteten Kriegsmethode, nicht nach dem einfachen gesunden Menschenverstand lösen konnte ? Der österreichische Generalstab hatte in Überschätzung rein örtlicher Verhältnisse
auf den Erfahrungen der
Positionsstrategie des 18. Jahrhunderts und der Lehren des Erzherzogs Karl weiterbauend den Führern durch Mitgabe einer Landesbeschreibungskarte¹ ) mit eingezeichneten Stellungen
einen Dienst leisten wollen ,
der aber tatsächlich die freie Führertätigkeit in Fesseln schlug.
Die
Dubenetzer Stellung und die Höhen von Chlum und Lipa waren besonders hervorgehoben . War es zu verwundern , daß in schwierigen Lagen, vor einem großen Entschluß, der Führer sich Rat bei dieser Karte holte ? Henikstein war in seiner bescheidenen Zurückhaltung tatenlos mitgeritten ; 99 wenn er aber mit einem Rate hervortrat, wie am 30. Juni, als er das Aufgeben der unmöglich gewordenen Stellung von Dubenetz empfahl, dann traf er auch das Richtige. “ (du Nord ,) Ebenso wie Benedek vernichtete auch Henikstein alle Schrift1) Friedjung I , S. 244, Kampf um die Vorherrschaft.
244
stücke,
Benedek.
Bereits im
die zu seiner Entlastung hätten dienen können . hatte er nach Ablösung
November 1864
von seiner
Stellung
als
kommandierender General des V. Korps und Berufung zum Chef des Generalstabes besonders darauf hingewiesen, daß er nicht der richtige Mann für diese wichtige Stellung sei, da ihm die höhere Befähigung, das Wissen und folglich auch das Selbstvertrauen dazu mangele. In seiner Aussage vor dem Kriegsgericht in Wiener Neustadt nahm er hierauf Bezug, daß er in vollem Maße sich Krismanič untergeordnet habe, Befehle und Dispositionen wurden erlassen, von denen Henikstein später oder gar nicht Kenntnis erhalten habe. Benedek war als Feldherr unterlegen, da es ihm am nötigen Selbstvertrauen fehlte, nachdem er sich unter kleineren Verhältnissen stets als tapferer, schneidiger Soldat, als energischer, scharf blickender Truppenführer bewährt hatte.
Er übersah wohl die Folgen fehler-
hafter Entschlüsse . fühlte sich aber der Lage nicht gewachsen , dadurch verlor er die Entschlußkraft, seinen Scharfblick und sein rasches Zugreifen, was früher sein vornehmstes Erbteil ausgemacht hatte .
Vielleicht hätte
Ramming neben Benedek Besseres leisten können , aber man darf nicht vergessen, daß die beiden dem Feldzeugmeister zugeteilten Offiziere vor dem Kriege galten,
als
die
befähigtsten Köpfe des kaiserlichen Heeres
während Rammings
meister unangenehm war. nur der Krieg !
lehrhafte kritische Weise dem FeldzeugÜber den Wert eines Führers entscheidet
Die Friedensschulung vermag für die Befähigung zum
Feldherrn keinen Anhalt
zu geben,
sonst hätte die Kriegsgeschichte
nicht so viele Täuschungen der Staatenlenker zu verzeichnen.
Niemand
hätte vor dem Kriege mit Japan geglaubt, daß gerade einem Kuropatkin die Fähigkeiten abgingen den Krieg siegreich zu beenden. ,,In dem tapferen und glücklichen Führer von Mortara und San Martino
prägte sich der eigenartige österreichische Kriegergeist in typischer Weise aus, und Benedek war einer der eifrigsten Vertreter jenes halb leichtsinnigen, halb fröhlichen , oft auch rücksichtslosen Schneids , durch den sich fast alle Kämpfe 1866 auszeichnen." Das hohe Ansehen , das gerade Benedek bei Freund und Feind genoß , legten ihm die Verpflichtung auf, von seiner hohen Stellung zurückzutreten oder sich ernstlich auf die Aufgabe vorzubereiten , die ein Krieg an ihn stellen konnte . Das hat er versäumt ! Das ist seine Schuld ! Alle Rechtsfertigungsversuche können niemals Benedek zum Feldherrn machen ; aber er selbst hatte sich auch niemals zum Feldherrn berufen gefühlt, er wollte nur Erzieher der Truppe sein . Was die von Benedek herangebildete Armee ihn verdankte, das hat sie bei Custozza bewiesen.
Die geniale Schlachtenanlage bleibt unbedingt das Verdienst des Erzherzogs Albrecht, die heldenmütige Hingabe der Truppe, ihre
Literatur.
245
Selbsttätigkeit und ihr herrlicher Angriffsgeist hingegen das glänzende Verdienst Benedeks. Aus dem Munde Molinarys ¹ ) wissen wir, daß Benedek operativen und taktischen Erörterungen gern aus dem Wege ging, da es ihn langweile, daß er scharf und absprechend über Offiziere urteilte , die nach seiner Auffassung stärker in der Theorie , als in der Praxis des Krieges waren 2). „Von dienstlichen
Angelegenheiten interessierten ihn nur Perso-
nalien, Disziplin , militärischer Geist und das materielle Wohl des Soldaten. Diesen widmete er stets große Aufmerksamkeit und Tätigkeit", setzt Molinary noch hinzu . An Charaktereigenschaften hat
es Benedek nicht gefehlt,
wohl
aber an der Schulung des Geistes, die der Führer in der großen Prüfungsstunde, in der Schlacht, nicht entbehren kann . Vorausahnend schrieb Benedek seiner Gattin vor Beginn der
Heeresbewegungen, daß er im Falle einer Niederlage „ seine bürgerliche und militärische Ehre zum Opfer bringe". Wohl hätte er besser statt Ehre "" Ruf“ gesagt. Nicht seine Ehre, sondern sein Ruf als Führer brach zusammen, das Los derjenigen , die im Frieden die Aufgabe nicht kennen, die eine hohe militärische Stellung ihrem Träger auferlegt . Nicht auf dem Schlachtfelde allein, sondern in der Friedensvorbereitung werden die Kriege entschieden.
Literatur.
Bücher. Bibliographie der neueren deutschen Kriegsgeschichte. Bearbeitet von Albert Buddecke , Oberstleutnant, Vorstand der Bibliothek des Großen Generalstabes . I. Teil : Die Literatur über den Feldzug 1864. Verlag von Georg Bath, Berlin . 1915. Preis 3.50 M. Fast möchte es scheinen, als ob der größte Krieg aller Zeiten , den wir jetzt erleben, das Interesse für frühere Feldzüge abschwächen und ihr Studium unnötig machen müßte. Das wäre aber ein verhängnisvoller Irrtum. Die Kriege in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts werden immer eine Fülle von lehrreichem Stoff bieten . Gerade der Feldzug von 1864 ist interessant. Gab er doch Moltke, wenn er auch 1) Sechsundvierzig Jahre II , S. 79, 109, 173. 2) Friedjung, Benedeks nachgelassene Papiere, S. 299 u. f.
246
Literatur.
damals noch im Hintergrund blieb , die erste Gelegenheit, sein strategisches Können zu zeigen ! Das Anwachsen schriftstellerischer Erzeugnisse macht auch auf dem Gebiete der Kriegsgeschichte eine systematische Sichtung des Stoffes und Niederlegung in einer Bibliographie notwendig, deren erster Teil in dem Buche des Oberstleutnants Buddecke , der als Vorstand der größten Militärbücherei hierzu wohl wie kein anderer geeignet ist, uns jetzt vorliegt. Mit großer Sachkenntnis hat er hier weit über 800 Werke und beinahe 100 Karten und Pläne systematisch geordnet. Ein angefügtes alphabetisches Verzeichnis erleichtert das Auffinden einzelner Bücher usw. - Besonders wertvoll sind die kurzen erläuternden Notizen, die einer großen Anzahl der aufgeführten Bücher und Aufsätze angefügt sind . Sie enthalten u. a., in welchen Zeitschriften letztere erschienen sind, wo sich Rezensionen der betr. Werke finden, kurze Personalangaben usw. Die Buddeckesche Bibliographie, die vom Verlag vornehm und würdig ausgestattet ist, gehört nicht nur in jede wissenschaftliche , Militär- und Kasinobücherei , sondern ihre Anschaffung sei auch jedem einzelnen Offizier, der Lust und Liebe zur Kriegsgeschichte hat, als unentbehrliches Nachschlagewerk angelegentlich empfohlen. Dem jetzt erschienenen ersten Abschnitt sollen Teil II ( Feldzug 66) und Teil III (Feldzug 70-71 ) folgen . Vor und II Teil III wird jedoch Teil IV (Die Literatur des Weltkrieges) erscheinen, der, der Fülle des Materials entsprechend, mehrere Bände enthalten soll , und deren erster voraussichtlich Anfang nächsten Jahres der Öffentlichkeit v. S. übergeben werden wird. Fircks Taschenkalender für das Heer, 39. Jahrgang 1916, herausgegeben von Freiherr v. Gall , General der Infanterie, stellvertr. (Verlag kommandierender General des XVIII. Armeekorps. Georg Bath, Berlin) . Preis in Leder 4,25 M. Mit gewohnter Pünktlichkeit ist auch in diesem Jahre wieder „ der Fircks" erschienen , nun bereits im 39. Jahrgange ! Dem Buche ein Wort der Empfehlung mit auf den Weg zu geben , dürfte fast mehr als überflüssig sein ; es hat sich längst in allen Militärkreisen als vollkommen unentbehrlich eingebürgert und darf ebensowenig in einem Geschäftszimmer, wie auf dem Schreibtisch des Offiziers fehlen, der sich mit militärischen Arbeiten befaßt. Und nicht nur das , sondern als so gut wie erschöpfend reichhaltiges und dabei ganz unbedingt zuverläßiges Nachschlagebuch ist es eigentlich einem jeden Offizier unentbehrlich . Zumal den jetzt so zahlreich eingezogenen Herren der Reserve und der Landwehr, die noch häufiger als der aktive Offizier in der Lage sein werden , sich über militärische Verhältnisse unterrichten zu müssen , dürfte es hoch willkommen sein. Wie der seit langem bewährte Herausgeber bemüht ist, den „ Fircks" immer noch weiter auszubauen, zeigt am besten der Umstand, daß der Umfang
Literatur.
247
des letzteren in dem verflossenen Jahrzehnt um volle 60 Seiten zugenommen hat, und daß dazu neben das alte Inhaltsverzeichnis noch ein besonderes Sachregister von 39 Seiten getreten ist. Der neue Jahrgang wird sicher den alten Freunden des „Fircks " W. zahlreiche neue beigesellen . Die Pflicht, gesund zu sein von Stabsarzt Dr. med . Münter. Stalling, Oldenburg i. Gr. Preis 0,80 M.
Gerhard
Doppelt ist es in Kriegszeiten Pflicht jedes einzelnen sich gesund zu halten ! Deshalb sei auf die neue, ganz vorzügliche Schrift des Stabsarztes Dr. med . Friedrich Münter : Die Pflicht, gesund zu sein ! nachdrücklich hingewiesen. Die allgemeinen Maßnahmen werden in der Flugschrift mit kurzen Strichen gekennzeichnet Diese individuellen Maßnahmen liegen auf dem Gebiete der Körperkultur, einer geregelten Leibeszucht, die sich erstreckt auf Muskelpflege, Essen, Trinken , Kleiden , Wohnen , Hautpflege, Sorge für Erholung und Schlaf. Berücksichtigt werden die verschiedenen Altersstufen, Mann und Frau, die verschiedenen Stände und Berufe. Die klar, lebendig und mit warmer Liebe für unser deutsches Volk geschriebene Arbeit stellt einen hygienischen Katechismus dar , der in jeder Familie Eingang finden sollte. Der billige Preis ermöglicht diese allgemeine Verbreitung als Volksschriftchen. Sp. Englische Politik und englischer Volksgeist von Geh . Reg. - Rat Dr. Procksch . Concordia , Deutsche Verlagsanstalt, G. m. b. H, in Berlin SW 11. Geheftet 50 Pf. Der Verfasser verfolgt in seiner Schrift die englische Politik in gedrängter Kürze bis auf die Heldenzeit Elisabeths zurück. Er weist an der Hand zuverlässiger geschichtlicher Quellen überzeugend nach, wie bald die hohen sittlichen Grundsätze eines Cromwell , Wilhelm von Oranien , verlassen wurden, um dann später noch einmal in den beiden Pitts ihre letzten Vertreter zu finden . Lord Churchill, Herzog von Marlborough, der Ahnherr des jetzigen Marineministers, hat den Grund gelegt zu der Krämerpolitik Englands , die heute mehr denn je Gesetz und Moral mit Füßen tritt. Urteile Friedrichs des Großen, Kants und des Fürsten Bismarck beleuchten den staatsmännischen und sittlichen Wert dieser Politik, während der englische Volksgeist hauptsächlich nach dem Urteile Sp. englischer Schriftsteller gekennzeichnet wird.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der ,,Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises - sofern dieser mitgeteilt wurde -- hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Der Lusitania-Fall im Urteile von deutschen Gelehrten . Breslau 1915.
J. A. Kerns Verlag (Max Müller) .
Literatur.
248
In den Gluten des Weltbrandes . Band IV. Kriegsgeographie. Würzburg 1915. Verlag von Curt Kabitzsch . Brosch . 2, - Geb. 2,40 Mk. 2. Clemenz.
3. Kirchhoff. Unsere Marine im Weltkriege 1914/15 . Berlin 1915. Vossische Buchhandlung Verlag. 2. - M. 4. Freie Hochschule Berlin . Programm Herbst- Quartal OktoberDezember 1915. Berlin C. 25 Geschäftsstelle der Freien Hochschule Berlin. 5. Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik. 10. Jahrgang, Heft 1. Leipzig-Berlin 1915. B. G. Teubner. 1.- Mk. 6. Immanuel . Ein Jahr Krieg. Berlin 1915. E. S. Mittler & Sohn . 2, - Mk. 7. Baehr. Die militärische Ansichts- Skizze im Felde. Berlin 1916 . Vossische Buchhandlung. 1,20 Mk. 8. Adam . Das Militärversorgungsrecht im Heere, in der Marine und in den Schutztruppen . Berlin 1915. Kameradschaft G. m. b. H. 2,50 Mk.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z. D. H. Rohne) enthält u . a. folgende interessante Arbeiten : Dziobek, Geh. Reg. Prof. Dr.: wendungen. I. und II . A.
Die Mechanik und ihre An-
Seeger, Major : Verfolgungskämpfe nach Lothringer Schlacht, August 1914. * * Der Munitionsersatz bei der Artillerie.
der
großen
Huber und Bandi, Artilleriehauptleute : Über einige Meßinstrumente für Artillerieoffiziere und Artilleriestäbe . Marrullier, Emilio : Die schwere und elastische Kuppel für Geschütze mittlerer Kaliber als Abwehr gegen großkalibrige Mörser in den Befestigungen . Wilhelm Krebs : Die Hörweite des Geschützdonners .
I.
Das (Doppel-) Heft ist zum Preise von M. 5.— durch jede Buchhandlung zu beziehen.
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.
XXI. Militärische
Ausbildung
der
Jugend.
Von Dr. phil. A. Graf v. Pestalozza , Leiter des Königl. Gymnasiums und Realgymnasiums in Neukölln .
Wenn die flammende Begeisterung, die dieser Krieg in Aller Herzen entzündet hat, einmal verrauscht sein wird - denn sie wird es, wie alle Gefühle in des Menschen Brust den Saiten der Leier gleich sich abspannen 9 da wird man sich nach rein pädagogischen Motiven umsehen, die die Beibehaltung dieser militärischen Übungen im Schul- und Erziehungsprogramm neben ihrem eigentlichen patriotischen Endzweck befürworten sollen. Der eigentliche Zweck derselben, die Wehrbarmachung von Deutschlands Jungmannschaft zur Verteidigung des heimatlichen Herdes und des vaterländischen Bodens, wird ja doch, so Gott will , erst nach Generationen in einem neuen Völkerringen die blutige Schwertprobe zu bestehen haben . Die Ziele, die der kommende Völkerfriede unserm Vaterlande steckt, werden gebieterischer und nachdrücklicher sich in den Vordergrund drängen. Und so hat man sich denn die Frage gestellt. ob und in welcher Ausdehnung jene militärischen Übungen nach diesem Kriege beizubehalten sind. Da ist es denn gut , schon jetzt, wo ihre allgemein pädagogischen, nicht bloß militärischen und patriotischen Vorteile allen sichtbar in die Augen springen, sich dieselben zum Bewußtsein zu bringen, um dann, wenn die Zeit der Reflexionen kommt, die Zeit des Abwägens, die Zeit, in der die Werte des Friedens in die Wagschale des Urteils geworfen werden , sich umso gewisser ihrer zu erinnern. Gern streut man dort neue Saaten aus, wo einmal herrliche Früchte geerntet wurden ; in der Erinnerung an die Wonne, die der stehende Halm mit seiner Ährenfülle und seinem Goldglanz im Herzen des Landmannes auslöste , greift dieser nach vollbrachter Ernte wieder froh zum schweren Pfluge . Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 531.
18
250
Militärische Ausbildung der Jugend.
Was bedeuten nun die militärischen Übungen für die Verwirklichung der pädagogischen Reformbestrebungen der letzten Jahrzehnte ? Von diesem Standpunkte aus müssen wir sie beurteilen , wenn wir über ihre dauernde Aufnahme in den deutschen Erziehungsplan entscheiden wollen. Es wird deshalb nötig sein, uns die wichtigsten Forderungen der sogenannten Reformpädagogen der letzten Jahre zu vergegenwärtigen. Die Reihe der pädagogischen Reformschriften eröffnet die Abhandlung eines Arztes im Jahre 1836 , Dr. Lorinsers Aufsatz „ Zum Schutz der Gesundheit in unseren Schulen " . Ich muß es mir versagen, auf die Gründe, die diese Schrift veranlaßten, näher einzugehen . Es genügt uns , festzustellen, daß Lorinsers Forderung, die Schule habe auf die körperliche Gesundung und Stärkung der ihr empfohlenen Jugend ein aufmerksames und liebevolles Auge zu richten, in den Reformschriften der Folgezeit als elementarste Forderung immer wiederkehrt. Wir bezeichnen die Lehre von der körperlichen Pflege nach dem Vorgang Wilhelm Reins (Pädagogik in systematischer Darstellung, 1912 , III , 10) mit dem Ausdruck „ Diätetik “ Schon in Hugo Görings Schrift „ Die neue deutsche Schule, ein Weg zur Verwirklichung vaterländischer Erziehung" tritt dieselbe in engste Beziehung zu patriotischen Gesichtspunkten. Göring sucht die Jugend vor frühem Siechtum , das sich in Muskelschwäche, Kurzsichtigkeit, Blutarmut und Nervosität zeigt , zu retten. Auch Paul Güßfeldt ( „ Die · Erziehung der deutschen Jugend " 1896) redet von der Verkrüppelung der Sinne und nennt gute Muskeln und gute Lungen den Grundstein jeder normalen Existenz. Mit Hermann Lietz, „ Emlohstobba “ ( 1897) treten die Bestrebungen der Landerziehungsheime auf den Plan. Es läßt sich nicht leugnen, daß die Forderungen nach körperlicher Ertüchtigung zuweilen gar zu individualistisch gefärbt sind und einem knorrigen Athletentum und pausbäckigen Wohlbefinden das Wort reden. Soweit sie aber in wohlerwogenen Grenzen bleiben und den hohen Blick mehr auf die Interessen des Vaterlandes , als auf persönliches und verweichlichendes Wohlsein richten, sind sie sicherintegrierender Bestandteil der Erziehung. Als Mittel der Diätetik gehören also die militärischen Übungen in das Erziehungswerk, als dessen drei Bestandteile Pflege, Zucht und Lehre von allen Pädagogen, wenn auch mit abweichender Bezeichnung, festgehalten werden. lich ein
Die Pflege des Auges, der Hand , die Pflege der Sinne überhaupt, wo findet sie ihre idealste Betätigung, wenn nicht in den militärischen Übungen ? Die Bewegung in freier Luft stärkt die Lungen, Märsche schaffen kräftige Muskeln , die Nervosität wird gewissermaßen systematisch ertötet.
Militärische Ausbildung der Jugend.
251
Ja, die militärischen Übungen werden sogar den modernsten Forderungen der Diätetik gerecht. Kenntnis des menschlichen Körpers und seiner Funktionen gehört zur Gesundheitspflege ; Atemtechnik und Verständnis für vernunftmäßige Verwertung der Muskeln sind die Vorbedingungen für rationelle Marschübungen . Der Diätetik kommen auch die Unfälle zugute, die elementare Kenntnisse des Verbandwesens erheischen . In seinem jüngsten Buche „ Staatsbürgerliche Erziehung" bespricht Friedrich Wilhelm Förster die Krankenpflege im Dienste der Erziehungskunst. Was er von der Krankenpflege sagt, läßt sich leicht auf die kleineren Vorkommnisse bei militärischen Übungen anwenden. Von der Diätetik führt er uns zur „ Gymnastik des Mitfühlens. “ (S. 100 ). So geleitet uns die Diätetik fast unmerklich hinüber zu den beiden anderen Teilen des Erziehungswerkes, zur Zucht und zur Lehre, zu den intellektuellen und ethischen Vorteilen der militärischen Übungen. Wilhelm Münch sagt im „ Geist des Lehramts " (S. 126). „ Ist, was man Pflege der Sinne nennt, wirklich nur ein Stück der Körperpflege ? Durchdringt sich hier nicht durchaus eine Pflege und Schulung geistiger Kräfte mit derjenigen der dienenden Sinnesorgane ?
Kann man das Auge als solches recht sehen, sehend unter-
scheiden oder gar sehend genießen lehren ? Und beim Gehör ist die Verbindung, ist der unmerkliche Übergang zwischen Äußerem und Innerlichem noch gewisser.
Ebenso gewiß werden mit der all-
gemeinen Körpergymnastik innere Eigenschaften , intellektuelle und moralische , gefördert . “ Von der Beziehung der militärischen Übungen zur intellektuellen Ausbildung der Jugend mag hier nur soweit die Rede sein, als wir die Hauptforderungen der Reformpädogogen in den Kreis unserer Betrachtungen ziehen wollen . Welches sind die Fächer und Unterrichtsgebiete , die nach ihrer Ansicht vor allem in den Vordergrund treten sollen ? Deutsche Literatur, Geschichte, Heimatskunde , Naturkunde werden in die erste Linie gerückt. durch die militärischen Übungen
Da erscheinen uns die
bedingten Ausflüge in die nähere
und fernere Umgebung der Stadt, besonders bei Tagespartien, ein prächtiges Mittel zu sein, Kenntnis der deutschen Geschichte, der Schlachtengeschichte sowohl, wie der Lebensgeschichte unserer großen Denker, Philosophen und Dichter zu fördern. Gibt es idealere Ruhepausen nach den anstrengenden Märschen, als im altehrwürdigen Schatten der Klöster von Chorin und Lehnin, wenn der Vortrag des Lehrers die Bedeutung dieser historischen Städten den Schülern vor Augen führt ? Militärische Märsche durch die Mark Brandenburg sind der lebendigste Kommentar zu Fontanes herrlichen Schilde18*
252
Militärische Ausbildung der Jugend.
rungen der Schönheiten der Mark.
Im Park von Sanssouci erholen
sich die Jungmannen der Gegenwart, und ihre Herzen bei den Erinnerungen an den großen Soldatenkönig. frohen Jünglingen gleich werden sie in den Wäldern in Heldenhainen lagern und rufen , wie jene vor mehr
schlagen mutig Spartas kriegsum Leipzig wie als zweitausend
Jahren : n Wir wollen sein, was ihr gewesen ! " Und wie die Geschichte, erfährt die Heimatkunde,
die Natur-
kunde eine kräftige Förderung in den militärischen Übungen. Das Spüren in Wald und Flur, das Wandern durch Wiesen und Felder führt die Jugend mitten hinein in die lebendige Werkstätte der Natur. Nicht minder bedeutsam wie für die geistige Ausbildung sind die militärischen Übungen für die Charakterbildung unserer Jugend . sind geradezu eine Schule des Willens.
Sie
Sie spannen die jugendlichen
Energien zu lebensfrischer Tat an, wecken und pflegen den Geist der Unterordnung, den Geist echter Kameradschaftlichkeit . Der berufliche Erfolg im höheren Sinne " , meint Friedrich Wilhelm Förster in den moralpädagogischen Problemen des Schullebens ( ,„ Schule und Charakter“ , S. 23 ) „ hängt vielmehr, als man gewöhnlich meint, von ethischen Qualitäten ab." Peter Moor sagt in Frenssens Roman von der Verehrung, die der junge Leutnant bei seiner Mannschaft genoß : " Es kam nicht daher, daß er mehr gelernt hatte, als wir, es kam daher, daß er ein inwendig gebildeter Mensch war, das heißt, Seele und Geist in Gewalt hielt. Sein Wille wollte so , da geschah es. “ Die Tugenden der Erkenntnis, der Selbstbeherrschung und der Hingebung, die Sallwürk in seiner 99 Schule des Willens " als die Tugenden im ,,Beruf des menschlichen Lebens " anspricht, finden ein ersprießliches Feld auf dem
Boden der militärischen
Schulung.
Intellekt,
ent-
schlossener Wille und begeisterte Hingabe an das Vaterland wird von dem jungen Mann gefordert, der in den militärischen Übungen die ganze Fülle seiner jugendlichen Kraft daran setzen will. Das Verhältnis von Lehrer und Schüler wird veredelt und erhält seine hehre Weihe in dem hohen Ziel, das beide sich gestellt haben.
Wie oft hat man auf das Ansehen hingewiesen , das
gerade militärische und geistliche Erzieher bei ihren Zöglingen genießen. Es würde zu weit führen, hier auf alle psychologischen und ethischen Gründe einzugehen, die gerade dieses Verhältnis so ideal gestaltet haben.¹ ) Im Götz und bei Ekkehard sehen wir seinen literarischen Niederschlag. Warum ist gerade hier ein solch enger Konnex zwischen Lehrer und Schüler ? Der Grund ist kein anderer, als daß der Erzieher dort den Beruf ausübt, den der Zögling anstrebt :
1)
Siehe meine Ausführungen im „Alumnat
III, 8 , S. 209–224.
253
Militärische Ausbildung der Jugend. der Zögling sieht in dem Erzieher sich selbst
als künftigen Mann !
„Wenn der Zögling sich sagt, daß er ein solcher Mann werden will, wie sein Lehrer ist, dann hat dieser die ganze Gewalt über ihn bekommen," schreibt Münch im 99 Geist des Lehramts. " Die militärischen Übungen setzen beiden ein gemeinsames Ziel, das Ideal, das ihnen vorschwebt, ist die Sicherheit des Vaterlandes. Hier ist der gemeinsame Rain, auf dem sich Lehrer und Schüler kameradschaftlich die Hand reichen, hier ist die Stätte, wo der Jünger willig dem Meister folgt.
Sie treten sich menschlich näher
und das tilgt manche Bitterkeit, söhnt aus mit manchem Mißverständnis . Wenn der Lehrer sowohl, wie der Schüler hinter dem Buch hervortritt,
werden
sie gar oft zu gegenseitiger Anerkennung ihres
Wertes kommen und sich sagen: „ Das ist ein prächtiger Mensch ! " So bahnen die militärischen Übungen ein besseres Verständnis beider Parteien an , zu Nutz und Frommen zugleich auch der Schule ! Endlich werden die militärischen Übungen, wenn wir sie beibehalten, friedestiftend und aussöhnend treten zwischen die sich in harter Fehde bekämpfenden pädagogischen Parteien , und
Realisten.
Über
zwischen
Humanisten
das Endziel der Erziehung kann kein Streit
herrschen. Hier sehen beide sich ein gemeinsames Ziel gesteckt : das höchste Wohl des Vaterlandes . Wo entzündet sich der Funke der Begeisterung, die 1813 , 1870 und in unseren Tagen alle Klassen und alle Stände des deutschen Volkes
zu mutigen
Heldentaten in den
Kampf hineinriß ? Beseelt nicht ein Gedanke, ein Wunsch, ein Sehnen den Künstler, wie den Gelehrten, den einfachen Arbeiter, wie den schlichten Bauern auf dem Lande ? Nicht irdischen Ursprungs ist jener Funke, nicht irdisch kann er sein ; denn das Ideal weist himmelwärts. Und dieses Ideal heißt : Pflicherfüllung ! Pflichterfüllung im kleinsten heißt Akribie beim deutschen Gelehrten, heißt Exaktheit beim deutschen Arbeiter. Hier keimt jener göttliche Funke in den Zeiten stillen Friedens und lodert auf zu zündender Flamme , wenn das Vaterland den großen Heerbann aller Berufe aufruft . Jeder trägt sein Flammenschwert mit in den Kampf. Verschieden sind die Ideale des Lebens, so verschieden wie die Arbeitsfelder , in denen die Kraft des Volkes aufgespeichert ruht. Begeisterung schöpft der eine aus seinem Mitwirken an der äußeren Kulturtätigkeit seines Volkes, an Industrie und Handel, an den realen Wissenschaften, die ihren Aufschwung und ihre Blüte bedingen; Begeisterung weckt dem anderen das Mitschaffen an der inneren Kulturtätigkeit, an Kunst und Wissenschaft und Poesie. Die Begeisterung macht erst den Mann der Tat ! Woher der Sturm braust , wollen wir nicht müßig fragen.
254
Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug. So werden auch die militärischen Übungen
mit ihrem gemein-
samen hehren Ziel ein festes Band um die pädagogischen Streiter schlagen, wenn die Augen aller auf die eine flatternde Fahne geheftet sind.
In diesem Zeichen werden wir alle siegen ! Des Lebens Schönheit mag jedem in seinem Ideal erstrahlen, doch " wenn es gilt , zu herrschen und zu schirmen, Kämpfer gegen Kämpfer stürmen, " dann erblicke jeder 99 von der Schönheit Hügel freudig das erflogene Ziel !“
XXII .
Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug .
Von Rhazen, Generalleutnant z. D.
Das Dröhnen des wuchtigen Artilleriefeuers , das als Auftakt des Uferwechsels von Norden über Donau und Save aus der Linie SchabatzGradiste
erschallte
und
den neuen Balkanfeldzug
einleitete , zog
gewissermaßen den Schlußstrich unter die Bilanz der gewaltigen , folgenreichen Offensive, die , mit dem Durchbruch von Gorlice-Tarnow begonnen, nach einem großen, einheitlichen Plan geleitet worden war. Daß der Balkanfeldzug, der eine neue hochwichtige Entscheidung sucht, einsetzen konnte zu dem Zeitpunkt, den die durch Bulgarien zur Vierzahl gewachsenen verbündeten Mächte als den geeigneten ansahen, erscheint als die krönende Wirkung der Ergebnisse des fast fünfmonatlichen, rastlosen Offensivfeldzuges , wie als ein neuer schlagender Beweis für das Geschick in der Ausnutzung der inneren Linien durch die verbündeten Heeresleitungen auf einem Kriegstheater von nie dagewesener Ausdehnung.
Daß von seiten unserer Gegner alle Hebel
in Bewegung gesetzt würden , den neuen Feldzug zu verhindern , darauf durfte man gefaßt sein . Seit seinem Beginn erleben wir denn auch die Fortsetzung der Durchbruchsversuche von Briten und Franzosen im Westen, neue , hier wie dort mit verzweifelter Wucht einsetztende Offensivstöße der Russen, und den Versuch, uns den Anschluß an unsere osmanischen Verbündeten von Saloniki aus zu verlegen, der aber den Keim des Mißlingens schon heute in sich trägt. einschwenkenden,
Wie der nach Norden
von Lemberg auf Brest-Litowsk vorschreitenden
Heeresgruppe von Mackensen verbündete Armeen an Zlota-Lipa und
Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
255
Bug die rechte Flanke gedeckt hatten, so schützt heute die von der Düna über Smorgon- Nowo - Groduk- Baranowiczi-Pinsk, über die wolhynische Heeresgruppe Linsingen und die Armeen Puhallo -BöhmErmolli -Bothmer -Pflanzer- Baltin, laufende Front wie eine eiserne Mauer die linke Flanke und den Rücken der nach Süden vorstoßenden Offensive in das Balkangebiet . Zwei Abschnitte der am 2. Mai begonnenen, großen, einheitlich geleiteten Offensive sind hier schon beleuchtet worden¹) . Der dritte , der sie zu einem gewissen Abschluß brachte, ohne damit ein Ende der kriegerischen Tätigkeit zu bedeuten, stellt eine fast ununterbrochene Reihe von im ganzen genommen mehrere Schlachten bildenden Kämpfen dar , die den Gegner derart erschütterten, daß er nur noch durch seine Gegenstöße versuchen kann, die Entscheidung auf dem Balkan zu beeinflussen, statt, wie früher, auf ein selbstgewähltes strategisches Ziel zu operieren , daß er das Gesetz des Handelns den verbündeten Heeresleitungen überlassen mußte , zumal auch die immer noch mit fast allen Kräften weiter glimmende Offensive im Westen den Balkanfeldzug nicht aufzuhalten vermochte. Am 24. August besetzte die verbündete Kavallerie der Armee Puhallo Kowel.
An demselben Tage überschritten, während auch die
Armee Eichhorn siegreich weiter nach Osten vordrang, die Armee Scholtz, nach Einnahme von Knyszyn, die Berezowska und, südlich von Tykocin, den Narew, Armee Gallwitz an der Straße Sokoly-Bialystok diesen Fluß und erreichte die Orlanka . Die operative Zweiteilung des russischen Heeres in eine nördliche und eine südliche Gruppe und eine bereits eingeleitete weitere Teilung der erstgenannten, zeichnen sich schon ab, und greifbar deutlich wird die Abspließung der Südgruppe durch die am 25. August einsetzende Offensivoperation in Ostgalizien und Wolhynien. Daß die Trennung der Nordgruppe von der Zentralarmee gelungen war, konnte nicht deutlicher ausgesprochen werden,
als durch die amtlich bekannt gegebene Neu-
gliederung der russischen Gesamtstreitkräfte in die Heeresgruppen Rußki, Ewert und Iwanow. Fünf Bahnlinien haben in Kowel ihre Kreuzung : nach Osten die Bahn über Scharny nach Kiew (einen für die Russen in bezug auf Hilfsquellen strategisch und auch politisch hochwichtigen Punkt) , nach Südosten die über Luzk- Rowno nach Odessa laufende , nach Nordwesten die schon in der Hand der Verbündeten gefallene nach Brest- Litowsk, nach Westen die viel umstrittene Linie Cholm-Lublin- Iwangorod , die schon längere Zeit im vollen Besitz der Verbündeten war, nach Südwesten die Bahn nach Wladimir-Wolhynsk, die im Kriege Anschluß nach Lemberg erhalten
1 ) Vgl. u. a. die Aufsätze im Juli- und Oktoberheft.
256
Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
hatte. In Kowel liefen auch die Straßen von Brest-Litowsk, Grubieschow, Rückte Wladimir-Wolhynsk und von Luzk und Rowno zusammen. die Besetzung von Kowel die Wichtigkeit eines Vorstoßes im Westteil Wolhyniens in das rechte Licht (passiv war ja auch vorher schon die Defensive an Zlota- Lipa , Dnjester und Bug nicht gewesen) , so bezweckte diese von vornherein nichts Geringeres, als Abtrennung der südlichen russischen Front von der Hauptfront, die einst in Polen in der dritten Dekade des August auf der Rückzugsfront Bialystok- Brest-Litowsk stand. Die Vorbewegung verbündeter Truppen auf diesem Wege setzt schon ein, als südlich Lublin-Cholm um die bekannte Querbahn noch heftig gekämpft wurde. Sie fiel zunächst Truppen des rechten Flügels Mackensen (Bugarmee Linsingen) zu und der von Krylow, am westlichen Bugufer, erfolgte Vorstoß zielte zunächst auf WladimirWolhynsk. Die Operationen , die zu Anfang zum großen Teil der Flankendeckung gegen Osten dienten, schritten allmählich, mit dem Vordringen zwischen Bug und Weichsel, voran. Wladimir-Wolhynsk wurde brückenAls die Mackensen kopfartig gegen Vorstöße von Osten gesichert. unterstellten Heerteile von Linsingen , der bereits bei Wlodawa den Bug überschritten, bis Erzherzog Josef Ferdinand links, daran anschließend die Heeresgruppe Prinz Leopold von Bayern, darauf die Armee Gallwitz und Scholtz, das ausgespannte Netz, dem die Armeen Eichhorn und Below linken Flankenschutz boten . seit Kowno am 18. August gefallen war , sich umklammernd mehr an Brest-Litowsk heranschoben, begann auch für die südliche verbündete Gruppe die Zeit, auf ihr Ziel loszugehen. Die Besetzung von Kowel war der erste Schritt dazu. Er durchschnitt die beiden sehr wichtigen Hauptbahnen Brest-Litowsk-Kowel- Kiew, Kowel-Luzk- Rowno- Odessa , die Verbindung der Südgruppe mit der zentralen zog nur der quer durch das nördlich und nordöstlich an Kowel anschließende Polesje führende Schienenstrang, sonst nur der gewaltige Umweg über Kiew und aus der Festung Brest-Litowsk nur noch ein bei Schabienka sich in zwei Die im galizischen Grenzgebiet noch stehenden Zweige gabelnder. Truppen gerieten in Gefahr , im Rücken gefaßt zu werden . Am 25. August setzt das Einschwenken der Armee Puhallo aus der Richtung Kowel und Wladimir-Wolhynsk gegen das wolhynische Festungsdreieck ein, das zunächst zu Kämpfen nordwestlich Luzk führte , unter deren Schutz, nach amtlichen Nachrichten, die Russen Truppenverschiebungen als Gegenmaßregel gegen die verbündete Offensive nach Wolhynien hinein bewirkten. In der Nacht vom 25. zum 26. August räumte der Feind Brest-Litowsk, dessen Forts an der West- und Südwestfront, wie das Kernwerk, gestürmt worden waren . Am 26. August hatten sich südöstlich von Mitau bei Bausk und Schönberg Kämpfe entwickelt, während
Von Brest- Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
257
diejenigen östlich und südöstlich von Kowno ihren Fortgang nahmen. Bei Olita näherten sich deutsche Truppen den Vorstellungen der Festung, östlich des Waldes von Augustowo drangen Teile der Armee Eichhorn vor , die Spitzen der Armee Scholtz erreichten Bialystok, die Armee Gallwitz warf den Gegner nördlich und südlich Bjelsk vom Orlankaabschnitt zurück, der Feind vor der Heeresgruppe Prinz Leopold wich in das Innere der Bialowiesker Forst und hielt nur noch nordöstlich Kamieniek-Litowsk stand. Vor der ganzen Front der Heeresgruppe Mackensen, von der genannten Forst bis zum Rand des Pripjetsumpfgebietes, war die Verfolgung im Gange. Mit der Gewinnung des Orlankaabschnittes nach der Erstürmung von Kowno war das Zentrum des russischen Widerstandes in dem Halbbogen , der sich von BrestLitowsk über Ossowie cz - Grodno - Kowno auf Riga zog , eingedrückt.
Die Räumung von Brest-Litowsk wäre also auch
dadurch dringend geworden . An demselben Tage erfolgte in Petersburg die amtliche Erklärung : ,, Für unsere Armeen ist die Zeit gekommen, eine geeignete Stellung auszuwählen , in welcher sie bleiben können und die, nachdem die Regimenter wieder aufgefüllt und Vorräte angesammelt sein werden, als Ausgangspunkt für das entscheidende Vorgehen dienen kann, " deren Bewertung die Folgezeit liefern sollte . Am 27. August meldete der Tagesbericht , andauernde Kämpfe bei Bausk- Schönberg , Weichen des Feindes südöstlich Kowno, Besetzung der Festung Olita , Verfolgung auf der ganzen Front zwischen dem östlich Ossowiecz erkämpften Berezowskaabschnitt und der Bialowiesker Forst und Erzwingen des Übergangs über den Leschna- Pawa-Abschnitt nordöstlich Kamieniec- Litowsk, nordöstlich von welchem Orte die Heeresgruppe Mackensen sich der Straße nach Myszczyce näherte. Der Tagesbericht unserer Verbündeten stellte vollen Rückzug der bei Brest- Litowsk geschlagenen russischen Armeen beiderseits der nach Minsk führenden Bahn fest. Die Gros der russischen Armee, die in Polen standen , werden , so sagte die russische Militärkritik, hinter den Rokitnosümpfen Halt machen , wo lange vorbereitete Stellungen liegen. Am 27. August wurde die Offensive der verbündeten Südgruppe kräftig fühlbar. Östlich von Wladimir- Wolhynsk warf die Armee Puhallo den Feind gegen Luzk und verfolgte scharf. Die aus deutschen und verbündeten Truppen zusammengesetzte Armee Bothmer durchbrach an der Zlota-Lipa in 30 km Breite die seit Wochen ausgebaute russische Stellung nördlich und südlich von Brzezany bei Pohayce und Monastireyska ; österreichische Kräfte eroberten den Raum zwischen Gologowy und Dunajow, östlich von Przemyslamy, und schlugen feindliche Gegenstöße ab . An der Grenze von Bukowina und Bessarabien
258
Von Brest- Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
und im Raum von Cernowitz erlebte ein russischer Angriff dasselbe Schicksal. Bei Bausk und Schönberg wurde der Gegner geworfen, zwischen Radsiwilischki und Swajadisze russische Vorstöße abgeschlagen , südlich Kowno schritt die Armee Eichhorn weiter siegreich vor , zwischen Bobr und Bialowiesker Forst wurde die Verfolgung fortgesetzt , die Stadt Narew besetzt, das östliche Leschna-Prawa- Ufer gewonnen , der Gegner zwischen Muchawiec und Pripjetfluß, bei Sawary, an der Straße KobrynKowel getrieben und endlich eine russische Kavalleriedivision geschlagen. Am folgenden Tage zieht sich die Front der Verfolger von südlich Kowno über die Linie Dembrowo - Gorodek- Narewkaabschnitt durch die Bialowiesker Forst - Scereszowc - Poddobno - Tewli - Kobryn .
Auf
dem südlichen Kriegsschauplatz werfen die verbündeten Truppen den am Tage vorher geschlagenen Gegner über die Linie PomorcanyKoniucho -Kocowa und hinter den Koropiecabschnitt. Der Bericht unserer Verbündeten stellt die Verfolgung des Gegners auf Buczacz durch die Armee Pflanzer-Baltin, das Vordringen der Armee Bothmer über Podhayce
und gegen
Sloczow,
das Werfen
mehrerer Nach-
huten gegen den linksseitigen Brückenkopf Luzk am Styr , den rechten Flügelstützpunkt an der Ikwa- Styr-Linie, fest . Am 30. August gewannen die in Wolhynien, wie im Raum Luzk, drängenden Truppen weiteres Gelände , entrissen dem Gegner Swyninky und andere hartnäckig verteidigte Orte ; auf dem rechten Flügel der Südgruppe gelangten die Armeen Pflanzer und Bothmer , nach Überwindung starken russischen Widerstands , besonders am unteren Koropiecbach , an die Strypa . Die Armee Böhm- Ermolli traf auf starke befestigte Stellungen östlich Zloczow in der allgemeinen Linie Bialykowice-Raciechewo, griff sie an und warf den Gegner aus mehreren Stellungen. Die unausgesetzte , nicht locker lassende Verfolgung der Heeresgruppe Mackensen , die ihre Nachhuten überrannte und auf die Gros im Sumpfgebiet von Bruzana zu werfen drohte, zwang die Russen, von den letzteren Kräfte nach rückwärts einzusetzen und einen Kampf südlich Kobryn anzunehmen, der mit einer schweren Niederlage endete und auf den russischen Namen die unauslöschliche Schmach häufte, Weiber und Kinder als Schutzwall gegen unser Feuer verwendet zu haben. Generaloberst von Woyrsch warf den Gegner bei Suchopol und Szereszowa , die Heeresgruppe Prinz Leopold kämpfte in der großen Forst um den Narewübergang ; nordöstlich und östlich Bialystok wurde der Ostrand des Forstes erreicht , am Bobr Lipsk erstürmt , Zucholka durchschritten , östlich des Njemen die Gegend nordöstlich Olita erreicht. Truppen des Generals von Below standen im Kampf um den Brückenkopf von Friedrichstadt. Am 30. August zog auch das Große Hauptquartier Gewinn und Verlustkonto beider Seiten seit Einsetzen der durch den
Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzng.
259
Durchbruch bei Gorlice eingeleiteten Offensive : ,,In dem gegenwärtigen Zeitpunkt, in dem durch den Fall der inneren russischen Verteidigungslinie ein gewisser Abschnitt in den fortlaufenden Operationen erreicht worden ist, ist es lehrreich, sich das Ergebnis der Offensive zu vergegenwärtigen, die am 2. Mai mit dem Durchbruch von Gorlice begonnen hat. Die Stärke der russischen Verbände, auf die der eigentliche Stoß nach und nach traf, wird gering mit 1400000 Mann beziffert werden können. In den Kämpfen sind rund 1100000 Mann gefangen und mindestens 300 000 Mann gefallen oder verwundet worden, wenn man die Zahl der so (ohne Kranke) Ausgeschiedenen sehr niedrig auf nur 30 % der Gefangenen veranschlägt . Sie ist aber sicher höher , denn seitdem der Feind, um den Rest seiner Artillerie zu retten, den eiligen Rückzug ohne jede Rücksicht auf Menschenleben in der Hauptsache durch Infanterie zu sichern versucht, hat er natürlich ungeheure blutige Verluste erlitten.
Man kann also sagen , daß die Heere , auf die unsere Offensive getroffen ist , ein für allemal ganz vernichtet sind. Wenn der Gegner trotzdem noch Truppen im Felde stehen hat, so ist dies dadurch zu erklären, daß er die für die Offensive
gegen die Türkei in Südrußland bereitgestellten Divisionen herangezogen hat , daß sehr viele halb ausgebildete Ersatzmannschaften aus dem Inneren Rußlands schleunigst herangeführt wurden und daß endlich aus jenen Fronten, an denen unser Druck weniger fühlbar war, zahlreiche Mannschaften einzeln , oder in kleinen Verbänden , nach Norden verschoben wurden . Alle diese Maßnahmen haben das Verhängnis nicht aufhalten können . Aus Galizien, Polen , Kurland und Littauen ist der Gegner vertrieben.
Seine geschlossene Front ist zerrissen, seine Heere fluten in zwei vollständig getrennten Gruppen zurück. Nicht weniger als zwölf Festungen, darunter vier große und ganz modern ausgebaute, fielen in die Hände unserer tapferen Streiter und damit die äußere, sowie die innere Sicherungslinie des russischen Reiches. Wenn man sich die Lage zu dieser Zeit in großen Zügen vorführt , so erscheinen russische Gegenstöße westlich der Linie DünaburgFriedrichstadt in der allgemeinen Front Radsiwilischki- Swajadysze aus dem Streben hervorzugehen, sich Luft vor der allgemeinen Offensive zu schaffen, die in über 700 km Ausdehnung fortschreitet , wobei ein starker Druck über Dünaburg -Wilna (hinter welcher Linie augenscheinlich starke russische Kräfte versammelt worden waren) gegen Polock- Minsk von der russischen Heeresleitung als besonders. gefährlich betrachtet wird . Es war anzunehmen , daß diese zur Räumung von Grodno schreiten würde , sobald die aus der Linie Grodno -Bialystok zurückgegangenen Gros einigermaßen in Sicherheit seien. Im Raume
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Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
Kobryn-Ostrand der Bialowiesker Forst russische
Rückzugsrichtung
erkennbar
dreht sich
nach
die
Nordosten ,
während die der Wegnahme von Kowno folgende Bedrohung der Bahn Wilna- Dünaburg sie nach Nordosten einengte und bereits zu dem Gesamtergebnis führen mußte , den Rückzugsraum schmaler zu gestalten. Die Abtrennung der russischen Südgruppe war bewirkt , das Vordringen der Armee Puhallo von Wladimir- Wolhynsk nach Osten konnte für die rechte Flanke der russischen Südgruppe an der Zlota-Lipa gefährlich werden, zumal am 27. August die verbündeten Armeen zur Offensive geschritten waren, die Armee Bothmer durch taktischen Durchbruch nördlich und südlich Brzezany auch hier den Bewegungskrieg eingeleitet hatte und seit dem 29. August auch die Armee die Aufgabe der Pflanzer- Baltin , welcher lange Zeit strategischen Flankendeckung zugefallen war , die Vorwärtsbewegung mitmachte. Das Vorgehen der verbündeten Südgruppe zeitigte schon am 21. August den Fall des rechten Stützpunktes des wolhynischen Festungsdreiecks , der Festung Luzk auf dem linken Styrufer , die am 28. August zum ersten Male im Tagebericht erwähnt wurde , eines wichtigen Eckpfeilers des Festungsraums , in dem russische starke Kräfte gruppiert waren und von wo aus sie gegen den Gegner vorgeführt werden konnten . Mit ihrem Fall wurde auch die Stellung westlich von Brody durch Flankierung bedroht ; der bei Luzk geschlagene Gegner wich nach Süden und Südosten. Anschließend durchbrach die Armee Böhm-Ermolli bei Bialy-Kamien in Nordgalizien die feindliche Linie in 30 km Ausdehnung, zwang die westlich des Styr kämpfenden Truppen zum Rückzug hinter diesen, während die Erstürmung der Höhen auf dem östlichen Strypaufer durch die Armee Bothmer auch dort die rückwärtige Bewegung, trotz wiederholter russischer Gegenstöße , in Fluß brachte und nördlich Buczacz mehrere russische Angriffe blutige Abweisung erfuhren. Die Heeresgruppe Mackensen setzte das heftige Verfolgungsdrängen fort, Heeresgruppe Prinz Leopold überschritt den oberen Narew und drängte den Feind nördlich Pruszana über das Sumpfgebiet zurück. Zwischen Bialowiesker Forst und Odelsk (östlich Sucholka) wurde weiter verfolgt, westlich Grodno die äußere Fortslinie erreicht , östlich des Njemen nahmen die Kämpfe ihren Fortgang. Schon am folgenden Tage war die Westfront von Grodno erstürmt, die Bahn Grodno- Wilna in die Hand genommen, östlich der Bialystoker Forst der sehr schwierige Zwisloczübergang, südöstlich Odelsk erzwungen, von der Heeresgruppe Prinz Leopold nicht nur den Austritt aus dem Nordostrande der Bialowiesker Forst, sondern auch die Jasiolda-
Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
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übergänge nördlich von Pruschana erkämpft und bei der Heeresgruppe Mackensen der Muchawiecabschnitt in der ganzen Frontbreite überschritten. Bei der Südgruppe wurde der Styr von Luzk aufwärts in breiter Front überwunden, Brody durchschritten , durch die Armee Bothmer der gegen den Sereth weichende Gegner verfolgt, von der Armee Pflanzer-Baltin über die Höhen der unteren Strypa geworfen, auf der Djnestrfront bis zur Serethmündung erschüttert und zu rückgängigen Bewegungen gezwungen. Wenn die Russen allem Anscheine nach nur mühsam die Front Dünaburg—Wilna- Grodno - Bialystok behaupteten, die zwischen Grodno und Bialystok schon durchbrochen und durch die Heeresgruppen Prinz Leopold und Mackensen auf dem linken Flügel schon umfaßt war, so sollten sie bald einen Brechpunkt dieser Front erleben und mußten sich sagen , daß sie von Anfang an so lange am Feinde geklebt hatten , daß sie ihre halben Armeen in Nachhutkämpfen festlegen mußten , um zu verhindern , daß der Verfolger mit ihnen zugleich von einer Defensivstellung in die andere gelangte , es also schwer abzusehen sei , wann sie sich vom Feinde lösen könnten . Gegenüber der Heeresgruppe Hindenburg, wo deutsche Kavallerie den Brückenkopf von Lennewaden, nordöstlich Friedrichstadt, stürmte , wurde am 2. September das Loslösen durch Vorstöße nordwestlich und westlich von Wilna mit starkem Mißerfolg und Verlust versucht.
Sie
konnten auch nicht hindern, daß von der Armee Eichhorn bei Grodno der Njemen überschritten und die Stadt genommen wurde ; daß die Armee Gallwitz an der Straße Alekczyce -Zwislocz Nachhuten überrannte und die Jasiolda bei Sieliec und Bereza - Kartuska und die Gegend von Antopol genommen wurden.
Auf dem südöstlichen Schau-
platz stellte , sich nördlich Zalosze, östlich Brody, im Raume westlich Dubno und im wolhynischen Festungsdreieck der Gegner auf der ganzen Front. Die ,,Baseler Nationalzeitung" schätzte an diesem Tage die russischen Gesamtverluste bis zum 15. August auf 222 172 Offiziere (darunter 43000 Tote) und 52 Millionen Mannschaften ! Am 3.September meldete aber der Generalstab des Oberkommandierenden noch russische Erfolge auf der ganzen Linie, an demselben Tage, an dem von deutscher Seite der Brückenkopf von Friedrichstadt erstürmt , beiderseits der Wilija jeder russische Angriffsversuch blutig abgewiesen , die Festung Grodno hinter den überall geschlagenen und in der Nacht nach . Osten zurückweichenden Russen besetzt worden war , an dem südlich des Njemen die russische Stellung geräumt wurde , der Angriff der Armee Gallwitz zwischen der Swisloczmündung und der Gegend nordöstlich der Bialowiesker Forst vorschritt, Prinz Leopold noch
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Von Brest- Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
um die Sumpfengen nördlich und nordöstlich von Pruczana kämpfte , an dem der linke Flügel der Heeresgruppe Mackensen am Brückenkopf bei Bereza- Kartuska noch auf hartnäckigen Widerstand traf, und der rechte den Gegner in der Gegend von Drohiczyn , 60 km westlich Pinsk, warf. Auf dem südöstlichen Schauplatz leistete der Gegner an der ganzen Front zwischen Djnestr und Südrand der Pripjetsümpfe heftigen, zum Teil in Gegenstößen sich äußernden Widerstand. Am unteren Sereth und zunächst der Mündung faßten die verbündeten Truppen auf dem Ostufer festen Fuß. Bei Tarnopol - Trembowla herrschte ziemliche Ruhe, nördlich Zalsze und östlich Brody leitete die Armee Böhm-Ermolli , an verschiedenen Punkten die feindliche Linie durchbrechend, die Schlacht von Brody ein. In Wolhynien schritt die von Norden umfassende Offensive fortgesetzt vorwärts , was westlich Dubno und bei Olyka zu noch nicht entschiedenen Kämpfen führte. Auf dem nördlichen, von dem südlichen durch die Rokitnosümpfe getrennten Schauplatz, der noch das Schwergewicht trug, operierten die Heeresgruppen Hindenburg , Prinz Leopold und Mackensen einheitlich auf ein Ziel hin, dem sie durch Eindrücken und Wegnahme von Grodno, des wichtigen Brechpunktes der russischen Nordostfront , wieder näher kamen. Die letzte Njemenfeste bildete , nach Westen vorgeschoben, den linken Flügelstützpunkt der zwischen Jakobstadt und Grodno zäh festhaltenden russischen Hauptmacht und zugleich den rechten Flügel der noch im Raume Grodno - Pruszana, mit Front nach dem Westen kämpfenden Flügelgruppe der Russen, der Gefahr lief, unter stetigen Kämpfen nach Nordosten gedrückt und damit in den Rücken der russischen Hauptmacht hineinoperiert zu werden. Der Fall von Grodno entzog daher dem russischen Widerstand einen Eckstein und war darum sowohl in bezug auf
die
Freilegung
der
von größter Bedeutung.
Njemenlinie ,
als
auch
operativ
Auch bei Grodno hatte sich wieder,
wie schon am 6. August bei Bialystok, das einem glänzenden Umfassungsmanöver der Armee Scholtz erlegen war , die russische Verteidigungs manier gezeigt , die nur auf den Ausbau der wahrscheinlichen Angriffsrichtung ausgeht , der Flankenüberraschung aber freiere Bahn läßt , was sich bitter rächte. Die Verfolgung der russischen Westflügelgruppe , so schrieb damals der ,, Bund" , hat jetzt bereits die Jasiolda, den sehr wichtigen Geländeabschnitt , erreicht. Da für den weiter vorgeschobenen rechten Flügel der Verfolgungsgruppe , wie für die Heeresgruppe Prinz Leopolds , die nördlich Pruszana aus Wald und Sumpf herausgetreten war, bessere Operationsmöglichkeiten bestehen, so drängt die Verfolgung immer stärker in der Richtung auf Domanowo- Baranowiczy- Minsk und
Von Brest- Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
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Wolkowisk- Slonim und preßt die Russen in ihren inneren Aufstellungsraum Wilna- Minsk, den sie nun nach zwei Fronten, zwischen Njemen und Düna, verteidigen müssen. Die Armee Below erkämpft schrittweise die Dünaübergänge bei Friedrichstadt und die Armee Eichhorn schiebt sich näher an Wilna heran, von dem die deutschen Vortruppen nur noch 25 km entfernt sind. Im Raume Wilna-Minsk liefern die Russen keine Nachhutgefechte großen Stils , sondern eine Defensivschlacht. Wilna und Minsk sind hier von der größten Bedeutung, Minsk besonders als Zentralpunkt des inneren Aufstellungsraums , der ihnen noch einige Offensivmöglichkeiten erlaubt hätte , dessen Verlust ihnen aber die Möglichkeit nimmt , in späterer Zeit einmal wieder zur Offensive überzugehen , selbst wenn sie dazu gut ausgebildete und ausgerüstete Armeen bereit stellen könnten. Um so größeren Wert müssen sie dem südlichen Schauplatz zumessen , wo ihnen späterhin gewisse Offensivmöglichkeiten bleiben, wenn sie Kiew zu behaupten vermögen. Im Norden flankiert das deutsche Heer, wenn einmal Riga und der Busen besetzt sein wird, jede Offensive , die aus dem Innern wieder nach Westen strebt und zwingt sie zu Operationen mit halbverwandter Front. Im Süden bleiben dagegen den Russen die Verbindungen nach Osten und Süden gesichert , und hier dürfen sie auch auf raschen Zufluß von Kriegsmaterial hoffen, wenn einmal die Dardanellen geöffnet werden sollten ( ? D. Schriftltg .) . Um so fataler ist es daher für sie , daß ihr wolhynisches Festungsdreieck, das ihnen 1914 beim Aufmarsch so gute Dienste geleistet , schon aufgebrochen ist , wiederum durch Flankenangriff unter Umgehung der Hauptverteidigungsfront. Nicht das starke Dubwno , sondern Luzk, war das erste Ziel der österreichischen Offensive , und zwar von Norden , nicht von Westen angefaßt , und ist schon am 2. September gefallen . Da anschließend die Armee Böhm-Ermolli über Brody vorbrach und weiter südöstlich Zalosze und den Sereth erreichte, brach auch die russische Strypafront zusammen, obwohl sie hier eine locker vorgehende gemischte Division zurückgedrückt hatten, bis einschwenkende Nebengruppen ihrer Vorbewegung ein Ziel setzten . Am 5. September meldete die Obere Heeresleitung : Unveränderte Lage zwischen Friedrichstadt und Merecz (am Njemen) , Weichen des Feindes östlich Grodno hinter den Kotraabschnitt (südlich von Jeziory) , erneutes Zurückweichen des Gegners südwestlich Wolkowysk bei Mstibowo. Vor der Armee Gallwitz, Austritt aus den Sumpfengen bei und südöstlich von Nowidwor , nördlich von Pruszana vor der Heeresgruppe Prinz Leopold, die auch nördlich Fortschritte erzielte , Räumen des Brückenkopfes von Bereza- Kartuska unter dem
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Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
Druck der Heeresgruppe Mackensen, die bei Drohiczyn erneuten feindlichen Widerstand brach. Die verbündete Heeresleitung berichtete über heftigen russischen Widerstand gegen das Vordringen in Ostgalizien und Wolhynien, wobei östlich Brody und in Wolhynien der Angriff an Raum gewann . Im Festungsdreieck wurden einige tausend Gefangene gemacht, westlich Tarnopol, auf dem westlichen Serethufer , durch Graf Bothmer ausgedehnte feindliche Verschanzungen gestürmt , russische, unter Nichtachtung des Menscheneinsatzes, unternommene Angriffe scheiterten östlich der Serethmündung. Das war die Zeit, zu welcher Rußland durch die von der Duma genehmigte Forderung , die Reichswehr II. Aufgebots (das heißt die große Masse der bei der Aushebung als unentbehrliche Familienernährer oder
aber
als
bedingt tauglich
vom
Dienst
Befreiten
gänzlich Unausgebildeten im Alter von 20-43 Jahren) einzuberufen , die Ausschöpfung aller sonstigen Ersatzquellen eingestand. Dazu kam die Versetzung des Chefs des Stabes des Höchstkommandierenden, Januskewitsch, in den Kaukasus und dessen Ersatz durch General Alexejew , der bis dahin auf der Nordwestfront gegen Feldmarschall von Hindenburg geführt hatte , was nun Ruski sollte , ferner die Übernahme der Westarmee durch General Ewert, während die abgetrennte Südgruppe vor wie nach General Iwanow behielt . Dadurch vollzog sich eine Umwälzung in der Besetzung der hohen Führerstellen , die bald weitere, höhere Wellen schlagen sollte. Am folgenden Tage näherten sich bei der Heeresgruppe Hindenburg der rechte Flügel dem Njemen bei Lunno und den Rossaabschnitt nördlich von Wolkowysk, den die Heeresgruppe Prinz Leopold südlich von Wolkowysk schon überschritt, wie von ihr auch die Sumpfengen nordöstlich von Pruszana, bei Smolenica , schon überwunden wurden. Die Heeresgruppe Mackensen trug den Angriff vorwärts. An der bessarabischen Grenze und östlich der Serethmündung scheiterten wiederholte russische Angriffe , in der Gegend von Tarnopol wurde den Russen eine verschanzte Ortschaft entrissen. Die östlich von Luzk kämpfenden Truppen überschritten nördlich Olyka im Angriff unter schwierigsten
Verhältnissen
Putilowkaniederung.
die
versumpfte
und
überschwemmte
Durch die Eroberung des wichtigen Stützpunktes
der russischen Stellung südwestlich Tarnopol, bei dem 10 km von Tarnopol am Sereth gelegenen Orte Ostrow, war ein bedeutender Schritt vorwärts erfolgt. Der westlich Tarnopol von Norden nach Süden streichende Höhenzug zwischen Strypa und Sereth steigt westlich und südwestlich Tarnopol zu seinen höchsten Erhebungen an und fällt dann gegen das bei Trembowla in den Sereth mündende Flüßchen Niczwa ab.
Die Einnahme des Stützpunktes erleichterte die Besitz-
Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
265
nahme der westlichen Vorstellungen von Tarnopol. Am 6. September hatte deutsche Kavallerie, auf Daudsewas, südöstlich Friedrichstadt , vorstoßend, starke feindliche Kräfte festgestellt und westlich Skidel bis Wolkowysk setzten heftige Kämpfe ein. Das Vordringen über die Abschnitte der Pyra und Kotra machte Fortschritte. Zwischen Njemen und Wolkowysk gewann die Armee Gallwitz durch nächtlichen Überfall an einzelnen Stellen das Ostufer des Rozanaabschnittes. Auch südöstlich von Wolkowysk bis zum Waldgebiet südlich von Grotana , 40 km südwestlich Slonim, entbrannte erneuter Kampf, der Fortschritte machte. Bei der Heeresgruppe Mackensen wurde der Gegner aus seinen Stellungen bei Chomsk und Drohiczyn geworfen , am Serethabschnitt fanden fortdauernde Kämpfe statt . Die ,, Neue freie Presse" legte in ihrer Nummer vom 8. September auf den erfolgreichen Abschluß der Schlacht von Brody , die durch einen 40 km breiten Durchbruch den Gegner zum Rückzug gegen Osten gezwungen hatte, besonderen Wert und gab die Schlachtfront als durch die allgemeine Linie Radziwilow-Podkamien-Zalosze bezeichnet an , die an letztgenanntem Orte an die Serethfront anschloß und nördlich Radziwilow in die wolhynische Front überging. Die Russen hatten hier starke Stellungen von langer Hand her vorbereitet und besetzten sie nach dem Mißerfolg an der Strypa. Die Defensivlinie lehnte sich an natürliche starke Stellungen an, im Norden an einen versumpften Nebenfluß des Styr. Im Zentrum lag sie in dem reichgegliederten Berglande von Brody mit seinen bastionsartigen Erhebungen bei Makutra und von Podkamien, im Süden verlief sie östlich der Teiche des Serethoberlaufes. Am 4. September gelang es dem rechten Flügel der Armee Böhm-Ermolli , den Russen bei Zalosze einen wichtigen Stützpunkt zu entreißen. Gegen Zentrum und Mitte der russischen Stellungen zwischen Radziwilow und Zalosze mußte man sich, von Artillerie kräftig unterstützt , in mühsamen Sappenangriff heranarbeiten . Am 6. September konnte Infanterie zum Sturm schreiten, nahm in 40 km Breite die Stellung bei Radziwilow, die verschanzte Höhe von Makutra und das weite Übersicht und Wirkung in das Angriffsfeld erlaubende Schloß Potkamien Nach Fall dieses Stützpunktes konnte der Gegner die Angriffe auf die Nebenabschnitte nicht mehr verhindern, wich, und die verbündeten Truppen überschritten in der Verfolgung zwischen Potkamien und Zalosze auch hier die Reichsgrenze . Etwa 20 km östlich des Schlachtfeldes von Brody lag die Plazewkaniederung, auf den Westhängen des Berglandes von Kremieniec, an der oberen Ikwa, eine bereits durch Natur starke und wahrscheinlich künstlich noch weiter vorbereitete Stellung.
Am 5. September hatte der linke Flügel der
Armee Bothmer am Sereth , südlich Tarnopol, das stark befestigte 19 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 531.
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Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
Dorf Ostrow erobert und schwere feindliche Angriffe erfolgreich abgewiesen. Am unteren Sereth und an der bessarabischen Front war der Armee Pflanzer gegenüber ein mehr abwarten des Verfahren der Russen eingetreten . Es schien , als hätten sie die Hoffnungslosigkeit ihrer Durchbruchsversuche erkannt , oder Kräfteverschiebungen nach Norden vorgenommen. Der taktische Erfolg der Armee Böhm-Ermolli konnte dem rechten Flügel Puhallos das Vorwärtskommen im Raum südlich der Ikwa erleichtern . Aus der Erzwingung des Putilowkaabschnittes , nordwestlich Olyla, hatten sich zunächst einschneidende Veränderungen in Wolhynien nicht ergeben. Die Fortsetzung des Angriffs gegen den befestigten Raum Rowno- Dubno bedurfte auch nach der Bodenbeschaffenheit gründlicher Vorbereitungen und die relativ langen , erst in Wladimir- Wolhynsk und Kowel Bahnanschluß findenden Verbindungen mußten verzögernd wirken. Die Gewinnung der Übergänge über den oberen Styr war zweifellos sehr wichtig , aber die Armeen brauchten gründliche Basierung der Operationen.
Der
Versuch der Russen , durch stark überlegene Angriffe die Truppen der Armee Pflanzer wieder vom Ostufer des Sereth zu vertreiben, mißlangen , eigene Truppen rückten am Ostufer in nördlicher Richtung vor. Am 7. September wurde amtlich durch das Telegramm des Zaren an Poincaré, die völlige Umwälzung der Befehlsverhältnisse in Rußland, bekannt.
Welche psychologischen, politischen und mili-
tärischen Gründe , welche Hoffnungen oder gar Zuversichten, dem Zaren zur Übernahme des Oberbefehls veranlaßten, wollen wir hier nicht weiter erörtern .
Daß eines der Motive die Kaltstellung des bisherigen
Höchstkommand'erenden in schicklicher Form war, ist offenes Geheimnis. Die Übernahme des Oberbefehls durch den Zaren, den ,, Dershawny Woshd" unter Ernennung des General Alexejew zum ,, Chef des Stabes Seiner Majestät ", macht aber einen Blick auf die Grundsätze der Befehlsgliederung im russischen Heere nötig. Die Staatsgrundgesetze von 1906 und die schon die Neugliederung des Heeres berücksichtigende Felddienstvorschrift von 1912 geben dazu den Anhalt. Die Machtbefugnis des Höchstkommandierenden, bis dahin also des Großfürsten, den der ,, durch Gründe höherer Art, entgegen den Wünschen seines Herzens gehinderte Zar" zu Beginn des Krieges den Gesamtoberbefehl übertrug und seltsamerweise , trotz frühzeitiger Mißerfolge und auch direkter Verstöße gegen die Grundsätze der Kriegführung (wohl auch weil er mit in Galizien gemachten Eroberungen und Unbesiegtsein an der rumänischen Grenze renommierte) bis dahin beließ, sind gesetzlich sehr weitgehende. Durch den Zaren, wenn dieser nicht selbst den Oberbefehl übernimmt, was in Rußland lange nicht mehr der Fall gewesen, ernannt, hat er nicht nur den Ober-
Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
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befehl über die Armeen und selbständigen Truppenteile , sondern auch die oberste Leitung der Militär- und Zivilverwaltung in dem vom Kriege , einschließlich Etappengebiet , berührten Gebietsabschnitten, so daß mit dem fortgesetzten Rückzug diese Gewalt immer tiefer nach Rußland hineingriff . Verleihung von Auszeichnungen , Beförderung von Offizieren bis zum Hauptmann einschließlich, Ernennung von Regimentskommandeuren , Besetzung von Divisionen, Entfernung auch von Generalen aus ihren Stellungen, Abschließen von Waffenstillstand usw. liegen in seiner Hand. Zur Einleitung von Friedensverhandlungen bedarf er der Genehmigung des Zaren. Er leitet die Operationen durch Direktiven völlig selbständig , trägt naturgemäß aber auch alle Verantwortung . In welchem Umfange der Großfürst von seiner Befugnis Gebrauch- bzw. Mißbrauch gemacht hat , ist bekannt. Im Frieden stellt der Kriegsminister die Zentralisation der Kommandogewalt dar, ihr untersteht auch der Generalstab und er hat allein das Recht, dem Zaren Vortrag zu halten. Der Stab des Höchstkommandierenden bildet das Große Hauptquartier , an dessen Spitze ein Chef des Stabes als ständiger Vertreter des Höchstkommandierenden, mit der Befehlsbefugnis auch über ältere Generale in der Feldarmee, steht, dem zur persönlichen Unterstützung 1 2 Stabsoffiziere , 2 Adjutanten beigegeben sind. Der
General , Höchst-
kommandierende hat zu unmittelbarer Verfügung 4 Generale, 6 Adjutanten, 1 diplomatischen Vertreter. Die Dienstgeschäfte im Großen Hauptquartier werden in drei Abteilungen erledigt : 1. Verwaltung des Generalquartiermeisters (Operationen und Nachrichten) ; 2. Verwaltung des Generals vom Dienst (Verpflegung, Truppenstärken, Personalien) ; 3. Eisenbahnabteilung Nach den (Eisenbahnen einschließlich rückwärtiger Verbindungen) . Staatsgrundgesetzen , der Heeresgliederung und den Bestimmungen für mobile Verhältnisse tritt eine durchgreifende Änderung ein , wenn der Zar sich selbst auf den Kriegsschauplatz begibt , um dort zu bleiben . Ergeht kein besonderer Befehl , der dem Höchstkommandierenden den Oberbefehl beläßt , so ist der Zar selbst ,,herrschender Führer" , der bis dahin Höchstkommandierende tritt zu ihm als ,,Chef des Stabes Seiner Majestät". Da besonderer Befehl nicht ergangen, war der Großfürst mit der Übernahme des Oberbefehls durch den Zaren seiner Stellung entsetzt und , da General Alexejew durch besonderen Befehl zum ,,Chef des Stabes Seiner Majestät" ernannt wurde , auch für diesen Posten erledigt . Der Zar, froh, den bösen Geist seiner Politik, den Gewaltmenschen, vor dem er Furcht hatte , aus seiner Nähe zu entfernen und mit dem mystischen Einfluß, den der Herrscher noch immer auf das Volk ausübet, rechnend ,,,fühlte die Pflicht, zur Konzentration 19 *
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Von Brest -Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
aller militärischen und zivilen Autorität, bei den Fortschritten des gegnerischen Einfalls von Westen, den Oberbefehl zu übernehmen." Äußerlich begann scheinbar ein neuer Abschnitt in den militärischen Anstrengungen Rußlands , an dem Ausgang des Feldzugs war aber schwer mehr etwas zu ändern , wenn auch russische Versuche , die Einwirkung des Zarenführer auf ein Wenden des Blattes zum Ausdruck zu bringen, gemacht worden sind. Als am 7. September die Truppen des Generalobersten von Eichhorn bei Troki Nowe , südwestlich Wilna , einige Seenengen nahmen, spiegelte sich ein bestimmter Plan hier schon ab , den wir später fortgesetzt sehen .
Zwischen Jeziory und Wolkowysk
(das einschließlich der nördlich und nordöstlich gelegenen Höhen genommen wurde) , schritt der Angriff vorwärts , südöstlich Wolkowysk bei Izabelin wurde der Gegner geworfen, weiter südlich gegen die Abschnitte der Zelwianka und Rozanka merkliche Fortschritte erreicht , während bei der Heeresgruppe Mackensen an der Jasiolda und östlich von Drohiczyn die Kämpfe noch fortdauerten, russische Angriffe bei Tarnopol abgeschlagen und in der Gegend von Ostrow durch Vorstoß deutscher Truppen ein Vorgehen der Russen zum Stehen gebracht wurde. Vom 7. September ab müssen wir den Beginn der zähen , mit Gegenstößen verbundenen Defensive der Russen auf dem nördlichen Schauplatz , dem Beginn von Teiloffensiven der Russen südlich der Sumpfzone , die sie dort zu einer Das allgemeinen auswachsen lassen wollten , datieren. Vortreiben intakter, stark überlegener russischer Kräfte aus denBrückenköpfen von Tarnopol und Trembowla , dann am unteren Sereth, dienten dem Zwecke , die Offensive der Verbündeten in Wolhynien zum Stehen zu bringen und die Heerteile nördlich der Sumpfzone zu entlasten. Die zweimonatige Ruhe am Strypa- und Djnesterabschnitt erlaubte den Russen die Neuordnung der Verbände.
Man darf auch mit
Sicherheit behaupten , daß von den um die Augustmitte um Brest - Litowsk zusammengeballt gewesenen russischen Massen erhebliche Teile über Luniniec- Rowno und GomelKiew zur russischen Südgruppe abgeschoben , auch Neubildungen aus den Lagern bei Kiew und Odessa herangezogen worden sind. Der russische Widerstand und Durchbruchsversuche dort sind wohl zweifellos noch den Dispositionen des Der Gedanke , die Front RigaGroßfürsten zuzuschreiben . Pinsk zu halten und südlich der Sumpfzone eine Offensive zu versuchen , die unten weiter zu beleuchten ist , hatte bei der Möglichkeit der Kräfte verschiebung etwas für sich. Es kam sehr viel darauf an , daß die Kräfte im Norden
Von Brest- Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug. solange
standhalten
269
konnten ,
bis die Operationen im Süden von Erfolg gekrönt wären. Während von der Ostsee bis östlich Olita wesentliche Veränderungen nicht eintraten , leisteten die Russen zwischen Jeziory und dem Njemen hartnäckigen Widerstand, vermochten dabei aber eine Annäherung an Skidel nicht zu hindern . Süslich des Njemen wurden sie zum Rückzug auf die Zelwianka gezwungen, die auch die Heeresgruppe Prinz Leopold erreichte und südlich Rozana den Übergang über die Rozanka erzwang. Truppen der Heeresgruppe Mackensen erreichten das Nordufer der Jaziolda wie die Räumung der Stellung von Bereza - Kartuska und unsere Durchbrechung Verbündeten verzeichneten die der russischen Front nördlich von Olyka , die Einnahme von Dubno , das Vordringen der Armee Böhm- Ermolli an der oberen Ikwa und über Nowo-Alexiniec, das Zurückwerfen überlegener russischer , im Raum westlich von Trembowla über den Sereth vorgestoßener Kräfte . Bedenkt man, daß am 25. August die Operationen in Ostgalizien und Wolhynien begannen, daß am 8. September schon zwei der Eckpfeiler des Festungsdreiecks genommen waren , daß nach dem Durchbruch von Olyka auch der Weg nach Klewan geöffnet erschien und daß zu beiden Seiten der Straße von Olyka , die von Luzk nach Rowno führt , die von Westen nach Rowno vordringenden Truppen kaum noch über 10 km von den Vorwerken dieser Festung entfernt waren, daß endlich die Front hier fast in einer geraden Linie von der oberen Ikwa, wo die Armee Böhm-Ermolli stand , über Dubno und Olyka bis an die Putilowka führte , so konnte man die Lage nur als eine günstige bezeichnen ! Vor der Westfront von Rowno war freilich die Stubielniederung noch ein sehr unangenehmes Hindernis. Am 9. September schien auch dieses durch die Armee Puhallo überwunden , obwohl der Gegner die Höhen des Westufers zäh verteidigte. Die Truppen Puhallos traten schon in die Wirkung der fünf am Westufer des Ustje gelegenen Vorwerke von Rowno. In Ostgalizien wurden russische Truppen auf Zbaracz bei Tarnopol geworfen, deutsche und österreichische Bataillone schlugen russische Angriffe zurück, ebenso südöstlich Bucniew, das bald in deutsche Hand fiel. Westlich des mittleren Sereth traten aber neue bedeutende russische Verstärkungen ins Gefecht und entwickelten sich sehr heftige Kämpfe. Bei der Heeresgruppe Mackensen wurde beiderseits der Bahn nach Pinsk die Linie Talatycze -Owzieze , von der Heeresgruppe Prinz Leopold im Kampf an der oberen Zelwianka und östlich der Rozanka Olezanka genommen ; am Zelwiankaabschnitt , wo die Höhen von Pieski gestürmt wurden, und bei Skidel dauerte der Kampf fort. Zwischen Merecz am Njemen und der Ostsee trat keine
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Von Brest -Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
wesentliche Änderung der Lage ein. Nach der Meldung der Obersten Heeresleitung traf man am 11. September nordwestlich Wilna auf die russische Garde, die angegriffen und geworfen wurde. Die Russen leisteten zwischen Jeziory und Zelwia an der oberen Zelwianka noch hartnäckigen Widerstand. Skidel, und nordwestlich davon Nickrusz, wurden in der Nacht gestürmt , ebenso Lawna weiter südlich ; im Raum der Heeresgruppe Prinz Leopold wurde der Übergang über die Zelwianka an mehreren Stellen erzwungen und in den Kampf um den Bahnhof Kossow eingetreten. Bei der Heeresgruppe Mackensen trat keine Veränderung der Lage ein, und auf dem südöstlichen Schauplatze wies die Armee Bothmer russische Gegenangriffe unter schweren Verlusten ab.
In Wolhynien, wo der Gegner durch die Armee Puhallo über den
Stubiel zurückgeworfen war , konnte man sich fragen, ob er auf den Ostufern des Flusses Widerstand leisten werde, zumal auch von Südwesten Teile der Armee Böhm-Ermolli zu beiden Seiten der Straße Dubno- Rowno energisch vordrangen. Am 12. September zeichnen sich Kämpfe größeren Umfangs an einzelnen Stellen zwischen Düna und Merecz ( am Njemen) ab und dauerten auch den ganzen 11. September hartnäckige Kämpfe zwischen Jeziory und Njemen fort, wo der Gegner erst am 12. September sich zum Rückzug wendete und verfolgt wurde.
Der Durchbruch der Zelwiankalinie erfolgte an mehreren
Stellen . Die Heeresgruppe Mackensen trat beiderseits der Bahn den Vormarsch auf Pinsk an und nahm in der Nacht einige Vorstellungen . Die deutschen Truppen auf dem südöstlichen Schauplatze hatten an diesem Tage westlich und südwestlich Tarnopol mehrere numerisch zweifellos stark überlegene Angriffe abzuweisen. Es war das viertemal , seit die Russen aus den Brückenköpfen von Tarnopol und Strusow mit überlegenen Kräften vorgebrochen , daß sie versuchten , in die
Stellungen bei Tarnopol ein-
zudringen , als sie am 11. September auch zum vierten Male mit großen Verlusten abgeschlagen wurden. Ununterbrochen
trafen
aber
aus dem Raume aus dem Raume TarnopolCzortkow bei ihnen Verstärkungen ein , die sie zwischen Sereth und der Straße von Buczacz nach Strusow einsetzten. Die russische ostgalizische Armee mußte durch das Vorgehen Puhallos über Luzk, das Überschreiten der Ikwa und des Gorn , nach der Einnahme von Dubno in eine bedenkliche Lage kommen, da Böhm - Ermolli das Vorgehen gegen die rechte Flanke der Serethlinie erleichtert wurde. Das Blatt würde sich , so kalkulierte Iwanow, sofort wenden, wenn an Strypa und Sereth ein entscheidender Schlag geführt werden könne , da eine in Galizien siegreiche Armee einen Gegner in der rechten Flanke nicht besonders zu fürchten brauchte. Bei Iwanow daher der
Von Brest- Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
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Wunsch, bei Tarnopol und Trembowla zu siegen , und bei der verbündeten Heeresleitung die Absicht , hier möglichst zu halten , bis die wolhynische Umfassung zur strategischen Auswirkung gelangt sei . Iwanow erlebte in der Hoffnung auf einen entscheidenden Schlag bei Tarnopol- Trembowla eine Enttäuschung. An der Serethmündung wurden starke Kräfte geworfen, nordwestlich Strusow brachen Vorstöße im Artilleriefeuer zusammen. Unbehindert vom Gegner gingen deutsche Truppen in eine auf den Höhen von Kozlow und Jazierna vorbereitete , an die österreichische auf dem Ostufer der mittleren Strypa sich anschließende Stellung, und zwar in der Nacht. Bei Nowo-Alexinijec standen die verbündeten Truppen im heftigen Kampfe, und östlich Dubno waren sie an die Eisenbahn vorgedrungen. Die Gruppe Mackensen hatte den Widerstand des Gegners auf der ganzen Front gebrochen, vor der Heeresgruppe Prinz Leopold war der Feind im vollen Weichen, ebenso im Njemenbogen östlich von Grodno. Unterhalb Wilna war die Heeresgruppe Hindenburg in flotter Bahnlinie Wilna- Dünaburg - Petersburg an Vorbewegung, die mehreren Stellen erreicht, auf dem linken Dünaufer der Feind zwischen Friedrichstadt und Jakobstadt aus mehreren Stellungen geworfen . Die deutschen Spitzen gelangten an die Straße Eckengrafen- Rakischki. Anschließend an die Stellungen am Ostufer der mittleren Strypa wurde am 12. September nachts von den verbündeten Truppen auf den Höhen östlich der Wesutzka , eines Nebenflusses der Strypa , bei Jasierna und Kozlow (dieses 3 km westlich von Belzanka) ungestört von den Russen eine vorbereitete Stellung bezogen. Der ganze Teil Ostgaliziens von Zalosze bis nach Wolhynien war von dem auf Zborow geworfenen Gegner frei. Von den Quellen des Goryn östlich von Nowo-Alexiniec, längs der Ikwa , aufwärts über Dubno, dann westlich Werkowieczy, den Stubiel entlang, an Klewan vorbei bis Derazno am Knie des Goryn, standen zwei österreichisch-ungarische Armeen auf wolhynischen Boden im Kampf.
Das war der letzte natürliche Ver-
teidigungsabschnitt vor dem Vorfeld der rechten russischen Stellungen in diesem Raume. Die von dort aus führenden Bahnen waren zum Teil schon bedroht . Im Süden standen Truppen der Armee BöhmErmolli nur etwas über 20 km vom Gabelpunkte der Linie nach Dubno und Berdiczew. Die Station Zdulbunowo besetzt und Derazno war von der Linie Rowno- Luniniec etwa 15 km entfernt.
Während die
Truppen unserer Verbündeten am 12. September die Bahn bei Dubno erreichten, wurde bei Nowo-Alexiniez heftig gekämpft . Nördlich der Bahn Luzk - Dubno wurde im Raume von Derano der Gegner an mehreren Stellen östlich des Goryn geworfen. Nach russischen Berichten hätte die Vorbewegung Iwanows am
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Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
Tage des Falles von Grodno begonnen und am 7. und 8. September kulminiert. ,, Bund" vom 12. September erkennt ihre taktische Teilerfolge zu, die erlaubten , bei Tarnopol und abwärts den Sereth zu halten, fährt dann aber fort : ,,Doch werden sie durch Flankierung aus der Linie Dubno und Sbaracz zum Rückzug gezwungen werden, wenn sie nicht bald größere operative Erfolge erzielen . Die Möglichkeit , in die strategische Offensive einzutreten, kann den Russen nur aus großen taktischen Erfolgen erwachsen und müßte auf einer Verstärkung ihrer artilleristischen Kampfkraft aufgebaut sein."
Lakonisch meldete der
Tagesbericht vom 15. September über den südöstlichen Schauplatz : n Die deutschen Truppen wiesen feindliche Angriffe blutig ab " . Der unserer Verbündeten ist etwas ausführlicher,,,an der bessarabischen Grenze wiesen unsere Truppen einen Angriff ab, am Djnestr und vor unseren Stellungen östlich Buczacz herrscht Ruhe. An allen anderen Teilen der galizischen und wolhynischen Front kam es abermals zu schweren , für den Feind verlustreichen Kämpfen. " (Die Iwanow zugegangenen Verstärkungen wurden ― die Mittelgruppe gar nicht gerechnet -- auf allein 9-11 Divisionen von der zweiten bei Odessa gegen die Türkei formierten Armee geschätzt. )
Nordöstlich Dubno.
ließ der Feind bei einem mißlungenen Gegenangriff neben zahlreichen Toten auch einige hundert Gefangene zurück. Im Wald- und Sumpfgebiet des Styr warf unsere Kavallerie in den letzten Tagen zahlreiche feindliche Reiterabteilungen zurück . Man durfte schon mit Zuversicht aussprechen, daß die russische Gegenoffensive in Ostgalizien nicht vorwärts kam , die Kämpfe gegen den linken verbündeten Flügel, wie die mißlungenen ungestümen Gegenstöße im Raume Dubno und um den Stubiel zeigten , an Heftigkeit zunahmen und daß die russische Hoffnung, durch das Zurücknehmen der mittleren Gruppe unserer Verbündeten um einige Kilometer nach Westen, gegen die Flanke der nördlich davon kämpfenden und die Strypafront hart bedrohenden zweiten österreichischen Armee vorstoßen zu können , sich nicht erfüllte . Weiter waren zu verzeichnen auf dem östlichen Schauplatz Kampf am Brückenkopf westlich Dünaburg, Werfen feindlicher Kavallerie südwestlich Dünaburg, an der Wilija, nordöstlich und nordwestlich Wilna, feindliche Gegenangriffe, östlich Olita und Grodno weiteres Vortragen des Angriffs , südlich des Njemen Erreichen der Schara an mehreren Stellen von der Gruppe Prinz Leopold und das Zurückdrängen des Gegners über die Schara und südlich Fortsetzung der Verfolgung auf Pinsk.
,,Bund" beurteilt
die Lage am 14. September wie folgt : ,,Auf allen Kriegsschauplätzen sind entweder große Kämpfe im Gange oder in Vorbereitung. Ehe der Winter kommt, wird der europäische Krieg voraussichtlich an Ausdauer
Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
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und Heftigkeit zunehmen . Mit großen Anstrengungen der Ententemächte ist zu rechnen . Daß die Zentralmächte in ihren Operationen. um so weniger nachlassen können , je mehr sie solche von der Gegenseite zu erwarten haben, ist in ihrer strategischen Lage zwischen den Ententemächten begründet. Vorläufig behauptet der Kriegsschauplatz im Osten noch den Vorrang, was die Sichtbarkeit der Operationen anbetrifft. Das wird sich früher oder später ändern. Wo dann das Feuer lebhafter aufflammt , läßt sich mit Sicherheit nicht bestimmen , weil beide Teile so viel Handlungsfreiheit haben, daß sie an jedem ihnen. wichtig erscheinenden Punkt die Offensive ergreifen können. Was die Streitkräfte der Zentralmächte und der Türkei anbetrifft , so sind . die deutsch-österreichischen im Osten zwar noch stark gebunden, solange nicht Riga , Wilna und Dünaburg gefallen sind und im Nordosten die russische Gegenoffensive nicht aufgehalten ist, sind aber seit geraumer Zeit in der Lage, Truppen nach anderen Kriegsschauplätzen abzugeben. Die Kriegslage muß als eine außerordentlich gespannte bezeichnet werden. Die Entwickelung im Osten wird durch. den nachhaltigen Widerstand bezeichnet , den die russischen Armeen jetzt auf Grund eines bestimmt nachweisbaren Operationsplanes leisten, und zwar auf eine Weise , die auf Heranschaffung großer Reserven aus dem Hinterlande und eine Neuordnung der Kräfte schließen läßt. Das Hauptinteresse konzentriert sich auf den Raum Riga , Minsk , Wilna , wo Ruskis Nordarmeegruppe , die Hauptmacht , kämpft. Hindenburg kämpft im Norden noch an den Brückenköpfen Friedrichstadt und Jakobstadt und schiebt sich kämpfend an der Bahnlinie Libau-Dünaburg nach Osten vor, wo er auf weniger als 60 km an letzteres heransteht .
Zwischen Wilna und Dünaburg ist die Bahn er-
reicht. Für das abwechselnde Verfahren der deutschen Heeresleitung ist es charakteristisch, daß sie jetzt den stärksten Druck im Njemenbogen und in der Richtung Slonim- Pinsk ausübt. Die Russen kämpfen zwischen Düna und Pripjet auf zwei Fronten , die nahezu rechtwink elig zueinander stehen. Das erleichtert ihnen Verschiebungen hinter der Front , wobei ihnen die zusammenlaufende Bahnführung bei Molodetschno Hilfe
kommt ,
würde
aber gefährlich werden ,
wenn
die
Fronten gebrochen und aufeinander geworfen würden. Eine Entscheidung ist zwischen Riga und Pinsk noch nicht gefallen. Die Gruppe Iwanow hat in Südostgalizien ihre Gegenoffensive mit verstärkten Kräften fortgesetzt und zwischen Tarnopol und der Serethmündung auf breiter Front vorgetragen . Die deutsch-österreichischen Kräfte mußten dort zur Verteidigung übergehen und auf die Höhen östlich der Strypa zurückgenommen werden. Die Russen haben hier
274
Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
starke Reserven herangeführt und verfolgen eine bestimmte Absicht. Als
exzentrische
Punkte
der
russischen
Gegenoffensive
sind Kozslow (17 km westlich Tarnopol) , Tluste (24 km nördlich Zalesczyki) , rund 80 km voneinander entfernt , zu nennen. Trotz dieser Gegenoffensive dringen die Verbündeten im Raum Dubno- Rowno vor (wir werden bald darin eine Änderung beobachten) und ebenso nördlich Tarnopol im Raume Zalosze , um die Nordost- und Ostverbindungen der Russen zu durchbrechen und ihre Serethfront zu umfassen. Ob Iwanow seine Offensive in Erinnerungen an die Operationen des September vorigen Jahres aufgenommen oder politische Absichten auf Rumänien verfolgt , bleibt abzuwarten. " Der am 15. September nach den Mißerfolgen an der bessarabischen Grenze von den Russen an der mittleren Strypa unternommene groß angelegte Durchbruchsversuch kam zum Scheitern durch die abstoßende Kraft der Artillerie , die Zähigkeit der Infanterie, Flankenstöße aus dem Brückenkopf von Buczacz und Raum südlich Zaloscze am 16. September und ebenso erfolglos blieben an beiden Tagen russische Angriffe bei Nowo-Alexiniec und an der Ikwa. Pinsk und das Gelände zwischen Pripjet und Jasiolda waren am 15. September in deutsche Hand gefallen . Iwanow hatte augenscheinlich das Schwergewicht seines Kräfteeinsatzes gegen den linken Flügel unserer Verbündeten verschoben. Am 17. September räumte er ziemlich schleunig das Kampffeld an der Strypa, auf den Sereth zurückgehend , steigerte dagegen die Wucht seiner Angriffe am Stubiel und Goryn. Der überlegene Druck veranlaßte unsere Verbündeten, völlig ungestört von den Russen ihren linken Flügel nach Westen zurückzunehmen, wo wir sie vom 19. September ab in der neuen Stellung, die weiter südlich Ikwa und bei Premieliec russische Angriffe abweisen sehen.
Häufiger Wechsel
in den Angriffszielen und geringe Einheitlichkeit in den ganzen Unternehmungen drücken der Offensive Iwanows, wie man jetzt schon sagen durfte, den Stempel der Überstürzung auf und ließen ziemlich bestimmt schließen , daß sie politischen Zielen ebenso viel, wie
militärischen
dienen
sollten (wie die damals schon be
absichtigte und bald einsetzende große Offensive Joffres durch politische Rücksichten verfrüht wurde) , die beide nicht erreicht wurden. Ob die Konzentrierung und Offensive sehr starker Kräfte in Ostgalizien und Wolhynien das geeignetste Mittel war , eine Wendung des russischen Kriegsglücks herbeizuführen, wollen wir hier nicht erörtern. Daß im Verein mit Bodenschwierigkeiten die russischen Gegenstöße die Vorbewegung der linken Flügelgruppe unterbrachen, ist nicht zu bestreiten. Weiter nördlich lag der Lebensnerv der russischen Verbindungen westlich der Düna und Minsk, das den Richtungspunkt
Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
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für eine Umfassung der westlich und nordwestlich davon kämpfenden russischen Armee angab . An der unteren Düna hatte sich der äußerste linke deutsche Flügel eine starke Anlehnung gegen Riga geschaffen und deckte den auf Dünaburg und Wilna operierenden deutschen Kräften den linken Flügel und Rücken . Nördlich und südlich Wilna schoben sich deutsche Kräfte gegen und über die Verbindungslinien russischer Fronten vor und hatten die Bahn Wilna- Dünaburg schon überschritten.
Der Bericht des russischen Generalstabs vom 14. Sep-
tember mußte eingestehen, daß unter dem starken Druck, der zwischen Wilija und Düna offensiv vorstoßenden deutschen Kräfte die Russen zurückgegangen seien, gab also zu , daß der Versuch der neuen Heeresleitung, unter Einsatz starker Kräfte den deutschen Vormarsch nach Osten aufzuhalten oder gar zu verwehren , mißlungen war. Im Njemengebiete vollzog sich, infolge der Nachschubs- und Widerstandsverhältnisse , die Vorbewegung etwas langsamer, der Druck auf die einzige noch nach dem inneren Verteidigungsraum der Russen führende Bahn Molodetschno -Lida war aber schon stärker geworden, und die rechte Heeresgruppe Mackensen stand östlich Pinsk und südöstlich des Knotenpunktes Baranowiczi fast südlich von Minsk.
Die Bedeutung völliger
Sicherung Belows und des den Russen die Möglichkeit eines Flankenstoßes nehmenden Besitzes der Brückenköpfe für die Operationen um Wilna sollte sich bald zeigen. Die am 17. September von der Obersten Heeresleitung gemeldete Gewinnung der Straße Widsy - GoduziskaKomai mit der Einnahme von Widsy, 60 km südlich Dünaburg, das Durchbrechen der Hauptfront des Gegners (dem die großzügigen und einheitlichen deutschen Operationen die Freiheit des Handelns in der Defensive stark beschränkten) zwischen Dünaburg und Wilna , das Eindringen in den Hauptverteidigungsraum wäre ohne diese Flankensicherung eine Unmöglichkeit gewesen . Am 17. September lief, nachdem bei Schlok an der Küste , nordwestlich Riga , ein Angriff abgeschlagen worden und bei Wilna der Angriff fortgeschritten war, zwischen Wilija und Njemen die russische Front an mehreren Stellen von Hindenburgs rechtem Flügel durchbrochen worden und Prinz Leopold starke Kräfte an die Schara gebracht hatte, die Frontlinie der Verbündeten
von
Schlok
über
Friedrichstadt ,
östlich Ecken-
grafen, westlich des Brückenkopfes Dünaburg , nach Osten umbiegend über Widsy, zurückbiegend nach Westen über Komai, Podbrozie , Troki Nowe, westlich Wilna , die Wiersoka und Lebieda querend und westlich Mosty, an den Njemen heran, den Lauf der Schara entlang über Jasiolda bis östlich Pinsk. Durch das Eindringen deutscher Truppen in den Raum Widsy- Komai, Überschreitung der Straße Wilna -Dünaburg und das gleichzeitige
Überschreiten der
Schara
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Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
schien eine Umklammerung Wilnas angebahnt zu sein .
Im Tages-
bericht der Obersten Heeresleitung vom 19. September tritt die Wirkung des umfassenden Angriffs der Armee Eichhorn , besonders des Ausholens nach Nordosten , Einschwenkens gegen Süden , deutlich hervor , zumal auch Versuche des Gegners , mit zusammengerafften Kräften den eisernen Ring zu sprengen, mißlangen. Mit dem Erreichen von Molodetschno , das weit näher an Minsk , denn an Wilna , Smorgon , Worjan , dem mißlungenen Durchbruchstoß der Russen auf Michalischki , schärfsten Angriffen der Armeen Scholtz und Gallwitz , die nicht nur starke Kräfte banden und die Aufmerksamkeit von der Umfassung ablenkten, sondern auch die Front zum Rückzug zwangen , war das Schicksal des befestigten Wilna besiegelt . Deutsche Truppen drangen von Troki - Nowe ein , Düna- und Wilnagruppe waren getrennt , eine Hauptrückzugslinie der Feindliche Nachhuten Russen schon in deutscher Hand. werfend, erreichte die Heeresgruppe Prinz Leopold die Linie Derwnoja— Dobromyl, die Heeresgruppe Mackensen nördlich Pinsk die Wislicza , Heikel war die Lage der südlich den Strumen , den sie überschritt . Russen, deren Versuch, durch offensives Vorgehen von Dünaburg und östlich der deutschen Umfassung in den Rücken zu kommen , durch Besetzung Widsys und frontales Vorstoßen gegen den Brückenkopf Dünaburg im Entstehen vereitelt worden, zweifellos . Aus dem die Einnahme von Wilna enthaltenden Tagesbericht war erkennbar, daß der rechte Flügel der russischen Mittelgruppe nach Süden geworfen war. Die Konsequenz der Obersten Heeresleitung in Verfolgung ihres Hauptziels , unbekümmert zunächst um die schwierige Lage der Südgruppe , erntete ihre Früchte . Den Russen gelang es dagegen nicht, den Schwerpunkt aus dem Raume Dünaburg— Wilna nach Ostgalizien - Wolhynien zu verlegen . Während Hindenburg am Brückenkopf Dünaburg den Abgriff vorwärts trug, dem Gegner ein Durchbruchsversuch bei Smorgon völlig mißlang, wurde der Feind von Wilna bis zur Linie Mjedniki- Lida- Soldame, von der Gruppe Prinz Leopold bis Moldzacz und nach dem Myschenkaabschnitt verfolgt und leitete das Feuer deutscher und österreichischer Geschütze aus dem Norden von Donau und Save den Kampf auf dem serbischen Kriegsschauplatze ein .
Mit der
Linie Widsy -Komai einer- , Worjani , Smorgon, Molodetschno , im Wilijatale, anderseits , waren nicht nur drei wichtigste , ihren Schwerpunkt in Witebsk (weiter Petersburg), Smolensk (weiter Moskau) und Minsk (weiter Kiew) findenden Bahnen in deutschen Händen , sondern südlich der Düna auch die baltische Seenplatte durchschnitten, ein
Von Brest- Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
277
schweres Hindernis überwunden, das sich dem deutschen Vormarsch östlich vorgelegt hatte.
Am 20.
September bemerkte der „ Bund"
zur Lage : ,,Wilna ist aufgegeben, nachdem der linke Flügel der Armee Eichhorn die Umfassung soweit gefördert, daß nur schleuniger Rückzug der Verteidigung vor voller Einschließung retten konnte. Der Besitz von Wilna sichert den Deutschen einen neuen Stützpunkt und eine neue Verpflegungsbasis, 100 km östlich Kowno. Nun sind aber bekanntlich schon starke Massen in den Raum Widsy- Komaieingedrungen, was den Rückzug der von Wilna ausweichenden und der noch westlich der Linie Wilna- Lida - Baranowitschi -Pinsk kämpfenden Vornehmlich Kavallerie (die Westarmee außerordentlich erschwert. Russen sprechen von 13 Divisionen) , die man auf 50000 Mann annehmen könnte ), ist nun im Vormarsch gegen die Bahn Minsk- Smolensk , die letzte beschiente Rückzugslinie , über welche die Russen noch verfügen können , nachdem die Bahn Lida- Molodeschno unterbrochen ist. Man muß daher die Russen in vollem beschleunigtem Rückzug auf Minsk vermuten, wenn sie der Einkreisung im Raum Lida- Baranowiczi entgehen wollen . Aber auch Minsk ist schon bedroht, nachdem die Reiter Eichhorns von Norden und Nordwesten herandrängen, während Below von Scholtz bis Dünaburg Barriere bildet und Dünaburg zu umfassen droht. Die Armeen Scholtz und Gallwitz drängen scharf im Njemenbogen vor , haben am 19. September die Gegend von Lida , Schnittpunkt der von Süden nach Norden und Osten nach Westen führenden Bahnen, erreicht. Anschließend drang Prinz Leopold im Raum Slonim- Barnowitschi vor und Mackensen räumt das Flußgewirr um Pinsk auf. Auf dem wolhynischen Schauplatz ist die Entscheidung noch nicht gefallen . Im Zentrum haben die Russen die neue Stellung an der Strypa verzweifelt angegriffen und scheinen auf den Sereth zurückzugehen , vielleicht weil sie starke Kräfte auf ihrem rechten Flügel verschoben haben, wo sie im Raum Rowno - Kremieniec die Österreicher stark bedrängen. Diese sind augenscheinlich stark ausgewichen und vom Goryn auf den Styr zurückgefallen . Solange sie von Kiew und Berdiczew, wo starke Neubildungen stattfanden , nach Rowno Verstärkungen heranschaffen können , haben sie einen Trumpf in der Hand.
Wird der linke Flügel der Österreicher umfaßt, so bleibt
nur der Rückzug auf Kowel.
Die Armee Böhm-Ermolli muß unter
allen Umständen einen Durchbruch vom Raum Zaloscze -Brody verhindern nach Abweisen der mit bedeutenden Kräften unternommenen russischen Angriffe in Wolhynien, der Offensive über Stubiel und Ikwaabschnitt am 20. September und eines neuen Angriffs auf die Stellungen östlich Luczk lief auf dem östlichen Schauplatz die von uns erreichte Linie von der Ostküste westlich Riga über Friedrichstadt-
278
Von Brest- Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
Jakobstadt ,
westlich
Dünaburg,
über
Molodetschno - Smorgon—
Oshmjana- Lida― Nowo Groduk, Linie südöstlich Moldzacz— Nowoje— Mysch-Ostrow-Oginskikanal und halbwegs Luniniecz . Was in der nördlichen Flanke der geschlagenen Wilnaarmee bei Molodetschno und Smorgon erschienen , war , wie wir heute wissen, nur Kavallerie des linken Flügels Eichhorn und erst am 24. September trafen bei und Die Nachrichten vom Infanteriekräfte ein. nördlich Smorgon 20. September ließen aber vermuten, daß die geschlagene Armee bald nach dem Abzug von Wilna aus der südlichen und die östliche Richtung übergegangen war, ein sehr schwieriges Manöver, das aber den Russen gelungen ist und, wie wir hier gleich bemerken wollen, nachdem die Kavallerie, die die Operationen Eichhorns noch durch Vorgehen gegen die Flanke des Gegners bei Wilejka unterstützt, für andere Aufgaben weggezogen war , sie mit dem rechten Flügel ihrer Hauptmacht der Heeresgruppe mehr frontal gegenüber brachte. Am 21. September wurde in Bulgarien die Mobilmachung befohlen , die Abmachung mit der Türkei war gesichert , die Entente hatte einen Haupttrumpf in ihrem Balkanspiel eingebüßt . Die Mobilmachung in Griechenland folgte am 22. September , als im Westen schon das mehr als 70stündige Trommelfeuer
die
mit
gewaltigen
Kräften
zwischen Ypern
und
Arras , Reims und dem Argonnerwald , geplante Offensive , die wieder eine Enttäuschung werden sollte , vorbereitete. Im Osten setzten die russischen Gegenstöße gegen die Flügel wieder ein, um die weichende Mitte zu entlasten und vor Einkreisung zu bewahren. Der Tagesbericht vom 22. September verzeichnet einen zu mehrtägigen heftigen Kämpfen führenden Vorstoß der Russen von Lennewaden, während südwestlich Dünaburg unsere Truppen in feindliche Linien einbrachen, zu beiden Seiten von Ossjana unsere Angriffe vorwärts ging, beiderseits Subotnicki der Gawia- und Moldzaczabschnitt, weiter südlich der Ojinskikanal überschritten wurde, und am folgenden Tage Fortdauer des Kampfes bei Lennewaden, Abweisen eines russischen Vorstoßes südwestlich Dünaburg, Brechen des russischen Widerstandes von nördlich Ossniana bis zur Gawia, sowie Nehmen der russischen Stellung westlich Welsanka. Drohende Umfassung dieses , unseren Verbündeten ratsam erscheinen, die bis dahin östlich Luzk stehenden Abteilungen auf das Westufer des gegen alle russischen Am 24. September Angriffe behaupteten Styr zurückzunehmen. fanden wieder Kämpfe südlich Lennewaden statt, vor Dünaburg wurden wieder russische Stellungen gestürmt und starke russische Angriffe gegen die bei Wilejka in der Flanke der zurückgegangenen Wilnaarmee stehenden Kräfte unternommen, die an einer Stelle vorübergehend
Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
279
Erfolge hatten; eine starke russische Umfassung wurde bei Logischin angesetzt und Vortruppen Mackensens hinter Ojingskanal und Jasiolda zurückgenommen. Das Eintreffen der Infanterie des rechten Flügels Eichhorn im Raume Smorgon am 24. September erfolgte zu richtiger Zeit , um russischen Gegenstößen in der allgemeinen Linie SmorgonWischniew gegenüber unseren Angriff vortragen zu lassen. Die Versuche , die durch das Einschwenken des linken Flügels Eichhorn gegen Minsk und der Armee Below gegen Dünaburg bewirkte Spaltung der russischen Armee wieder zu beseitigen , wurden russischerseits bei Wilejka fortgesetzt , während es auf der Front
zwischen
Smorgon und Wischniew am
25. September deutschen Truppen gelang, in die feindliche Linie einzudringen . Weiter südlich wurden die Russen über die Beresina geworfen und wurde der Njemen erreicht. Unsere Verbündeten melden den Abschluß der seit mehreren Tagen im Raume Nowo- Alexiniec wütender Schlacht mit der vollen Niederlage der Russen. An diesem Tage setzte im Westen die große französisch- britische Offensive nach 72stündiger Artillerievorbereitung ein. Die aufgefundenen Befehle Joffres vom 14. und 21. September, die zu den wichtigsten Dokumenten des Weltkrieges gehören, da sie uns in dem Zusammenhang der Operationen und politischen Erwägungen hineinblicken lassen (der Angriff im Westen sollte u. a. zusammenfallen mit verstärkter Abwehr und erneuter Angriffslust der Russen, die Verbündeten zwingend , ihr Vorgehen gegen die Russen zu verlangsamen und sollte gefährliche Truppenverschiebungen verbieten) wies auch auf das politische Ziel hin,,, die neutralen Völker zu bestimmen , sich zugunsten der Entente zu entscheiden". Damit waren die Balkanmächte gemeint, und so erklärt sich, daß, da der Durchbruchsversuch im Westen am 25. September einsetzte , dem Tage des Beginns des deutschösterreichischen Feuers und des Bekanntwerdens der bulgarischen Mobilmachung , die artilleristische Vorbereitung der Franzosen und Briten begann. Am 27. September war nach dem Tagesbericht unserer Verbündeten, wie inOstgalizien und an der Ikwa, auch in den wolhynischen Festungsdreieck die Offensive der Russen gebrochen. Am 26. September schon räumte der Feind seine Stellung nordwestlich von Duwno und am Styrabschnitt , bei Luck in östlicher Richtung weichend , und fiel der Brückenkopf östlich Luck wieder in österreichische Hand. Die deutsche Oberste Heeresleitung erwähnt am 28. September zum erstenmal die Heeresgruppe Linsingen mit dem Zusatz: ,, Der Übergang über den Styr unterhalb Luzk ist erzwungen.
Unter diesem Druck sind die
Russen nördlich von Dubnow auf der ganzen Front in vollem Rückzug. “ Eine nähere Erläuterung finden wir in dem Bericht unserer Verbündeten :
280
Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
,,Durch die österreichischen und deutschen Streitkräfte am Styr mit Umklammerung bedroht, sah sich der Feind gezwungen, seine mit großen Opfern unternommene Offensive im wolhynischen Festungsdreieck aufzugeben . Der russische Rückzug dauerte gestern den ganzen Tag über an und führte das feindliche Heer hinter die Putilowka. " Eine Änderung der Lage trat auch am 28. September nicht ein , wo westlich Tarnopol vorgedrungene russische Abteilungen durch Artillerie„ Auf feuer vertrieben wurden . Am 29. September schrieb der ,, Bund" : ,,Auf dem östlichen Schauplatz hat sich die Lage der Verbündeten in Wolhynien und Ostgalizien wieder gefestigt . Iwanows Umfassung über Luzk ist durch die Gruppe Linsingen pariert und in das Gegenteil verwandelt . Linsingens Auftreten zwang Iwanow , die ganze Front zurückzunehmen , indem zuerst das weit vorgetriebene Zentrum , dann die im Raum Luzk kämpfende Flügelgruppe auf eine verkürzte Front gebracht wurde. Er ist bis hinter die Putilowka geworfen . Dadurch ist die Lage zugunsten der Verbündeten wieder hergestellt, besonders auch, da die russische Kavallerie von Sarmy aus zwischen Mackensen und Puhallo nicht durchbrechen konnte.
Die Schlacht zwischen Minsk und Riga
entwickelt sich langsam zugunsten der Deutschen weiter, der Widerstand der Russen verliert an Impuls." Die von den Russen in WolhynienGalizien erstrebte Entscheidung und damit die Entlastung der Wilnaarmee war nicht Erfolg, ebensowenig der Versuch geglückt , die rückwärtigen Verbindungen Mackensens , Puhallos und Böhm-Ermollis zu stören. Es war vorauszusehen, daß die Russen den Kampf um die letzte Nord- Süd-Verbindung durch das Polesje , die Bahn Rowno— Luniniec-Baranowicze, nicht leicht aufgeben würden, zu erkennen aber auch, daß ihre Kräfteverteilung auch durch politische Ziele beeinflußt wurde. Das Streben nach Zusammenhang mit der Nordarmee und die Deckung der Verbindung mit Kiew machte das Verweilen der Hauptkräfte beiderseits Rowno, oder nördlich davon , nötig , während die noch flimmernde Hoffnung eines Anschlusses Rumäniens und die Besorgnis, von dessen Grenze abgedrängt zu werden, starke Kräfte am Djnester band. Man kann bei der Südgruppe den Eindruck gewinnen , daß die genannten Gesichtspunkte , trotz vorhandener Überlegenheit , eine einheitliche Offensive gehindert haben. Die Ereignisse in Rußland , die um die Monatswende , wie General von Blume schrieb , mit Ausnahme einiger Ausläufer der großen einheitlichen Offensive , einen gewissen Abschluß erlebten, verdienen kurz zusammengefaßt zu werden. Am 24. September gelingt es den Russen, den vordersten, bei Molodetschzo eingeschlagenen Zahn der Zange, wie wir wissen Kavallerie , bis nach Wiljika, aufzubiegen , deutsche
T
281
Von Brest-Litowsk bis zum neuen Balkanfeldzug.
frontal vorgehende Armeen erreichen die allgemeine Linie SolyTraby- Nowo - Groduk- Karaliotschi- Kraschin am Servecz , Vortruppen der Gruppe Mackensen gehen vor starker Überlegenheit hinter Jasiolda und Oginskikanal. 25. September halten die Russen die Linie Smorgon- Wischniew, Westufer der Beresina bis zum Njemen. Der durch Verbleiben auf dem Westufer der Beresina vielleicht noch bestehende Gedanke an Offensive mußte, nachdem am 26. September der Durchbruch nördlich Saberesina gelungen , ein Ende finden. 27.
Am
September machten die Russen in dem fortdauernden Kampf
zwischen Smorgon und Wischniew sogar Gegenstöße, der linke Flügel des Prinzen Leopold erreichte den Njemen . Am 28. September deutscher Durchbruch nördlich Wischniew, hier aber 29. und 30. September noch keine Entscheidung, überall blutiges Abschlagen der russischen Gegenstöße . Durch Angriff aus östlicher Richtung gegen Wilejka und Madjol Stary suchten die Russen dort Kräfte zu binden, den durch Kavallerie gesicherten rechten Flügel der an Dünaburg näher herangeführten Armee Below anzugreifen wagten sie zunächst nicht . Die Wirkung des Eingreifens Linsingens wurde oben schon beleuchtet. Gegen die Armee Bothmer hatten die Russen in der Nacht vom 29. zum 30. September einen sehr verlustreichen und mißglückten Durchbruchsversuch gemacht . Vor der Monatswende war der Gegner südlich Dünaburg in die Seeengen
östlich
Wesselowo
zurückgedrängt ,
das
Kavallerieringen
zwischen Dreswiatysee und Postavy zu unseren Gunsten entschieden, östlich Smorgon die russische Stellung durchbrochen ; südlich Smorgon dauerte der Kampf noch an und waren Teilangriffe an manchen Stellen der Front Prinz Leopold blutig abgewiesen . Von der Gruppe Linsingen waren die Russen am oberen Kormin weiter zurückgeworfen worden. Fast 180000 unverwundete Gefangene, 12 Geschütze , 250 Maschinengewehre, waren die Septemberbeute der Verbündeten. Bei diesen aber zieht sich eine eiserne , fast gradlinig von westlich Riga-Dünaburg über Smorgon , Nowo - Grudok-Pinsk-Dubnow, entlang der Strypa und dem Djnester verlaufende Mauer , die alle Anstürme bricht und neuen Aufgaben gewachsen ist ; starke verfügbare Kräfte , wie die Heeresgruppe Linsingen und die im Norden von Save und Donau , wie im Westen und Osten bereitgestellten Armeen erweisen , stehen da als sichtbarer
Erfolg
des
Feldzuges
von
Wilna-Pinsk.
Bereit-
gestellt zu einer neuen großen , das Schwergewicht nach dem Süden verlegenden Aufgabe , zu einem Feldzuge , der schon im Auftakt eine schwere politische Niederlage des Vierverbandes und eine verzweifelte Lage Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 531.
der Serben 20
282
Massenheere und Befestigung.
brachte , der auf Seiten des ersteren die Folgen des Überwucherns aller militärischen Forderungen der Lage durch Rücksichten auf politische Einzelinteressen zeigte und in seinem Verlauf vielleicht ein Schulbeispiel werden kann die für konzentrische strategische Offensive , deren Richtungen , andeuten.
Einbruch
und
erstes Vorgehen
sich
schon
XXIII .
Massenheere und Befestigung. Von
Woelki, Oberst z. D.
Die großen Heeresmassen, mit denen der zeitige Weltkrieg geführt wird , sind eine Erscheinung, die noch nicht einmal in ihren unmittelbaren Wirkungen festgestellt, geschweige in ihren weiteren Folgen zu übersehen ist. Das bisherige Kriegswesen ist wesentlich verändert, und die angesehensten Kriegswerte sind neuen Bedingungen unterworfen und unsicher die Festungen
oder zweifelhaft geworden.
ein eindrucksvolles Beispiel.
Dafür liefern
Ihre Bedeutung, ja ihre
Berechtigung (der Existenz) wird angezweifelt, die ihnen zugrunde liegenden Begriffe in Frage gestellt . Fragen, wie : „ Sind Festungen überflüssig?" " Sind Festungen noch nötig ? " und Vorschläge , wie : sie limesartig zu ersetzen , gehen durch die Tagesblätter ; - freilich, ohne den rechten Widerhall zu finden , zumal und so lange die Gegenwart noch ganz in dem Banne der eingetretenen und noch zu erwartenden Kriegsereignisse steht, und eine eingehende Erörterung dieser Fragen (noch) auf mancherlei Schwierigkeiten stößt. Immerhin dürften wohl die beiden vorgenannten Momente, der Massenheere und Festungen, neben und zueinander schon ein gewisses Interesse finden. Voran die Massenheere, auf dem Grunde der Volksaufgebote, die es gerade uns ermöglichen, dem größeren Teile der Welt Trotz zu bieten und, vermöge der zugehörigen Geistes sation
und Ausbildung ,
guten Ende
und Willenskräfte, der Organi-
den Kampf ums Dasein bis zum äußersten ,
durchzuführen !
Deren Grundbedingungen und
Spuren
nachzugehen, sie zu würdigen und zu pflegen, ist wohl des Fleißes der Edlen wert, wie sie ordentlich und weitestgehend auszunutzen,
283
Massenheere und Befestigung . ihre Kräfte und Patrioten bleibt. Aber das
Vorzüge
wahrzunehmen ,
schließlich
Pflicht jedes
eigentliche Wesen der Massenheere allgemeingültig zu
erfassen und darzulegen , erscheint als eine schier unlösbare Aufgabe ; verlangt sie doch selbst auf einem Teilgebiete und zu einem bestimmten Zwecke - allein durch die Mannigfaltigkeit und den Wechsel der einzelnen Momente - eine umfassend-überlegene Kraft der Intuition ! Und so haben selbst tiefe Denker wie unser alter Moltke - (vorher v. Clausewitz , dann Jähns, v. Blume, v. Falkenhausen) Ansicht über die
einschlägigen
Hauptfaktoren
gewonnen,
wohl eine sie aber,
unter Beschränkung auf die ihnen gerade vorliegenden Ziele, nicht dahin und soweit ausgeführt , daß die Jetztzeit nicht übergenug an verwickelten Fragen und überraschenden Erscheinungen bietet . darum , weil ein Hauptfaktor hierbei sich ,
Schon
zumal vorher, nicht über-
sehen, geschweige auch nur annähernd in Rechnung stellen läßt : das ist die jedesmalige Summe und Gewalt der wirksamen Geisteskräfte , wie wir sie wohl als „ moralische Potenz " ( Element) zusammenfassen und sie gerade in der Gegenwart so übermächtig in die Erscheinung treten sehen , -so daß dagegen alle einschlägigen Theoreme und Deduktionen, mitsamt ihren Gründen und Vordersätzen verblassen
9
eben in unseren Volks- und Massenheeren , deren Kraft und Erfolge doch fast beruhen.
ausschließlich
auf dem Gehalt
an
geistigen Kräften
Solcher gewaltig- neuartig einsetzenden Eigenart von Erscheinungen und Kräften können denn auch Kriegsmittel wie ( solche) Festungen , die nach den Bedürfnissen und Grundsätzen von vor 200 Jahren angelegt sind, ebensowenig entsprechen , wie eng ab- und umschlossene Städte den Bedürfnissen der heutigen Industrie, des Handels und Weltverkehrs ; und wie die Gewalt- und Schlachthaufen (bataillons) veraltet sind, so auch konzentrierte (Fix-) Punkte, enge Forts und Trutzburgen jeder Art ! - Nicht , daß das Bedürfnis nach festen Punkten und gesicherten Stellen geschwunden wäre ! Im Gegenteil,
das
lockere
Gefüge
der
heutigen
Streitkräfte
verlangt
dringender denn je entsprechen le Gegengewichte, Halte . Stützpunkte ! Das zeigt schon die oft genug hervortretende Sucht nach Befestigung, - bis zur Unterbindung , oder doch Einschränkung der Aktivität, des positiven Ziels. Die Veränderung der allgemeinen Verhältnisse wie der damit ausgelösten Neigungen - nach Masse und Kraft, ist es
aber (hierbei),
die neue Bedingungen, ihnen zeit- und
sachgemäß gerecht zu werden (eben durch die Art der Massenheere) , unabweislich stellt. Da reicht dann selbst der jüngste Begriff der „ Festungen “ : als „ der ständig vorbereiteten, geschlossenen Kampf20*
284
Massenheere und Befestigung.
felder" nicht mehr aus ; es machen sich Ansichten geltend , die z. B. die gesamte Verteidigungsfront im Westen als „ Festung" und Gegenfestung
hinstellen.
beweist der Umstand,
Das mag zu weit gehen .
Anderseits
daß sowohl im Westen wie im Osten die Ge-
fechtsfront (des Verteidigers) über verschiedene ,
größere und kleinere
Festungen (nach bisherigem Begriff) hinwegführt . bzw. geführt hat , solche also nur einen , wenn auch noch so wesentlichen Teil der Kampffront ausmachen, daß die bisherigen Festungen nicht mehr den Bedarf der heutigen Streitkräfte decken , ihnen und ihrer Verwendung nicht mehr www.doc allein entsprechen. Die Folgerungen hierzu restlos zu ziehen , geschweige Neuanlagen von Festungen nach Ausdehnung, Gliederung und Form vorzuschlagen , mag hier dahingestellt bleiben. Nicht umgangen können aber (hier schon ) die Einflüsse und Folgen werden , die von der Entwickelung der Technik herrühren , da diese mit und zu dem Auftreten und Ausnutzen der Massenheere in allen ihren Teilen und Mitteln schlechter- sie vielfach erst ermöglichen und demnach bedings gehören, stimmen. Und nicht etwa nur die ins Auge fallenden Erscheinungen sind es, wie das überraschende Auftreten und die gewaltige Wirkung der 42 cm -Mörser, die dem derzeitigen Kriege ihr Gepräge aufdrücken , als viel mehr noch die mannigfachen Kräfte und vielgestaltigen Formen des Kleinbetriebes, an die wir zumeist schon so gewöhnt sind, daß wir sie nicht mehr gebührend einschätzen, die aber doch - im ganzen weit über jede Einzelerscheinung gehen, auch wenn diese noch so gewaltig wäre. Andernfalls wäre es doch unverständlich, daß selbst die eben erwähnten, epochemachenden Geschütze nicht zur Geltung gelangen, wenn und wo eben die Massenheere- so, wie sie eben dagegen eingesetzt zeitgemäß ausgebildet und ausgerüstet sind werden. Ebenso wäre es, trotz des größten Heldenmuts , nicht möglich einmal die schwersten Angriffe (nur mit Kleingewehrfeuer) abzuwehren und ein andermal durch ein alles vernichtendes Massenfeuer den Angriff doch durchzusetzen - u. dgl. m. Es scheint eben nachgerade alles auf Masseneinsatz und wirkung anzukommen bzw. hinauszulaufen. (Von einem gelegentlichen Mißbrauch , wie übermäßigen Munitionsverbrauch noch abgesehen, ) Nur , daß es auch die nicht machen können , vielmehr nur, wann und allein Massen wo sie richtig angesetzt und geleitet, ihnen handgerechte Mittel (Werkzeuge) und entsprechende Gelegenheit geboten werden ! Zu den Kriegsmitteln gehören nun aber auch die Festungen wie Befestigungen. Auch sie müssen denn doch wohl zunächst den Massenheeren , so wie diese gerade sind , entsprechen , ihnen angepaßt werden . Soweit wenigstens dies möglich ist, im besonderen die aus ihrem
Massenheere und Befestigung.
285
Wesen berechtigte Eigenart es zuläßt. Solche Eigenart geht aber z. B. schon aus der Schwierigkeit hervor, die benötigte Sicherheit und Festigkeit zu erreichen , ohne die volle Ausnutzung der Kräfte durch die Anlage selbst zu beschränken, die Festigkeit also nur einseitig gegen die Angriffe zur Geltung zu bringen ; Welche Schwierigkeit wohl bis zum unlösbaren Problem anwächst, wenn die Festigkeit und Sicherheit im vollsten Maße, ohne Rücksicht auf Zeit , Kräfte und Mittel, verlangt bzw. benötigt werden ; behelfs- und feldmäßig lassen sich schon darum wirkliche Festungen nicht erstellen , und am wenigsten uneinnehmbare.
Mit dieser Eigenart muß man sich nun einmal abauch immer noch darauf gefaßt sein, daß die Entwickelung der Technik (wie der Kampf ums Dasein) fortgehen und immer neue Ziele und Mittel zeitigen . Zurzeit und vorläufig ist es finden ; dazu
nun die Tendenz in und für das Massenhafte , die übermächtig vorherrscht , derart und mit dem Erfolg noch, daß nicht sowohl Überfluß, sondern
vielmehr Mangel sich fühlbar macht (wie dies auch schon anderweitig [ vgl . Jahrbüchr f. A. u. M. Septemberund Oktober - Heft „ Zeitgemäße Befestigungsfragen " ] nachgewiesen) . Dem Heißhunger nach Masse(n) genügt das Vorhandene nicht ! Tatsächlich fehlt es allenthalben immer noch - an Masse(n) , um
augenscheinlich dringende Aufgaben zu lösen , die gesteckten Ziele zu erreichen. Mag man diese Erscheinung
auch als Zeichen einer Übergangs-
periode ansehen, so bleibt doch nichts anderes übrig als sich , so gut es geht, mit ihr abzufinden . Dazu gehört dann , daß solche Grundsätze, wie " wenig aber gut " !, „ eine Linie , aber mit allen Mitteln " , u. dgl. m. zurücktreten ; und bei aller Hochschätzung des „ Guten , Starken und Festen" — als Qualität --- wo es mit dem Bedürfnis
nach Masse(nhaftigkeit) in Wettbewerb gerät, wird es zumeist wohl als 99 weniger nötig " behandelt werden . Und wenn oder wo auch zunächst ein fester Stamm gebildet, oder wo nur eine Linie in vollem Maße befestigt ist, das Bedürfnis nach Mehr an Zahl und Masse erscheint bald als übergroß , auch schon dadurch und soweit gerechtfertigt , als auch die an sich beste Anlage und Einrichtung keine volle mehr geben den neuen Kampfbedingungen gegenüber Gewähr kann
, es vor allem im Feld- und Stellungskriege geradezu
aus-
geschlossen ist, eine volle Sicherheit gegen die zeitigen Angriffsmittel allgemein — zu erreichen , noch geraten, alles auf eine Karte zu setzen. Auf solchem Boden erwachsen dann wohl Begriffe , wie teilweise oder „ bedingte Sicherheit " ; es soll eben und muß etwas geschaffen und geboten werden, das auch für einen großen und größten Bedarf
286
Massenheere und Befestigung.
noch -- irgendwie
zureicht, selbst
wenn
dies
nur mangelhaft,
weniger gut und vollständig geschehen kann, im besonderen also auch eine gewisse, wenn auch nur bedingte Sicherheit bietet. Daß dabei eine bisherige Hauptaufgabe der Befestigung, nämlich die Ersparnis an Streitkräften trotz des schon erwähnten hervortretenden Mangels bzw. Bedürfnisses
zurücktritt (wogegen in nicht
bisher gekanntem Maße ausgiebigste Ausnutzung neuer und neuester Kriegsmittel zur Geltung kommt) , ist auch schon in dem vorerwähnten Aufsatz angeführt (worin die Abwägung der Mängel und Schwierigkeiten im besonderen im Gegensatz zu einer möglichst vollständigen Befestigung behandelt ist). In Ergänzung des dort Aufgeführten möchte hier nun noch mit Bezug auf die Massenheere auszuführen bleiben, wie eben solche Mittel und Maßnahmen wie das Verteilen, Maskieren und Verstecken die drohende Gefährdung nicht sowohl beseitigen als nur - mehr oder weniger - vermindern können ,
indem sie dem Gegner
das positive Ziel der Zerstörung
(Tötung) erschweren, durch unverhältnismäßige Aufwendung unlohnend machen, und so eben nur bedingte Sicherheit gewähren. Zu diesem Zwecke wird eben -allgemein - das Objekt so klein gehalten, daß es bei unauffälliger Anordnung,
noch dazu auf die
für
die An-
griffsstellung angenommene ( ! ) Entfernung, nicht zu erkennen , geschweige bequem zu bezielen ist,
und,
wenn es trotzdem zufällig oder infolge
ungewöhnlich starker Beschießung
doch getroffen und zerstört wird ,
der Verlust nicht zu empfindlich , geschweige entscheidend wird. Die damit gestellte Aufgabe ist für den Befestiger um so schwieriger, als ihre Bedingungen nicht im einzelnen genau feststehen , also , wie groß oder wertvoll das Objekt, die Entfernung, Aufwendung usw. jedesmal sein kann, noch wie das Ziel (Aufgabe), dies zu verhindern, zu erreichen ist ; zumal in Rücksicht auf die wechselnden Mittel und weiter sich ausbildenden Verfahren, wie die der Beobachtung aus der Luft. Es handelt sich dabei - neben der Sicherheit gegen die Massenwirkungen der Infanterie
und
Artillerie
um die, wenn auch weniger zahlreichen ,
(Schrapnell- )
besonders
so doch um so wirksameren
schweren und schwersten Geschosse und bezüglich dieser wieder noch, ob sie als Einzeltreffer oder in planmäßigem Ziel- (und Zerstörungs-) Feuer zu gewärtigen sind . Feldmäßig gegen solche schweren Angriffsmittel genügende Sicherheit zu schaffen , ist so gut wie ausgeschlossen ; bei der ständigen Befestigung dagegen liegt die Hauptschwierigkeit in der richtig anzumes senden Stärke (der Sicherung) . Die Entscheidung der Fragen : Was ist unumgänglich nötig, oder nur vorteilhaft und wünschenswert ? Womit ist auszukommen? usw. steht im Vordergrunde. Denn unnötige Auf-
287
Massenheere und Befestigung.
wendungen sind nicht nur unwirtschaftlich , die einschlägigen Anlagen usw. beeinträchtigen auch und je stärker solche sind, um so mehr (s. oben) - durch die damit verbundene Masse und Komplikation, ihre Ausnutzung wie die Kriegslage überhaupt . Und, da für dieselbe Aufwendung, welche Sicherheit ( eines Objekts) auch gegen stärkste Angriffsmittel bietet, (viel) mehr (Objekte) gesichert werden können, wenn nur (leichtere) schwächere Angriffe und Mittel in Betracht kommen, so ist es wohl erklärlich, daß bei der vorherrschenden Tendenz die Zahl und Ausdehnung vorgehen ,
und um so mehr ,
als
die leichtere Sicherungsart nicht nur eher zu erreichen ist, als auch zumeist - immer noch nach Bedarf auch nachträglich sich verstärken läßt, jedenfalls aber von vornherein schon eine gewisse Sicherheit gewährt, während das Bedürfnis nach mehr ― bis zur äußersten Sicherheit - wohl nie von vornherein feststeht, zumal die Verhältnisse sich ständig ändern und
andere Anforderungen
stellen können .
Daß nun unter gewissen, richtig vorausgesetzten Umständen , auch die nur bedingte Sicherheit tatsächlich ausreichen kann, daß z. B. (wie zumeist noch) über größere uneingesehene Flächen sich das Feuer von - nicht ungewöhnlich starker feindlicher Artillerie beim Planschießen so verteilt, daß nur Einzel- wenn nicht Zufalltreffer auf die fraglichen Objekte entfallen, ist denn auch ebenso gewiß, wie daß konzentriertes , von Luftfahrzeugen geleitetes Massenfeuer, selbst mit nur mäßigen Kalibern, ungleich mehr an Sicherheit dagegen verlangt. Und ebenso gewiß ist,
daß das Interesse und der Wille des Gegners
Angreifers denen des Verteidigers entgegenstehen. Dann aber ist doch wohl damit zu rechnen, daß der Angreifer, von dem vorhandenen Maße an Sicherheit unterrichtet, es geradezu als seine Aufgabe ansehen wird, ein entsprechendes Mehr an Angriffskraft einzusetzen , wie es vor Straßburg 1870, vor Port Arthur und zuletzt vor den belgischen Festungen geschehen ist. Anlagen und Einrichtungen , die nur gegen Infanterie- und Schrapnelfeuer berechnet waren, sind natürlich gegen Artillerie und deren Mittel überhaupt, zumal in größerer Masse, unzureichend . Und seitdem,
bzw. wo
die Armeen planmäßig schwere Artillerie ins Feld
führen, genügen auch nicht deckungen usw.)
mehr feldmäßige
Sicherungen
(Ein-
Dem gegenwärtigen Standpunkt der Artilleriebewaffnung würde wohl noch am meisten eine Durchführung der Sicherung gegen die mittleren Kaliber (bis einschl . die 15,5 cm-Rimailho - Haubitze) und Einzeltreffer von 21 bis 23 cm-Kalibern entsprechen, - also zunächst noch genügen ; auch immer noch verhältnismäßig einfach und sicher zu erreichen sein. Aber, wie schon bemerkt, es bleibt
288
Massenheere und Befestigung.
damit zu rechnen, daß der Angreifer in jedem Falle, wo er es ermöglichen kann, noch besondere und stärkere Mittel (Kaliber) dagegen - und dann erübrigt für den Verteidiger nur noch, durch aufbringt ; anderweitige Maßnahmen, wie durch Mehrverteilen und -verstecken, - noch wirksamer aber und wenn irgend möglich - durch erhöhte Aktivität und Feuerausnutzung dem Angreifer zu begegnen . Es liegt wohl auf der Hand , daß in diesem allen durch ständige Mittel und Vorbereitung sich ungleich mehr erreichen läßt als im Felde . Hier wie im Stellungskriege bleiben Verteilung und Zurückhaltung die Mittel , die dann bis zum äußersten ausgenutzt werden. Es ergeben sich dabei dann ohne weiteres -- trotz aller „grundsätzlichen “ Bevorzugung nur einer Linie - deren mehrere hintereinander, die planmäßig, bzw. am besten im Rahmen der allalso gemeinen, weiteren Tiefengliederung , im gleichen Sinne der vorderste Graben
, wenn
nicht als
Maske,
als Wacht- (oder
aber Sturm-) Stellung -
(mit Vorkehrungen gegen feindliches Festsetzen) " zu verwenden sind . Ebenso ergeben sich äußerste Abauf die Gefahr hin , damit zu spät zu stände der Reserven , Befestigung, wie auch schon ständiger bei es kommen ! - Wogegen gesagt, eigentlich nur von dem Maße der Aufwendungen abhängt , wie weit nicht nur das Annäherungshindernis, wie auch der Schutz der Besatzung einschließlich Reserve vermehrt, sondern auch noch der Waffengebrauch erhöht werden soll . Liegt doch technisch kein Hindernis vor, die Verteidigung, auch nur mit Kleingewehrfeuer, durch Maschinengewehr und Revolvergeschütze aus völlig gedeckter soweit zu übernehmen , - daß für Stellung (Panzertürmen) die Infanterie als solche nur noch der Wachtdienst und die Reserve entfallen. Weiter hierauf einzugehen mag noch dahingestellt bleiben , dagegen hervorgehoben werden , daß, so groß und häufig auch das Bedürfnis nach Sicherheit und
Festigkeit in den Kriegen der Jetztzeit werden mag, dies überall und sofort nur teilweise , bedingt und unvollständig befriedigt werden kann ; auch bei gegebener Zeit, also vorher, völlige Festigkeit und Sicherheit nur mit außerordentlichen Aufwendungen zu erreichen ist ; wogegen die bedingte ( Sicherung), wenn sie ihrem Zwecke auch nur einigermaßen entsprechen soll , immer noch von so viel Umständen abhängig bleibt , daß damit eine (weitere) — die Verteidigung beeinträchtigende - Unsicherheit hervorgerufen wird. (Straßburg, im August 1915. )
289
Belgiens Schuld. XXIV .
Belgiens Schuld . Von Frhr. von Welck, Oberstleutnant a. D.
II.
Der Aufsatz über Zeitschrift,
schloß mit
99 Belgiens Schuld " einem Hinweis
im Novemberheft dieser
auf eine kürzlich erschienene
Sie war uns schon bei Schrift des belgischen Juristen F. Norden. oberflächlicher Durchsicht so interessant und wertvoll erschienen , daß wir an eine Fortsetzung unserer Besprechung von Belgiens Schuld unter Bezugnahme auf diese Schrift dachten '). Nachdem wir sie nun aufmerksam gelesen und geprüft haben, sehen wir uns veranlaßt, diesen Gedanken zur Ausführung zu bringen. Die Frage, welche Rolle Belgien vor Kriegsausbruch gespielt hat und die andere Frage, ob die angebliche Verletzung der belgischen Neutralität durch Deutschland begründet und berechtigt war, sind seit Kriegsbeginn Gegenstand unausgesetzter, vielfach sehr lebhafter Veröffentlichungen und Auseinandersetzungen gewesen . Keinen Vorwurf hat man den Deutschen in so schroffer Weise gemacht als den , daß wir die von allen Großstaaten garantierte Neutralität Belgiens durch den Einmarsch unserer Truppen verletzt hätten, dann
nach
Besetzung des
Landes
vielfach in
und daß wir
völkerrechtswidriger
Weise dort gehandelt hätten, namentlich der Zivilbevölkerung gegenüber. Es ist über dieses Thema so viel für und wider geschrieben worden,
daß es unmöglich ist ,
der betr . Literatur zu folgen und je
nach dem Parteistandpunkte gerecht zu werden. Die Veröffentlichung der „ Belgischen Aktenstücke ", die erst auszugsweise vom Auswärtigen Amte veranlaßt wurde, dann aber durch die Norddeutsche Allgemeine Zeitung als
vollständige
Sammlung
erfolgte ') ,
hat
die
„ Belgische
Frage " in einwandfreier, offizieller Weise dargestellt und sollte genügen, um allen gegen das Vorgehen Deutschlands gerichteten Verdächtigungen und Vorwürfen die Spitze abzubrechen . Dies ist aber nicht oder nur bis
zu einem gewissen
Grade geschehen .
Die Tatsache ,
daß
Belgien von uns besetzt wurde, und daß auch hin und wider strenge Maßnahmen gegen die Bevölkerung verfügt werden mußten , läßt auch jetzt
noch die uns feindliche Presse und vielfach auch die neutraler
1) F. Norden, Avocat à la Cour d'appel de Bruxelles : „La Belgique Neutre et l'Allemagne" . Bruxelles , 1915 . 2) S. Novemberheft Seite 214.
290
Belgiens Schuld .
1 Staaten,
nicht zur Ruhe kommen.
Unter diesen Umständen war es
sehr zu begrüßen, als im Laufe des Sommers die obengenannte Schrift aus belgischer Feder, und zwar aus der eines sehr angesehenen und urteilsfähigen Mannes erschien, die die belgische Frage unparteiisch bespricht, nicht allein vom militärischen und politischen , sondern auch vom juristischen Standpunkte aus, und die wir in nachstehendem mehrfach als Unterlage benutzen werden. F. Norden sagt im Vorwort, daß Belgien jetzt bemüht sei , den Schleier zu lüften, der über seine Zukunft lagert. Es sei in den gegenwärtigen Krieg verwickelt worden infolge der Vorstellung, es sich von seiner Neutralität gemacht habe
die
und die falsch sei ,
weil man vielfach geglaubt habe , daß die Neutralität eines Landes gleichzeitig die Unverletzlichkeit seines Gebietes bedeute . Dies sei aber nicht ohne weiteres der Fall. Das Wort Neutralität lasse zwei verschiedene Anwendungen zu : die eine , gebräuchlichste , ist die, daß mit der Neutralität die Unverletzlichkeit des Gebietes verbunden ist, daß also fremde Truppen kein Durchzugsrecht haben (neutralité impénétrable) ; die andere ist die Neutralität mit Durchzugsrecht (neutralité perméable).
Welche
dieser beiden haben nun
die Staaten, die Belgiens Neutralität feststellten und garantierten, im Auge gehabt?
Es kommt da in erster Linie der Vertrag vom 26. Juni
1831 zwischen Belgien , England , Österreich , Frankreich , Preußen und Rußland -- der sogenannte Vertrag der 18 Artikel - in Frage. Er bestimmt, daß Belgien einen dauernd neutralen Staat bilden wird. Die fünf Staaten garantieren diese Neutralität ebenso , wie den Bestand und die Unverletzlichkeit seines Gebietes. Als gerechte Gegenleistung ist Belgien verpflichtet , diese gleiche Neutralität gegen alle anderen Staaten zu beobachten und keinerlei Angriff gegen ihre innere oder äußere Ruhe zu richten , während es sich aber das Recht vorbehält , sich gegen jeden fremden Angriff zu verteidigen . Aus dieser Fassung schließt Norden , daß die fünf Mächte durch die Einfügung des Vorbehaltes der territorialen Unverletzlichkeit feststellen wollten , daß mit dem Begriff der Neutralität, die Unverletzlichkeit, also auch das Verbot des Durchmarsches fremder Truppen, nicht eo ipso verbunden war '). Dieser Vertrag vom 26. Juni 1831 wurde noch im gleichen Jahre ersetzt und erweitert durch den vom 15. November desselben Jahres
1 1 ) Zu diesem Vertrag, den Norden wörtlich anführt ( S. 20) , bemerkt der Schweizerische Gelehrte Eduard Blocher in der kleinen Schrift : ,,Belgische Neutralität und Schweizerische Neutralität “ ( Stimmen im Sturm aus der deutschen Schweiz ) Zürich 1915 : „ Dieser Pflicht Neutralität zu halten -- ist Belgien, Frankreich gegenüber , nie nachgekommen".
Belgiens Schuld.
291
Vertrag der 24 Artikel , der von den gleichen Staaten in London abgeschlossen wurde . Die Klausel, die sich auf die territoriale Unverletzlichkeit bezog , verschwand , und damit ihre Sicherstellung durch die Garantiemächte. Diese beiden Verträge waren in der Hauptsache die , die noch bei Ausbruch des Krieges im August 1914 die internationale Stellung Belgiens bestimmten. Sie waren nur im Laufe der Jahre noch ergänzt worden durch verschiedene Abmachungen , betreffend die Errichtung von Festungen und deren Besetzung, die zum Teil England, zum Teil Preußen übertragen wurde. Bei Kriegsausbruch im vorigen Jahre waren aber die belgischen Festungen ausnahmslos mit belgischen Truppen besetzt ; diejenigen , in dener früher England und Preußen das Besatzungsrecht hatten , waren geschleift worden. Anfang August 1914 befand sich Belgien in der Lage eines neutralen Staates, der nach seiner Wahl einem der Kriegführenden den Durchzug durch sein Gebiet zugestehen oder verweigern kann . Es hatte gegen niemand die Verpflichtung, die von Deutschland beantragte Durchzugsbewilligung abzulehnen , während dieses , die Ablehnung seines Gesuches ignorierend , mit seiner eigenen Verpflichtung nicht in Widerspruch trat, da es seit dem 15. Dezember 1831 seine frühere Garantieverpflichtung aufgehoben hatte ' ) . Da man aber trotzdem Deutschland den Vorwurf macht, die Neutralität Belgiens verletzt zu haben, so stellt Norden die Frage : Was kann die Verletzung einer Neutralität bedeuten,
wenn die Bedingung der territorialen Unverletzlichkeit von ihr ausgeschlossen ist ?" Es könnte sich da nur um einen Angriff mit bewaffneter Hand handeln, der die Absicht verfolgt, sich des neutralen Staates oder einzelner Teile desselben zu bemächtigen. Das war aber bekanntlich nicht die Absicht Deutschlands , wie aus dem Ultimatum, das die Reichsregierung am 2. August 1914 der belgischen Regierung übergab , ganz klar hervorgeht. Von dem Augenblick an , wo Deutschland nicht beabsichtigte , die belgische Neutralität in dem Sinne zu verletzen , der hier überhaupt nur in Frage kommen konnte, hatte es das Recht, ganz wie Belgien selbst , die Frage vor den höchsten Richterstuhl zu bringen, dessen Urteil man früher als „ Gottesurteil " bezeichnete, d. h. die Entscheidung der Waffen anzurufen. Deutschland hatte um so mehr das Recht , diesen höchsten Gerichtshof anzurufen , als es die Gewißheit hatte , daß Belgien moralisch nicht neutral war und den ernstesten Verdacht - der sich bewahrheite te daß es dies auch nicht materiell war 2). ´¹ ) Norden, a. a. O. Seite 35 . 2) Norden, a. a. O. Seite 38.
292
Belgiens Schuld .
Norden beleuchtet nun weiter die belgische Neutralität vom Standpunkte des Völkerrechtes aus, nachdem er zunächst feststellt , daß das Recht der Eroberung ein ebenso gültiges Recht ist, wie jedes andere, und kommt hierbei auf das Thema der angeblich in Belgien verübten Greueltaten zu sprechen . „ Die heutigen Armeen " , sagt er, „umfassen alle kriegstüchtigen Männer und somit die verschiedensten Elemente. Es werden stets Exzesse vorkommen und die Achtung vor dem menschlichen Leben kann nicht Sache des Mannes sein, der selbst jederzeit den Tod vor Augen sieht. Für den Feldsoldaten hat das Leben irgend eines Individuums nicht mehr Wert , als sein eigenes. Wenn der Soldat die Freiheit und das Leben des ihm begegnenden Landmannes achten soll , so darf auch dieser nicht, wenn er ihm den Rücken gekehrt hat, eine verborgene Waffe hervorziehen und sie ihm in den Rücken stoßen . Dies ist nichts anderes als Mord ! „ Der wahre Patriot dient seinem Vaterlande , Mörder wird “ .
indem er Soldat,
und nicht
„ Welche Übertreibungen, welche Lügen finden sich in
den Berichten über diese angeblichen Greuel ! " sagt Norden. Die befestigten Städte wurden nur bombardiert , wenn ihre Einnahme nicht anders möglich war ; Lüttich wurde beispielsweise nicht beschossen. Von den offenen Städten hatten diejenigen schwer zu leiden , die von den belgischen oder französischen Truppen besetzt oder verteidigt wurden . Wenn es unbedingtes Recht der Alliierten war , gewisse Abschnitte, wie z . B. die Brücken von Visé, Charleroi , Dinant zu verteidigen , so war es auch das Recht der Deutschen, deren Übergang zu erzwingen. Ob es dann diesseitige oder jenseitige Geschütze waren, die unvermeidliche Schäden verursachten , nach Norden , daß ist nebensächlich. 99 Die Wahrheit ist aber es in diesen angeführten Fällen die der befreundeten Armeen waren. " Über die Vorgänge in Löwen , die bekanntlich eine große Rolle in den „ Greuelberichten " spielen , führt Norden die Aussagen des amerikanischen Oberst Emerson an, der in einem Vortrag, den er in Neuyork über seine Erlebnisse Kriegsschauplätzen hielt, berichtete . Truppen,
auf verschiedenen europäischen Er sagte, daß die deutschen
und namentlich die Kranken
und Verwundeten,
von der
Zivilbevölkerung Löwens angegriffen wurden, daß aus den Fenstern und von den Dächern auf sie geschossen wurde. „ Die Deutschen waren gezwungen , sich zu verteidigen und sie verteidigten sich. " „ Wir Amerikaner " , fügt er bei, "" würden es im gleichen Falle genau ebenso machen ". Dieser Bericht wird bestätigt, schreibt Norden , durch das , was sich in beinahe allen anderen offenen Städten , in denen die Bevölkerung zu den Waffen griff, ereignete. „Ist in Verviers, in Huy, in Brüssel, in Vilvorde, in Mons, in Gent, Brügge
Belgiens Schuld .
293
und Ostende auch nur der geringste Schaden verursacht worden " ? (wohlverstanden durch die Deutschen, fügt er bezeichnenderweise hinzu). Über die nicht allein ganz völkerrechtswidrige, sondern vielfach unmenschliche Weise, wie unsere Truppen in einzelnen Ortschaften seitens der aufgehetzten Bevölkerung angegriffen wurden, bringt Norden - ein Belgier Beweise aus der französischen und belgischen Presse.
die unter anderen Verhältnissen kaum glaublich erscheinen
würden.
Hier
nur ein paar ganz kurze Anführungen :
wurden die deutschen Truppen
von einem
In Herstal
verheerenden Feuer der
Bevölkerung, und namentlich der Arbeiter, empfangen . Alle Häuser waren in Verteidigungszustand versetzt, Barrikaden wurden gebaut und verteidigt ; die Frauen trugen die Munition herbei usw. Später heißt es : „ Die Frauen nahmen energisch teil an der Verteidigung. Frauen , Greise, Kinder waren unter den Kämpfenden . Frauen und Kinder gossen siedendes Öl auf die Deutschen ; es war so schrecklich, daß die Deutschen gezwungen waren, sich zurückzuziehen , nachdem sie ungefähr die Hälfte ihrer Leute auf dem Platz gelassen hatten." In Barvaux mußten die deutschen Vorposten gegen die Einwohner kämpfen,
die
von
schossen wie die Wütenden . Ein junges Mädchen von einen deutschen Offizier. " Dies
sind nur
den Dächern und Die Frauen nahmen
18 Jahren schoß mit
ein paar der von Norden,
richten , angeführten Fälle , die er. liche hätte vermehren können .
bei,
aus den Fenstern teil am Kampfe. dem Revolver
auf
nach belgischen Be-
seiner Angabe nach ,
ins Unend-
Dem kodifizierten Völkerrecht legt Norden nicht allzuviel Wert denn der Krieg macht sich — wie er sagt seine eigenen
Gebräuche. Die anscheinend am sichersten gültigen Vorschriften des Völkerrechts waren die über die Blockade , über das Recht der Neutralen , über die Konterbande , über die Deckung der Waren durch die Flagge ; und alle diese Grundlehren wurden von England nicht beachtet , sondern mit Füßen getreten und in schnöder Weise verletzt , wofür Norden ausführliche Beweise beibringt. ) Durch eine Kontinentalsperre - nach dem Muster Napeleons I. - wollte es Deutschland aushungern, die deutsche Bevölkerung dem Hungertode weihen, wie es seinerzeit mit den unglücklichen Buren verfahren war. Unter diesen Maßnahmen Englands litten aber in erster Linie die Belgier,
die in
ihrer Heimat geblieben waren und die vom Hunger-
tode gerettet wurden durch die Hilfe Spaniens und der Vereinigten Staaten. „ Das wissen alle Belgier und sollten es nie vergessen, " 1 ) Norden, a. a. O, S. 56.
294
Belgiens Schuld .
schreibt Norden,
יaber was
machen, das ist,
daß
sie
nicht wissen
diese Intervention
oder
sich
das Land nicht
nicht klar vor dem
Verhungern geschützt hätte , wenn sie nicht mit einem großmütigen Feinde zu tun gehabt hätten . " Deutschland ließ das amerikanische Belgien einführen,
obgleich England
Getreide
ungehindert
in
als Bedingung hierfür gefordert
hatte, daß es nur den Belgiern zugute komme und kein Halm den Deutschen zufallen dürfe ! Die deutschen Handwerker, die arbeiteten , aßen Kriegsbrot, während die Belgier, die faulenzten , sich mit Weißbrot nährten. Jeder Kommentar ist überflüssig“ , schreibt Norden. Er schildert nun den Eindruck, den die Anfrage Deutschlands wegen des Durchmarsches der Truppen in Belgien machte . Es sei an diesem 2. August ein Zustand unglaublicher Verwirrung eingetreten, obgleich man wohl hätte darauf vorbereitet sein können . Die Mission Delcassés nach Petersburg, die Ermordung des österreichischen Erzherzogs , in Szene gesetzt von einem Volke, das in seinen Mordanschlägen und seinen Räubereien von den Staaten
des Dreibundes
gestützt wurde , hätten genügt, um auf die kriegerischen Ereignisse vorzubereiten. 99 War es politisch und strategisch möglich " , fährt Norden fort , „ daß Deutschland , das ganz offenkundig der Zerstörung durch eine mächtige Koalition bestimmt war, seine Operationslinie bedroht ließ durch ein Volk, das ihm moralisch schon feindlich war und bereit, seine Grenzen den feindlichen Armeen zu öffnen “ ? Aber Belgien wollte von nichts wissen . Als der Feind im Lande war, schickte es eine Deputation zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, um ihm über die angeblich von feindlichen Soldaten verübten Grausamkeiten zu berichten, die doch nichts getan hatten , als sich gegen die von ihren Behörden und ihren Geistlichen aufgehetzten Bauern zu verteidigen.
Irgendwelche offiziellen
Schritte zur Verteidigung des Landes, wie die Einberufung aller dienstfähigen Männer unter die Waffen , erfolgte nicht ; ebensowenig wie bis dahin Belgien die erforderlichen Maßnahmen getroffen hatte, seine Neutralität zu sichern . "9 Wäre es doch ", sagt Norden , dieser Beziehung dem Beispiel der Schweiz das Unglück von 1914 erspart worden 1 " .)
gefolgt ,
dann
um „ in
wäre ihm
1 ) Über den Unterschied zwischen der Schweizer Neutralität und der Belgischen schreibt Blocher a. a. O. S. 16 : „ Wir - die Schweizer sind vollständig frei, unsere Neutralität zu wahren oder aufzugeben , Bündnisse zu schließen, Krieg zu erklären usw. In diesem Stücke sind wir also anders daran als Belgien ; dieses ist nicht frei, sondern vertraglich genötigt , Neutralität zu wahren. "
Belgiens Schuld.
klar
dem gen in
dert den en, mit
eibt ads sei
ten. ion
Irz-rd-
des
295
Norden schließt seine Studie mit der Frage,
die eigentlich die
Quintessenz der ganzen belgischen Frage bildet : Kann Belgien mit gutem Gewissen Deutschland daraus einen Vorwurf machen , daß es den Durchmarsch seiner Truppen durch belgisches Gebiet erzwungen hat? Hier muß das vorher Gesagte wiederholt werden, daß Deutschland nur tat, was es zu tun berechtigt war. Es hatte, wie Belgien selbst, alle Rechte eines souveränen Staates, demnach auch das Recht, über Krieg zu entscheiden , und es hat hiervon Gebrauch gemacht, gedrängt und gezwungen von seinen Nachbarn. Deutschland - hat die belgische Neutralität nicht verletzt, denn es hat Belgien nicht veranlaßt, sie aufzugeben und hat die Integrität seines Gebietes nicht bedroht . Bei Beginn des Krieges hatten Deutschland und die Alliierten das gleiche wichtige Interesse ,
den Kriegsschauplatz auf das Gebiet zu verlegen. Wären die Deutschen nicht zuerst in Belgien eingerückt , so hätten es die Franzosen und Engländer getan. ,,Wollte man das leugnen , so könnte man ebensogut das Licht der Sonne leugnen ".¹ ) des Gegners
isse hrt
Die französische Armee wurde ganz gleichzeitig an der Nordgrenze wie an der Ostgrenze konzentriert. Die Franzosen wußten wie alle Welt daß sie in diesem Kampfe um die Schnelligkeit,
ng nie
den Krieg auf das feindliche Gebiet zu leiten, nicht den Vorrang haben würden. Es blieb den Alliierten daher nichts übrig, als den
var
Belgiern die Unverletzlichkeit ihres Gebietes auseinanderzusetzen , und
Der
dies taten sie in ausgiebiger Weise Erklärungen und dergleichen mehr.
ar, en.
nh
en
tie
n m
durch Broschüren ,
Norden sagt auf einer der letzten Seiten
Zeitungen
seiner Schrift,
daß
wenn Belgien Grund gehabt hätte, sich über Deutschland zu beklagen , so doch weit mehr über England, von dem es trotz aller Versprechungen schändlich im Stich gelassen wurde - am meisten aber über sich selbst ! (S. 87 ) . Hinsicht anschließen können .
Ein Urteil, dem wir uns in jeder
Wir können diese kurze Betrachtung nicht schließen , ohne noch einmal auf die erwähnte Schrift von E. Blocher dem Schweizer zurückzukommen und führen ein paar seiner Schlußbemerkungen wörtlich an : 99 ... Nun kam 1914, das Unglücksjahr. Deutschland sah im Osten das zahlreichste Heer, das die Welt jemals gekannt, gegen seine Grenzen rücken , wußte im Westen das beste Heer, das es nach dem deutschen in der Welt gab,
mit dem
russischen durch
ein Bündnis verknüpft, versuchte vergeblich zuerst von Frankreich, dann von England die Zusicherung der Neutralität zu erlangen und 1 ) Siehe Norden, a. a. O. , S. 84.
296
Belgiens Schuld.
mußte nun gegen die drei Weltreiche zur Verteidigung schreiten . Nachrichten kamen und stellten einen Durchmarsch der Franzosen durch Belgien Belgiens
in Aussicht ...
achten,
Deutschland
sollte die
Neutralität
aber seit Jahren hatte man wahrgenommen ,
wie
einseitig in Belgien die Neutralitätsverpflichtung aufgefaßt wurde. — Einseitige Neutralität aber ist das Gegenteil von Neutralität, ist ihre Verneinung. Furchtbarer Augenblick ! Über Fragen , bei denen Millionen von Menschenleben auf dem Spiele stehen, wo man hundert brennende Städte, die Vernichtung des eigenen Volkes und seines ganzen Arbeitsertrages, die Zertrümmerung des Reiches, den Untergang des Vaterlandes, erst Tod , Verarmung und Jammer ohne gleichen und am Ende Knechtschaft, russische Knechtschaft in Berlin , französische am Rhein, englische in Hamburg, vor sich sieht, über solche Fragen sollen in wenigen Stunden Entschlüsse gefaßt werden , von denen alles , alles abhängen wird" . ¹) Dies ist das Urteil eines Schweizers über Deutschlands Stellung bei Ausbruch des Krieges!
Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher“ nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises - sofern dieser mitgeteilt wurde hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Schmetzer, Deutschland und seine Feinde. Einen Bühnenfestspiel für unsere Zeit des Kampfes und Sieges . München -Berlin 1915. Kommiss . Verlag R. Oldenbourg . 0.60 M. 2. Chronik des deutschen Krieges. V. Band . München 1915 . Verlag von C. H. Beck. Geb. 2.80 M. 3. Strölin , Die Kampfweise unserer Feinde für den Dienstunterricht zusammengestellt. Berlin 1916. E. S. Mittler & Sohn . 0.50 M. Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z . D. H. Rohne ) enthält u . a . folgende Arbeiten : Dziobek, Geh. Reg. Prof. Dr .: Die Mechanik und ihre Anwendungen. III . und IV. von Richter, Generalmajor z. D.: Wie sind die im RussischJapanischen Kriege gewonnenen artilleristischen Erfahrungen nutzbar gemacht ? Wilhelm Krebs : Die Hörweite des Geschützdonners . II. Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen. 1 ) E. Blocher, a. a. O. , S. 28.
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber) , Potsdam.